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Full text of "Heidelberger Jahrbücher der Literatur"

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1 


A 


T-'l 


HEIDELBERGER 


JAHRBtCHGR 


DER 


UTERATUR. 


Acht  vnd  fünfzigster  Jahrgang. 

Erste  lUfto. 

Janaar  bis  Jani. 


Heidelberg. 

Akademliche  Verlagshandlong  von  J.  G.  B*  Mohr. 
1865. 


HEIDELBERGER 


JIHRBVCIER 


DER 


UT£RATÜR. 


Acht  und  fünfzigster  Jahrgang. 
Zveite  Ulfte. 
Juli  bis  Decemben     • 


V'-    ?*-       •       » 


■ddellieif. 

Akademitche  VerlagihaDdlang  von  J,  C.  B.  Mohr. 
1865. 


It.  1.  UEIDELBERGEK  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Cleopatra  van  Adolf  Stahr,  Non  humVü  mulur!  Horat. 
Berlin.  Verlag  von  J.  QuUentag  1864.  X  und  279  8.  in  gr.  S. 
(Auch  mit  dein  weiteren  Titel:  Bilder  aus  dem  Alierikame. 
Von  Adolf  8tahr.  Cleopatra,) 

In  dem  Lebensbilde,  welches  uns  dieser  Band  yorführt,  ver* 
folgt  der  Verfasser  eine  ähnliche  Tendenz,  wie  in  dem  froheren 
Bilde  des  Tiberius,  worüber  in  diesen  Blättern  seiner  Zeit  be- 
richtet worden  ist,  Jhrgg.  1863.  S.  918 fP.  >Die  Tendenz  dieses 
neaen  historischen  Charakterbildes,  sagt  der  Verf.  in  dem  Vorwort, 
ist  dieselbe  wie  die  des  ersten :  Beinigung  eines  historischen  Charak- 
ters von  gewissen  Flecken,  mit  welchen  Partei-Interesse  und  — 
Gedankenlosigkeit  alter  imd  neuerer  Schriftsteller  das  Bild  Cleo- 
patra^s  entstellt  haben.«  Es  soll  also  auch  in  diesem  Bilde  die 
Ehrenrettung  eines  Weibes  versucht  werden,  welches  zwar  nicht 
die  Stelle  eines  Tiberius  in  der  Weltgeschichte  einnahm,  aber  doch 
nach  einer  ähnlichen  Stellung  strebte,  und  in  diesem  Streben  auf 
den  Gang  der  Ereignisse,  durch  welche  der  römische  Freistaat  in 
eine  Alleinherrschaft  überging,  einen  so  entscheidenden  Einfluss 
Übte.  Und  wenn  wir  in  diesem  hochstrebenden,  ehrgeizigen  Weibe, 
das  einen  Cäsar  wie  einen  Antonius  mit  unwiderstehlicher  Gewalt 
aa  sich  zu  fesseln  wusste,  keine  gewöhnliche  Erscheinung  erblicken, 
eben  darum  auch  ein  mit  solchen  Gaben  ausgerüstetes  Weib  nicht 
nach  dem  Massstab  einer  gewöhnlichen  Buhlerin  bemessen  wollen, 
ao  werden  wir  um  so  verlangender  nach  der  Schilderung  der  Per- 
sönlichkeit eines  solchen  Weibes  blicken,  und  begierig  sein,  die 
Mittel  und  Wege  kennen  zu  lernen,  durch  welche  sie  ihren  ehr- 
geizigen Plänen  Geltung  zu  verschaffen  suchte.  Es  wird  aber  diese 
Theilnahme  noch  mehr  gesteigert  durch  die  glänzende  Darstellung, 
in  welcher  uns  eine  solche  Persönlichkeit  hier  vorgeführt  wird; 
der  Verfasser  hat  seine  Meisterschaft  in  derartigen  Schilderungen 
aach  hier  wieder  in  einer  solchen  Weise  bewährt,  dass  die  Theil- 
nahme des  Lesers  unwillkürlich  seiner  lebendigen  Schilderung  folgt, 
welche  die  Vergangenheit  wie  Etwas  Gegenwärtiges  vor  unsem 
Blicken  entfalten,  durch  schöne  und  passend  eingeflochtene  Episo- 
den —  wir  erinnern  nur  an  die  Beschreibung  von  Alexandria  im 
dritten  Kapitel  —  zugleich  eine  angenehme  Abwechslung  in  das 
Ganze  zu  bringen,  und  auch  die  femer  liegenden  Gegenstände  mit 
dem  Hauptgegenstande  geschickt  zu  verbinden  und  zu  einem  Ge- 
sammtbilde  abzurunden  versteht,  und  dabei  wird  man  dem  Ver- 
fasser nicht  den  Vorwurf  machen  können,  dass  er  von  der  ge- 
LVm.  Jahrg.  L  Heft.  1 


3  8tahr:  ae^ptiffa. 

schichtlichen  Grandlage,  wie  sie  die  Quellen  des  Alterthums  brin- 
gen, sich  zn  66hr  entfernt,  er  hat  sdoh  vielmeht*  ftberall  an  die- 
sell»eii  ang^sckloMeA,  imd  wenn  er  z.  B.  dem  gewissenhafben  Pln- 
tarchus  in  dem,  was  derselbe  berichtet,  den  Vorzug  gibt  vor  dem, 
was  der  ungleich  spätere  und  unkritische  Dio  Cassius  erzählt,  so 
wird  man  ihm  nur  Recht  geben  und  der  Kritik,  welche  in  dieser 
Beziehung  geübt  wird,  beipflichten  können.  Und  doch  treten,  wenn 
es  sich  um  das  Gesammtergebniss  handelt,  um  das  Urtheil,  das  in 
unbefangener  und  gerechter  Weise  von  der  Nachwelt  gefällt  werden 
soll,  manche  Bedenken  hervor,  die  durch  den  Versuch  einer  Ehren- 
rettung, wie  er  hier  in  so  glänzender  Weise  durchgeführt  ist,  nicht 
völlig  gehoben  und  beseitigt  erscheinen;  sie  treten  in  noch  höhe- 
rem Grade  vor  bei  der  Schilderung  des  Mannes,  dessen  Schicksal 
unzertrennbar  mit  dem  der  Cleopatra  verknüpft  ist,  dessen  Lebens- 
bild daher  kaum  von  dem  der  Cleopatra  zu  trennen  war,  bei  An- 
tonius. Wir  werden  weiter  unten  darauf  zurückkommen.  Was  die 
Benutzung  neuerer  Hülfsmittel  betrifft,  oder  die  Berücksichtigung  der 
Urtheile,  welche  in  verschiedenen  geschichtlichen  Werken  der  neueren 
Zeit  Über  die  hier  in  Betracht  kommenden  Persönlichkeiten  gegeben 
sind,  so  konnte  eine  Darstellung,  die  unmittelbar  aus  den  Quellen 
schöpft  und  in  der  Behandlung  des  Stoffs  ihren  eigenen  Gang  nimmt 
auf  eine  vollkommen  selbständige  Weise,  darauf  allerdings  sich 
weniger  einlassen.  Ueber  die  Cleopatra  ist  uns  —  aber  auch  nur 
dem  Titel  nach  —  eine  einzige  Monographie  bekannt  von  Landi 
(Vita  di  Cleopatra,  reina  d'Egitta),  welche  (1808  zu  Paris)  von 
Barr^re  in's  Französische  tibersetzt  worden  ist;  ob  und  was  die- 
selbe zur  Würdigung  und  Auffassung  der  Aegyptischen  Königin 
enthält,  ist  uns  daher  nicht  bekannt.  In  der  allerneuesten  Zeit 
hat  aber  einem  französischen  Literaten  (Arsfene  Houssaye)  der  Name 
der  Aegyptischen  Königin  zu  dem  Titel  eines  Romans  dienen  müssen 
(Mademoiselle  Cleopätre,  Paris  1864),  in  welchem  einer  Courtisane, 
die  als  ein  echtes  Abbild  des  Demi-Monde  erscheint,  die  Haupt- 
rolle zugetheilt  ist! 

Eingeleitet  ist  das  Ganze,  wie  es  hier  vorliegt,  durch  einen 
guten  Ueberblick  über  das  Reich  der  Lagiden,  dessen  Gründung, 
so  wie  dessen  weitere  Entwicklung  bis  in  die  Zeiten,  wo  dasselbe 
zur  römischen  Politik  in  nähere  Verhältnisse  trat,  insbesondere  zu 
der  Zeit  des  Ptolemäus  XI  Auletes,  des  Vaters  der  Cleopatra,  über 
welchen  das  zweite  Kapitel  sich  verbreitet.  Mit  dem  vierten  Kapitel 
treten  wir  in  die  Kriegführung  Cäsars  ein,  die  Kämpfe,  die  er, 
eingeschlossen  in  Alexandria  zu  bestehen  hatte,  und  sein  erstes, 
erfolgreiches  Zusammentreffen  mit  der  damals  siebzehnjährigen,  zu 
ihm  sich  flüchtenden  Cleopatra.  Den  Zauber,  den  diese  zweit« 
Helena  des  Nil  auf  Cäsar  ausübte,  hat  der  Verfasser  im  fünften 
Kapitel  näher  ausgeführt.  »Der  zwei  und  fünfzigjährige  Held  hatte 
sein  Herz  verloren  an  die  Aegyptische  Zauberin ,  der  keine ,  von 
air  den  zahlreichen  Frauen,  deren  Gunst  er  bisher  genossen,  auch 


mir  etitferat  aioh  an  Geist  imd  Sebönheii  vergtoieheii  konntti.«  IJmi. 
naohdam  der  Yeif.  die  yieUeidit  etwas  ttbertnebene  SohildertBg, 
welche  Plntarob  im  Leben  G&aar'e  von  der  Schönheit  «nd  von  der 
hohen  geistigen  Bildung  Gleopatra*8  gibt^  angeführt,  halt  er  es 
doch  ftlr  ansgemacht,  »dass  der  Verein  von  feinster  Büdnng  nd 
Geifltesgew»ndtheit  mit  ßchönheit  und  Anmnth  nnterstlltet  dmreh 
aik  Künste  rafiEuiirtester  Koketterie  Eigenschaften  waren,  welche 
gerade  auf  einen  Cäsar  ihre  Wirkung  nicht  verfehlen  koantea.  Br 
hat  bisher  mit  vielan  Frauen  ohne  grosse  Auswahl  zu  thun  gehabt 
denn  er  war  ein  grosser  Verehrer  des  schönen  Geschlechts  tni 
hatte  in  seinem  langjährigen  üjriegs«  und  Lagerleben,  wie  sieh  ein 
^ter  Schriftsteller  ausdruckt,  genommen,  was  sich  ihm  darbot. 
Jetst»  dn  or  Alexandria  betrat,  stand  die  Knme  dieses  Geschleehts 
vor  ihm,  ein  Wesen,  wie  er  es  nie  getr&umt,  das  wnnderbante 
Weib  ihrer  Zeit  vor  dem  wunderbarsten  Manne,  und  dieses  Weib 
ia  der  ersten  frischen  Jugendblüthe  ihrer  Herrlichkeit  wandte  sich 
Schutz  und  Hülfe  suchend  an  sein  Herz.  War  es  ein  Wunder,  dass 
d»  Besieger  der  halben  Welt  ihr  nicht  widerstand,  als  sie  in  ihvem 
Schmerze  doppelt  schön  edelstolz  xmd  zugleich  des  höchsten  Mit* 
lade  würdig,  in  allem  Glänze  ihrer  Schönheit  vor  ihn  hintrst, 
sls  er  die  liebliche  Stimme  vernahm,  von  deren  süssem  Wohllant 
Boch  mehr  als  zwei  Jahrhunderte  später  ein  Alter  schrieb,  dass  tut 
jeden  durch  ihren  Zauber  bestrickte  und  dass  ihr  Anblick  wie  ihre 
Rede,  jeden,  auch  den  kältesten  Mann  und  den  ärgsten  Weiber* 
innd  ttb^rwand.  So  reichte  denn  auch  für  sie  die  erste  Begeg- 
Bimg  hin,  Cäsar's  Herz  zu  erobern  und  jeder  Tag  der  leohs  Mo«> 
■ate,  die  er  an  ihrer  Seite  verlebte  und  in  dem  ihre  Liebe  and  ■ 
die  Beize  ihres  Umgangs  der  einzig  helle  Stern  in  dem  IHbitar 
Mier  grimmen  Eriegsnoth  und  (Gefahr  bildeten,  befestigte  ihre  fir* 
obixung.  Cäsar  hatte  zugleich  während  dieser  Zeit  auch  ihren  Geist 
lud  ihre  Einsicht,  ihre  aushaltende  Energie  und  ihren  Muth  in 
Gefahren  erprobt  und  achten  gelernt.  Sie  hatte  treu  bei  ihm  au»- 
gdialten,  als  alle  übrigen  Glieder  der  Königsfamilie  ihn  verliessen 
sad  vcErriehten,  und  bekannt  mit  allen  Persönlichkeiten  und  Intriguen 
des  Hofes  und  mit  allen  Verhältnissen  des  Landes  und  der  Haupt«» 
Stadt  hatte  ihrEath  ihm  sicher  bei  mehr  als  einer  Gelegenheit  die 
[ nrichtigsten  Dienste  geleistet.  So  knüpfte  sich,  von  Sinnenleideu* 
IjRhaft  ausgehend,  zwischen  ihm  und  dem  schönen  Weibe  ein  Band, 
jdas  dem  Ehrgeize  des  letztem  die  glänzendsten  Aussichten  eröffnete. 
An  der  Seite  des  stolzen  Siegers  als  Königin  seine 
Weltherrschaft  zu  theilen,  —  das  ward  und  blieb  von  jetzt 
das  Ziel  ihres  Strebens.  Dies  Ziel  hat  sie  ihr  ganzes  Leben 
lang  verfolgt  und  man  darf  sagen,  dass  sie  ihm  erst  an  der 
fehwelle  des  Todes  entsagtec  (3.  45—46). 

Wir  haben  diese  längere  Stelle  wörtlich  mitgetheilt  als  Probe 
^  Darstellung,  die  dann  im  weitem  Verfolg  auch  die  politische 
iSeite  des  Verhältnisses  zwischen  <Jäsar  und  Cleopatra   in  Betracht 


hctes 
stadi 


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4  BUhr:  ClA^Irtt. 

tind  den  EinflusB  nachzawBlBen  siichi,  den  diesee  Verhftltniss  anf  Cftsar 
und  Beine  auf  die  Weltherrschaft  gerichteten  Pläne  ausübte.  »  Sein  Auge, 
sagt  der  Verf.»   blieb  yon  nun  an  auf  den  Orient  gerichtet,  nicht  ohne 
Oleopatra's  Znthun,  die  vielleicht  daran  denken   mochte,   den  Site 
der  Weltherrschaft  von  Born  nach  ihrer  geliebten  Alexandersstadt 
verlegt  zu  sehen.     C&sar   selbst  war  umfangen   worden   von  dem 
Zauber  orientalisch-hellenischen  Wesens  und  Lebens.  Er  war  nicht 
beraoscht  worden  von  dem  Becher  des  Lustgenusses,  den  ihm  Oleo^ 
patra  bis  zum  Bande  gefOllt  und  den  er  in  vollen  Zügen  geschlAfft 
hatte,  aber  der  Weihrauch  des  Ostens  und  sein  eigenes,  hier  Kronen 
aefamendes  dort  austheilendes  Schalten  und  Walten  hatte  die  Schlicht* 
heit  seines  Wesens,    die  so  lange  Alles  um  ihn  her  entzückt  und 
gewonnen  hatte,  angetastet  und  den   Hochmuth  des  Herrschers  in 
seinem  Lanem  Platz  greifen  lassen c  (S.  48).  Wir  können,  ohne  den 
uns  gesteckten  Baum  zu  überschreiten,  dem  Verfosser  nicht  weiter 
in  die  nähere  Darstellung  dieser  Verhältnisse  folgen,  die,  zumal  nach* 
dem  Cäsar  die  Cleopatra  nach  Bom  hatte  kommen  lassen,  wo  sie 
längere  Zeit  verweilte,  einen  nachtheiligen  Einfluss   auf  die  ganse 
Stellung  Cäsar's  in  Bom  äusserten,  und  in  so  fem  selbst  beigetragen 
haben,  die  Katastrophe  herbeizuführen,  die  mit  Cäsar*  s  Ermordung 
endigte.     Die  Bückkehr   der  Cleopatra  nach  Aegypten,  ihre  Lage 
und  ihr  Verhalten  während  des  nach  Cäsar*s  Tod  ausgebrochenen 
Bürgerkriegs  bis   zur  Schlacht  bei  Philippi  bildet  den  Inhalt   des 
aeehsten  Kapitels. 

Hit  dem  nächsten  Abschnitt  treten  wir  in  die  andere  Phase 
im  Leben  der  Cleopatra  ein,  in  ihr  Verhältniss  zu  Antonius,  das 
mit  der  im  neunten  Kapitel  geschilderten  Beise  nach  Tarsus  uad 
ihrem  dortigen  Auf zug  beginnt:  die  beiden  vorhergehenden  Kapitel 
sind  einer  Schilderung  des  Marcus  Antonius  gewidmet,  bei  weloher 
noch  weit  grössere  Bedenken  uns  entgegen  treten,  so  anziehend  wath 
sonst  diese  Schilderung  ausge&llen  ist,  so  einnehmend  und  ge» 
winnend  für  den  Manu,  welcher  Gegenstand  derselben  ist,  und  bis- 
her allgemein  nur  als  ein  roher,  gemeiner  und  selbst  grausamer 
Wüstling  angesehen  ward,  der  durch  keine  der  hervorragendeii 
Eigenschaften,  die  wir  bei  Cäsar  finden,  den  Mangel  jeder  hohem 
sittlichen  Biohtung  ausgeglichen,  und,  ungeachtet  aller  persönlichan 
Kühnheit  und  wilden  Tapferkeit  doch  nicht  als  Feldherr  seinein 
Vorbilde  Cäsar  an  die  Seite  zu  stellen  sei  Gerade  das  GegentheiJ 
von  Allem  dem  sucht  die  hier  gegebene  Schilderung  darzuthon,  die 
fast  noch  mehr,  als  diess  bei  Cleopatra  der  Fall  ist,  als  eine  Ehren- 
rettung dieses  so  verrufenen  Bömers  anzusehen  wäre,  wenn  andere 
eine  solche,  wie  wir  es  ansehen,  überhaupt  möglich  wäre.  Mil 
grosser  Vorliebe  wird  das  Aeussere  des  Mannes  gezeichnet »  f|mi 
auch  schon  im  Alterthum  sein  Biograph  Plutarch  (Vit.  Antonii  4' 
hervorgehoben  und  mit  Herkules  in  dieser  Hinsicht  verglichen  hatte 
dessen  »persönliche  Tapferkeit  (insbesondere  auch  als  Führer  de 
Beiterei)  durch  eine  ungewöhnliche  Körperkraft  und  Gewandthei 


Sialir:  Oleopftln.  5 

mitersMtzt,  Etwas  Bitterlich-BomantisclieB  hatte,  was  an  den  grossen 
ReHerffthrer  nnsernr  Zeiten,  an  Mtbrat  erinnert«  (S.  72) ;  dann  geht 
der  Yerlasser  auf  den  sittlichen  Charakter  über;  am  diesen  su  be* 
srtheilen,  sagt  er,  »mnss  man  von  dem  Zerrbilde  absehen,  welches 
der  beredteste  nnd  zugleich  der  leidenschaftlichste  nnd  gewissen- 
lofleste  seiner  Feinde  Cicero  mit  einer  Bosheit  nnd  Gemeinheit  ohne 
Gleichen  (?)  von  dem  gehassten  Todfeinde  entworfen  hat.  In  die* 
Bern  Spi^elbilde  des  Hasses  erscheint  er  ohne  alle  und  jede  gate 
Eigenschaft,  als  ein  Ungehener,  znsammengesetzt  ans  allen  Lastern 
und  Yerbrech^a,  die  je  einen  Menschen  geschändet  haben.  Aber 
dien  Zerrbild  liegt  weit  ab  von  der  Wahrheit;  nnd  obgleich  es 
seine  Feinde  gewesen  sind,  die  zunächst  seine  Geschichte  schrieben, 
80  besitzen  wir  dennoch  Zeugnisse  genug,  welche  beweisen,  dass 
er  Alles  in  Allem  genommen,  nater  den  Hauptaktenren  der 
grossen  Geschiohtstragödie ,  welche  nach  Cäsar's  Tod  spielte,  viel- 
leicht die  menschlich  beste  nnd  edelherzigste  Natur  war  (S.  78). 
£«  dürfte  dem  Verfasser  schwer  werden ,  auch  Andere  zu  über- 
zeugen, dass  der  Mann,  auf  dem  so  manche  Blutschuld,  so  mancher 
Mord  testet,  der  sein  unsittliches,  gemeines  Wesen  selbst  offdn- 
knndig  zur  Schau  trug,  der  über  die  heiligsten  Bande  der  Natur 
sieh  wegsetzte,  der  in  Grausamkeit  und  roher  sinnlicher  Lust  ver- 
.sonken  jedem  derartigen  Genuas  fröhnte,  ein  solches  Ideal  mensch- 
lidier  Natur  gewesen,  wie  er  in  der  hier  gegebenen  Darstellung 
erscheint,  die  mit  Allem,  was  wir  von  Antonius  ans  den  Alten 
^nssen,  sich  in  Widerspruch  setzt,  und  wenn  wir  gar  weiter  lesen, 
^  Antonius  ein  Mann  gewesen,  der  in  seinem  Verhältniss  zu 
OBear  gezeigt,  wie  fähig  er  des  Edelsten  gewesen,  was  der  Mensch 
besitzen  mag,  der  neidlosen  Bewunderung  und  treuen  Hingebung 
sa  überragende  Grösse,  vor  dessen  Energie  und  Thathraft  alle 
seine  Gegner  gezittert,  der  zugleich  von  Natur  offen  und  gutmüthig, 
aigloe,  auMchtig  und  ohne  falsch  gewesen,  wo  er  es  sein  zu  dür- 
fen glaubte,  was  aber  später,  einem  Octavian,  dem  falschesten  der 
Menschen  gegenüber,  mit  die  Ursache  seines  Verderbens  gewesen; 
so  sträubt  sich  unser  sittliches  Gefühl  wider  eine  solche  Annahme, 
raid  werden  wir  billig  fragen ,  wie  der  Verfosser  dazu  kommen 
konnte,  einem  Antonius  Grrossmuth  und  leicht  verzeihende  Milde 
wie  Freigebigkeit  beizulegen ;  nie  hat,  wie  Derselbe  bemerkt,  Hab- 
sucht und  Geldgier  seine  Seele  befleckt,  Bachsucht  und  Härte  waren 
ihm  fremd,  und  nur  in  der  Erregung  der  Leidenschaft  liess 
er  sich  zu  einzelnen  grausamen  Handlungen  hinreissen,  die  er  meist 
selbst  bald  genug  bereute,  und  so  wird  denn  auch  das  Meiste, 
was  von  den  Proscriptionen  und  Gewaltthaten  auf  seine  Bechnung 
kam,  vielmehr  der  Wildheit  seines  Weibes  beigelegt,  von  welchem 
S*  76  ff.  eine  Schilderung  entworfen  wird ,  die  zugleich  dazu 
dienen  soll,  die  sinnlichen  Ausschweifungen  des  Antonius  und  seine 
Neigimg  für  die  Cleopatra  zu  entschuldigen.  Nur  Eins  fehlte  nach 
dem  Verfasser    einer    solchen  ausgezeichneten  Natur:    die  unge- 


&'  BtAlir:  Oleoinlm. 

broohene  Einheit  des  Wollens  und  zwischen  zwei   Polen,    Ehrgeiz 
nnd  Genüsssucht  schwankend,  riss  ihn  die  letztere   endlich  in  denn 
Abgrund  (S.  74).     Also   der  Verfasser  über  Antonius  und  dessen 
Charakter.     Wir  sind  wahrhaftig  in  der   letzten   Zeit  an  manche 
aaSaUende     mit     der    historischen     Ueberlieferung     im     Wider- 
spruch stehende  Beurtheilung  der  MiLnner,    welche  in   der  lotsten 
Periode  der  römischen  Bepublik,   in  der  Zeit  ihres  Uebergangs  in 
eine  Alleinherrschaft;  eine  hervorragende  Stelle  gespielt  haben,  fast 
gewöhnt  worden:  die  hier  gegebene  Auffassung  des  Antonius  dtkrfte 
diess  AUes  fast  ttberbieteu  und  darin  uns  den  Beweis  liefern,    bb 
welcher  Yerkennung  des  Thatsächüehen  ein  anerkannt  geistreicher 
und  gewandter  Schriftsteller  sich  hat  hinreissen  lassen  aus  natür- 
licher Vorliebe  zu  dem  Bilde,  das  seine  geschickte  Hand  zu  zeich- 
neu unternommen  und  mit  t^era  Farbenglanz  auszustatten  geMrusst 
hut.     Und  eben  darum  musste  auch  der  Schriftsteller,  dessen  Dar- 
stellung des  Antonius  in  dem  schneidendsten  Gegensatz  zu  der  hier 
gelieferten   Schilderung   steht,  um  so  tiefer  gestellt,   als   der    ge- 
wissenloseste und  boshafteste  der  Gegner   des  Antonius  bezeichnet 
worden,  dem  jede  Glaubwürdigkeit  abgeht.     Wenn   wir   auch    bei 
Cicero   die  Leidenschaftlichkeit    und  Heftigkeit  nicht    in   Abrede 
stellen  wollen,   mit   welcher   der  alte  Republikaner   wider   seinen 
politisohen  Gegner  auftritt,   den   er   als   ein   wahres  Scheusal   der 
Menschheit  darzustellen  unternimmt,  wenn  wir  darauf  auch  bei  unserem 
Gndurtheil  gebührende  Bücksicht  nehmen,    so  wird  man  doch   anf 
der  andern  Seite  die  vielen  thatsächlichen  Angaben,    wie   sie  den 
Außftlhnmgen  Cicero*s  in  dem  von  ihm  in  der  zweiten  philippischen 
Bede  gelieferten  Lebensabriss  des  Antonius  zu  Grunde  liegen,  nicht 
in   Abrede   zu   stellen  vermögen,   selbst  wenn   man   in   Manchem 
üebertreibung  oder  eine  Zuthat  des  Bedners  erkennen  wollte,    der 
diese  thatsächlichen  Punkte   aber   gewiss  nicht   erfunden  hat  ttnd 
nicht  erfinden  konnte,  ohne  sieh  l&cherlich  zu  machen  und  gerade 
den  Zweck  zu  verfehlen,  den  er  mit  seiner  Bede  und  mit  dem  darin 
gelieferten  Lebensabriss  des  Antonius  beabsichtigt  hatte.  Ln  Gegen«» 
theil,  Cicero  konnte   nur   durch   die   Zusammenstellung   der   wirk- 
liehen  Thatsachen,  wie  sie  in  der  römischen  Welt  bekannt  waren, 
seine  Zwecke   erreichen,     und  diese  Thatsachen,    an   welchen    zu 
zweifeln  kein  Grund   vorliegt,    werden  allerdings  hinreichen,    dem 
nüchternen  Forscher  ein  anderes  Bild  von  Antonius  zu  geben,    als 
das,  welches  er  hier  in  allem  Glänze  vorgezeichnet  erblickt. 

In  panegyrischer,  höchst  anziehender  Weise  ist  im  neunten  und 
zehnten  Kapitel  der  Aufzug  der  Cleopatra  in  Tarsus  zu  Antonius, 
die  Begegnung  beider,  und  der  Eindruck,  den  Cleopatra  auf  An- 
tonius machte,  so  wie  dessen  Zusammenleben  mit  ihr  zu  Alexandria 
geeohildert.  »Die  Aphrodite  vom  Nil,  heisst  es  S.  82,  war  ge- 
kommen, die  alle  Männer  besiegende,  um  den  grössten  der  Schiach- 
tensieger (?)  zu  überwinden« ;  dieser  »bisher  nur  an  die  wtlste 
Schlemmerei  roher  römischer  Ausaohweitoig  gewöhnt  und  noch  nn- 


SiAhr:  CleopUm.  T 

bekannt  mit  dem  Baffinement  alexandrmischer  Genussweise,  empfiuicl 
sieh  in  diesem  Zanberkreise  der  königlichen  Aegjpterin  gleichsam 
in  eine  andere,  ihm  neue  Welt   versetzt«    (S.  85).    Und   eben  so 
heifist  es  bei  den    fortgesetzten  Lustbarkeiten   und  Vergnügungen, 
die  Cleopatra  zu  Alexandria  dem  Antonius  in  unerschöpflicher  Ab- 
weehslung  zu  bereiten  verstand :  »Er  hatte  bisher  nur  wilde  Orgien 
und  wahllose  Sinnenbefriedigung  gekannt,  jetzt  lernte  er  kennen, 
was  verfeinertes  Genusaleben  heisst««   —  »In   der  That,    sie  ver- 
edelte das  Gemeine  seiner  frühem  Ausschwei^mg,   indem   sie   die 
Lust  der  Vergnügungen  mit  dem  Beize   der   Schönheit  und   des 
Geistes  würzte  und  Witz  und  geistreichen  Scherz  an  die  Stelle  der 
Lagerrohheit  und  brutalen  Wüstheit  setzte,  in  deren  Umgebung  er 
sich  früher  gefallen  hatte«  (S.  95).     Hier  wird  also  doch  einiger^ 
massen  das  Leben  des  Antonius  zugestanden:    an  eine  Yeredking 
desselben  duroh  ein  Weib  zu  glauben,  das  kurz  zuvor  den  Antonina 
Tomocht,  ihre  eigene  Schwester,  die  im  Heiligthume  der  Artemis 
zu  Milet  Schutz  gesucht,  diesem  Asyl  gewaltsam  zu  entreissen  und 
zu   morden,    und    das   auch    andere   Gegner  nicht  besser    behan« 
dehe,  wie  wir  S.  87.  88  lesen,  —  diese   ist  uns  doch  wahrhaftig 
zn  Viel  zugemuthet.  Und  eben  so  wenig  werden  wir  auch  in  dem 
VeriiSltniss  des  Antonius  zu  Cleopatra,  das  schon  Plutaroh  als  ^ 
ov£i4og  —  Schimpf  und  Schmach  bezeichnet  hat  (Compar.  Ant.  c» 
Demetr.  1),  edle  und  höhere  Motive  finden  wollen,  welche  bei  einem 
so  gemeinen    Wüstling  und  Ehebrecher,   der  hier  nur  an  die  Be* 
firiedigung  seiner  Lust  dachte,    schwerlich   anzunehmen  sind,   und 
wenn  es  zur  Erklärung  der  Leidenschaft,  von  welcher  Antonius  sich 
ZOT  Cleopatra   hingerissen  fühlte,   heisst:     »Der    Dämon  war   die 
Leidenschaft  seiner  Natur,  der   Zauber  seiner  Liebe  zu  dem  schöf- 
nen  Weibe,    eine  Liebe,    deren  Abgrundtiefe  ihres  Gleichen  nicht 
hat  in  der   Geschichte   der  alten   Welt«  (S.  92),    so   werden  wir 
dureh  eine  solche   Uebertreibung  uns   eben   so  wenig  irre    machen 
Isssen,  als  wenn  wir  an  Cleopatra's  Liebe  zu  Antonius  glauben  sollen. 
»Die  männliche   Schönheit    des   Antonius  und    das   Phantastisch^ 
Heroische  seiner  Erscheinimg  hatte  auf  sie  Eindruck  gemacht  und 
wemi  auch  ihre  Klugheit  zunächst  diesen  Eindruck  zu  bemeistem 
verstand,  so  werden  wir  doch  weiterhin  sehen,    dass  nicht  allein 
üire   Sinnlichkeit  und   ihr  Ehrgeiz,    sondern   auch   ihr  Herz    bei 
der  Leidenschaft  im  Spiele  war ,  welche  fortan  Antonius  und  sein 
Schicksal   mit   unauflöslichen   Banden   an    die    Helena    vom   Nile 
ketten  sollte«  (S.  90),     Eher  wollen  wir  glauben,  dass   »die  alten 
Tiftome  von  Herrschermacht  und  Grösse,   die  sie  einst  an  Cäsar' s 
^ite  der  Erfüllung   so   nahe   geeehen  —  doch  nur  um  aus  ihnen 
de^to  furchtbarer  bei  seinem  jähen  Falle  zu  erwachen  —  sie  traten 
jetzt  aufs  Nene  und  in  noch  glänzenderem  Lichte  vor  ihre  Seele.'* 
(S.  88)  u.  s.  w.    ,,Ihre  Politik    (so    lesen  wir  S.  158)  —  und  es 
\8i  unrichtig  die  hochbegabte  Frau  nur  als  eine  wollüstige  Ookette, 
^  eine  lediglich  dem  Genüsse  des  Moments  und  dem  Strudel  des 


8  Stahr:  ClaopatnL 

Yergnttgens  hingegebene  Bahkrin  anzusehen  —  ihre  Politik  und 
ihr  Ehrgeiz  waren  gleichmässig  darauf  gerichtet,  dem  Reiche  ihrer 
Ahnen  die  alte  Grösse  und  Selbständigkeit  wieder  zu  schaffen  und 
dasselbe  zu  einer  zwischen  Parthien  und  dem  entfernteren  Osten 
auf  der  einen,  und  Rom  auf  der  andern  Seite  stehenden,  von  beiden 
unabhängiger  Macht  zu  erheben."  Allerdings  war  dies  nur  durch 
Antonius  zu  erreichen  möglich,  während  Octavian  einer  solchen 
Politik  entgegenarbeiten  musste.  „Selbständigkeit  und  Unabhän- 
gigkeit des  Ostens  von  dem  Westen  —  das  war  das  Ziel,  das 
beide  jetzt  ins  Auge  fassten,  und  wenn  es  sein  musste,  Kampf  mit 
Weltherrschaft,  Kampf  auf  Leben  und  Tod*-  (S.  158).  —  Wir 
wollen  diese  Auszüge  nicht  weiter  fortsetzen,  und  eben  so  die  nicht 
mifider  interessante  Schilderung  des  Hoflebens  zu  Alexandrien  mit 
all  den  Yergnilgungen,  die  es  dem  Antonius  bot,  und  die  von  die* 
sem  theilweise  erwiedert  wurden,  (Cap.  X)  nicht  weiter  vorfolgen, 
wir  eilen  zu  dem  eilften  Capitel^  welches  eine  Darstellung  des  durch 
Fulvia's  Intriguen  herbeigefdhrten  Perusinischen  Krieges  bringt,  und 
dann  den  Tod  derPulvia  so  wie  die  Aussöhnung  des  Antonius  mit 
Octavianus. berichtet,  dessen  Schwester  Octavia  mit  Antonius  durch 
eine  Heirath  verbunden  ward.  Der  Verf.  entwirft  auch  hier  ein 
schönes  und  wie  wir  glauben,  auch  durchaus  wahres  Bild  der  neuen 
Gattin,  die  er  mit  Brecht  als  eine  der  edelsten  und  tugendhaftesten 
Frauengestalten  ihrer  Zeit  bezeichnet  (S.  116  f.  125  ff.),  die  jeden 
andern  Mann  glücklich  gemacht  hätte  und  doch  keine  Frau  für 
einen  Antonius  gewesen,  deren  Hauptfehler  aber  darin  bestanden, 
dass  sie  für  Antonius  zu  tugendhaft  war  (!).  So  schreibt  der 
Verfasser,  um  die  Wandelung  zu  erklären,  die  in  dem  Innern  des 
Antonius,  nachdem  er  zwei  Jahre  mit  Octavia  zu  Athen  gelebt, 
vor  sich  gieng  und  ihn  unwillkührlich  wieder  und  mit  aller  Ge- 
walt der  Leidenschaft  zu  Cleopatra  hinzog.  Der  Verfasser  will 
auch  nicht  gerade  den  Antonius  wegen  seines  (ehebrecherischen) 
Verhaltens  rechtfertigen,  er  will  nur  ein  entschuldigendes  Wort  für 
Antonius,  den  bestverleumdeten  Mann  des  römischen  Alterthums, 
einlegen,  und  die  Thatsache  aus  psychologischen  Gründen  erklären. 
Wir  verweisen  die  Leser  auf  die  im  dreizehnten  Gapitel  darüber 
gegebene  Auseinandersetzung :  wie  man  auch  darüber  urtheilen  mag, 
so  wird  man  doch  der  beredten  Vertheidigung  des  Antonius  gern 
folgen,  so  wie  dem  schönen  Bilde,  das  von  der  edlen  Octavia  ent- 
worfen wird,  man  wird  auch  darin  die  grosse  Kunst  anerkennen, 
mit  welcher  der  Verfasser  Charaktere  zu  schildern  versteht.  Von 
dem  Standpunkt  der  nüchternen  Moral  wird  freilich  das  ürtheil 
über  Antonius  anders  ausfallen:  es  wird  sich  durch  allen  äussern 
Schein  nicht  blenden  lassen,  um  das  Anstössige  des  Lasters  und 
Verbrechens  zu  verkennen  oder  zu  bemänteln.  Wenn  Antonius 
durch  sein  Verhalten  sich  selbst  in  Rom  verhasst  machte  und  da- 
durch die  Pläne  seines  Gegners  Octavian  förderte,  so  ist  sein  Be- 
nehmen gegen  Octavia,   die  Alles  versuchte,  den  drohenden  Sturm 


Siakr:  Oleepitrm.  B 

abzuwenden,  um  so  mehr  ein  Gegenstand  gerechter  Rfige  und 
eehweren  Tadels;  yerfiJlen  allen  Bnhlerktlnsten  der  dnrcb  sinn« 
Hebe  Reise  ihn  fesselnden  Aegyptischen  Helene/  stiess  er  die  edle 
Römerin  von  sich,  die  sich  fllr  diesen  Schimpf  dadurch  r&chte, 
daee  sie  den  verlassenen  8ohn  des  Antonius  von  der  Fnlvia  zn 
sieb  nahm,  nnd  später  nach  dem  Tode  des  Antonius  und  der  Cleo- 
patra, Ar  die  Kinder  beider  anf  gleiche  Weise  sorgte.  Wie  es 
nnter  solchen  Verhältnissen  bald  zn  dem  offenen  Brache  zwischen 
den  beiden  Hänptem  der  römischen  Welt  kommen  mijsste,  was 
diesem  voransgieng  und  was  ihn  herbeiftlhrte,  wird  uns  hier  mit 
aller  Klarheit  gezeigt  und  in  gleicher  Weise  der  grosse  und  letzte 
enteeheidende  Kampf  des  Ostens  und  Westens  zwischen  Antonius 
und  Octavian  geschildert;  und  wenn  die  Fehler,  die  Antonius  bei 
diesem  Kampfe  beging  und  deren  nachtheüige  Folgen  für  den  un- 
gllleklieben  Ausgang  des  Kampfes  nicht  verschwiegen  werden,  so 
ist  die  Darsteüung  nicht  minder  bemüht,  unwahre  Beschuldigungen, 
wie  eie  wider  Cleopatra  erhoben  worden  sind,  wie  z.  B.  ihr 
angeblicher  Yerrath  bei  der  Schlacht  bei  Aktium,  zurückzuweisen, 
und  eben  so  ihre  Thatkrafli,  ihre  Energie  darzuthun,  die  sie  naeh 
der  Schlacht  durch  die  neuen  Rüstungen  bewährte,  mit  welchen 
sie  die  Aegypten  drohende  Qefahr  abzuwenden  suchte  (S.  220  ff). 
Bieaem  mnthvollen  Verhalten  entsprach  freilich  nicht  der  Abfall 
aller  Bandeegenossen  und  Generale  des  Antonius,  und,  wenn  wir 
dem  Plutarchus  folgen  (Comp.  Demetr.  et  Anton.  3)^  das  Verhalten 
des  Antonius  selbst,  der  statt  kräftigen  Handelns  es  vorzog,  mit 
Cleopatra  zu  schäkern  (akv€iv  xal  naC^eiv  fut'  ttvtijg),  wie  Plut- 
areh  sich  ausdrückt.  So  erfolgte  dann,  nach  einem  vergeblichen 
Versuch  einer  Unterhandlung  mit  Octavian  die  Katastrophe,  in 
welcher  beide,  Antonius  und  Cleopatra  ihrem  Leben  gewaltsam  ein 
Ende  machten.  Nur  ungern  versagen  wir  es  uns,  aus  der  mit  aller 
Kunst  durchgeführten  und  ergreifenden  Schilderung  dieser  Ereignisse 
Einiges  unsem  Lesern  vorzulegen,  fOr  welche  die  bereits  vorgelegten 
Proben  genügend  erscheinen  mögen,  um  sie  jaufdas  Ganze  aufmerksam 
sa  machen.  Der  Verf.  hat  seine  Darstellung  beschlossen  mit  näheren 
Nachrichten  über  die  noch  vorhandenen  Abbildungen  der  Cleopatra 
(8.  289  ff.);  und  knüpft  daran  im  letzten,  neun  und  zwanzigsten 
Capitel:  Cleopatra  und  die  römische  Literatur  S.  292  ff.  eine  üe- 
berschau  über  die  Aeusserungen  und  ürtheile  römischer  Schrift- 
steller, zunächst  der  Dichter,  in  Betreff  der  Cleopatra,  wobei  Ho- 
ratins  tmd  Lucanus  insbesondere  und  mit  Recht  hervorgehoben 
werden«  Ein  Rückblick  auf  die  ganze  Darstellung  fasst  das  End- 
urtheil  über  Cleopatra  zusammen  und  schliesst  mit  den  Worten: 
»Dir  Leben  als  Königin  war  ein  fortgesetzter  tapferer  Kampf 
für  den  Thron  ihrer  Väter,  und  noch  ihre  letzten  Anstrengungen 
waren  darauf  gerichtet,  denselben  wenigstens  ihren  Kindern  zu  er- 
halten. Als  Alles  vergeblich  war,  blieb  die  Bettung  ihrer  könig- 
liehen Ehre  ihre  letzte  Aufgabe  und  sie  löste  dieselbe  zur  Bewun- 


10  Pfitiner;  Das  BaUmMbe  L«idg«t  des  Horalias. 

denmg  dar  Mit*  und  Nachwelt.  Der  wilde  Triumphgeflang  ihrer 
Feinde  über  ihren  Fall,  der  Jnbel  der  Sieger  über  die  gHlddiohd 
Befreiung  Borns  von  einer  Gegnerin,  vor  der  die  Hierraoherstadt 
der  Welt  gezittert  hatte,  sind  und  bleiben  das  beste  £hrenseag- 
niss  ihrer  politischen  Grösse  und  ihre  Grabschrift,  welche  dauern 
wird,  so  lange  es  Geschichte  giebt,  ist  enthalten  in  den  Horaü« 
sehen  Worten:   Non  humilis  mulier!«  Chr.  BAhr* 


Ueber  doB  SabinUche  Landet  des  Horaiüu.  Festschrift  sur  dret- 
htmdtrijährigm  Jubelfeier  des  Qrossherzogl  FriedfiekrFrau»^ 
Oyfnnasiums  au  Pardnm  am  90.  u.  21,  Oetober  1864.  Yan 
Dr,  W.P fitzner,  Lehrer  am  Friedrieh-Franz'Oymnmsium. 
Parehim  1864.  H.  Wehdemann's  Buchhandlung.  90  8.  in  kL  4. 

Bine  in  der  neuesten  Zeit  vielbesprochene  Frage  wird  in  dieser 
Gelegenheitsschrifk  aufs  Neue  in  Untersuchung  genommen,  wenn 
auch  nicht  in  ihrem  Gesammtumfang,  so  doch  »um  einaelne  Punkte 
noch  einmal  zu  erwägen,  auch  nicht  in  der  Absicht,  dieselben  zum 
Abschluss  zu  bringen,  vielleicht  aber,  Andere  zu  tieferer  Erfor- 
schung anzuregen.«  Hier  sind  es  nun,  neben  der  näheren  Bestim- 
mung der  Lage  des  Landgutes,  insbesondere  die  beiden  damit  zu- 
sammenhängenden Fragen  über  die  Beschaffenheit  des  dortigen 
Landhauses  und  das  Verhältniss  desselben  zu  dem  Landgut  oder 
Landsitz  zu  Tibur,  und  wird  die  Untersuchung  in  der  Weise  von 
dem  Verfasser  geführt,  dass  er  sich  zunächst  an  das  hält,  was  ans 
den  einzelnen  Stellen,  die  in  den  Dichtungen  des  Horatius  sich 
darüber  vorfinden,  mit  einiger  Sicherheit  sich  ermitteln  lässt,  -wo« 
bei  denn  auch  die  verschiedenen  Ansichten  neuerer  Erklärer  Be- 
rücksichtigung finden.  Was  zuvörderst  die  Lage  des  Sabiniachen 
Landgutes  betrifit,  so  scheint  es  dem  Verfasser  als  sicher  featsu- 
stehen  (S.  6),  dass  dasselbe  südöstlich  vom  Lucretilis  in  der  Nähe 
der  Via  Valeria,  die  bei  Tibur  und  Varia  vorbeiführt,  gelegen,  an 
Seiten  des  von  dem  heutigen  Bache  Licenza  durchflossenen  Thaies ; 
auch  das  Dorf  Mandela  sei  in  dem  heutigen  Bandela  wohl  wieder 
zu  erkennen;  sonach  habe  die  Entfernung  von  Tibur  14  lüUien 
(2^/5  Meile)  von  Varia  5  Million  (1  Meile)  betragen,  so  dass  man  in 
vier  Stunden  ganz  gut  von  Tibur  aus  dahin  habe  gelangen  können. 

Wir  übergehen,  was  der  Verfasser  weiter  über  die  BeschaflTen- 
heit  dieses  Gutes  und  dessen  Ertrag  bemerkt  hat,  und  wenden  uns 
zu  den  beiden  andern  oben  berührten  Punkten.  An  ein  grossartiges 
Gebäude,  das  auf  diesem  Landgut  gestanden,  wäre,  nach  der  An- 
sicht des  Verfassers,  die  sich  auf  des  Dichteres  Aeusserungen  zu- 
nächst stützt,  in  keinem  Falle  zu  denken,  ja  er  will  es  »überhaupt 
auch  dahin  gestellt  sein  lassen,  ob  Horaz  denn  überhaupt  auf  und 
in  seinen  Bergen  eine  von   dem  Wirthschaftshause  (viUa  mstica) 


Ffttiner;  Bm  SiMaisclM  Ludgttt  deB  Horfeihis.  11 

abgesonderte  Hervemrohxmng  besessen  habe«  (8.  14),  und  anf  diese 
Villa  rosüca  möchte  er  die  Baureste  beziehen,   die   man  dorten 
nodi  jetzt  sehen  soll.     Die   zn  diesem    Onte   gehörige   Herrenvilla 
glaubt    der   Verfasser  vielmehr  in   dem   von  Suetonins   erwähnten 
Hanse  des  Horatins  beiTibur  zu  finden:  »yixit  plurimmn  in  secessu 
mria  sni  8abini  aut  Tiburtini   domusque  ejus  ostenditar   oiroa  Ti- 
bnmi  hicolum.«    Durch  die  Partikel  aut  wird  allerdings  eineVer- 
sobiedenheit  des   Sabinum   von   dem   Tiburtinum  angedeutet,   und 
b&tte  man  hiemach  an  zwei  verschiedene  Landgüter   zu   denken, 
was  der  Verfasser,  der  dieses  aut  auf  einen  Wechsel  des  Aufent- 
balts  besieht,  nieht  annimmt,  weil  der  Singular  ruris  sui  diess 
verbiete:   wovon  wir  uns   nicht   überzeugen  können,    da  man   zu 
Tibartini  eben  so  gut  ruris  herzunehmen  kann,  ohne  dass  fOr 
den  Singular  ruris  der  Plural  noth wendig  gesetzt  werden  mttsste, 
wie  denn  aneh  der  Verfasser  S.  18  bestimmt,  dass  die  Worte  des 
Diehters  Sat.  IT,  7,  28  (Eomae  rus  optas  eto    vgl.  Ep.  1,  8,  12) 
sein  Haus  beiTibur  als  rus  bezeichnen.  Eine  nfthere  Besehreibung 
oder  Beseiehnung  dieses  Hauses  oder  Landsitzes  wird  man  übrigens 
in  betner  der  hier  angeführten  Stellen   des  Dichters  selbst  finden, 
die  alle  nur  im  Allgemeinen  einen  Aufenthalt  des  Dichtere  in  dem 
ihm  so  sehr  zusagenden  Tibur  zu  erkennen  geben,  und  keineswegs 
irgend  eine  Bestätigung  oder  Begründung    der  Annahme  bringen, 
dass  die  Herrenvilla  bei  Tibur  gelegen  und  der  dazu  gehörige  Aoker 
im  Sabinerlande  (8.  18),  es  mithin  also  um  Ein  und  dasselbe  Be- 
sitsthum  oder  Landgut  sich  handele,    das   in  der  Stelle  der  Oden 
(in,  4,  21  Vester  —  in  arduos  toUor  Sabines,  seu  mihi  frigidum 
Praenesie   sen   Tibur   supinum,    seu    liquidae  placuere   Bajae)  in 
doppelter  Bezeichnung  erscheine ;  aber,  um  von  Anderem  zu  schwei- 
gen, würde  man  dann  mit  gleichem  Rechte  auch   auf  ein   Besitz- 
thum  KU  Piilneste  oder  zu  Bajft  schliessen  dürfen,   was  wohl  noch 
Niismanden  eingefallen  ist,  da  in  jener  Stelle  doch  überhaupt   nur 
die  Orte  genannt  werden,  die  der  Dichter  als  Lieblingsorte,  wo  er 
sieh  gerne  aufhielt,  bezeichnen  will.     Aus  diesen  Gründen  können 
wir  die  von  dem  Verfasser  aufgestellte  Behauptung  noch  nicht  für 
sicher  gestellt  und  aus   dem   Dichter   selbst   hinreichend  erwiesen 
aasehen;  will  man,   da  ein  Aufenthalt  des  Dichters  zu  Tibur  un- 
bestritten ist,    ihm  auch    daselbst  eine  feste  Wohnung,    die   sein 
Bigenthnm  gewesen,  zuweisen  nach  der  Angabe  des  Suetonius,  so 
wird  dieses  wohl  eine  blosse  domus,  ein  Haus  oder  vielmehr  Häus- 
chen geringeren  Umfange  gewesen  sein,  das  er  zeitweise  bewohnte, 
naehdem  es  ihm  von  Maoenas  dazu  überlassen  gewesen;  denn  auf 
das  Letztere  weist  eine  Stelle  in  einer  alten  Vita  bei  Kirchner  Nov. 
Qoaest.  p.  42:    »incoluit    Tibure    dono   Maeoenatis« ,   wenn  man 
nicht  annehmen  will,   dass   Horatius  in  dem  Palaste  des  Mäcenas 
selbst  gewohnt.      Aber  von  dem  Sabinergut ,  das  als  des  Dichters 
einziges  Besitzthum   erscheint   (Od.  II,  18,  14  »satis  beatis  uni- 
cis  Sabinis«),  wird  diese  Wohnung  zu  Tibur  immerhin  zu  trennen 


WO; 


1$  Pfltsn«r:  Dm  SabialMb»  Lnd««!  Am  Horsttns. 

und  nicht  zu  Einem  gemeinsamen  Sitse  zn  verbinden  sein,  was  schon 
die  Qegensfttze,  in  welchen  beide  Punkte  in  den  Horacischen  Ge« 
dichten  zu  einander  gestellt  werden ,  anzunehmen  nicht  erlauben; 
und  wie  man  auch  über  den  umfang  der  Baulichkeiten  des  Sabi- 
nischen  Landgutes  denken  mag,  jedenfalls  wird  doch  dort  eine 
Wohnung  gewesen  sein,  in  welcher  Horatius,  wie  diess  gleichfalls 
aus  seinen  eigenen  Dichtungen  zu  entnehmen  ist,  einen  ständigen, 
wenn  auch  zeitweise  unterbrochenen,  Aufenthalt  hatte.  Und  diess 
scheint  selbst  durch  die  neuesten,  an  Ort  und  Stelle  selbst  Ton 
dem  gelehrten  No6l  des  Vergers  in  Begleitung  eines  römischen 
Architekten  Pietro  Rosa  vorgenommenen  Untersuchungen  ausser 
Zweifel  gestellt,  wenn  gleich  dieselben  zu  einem  von  der  bisherigen 
Annahme  abweichenden  Resultat  geführt,  haben.  Wenn  man  nlbn- 
lich  auf  eine  Stelle,  wo  noch  jetzt  Mauerwerk  sich  findet,  und  zwar 
im  Thal  nahe  am  Wege,  rechts  vom  Flttsschen  Digentia,  vier 
Millien  oberhalb  Mandela  (Bardella)  den  Landsitz  (d.  h.  die  Bau- 
lichkeiten, die  Villa)  des  Horatius  zu  verlegen  geneigt  war,  so 
haben  beide  Gelehrte  das  Unrichtige  dieser  Annahme  gezeigt,  wekhe 
mit  den  Aeusserungen  des  Dichters  nicht  in  Einklang  zu  bringen 
ist,  zumal  die  Mauerreste  von  einer  viel  späteren  Construction  sind : 
sie  haben  daher,   mit  Bezug  auf  die   auch  von  unserm  Verfasser 

5.  13   angeführte  und   besprochene   Stelle   des   Horatius   (Sat.  II, 

6,  16:  »Ergo  ubi  me  inmonteset  in  arcem  ex  urbe  re- 
movi«),  in  Verbindung  mit  andern,  gleichfalls  auch  von  unserm 
Verfasser  S.  14  angeführten  Stellen,  welche  auf  eine  Höhe  oder  einen 
Bei^  uns  hinweisen,  wo  die  Wohngebäude,  oder  die  Villa  stand, 
diese  an  einem  höher  gelegenen  Orte  suchen  zu  müssen  geglaubt, 
und  jenseits  Rocca  Giovane  (Fanum  Vacunae)  auf  einem  Hügel, 
welcher  noch  jetzt  den  Namen  führt  Colle  del  Poetello,  die 
Spuren  eines  Unterbaues  entdeckt,  welcher  in  seinen  Dimensionen 
dem  umfang  ähnlicher  Anlagen  in  der  Nähe  Rom's  entspricht: 
hier  glauben  sie  mit  Grund,  die  wahre  Lage  der  Villa  des  Horatius 
zu  finden,  dessen  verschiedene  Aeusserungen  über  die  Lage  seiner 
Villa  damit  in  Einklang  stehen.  Dieser  Hügel  ist  südlich  von 
einem  Berge  gedeckt,  welcher  jetzt  Monte  del  Oorgnaleto 
heisst,  und  dem  alten  Li ucretilis  entspricht,  der  unter  dem  Namen 
Lucretius  noch  im  beginnenden  Mittelalter  bei  Anastasius  bezeich- 
net erscheint;  an  dessen  Fusse  eine  noch  vorhandene,  zu  einem 
dortigen  Grundstück  gehörige  Kirche  (Madonna  delle  Gase)  sich 
befindet,  bei  welcher  ein  reichlicher  Quell  dem  Flüsschen  des  Thaies 
zu  vorbeifliesst,  (»fons  etiam  rivo  dare  nomen  idoneus«  stkgt  Ho- 
ratius Ep.  I,  16,  12),  welches  Flüsschen  von  dem  Punkte  der  Ver- 
einigung an  den  Namen  Licenza  führt.  Diese  Annahme,  auf 
sorgfältige  Untersuchung  der  Localitäten  selbst  begründet,  erscheint 
uns  die  vielbesprochene  Frage  nach  der  Localität  des  Sabinischen 
Landsitzes  zu  einem  sichern  Ergebniss  geführt  zu  haben.  Wir  ver- 
isen       auf  die  von  No^l  des  Vergers  selbst  im  Athenaeum  francais 


H**r:  UrwtH  d«r  Bekwds.  18 

1855.  Nr.  4  gegebene  Darst^ung,  die  auch  in  der  dem  DidoVecken 
Hontiiis  Toraageeielhe  Etüde  biographiqae  aar  Horaoe  sieh  befindet 
aad  mit  den  nöthigen  Plänen  auBgestattet  ist ,  so  wie  auf  die  im 
Bolletiiio  deU'  Institato  di  correspond.  aroheolog.  1857.  Nr.  VII. 
p.  105  ff.)  Ton  PietroRosa  gegebene  Erörtemng:  wovon  einekurse 
Mittbeüiing  auch  in  den  Jahrbb.  für  Philologie  Bd.  77.  8.  479  ff. 
nch  findet.  Chr.  BAlir. 


DU  UnteU  der  Schweiz  v<m  0$tcald  Heer.  Er$U  bie  §eek$U 
Lieferumg.  Mü  zaklreiehen  HolnektMen,  Tafein  mud  eimer 
geoiogiachen  Karte  der  Sehwei».  Zürich,  Druck  und  Verlag 
van  Friedrieh  SehuUhen. 

In  der  Gebirgswelt  unseres  Landes  spiegelt  sich  die  Oeschi^te 
dnr  Erde.  In  den  himmelhohen  Felswftnden  nnd  den  tiefen  Ab- 
grOnden,  in  den  wunderbar  Yersohhmgenen  Felalageni  nnd  den  bnst 
doieheinander  gewirkten  Oebirgsarten  treten  uns  die  gewaltigen 
BeTolnüonen  vor  Augen,  welche  über  die  Erde  ergangen  sind,  in 
den  zahllosen  Pfianien  und  Thieren  aber  deren  üeberreste  in  diese 
Felsen  eingebettet  sind,  die  Zeiten  ruhiger  Entwickehug.  Jene 
zagen  uns  die  Natur  in  wildem  Aufruhr,  Berge  zerreissend  und 
Felsen  zerschmetternd,  diese  wie  sie  in  ihrem  stillen  Walten  die 
Eide  mit  Pflanzen  bekleidet  und  mit  thierischen  Wesen  belebt  hat. 
Es  ftbt  daher  unsere  Alpenwelt  nicht  allein  durch  ihre  stille  Er- 
habenheit einen  unnennbaren  Zauber  auf  unser  Gemttth  anSi  son- 
dern bildet  zugleich  den  grossartigsten  Tempel  der  Natur,  in 
welidiem  aus  allen  Weltaltem  die  wunderbarsten  Bilder  aufbewahrt 
sind.  Wir  wollen  den  Versuch  machen,  in  diesen  Tempel  einzu- 
treten und  die  Bilder,  welche  ihn  schmllcken,  zu  deuten,  denn  sie 
werden  uns  die  wichtigsten  Momente  aus  der  Geschichte  der  Erde 
¥ar  Aii^n  ftlhren. 

Mit  diesen  Worten  eröffnet  Oswald  Heer  das  geologische 
Gemftlde  der  Schweiz,  in  welchem  er  ein  sehr  reichhaltiges  Mate- 
rtal, die  mannigfaltigsten,  verschiedensten  Einselnheiten  zu  einem 
harmomschen  Ganzen  vereinigt  hat.  Neben  der  lebhaften  Sekil- 
derong  seltsamer  Wechsel,  deren  Schauplatz  die  Schweiz  zu  wie- 
derholten Zeiten  war,  bei  welchen  ganze  Generationen  von  Thieren 
und  Pflanzen  untergingen  um  neuen  Platz  zu  machen,  finden  wir 
eine  Menge  in  technischer  und  bergmännischer  Beziehung  wichti- 
ger Datas,  wie  ttber  Production  von  Erzen,  Kohle  und  Steinsalz* 
Wir  wollen  versuchen  —  soweit  es  der  Baum  gestattet  —  eine 
gediftngte  üebersicht  des  Inhaltes  zu  geben. 

EratesKapiteL  Das  Steinkohlen-Land  der  Schweiz. 
Ein  breit»  Streifen  von  Steinkohlen-Gebirg  zieht  sich  vomünter- 
wallis  in  südwestlicher  Richtung  durch  Savoyen  bis  in  die  Dauphin^, 
bestehend  ausAnthracit  fahrenden  Schiefem  und  Sandsteinen.  Die- 


14  He«r:  Urwelt  d«r  SAmk. 

selben  enthalten  stellenweise  reioblich  organische  Beste.  Es  sind 
ausschliesslich  Landpflanzen  die  einen  gar  eigenthümüchen  Anblick 
gewähren,  weil  sie  sämmtlich  durch  Talk  yersteinert.  Fanrenkräuter, 
härlappgew&chse  und  Schafthalme  spielen  die  Hauptrolle.  £in 
Blick  auf  das  schöne  Bild  »die  Steinkohlen- Flora  der  Schweizc 
zeigt  uns  eine  sonderbare  Landschaft :  fast  nur  blüthenloae  Bäume, 
welche  in  ihrer  Binden-Bildung  einen  eigenthümüchen  Bohnmck 
besassen.  Sie  waren  keineswegs  grösser,  als  die  Bäume  unserer 
jetzigen  Wälder;  da  sie  aber  Familien  angehören,  welche  in  der 
gegenwärtigen  Schöpfung  nur  niedere  Kräuter  bilden  erhält  diese 
Flora  eine  höchst  fremdartige  Tracht.  Die  Vegetation  war  zwar 
eine  üppige,  jedoch  sehr  einförmige.  —  Anthraoit  wird  hauptsäch- 
lich an  drei  Orten:  Grone,  Chandoline,  Aproz  ausgebeutet,  welche 
zusammen  ungefähr  60,000  Centner  Anthracit  jährlich  liefern.  Ueber 
die  Entstehung  des  Anthracit  und  der  Kohlen  überhaupt  stellt  der 
YerL  sehr  lehrreiche,  auf  microscopische  und  chemische  Unter- 
suchung der  Kohlen  gegründete  Betrachtungen  an,  aus  welchen  her- 
vorgeht, dasa  die  Torfmoore  die  Heerde  der  Bildung  der  Kohlen- 
massen aller  Zeiten  gewesen  sind. 

Zweites  CapiteL  Die  Salzbildung  der  Schweiz. 
Di«  Trias-FomiAtion  besitzt  eine  ansehnliche  Verbreitung  in  der 
Schweiz.  Da«  unterste  Glied,  der  Buntsandstein,  erscheint  am 
Nordrande  des  Jura,  bei  Bheinfelden  u.  a.  0.  Auf  ihn  folgt  an 
Tielen  Stellen  längt  des  Jura  der  Muschelkalk  und  auf  diesen  der 
KeupeiTt  welcher  im  Ganton  Basel  eine  Mächtigkeit  von  400  F. 
erreicht«  Die  Schweiz  besitzt  Salzlager  zu  Byburg,  Bheiaüalden 
und  Schweizerhall,  welche  dem  Muschelkalk  angehören  und  zu* 
fMunmen  etwa  280,000  Centner  Salz  produciren;  dazu  kommen 
noch  46,000  Centner  Salz  von  den  Salinen  von  Bex,  deren  Salz- 
stock  im  Kenper  liegt.  Diese  Produktion  von  Salz  in  der  Schweiz 
genügt  dem  Bedarf  nicht,  es  werden  daher  noch  300,000  Oentner 
aus  Baden  und  Württemberg  eingeführt.  Der  Keuper  des  Oantons 
Basel  ist  durch  seine  Pflanzenreste  ausgezeichnet;  man  kennt  be- 
reits 25  Arten,  sämmtlich  Landpflanzen  —  ein  Beweis,  dass  z«r 
Keuperzeit  in  dieser  Gegend  Festland  gewesen  ist.  Die  domini- 
renden  Bäume  unseres  Keuperwaldes  —  wie  ihn  das  zweite  Bild 
der  ersten  Lieferung  sehr  anschaulich  darstellt  —  bildeten  die 
Flügelzamien.  Die  jetzige  Flora  Europas  hat  keine  Bäume,  welche 
mit  diesen  verglichen  werden  könnten,  wohl  aber  finden  sich  solche 
im  südlichen  Aftika.  Es  sind  die  zur  Familie  der  Sago*Bäume 
gehörenden  Zamien  und  Dione- Arten,  zwischen  Palmen  und  Nadel- 
hölzern stehende  Pflanzen. 

Drittes  Capitel.  Die  Schambelen  im  Canton  Aar- 
gau  und  die  Liasbildung  der  Schweiz,  unter  dem  Namen 
Schambelen  sind  die  unfern  Müllingen  gelegenen  Mergelgraben  be- 
kannt, welche  dem  Lias  angehören  und  durch  die  Mannigfialtigkeit 
ihrer  organischen  Beste  paläontologisohe  Bedeutung  gewinnen.  Die 


II««r:  Urwott  itr  BdiwiBl«.  t9 

Sehüdenmg  der  LeiUossilien  d«B  Lias,   begleitet  von  zahlreichen 
Abbtl«lttigeii,  bildet  den  Hanptgegenstand  des  dritten  Capitels. 

Viertes  Capitel.  Das  Jara-Meer.  Bekanntlich  am- 
fiust  die  Jura-Periode  einen  grossen  Zeitraum  nnd  es  weist  der 
Ver&sser  alle  die  Veränderungen  nach,  welche  während  derselben 
in  der  Sohweis  Tor  sich  gegangen  sind.  Was  das  Anftreten  der 
Formation  betrifft^  so  nnterscheidet er :  a)  Jnra  der  n5rdliohen 
and  westlichen  Sohweis;  die  Niederschläge  sind  hier  gross* 
tentheils  Seichtwafleer- Bildungen ;  b)  der  alpine  Jnra,  durch 
grosse  Blaehtigkeit  seiner  Felslager  und  durch  Armuth  aa  Ver- 
fteinermigen  oharacterisirt.  Von  vielem  Interssse  sind  die  Sohil- 
denmgen  der  Thiere  des  Jurameeres,  insbesondere  die  Mittheilun- 
gen fiber  Corallen  und  deren  Bildungen.  Unter  den  nutzbaren 
Mineralien  der  Jura-Formation  sind  ausser  den  als  treffliche  Ban- 
steine  hochgeschätzten  weissen  Jurakalken  (zumal  des  Cantons  8olo^ 
thum)  Eisenerze  hervorzuheben.  Diese  finden  sich  im  Eisenoolith 
des  braanen  Jura,  namentlich  am  Gonzen,  in  einer  Mächtigkeit  von 
4  bis  20  Fuss;  es  ist  Botheisensiein  begleitet  von  Schwarzmangatt- 
erz. Gegenwärtig  sollen  zwischen  16,000  bis  20,000  Centner  jähr» 
lieh  ausgebeutet  werden. 

Fünftes  CapiteL  Die  Zeit  der  Kreide-Bildung. 
Ein  Blick  auf  das  im  Text  befindliche  Kärtchen  zeigt  die  eigen- 
thGmliche  Vertheilung  von  Land  nnd  Meer  zur  Kreide-Zeit.  Wir 
lernen  die  verschiedene  Beschaffenheit  der  aus  den  Meeres^Nieder- 
seblftgen  entstandenen  Felsen  der  alpinen  und  jurassischen  Zone 
kennen,  die  Thier-  und  Pflanzenwelt  und  alle  die  wichtigen  Ver- 
änderungen, welche  während  der  Kreide-Periode  vor  sich  gegai^ 
gen  sind. 

Sechstes  Capitel.  Die  Glarner  Schieferbrtlohe 
und  die  eocänen  Gebilde  der  Schweiz.  Die  unterste  oder 
älteste  Abtheilung  der  Tertiär-Formation,  die  eocäne,  besitzt  eine 
grosse  Verbreitung  in  der  Schweiz.  Ihr  gehören  zunächst  die  in 
technischer  wie  in  wissenschaffclicher  Beziehung  sehr  bedeutenden 
und  längst  bekannten  Schiefer  von  Glarus  an.  Schon  zur  römisch- 
helvettsehea  Zeü  wurden  diese  Schieferplatten  gewonnen  und  zur 
Bekleidung  von  Wänden  oder  Fussboden  verwendet.  Im  Jahre 
1862  wurden  697,771  Dachplatten,  29,500  Schreibtafeln,  85,438 
Quadratfuss  Boden-,  Ofen-  und  Tischplatten  producirt.  In  wissen- 
schaftlichen Kreisen  hat  der  Plattenberg  bei  Matt  durch  den  ausser- 
ordentlichen Beichthum  an  Fischen  die  Aufmerksamkeit  auf  sich 
zogen.  Von  Pflanzen,  von  Weich-  and  Strahlthieren  hat  man  da- 
selbst noch  keine  Spur  gefunden.  Die  Zahl  der  Fische  belauft  sich 
auf  58  Arten,  unter  welchen  die  zu  den  Stachelflossem  gehörige 
Familie  der  Makrelen  oder  Thunfische  verwalte/.  Unter  den  übri- 
gen Gebilden  der  Eocän-Formation  spielen  die  verschiedenen  Fljsch- 
gesteine  (Kalksteine,  Schiefer  und  Sandsteine)  eine  wichtige  Rolle, 
denn  sie  nehmen  ein  ausgedehntes  Alpenland  ein,    verbreiten  sich 


16  Heer:  UrWelt  te  Schwelk. 

ttber  weit  verzweigte  Thäler,  erheben  sich  von  den  ThalsoUen  bis 
zu  den  höchsten  Berggipfeln  eine  scheinbare  Mächtigkeit  von  einigea 
tausend  Metern  erreichend.  Unter  den  organischen  Besten  der- 
selben sind  von  Pflanzen  ausschliesslich  Fucoiden  zu  nennen,  von 
Thierenaber  die  Nummuliten,  jene  denkwürdigen  zu  den  Polj- 
thalamien  gehörigen  Formen,  deren  zahllose,  zierliche  Schalen  ganze 
Gebirge  zusammensetzen.  —  Von  nutzbaren  Mineralien  enthalten 
die  ältesten  Tertiftr-Schiohten  hauptsächlich  Bohnerze ;  ihre  Gewin- 
nung und  Verarbeitung  bildet  einen  höchst  wichtigen  Erwerbszweig 
ftlr  die  Bevölkerung  am  Jura,  da  sie  die  einzige  Erzbildung  der 
Schweiz,  welche  seit  längerer  Zeit  einen  lohnenden  Bergbau  ge- 
währt hat.  Für  den  Paläontologen  bieten  die  Bohnerz- Ablagerungen 
noch  ein  interessantes  Feld,  da  man  in  solchen  zahlreiche  Knochen 
und  Zähne  von  Wirbelthieren  gefunden  hat,  nämlich  61  Thierarten 
worunter  12  Reptilien  und  49  Säugethiere. 

SiebentesCapitel.  DasMolasse-Land  derSchweiz. 
Dasselbe  umfasst  mit  152  geographischen  Quadratmeilen  etwa  V^ 
des  Flächenraumes  der  Schweiz;  die  Molassen-Bildungen  gehören 
der  mitteltertiären  oder  miocänen  Zeit  an.  Es  lassen  sich  fünf 
verschiedene  Stufen  unterscheiden.  Die  Gesteine  sind  die  unter 
.dem  Namen  Molasse  bekannten  Sandsteine  (nach  welchen  später 
die  ganze  Formation  benannt  wurde),  ferner  Mergel  und  Elalksteine, 
insbesondere  aber  jene  als  Nagelflue  bezeichneten  Conglomerate, 
aus  welchen  z.  B.  der  Bigi  besteht.  Von  nutzbaren  Mineralien 
verdient  das  mehrfach  nachgewiesene  Vorkommen  von  Braunkohle 
im  Molas8e*Gebiet  Erwähnung,  die  namentlich  bei  Eäpfnach  am 
•Züricher  See  einen  ergiebigen  Bergbau  bedingt. 

Mit  dem  siebenten  Capitei  schliesst*  die  sechste  Lieferung  ab. 
Die  nächsten  Oapitel  werden  die  Pflanzen-  und  Thierwelt  der  Mo- 
lasse besprechen,  ein  Gegenstand,  mit  welchem  sich  Oswald 
Heer  bekanntlich  mit  Vorliebe  beschäftigt  hat  und  worüber  man 
ihm  sehr  bedeutende  Forschungen  verdankt.  Es  ist  zu  hoffen,  dass 
das  vorliegende  Werk,  welches  eine  reiche  Quelle  der  Belehrung 
bietet,  zu  Anfang  des  Jahres  1865  vollendet  sein  wird.  Die  Aus- 
stattung ist  ganz  vorzüglich.  G.  Leonhard« 


Ir.S2.  HEIDELBER[6EE  1866. 

JABRBÜCHER  DER  LITERATUE. 


Siraf  —  geen  ktoaad.  Redevoering  by  de  aanvaarding  van  hti  hoog^ 
leeraar$ambi  in  dt  regittgeleerdheid  aan  het  Aihenaeum  illuUrt 
ie  Amgterdam,  den  24.  Oct.  1864  uügetproken  doar  Mr.  X  E, 
J.  Modderman,  Amsterd.   Fred,  MuUer,  1864,  68  8.  gr.  8. 

Mit  aufrichtiger  Freude  begrttssen  wir  diese  sehOne  Abband- 
lang, mit  der  Yor  Eurzem  Herr  A.E.J.  M  od  der  man  in  noch  jun- 
gen Jahren  das  Lehramt  des  Strafrechts  am  Athenäum  su  Amster- 
dam auf  hoffnungsreiche  Weise  angetreten  hat.  Als  wir  vor  25 
Jahren  ganz  denselben  Satz  in  der  Commentatio  de  quaestione :  an 
poena  malum  esse  debeat,  1839  —  verfochten  hatten,  war  die  Zeit 
daf)tr  noch  nicht  reif;  unsre  Zunftgelehrten  konnten  oder  wollten 
sie  nicht  verstehen,  man  schwieg  sie  also  einfach  todt.  Erst  nach 
Jahrzehnten,  als  manche  der  gröbsten  herrschenden  Yorurtheile 
gründlich  erschüttert  waren,  sollte  sie  wieder  erwachen  und  zwar 
zuerst  im  Ausland;  sie  blieb  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Btrafge- 
setzgebung  in  Portugal,  sie  fand  in  Spanien,  nachdem  sie  in  die 
Landessprache  übersetzt  war,  einige  Anerkennimg ;  sie  gab  endlich 
auch  in  Holland  einem  strebsamen  jungen  Gelehrten  den  Anlass 
sieh  furchtlos  an  unsere  Seite  zu  stellen,  um  rüstig  mitzuarbeiten 
am  Brechen  einer  neuen  Bahn  für  das  Strafrecht  der  Zukunft.  Es 
ist  Das  für  uns  eine  grosse  Genugthuung  und  für  die  gute  Sache 
des  Rechts  und  der  Menschlichkeit  ein  um  so  grosserer  Gewinn, 
je  seltener  es  leider  ist,  dass  ein  Mann  des  Rechtsfachs,  und  vollends 
ein  Glied  der  Lehrzunft,  die  Geistesfesseln  der  hergebrachten  Leh- 
ren der  Schule  abschüttle  und  durch  den  Nebel  aller  möglichen 
seichten  Redensarten  bis  zu  den  letzten  Gründen  alles  Rechts 
durchdringe,  und  hier,  wo  sie  allein  zu  finden  sind,  die  Mittel  sich 
hole  um  die  eingelernten  Wirrbegriffe  von  Verbrechen  und  Strafe 
gänzlich  los  zu  werden.  Vollends  in  Deutschland,  —  wo  überdiess 
noch  mehr  als  irgendwo  in  der  Welt  die  Parteiwuth  der  philoso- 
phischen Schulen  das  Aufkommen  jeder  Wahrheit  erschwert,  die  sie 
nicht  entdeckt  haben  und  die  in  ihren  Kram  nicht  passt  —  ist 
erst  von  dem  jungen  Geschlecht  ein  unbefangener  Sinn  ftlr  den 
wahrhaft  gerechten  Geist  der  Strafe  und  sein  Durchdringen  im 
Leben  zu  hoffen. 

Nachdem  der  Verf.  an  Beccaria's  Verdienst  um  die  Ver- 
menschlichung des  Strafrechts,  durch  dessen  vor  gerade  100  Jahren 
erschienene  berühmte  Schrift,  erinnert  hat,  hebt  er  hervor,  wie 
sehr  Viel  noch  heute  zu  thun  übrigbleibe,  wo  Becoaria's  For- 
derung: die  Rechtsgesetzgebung  in  Harmonie  mit  der  Sittenlehre 
LVHL  Jslirg.  1.  Heft  2 


zu  bringen  —  Ton  den  Meisten  vergessen  sei,  indem  sie  einseitig 
entweder  ii  ganz  abitrakten  Bettachtnngen  über  eine  Strafgerech- 
tif^keit,   dx«   gkt  Mohts  nach   defti   Iweck  der  Btrafe  frage,  sich 
hemmtrieben  oder  umgekehrt  diese  bloss  auf  den  yermeinten  Yor- 
theil   des  Staats   bezogen  wissen  wollten,   ganz  unbekümmert  um 
die  ewigen  Grundsätze  des  Rechts  und  der  Sittlichkeit.    Mit  Aus- 
nahme Weniger,   die,   frei  von  dieser  Einseitigkeit,   den  Satz  yer- 
theidigten,    dass  die  Strafe  kein  wahres  üebel  sei,  arbeiteten  sioh 
die   Bechtsgelehrten   daran    ab,   einen   Bechtsgrund   zu  entdecken, 
'  für  die  Vergeltung   des   Bösen  durch  Böses,  d.  h.  durch  ein  wei- 
tereg  üebel,    das  man  mit   dem   Wort   »nothwendig«   übergoldet 
habe,  —  ein  Verfahren,  ganz  ähnlich  dem  von  Gelehrten,  die  von 
dem    Satz    ausgingen:    dass   2    mal   2   =  5  sei  —  und  nun  ihr 
Leben  der  Entdeckung  einer  Multiplikationsmethode  weihten,    wo- 
durch sich  jener  Satzbeweisenlasse(S.4).  ünsre  Strafgesetzgebui^en^ 
die  im  Ganzen  dahin  zielten  (auch  abgesehen  von  der  Todesstrafe)  den 
tJebelthätem   die  Bückkehr   zu   einem  ihrer  Bestimmung  entspie- 
chenden  Leben  unmöglich  zu  machen,  seien  weit  hinter  dem  Stand 
der  heutigen   Bildung   zurück.     Dringend   sei   daher  eine  Prttfmig 
des  gangbaren  Straf  begriffs  nöthig,  damit  jenes  Straf  recht  ein  Ende 
nehme^   das  von  einem  Gegensatz  ausgehe  zwischen  dem  Interesse 
des  Staats  und  des  Sträflings,  zwischen  dem  Bichter  und  dem  Chri- 
sten,  der  Sitten-  und  Bechtslehre  etc.,   das   sich  nicht  kümmere 
um  die  laut  gewordenen  Zweifel  an  der  Willensfreiheit  (B.  5 — 7). 
Bas  Strafrecht  könne  nicht  weiter  reichen  als  sein  Grund,  der  aus 
dem  Wesen  des  Bechts  und  Staats  sich  ergebe  (S.  8  ff.),  das  der 
Veif.  nun  Inirz  und  bündig  und,  wie  er  selbst  sagt,  in  der  Haupt- 
sache übereinstimmend  mit  der  Schule  Erause's  (S.   7  und  18), 
aus  dem  Wesen  und  der  Bestimmung  des  Menschen  ableitet.  Was 
diese  irgendwie  fördere,  Das  achten,  sagtM.,  die  Menschen  für  gut 
und  nützlich  und  sich  dazu  befugt  und  verpflichtet  und  umgekehrt. 
Die  GeseUschaft  habe   so   wenig  als   der  Einzele    sich  selbst  ihr« 
Bestimmung  und   die  Lebensregeln   zu   deren  Erfüllung    gegeben; 
eben  darin  aber  hatten  AUe  Einander  —  nothfalls,    soweit  möglich, 
auch  zwangweise  —  zu  unterstützen.   Dabei  fUllt  freilich  der  Verf 
(S.  ISfO  in  den  Fehler:  l)da8Becht  aus  den  Pflichten  abzuleitei 
und  2)   nur  aus   erzwingbaren  Pflichten,  als  deren  Ganzes  er  dai 
feecht  darsteUt,    —  wobei  er  dann  wieder  richtig  Pflichten  unter 
scheidet,  die   auf  ein  Leisten  entweder  Aller  an  Alle  oder  Ein 
zeler   an  Einzele,   und  Pflichten  die   auf  ein  Unterlassen  alle 
Dessen  gehen,  was  Andere  hindert  in  Erfüllung  ihrer  Bestimmung 
Vorzüglich   diese   Unterlassungen   sicher  zu  stellen,    sei  das  Stral 
recht   da,   während  hauptsächlich   die    Erfüllung  jener  Leistunffei 
den  Bestand   des  Staats  bedinge  (S,  19  ff.).    Wir  zweifeln  nichl 
dass  bei   näherer  Prüfung  der  Verf.  selbst  jene  Fehler  «Tcenne 
werde,   wodurch   allein   noch  ein  Misston  in  seine  Daratellmiff  sn 
bracht  wird.  *  ^ 


nxuBftgiidi  Mi  esftrdeitSteat,  allem ünrdoht  unmittelbar 
▼onnbttiig«!!   pder  auch   mir  alles  begangüie  ünreoht  wieder  gat 
sa  laftfiben,  am  so  weniger  als  oft  genug  4fir  Ti^ter  niehi  entdeekt 
werd«;  es  mflsse  dalier  mittelbar  (dureh  Probang  nnd  ZaftLgnng 
Ton  Strien)  anf  Verhtttong  des  TJareebte  gewirkt  werden  (S.  19  ff.). 
Hiermit  bat  der  Verf.iwar   ohngeAÜir  das  Ziel,  mobt  ^ber  aoob 
dam   Weg  dazu  (das  Wie),   keinesfalls  also,  wie  ev  dock  glaubt, 
bestimmt  genug  den  näobst^n  Beektagnind  und  dieBeckts« 
grftaae  der  Skafebeoeicfanet;  er  leitet  daraus  n^n  ab:  1)  dassnur 
ein  aoldies  Tbun  oderliassen  snm  Yerbreohen  erklärt  werden  dfirfis, 
wodorcfe  ein  heatimmungstreues  Leben  gebiudcs^  werde  (also  nickt 
Uoaee   üngitilichkeiten) ;   doeb   könn^   nicbt  sohaxf  und  allgemein, 
aonism  bloss  naob  Umständen  der  Zeit  und  des  Orts  entscbieden 
werden,   velcfae   speoies   des  genns   Unrecht   nur   Strafe  su  zieiian 
e^n,  wann  man  nicbt  Uebel  ärger   mac^n    wol]e;   2)   dass  der 
Staat,  bcni&n   das  Becbt,   d.   b.  die   Bedingungen   der  firfOlluag 
thmr  menseblioben  QeetimmnDg,  seinen  Qliedem  si^  gewBlirleieteni 
dieselbe  nie  selbst  abschneiden  oder  erschweren   dlkfe   durch   seine 
Stra&iittel;   dass  mithin  die  letzteren  selbst  reohtiieh  mid  sittlic]^ 
sein  nAasten,   also  nie  ein  wahres  Uebel  sufdgen  dürften.    An*- 
deinfieJls  verkehre  sich   der  Staub   zum  Zweck,  da  er  .d,o«h  nur 
Mittel  sein  solle,  und  opfere  den  kleneoben  eine^  fiälsoiieu  abstrak*- 
ten  Begriff  von  BeehtspAege.  STaekdem  er  alle  diese  unwidersprech*- 
üoh  wahm  Bätftö  ansgelUhrt  bat,  fährt  M.  (S.26)  foiic  allerdings 
mflaae    aber  die  gerechte  Strafe,  um  von  y^rbrechen  dnrek  den 
Eiadraek,   den  sie  mache,    abhaJAen  zn  können,   ein  Uebei  zn  sein 
seheinen;  und  in   der  That   scheine  sie  De!^  so,  okwofal  sie 
ein  wnUiohee  Gut  für  ihn  ist,  der  in  gleich  £alscfaeu  Wahn  gbuk* 
bea  konnte  durch   seine  Miasethat  ein  Gut  fiU*  sich  zu   erlangen. 
Endliöb  mflsse  der  Staat  soviel  möglidi  £Br  im^ner  dmrch  psjcdiU 
aeke  Mittel,   vorttbergebend   aber  auch  durch  äussere  Mittel  {Ein»- 
Bfiemmg),  den Uebeltkibier  unfiehäcttiok  machen;  und  insoweit  ent- 
halte die   streng   gerechte  Straüs  ebenso  fiär's  Ganze  wi^  ifäjt  den 
Uebelthäter  selbst  eine  wahre  Wohltbat,  ein  wesentidohes Gut. 
Gbenau  treffe  auch  diese  Alles  bei  der  Einzelhaft  ku,   das 
gemde   G^entheil  aber  bei   der    gemeinscbafUichen  Haft;    denn, 
während  diese  ein  weit  geringeres  Uebel  als  jene  zu  sein  scheine, 
lüge  sie  dem  Staat  wie  dem  Sträüng  ein  wftbi^aftes  grosses  Ue- 
bel zu:   sie  ersticke  be^  Diesem  den  letzten  Keim  des  .Guten,   sei 
mitbin  so  unsittlich,   unreohtlich  und  Bcbädtich  wie  möglich,  weit 
▼erabsiAeuenswerther  noch  als  die  Todesstrafe,  die  dock  die  Beer 
Benag  nur  abechneide,   während  jene,    indem  sie   vorspiegle    zn 
beeeem,    sogar  noob   verschlechtere.     Auch   die  Gkeldbusse,    Eut^ 
fifllmng  bestimmter  Rechte,  unter  Umständen  auch  die  Verbannung 
und   (?)   Verbringnng,   endUcb  Yerfallensein  und  IJTicbtigerkiäinmg 
eutbaeftten  Wenfalls  im  Wesen  ein  Gut,  nur  scheinbar  ein  UebeL 
Wenn   übrigens  der  Verf.  glaubt   (3.  82),  «e  häufige  Bitte  um 


so  Koddermftii;  Btnif  -«  gMo  knmL 

Zellenhaft  von  Seiten  der  zur  Qesammthaft  Yerartheilten  erkUre 
sich  nur  daraus,  dass  an  die  erstere  eine  Abkürzung  in  bestimm- 
tem Yerhältniss  geknüpfb  sei,  so  widerspricht  dieser  Ansicht  die 
allgemeine  Erfahrung,  dass  auch  da,  wo  die  Einzelhafb  eine  ge- 
ringere Abkürzung  als  in  Holland,  oder  auch  gar  keine  (z.  B.  in 
Oldenburg),  nach  sich  zieht,  dennoch  die  Besseren  unter  den  Str&f- 
Hngen,  vollends  wenn  sie  die  Gesanmithaft  kennen  gelernt  haben, 
fast  ausnahmlos  um  Versetzung  in  Zellenhaft  bitten.  Die  Todes- 
strafe, bemerkt  M.,  sei  in  den  wissenschaftlichen  Kreisen  Hollands 
als  todt  zu  betrachten,  in  dem  Gewissen  gebildeter  Völker  sei  fttr 
sie  kein  Baum.  Dex  Ausdruck  »nothwendiges  üebeU,  womit  man 
ihr,  wie  so  vielem  Schlechten,  eine  Scheinrechtfertigung  zu  geben 
suche,  sollte  ganz  verbannt  werden,  da  er  ein  Unding  bezeichne; 
wohl  aber  sei  Manches,  z.  B.  das  Abschneiden  eines  Gliedes,  ein 
schmerzlich  empfundenes  Gut.  Der  Nutzen  folge  dem  Becht  von 
selbst  nach.  Auch  die  Gesetzesdrohung,  wodurch  Feuerbach 
psychisch  zwingen  wolle,  habe  ihren  Nutzen,  könne  aber  freilich 
nicht  den  Bechtsgrund  der  Strafe  ersetzen,  dem  gemäss  der  Geseti- 
geber  diese  auszuw&hlen  und  zu  bemessen  habe  (S.  84).  Die  Zn- 
filgung  der  Strafe  habe  auch  keinesfalls  bloss  die  Best&rkung  der 
Drohung,  sondern  vorzüglich  die  Unschädlichmachung  des  Verbre- 
chers für  die  Folge  zimi  Zweck,  soweit  dieselbe  zu  seinem  und 
des  Staats  Besten  durch  rechtliche  Mittel  möglich  sei. 

An  die  Wahrheit,  dass  nicht  für  Alle  Einsperrung  und  ein 
besonderes  Besserungsverfahren  nöthig  sei,  knüpft  der  Verf.  die  et- 
was zu  kurze  Bemerkung :  Bei  Manchen  genüge  die  gute  Lehre  durch 
die  Vemrtheilung.  Wenn  er  aber  der  Besserungstrafe  doch  nicht 
ganz  zustimmen  zu  können  meint,  obgleich  er  selbst  deren  Geg- 
nern ihre  Hauptwafie:  dass  Strafe  ein  Uebel  sein  müsse  —  aas 
der  Hand  geschlagen  hat,  so  finden  wir  dafür  nirgends  einen  Grand, 
am  Wenigsten  darin,  dass  ja  danach  —  die  Unverbesserlichen  un- 
bestraft bleiben  müssten.  Denn,  dass  jedenfalls  der  Versnob  der 
Besserung  mit  allen  rechtlichen  Mitteln  gemacht.  Alles  wodurch  er 
vereitelt  werde,  beseitigt  werde  müsse,  fordert  er  ja  selbst  (S.  36  ff.) 
mit  vollem  Becht,  weil  daraus,  dass  wir  nicht  Alles  erreichen 
können,  doch  Niemand  folgern  werde,  dass  wir  lieber  gar  Nichts 
thun  sollten.  Ueberdiess  würde  sonst  vorher  der  unmögliche  Be- 
weis der  behaupteten  gänzlichen  Unverbesserlichkeit  geführt  werden 
müssen«  In  dieser  ebenso  wohlfeilen  als  bequemen  Behauptung  liegi 
aber  sichtlich  ein  frevelhaftes,  auch  vom  Verf.  (S.  4  f.)  yerworfe- 
nes,  Verzweifeln  an  der  Menschheit,  deren  Gepräge  der  SchOpfei 
auch  dem  Verbrecher  verliehen  hat:  ein  Mensch,  der  gar  nichti 
Menschliches  hätte,  also  in  gar  keiner  Hinsicht  verbesserlich  wäre 
ist  ein  Unding!  Ist  daher  der  Besserungsversucfi  ebenso  tmerläss 
lieh  für  das  unzertrennliche  Beste  des  Staats  und  des  Verbrechen 
selbst,  so  kann  doch  zunächst  (wie  der  Verf.  S.  49  einsieht)  nn 
das  letztere  in's  Auge  gefasst  werden,  aus  dem  einfachen   Grunde 


Mo44«rBftat  8lnf-gMB  kmmd.  U 


wA  dem  Yerbredier  in  der  Strafe  (wie  jedem  üaersogenen  ib  der 
Enidniiig)  nur  sein  Beebt  su  Theil  wird,  dM  jedem  Menschen 
Bor  derom  in  Theil  werden  soU,  weil  es  sein  Recht  ist.  Alle 
hnakl  an  der  Besserangstrafe  mflssen  schwinden,  sobald  man  gans 
idiarf  ond  bestimmt  den  nftchsten  Reohtsgrond  der  Strafe  in 
dam  bethfttigten,  mit  dem  Lebensprinsip  der  Rechtsordnang  imyer- 
tiSf^lichen  Rechtswiderwillen  nnd  ihren  nftchsten  Rechtszweck 
in  dessen  grfindlieher  Anfhebnng  erkannt  hat  (worauf  auch  der 
YeifL  selbst  mehrfach,  z.  B.  S.  35  hinweist),  demnach  die  Strafe 
ttIM  als  das  Ganze  der  hierzn  dienlichen  Yemeinenden  nnd  be* 
jshenden  Bedingungen  oder  Mittel. 

Am  Strafmass,  dieser  Klippe,  woran  die  meisten Theorieen 
Sdnffbjnaeh  litten,  zeige  sieh  allerdings  die  UnvoUkommenheit  jedes 
Menaehenwerks;  geradesn  undenkbar  aber  sei  eine  vemünftige  Anf- 
teng  dieses  Rftthsels  solange  man  in  der  Strafe  ein  Leiden  sehe. 
Die  Wiederrergelter  suchten  vergebens ,  wieviel  Sinnenttbel  erfor* 
dnt  sei  zur  Tilgung  der  sittlichen  Schuld,  m.  a.  W.  wieviel  Eisen 
a einem  Tuehrock,  oder,  in  der  Sprache  der  Hegel' sehen  Dia- 
lektik: wieviel  Mal  a  (d.  h.  unrecht)  n5thig  sei,  um  o  (d.  h.  Recht) 
Wvorsubringen.  Eher  sei  noch  zu  begreifen,  wie  man  durch  Dro* 
bnig  oder  ZufÜgnng  sinnlicher  üebel  sinnlichen  Begierden  ein 
Gegengewicht  za  geben  versucht  habe,  obwohl  man  dabei,  in  Er^ 
nanglung  eines  Rechtsgrundsatzes,  der  zeige,  wie  weit  man  gehen 
Arfe,  folgerecht,  um  ja  sicher  zu  gehen,  zur  ftussersten  Härte  kom- 
noi  mfisse. 

Fasse  man  hingegen  die  Strafe  ihrem  Wesen  nach  als  Gut 
ni,  80  habe  ein  kleiner  Irrthum  bei  ihrer  Zumessung  nicht  Viel 
n  sagen  (zudem  helfe  die  Zelle  mittels  des  Gewissens  ihn  auszu- 
^lien)  und  eine  ftbr  alles  gerechte  Strafen  unttberschreitbare 
QilBze  sei  gezogen.  FUr  die  Wahl  und  das  Mass  der  Strafe  müsse 
nobent  die  Art  der  verbrecherischen  Neigung  entscheiden,  der  sie 
i]fl  Annei  entgegenzuwirken  habe,  also  der  sittliche  Zustand  des 
ThiterB,  der  ans  dem  Verbrechen  hervorleuchtet;  danach  habe  der 
^tzgeber  im  Allgemeinen,)  der  Richter  im  besondern 
Fall  —  nach  allen  Umständen,  binnen  des  ihm  vorgezeichneten 
Bftxinnmi  und  minimum  —  das  Angemessene  zu  bestimmen.  Dieser 
«ttliehe  Znstand,  also  Das  was  bei  der  Drohung  und  bei  der  VoU- 
^oAang  der  Strafe  in's  Auge  zu  fassen,  sei  vor  der  That  und 
naeh  ihr  fast  derselbe.  Zufolge  der  einzig  richtigen  Auffassung 
^  Strafe  als  Wohlthat,  falle  beim  Stra&nass  jeder  Missklang  weg 
ivieehen  den  Forderungen  des  Rechts,  der  Sittenlehre,  Religion, 
P^chologie  und  Geschichte ;  und  ebenso  bei  der  Zurechnungsfrage : 
*ir  werden  dann,  in  Erwägung  dass  wir  nicht  unfehlbar  sind,  nur 
10  strafen,  dass  kein  unvergtttbarer  Nachtheil  entstehe,  eingedenk 
fe  Wahrheit,  dass,  kennten  wir  alle  Umstände  der  Lebensge- 
^^Uehte  des  Thäters,  wir  darin  vielleicht  einen  Grund  finden  wttr- 
fco,  ihm  zu  vergeboi.  Sicher  verdiene,  solange  Streit  besteht  über 


n  RSder:  BwwwtnyfaafG  mä  BMMradgMHCulstalten. 

di«  Wülensfreikeit,  ein  Sträfbegriff  den  Vorzug,  der  nidii,  im 
der  heute  noch  herfschönde,  mit  ibr  steht  und  fMlt,  der  Tielmehr 
el>€ta8o  gilt  mit  dem  DeterminismuB  sich  vertrage  (B.  47),  wi^  der 
Fenerbabh'Dohe  psychische  Zwang  dnttsh  die  Sti'afdrohnng.  Det 
Verf.  stimmt  uns  darin  bei,  dass  d«s  Yetbrechen  selbst  den  tiifttliohta 
Beweis  liefere  voin  Dhsein  ethes  solchen  Ni<^t8  weniger  alssittlioh^ 
fleien Zostamds,  dasB  d«r  Thäter  dhnfa  Strafe  unsohä^lich  g^maeht 
nnd  zti  eintoi  besseteii  sittliehen  Znsfantid  gebracht  werden  müsse, 
üh  Gegensatz  zn  dem  Fall,  wo  G-eisteski-ankheit  oder  Geiralt  ihm 
die  Selbetbeätimmung  unmöglich  gemacht  habe.  Auf  dem  Gtibe 
des  alten  Strafrechts  können  sich,  nach  ihm,  die  Yeftheidig^r  «M 
Gegner  das  Determinismns  die  Hand  reichen !  Bestimmte  Hoffimng, 
dass  die  richtige  Strafaneicht  ehdlich  durchdringen  Werde,  iMsä 
sieh  säe  didt  Geschichte  schöpfen«  die  da  lehre,  dass  es  eine  Zeit 
gegeben  habe,  wo  die  Kunst»  die  Nebenmenschen  in  der  grausuii* 
sten  Weitö  sn  peiiügen,  auf  deib  Gipfel  war  und  jedes  StAdichen 
seinen  Henker  hatte;  dass  ab%r  zuletzt  doch  die  »sentimentäien 
Filanthropefa^  Sofibtenj  Bevolntiobäreetc.«  den  Sieg  errungen  h&tten 
und  diks  G^lchrei  verstummt  sei,  das  »die  Vorsichtigen«  über  die 
gewigte  Behauptung  erhoben  hätteh:  dass  die  Gesellschaft  kein 
Recht  habe  zu  allen  diesen  Grausamkeiten,  und  dass  Bechtesioher^ 
heil  auch  dhhe  Bädän^  Foltern  uiid  Vemtttmmeln  sich  erreichen 
huNle.  Auch  das  Brandmarkeh  und  Auspeittoheh  sei  endlich  in 
»das  Gmb  der  allgemeinen  Verachtung«  gesunken,  üiid  dae  8chaf»i 
und  die  hohen  Schulen  der  Nichtswürdigkeit :  die  gemeinsehafttichMi 
Gellli^fnissbi  würden  ihnen  im  Ende  dahin  folgen^  vermöge  der 
Meirbittlichen  Logik  der  ThätslEiohen !  Becht  Und  eigner  Vor* 
Uieil  sollten  uns  bestimmen >  nicht  fehier  durch  beide,  jedenett 
frachtloee,  Mittel  den  Vbrbiechem  die  Erreichung  ihiBr  mensch- 
lieiite  Bbstibmimg  unlnöglioh  zu  knachen.  Entweder  müssten  aash 
sie  beide  Mleb  oder  die  ganze  folgerechte  Graueamkeit  unserer 
Vdrältem  ihüsA  wieder  in's  Lebeik  gerufen  weixien!  — 


Bmsßmmfttrafe  tend  Besserunpdr'afaTfstalim  ah  ReehUfmrkrHn«, 
Eine  Berufung  aik  ifen  ffisunden  Sinn  des  deifilufchtn  VoftHi,  ^in 
K\&Yl  D.  Al  Roden  Ldpa.  u.  HeiddK  C.  F.  Winta^m^ 
Vierlag.  1864.  X  w.  202.  Ä  gr.  K 

An  die  BiBsptechung  der  Modderman' sehen  Abhandhmg 
kuOpfen  wir  einige  Worte,  zur  Erledigung  der  in  uneem  Ja&rbb. 
herkömmlicheh  Selbstanzeige,  über  vorstehende  eigne  Schrift.  Diese 
bezWeekt  es,  illen  Gebildeteii  die  Vorbedingungen  zu  gewtiliren  zu 
einem  tobefangenen  ürtheil  sowohl  über  den  Geist  des  Unrechts, 
der  nodi  immer  in  den  Strafj^setzgebnngen  und  dem  Strafvolisng 
unsiiBr  Zeit  voriidrtsoht,  als  über  die  ri6fatigereii  Bechts^Einsichtai 


R9d«rt 

md  Afamngeii,  «ntor  dtfron  Euiflvfls  wt  ainigOA  Jatonhntai  v^^it 
Bedn  des  Lebens  ans,  und  munemtlioli  auf  dem  Felde  des  Q^ 
fitagiiHweseBS,  ge^m  die  alieii  zeitwidrigen  Ueberliefemgan  und 
Yonirtheile  ein  lebhafter  Eavpf  sich  erhoben»  —  ein  Kampf»  der  üch 
jtM  seniohBt  an  die  Einselhaft  kattpft  «nd  mit  ihr  nad  dnreb 
sie  oinM  aiegreioheii  Anegangs  gewiee  sein  kann.  Za  jenem  Zweek 
kafaenwir  —  im  «rtten  Haaptetftck  (8.  l-*45) :  »BeeaenmgaU  Hanpi- 
n%abe  jeder  gereehten  Strafe«  --  einte  karse  Da^retettavg  der 
Gnalbegriff»  von  Becht  and  Staat  Yorangeechiekt  und  n  seigevi 
geoekt,  daes,  bei  folgereehter  AAWwidnng  derselben  aof  die  Stn^ei 
kB  Waten  dieser  letsterea  nicht  etwa  in  einer  Leidenesnfttgaag 
butehei  kQnne,  «o&dem  awr  in  dem  Gänsen  deqenigen  Bedingonr 
gtt  der  DsnBtuamnng  des  reektsvidrigsn  odcor  verbreoheriadMn 
WilkM»  d.  h.  der  Beeeenmg  im  ved^tbchen  SianCi  die  aiek  dn^ob 
du  Zntknn  Anderer  beedwien  Urnen.  Hieran  reiben  eich  -*-  im 
2.  Heoptetflek  (S.  46-^^2):  »Bttckbliek  auf  die  Geftngniaee  der 
Toneit«  —  die  adthigetea  Bemerknngan  über  die  idlmfthlicbe  Ye]> 
iedcmg  der  Anfliohten  Ton  den  Freihmtetarafen  und  der  Art  ihrer 
YoOfirBäiiag,  aowie  —  im  a.Haapt0taok(S.  63-188):  »Beleuc^i* 
tttg  der  Stra&astalten  der  neneren  Zeit«  —  eij^e  genaue  &diUde* 
rang  der  verechiedenen  neueren  VerBuehe,  dem  eigentUd»en  Gnmdv' 
Abel,  das  in  den  Strafanstalten  alten  Zusohnitte  herrsdai  und  sie 
» liödttt  gemeinsdiftdKck  gemacbt  hat,  aAmlich  dem  WeohselyAr- 
M  derOefiuigeneii,  abinhelfen,  --  Wae  grttndUd»  and  «ans»  wr 
4vch  die  EiBselhall  gesoheben  kaaa.  Auf  die  DarsteUoag  dspr 
Gnn^gedankea  dieser  neneren  Versuche:  des  Anbi}raiani3mu%  der 
Qssaeubtbeibuigen  «nd  endlich  der  EiasMlhaft  —  folgt  eine  gpr 
tegle  ZnBamneasteUiag  der  gewichtigsten  £rfabrangen»  die  bia- 
inr  im  den  ebengenannten  Haaptriehtangen  in  aller  Weh  gsmaobt 
vMdea  sind.  Den  SeMnss  des  Ganzen  —  im  4«  Ha^ptatftgk 
(8.  lM~a02):  »die  neneetea  Forteebritte  der  Einsicht  and  der 
6<»etigebuig  im  Geftngnisswesen«  —  bildet  die  i^rlbigte  Sehä* 
knmg  jwd  fmndsätzlidie  Prttfnng  Dessen«  was  bie  heute  in  den 
^«nchiedenen  Staaten  in  der  Sache  geaohehen  ist. 

Wir  bogleitea  die  Schrift  mit  der  Hoffnong,  dass  si»  e«ob 
»merbalb  des  Kieises  der  Fachmänner  «inige  BeacUnu«  finden 
verde.  Dnraof  freilich  haben  wir  nie  geredmet.,  dass  die  elten 
Zflnlüer  auf  dem  Lehrstuhl  oder  hinter  den  grünen  Tischen,  deren 
ganzes  bisheriges  Wirken  sich  wie  im  Kreise  um  die  Afterlehre  ge- 
dreht hat,  dass  das  Wesen  der  Strafe  im  üebel  seinen  Sitz  habe, 
^,  WasModd«rman  gleichbedeutend  scheint,  daBs2mal  2  =  ( 
s«i,  iuptotzlich  den  Zopf,  den  sie  solange  nut  Anstand  getragen, 
Uten  zu  lassen  und  ihre  Lebensarbeit  als  eine  groesentheils  yer- 
feUie  za  betrachten  gewillt  sein  eisten.  Je  wemger  sich  Der- 
gieiehen  billig  verlangen  l&sst,  desto  lieber  bescheiden  wir  uns,  nur 
^  im  Jugend,  der  die  Zukmift  gdiMn  zu  'Crwafltsn,  dass  nicht 
«dl  sie  voiichndl,  aof  Kosten  der  Wcduzbeilt  und  des  Bepjit»«  de^u 


24  FrAttenitftdt:  B^bopenhanef^«  VmMaM. 

siiinlosen  alten  Zopf  nachzusehleppen  sioh  bereit  lei^i^'  «mdem  die 
flerale  Fracht  tmhaltbar  und  zeitwidrig  gewordener  Recbtsansehan- 
ungen  mit  diesen  selbst  anfgebe.  Wahrhaft  drollig  aber  ist  esaa- 
znseheu,  wie  gar  Manche  yergeblich  Yon  der  Leimrathe  dieser  alten 
Yorstelhingen  sich  loszuarbeiten  suchen,  wie  Andere  zwar  bald  zu 
merken  anfteuigen,  dass  es  Zeit  dazu  wäre,  aber  es  noch  nicht 
»wagen«,  bald  sich  mit  der  Wahrheit  wohlfeil  abgefimden  zu  haben 
glauben  durch  das  grosse  Zugestttndniss :  dass  allerdings  die  Strafe 
keine  Peinigung  sein  solle  —  in  demselben  Athem  aberYersichem: 
dass  sie  ein  empfindliches  Uebel  sein,  und  in  dieser  Abeicht  su- 
gefUgt  werden  mtlsee.  Wie  sich  Beides  unterscheiden  und  wie 
dergleichen  Absichten  christlicher,  eittlicher  und  rechtlicher  Weise 
denkbar  sein  sollen,  bleibt  dann,  wieso  yieles Andere,  zu  erklftren 
dem  Scharfsinn  der  Leser  flberlassen.  Auf  Grflnde  einzugehen  i«t 
überdiess  unbequem,  und  so  glaubt  man  mit  der  wiederholten  Ver- 
sicherung, dass  man  an  dem  alten  abgedroschenen  Grundsatz  des 
nothwendigen  Vergeltens  von  üebel  mit  üebel  festhalte,  genug  ge- 
than  zu  haben !  Der  Besserangstheorie  aber  glaubt  man  mit  einigen 
wirklichen  Folgerungen  aus  ihr,  die  man  durch  die  plumpsten 
petitiones  principii  für  unmöglich  erklärt,  noch  mehr  durch  ihr 
bloss  untergeschobene  Folgerungen  und  angeblich  Yon 
ihr  nicht  lOsbare  und  doch  nothwendig  von  einer  haltbaren  Straf- 
theorie zu  lösende  Aufgaben,  den  Hals  gebrochen  zu  haben,  mit 
einem  Mangel  an  Logik  und  einer  Oberflächlichkeit,  die  ihres  Glei- 
chen suchen,  obgleich  sie  gewöhnlich  in  einen  ganzen  Filz  Ton 
hohlen  Worten  und  Floskeln  eingewickelt  und  Tcrsteckt  sind,  wie 
wir  oft  genug  gezeigt  haben,  ohne  dass  Einer  unsrer  Gegner  Diees 
zu  widerlegen  oder  auch  nur  zu  leugnen  unternommen  hätte.  Ueber 
aUe  böswilligen  Verschweigungen,  Entstellungen  und  Witzeleien 
aber  wird  die  Wissenschaft,  die  nur  mit  Gründen  gefochten  wissen 
will,  unerbittlich  den  Stab  brechen.  In  dieser  üeberzeugnng  können 
Angriffe  mit  jenen  stumpfen  Waffen  den  Verfasser  nicht  beirren, 
wohl  aber  haben  sie  ihn  bisweilen  sehr  erheitert.  Belobungen  einzeler 
Anwendungen  seiner  Grundsätze  können  für  ihn  einen  Wertb  nur 
dann  haben,  wenn  sie  als  solche  Anwendungen,  nicht  aber 
wenn  sie,  folgewidriger  Weise,  trotz  des  Beibehaltens  entgegenge- 
setzter Grundsätze,  Anerkennung  finden.  K«  Rftder« 


Atta  Arthur  Schopenhauer^ $  handschrifllichem  Nachlass.  Abhemd- 
lungerij  Anmerkungen,  Aphorismen  und  Fragmente.  BeroMpe- 
geben  von  Julius  Frauenatädt.  Leiptig.  F.  A,  Brockhavs. 
1864.  XXXn  u.  419  8.  gr.'  8. 

Der   gelehrte   Herr  Herausgeber  hat   schon  in   dem   Werke: 
»Arthur   Schopenhauer;     Von  ihm,   ttber   ihn«    (Berlin 


1868,  A«  W.  Hajn)  aas  den  BammtlielMii  aaobgalagBeoen  Haad* 
aohnften  unsereB  Pliilo8ophen  diejenigen  Stellen  und  Stücke  mit» 
getiieilty  die  ihmc  besonders  geeignet  sehienen,  zum  Belege  der  dort 
vm  ihm  gegebenen  Charakteristik  der  Person  nnd  Lehre  Sehopen* 
haoers  zu  dienen«  (S.  YU).  Hier  legt  der  Herr  Heransgeber  nnr 
diqeaigen  Stücke  nnd  Stellen  vor,  die  in  dem  angeftlhrten  Werke 
nadi  dem  ihm  Yorgeseiehneten  Plane  keine  Anfiiahme  findsn  konn- 
ten.  Es  ist  immer  noch  ein  »ziemlich  betr&ohtlicher  Stoffe,  der 
ihm  »werth  schien,  als  ein  Supplement  sn  Schopenhaners  sftmmt- 
liehen  Werken  besonders  heransgegeben  zn  werden.«  Der  vorlie- 
gende,  bisher  nngedrackte  Stoff  soll  znm  »tieferen  nnd  grOndlicheren 
Ventftndniss«  der  Schopenhaner* sehen  Philosophie,  so  wie  »zur 
richtigen  Benrtheilung  ihres  Verhältnisses  zu  den  andern  nachkan* 
tiedken  Systemen  Manches  beitragen.«  Nach  allen  Terßffentlichten 
StSfiken  des  hier  vorliegenden  Buches  soll  man  in  Schopenhaner 
»den  originellen,  nrtheilskräftigen,  scharf-  nnd  tiefsinnigen  Denker«, 
den  »gehalt-  nnd  gewichtrollen,  immer  entschieden  nnd  kr&fkig  sieh 
seedrSckenden  Schriftsteller«,  den  »freimüthigen,  die  Wahrheit 
ftber  Alles  liebenden  und  den  herrschenden  Vorurtheilen  energisch 
entgegentretenden  Charakter«  wiedererkennen,  als  den  er  sich  in 
»gedeckten  Werken  kundgegeben  hat«  (S.  VIII). 
Auswahl,  Eintheilung  und  Anordnung  des  hier  gebotenen  Nach- 
stammen  vom  Herrn  Herausgeber.  Mit  Recht  wurde  nicht  die 
tonologische,  sondern  die  sachliche  Anordnung  vthfmugen.  Ob 
die  Stelle,  die  der  Herr  Heransgeber  aus  einem  Briefe  Schopen- 
bnerB  an  ihn  zum  Belege  der  Zweckmässigkeit  dieser  Anordnung 
uiftibri  (S.  IX),  und  in  welcher  Schopenhauer  schreibt,  »bei  ihm 
peese  und  ftlge  Alles  ganz  zusammen  und  beweise  die  Einheit  und 
Peetigkeit  seiner  Lebens*  und  Weltansicht«,  wie  »anders  sei  das 
bei  Schelling,  sogar  bei  Spinoza,  auch  Kant;  —  beiKei- 
aem  Hesse  sich  das  so  machen;  sie  Alle  haben  ge- 
fsekelt«,  wirklich  dazu  dienen  kann,  Schopenhauer  als  einen 
»nrtheibkrftftigen,«  als  einen  »dem  Yorurtheile  energisch  entge- 
gntretenden  Charakter«  darzustellen,  überläast  RefiMr.  getrost  dem 
üribeile  aller  xmbefangeuen  Leser. 

Der  hier  vorliegende  Nachlass  wird  unter  drei  Gesichtspunk- 
'^  mitgetheilt.  Er  umfasst  1)  Abhandlungen,  2)  Anmer- 
kungen, 3)  Aphorismen  und  Fragmente  Schopenhauers. 
h  den  Abhandlungen  (S.  3—102)  gehören  1)  die  Eristik 
(8.3-42),  2)  ttber  das  Interessante  (S.  43—52),  3)  Ma- 
terialien zu  einer  Abhandlung  über  den  argen  ün- 
^^fSi  der  in  jetziger  Zeit  mit  der  deutschen  Sprache 
getrieben  wird  (S.  53—102).  Die  Anmerkungen  beziehen 
«eh  auf  die  Philosophie  und  die  Schriften  Kant's  (S.  105— 160), 
JG.  Pichte's  (S.  161-189),  3)  Schelling's  (S.  190— 263), 
Jicobi'B  (S.  264-271),  Fries'  (S.  272-292).  Die  Apho- 
liimen  und  Fragmente  werden  unter  folgenden,   vom  Herrn 


HeilraAgdbei*  g«^vihltMi  üeberdokriften  geg«b«ii:  1)  Aber  Philo- 
Sophie  im  Allgemeinen  und  ihrVerhftltniBS  snrTheo- 
logie,  Wiesenichaft,  Knnst  nnd  Geschichte  (8.  295"- 
306),  2)  eur  Geschichte  der  Philosophie;  Fragment 
einer  üebersicht  des  Entwicklungsganges  der  Ge- 
schichte der  Philosophie  (8.807— 327),  8)  lurErkennt- 
nisslehre  (8.  828—333),  4)  über  Metaphysik  nnd  den 
Willen  als  Ding  an  sich  (8.  384—844),  5)  znr  Philoso* 
phie  und  Wissenschaft  der  Natur  (8.  345—858),  6)  zur 
Aesthetik  (8.  854-374),  7)  anr  Bechtslehre,  Politik, 
Geschichte  und  Völkercharakteristik  (8.  375—388),  8) 
2ur  Ethik  (&  389—404),  9)  zur  Methaphysik  der  Ge- 
schle^htsliebe  (8.  405—409),  10)  ttber  den  Tod  und  die 
ünierstOrbarkeit  unseres  Wesens(S.  410— 418),  ll)aber 
die  Unrichtigkeit  des  Daseins,  über  die  Endlichkeit 
und  Nichtigkeit  der  Erscheinungen  (8.  414—420),  12) 
ttber  das  Leiden  des  Lebens  (8.421—423),  13)  ttber  die 
Verneinung  des  Willens  eum  Leben  (8.  424—425),  14) 
ttber  Religion  und  Theologie  (Religion  im  Allgemeinen, 
bes(mdere  Religionen  und  Confessionen ;  Theismns,  Pantheismns, 
Atheismus)  (8.426—442),  15)  zur  Lebensweisheit,  8elbst-, 
Welt-  und  Menechenkenntniss  (8.  443—457),  16)  ttber 
Geist  undBildung,  ürtheil,  Kritik,  Beifall  und  Bukm 
(8.  458—466),  17)  ttber  Gelehrsamkeit  und  Gelehrte 
(8.  467—469),  18)  ttber  Schriftstellerei  und  8tyl,  ent- 
hymematische  Schriftsteller  (8.  470—475),  19)  ttber 
sich  selbst,  sein  Zeitalter  und  sein  Publikum  (8.476 
bis  479). 

Die  Eristik  oder  Streitkonst,  mit  welcher  die  nachgelasse- 
nen Abhandhingen  S.'s  beginnen,  ist  Anleitung  oder  Kunst  zam 
Disputiren.  Nach  einer  allgemeinen  Einleitung  ttber  die  Be- 
deutung und  d«n  Zweck  der  Eristik  werden  die  Grandsfitse  dar 
letztem  entwickelt.  Die  regelmässigen  Modi  und  Wege,  duveh 
welche,  und  auf  welchen  eine  aufgestellte  These  widerlegt  wer- 
den soll,  bilden  die  Basis  aller  Dialektik  und  jene  Modi  werden 
(8.  12—14)  dargestellt.  Sie  sind  das,  was  »in  der  Fecht- 
kunst  die  regelmässigen  StQsse,  wie  Terz,  Quart«  u.  s.  w.  sind. 
Dagegen  stellt  nun  (8.  14,  ff.)  8.  die  »Kunstgrifle  oder  ätratege- 
mata«  anf,  die  allenfalls  den  »Finten  in  der  Fechtkunst  zu  ver- 
gleichen sind«.  Die  dialektischen  Kunstgriffe  werden  rabricirt  und 
mit  passenden  Beispielen  belenselitet.  Der  Inhalt  wiu*d8  schon  frfiker 
den  Parerga  II,  g.  26  angedeutet.  Es  kann  wohl  kaum  daran 
die  Bede  sein,  was  8.  XIII  vom  Herrn  Hemusgeber  beftrohtet 
wird,  dass  dieEricrtifk  bei  manchen  Gefahr  laufen  könnte,  als  »eine 
unmoralische,  der  unredlichen  Rechthaberei  in  die  Hände 
arbeitende  Disotplin«  verschrieen  su  werden.  Nor  darf  mfan  die 
Eristik  gegen  den  Vorwurf -der  ünmoralii^  nicht  durch  eine  AensM- 


Frait«tt8lft«t:  MwMlitaMr/«  VmiUläU* 


ra^i  tHdlblgond«,  beseitigen  wollen :  SeliopenkanerKririlef  solieiMt 
«8.ItII,  mit  seiner Etistik niolit  engen:  »Bnobet  beim Dispnüren 
OB  jeden  Preis  Reeht  ta  bnben  nvd  wendet  biesn  diese  nnd  4iene 
Koutgriffe  an,  sondern  nnr:  Wenn  nnd  wo  es  gilt  Recht  inbe« 
yton  —  nnd  es  gibt  solche  Lagen,  wo  es  bloss  aufs  Beelitbe« 
hsHen  nnd  nicht  anf  die  Wahrheit  ankommt  —  dann  nnd  da 
tmdei  diese  Kunstgriffe  an!«  Ist  eine  solche  Anfforderang  etwa 
neraliseht  Ist  sie  wohl  irgendwie  von  der  roransgehenden  sunaier« 
senden,  nach  welcher  man  >nm  jeden  Preis  Recht  su  behaltea« 
McU  und  dazn  die  Kunstgriffe  anwendet?  Heisstdas  nicht:  KnnsU 
griffe  Qtti  jeden  Preis  anwenden,  wenn  man  sie  Überall  da  anwen^ 
d«s  soll,  wenn  nnd  wo  es  gilt  —  Recht  sn behalten,  ohnedass  es 
dibeianf  die  Wahrheit  ankommt  T  Refer.  kennt  keinen  wesentlichen 
Uatenchied  cwischen  diesen  beiden  Anffordemngsweisen  sa  KnÜbn 
aad  Otiffim  eristischer  Knnet.  Ein  gewiss  berechti^gter,  nad  Ref. 
wtct  dam :  ein  gans  anderer,  als  der  von  S.  nnd  dem  Herrn  Her« 
angeVer  angefWnrte  Weg  macht  die  Eristik  wichtig.  Aach  derjentgst 
dttirar  die  Wahrheit  nnd  nie  auf  Kosten  der  letztem  Recht  behalten 
viQ,  wird  diese  Kunstgriffe  der  Eristik  kennen  lernen  wollen,  thetls 
wsU  sie  dacn  dienen,  die  moralische  und  intellectnelle  Beschaffen« 
Mi  des  meMchlichen  Geistes  zn  erforschen,  theils  anoh,  well  man 
mv  dann  Scheinbehanptnngen  zetstl^ren  und  den  Zweck  der  Wabr« 
Initmblüistischen  Gegnern  gegenüber  verwirklichen  kann,  wenn  man 
die  knunmen  Wege  logischer  Spiegelfechterei  kennt.  Wer  im  Kampfs 
nsen  Gegner  überwftltigen  wilK  muss  auch  dessen  mögliche  Finten, 
M  gehörig  abzusehlagen,  erkennen.  Es  finden  sich  in  den  ange- 
f^ttwaen  36  Knnstgriien  gar  treffliche  Bemerkungen  nnd  Beispiele. 
So  itt  der  28.  Kunstgriff  das  so  oft  statt  aller  stichhaltigen  Gründe 
g^bmuchte  »argumentum  ad  verecnndiam.«  »Statt  der  Grttnde 
btsache  man  Autoritftten  nach  Maassgabe  der  Kenntnisse  des 
^«giiers.  ünusquisque  mavult  crsdere,  quftm  jndicare,  sagt  Seneka. 
ün  hat  also  leichtes  Spiel,  wenn  man  eine  Autorität  für  sich  hat^ 
^  der  Gegner  respektirt.  Es  wird  aber  fdr  ihn  desto  melnr  gttl- 
ti^d  Autoritäten  geben,  je  beschränkter  seine  Kenntnisse  sind.  Sind 
etwa  diese  vom  ersten  Rang,  so  wird  es  höchst  wenige  nnd  fast 
gtt  keine  Autoritäten  für  ihn  geben.  AUenfiills  wird  er  die  der 
I^its  vom  Fadi  in  einer  ihm  wenig  oder  gar  nicht  bekannten 
^ttscnsohaft,  Kunst  oder  Handwerk  gelten  lassen,  nnd  Bxah  dieae 
»it  Visstraaen.  Hingegen  haben  die  gewähnlichen  Lente  tiefen 
Beepekt  für  die  Leute  vom  Fach  jeder  Art«  ....  »Auch  sind  äll- 
gtmeine  Yorurtheile  als  Antoiitäten  zu  gebrauchen.  Ja,  es 
fibt  keine  noch  so  absurde  Meinung,  die  die  Menschen  nicht  teftoht 
iB  dsr  ihrigen  machten,  sobald  man  es  dahin  gebracht  hat,  sie  zu 
Ahmeden,  ^ss  solche  allgemein  angenommen  sei«  u.  s.  w. 
»fitotum,  denken  künnen  sehr  Wenige,  aber  Meinungen  wollen  Alle 
^>^Mn:  was  bleibt  da  Anderes  übxig,  als  dass  sie  solche,  i^tt  «ie 
><sh  sriher  zu  machen,  ganz  fertig  ron  Andern  sKiftiehBien«  (B.  27 


98  Fr*«eii8ilkdi:  8«liop«DhMier*8  Nadik^s. 

*~80)?  Kunstgriff  29:  »Wo  man  gegen  die  dargelegten  Gründe 
des  Gegners  niehts  Tomibringen  weiss,  erkläre  man  sich  mit  feiner 
Ironie  fUr  inkompetent:  »Was  sie  da  s^en,  übersteigt  meine  Fas- 
sungskraft: es  mag  sehr  richtig  sein;  allein  ich  kann  es  nicht  yer- 
stehen  und  begebe  mich  alles  ürtheils.«  »Dadurch  insinuirt  man  den 
ZnhOrem,  bei  denen  man  im  Ansehen  steht,  daas  es  Unsinn  ist. 
So  erklärten  beim  Erscheinen  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  oder 
vielmehr  beim  Anfang  ihres  erregten  Aufsehens  viele  Professoren 
von  der  alten  eklektischen  Schule :  »Wir  verstehen  das  nicht«  und 
glaubten  sie  dadurch  abgethan  zu  haben«  (8.  30).  —  Macht  es 
Sehopenhauer  nicht  auch  gerade  so  nach  dem  hier  angedeuteten 
Kunstgriff,  wenn  er  der  Hegerschen  Philosophie  »Unsinn«  vor- 
wirft und  Hegel  »einen  Unsinnschmierer«  nennt?  Kunstgriff  80: 
»Bine  uns  entgegenstehende  Behauptung  des  Gegners  kOnnen 
wir  auf  eine  kurze  Weise  dadurch  beseitigen  oder  wenigstens 
verdächtig  machen,  dass  wir  sie  unter  eine  verhasste  Kate- 
gorie bringen,  wenn  sie  auch  nur  durch  eine  Aehnlichkeit  oder 
sonst  lose  mit  ihr  zusammenhängt,  z.  B. :  »Das  ist  Manichäismus ; 
das  ist  Arianismus;  das  ist  Pelagianismus ;  das  ist  Idealismus; 
das  ist  Spinozismus;  das  ist  Pantheismus ;  das  ist  Brownianismus ; 
das  ist  Naturalismus;  das  ist  Atheismus;  das  ist  RationalismuB« 
u.  s.  w.  »Wir  nehmen  zweierlei  an:  1)  dass  jene  Behauptung 
wirklich  identisch  oder  wenigstens  enthalten  sei  in  jener  Kategorie, 
rafim  also  aus:  »0,  das  kennen  wir  schon I«,  —  2)  Dass  diese  Ka- 
tegorie schon  ganz  widerlegt  sei  und  kein  wahres  Wort  enthalten 
kOnae«  (8  31).  —  Macht  es  S.  nicht  gerade  ebenso,  wenn  er  seinen 
Gegnern  zuruft:  »Das  ist  Theismus;  das  ist  Judenthum ;  das  ist 
CSiristenthum ;  das  ist  Hegelthum«  u.  s.  w.?  Kunstgriff  34:  »Den 
(Gegner  durch  sinnlosen  Wortschwall  verdutzen,  verblüffen.  Wenn 
er  nun  sich  seiner  eigenen  Schwäche  im  Stillen  bewusst  ist,  man- 
cherlei zu  hören,  was  er  nicht  versteht,  und  dabei  zu  thun,  aU 
verstiknde  er  es;  so  kann  man  ihm  dadurch  imponiren,  dass  man 
ihm  einen  gelehrt  oder  tiefsinnig  klingenden  Unsinn,  bei  dem  ihm 
Hören,  Sehen  und  Denken  vergeht,  mit  ernsthafter  Miene  vor- 
schwatzt, und  solches  für  den  unbestreitbarsten  Beweis  seiner  eige- 
nen Thesis  ausgibt«  (S.  33).  —  Dieser  Kunstgriff  enthält  ein  Becept, 
das  in  der  Philosophie  und  Theologie,  besonders  der  dogmatischen 
und  speculativen  Theologie,  nur  zu  häufig  angewendet  worden  ist. 
Ein  Anhang  handelt  vom  Werth  der  Logik  imd  der  Selten- 
heit der  Urtheilskraft  (S.  36—42). 

Die  zweite  Abhandlung  imtersucht  den  Begriff  des  Interes- 
santen. Während  S.  im  dritten  Buche  der  »Welt  als  Wille  und 
Vorstellung«  das  Interessante  als  das  »die  reine,  willenlose 
Comtemplation  Störende  aus  dem  Gebiete  des  Schönen  und  der 
Kunst  ausgeschlossen  hat«  (S.  XTV),  untersucht  er  in  dieser  Ab- 
handlung, »inwieweit  dennoch  das  Interessante  in  Werken  der  Dicht- 
kunst zulässig  sei.«    Der  Herr  Herausgeber  nennt  die  Abhandlung 


I4«s  6«fc«pfiite«flr^8 


>enie  wieküge  Sr^mang  zur  Weh  als  Witte  und  yanielkBg.9 
Sdir  gut  ist  die  fiatwiekelung  dos  UnterBchiedes  zwisoheii  sohftti 
md  interessant  und  der  Nachweis  des  Interesses  in  den  diok* 
ieriaehen  Kunstwerken.  Viel  Zeitgem&sses  nnd  Lesenswerthes  eni» 
ksHan  die  »Materialien  sn  einer  Abhandlung  Aber  den 
argen  Unfug,  der  in  jetziger  Zeit  mit  der  deutschen 
Sprache  getrieben  wird.c  Der  erste  Grundsatz  derSinaeli- 
Teriranzung  ist,  »überall  das  kflrzere  Wort  dem  gehörigen  oder 
pssBoidenTorzuai^en^c  Dahingehört  »das  Ausmenen  aller  doppelt 
ten  Vokale  und  tonverl&ngemden  h  und  das  sehr  ergiebige  Weg- 
knapsen der  Prftfixa  und  Affixa  der  Worte  und  ttbexhanpt  alter 
8flben,  deren  Werth  nnd  Bedeutung  der  Schreiber  unter  seiner 
2  Zoll  dicken  Hirnschale  weder  versteht  noch  ftthltc  (8.  58).  Br 
ruft  den  neueren  Schriftstellern ,  welche  sich  diesen  »sehmungsten 
Bnehstabengeiz  angewöhnt  haben«,  zu:  »Schreibt  schlechtes  und 
dommes  Zeug,  so  yiel  ihr  wollt:  es  wird  mit  euch  zu  Orabe  ge* 
tragen  und  schadet  weiter  nicht;  aber  die  Sprache  laset  unaag»> 
tastet:  sie  ist  das  Eigenthum  der  Nation  und  das  Wericseng, 
dessen  kllnftig  wirklich  denkende  Geister  sich  zu  bedienen  haben« 
(8.  60).  Die  Abhandlung  geht  in  Bemerkungen  und  Bmspielen 
ia'8  Einzelne.  Die  Sprachverderbung  wird  in  dem  Qebranehe  der 
easQs,  Pronomina,  Auxiliarrerba,  Tempora,  AdTerbia,  Präpositionen, 
Conjunktionen,  Präfixa  und  Affixa,  Wortzusammenziehungen,  Oallir 
eismen,  Fremdwörter,  sinnlosen  und  abgeschmakten  Worte ,  fshler- 
Wft  angewandter  und  verfehmter  Worte,  Kakophonien,  so  wie  in  der 
Orthographie  des  Stils  und  Periodenbaus,  nachgewiesen,  unbegründet 
ist,  was  S.  tiber  den  selbst  in  Yolkszeitungen  so  ausserordentüefa  zum 
Naehtheile  unserer  Sprache  überhandnehmenden  Gebrauch  der  Fremct* 
^rUst  sagt:  »Hit  dem  Aufnehmen  fremder  Ausdrücke  hat  es  keine 
Ncth,  sie  werden  assimilirt.  Aber  gerade  dagegen  wenden  sieh 
die  Juristen«  (S.  86  u.  87).  Das  ist  eben  der  Fehler,  dass  man 
fremde  Worte  in  der  bildsamen  Sprache  assimilirt  und  dadurch  die 
guten  deutschen,  die  den  deutschen  Begriff  deutsch  bezeichnen,  aus 
der  Sprache  merzt.  Die  ganze  S.^sche  Abhandlung  über  die  Spracb- 
Terderbung  wimmelt  von  unnöthig  gebrauchten  Fremdwörtern,  wie 
Itompakt,  koncis,  Prttfixa,  Affixa,  Substantiva,  Tempora,  Adjectm, 
casus,  passiv,  Jargon,  Imperfekt,  Studiren,  floriren,  Skribent,  Oon- 
bsion,  Beparatur  u.  s.  w. 

In  den  Anmerkungen  zu  den  Schriften  der  neuem  Philo- 
sophen ist  es  jedenfiEÜls  zweckmässig,  dass  Ton  dem  Herrn  Her- 
nugeber  die  Stellen  genau  angegeben  worden  sind,  auf  welche  sich 
die  3.*schen  Anmerkungen  beziehen.  Ref.  möchte  übrigens  nicht 
ait  dem  Herrn  Herausgeber  die  von  Foucher  Oareil  (Hegel  et 
Schopenhauer,  ätudes  sur  la  philosophie  allemande  moderne  depuis 
Kant  jusqu'k  nos  jours,  Paris,  1862)  und  Ton  Professor  Hoü^ 
naon  in  Frohschammers  Athenäum,  Band  11,  Heft  1  ausgesprochene 
Behauptung  bekämpfen,   dass  Schopenhauer  trotz   seines  Antago- 


ai^mts  gogin  Fickte,  Seh/dlUsg  und  Hegel  dennocb  Aie  mmte 
Verwandtaeliaf^  mit  diBaen  habe.  Es  yerh&lt  üoh  auch  wirklich 
ao.  Das  Objeet  ist  nach  S.  fftr  das  Subject  Vorsteiluug  und  netter 
niehta,  und  das  Ding  an  sich  ist  in  Allem  und  für  Altes  derWiUe. 
Die  ereU  Behaaptung  fttbrt  mm  sabjeoiiyen  IdealismiiSi  di»  siroiie 
sum  Monismus.  Die  erste  seigt  mit  Fichte  Ver^andtediaft ,  dia 
aW'Wite  mit  Schelling  und  HegeL  Das  Schimpfen  gegen  diese  Philo- 
sophen  bew^st nichts,  sowenig»  als  dassS.  »streng  amKant'schen 
Ldea^ismiis  festhielt.«  Das  that  ja  auch  Fichte.  Das  »Ueberbieten« 
dar  Andern  beweist  nicht,  dase  sie  nicht  ursprüngllßh  von  d^U'^ 
seQuen  Prittoipien,  wie  8.,  ausgehen.  Das  ZurüAkfellen  »in  Dogm»* 
tiamus«  kann  man  auch  bei  derS.'sehen  Philosophie  wahrnehmen. 
Man  mnss  eben  glauben,  dass  es  kein  anderes  Ding  an  sich,  als 
den  abstcaeten  Willen  gebe,  den  S,  noch  zudem  in  dmi  eigentlichen 
Teufel  yerwandelt,  da  dieser  Wille  nicht  vernünftig  ist,  sondern 
ein  «mntisohes  Chaos  Yon  Erscheinungen  ohne  Fortschritt  herror* 
mfiiy  so  reehcfc  eigenfklich  die  ßrundlage  des  S.'schen  PessimisniAS  ist. 
8.'e  Anmerkungen  beeiehen  sich  bei  Kant  auf  die  Pro<^ 
Ingomena,  die  metaphysischen  Anfangsgrunde  der 
Naturwissenschaft,  die  Kritik  der  ürtheilskraft,  die 
Beohts«-  und  Tugeudlehre,  bei  Fichte  auf  die  Kritik 
aller  Offenbarung,  das  Naturrecht,  die  Sittenlehre, 
hei  £(chelling  auf  das  Werk  über  die  Weltseele,  das  äj^ 
«tarn  d«e8  transoendentalen  Idealismus,  Bruno,  die 
I4een  zur  Philosophie  der  Natur,  Philosophie  und 
Beiigion,  die  Darlegung  des  wahren  Verhältnisses 
der  Naturphilosophie  zur  rerbesserten  Fichte'84}h6m 
Lnhre,  den  ersten  Band  der  philosophischen  Schriften, 
das  Denkmal  von  Jacobi's  Schrift,  bei  Jacobi  auf  die 
Btakn&z  David  Hume  über  den  Glauben  und  die  Sebrilt 
nm  den  göttlichen  Dingen,  bei  Fries  auf  die  drei  Bände 
aeiner  Kritik  der  Vernunft.  Von  Schelling's  ganaem  Auf-* 
stttz  über  die  Freiheit  sagt  S.  S.  201:  »Er  ist  £Ebst  nur  eine 
Unaiheitwig  Ton  Jakoi»  Böhmens  Mysterium  magmun,  in  wc^he« 
säeh  fest  jeder  Satz  und  jeder  Ausdruck  nachweisen  lässt.  Wonun 
aJber  sind  mir  bei  Schelling  dieselben  Bilder,  Formen  und  An»- 
drücke  unertrftgUeh  und  lächerlich,  die  ich  bei  Jakob  Böhme  mit 
Bewunderung  und  Rührung  lese?  Weil  ich  erkenne,  dass  in  Jan 
kob  Böhme  die  Erkenntaiss  der  ewigen  Wahrheit  es  ist,  dde  sich 
in  diesen  Bildern  ausspricht,  obwohl  sie  auch  mit  ^eidiem  Fug 
in  vielan  andern  sieh  hätte  aussprecdien  könn^,  wenn  Jakob  Böhme 
■Mht  gerade  auf  diese  gemthen  wäre,  BoheUying  aber  nimmt  von 
äinif  was  er  aüein  von  ihm  nehmen  kann,  dieselbtti  Bilder  nnd 
▲nsdrüekef  hält  die  fiehaale  für  die  Frucht,  oder  weiss  sie  weni^ 

«tens  nidit  von  der  Spracht  bu  lösen.« >£&  ist  hö^st  spasa- 

iuift,  «ber  nnlfliighar,  wie  in  dieser  ganzen  saofaem  Tlieorie  der 
^Qhemiker  dncohUickt;.    Aües,  (krtt,  dtie  Wdt,  der  Men9eh,  ist  ein 


Hestml-Sftfa.  Dm  Alkali  htust:  Der  Onrnd»  di«  SekMühtp  das 
Cntnim  n.  s.  w.  Dia  Säure  Wistt:  Das  Lkkt,  dtr  Yaralaad«  die 
Liebt.  Srtt,  indeai  lie  sich  mevtralisirea,  ist  Oott,  Well,  Ifoiseli 
dt  ond  Alles  gut.  Das  radikale  Böse  ist  nichts  aU  eiae  Zenets- 
•sg:  Das  AJkali  wird  fttoend.  Aber  wie  die  Stare  ftr  siek  aUsan 
wirkt,  wird  nicht  gemeldet.  Als  Grondkaes  der  gansen  Abkaad- 
hsg  tSnt  überall  eine  Polemik  dnroh  dee  Inhatts:  Bist  du  sieht 
Boav  Meinaag,  so  bist  du  ein  Esel  und  ein  Sohaxfce  oheadiein: 
dis  merke  dir  und  bedenke,  was  du  spriahstf«  Wie  sieht  es  mit 
der  Sshopeahauer'sdiea  Polemik  aus?  T(Snt  da  nieht  auch  dsr- 
Mibe  »Grondbass«  durch 9  Manche  geistvolle  und  seharfirinaige 
Aiaicktea  weiden  in  der  dritten  Abtheifamg:  Aphorismen  nad 
Fragmente  gegeben.  Manehe  Bemetkiagen  sind  schaif^  pole- 
niieh,  fOr  8.  und  dessen  Ansehauungen  ^larakteristiadh«  Ueher 
da  Unterschied Ton  Philosophie  und  Beligionheis0tes6.2M: 
»Ate  deufcschee  Wovt  fta  Philosophie  soheint  mir  passend  Ue- 
berseugungslehre,  im  Gegensats  zur  Glaubenslehre,  wel- 
eks  die  Beligion  iet.  Diese  hat  n&mlieh  mit  der  Philoaophie  das- 
uX»  Thema,  nUnlifth  die  letste  Rechensehaft  zu  gehen  von  der 
Weit  flberiiaupt.  Das  sie  ünterseheidende  ist  hlos  dieses,  daes  die 
Phikwophie  üeberseugung  su  wirken  sucht,  die  Beligion  hin§sgen 
Ghnben  fordert,  welche  Forderung  sie  dmnch  Androhung  ewiger 
und  bisweilen  auch  seitlicher  üebel  eu  untsrsttttsen  sucht,  da^^en 
du  AeigSte,  was  die  üülosophie  thnt,  wenn  es  ihr  ndsstingt  su 
ftbsnsQgen,  dasB  sie  eoüemt  zu  Terstehen  giebt,  es  stünde  bei  den 
n  üsbeneugenden  einige  Dummheit  im  Wege.  Darsmi  sieht  man, 
diM  die  Pkilosophie  sowohl  in  Hinsicht  auf  GutmAthigkeit,  als  auf 
Birliehheit,  einen  Vergleich  mit  der  Beligion  nmht  an  scheuen  haLc 
Ueber  Philosophie  und  Theologie  8.  297:  Der  Anfang  der 
Tbeoiogie  ist  die  Furcht,  wie  Hnme  richtig  aeigt»'  Daher 
%  wtaa  die  Menschen  glflckiioh  wttren,  nie  atiir  Theologie  kttme. 
kher  der  Anfang  der  Philosophie  ist  ein  ganz  andmr,  ntai- 
bh  ein  reines  zweckloses  Besinnen,  und  sogar  in  einer  Welt  ahne 
Leiden  und  ohne  Tod  würde  es  in  einem  genialen  Kopf  daaa  koia- 
aea.  Aber  etwas  dem  Intellect  Natflrliches  ist  sie  darum  keines- 
«•gs,  sondern  etwas^  dasu  es  nur  durch  ein  mienstrum  pex  exces- 
som,  genannt  Genie,  kommt.«  Ueber  Metaphysik  und  Phile- 
Boi^kiren  8.^22:  »Das  französische  Wort :  Metaphysiqne  bedeutet 
KUeehttän  nur  aU^^meines  Baisonnement.«  »Zu  dem,  was  Kant 
^ernllnfteln  nennt,  geben  den  schönsten  und  höchst  interessant^ 
MegYoltaire's  philosophische  Schriften.«  Zar  Politik  S.:388: 
»Steige  md  Bediente  werden  nur  beim  Vornamen  genannt  —  also 
&  beiden  fixtreme  der  (^eseüschaft.!«  »Eist  Hanpthindemiss  der 
Fortschritte  des Menschengeachlacbtes  ist,  dass  die  Leute  nicht 
^die  hören,  welche  am  gescheitesten,  sondern  auf  die,  welche 
^  lautesten  sind,«  »Der  Gegensatz  des  Alterthums  und  der 
aeuen  Zeit  spricht  sich  yielleicht  nirgends  stärker  aus,  als  darin. 


'»2  Fva««n«ift4t:  8obopeii1uui6r*fl  NtoUits. 

dasSy{  wenn  bei  uns  Einer  auch  nie  sieh  sonderlich  um  Oott  ge- 
kümmert hat,  er  doch  bei  Annäherung  seines  Todes  an  ihn  denkt, 
Jeder  aber  um  die  Sterbezeit  seine  Gedanken,  womöglich,  aufOott 
richtet.     Bei  den  Alten  dagegen  hatte  ein  Todter  und  auch  Einer, 
der   im  Begriff  zu   sterben  ist,   mit  den  Göttern  gar  nichts  mehr 
zu  schaffen  und  ist   gleichsam   aus   ihrem   Gebiet  herausgetreten. 
(Man  sehe  Sophocl.  Ajax,  v.  584  und  Yirgils  AeneisXI,  51.)«  üeber 
den  Menschen  S.  406:  »Homo  est  coitus  aliquamdiu  permanens 
vestigiumc  Schopenhauer' s  eigener  Gedanke  in  lateinischer  Sprache, 
wie  der  Herr  Herausgeber  beifügt.    »Das  fortwährende  Daßein  des 
Menschengeschlechts   ist   blos   ein  Beweis  der  Geilheit  des- 
selben«  (sie),     üeber  den  Willen    als   Ding    an   sich   S.    416: 
»Denke  zurück  an  traurige  Perioden  deines  Lebens  und  bringe  die 
Scenen   der  Betrübniss,    die   vielen   Stunden  des  einsamen  Grams 
dir  wieder  vor   die   Augen  des  Geistes     Was  siehst  du?     Blosse 
Bilder,  die  gleichzeitig  vor  dir  stehen.  Die  Qu&al,  die  sie  belebte, 
kannst  du  nicht  mit  zurückrufen.  Die  Bilder   stehen  jetzt  entseelt 
und   gleichgültig  da.     Warum?     Weil  dies  Alles  die  blosse  Hülse 
ohne  den  Kern  ist,  blos  in  der  Vorstellung  existirt ;  weil  das  Sicht- 
bare und  Vorstellbare  die  blosse  Hülle  ist,   welche   die  Bedeutung 
allein  Yon  dem  erhält,  was  darin  steckt,  vom  Willen  und  seinen 
Bewegungen.     Die  Welt   der  Vorstellung  mit  allen  ihren   Soenen, 
traurigen  und  fröhlichen,   ist  nicht  das  Beale,    sondern    blos   der 
Spiegel  des  Realen;   das   Beale  ist   der  Wille,   dein  Wille:    nAch 
BUler  Trauer  und  Freude,   die   er  durchgegangen,   ist  er  nooh  da 
in  unverminderter  Bealität.     Jene  Scenen  der  Trauer  und  Freude, 
stehen  als  blosse,  todte,  gleichgültige  Bilder  da,  weil  sie  ursprüng- 
lich  und  überhaupt  nichts  anderes  waren.«     Ueber  sich  selbst 
S.  432:    »Buddha,   Eckhard   und   ich  lehren  im  Wesentlichen  das 
Selbe,  Eckhard  in  den  Fesseln  seiner  christlichen  Mythologie.    Im 
Bnddhaismus  liegen  dieselben  Gedanken,  unverkümmert  dureh  aolche 
Mythologie,  daher  einfach  und  klar,  so  weit  eine  Religion  klar  sein 
kann.     Bei   mir  ist   die  volle  Klarheit«  (sie).     Ueber  Re- 
ligion S.  434:    »In   deu   protestantischen   Kirchen    ist    der 
augenfälligste   Gegenstend  die  Kanzel,   in  den  katholischen  der 
Altar.     Dies  symbolisirt,  dass  der  Protestantismus  sich  zunftchst 
an  das  Verständniss  wendet,   der  Katholicismus  an  den  Glauben.« 
üeber  Gott  S.  435:    »Man  hat  Gott  nach  und  nach,    besonders 
in  der  scholastischen  Periode  und   später,   angekleidet  mit  allerlei 
Qualitäten.    Die  Aufklärung  aber  hat  genöthigt,    ihn  wieder  aus- 
zukleiden, ein  Stück   nach   dem  andern,   und  man  zöge  ihn  gern 
ganz  aus,  wenn  nicht   der  Skrupel  wäre,  es  möchte  sich  tlAnrx  er»- 
geben,  dass  blos  Kleider  wären  und  nichts  darin«  (sie). 

(BehhiBe  folgt) 


I'-  3.  HEIDEIBERGER  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Frauenstädt:  Sehopenliaiier's  NacMass. 

(ßohlllBS.) 

>Nim  sind  zwei  unleugbare  Gewänder  d.  h.  nnzertrennliche  Qualitä- 
tenGottes,  Personalität  undEaasalität.  Die»e  müssen  immer 
im  Begriff  Gottes  vorkommen,  sind  die  noth wendigsten  Merkmale ; 
sobald  man  sie  wegnimmt,  kann  man  wohl  noch  von  Gott  reden, 
ik  aber  nicht  mehr  denken.  Ich  aber  sage :  In  dieser  zeitlichen, 
siimliclien,  verständlichen  Welt  gibt  es  wohl  Persönlichkeit  und 
Kaisalität,  ja  sie  sind  sogar  nothwendig.  Aber  das  bessere  Be- 
wiöstsein  in  mir  erhebt  mich  in  eine  Welt,  wo  es  weder  Persön- 
lichkeit und  Kausalität,  noch  Subject  und  Object  mehr  gibt  (sie). 
Meine  Hoffnung  und  mein  Glaube  ist,  dass  dieses  bessere,  über- 
^iimliche,  ausserzeitliche  Bewusstsein  mein  einziges  werden  wird: 
^arum  hoffe  ich,  es  ist  kein  Gott  (sie).  Will  man  aber  den  Aus- 
toick  Gott  symbolisch  gebrauchen  für  jenes  Bewusstein  selbst, 
oder  f&r  Manches,  das  man  nicht  zu  sondern  und  zu  benennen 
^i«s,  80  mag*8  sein,  doch,  dächt  ich,  nicht  unter  Philosophen.  <  Ist 
•üe  Negation  der  Persönlichkeit  und  Kausalität,  des  Subjectes  und 
öbjectes  »Bewusstsein«?  Ist  sie  nicht  vielmehr  Nichts,  wie  auch 
3.  anderwärts  seinen  Himmel  das  Nichts  genannt  hat?  Ist  das 
Nichts  Bewusstsein  oder  gar  besseres  Bewusstsein?  Wenn  Scho- 
penkuer  den  Ausdruck  Gott  in  der  Philosophie  tadelt,  was  soll 
^t^  zn  seinem  Bewusstsein  sagen,  dessen  Wesen  darin  besteht, 
lein  Bewusstsein  zu  sein  ?  In  ähnlicher  Excentrität  kann  darum  S. 
3.  440  sagoi:  >Wer  die  Wahrheit  liebt,  hasst  die  Götter, 
120  Singular,  wie  im  Plural.«  S.  441:  »Gott  ist  in  der  neuen 
PUbsophie,  was  die  letzten  fränkischen  Könige  unter  den  Majores 
iomns,  ein  leerer  Name,  den  man  beibehält,  um  bequemer  und 
^angefochtener  sein  Wesen  treiben  zu  können.«  ...  »Wenn  ihr 
weiter  nichts  wollt,  als  ein  Wort,  bei  dem  ihr  euch  enthusiasmirt 
nad  in  Verzückung  gerathet;  so  kann  dazu  das  Wort  Gott,  so 
gttt  wie  andere,  als  Schiboleth  dienen.«  ...  »Gott  und  die  Welt  ist 
Em<  ist  »bloss  eine  höfliche  Wendung,  dem  Herrgott  den  Abschied 
w  geben ;  denn  die  Welt  versteht  sich  von  selbst ,  und  für  die 
*ifd  Keiner  dabei  besorgt  werden.«  Heber  die  Beschaffenheit  des 
Willens  als  des  Dinges  an  sich  und  den  Pessimismus  S.  441: 
»Die  Machti  die  uns  in's  Dasein  rief,  muss  eine  blinde  sein, 
^^  eine  sehende,  wenn  eine  äusserliche,  hätte  ein  boshafter 
LYm.  Jfthrg.  L  Heft.  3 


84  FrAuenst&dt:  Schopeahaner^s  KaehlASs« 

Dämon  sein  müssen;  und  eine  innerliche,  also  wir  selbst,  h&tten 
sehend  uns  nie  in  eine  so  peinliche  Lage  begeben.  Aber  reiner 
erkenntnissloser  Wille  zum  Leben,  blinder  Drang,  der  sieh  so  ob- 
jectivirt,  ist  der  Kern  des  Lebens.«  ....  »Wenn  ein  Gott  diese  Welt 
gemacht  hat,  so  m5chte  ich  nicht  der  Gott  sein :  ihr  Jammer  wfirde 
mir  das  Herz  zerreissen.«  ....  »Denkt  man  sich  einen  schaffenden 
Dämon,  so  wäre  man  doch  berechtigt,  anf  seine  Schöpfung  weisend, 
ihm  zuzurufen:  »Wie  wagtest  du  die  heilige  Buhe  des  Nichts  ab- 
zubrechen, um  eine  solche  Masse  yon  Weh  und  Jammer  hervorza- 
rufen?«  Kann  denn,  fragen  wir,  ein  »Nichts«  in  »heiliger  Buhe«  sein  ? 
ünserm  Schopenhauer  geht  beim  Anblick  je  des  Thieres, 
am  meisten  dem  der  Hunde,  Vögel,  Lisecten  u.  s.  w.  »das  Herz« 
auf.  Der  »Anblick  des  Menschen  hingegen  erregt  fast  immer« 
seinen  »entschiedenen  Widerwillen«  (S.  451).  Zur  Lebensweis- 
heit (S.  454):  »Ln  Menschen  ist  auch  eine  verehrende  Ader«, 
hat  »Göthe  irgendwo  gesagt.  Um  diesem  Triebe  zur  Ver- 
ehrung Genüge  zu  thnn,  auch  bei  denjenigen,  welche  für  das  wirk- 
lich Ehrwürdige  keinen  Sinn  haben,  giebt  es,  als  Surrogat  desselben, 
Fürsten  und  fürstliche  Familien,  Adel,  Titel,  Orden  und  Qeld- 
säcke.«  ....  »Stolz  ist  sehr  nöthig  gegenüber  der  Dummdreistig- 
keit.« ....  »Du  sollst  die  Menschen  ansehn,  wie  Wesen,  die  nicht 
deines  Gleichen  sind,  und  demnach  sie  die  Distanz  bewahren  heissen« 
(S.  456).  üeber  Geist  und  Bildung  S.  462:  »Die  Journal- 
kritik hat  nicht,  wie  sie  wähnt,  Macht  über  das  ürtheil, 
sondern  bloss  auf  die  Aufmerksamkeit  des  Publikums;  daher 
ihr  einziger  Gewaltstreich  im  Schweigen  besteht.  Hingegen  mnss 
jedem  Schriftsteller  yon  Verdienst  ihr  Tadel  eben  so  willkommen 
sein,  wie  ihr  Lob.«  Ueber  Gelehrsamkeit  S.  467:  »Wie  tief 
stellt  es  uns  unter  die  Alten,  dass  das  Hauptsächlichste  unserer 
Gelehrsamkeit  darin  besteht,  die  Sprache  zu  verstehen,  die  damals 
jeder  Lastträger  sprach.«  üeber  sich  selbst  S.  476:  »Dass  ich 
auf  die  völlige  Neuheit  meiner  Lehren  stolz  bin,  ist  nur,  weil  ich 
von  ihrer  Wahrheit  die  festeste  üeberzeugung  habe.«  »Natura  nihil 
agit  frustra.  Warum  denn  gab  sie  mir  so  viele  und  tiefe  Gedankeni 
wenn  solche  keine  Theilnahme  unter  den  Menschen  finden  sollen?«  ...« 
»Das  Publikum  der  Zeitgenossen  ist  mir  zu  gross,  wenn  ich 
zu  Allen,  zu  klein,  wenn  ich  zu  denen  reden  soll,  die  micli 
fassen.«  S.  478:  »Das  Schicksal  meiner  Philosophie  und  das  dei 
Göthe^ sehen  Farbenlehre  beweisen,  was  ftir  ein  schnöder  und  nichts^ 
würdiger  Geist  in  der  deutschen  GelehrtenrepabliM 
herrschend  ist. «  üeber  andere  Denker  im  Vergleiche  mit  sied 
selbst  S.  477:  »Das  deutsche  Publikum  hat  eine  Wahlverwandt- 
schaft zum  Geistlosen:  darum  hat  es  die  Herren  Fries,  Hegel 
Krug,  Herbart,  Salat  u.  s.  w.  fleissig  gelesen,  aber  mic] 
unberührt  gelassen.«  ungeachtet  viel  Wahres  und  manche 
Neue  in  den  Aphorismen  und  Fragmenten  enthalten  ist,  a^ 
mögen  doch  viele   von   den   hier  mitgetheilten   genügen,   um   dal 


Sekopenliauer:  Die  Witfiel  des  BatMs  tom  cvreleliaiideii  Qrtuide.  85 

Mhge  Licht  auf  das  baroke,  selbstgeföUige  nnd  Andern  gegen- 
flber  mOglichsi  geringschätzende  Wesen  Schopenhaner's  und  seiner 
Mosophie  zn  werfen.  v.  Reichlin-Meldegg. 


üiUr  die  vierfache  Wurtd  des  Saizea  v<m%  zureichenden  Grunde, 
EmephUosophüeheAbhandlung  von  Arthur  Schopenhauer. 
Dritte,  verbesserte  und  verwehrte  Auflage*  Herausgegeben  von 
Julius  Frauensiädt  Leipzig:  F.  A.  Brockhaus.  1864. 
XVI  u.  160  8.  8. 

Mit  Tcnüegender  Abhandhmg  erwarb  sich  Arthur  Schopenhauer 
im  Jahre  1813  die  philsosophische  Doctorwtlrde.  Sie  zeichnet  sich, 
wie  alle  Schriften  dieses  genialen  Denkers,  durch  Kenntnisse  und 
phüoflophischen  Forschungsgeist  aus,  wenn  man  auch  dem  Systeme 
teselben  weder  beizupflichten,  noch  dessen' paradoxe  und  baroke 
fixtravaganzen  zu  billigen  im  Stande  ist.  Man  darf  diesen  Philo- 
sophen weder  ftber-  noch  unterschätzen.  Man  unterschätzt  ihn, 
irenn  man  ihn ,  wie  Manche  wegen  seiner  Excentritäten  gethan 
kaben,  zu  einem  Narren  machen  ¥nll.  Man  überschätzt  ihn,  wenn 
man  entweder  den  Principien  und  dem  Inhalte  seines  Sjstemes 
hddigt  und  hierin  das  Heil  der  philosophischen  Weltanschauung 
eilennt,  oder  wenn  man  ihn  überhaupt  gleich  Kant,  J.  G.  Fichte, 
8ebelling  und  Hegel  in  die  Reihe  Epoche  machender  Denker 
stellt.  Schopenhauer  hat  geniale  EinfHUe,  neue  Gedanken,  die  zu 
weiteren  Forschungen  anregen,  überall  aber,  wo  er  eine  abge- 
lAloflsene  Weltanschauung  geben  will,  mischt  sich  seine  eigene 
Selbstüberschätzung  und  seine  morose,  krankhaft  nervöse  Verach- 
tong  alles  dessen  ein,  was  nicht  seiner  Meinung  ist.  Er  gleicht 
tei  Theologen,  die  über  den  Papst  schimpfen,  und  doch  in  ihrer 
eigenen  Lehrmeinung  sich  so  geriren,  als  wenn  das  extra  papam 
mlla  Salus  in  ihnen  selbst  verkörperlicht  wäre. 

Im  Jahre  1847  erschien  von  Schopenhauer  selbst  die  zweite 
Ausgabe  dieser  Inaugnralabhandlung.  Was  der  26jährige  Jüngling 
1B13  geschrieben  hatte,  wollte  der  66jährige  Mann  yerbessert  und 
erweitert  erscheinen  lassen.  Von  dieser  zweiten  Ausgabe  besass 
Schopenhauer  ein  mit  Papier  durchschossenes  Exemplar.  Dieses 
entbielt  für  eine  etwaige  neue  Auflage  bestimmte  Aimierkungen  und 
Zoä&tze.  Aus  diesem  Exemplare  entstand  die  dritte  verbesserte 
md  Termehrte,  von  J.  Frauenstädt,  dem  Erben  des  Schopen- 
baoer'sehen  Nachlasses,  herausgegebene  Auflage.  Auch  in  ihr  zeigen 
sieb  jene  cbarakteristischen  Merkmale  der  eigenen  üeberschätzung 
uid  leidenschaftlicher,  unbegründeter  Herabwürdigung  der  be- 
deutendsten Philosophen  unserer  Zeit,  welchen  man  mehr  oder 
vüiider  in  allen  seinen  Schriften  begegnet,  und  welche  beimoresen, 
Alf  ihre  Studirstube  und  einen  kleinen  Umgangskreis  beschränkten 


86  SehopeAhauer:  Dit  Warial  dti  Batiat  vom  nrekhoidea Grua«. 

C^bat&ren  sich  nicht  selten  finden.  Befer.  will  hier  znm  Belege 
nur  einige  SteUen  aus  der  vorliegenden  Abhandlung  anftüiren. 

So  sagt  Schopenhauer  yonHegel:  »Ein  so  durchweg  er- 
bärmlicher Patron,  wie  Hegel,  dessen  ganze  Philoso- 
phasterei  eigentlich  eine  monströse  Amplifikation  des  onto- 
logischen  Beweises  war«  (S.  12).  >  Will  dich  Verzagtheit  anwandehi, 
so  denke  nur  immer  daran,  dass  wir  in  Deutschland  sind,  wo  man 
gekonnt  hat,  was  nirgend  anderswo  möglich  gewesen  wäre,  näm- 
lich einengeistlosen  (sie),  unwissenden  (I!),  ünsinnschmie- 
renden  (H),  die  Köpfe  durch  beispiellos  hohlenWort- 
kram  (I)  von  Grund  aus  und  auf  immer  desorganisi- 
renden  Philosophaster  (!!),  ich  meine  unsem  theuem  Hegel, 
als  einen  grossen  Geist  und  tiefen  Denker  suszoschreien:  und  nicht 
nur  ungestraft  und  unverhöhnt  hat  man  das  gekonnt ;  somdem  wahr- 
haftig, sie  glauben  es,  glauben  es  seit  30  Jahren  bis  actf  den  heu- 
tigen Tag.«  Er  will  seine  Forschungen  nicht  identifidren  lassen 
mit  J.  G.  Fichte's  algebraischen  Gleichungen  zwischen  Ich  und 
Nichtich,  mit  dessen  sophistischen  Scheindemonstratio- 
nen, die  der  Hülle  der  ünverständlichkeit,  ja  des  Un- 
sinns bedurften  (!!!),  um  den  Leser  zu  gewinnen,  »mit  sämmt* 
liehen  Possen  der  Wissenschaftslehre«  (sie)*  Er  »protestirt gegen 
alle  Gemeinschaft  mit  diesem  Fichte.«  »Mögen  immerhin 
Hegelianer  und  ähnlichelgnoranten  (sie)  von  einer  Kant- 
Fichte'schen  Philosophie  reden  (!):  es  gibt  eine  Kantiiscbe  Philo-' 
Sophie  und  eine  Fiehte'sche  Windbeutelei  (I!)  —  das  ist 
das  wahre  Sachrerhältniss«  u.  s.  w. 

Von  Hegel  heisst  es  S.  112:  »Ein  frecher  ünsiiin- 
schmierer,  wie  Hegel«  (sie),  üeber  die  neuere  philosophische 
L  iter atur  lesen  wir  S.  112  das  Urtheil  mit  Bezug  auf  die  Hegel'sefae 
Philosophie :  » Dergleichen  Narrenspossen  also  sind  es,  welche  seit 
50  Jahren  (sie),  unter  dem  Namen  von  Vemunftevkexintnissen,  bzeit 
ausgesponnen.  Hunderte  sich  philosophisch  nennender  Bttchw  fallen 
und,  man  sollte  meinen,  ironischer  Weise  Wissenschaft  und  wissae 
schaftlich  genannt  werden,  sogar  mit  bis  zum  Eckel  getriebener 
Wiederholung  dieses  Ausdrucks.«  S.  113  sagt  der  Herr  Veit: 
»Der  frechste  von  allen,  der  bekannte  Gharlatan 
HegeL«  Er  redet  S.  117  spöttisch  vom  »Baesengeist Hegel«,  dem 
»grossen  Schleiermacher«  und  dem  »scharfsinnigen  Herbart«  und 
klagt  darüber,  dass  »der  guten,  gläubigen,  urtheilslosen  Jugend 
mittelmässigeKöpfe,  blosse  J'abrikwaaren  derNatur, 
als  grosse  Geister,  als  Ausnahmen  und  Zierden  der  Menschheit  a»* 
gepriesen  werden.«  S.  124  wird  von  »Hegerschem  Wi&chi- 
Waschi«  gesprochen.  Zu  diesen  Belegendes  ürtheils  über  ondeie 
fügt  Befer.  Belege  dafür  bei,  wie  Schopenhauer  über  sieb 
selbst  urtheilt.  S.  50:  »In  keinem  der  seit  1841  erschienenen 
Producte  ihrer  unnützen  Vielschreiberei  ist  meiner  Ethik  mitetaem 
Worte  erwähnt,  obwohlsie  unstreitig  das  Wichtigste  (U)  istj 


8el«p6ahftvttrt  Die  Wvnel  im  flftiMs  vom  moMkndm  Qrvmät,  87 

wftf  seit  60  Jahren  in  der  Moral  gesohehen:  ja  lo gross 
ist  ihre  JLngst  vor  mir  nnd  meiner  Wahrheit  (sie),  Abm  inkei- 
Mr  der  Yon  üniTersitAten  oder  Akademien  ausgehenden  Literatnr- 
nttmigen  das  Bneh  auch  ntir  angezeigt  worden  ist.«  8.  51:  »Sie 
(die  FhiloBophieprofesBoren)  wollen  von  mir  nichts  lernen  nnd  sehen 
sidit,  wie  sehr  yiel  sie  von  mir  zu  lernen  hätten:  alles  das 
Bimlieh,  was  ihre  Kinder,  Enkel  nnd  Urenkel  (sie) 
Ton  mir  lernen  werden.«  Er  spricht  8.  88  ron  seiner  in 
dieser  Sdirifk  »gegebenen  ehrlichen  nnd  tief  gründlichen 
AnflOsong  der  empirischen  Anschairang.«  Ref.  könnte  noch  eine 
groeee  Anzahl  solcher  Belege  ans  dieser  Abhandlnng  anfzfthlen.  Er 
begnügt  sich  mit  den  angefUirten. 

Von  den  BabjecÜTen  Ansohaunngen  des  Verfassers  geht  Bei  znm 
wiseensdiafUichen  Inhalte  der  8chiift,  ihren  objectiren  Leistun- 
gen Aber. 

Der  üntersnchnng  über  den  8atz  vom  zureichenden 
firnnde  geht  eine  Einleitung  Toraus.  Biese  behandelt  dieMeth  ode, 
ihre  Anwendung,  ihren  Nutzen,  die  Wichtigkeit  des 
Sattes  Tom  Grunde  und  den  8atz  selbst  (8.  1— 5).  Die 
Methode  alles  Phüosophirens  hat  zwei  Gtewize,  das  der  Homo* 
geneitftt  und  das  der  8pecifikation.  In  der  Lehre  rom  zu- 
reiehenden  Gnmde  wird  vom  Verfasser  als  eine  Hauptquelle  des 
brthams  erkannt,  dass  man  sich  nur  an  die  Homogeneität  hielt, 
ohne  die  Specifikation  genau  zu  erkennen.  Er  sucht  darum  diesen 
(inmdaatz  nicht  aus  einer,  sondern  aus  yerschiedenen  Quellen 
abzoleiten.  Ifit  Becht  bezeichnet  er  den  Satz  vom  zureichenden 
Ottinde  als  die  Grundlage  aller  Wissenschaft.  Er  erblickt  in  ihm 
den  »gemeinschaftlichen  Ausdruck  mehrerer  a  priori  gegebener  Er- 
hnntnisse«  und  stellt  für  diesen  8atz  die  Wolfische  Formel  als 
die  allgemeinste  auf:  »Nihil  est  sine  ratione,  cur  potius  sit,  quam 
»n  Sit.  Nichts  ist  ohne  Grund,  warum  es  sei«  (8.  5).  Nach  der 
Einleitung  im  ersten  Kapitel  folgt  im  zweiten  die  Ueber- 
sieht  dessen,  was  ȟber  den  8atz  vom  zureichenden  Grunde  bisher 
gelehrt  wurde.«  (8.6—24).  Es  werden  hier  Andeutungen  Plato's 
ond  Aristoteles'  aus  den  Quellen,  die  Ansichten  des  Oarte- 
sins  und  8pinoza  darüber  gegeben.  Leibnitz  hat  zuerst  den 
Satz  Tom  Chrunde  als  einen  Hauptgrundsatz  aller  Erkenntniss  und 
Wifisensehaft  aufgestellt.  Die  Hauptquelle  ist  in  seinen  principiis 
philoeophiae  g.  32  und  »ein  wenig  besser  in  der  französischen  Be- 
•iWtung  derselben,  überschrieben  Monadologie«  (8,  17).  Dann 
folgen  Wolff,  die  Philosophen  zwischen  Wolff  und  Kant, 
Kant  und  seine  8chule,  die  Ansichten  G.  E.  8chulze's,  F.  H. 
Jacobi's,  Sohellings  und  die  Unmöglichkeit  eines  sogenann- 
ten Beweises  für  den  8atz  vom  Grunde,  da  es  zuletzt  gewisse  Be- 
^isgongen  alles  Denkens  und  Erkennens  gibt,  »aus  deren  Anwen- 
dong  mithin  alles  Denken  und  Erkennen  besteht,  so  dass  Ge¥riss- 
beit  inohts  weiter  ist ,   als  Uebereinstimmung  mit  ihnen ,  folglich 


88  Schopenhauer:  Die  Wurzel  des  Satses  vcm  rarelehendcn  Gnade. 

ihre  eigene   Gewissheit  nicht  wieder   ans    andern  Sätzen  eriieUen 
kann«  (S.  23). 

ünyerkennbar  zeugt  die  Abhandlung  von  dem  philosophischen 
Tact  des  scharfsinnigen  Herrn  Verf.,  weil  man,  um  die   Wahrheit 
nicht  nur  aller  philosophischen  Systeme ,   sondern   aller  und  jeder 
Erkenntniss  und  Wissenschaft   zu  prüfen,  auf  diesen  Satz  zurOck- 
gehen  muss  und  gerade  diese  Lehre  noch  immer  ungenügend  unter- 
sucht worden  ist.  Im  dritten  Kapitel  gibt  der  Herr  Verf.  die 
»Unzulänglichkeit  der  bisherigen  Darstellung  und  den  Entwurf  einer 
neuen.«  Zuerst  werden  Fälle  aufgezählt,  die  unter  den  bisher  auf» 
gestellten  Bedingungen  des  Satzes  nicht  begriffen  sind ;  dann  wird 
als  die  Wurzel  des  Satzes  vom  zureichenden  Grunde  S.  27  Folgendes 
l)ezeiohnet:  >  unser  erkennendes  Bewusstsein  als  äussere  und  innere 
Sinnlichkeit  (Beceptivität),  Verstand  und  Vernunft  auftretend,  zer- 
fällt in  Subject  und  Object  und  enthält  nichts  ausser  dem  Object 
für  das  Subject.     Sein  und  unsere  Vorstellung  sein  ist  das  Selbe. 
Alle  unsere  Vorstellungen  sind  Objecto   des  Subjects  und  alle  Ob- 
jecte  des  Subjects  sind  unsere  Vorstellungen.  Nun  aber  findet  sich, 
dass  alle  unsere  Vorstellungen  unter  einander  in  einer  gesetzmässigen 
und    der  Form   nach   a   priori   bestimmbaren  Verbindung   stehen, 
vermöge   welcher   nichts   für  sich  Bestehendes  und   unabhängiges, 
auch  nichts  Einzelnes   und  Abgerissenes   Object  für  uns   werden 
kann.«  »Diese  Verbindung  ist  es,  welche  der  Satz  vom  zureichen- 
den Grunde  in  seiner  Allgemeinheit   ausdrückt.«     Dieses   ist  »das 
Gemeinsame«   fttr   diesen  Satz,    obgleich   derselbe   »je   nach  Ver- 
schiedenheit der  Art   der   Objecte«    »verschiedene   Gestalten«   an- 
nimmt.   Die  verschiedenen  diesem  Satze  zu  Grunde  liegenden  Ver^ 
hältnisse  bilden  seine  »Wurzel.«  Die  Objecte  in  ihren  verschiedenen 
Verhältnissen,   welche  diesem  Satze  zu  Grunde  liegen,  lassen  sich 
»auf  vier   Klassen   zurückfahren;    denn  in   diese   vier   Klassen 
zerföllt   Alles,    was  für  uns  Object  werden  kann,   also  alle  unsere 
Vorstellungen.    In  jeder  dieser  vier  Klassen  nimmt  der  Satz  vom 
zureichenden  Grunde  eine  andere  Gestalt  an.« 

Das  vierte  Kapitel  enthält  »die  erste  Klasse  der  mög- 
lichen Gegenstände  unseres  Vorstellungsvermögens«,  die  »der  an- 
schaulichen, vollständigen,  empirischen  Vorstel- 
lungen« (S.  28—96).  Gegenüber  dieser  ersten  Klasse  der  Vor- 
stellungen, welche  für  uns  die  Sinnenwelt  bilden,  tritt  der  Satz 
vom  Grunde  »als  Gesetz  der  Causalität«  auf  und  wird  von  Schopen- 
hauer der  »Satz  vom  zureichenden  Grund  des  Werdens,  prin- 
cipium  rationis  sufficientis  fiendi«,  genannt.  Der  Charakter  einer 
einzelnen  sinnlichen  Erscheinung  ist  nämlich  Veränderung.  Die 
Objecte  sind  hier  in  der  »Zeit«  mit  einander  verknüpft.  Einem 
neuen  Zustand  muss  ein  anderer  vorhergegangen  sein,  auf  welchen 
der  neue  regelmässig  d.  h.  allemal,  so  oft  der  erste,  andere  Zu- 
stand da  ist,  folgt.  Ein  solches  Folgen  ist  ein  Erfolgen,  der 
erste  Zustand  ist  die  Ursache  (immer  unpassend  bei  S.  Urs  ach 


Sehopaihaiier:  Dum  WvimI  das  Satees  vom  fi»r«lch«iid«a  Oinnde.  M 

genumt),  der  xweite  die  Wirkung.  Der  Eintritt  eines  Zustande» 
in  den  neuen  ist  Verftnderung.  Das  Gksetz  der  Causalität  ist  daher 
in  >aaaBchlie8Blicher  Beziehung  auf  Yeränderungenc  und  »hat 
N  stets  nur  mit  diesen  lu  thun.«  Jede  Wirkung  ist  »Yerilnde- 
nog«,  ihre  Ursache  ist  »Veränderung«  und  so  fort  »erscheint  die 
Katte  der  Causalitftt  anfangslos.«  Befer.  ist  mit  dieser  Anschan* 
ong  nicht  einTerstanden.  Wenn  man  nach  den  Ursachen  der  Er- 
scheinungen, also  der  Veränderungen  firagt ,  so  kann  man  sich  mit 
denjenigen  nicht  begnügen,  welche  wieder  den  Charakter  der  Ver- 
Inderong  an  sich  tragen,  also  wieder  eine  Ursache  yoraussetzen. 
Die  eigentliche  Ursache  dieser  Wirkungen  kann  nur  die  letzte  sein 
ud  die  Kette  der  Ursachen  und  Wirkungen  in  der  Natur  nicht 
in's  Endlose  gehen.  Aus  Nichts  wird  nichts.  Nach  dem  Herrn 
Ter&aser  wird  das  Werdende  aus  dem  Werdenden.  Dieses  selbst 
aber  kann  nicht,  wie  der  Herr  Verf.  meint,  in  Ewigkeit  aus  dem 
Werden  werden;  denn  nur,  wo  etwas  ist,  also  ein  Sein,  ein  Be- 
kanendes,  ein  Unveränderliches,  sich  gleich  Bleibendes  ist,  ist  auch 
dte,  ans  dem  Alles  wird,  folglich  die  eigentliche  Ursache  der  Wir- 
kong,  die  man  Werden  oder  Veränderung  nennt.  Kommt  man 
doch  selbst  auf  diesem  Wege  auf  den  yerschiedentlich  gestaltbaren 
üntoff  und  auf  die  an  sich  gleiche ,  in  unendlich  yerschiedenen 
Wirfcnngen  oder  Veränderungen  sich  offenbarende  Naturkraft.  Er- 
bimt  doch  der  Herr  Verf.  selbst  die  Materie  und  die  Natur- 
kr&fte  als  die  »Träger  aller  Veränderungen«,  als  das,  »woran 
diese  yorgehen«,  an.  Wenn  der  Herr  Verf.  nun  in  der  Materie  und 
den  Naturkräften  keine  Ursache  für  die  Veränderungen  erkennt, 
list  er  solches  erst  zu  beweisen.  Denn  das  ist  ja  die  Frage ,  ob, 
wie  er  behauptet,  die  Ursache  allemal,  wie  auch  ihre  Wirkung,  ein 
Etnzehes,  eine  einzelne  Veränderung  sei.  Auch  das  »Allgemeine, 
unveränderliche,  zu  aller  Zeit  und  überall  Vorhandene«  ist  eine 
md  zwar  die  letzte  und  eigentliche  Ursache  und  ohne  diese  lässt 
■ich  ja  kein  Werden,  keine  Veränderung  denken.  Die  Ursache  des 
Werdens  lässt  sich  darum  nicht  als  eine  besondere  von  dem,  was 
mn  Sein  f&hrt,  trennen ;  denn  es  gibt  kein  Werden  ohne  Sein  und 
Sein  ist  die  Ursache  des  Werdens,  da  ja  Werden  selbst  gar  nichts 
«tderes,  als  eine  Umgestaltung  des  Seins,  ein  Uebergehen  aus  einem 
Zostande  des  Seins  in  den  andern,  ist.  Allerdings  sind  alle  diese 
Zost&nde  Veränderungen,  aber  sie  sind  alle  so  lange  nur  Wirkun- 
gen, bis  wir  das  Sein,  an  welchem  und  durch  welches  sie  sich  als 
Veränderungen  darstellen,  gefunden  haben. 

Das  Organ  der  Erkenntniss  ist  fUr  die  Erscheinungswelt  der 
»Verstand«,  die  Sirmlichkeit  gibt  nur  die  »unbedeutende  Anregung.« 
Nach  des  Refer.  Dafürhalten  lässt  sich  die  Sirmlichkeit  nicht  so 
▼om  Verstände  trennen,  dass  erstere  die  Nebensache  ist.  Der 
Verstand  ohne  Sinnlichkeit  weiss  nichts  von  einer  Erfahrungswelt. 
Allerdings  sind   die   sinnlichen  Erkermtnisse  des  Menschen  keine 


40  SehopenkAner:  Die  Wund  ^b  Satsas  ymn  mreidkettdiMi  Gniada. 

Erkenntnisse  ohne  den  Verstand;   aber   sie   sind  auch  keine  £r- 
kenntnisee  und  können  nie  solche  werden  ohne  die  Sinne. 

Das  fünfte  Kapitel  behandelt  den  Satz  vom  Grande  in 
seiner  zweiten  Gestalt  oder  im  Yerhihltnisse  zudenObjecten 
der  zweiten  Klasse  (S.  99—129).  Diese  Objecte  sind  »die 
Begriffe  der  Yemunfb«,  die  »abstracten  Vor  Stellungen  im  Gegensatz 
der  anfichaolichen.«  Das  Denken  im  eigentlichen  Sinne  besteht 
nicht  in  der  blossen  Gegenwart  von  Begriffen  im  Bewnsstsein»  son- 
dern im  Verbinden  und  Trennen  derselben.  Es  wird  ein  Verhäli- 
niss  der  Begriffe  unter  einander  angefunden  und  ein  solches  ist 
das  Urtheil.  Dem  ürtheile  steht  der  Satz  Tom  zureichenden  Grande 
gegenüber.  Er  ist  hier  Grund  des  Erkennens,  principium  rationis 
sufiioientis  cognoscendi.  Man  spricht  hier,  im  Denken,  im  Ürtheile 
nicht  von  Ursache  und  Wirkung,  wie  beim  Werden  oder  der  Ver- 
änderung, sondern  YOtL  Grund  und  Folge.  Die  Gründe  lassen 
sich  in  vier  Arten  theilen  und  nach  diesen  ist  die  Wahrheit,  die 
sich  auf  sie  stützt,  eine  andere.  Es  wird  1)  die  logische  oder 
formale,  2)  die  empirische,  3)  die  tr  anscendentale,  4)di6 
metalogische  Wahrheit  unterschieden.  Die  transcendentale  Wahr- 
heit ist  zwar  eine  materiale;  aber  sie  ist  nicht  empirisch,  weil 
sie  sich  auf  die  »im  Verstände  und  der  reinen  Sinnlichkeit  liegenden 
Formen  der  anschauenden,  empirischen  Erkenntniss  stützt«  (S.  108). 
Solche  Formen  sind  nach  dem  Herrn  Verf.  »Baum  und  Zeit«  ond 
das  »Gesetz  der  Causalität.«  Diese  Apriorität  ist  aber  noch  zn  ei^ 
weisen,  da  Baum  mid  Zeit  nur  so  lange  etwas  sind,  als  die  Dinge, 
mit  denen  sie  als  gegeben  erscheinen.  Baum  und  Zeit  bleiben 
nicht  mehr  übrig,  wenn  man  die  Dinge  wegdenkt,  so  wenig,  als 
das  Gesetz  der  Causalität.  Ob  solche  ürtheile  rein  transoendental 
Qind,  wie  die  der  reinen  Mathematik,  ist  erst  noch  die  Frage.  Wenn 
der  Grund  eines  Urtheils  die  »in  der  Vernunft  gelegenen  formalen 
Bedingungen  alles  Denkens  sind«,  so  entsteht  das,  was  »metalo- 
gische Wahrheit« -genannt  wird.  Es  sind  vier  ürtheile,  weiche  der 
Herr  Verf.  anführt  und  die  den  so  genannten  4  Denkprincipien  ent- 
sprechen: 1)  »Ein  Subject  ist  gleich  der  Sunune  seiner  Prftdicatei 
2)  einem  Subject  kann  ein  Prädicat  nicht  zugleich  beigelegt  und 
abgesprochen  werden,  3)  von  jeden  zwei  kontradiktorisch  entgegen- 
gesetzten Prädikaten  muss  jedem  Subject  eins  zukonunen,  4)  diö 
Wahrheit  ist  die  Beziehung  eines  urtheils  auf  etwas  ausser  ihm, 
als  seinen  zureichenden  Grund«  (S.  109).  Solche  ürtheile  sind 
aber  logische  und  ihre  Wahrheit  ist  eine  logische  und  zugleich 
materiale  Wahrheit,  wie  die  empirische  Wahrheit  auch  zugleich 
eine  materiale  sein  kann  und  soll.  Der  Hr.  Verf.  nennt  jene  4  Ürtheile 
metalogische  und  ihre  Wahrheit  eine  metalogische  Wahrheit, 
weü  es  bei  der  logischen  Wahrheit  immer  noch  unentschieden 
bleibt,  ob  das  ürtheil,  welches  sich  auf  die  so  genannte  logisohe 
Wahrheit  stützt,  auch  ein  »ürtheil  von  materialer  Wahrheit«  sei 
Deshalb  ist  aber  kein  Grund  vorhanden,  logische  und  metalogische 


SekopeakAuer:  Die  Waiaal  4e8  SaIms  rom  nrcMmdoi  Onad«.  41 

Wahrimt  za  nnteracheiden.  Man  könnte  nur  fonnell  und  matoriell 
wahre,  logische  ürthaile  onterflcheiden.  Soll  die  logische  Wahrheit 
«Be  wirkliche  sein,  so  mnss  sie  eine  Wahrheit  sein,  welche  den 
Denkprinoipien  entspricht.  Sie  ist  erst  dann  wirkliche  Wahrheit, 
wenn  sie  es  nicht  nnr  formal,  sondern  anch  material  ist.  Der  Herr 
Yeif.  eifert  besonders  gegen  jene  nnd  spottet  ftber  die,  welche  die 
Vernunft  als  das  Vermögen  der  Ideen  oder  des  UebersinnHchen 
«Citren.  Ihm  ist  die  Yemunfl  das  Denkvermögen  nnd  der  Ver- 
stand in  Verbindung  mit  der  Sinnlichkeit  das  Vermögen  der  An- 
sekniung  oder  sinnlichen  Erkenntniss.  Durch  den  Verstand  er* 
kennen  wir  die  Sinnenwelt,  durch  die  Vernunft  die  ron  den  Vor- 
staUungen  der  einselnen  Gegenstände  der  Sinnenwelt  abstrahixten 
allgemeinen  Begriffe.  Er  spottet  über  die  Ideen  des  Wahren, 
ehrten  und  Schönen  und  meint,  es  kftmen  solche  Dinge  ron  den 
nm  ihm  Terftchtlich  also  bezeichneten  »Philosophieprofessoren,  um 
ai  Gott  zu  kommen€,  welchen  Gedanken  er  in  möglichst  herab* 
aeUender  Weise  behandelt.  Soheisst  es  S.  112:  »Die  Vernunft, 
der  man  so  frech  alle  solche  Weisheit  anlflgt,  wird  erklärt  als 
ein  Vermögen  des  üebersinnlichen,  auch  wohl  der  Ideen,  kurz  als 
ein  in  uns  liegendes,  unmittelbar  auf  Metaphysik  angelegtes, 
erakalartiges  Vermögen,  üeber  die  Art  ihrer  Perception  aller  jener 
Herrlichkeiten  und  übersinnlicher  Wahrnehmungen  herrscht  jedoch 
seit  50  Jahren  grosse  Verschiedenheit  der  Ansichten  unter  den 
Adepten.  Nach  den  dreistcHten  hat  sie  eine  unmittelbare  Vemunft- 
aDsehauimg  des  Absolutums,  oder  auch  ad  libitum  des  unendlichen 
snd  seiner  Evolutionen  zum  Endlichen.  Nach  anderen  etwas  be- 
ssheideneren  verhalt  sie  sich  nicht  so  wohl  sehend,  als  hörend, 
adeB  sie  nicht  gerade  anschaut,  sondern  blos  vernimmt,  was 
in  solchem  Wolkenkukuksheim  (i/£96iloxofext>^^fa)  vorgeht  und  dann 
dieses  dem  so  genannten  Verstände  treulich  wieder  erzählt,  der 
darnach  philosophische  Compendien  schreibt«  Muss  man  desshalb 
das  Kind  mit  dem  Bade  ausschütten,  weil  die  Thfttigkeit  derVer- 
Bunft  gegenüber  dem  üebersinnlichen  verschieden  auf gefasst  worden 
ist  nnd  die  Ideenlehre  zu  verschiedenen  phantastischen  und  unbe- 
gründeten Ansichten  geführt  hat?  S.  113:  »Dem  Deutschen,  wenn 
man  ihm  von  Ideen  redet  (zumal,  wenn  man  üedähen  ausspricht) 
ftngt  an  der  Kopf  zu  schwindeln,  alle  Besonnenheit  verläset  ihn, 
ihm  wird,  als  soUe  er  mit  dem  Luftballon  aufsteigen.  Da  war 
also  etwas  zu  machen  für  unsere  Adepten  der  Vemunftanschauung ; 
daher  auch  der  frechste  von  allen,  der  bekannte  Charlatan  Hegel  (!), 
sein  Princip  der  Welt  und  aller  Dinge  ohne  weiteres  die  Idee  ge- 
oaant  hat,  woran  dann  richtig  Alle  meinten  etwas  zu  haben.«  Auf 
was  kann  man  denn  die  Dinge,  ihre  Zustände,  Veränderungen,  Be- 
üehnngen,  ürsjwjhen  und  Wirkungen  anders,  als  auf  Ideen  oder 
Begriffe  snrüekführen  ? 

Und    ist   nicht  die  Idee  das  Sein   sollende  oder  die  Vollkom- 
mfloheitsYarsteUang  gegenüber  dem  theilweise  Unvollkommenen  und 


4)  Schopenhauer:  Die  Wursel  des  8*t0es  vom  rareiehenden  Gnmde. 

Beschiünkten  der  endlichen  Erscheinungen?  Sprechen  nicht  die 
Thatsachen  des  Gewissens,  der  Ennst,  der  Beligion,  der  Wissen- 
schaft ftlr  die  Idee  des  Gnten,  Schönen  nnd  Wahren  ?  Kann  man 
die  Welt  ohne  eine  Idee  der  Welt  erkennen?  Ist  also  hier  nicht 
die  Idee  das  Princip  der  Welt?  Ideen  liegen  der  Grestaltong  der 
Welt  zu  Grande  nnd  nur  durch  Ideen  erkennen  wir  sie.  Stehen 
die  Ideen  des  Rechtes,  des  Staates,  der  Freiheit,  Religion,  Wissen- 
schaft nicht  höher,  als  der  Versuch  der  Einzelnen,  sie  ins  Lehen 
zu  führen?  Zu  den  »Lügen«  (sie)  der  übersinnlichen  Ideen  findet 
der  HerrVerf.  S.  119  die  »nächste  Veranlassung«  in  » Kant* s  prak- 
tischer Vernunft«,  »im  kategorischen  Imperativ.«  Er  nennt  die 
Antinomien  »ein  gar  yertraktes  Ding«,  »noch  mehr  aber  die  prak- 
tische Vernunft  mit  ihrem  kategorischen  Imperativ  und  wohl  gar 
noch  die  darauf  gesetzte  Moraltheologie,  mit  der  es  jedoch  Kanten 
nie  Ernst  gewesen  ist.  Da  ein  theoretisches  Dogma  von  ausschliess- 
lich praktischer  Geltung  der  hölzernen  Flinte  gleicht,  die  man  ohne 
Gefahr  den  Kindern  geben  kann,  auch  ganz  eigentlich  zum  »wasch 
mir  den  Pelz,  aber  mach  ihn  nur  nicht  nass«  gehört.«  »War  es 
überhaupt  Kant  darum  zu  thun,  wie  diese  Herren  meinen,  die  Ideen: 
Gott,  Freiheit  und  Unsterblichkeit  zuläugnen?  Wollte  er  nicht  viel- 
mehr in  seiner  von  ihnen  so  angepriesenen  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft  die  Grenzen  des  menschlichen  Wissens  und  Glaubens  be- 
stimmen? Hat  er  nicht  selbst  in  der  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft diese  Ideen,  wenn  auch  nicht  als  konstitutive,  doch  als 
regulative  Principien,  die  einen  Werth  für  den  Menschen  haben, 
wenn  er  sein  Leben  darnach  einrichtet,  bezeichnet?  War  es  ihm 
allein  mit  dem  Heiligsten,  was  Kant  kennt,  mit  dem  »Sittengesetse«, 
das  Schopenhauer  spöttisch  Bürgers  Mamsell  Laregle  nennt,  nicht 
Ernst?  Nicht  Ernst  mit  dem  Höchsten,  was  Kant  kennt,  mit  der 
sittlichen  Natur  des  Menschen  und  der  Begründung  eines  sittlichen 
Vemunftglaubens  durch  sie?  Zieht  sich  nicht  dieser  Faden  audi 
durch  seine  Religion  innerhalb  der  Grenzen  der  Vernunft?  Scho- 
penhauer lobt  es  an  dem  Buddhaismns  und  in  den  beiden  chine- 
sischen Religionen  der  Taossee  und  des  Confucins  (S,  128),  dass 
sie  nichts  von  Gott  wissen  und  kein  Wort  dafür  in  ihrer  Sprache 
haben.  »Wenn  unsere  Philosophieprofessoren,  sagt  er  S.  129, 
die  Sache  anders  verstehen  und  vermoinen,  ihr  Brod  nicht  mit 
Ehren  essen  zu  können,  so  lange  sie  nicht  Gott,  den  Herren,  als  ob 
er  ihrer  bedürfte,  auf  den  Thron  gesetzt  haben  (sie) ;  so  ist  schon 
hieraus  erklftrlich,  warum  sie  an  meinen  Sachen  keinen  Geschmack 
haben  finden  können  und  ich  durchaus  nicht  ihr  Mann  bin;  denn 
freilich  kann  ich  mit  dergleichen  nicht  dienen  und  habe  nicht,  wie 
sie,  jede  Messe  die  neuesten  Berichte  über  den  lieben  Gott  mitza- 
theilen.«  (1 !) 

Das  sechste  Kapitel  stellt  die  dritte  Klasse  der 
Objecto  für  das  Subject  und  die  in  ihr  herrschende 
Gestaltung  des  Satzes  vom  zureichendenGrnnde  dar 


Bek«pflm]i*nflr:  Die  Wnnel  im  Bmtam  Tom  jmntehMiitt  Ommim.  4S 


(&  ISO— 139).  Die  Objeote  der  driUen  KlMse  sind  nach  dem 
Herrn  Vazf.  »die  a  priori  gegebenen  Anechoanngen  der  Formen  des 
Inaern  und  innem  Sinnes,  des  Baumes  und  der  Zeit.c  Baum  und 
Zeit  werden  yon  dem  Herrn  Verf.  ganz  auf  Kant*scher  Gnmdlage 
als  reine  Anschauungen  a  priori  betrachtet.  Sie  sind  >f11r  sich 
und  abgesondert  von  den  vollständigen  Vorstellungen«  d.  h.  Yon 
des  erscheinenden  Dingen,  da  »sogar  reine  Punkte  und  Linien  gar 
nicht  dargestellt,  sondern  nur  a  priori  angeschaut  werden  können, 
Yie  aach  die  unendliche  Ausdehnung  und  unendliche  Theilbarkeit 
des  fiaumes  und  der  Zeit  allein  Gegenstände  der  reinen  Anschau- 
nag  md  der  empirischen  fremd  sind.«  Er  will  darum  die  Anschau* 
QBg  des  Baumes  und  der  Zeit  von  der  »Materie«  trennen;  denn 
ent  mit  dieser  kann  von  Dingen  die  Bede  sein.  Die  Yerstandea* 
focm  der  Causalität,  welche  sieh  auf  die  erste  Klasse  der  Objecto, 
die  »vollständigen  Vorstellungen«  oder  sinnlichen  Dinge  besieht, 
at  hingegen  »nicht  fOr  sich  und  abgesondert  ein  Gegenstand  des 
VorstellnngsvermOgens,  sondern  konunt  erst  mit  und  an  dem  Ma- 
teriellen der  Erkenntniss  ins  Bewusstsein«  (S.  130  u.  131).  Man 
kum  den  Baum  und  die  Zeit  so  wenig  von  den  Dingen  trennen, 
^  die  Dinge  von  Banm  und  Zeit,  Es  sind  keine  Dinge  mehr 
ohne  Raum  und  Zeit.  Aber  der  Baum  und  die  Zeit  sind  eben  so 
nichte  ohne  die  Dinge.  Es  ist  ein  vergeblicher  Versuch,  einen 
Baom  und  eine  Zeit  ohne  Dinge  anzuschauen,  von  Punkten,  Linien, 
Theilen  des  Baumes,  Lagen  und  Zeitepochen  ohne  Dinge  ssu  spre- 
chen. Es  sind  nicht  nur  keine  reinen,  sondern  überhaupt  gar  keine 
Anschauungen.  Wenn  zur  Anschauung  des  Baumes  und  der  Zeit 
Knge  gehören,  und  die  Dinge  nur  durch  die  Erfahrung  erkannt 
werden,  so  kann  man  nicht  sagen,  dass  Baum  und  2ieit  Anschau- 
ongen  vor  der  Erfahrung  in  uns  sind ;  sie  können  in  uns  nie  ohne 
Er&hrung  entstehen  und  sind  von  aller  und  jeder  Erfahrung  un* 
lertrennlich.  Wenn  auch  ein  iimerer  Factor,  eine  Entwicklungs- 
Uigkeit  räumlicher  und  zeitlicher  Anschauung,  in  unserem  Vor- 
stellnngsvermögen,  liegen  muss,  so  folgt  daraus  noch  nicht,  dass 
diese  Fähigkeit  schon  die  Anschauung  des  Baumes  und  der  Zeit 
i^>  Sie  entsteht  erst  durch  die  Dinge  und  ihre  Einwirkung  von 
Aussen  und  ist  nichts  für  sich  oder  von  diesen  gesondert.  Es  gibt 
^vam  weder  einen  leeren  Baum,  noch  eine  leere  Zeit. 

Der  Satz  vom  zureichenden  Grunde,  der  sich  auf  die  Anschau- 
ten von  Banm  und  Zeit  bezieht,  wird  »der  Satz  vom  zurei- 
chenden Grunde  des  Seins,  principium  rationis  suf&cientis 
cssendifC  genannt  (S.  131)  Der  Grund  eines  Baumtheils,  einer  Linie, 
^he  ist  inuner  wieder  ein  anderer  Baumtheil.  Der  Seinsgrund  in 
der  Zeit  ist  für  einen  nachfolgenden  Zeittheil  der  vorausgegangene. 
Hier  ist  also  Succession,  wahrend  in  den  Baumtheilen  Zusanunen- 
•ein  ist.  Während  der  Unterschied  von  Ursache  und  Wirkung 
fc  die  objectiven  Dinge  oder  von  Grund  und  Folge  fttr  das  snb- 
«ctiye  Denken   ein   unbestreitbarer  ist,   sich   also  gegen  die  zwei 


44  fichopenhmiier:  Die  Wunel  des  SaftMe  vom  sureioheiideB  Gmnde. 

ersten  Gestalten  des  Satzes  rom  Grunde  kein  Bedenken  eiheben 
Iflssty  TerfaBlt  es  sich  schon  ganz  anders  mit  der  dritten  Gestalt 
dieses  Satzes.  Baum  und  Zeit  gehören,  zu  den  Dingen  oder  Objec- 
ten  der  ersten  Klasse,  den  »yolLstftndigen  Vorstellungen«,  weil  diese 
ohne  Baum  und  Zeit  gar  nicht  sein  können.  Der  Satz  rom  zu- 
reichenden Grunde  bezieht  sich  so  wenig  auf  die  Dinge  ohne  Baum 
und  Zeit,  als  auf  den  Baum  und  die  Zeit  ohne  Dinge.  Schon  das 
Gesetz  der  Gausalität  oder  der  Satz  vom  zureichenden  Grunde,  be- 
zogen auf  die  Dinge,  muss  auf  die  Zeit  Bttcksicht  nehmen,  denn 
die  Ursache  muse  hier  der  Zeit  nach  früher  sein,  als  die  Wirkung; 
die  Zeit  ist  als  ohier  nichts  Zufälliges,  sondern  wesentlich  und  noth- 
wendig  zur  Ursache  und  Wirkung  Gehöriges.  So  können  wir  aber 
auch,  wenn  wir  den  Satz  vom  zureichenden  Grunde  auf  die  Zeit 
anwenden,  dieses  nicht  ohne  die  Dinge  thun;  denn  was  ist  ein 
Aufeinanderfolgen  ohne  Dinge?  Ein  Zeittheil  an  sich  kann  nie 
die  Ursache  eines  andern  sein,  weil  Zeittheilung  überhaupt  nur 
durch  das  Hintereinanderfolgen  der  Dinge  möglich  ist  und  die 
Aufeinanderfolge  ohne  Dinge  dem  Messer  ohne  Heft  und  KUnge 
gleicht.  Dass  auch  die  Baumtheile  an  sich  ohne  Dinge  nicht  Ur- 
sache und  Wirkung  sein  können,  wird  schon  daraus  erwiesen,  dass 
sie  einander  gegenüber  ganz  indifferent  sind  und  jeder  Theil,  wenn 
er  die  Bedingung  eines  Theiles  ist,  auch  gerade  eben  so  gut  von 
dem  andern  bedingt  sein  kann.  Zudem  können  Baumtheile  so  we- 
nig, als  Zeittheile,  ohne  Dinge  anschaulich  werden  und,  da  sie  ohne 
die  letzteren  nicht  da  sind,  auch  nicht  ohne  diese  im  YerbfiltnisBe 
von  Ursache  und  Wirkung  stehen. 

Das  siebente  Kapitel  behandelt  die  vierte  Klasse  der 
Objecte  für  das  Subject  und  die  in  ihr  herrschende 
Gestaltung  des  Satzes  vom  zureichenden  Grunde  (S. 
140—149).  Diese  letzte  Klasse  soll  nur  »ein  Object«  enthalten, 
nämlich  »das  unmittelbare  Object  des  innem  Sinnes,  das  Sub- 
ject des  WoUens.«  Das  Selbstbewusstsein  zerfilllt,  wie  das 
Bewusstsein  von  andern  Dingen,  in  ein  »Erkanntes  und  Erkennen- 
des.« »Das  Erkannte  ist  nun,  wie  der  Herr  Verf.  will,  durchaus 
und  ausschliessend  der  Wille«  (S.  140).  So  soll  diese  Schrift 
ein  Baustein  für  das  System  des  Herrn  Verf.  sein,  welches  den 
»Willen«  in  Allem  und  so  auch  im  menschlichen  Bewusstsein  zum 
»Dinge  an  sich«  macht.  »Das  Subject,  heisst  es  S.  141,  erkennt 
sich  nur  als  ein  Wollendes,  nicht  aber  als  ein  Erkennendes. 
Denn  das  vorstellende  Ich,  das  Subject  des  Erkennens,  kann,  da 
es  als  nothwendiges  Correlat  aller  Vorstellungen,  Bedingung  der- 
selben ist,  nie  selbst  Vorstellung  oder  Object  werden« »Da- 
her also  gibt  es  kein  Erkennen  des  Erkennens,  weil  dazu  erfordert 
würde,  dass  das  Subject  sich  vom  Erkennen  trennte  und  nun  doch 
das  Erkennen  erkennte,  was  unmöglich  ist,«  Qui  dit  trop,  ne  dit 
rien.  Indem  der  Herr  Verf.  selbst  das  Erkennen  der  Sinnlidikeit,  des 
Verstandes  und  der  Vernunft  imtersucht,  erkennt  er  ihr  Wesen  und 


Sehopenliaiier;  Die  Warael  des  BütKe«  vom  ntteichenden  Qrtuide.  45 

beweist  dadjarohi  das  es  ein  Erkennen  des  Erkennens  ist.  Zum 
Wesen  des  SelbstbewnäBtseinB  geh&rt  es  ja,  dass  das  Vorstellende 
Sabject  und  Objeot  sei  und  sich  in  seiner  Identität  als  Subjeet* 
Objeei  erkenne.  Jeder  weiss,  indem  er  sich  erkennt,  dass  er  kein 
Anderes,  sondexn  sieh  selbst  erkennt.  Ist  das  Object  Vorstellung, 
so  haben  wir  eben  eine  Vorstellung  Ton  einer  Bealität  ausser  uns, 
einem  Andern,  als  wir  selbst,  und  von  einer  Realität,  einem  Ob- 
jecto, das  wir  selbst  sind.  Allerdings  erkennt  das  Erkennende  sich 
selbst  und  weiss  sich  selbst ;  sonst  gäbe  es  kein  Selbstbewussteein, 
welcher  Satz  durch  die  Realität  aller  Iche  widerlegt  wird«  Wie 
das  Erkennende  sein  Erkennen  erkennt,  indem  es  von  seiner  Sinn* 
lichkeit,  seinem  Verstände  und  seiner  Vernunft  weiss,  so  erkennt 
nnd  weiss  es  auch  den  Einbeitspunkt  dereelben  im  Selbstbewusst- 
eein. Der  Wille  steht  hier,  wie  Ftthlen  und  Erkennen,  nur  als  eine 
besondere  Biolitang,  ein  besonderes  Vermögen  des  Geistes,  nicht 
als  ein  Ding  an  sich,  ein  passe  par  tout  für  alle  Speculation  da. 
Allerdings  nimmt  Schopenhauer  im  Bewusstsein  die  Identität  des 
Objects  als  des  Willens  mit  dem  Subject  des  Erkennens  an, 
und  muss  dieses  annehmen,  weil  er  sonst  alle  Thatsachen  des  Be- 
wusstseins  »of  den  Kopf  stellen  müsste;  nennt  diese  Identität  aber 
den  > Weltknoten.  und  daher  unerklärlich«  (S.  143).  Wir  bedürfen 
weder  eines  Weltknotens,  noch  einer  ünerklärlichkeit,  wenn  wir 
ein&ch,  wofür  das  Selbstbewusstsein  spricht,  das  erkennende  Sub- 
jeet  sich  selbst  im  Selbetbewosstsein  erkennen  lassen.  Dann  ist 
das  Erkannte  nicht  ein  Anderes,  als  das  Erkennende,  etwa  da: 
Wille,  der  eben  so  mystisch,  geheimnissvoll  oder  phantastiseh  hin- 
ter den  Dingen  steckt,  als  irgend  ein  anderes  von  Schopenhauer 
perhorreaeirte  Phantasma.  Der  Wille  äussert  sich  als  Handeln; 
seine  Ursache,  sein  Ghrund  ist  das  »Motiv.«  Die  »Motivation 
ist  die  Gansalität  von  Innen  gesehen.«  Hier  ist  also  die  »beson- 
dere und  eigenthümliche  Gestalt  des  Satzes  vom  zureichenden  Grunde 
der  Satz  vom  zureichenden  Grunde  des  Handelns,  principium  ra^ 
tionia  auf&cientis  af^endi«  (S.  145).  Natürlich  muss  der  Herr 
Veif«,  der  eben  einmal  kein  anderes  Ding  an  sich,  als  den  Willen 
kennt,  diese  Wahrnehmung  zum  »Grundstein  seiner  ganzen  Meta^ 
physik«  machen.  Ob  aber  seine  Metaphysik  damit  wirklich  be- 
grttndet  ist,  erscheint  mehr  als  zweifelhaft.  Offenbar  aber  ist  diese 
vierte  €kstalt.  keine  »besondere«  und  »eigenthümliche«,  von  den 
andern  Gestalten  verschiedene.  Sie  gehört  unter  die  Kategorie  der 
iweiten  Gestalt,  weldie  den  Grund  des  Erkennens  von  der  Ursache 
des  Werdens  unterscheidet.  Denn  das  Erkennen  stellt  den  Grund 
fir  das  Wollen  und  Handeln  auf.  Das  Motiv,  ob  es  von  Aussen 
oder  Innen,  von  uns  oder  einem  Andern  kommt,  ist  Erkenntnisse 
grand  Ar  unsorn  Willen. 

Das  aehte  Kapitel  enthält  allgemeine  Bemerkungen 
nnd  Sesnltate  und  zwar  1)  die  systematische  Ordnung 
dieaeT   angeblichen   vier   Gestalten   des   Satzes   vom 


46  rrheoorlli  IdyWa.  Ed.  Frit£Bohe. 

zureichenden  Grande,  2)  Zeitverh&ltniss  zwischen 
Grund  und  Folge,  3)  Beciprokation  der  Grflnde,  4) 
die  Nothwendigkeit,  Beihen  der  Gründe  und  Folgen, 
5)  die  yerschiedenen  Gestaltungen  des  Satzes  yom 
Grunde  gegenüber  den  verschiedenen  Wissenschaf- 
ten, 6)  die  Hauptresultate  der  ganzen  Schrift  (S.  150 
hiB  160).  Wenn  der  Hr.  Verf.  bis  zu  der  Erkenntniss  gelangt, 
dass  genau  die  vier  Gestalten  seines  Satzes  vom  Grunde  unter- 
schieden werden  müssen,  so  dürfte  wohl  füglicher  die  Unterschei- 
dung in  Ursache  und  Wirkung  für  die  Objectirität  der  Dinge  and 
des  Grundes  und  der  Folge  für  die  Subjectivitftt  des  Denkens  an- 
genommen werden.  Wie  dieser  Satz  für  die  Dinge  lautet :  Nichts 
wird  oder  verändert  sich,  geschieht  ohne  Ursache ;  so  heisst  er  för 
das  Denken:  Nichts  wird  ohne  Grund  gedacht. 

V.  Reiehlin-Meldegg. 


Theoeriti  Idyllia,  Herum  edidit  et  commentarUa  erUicis  atgue 
exegeüeis  instruxii  Ad.  Th.  Arm,  Fritteehe,  Joannk  Do- 
roihei  F.  Prof.  Ups.  VoL  I.  P,  L  IdyUia  sex  pri&ra  canHnem, 
lApsiae.  Sumpius  fecU  L.  PemUssch.  ClQ  lO  CCCLXV.  1948. 
in  gr.  8. 

Der  Herausgeber  ist  durch  Mine  verschiedenen ,  die  bukoli- 
schen Dichter  des  Alterthums  betreffenden  Forschungen,  insbeson- 
dere auch  durch  seine  Bearbeitang  der  Idyllen  Theocrits  in  einer 
zunächst  für  Schulen  (»in  nsum  scholarum«)  wie  für  das  Privat- 
studinm  eingerichteten,  darum  auch  mit  erklärenden  Anmerkungen 
in  deutscher  Sprache  versehenen  Ausgabe  (s.  Jahrg.  1858  S.  605  ff.) 
rühmlichst  in  der  gelehrten  Welt  bekannt;  in  den  sieben  Jahren, 
welche  seit  dieser  Ausgabe  der  Gedichte  Theocrit's  verflossen  sind, 
war  seine  Aufmerksamkeit  fortwährend  auf  diesen  Dichter  ge- 
richtet und  so  das  Werk  vorbereitet,  das  in  seiner  ersten  Ab- 
theilung hier  in  einer  vorzüglichen  typographischen  Ausstattung 
vor  uns  liegt.  Es  ist  eine  mehr  gelehrte  Bearbeitung  (»in 
usum  eruditorum  hominumc),  welche  dadurch  schon  von  der 
früheren,  oben  erwähnten  sich  unterscheidet,  übrigens  aber, 
neben  der  nothwendigen  Bücksicht  auf  die  Kritik,  insbesondere 
auf  die  in  so  vielen  Fällen  davon  unzertrennliche  Erklärung  in 
sprachlich-grammatischer  wie  sachlicher  Hinsicht  gerichtet  ist.  In 
Bezug  auf  die  Kritik  soll  sie  zugleich  über  Manches,  was  in  dem 
Texte  der  früheren  Ausgaben  beibehalten  oder  auch  verändert  wor- 
den, die  nähere  Begründung,  die  dort  wegfallen  musste,  geben,  und 
so  die  von  dem  Herausgeber  früher  in  einer  eigenen  Schrift  beab- 
sichtigten V  in  diciae  Theocriteae  ersetzen  oder  vielmehr  deren 
Inhalt  an  den  betreffenden  Orten  geben,  dabei  AUes  das  beachten, 
was  seitdem  von  einzelnen  Gelehrten  oder  Herausgebern  überhaupt  für 


TlMoeriU  UyOk^  £d.  Fritiiehe.  47 

die  Kritik  geleistet  oder  was  an  einselnen  Stellen  in  Vorschlag 
gebraclit  worden  hsL  Die  gleiche  BOcksicht  mnsgte  aber  anch  bei  der 
Erkli&ning  stattfinden,  die  deshalb  Alles  beachten  und  mit  einer 
gewisaen  Vollständigkeit  aufnehmen  mnsste,  was  von  einzelnen  Ge- 
lehrten an  einzelnen  Orten  oder  in  einzelnen  Schriften,  Abhand- 
hmgeii  IL  dgl.  für  die  Erklärung  einzelner  Stellen  oder  ganzer  Oe- 
dichte  vorgebracht  worden  war,  wobei  dann  freilich  auch  oben  so 
das  Tom  Herausgeber  selbst  in  mehreren  einzelnen  Abhandlangen 
GeleiBtete  die  gleiche  Aufnahme  finden  musste.  Nur  eine  eben  so 
omikssende  wie  vertraute  Bekanntschaft  mit  dem  Dichter  selbst 
wie  mit  der  gesammten,  in  dieses  Gebiet  einschlägigen  Literatur, 
wie  sie  der  Herausgeber  besitzt,  konnte  die  in  dieser  Weise  ge- 
stellte Au^abe  einer  so  befriedigenden  Lösung  entgegen  führen, 
nimal  wenn  man  erwägt,  wie  viele  Gelehrte  in  den  letzten  Decen- 
men  mit  Theocritus  und  allen  den,  zum  Theil  sehr  schwierigen, 
aof  seine  Gedichte  bezüglichen  Fragen  sich  beschäftigt  haben.  Da 
mm  in  dieser  Bearbeitung  von  Allem  dem  sorgfältig  Notiz  genom- 
men worden  ist,  so  wird  man  nicht  leicht  Etwas  dahin  Einschlä- 
giges vermissen,  was  der  Aufmerksamkeit  des  Herausgebers  ent- 
gangen wäre. 

Zuerst  kommt  unter  der  Aufschrift:  »Prolegomena  veterum  de 
poesi  bucolica  et  de  Theocrito«  ein  Abdruck  der  aus  demAlterthnm 
noch  erhaltenen  Nachrichten  über  die  Person  des  Theokrit  und  über 
die  bnkolische  Poesie,  welchen  auch  die  betreffende  Notiz  aus  Suidas 
angereiht  ist,  sowie  auch  die  beiden  Epigramme  auf  die  bukolische 
Poesie  und  Theocritus,  welche  zuerst  Warton  seiner  Ausgabe  bei- 
geftgt  hat,  Producte  der  byzantinischen  Zeit,  wie  das,  was  vor- 
hergeht. Unter  dem  berichtigten  Text  befinden  sich  Noten  theils 
kritischen  Inhalts,  theils  Nachweisungen  über  die  im  Text  berühr- 
ten Gegenstäade  aus  der  neueren  Literatur.  Darauf  folgen  Judicia 
Veterum  de  Theocrito:  ein  Abdruck  der  Stellen  aus  Longi- 
nos,  Qointilianus,  Gellius,  Probus  und  Servius,  in  welchen  von 
Theociit  und  seiner  Poesie  die  Bede  ist.  Daran  schliesst  sich  un- 
mittelbar der  Text  der  in  diesem  Heft  enthaltenen  sechs  ersten 
%Uen,  in  der  Weise,  dass  dem  Texte  einer  jeden  Idylle  ein  Ar- 
gmnentum  yorausgeechickt  ist,  in  welchem  der  Herausgeber  zuerst 
eine  üebersieht  des  Lihaltes  und  Ganges  des  Idylls  gibt  und  daran 
eine  Beurtheihmg  des  Gedichts  knüpft,  in  welcher  auch  die  von 
Andern  ausgesprochenen  Urtheile  Berücksichtigung  finden,  und  eben 
80  auch  andere  auf  das  Gedicht  bezügliche  Notizen,  literarhistori- 
Kher  Art  mitgetheüt  werden;  wir  finden  hier  eine  genaue 
ond  vollständige  Angabe  aller  Einzelbearbeitungen,  aller  einzelnen 
Abhandlungen  oder  Erörterungen,  welche  auf  das  betreffende  Idyll 
»ch  beziehen,  mit  Einschluss  der  Uebersetzungen  in  lateinischer 
und  deutscher  Sprache,  man  wird  also  hier  die  ganze  auf  das  Ge- 
^t  bezügliche  Literatur  verzeichnet  finden.  Auf  dieses  Argu- 
m^itnm  folgt  ein  Abdruck  der  griechischen  *Ta6d'B6ig  in  kleinem 
I'Cttem,  und  darauf  der  Text  mit  den  darunter  befindlichen  An- 


48  Theocriil  TdyVk.  Sd.  «"rüsteh. 

merkangen,  in  welchen  der  kritische  wie  exegetische  Oonunentar 
enthalten  ist.  Was  den  letzteren  betrifft,  so  werden  in  demselben 
alle  einzelnen  Ansdrttcke  nnd  Wendungen,  Gedanken  und  Anschan- 
nngen  des  Dichters  erörtert,  nnd  da,  wo  es  nOthig  oder  doch 
wünscbenswerth  erschien,  ist  die  gegebene  Erklämng  mit  den  nöthi- 
gen  Belegstellen  oder  weitem  Nachweisnngen  begleitet,  die  nament- 
lich, was  den  Sprachgebrauch  betrifft^  viel  Beachtenswerthes  ent- 
halten, und  in  bestrittenen  Stellen  die  Erklärung  auf  den  richtigen 
Weg  führen. 

DasB  auf  die  lateinischen  Nachbildungen  überall  hingewiesen 
ist,  wird  kaum  besonders  zu  erwähnen  nöthig  sein,  zumal  da  der 
Herausgeber  diesen  Gegenstand  schon  früher  in  einer  eigenen  Schrift 
behandelt  hat«  In  allen  diesen  Belegen  und  Nachweisungen  ist 
übrigens  ein  lobenswerthes  Maass  eingehalten,  und  darum  wunder- 
ten wir  uns  einigemal,  wie  z.  B.  bei  dem  Gebrauch  von  xal  zu  I, 
60  oder  bei  dem  Gebrauch  yon  iv  id  (»atque  in  his«)  zu  n,  68, 
oder  über  den  Gebrauch  von  ifuiifaö^at  (zu  11, 104)  -Verweisungen 
auf  Abicht's  Anmerkungen  zum  Herodot  zu  finden,  wo  dieselbe  in 
des  That  nicht  nöthig  waren,  oder  durch  Besseres  ersetzt  werden 
konnten  in  einer  gelehrten  Bearbeitung,  die  nicht  nöthig  hat,  auf 
solche  ftkr  träge  Schüler  bestimmte  Arbeiten  zu  yerweisen. 

Die  kritischen  Grundsätze  des  Herausgebers  sind  aus  der  frühe- 
ren Ausgabe  wie  aus  andern  Schriften  bekannt  genug,  in  der  An- 
wendung derselben  zeigt  der  Herausgeber  sich  frei  ron  der  Will- 
kür, welche  hier  vielfach  hervorgetreten  ist,  daher  auf  manche 
angebliche  Yerbesserungevorschläge  oder  Oonjeoturen  nicht  einge- 
gangen wird,  gebotene  und  nothwendige  Aendenmgen  aber  nicht 
abgewiesen  werden,  wie  denn  der  Herausgeber,  um  nur  ein  einzi- 
ges Beispiel  anzuführen,  IV,  17  mit  den  neueren  Herausgebern  ov 
^Slv  gesetzt  hat,  und  mit  Meineke  darin  den  Accusativ  von  ^i% 
d.  i.  Z&i$  oder  Z^i)^  erkennt;  über  Anderes  der  Art  wird  man 
dann  besser  zu  urtheilen  im  Stande  sein,  wenn  die  Beschreibung 
der  einzelnen  Handschriften,  welche  in  Aussicht  gestellt  wird,  ge- 
geben ist. 

Wir  können  hier  nicht  weiter  in  die  Einzelheiten  eingehen,  da 
wir  nur  die  Absicht  haben,  einen  einfachen  Bericht  über  diese  neue 
Erscheinung  vorzulegen  und  die  Freunde  der  bukolischen  Poesie  auf  die 
wohlgelungene  Ausführung,  die  sich  auch  in  der  Bewältigung  des 
ausgedehnten  Stoffe  und  MateriaVs,  welches  vorlag,  kund  gibt,  auf- 
merksam machen  möchten.  In  drei  Abtheilungen  soll  das  Ganze  dem- 
nächst erscheinen.  Die  erste  Abtheilung  soll  die  bukolischen  Gedichte, 
die  zweite  die  übrigen  Gedichte  bringen,  in  der  dritten  soll  über 
Leben  und  Schriften  des  Dichters,  über  den  Dialekt,  über  die 
Schicksale  der  bukolischen  Gedichte,  ihre  Handschriften  und  Ans* 
gaben  verhandelt  werden,  und  über  alle  diejenigen  Dinge,  »quibus 
SQum  locum  commentariorum  augustiae  denegarunt.«  Wir  wünschen 
die  baldige  Vollendung  des  mühevollen  aber  eben  so  verdienst- 
lichen Unternehmens. 


Ir.  i  HEIDEIBERGGS  186t. 

JMBCCHER  der  LITERATUR. 


Kirehenreeht  von  Georg  Phillips,  Fünf ier und 9€eh$ter Band* 
Regensburg  1854.  1867.  1864. 

Die  im  Detail  kritisirende  Darstellung  einzelner,  namentlich 
grösserer  Werke  in  den  Zeitschriften,  hat  mit  Recht  keine  Beden- 
tong  mehr;  man  mdsste  nicht  selten  ein  grösseres  Bach  über  das 
n  recensirende  Bach  schreiben  oder  Nachträge  machen,  wenn  man 
dirlich  and  verständig  sein  wollte.  Es  gilt  daher  nur  einer  allge- 
aainem  Schilderung  des  Baches  und  seiner  Bedeutung. 

Pkillips  hat  in* den  Yorliegenden  zwei  Bänden  den  Primat 
der  katholischen  Kirche  dargestellt.  Allerdings  mit  Bücksicht  dar- 
aof^  was  schon  in  den  vorhergehenden  drei  Bänden  darüber  yorge- 
kommen  ist.  Diese  Beziehungen,  worüber  wir  uns  früher  schon 
erklärt  haben,  wollen  wir  nicht  mehr  hervorheben.  Allerdings 
denken  wir  uns  die  Lehrgewalt  des  Papstes  so,  wie  sie  Phillips 
V.  Bd.  S.  16  dargestellt  hat;  allein  sie  unterscheidet  sich  von  der 
Uhrgewalt  der  Bischöfe  und  aller  andern  dadurch,  dass  das  ma- 
gistariom  bei  dem  Papste  in  seine  Jurisdictionsgewalt  f^Ut.  Lassen 
wir  übrigens  diesen  Punkt 

Wenn  aach  alle  Mheren  Arbeiten  des  Verfassers  von  der 
grSssten  Gründlichkeit  Zeugniss  geben  —  namentlich  in  der  ge- 
oaaesten  Darstellung  der  QuellenzeugnisLe ,  z.  B.  in  dem  Kirchen* 
Staatsrecht  des  Mittelalters  und  aller  päpstlichen  Constitutionen  im 
ni.  Bande,  ebenso  in  den  Constitutionen  des  Wahlrechts  des  Pap- 
stes im  Y.  Band,  und  wenn  auch  in  andern  speciellen  Lehren  z.  B. 
^  der  Translation  im  Y.  Band  nicht  nur  alle  Decretalen  auf  das 
geoaaeste  entwickelt  sind,  mit  den  einschlagenden  Stellen  des 
Deerets  und  andern  historischen  Nachweisungen,  so  hätten  wir  nur 
gewünscht,  dass  die  gesammte  Decretalensammlung  mit  den  Cle- 
i&entmen  und  Extravaganten,  was  besonders  im  IV.  Bande  hätte 
gwchehen  können,  in  ihrer  eigentlichen  vollen  Bedeutung  hervor- 
gehoben worden  wäre:  namentlich  in  Beziehung  darauf,  was  wir 
»Is  privatrechtliche  Erscheinung,  als  christliche  Sittlichkeit  im  btlr- 
gerUchen Leben  erkennen  konnten.  Mit Becht  hatte  schon  Walter 
ia  seinem  neuesten  Werke  »Naturrecht  und  Politik«  merken  lassen, 
dass  der  Staat  nicht  alles  Becht  geben  und  befriedigen  soll  — 
namentlich  nicht  das  Becht  der  Sittlichkeit  im  Yölkerrecht  und  das 
Fundament  in  der  Religion  (er  wirft  eben  den  modernen  Philo- 
sophen z.  B.  Stahl  vor,  dase  sie  sich  gerade  auf  Yölkerrecht  und 
&ehenrecht  nicht  eingelassen  haben)  —  er  hätte  auch  darstellen 
tonnen,  dass  das  Privatrecht  durch  das  canonische  Recht  vielfach 
L^UL  j«]irg.  L  Heft  ^  4 


BO  PbiUlps:  KMhtBTMht 

tungestaltet  sei.  Phillips  glaabt,  dass  die  letztere  Richtung  so 
za  sagen  antiqnirt  sei:  mit  unrecht  —  so  ist  der  Givilproaess 
immer  noch  der,  wie  er  im  zweiten  Buch  der  Deoretalen  nieder- 
gelegt ist,  und  was  in  der  neuesten  Zeit  Wunderlich  in  seiner 
Vorrede  zu  den  anecdotis  ausdrttcUich  und  genau  herrorgehoben 
hat.  Solche  und  andere  privatrechtliche  Punkte  werden  nun  frei- 
lich in  dem  Systeme  des  Eirchenfechts  von  Philipps  nicht  registrirt ; 
dennoch  sind  wir  mit  dem  grossen  Beichthum  zufrieden,  wel- 
chen der  grosse  (belehrte  in  seinem  Werke  gibt.  Es  sei  uns  jetzt 
nur  erlaubt  auf  die  grossartige  Arbeit  hinzuweisen,  die  der  VI.  Band 
uns  darstellt. 

Der  Verf.  unter  der  tJebersehrift  »die  Oehilfen  des  Papstes« 
bildet  sein  Buch  so:  A.  die  römische  Kirche;  B.  die  pftpstlichen 
Legaten  und  apostolischen  Vicare ;  C.  die  pftpstlischen  Delegaten ; 
D.  die  Metropoliten.  tJm  diese  Ordnung  zu  rechtfertigen  gibt 
Phillips  in  S.  261  eine  allgemeine  Uebersicht  und  Einleitung, 
de)*6n  Resultate  wir  kurz  ^zeigen  wollen.  Er  zeigt  Tor  Allem, 
dass  und  warum  die  Episcopalgewalt  als  solche  hier  ausgeschlossen 
bleiben  muss,  obgleich  die  Bischöfe  auch  Oehilfen  des  Papstes  sind : 
denn  es  handelt  sich  hier  von  der  Weltkirche,  nicht  Territorial- 
kirche, auf  welche  die  Bischöfe  angewiesen  sind,  und  Ton  der  Juris- 
diction, wo  freilich  auch  die  Bischöfe  Oehilfen  des  Papstes  sind, 
theils  wegen  ihres  territorium  als  ordinarii,  theils  weil  der  Papst 
die  Bischöfe  als  seine  Delegaten  ansieht,  und  ihnen  auch  pftpst* 
liehe  Besenratrechte  abtreten  kann,  und  wegen  des  Oesammt- 
epicopats. 

Allerdings  geht  die  Gonstruction  des  Primats  von  Born  ans: 
Rom  ist  das  Bild  der  Christenheit  und  mit  Becht  hebt  Phillips 
die  römische  Kirche,  den  römischen  Olerus,  das  Presbyterinm  vor 
Allem  hervor.  Viele  wollen  nicht  in  diese  Zeit  zurttcksteigen  z.  B. 
Oregoroyiüs  —  aber  kirchenhistorisoh  und  kirchenrechtlich  ist 
diese  Richtung  das  Fundament  der  Wissenschaft.  Von  Bom  geht 
der  Blick  in  die  Welt  durch  die  Legat>en  und  päpstlichen  Vicare 
und  durch  die  Metropoliten.  Aber  damit  ist  das  System  noch  nicht  ge- 
schlossen, der  Oentralpunkt  bleibt  Bom  —  oder  wo  der  Pabst  ist: 
denn  dieser  Ort  ist  der  Ort  der  Curie,  und  die  Curie  mit  ihrem  Be- 

£*iffe,  der  sonst  missverstanden  ist,  wird  ein  Hauptstandpunkt  der 
beitvon  Phillips,  wozu  ihm  Bangen  gleichsam  die  Thttrege-^ 
öftiet  hat,  und  weshalb  M  e  j  e  r  sein  eigenes  Buch  discreditiren  musste 
(in  der  zweiten  Auflage  seines  Kirchenrechts).  Mit  Becht  werden 
die  Curialisten  eingetheilt  in  die  Cardinäle,  Prälaten  und  übrigen 
Oehilfen,  die  man  in  sensu  speciali  auch  Curialisten  nennt. 

Hiernach  sind  wir  mit  dem  Systeme  Phillips  yoUkommen 
einverstanden,  denn  es  lässt  sich  ein  anderes  gar  nicht  denken: 
schwieriger  ist  es,  die  Verbindung  der  Oeschichte  mit  dem 
Systeme  zugleich  aufzufassen.  Der  Verfasser  lässt  sieh  wohl  nur 
auf  das  kirchliche  Verhältniss  in  Bom  ein:  vielleicht  hätte  er  gnt 


Phillips:  KtrcUnnclii  U 

gvthu,  anch  einen  Bliek  auf  das  ManioipalTerh&liniet  la 
ifobät  freilich  nur,  um  von  Born  in  seiner  GUflammteinricIitang 
and  namentlich  in  dem  Verhältnisse  der  weltlichen  Conunnne  sua 
Papet  ni  ^>rechen9  wo  uns  wirklich  OregoroTius  vielfache  Anf- 
sehlfisse  gibt.  Dass  ans  dem  Palatinai-Clenis  das  gaase  Beamten* 
tJnim  des  Papstes  hervorging  —  ist  genau  angezeigt  unter  dm 
Namen  der  ans  derselben  hervorgegangenen  einseinen  Behörden. 
Dozeh  diese  hat  natürlich  ein  Theil  des  Palatinal*Cknis  sein 
Ende  gefunden,  namentlich  die  sieben  Palati nalrioht er,  die 
in  den  Schriften  des  ersten  Jahrtaosead  eilte  so  grosse  Bolle  neben 
den  CardinalbischOfen,  Priestern  und Diaconeni^ielten ,  namentlieh 
dordi  iluren  primiceriiis  *)  u.  s.  w.  Vielleicht  hfttte  der  Vex&sser 
den  Zostand  der  Dinge  in  unsem  Tagen  a.  B.  durch  Hinwaisung 
anfden  Cracas  noch  Etwas  besser  andeuten  kOanen,  denn  wir 
wolka  nicht  Iftugnen,  das  gelehrte  Buch  ist  doch  nur  fOrOelehrte 
md  flir  keinen  andern  Zweck  geschzieben»  wovon  wir  freilich  den 
§.  338  ausnehmen  dfirfea,  der  aber  doch  eine  mehr  popolAre  Bnt- 
wiekkmg  in  Anspruch  nehmen  konnte. 

Wir  müssen  in  dieser  Beziehung  jetzt  drei  Werke  nebaaeia« 
ander  stellen. 

1)  Das  hier  beurtheilie  Werk,  welches  in  §.  8d3  ia  der  That 
sehr  grOndlich  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Verwattu^  des 
Kirchenregiments  in  Born  gibt,  natürlich  aber  die  Gegenwart  mit 
der  Geschichte  der  Vorzeit  in  unmittelbare  Verbindnng  nicht  brin» 
gen  wollte.  •  Vor  Allem  wird  der  Papst  in  seiner  absoluten  Unab- 
bftsgigkeit  dargestellt,  und  dann  nachgewiesen,  welchen  Beamten 
er  flein  grOestes  Vertrauen  schenkte*  Jetzt  dem  Staatssecretttr,  der 
iieh  der  übrigen  Secretäre  bedient.  Zur  Berathung  hat  der  Papst 
das  CoQsistorium  und  die  einzelnen  Congregationen  der  Cardinäle  i 
dann  —  ftbr  die  Qnadensaohe  —  die  ausserordentlichen  früher 
die  flignatura  gxatiae,  die  ordentlichen  jetzt  überi^  die  Datana  — 
nd  f^  die  reservirten  Fälle  und  Dispositionen  in  foro  iateno  die 
Poenitentiaria.  Als  Expeditionsbehörden  dienen  die  apostolische 
Kanzlei  und  die  Secretariate  desAeussem  und  derBreven.  Sodann 
httnmen  die  Justizbehörden,  namentlich  die  Bota  Bomana  alsUkih- 
ater  Gerichtshof  in  Civilsachen ,  die  Signatura  Jnstitiae  alsOassa- 
tionahaf;  die  Camera  Apostolica  neben  den  Tribunalen  dee  Ouber- 
netors,  des  Auditor  Camerae  und  der  Thesaurarius  —  und  die  Sagra 
Consulta  als  der  oberste  Gerichtshof  in  Criminalsaehen* 

Endlich  bestehen  in  Begierungssachen  ein  coneiglio  de*  ministri, 
•in  consiglio  di  stato -^ eine  consulta  di  stato  per  kFixianze^ 
dann  einselae  Ministerien,  ein  ministero  dell  Intemo  mit  unterge* 
ordneten  Behörden,  eine  direzione  generale  di  Polizia,  ein  ministero 
delle  Finanze  mit  einer  Menge  untergeordneter  Behörden,  eine  sacra 


Budi  über  dtn  iheeten  iBstttuitonea^Oodex  Hdddb.  1890. 


6S  Phillips:  Kirohenreebt 

oongregazione  del  Censo,  ein  Ministeriam  del  Commercio,  delle  Arti, 
Indostria,  Agricoltora,  e  Lavori  Publici ,  endlich  ein  Ministerium 
delle  Armi. 

2)  Die  aus  reichen  Erfahrungen  hervorgegangene  Schrift  von 
Bangen:  die  Kömische  Curie,  ihre  gegenwärtige  Znaammen- 
setzung  und  ihr  Geschäftsgang. 

Von  der  Staatsverwaltung  ist  hier  nicht  die  Bede,  und  das- 
jenige, was  oben  von  den  Begierungssachen  angeftlhrt  ist,  kommt 
nicht  in  Betracht.  Man  muss  diese  Beziehungen  vorausgehen  lassen, 
ehe  man  über  die  nicht  wohl  geordneten  Notizen  im  Staatskalen- 
der abartheilen  kann. 

Bangen  spricht  im  ersten  Theil  von  dem  Personal  der  Curie 
—  den  Cardinälen,  Prälaten  und  dem  übrigen  Personal  —  Advo- 
caten,  Consistorialadvooaten,  advocatus  fisci  und  pauperum  —  der 
Procuratoren,  SoUicitatoren ,  Agenten  und  Notarien.  Im  zweiten 
Theil  spricht  er  von  den  Behörden  selbst:  I.  Dem  Consistorium 
und  den  Cardinals-Congregationen ;  11.  den  Tribunalen  oder  Justiz- 
behörden; in.  den  Gnadenbehörden  der  Curie ;  IV.  den  Expeditions- 
behörden der  Curie. 

In  Hinsicht  auf  die  Geschäfte  der  Cardinäle  und  die  erst  später 
geschaffenen  Congregationen  können  wir  nns  auf  die  bekannten 
Bchriftstellerischen  Arbeiten  berufen  *) :  bei  den  Tribunalen  werden 
abgehandelt.  A)  Die  sacra  Bota  Bomana  —  und  hier  theilt  uns  der 
Verfasser  sehr  widitige,  bei  Phillips  nicht  vorgetragene  Nach- 
richten mit,  namentlich  über  das  Verfahren  in  den^§§.  91—95, 
wovon  wir  an  einem  andern  Orte  reden  werden.  B)  Die  Beverenda 
Camera  Apostolica  mit  dem  gubemator  ürbis,  dem  thesaurarins 
generalis,  dem  auditor  generalis  und  dem  tribunal  plenae  camerae. 
C)  Das  tribunal  der  Signatura  Justitiae  und  sein  Verfahren. 

Bei  den  Gnadenbehörden  kommt  die  Signatura  Gratiae  vor, 
die  Dataria  Apostolica  und  die  Sacra  Poenitentiaria. 

Zn  den  Expeditionsbehörden  werden  gerechnet.  A)  Die  aposto- 
lischen Secretarien,  die  der  Breven,  der  Memoralien  und  der  Er- 
lasse an  die  Fürsten  —  namentlich  wird  hier  von  dem  Unter- 
schiede der  Bullen  und  Breven  gehandelt.  Zuletzt  kommt  B)  die 
apostolische  Canzlei. 

Phillips  und  Bangen  haben  auf  das  Genaueste  nachge- 
wiesen, dasB,  was  die  kirchliche  Ordnung  betrifft,  sie  in  die  erste 
Zeit  des  Christenthums  zurückzuführen  ist,  und  der  historische  Ver- 
lauf ein  so  eigenthümlicher  ist,  dass  trotz  der  Aufgeregtheit  unse- 
rer Zeit  daran  nichts  geändert  werden  kann.  Es  ist  dieses  auch 
ein  grosses  Verdienst  der  Canonisten,  dass  dies  klar  zu  Tage  liegt. 


*)  Phillips  und  Bangen  wollten  sich  anf  dentsche  Schriften  nicht 
einlassen,  s.  B.  anf  die  zwei  Dissertationen  von  Kleiner  de  origlne  etan- 
tlqnttate  Cerdlnalinm  Heidelbeigae  1767.  Bei  Schnüdt  theaaur.  t.  II. 


PBiUlpt:  KirOieiirttehi  ftS 

Snigeii  derselben  selbst  Katholiken,  z.  B.  Brendel,  waren  die 
politiflchen  Ansichten  der  Zeit  za  massgebend,  als  dase  sie  diesen 
Standpunkt  hfttten  anfrecht  erhalten  kOnnen. 

Was  nnn  in  der  neuesten  Zeit,  namentlich  unter  Pins  YIL 
nad  ConsalTi  vom  Jahre  1816  her  geschehen  ist,  bezweckte  die 
weltliche  Ordnung  des  Kirchenstaats,  der  unter  Napoleon  rerolutio* 
niit  wurde,  und  wo  man  auch  hier  die  alte  Ordnung  wieder  her« 
stellen  wollte.  Hier  ist  allerdings  yiel  Neues  geschehen  durch  die 
Ifinisterien  und  andern  Staatshaushalt,  was  natürlich  eine  yorüber- 
gebende  Erscheinung  darbietet.  Das  französische  Kaiserreich  hatte 
die  Statuten  und  Gewohnheiten  der  römischen  Städte  yemichtet, 
w  nach  der  französischen  Codification  geschehen  konnte,  keines- 
wegs aber  durchzufOhren  war,  wenn  man  in  das  römische  und 
eanonische  Becht  zurückkehren  wollte,  was  sich  dann  auch  prak« 
üaeh  bewiesen  hat.  Die  Statuten  und  Gewohnheiten  sind  grossen* 
äieils  geltend  geblieben. 

8)  Wir  sind  auf  den  Standpunkt  gekommen,  ein  paar  Worte 
Aber  die  Ordnung  in  den  notizie  vorbringen  zu  können.  Es  ist 
sehr  augenscheinlich,  dass  die  nicht  katholischen  Canonisten  wenig 
geneigt  sind^  den  innem  Zusammenhang  des  Curialsystems  zu  yer^ 
^Ig^  ja  dass  man  tagtftglich  sieht  z.  B.  in  H  e  r  z  o  g's  BeaUezicon, 
dass  diese  Schriftsteller  sich  immer  nur  auf  protestantische  Anim- 
ieren und  sehr  selten  auf  katholische  beziehen.  Auch  katho- 
üsde  Canonisten  lassen  sich  auf  die  gedachten  Notizie  nicht  ein. 
Bekanntlich^ sind  der  Abschnitte  folgende:  A.  Congregazioni.  Es 
nnd  hier  nicht  nur  die  einzelnen  Congregationen  der  Cardinftle  zu 
besondem  Zwecken  angegeben,  sondern  alle  coUegialischen  Institute 
ftr  Icirohiiche  Zwecke  z.  6.  f&r  die  Wiederherstellung  der  Kirche 
Ton  Si  Paul.  B.  Tribunali :  Paenitenzieria  Apostolica,  Cancellaria 
Apostolica,  Dateria  Apost.  —  Die  Sacra  Bota  Bomana,  die  B.Ca* 
aera  Apost.  femer  die  signatura  digiustizia  (die  Signa- 
tur a  de  grazia  hat  aufgehört  und  ihre  Geschäfte  an  die  Da- 
tuie,  den  Secretär  der  Breyen  oder  den  Staatssecretär  ab- 
gegeben) tribunali  dell  Em.  Yicario  und  was  damit  in  kirch- 
lichen Gerichtsachen,  namentlich  für  Geistliche  zuammenshängt, 
isebesondere  die  Conseryatoren  für  Klöster^  die  Coneistorialad- 
Toeatoren  und  Procnratoren.  C.  Nun  kömmt  die  Capeila  Pontificia 
^gesammte  Geistlichkeit,  insbesondere  die  dadurch  ausgezeich- 
wten,  dass  sie  als  Assistenten  des  päpstlichen  Thrones  erklärt 
sind,  wofür  ein  eigenes  Yerzeichniss  beigefügt  ist.  D.  Familia 
Pontificia.  Hier  sind  alle  yorgetragen,  welche  zum  päpstlichen 
Hanse  gehören.  Natürlich  nicht  nach  den  Vorstellungen,  die  man 
jetzt  bei  weltlichen  Fürsten  über  das  fürstliche  Haus  hat,  sondern 
Bach  den  unmittelbaren  Beziehungen  zum  päpstlichen  kirchlichen 
Hefe.  So  sind  angeftlhrt  der  Secretär  der  päpstlichen  Breyen  und 
Memorialen  —  der  Datarius,  derPräfect  des  päpstlichen  Pallastes, 
to  anch  Staatssecretär  ist,   der  Maggiordomo,  der  Maestro  di  Ca- 


M        Exindt  du  Cfttalog««  de  te  Blbltofb^u«  du  SenMeur  Hube. 

mera  und  del  Saero  Palaszo.  Dann  kommen  die  Kammeifiemii 
geistlichen  und  weltlieben:  insbesondere  ancb  die  Titnlarkammer- 
herm ;  sodann  die  Gardia  Nobili,  die  Scbweizergarde  —  die  geist- 
lieben Cappellane  nnd  Adjutanten. ,  Dies  ist  der  Hofstaat.  Ange- 
hängt ist  aber  noch  specieli  der  Kirchenstaat.  Er  besteht  ans  der 
Segretaria  di  Stato  —  in  welchem  nnd  durch  welohea  der  Papst 
repräsentirt  wird  —  dann  in  den  besonderen  Expeditionseoretftren 
der  Breven,  der  Memorialen,  der  Schreiben  an  die  Fttrsten  und  der 
lateinischen  Ausfertigungen.  Zuletzt  steht  die  Secretaria  des  MB. 
üditore  nnd  des  Substituten  des  Oonsistorium.  Ganz  davon  ge- 
trennt sind  die  schon  oben  angeführten  Ministerien,  *—  die  M9noha- 
tmd  andere  Orden  —  und  alle  öffentlichen  Anstalten,  welche  in 
Born  Ton  Bedeutung  sind. 

Der  Cracas  würde  als  Hieroglyphe  erscheinen,  wenn  man  die 
Oesehiohte  des  Papstthnms  und  die  historische  Bntwickehmg  von 
Phillips  nicht  gebrauchen  würde.  (Siehe  auch  Curie  in  Her^ 
sog's  Beal-Encyclopadie).  Es  ist  dieses  also  ein  wahrer  Fortschritt, 
welchen  die  deutsche  Wissenschafk  bringt  in  einer  Zeit,  wo  man 
&8t  AUes,  was  die  katholische  Kirche  und  das  Papstthum  betrifft 
zur  Seite  zu  stellen  gewohnt  ist.  Man  sieht  jedoch,  gehOre  man 
za  dieser  oder  zu  einer  andern  Partei,  leicht  ein,  dass  der  Papst 
in  kirchlichen  Dingen  Nichts  andern  kann,  ohne  den  KatholicismuB 
zu  ge&hrden.  Von  dem  weltlichen  Regiment  wollen  wir  hier  niobt 
sprechen,  weil  auch  das  Buch  Ton  Phillips  in  dem  sechsten  Band 
nicht  darauf  berechnet  ist.  Auch  im  fünften  Band  §.  244  hat 
Phillips  diesen  Punkt  nur  berührt,  von  ihm  aber  als  eine  Wesen- 
heit dee  Primats  angesehen,  und  nie  hat  es  den  römischen  Munici- 
pien  an  der  Municipalfreiheit  gefehlt.  Rosshfrt. 


Eaträit  du  Cataloguß  di  la  BibliolMque  du  Smateur  Hube,  Csn«- 
guUmt  Partie,  Halte.  Varswie  1864.  (Inprimerie  de  la  QaaMe 
de  Pölogne). 

Der  Verfasser  hat  seinen  Standpunkt  natürlich  in  Beziehung 
auf  seine  bibliographische  Sammlung  so  weit  gestellt,  als  dieWie- 
senschafb  Bedeutung  hat,  und  zwar  naeh  22  Ländern  oder  Bezir- 
ken. Vor  der  Hand  legt  er  uns  die  5.  Darstellung  —  Italien  tot, 
seit  dem  Einfalle  der  Barbaren. 

uns  kümmert  bloa  die  Sammlung  seiner  italienischen  Statu- 
ten, über  die  wir  uns  kurz  rerbreiten  wollen.  In  diesem  Jahr- 
hundert ist  auch  hier  viel  geschehen,  aber  viel  noch  zu  erwarten« 
1)  Savignj  in  seiner  Bechtsgesoiohte  IH.  S.  518.514  will,  daea 
erst  der  AnJBEUig  gemacht  werde  ron  Gelehrten,  welche  ihr  Leben 
in  Italien  ffthren,  und  welche  den  ersten  Apparat  zu  dieser  Lite- 
raturgeschichte herbeibringen,  nnd  schwerlich  kann  dieses  ein  Ein- 


nlflsr  tlmn.  An  einten  Orten,  s.  B.  in  Piemont}  kaben  sioh  Yiali 
■H  groMfln  Krftften  lasammengeiliAn  nnd  doeh  ist  Viel  sa  wtUi* 
•ehfli;  aber  was  Einselne  gethan  haben s.  B.  der  VerfMser diesor 
BeMBiion  in  seiner  Dogmengeschiohte  und  in  seinen  nicht  gedmok«' 
ten  Sftmmhuigen  ist  kaum  aninschlagen«  2)  Das  yorliegende  Werk 
iit  wichtig,  weil  der  Ver&sBer  bestrebt  war,  mit  grossen  Kosten 
in  nemlieher  Ent&mnng  Ton  Italien  diejenigen  Arbeiten  sa  $tm^ 
■afai,  ans  welchen  sich  literarische  and  dogmengeechiehtliche  CoBr 
Hqiifluen  siehoa  lassen.  Bs  gilt  daher  snerst  der  Bibliothek  des 
Yeifiiisers.  Dem  Verfasser  war  es  nicht  darum  sn  tban,  eine  litor 
nrgeschichtliche  Darstellnng  sn  geben,  er  wollte  nur  eine 
Uebenieht  der  Drucke  nnd  Handschriften  bringen  xnr  Untsrlai^ 
ftr  eine  qiäteare  Bearbeitung,  die  er  selbst  yomnehmen  gedenkt. 
Au  wichtigsten  wird  hier  sein,  die  neuesten  Statuten  in  ihrer 
Qiolle  nachsuweisen ,  denn,  wenn  auch  römisches,  caaoaisehes 
Becht  und  eonsuetndines  generales  manchen  Einfluss  auf  die  spft« 
teren  Statuten  hatten,  so  wnneHen  sie  doch  in  der  Vergangenheit» 
Dtrin  sind  die  refonniiten  und  neuesten  Statuten  wichtig»  dass  sie 
nktm  das  moderne  System  haben:  Staatsrecht  und  resp.  Verwal<» 
iangB-  und  Polizeirecht:  Prosess*,  Priyatrecht  und  Strafrecht:  und 
«  iit  kein  Zufallf  dass  dieselbe  Ordnung  auch  im  canonischen  Becht 
TorköHimt.  Za  dem  Zwecke  des  Studiums  des  canonischen  Seohts 
ktte  der  Becensent  vor  fast  swansig  Jahren  in  Italien  sich  dem 
ttadimn  der  Statuten  hingegeben,  und  Weniges  davon  in  seiner 
Dogmaagesehichte  entwickelt.  Später  hat  er  erkannt,  dass  es  %wekr 
alMigSr  ist,  das  historische  Verhältniss  einzelner  Stttdte  su 
vBterBachen.  Dazu  sind  die  oberitalienischen  St&dte  Ton  grosser 
Bedeutung,  denn  sehr  schwierig  ist  es,  das  Municipalrecht  Toa 
ftom  SU  behandeln.  Zwar  haben  wir  jetzt  eine  gute  Vorarbeit  von 
Gregoroyius;  allein  sie  fahrt  (es  ist  nur  der  4.  Band  yor  mir) 
Boeh  nidit  soweit.  Offenbar  stand  Bom  in  einem  andern  Verhält- 
nine  m  dem  Papste:  wie  die  oberitalienischen  Städte  an  ihrem 
Biiehof.  Die  Stadt  Bom  war  unterworfen  dem  Papst  und  dem 
KaiBer  und  hatte  nur  ein  souyer&nes  Verhältniss  zu  den  Oonmm** 
ttlbesiehnngen  der  Laien.  Allerdings  gab  es  einen  StUdteadel  -^ 
aid  judiees  de  militia  neben  den  judices  de  dero :  allerdings  hatte 
&  rtoisehe  Commune  germanische  Anordnungen  aufgenommen  i 
>Qeii  es  gestaltete  sich  im  Conuannalrechte  yieles  EigoithOmlidbs 
od  zsm  jus  scriptum  ist  es  erst  spttt  gekommen.  Qregoroyins 
bdet  die  Bepublik  in  Bom  unter  Eugen  III.  1144,  durch  einen 
^«gleich  begrttndet,  und  wichtig  ist  ihm  der  Vorsteher  der  Com-* 
Qnne  Carnshomo  im  Jahre  1191.  Er  soll  das  erste  Statut  für 
^  yezünrtigt  haben.  Wichtig  ist  fttr  dasOommunalwesen  in  Bom 
&  Geschichte  der  rOmischen  Senatoren  des  Mittelalters,  wo  dann 
V^ter  nur  ein  einziger  oder  summus  Senator  und  zwar  bis  jetzt 
Witaad.  Hi^er  gehflren  die  italienischen  Schriften  yon  Vitale,  Ve* 
ndütoii  und  (Hiyiezi,  und  die  deutsche  yon  Michael  Eonrad  Cur- 


16         XäEMit  da  Cttalogae  de  te  BOttoOi^se  in  BMSteur  Hube 

tius  de  Sonata  Bomano  (bei  LipeniaB).Sayigny  m. Band  xweiie 
Ausgabe  8.  821  spricht  von  einer  nngednickten  Statotensammhmg 
des  Jahres  1870  und  bekannt  sind  die  Sammlungen  nnter  Sktns  IV. 
1472,  Hadrian  VI.,  Gregor  XHL  und  die  neuesten  Schriftsteller 
sind  Muratori  tom  21.  pag.  94  und  die  Oommentatoren  Oonstan- 
tinus  und  Fenzonius.  Man  hat  behauptet  die  Statuten  der  päpst- 
lichen Städte  seien  im  Jahre  1816  unter  Pius  YII  durch  Gonsalyi 
aufgehoben  worden,  Ranke  historisch-politiBche  Zeitschrift  L  Bd. 
8*  624  ff.  —  allein  es  war  dieses  nicht  möglich,  weil  man  in  das 
r?(misohe  und  canonische  Recht  zurückkehren  woUte  (nicht  den  Code 
Napoleon  beibehalten)  und  weil  man  hier  die  Gewohnheiten  lassen 
mufiste,  wie  sie  auch  wirklich  noch  bestehen:  (dall'Olio  Elementi). 
—  Wenn  nun  eine  einzige  Stadt  einem  deutschen  Gelehrten  so 
grosse  Schwierigkeiten  veranlasst,  so  ist  es  unmöglich  zu  einer  ge- 
schichtlichen üebersicht  der  italienischen  Stadtrechte  zu  kommen. 
Gewisse  allgemeine  Betrachtungen  müssen  uns  genügen.  So  hat 
z.B.  durch  Sayigny  aufgemuntert  B  r  i  e  g  1  e  b  ein  Werk  über  den 
Executiyprozess  geschrieben,  und  nachgewiesen,  dass  er  in  den  ita- 
lienischen Statutarrechten  wurzelt.  Er  hätte  dabei  Rücksicht  darauf 
nehmen  können,  warum  im  canonischeu  Recht  nichts  vorkömmt, 
denn  italienische  Statuten  und  das  canonische  Recht  gehen  überall 
denselben  Weg.  Der  Grund  ist,  weil  im  canonischen  Recht  die  Exe* 
eution  bei  der  contumacia  vorkömmt ;  in  der  Regel  nur  canonisohe 
Strafen  verhängt  werden,  bis  zu  den  Benefizialsachen,  wo  man  das 
römische  Verfahren  der  missio  —  wohl  auch  der  sequestratio  fnio- 
tnum  anwendete.  Die  Sache  war  ftLr  H.  Briegleb  bedeutend,  denn 
wenn  er  in  seinem  Werke  über  summarischen  Prozess  mit  Recht 
auf  das  canonische  Recht  hinsieht,  so  hätte  er  gerade  hier  und 
aioht  im  römischen  Rechte  die  Grundlage  des  summarischen  Pro- 
zesses selbst  finden  sollen.     Davon  an  einem  andern  Orte. 

Kehren  wir  nun  zu  unserm  Verfasser  zurück  Das  Buch  ent- 
hält nur  219  Seiten,  und  neben  der  Einleitung,  monumens  l^gis- 
latifs  unter  den  Ostgothen,  Lombarden,  den  Carolingem,  die  Sta- 
tuten des  Mittelalters  und  die  neueren  Gesetze  bis  auf  unsre  Zeit. 
Das  üebrige  ist  Literatur.  Wichtiger  noch  ist  der  zweite  Anhang 
•—  table  chronologique  des  Statuts  mit  der  Verweisung  auf  die 
einzelnen  Schriften,  aus  welchen  der  Verfasser  seine  einzelnen  For- 
schungen gezogen  hat.  Dass  Manches  zu  berichtigen  sein  würde, 
sieht  bei  dieser  grossen  Unternehmung  Jeder  ein,  auch  der  Ver- 
fesser:  allein  wir  sind  seiner  Bestrebung,  seiner  grossen  Mühe,  und 
namentlich  Demjenigen,  was  in  der  Sammlung  der  Schriften  vor- 
ausgegangen ist,  zum  grossen  Danke  verpflichtet.  Wie  viel  noch 
zu  thun  ist,  mag  er  selbst  ftüilen :  denn  so  z.  B.  hat  er  das  Stadt- 
weht von  Assisi  nicht  —  eine  sehr  bedeutende  Quelle :  hat  er  die 
Schriften  von  Vermiglioli  über  Perugia  nicht  angeführt,  die  be- 
rühmten Buchdrucker  jener  Zeit,  die  Chartolari,  welche  alle  jene 
Statuten  gedruckt  haben  und  zuletzt  ihre  Wohnung  in  Rom  auf- 


Wvttk«!  Sadtobveh  4m  hmdm  Pomb.  W 


sehhigen  a  8,  w.  —  Sein  «rciter  Anhang  enth&lt  einselne  Iffi.  — 
tianieht  gedmekt  sind,  aber  mit  den  bereits  gedrnoktenh&ttenxa- 
nmmengehalten  werden  sollen.  Z.  B.  S.  70  wird  von  der  üeber^ 
lehrift  der  Statuten  gesprochen  bei  Gnaldo  von  6  Bfiehem  offieio- 
nmi,  saper  oiTÜibns,  snper  gabellis,  maleficionun,  extraordinariomm 
dmni  datonim*  8.  87  bei  Viterbo  de  regimine  civitatis,  de  eiTi* 
bims,  de  extraordinariis,  de  malefitiis,  de  Gabellis,  de  danmis  datis. 
Ob  unsere  Tage  den  Italienern  selbst  die  Kräfte  geben  wer- 
den^ in  ihrer  Geschichte  zu  forschen,  wird  die  Zukunft  zeigen.  Man 
Bselit  jetzt  überall  neue  Gesetze  z.  B.  in  Turin  über  den  Prosess, 
obne  den  Grund  der  frühem  Zeit  die  Vergangenheit  zu  erforBchen, 
die  Bo  Tieles  Gute  hat,  was  man  jetzt  nicht  mehr  kennt. 

RoMbiH. 


iädte-Bvch  des  Landes  Poeen  von   Heinrich    Wuiike.    Ldpsig 
1864.     Bei  Hermann  Fries,   gr.  4.   8.  472. 

Dies  Yorliegende  Werk  ist  wieder  ein  erfreulicher  Beweis,  was 
deoiseher  Fleiss  und  Gründlichkeit  yermOgen.  Herr  Profeaeor  Dr. 
Wattke  aus  Schlesien,  welcher  auf  der  Universitttt  zu  Leipzig  mit 
nwrkanntem  BeifftUe  Geschichte  Yortrftgt,  und  durch  seine  gelehr- 
ten Werke,  wie  z.  B.  de  Thuojdide,  Breslau  1841,  die  Kosmo« 
grapbie  des  Aethikon,  Leipzig  1854,  die  Erdkunde  des  Mittelalters, 
Upög  1853,  bekannt  ist,  hat  seine  geschichtlichen  Forschungen, 
besonders  dem  Osten  you  Deutschland  zugewandt,  wie  sein  Werk : 
»Die  Entwickelung  der  öffentlichen  Verhältnisse  Schlesiens ,  vor- 
oebmlich  unter  den  Habsburgem,  »Leipzig  1858,  die  Schleeischen 
^nde  älterer  und  neuerer  Zeit,  Leipzig  1847,  die  Gründung  der 
Unretsitftt  zu  Breslau,  Breslau  1841,  Polen  und  Deutsche,  Leipzig 
1848,  Schafl^urik,  slayii^che  Alterthümer,  Leipzig  1848  u.  a  m.  be- 
vnsen.  Hier  gibt  Derselbe  einen  Codex  diplomaticus  über  das 
SUdtewesen  in  dem  GroHBherzogthum  Ponen  mit  einer  Geschichte 
isr  dortigen  Stftdte,  mit  durchgehender  HinweiHung  darauf,  das» 
die  Gründung  der  StKdte  von  Deutschland  aus  in  Polen  Eingang 
gsfonden  hat.  Dass  dies  Werk  ganz  in  deutschem  Sinne  geschrie- 
^  ist,  war  yon  einem  Manne  zu  erwarten,  der  als  Abgeordneter 
lun  deutschen  Parlament  in  Frankfurt  gewählt,  kräftig  für  di« 
Bnbeit  und  Freiheit  des  deutschen  Vaterlandes  eingetreten,  und 
n  diesem  Geiste  auch  mehrfach  als  Schriftsteller  aufgetreten  ist, 
vorüber  wir  nur  folgende  Werke  anführen:  »Deutschlands Einheit, 
Refonn  ond  Reichstag,  Leipzig  1848,  Pro-Patria!  Delegirte,  Par- 
tout, Reichs- Verfassung,  Leipzig  1863,  der  Stand  der  deutschen 
Veifiisenngsfrage,  Leipzig  1860,  Gedenkbuch  an  Schiller,  Leipzig 
iS55,  Jahrbuch  der  deutschen  Universitäten,  Leipzig  1842  c  ande- 
"•»  zu  gesehweigen. 


06  WvUk«:  SlftdUbiMb  tai  Lnde»  Poem. 

Das  Torliegende  Werk  ist  die  erste  umfoasende  Qesehiohte  dos 
Landes  Posen,  welches  wie  ein  Keil  zwischen  Prenssen  und  SoUaaiea 
hineingeschoben  erscheint,  nnd  enthftlt  zwei  Abtheilungen,  y«B« 
denen  die  erste  anf  164  Seiten  den  Abdmck  von  253  Urkunden 
von  1065  an  bis  1775  mittheilt,  welche  die  Grttndong  derStUdte 
nnd  deren  Verfassung  in  diesem  Lande  enthalten.  Dieselben  sind 
chronologisch  geordnet,  aber  eine  genaue  Inhalts- Anzeige  weisat 
zugleich  nach,  von  welchen  Jahren  mehrere  derselben  zu  finden 
nnd  wo  sie  erwfthnt  werden.  Die  älteste  derselben  betriflt  die 
Stiftung  des  Klosters  der  Benedictiner  zu  Magilno  durch  Bolea* 
laus  n.,  den  Kühnen,  und  die  neueste  enthält  das  Statut  der  Stadt 
Sandberg  von  dem  GasteUan  Koszutskj.  Ein  sehr  sorgfiUtiges 
Orts-  und  Personen  -  Inhaltsverzeichniss  erleichtert  den  Gebrauch 
und  ist  demselben  noch  ein  sehr  verdienstliches  Wörterbuch  bei- 
gefügt, welches  die  in  diesen  Urkunden  vorkommenden  fremdartigen 
l^nennungen  nachweist,  deren  Erklärung  nothwendig  schien,  z.  B, 
cmetones,  columbatio,  Scoti,  Ugelt  u.  s.  w. 

Die  zweite  Abtheilung  dieses  Werkes  enthält  die  (beschichte 
der  in  dem  Orossherzogthum  Posen  befindlichen  Städte  alphabe- 
tisch geordnet^  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  keine  preussiscke  Pro- 
vinz so  viele  Städte  besitzt,  als  diese ,  vielleicht  auch  kein  anderes 
Land,  von  denen  freilich  manche  Stadt  so  klein  ist,  dass  sie,  wie 
z.  B.  Radolin  den  Bang  einer  Stadt  verloren  hat,  und  jetzt  nur 
noch  als  Dorf  angesehen  wird,  da  sie  bei  der  Zählung  von  1858 
nur  728  Einwohner  in  81  Häusern  hatte,  von  denen  nur  117 
der  katholischen  Religion,  11  der  jüdischen  angehörten,  und  die 
übrigen  evangelisch  waren;  so  wie  überhaupt  die  städtische  Be- 
völkerung sehr  viele  Evangelische  zählt,  da  zur  Zeit  der  Refor- 
mation die  Polen  viel  toleranter  waren  als  die  Deutschen,  weil  in 
Polen  die  ersten  Stände  damals  viel  gebildeter  waren,  als  das 
deutsche  Ritterthum  verstattet  hatte,  Bildung  aber  stets  andere 
Meinung  leichter  duldet  als  Rohheit.  Bei  der  allgemeinen  Einlei* 
tung  zu  dieser  Abtheilung  klagt  der  Herr  Verfasser  sehr  über  die 
mangelhaften  Geschichtsquellen,  da  dieses  Land  kein  Provinzial- 
arohiv  besitzt,  und  wünscht,  dass  der  preussische  Staat  die 
Mittel  bieten  möge,  um  hier  ein  gehöriges  Archiv  herzustellen 
(8.  178). 

Ueber  die  Uranftoge  der  Geschichte  dieses  Landes  klagt  der 
Herr  Verfasser.  »Ob  Slaven  oder  Deutsche  dieses  Landstriohas 
erste  Bewohner  gewesen,  ob  ihre  Scheide  der  Oderstrom  oder  die 
Weichsel  ehedem  gemacht  hat,  ist  eine  Streitfirage,  auf  welche  hier 
nicht  einzugehen  ist.  Alles  was  wir  für  unsem  Zweck  aus  den 
ältesten  Zeiten  wiesen,  beschränkt  sich  darauf,  dass  römische  Kanf^ 
leute  und  wahrscheinlich  vor  ihnen  die  Griechen  eine  Handela- 
straese  bis  zur  Ostsee  begingen,  die  durch  das  posener  Land  hin- 
dorch  fährte.  Da  in  der  Schnitsch,  an  Schlesiens  nordÖstUohar 
Grenze,   zwei  Wegstunden  von  Tschimau  und  ungefthr  eben  so 


Wuitk«!  8üa««biMh  ^^  LandM  PMen.  M 

imii  rom,  Bojuiowe  and  Beisen,  ein  Lagerplatz  rttmiscfaer  Handels- 
kote  aoi^fmideB  wurde  —  nämlieh  neben  Bpnren  von  Sobansen, 
Dmeni  zwei  glftserne  Tbrftnennäpfoben,  eine  dreischneidige  Lanzen- 
spitze  Yon  Stahl,  zwei  Stttcke  Bernstein  nnd  zwei  Münzen  von  den 
Eisern  Nerra  Trajanns  und  Antoninns ,  die  anf  das  zweite  ohrist- 
fiehe  Jahrhnndert  weisen  —  so  ist  allerdings  die  Annahme  be- 
rechtigt, dass  Ton  Sttd-Eoropa  her  einstmals  ein  Earawanenzng  in 
das  poeener  Land  nnd  weiter  über  dasselbe  znr  Ostseeküste  ihin 
ging.  Durch  die  H&ndler  wnssten  die  Gelehrten  von  vorhandenen 
Ortsohaften  und  der  alexandrinische  Erdbeschreiber  Ptolemftos  stellte 
un  die  IGtte  des  11.  Jahrhimderts  die  erhaltenen  Angaben  zn^ 
ausmen.  Er  nennt  Ealisia,  in  dem  ohne  Bedenken  Kalisoh  zn  er- 
kfisnen  ist,  nnd  dann,  zehn  Meilen  nordöstlich  davon  nnter  dem 
Wh.  58«Bl'Br.,  wfthrend  Ealisia  43H5'L.  520  50'Br.  von  ihm 
angesetzt  wird,  einen  Ort  Setidava  Er  rechnet  diese  Oegend 
noch  zn  Germanien,  von  welchem  er  auf  dieser  Seite  keinen  Ort 
ttber  Setidava  hinaus  erwfthnt.c  Manche  halten  dieses  Setidava  für 
das  jetzige  Zidowo,  was  dem  Herr  YerfiMser  aber  nicht  für  wahr- 
scheinlich erscheint,  da  dieser  Name  »Jndenortc  bedeutet,  nnd  erst 
1762  zur  Stadt  erhoben  wurde.  Aus  der  Zeit  der  ersten  prenssi- 
sehen  Verwaltung  dieses  Landes,  aus  der  Franzosenzeit,  und  ans 
der  nenprenssisohen  Zeit  hat  der  Herr  Verfasser  wenig  Quellen  ge- 
fbaden.  Er  sagt:  »mehr  Aufmerksamkeit  wendeten  der  Vorzeit 
einige  gelehrte  Polen  zu.  Eduard  Baczjnski  handelt  in  seinen 
Wspomnienla  Wielkopolski  (Erinnerungen  an  Grosspolen)  Posen 
(1888)  1842.  4.  von  einer  Anzahl  Städte  allerdings  mehr  in  unter- 
haltender als  in  gelehrter  Form,  BaUnski  und  Lipinski  boten  in 
den  Starozjtna  Polska  (Das  alte  Polen),  Warschau  1848  —  1846 
IV.  geschichtliche  Kunden  von  beinahe  70  Städten  des  posener 
Landes,  die  sie  hauptsächlich  aus  den  umständlicheren  Qeschichten 
Polens  ausgezogen  hatten;  von  einigen  derselben  wnssten  sie  fk«i- 
höh  weiter  nichts,  als  die  dürre  Angabe  der  Lage  und  des  um- 
&nges  zn  liefern,  von  einigen  aber  besassen  sie  auch  urkundliche 
Naehrichten.  Sie  benutzten  namentlich  mehrere  in  den  letzten 
Jahrhunderten  von  Commissionen  fOr  Steuerzwecke  aufgenommene 
Katastrinmgen  (histracya),  die  Manches  bieten,  obschon  dieselben, 
naeUässig  angefertigt,  auch  Fehler  enthalten.  Ihr  Werk,  obgleich 
die  Hälfte  der  Städte  übergehend,  ist  doch  das  einzige,  in  dem 
aian  einige  Auskunft  suchen  kann.  Der  rege  Sinn  für  G^eschiobte, 
den  die  P<den  bethätigt  haben,  geht  noch  den  deutschen  Bewohnern 
Peeens  ab.  Nach  dem  Erwerb  steht  ihr  Trachten.  MOgen,  was 
die  Väter  verwahrloerten ,  die  S6hne  desto  eifriger  pflegen.«  Die 
ittesten  Städte,  deren  Erwähnung  der  Verfasser  in  der  Geschichte 
gsfimden,  sind  Knsohwitz  und  Gnesen  im  10.  Jahrhundert,  die 
Blaven  liebten  Städte  nicht;  als  sich  aber  der  Polen-Herzog Mesko 
dem  Kaiser  Otto  I.  unterworfen  hatte  (986),  wurde  zn  Posen  ein 
Bisthum  errichtet,  nnd  von   Otto  UI.   ein   Erzbistfaum  in  Gnesen 


60  Wnttke:  Bttdtebnoh  dM  Lftndes  Po0«a. 

(999).  Doch  nacb  mehreren  Kriegen  setste  Boleslansl.  durch  den 
Frieden  von  1018  die  Unabhängigkeit  von  Deutschland  dnrch,  und 
nunmehr  entstanden  besonders  an  der  Grenze  mehrere  Städte  als 
feste  Plätze ;  wogegen  im  Innern  manche  Städte  zur  ünbedeutend- 
heit  herabsanken,  so  wie  Kruschwitz  mit  seinem  Mänse-Thurm  im 
Qoplo«See,  das  jetzt  nur  630  Seelen  zählt,  die  bei  der  zweiten 
preuBsiflchen  Besitznahme  bis  auf  136  herabgesunken  waren.  Die 
Städte,  welche  ursprünglich  unmittelbar  unter  dem  Staatsoberhaupt 
standen,  kamen  zum  Theil  bald  in  den  Privatbesitz,  und  ftihrt  der 
Herr  Verfasser  die  Schenkung  des  Königs  Wladislaus  an,  welcher 
um  das  Jahr  1100  mehrere  derselben  seinem  natürlichen  Sohne 
Sbignew  schenkte.  Man  sieht ,  dass  man  '  auch  dort  zwar  das 
Christenthum  angenommen  hatte,  aber  wie  Karl  der  Grosse  und 
andere  Fürsten  das  sechste  Gebot  nicht  beobachtete,  so  kamen,  wie  in 
Deutschland,  viele  Städte  in  Privatbesitz ,  während  in  Italien  sich 
mehr  freie  Reichsstädte  ausbildeten.  Der  Herr  Verfasser  findet  be- 
reits zuAnfiangdes  11.  Jahrhunderts  viele  Juden  in  den  polnischen 
Städten,  so  dass  dort  damals  schon  mehr  Duldung  herrschte  als  in 
Dentschland,  und  mit  Recht  bemerkt  der  Herr  Verfasser,  »dass  in 
dem  deutschen  Charakter  eine  gewisse  Unduldsamkeit  der  Meinun- 
gen besteht«;  wir  würden  das  mit  Göthe  daher  leiten,  dass  der 
Deu.8che  sich  weniger  mit  dem  beschäftigt,  was  ihm  am  nächsten 
jiegt,  sondern  mehr  mit  dem  fremden.  Daher  tiefsinniges  Grübeln 
über  das,  was  man  nicht  wissen  kann,  was  sich  aber  der  tiefe 
Denker  so  sehr  zum  Eigenthume  macht,  dass  er  nicht  leiden  kann, 
wenn  ein  anderer  sich  davon  eine  von  der  seinigen  abweichende 
Ansicht  gebildet  hat.  Auch  kennt  der  Herr  Verfasser  an,  dass  die 
Juden  früh  zusammenhaltend  geschlossene  Gemeinden  bildeten,  und 
kommt  dann  auf  das  Drängen  der  Deutschen  nach  dem  Osten  von 
Europa,  so  nach  Siebenbürgen  und  nach  Polen,  wo  besonders  das 
Land  zwischen  der  Oder  und  Weichsel  noch  spärlich  bevölkert  war, 
und  das  in  Deutschland  wuchernde  Lehnwesen  den  Aufenthalt  auf 
dem  deutschen  vaterländischen  Boden  eben  nicht  sehr  angenehm 
machte.  Da  die  Geistlichen  vielfach  nach  Polen  aus  Deutschland 
kamen,  und  das  Bisthum  Posen  bei  seiner  Errichtung  unter  dem 
Erzbischofe  von  Magdeburg  stand,  trug  dies  auch  dazu  bei, 
dass  sie  die  ihnen  geschenkten  Güter  mit  deutschen  Ansiedlem 
fruchtbringender  machten  (S.  187);  dazu  trug  die  schreckliche 
Hungersnoth  von  1264  ebenfalls  bei,  worüber  der  Herr  Verfasser 
auf  Sommersberg  scrip.  rer.  Siles.  verweist,  und  auf  den  Bischof 
Bagufal  von  Posen,  welcher  damals  sagte,  dass  keine  andere  Volker 
so  nahe  befreundet  sind,  als  Polen  und  Deutsche. 

Seit  jener  Zeit  erfolgten  die  Einwanderungen  der  Deutschen 
in  dem  jetzigen  Grossherzogthum  Posen.  Sorgfältig  führt  der  Herr 
Verf.  die  in  diesem  Lande  damals  bereits  bestehenden  Städte  an, 
und  bemerkt  diejenigen  Städte,  welche  seit  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts das  deutsche  Recht  erhielten,   oder  annahmen  und  anöh 


Wuttke:  Stildtebttch  de»  Landes  PMen*  61 

B0a  darauf  gegrttndet  wurden  (S.  200).  Es  herrschte  nämlich  da« 
mala  noch  die  orientalische  Gastfreiheit  in  solchem  Grade,  dass  die 
Fremden  ihr  eigenthümliches  Becht  beibehalten  konnten,  wie  noch 
jetzt  in  der  Türkei  alle  Fremde  nach  ihrem  yaterländischen  Beohte 
leben  können.  (8.  Beschreibung  der  Moldau  und  Walachei  von  dem 
damaligen  dortigen  General-Consul  Neigebaur.  U.  Vol.  2.  Auflage. 
Breslau  bei  ü.  Kern.  1853.)  Anfangs  ging  die  Berufung  von  den 
deutschen  Stadtgerichten  in  Polen  an  den  Sdiöffenstuhl  nachMagde* 
borg,  König  Kasimir  liess  aber  von  den  dortigen  Bechtsbücheru 
eine  Abschrift  bei  einem  daftir  besonders  in  Krakau  niederge- 
setzten höheren  Gerichtshofe  niederlegen  (1347),  um  darnach  für 
die  Deutschen  in  Polen  Becht  zu  sprechen  (S.  206) ;  doch  hörte 
seitdem  die  massenhafte  Einwanderung  der  Deutschen  auf. 

TrefElich  beschreibt  der  Herr  Verf.  den  in  Polen  beginnenden 
fiflckschritt  unter  den  Jagelionen  seit  dem  Ende  des  14.  Jahr- 
Inmdert.  Wie  in  Deutschland  erhob  sich  der  Adel  über  die  Andern, 
doch  erblühte  der  Handel,  und  bemerkt  der  Herr  Verfasser  mit 
Becht,  dass  die  christliche  deutsche  Unduldsamkeit  es  verhinderte, 
die  Juden  in  die  städtische  Verbindung  mit  aufzunehmen,  »an  denen 
man  Träger  und  Förderer  aller  Belange  der  Stadt  gewonnen  haben 
wflrde«  (S.  209),  dennoch  war  der  Handel  nach  Danzig  und  nach 
Breslau  sehr  gewinureich,  und  die  polnischen  meist  deutschen  Städte 
wurden  noch  bei  wichtigen  Staats -Verhandlungen  und  Könign- 
Wahlen  zugezogen:  allein  der  HerrVerfL  klagt,  dass  sie  nicht  ver- 
standen, sich  durch  einmüthiges  Auftreten,  Geltung  zu  verschaffen 
(S.  211);  so  dass  die  Edelleute  allein  die  Gesetze  machten.  Wie 
sehr  dabei  die  Bürger,  die  Deutschen,  selbst  Schuld  hatten,  dar- 
über ftüurt  der  Herr  Verf.  ein  Gesetz  von  1420  an,  nach  welchem 
der  Zunftzwang  abgeschafft  werden  sollte.  Allein  es  fand  keinen 
Gehorsam.  Rief  man  doch  noch  im  Jahr  1848  in  Breslau,  »Frei- 
beit  und  Gleichheit,  aber  keine  Gewerbfreiheit« !  Auf  diese  Weise 
kam  es  bald  dahin,  dass  die  Landgüter  nur  von  Edelleuten  ge- 
kauft werden  konnten,  wie  es  in  Preussen  noch  bis  in  das  19.  Jahr- 
Inmdert  hierin  Rechtens  war;  so  blieb  auch  das  wiederholte  Gesetz 
von  1443  ohne  Erfolg,  welches  den  Zunftzwang  aufhob,  wogegen 
der  König  Sigismund  August  dann  dicr  Anforderung  des  Adels,  ein 
bestehendes  Vorrecht  der  Kaufmannschaft  aufzuheben,  auf  dem 
Beichstage  von  1543  mit  den  Worten  zurückwies:  contra  jus- 
jorandum  nostrum  nullius  privilegia  frangere  et  mutare  possumus. 
Goldne  Worte,  welche  man  auch  heute  manchmal  herbeiwünscht 
(B.  213),  besonders  in  den  Ländern,  wo  wenigstens  vor  1848 
von  städtischen  Abgeordneten  zu  einer  Landesvertretung  durch- 
aus nicht  die  Bede  war;  wogegen  noch  auf  dem  Beichstage 
zu  Peterkau  1544,  als  der  Adel  die  städtischen  Abgeordneten 
Ton  dem  Beichstage  ausschliessen  wollte,  der  König  dieselben 
sofort  auf  ihre  Sitze  zurückfuhren  liess.  Die  Klagen  des  Herrn 
Verfassers  über  den   damaligen  Mangel   an    Gemein-Sinn,   finden 


91%  Wnttke:  SttdMbuoli  4m  Uaies  Foam. 

ein  betrübendes  Eobo  in  den  deutscben  Verh&ltaioaen,  niokt  nur 
der  damaligen  Zeit»  sondern  beinah  bis  znr  Gegenwart.  Leider 
verloren  die  Deutsohea»  wie  der  Herr  Verf.  bemerkt,  die  Ackiang 
in  der  eie  in  Polen  früher  gestanden  hatten,  dnroh  Mangel  an  Zu- 
sammenhalten und  durch  Entsagung  ihrer  eigenen  Nationalit&t, 
worin  die  eingewanderten  deutschen  Edelleute  mit  schleoktem  Be- 
spiele vorausgingen;  so  nannte  sieh  ein  Nachkomme  der  Familie 
von  Hütten  polnisch  »Czopskic  (von  Hut). 

Dagegen  hatte  die  höhere  Bildung  des  polnischen  Adels,  wel- 
cher damals  häufig  in  Italien  studirte,  während  der  Deuisohe  auf 
seinen  Burgen  verbauerte,  die  Wirkung,  dass  in  religiöser  Betie- 
hnng  freisinnige  Ansichten  leichter  Eingang  fanden,  wie  die  Auf- 
nahme der  in  Deutschland  verfolgten  Hussitten  und  spater  der 
Evangelisohen  in  Polen  beweist.  Der  Oewissensswang  in  Deutsch- 
land führte  daher  wieder  viele  Leute  nach  Polen,  so  dass  guue 
neue  Städte  entstanden,  wie  z.  B.  Bawita  1682,  Bojaaove  16S8, 
Introsohin  1642  u.  m.  a.  Mehrere  bereits  vorhandene  Städte  er- 
hielten bedeutenden  Zuwachs,  wie  z.  B.  Lissa,  Fraustadt,  Kobilk 
u«  a.  m.  (S.  217),  obwohl  es  auch  hier  an  geistlicher  Yerfolguag 
nicht  fehlte. 

Sehr  richtig  setzt  der  Herr  Verf.  auseinander,  was  den  Ver- 
fall von  Polen  und  die  Theilnng  Polens  herbeiführte,  hier  war  dir 
Adel  Alles,  einen  Bttrgenstand  gab  es  nicht,  und  der  Bauer  wer 
weniger  als  Nichts,  er  war  rechtlos  und  nnr  mitunter  von  einem 
Beate  des  alten  patriarchalischen  Sinnes  gehaltwi;  doch  muss  man 
dabei  sagen :  mutato  nomine  de  te  fabula  narratur ;  denn  in  dem 
benachbarten  Schlesien,  Pommern  u.  s.  w.  war  es  ungeachtet  der 
geprieeenen  deutschen  Cultur  wenigstens  in  Ansehung  des  Bauern 
nicht  viel  besser«  So  führt  der  Herr  Verf.  die  Q^hichte  des 
Landes  fort  bis  zn  den  neuesten  Ereignissen  von  1848. 

Den  hauptsächlichsten  Theil  dieses  Werkes  macht  die  Qe* 
schichte  aller  posensch^  Städte  aus,  welche  alphabetisch  mit  sei* 
eher  Gründlichkeit  vorgeführt  werden,  dass  man  mit  wahrer  Be- 
wunderung den  Fleiss  und  die  Sorg&lt  anerkennen  muss,  mit 
wdoher  der  Herr  Verf.  im  Stande  gewesen  ist,  bei  den  no  sehr 
mangelhaften  Vorarbeiten  etwas  so  Gediegenes  zu  leisten. 

Neigebniir. 


BUb«:  Dl«  gomioli«  KüttOdie  DmU^b.  U 

L  0.  Bi^tncy  die  gÖUHehe  K^mddU  dei  DanU  Migkieri,  ÜöeneUi 
md  erUad$rt    HMe  1864. 

Mit  dieeem  Werke  ersoheiiit,  wie  aas  der  Vorrede  herrorgebti 
der  AbaehhiSB  der  Arbeiten  einee  in  diesem  Fach  hoehTerdienUn 
mid  eknrttrdigeii  Veteraaen  der  Danteliteratar.  Herr  Blaue  be- 
gMin  die  Frfiehte  seiner  nxnfageeBdeD  Stadien  über  Dante,  wenn 
wir  nicht  irren,  im  J.  1832  beranszugeben  in  dem  wichtigen  Werk- 
ehen: »Die  beiden  ersten  G^sftnge  der  göttlichen  Komödie,  mit 
BSckrieht  auf  alle  frühem  Srkl&rangsrereaehe.  Er  hat  darin  eine 
SiUftnmg  des  Sinnes  der  ganzen  göttlichen  Komödie  anj^eetellt, 
der  er  bis  jetzt  nach  30  Jafarm  trea  geblieben  ist,  ein  Beweis 
etiles  Torhergegangenen  tiefen  Stndioms  des  GMichts,  der  Philo- 
sophie, üiecäogie  nnd  Weltanschauungen  jener  Zeit,  dem  wir  die 
gebührende  Anerkennung  zoUen,  wenn  wir  auch  mit  manchen  Mei- 
inmgen  und  Ansichten  nicht  ganz  einverstanden  sind.  Im  J.  1844 
enehien  seine  Orammatik  der  italienischen  Sprache,  die  gerade 
nioht  einem  schnellftrtigen  Italienreisenden  passt,  aber  unendlich 
wichtige  Aufschlüsse  für  das  Verstehen  der  Sprache  Dante*s  und 
flberhsupt  der  italienischen  Klassiker  gibt.  Darauf  folgte  1862  eein 
Yocabolario  Dantesco,  womit  Blanc  den  Lesern  der  Göttlichen  Ko- 
aiBdie  einen  ausserordentiiehen  Dienet  erwiesen  bat  und  das  zum 
Ventlndniss  des  Wortsinns  unentbehrlich  ist.  Sehr  schfttzens- 
werth  ist  auch  sein  »Yersueh  einer  bloss  philologischen  Bridttrang 
mehieiei  dunklen  und  streitigen  Stellen  der  götÜicben  Komödie,  € 
irehher  in  den  Jahren  1860  und  61  erschien.  Die  Erwartung  der 
Fortsetzong  dieses  Werks  ist  leider  bis  jetzt  unbefriedigt  geblie- 
ben, mid  wir  hoffen  selmliohät,  dass  dem  betagten  Yerfuser  noch 
Mose,  Wille  und  Kraft  übrig  bleibe,  so  wie  die  Hölle,  so  auch  die 
beiden  übrigen  Cfresftnge  des  Dante*schen  Gedichts  kritisch  su  be- 
ttbeiten«  Vor  Allem  aber  möchten  wir  nach  dieser  üebersioht 
▼OB  bedeutenden  Werken  dem  Herrn  Blanc  den  dringenden 
Wunsch  aussprechen,  dass  es  ihm  gefallen  möchte,  seine  yieleii 
▼ortreilichen,  in  den  Zeitschriften  besonders  in  Brsch  und  Gruber' s 
B&eyclopKdie  zerstreuten  Aufsätze  über  Dante  und  die  italienische 
Uteratmr  überhaupt  in  einem  Band  gesammelt  dem  Publikmm  zu 
ftbergeben.  Wir  würden  aus  einer  solchen  richtig  geordneten  Samm- 
lung über  die  moderne  Literatur  der  Italiener  mehr  Kenntnisse 
^d  eine  bessere  üebersicht  ihres  Verhältnisses  zu  anderen  Lite- 
ratoren  erlangen,  als  aus  den  gespreizten  Schriften  des  selbstzofrie- 
donen,  rielberäucherten,  mit  den  Jahren  immer  ultramontaner  wer- 
denden Herrn  Beumont,  dessen  häufige  Seufzer  über  das  Sinken 
der  Jesuiten  und  geistlichen  Beaktionäre  und  so  wohlthätigen 
Klöster  und  dessen  Anpreisungen  aUer  gut  katholischen  Tendenzen 
)^er  ein  tiefes  Studium  der  Geschichte  verräth,  noch  Vertrauen 
iii  seine  Ansichten  über  Mäzmer  und  deren  Schriften  erweckt«  Was 


e4  BUne:  Die  göttllclie  Koiii5dle  DanWs. 

die  vorliegende  üebersetzung  betrifft,  so  ist  sie  im  Ganzen  Yor- 
trefflich,  liest  sieb,  trotz  dem,  dass  sie  den  Sinn  Dante's  genan 
wiedergibt,  für  Deutsche  sebr  fliessend  ohne  die  Eigentbttmlichkeit 
der  Ausdnicksweise  des  Dicbters  zu  verwiscben.  üeber  einige  Un- 
deutlicbkeiten,  die  wir  beim  Durchlesen  des  Paradieaes  gefunden 
haben,  wollen  wir  mit  dem  Verfasser  um  so  weniger  rechten,  als 
die  betreffenden  Stellen  im  Urtext  dem  Yerständniss  eine  grosse 
Schwierigkeit  verursachen.  Das  Einzige,  was  wir  allenfalls  auszu- 
setzen hätten,  ist  der  Mangel  an  ausreichenden  Erklärungen.  Die 
gegebenen  sind  zu  dürftig  für  ein  so  äusserst  schwer  verständliches 
Gedicht.  Die  göttliche  Komödie  wird  allerdings,  selbst  mit  An- 
merkungen reich  ausgestattet,  nie  ein  populäres  Gedicht  werden, 
das  wird  Herr  Professor  Braun  trotz  seiner  Üebersetzung  und  sei- 
ner-Versicherung  erfahren.  Sie  bleibt  immer  ein  Gegenstand  des 
Studiums  für  ein  ausgewähltes  Publikum,  für  welches  aber  auch  oft 
ganze  einzelne  Gesänge  ohne  Auseinandersetzung  der  in  scholastische 
Formen  eingehüllten  Meinung  Dante's  ihr  Interesse  verlieren.  Und 
selbst  ein  solches  Publikum  würde  wohl  eine  reichere  Zahl  von 
Erklärungen  dankbar  angenommen  haben,  weil  ihm  dann  der  Ge* 
nuss  nicht  durch  zu  langes  Besinnen  und  Grübeln  über  einzelne 
Stellen  vergällt  worden  wäre. 

Biblioteca  d'autori  Ttaliani.  Unter  diesem  Titel  gibt 
die  thätige  Brockhaus' sehe  Verlagshandlung  eine  Beihe  moderne 
italienischer  Schriftsteller,  Dichter  und  Prosaisten  heraus.  Nach 
dem  bis  jetzt  Erschienenen  scheint  jedem  Autoren  ein  Band  ge- 
widmet zu  sein.  Der  erste  Band  enthält  die  berühmten  Promessi 
Sposi  von  Manzoni,  der  zweite  die  Gedichte  und  kleineren  morali- 
schen Werke  von  Giacomo  Leopardi,  der  in  den  dreissiger  Jahren 
zu  dem  Verein  von  bedeutenden  Männern  beiVieusseux  in  Florenz 
gehörte,  nebst  einem  Abriss  seines  Lebens  von  Banieri ;  der  dritte 
Band,  der  im  vorigen  Jahr  erschien,  die  Novellen  des  Staatsmanns 
und  Historikers  Oesäre  Balbo,  der  sie  am  Ende  der  zwanziger 
Jahre  in  seinen  aufgezwungenen  politischen  Musetagen  schrieb.  Bei 
der  grossen  Mühe,  die  man  immer  noch  hat  sich  gute  italienische 
Werke  zu  verschaffen,  wird  diese  Bibliothek,  die  mit  Geschick  und 
Eenntniss  geleitet  wird,  dem  Publikum  sehr  willkommen  sein,  und 
wir  empfehlen  das  Unternehmen  angelegentlich  seiner  Theilnahme. 


It.  i.  HEISELBEBGER '  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


KrüiKhe  Beiträge  9ur  iatemieehen  Formerdehrt  von  W.  Cor$$en. 
Leipzig.  Druck  und  Verlag  von  B.  0.  Teubner  1863.  XU  und 
608  S.  in  gr.  8, 

EImh  so  bekannt  wie  auch  anerkannt  ist  das  vor  einigen  Jahren 

«ichienene,  ans  einer  gekrönten  Preisschrift  hervorgegangene  Werk 

der  Yerfuser's   über  Aussprache,   Vooalismns  nnd  Betonung  der 

Itteinischen  Sprache:   in   vorliegendem   Werke  übergibt   der  Yer- 

fusar  die  Ergebnisse  seiner  auf  demselben  Gebiete  weiter  fortge- 

Ktxten  Forschung,  nnd  verdient   dasselbe  gewiss  die  gleiche  Be« 

adkiong,  wie   sie  jenem  grösseren  Werke   zu  Theil  geworden  ist, 

schon  darum,   weil  es   sich  in   seinem  Inhalt  an  jenes  Werk  ge- 

lissermassen  anschliesst  und   alles  Einzelne  mit  gleicher  Orttnd- 

Udikeit  und  gleichem  Scharfsinn  behandelt  ist.     Es  enthält  näm« 

fich  das  neue   Werk   »eine  Beihe  von  Untersuchungen   über  die 

Livtgestaltung ,    Wortbildung    und  Wortbiegung   der  lateinischen 

Bpmdie,   die  der  Form  nach  aufgereiht  sind  an  dem  Faden  der 

üatlehre,  weil  dieser  in  dem  Labyrinth  sprachlicher  Forschungen 

te  sicherste  Führer  ist  und  bleibt ;  Theils  bezwecken  dieselben  die 

htiaag  und  Sicherstellung  bisher  gewonnener  Ergebnisse  der  neueren 

Spracbforschung  für   die   lateinische   Formenlehre,  indem   sie  das 

Uidttlibare  von  dem  Sicheren,  die  Spreu  von  den  Eömem  zu  son- 

hra  Torsuchen,  theils  bieten  sie  den  Ertrag  meiner  eigenen  in  den 

btitai  Jahren  der  lateinischen  Sprache  zugewandten  Studien,  die 

ia  immittelbarem  und  ununterbrochenem  Zusammenhange  mit  frühe- 

ton  Aiheiten  auf  diesem  Oebiete  stehen,  und  legen  sie  in  eingehen« 

^  Begründung  dem  ürtheil   der  Mitforscher   dar.«     Mit  diesen 

Worten  hat  der  Verfasser  im  Vorwort   den  Gegenstand  wie   den 

Zteek  seines  Werkes  bezeichnet,  welches  nur  feste  und  gesicherte 

I^tate  auf  diesem  Gebiete  vorzulegen  bestimmt  ist   und   damit 

I  «M  sichere  Grundlage  dieser  ganzen  sprachlichen  Forschxmg  ver- 

I  Uien  soll.    Es  ergibt  sich  aber  eben  daraus  die  Wichtigkeit  und 

1  &  Bedeutung  dieser  Untersuchungen,  die  um  so  nOthiger  hier  ge* 

^  erscheinen,  wo  in  Manchem  noch  so  grosse  Unsicherheit  und 

1^>eewissheit  herrscht,  oder,  wie  der  Verf.  sich  ausdrückt,   neben 

9iichen  und    guten  Früchten    >auch   manches  Unkraut,  emporge- 

«teheri  ist.    Insbesondere   ist   die  lateinische   Lautlehre  aus  4lit 

Mgen  gerathen,  indem   ihr  Lautwandelungen ,   namenMich  ConSo^ 

Menwechsel  zugeschrieben    worden  sind,    die  der    lateinischen 

Ipaeiie  fremd  waren    und    lediglich    aus  verwandten   Sprachen, 

ttnenUich  aus  dem  Sanskrit  und  Griechischen  auf  dieselbe  über- 

LVm.  Jahrg.  1.  Heft  5 


66  C«rs8en:  Krttiiche  Qetirlge. 

tragen  siadc  (S.  VI).  Es  mag  daraas  zugleich  die  Stellnng  des  Ver- 
fassers erbellen  gegenüber  einem,  auch  nach  unserer  üeberzengung 
in  so  Manchem  tlbertri^beneii  8treben,  andere  Sprachen ,  nament- 
lich das  Sanskrit  herbeizuziehen  zur  Erklärung  lateinischer  Worte 
und  Formen ;  diesem  Streben  steht  der  Verfasser  ferner,  und  wemi 
er  daher  da,  wo  er  nach  einem  sicheren  Boden  sich  umsieht,  den 
et  allerdings  ofb  näher  in  den  alt-italischen  Dialekten,  die  ihm, 
wie  Wenige  bekennt  sind,  findet,  seine  Polemik  gegen  das  Heran- 
ziehen femer  liegenden  Wurzeln,  namentlich  aus  dem  Sanskrit  er- 
hebt, so  ist  diess  doch  stets  nur  mit  Umsicht  und  Takt,  wie  in 
einer  würdigen,  durchaus  nicht  verletzenden  Weise  geschehen. 

Der  Inhalt  des  Ganzen  besteht  aus  drei  Theilen,  deren  erster 
die  Oonsonanten,  der  zweite  die  Vokale  behandelt,  der  dritte  han- 
delt :  Zur  Betonung.     Im  ersten  Theile  werden  nach  sechs  Abthei- 
hmgen  unterschieden:     Gutturale  (k.  c.  qu.  g.),   Linguale   (t.  d.), 
Labiale  (p.  b.  f.)i   Nasale   (m.  n.),   Liquide  (1.  r.),   Sibilanten  (s. 
j.  V.);    im  aweiten:   Lange  Vokale   (a.  n.  e.  i,),     Zur  Wandelung 
der  Vokale,  Zur  Kürzung   der  Vokale   in  Endsilben,   Zur  Tilgung 
der  Vokale.     Diesä  ist  das  Schema,   nach  welchem   die   einzelnen 
Wörter,  wie  ganze  Bildungsformen  und  Wortbildungsklassen,  wor- 
unter namentlich  die  verschiedenen  SuMxa  als  Gegenstand  beson- 
derer Aufmerksamkeit  und  Behandlung  genannt  zu  werden  verdienen, 
in  Untersuchung  genommen  werden.  Welche  Bedeutung  und  Wich- 
tigkeit daher  diese  Untersuchungen  für  die  Behandlung   der  latei- 
nischen Grammatik,    namentlich   in   ihrem  etymologischen  Theile, 
ferner  für  die  gesammte  Lexicographie   mit   Einschluss   der  Syno- 
nymik besitzen,  welche  Förderung  sie  für  eine  gründliche  Erkennt- 
nis« der  lateinischen  Sprache  selbst  bringen,  wird  kaum  noch  einer 
besonderen  Erwähnung  bedürfen,  und  eben  dämm  wird  es  auch  kaum 
nöthig  sein,  hinzuweisen  auf  so  manche  andere  Bemerkungen,  welche 
hfcer  und  dort  eingestreut,  für  die  Kritik  wie  die  Exegese  einzelner 
Stellen  lateinischer  Schriftsteller,    namentlich   der  Dichter  nutz- 
bringend  sind,   die  richtige  Erklärung  und   Auffassung   einzelner, 
meist  mehr  oder  minder  bestrittenen  Ausdrücke  angeben,  oder  auch 
den  Üntersehied  in  Formen  und  Ausdrücken   der   altem  LatinitSt 
von  der   späteren  nachweisen,   insbesondere   auch  manche   Eigen- 
namen, und  selbst  Göttemamen  durch  eine  richtige  Erklämng,  die 
aus  dem  hier  nachgewiesenen  Urspmng  des  Wortes  hervorgeht,  Ins 
Lieht  setzen.     So  findet,   um   ein  kleines  Beispiel   der  Art  anzn- 
iHtoen,  8.  425  JuvenaVs  (VH,  134)   so  viel  besprochene  stlata- 
ri»  Purpura  seine  einfache  Erklärung  darin,  dass  stlat-a-rlnm 
entstanden  aus  strat-arium,  wie  stlatus  aus   stratus,  döm- 
MMh  ein  Purpur  gemeint  istj   der  zum  Teppich  gehört,   also    von 
einem  gewirkten  purpnrfiirbenen  Teppich  die  Rede    ist.     So   Hesse 
^ch  noch  gar  Manches   ähnlicher  Art   anführen,   sowohl  was    die 
richtige  Aufassung  und  Erklärung  einzelner  Worte  und   Stellen, 
insbesondere  aus  der  alteren  lateinischen  Literatur  betrifft,  als  ancli 


0«ifM«ti:  Kvittnfte  BeIMM»  69 


in  Beng  8iif  die  Kritik  (vgl.  e.  B»  &  6,  220);  mr  köaMn  «Mi 
Afl68  iiief  nickt  im  EintciiieB  anftthren,  da  der  beaehrtUikte  Bamn 
fbaeer  Bläser  es  nickt  gestattet,  wir  mtUsen  nni  begattgen,  auf 
diese  reicka  Faiidgrabe  iu  Allgemeinea  verwiesen  und  anfiaearksaai 
funsoht  LH  kaben.  Und  wean  Miau  aaek  in  eiazekMn  lUlen, 
aeüoiiliok  in  solehea,  wo  es  siok  um  die  eiymologiseke  Feststelltuig 
der  CkiimdwiMsel  kand^,  dem  gelekrten  Verfasser  nidhi  in  AUem 
m  folgen  geneigt  sein  sollte,  in  sofsm  hier  noek  nickt  die  völlige 
Sicheiäeit  errei^t  sdkeint,  so  wird  man  um  so  lieber  dem  Ver** 
bsser  flberall  da  folgen^  wo  er  den  poeitiren  önmd  und  Bedien  g#4 
fonden  mid  Ton  hier  aas  Anwendmg  tmd  Qebranek  des  Wortes 
wiiter  T^eiolgt;  mid  darin  liegt  nack  nnsexer  üebteaengung  ein 
HsnptYomg  dieser  Foradmngen.  Wir  wollen  nnr  «n  einigen  Viihm^ 
die  wir  aas  der  Ffifle  des  kier  äebotenen  kemasnebmen»  diesswMk 
siher  aackveisen. 

in  dem  Absoknitt,  der  Ton  den  Gutturalen  kaadeh,  mOtkten 
wb  msbesoiidere  anfmerksam  macken  auf  die  gleiek  am  AnÜMif 
befindHeke  Srdrismi^  über  dasSekwind«i  des  k-I^uies,  den  An»* 
bU  des  e  n«  s^  w. ,  was  eu  einer  aosfikkrlickan  Be^recknng  der 
Fnrmen  sectinSy  setins  wie  secins,  ssqmins  goftlkii  bait 
(8.  5-*-12),  Ten  wekken  setins  als  die  am  besten  vevbflDrgtft 
ioam  anezteüvt  wird^  wftbrend  die  alte  Form  seetins  siebt  ab^ 
mkogaen  ist,  der  Scbrabart  seqn iu s  dagsgen  kein  semlerliokes  tik^ 
wislit  beisakgen  ist,,  wenigstens  niekt  mekr  sls  dem  zaklnMok  voricom^ 
■enden  s  e  o  i  u  s*  In  wie  weti  die  etymologisebe  Unter sochong,  weldie 
»etins  aof  denselben  Stamm  wie  segnis  eurllokfUirt,  nnd  eben 
dadorek  anok  sn  dem  Ergebniss  gelangt,  dass.  sstius  neben 
wäinB  den  Wegfall  eines  mrsprOngkieken  c  nach  Yokalen  yor  feft^ 
Igmkim  i  neckt  erweisei,  fttx  sicker  gestellt  sabetsaokten  ist^  W4gen. 
vis  niokt  .sa  entsekeiden,  da  hiev  deek  noek  eiaogem  Bedmiken 
iaimi  gebissen  ist,  aber  anfmerksam  sn  maeken  a«f  die  noek  Manekes 
Andsm  in  d«n  Ereie  der  Srihrtenuig  ziekende,  gewies  belehrend» 
üfttevsaekimg  dürfte  wokl  kier  am  Platze^  sein*  Dagegen  wixd  man 
uMingt  dens  Yee&sser  beipfliekten  in  der  Sk  12  £  geführten 
^Mheidigüiig  von  oenviciiim  (wie  auek  Y errins Flaoens  sokrisb) 
ftlr  daa  mdängst  empfoklene  convitimn,  weleke  Schre&bnng  anok^ 
M  ksinem  vömisoken  Gnunmatiker  vorkommi;  etymelogisck  wird 
die  Brkkkrang  Ulpiaifs  (»qnun  in  nnom  pkiree  -voces  oonlenuilnr^ 
«onTleiam  appe^ator  qfsaei  oonTOcinn^  angenommen  nnd  ge«' 
leigl^  wie  der  üekergang  roa  o  (in  vox)  in.  ein  kmges  i  kefams 
Bedenken  nnterliegen  kann.  In  üknlioher  Weise  wird  «nek  die 
Sskrsibari  snspicio  für  snspitio  (wie  in  alten HJaadeohriaen  voT'^ 
koMmt),  als  die  riekiigere  et7m<4ogifleh  naehgewiesen  (S.  U.  16), 
flbm  m  anok  oiUm  (8.  18).  ^  In  demselben  Abeohnitt  8.48& 
gabt  dsr  Yatfasses  in  eine  nilkere  Üntersneknag  Über  Qv  mid  Qr 
on;.  er  gebmgt  im  der  Frage  naok  der  etymodegisehen  Sboetstehisg 
Öse.  <|9^  j»  ^em  Ssfebnissy  das»  dasselbe  naokweislioh  in  mehreren' 


SttUen  ftm  kr  entstanden  ist,  und  daüdiess  aacb  in  aadezn  nooh 
nioht  sicker  naehgewiesenen  FfiJlen  mö^eh  ist,  dass  aber  qv  niebt 
überall  aus  kr  bervorgegangen  sein  rnnss,  sondern  im  Bereiob  der 
lateinisoben  Spraobe  aucb  aus  c  entstanden  ist  (8.  52)* 

In  dem  Abecbnitt,  der  von  den  Lingualen  t  niid  d  bandelti 
iet  der  y erfEiseer  zu  einer  umfassenden  üntersnobnng  Aber  das  La» 
teiniscbe  öenindium  (S.  120  ff.),  geführt  worden,  auf  weiebe  wir 
um  so  mehr  aufmerksam  machen  müesen,  als  mit  der  etymologi- 
schen Erörterung  auch  die  des  Sprachgebrauchs  verbunden  ist  und 
infibesondere  nachgewiesen  wird,  aus  Stellen  der  lUteien  Dichter, 
wie  selbst  der  Prosa  der  Ciceronischen  und  Angusteischen  Zeit, 
dass  hier  das  Neutrum  streng  in  dem  Sinne  von  Yerbalsubstanti* 
ym  auf  ti~-on  gebraucht  wird  und  daher  auch  der  Genitiv  damit 
Terbimden  wird,  mithin  ein  substantivischer  Gebrauch  des  Gersur 
diums  klar  vorliegt,  während  eben  so  auch  der  verbale  Gebraoeh 
des  Gerundiums,  wo  es  mit  dem  Acousativ  verbunden  wird,  (gerade 
wie  auch  Verbalsubstantive  im  Altlateinischen  mit  dem  Aocosativ, 
den  dasVerbum,  wovon  sie  gebildet  sind,  regiert,  sich  verbunden 
finden)  durch  Beispiele  näher  erörtert  wird  und  an  dritter  SteUe 
nodb  auf  den  adjectivischen  Gebrauch  in  der  Verbindung  mit  Sub* 
stantiven  in  gleichem  Numerus,  Genus,  Casus  mit  passiver  Bedeur 
tung  (Gerundivum)  hingewiesen  wird*  So  hat  »also  das  mit  dem 
Doppdsuffiz  on-f'do  gebildete  Verbalnomen,  das  mit  dem  eigsnt^ 
lidi  sinnlosen  Namen  Gterundium  bezeichnet  wird,  im  Sinraohg»- 
bzauch  eine  substantivische,  eine  verbale  und  eine  adjectiviselie 
Verwendung  erhalten  und  ^e  Beziehungen  des  Aktiven  und  Passi- 
ven, der  Nothwendigkeit  und  der  Zukunft  wurden  in  dasselbe  erst 
durch  den  Wort-  und  Gedankenzusammenhang  hineingetragen.« 
(fi.  188)  umfassende  Erörterungen  ähnlicher  Art  finden  sich  aook 
in  d«n  folgenden  Abschnitt  über  die  Labialen,  wie  z.  B«,  über 
famulus  und  familia,  die  auf  einen  Nominalstamna  fia* 
m&  oder  fa-mo  zurückgeführt  worden,  welcher  Haus  bedeuten  muse 
(&  184),  womaoh  also  in  familia  die  Bedeutung  Hausgenos- 
aen  8  c  h a  f  t  hervortritt,  und  die  verschiedene  Anwendung  im  Sprach- 
gebrauch hier  weiter  nachgewiesen  wird.  Wenn  S«  197  fas,  ne* 
fas,  fastus,  nefastus  auf  fa-ri  zurückgeführt  wird,  (mit  Be*> 
2Bg  auf  dies  fastus,  ein  Tag,  an  welchem  Becht  »gesprodieii« 
wird  und  nefastus,  wo  diess  nicht  geschieht),  so  wird  man  dieser 
einÜEkchen  Ableitung  nicht  entgegentreten  können.  >Wie  f»>tii*ai, 
hebet  es  dann  weiter,  eigentlich  das  »Gesprochene«,  dann  »Schioic- 
salflspruch,  Ausspruch  des  Gottes«  wie  loca  ef-fa-ta  »heiliggespro^ 
ebene,  gottgeweihte  Oerter«  bedeutet  und  eben  dasselbe  audh.fa» 
nu-m,  eben  so  bat  £a-s  den  Sinn  »göttliches  Wort,  göttliches  Gbboi« 
erhalten.«  Nicht  minder  beachtenswerth  erscheint,  um  nooh  em 
anderes  Beispiel  anzuführen  die  S.  21 7. ff.  eingeleitete  Untersoohimg 
über  fostis,  hostis.  Wenn  dieses  Wort  meist  für  dasselbe 
Wort  wie  das  Gothische  gas-t-s  und  das  Neuhochd.  gas-t  aii-> 


geaalMi  loid  daher  die  Bedentnng  »GMtfkwmd«  ftr  die 
Me  aagMelieik  wird,  so  ist  der  VerfiMser  hier  einer  gsni 
Amicbi  Br  ftllirt  alle  die  Stellen  der  Alten  an,  in  welohen  irgend 
dae  taf  dieaee  Wort  besttgliehe  ErUttnmg  sioli  findet,  wie  t.  & 
diB  Olorae  peregrinne,  nnd  saolit  dann  inieigen,  daee  hostis 
ii  der  iHeron  Spraebe  aJe  das  gebrftnehliohe  Wort  fGbr  Kriege«- 
feind  erscheint,  nnd  Hbeiliaiipt  immer  den  Gegner  des  civis  B^ 
minis,  sei  es  anf  dem  Schlachtfelde  (also  den  Kriegsfeind),  sei  es 
m  Gsrieht  (also  den  Ansiftnder,  peregrinns),  bedeute.  So  wird 
aho  jene  Znsammenstellang  mit  dem  Oothischen  gasts  yerworfen, 
dM  «ine  gans  andere  Bedentnng  hat,  als  das  Lateinisohe  boetiSy 
wt8  Bsdi  der  richtigen  Ansicht  des  Verfassers  (in  Besng  auf  die 
Bekaopiong  Ton  Serrins  zn  Virgil  Aeneis  IV,  424)  niemals  hospes 
iMdeotst  hat.  Wenn  also  hostis  nrsprtlnglich  weder  die  Beden* 
tog  eines  Gkwtes,  noch  eines  Fremdlings  hatte,  oder  rielmehr  ha- 
ben konnte,  so  wird  die  nreprOngliche  Bedentnng  »Kriegsfeind« 
{m  welcher,  beilinfig  bemerkt,  schon  Baier  in  seinem  Ezcnrs  Xm 
iber  bostis  in  den  Officien  pag.  846  IT.  eine  Ahnnng  hatte)  noch 
veitsr  dnroh  die  Bedentnng  einiger  andern,  davon  abgeleiteten 
Wörter,  welche  der  SHeren  Sprache  eigen  waren,  sp&ter  aber  ab- 
kttden  gekommen  sind,  best&tigt,  insofern  denselben  die  Vorstel- 
hag  eines  feindlichen,  gegnerischen  Handels  sn  Onmde  liegt  (ho* 
■fe»,  hostimentnm,  redhostire);  dass  aber  ein  Volk,  welches  in 
iMe,  ksam  seitweise  nnteri>rochene  Kampfe  mit  seinen  Nachbarn 
vwviek^  war,  sich  gewöhnte,  in  jedem  Ausländer  oder  Fremdling 
iKh  einen  Feind  zn  sehen,  nnd  daher  ihn  anch  mit  demselben 
Worte  (hostis)  beseichnete,  erklftrt  die  Bedentnng  peregrinns,  wo* 
■H  slk  Glossen  das  Wort  hostis  erUftren.  Wie  anch  im  (Me- 
(^bea  bei  dem  Worte  iivog  Etwas  AehnUches  vorkommt,  in  se 
hn  ee  den  Kriegsfeind,  wie  den  AnslSnder  beseichnet  in  der  Sprache 
te  ^Nfftamschen  Ephoren  (Herod.  IX,  11),  ist  bekannt. 

Man  wird  das  Ergebniss  dieser  gelehrten,  noch  Manches  An- 
^T  was  damit  in  Verbindung  steht,  heransiefaenden  nnd  ins  Licht 
"teden  üntersnchnng  gerne  beachten,  selbst  wenn  man  der 
^>na  gekntlpften  üntersnchnng  über  die  Wnnel,  die  in  diesen 
Woribildingen  enthalten  ist,  nicht  die  gleiche  Sicherheit  snerkennen 
*^He.  In  dem  Abschnitte,  der  von  den  Nasalen  m  nnd  n  han- 
Wt,  bietet  insbesondere  die  nmfbssende  üntersnchnng,  welche  dem 
^^^^mianten  n  (8.  255  ff.)  gewidmet  ist,  eine  Beihe  yon  interes- 
^  "ttten  fiii^Tteningen,  von  welcher  wir  nnr  anf  Weniges  hier  anf- 
?**k»m  machen  wollen:  es  wird  nemlich  hier  mn&ohst  von  dem 
J^Äkenden,  dann  von  dem  anelantenden  n  einer  Anzahl  vonWort- 
^^"^  gehandelt,  üeber  den  Lant  dieses  Gonsonanten  selbst  spricht 
^  der  Verf.  8.  270  in  folgender  Weise  ans:  »Das  Lateinische 
}  Itttte  einen  scharfien,  festen  Znngenlant  im  Anlant  der  WOrter, 
•*  tlaöt  xwischen  Vokalen  nnd  mit  Ansnahme  der  späteren  Volks- 
^'Wbe  auch  in  der  Begel  vor  dentalen  Mnten;   es  hatte  einen 


99  GtTttvnc  SiÜiRbt^  B^iMgia^ 

iiwwfelU-  iWttw  T<m  im  Iidant  defc  WörteiT  Tor  fiflgtaMfem  «»  ia 
lli|MMNMat1lge06is(eii  WOriem  T<»r  dw  HalbyoMltiii  j  und  ▼  yor  dtom 
BooUfti^  h  roA  Yor  dem  labiodemtalaa  HaacUaut  f ;  es  katie  eiaoo 
gfittipral«!!  KlaAg  vor  den  gojtttrmlen  Lauten  c,  q,  g,  eh  und  tot 
de«)  guttejral  anlautenden  Doppelconflonanton  k«  (S.  270).  Was 
die  eaiiseln^n  bier  behandelten  Worte  und  Wortfonnen  bttriffk»  so 
emm^oni  wir  aoeh  Vw  nur,  Beispieldialber»  an  die  ErOrtorUng 
Aber  taxn  and  tarnen  (S.  272  ff.)  so  wie  an  die  üntersoolinng 
tV<ar  dieAdTerbien  auf  im,  namentUoh  auf  tim(8. 2790;  der 
YerftMeer  giebt  eine  ZnnammentteUung  aammtUeher  hierher  ein- 
9fiU^gen  Adverbien  nach  den  Zeitaltem,  in  welchen  sie  im  Ge* 
braupb  waren  und  den  Auslauten  der  Wortatämme,  von  denen  sie 
abgelötet  sind;  merst  werden  die  ans  der  älteren  LateiniBchea 
%Krae)ie  vor  Aogustus  «usammengestellt,  dann  die  bei  Sohtiftatellam 
der  besten  Zeit  oder  allgemein  und  häufig  su  allen  Zeiten  ge* 
brttuebliohen,  welchen  eine  AnzaHl  solcher  Adverbien  angereiht  werden, 
gleiche  dem  alten  Spracbgebranoh  angehören,  und,  währand  sie  bei 
den  Schriftstellern  der  besten  Zeit  nicht  vorkommen,  oder  viel- 
Hiehr  aus  den  uns.  zugänglichen  SehriAd^ikmalen  sich  nicht  aaeh- 
weisen  lassen,  in  spaterer  Zeit  wiederkehren.  Dann  wird  «ait«r 
noch  unterschieden  swisohen  den  bei  Schriftstellern  der  altoren 
Kaiserzeit  nach  Augustus  vorkommenden,  welche  ebenfalls  imsam-* 
mengestellt  sind,  und  zwischen  denjenigen,  welche  dem  Oebrauehe 
der  spl^ten  Kaiserseit,  zum  Theil  schon  ehrisülohen  Sohriftstellem 
aw^l^dren  und  noch  ziemlich  zahlreich  sind.  Es  ergiAbi  sich 
aas  dieser  ganzen  Zusammenstellung  der  häufige  Gebrauch  der  ao 
gebildeten  Adverbisn»  so  wie  aueh,  was  der  Verftsser  weiter  mit 
Grund  darww  folgert,  dass  diese  Bildungen  der  Volkssprache  ei- 
genthümlicb  waren;  eben  so  lehrt  diese  Zusammenstellung»  tdam 
die  Adverbien  auf  tim  von  Yerbalst&nunen  sowohl  mit  vokaliacheai 
als  mit  conaonantiachem  Auslaut  gebildet  sind,  dass  sie  sriten  ane» 
g(^n  vo^  Yerbalstämmen,  die  auf  e,  i,  u  auslauten,  ganz  aberaas 
hilufig  aber  von  denominativen  Verben  der  A  -  Conji^^ion,  na* 
türlich«  da  diese  im  Lateinisohen  die  bei  weitem  Überwiegeade 
Klasae  von  Senominativea  bilden«  (S.  285).  Aueh  die  Erörtema- 
gen  über  nnm,  nempe,  enim  (3.  291  ff.)  werden  gleiche  Be* 
achtung  verdienen  ^  und  zugleich  auf  den  Gebrauch  und  die 
Anwendung  dieser  Partikeln  Licht  werfen.  Wie  umfitflSiwiA 
die  Untereuobung  über  L  in  d^n  den  Liquiden  gewidme- 
tfn  Abschnitt  ausgefallen  iet»  mag  schcm  daraus  erhellen,  dasa 
4ar«elbe  gegen  hundert  Seiten  einnimmt  (S.  294— SdO);  elwae 
kürzer  ist  die  Untersachnng  Über  B  (S.  390—408).  Daas  wir  es 
iMis  nur  ungern  versagen»  aus  diesem  wichtigen  Absohaitte,  wie 
aus  dem  nicht  minder  wichtigen»  darauf  folgenden  über  Sibilantea 
(9»  i)  ▼)>  der  ebenfeUs  an  hundert  Seiten  einnimmt  (S.  408--507> 
und  des  Wichtigen  und  Interessanten  so  Viel  Mithftlt»  Binaelnea 
anzuführen,  bedarf  wohl  kaum  einer  Erinnerung»  nacbd^a  wir  nur 


u  mjuguk  Beispielen  ftus  den  vorherg6lMade&  Absehnftieii  gaaeigi» 
wai  dar  Leeer  hier  zu  erwarten  hat.  und  damelbe  giU  aoeii  TM 
der  sweiien  Abtheilitng  des  Oanaen,  welche,  wie  irir  sokoft  oban 
beoMrkt  haben,  die  YokaAt  behandett  (8.  608 — 667).  Die  driti« 
Abtheihug,  »zur  Betonung«  (S.  568—586)  eehlieset  eioh  aa  da« 
iD,  WM  der  Verfasser  in  seinem  frtthem  Werke  (Ansftpr.  n,  8ftl 
bis  838)  bemerkt  hatte;  dort  nemlich  hatte  er  die  AnBkht  be« 
grfindet,  dass  das  uns  überlieferte  BetonittigsgeMts  4er  LatMai« 
sdien  Sprache  nicht  von  jeher  in  demBelben  herraehend  gew^saeA 
msL  kOnne,  dass  demselben  vielmehr  eine  fireiere  BetomngvweM 
Torhargegangen,  naoh  wekher  in  der  älteren  Sprache  der  Hoeäton 
sieht  dorch  die  Tondaaer^  der  drei  letzten  BUben  nnd  imcA  dis 
Tonlftnge  der  letzten  Silbe  gebunden  war.  Der  aunftohit  ton  &» 
Cortins  dagegen  erhobene  Widerspruch  hat  den  YeefMeer  T«nui« 
bsst,  hier  nochmals  in  diese  Frage  einzutreten  ubd  seine  Anslehi 
wider  die  gemachten  Einwürfe  zu  rertheidigett  uttd  aufrecht  lu 
erUlien.  Wir  glauben  auch,  dass  es  dem  Yeriasser  gehitigeü  ist^ 
seias  Ansieht  wider  die  Terschiedenen,  hieif  sorgfUtig  borflDksieb* 
tigt«n  Einwände  gerechtfertigt  zu  haben«  Auf  einige  Naohtrttge 
ond  Berichtigungen  (S.  587  ff.)  folgt  ein  seht  branchbaret  Indei 
(S.  590 — 608  in  doppelten  Golunmen)  über  alle  die  in  diesem  WeAtf 
behandelten  Worte  und  Wortformen. 


Rtptrtorium  typographicum.  Die  d4fsU6k€  LUeruiur  im 
traten  Viertel  des  eechzehnien  Jahrhunderte,  in  AneeUkee  «• 
Haim  Repertarium  undPanger»  detäeehe  Anneäen,  V&n  Emii 
Weller.  (Auch  mit  dem  beeandem  Tüei:  Georg  Wolf^ 
gang  Panzer'e  Annalen  der  äüeren  deuteeken  LUirethnr 
MD'-MDXXVl  Dritter  Theii.  l^aeh  den  Quettm  bearbeim 
v(m  Emil  Well  er).  Nördlingen.  Druck  und  VeHag  der 
C.  B.  BecVechm  Buchhandlung.  1804.  XVIIJ  und  60$  & 
in  gr.  8. 

Dieses  neue  bibliographische  Werk  reiht  sich  den  ahnliclieti 
Leistimgen  des  Verfassers,  von  welchem  bereits  mehr^Aeh  in  diesen 
Buttern  die  Sede  war,  würdig  an.  Die  Mängel  des  Panser'seheii 
Werkes,  welche  eben  so  so  sehr  in  der  ünvoUständigkeit  der  ge« 
machten  Angaben,  wie  in  der  Ungenauigkeit  derselben  Hegen,  Ter- 
änlassten  den  Verfasser,  das  Ganze  einer  neuen  und  sorgfiütigen 
Kevigion  zu  unterziehen :  die  Ergebnisse  derselben  liegeti  in  dieeem 
Werke  Tor,  dass  darum  nicht  blos  als  eine  Umarbeitung,  sondeta 
^Imehr  als  ein  neues  und  selbständiges  Werk  erscheiiit.  Dicf 
Aufgabe,  welche  der  Verf.  dabei  sich  gestellt  hatte,  ytBx  keine  ge- 
nüge, und  eben  so  wenig  leichte:  denn  ee  galt,  AUee  das,  und  zwar 
Büt  aller  möglichen  Genauigkeit  zu  verzeichnen,   was  die  deutoehe 


78  Weiler:  Bepertorlum  tjpograplilemii. 

Piresfle  innerlialb  des  ersten  Yierteb  des  seehsehnteii  Jahrhmiderte 
hervorgebracht  hatte,  den  Dracker  wie  den  Dnickort  anzugeben 
imd  eben  80  diejenigen  Samminngen,  Öffentliche  wie  Prirat-Biblio- 
theken  zn  bezeichnen,  in  welchen  noch  heat  zn  Tage  diese  einzel- 
nen Drucke  sich  vorfinden,  wie  sie  hier  genan  bibliographisch  be- 
schrieben sind:  auf  diese  Weise  erscheint  Alles  gehörig  constattrt 
nnd  wird  über  das  Einzelne,  das  hier  verzeichnet  ist,  kein  weiterer 
Zweifel  mehr  statt  finden  können.  Dass  anch  sonstige  literftrische 
Nachweisangen,  Angabe  der  Abdrücke,  der  Auszüge  n.  dgl.  m.  mit 
der  genauen  Beschreibung  verbunden  sind  und  in  kleinerem  Droeke 
nachfolgen,  mag  den  Werth  dieser  Angaben  erhöhen.  Die  Durch- 
forschung der  verschiedenen  Bibliotheken  in  Deutschland  wie  in  der 
Schweiz  war  daher  geboten:  sie  brachte  auch  Manches  Nene,  was 
bisher  Unbekannt  geblieben  war  und  fllhrte  eben  so  auch  zur  Be- 
urtbeiHmg  mancher  im  Einzelnen  verbreiteten,  irrthümlichen  An- 
gaben. Der  Verfasser  hat  die  Unterstützung,  die  ihm  dabei  von 
verschiedenen  Seiten  zu  Theil  ward,  dankbar  anerkannt,  nnd  es 
wird  dämm  auch  wohl  an  dieser  Stelle  erwähnt  werden  dürfen,., 
wie  demselben  auch  aus  der  Heidelberger  UniversiiAts-Bibliothek 
von  Seiten  des  Bibliothekars  Dr.  Bender  eine  Reihe  von  Mitthei- 
longen  über  eine  Anzahl  von  höchst  seltenen  Drucken  zugekom- 
men sind,  von  welcher  noch  in  der  Nachschrift  des  Vorwortes 
8.  Xn  dankbarer  Gebrauch  gemacht  worden  ist.  Erwägt  man, 
wie  es  bei  so  vielen  aus  der  Druckerpresse  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts hervorgegangenen  Producten  sich  nicht  um  grössere,  um- 
ftingreichere  Werke  handelt,  sondern  vielmehr  um  kleine,  oft  nur 
ans  einem  oder  mehreren  Bogen  oder  Blättern  bestehende  Publi- 
kationen, Flugschriften  u.  dgl.,  so  mag  daraus  die  Schwierigkeit 
nnd  Mühe,  über  Alles  derartige  genaue  Notizen  zu  erhalten,  eben 
so  erkannt  werden,  wie  der  Werth  und  die  Bedeutung  einer  sol- 
chen bibliographischen  Arbeit.  Und  wird  dieses  Verdienst  nicht 
geschmälert  werden,  auch  wenn,  wie  diess  in  der  Natur  der  Sache 
liegt,  später  noch  Einzelnes  aufgefunden  werden  sollte,  was  noch  nicht 
dem  Verfasser,  ungeachtet  aller  Nachforschungen  bekanntgeworden  ist 
und  darum  auch  nicht  hier  verzeichnet  werden  konnte.  Es  ist  wahrhaf- 
tig genng  des  Neuen,  was  hier  zum  erstenmal  sich  verzeichnet  findet. 
Wir  bemerken  in  dieser  Beziehung,  dass  der  Verfasser  von  Ein- 
blattdrucken nur  die  von  Text  begleiteten  au&ehmen  zu  müssen 
glaubte,  nnd  dass  auch  lateinische  grammatikalische  Werke  mit 
deutschen  Worterklärungm,  eben  um  ihrer  Bedeutung  ftLr  das  deut- 
sche Sprachstudium  willen,  aufgenommen  wurden,  auch  wenn  Pan- 
zerte lateinische  Annalen  ihrer  schon  gedachten;  was  man  nicht 
missbilligen  wird.  Ebenso  ist  der  Inhalt  werthvoUer  Lieder-Samm- 
lungen in  den  Bibliotheken  zu  Augsburg,  München,  Erlangen,  eben 
so  einer  Reihe  Folioblätter  in  der  Münchner  Hofbibliothek,  ferner 
einer  grossen  Anzahl  in  Berlin,  Wien  und  München  befindlichen 
historischen  Lieder  und    Gedichte  hier   zum   erstenmal   angezeigt 


W«ller:  ><pcrtoritt«  typogmpiieim.  18 

ß.  H);  mir  bei  dem  Xttneluier  BeichsarehiT,  wo  lieh  neben  den 
iikriftlidie&  ürkonden  noob  Maacbee  Oednickte  ans  der  hier  m 
Betndit  kommenden  Zeit  finden  mag,  waren  die  Bemflbongen  dee 
TflrfMsen  TorgebUeb,  da  der  betreffende  Arebiybeamte  im  Yerlanf 
Ton  Wodien  keine  Zeit  fand,  dae  Material  aofsmmcben  nnd  rar 
wtiteren  Benntinng  Tonralegen! 

Die  ganze  Suimlnng  verzeichnet  in  doppelten  Golnmnen  auf 
jadflr  Seite  (mit  den  Nachträgen)  4096  Nnmmem,  rechnet  man 
ftber  dara  die  noch  spftter  nea  hinzugekommenen  nnd  nicht  mit 
Hummern  bezeichneten,  welche  in  der  Vorrede  Terzeichnet  find, 
so  steigt  die  Zahl  über  viertansend  einhundert  Nnmmem, 
wenmter  allein  von  Lutherischen  Dmcken  560  mehr  als  bei  Paa- 
m  gieh  finden«  Denn  das  erste  Viertel  des  sechzehnten  Jahr* 
hnderts  brachte  in  Folge  der  Reformation,  nnd  der  nnn  anoh 
mmw  weiter  yerbreiteten  Bnchdmckerkonflt  eine  Masse  von  solehon 
Ueinen  Drucken  und  Flugschriften  herror,  und  wir  haben  alle 
ünadie,  die  Behauptung  des  Verfassers  fllr  sicher  zu  halten^  dass 
«M  ziemliche .  Menge  alter  Drucke  und  Ausgaben  im  Laufe  der 
Zeit,  in  Folge  der  später  eingetretenen  kirchlichen  und  politisdien 
Efaipfe,  zu  Chrunde  gegangen  und  Tcrschwunden  ist. 

Die  Anordnung  des  Oanzen  ist,  wie  diess  die  Natur  der  Sache 
mit  sich  bringt,  die  chronologische.  Zuerst  werden  die  Drucke 
ohne  Jahreszahl  aufgeftlhrt, in  Allem  130 Nummern;  Tielleicht 
gdisgt  es  der  fortgesetzten  Forschung  des  Verfassers,  bei  Einzel« 
m  auch  das  Jahr  der  Erscheinung  noch  zu  ermitteln ;  dann  folgt 
dM  Jahr  1500  mit  50,  das  Jahr  1501  mit  30,  das  Jahr  1502  mit 
40  Nummern  und  so  fort.  Die  grosse  Genauigkeit  und  Sorgfialt,  mit 
«ekher  Alles  Einzelne  verzeichnet  und  mit  allen  weiteren  literftr* 
gMchichtliclien  wie  bibliographischen  Notizen  begleitet  ist,  haben 
wir  scbon  oben  erwähnt,  und  ftlgen  in  Bezug  auf  das  Verhaltniss 
«I  dem  Werke  von  Panzer  nur  die  Worte  dee  Verf.  aus  dem  Vor- 
w(nrt  8.  X  bei.:  »Alle  M&ngel  Puizer^s  zu  berichtigen,  unterliess  ich 
imBesondem  desshalb,  weil  ich  dann  fast  jeden  seiner  Titel  hätte 
conrigiren  mUssen,  es  aber  vor  Allem  darauf  ankam,  wesentlich 
Abweichendes  zu  berichtigen  oder  vielmehr  neu  aufzuführen, 
Kese  Kategorie  ist  mit  einem  f  bezeichnet.  Panzer  kann  bei  einer 
^einstigen,  Alles  begreifenden  Bibliographie  nie  abgeschrieben, 
toekstens  verglichen  werden.  € 

Als  nützliche  Zugaben  eu  diesem  Bepertorium  betrachten  wir 
&  Begister,  nnd  zwar  erstens  das  Typographen-Begister,  ein  in 
^^ten  Golnmnen  gefesstes,  alphabetisch  geordnetes  Verzeiohniss 
d«r  der  Dmoker,  deren  Erzeugnisse  in  dieses  erste  Viertel  des 
^eehselmten  Jahrhunderts  fallen  und  in  diesem  Werke  aufgefdhrt 
^  beschrieben  sind,  und  werden  bei  jedem  Drucker  der  Wohn- 
<^  desselben  so  wie  die  einzelnen  bei  ihm  erscheinenden  Drucke 
oster  Beifligang  der  Nummer,  nach  der  sie  in  diesem  Werke  auf- 
gBfiÜtrt  sindy  angegeben  (S.  461—476);  wir  finden  in  Allem  174 


NaaaQ«a  lurfgefObrt»  die  aidk  auf  51  Orto  yertbeUen,  daoniatar  allein 
20  aa£  Augsboi^,  11  auf  Basel  und  eben  bo  riele  auf  Wittienberg» 
jlS  auf  Nürnberg  u.  s.  w.  Das  andere  BegiBter  ist  ein  »Anioren- 
und  Sacbenregister«  (S.  477—506),  welche«,  ebenfiftUe  mit  doppelt 
ten  Colonmen  auf  jeder  Seite,  und  mit  kleinem  Druck,  sehr  um- 
fassend  ausgefallen  ist,  da  es  alle  Namen  von  Verfassern  eipiwln*Mr 
Drucke,  so  wie,  da  wo  keine  Verfasser  genannt  sind,  der  Titel  (nach 
dem  Anfangs-  und  Hauptwort)  in  alphabetischer  Reihenfolge  eot^ 
hält  und,  wie  bei  dem  Typographenregister,  bei  jedem  Nam^n  die 
betreffende  Nummer  beifügt.  Auf  diese  Weise  ist  der  Gebrauefa 
dieses  Bepertoriums  sehr  erleichtert. 

Man  wird  nach  Allem  dem,  waa  hier  geleistet  ist,  ürsaohe 
haben,  dem  Verfasser  ftlr  ein  höchst  mühevolles  und  in  der  Aus- 
fühxnng  so  schwieriges  Unternehmen,  die  wohlverdiente  AnexkAn- 
nuttg  zu  zollen ;  dass  dasselbe,  auch  abgesehen  von  seinem  nächsten 
bibliographischen  Werthe,  nicht  minder  wichtig  auch  fttr  andeM 
Zweige  der  Wissenschaft  ist,  namentlich  fUr  die  Behandlung  dar 
deutsohen  Literaturgeschichte,  für  welche  ein  reiches,  zum  Tbeil 
neues  aber  doch  minder  bekanntes  und  benutztes  Afaterial  hier  yer^ 
zeichnet  ist,  bedarf  wohl  kaum  noch  einer  besonderen  Erwähnung. 


Pü  $iädU$ehe  und  bürgerliche  Verf<u9ung  des  römiBchen  Reieha  M 
auf  die  Zeiten  JusHnian'e.  Von  Dr.  Emil  Kuhn,  EreUr 
TheU.  Ldping,  Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner^  1864. 
XU  und  292  8.  gr.  S. 

Diese  Schrift  enthält  die  Fortsetzung  und  den  Abschluss  der- 
jenigen Forschungen,  welche  der  Verfasser  bereits  im  Jahr  1S49 
in  einer  eigenen  Schrift  (Beiträge  zur  Verfassung  des  xGmischen 
Beichs,  mit  besonderer  Bücksicht  auf  die  Periode  von  Constantia 
bis  auf  Justinian)  veröffentlicht  hatte,  von  welcher  in  diesrai  Jahr* 
büchmi  Jahigg.  1850,  S.  636  ff.  Bericht  erstattet  worden  ist.  »Was 
in  den  Beiträgen  Fragment  war,  ist  in  der  vorliegenden  Schrift  zu 
einem  geordneten  und  abgerundeten  Ganzen  erwachsen:  die  Ver- 
fassung des  römischen  Beichs  an  die 'Verfassung  der  Städte  ge* 
knüpft.  Der  Inhalt  jener  Beiträge  ist  darin  angenommen.  Aber 
obwohl  überarbeitet,  und  durch  14  Jahre  fortgesetztes  Stadinm 
auf  demselben  Gebiete  bereichert,  bildet  derselbe  nur  einen  ver- 
hältnissmässig  kleinen  Theil  des  neuen  Werkes.  Das  Meiste  ia 
diesem  ist  neu,  auch  insofern  als  die  darin  behandelten  Gegen- 
stände in  neuerer  Zeit  zum  Theil  weniger  beachtet  worden  sincL« 
In  dieser  Weise  hat  sidi  der  Verfasser  über  das  Verhältnins  des 
neuen  Werkes  zu  der  frühem  Schrift  ausgesprochen;  und  daraioa 
erheUt  auch  die  Fassung  des  Titels^  welcher  dem  neuen  Werke 
gegeben  ist;    e«   befasst  zunächst  die   spätere  Periode  Bom's^  in. 


iraUilr  Em  «ti  Stodt  nidit  mehf  dit  friÜMtf»  B^dBoliiiig  h^um, 
•b  MüUlpukt  deslMelm,  tondem  dieMs  selbst  «1»  Qnues  steM 
MBor  henroririü  (8.  VI)  and  darin  liegt  der  UttiersoUed  iwiiebili 
fiesem  Wert»  und  andern,  wekhe,  wie  die  gewOhnUelien  Hmi^ 
bflehor  der  rOmiechen  Antiqaitftten,  die  irlUiere  Zeit  behandeln,  iä 
wriekor  Born  allerdings  den  Miite^rankt  des  Oanam  bildeie  nnd 
dsa  flbiige  Beiob  daran  geknUpft  ersobeini.  Die  DarsMfamg  defe 
Ver&ssers  bat  demnaeb  die  spfttere  Zeit  des  rOmisobeii  BeiolMS 
nd  dessen  Ver&sBnng  snm  Qegenstand»  nnd  da  in  diesem  spile» 
lea  Seiebe  nur  von  einer  stftdtiseben  nnd  bftrgerliehan 
Vedissang  die  Bede  sein  kann,  insofern  was  ansserbalb  denettMn 
Uegt,  der  Yerwattnng  des  Beidis  nnd  den  damit  beanftragten  Ba^ 
hMeb  angebßrt,  so  ist  beides  aneb  in  den  Titel  der  Bobiift  a«f^ 
gemmmen  worden.  Die  Yeorfiißsnng  des  rOmischen  Beiebe  in  dienst 
ipiteren  Periode,  wie  sie  in  dieser  Sehrift  dargestellt  wird,  ist  gas« 
as  die  Yer&ammg  der  Stftdte  geknüpft ;  »das  rönueohe  Beleb  ist 
n  denken,  als  ans  Städten  bestebend,  welcbe  der  Kaiser  beberrsehd* 
Biese  Städte  babM  nngeftbr  die  iUiseere  Gestalt  eines  sottTerfbMB 
S^Aweizereantons  (?).  Der  Form  naeb  stellt  daher  das  vttmisehe 
Beteh  gleicbsam  eine  F6deratiTTepnblik  iFon  souTorftnen  Sehwesaer*- 
«■tonen  dar  (?),  obgleieb  vom  I^ser  despotiscb  befaeirsebtc  (S.  DL). 
Hsck  dem  Vearf.  kann  daber  nur  ron  einer  stKdtiscben  und  bürgir» 
Heben  YorfiMsnng  die  Bede  sein,  und  flür  diese  bieten  alWdfaigi 
die  Beehtsbfteber,  Digesten  und  Codices  mu  Sobema,  welclMs  sUe 
Uerfaer  einsoblagenden  Punkte  umfeuEWt  (8.  IK).  Bs  ist  aber  diese 
Diotelfamg  Tom  YerfiEisser  darum  bis  auf  die  Zeiten  Justimai's 
WEahgeftlbrt  worden,  weil  mit  Jnstinian  die  Naehriebten  aufhdcen 
od  ^  antike  Welt  abstirbt,  wftbrend  noob  unter  Constantin  and 
Jnstinian  das  rOmiscbe  Staatswesen  im  Ganaen  das  nämliche  wie 
Mher  war. 

In  ftnf  Abschnitte  serfilllt  der  Inhalt  dieses  ersten  Tbeilea; 
tor  erste  geht  von  der  GMueindeangebOrigkeit  bei  den  Bönterb  nnd 
im  Altsrtbum  überhaupt  aus,  gibt  den  allgemeinen  Begrif  und  die 
Bedingungen  derselben  an,  rerforeitet  sieh  dann  über  Abstammung 
uid  Wohnsits,  über  Gives  und  Inoolae,  über  die  Pfliebtigkeit  an 
SiBiänen  Lasten  u.  dgl.  m.  und  scbliesst  mit  einer  Betraohtong 
ftber  das  YerbAltniss  der  Land-  su  den  Stadtbewobnem.  »Die 
VeririOtnisee  in  dem  rümisoben  Belobe,  bemerkt  der  Yerf  S.  82, 
>üid  im  Gänsen  ungefHhr  so  m  denken,  wie  in  dem  neueren  Italien, 
wo  der  Stand  der  Possedenti,  d.  b.  der  Besitser  der  Ländefeien, 
Wien  wesentlichen  Aufenthalt  in  den  Städten  bat  und  diese  nur 
verlftsst,  um  auf  jenen  seine  Yillegiatura  au  halten,  wie  in  dem 
späteren  Born  die  römischen  Grossen  die  ihrige  an  der  oampani» 
sehen  Küste  hielten.  Dauernd  finden  wir  in  dem  rümisdben  Beieh 
^  platte  Land  bewohnt  nur  von  deesen  Bebaoem,  theils  den 
8ela?eni  wekhe  zu  diesem  Zwecke  bestimmt  waren,  theils  freien 
ICethem  oder  Pächtern,  Lohnarbeitern  und  kleinen  Eigenthümem, 


76  Kvkit:  DI« 

an  deren  SteOe  bekanntlich    in  dem  spateren  iiymifohen  Beidie 
littrige  Bauern  getreten  sind.     Das  Wahre  mOchte  nnn  eein,  die 
Besitier  der  Landereien,  possessores,   domini  praedioram  hatten 
Biekt  nnr  ihren  weeentlichen  Wohnsitz  in   den  Städten,   sondem 
bildeten  anch  die  eigentliche  Substanz  der  Gemeinden.  —  Die  Be- 
ntaer  der  Landereien  bildeten  hiemach  den  Kern  der  städtischen 
Bevlilkening,  nnter  denjenigen,  welche  ihren  bleibenden  Wohnsits 
■nf  dem  Lande  hatten,  ist  die  ackerbauende,   an   den   Boden  ge- 
fesselte  Glasse  der  BcTOlkerung  zu  rerstehen :  bei  üebertragung  der 
Mnnera  mnsste  auf  die  Ersteren   die  meiste  Rücksicht  genommen 
werden.«  Eine  pnncipielle  Trennung  der  Oemeindeglieder  in  Stadt  und 
Landbewohner  findet  daher  der  Verf.  unstatthaft,  beides,  Stadt  vnd 
Land  bildete  mit  seinen  Bewohnern  ein  Oanzes.  Und  wenn  in  der 
Mheren  Zeit  die  Verbindlichkeit  zurüebemahme  der  Lasten  (Mn- 
nem  und  Honores)  alle  Oemeindeglieder  umfasste  und  insofern  das 
eigeatliohe  Merkmal  eines  Oemeindemitgliedes  darstellte,   so  ward 
diese  Verbindlichkeit  in  der  spateren  Zeit  auf  die  MitgKeder  des 
stadtisehen  Senates  (Ordo  Decurionum)   beschrankt,    eben   weil  in 
der  Stadt  die  Vermöglichen  wohnten,   und   den   Kern   der  städti- 
schen Bevölkerung  bildeten.     Auf  diese   Lasten  geht   darum  der 
naohefce  Abschnitt  S.  85  ff.  naher  ^n,  indem  er  zuerst  den  ünter- 
sehied  zwiechen  Honores  und  Munera  auseinandersetzt ,  obwohl  im 
weiteren  Sinne  das  Wort  Munus  auch  die  Honores  in  sich  ein- 
seUiesrt,  dann  ttber  die  Munera  Personamm  und  Patrimonii,  so 
wie  Aber   die  Beallasten   sich  naher  Terbreitet.     Der   dritte  Ab- 
schnitt S.  69  ff.  ist  der  genauen  Auseinandersetzung  der  Befreiungs- 
grOnde  von  diesen   Lasten  gewidmet:   als  solche   Ghrttnde  werden 
anfgefOhrt:   das  niedere  und   das   höhere  Alter,  die    Anzahl  der 
Kinder,  der  Betrieb  Ton  Handel  und  Oewerbe,    was  der  VerÜEtsser 
mit  Orund  aus  der  allgemeinen  Anschauung  des  Alterthums  ab- 
leitet, womaoh  die  Richtung  auf  Gelderwerb  blos  um  dee  Lebens 
Noihdnrit  zu  fristen,   Oeist  und  Körper  verunzieren  und   so  die- 
jenige Wflrde  entziehn,  die  zur  üebemahme  eines  Amtes,  das  als 
eine  Ehre  in  der  Gemeinde  betrachtet  ward,  nöthig  sei.    Es  finden 
steh  daher  auch  noch  spftter  Befreiungen  von  solchen   Lasten  ffir 
Handelsleute  und  Schiffsftlhrer  (navicularii),  welche  die  Versorgung 
des  Marktes  mit  Korn  und  Oel  zum  Geschäft  hatten,   für   andere 
Gewerbtreibende ,  die  irgendwie  dem   öffentlichen  Nutzen   dienten, 
die  Collegiati,    Corporati,   oder  welche  ftlr   die  Bedflrfhisse  des 
Heeres  sorgten  u.  dgl.  m.    Insbesondere  aber  kommen  bei  diesen 
Befreiungen  in   Betracht  Alle  diejenigen,   welche   ein   öffentliches 
Lehramt  bekleideten  oder  dem  &rtzlichen  Beruf  oblagen,  oder  ge- 
wisse priesterliohe  Aemter  bekleideten :  der  Verf.  hat  hier  eine  sehr 
sorgftltige    und   genaue   Zusammenstellung  gegeben  S.  88  —  122, 
welche  zur  Kenntniss  des  gesammten  Schul-  und  ünterricbtswesens, 
namentlich  des  höheren,   von  Belang  ist,  und  Alles  das  herange- 


K«ka:  IM»  T«ifrMniBt  4»  illBiiilMi  RMcte. 


Mgon  hftt,  WM  ans  dam  Beehtsqiidleii »  laMbrifttn  und  •oMÜgm 
Sokrififitteken  der  aUan  Literatur  darftber  in  gewionen  ist,  weet- 
klb  wir  daranf  inabesondere  anfmwkaam  madieB  mOekten.  Als 
mä  wäterar  Befirehmgsgnmd  kommt  daim  die  Abweeettheit  am  dee 
StmtefwiUen  (8. 128  ff.),  wöbet  aber  woU  la  antencheideii  ist,  fai 
130  weit  die  Abweseaheit  in  Angelegenheiten  der  Beqmblioa  Ko- 
BHtt  statt&ad»  aber  nicht  in  den  beeoadem  Angelegenheiten  der 
Stftdty  wttl  in  dieemn  Fall  eigentlich  keine  Befreinng  ttait  hmd* 
Wie  siok  dann  aber  in  der  PraziB  diese  YerhftHnicee  gestalteten, 
wild  mit  Soigfalt  nachgewiesen.  Endlich  werden  noch  ab  Be« 
IhimigQgrttnde  der  Yeteranenstand  (S.  129  ff.)  and  der  Offidan« 
tflBstsnd  (8.  149 ff.)  angeführt,  so  wie  der  Stand  der  Beieheseaa» 
toiea  (8.  174  ff.).  Auch  diese  Abschnitte  sind  mit  der  gleichen 
SorgfiUt  behandelt,  und  wirft  diese  ganze  ErOrterong  ein  näheres 
Lieht  aaf  die  bllrgerlichen  und  sittlichen  Zustftnde  des  römischen 
BeifihB,  wie  sie  in  den  Stftdten  nnd  (Gemeinden  sich  in  der  Kaiser« 
leil  gwiaitet  hatten ,  indem  zugleich  der  gaase  (ieschftfta-  nnd 
Bani&kreis,  überiiaapt  die  gesammte  Thätigkeit  aller  der  hier  im 
SimfaMn  Anfgcfikhrten  aasftlhrlich  ans  den  Qoelien  selbst  darge- 
kdt  wird :  daher  orklttrt  sieh  anch  der  Terfaältaissmlsttg  grössere 
Uinfiuig  dieses  dritten  Abschnittes  (8.  69—226),  der  mehi  minder 
onaere  volle  Anfinerksamkeit  verdient.  Gegenstand  des  vierten  Ab« 
nbittes  (8.  227  ff.)  ist  der  städtische  8enat  in  der  frttheren  Zeit 
ad  dessen  verttndorte  SteUnng  zu  der  Gemeinde  in  der  spiteren 
Zeit;  Abschnitt  Y  (8.  257  ffl)  be&sst  die  ttbrigen  Stände  (GoIobt 
PoflNSBores,  Negotiatores)  in  gleicher  Darstelhmg.  Auf  diese  Weise 
Bsd  die  verschiedenen  Bestandtheile  der  Bevölkerang  des  spätem- 
iMflchen  Beichs  in  ihren  rechtlichen  and  politischen  Besielimigen 
^«gwtellt,  nnd  damit  ein  Oesammtbild,  wie  es  der  Yerf.  zu  geben 
boabflächtigt  hat,  möglich  geworden. 

Wemi  also  in  diesem  ersten  Theile  eine  Darstellnng  der  städti* 
tthea  ond  bflrgerliohen  Yerfossnng  des  römischen  Beiches  gegeben 
i>t,  flo  BoU  der  zweite  bald  nachfolgende  Theil  von  den  einsK^en 
liadem  handeln,  besonders  den  im  Ofsien,  gelegenen,  anf  welche 
tater  öztlichen  Modificationen  die  vorher  —  in  diesem  ersten  Theil 
;^  entwidLelte  Yer&ssnng  Anwendung  leidet.  Weil  mir  dort  Städte 
in  dsm  angedeuteten  Sinne  seit  alter  Zeit  v(»^anden  waren,  (be- 
nurkt  der  Yerfssser  8.  IX),  habe  ich  mich  in  meiner  Schrifl  in 
^  Hauptsache  ani  die  im  Osten  des  Beiches  gelegenen  Länder 
WJirftiikt.  In  den  westlichen  nnd  Donau-Ländern  ist  die  städtische 
Verfittsong  erst  durch  die  Bömer  eingeführte  u.  s«  w.  —  Wir 
Uien  imYorhergehenden  versucht,  unseren  Lesern  eine  gediltogte 
ZnaunmensteUung  der  in  diesem  Theile  behandelten  Gegenstände, 
oder  viehnehr  eine  Andeutung  dessen  zu  geben,  was  hier  mit  aller 
AaifthTÜchkeit  behandelt  ist,  ohne  weiter  in  die  Einzelheiten  der 
'ooebang  und  die  mancherlei  daran  sich  knüpfenden  Detailfragen 


1$  B«m»«s 

uns  eiasnlasaeii,  weil  dan  hier  der  Ort  iiioht  ki;  wir  bftben  hier 
wxr  nook  die  8olK>a  oben  gemaehte  Bemerkung  zn  wiederkden,  wie 
AUes,  was  in  dieser  Schrift  besprochen  and  erörtert  ist,  auf  dem 
naifassendsten  Stadium  der  Qaellen  beroht,  die  ILberall  anf  jeder 
Seite  in  dea  Aamerkongen  *-  es  sind  in  Allem  zweiians^ad 
einhundert  neun  und  dreissig  —  sieh  angegeben  finden, 
als  die  natttrlieheai  Belege  der  Darstellung  und  unter  steter  Ba- 
rHaksiokiigung  auch  der  hier  in  Betracht  kommeaden  neasrea  Li- 
testttar.  Die  gaane  ämaeeie  Ausstattung  ist  sehr  begnadigend,  ja 
voTBügüch;  auoh  ist  der  Druck  des  Gansea,  namoitEoh  in  den 
vialen  Anftthrungen ,  welche  in  den  Anmerkungen  enthalten  siadi 
ooneot  anegefiülen. 


Patüteke  Penmmifteatkm  in  prUckuehm  Diehtumgem  mU  Bgrürkrigk 
Ügumg  lateiniaeker  Diehierund  Shaktper^»,  Bnte  Mihmitmg. 
Fe8l$ekriß  stur  Fder  de$  dreihunderijU^m  Beäehmi  de» 
Oro»$hmrg0güehen  Friedrieh-Frau»»  gywttiff sswan  aa  PasviVa»« 
Fm  Dr.  C.  0.  Hen8€,  Direetcr.  Purehim  18&4.  O.  WeM»- 
rnam^M  BmhhoBdUmg.     5i  S.  in  gr.  8. 

Der  VaifjBflser  dieser  Festschrift  hat  es  untemommea,  daria 
iaft  Einaelaea  aachmnreiaeay  welchen  ümfimg  and  welche  Bedautaag 
dia  Persomfloation  auf  dem  öebiete  der  antiken,  zun&ohst  grieehi- 
»chea  Poesie  einnimmt:  wobei  er  mit  Beeht  von  der  grösseren 
Neigoag  sur  Persoaifioation  bei  dem  gnacMsohen  Volke  aosgeht, 
uad  diesa  ans  dem  plastischen  Sinne  der  Griechen  ableitet»  In  der 
Pereoiiififiatioa  erkoint  er  ein  Mittel  der  Yeranschaulichnng,  uod 
da  die  Poesie  überhaupt  den  Beruf  hat,  das  Schöne  zur  Ansehaa» 
uag  SU  bringen,  so  Mh  mit  diesem  Bemfe  der  Poesie  auoh  die 
besondere  Thtttigkest  der  Persoaification  susammen*  Man  wird  dem 
VerfcflSflr  darin  nicht  unrecht  geben  können,  eben  so  wenig  auek 
dana»  wemi  er  den  Ursprung  der  Personification  in  der  Phaataeia 
sacht,  oad  dermi  Thtttigkeit  in  der  peraonificirendan  Beseelung  der 
Natur  bei  deai  Qrieehen  weiter  im  Einzdben  yerfolgt,  dabei  aber 
auf  die  Art  der  Personüication  aufinerksam  macht,  welche  in  der 
atoderaen  Poene  sieh  kund  giebt,  zum  unterschiede  tou  der  aa» 
titan*  WUT  Tcrweisen  desshalb  auf  die  Yorbemerkungen,  in  wair 
oben  diese  Punkte  des  Nfiiheren  besprochen  sind.  Im  weitem  Ver- 
folg sucht  der  Verlasaer  im  Einzelnen  die  sprachHchan  Wen* 
dangen  der  Beiha  nach  anfiEafOhien,  welche  insbesondere  bei  den 
Qmohen  personiftoivend  gebraucht  werden,  und  werden  bei  jader 
dMirtigML  Wendimg  oder  AusdrucksweiBe  die  betreffiaden  Belage 
ane  dea.  g}!ieehiscbea  &hriftstellaza,  jsanMAhst  Dichtesn^  reidilidi 
gegeben»    denselben  anoh  die  entsprecheadea  Stetlea  latoiaieahen 


SMtor  teig«f&gi  «nd,  oben  um  dea  ÜntenDbied  antiker  nsd  mo* 
dsner  Poesie  au  kennzeiehneii,  auch  ams  81uikespe«re.  »ESr  ist, 
ngt  der  Verfiiaeer  8»  XIII  mit  Beoht  der  nmlerische  IndiTidttaliftt 
ia  der  Poesie  genmuit  worden,  er  iet  ee  auch  in  der  PeraonMca- 
tion.  Die  neiiere  Zeit  mit  der  grt^gaem  IfttAnigfaltigkeit  tmd  Ver* 
tiflfkkeil  ihrer  LebeBererhaltnisae  tritt  auch  in  Shakeepeares  Per^ 
soaification  l^nror;  wie  seine  Dramen  poljniythiBoh,  und  im  Ge^- 
gmnts  n  der  Monom jtkie  in  den  antiken  Dramen,  so  kaben  riele 
aeiner  Perfornifioatioaen  eine  FdUe,  eine  indhddnelle  Yeitiefimg  und 
«eiie  AnsfUmuig,  wie  sie  die  Alten  in  ihrer  einlachen  PlasticftSt 
aidti  kannten«« 

Li  drei  Grapptta  theilt  derVeifaseer  diese  in  der  Sprache  der 
Dichter  TOifcommenden  Personifteationen :  die  erste  Omppe  nmfksst 
lUs  Wörter,  welche  Theile  des  menschlichen  KOrpers  bezeichnen  nnd 
durch  AnAÜonmg  eines  solchen  Theilee  die  Yorstelhmg  der  mensch- 
lichen Gostalt  llberhanpt  erwecken ;  die  iweite  Gmppe  nmfasst  die 
Wörter,  weleha  LebensverhüHnisee  bezeichnen,  die  der  Mensch  noch 
mt  den  Thieren  theilt  (z.  B.  Zengnng,  Qebnii  n.  dgl.,  Leben  nnd 
Sterbel^  Wachen  nnd  Schlafen) ;  die  dritte  Omppe  befiaset  die 
Wörtar,  welche  OeistesverhftHnisse  bezeichnen,  die  dem  Menschen 
ib  psyehisehem  Wesen  allein  angehören,  also  alle  die  Wendnngen, 
weldia  eine  Ckeinnnng  beaeiohnen  nnd  personlficirend  anf  Natnr* 
whiltnisae,  abstrakte  Begriffe  und  meehanieohe  Gegenetttnde  über- 
tiagea  werdan.  Von  diesen  drei  Gmppen  wird  in  YOTHegender 
Bcbift  die  erste  Omppe  behandelt,  wenn  auch  nicht,  wie  der  Ver- 
hnar  amsdracklich  heaMrkt,  in  ihrem  yollen  ümfhng. 

Die  ZnsamMTWgtelhmg  der  einselnen  AnsdrOcke,  w^ehe  in  diese 
•nie  Omppe  der  Persoaifioation  fiallen,  bietet  znr  Brkenntniee  nnd 
Wttrdignng  des  dichterischen  Sprachgebranchs  der  Griechen,  wie 
wtt>8t  der  BömeTy  namentlioh  aneh  in  Bezug  anf  die  Anwendnng 
4r  Metapher,  nicht  Wenig  des  Intereesanten ,  und  zeigt  zugleich 
die  grosse  Belesenheit  des  Verfassers  anf  dem  Gebiete  der  aMen 
Poecie.  Neben  Homer  nnd  Heeiodus  sind  es  besonders  Aeschjlns 
ond  Pindar,  so  wie  die  Dichter  der  griechischen  Anthologie,  welche 
ein  reiches  Material  geliefert  haben,  das  hier  wohl  benutzt  und 
gesichtet  vor  uns  liegt.  In  AUem  sind  es  sechs  und  dreissig 
Nmmnem,  welche  diese  erste  Gruppe  bilden,  Ausdrücke,  die  zur 
Bezeichnung  der  yerschiedenen  Theile  des  menschlichen  Körpers 
OTBprOnglich  und  zunächst  dienen,  dann  aber  von  den  Dichtem  auch 
nnpeiBCnlichen  leblosen  Gegenstanden,  Naturgegenstanden  wie  Ge- 
genständen mechanischer  Art  oder  Werken  der  mechanischen  Thft- 
tigkeit  beigelegt  werden.  An  erster  Stelle  erscheinen  die  Ausdrucke, 
welche  E  opf, bezeichnen  (»o^,  xofmov^  K^^pcdi^^caput),  dann  die 
eiiuefaien  Theile,  wie  Haar  («ofii;,  9>o/^9  xofutv,  Aoaiog,  fiwftfvjißgj 
Wjfmf^  ooma,  crinis)  Stirne  (fihaxw  frons),  ScUäfe  (9UfAt€Mpog)j 
Augenbrauen  (6q>QVs)^  Gesicht  {nfOffanov)^  Auge  (ofifio,  ßXdq>afOP, 


10  H«B«6:  PpiMtBliP  Fiff*#yiQMIoB. 

ein  ftnsserst  reiohhaliiger  Absohnitt,  wie  man  wohl  denken  kaan), 
Ohr^  (matoag^  watpog)^  Wange  {«tcf€ia\  Nase  QiVMrqo)^  Mnnd 
(tfvqfMc),  Zange  (y3ißi60a)^  Zahn,  (odwg)^  SUnnbacken  (yiifvg^  yvi- 
9og)j  Lippe  {x^loß)^  Hals  und  Nacken  (istfiiy  ^XV^)»  Busen  (xoiU 
ffOfi,  0ri(fvav)y  Herz  (»a(^^)i  BUoken  (tHvrot',  ^ZHih  ^^^^^  (^* 
^coJl^,  ixyxo^i/^),  Hand  (x/^)^  Finger  (bloss  aus  ShakM^re  naoh- 
gewiesen),  Htäbe  (Per na,  nach  einer  Stelle  des  Gatullus),  Seite 
(xlsvif6v)y  Bippe  (co 8  ta,  ebenfalls  yonugsweise  aus  Shakespere), 
Nabel  (df^paiog),  Bauch  (ycufrfj^  vijivg^  %wmv^  kafyw)y  Ein- 
geweide (Yisoera  nach  lateinischen  Dichtem),  Qalle  (joAif), 
Ader  (jpUif\  Nerve  {vBVifOv\  Knochen  {66tiov\  Schenkel  {dhcÜo^)^ 
Knie  {yiw),  Knöchel  {pffvqMf^  ^^M^  if^^W^)^  ^^^'^  i^oavg)^  ein 
äusserst  reichhaltiger  Abschnitt,  indem  auch  die  sahlieichen  Co»* 
posita  von  novg,  so  wie  die  Ausdrücke  und  Worte,  welche  eine 
Bewegung  bezeichnen,  herangezogen  werden,  und  insbesondere  (8. 50) 
auf  die  Neigung  der  Alten,  der  Griechen  wie  der  Lateiner,  hin- 
gewiesen wird,  ein  Verbum,  welches  eine  Bewegung,  ein  Kommen, 
Gehen  u«  s.  w.  bezeichnet,  mit  einem  sachlichen  Subjeot,  namentlioh 
mit  einem  Abstractum  zu  verbinden,  was  in  ähnlicher  Weise  auch 
bei  den  Verbis,  welche  stehen  und  sitzen  bedeuten,  der  Fall  ist; 
eine  Fülle  von  Belegen  aus  den  verschiedensten  griechischen  und 
auch  lateinischen  Dichtem  dient  zum  Beweise  dieses  Satzes. 

Wir  haben  damit  den  Inhalt  der  Schrift  angegeben  und  un- 
terlassen es,  weiter  in  das  Einzelne  dieses  Inhalts  einzugehen,  Be- 
merkungen beizufügen,  zu  welchen  hier  wohl  manche  Veranlassong 
gegeben  ist,  oder  Nachträge  zu  liefern,  auf  welche  den  Ver^Mser 
sein  fortgesetztes  Studium  von  selbst  führen  ¥drd:  unsere  Au^be, 
die  wir  hier  damit  erfdUt  zu  haben  glauben,  war  blos  dahin  ge- 
richtet, durch  nähere  Darlegung  des  Inhalts  hinzuweisen  auf  eine 
Schrift,  die  gewiss  auch  weiteren  Kreisen,  als  dem  nächsten,  flir 
den  sie  bestimmt  war,  bekannt  zu  werden  verdient  und  damit 
zugleich  den  Wunsch  einer  baldigen  Fortsetzung  und  Vollendung 
dieser  znr  Erkenntniss  und  Würdigung  des  dichterischen  Sprach* 
gelnranchs  der  Alten,  wichtigen  Forschung  zu  verbinden. 


Ii. «.  flEII)ELB£B,GEK  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Praktisehe  Antüendungen  für  die  InUgratum  der  totalen  und  partia 
}en  Differentialgleichungen.  Von  Dr.  0.  M.  Strauch,  Rector 
der  höheren    ünterrichtaanBtaH  m  Muri  im  Kanton  Aargau. 
Enter  Band.  Braunaehweig,  Druck  und  Verlag  von  Friedrich 
Vieteeg  und  Sohn.  1865.  (XXXUI  u.  644  S.  in  8.) 

Wenn  wir  ein  Wmrk  des  hier  genannten  Verfassers  zn  Hand 
nehmen,  so  wissen  wir  davon  sofort  zweierlei:  einmal  dass  wir  es 
mit  einer  sorgfUtigen  und  erschöpfenden  Behandlung  der  einzelnen 
Ao^ben  zn  thun  haben;  dass  aber  auch  zweitens  diese  Behand* 
hmg  bftofig  fast  übermässig  ausführlich  ist,  so  dass  in  Folge  dieser 
io^Uirlicbkeit  das  Werk  einen  umfang  erhalten  hat,  der  Studium 
und  Anschaffung  erschwert.  Beides  gilt  wieder  in  hervor- 
tagender  Weise  von  dem  uns  vorliegenden  Buche,  wie  denn  das- 
selbe aach  für  die  »Variationsrechnung c  gegolten.  Will  man  den 
zweiten  der  oben  angefllhrten  Punkte  als  einen  Nachtheil  ansehen, 
%  leidet  das  Buch  daran ;  wer  aber  darüber  wegsehen  kann  und 
will,  wird  durch  diesen  —  doch  nicht  eigentlich  im  Wesen  der 
Stehe  begründeten  —  Nachtheil  sich  nicht  abhalten  lassen,  zu 
aemer  eigenen  üebung  und  zu  grossem  Nutzen  sich  mit  dem  Werke 
Tertraat  zu  machen.  Auf  die  Hälfte  des  TJmfangs  zusammengezogen, 
wu  nicht  nur  füglich  hätte  geschehen  kOnnen,  sondern  noch  weiten 
Spielraum  zn  Ausführlichkeiten  gelassen  hätte,  wäre  durch  weitere 
Verbreitung  wohl  noch  grösserer  Nutzen  gestiftet  worden. 

Damit  aber  kein  Missverständniss  eintreten  kann  hinsichtlich 
des  Inhaltes  des  uns  vorliegenden  Bandes,  müssen  wir  zum  Voraus 
ioi^ren,  dass  die  »praktischen  Anwendungen  €  ganz  ausschliesslich 
3ieh  auf  analytische  Geometrie  beziehen,  während  nach  unserer 
Meinung  die  eigentlichen  praktischen  Anwendungen  für  die  Inte- 
gration der  vollständigen  Differentialgleichungen  --  um  die  es  sich 
in  diesem  Bande  allein  handelt  —  in  der  analytischen  Me- 
chanik liegen.  In  diesem  Gebiete,  das  ein  so  unendlich  wichti- 
ges imd  weites  ist ,  hat  man  den  grossen  Vortheil,  sich  nicht  die 
Aufgaben  erst  künstlich  zurecht  legen  zu  müssen,  wie  dies  doch 
bei  den  Anwendungen  für  die  analytische  Geometrie  mehr  oder 
ounder  geschieht ;  namentlich  sind  aber  dort  die  »Nebenbedingungen« 
(Beitinmiung  der  Eonstanten)  so  in  der  Natur  des  Problems  ge- 
legen, dass  gerade  dieser  Theil  nur  erst  recht  klar  wird,  wenn  man 
Mechanik  treibt.  Daher  mag  es  wohl  rühren,  dass  das  Bedttrfhiss 
^r  Aufgabensammlung  fClr  analytische  Geometrie,  in  so  ferne  die 
Aufgaben  zur  Integration  von  DifferentialgUeichungen  führen,  keines- 
LYOL  Jilirg.  3.  Heft  6 


89  BifAveli:  Anw«idttii|«i  f,  4-  I«le|p«U<m  4.  Ollto«itüaglfll«liinifpa« 

wegs  in  so  gebieterischer  Weise  angetreten  ist,  als  etwa  eine 
Sammlung  ähnlicher  Art  für  Mechanik. 

Dagegen  haben  nnn  aber  die  Aufgaben  fOr  anal jttsche  Gteome- 
trie^in  Bezug  auf  ihre  Auflösungen  eine  Eigenthümlichkeit ,  die 
denen  fOr  Mechanik  gänzlich  mangelt;  ich  meine  die  besondern 
Auflösungen  der  Differentialgleichungen,  zu  denen  jene  Auf- 
gaben führen.  In  der  Mechanik  muss  jede  Auflösung  die  Diffe- 
rentialgleichung vollständig  ersetzen  und  dies  erreicht  man  nur 
durch  die  eigentliche  Integralgleichung,  die  fttr  jede  Differential- 
gleichung eine  einzige  ist.  In  der  analTtischen  Geometrie  tritt  da- 
gegen sehr  häufig  der  Fall  ein,  dass  den  Bedingungen  der  Aufgabe 
genQgt  wird  durch  eine  Gleichung ,  welche  der  gefundenen  Diffe- 
rentialgleichung zwar  genügt,  sie  aber  keineswegs  ersetzt,  wenn 
gleich  die  eigentliche  Integralgleichung  auch  nicht  im  Wider- 
spruche zu  der  Au%abe  steht.  Diesen  Punkt  hat  das  vorliegende 
Buch  in  ganz  entschiedener  Weise  hervorgehoben  und  wir  rechnen 
dies  zu  einem  wesentlichen  Verdienste  desselben* 

D^r  Vorrede  gemäss  hat  der  Verfasser  sein  Buch  so  einge- 
richtet, dass  der  Leser  sich  selten  anderswo  Bath  zu  holen  hat. 
Es  sind  sonach  eine  Reihe  Untersuchungen  theoretischer  Natur  mit 
aufgenommen  worden,  die  im  Grunde  hätten  vorausgesetzt  werden 
aolien,  dies  aber  häufig  nicht  durften,  weil  die  betreffenden  Lehren 
in  den  Lehrbüchern  gar  nicht  oder  zu  kurz  enthalten  waren.  Wie 
dies  geschehen,  wird  aus  der  nachfolgenden  Besprechxmg  der  ein- 
zetnei;  Theile  des  Buches  hervorgehen,  bei  der  wir  selbstverständ- 
lich abweichende  Anschaunngen  geltend  machen  werden. 

Zuerst  bringt  das  Buch  die  »Erklärung  einiger  Bezeichnungen«, 
was  wohl  auch  noch  heissen  dürfte:  Feststellung  einiger  Begriffe. 
Es  handelt  sich  hier  nämlich  um  die  Vieldeutigkeit  gewisser  Zei- 
cheUi  beziehimgsweise  die  vielfachen  Werthe  gewisser  Funktionen. 
Dass  diese  Vieldeutigkeit  nur  bei  ümkehrungen  auftritt,  ist  be- 
kannt. Sie  betrifft  zimächst  die  Wurzelgrössen,  deren  verschiedene 
Werthe  bezeichnet  werden;  sodann  die  natürlichen  Logarithmen, 
die  umgekehrten  trigonometrischen  Funktionen  (»kyklometrische 
Ausdrücke«  nennt  sie  der  Verfasser),  und  endlich  die  drei  ellipti- 

d(D 
scheu  Integrale.  Ist  drss      r^    -■    ■■  ,  so  folgt  danuui  ^  sagt  dag 

V  I— c*Bla««> 
Buch  —  r=A  +  F(c,<D),  und  es  sei  F(o,  (d)  ein  vieldeutiger  Aua- 
druok«  Indem  der  Verf.  durch  F  ((c,  o))  alle  mögUohen  Werthe  die« 
aer  Grösse  bezeichnet,  und  feststellt :  F((o,«)))=2nF(c)-f-F(e»CD), 
wo  n  eine  ganze  Zahl,  zieht  er  ans  obiger  Gleichung:  r  =  A4- 
F  ((c,  ca)).  wir  gestehen  offen,  bereits  mit  ihm  in  Widerspruch  zu 
gerathen,  was  sich  bei  diesen  %  vieldeutigen  «Ausdrücken  nochmelu>- 
fach  wiederholen  wird.  Wir  müssen  ganz  entschieden  in  Abrede 
stellen,  dass  man  das  Becht  habe,  solche  vieldeutige  Grössen  ohne 
Weiteres  in  die  Integralrechnung  herein  zu  ziehen,  es  sei  denn« 
dass  die  Vieldeutigkeit  mit  der  willkürlichen  Konstanten  zueanunefi- 
hängt,  wie  im  vorliegenden  Falle.     Dann  ist  es  aber  sicher  klarer. 


Bir««»li«  AKWiitei|;eM  f.  d.  latcfsMIoB  d.  DiiTeNDtlalglslolMifltlM«  S8 

die  QiOsM  F  (c,  lo)  herkömmlich  eindeutig  (aia  bestimmtes  lategral) 
za  fassen,  den  Best  aber  mit  der  Eonstanten  zusammen  zu  ziehen. 
Mftn  Meibt  dabei  mit  sieh  selbst  im  Reinen. 

Im  weitem  Verlaufe  erörtert  der  Verf.  seine  ihm  eigene  Art 
der  Bezeichnung  partieller  und  vollständiger  Differentialquotienten, 
wie  dieselbe  ans  der  »Variationsrechnung«  bereits  bekannt  ist. 
Diese  Bezeichnung  ist  allerdings  deutlich,  aber  gar  zu  schleppend ; 
wanun  bequemt  sich  der  Verf.  nicht  zu  der  Annahme  der  ent- 
fldUedeti  beesam  Jaeobischen  BezeichlroiLg? 

Nach  dieser  »Einleitung«  beginnt  nun  die  erste  Abtheilung 
des  Werkes,  die  Yon  der  Integration  vollständiger  BiffereifttiaL*' 
gleichungen  (mit  zwei  Veränderliehen)  handelt.  Nach  einer  deut- 
Ikhen  Uebersicht  der  allgemeinen  Sätze  für  BifferentialgleichungeA 
erster  Ordnung  wird  die  Aufäuchong  der  besonderen  Auf- 
lösung (»singuläres  Integral«  sagt  das  Buch)  atisfahrUch  erörtert. 

Ist  V  (it,  y,  a)  tn  0  die  allgemeine  Integralgleichung  von  f  (X) 
j,y')  =  0,  wo  y'  der  Differentialquotient  von  y  nach  x,  und  es 
Uiist  sieh  eine  Fonktion  von  x  finden,  die  an  die  Stelle  von  a  ge- 
setzt, immer  noch  die  erste  Gleichung  als  Auflösung  der  sweiten 
erscheinen  Iftsst,  so  heisst  diese  so  umgeänderte  erste  Gleidiung  die 
besondere  Auflösung.     Der  Verf.   zeigt  nun,   dass  diese  Auflösung 

dF    dF 
durdi  Verbindong  der  Oleiohung  -x— :  ^r^  ts±±  0  mit  der  allgemeinen 

da    dy 

IstegmlglsiehnAg  erhalten  wird#  Da  dies  Alles  bekannte  Dinge  sind, 
woDen  wir  uns  dabei  nicht  weiter  aufhalten«  Nur  bei  dem  Bei- 
spiele des  g.  14  müssen  wir  anmerken,  dass  die  Gleichung  yy'  +  ^ 
=y '  v^x«4-y»— k»  nicht  durch  y  =  a  ±  y^x»+y»— k»  genügt  wird, 
sondern  nur  das  obere  Zeichen  gelten  darf. 

Soll  nun  aber  die  besondere  Auflösung  aus  der  Differential- 
gleichung selbst  hergestellt  werden,  so  geht  der  Verf.  —  wie  dies 
so  gebräuchlich  ist  —  von  der  Unterstellung  aus,  dass  die  be- 
sondere Auflösung  die  Differentialgleichung  nicht  ersetze,  dass  also 
die  hohem  Differentialquotienten  nicht  in  derselben  Form  auftreten, 
wenn  man  einmal  das  allgemeine  Integral,  ein  andermal  die  be- 
sondere Auflösung  anwendet.  Bef«  hat  kein  Becht^  diesen  Weg 
korz  hierzu  verwerfen,  da  er  im  Gründe  denselben  in  seinem  eigenen 
Buche  auch  gegangen  ist.  Trotzdem  hält  er  es  für  besser,  wenn 
gezeigt  wird,  wie  cUeser  Fall  aus  dem  vorigen  hervorgeht.  Ist  y^«» 
9  (x',  y)  die  Differentialgleichung,  deren  Integralgleichung  F  (x,  y,  a) 
=  0  sei,    so  zeigt  man,   dass  die  besondere  Auflösungen  alle  aus 

den  Gleichungen  •—  =  0  oder  -r—  «=  0 ,   in   Verbindung   mit  der 

Integralgleichung,  folgen  (a.  a  0.).  Betrachten  wir  bloss  den  einen 
Fan,  denken  uns  also  die  Integralgleichung  nach  y  aufgelöst,  wo 
sie   dann   hiesse :   y  =  ^  (x»  a) ,   so   wird  die   DifferentialgleicJiiung 

durch  Elimination  von  a  aus  y*=*V  (x»  a),  yi= — ^-j—- erhalte» 


84  Sirmnch:  Anwondiiiiceii  L  d.  IntegtAllou  d.  Dilf«r«itlalgletohiiiig6ii. 
werden.    Dies   ist  dann   die   Gleichung  7>«»9>  (x,  y),   so  dass  f> 

nichts  Anderes  ist  als   der  Werth  von  r — ,  wenn  man  hierin  a  ans 

dz 

y=s^  ersetzt  hat.   Hält  man  dies  fest,  bezeichnet  zur  Abkttrznng 

v^  durch  yS  so  wird  der  partielle  Differentialquotient  Ton  (p  nach 

dz 

X  erhalten  werden,  wenn  man  y^   nach   dem   entwickelten  x,   und 

da 
dann  nach  a  differenzirt,  wobeie—  aus  y  =  ^  zu  ziehen  ist.     So 
'  dx 

^   ^.  d©        dy*    ,    dy^da.       d^    ,    d^  da  ... 

findet  man  t^  =  -z^  4-  -f^  — ,  0  —^  4-  -^  — worausfolgt, 
dx         dx     '     da  dx  dx     '     da  dx  ^ 

dop  dtb  -,       dy^  di&      dy' 

dass   -T-^  unter  der  Form  M :  ^  erschemt,  wo  M  =  -~-  -z -z — 

dx  da  dz    da      da 

di&  d^  .  da> 

-—-.  Für  die  besondere  Auflösung  ist  -j- =  0,  also  wird-r^ 
dx  ^  da  dx 

unendlich.     Dasselbe   gilt  für  -r^,  und  nur  dies  ist  man  be- 

dy 

rechtigt,  anzusetzen.  Desshalb  sind  die  Annahmen  des 
Buches(§.  18, 1,n,  HI,  IV)  nicht  zulassig,  wenn  sie  auch  keine 
falschen  Resultate  geben.  Sie  gehen  zu  weit.  In  §.  18,  I  genügt 
die  Oleichung  (185)  für  sich;  in  II  die  (138)  für  sich,  und  in  III 

und  rV  muss-T-  auf  oo  oder  0  führen.     So  wird  in  dem  Beispiele 

des  §.  21,  in  der  »ersten  Auflösung c  px  —  y  =  0  völlig  hinrei- 
chen u.  s.  w. 

Nach  Erledigung  der  Differentialgleichungen  erster  Ordnung 
werden  die  der  zweiten  in  derselben  Weise  behandelt.  Hierinteres- 
sirt  uns  nun  ganz  besonders  das  »singulare  Integral«,  da  in  der 
Regel  dieser  Gegenstand  in  den  Lehrbüchern  nur  kurz  oder  gar 
nicht  berührt  wird.  Vom  Standpunkte  der  Mechanik  aus,  und  der 
schwebt  sicher  den  meisten  Verfassern  vor,  haben  diese  besondem 
Auflösungen  keineswegs  einen  gar  zu  hohen  Werth.  Anders  ist  es 
freilich  hier. 

Ist  y  =  F(x,  a,  b)  die  allgemeine  Integralrechnung  von  f(z,y, 

p,  q)  =  0,  wo  p,  q   die  zwei  Differentialquotienten  von  y ,    so   ist 

zunächst  festzustellen,  dass  p,  q  der  Form  noch  dieselben  Grössen 

sein  müssen,  wenn  man  die  Integralgleichung  zweimal  nacheinander 

differenzirt  und  zwar  erstlich  unter  der  Annahme  konstanter  a,  b, 

und  dann  unter  der  Annahme  veränderlicher   Grössen  a,  b.     Dies 

Ä.1.-X      rdF  da  .    dF  db      ^   dF     d^F       dF     d^F 

fUlirt  auf — H =  0  . =S5        — .  woraus  a 

da  d7^  db  dx         'da  dbdx       db   dadx'  ^^^'^^ 

und  b  bestimmt  werden  sollen.    So  liegt  die  Sache  wohl  zunächst, 

obgleich  der  Verfasser  es  nicht  so  hält,  was  wir  ungern  vermisst 

haben.     Es  lässt  sich  daraus  allerdings  folgern,   dass   wenn  man 

dF 
a,  b  eliminirt  aus  y=F,  p  =  3 —   und    der   letzten  obiger  zwei 

dx 


Sleiefaimgeii,  man  eine  Difbreiitialgleichimg  erhalte,  die  integrirt, 
die  besondere  AnflOeong  gibt;  aber  es  scheint  uns  die  Nothwendig- 
keit  dieses  Weges,  der  hier  allein  betretreten  wird,  keineswegs  ge- 
rechtfertigt. Die  Oleichnng  (240)  bleibt  im  Gmnde  ansser  aller 
fieachtnng,  denn  (248)  ersetzt  doch  nicht  die  beiden:  (240)  und 
(242)  ?  So  ist  die  allgemeine  Integralgleichung  von  q'  +  (p  —  xq)* 

—  {  x*q-}-px  — y  =  0:  y=4*^**+^^  +  **  4"  ^''     ^^^    obigen 

Gleichungen  sind  nun  (4x3+ 2a)  J?.+  (x4.2b)^=0,  lx*4-2a 

—  X  (x  +  2b)  =  0.  Aus  der  letzten  folgt  2a  =  2bx+|x),  und 
wenn  man  diesen  Werth  in  die  erste  einsetzt,  soerh&ltman  (x^  +  l) 

j^  +  bx4-4x«=0,  woraus  bVT+?  =  o--lx\/'rfi«+|l(x+ 

/i  +X-) ,  a  v^i4.x<  =  cx+}xl(x4-  V^l+x*);  Bö*35t  man  diese 
Werthe  in  die  allgemeine  Integralgleichung  ein,  so  ergiebt  sich 
7=-  ,',  x»-|  x»4-  /,  [X v/TT?  4-  l(x  +  \^m^^)+  4c]^  welche 
Gleichung  der  Differentialgleichung  genügt  und  unzweifelhaft  nicht 
im  allgemeinen  Integral  enthalten  ist. 

Hat  die  gefandene  besondere  Auflösung  (bezüglich  deren 
Differentialgleichung)  selbst  wieder  eine  besondere  Auflösung,  so  ist 
letztere  —  wenn  sie  zugleich  der  vorgelegten  Differentialgleichung 
genügt  —  eine  zweifach  besondere  Auflösung  letzterer. 
Die  Herstellung  derselben  ist  durch  die  Erkl&rung  selbst  gegeben. 

Einer  jeden  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  gehören  zwei 
Integralgleichungen  erster  Ordnung  (in  x,  y,  p)  zu  mit  je  einer 
willkürlichen  Konstanten.  Es  musa  also  gezeigt  werden,  wie  aus 
letztem  die  besondere  Auflösung  gefunden  werden  kann.  Auch  hier 
(so  wie  im  nächsten  Falle)  halten  wir  es  fDLr  jedenfalls  besser,  zu 
zeigen,  wie  aus  der  früheren  Theorie  das  neue  Besultat  «ich  ab- 
leiten l&sst,  da  wohl  erst  dann  volle  Klarheit  erhalten  wird,  sicher- 
lich aber  erst  dann  der  innere  Zusammenhang  gewahrt  ist :  da  hier 
doch  einmal  die  Theorie  vorgetragen  wird,  so  dürfte  die  Hinweisung 
auf  >das  Lehrbuch«  nicht  ganz  gerechtfertigt  sein.  Oegen  die  ge- 
fondenen  Formeln  haben  wir  Nichts  einzuwenden,  während  dies  für 
den  dritten  Fall  nicht  gilt,  da  man  nämlich  aus  der  Differential- 
gleichung zweiter  Ordnung  selbst  die  besondere  Auflösung  sucht. 
Igt  q  =  f(x,  y,  p)  diese  Differentialgleichung,  so  gilt  eine  Theorie, 
die  nach  der  von  uns  geforderten  Weise  verfilhrt,  d.  h.  die  an  die 
mrsprüngliche  (erste)  Untersuchung  sich  anschliesst,  dass  durch  die 

besondere   Auflösung  die   Grössen  -— ,  -z—,  t-  tiöde  für  sich)   un- 

dx  dy  dp 

endlich  werden.  Das  stimmt  nicht  ganz  mit  den  Ergebnissen  unseres 

Buches,  wenn  es  ihnen  auch  nicht  widerspricht 

Nach  der  Untersuchung  über  die  besondem  Auflösungen  der 

Differentialgleichungen   erster  und   zweiter  Ordnung  wird   nun  die 

Bedeutung  der  Differentialgleichungen  überhaupt  in  der  analytischen 

Geometrie  untersucht.     Besonders  hervorheben  wollen  wir  die  Be- 


M  S^vikuroh:  Amveiidiiag«»  f.  d.  lrta|ralioft  4. 

deutaiig  der  besondeni  AnflösioigeQ.  Ftbr  die  erste  Ordoimg  ist  be«* 
kaimtlich  die  einbttlleiide  Kurve  dadurch  festgestellt.  Neu  ist  die 
Erläuterung  der  geometrischen  Bedeutung  der  besondem  Anfl^^sim« 
gen  für  Differentialgleiehungen  zweiter  Ordnung.  Ist  yssxf(x,ayb) 
die  Integralgleichung  einer  Differentialgleiobung  zweiter  Ordnung, 
so  stellt  dieselbe  unendlich  viele  Kurven^^haaren  vor,  die  man 
erhält,  wenn  man  a  und  b,  unabhängig  von  einander,  stetig  sieh 
ändern  lässt*  Genügt  nun  der  Differentialgleichung  eine  besondere 
(einfache)  AuflSsung,  also  mit  einer  willkürlichen  Eonstanten,  so 
sind  die  Werthe  von  y,  p,  q  wie  sie  für  ein  bestimmtes  x  aus  einer 
(oder  mehreren)  Kurven  der  vorhin  angeführten  Sohaaren  folgen,  die- 
selben wie  die  von  7,  p,  q  für  die  durch  die  besondere  Auflösung 
dargestellten  Knrve.  Letztere  hat  also  mit  erstem  Berübnmgslinie 
und  Krümmungshalbmesser  gemein.  Fanden  wir  in  unserer  frühern 
Darstellung  a  =  9)  (z,  c),  b  =?  ^  (x,  c)  ist  also  y  =  f(x,  q>,  ^)  die 
besondere  Auflösung,  so  wird  aus  aUen  den  vielen  Kurven  man 
diejenigen  jetzt  auswählen,  für  die  bei  einem  bestimmten  x  die 
Gleichungen  a  =  9)(x,  c),  b=;^  (x,  c)  bestehen  könneui  woa,  bdie 
frühere  Konstanten  sind.  Für  diese  fallen  y,p,  q  mit  den  aus  der 
besondem  Auflösung  gezogenen  gleichnamigen  Grössen  zusammen. 
Die  ebengenannten  beiden  Gleichungen  ergeben  durch  Elimination 
von  z  die  Gleichung  Ff  a,  b,  c)  -=  0,  welche  also  zwischen  a,  b,  q  be- 
stehen muss.  Folgt  daraus  \)=(i  (a,  c) ,  so  wird  die  durch  7  = 
f(x,  9>,  tlf)j  för  ein  bestimmtes  c,  festgestellte  Kurve  mit  allen  jenen 
Kurven  eine  Oskulation  (Berührung  zweiter  Ordnung)  eingehen, 
deren  Gleichung  7  =f(x,a,|iA)  ist.  Die  eigentlichen  Berührungspunkte 
(x,  7)  ergeben  sich  aus  der  Verbindung  der  Gleichung  mit  a= 9)(x,  c). 

Wegen  dieser  Eigenschaft  nennt  unser  Buch  nun  jede  einzelne 
durch  die  besondere  Auflösung  dargestellte  Kurve  eine  osculi- 
rende  Zwischenkurve. 

Das  zweifach  singulare  Integral  stellt  eine  einzige  Kurve  dar, 
die  wieder  einzelne  der  ursprünglichen  Kurven  oscullrt.  Ist  c  seibat 
=  %  (x) ,  wo  man  in  der  bekannten  Weise  diese  Funktion  findet, 
so  ist  zugleich  a==9)  (x,  c),  h^=tlf  (x,  c),  c  =  jr(x),  woraus  durch 
Elimination  von  x  und  c  folge  4>  (a,  b)  -==.  0.  Di^enigen  Kurven 
der  ursprünglichen  Scbaaren,  welche  a  und  b  durch  diese  Glei- 
chung an  einander  binden,  werden  von  der  Kurve  der  doppelt  be- 
sondem Auflösung  0  (x,  7)  ==  0  osculirt.  Die  Berührungspunkte 
ergeben  sich  aus  der  Verbindung  dieser  Gleichung  mit  a^=9>(x,  2)- 

Jetzt  wendet  sich  das  Werk  zu  seinem  eigentlichen  Gegen- 
stande —  den  Aufgaben  über  die  Anwendungen  der  Differential- 
gleichungen in  der  anal7ti8cben  Geometrie.  Diese  Abtheilung  ist 
selbst  in  zwei  Haupttheile  geschieden:  da  Differentialgleichungen 
erster,  oder  da  solche  zweiter  Ordnung  vorkommen. 

Zuerst  erseheinen  eine  Reihe  Aufgaben  ziemlich  einfacher  Art, 
wenn  es  näa^oh  darum  sich  handelt,  dass  Tangoiten  oder  Nor* 
malen  gewissen  Bedini^ungen  genügen  soUra.  Was  wir  schon  m 
Eingang  gesagt:   die  Grftnoßichkeit  sdieint  uns  numohoMl 


«Q0fc  n  waü  m  gakeii«  ud  naniMiUeh  hAÜM  wir  di«  »ekMvM 
Aafltamgon  eimcrimd  denalben  An^be  (wie  dies  im  guzeti  BmIm 
mfcosuBi),  um  gcme  ontbelirt  B»  wSre  wohl  kttner  nttd  iMh 
ftr  daft  Siodhitt  «nfoiddiehar  gowo— n,  wem  num  Ar  jede  Art  der 
AafttaBiig  je  eise  beamiders  Airfgmbe  gewählt  hatte,  statt  wie  hier 
dbe  ganie  Beihe  AaligaheB  alle  aaeh  drei  bi«  rier  venchiedeaea 
Methoden  geMst  sind.  Das  wird  Tom  Leeer  doch  flbersohlagen  oder 
annadei  ihn  ^  nnd  macht  das  Bneh  theaer,  ein  Pmikt,  der  ia 
vuever  materiaüatieeheaZeit  (wie  wenigstens  behaaptet  wird)  doeh 
•adi  xa  baaditen  ist.  Wir  haben  an  dieeem  ersten  Abeehnitt  mar 
Wenigaa  sa  bemerken.  Die  Differentialgleichnng  2  des  |.  62  ist 
homogen»  kana  also  aaoh  dareh  die  Anaahme  ys»nr  integrtrt 
wardem  n.  s.  w.  Wiohtigar  als  diee  sefaeint  ans  aber  die  Frage 
aeah  den  TieUMhen  Werthea  der  iWktionea,  rm  der  wir  bereite 
m  BiBgang  spraehen.    Wir  haben  etwa  den  %.  74  im  Ange.  Dovt 

handelt  ee  sich  nm  das  Integral  I -^^ — r dz»  dem  der  Var&sser 

den  Werth  ^^^**  |  are  TsinB^j  beilegt*  ^^^^^  ^^^  ^>*^ 
der  letzten  OrOsse  eine  unendlich  vieldentige  GrSsse  versteht«  Er 
heMchnet  also  aieht  bloss  die  zwischen -;r  nnd -«  -^Uegandefdofdi 
das  eben  angeführte  Zeichen  dargestellte  Grösse  damit»  sondern 
aaeh  sr  —  arol ein sr^  1  n.  s.  w,,  so  dass  ftlr  ihn  I  ^      •  ^-  eine 

OrOeee  ist,  die  zwischen  —  -s-nnd+-^der-|--«  ^^^  "S"^*  *•  ^* 
li^gtt  wann  man  von  der  willkttrlichen  Konstanten  gaaa  abeiekt. 
Er  setzt  demgemäss  1— ==5=n3r-{-(— 1)"  arc  (sins^x),  wo  jetet 

er  y  1  ^-^X^ 

are  (ftin  =  i)  zwischen  —  -^nnd^--^  liegt»  n  aber  eine  gaaie  Zahl 

ist.  Wir  mllssen  dem  «^  nicht  widersprechen,  aber  entgegensetzen, 
daea  dadurch  einer  heilloeen  Verwirrung  Thftr  und  Thor  ge(5ffhet 
ist.     Es  ist  nun  einmal,   wenn  man  arc  (aln^x)  als  unendlich 

rieldaatig  aaaiefat»  ^^y^^)^^.     J^^      ^o    das    obem 

dx  -  Vi— X» 

Zeichen  gilt,  wenn  der  cosinus  des  Bogens  positiv,  das  untere  da« 
gegen,  wenn  jener  cosinus  negativ  ist.  Es  ist  desshalb  wohl  nöthig, 
wenn  man  zur  vollen  Klarheit  kommen  will,  sich  über  eines  der 
beiden  zu  entscheiden,    und  wenn  man  dies  in  unserm  Sinn  thut» 

90  ist  dann  —  I— r=r?nsarc  (eoss»x).  Wir  geben  gerne  zu,  dass 
t/Yl— x^ 

man  des  YerL   Ansrhanung  rechtfertigen  kami,    und  wir  wider^ 

^»rechen  ihm  auch  keineswegs   vom   Standpunkte    der  Bichtin^eit 

oder  Unrichtigkeit  aus,   sondern  von   dem  der  Klarheit  und  Ver- 


M  Stf  Auch:  AttwwduQgoft  f.  d.  Intei^ioii  d.  Ptflwrtfaiglctolwiagia. 

atftndlichkeit.  Wir  sind  nun  einmal  der  entsohiedenen  AnBiokty  dass 
man  alle  anzuwendenden  Funktionen  nur  eindeutig  zu  nebmen 
habe,  wenn  nicht  der  minder  Geübte  in  ein  Labyrinth  Ton  unent- 
wirrbaren Bäthseln  hineingerathen  soll.  Hilft  sich  doch  auch  unser 
Buch  damit,  dass  es  bei  Bestimmung  der  willkürlichen  Konstanten 
anräth,  die  fraglichen  vieldeutigen  Ausdrücke  in  Oottes  Namen 
»mit  ihrem  einfachsten  Werthe«  zu  nehmen  (S.  150  u.  s.  w.). 
Wenn  nun  aber  gar  die  vieldeutigen  Ausdrücke  in  einer  Gleichung 
sich  häufen,  wie  dies  vielfach  in  unserm  Buche  stattfindet ,  so  — 
fürchten  wir  —  hört  alle  klare  Einsicht  in  die  Bedeutung  einer 
solchen  Formel  gänzlich  auf.  Und  dies  ist  ganz  gewiss  kein  Ge- 
winn. —  Von  Interesse  ist  besonders  auch,  dass  die  elliptischen  In* 
tegrale  der  beiden  ersten  Arten  vielfach  zur  Verwendung  kommen, 
was  unseres  Wissens  sehr  selten  bis  jetzt  geschehen  ist.  Die  sind 
freilich  abermals  »vieldeutige,  worüber  wir  unsere  obige  Klage  nur 
wiederholen  müssen. 

Sollen  Kurven  bestimmt  werden,  denen  gewisse  Eigenschaften 
des  Flächeninhalts  oder  des  Bogens  entsprechen,  so  enthalten  die 
Gleichungen,  welche  eine  Folge  der  Aufgabe  sind,  jeweils  Integrale, 
die  durch  Differenzirung  erst  zu  entfernen  sind,  um  dann  eine 
DiffeTOutialgleichung  zu  erhalten.  Dass  die  eintretenden  Konstan- 
ten dann  nicht  immer  willkürlich  bleiben,  ist  bekannt.  Die  Auf- 
gaben sind  zahlreich,  und  natürlich  häufig  etwas  künstlich  gewählt, 
zur  Uebung  aber  sicher  geeignet.  Schliesslich  werden  die  Ver- 
fahren von  Euler  und  Monge  mitgetheilt,  rectificirbare  Kurven 
zu  finden.  Die  Darstellung  des  letztem  (§.  112)  halten  wir  für 
unverständlich.  Denn  es  ist  uns  durchaus  nicht  klar,  wie  aus  sina> 
dy-f-cosa)dx  =  0  folgt:  y  sin  © -j- cos  o  =^  V' (o)  >  wenn  man  be- 
aditet,  »dass  cd  nicht  konstant,  sondern  eine  Funktion  von  x  und 
yist.«  Ebenso  wissen  wir  nicht,  wie  aus  ds  =  cosc}dy  —  sinodx 
folgen  soll:  s  =  y cos o  —  x sin o -j- 9 (cd). 

Trejectorien  sind  krumme  Linien,  welche  eine  Reihe  an- 
derer krummer  Linien  so  durchschneiden,  dass  bei  allen  Dorch- 
schnittspunkten  eine  vorgeschriebene  Bedingung  erfüllt  ist.  Diese 
Kurven  werden  nur  im  weitem  Verlaufe  des  Werkes  betrachtet. 
Die  allgemeine  Aufgabe  ist  die,  eine  Kurve  (d.h.  deren  Gleichung) 
zu  suchen  so,  dass  bei  den  Durcbschnittspunkten  mit  einer  Beihe 
gleichartiger  Kurven  eine  bestimmte  Differentialgleichung  erfüllt 
ist.  Auch  hier  sind  wieder  mehrere  Formen  der  Auflösung  gegeben, 
von  denen  uns  denn  doch  nur  die  eine  (Elimination  von  a)  der 
Natur  der  Seche  zu  entsprechen  scheint.  So  wird  man  auch  bei 
der  dortigen  Differenzirung  der  X  einige  Unklarheit  nicht  ver- 
meiden können,  da  doch  a  zuerst  (bei  der  Integration)  konstant 
war.  Wir  denken  uns  hieb^i  immer  Zuhörer,  denen  das  hier  Ge- 
sagte vorzutragen  wäre,  und  —  gelegentlich  gesagt  —  wir  sind 
überzeugt,  dass  der  Verf.  Manches  ändern  würde,  wenn  er  in  die- 
ser Lage  wäre. 

Als  besondere  (jedoch  immerhin  noch  allgemeine)  Fälle  wer- 


mana 


airttieli:  Anwen^iingeii  f.  d.  litegraäon  d.  DUTereiitfadgleldiiiBgeB.  M 

dm  die  Kurven  gasncht,  die  andere  unter  demselben  gegebenen 
Winkel  (der  auch  ein  rechter  sein  kann)  schneiden;  dann  der  Fall 
betrachtet,  da  in  den  Durchschnittspunkten  eine  Gleichung  erfüllt 
ist,  welche  Integrale  enthält,  und  die  allgemeinen  Formeln  auf 
eine  Reihe  einzelner  Beispiele  angewendet  Eine  Bemerkung  haben 
wir  zu  §.  181  zu  machen.  Es  handelt  sich  dort  um  die  Kurve, 
welche  eine  stetige  Folge  von  Parabeln,  die  dieselbe  HauptAxe  und 
denselben  Scheitel  haben,  so  schneidet,  dass  die  Flächen,  die  von 
den  Koordinaten  der  Durchschnittspunkte  und  den  Parabelbögen 
gebildet  werden,  denselben  Werth  V  haben*  Ist  y'  =  2ax  die  all- 
gememe  Gleichung  aller  Parabeln ;  x  die  Abszisse  eines  der  Durch- 
echnittspunkte,  so  wird  die  Aufgabe  einfach  dadurch  gelöst,   dass 

zwischen  der  vorigen  Gleichung  und  I  y^Sax  d  x  =  k'  eliminirt. 

Ü 

Mit  dieser  Auflösung  begnügt  sich  unser  Buch  jedoch  nicht,  uud 
es  ist  gerade  die  »zweite«  Auflösung,  wegen  der  wir  die  Bemerkung 
zu  machen  haben.  —  Da  a  eliminirt  werden  soll,  so  kann  mau 
a  als  Funktion  von  x  und  y  betrachten,  gegeben  durch  die  erste 
Gleichung.  Unter  dieser  Annahme  —  sagt  das  Buch  —  können 
wir  die  zweite  Gleichung  differenziren  und  erhalten  y^j^dx-f-da 

I -y=^  d  X  =  0,  oder  wegen  der  zweiten  Gleichung :  \/2iix  d  x  -j-k'-'  - - 

2  k^ 

=  0,  woraus  dann  folgt:  5-(C-|-xv^x)=r— ,    »Wenn  man  C==0 

aaninunt,  so  reduzirt  sich  diese  Auflösung  auf  die  vorige.«  Warum 
aber  muss  C  '=^  0  sein,  oder  genauer  gesagt,  wenn  man  die  vorige 
Anflösong  nicht  kennt,  wie  findet  man,  dass  C  =  0  sein  soll  ?  Die^ 
selbe  Frage  hätten  wir  später  noch  mehrfach  zu  stellen;  es  mag 
an  dem  einen  Mal  genügen,  üebrigens  ist  die  Einführung  von  k* 
eine  ganz  überflüssige  Sache,  und  die  Rechnung  würde  sich  that- 
Biehlich  besser  ohne  dieselbe  gestalten. 

Eine  Tractorie  ist  eine  Kurve,  bei  welcher  der  zwischen 
dem  Berührungspunkte  und  irgend  einer  andern  Kurve  liegende 
Theil  der  Tangente  immer  gleich  lang  ist.  Diese  Kurve  wird  nun 
bestimmt.  Dabei  nimmt  der  Verfasser  auch  die  fragliehe  Länge 
möglicher  Weise  als  negativ  an,  was  uns  nicht  ganz  passend  er- 
scheinen will.  Wir  hätten  übrigens  dieselbe  Bemerkung  mehrfach 
wi  machen.  In  einem  der  besondem  Beispiele  (§.  137)  tritt  die 
bereits  oben  berührte  Häufung  vieldeutiger  Grössen  in  wenig  ein- 
ladender Gestalt  uns  entgegen,  und  wir  wären  etwas  verlegen,  wenn 
man  von  uns  in  kurzen  Worten  die  Bedeutung  der  Gleichung  (13) 
abverlangen  würde. 

Wälzt  sich  auf  einer  festen  Kurve  eine  bewegliche  so,  dass 
letztere  nicht  verschoben  wird,  so  beschreibt  ein  Punkt,  der  in  der 
Bbene  beider  Kurven  fest  mit  der  beweglichen  verbunden  ist,  eine 


M  Sit ft««^;  AiiMB4ameii  f.  dL  Ia«icr»Mioft  d.  IWnwnntl«%1iiiQlniHiw. 

Troohoide.  Magnus  in  dem  bekannten  Werke  (S»  6d6)  nenni 
dieselbe  Bonletten.  Bei  der  Ableitung  der  Gleichmig  derTroekeidb 
ist  eine  Unklarheit  mit  unterlaufen.  Die  Behauptung  (8.  290),  daM 
je  zwei  auf  einander  folgende  der  Kreislinien  X  sich  in  einem 
Punkte  ecfaneideni  der  der  Trochoide  angehört,  ist  nicht 
als  erwiesen  anzusehen;  die  Folgerung,  dass  die  Normale  der  Tro- 
choide mit  dem  Leitstrahl  zusammenfalle,  ist  also  auch  nicht  ge-> 
stattet;  im  Oegentheil  diese  Folgerung  ist  im  Ghrunde  als  richtig 
Torauflgesetzt.  Magnus  a.  a.  0.  hat  die  Sache  ^tscfaieden  deutlicher 
behandelt,  und  er  selbst  gibt  —  gegen  seine  sonstige  öewohnheit 
•—  eine  zweite  Auflösung,  indem  die  erste  »noch  einige  Dunkelheit 
zurficklassen  könnte«  (S.  605).  Besondere  Beispiele  sind  die  Ky* 
kleiden  —  wir  gebrauchen  die  Schreibart  des  Buches,  sowie  einige 
andere  BoUkurven.  Dann  wird  auch  die  umgekehrte  Au%abe,  die 
feste  Kurve  aus  der  wälzenden  und  der  Bollkurre  zu  suchen,  an 
Beispielen  erörtert. 

Die  Bestimmung  der  Evolventen  ebener  Kurven  schliesst  sich 
diesen  Untersuchungen  an.  Eün  auf  elliptische  Funktionen  führen- 
des Beispiel  ist  u.  a.  in  S*  1^6  enthalten,  wo  die  Evolvente  der 
Ellipse  gesucht  vnrd.  Die  »Vieldeutigkeiten  €  machen  aber  das 
Endresultat  wieder  verwirrt,  während  sie  gerade  hier  überflüssig 
sind.  In  Bezug  auf  die  Konstante  vrird  man  fragen  müssen,  ob  sie 
disselbe  bleibt  für  beide  Zeichen,  und  wie  überhaupt  die  Vorseichem 
zu  wählen  sind. 

Endlich  werden  ebene  Kurven  bestimmt,  denen  eine  vorge« 
schriebene  Fusspunktkurve  zukommt,  womit  die  erste  Hauptab- 
theilung schliesst.  Wo  es  zulässig  war,  ist  hier  — •  wie  auch  in  der 
folgenden  Abthelluag  -*  auf  das  Bestehen  besonderer  Auflösungen 
und  ihrer  Bedeutung  ftlr  die  betreffende  Au%abe  soigfUtig  auf« 
merksam  gemacht. 

Der  Krümmungshalbmesser  einer  Kurve  verlangt  die  KeimtttiBa 
des  Bweiten  Diffisrentiolquotienten;  wo  derselbe  somit  in  eine  Auf- 
gabe verflochten  ist,  werden  wir  zu  Differentialgleiehangen  zweiter 
Ordnung  gelangen.  So  betrachtet  denn  auch  unser  Buch  zunächst  Auf- 
gaben, bei  denen  es  sich  um  Länge  oder  Lage  des  Krünunungs- 
hallHnesser  (Krümmungsmittelpunktes)  handelt.  Diese  Anfgaboi  sind 
zahlreich  und  mit  fast  mehr  als  Wünschenswerther  AuslÜhrlichlffeit 
vorhanden;  einzelne  derselben  näher  zu  bezeichnen,  kann hiMrnioht 
verlangt  werden.  Wir  bemerken  nur,  dass  hier  sehr  viele  Fälle 
vorkommen,  da  namentlich  eine  einfache  besondere  Auflösung  der 
betreffenden  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  vorhanden  ist. 

Die  zweite  ünterabtheihing  bdiandelt  Kurven,  denen  gewisse 
Eigenschaften  des  Flächeninhalts  oder  der  Bogenlänge  zukommen, 
natürlich  im  Gegensätze  zu  dem  Frühem  so  gewählt,  dass  man  sa 
einer  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  geführt  wird. 

Ist  die  Evolvente  einer  Kurve  gegeben,  so  ist  letztere  bekannt- 
tieh  die  Kurve  der  Krümmnngsmittelpunkte  ersterer,  und  die  Auf* 
Buchimg  dieser  Kurve  verlangt  keine  Integration.  Kehit  man  aber 


BIrMek:  AmwmämiBm  f.  i.  IMsMihm  d.  IMftrMlMcliktaaMB.  91 


dM  Fnibtem  um,  so  «rhSlt  man  eiae  weitere  Methode  zur  Bestim- 
BOig  Ton  Ehrolrenteii,  die  mm  an  Beispielen,  leider  mehrfiich  den- 
niben  wie  ftnher,  geftbt  wird. 

Oergonne  hat  Tor  langer  Zeit  die  Anfgabe  behandelt,  eine 
Okiofaiiiig  zwisehen  dem  Krtlmmungshalbmeeser  einer  Knrre  nnd 
dtn  ikrer  ETolraie  im  entsprechenden  Punkte  tu  finden,  eine  Auf- 
gabe, die  auch  Magm»,  a.  a.  0.  8.  648  I5st.  Diese  Aufgabe  wird 
dann  imigeicehrt,  d.  h  ans  dem  Verh&Hniss  der  Krttmmnngshalb- 
aesaer  die  beiden  Kurven  gesucht,  wovon  die  eine  natttrlich  Evohite 
d«  andern  ist,  w^ehe  letztere  Aufgabe  an  mehrem  eintelnen  Bei- 
ipieleB  erlButort  wird. 

Endlich  behandelt  der  Yerf.  noch  die  Aufgabe,  eine  ebene 
Kunra  sa  suchen,  der  eine  Toigeschriebene  Brennlinie  zugehOrt. 
Diese  An^be  hat  er  ttbrigeas  Yor  nicht  langer  Zeit  besonders  be« 
tnchtttt  msd  es  ist  die  betreffende  Abhandlung  auch  als  besondere 
Schrill  aus  den  Abhandlungen  der  Wiener  Akademie  ausgegeben 
worden.  E#ine  Beihe  lehrreich  gewählter  Beispiele  erlSutert  die  Theorie. 

Wenn  wir  auch  in  einem  oder  dem  andern  Punkte  nicht  mit 
dem  Verf.  einverstanden  sind,  so  geht  doch  aus  vorstehender  üeber- 
sidit  hervor,  und  ist  es  unsere  Pflicht,  sum  Schlüsse  unserer  Be- 
ipvechoag  nochmals  besonders  hervorsuheben,  dass  wir  es  hier  mit 
•iaem  grflndlich  bearbeiteten,  anr  üebung  ganz  vorzttglich  geeigne- 
ten Bnehe  zu  thun  haben.  Wer  das  vorliegende  Buch  gehörig 
daroharbeitet,  hat  sich  mit  der  Integration  der  Differentialgleichun- 
gen, 80  wie  mit  einer  Menge  anderer  wichtiger  Punkte  der  Analjns, 
in  hervorragender  Weise  vertraut  gemacht.  Wir  kOnnen  also  das 
Werk  nur  entschieden  empfehlen  nnd  erwarten  eine  ebenso  grflnd- 
hehe  Bearbeitung  des  Inhalts  des  zweiten  Bandes.  Vielleicht  findet 
derVert  eine  oder  die  andere  unserer  Bemerkungen  der  Beachtung 
wertk,  nnd  wir  wflnschen,  dass  dieselben  von  dem  Standpunkte 
denen,  der  durch  Vortrag  ShnHcher  Gegenstände  vor  jftngem  Stu- 
diionden  au  einer  möglichst  voQstSndigMi  Klarheit  gezwungen  ist» 
heartheilt  werden  mögen. 


DfUmnmaHane  analyüea  ddla  Rotaaimte  di  Ooryyi  Uhtri  Beoondoi 
coneetH  dd  8.  Pohuot  Memoria  M  Prof.  Dotnenieo  Che- 
Hui,  (EdroUa  ddk  VoL  X  äeüe  Mm.  4df  Ae.  deUe  Soieme 
ddt  läiiuU  di  Baloffna).  Bologna,  Tip.  Qambermi  s  Pn»** 
meggianL  (40  8.  in  8. 

Die  vorragende  Abhandlung,  fUr  deren  freundliche  üebersen* 
fang  wir  dem  geehrten  Herrn  Verfiu ser  unsem  Dank  aussprecheUt 
ist  schon  vor  einiger  Zeit  (1860)  erschienen»  auch  8cb<m  seit 
lingerer  2Seit  in  unserer  Hand;  wir  halten  dieselbe  von  wesent- 
lichem Interesse  ftkt  die  Wissenschaft  und  erlauben  uns  daher,  sie 
hier  sn  besprechen,  te  wir  —  vielfEteher  andeier  Ctesohäfte  we« 
gen  —  in  den  letzten  Zeiten  nicht  dazu  gelangen  konnten« 


92  Chellai:  DetermliMtfloiie  ftoalylkMi  «le. 

Poinsot  hat  vor  längerer  Zeit  in  seiner  klassisclien  Abhand- 
lung: »Theorie  uouvelle  de  la  Rotation  des  Corps«,  auch  übersetat 
von  Schellbach  (1851)  die  Frage  nach  der  Bewegung  eines  um 
einen  festen  Punkt  sich  drehenden,  von  äusseren  Kräften  nicht  an- 
gegriffenen (starren)  Körpers  erläutert.  Die  von  Poinsot  erhalte- 
nen anlalytischen  Resultate  stellt  der  Verf.  der  vorliegenden  Schrift 
nun  in  neuer,  sehr  klarer  und  einfacher  Weise  auf. 

Dreht  sich  ein  starrer  Körper  um  einen  festen  Punkf  0,  bo 
kann  seine  Bewegung  in  jedem  Augenblicke  angesehen  werden  als 
eine  Drehung  um  eine  (allerdings  fortwährend  wechselnde)  Axe- 
die  augenblickliche  Rotationsaxe.  Ist  9  die  Winkelgescwindigkeit 
dieser  Drehung,  so  nehme  man  auf  der  fraglichen  Axe  einen 
Strahl  von  0  aus,  so  dass  wenn  man  sich  in  denselben  stellt,  die 
Füsse  in  0,  die  Drehung  von  rechts  nach  links  vor  sich  gehe,  und 
trage  auf  diesen  Strahl  die  Lauge  0  6  auf,  so  stellt  dieselbe  die 
Rotation  klar  vor.  Sind  p,  q,  r  die  nach  drei  rechtwinkligen  Axen 
der  V,  y,  z  zerlegten  Seitengeschwindigkeiten  von  S,  die  positiv 
oder  negativ  sein  können  (@  ist  nur  positiv)  und  wo  z.  B.  ein 
negatives  p  bedeutet,  man  müsse  sich  in  die  negative  x  Axe  stellen, 
um  die  Drehung  p  von  rechts  nach  links  vor  sich  gehen  zu  sehen : 
so  sind  die  Geschwindigkeiten  eines  Punktes  (x,  y,  z),  zeriegt  nach 
denselben  drei  Axen:  v^  «=  qz—ry,  v,  =  rx— pz,  Vg  =  py— qx 
(wie  dies  z.B.  sich  aus  des  Ref.  »Studien  zur  analytischen Mecha- 
nikc  S.  50  sofort  ergiebt).  Die  Bewegungsgrössen  (S.  15 a.a.O.) 
aller  Moleküle  des  Körpers  sind  also  £mv^,  Zmvj,  27mv3  und 
setzen  sich  in  eine  einzige  Kraft  zusammen.  Die  Momente  der- 
selben sind  £m  (yvs-zvj),  Sm  (zv^-xzg),  £m  fxv^-y.v,), 
die  sich  in  ein  einziges  Kräftepaar  G  zusammensetzen.  Ziehen 
wir  eine  Gerade  0  G,  die  in  Länge  und  Richtung  die  Stärke  und 
Axe  jenes  Paares  vorstelle,  und  sind  L,  M,  N  die  drei  Seitenpaare 
(Momente),  so  sind  eben  diese  Grössen  die  Abszissen  des  End- 
punktes G,  so  dass  die  Geschwindigkeit  dieses  Endpunktes  durch 
dL        y,      /    dv3  dvo\ 

^  —  ^mly—  — z  -rr-i  I  u.  8.  w.  gegeben  ist.     Für  den  Fall 

eines  Körpers,  auf  den  keine  äussere  Kräfte  wirken,  ist  aber  be- 
kanntlich 27m  (y  -^  -  z  ^  )  =  0  u.  s.  w.,  so  dass  also  L,  M,  N 

konstant  sind,  und  der  Punkt  G,  d.  h.  die  Gerade  0  G  sich  nicht 
bewegt.  Diese  unbeweglich  bleibende  Gerade  ist  also  durch  die 
Gleichung  G  =  const.  charakterisirt. 

Fallen  im  Augenblicke  t  die  drei  Axen  der  x,  y,  z  mit  den 
Hauptaxen  des  Körpers  zus.,  so  ist  dann  Z'm  xy=  0,  Zmyz  =  0, 
£m  z  X  =  0,  so  dass  L  =  Ap,  M  =  B  q,  N  =  C  r,  wo  A,  B,  C 
die  Hanptträgheitsmomente  des  Körpers  (fllr  die  Hauptaxen)  sind. 
Natürlich  sind  jetzt  p,  q,  r  die  Drehungen  um  die  Hauptaxen  und 

Fegen     27  m   (y  -^  —  z  -^j  =  0  ergeben  sich  die  bekannten 

Eulerschen  Gleichungen  der  drehenden  Bewegung  (a.  a.  0.  S.  47), 


C  h  e  1  i  B  i :  IMenuiiiuione  analytleA  etc.  93 

Da  O  konstant  ist,  und  die  Seitenmomente  dieser  OrOsse  A  p, 
Bq,  Cr  sind,  so  ist  auch  A^  p*  -f  B^  q^  -+-  C r*  =  Ö»  =  const., 
wie  sieh  aus  den  Bewegungsgleichnngen  sofort  auch  ergiebt. 

Dies  ist  ungefilhr  die  Ableitungsweise  des  Verf.  Wir  würden 
tach  sagen  können,  die  Gerade  0  G  sei  die  auf  der  »unveränder- 
lichen Ebene«  des  Systems  senkrecht  stehende  Gerade  (a,  a.  0. 
S.  20)  und  wenn  die  Coordinaten  des  Endpunktes  G  sind  X|,  j|, 
1,,  so  sind  diese  Grössen  gleich  den  Grössen  L,  M,  N,  wie  sie 
oben  angegeben  wurden,  wenn  6'=*L'-|-M'-|-N*.  Bind  die  Ko- 
ordinatanaxen  die  Hauptaxen,  (also  beweglich  mit  dem  Körper),  so 
findet  man  als  Projectionen  von  0  G  auf  dieselben :  A  p,  6  q,  Cr. 

Aus  den  Euler*schen  Bewegungsgleichungen  folgt,  neben  obiger 
Gleiehnng:  Ap'  -|-  Bq^^-j-Cr^  =  const.  Sei  nun  das  S  das  Träg- 
heitsmoment des  Körpers  ftlr  die  augenblickliche  Drehaxe  (0  B  nennt 
sie  der  Verf.),  0  h  =7  h  die  Projection  von  0  9  auf  die  Axe  0  G, 
mithin  h  =  ©  cos  (h  ©),  so  ist  S  ©*  =  A  p»  +  Bq«  -4-  C  r^, 
G  ^co8(h  »)  =  (A  p)  p  -f  (B  q)  q  +  (C  r)  r.  Da  S  9*  die  leben- 
dige  Sjraft  (nach  unserer^Anschauung  das  Doppelte  derselben)  ist, 
80  sagt  also  die  obige  Gleichung  aus,  dass  die  lebendige  Kraft  des 
Körpers,  so  wie  die  Winkelgeschwindigkeit  der  Drehung  um  die 
Gerade  O  G  unveränderlich  seien.  Die  obige  Grösse  h  ist  unver- 
Snderlich.  Die  Gleichung  Aj^^ -{-Bq^  -^  G  t'^  s=  Gh  stellt,  wenn 
wir  p,  q,  r  als  Koordinaten  (bezogen  auf  die  Hauptaxen)  ansehen, 

ein  Ellipeoid  war,  dessen  Halbaxen  a,  b,  c  (a'^  =    —    u.    s.    w. 

Dieses  Ellipeoid  wollen  wir  uns  um  den  festen  Punkt  gezekdmet 
denken,  so  bewegt  es  sich  mit  dem  Körper  und  wenn  seine  Bewe- 
gung bekannt  ist,  ist  es  auch  die  des  Körpers  selbst.  Auf  der 
Oberfläche  dieses  Ellipsoides  liegt  der  Endpunkt  der  augenbliok- 
liefaen  Drehaxe  0  G.  Die  Ebene,  welche  im  Punkte  (p,  q,  r)  das 
Eliipsoid  berührt  hat  zur  Gleichung  App^-f-Bqq'-|-Crr'  =  Gh, 
wenn  p',  q',  r^  die  laufenden  Koordinaten  derselben  sind;  sie  ist 
folglich  immer  parallel  der  unveränderlichen  Ebene, 
in  einer  Entfernung  h  vom  festen  Punkte.  Mithin  bleibt  diese 
Tangentialebene  im  Baume  selbst  unveränderlich  und  das  Eliipsoid 
rollt  auf  derselben  fort,  ohne  zu  gleiten.  Der  Fahrstrahl  nach  dem 
BerOlirungspunkte  ist  die  augenblickliche  Drehaxe  und  seine  Länge 
stellt  S  vor.  Verfolgt  man  die  Reihe  der  Berührungspunkte  auf 
der  Oberfläche  des  EUipsoids,  so  erhält  man  eine  Kurve,  die  Poinsot 
die  Poloide  hiess;  vorfolgt  man  aber  die  Berühmngspxmkte  auf 
der  festen  Ebene,  so  ergibt  sich  die  Serpoloide.  0  0^=^0  ist 
der  Fahrstrahl,  von  0  aus,  für  die  Poloide,  und  wenn  v  die  Pro- 
jektion von  00  auf  die  feste  Ebene  ist,  so  ist  diese  Grösse  der 
Fafarstrahl  für  die  Serpoloide  (vom  Punkte  aus,  den  wir  durch 
Projektion  von  0  auf  die  feste  Ebene  erhalten,  und  den  wir  H 
nennen  wollen).  Zwischen  diesen  Grössen  besteht  die  Gleichung 
9»s=v«  +  h^. 

Wegen  der  bereits  früher  aufgestellten  Integralgleichungen  kann 


M  Cbeliai:  DeterminMioBe  Mudytit«  etc. 

man  sagen,  dasa  dcor  Endpunkt  0  von  00  maun  aof  dan  zwei 
EUipaoidenA«pa  +  B»q«+C*r«=G2,  Ap*  +  Bq^  +  Cr'— Ohüege; 
er  liegt  alao  auch  in  der  Flftohe :  A(a— Ah)p'-)-B(0— Bh)qH-<^ 
(G— Ch)r'^=:Oy  welche  durch  Verbindung  obiger  Oleiohungen  ent- 
steht. Setzen  wir  A<1B<CC9  so  folgt  daraus»  dass  6  zwischen 
Ah  und  Ch  liegen  mosSy  damit  nicht  alle  drei  Koeffizienten  daa« 
selbe  Zeichen  haben  (da  sonst  p  «b  q  ss  r  »»  o  wftven) ;  0  kann 
Übrigens  grösser  oder  kleiner,  oder  gleich  Bh  sein«  Die  ttnsserstea 
FftUe  (GB=Ah,  Ch^Bh)  lassen  sich  leicht  auslegen. 

Zur  Bestimmung  von  p,  q,  r  hat  man  ausser  obigen  zwei  Glei* 
chungen  noch:  p''  +  q*4-r*s=63j  woraus  der  Verf.  folgert:   p*«» 

(a-bkI-c)'**-^'  ■•'=(5=^=1)  («'-'^'  ''-(mm 

^    .^ .    Zwischen  h,  «*,  /}^,  y'  bestehen  sehr  einfacbd 

algebraische  Beziehimgeu,  die  aufgestellt  werden ;  und  femer  finden 
sich,  wenn  man  obige  Werthe  von  p-',  q*,  r*  in  die  drei  Gleichun- 
gen einsetzt,  Identitäten,  die  in  späterer  Rechnung  Yon  Nutzen 
sind,  deren  Abschreiben  man  uns  aber  füglich  erlassen  wird.  Man 
findet  leicht,  dBBS  ß^'^afl^  ß^'^y\  und  es  folgt  aus  obigen  Werthen, 
dass  9*  nie  grösser  als  fl^  sein  kann ;  eben  so  kann  0^  nie  kleiner 
werden  als  die  grössere  der  swei:  a',  y^^  wobei  «'^>^^  wenn 
G>hB;  a»<y*  wenn  G<Bh;  für  G  =  Bh  ist  a«=y«=hi. 
Dabei  ist  übrigens  auch  o^-f  9^  — /|3>-0. 

Setzen  wir  z.  A.  p*=d(ö*— «),  so  erhalten  wir  p~=*® 

d»  ,  ,  dp  B-C  .d»  (C-A)(B-A)(C-B) 
^,d.h.wogegen^=-_qr:«— =^.^ 11^^ 1 

p  q  r,  so  dass ,  wenn  man  obige  Werthe  einsetzt :  0  -*--  =.   4- 
dt 

VX0^^u^){ßl^'-0*)  (©»— y»),  wo  das  Zeichen  sich  aus  der  Zu-  oder 
Abnahme  von  0  entnehmen  Iftsst  (0  ist  nur  positiv  gedacht).  Diese 
Gleichnng  hat  0  zh  liefenL 

Der  Vert  bestimmt  nun  die  Geschwindigkeit  des  »augenblick- 
lichen Pols«  (pi  q,  r)  in  so  ferne  er  die  Poloide  oder  Serpoloide 
beschreibt ;  sodann  die  G^chwindigkeüen»  mit  denen  sich  die  bei- 
den Fahrstrahlan  00  und  v  am  0  oder  H  bewegen,  womof  er  die 
Glaidiungen  der  Poloide  oder  Serpokide  ao&tellt.  Die  erstere  ist 
die  Dotchschaittskurve  der  beiden  früher  genannten  EUipsoide, 
oder  anah  des  »Zentralellipeoids«  Ap*-f-Bq'<<-f>Cr^3aB£0h  und  dee 
Kegels:  B(Bh-G)q*+0(€9i-G)r'i<»A(G-Ah)p'^.    Hier  setaeA 


•)  Da  A+B>C,  so  iat  (A+B)  h>Ch,  also  da  Ch>0:  CA+^ 
h>0,  sodass  y*  positiv  aasfilk.  Für «V^ bedarf  es  dtaesBewüawnioht. 


OliellBl:  PetermlMMlifn  Mal^rttaft  «!«•  M 

wir  hB^Q  Yorsos,  so  dass  die  Poloide  sjmmetriflch  in  Bezug  «rf 
die  Aze  Op  liegt.  Die  Projektion  derselben  auf  die  Ebene  der  rq 

ist  eine  Ellipse,    deren  Gleichung  --^-^ — ^  =  1,  wo  q|^  =^  (v-n  a  / 

ri'ass     \'^ — -~,  nnd  qi^>ri*.     Nehmen  wir  an,   dase  die  Be- 

wignng  des  Poles  9,  in  dieser  Ellipse  betrachtet,  im  Punkte  (q  sr  0| 
r=r|)  beginne,  und  der  CmÜEUig  der  Ellipse  in  dem  Sinne:  posi-» 
tiTe  Axe  der  q  gegen  positite  Axe  der  r  durchlaufen  werde.  Danu 
ist  es  immer  möglich,  einen  Winkel  q>  ta  bestimmen  so,  dass 
q=s  —  (ii  sin9>|  r=r|  cos  fp  und   es  ist  im  Anfting  f^asO;   fthr 

f^^TTf   s«  -^  ist  der  Pd  (seine Projektion)  in  den  Scheitelnder 

MgatiTBu  grossen,  negaÜTon  kleinen,  positiyen  grossen  Halbaxe. 

Jetzt  folgt  leicht  e<<=(/l^— ^s)sin>  9),  und  da  wir  Bh>a 
renBBsetzen.  wo  also  )^^a%  so  geht  ^  von  einem  ftusserstem 
Werthe  «im  andern,  wenn  9  je  um  4  ^  wftchst*   Setzt  man  p,  == 

Ba  mm  letztere  Ghr&sse  ihr  Zeichen  nie  wechseln  kann,  so  hat  p 
kuner  nnr  daaasibe  Zeichen,  was  wir  positiv  Yoraassetzen  wollen, 
SD  daas  pxsp^  V'l--l;*sia<9'  Ferner  Ad^ac  — (J'--7<<)sin^ao8f» 
d^  (»«—««)  Oi^-e«)  (»»-y»)=  Ol«-y*)»sin^f>cos<f>(/l»-c') 

(I--k«sin'9>),  also  exi^==(/J««yVßin'yco8>i5j==öJ-.yO« 

90J«-aO(l-k«sin»yx(^)=0J*-«*)a--k*8in«y). 

Ba  nun  auch  hier  wieder  die  zweite  Seite  nicht  Null  werden  kann, 

deo 
90  bl0ibt-r[~-  immer  Ton  demselben  Zeidien,  das  positiv  sein  muss, 
at 

weil  anfänglich  9>  wächst.  Man  erhKlt  so,  wenn  v^^i^^tsssn :  nt  =? 
F(9P,  h),  also  9ss8iiiam(nt),  wobei  wir  jedoch  bemerken,  dass  der 
Verf.  die  Bezeichnung  der  elliptischen  Funktionen  (und  selbst  In- 
tegrale) nicht  anwendet,  was  die  Endlösung  unbequemer  erscheinen 
l&Bsi.  Es  ist  demnach  4  =  sin  am  (ut) ,  p  es  p^  y^i— k*ain*Ainiiif 
q==  —  q|Sinamnt,  r  =  r|Cosamnt,  wodurch  die  Aufgabe,  die  Ge* 
flehwindigkeit  zu  bestimmen,  erledigt  ist.   Für  y  findet  man  v^^»-h» 

(ÄS y«  \| 

^  ~^  Äi — k7  ^^J  y  ^<>^^A^  ^^  ^^  €toetatt  der  Serpoloide  ergibt. 

Die  Falle  Bh<CO,  Bh=a  lassen  sich  nnn  kiobt  eijedigen. 

Wir  haben  voriiin  die  Länge  von  ▼  an^Bgeben ;  die  Lage  die- 
let FaluratraUa  zur  Zeit  t  Iftust  sich  ebenfiaUs  bestimmna. 

Diane  Bestimmung  wird  mittelst  des  Prindps  der  Flächen  ans» 
geftUiTt.  Der  FahxntnU  ▼  beschreibt  in  der  Ebene,  dis  nuTcv 
ImUiiliiiii  iÜMteiifcieUlene  bleibt,  bis  zum  Ende   der  Zeit  t  eine 


sib'^oos* 


96  ChelinivDetenniiwzioBe  anilyttc«  elc 

I        du 

Fläche,  deren  Differential quotient   irV^-jT-ist,  wennu  der  Winkel 

A        dt 

ist,  den  der  Fahrstrabi  v  mit  seiner  anfänglichen  Lage  macht.  Da 

diese  Fläche  Projektion  der  vom  Fahrstrahl  B  durchlaufenen  Fläche 

ist,  und  p,  q,  r  die  Koordinaten  des  Endpunktes  des  letzteren  Fahr. 

Strahls  sind,  so  ist  (z.B.  a.  a.  0.  S.  18)  Iv^^^^q^-r-^^ 
cos  (ph)  -f-  (r  j^  -  P^  j  cos  (q^)  +  (p  j|—  q  jf  j  cos  (rh),  wo  cos 

(ph)=-j^,  cosqh?=-j=-,  co8(rh)=-^.  Setzt  man  dies  ein,  be- 

dp      (B— CJ* 
achtet,  dasB  (B— C)qr-rj-= — j-—  q«  r*  u.  s.  w.;    benutzt  die 

Werthe  von  p*,  q*,  r*,  so  wie  dass  Ö*=v>4-li*>   so   findet  sich 

$=h — 4-»  wo  ^ABC  =  (G— Ah)  (ö~Bh)  (G-Ch).   So  findet 
dt  V»  ^ 

sich  nun  leicht  jii = h  t  —  iTI[tp^  -  g«,  k),  wenn  f  =  ^^^=r. 

ij«_yj|  (p*-h»)v^-a«) 

g*=^5 — eii«  Danii*  ist  diese  Aufgabe  erledigt, 
p« — ji« 

Man  ist  also  im  Stande  zur  Zeit  t  (als  Funktionen  von  t)  die 
drei  Grössen  p,  q,  r,  sowie  die  Werthe  von  v  und  \k  (d«  h.  die 
Lage  des  Fahrstrahles  der  Serpoloide)  anzugeben,  so  dass  nur  noch 
erübrigt,  durch  diese  Grössen  die  Lage  des  Körpers  selbst  zu  be* 
stimmen.  Zu  dem  Ende  denken  wir  uns  ein  rechtwinkliges  Koordi- 
natensystem, in  dem  OH  die  Axe  der  x  (also  fest)  ist ;  die  Axe  0  y 
parallel  dem  Fahrstrahl  v  (mithin  beweglich,  aber  ihrer  Richtung 
nach  bekannt),  und  die  Axe  Oz  senkrecht  auf  beiden  ist,  und 
suchen  nun  die  Cosinus  der  Winkel,  welche  die  drei  Hauptaxen 
(Op,  Oq,  Or)  mit  diesen  Axen  machen. 

Nach  dem  Früheren  ist  zunächst:  Gcos(xp)  =  Ap,  G  cos(xq> 
=  Bq,  Gcos(xr)  =  Cr,  so  dass  bereits  drei  dieser  Cosinus  bekannt 
sind.  Projizirt  man  die  gebrochene  Linie  H  0  6^  auf  die  Axe  Op, 
so  ist  die  Projektion  =  p  hcostxp)=vcos(yp),  woraus  G  v  cos 
(ypjt=(G — ^Ali)p  und  eben  so:  G v cos  (y q)  =:((}— Bhjq,  Gvcoa 
(zq)  =  (^G— Ch)r.  Die  Axe  Oz  steht  senkrecht  auf  der  Ebene  der 
zwei  Geraden  OG,  0®,  deren  Längen  G,  ö  sind;  schliessen  wir 
das  Dreieck,  dessen  Seiten  diese  Geraden  sind,  und  projiziren  das- 
selbe auf  die  Ebene  derOpq,  so  ist  die  Projektion  =}  (Ap.q — Bq.q) 
==  (  (A— B)  pq,  und  da  das  Dreieck  selbst ss  4  ^  &sin(x®)=s  4  ^^ 
ist,  so  folgt  G  V  cos  (z  r)  =  (A — B)  p  q,  und  ebenso :  G  v  cos  (z  q)  == 
(C  -•  A)  r  p,  G  V  cos  (z  p)  =  (B— 0)  qr. 

Hiedurch  ist  die  gestellte  Aufgabe  vollständig  erledigt,  und  es 
mag  aus  dieser  Uebersicht  unsere  anftlnglich  aufgesprochene  An- 
sieht von  der  Wichtigkeit  der  Lösung  für  die  Darstellung  der 
Wissenschaft  genügend  gerechtfertigt  erscheinen. 

^t.  i.  IMengfr« 


Ii,  7.  HEIDELBEEGES  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERiTDB. 


Die  Reehiferiigung  der  SüdstaaUn Nordamerikas,  Van  Hon.  James 
William,  ehemaligen  Qeeandten  der  Vereinigien  Staaten  bei 
der  hohen  Pforte,  mit  einem  Vortcori  von  E,  M,  Hudeon, 
Doctor  beider  Rechte,  themaligem  LegaHons^Secretär  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Birlin.  Berlin,  C.  0.  Läderitg'eehe  Vef^ 
lagaöuehhandlung.  A.  Chanieiua.  1863.  336  8.  in  8. 

So  eben  kommt  mis  das  vorgenamite  Buob  su,  welches ,  ob* 
schon  es  der  Angabe  auf  dem  Titelblatte  zufolge,  schon  vor  einem 
Jahre  erschienen  ist,  doch  nicht  in  der  Art  Yerbreitet  und  be- 
achtet worden  zu  sein  scheint,  als  es  verdient.  Es  besteht  ans 
einer  Reihe  Yon  Briefen,  welche  von  dem  Verfasser  in  Constan- 
tinopel  im  Jahr  1860  während  des  Wahlkampfes  um  die  Präsident* 
ichaft  der  Vereinigten  Staaten  ftLr  amerikanische  Leser  geschrieben 
and  einer  amerikanischen  politischen  Zeitung  zur  Veröffentlichung 
übergeben  wurden,  nunmehr  aber  gesammelt,  dem  deutschen  Lese- 
poblikom  Yorgelegt  werden,  wovon  der  Verf.  bei  ihrer  Abfassung  nicht 
im  Entferntesten  eine  Ahnung  hatte,  dass  dies  je  geschehen  werde. 
Dass  der  Verfasser  ein  mit  tiefer  Einsicht  und  reicher  Erfahrung 
aasgestatteter  Mann  und  gründlicher  Kenner  der  amerikanischen 
Zustände  ist,  würde  aus  dem  Inhalte  dieser  Briefe  hervorgehen, 
wenn  dies  nicht  schon  seine  damalige  Stellung  als  Gesandter  der 
Yereinigten  Staaten  bei  der  Pforte  verbürgte.  Deutschland  befindet 
sich  zwar  nicht  in  der  Lage,  von  den  Vorgängen,  welche  dermal 
die  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  erschüttern  und  im  Izmer- 
sten  aufwühlen,  unmittelbar  oder  doch  so  nahe,  wie  England  und 
Fruikreieh  berührt  zu  werden,  oder  in  dem  Kampfe,  welcher  zwi- 
schen den  Nord-  und  Südstaaten  der  Union  entbrannt  ist,  für  den 
maea  oder  den  anderen  Theil  thätig  Partei  zu  ergreifen,  oder  in 
izgend  einer  Weise  sich  einzumischen.  Nichts  desto  weniger  wird 
aiaelt  Deutschland  von  dem  Ausgange  dieses  Kampfes,  der,  welcher 
er  suMch  sein  mag,  unverkennbar  eine  weltgeschichtliche  Bedeutung, 
and  namentlich  einen  gewaltigen  Eiufluss  auf  den  Welthandel  haben 
wird,  nicht  unberührt  bleiben.  Wäre  es  aber  auch  nur  das  allge- 
seine  weltgeschichtliche  Literesse,  welches  für  Deutschland  hier  in 
Betracht  käme,  so  wäre  es  doch  immerhin  von  gr5sster  Wichtig- 
Wit,  eine  klare  Einsicht  in  die  wahren  Gründe  und  die  wirkenden 
üraaclien  des  Kampfes  zu  gewinnen,  welchen  der  amerikanische 
Sardea  nnter  dem  Aushäugeschilde  rein  philanthropischer  Interessen 
an  der  Abschaffung  der  Sklaverei  gegen  die  Südstaaten  der  Union 
begonnen  hat.  Zur  Erlangung  eines  richtigen  Blickes  ist  es  aber 
LVHL  Jahrg.  SL  Heft.  7 


9$  Williamt  R^ditforttgiii«  d«r  fiUdstuteiL 

darchans  ootbwendig,  auch  Stimmen  der  Südstaaten  zn  yemehmen, 
und  xwar  uin  bo  mehr»  je  seltener  diese  nach  Deutschland  zn  drin- 
gen TermBgan,  deaseti  vorwiegende  Veikehrsbeziehmngen  ihm  haiapt- 
sächlich  nur  Nachrichten  aus   dem  Norden   der  Union   zuzuAlhren 
pfiegen.     Einen  ttlchtigeren  Mann,    die  im  Süden  der  Union  herr- 
schenden Ansichten  zu  vertreten,   als  wie  sich  der  Verf.  ausweist, 
möchten  die  Sttdstaaten  schwerlich  sich  zu  wflnschen  Veranlassung 
haben.  Gründliche  Kenntniss  der  Verhältnisse,  verbunden  mit  aus- 
gezeichneter Eleganz  der  Darstellung,  dabei  eine  grosse  Mässigung 
bei  Bekämpfung  der  gegentheiligen   Ansichten   des  Nordens,   sind 
Vorzüge,  wie  wir  dieselben  selten  in  einer  Parteischrift  in  so  hohem 
Maasse  vereinigt  gefunden  haben.  Der  Verfasser  bekennt  offen  und 
wiederholt,  dass  er  als  Südländer,  als  Cicero  pro  domo  spricht.  Er 
Ist  bescheiden  und  billig  genug,    diesen  Standpunkt,   der  ihm  als 
Bttdlftnder  von  Geburt  angewiesen  ist,  als  denjenigen  zu  bezeichnen, 
welchem  bei  Beurtheilung  seiner  Briefe  Rechnung  getragen  werden 
muss,  wenn  er  pro  aris  et  focis  ficht ;  aber  er  ist  auch  dabei  durch- 
aus Amerikaner,  der  die  Erhaltung  der  Union   auf   der  Basis  der 
VerAissmig,  auf  welcher  sie  gross  geworden  ist,  als  das  höchste  Ghit 
betrachtet,   und  eben   daher  an   den    Norden  die  eindringlichsten 
Vorstellungen  richtete,    den  Gefühlen  und  Interessen   des   Südens, 
namentlich  diesen  letzteren,  welche  für  die  Südstaaten  eine  Frage 
um  Sein  oder  Nichtsein  sind,  eine  billige  Rechnung  zu  tragen.  Die 
TorsteUungen ,  welche  der  Verfasser  in  seinen  Briefen  an  die  Be- 
Tf^Heerung  des  Nordens  richtete,  haben  bei  dieser  keine  Beachtung 
gefanden;  die  aufgeregten  Leidenschaften  haben  einen  Bürgerkrieg 
kerattfbeschworen,  der  bereits  Opfer  an  Menschenleben  in  so  unge- 
heurer Anzahl  gekoetet  hat,  wie  die  GFeschichte  noch  kein  Beispiel 
auftuweisen  hatte.     Die  Vorhersagung  des  Verfassers,   dass   der 
Bttden  einen  Verzweiflungskampf  beginnen   und   sich  nicht  anders 
als  nach  vollständigster  Erschöpftmg  dem  Norden  unterwerflBU  würde, 
ist  bereits  in  Erfüllung  gegangen ;  ob  eine  Trennung  der  Südstaaten 
von  der  Union,  eine  Ausstossung  derselben,  welche  noch  1860  von 
den  heftigsten  Republikanern  des  Nordens   als   das  Ziel  ihrer  Be- 
strebungen verkündigt  wurde,  das  Ergebniss  des  Krieges  sein  wird, 
oder  ob  der  Norden   in   seiner  Uebermacht  nunmehr   das  blutige 
Drama  nicht  anders  als  mit  einer  völligen  Unterjochung  der  Süd- 
Staaten  für  abgeschlossen  betrachten  wird,    muss  die  nächste  Zn- 
kunfb  lehren.  Der  Verfasser  ist  kein  blinder  und  prinzipieller  Ver- 
theidiger  der  Sklaverei  in  abstracto;  er  ist  aber  Realpolitiker,  der 
ihren  historischen  dermaligen  Fortbestand   in  den  Südstaaten  ala 
eine  Existenzfrage   für   die  nur   acht   Millionen  betragende  weiaso 
BevÖlkonmg  gegenüber  von  vier  Millionen  seit   Generationen  ein- 
geborener Schwarzen  in*8  Auge  fiisst.     Die  Hauptau^abe,   welche, 
sich  der  Verfasser  gesetzt  hat,  besteht  darin,  nachzuweisen,    dass 
es  nicht  sowohl  die  von  der  sogenannten  AntisUaverei-Partei  inj 
Norden  der  Union  und  in  En^nd  mit  so  grosser  Ostentation  tot^ 


WJUUmi  BMlitiBrtitiii«  im 

kttndttoB  plnlanthropisdMn  Ideon  lind,  ans  welchen  die  Aiiflielmiig 

dermJaveiei  im  den  Sttdstaaten  gefordert  wird,  sondern  das  mat«» 

oeUe  iBteresBe»  und  dase  ein  Zwang  zn  dieser  Aufhebung  der  Ver* 

luBimg  der   Union,   auf  deren   Omndlage   der  Eintritt   der  Sttd* 

«twrtew  in  dieselbe  geschah,   widerspricht.    In  diesen  beiden  Be- 

Asfanngen  mnas  die  AnsfOhning  des  Yerfiissers  wohl  als  voUkoaunen 

griugesi  nnd  sohlagend  anericannt  werden.  Von  grossem  Interesse 

sisd  die  Kaekweisongen  des  YerfiEMsers,  wie  England,    so  lange  es 

die   dermaligen  Vereinigten  Staaten  Ton  Nordamerika    als   seine 

Colonien  beherrschte,  die  Sklayerei  dort  einführte,  ja  denOolonien 

derea  Einführung  an&iöthigte,  nnd  den  Sklainsnhandel  als  Monopol 

beanqiraehte ,   so   lange  er  eine  Qnelle   seines  eigenen  Seichthnme 

war,  nnd  dass  der  Korden  der  Union  die  Sklaverei  bei  sich  nicht 

eher  «nflMb,  als  bis  sie  ihm  von  keinem  Yortheile  mehr  war,  nnd 

Beine  Beyölkemng  Zeit  und  Gelegenheit  genug  gehabt  hatte,    die 

ihr   nutzlos   gewordenen  Sktsren  in   die  Südstaaten  der  Union  zu 

▼erkaufen,   so   dass  die  Aufhebung  der  Sklaverei  im  Norden  ohne 

YermGgensbeeinträehtigung    seiner  Bürger  geschehen  keaate«    Bs 

wird  aach  als  richtig  zugegeben  werden  müssen,  dass  keine  weisse 

BevQilkeruBg  in  den  tropischen  Ländern  die  Fähigkeit  besHzt,  die 

Arbeiten  zu  leisten,  welche   dermal  von  den  Schwarzen  geleistet 

werden,  und  dass  der  materielle  Zustand  dieser  schwarzen  Sklaven 

b  den  Sttdataaten  ein  besserer  ist,  als  in  manchen,  selbst  e«uropäi- 

selien   Staaten  der  Zustand  der  freien  arbeitenden  Klasse,  inshe* 

sondere  aber  besser  als  jener  der  Coolis,  (Chinesen  u«  dgL),  doreh 

deven  Einführung   als  angeblich   freie   Arbeiter  man    in   einigen 

Staaten  die  Arbeit  ^er  Schwarzen  zu  ersetzen  sucht.  Ebeis  so  un* 

wideriegbar  dürfte  die  Ausführung  des  Yer&ssers  sein,  dass  aller 

Yortheil,  welcher  aus  der  Aufhebung   der  unfreien  Arbeit  in  den 

Sttd Staaten  der  Union  entspringen  kann,  nnr  England  nnd  seinem 

W^haittdel  za  Gute  kommen,  eben  hiermit  aber    der  Norden  der 

Union  sieh  in  seinen  Erwartungen  von  jener  Aufhebung  getftusoht 

athan  wird«  Man  mag  aber  dies  Alles,  und  noch  viel  Mehrsres,  was 

der  YerfMser  in  hftohst   geistreicher  Weise  nnd  grossentheüs  mit 

nnwiderleglichen  Argumenten  ausgeführt  hat,  zugeben,  ja  man  mag 

gearadesn  anericennen,  dass  das  historische  od^r  positive  Beoht  auf 

den  Bestand  der  Sklaverei  für  die  Sttdstaaten  spreche  <^  (und  in 

wdehena  Lande  der  Erde  hätte   nicht  von  AnÜEMg  der  Geschichte 

an  das  historische  oder  positive  Becht  für  Sklaverei,  Leibeigen" 

sehnfk  oder  HArig^it  gesprochen!)—  so  seheint  sich  doch  eben  in 

deot  Kampfe,  welcher  dermal  zwischen  dem  Norden  und  demSttden 

der  Uaioa  geführt  wird,  ein  grosses  und  unerbittliches  Weltgesetz 

sn  ToUzieken,  wonach  die  Menschheit  im  Ganzen  zum  Fottsehritt 

in  der  Anerkennung  der  individuellen  Freiheit  berufmti  ist,  und  die 

Mebumg,  nie  wäre  eine  oder   die  andere  Ba^e  von  Natur  aus  zur 

Theünahane    hieran    nicht    befähigt,    aufgegeben    werden    muss. 

Aneh  der  Terfasser  hat  die  Anerkennung  eines  solchen  Weltge» 


100  OralUBABAs  Ab«^iilNli  fai  Btthtnoi  «nd 

seties  oiöht  absolut  yon  sioh  aasgeBcUoBsen  und  gewiss  wird  buul 
ihm  darin  beipflichteni  wenn  er  eine  weniger  gewaltsame,  weniger 
opferschwere  nnd  allmählige  Lösung  des  nun  einmal  weltgeschioht* 
lioh  gewordenen  Conflictes  zwischen  dem  historischen  Rechte  und 
der  fortschrittUchen  Entwickelnng  der  Freiheit  ftlr  wflnschens- 
werther  erklärt.  Die  redliche  und  yon  der  Liebe  zur  Wohlfahrt, 
Grösse  und  Einigkeit  seines  Vaterlandes  eingegebene  Bestrebung 
des  Verfassers,  eine  solche  friedliche  Lösung  herbeiasuftlhren ,  wird 
darum  nicht  weniger  alle  Anerkennung  verdienen,  dass  seine  sur 
Mftssigung  rathende  Stimme  in  bewegter  Zeit  kein  Gehör  gefänden 
hat.  Vom  Standpunkte  der  Geschichtsforschung  aus  betrachtet, 
werden  aber  diese  Briefe  unbestreitbar  als  ein  höchst  BohAtzbarer 
Beitrag  zur  Erklärung  der  dermaligen  Vorgänge  in  den  Vereinigten 
Staaten  anerkannt  werden  müssen.  Zoepfl* 


Abergimube  tmd  Gebraucht  au»  Böhmen  und  Mähren.  QeeammeU  und 
heramgegeben  van  Dr.  Joseph  Virgil  Orohmann,  L  Bd. 
(Auf  Kaden  den  Vereines  für  Oesehichie  der  Deuiacken  m 
Böhmen).  Prag  und  Leipzig  1864,  X  und  247  8. 

Der  Verfasser  des  vorliegenden  Buches,  von  welchem  Ret.  be* 
reite  früher  Arbeiten  an  dieser  Stelle  beifällig  zu  besprechen  Qe* 
fegeaheit  hatte  (s.  1862  Nr.  59  »Apollo  Smintheusc  und  1863 
Nr.  37  »Sagenbuch  von  Böhmen€)  bietet  hier  wiederum  einen  sehr 
schätzbaren  Beitrag  zur  Mythologie,  wie  sie  sich  jetzt  noch  im 
böhmischen,  d.  h.  also  theils  deutschen,  theils  slavisohen  Volka* 
glaubfiin  darstellt.  Grohmann  bemerkt  in  dieser  Beziehung  (S.VI): 
»Eine  Sammlung  deutscher  Aberglauben,  Gebräuche  und  Sagen  aus 
Böhmen  wird  stets  unvoUständig  sein  und  ihren  Zweck  nur  halb 
erfüllen,  wenn  sie  nicht  Hand  in  Hand  geht  mit  einer  gründüchea 
Erforschung  der  slavischen  VolkstLberlieferungen  in  diesem  Laade. 
Seit  so  vielen  Jahrhunderten  wohnen  beide  Volksstämme  in  B5li- 
men  neben  einander  im  lebhaften  Austausche  ihrer  Sitten,  Ge- 
bräuche und  volksthümlichen  Erinnerungen.  So  ist  es  denn  ge- 
kommen, dass  viele  Gebräuche  der  Deutschen,  wie  das  Todaua- 
treiben,  das  Schmeckostem,  slavischer  Sitte  entstammen  und  durch 
die  slavische  Mythologie  ihre  Erklärung  finden;  anderseits  ist  der 
slavische  Volksglaube  in  Böhmen  so  vielfach  mit  deutschem  ver- 
mengt,  dass  er  ebenfalls  als  eine  Quelle  für  deutsche  Sage  und 
Sitte  angesehen  werden  kann.€  —  Es  erhellt  hieraus  zurGentlgey 
wie  willkommen  die  vorliegende  Arbeit  sein  muss  und  wie  mannig- 
fach sie  sich  verwerthen  lässt,  wobei  auch  nicht  zu  übersehen  ist» 
dass  selbst  die  historische  Eorsehung  nicht  leer  ausgeht,  wie  dies 
der  Verein,  auf  dessen  Kosten  sie  herausgegeben  worden,  mit  rich- 
tigem Blick  erkannt  hat,  indem  sich  unter  anderm  als  Besaltat 


dnrselben  ergibt  (8.  YII):  »Dass  schon  in  den  ersten  Jalirkiinder* 
ien  böhmiadier  GhMcbichte  ein  reger  nnd  lebhafter  geistiger  V«r^ 
kehr  zwischen  Slaven  und  Deutschen  bestanden  habe,  wie  er  nieht 
denkbar  gewesen  idbre,  wenn  noch  im  11.  Jahrhundert  die  deutsehe 
BerSlkernng  in  BiShmen  nur  ans  einigen  Prager  Kanflenten  und 
Juden  bestanden  bitte  (Palacky  Gesch.  1,  888,  390).c 

Ghx>hmann  hat  es  unterlassen  die  Sammlung  durchgehende  mit 
Anmerkungen  zu  begleiten,   was  nm  so  mehr  zu  bedauern  ist,  da, 
wo  er   in   einzelnen  Fftllen  dergleichen  gibt,  diese  meist  sehr  an» 
liehende  Nachweise  enthalten.    Jedoch  wollen  wir  mit  ihm  wegen 
dieser  Sp&rlichkeit,  nicht  rechten,  indem  er  sich  yoraos  mit  seinen 
»wechselnden    Schicksalen c   entschuldigt^    »wenn  das  Buch  nicht 
allerwftrts  jenen  Anforderungen  entsprechen  sollte,  welche  diedevt- 
sehe  Wissenschaft  an  eine  derartige  Sammlung  zu  stellen  beieoh- 
tigt  ist.«  —  Bef.  kann  natürlich  das  Mangelnde  hier  nicht  eigftnsen 
wollen,    sondeni  muss  sich   darauf  beschrftnken  ebenso  wie  Groh« 
mann    selbst  an  einzelnen   Beispielen   zu  zeigen,  wie  reicher  und 
wertliToller  Stoff  sich  hier  yereint  findet.     So  z«  B.  begegnen  wir 
gleich  8.  1  Nr.  4  den  Goldferch  der  Paruchta  (Perahta,  Berchta) 
worüber  ygl.  A.  Kuhn,  Westphftl.  Sagen  1,  881  f.  —  Bald  darauf 
8.  2  Nr.  9  wird  folgendes  angeführt:  »Zur  Beruhigung  der  Mehi- 
sina   legt  man   auch  Mehl  auf  einen  Pflaumenbaum  und  lAsst 
es  yom  Winde  zerstreuen  u.  s.  w.«  Hieraas  geht  also  heryor,  dass 
die  Windsbraut,  die  in  BOhmen  Melusina  heisst,  bei  ihrer  Sturmes- 
fiihrt,   auf  Bftumen  ausruhend,   gedacht  wird,   gleich   der  ähnlich 
dahinbransenden  Pharaildis,  ygl.  Gott.  Gel.  Anz.  1864,  S.  1424  ff., 
woselbst  Bef.  die  weite  Verbreitung  der  Vorstellung  yon  dem  Auf- 
enthalt geisterhafter  Wesen  auf  Biumen  und  Dornbüschen  bespro* 
eben  bat.  Dieselbe  mag  wohl  ursprünglich  aus  dem  gleichfalls  sich 
tet  nnter  allen  VGlkeru  wiederfindenden  Glauben  entsprungen  sein, 
dass  die  Seelen  der  Verstorbenen  gern  ihre  irdischen  Wohnstfttten 
wieder  besuchen.  Diese  aber  waren  ohne  Zweifel  in  urftltester  Zeit 
Blame  tmd  Gebüsche,  auf  und  in  denen  auch  jetzt  noch  mehr  oder 
minder   rohe  Naturvölker   ihre  Wohnplätze  haben,   wie   in  Afrika, 
Süd-Amerika,   Neu-HoUand  u.  s.  w.,    in  welchem  letztem  ausser 
den   BAnmen  ein   paar  in  einander  geflochtene  G^strftuche  häufig 
das    einzige   Obdach   der  Eingeborenen  bilden.     Gleiches  berichtet 
man  aneh  yon  den  Miao-tse,  den  merkwürdigen  theilweise  febst  noch 
wilden  Ureinwohnern  einiger  Südproyinzen  Ohina^s,   yon  denen  ei- 
nige Stämme  gleichfalls  noch  auf  Bäumen  wohnen;  (Viyien  de  St. 
Martin  Ann^  göograpbique  I,  302  f.).  Dies  erklärt  es  denn  auch, 
warum  in  einigen  Gegenden  Böhmens  die  Kinder  die  erste  Hand* 
▼oll  Erdbeeren,  die  sie  pflücken,   für  die  armen  Seelen,   auf  einen 
Bäumst runk  legen  (Grohmann  S.  98,  Nr.  653)  und  warum  fer- 
ner in  einem  mährischen  Liede  die  aus  dem  Körper  fliegende  Seele 
aeih  anf  einem  Hain  niedersetzt,  sowie  nach  der  Königinhofer  Hand- 
sefanft   die  Seele  Vlaslay's  auf  die  Bäume  fliegt  und  dann  darauf 


loa  atokfela'fta:  AMfi^ubea  In  BSknidh  und 

hin-  und  herflattert;  6beiida8.'8.  194,  Amn.  211  Nr*  1S69  faenMite 
mm.  diese  Yorstellimg  in  Betreff  der  Seelen  Hingeschiedenet,  so 
ging  sie  leicht  auf  geisterhafte  Wesen  über ,  welche  (kbrigesiB 
gprGsstentheils  jne  die  Penaten  nnd  Laren  die  Pitris  nnd  Gandhar* 
ten  und  ähnliche  Schntzgeister  ja  eben  nur  die  Seelen  der  gÖitUoh 
verehrten  Ahnen  vorstellten.  Wenn  endlich  unter  den  Gebüschen, 
zUunenüich  Dornbüsche,  als  Anfenthaltsorte  jener  Wesen  ge- 
nannt werden,  so  mag  daza  namentlich  die  Todesbedeatnng  der^ 
selben  beigetragen  haben;  vgl.  Gott.  Gel.  Ans.  a.  a.  0.,  so  dase 
also  Honorat'is  Ableitong  des  occit.  roümeoo  Popanz  aus  ron- 
mec  Domstraach  gar  nicht  übel  ist,  vgL  Dietz  Etymol.  Wßrterb. 
3.  Anfl.  1,268  s.  v.  Mäschera«  —  Das  in  Böhmen  übliche  Ver-> 
fiafaren,  nm  den  Körper  eines  Ertrunkenen  wieder  auffinden  zu 
können  (Grohmann  8.  50,  Nr«  319.  820)  wird  in  ähnlicher  Weise 
auch  anderwärts  in  Anwendung  gebracht,  so  in  England,  Mand, 
bei  den  nordameirikanlschen  Indianern  und  wohl  auch  sonst  noob 
d«  Ohoice-Notes  from  Notes  andQueries.  Lond.  1859.  p.  40ff.  StaU 
der  böhmischen  geweihten  Wachskerze  steckt  man  in  England 
Queeksilber  in  das  dabei  gebrauchte  Brod ,  welche^  Verfahren  isin 
mehr  rationalistisches,  ketaerisches  Aussehen  hat,  dedshalb  aber 
anch  nicht  immer  von  £rfi>lg  begleitet  ist  (1.  c.  p.  164),  während 
wiedei^iim  der  katholische  Priester  mit  seinen  kabaüstisohen  Oharak^ 
teren  nnd  Strohwisch  seinen  Zweck  desto  sicherer  erreicht  (1.  o. 
p.  42).  --  üeber  das  in  Böhmen  und  Mähren  in  Quellen  geworfene 
Qeldopfer  (Grohmann  S.  50  zu  Nr.  321.  S.  115  zu  Nr.  858)  vgL 
den  Bef.  zu  Gervasins  von  Tilbury  B.  101.  Füge  hinzu  Pausan.  1, 
34,  3  in  Betreff  der  AmphiaraosqueUe  in  Oropns;  vgl.  auch  Soei* 
Octav.  c«  57«  —  Dass  die  aus  Schmerz  über  Dahingeschiedene 
vergossenen  Thränen  denselben  wehe  thun  (Grohmann  8.  llft 
Nr.  845.  S.  190  zu  Nr.  1345)  ist  gleichfells  ein  weitverbreiteter 
Volksglaube,  vgl.  disn  Ref.  zu  Gervas.  S.  197,  sowie  in  den  Gott. 
Gel.-Anz.  1861.  S.  437.  Er  findet  sich  auch  in  Italien,  s.  Ida  von 
Düringsfeld,  das  Sprichwort  als  Kosmopolit  1,  148 :  »Das  Weinen 
ist  dem  Todten  zuwider  und  schadet  den  Lebenden.«  (Aus  Bergamo). 
—  In  Betreff  dos  Wiederkehrens  verstorbener  Mütter 
zu  ihren  Kindern  um  sie  zu  pflegen  (Grohm.  S.  116.  Nr.  870—872), 
s.  den  Bef.  zu  Gervas.  S.  66.  nnd  Heidelbt  Jahrb.  1864.  8.  218 
(zu  Hahn's  Nr.  83).  —  Ueber  das  Hervorwaohsen  von  Pflanzen 
aus  Gr&bern  als  Symbol  des  Fortlebens  der  Seelen  (Grohmlinn 
S.  193  zu  Nr.  1361),  s.  den  Bef.  in  den  Gott.  Gel.-Anz.  1861. 
S.  575,  — •  sowie  über  Seelen  die  in  Vogelgestalt  ersdiei*- 
nen  (Grohm.  S.  194.  Nr.  1369)  denselben  zu  Gervas.  B.  115;  W. 
Müller  in  Pfeiffer's  German.  1,  421  (dazu  Paulus  Gassei,  Der 
Schwan.  Berl.  1861.  S.  XZIV.  Anm.  112);  Wackersagel  "Biu^ 
üzafosvta.  Besel  1860«  S.  39  ff.  u.  a.  m.  —  Jedodi  dies  genüge 
um  auf  die  Beichhaltigkeit  det  vorliegenden  Sammlung  und  den 
tiel&chen  Nutzen,  der  daraus  zu  ziehen  idt,  hingewiesen  zu  häbea 


ttd  will  Bef.  wUiNsliiih  nitr  ttooli  swei  dtdtoii'dwd^llM  iMflK»«* 
MwD»  BStnUoh  B.  89.  Nr.  148,  wo  eine  Btropb«  dM  Aftidlbdt  ütt^ 
gefithrian  rnftbriadien  Volksliedes  in  der  Üebeiiaetfiiiig  so  Uniieti 
>]>ie  armen  Seelohen  fingen  sie  auf  -^  Und  Hessen  ^e  iiieht  itus 
dar  Helle  gehen  —  Oleioh  wettete  er  mit  dem  Tetif^  ^  W«r  ron 
ihnen  besser  spiele  —  David  spielte  besser  —  Spielte  seine  Mnttet 
SOS  dar  Hölle  heraus.«  Dies  erinnert  d«ran,  dass  aitsh  in  der 
mUnsteriadhen  Version  Tom  Bpielhansel  (s.  Öritnin,  Kindermftrcfaen 
3>,  idl  f.  sn  Nr.  82)  dem  Tenfel  Seelen  im  Spiel  a^gewötknen 
werdsii,  womit  anoh  sa  vergleichen  das  t^bliM  (bei  Le  Orand) 
da  Jonglenr  qni  alla  en  enferc;  w.  endKeh  dl*  OeMhiehle 
▼on  dem  Zauberer,  der  dem  Volke  einen  Hahn  seigte,  der  einen 
BalkBn  sog  (Grohm.  S.  M  m  Nr.  640).  Dies  ist  dM  llftrc^en  tom 
Hafaaienbalken  (K.-M.  Kr.  140)  woi«ber  vd^Bef.  in  Benfey's  Orient 
end  Oecident  1, 181.  Zn  den  dortigen  AnftthrnHgett  fttge  man  kioeh 
a^aöer  Altengl.  Mirehen.  Brannsohw.  1880.  L  S.  XKm.  -^  Hier- 
mit achUessen  wir  in  der  Höffanug  den  2«  Band  def  vorliegMden 
aammlimg  so  wie  des  böhmischen  Sagenbuches  in  nicht  ttt  fsmer 
Zeit  zn  besitzen,  wobei  wir  zagleich  den  Wünsch  atiBSpx«<^en,  die»* 
selben  mit  ebenso  sorgfUtigen  Sachregistem  ansgestattet  zn  sehen, 
wie  es  der  gegenwärtige  Band  ist. 

Lüttich.  rtiti  LfebrMM« 


üsr  Krieg,  seine  Mütd  und  Wt^e,  so  uie  nein  Verhäätnm  tum  Frie- 
den, M  den  ErlAnüeen  knee  Veteranen,  fieieh  wU  in  ihren 
PHneipien  öetraehiet.  Von  C.  F.  a  Pfnor,  froeehene^hh 
beMed^em  ObtreUieutenant  de$  Armeeeorpe.  Md  einem  Jn^ 
hange  nebet  Steiniaftl,  die  Coneiruetiön  eines  FiOdiagem  eni» 
hottend.  Tübingen,  bei  Ludwig  Friedrich  FUee^  1864,  XX  und 
361  8.  8. 

Beftrent  hat  obiges  Bach  mit  dem  grtfssten  Interesse  gelesen. 
Hat  der  hochverdiente  greise  Herr  Verfasser  desselben,  der  ftHeste 
Veteran  des  badisohen  Armeecorps,  sich  in  einer  Beihe  von  Sohriften 
von  der  idealen  Seite  als  denkender  Philosoph  tmd  vielseitig  ge^ 
bildeter  Kenner  der  geistigen  Seite  menschlicher  Forsohmigen  be« 
wfthrt,  so  lernen  wir  ihn  in  der  voiliegenden  Schrift  von  der  realen 
oder  praktischen  Seite  als  Denker  im  Gebiete  der  Kriegskunst  nod 
KriflgsvrisBenschaft  kennen.  (Gewiss  hat  der  Herr  Verf.  in  allseitiger 
Beziefanng  nicht  nnr  seine  Berechtigong,  sondern  seine  vollste  Be- 
fUdgimg,  seine  Ansicht  ttber  das  Wesen  des  Krieges,  seine  Wege 
and  Mittel,  das  Kriegsheer,  das  Kriegswesen,  die  Kriegsknnst 
imd  Kriegswissenschaft  einem  saehknndigen  nnd  denkenden  Ptlbli-» 
knm  mitzatheilen ,  vielfach  und  in  rühmlichster  Weise  bewährt. 
Aneh  die  Kriegswissenschaft  und  die  Kriegskunst  hängt  mit  den 


}f4  VtMVTi  Der  Kriigi 

aUgemeineii  Principien  der  Natur,  des  Lebend  und  derWisaenscliaft 
aufs  Innigste  zusammen  und  durch  seine  philosophischen  üntersuolmii- 
gen  hat  der  Hr.  Verf.  bereits  in  vielfiEkch  befriedigender  Weise  seine 
tiefer  eingehenden  Anschauungen  in  diesem  Gebiete  entwickelt, 
ßef.  macht  hier  besonders  auf  die  zweite  Auflage  des  in  diesen 
Bläittem  angezeigten  Werkes  des  Herrn  Verf.  »das  Leben,  die 
Natur  und  die  Wissenschaften«  aufmerksam.  Aber  auch 
alfi  iNTaktischer  militärischer  Schriftsteller  hat  sich  der  Herr  Verf. 
schon  in  früherer  Zeit  ausgewiesen  und  die  Aufnahme  seiner  Schrif- 
ten hat  gezeigt,  wie  sehr  er  dem  praktischen  Bedürfnisse  entgegen* 
zukommen  und  mit  welchem  Ernst  und  Erfolg  er  seinen  Gegen- 
stand KU  behandeln  verstand.  Im  Jahre  1816  yerfasste  er  eine 
»DieuBtanleitung  für  die  Landwehr«,  welche  als  Manuscript  1817 
der  Generalinspection  der  Landwehr  übergeben  wurde.  Im  Jahre 
1831  erschien  die  Yon  ihm  yerfftsste  und  durch  höchste  Best&ti- 
gung  in  Anwendung. gebrachte  militärische  Schrift :  »Der  innere 
Pienst  für  das  grossherzoglich  badische  Armee- 
corps.« Im  Jahre  1882  wurde  seine  Schrift:  »Der  äussere 
und  bewaffnete  Dienst  in  den  Garnisonen  und  Fest- 
ungen«, dem  badischen  Armeecorps-Commando  übergeben  und  nach 
der  Prüfung  von  einer  Commisaion  genehmigt.  Allein  nicht  nnr 
durch  seine  schriftstellerischen  Werke  als  gebildeter  Theoretiker  und 
philosophischer  Forscher,  sondern  auch  durch  sein  ernstes,  vielfach 
bewegtes,  mit  einer  merkwürdigen,  tfaätigen  Zeit  innig  verbunde- 
nes Leben,  durch  seine  Thaten  und  Erlebnisse  auf  dem  Felde  des 
Krieges  hat  der  Herr  Verf.  zu  Schriften,  wie  die  vorliegende,  seine 
volkte  Berechtigung  und  Befähigung  dargethan.  In  einer  fünfzehn- 
jährigen Eriegsperiode  und  einem  zwanzigjährigen  Friedensstand 
war  er  activer  Militär,  in  dem  mühseligen  und  inhaltsschweren 
spanischen  und  russischen  Feldzuge  hatte  er  Gelegenheit,  den  Krieg 
und  alles,  was  darum  und  daran  hängt,  durch  eigene  Anschauung 
und  denkende  Beobachtung  kennen  zu  lernen. 

Zur  Bezeichnung  der  »wesentlichsten  Tendenz«  seines  Buches 
bemerkt  der  Herr  Verf.  S.  X  u.  XI,  dass  »das  auf  dem  Titelblatte 
stehende  Motto  den  eigentlichen  Angelpunkt  bezeichnen  solle,  um 
welchen  sich  der  Inhalt  desselben  bewegt,  indem  es  in  den  Wor- 
ten des  Textes«  noch  eine  nähere  Erklärung  erhält.  So  werden 
wir  auf  das  Motto  als  den  Text  hingewiesen,  zu  welchem  eigent- 
lich die  vorliegende  Schrift  der  Commentar  ist.  Der  Herr  Verf. 
nennt  darum  auch  sein  Motto  »Worte  des  Textes.«  Diese  lauten: 
»Krieg  und  Friede  sind  die  unzertrennlichen  negativen  und  posi- 
tiven Seiten,  oder  die  Nacht-  und  Tagphasen  des  menschlichen  mid 
Yölkerlebens,  die  sich  nach  dem  Zeugnisse  der  Geschichte  in  be- 
ständigem Wechsel  stets  gegenseitig  begründen  mussten  und  noch 
lange  werden  begründen  müssen.« 

Das  ganze  Werk  zerfällt  in  vier  Abschnitte.  Die  beiden 
ersten  liefern  den  subjectiven,   die  beiden  letzten  dea 


objeetiTon  Theü  deiMllMa.  Die  ersten  beiden  AbeeInMe 
gekes  nlmtinb  nmiehsi  T<m  den  eigenen  Erlebnieeen  dee  Herrn 
YerL  aas.  CfowiBs  sind  wir  dem  Herrn  Verf.  fUr  die  Müibeilnttg 
seiner  eigenen  ESrlahningen  in  der  eo  tbatenreioben  Knegtperiode 
Ten  1800,  wo  er  als  Freiwilliger  in  die  Dienate  der  bataTiaolien 
Bepnblik  irai»  bis  1815  und  in  dem  Friedenaieitranme  bis  m  aeifeer 
Pensionirang  (1850)  zu  beaonderem  Danke  yerpflicbiet.  Bie  erOüiien 
ima  anziebende  nnd  belehrende  Gemefatspnnkte  Ton  der  Lieht-  md 
Sehaitenaeite,  and,  wenn  es  wahr  ist,  daee  man  nnr  dvrob  Schaden 
klag  wird,  so  hat  es  gewiss  der  allgemeinen  Zeit,  in  welcher  der 
verdiente  Herr  Veteran  wirkte,  nach  diesem  selbst  an  jenen  Inttem 
aber  lehrreichen  Mitteln  nur  Bereicherung  menschlicher  Erfiüunmg 
in  keiner  Hinsicht  gefehlt. 

Der  erste  Abschnitt  (8.  l->22)  behandelt  die  »Yorbe* 
dingnngen»  Gesichtspunkte  nnd  Thatsaehen,  welche 
dens  Buche  sn  Grunde  liegen  und  damit  in  nächster 
Besiehung  stehen,  der  sweite  (8.28—162)  des  Herrn  Yer£ 
Erlebnisse  und  persönliche  Theilnahme  an  einer 
fünf sehnjfthrigen  Kriegsperiode  nebst  ein om  zw ansig» 
jAbrigen  Friedens-Kriegsdienste  Yon  1800  bis  1815, 
besiehuiigsweise  1850. 

Wenden  wir  uns  nun  vorerst  den  beiden  ersten  Theilen 
dieaee  Werkes,  w^'lehe  die  subjective  Seite  desselben  bUden,  zu« 

Was  der  Herr  Verf.  ans  seinen  Erinnerungen  hier  »m  liefern 
im  Stande  ist,  ist  eine  wahrheitsgetreue  Zmückftthmng  der  wich* 
tigeten  Begebenheiten  einer  grossen  Zeit  auf  ihre  thatsichlichen 
Gesichtapunkte ,  die  bisher  Ton  der  Parieisucht  oft  entstellt  und 
selbst  yerftlscht  worden  sind.«  Zugleich  wird  mit  dem  »allgemeinen 
Anfirisse  dieser  Begebenheiten«  der  »Lebenslauf  eines  seinem  selbst- 
gewählten  Berufe  stets  treu  gebliebenen  Soldaten«  yerbunden,  »der 
sieh  nnr  dadurch  von  den  meisten  seiner  Standesgenossen  jener 
Zeit  unterscheiden  darfte,  dass  er  diesen  Beruf  nicht  ohne  Vwbe- 
nitoBg  und  Bewuastsein  gewählt  hatte,  dass  ihm  oft  schon  anfden 
mAem  und  mittlem  Sprossen  der  militärischen  Stufenleiter  die 
Leistungen  höherer  Grade  snfi^en  und  es  ihm  endlieh  vergönnt 
war,  ans  einem  lange  dauernden  Eriegsgetümmel  und  stets  emeuer* 
ten  seliweren  Kämpfen  selbst  unverletat  und  ungebrochen  zurttck- 
nkehren  und  ganze  Generationen  seiner  Waffengefiüirten  zu  Aber* 
dauern«  (8.  25  u.  26).  Der  Herr  Verf.  betrachtet  seine  »Perso- 
nalien« »lediglich  als  den  Rahmen«  au  der  Darstellung  der  Zeit, 
in  weleher  er  wirkte.  Den  Krieg  lernte  der  Herr  Veif.  zuerst  von 
der  »finstersten  Nachtseite  €  im  spanischen  Feldzuge  kennen  Er 
findet  in  der  bekannten  Katastrophe  der  Dupont'schen  Armee  »den 
eigentlichen  Ghnnd  zu  dem  nachfolgenden  unmenschlichen  Charakter 
dieses  Krieges  und  zu  seinem  spätem  unheilyoUen  Ausgange.«  Er 
bezeiclioet  es  als  den  ersten  Fehler  Napoleons  in  dieser  Hinsicht, 
dass  er  .einem  PioMg^f  der  ihm  wahrscheinlich  als  Diplomat ,  be» 


10$  PiDiir)  Her  JUig» 

BiMidtar»  lA  HoUand,  abet  nicht  als  Otneral  gate  Dienst«  ^eisiefc 
haue»  die  Odagenhelt  geben  wollte,  sieh  den  ICarBohallrtab  zuTir^ 
dienen«  »und  von  dieser  nnglückliehen  Wahl  datiite  dann  die  erste 
Niederlage  nnd  in  Folge  derselben  die  Steigening  des  SelbstgefUüe 
und  der  Feindseli^eit  von  beiden  Seiten;  ja  man  darf  wohl  an^ 
neluaen,  daes  der  spätere  Sohicksalsweohsel  Napoleons  nnd  semee 
Reiches  yon  hier  seinen  Ausgang  genommen  hat.«  Er  sehrsibt  den 
entwürdigenden  Charakter »  den  der  Krieg  gleich  anfangs  seigte^ 
weder  »den  Absichten  des  Beherrschers  der  Franzosen«!  noch 
»seinen  Heeren«,  aber  anoh  eben  so  wenig  dem  »Charakter  des 
spanischen  Volkes«  sn.  Er  betrachtet  die  tranrigen  firsoheinnngeii 
als  »ein  unseliges  Znsammentreffen,  als  ein  nnrermeidliches  Reenl**- 
tat  vieler  •—  sowohl  von  Auswärts  durch  die  englische  Politik,  als 
in  dem  eigenen  Herten  Spaniens  «-^  seit  lange  vorbereiteter  und 
angefaänfter  sdilechter  Elemente;  besonders  in  einer  entarteten 
K5tiig8fomilie  und  ihrem  Hofe  und  in  einem  finstem  Oeisle  'seiner 
Kirehe,  wodurch  eine  Ausgleichung  auf  dem  gewf^hnlichen  Wege  des 
menschlichen  Entwickelungsprocesses  ssur  völligen  Unmöglichkeit  ge» 
worden  war.«  Der  Herr  Yeirf«  glaubt  darum,  dass  es  nur  möglieh 
war,  »ans  der  Nacht  des  Krieges«  nach  der  »langen  spaniachea 
Finstemiss  selbst  während  ihrer  Tagseite  des  Friedens  einkOmmer» 
liches  Licht  hervorgehen  zu  lassen«  (8«  48).  Nach  dem  Schlüsse 
des  spanischen  FeldEuges  trat  der  Herr  Verf.  in  badisohe  Dienste« 
Er  machte  den  russischen  Feldtng  in  allen  seinen  Mühsalen  und 
Schrecknissen  von  Anfang  bis  eu  Ende  mit.  Als  das  »Einige«, 
sur  »Erklärung«,  »nicht  zur  Rechtfertigung«  jenes  unklc^eu  An- 
griffs Busslands  durch  einen  so  ausgeEcichneten  Feldherm,  wie 
Napoleon,  fährt  der  Herr  Verf.  an,  dass  der  Kaiser  der  Fransoeen 
»nnter  den  gegebenen  Verhältnissen  nicht  nur  den  Glauben  hegen 
konnte,  sich  auf  seine  beiden  AUiirten,  Preussen  und  Oesterreioh, 
verlassen  zu  dürfen,  sondern  dass  er  auch  die  ihm  bekannten  Oe* 
sinnungen  des  Kaisers  Alezander  als  eine  Bfirgichaft  für  die  Er* 
reichung  seines  Zweckes  betrachten  zu  dürfen  glaubte,  indem  ihm 
nur  die  alte  russische  Adelspartei,  in  Verbindung  mit  der  engli- 
schen Politik,  als  die  eigentlichen  zu  bekämpfenden  Otegflev  er- 
schienen« (S.  67  u.  68).  Der  Herr  Verf.  erhielt  den  Orden  der 
Ehrenlegion,  ehrend  wurde  sein  Name  im  Moniteur  genannt.  In 
der  Schlacht  von  Leipzig  (1818)  war  der  Boden  vor  den  Fftssen 
des  Herrn  Verf.  »von  den  Kanonenkugeln  förmlich  gepflügt«  und 
sein  »Oberrock  vom  Blute  und  dem  Hirn  zunächst  Zerschmetterter 
vollständig  überzogen«  (S.  85).  Als  Fehler  Napoleons,  der  den  fUr 
ihn  so  verhängnissvollen  Ausgang  der  Schlacht  von  Leipzig  xur 
Folge  hatte,  wird  hervorgehoben,  dass  jener  die  ganze  Elbe  be- 
haupten wollte,  den  Marschall  Davoust  mit  seinem  Corps  in  Ham- 
burg, den  Marschall  St.  Cyr  mit  wenigetens  10,000  Mann  in  Dresdea 
zurflckliess.  Napoleon  hätte  nicht  nur  beide  Marschälle,  sondern 
anch  die  Beaatsungen  an  der  Weichsel  und  Oder  bei  Zeiten  an  siok 


mlAmi,  dSa  Troppöi  seiner  AQiirtsn  in  swviler  Liiiie  Terwenden 
soUflD.  Sr  komite  in  diesem  Falle,  »naelidem  die  08termdiiB<dM 
Ajrmee  sohoii  am  16.  Ootober'  eine  Kiederläge  eiütten  faatte»  maA 
die  aadern  Theüe  der  Ck)alitioii  am  18.  total  sohiageiuc  Fx^ioh 
bitle  siefa  an^  dam  Napoleon  an  den  Rhein  znrÜokzMen  mflneti; 
der  BtIckzQg  würde  jedoch  »einen  ganz  andern  und  aeSbit  drohe« 
dia  Charakter  erhalten  haben  nnd  Napoleon  hatte,  von  seiner  Rhein- 
bans  ausgehend«  gans  andere  Bedingungen  voreehreiben  k5onen< 
(8.  88).  BltU^r  verdankte  nach  des  Herrn  Verf:  Dafilzhaltm 
'den  Erfolg  seines  gewagten  Marsches«  gegen  Paris  »ledig^h« 
der  »Uaentschlossenheit  des  Kommandanten«,  Marsehall^s  Mannont 
(8.  92).  In  »aOen,  nicht  österreichischen  Theilen  der  alüirten 
Aittee«  herrschte  die  »grösste  Missstimmmig«  gegen  den  Oenera- 
lisBiiiiiis,  Fürsten  Schwarsenberg,  den  man  bald  der  »ünUlhigkeit«, 
Md  der  »Verrätherei«  beschuldigte  (8.  98).  Bef:  llbergdit  dio 
weiteren  Erlebnisse  des  Herrn  Yerf.  wfthrend  seines  swanaigjttlirigen 
Itililirdienstefl  ün  Frieden^  nngeaehtet  sie  yiclerlei  Anaiehendee  nnd 
Wiehtiges,  grOsstentheils  aber  nnr  atis  dem  Gebiete  des  Kriegs- 
wesens, der  Kriegszneht  nnd  Kriegsbrnst  des  badischen  HJeerköipers, 
6Dthalten.  Er  begnügt  sich,  die  Darstelhmg,  welche  mancfaeriei 
oft  nnerqniokliche  Streiflichter  auf  Zostftnde  nnd  Personen  der  ¥er- 
gasgenheit  wirft  (B.  86—160),  dem  Leser  einfhoh  anandevten. 

Die  iwei  lotsten  Abschnitte  behandeln  den  objeotiven 
TUl  das  Torliegenden  Bnehes.  Der  dritte  Abschnitt  namli^ 
BlelH»KriegnndFrieden  in  ihren  gegenseitigen  gleich» 
wie  in  ihren  eigenthümliehen  Beziehnngen  nnd  Ver- 
kftltnissen  (S.  168  —  224),  der  Tierte  »die  Mittel  nnA 
Wege,  oder  die  vier  Factoren  des  Kriegs,  nämlich 
leineMittel  in  denKriegsheeren  nnii  imKriegswecen, 
und  seine  Wege  in  der  Kriegskunst  nnd  Kriegs* 
Wissenschaft,  sowohl  in  der  Wirklichkeit,  als  In 
ihren  Principien  betrachtet«,  (8.  225—352)  dar. 

Der  dritte  Abschnitt  nmfosst  4  Kapitd,  1)  Krieg  und 
Frieden,  als  Natnrprincipien  in  ihren  gegenseitigen 
Verhältnissen  betrachtet,  2)  näheroBetrachtung  der 
allgemeinsten  Natnrprincipien  nnd  ihre  Verwirk- 
liohnng  in  dem  Völkerleben,  als  Krieg  oder  als 
friede,  8)  den  Krieg  in  seinem  Verhältnisse  snm 
Frieden  in  der  Wirklichkeit  nnd  in  der  nenen  Aera, 
Krieg  nndFrieden  in  ihren  gemeinschaftlichen,  gleielw 
wie  in  ihren  eigenthllmlichen  Mitteln  nnd  Wegen, 
d.  h.  in  ihren  Factoren  übersichtlich  dargestellt. 

Der  Herr  Verf.,  schon  im  actiyen  Militärdienste  vielfach  mit 
philosophischen  Forschnngen  beschäftigt,  gibt  nas,  indem  er  das 
begebene  auf  seine  obersten  Gmndsätze  zurückführt,  auch  yon  der» 
JMgan  Beite  des  Lebens,  die  er  durch  seinen  piaktisdien  Beruf 
vorsngsweiseaäheir  kennen  lernte,  in  den  beiden  lotsten  Absohnibtea 


109  Ff*«rrDfBrfUe^i 

eine  pkflosopliisohe  Untersnobimg.  Sein  Werk  i«t  eine  Fhiloeopkie 
dee  Krieges^  indem  er,  was  die  detaillirten  theoretisoben  und  prak» 
tiselien  Leistungen  betrült,  anf  andere  Bttcber  verweist.  Der  Krieg 
ist  das  »Nein«  Eom  »Ja«  des  Friedens.  Als  reine  Prinoipien  anf- 
gefaest,  stellen  beide  den  »allgemeinen  Dualismns«  dar,  »in  wel- 
okem  alles  Leben  bestebt.«  Das  Negative  stellt  si^  im  Kriege, 
das  Positive  im  Frieden  dar.  In  der  Anwendung  »auf  eine  selbst- 
bewnsste  That«  erbalten  wir  die  Begrifib  »des  Widerspmobs«  und 
der  »Einigkeit«,  symbolisch  als  »Freiheit  und  Liebe«  ausgedruckt. 
Zwischen  diesen  beiden  Begriffen  des  Positiven  und  Negativen  steht 
sin  Indifferenspunkt  nach  der  Formel  —  0  -f-  (S.  166).  Der  In- 
düferenzpunkt  erscheint  im  Leben  der  Völker  und  Staaten  real  oder 
ideal,  real  z.  B.  in  irgend  einem  streitigen  Objeote  eines  Landes, 
ideal  in  moralischen,  intellectuellen ,  oder  auch  nur  eingebildeten 
Interessen,  Neigungen  u.  s.  w.  Der  menschliche  Bntwickelungs- 
prozess  zeigt  sich  im  beständigen  Wechsel  des  Positiven  und  Ne- 
gativen. Dieser  Wechsel  dreht  sich  um  den  Indifferenz-  oder  Angel- 
pukt  gegenseitiger,  wohl  oder  übel  verstandener  Interessen.  Der 
Krieg  ist  die  Nacht-,  der  Friede  die  Tagseite  der  Entwickelung  und 
der  Wechsel  beider  so  nothwendig,  als  der  Wechsel  von  Nacht  und 
Tag.  Die  Völker  und  Staaten  sind  Verbindungen  von  Individuen, 
Famiben  und  einzelnen  Stämmen.  Sie  enthalten  nothwendig  in  sich 
ein  Prinoip  der  Ausschliesslichkeit  oder  Negation,  welches  bei  jeder 
gegenseitigen  Berührung  zu  eigener  Behauptung  hervortritt.  Der 
erste  Vermittlungsprocess  in  diesen  Qliedem  des  Volkes  oder  Staa- 
tes muss  schon  als  in  ihnen  vollzogen  angenommen  werden  und 
tritt  dann  in  den  gegenseitigen  Beziehungen  der  Völker  und  Staaten 
als  Krieg  oder  Friede  hervor.  Der  allgemeine  Dualismus  der  Natur, 
der  sich  im  Leben  der  Völker  als  Krieg  und  Friede  offenbart,  ist 
nadi  dem  Herrn  Verf ,  wie  er  dieses  ausführlich  in  seinem  Werke : 
»das  Leben,  die  Natur  und  ihre  Wissenschaften«  be- 
gründet hat,  das  Negative  und  Positive,  das  Absolute  und  Bela- 
tive,  das  in  sich  Bestimmte  und  das  aus  ihm  Folgende  oder  Her- 
vorg^ende,  das  Ideale  und  Reale,  Freiheit  und  Liebe,  die  ab- 
stossende  und  anziehende  Kraft.  Die  Gegensätze  werden  auf  ihren 
Indifferenzpnnkt  zurttckgefOhrt.  Physisch  oder  körperlich  zeigt  sieh 
dieser  Dualismus  »zunächst  in  der  Hebelkrafb«  (S.  182)  als  das 
»erste  und  einfachste  Bewegungsprincip.«  Die  Hebelkrafk  ist  »ur- 
sprflnglich  schon  in  dem  ürstoffe  eine  ideale,  in  sich  selbst  be- 
stimmte und  daher  negative,  widerstehende  oder  abstossende,  die 
mit  jeder  andern  gegebenen  d.  h.  positiven  oder  hingebenden,  leben- 
digen Kraft  auf  einen  gemeinschaffclichen  Indifferenzpunkt  (Hypo- 
moehlion)  ss  0  in  Beziehung  treten  oder  gravitiren  muss«  (8.  182 
und  188).  Auch  im  menschlichen  BoMrusstsein  zeigt  sieh  ein  »gegen- 
seitiges Gravitiren  beider  Principien  auf  einem  gemeinschaftlichen 
Indifferenzpunkt.  Das  eine  Princip  ist  die  selbstbestimmende  ideale 
Kraft,  der  Geist,  die  Freiheit,  das  andere  die  ideale  Kraft  im  sinn- 


9imbtt  Dm  Uteg.  MI 

lielioa  Oiguuaauifl.«  Dto  Yi^lker  vad  StaaUm  mfteaiit  nin  äHm 
GraTitatioiiaAet  sa  YoUbnagon,  sich  entweder  %v£  der  ■egstirem 
(Kiieg)  oder  positiTea  Seite  (Friede)  begegnen.  Der  Zwieeheo*- 
swtand  swieolMn  Krieg  and  Friede,  der  InditiiwnMi ipnnki  beider 
sssOf  >ist  nur  swieehea  Völkern  und  Staaten,  wekbe  eioh  aaMer 
aller  BertUimng  findenc,  oder  die  >lebk>Bc  aar  »Tegetireac,  deakr 
bar  (S.  186).  Beide,  Krieg  und  Friede,  erkattea  aUein  dea  Ver^ 
kehr  der  Völker  and  Staaten  naoh  dem  Gesetie  eines  ewigen,  aotk» 
weadigen  Weoheels  in  ihrem  aatttrliehen  üntwinkelnngiyroeeeee^ 

Das  »absolute  Prineip  eines  Staates,  seine  Selbetbeatiaamag 
oder  Freiheit«  kann  »gegeaflber  der  Freiheit  eines  andern  Staates« 
ent  auf  »dem  Hypomochlion  ihrer  gegenseitigen  Interessen«  tsi^ 
wirkUoht  werden.  Diese  »Belation«  oder  »Gravitation«  der  beiden 
Staaten  ist  der  »Krieg«  oder  der  »Friede.«  Ein  »Zwisohenrastaad« 
ist  »im  Princip  undenkbar.«  Der  nattlxliohe  Zweck  des  Krieges  ist 
in  der  fortsehreitenden  llensohheit,  wie  in  den  einzelnen  Gultor- 
Tölkem,  der  Friede,  ein  Friede,  der  zor  Herrsehaft  der  Vemnafty 
mm  Siege  der  Freiheit,  des  Beehtes  über  das  Uareelit  AÜurt.  Das 
ssUechte  Prineip,  das  die  Kriege  rergangener  Zeiten  beben' sehie» 
waren  »der  monarchische  Absolutismus«,  der  aristokratisebe  Fea* 
daUamae«,  die  »geistliche  Finsteiaiss«  und  »Hierarcbie«  (8. 195)* 
Der  Friede,  der  auf  den  Sieg  solcher  Prinoipien  folgt,  ist  der 
Friede  »der  Todesfaift  und  des  stillen  Ghrabes«,  »Papsttham  und 
Hieraxehie«.  Eine  Ausnahme  machten  wenigstens  von  einer  Seite 
die  Befreiungskriege  »der  vereinigten  Staaten  der  Niederiande,  die 
Bevolationsftariege  Frankreichs  und  des  deutschen  ProtestantisaMs 
mit  Hfilfe  Oustar  Adolphs«  (S.  196).  Alle  andern  Kriege  der  Ver» 
gangenbeit  »seit  der  Tramung  eines  römischen  deatsdien  Beioliee 
von  dem  Frankenreiche  durch  den  Vertrag  vonVerdon«  habenden 
Oiarakter  »der  Verfolgung  einseitiger  Nebenzwecke«  »zur  Verltta* 
genmg  der  Barbarei  und  Anarchie«,  sind  aber  dennoch  »natar* 
geaiftBse  Erscheinungen  in  dem.  langsamen  Entwiokelungsprosese 
barbiurischer  Zustände«  (S.  197).  Der  Herr  Verf.  unterscheidet  roa 
diesem  Kriegen  die  Kriege  der  neuen  Aera,  welche  aus  der  ersten 
fiasaaösisdien  Bevolution  hervorgingen  und  durch  Napole<m  geltthrt 
wurden,  so  wie  in  neuester  Zeit  die  durch  Louis  Napoleon  ge« 
flihrtfln.  Er  betrachtet  diese  Kriege  als  zum  Ziele  »eines  aU^ 
meinen  Friedens«  geführt  (S.  197).  Es  soll  dieses  unter  Anfttk* 
rang  der  Thatsachen  (S.  197  ff.)  begrOndet  werden.  Es  wird^  her* 
voi^ehoben,  dass  Napoleon  I*  die  eroberten  Theile  Italiens  nach 
dem  Master  der  französischen  Bepublik  in  selbstständige  Freistaatea 
und  Bondesgenoesen  umwandelte,  ebenso  an  der  Stelle  des  erober* 
tcm  HoUands  die  batavische  Bepublik  errichtete,  dass  »Fra^oreich 
Bidi  nur  diejenigen  Länder  jenseits  des  Bheins  einverleibte,  die  ihm 
darch  den  Vertrag  von  Verdun  angehört  hatten  und  die  sich  beim 
Ausbruche  des  Krieges  als  herrenlose  Parcellen  von  zwanzigerlei 
HeizBciiaften  dee  deutschen  Beiches  in  seine  Arme  geworfen  hatten<i 


UD  Pteois  Der  Erfa«. 

dan  in  Ahnlaeluir  W«ige  die  wok  ilim  gehörigen  TlMüeSttroyeBdviid 
dar  Sohweis  mit  Frankreidi  verbunden  wurden.  Es  wird  »diegrose- 
artige  Verwstidlung  Denischlande  nach  dem  FriedeneeckluBee  v^n 
linnerille  nnd  Aniens«  hervoi^ehoben.  Sie  »übeniteigi  aUe  frUhem 
Tcaditionffli  ttber  die  Boliioksale  des  gemeinsamen  Vaterlandes«  tmd 
ist  »denno^  bis  jetst  so  wenig  gewürdigt.«  Dmin  »anstatt  diese 
littnder  des  nuttkni.  vnd  sttdliohen  Dentsehlands ,  die  sieh  alle  in 
«einen.  8chnta  begeben  hatten,  nach  &ttheni  Beispielen  nnr  anssa* 
beuian  nnd  in  ihren  ohaotischen  Znatänden  zu  belassen,  bildete 
Jisfpeison  mit  Znzishong  eines  Beiohsdepatationfr-Ansschnsses  aus 
den  Trümmem  des  alten  Chaos  eine  dentsehe  Qenossensehalt  dnreh 
dia  Bmehtnng  selbstst&ndiger  d.  h«  souTerttner  Königreiche,  Qross- 
hanogthümer  und  Hersogthttmer,  nämlich  den  rheinischen  Bond  nnd 
eeklttrte  sich  ammPiotectar  desselben*«  Ein  »heterogenes  Element« 
kam  in  diese  das  »ailgemeine  Friedensziel  Terfdgenden  Kriege«  durch 
^a  Yerhindung  Napoleons  »mit  Oest^rreich«  nnd  dordi  den  rassi- 
jMhen  Krieg»  der  »mehr  den  Gharaktw  der  He^ressttge  eines  Attila 
aderesaes  Timur*Laik,  als  unserer  Aera  m  tragen  schien«,  ob- 
^Weh.  »iB  der  aiidi  selbst  bewnssten  Absieht  Napoleona  noch  imaser 
das  näasliohe  -^  aber  missTerstandene  Ziel  -—  vorgaechrwebt  haben 
düefitec  (?  S.  200).  ReL  hat  hieraber  eine  andere  Ansieht*  Der 
{Unins  oiaes  grossen  Feldherm,  der  seine  Bedeutung  nieht  dorek 
den  Frieden,  sondern  dnroh  den  Krieg,  also  nicht  durch  die  Lieht» 
een4em  dnroh  die  Nachtseite  der  Völker  gewonnen  hat,  hat  aaoh 
etaras  Ton  dieser  Smte  an  eich.  Die  Verbindung  mit  Oestenreieh 
Mid  der  rassische  Feldxug  lassen  sich  mit  dem  Charakter,  den  der 
Hexr  Veri  in  Na{M>leon8  Wesen  erkennen  will,  nicht  vereinigen, 
sie  sind  nicht  aus  »einem  missyerstandenMi«  edlen  Ziele,  dem  »ailge^ 
meinen Friedensside«  mit  »selbstbewusster  Absicht«  hervorgegangen» 
Bher  möchte  nian  sa^Mi,  dass  das  früher  manchen  noch  rerborg^e 
Ziel  durch  die  nothwendxgen  Consequenzen  seines  Charaktsra  xn 
Tage  brach«  Man  konnte  damals  die  Herrschaft  in  fremden  Ländem 
nur  dadaroh  Ton  Seite  Frankreichs  sichern,  dass  man  dem  skk  in 
jenen  regenden  Geiste  der  Freiheit  entgegen  kam.  War  es  aber 
wiiUieh  die  Freiheit,  welche  diese  für  Frankreich  fremden  YlSÜDat 
und  Staaten  gewannen,,  war  es  wirklich  ein  Friedensoiel,  das  &kr  sie 
eneicht  wurde?  Wurde  durch  den  Rheinbund  nicht  der  Gnxad  zu 
einer  knotigeren  und  dauernden  Zersplitterong  Deutschlands,  zu 
den  Kriegen  desselben  im  eigenen  deutschen  Yaterlande  durch  die 
Trennwig  yon  Preussen  und  Oesterreich  gelegt?  War  die  Schmach 
PreosseM  und  Oesterreichs  nickt  auch  eiua  Schmach  unseres  ge- 
meinaamen  Vaterlandes?  Machte  man  nicht  schon  damals  jenen 
auch  in  neuerer  Zeit  Ton  Seite  Frankreichs  laut  gewordenen  Ghrund- 
Sttks  gellend,  die  Freiheit  iür  das  Land  nicht  als  einen  Ein-,  son- 
dern als  einen  AnsAihrartikel  zu  betrachten?  Wie  verhielt  es  sich 
dfflui  mit  der  Freiheit  und  mit  dem  Bechte  unter  Hs^poleons  L 
Penaohaft  in  Frankreich»,  und  blieb  es  denn  bei  diesen  freäMittidien 


BeBtnummgoB^  die  im  ÄBfaa^  rom.  des  Franzoseiikaiiers  kriege»- 
riaehea  Giossihi^ii  den  YOUccm  gegeben  worden^  Zeigto  eio& 
aieht»  je  mehr  Napoleon  an  Macht  gewann,  um  eo  unverbolenelr 
das  Streben,  nicht  Fiankreieii  nnd  Europa  die  Freilieii  und  den 
Frieden,  sandem  dnreh  den  Krieg  sieh  nad  seiner  Famüie  die  nn- 
bagrBnste  Herrschaft  über  Fiankreieh  und  Europa  zu  sidhem?  Ist 
«n  soMiee  Ziel  das  Ziel  eines  allgemeinen  yemttnftigem  Friedenef 
War  ein  saleher  Friede^  nenn  er  jemals  hätte  zn  Stande  komonen 
kfinnen,  nicht  Tiefanehr  ein  dnroh  doi  Kampf  des  Absohitisnnis  ge- 
wonnener^ entweder  sur  moralischen  nnd  intellectnellen  Versampfong 
oder  dnrch  ein  Beagens  zn  neuen  nnheÜToUen  Kriegen  führender 
iMkr  Friede?  Der  fiheinbnnd,  mit  Klugheit  angelegt,  scdlte  die 
Qnmdlage  zur  Herrschaft  Frankreichs,  insbesondere  seinee  Herrschers 
and  der  dazu  gehörigen  Familie  ttber  Deutschland  sein,  man  dihrte 
mit  dentsoham  Blute  deutschen  Interessen  £9me  liegende  Kriege,  man 
machte  deutsche  Fürsten  za  franzOsischea  YasaUsn,  deutsche  Heere 
n  finsBzOsischen  Sfildlingen,  nuun  ftthrte  deuteche  Spionerie  auf 
deatsehe  Koeten  zmr  Zersplitterung  Deutschlands,  also  zum  Naohr 
theile  Dentachlands  und  zum  Yortheile  Frankreichs  ein,  man  erlaubte 
tioh  die  eobreiendsien  Oewaltthaten  zu  diesem  Zwecke.  Der  Bhein^ 
band  sollte  das  feindliche  Agens  in  Deutschland  selbst  sem,  um 
den  bede«tendst€ffli  deutschen  Mächten,  Preussen  und  Oeeteneich, 
entgegenzuwirken  und  ihren  Sturz  durdk  das  Ifitwirken  deutscher 
Braderstttmme  Torzubereiten.  Die  Völker  mnd  die  Dorchgangso*,  und 
Sntwickeluxigsmoniente  im  geschichtlichen  Proceese  der  MensdbheÜy 
Ein  Yolk  ohne  Freiheit  und  ohne  Einheit  ist,  zum  Ziele  der  Hu- 
manität za  wirken,  nicht  im  Stande.  Nicht  durch  einen  'vagen 
KosmopolitiBmua,  der  wohl  der  Schlussstein,  aber  nicht  der  An* 
fimg  in  der  Yolksentwickelung  sein  darf,  sondern  durch  den  Pcitric^ 
tianus  wird  und  bewährt  sich  die  Qr5sse  eines  Tolkes.  Nt^oleons 
Protektion  des  Bheinbundes,  sein  iänmischen  in  deutsche  Ange^ 
bgeaheiteii  zerstörte  überall,  wo  es  ihm  gelang,  die  deutsche  Vater» 
landsliebe»  ohne  welche  Deutschland  seknen  Beruf  zu  erfüllen  ausser 
Stande  ist.  Freilich  rief  ein  Gegensatz  den  andern  hervor,  Napo«- 
kons  L  Despotismus  in  Deutschland  die  patriotischen  Gegenbe» 
stvebimgen.  Der  Mann,  der  durch  einen  grossen  seltenen  Geist  und 
eiae  geniale  Thatkraft  in  den  französischen  Freiheitskriegen  stieg, 
wurde  Tom  Sausehe  der  eigenen  Bedeutang  geblendet,  ein  über 
ÜEMt  alle  Völker  Europas  unbedingt  gebietender  Knecht  der  eigenen 
Leidenscnafb,  der  Selbstsucht  und  ihres  nothwendigen  Ausflusses,  der 
Herrschsucht,  Indem  Ref.  diese  Bemerkungen  macht,  hat  er  nicht 
nöthig,  sie  mit  Thatsachen  zu  belegen,  da  dieses  von  Seite  unse- 
rer unbefangensten  und  gründlichsten  deutschen  Geschichtschreiber 
zur  Genüge  geschehen  ist.  Ob  in  dieser  neuen  Napoleonischen  Aera 
der  Grundsatz  des  zweiten  französischen  Kaiserreichs :  L'empire  c'est 
la  paix,  wie  der  Hr.  Verf.  meint,  »nicht  eine  leere  Phrase«,  sondern 
in  »der  ursprünglichen  Idee  und  dem  Berufe  der  neuen  Aera  gegrfln- 


llt  PfB^rs  D«r  Krieg. 

det  istc  (S.  205)|  überlassen  wir  einer  sorgfiütigen  Erwflgoag  der 
in  nenesier  Zeit  geftthrtoa  Kriege  Frankreichs  ^  ilirer  Motive  und 
Besttltate«  Sie  haben  auch  in  dieser  Hinsicht  manche  Aebn* 
liohkeit  mit  den  früher  von  Frankreich  für  die  Freiheit  geftlhrten. 

Der  vierte  Abschnitt  zer&llt  in  drei  Kapitel  und  be- 
handelt in  denselben  den  ersten,  zweiten,  dritten  und 
vierten  Factor  des  Krieges.  Diese  Faotoren  wenden  schon 
sa  Ende  des  dritten  Abschnitts  näher  entwid^t. 

Ans  dem  Dualismus  des  Absoluten  und  Belativen  oder  des 
Negativen  und  Positiven,  des  Idealen  und  Bealen  geht  auf  allen 
weitem  Stufen  des  Erdelebens  der  »zweifache  Dualismus  des  Qua- 
litativen und  Quantitativen,  d.  h.  des  Bestimmenden  und  Bestimmten 
und  des  Materialen  und  Formalen  d.h.  des  Innerlichen  und  Auesser- 
liehen  hervor c  (S.  213).  In  der  Wirklichkeit  ist  das  »Aeusserlichey 
das  Beaie,  das  Formale  und  Bestimmte  zuerst«  und  dann  erst  »das 
Innerliche,  Hateriale  und  Bestimmende.« 

Im  Kriege  ergeben  sich  nach  diesem  zweifachen  Dualismus 
vier  Faetoren  I)  »als  das  real  oder  äusserlich Bestimmte«  die 
Eriegsheere,  2)  »als  das  real  oder  äusserlich  Bestimmende« 
-das  Kriegswesen,  8)  »als  das  ideal  oder  innerlich  Bestimmte« 
die  Kriegskunst,  4)  »als  das  ideal  oder  innerlich  Bestimmende« 
.die  Kriegswissenschaft  (S.  214  u.  215).  Es  stellen  demnadi 
Kriegsheere  und  Kriegswesen  die  reale,  Kriegskunst 
und  Kriegswissenschaft  die  ideale  Seite  des  Krieges  dar. 
JCriegsheere  und  Kriegswesen  verhalten  sich,  wie  bestimmend  zu 
bestimmt.  Das  Kriegsheer  wird  durch  das  Kriegswesen  bestimmt. 
Gleiches  weiss  man  von  der  Kriegskunst  und  Kriegswissenschaft. 
Sie  stehen  im  Verhältnisse  des  Bestimmten  zu  dem  Bestimmenden. 
Die  Kriegskunst  wird  durch  die  Kriegswisssenschafb  bestimmt.  Wie 
sich  darum  die  Kriegsheere  zum  Ejriegswesen  verhalten,  so  veriilllt 
«ich  die  Kriegskunst  zur  Kriegswissenschaft.  Wie  der  Krieg  die 
Nachtseite  im  Yölkerleben  darstellt,  so  der  Friede  die  Tagseite 
desselben.  Im  Frieden  ist  nach  der  äusserlichen  oder  realen 
•Seite  das  Bestimmte  der  Factor  der  Volker,  das  Bestimmende 
sind  die  durch  Klima,  Lage,  Beschaffenheit  auf  die  Völker  wirkenden 
Länder.  Nach  der  innerlichen  oder  idealen  Seite  ist  der 
bestimmte  Factor  im  Frieden  die  Kunst  und  der  diese  und  alle 
Faetoren  bestimmende  Factor  die  Wissenschaft  (S.219u.220). 

(Bcfaluss  folgt.) 


tr.  8.  HErDELBERGER  18«6'. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Pfaor:  Der  Krieg. 


(BcUuM.) 

Das  erste  Kapitel  des  vierten  AbschnittesbehandeH 
den  ersten  Factor  des  Krieges  oder  die  Kriegsheere.  Sie 
sind  »die  Repräsentanten  derK^ftnnd  der  Ehre  ihres  Volkes  oder 
Staates  in  seinen  Conflicten  mit  andern  VSikem  und  Staaten  € 
(S.  227).  Hier  werden  interessante  Aufgaben  zum  Gegenstände 
der  Untersuchung  gemacht,  wie  die  Frage  über  stehendes  Heer 
oder  Yolkswehr,  die  Heeresfolge,  Kriegspflicht,  Heereserg&nzung  und 
Conscription,  sowohl  in  der  Geschichte  als  in  ihren  Prindpien  und 
in  dem  Begriffe  »der  Solidarität«  (daher  »Soldaten«),  Bestimmung 
und  Verpflichtung  des  Heeres  im  Geiste  unserer  jetzigen  Aera, 
Formation  und  Organisation  desselben  nebst  den  Principien  der 
Disciplin  und  des  Avancements  (S.  227—801).  Das  zweite  Ka- 
pitel nmfasst  das  Kriegswesen  in  der  Üebersicht  als  zwei- 
ten Factor  des  Krieges.  In  grossen  Hilitärstaaten  wird  das 
Kriegswesen,  von  der  Kriegsmarine  und  ihren  Erfordernissen  abge« 
sehen,  in  vier  Hauptzweige  eingetheilt  1)  die  geographischen, 
topographischen  und  statistischen  Bureaus  nebst  den  Plänen  des 
In-  und  Auslandes,  die  militärischen  ünterrichtsanstalten  unter 
der  Oberleitung  eines  Generalstabschefs  oder  Generalquartiermeisters, 

2)  Festnngs-  und  Fortificationswesen  nebst  Arsenalen  und  Ateliers, 
Erfordernisse  des  Pontoniers- Brücken wesens,  des  Mineurs-  und 
Pionierseorps  unter   der  Oberleitung    eines   Chefs  des   Geniecorps, 

3)  Artillerie-  oder  Geschützwesen  nebst  den  Ateliers,  Laboratorien 
unter  der  Oberleitung  eines  Chefs  der  Artillerie,  4)  Ausrüstung, 
Bekleidting,  Verpflegung,  Transportwesen  unter  der  Leitung  eines 
Obeikriegs-Gommissariats.  Das  Personelle  des  Heeres  wird  wieder 
auf  4  Hauptgesichtspunkte  zurückgeführt,  1)  Heeres-Organisation, 
&mscription  und  Ergänzung  nebst  dem  Avancement  der  Offleiere 
iQer  Grade,  2)  Disciplin,  Gerichts-  und  Medicinalwesen,  8)  Be- 
eidungen und  Bechnungswesen  aller  HeerkSrper  und  Armeetheile, 

4)  Monvement  oder  Verfügang  und  Bewegung  aller  Truppentheile 
im  Frieden,  wie  ihre  üebersicht  im  Kriege  (S.  806  u.  807).  Das 
dritte  Kapitel  stellt  die  Kriegskunst  und  Wissenschaft 
in  ihrer  aDgemeinen  Verbindung  und  den  wesentlichsten  Bestand- 
theileii  in  üeberncht  und  in  specieller  Betrachtung  dar.  Der  erste 
Theil   der  Kriegskunst  bezieht  sich  auf  den  ersten  Factor 

LVHL  Jahfi.  S.  Haft.  8 


114  Plaov:  D«  Kffltg. 

des  Krieges,  das  Eriegsheer.  Er  umfasst  Natur,  Charakter,  Be- 
stizmsiiitg  and  Verpflichtung,  Ponnation  ntid  Orgamsation,  Dtsci- 
plin  ttnd  GericMsureften,  innere  Verwaltimg,  Bechnmigs-  und  Sani- 
tätswesen des  Heeres.  Der  zweite  Theil  der  Kriegskunst  geht 
ans  dem  zweiten  Kriegsfactor,  dem  Kriegswesen,  hervor  nnd  ent- 
halt militärische  Geographie,  Topographie,  Statistik,  Plan-  und 
Terrain-Zeichnngslehre,  Befbstigtmgsknnst,  Lehre  vom  Angriff  nnd 
der  Vertheidigong  fester  Plätze,  Tcm  Pontonier-,  lünenr-  nnd  Pio- 
nierarbeiten, Artilleriewissenschaft  nebst  Geschütz-  nnd  Waffenkonde, 
Lehre  von  der  Ausrüstung,  Bekleidung,  Verpflegung,  Transport- 
nnd  allgemeinem  Kriegswesen.  Der  dritte  Theil  der  Kriegs- 
kunst ent^richt  dem  dritten  Kriegsfactor,  der  Kriegskunst  seibat 
und  ist  Taktik  oder  Kriegskunst  im  engern  Sinne.  Diese  behandrit 
die  reine  oder  Elemeatar-Taktik,  die  Terrainlehre,  die  angewandte 
Taktik  oder  Gefechtslehrei  Vorposten,  Becognoscirungen  u.  s.  w. 
nebst  Märschen  und  Feldlagern  in  Verbindung  mit  dem  kleinen 
Kriege.  Der  vierte  Theil  der  Kriegskunst,  als  dem  vier- 
ten Kriegsfactor  entsprechend,  ist  die  Strategie  als  Kriegswissea- 
Schaft  im  engem  Sinne.  Sie  hat  zum  Gegenstande  Zweck  und 
Ziel  eines  Krieges  zum  Angriff  oder  zur  Vertheidigung,  Bestimmung 
der  Operatioiis-Basen ,  der  Operations-Objecte  und  ihrer  Linien, 
den  Bewegungskrieg  im  Grossen  mit  allen  Mitteln  der  Länder- 
und Terramkunde  (S*  312—314).  Die  Prinoipien  der  Elementar- 
taktik werden  mit  der  umfassenden  und  tief  eingebenden  Sachkunde 
eines  in  so  rielen  Feldzügen  er&hrenen  Militärs  auch  in  detaillir- 
ter  Weise  mitgetheUt  (S.  325  ff.).  Zugleich  spricht  sich  der  Herr 
Verfasser  über  die  bis  jetzt  bestehende  Kriegswissenschafk  nnd  das 
Verhältniss  der  Elementar-Taktik  zur  angewandten  Taktik  und 
Strategie  aus.  Eine  »nur  einigermaassen  genügende  Darstellung 
der  angewandten  Taktik  c  existirt  nicht.  Die  Kriegswissensohaft 
oder  Strategie  ist  am  meisten  bearbeitet  worden,  ohne  dass  jedook 
der  Herr  Verf.  aus  den  ihm  »bekannt  gewordenen  Darstellungen 
und  Versnchenc  irgend  einen  »haltbaren  theoretischen  Grund  und 
Bodeui  noeh  viel  weniger  einige  praktisch-anwenbare  Segeln  darin 
zu  finden  im  Stande  gewesen  wäre.«  Als  »das  beste  ihxa  jemalB 
bekannt  gewordene  Werk«  wird  das  Werk  des  Erzherzogs  Karl: 
»Grundsätze  der  Strategie,  erläutert  durch  den  Feldzug  von  1796 
in  Deutschland,«  erschienen  1814,  angefahrt.  Es  ist  das  »einzigOi 
das  von  bestimmbaren  Gesichtspunkten  ausgeht  und  für  jeden 
wissenschaftlich  gebildeten  Militär  nicht  nur  von  Inferesse,  sondern 
a«ch  belehrend  sein  dürfte«  (S.  843).  Warnend  fügt  der  Herr 
Verf.  am  Schlüsse  seines  Werkes  bei,  dass,  wenn  auch  der  letzte 
nnd  eigentliche  Entwickelungsprocesa  nur  auf  den  beiden  Phasen 
des  Völkerlebens,  d.  h.  im  Kriege  und  im  Frieden  dorchgefiilirt 
werde,  »unser  Yereinzeltes  oder  abgesondertes  staatliches  Leben 
am  Ende  in  seinen  nothwendigen  Folgen  weder  Krieg  noch  Friede« 
sondern  nur  die  Krankheit  des  letztem  sein  dürfte«.  Als  solche  be- 


m  BrilMt  116 

Micktti  or  EntgMbtigimg,  Otanaasocfat,  Apathie  und  ThationgMi 
der  oberen,  ZncMlosigls^  der  nntem  Xlusen  der  btrgerliiihen  Cb- 
Mlkehnflw  Es  kSmte  aeklien  StMutai  enktsi  »an  den  erftwdee- 
li^n  Mittefai««  so  wie  »an  dtf  innem  Kraft  «nd  Eneirgie«  gtorr 
lieh  fehlen,  »den  so  natflrlichen  Anmaassongen,  Leidensehafiken und 
üeberschreitangen  von  allen  Seiten  zu  widerstehen  und  sie  zu  zü- 
geln« (8.  358).  Als  Anbang  theilt  der  Herr  Verf.  mit  einer  Karte 
den  Ton  ihm  in  den  deutschen  Befreiungskriegen  in  Anwendung 
gibraekifln  Plao  der  eiafaehsten  und  schnellaten  Eniobtong  eines 
Fddkgers  dudi  Stangen  «nd  Stroh  mit.  Br  hat  diaeem  Haae 
das  bezeichnende  Motto  vorausgesetzt:  »Die früheren Zettlagar  he«- 
nihten  auf  der  Ansicht,  dass  die  Eriegsheere  gleich  der  Schnecke 
ihre  Wohnungen  immer  mit  sich  führen  müssten;  w&hrend  die 
Feldlager  auf  der  Erfahrung  beruhen,  dass  die  Heere  zu  ihrer  noth- 
wendi^BB  Beweglichkeit  die  Mittel  für  ihre  BuSgUflhit  ein&chen 
Wohanngen  überall  finden  könnten«  (8.854).  So  hat  der  denkende 
Herr  Verl  seinen  phikfioiibiachen,  Alles  auf  die  letzten  Prinoi{iien 
zurückführenden  Qeisi  auch  in  dem  Torliegonden  Bnehe  id>ennals  he»' 
wahrt;  denn  dasselbe  enthalt  eine  Philosophie  des  Krieges  und 
seiner  Elemente  im  Gegensatze  zum  Frieden  und  seinen  letzten 
Beetandtheilen.  Er  findet  in  dem  Bestände  und  Wechsel  bei- 
der wofA  Jena  letzten  Ekoente,  die  er  in  oeiBen  IriheiHi  philo- 
iftyhiMh'ff"  Fonitengen  ale  Elemente  der  Nataar,  des  Lebens 
nad  der  WissedMchafl  beieiohnete.  Anch  in  dieeem  Buohe  (qnrioht 
aiok  jeae  edle  ▼onortheilsfreie  ideale  Biektung  ans,  wabhe  in  der 
Wirlomg  die  üraache,  in  der  Ersoheinung  daa  Geaetz^  im  Dkg 
dae  Weemii  mit  ehrüohem»  wahrheüliebendem  Sireben  und  murem 
droeseaeni  Si&r  aufsafinden  bemüht  iek  Ein  aolohet  StEehen 
irt  in  eeiaan  wiawnschaftlichen  Früchten  um  so  anerkenaeaa» 
«ertlnr,  weaa  ihn,  wie  im  Toriiegeaden  Falle,  ein  thatentauthiget, 
aafopfemdes  Handeln  auf  dem  Felde  der  Ehre  in  gleich  ithnip 
liclier  Weise  entspricht.  v.  Reiehlhi-Heldegf  • 


Literatnri>erlchle  aas  IteKen. 


Die  Wissenschaften  haben  ihren  Fortgang,  da  sie  die  Lieb- 
HngB-Beschäftigung  der  ersten  Stände  sind,  wenigstens  von  diesen 
sehr  geaehtet  werden,  als  in  andern  Ländern,  daLer  die  Menge  der 
italienischen  Akademien,  wenn  auch  die  deutschen  Oelehrien  selbst 
hier  für  gelehrter  gehalten  werden.  Zu  den  in  Italien  erscheinen- 
den I>mckschriften  dieser  Akademien  gehören  anch  folgende: 

Memarie  ddla  regia  aeademia  di  $eiemn,  l€Uere  ed  nrti  in  Btodetm. 
Tom.  V.  Modma  1863.  Tip.  aoliank  gr.  4.  fnÜviOenKupfirtL 

Ausser  den  yerschiedenen  Denkschriften  aus  den  Abtheilnngen 
der  Wissenschaften  und   Künste   machen  wir  besonders  auf  einen 


IIB  Ltteratnrbeiklito  aus  IteUei. 

Aü&atz  der  pbilologisohen  Abtheilmig  atifinerksaiii,  in  welcher  der 
Frofeesor  Yeratti  eine  amÜEtssende  Abhandlung  über  die  von  den 
römiaehen  Schriftstellern  gebraoofaten  maihematiBchen  Terminologien 
geliefert  hat,  womit  ein  Vooabolariiim  von  36  Qaartseiten  Tei> 
banden  ist* 

Storia  naturale  e  coltivaticne  delf  ape  del  Marchese  M.  B.  CrivdH, 
Milano  1864.  Tip.  SehiepaUi   8.  p.  272. 

Hier  giebt  der  Markgraf  OriTcUi  eine  Naturgeschichte  der 
Bienen  nebst  Anleitung  zur  Bienenzucht,  nebst  74  eingedruckten 
Abbildungen. 

Aiti  detta  sodeta  di  accHtnazione  e  di  agricoUura  in  Sidlia*  Tom. 
IV.  Palermo. 

Seit  der  neuen  Ordnung  der  Dinge  in  Italien  ist  auch  in  Palermo 
«ine  neue  Ackerbau-Oesellschaft,  besonders  für  Acclimatisimng,  ge- 
atiftet  worden^  und  finden  sich  hier  unter  andern  die  Berichte  tlber 
den  Bau  der  Banmw<^  in  Italien. 

11  nuovo  cimenio,  giamale  di  fidca,  ehimica  e  storia  naturale.  Tom., 
JIX.  Torino  1864.  Tip.  Paravia. 

Diese  den  Naturwissenschaften  gewidmete  Zeitschrift  von  den 
bdcannten  Gelehrten  Matteucci,  Piria  und  Meneghini  herausgegeben, 
beschäftigt  sich  auch  mit  den  diessfiedlsigen  Arbeiten  deutscher  Che- 
lehrten,  und  in  dem  neuesten  Hefte  finden  sich  Abhandlungen  Über 
die  Werke  von  Feddersen,  Neumann,  Magnus,  Oettinger,  Paalzcw, 
Jaohmann,  Kahl  u.  a.  m.  Unter  den  Mitarbeitern  an  dieser  Zeit- 
schrift finden  sich  die  bekannten  Namen  von  Pacinotti,  Savi,  Gan- 
nizzaro,  de  Filippi  (ein  Anhänger  yon  MoUeschott)  und  Q.  SeUa, 
der  deutsch  ttber  Cristallisation  geschrieben  hat,  und  einige  Zeit 
Minister  war. 

Säggio  atatistico  della  mortalüä  di  Oenova  nelV  anno  1860.  per  (?. 
du  Jardin.  Anno  Y.  Qenova  1864.  Tip.  de  Sardo-muH^ 

Hier  gibt  der  Pro£sssor  der  Naturgeschichte  eine  üebersicht 
der  Sterblichkeit  der  Stadt  Genua,  mit  einem  Berichte  ttber  die 
meteorologischen  Beobachtungen  auf  dem  Observatorium  der  Univer- 
sität zu  Genua. 

Atti  delV  istitido    Veneto   di  seienze  letttre  ed   artu     Venetda  186d. 
Edä.  Antoneüi. 

In  dem  letzten  vorliegenden  Hefte  der  Verhandlungen  des 
venetianischen  Instituts  findet  sich  unter  andern  ein  Bericht  über 
die  Flora  im  Trevisanischen. 

Osservasioni  di  notomia  patologia,  del  Doli.  Namias.  Vene%ial8e4. 
Diese  Beobachtungen  über  die  Anatomie  in  ihrer  Anwendung 


anf  du  BUlTw&hfen  ha4  den  gdlahrteii  Becr0liftr  dM  TeiMÜaiii«ekeft 
gdehiten  Institats  sam  Verfasser. 

unwenaH  di  metUeima,  däU  DMort  ML  Grifßm.    MUanö 
1864. 

Von  dieser  durch  Omodei  und  Calderini  gestifteten  medizini- 
Zeitacbrift  liegt  Tom  189  Bande  bereits  das  Joli-Heft  vor, 
worin  unter  andern  Abhandinngen  Aber  die  Werke  von  Virchow 
and  Ober  das  in  Deutschland  befolgte  Heilverfahren  durch  Electri» 
eitftt  Torkommen ;  so  wie  über  die  Werke  des  gelehrten  yenetiani- 
sehen  Arztes  Namias,  ron  dem  yorstehend  die  Bede  war. 

Ddia  diaied  9crofolo$a,  da  DM.  Eaio  Ca$ioldL   Mümö  1864.  Tip. 
SavaOo.  8.  p.  S4L 

Der  Verfasser,  bei  den  Marien-Hospitälern  für  Serofel-Kranke 
angestellt,  gibt  hier  seine  Forschungen  Aber  das  Heürerfahren  in 
Seebftdem,  und  ist  dies  Werk  als   Preisschrift  anerkannt  worden. 

Lueomagno  o  OoUardo?  dd  Prof.  0.  Boccardo.  Otmpa  1864.  Tip. 
PeHas. 

Ob  die  Verbindung  des  Mittel-Meeres  mit  der  Nord-  und  Ost- 
see mittelst  einer  Eisenbahn  über  den  Gotthard  oder  den  Luk- 
manier ausgeftlhrt  werden  soll,  wird  hier  sehr  sorgfilltig  erörtert, 
and  auf  Beschleunigung  der  Entscheidung  gedrungen,  da  sich  Oester- 
reieh  xmd  Frankreich  über  die  bisherige  ünentschiedenheit  freuen, 
indem  das  erstere  bereits  die  Verbindung  Aber  den  Sömmering  be- 
sitzt, und  das  letztere  den  Fortschritt  des  grossen  Tunnels  durch 
den  Moni-Cenis  bereits  zu  sehen  die  Freude  hat.  Diese  umfassende 
Arbeit  wird  durch  eine  Eisenbahnkarte  yon  dem  Mittel-Meere  bis 
durch  Deutschland  erlAutert. 

Ata  da  coTuigUo  provinciale  di  Müano.  Anno  1868.    Müano  1863. 
Stamperia  reale.  8.  p,  463. 

Aus  diesem  starken  Bande  kann  man  entnehmen,  wie  die 
Proyinzial-Ver^EkBSung  und  Verwaltung  in  dem  Königreiche  Italien 
eingerichtet  ist.  So  wie  die  Gemeinde- Verwaltung  durch  gewählte 
Mitbürger  geschieht;  so  ist  es  auch  in  der  Provinz  und  von  Standes^ 
Verschied^heit  ist  hier  nicht  die  Bede* 

Cemd  starico-commerdiOi  iniomo  äUe  varie  fuuiafd  e  laro  rapporti 
eol  regno  ^Jtälia,  dd  Conte  Sugana.  Tarino  1864. 

Der  Graf  Sugana  hat  hier  die  Verkehrs- Verhältnisse  des  König- 
reichs Italien  seit  seiner  Neugestaltung  zusammengestellt,  woraus 
sich  unter  andern  ergibt,  dass  im  Jahr  1862  Franloreich  hier  2193 
Schiffe  beschäftigte,  England  1175,  Oesterreich  1020,  die  Türkei 
113,  Preussen  4,  Tunis  und  TripoHs  274,  Nord- Amerika  48  und 
die  Sud-Amerikanischen  Bepubliken  140. 


110  LtttttttlulNtlflMd  ndi 


1864.     Presso  Le  Monnier. 

PVtccinotti  wird  jetzt  fttr  einen  der  ersten  Philoeoplien  in  Italien 
gehalten,  nnd  wnrde  ihm  zu  Ehren  auf  dem  Congresse  der  Ge- 
lehiiea  zu  Siena  im  Jahr  1862  eine  Deakmüiixe  g^irttgt,  welche 
der  gelehrte  Dootoo:  Trompeo,  Frftsident  der  medioiniecdieii  Akademie 
ia  Turin  förderte.  Daselbst  wurde  damals  Born  zum  Yersaam- 
longsorte  des  nilohsten  Congresses  bestimmt;  allein  da  unter  den 
damaligen  Umständen  ein  soloher  Gongress  der  italienis<dien  Ge- 
lehrten unter  dem  Schatze  der  franzl^sischen  Bi^'onette  nicht  rftth- 
lieh  erschien,  haben  die  vorbereitenden  Mitglieder  unter  dem  Vor- 
sitze des  Grafen  Uamiani  delle  Borere  beschlossen,  Aber  die  Wahl 
eines  andern  Ortes  übereinzukommen.  Dieser  Gelehrte  gilt  für  den 
bedeutendstaa  Gelahrten  fOr  praktische  Philosophie  in  Italien,  wäh- 
rend die  i^cnlative  Philosophie  besonders  in  Neapel  ihre  An- 
iMUiger  hat, 

Lu  SaUi^a  umana,  dai  Prof.  Oehl,  Pavia  1S64.  Mit  ö  Tafeln. 

Dieser  als  Gelehrte  sehr  geachtete  Professor  in  Pavia»  ein  An- 
hänger von  MoUeschott,  hat  in  dieser  Preiss-Schrift,  zur  Erlangung 
des  Lehrstuhls  der  Physiologie»  nachgewiesen,  wie  die  Entwicke- 
Itmg  des  Speichels  vermehrt  werden  kann,  welcher  das  beste  Mittel 
zur  Verdauung  ist. 

V  uomo  acitnia^  dal  Cav,  Bianeoni,  Bologna  1864.  Tip.  GatnberinL 

Der  Professor  de  Filippi  zu  Turin ,  auch  ein  Anhänger  Molle- 
sdiotts  hatte  nachgewiesen,  dass  der  Mensch  im  Laufe  von  Jahr- 
tausenden sich  aus  dem  Affen-Geschlecht  herausgebildet  habe ;  da- 
gegen tritt  hier  der  gelehrte  Biancoui  auf,  Director  des  natar- 
historischen  Museums  zu  Bologna,  der  neben  seinem  wissenschaft- 
lichen Rufe  in  seinem  Pallaste  zu  Bologna  eine  so  reiche  Gemälde- 
Sammkcng  besiM,  dass  davon  ein  gedruckter  Katalog  bekannt  ist, 
dergleichen  Fälle  in  Deutschland  wenig  vorkommen  dürften. 

La  nemesi,  rtvUta  periodiea  dd  dirUto  pencUe^  di  Errieo  Psssina, 
e  P.  Süvestri  1864.  Siamperia  deil  üniversUa. 

Diese  dem  Oruminalreeht  bekannte  Zeitschrift  hat  den  besten 
Fortgang,  wie  das  neueste  Heft  zeigt.  Gründer  derselben  ist  der 
mit  der  deutschen  Literatur  sehr  vertraute  Professor  Pessina,  so 
wie  überhaupt  auf  der  Universität  Neapel  sich  14  Professoren  be- 
iden, welche  die  deutsche  Literatur  verstehen  und  achten»  weaa- 
halb  «ich  der  sehr  thätige  Buchhändler  Dettken  aus  Bremen  hier 
nicht  unbedeutende  Geschäfte  macht. 


IM 

Cav.  O.  Ragqi  at  Qm.  Pammim.  Miiam  1964. 


Die  Stadt  Bareua  hBi  beecUossen,  cum  Aadeiiken  an  Dante, 
wMbK  in  dieser  Stadt  begraben  liegt»  ein  beeondeiee  Denkmal  i« 
errichten,  obwohl  aeiaen  Gkbeiiien  daeelbet  eine  eigeae  antttodige 
Giab-Gapelle  gewidmet  ist.  Dem  ans  Bavenna  gebürtigen,  in  Floren« 
lebenden  Bildhauer  E.  Pozzi  war  der  Auftrag  geworden,  ein  kolos- 
sales Standbild  des  Dichters  zu  arbeiten;  darüber  entstand  diese 
Torttageade  Polemik. 

Libtr  Mmxkiane  r9tim$,  po€ma  ftorieo  M  $eeoUJUV^  p^bUcah  da 
Oesari  Cofihi*     Tprmo  1864.    Stamptria  rtaU^ 

Dies  Gedicht  beschreibt  den  Krieg,  welchen  die  ScaHger  von 
Yeroiia  gegen  Venedig  in  der  Trerisfunaohea  Mark  fittntea,  det 
durch  den  Frieden  von  1889  beeatdet  ward.  Die  HandaAriA,  nach 
welcher  der  unermüdliche  Cantu  diese  Ausgabe  besorgte,  findet  Bi<^ 
in  der  Bibliothek  zu  Belluno  und  ist  in  dem  gezierten  Latein  ver* 
&88t,  in  welchem  man  zur  Zeit  Petrarca*8  versuchte  die  classische 
Latinitat  wiederherzustellen,  und  sie  von  den  Schlacken  des  Mittel- 
alters  sn  leinigen,  welche  dem  eogewannten  Kireheastyle  eig^n  ge^ 
wesen  war. 

Sloria   dOta  Idieratura  laÜna^   cK   Ce$are   Cantu.    FirmMt  1864. 
Pre»ao  Le  Motmier. 

Der  unermüdliche  Cantu  gibt  hier  eine  Qeschiohte  der  latei* 
nischen  Literatur.     Sein  Name  genügt  bei  dieser  Anzeige. 

0&  opmceii  praprü  d^JppocraU,  volgarigtaie  da  ßUfano  BÜBoiatL 
Cremima  1864.  VoL  U. 

Der  gelehrte  Arzt  Bissolati  in  Oremona  gibt  hier  eineUebei^ 
Setzung  der  Werke  von  Hippocrates,  deren  Beurtheilung  den  Philo- 
logen Überlassen  werden  muss.  Doch  ist  Herr  Bissolati  auch  ander- 
weit als  sehr  fleissiger  Literat  bekannt. 

Pavole  dfEBopo  volgarinate.  Firenze  1864.  PresiO  Le  Mannier. 

Diese  üebersetzung  ist  nach  einer  Handschrift  abgedruckt, 
die  sich  in  der  Bibliotheca  Laurentiana  zu  Florenz  befindet,  und 
zur  Zeit  der  Wiederherstellung  der  Wissenschaften  zu  Siena  ge- 
fertigt wurde;  sie  ist  mit  allen  denen  in  Florenz  und  Siena  be- 
findlichen diessfaüsigen  Handschriften  verglichen  worden. 

FavoU  in  vol^aire  ^E$&pOj  te9to  di  Ungua.  Lucea  1864.  Tip.  WutÜL 

Diese  üebersetzimg  erscheint  hier  zum  erstenmale  nach  einem 
naedirten  Codex  Palatinus* 


La  dkfina  e^mtdia  di  Danlt  MUfkUri  wpöskt  in  pr9sa,  <M  Omi^ 
Trisnno.     Milanö  1864.  Tip,  Schiepatti. 

Bei  der  Sohwierigkeit  die  göttüche  Com^die  Ton  Daote  zu 
yerBtehen«  hat  der  Graf  Trissino  diese  Dichtung  in  Prosa  geCehSst 
und  dem  Originaltext  gegenüber  abdrucken  lassen. 

D«*  romansi,  delle  eomedie  e  delle  tra^edie,  ragionamenii  di  Qeräldi 
Cintio.     Müano  1864.  Tip,  Daelli. 

Zu  der  Sammlung  der  seltenen  Werke,  um  deren  Herausgabe 
sich  der  Secretär  der  wissenschaftlichen  Akademie  zu  Mailand  Herr 
Camerini  sehr  verdient  macht,  gehört  auch  dies  Werk,  welches  nach 
nach  einem  in  der  Bibliothek  zu  Ferrara  befindlichen  Exemplar 
herausgegeben  worden  ist. 

is  cowfmtioni  di  Sani  AgosUno  volgarisfgate  dal  Canonieo  E.  Bi»di. 
Firense  1664,  Tip.  Barbera, 

Man  sieht  aus  dieser  Uebersetzung  des  heiligen  Augustinus, 
dass  die  Theologie  bei  dem  jetzigen  politischen  regen  Leben  in 
Italien  nicht  vergessen  wird. 

idUli  di  8,  Qewner  e  Canti  arientaH  di  F,  Moore,  tradolie  da  An^ 
drea  Maffei,  Firense  1864.  THp.  Le  Monnier. 

Der  fleissige  Uebersetzer  aus  dem  Deutschen  hat  hier  wieder 
einmal  ein  Lebenszeichen  von  sich  gegeben« 

La  giustisia  e  le  leggi  univern  di  natura,  per  Fr.  PoletU,  Cremona 
1864, 

Der  Advocat  Poletti  zu  Cremona  gibt  hier  in  einem  über  300 
Seiten  umfassenden  Werke  ein  System  der  positiven  Philosophie 
in  seiner  Anwendung  auf  das  Criminalrecht. 

Tecdro  ddl  adoleseensa,  dd  Dotf.  Albino  BozsanL  Bologna  1864. 

Von  dieser  Sammlung  von  kleinen  Lustspielen  für  die  Jugend 
liegt  hier  bereits  das  dritte  Heft  vor. 

Revista  ItcUiana  di  scienze,  lettere  ed  arii,   coüe  effemeridi  della 
pubbliea  istrusione.     Torino  1864  4  Presso  Löscher. 

Von  dieser  amtlichen  Wochenschrift  des  italienischen  Ministe- 
riums des  öffentlichen  Unterrichts  ist  bereits  der  fünfte  Jahrgang 
im  besten  Qange,  und  erscheint  dieselbe  jetzt  bei  dem  in  Turin 
sehr  wohl  angesehenen  deutschen  Buchhändler  Hermann  Löscher, 
welcher  hier  sehr  gute  Geschäfte  macht,  da  die  Vornehmen  hier 
im  Ganzen  mehr  Bücher  kaufen  als  in  Deutschland,  wo  man  sidi 
mehr  mit  Leihbibliotheken  begnügt,  die  Gelehrten  aber  gewöhnlich 
nicht  so  bemittelt  sind.  Die  allwöchentlich  erscheinenden  zwei 
grossen  dreispaltigen  Quart-Bogen  enthalten  Aufsätze  über  Kunst  und 


wiMonMiiaMielie  Oegensiliide  und  Benrüieiiaiigsii  toa  in  imd  ( 
Italien  eraebeinenden  Werken;  so  findet  sioii  i.  B.  in  dem  Blfttie 
Tom  7.  Angast  1864  eine  Beartheilong  von  Schäfers  Yersach  ttbcr 
das  Ayarische  yon  Folari;  femer  Nachrichten  Aber  die  Yerhaad- 
hmgen  bei  den  in  Italien  befindlichen  bedeutendsten  Academien  der 
Wissenschaften;  femer  Anzeigen  nea  erschienener  Werke,  nnd  an- 
dere wiasenschafkliche  Nachrichten;  s.  B.  über  den  diesijtthrigea 
wissenschaftlichen  Gongress  zu  Troyes  in  Frankreich,  bei  welchem 
der  Professor  Bamffi  ans  Turin  einer  der  Pi^sidenten  war,  ein  bei 
dem  wissenschaftlichen  Congresse  des  In-  und  Auslands  unermlld» 
Uph  ih&tiger  Gelehrter  und  ttlchtiger  Naturforscher,  von  dem  yiele 
Beisebescbreibungen,  auch  durch  Deutschland,  bekannt  sind.  Hier 
findet  man  anch  die  Inhalts- Anzeige  der  von  Hajn  herausgegebcBen 
prenssischen  Jahrbücher.  DenBeschluss  macht  der  amtliche  Tfaml, 
woraus  wir  eine  königliche  Verfügung  vom  20.  Juli  1864  nwfBkbr» 
nen,  nach  welcher  für  alle  italienischen  üniversitttien  3  Preise  be» 
stehend  in  einer  goldenen  und  2  silbernen  Denkmünzen  mit  deu 
Bildnisse  Dante^s  für  die  besten  Arbeiten  an  Studenten  Tertheüt 
werden  sollen,  welche  für  Aufgaben  von  den  Tier  verschiedenen 
Facalt4ten  eingehen  werden.  Die  üniTersitöten  bestimmea  den 
Gegenstand  der  Aufgaben,  welche  bei  verschlossenen  ThürcK  aw» 
gearbeitet  werden  müssen.  Die  Preise  werden  zu  Florenz  am 
600.  Oeburtstage  von  Dante  vertheilt,  und  die  Namen  der  Sm<- 
piknger  in  der  Staats-Zeitung  bekannt  gemacht.  Noch  ist  hier 
eine  Bekanntmachung  des  Ministers  des  öffentlichen  ünterrichta^ 
des  gelehrten  Amari  aus  Palermo  zu  erwähnen,  nach  welchen  die 
Summe  von  458,000  Franken  fRr  die  bedürftigsten  Biementar* 
Sehollehrer  von  den  Provinzial-Räthen  vertheilt  werden  soll;  von 
denen  die  geringste  Summe  mit  2750  Franken  ftbr  die  kleiast« 
Provmz  Livomo,  die  grOsste  Summe  aber  17,880  Franken  für  die 
Provinz  Principato  mit  der  Hauptstadt  AveUino  bestimmt  ward. 
Endlich  werden  hier  noch  die  erfolgten  Anstellungen  im  LehrÜMshe 
und  die  Ernennung  zu  Mitgliedern  der  verschiedenen  wissenschaft- 
lichen Gesellschaften  bekannt  gemacht. 

Ltgge  solle   lasse   universiiarie,   du  31  Luglio  1862.     Napoli  1864. 
Btamperia  ddla  üniversita. 

Unter  dem  Minister  des  öffentlichen  Unterrichts,  dem  im  Faehe 
der  Naturwissenschaften  rühmlichst  bekannten  Professor  Matteucei 
MS  Pisa  wurde  ein  Reglement  für  die  Universitäten  des  EOnig- 
reiehs  Italien  gegeben,  welches  hier  für  die  Universität  zn  Neapel 
abgedruckt  ist,  wo  an  10,000  Studenten  sich  befinden,  da  hier 
nnter  der  früheren  Regierung  die  einzige  Universität  ftlr  gegen 
7,000,000  Einwohner  vorhanden  war.  Nach  diesem  Reglement  ist 
die  Dauer  des  Universitäts-Lehrjahres  vom  1.  November  bis  zum 
30.  August  bestimmt,  und  der  Monat  August  fttr  die  Früfiugen, 
mn  den  Dootorgrad  zu  erlangen.    Um   als  Student  angelassen  sn 


ist 

weidtn,  ist  aseh  %iam  Prttfbng  noüiweiidig,  und  mliMiL 
ooktiioiflMieMhreii  benhlt  werden,  welohe  Air  die  Jiirii4eB*FyniUat 
■nf  400  Franken,  fftr  die  theologisofae  auf  846,  fttr  die  medickiiBche 
anf  280,  fto  die  maihematisohen  and  Natnrwiftsensehaften  «nf  240 
nnd  für  die  PhiloBophie  und  Literatur  auf  155  Franken  festgeeeiat 
Bind,  aber  bei  Armuthe-Zeugniflsen  erlassen  werden  können.  Z« 
dem  akademisehen  Kitrper  gehören  die  ordentliohen,  emeritirten  und 
die  Bkren-Professoren,  die  Verwaltung  aber  ist  dem  akademisekea 
B«the  anvertraat,  welcher  aus  dem  Bector  und  den  Prftsidenten 
oder  Deeanen  der  üniTeraität  besteht,  die  eine  jfthrliche  Repräseo« 
taüons-Znlage  erhalten,  und  wenigstens  monatlich  eine  Sitzung 
hatten.  Die  Strafen,  welohe  der  akademische  Bath  ttber  die  Studen* 
ten  verhttngt,  sind:  1)  Ermahnung,  2)  Ausschliessung  von  eiatm 
oder  dem  andern  Cursus,  3)  Auesdüiessung  ron  den  PrOfimgeii, 
4)  Mitwtdrige  Verweisung  von  der  Universität.  Ausser  den  hiar 
Tergeeofariebenen  PrUfongen,  um  die  akademischen  Grade  lu  er* 
langen,  ist  den  Unirersitftten  auch  das  Recht  gegeben,  den  Dootor- 
grad  für  bedeutende  Werke  und  Erfindungen  zu  eriheilen.  Zur 
Anfittuntenmg  der  Studirenden  sind  Preise  auf  den  verschiedenea 
UniverBitftten  Ton  1000  bis  2000  Franken  ausgesetst,  und  fttr  solche, 
die  die  Doetoren^Prflfdng  mit  besonderem  Lobe  bestanden  haben, 
werden  Medaillen  ausgetheill  Fttr  das  Studium  in  den  einielnen 
FakultlUen  sind  besondere  Itoglements  beigefügt,  woraus  wir  nur 
fOr  die  Fakultät  der  Literatur  oder  Philologie  bemerken,  dass  die 
▼ierjfthrige  Stiidienneit  für  alle  Jahre  die  griechische,  lateinische 
und  italienische  Literatur  vorschreibt,  auseerdem  im  ersten  Jahre 
die  alte  tmd  neue  Geographie  und  alte  Geschichte,  im  zweiten  Jahre 
diesdben  nebst  der  neuen  Geschichte,  im  dritten  Jahre  dieselbe 
nebst  der  Anthropologie  und  Pädagogik,  endlich  im  vierten  Jahre 

6  Archäologie,  vergleichende  Sprachkunde  und  die  Philosophie  der 
Gheohiohte*  Jede  Universität  gibt  einen  üniver8itäts<^Kalender  her* 
ans;  der  von  Neapel  erschien  unter  folgendem  Titel: 

Rfgia  Univernia  degli  »ludii  di  NapoH.  Anno  aeoIasHco  1863 — 1864* 
NapoU  1864,     Stamperia  ddla  Vnivernta. 

Hier  erscheint  als  Bector  der  Komthur  Imbriani,  Professor  der 
Philosophie  des  Bechts,  ein  sehr  geachteter  Gelehrter  und  Staats- 
mann; unter  ihm  st^t  das  Secretariat,  bestehend  aus  zwei  wirk- 
lichen Secretären,  einem  Oassier  und  12  Applicanten,  einem  Gustos, 

7  Pedellen  und  6  Dienern.  Präses  oder  Decan  der  philosophischen 
imd  Literatnr-Fakultät  (Philologie)  ist  der  Professor  der  Moral* 
Philosophie  Falelli,  die  Professoren  Spaventa,  de  Luca,  Lignano, 
Sanguinetti  und  de  Sanctis  sind  mit  der  deutschen  Literatur  ver-* 
traut,  und  war  der  letstere  Pro&ssor  in  Ztüich,  und  dann  Minister 
in  Turin.  Ausser  9  ordentlichen  Professoren  hat  diese  Fakultät 
jwch  9  ausserordentliche  Pro£dssoren  und  Privat-Bocenten.  Deoaa 
der  juriÜMhen  Fabdtät  ist  der  Profisssor  Pepere  fttr  Beohtsge*> 


MhMUe»  nlic  «m  1  ordtnüidbem  PioftMOMt  befindet  rieft  Ar 
4m  8tr»fxeokt  4er  Bitter  Pmüm»  in  der  denieehen  Liiemtv  mkl 
ei&kien;  £5r  die  BeehtspUleeophie  der  Beoter  Imbrieai»  tU  die 
SteatflOeononiie  der  Oommftadeiir  Manna,  epttter  Minister  deeHan* 
dela  imd  Ackerbaues,  nnd  der  spätere  Jnstia-Minister  Commandeer 
Pisanelli;  unter  den  4  aoseenffdeatliohen  Professoren  ist  Ftorsaee 
fir  adaunifltratiYee  Beoht,  ebenfalls  mit  der  dentaehen  Literatar 
bekannt;  ansserdem  sind  noch  7  PriTat-Dooenten  angestellt«  In  der 
Fakultät  der  Mathematik,  Fhjsik  nnd  Nator-Wissensehafteai  ist  der 
Ph>fes8or  der  analytischen  Oeometrie  Anton  Caa,  Decan  oderPri- 
ndent,  Ar  die  matiliematische  Abtheilimg ;  fUr  die  der  Natnrwissen» 
Schäften  aber  Palmieri,  Professor  der  Phjsik.  unter  den  19  ordent- 
Uehen  Professoren  beider  Abtheilungen  sind  die  Herren  de  Luoa, 
Seaeehi,  Gniseardi  nnd  OnsiMMTini  mit  der  denteften  Literatur 
dwBfiüls  ▼ertrant,  nnd  noch  6  PriTat*I>oeeBt6K  u.  a.  m.  dabei  a»- 
geetoUt.  Priaident  der  medieinisehen  Faknltftt  ist  der  €k>mttnr 
de  Benxi,  Pvobsscr  der  <}eseidcbte  der  Medicin,  ansser  IftevdentF* 
liehen  ProfMSoren  sind  hierbei  noch  9  ansserordentliehe  n.  s.  w. 
ai«erteUt.  Jede  Faknltftt  hat  ausser  dem  Präsidenten  oderDeean 
neck  einen  Kansler,  ans  der  Zahl  der  Pro&asovMi.  Zu  dieser  ünt- 
Tersitftt  gehCren  noch  5  emeritirte  Professoren  und  18  Bhian« 
Profeesoren,  worunter  der  berOhmte  Bechtsgelehrte  Mancini,  der 
SDcih  einst  Minister  war,  femer  der  Uebersetzer  griechischer  Tra- 
giker, Bonghi,  der  berühmte  Linguist  Tommaseo,  der  Bomantiker 
Mauoni,  der  Antiquiur  Minenrini,  der  bertkhmte  Staatsmann  Mark- 
graf Oino  C^^poni  in  Fkrenz,  der  Senatenr  8ciak(ja,  de  Meisr 
Piria  n.  s.  w.  Von  den  zahlreichen  wissenschafklseken  Inititaten, 
weiche  zu  dieser  üniyersit&t  gehören,  erw&hnen  wir  yoruftmlich  die 
ffibliothek,  welche  unter  dem  rühmlichst  bekannten  Professor  Gar 
aus  Trient  ein  neues  Leben  erhalten  hat,  welcher  erst  ein  Paar 
Jahre  hier  angestellt,  als  Freund  der  deutschen  Literatur  für  die  An- 
schaffung der  deutschen  Klassiker  und  der  bedeutendsten  deutschen 
Werke  geeorgt  hat.  In  dem  von  ihm  auf  der  Bibliothek  angelegten 
SaaJa  für  wissensehaftliche  Zeitschriften,  finden  sich  allein  deren  19 
ans  Denteehland.  Ausser  einem  Yice-Bibliothekar  und  2  Assistciitenf 
Ton  denen  sich  Herr  Prudenzano  als  Literar-Hiatoriker  ansHiohBst, 
Bind  dabei  noch  10  Oehülfen  und  7  Aufseher,  Pedelle  und  Diener 
angestellt.  Director  des  botanischen  Gartens  ist  der  auch  in  Deutsch- 
land bekannte  Professor  Gasparini,  und  Director  des  meteorologi- 
Obeerratorium's  auf  dem  TesuT  der  Prof.  Palmieri. 


&9ria  del  reame  di  NapoK  dal  1414  al  1443  narr  ata  dal  Conie 
A.  di  Platen,  tradolta  da  Tom.  Qar,  NapoK  Ji864.  Presso 
Ddtktn. 

Der  gelehrte  Bibliothekar  Tommaso  Gar,  aus  Trient  gebürtig, 
der  sicdi  aehon  früh  als  Bibliothekar  zu  Padna  einen  guten  Hamen 
machte,  ward  bei  der  Bewegang  ron  1848  nach  seiner  Vatecttadi 


194  UtorattiilMridito  «u  IüIImi. 

yerwtesen,  wo  er  steh  um  die  dortige  Oraneinde-BibKothek  grosse 
Verdienste  erwarb.  (8.  deren  Beschreibung  in  Petzholdt's  Anzeiger 
für  Bibliotheks- Wissenschaft  von  Neigebanr.)  Seit  ein  Paar  Jahren 
wirkt  er,  wie  eben  bemerkt  ward,  als  Bibliothekar  anf  der  UniTer- 
sitftt  sn  Neapel.  Er  hat  hier  diesen  Abschnitt  der  neapolitanischen 
Geschichte,  welchen  nnser  Platen  behandelte,  ins  italienische  über- 
seist,  nnd  ist  einer  der  thätigsten  Beförderer  der  Eenntnies  der 
deatschen  Literatur  in  Italien;  wozu  auch  der  Verleger,  der  sehr 
strebsame  Buchhändler  Dettken  ans  Bremen  tllchtig  beiträgt. 

Descrisione  geologica  dei  dinlorni  du  Golfo  deüa  Spezia,  e  Val  di 
Magra  inferiore  del  Cav.  0,  Capeüini.  Bologna  1S64.  Tip. 
Oamberini. 

Der  Ver&sser  ist  der  sehr  geachtete  Professor  der  Geologie 
an  der  Universität  zn  Bologna,  bekannt  durch  mehrere  geologische 
Werke  und  seine  geologische  Karte  yon  dem  Meerbusen  vonSpesia 
und  dessen  Umgebungen.  Das  yorliegende  Werk  gibt  die  geolo^ 
gische  Besehreibung  jener  Gegend,  mit  mehreren  Abbildungen,  be- 
sonders von  der  Höhle  zu  Cassana,.  wo  der  Verfasser  merkwfirdige 
Hmfen  Ton  Knochen  iand^  welche  ihm  Gelegenheit  zu  folgendem 
Werke  gaben: 

ßtudii  stratigraflci  e  pcUeoniologici  sidl  infralias  neue  Montage  del 
Oolfo  della  Spezi<i,     Bologna  lö62. 

Seit  seiner  Anstellung  in  Bologna  hat  er  bereits  Gelegenheit 
gehabt  auch  jene  Umgegend  kennen  zu  lernen,  wie  aus  folgendem 
Werke  hervorgeht: 

Oeologia  e  paleontologia  del  Bolognese,  cenno  siorico^  Bologna  1863, 

Seine 

Carta  geologica  dei  dintomi  del  Golfo  della  Spesia.   Bologna  1863. 

machte  gewissennassen  den  Vorläufer  zu  dem  vorstehend  zuerst 
erwähnten  Werke  des  Verfassers,  welcher  vor  Kurzem  von  einer 
wissenschaftlichen  Beise  nach  Nord- America  zurückgekommen  iet. 
Sein  letztes  Werk  ist: 

Deiflni  fossUi  del  Bologneae,  memoria  del  Prof.  Cav.  Oiovamd  Ca-- 
pellinL  Bologna  1864.  Tip.  Oamberinu     Mit  3  Tafeln. 

Seit  der  Verfasser  bei  der  Universität  zu  Bologna  angestellt 
ist,  ward  ihm  besonders  der  paleontologische  Theil  des  naturhisto- 
rischen Museums  anvertraut ;  er  wusste,  dass  sich  auf  den  benach- 
barten Bergen,  besonders  bei  S.  Lorenzo  Wirbel  von  Fischen  ge- 
funden hatten,  worüber  Monti,  de  monumento  diluviano  nuper  in 
agro  Bononiensi  detecto,  Bononiae  1719  Nachricht  gegeben  hatte; 
me  gehörten  zum  Gesdilecht  der  Wallfische.  Er  ging  daher  mit 
einigen  seiner  Zuhörer   dorthin  auf.  nähere  Forschungen  aus  xmd 


LttinftnffberMte  mm  Hältei.  ttf 

fimd  Black  bald  eim  Bniolistüok  eines  Wirbei-KaocheiiB  Ton  einem 
Delphin,  worauf  er  weitere  Nachgrabungen  anf  einem  der  Gräfin 
Manigli  gehörigen  Grondstüoke  unterneWen  Hess.  Es  war  ein 
eigener  Zufall,  dass  ein  Yorfi&hr  der  Besitzerin  der  Stifter  dos 
UiiiTersitftts^  nnd  Bibliothek-Qebändes  in  Bologna  und  selbst  ein 
bedeutender  Gelehrter  war.  S.  Marsigli  del  fooforo  miaerale  bo- 
lognese,  Lipsia  1698.  Die  Anstrengungen  unseres  unermUdUoben 
Naturforschers  wurden  belohnt,  denn  er  fimd  bedeutende  Beste  yon 
dem  Kopfe,  Zähne  und  mehrere  Wirbel-Knochen  eines  Delphin,  Yon 
denen  hier  auf  8  Tafeln  in  Steindruck  Abbildungen  gegeben  sind ; 
10  wie  Y<m  dem  Bergabhange  von  yerschiedenen  blauen  und  andern 
Ton-Arten  I  in  welchen  diese  fossilen  üeberreste  dieses  Fisehee 
mehrere  hundert  Fnss  über  dem  adriatisohen  Meeres-Spiegel  ge- 
fanden  wurden. 

EtieUea,  o  dtUa  mpreme  noziont  del  öello  e  deüe  arte  di  Frmn^mto 
PruAtmano.  JNapM  18ßB.  U  Vol. 

Yon  diesem  Lehrbuche  der  Aesthetik  des  Herrn  Pmdenzano, 
Vioe-BibHoihekar  an  der  Uniyersität  zu  Neapel,  ist  bereits  die 
sweite  Auflage  ersohienen,  da  man  sidi  in  Neapel  Tiel  imi  pUk^ 
sophisohen  Studien  beschäftigt.  Auch  dw  gelehrte  Pnidensano  bat 
lieh  auf  demselben  Felde  der  Wissenschait  vortheilhaft  auageaeiek- 
iiet,  indem  sein  Kunstsinn  durch  folgendes  Werk  desselben  be- 
famdet  ist: 

hulÜu%Mfd  di  arte  poeiicOj  di  Fr,  Prudensano.     Napoli  1863. 

welches  schon  die  fünfte  Auflage  erlebt  hat.  Ders^be  ist  bereits 
Aber  20  Jahre  an  der  Uniyersitäts-Bibliothek  angestellt,  welche 
jetzt  an  dem  gelehrten  Professor  Ghur,  wie  schon  bemerkt  worden, 
einen  würdigen  Ober-Bibliothekar  erhalten  hat.  Herr  PtudeBzano 
ist  selbst  dramatischer  Dichter,  wie  seine  Imelda  de*  Lombeatazzi, 
il  poeta  ed  U  patrizio,  Dante  Alleghieri,  und  la  Gontessa  d*Andria 
darthun.     Bein  neuestes  Werk  ist  folgendes: 

Storia  deüa  tdteratura  üaliana  dd  seeolo  XIX,  di  Fr.  Prudentano. 
Napoli  1864.  Tip.   Vüale.  8,  p.  301. 

Bei  dieser  sehr  yerdienstlichen  Geschichte  der  Literatur  Italiens 
im  19.  Jahrhundert  zeigt  der  Verfasser,  dass  dieselbe  in  zwei  yer«' 
echiedenen  Zeiträumen  und  Gestalten  erscheint.  Zuerst  herrschte 
die  antike  Weltanschauung  im  materiellen  Heidenthum  vor»  die 
Neuzeit  ist  m^ir  dem  Ofaristenthum,  dem  Idealen  zugewandt.  Die 
Uassische  Kunst,  eine  Tochter  der  Sinnlichkeit^  hat  sich  mehr  der 
Fonn  als  der  Idee  zugewendet;  die  Literatur  aber  ist  stets  der 
Ausdruck  des  btbrgerlichen,  politischen  und  religiösen  Zustandes  des 
betreffenden  Volkes.  Demzufolge  hat  der  Verfasser  die  Literatur 
der  Neuzeit  in  folgenden  Abhandlungen  vorgetragen:  Geschichte» 
Archäologie,  Kritik  und  Speculation,  Religion,  Dichtiranst,  Moral 


und  Em«hug,  w«nMf  di«  ü«beraetser  angeftLhrt  w«rdem,  imd  die 
BohriftsteUemden  Fmuen  den  Besohluss  bilden.  So  knrz  der  Ver- 
fasser diese  leiste  Abtheiltmg  behandelt  hat,  so  hat  er  dooh  seiner 
aasgeseicfaneten  Landsmftnniii,  der  Frau  Mancini^OliTa  mit  gebttb- 
render  Anerkennimg  gedacht,  und  wird  Oberhanpt  dies  grflndHcbe 
Werk  TOtt  Allen  benntat  werden  müssen,  welebe  sieh  Hber  die 
jBokriftstallMr  der  Neozett  Italiens  nuterriehten  wollen.  Dazu  mOaeen 
wir  aneh  noch  empfehlen  die 

Anioloßia  d^  ülusiri  scritiori  modemü   NapoH  1863,    Von  D«m$eWfn. 

■nfi  den  nütdiohsten  Anmerkangen  versehen.  Andi  hat  derfleissige 
Bearbeiter  der  Halienisehen  Literatur  mehrere  der  sogenannten  testi 
di  lingtia  snm  erateamale  heninsgegeben,  und  sie  mit  phüologischan 
Anmerkungen  begleitet. 

ߧ9ria  Romana  di  Teodoro  Momnuen  di  Giu$eppe  Sandrimi  am  noie 
e  düearn  ülualrativi  di  insigni  aeriüori  iUtUam  ParU  seeunda. 
MÜOMO  1863.  Tip.  M.  Quigani.  8.  p,  443. 

Haehdem  wir  sehen  yon  dem  ersten  Bande  Haehrioht  gegeben 
hab«n,  nnd  nnr  wiederholem  kOnnen,  dass  die  Gewiseenhafligteett 
dee  Uebereetairs  überall  sidi  tren  bleibt,  bemeri^en  wir  ttber  die  bei- 
fsftkgten  Amnerknngen,  dasa  dieselben  sorgfl^hig  von  dem  ge^ 
•Ishrtsn  Btaateratbe  lütter  Correnti  herrtthven,  welcher  tot  Eursam 
die  rühmlichst  bekannte  Statistik  des  Königreichs  Italien  heraas- 
gab,  und  welcher  auch  von  der  italienischen  Begierung  mit  dor 
Theilnahme  an  dem  internationalen  statistischen  Congresse  zu  Berlin 
beavftragt  war.  Yon  diesen  Anmerkungen  machen  wir  unter  andern 
«or  anfmerkBam  auf  den  Aitar,  welchen  die  BOmer  nach  dem  BOek- 
jnge  Hannibals,  bei  dem  zweiten  Meilensteine  an  der  Via  Appi« 
(Bamibal  ante  portas)  errichteten;  in  Ansehoag  dessen  die  bei- 
gefügte Anmerkung  saigt :  der  Qott  Tnianns  soll  derselbe  sein,  wie 
Hercales,  welcher  diesen  Namen  von  dem  Sohntse  (tatela)  erhielt^ 
den  er  dem  römischen  Volke  damals  angedeihen  liees,  als  er  den 
Hannibal  zu  dem  unverhofften  Bückzuge  veranlasste,  nachdem  er 
schon  nahe  an  das  capenische  Thor  vorgedrungen  war.  Nun  glaubt 
der  Uebersetzer  seine  Landsletite  vertheidigen  zu  müssen,  als  von 
der  Stinunnng  der  Bömer  nach  dem  Siege  Seipios  über  Hannibal 
bei  Zama  die  Bede  ist,  welche  ihrem  Eeldherm  den  Vorwurf  maoh«> 
.  ten,  dass  er  an  milde  Friedensbedingungen  gestellt  hätte,  wobei 
4m  Italiener  der  Bachsncht  beschuldigt  werden.  Hier  sagt  der 
üel)ersetBer  in  der  Anmerimng  (8.  174):  »Bachsncht  konnte  wohl 
bei  denBümem  stattfinden,  welche  Garthago  aerstOrten;  allein  mi-> 
gerecht  ist  es,  wenn  man  dies  von  den  Italienern  im  Allgemeinem 
behaupten  woUie.c  Diese  trefDiohe  üebersetnong,  welche  dar  Qrttnd^ 
Uduceit  des  Herrn  Sandrini  alle  Ehre  macht,  zeigt  zogleidk,  in 
wekher  Achtung  in  Italien  die  gelehrten  Werke  stehen,  und  dass 
im  nicht  Uoa  ^esent  sondern  auch  gekauft  werden« 


miüiiirtiiiiyi  ai  ihüti^  m 

Noch  Mbaob  wir  hitr  Mgend«  BtQMt»  FiüilMiaimg  aafibrrai 
welcke  uns  eben  zaging: 

Lmau,  per  8.  8.  p.  70. 

Yon  dieser  unter  Ereoiband  eingegangenen  Sokrift  kOnnenwir 
keinen  ToUst&ndigen  Titel  angeben.  Slui  kones  Vorwort  sagt  nur, 
dass  Anastasina  Grflm,  der  geistreiche  Dichter  des  Pfarrers  Ton 
Kaienberg  (Graf  y.  Anersberg)  ein  Freund  von  Lenan»  dessen  Leben 
bescfarieben  habe,  nnd  dass  diese  sehr  zn  achtende  Arbeit  benutzt 
worden,  nm  die  Italiener  mit  diesem  liebenswürdigen  deutschen 
Dieliter  bekannt  tn  rnaohen,  nnd  ne  an  Teranlaaaen,  deeaen  Fanal, 
Sayanarola  nnd  Dante- Alleghieri  zn  lesen.  Wir  Ternnthen,  dass 
der  Yer£s0ser  dieser  h&chst  anziehenden  Arbeit,  der  gründliche 
Kenner  der  deutschen  Literatur,  der  gelehrte  Herr  Straforello  ist, 
einer  der  Hauptbearbeiter  der  grossen  italienischen  Encjclopädie, 
weldie  XU  Turin  in  der  grossen  Bachhandlung  des  Ritter  Pomba 
erscheint.  Schon  früher  gab  er  eine  üebersetzung  deutscher  Dich- 
tungen Ton  nnsem  neuesten  Dichtem  heraus,  die  sich  mit  Italien 
beachftiiigen,  und  zwar  geographisch  geordnet,  daher  der  yon  ihm 
gewählte  Titel  »Italien  im  Munde  fremder  Dichtere  sehr  passend 
war.  Wahrhaft  erfreulich  ist  die  Begeisterung  des  Verfassers  übet 
unaecn  Lenau,  mit  welcher  dessen  Werke  yorgeführt  werden,  und 
die  Benrtheilnng  derselben  mit  Bezug  auf  die  Lebens-Stimmung  des 
Diektera,  bei  dem  er  den  Ausdruck  der  drei  yersohiedenen  Volks- 
eigenthümlichkeiten  aufweist,  denen  er  angehörte.  Lenau  war  näm« 
lidi  nach  seinem  Vater  Franz  y.  Himptsch  yon  Strehlenau  nach 
Name  und  Ursprung  Slaye,  nach  seinem  Geburtsorte,  Chatad  im 
Bannt,  nnd  nach  seinem  ersten  Unterricht  Ungar,  aber  nach  seiner 
Gesiannag  und  wissenschaftlichen  Erziehung  Deutscher.  Seine  An- 
lage flbr  Musik,  seine  Neigung  zu  einfacher  Volksthümlichkeit,  seine 
sanfte  Schwermnth  und  Hingebimg  an  das  Unyermeidliche ,  mit 
einer  gewissen  Scdilauheit  yerbunden,  yerrieth  bei  ihm  das  Vor- 
handannein  yon  Tropfen  slayischen  Blutes,  sein  feuriges  Gemüth« 
seine  lebendige  Einbildungskraft  mit  stolzem  Unabhttngigkeitasinn, 
nnd  seine  krftftige  oft  überschw&ngliche  Sprachweise  Hessen  seine 
imgarische  Herkunft  erkennen.  Die  Aufzählung  der  Eigenschaften 
aber,  nach  welchen  ihn  der  Verfasser  als  einen  Deutschen  erkennen 
laset,  Torpflichtet  seine  Landsleute  zu  grossem  Danke  gegen  den 
Verfiaeaer,  welcher  yon  dem  yerstorbenen  Dichter  sagt,  dass  man 
ihn  ala  Deutschen  erkannte  an  seinem  ernsten  Gerechtigkeitssinn, 
an  seiner  unerschütterlichen  Treue  und  seinem  Wohlwollen,  an  der 
Tiefe  und  Mannig&ltigkeit  seines  Wissens  und  Forschens;  freilich 
yerbonden  mit  emsigem  Grübeln  über  Religion  und  Philosophie,  so 
wie  mit  Hinneigung  zum  phantastischen  und  contemplatiyen  weniger 
praktisch. 


ItS  lilttrtiiftMicidt  Am  BälUtt. 

J>r.  Vineento  8euwa  tiaria  cnmografica  di  TriuU,  Triesle  1863.  4, 

Diese  Geschichte  von  Triest  umfasst  die  Entstehung  dieser  Stadt 
bis  zum  Jahre  1695 ;  von  da  an  ist  dieselbe  durch  den  gelehrten 
Doctor  Kandier  fortgesetzt  worden,  dessen  Annalen  bis  zum  Jahre 
1848  gehen.  Dieser  ausgezeichnete  Mann  hat  sich  dadurch  ein 
neues  Verdienst  um  diese  Stadt  erworben,  in  deren  Verwaltung  er 
vielfach  thätig  war;  auch  die  ganze  Provinz  Istrien  ist  ihm  dank- 
bar ftlr  die  seit  vielen  Jahren  von  ihm  bekannt  gemachten  For- 
schungen über  die  Vergangenheit  und  Gegenwart  dieses  Landes. 

YUa  e  viaggi  di  Crisloforo  Colombo,  per  &  Canale.  Firenze  1863^ 
PrtBao  BeUinL 

Der  gelehrte  Advocat  Canale,  ein  Landsmann  des  Entdeckers 
der  neuen  Welt,  jetzt  Archivar  seiner  Vaterstadt  Genua ,  welchem 
dieselbe  bereits  mehrere  sehr  geachtete  Werk  über  die  glorreiche 
Vorzeit  dieses  Freistaates  verdankt,  gibt  hier  urkundliche  Nach- 
richt über  die  Schicksale  und  die  Reisen  des  Columbus,  eben  zu 
rechter  Zeit,  da  demselben  jetzt  in  Genua  ein  würdiges  Denkmal 
errichtet  worden  ist.  Für  dasselbe  musste  erst  ein  würdiger  I^atz 
geschaffen  werden,  welcher  zugleich  einen  neuen  Beweis  von  dem 
Geschick  der  Baukünstler  in  Italien  ist,  da  Genua  zwischen  dem 
Meere  und  steil  aufsteigenden  Bergen  eingeengt,  meist  Strassen  be- 
sitzt, so  enge  wie  die  meisten  Gässchen  in  Venedig,  wo  kein  Wagen 
gebraucht  werden  kann.  Dennoch  haben  die  dortigen  Bau- 
künstler  verstanden  die  Eisenbahn,  nachdem  sie  durch  den  läng- 
sten Tunnel  auf  dem  festen  Lande  Europas,  die  Apeninnen  durch- 
brochen, mitten  in  die  Stadt  an  den  Seehafen  Genuas  selbst  zn 
führen,  und  einen  grossartigen  Bahnhof  zu  errichten,  mit  dem  sich 
wenige  vergleichen  können.  Vor  demselben  ist  das  prakt volle  Denk- 
mal des  Columbus  aufgestellt,  der  von  Oanale  hier  auf  würdige 
Weise  geschildert  wird.  Der  Herr  Verfasser  hat  die  Fahrten  dieses 
grossen  Seemanns  dadurch  eingeleitet,  dass  er  die  Geschichte  der 
Colonien  der  alten  Welt  vorausgeschickt  hat,  worauf  die  Colonien 
der  Italiener  im  Mittelalter  in  Asien  und  Afrika  vorgeführt  werden, 
wozu  dieser  fleissige  Geschichtschreiber  um  so  mehr  befähigt  war, 
da  von  ihm  eine  sehr  geschätzte  Arbeit  über  die  genuesischen 
Niederlassungen  in  der  &im  in  der  Zeit  erschien,  als  der  dortige 
Erieg  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  dorthin  lenkte. 

Neigebaar. 


Ir.  9.  HEIDELBEB6EE  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Zur  nationalen  Aussprache  des  GriecMsclien. 

Gustave  d'Eichthal  de  Pusage  praUgue  de  la  langue  grecque. 
Paris.  HacheUe  1864. 

Neuerdings  hat  man  in  England  nnd  in  Frankreich  begonnen 
der  Frage  Aber  die  richtige  AoBsprache  des  Griechischen  ^  einer 
Frage,  welche  bei  nns  in  Deutschland  von  Seiten  der  Erasmianer 
beharrlich  todt  geschwiegen  wird,  wieder  eine  lebhafte  Anütnerk- 
samkeit  za  schenken.  Man  könnte  aber  yersncht  sein  zu  bezwei- 
feln, ob  die  Agitation  ftir  die  nationale  Aussprache  bisher  in  der 
richtigen  Weise  betrieben  worden  ist.  Wenigstens  wird  die  Art, 
wie  der  geistreiche  Verfasser  der  Eyangiles,  Hr.  Gostav  y«  Eichthal 
in  seiner  neuesten  Schrift  eine  Lanze  fttr  die  Lehre  Beuchlin's 
bricht,  an  manchen  Orten  Verwunderung  erregen.  Er  geht  nämlich 
Ton  der  Ansicht  aus,  dass  heutzutage  alle  Völker  auf  eine  gemein- 
same Organisation,  auf  eine  üniversalgesellschaft  hinschreiten. 
Religion,  Politik,  Philosophie,  Kunst  und  Wissenschaft,  Industrie 
und  Handel  führten  diesem  gemeinsamen  Ziele  zu.  Die  erste  »Folge 
dieses  bevorstehenden  grossen  Ereignisses«  müsse  die  Einführung 
einer  gemeinsamen  Sprache  sein,  welche  zwar  die  Nationalidiome 
bestehen  liesse,  die  die  Bürgschaft  einer  jeden  Volkseigenthümlich- 
keit  seien,  jedoch  das  Medium  der  internationalen  Beziehungen 
zwiaehen  den  Völkern  und  zwischen  den  Lidiyiduen  bilde,  und  zu- 
gleich als  Ausdruck  der  höchsten  Wahrheiten  diene,  welche  das 
Prinzip  und  das  gemeinsame  Band  der  Gesellschaft  ausmachton. 
Der  Gredanke,  für  den  der  Verfasser  in  die  Schranke  tritt,  ist,  so 
überraschend  er  auch  klingen  mag,  nicht  neu;  er  ist,  seit  der 
giösseren  Annäherung  der  europäischen  Völker,  seit  den  Biesen- 
fortsckritten  welche  unsere  Kultur  gemacht,  in  verschiedenen  Ländern 
und  in  verschiedenen  Köpfen  aufgetaucht;  erst  vor  Kurzem  hat 
DL  Pat^  versucht,  das  System  einer  üniversalsprache,  sowohl  durch 
die  Schrift  (Pasigraphie)  als  auch  durch  die  Laute  (Pasilogie)  durch 
Begrifßsfixirung  mittelst  arabischer  Zahlzeichen  und  deren  Laut- 
fixiruBg  für  den  internationalen  Verkehr  aufzustellen;  allein  bisher 
hatte  man  all'  dergleichen  Versuche  als  müssige  Spielereien  ange- 
sehn,  als  einen  wissenschaftlichen  Humbug,  deren  Erfinder  keinen 
Begriff  von  den  Schwierigkeiten,  ja  von  den  Unmöglichkeiten  ihres 
Beginnens  hätten.  Mit  ganz  anderem  Ernst  greift  Hr.  v.  Eichthal 
die  Sache  an,  und  wenn  man  auch  seinen  Vorschlägen  nicht  durch 
Dick  und  Dünn  zu  folgen  geneigt  ist,  so  wird  man  es  ihm  doch 
LVnL  Jahrg.  %  Heft  9 


^80  Zur  nationalen  AnsBptailie  des  GHechlBclien. 

immer  danken  müssen,  dass  er  den  schwebenden  Streit  aus  den 
luftigen  Spekulationen  neu  zu  erfindender  Worte  und  Schriftzeiehen 
auf  ein  praktisches  Gebiet  übertragen,  und  an  das  Gegebene  in 
einsichtsvoller  Weise  angeknüpft  hat.  Er  weist  darauf  hin,  dass 
die  künftige  Weltsprache  keine  andere  sein  könne,  als  —  die 
Griechische.  Seit  dem  16.  Jahrhundert  ist  das  Griechische  ein 
nothwendiges  Erziehüngselement  für  jeden  Gebildeten;  der  Ursprung 
der  Sprache  Mit  mit  dem  Ursprung  der  Civilisation  zusammen, 
cjbenso  wie  sie  durch  ihre  neuesten  Erzeugnisse  im  Mittelpunkte 
des  modernen  geistigen  Lebens  steht;  einer  jeden  bedeutenden 
Manifestation  des  Menschengeists  in  Religion,  Politik,  Kunst  und 
Wissenschaft  hat  sie  nahe  gestanden,  sie  hat  der  Litterator,  der 
Theologie  und  der  Jurisprudenz  der  Byzantiner  als  Mittel  gedient 
und  bei  dieser  Arbeit  von  beinah  dreissig  Jahrhunderten  in  Nichts 
Ton  ihrer  ursprünglichen  Liebenskraft  verloren,  hat  ihren  Wörter- 
schatz und  ihre  plastische  Kraft  vollständig  beibehalten  und  in 
unseren  Tagen  mehr  als  irgend  Etwas  Anderes  zur  Bettung  und  zur 
Wiederbelebung  der  griechischen  Nationalität  beigetragen.  Wenn 
ihah  von  einigen  Koncessionen,  die  dem  Geist  der  modernen  Spraoh- 
1)ildung  gemacht  worden  sind,  wenn  man  von  einigen  Bereiche- 
tolngeü  des  Sprachschatzes,  die  durch  die  Ideen  der  Neuzeit  noth- 
wendig  geworden  sind,  absieht,  und  —  gestehen  wir  es  offen  ein 
—  voii  einigen  Verkümmerungen  und  Verschleifungen,  von  einigen 
Latinismen  und  Turkismen;  deren  Ausmerzung  gerade  darum  eine 
bedeutsame  Aufgabe  der  neuhellenischen  Grammatiker  wftre:  so 
haben  wir  vollkommen  die  alte  Sprache,  wie  wir  sie  auf  den  Schul- 
bänken gelernt ,  wie  sie  uns  aber  jetzt  im  Munde  einer  leb^iden 
Nation  lebendig  entgegentritt.  Diesen  Vortheil  der  Verbindung  des 
Alten  und  Neuen  gilt  es  zu  nützen.  Ein  wahrhaft  rationelles  System 
des  15ifentlichen  Unterrichts  müsste  sich  vor  Allem  in  dieser  Sich- 
tung o£Penbaren.  Die  Zahl  der  Sprachen  die  man,  des  praktiscben 
Lebens  wegen,  auf  den  öffentlichen  Bildungsanstalten,  zu  lernen  ge- 
Hbthigt  ist,  hat  sich  schon  beträchtlich  vermehrt,  und  droht  sich 
mit  jedem  Jahrzehnt  zu  vermehren.  Zudem  besteht  kein  Band 
zwischen  diesem  praktischen  und  zwischen  dem  übrigen  Unterricht, 
der  runter  den  Auspicien  des  Ohristenthumsc  die  Basis  unsrer' 
Civilisation  sein  soll.  AU*  diese  üebelstände  würden  mit  der  An- 
nahme des  Griechischen  als  internationaler  üniversalsprache  ver- 
schwinden. Ausser  der  Nationalsprache  würde  sich  der  Sprach- 
unterricht überall  auf  eine  einzige  Sprache  zurückführen  lassen; 
und  diese  Sprache  ist  es ,  die  zugleich  den  Schlüssel  jedes  klassi- 
schen Unterrichts  bildet.  »Racine,  Göthe,  Andrö,  Chenierc,  so  f&hrt 
der  Verf.  in  einer  etwas  eigeuthümlichen  Zusammenstellung  fort, 
»sind  da,  um  uns  zu  beweisen  was  die  moderne  Poesie  der  griechi- 
schen Sprache  verdankt«« 

Ueber  die  Schwierigkeiten,   die   der  Ausführung  seiner  Idee 
entgegenstehen,  macht  der  Verf.  sich  durchaus  keine  Hhision'en ;  er 


omni  aber,  sie  'wtrden  geriager  sein,  als  diejenigen ,   welche  sicli 
ekemalfl  der  Einftdmmg  des  Lateinisdien  als  Universalspracfae  im 
Okkidenil  und  des  Orieolnechen  im  Orient  mr  Zeit  des  Aristophmes 
von  BTtans  entgegengesetzt  hfttten.    Da  das  Orieehische  als  klas- 
nsehe  Sprache  nniTersell  angenommen  sei ,   so  sei  Alles  lange  im 
y«i«Bfi  Ar  seine  EinfÜhrong  nnd  Weitetpflanmng  voi^ereitet.  Man 
kasehe  nnr  zn  entwickeln ,   was  schon  bestehe ,  und  entschieden 
«Ben  praktischen  Weg  sn  betreten«  Der  Terf.  beroft  sich  auf  das 
Seogniss  der  Oriechen  selbst,   nm  den  lebendigen  Eifer  zu  veran- 
9(dun£dien,  mit  dem  die  nenhellenische  Nation  sich   der  hohen 
Aufgabe,  die  ihr  nach  seinem  Plan  zufallen  soll,  wllrdig  erweisen 
irorde.  Br  erinnert  an  einen  im  Spectateor  de  l'Orient  vor  10  Jah- 
ren endiienenen  Artikel:    De  Tayenir  du  peuple   grec  et  de  la 
langoe  grecqne,  worin  einer  der  ausgezeichnetsten  Pubficiaten  des 
jugeii  Oriechenlands  Renieris   bereits   die  hohe  Mission  für  sein 
Volk  in  Anspruch  genommen  habe,  die  mit  dessen  Oeschiehte  nnd 
Bedevtimg  vortrefflich  ttbereinstimme.     Herr  Senierie  bewegt  sieh 
niBklich  in  einer  fthnlichen  Oeistessphftre,  wie  der  um  dieWieder- 
bdekmg  des  griechischen  Nationalgeistes  hochverdiente  Eora^ts  in 
wber  Yonrede  zum  Isokrates;  er  yersidiert  uns,   dass  wenn  ein 
>it«r  Grieche  aus  Plato's  oder  Demosthenes^  Zeit  wieder  auf  Erden 
«nddene,  dass  derselbe  nur  in  (hiechenland  eine  seinem  Ohr  ver- 
tnnte  Sprache  yeniehmen,  und  darin  die  Trflmmer  aller  Dialekte 
to  alten  Griechisch  wieder  erkennen  würde.    Mit  einet  Hebens- 
vfirdigen  Selbstgeltllligkeit,  die  uns  als  charakteristisch  für  die  an- 
geblichen direkten  Nachkommen  des  Ferikles  und  Epaminondas  er- 
Mhdinen  muBs,  versichert  Herr  Benieris :  es  sei  ein  Axiom  der  ge- 
ttBunien  gelehrten  Welt,   dass  die  moderne  griechische  Sprache 
nieU  die  Tochter  der  alten  griechischen  sei,  wie  man  dies  Mater- 
nit&tsYerhältniss  von  den  neueren  romanischen  bezüglich  der  latei- 
iMben  Sprache  statoiren  müsse,  sondern  sie  sei  ganz  dieselbe  wie 
&  alte  Sprache,  nm:  unter  einer  andern   Form.     Die  griechische 
Binaohe  habe  geringere  Wandlungen  durchgemacht,  als  irgend  eine 
ißt  modwnen ;   die  Beligion   habe  vor  allem  Andern  dazu  beige- 
tragen ihr  diesen  Charakter  der  Stabilit&t  aufzudrücken.     Bei  der 
Jfe^,  bei  den  Tauf-  und  Heirathsceremonieen  sei  kein  Jota  seit 
^  Zdten  des  Ohrysostomus  und  des  heiligen  Basilius  yeründert, 
selbst  an  dem  sacerdotalen  Kostüme  und  an  dem   Eirchengesang 
»i  die  Wirkung  von  fünfeehn  Jahrhunderten   spurlos  vorüber  ge- 
gangen.   Das   griechische   Yolk  fühle   sich   durch   diesen   stabilen 
Charakter  seiner  Oeschiehte,   durch   die  grössere  IN'ähe  des  klassi- 
B(^  Alterthums,  die  es  sich  vor  anderen  Nationen  gewahrt  habe, 
gekoben.  Die  Manem  und  Hindemisse,  die  es  von  dem  klassischen 
Alterihume  trennten,  seien  gering.     Würde  es  nicht  ein  hoher  Ge- 
^nnn  sein,  wenn   das  griechische  Volk,  dieser  letzte  Ankömmling 
imter  den  civilisirten  Nationen,  dieser  vom  öffentlichen  Mitleid  be- 
neidete Bettler,  oder  wie  Chateaubriand  glänzender   gesagt  hat, 


ill2  Zof  mitoiialen  AuMfptMbe  d«  CMmUmImb. 

diese  blatende  Waise  der  Civilisatioiii  ihre  ersten  Oedanken,  ihre 
Glückes-  uBd  Dankesworte  in  einer  Sprache  ausdrücken  könnte,  die 
von  einem  Ende  der  Welt  zum  Andern  verstanden  werden  würde? 
Gewöhnlich  nenne  man  die  französische  Sprache  als  die,  welche  am 
Weitesten  über  die  Erdoberfläche  verbreitet  sei.  Sie  griechische 
sei  es  aber  in  einem  gewissen  Sinne  noch  mehr,  da  man  sie  von 
Kindheit  an  auf  allen  Schulen  der  Erde  lerne.  Man  würde  sie 
nicht  mehr  so  schnell  wie  bisher  vergessen,  sobald  man  wüsste, 
dass  es  nicht  die  Sprache  einer  todten  Nation,  dass  ihre  Litteratur 
nicht  geschlossen  sei,  sondern  fortfahre  dasOi^n  des  griechischen 
Gedankens  zu  sein» 

Mit  diesen  Bemerkungen  Eenieris*,  so  schön  sie  auch  im  Sinn 
des  jungen  Griechenlands  gefärbt  zu  sein  scheinen,  wird  gewiss  ein 
Jeder  gern  übereinstimmen,  der  sich  ein  tieferes  Studium  der  neu- 
griechischen Nationalität  und  Litteratur  zur  Aufgabe  gesteckt  hat. 
Die  griechische  Sprache  geht  unleugbar  darauf  aus  sich  ihrem  hohen 
klassischen  Vorbild,  soweit  es  nur  irgend  mit  den  modernen  For- 
men vereinbar  ist,  zu  nähern.  Die  Sprache  des  Volkes,  die  xoiv^ 
ykn66a  ist  allerdings  noch  nicht  fixirt,  aber  ihr  Streben  nach  Ver- 
vollkommnung ist  nicht  wegzuleugnen,  und  dies  Streben  ist  mit 
der  Bückkehr  zu  den  unvergänglichen  Mustern  des  Alterthnms 
identisch*  Wenn  die  Gebildeten  der  jetzigen  griechischen  Nation, 
wenn  Männer,  wie  Earatheodoris,  Maurogenis,  Basiadis  und  Makra- 
kis  sich  bemühen  das  Altgriechische  für  die  wichtigsten  Gegen- 
stände der  modernen  Wissenschaffc  anzuwenden,  so  ist  das  keine 
kalte  und  pedantische  Nachahmung  des  Alterthnms.  Es  ist  kein 
Fremder  der  sich  belästigt  und  gleichsam  als  ein  Gefangener  in 
dem  Pallaste  vorkommt,  wo  er  wohnen  woUte,  es  ist  der  legitime 
Erbe,  der  als  Herr  über  die  Domäne  verfügt,  in  deren  Besitz  er 
sich  wieder  gesetzt  hat. 

So  würden  also  die  Hindemisse,  die  aus  dem  Unfertigen, 
schwankenden  Zustand  der  jetzigen  Sprache  hervorgehn,  durch  d^n 
guten  Willen  und  den  Lerneifer  der  Neu*HeUenen  wohl  beseitigt 
worden;  aber  die  Ausführung  der  EichthaV sehen  Ideen  hängt  nicht 
allein  von  der  lebendigen,  heissblütigen  und  liebenswürdigen  Nation 
ab,  die  sich  gegenwärtig  als  die  Erbin  der  klassischen  Herrlichkeit 
ansieht,  sondern  von  der  ganzen  Masse  der  civilisirten  Menschheit; 
neben  der  jenes  Häuflein  im  rothen  Fes  und  mit  der  wallenden, 
malerischen  Fustanelle,  neben  der  jenes  modern  zugestutzte  König- 
reich am  Dyssus  nur  wie  ein  verschwindender  Bruchtheil  oder  wie 
ein  Schattenbild  erscheint.  Und  die  betrübende  Wahrheit  lässt  sioh 
nicht  verkennen,  dass  während  jener  verschwindende  Bruchtheil 
treu  und  zäh  an  der  überlieferten  Form  festhält,  die  grosse  Menge 
der  Gebildeten  denirrthum,  oder  wenn  man  besser  will,  die  Laune 
des  Erasmus  festzuhalten  und  zu  vertheidigen  sucht.  Dies  ist  der 
Kern  der  von  Eichthal  angeregten  interessanten  Frage;  dies  ist 
auch  der  praktische  Punkt  der  uns  in  Deutschland  näher  liegen 


Hut  nMauün  Aunvprm^  des  ChrlMUMlML  188 

nniss,  als  die  Idee  der  üniTersalspracbe ,  so  dankenswerth  und 
geistyoll  sie  vertreten  werden  mag.  Der  historische  Zasammenhang 
der  ganzen  Streitfrage  kann  nie  oft  genug  ergründet  und  klar  ge- 
nug beieachtet  werden,  wenn  man  zwischen  der  herrsehenden  natio- 
nalen nnd  der  Erasnuanischen  Aassprache  des  Griechischen  zn 
wfthlen  hat.  Meinen  doch  Viele,  wenn  sie  anch  von  einem  gelin- 
den Zweifel  beschliohen  werden,  ob  sie  die  viya  yox  des  alten 
Griechenlands  repräsentiren :  Erasmns  habe  nicht  ohne  guten  Onmd 
g^andelt,  als  er  die  Aussprache  in  dem  heutigen  Sinne  zu  fixiren 
sodite!  So  wohlwollend  diese  Meinung  jedoch  sein  mag,  so  wenig 
kann  sie  zu  Gunsten  des  alten  ehrwürdigen  Gelehrten  aus  den 
Qoeüen  begrttndet  werden«  Erasmus  Iftsst  in  seinem  Diskurse  De 
rseta  graecae  linguae  pronimciatione  den  Bären  die  bahnbrechende 
Aeossernng  thun;  Frustra  sunt  distinctae  litterae  si  sono  nihil 
dillerant.  Damit  wttre  denn  nicht  vielmehr  gewonnen,  als  die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Vokale  und  Diphthongen,  welche 
naeh  der  neuhellenischen  Aussprache  wie  t  lauten,  ehemals  einen 
andern  Lautwerth  besessen  haben.  Aber  bei  dieser  Wahrschein- 
Hehkeit  bleibt  es.  Der  Bftr  wird  zwar  ausführlicher;  er  berichtet 
was  er  im  akademischen  Senat  vernommen  habe.  Auf  die  moder- 
nen Sprachen,  auf  die  französische,  holländische,  deutsche  müsse 
man  zurfickgehn,  um  auch  in  Bezug  auf  die  Aussprache  den  rich- 
tigen 3faassstab  für  die  Griechische  zu  finden,  so  sehr  dieselben 
aueh  verderbt  seien,  utcunque  corruptis,  so  hätten  sich  in  ihnen 
doch  die  Spuren  der  alten  Aussprache  des  Griechischen  erhalten. 
Krasmns  beruft  sich  wohl  auch  noch  auf  das  Zeugniss  einiger  »her- 
vorragender griechischer  Gelehrten«,  die  erst  jüngst  von  Eonstan- 
tinopel  nach  Paris  gekommen  seien,  und  die  das  Griechisch  ganz 
anders  aussprächen,  in  einer  den  modernen  Zungen  weit  ange- 
messeneren Weise  mit  einander  verkehrten,  als  man  es  bisher  zu 
thun  gewohnt  sei.  Bedenken  wir  aber  nun,  dass  die  hier  ange- 
fahrten Stellen  die  einzigen  in  den  Werken  des  Erasmus  sind,  die 
den  Anhaltepunkt  für  eine  wissenschaftliche  Begründung  des  Eras- 
mianischen  Systems  abgeben  können,  so  müssen  wir  über  die 
Sehw&chen  dieser  Beweisführung  staunen,  die  so  sehr  in  die  Augen 
springen,  dass  eifrige  Erasmianer  sogar  glauben  konnten,  der  Meister 
liabe  sich  einen  Scherz  erlauben  und  habe  seine  ernste  neuentdeokte 
Wahrheit  in  ein  leichtes  Gewand  kleiden  wollen.  Wenn  es  ge- 
golten hätte,  die  eigene  Ansicht  zu  diskreditiren,  weil  man  von  ihrer 
ünhaHbarkeit  überzeugt  war,  so  würden  wir  diese  Erklärung  mild- 
denkender  Epigonen  über  eine  wissenschaftliche  Stümperei  des 
Altmeisters  allenfalls  akkeptiren  können,  und  so  mag  denn  auch 
die  Verantwortlichkeit  des  ganzen  Streits,  den  er  selbst  herzlich 
gern  verurtheilt  und  verwünscht  haben  würde,  von  dem  Lehrer  auf 
die  Schüler  abgewälzt  werden.  Hat  der  Vertheidiger  der  über- 
lieferten Aussprache  doch  die  glänzende  Genugthuung,  dass  Eras- 
mus selbst  auf  sein  eigenes  System  keineswegs  mit  Freude  herab- 


mZnr  mMoBilin  AumiiimIm  des  QdiudAicbaK' 

Miekte.  Ss  bleibt  eine  merkwürdige  Thatsaobe,  dass  er  desiselben 
BiezuaU  in  praxi  gehuldigt,   sondern  sieb  stets  der  damals  allge- 
mein gebräuchlieben  historischen  Aussprache  befieissigt  hat^  Ob  er 
dabei  den  Vorurtheilen  des  Pöbels  ein  Opfer  brachte,  und  wie  sich 
Ger^diuB  Yossius  mit  komischer  Entrüstung  ausdrückt :  cum  meliora 
videret  probaretque  deteriora  secutos  sit,  oder   ob  ihn  die  Erfah- 
ifungi  dass  er  allzu  leichtgläubig  gewesen,  und  von  deqi  Gelehrten 
Henrikud  Glareanus  mit  jener  Pariser  Geschichte  mjstifizirt  worden 
sei«  aai  der  Unfehlbarkeit  des  eigenen  Systems  irre  gemacht  habe: 
dairttber  Hesse  sich  viel  streiten,  und  auch  wenn  wir  Selbstbekennt- 
nisee  des  berühmten  Gelehrten  über  diesen  wichtigen  Punkt  be- 
sässen,  würde  das  innerste  Motiv,   das  ihn  zur  Aufstellung  seinee 
sogenannten  Systems  bewogen  hat,  wohlweislich  verschwiegen  wor«* 
den  sein:  aber  so  viel  ist  gewiss,  dass  die  Schüler  die  bescheidene 
Meinung  di^Erasmus  über  den  Werth  seiner  eigenen  Ideen  gehegt 
und  bethät^^  hat,  nicht  theilten,  sondern,  wie  es  zu  gesohehn  pflegt« 
sich  mit  Freuden  des  hingewoifenen  Zankapfels  bemächtigten,  und 
den  Streit,  so  viel  es  an  Urnen  lag,  vergrösserten.     Nun  erst  ver« 
m^mx  die  Welt,   die  wie  aus   den  urkundlichen  Denkmälern   des 
Mittelalters  bis  zur  Evid^iz  hervorgeht,  wie  es  aus  den  angelsäch^ 
sisohen  Manuskripten,  wo  immer  Transkriptionen  vorkommen,  aus 
der  griechischen  Sprachlehre   B.  Bakon's,  aus  andern  Dokumenten 
leicht  bewiesen  werden  kann,   bisher  der  überlieferten  Aussprache, 
dew  Itacismus  gehuldigt  hatte,  dass  sie  in  einem  kläglichen  Irrthum 
befangi^n  gewesen  sei,  und  dass  man  das  Griechische  so  spreohen 
müsse^  wie  Einem  der  Mund  gewachfl^i   sei.    l^n  erst  griff  die 
beqname  Methode  um    sich,   dass  jede  Nation,   wo  mi&glich  jede 
Provinzial-  u?id  Dorfbevölkerung   sich  einbildete  wie  Perikles  und 
Demosthenes  au  reden,   wenn   sie  nur   den   heimathUchen  Dialekt 
recht  grob  und  altvaterisch  handhaben  und  darin  die  vestigia  ut- 
cunque  corrüpta  des  Altgrieohischen  entdecken   durfbcw     Gerade  in 
dieser  wohlfeilen  und  einschmeichelnden  Moral  liegt  die  Lösung  des 
BäthsdLs,  weshalb  die  Erasmianische  Lehre  sich  überall  so  rasch 
einbürgerte  und  überall  begeisterte  Anhänger  fand.  Die  YerbreltoAg 
der  griechischen  Sprache  war  damals  noch  eine   so  geringe,    das: 
Graeca  sunt^  non  leguntur  hatte  noch  eine  solche  Kraft:  dass  es 
begreiflieh  erscheint,   wie   die   richtige   Aussprache 
des  Griechischen    der    civilisirten    Welt    durch    eine 
Handvoll    Gelehrter    wegeskamotirt   ward   xmd  wie  in 
üiberrascbend  kurzer  Zeit  und  leicht  genug  wk  Umschwung  ^iblgte, 
der  jet»t  mit  ganz  anderem  Aufwand  von  Zeit  und  Mühe  verknüpft 
sein  würde.     Eine  Wahrheit  lässt  sich  wohl  ersticken,   wenn    nox 
eine  geringe  Menschenzahl   die   Tragweite  des  Gegrastandes  ahnt, 
auf  den  sie  sich  erstreckt,  aber  ein  Irrthum,  der  sieh  Jahrhunderte 
lang  festgesetzt  imd  in  den  Massen  Wurzel  geschlagen  hat,    kann 
nur  allmälig  und  mit  äusserster  Aufbietung  aller  Kräfte  ausgerottet 
werden«    Somit  handelt   es  sich  bei  diesem  ganzen  heiklen  Sl^i^ 


Zur  mHoiiileii  A^uMpOMlie  Am  GrleoUsoIiflB-  iM 

niehi  «nroU  um  Widersprach  mit  der  Schreibart^  um  ündeEtlichr 
keit  oder  gar  um  den  üebellaat  der  einen  oder  der  andern  Methode 
-  denn  über  Wohlklang  oder  Eakophonie  zu  entscheiden,  hängt 
obenein  von  dem  Subjektivesten  in  der  Welt,  von  dem  mnsikali« 
gehen  Gehör  der  Einzelnen  ab  —  sondern  es  handelt  sich  in  erster 
Linie  ma  den  Zusammenhang  der  sprachlichen  mit  den  nationsJen 
Verhältnissen.  Zunächst  gut  es  zu  konstatiren,  dass  zur  Zeit  der 
Humanisten  sich  zwei  Systeme  gegenüberstanden  von  denen  das 
Eine  sich  auf  unmittelbare  Verbindung  mit  dem  Byzantinerthum 
imd  auf  den  fortdauernden  Gebrauch  einer  noch  lebenden  Sprache 
stützte,  das  Andere  ohne  weiteren  positiven  Anhaltepunkt  aus  dem 
Gehirn  eines  gelehrten  Professors  entsprungen  und  a  priori  kon- 
stroirt  war.  Indem  man  den  Gegensatz  dahin  bestimmt,  dass  auf 
der  einen  Seite  geschichtliche  Erfahrung  und  Tradition ,  auf  der 
anderen  die  reinste  Gelehrtenwillkür  waltet,  brauoht  man  darum 
aoch  immer  nicht  nothwendiger  Weise  zum  Nachtheil  der  Letzte- 
len  zu  präjudiziren,  denn  es  ist  ja  immer  möglich,  dass  ein  Ein- 
leber  mit  einem  kecken  Wurfe  Ausserordentliches  leistet,  oder  dass, 
wie  das  Volk  sich  prosaischer  ausdrückt:  eine  blinde  Henne  auch 
ein  Eom  finde.  Allein  die  Streitfrage  resolvirt  sich  damit  doch  in 
einem  für  die  Beuchlinianer  günstigen  Sinne.  Anstatt  den  Gegnern 
aof  das  dürre  Gebiet  der  einzelnen  Buchstaben-  und  Lautstreiti^ 
keiten  zu  folgen,  gilt  es  vor  Allem  den  historischen  Hergang  der 
Sache  zu  betonen,  den  kein  Meckern  der  Yavrianischen  Ziege,  und 
bin  Bähen  der  Eratinos' sehen  Schaafe  umzuwerfen  vermag,  gilt  es 
aol  die  bedenklichen  Gestirne  der  Willkür  und  Laune  hinzuweisen, 
snter  denen  die  gepriesene  Lehre  der  Erasmianer  zur  Welt  kam, 
n&d  gilt  ea  denen,  die  noch  jetzt  auf  die  Fahne  des  Erasmus 
schwören,  die  Frage  vorzulegen:  ob  sie  zu  beweisen,  oder  nur  an* 
idiaalich  za  machen  vermögen,  dass  die  Erasmianische  Aussprache 
&  des  Perikleischen  Zeitalters  war,  und  dass  Erasmus  jene  nur 
dnreh  seinen  kühnen  Griff  restituirt  habe  ?  Die  Unmöglichkeit  eine 
so  soharf  gestellte  Frage  zu  bejahen,  hat  den  Yertheidigem  des 
äaeisaBOis  verschiedene  Ausflüchte  eingegeben;  sie  haben  versucht 
^  Kampf  auf  ein  anderes  Gebiet  zu  spielen ,  und ,  da  sie  das 
Eioeptionelle  und  Kühne  ihrer  eigenen  Hypothese  niemals  abzu* 
leognen  im  Stande  sind,  wenigstens  nachzuweisen,  wie  so  der 
>Irrthnm«  der  Gegner  entatanden  sei,  auf  dessen  Trümmern  sie 
^  Herrschaft  gründen  wollen.  Da  hat  es  denn  niemals  an  Schil- 
daiongea  der  politischen  Misäre  gefehlt,  in  welche  Griechenland 
versanken  sei,  man  hat  die  WechselfUlle  der  Geschichte,  den  Yer- 
to  der  politischen  Unabhängigkeit  durch  die  Römer,  die  Einfälle 
<ier  Vandalen,  Avaren,  Slawen  und  Bulgaren,  selbst  den  Einfluss 
^r  Lateiner  gebührend  hervorgehoben,  um  daraus  eine  Entartung 
^  griechischen  Sprache,  einen  Uebergang  vom  alleinseligmaohen- 
^  Etacismus  zum  Itacismus  herzuleiten.  Die  Lehren,  welche  ein 
^'«'^ter  und  geietreicher  Misshellene,  welche  FaUmerayer  in  den 


18d  Zxa  nationalen  Ansapraohe  des  Griecbiaolien. 

dreissiger  Jabren  über  das  Aufsaugen  der  heüeniscben  Lebensele- 
inente  durch  die  Slawen,  über  die  Slawisirung  Griecbenlands   ge- 
predigt, und  setzt  den  eingehendsten  Widerlegungen  des  yerdienten 
Boss  gegenüber  bis  an  sein  Lebensende  zäh  und   konsequent  fest- 
gehalten,  diese  Lehre,   die  in  dem  paradoxen  Satze  gipfelt:     Es 
fliesst  kein  Tropfen  althellenischen  Blutes  ungemischt  in  den  Adern 
der  jetzigen   Griechen,    sondern    sie   sind   die   Abkömmlinge  jener 
slawischen  Unholde,  die  im  5.  und  6.  Jahrhundert  über  das  byzan- 
tinische Beich  hereinbrachen  und   die  hellenische  Nationalit&t  mit 
Stumpf  und  Stiel  ausrotteten  ;   diese  von   politischer  Parteileiden- 
schaft und  Lust  am  Paradoxen  getrübte,  aber  durch  ihre  Keckheit 
und  durch  die  geschichtlichen  Erfahrungen,    die   man  bisher  mit 
den  Neuhellenen  gemacht  hat,  sich  leicht  einschmeichelnde  Lehre, 
sie  musste  den  Erasmianern  sehr  gelegen  kommen,    um  ihr  schon 
wankendes  System,  und  ihre  matte  Beweisführung  neu  zu  stützen 
und  zu  beleben.     Denn  wenn  das  griechische  Volk  ein  todtes  war, 
so  durfte  sich  Niemand  verwundern,    dass  man  das  Fortleben  der 
griechischen  Sprache   läugnete.     Dann  erschien   die   Sprache,    die 
man  gegenwärtig  an  den  Ufern  des  Ilyssus  redet,   als   ein  wilder, 
halb  türkischer,  halb  slawischer  Jargon,  und  erst  in    dem  Gehirn 
des  Erasmus  leuchtete  der  Funke  Perikleischer  Reinheit  und  Kraft 
durch  die  Nacht  eines  barbarischen  Itacismus  hindurch.  Nur  Schade, 
dass  die  Erasmianer  sich  mit  einigen  leicht  hingeworfenen  histori- 
schen Brocken,  mit  jener  von  Fallmerayer  hochgepriesenen  Urkunde 
des  Kaisers  Nioephorus,  mit  dem  49.  Kapitel  des  Konstantin  Pro- 
phyrogenetes  begnügen  müssen,  aus  denen  nicht  etwa  die  Slawisi- 
rung Morea's,  sondern  nur  die  »Avarisirung«  folgen  könnte;    dass 
sie  die  von  Boss  undPittakis  in  ihrer  ganzen  Nichtigkeit  enthüllte 
Mythe  über  die  Anargyrenser  Mönchschronik  als  baare  Münze  an- 
nehmen müssen,  aus  der  ebenfalls  keine  Slawisirung,  sondern  höch- 
stens eine   »Albanisirung«    Attikas  folgen    könnte;   kurz   dass    sie 
einige  geistvoll  zusammengestellte  urkundliche  Fragmente  für  einen 
urkundlichen  Beweis  ansehn,  und  dabei  für  den  eigentlichen  histo- 
rischen Zusammenhang  erblindei;i   müssen.     Würde   es   nicht   Ver- 
wunderung und  Staunen  erregen,    wenn  man  mit  ähnlichen  Hülfs- 
mitteln  wie  Fallmerayer  die  Hebräisirung  der  Griechen  bewiese ? 
Wir  haben  einen  merkwürdigen  Beisebericht  des  Dr.  Bei^amin  aus 
Tndela,  der  um  die  Mitte  des    12.  Jahrhunderts  Griechenland  be- 
suchte.    Er  war  in  Anatolicon,  Patras,  Lepanto,   Crissa,  Oorinth 
und  Theben:  überall  fand  er  zahlreiche  Juden,  die  in   hohem  An- 
sehen standen.     In  Theben  belief  sich  die  Zahl  derselben  auf  nahe 
an  2000.  Hie  bis  mille  oiroiter  degnnt  Judaei,  eorum  qui  inGrae- 
oia  habitant  peritissimi  sericarii  purpuraeque  artifices.     Inter  illos 
etiam   quidam   doctissimi,   oonstitutionum  et  gemarae  peritissimi, 
seculi  h\\jus  maximi.  (Itinerarium  D.  Bei^jaminis  Lugd.  Batavornm 
1683).     Mit    einiger    Subtilität    und    Fallmerayer' scher    Kühnheit 
liesse  sich. durch  derartige  Urkunden  zum  Entsetzen   der  jetzigen 


SSor  Bfttiindeii  AnMprMlie  des  GtImAImIicb.  W9 

Nenheüenen  nachweisen,  dass  kein  Tropfe  althellenischen  BhitB  in 
ihren  Adern  fiiesst,  dass  die  hellenischen  Ton  den  jüdischen  Enltar- 
elementen  aufgesogen  worden  sind.  Doch  genng  der  leeren  Worte 
fiber  Urkunden  und  Pergamente,  der  wahre  historische  Verlauf  ist 
ein  ganz  anderer.  Denn  ftlr  den  ernsten  Forscher  der  mittelalter^ 
Heben  griechischen  Geschichte  hietet  sich  gerade  in  jenen  angeh- 
lichen  Zeiten  der  Entartung  nur  Gelegenheit  zum  Staunen  über  die 
anrerwftstliche  Kraft  und  Zähigkeit  jenes  so  oft  todt  gesagten, 
doch  nie  erstorbenen  Yolksstammes.  Ellissen  hat  in  der  glänzen- 
den Yertheidigungsrede  der  nationalgriechischen  Aussprache,  die  er 
1851  auf  der  Göttinger  Philologen- Versammlung  hielt  mit  über* 
zeogender  Kraft  und  einem  seltenen  Aufwand  yon  Gelehrsamkeit 
diesen  stabilen  Charakter  des  griechischen  Volks  hervorgehoben, 
diesen  eigensinnigen  Trotz,  mit  dem  es  an  der  üeberliefemng  in 
Gutem  und  Schlechtem  festhielt.  Das  attische  Volk  selbst  war  der 
eifersQchtigste  und  schärfste  Wächter,  wo  es  galt  den  Purismus 
des  Dialekts  aufrecht  zu  erhalten.  Der  Lesbier  Theophrast  hatte 
sieh  dreissig  Jahre  in  Athen  aufgehalten,  und  musste  zu  seinem 
Aerger  erfahrer,  dass  ihn  trotz  alledem  ein  attisches  Obstweib  an 
seiner  Aussprache  als  Fremden  erkannte.  Die  Athener  mögen  zwar 
befürchtet  haben,  dass  sich  die  Beinheit  ihres  Dialekts  nicht  für 
alle  Zukunft  wahren  Hesse.  Dem  Bestreben  allen  Unsicherheiten  in 
dieser  Beziehung  yorzubeugen,  ist  die  Einführung  der  Akkentzeichen 
zoznschreiben,  welche  um  das  zweite  Jahrhundert  vor  Christo  durch 
Simonides  erfolgte.  Heutzutage  setzt  man  im  Neugriechischenden 
Akkent  genau  nach  den  alten  Regeln,  und  die  unveränderte  Bei- 
liehallfäng  eines  so  feinen  und  schwierigen  Theils  der  Grammatik 
dürfte  wohl  eine  nicht  zu  unterschätzende  Bürgschaft  für  die  Echt* 
heit  der  Buchstaben-Üeberlieferung  abgeben.  Von  einem  Einfluss 
der  Fremdherrschaft  kann  gerade  in  diesen  Dingen  schwerlich  die 
Bede  sein.  Zweihundert  Jahre  lang  herrschen  die  Franzosen  im 
^laass  und  doch  hat  sich  in  der  Aussprache  des  Allemannischen 
Dentsch  nichts  geändert.  Es  sind  noch  immer  die  alten  Kehllaute, 
die  fftr  den  Franzosen  ganz  unaussprechlich  sind.  Dazu  kommt  fdr 
miseren  konkreten  Fall  der  alte  hellenische  Dünkel  gegen  Alles 
Barbarische,  die  bis  in^s  ünmaass  gesteigerte  Eitelkeit,  die  un- 
^^ge  Unterwerfung  unter  fremde  Waffengewalt,  für  die  man  sich 
dorch  geistigen  Hochmuth  doppelt  schadlos  hielt.  Graecia  capta 
fenun  victorem  cepit:  es  ist  eher  das  Gegentheil  anzunehmen,  dass 
«ich  die  Herrschaft  der  Besiegten  in  der  Aussprache  des  Lateini- 
seken  bemerkbar  gemacht  hat.  Wie  wir  die  Griechen  kennen 
erscheint  es  undenkbar,  dass  sie  sich  eine  Veränderung  ikrer  Sprache 
ohne  lebhaften  Widerstand  hätten  gefallen  lassen.  Von  einem  sol- 
chen Widerstand  hören  wir  aber  Nirgends.  Dass  die  Kirche  einen 
grossen  Einfluss  auf  die  Formen  der  griechischen  Sprache  ausgeübt 
habe,  soll  gewiss  nicht  geleugnet  werden  Aber  es  war  das  mehr 
eine  Bereicherung  in  lexikologischer  Beziehung,   wie   sich  aus  den 


HBbraismea  der  Septuaginta  ergibt,  als  eine  Aenderong  des  Laat- 
wertfas  der  Baehstaben.  Je  strenger  und  fronuner  sich  der  orthodoxe 
griechiBche  Klerus  geberdete,  je  genauer  hielt  er  sich  auch  in  die* 
ser  Beziehung  an  die  Tradition,  und  das  religiöse  Entsetzen ,  das 
die  griechischen  Kirchenväter  über  die  Lehre  des  Erasmus  zur 
Behau  tragen,  weil  dieselbe  den  Namen  des  Erlösers  und  andere 
heilige  Worte  verketzere,  beweist  wenigstens  soviel,  daas  diese 
Leute  einen  üebergang  zum  Reuchlinianismus  nicht  ruhig  mit  an- 
gesehn  haben  würder  —  wenn  eben  ein  solcher  üebergang  je  Statt 
gefwden  hätte.  Nennt  doch  Qeorgiades  in  der  TLf^yyuxxala  tuqI 
x^S  v$^  iUnp^iTcäv  0tOi%süap  iTupcnn^tSsrng  gerade  darum  die  Kirche 
eine  ^soxrtAStog  Mal  lUoöxucii  xov  ikkrjfviMOv  yivovg  oußaxog  weil 
sie  den  Purismus  der  Aussprache  treu  gewahrt  habe. 

Aehnlioh  verhält  es  sich  mit  der  üebertragung  des  griechischen 
Leben«  nach  der  Hauptstadt  Byzanz,  die,  wie  der  Erasmianer 
Kreuser  meint,  gleichsam  die  Seele  Griechealands  aus  seinem  Leib 
gezogen  habe.  Denn  auch  zugestauden,  dass  die  Entartung,  die 
Kon^ption  der  Byzantiner  eine  furchtbare  gewesen  sei  •— >  und  ehe 
wir  mit  Ausdrücken,  wie  Entartung  und  Korruption  um  uns  wer- 
fen, sollten  wir  uns  durch  ein  gründliches  und  ernstes  Studium  der 
byzantinischen  Geschichte  legitimiren,  wir  sollten  den  Bahnen  fol- 
gen, die  Hopf  uns  mit  divinatorischem  Scharfsinn  eröffnet  hat  — 
zugestanden,  dass  Byzanz  ein  wahrer  Sündenpfuhl  gewesen  sei,  so 
fehlt  der  Nachweis,  dass  diese  sittliche  Gesunkeiüieit  auch  einen 
entnervenden  Einfluss  auf  den  feinen  Theil  der  Grammatik  geübt 
habe,  um  den  es  sich  hier  handelt.  Eine  genaue  Würdigung  dar 
Eigenschaften,  die  man  gewöhnlich  als  charakteristisch  für  das 
Byzantinerthum  hinstellt,  jener  grauen  und  todten  Formgerechtig^ 
keit,  jenes  erlogenen  Gelehrtendünkels  und  jener  sophistischen  Buch- 
stabenkrämerei  müsste,  sollte  man  denken,  ergeben,  dass  die  Byzan- 
tiner auch  bezüglich  der  Sprache  an  den  kleinsten  Förmlichkeiten 
um  so  zäher  hingen,  je  mehr  ihnen  der  echte  Geist  entschwunden 
war.  Und  so  spricht  denn  die  höchste  Wahrscheinlichkeit  dafür, 
dass  der  Lautwerth  der  Buchstaben  ohne  irgend  eine  Veränderung 
aus  den  ieittischen  Schulen  in  das  alexandrinische  Museum  undvcMi 
dort  in  das  Tetradision  von  Byzanz  verpflanzt  wurde,  und  dass 
von  den  Zeiten  Dionysius  des  Thrakers  bis  zu  den  Dukas  und 
Chrysoloras  eine  ununterbrochene  Beihe  von  Lehrern  über  die  Rein- 
heit des  Dialekts  Wache  hielt.  Die  Analogieen  anderer  Sprachen, 
die  Analogie  des  Sanskrit,  dessen  Pronunciation  von  den  heutigen 
Brahmanen  in  Indien  nach  den  modernen  indischen  Sprachen  um- 
geformt wurde,  die  Analogie  des  Lateinischen,  dessen  Pronunciation. 
im  Munde  der  heutigen  Italiener  anerkanntermaassen  von  der  alt- 
klassischen der  Römer  abweicht,  hat  für  den  ersten  Augßnblidc 
Etwas  Schlagendes  Allein  was  für  die  eine  Nation  gilt,  braucht 
darum  bei  der  andern  nicht  die  Regel  zu  sein.  Zwischen  den  Schick- 
•aten  des   Lateinischen  und   des  Griechischen   waltet  ein  grosser 


biaiüriBcher  Fntersobied»  der  jede  Analogie  yoq  yornbereia  nmoög- 
lich  macht.  Denn  es  lässt  sich  sel^r  gut  eine  Grenzlinie  zieheni 
die  das  Lateinische  von  dem  Italienischen  trennt,  es  lässt  sich  der 
Moment  zn  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  bestimmen,  wo  das 
Latein  eine  todte  Sprache  ward,  oder  höchstens  als  Küchenlatein 
fortTBgetirte ;  wie  soll  man  aber  zwischen  dem  Griechischen  und 
Nengriechischen  eine  Grenzlinie  ziehn?  Die  Zeitbestimmung,  wo 
das  Altgriechische  aufhörte  und  das  Neugriechische  begann,  wird 
immer  von  den  subtilsten  Hypothesen,  und  von  der  grösseren  oder 
geringeren  Autorität  des  Erasmus  abhängen«  Man  wird  wie  Kren- 
ser  mit  der  üebersiedelung  der  Kaiser  nach  Byzanz,  mit  dem  Be- 
ginn der  byzantinischen  Aera  das  Grabkreuz  über  die  Asche  der 
yerstorbenen  althellenischen  Sprache  aufpflanzen;  aber  wer  ver- 
kennt, wie  willkürliGh  und  unsicher  eine  solche  Todesanzeige  ist? 
Hier  behält  in  der  That  Renieris  Becht,  wenn  er  behai^)tet,  das 
Neugriechische  sei  dieselbe  Sprache,  wie  die  Altgriechische,  nur 
unter  einer  anderen  Form.  Das  Neugriechische  ist  nicht  durch 
Umwandlung,  sondern  nur  durch  Abschleifong  und  Verkümmerung 
aus  der  altgriechischen  Sprache  hervoi^egangen,  und  es  wäre  yer- 
lorene  Mühe,  wollte  man  einzelne  Stadien  dieses  allmäligen  Ab- 
sehleifimgs-  und  Verkümmerungsprocesses  bis  auf  die  Zeit  hin  ver- 
folgen, wo  die  Annahme  der  Hülfsverba  bei  den  Präteritis  und 
Fuiuris,  die  Bildung  des  Liflnitiv  dm'ch  vä  an  den  modernen 
Sprachgenius  erinnert.  Leicht,  ohne  der  Sprache  irgend  eine  Ge- 
walt ansathun,  wird  man  eine  ungriechische  Bedeweise,  eine  un- 
klaasisdie  Wendung,  die  sich  in  neugriechischen  Werken  fiiidet» 
in'a  AJthelleaische  übertragen;  während,  wie  EUissen  treffend  be- 
merkt, ein  ähnlicher  Versuch  mit  der  Uebertragung  der  Ten^inen 
Dante's  in's  Lateinische  kaum  gelingen  dürfte.  Das  Gewicht  all' 
dieser  Gründe  hat  denn  auch  den  historischen  Theil  der  Eraamia« 
niadiea  Frage  stets  zu  einer  geftJirlichen  Gegend  für  die  Erasr 
mianer  gemacht,  und  es  hat  ihnen  nicht  an  Berufungen  auf  die 
Zeugnisse  der  alten  Grammatiker  und  der  Klassiker  selbst  gefehlt, 
um  den  Streit  auf  ein  anderes  »positiveres«  Gebiet  zu  spielen.  So 
muflste  der  alte  Schwätzer  Dionys  von  Halikamass  (ftegl  0v%^i-^ 
0&OS  ovofuiz&v)  herhalten,  um  für  den  Etacismus  zu  zeugen,  und 
das  Zeugniss  des  viel  älteren  Sextus  Empirikus  ward  für  Nichts 
geachtet,  obwohl  derselbe  die  Diphthonge  at,  £6,  ot  in  seiner  Schrift 
n^fog  yQaii(iatixovs  als  reine  Vokale  bezeichnet.  Zur  Zeit  des 
Sextus  konnte  somit  die  Aussprache  wohl  verdorben  sein,  aber  es 
ist  wenigstens  soviel  klar,  dass  damals  Niemand  daran  dachte,  die 
Alten  hätten  einige  Jahrhunderte  früher  eine  andere  Aussprache 
gehabt.  Die  wenigen  Stellen  der  Alten  selbst,  die  für  oder  gegen 
die  herrschende  Aussprache  beweisen  können,  sind  allzu  bekannt, 
und  allzu  oft  angefCLhrt,  als  dass  man  sie  eingehend  besprechen, 
oder  gar  den  Erasmianern  in  die  Menagerie  von  Schafen,  Ziegen, 
Schweinen  und  anderen  Bestien  folgen  sollte,  die  sie  meckern  und 


140  Zur  nationalen  Anaspraebe  dea  GrleebfacliaL 

gninzen  lassen,  mn  die  Kakophonie  des  Itacismns  auf  die  grellste 
Weise  zu  veranschaulichen.  Die  Neugriechen  selbst  berufen  sich 
fllr  den  J-Laut  des  oi  mit  Vorliebe  auf  das  54.  Kapitel  im  IT.  Buch 
des  Thukydides,  und  die  Bedeutung  dieser  Stelle  lässt  sich  auch 
durch  keine  Verdrehung  und  Missdeutung  der  Erasmianer  ab- 
schwächen. Die  Stelle  ist  um  so  interessanter,  als  sie  dazu  dienen 
kann,  die  freisinnigen  Ansichten  des  berühmten  alten  Historikers 
auf  religiösem  Gebiete  zu  erklären.  Den  Spuren  seines  Bationalis- 
mus  begegnen  wir  schon  im  38.  Kapitel  desselben  Buchs,  wo  er 
die  Feste  und  Opfer  als  Erholungen  als  avanavXag  bezeichnet,  und 
sich  dadurch  charakteristisch  von  den  Späteren,  z.  B.  von  einem  Iso- 
krates  unterscheidet  der  gern  mit  seiner  Frömmigkeit  paradirte 
imd  wohlgefällig  den  Athenern  nachrühmte ,  sie  hätten  nicht, 
wenn  es  ihnen  einfiel  dreihundert  Rinder  auf  einmal  geopfert  und 
ein  anderesmal  gar  nicht,  sondern  sie  hätten  stets  fromm  und 
regelmässig  ihre  Pflichten  gegen  die  Götter  erftlllt.  In  der  Be- 
sprechung des  bekannten  Orakels :  rj^st  ^ciQUcxog  noXsiiog  xal  Xoi^ 
(log  5f*'  ccvtä  tritt  uns  nun  Etwas  von  jener  vornehmen  TJeber- 
legenheit  des  Weltmanns  entgegen,  der  den  Aberglauben  des  Volks 
belächelt.  Das  Volk,  so  meint  Thukydides,  habe  den  Vers  anders 
verstanden  und  ihm  Beziehung  auf  die  Gegenwart  untergelegt.  Es 
habe  ihn  auf  die  Pest  gedeutet.  Sollte  jemals  ein  anderer  dorischer 
Krieg  hereinbrechen,  der  eine  Hungersnoth  in  seinem  Gefolge  habe, 
so  würde,  urtheilt  der  Historiker  —  und  das  ist  eine  der  Stellen, 
wo  der  Löve  schalkhaft;  gelacht  hat  —  natürlich  jenes  Orakel  auf 
die  Hungersnoth  bezogen  werden.  Es  handelt  sich  also  in  dem 
54.  Kapitel  offenbar  um  den  Wortlaut  von  Xo^^og  und  hfiog,  und 
die  Schlussfolgerung,  die  wir  daraus  für  unseren  Streit  gewinnen, 
wird  keinen  Augenblick  zweifelhaft  sein.  Konnte,  so  muss  man 
fragen,  in  dem  athenischen  Volk  eine  Unsicherheit  vorwalten,  ob 
die  Pest  oder  ob  die  Hungersnoth  gemeint  sei,  wenn  diese  beiden 
Worte  durch  die  Aussprache  von  einander  geschieden  waren  ?  wenn 
die  Athener  damals  den  allerdings  für  eine  südliche  Zunge  kaum 
möglichen  Au  oder  Eu-Laut  hatten,  den  ihnen  Erasmus  oktroyiren 
will  ?  Es  ist  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  das  ol  der  Alten  wie 
i  lautete,  wenn  auch  Bursian  die  Analogie  des  Lateinischen  her- 
beizuziehen, und  aus  alten  Inschriften  und  Vasen  für  den  Ö-Laut 
des  OL  zu  plädiren  versucht  hat.  Der  Bemerkung  des  Hieronymus, 
dass  Xwonvia  in  der  Septuaginta  nicht  mit  j,  sondern  mit  oe 
zu  schreiben  sei,  steht  die  von  Bursian  selbst  hierhergezogene  Ge- 
schichte von  Nero  entgegen,  der  zwei  Sulpicier,  welche  den  Bei- 
namen xoirjTixot  führten  wegen  des  Gleichglangs  dieses  Namens 
mit  xvd-txoi  hinrichten  Hess.  Aber  wie  lange  wird  es  noch  dauern, 
ehe  man  aufhört  in  diesem  Streite  Anekdote  wider  Anekdote  zu 
stellen,  und  seiner  Beweisführung  den  Charakter  eines  Witzmosaik 
zu  geben?    Soll  man  für   den  t-Laut  des  £t,  sowie   für   den  Ae- 


AmtTttm  das  OiiMhitelMa.  141 

Laut  des  m  daa  30  Epigramm  des  Eallimach  anftüiien^);  die 
Worte  vtuxl  mid  ix^i  die  aufeinander  gereimt  and  als  Echo  be- 
leiclmet  werden,  während  offenbar  nur  die  Beuchlinianische  Aus- 
sprache den  Beim  und  das  Echo  wiedergibt?  Besser  scheint  die 
Analogie  des  Lateinischen,  die  Verwandlung  der  zahlreichen  grie- 
ehiflchen  Eigen-  und  Städtenamen  von  oi  in  ae  für  den  Itacismos 
zu  sprechen,  und  das  Zeugniss  eines  GegnerSi  eines  eifrigen  Eraa- 
suaners,  des  berühmten  G.  Hermann,  der  den  ae-Laut  des  ai  yoU- 
kommen  adoptirt  hatte,  darf  gewiss  nicht  unterschätzt  werden. 
Soll  man  für  die  nationale  Ansprache  des  av  die  Autorität  der 
alijonischen  Inschrift  anführen,  wo  das  Wort  avtov  AFTTO  ge- 
schrieben wird;  oder  soll  man  das  Bedenken,  dass  die  Aussprache 
Yon  ot;  als  av  durchaus  keinen  Diphthongen  gäbe,  sondern  viel- 
mehr eine  Verbindung  von  einem  Vokal  und  einem  Halbkonsonan- 
ten, soll  man  dies  Bedenken  durch  die  Uiceronianische  Anekdote 
Hberwinden,  wonach  ein  Ausrufer  bei  der  Einschiffung  desEraaeus 
in  Brindisium  mit  dem  Buf  cauneas  die  Furcht  eines  bösen  Omens 
weckte?  während  entschieden  nur  die  Aussprache  cavneas,  die  mit 
dem  caye  ne  eas  zusammenfiel,  das  richtige  Verständniss  einer  sol- 
chen Furcht  ermöglicht  ?  Am  ärgsten  ist  die  Anekdotei\jägerei  be- 
kanntlich bei  der  Hauptfrage  über  den  Lautwerth  des  q  getrieben 
worden ;  hier  hat  der  Bock  des  Kratinos  einen  unyerhältnissmässi- 
g!en  Aufwand  von  Scharfsinn  und  Haarspalterei  in's  Leben  gerufen, 
und  Lichtenberg  zu  der  bekannten  Pan^hrase  des  to  be  or  not  to 
be  begeistert.  Es  wäre  eitle  Mühe ,  wollte  man  sich  noch  einmal 
in  dies  Wirrsal  hineinstürzen,  oder  gar  die  nationalgriechische  Aus- 
q[»Tache  gegen  die  »yemichtenden  Stösse«  jenes  Bocks  zu  schützen 
BQchen,  indem  man  etwa  darauf  hinweisen  würde,  dass  die  Nach- 
ahmimg der  Naturlaute  in  den  yerschiedenen  Ländern  yerschieden 
sein,  und  sich  nach  der  jeweiligen  Organisation  des  Menschen  rich- 
ten muss.  Beide  Parteien  haben  sich  übiigens  mit  gleicher  Heftig- 
keit auf  das  Zeugniss  jenes  Bockes  berufen ;  was  schon  an  und  für 
sieh  die  ausschliessliche  Competenz  desselben  in  dieser  ganzen  Streit- 
frage als  zweifelhaft  erscheinen  lässt.  Dass  das  ij  stets  wie  &  aus- 
gesprochen ward,  dürfte  auch  von  den  Heissspomen  des  Beuchli- 
nianismus  kaum  noch  behauptet  werden.     Bekanntlich  gehörte  das 


*)  Für  den  i-Laut  dea  et  könnte  man  einen  Fnnd  des  neueaten  Datoms 
ttfOhten.  Am  80.  Oktober  1864  wurden  nahe  von  Lariasa,  bei  einer  Ueber- 
Mhwanmniig  des  Peneus,  in  einer  Gruft  am  Ufer  swei  Mannorblöcke  ent- 
de^t,  deren  Inschriften  zugleich  einen  intereBsanten  Beleg  für  die  religiöse 
Btrenge  bieten,  mit  der  man  die  Oelhimig^fremder  Gr&ber  v^pOnte.  Die  erste 
IttcMt lautet:  Kttl  xw  difj  XoyitVy  og  av  ntctttlvaji,  %ai  Bxt(fOV  ^^,  Smasi 

h  txadiotg  9$i%og  uiQJicäfisvop,  noXlovg  o*  iv  atudioig  coicagy  Srs  d^  ^iXe 
poiQu  Iva  xov  (xoSv)  fMvondi<ov'  to  nen{(fmfii)vov  aÖs  dm  (tid^)  Z^^9^ 
«Kpodftror  TnoMxdsvg  fltivJ&Ca  *OlvfLnq>  &  xav  IdCmv  lAVBiag  %difiif.  Der 
Meiere  Block  trigt  die  Inaehrift:  K^^m^ii  AxiUia  xbv  n^^lv  Sr^ckt  xw 
wvTi}6  iifd^  in  xtSv  i%Bivav  i/kpeiag  xdQiv  X^9^  noifodtixa. 


143  SEtiir  iwtlo'iUnflft  AuMyvMM  dofl  ChiB^ldsditt* 

Tf  moht  S9Ü  den  16  primitiYen  Kadmeiachen  Bnchstaben.  Es  wurde 
erst  spttter  dardt  Simonides  in  das  attische  Alphabet  eingeführt, 
trnd  durch  Yolksbeschlass  anerkannt,  nachdem  es  früher  als  Aspi- 
rationszeichrai  g^ent  hatte.  Anteqnam  so  heisst  es  bei  Havereamp 
(Sylloge  p.  236)  a  Simonide  Yocalis  longe  h  introduceretor  atqiie 
intet  alphabeti  Utteras  ooimninii  consensn  reciperetnr  littera  h  sibi 
proprinza  sonnm  habebat.  Es  seheint  somit,  dass  man  sich  von 
Staatswegen  veranlasst  sah,  das  Zeichen  für  den  Bnchstaben  ri  zu 
Ter&ndem,  weil  seine  Aussprache  sich  schon  vorher  geändert,  und 
dem  i  zugewandt  hatte.  Was  dieser  proprius  sonus  des  tj  gewesen, 
Ittsst  sieh  jetzt  freilich  nicht  mit  Gewissheit  bestimmen;  so  viel 
aber  steht  jedenlalls  fest,  dass  ein  Schwanken  zwischen  dem  «und 
dem  e,  meht  aber  ein  Schwanken  zwischen  b  und  a  Statt  fand. 
Auf  ^e  spitzfindige  Herleitnng  des  Wort  '^fUffa  von  tftSQog  die 
Sehnsucht,  weil  die  im  Dunkel  Befindlichen  das  Licht  ersehnen, 
(Plato,  Era^los)  ist  gewiss  weniger  zu  geben,  als  auf  den  deutlich 
beabsichtigten  Qleichklang  in  ^ij(ii^riif  fpcUvexm  mg  didcvtHx.  Wie 
aber  eoH  man  sieh  die  heutzutage  in  Deutschland  übliche  Aus- 
i^pfraohe  des  ^  aus  den  Quellen  erklären?  wie  war  es  möglich,  dass 
aus  diesem  limgen  7  im  Munde  der  Griechen  ein  icurses  i  wurde? 
Die  XTnwahrschemlichkeit  der  letzteren  Annahme  spricht,  wenn  auch 
nicht  für  die  nationi^iechische ,  so  doch  jedenfalls  gegen  die  in 
Deutsethland  herrschende  Aussprache  des  17.  Wenn  man  aber  daran 
verzweifeln  muss,  das  Richtige  mit  absoluter  Gewissheit  aufzufinden, 
so  wird  man  stets  am  besten  daran  thun,  das  weniger  Falsche  dem 
total  Falschen  vorzuziehn.  Nichts  hat  den  ganzen  Erasmianischen 
Streit  in  Ärgeren  Verruf  gebracht,  als  der  Streit,  den  man  über 
jeden  einzelnen  Buchstaben  erhoben,  und  der  subjective  Scharfsinn, 
den  man  in  der  Eonjektural-Diskussion  über  seinen  Lautwerth  ent- 
ftiltet  hat.  Wenn  jeder  Philologe  das  Mehr  oder  Minder  seines 
Glaubens  an  die  Richtigkeit  der  Erasmianischen  Aussprache  zur 
Anwendung  bringen  und  seiner  wissenschafblichen  üeberzeugung 
gemäss  lehren  wollte,  so  hätten  wir  eine  vollkommen  autorisirte 
Anatchie  zu  befllrehten.  Wie  viele  Schattirungen  wären  da  durch- 
zumachen, von  den  unbedingten  Anhängern  des  Brasmus,  die  dabei 
doch,  wie  G.  Hermann,  der  Billigkeit  wegen,  den  Ae-Laut  des  «i 
zugeben,  von  Anderen  die  sich  durch  die  Autorität  des  Thukydidea 
för  den  i-Laut  des  Oi  gewinnen  lassen,  oder  denen  die  Anekdote 
des  Cicero  den  av^Laut  einleuchtend  macht,  bis  zu  denen  die  un- 
beirrt und  konsequent  die  Fahne  der  nationalen  Aussprache  auf- 
rochthaltenl  Der  Egoismus  der  Massenwillkür  ist  es,  an  dem  1851 
das  entschiedene  und  feste  Auftreten  EUissens  zu  Schanden  wurde. 
Seine  beredte  Apologie  der  nationalgrieohischen  Aussprache  ver- 
hallte nutzlos ;  obwohl  Niemand  mit  Erfolg  zu  widersprechen  oder 
das  Gewicht  der  vorgebrachten  Gründe  zu  verkennen  wusste.  Man 
begnügte  sieh  damit,  dass  di(  praktis<die  Ausführung  der  Sache 
ihre  Schwierigkeiten  habe,  und  bald  triumphirte  die  Macht  derGe- 


ÜBT  msMBBiBD  Aimpiwira  u/cB  jjmcnmcutn»  TVD 

wolmiieit  Tind  der  TrKglieii  über  die  Zweifel  «a  der  ünfeUbar^ 
keit  des  Baetebenden ,  die  EUiseen  geweckt  hatte.  Dieses  erete 
offieielle  Missiingen  der  Reaehlinianer  war  um  eo  bedaaerlielier, 
ah  dadoreh  ihren  ferneren  Bestrebmigen  eine  schiefe  Bicbtnng  anf- 
gedrttekt  wnrde.  Beinah  sehn  Jahre  lang  hatte  die  Angelegenheit 
geseUmnmert,  da  trat  Borsian  anf  der  Frankfurter  PfailologenTer^ 
sammlxmg  mit  nenen  Antr&gen  hervor,  die  sehen  als  eine  bedenk- 
Kdn  Verrtleknng  des  Standpunktes  und  nur  als  eine  matte  Kopie 
d«r  frfiheren  erschienen.  Er  trat  mit  einer  gewissen  Yersöhnlieh- 
lidikeit  anf,  so  tossert  die  Klio  vom  18.  November  1864,  die  um 
so  bemeikenswerther  war,  als  dadurch  die  nnablftssige  Wuth  des 
germanischen  Oeists  gegen  das  ursprüngliche  System  erhellte ;  M«s 
htBv&Bv  fpaviffovtab  i}  xg^  xa  XQmtotvita  ßvatruuxta  axA&extog 
fueifk  rov  ysfffuxvixov  urtufunog.  Bursian  versuchte  es  nftmlioh 
eine  Vermitthing  herbeizuftthren.  Er  wollte  das,  was  sieh  bei  der 
modernen  Aussprache  als  unrichtig  erweise,  fallen  lassen,  und  nur 
das  Festhalten,  was  sich  nicht  als  falsch  erweisen  liess;  also  den 
Ae-Laut  des  ca,  und  den  t-Laut  des  st.  Fthr  die  Konsonanten  woUte 
er  die  neugriechische  Aussprache,  für  das  oi  den  Oe-Lant,  den  er 
SOS  Inschriften  und  alten  Yasen  unumstösslicb  festgestellt  zu  haben 
glaubte,  im  üebrigen  gab  er  der  Macht  des  Bestehenden  nach.  Die 
Sache  war  damit  vollkommen  auf  den  status  quo  zurttckgeführt. 
Der  Hittelweg  war,  wie  es  zu  geschehen  pflegt,  ein  halber  Rück- 
weg, und  mit  Recht  machte  Vischer  darauf  aufmerksam,  dass  man 
nnr  dk  eine  Wahl  habe :  entweder  das  Neue  ganz  zu  nehmen,  oder 
bei  dem  Alten  mit  dem  Bewusstsein  zu  bleiben,  dass  es  f^ch  sei. 
Es  konnte  sich  nur  darum  handeln,  ob  das  Griechische  eine  lebende 
Sprache  ist,  nnd  dann  musste  man  den  Irrthum  des  Erasmus  ganz 
fter  Bord  werfen,  oder  ob  es  eine  todte  Sprache  ist ,  und  dann 
war  die  Einftlhrung  eines  neuen  noch  so  rationeUen  Systems 
vollkommen  nutzlos.  Bursian  war  um  der  SkyUa  des  Alt-Eras«- 
nuanismus  zu  entfliehn  der  Gharybdis  eines  Neu^Erasmianismus  vei> 
Wien,  der  jenen  um  Nichts  überbot.  Die  geschichtliche  Entwicklung 
fo  ganzen  Streitfrage  hat  dies  Eine  klar  an's  Licht  gelegt ,  dass 
^  Erasmianismus  diejenige  Lehre  ist,  die  das  subjective  ürthefl 
«n  Stelle  der  ITeberlieferung  setzt.  Der  Ausbreitung  eines  solchen 
WiUtatrsjstems,  das  an  der  angeborenen  vis  inertiae  der  Massen 
Beine  Unterstützung  findet,  gilt  es  jetzt  kr&fbigst  entgegenzuwirken. 
Sebwerlich  wird  noch  Jemand  glauben,  dass  der  Geist  desPerikles 
oder  des  Demosthenes  den  Erasmus  angewandelt  und  seine  Zunge 
gelöst  habe,  während  er  nur  der  traurigen  Mystifikation  des  Hen^ 
nkos  Glareanns  nnterlag.  Man  kann  aber  ein  ei&iger  Anhftnger 
der  bei  nns  in  Deutschland  heimischen  Methode ,  und  doch  dabei 
der  Ansicht  sein,  dass  das  €hriechische  in  Griechenland  selbst  anders 
geklimgen  hat,  und  dass  es  in  der  attischen  Lichtsphäre  anders 
klingen  muss,  als  unter  unserem  nordischen  grauen  Werkeltags- 
bumnel.    An  die  leichte,  flüsternde  und  selbst  zischelnde  Bede,  an 


i4A   '  Zur  naÜMUikii  Attaspr^eha  det  flricclitoebcn. 

die  häufige  Wiederkehr  des  <f  und  des  &  gewöhnen  wir  uns  im  Lande 
selbst  sehr  rasch,  wenn  es  uns  auch  zuvor  schien  als  sei  es  eine 
Frofanation  den  Homerischen  Vers  nach  der  Art  der  Neuhellenen 
zu  lesen.  Gewiss  ist  es  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Zeichen  der 
Besserung,  dass  die  Männer,  die  das  griechische  Leben  und  die 
griechische  Sprache  mit  eigenen  Augen  und  Ohren  kennen  lernten, 
dass  Thiersch,  !Bo8s,  Ellissen  und  Yischer  sich  für  die  nationale 
Aussprache  entschieden  haben.  Freudig  erkennt  man  Im  Lande 
selbst,  wie  das,  was  auf  der  Schulbank  gelernt  wurde,  Leben  und 
Bewegung  wird;  wie  das  Griechische  nicht  todt  ist,  sondern  wie 
die  alte  Zeit,  wie  manche  homerische  Erinnerung  sich  im  moder- 
nen Gewände  auf  rothen,  frischen  Lippen  täglich  schön  erneut.  Man 
bedauert  nur,  dass  man  in  der  Jugend  ein  rauhklingendes,  bar- 
barisches Griechisch  gelernt  hat,  und  nun  für  die  Gegenwart  ge- 
nöthigt  wird  umzulernen.  Der  Vortheil  einer  praktischen  Verstän- 
digung mit  den  Neugriechen  wird  zwar  von  den  gelehrten  Eras- 
mianem  als  ganz  unbedeutend  hingestellt.  Die  Bekanntschaft  mit 
der  neugriechischen  Litteratur,  so  fügt  man  naserümpfend  hinzu, 
sei  der  Mühe  nicht  werth.  Aber  in  dieser  Verachtung  gibt  sich 
nur  die  ünkenntniss  des  Verächters  kund.  Das  Griechische  ist 
weder  todt  gewesen,  noch  ist  es  todt,  imd  das  Leben  der  Sprache 
und  des  Volkes  lohnt  reichlich,  den  der  daran  glauben  will.  Wenn 
die  richtige  nationale  Aussprache  des  Griechischen  in  ganz  Europa 
angenommen  ist,  und  wenn  die  Griechen  selbst  sich  entschlossen 
haben  ihre  alte  Syntax  und  Grammatik  wieder  anzunehmen,  wenn 
hier  wie  dort  der  eigentliche  ünfag  moderner  Neuerung  beseitigt 
ist,  dann  kann  man  für  eine  weitere  Zukunft,  dann  kann  man  mit 
Herrn  v.  Eichthal  für  den  Weltberuf  der  griechischen  Sprache 
arbeiten.  Vorderhand  aber  thut  es  Noth,  sich  auf  das  Erreichbare 
zu  beschränken,  um  später  vielleicht  unerreichbar  Scheinendes  zu 
erreichen.  Der  alte  Irrthum  des  Erasmus  darf  in  Deutschland  nicht 
länger  geduldet  werden.  In  Frankreich  hat  die  Akademie  sich  gün- 
stig für  die  Vorschläge  des  Herrn  v.  Eichthal  ausgesprochen.  Dort 
im  Lande  der  Centralisation  kann  rascher,  als  es  bei  unseren  zer- 
fahrenen Zuständen  möglich  ist,  eine  Beform  der  Schulen  in*s  Leben 
treten.  Sollte  Deutschland  in  dieser  Sache  hinter  England  und 
Frankreich  zurückbleiben  ?  Die  Schwierigkeiten  sind  nicht  so  gross, 
wie  sie  sich  die  Trägheit  ausmalt,  die  auch  auf  diesem  Gebiete  mit 
den  fälschlich  konservativen  Interessen  Hand  in  Hand  geht.  Niemand 
muthet  den  Lehrern  zu,  dass  sie  umlernen  sollen,  und  die  Schüler 
werden  sich  rasch  genug  an  die  neue  Form  gewöhnen.  Hat  man 
nur  einmal  in  irgend  einem  deutschen  Staat  den  ersten  Versuch 
gemacht,  so  wird  der  Erfolg  für  eine  weitere  Verbreitung  des  Systems 
bürgen.  C.  Mendelssohn  Barthold]^. 


Vr.  10.  HEIDEIB^EGGB  18<6. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Sjftiem  des  ErbreehU  nach  heutigem  rötnieehen  Recht.  Von  Dr.  A, 
Tettes,  a.  ö.  Professor  des  römischen  Rechts  in  Grats  (Steier^ 
mark).  2  Bände.  X,  310,  Ylll  und  612  Seiten.  Läjmig.  Breite 
köpf  u.  Härid.  1864. 

Der  Herr  Yerfasser  beliandelt  das  römische  Erbrecht  in  fol- 
genden Abschnitten.  L  Erbrechtliche  Omndbegriffe ,  II.  Intestat- 
erbfolge, XU.  Testamentarische  Erbfolge,  IV.  Erwerb  der  Erbschaft, 
y.  BechtsTerhältnisse ,  die  durch  den  Erwerb  begründet  werden, 
and  Kechtsmittel,  VI.  Vermächtnisse,  VIL.  Mortis  causa  donatio  und 
capio,  VIIL  Notherbenrecht. 

Die  einzelnen  Unterabschnitte  beginnen  meist  mit  einer  histori- 
schen Einleitung.  Jeder  von  ihnen  trftgt  an  der  Spitze  eine  Mit- 
theilnng  der  entsprechenden  Titel  des  corpus  juris  und  eine  sehr 
YoUständige  Uebersicht  der  betreffenden  Literatur,  auch  der  neue- 
steuL  Den  untern  Theil  fast  ausnahmslos  jeder  Pagina  bedeckt  ein 
reicher  Abdruck  von  Quellenbelcgen  für  die  oben  auf  der  Seite  vor- 
getragenen Lehren.  Durchschnittlich  ein  Drittel  aller  Seiten  ftlllen 
sie  an.  So  wird  dem  Studium  des  Lesers  Forschung  wie  Hand- 
^branch  wesentlich  erleichtert.  Aber  auch  der  praktische  Jurist 
findet  seinem  Bedürfoiss  streng  Rechnung  getragen.  Jede  Materie 
ist  sorgfältig  bis  auf  den  Stand  des  heute  geltenden  Rechts  herab- 
genllirt. 

Den  Inhalt  betreffend,  so  musste,  bei  einem  an  schwierigen 
Materien  so  reichen  Gegenstande,  wie  das  Erbrecht,  die  Angabe 
des  Verfassers  in  die  beiden  Unteraufgaben  zerfaUen: 

a)  den  vorhandenen  Stoff,  wie  ihn  nicht  nur  die  Quellen  Ue- 
&m,  sondern  wie  ihn  auch  die  Männer  der  Wissenschaft  durch  den 
Pleise  von  Jahrhunderten  bisher  zusammengetragen  haben,  soweit 
er  in  fertigen  Resultaten  besteht,  möglichst  vollständig  zu  durch- 
dringen, zu  sichten  und  in  geniessbarer  Form  wiederzugeben, 

b)  den  noch  unfertigen  Stoff,  namentlich  die  Materie  der  Con- 
troversen,  durch  neue  Ergebnisse  eigener  Forschung  zu  bereichem, 
auch  noch  unbetretene  Provinzen  des  zu  durchwandernden  Reiches 
zn  entdecken,  zu  betreten  und  vorzuführen. 

Liest  man  das  Vorwort,  so  drückt  sich  Verfasser  fast  so  aus, 
als  wolle  er  sich  ganz  auf  die  erstere  geringere  Aufgabe  beschrän- 
ken, und  auf  den  zweiten  Ruhm  ganz  verzichten.  Indess  redet  ex 
hier  offenbar  in  grosser  Bescheidenheit.  Denn  in  zahlreichen  Ein- 
zehnaterien  betreffen  wir  ihn  in  derThat,  wie  ertheils  die  schwie- 
rigeren Oebiete  in  neuer  Richtung  durchschneidet  und  seine  ^ätze 
LV1IL  Jaln«.  2.  Heft  10 


mit  neuen  Ghründen  nntersttttzty  theils  auch  Wege  betritt,  die  unares 
Wififteift  tor  ibtn  nöok  Aiolit  berülirt  waren.  Bei  denControvereen  glaubte 
ev  mit  Beebt  went^f^r  «nf  EUze,  als  auf  OrfindliehlDeit  der  LOsnng 
sehen  zu  sollen.  Seine  Art,  eben  die  ControYersen  und  die  sonsti- 
gen schwierigen  Materien  zn  bebandölii,  verdient  besonders  Brwib- 
nnng.  Mit  grosser  Leichtigkeit  und  Uebersichtlichkeit  der  Dar- 
stellung legt  er  dem  Leser  zun&chst  die  Yerschiedenen  Ansichten 
vor.  Hierauf  entwickelt  er  in  gleich  fasslicher  Form  und  mit  rieler 
tTnparteiüchkeit  die  Gründe,  welche  fttr  oder  gegen  die  ehie  oder 
die  andere  dieser  Ansichten  sprechen.  SchHesslicb  gibt  er  kurz, 
oorrect  und  klar,  meist  auch  überzeugend,  seine  Entscheidung. 
Beine  Böbandltmg  der  Contröversen  ist  wirklich  musterhaft  zu  nennen. 
fti  gesbhildertet  Weise  sind  sie  auch  Bfimmtlich  behandelt,  wie 
wit  Überhaupt  an  keinem  Tfaeile  des  Werkes  Partien  entdeckt  haben, 
die  utis  als  matt,  schwach  oder  an  Flüchtigkeit  oder  Gteifftiosigkeit 
kt^nketnd  erschienen  wUt^n.  Ah  Beispiele  seiner  Oontrotersen- 
Behandlung  nennen  wir  in  §.  188  u.  139  seine  ErOrtenmgen  Aber 
die  Ibfekann'ten  Streitfragen,  welche  Nov.  115  in  Sirem  dunklen 
Böhoostie  birgt  t  und  ftirner  in  §.  19  b.  Band  L  (S.  129—139)  die 
li9sung  jener  Frage,  welche  bei  der  2.  und  3.  Classe  der  lortestai- 
etbfolge  auftaucht :  >  Wirkt  das  Wegfallen  eines  Delaten  abündemd 
laine  auf  den  Maassstab  der  Vertheilung  der  Delation  unter  ^e 
Dbrig  bleibenden  Mitdelaten?  (in  capita  oder  in  lineas^  in  capita 
oder  in  stirpes?  Z.  B.  bei  Goncurrenz  von  Ascendenten  mehreivr 
liinito  mit  einem  Bruder  des  Erblassers,  wenn  nämlich  in  der  einen 
Linie  der  Ascendenten  mehr  Delaten  vorhanden  sind,  als  in  der 
andern,  und  nun  der  Bruder  ausschl&gt). 

Die  minder  schwierige  Aufgabe  a.  hat  der  Verf.  in  praktischer 
Weise  gelöst.  Er  ward  ihr  gerecht  durch  zweckmässige  Kürzung 
werthlos  gewordener  Materien,  durch  übersichtliche  Anordnung  des 
behandelten  Stoffes  überhaupt,  und  durch  leicht  verständlichen  Stil. 

Im  Einzelnen  finden  wir  gleichwohl  manches  zu  tadeln.  Im 
Ifot herbenrecht  wüssten  wir  zwar  nichts  Wesentliches  zu 
nennen,  was  wir  vermissen.  Doch  hätte  dieses  wichtige  Gebiet  im 
Verhältniss  zur  Behandlung  der  übrigen  Gebiete  v^ohl  eine  noch 
etwas  ausführlichere  Erörterung  verdient.  Erfreut  hat  es  uns,  zu 
sehen,  dass  der  Hr.  Yerf.  der  ausgezeichneten  neuesten  Monographie 
—  Stihmidt^s  >formalem  Notherbenrecht c,  1862  —  wenigstens  einige 
^vti»dibnte,  besondere  Berücksichtigung  gewSlirt  hat.  Dies  hUtte 
jödbiA  In  noch  weit  höherem  Grade  der  Fall  sein  sollen,  wenn  er 
auch  Schmidts  Oorrections-System  bek&mpft.  Verftwsor  vertheidigt 
nÄmKch,  beüäufijg  gestogt,  das  volbtandige  Derogationssystem,  gibt 
\  Übet  danel)ön  auch  Söhmidf^B  Endeigebniss,  welcher  seinerBeftsnur 
^  für  das  römische  Beich  des  6.  Jahrhunderts  den  Tortbestand  dBs 
Ifclten  formalen  Bechts  der  sui,  postumi  et  emanoipati  veri^eidi)gty 
Bidht  ittr  das  Deutschland  des  19.  Jahrhunderts.  Hinsidrtlich  der 
fiec&tsmittd  ans  der  Novelte  vertheidigt  der  Verf.,  mit  Schnaftt, 


Agniil  Apd^o^  BL  KrM««r.  147 

dia  IfaUüfttsBysiiiDW  dednoiri  aW  eiaa  gwu  oiiiBiürl  devHioUig- 
hat,  ab  dia  SohnidA'aclw  ist. 

Nanh  der  AnBiahi  dea  Yesfiusfli»  iai  nKmltoh  idM  fipogaa  die 
HoftnefefalMde  Tettonient  an  siisb  gültig  (ß.  477).  BinfrtllitnB 
IMantot  irird  dvrob  daiSfleU)«  an^ehofaMu  8tirb4  dar  vanlatete 
KotlttEbe  vor  dam  SrblaaBer,  ao  bkibt  as  gttltig.  Ueberlobt  dkaar 
du.  ihMasaar,  so  tritt  nun  Ytm  aelbfit  die  Nichtigkait  der  firbe- 
tiBBfltnng-  eia  aad  ae  kommt  sax  latealateTfalölga.« 

Mitaator  batritt  der  YerfMeer  diaA  das  Gabiet  dar  legialata- 
mohea  Prttfimg  ttbar  ZwookndMigkait  der  iGmisolien  Bvbieahta- 
Giflelsa,  Basiantlioh  Jnstimiait's«  Hiaz  eracfannfc  uns  dar  Yarf. 
aaiMkmsl  als  mgvaakt  gegaa  dieaaa  fleisaigalaa  and  sagiaiok  that- 
kciftigstaB  aller  öeasiogeber,  aach  welahem  mir  Na{iQlaea  ^^"fr'^^ 
Etfolga  ammgen  hat.  Das  Oralfideiaommiss  a.  B.  neuit  der 
¥0i£  eiii»miasratfaeiie&Pnodakt«  Jaatiiuaa's;  mis  dagageaarschaiiit 
18  yiehariiir  ala  eia  äasaecst  zwedkmäasiges  InafaitBt*  Wie  laioht 
koBunt  dev  Fall  vor:  ein  Kmaker  hat  aainaii  irifcohata»  Brban.  am 
■cb,  seiofiiL  Soha,  aeineiii  Bradar,  aaine  Matter;  das  äaricht  ist 
Ibqi,  ei  ist  Tiellaiobt  MitterBacht;  5  Zaugoa  aiitdideht  aofiratrelbeiL 
Nor  eine  EroiikeiLw&rtenB  YieHeioht  ist  da,  die  den  sa  Hom>vi- 
nadanNadiiieht  bringaa  kami,  er  sei  bedacht.  Wir  soUtaa  meinen, 
da  sei  es  doch  im  hSehsten  Grade  zareekanäaeigi  daas  dar  StaBbende 
Boek  in  den  Stand  gesetzt  ist,  seinem  anwesenden  Brben  als  seinen 
in  Wahrheit  letzten  Willen  nooh  kars  Tor  dem  letzten  Aiheai- 
age  ein  YezmaeUaüss  anfzoerlagen  an  diejenigen,  dia  seinem  Her» 
na  heb  and  theaer  sind.  In  Ländecn,  welche,  wie  Preaseen^  das 
Ondfideioommiss  abgeschafft  haben,  mßohten  wir  unarevseit  gesade 
wme  WiedarauKtthrang  wünsehett^  Sind  wir  sonach  in  manchen 
Sisaehiheiten  anderer  Ansieht  als  der  Bidrr  Yerfasser,  so  mttsoon 
vir  dodi  unser  Urtheil  über  das  Oanza  darin  sosaaunen  fiassen, 
daas  wir  dieses  Werk  der  besonderen  Beachtong  sowohl  der  !n»aer»- 
tiker  ab  Praktiker  würdig  erklttren. 

K.  VltMl^s,  Assessor  a.  D. 


L,  Apulei  MmdawtMiM  Jpolofia  doe  de  moßia  Uh§r.  EdidU  Gutlu- 
vtta  Krueger.  jBsrdim  apttd  WiUmatmoB,  MDCOOLXIV 
JXVJI  und  124  B.  m  gr.  8. 

Diese  Ansgaibe  ist  eine  rein  kfitäsehe,  insofam  sie  esaan  anf 
die  ittteste  handachriflliche  Uebo^liefemng  aar&kkgefidu^taa  wad  be*- 
niMgfcen  Text  der  barühimten  Yertheidigongsreda  des  Appole^ 
gefaen  soM,  eines  in  mehr  ala  einer  Hinsicht  mtevesssoiten  Dank* 
aales  dar  itaischen  Literatur,  das  salbst  Yon  Sesben  der  Sprache 
«nd  Diation  vor  den  übrigen  Schriften  dmsaa  Afiowaaera,  snnttchst 
der  MatamoiphoBeBi  sich  Tortbeilhaft  empfiehlt    Za  dieaemZiaeek 


^U»  ApaM  Apdogla»  Ed.  Kruege». 

war  es  vor  Allem  nOthig,  die  älteste  handsohrifbliche  üeberlieferang 
zu  ermitteln,  welche  mkch  dem  Yorgang  von  Keil  in  der  auch  doroh 
die  darin  enthaltene  zweite  Hälfte  der  Annalen  des  Taoitos  be- 
kannten Florentiner  Handschrift  (Codex  Lanrentianns  Ll^YHI,  2) 
ans  dem  elften  Jahrhundert  in  longobardischer  Schrift,  und  in  der 
anderen,  daraus  copirten  Handschrift  des  zwölften  Jahrhunderts 
(Codex  Laurentianus  XXIX,  2)  gefunden  wird.  Und  da  auf  einem 
jetzt  in  der  MUnchener  Bibliothek  vorhandenen  Exemplar  derEditio 
Yicentina  von  1488  Petrus  Yictorius  die  Yarianten  einer  von  ihm 
zu  Florenz  1522  eingesehenen,  ebenfalls  in  longobardischer  Schrift 
geschriebenen  Handschrift  bemerkt  hatte,  so  war  das  Augenmerk 
des  Yer&ssers  um  so  mehr  auf  diese  Ausgabe  gerichtet,  als  die 
beigeschriebenen  Yarianten  eben  der  vorhin  bemerkten  ältesten 
Handschrift  entnommen  zu  sein  schienen.  Allein  es  zeigte  sich 
bald,  bei  näherer  Einsicht,  wie  nothwendig  es  sei,  auf  jene  Hand- 
schrift selbst  zurückzugehen,  und  nachdem  der  Herausgeber  eine 
CoUation  derselben  durch  Prof.  Joseph  Müller  zu  Padua  erhalten 
hatte,  fand  sich  zwischen  dieser  CoUation  und  den  Angaben  des 
Yictorius,  bei  theilweiser  Uebereinstimmung ,  doch  eine  so  bedeu- 
tende Yerschiedenheit ,  dass  der  Herausgeber  zu  der  Ansicht  ge- 
führt wurde,  Yictorius  habe  keine  der  beiden  eben  genannten  Hand- 
schriften, sondern  eine  andere,  allerdings  diesen  sehr  ähnliche,  die 
aber  jetzt  nicht  mehr  vorhanden  oder  irgend  wo  anders  hinge- 
kommen sei,  vor  sich  gehabt  (S.  IX.  X).  Will  man  dieser  Ausloht 
nicht  beipflichten,  so  wird  kaum  Etwas  Anderes  anzunehmen  sein, 
als  dass  die  Yergleichung  des  Yictorius  ungenau  gewesen,  was  mit 
dessen  eigenen  Worten  in  der  Subscriptio  (»recognovi  —  non  sine 
summa  diligentia  observavique  quod  soleo  ut  nihil  in  coUatione 
praetermitterem,  ne  ea  quidem,  quae  corrupta  prima  facie  videban- 
tur,  ne  emendaturo  locus  conjecturae  deesset«)  wenig  übereinstimmt. 
Sonach  wird  immerhin,  wenn  man  die  älteste  Ueberlieferung  er- 
mitteln will,  neben  jener  ältesten  Handschrift  und  der  Copie  der^ 
selben  auch  diese  CoUation  des  Yictorius  zu  beachten  sein,  wie 
diess  daher  auch  von  dem  Herausgeber  geschehen  ist,  der  in  der  dem 
Texte  untergesetzten  Yarietas  lectioms  genau  die  Lesarten  dieser 
dreifachen  Ueberlieferung  mittheüt,  und  damit  verbindet  die  Yarie- 
tas der  Editio  Yicentina  vom  Jahre  1488  und  der  mit  Einem 
Zeichen  zusammengefassten  lectio  vulgata;  die  Masse  der  übrigen 
Yarianten  fiel  weg:  denn  der  Herausgeber  glaubte  das,  was  H.EeiI 
hinsichtUch  der  Metamorphosen  bemerkt,  eben  so  auch  auf  die 
Apologia  beziehen  und  anwenden  zu  können :  »abjicienda  jam  reli- 
quorom  Ubromm  discrepantia,  qua  inutiUter  inventio  veri  impedi- 
tnr  et  genuina  scriptura  obruitnr,  abjicienda  inquam  ista  variarum 
scripturanun  moles  per  tot  annorum  spatia  ab  editoribus  coacta, 
quam  rudi  et  taedii  plena  fiirragine  composuit  Hildebrandius.«  So 
ist  also  diese  ganze  »furago«,  wie  sie  in  HUdebrand*s  Ausgabe  sich 
snsammgesteUt  findet,  in  Wegfall  gekommen,  worüber  sich  unser 


A]mM  Ap^logli.  Ea.  Kmeger.  im 


Eemuigeber  folgendermasBen  ftossert:  »apparatnin  mmm  criticum 
schreibt  er  S.  XV,  onerare  nolvi  mole  illa  Hildebrandiana  leetioniiiii 
deteriomm,  qnae  qnidem  hodie  stemmate  Apnlei  libroniin  manii« 
seriptorom  cognito  non  niri  pro  erroribn^  habendaa  sont  Tri  pro 
interpolatioiiibas  ex  librarii  arbitrio  scriptoris  yerbie  immiztis  yel 
pro  eonjecioris:  satis  igitur  habni  baue  qnam  volgatam  diemit 
leetionem  non  nimqiiam  in  anzilinm  Tooare,  contra  nibil  antiqnins 
dsxi,  qnam  nt  apparatn  meo  imaginem  oodioam  Florentinorani  a 
DM  adhibitomm  repraesentarem  qnam  accnratissimam.«  Es  ist 
aoeh  90  wabrfaaftig  nocb  genug  ttbrig  geblieben;  denn  es  finden 
sich  in  der  vom  Herausgeber  nnter  dem  Text  sorgfältig  zn* 
sammengestellten  Varietes  lectionis  alle  Abweiohnngen  jener  ftlte» 
sken  Florentiner  Handscbrift,  welcbe  die  eigentliche  Ghrondlage  des 
Textes  bildet,  so  wie  der  andern  Florentiner,  und  der  Collation  des 
Vietoriiis,  selbst  bis  anf  Kleinigkeiten  angegeben;  wo  nichts  b^ 
neikt  ist,  ist  damit  die  üebereinstimmnng  des  Textes  mit  diesen 
nrkimdlichen  Qaellen  angedeutet.  Aber  auch  weiter  wurden  bei  der 
Behandlung  des  Textes  ausser  den  Terschiedenen  bekannten  Ans- 
gibeii  der  Werke  des  Appulejus,  insbesondere  die  Yerbesserangen 
TOB  Is.  Oasaubonus^  von  welchen  nicht  wenige  durch  die  Floren- 
tiner  Handschrift  sich  jetzt  bestätigt  fanden,  beachtet  und  sogar, 
wegen  der  Bedeutung  der  Leistungen  dieses  Gelehrten  um  die  Kritik 
^  Appulejus,  dessen  Vorwort  von  Jos.  Scaliger,  so  wie  der  An- 
&Bg  der  Castigationes  aus  dessen  Ausgabe  hier  S.  XXIIff.  wieder 
ftbgedmckt,  endlich  auch  eben  dieses  3caliger*s  Emendationen 
au  der  zweiten  Ausgabe  des  Yulcanins  (von  1600).  Eigene  Ver- 
^Meeenmgen  oder  Gonjectnren  haben  nur  wenige  eine  Stelle  gefun- 
den: darüber,  wie  über  Anderes,  namentlich  ttber  die  Handschrift, 
ns  welcher  Yictorius  CoUation  genommen  ist ,  will  der  Heraus- 
geber in  einem  besonderem  Programm  sich  des  Näheren  aussprechen. 
Endlieh  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  die  SteUen  der  alten  Schrift- 
BieOer,  der  Griechischen  wie  der  Lateinischen,  auf  welche  in  dem 
Texte  des  Appulejus  Bezug  genommen  ist,  unter  dem  Texte,  zwi* 
Khen  diesem  und  der  Yarietas  Lectionis  stehen. 

Man  mag  hiemach  bemessen,  was  man  von  dem  hier  auf 
^^dlage  der  ältesten  handschriftlichen  Urkunde,  gelieferten  Texte 
m  erwarten  hat,  der  mit  aller  auch  typographischen  Sorgfalt  und 
(Weetheit  yeranstaltet  sogar  auf  dem  einen  Band  jeder  Seite  die 
entsprechenden  Seitenzahlen  der  Oudendorp'schen  Ausgabe  bemerkt, 
^Sbrend  am  andern  Bande  die  Blätter  der  beiden  Florentiner  Codd. 
>vgegeben  sind.  Li  eine  Theüung  des  (ranzen  in  zwei  Bücher  (nach 
^.  65  bei  Oudendorp  Yol.  11.  p.  588)  hat  sich  der  Herausgeber 
^1^  eingelassen,  sondern  nur  durch  einen  grösseren  freigelassenen 
8«im  im  Druck  des  Textes  eine  derartige  Andeutung  gegeben,  ob- 
woU  die  beiden  Florentiner  Handschriften  diese  Theilung  sowohl 
^  wo  sie  eintritt,  also  am  Schlüsse  des  angeblich  ersten  Buches, 
^  auch  am  Schlüsse  des  Ganzen,  also  des  zweiten  Buches  durch 


IM  Apvkl  Apdo^  JQft.  Kttig9t4 

dm  ge^l^hslMM  Esplioit  und  Incaipii  ftuf  das  bestiimnieste  angeben 
und  diese  Angalbe  »nf  das :  »Ego  Oriepos  Salnstius  emeudftyi  Borne 
feHx«  folgen  iMses:  es  n^hte  daiSfiiiS  dodk  so  viel  herrorgehen, 
dftse  iua  Bade  des  yierten  christlichen  Jahrhimderis,  in  welche  Zeit 
das  Lehen  und  die  Beeensicm  dieses  Ghrammatikers  flült»  diese 
Theikug  schon  bestanden,  nnd  dieser  Grammatiker  sie  entweder 
selbst  eiagefUfart,  oder^  was  uns  glaablicher  erseheint,  bereits  tot* 
gefondeu  nnd  beibehalten:  was  allerdmgs  ftlr  Beibehaltung  dieser 
ofienbar  zur  Beqnemliehkeit  der  Leser,  aber  jedenfalls  sohon  sehr 
firttike  gemachten  Abtheihmg  auch  in  «nserm  Texte  sprechen 
dürften  nur  darf  man  daran  nieht  die  Ansicht  knüpfen,  dass 
es  zwei  Beden  gewesen,  und  ist  die  in  der  Yicentina  editio 
V0n  ItöS  befindliche  Aufschrift  >Apologiae  oratio  ftecunda« 
in  so  fem  eine  iurthümliche ,  nieht  aber  die  der  beiden  Floren- 
tiner Handschrifben:  liber  primns  nnd  liber  secnndns. 
Denn  dass  dae  Gänse  nnr  Eine  Bede  war,  zeigt  der  Inhalt 
zu  deutlich f  als  dass  darüber  ein  Zweifel  obwalten  könnte! 
Darin  dagegen  folgt  der  Heransgeber  seinen  beiden  Handsdirifboi, 
dass  er  den  Kamen  des  Verfassers  nicht  mit  dem  doppelten  p,  son- 
dern mit  dem  einfachen  pTgibt,  also  > Apnlei  Madaurensis  Apo- 
logia«,  während  er  das  in  diesen  Handschriften  nach  Apulei 
folgende  Flatonioi  im  Titel  weggelassen  hat.  Im  üebrigen  wird 
man  baid  finden,  dass  der  Herausgeber  mit  aller  Umsicht  bei  der 
Behandlung  des  Textes  in  schwierigen  und  verdorbenen  Stellen  ver- 
fahren ist:  wir  verweisen,  zur  Probe,  nur  auf  die  Behandlung  der 
Stelle,  in  welcher  die  aus  Ennius  (in  ihrem  Titel  noch  nicht  völlig 
sioher  gestellten)  Sohriffc  genommenen  Verse  stehen  (cp.  89«  p.  484 
bei  Oodendorp),  welche  vielfach  von  den  neueren  Kritikern  b«- 
handelt  worden,  und  ist  daher  auch  auf  dieselben  durchweg  Bück- 
siehi  genommen;  den  Titel  der  Schrift  des  Ennius  g^ibt  derHeraus'- 
geber  mit  »hedjphageticac  und  nähert  sich  damit  dem  Vorschlag 
von  Vahlen,  welcher  Heduphagetioa  emendirte:  wir  halten 
dies  unter  den  verst^edenea  Titeln,  die  man  in  Vorschlag  ge<^ 
bracht  hat,  für  den  wahrscheinlichsten,  wenn  auch  gleich  die  beiden 
Florentiner Ebindschriften,  welche hedesphagitioa bringen,  nicht 
ga&£  damit  übereinstimmen. 

Dem  ürtheil,  das  der  Herausgeber  tlber  die  in  dieser  Schrift 
des  AppulejoA  herrschende  Sprache  gefWt  hat,  so  wie  der  weiteren 
Folgerung,  die  er  daraus  in  Bezug  auf  die  Zeit  der  Abfassung  der^ 
selben  zieht,  wird  man  unhedenklich  beipflichten  können.  Was 
Bnhnken  seiner  Zeit  über  die  Sprache,  deren  sich  Appulejus  in  der 
Apologia  bedient,  urtheilte:  »tam  vacuus  est  his  ineptiis  scholasti- 
eis,  nt  eins  orationi  nihil,  aut  certe  non  multum  ad  summant 
Sanitätern  deesse  videaturc  wird  Jeder,  der  die  Apologie  auch  nnr 
mit  eiuiger  Aufmerksamkeit  durchlesen  hat,  wahr  und  begründet 
finden,  Ja  es  zeigt  die  ganze  Sprache  und  Darstellung  eine  Ein« 
&ohheit,  und  auch  mit  ganz  wenigen  Ausnahmen  eine  Beinheit  dea 


Behillings!  OnrndriM  der  MtugMchlehia.  IM 


StyiB,  wie  mtm  mt  in  d«n  ZeHftlier ,  in  welehds  diese  Sede  ftUi^ 
knan  mehr  eh  erwarten  gewohnt  ist,  nunal  wenn  man  an  Sohrtft- 
steDer,  wie  anSeneca  nnd  Fronte,  tun  mar  dieee  m nennen^  denkt; 
imd  wenn  Bnlinken  dm  oben  angefOhrten  Worten  noch  hinaR^llgti 
>ad  qnem  modom  si  ceteros  libros  sonpeieeet,  sine  nl)a  «icepttone 
emn  Mnreto  Yar.  Leet.  XVII,  19  eraditom  inprimis  et  yenustom 
Bdiptorem  yocaremc,  so  nimmt  onser  Heraasgeber  darans  Yeran- 
hesong,  auf  den  Unterschied  aufmerksam  za  machen,  der  in  dieser 
Hinsidht  xwisohen  der  Apologia,  und  den  ttbrigen  Sehriften  dee 
i^ppolejns,  nm&chst  den  Metamorphosen  stattfindet,  nnd  hinsichtlich 
6ex  Apologia  anf  eine  frtlhere  Abfassnngszeit  hinweist,  in  welcher 
der  airikanische  Schwnlst  nnd  Bombast  noch  nicht  den  jnngen  Mann, 
der  eben  von  seinen  Reisen  nach  seiner  Heimath  mrückgekommen 
war,  in  dem  Orade  ergriffen  hatte,  in  welchem  wir  diese  bei  den 
Metamorphosen  finden,  die  sich  eben  dadoreh  als  ein  Weik  der 
schon  Torgerliekteren  Lebenszeit  sn  erkennen  geben.  —  Am  BchhiBBe 
dee  Clansen  8.  145  fil  sind  noch  abgedmckt:  Josephi  Jnsti 
Sealigeri  Emendationes  ex  editione  qnam  diemitValcani  secnn» 
dam  exoeptae,  woranf  S.  119ff.  ein  Index  Nominnm  folgt. 


Samuel  SehillinffB  Ortmdri$$  der  Naiurgachiehie  de»  Tkier-, 
Pßanaen'  und  Mneräireieh».  Dritter  Theü.  Das  Minerdtreieh. 
OrykiognoeU  und  Otognerie.  Achte,  vermehrte  und  verbeeeerle 
Außei^,  Mit  629  in  den  Text  tfedruekten  Ähbüdungen,  BretHttu, 
Vetleiff  wm  Ferdinand  Hirt.  1864.   8.  8.  181. 

Ißt  vieler  Bachkenntniss  nnd  sehr  geeigneter  Answahl  hat  der 
Yerfl  in  der  vorliegenden  achten  Anfiage  seines  Werkes  auf  dem 
Umfang  von  eilf  Druckbogen  das  für  den  Schüler  Wissenswertheste 
znsammMigestellt . 

Die  erste  Abtheihmg  (S.  1^69)  umfosst  die  Mineralogie.  Nach 
einer  allgemeinen  Einleitung  werden  die  krjstallographischen  Yer- 
hSltnisee  der  Mineralien,  von  zahlreichen  Abbildnngen  begleitet, 
erldart;  daran  reiht  sich  die  Lehre  von  den  physischen  nnd  chem!« 
sehen  Eigenschaften  der  Mineralien;  alsdann  werden  die  wichtig- 
sten Substanzen  beschrieben  imd  insbesondere  anf  deren  Yerwen- 
dmig  die  gehörige  BfiLcksicht  genommen.  Bei  sehr  vielen  Speeies 
die  krjstallisirt  vorkommen  sind  kleine,  gut  ansgefOhrte  Kr^staU« 
büder  be^iefUgt. 

Der  zweite  Abschnitt  (S.  69— 115)  enthalt  die  Qeognosie.  Der 
Verfiisser  hat  sehr  recht  gethan,  dass  er  sich  an  den  praktischeren 
Theü  dieser  Wissenschc^,  an  die  eigentliche  Geognosie  h&lt  nnd 
dim  mehr  theoretischen  Theil,  die  Geologie,  weniger  berücksichtigt. 
Es  sind  daher  im  zweiten  Abschnitt  gerade  diejenigen  Zweige  der 
Qeognosie,  deren  Eenntniss  für  den  AnfUnger  am  nothwendigsten, 


1$Z  Piderii:  Gelüni  und  Geist. 

am  «asführlichgten  behandelt,  nämUoh  die  Fetrographie  tmd  die 
Lehre  von  den  Gebirgs-Formationen.  Die  vielen  in  den  Text  ge- 
druckten Abbildungen  von  Petrefacten,  von  Profilen  lassen  was 
Ausfiüirang  betrifft  nichts  zu  wünschen  übrig  und  tragen  wesent- 
lich zur  sdmelleren  Auffassung  bei«  G.  Leonhard« 


2kir  Vergtändigung  über  dta  Herrn  Prof,  v.  Rächlin-Meldegg  KriUk 
der  Schrifl:  Gehirn  und  Geist  von  Dr.  Th.  Pider it  (C.  F. 
Winterte  Verlagahandlung)  in  Nr.  1  der  Heidelberger  Jahr-- 
bucher  1864. 

Der  Verfasser  der  recensirten  Schrift;  ist,  nach  langjähriger 
Abwesenheit,  vor  Kurzem  in  die  Heimath  zurückgekehrt,  und  ver- 
spätet kommt  ihm  jetzt  die  Kritik  des  Herrn  Prof.  v.  Beichlin- 
Meldegg  zu  Händen.  Erfreut  durch  das  eingehende  Interesse,  wel- 
ches der  Herr  Ref.,  wenn  auch  als  Gegner,  der  Schrift  widmet, 
fühlt. sich  der  Verfasser  zu  nachstehenden  Zeilen  angeregt,  und 
hofft,  dass  sie  im  Stande  sein  werden,  einige  Missverständnisse 
aufzuklären,  widerstreitende  Ansichtenrzu  versöhnen  und  dem  Gegen- 
stande nachträglich  noch  einige  Beachtung  zuzuwenden. 

Die  Menschen  sind  so  stolz  auf  ihre  geistigen  Vorzüge,  und 
doch  hat  sich,  seltsamer  Weise,  für  psychologische  Fragen  immer 
nur  ein  kleines  Publikum  gefunden.  Diese  Klage  ist  so  alt  wie 
die  Psychologie  selber.  Die  Schwierigkeit  des  Gegenstandes  kann 
kaum  der  Grund  sein ;  Pascal  klagt,  dass  er  bei  den  Menschen  noch 
viel  weuiger  Interesse  für  Psychologie  als  für  die  Probleme  der 
Mathematik  gefunden  habe.  Der  Grund  wird  vielmehr  vorzugsweise 
in  der  resignirten  Ueberzeugung  der  Menschen  zu  suchen  sein,  dass 
wir  über  die  letzten  Gründe  des  Denkens  nichts  wissen  können,  — 
>thut  ihnen  aber  nicht  das  Herz  verbrennen!«  —  Wie  dem  auch 
sei,  Hegel  leugnet  nicht,  dass  die  Psychologie  seit  Aristoteles  keine 
Fortschritte  gemacht  habe. 

Verf.  hat  den  Versuch  gewagt,  der  Psychologie  eine  entwick- 
lungsfähige Grundlage  zu  geben,  indem  er  psychologische  That- 
sachen  aus  physiologischen  Gründen  zu  erklären  sucht.  Verf.  geht 
von  der  Ueberzeugung  aus,  dass  die  Gesetze  der  Geistesthätigkeit 
eben  so  gewiss  unklar  bleiben  müssen  ohne  Kenntniss  der  Gesetze 
des  Geistesorgans  —  des  Gehirns,  wie  die  Gesetze  des  Sehens  un- 
klar sein  würden  ohne  eine  genaue  Kenntniss  des  Gesichtsorgans 
—  des  Auges.  Dem  Menschen  würden  ebenso  gewiss  die  Gesetze 
der  Optik  unbekannt  geblieben  sein^  wenn  er  sie,  ohne  physikalische 
Untersuchung  des  Auges,  nur  aus  den  von  ihm  wahrgenommenen  Ge- 
sichtseindrücken hätte  abstrahiren  und  construiren  wollen,  wie  ihm 
die  Gesetze  derGeistesthätigkeit  unverständlich  bleiben  müssen,  solange 
er  nur  von  Innen  heraus,  aus  den  Producten  seiner  Geistesthätig- 


Pl4erit:  QMn  laA  Galtt  IW 

bit,  ans  de&  innem  Tliatsaehen  des  Bewasstseins  auf  die  Qmnd- 
machflii  der  (^eisieBth&tigkeit  znrflckzaschliessen  sucht. 

Aber  die  Physiologie  des  Oehims  ist  ans  leider  bis  heute  noch 
eis  Baeh  mit  sieben  Siegeln. 

Die  gleiche  Entstehung  und  Zusammensetzung  der  beiden  innig 
Torbimdenen  Nervenoentra  —  des  Rückenmarks  und  des  Gehirns 
reruilasst  nun  den  Verf.  su  dem  Versuche,  die  Oehimth&tigkeit  lu 
erkl&ren,  indem  er  die  bekannten  Gesetze  der  Bückenmarksthtttig- 
kait  auf  das  unbekannte  Feld  der  Gehimthfttigkeit  übertragt.  Der 
Harr  Bef.  wirfk  ein,  dass  sich  auf  Wahrscheinlichkeiten  keine 
Wissenschaft  erbauen  lasse,  aber  stets  hat  doch  die  Wissenschaft 
lieh  so  lange  mit  dem  Wahrscheinlichsten  begnügen  müssen,  bis  die 
Wahrheit  gefunden  war,  sie  wird  stets  zu  Hypothesen  ihre  Zuflucht 
nahmen  müssen,  wo  ihr  exacte  Thatsachen  fehlen,  und  auf  dem 
dorahaus  hypothetischen  Felde  der  Psychologie  wird  die  Wissen- 
lebaft,  unter  den  gebotenen  Hypothesen,  sich  für  die  wahrschein- 
lichste entscheiden  müssen.  Der  vom  Verf.  eingeschUgene  Weg 
bietet  den  Yortheil,  dass  er  sich  der  exacten  Naturforschung  mSg- 
fifihst  nähert,  dass  er  zu  einfachen,  physiologischen  Gesetzen  führt 
uid  es  fragt  sich  nun,  ob,  mit  Hülfe  dieser  einfachen  Gesetze,  das 
eomplicirte  Getriebe  der  menschlichen  Geistesthatigkeit  erklärt 
▼erden  kann.  Ist  dieses  müglich,  so  werden  jene  Gesetze  gültig 
sein  dürfen,  so  lange  sie  nicht  durch  neue  physiologische  That- 
Bschen  widerlegt  werden. 

Bekanntlich  besteht  das  Bückenmark  aus  einer  empfindenden 
nnd  aus  einer  bewegenden  Hälfte;  dem  analog  supponirt  der  Verf. 
im  Geistesorgan  ein  Vorstellungsorgan  und  ein  Willensorgan.  Das 
Vonrtellungsorgan  ist  anzusehn  als  das  Centralorgan  sämmtlicher 
Sinnesorgane.  Die  vom  Vorstellungsorgane  aufgenommenen  und 
festgehaltenen  Sinneseindrücke  werden  zu  (concreten)  Vorstellungen. 
Wie  femer  durch  eine  Erregung  der  empfindenden  Bückenmarks- 
Qer?en  eine  Erregung  der  bewegenden  veranlasst  wird,  so  soll  durch 
eine  Erregung  des  Vorstellungsorgans  eine  Erregung  des  Willens- 
organs  verursacht  werden.  (Die  Bezeichnung  Wille  hat  der  Verf. 
Ar  das,  von  ihm  definirte  psychische  Beflexvermögen  gewählt,  weil 
sich  eben  keine  bessere  finden  lassen  woUte,  und  wo  von  Willen  die 
Bede  ist,  darf  nicht  vergessen  werden ,  dass  damit  durchaus  nicht 
ein  selbstbewuBstes,  seine  Thätigkeit  selbst  bestimmendes  Geistes- 
vennOgen  bezeichnet  wird.)  Die  Erregung  des  Willensorgans  geht 
^bdann  entweder  centrifugal  weiter  auf  die  bewegenden  Bücken- 
oiarksnerven,  (und  dann  entstehn  Muskelbewegungen)  oder  sie  geht 
zentripetal  zurück  auf  ihre  Erregungsursache  d.  h.  auf  das  Vor- 
stelhngsorgan.  Die  auf  Vorstellungen  einwirkende  Willensthätig- 
bit  aber  ist  Denkthätigkeit. 

Eine  genauere  Ausführung  der  vom  Verf.  aufgestellten  Gründ- 
et» würde  natürlich  hier  zu  weit  führen  Es  sei  nur  noch  er- 
w&hat,  dass  der  auf  Vorstellungen  wirkende  Willenseinfluss  zunächst 


Yortletlniigsassociaitioiien  reranlasst,  imd  dass  atis  BökAien  Voiv 
BteUnngskreifMm  die  am  nmsten  prSponderirenden  VorsteBangefi 
(Tirgl.  d»rfll>er  den  Text)  immer  wieder  am  kiohtesten  anregend  auf 
das  WillensyermOgen  zurückwirken.  Die  Prodnote  and  Beeoltate 
der  atif  Yorffielkmgen  geriebteien  Willensth&tigkeit  werden  wiederum 
zu  Vorsteltongen ,  und  so  erlernt  der  kindücbe  Geist  allnüllilig, 
dttrdi  ErttAtnmg  und  üebong,  die  F&bigkeit,  Vorsteilnngen  zweek- 
mftflsig  zusammenzuBtellen  und  zu  vergleioben ,  geordnet  und 
logisch  zu  denken,  ftbnlicli  wie  das  Kind  allmSblig,  dureh  ErÜEih- 
rung  und  üebung,  aus  den  Wirkungen  absicbtsloser  Muskelbe- 
wegungen  die  F&bigkeit  erlernt,  zweckmassige  Muskelbewegungen 
auszuftlbren.  Somit  w&re  der  Geist  die  Einbeit  dualistisober  l[rftfbe, 
welobe,  durob  fortwftbrende  Wecbselwirkung,  sieb  gegenseitig  wecken, 
anregen  und  rervollkommnen.  In  dieser  Weise  Iftsst  sich  das  ganze 
compHcirte  Getriebe  der  G^istestbätigkeit  auf  das  einfache  Gesete 
der  Beflexwirknng  zurOokfÜbren,  und  wir  braueben,  zur  Erkl&mng 
der  Geistestbatigkeit,  nicht  Zuflucht  zu  nebmidn  zu  Ursachen,  welche 
in  der  Naturwissenschaft;  ohne  Analogie  sind.  8elbstbewus8tsein 
ist  nicht  angeboren,  sondern  es  entwickelt  sich  allm&hlig,  alsPro- 
duct  der  sich  entwickelnden  und  gegenseitig  beeinfluss^iden  Geistee- 
vermQgen.  Verf.  yergleieht  die  Geistestbatigkeit  mit  dem  Zeugunge- 
processe,  das  VorstellungsyermOgen  mit  dem  weiblichen,  das  Willens- 
vermögen  mit  dem  männlichen  Principe,  und  wird  vom  Herrn  Bef. 
getadelt,  weil  die  Willenstbätigkeit  (nach  des  Verf.  Theorie)  immer 
nur  als  Reflex  yon  (angeregten)  Vorstellungen  ersobmne,  weil  das 
WiliensYermögen  also  vom  VorstellungsyermOgen  abh&ngig  sei,  weil 
dessbalb  das  Willensvermögen  unmöglich  das  Zeugende  sein  könne 
(S.  11).  Aber  besteht  doch  das  männliche  Zeugungsrermögen  als 
solches  auch  nur  durch  seinen  Gegensatz  zum  weiblichen;  das 
männliche  Princip  bedarf  der  Anregung  von  Seiten  des  weiblichen, 
um  sich  zu  bethfttigen,  und  wie  das  Weibliche  gegenüber  dem  Männ- 
lichen, so  ist  auch  die  Vorstellung  gegenüber  dem  Willen  —  Ur- 
sache einer  Wirkung,  deren  Ziel  wiederum  die  Ursache  ist  — .  Dass 
übrigens  dieser  Vergleich  nicht  in  jeder  Beziehung  zutreffend  ist» 
und  (seiner  Natur  nach)  hinkt,  giebt  der  Verf.  gern  zu. 

Nachdem  er  auf  diese  Weise  versucht  hat  die  Elementarkräfte 
des  menschlichen  Geistes  festzustellen,  und  den  Mechanismus  ihrer 
Thätigkeit  zu  erklären,  zeigt  der  Verf.  dann  weiter,  wie  der  Mensch 
vorzugsweise  durch  seine  Sprache,  durch  das  Denken  mit  Worten, 
befähigt  werde  zu  der  ihn  vor  allen  andern  Geschöpfen  auszeich« 
nenden  Fertigkeit  im  Erzeugen  und  Denken  abstracter  Vorstellun- 
gen. Der  Herr  Bef.  bemerkt  dagegen,  dass  die  Sprache  nicht  die 
Ursache,  sondern  die  Wirkung  des  Abstractionsvermögens  sei.  — 
Ganz  gewiss!  Es  wird  auch  nur  behauptet,  dass  die  Fähigkeit 
abstraete  Vorstellungen  zu  bilden,  sehr  enge  Gränzen  haben  würde» 
wenn  der  Mensch  die  ihrer  Natur  nach  unbestimmten,  abstracten 
Voirrtellnngen  nicht  fassbarer,  gegenständlicher,  für  die  geistige 


Ptderllt  CMta  ta«  CW»t  106 

Vemteitang  geeigneter  maoben  ktante,  indem  er  sie  an  efln  Wort 
faiflpft.  Das  Wort  ist  gleichsam  das  ooncrete  Symbol  der  abstraetea 
Vorstelhmg,  nnd  indem  sich  der  Mensch  ge'^öhnt,  seine  abstra^Aen 
VontellvAgen  als  Werte  su  denken,  erlangt  er  aUmllilig  die  Per- 
tigknt  ebenso  leicht  ans abstraoten YorsteUtingen  eine  abstraetere 
KU  hilden,  wie  er  ans  conoreten  Vorstellungen  eine  oonerete  bUdet. 
Da«  aber  das  Bilden  abstraoter  Yorstellnngen  anoh  ohne  Sprache 
mSglieh  sei,  erwilhnt  der  Verf.  ansdrackHoh,  indem  er  das  Geistes- 
leben  der  Tanbstnmmen  schildert. 

Was  den  Vonmrf  anbetrifft,  dass  Verf.  den  Sats  anlMellt: 
»Wellen  sei  im  Orande  ein  Mflssenl«  tmd  doch  bald  darauf  Ton 
einer  besohiftnkten  Willensfreiheit  redet,  so  ist  der  Widersprach 
in  diesen  Sfttsen  wohl  nnr  ein  scheinbarer.  Verf.  constatirt  nur 
einestheils  die  bekannte  Thatsache,  dass  man  sich  nnter  Terschie* 
denen  Wegen  für  einen  entscheiden  kann,  nnd  sacht  andemthefls 
naefazttweisen,  dass,  wenn  esmOglich  w&re,  die  MotiTe  ansresfini-' 
sdihisfles  immer  bis  zn  den  letzten  Ursachen  sa  Terfolgen,  alsdann 
angsbome  Neignngen,  Beispiel,  Emehong,  körperliches  Befinden 
ü.  8.  w.,  dem  Indiyidnam  meistens  nnbewnsst,  eine  Yorstellang  so 
prtpenderirend  macht,  dass  sie  bestimmend,  zwingend  aaf  den 
WiDen  einwirkt. 

Der  Herr  Bef«  ist  nicht  befriedigt  von  der  physiologischen 
Einleitang  tmd  meint,  wenn  beim  verlängerten  Hark  das  Athmen 
Q&d  Schlacken  erklärt  werde,  so  gebe  das  wenig  Anfschlnss  fOr 
peyehologisGlie  Fragen.  Verf.  hat  aber  geglaabt,  aof  dem  von  ihm 
eingesch^enen  Wege  am  leichtesten  nnd  sichersten  vom  Yerstand- 
nin  der  nnwiUkOrlichen  Bewegungen  zum  Yerst&ndnisB  der  will- 
bbliofaen  and  bewassten  Bewegongen  vorzadringen.  Er  erklärt  za- 
Blchst  die  einfache  und  anwillkttrHche  Reflexbewegung,  welche  durch 
das  Bückensnark,  unabhängig  vom  Oeistesorgan ,  vermittelt  wird ; 
aisdinn  die  complicirten ,  unwillkürlichen  Athem-  und  Schluckbe- 
wegangen,  welche  durch  das  verlängerte  Mark,  ebenfalls  unab- 
^^^  vom  Geistesorgan,  veranlasst  werden ;  von  diesen  Bewegun- 
gen kommt  er  auf  die  absichtslos  gewollten  (noch  einmal  sei  wieder- 
holt, dass  hier  der  Wille  nicht  als  ein  selbstbewusstes  Geistes- 
▼ennQgen  za  verstehn  ist)  und  endlich  auf  die  absichtlichen  Be- 
wegmigen. 

Der  Yerütsser  hat  als  nächstes  und  hauptsächlichstes  Ziel 
»iner  Arbeit  die  Aufgabe  verfolgt,  die  Denkthätigkeit  physiologisch 
ni  erklären,  und  damit  die  örundsfttr.e  einer  physiologischen  Psy- 
chologie festzustellen.  Haben  sich  diese  einmal  als  haltbar  er- 
wiesen, so  liesse  sich  darauf  ein  vollständiges  System  physiologi- 
scher Psychologie  ohne  grosse  Schwierigkeit  errichten.  Solches  lag 
al>er  einstweilen  nicht  in  der  Absicht  des  Yerf«,  und  was  er  ttber 
die  Aifecte  und  aber  das  Gemttth  sagt,  sind  nur  Andeutungen.  Die 
bitischen  B^nerkungen,  welche  der  HerrBef.  an  diese  Andeutun- 
gea  knftpft  (8«  10),  beziehen  sich  im  Wesentlichen  darauf,  dass  der 


156  Pl4erils  Gehini  und  Geist 

YerfieuBset  sich  erlaubt  hat,  jenen  Begriffen  eine  andere  nnd  allge- 
meinere Bedeutung  zu  geben,  als  sie  im  gewöhnlichen  Sprachge* 
brauch  haben. 

Wichtig  und  sehr  richtig  aber  ist  die  Bemerkung  des  Herrn 
Bef.  (S.  5  und  6),  dass  des  Verf.  Definition  der:  »Begriffe,  Seele 
und  Geist  sich  schwerlich  mit  einer  rein  materialistischen  An- 
schauungsweise vereinigen  lasse.«  Diese  zu  vertreten  lag  auch  nicht 
in  des  Verf.  Absicht,  im  Gegentheil  glaubt  er,  dass  er  sich  mit 
seiner  Definition  auf  einen  Standpunkt  gestellt  hat,  wo  eine  Ver- 
söhnung und  Verständigung  der  materialistischen  und  der  spiritua- 
listischen  Anschauungsweise  möglich  ist,  wenn  er  auch  absichtlich 
vermieden  hat,  auf  diese  Fragen  einzugehn.  Zunächst  sucht  er  das 
Feld  seiner  Untersuchung  genau  zu  umgränzen,  indem  er  die  Be- 
griffe Seele  und  Geist  definirt  und  von  einander  trennt.  G^ist  ist 
ihm  etwas  Erklärbares,  Seele  etwas  ünerklärbares»  Geistesthätig- 
keit  ist  dem  Verf.  gleichbedeutend  mit  Gehimthätigkeit ,  das  Ge- 
hirn aber  ist,  wie  jedes  Organ  des  Körpers,  der  physiologischen 
Untersuchung  zugänglich,  und  die  Functionen  des  Gehirns  mit  dem 
vorhandenen  physiologischen  Material  zu  erklären,  ist  der  Zweck 
seiner  Arbeit.  Seele  hingegen  ist  dem  Verf.  die  organische  Kraft, 
vermöge  welcher  ein  Organismus  sich  aus  seinem  Keime  entwickelt 
und,  während  der  Lebensdauer,  besteht.  Offenbar  können  wir  jede 
Einzelseele  ansehen  als  Theil  einer  allgemeinen  Kraft  —  einer  ür- 
seele,  deren  Wirkungen  in  den  zahllosen  Pflanzen  und  Thierformen 
unsrer  Erde  zur  Erscheinung  kommen.  Der  Herr  Bef.  meint,  dass, 
wenn  (nach  der  Erklärong  des  Verf.)  das  Wesentliche  der  Seelen- 
kraft in  einer:  »planmässigen  Entwicklung  und  zweckmässigen  Ein- 
richtung« sich  kund  gebe,  ebensowohl  auch  die  unorganische  Natur 
unter  dem  Einflüsse  der  Urseele  stehn  könne.  Verf.  hat  aber,  um  nicht 
zu  vage  zu  werden,  geglaubt,  nur  das  als  Wirkungen  derselben 
Kraft  zusammenfassen  zu  dürfen,  was  der  Mensch  allenfalls  noch 
als  zusammengehörig  übersehn  kann  —  das  Beich  der  oi*ganischen 
Wesen.  Jenseits  dieses  Begriffes  liegt  das  gränzenlose  Feld  der 
Ahnungen  und  des  Glaubens.  Allerdings  wäre  es  möglich,  dass 
unsere  Erde,  mit  all  ihren  organischen  und  unorganischen  Existen- 
zen, wiederum  nur  einem  gewaltigen  siderischen  Organismus  ange- 
hört, und  möglich  wäre  es  auch,  dass  die  (vom  Verf.  definirte) 
ürseele  nnr  eine  der  Kräfte  ist,  vermöge  welcher  ein  persönlicher 
Gott  »die  Welt  im  Innersten  zusammenhält.«  Dann  wäre  die  ür- 
seele eine  Wirkung  Gottes,  die  Einzelseele  eine  Wirkung  der  Ur- 
seele, das  Gehirn  (als  Theil  des  Organismus)  eine  Wirkung  der 
Einzelseele,  das  Denken  eine  Wirkung  des  Gehirns  und  also  schliess- 
lich, auf  die  letzte  Ursache  zurückgehend,  das  Denken  eine  Wirkung 
Gottes.  —  — 

Diese  Abschweifung  möge  nur  zeigen,  dass  sich  mit  der  Theorie 
des  Verf.  eine  deistische  oder  spiritualistische  Anschauungsweise 
wqU  in  Einklang  bringen  lassen  könnte,   und   dass  der  Verf.  den 


•  IPidarll:  GMbim  «ad  0«iai  157 

lelsien  SeUüsaen  der  materialiBtischen  Sobule  keineswegs  beixn- 
treten  braucht,  wenn  er  yersuchii  den  Mechanismus  der  Denkthätig- 
keit  physiologisch  zu  erklttren. 

Der  Verf.  wfirde  sich  glücklich  schätzen,  wenn  es  ihm  gelänge, 
des  Herrn  Bef.  zn  einer  wiederholten  Prflfong  der  Ton  ihm  ent- 
wickelten Ansichten  anzoregen.  Dr«  Th«  PMerit* 


Erwiedernng. 

Der  Herr  Yerf.  will  der  Psychologie  eine  »entwickelnngsfthige 
Gnmdlage«  geben,  indem  er  »psychologische  Thatsachen  ans  physio- 
k)gi8chen  Gründen«  zn  erklären  versucht.  Er  überträgt  die  (besetze 
der  Bfickemnarksthätigkeit  auf  das  »unbekannte  Feld  der  <}ehim- 
ihstigkeit.«  Weil  das  Bückenmark  aus  einer  »empfindenden«  und 
einer  »bewegenden  Hälfte«  besteht,  so  soll  auch  das  Gehirn  oder 
Geistesorgan  aus  einem  Yorstellungs^  und  WiUensorgan  bestehen. 
Wie  die  empfindenden  Bückenmarksnerven  eine  Erregung  der  be- 
wegenden veranlassen,  so  soll  durch  eine  Erregung  des  Vorstellnngs- 
organs  eine  Erregung  des  Willensorgans  verursacht  werden.  Die 
Erregung  des  Willensorgans  veranlasst  in  centrifugaler  Bichtung 
doreh  Einwirkung  auf  die  bewegenden  Bückenmarksnerven  die 
Mnakelbewegungen  oder  in  centripetaler  Bichtung  durch  Bückwir- 
bmg  auf  das  Yorstellungsorgan  die  Gedanken,  indem  die  »auf 
die  Vorstellungen  einwirkende  Willensthätigkeit  die  Denkthätig- 
keit«  ist. 

So  soll  die  Physiologie  des  Gehirns  in  der  angedeuteten  Art 
»die  entwiekelungsföhige  Grundlage«  der  Psychologie  werden.  Der 
Herr  Verf.  sagt  aber  in  obiger  Erwiederung,  dass  »die  Physiologie 
des  Gehirns  uns  leider  bis  heute  noch  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln 
seu«  Ist  dieses  verschlossene  apokalyptische  Buch  durch  die  Schrift : 
Gehirn  und  Geist  geöffnet,  oder  hat  man  den  Schlüssel  zurOeffaung 
deaselben  durch  die  sonst  verdienstlichen  Bemühungen  des  Herrn 
VeifEvssers  gefunden? 

Bef.  hat  in  seiner  Becension  der  Schrift  (Heidelberger  Jahrbücher, 
1864,8.4 — 11)  Zweifel  dagegen  erhoben  und  er  gesteht,  dass  diese 
daieh  obige  Erwiederung  ihm  nicht  gelöst  erscheinen.  Der  Herr 
^erf.  gesteht  selbst  in  seiner  Erwiederung  ein«  dass  seine  Ansicht 
nur  eine  Hypothese  sei,  nennt  aber  zugleich  das  Gebiet  der  Psy- 
chologie ein  »durchaus  hypothetisches  Feld«,  und  bemerkt,  dass  hier 
»die  exacten  Thatsachen  fehlen«,  und  dass  das  Feld  der  Gehim- 
th&tigkeit  »ein  unbekanntes«  seL 

Durch  die  Physiologie  des  Gehirns,  dessen  Thätigkeit  ein 
»unbekanntes  Feld«  genannt  wird,  sollen  die  Gesetze  der  Geistes* 
thätigkeit  verständlich  werden.  Denn  sie  müssen  nach  des  Herrn 
Veit  in  obiger  Erwiederung  ausgesprochener  Ansicht  »so  lange  un- 


verBtändliidi  bleiben ,  so  lange  der  Mensch  nnr  ¥0«i  Iimefi  betwos, 
ans  den  Produkten  seiner  Oeistesthätigkeit ,  aus  den  ionem  Tbat- 
sachen  des  Bewnsstseins  auf  die  Grvmdursaobe  der  Geistestbfttigkeit 
za  schliessen  versucht,  c 

Der  Herr  Yer£,  wiU  in  seiner  Gehimlehre  znr  »Hypetheae« 
die  »2ufl|icbt  nehmen«,  weil  »die  exacten  Thatsa<^n«  Cshleo,.  Qiebt 
es  aber  gewissere,  exactere  Thatsachen,  als  die  unseres  Bewnsstseins  ? 
Giebt  es  überhaupt  eine  andere  G^ewissheit,  als  die  uns  dadurch 
wird,  dass  das  Gewisse  Thatsache  des  Bewnsstseins  ist?  Die  Welt 
und  die  Wissenschaft  ist  Thatsache  unseres  Bewnsstseins.  Es  ist 
daher  immer  noch  zuverlässiger,  eine  Wissenschaft  der  Seele  auf 
absohlt  gewisse  Thatsachen,  anf  das  unmittelbar  Vorhandene  zu 
bauen  und  von  diesem  Gewissen  als  Wirkung  auf  die  Besohaffen?^ 
heit  der  Ursache  zu  schliessen,  als  mit  dem  Herrn  Verf.  zu  einem 
uns  leider  bis  heute  »mit  sieben  Siegeln  yerschlosseiien  Budie« 
oder  zu  Hypothese  in  Beziehung  auf  ein  Organ  die  Zuflucht  zu 
nahmen,  dessen  Thtttigkeit  ein  »unbekanntes  Feld«  ist. 

So  würde  also  der  Wille  das  Prineip  der  GeistestiiMiigkeit. 
Seine  Wirkung  auf  die  VorsteUnngen  ist  die  Denkthtttigkeit,  seine 
Wirknng  auf  die  Bückenmarksnerven  bedingt  die  Bewegung,  Der 
Herr  Verf.  versteht  aber  unter  Willen  das  nicht,  was  die  Spraohe 
darunter  versteht.  Ihm  ist  der  Wille  das  »psychische  Beflexver- 
mögen««  £r  hat  den  Namen  nur  deshalb  gewählt,  »weil  sich  eben 
kein  besserer  finden  lassen  wollte. €  »Wo  von  Willen  die  Bedj»  ist, 
beisst  es  in  obiger  Srwiederung,  darf  nicht  vergessen  werden,  dass 
damit  durchaus  nicht  ein  selbstbewusstes,  seine  Thtttigkeit  selbst 
bestimmendes  Geistesvermögen  bezeichnet  wird.€ 

Wie  können  aber  die  Gedanken,  Begriffe,  ürtheile,  Schlüsse, 
Ideen  und  Ideale  des  Geistes  durch  ein  Geistesorgan  erklftrt  wer- 
den» dflfS  weder  selbstbewusst  ist,  noch  sich  selbst  bestimmt?  Doreh 
Sinwirkung  auf  die  Vorstelluj»gcai?  Ist  und  bleibt  dieses  nicht  ein 
blosses  Wort?  Eine  Einwirkung  der  Beflexnerven  auf  die  Neriven  des 
VofsteUttngSQrgans  soU,  wie  der  Herr  Verf.  meint,  dieses  hervor- 
rufen ?  Seiches  ist  und  bleibt  unerklärlich.  Man  kann  aJiier  überall  nioht 
das  Unerklärliche  durch  das  Unerklärliche  erklären.  Müsste  nioht 
qu  allereirst  das  Selbstbewuastsein  Torhanden  sein  und  läset  sich 
seine  Entstehung  ans  der  Einwirkung  reflexiver  Nerventhätigkeit 
auf  sensitive  Nerven  erklären?  Wie  kommt  der  »WiUanseinflusa«  zu 
»VorsteUungsassociationen«,  wenn  er  weder  selbstbewusst  ist,  nodi 
sich  salbst  bestimmen,  kann? 

Der  Geist  wird  demnach  von  dem  Hm.  Verfl  »die  Einheit  dualisti- 
scher Kräfte«  genannt,  »welche  durch  fortwährende  WeohseiwirkQng 
sich  gegenseitig  wecken,  anregen  und  vervoUkommneoi.  <  Das  Selbstbe'- 
wnsstsein  i^t  ein  »Frodu^  der  sich  entwickelnden  und  gegenseitig 
teeinflnssenden  Geistesvermögen.«  Die  Geisteethäti^keit  ist  aber 
tdie  Function  des  Gehim&«  Es  müsste  also  der  Geist  die  Einheit 


dar  HiiafimetioBeQ  seiii^  rmi  es  wäre  dadurch  isa  Wosen  das  Qm- 
Btes  nickt  im  Miadesten  beg^ea  oder  klar  gemacht.  Das  Wesen 
des  Geistes  ist  das  Selbstbewnsstsein;  hier  aber  wird  das  Wesen 
m  eiäiem  Prodnete  zweier  verschiedener  Hirnfdnctionan  gemacht, 
deren  mrsprüsf^Uche  Versehiedeiaheit  nur  eine  >  Hypothese  c  ist  und 
«noh  «icl^t  das  QeriAgste  zur  Be^^ifliohkeit  dcpr  Entstebang  des 
Bewnsstseins  beiträgt*  Die  zwei  Organe  des  Hirns,  das  der  Vor- 
dMkmgs^  nnd  dasder  WiUeasthtttigkeit,  werden  in  deer  Schrift  des 
Hensn  Ver£  mtt  den  Oirganen  des  ZeagimgEfprooesses  ¥eirgUieben, 
deasen  SesnUat  das  Selbstbewnsstsein  ist»  Das  Yorstellwigsver- 
saögem  soU  das  weibticbe,  das  WillenfiTcnnögen  das  männliche  Princip 
sein.  fieC  hat  dagegen  in  seiner  Becension  8.  11  das  Bedenken 
aiosge^rochan ,  dass  ja  nach  dem  Herrn  Verf.  selbst  »der  WiUe 
imaMr  nur  der  Beflex  der  Yorstellnng  und  darch  diese  bestimmet, 
das  Yon  dem  Yorstellangsprincip  abhängige  Princip  sei|  also  nn- 
magfaA  das  zeugende,  männliche,  beCmohtende  Princip  aein  Könne.« 
Dm  Ermadarong  des  Uexxn  Vart  hat  die  Zweifel  des  Bet  Jiicht 
l»6S0itigt.  Der  Herr  Ver&aser  kann  das  Unpassende  seiner  Yer- 
^eiofaaag  «idit  durch  die  Benierkuig  beseitigen,  dass  ^das  mttnn- 
lisha  Z0ngang8¥enn(^en  als  solches  nur  durch  scEinen  öegeasatz 
wmm  weiblichen  bestehe«,  dass  das  »männUohe  der  Anregung  vqn 
Seite  des  weiblichen  bedürfe,  um  sich  zubethätigen.«  Das  wincende, 
thfttige  Priac^  bei  der  Zeugung  ist  das  nUUmlichfe,  das  emf^a- 
gende,  von  ihm  abhängige  das  w^bliche  Zeugui^princip.  Dar  Ver- 
gleich des  männlichen  Princips  passt  daher  auf  den  von  dem  Yor- 
BteUnngsorgan  abhängigen  Willen,  die  Beflexrichtnng,  nicht*  Gesteht 
doch  der  Herr  Verf.  selbst  in  seiner  Erwiederung  zUt  dass  »dieser 
Yaxgleioh  nicht  in  jeder  Beziehung  zutreffend  ist  und  seiner  STatur 
naeh  hinkt.« 

Der  Herr  Vasf.  ist  alao  nicht  im  Stande,  durch  den  »Meehams- 
mnsc  der  Himthätigkeit  das  »Denken  abstracter  VorsteQqngein«  zu 
«rldftren. 

Auch  ist  denelbe  mit  d^s  Sefer.  Bemerku«g  eiavexatanden, 
>da8s  die  Sprache  niobt  dvs  Ursache,  sondern  die  Wirkung  des  Ab- 
BtractionsyermOgens  sei.« 

Bef.  hat  femer  in  seiner  Becension  auf  den  Widerspruch  hin- 
gewiesen, dass  der  Herr  Verf.  auf  der  einen  Seite  die  Freiheit  des 
Willens  als  eine  sehr  bedingungsweise  zugibt  und  den  »denkenden 
Mensohengeist  in  seiner  Freiheit  in  gewisse  Grenzen  bannt«  und  auf 
der  andern  Seite  den  Willen  »nicht  als  ein  Vermögen  anerkennt, 
welches  seine  Thätigkeit  selbst  bestimmt«,  das  Wollen  bestimmt 
sein  lässt  »durch  Ursachen,  welche  ausser  ihm  liegen«,  so  dass 
»das  Wollen  im  Grunde  ein  Müssen  ist«  (S.  11).  Dieser  dem  Herrn 
Verf.  vorgeworfene  Widerspruch  wird  durch  die  Erwiederung  nicht 
beseitigt,  »dass  man  sich  unter  verschiedenen  Wegen  ftlr  einen 
entscheiden  könne«  und  dass,  »wenn  es  möglich  wäre,  die  Motive 


160  Fiderit:  Geblrn  nna  Öeist 

unseres  Entschlasses  immer  bis  zu  den  letzten  Ursachen  zu  yer- 
folgen,  alsdann  angeborene  Neigungen,  Beispiel,  Erziehung,  körper- 
liches Befinden  u.  8.  w.  dem  Individuum  meistens  eine  Vorstellung 
so  präponderirend  macht,  dass  sie  bestimmend,  zwingend  auf 
den  Willen  wirkt,  <  Das  heisst  wohl  den  Widerspruch  durch  die 
Negation  der  Freiheit  aufheben.  Ein  Wille,  der  gezwungen  wird, 
ist  nicht  frei. 

Dass  durch  die  Erklärung  des  Athmens  und  Schluckens  beim 
verlängerten  Mark  die  psychologischen  Fragen  nicht  erklärt  werden, 
wird  wohl  nicht  geläugnet  werden  können,  die  in  der  Erwiederung 
angedeutete  Stufenfolge  von  diesen  mechanischen  Thätigkeiten  bis 
zu  den  absichtlichen  Bewegungen  des  Willens  wäre  erst  noch  zu 
erweisen  und  wird  auf  dem  von  dem  Herrn  Verf.  betretenen  Wege 
der  blossen  Reflexbewegung  als  des  eigentlichen  Princips  nie  erwie- 
sen werden  können. 

Die  Bedenken,  welche  der  ünterzeichnet>e  in  seiner  Becension 
geltend  gemacht  hat,  sind  durch  obige  Erwiederung  nicht  beseitigt. 

Allerdings  lassen  sich  die  Begriffe  Seele  und  Geist,  wie  sie 
der  Herr  Verf.  giebt  und  noch  weiter  in  seiner  Erwiederung  er- 
klärt ,  schwerlich  mit  einer  materialistischen  Anschauungsweise  ver- 
einigen, aber  in  welchem  Zusammenhange  stehen  solche  Ansichten, 
mit  der  durchaus  materialistischen  Erklärungsweise  der  Geistes- 
thätigkeit  in  der  Schrift  des  Hm.  Verf.  und  mit  dessen  Ansicht  vom 
Geiste  als  »einer  Function  des  Gehirns«  ?  Wenn  »Geistesthätigkeit  mit 
G^himthätigkeit  gleich  bedeutend  ist«,  wie  abermals  in  der  Erwiede- 
rung wiederholt  wird,  so  ist  nicht  abzusehen,  wie  eine  materiali- 
stische Ansicht  vom  Geiste  umgangen,  und  durch  den  Materialis- 
mus selbst  dieser  mit  dem  Idealismus  »versöhnt«  werden  könnte. 
Die  weiteren,  am  Schlüsse  der  Erwiederung  stehenden  Bemerkungen 
stehen  mit  dem  Inhalte  der  Schrift:  Gehirn  und  Geist  in  keinem 
folgerichtigen  Zusammenhange. 

Bef.  muss  daher  bei  der  in  seiner  Becension  ausgesprochenen 
Ansicht  beharren.  Amicus  Socrates,  amicus  Plato,  sed  magis  amica 
Teritas.  V.  Reichlin-Meldegg. 


Ii.  11.  UEIDEL6ER6EK  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Diu  Leben  und  die  Lehre  des  Mohammed  nach  bisher  grösaientheOs 
unbenütsten  Quellen  bearbeitet  von  A.  Sprenger.  Band  UL 
Berlin,  Nicolai  1865.  CLXXX  und  654  8.  gr.  8. 

In  der  180  Seiten  starken  Vorrede  oder  eigentlich  Einleitung 
m  diesem  3.  und  letzten  Bande,  beantwortet  der  gelehrte  Verf. 
zaerst  die  Frage:  wie  es  Mohammed  gelungen,  seiner  Lehre  Ein- 
gang zu  verschaffen?  Die  Moslimen  antworten  auf  diese  Frage: 
durch  die  Macht  seines  Wortes,  durch  sein  Qenie  und  seine  Offen- 
barung; seine  nichtmoslimischen  Bewxmderer  glauben  diess,  und 
fELhren  als  Beweis  dafür  die  raschen  Siege,  die  weite  Verbreitung 
and  die  lange  Dauer  der  von  ihm  gegründeten  Religion  an.  Man 
vergisst  aber  hierbei,  dass  bald  nach  seinem  Tode  der  grössere 
Theil  der  Halbinsel  wieder  abtrünnig  wurde,  weil  ein  Theil  der 
Araber  nur  gezwungen,  ein  anderer  nur  bestochen  dem  neuen 
Glanben  huldigte,  und  dass  eigentlich  erst  Abu  Bekr  und  Omar  die 
Stifter  der  islamitischen  Macht  waren.  Letzterer  ganz  besonders, 
welcher  nicht  nur  unter  Abu  Bekr,  sondern  schon  unter  Mohammed, 
vom  Tage  seiner  Bekehrung  an,  den  grössten  Einfluss  auf  die  Begie- 
ning  übte.  Omar,  der  weder  Furcht  noch  Halbheit  kannte,  hat, 
wie  Bef.  schon  in  seiner  Chalifengeschichte  dargethan*),  dem  Islam 
erst  Leben  und  Kraft  eingehaucht.  Erst  nach  seinem  üebertritt 
wagte  es  der  schwache  und  wanckelmüthige  Prophet  mit  seiner 
Religion  an  das  Tageslicht  zu  treten.  Er  war  der  Einzige,  welcher 
den  Muth  hatte,  aus  seiner  Auswanderung  nach  Medina  kein  Ge- 
heimnisB  zu  machen,  er  scheute  den  Krieg  von  Bedr  nicht,  trotz 
der  üeberlegenheit  des  Feindes,  und  nicht  seine  Schuld  war  es, 
dass  Mohammed  von  Hudeibijeh  heimkehrte,  ohne  die  Pilger- 
fahrt vollzogen  zu  haben.  Mohammed  selbst  war  weder  ein  genia- 
ler Mann,  noch  ein  reiner  Charakter,  er  hat  sich  unverzeihlicher 
Missgriffe  schuldig  gemacht,  die  uns  nicht  nur,  wie  der  Verfasser 
bemerkt,  an  seiner  Kühnheit,  sondern  auch  an  seinem  Muthe,  sei- 
ner Entschlossenheit  und  seiner  Aufrichtigkeit  zweifeln  lassen  Er 
erkannte,  in  der  Hofinung  die  Mekkaner  dadurch  zu  gewinnen,  die 
Götzen  als  Fürsprecher  bei  Gott  an,  und  erklärte  bald  darauf 
weü  er  in  seiner  Hoffhxmg  sich  getäuscht  sah,  diese  Anerkennung 
als  eine  Eingebung  des  Satans.  Er  befahl,  um  sich  die  Juden 
Medina*s  geneigt  zu  machen,  dass  man  beim  Gebete  sich  nach 
Jerusalem  wende,  und  das  Versöhnungsfest  feiere,  als  sie  aber  den- 


*)  8.  Bind  L  8.  181ff. 
LVm.  Jahrg.  8.  Heft  11 


'  JUS  Bpreftger:  Lebfn  Mi>kain«d*8. 

noch  ihn  verspotteten,  mnsste  man  sich  nach  Mekka  wenden  nnd 
im  Bamadhan  fasten.  Der  Koran  selbst  ist  so  reich  an  Wider- 
sprteben  nnd  widemifefien  und  modificirten  Gesetsen  und  Lehren, 
das9  wir  dem  Verf.  beistimmen,  wenn  er  behauptet,  es  wäre  ein  Glück 
ftLr  die  Beligion  Mohammed*8  gewesen,  wenn  er  seine  firttheren 
Offenbarungen  mit  wenigen  Ausnahmen  hätte  unterdrücken  können. 
Der  Erfolg  des  Islams  lag  einerseits  in  dem  nach  der  Einwande- 
rung vieler  Juden  und  Christen  mehr  und  mehr  erwachenden  Be- 
dürfnisse nach  einer  neuen  geoffenbarten  Religion,  denn  das  Christen- 
thum  mit  seinen  Dogmen  war  zu  mysteriös  fUr  den  schlichten 
Araber  und  das  Judenthum  mit  seinen  (re-  und  Verboten  zu  lästig 
für  den  Bewohner  der  Wüste.  Man  fing  aber  an  den  Götzendienst 
^ü  verwerfen  und  an  ein  Jenseits  zu  glauben  mit  seiner  Vergeltung, 
man  bedurfte  nur  noch  einer  göttlichen  Autorität,  eines  Propheten, 
der  es  verstand,  Judenthum  und  Christenthum  den  Arabern  mund- 
gerecht zu  machen.  Mohammed  war,  mit  allen  seinen  physischen, 
moralischen  und  geistigen  Gebrechen  und  Schwächen,  zum  Theil 
gerade  durch  dieselben,  zum  Propheten  gestempelt.  Ohne  klare  und 
scharf  bestimmte  Begriffe  war  er  doch  von  einer  Idee  behemcht, 
die  er  mit  Zähigkeit  festhielt  und  mit  grosser  Gewandtheit  aus- 
sprach. Dabei  war  er  in  der  ersten  Zeit  ein  Selbstgetäuschter  und 
besass  später  die  Verstellxmgsgabe  in  so  hohem  Grade,  dass  seine 
innere  üeberzeugung  sowohl  als  seine  erheuchelte  Wärme  wahr- 
haft hinreissend  war.  Diese  Gaben  und  Eigenschaften  reichten  je- 
doch nur  bei  Einzelnen  aus,  die  grosse  Masse  der  indifferenten 
Araber  wurde  von  dieser  rein  geistigen  Bewegung  kaum  berührt. 
Aeussere  umstände,  die  Verfolgungssucht  der  Mekkauer,  nöthigten 
ihn  kriegerischem  Unternehmungsgeist  und  Todesverachtung  die 
Härtyrerkrone  und  den  schönsten  Lohn  im  Paradiese  zuzusprechen« 
Die  Erfolge,  welche  er  thatkräftigen  Männern  wie  Omar,  Hamza 
und  Anderen  verdankte,  Erfolge,  welche  neben  der  Aussicht  auf 
Cdensfreuden  auch  zeitliche  Vortheile,  Beute  und  Herrschaft  ein- 
brachten, fahrten  nach  und  nach  die  nomadischen  Völker  Arabiens 
unter  die  Fahne  des  Islams.  Schon  zu  andern  Zeiten  hatten  die 
Araber  als  Eroberer  die  benachbarten  Provinzen  überschwemmt, 
diessmal  aber  drangen  sie  weiter,  weil  eine  einheitliche  Führung 
ihre  Schritte  lenkte  und  weil  Persien  sowohl  als  Egypten  und 
Syrien  so  schlecht  regiert  und  so  in  sich  selbst  zerfallen  war,  dass 
ed  nur  eines  kräftigen  Anstosses  bedurfte,  um  das  morsche  Ge- 
bäude Über  den  Haufen  zu  werfen. 

Aber  nur  der  nüchterne  Europäer  fasst  die  Entstehungsge* 
Schichte  des  Islams  b  solcher  Weise  auf,  der  Moslim  bewundert 
seinen  Propheten  auch  wo  wir  ihn  belächeln  oder  verdammen,  nuA 
sieht  nur  die  göttliche  Thätigkeit  zur  Verherrlichung  des  Istama 
in  Dingen,  die  wir  uns  in  ganz  natürlicher  Weise  erklären.  Die 
moslimischen  Quellen  haben  daher  eine  dogmatische  Färbung,  aach 
die  ältesten  Biographen,   die  auf  uns  gekoauaen  *iad,   enthalten 


6]>vtBf«r:  UbM  MobMune^V  AM 

adi€o  tmI  Sagenhaftes  imd  würden  weiursehftinVioh  noefa  Tiel  weiter 
lünter  dem  kisiorieeiieii  Mohammed  snrtiokbkibcn ,  oder  Itber  ihn 
hinansgehen,  wenn  nicht  der  Koran,  der  schon  iukUv  Mohammed 
verbreitet  war,  nnd  bald  naeh  seinem  Tode  gesammelt  wordSi 
ihren  Phantasi^ebilden  eine  Schranke  gesetxt  hätte«  Damm  ist 
such  der  Islam,  abgesehen  von  seiner  eigenen  Bedeutung,  eine  fir 
jeäB  Seügionsgeschiehte  hdehst  beachtenswerthe  firseheinang,  weU 
SBine  £ntstehnng  gewissermassen  docomentarisoh ,  wenigstens  in 
seinen  Hanptsfigen,  yor  uns  liegt,  während  die  Anfinge  anderer 
Weltnriigionen  in  Dunkel  gehüllt  sind  nnd  ohne  sohrifüicbe  Ooor 
tole  längere  Zeit  riel  mehr  als  der  Islam  durch  mündliche  Tr»- 
diliion  entstellt  werden  konnten. 

Der  Verf.  bespricht  in  der  Einleitung  die  Tevschiedenen  Quellen 
der  Propbetengeschiehte ,  die  er  in  Biographie,  Buan^,  Ooraucom- 
meBiaje  nnd  Qenealogien  eintheiH,  wir  üolgen  ihm  hi4M:  nicht,  da 
sdion  bei  Besprechung  des  ersten  Bandes  dieser  Gegsnatand  er^ 
Ürtert  worden  ist. 

Bas  Werk  selbst  zerfällt  in  acht  Kapitel,  (Kap.  17  »-24)  neh^ 
einem  Anhang  zu  Kap.  17  und  18.  Im  ersten  ist  von  den  i«b» 
gissen  und  politisdien  Einrichtungen  Mohammed'p  in  Medina  die 
BiBdmj  yon  seiner  Ankunft  daselbst,  bis  cum  Treffen  von  Badr. 
Dahin  gehört  zunächst  die  Erbauung  einer  Moschee  in  sehr  be- 
scheidenen Dimensionen,  deren  Bauart  jedodi  als  Mnstw  für  spätere 
Tempel  galt,  die  Verbrüderung  zwischen  den  Ausgewanderten  und 
den  Glänbigen  Msdina's,  welche  so  weit  ging,  daas  sie  einander, 
mit  Ausschluss  der  Blutverwandten,  beerbten.  In  seiner  Lehre  iat 
Mohammed  in  der  ersten  Z^t  seines  Aufenthalts  in  Medina  sehr 
tolerant  und  spricht  nahezu  die  Gleichberecbtigung  der  yerschie- 
denan  Beligionen  aus.  Er  neigt  sich  mehr  zu  Juden  und  Christen 
Mn,  weil  ihm  die  heidnischen  Araber  den  Bücken  zukehren,  als  er 
eher  auch  hier  keinen  Anklang  fand,  stieg  er  vom  juden-christlichen 
Mktirer  zxmi  selbständigen  Propheten  empor.  Diese  neneWendnng 
trat,  wie  schon  erwähnt,  mit  der  Aenderung  der  Gesichtsriohtung 
benn  Oebete  ein.  Dass  aber  auch  diess  von  Omar  herrühre,  ist 
jshwer  sn  beweisen,  da  die  darauf  bezügliche  Tradition  anders  gep 
deutet  wind  (B.  Beidhawi  zu  dieser  Stelle)  und  mussala  doch 
flieht  gleichbedeutend  mit  kiblah  ist^  was  gewöhnlich  ftir  die 
fiiektung  beim  Gebete  gebraucht  wird.  Nicht  ganz  genau  ist  auch 
Iblgender  Zusatz  des  Verf.  »Omar  bestimmte  die  Grenzen  der  Hallv> 
insel  und  verfUgte  dass  alle  Einwohne  sich  bekehren  mussten. 
Die  wiederstrebenden  Heiden  sollen  hingerichtet  werden,  die  SchriAr 
heeÜEer  des  Landes  rerwiesen  werden«,  da  nur  die  Verbannung  der 
indcB  imd  Ghristen  tou  Omar,  die  Ausrottung  der  Heiden  aber 
von  Mohammed  selbst  herrührt,  und  yon  AU  bei  dem  Pilgerfeste 
des  Jahres  631  -verkündigt  wurde. '  unwahrscheinlich  ist  auch  die 
Behttuptnn^,  dass  Mohamnied  nach  Abschaffung  des  yon  den  Jndea 
istoiiftirten  Jom  Eipur  die  Quadragerima  der  Cbxisten. eingefiährt 


164  Sprenger:  Leben  Mohemmed^s. 

liabey  denn  abgesehen  dayon,  dass  er  in  Medina  gar  keinen  Qmnd 
hatte,  eich  christlichen  Gebräuchen  anzubequemen,  ist  auch  in  keiner 
Traditiondie  Bede  davon,  sondern  nur  von  drei  Festtagen  in  jedem 
Monate.  Der  Eoransvers  11.  179  kann  übrigens  auch  einfach  be- 
deuten, »Oott  hat  euch  eine  Anzahl  Tage  zu  Fasttagen  bestimmt, 
wie  er  es  bei  den  Völkern  vor  euch  gehalten«,  ohne  dass  daraas 
gefolgert  werden  könne,  die  moslimischen  Fasten  müssten  an  Zahl 
und  in  der  Zeit  mit  den  Frühem  übereingestimmt  haben.  Dieser 
Vers  steht  femer  ohne  Zweifel  in  Verbindung  mit  den  beiden  fol- 
genden, wo  der  Bamadhan  ausdrücklich  genannt  wird.  Vers  181 
kommt  das  Wort  furkan  vor,  und  kann  hier  sich  nur  auf  den 
Koran  beziehen,  welcher  so  genannt  wird,  weil  er  Becht  von  Un- 
recht, Wahrheit  von  Lüge  scheidet.  Dasselbe  Wort  kommt  Sur. 
YiU,  42  vor,  wo  Gott,  wie  Beidhawi  bemerkt,  die  Kämpfer  für  die 
Wahrheit  von  den  Götzendienern  unterschied.  Nach  Hm.  Sprenger 
8oU  aber  der  Tag  des  Furkan  der  Ostersonntag  bedeuten,  was 
allerdings  auch  sonderbar  in  dem  Munde  Mohammed*s  klingt,  der 
gar  nicht  an  eine  Auferstehung  Christi  glaubt,  weil  er  ja  die  Kreuzi- 
gung Christi  läugnet. 

Der  Anhang  zum  17.  Kapitel  ist  überschrieben:  »Die  Frauen 
des  Propheten  €  und  enthält  wenig  Neues,  das  der  Erwähnung  werth 
wäre.  Mit  dem  18.  Kapitel  beginnt  die  Erzählung  der  Baubzüge 
Mohammed*s  bis  zur  Schlacht  von  Badr  (623 — 624).  Da  diese 
Baubzüge  zunächst  gegen  die  Mekkanischen  Karawanen  gerichtet 
waren,  so  schickt  der  Verf.  schätzbare  Mittheilungen  über  den 
Handel  Arabiens  und  besonders  der  Stadt  Mekka  voraus.  Die 
Schlacht  von  Bedr  setzt  der  Verf.  mit  Becht  auf  Freitag  den  19. 
Bamadhan  (16.  März)  und  wir  können  für  seine  Vermuthung,  dass 
19  mit  17  verwechselt  worden  ist,  als  Beweis  anführen,  dass  manche 
Traditionen  Mohammed  Montag  den  8.  Bamadhan  von  Medina  auf- 
brechen lassen,  woraus  sich  doch  ergibt,  dass  wenn  der  Schlachttag, 
wie  ziemlich  allgemein  behauptet  wird,  ein  Freitag  war,  er  am  19. 
sein  musste.  Zu  den  Einzelnheiten  der  Züge  selbst,  welche  sich 
mit  unwesentlichen  Abweichungen  auch  bei  Ihn  Hischam  finden, 
ist  wenig  zu  bemerken.  S.  114  irrt  der  Verf.,  wenn  er  behauptet, 
Ibn  Ishak  berichte,  Mohammed  habe  erst  von  Dzafiran  aus 
Kundschafter  geschickt,  da  dieser  Biograph  (S.  434)  doch  erzählt, 
Mohammed  habe  diess  schon  vor  seinem  Eintritt  in  den  Engpass 
von  Safra  gethan.  Ebenso  irrig  ist  die  Behauptung,  Mohammed 
habe  verlangt,  dass  statt  der  Medinenser  seine  nächsten  Verwandten 
die  Herausforderung  der  Mekkaner  annähmen,  da  im  Gegentheil 
Jhn  Ishak  (p.  448)  berichtet,  die  Mekkaner  haben,  als  ihnen 
Medinenser  zum  Zweikampfe  entgegentraten,  gesagt :  mit  euch  haben 
wir  nichts  zu  thun,  Mohammed  lasse  Männer  von  unserm  Geschlechte 
hervortreten,  die  uns  ebenbürtig  sind  »und  erst  hierauf  forderte 
Mohammed  Hamza,  AU  und  übeida  auf,  sich  mit  den  Gegnern  zu 
messen.  Viel  neues  Thatsächliohes  ist  auch  hier  nicht  zu  erwähnen 


Sprenger:  Leben  MohMunedV  169 

oad  sehr  hftafig  wo  der  Verf.  Issaba  nnd  andere  von  ihm  soargi 
benntzten  Quellen  ciiirt,  könnte  er  eben  so  gnt  den  Bltem  Ibn 
Isbak  anfUiren.  Wir  wollen  diess  nnr  an  einem  Beispiele  «eigen. 
S.  125  lieast  man  im  Texte:  »Nach  der  Schlacht  warfen  die  Sieger 
die  Todten  der  Feinde  in  einen  Brunnen.  Mohammed  rief  ihnen 
zu:  ihr  habt  meine  Weissagungen  für  Lügen  gehalten,  jetzt  aber 
hat  euch  das  Stra^richt  erreicht.«  Hiezu  liesst  man  in  einer  Note : 
» Abd  Allah  Ibn  Saydan  erzählt  von  seinem  Vater  (bei  I^aba) :  Der 
Prophet  stand  vor  dem  Brunnen,  in  welchen  [nach  der  Schlacht 
Yon  Badr?]  die  Todten  geworfen  wurden,  und  sagte:  ist  in  Er- 
flülung  gegangen  was  euer  Herr  euch  yerheissen  hattet  Die 
Anwesenden  fragten:  wie,  hören  die  Todten?  er  erwiederte: 
Allerdings,  aber  sie  antworten  nicht.«  Dafür  liesst  man  bei  n>n 
Ishak  (S.  254):  »Humeid  Attawil  hat  mir  yon  Anas  Ibn  Kalik 
berichtet:  die  Gefährten  Mohammed's  haben  gehört,  wie  Mohammed 
mitten  in  der  Nacht  rief:  o  ihr  Männer  der  Oisteme  I  o  Otba  Ibn 
Babia,  o  Scheiba,  o  Omejja,  o  Abu  Djahl  und  Andere,  die  noch  in 
d^  Cisteme  waren,  habt  ihr  die  Yerheissung  eures  Herrn  wahr 
gelunden?  ich  habe  die  meines  Herrn  wahr  gefunden.  Die  Mos* 
limen  sagten  ihm:  rufst  du  Leuten  zu,  die  schon  Leichen  sind? 
er  erwiederte:  ihr  höret  nicht  besser  was  ich  sage,  als  sie,  aber 
sie  können  mir  nicht  antworten.«  (YergL  auch  Sprenger  Note  1. 
3.  194,  u.  Ibn  Ishak  S.  747.  Spr.  Note  1  zu  S.  217  u.  Ibnlshak 
p.  685.  Spr.  S.  307  u.  Ibn  Ishak  p.  964^-965.  Spr.  S.  384.  Note  2» 
u.  Ibn  Ishak  p.  885.  Spr.  S,  367.  Note  1,  u  Ibn  Ishak  p.  986) 
Viel  wissenswerthes  findet  sich  in  dem  ersten  Anhang  su  Kap.  18, 
über  die  Tauschmittel  der  Araber,  weniger  in  dem  zweiten  An* 
hang,  welcher  einen  Brief  Orwa's  über  die  Schlacht  von  Badr 
enthalt. 

Das  19.  Kapitel  lumdelt  yon  dem  Meuchelmorde  Mohammed*8| 
yon  der  Vertreibung  jüdischer  Stämme,  yon  andern  kleinen  Kriegen, 
yon  der  Ohodschlacht  und  der  Belagerung  yon  Medina  (März  624 
bis  April  627).  S.  158  ist  die  Veranlassung  zum  Kriege  gegen 
die  Benu  Nadhir  in  einer  Weise  dargestellt,  dass  es  eigentlich  gar 
keine  war  und  Mohammed  müsste  demnach  in  wohlüberdachterweise 
Freund  und  Feind  belogen  haben,  um  einen  abscheulichen  Treu* 
bmch  zu  üben  —  aber  dessen  bedurfte  doch  gewiss  Mohammed  um 
diese  Zeit  nicht,  denn  die  geringste  Bauferei  zwischen  einem  Mos- 
lim  und  Juden  hätte  ihm  einen  Vorwand  zum  Kriege  geben  können, 
einen  bessern  als  den  eines  erdichteten  Mordplans  yon  Seiten  der 
Juden.  Wir  glauben  daher,  dass  nur  das  erdichtet  ist,  dassMoh. 
yom  Engel  Gabriel  gewarnt  worden  sei,  nehmen  aber  an,  dass 
irgend  ein  Feind  der  Juden  ihm  hinterbrachte,  sie  gingen  damit 
um,'  ihn  zu  ermorden,  dass  er  es  in  seiner  Angst  glaubte  und 
dayonlief,  dann  aber,  um  yor  den  Moslimen  nicht  zu  Schanden  zu 
werden,  den  Engel  Gabriel  als  Hinterbringer  fingirte.  Die  übrigen 
Erzählungen  stimmen  mit  den  bekannten  Traditionen  ttberein,  ent- 


ttO  S^rvng e^r:  LeMb  Mohftinaied*8i 

buHen  j«döch  muiohe  riohtige  kritische  Bem^rkong  tind  Tf^rir^fi^ 
liobe  geo^apfaisohe  Erläatelningen. 

Im  20.  Kapitel  wird  d«r  Krieg  geg^n  die  Benu  Kureiea  dmt* 
geteilt«  hebst  einigen  BbubzOgen  und  der  Pilgerfahrt  bis  Hndeibijah 
(iA|»ril  627  bia62d).  6.  219  heiadt  es:  »Sie  (die  Juden)  sahen  eln^r 
ICftlh^Ina  [Yertilgnng]  entgegen«  dazu  in  einer  Kote:  »es  ist 
diees  ein  hebräischee  Wort^  weloheft  in  Weissagungen  oder»  wena 
Ten  AtLÜofai^st  die  Bede  ist,  gebracht  wird«,  es  ist  Aber  einfaoh 
dalB  hebräische  Wott  Milhamah,  welches  »Krieg«  bedeutet«  Bei 
dei:  Erzählung  des  keldenmttthigen  Todes  des  Zubeir  Iba  Bata, 
wbibhem  Mohammed^  in  Folge  der  Fürbitte  eines  Freundee,  Lebdli» 
Fatniüe  und  Qut  Schetken  wollte »  nennt  der  Verf.  seine  Quell« 
nioht«  sie  weicht  in  niehreren  Paukten  von  der  Ibn  Hischams  ab. 
BM  Dieseti  (pag. 691---692)  fehlen  die  Worte:  »ich  bitte  dich 
bei  dem  filnduss,  dbn  ich  auf  dich  habe,  mich  tiicht  zil  jenem 
blütdttrtrtiigen  Manne,  welcher  die  Häuptlinge  der  Kureiaiten  hat 
ttfdten  lassen»  sondert  auf  deb Bichtplatz  zu  führen.«  Aucheinigeft 
Teb  dem  Felgenden  fehlt»  ist  aber  unweeentlich,  auch  der  Schluss, 
bei  ßpreäiger,  demzufolge  der  Jude  den  Freund  ertuoht^  Mohalnmed 
4i  bitten,  seiAer  Fo^aa  und  seinen  Kindenl  di^  Freiheit  bu  sohenkea, 
fehlt  bei  Ibn  Ishttk  tutd  wohl  mit  Biecht,  deiib  es  harmonirt  nicht 
gans  Biit  dem  üebrigen.  Auch  ist  kaum  denkbar,  dass  Modime 
Wt)H&  eihes  Juden  teferiten,  der  Mohataimed  eihen  BlutdtMtigen 
ntaa^  dah^t  der  Yerfv  jedeiifeills  in  einer  Note  eeitie  Quelle  h&tte 
aitf&bren  sblM.  Br  fügt  ttbrigens  eelbst,  atn  Schlüsse  stiuer  Er- 
a^HlluBg^  hinzuc  »Ich  be^ftnmdere  den  H«ldetam«th  des  greisen  Juden^ 
welcher  dae  Schicksal  seiner  Freunde  thetkn  WoUte;  abet  ich  be- 
wundere no^  inehr  die  Berichteretlatter.  Diese  Darstellung  ist 
allmälig  von  den  Traditionisten  erweitert  worden,  und  sie  ist  t^U*- 
erdeter  in  Höuem  als  in  alten  Yersionen.  Sie  ist  daher  niöht  Elgen- 
ijum  ein«s  MIanneB,  seodem  mehterel:  Generationen  von  grao« 
b9(ttigeii  T\raditionisteB4  Der  Soldat  hftlt  es  fAr  Ehr^nsathe»  dem 
Vw^de  Q^reoMigkeit  wider&hren  tu,  lassen^  voh  Verbrecherii  wenden 
oft  ZU^  von  Grossmuth  «rzählt,  und  es  hat  Bftuber  gegeben, 
welche  ihrer  Mildthätigkelt  wUiehi  berOhmt  gewotden  sind,  selbet 
Fürsten  uhd  ihte  Schergen  haben  in  seltenen  Fällen  Achtung  fdlr 
die  Grnmdsättse  ihrer  poUtibchen  Gegner  mi  den  Tag  gelegt;  bher 
d^es  ist  der  einsige  mir  bektnnte  Fall,  daes  Theologen  BeWunde- 
rwm  für  den  Heldenmuth  eines  Andersgläubigen  aufagesprocben 
liaben^  Und  tch  zweifle^  Ob  in  allen  sechzig  Foliobänden  der  Bo^ 
labdlsten  auch  nur  ein  Oharakterzug  votkomäit,  welel^r  dem  mensCb» 
Uehto  HerzMi  so  vifd  Ehre  macht,  als  diese  moslinkische  Schilde^ 
rung  des  Todes  eines  heldetamüthigen  Juden.« 

Seht  Versehieden  von  Ibn  Hischam  lautet  auch  die  Darstellung 
des  Zuges  u4ch  Hildeibijah,  bei  Spi^nger,  der  aber  hier  Buchaci 
als  »eitoea  Gewührsmann  anführt*  Nach  Erstereüi  Ichlug  Mohamitiedy 
sobald  er  temahm,    dasä  die  Reiter  der  Kureischiten  ihm  ent- 


8prtBt«r:  Uk4m  Uotmoauti^w.  Iti 

gegemOgea,  emtn  beiehwerlichen  steinigten  üafweg  nach  Mekka 
ein,  worauf  jene,  ans  Furcht,  Mohammed  möchte  die  Stadt  Aber* 
fiükn,  eich  anoh  wieder  snrQckzogen  und  in  der  Nähe  der  Stadt 
eampirien.  Nach  Sprenger  sagt  Mohammed,  als  ihm  die  Nachriebt 
Tcm  den  Bewegungen  der  Mekkaner  hinterbracht  wurde,  n  den 
Tsraammelten  Gl&nbigen:  »Qebet  mir  euren  Bath,  soUen  wir  sie 
nielit  umgehen  und  nneem  Marsch  gegen  die  Familien  der  FreWer 
wanden,  welche  uns  den  Zutritt  zu  den  Heiligthttmem  wehren? 
Wtmm  ihre  Armee  dazwischen  kommt  und  uns  in  der  AusAUumog 
hind«riv  eo  ist  es  gerade  so,  als  hätten  wir  die  von  Boar  über« 
brachte  Kunde  nicht  benutzt.  Gelingt  es  uns  aber  die  Stadt  unr 
entdeckt  zu  tberÜEÜlen,  so  k9nnen  wir  sie  ausrauben  and  ihnm 
Sehaden  zufttgen.  Abu  Bekr  erhob  sich  gegen  die  unehrliche  Art 
dar  KriegfOhrung  und  sagte:  Du  bist  gekommen  um  zum  heiligen 
Tempel  zu  wallfahrten.  Wenn  sie  dir  den  Zutritt  verwehren,  dann 
wollen  wir  ihnen  im  offenen  Kampfe  begegnen.«  Hierauf  wird  dann 
berichtet,  daas  die  mohammedanischen  Beiter  auf  die  feindliche 
Beiterei  stiess,  und  Mohammed  ihnen  befahl  vonurücken  und  (trotz 
ihrer  geringen  Zahl)  den  ersten  Anprall  aoszuhalten,  bis  er  seine 
Lenia  in  Schlachtordnung  aufgestellt  haben  wtürde,  dass  aber  Chalid 
es  nicht  wagte,  sich  mit  den  Moslimen  zu  messen.  Schliesslich 
wird  aber  doch  auch  erzählt,  dass  die  Moslimen  dann  ttber  Felsen 
und  Schluchten,  auf  denen  ihnen  die  Beiterei  nicht  folgen  konnte, 
vorwärts  zogen.  Hier  war  doch  offenbar  die  Tradition  Ibn  Ishaks 
der  Baoharis  vorzuziehen,  denn  erstens  klingen  die  Worte  Abu 
Bekr's  gar  nicht  abereinstimmend  mit  dem  ganzen  damaligen  Krieg»- 
geeetze  der  Mohammedaner,  das  zu  jeder  Zeit  und  in  jeder  Weise 
den  Feind  des  Glanbens  zu  überlisten  gestattet,  ja  sogar  befiehlt, 
dann  ist  der  BUcksug  Chalid*s  nuY^ahrsoheinlich,  und  wenn  dieser 
wiridich  statthatte,  Mohammed*s  Abweichen  von  dem  bessern  Wegs 
schwer  zu  erklären.  -  Eben  so  wenig  Glauben  verdient  der  Bericht 
nach  Taimi  (p.  245),  demzufolge  ein  moslimisches  Corps  in  die 
Stadt  gedrsagen  wäre,  und  bei  der  Kaaba  mehrere  Kureisehit^ 
an^egriflen  und  gebunden  nach  Hudeibijah  geschleppt  hätte.  Aneh 
ist  die  Tradition  Ibn  Ishak's  glaubwürdiger,  der  nichts  davon  er* 
wähnt,  dass  Mohammedaner  in  die  Stadt  gedrungen,  was  jft 
fS&geti  den  Be£shl  Mohammed's  hätte  geschehen  müssen,  sondern 
unr,  dass  ein  Btreifoorps  der  Mekkaaer  von  40^^50  Mann,  welches 
das  mohammedanische  Lager  umkreiste,  aufgefangen  und  vorMtdi» 
geführt  wurde,  der  die  Gefangenen  begnadi|^,  obgleich  sie  geigen 
die  Moüimen  Steine  und  Pfeile  geschleudert  hatten. 

Seite  247  sagt  der  Verf.:  ^Nach  der  Erzählung  des  Ibnlshak 
war  die  Oährung  (Über  den  Waffenstillstand)  so  gross,  dass  dW 
MoBÜmen  daraof  und  daran  waren,  sich  ins  Yerderben  zu  stürzent 
d.  h.  den  Propheten  zu  verlassen.«  Diess  ist  aber  doch  nicht  mit 
den  Warten  hata  kädu  jahlakuna  gemeint,  sondexm  einlMh 
vor  Aerger  und  Schmerz  vergingen. 


JM  BprtDger:  lieben  Hobammad's. 

Die  Ueberschrift  des  21.  Kapitels  lautet:  »Gesandschafben. 
Eroberung  Ton  Chaybar.  Abfinden  mit  einem  Nebenpropheten. 
(April  628  bis  Ende  629.)«  Bei  den  Gesandtschaften  erwähnt  der 
Verf.,  ausser  den  schon  bekannten,  an  die  Fürsten  von  Persien 
und  Byzanz,  an  den  Mukaukas  von  Egypten,  den  Ref.  auch  für 
den  Häuptling  der  Kopten  hält,  und  an  mehrere  persische  oder 
byzantinische  Präfekten,  noch  einige  Andere  an  verschiedene  ara* 
bische  Häuptlinge.  Bei  der  Yertheilung  der  Beute  von  Chaybar 
(S.  274)  findet  sich  ein  kleines  Versehen.  Der  Verf.  schreibt: 
»Es  stellte  sich  heraus,  dass  1600  yon  ihnen  Anspruch  auf  die 
Beute  hatten,  davon  waren  200  zu  Pferde  und  erhielten  also  doppel- 
ten Antheil.€  Dann  weiter  unten:  > Nachdem  er  (Mohammed)  sein 
Fünfkel  genommen  hatte,  theilte  der  Kommissarius  den  Rest  in 
achtzehn  Haufen,  je  einen  für  hundert  Mann  (mit  Einschluss  der 
Pferde)  und  dann  wurden  die  Haufen  unter  denen,  welche  Antheil 
daran  hatten,  versteigert.  €  Nach  dem  mohammedanischen  Gesetze 
hatten  aber  die  Reiter  nicht  einen  doppelten,  sondern  einen 
dreifachen  Antheil  an  der  Beute  anzusprechen,  einen  für  die 
Person  und  zwei  für  das  Pferd,  es  mussten  demnach  2000  Haufen 
gemacht  werden,  nämlich  1400  für  das  Fussvolk  und  600  für  die 
Reiter.  Bei  Ibn  Ishak  (p.  774)  ist  auch  von  18  Haufen  die  Rede, 
aber  die  Zahl  der  Theilhaber  wird  nur  auf  1400  angegeben,  wor- 
unter 200  Reiter. 

Die  Betrachtung  des  Verf.  über  die  Polgen  der  Siege  Moham- 
med's  über  die  Juden  wollen  wir,  da  wir  ihm  vollkommen  bei- 
stimmen, hier  vollständig  mittheilen.  Nach  seiner  Berechnung 
waren  seine  Revenuen  nach  der  Eroberung  von  Ohaybar  stark  ge- 
nug um  4 — 6000  Mann  davon  zu  unterhalten.  »Es  unterliegt  kei- 
nem Zweifel,  dass  er  die  ersten  drei  Jahre  diese  Mittel  dazu  ver- 
wendete, seine  Militärmacht  zu  vergrössem.  Er  nährte  Hunderte 
von  Abenteuerer,  welche  nach  Medina  strömten  und  erkaufte  die 
Huldigung  einfiussreicher  Schaiche  durch  glänzende  Geschenke  und 
erbliche  Lehen.  Durch  solche  Mittel  gelang  es  ihm  weit  mehr,  als 
durch  seine  Inspiration,  in  wenigen  Jahren  den  Islam   über   ganz 

Arabien  zu  verbreiten Wenn  seine  Wünsche   (von  den  Juden 

als  Propheten  anerkannt  zu  werden)  inErftiUimg  gegangen  wären, 
so  würde  der  Islam  nie  siegreich  geworden  sein,  denn  die  Steppen 
von  Arabien  sind  der  unfruchtbarste  Boden  für  eine  theologische 
Theorie  ohne  materielle  Macht.  Seine  Absichten  sind  an  dem  Wider- 
stände der  Juden  gescheitert,  und  die  Umstände  haben  ihn  zum 
Eroberer  gemacht.  Durch  die  materiellen  Mittel  hat  der  Islam 
Kräfte  gewonnen,  die  auf  keine  andere  Weise  erreichbar  waren. 
Wenn  die  jüdische  Lehre  der  Embryo  des  Islams  war  und  durch 
sie  die  Ideen  des  Stifters  desselben  angeregt  wurden,  so  können 
wir  die  Palmenhaine  imd  die  Frohnarbeit  der  Israeliten  den  Dotter 
nennen,  welcher  dem  jungen  Geier  die  erste  Nahrung  bot.« 


Sprenger:  LebMi  Mebmmad't.  It9 

üeber  den  Ausgang  der  ScUaoht  bei  Muta  können  wir  der 
Ansieht  des  Herrn  Sprenger  nicht  zustimmen,  noch  weniger  seiner 
EiU&mng  der  Entstehung  der  entgegengesetzten  Ansicht.  Es  liegen 
nSmlich  zwei  Berichte  über  den  Ausgang  dieser  Schlacht  Tor,  nach 
dem  Einen,  den  uns  Ibn  Ishak  überliefert,  gelang  es  dem  Chalid 
blos  die  Moslimen  aus  der  Patsche  zu  ziehen  und  ohne  weitere 
Verlaste  nach  Medina  zurückzuführen.  Nach  dem  Andern  hatte  Chalid 
sogar  den  Feind  in  die  Flucht  geschlagen.  An  und  für  sichmuss 
man  schon  geneigt  sein  Ibn  Ishak  zu  folgen,  denn  wir  wissen,  dass 
die  Araber  so  gut  wie  die  Russen  und  Franzosen,  wenn  nur  mög- 
lich, lieber  Niederlagen  als  Siege  verschweigen,  und  wir  nehmen 
dalier  an,  dass  yielleicht  später  ein  Freund  Chalid*s  oder  seiner 
Familie  sich  nicht  damit  begnügte,  dass  man  ihm  den  Bückzug 
der  geschlagenen  Armee  yerdankte,  sondern  er  musste  auch  den 
Feind  besiegt  haben.  Herr  Sprenger  verwirft  aber  diese  Ansicht, 
indem  er  bemerkt:  »Die  Moslimen  befanden  sich  in  Feindesland, 
einer  geübten  Gayallerie  gegenüber,  ein  sicherer  Büokzug  ohne  Sieg 
ist  also  kaum  denkbar.  Ibn  Ishak  mag  den  yielleicht  unentschie» 
denen  Sieg  versch wiegen  haben,  um  die  düstere  Prophezeihung  des 
Mohammed,  welche  er,  ehe  eine  bestimmte  Nachricht  in  Medina 
eintraf,  aussagte,  und  mit  der  sich  die  Tradition  viel  besch&fkigt, 
nicht  Lüge  zu  strafen.«  Herr  Sprenger  glaubt  doch  wohl  selbst 
nicht  an  die  moslimischen  Berichte,  welche,  um  ihre  Niederlage  zu 
entschuldigen,  200,000  Griechen  und  verbündete  Araber  den  6000 
Moslinen  entgegen  treten  lassen;  war  aber  die  Fcberlegenheit  des 
Feindes  an  Zahl  und  Kriegstaktik  wirklich  so  gross,  so  musste  es 
ftir  Chalid  eben  so  unmöglich  sein  ihn  zu  schlagen,  als  schwierig, 
sich  zurückzuziehen.  Chalid  mochte  —  das  Terrain  des  Schlacht- 
feldes kennen  wir  ja  nicht  näher  —  eine  Stellung  eingenommen 
haben,  in  welcher  er  unangreifbar  war,  oder  einen  Weg  einge« 
schlagen  haben,  auf  welchem  ihm  die  feindliche  Beiterei  nicht 
folgffli  konnte,  auch  dürfen  wir  selbst  nach  Ibn  Ishaks  Bericht  an* 
nehmen,  dass,  wenn  er  auch  einen  Theil  des  Heeres  rettete,  doch 
noch  mancher  vom  nachsetzenden  Feinde  znsammengehauen  wurde. 
Dass  aber  Ibn  Ishak  Chalids  Sieg  verschwiegen  habe,  um  Mohammed 
nicht  Lüge  zu  strafen,  kann  nicht  wohl  zugegeben  werden.  Herr 
Sprenger  glaubt  doch  auch  nicht,  dass  Mohammed  wunderbarerweise 
von  Medina  aus  das  Schlachtfeld  sah,  und  den  Moslimen  alsbald 
den  nnglücklidien  Ausgang  der  Schlacht  verkündete.  Das  einzige 
Wahre  an  dieser  Sage  mag  sein,  dass  Chalid  einen  Schlachtbericht 
durch  einen  Boten  dem  Propheten  sandte,  so  dass  er  mehrere  Tage 
TOT  der  Bückkehr  der  Armee  den  Ausgang  der  Schlacht  kannte 
und  den  Inhalt  dieser  geheimen  Botschaft  als  eine  Offenbarung 
mittheilen  konnte.  Er  hütete  sich  aber  gewiss  die  Sache  düsterer 
auszumalen,  als  sie  in  Wirklichkeit  war. 

Dass  die  Moslimen  dem  falschen  Propheten  Museilama  allerlei 
AbsdienUchkeiten  andichteten,  glaubt  auch  Bef.  und  hat  diese  An* 


170  Spr«Bg«r:  Ltken  MobnDoned'B. 

sieht  sohon  in  seiner  Chalifengesehiohte  (I,  22)  ansgesprooken  nnd 
bewiesen,  dass  aber  Mohammed  demselben  Zugeständnisse  gemacht 
habe,  bleibt  nnr  eine  Vermnthnng  Hm.  ßprenger's.  Gewiss  ist  nnr» 
daes  Mohammed  ihn  nicht  bekriegte,  er  mochte  aber  seine  gnten 
GMlnde  gehabt  haben,  den  mächtigen  Benn  Hanifs,  welche  Aber  ein 
stärkeres  Heer  als  er  selbst  zu  gebieten  hatten,  nicht  den  Krieg  zu 
erklären. 

Das  22.  £[apitel  handelt  von  der  Eroberung  von  Mekka,  Yon 
der  Besiegong  der  Hawazinstämme  und  von  der  Grundlage  der 
innem  Organisation  des  neuen  Btcuttes.  (Januar  bis  März  (S30.) 
Die  Darstellung  der  beiden  ersten  Begebenheiten  enthält  wenig 
Neues,  ttber  die  neue  sehr  einfache  Organisation  stellt  der  Verf. 
das  Wichtigste  zusammen.  Er  erläutert  zunächst  das  Steuergesetz 
und  macht  auf  manches  ünbiUige  und  Unpraktische  dabei  aufmerk- 
sam, was  übrigens  auch  bei  der  Besteuerung  in  manchen  hochge- 
priesenen  Ländern  Europas  noch  TorkOmmt,  er  spricht  dann  Yon 
der  Verwendung  derselben,  die  auch  nicht  immer  in  gottgefälliger 
Weise  stattfand,  denn  sie  wanderten  zum  Theii  in  die  Koffer  der 
Bächen,  welche  für  den  Islam  gewonnen  werden  sollten,  zum  Theii 
wurde  sie  fOr  die  Bildung  und  Unterhaltung  der  Armee  gebraucht. 
Was  die  administrativen  Maassregeln  Mohammed*s  angeht,  so  mischte 
er  sich  selten  in  die  innem  Angelegenheiten  der  Städte  und  Stämme, 
höchstens  dass  er  einen  Yorbeter  bestellte,  wenn  die  Gemeinde 
keinen  Passenden  hatte.  Begelmässige  Besoldungen  wurden  erst  von 
Omar  eingeführt.  Auch  die  Gerichtspflege  wurde  noch  den  Ge* 
meinden  überlassen  und  erst  später  finden  sich  Kadhi's  in  allen 
bedeutenden  Orten.  Unter  Polizei  verstand  man  zu  jener  Zeit  das 
Ueberwachen  der  Beobachtung  der  kirchlichen  Vorschriften  nnddia 
Beaufeiehtigung  der  Märkte.  Eigentliche  Polizeibeamten  gab  es 
auch  noch  nicht  zu  Mohammed^s  Zeit. 

Das  28.  Kapitel  bandet  von  der  Huldigung  vieler  Stämme 
nnd  von  dem  Feldzug  an  die  byzantinische  Grenze.  (April  630  bis 
Februar  681.) 

Der  Hauptgrund  der  Unterwerfung  vieler  arabischen  Stamm« 
war  die  steigende  Macht  der  Moslimen,  hiezu  kam  noch,  wie  der 
Veif.  richtig  bemerkt,  eine  durch  den  Islam  hervorgerufene  Lodce- 
rung  aller  Verwandts<diaftsbande,  ein  gegenseitiges  Misstranen,  wel- 
ches eine  vollständige  Demoralisation  zur  Folge  hatte.  Einzeine 
Fanatiker  oder  einzelne  Glücksritter  warfen  sich  in  Mohammed's 
Arme,  und  nun  war  der  ganze  Stamm  verrathen,  denn  der  Islam 
löste  jedes  bestehende  Yerhältniss  und  heiligte  jedes  schlechte  Mittel, 
wenn  es  nur  dem  Glauben  und  den  Gläubigen  Yortheile  brachte. 
Die  G^chiohte  dieser  Deputationen,  deren  Beden,  Gedichte  uad 
Vorträge  mitgetheilt  werden,  flOllen  bei  Ibn  Ishak  über  dreisag 
Seiten  aus,  und  werden  auch  vom  Verf.  ausführlich  mit  den  nöthi* 
gen  geographisohen,  genealogischen  und  historischen  Ecläutemngen 
geschildert,  nur  Ton  den  Gedichten  werden  hier  nnr  ein  pear  kx»6 


Antellge  Bitgvttieili.  Za  dem  von  Zibrikan  (S.  867)  bemerkfln  wir» 
dMft  wir  in  der  Deatnng  der  Worte  (Ibn  Ishak  p.  985)  »wafiii4 
ta]issabii*l«bijaa€  nicht  mit  ihm  übereinstimmen.  Er  ttbersetsi: 
»im  unflerm  Lande  erheben  sieh  (christliche)  Kirchen.«  H.  Sprenger 
selbst  schreibt  Aber  die  Tamimiten,  deren  Dichter  hier  auftritt: 
»Die  Meisten  waren  Heiden.  Unter  den  in  Dörfern  am  Tigris  leben- 
den Tamimiten  gab  es  Christen  nnd  Magier,  nnd  selbst  in  der 
Wüste  finden  wir  einen  Häuptling  (Akra  Ibn  Habis),  welcher  das 
Feuer  anbetete.«  Wir  sehen  also,  dass  die  Zahl  der  Christen  sehr 
gering  war,  dass  sie  eigentlich  gar  nicht  unter  dem  Stamme  selbst  in 
der  Wüste  lebten,  sondern  in  Dörfern  am  Tigris.  Der  Stamm  der 
Ben«  Tamim  wird  auch  sonst  nirgends  als  ein  sum  Christenthum 
bekehrter  genannt,  und  wenn  einzelne  Tamimiten  in  Dörfern  am 
Tigns  Christen  waren,  so  haben  sie  doch  schwerlich  Kirchen  ge« 
hnaty  auf  welche  der  Stamm  stolz  sein  konnte.  Ausserdem  glaabt 
Bef.,  dass  das  Wort  nassaba  zwar  heben,  aufrichten,  aber  nieht 
baoMif  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes,  bedeutet,  femer  mttsste 
ancb,  nach  H.  Sprenger*s  Uebersetznng ,  der  Artikel  fehlen,  und 
nur  wena  von  bestimmten  berühmten  Kirchen  die  Rede  wäre,  stände 
der  Artikel  an  seinem  Platze.  Darum  hat  Bef.  vorgezogen,  diese 
Stelle  mit  »unter  uns  blüht  (wörtlich  wird  gehoben,  besteht)  der 
Handel«  zu  übersetzen.  Dass  das  Wort  biau  plur.  von  biatnn,  diese 
Bedentang  hat,  findet  man  im  Kamuss,  und  wenn  die  Tamimiten, 
wie  H.  Sptmger  berichtet,  sich  vom  Tigris  und  dorn  persischen 
Meerbusen  bis  einige  Tagereisen  östlich  von  Mokka  ausdehnten,  so 
mochten  sie  wohl  bedeutenden  Handel  treiben,  oder  auoh  durch 
ihren  Söhntz  den  Handel  durchziehender  Karawanen  möglioh  machen. 
Den  Feldzug  nach  Tabuk,  an  die  byzantinische  Grenze,  will 
der  YerfL  in  den  Spätsommer  630  setzen,  obgleich  sämmtliche 
Quellen  den  Monat  Badjab,  der  mit  dem  14.  Oktober  anfing,  als 
Zeit  des  Aufbruchs  und  den  Bamadhan,  der  am  12.  Dezember  an« 
fing,  ak  die  der  BUckkehr  nach  Medina  angeben.  Er  behauptet, 
es  mitese  ein  Irrthnm  im  Datum  sein,  weil  bei  diesem  Feldzage 
von  grosser  Hitze  die  Bede  ist,  was  auf  den  Oktober  nicht  passt. 
Aber  abgesehen  davon,  dass,  wenn  auch  in  der  Begel  im  Oktober 
sehen  ^e  kühle  Witterung  beginnt,  doch  ausnahmsweise  in  jenem 
JaluB  die  Hitse  andauernder  gewesen  sein  mochte,  was  ja  selbst 
m  onserm  Clima  schon  vorgekommen  ist,  so  steht  auch  bei  den 
Biographen  nicht,  dass  die  Hitze  zur  Zeit  des  Marsches  on- 
ertrllglich  war,  sondern  zur  Zeit  als  der  Befehl  zur  Aus* 
rtlstnng  f&r  diesen  Feldzug  ertheilt  wurde,  was,  wie  aus  dem 
ganaen  Znsammenhange  hervorgeht,  mehrere  Wochen  vorher  geschah. 
Es  beisst  wörtlich  bei  Ibn  Ishak  (S.  894):  »Als  Mohammed  den 
Befehl  zur  Ausrtlstung  gab,  waren  die  Leute  in  Noth,  sie  litten 
viel  von  der  Hitze,  und  hatten  Mangel  an  Lebensmitteln,  es  war 
zur  Zeit  der  B^fe  dm- Früchte,  so  dass  sie  gern  zu  Hause  blieben» 
bei  ihrin  Frttditta  und  in  ihrem  Schatten  und  utttar  >Bolohen  Um* 


172  Sprenger:  Leben  MobAmmed't. 

ständen  nicht  gern  in*s  Feld  zogen.«  Mohammed  hatte,  als  er  den 
Befehl  zur  Ausrüstung  ertheilte,  keine  Zeit  zum  Abmärsche  be- 
stimmt, so  dass  die  Heuchler,  welche  gern  jeden  Vorwand  er- 
griffen, um  Mohammed's  Pläne  zu  durchkreuzen,  sagen  mochten: 
»ziehet  nicht  in  der  Hitze  aus!«  man  traf  keine  Anstalten  zum 
Feldzuge  und  Mohammed,  der  ursprünglich  yielleicht  schon  im 
September  aufbrechen  wollte,  um  vor  der  Regenzeit  wieder  heim- 
zukehren, musste  den  Abmarsch  verschieben  und  wiederholte  Be- 
fehle zur  Beschleunigung  ertheilen,  so  dass  er  erst  im  Oktober 
Medina  verlassen  konnte.  Dass  das  Heer  auf  dem  Feldzuge  selbst 
an  Hitze  gelitten  habe,  wird  nirgends  gesagt. 

Im  Vertrage  mit  dem  Fürsten  von  Ajla  (S.  423)  übersetzt 
H.  Sprenger  die  Worte  >la  jahulu  nafsuhu  duna  mälihi«  durch  »so 
ist  nicht  nur  sein  Vermögen,  sondern  auch  die  Sicherheit  seiner 
Person  verwirkt«,  während  sie  nach  Befer.  bedeuten,  »dessen  Out 
kann  sein  Leben  nicht  schützen.«  Der  Sinn  ist  freilich  nach  Spr. 
besser,  ob  sich  aber  diese  Deutung  dem  Wortlaute  nach  rechtfer- 
tigen lässt,  ist  eine  andere  Frage. 

Das  24.  und  letzte  Kapitel  hat  die  üeberschrift :  »Kündigung 
der  Verträge.  Disputation  mit  Christen.  Pilgerfest.  Tod.  (März  631 
bis  8.  Juni  632.) 

Der  Feldzug  nach  Tabuk  war  erfolglos  abgelaufen  >  weil  die 
heidnischen  Araber  sich  in  geringer  Zahl  dabei  betheiligt  hatten, 
denn  das  Zurückbleiben  einer  Anzahl  Heuchler  von  Medina  allein 
konnte  nichts  entscheiden.  Mohammed  fühlte,  dass  er  nur  auf  die 
Gläubigen  zählen  durfte,  denen  er  nöthigenfalls  seine  Wünsche  in  Form 
göttlicher  Befehle  vortragen  konnte,  und  dass,  *  so  lange  als  Arabien 
von  Heiden  bewohnt  sein  würde,  seine  Macht  unvollständig  bleiben 
müsste.  Er  beschloss  daher,  keine  Heiden  mehr  zu  dulden  und 
einen  wahren  Vertilgungskrieg  gegen  sie  zu  verkünden.  Da  aber 
zwischen  ihm  und  vielen  heidnischen  Stämmen  Verträge  bestanden, 
so  musste  er  Gründe  anfahren,  die  ihn  berechtigten,  sie  zu  brechen, 
und  man  sieht,  wie  er  sich  bemüht  diesen  Wortbruch  zu  verhüllen 
und  zu  rechtfertigen.  Er  nennt,  weil  er  gnädig  genug  ist,  die 
Heiden  nicht  sogleich  niedermetzeln  zu  lassen,  sondern  ihnen  eine 
Bedenkzeit  von  'vier  Monaten  gönnt,  seine  Kriegserklärung  ein 
Sicherheitsgelöbniss,  und  gebraucht  überhaupt  allerlei  verwirrende 
Umschweife  und  Sophismen,  die  seiner  Bedekunst  Bewunderung  zu- 
ziehen, auf  seine  Treue  und  Redlichkeit  aber  ein  schlechtes  Licht 
werfen.  Diese  neue  Lehre  wagte  Mohammed  wahrscheinlich  nicht 
selbst  zu  proclamiren^  darum  blieb  er  in  Medina  und  sandte  Abu 
Bekr  nach  Mekka  als  Führer  der  Filgerkarawane  und  Ali  musste 
ihm  folgen,  um  den  versammelten  Pilgern  die  Kriegserklärung  zu 
überbringen.  Erst  im  folgendem  Jahre,  als  kein  ungläubiger  mehr 
in  Mekka  erschien,  pilgerte  Mohanmied  selbst  dahin  und  hielt 
mehrere  Predigten,  in  welchen  er  der  versammelten  Menge  die 
wichtigsten  Gesetze  und  Dogmen  des  Islams   vortrug.    Unter  den 


8pT«Bg«r:  Leben  Mehaauned'ft.  178 

neaen  Verordnniigen  Mohammed's  befindet  sich  eine,  welche  schon 
den  alten  Moslimen ,  bis  auf  Ibn  Ishak  zurück ,  nicht  mehr  recht 
klar  war,  nnd  die  in  neuerer  Zeit  von  de  Sacy,  Caussin  dePerce- 
Tal,  Mahmud  Efendi ,  Sprenger,  Beinaud  und  Bef.  in  verschiedener 
Weise  besprochen  worden  ist.     Es   handelt  sich  besonders  um  die 
Deutung  des  87.  Verses  der  9.  Sura,   welcher   das  nasi  als  eine 
Verimmg  des  Unglaubens  erklärt  und  desshalb  abschafft,  weil  es 
von  den  Heiden  bald  zugelassen,  bald  verboten  wurde,   indem  sie 
mit  der  Zahl  der  heiligen  Monate  in  Einklang  zu  bleiben  suchten, 
aber  einen  Monat  für  unheilig  erklärten,  welchen  Gott  zu  heiligen 
befohlen  hatte.     Manche  glauben,   und  berufen   sich  auf  arabische 
Autoren,  die  Araber  haben  bis  zur  letzten  Pilgerfahrt  Mohammed's, 
wie  die  Juden,  Schaltjahre   gehabt,   und   nach  je   zwei  oder  drei 
Jahren  einen  Monat    eingeschoben,    um    das    Mondjahr    mit    dem 
Sonnenjahre  in  Einklang   zu  bringen  und   das  Pilgerfest  wie   die 
jlldischen  Ostern  stets  im  FrOhling  feiern  zu  können,    Mohammed 
liabe  aber  das  reine  Mondjahr  ohne  Intercalation  eingeführt,  so  dass 
fortan  das  Pilgerfest  in  allen  Monaten   des  Jahres  gefeiert  wurde. 
Bef.  hat  schon  in  seiner  Einleitung   zum   »Mohammed«   seine  Be- 
denken gegen  diese  Ansicht  geäussert  und  H.  Sprenger  findet  auch, 
daes  es  schwer  sei,  diese  Aenderung  in  den  genannten  Vers  hinein- 
zadeuten,   denn  nasi   bedeutet  nicht   einschalten   oder  ver- 
mehren, sondern  vergessen,  übergehen.  Der  Wortlaut  des 
Verses  spricht  entschieden  für  die  Ansicht  de  Sacy's,  welcher,  auf 
Ibn  Ishak  und  andere  gestützt,  glaubt,  die  Araber  haben  zuweilen 
aas  politischen   Gründen   einen    der  heiligen  Monate   als  unheilig 
erklärt,   dafür  aber,  um  doch  dem   alten  Gebrauche  gemäss    vier 
Monate  im  Jahre  heilig   zu  halten,    einen   Andern  geheiligt,   und 
Mohammed  habe  hiermit  dieser  willkürlichen  Aenderung  der  Ord- 
nung der  heiligen  Monate   ein  Ende   gesetzt.     Herr  Sprenger  und 
Beinaud  nehmen  an  ,   die  Araber  haben    Sonnen-  und  Mondjahre 
zugleich  gehabt,  sie  haben  das  Pilgerfest  stets   nach  dem  Bonnen- 
jahre im  Frühling  gefeiert,  daneben  aber   zur   Bequemlichkeit  der 
Araber  fOr  das  Geschäftsleben  das  reine  Mondjahr  beibehalten.  Das 
nasi  bestand  nach  Ersterem  darin,  dass  man  die  eingeschalteten 
Monate  vom  folgenden  Jahre  abzog,  so  dass  dieses  mit  dem  zwei- 
ten Monate    begann  und   dann    einen   Monat   vom    dritten  Jahre 
entlehnte,  bis  wieder  ein  neuer  Schaltmonat  hinzukam  und  die  alte 
Ordnung  hergesteUt  wurde.     Nach  H,  Sprenger  wäre  der  Sinn  des 
nasij   einfach  übergehen.     Vor   Mohammed's    Aenderung    wurde 
nämlich  das   Pilgerfest,   das  immer   im    Frühling  gefeiert  werden 
sollte,  in  einem  Monate   zwei  oder  drei  Jahre  hinter  einander  ge- 
feiert, dann  wieder  auf  einen  folgenden  verschoben,  um  nicht  über 
den  März  hinauszugekommen  und   so   der   Monat   der  ersten  zwei 
Jahre   übergangen  und   als  unheilig   erklärt.     Da   die   arabischen 
Quellen  sich  theils  widersprechen,  theils  unklar  sind,  auch  die  Be- 
weise der  Europäischen  Gelehrten  für  die  eine  wie  für  die  andere 


114  IteinlkArd:  AÄm  orMs  ttttquL 

Aneichi  nichts  UeberzettgeiideB  babea,  so  AlUt  es  sohwer  hieir 
•ine  bedtimmt«  EntBcfaeidutig  abztigebexi.  Herr  Sprenger  ter- 
siiithet  unter  Anderm  auch,  der  arabische  Badjabmonat  entspreche 
dem  Jüdischen  Nisan,  er  setst  dann  weiter  hinsn:  »Das  Wort 
Atirah  bedeutet  Opferlamixi.  ..  Bei  Ibn  Ishak  S.  659  ist  ein  Ge- 
dicht, welches,  wenn  es  auch  ron  einem  Moslim  ver^st  wurde, 
doeh  einem  Juden  zugeschrieben  wird  und  voraussichtlich  in  jlidi- 
Bcher  Phraseologie  ist.  Es  werden  darin,  die  Israeliten  von  Medina 
mit  »den  Atjrren  des  Tdtages«  verglichen;  wir  hbnnteu  es  also 
mit  Osterlämmem  übersetzen,  denn  das  Yd  ist  Ostern.«  Diese 
Hypothese  zerflUlt  aber  in  nichts,  da  in  dem  angeftlhrten  Gedichte 
nicht  die  Israeliten  Hedinas,  sondern  die  einst  geschlachtet  werden 
sollenden  Mohammedaner  den  Opferthieren  an  ihrem  (dem  arabi- 
schen) PilgeifBSte  yerglichen  werden.  Der  Dichter  Sammak  be- 
weint nSmlich  die  gefallenen  Juden  der  Benu  Nadhir  und  sagt 
dann:  »Wenn  wir  aber  dereinst  heimbezahlen,  so  werden  wir  ftr 
(den  erschlagenen)  Eaab  Männer  hingestreckt  liegen  lassen,  als 
w&ren  me  gesohlachtete  Opferthiere  des  Pilgerfestes,  BaubvOgel 
worden  sie  mnkreisen,  ohne  dass  sie  jemand  yerschenche  u.s.  w.« 
Wir  schliessen  diese  Anzeige,  indem  wir  unser  ürtheil 
über  das  vorliegende  nun  vollendete  Werk  —  das  Register  soll 
«bald  nachgeliefert  werden  —  schon  bei  Besprechung  der  ersten 
Bttnde  geföllt  haben,  und  bemerken  nur,  dass  dieser  letzte  Band 
weniger  gewagte  Hypothesen  und  weniger  Anszttge  aus  dem  Koran 
als  die  beiden  ersten  enth&lt.  Manche  Leser  dürften  bedauern^ 
dass  der  Verf.  statt  der  ausfOhrlishen  Erzählung  aller  Raubzüge 
»nd  kleinen  Scharmützel,  sowie  der  zahlreichen  Deputationen,  ihnen 
nicht  mehr  über  die  Gesetzgebung  Mohammed's  mitgetheilt  habe. 
In  der  Hauptsache  hat  aber  der  gelehrte  Yerf  seine  Aufgabe  g^üek- 
lioh  gelöst,  er  hat  ohne  Yorurtheii  den  Cäiarakter  Mohammed's 
nach  allen  Seiten  beleuchtet  und  in  der  Darstellung  seines  Lebens^ 
das  der  Araber  seinerzeit  eingefloohten,  er  hat  die  Entstehung  dee 
Islams  und  dessen  Entwicklung  richtig  aufge£asst  und  vortrefflich 
dargestellt,  und  hat  er  auch  wenig  neues  Thatsilchliches  geboten, 
so  sind  doch  seine  Erläuterungen  und  Bemerkungen  so  anziehend, 
so  anregend  und  mitunter  auch  so  belehrend,  dass  die  YorMjge 
dieser  Arbeit  ihre  Mängel  weit  überwiegen.  Weil« 


AUtu  orbia  antiquu  In  usum  seholarum   edidU  Hermann  Rtin^ 
hard,  Gftnn.  8Uiüg.  Prof.  EdiHo  aUera.  Sitdigart.  Krms  4t 
Hoff^mun.  IßSö. 

Dieser  Atlas  der  alten  Welt,  der  bereits  in  seiner  zweiten  Auf- 
lage vorliegt,  dürfte  für  den  Gebraueh  auf  Schulen  insbesondere 
sn  «apfehlen  sein,   da  er  auf  seinen  zehn  Xafidn  Alks  das  bistet. 


R»l*li«rd:  AllM  oiMi  irtliiiL  «T5 


dir  BAUkit  bei  der  Leotfin  der  alten  SebriftefeeUer»  wie  bei 
ten  geechiAtiiclwa  Unterricht  ftlr  sein  Bedllxfiiiss  nOtlng  hat«  und 
die  Ansftlhning  des  Ganzen,  anch  in  artistischer  Hinsieht,  eine  sehr 
aergfUtige  nnd  befriedigende  ist,  während  die  Anschaifang  durch 
den  billigen  Preis  dem  Schfiler  so  sehr  erleichtert  ist.  Von  den 
eOf  Tafeln  des  (Ganzen  enthält  die  erste  eine  C^sammtübersicht  der 
elien  Welt,  die  zweite  Aegjpten  nnd  Palästina,  mit  genaner  An- 
gabe des  Zngs  der  Israeliten  ans  Aeg3rptein  dnrch  die  Wttste  nach 
Palästina;  anf  derselben  Taüsl  findet  sieh  noch  ein  kleinerse Kart- 
dtöa  mit  Palästina  nach  den  zwölf  Stämmen  vor  der  Zeit  des  Exils 
nod  aewei  sorgfältig  gezeichnete  Pläne  von  Jerusalem  und  Alezandria« 
An  dritter  Stelle  folgt  Asien,  d.  h.  soweit  das  alte  Persische 
Beich  und  die  Monarchie  Alexanders  des  Chroseen  reicht.  Alexan- 
dere Eroberungszug  ist  genau  durch  einen  rothen  Strich  bezeichnet, 
eben  to  die  Fahrt  des  Nearehns,  die  yon  Alexander  neu  gegründe- 
ten Städte  sind  dnrch  einen  rothen  Strich  henrorgehoben ,  a«f 
zwei  besmidereD  Kärtchen  ist  die  LandscbafI  zwischen  dem  Paro- 
pamiaas  und  Indus,  so  wie  das  Beich  der  Lyder,  Meder,  Babyloaier 
und  Juden  abersichtlich  dargestellt«  Das  vierte  Blatt  enthält  Kleia- 
■slim  mit  Syrien  und  Armenien;  der  Zug  des  Xerxes  aus  dem 
Innen  Asiens  gegen  HeUas,  der  Marsch  des  jangeren  Cyrus  und 
Xcsophofi  nebst  dem  Bttcksug  des  letztem,  endlich  der  Zug  Ale- 
nuBdars  dee  Oroesea  ist  eingezeichnet.  Die  ftefte  Tafel  bringt 
Griedenland  mit  Einsehluss  T0<n  Macedonien  und  Thracien,  so  ^ 
der  Weetküste  Kleinasiens,  besonders  angebrachte  Oarton's  ent- 
halten die  Umgebungen  von  Athen  (auch  mit  Bezog  aaf  dieSehlaclit 
bei  Salamis),  Sparta,  Oorinth  und  Troja,  dessen  vielbestritteBe  Lage 
hier  richtig  nach  den  neuesten  Forschungen  angegeben  ist.  Dnräi 
tersehiedette  Farben  sind  die  Staaten  und  Völker  Doriechen,  Joni- 
sehettt  Aeolischen  Stammes,  so  wie  Macedonien  von  einander  unter- 
■ehieden,  und  eben  so  wie  auf  den  oben  bemerkten  Tafeln,  ist  Oäsar's 
Zag  inon  Dyrhachium  ans  nach  Pharsalus  eingezeichnet.  Tafel  VI 
bfiiigt  Spanien,  den  sttdHchen  Theil  Galliens,  und  die  denCartha- 
gem  unterworfene  Nordküste  Afrikas,  ebenfalls  noch  mit  einem  be- 
soadem  Kärtchen  Aber  die  den  Oarthage'rn  unterworfenen  Länder. 
Hannibids  Zage  dur<^  Spanien  sind  eingeseicbnet,  die  Griechischen 
KMonien  in  £^>anien  und  im  sttdlichen  Gallien  roth  unterstrichen. 
Gallien,  Germanien  und  Britannien  sind  auf  Tafel  Vn  dargestellt: 
auf  TaM  Vm  das  römische  Beich  in  seinem  Gesammtumfeng  im 
vierten  cluristlichen  Jahrhundert;  Tafel  IX  bringt  Italien,  an  den 
Seiten  ein  besonderes  Kärtchen  von  Latium,  Pläne  von  Oartiuigo 
und  Syracus  so  wie  von  der  Bucht  von  Neapel.  Die  beiden  letzten 
Tafeln  bringen  einen  sehr  genauen,  nach  den  neuesten  Forschungen 
revidirten  Plan  von  dem  alten  Born,  wie  von  Athen:  beides  ge- 
wiss recht  nfitzlich  und  förderlich,  beides  auch  über  den  Gebrauch 
der  Schule  hinausreichend.  Wir  können  daher  die  Verbreitung  die- 


116  Lntberi  Cdloqui«  ed.  Bin  da e IL 

868  nützlichen,  Ar  den  Unterricht  in  den  classifichen  Sprachen  und 
die  Stadien  des  classischen  Altei*thiun8  unentbehrlichen  Atlas  nur 
sehnlichst  wünschen. 


D,  Martini  LiUheri  CoUoquia,  Meditatianes,  Consolationes ,  Jttdicia, 
Senieniiae,  Narraiiones,  Responsa^  Faeetiae  e  codiee  M8.  hihUo- 
ikeeae  Orphanotrophei  HcUensis  cum  ptrptiua  coUatiout  fdituh- 
nia  Rebensloekianae  ediia  et  proUgomtnis  indicibuttgite  iuMrada 
ab  Hfnrico  Erneato  Bindseil,  phiL  doct.  Profeasore  etc. 
eic,  Tomua  IL  Ltmgoviae  et  Detmoldiae,  typis  sumtifnisque 
Miyeriani  bibliopolei  auliei,   1864.   X  und  3S9  8,  in  gr,  8. 

üeber  den  ersten  Band  dieser  neuen  Ausgabe  der  lateini- 
schen Tischreden  Luther*s  s.  diese  Jahrbb.  Jhrgg.  1868.  S.  736 
Alles  y  was  dort  bemerkt  worden  ist  über  die  kritische  Sorgfalt, 
mit  welcher  der  Herausgeber  in  diesem  erneuerten  Abdruck  rer- 
fahren  ist ,  der  sich  an  die  zu  Halle  befindliche  Handschrift  des 
Jahres  1560  getreu  anschliesst,  kann  eben  so  auch  von  diesem 
zweiten  Bande  gelten,  bei  welchem  eben  so  unter  dem  Text  alle 
Abweichungen  der  Handschrift  wie  der  gedruckten  (Bebenstock'schen) 
Ausgabe  aufgeführt,  und  hier  und  dort  auch  noch  mit  weiteren 
Nachweisungen  versehen  worden  sind,  wie  diess  auch  bei  dem 
ersten  Bande  geschehen  ist.  Wenn  der  Herausgeber  anfangs  die 
Absicht  hatte,  in  zwei  Bänden  Alles  zu  geben,  wie  diess  in  der 
Bebenstock'schen  Ausgabe  der  Fall  ist,  so  ist  er  davon,  in  Be- 
tracht des  allzugrossen  ümfangs,  welcher  dann  diesem  zweiten 
Bande  hätte  gegeben  werden  müssen,  zurückgekommen  und  hat 
jetzt  das  Oanze  in  drei  Bände  abgetheilt,  was  gewiss  bequemer 
für  den  Gebrauch  des  Lesers  ist,  indem  auf  diese  Weise  Alles 
gleichmässiger  vertheilt  ist  und  die  Bände  nicht  zu  stark  werden. 
Sonach  enthält  der  erste  Band,  das  was  in  der  Handsbhrift  auf 
fol.  1— 216b  steht,  der  zweite  fol.  218b— 455b,  der  dritte  von 
da  bis  654  b;  diesem  dritten  Bande  sollen  dann  auch  umfassende 
Indices  beigegeben  werden;  Inhaltsübersichten (Conspectus  capitum 
etc.)  zu  dem  ersten,  wie  zu  dem  vorliegenden  zweiten  Bande  sind 
diesem  selber  beigefügt.  In  der  äusseren  Ausstattung  nach  Druck 
und  Papier  ist  Nichts  verändert.  Möge  es  den  Bemühungen  des 
Herausgeber*s  gelingen,  die  Vollendung  des  Ganzen  in  Bälde  aeu 
erzielen. 


b.  12.  BEIDEIBERGER  IM». 

JAHRBÜCHER  DER  LnERATüR. 


Lamarre  Ck    Dr,  i^L  Prof.     De  la  Miüee  romcdne,   d^ptdi  la 
fondalum  de  Rame  juagi^ä  CofutanHn.     Pori$  1868.     406  8. 

Ein  Werk  ans  dem  Gkbiete  der  rOmisohen  Alterthlliiier,  und 
Sber  einen  wichtigen  Theil  derselben !  Man  kann  wirkHck  sagen, 
dass  die  Erkenntniss  des  rOmiscben  Alteitbmns  nnr  snr  H&lfte  er- 
bagt  ist,  wenn  man  seiner  Oesobichte  Walten  erst  aas  dem  Heilig- 
tlnun  der  Becbtsaltertbflmer  dargestellt  bat,  nnd  nicbt  anoh  nocb 
^  Bedfirfniss  f&blty  dem  kriegeriscben  Geiste  Roms  eine  metho- 
diache  Berücksicbtigong  zn  Tbeü  werden  zu  lassen,  indem  man  der 
DarsteUnng  der  Kriegsalterthflmer  den  Anspmcb  eines  Pendants 
eifliftmnt.  Sebr  ricbtig  äussert  sieb  ein  französisober  Jnrist  neue- 
sten Datums,  Dübois-Oflcbon,  in  seinem  Bucbe :  Taeite  ei  eon  eUele 
Bsnd  I.  S.  25 ,  unter  Widerlegung  der  Ansiebt ,  dass  die  BOmer 
QA  Angriffsrerfiftbren  befolgt  hätten,  folgendermassen :  j,Lei  Romaine 
oirent  ä  ee  pre'eerver  dee  Sabine,  de  Etrueguee,  de»  LaUne,  dee  8am^ 
"i(tt;  t2s  flnirent  par  lee  abeorber.  L'Eiruegue  etait  myeHgiu  et  eag$; 
fe  Sabin  avaU  un  grand  fonde  d^iquiU;  le  Latin  etaii  rüde  ei  avare; 
k  Sammle  y  eneore  plue  fter  qt/ambitieux.  Ce  eont  lä  de  fermee 
^menU  de  rSeietanee,  ee  ne  eont  pae  dee  germee  agreeeife,  ei  je 
ptex  le  dire.^'  Die  Römer  selbst  waren  so  sehr  überzeugt,  dass 
die  Anlage  zum  Kriegsbandwerk  einen  Antbeil  an  ihrem  Wesen 
ittbe,  dass  sie  die  Meimmg  hatten,  die  Legion  sei,  durch  was  immer 
ftr  menschliche  Anlässe  ausgebildet,  eigentlich  dtovnUaHe  ineiinetu 
iurrorgerufen  und  angestellt  worden.  Vgl.  Veget.  ü,  21.  ImHin- 
bliek  auf  diese  Bedeutxmg  der  römischen  Eriegsalterthttmer  fllr  die 
Sikenntniss  der  römischen  Geschichte  haben  wir  das  obige  Werk 
mit  Freuden  begrttsst,  und  uns  seiner  Prüfung  mit  ebenso  grosser 
Bereitwilligkeit  beflissen. 

Die  Vorzüge  eines  Buches  der  yorliegenden  Art  ergeben  sich 
ttis  der  Darstellung  oder  wenigstens  Hervorhebung  seines  Details. 
I^mgemäss  werden  wir  nicht  umhin  können,  Ton  dem  letzteren 
Kfi&ntniss  zu  nehmen. 

Das  Buch  zerf&llt  in  vier  »Partieen«,  wovon  die  erste  die 
Bestandtheile  des  Heeres  aufzählt  (8.  81—122),  die  zweite  eine 
Beechreibung  der  Feldübungen,  Angriffs-  und  Yertheidigungsweisen 
gibt  (8.  122--208),  die  dritte  von  der  Marine  und  ihrer  Taktik 
^delt  (S.  209—305),  und  die  vierte  von  der  Verwaltung  der 
sof  das  Heer  bezüglichen  Besserte  (3.  306  u.  ff) 

Hiemach  bilden  Truppengattungen,  Waffen,  Zahlenverhältnisse, 
I^gionseintheilung,  Officiere,  Insknmente  und  Standarten,  den  In- 
fc»tt  der  ersten  Partie: 
liVm.  Mvi^  8.  Heft  12 


178  Lamarre;  D(«  la  MOiee  romain«. 

a.  Was  die  Truppengatttiiigen  betriflFfc,  so  beschreibt  der  Verf. 
zuerst  die  schwer^  Infanterie,  nach  ihren  Bestandtheilen  (prineipes 
-j-  hastati  K=s  cmtepUani  und  püani  oder  iriarii),  leitet  den  Namen 
tHarii  von  ihrer  Aufstellung  in  dritter  Linie  ab,  unter  Berufung 
aüTLivius,  und  unter  Ablehnung  einer  weniger  wahrscheinlichen 
neueren  Ansicht,  und  schliesst,  nachdem  er  S.  83  noch  über  die 
Anzahl  dieser  drei  Corps  gesprochen,  diese  Beschreibimg  mit  der 
Bemerkung,  dass  ihre  Namen  gegen  Ende  der  Republik  in  der 
uixiformirenden  Bezeichnung  legionarii  unterging. 

Im  Felde  befand  sich  auf  den  Flanken  noch  leichte  Infanterie, 
velitea,  yom  Verf.  mit  den  Tirailleurs  verglichen,  und  nicht  streng 
genommen  zur  Legion  gerechnet,  weil  sie  nicht  corpsweise,  sondern 
nur  gruppe;i^weise ,  zwischen  Legionscohorten  und  Beiterturmen 
kämpften,  und  überdies  nur,  um  zu  kämpfen.  Dem  Nameii  nach 
verschieden^  waren  im  Wesen,  d.  h.  nach  Ajifstellung  und  Bestim- 
mung epi  un4  dasselbe  die  ferentatii,  oder  jaculaiores,  Nnr  im 
Bücken  der  l(egionätruppen  kamen  RoraHi  zu  stehen,  deren  Namen 
die  Granunatiker  von  Rores  ableiten,  im  Sinne  der  Zahl  der  Ge- 
schosse, und  wjleder  hinter  diesen  die  Aceensi,  bestimmt,  die  durch 
Niederfallen  der  Rorarii  entstandenen  Lücken  auszufüllen,  und  wegen 
ihres  Mangels  von  Büstung  und  Offensivwaffen  auch  vdati  (Bekleidete) 
geheissen.  Hierunter  rangirt  der  Verf.  noch  die  fundüores  {öq^ev- 
dov^a)  und  sagütarü  (arguiies), 

N^n  kommt  die  Beiterei!  Aus  den  ursprünglich  patricischen 
celeres  hervorgegangen,  wurden  sie  bald  eine  Waffe  für  reiche 
Patricier*).  Den  zahlreichsten  Bestandtheil  haben  von  Jeher  die  Ver- 
bündeten gebildet.  Ihre  Stellung  war  auf  den  Flügeln  (equüe9  alarii), 
im  Gegensatze  zu  den  eguües  legionarii  oder  der  auserlesenen  Bei- 
terei, in  der  man  unterschied  equites  sagütarii  und  coTüariL  Die 
tquiitß  eztraordinarü,  gleichfalls  verbündeten  Ursprungs,  bildeten 
ein  besonderes  Corps  für  den  Dienst  der  Consuln.  Erst  sehr  spät, 
in  der  Zeit  4^3  Julianus  kommen  cataphraoU  eguües  vor  laut 
einem  Citat  bei  Ammianus  Marcellinus. 

Soweit  von  Fussvolk  und  Beiterei!  Für  Bel^ger^gszwecke 
erwähnt  der  Verf.  noch  iragulariij  eine  Art  von  Artillerie,  welche 
die  Projektilen  (Iragtdae)  in  den  Platz  zu  werfen  hatten,  und  die 
cunicularii,  die  ^r  den  Sapeurs  oder  Mineurs  vergleicht. 

Fast  in  Versuchung,  auch  die  Nachtwächter-Cohorten  der  Stadt 
.Born  in  seine  Aufzählung  hereinzuziehen,  d.  h.  die  sergents  de  ville 
und  die  pompiers,  fühlt  er  sich  doch  bei  Zeiten  gewarnt,  die  Deu- 
tung zu  verschulden,  dass  diese  eigentlich  zum  Ueere  zu  gehören. 
So  bleibt  ihm  der  Name  vigües  im  militärischen  Sinne  auf  die 
nächtlichen  Wachtposten  an  den  Lagerthoren  beschränkt. 

Im  Schluss  dieses  ersten  Capitels  bringt  er,  etwas  ohne  Ord- 


*)  Wir  vttPWfifaen  hier  attf  L.  Ifarquardi:    Historiae  E^üum  Eamm* 
norum  libri  IV.  Berolini  1840,  Dr.  H.  D. 


Lsmsrr«:  1>«  ^  MUloe  reaikt.  IDO 

mmg,  hiniereinamdBr  die  Namen  und  ErUftmngen  für  gr^garU, 
giarUf  coadon»,  animgnam,  podsi^ntmi,  emtnli,  evocati^  cfptymm, 
femrarü  und  spectdaiores,  Bezeichnungen,  welche  etwas  gründlicher 
Uttea  firU&rt  werden  sollen.  *) 

üebergangen  haben  wir  die  Erwähnung  der  Pri^torianer ,  die 
ilirYorbild  an  der  alten  cohars  praäpriana  hatten,  und  unter  denen 
nsA  pedUet  pradoriam  und  tquiU$  pradaricmi  unterschied. 

b.  Im  zweiten  Capitel  S.  iS— -61  werden  die  Waffen  aufge- 
dJilt  and  beschrieben,  die  Angriffswafiien  sowohl,  wie  die  Ver^ 
tbädigoagswaffen ,  worunter  das  Pilum,  Lanzen,  Qeeohoese  und 
Sebwert,  wobei  auffällt,  dass  hier  der  Verf.  sich  das  Wort  ^e 
Wdient,  nicht  glaive,  ferner:  Keime,  Schilde,  Panzer  und  Beiii- 
Mkienen.  Kan  wird  dem  Verf.  daa  Lob  einer  ffeissig^n  Bemfimg 
aof  die  klassisohen  Schriftsteller  Bom's  niebt  versagßn  kX^nnen. 

e.  Erst  das  dritt«  Capitel  8.62—74,  wo  d/srVerf.  den  Stand- 
{wikt  der  Aufsihlung  und  Beschreibung  yerllUlst,  q^d  den  dar 
Durstelhyoig  einnimmt,  beginnt  unsere  Combii^ation  9U  b^^sioha^^ : 
J>u  nombre  de  $oldaU  qui  eompoBoi^nt  un4  orta/«/'  Indem  hier 
der  Yeri  mit  VegetiuA  dies  Heer  definirt,  als  »eine  bestimmt 
f  e  Bt  g  e  8  e  t  z  t  e  A  n  z  a  h  1  von  Legionen  und  HtOfstruppen**),  FnssYolk 
nad  Beiterei  zum  Behufe  militärischer  Unternehmungen,«  unter- 
ndit  er  den  Ursprung  und  Bestand  der  Legion  nach  ihren  beiden 
WaflEmgattungen,  Wir  erfahren,  dass  die  regelmässige  Zahl  dar 
römischen  Legionäre  5000  Mann  betrug,  selbst  ui^r  Cäsar  in 
(Uüsn,  und  im  Bürgerkrieg  (Bell,  civil.  /,  7)^  selten,  wie  in  Ma- 
kedonien (LiT.  42,  31)  und  nntsr  Marias  (nach  Sa^u8t  Ji^.)  6000. 
Die  Reiterei  verhielt  sich  zum  Fussvoik  wie  1 :  10  ursprttn^üch; 
tteh  Liyius  und  Dionysius  zählte  sie  300  M&^p.  per  Legion ,  ui^d 
beisst  bei  Jenem  danun  iusiuB  equüaiup.  Anfangs  auch  römisch, 
'Bcrotiite  sie  ßich  später  dennoch  vorzugsweise  anß  ßundesgenossan 
^d  betrug  zwischen  ^00  und  1000  üann.  Unter  Justinian  war 
^  l4egion  vorzugsweise  beritten.  Es  wird  dann  noch  mitgetheilt, 
^8  man  unter  der  Bepublik  nnr  Böiger  U9,4  Nichtr5mer  im  Lagf  r 
onteraehied,  aber  seit  den  Kaisern  diesen  Unterschied  nicht  mehr 
betonte. 

d.  Beim  Manövriren  galt  die  Vertbeilung  nach  Divisionen  und 
Sobdivisionen  S.  75,  worfllber  der  Verf.  im  vierten  Capitel  seine 
ioaeinandersetzungen  macht.  Hier  ist  is.unächst  von  den  Cohorten 
^  Bede,  Manipeln,  Centurien,  Decurien ,  deren  Verhältniss  gleich 
var  dem  Verhältniss  von  1 :  8  :  6  :  60.  Die  Cohorte  vergleicht  ^r 
But  dem  firam&ösischen  Bataillon,   zu  30O  Mann,  wenn  die  Legion 


*)  Vgl.  BIiiMr.  Wörterbuch  der  römiBchen  AUerthümer  von  Anth.  RiG)i. 
London.  Dentoch  vonC.  MUlIer.  Paris  n.  Leipzig.  Fran£.  von  Ghemel   Paris. 

**)  Eine  bestimmt  festgesetste  Anzahl,  die  aber  nicht  Immer  dieselbe 
wtr.  ISne  ZnaammeBetellnng  fflr  die  J.  216—300,  auf  Omnd  von  Uvloa, 
Kibt  Nafokn^sm.  Hi9Mfe  in  JW.  Qis.  do^  1. 1».  ^^. 


IM  tiftniArre:  t)e  la  ]tflUee  tomAin^. 

gleich  8000  (wie  es  ror  Servias  der  FaU  war)  betrag,  oder  za 
400,  wie  nach  Servias,  oder  za  500 ,  wie  nach  der  Schlacht  bei 
Cannä  a.  s.  w. 

Die  Eintheilang  der  Legion  in  Cohorten  soll  in  der  Zeit  vor 
Marias  angeordnet  worden  sein,  in  derselben  Zeit,  wo  anch  der 
Adler  nicht  mehr  bei  den  Triariem  war,  sondern  bei  der  ersten 
Gehörte,  S.  78.  Diese  Bevorzagang  der  ersten  Gehörte  galt  auch 
nnter  den  Kaisern,  and  bekam  besonders  hier  einen  Einfloss  aof 
den  Effektivbestand,  wie  der  Verf.  aas  Hjgin  darthat,  wo  die  Za- 
sammensetzang  der  Legion  unter  Hadrian  beschrieben  wird,  der- 
zofolge  die  erste  Gehörte  960  Mann,  die  nenn  übrigen  Gohorten 
je  180  Mann  enthielten.  Ergänzende  Details  aas  Yegetias  (II,  9) 
ans  der  Zeit  nach  Hadrian  schliesst  der  Yerf.  hieran  an,  sowie  eine 
Bemerkong  über  die  anabh&ngigen  Gohorten  in  der  Legion. 

Dann  geht  er  zor  Eintheilang  der  Gehörte  in  Manipeln  über 
(S.  82),  bei  welcher  Gelegenheit  wir  erfahren,  dass  der  Gedanke 
an  die  alten  Manipeln  noch  bis  aaf  Hadrian  fortbestand.  Hier 
sind  die  Worte  des  Verf.  S.  84:  ^^On  jappelU  juaqu'ä  cette  ipoqite 
iriarius  prior  et  triariua  posterior  de  commetndatiU  des  deuz  pre- 
mi^es  centuries  (nämlich  in  jeder  Manipel)^  prineeps  prior  etprin- 
dpa  posterior  ceux  des  deux  centuries  suivantes  (in  derselben  M.), 
heiUatus  prior  et  hastatas  posterior  ceux  des  deux  demiires.^  Aber 
nach  Hadrian,  so  heisst  es  gleich  weiter^  nahm  Manipolas  die  Be- 
deutong:  »eine  HendyoU«  an. 

Nan  folgt  die  Erörterang  der  Eintheilang  der  Manipeln  in 
Gentarien  and  Decarien:  die  Decarie  hiess  aach  Contubermum '^ 
mithin  waren  je  zehn  Mann  auf  ein  Zelt  berechnet.  Im  Texte  des 
Verf.  kommt  die  in  etymologischer  Beziehang  interessante  üeber- 
setzang  chamhrie  vor.  Er  gibt  noch  karze  Bemerkangen  über 
Signum,  ordo  and  vexiUarii^  and  karz  vorSchlass  des  Gapitels  eine 
üebersioht  über  die  Eintheilang  der  Reiterei  in  Thirmae  and  De- 
euriae,  parallel  mit  den  Gohorten  and  Manipeln  des  FassYolks  ein 
Parallelismas ,  der  mit  dem  Aufhören  römischer  Beiterei  in  der 
Legion  sich  rerlor,  and  gemischten  Gohorten  Platz  machte ,  die 
Hygin  Milliarii  and  quingerarii  nennt. 

e.  Das  fünfte  Gapitel  handelt  Ton  den  Of&cieren  im  Heere 
8.  90— 108,  Der  Verf.  spricht  der  Beihe  naah  zaerst  von  dem 
Oberanführer  (Höchstcommandirendea),  den  OberofQciren  and  Sub- 
altemof&ciren  des  Fassvolks  and  der  Beiterei.  unter  demErsteren 
versteht  er  den  Gonsal  als  Prätor  d.  h.  den  commandirenden  Gon- 
sal,  and  allenfalls,  in  Vertretang  die  sogen,  legati,  deren  Zahl  sicli 
nach  «der  Grösse  der  Provinz  richtete^  die  der  Gonsal  oder  Pro- 
consnl  za  regieren  hatte,  and  die  den  Titel  führten:  legati  eonsu^ 
laresl  Unter  derBepnblik  eine  aasserordentliche  militärische  Magi- 
stratar,  waren  sie  anter  den  Kaisern  abhängige  Beamte,  üeber  die 
Zahl  war  Nichts  festgestellt;  Cicero  hatte  ihrer  ki  Gicilien  vier 
gehabt,  Gäsar  in  Gallien  zehn,  Pompeias  in  Asien  fünfzehn. 


Lftmarre:  De  la  Ifiliee  ronudae.  181 

Unmittelbar  nach  den  Consuln  resp.  Legaten  folgten  im  Bange 
die  Oberof&ciere  oder  Tribnnen,  deren  Anzahl  anfangs  drei  war, 
ond  bis  anf  sechs  stieg,  da,  wie  der  Verf.  mit  Poljbins  yermutbet, 
sie  hintereinander,  je  zwei  Monate  die  Legion  befehligten.  Ihre 
Ernennung  erfolgte  durch  das  Volk,  dann  hiessen  sie  iribufd  eonri' 
HaUf  oder  durch  die  Prätoren  (laut  dem  Gesetze  des  Bnfns:  Sali« 
Jvg.  68):  tribuni  rufuli.  Später  seit  der  Zeit  des  Tiberins  und 
unter  seinen  Nachfolgern  unterschied  man  Obertribunen  (maiores) 
und  üntertribunen  (minorea);  jener  ward  vom  Kaiser  ernennt,  die- 
NT  stieg  durch  Bravour.  Ihre  Aufgabe  war  die  AufrechterhaJtung 
der  Disciplin,  und  in  dieser  Beziehung  waren  sie  das  Factotum  für 
alle  Kleinigkeiten  im  Lagerleben.  Der  Yerf.  spricht  dann  noch  von 
den  trihuni  vaeantea,  die  den  Sold  auszuzahlen  hatten,  und  ihrem 
Stellrertreter  (vicarim),  so  wie  Ton  den  ApparUore$,  die  ihnen 
▼orauszugehen  hatten.  Später,  als  die  Zahl  der  Tribunen  vermehrt 
wurde,  erhielten  die  Cohorten  Tribunen,  und  die  Afdegignani  xl  s.  w» 
Diese  Gohortentribunen  sahen  sich  untergeben  dem  Ugatua  legioma 
imd  sogar  dem  praefeetwf  leqionia  oder  seinem  Stellvertreter  (prae* 
pmbis).  Diese  Letzteren  hingen  wieder  ab  von  dem  legatm  legionu 
der,  in  unsere  Sprache  übersetzt,  s.  ▼.  ist  wie  kaiserlichen  General« 
lieotenant! 

Die  Subaltemofficiere  waren  ursprünglich  die  Hauptlente  (Oen- 
torionen)  der  einzelnen  Centurien,  wobei  aber  jedesmal  (seitMarius) 
die  erste  Gentmie  ihrem  Hauptmann  dem  nächst  höheren  Bang 
▼erlieh,  so  dass  der  sogen.  Primipihn  den  Bang  eines  Tribuns 
hatte.  Die  übrigen  Hauptleute,  darum  nicht  weniger  angesehen, 
waren  die  Assessoren  des  Tribuns  beim  Militärgerichte.  Es  gab 
60  Centurien,  mithin  60  Centurionen  oder  Hauptlente.  Ihre  Er- 
nennung lag  in  den  Händen  der  Tribunen,  und  waren  sie  einmal 
ernannt,  so  leiteten  die  Ugati  das  Avancement  bis  zum  Primipilus, 
welcher  in  der  Begel  sich  nach  der  dienstlichen  Anoiennetät  rieh« 
tete.  Niemals  wurde  dann  aber  Jemand,  der  in  eine  höhere  Bang* 
stufe  aufgerückt  war,  wieder  hernach  mit  einer  untergeordneten 
Anlgabe  betraut,  weil  man  das  Verdienst  immer  ehrte,  das  die 
Bewossten  dem  Yaterlande  erwiesen  hatten,  es  sei  denn  in  den 
Zeiten  des  Verfeüls,  wo  das  Einzelinteresse  oft  das  allgemeine  zer- 
störte ;  da  kam  es  vor,  dass  Jemand  nicht  avancirte,  mithin  zurück- 
bUeb,  weil  Kauf,  Intrigue  und  Bestechung  Anderen  schon  hinauf- 
geholfen hatten. 

ZurVersebung  ihres  Dienstes,  der  die  kleinsten  Einzelheiten  in 
der  Disciplin  umfasste,  und  viel  Aufsicht  forderte,  waren  ihnen 
ünterhauptleate  beigegeben,  die  optiones  centurioma,  oder  in 
tinUirid  (nach  Liv.  VHI,  8)  hiessen,  und  (nach  Varro)  eben  von 
dem  Umstand  ihren  Namen  hatten,  dass  sie  als  AdminieM  adop- 
tirt  waren. 

Nach  diesen  Unterhanptlenten  kamen  in  der  hierarchischen 
Ordnung  noch  die  Zeltaufseher  (dectmi,  deeurumea  oder  capUa  efm- 


tubernii  genadiit) ,   womit   die  ganze  Reihe   der  OfSciete  in  der 
Ii6gioji8infanterie  schloss. 

Der  Verf.  spricht  dann  kurz  von  den  Decmionen  in  der  römi« 
soben  Cavallerie,  nnd  ihren  ünterdecurionen  (oder  opiwtes),  sowie 
von  den  praefeeti  der  verbttndeten  Reiterei,  und  schliesst  das  Capi- 
tal mit  einer  synoptischen  Uebersicht  ttber  die  Zahl  der  Officiere 
in  der  römischen  Legion,  nach  dem  Yerzeichniss  ans  der  Zeit  der 
Republik. 

f.  Ein  besonderes  sechstes  Capitel,  welches  von  den  Iilstru- 
menten  und  Standarien  handelt,  macht  des  Beschluss  dieser  ersten 
Partie.  Der  Verf.  ergeht  sich  in  der  Beschreibung  der  tüba,  bueinn 
nnd  des  lüuu$i  in  ersterer  Beziehung,  nnd  nooh  ausffihrlicher  über 
den  Adler,  das  ngnutn,  vtxiUum  nnd  dragon,  wobei  wir  erfahren, 
dass  die  Periode  yor  Marius  bis  Trajan  sich  gleich  blieb,  und  dass 
erst  Trajan  eine  wiehtige  Veränderung  Tor  sich  ging,  indem  die 
Centurie  das  Vexillum  der  Cohorte  übernahm,  und  für  dieCohorte 
ein  neues  in  dem  draco  erfanden  wurde,  den  auch  die  Turme  an- 
nahm*). yyMaUy  ou  Yiit^u  dt  ces  ehangemtnU,  bemerkt  schliesslich 
der  Verf.  S.  119,  Vaiqle  resta  ioujaura  f enteigne  generale  dt  la 
Ugion:  die  lui  mrv^cut  mime,  et  ae  catuetva  du  temp$  de  la  dieon 
denee  de  Varm^e,  comme  le  titre  de  son  aneienne  valeur  ei  de  aa 
nobleaae  primitive/^ 

aSwelte    Pirtic.     „De   V Armee    manoeut>raiü   mt  ietr^   lautet 
ihre  Ueberschrifb.    War  bisher  Alles  vorwiegelid  kurze  Herleitung, 
Zergliederung,  Beschreibung,  Erklärung,  nach  dem  Satze: 
»Wer  was  Lebendiges  will  erkennen, 
Sticht  erst  den  Geist  davon  zu  trennen, 
Dann  hat  er  die  Tbeile  in  der  Hand«  — 
so  folgt  jetzt,  unter  Wiedervereinigung  des  Getrennten,  eine  Dar- 
stellang  des  Zusammenwirkens  dieser  Einzelkräfte  im  Kriege,  beim 
Lagern,  auf  dem  Marsche,  im  Kampfe,   beim  Angreifen  und  Ver- 
theidigen. 

a.  Das  erste  Oapitel,  der  Beschreibung  des  römischen  Lagers 
gewidmet,  ist  eines  der  interessantesten  und  gelungensten  im  Buche 
des  Verfassers.  Den  Beschluss  macht  auf  S.  137  eine  Zeichnung, 
den  Plan  eines  Lagers  enthaltend,  die  einzige  Illustration  im  gan- 
zen Buche. 

b.  Das  zweite  Capitel  gibt  das  Signal  zum  Aufbruch,  das 
Lager  wird  geräumt,  die  Bagage  zusammengepackt  (coUigere  txwa 
ist  die  Phrase  daför),  und  leichte,  wie  schwere,  gleichmässig  und 
des  leichteren  Transports  wegen  auf  Saumthiere  (iumenia  sarcinariaj 
gelegt.  Der  Soldat  macht,  seine  Ration  ftlr  14  Tage,  u.  s.  w. 
Alles  in  Allem  60  Pfiind,   die   Waffen  nicht  inbegriffen,    auf  dem 


*)  Vgl.  JZ^,  Ueber  ein  In  der  fl«ntiilwBg  u.  s.  Hr.  «nfbewahrtei  römi- 
sches FeldxeScbea.    Karhruhe  1856. 


SickMi,  itt  wörtlichsten  Siime  impedUus^  seiae  iwaasig  Meika 
per  Tag. 

Geht  der  Marsch  durch  Feindealaiid ,  so  hat  Allee  aeme  vor- 
geachriebene  Ordanng,  von  der  nicht  abgewiechen  wird,  sollte  man 
aiA  auch  nur  in  der  Nähe  eines  Feindes  befinden.  8.  140. 

Besonders  schwierig  mnsste  der  Marsch  dnrch  Gebirgsgegenden 
sein,  wof&r  der  Verf.  das  Beispiel  der  Schlacht  am  See  Trasimenus 
citirt,  oder  Aber  Flttsse,  wenn  der  Feind  nahe  war.  Die  Passage 
richtete  sich  in  der  Begel  dann  nach  der  Beschaffenheit  des  Flnsses, 
greeee  wurden  anf  Fahrzeugen  passirt,  kleine  seu  Pubs.  Er  erwähnt 
sogar  der  Brücken  znm  Zwecke  von  Flusspassagen,  z.  B.  der  Sehiff- 
hrflcken  anf  den  Padns  (im  Kriege  zwischen  Otho  und  Vitellios  bei 
Taciias)  S.  145;  der  Brücke  über  die  Elaveris  (Allier)  im  Kriege 
zwiaeh«!  Cäsar  und  Yereingetorix :  C<us.  de  beiL  Oaä,  VJL  34. 

Der  Pfahlbrttcken  Cäsar*s  aus  dem  Jahr  55  (bei  Neuwied)  und 
den  Jahr  53  (bei  Engers),  vgL  Com«  de  öell  QaU.  IV,  17,  hat  der 
VerL  nicht  mit  einer  Silbe  erwähnt,  geschweige  sie  durch  eine  Ab-* 
bttdang  Yeranschaulicht.  *) 

e.  Das  dritte  Capitel  hoU  anf  ein  Gefecht  vorbereiten;  De$ 
mmthmes  de  jet  €t  de  quelques  pr/ecMtione  prisee  par  Ue  generaux 
iwoni  la  haMüe.  Hier  haben  wir  es  wieder  mit  Andeutungen  und 
zwar  über  die  gefürchteten  Wurfinaschiuen  (Katapulten  tmd  Balietea), 
äowie  die  Seorpioue  zu  thun,  die  beiVegetius  wanu^aJMa  beissen, 
woianf 

d.  das  vierte  Capitel,  betitelt :  De  Vordre  de  boiaiUe,  mit  den 
verschiedenen  Aufstellungen  bekannt  macht,  denen  sich  die  Legion 
unterziehen  konnte,  den  linearen  (nach  Htutati,  Prineipee,  TriarU), 
die  das  Centrum  bildeten.  Wichtig  sind  die  Distanzen-Angaben 
zwischen  je  zwei  Soldaten,  zwischen  je  zwei  Corps,  femer  die  Beihen* 
folge  der  Angriffe,  Richtung  des  Centrums  und  der  FlügeL  Eine 
Beecfareibang  der  Angriffsordnung  gibt  der  Vetf.  8.  161  ff.  Einige 
wählend  der  Schlacht  vorkommende  Manöver  z.  B.  Keil,  Klammer, 
Sige,  schlössen  sich  leicht  an  das  allgemeine  Vorgehen  an,  und 
legten  Beweise  iUr  die  Fähigkeit  der  Legion  ab  zu  jcänlpfen  und 
zu  öegen.  —  Nach  Vegeüus  zählt  der  Verf.  S.  170  sieben  sogen. 
Ordree  de  baiaille  auf.  Auf  der  Hdhe  ihrer  Bedeutung  befand  sieb 
die  militärische  Taktik  der  Bömer  gegen  Ende  der  punisohen  Kriege 
und  von  da  bis  Cäsar.  In  dieser  Periode  ist  auch  Gelegenheit,  das 
Verdienst  ihrer  commandirenden  Befehlshaber  zu  schätzen.  Der 
VerfL  schliesst  das  Capitel  mit  einer  Darstellung  der  Niederlage 
bei  Cannä  (S.  172)  und  des  Sieges  bei  Zama  (S.  176  ff.) 

Noch  zwei  Capitel  sind  übrig,  bevor  der  Verf.  diese  Partie 
seines  Buches  verläset,  aber  zwei  sich  ergänzende,  das  fünfte  näm- 


*)  Vergl.  Caesaris  Comm.  de  heÜ.  GäUic ,  tu  s.  w.  berauBg^geben  von 
8t«ber  und  Reliihafd  1660.  8.  101,  ilnd  Sueten's  Lebeli  Cäser'su.  b.w,  von 
DocrgsBSy  s.  die  TslU. 


1(U  L»ii«rre:  De  U  MÜloe  roiMüne. 

lieh,  welches  ydn  der  Belagerungsweise  handelt,  und  das  seohste 
ttber  die  Vertheidigung  einer  Stadt  gegen  Belagerer. 

e.  Das  erstere  dieser  beiden,  und  längere,  S.  181,  sucht  dar- 
znthon,  dass  die  Römer  ihre  Tüchtigkeit  nicht  weniger  bei  dem 
Angriffe  anf  mobile  feindliche  Colonnen,  und  zwar,  wo  es  nicht 
dnrch  einen  Handstreich  gelang,  selbst  in  regelrechter  Belagenmg 
mit  allem  Aufwand  von  Parallelen,  Laufgraben  und  Approchen, 
Minen  u.  s.  w.  Bis  zu  welchem  Grade  die  Römer  es  in  dieser  Kunst 
gebracht  haben,  zeigen  die  Beispiele  von  Numantia  (Liy.  Epit.  LY. 
App.  Hisp.  76)  und  Alösia  (Dt  h.  G,  VIJ,  68)^  besonders  das  letztere, 
weil  Cttsar's  Lage  schwieriger  war,  als  die  Lage  Scipio^s  gewesen. 
S.  188  ff.  üeber  den  Zweck  der  Laufgräben  beruffc  er  sich  speciell 
auf  Josephus  und  Polybius,  wo  zwar  die  Worte  angefahrt,  aber 
nicht  die  Stellen  citirt  werden:  Zum  Ghraben  gelangt,  fQllte  man 
ihn  aus,  wenn  er  trocken  war,  und  begann  die  Arbeit  der  Appro- 
chen  und  Minen.  Hierttber  muss  man  speciell  Yitruyius  befh^n, 
der  die  Beschreibung  von  vinea,  pltäeu»^  tnuseulua  u«  s.  w.  enthält« 
Alle  einzelnen  und  kleineren  Schutz-  und  Sturmdächer  übertraf  der 
Belagerungsthurm,  in  dessen  Beschreibung  der  Verf.  sich  genau  an 
Vegetius  hält.  Es  wird  dann  noch  einiger  kleiner  Maschinen  ge- 
dacht, auch  des  cuniculus  des  Camillus  bei  der  Belagerung  von 
Veii  S.  198. 

Setzen  wir  den  Fall,  man  hatte  eine  Bresche!  Dann  stürmte 
man  und  rückte  in  geschlossenen  Reihen,  mit  vorgehaltenen  Schil- 
den, Arm  in  Arm,  die  Beli^erten  vor  sich  hertreibend.  War  die 
Mauer  zu  hoch,  so  gab  es  eine  besondere  Art  Maschinen,  genannt 
ieUenon:  Vegtt  IV,  2L  Bisweilen  verstand  man  sich  auch  zur  Auf- 
fllhmng  eines  Walles  vor  der  Mauer,  in  einer  Länge  von  mehreren 
hundert  Füssen,  und  von  verhältnissmässiger  Breite. 

f  Wie  sich  nun  die  Belagerten  gegen  die  Belagerer  wehrten, 
durch  Terrassirung  der  Mauern  von  Innen,  AusHllle  auf  die  Schanz- 
arbeiten, zur  Verhütung  der  Anlegung  von  Laufgräben,  Schleuder- 
sohllsse  zur  Zerstörung  von  Maschinen^  Gegenminen ,  Ausbesserung 
der  Breschen,  Alles  das  ist  der,  leider  etwas  mager  gehaltene  In- 
halt des  sechsten  Capitels.  Bemerkenswerth  ist  die  Erwähnung 
des  Verf.,  dass  Belagerte  zuweilen  eine  zweite  Mauer  innerhalb  der 
eigentlichen  aufrichteten,  was  die  Saguntiner  durch  ihre  Verthei- 
digung- bestätigen.  Zuweilen  schlug  eine  Stadt  die  Stürme  des 
Feindes  ab,  wie  Athen  Sulla^s,  und  konnte  erst  durch  Hunger  be- 
zwungen werden. 

■ritte  Nrlie.  Wir  sind  bei  der  dritten  Partie  des  Buches  an- 
gelangt: „De  la  Marine  et  de  farmSe  manoeuvrant  iur  tnerJ* 

a.  Die  verschiedenen  Arten  von  Schiffen  (Lastschiffen,  Ruder- 
sohiflen,  Kriegsschiffen)  sind  Gegenstand  des  Einleitungskapitels. 
In  Bezug  auf  den  eigentlichen,  die  Kriegsschiffe,  unterscheidet 

b«  Das  zweite  Kapitel  S.  215  ff.,  gestützt  auf  die  Ergebnisse 
von  A.  Jal,   Einruderer  u,  s.  w.   bis  Fünfruderer.     Beispiele  von 


LaniArret  De  \m  MOIc»  loonlM.  186 

EimndereTn  emlhiit  der  Verf.  nach  Münzen,  Zweirnderer  sind  die 
bekumten  Liborner  (Veget.  lY,  34).  Die  Stellung  der  Buderbftnke 
ZQ  Teranschaalicen,  ist  der  wichtigste  Punkt.  Der  Verf.  entscheidet 
sieh  ftr  die  Lage  übereinander,  eine  Lösung,  die  M.  Jal  fond,  und 
worauf  die  Beconstmction  der  berühmten  Trireme  in  St.  Clond 
bemht.  Die  Frage  nach  den  Hexeren,  Hepteren  n.  s.  w.  erklärt 
der  Verf.  nach  allen  angeblichen  Untersuchungen  gelehrter  Vor- 
gftager  für  ein  sohwerlßsbares  Problem,  unter  Berufung  auf  die 
Worte  M.  Jars:  „N'y  a^til  pas  lä  qudqttt  ehose  dPauagi  compHqui 
qme  saus  Us  dhwmina(ion$  corvettes^  fregtUes  ei  iroU  ptmU?  Pro^ 
hoMemeni;  mms  gwn?  Je  tax  bemtcoup  ehereh^,  »ans  favoir  inntv/, 
ä  je  fn'aeeuseraia  de  ee  manq'ie  ^intelligence ^  n  de  grande  espriU, 
det  kommee  vrcAment  su^Srieurs  par  leur  nngacU^,  de»  prineee  de 
la  eeience,  r^avaieni  4U  eonirainie  d^avouer,  moins  heureux  qii  Oedipe, 
q9^U§  ^laient  vaineus  par  le  Sphinx,  ei  que  Vtnigme  restaü  inexpli- 
ctMe  pour  eux.^  S.  225 

c.  Das  dritt-e  Kapitel,  der  Beschreibung  und  Erklärung  ver* 
sehiedener  Theile  und  Bewaffnung  eines  Kriegsschiffs  gewidmet, 
S.  226,  ist  ein  Repositorium  der  einschlägigen  und  zwar  haupt* 
Bächlicheren  Artikel,  unter  Vermeidung  der  dunkleren.  Am  längsten 
hält  er  sich  bei  dem  »Schnabel«  (rosira)  auf,  wofür  er  sich  auf 
die  Erklärung  desPlinius  ( VTI,  5  7)  stützt,  ausserdem  es  noch  eine 
andere  Schiffswaüe  von  ähnlicher  Bestimmung  gab,  den  Asser,  nach 
Vegei.  rv,  44.  üebrigens  galt  dieses  Angriffsmittel  auch  der 
Abwehr. 

d.  Wir  folgen  auf  zehn  weiteren  Seiten,  S.  236,  im  vierten 
Kapitel,  der  Darstellung  des  Verf.  über  den  Bau  und  die  Aus- 
rflslang  der  Flotten.  In  Anbetracht  des  Holzes,  citirt  er  einen 
Brief  Caesiodor^s,  im  Auftrage  Theodorichs,  wonach  zumeist  Cypressen- 
holz  oder  Fichte,  aber  auch  Weide  und  Lerchenbaum,  dieses  be- 
sonders für  Masten  und  Raven,  weil  es  nicht  zersplittirt  (Plin. 
XVI,  10),  gebraucht  wurde. 

Der  Verf.  bringt  Beispiele  von  Baschheit  im  Bau  von  Schiffen 
bei,  die  heute  nicht  mehr  bekannt  ist.  Der  Grund  davon  ist  leicht 
za  erkennen.  Was  die  Bemannung  betrifft,  so  wurden  Sclaven  und 
Freigelassene  dazu  genommen,  auch  genannt  fioeü  navales.  Für  Segel 
und  Steuer  hatten  nautae  zu  sorgen,  für  Buder  die  retnigee,  die 
ifarerseite  wieder  in  drei  ünterabtheilungen  zerfielen,  je  nachdem 
sie  die  unterste  Bank  fthalamus)  zu  (Ürigiren  hatten,  oder  die 
oberste  (ihranus)  oder  die  mittlere  resp.  mittleren,  in  welchem 
Falle  sie  gygUae  hiessen.  Zur  Seite  dieser  befanden  sich  die  Marine- 
soldaten (elaedarn  ixißarat).  Der  Name  dux  praefedusque  elaeeis, 
der  in  Bang  und  Beftignissen  dem  Consul  gleichstand,  und  die 
Ehre  eines  besonderen  Schiffes  hatte,  der  navU  praetoria,  tritt  erst 
zur  Zeit  des  Augustus  auf,  als  in  Misenum  und  Bavenna  Flotten- 
Stationen  errichtet  waren«  Unter  ihm  standen  ünterbefehlshaber 
(navarchi,  frier archi,  magistri  navium). 


186  Lftmftrre:  D«  la  MQIce  romalne. 

Die  Ruderer  hatten  ihren  besonderen  ftoria^or  {i^6Xev&tiig)f  der 
im  Bange  unter  dem  guhemator  und  prorda  stamd.  Bisweilen 
hatte  der  horiator  noch  einen  Flötisten  bei  sich  (sympköniaeus). 

e.  Das  fünfte  Kapitel  S.  247  ist  speciell  der  Beschreibung 
der  nach  M.  JaPs  Angabe  und  unter  den  Anspielen  des  Kaisers 
von  Dttpüz  de  Lome,  Director  der  Schiffsbauten,  wiederhergestellten 
Trireme  von  St.  Cloud  gewidmet.  Bis  S.  252  ergeht  sich  der  Verf. 
in  Nachweisen  über  die  Massverhältnisse  fUr  das  Innere ;  dann  folgt 
eine  Beschreibung  der  Zierrathen  an  den  Aussenwänden ,  und  den 
Schluss  des  Kapitels  machen  einige  Ausstellungen  des  Verfassers 
S.  255,  nämlich  die  Abwesenheit  von  ipotides  amVordertheil  die- 
ser Trireme,  und  der  Anachronismus,  der  in  der  doppelten  Be- 
legung des  Kiels  mit  Kupfer  besteht,  zum  Zweck,  dem  Laufe  eine 
grössere  Schnelligkeit  zu  geben,  während  bei  einer  einfachen  Kupfer- 
belegung schon  das,  was  Virgil  uneta  earina  nennt,  erreicht  sei. 

g.  Die  Art  und  Weise,  y,de  laneer  lis  vaisseaux  ä  la  mer'^ 
ferner  „h  mouUlage  des  floHts^^  sowie  die  Beschreibung  von  Häfen, 
besonders  des  von  Ostia,  wofür  er  sich  ausgesprochenermassen  an 
Anthony  Rieh  ansohliesst,  enthält  das  sechste  Kapitel  S.  257.*) 

h.  Das  siebente,  S.  272,  sucht  Aufschlüsse  über  die  Massge- 
schwindigkeit der  Schiffscourse  zu  geben,  und  hält  dafür,  dass  der 
Lauf  der  antiken  Triremen  dieselbe  Schnelligkeit  gehabt  habe,  wie 
der  Lauf  der  Galeren  im  16.  und  17.  Jahrhundert,  gestützt  auf 
den  Calcül  M.  Jal's.  Den  Schluss  macht  der  Truppentransport; 
er  ist  zugleich  eine  technische  Beleuchtung  des  Uebergangs  Soipio'9 
nach  Africa  (Liv  XXIX,  26),  und  Cäsar's  nach  Britannien  S.  280 
bis  284. 

i.  Das  Hauptkapitel  in  dieser  Partie  ist  das  achte:  „TaifUfue 
navale^',  S.  285.  Obzwar,  so  beginnt  derVerf,  die  Römer  vor  den 
Punierkriegen  Sehiffe  hatten,  so  datirt  das  Dasein  von  Kriegsflotten 
bei  ihnen  doch  erst  seitdem,  und  zwar  seit  dem  Seesiege  des 
Duillius.  Ihre  Kampfesweise  war  mehrfach,  und  zwar  so,  dass  der 
Kampf  in  gradliniger  Reihe,  oder  mondsichelförmig  (ordine  lunato) 
gekämpft  wurde,  oder  umgekehrt  (incurvo  ordine),  oder  in  Form 
eines  Keils,  oder  einer  Scheere.  Vor  dem  Angriffe  wurde  diese 
Scblachtordre  angesagt;  der  Feldherr  selbst,  auf  raschem  Rüderer 
ermunterte  noch  besonders  zur  Pflicht  (Antonius  bei  Aktium,  Nikias 
bei  Syrakus).  Dann  wurden  die  Segel  beigesetzt,  Schaluppen  hinab- 
gelassen, und  Pfeile,  Steine  und  Bränder  auf  den  Feind  gerichtet. 
Das  Signal  hiezu  gab  die  Aufhissung  einer  rothen  Flagge  auf  der 
nanU  pradoria,  worauf  die  Flotteniinien  auf  Sohiffslänge  an  ein- 
ander heranruderten.  Zuerst  suchten  sie  einander  zu  durchbohren 
mit  den  Schnäbeln  oder  den  Kiel  einzurennen.  War  die  ursprüng- 


•)  VennlBst  werden  Wer  Angaben  Ober  die  Zahl  der  Schiffe.  Vergl. 
ffir  die  J.  218—1^08  die  Znaammenstelliiiig  In  Napoleon  s  Ilt.  Hist.  de  Jul. 
des.  L  p,  162. 


hrnmuffi  D«  ]«  IfOlM  romftfaM.  1S7 

lidie  Ordmuig  lerstöii,  und  konnte  man  eindringen,  &o  mandTrirte 
man,  nm  die  Ruderbänke  ausser  Wirkung  zu  setzen,  entweder  durch 
achrflgen  AngrilT  (obliquem tnt)  oder  mittelst  kleiner  Schaluppen,  die 
einige  Verwegene  bestiegen,  um  am  Hintertheil  dati  Tauwerk  durch» 
zuschneiden,  woran  das  Steuer  befestigt  war.  Da  aber  der  Feind  diesem 
Ausgange  auf  alle  Weise  Torzubeugen  bemüht  war,  so  war  das  ge- 
wöhnliche Mittel  das  Entern.  War  geentert,  so  entschied  das 
Schwert. 

k.  Wir  stehen  beim  Schlusskapitel  dieser  Partie,  dem  neunten, 
S.  295:  yySieiK  des  villes  fnaritimea'^,  welches  an  ein  Kapitel  der 
vorigen  Partie  anknüpft,  wo  von  dem  Angriffe  auf  Städte,  und  von 
ihrer  Yertheidigung  überhaupt  die  Rede  war.  Ganz  anders  geht  es 
jedoch  bei  dem  Angriffe  auf  Seestädte  vor  sich,  wovon  die  Be- 
lagerung von  Rhodus  durch  Demetrius  Poliorcetes  ein  Beispiel  ist. 
Den  Belagerungsarbeiten ,  die  hier  aufgeftlhrt  wurden,  sind  keine 
mehr  gleichgekommen  im  Alterthum,  die  Belagerung  Carthago's 
durch  Scipio  ausgenommen.  Der  Verf.  verweilt  bei  der  letzteren 
S.  297  ff.  Zuletzt  erwähnt  er  der  nicht  minder  interessanten  Be* 
lagerung  Alexandria*s  während  Cäsar's  Aufenthalt  in  Aegypten, 
ebenso  ausftlhrlich  8.  300  bis  zu  Ende. 

Vierte  Partie.  Die  vierte  Partie,  Admviüdration  de  Varm^e  be- 
titelt, S.  305  ff.,  zerfallt  in  acht  Kapitel,  welche  von  verschiedenen 
Arten  der  Aushebung  (erstes  Kapitel),  von  den  Eintrittsbedingungen 
und  Fahneneid  (zweites  Kapitel),  von  Einübung  und  üebungen 
(drittes  Kapitel),  von  Zucht  und  peinlichen  Strafen  (viertes  Kapitel), 
von  Verpflegung  und  Bekleidung  (fünftes  Kapitel),  vom  Solde  (sechstes 
Kapitel),  vom  Lazaretwesen  und  Traindienst  (siebentes  Kapitel), 
und  endlich  von  der  Lage  des  Soldaten  und  Pensionen  handelt 
(achtes  Kapitel).  Darunter  ist  das  vierte  mit  dem  meisten  Erfolge 
bebandelt.     Doch  wir  wollen  nicht  vorgreifen. 

a.  Die  Aushebungen  unter  Servius,  denn  von  früher  stattge- 
habten, deren  der  Verf.  gedenkt,  dürfen  wir  absehen,  geschahen 
nach  Massgabe  des  Classenunterschiedes,  so  dass  wer  mehr  intere»- 
sirt  bei  dem  Staatswohl  war  durch  sein  eigenes  Hab  und  Gut,  bei 
diesem  auch  mehr  Eifer  und  Muth  vorausgesetzt  wurde  (Gell.  XVI, 
10).  Bis  auf  Marina  war  dieser  Gesichtspunkt  massgebend.  Dann 
ordnete  dieser,  sobald  er  Consul  geworden,  eine  Aushebung  in  allen 
Klaaton  ohne  Unterschied  an,  und  nahm  jeden  Bürger,  der  sich 
ste^te  (Flut.  Mar.  9).  Wir  übergehen  die  Formalitäten,  die  bei 
ddr  Aushebung  stattfanden.  Dieser  Akt  selbst  durchlief  gewisse 
Stadien:  1)  poniis  aellU  deleetum  habebant  (nämlich  die  Consuln)^ 
2)  eüabant  nominatim  iuniores,  3)  ad  nowen  respondebant,  4)  aeri" 
htbaniur  miliUs.  Diese  Rolle,  griechisch  xccraXoyog  fUya^  genannt, 
enthielt  die  Namen  aller  Soldaten  nebst  ihren  Dienstjahren.  Die 
erste  Aenderung,  welche  vor  sich  ging,  bestand  darin,  dass  nicht 
mehr  die  Consuln,  sondern  die  Tribunen  die  Einschreibung  vor- 
nahmen, und  zwar  seit  582  (Liv.  XLU.  33). 


18$  LftmArre:  De  I«  MÜioe  romaloe. 

Die  Aushebtmg  geschah  auf  dem  Capitol  bisweflen  auch  auf 
dem  Marsfeld.  Wenn  die  Consuln  begannen,  sorgten  sie  für  eine 
gnte  Vorbedeutung,  welche  darin  bestand,  dass  der  Name  des  ersten 
Soldaten,  der  gerufen  wurde,  Glück  bedeutete  z.  B.  Salviusj  Vale- 
rhu.  S.  de.  de  Divin,  /,  102. 

Nach  diesem  Akte  marsohirten  die  Ausgehobenen  zu  dem  ihnen 
vom  dtix  bestimmten  Orte  ab,  entweder  am  Thore  der  Stadt  oder 
in  einiger  Entfernung  von  der  Stadt,  ohne  Waffen,  Bagage,  Ord- 
nung u.  8.  w.  Das  Alles  erhielten  sie  erst  draussen,  wo  ihnen  die 
Reihen  und  die  Feldzeichen  angewiesen,  und  sie  centurienweise  ab- 
getheilt,  d.  h.  centuriirt  wurden  (ceniuriare  militea  ist  die  Phrase 
hiefür). 

Der  Consul  erschien  auf  dem  Sammelplatze  im  Feldhermkleide 
(paludatv^),  yerrichtete  ein  Opfer,  merkte  sich  die  Abwesenden, 
die  später  (perinde  ae  H  deseruissent)  bestraft  wurden,  reinigte  sein 
Herr,  und  begann  die  Feindseligkeiten. 

Nach  diesen  Angaben  über  die  legUima  müüia  erklärt  der 
Verf.  noch  die  ausserordentliche  Aushebung  in  der  Form  der  eon- 
iuratio,  welche  man:  > Landsturm«  übersetzen  kann,  französisch 
Jev^e  en  masne,  von  der  nur  Priester  und  Qreise  ausgenommen 
waren,  und  die  dritte  Art  der  Aushebung,  evocatio,  welche  durch 
vom  Senat  ernannte  Commissare  (conquisitores)  ausser  Rom  geschah. 

Mit  Augustus  kam  es  zu  regelmässigen  und  beständigen  Legions- 
körpern, je  nach  Provinzen,  so  dass  ein  mit  Kriegführung  beauf- 
tragter Führer  disponible  Truppen  vorfand.  Seit  Caracalla,  vordem 
schon  alle  Einwohner  des  Reichs  Bürger  geworden  waren,  musste 
jede  Provinz  eine  bestimmte  Anzahl  Soldaten  stellen,  oder  ihr 
Gontingent  in  Geld  zahlen.  Der  Willkür,  wozu  diese  Gewohnheit 
führte,  misst  Vegetius  (I,  7)  das  Unglück  der  Römer  bei. 

b.  Bis  zum  46sten  Lebensjahre  hiessen  die  Militärs  iumare.t, 
später  seniore».  Die  Tauglichkeit  zum  Eintritt,  worüber  sich  das 
zweite  Kapitel  verbreitet,  hing  davon  ab,  dass  die  jungen  Römer 
1)  17  Jahre  alt  waren,  2)  die  sogen,  media  militaris  «tnttira  hatten, 
um  mit  Livius  zu  reden,  (Liv.  VII,  10)  d.  h.  5'  10"  =  1»,  727, 
und  8)  vigumr  physique  besassen,  nämlich  lebhaftes  Auge,  aufge- 
richteten Kopf,  breite  Brust,  feste  Schultern,  kräftige  Faust,  lange 
Arme,  kleinen  Bauch,  dünne  Taille,  nervige  Beine  und  Füsse. 

Soldat  sein  war  ein  Vorrecht.  Auf  dieses  Vorrecht  Anspruch 
machen,  wenn  man  es  nicht  durfte,  galt  für  ein  Verbrechen.  Scla- 
ven  wurden  nicht  zugelassen,  und  Freigelassene  dienten  nur  in  den 
Reihen  der  aoeii  navales.  Daher  ist  es  erklärlich,  wie  zur  Zeit  der 
Triumvim  ein  Sdave,  der  unter  den  Soldaten  erkannt  wurde,  den 
Tarpeiischen  Felsen  hinabgeschleudert  wurde.  Von  der  Exclusion 
wurden  aber  noch  betroffen :  Gladiatoren,  Schauspieler,  und  solche, 
die  ein  Luxusgewerbe  trieben. 

Wohl  zu  unterscheiden  von  ihr  ist  die  Exemtion  (varaiio). 
Während  jene  eine  Schande,  ist  diese  ein  Vortheil.   Es  gab  deren 


L«in«rre:  De  U  MUlee  romabd.  189 

dreiarlei,  nämlich  eine  Juäta;  diese  war  den  PrieBtem  und  (seit 
Hadrian)  ancb  den  Aerzien  eingeräumt;  die  neceäsaria  (oder  eau- 
Baria)  genossen  die  Kranken;  die  honararia  war  eine  Belohnong 
für  einen  dem  Staate  erwiesenen  grossen  Dienst,  und  wurde  vom 
Senat  oder  vom  Volke  Terliehen. 

Der  Eid,  den  die  Soldaten  zu  leisten  hatten,  bestand  in  zwei 
sehr  Terschiedenen  Formehi.  Die  erste  wurde  unmittelbar  nach  der 
Anahebong  noch  aU  Bürger  gesprochen,  und  bestand  darin,  Qe- 
horaam  und  Treue  gegen  die  Befehle  der  Consuln  zu  schwOren. 
Einer  trat  Tor,  sprach  die  Formel,  wie  sie  ihm  vorgesagt  wurde, 
und  darauf  die  Uebrigen  vor  den  Tribunen  defilirende,  aecunditm 
ardinem,  indem  sie  einfach  zu  erklären  hatten:  Ich  auch,  Mai  de 
meme  sssJn  ft  demceps  guisque  iurat,  lautet  der  Bericht  bei  Livius 
(11,  45).  —  Die  zweite  Formel  wurde  von  den  Eingeschriebenen 
erst  nach  ihrer  Unterbringung  bei  den  verschiedenen  Corps  ge- 
sprochen, und  um£EiS8t  das  Versprechen  der  Anhänglichkeit  an  sein 
Corps,  der  Rechtlichkeit  und  der  Treue.  —  Unter  den  Kaisem  gab 
es  nur  noch  eine  Formel,  die  aber  alle  Jahre  am  ersten  Januar 
erneuert  wurde,  was  bei  Tacitus  heisst  (Hist.  I,  55):  „^olemnt 
calendartum  ianuarium.^  Vgl.  Plin.  Epist.  X,  30. 

Durch  diesen  Eid  wurde  der  Bürger  Soldat  und  zwar  fttr  — 
immer,  nicht  blos,  wie  es  in  modernen  Staaten  der  Fall  ist,  für 
acht  Jahre  oder  gar  nur  für  drei  resp.  zwei  Jahre. 

c.  Die  Erziehung  der  Soldaten,  der  Inhalt  des  dritten  Kapitels, 
fiel  ursprünglich  mit  der  Erziehung  des  Bürgers  zusammen,  und 
wurde  erst  später,  seit  648  durch  den  Consul  P.  ButUius  geson- 
dert geleitet,  und  zu  einem  Unterrichtsfach,  für  dessen  Behandlung 
besondere  Lehrer  nöthig  wurden  (dociore$  armarum)'  Entweder 
waren  diese  dodcres  Soldaten  oder  lanistae.  Einige  Inschriften 
ans  der  ersten  Kaiserzeit  lehren,  dass  jede  Cohorte  ihre  besonde- 
ren Exercitienmeister  hatte :  doclor  cohorlUy  campi  doctor.  Bei  den 
üeboBgen,  die  von  den  Tribunen  überwacht  wurden,  ging  es  bald 
mit  Oepäck,  bald  ohne,  in  forcirten  und  gewöhnlichen  Schritt- 
flbungen.  Man  unterschied  ^adus  fnüiiarU,  plenus  graduB  und 
curtus»  Bei  dem  ersten  gingen  4000  Passus  auf  die  Stunde  im 
Sommer,  bei  dem  pienus  grcuka  aber  24000  auf  fünf  Stunden«  Der 
curms  hatte  keine  bestimmten  Segeln.  Der  Verf.  vergleicht  diese 
Punkte  mit  französischen  Bestimmungen  S.  838.  Soweit  das  erste 
Stadium! 

Dazu  kamen  Springübungen,  Uebungen  im  Tanzen,  auf  dem 
Marsfelde,  und  Schwimmen  im  Tiber,  was  Alle  lernen  mussteo. 
Der  Sprung  wird  als  ein  wichtiges  Exercitium  von  Vegetius  be- 
handelt. Das  Tanzen  war  darauf  berechnet,  ihre  Glieder  zugleich 
gewandt  zu  machen«  Bei  den  Griechen  war  das  Tanzen  nvi^^lpi^ 
von  Festus  mit  »äliaiio  beUicrepa  übersetzt,  aber  echt  römisch 
armatura  genannt. 


190  Lamarre:  Tii'  k  Mllioe- romaina. 

Nun  kam  das  dritte  Stadium :  Die  Führang  der  Waffen  I  Man 
lehrte  zuerst  den  Gebrauch  des  Pilum,  Schildes  und  Stossschwerts. 
Tttglich  gab  es  Fechtstanden,  zweimal  für  die  neuen,  einmal  für 
die  Alten.  Dann  bildeten  Schilde  von  Weiden  doppelt  so  schwer  als 
ihre  gewöhnlichen,  Stöcke  anstatt  der  Schwerter,  und  sehr  schwere 
pannoniscbe  Sturmhauben,  damit  ihr  gewöhnlicher  Helm  ihnen  her- 
nach leichter  erschien,  ihre  Ausrüstung.  So  Hess  man  sie  fechten 
gegen  im  Boden  befestigte  6  Fuss  hohe  hölzerne  Gestelle.  Die 
Fechtlehrer  zeigten  ihnen,  wie  man  den  Stoss  zu  führen,  das  Ge- 
sicht zu  treffen,  die  Seiten  anzugreifen,  und  sich  zu  ducken  hätte, 
um  die  Kniekehlen  zu  treffen;  wie  man  vorrücken  und  weichen 
müsse,  ohne  dem  Feinde  eine  Blosse  zu  geben.  Stechen  geht  über 
Schlagen,  sagt  Yegetius  I,  11  u.  12.  üngelehrigkeit  in  derLection 
ward  mit  Verabreichung  von  Gerste  als  Nahrung  bestraft. 

Diese  methodischen  üebungen  wurden  auch  den  leiditen  Truppen 
gelehrt. 

Je  nach  den  Waffen  hatte  der  üebungsplatz  seinen  besonderen 
Nam^i.  Verwechselung  dieser  Plätze  ward  streng  bestraft. 

Hatte  80  der  Krieger  seine  Separatvorbereitung  erhalten,  kamen 
die  gemeinsamen  Üebungen  an  die  Beihen,  als  viertes  Stadium  — 
in  dem  Karrä  (quadraium  a.gmen),  in  der  Keilordnung  (cunet/a), 
und  in  dem,  was  der  Verf.  pdoton  rond  nennt  (orbü:  Caea.  de 
bdU  6 all.  IV,  87.). 

Später  vereinigte  man  die  Legion,  sogar  mehrere,  rangirte  sie 
als  Schlacht,  und  Hess  sie  handeln,  wie  am  Tage  einer  Schlacht 
gegen  einander,  wo  dann  alle  üebungen  Angriff,  Verfolgung,  und 
Bückzug  aus  einem  wirklichen  Gefechte  durchexercirlj  wurden. 

Die  Beiterei  nahm,  vorher  Mann  für  Mann  wie  die  Fuss- 
Soldaten  eingeübt,  an  diesen  allgemeinen  üebungen  Theil.  Ausser 
dem,  dass  sie  gelehrt  wurden,  zu  Fuss  zu  fechten,  lernten  sie  noch 
die  Kunst  zu  Pferde  zu  kämpfen.  Ganz  genau  beschreibt  dies  Ve- 
getiuB  I,  18,  27.  UI,  2 ,  wie  sie  es  zuerst  mit  hölzernen  Pferden, 
dann  mit  den  wirklichen  Pferden  ausführten. 

Das  fünfte  Stadium  war,  dass  alle  Legionäre  ohne  unterschied 
noch  unterrichtet  wurden,  ein  Lager  zu  befestigen. 

Nichts  ward  der  Laune  des  Kriegers  überlassen.  Der  Schrei 
sogar,  welcher  das  Signal  gab,  hatte  seine  Gesetze.  Was  für  einen 
Werth  er  für  Freund  und  wider  Feind  hatte,  wusste  besonders 
Cäsar  zu  schätzen:  Bell.  Civil.  IE,  92. 

Diese  üebungen,  welche  im  Frieden  stattfanden,  waren  nicht 
die  einzige  Aufgabe,  die  selbst  gutexercirte  Legionen  ?u  erfUlen 
hatten ;  man  verwandte  sie  auch  zu  öffentlichen  Arbeiten,  und  man- 
ches kostbare  öffentliche  Denkmal,  das  in  unseren  Tagen  wieder 
an's  Licht  gefördert  wird,  verdankte  einst  den  firiedlichen  Arbeiten 
der  Legionen  sein  £9tatehen,  Brücken,  Tempel,  Säulenhallen,  Canal- 
reinigung,  Strassenbau,  Erweiterung  von  Fluasbetten ,  Trocken- 
legung von  Sümpfen  u.  s.  w. 


Lftmftrre:  De  k  MOlee  ranaine.  101 

4.  Dem  ▼ierten  Kapitel  hat  der  Verf.  die  Disciplin  im  Heere 
xiigewie80a,  die  Strafen  nnd  Belohnungen.  Strenge  Strafen  gegen 
Vergehen,  rohmvolle  Belohnungen  für  den  Muth  unterhielten  unter 
Allen  eine  heilsame  Furcht  neben  edlen  Wetteifer,  und  ist  der 
Gnmdy  warum  Yalerins  Maximus  die  genaue  und  strenge  Disciplin 
der  Legion  die  treueate  Hüterin  des  Reiches  nennt  (VI,  1,  §.  11 
ed.  Knapf):    ,^ancii$gima  Romani  imperii  custos  severa  easirarum 

Die  richtende  und  Strafgewalt  lag  in  der  Hand  der  Comman- 
direnden.  Sie  hatten  ausser  Born  eine  absolute  Macht  und  waren 
ia^pellabel  (Cic.  de  legg.  HI,  6).  Wie  gross  aber  anch  dieses  An- 
sehen war,  so  waren  sie  selbst  gleichermassen  der  Disciplin  unter- 
worfen, und  waren  verpflichtet,  ihre  Gesetze  zu  befolgen :  Von  dem 
Juristen  Macer  giebt  es  eine  klassische  Stelle  in  den  Digesten 
(L  XTiTX.  tit.  16.  leg.  12):  „OfficiMun  regmtU  txereitumnon  tardum 
im  dandäy  ud  eliam  in  ob$ervandä  ditciplinä  eantiitit^  Die  Bande 
der  Freaadsohafi  und  Verwandtschaft  waren  gelöst:  denn,  heisst 
es  weiter:  „DUciplina  casirorum  antiguior  fuü  parentibt4$  Roma'- 
nü,  quam  Caritas  liberorum/'    Beispiel  davon  ist  Manlius  bei  Liv. 

vni,  7. 

Vor  einer  solchen  Anctorität,  wie  sie  in  dem  objectiven  Ge- 
setze sich  aussprach,  musste  sich  der  Oberofficier  ebensowohl,  wie 
dn:  einÜEUähe  Soldat  widerstandslos  beugen.  Der  passive  Gehorsam 
war  die  erste  Regel  der  Disciplin,  und  als  solche  absolut,  der  sich 
Niemand  entziehen  konnte.  Man  denke  an  Fabius  unter  dem  Dicta- 
tor  PapiriuB  Cursor  (Liv.  VIII.  30).  Die  Unterordnung  und  der 
Gehorsam,  weit  entfernt,  den  Math  zu  schwächen,  hob  ihn  nur, 
weil  sngleich  das  Vertrauen  da  war,  dass  anch  der  Commandirende 
an  diesem  Gehorsam  Theil  hatte. 

Es  gab  eine  grosse  Anzahl  von  Strafen  wider  Vergehen,  theils 
Ehrenstrafen,  theils  Leibesstrafen,  bis  zur  Todesstrafe  S«  344. 

Jede  dieser  Gategorien  begriff  eine  Stufenfolge  in  sich,  die 
Ehrenstrafen,  einem  Paragraphen  in  den  Digesten  zufolge  (1.  XLIX. 
tit.  16.  leg.  3  8.  1)  die  Aufeinanderfolge  von  cadigatio,  peemniaria 
fnületa,  munerum  indiclio^  militiae  mutaiiOj  gradus  deiectiOj  uftuwii- 
mo$a  miasio,  Ausdrücke,  die  je  ihre  besondere  Bedeutung  hatten. 
CaMgaiio  war  eine  leichte  Strafe  und  bestand  in  schlechterer 
Bation,  Aderlaas  oder  öffentlicher  Nennung  als  feig,  im  ersten 
Falle  wegen  Trägheit  auf  dem  Exercirplatze  zuerkannt,  im  zweiten 
Falle  wegen  Poltronnerie,  im  letzten  Falle  wegen  schlechten  Be- 
tragens. Die  Ptaifdaria  mulcia  war  Soldentziehung,  in  welchem 
Falle  bei  dem  Kamen  in  der  Bolle  bemerkt  stand :  rmgnatum  ae«, 
und  der  jäoldat,  der  sie  zu  tragen  hatte,  hiess  aere  dirtdug.  Die 
mdicüa  munerum  war  eine  Vermehrung  der  Arbeit,  und  traf  De^ 
seiteuie.  Die  mutaUo  miHUae  war  die  Degradation  z.  B.  des  Beitere 
in  den  Rang  des  Fusssoldaten ,  des  Fusssoldaten  aus  der  Legion 
in  den  Bang  der   leichten   Truppen«     Die   eigentliche   Degradation 


192  Lsmftrre:  De  la  llUlee  roomlne. 

innerhalb  derselben  Waffe,  wenn  der  Oflficier  zu  einem  Subaltern- 
grade  nnd  sogar  znm  einfochen  L^onarius  redncirt  wurde,  war 
die  deie^io  gradua^  wofür  der  Verf.  als  Beispiel  den  Consiü  Mi- 
nntius  (nach  Liv.  in,  29)  citirt,  der  zum  Optio  eines  Tribun,  also 
zum  Lieutenant  degradirt  wurde.  Die  schlimmste  Ehrenstrafe  nnd 
als  solche  die  vollständige  Degradation  war  die  beschimpfende  Ent- 
lassung (iffnominio$a  misHo)  in  Oegenwart  der  ganzen  Besatzung, 
durch  den  Höchstcommandirenden,  der  die  Degradation  des  Schul- 
digen verlas.  Sie  hub  mit  der  stereotypen  Formel  an :  Tuä  operä 
tarn  non  uiar.  Dazu  trat  erst  in  späterer  Zeit  die  Nennung  der 
Gründe  dieses  Verfahrens  wie  dies  an  dem  Verfahren  Gäsar*s  gegen 
seinen  Kriegstribunen  C.  Avienus  bekannt  ist  (De  bell.  Afrie,  54). 

Die  zweite  Categorie  waren  die  Leibesstrafen  und  zwar  1)  die 
Stäupung  (fuaiuariutn) ,  2)  die  Buthe  (virgae),  die  erstere  wegen 
Diebstahl,  Verläumdung,  Büokfall  in  Ehrenstrafen,  und  wegen  Be- 
nommistenthum  ertheilt,  d.  h.  wegen  Erschleichung  einer  Belohnung 
durch  Vorbringung  einer  nicht  geleisteten  Heldenthat.  DieRuthmi- 
strafe  war  die  demüthigendste. 

Todesstrafe  war  a^  alle  Handlungen  der  Insubordination  ge- 
setzt, z.  B.  gewaltthätigen  Widerstand  eines  Subordinirten  gegen 
einen  Oberen,  oder  auf  einen  Ungehorsam,  selbst  wenn  dieser  aus 
den  lobenswerthesten  Beweggründen  herrührte.  Desertion  aus  Bück- 
fall, Wafifenverkauf,  üeberkletterung  der  Lagermauem,  um  in's 
Lager  zu  kommen,  waren  todeswürdige  Verbrechen  (Liv.  TV,  29. 
50.  Vffl,  7.  XXVin,  29).  Der  Verf.  zeigt  auch,  wie  die  Todes- 
strafe auf  verschiedene  Weise  vollzogen  wurde,  durch  Reinigung 
(Inpidibus  cooperiri  hiess  dies),  durch  Enthauptung  (securi  percuti), 
Kreuzigung  und  im  Falle  der  Desertion  oder  Emeute,  wo  der 
Schuldigen  viele  waren,  je  nach  Befund  der  Schwere,  durch  Vige- 
simirung  oder  Decimirung  u.  s.  w.,  selbst  unter  Martern. 

Wenden  wir  uns  zum  üegentheil,  den  Belobnungen!  Für  die 
Tapferen  und  die  Patrioten  gab  es  mehr  als  eine  Belohnung,  die 
geeignet  war,  sie  gegen  alle  Gefahren  in  den  Kampf  zu  treiben: 
Bom's  Freigebigkeit  im  Belohnen  überwog  die  Strenge  im  Be- 
strafen ! 

War  ein  Treffen  geliefert  worden,  und  hatten  einige  Soldaten 
sich  besonders  hervorgethan ,  so  versammelte  der  Oommandirende 
die  Legion,  und,  indem  er  die  Bewussten  vor  sich  berief,  beglück- 
wünschte er  sie  wegen  ihrer  Tapferkeit  u.  s.  w.  Dann  verÜieilte 
er  Belohnungen  unter  sie:  Halsketten  (torques),  Medaillenketten 
(phalerae),  Lanzenschaffce  {hadae  purae),  Flaggen,  Armbänder,  Helm- 
hömer,  ofb  noch  unter  Begleitung  von  Geldbelohnungen  und  Zuer- 
kennnung  dienstlicher  Erleichterungen,  wovon  die  Betreffenden  den 
auszeichnenden  Namen  benefteiarii  führten,  und  theils  duplares 
waren,  theils  simplare$.  Daneben  erwähnt  Vegetius  noch  einer 
Mittelstufe,  der  aesquiplares. 

(ScUuat  folgt) 


Ii.  13.  UEIDELBEBGEK  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Lamarre:  De  la  Milice  romaine. 


(SohlnM.) 

Eine  nicht  weniger  beneidenswerthe  Belohnung  war  die  Be- 
förderung zu  einem  höheren  Dienste  oder  Qrade, ,  welche  durch  den 
Conunandirenden  verfügt  wurde«  Auf  dieser  Grundlage  ruhte  die 
Eigenschaft  der  Optiones  und  SigfdferL  Aber  von  Allen  Beloh- 
nungen, welche  derMuth  erwerben  konnte,  waren  die  ehrenvollsten 
die  Kronen!  Man  unterschied  eine  c.  casirensis  oder  vallari»,  eine 
e.  tnurcUis,  elassica,  navallis  oder  rosirata.  Die  Bettung  eines  Bür- 
gers vor  feindlichem  Ueberfall  erwarb  die  e.  civiea  (unter  der 
Devise:  j^ob  eivem  strvatum^'),  deren  Yortheile,  moralische  und 
juristische,  beim  Verf.  namhaft  gemacht  werden.  Im  eminenten 
Sinne:  „ob  cives  Mrvatos^  erhielt  auf  Veranstaltung  des  Senats 
Augustns  die  Bürgerkrone  1  —  Hatte  der  römische  Feldherr  selbst 
den  feindlichen  Feldherm  getödtet,  im  offenen  Gefecht,  so  hiess 
die  Beute,  die  dem  Erschlagenen  abgenommen  wurde,  spolia  opima. 
Um  diesen  Preis  focht  Bomulus  wider  Acren  von  Cänina  (Liv.  I, 
10),  Cornelius  Cossus  wider  Tolumnius  von  Veii  (Liv.  IV,  20)  und 
Claud.  MarceUus  über  den  Gallier  Viridomar.  —  Die  eorana  obn^ 
dionalisy  für  die  Bettung  eines  ganzen  Heeres  ertheilt,  war  eine 
seltene  Auszeichnung. 

Daheim  erwartete  den  siegreichen  Feldherru  der  iriumphua. 
Die  Bedingungen  der  Erlangung  (ein  iustum  et  hoüilt  bellum  und 
die  Niederlage  von  5000  Feinden  in  einer  und  derselben  Aktion) 
werden  vom  Verf.  erörtert  und  ebenso  der  Triumphzug  beschrieben. 

e.  Im  fUnften  Kapitel,  S.  359,  erfahren  wir  noch  Details, 
deren  Erwähnung  wir,  im  Interesse  des  Verf.,  nicht  glauben  um- 
gehen zu  dürfen,  über  Verpflegung  imd  Equipirung,  im  sechsten, 
S.  371,  über  Löhnung,  im  siebenten,  S.  381,  über  Feldchirurgie 
ond  Train,  im  achten,  S.  201,  über  die  sociale  Stellung  des  Solda- 
teuy  seine  Verabschiedung,  und  seinen  Buhestand. 

Die  Hauptnahrung  des  Soldaten  war  Waizen,  der  in  natura 
verabreicht,  auf  einem  Steine  gerieben,  und  über  einem  Kohlen- 
feuer geröstet  wurde,  und  eine  Art  von  bouillie  gab.  Erst  später, 
unter  den  Kaisem,  erhielt  sie  eine  Art  Biscuit  (buccellatumj. 
Ausserdem  wurde  noch  Salz  verabfolgt,  femer  Schweinefleisch,  das 
mit  Brod  zusammen,  annona  civiea  hiess,  Oel,  Käse,  Gemüse  und 
sogar  Hammelfleisch,  dies  aber  nur  bei  besonderen  Anlässen,  also 
LYm.  Jahrg.  8.  Heft  13 


im  Ganzen  genommen  ^  sehr  frugal  und  sehr  entfernt  yon  den 
Bea&teal^  und  den  Truthähnen,  die  jener  Zkiave  in  Nizza  bekam. 
A480  fnei^q  n^Hifar\a  ^onnt^,  da  die  Bationen  eich  iwf  daf  Noth- 
wendigste  beschränken,  recht  wohl  sprüchwörtlich  werden. 

Der  Verf.  spricht  dann  noch  von  dem  Getränk  (posca,  aeehümj, 
welches  anfangs  eine  Mischung  von  Wasser  und  Essig  war,  und 
hauptsächliot^  gegf^JS  den  Pi^TSt  i^  heisscA  TageQ  gebraucht  wurde, 
später  in  Wein  bestand,  S.  861^  von  dem  Mass  der  Bation  für 
Truppen  und  OfElciere,  von  den  Tagesmahlzeiten,  S.  863,  von  dem 
leinenen  Soldatenkleide  (sagum  sayon),  einer  Art  von  Draperie,  die 
den  Panzer  bedeckte,  und  bei  den  Truppen  roth  war  (daher  diese 
ruasM  genannt),  bei  den  Oenturionen  und  Tribunen  Scharlach.  Das 
Sagum  des  Feldherm  hiess  paludamentum.  Daneben  gab  es  noch 
eine  leinene  Tnnioa,  die  unter  dem  Panzer  getragen  wurde,  und 
ausserdem  verschiedene  Gewandungen  mit  verschiedenen  Namen  fCbr 
besondere  Zeiten  und  umstände. 

Fussvolk  und  Beiterei  waren  nicht  verschieden  in  Bekleidung, 
nur  dasB  das  Pferdegeschirr  hier  ausserdem  zu  besorgen  war. 

Nickt  unwichtig  sind  die  vom  Verf.  beigebrachten  Mittheilungen 
über  die  Lieferung  der  Bekleidungsstücke,  welches  Sache  besonde- 
rer Leute  beim  Heere  war,  die  sie  entweder  selbst  verfertigteH 
oder  von  Bom  bezogen;  über  die  Besichtigung  der  frisch  Euige- 
fertigten  Stücke  durch  besonders  beauftragte  Offioiere  (procuratoresj, 
die  sie  auch  verabfolgten,  unterstützt  von  einem  Quaestor,  der  die 
Nummern  und  ihre  EmpfUnger  notirte;  und  endlich  die  Mitthei- 
kmgen  über  die  Arbeiter  (aagarii),  denen  die  Sorge  ablag,  sie  in 
gutem  Zustande  zu  erhalten. 

Der  gedachte  Quaesior  hatte  alle  Ausgaben  zu  besorgen 
(rationee  ad  aerarium  referre)  ^  unter  seiner  Verantwortlichkeit 
kauften  Lieutenants  (optiones  frumeniarii)  das  Getraide  auf,  oder 
vertheihen  es,  so  lang  es  noch  keine  Magazine  (mansiones)  dafUr 
gab.  Später  war  der  Praefeetu$  praäorio  der  berufene  0beraii5* 
seher  (Generalintendant)  der  Verpflegung  der  eine  Menge  von  Be- 
lunten  aus  allen  Klassen  unter  sich  hatte.  Jede  Provinz,  bekam, 
ihren  praefeetiu  annonae  vorgesetzt,  jede  denr^e  ihren  praepositus, 
ebenso  viele  Blutsauger,  die  sich  an  den  Staat  anklammerten,  tun 
ihn  auszusaugen. 

f.  Als  Anhang  zu  diesem  Kapitel,  aber  doch  in  Form  eines 
eigenen  Kapitels  gibt  der  Verf.  S.  871  ff.  Mittheilungen  über  Be- 
soldung, „De  la  Paye^  heisst  die  Ueberschrift.  Ursprünglich  ver- 
trat der  Sieg  selbst  den  Sold;  erst  seit  dem  J.  849  (dem  Kriege 
gegen  die  Volsker)  wurde  er  in  Geld  gezahlt,  womit  das  Verblei- 
ben der  Soldaten  beim  Heere  zugleich  zugestanden  war.  Wir  ent- 
halten uns  hier  auf  die  Verrechnung  der  Soldtaxen  einzugehen, 
auch  der  Anlässe  zur  Erhöhung,  die  nur  zu  Gäsar^s  Zeit  ein  Ge- 
winn war  (zufolge  Suet.  Caes.  26),  für  die  späteren  Zeiten,  da^^^ 
gegen  als  Zeichen    der  Entwerthung   dienen  kann.     Der  Sold  der 


Offioierd  Wftir  h^her  und  wttchd  mit  den  Gnlden,  sb  däSd  di^  Ceü- 
tiiri(Mie&  das  Doppelte  von  deni  erhielten;  was  der  Legional*  er- 
h]6lt>  ulid  die  Tribunefl  dae  Doppelte  der  Centariengage. 

Der  Sold  ward  anfangs  vom  Volk  bestritten,  spater,  nach  dem 
Kriege  gegen  Macedonien  n.  a.,  ans  dei*  Beate.  Die  BthrgMtriege 
nonirtett  den  ^entlicheii  Beiiatz;  Met  die  FarteiUän|)ter  ^ssten 
ihr«  Quellen^  xakä  «nletzt  Selbst  noch  AngnstnS  dnrch  Mne  tiir^imu 
kertdäalum  et  legcOorum^  So  wie  dnrch  eine  cMe^rha  venditörufh 
(Tte.  Abu.  I,  78)  mit  nngesohwäcbteii  Fonds  die  BiMnng  einet  niili- 
tftrischen  Repräsentation  zn  unterhalten;  ntrd  ani  denl  ko  gebilde- 
ten Aer&tium  milUitre)  dessen  Verwaltung  sechs  Oberdfficiören  über- 
tragen war,  quartalweise  die  Gagen  zu  bestreiten,  nicht  mehr  wie 
frfüier  holbjAhrlicb.  Esyerstefat  sich,  dass  diese  OberöfÜciere  durch- 
attl  mit  dem  Yerfiahren  des  Rechnens  vertraute  Lernte  wateh 
{UttermH  müitei^  Ytg.  II,  19).  Der  Verf.  beschreibt  den  kadtis  ihret 
Verrechnungen,  und  die  Theilung  in  dieses  Geschäft  nach  dän 
Graden  ihres  Ranges,  er&rt^  die  Möglichkeit  von  Missbräuchen  an  der 
Untrere  zweier  Offioiere  des  J.  Cäsar,  die,  als  sie  des  tlaubes  tlber- 
f&hrt  waren,  zu  Pompeius  desertirten,  um  in  seinem  Lager  ihre 
Belwtide  zti  verbergen  (Caes.  de  bell,  ciril.  m,  59).  Er  schliesst 
mit  der  Bemerkung,  dass,  wie  sehr  auch  gute  Kaiser  bestrebt 
warea,  die  Missbräuche  abzuschaffen,  die  letzteren  doch  iminät 
wieder  man  Vorschein  kamen. 

g.  Ein  nicht  unmchtiger  Gesichtspunkt  in  diesem  Buche  ist 
der  G^esundheitszustand  des  römischen  Kriegers,  dem  das  siebente 
Kapitel  S.  881  gewidmet  ist :  „Des  m^dicim  d  cMHtrgieiu  tnili- 
Udru;  des  hommea  aUaeh^  au  eenoiee  de  farm^e.^  Der  Gesund- 
faeitesnstand  ist  aber  nicht  das  Einzige,  sondern  eingangs  ist,  ab* 
geeeken  ron  einer  Reoapitulation,  auch  noch  von  reügiösen  Dingen, 
AngatienTomahme  die  Bede.  Was  die  Aerzte  betrifft,  die  Militär- 
trste  nSmlieh,  von  denen  dann  im  AnschluSs  die  Rede  ist,  sö 
stützt  sich  der  Verf.,  in  Ermangelung  näherer  'Einzelheiten  in 
Desobry-'s  Aonte  cm  eieelt  d! Auguste,  wo  nur  von  römischen  Aerzten 
lAerkaapt  gesprochen  wird,  vorzugsweise  auf  eine  Arbeit  eines 
Herr  Anbertin,  im  Journal  de  VJnsiruetioh  publique.  Er  analysirt 
diese  auf  die  Militäi'medioin  des  Alterthüms  bezügliche  Arbeit. 

Wahrend  der  ersten  sechs  Jahrhunderte  hatten  die  Römer  keinö 
Aerste,  und  koiinten  niithin  auch  ihren  Heeren  keine  mitgaben. 
Die  reiohen  Bflrger  behalfen  sich  mit  Arzneibüchern,  Wie  heutzu- 
tage die  Hausfrauen  mit  den  Kochbüchern.  Aber  draussen  atif  dei^ 
Felde,  verpflegten  die  CaiHaraden  einandei^,  odei-  in  den  öchKmm- 
sten  FftDen  musste  die  benachbarte  Stadt  die  Sorge  ftlr  die  Schwer- 
verwundeten übernehmen.  Die  erste  chirurgische  Schule  gründete 
in.  Rom  eto  gewisser  Archagatas  aus  dem  Pelopottües.  Der  Anfang 
wstf  gemacht.  Die  Armee  hatte  jetzt  wenigstens  Ohimrgen«  Wie 
sehr  das  BedürfiilSB  daMach  und  nach  Aerzten  empfimdeh  wurde, 
bezeugt  Cäsar  durch  seinen  Erlass,  der  das  Bürgerrecht  denselben 


106  liftmarre:  De  U  Millioa  roBMÜne. 

verlieh  (Suet.  Caes.  42)  und  Augustus  durch  den  seinigen,  der 
sie  von  den  Abgaben  befreite.  Alle  Aerzte,  welche  bei  der  Legion 
dienteui  wurden  mtdici  legianis  titulirt,  die  Aerzte  in  den  Gehörten 
medici  eohorUsI  Es  gab  auch  Yeterinärärzte :  medici  iumentarii 
(zufolge  einer  Inschrift  bei  Orelli). 

Der  Verfasser  lässt  es  unentschieden,  ob  es  Ambulancen  und 
Spitäler  gab,  weil  es  wenigstens  nicht  aus  Cftsar*8  Schriften  nach- 
weisbar, und  dass  eine  Stelle  aus  dem  Leben  des  Alex.  Severus 
auf  die  Annahme  ftlhren  könne.  Zuletzt  i^t  noch  von  den  kctiearn 
und  den  Trossbuben  die  Bede. 

h.  So  stehen  wir  denn,  S.  391,  bei  dem  Schlusskapitel  des 
ganzen  Lamarre* sehen  Werkes:  „Condition  du  Boldat;  cang^  ei 
retraite,^  Wir  erfahren  hier,  dass  der  Soldat  seit  der  Zeit,  dass 
der  Dienst  einen  besonderen  Stand  begünstigte,  keine  legitime  Ehe 
eingehen  konnte.  So  war  es  von  Augustus  bis  Septim.  Severus. 
Die  Folge  davon  war,  dass  sie  im  Concubioat  lebteo.  Femer  wird, 
S.  394,  als  einer  Entschädigung,  der  Länderanweisungen  gedacht, 
bestimmte  Territorien,  welche  Anlass  zu  späteren  Städten  geworden 
sind.  Den  Schluss  macht  dann  die  Missio, 

Mit  dieser  Geduld  und  Zeit  bedingenden,  aber  nicht  unirucht- 
baren  Arbeit,  hat  der  Verf.  zwar  bewiesen,  dass  er  das  Material 
bewältigt-,  aber  auch  nicht  undeutlich  verrathen,  wie  hindernd  die 
historischen  Bücksichten  sind.  Durch  die  Hinzufügung  von  „depuis 
la  fondation  de  Rome  jusqu'ä  Consiantin^  hat  er  sich  vor  dem  Vor- 
wurf bewahrt,  dass  sie  nur  eine  üebersichtsarbeit  sei.  Wenn  wir 
bedenken,  dass  die  Gründlichkeit  unserer  Forscher  uns  selten  den 
Genuss  einer  Üebersicht  verstattet,  so  muss  des  Verf.  gegenwärtige 
Arbeit  gerade  als  Üebersichtsarbeit  unser  Interesse  fesseln  gegen- 
über den  Detailstudien  der  ünsrigen.  Es  wäre  nur  zu  wünschen, 
dass  die  Franzosen  bei  ihrer  Gewandtheit  in  der  Zusammenfassung^ 
mehr  die  Arbeiten  ihrer  deutschen  Fachgenossen  zu  Bathe  zögen. 
Das  Beispiel  der  Histoire  de  Jules  Cesar  kann  sie  hier  belehren.  Die- 
ser umstand  ist  uns  bei  der  Lektüre  des  Lamarre' sehen  Buches 
besonders  aufgefallen.  Von  einer  Berücksichtigung  und  Namhaft- 
machung  von  Bähr's  Artikeln*),  von Büstow*8  Commentaren,  A.  v« 
Göler's  Darstellungen,  Eramer's  Einleitungen  und  Anmerkungen  za 
C.  Marquardt*s  Abhandlungen  {Hidoriae  Equit  Roman,  u.  s.  w.)  u.  A., 
die  es  sich  gelohnt  hätte,  kennen  zu  lernen,  ist  keine  Spur  za 
finden.  Selbst  französische  Vorai*beiten  sind  nur  selten  genannt, 
z.  B.  die  ausgezeichneten  Arbeiten  des  Historiographen  der  kaiser- 
lichen Marine,  Herrn  Aug.  Jal  (laut  den  Schlussworten  des  ersten 
Gapitels,  Partie  m. ,  femer  Dezobry's  Rome  au  siiele  d' Auguste, 
Adam,  DiscipL  milü.  des  Romains,  und  Montesquieu*s  Grandeur  et 
D^eadence  etc.  Zwei  Verfasser,  Saumaise  und  Folard,  werden  zwar 
S.  1  vollständiger,  aber  im  Texte  nur  auf  ihren  Namen  citirt, 
o)me  Bezugnahme  auf  ihre  Schriftentitel  und  Seite. 

*)  In  Pauly*!  Enoyolop. 


Lamsrni:  De  la  Mfllee  romaine.  10t 

Tor  allem  wftre  eine  Kriiak  der  Darstellimg  des  Vegetius  nSthig 
gewesen,  sn  der  er  nur  ein  einziges  Mal,  nftmlick  S.  169,  den  An- 
lauf genommen  hat,  indem  er  dort  über  seine  Confasion  klagt. 

Nichtsdestoweniger  hat  uns  ein  gewisses  Vorurtheil  för  die- 
selbe eingenommen,  woran  die  Thatsache  den  Hanptantheil  hat, 
dass  die  Franzosen  selbst  geborene  Soldaten  sind,  nnd  die  fernere 
Hiatsaefae,  dass  nnter  den  Anspicien  des  Kaisers  dieser  Theil  der 
T&miBchen  Alterthttmer  mit  besonderer  Vorliebe  erforscht  wird. 
Damm  sachten  wir  uns  in  jene  Lage  zu  schicken,  und  mit  dem 
Ver&sser  ron  seinem  Standpunkte  ans  die  Fragen  für  gewisse 
Ptile  bis  zum  Schlüsse  zn  snspendiren. 

Für  die  LOsung  dieser  Fragen  war  nunmehr  die  Gelegenheit 
gekommen,  und  der  Hauptsache  nach  ist  sie  in  den  yorerwähnten 
Mängeln  gegeben.  Was  wir  nun  noch  zu  beklagen  haben,  sind  klei- 
nere Ponkte,  nämlich,  wie  schon  im  Laufe  der  Zergliederung  ge- 
seliehen  ist,  den  Mangel  an  Illustrationen,  weshalb  wir  das  Buch 
nur  dem  empfehlen  würden,  der  die  resp.  bildlichen  Darstellungen 
sdion  gesehen  hat,  oder  doch  leicht  bekommen  kann.  Vielleicht 
setzt  der  Verf.  voraus,  die  Leser  seines  Buches  seien  im  Besitze 
des  ühistrirten  Wörterbuchs  römischer  AlterthtLmer  von  Anthony 
Bißh,  aber  ausgesprochen  hat  er  es  nicht.  Zu  Seite  109  hätte  er 
ein  Inventar  über  die  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Standarten 
geben  sollen,  wie  solches  Zell  gethan  hat.  Vgl.  über  ein  etc.  römi- 
sches Feldzeichen  (Garlsruhe  1855)  S.  15.  Auf  S.  42  werden  die 
Expiitratores  vermisst,  worüber  sich  v.  Göler  gründlich  ausgespro- 
chen hat,  in :  die  Kämpfe  bei  Dyrrhachium  und  Pharsalus  S.  107. 

Durch  das  ganze  Buch  schleicht  noch  der  Qlaube  an  mili- 
tärische Einrichtungen  durch  Romulus. 

Wir  sind  dem  Verf.  hingegen  das  Lob  einer  fleissigen  Lektüre 
der  Olassiker  schuldig,  sowie  einer  Benutzung  der  systematischen 
Taktiker,  daneben  auch  das  Lob  eines  klaren  Blicks  in  die  ge- 
sdiichtliche  Entwicklung  der  römischen  Legion,  wovon  die  einlei- 
tende, einige  zwanzig  Seiten  zählende  Abhandlung:  „Du  R3le 
kialöripse  de  la  miliee  romaine^  Zeugniss  ablegt.  In  fönf  aufein- 
anderfolgenden üeberblicken  sind  die  Perioden  der  Eroberungen 
und  der  Bürgerkriege,  des  Eaiserthums,  die  Bolle  der  prätorianischen 
Leibwache  und  die  Umwandlungen  im  römischen  Heerwesen  seit 
Garacalla  kurz  und  treffend  erwogen,  und  wieder  einmal  die  Leist- 
Qugen  Cäsar^s  und  des  Augnstus  in  diesem  Punkte  in  ein  effekt- 
volles Licht  gerückt  worden.*) 

Wir  wollen  diese  Prüfung  nicht  beschliessen,  ohne,  an  unsere 
Eingangsbetrachtung  anknüpfend,  dem  Werke  die  Stelle  anzuweisen, 
die  ihm  gebührt.  Die  Betrachtung  des  römischen  Heerwesens  hat 
ihre  zwei  Seiten;  sie  kann  darauf  ausgehen,  seine  wundervolle 
Organisation  zu  ergründen,  oder  seine  militärischen  Eigenschaffcen, 


^  VgL  Lange,  BistoHa  mutationum  rei  müüaris  Bomanorum  inde  ab 
wUrUu  rei  pMicae  usque  ad  Constantinum  Magnum.  Götting.  1846. 


198  Reinisoh:  ^1»  Igyp4ifb«i  Dei|kii|lkv  m  WnaxuLt, 

ader  di^  OrüxKde  seisar  üebdr)eg«Bhdit  ttber  die  Heere  ihrer  Zeit. 
Allefi  dieses,  wenigstens  das  Brstere  iind  Zweite  hat  der  Yerfassev, 
Herr  Prof.  Lamarre  mit  seinem  Bache  sni  erreichen  gesuehi.  Ba 
gibt  aber  noch  eine  andere  Seite  der  Betrachtung,  jene  nämlich, 
welche  Bechnenschafb  von  dem  moralischen  Charakter  im  römischen 
Heere  ablegt,  von  seiner  politischen  BoUe,  von  seinem  fiinflass  aof 
die  römische  Qesellschafb,  yon  seinen  Mängeln  nnd  Vorzügen ;  Ton 
dem  Gebrauche  endlich,  welche  man  machte,  von  den  letzteren,  nm 
diese  Gesellschaft  zu  leiten  nnd  zu  regieren.  —  Zur  VerwirUichmi^ 
dies^  Seite  der  Betrachtung  hat  einen  sehjr  bemerkanswerthen 
Schritt  ein  französischer  Jurist,  Herr  Dübois^Gttchan,  in  seinem 
Werke;  „TaciU  et  son  siedle''  (Paris,  1861,  zw«  Btode)  gethan, 
auf  das  wir  demnächst  zurückkommen  werden.  Hier  sei  nur  der 
zweiten  Abhandlung:  „VAxm/^  romcMiA**  (Bond  I.  EL  24)  Erwäh- 
nung gethan,  worin  der  Genannte,  zwar  etwas  kaleidoskoi^soli, 
aber  mit  Glück  und  Wahl  die  bewussten  Gesichtspunkte  zum  Ver- 
ständnisse bringt,  und  mit  der,  Cäsar's  Entwürfen  entspruagenen, 
üeberzexignng  scfaliesst,  dasa  die  römische  Armee  und  das  Volk 
Bom's  sich  nicht  trenneipi  lassen. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  hat  das  Studium  des  römisoh^i 
Kriegswesens  und  der  römischen  Kriegsalt^rthümer  nicht  bloseij^a 
culturhistorischen,  sondern  zugleich  einen  ethischen  Werth. 

Heidelberg.  Dr*  H*  DMrgM». 


/.  8,  Reinischj  Die  ägypUichm  ^QemhmäUr  in  Minotmflrj  ^^ 
schrieb4in  und  erlmUeri  mii,  4S  lithographirtm  Tafein,  29  in  den 
Text  eingedruckten  HolsackniUe^  und  einer  TiiielvigneUe.  Wien 
1866^  W.  €h.  Braumfilfer,  Hef-  und  ünivereUätebufihhändler. 
XU.  330  S.  gr.  8. 

II  8.  Ueinisch,^  Di^  &de  de$  Bamiieogrammaien  Seha^  ian 
ägypUechen  Cabinet  ttp  Wien  mit  ItUerlu^fiarverman  und  (hm^ 
mentar  nebst,  l  Tafel.  Wien  1864.  38  8.  8^  k.  k.  Hof  u^kd 
8taatsdruqkereL 

JJl.  8.  Reinisch,  l>iß>  OrabUde  d^  PtiegUra  Ptah  em  taa  muß 
Inte9!Unearverrion  und  Commentar  nebt  1  Tafel.  Wien  186S^ 
Hof-  und  8taat8d9;i4ckerei, 

IV.  Ohaöa^s^  Observation»  mr  U  Chapitre  VI  du  Riluel  SgypOen^ 
€xf,r,aU  desMäf^rea  de  la  8oeUt€  Met.  de  Langree  1868*  4,  12^ 

Diebe!  Diebel  war  das  allgemeine  Geschrei,  als  nach  mehr- 
tansendjähriger  Nacht  der  erste  Lichtstrahl  in  die  ägyptische  Finster- 
niss  fiel.  Bei  dem  ungewissen  Dämmerschein  bemerkte  man  nur 
ein  wirres  Getümmel.  Etwas  Kostbares  musste  gefcmden  sein*), 
das  einer  dem  andern  zu  entreissen  suchte.  Champollion,  hiess 
es,  hat  Young  bestohlen,  Salvolini  den  Champollion,  Seyffiirth  wollte 
von  allen  und  jeden  bestohlen  sein,  Lepsius  klag;te  bittej-lich  über 

*)  Die  EaUifferuüg  der  Eigennamen. 


B«11I«^li?  Ute  m^f^eh^  DMtanllcsr  sd  ttlitimtr.  iM 

Brügmsh,  ü&!6iiiaiui  Über  tiepsins  —  doeb :  de  titIs  nil  nisi  bene ! 
90ttBt  mtlflste  man  ja  noch  melden,  das«  Herr  Fran9oi8  Lenbrinant 
1857  >flKt8  dem  Naohlaas  seines  Vater^a*)  xmd  ohne  de  Rong^  kü 
nettfien  anftischte,  was  Jahre  lang  rorher  de  Bongö  wohl  mit  meht 
Beekt  als  s  e  i  n  Üi^enthmn  TeröffentHcht  hatte*'^).  So  fingirte  Anionitis 
alle  möglichen  Oesetze  ans  dem  nnbekannteh  Testament  des  Cttsar. 
Für  die  gemSehHcben  Zuschaner  war  dies  Bchanspiel  nicht  tlnan- 
genehm:  ftr  die  philologische  Orthodoxie,  welche  seit  Pythagoras 
über  den  Fnnd  jeder  netten  Wahrheit  eine  tOdtliche  Angst .  enipfin- 
dety  für  die  Orientalisten  en  titre,  welche  dnrch  die  Ausbreitung 
met  jungen  Schule  ihre  guten  Plfttze  bedroht  glaübteh  und  wie 
KhkpToth  »Terlllumdeten,  rerfluehten, 

die  junge  grüne  Baaf . 

Man  kann  es  jetzt  getrost  sagen,  es  war  YerTftumdung,  wenn 
Küaproth  den  Champoüion  als  Fälscher  anklagte***),  weil  di6  voü 
letzterem  und  Gaillaud  veröffentlichte  Tafel  Ton  Abjdos  in  drei 
NanenBBchildem  nicht  mit  der  Zeichnung  von  Bänkes  uäd  Wil- 
kinaon  stimmte,  VerlSumdung  oder  Unwissenheit,  denn  dem  Sinne 
na^  stin^nen  sie  allerdings  vollkommeii.  Dennoeh  war  das  allge- 
meine llisstrauen  nicht  ganz  ungerechtfertigt  und  erhielt  neäe  Nah- 
Tung  durch  die  üeberstürzungen  der  jungen  Schule  selbst,  #o  sie 
fiüseh  interpretirte  und  durch  das  geringe  ^aass  voiit  ägyptischer 
Weisheit  das  zu  Tage  kam,  wo  man  richtig  las.  Wahre  QrOise  ist 
besd^ei^n ;  wer  hätte  geraubt,  dass  die  Erbauer  der  Pyramiden 
es  fSr  n5thig  hielten  sich  zu  rflhmen?  und  daS  statt  im  stolzen 
Lapidarstil  im  wohlgeset^en  KanzleistO;  statt  in  gedrungenen  Epi- 
grammett  in  langfädigen  Litaneien! 

PBniuB  xmd  Ammian  meinten,  auf  deii  Obelisken  habe  ihan 
die  Ortandgesetife  der  Natur  eingegraben  und  die  Geheimnisse  der 
Ffaüoeophie.  In  der  That  enthalten  sie  aber  nichtsr  ah  die  Dedl- 
catio  des  Gebäudes  vor  dem  sie  stehen,  weitläufigst  aber  nicht  be- 
scheidener als  die  famose  Inschrift  auf  der  Hauskapelle  des  Schlosses 
zu  Femex:  Deo  eröxit  Voltaire. 

Der  Obelisk-  von  Longsor  heute  vor  den  Tuilerien,  stand  einst 
vor  dem  sUdiichenPalbBt  in  Theben,  dessen  Erbauer  er  nach  jedem 
der  vier  Winde  viermal  namhaft  macht:  Ramses  der  Geliöbte  des 
Ammoii,  der  Erzeugte  des  Ba,  errichtet  einen  Tempel  des  Animon 
wie  den  himmlischen  Sonnenberg  zu  einem  mäc^igen  Bau  der 
Ewigkeit.  Hathor  jubelt  und  ihr  Götterchör  lobsingt:  Ed  ist  der 
Himmely  es  ist  dein  Bau;  dJevo.  Name  besteht  so  wie  der  Himmel 
0  Bamses.  So  die  Seite  gegen  die  Tuilerien.  Aehnlich  ruft  es  gegen 
Neuillj  hinaoB :  Bamses  der  Fürst  des  Südens ;  der  Mund  des  Feuers 
ist  mit  seiaem'  Schwert,  er  führt  alle  Ländelr  gefangen,  er  der  Sohn 
de«  Marfl  u.  s.  w.  baute  diesen  Tempel  des  Anünon; 


*)  Lea  livres  ehei  les  Egyptiens  im  Correspondant. 
**\  Stades  snr  le  Rituel  fundraire.  . 

««*)  ELumen  critique  de  travaux  da  ChampoUion  p.  lo6.  Paris  1883. 


30O  Relnifloh:  Die  SgyptiBeben  DenkniSlMr  cu  Minunar. 

Wir  keimen  andere  unsterbliche  Werke,  allein  damnter  heisst 
es  nur  Baphael  pingebat,  doch  greifen  wir  nicht  vor.  Hatte  man 
die  Aegypter  selbst  für  weiser  gehalten,  so  ermangelten  auch  die 
Aegyptologen  nicht,  den  schlimmen  Eindruck  noch  zu  vermehren. 
Man  glaubt  jetzt  seinen  Augen  kaum,  wenn  man  liest,  wie  Uhle- 
mann  noch  1855  in  jenen  von  Lepsius  ganz  richtig  als  Todten- 
buch  betitelten  Sammlungen  von  Leichengebeten  »Anweisungen  zur 
Tischlerei«  finden  konnte*). 

Dasselbe  Cap.  VI  jener  Sammlung,  worin  die  Herrn  Verfasser 
von  Nr.  IV  und  I  der  in  Rede  stehenden  Werke  mit  vollem  Becht 
eine  Bitte  umErlaubniss  erblicken  zur  Bearbeitung  der  elysäischen 
Felder,  dasselbe  übersetzte  Parrat**)  als  die  »Geschichte  der 
Sündfluth«,  Uhlemann***)  nach  SeyfFarthf)  als  die  »Bede  von  der 
Erschaf^g  der  vierfüssigen  Thiere.«  Gewiss  diese  Zwietracht  war, 
wenn  nicht  jämmerlich,  doch  lächerlich.  Es  ist  ein  angenehmer 
geselliger  Zeitvertreib  auf  einem  weissen  Papier  durch  drei  oder 
vier  gegebene  Punkte  irgend  eine  Gestalt  zu  zeichnen,  wobei  mit 
ebensoviel  Becht  ein  X  für  ü,  eine  Heilige  oder  eine  Hetäre  ge- 
zeichnet werden  kann.  In  der  That  wussten  wir  bisher  ausser 
den  Eigennamen  nur  sehr  wenig  Worte  und  Anhaltspunkte.  Daher 
das  freie  Spiel  der  Phantasie,  daher  die  Freude  des  Publikums  an 
den  Aegyptologen.  Allein  je  mehr  Punkte  fixirt  werden,  desto 
präciser  wird  die  Figur,  desto  schärfer  tritt  sie  aus  dem  Edelrost 
heraus  und  jetzt  gerade  ist  durch  die  Entzifferung  der  hieratischen 
Litteratur  (de  Bong^,  Chabas,  Goodwin)  das  Aufblitzen  neuer  Licht- 
punkte und  Besultate  auf  allen  Seiten  ein  so  reiches,  dass  selbst 
die  Neider  ausimfen  müssen :  ^sl  (pdQHvdov  ti  Aifivr^  xaxovl 

Das  vorstehende,  auf  Kosten  des  Kaisers  von  Mexico  gedruckte 
Werk  (oben  Nr.  I)  steht  in  dieser  Beziehung  auf  der  Höhe  der 
Zeit,  es  übersetzt  in  einer  Art  Vulgata  ganze  Gapitel  des  Todten- 
buches,   von  welchem  Lepsius   keinen  Text  zu  geben  wagte,   und 

*)  Es  werden  im  Turiner  Hymnologinm  folgende  Arten  von  Hand- 
werkern besonders  behandelt:  Der  Tischler  cap.  i4;  der  Mnmienmacher 
c.  46;  der  Zimmermann  c.  47;  TJUemann  Thot  oder  die  Wissenschaft  der 
alten  Aegypter  pag.  101  (1856).  In  der  That  steht  Ober  c.  46  eine  Vignette, 
worin  Annbis  e&e  Mnmie  anf stellt,  und  eine  banansische  Phantasie  kann 
auch  das  cap.  44  in  der  Vignette  abgebildete  Grab  fUr  einen  Kleiderkasten 
ansehen,  allein  in  Wahrheit  nnd  so  viel  ich  Obersetsen  kann,  enth&It  c  44 
einen  Jub'elgesang  über  das  ^  Anf  gehen  des  Grabes'  nnd  o  46  ein  Trostwort 
fftr  die,  welche  ^stille,  stille  in  Osiris  nnd  doch  nicht  stille  (todt)  sind  und 
nicht  verwesen  im  Hades.*^  Ich  bin  geheiligt,  heisst  es  cap,  44,  dnroh  das 
wegeleitende  Auge,  ich  bin  nmhQllt  (geschntst)  auf  den  Strassen  des  Fir- 
mamentes, mein  Haupt  ist  "v/ie  die  Sonne;  mein  Hers  ist  sich  selbst  bewusst 
und  mein  Eingeweide  [das  bei  der  Einbalsamirung  herausgenommen  wurde} 
wieder  an  seinem  Ort;  ich  bin  der  Gott  Ra  der  sieh  selbst  beblltet  .. .  ich 
throne  wie  ein  König,  nicht  sterbe  ich  wieder  in  der  Unterwelt.  Das  w&re 
also  die  Abhandlung  über  die  Tischler. 

••)  Im  Journal  Le  Jura  Porrentruly  8.  MÄrz  1860. 
•••)  Thot  p.  190. 

f)  Granmiatica  aegypüaca  (1866).  Ego  sum  cuntla  quattuor  pedibuat! 


R«  lata  eh:  Die  IgypHseben  Denkmller  ra  MiraiDM.  201 

Bansen  gestand,  keiner  seiner  Zeitgenossen  vermöge  nnr  eine  Seite 
zo  flbersetzen.  Dass  ich  seine  üebersetznng  eine  Ynlgata  nenne, 
wird  der  Herr  Verfasser  nicht  ttbel  nehmen,  dann  was  er  bietet, 
gewinnt  eben  dadurch  an  Autorität,  dass  es  nicht  nur  seine  indi- 
ridnelle,  sondern  die  üebersetzung  aller  derer  ist,  welche  vor  Extra- 
vaganzen sich  hütend,  eben  darum  in  einer  Gruppe  beisammen 
geblieben  und  jeder  ftlr  sich,  wie  einst  jene  Siebenzig,  auf  dasselbe 
Resultat  gekommen  sind.  Von  Einzelnheiten  abgesehen,  glaube  ich 
Tsrsiehem  zu  kOnnen,  dass  die  Herrn  de  Rong^,  Birch,  Brugsch, 
CSiaUas,  Goodwin,  P.  le  Page,  Renouf,  Lauth,  Scheuchzer  so  gut 
ab  der  Unterzeichnete  die  durch  Herrn  Reinisch  gebotenen  Üeber* 
setnmgen  als  richtig  anerkennen  werden.  Insofern  ist  der  Tit^l: 
Die  Ägyptischen  Denkroftler  zu  Miramar  fast  zu  eng,  es 
ist  das  Buch  selbst  das  Denkmal   eines    edlen  Wettstreites  der  oC 

Erstens  hat  der  Kaiser  noch  als  Erzherzog  die  Sammlung  ge- 
gritndet,  theils  durch  Ankauf  von  dem  ehemaligen  Osterreichischen 
Generalconsul  in  Aegypten  v.  Laurin,  theils  durch  persönliche  Aus- 
wahl (1855)  aus  dem  ägyptischen  Museum  in  KaYro,  wo  er  statt 
der  üblichen  Geschenke  an  edlen  Pferden  und  kostbaren  Waffen 
lieh  vom  VicekOnig  diese  Erlaubniss  ausbat ;  er  hat  auch  die  Her- 
insgabe  dieses  prachtvollen  Druckes  bestritten  mit  einem  eigens 
in  der  Hof-  und  Staatsdruckerei  angefertigten  Hieroglyphenalpha- 
bet, mit  Holzschnitten,  Lithographien  und  einem  Stahlstich  von 
Miramar,  anderseits  hat  der  Verfasser  die  Monotonie  eines  Cata- 
loges  und  obendrein  eines  ägyptischen  aufgewogen,  gutgemacht 
durch  eine  gehaltvolle  Abhandlung  über  die  ägyptische  Lehre  von 
der  Unsterblichkeit  (eben  nach  jenen  üebersetzungen  aus  dem 
Todtenbuch)  und  durch  einen  Anhang  über  das  hieroglyphische 
Alphabet,  zwei  Gaben  für  die  Kenner,  zwischen  welche  er, 
vie  in  einem  goldenen  Rahmen  den  Gatalogue  raisonn^  für  die 
Dilettanten  einschob,  nicht  ohne  in  diesem  auch  eigenthümliche 
Beiträge,  namentlich  zur  Mythologie  und  Heortologie  (7  pag.  226 
Note  3)  zu  liefern,  und  sich  als  befähigt  auszuweisen  für  das 
grössere  Werk,  welches  er  jetzt  unternimmt,  und  welches  auf  200 
Tafeln  alle  ägyptischen  Monumente  darstellen  soll,  die  in  der  öster- 
reichischen Monarchie  vorhanden  sind. 

Soll  ich  es  nun  nach  alledem  doch  gestehen,  dass  unser  Wissens- 
durst, der  beim  Bauschen  solch*  neuer  Quellen  nur  reger  wird,  auch 
^Schlüsse  dieser  314  Seiten  sich  nicht  wesentlich  gestillt  findet? 
Nicht  etwa  darum,  weil  ausnahmsweise  die  Stelen  Taf.  XXXVITl 
^d  XLni  nicht  übersetzt  sind,  sondern  weil  jene  schon  ange- 
deutete Ideenarmuth  der  Aegypter  leider  noch  dreifach  ttbertroflfen 
^d  von  ihrer  Wuth,  dieselbe  Idee  immer  wieder  zu  sagen  Das 
obenangefQhrte  VL  Capitel  des  Todtenbuchs  ist  hier  mit  wenigen 
uur  sprachlich  merkwürdigen  Varianten  ein  Dutzendmal  hierogly- 
phisch zu  lesen  auf  Tafel  XTV  bis  XXV;  es  ist  auch  3mal  (wieder 
mit  Varianten)  gedruckt  im  Gatalogue  of  the  Hartwell  House  (1859), 


30S  R^inlaob:  Die  ftgypttnhen  DenkinUar  bei 

dreimal  in  der  Abhandlung  von  Chabas  oben  Nr.  IV,  mehrfiaoli  bei 
Sbarpe*),  mehrfach  in  Lepdius  Denkmälern**),  ja  die  Stataetten, 
welche  theils  mit  diesem,  theils  mit  einem  kürzeren  Gebet  beeohrie- 
ben  sind,  fanden  sich  schefifelweise  (several  bushels)  im  sogenannten 
Grab  desBelzonr,  so  dass  man  znrZeit  der  Yermnthnngen  meinte, 
sie  hätten  den  Zweck  gehabt,  die  im  Leben  nnterklssenen  Gebete 
nachzuholen***),  ähnlich  jenen  sinnreichen  Mfihlen  an  den  Thoren 
budischtischer  Klöster,  wo  durch  Wasserkraft  oder  Wind  immer 
dasselbe  Gebet  gedreht  wird.  Auch  innerhalb  der  oben  als  einig 
dargestellten  Gruppe,  ist  man  es  doch  nicht  in  Bezug  auf  den 
Sinn  der  Wasabti,  welche  in  diesem  Text  angerufen  werden.  Nach 
de  ßong^  und  Chabas  wären  es  die  Statuetten  selbst ;  naeh  Beimsch 
der  das  Wort  vom  oopt.  schobt  mntare  ableitet,  wären  es  die  be- 
reits verwandelten  und  verklärten  Seelen,  welche  gleichsam  als 
neuer  College  der  mit  Karst  und  Getreidesack  im  Eljsium  an- 
kommende anredet:  0  Ihr  Verklärten,  wenn  befähigt  ist  der  zum 
Osiris  gewordene  N.  N.  der  Sohn  der  N.  N.  der  Gerechtfertigten, 
zu  verrichten  die  Arbeiten,  welche  verrichtet  werden  im  Hades 
und  zu  überwinden  die  Hindemisse,  so  sprecht  es  aus  und  erklärt 
ihn  für  befllhigt  für  alle  Zeit  zu  bearbeiten  dort,  zu  bebauen  die 
Felder,  mit  Wasser  zu  füllen  die  Canäle  des  Westens  und  Ostens 
[oder  zu  schaffen  den  Sand  von  Westen  nach  Osten].  Diese  lieber^ 
Setzung  des  Herrn  Beinisch  (I.  p.  151)  ist  dieselbe,  welche  Chabas 
schon  1868  gegeben  und  in  IV  begründet  hat.  Derselbe  erläutert 
daselbst  auch  die  andere  auf  diesen  Todtenstatuetten  vorkommende 
Iqschrifb:  »Es  strahlt  Lieht  aus  der  zum  Osiris  gewordene  N.  N. 
(Miramar  Taf.  X,  1,  2,  3.  XI,  1,  2,  8.  XH,  1,2,8.  Xm,  1,2,8.) 
durch  Heranziehung  eines  Berichtes  bei  Suidasf),  dass  der  Lefb 
des  ägyptischen  Philosophen  Heratscus,  nachdem  er  einbalsamirt 
und  mit  dem  Gewand  des  Osiris  angethan  war,  plötzlich  aus  seinen 
Hüllen  eine  hehre  Klarheit  verbreitet  habe  sds  Zeichen  der  Ven- 
einigung der  abgeschiedenen  Seele  mit  den  Göttern,  üebergehend 
zu  beschriebenen  Särgen  und  Leichensteinen,  so  heisst  es  auch 
hier  vor  der  strengem  Kritik:  Ex  uno  disce  omnes.  (I.  pag.  88. 
Ta£  IHa)  »Königliche  (?)  Bitte  (?)  an  Seb  den  Fürsten  der  Götter 
[folgt  gewöhnlich  noch  eine  Beihe  anderer  Götter]  auf  dass  er  ge- 
währe Todtenopfer,  bestehend  in  Tausenden  von  Krügen  Bier,  Wein, 
Oehl,  Milch,  Tausenden  von  Stieren,  Gänsen,  Linnenbändem,  Weih- 
ranchkömem,  Tausenden  von  Opferkuchen,  Taiusenden  von  Kyphi, 
Tausenden  von  allen  guten,  reinen  und  süssen  Dingen,  von  denen 
die  Götter  leben.  Der  Haushrau,  der  Gerechtfertigten  des  NN.  Von 
der  Art  sind  auch  Taf.  IV.  E.  HI,  A.  I,  8.  11,  A.  HI,  C.  lU,  B., 


*)  Eg.  inscript.  1  Serriee  102  A  a  a.  O.  2  Serriee  66. 
'•)  Abth.  m.  276:  278,  d.  bis. 

On  les  appelait  figures  d'omlsBlon^  CorroBpondant  1857:  les  Uvres 
^iens. 


I  len  Effypti< 
t)  ».  y.% 


R«ftil«eli:  Dto  HnFpfttoeb«!  Doricmllflr  bei  Mlrtmar.  306 

1-MY,  A.  n,  B.  XJtVUl,  XXX,  C.  XXXHI,  XXXIX.  Sehen  sind 
imk  einige  Personalien  beigefügt,  wie  XXXIII,  er  war  ein  Genosae 
da  GroflBM ,  der  Frennd  dea  Königs,  zn  welchem  er  Zutritt  hatte 
oach  seineiB  Verlangen,  cHler  Trostworte ,  dass  er  jetst  fahre  in  der 
Simnenbarke  XXXVIII,  oder  in  dem  Festsehiff  des  Ptah  (Stele  des 
Schay  oben  Nr.  ü.  und  Stele  des  Ptah  em  wa  Nr.  III.),  oder 
stehe  auf  den  Stufen  [des  Thrones]  des  Herrn  der  Ewigkeit  (Nr.  III 
mit  den  Bemerkungen  des  Herrn  Beinisch  darttber  pag  6).  Von 
Traaer  und  Thrftnen  ist  nie  die  Bede,  auch  nie  vom  Alter  des  Ab- 
geeehiedenea,  sondern  der  Blick  sehweift  mit  Jubel  hinftber  in  die 
Dwigkeit,  wo  der  Selige  vor  den  GOttem  lobsingt:  »Preis  dem 
Hemi  ¥on  Abydoa,  wie  Isis  sieh  freute  am  Tag  der  Rechtfertigung, 
die  Thot,  der  Herr  der  Bücherei,  erwirkte  im  Saale  des  Seb  vor 
dem  ewigen  Herrn ,  Preis  dem  Herrn  von  Abydos ,  wie  Isis  sich 
freute  am  Tage  da  Horus  den  Thron  bestieg  [so  ändere  ich 
mit  Beistimmnng  des  Herrn  Verfassers]  und  Pacht  ihn  krönte  mit 
dem  doppelten  Diadem  [motiyirte  Uebersetssung  des  Hrn.  Beinisch 
im  n.  p.  11.]. 

Die  Aegypter  hatten  für  ihre  G^bschriften  keinen  SinM)nide8 
ond  h&tten  sie  auch  eisen  Meleager  oder  einen  Planndcs  besessen, 
eine  Anthologie  ^be  es  doch  nicht  trotz  der  hund^rten  von  Grab- 
rteiaen,  die  uns  erhalten  sind.  Aber  wenn  ihnen  die  Grazie  der 
(xheohen  abging  und  die  Concision  der  Bömer,  so  hatten  sie  da- 
gegen eine  tiefere  Lebenaansehauung :  »Mögen  im  (jerichte  gehört, 
▼erden  meine  gnten  Werke  gegen  die  Stadt  Theben«  heisst  es  IV 
Taf.  XXXI;  er  hat  die  Hungrigen  gespeist,  die  Nakten  gekleidet, 
war  seinen  Sclaven  mild,  seineu  Verwandten  lieb,  das  liest  man 
schon  in  d^r  ältesten  Zeit,  während  erst  imter  dem  Eaiserthum  auf 
eisern  r9mischen  Grab  das 

AMATOB  PAÜPEBUM 
«ncheint. 

Doch  um  wieder  von  uns  und  unserer  Wissenschaft  zu  sprechen, 
80  babeiL  für   sie  gerade  jene   Tautologieeu  einen  unschätzbaren 
^erth,  ja  es  ist  eine  ganz  proyidentielle  Fügung,   dass  gerade  in 
QQserem   Jahrhundert,   wo   auf  dem   indogermanischen  Gebiet  die 
Bpcaehwissenschaft  zur  Würde  der  Physiologie  gelangt  und  zu  einem 
Zweig  der  Naturwissenschaft  geworden  ist,  dass  gerade  jetzt  auch 
fb  das  Aegjptisciie  an  hunderten  von  Documenten  derselben  Formel 
aber  aoa  verschiedener   Zeit,    das  Werden,   Wachsen  und  Welken 
desselben  Wortes  und  Lautes  studirt  werden  kann 
ÜJ;  silyae  fdiis  pronos  mutantur  in  annos 
Prima  cadunt:  ita  yerborum  vetus  interit  aetas 
Et  juvenum  ritu  florent  modo  nata  yigentque. 

Man  hat  förmlich  die  Biographie  des  b,  d  und  g  gesohrieben, 
n^sn  weiss,  wie  sie  im  Lauf  der  Jahrhunderte  sich  zu  p,  t  und  k 
anschwellen  und  später  zu  ch,  f,  z  und  ss.  Mau  kennt  nicht  nur 
diese  Lautverschiebung  innerhalb  derselben  Sprache,  sondern  auch 


204  Relnlseh:  Die  Igyptlsehra  Denkmäler  ra  Hirftmsr. 

die  TJmprftgungen ,  welche  jedes  Wort  erfuhr,  wenn  es  aas  dem 
allgemeinen  Sprachschatz  herausgenommen  und  zum  Eigenthum  einer 
einzelnen  Sippe  des  grossen  indogermanischen  Yolksstammes  ge- 
stempelt wurde.  Alles  das  ist  uns  fllr  Aegypten  noch  unbekannt. 
Wer  sich  erinnert,  dass  dort  bisher  immer  drei  Faktoren  zur  Ueber- 
sotzung  jedes  Wortes  gewirkt  haben  :  das  hinter  ihm  stehende  Bild, 
das  entsprechende  koptische  Wort  und  der  gewöhnlich  symmetrische 
Zusammenhang  und  Parallel ismus  der  Texte,  der  wird  es  erklärlich 
finden,  dass  der  Sinn  der  Worte  uns  früher  gewiss  wurde  als  ihr 
Laut.  Jetzt  aber  ist  es  die  specielle  Aufgabe  der  Zeit  und  ein 
individueller  Zug  in  den  Arbeiten  des  Verfassers  von  11  und  IV 
dem  Laut  der  Worte  nachzuspüren,  sowohl  durch  strengere  Her- 
anziehung des  Koptischen  und  schärfere  Ausprägung  des  hierogly- 
phischen Alphabets,  worin  er  im  Widerspruch  mit  Lepsius  und 
Ohabas  aber  im  Einverständniss  mit  Brugsch  gewisse  Nuancen  in 
der  Aussprache  der  p,  k  und  t-Laute  glaubt  erkennen  zu  können. 
Nichts  kann  verdienstlicher  sein;  denn  erst  nach  Feststellung  des 
Wortlautes  wird  es  möglich  werden,  die  ägyptische  Sprache  einzu- 
reihen in  das  System  der  übrigen  Sprachen  und  ihr  den  gebüh- 
V'inden  Rang  anzuweisen  unter  ihren  Schwestern. 

Lessing  bemerkte  von  einem  Buche,  das  Neue  darin  sei  nicht 
wahr  und  das  Wahre  nicht  neu.  Neu  und  wahr  scheint  mir,  was 
Herr  Reinisch  über  die  Yocalzeichen  für  a,  i,  u  vorträgt;  zweifel- 
haft was  er  für  die  Bezeichnung  des  t^  durch  den  ausgestreckten 
Arm  sagt,  denn  von  den  fünf  dafür  vorgebrachten  hebräischen 
Parallelen :  Ebräer,  Acco,  Astarte,  Emek,  Anukis  ist  die  letzte  sehr 
unsicher  (Anukis  =  pjn  und  zwei  Beispiele  des  Gegentheils  sind 

das  von  ihm  selbst  angeführte  i*)X  der  Löwe  wo  X  und  nicht  y 

jenem  ausgestreckten  Arm  entspricht,  nnd  ebenso  in  ar  die  Gazelle, 
hebräisch    ^"iff. 

Gewiss  mit  Recht  hat  er  im  letzten  Excurs  der  als  Bergland 
bekannten  '  Hieroglyphe  die  Phonetik  s.  t.  vindicirt ;  allein  jene 
Schleife,  welche  er  p.  314  ebenfalls  so  ausspricht,  lautet  wenigstens 
im  Decan  Qoöokx  umgekehrt  t  s  (Rundbild  von  Denderah),  In 
den  Texten  entspricht  in  dem  Koptischen  rag  adjungere,  figere 
z.  B.  vom  Aufsetzen  von  Kränzen  (Todtenbuch  19,  1)  und  Kronen 
(ibid.  149,  12)  ja  des  abgeschlagenen  Kopfes,  also  keineswegs  dem 
<^^S^  o  (frjfiaCpsi  ro  Xay,ßav(0  xat'  AlyvmCovg.  Ein  Beispiel  gibt  das 
meines  Wissens  noch  unübersetzte  cap.  43  des  Todtenbuchs,  von 
welchem  unsere  1  Tf.  VH,  1— 3  eine  Variante  ist:  Ich  bin  ein  Aeltester, 
der  älteste  Sohn  der  (Flammen)  Krone,  der  Sohn  der  Krone,  welcher 
sein  Haupt  wieder  aufsetzt,  nachdem  es  abgeschnitten  ist:  Nicht 
wurde  sein  Haupt  dem  Osiris  von  ihm  genommen,  nicht  wird  von 
mir  genommen  mein  Haupt:  ich  bin  behauptet  {rcog)  gerecht- 
fertigt, bewahrt  [durch  ihn]    verschönt,    verjüngt,    ich    bin  Osiris. 

Bern.  J.  Zflndel. 


Wittknm*»  BoUwagMibflelikIa  von  H.  Kurs.  M6 

Jörg  Wickram^s  liollwagtnbüehltin.  Herausgegeben  und 
mit  Erläuterungen  versehen  von  Heinrich  Kurz.  IMptig. 
Verlagsbuchhandlung  von  J.  J.  Weber.  1Ö64.  L  und  252  S, 
in  a.     Auch  mii  dem  besonderen  Titel: 

Deutsehe  Bibliothek,  Sammlung  seltener  Schriften  der  älteren 
deutschen  Natumatliteraiur,  Herausgegeben  und  mit  Erläute- 
rungen versehen  von  Heinrieh  Kurt.  Siebenter  Band, 
Jörg   Wickram's  Rollwagenbüehlein.  Leipzig  u.  s.  ir. 

Auf  den  Esopus  des  Burcard  Waldis  und  die  Simplicianischen 
Schriften  Ghristofifels  von  GrimmelBhaoBen,  welche  in  diesen  Jahr- 
bficheni  nfther  besprochen  worden  sind,  (Jahrgg.  1862,  8.  501  ff. 
1864.  S.  283  ff.  940  ff.)  l&sst  der  ebenso  th&tige  wie  umsichtige 
Herausgeber  dieser  deutschen  Bibliothek  jetzt  die  Schrift  eines  der 
nahmhaftesten  Prosaisten  des  sechzehnten  Jahrhunderts  folgen,  des 
Georg  Wickram,  eined  Schriftstellers,  der  allerdings  in  unsem  Tagen 
vielfach  in  Vergessenheit  gerathen  ist,  aber  aus  mehr  als  einem 
Grande  es  wohl  verdient  hatte,  derselben  durch  die  hier  vorliegende 
neue  Bearbeitung  entrückt  zu  werden.  Denn,  selbst  abgesehen  von 
der  Darstellung,  tritt  bei  diesem  Manne  eine  mehr  praktische  Bich- 
timg  Bichtung  hervor,  in  so  fem  er  auf  das  Volk  einzuwirken 
ond  die  damals  vielfach  verbreiteten,  dem  Auslande  entlehnten  Volks- 
bücher durch  Etwas  Besseres  zu  ersetzen  bemüht  war. 

Es  gilt  diesB  namentlich  von  der  hier  wieder  abgedruckten 
Schrift,  welche  eine  Sammlung  von  mehr  als  hundert  —  mit  den 
Anhängen  an  hundert  eilf  Erzählungen,  grösseren  wie  kleineren  ent- 
hält, welche  zur  Unterhaltung  dienen,  aber  auch  Belehrung  er- 
wirken sollen,  und  durch  Einfachheit  und  Natürlichkeit  sich  empfeh- 
len, auch  da,  wo  fremde  Stoffe  benatzt  sind,  während  die  Mehr- 
zahl als  ächte,  im  Volke  wurzelnde,  nach  mündlichen  Mittheilungen 
erzählte  Geschiohta  erscheint.  Der  uns  auffallende  Titel  Boll- 
wagenbUchlein  bezieht  sich  auf  die  sogenannten  Bollwagen, 
langsame,  zum  Verkehr  dienende  Fuhrwerke,  gleich  unsem  Post- 
wagen oder  Omnibus,  auf  welchen  man  damals  zu  reisen  pflegte: 
^n  Beisenden  die  Langeweile  der  Fahrt  zu  vertreiben  durch  die 
Leetüre  solcher  (beschichten,  wie  sie  hier  sich  zusammengestellt 
finden,  sollte  die  Bestimmung  des  Ganzen  sein,  dessen  vollständi- 
ger Titel,  wie  er  in  der  ersten  gedruckten  Ausgabe  von  1555  sich 
findet,  also  lautet:  »Das  BoUwagenbüchlein.  Ein  neüws,  vor 
unerhörtes  Büchlein,  darinn  vil  guter  schwank  vnd  Historien  be- 
griffen werden,  so  man  in  schiffen  vnd  auff  den  roUwagen,  dess- 
gleichen  in  scherheuseren  vnnd  badstuben,  zu  langweiligen  züten 
erzellen  mag,  die  schweren  Melancolischen  gemüter  damit  zu  er- 
münderen,  vor  -aller  manigklich  Jungen  vnd  Alten  Sünder  allen  an- 
.Btoss  zu  lesen  vnd  zu  hören.  Allen  Kauffleuten  so  die  Messen  hin 
^d  wider  brauchen,  zu  einer  kurzweil  an  tag  bracht  vnd  zesamen 


gelesen    duroh   Jörg   Wickrammen ,  Stattschreiber   tu  Bnrckhaim, 
Anno  1555. 

Der  Abdruck  dieses  »Bollwagenbüchleins«i8t  in  derselben  vor- 
ztlglichen  typographischen  Ansführong  gehalten,  die  mx  aach  an 
den  vorhergehenden  B&nden  dieser  dammlnng  hervorzuheben  hatten, 
aber  er  ist  aaoh  mit  derselben  kritischen  Sorgfalt  veranstaltet, 
und  durch  die  unter  dem  Text  gegebenen  Erklttrungen  einzelner, 
jetzt  ungebräuchlicher  and  uns  fremden  Ausdraoke  Jedermann  zu- 
gänglich und  lesbar  gemacht.  Aber  dabei  ist  der  Herausgeber  nicht 
stehen  geblieben;  er  hat,  wie  diess  auch  bei  den  votausgebenden 
B&nden  der  Fall  ist,  hinter  dem  Texte  folgen  lassen:  zuerst  eifte 
Zusammenstellung  der  abweioheaden  Lesarten,  dann  Anmerkungen, 
in  welchen  die  in  den  einzelnen  Geschichten  vorkommenden,  einer 
näheren  Erörterung  zu  ihrem  voUen  Verständniss  bedürftigen  Gegen- 
stände ihre  Erklärung  finden:  denn  Jörg  Wiokram  ist  ein  keines- 
wegs ungebildeter  Stadtachreiber,  sondern  ein  Mann  von  angemei- 
ner  Bildung,  der  in  den  verschiedenen  Zweigen  menschlichen  Wiesens 
wohl  bewandert  ist,  und  überdem  auch  Manches  auf  die  Verhältnisse 
seiner  Zeit  Bezügliches  erwähnt,  was  eine  kurze  Erklärung  erheischte. 
Und  diese  wird  uns  von  dem  Herausgeber,  der  auf  dieeem  Gebiete 
der  Literatur  so  bewandert  ist,  reichlich  geboten ;  aaeh  Benützung 
dieser  Geschichten  in  späteren  ähnlichen  Schriften  werden  vielfaoh 
nachgewiesen.  An  dritter  Stelle  folgt  auf  diese  Anmerkungen  eiA 
Wörterverzeichniss,  in  welchem  die  einzelnen,  in  dem  Werke  vor- 
kommenden Worte  und  Ausdrücke,  die  uns  minder  geläufig  und 
bekannt  sind,  zusammengestellt  und  erklärt  werden,  von  S.  219 — 
246  mit  doppelten  Columnen,  bei  engem  aber  doch  sehr  dentliehem 
Druck.  Eine  literarhistorische  Einleitung  ist  eben  so  dem  Texte 
vorangestellt;  sie  behandelt  in  erster  Stelle  die  spärlichen  Naoh- 
richten,  die  ums  über  das  Leben  Wickram's  zugekommen  sind,  und 
nicht  einmal  Tag  und  Jahr  seiner  Geburt  uns  aufbewahrt  haben. 
Eben  so  wenig  wissen  wir  Etwas  von  seinen  Eltem  und  von  seinen 
Jugendjahren;  unser  Herausgeber  vermuthet,  dass  er  in  Colmar 
geboren,  und  weist  aus  einer  handschriftlichen  Notiz  nach,  dass  er 
die  Meistersinger-Schule  zu  Golmar  gegründet  hat.  Er  selbst  unter« 
schreibt  sich,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  als  Stadtschreiber  zn 
Burkheim  oder  Burgheim;  und  diess  hat  den  Herausgeber  veran- 
lasst, nähere  Nachforschungen  einzuziehen,  ob  das  Nieder-Elsassische, 
bei  Barr  gelegene  Burgheim  oder  das  Badische  Burgheim  gemeint 
sei,  um  an  einem  dieser  Orten  sich  dann  weiter  zu  erkundigen. 
Wir  begreifen  in  der  That  nicht,  wie  ihm  von  dem  Badischea 
Landesarchiv  zu  Carlsruhe,  an  welches  er  sich  desshalb  wendete, 
die  Antwort  zukommen  konnte,  es  sei  ein  filsäasischer  Ort  ge- 
meint, der  Badische  sei  zu  klein;  weit  besser  fiel  die  Antwort 
eines  Elsassischen  Gelehrten  aue  (August  Stöber),  welcher  mit  Recht 
bezweifelte,  dass  Burgheim  im  Elsass,  ein  kleiner  Ort  von  280 
Seelen  gemeint  sein  könne,  und  lieber  auf  das  Badische  Städtchen 


VfiektmBOL^  RolhmgMlyMüflte  tob  H.  Kuri.  907 

diesM  Namena  kinwies.  Und  in  diesem,  und  keinem  andern  Borg- 
keim  (denn  auoh  bei  Lahr  konunt  ein  kleines  Oericken  dieses  Namens 
?ar)  war  Wickram  Stadtsohreiber.  Dieses  Borgheim  oder  Barkheim 
liegt  etwas  xmterhalb  Breisach  in  der  Nähe  des  Rheins,  nnd  z&hlt 
noeh  jetzt  900 -- 1000  Se^n,  war  aber  einst  vielbedentender  als  Sitz 
aiisr  eigenen  Henschaft ,  zn  wel^ier  mindestens  fUnf  DOrfer  der 
Umgegend  gehörten,  hatte  einen  eigenen  Magistrat  u.  dgl.  m.  nnd 
geh&rte  damals  sn  den  Besitzungen  des  Hanses  Österreich,  obwohl 
M  seine  Besitzer  mehrmals  weohseHe,  wie  man  diese  schon  ans 
Kolb's  badiaehem  Lexicon  oder  aus  Bader^s  Reiseftihrten  er- 
sehen kann.  Anch  das  Todeqahr  dieses  Wickram  ist  nicht  näher 
bekannt;  da  keine  seiner  Schriften  in  erster  Ausgabe  nach  1557 
«scheint,  so  rermuthet  der  Heransgeber,  dass  er  nm  diese  Zeit 
gestorben,  Ende  1556  oder  1557,  indem  seine  Hanptthätigkeit  gerade 
im  die  fünfziger  Jahre  fkllt.  Der  Heraosgeber  ftlhrt  daranf  die  ein- 
lihien  Bchriften  Wickram's  an  mit  den  Ausgaben,  welohe  von  den- 
selben existiren  nnd  wendet  sich  dann  zur  genauen  Beschreibung 
der  yerschiedoien  Ausgaben  des  Bollwagenbüchleins  —  in  Allem 
lekn  —  so  wie  zur  Erörterung  des  Verhältnisses,  in  welchem  die- 
selben zu  einander  stehen:  die  älteste,  höchst  seltene,  von  dem 
Verfasser  selbst  besorgte  Ausgabe  von  dem  Jahr  1555  ward  dem 
waen  Abdruck  zu  Ghrunde  gelegt,  und  zwar  nach  einem  Exemplar, 
welches  anf  der  Basler  Uniyersitätd[>ibliothek  sich  betindet,  und 
froher  im  Besitze  des  Professor  Götsinger  zu  Schaffhausen  war. 

Weitere  Erörterungen  über  Sprache  und  Orthographie  be- 
icUiessen  die  Terdienstliche  Einleitung.  »Die  Sprache  des  Boll- 
wagenbtLdüeins ,  schreibt  der  Herr  Verf.  S.  XXXYI,  ist  die  neu- 
hochdeutsche mit  vorwiegender  elsässischer  Färbung,  die  sich  theils 
in  den  Lauten,  theils  in  den  Wörtern  und  Redensarten  kundgibt. 
Keser  Eigenthümlichkeit  gegenttber  tritt,  wenn  anch  nur  selten, 
das  Bestreben  hervor,  die  mundartlichen  Formen  zu  verhochdeut- 
aehen;  aber,  was  auch  jetzt  bei  weniger  gebildeten  Personen  be- 
g^piet,  hält  Wickram  hie  und  da  die  hochdeutsche  Form  für  die 
der  Mundart,  und  verändert  sie  daher,  was  zu  nicht  wenig  komi- 
schen Bildungen  Veranlassung  gibt.«  Diese  Eigenthttmlichkeiten  in 
Bildung  von  Worten,  in  Deklination  wie  in  Gonjugation  und  Syn- 
tax u.  dgL  werden  dann  im  Einzelnen  nachgewiesen.  Was  dann 
noch  weiter  über  Styl  und  Darstellung  im  Allgemeinen  bemerkt 
wird,  empfehlen  wir  der  sorgfUtigen  Beachtung  der  Leser,  die  das 
Mer  gestellte  ürtheil,  wenn  sie  die  Schrift  selbst  durchlesen  haben, 
gewiss  ein  wohlbegröndetes  und  richtiges  nennen  werden. 


Odu  ^AntKT^t^    Asoec   54  eomposüioni  par  QirodeL     Traduetian 
tPAmbroüe  Finnin  DidoL    Paris  1864.  8.  Firmin  Didoi  Frh'ta. 

Auch  die  deutschen  FfeunJe  der  Muse  Anakreons  werden  den 
Prachtband,    in   welchem  Firmin  Didot,    der  feine  Kenner    des 


SOS  Ödes  d'AnacröoD  par  Didot. 

klassischen  Alterthums,  die  Anakreontika  vereinigt  hat,  freudig 
begrüssen.  Den  Kennern  und  Nichtkennem  der  griechischen  Sprache 
ist  mit  dieser  schönen  und  sorgfältig  angelegten  Ausgabe  ein  grosser 
Genuss  geboten. 

Die  Begeisterung  f(ir  die  Kunst,  Wissenschaft  und  Dichtung 
der  alten  Griechen,  welche  Didot  in  seinen  jungen  Jahren  nicht 
ruhen  liess,  bis  er  die  klassischen  Orte  alle  selbst  besucht  hatte, 
und  welche  ihn  antrieb,  der  neuhellenischen  Sache  durch  Jahre  seine 
Kräfte  zu  weihen,  erfüllt  auch  noch  den  Greis  und  verleiht  seiner 
Sprache  in  der  Einleitung  zu  Anakreons  Oden  jugendlichen,  fast 
dichterischen  Schwung.  Hier  ist  ein  Alter,  durch  die  Pflege  der 
Kunst  ebenso  verschönt,  wie  das  des  Sängers  von  Teos  selbst. 
Nur  mit  einer  solchen  warmen  Hingebung  an  den  Gegenstand  kann 
man  trockene  Dinge,  wie  die  Geschichte  des  Textes,  die  Geschichte 
der  Auffassung  und  Würdigung  eines  Schriftstellers  so  anziehend 
erzählen  wie  der  Herausgeber,  und,  was  nicht  ausser  Acht  zu  lassen 
ist,  der  gelehrte  Kenner  wird  dabei  auf  keine  irgend  wesentliche 
Lücke  stossen,  der  Deutsche  namentlich  mit  Befriedigung  wahr- 
nehmen, dass  die  Ergebnisse  der  vaterländischen  Gelehrsamkeit  ihre 
verdiente  Berücksichtigung  gefunden  haben. 

unter  dem  griechischen  Texte  jedes  einzelnen  Gedichtes  gibt 
Didot  eine  etwas  freiere,  doch  immer  sinngetreue  französische 
Uebersetzung  in  tmgebundener  Bede.  Eine  gereimte  Nachdichtung 
der  Oden  von  Girodet  ist  am  Schlüsse  angehängt.  Man  kann  in 
Wahrheit  zweifeln,  welcher  von  beiden  üebersetzungen  man  den 
Vorzug  geben  soll;  gewiss  verrrathen  beide  dieselbe  Fähigkeit 
dichterischen  Nachempfindens,  und  das  Geschick,  mit  welchem  Girodet 
seiner  Aufgabe  gerecht  geworden  ist,  müssen  wir  um  so  höher  an- 
schlagen, wenn  wir  bedenken,  wie  viel  die  französische  Sprache  in 
ihrer  neuem  Entwicklung  an  acht  dichterischen  Worten  und  Wen- 
dungen eingebüsst  hat. 

Ein  Hauptschmuk  des  Wernes  besteht  in  den  mehr  als  fünfzig 
Bildern  zu  einzelnen  Oden.  Schon  das  Titelblatt  mit  den  Bandzeich- 
nungen ist  ein  wahres  Kleinod  von  Geschmack  und  Zierlichkeit. 
Hier  wie  in  den  grösseren  Abbildungen,  die  nach  Entwürfen  von 
Girodet  bis  auf  den  kleinsten  Strich  sorgsam  ausgeführt  sind,  tritt 
uns  eine  acht  künstlerische  Auffassung  entgegen;  auch  in  den  un- 
bedeutendsten Kleinigkeiten  erkennen  wir  ausser  der  Meisterschaft 
in  der  Zeichnung  die  umfassende  Kenntniss  der  Sitten  und  Ein- 
richtungen des  griechischen  Alterthums  und,  was  noch  höher  zu 
schätzen  ist,  eine  so  innige  Geistesverwandtschaft  mit  dem  Sänger, 
dass  wir  mehr  als  einmal  uns  zu  fragen  versucht  sind,  ob  das  Bild 
mehr  zur  Erklärung  des  Gedichtes,  oder  das  Gedicht  mehr  zur  Er- 
klärung des  Bildes  beitrage.  Dr.  W«  Lauser, 


Ir.14.  HEIDELBERGEK  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Idkrbuek  der  höhertn  Mathemaiih  von  Dr.  J.  Herr,  o.  ^.  Prof, 
der  prakHeehen  QtometrU  am  Ar.  Ar.  polyUehniseheM  InHüut  in 
Wien.  Zu^eUer  Band.  Die  anaiylisehe  Geometrie  im  Räume, 
die  Differeniial"  und  Integralrechnung  enthaltend.  Wien,  Fer- 
lag  van  L.  W.  Seidel  und  Sohn.  1864.  (XVJ  u.  614  8.  in  8. 
mü  drei  Figurentafeln.) 

Der  erste  Band  dieses  Lehrbuchs  ist  vor  längerer  Zeit  er- 
aehienen  and  von  dem  Unterzeichneten  im  Jahrgange  1858  dieser 
Bl&tter  besprochen  worden.  Nachdem  nnn  auch  der  zweite  Band 
vorliegt,  ertlbrigt  noch  die  Besprechung  dieses  Theiles  des  Werkes, 
die  —  wenn  einmal  der  erste  Theil  angexeigt  worden,  sich  von 
selbst  rerstebt. 

Wie  daa  Titelblatt  aussagt,  enthält  der  zweite  Band  zunächst 
die  analytische  Geometrie  des  Baumes ,  auf  die  wir  also  auch  zu- 
eist  näher  eingehen  wollen.  Nach  den  herkömmlichen  Gründer^ 
U&nmgen  werden  die  Eigenschaften  der  Projektionen  näher  unter- 
ncht,  bezüglich  der  Satz  von  der  Projektion  eines  gebrochenen 
Linienzugs,  der  Projektion  ebener  Flächen  u.  a.  aufgestellt,  worauf 
dann  die  »Polarkoordinaten«  betrachtet  und  daraus  der  Satz  von 
der  Summe  der  Quadrate  der  Cosinus  der  »Winkel  einer  Geraden 
flnt  (den  rechtwinkeligen)  Eoordinatenazen,  so  wie  die  Bestimnumg 
des  Winkele  zweier  Fahrstrahlen  zweckmässig  abgeleitet  wird.  Etwas 
genauer  hätten  wir  den  Satz  von  der  Projektion  eines  Dreiecks  im 
Saume  auf  die  Koordinatenebenen  gefasst  gewünscht,  da  von  dem- 
selben vielfach  Gebrauch  gemacht  werden  kann,  und  es  also  wich- 
tig ist,  die  Bestimmung  der  Vorzeichen  genau  zu  kennen. 

Auch  bei  der  darauf  folgenden  Verwandlung  der  Koordinaten 
scheint  uns  die  strenge  Bestimmung  nicht  gehörig  gewahrt.  Wenn 
ein  gebrochenes  Liniensjstem  (x  -f-  7  4~  ')  ^^  ®^^  Gerade  projizirt 
vird,  80  ist  seine  Projektion  allerdings  gleich  der  Projektion  der 
der  den  Anfangs  -  mit  dem  Endpunkte  verbindenden  Geraden. 
Wie  sind  nun  aber  die  Winkel  zu  rechnen?  Einfach  sagen:  die 
zwei  Geraden  A,  B  machen  mit  einander  den  Winkel  a,  genügt 
üeht,  da  man  jedenfalls  zwei  Winkel,  die  sich  zu  180^  ergänzen, 
&l8  >Winkel  der  Geraden«  angeben  kann.  Es  muss  also  hier  völlig 
deutlich  gesprochen  werden.  Dies  gilt  für  die  gesammte  Darstel- 
hng  der  so  wichtigen  Koordinatenverwandlungen. 

Nach  einigen  allgemeinen,  klaren  Betrachtungen  über  die  geome- 
trische Bedeutung  von  Gleichungen  zwischen  drei  Vei^nderlichen 
wird  die  Ebene  näher  untersucht.  Die  Ableitung  der  Gleichung 
LYUL  Jahif.  8.  Heft  14 


dlO  Herr;  Lehrbnob  d«r  böhoren  Kftthematlk« 

ist  hier  in  —  wie  uns  scheint  —  von  den  gewöhnlichen  etwas 
verschiedener  Weise  gegeben.  Von  dem  Eoordinatenurspraag  wird 
ai)f  die  Ebene  die  Senkrechte  p  geälilt,  deren  Fasspunkt  P  sein 
soll,  während  0  der  Ursprung  ist.  Ist  nun  ein  Punkt  M  in  der 
fngüchmi  Bbene,  so  ist  OPM  ein  in  P  rechtwinkUges  Dreieck, 
welcher  Satz  auch  umgekehrt  gilt.  Demnach  wenn  a,  b,  c  die  Koordi- 
naten Yon  P ;  X,  y,  z  von  M  (laufende  Koordinaten  der  Ebene)  sind, 
so  ist  p'^'^-t-  (x — a)'H-  (y— 1>}^4-  (z— c)*^=x*+y*-f-2''*,  woraus  ax-f- 
by-f-cz>to=p^  Sind  «, /J,  y  die  Neigungswinkel  der  Senkrechten 
gegen  die  Ebene,  so  ist  pcosae=a,  u.  s.  w.,  so  dass  x  cos  a  -[- 
y  oos  ß-^z  cos  y  =3  p.  Daraus  ergeben  sich  alle  weitem  Fundamental- 
beziehungen. Wir  vermissen  hier  nur  wieder  die  genauere  Bestim- 
mung. Wie  sind  die  Neigungswinkel  zu  zählen?  Ist  p  absolut  ssu 
nehmen,  oder  gehört  dieser  Grösse  ein  Vorzeichen  zu? 

Ist  Ax-f-By  +  Cz-f-D  =  0,  so  folgert  das  Buch :  pv^AH*B«-|-C» 
3C&  -f-  D)  und  thut  dann  die  Sache  einfoch  damit  ab ,  dass  »man 
dttB  untere  Zeichen  beibehält.«  Warum?  Kann  also  p  auch  negativ 
sein?  Wir  müssen  immer  wieder  auf  die  mustergiltige  Darstellung 
des  grossen  Meisters  Cauchy  verweisen  (»Vorlesungen  über  die 
Anwetidungen  der  Infinitesimalrechnung  auf  die  Geometrie«)  von 
der  uns  die  Sohnusesche  üebersetzung  (1840)  vorliegt.  Dort  ist 
8»  16  die  fragliche  Untersuchung  mit  voller  Klarheit  geftthrt,  und 
es  handelt  sich  damsrch  durchaus  nicht  um  ein  beliebiges  Anneh- 
meUi  Die  Gleichungen  (6)  unseres  Buches  (S  19)  gelten  nur,  wenn 
D<;Oj  für  D>0  sind  sie  unrichtig.  Natürlich  sind  damit  alle 
daraus  gezogenen  Folgerungen  zweifelhaft  geworden.  So  wenn  S.  22 
der  Abstand  zweier  parallelen  Ebenen  gesucht  wird,  fragt  es  sich 
abermals,  welche  Bedeutung  der  gefundenen  Grösse  beizulegen  ist, 
wenn  sie  negativ  wird.  Dergleichen  Dinge  sind  freilich  gar 
»elementar«,  aber  für  den  Unterricht  sind  sie  eben  sehr  wichtig, 
und  die  jungen  Studirenden  werden  nie  zur  vollen  EQarheit  kommen. 
Wenn  nicht  in  den  ersten  Schritten  Deutlichkeit  und  Bestimmtheit 
das  oberste  Gesetz  bilden.  Schwindel  bleibt  Schwindel,  auch  wexm 
er  sich  in  gelehrte  Formen  hüllt  —  eine  Bemerkung,  die  freilich 
das  vorli(9gende  Buch  nicht  angeht,  wenn  wir  auch  häufig  schärfere 
Begrifibbestimmung  bei  demselben  zu  fordern  haben. 

Die  Theorie  der  Geraden,  und  die  Verbindung  letzterer  mit 
der  Ebene  folgt  natürlich  auf  die  Untersuchung  der  Ebene.  Was 
Wir  oben  gerügt,   findet   sich  hier  als  ganz  nothwendig  zu  tadeln« 

So  heilst  es  (S.  33),  es  sei  »bekanntlich  p  =  und  D 

gleich  dem  sechsfachen  Körperinhalt  einer  Pyramide.«  Wenn  nun 
abe^  D  negativ  ist,  was  bedeutet  der  negative  Werth  eines  solchen 
Inhalts?  Sonst  sind  die  Hauptaufgaben,  aber  auch  nur  diese,  ge- 
hörig durchgeführt. 

Die  Untersuchung  über  die  »krummen  Flächen  im  Allgemeinen  ; 
die  zylindrischen,  konischen,  Rotations-  uild  windschiefen  Flächen« 


ist  digegeft  Biit  labewweitiier  Klarbctt  gtfQhrt»  wit  dawi  ttbo^ 
baapt  allgem^ioere  Darstellungen  des  Buches  gut  sind.  Die  allge- 
meinen  Gleichungen  dieser  verschiedenen  Fl&chen  werden  abgeieitet 
md  je  auch  an  einzelnen  Fällen  erläutert,  wobei  anoh  die  Auf- 
nbe,  die  Gleichung  eines  ebenen  ßohrittes  einer  Fläche  (in  seber 
mm)  ailrasiellen,  mefarfetch  gelöst  wird. 

Einer  ausführlichen  Untersuchung  werden  die  Flächen  zweiter 
Olrdnusg  unterzogen.  Die  Darstellung,  wenn  sie  auch  mehr&ch  von 
der  sonst  gebräuchlichen  abweicht ,  ist  doch  im  Wesentliehen  di0 
bekannte;  die  Abweichungen  haben  zur  Klarheit  beigetragen.  Nicht 
gani  zuMssig  ist  die  Aufstellung  der  Bedingung  für  gleiche  Wurzeln 
(ier  bekannten  kubischen  Gleichung  in  S.  63.  Denn  wenn  auch  ftlr 
LacMasN  srwei  Wtffs^n  gleich  werden,  so  ist  damit  dooh  dev 
nugekehrte  Satz  nicht  erwiesen ;  noch  vie)  weniger  kann  man  kurz- 
hin  iag«ii,  bb  mtlsien  aile  drei  Wnniehi  «>  L  sein,  wenn  sie  gleich 
vaL  Darin  war»  als»  zu  ändern.  Etwas  näher  hätte  in  den  Bei- 
ipiefen  auf  die  eigentlicbe  Beetimmung  der  Haupttheile  (Mittelpunkt, 
iien  «ad  Axeniichtting)  eingegangen  werden  dflrfen,  da  es  doch 
wohl  nicht  genügt,  bloss  zu  wissen,  dass  maa  es  mit  einem  Elllp« 
nide  i.  K  la  tl»m  habe,  sondern  man  wissen  will,  wie  dasselbe 
n  eigentlidi  besckafltsn  sei 

Dies  ist  der  Inhalt  der  analytiBchen  Geometrie  des  Baumesi 
«of  welche  die  Differential-  und  Integralrechnung  folgt. 

Das  >er8te  K^teU,  das  wieder  die  Fundameuie  zu  legen  hat« 
bändelt  die  Diffdrensirnng  der  Funktionen  einer  und  mehreiet 
▼«ränderli^en  Gröeaen.    Ist  7  eine  Fnnkti<Hi  von  x,  ^j  die  Aein- 

demng  jener  für  die  Aenderung  ^fx,  so  gibt  das  Verhältnise— ^ 

&  »Geechwindigkeit  des  Wachsthums  der  Funktion  j  an.«  Davon 
msgahend  wird  die  Wichtigkeit  des  Gränzwerthes  dieeee  Ter« 
btiinisBee  betont ,  «nd  also  die  (nach  unserer  Anschauimg)  allein 
Uore  Griaznietkede  als  Grund  der  Differentiaigleiehung  aufgestellt. 
Dm  >DiflBfreiitiiale«  kann  das  Buc^,  so  solrnnt  es,  nicht  entbehren 
oad  bringt  sie  gleich  su  Anfang  herein.  Was  sich  Jemand  unter 
einer  unendlich  kleinen  Grösse  zu  denken  habe,  werde  —  mit  Er- 
hnhniss  gewiseer  Herren  Kritiker  —  doch  so  eigentlich  noch  nie 
racht  geeovgt,  und  wenn  eich  cmch  die  grossen  Männer,  die  sich 
des  Ausdruckes  bedienten,  sicher  »Etwas  dabei  gedacht  haben«,  so 
ist  es  fUr  dien  Anfänger  ziemlicb  umständlich,  einem  so  leeren 
Worte  einen  Gedanken  unterzuschreiben. 

Es  ist  wohl  ganz  zweckmässig,  wenn  man  das  Ding  nur  »bisto-. 
risch«  anfahrt  Dans  der  Verf.  aus  ^j  =  V(:s)^x^sjJx  sofaliesst: 
d7=f'(x)dx  ist  gerade  ebenso  zulässig,   als  wenn   er  daraus  ge- 
flcUossen  hätte,  dass  Null  ==  Null  seil  Man  sieht  eben  uomer  wie- 
der, was  die  liebe  Gewohnheit  wirkt. 

Die  Ableitung  der  »  Differentialquotienten«  der  einfachen  Funktio- 
lien  geschieht  in  klarer  Weise,  was  sich  ebenso  ¥on  dem  Beweise 


Sit  fi«rr:  Ldirbiieli  der  kdherea  ttaiheBittilk. 

des  wichtigen  Satzes  der  Differenzirang  yon  einer  Funktion  aus- 
sagen lässt     Bei  dem  Beweise  des  Satzes  für — ~-^ —  aber  haben 

wir  einen  Anstand.  Wenn  der  Verf.  sagt,  dass  der  Oränzwerth  yon 

f  (n+zfu,  v)  —  f  (n,  v)     ,  .  ,  d  (f  u,  v)       . 

— ^^ — ! —^ ^         gleich — ~ sei,  so  zweifelt  wohl  Niemand 

jdxi  du 

daran;  aber  es  ist  nicht  »aus  demselben  Grunde«  auch  der  Gr&nz- 

f(u  +  ^u,v  +  -^v)-f(u  +  ^u,v)    ,._dfCu,  v).     . 

werth  von   -^ — ^ — ' ~ ^^ — ■ ^—^ gleich — ^ '-  da  ja 

zjv  dv 

+               ,.«.«                    .1.1^      df(u-]-2/u,  v) 
^u  an  die  Stelle  von  u  getreten  ist,  also ^ — ^ an- 
dv 

gegeben  werden  sollte.     Die   partielle   Differenzirung  nach  v  setzt 

doch  wohl  wesentlich  u  als  unverändert  voraus,  so  dass  also  hier 

Unklarheit  herrscht.    Darum  muss  der  Beweis  geändert  werden« 

Geht  man  in  der  Gleichung  ^^j  =  3,^x1  >zur  Gränze  tlber« 
(8. 108),  so  folgt  0  =  0^  sonst  rein  gar  Nichts,  denn  dj  ist  keine 
Gränze.  Das  also  ist  abermals  nicht  klar;  hängt  aber  mit  den 
Diflerentialen  zusammen. 

Dass  wir  bei  den  Funktionen  mehrerer  Veränderlichen  den- 
selben Anstand  erheben,    ist   nach   dem   Obigen  selbstverständlich. 

Wird  aus  z  =  f(x,  y)  gefolgert:  dz=— dx-j— ^dy,  so  ist  diese 

Gleichung,  und  wenn  sie  in  jedem  Lehrbuche  abgedruckt  wird, 
doch  durchaus  bedeutungslos,  und  etwaige  Bedeutung  wird 
nur  hineingeredet,  abgesehen  davon,  dass  man  bei  der  Darstellung 
des  Buches  gar  nicht  einsieht,  warum  denn  ^x  und  ^y  beide 
unendlich  klein  sein  müssen'. 

Der  Verf.  will  die  hier  nothwendige  Bezeichnung  der  »partiel- 
len« Dififerentialquotienten  nicht  kennen;  er  setzt  sie  zuerst  in 
Klammem,  und  da  er  diese  Klammem  wohl  unbequem  findet,  lässt 
er  sie  wieder  weg,  und  wamt  nur,  dass  man  nicht  etwa  dz  und 
dx  als  2^hler  und  Nummer  eines  Bmches  ansehen  dürfe.  Ganz 
recht;  aber  wamm  sieht  man  sie  früher  denn  so  an,  wenn  man 
von  »Differentialen«  handelt? 

Die  Begründung  der  Ermittlung  des  Differentialquotienten  einer 
»unentwickelt  gegebenen  Funktionen«    halten  wir  entschieden  für 

verfehlt.  Aus  u  =  f  (x,  y)  folgt  du=r— dx4- j—  dy,   also    wenn 

dx  dy 

u  =  0   ist,   aus   0  =  f(x,y):  0=— dx-|-— dy.  Das  mag  wahr 

sein,  etwas  schwer  zu  begreifen  aber  scheint  es.  Fertig  ist  man  in 
dieser  Weise  allerdings  schnell  mit  den  Elementen,  und  wenn  man 
vom  klaren  Verständniss  absieht,  ist  die  Sache  auch  ganz  leicht,  ftef. 
ist  etwas  schwerfWigerer  Natur  und  hält  nicht  viel  auf  das 
»elegante«  Glattablaufen.  Das  Verstehen,  meint  er,  sei  eben 
doch  die  Hauptsache. 


H«rr:  Ld^VMb  te  Üben«  Ihtlwiintlk,  Sli 

Wir  gelangen  nonmehr  zu  den  hohem  »DüTerensialan«  ond 
DifferentialqQoiienten.  Ans  dem  ersten  Differensiale  dy  =  f'(x)dx 
bim  das  zweite  abgeleitet  werden.  Dabei  »wird  man  in  dem  Pro- 
dukte f<(z)dz  den  Faktor  dz  als  konstant  ansehen,  indem  der  an 
axk  willktlrliche  Werth  des  Inkrementes  dx  von  x  nnabhAngig 
üt«  Das  ist  sicher  unzweifelhaft  klar!  Dann  aber  mnss  bei  einer 
weiteren  Aenderong  von  x  die  neue  Aenderang  der  firfihem  gleich 
Bein,  »weil  sonst  das  zweite  Differenziale  keinen  bestimmten  Sinn 
bben  würde  und  mit  dem  ersten  Differenziale  dj  nicht  rergleich- 
kr  wftre.c  Warum?  Dass  die  »Inkremente«  von  x  nicht  immer 
gleich  sein  mfissen,  lehrt  die  Theorie  der  bestimmten  Integrale; 
weshalb  mttssen  sie  es  hier  sein?  Und  wenn  spiter  die  »Yertaa- 
iclmngc  der  unabhängig  Veränderlichen  vorgenommen  wird,  so  er- 
scbeint  ja  dx  nicht  mehr  als  konstant^  und  ist  also  die  ganze  Theorie  auf 

d'u        d'u 
den  Kopf  gestellt.  Der  Beweis,  dass  i— ^-^=  ;r— ^-S.127ist  unzulässig. 

djdx      dxdy 

Denn  es  ist  nicht  p=tiL:t^  JO  —  f  (^>  j)    gondemder  Gränz- 

dx  ^ 

werth  dieser  Grösse,  und  es  steht  also  in  Frage,  ob  man  in  jener 
die  Substitution  y  -f-  z/y  remehmen  dfirfe,  die  in  letzterm  vor  sich 
n  gehen  hat ;  ja  selbst,  wenn  dies  als  zulässig  erkannt  wird ,  ob 
der  neue  Grti,nzwerth  dann  der  durch  jene  Substitution  erhaltene 
sei.  In  allen  Fällen  erhellt  nicht  klar,  dass  es  gleichgiltig  sei,  ob 
nin  zuerst  ^x  und  dann  zfy  gegen  Null  gehen  lasse,  oder  umge- 
kehrt. Nur  aber  wenn  dies  erwiesen  ist,  kann,  man  aus  der  Gleich- 
kit  der  dortigen  Ausdrücke  (m)  und  (n)  einen  Schluss  ziehen. 

Wir  haben  oben  schon  Anstand  erhoben  wegen  des  »konstan- 
ten Werthes«  von  dx;  in  dem  Abschnitte  über  die  Yertauschung 
der  nnabhängig  Veränderlichen  (S.  135)  ¥nrd  dies  wiederholt,  dann 
fther  X  als  Funktion  von  t  angesehen.  Beibt  jetzt  dx  auch  kon- 
itant?    Die  Ableitung  geschieht  nach  den  richtigen  Begeht,  hätte 

dy  dx 
W80  jene  nur  verwirrende  Einleitung  nicht  verlangt.     Dass  t— t- 

^  1  folgt  allerdings  aus  den  allgemeinen  Formeln,  doch  dürfte 
ein  besonderer  Beweis  nicht  unzweckmässig  sein.  Wie  dieser  Ab- 
tthnitt  wohl  deutlich  zeigt,  wird  man  eben  nur  klar,  wenn  man 
die  Differentiale  abseits  lässt,  was  der  Verf.,  zum  Frommen  der  in 
seinem  Buche  studirenden  Jugend,  trotz  seiner  sonstigen  Anhäng- 
Hchkeit  an  alte  Bekannte,  denn  auch  hier  gethan« 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  wird  die  Cauchy'sche  Unter- 
BQchnng  über  die  Beziehungen,  welche  zwischen  den  Fimktionen 
einer  Veränderlichen  und  ihren  Differentialquotienten  der  ver- 
schiedenen Ordnungen  stattfinden,  mitgetheilt.  (»Vorlesungen  über 
die  Differentialrechnung«,  vierte  Vorlesung.)  Dies  ist  natürlich  recht 
schön  und  gut;  es  fragt  sich  nur,  ob  die  Zwecke,  die  damit  er- 
ficht werden  sollen,  sich  nicht  leichter  erreichen  lassen?  Bef.  ist 


^4  Herr:  Lf^lirlmeb  dor  Mherea  llkihettHtfic. 

B.  Z.  deBBelben  Weg  gewandelt,  hal  ihn  aber  etwas  unbequem  ge- 
Innden,  nioht  gerade  Ar  sieh,  aber  fUr  s^ne  jnngen  Freonde. 

Hieran  sohliesst  sich  natürlicti  die  Entwicklung  einer  FmiUion 
nach  der  Taylor'scfaen  Reihe.  Etwas  einfacher  wäre  diese  Eni- 
wiekhing  geworden,  wenn  man  von  der  Kac^Lanrinschen  Beihe 
iMtte  ausgehen  woUen;  doch  unterliegt  auch  die  aufgeführte  Ab- 
leitung —  abgesehen  von  der  bereits  berührten  Schwierigkeit  — 
keinerlei  Beanstandung.  Dagegen  müssen  wir  in  Erinnerung  brin- 
gen, dass  aus  der  erwiesenen  Konvergenz  der  Beihe  f(x)  -f-  hf  *(x)  -f  — 
doch  nicht  kurzweg  folgt,  dass  die  Summe  dieser  Beihe  aucli 
f(x-)-h)  sei,  was  der  Verf.  voraussetzt.  Es  lÄsst  sich  die  Unter- 
Focbmig  des  Ergftnzungsgliedes  nicht  vermeiden,  und  die  Unter- 
Buchung  auf  Konvergenz  oder  Divergenz  liefeit  immer  nur  negative 
Ergebnisse.  Die  Ausdehnuog  auf  Funktionen  mehrerer  Veränder- 
lichen wird  sofort  beigefUgt.  Bei  dem  Beispiele  des  g.  344,  gegen 
das  wir  Nichts  einzuwenden  haben,  muss  es  dem  jungen  Mathema- 
tiker, der  seine  Kenntnisse  nur  aus  dem  vorliegenden  Buche  ge- 
schöpft hat,  doch  sonderbar  vorkommen,  dass  jetzt  plötzlich  zweite 
Potenzen  der  »Differentiale«  d/3,  dA  vorkommen,  wilhrend  sonst 
doch  nur  die  ersten  beibehalten  wurden.  Oder  —  wird  er  fragen 
—  wenn  das  keine  Differentiale  sind,  warum  braucht  man  denn 
die  Bezeichnung  derselben? 

Die  Umkehningsformel  von  Lagrange  wird  in  herkömmlicher 
Weise  erwiesen;  wir  haben  dagegen  nur  einzuwenden,  dass  man 
dabei  ganz  ausser  aller  Beachtung  lässt,  welche  der  Wurzeln  von 
y=isz4*zf(y)  denn  durch  die  fragliche  Beihe  ausgedruckt  ist,  was 
eben  doch  von  Wichtigkeit  ist. 

Der  Taylor'sche  Satz  wird  nunmehr  zu  Hülfe  gezogen,  um  die 
Bestimmung  der  wahren  Werthe  scheinbar  unbestimmter  Formen 
durchzuführen,  so  wie  zur  Herstellung  der  Maxima  und  Minima 
für  Funktionen  einer  und  mehrerer  Veränderlichen«  Bedenklich 
mOchte  es  im  letzten  Falle  doch  sein,  die  von  einander  ganz  un- 
abhängigen Grossen  x,  y,  ...  als  Funktionen  einer  und  derselben 
GrOsse  a  anzusehen.  Jedenfalls  verstOsst  dies  stark  gegen  den  Be- 
griff der  gegenseitigen  Unabhängigkeit.  Dass  in  §.  347  kurzweg 
wieder  die  Differentiale  auftauchen,  ist  bestimmt  nicht  zu  recht- 
fertigen. Warum  verfuhr  man  nicht  auch  gleich  so  in  §.  855  ?  Das 
läuft  wieder  etwas  gar  zu  glatt  ab. 

Die  nunmehr  dargestellte  Differentialgleichung  wird  jetzt  auf 
die  analytische  Geometrie  angewendet.  Wir  begegnen  da  zuerst 
den  Tangenten,  Normalen  u.  s.  w.  ebener  Kurven«  und  weiter  dem 
Ausdruck  des  Bogen-Differentialquotienten,  so  wie  dem  der  Fläche. 
Wir  haben  dabei  nur  —  wie  bereits  oben  bei  der  analytischen 
Geometrie  —  die  genaue  Beachtung  der  Vorzeichen,  also  die  scharfe 
Unterscheidung  vermisst.  Die  Ordnungen  der  Berührungen  werden 
in  der  bekannten,  dem  Taylor'schen  Satze  entnommenen  Weise  er- 
läutert, und  daraus  die   Theorie  des  Krümmungskreises  abgeleitet. 


H«ft!  Xi«U4>iftdh  4tt  bsiielreii  Mathematik.  2t  ft 

di«  jedoch  darauf  auch  in  einer  zweiteif  Form  aufgestellt  wird.  Ob 
es  niolit  zweckmässig  wäre,  den  t^rOmmungskreis  als  GrSnsikiieis 
aller  der  Kreise  aufzufassen,  die  durch  drei  auf  einander  folgende 
Punkte  der  Kurre  gehen?  Doch  soll  damit  dem  B*che  kein  Vor- 
wurf gemacht  werden.  Die  Untersuchung  der  Evoluten  schHesst 
sich  dieser  Theorie  naturgemftss  an  und  ist  durch  Beispiele  er- 
läutert, worauf  di0  einhüllenden  Kurven  betrachtet,  und  endlich  die 
beeondem  Punkte  der  Kurven  an  Bespielen  zur  Anschautmg  ge- 
bracht werden.    Ob  dabei  in  einem  vielfachen  Punkte  auch  noth- 

dv 
wendig    -—  unbestimmt  werden  muss?  In  der  Erklärung  des  Be- 
griffs liegt  diese  Nothwendigkeit  nicht. 

In  analoger  Weise,  wie  für  ebene  Kurven,  werden  die  doppelt 
gekrümmten  behandelt.  Bei  der  »Krümmung«  begegnen  wir  dem 
oben  gewünschten  Begriffe  der  Kreise  durch  drei  (unendlich  nahe) 
Punkte;  als  Beispiel  wird  die  Schraubenlinie  aufgeführt. 

Bei  der  Theorie  der  krummen  Flächen  wird  zuerst  die  Tan- 
gentialebene betrachtet.  Wir  halten  es  nicht  ftlr  erschöpfend,  wenn 
dieselbe  bloss  als  Ebene  durch  drei  Punkte  der  Fläche  angesehen 
wird  (§.  394),  sondern  müssen  sie  ansehen  als  die  Ebene,  welche 
durch  alle  Tangenten  geht,  die  man  an  die  auf  der  Fläche  liegen- 
den, durch  den  betreffenden  Punkt  gehenden  Kurven  ziehen  kann. 
Erst  dann  erhält  diese  Ebene  ihre  volle  Wichtigkeit  und  Bedeutung. 
Dia  Untersuchung  der  Flächenkrümmung;  die  Aufstellung  der  par- 
tiellen Differentialgleichungen  der  einzelnen  Flächenfamilien;  die 
Theorie  der  einhüllenden  und  abwickelbaren  Flächen  sehliesst  die- 
sen Abschnitt,  auf  den  nun  die  Integralrechnung  folgt. 

Die  Erklärung  des  Integrals  ist  die  des  umgekehrten  Diffe- 
rentials, worauf  auch  sofort  das  bestimmte  Integral  erörtert  wird. 
Bei  dieser  letztem  Untersuchung  haben  wir  die  Voraussetzung, 
f(x)  sei  stetig  innerhalb  der  Integrationsgränzen  nicht  betont  ge- 
funden, denn  hintennach  diese  Bedingung  aufführen,  ist  nicht  zu- 
lässig: dergleichen  muss  immer  im  Beweise  selbst  mit  Nothwen- 
digkeit auftreten.  Die  Integration  mittelst  unendlicher  Reihen  wird 
einfach  dadurch  ausgeführt,  dass  man  in  der  Reihe  Glied  für  Grlied 
integrirt.  Ist  das  so  ohne  Weiteres  zulässig?  Dass  wenn  R  zu 
Nun  wird  mit  unendlich  wachsenden  n  (von  dem  R  abhänge),  auch 

I  Bdx  in  derselben  Lage  sei,  dürfte  doch  wohl  zu  erweisen  sein* 

Wir  übergehen  die  weiteren  Darstellungen  der  verschiedenen 
Methoden  der  Integration,  nur  anführend,  dass  dieselben  sehr  aus- 
ftlhrlich  behandelt  sind,  um  uns  zu  den  bestimmten  Integralen  zu 
wenden. 

Die  Erklärung  des  bestimmten  Integrals  wurde  bereits  zu  Ein- 
gang der  Integralrechnung  gegeben,  brauchte  also  hier  bloss  wieder- 
holt zu  werden,   worauf  dann  die  wesentliohen  Sätze  der  Theorie 


316  Herr:  Lefarlmeb  dar  bftheren  MathemMik. 

aufgeführt  werden.  Bei  der  ümformmigsformel  wäre  zuzuseiEen, 
dass  wenn  a,  ß  die  (neuen)  Gränzen  von  z;  a,  b  die  (alten)  von 
s  sind,  z  stetig  von  a  bis  ß  verlaufen  müsse,  wenn  x  stetig  von 
a  bis  b  gebt;  in  dem  Beispiele  der  S.  356  müssen  a  und  b  als  posi- 
tiv bezeichnet  sein.  Dass  ein  bestimmtes  Integral  noch  zulässig 
sein  könne,  wenn  die  Grösse  unter  dem  Integralzeichen  inner- 
halb der  Integrationsgr&nzen  unendlich  ist,  geht  aus  den  Unter- 
suchungen des  vorliegenden  Buches  nirgends  hervor;  demnach  ist 
der  §.  444  durchaus  überflüssig,  und  ein  solches  Integral  eben  ein- 
fach zu  verwerfen.  Der  Fall  unendlicher  Gränzen  wird  stillschwei- 
gend erledigt,  und  doch  ist  es  nothwendig,  darauf  auch  bei  der 
»Differentiation  unter  dem  Integralzeichen«  (S.  866)  zu  achten, 
da  man  gar  oft  in  diesem  Falle  eine  solche  nicht  eintreten  las- 
sen darf. 

Dass  wir  auch  bei  doppelten  Integralen  den  Fall  verwerfen 
müssen,  da  die  Funktion  unter  den  Integralzeichen  innerhalb  der 
Integrationsgränzen  »diskontinuirlich«  wird  (S.  374),  ist  selbst- 
verständlich.    Einer  eingehenden  Untersuchung   wird    das  Integral 


s 


e   dx  unterzogen  und  daraus  eine   Reihe   Folgerungen   gezogen. 

"0 

Wenn  die   Formel  (8)   in  S.  363   nach   b  differenzirt  wurde   (das 


/"cosbxdxX 


Integral  l-^fj—^T"}»    ^ö-ru"^   geschieht   dies   nicht   auch  mit  der 

daraus  abgeleiteten?  Bekanntlich  ist  dies  unzulässig;  darüber  aber 
enthält  das  Buch  keine  Weisung. 

Die  Taylor'sche  Reihe  wird  mittelst  der  Theorie  der  bestimm- 
ten Integrale  (nochmals)  gefunden,  und  dann  zur  näherungsweisen 
Berechnung  eines  solchen  Integrals  übergegangen.  Dass  wenn  f(x) 
von  a  bis  b   beständig   wächst   oder   abnimmt,    der    Werth    von 

b 

r  f(x)dx  zwischen  h  [f  (a)  +  f  (a  +  h)  4.  ..  +  f(b  _  h)]    und 

h[f(a  +  h)4-.. +f(b)]  liegt,  ist  für  positive  f(x)  aus  der  Lehre 
von  der  Quadratur  der  Flächen  klar,  aber  für  negative  f(x)? 
Schliesslich  wird  die  Malm sten* sehe  Untersuchung,  jedoch  auf  den 
Fall  n  =  2  eingeschränkt,  angegeben. 

Zu  den  Anwendungen  auf  Geometrie  übergehend,  werden  die 
bekannten  Formeln  nach  einander  aufgestellt  xmd  auf  Beispiele 
vielfach  angewendet.  Die  Berechnung  des  Inhalts  beliebiger  krum- 
mer Flächen  (S.417)  wird  nach  der  beliebten  Methode,  die  Fläche 
mit  ihrer  Tangentialebene  zusammenfallen  zu  lassen,  ausgeführt. 
Dabei  wird  dann  auch  die  Umformung  doppelter  Integrale  behan- 
delt, und  zwar  unbestimmter.   Man  drückt  in  I  1  üdxdy  zuerst  IT 


Harr:  Lchibiieh  4«r  htteren  VitWmiftft.  217 

in  den  neaen  Ver&nderlicheiiy  dann  dx,  dy  ans  nnd  die  Sache  ist 
erledigt.   Ob  sich  wohl  1  I  1  üdx*  dy  auch   so  umformen  Hesse? 


Dwselbe  haben  wir  bei  der  Ableitung  der  ümformnngsfonnel  illr 
drei  imabhängig  Veränderliche  (8.  430)  in  fragen.  Von  Beetim- 
mimg  der  Grftnsen  ist  dabei  nicht  im  Entferntesten  die  Bede,  da 
ja  geradem  unbestimmte  Integrale  umgeformt  werden.  So  leicht 
IIIII88  man  denn  die  Sache  doch  nicht  machen. 

Die  Fourier'schen  Reihen  und  Integrale  werden  in  gebriooh- 
liclier  Weise  behandelt,  wogegen  wir  Nichts  zu  erinnern  haben; 
dasselbe  gilt  Ton  den  Euler'sohen  Integralen,  und  den  FnnktioiieB, 
die  mui  als  Integrallogarithmus,  Integralsinus,  Integralconnas  in 
die  Analysis  eingeftlhrt  hat. 

Bei  der  Theorie  der  elliptischen  Integrale  haben  wir  gegen  den 
Beweis  des  »Additionstheorems«  zu  erinnern,  dass  die  Annahme, 
m  der  Gleichung  cos  fi  =  cos  9  cos  V^  —  sin  9  V^v^c^nhk^n  sei  ff  kon« 
stant,  uns  nicht  in  der  Natur  der  Sache  gegrttndet  erscheint;  denn 
die  Gleichung  F  (fi,  c)  =  F  (9,  c)4-  F(^,  c)  setzt  eben  /i  als  durch 
9  imd  if  gegeben  voraus,  so  dass  es  angemessener  erscheint,  dies 
anch  beim  Beweise  selbst  zu  beachten.  So  wie  der  Beweis  nun 
einmal  geführt  ist ,  erscheint  (p  als  Funktion  von  ^,  was  doch  im 
ogentlichen  Theoreme  nicht  gemeint  ist.  Man  kann  allerdings 
durch  gehörige  Ausdeutung  dem  üebel stände  abhelfen  (was  übrigens 
im  Buche  gar  nicht  berührt  ist) ,  aber  wozu  solche  «Umwege  ?  Da 
in  obiger  Formel  nur  cos  und  sin  Torkommen,  so  wird  man  ohne- 
hin ^,  ^  nicht  in  weiten  Or&nzen  sich  bewegen  lassen  können ; 
aneh  mfisste  bestimmter  ausgesprochen  sein,  in  welchen  Grftnzen 
die  Winkel  bei  der  »Multiplikation«  der  elliptischen  Intrgrale  erster 
Art  zu  nehmen  sind. 

Mittelst  der  Landen*schen  Substitution  wird  die  Berechnung 
des  Integrals  der  ersten  Art  erläutert  und  dann  die  Theorie  des- 
jenigen der  zweiten  Art  in  ähnlicher  Weise  yorgetragen;  waschen 
80  Yon  dem  der  dritten  Art  gilt,  wo  denn  Legendre  (»Traitö  des 
Fonotions  elliptiques«  Chap.  XXII)  zur  reichlichen  Benutzung  sich 
darbot.  Auch  die  Aufgabe  der  Integration  von  irrationalen  Aus- 
drücken, die  unter  der  Quadratwurzel  ein  Polynom  des  vierten 
Orades  haben,  wird  im  Wesentlichen  nach  Legendre  (Chap.  III) 
dorchgefOhrt.  Abgeschlossen  ist  die  Untersuchung  aber  nicht.  Aller- 
dings reduzirt  das  Buch  die   Aufgabe  auf  die  der  Integration  von 

JPE  dx,  wo  R=r  a-|-/}x2-|.yx*   und  P  eine  (im  allgemeinsten 

PaUe  gebrochene)  Funktion  von  x  ist,  die  nur  gerade  Potenzen  von 
X  enthält.     Diese  zerfällt  das  Buch  in  Theilbrüche  und  kommt  so 

aof  das  Integral   I    B  (x^— a)  dx.   Dabei  scheint  stillschweigend  a 

aU  reell  vorausgesetzt,    da   die   letzte   Reduktion  (S.  502)  Nichts 


müssen  wir  davor  warnen,  -z — 1  P  dx=  l-r— dx  zu  setzen«    Tu 


3lS  Herr:  Lelirbneli  der  LOberäi  Hktilemlilfk. 

darüber  aussagt,  vielmehr  Alles  so  bebandelt,  als  wenn  a  wirUich 
reell  wftre.  Leider  ist  dies  aber  nicht  immer  der  Fall,  und  es  ent- 
steht so  die  hier  ungelöste  Frage,  welche  Bedeutung  dem  ellipti- 
schen Integrale  dritter  Art  zukomme,  wenn  sein  Parameter  ima- 
ginär ist.  Das  ist  genauer  beachtet  bei  Legendre  (Chap.  IV),  wo 
ganz  besonders  bemerkt  ist ,  dass  n  (der  Parameter)  konstant  ist, 
aber  reell  oder  imagin&r  sein  kann.  Wird  aber  eine  Auf- 
gabe dieser  Art  einmal  in  Angriff  genommen,  so  muss  sie  auch 
vollständig  erledigt  werden. 

Hiemit  sohUesst  die  eigentliche  Integralrechnung  und  der  Rest 
des  Werkes  (S.  503—614)  wendet  sich  der  Integration  der  DiffSe- 
renttalgleiohungen  zu.  Natürlich  begegnen  wir  hier  zunächst  der 
Differentialgleichung  erster  Ordnung.  Wenn  (§.  508)  der  Fall  un- 
mittelbar integrirbarer  Differentialgleichungen  behandelt  wird,    so 

dieser  Weise  findet  der  Verfasser  als  Integralgleichung  von  P  dx  -|- 
Qdy=0:  j  Pdx+  HQ--  r^— dx]dy  =C,  was  unter  Um- 
ständen ein  falsches  Resultat  liefern  kann.  Wäre  nämlich  bei  der 
Bestimmung  von  I  P  dx  ein  Glied  erhalten  worden,  dass  thatsäch- 

lich  bloss  j  enthielte,  was  immerhin  möglich  ist,  so  würde  dies  in 

d    P  PdV 

•=—  I  Pdx  nicht  ausfallen,  aber  in  I -r — dx  würde  dieses  Glied  nicht 
dyj  J  dy 

erscheinen,  und  also  auch  das  anfilnglich  zu  viel  erhaltene  sidi 
nicht  aufheben.  Die  ursprüngliche  Form  ist  jedenfalls  sicherer. 
Im  Ganzen  wird  die  Theorie  der  Integration  der  Differential- 
gleichnngon  auf  das  Wesentlichste  reduzirt.  Für  höhere  Ord- 
nnngen  werden  so  ziemlich  allein  die  linearen  Differentialglei- 
chungen betrachtet  und  hiebei  (3.  544—566)  die  S  p  i  t  z  e  r' sehen 
Untersuchungen  über  die  Gleichung  (a-^+b^x)  y'' -f- (»i  +  ^i  x) 
y'-f  (ao-fbox)  y  =  0  vollständig  mitgetheilt.  Gegentiber  der  son- 
stigen Einschränkung  erscheint  dies  fElr  ein  Lehrbuch  zu  viel. 

Bei  den  besonderen  Auflösungen,  die  übrigens  auf  drei  Seiten 
abgethan  werden,  ist  die  Darstellung  des  §.  529  eine  unvollkom- 
mene, da  die  »Gleichheit  der  Wurzeln«  von  dei;  dort  die  Rede  ist, 
nicht  viel  mit  den  besondem  Auflösungen  zu  thun  hat.  Nicht  weil 

df  dy*  dy* 

-r-T-aaOsind  ,-—  und  ^^^  unendlich,  sondern  eigentlich  um- 
dy'  dx  dy 

gekehrt. 

Von  den  gleichzeitigen  Differentialgleichungen  (S.  578—585) 
werden  im  Gmnde  auch  nur  die  linearen  betrachtet;  von  dem  so 
wichtigen  Principe  des  letzten  Multiplikators  ist  keine  Bede. 

Das^  bei  der  Gleichung  Pdx-^Qdy+Bdz^O,  in  so  ferne 
sie  der  v»  Bedingung  der  Integrirbarkeit«  nicht  genügt,  keine  Bede 


li.  A«  BohneUt  flunmtog  ^i«li  AvfgaMn  v«i  Heii.  tit 

davon  sein  kann»  zwischen  x  und  j  eine  Beziebnng  anzuneh- 
men, sollte  sich  doch  wohl  von  selbst  verstehen. 

Bei  der  Integration  »partieller  Differentialgieiohungen«  wird 
die  Lagrangesche  Methode  aufgeführt,  die  doch  nur  auf  lineare 
Formen  gut  anwendbar  ist,  über  die  das  Bach  auch  nicht  hinaus- 
geht, oder  sich  —  Lagrange  folgend  —  auf  drei  Yeränderlichs 
eimobrUnken  muss.  Einige  besondere  Fälle  zweiter  Ordnung  be- 
schliessen  diese  kurze  Untersuchung. 

Haben  wir  bei  unserer  übersichtlichen  Darlegung  des  Inhaltes 
des  uns  vorliegend^i  Buches  auch  vielfach  abweichende  Meinungen 
aussprechen  müssen  —  wie  natürlich,  da  eben  gerade  verschiedMie 
Anschauung  besonders  betont  werden  muss,  wählend  Zustimmung 
sioh  eher  stillschweigend  verstehen  lässt  — ,  so  ist  es  unsere  Pflicht» 
znm  Schlüsse  auszusprechen,  dass  wir  auch  diesen  zweiten  Band 
als  ein  gutes  Buch  ansehen,  das  zwar  seinen  G^enstand  nicht 
erschöpft,  im  Allgemeinen  aber  für  die  studirende  Jugend,  für  die 
es  geschrieben  ist,  von  Nutzen  sein  wird.  Es  ist  dies  um  so  er- 
freulicher anzuerkennen,  als  der  Verf.  in  seinem  neuen  Wirkungs- 
kreise der  Methodik  der  Wissenschaft  femer  getreten  ist,  ihr  aber 
doch  noch  immer  mit  Liebe  anzuhängen  scheint.  Was  wir  getadielt 
haben,  hat  das  Buch  mit  vielen  andern  gemein,  und  wir  haben 
also  nicht  ein  Becht,  es  demselben  zur  Last  zu  l^;en;  wir  spre- 
chen dementgegen  nur  wiederholt  unsere  begründete Ueberzeugung 
und  die  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  anderseitigen  Darstellung 
entschieden  aus. 


L.  A^  8ohnck€s  Sammlung  von  Aufgaben  aus  der  Differential'  und 
Megrälreehnung.  DriUe  vtrbesserU  und  durch  viele  ZusäUe 
vermehrte  Auflage,  herauegegehen  van  Dr.  E.  Hei 8^  Prof  der 
Mathematik  und  Astronomie  an  der  kgl,  Akademie  »u  Mänsier^ 
Haue.  Druck  und  Verlag  von  H.  W.  Schmidt.  1865.  (Zwei 
TheHe  von  362  8.  in  8) 

Die  erste  Auflage  dieser  vortrefflichen  Aufgabensammlung  er- 
schien 1850 ;  sie  liegt  uns  zur  Vergleichung  mit  der  neuen  dritten 
vor.  Die  zweite  Auflage,  die  nach  dem  bereits  1853  erfolgten  Ab- 
leben des  Verfassers  von  Dr.  Schnitzler  besorgt  wurde,  enthält 
wenig  Änderungen,  gegenüber  der  ersten;  sie  liegt  uns  aber  im 
AugenblicKe  nicht  zur  Vergleichung  vor,  was  nach  dem  eben  Be- 
rührten auch  nicht  nothwendig  ist 

Wie  die  erste  Auflage  beginnt  auch  die  neue  mit  der  Bildung 
von  DiiFerentialquotienten  erster  Ordnung  entwickelter  Funktionen 
einer  Veränderlichen.  Wesentlich  einverstanden  sind  wir  mit  dem 
Buche  darin,  dass  Aberall  die  Differentialquotienten  und 
nicht  die  Differentiale  betrachtet  werden ;  ob  die  (ursprünglich 


t90  L.  A.  S^hodket  Staunkiiig  von  Autgßh^  von  Heil. 

du 

schon)  gewählte  Bezeichnung  (d  Ux  ftlr-^ —  )  zweckmässig  sei ,   mag 

dx 

dahingestellt  bleiben.  Die  Beispiele  sind  zahlreich  und  gut  gewählt. 

Die  Bezeichnung  der  natürlichen  Logarithmen   durch  das  einfache 

1  ist  in  der  neuen  Auflage  (S.  6)  eingef&hrt.  Auch  sind,  wie  etwa 

S.  10,  mehrfach  weitere  Beispiele  eingeschoben. 

Die  »independente  Darstellung  der  Differentialquotienten  höhe- 
rer Ordnung  von  Funktionen  einer  Veränderlichen« ,  die  ohnehin 
sehr  ausftlhrlich  bereits  war,  hat  keine  Veränderung  erfahren,  was 
auch  von  dem  nächsten  Abschnitte:  Differentiation  unentwickelter 
Funktionen  zweier  und  mehrerer  Veränderlichen,  gilt.  Bereits  in 
der  zweiten  Auflage  waren  hier  zwei  Paragraphe:  »Vertauschung 
der  Veränderlichen«  und  »homogene  Funktionen«  überschrieben, 
eingeftlgt.  Neu  ist  der  vierte  Abschnitt:  »Die  Taylor*sche  (der 
Herausgeber  schreibt:  Tailor)  und Maclaurinsche  Formel.  Entwicklung 
der  Funktionen  in  Reihen.«  Für  eine  und  mehrere  Veränderliche 
werden  die  allgemeinen  Formeln  aufgeführt  und  dann  auf  Beispiele 
angewendet,  wobei  die  Behandlung  wenigstens  angedeutet  ist.  Die 
Untersuchung  des  Restgliedes  ist  übrigens  nicht  yollständig  durch- 
geführt, so  dass  die  Bedingungen  der  Giltigkeit  nicht  immer  in  er- 
schupfender  Weise  aufgefunden  sind,  wie  z.  B.  beim  Binom  der  Fall, 
da  h'=x',  fehlt  u.  s.  w.  Auch  der  fünfte  Abschnitt:  »Die hyper- 
bolischen Funktionen«  ist  neu  eingeführt.  Es  mag  bestritten  wer- 
den, ob  es  zweckmässig  sei,  für  die  beiden  durchaus  reellen  Formen 
\  (e*  +  e^),  ^  (e*  —  e*)  neue  Zeichen  einzuführen,  und  da  dies  — 
nach  unserer  Meinung  —  mit  Recht  bestritten  wird,  so  erklärt  sich 
daraus  leicht  die  »immer  noch  geringe  Berücksichtigung  der  hyper- 
bolischen Funktionen  in  der  Analysis.«  Natürlich  haben  wir  Nichts 
dagegen  einzuwenden,  dass  in  einer  Aufgabensammlung  derartige 
Dinge  erscheinen ;  sonst  aber  halten  wir  daftlr,  dass  man  mit  Ein- 
führung neuer  Bezeichnungen  für  Formen,  die  sonst  schon  durch- 
sichtig genug  bezeichnet  sind,  sehr  vorsichtig  sein  muss. 

Jetzt  stimmen  wieder  frühere  und  neue  Auflage  zusammen  in 
»Anwendung  der  Differentialrechnung  auf  die  Bestimmung  des  wah- 
ren Werthes  einer  Funktion,  die  für  einen  speziellen  Werth  der 
Veränderlichen  in  unbestimmter  Form  erscheint.«  Ob  nicht  S.  92 
eine  Aenderung  hätte  vorgenommen  werden  sollen:  »Sei  —  heisst 

es  dort  —  u  =^.,     ^?  und  zugleich  f(x,  y)  =  0 ;  femer  ^^*'J=  - 
V'Cx,  y)  ^  *(a,b)       0 

dann  hat  man  u  ^  (x,  y)  =  9?  (x,  y) ;  mithin  durch  Differentiation : 
t  (x,  y)  d  Ux  4-  u  ( j^H-  ^[—  d  Jx  j  =  jp+  T^dyx-  Setzt  man  hier 

x  =  a,  y  =  b,  so  verschwindet  das  erste  Glied  der  linken  Seite, 
und  man  erhält  eine  Bestimmungsgleichung  für  u. «  Wir  halten  das 
für  unkliir.  Wo  sind  denn  die  Gleichungen  f(x,y)=:0,  9(a,b)=0 
benützt,  und  wo  die  allgemeine  Regel?  Es  ist  viel  besser,  einüäch 


L.  A.  MnekM  SmaidIuik  tm  AmigßUm  too  Heia.  9tl 

VI  sagen:    Man  difierenzire  Zähler  nnd  Nenner  n.  a.  w.,   was  ja 

thatsächlich  auf  dasselbe  Ergebniss  ftthrt.     In  einzelnen  Beispielen 

wurden  ErlAuierongen  und  weitere  Anwendungen  eingeaehoben ,  so 

«X— 1  1 

etwa  (S.  97)  wurde  beibemerkt,  dasa -y^- -j-  "^^——r  die  Summe 

der  Beihe  r-f — =4-.—; — t  +  -..  «ei  u.  s.  w. 
l-|-x       44- x^    ' 

Die  »Anwendung  der  DifiTerenüalrechnung  auf  die  Bestimmung 
der  Maxima  und  Minima  der  Funktionen  c  war  bereits  früher  sohon 
einer  der  vollständigsten  und  besten  Abschnitte  der  Sanunlung  und 
ist  dies  auch  geblieben.  Vielfach  ist  die  Lösung  weiter  ausgeführt 
worden,  so  dass  die  Sammlung  bedeutend  brauchbarer  wurde; 
einige  Au%aben  sind  auch  neu  hinzugefügt.  Diesem  Abschnitte 
folgt  ein  noch  ausführlicherer:  »Anwendung  der  Differentiabrech- 
nnng  auf  die  Untersuchung  der  Kurven  und  Oberflächen.«  In  den 
Bezeichnungen  ist,  gegenüber  der  frühem  Auflage,  die  Jacobische 
Bezeichnung  der  partiellen  Differentialquotienten  durchweg  einge- 
führt, was  selbstverständlich  nur  gebilligt  werden  kann.  Grosse 
Aenderungen  sind  sonst  hier  nicht  vorgenommen  worden,  was  auch 
nicht  nöthig  schien,  da  bereits  in  der  ersten  Auflage  dieser  Ab* 
aehnitt  reichlich  bedacht  wurde.     Damit   schliesst  der  erste  TheiL 

Der  zweite  (kleinere)  behandelt  die  Integralrechnung  und  zwar 
in  seinem  ersten  Abschnitte:  »Unbestimmte  Integrale  von  Funk- 
tionen einer  einzigen  Veränderlichen.«  Nach  einigen  einleitenden 
Bemerkungen  in  Bezug  auf  die  willkürliche  Konstante  wird  die 
Integration  algebraischer  rationaler  Funktionen  allgemein  behandelt 
und  dann  an  zahlreichen  Beispielen  geübt.  Neu  sind  mehrfach 
eingestreute  Andeutungen  der  Behandlung  und  die  Zugabe  einiger 
aof  hyperbolische  Funktionen  führender  Formeln.  So  ziemlich  das- 
selbe gilt  von  der  »Integration  algebraischer  irrationaler  Funktio- 
nen.« Den  Integralen  transzendenter  Funktionen  sind  hier  noch 
Integrale  hyperbolischer  Funktionen  neu  beigegeben. 

Für  die  »Integrale  zwischen  bestimmten  Oränzen«  ist  die 
frohere  und  die  neue  Sammlung  nicht  übermässig  reichhaltig,  was 
eben  auch  daher  rührte  dass  überhaupt  im  Buche  nirgends  über 
einfache  Integrale  hinausgegangen  ist.  Desshalb  sind  denn  auch 
die  »Anwendungen  der  Integralrechnung  auf  Geometrie«  mit  denen 
^r  zweite  Theil  schliesst,  eingeschränkt  auf  Flächenberechnung  in 
^r  Ebene,  Bestimmung  der  Bogenlänge,  Schwerpunkts-Ermittlungen, 
Beiechnung  von  Rotationskörpern  und  solchen  Flächen.  Wenn  wir 
>o  eben  sagten,  es  sei  nirgends  über  einfache  Integrale  hinausge- 
gMigen,  so  darf  man  uns  nicht  die  wenigen  allgemeinen  Betrach- 
tungen auf  S.  96  und  98—99  entgegenhalten;  denn  eine  Anwen- 
dung davon  haben  wir  nicht  gefunden,  ausser  im  letzten  Beiq>iele^ 
das  aber  nur  den  Baum  einer  Seite,  und  zwar  mit  verschwende- 
nechem  Drucke,  einnimmt.  Elliptische  Integrale  kommen  einmal^ 
imdzwar  das  der  ersten  Art,  eben£Bdls  am  Schlüsse ,  vor.    In  Be- 


SM  Dnksfliah  Dm  M^Chodhw  du»  Wi  teUnee».    • 

ing  auf  IitegrahreahaiiBg  ist  somit  die  Min disg' seile  gammlnag 
weit  reiehhaltiger. 

Ein  ttbeiwiegendes  YerdieDst  hat  die  vorliegi^de  Sammlumg 
für  die  Differeatialgleiahnog ,  für  die  eine  solche  ganz  besonders 
nothwendig  ist.  Soweit  sie  die  Integralrechnung  behandelt,  wird 
sie  auch  für  diese  von  entschiedenem  Nutzen  sein,  und  wirkOnnati 
nur  wünschen,  dass  recht  Viele  sich  mit  ihrer  Hilfe  in  Anwendung 
der  Grondlehren  der  hSheren  Mathematik  üben. 


Dm  MfÜf&de$  dam  It»  SeieneeB  dt  Raistmnement,  par  J.  M.  C.  Du- 
hamel, Memhrt  de  nmtUui  (AtadSmxe  des  Science»)  etc,  Paris, 
OatdMir^Vüiars^  IS66.  Premiire  Partie,  Des  MModes  cömmu- 
nes  ä  Undes  les  Seienees  de  Rais&nnemeni.  (X  u,  94  8.  in  8.) 

Der  Bntwarf  des  yorliegenden  Buches  (des  ersten  Theils  eines 
grüssem  Werkes)  geht  bis  auf  die  erste  Jugend  des  berühmten  Yer- 
ÜMsers  (geb.  1797)  zurück,  wie  er  in  >Origine  et  Objet  de  cet 
OuVrage«  si<^  ausspricht.  Vielfach  unterbrochen  ward  die  Arbeit, 
SU  der  Neigung  und  Lebensaui^be  ihn  zogen,  immer  wieder  auf- 
genommen und  liegt  nun   im   Anfang   der  Veröffentlichungen  vor. 

Dunkelheiten,  wekhe  bei  dem  anftlnglich  erhaltenen  äffsnt- 
Uchen  unterrichte  dem  jungen  Studirenden  geblieben  waren,  wor- 
d€aL  durch  die  hohem  Studien  der  polytechnischen  Stdrate  nicht 
erfaelH,  viefanehr  neue  zugebracht.  In  die  Laufbahn  eines  unter-* 
richtenden  eingetreten,  machte  er  sieh  zur  Pflicht,  nie  Dinge  für 
wakr  auezugeben,  die  in  seinem  Geiste  irgend  einen  Zweifsl  ge« 
lassen.  Nicht  aber  der  junge  Professor  allein  salHe  von  der  G^e« 
nauigkeit  überzeugt  sein :  auch  die  ScbftlBr  mussten  dieselbe  üeber- 
Beugung  theilen,  und  er  konnte  den  Rath  d'Alembert*8  ihnen  nitfat 
ertheilen:  »Arancez,  et  la  foi  vous  viendra.« 

Desshaib  hat  er  in  sich  selbst  zuerst  die  Schwierigkeiten  zu 
lösen  gesucht  und  seine  Vorträge  dann  so  klar  und  streng  einge^ 
rieMet,  dass  Zweifel  in  den  Zuhörern  nicht  entstehen  konnten.  In 
dem  angefangenen  Werke  setzt  sich  der  Verf.  nun  vor,  »de  pr6* 
se&ter,  ayec  le  developpement  qu'elles  comportent,  les  th^ori^s 
g^n^rales  sur  lesquelies  il  est  k  craindrc  que  les  ^l^yes  ne  prennentt 
des  id^s  fansses,  oa  au  moins  obscnres.c  Der  Theil  des  Werkes, 
der  veröffentlicht  ist,  »traite  du  raisonnement  et  des  M^thodes 
g^n^rales  ä  solvre  pour  la  r^solution  des  questions  qui  peurent  se 
prösenter  dans  tootes  les  seienees  oü  Ton  part  de  notions  admtses 
oomme  övidentes,  et  de  principes  regard^s  conime  certains.«  Wir 
faaben  die  eigenen  Werte  des  Buches  gewfthlt,  um  damit  den  Gegen* 
stand  desselben  am  sichersten  bezeichnen  zu  können.  Eine  »Logik« 
in  gewöhaüekem  Sinne  wollte  der  Verf.  nicht  schreiben;  für  einen 
durch  tiefc  m«tiiematisohe  Stützen  gebildeten  G^ist  ist  eine  andere 


l)nh«jiial:])«illiUi«dc9dM»  ktstfiOMt.  i|S 

Aufgabe  %u  iGsen,  tmd  in  anderer  Weise  die  Gesetze  den  Denkens, 
die  Gesetze  des  Erkennens  aufzustellen. 

Den  Baonit  die  Zeit»  Sein  und  Nichtsein,  u.  a.  w.  so  erklären, 
hfltet  sich  das  Bach:  das  Alles  ist  unerklftrbar,  und  Jeder,  den 
wir  imterrichtea  wollen ,  muss  den  Begriff  dieser  Dinge  besitzen. 
Yersachte  Erklärungen  werfen  nnr  Dunkelheit  anf  solche  Grund- 
gehaoongan.  So  wUl  das  Buch  auch  noch  andere  Begriffe  ak  be- 
reits erlangt  annehmen,  mit  den  Worten,  die  sie  beaeichnen.  Doch 
II1188  der  Sinn,  den  man  damit  verbindet,  genau  verstanden  sein, 
dsmit  man  nicht  nöthig  habe,  bei  jeder  Gelegenheit  su  fragen, 
WS8  man  eigentlich  damit  meine.  Dies  betrifft  vorzugsweise  das 
Wort  »Ding«  oder  Sache  (chose).  Darunter  versteht  der  Vexf. 
»Alles,  was  Gegenstand  einer  materiellen  oder  unmateriellen  Hand- 
lung sein  kann.«  Also  die  Natnrkörper,  die  Zeit,  die  Ffthigkeitan 
des  Geistes,  die  Ideen  selbst  sind  »Dinge.«  So  versteht  Jedermann 
das  Wort,  so  soll  es  gebraucht  werden. 

Nach  diesen  Einleitungen  wenden  wir  uns  zu  der  aus  vier- 
xehn  Abschnitten  bestehenden  Schrift,  von  deren  Inhalt  wir  eine 
fibersichtliche  Darstellung  zu  geben  versuchen  wollen,  da  uns  — 
abgesehen  von  allem  Andern  —  der  auf  den  Grund  aller  Erkenntnisse 
und  der  Art,  sie  zu  erwerben,  gewandte  Rückblick  eines  am  Abende 
seines  Lebens  stehenden,  um  die  Wissenschaft  hoch  verdienten 
Mannes,  von  grossem  Werthe  erscheint. 

Die  nothwendigen  Wahrheiten  bestehen  durch  sich  selber;  der 
Schluss  (le  raisonnement)  und  die  Methode  sind  nur  Mittel, 
welche  der  Mensch  anwendet,  um  sie  zu  erkennen,  und  sind  also 
auch  nur  im  Yerhältniss  zum  menschlichen  Geiste  zu  betraohtett; 
ibr  einziger  Zweck  ist,  in  ihm  die  Kenntniss  und  die  Gewiaa- 
beit  (certitude)  hervorzubringen.  Dieser  Zustand  der  Gewissheit 
wird  in  dem  Menschen  durch  ein  klares  Gefühl  der  Wahrheit,  d.  i. 
dorch  die  Evidenz  hervorgerufen.  (Wir  brauchen  das  fremde 
Wort,  das  der  Verf.  anwendet :  ävidence,  da  die  » Augenscheinlich- 
^it«  uns  die  Sache  nicht  ganz  klar  auszudrücken  scheint.)  Dieses 
&ef&bl  ist  aber  nicht  unfehlbar,  und  man  darf  sich  demselben  nur 
mit  Susserster  Zurückhaltung  überlassen.  Gewisse  Wahrheiten  heben 
sieb  durch  ihre  unmittelbare  Evidenz  vor  allen  andern  hervor: 
diese  wählt  man  zu  Ausgangspunkten,  um  andere  zu  entdecken,  die 
dasselbe  Gefühl  erwecken  und  so  von  den  Menschen  mit  derselben 
(lewissheit  angenommen  werden. 

Satz  (proposition)  ist  der  Ausdruck  irgend  einer  Wahrheit; 
gehört  zum  Begriffe  desselben  die  Betrachtung  eines  gewissen  Din- 
ges, so  ist  er  eine  Eigenschaft  desselben;  im  Falle  m^ireier 
Dinge,  ein  Yerhältniss  (rapport);  die  nothwendigen  Terhält- 
niase,  die  der  Natur  der  Dinge  entstammen,  bilden  die  Gesetze 
dieser  Dinge.  Die  Definition  eines  Dinges  ist  der  Ausdruck 
seiner  Verhältnisse  zu  andern  Dingen.  Darum  können  auch  nicht 
alle  Dinge  definirt  werden,  weil  dazu  immer  schon  bekannte  gehören. 


IM  Bulilimal:  Bee  MModes  Aads  les  setenew. 

Folgt  aus  mehreren  Yerhftltnissen,  deren  Existenz  gewiss  ist, 
mit  Evidenz  ein  neues,  so  ist  dieses  eine  Folge  (consäquence) 
jener;  die  geistige  Thätigkeit,  welche  erfordert  wird,  um  zu  der 
Folgerung  zu  gelangen,  heisst  Deduktion  oder  S c h  1  u s s  (Schluss- 
folgemng,  raisonnement).  Die  Deduktion  geschieht  einfach  durch 
das  Gefühl  der  Evidenz,  das  keine  Begel  kennt,  und  durch  keine 
ersetzt  werden  kann.  Ein  falscher  Schluss  wird  gemacht, 
wenn  entweder  der  abgeleitete  Satz  an  und  ftlr  sich  falsch  ist, 
oder  —  wenn  er  wahr  ist  —  doch  keine  nothwendige  Folge  der 
vorangehenden  Sätze  ist. 

Die  meisten  IrrthiUner  im  Ziehen  von  Schlussfolgernngen  kom- 
men weniger  von  einer  falschen  Deduktion,  als  von  der  üngenauig- 
keit  der  angenommenen  Sätze  her.  Die  gefährlichsten  sind  die,  da 
man  Wahrheiten,  die  man  in  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen  als 
richtig  erkannt  hat,  zu  weit  ausdehnt.  Ein  falscher  Schluss  ist 
bald  entdeckt;  ein  Grundsatz,  der  wegen  zu  gross  angenommener 
Allgemeinheit  falsch  ist,  hat  eine  Art  Unverletzbarkeit  durch  die 
grosse  Zahl  von  einzelnen  Fällen,  in  denen  er  richtig  ist,  und  durch 
das  zustimmende  Vertrauen  derer,  die  unterrichten.  Daraus  folgt 
aUerdings,  dass  der  Mensch  nur  darin  sich  nicht  täuschen  kann, 
dass  er  denkt  und  fühlt;  in  allem  Andern  ist  er  dem  möglichen 
Irrthum  ausgesetzt.  Aber  es  liegt  im  innem  Wesen  und  Bedtirf- 
niss  des  Menschen,  an  Dinge  zu  glauben,  die  wir  ganz  wohl- 
muthmassliche  (conjecturales)  nennen  können.  So  glaubt  er  an  die 
Existenz  des  Stoffes  u.  s.  w. 

SteUt  man  sich  die  Aufgabe,  aufzufinden,  aus  welchen  Be- 
ziehungen eine  bestimmt  bezeichnete  sich  folgern  liesse,  so  heisst 
die  geistige  Thätigkeit,  die  zu  deren  Lösung  nöthig  ist,  die  Re- 
duktion, im  Gegensatze  zur  Deduktion.  Sie  ist  also  das  Zurück- 
führen der  Eenntniss  eines  Dinges  auf  die  anderer  Dinge.  Sind 
zwei  Sätze  gegenseitig  Folgerungen  auseinander,  so  heissen  sie 
reziprok;  sind  sie  so  beschaffen,  dass  sie  nicht  zugleich  wahr 
sein  können,  unverträglich;  ist  einer  das  Verneinende  des 
andern,  so  sind  sie  widersprechend.  Aus  falschen  Sätzen  lässt 
sich  ein  richtiger  Satz  folgern  So  folgt  aus  A  =  B,  C  —  B  ganz 
richtig  A  =  0,  und  es  kann  dieser  Satz  wahr  sein,  trotzdem  dass 
thatsächlich  nicht  A  =  B  und  nicht  C  -=  B.  Daraus  folgt,  wie  schon 
Aristoteles  gezeigt,  dass  die  Wahrheit  einer  Folgerung  noch  keines- 
wegs die  Wahrheit  der  Vordersätze  beweist.  Dagegen  wird  die 
Unrichtigkeit  einer  (nach  richtiger  Weise  gemachten)  Folgerung 
nothwendig  die  Unrichtigkeit  der  Vordersätze,  oder  doch  eines  der- 
selben, beweisen. 

(Schlusi  folgt) 


Ii,  15.  HEIDELBER6EB  186S. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Duhamel:  DesM^thodes  dans  les  Sciences. 

j    

(BehluM.) 

Die  Wissenschaft  eines  Dinges  ist  der  Inbegriff  seiner 
Gesetze.  Ist  dieselbe  eine  Vereinigung  der  Folgerungen,  die  mit 
Nothwendigkeit  aus  angenommenen  Sätzen  sich  ergeben,  so  ist  sie 
eiae  Wissenschaft  durch  Schlnssfolgerung  (science  de 
nisottnement)«  Dazu  gehört,  dass  die  Natur  des  Dinges  in  aller 
teuHiigkeit  bekannt  sei. 

Sind  einmal  bestimmte  Wahrheiten  bekannt,  so  kann  man 
neue  daraus  zu  folgern  suchen,  wobei  man  freilich  nicht  weiss, 
ZQ  welchem  Ziele  man  gelangt.  Will  man  dann  eine  so  gefundene 
Wabheit  Andern  mittheilen,  so  spricht  man  zun&chst  den  Satz 
MB,  der  diese  Wahrheit  ausdrückt,  um  so  ihre  Aufmerksamkeit  auf 
den  einen  Punkt  zu  lenken,  und  zeigt  dann,  wie  sie  aus  den  be- 
bumten  Wahrheiten  abzuleiten  ist.  Dies  heisst  man  den  ausge- 
sprochenen Satz  beweisen;  undmanheisst  Lehrsatz  (th6or^me) 
J6den  Satz,  der  eines  Beweises  bedarf,  um  evident  zu  werden.  Bei 
einem  Probleme  stellt  sich  man  sich  zimi  Ziele,  aus  gegebenen 
IHngen,  die  mit  einem  gesuchten  in  bestimmten  Verhältnissen 
sieben,  andere  Dingen  abzuleiten,  mit  denen  das  gesuchte  in  Yer» 
bUtnissen  stehe,  die  seine  Detinition  bilden.  So  z.  B.  wenn  der 
Vorwurf  eines  Problems  ist,  einen  Kreis  nach  gewissen  Bedingungen 
ra  bestimmen,  so  hat  man  aus  den  gegebenen  Dingen  den  Mittel- 
punkt und  Halbmesser  des  Kreises  abzuleiten,  deren  Yerhältniss 
za  ihm  seine  Definition  bildet. 

Zur  Auflösung  der  als  Lehrsätze  und  Probleme  bezeichneten 
Prägen  dienen  zwei  Methoden,  die  unter  den  allgemeinen  Namen 
^er  Analyse  und  der  Synthese  aufgeftlhrt  werden  kOnnen, 
deren  genaue  Darstellung  sich  der  Verf.  sehr  angelegen  sein  Iftsst, 
^on  so  mehr  als  namentlich  die  erste  >ne  semble  pas  tr^s-connue 
de  la  plupart  des  logiciens.«  Soll  man  den  Beweis  eines  ausge- 
sprochenen Satzes  finden,  so  kann  man  suchen,  aus  welchem  (nicht 
bewiesenen)  Satze  derselbe  gefolgert  werden  konnte;  dadurch  ist 
die  Aufgabe  die  geworden,  den  letztem  Satz  zu  beweisen.  Hiebei 
kann  man  nun  wieder  denselben  Weg  einschlagen  u.  s.  f.,  bis  man 
tXL  einem  Satze  gelangt,  der  als  wahr  erkannt,  oder  aus  wahren 
^ittelbar  gefolgert  werden  kann.  Damit  ist  der  Satz  auf  analy- 
tiechem  Wege  erwiesen.  Die  Analyse  ist  somit  eine  Methode  der 
hyUL  Jahrg.  8.  Heft.  15 


SM  Duhamel:  DeuMdUia^  4$m  les  ideiioei. 

Beduktion.  Sind  je  zwei  auf  einander  folgenden  Sätze  reziprok,  so 
kann  man  das  Verfahren  umkehren,  indem  man  es  ansieht,  als  eine 
Folge  von  Sätzen,  Ton  denen  der  erste  der  zu  beweisende,  der 
letzte  der  bereits  als  wahr  erkannte  ist.  Doch  ist  dieser  Beweis 
nur  unter  der  eben  gemachten  Bedingung  der  Gegenseitigkeit  zu- 
lässig, andernfalls  ist  er  trügerisch,  da  aus  dem  Falschen  zuweilen 
das  Wahre  geschlossen  werden  kann. 

In  ähnlicher  Weise  wird  die  analytische  Methode  für  Auf- 
lösung Ton  Problemen  zu  erklären  sein:  Auffinden  Ton  Problemen, 
aus  deren  Lösung  die  des  yorgelegten  hervorgeht  u.  s.  w.  Doch 
muBS  hier  eine  wesentliche  Banerkung  gemacht  werden»  8i|id  die 
Yerhältnisse,  die  man  denen,  welche  das  zu  lösende  Problem  bil- 
den, substitnirt  hat,  nicht  reziprok  zu  denselben  (also  entspricht 
nicht  jede  Lösung  des  ein^n  einer  des  andern  Problems) ,  so  wird 
^reüich  jede  Lösuj«g  des  substituirten  Problems  eine  Lösung  di» 
gestellten  sein  (denn  das  hat  man  sich  yorgesetzt);  aberLöeuogm 
iies  letztem  könnten  ganz  wohl  nicht  solche  des  neuen  sein,  so 
dass  also  durcb  die  geführte  Auflösung  dies  gestellte  Problem  nicht 
yoUständig  gelöst  ist.  Somit  würde  man  Auflösungen  des 
Ift^era  verlieren,  wenn  man  sich  mit  denen  des  substitiurteift 
begntVgti».  Nur  daim,  wenn  beide  Probleme  reziprok  sind,  siud  andi 
ihre  Anflöaungj^n  identisch» 

Sind  die  Bedingungen  eines  neuen  Problems  Folgen  derer  eine^ 
firflli^m»  so  wird  aUerdings  eine  Auflösung  des  letztern  auch  eine 
dep  neuen  sein,  weil  Alles,  was  den  Bedingungen  des  frühem  ge- 
äugt, auch  d^nen  des  neuen  Genüge  leistet;  aber  die  sämmtlicbtn 
Aoflösungen  des  neuen  Problems  müssen  nicht  auch  solche  d^e 
^hern  sein,  wenn  die  beiden  nicht  reziprok  sind«  Wenn  man  also 
auf  dem  Wege  der  Zurüokführung  (in  allerdings  dem  eigentUch 
fmaljtisohen  umgekehrten  Sinne)  aus  dem  yorgelegten  Probleme  naoh 
einander  andere  folgert,  so  sind  aUe  Lösungen  des  erstem  in  den»i 
eines  spätem  enthalten,  und  überdies  kann  das  letztere  auch  nach 
dem  ersten  fremde  Lösungen  haben«  Das  ist  bei  solchen  Qeiftes* 
«^ratiooen  wesentlicii  zu  beachten.  Verloren  gehen  können  Auf- 
Umngen  auf  dem  Wege  des  Aofsteigens,  da  man  ein  Problem  svuMi 
yon  dessen  Lösung  das  Vorgelegte  abhängt;  fremde  Auflösungen 
könneu  hinzukommen,  weipi  man  aus  dem  yorgelegten  Probleme 
andere  (zu  lösende)  folgert.  Sux  bei  reziprokem  Verhalten  tritt 
Jc^ioer  der  beiden  (natürlich  sehr  unbequemen)  Fälle  ein. 

Die  Sjuthese  unterscheidet  sich  you  der  Analyae  »par  le 
renyersement  de  Tordre  des  th^or^mes  ou  probl^mes,  tepninös  d'usa 
part  au  propos^  et  de  Tautre  h  quelque  chose  de  connu.«  Selbet 
für  den  TJntenicht  ist  dieselbe  nicht  immer  geeignet,  da  der  su 
Uwleirichtende  dadurch  gewissermassen  im  Blinden  geführt  wird« 
WiU  nwui  aber  beweisen,  dass  ein  ausgesprochener  Satz  wahr  ist» 
60  mnss  man  ihn  (eynthetisoh)  aus  wahren  ablöten  könneUi  and 
nur  f(ann  ist  er  erwiesen;   die   Unrichtigkeit  ergibt  eich  da- 


Dvlianelf  Dm  M&fkoAm  4um  Im  idmieM.  H7 

gegen,  weaii  man  ans  ihm,  ab  liolitig  aagenommen,  eiiieii  Satx 
fo^em  kaaiii  der  Mmh  ist.  Zuweilen  kann  man  Ate  WahrMt 
«988  8aties  erweisen  dadaroh,  daes  man  «eigi,  es  sei  seine  Tev- 
seiBimg  falsoh.  Dies  gibt  diejenige  Form  des  Beweises,  die  man 
^6  Reduktion  auf  das  Ahsnrde  nennt,  die  Ton  den  alten 
Mstkematikem  viel  angewendet  wvrde. 

Wir  hahen  im  Vorstehenden  natürlich  nnr  die  Hauptsatce  a«f- 
gefllhrt,  deren  weitere  Entwicklnng  im  Bache  selbst  nachzasehen 
ist  Den  geschichtlichen  Theil:  über  die  Analyse  and  Synthese  der 
Alten,  die  Logik  der  Neuem  (Bacon  und  Descartes),  die  Logik 
von  Port-Boyal  (Amaud)  und  die  Logik  Ton  OondiUac  müssen  wir 
Uer  übergehen  und  auf  die  Schrift  selbst  verweisen.  Nur  auf  Eines 
oder  das  Andere  mag  eine  Hindeutung  gestattet  sein.  Buclid 
ertiftrt:  die  Analyse  ist  die  Annahme,  die  gesuchte  Sache  sei  zu- 
gegeben, um  daraus  Folgerungen  zu  ziehen,  dio  zu  einer  zugegebe- 
oen  Wahrheit  führen.  Diese  Methode  ist  nicht  ganz  in  Ordnung, 
d«nn  ans  der  Wahrheit  des  geMgerten  Satzes  ergibt  slich  nicht 
ksrsweg  die  des  Vordersatzes.  Pappus  sdireibi  anerdings  tot, 
die  Ba^  nunmehr  synthetisch  zu  erweisen ;  damit  freifich  iet  Alles 
tu  Ordnung  gebracht.  Dalllr  aber  haben  die  alten  Oeometer  4n 
4peii  andern  Punkte  zu  Tiel  gethan.  Haben  sie  aus  einem  Piroblem, 
das  als  geKM  angesehen  wurde,  ein  anderes  gefolgert,  das  lAe 
Ksenkennten,  so  begnügen  eie  eich  nicht  syntiietisch  am  «eigen, 
dasB  die  AufiOewigen  de«  letzten  denen  des  ersten  genügen,  soodem 
ne  zeigen  mo€lh,  daes  es  keine  andern  geben  kann.  Das  ist  «nnüthig. 
Dm  Üa  Verfahren  kann  wohl  fremde  AufMsungen  eii^Ühren,  und 
N  nmss  also  (synthetisch)  untersucht  werden ,  ob  eine  der  Aa£* 
lOamgea  4m  letzten  Problems  auch  eine  solche  des  ersten  iet; 
fBrleren  aber  geht  keine  Auflösung.  Deseartes  hat  all'  den  Begeln, 
Wahriieit  oder  Falschheit  einer  Deduction  zu  erkennen,  die  einzige 
«tgegengesetet,  die  darin  besteht,  nur  das  ak  wahr  anzunehmen, 
du  «eh  dran  Geiste  mit  dem  Charakter  der  Byidenz  darstettt.  Br 
hd  also  die  Freiheit  dem  menschlichen  Geiste  wiedergegeben,  da 
ff  lehrte,  es  habe  Jeder  in  sich  die  Ffthigkeit,  die  Wahrheit  zu 
«fkeuien«  »Denn,  sagt  er,  Qott  hat  nidit  gewollt,  dass  der  Mensch 
^  Spielball  sei  ewiger  fniusohungen,  sondern  er  hat  ihm  die 
VitUl  gegeben,  die  Dinge  zu  erkennen,  wie  sie  sind.c 

Dm  Buch  wird  in  den  Hunden  eiees  jeden  denkenden  An- 
legers der  exakten  Wissenschaften  Früchte  tragen :  »Neos  croyens 
^eir  ajoiM  quelque  dbosc  auz  m^tbodes  ezposöes  dans  les  ouvra^ 
ISH  4es  aneiens  g^m^tres,  et  leur  aToir  donn^  f^us  de  rigneur  et 
^  prMsion:  o'eet  aux  logieiens-g^m^tres  h  juger  si  nous  nous 
bisoas  iUusion  h  cet  6gard.  Quant  k  ceux  q«  ötndient  les  gfotra- 
Kt^s  k  priori,  et  ne  songent  mCme  pas  ensnite  k  en  faire  TappM- 
^sttoa  k  la  r4solation  de  questions  qui  deuMudent  ei  compertevt 
^«lactitade  et  la  rigueur ;  quant  aux  philosophes  habitute  k  traiter 
te  questions  ▼agues,  sane  dounäes  positires,  et  par  enite,  sans 


M8  SidluBi^i  CfttiUn*  erkl&rt  von  Dietseb. 

conclusion  n^cessaire  et  Evidente,  nous  n^ayons  aacone  raison  d^es- 
p^rer  les  conyamcre;  nous  ne  pensons  mdme  pas  qa'ils  apportent 
h  Texamen  de  nos  id^es  tonte  Tattention  nöcessaire  ponr  les  bien 
comprendre;  aussi  ne  les  oombattront-ils  pas,  mais  ils  les  repons- 
seront.  Et  ils  le  feront  de  bonne  foi;  car  n^ayant  Jamals  fait  an 
nsage  s^rieux  de  lenrs  m^tfaodes,  ils  n'ont  pn  en  reconnaltre  la 
tanitö«.  Dr.  J.  IHenger. 


0«  SalluBti  Cri$pi  De  CatUinat  ConjuratUme,  Bellum  Juqwr^ 
thinumt  Oratianes  et  Epiatulae  ex  Hiatoriis  excerptae*  Erklärt 
wm  Rudolf  DieiseK  Erster  Theü:  De  Catüinae  Cdi^ra- 
turne»  Läpzig*  Druck  und  Verlag  van  B.  0.  Teubner.  1864. 
XJ  und  212  8.  in  gr.  8. 

Es  ist,  wenn  wir  nicht  irren,  jetzt  das  dritte  Mal,  dass  der 
Verfasser  znr  Heransgabe  der  Schriften  des  Sallnstins  schreitet» 
mit  welchen  er  jedenfalls,  wie  Wenige,  vertraut  und  bekannt  iBt* 
Auf  die  mit  einem  reichhaltigen,  erklärenden  Commentar  in  latei- 
nischer Sprache  ausgestattete  Ausgabe  des  Jahres  1848  £f.  erfolgte 
die  grössere  kritische  Ausgabe  im  Jahr  1858,  von  welcher  auch  in 
diesen  Blättern  seiner  Zeit  berichtet  worden  ist,  und  jetzt  'haben 
vielfache  Aufforderungen  von  Freunden  den  Verfasser  veranlasst, 
die  frühere  Ausgabe  des  Jahres  1843  durch  eine  andere,  mit  ei^ 
klärenden  Anmerkungen  in  deutscher  Sprache  versehene  Ausgabe 
zu  ersetzen,  von  welcher  jetzt  der  erste  Theil,  der  den  Catiliaa 
enthält,  vorliegt.  Ausgestattet  ist  diese  neue  Bearbeitung  mit  einer 
um&ssenden  Einleitung,  welche  über  das  Leben  des  SaUustius  und 
die  Abfassung  des  Catilina  sich  verbreitet,  auf  welche  auch  der 
gelehrte  Forscher  schon  aus  dem  önmde  aufinerksam  zu  machen 
ist,  weil  hier  das  Ergebniss  der  Forschungen  und  üeberzeugungen 
des  Verfassers  über  einen  schon  in  der  alten  Welt  und  noch  mehr 
in  der  neuesten  Zeit  bestrittenen  Gegenstand  vorliegt  und  auf  das 
wohlbegründete  Urtheil  eines  mit  seinem  Schriftsteller,  mit  der 
Sprache  desselben,  mit  dessen  Anschauungen,  Gesinnungen  und 
Tendenzen  durch  vieljährige  Studien  so  vertrauten  Gelehrten  wohl 
ein  besonderes  Gewicht  gelegt  werden  dürfte.  Namentlich  ist  es 
das  Verhältniss  zu  Cäsar,  wie  dann  auch  zu  Cicero,  das  hier  einer 
näheren  Untersuchung  unterzogen  wird,  desgleichen  die  Frage  nach 
der  Sittlichkeit  des  Schriftsteller's,  seineu  politischen  Ansichten, 
wie  seinen  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Literatur,  zunächst 
der  Geschichtschreibung.  Was  die  Theilnahme  des  Sidlustius  an 
dem  öffentlichen  Leben  Bom's  betrifft,  so  hält  es  derVerüasser  für 
am  wahrscheinlichsten,  dass  der  Bücktritt  davon  erfolgt  sei  nach 
der  Bückkehr  von  Afrika,  insofern  er  damals  sich  nach  Buhe  sehnte, 
und  durch  den  bald   darauf  erfolgten  Tod  Cäsar's  in  dem  Ent- 


BtStuff»  CMtaM  erUtrt  Tim  Dletieli.  IM 

BcliliisM  best&rkt  ward,  dem  Staatsleben  yon  nim  an  fern  zn  blei- 
ben und  den  Wissenschaften  zn  leben:  in  diese  Zeit,  yon  dem 
Jabre  44  v.  Gbr.  an  bis  zum  Jahre  85,  in  welchem  Sidlnst  starb, 
wtbrde  also  die  literftrische  Th&tigkeit  desselben,  und  die  Abfassung 
seiner  Oeschichtswerke  ftiUen  (S.  18).  Was  den  Vorwurf  hinsicht- 
lich der  Sittlichkeit  betrifft  —  den  angeblichen  Ehebruch  mit  der 
Gattin  des  Milo  —  so  macht  der  Verf.  nicht  ohne  Grund  auf  das 
ünLuitere  der  Quellen  aufmerksam  und  findet  in  dem  Verfahren 
des  Censor  Appius  Claudius,  der  selbst  ein  ganz  sittenloser  Mensch 
war,  and  bei  seiner  Ausweisung  des  Sallustius  aus  dem  Senat  durch 
andere,  politische  Motive  geleitet  war,  keinen  hinreichenden  Grund 
an  eine  besondere  TJnsittlichkeit  oder  Gemeinheit  des  Sallustius  zu 
^anben  (S.  8.  9.).  und  was  den  andern  ihm  gemachten  Vorwurf 
betrifft,  wegen  seines  Verhaltens  in  der  Verwaltung  der  Provinz 
Afrika,  so  glaubt  der  Verf.  auch  hier  nur  so  viel  als  gewiss  an- 
sehen zu  können,  >da8s  Sallustius  die  ihm  vomGlfick  gebotene  und 
Ton  ihm  selbst  erworbene  Gelegenheit  sich  Reichthum  zu  yerschaffen, 
gesehickt  und  mit  bestem  Erfolg  benutzt  hat ;  dass  er  dabei  Thaten, 
welche  im  Sinne  der  damaligen  R5mer  für  Verbrechen  hätten  gelten 
können,  begangen  habe,  muss  als  unerwiesen  gelten.  Die  Avaritia 
an  Andern  konnte  er  mit  gutem  Bewusstsein  tadeln,  da  er  ja  durch 
sein  Zurückziehen  aus  dem  Öffentlichen  Leben  bewiesen  hatte,  dass 
er  sich  genügen  lasse,  nicht  stets  auf  neuen  Erwerb  denke« 
(8.  12).  Also  der  VerfEisser.  Wenn  sich  auch  bei  dem  hier  über- 
haupt in  Frage  stehenden  Punkte  die  Gr&nze  zwischen  dem,  was 
einem  römischen  Statthalter  in  der  Provinz  erlaubt  gewesen  und 
was  nicht,  kaum  ziehen  Iftsst,  und  alle  die  vornehmen  Römer,  die 
nach  der  kostspieligen,  nichts  eintragenden  Verwaltung  der  höheren 
Aemter  zu  Rom  auf  die  Verwaltung  einer  Provinz  angewiesen 
waren,  um  hier  einen  Ersatz  für  ihre  enormen  Ausgaben  und  die 
dadurch  oft  zerrütteten  VermOgensverhältnisse  zu  finden,  oder  sich 
ein  Vermögen  zu  sammeln  für  die  in  Rom  zu  machenden  Aus- 
gaben, diess  benutzten,  so  mag  auch  Sallustius  nicht  mehr  und 
nicht  weniger  in  dieser  Beziehung  gethan  haben,  als  Andere,  und 
insofern  selbst  Anerkennung  verdienen,  dass  er  mit  dem  durch  eine 
einmalige  Verwaltung  einer  freilich  ausgedehnten  und  reichen  Pro- 
vinz erworbenen  Gute  sich  begnügte,  und  nicht,  gleich  Andern, 
von  der  Gier  weiteren  Erwerbes  sich  fortreissen  Hess. 

Auch  der  Beruf  des  Sallustius  zum  Geschichtschreiber,  inso- 
weit er  die  Darstellung  der  Hauptmomente  der  innem  Bewegung, 
welche  zu  den  Bürgerkriegen  geführt  hatten,  als  das  Ziel  seines 
Strebens  in's  Auge  fasste  (S.  13),  wird  in  Betracht  gezogen,  seine 
philosophische,  auf  Psychologie  und  Ethik  gegründete  AufiÖässung 
der  Geschichte,  die  Nachweisxmg  des  inneren  Zusammenhangs  der 
Begebenheiten,  die  unparteiische  -Würdigung  der  handelnden  Per- 
sonen, diese  und  andere  Vorzüge,  so  wie  auch  die  der  Sprache 
werden  in  beredter  Weise  auseinandergesetzt  (S.  ISff.},  bei  letzterer 


ü^  BOk^»  ORtiUsAr  oridSri  von  D  Uivek, 

vi»]iUiobt  s«  wenig  beaohtet  das  g«6tiohie  und  manirirtei  naeh 
Efiect  haschende  Wesen  des  SaUastins,  das  ihn  nicht  za  seinem 
Vortheil  von  dem  Griechen  Thncjdides  anierscheidet ,  so  sehr  wir 
aoAh  auf  der  andern  Seite  glaDbea,  dass  gerade  eine  solche,  rheto- 
risoh-'se&tentiöse  Darstellung  den  Römern  gefallen  nnd  den  SaUustios 
bei  der  Nachwelt ,  die  einer  solchen  Darstellmngsweise  noch  mehr 
3itohgiag,  so  beliebt  nnd  nacfaahnrangswürdig  gemacht  hat,  wie 
diess  schon  die  BemUhnuigen  der  spätem  Grammatiker  und  die  aus 
Sallnst  zahlreicher,  wie  ans  andern  Schriftstellern  genommenen  Bei-' 
spiele  erweisen.  So  mag  man  wohl  mit  dem  Verfasser,  wie  diesa 
aaoh  unlängst' Nandet  aosprochen  hat,  in  Sallusthis  den  ersten  Ge- 
sohichtschreiber  Bom's  (d.  h.  unter  den  «nf  uns  gekommenen)  er- 
kennen, wacher  die  Ereignisse  in  ihrem  innem,  sowohl  thatsäch* 
lioben  wie  psychologischen  Zusammenhang  erfetöst  und  sie  mit  einer 
ernsten  politischen  und  moralischen  Absicht  dargestellt  hat  (S.  22). 
Ob  aber,  wie  hier  weiter  behauptet  wird,  in  der  That  Sallust  »einen 
stsengea  historischen  Styl  begründet,  durch  die  SkuückfÜhrung 
manche»  mit  Unrecht  als  veraltet  bei  Seite  geschobenen  dem  Sprach* 
schätz  GoldkOrner  erhalten  und  ein  Muster  eindrucksvoller  schrifi- 
lipher  Gesdnchtseraählung  aufgestellte,  (S.  22)  möchten  wir  doch 
nach  bezweifeln,  wenn  wir  auch  den  Einfluss  anerkennen,  den 
SaUnstiue  auf  die  spätere  Geschichtschreibung  geäussert  haben  mag. 
In  Bezug  auf  Sprache  und  Darstellung  war  Seneca  weit  einflusa- 
reiober. 

In  dem  andern  TheUe  der  Einleitung  beschäftigt  sich,  der  Verf. 
zunächst  mit  der  Schrift  des  SaUustins:  Über  de  Catilinae 
conjuratione  *-  deim  diesem  Titel  scheint  der  VerfL  jetzt  den 
Vorzug  zugeben,  während  er  früher  den kflrzeren :  Catilina  vor- 
gezogen hatte.  Die  AbÜMSung  dieser  Schrift  geht  jedenfalls  der 
andern  Über  den  Jugurthinisdien  Krieg  voraus,  und  wird  daher 
SaUustins  schon  in  der  ersten  Zeit,  als  er  sich  vom  öffentlichen 
Leben  zurückgezogen  und  geschichtlichen  Studien  sich  gewidmet 
hatte,  diesem  Gegenstand  seine  Aufinerksamkeit  zugewendet  haben, 
aber  die  Veröffentlichung  fällt  erst  nach  Cäsar's  Tod,  weshalb  der 
Verf.  die  Abfassung  des  Catilina  zwischen  den  März  44  v.  Chr. 
(71.0),  wo  Cäsar  ermordet  wurde,  und  zwischen  den  December  4S 
(711),  wo  Cicero  fiel,  setzen  möchte (  und  wenn  der  Verf.  einen 
speoiellen  Grund  für  die  Ab&ssung  in  der  nach  Cäsar's  Tod  ins- 
besondere durch  Cicero  wieder  aufgetauchten  Erinnerung  an  die 
Gatilinarische  Verschwörung  und  die  wider  Cäsar  und  seine  Partei 
erhobenen  Ansdiuldigungen  einer  Theilnahme  an  derselben  findet, 
welche  Sallust  mit  dieser  Darstellung  abzuweisen  versucht  haben 
soll,  so  scheinen  uns  doch  die  Anhaltspunkte  für  eine  solche  Ver- 
muthung  nicht  so  sicher,  um  nicht  auch  allgemeineren  Rücksichten 
über  die  Motive  des  SchriftsteUnrs  bei  Abfassung  dieser  Schrift 
Baum  za  gestatten.  Was  das  Verhältniss  zu  Cicero  betrifft,  so  ist 
der  Verf«  der  j^isicht,  dass  bei  einer  näheren  und  unbefangenen 


B$ame»  onaiw  «um  von  puutk  m 

PrOfimg  deh  dordiaog  keina  Anfemdnng  CiMro*8  bei  SaUuik  hu^ 
aiMtiiky  wohl  aber  eine  ZortlokfUinmg  seines  Verdienstes  auf  eis 
gslidnges  Maass  nnd  diese  nioht  dorcb  directe  Anseinandersetsong 
8sd  Negation,  als  rielmehr  durch  Schweigen  (8.  26).  Allerdings 
ist  diaees  Schweigen  oft  etwas  auffallend,  wohl  aber  erklftrbar  ans 
dem  YerhaltnisSy  in  welchem  Sallustius  zu  Cäsar  stand,  so  dass  er 
«gibtlieh  des  Cicero  nur  erwähnt,  wo  er  ihn  durchaus  erwähnen 
»SB,  und  Ton  den  Verdiensten,  die  Cicero  sich  unleugbar  erwor« 
btt,  lieber  schweigt,  als  sie  ausführt.  Unser  Verf.  spricht  sieh 
8.  31  darOLber  noch  weiter  in  folgender  Weise  ans:  »Dass  dieiLr« 
ognisse  eine  andere  AufBusung  der  OatiHnarischen  Verschwörung 
bigrfinden,  als  die  war,  welche  nach  Cäsar's  Tod  gepredigt  worde« 
din  man  die  Catilinarier  milder  zu  beurtheilen  ein  Beeht  gehabt 
Iwbe,  dass  man  ohne  ihr  Vorhaben  su  theilen  oder  zu  begttnstigeut 
ja  mit  voller  Verurtheihing  ihrer  Ruchlosigkeit  gleichwohl  das  Vep- 
Utea  derNobilität  nicht  gutheissen  und  mindestens  mit  ihrer  Be« 
«ttügong  nicht  die  Ursachen  zum  Bürgerkrieg  entfernt  und  die 
Heflnag  des  Staats  vollendet  glauben  durfte,  diese  durch  seine  Dar» 
sUhmg  zu  zeigen,  war  SaUust's  Absicht,  und  dass  man  dennodi 
dieselbe  eins  Apologie  ftkr  Cäsar  und  ft^  alle,  welche  zu  seiner 
Partei  gehört  haben,  nennen  kann  und  musa,  ist  offenbar«  (1)^ 
Sollie  nicht  mit  der  zuletzt  ausgesprochenen  Behauptung  au  Viel 
gBMgt  und  dem  Oeschichtschreiber  ein  gar  zu  speoieUsr  Zweck 
untergelegt  sein  ?  sollte  er  nicht  einen  allgemeineren  Zweck  vor  Aug«i 
glhabt  haben?  Wir  wollen  diese  Frage  über  die  eigentliche  Ten- 
dnu  des  Sallustius  bei  der  Abfassung  dieser  in  sich  so  vollkommen 
ftbgesdlosseaen  historischen  Monographie  nicht  weiter  verfolgeni 
und  mir  die  Schlussworte  der  Einleitung  noch  anführen ,  mit  wel- 
dum  man  sich  eher  einverstanden  wissen  wird.  »Dass  SallustiuSi 
sokreibt  der  Verf.  S.  86,  mit  seiner  Schrift  uns  ftir  eine  historisch 
vabie  Auffassung  der  Catilinarischen  Verschwörung  und  der  römi*- 
^en  Geschichte  flberhaupt  ungemein  genützt  hat,  das  wird  be« 
Snifen,  wer  sich  diese  Frage  vorlegt,  was  wir  davon  wissen  wür<* 
^1  wenn  wir  auf  Cicero,  Plutarchus  und  Appianus  beschilüikt 
vtteB.c 

Was  nun  die  Bearbeitung  selbst  betrifft,  zunächst  die  deut- 
leiiea  Anmerkungen,  mit  welchen  der  hier  gelieferte  Text  ausge« 
stattet  ist,  so  ist  allerdings  zu  bemerken,  dass  sie  auf  die  Kritik 
nch  Budit  einlassen,  ausgenommen  in  den  Fällen,  wo  die  Wahl  der 
^Sanommenen  Lesart  mit  der  Erklärung  selbst  in  innigem  Zu^ 
ttauaeubaiig  steht,  sondern  ausschliesslich  der  Erklärung,  der  gram« 
Otttiaehen  und  sprachlichen,  wie  der  sachlichen  gewidmet  sind,  und 
i^Kmeatlich,  was  die  grammatisch-sprachliche  ErUärung  betrifft,  in 
naem  Umfang  und  in  einer  Ausdehnung  sich  bewegen,  welche  dur(A 
^  Zweck,  welchen  der  Verf.  bei  dieser  Ausgabe  vor  Augen  hatte« 
gaieohtfertigt  wird.  Der  Verf.  wollte  nämUcb  durchaus  keine  Sehol- 
^^^S^  im  gewöhnlichtti  Sinne  dee  Wortes  lie£mi|  d.  b.  wie  fiU? 


«M  BtlhisVs  CatiliDA  erUIrt  ▼<»&  Dletsoli. 

den  Sobfller  bestimmte  Ausgabe,  die  ihm  seine  Prftparation  zu  er- 
leiobtem,  ihn  der  Mühe  der  eigenen  Arbeit  und  des  eigenen  Nach* 
denkens  zu  überheben,  seiner  Bequemlichkeit  Vorschub    zu  leisten 
vermag.     Eine    solche   Tendenz   lag   dem   erfahrenen    Schulmanne 
fem.     Ich    habe,   schreibt  er  S.  VI  ^  und  diess  ist  auch  immer 
unsere  Ansicht  gewesen,    die  wir  in  diesen  Bl&ttem  bei  mehr  als 
einer   (Gelegenheit  ausgesprochen  haben  —  in  meiner  langjährigen 
Praxis  stets  als   das   zweckmässigste  gefunden,   wenn  der  Lehrer 
zwar  alles  brauchbare  und   gute  aller  Ausgaben,    die  ihm  zu  Oe* 
böte  stehen,  benützt,  auch  den   Schülern   die  zweckmftssigsten  zur 
eigenen  Benützung  empfiehlt,    aber  bei  seinem  Unterricht  keine 
andere  als  die  eingeführte  Textesausgabe  in  den  Händen  der  Schüler 
Toraussetzt,  ihnen  die  Anleitung  zur  Präparation  selbst  gibt  und 
die  Bedürfnisse  zum  Yerständniss  nach  bestem  praktischem  Er- 
messen und  den  gemachten  Betrachtungen  selbst  beledigt.  €    Für 
den  Gebrauch  in  der  Schule   und   für   die  Leetüre  der  Schüler  in 
der  Schule  hat  also  der  Verf.  seine  Ausgabe  keineswegs  bestimmt, 
er  hat  vielmehr  an  die  Privatlectüre  gedacht,   auf  welche  er  mit 
Recht  grossen  Werth  legt,  und  diese  Bücksicht  hat  ihn  insbeson* 
dere  bei  Abfassung  der  Anmerkungen  geleitet.    Wir  glauben  auch 
nach  der  ganzen  Anlage  und  Fassung   dieser  Anmerkungen,   dass 
nicht  bloB  für  Schüler  der  obersten  Classe,  welche  den  Sallust  zu 
ihrer  Privatlectüre  wählen,   sondern  auch  eben  so  für  das  Privat- 
studium  angehender  Philologen  auf  der  Universität  in  dieser  Aus- 
gabe trefflich  gesorgt  ist,  um  dieselben  nicht  blos  mit  der  Sprache 
und  allen  Eigenthümlichkeiten  derselben,  mit  der  ganzen  Darstel* 
lungsweise,   dem   Bau   der  Perioden  u.  s.  w.   bekajint  zu  machen 
und  auf  gründliche  Weise  das   Yerständniss   der  einzelnen  Stellen 
wie  die  Eenntniss  der  lateinischen  Sprache   überhaupt  zu  fordern  . 
und  zu  erweitem,  sondern  auch  um  eine  Einsicht  in  die  Tendenzen 
der  ganzen  Darstellung  und   in   die   Persönlichkeit  des  G-eschicht- 
sohreibers    zu    geben;    wir    glauben    aber  auch   weiter,  dass    ein 
sorgsamer  und  tüchtiger  Lehrer  mit  grossem  Yortheil   diese  Aus- 
gabe benützen  wird,  um  das  in  derselben  Enthaltene  in  dem  frischen 
lebendigen  Yortrage  seinen  Schülern  mitzutheilen  und  sie  auf  die- 
sem Wege  weiter  zu  führen.  Wir  könnten  diess  durch  eine  Menge 
von  Fällen  bewegen,  wenn  es  die  Absicht  dieser  Anzeige  ^^re,  in 
das  Detail  der  Erklärung  weiter  einzugehen,   oder  auch  eine  ab- 
weichende Meinung  an  solchen  St-ellen  zu  begründen,  wo  man  mit 
demYerfasser  nicht  einverstanden  sein  mag,  wie  z.  6.  in  der  Um- 
stellung die  ercap.  26 — 31  nach  Lincker  und  Ottema  vorgenommen 
und  in  einem  eigenen  Excurs   auch  näher   zu  begründen   versucht 
hat,  so  dass  die  im  27.  Capitel  stehenden  Worte:    >Postremo  ubi 
multa  agitanti  —  tantum  facinus  frustra  susceperatc   nun  im  30. 
Capitel  nach  den  Worten:  »At  Catilinae  cmdelis  animus  —  inter- 
rogatus  erat  ab  L.  Paulo  €  ihre  Stelle  erhalten  haben.  Bekanntlich 
ist  diese  Umstellung  durch  keine  Handschrift  bestätigt  und  .von 


HeroBlB  ReliqnlM.  Kd.  Hultiek  »S 

dem  Verf.  selbst  früher  bestritten  worden  mit  Grttnden,  denen  wir 
noch  jetzt  ihre  Gfilt^keit  zuerkennen,  obwohl  der  Verf.  selbst  jetzt 
anderer  Ansicht  geworden  ist.  Anderes  der  Art,  wo  wir  abweichen- 
der Ansicht  sind,  übergehen  wir,  nm  nicht  den  Banm,  den  diese 
Besprechong  eingenommen,  noch  weiter  auszudehnen,  zumal  als  in 
dem,  was  wir  über  diese  neue  Bearbeitung  des  Gatilina  im  Allge- 
meinen bemerkt  haben,  dadurch  Nichts  geändert  würde.  Die  yer- 
traute  Bekanntschaft  des  Verfassers  mit  dem  Autor,  dessen  Sprache 
and  Ausdrucksweise  im  Einzelnen  wie  der  Darstellungsweise  im 
Gänsen,  wird  keiner  weiteren  Anerkennung  bedürfen  und  wir 
sehliessen  daher  unsem  Bericht  über  diese  neue  Erscheinung  mit  der 
Versicherung,  dass  diejenigen,  für  welche  diese  Ausgabe  bestimmt 
ist.  Viel  daraus  lernen  und  mit  sicherem  Erfolg  dieselbe  ge- 
brauchen werden.  Und  darauf  hinzuweisen,  war  der  Zweck  dieser 
Anzeige. 


Heran  18  Alexandrini  Oeomdricorutn  et  Stereomdrieonim  ReJiquiae, 
Aecedunt  Didymi  Alexandrini  Mensur ae  Marmorum  d  Ano- 
nymi Variae  Collectione»  ex  Herone  Euelide  Oemino  Proelo 
AnatoHo  aUisque.  E  libris  manu  scripiis  edidU  Friderieus 
Hultaeh.  Berolini  ajmd  WHdmannnos.  MDCCCLXIV.  XXIV 
und  338  8,  in  gr.  8, 

Nachdem  vor  Kurzem  eine  Sammlung  der  auf  uns  gekomme- 
nen Beste  der  metrologischen  Literatur  der  Griechen  von  demselben 
Gelehrten  erschienen  war  (s.  diese  Bl&tter  Jhrgg.  1864.  S.  789  ff.), 
tritt  in  dem  Torstehenden  Werke  eine  ähnliche,  auch  mit  gleicher 
8org&lt  Tcranstaltete  Publication  vor  uns,  die  in  denselben  Kreis 
der  mathematischen  Literatur  des  griechischen  Alterthums  f^Ut, 
welche  der  Verf.  zum  besondem  Gegenstand  seiner  Studien  ge- 
macht hat:  sie  wird  daher  auch  die  gleiche  Auiinerksamkeit  und 
Beachtung  finden.  Wenn  in  der  neuesten  Zeit  zunächst  zwei 
französische  Gelehrte,  Letronne  und  Martin  die  Untersuchung  über 
den  griechischen  Mathematiker  Hero  und  über  die  unter  seinem 
Namen  yerschiedentlich  auf  uns  gekommenen,  zum  Theil  erst  in 
der  allemeuesten  Zeit  aus  Handschriften  an  den  Tag  gezogenen 
Beste  wieder  aufgenommen  haben,  so  hat  unser  Herausgeber  gleich- 
fiiUs  diesem  Gegenstande  in  den  Prolegomenen  der  eben  erwähnten 
Sammlung  der  metrologischen  Reste  eine  eingehende  Untersuchung 
gewidmet,  deren  sichere  (wie  wir  es  wenigstens  ansehen)  Ergeb- 
nisse in  diesen  Blättern  (Jahrgg.  1864.  S.  790  ff.)  sich  angegeben 
finden.  In  dem  vorliegenden  Bande  hat  er  es  nun  übernommen, 
die  irgendwie  noch  erhaltenen  Reste  der  geometrischen  und  stereo- 
metrischen Schriften  des  berühmten  Alexandrinischen  Gelehrten, 
der  noch  in  das  erste  Jahrhundert  vor  Ohr.  hinaufreicht,  in  eine 
Sammlung  zu  yereinigen,  die  Alles  bisher  bekannt  gewordene,  wie 


M4  HwoBis  ReUqnlA«.  Ed.  HuUs«1i. 

AnderoBy  noah  sieht  verOfioAtUohieB  eniliätt,  um  lo  einaa  YoHstftu«- 
digen  üeberbliok  über  das  von  diesem  gelehrten  Mathematiker, 
dem  Schüler  des  GteBibins,  Geleistete  sm  gewimien,  den  Einfluas  za 
bestimmen,  welche  diese  Schriften  auf  die  Behandlung  der  Mathe*- 
matik  in  den  folgenden  Zeiten,  so  vne  auch  in  der  praktischen 
Anwendung  gehabt  haben,  und  aus  so  manchen  Yerftnderungen  und 
Umwandlungen,  welchen  diese  Schriften  im  Laufe  der  Zeit  unter- 
legen sind,  ihre  ursprüngliche  Form  wieder  zu  ermitteln. 

Dass  nun  auch  diese  Sammlung  mit  aller  der  kritischen  Ge- 
nauigkeit und  Sorgfalt  veranstaltet  ist,  die  der  Herausgeber  in  der 
andern  oben  erwähnten  Sammlung  bekundet  hat,  wird  kaum  be- 
sonderer Erwähnung  bedürfen;  die  dabei  von  ihm  benutaten  kriti- 
schen Hülfsmittel,  zunächst  neun  Pariser  Handschriften  und  eine 
Münchner,  werden  genau  in  der  Praefatio  p.  YIsqq«  beschrieben 
und  wird  eben  so  auch  über  die  übrigen  gedruckten,  hier  benutzten 
Schriften  das  Nöthige  bemerkt;  die  von  dem  Texte  abweichenden 
Lesarten  der  Handschriften  sind  unter  dem  Texte  selbst  aufge- 
führt. 

An  erster  Stelle  erscheinen  in  dieser  Sammlung  "Hqg^pos  0(KM 
täv  ysaiistQÜis  Qvofiat(ov^  die  freilich  hier  in  einer  Gestalt  ei^ 
scheinen,  welche  yiel&ch  abweicht  von  derjenigen,  in  welcher  sie 
erstmals  yon  Daejpodins  im  Jahre  1571  und  in  dem  darnach  yon 
Hasenbalg  zu  Stralsund  1826  veranstalteten  Wiederabdruck  sich- 
finden,  indem  der  Herausgeber  zunächst  an  die  handschriftliche 
Autorität  sich  hielt  und  hiernach  einen  Text  liefert,  der  sich  auf 
drei  Pariser  Handschriften  stützt:  nr.  2475  (B.)  die  nicht  vor  das 
sechzehnte  Jahrhundert  fällt,  dann  Suppl.  nr.  387  (G.)  und  nr.  2385 
(F.);  vorzugsweise  folgt  der  Herausgeber  der  an  erster  Stelle  ge- 
nannten Handschrift,  weil  sie  die  beste  ist;  Stellen,  die  in  allen 
Handschriften  verderbt  vorkommen,  hat  er  selbst  zu  bessern  ver*- 
sucht,  in  manchen  Fällen  aber  auch  den  Text  lieber  so,  wie  er 
überliefert  ist,  belassen,  um  jede  Willkür^  die  hier  allerdings  einen 
weiten  Spielraum  findet,  ferne  zu  halten.  Was  fremdartiges  im 
Laufe  der  Zeit  in  den  Text  eingeschoben  erschien,  wurde  im  Druck 
durch  besondere  Schrift  kenntlich  gemacht ;  was  erweislich  neueren 
Ursprunges  ist,  in  eckige  Klammem  eingeschlossen. 

An  zweiter  SteUe  folgt  S.  41  ff.  Hero*s  Geometrie  auf 
Grundlage  der  vorzüglichen  Pariser  Pergament -Handschrift  des 
dreizehnten  Jahrhunderts  nr.  1670  (A.);  die  Abweichungen  einer 
jüngeren,  minder  guten  Pariser  Handschrift  nr.  2012  (D.),  sind 
unter  dem  Texte  angegeben ;  aus  dem  andern  Theile  derselben  Hand- 
schrift, der  jedoch  als  ein  ursprünglich  davon  gesondertes  Ganxe 
erscheint,  und  darum  auch  mit  einer  besondem  Signatar  (E.)  ver- 
sehen ist,  ist  an  dritter  Stelle  die  Geodäsie  gegeben  (S.  141  ff.) 
mit  Weglassung  der  Stellen,  die  schon  in  der  G^metrie  gegeben 
waren,  ^dann  folgen  8*  152  ff.  die  Eiöteymywi  %äv  CtafWfkevQOv^ 
fUvmv  ''Hffiovog  nach  drei  Handschriften,  den  eben  erwähnten  b#i- 


H«r»iiis  lUUqDiM.  Ed.  Hmlistk  IS^ 

daa  Pariiar,  B.  0.  vad  einer  Mflnchner  Papier-Handsekrift  des 
Baehseiuitea  Jahrhunderts  nr.  165  (M.)f  welcher  mit  gutem  Onmde 
hier  deo  Vorzug  gegeben  wird.  Aua  denselben  Handschriften,  der 
VmuT  B  and  der  Münchner  folgt  dann  noch  eine  andere  Stereo- 
aetrisohe  Sammlung  Hero*8  8.  172  ff.  Die  sechste  Btelle  S.  188  ff. 
oahmes  die  in  zwei  Pariser  Handschriften  (2438  und  2861)  unter 
der  Aufschrift  "Hgmvag  xb^  ptdtQmp^  in  einer  dritten  Pariser 
(nr.  1642)  mit  der  Aufschrift  "HQmvog  ^te^aoiutf^uca  yersehenen 
St&cke  ein;  da  die  einzelnen  Probleme  mit  der  Aufschrift  fiirfi7<yi^ 
TirMken  sind,  zog  es  der  Herausgeber  vor,  für  dasQanze  die  Auf* 
9fknSt''Hp€9vog  ftszQi^sig  zu  nehmen;  die  Abweichungen  der  drei 
Hindsohriften  werden  unter  dem  Text  angeführt.  An  siebenter 
Steüe  8.  208  ff.  folgt  nun  aus  der  oben  erwähnten  Pariser  Hand- 
adurift  2488  "Hgen/og  ytr^oviMOv  fiißXiov.  Angehängt  ist  8. 235  ff. 
tts  der  Schrift  xsqI  diaxt^ag^  die  Mensura  Trianguli  aus  einer 
Pariser  Papierhandflchrift  des  sechzehnten  Jahrhunderts  nr.  2430; 
fk  macht  den  Beschluss  der  Schriften  Hero*B  und  es  folgen  nun 
die  weiter  auf  dem  Titel  angegebenen  Stücke  anderer  Yerüaiflser, 
nent  8.  228  ff.  ^idvfiiov  ^AXs^vÖQ^ng  fiitQa  fui^(»a(fGnf  nal  nai/-» 
xolav  ^Itovy  die  von  A.  Mai  erstmals  1819  aus  einer  Ambrosia- 
aüehen  Handschrift  an's  Tageslicht  gezogen  worden  sind,  hier  aber 
in  einer  vielfach  verbesserten  und  berichtigten  Gestalt  erscheinen, 
iasbesondere  nach  der  schon  oben  erwähnten  Pariser  Handschrift 
2475  (B.),  nach  der  Münchner  (M.)  und  einer  Leidner;  dannkom- 
meii  8.  245  ff.  verschiedene  einzelne  hier  zusammengestellte  Stücke 
nehrsrer  Verfasser  unter  der  Aufschrift:  Anonymi  YariaeGollectiones 
61  Herone,  EucUde,  Gemino,  Proclo ,  Anatolio  in  codicibus  oonti- 
miae  adscriptae  ad  Heronis  definitiones,  hauptsächlich  nach  der 
eben  genannten  Pariser  Handschrift  B. 

Noch  haben  wir  in  unserm  Berieht  der  vorzüglichen  Indiees 
ZQ  erwähnen,  mit  welchen  diese  Ausgabe  ausgestattet  ist ,  zuerst 
ea  Index  zu  den  Stücken  des  Hero  und  Didjmus,  in  der  Art  ge* 
fertigt»  dass  jedes  in  denselben  vorkommende  Wort  mit  genauer 
Aagikbe  der  Stelle,  in  der  es  vorkommt,  darin  enthalten  ist ;  dann 
ein  zweiter  ähnlicher  Index  zu  der  obenerwähnten»  am  Schlüsse  des 
Bsodes  abgedruckten  Sammlung :  Anonymi  Yariae  Collectiones.  Ein 
Cosspectus  Auetomm,  oder  ein  Yerzeichniss  der  in  diesen  beiden 
Abtheilangen  genannten  Autoren,  kann  als  dritter  Index  gelten. 


^iugeipähUe  Komödien  du  Aristophanea.  Erklärt  von  Theodor 
Koek.  Viertes  Bändchen,  Die  VögeL  Berlin,  Weidmann^sehe 
Buchhandlung  1864.  260  8.  in  gr,  8.  (Sammlung  Grieehieeher 
und  Laieimgeher  Schriftsteller  mit  deutschen  Anmerkungen, 
herausgegeben  von  M.  Haupt  und  H.  Sauppe). 

Dieses  vierte  Bäadchen  hat  ganz   die  gleiche  Einrichtung, 
wie  dae  vorättigegangMke  dritte,  ton  welcher  seiner  Tirii  in  di^ 


986  Die  VOgel  des  Aristopluinee  von  Kock. 

Ben  Jahrbb.  1857.  S.  757 £f.  nähere  Nachricht  gegeben  wurde; 
weshalb  wir  uns  hier  kürzer  fassen  können,  um  so  mehr,  als  die 
ganze  Behandlung  derjenigen  gleich  ist,  welche  in  dem  zunftchst  Tor- 
hergehenden  dritten  Bändchen  die  FrOsche,  wie  in  den  beiden  früheren 
Bändchen  die  Wolken  nnd  die  Bitter  erhalten  haben,  weshalb  auch 
diese  Bearbeitung  eines  der  mit  Recht  gefeiertsten  Stücke  des 
Aristophanes  insbesondere  jungen  Philologen,  welche  den  Aristo- 
phanes  näher  und  gründlich  kennen  lernen  wollen,  zu  empfehlen 
ist.  Eine  umfassende  Einleitung  (S.  1—47)  geht  voran:  im  ersten 
Theile  derselben  werden  die  historischen  Ereignisse  geschildert, 
welche  der  AufPÜhrung  der  Vögel  vorausgingen,  und  hier  wird  natür- 
lich näher  eingegangen  auf  die  Sicilische  Expedition,  den  Hermo- 
kopidenprocess ,  das  Verhalten  des  Alcibiades  u.  s.  w.  Die  Auf- 
führung der  Vögel  erfolgte  im  März  des  Jahres  414  v.  Chr.  und 
erhielten  dieselben  den  zweiten  Preis;  die  Komasten  des  Amipsias 
errangen  den  Vorzug.  Darüber,  wie  über  den  Inhalt  des  Stückes 
und  den  Gang  desselben  im  Einzelnen  verbreitet  sich  der  zweite 
Abschnitt  der  Einleitung,  indem  er  eine  gute  üebersicht  des  In- 
halts bringt  und  die  ganze  Oekonomie  des  Stückes  darlegt.  Indem 
dritten  Abschnitt  betrachtet  der  Verfasser  die  Zeitlage,  unter  wel- 
cher diese  Dichtung  zu  Stande  kam,  so  wie  die  Stimmung  des 
Dichters.  »Aus  der  Schwüle  der  Gegenwart  hat  er  sich  in  eine 
reine  und  gesundere  Luft,  in  eine  freie  Höhe  über  die  Wirren 
des  Tages  geflüchtet,  in  die  ätherischen  Regionen  der  reinen  Poesie. 
Nicht  die  Geschichte  des  Jahres  415  hat  seiner  Dichtung  ihre 
olympische  Heiterkeit  gegeben,  sondern  seine  Phantasie  verklärt  und 
vergoldet  die  trübe  und  düstere  Färbung  dieser  wahrhaft  bleiernen 
Zeit«  (S  34).  Dass  der  Dichter  in  diesem  Stücke  seine  Gesinnung, 
wie  sie  in  den  früheren  Stücken  stets  zum  Frieden  sich  neigte, 
und  diesen  herbeizufUhren  selbst  zur  besondem  Aufgabe  sich  ge- 
stellt hat,  nicht  geändert,  dass  er  derselben  auch  hier  treu  ge- 
blieben, ist  eine  gewiss  richtige  Ansicht,  und  wenn  der  Dichter 
auch  nicht  eine  so  unmittelbar  praktische  Tendenz  verfolgt,  so 
weisen  doch  nicht  wenige  Stellen  des  Stückes  auf  die  Vorgänge 
der  Wirklichkeit,  während  das  Ganze  allgemeiner  gehalten  ist,  und 
daher  auch  auf  andere  Zeiten  sich  anpassen  Hesse.  Der  Verf.  geht 
prüfend  in  das  phantastische  Bild  ein,  welches  der  Dichter  in  die- 
ser Komödie  seinen  Athenern  vorgef%Qirt  hat,  um  auf  diese  Weise 
eine  richtige  Würdigung  derselben  zu  veranlassen,  wobei  er  ver- 
schiedene Einwendungen,  welche  in  Bezug  auf  die  Gesammtauf- 
fassung, wie  auf  einzelne  Theile  und  Seiten  gemacht  worden  sind, 
zu  widerlegen  bemüht  ist.  Die  erklärenden  Anmerkungen,  welche 
unter  dem  Text  sich  befinden,  verbreiten  sich  über  granmiatisoh- 
sprachliche  Schwierigkeiten  eben  so  wie  sie  die  sachlichen  Punkte 
erörtern,  ganz  wie  diess  auch  in  dem  vorausgehenden  Bändchen 
der  Fall  ist;  die  Angabe  der  Metra,  die  in  diesem  Stücke  ange- 
wendet sind,  Vers  um  Vers,   folgt  am  Ende  S.  248 ff.  und  dann 


Orcforii  KyMMl  Opera.    £s  ne«iis.  OeblerL  S87 

8.  255  ff.  das  Yerzeiohniss  der  Abweioknngen  yon  der  handsehrift- 
lielieii  Ynlgata.  Dieses  Yerzeiolmiss  ist,  wenn  man  will,  bedonten- 
der,  da  dieses  Stock  des  Aristophanes  bekanntlioh  zu  demjenigen 
gehört,  welehe  mehrfiftcbe  Verderbnisse  des  Textes  in  der  band- 
sduiftHchen  üeberliefening  enthalten,  und  dämm  die  Tbätigkeit 
der  Herausgeber  insbesondere  in  Ansprach  genommen  bat,  während 
nach  der  Bestimmung  der  Aasgabe  die  Kritik  in  den  Anmerkungen 
mr  da,  wo  es  unumgftnglicb  nothwendig  ist  und  mit  der  Erklärung 
and  Auffassung  innig  zusammenhängt,  berllhrt  werden  konnte.  Dafür 
kat  der  Herausgeber  in  dem,  in  demselben  Jahre  zu  Memel  er- 
sfilijanenen  Gymnasialprogramm ;  »Exercitationes  criticae.c  24  S.  4, 
eine  Beihe  von  Stellen  dieses  Stückes  in  kritischer  Hinsicht  be- 
handelt, worauf  fttglich  Tcrwiesen  werden  kann. 


&  Oregorii  EpUeopi  Nyueni  Opera.  Ex  reeenrione  Francisci 
Othler»  Tomta/  c^nUuun»  lUMras  dogmaHco$,  HaUi  Saxonum, 
ifpis  fi  MimpMtia  QrpkomioiTiyphn  MDCCCLXV.  Xllu.iS73S. 
ia  gr*  o« 

Dass  eine  neue  Ausgabe  der  Werke  des  Gregorius  yon 
Nisaa  nicht  blos  wttnschenswerth ,  sondern  selbst  ein  Bedürfniss 
ist,  durfte  wohl  nicht  in  Zweifel  gezogen  werden,  am  wenigsten 
▼«m  deigenigen,  die  durch  ihre  Studien  zu  diesem  Kirchenvater  ge- 
fbhrt,  die  Mtthe  und  Schwierigkeit  empfunden  haben,  durch  die 
Üttten,  mangelhaften  Texte  der  beiden  Pariser  Ausgaben  sich  durch- 
narbeiten,  da  bekanntlich  die  gelehrten  Benedictiner ,  deren  Be- 
mühungen wir  die  besseren  Texte  so  mancher  KirchenTäter  ver- 
daakoi,  zu  der  Herausgabe  der  Werke  dieses  Kirchenvaters  nicht 
gelangen  konnten,  in  Folge  der  einbrechenden  Stürme  der  Bevo- 
hition,  und  die  verdienstlichen  Bemühungen  Krabinger*8  in  der 
Herausgabe  einiger  der  kleineren  Schriften  des  Gregorius  das  Ver- 
langen nach  einer  befriedigenden  Ausgabe  des  Ganzen  nur  vormeh- 
ren konnten.  Diesem  fühlbaren  Bedürfniss  soll  dureh  die  vorlie- 
gende Ausgabe  entsprochen  werden,  die  auch  im  Aeussem  durch 
ein  bequemes  Format,  guten,  lesbaren  und  correcten  Druck  und 
billigen  Preis  einem  grösseren  Leserkreise  sich  empfiehlt,  abgesehen 
von  dem,  was  sie  in  Bezug  auf  die  Gestaltung  des  Textes  leistet. 
Denn  dieser  erscheint  hier  in  einer  ganz  andern  Gestalt,  als  in  der 
zweiten  Pariser  Ausgabe  des  Aegidius  Morellus  vom  Jahr  1688, 
die  sich  vor  der  ersten  Pariser  vom  Jahr  1615  allerdings  noch 
durch  manche  Verbesserungen  empfiehlt;  aber  auch  so  noch  so 
viele  fehlerhafte  und  lückenhafte  Stellen  enthält,  die  einer  Berich- 
tigung wie  einer  Ausfüllung  dringend  bedürftig  waren.  Diess  ist 
nun  in  der  vorliegenden  Ausgabe  geschehen,  zu  welcher  dem  Her- 
ausgeber kritische  Hülfsmittel  zu  Gebote  standen,  die  vor  denjeui- 


m  RelBt  ThuriiiglA  ßaera  It. 

gen  HaBdschriften,  naoh  welchen  die  frOh^en  Ausgaben  gemacht 
worden  waren,  bei  weitem  den  Vorzug  verdienten.  Dahin  gehört 
eine  Münchner  Papierhandsohrift  dee  16.  Jahrhunderts,  drei  Baum- 
woUenpapierhandechriften  aus  Venedig,  Mailand,  Turin,  die  beiden 
ersten  aus  dem  dreisebixten ,  die  letzte  aus  dem  14.  JaAirhu&dert, 
und  eine  Florentiner  Pergamenthandscbrift  des  eilften  Jahrhunderts. 
Alle  diese  Handschriften  gehören  einer  und  derselben  Familie  an, 
sind  Tollständiger  als  die,  aus  welcher  die  zweite  Pariser  Ausübe 
stammt,  so  dass  an  fünfzig  Lücken  daraus  ergänzt  werden  konnten. 
Bei  dieser  Ghleiohheit  der  Handschriften  schien  es  nicht  nothwen- 
dig,  die  ganze  Masse  der  daraus  hervorgehenden  Abweichungen  anen- 
geben,  der  Herausgeber  beschränkte  sieh  daher  in  der  am  Sehlnese 
beigefügten  Adnotatio  oritica  S.  597-*<678  a»tf  einzelne  Theile, 
wie  z.  B.  auf  das  ganze  erste  Buch ,  auf  das  zwölfte  Buch ,  und 
Theile  des  zweiten  wie  des  zehnten  Buches.  Vielf&che  Verbesse- 
rungsvorschläge, die  in  dem  Text  selbst  noch  keine  Aufnahme  fan- 
den, sind  in  dieser  Adnotatio  niedergelegt,  die  zugleich  ein  günsti- 
ges Zeugniss  ablegt  für  die  mannichfeohen  Verbesserungen,  welche 
der  Text  selbst  erkennen  lässt.  Enthalten  sind  in  diesem  ersten 
Bande  die  zwölf  Bücher  gegen  Eunomins  (S.  1—454)  und  die 
Widerlegung  des  andern  Theils  der  Schrift  des  Eunomins  (jivtiQ^ 
gfjtis^  Xf^  tiv  Evvop/ßv  SevtBQfnf  kiy&v  8.  46Ö— 69B),  Die 
Seitenzahlen  der  zweiten  Pariser  Ausgabe  sind  am  Bande  bemerkt, 
mit  Recht,  da  naoh  dieser  meistens  citirt  zu  werden  pflegt,  eben 
so  werden  am  Bande  auch  die  Bibelstellen  citirt,  auf  welche  im 
Texte  des  Gregoriue  Rücksicht  genommen  ist.  Auf  diese  Weise 
ist  für  die  Bequemlichkeit  des  Lesers  gesorgt,  dw  jetzt  einmal 
einen  in  der  That  lesbaren  und  verständlichen  Text  dieses  wich- 
tigen Kirchenvaters  gewinnen  kann.  Wir  wünschen  daher  dem 
unternehmen  eine  günstige  Aufnahme  und  einen   guten  Fortgang. 


Thurin^ia  Sacra.  Urkundenbueh,  Gesefnehh  und  B€»eirMung 
der  Thürin^iaehm  Kiäiter.  Begründei  von  Dr.  Wilhtlnt 
Rein,  H,  EUereburg^  Heu9dorf  und Heyda.  Weimwr.  Hermegnn 
Böhlau.  1866.  ViU  und  277  8.  in  gr.  8.  Auch  mU  dem  ««- 
Bindern  Titel: 

Eitersburgf  Heusdorf  und  Heyda.  Urkundenbueh^  Oeeekiehie 
tmd  bauli^e  Seeehreibung  mU  geneaiegiaehen  und  herakksehen 
Anmerkungen  und SiegdabbUdungf  herauegegeben  vcn  Dr.  Wil^ 
heim  Rein. 

Von  dem  ersten  9^^^  d^^ses  A<)bönen  vaterländischen  Unter- 
nehmens iflt  in  diesen  Jahrbüchern  Jahrgg.  16dS.  S.  862  ff.  nftber 
berichtet,  und  auf  das  Zweckmässige  dieses  Unternehmens,  wie  auf 
die  wohlgelnngene  Ausführung  hingewiesen  worden.  So  wenig  för- 
derlich, wie  wir  aus  dem  Vorwort  ersehen,  auch  die  äusseren  Ver- 


ItelB:  ThnrlBglR  Baerm  IL  IM 

liSUmsse  dem  unternehmen  waren,  defisen  Absatz  selbet  in  dem 
Lande,  ftr  das  es  bestimmt  ist,  doch  leider  ein  sehr  geringer  war, 
«o  iat  doch  dasselbe  nicht  in  Stocken  gerathen,  sondern  mit  dem  yor» 
liegenden  Bande  fortgesetzt  worden,  »weil  Verfasser  und  Verleger  so 
Tiel  Opferfieudigkeit  nnd  Interesse  für  die  raterlandische  (beschichte 
besitzen,  dass  sie  gern  noch  einen  zweiten  Versuch  machen,  c  Anch 
limben  mehrere  thflringische  Begierongen  die  Bedeutong  dieses  unter- 
BiriimenB  anerkannt,  nnd  dasselbe  der  allgemeinen  Beachtung  empfeh- 
len: sie  konnten  es  am  so  mehr,  als  die  Öffentliche  Kritik  in  den 
▼enefaiedensten  Zeitschriften  sich  nnr  beifÜUig  über  dasselbe,  so- 
wohl was  die  Anlage,  als  was  die  Ansftlhmng  betrifft,  ansgespro- 
dieii  hatte,  und  es  ist  anch  dieser  zweite  Band  hinter  dem 
ersten  in  keiner  Weise  zurückgeblieben.  Die  Genauigkeit  und  Sorg- 
faK,  mit  welcher  auch  hier  die  betreffenden  Urkunden  nach  den 
Originalen  yorgelegt  werden,  die  Erörterungen  und  Nachweisungen, 
wdclw  zu  dem  Ganzen  sowohl,  wie  zu  den  einzelnen  Urkunden  ge- 
lben sind,  liefern  fiberall  ein  erfreuliches  Zeugniss  Ton  dem 
Bfereben  des  Verf.  auch  diesem  zweiten  Bande  die  wohlverdiente 
Aneikennung  zuzuwenden.  Selbst  die  Ausbeute,  welche  die  hier  yer- 
eimgien  Urkunden  in  reehtshistorischer  Beziehung  bieten,  wird  nicht 
geiiager  sein,  als  die,  welche  fttr  die  Landesgeschichte  der  dort 
angesessenen  Geschlechter,  die  Oulturrerhaltnisse  froherer  Zeit  und 
Anderes  der  Art  aus  demselben  zu  gewinnen  steht.  Und  da  sich 
ea&ter  den  hier  mitgetheilten  Urkunden  solche  befinden,  die  von 
deotaehen  Kaisem  und  Königen,  von  Pftpsten,  von  ErebisohOfbn  und 
BiadiSlen,  wie  von  weltlichen  Fürsten  stammen,  so  wird  auch  in 
dieaer  Brai^rang  das  Interesse  nicht  geringer,  welches  wir  an  die- 
ser neuen  Sammlung  zu  nehmen  haben.  Sie  ist  aus  den  in  ver- 
fldiiedenen  Archiven  jetzt  zerstreuten  Urkunden  eines  Stiftes  und 
zweier  KlOeter  gebildet,  welchen  der  Verf.  eine  äusserst  genaue  Be- 
sdireibang  gewidmet  hat,  die  den  Eingang  der  Sammlung  bildet 
und  ihr  fds  Einleitung  gewissermassen  dient,  in  einem  Um&ng 
<S.  1 — 70),  welcher  allein  schon  die  Genauigkeit  und  Sorgfalt  be- 
naessen  filsst,  mit  welcher  alles  Einzelne  behandelt  und  damit 
m  der  gesammten  Gulturgeschichte  des  Mittelalters  ein  schöner 
Beitrag  geliefert  ist.  EHne  umfassende  Kenntniss  der  gesammten 
darauf  bezügHdum  Literatur  tritt  bei  dem  gelehrten  Verfasser  überall 
hervor,  die  rem.  ihm  gegebenen  umüftugreichen  Kachweisungwi  er- 
höhen den  Werth  seiner  Erörterungen.  Ausführlich  verbreitet  sich 
der  Verfasser  Ober  Ettersburg,  ein  jetzt  g&nzlich  verschwunde- 
nes ChoriiermBtift,  an  dem  nördlichen  Abhänge  des  waldigen  Etters- 
bex^ges  gelegen,  da  wo  jetzt  das  Grossherzo^ohe  Jagd-  und  8<Hnmer> 
seUkws  Bttersbnrg  mit  seinen  schönen  Umgebungen  und  Parkan- 
lagen sieh  erhebt;  seine  erste  Erwähnung  fsMt  in  das  Jahr  1095 
oder  1089,  seine  Gründung,  über  welche  keine  sicheren  Data  »ehr 
voriiegeB,  smg  kurz  zuvor  stattgeftmden  haben.  Der  Verf.  führt 
ime  die  Verfimung  des  Stiftes  und  seine  innere  Geschichte,  seine 


840  Rein:  Thnringk  B«ora  IL 

Gerechtsame,  seine  Finanzen,  seine  baulichen  Einrichtungen  u.  s.  w. 
vor  bis  zur  Zeit  seiner  Aufhebung  im  Jahre  1526.  Von  demeinst 
reichen  ürkundenschatze  dieses  Klosters  hat  sich  indess  nur  wenig, 
erhalten :  es  sind  in  Allem  86  Urkunden,  welche,  aus  den  Archiven 
zu  Weimar  und  Dresden,  wo  sie  sich  befinden,  meistens  in  den 
Originalen,  theils  auch  in  Copien,  hier  mitgetheilt  werden,  und  in 
ihrem  Inhalt  sehr  mannigfach  sind,  Schenkungsbriefe,  Kaufurkunden, 
Lehnbriefe,  Schuldbriefe,  Zinsbriefe,  Zinsverkaufe  und  Zinsverwand- 
lungen, auch  eine  Pfairerinvestirung  (Nr.  41)  und  eine  gerichtliche 
Vorladung  (Nr.  43)  kommt  vor  und  Anderes  der  Art.  Dann  folgen 
die  Urkunden  von  Heusdorf,  einem  Benedictiner  Nonnenkloster 
in  der  Nfthe  der  Stadt  Apolda,  das  ebenfalls  in  der  ersten  Hälfte 
des  sechzehnten  Jahrhimderts  sein  Ende  fand,  und  ein  Weimarisches 
Kammergut  geworden  ist;  es  sind  423  Urkunden  ähnlicher  Art, 
welche  von  einem  grösseren,  früher  noch  vorhandenen  Urkunden- 
vorrath  übrig  sind;  über  das  Kloster  selbst,  seine  Gründung  und 
Geschichte,  seine  inneren  Verhältnisse,  seine  Besitzungen  u  s.  w. 
hat  sich  der  Verfasser  mit  Ausführlichkeit  in  der  Einleitung  8.  35 
bis  67  verbreitet.  Den  Beschluss  macht  Hey  da,  ein  jetzt  gänz- 
lich verschwundenes  Cisterzienser-Kloster,  von  welchem  nur  12  auf 
dessen  Besitzthum  bezügliche  Urkunden  mitgetheilt  werden  konnten. 
In  Bezug  auf  die  Urkunden  selbst  und  deren  Herausgabe  ist 
der  Verf.  denselben  Grundsätzen  gefolgt,  die  ihn  auch  bei  dem 
ersten  Bande  geleitet  hatten;  wenn  diplomatische  Genauigkeit  in 
Wiedergabe  der  Originale  ihm  mit  Recht  als  die  Hauptsache  er- 
schien, und  daher  auch  sorgfältige  Beobachtung  der  Orthographie 
nothwendig  war ,  so  schloss  diese  doch  nicht  aus ,  dass  auf  Unter- 
schiede zwischen  v  und  u,  oder  j  und  i  keine  Bücksicht  genommen 
ward,  dass  die  Abkürzungen  aufgelöst  wurden,  mit  Ausnahme  der 
wenigen  Fälle,  wo  eine  völlig  sichere  Auflösung  der  Signatur  sich 
nicht  darbot,  und  dass  in  der  Interpunktion  die  jetzt  allgemein 
angenommene,  das  Verständniss  erleichternde  Weise  beobachtet  wurde. 
Wir  glauben,  dass  die  Bekanntmachung  dadurch  nur  gewonnen  hat. 
Und  wenn  die  Urkunden  da,  wo  sie  nicht  ganz  besondere  Wichtig- 
keit besassen,  abgekürzt  wiedergegeben,  und  das  weggelassen  ist, 
was,  da  es  doch  nur  das  aus  andern  Urkimden  sattsam  bekannte 
wiederholt,  und  daher  gar  kein  besonderesinteresse  gewährt,  wohl  aber 
den  Baum  unnöthigerweise  anschwillt,  fOglich  weggelassen  werden 
konnte,  übrigens  durch  Striche  (•—  —  — )  stets  bemerkt  ist,  so 
wird  man  wahrhaftig  auch  darin  keinen  Nachtheil  finden  können. 
Dasselbe  gilt  ebenfialls  von  den  in  gangbaren  Büchern  bereits  ab- 
gedruckten Urkunden,  von  welchen  kurze  deutsche  Auszüge  gegeben 
sind,  in  welchen  die  Orts-  und  Personennamen  die  ursprüngliche 
Fassung  bewahren.  •—  Wir  können  nach  Allem  dem  Verfasser  nur 
dankbar  sein  für  die  viele  Mühe  nnd  Sorgfalt,  die  er  auch  auf  die- 
sen Band  verwendet  hat,  welchem  ebenfalls,  wie  dem  ersten  Bande 
ausführliche  Begister  über  Orts-  und  Saohennamen  wie  über  Personen- 
namen beigefügt  sind. 


Ir.  16.  HEIDELBERGER  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Verhandlungen  des  natnrhistorisclL- medizinischen 
Vereins  zn  Heidelbei^. 


T^rlrigc  ia  Wfaitcr  1814— 18M. 

1.     Vortrag  des  Herrn  Prof.  Kopp   ȟeber  die  speci- 
fisclie   Wftrme   starrer  Körper   und   die   Beziehungen 
dieser  Eigenschaft  zu  dem  Atomgewicht  und  der  Zu- 
sammensetzung«, am  11.  November  1864. 

(Dm  Maanscript  wurde  eingereicht  am  lt.  Wkn  1866.) 

Nach  dem  Dulong-Peti tischen  Gesetz  ist  bei  allen  Elemen- 
ten die  Atomwänne  —  d.  i.  das  Produkt  aus  der  specifischen  Wärme 
in  das  Atomgewicht  —  ftir  den  starren  Zustand  annähernd  gleich. 
Der  Yortragende  besprach,  dass  ausser  dem  Kohlenstoff  und  dem 
Silieium,  für  welche  man  schon  früher  das  Zutreffen  dieses  Ge- 
setzes bezweifelte  oder  dahingestellt  sein  liess,  noch  andere  Ele- 
mente sich  demselben  bestimmt  nicht  unterordnen;  von  solchen, 
deren  specifische  Wärme  für  den  starren  Zustand  direct  ermittelt 
werden  kann,  namentlich  noch  Schwefel  und  Phosphor,  deren  Atom- 
wänne bestimmt  und  erheblich  kleiner  ist,  als  die  der  meisten 
anderen  Elemente. 

Nach  dem  Neumann 'sehen  Gesetz  ist  bei  chemisch  ähnlich 
zusammengesetzten  Verbindimgen  die  Atomwärme  annähernd  gleich. 
Das  Zutreffen  dieses  Gesetzes  war  bisher  namentlich  für  solche  Ver- 
bindungen nachgewiesen  und  angenommen  worden,  welche  analoge 
atomistische  Zusammensetzung  und  ähnliches  chemisches  Verhalten 
besitzen,  und  selbst  ftlr  solche  Verbindungen  waren  bereits  Aus- 
nahmen von  jenem  Gesetz  bekannt.  Der  Vortragende  besprach,  dass 
nach  seinen  Untersuchungen  einerseits  dieses  Gesetz  sich  in  viel 
weiterem  umfange  zeigt,  als  dies  bisher  angenommen  wurde :  näm- 
lidi  anch  für  atomistisch  analog  constituirte  Verbindungen  von 
ganz  unähnlichem  chemischem  Charakter ;  dass  aber  dann  anderer- 
seits anch  die  Ausnahmen  von  diesem  Gesetz  um  so  auffallender 
sich  herrorheben. 

Der  Vortragende  erörterte,  dass  in  den  Fällen,  wo  das  Neu- 
mann'sehe  Gesetz  in  der  firüheren  beschränkteren  und  in  der 
neueren  allgemeineren  Auffassung  desselben  nicht  zutrifft,  häufig 
etwas  Gonstantes  sich  zeigt:  alle  Schwefelmetalle  haben  z.  B.  eine 
erheblich  geringere  Atomwärme  als  die  Jod-,  Chlor-  oder  Brom- 
LYHL  Jalvi.  4.  Heft  16 


342  Verhandinngen  ^ea  natnrlüstoriBeb-^niedudnlBclien  Vereins. 

metalle  von  analoger  atomistischer  Constitution*),  nnd  eine  noch 
kleinere  kommt  den  analog  constituirten  Metalloxyden  zu;  alle 
kohlensauren  Salze  (kohlensaures  Eisenoxydul  Fe  C  O3  z.  B.)  haben 
eine  viel  kleinere  Atomwärme  als  die  atomistisch  analog  con- 
stituirten Metalloxyde  (Eisenoxyd  Fcj  O3  z.  B.).  Eine  Erklärung 
hierfür  gibt  die  Wahrnehmung,  dass  die  Differenz  der  Atomwärmen 
der  Sehwefelmetalle  Me  S  und  der  Jodmetalle  Me  J ,  oder  die  der 
kohlensauren  Salze  Me  C  O3  und  der  Oxyde  Me^  O3,  nahezu  eben  so 
gross  ist  wie  die  Differenz  der  Atomwärmen  von  S  und  J,  oder  von  C 
(als  Diamant)  und  Me,  für  den  freien  Zustand  dieser  Elemente ;  und 
die  hierdurch  nahe  gelegte  Annahme,  dass  diese  Elemente  in  starren 
Verbindungen  dieselbe  Atomwärme  besitzen,  wie  im  starren  freien 
Zustand.  Die  Annahme,  dass  die  Atomwärme  jedes  Elementes  nicht 
wesentlich  wechsele,  und  im  freien  Zustand  und  in  Verbindungen 
gleich  gross  sei,  ermöglicht,  die  Atomwärme  auch  solcher  Elemente 
zu  bestimmen,  fUr  welche  diese  Eigenschaft  nicht  direct  durch  die 
Ermittlung  der  specifischen  Wärme  für  den  starren  freien  Zustand 
festzustellen  ist.  Die  Durchführung  des  Versuches,  die  Atomwärme 
solcher  Elemente  zu  ermitteln,  führt  zu  einer  grösseren  Zahl  yon 
Ausnahmen  vom  Dulong-Peti  t  ^  sehen  Gesetz ;  wenn  die  Atomwärme 
der  meisten  Elemente,  im  Einklang  mit  diesem  Gesetz,  annähernd  =  6,4 
gesetzt  werden  kann,  ist  sie  für  P  und  S  —  5,4,  für  Fl  =  5,  für 
0  =  4,  für  Si  =  3,7,  für  B=  2,7,  für  H  =  2,3,  für  C  =  1,8  etwa 
zu  setzen.  Der  Vortragende  hob  hervor,  dasss  die  Beilegung  die- 
ser Atomwärmen  an  die  genannte  Elemente  und  die  Annahme,  dass 
die  Elemente  mit  unveränderter  Atomwärme  in  ihre  starren  Ver- 
bindungen eingehen,  die  specifische  Wärme  der  letzteren  in  be- 
friedigender Uebereinstimmung  mit  den  Versuchsresultaten  zu  be- 
rechnen gestattet,  und  dass  dies  namentlich  auch  für  die  erst  in 
neuerer  Zeit  von  ihm  in  etwas  grösserer  Anzahl  untersuchten  orga- 
nischen Verbindungen  der  Fall  ist,  in  deren  Zusammensetzung 
Elemente  eingehen,  deren  Atomwärme  sich  am  Meisten  von  der 
dem  Dulong-Peti  tischen  Gesetz  entsprechenden  entfernt. 

Der  Vortragende  besprach  noch,  was  hiemach  das  Dulong- 
Peti  tische  Gesetz  an  Allgemeinheit  verliert  und  was  als  das 
Neu  mann 'sehe  Gesetz  einerseits  erweiternd,  andrerseits  beschrän- 
kend zu  betrachten  ist;  und  dass  nach  diesen  Untersuchungen  die 
Bestimmung  der  specifischen  Wärme  eines  Elementes  oder  einer 
starren  Verbindung  nicht  so,  wie  dies  bisher  angenommen  wurde, 
zur  Feststellung  des  Atomgewichtes  des  Elementes  oder  der  Zahl 
der  in  1  Atom  der  Verbindung  enthaltenen  elementaren  Atome  als 
Anhaltspunkt  dienen  kann. 


*)  Den  Betrachtungen  sind  die  neueren  Annahmen  für  die  Atomgewichte 
der  Elemente  sn  Grund  gelegt:  H  =  1,  Cl  =  85,5,  O  =  16,  S  =  32,  C  =  12, 
F6=:56,  81  =  38  u    B.  w. 


Verliaiidliingen  des  naturlilBtoriscli-inedlsinisclien  Vereins.  218 

•2.  Vortrag  des  HerrnProf.  Kirchhoff:  >XIel)er  die  Be- 
obachtungen von  Miller  nnd  Hnggins  Über  die 
Spektra  der  Gestirne«,  am  11.  Nov.  1864. 

Der  Vortragende  machte  Mittheilmig  Ton  dem  Verfahren,  wel- 
ches Miller  und  Huggins  in  England  anwandten  um  die  Spektral- 
Untersuchungen  der  Fixsterne  zu  einem  bessern  Resultate  zuführen 
ab  das  bisher  möglich  gewesen  war,  sowie  von  den  Erfolgen,  welche 
die  ausgezeichneten  Untersuchungen  dieser  Forscher  an  einigen  Fix- 
sternen und  besonders  auch  an  planetarischen  Nebelflecken  ge- 
habt haben. 

S.    Vortrag  des  Herrn  Professor  Friedreich:    »lieber 

multilokularen  ulcerirenden  Leberechinokokkus«, 

am  25.  Nov.  1864. 

(Dae  IfaniiBcripi  wude  am  9.  April  1866  eingerelohi') 

Prof.  Friedreich  macht  Mittheilungen  über  einen  Fall  von 
multilokularem  Leberechinokokkus,  und  schildert  in  ausführlicher 
Weise  die  in  demselben  vorgefundenen  anatomischen  und  histologi- 
schen Verhältnisse.  Bezüglich  der  Eutwicklungsweise  schien  kein 
Zweifel  zu  bestehen,  dass  das  Wachsthum  der  Echinokokkenbrut 
durch  fortschreitende  Aussendung  immer  neuer  Sprossen  und  Aus- 
stülpungen der  grösseren  Blasen  nach  Aussen  vor  sich  ging,  und 
dass  durch  Abschnürung  zahlreicher  Knospen  und  Kolben  sich  ge^en 
die  Peripherie  hin  immer  neue  Blasen  von  dem  mütterlichen  Stocke 
isolirten,  und  so  immer  neue  Heerde  fortschreitender  Prolifi- 
kation  sich  heranbildeten.  Die  anatomischen  Verbältnisse  des  mit- 
getheilten  Falles  drängten  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Entwickelung 
der  Echinokokken  innerhalb  der  Gallengefösse  der  Leber  vor  sich 
gegangen  sein  musste,  und  selbst  die  grossen  GallenausfUhrungs- 
gänge,  der  Ductus  hepaticus  und  choledochus  bis  herab  zur  Ein- 
münduDgsstelle  in  das  Duodenum  waren  mit  traubigen  Echino«- 
kokkusblasen  dicht  erfüllt.  Besonders  bemerkenswerth  aber  erschien 
die  Betheiligung  des  in  der  Fossa  transversa  hepatis  gelegenen, 
in  dem  Gewebe  der  Glisson*schen  Kapsel  sich  ausbreitenden  Netzes 
feiner  Gallenkanäle  (Vasa  aberrantia  E.  H.  W^ber)  an  der  Er- 
krankung, indem  auch  diese  zarten  und  dünnen  Kanäle  hier  mehr, 
dort  weniger  erweitert,  in  ihren  Wandungen  verdickt,  stellenweise 
sackartig  ausgebuchtet,  und  mit  wuchernden  Echinokokkusblasen 
dicht  erfüllt  waren.  Es  war  somit  in  diesem  Falle  die  Betheili« 
gung  dieses,  bisher  von  den '^Pathologen  unberücksichtigt  gebliebe- 
nen Gallengangnetzes  an  den  Erkrankungen  der  Leber  und  der 
grossen  Gallengefässe  zum  ersten  Male  durch  direkte  Beobachtung 
nachgewiesen. 

Die  ausführliche,  durch  Abbildungen  erläuterte  Arbeit  über 
diesen  Gegenstand  findet  sich  in  Virchow*s  Archiv  für  patholo- 


M4         Verhandlungen  des  natnrhifltorisch-medlsiniBclien  Vereins. 

gische  Anatomie  und  Physiologie  und  fQr  klinische  Medizin.  33. 
Band.  1865. 

4.  Vortrag  des  Herrn  Hofrath  H.  Helmholtz:    »lieber 
den  Einfluss  der  Baddrehung  der  Augen  auf  die  Pro- 
tection  der  Betinalbilder  nach  Aussen«, 
am  25.  November  1864. 

(Das  Manuscrlpt  wurde  am  10.  Mftrz  1865  eingereicht) 

Die  Begel,  dass  die  gesehenen  Objecto  in  Richtung  der  Visir- 
linien  des  Auges  nach  Aussen  projicirt  werden,  erleidet  gewisse 
Ausnahmen.  Wenn  man  bei  parallel  gestellten  Oesichtslinien  ein 
nicht  unendlich  weit  entferntes  Object  betrachtet,  so  siebt  man 
dieses  in  Doppelbildern,  und  doch,  wie  namentlich  Hr.  E.Hering 
neuerlich  mit  Recht  hervorgehoben  hat,  in  natürlicher  Grösse  und 
Entfernung  vom  Auge,  woraus  nothwendig  folgt,  dass  diese  Doppel- 
bilder in  üJscher  Riditung  projicirt  werden.  Wenn  man  ein  ent- 
ferntes Object  mit  einem  Auge  fixirt,  während  das  andere  ge- 
schlossen ist,  und  man  dann  ohne  die  Fixationsrichtung  des  o£fenen 
Auges  zu  verändern,  die  Convergenz  beider  Augen  vermehrt,  so 
tritt  eine  Scheinbewegung  der  fixirten  Objecto  nach  der  Seite  des 
offenen  Auges  hin  ein.  Herr  E.  Hering  hat  den  hierher  gehöri- 
gen Erscheinungen  den  empirischen  Ausdruck  gegeben,  dass  wir 
die  Objecto  so  projiciren,  als  wenn  die  Netzhautbilder  sich  in  einem 
in  der  Mitte  zwischen  beiden  wirklichen  Augen  gelegenen  ideellea 
Auge  befunden,  dessen  Gesichtslinie  nach  dem  Gonvergenzpunkt  der 
beiden  wirklichen  Gesichtslinien  gerichtet  wäre. 

Der  Vortragende  glaubt,  dass  diese  Erscheinungen  zu  erklären 
sind  daraus,  dass  wir  beim  gewöhnlichen  Sehen  keine  bewusste 
Trennung  der  Eindrücke  beider  Augen  vollziehen,  und  die  Richtung 
der  Gegenstände  daher  auch  nicht  auf  je  ein  oder  das  andere 
Auge,  sondern  auf  den  Eopf  und  dessen  Mittelebene  beziehen  lernen. 

In  Beziehung  dagegen  auf  die  Baddrehungen  der  Augen  geht 
Herr  E.  Hering  von  der  Annahme  aus,  dass  die  Projection  der 
Objecto  immer  so  vollführt  wird,  als  ob  gar  keine  Baddrehung  da 
wäre.  In  dieser  Beziehung  verhält  es  sich  indessen  ganz  ähnlich, 
wie  bei  den  Seite^^bewegungen  der  Augen.  Der  Vortragende  hat 
gefunden,  dass  wenn  er  mit  parallelen  Gesichtslinien  durch  schwarze 
Bohren  sieht,  und  einen  bezeichneten  Durchmesser  derselben  ver- 
tical  zu  stellen  sucht,  er  ihn  auch  bei  secundären  und  tertiären 
Stellungen  der  Gesichtslinien  so  stellt,  dass  er  einen  verticalen 
Faden  deckt;  nicht  aber,  wenn  er  dasselbe  mit  convergenten  Ote- 
sichtslinien  thut.  Auch  hier  tritt  eine  auffallende  scheinbare  Lagen- 
änderung eines  solchen  Durchmessers  ein ,  wenn  man  mit  einem 
Auge  durch  die  Bohre  bei  parallelen  Gesichtslinien  blickt,  und  den 
Durchmesser  horizontal  oder  vertical  stellt,  dann  die  Augen  bei 
ungeänderter  Bichtung  des  fixirenden  Auges  zur  Convergenz  bringt. 


Yerhandliuigen  des  lUkturhistorisch-teediziiiiflolien  Yereins.  S46 

Eb  lassen  sich  anch  bier  die  Erscheinungen  im  Ganzen  so  be- 
schreiben, dass  man  die  Objecte  so  sieht,  wie  das  Hering* sehe 
ideelle  Gyclopenauge  sie  sehen  würde,  wenn  es  die  normalen  Dre- 
Inmgen  eines  Auges  mitmachte,  welches  auf  den  Convergenzpunkt 
der  beiden  Gesichtslinien  gerichtet  ist,  und  dessen  Drehung  also 
immer  nahehin  dem  Mittel  aus  den  Raddrehungen  beider  Aogen 
znsanmien  genommen  entsprechen  würde. 

Der  Vortragende  hatte  früher  diesen  Einfluss  der  Conyergenz 
nicht  bemerkt.  Der  Versuch  über  die  scheinbare  Concavität  von 
geraden  Linien  die  mit  stark  seitlich  gewendeten  oder  stark  ge- 
hobenem oder  gesenktem  Blicke  durchlaufen  werden,  gelingt  desto 
besser,  je  naher  sie  dem  Beobachter  sind,  je  grössere  Conyergeni 
sie  also  fordern,  w&hrend  bei  sehr  weit  entfernten  geraden  Linien 
die  T&uschung  schwindet. 


5-    Vortrag  des  Herrn  Dr.  C.  W.  C.  Fuchs:    »Ueber  die 
Entstehung  derWestküste  vonNeapel«,  am  9. Dez.  1864. 

(Dm  Ifanuseript  wurde  am  37.  Januar  1866  elogereiebt.) 

Längs  der  Westseite  der  ganzen  Halbinsel  von  Italien,  etwa 
▼om  Gebiete  des  Arno  im  Norden  bis  zum  südlichen  Ende  des 
Golfes  Ton  Neapel,  zieht  sich  eine  Vulkanreihe  hin.  Weiter  im 
Süden  schliessen  sich  dann  ungefUhr  in  derselben  Bichtung  die 
Vulkane  der  liparischen  Inseln  an  und  schliesslich  der  Aetna.  Die 
Bichtung  dieser  Vulkanreihe,  sowohl  der  ganzen,  als  auch  derjeni- 
gen des  Pestlandes,  stimmt  nicht  ganz  mit  dem  Verlaufe  und  der 
Bichtang  der  Apenninenkette  überein,  sondern  erweist  sich  yielmehr 
daron  unabhängig.  Die  Vulkanreihe  der  Halbinsel  bezeichnet  die 
Lage  und  die  Form  der  alten  Westküste  und  besitzt  aus  diesem 
Grunde  die  Gestalt  einer  Reihe  auf  der  ganzen,  oben  näher  bezeich- 
neten Ausdehnung.  Nur  an  einer  Stelle  ist  dieselbe  unterbrochen, 
allerdings  nur  durch  eine  Strecke  Ton  geringer  Breite,  nämlich 
durcb  die  pontinischen  Sümpfe.  Durch  die  niedrige  Fläche  der 
pontinischen  Sümpfe  wird  darum  die  Vulkanmasse  des  Festlandes 
in  zwei  Gruppen  oder  in  zwei  Einzel-Beihen,  die  von  Mittelitalien 
und  die  von  Süditalien  getrennt.  Beide  sind  durchaus  ähnlich  und 
bieten  selbst  in  Einzelheiten  auffallende  Analogien  dar. 

Die  Vulkane  Mittelitaliens  waren  ursprünglich  submarine.  Die 
ganze  Landstrecke,  welche  sich  vom  Westabfall  der  Apenninen  bis 
zum  Meere  ausdehnt,  war  ursprünglich  nicht  vorhanden,  soadem 
an  dem  Fusse  der  Apenninen  brach  sich  die  Brandung  des  Meeres. 
Da  entstanden  auf  dem  Boden  des  Meeres,  in  der  Nähe  der  Küste 
zahlreiche  Vulkane,  welche  mit  ihren  Eruptionsprodukten  durch 
häufige  Eruptionen  den  Meeresgrund  bedeckten  und  aUmählig  so- 
weit erhöhten,  dass  er  nicht  mehr  von  Wasser  bedeckt  wurde.  Es 
entstand  dadurch  ein  schmaler,  von  Nord  nach  Süd  sich  erstrecken- 


246  Verbandljaiigen  des  natnrliiBtorisoh-inediriiiiflchen  Yereiiu. 

der  Landstricb ,  der  sich  an  den  Westabhang  des  Gebirges  an* 
scblose  und  somit  die  Halbinsel  nach  Westen  hin  in  die  Breite 
ausdehnte.  Die  allmählige  Ausfüllung  des  Meeres  ward  aber  noch 
beschleunigt  durch  die  Anschwemmung  der  daselbst  mündenden 
Flüsse,  insbesondere  durch  den  Tiber  und  Treverone.  Die  Schutt- 
und  Schlammmassen,  welche  diese  Flüsse  mit  sich  führten,  bedeck- 
ten theilweise  die  vulkanischen  Ablagerungen  früherer  Eruptionen, 
wurden  aber  selbst  wieder  von  späteren  Ausbrüchen  mit  vulkani- 
schem Material  überschüttet,  so  dass  sie  gleichsam  Zwischenlager 
eines  thonigen  Kalkschlammes  und  eines' eigenthümlichen  Ealktuffes, 
den  man  Travertin  genannt  hat,  bildeten.  Bom  ist  der  geeignetste 
Punkt,  um  sich  von  dieser  Lagerungsweise  zu  überzeugen.  Die  sieben 
Hügel,  auf  denen  die  alte  Stadt  erbaut  war,  bestehen  wesentlich  aus 
vulkanischem  Tuff,  ihr  Gipfel  dagegen  aus  Süsswasser-Niederschlftgen. 
Spätere  Eruptionen  vermochten  nicht  mehr  den  Gipfel  dieser  Hügel 
mit  ihren  Produkten  zu  erreichen,  allein  nahe  dabei,  in  der  Ebene 
der  Campagna,  sind  dieselben  Süsswasser-Produkte  sowohl  mit 
Rapilli,  als  mit  Lava  bedeckt.  —  Nachdem  die  Vulkane  in  Mittel- 
italien erloschen  waren ,  brachten  die  Flüsse  noch  immer  dieselben 
Mengen  von  Schlamm  und  Schutt  mit  und  führten  dieselben  dem 
Meere  zu,  so  dass  sich  dadurch  seitdem  das  Land  noch  immer 
weiter  nach  Westen  hinausdehnte,  besonders  stark  an  der  Mündung 
der  Flüsse,  aber  in  geringerem  Maasse  an  der  ganzen  Küste.  Es 
hat  sich  also  nnterdess  ein  Vorland  gebildet,  welches  nur  aus 
Fluss-Niederschlägen  besteht,  so  dass  dadurch  die  Vulkane  von  der 
Küste  entfernt  wurden  und  die  Entfernung  des  Meeres  von  den- 
selben noch  stets  zunimmt. 

Die  Vulkane  Mittelitaliens  müssen  eine  ungeheure  Menge  von 
Eruptionsmaterial  geliefert  haben,  denn  die  ganze  Gegend  von 
Viterbo  bis  zu  den  pontinischen  Sümpfen,  welche  also  die  ganze 
römische  Campagna  einschliesst ,  ist  damit  bedeckt.  Grössere 
Eruptionsprodukte,  die  sich  weniger  leicht  weithin  zerstreuen  konn- 
ten, sondern  hauptsächlich  um  die  Eruptionsöffnung  herum  sich  an- 
häufen mussten  und  so  im  Laufe  der  Zeit  zu  Hügeln  und  Bergen 
sich  ansammeln  konnten,  wurden  nur  wenig  ausgeworfen.  Mit  Aus- 
nahmen eines  der  nördlichsten  Kratere,  des  Cimiuigebirges,  das  aus 
800—1000  Fuss  hohen  Hügeln  besteht,  liegen  die  übrigen  Kratere 
nur  auf  flachen  Hügeln,  oder  sind  gar  nur  als  Einsenkungen  in  der 
Ebene  der  Campagna  zu  erkennen,  höchstens  von  einem  niedrigen 
Tuffwall  oder  schmalen  Schlackenkranz  umgeben.  Nur  ein  Krater 
war  lange  Zeit  in  Thätigkeit  und  hat  sich  zu  einem  vollkommenen 
Vulkane  ausgebildet  und  das  ist  gerade  der  äusserste  und  südlichste 
von  Allen,  das  heutige  Albanergebirge.  Nachdem  eben  die  nörd- 
licheren Kratere  erloschen  waren,  zog  sich  die  vulkanische  Thätig- 
keit von  Nord  nach  Süd  zurück  und  concentrirte  sich  gleichsam  an 
diesem  Punkte,  so  dass  nun  zahlreiche  Eruptionen  hier  erfolgten. 
Li  Folge  davon  häuften  sich  die  Produkte  derselben  zu  einem  an- 


YflriHoidliaigeii  dm  natnrhlrtoriseh-inft^liitBlifthnn  VenkM*'         9i7 

sebnlichen  Berge  an,  dem  Monte  cavo,  auf  dessen  Gipfel  der  grosse 
Krater  lag.  Während  der  Zeit  der  Thätigheit  dieses  Vulkans  er- 
folgten nicht  alle  Emptionen  ans  dem  grossen  centralen  Krater, 
der  dem  alten  Krater  in  der  Campagna  entspricht,  sondern  es  er- 
eigneten sich  seitliche  Emptionen,  in  Folge  deren  sich  der  Berg 
in  die  Breite  ausdehnte,  zu  einem  kleinen  Gebirge  erweiterte. 

Dieselben  Erscheinungen  wiederholen  sich  bei  den  Vulkanen  Süd- 
iigJiens ;  nur  ein  durchgreifender  unterschied  ist  zu  bemerken. 
Während  im  nördlichen  vulkanischen  Gebiete  zahlreiche  Flüsse  vor- 
handen sind,  fehlen  dieselben  im  Süden ;  nur  der  Voltumo  strömt 
daselbst  dem  Meere  zu.  Dadurch  modifiziren  sich  etwas  die  Er- 
scheinungen von  Mittelitalien.  Während  dort  die  Vulkane  nicht 
mehr  genau  den  Verlauf  der  Küste  bezeichnen  und  mehr  und  mehr 
▼on  dem  Meere  entfernt  werden,  finden  sich  in  Süditalien  keine 
FloBsniederschläge  zwischen  den  Ablagerungen  vulkanischer  Produkte, 
ixnd,  mit  Ausnahme  etwa  der  Mündung  des  Voltumo,  ist  kein  aus 
SUsswassergebilden  bestehendes  Vorland  vorhanden,  die  Vulkane 
liegen  noch  dicht  an  der  Küste  und  bilden  dieselben  grossentheils, 
wie  es  einst  in  Mittelitalien  der  Fall  war. 

Ein  grosser  flacher  Meerbusen  nahm  ursprünglich  die  Stelle 
der  jetzigen  reich  gesegneten  Ebene  Neapels  ein.  Dieser  Meerbusen 
war  durch  zwei  Auslaufe  der  Apenninenkette  gebildet,  wie  dieser 
ans  Kalkstein  bestehend.  Der  nördliche,  weniger  weit  vorspringende 
trägt  gegenwärtig  Ga6ta,  das  südliche  grössere  Vorgebirge  be- 
grenzt jetzt  im  Süden  den  Golf  von  Neapel  und  trennt  denselben 
vom  Busen  von  Salemo,  es  ist  das  Vorgebirge  vonSorrent,  dessen 
äusserste  Spitze  vom  Meere  abgeschnitten,  die  Insel  Capri  bildet. 
Der  ganze  Baum  zwischen  dem  Vorgebirge  von  Ga6ta  im  Norden 
und  dem  von  Sorrent  im  Süden,  begrenzt  durch  die  Apenninen  im 
Osten,  war  mit  Meer  erftült.  Da  ereignete  es  sich,  dass  hier,  ge- 
rade wie  in  Mittelitalien,  submarine  Vulkane  in  der  Nähe  der  Küste 
mistanden,  welche  durch  ihre  Eruptionsprodukte  den  Meeresgrund 
erhöhten.  Es  bildete  sich  dadurch  ein  ebener  Landstrich  aus,  der 
den  Golf  his  zur  heutigen  Stadt  Neapel  ausfüllte. 

Der  nördlichste  Krater  dieser  Vulkanreihe  war  nicht  gleich- 
zeitig thätig  mit  den  weiter  südlich  gelegenen  der  phlegräischen 
Felder.  Pilla  und  Abich  glauben  zwar,  dass  derselbe,  der  jetzt 
Bocca  monfina  genannt  wird,  jünger  sei,  wie  die  Kratere  der 
phlegräischen  Felder,  allein  Scachi  hat  überzeugend  nachgewiesen, 
dass  die  Bocca  monfina  der  ältere  Vulkan  ist.  Alle  diese  Kratere 
bildeten  durch  die  von  ihnen  erzeugten  Tuffe  die  Ebene  Neapels 
und  bedeckten  selbst  den  Boden  hochgelegener  Apenninenthäler 
damit ,  indem  der  Wind  die  feinen  Aschentheile  bis  an  jene  Orte 
während  der  Eruption  verbreitete.  Also  auch  in  Süditalien  war  es 
hauptsächlich  fein  zertheiltes  Gesteinsmaterial ,  das  von  den  Vul- 
kanen erzeugt,  Tuff  bildete  und  nicht  dazu  beitragen  konnte  be- 
dettkende  Berge  um  den  Krater  herum  anzuhäufen«  Es  tritt  darum  die 


246  Verhandlungen  de&  natorhifitorisch-medisinlselien  Vereins. 

grösste  Aehnliohkeit  in  der  Ausbildnng  der  Vulkane  SüditaUene  mit 
denen  Mittelitaliens  hervor.  Dort  hat  nur  der  nördlichste  Krater 
seine  Produkte  zu  bedeutenden  Erhebungen  angesammelt,  das  Cimini- 
gebirge,  in  Süditalien  hat  ebenfalls  der  nördlichste  Krater,  die  Bocca 
monfina,  einen  wirklichen  Berg  hervorgebracht.  In  Mittelitalien 
liegen  die  übrigen  so  zahlreichen  Kratere  nur  auf  flachen,  wenig 
bedeutenden  Hügeln  und  allein  der  südlichste,  das  Albamergebirge, 
hat  sich  zu  einem  vollkommenen  Vulkane  ausgebildet.  Damit  über- 
einstimmend finden  wir  ii^  Süditalien  die  Kratere  südlich  von  der 
Bocca  monfina  nur  auf  unbedeutenden  Erhöhungen ;  die  phlegräischea 
Felder  sind  ganz  analog  den  Krateren  der  römischen  Campagna; 
der  südlichste  Punkt  hat  aber  auch  hier  sich  zum  ausgebüdetsten 
Vulkane  entwickelt;  es  ist  der  Vesuv. 

Der  Vesuv  war  ursprünglich  ein  Krater  gleich  denen  der 
phlegräischen  Felder,  der  aber  durch  zahlreiche  Eruptionen  vor 
denselben  sich  auszeichnete.  Im  Gegensatz  zum  Albanergebirge» 
zersplitterte  der  Vesuv  nicht,  wie  dort  der  Monte  cavo,  seine  Thätig- 
keit  durch  seitliche  Eruptionen,  spndem  selbst  nach  einer  langen 
Periode  der  Bube,  die  solange  andauerte,  wie  die  ganze  altrömiscbe 
Geschichte,  erfolgte  im  Jahre  79  n.  Ohr.  die  erste  neue  Eruption 
wieder  im  grossen  Hauptkrater  auf  dem  Gipfel  des  Berges.  Der 
Ausbruch  fand  nicht  genau  im  Centrum  dieses  Kraters  statt,  son- 
dern gegen  den  westlichen  Band  hin.  Die  der  Eniption  den  Weg 
bahnende  Dämpfe  mussten  daher  den  westlichen  Th^il  des  Krater- 
waUes  zersprengen;  er  ward  in  die  Höhe  geschlendert  und  be- 
deckte dann  im  Niederfallen  die  Stadt  Pompeji  Es  ist  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  diese  Stadt  nicht  durch  die  Eruptionsprodukte  des 
Jahres  79  verschüttet  wurde,  sondern  durch  die  Massen  des  zer- 
sprengten Kraterwalles.  Die  eigentlichen  Eruptionsprodukte  da- 
gegen häuften  sich  vorzugsweise  um  die  neu  entstandene  Ausbrucbs- 
öfhung  an  unb  bildeten  einen  selbstständigen  Kegel,  der  seitdem 
vorzugsweise  thätig  war  und  jetzt  als  eigentlicher  Vesuvkegel  von 
dem  alten  Berge,  der  den  Namen  Somma  erhalten  hat,  unter- 
schieden wird.  In  dem  Krater  dieses  thätigen  Vesuvkegels  haben 
sich  im  Laufe  der  Zeit  wiederholt  kleinere  Kegel  mit  Krateren 
gebildet,  die  aber  bisher  stets  durch  spätere  Ausbrüche  wieder  zer- 
stört wurden. 

Auch  unter  den  Produkten  der  vulkanischen  Thätigkeit  findet 
eine  gewisse  Analogie  zwischen  Mittel-  und  Süditalien  statt.  Die- 
selben sind  in  der  ganzen  römischen  Campagna  sehr  einförmig, 
überall  derselbe  Tuff,  die  gleichen  Schlacken  und  BapiUi.  Der  süd- 
lichste Punkt  dagegen,  das  Albanergebirge,  bietet  grössere  Ab- 
wechslung dar.  Es  sind  hauptsächlich  Leuzitlaven,  die  sich  dort 
ergossen,  ausserdem  aber  noch  Nephelinlaven,  Hauynlaven  und  ver- 
schiedene andere  Species.  In  Süditalien  ist  die  ganze  Ebene  höchst 
gleichmässig  von  ein  und  derselben  Tuffart  bedeckt,  die  von  den 
phlegräischen  Feldepi  erzeugt   wurde.     Aber  der  Vesuv,   als  der 


VcrbHidliiiigM  des  natiirlilstortoeh-iBedWiiitcliai  Yerdni.         SI9 

slldlichste  Pankt,  hat  Laven  Ton  Tenchiedenariiger  Znsamniea- 
setsong  berrorgebraoht.  Aach  hier  sind  es  banptsftoUich  LenritlaTen« 
aasaerdem  finden  sich  aber  anch  Nepbelinlaven,  SodaliihlaYeii,  Do- 
leritlaTen  n.  a. 

Der  Tuff  der  phlegrftiscben  Felder  ist  weich»  zerreiblioh  und 
leidft  zerstörbar,  nnd  er  mnss  daher  leicht  durch  den  Andrang 
des  Meeres  yemichtet  werden.  Wirklich  hat  das  Meer,  da  wo  der 
Toff  am  weitesten  vorragt,  also  am  meisten  seiner  Einwirkung  ans- 
gesetzt  ist,  ein  grosses  Stflck  weggespült,  eine  kleine  Bncht  ge- 
bildet,  den  Golf  von  Bigae ,  dessen  eine  Seite  vom  Cap  Misenmn, 
dessen  andere  Seite  vom  Vorgebirge  des  Posilippo  gebildet  wird. 
Die  ftusserste  Spitze  des  Posilipp  wurde  von  einer  besondem  StrOm^ 
nng  abgeschnitten  nnd  dadurch  zur  Insel,  jetzt  unter  dem  Namen 
Nisita  bekannt.  Offenbar  hätte  aber  dort  die  Wirkung  des  Meeres 
noch  grösser  sein  müssen,  ja  es  hätte  sich  unter  dem  Andrang  der 
Wogen  vielleicht  das  ganze  Land  nicht  bilden  können,  wenn  nicht 
ein  anderer  submariner  Vulkan  weiter  westlich  durch  zahlreiche 
Eraptionen  eine  Insel  mit  einem  beträchtlichen  Berge  gebildet  und 
durch  grosse  Lavaströme  die  losen  Eruptionsprodukte  fest  gebunden 
hfttte,  so  dass  daran  sich  die  grOsste  Gewalt  der  Wogen  bricht. 
80  ist  die  Insel  Ischia  mit  dem  seit  500  Jahren  erloschenen 
Epomeo  aufnifossen;  sie  schützt  die  dahinter  gelegene  Küste  vor 
dem  heftigstem  Andrang  des  sturmbewegten  Meeres. 

Die  vulkanische  Thätigkeit  scheint  in  Italien  im  Norden  be- 
gonnen und  sich  allmählig  immer  weiter  nach  Süden  zurückgezogen 
sa  haben.  Die  Vulkane  Mittelitaliens  sind  in  vorhistorischer  Zeit 
erloschen,  die  phlegräischen  Felder  haben  in  historischer  Zeit  noch 
einzelne  Zeichen  ihrer  Thätigkeit  gegeben  und  gegenwärtig  ist  nur 
der  südlichste  Punkt  des  Festlandes,  der  Vesuv  in  wirklicher 
Thätigkeit.  All  die  Eratere,  vom  Ciminigebirge  an,  bis  nach  Born 
hin,  haben,  soweit  die  Geschichte  zurückreicht,  nicht  das  geringste 
Zeichen  einer  Thätigkeit  zu  erkennen  gegeben.  Dagegen  scheint  es, 
dass  der  südlichste  Punkt  Mittelitaliens  in  historischer  Zeit  noch 
in  einem  Zustande  sich  befand,  etwa  gleich  dem,  in  welchem  sich 
gegenwärtig  die  phlegräischen  Felder  befinden.  Ich  habe  schon 
froher  darauf  hingewiesen,  dass,  wenn  man  auch  die  Wunder,  von 
denen  Livius  berichtet,  wie  Steinregen  und  dergleichen,  die  in  jenen 
Gegenden  stattgefunden  haben  sollen,  nicht  als  vulkanische  Er- 
scheinungen deuten  will,  doch  nach  dem  Berichte  von  Plinius  der 
Band  des  Albanersees  eine  aufbllend  hohe  Temperatur  in  jener  Zeit 
besass.  —  In  den  phlegräischen  Feldern  haben  aber  wirklich  in 
historischer  Zeit  noch  Eruptionen  stattgefunden.  Die  Solfatara  hatte 
im  Jahre  1198  ihren  letzten  Ausbruch;  vom  Epomeo  sind  Eruptionen 
ans  den  Jahren  36  und  45  v.  Chr.  bekannt.  Dann  erfolgte  da- 
selbst, nach  langer  Buhe,  im  Jahre  1302  die  letzte  Eruption.  Noch 
einmal  sammelte  sich  in  dieser  Gegend  die  vulkanische  Thätigkeit 
zu  solcher  Kraft,  dass  ein  Ausbruch  im  Jahre  1538  erfolgte,  durch 


96(V  Yerbandlniigeii  des  luitinrhistOTiMhrmedisiiiiBdieii  Vereiii«. 

den  d«r  Monte  nnoTO  gebildet  wurde.  Seitdem  aber  strömen  dort 
nnr  noch  Gkkse  und  Dämpfe  ans,  so  in  der  Solfatara,  den  Bädern 
des  Nero,  am  Serapistempel,  am  See  Agnano. 

Gegenwärtig  ist  es  also  allein  der  Vesuv,  der  sich  in  Thätig- 
keit  befindet.  Seit  dem  Beginne  seiner  neuen  Thätigkeit  im  Jabre 
79  unserer  Zeitrechnung  hatte  derselbe  nur  noch  eine  lange  Buhe- 
periode, welche  dem  grossen  Ausbruch  von  1631  vorausging,  deren 
Zeitdauer  sich  aber  nicbt  genau  feststellen  lässt.  In  dieser  Buhe- 
zeit nahm  der  Berg  vollkommen  das  Aussehen  eines  erloschenen 
Vulkans  an,  die  Abhänge  bedeckten  sich  mit  Bäumen  und  selbst 
im  Krater  begann  die  Vegetation  sich  zu  entwickeln,  nur  drei  kleine 
Pfützen,  die  mit  heissem  Wasser  erftlUt  waren,  erinnerten  an  die 
Natur  des  Berges.  Gerade  in  diese  Zeit  fällt  der  letzte  Auebruch 
der  phlegräisohen  Felder  und  die  Entstehung  des  Monte  nuovo. 
Wenn  eine  Eruption  des  Vesuv  im  Jahre  1500,  die  sich  historisch 
nicht  feststellen  lässt,  wirklich  statt  fand,  dann  war  es  immer  noch 
ein  Zeitraum  von  130  Jahren,  der  zwischen  beiden  Vesuvausbrüchen 
lag.  Seit  dieser  Zeit  aber  haben  sich  die  Eruptionen  des  Vesuv 
immer  häufiger,  in  kürzeren  Zwischenräumen  wiederholt,  aber  nie 
mehr  solche  Heftigkeit  erreicht.  Die  letzte  Eruption  fand  1861 
statt  und  zeichnete  sich  dadurch  aus,  dass  dieselbe  hauptsächlich 
am  Fusse  des  Berges  ausbrach  und  die  Erscheinimgen  im  Krater 
nur  sehr  unbedeutend  waren. 

Der  Ansicht  entsprechend,  dass  die  vulkanische  Thätigkeit  in 
Italien  im  Norden  begonnen  und  sich  allmählig  nach  Süden  zurück- 
zieht, dürfen  wir  annehmen,  dass  auch  der  Vesuv  den  Höhepunkt 
seiner  Thätigkeit  überschritten  hat  und  seine  Eruptionen  mehr  und 
mehr  an  Kraft  abnehmen.  Wirklich  finden  wir  auch  weiter  süd- 
lich den  thätigsten  aller  Vulkane  dieser  Beihe.  Unter  den  lipari- 
sohen  Inseln  ist  der  Stromboli  seit  den  ältesten  Zeiten  in  bestän- 
diger Eruption  begriffen;  soweit  die  Geschichte  zurückreicht  warf 
er  beständig  Schlacken  und  Lava  aus.  Allerdings  liegt  der  Aetna 
noch  weiter  südlich  und  hat  seltener  Eruptionen;  nach  Satorins 
von  Waltershausen  kann  man  etwa  alle  sieben  Jahre  einen  grösse- 
ren Ausbruch  erwarten.  Allein  trotzdem  kann  dies  kaum  gegen 
unsere  Ansicht  sprechen,  denn  die  Höhe  und  Masse  des  Berges  ist 
so  gross,  dass  die  vulkanische  Thätigkeit  sich  viel  mehr  sammeln, 
einen  viel  höheren  Grad  von  Spannung  erreichen  muss,  ehe  es  ihr 
gelingt  eine  Eruption  zu  Stande  zu  bringen.  Darum  erscheint  die 
Annahme,  dass  die  vulkanische  Thätigkeit  in  Italien  sich  von  Norden 
nach  Süden  mehr  und  mehr  zurückziehe,  durch  nichts  widerlegt, 
durch  vielfache  Analogie  aber  sehr  wahrscheinlich  gemacht« 


VTWTMttrnigcn  des  oafcorhistoriscb-medJsliiiseh»  V«MiM«'         M ' 

6.     Yorirag  des  Herrn  Prot   W.  Hofmeister;    >üöber 

die  Mechanik  der  Protoplasmabewegnngency 

am  9«  Dezember  1864. 

(Dm  Huineeript  wurde  am  18.  Jinuar  1865  eingereicht.) 

Jeder  Versuch,  eine  Vorstellang  Ton  dem  Hergange  der  Ort- 
nnd  Gestaltändening  beweglichen  Protoplasmas  zu  gewinnen,  bat 
ZOT  nothwendigen«  stillschweigenden  oder  ausgesprochenen  Voraas- 
setzang  die  Annahme  einer  Organisation  des  Protoplasma,  eines 
eigenartigen  Banes  desselben,  welcher  von  dem  Aggregatzutand 
zäher  fiflssiger  EOrper  dadurch  wesentlich  abweicht,  dass  die  Mo- 
leknle  des  Protoplasma  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  ungleich 
leicht  yerschiebbar  sind.  Die  Bezeichnung  des  Protoplasma  als 
einer  contractilen  Substanz  führt  dem  Verst&ndniss  des  Vorganges 
nicht  nfther.  Soll  sie  ausdrücken,  dass  die  Bewegungen  des  Pro- 
toplasma darauf  beruhen,  dass  Zusammenziehungen  peripherisdier 
Theile  die  iimere  Masse  nach  den  Orten  geringsten  Widerstandes 
der  peripherischen  Schichten  eines  Körpers  aus  Protoplasma  hin- 
treiben, so  steht  sie  im  Widerspruche  mit  den  Thatsachen.  Fixirt 
man  den  Ort,  an  welchem  im  leichtbeweglichen  Plasmodium  eines 
Mypomyces,  innerhalb  bis  dahin  vorübergehend  ruhenden  Proto- 
plasmas eine  neue  Strömung  auftritt,  so  erkennt  man  mit  Leichtig- 
keit,  dass  die  Bewegung  rückwärts  um  sich  greift.  Theile  des 
ruhenden  Protoplasma,  die  von  dem  Ziele  der  Strömung  weiter  und 
weiter  rückwärts  liegen,  treten  successiv  in  dieselbe  ein  (beständig 
und  sehr  oft  wiederholt  beobachtet  an  Plasmodien  eines  Physamm, 
mnthmaasslich  Ph.  albipes  im  Sommer  1864,  auch  an  Plasmodien 
des  Aethalium  septicum ;  dieselbe  Erscheinung  lässt  sich  auch,  ob- 
wohl mit  grosser  Mühe,  an  den  Strömungsfftden  des  Protoplasma 
in  Haaren  von  Cucurbita,  Ecbalium,  Tradescantia  constatiren).  Nicht 
minder  unhaltbar  wäre  die  Annahme  einer,  auf  Expansion  vonbe« 
stimmten  Stellen  der  peripherischen  Schicht  beruhenden ,  von  den 
sich  blähenden  Stellen  ausgehenden  saugenden  Wirkung.  Denn  Ström- 
ungen, die  innerhalb  der  im  üebrigen  ruhenden  Masse  des  Proto- 
plasmas verliefen,  und  die  ebenso  energisch,  ja  schneller  und  von 
grösserem  Querschnitt  der  Strombahn  wai^n,  als  in  den  ihre  Ge- 
stalt verändernden  Plasmodien,  beobachtete  ich  in  zu  sphäroidischen 
Klumpen  geballten  Massen,  in  welche  das  Plasmodium  des  oben 
erwähnten  Phjsarum  nach  mehrtägiger  Cultur  auf  dem  Objectträger 
zerfallen  war,  ohne  dass  die  geringste  wahrnehmbare  Aenderung 
des  Umrisses  dieser  Klumpen  sich  zeigte.  Will  aber  die  Bezeich- 
nung »constractil«  etwa  besagen^  dass  bewegende  Contractionen, 
rhjrthmisch  fortschreitend,  in  äusserst  kleinen  Theilchen  des  Pro- 
toplasma stattfanden,  in  Theilchen,  deren  sehr  geringes  Volumen 
sie  jenseits  der  Gränzen  des  mikroskopischen  Sehens  rückt,  so 
wird  die  Erscheinung  nur  umschrieben,  nicht  in  Einzelnvorgänge 
zerlegt« 


S69  Veiliaii^niigen  des  naturhistorisch-medisiolBclen  TerelnB. 

Aas  dem  Verhalten  des  Protoplasma  gegen  Beize  lässt  sich 
eine  üebereinstimmang  mit  dem  der  Muskeln  gegen  dieselben  Reize 
nicht  folgern.  Die  Wirkungen  Ton  Verletzung,  Erschütterung,  elek- 
trischen Schl&gen,  plötzlichem  Wechsel  weit  auseinander  liegender 
Temperaturen,  schädlicher  Temperaturgrade,  die  von  Giften  stimmen 
alle  darin  überein,  das»  sie  die  eigenthümliche ,  nach  bestimmten 
Richtungen  des  Raumes  vorwiegend  entwickelte  Gestaltung  des 
Protoplasma  der  Eugelform  annähern  und  die  Bewegungen  dessel- 
ben unterbrechen;  bei  stärkerer  Einwirkung  dauernd  aufheben.  Mit 
der  Ann&hemng  der  Protoplasma-Massen  an  die  Eugelform  ist  eine 
Verminderung  ihrer  bevorzugten  Dimensionen,  eine  Zunahme  der 
kleinsten  Durchmesser,  sowie  Ortsverftnderung  (Bewegung)  der  Sub- 
stanz nothwendig  gegeben;  äusserlich  hat  der  Vorgang  Aehnlich- 
keit  mit  der  Aenderung  der  Form  eines  sich  contrahirenden  Muskels. 
Aber  die  Kugelgestalt  ist  überhaupt  die  Form  jeder  Masse  von 
Flüssigkeit,  welche,  den  Contactwirkungen  fester  Körper  entzogen 
ist;  welche  z.  B.  innerhalb  einer  ihr  nicht  mischbaren  Flüssigkeit 
gleicher  oder  annähernd  gleicher  Dichte  sich  befindet;  Voraus- 
setzungen die  für  in  Wasser  oder  wässeriger  Flüssigkeit  schweben- 
des Protoplasma  zutre£fen. 

Nur  eine  bekannte  Thatsache  fällt  nicht  unter  den  Gesichts- 
punkt, dass  derartige  Einflüsse,  die  auf  Organisation  beruhende  Ge- 
staltung des  Protoplasma  theilweise  oder  gänzlich  aufhebend,  das- 
selbe zur  sphäroidalen  Form  hinstreben  machen:  die  sehr  rasche 
Steigerung  der  Auszweigung  einer  verästelten,  beweglichen  Proto- 
plasma-Masse, welche  in  den  Haaren  von  Nesseln  bei  Durchgang 
elektrischer  Schläge  bestimmter  Intensität  (Brücke),  oder  bei  Ein- 
tritt höherer  Temperaturen  (Max  Schnitze)  und  in  den  Haaren  von 
Cucurbita  (Sachs)  und  von  Ecbalium  (eigene  Beobachtung)  bei 
längerem  Verweilen  desselben  in  einem  auf  etwa-f-^^^C  erwärm- 
ten Räume  beobachtet  ist.  Mit  allem  Anderen  aber  ist  diese  eher 
vergleichbar,  als  mit  Muskelcontractionen. 

Eine  berechtigtere  Au£fassung  der  Mechanik  der  Protoplasma- 
bewegungen dürfte  sich  aus  der  Veränderlichkeit  des  Lnbibitions- 
vermögens  desselben  herleiten  lassen.  Das  Protoplasma,  in  hervor- 
ragender Weise  die  bezeichnenden  Eigenschaften  einer  GoUoidsub- 
stanz  zeigend,  besitzt  in  hohem  Grade  auch  die,  auf  geringfügige 
Einwirkungen  hin  seine  Fähigkeit  zur  Aufnahme  und  zum  Zurück- 
halten von  Wasser  zu  ändern.  Die  Gerinnbarkeit  des  Protoplasma 
lebendiger  Zellen  bei  unbedeutender  Aenderung  des  sie  umgeben- 
den Medium  ist  seit  lange  für  eine  grosse  Reihe  von  Fällen  fest- 
gestellt. Eine  periodische  Abnahme  und  Wiederzunahmo  der  Imbi- 
bitionsfähigkeit  für  Wasser,  und  damit  zugleich  des  Volumens,  tritt 
bei  allem  demjenigen  Protoplasma  hervor,  welches  sogen,  contractile 
Vacuolen  einschliesst ;  mögen  dieselben  im  Zustande  geringster 
Ausdehnung  ganz  verschwinden,  wie  die  der  Volvocinen,  Myxomjce- 
ten,  Apiocjsten,  oder  nur  ihren  Durchmesser  beträchtlich  Terkleinern, 


y«rlMMidliiiigen  das  MturhlstorlMb-iiiedltbaielMB  VteolH.  SM 

nie  die  toh  Closterium  n.  A.  Bei  der  Abnahme  der  ImbibitionafiLhigkeit 
des  Protoplasma  wird  ein  Tbeil  der  in  ihm  enthaltenen  wftsseri- 
gen  Flüssigkeit  als  kngeliger  Tropfen  innerhalb  seiner  Masse  aas- 
geschieden« Dauert  jene  Abnahme  fort ,  so  vergrössert  sieh  der 
Tropfen;  wird  die  ImbibitionsfHhigkeit  gesteigert,  so  schluckt  das 
Protoplasma  ihn  zum  Theil  oder  völlig  wieder  ein.  Der  Wechsel 
der  Ab-  und  Zunahme  der  ImbibitionsfUiigkeit  erfolgt  in  regel- 
m&aaigen  Perioden.  Die  Abnahme  ist  in  allen  beobachteten  Fällen 
allmfthlig,  die  Zunahme  reissend  schnelL  Die  Yacuole  wächst  lang- 
sam, aber  sie  verschwindet  (oder  verkleinert  sich)  plötzlich.  Kom- 
men mehrerer  solcher  Yacuolen  innerhalb  derselben  Protoplasma- 
Masse  (Zelle)  vor,  so  halten  ihre  Pulsationen  eine  bestimmte  Reihen- 
folge ein  (Cohn). 

Nehmen  wir  an,  bewegliches  Protoplasma  sei  aus  (mikrosko- 
piseb  nicht  wahrnehmbaren)  Partikeln  verschiedener  und  veränder- 
liclier  Imbibitionsfähigkeit  für  Wasser  zusammengesetzt,  welche  von 
WasserhtQlen  umgeben  sind ,  so  wird,  wenn  in  Beihen  solcher  Par- 
tikel die  Zu-  und  Abnahme  der  Imbibitionsfilhigkeit  nach  bestimmter 
Bicfatung  hin  stetig  fortschreitet,  das  von  den  an  Imbibitionsfähig- 
keit  abnehmenden  Theilchen  ausgestossene  Wasser  von  den  an  Im- 
bibitionsfilhigkeit zunehmenden  an  sich  gerissen,  somit  fortbewegt 
werden.  Da  femer  das  Eindringen  des  Wassers  in  diese  letzteren  Par- 
tikel von  der  einen  Seite  her  vorwiegend  begünstigt  ist,  können 
bei  gleicher  Bichtung  dieser  Seiten  die  Bewegungen,  auf  weite 
Strecken  hin,  ja  durch  eine  ganze  Protoplasma-Masse  hindurch, 
parallel  laufende  werden  und  bleiben.  ~  Eine  einseitige  Be- 
gfinstigung  der  Wasseraufhahme,  mit  andern  Worten  die  nach  be- 
stimmten Bichtungen  hin  stattfindende  Erschwerung  des  Eintritts 
von  Wasser  ist  aber  eine  selbstverständliche  Voraussetzung,  wenn 
die  gleichbleibende  Art  der  Abgränzung  lebendigen  Protoplasmas 
gegen  wässerige  Lösungen  von  den  verschiedenartigen  Goncentra- 
tionen,  wie  sie  bei  Zusammenziebung  protoplasmatischen  ZeUen- 
inhalts  durch  wasserentziehendes  Mittel  gegen  die  in  Yacuolen 
enthaltenen  oder  die  freies  Protoplasm  a  umgebenden  Flttssigkeiten  sich 
zeigt,  nicht  ftlr  unbegreiflich  gelten  soll.  Für  Protoplasma  mit  ver- 
änderlichen Strombabnen  und  wechselnden  Formen  würde  ein 
Wechsel  in  den  Bichtungen  des  Fortschreitens  der  Zu-  und  Abnahme 
des  Imbibitionsvermögens  anzunehmen  sein.  Die  Stellen  des  ümÜEUigs, 
deren  Fähigkeit  zur  Wasseraufhahme  am  Höchsten  gesteigert  ist, 
werden  auch  die  an  Volumen  zunehmenden,  wachsenden  sein.  In  den 
Plasmodien  der  Myzomyceten  würde  das  zeitweilige  Buhen  der  den 
Strömen  angränzenden ,  durch  keinerlei  wahrnehmbare  Schranken 
von  ihren  getrennten  Protoplasma-Massen  sich  unschwer  durch  das 
Unterbleiben  der  Schwankungen  der  Imbibitionsfähigkeit  in  den 
ruhenden  Massen  erklären.  Das  Verständniss  des  Vorkommens 
zweier  oder  mehrerer,  einander  gegenläufiger  Strömungen  in  dem 
nämlichen  Protoplasmastrange  hat  unter  den  gegebenen  Voraus- 


'  SM         Verliaiidfaiiigeii  d«e  natnililstorieeli-iiiedkiiiiselieii  V«rebiB. 

eetznngen  keine  Schwierigkeit.  Auch  die  Schwingungen  der  be- 
wegenden Wimpern,  der  Schwärmsporen  und  Spermatozo^den  lassen 
sich  unter  den  gleichen  Gesichtspunkt  bringen :  sie  würden  als  Be- 
wegungen von  Protoplasmasträngen  aufzufassen  sein,  deren  Aende- 
rangen  der  Imbibitionsffthigkeit,  folglich  der  Volumens  bestimmten 
Stellen,  und  somit  der  Richtung  und  Gestalt,  äusserst  rasch  und 
energisch  Tor  sich  gehen. 


7.    Vortrag  des  Herrn  Dr.  Julius  Arnold:  »Ueber  die 

Ganglienzellen  des  Nervus  sjmpathicusc, 

am  13.  Januar  1865. 

Der  Inhalt  dieses  Vortrages  ist  abgedruckt  in  Virchows  Archiy 
Band  XXXI.  Heft  1. 

-8.    Vortrag  des   Herrn   Dr.  J.  H.  Knapp:     >IJeber  die 

Diagnose  irregulärer  Asymmetrie  des  Augesc, 

am  13.  Januar  1865. 

(Das  Mannscript  wurde  sofort  eingereicht.) 

Die  irreguläre  Asymmetrie  des  Auges  oder  der  irreguläre 
Astigmatismus  ist  bedingt  entweder  durch  beschränkte  Erüm- 
•mungsänderungen  der  Trennungsflächen  der  durchsichtigen 
Medien  (Hornhaut,  Linsenoberfläche  und  Netzhaut),  oder  be- 
echränkte  Dichtigkeitsänderungen  der  brechenden  Me- 
dien selbst. 

A«  Funktionelle  Symptome. 

1)  Blendung.  Sie  ist  abhängig  von:  a)  halbdurchsich- 
tiger Substanz,  Trübungen  in  Hornhaut  und  Linse;  b)  um- 
schriebenen Krümmungsverschiedenheiten  der  Tren- 
nungsflächen, Erhabenheiten  sowohl  als  Vertiefungen. 

2)  Amblyopie.  Findet  sich  bald  im  direkten,  bald  im  in- 
direkten Sehen,  bald  gleichzeitig  in  beiden.  Prüfung  mit  steno- 
päischem  Apparate. 

Sie  ist  abhängig  yon:  a)  der  unregelmässigen  Zeichnung  des 
Netzhautbildes,  b)  der  Verminderung  seiner  Lichtstärke,  c)  der 
Blendung,  d)  ungenügender  Accommodation.- 

3)  Metamorphopsie,  Verzerrtsehen.  Zwei  Arten  fiallen  auf : 

a)  Krumm  sehen   gerader   Linien  bei  Netzhautschrumpfdng 
(Förster),    Netzhauteinziehung    und   Netzhautfaltung    (A.  Weber). 

b)  Aas-  und  Einbuchtungen  an  Kreisförmigen  Figuren,  Geldstücken 
und  dergleichen. 

4)  Diplopie  und  Polyopie;  bei  beginnender  Catarakt  und 
Homhautflecken.  Sie  ist  gleichseitig  bei  zugleich  bestehender  Myopie, 
nngleidiaeitig  bei  Hyperopie. 

B.  Physikalische  Symptome. 


VeritMidlnngeti  des  nattirldstorisoh-nediftliiisQbui  VcMAI.  tt5 

1)  Die  Spiegelung  gibt  ans  Aufschluss  über  die  öl&tte  und 
Formverändenuig  der  Trennnngsflachen. 

2)  Die  Irisfläche  erscheint  wellig  bei  nuischriebenen 
Erümmnngsändenmgen,  z«  B.  beim  Keratoconus. 

3)  Mit  Eokalbeleuchtung  sieht  man:  a)  die  Flecken, 
Erhabenheiten  und  Vertiefungen  direkt,  b)  Vertiefungen  werfen 
emen  dunklen  ponkt-  oder  fleckförmigen  Schatten  auf  die  Iris, 
e)  Erhabenheiten  dagegen  erzengen  darauf  einen  lichten  Punkt 
omgeben  Ton  einem  dunkeln  Bing. 

4}  Mit  dem  Gornealmikroskop,  namentlich  dem  stereos- 
kopischen, erhielt  ich  von  Homhautunebenheiten  und  Linsen- 
Schrumpfung  sehr  anschauliche  Eeliefbilder. 

5)  Das  Ophthalmometer  lässt  uns  in  manchen  Fällen^ 
2.  B.  dem  Keratoconus,  die  Form  der  abnormen  Krümmung  be- 
stimmen. 

6)  Der  Augenspiegel  ist  das  wichtigste  diagno- 
stische Hilfsmittel.  Dem  üntersucher  erscheinen  dabei  die 
Gegenstände  im  Auge  des  Beobachteten  unter  ganz  ähnlichen  Form- 
yeränderungen,  wie  dem  beobachteten  Auge  die  Dinge  der  Aussen- 
welt;  z.  6.  Netzhautgef^sse  erscheinen  uns  doppelt  bei  Patienten 
mit  Diplopie  u.  dgl. 

Von  den  Augenspiegelergebnissen  nenne  ich  folgende:  a)  das 
Hornhantreflexbild  erscheint  verkleinert  bei  Erhabenheiten, 
Torgrössert  bei  Abflachung,  als  heller  Lichtpunkt  mit  dem  Beob- 
achter entgegengesetzten  Bewegungen  bei  Vertiefungen,  b)  Bing- 
oder  sicbelformlige  Schatten  im  gewöhnlich  beleuchteten 
Papillarfelde  bei  Keratectasie ,  was  theils  yon  Lichtzerstreuung, 
theils  Ton  totaler  Beflezion  an  der  üebergangsstelle  des  normal  g^ 
krümmten  Hornhaut  in  den  Kegel  herrühren  mag.  c)  Ophthal- 
moskopische Metamorph  opsie.  Die  Papille  erscheint  unregel- 
mässig. Glerade  Linien  im  Auge  erscheinen  krunmi.  d)  Ophthal- 
moskopische Parallaxe.  Hin-  und  Herspringen  der  GtofUsse 
bei  Bewegungen  des  Kopfes  oder  der  Gonvexlinse,  herrührend  von 
der  Terschiedenen  Vergrösserung,  unter  welcher  die  einzelnen  Theile 
des  Augengrundes  erscheinen,  e)  Ophthalmoskopische  Di- 
plopie und  Polyopie;  sie  zeigt  sich  in  paralleler  oder 
gabelförmiger  Verdoppelung    der  Netzhautgefäsae. 


9.    Vortrag  von  Herrn  Hofrath   Helmholtz:     >Ueber 
die  Augenbewegungen«,  am  18.  Januar  1865. 

(Das  BCanusorlpt  wurde  sofort  eingereicht.) 

Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  können  normale  Augen  sich 
nor  so  bewegen,  wie  sie  sich  bewegen  müssen,  um  beide  einen  und 
denselben  Punkt  zu  fixiren  und  deutlich  zu  sehen.  Sie  können  also 
ntu:  gleichzeitig   gehoben   und    gesenkt  werden,   je   nachdem  der 


206  Verhaadlviigeii  des  iifttiirIil8toriBoli-inedliliii8öhen  Yereliis. 

Fixationspimct  hoch  oder  tief  liegt,  aber  es  kann  nicht  ein  Auge 
nach  oben,  das  andere  nach  unten  blicken.  Beide  Angen  können 
gleichzeitig  nach  rechts,  oder  gleichzeitig  nach  links  bewegt  wer- 
den, je  nachdem  der  Fixationspunkt  rechts  oder  links  liegt,  auch 
können  sie  conyergent  gestellt  werden,  um  einen  nahen  Punct  zu 
fiziren,  so  dass  das  rechte  Auge  nach  links,  das  linke  nach  rechts 
gewendet  ist,  aber  sie  können  im  AUgemeinen  nicht  divergent  ge- 
stellt werden.  Endlich  ist  der  Grad  der  Aocommodation  auch  immer 
Ton  dem  Grade  der  Convergenz  abhängig;  normale  Augen  sind 
fortdauernd  aocommodirt  für  den  Convergenzpunkt  ihrer  Gesichts- 
Unien. 

Da  nun  die  Bewegungen  jedes  Auges  und  ebenso  die  Accom- 
modaüonsftnderungen  jedes  Auges  durch  Muskelgmppen  ausgeführt 
werden,  welche  Ton  einander  ganz  unabhängig  sind,  so  glaubte  man 
den  Zwang,  welcher  sich  bei  der  Combination  der  genannten  Be- 
wegungsweisen geltend  macht,  auf  das  Princip  der  Mitbewegungen 
zurückfahren  zu  dürfen,  das  heisst,  man  nahm  an,  dass  die  Wege 
der  Nervenleitung  zu  den  Muskeln  in  der  Weise  verbunden  seien, 
dass  nur  die  genannten  bestimmten  Bewegungsgruppen  entstehen 
könnten. 

Eine  Beihe  neuerer  Erfahrungen  widerspricht  dieser  Annahme. 
Erstens  wenn  man  eine  Brille  vor  die  Augen  setzt,  ist  man  ge- 
zwungen, um  deutlich  und  einfach  zu  sehen,  die  frühere  Conver- 
genz ftbr  ein  Object  in  gewisser  Entfernung  beizubehalten,  aber 
einen  anderen  Acoommodationsgrad  damit  zu  verbinden  Aehn- 
liches  geschieht  oft  bei  der  Betrachtung  stereoskopischer  Bilder. 
Anfangs  ist  eine  solche  neue  Combination  von  Convergenz  und  Aocom- 
modation sehr  unbequem,  aber  bald  gewöhnt  man  sich  an  die- 
selbe, und  fühlt  im  Gegentheil  Unbequemlichkeiten,  wenn  man  den 
natürlichen  Znstand  wiederherstellt. 

Ebenso  ist  es  verhältnissmässig  leicht  mittels  stereoskopischer 
Bilder,  die  man  allmälig  von  einander  entfernt,  während  man  sie 
fizirt,  Divergenz  zu  erreichen.  Dasselbe  erreicht  man  auch  leicht» 
wenn  man  ein  schwach  brechendes  Prisma,  die  brechende  Braute 
nach  der  Schläfenseite  gewendet,  vor  das  Auge  bringt,  und  erst 
nahe,  dann  immer  fernere  und  fernere  Gegenstände  betrachtet. 
Sehr  entfernte  Gegenstände  können  unter  diesen  Umständen  nur 
einfach  erscheinen,  wenn  die  Gesichtslinien  divergiren. 
(Fortoetiung  folgt.) 


it.  17.  HEIDELBERGER  1865, 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Verhandinngen  des  natnrhistoriseh- medizinischen 
Vereins  zn  Heidelberg. 


(ForUetEung.) 

Endlich  hat  Donders  gefunden,  und  habe  ich  selbst  diese 
Versuche  bestätigt ,  dass  man  auch  lernen  kann ,  das  eine  Auge 
nach  oben,  das  andere  nach  unten  zu  richten,  wenn  man  ein 
äehw&ch  brechendes  Prisma  vor  ein  Auge  nimmt,  zuerst  mit  der 
brechenden  Kaute  nach  innen,  und  dann  sehr  langsam  diese  all- 
mälig  nach  unten  oder  oben  dreht.  Man  muss  mit  der  Drehung 
aofhGren,  so  bald  man  anfangt  Doppelbilder  zu  sehen,  und  nicht 
eher  fortfahren,  als  bis  diese  wieder  vollständig  verschwunden  sind. 
Nimmt  man  das  Prisma  dann  vom  Auge  fort,  so  sieht  man  nun 
mit  freien  Augen  über  einander  stehende  Doppelbilder,  die  sich 
aber  nach  wenigen  Sekunden  wieder  vereinigen,  zum  Zeichen,  dass 
die  Augen  in  ihre  alte  normale  Stellung  zurückgekehrt  sind. 

Diese  Versuche  lassen  schliessen,  dass  der  Zwang  in  derCom- 
bination  der  verschiedenen  Augenbewegungen  nur  davon  herrührt,  dass 
wir  die  Intention  unseres  Willens  auf  keinen  anderen  Zweck  rich- 
ten können  als  den,  ein  bestimmtes  Object  einfach  und  deutlich  zu 
%hen,  und  dass  wir  desshalb  abnorme  Augenbewegungen  ausführen 
lernen,  sobald  wir  die  Augen  unter  abnormen   Bedingungen   sehen 


Nun  besteht  noch  ein  anderes  zwingendes  Gesetz  bei  den 
Aogenbewegungen.  Nämlich  bei  parallelen  Gesichtslinien  ist  auch 
die  Baddrehung  jedes  Auges  (Drehung  um  die  Gesichtslinie)  in 
bestimmter  Weise  abhängig  von  der  flichtung  der  Gesichtslinien. 
^  sich  hierauf  beziehende  Gesetz  von  Listing  habe  ich  selbst 
durch  eine  einfache  Form  der  Beobachtung  zu  bestätigen  gesucht,  und 
darüber  früher  in  unserm  Verein  gesprochen.  Sobald  unsere  Augen 
eine  bestimmte  Richtung  ihres  Blickes  angenommen  haben,  ist  da- 
durch eine  bestimmte  Stellung  derselben  gegeben,  und  wir  können 
dann  nicht  willkührlich  eine  Raddrehung  derselben  um  die  Ge- 
sichtslinie ausführen. 

Man  konnte  nun  schon  früher  als  sehr  wahrscheinlich  anneh- 
men, dass  der  Zwang  in  diesem  Falle,  wie  in  den  früheren  nur 
berrührt  von  der  mangelnden  Fähigkeit,  die  entsprechende  Willens- 
intention zu  bilden,  und  in  diesem  Sinne  habe  ich  selbst  eine 
'Theorie  für  den  Ursprung  des  L  i  s  t  i  n  g  *  sehen  Gesetzes  aufgestellt, 
LVm.  Jahrg.  4.  Heft.  17 


258  Verbandltingen  des  natnrhtstoriseh-^edidnisclien  VereinB. 

in  der  es  als  Resultat  der  Einübung  betrachtet  und  hergeleitet 
wird  aus  dem  Bedttrfhiss  einer  möglichst  sicheren  Orientirung 
über  die  Lage  der  gesehenen  Objecte.  Ich  habe  jetzt  einen  Ver- 
such geiunden,  durch  welchen  man  dies  direct  erweisen  kann. 

Wenn  man  dmxh  ein  rechtwinkeliges  Glasprisma  parallel 
seiner  Hypotenusenfläche  blickt,  welche  wir  als  horizontal  gerich- 
tet annehmen  woUen,  so  sieht  man  die  jenseits  gelegenen  Objecte 
in  natürlicher  Grösse  und  ohne  farbige  Bänder,  aber  Oben  in  Unten 
verkehrt.  In  der  That  wirkt  das  Prisma  hiebei  wie  ein  Spiegel, 
indem  die  Lichtstrahlen  an  seiner  Hypotenusenfläche  totale  Reflexion 
erleiden.  Stellt  man  hinter  das  erste  Prisma  ein  zweites  ebenfalls 
mit  horizontaler  Hypotenusenfläche,  und  blickt  durch  beide  hinter- 
einander, so  wird  die  ümkehrung  von  Oben  und  Unten,  die  das 
erste  Prisma  gibt,  durch  das  zweite  wieder  aufgehoben,  und  maa 
sieht  die  Objecte  in  natürlicher  Stellung.  Richtet  man  aber  die 
beiden  Hypotenusenflächen  nicht  ganz  genau  parallel,  sondern  dreht 
das  eine  Prisma  ein  wenig  um  die  Richtung  der  Gesichtslinie  als 
Axe,  so  sieht  man  das  ganze  Gesichtsfeld  durch  das  Prisma  ein 
wenig  gedreht,  um  einen  Winkel  der  doppelt  so  gross  ist,  als  der 
Winkel,  um  den  die  Hypotenusenflächen  vom  Parallelismus  abwei- 
chen. Um  diese  Stellung  der  Prismen  zu  erhalten,  kann  man  ganz 
einfach  zwei  Kathetenflächen  der  Prismen  auf  einander  kitten,  so 
dass  die  Hypotenusenflächen  nahehin  parallel  sind. 

Nimmt  man  nun  ein  solches  Doppelprisma  vor  ein  Auge  und 
blickt  mit  beiden  Augen  nach  entfernten  Gegenständen,  so  erblickt  man 
zuerst  gekreuzte  Doppelbilder  des  Gesichtsfeldes.  Wenn  man  aber 
den  Blick  eine  Weile  über  die  verschiedenen  Objecte,  welche  man 
übersieht,  wandern  lässt,  wobei  man  jeden  einzelnen  Punkt  einfach 
sehen  kann,  so  schwindet  die  Kreuzung  und  die  Doppelbilder  ver- 
einigen sich  wieder  zu  einem  einfachen  Bilde,  was  ganz  ebenso 
deutlich  und  klar  ist,  wie  beim  Sehen  mit  unbewafibeten  Augen. 
Jetzt  treten  aber  gekreuzte  Doppelbilder  fQr  einige  Augenblicke 
hervor,  ao  bald  man  das  Doppelprisma  entfernt,  doch  vereinigen 
sie  sich  nach  einigen  Sekunden  zu  dem  gewöhnlichen  einfachen 
Bilde  des  normalen  Sehens. 

Ich  habe  ausserdem,  während  ich  durch  die  Prismen  sah,  will- 
kührlich  Doppelbilder  passender  Objecte  erzeugt,  und  diese  in  ihrer 
gewöhnlichen  normalen  Stellung  zu  einander  gefunden,  wie  sie  ohne 
Prismen  beim  normalen  Sehen  erscheinen  müssten.  Ich  habe  wäh- 
rend des  Sehens  durch  die  Prismen  einen  weissen  Streifen  auf 
dunklem  Grunde  fixirt,  bis  Nachbilder  desselben  in  beiden  Augen 
entwickelt  waren,  und  diese  Nachbilder  nach  Entfernung  der  Pris- 
men einzeln  betrachtet.  Es  zeigte  sich,  dass  sie  dann  verglichen 
mit  entfernten  objectiven  Linien  des  Gesichtsfeldes  in  den  ersten 
Augenblicken  vorschieden  gerichtet  erschienen,  so  lange  die  normale 
Stellung  der  Augen  noch  nicht  hergestellt  war,  dass  sie  aber  nach- 
her, wenn  das  geschehen  war,  gleich  gerichtet  erschienen,  wie  sie 


r 


Vcrbcndlmigeii  des  iiAiurfaiBtoritehrtnedlsiiiiBehcn  Vereint.  S59 

es  hätten  sein  müssen  (and  in  der  Tbat  auch  waren),  wenn  sie 
ohne  alle  Anwendung  der  Prismen  entwickelt  worden  wären. 

Daraus  folgt,  dass  das  durch  die  rotirenden  Prismen  blickende 
Ange  sieh  allmälig  so  gedreht  hat,  dass  gleiche  Bilder  wieder  auf 
identische  Puncte  beider  Netzhäute  fielen,  und  dass  diese  abnorme 
Botation  des  Auges  nach  Entfernung  der  Prismen  bald  wieder  ver* 
schwand.  Die  Orösse  der  abnormen  Baddrehung  betrug  in  meinen 
Versuchen  5  Grad. 

Daraus  folgt  weiter,  dass  auch  die  Baddrehung  der  Augen  dem 
Willen  unterworfen  ist,  und  vollzogen  werden  kann,  sobald  sie 
s&thig  ist,  um  der  einzig  möglichen  Willensintention ,  welche  für 
die  Augenbewegungen  gebildet  werden  kann,  nämlich  die:  einfach 
imd  deutlich  zu  sehen,  zu  dienen. 


10.  Vortrag  des  Herrn  Prof.  Carius:  »lieber  die  Syn- 
these zackerähnlicher  Körper«,  am  27.  Januar  1865. 

(Das  Muniserlpt  wurde  am  30.  Januar  1866  elDgerelcbi) 

Die  folgende  Mittheilung  enthält  die  Besultate  des  ersten  Thei- 
les  einer  Untersuchung,  welche  ich  besonders  unternahm,  um  einen 
eixifEiehen  Znsammenhang  der  Alkohole  Cn  H,  n  -|-  3  0  mit  den  bis 
jetzt  gewöhnlich  als  Zucker  oder  zucherähnliche  Körper  be- 
zeichneten Verbindungen  aufzusuchen.  Von  letztem  Verbindungen 
i<^  bis  jetzt  festgestellt,  dass  sie  in  Bezug  auf  die  Bildung  inter- 
mediärer Aether  sich  den  Alkoholen  ähnlich  verhalten;  so  ver- 
halten sich  z.  B.  Aethylalkohol  und  Mannit  gegen  Salpetersäure 
oaeh  den  Gleichungen: 

0.j«.H.(o|«0').=0.!^»»^  +  (OH,,3. 

Viel  weniger  ähnlich  den  Alkoholen  sind  die  Zuckerarten  in 
zwei  andern  neben  der  eben  genannten  für  die  Alkohole  besonders 
charakteristischen  Beactionen,  nämlich  dem  Verhalten  gegen  Metalle 
nad  dem  gegen  Oxydationsmittel.  Die  Alkohole  Cn  H2  n  +  2  0 
l&Bsen  sehr  leicht  ihr  vertretbares  Wasserstofifatom  durch  Natrium 
ersetzen,  nicht  aber  durch  Blei  oder  ähnliche  Metalle ;  die  Zucker- 
Arten  können  dagegen  ihren  vertretbaren  Wasserstoff  zum  Theil 
wenigstens  durch  Blei  ersetzen.  —  Besonders  charakteristisch  für 
die  Alkohole  GnH^n  +  aO  ist  bekanntlich  die  Bildung  eines  Alde- 
hydes  und  darauf  einer  Säure;  die  Bildung  eines  Aldehydes  fehlt 
schon  bei  den  den  genannten  Alkoholen  nächststehenden  zwei-  und 
dreisäurigen  Alkoholen,  den  sogenannten  Glyoolen,  CnH2n4-202, 
imd  Glycerinen,  CnH3n  +  20^;  die  Zuckerarten  endlich  hat  man 
his  jetzt  noch  in  keinem  Falle  durch  po  einfache  Oxydationen  in 
eine  Säure  verwandeln  können. 


S60  VerfaA&dliiJigeD  des  natnrhlstoritch-inediziniscbeii  Vereins. 

Besonders  geeignet  zu  Entscheidung  dieser  Frage  über  die 
Constitution  der  Zuckerarten  ist  ohne  Zweifel  die  Synthese  der- 
selben und  wenn  möglich  auch  ihnen  homologer  Körper.  Von  sol- 
chen Homologen  der  Zuckerarten  würden  die  mit  niedrigerem  Kohlen- 
sto%ehalt  höchst  wahrscheinlich  leichter  einfache  Reactionen  geben, 
und  daher  für  die  Vergleichung  mit  den  Alkoholen  Cn  H^  n  +  2  O 
vorzüglich  geeignet  sein.  Ich  muss  in  dieser  Beziehung  noch  an- 
führen, dass  sehr  wahrscheinlich  die  Synthese  nur  Verbindungen 
liefern  wird,  die  in  physikalischen  Eigenschaften  von  den  natür- 
lich vorkommenden  abweichen ;  wenn  indessen  die  chemischen  Eigen- 
schaften gleich  denen  der  letztern  sind,  so  würde  darin  kein  Nach- 
theil liegen. 

Da  das  Material  für  die  Synthese  der  beiden  wichtigsten 
zuckerähnlichen  Körper,  Mannit  und  Fhycit,  schwer  zu  beschafifen 
ist,  so  habe  ich  damit  begonnen,  die  Synthese  eines  dem  Phycit 
homologen  Körper,  aus  der  heterologen  Beihe  des  Propylalkohols, 
zu   versuchen.     Letztere   ist    völlig   gelungen,   und   hat   eine   dem 

Phycit ,  O4  I  TT  ,  homologe  den  Zuckerarten  sehr  ähnliche  Ver- 
bindung geliefert  von  der  Zusammensetzung  O4  j  ^^     *.  —  Nachdem 

durch  diese  erste  Untersuchung  nun  der  Weg  zu  derartigen  Syn- 
thesen im  Wesentlichen  gegeben  ist,  wird  es  leicht  sein,  auch  mit 
dem  sparsameren  Materiale  natürlich  vorkommende  Körper  darza- 
stellen. 

Die  Untersuchung  zeigt  ferner,  dass  eine  Beihe  dem  Phycit 
homologer,  den  Zuckerarten  sehr  ähnlicher  Körper  existirt.  Zu  der 
dadurch  nothwendig  gewordenen  Benennung  dieser  Körper  schlage 

ich  den  allgemeinen  Namen  P  h  y  c  i  t  e  vor,  da  der  Phycit,  O4 1  tt*  ^' 

das  bisher  bekannte  Glied  dieser  Beihe  ist; 'die  von  mir  darge- 
stellte Verbindung  würde  dann  als  Propyl-Phycit  zu  bezeich- 
nen sein. 

Als  Material  für  die  Darstellung  des  Propylphycites  habe  ich 
zwei  noch  Sauerstoff  ausserhalb  des  Badicales  enthaltende  Chloride, 
sogen.  Chlorhydrine,  benutzt.  Die  erste,  wichtigste  dieser  beiden 
Körper,  das  Dichlorhydrin  des  Propylphycites  entsteht  aus  deta 
Epichlorhydrin   nach    der    von    mir    aufgefundenen    Beaction   der 

Addition  von  Unterchlorigsäurehydrat.  Das  Epichlorhydrin  qi  |   ^     ^ 

selbst  verhält  sich  bei  dieser  Beaction,  als  sei  schon  das  Badical 
C3  H4  darin  anzunehmen : 

0  IC3H4   ,    Q  iCl_  O2IC3H4 

CIJH       ^   ^  JH  ^CLJHj     • 
Die  zweite  Verbindung  habe  ich  erhalten   durch  Substitution 
an  Stelle  von  Wasserstoff  im  Dichlorhydrin  des  ölycerin*s: 


Verii*odhiB|;eii  des  oatvrliifttorUcli-mtdljdBlscIiai  VerelBt.  261 

sie  ist  das  Dichlorbromhydrin  des  Propylphyoites. 

Ans  diesen  beiden  K(}rpem,  nicht  nnsersetzt  destülirbaren 
Flflssigkeiten,  Iflsst  sich  der  Propjlpbjcit  nun  leicht  obwohl  etwas 
ümstäadlich  darstellen  Sie  zersetzen  sich  leicht  mit  Alkalien  in 
wftssriger  Lösung;  wendet  man  Barythjdrat  an,  so  sind  die 
Reactionen : 

Cl,  JH    *-!-(  0  )H*)3=(ClBa),  +  BrBa+0,)^^^». 

Aas  der  bei  diesen  Reactionen  erhaltenen  Flüssigkeit  wird  das 
Chlor  oder  dieses  nnd  Brom  nnd  Barium  entfernt  durch  Fällung 
mit  Schwefelsäure,  Behandlung  mit  kohlensaurem  Blei,  Filtriren, 
Ausfällen  des  gelösten  Bleies  durch  Schwefelwasserstoff,  und  Be- 
handeln der  Losung  mit  wenig  kohlensaurem  Silber.  Die  völlige 
Reinigung  des  nach  dem  Verdampfen  des  Filtrates  zurückbleibenden 
Propylphjcit  erfordert  aber  noch  weitere  Operationen,  auf  welche 
ieh  hier  nicht  eingehen  kann. 

Der  YöUig  reine  Propjlphycit  ist  eine  feste,  amorphe  und 
farUose  Substanz  von  rein  süssem  Geschmack.  Er  rerdampft  bei 
Tonichtigem  Erhitzen  fast  ohne  Yerkohlung ;  an  feuchter  Luft  zer- 
fliesst  er. 

Von  dem  chemischen  Verhalten  des  Propylphjcites  ist  zunächst 
^  gegen  Metalle  interessant,  da  es  dem  der  Znckerarten  ganz 
gleich  ist.  Eine  LOsung  des  Propjlphjcites  löst  sehr  reichlich  Kalk- 
TOd  Barythydrat,  ebenso  etwas  kohlensaures  Blei  oder  Silber.  Aus 
(Kesen  Losungen  ft.llt   Alkohol  Metallverbindungen.     Eine  Bleiver- 

bindong  OO  ^^    ^  erhält  man  sehr  leicht  durch  Fällung  der  Lösung 

des  Propylphycites  mit  basisch  essigsaurem  Blei. 

Durch  Kochen  dieser  Metallverbindungen  mit  Wasser  oder 
wich  der  mit  wenig  Kalihydrat  versetzten  Lösung  des  Propyl- 
phjcites,  wird  derselbe  rasch  in  humusartige  Substanzen  verwandelt. 
1)aB9elbe  geschieht  durch  Kochen  des  Propylphycites  mit  verdünn- 
ten Säuren. 

Durch  Einwirkung  von  Natriumalkohol  auf  die  beiden  oben 
genannten  Chloride  erhält  man  den  Di-  und  Tri-Aethyläther 
^«8  Propylphycites: 


20)  Verhandlungen  des  natuThistoriscli-mediziBiBcbB  Vereins. 

Beide  Körper  sind  unzersetzt  destillirbare  Plüssigkeiten  von 
eigenthümlichem  Gerüche.  Die  erste  derselben  enthält  noch  2  At. 
.die  zweite  nach  1  At.  vertretbaren  WasserstoflPs ;  die  Ersetzung  des- 
selben durch  Natrium  erfolgt  leicht  und  in  derselben  Weise,  wie  bei 
den  Alkoholen  CnH2  n  +  2  0,  indem  die  beiden  Natriumverbindungen 

Ol  i  /^  tJ  X  XT      und   Oä\,i  A-  N  XT   entstehen.  Letztere  sind  weisse 
*  /  (C2  ^5)2  Na2  * )  (Oj  H5)3Na 

feste  Massen,  die  in  Berührung  mit  Jodäthyl  sich  sehr  leicht  unter 

Bildung  des  Teträthylpropylphyoitäthers  zersetzen,  z.B.: 

<>»|fdfi)3Na  +  J0,H,-=0,igfj|^)^  +  JNa. 

Der  Teträthylpropylphycitäther  enthält  also  die  4  At.  im  Mol. 
des  Propylphycites  überhaupt  vertretbaren  Wasserstoffs  durch  (O^HOj 
ersetzt. 

Ueber  den  Triäthylpropylphycitäther  führe  ich  noch  an,  dass 
seine  Zusammensetzung  nur  sehr  wenig  (um  0.57  p.  c.  Kohlenstoff 
und  0.39  Wasserstoff)   von  der   des   ihm   chemisch  vergleichbaren 

Diäthylglycerinäthers,  O3  L^  tt  \  tt    ,  abweicht.  Kopp  hat  nun  ge- 

fanden,  dass  chemisch  ähnliche  Körper  von  gleicher  Zusammen* 
Setzung  (metamere)  gleiche  specifisehe  Volume  haben.  Auf  die 
Thatsache  gestützt,  dass  die  beiden  genannten  Körper  nahe  gleiche 
Siedepunkte,  190^undl92^  8,  zeigen,  vermuthe  ich,  dass  auch  ihi- 
speo.  Vol.  nahe  gleich  sein  wird,  und  werde  diess  einer  genauen 
Prüfung  unterwerfen  Sollte  sich  diese  Vermuthung  bestätigen,  so 
würde  dann  wahrscheinlich  allgemein  bei  chemisch  ähnlichen  Kör- 
pern das  spec.  Vol.  (vielleicht  die  phys.  Eigenschafben  überhaupt) 
bei  ähnlicher  Zusammensetzung  nahe  gleich  sein,  und  als 
weitere  Folge,  das  spec.  Vol.  allein  von  der  procentischen  Zusam- 
mensetzung abhängig  sein. 

Der  Propylphycit  löst  sich  in  Schwefelsäurehydrat  ohne  Fär- 
bung und  unter  Bildung  eines  sauren  Aethers,  sehr  ähnlich  der 
Zuckerschwefelsäure . 

In  Salpetersäurehydrat  löst    er  sich  unter   Bildung   des  ein- 

!G  H 
H  CNO  "1 
einer  bei  raschem  Erhitzen  explosiven  zähflüssigen  Substanz.  Mischt 
man  die  Lösung   mit   Sohwefelaäurehydrat   und   lässt   sie   mehrere 
Tage  stehen,  so  bilden  sich  stickstoflFreichere  Verbindungen. 

Von  intermediären   Aethern  des  Propylphycites    habe  ich  nur 
noch  die  der  Essigsäure  untersucht,  besonders  um  zu  sehen,  ob  der 
Propylphycit  wirklich  sich  als  viersäuriger  Alkohol  verhielte,  und 
also  alle  vier  Atome  vertretbaren  Wasserstoffes  durch  Säureradieale 
n   Hesse.  —  Der   zweifach   und   der   dreifach    essig- 
DYropylphycitäther  lassen  sich  durch  Erhitzen  des  Al- 
an Stella  Essigsäurehydrat  erhalten,   werden   aber   leichter   rein 


VerhiadluQgen  dw  nAlnrhiBtoriBoh-medüdniBolMn  Ver«ias.  368 

dugesteUi  ans  dem  Dichlorhjdrin  pi^lt?    ^    durch   Erhitzen    mit 

esaigganrem  Natron  und  £s8ig8äarehyd»t,  wobei  folgende  Beactionen 
eintreten : 

nnd  bei  st&rkerm  Erhitzen : 

^  jCaHi  ,    ^iC2H30_  ^  iCgHi  j_OH. 

W(C,H30),H,  +  ^IH  -  ^*|(CaH30)3H+^^^- 

Beide  Aether  sind  farblose  zähe  Flüssigkeiten,  in  Wasserlös- 
lich und  von  bitterm  Geschmack.  Der  zweifiach  essigsaure  Äther 
ist  nicht  ohne  Zersetzung  destillirbar. 

Durch    Erhitzen    des     Triäthjlpropylphycitäthers, 

tCoH 
rn  TT  V   Tj    ™^t  Essigsäurehydrat  wird  erst  das  noch  ersetzbare 

At.  Wasserstoff  als  Wasser  und  darauf  einmal  oder  bei  längerm 
und  stärkerm  Erhitzen  auch  zwei-  oder  dreimal  die  Aethylgruppe 
als  essigsaures  Aethyl  fortgenommen  und  durch  die  Gruppe  Acetyl, 
C^H3  0,  ersetzt.  Bei  150^  bildet  sich  fast  allein  der  zweiCach 
essigsaure  Diäthylpropylphycitäther: 

*  J  (C,  H5)3  H  +  V  ^  I H  P  -^*  j  (Ca  H,),  (C,  H3  0)„ 

welcher  eine  bei  210^  siedende  Flüssigkeit  ist. 

Die  essigsauren  Aether  werden  durch  Alkalien  leicht  unter 
Bildung  von  essigsaurem  Salz  und  Propylphycit  zerlegt. 

Der  Propylphycit  verhindert,  wie  die  Zuckerarten,  die  Fällung 
des  Kupferoxydes  durch  Kalihydrat ;  es  entsteht  eine  blaue  Lösung 
aus  der  durch  Kochen,  wie  bei  den  zuckerähnlichen  Körpern  sich 
kein  Kupferoxydul  abscheidet.  Durch  Silberverbindungen  wird  er, 
besonders  in  ammoniakalischer  Lösung  leicht  oxydirt,  unter  Ab- 
scheidung von  metallischem  Silber. 

Mftssigt  man  die  sehr  heftige  Einwirkung  Terdttnnter  Salpeter- 
säure passend,  so  erleidet  der  Propylphycit  folgende  einfache 
Oxydation : 

welche  yölüg  analog  der  Oxydation  der  Alkohole  CaHan-j-^O  ist, 
nur  dass  hier,  wie  bei  den  Glycolen,  kein  Aldehyd  auftritt. 

SC  H.  0 
^     ^     ,   bil- 
det sehr  gut  characterisirte  Salze,  welche  vorzugsweise  nur  1  At.  H 

!C  H  0 
H  Oft  •  ^^® 
verh&H  sich  hierbei  also  völlig  wie  die  durch  Oxydation  der  Glycole 
und  Glycerine  entstehenden  zwei-  und  dreibasischen  Säuren,  welche 
ebenfalls  fCUr  gewöhnlich  nur  1  At.  H  durch  Metalle  ersetzen  lassen, 
und  wie  die  Propylphycitsäure  nur   1  At.  Sauerstoff  im  Badical 


264  Verhandlungen  des  natnrhlstoriBch-mediziniBchen  Vereins. 

enthalten.  Ich  habe  mich  indessen  überzeugt,  dass  die  Propyl- 
phycitsäure  wirklich  vierbasisch  ist.  T*ällt  man  die  Lösung  eines 
Salzes  derselben  mit  basisch  essigsaurem  Blei,  so  ist  des  entstehende 

Niederschlag  das  neutrale  Bleisalz  ^4)pl   ^    • 

Im  Anschluss  an  diese  Untersuchung  habe  ich  nun  begonnen 
Versuche  zur  Synthese  natürlich  vorkommender  Zuckerarten  und 
zuckerähnlicher  Körper  anzustellen.  Ich  erwähne  hierüber  z.  B., 
dass  aus  Benzol,  Cg  H^,  durch  Addition  von  ünterchlorigsäurehydrat 
das  Trichlorhydrin  eines  wie  es  scheint  sechssäurigen  Alkohols 
entsteht : 

'^H.+(o|g>  =  ci:ir- 

Durch  Zersetzung  dieser  Verbindung  mit  Alkalien  entsteht  in  der 
That,  obgleich  nicht  als  einziges  Produkt  eine  zuckerähnliche  Sub- 
stanz, CßHj.^Oß,  welche  entweder  der  gewöhnliche  Traubenzucker 
oder  doch  eine  damit  isomerische,  zuckerähnliche  Verbindung  ist.  — 
üeber  die  weiteren  Erfolge  dieser  Untersuchung  kann  ich,  da  die- 
selbe noch  unvollendet  ist,  erst  später  Mittheilung  machen. 


11.  Vortrag  des  Herrn  Dr.  F.Eisenlohr:  »Zur  Theorie 
der  Aberration«,  am  10.  Februar  1865. 

(Das  ManuBcript  wurde  am  27.  Februar  eingereicht.) 

Es  ist  bekannt,  dass  die  Aberration  der  Fixsterne,  da  sie  von 
dem  Verhältnisse  der  Lichtgeschwindigkeit  und  der  Geschwindig- 
keit der  Erde  abhängt,  ein  Mittel  abgibt,  wenn  die  letztere  ge- 
geben ist,  die  erstere,  oder  umgekehrt,  aus  der  erstem  die  letztere 
abzuleiten.  Da  jedoch  der  absolute  Ort  der  Fixsterne  nicht  be- 
kannt ist,  so  lässt  sich  aus  der  Aberration  nicht  die  absolute  Ge- 
schwindigkeit der  Erde,  d.  h.  die  Summe  ihrer  eignen  um  die 
Sonne,  und  der  des  Sonnensystems,  sondern  nur  der  Unterschied 
ihrer  Geschwindigkeit  zu  verschiedenen  Zeiten  des  Jahres  berech- 
nen. Ebenso  ergibt  auch  die  Aberration  der  Sonne  und  der  Pla- 
neten nicht  die  gemeinschaftliche  Bewegung  des  Sonnensystems, 
sondern  nur  den  Unterschied  der  Geschwindigkeit  der  Erde  und 
z.  B.  eines  Planeten ;  weil  der  Antheil  der  Aberration,  welcher  von 
der  Geschwindigkeit  des  ganzen  Sonnensystems  herrührt,  an  wel- 
cher auch  jener  Planet  Theil  nimmt,  wieder  genau  durch  den  Ein- 
fluss  der  Zeit  aufgehoben  wird,  die  das  Licht  braucht,  um  vom 
Planeten  zur  Erde  zu  gelangen. 

Dagegen  glaubt  Angström  *)  in  der  Beugung  des  Lichtes  durch 
ein  Gitter  ein  Mittel  gefunden  zu  haben,  die  absolute  Geschwindig- 


•)  Pogg.  Ann.  CXXTIL  8.  489. 


Yerhuidliuigen  des  iiAtirliistorisch-iiiedisUiiBelieii  Vereins.  260 

keit  der  Erde,  also  auch  des  Sonnensystems  im  Welträume  zu  be«* 
stimmen,  wenigstens  insoweit  der  Aether  als  ruhend  angesehen  wird. 
Fällt  nämlich  Sonnenlicht  senkrecht  auf  ein  Gitter,  welches  die 
Fraaenhofer'schen  Linien  im  Beugungsspektrum  zeigt,  und  z.  B.  in 
einer  Richtung  ein,  welche  der  absoluten  Geschwindigkeit  der  Erde 
im  Räume  entgegengesetzt  ist,  so  muss  der  Beugungswinkel  der 
Frauenhofer*8r}en  Linie  D  durch  die  Aben-ation  um  eine  Grösse 
verkleinert  werden,  welche  jener  Geschwindigkeit  und  dem  Sinus 
des  Bengungs  *.  inkels  proportional  ist.  Ausserdem  hat  Babinet  dar- 
auf aufmerksam  gemacht ,  dass ,  weil  die  durch  die  Spalten  des 
Gitters  gehenden  Strahlen,  durch  deren  Interferenz  das  Bengungs- 
spektmm  entsteht,  vom  Gitter  an  verschiedene  Wege  zu  durch- 
laufen haben,  sie  auch  das  Gitter,  welches  sich  mit  der  Erde  be- 
wegt, bei  verschiedenen  Lagen  desselben  verlassen  haben,  dass  also, 
wenn  ihr  Gangunterschied  derselbe  bleiben  soll,  der  Bengungswinkel 
ein  anderer  sein  muss ;  und  zwar  würde  hieraus  folgen ,  dass  die 
Yerkleinerung  des  Beugungswinkels  nicht  dem  Sinus,  sondern  der 
Tangente  desselben  proportional  sei.  Indem  nun  Angström  diese 
Berichtigung  anerkannte,  suchte  er  durch  Versuche  nachzuweisen, 
dass  in  der  That,  wenn  die  Geschwindigkeit  der  Erde,  in  Bezug 
aof  das  einfallende  Licht  verschiedene  oder  entgegengesetzte  Rich- 
tung hat,  die  Grösse  des  Beugungwinkels  verändert  werde;  insbe- 
sondere hoffte  er  diejenige  Geschwindigkeit,  welche  die  Erde  mit 
dem  ganzen  Sonnensysteme  geroein  hat,  zu  bestimmen,  sagt  aber 
selbst,  dass  die  Versuche  darüber   noch   nicht  entscheidend  seien. 

Doch  es  lässt  sich  leicht  zeigen,  dass  wenn  die  Beobachtungen 
zu  den  verschiedenen  Zeiten  des  Jahres  angestellt  werden,  in  wel- 
chen die  einfallenden  Sonnenstrahlen  dieselbe  oder  die  entgegen- 
gesetzte Richtung  haben,  als  die  fortschreitende  Bewegung  des 
Sonnensystems,  der  Einflnss  der  Bewegung  der  Erde  vollkommen 
aufgehoben  wird  durch  den  der  Bewegung  der  Sonne,  wenn  diese 
out  gleicher  Geschwindigkeit  erfolgt.  Es  ist  nämlich,  wie  Doppler 
zuerst  bemerkte,  die  Wellenlänge  der  Linie  D,  wenn  dieselbe  in 
einer  mit  der  Sonnenbewegung  gleichen  oder  entgegengesetzten 
Bichtung  fortgepflanzt  wird,  kleiner  oder  grösser,  so  dass  desswegen 
der  Beugungswinkel  verkleinert  bezüglich  vergrössert  wird. 

Wenn  hiemach  die  Methode  von  Angström  nicht  zur  Bestim- 
mung der  absoluten  Geschwindigkeit  der  Erde  führen  kann,  so  gibt 
sie  doch  den  unterschied  dieser  Geschwindigkeit  und  der  der  Licht- 
quelle; es  müssten  desshalb,  um  die  Fortbewegung  des  Sonnen- 
systems im  Baum  zu  bestimmen,  Beugungsspektra  der  Fixsterne 
untersucht  werden.  Dasselbe  Ziel  würde  sich  indessen  auch  er- 
reichen lassen  durch  die  Aenderung  der  Breohbarkeit  des  Fixstern- 
lichts, weil  nach  der  Theorie  von  Doppler  bei  verschiedener  Ge- 
schwindigkeit der  Lichtquelle  und  des  Prisma,  die  Intervalle,  in 
welchen  die  Schwingungen  eines  Theils  des  Spektrums  auf  das  Prisma 
treffen,  von  der  Schwingungsdauer   desselben   bei   ruhender  Licht- 


266  Verhandlungen  des  DAiurbistoriBoh-medlslnischen  Vereins. 

quelle  und  Prisma  verschieden  sind ;  freilich  ist  diese  Aenderung  so 
klein,  dass  wohl  bei  keiner  Geschwindigkeit  eines  Fixsterns  die 
beiden  Bestandtheile  der  Linie  D  um  ihren  Zwischenraum  ver- 
Bchoben  würden,  und  sie  würde  sich  desshalb  kaum  nachweisen 
lassen.  Eher  noch  würde  eine  dritte  Methode  zum  Ziele  führen, 
welche  sich  darauf  stützt,  dass  die  Linie  D  bei  veränderter  Brech- 
barkeit auch  nicht  mehr  einfach  durch  die  Natriumflamme,  wie  in 
KirchhofTs  Versuchen,  verdunkelt  würde,  dass  vielmehr  das  Fix- 
stemspektmm  falls  es  die  Linie  D  enthielte  durch  eine  Natrium- 
flamme gesehen,  ausser  der  ihm  zukommenden  eine  zweite  sehr 
wenig  davon  entfenite  Doppellinie  D  zeigen  würde. 


12.  Vortrag  des  Herrn  Professor  Friedreich:  ȟeber, 

multiple  knotige   Hyperplasie   der  Leber  und  Milz« 

am  10.  Februar  1865. 

(Das  ManuBcript  wurde  am  9.  AprU  1866  eingereicht.) 

Prof.  Friod reich  beschreibt  eigenthümliche  Befunde  an  der 
Leber  und  Milz  eines  an  Eucephalohaemorhagie  verstorbenen  56j&hri- 
gen  Mannes.  Sowohl  die  Milz,  wie  die  Leber  waren  durchsetzt 
von  zahllosen  grösseren  und  kleineren  Geschwülsten,  welche  sich 
bei  mikroskopischer  Untersuchung  als  hyperplastische  Gewebs- 
wucherungen herausstellten  ,  und  für  deren  Entstehung  aus  mehr- 
fachen Gründen  entzündliche  Vorgänge  innerhalb  des  Parenchyms 
der  genannten  Organe  angenommen  werden  mussten.  Nach  er- 
folgter Darlegung  der  an  dieser  seltsamen  Veränderung  beobachte- 
ten Eigenthümlichkeiten,  erinnert  Redner  an  einige,  in  der  neueren 
Literatur  beschriebene  Beobachtungen  analoger  Art;  so  an  die 
Rokitansky 'sehen  Fälle  von  Tumoren,  bestehend  aus  »Leber- 
gewebe neuer  Bildung«  innerhalb  der  Leber,  fei*ner  an  die  Beob- 
achtungen von  Grie Singer  und  Rokitansky  über  das  Vor- 
kommen hyperplastischer  Milzgeschwülste,  endlich  an  die  neuerlichst 
durch  Griesinger  und  Rindfleisch  bekannt  gewordene,  als 
»Leberadenoid«  bezeichnete  Erkrankungsform.  Doch  bestanden  in 
diesen  Fällen  entweder  nur  vereinzelte  Tumoren,  oder  es  zeigte 
sich  bloss  eines  oder  das  andere  der  genannten  Organe  ergriffen. 
Dagegen  findet  sich  in  der  Literatur  kein  Beispiel,  wie  das  Mit- 
getheilte,  in  welchem  Milz  und  Leber  gleichzeitig  der  Sitz  zahl- 
loser hyperplastischer  Geschwulstbildungen  gewesen  wäre.  Ueber 
die  Aetiologie  des  Leidens,  welchesbeiLebzeiten  vollkommen  latent 
bestand,  Hessen  sich  keine  Anhaltspunkte  gewinnen. 

Die  ausführliche  Abhandlung  über  den  mitgetheilten  Gegen- 
stand vgl.  in  Virchow's  Arohiv  für  pathologische  Anatomie  und 
Physiologie  und  für  klinische  Medizin.  33.  Band.  1865. 


VerhMidhiAg^  dw  DiiturliiBtoriscli-inedixinliGheB  Veraltt».  267 

13.    Vortrag  des  Herrn  Dr.  Ladenburg:     ȟeber  eine 

nenne  Methode  der  Elementaranalyse«*), 

am  24.  Februar  1865. 

(Du  MantiBcrlpt  wurde  am  8.  M&rz  eingereicht.) 

Es  ist  dieselbe  einstweilen  nur  für  Körper  angewendet,  welche 
ans  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  bestehen.  Sie  nnter- 
sdieidet  sich  von  der  ält-ern  allgemein  angewandten  Methode  schon 
dadurch,  dass  hier  die  Menge  von  Kohlensäure,  welche  bei  der 
Oxydation  der  organischen  Substanz  gebildet  wird  und  die  Menge 
Ton  Sauerstoff,  welche  zu  dieser  Oxydation  dient,  bestimmt  wird, 
während  früher  die  Gewichte  der  gebildeten  Kohlensäure  und  des 
Wassers  ermittelt  wurden.  Auch  ist  die  Art  der  Oxydation  ganz 
verschieden,  da  dieselbe  hier  iu  einem  zugeachmolzenen  Rohr  aus- 
geführt wird.  Als  Oxydationsmittel  dient  ein  Gemisch  von  jod- 
saorem  Silber  und  Schweft^lsäurehydrat.  Die  Menge  des  ersteren 
ist  abgewogen  und  ist  wenigstens  um  \'5  grösser  als  zur  Oxydation 
der  Substanz  erforderlich  wäre.  Der  zu  analysirende  Körper  be- 
findet sich  in  einem  Glaskügelcheu,  welches  nebst  dem  Oxydations- 
gemisch  in  ein  Bohr  gebracht  wird;  nach  dem  Zuschmelzen  des 
letztem  wird  das  Kügelchen  zertrümmert,  wodurch  die  organische 
Verbindung  mit  dem  Oxydationsgemisch  in  Berührung  kömmt ;  doch 
erfolgt  eine  vollständige  Verbrennung  der  Substanz  erst  bei  einer 
heberen  Temperatur,  wesshalb  das  Rohr  bis  gegen  200^  erhitzt 
werden  muss.  Es  wird  nach  dem  Erkalten  gewogen  und  die  Kohlen- 
säure durch  Gewichtsverlust  bestimmt,  indem  naeh  dem  Aufblasen 
die  in  der  Schwefelsäure  absorbirte  Kohlensäure  durch  Erhitzen  und 
Anspompen  entfernt  wird.  Das  zurückgebliebene  jodsaure  Silber 
wird  nach  der  Bunsen' sehen  Methode**)  bestimmt,  indem  der  In- 
halt des  Rohrs  herausgebracht,  mit  Jodkalium  versetzt  und  das 
freigemachte  Jod  volumetrisch  bestimmt  wird.  Ans  der  Menge  des 
letztem  lässt  sich  sehr  einfach  die  zur  Oxydation  verbrauchte  Menge 
Ton  Sauerstoff  berechnen,  welche  ihrerseits  den  Wasserstoffgehalt 
der  Substanz  mit  Hülfe  der  gefondenen  Kohlensäure  bestimmt,  da 
ja  die  Summe  der  Gewichte  von  angewandter  Substanz  und  ver- 
brauchtem Sauerstoff  gleich  ist   den   Mengen  von  Kohlensäure  und 


Die  Resultate,  welche  diese  Methode  liefert,  sinl  sehr  genau 
^d  ist  dieselbe,  meiner  Ansicht  nach,  der  Liebig' sehen  Methode 
besonders  da  vorzuziehen,  wo  es  sich  um  die  Analyse  schwer  ver- 
breunlicher  und  flüchtiger  Körper  handelt.  Ausserdem  kann  sie 
in  Verbindung  mit  der  altern  Methode  zur  Bestimmung  des  Sauer- 
stoffgehalts  orgamscher  Substanzen  benutzt  ^rden. 

*)  Dia  avsfnbrllche  Beschreibung  der  Methode  wird  in  den  Annalen  für 
Ckemia  und  Pbarmacie  erscheinen. 

**)  Bnnsen:  ^Ueber  eine  volumetTiscbe  Methode  von  allgemeiner  An- 
wendbarkett*.  Ann.  Chem.  Pharm.  LXXXWL  206. 


268  VerhandlnTipren  des  naturhifttorlsch-medteiDlscheii  Vereins. 

14.  Vortrag   des   Herrn  Prof.   H.  Alex.  Pagenstechor: 

»Ueber  Trichinen«,  am  24.  Februar  1865. 

Der  Vortragende  sprach  über  die  hauptsächlichsten  Ergebnisse 
der  seit  beinah  einem  Jahre  am  zoologischen  Institute  gemachten 
Ffltteruiigsversuche  mit  Trichinen,  welche  ausführlich  in  seiner 
Schrift:  Die  Trichinen,  Leipzig  1865  bei  Engelmann,  niedergelegt 
sind.  Er  erläuterte  seine  Mittheilungen  durch  Demonstration  leben- 
der Darmtrichinen  und  Muskel  trieb  inen.  Er  fügte  den  in  der  Druck- 
schrift gegebenen  Thatsachen  die  hinzii,  dass  ihm  auch  ein  weiterer 
Versuch  einen  jungen  Himd,  welcher  übrigens  nur  Brod  und  Milch 
erhielt,  trichinig  zu  machen,  nicht  gelungen  sei.  Auch  in  diesem 
Falle  fanden  sich  bei  der  Sektion  einige  Wochen  nach  der  letzten 
Fütterung  mit  trichinigem  Fleische  nicht  einmal  Darmtrichinen. 
Von  welchen  besonderen  Umständen  das  seltene  Zustandekommen 
der  Muskeltrichinen  bei  Hunden  oder  auch  die  bisher,  wie  er  scheint, 
nur  einmal  Leuckart  gelungene  Uebertragung  von  Darm  trieb  inen 
mit  Darminhalt  abhängen  möge,  ist  bisher  noch  ganz  unklar. 

15.  Vortrag  des  Herrn  Hofrath  H.  Helmholtz:   »Ueber 

Eigenschaften  des  Eises«,   am  24.  Februar  1865. 

(Das  ManuBcript  wurde  am  10.  M&rx  eingereicht) 

Das  Phänomen  der  Regelation  des  Eises  von  Null  Grad,  wo- 
nach zwei  Eisstücke  beim  Aneinanderpressen  zusammenfrieren  und 
sich  fest  vereinigen,  ist  von  Faraday  entdeckt  worden,  und  von 
James  Thomson  erklärt  worden,  aus  der  Erniedrigung  des  Ge- 
frierpunkts, die  bei  gesteigertem  Drucke  eintritt.  Dagegen  waren 
von  Faraday  Versuche  angeführt  worden  bei  denen  der  Druck 
sehr  klein  ist,  und  doch  die  Eisstücke  im  Laufe  einiger  Stunden  zu- 
sämmenfroren. 

Der  Vortragende  hat  einige  Versuche  angestellt,  welche  dazu 
dienen  können,  die  gegen  J.  Thomson's  Theorie  gemachten  Ein- 
wände zu  heben.  Man  muss  hierbei  wesentlich  die  Zeit  berück- 
sichtigen. Unter  starkem  Drucke  haften  zwei  Eisstücke  angen- 
blicklich  zusammen,  unter  Umständen  so  stark,  dass  man  sie  nicht 
wieder  von  einander  lösen  kann.  Je  schwächer  der  Druck  ist, 
desto  länger  muss  man  warten,  und  desto  leichter  sind  die  Stücke 
nachher  wieder  von  einander  zu  lösen. 

Presst  man  zwei  Eisstücke  an  einander,  so  nehmen  sie  eine 
Temperatur  niedriger  als  der  Gefrierpunkt  an,  fUr  je  eine  Atmos- 
phäre Druck  0,0075  «ines  Centesimalgrades.  Die  zwischen  ihnen 
zurückbleibende  Wasserschicht  aber  kann  entweichen  und  wird  nicht 
gepresst,  deren  Gefrierpunkt  wird  also  auch  nicht  vermindert,  und 
sie  wird  gefrieren  müssen,  da  sie  mit  Eis  von  weniger  als  0^  in 
Berührung  ist.  Je  kleiner  der  Druck,  desto  kleiner  die  Temperatur- 


Varbuidliuigea  das  DAtnrhUtoritcb-medlaiiüaclMni  Vareias.         269 

diffezenz,  desto  langsamer  die  Ableitung  der  Wärme  vom  Wasser 
zum  Eise,  desto  langsamer  das  Gefrieren. 

Der  Vortragende  erhielt  einen  durch  Auskochen  luftleer  ge- 
machten und  zugeschmolzenen  Glaskolben,  der  Wasser  und  Eis  ent- 
hielt, in  einem  Gemi:Msh  von  Eis  und  Wasser.  Im  Innern  des  Kol- 
bens mnsste  der  Gefrierpunkt  hoher  sein  als  ausserhalb.  Deshalb 
gefror  langsam  das  innere  Wasser.  Im  Lauf  einiger  Stunden  haf- 
tete das  innen  schwimmende  Eis  immer  wieder  an  der  Glaswand 
des  Kolbens,  und  im  Laufe  einiger  Tage  entstanden  gut  ausge- 
bildete Eiskrystalle  über  den  ganzen  Boden  des  Kolbens.  Durch 
die  Glaswand  des  Kolbens  musste  natürlich  der  Prooess  sehr  viel 
langsamer  vor  sich  gehen,  als  in  einer  mikroskopisch  dünnen  Was- 
serschicht zwischen  zwei  Eisflächen. 

Durch  Berücksichtigung  dieser  Umstände  scheinen  die  gegen 
die  Theorie  von  Thomson  aufgestellten  Bedenken  beseitigt  zu 
werden.  F  a  r  a  d  a  y  ninunt  an,  dass  Wassertheilchen  in  enger  Nach- 
barschaft von  Eis  durch  eine  Art  von  Contactwirkung  leichter 
gefrieren.  Dabei  wird  aber  dem  Wasser  latente  Wärme  entzogen, 
ond  es  ist  nicht  abzusehen,  wo  die  hin  kommen  soll,  oder  welche 
Arbeit  sie  leisten  soll.  J.  Thomson  hat  dagegen  wohl  mitBecht 
eingewendet,  dass  Gontractwirkungen  in  solchen  Fällen  wohl  Hinder- 
nisse wegräumen  können,  welche  der  Wirksamkeit  derjenigen  Kräfte 
entgegenstehen,  die  Veränderung  hervorzubringen  streben,  aber  sie 
nicht  selbst  hervorbringen  können.  Es  würde  dies  ein  Wieder- 
spmch  gegen  das  Gesetz  von  der  Erhaltung  der  Kraft  sein. 

Die  Plasticität  des  Eises  zeigt  sich  nach  den  Versuchen  des 
Vortragenden  am  ausgezeichnetsten  in  Eis,  welches  durch  hohen 
Druck  (50  Atmosphären)  aus  Schnee  zusammengepresst  ist.  Ojlin- 
der  aus  solchem  Eise  konnten  zwischen  zwei  Platten  in  Richtung 
ihrer  Axe  zusammengedrückt  werden,  so  dass  sie  platte  Scheiben 
worden,  ond  erst  gegen  das  Ende  der  Pressung  bildeten  sich  offene 
Spalten  an  einzelnen  Stellen  der  cylindrischen  Oberfläche. 

Begelmässig  krystallinisches  Eis  dagegen  von  der  Oberfläche 
eines  ge&orenen  Flusses,  spaltet  beim  Druck  zwischen  zwei  Platten 
in  grosse  Bruchstücke  aus  einander,  die  zwar  durch  Begelation 
wieder  vereinigt  werden ,  aber  dann  doch  deutlich  ein-  Haufwerk 
nnregelmässiger  Stücke  bilden. 

Kömiges  Eis  dagegen,  sei  es  nun  feinkörnig,  wie  das  aus 
Schnee  gepresste  Eis,  oder  grobkörnig,  wie  krystallinisches  Eis, 
welches  in  einer  geschlossenen  eisernen  Form  zerbrochen  und  in 
eine  neue  Gestalt  gepresst  worden  ist,  bildet  beim  Druck  nur  kleine 
Usse,  welche  den  Zusammenhang  der  Eismasse  nicht  vollständig 
trennen. 

Ein  Oylinder  solchen  körnigen  Eises  konnte  selbst  durch  eine 
Oeffhung,  deren  Durchmesser  nur  halb  so  gross  war  als  der  des 
Oylinders,  hindurohgepresst  werden,  ohne  seinen  Zusammenhang  zu 
verlieren.    Doch  spaltet  der  engere  ausgepresste  Cylinder  gewöhn« 


270         Verhandlungen  übb  nafurhisloriBcb-tnodislDltelien  Vereins. 

lieh  der  Länge  nach  auf,  ahnlich  einem  Gletscher,  der  durch  ein^ 
enge  Felsschlucht  in  ein  weites  Thal  hinein  bricht.  Es  erklärt  sich 
dieses  Aufspalten  dadurch,  dass  das  Eis  durch  die  Mitte  der  Oeff- 
nung  schneller  vordringt,  als  an  deren  Rändern. 

Bei  diesen  Versuchen,  wobei  das  Bis  einem  bis  zu  50  Atmos- 
phären gesteigerten  Drucke  ausgesetzt  wird,  und  seine  Temperatur 
deshalb  auf  etwa  —  0^,  5  fällt,  gefriert  oft  das  Wasser,  welches 
sich  in  den  Spalten  der  aus  mehreren  Stücken  zusammengesetzten 
eisernen  Form  ansammelt. 

Das  Eis,  welches  m^'U  künstlieh  aus  Schnee  zusammenpresst, 
ist  Yon  weisslichem  Aussehen  und  undurchsichtig  wegen  der  Menge 
kleiner  Luftblasen,  die  es  einschliesst.  Wenn  man  es  mit  der  Presse 
umknetet,  wird  es  immer  klarer,  indem  die  Luftblasen  durch  die 
sich  bildenden  kleinen  Sprünge  ausgetrieben  werden.  Fresst  man 
einen  Cy linder  solchen  Eises  zwischen  ebenen  Platten,  so  sieht  man 
fortwährend  eine  Menge  kleiner  Luftbläschen  durch  seine  nasse 
Oberfläche  entweichen.  Dass  das  Gletschereis  schliesslich  ganz  klar 
wird,  erklärt  sich  also  wohl  durch  das  fortdauernde  ümkneten 
desselben,  welches  in  den  Gletschern  stattfindet. 

Aber  auch  klares  krystallinisches  Eis  wird  trübe,  wenn  es 
unter  der  Presse  in  eine  andere  Form  gebracht  wird.  Ich  habe 
eine  geschlossene  cylindrische  Form  aus  Gusseisen,  in  die  ein  Stempel 
eingetrieben  werden  konnte,  mit  klaren  Eisstücken  und  Wasser  ge- 
füllt, so  dass  alle  Luft,  ausgeschlossen  war,  und  dann  das  Eis  zu- 
sammengepresst,  während  das  Wasser  durch  die  Spalten  der  Form 
entwich.  Der  dadurch  erzeugte  Eisblock  war  weisslich  durch- 
scheinend. Mit  der  Lupe  erkannte  man  eine  grosse  Menge  sehr 
feiner  und  dicht  aneinander  stehender,  das  Licht  schwach  reflecti- 
render  Flächen  in  seinem  Innern ;  wahrscheinlich  Spalten  von  einer 
Weite,  die  kleiner  als  Viertellichtwellenlängen  war,  die  ein  Vacuum 
enthielten.  Dass  solche  spaltfbrmige  unvollständig  mit  Wasser  ge- 
füllte Vacua  im  Gletschereise  vorkommen,  hat  Tyndall  gezeigt. 
Solche  können  beim  Pressen  entstehen,  wenn  sich  die  Wände  der 
gebildeten  Sprünge  mit  einer  kleiner  Verschiebung  wieder  anein- 
ander legen,  wo  sie  dann  nicht  genau  aufeinander  passen. 

Wenn  ein  solcher  weisslicher  Block  gepressten  Eises  einige 
Stunden  im  Eiswasser  lag,  so  wurde  er  ganz  durchsichtig,  wie 
Gletschereis.  Mit  der  Lupe  aber  erkannte  man  in  seinem  Lmeni 
eine  grosse  Zahl  von  Linien,  welche  sich  durch  andere  Lichtbrech- 
ung auszeichneten,  und  wie  die  aneinanderstossenden  Kanten  einer 
grossen  Zahl  kleiner  Zellen  erschienen.  Brach  man  mit  dem  Daumen- 
nagel einige  Thcile  von  der  Kante  des  Blockes  los,  so  erschienen 
diese  als  ein  Haufwerk  kleiner  polyedrischer  Kömer  von  Steck- 
nadelkopf- bis  Erbsengrösse.  Jenes  zellige  Ansehn  des  Blocks  rührte 
offenbar  dnvon  her,  dass  er  durch  und  durch  aus  solchen  polye- 
drischen  Körnern  bestand,  zwischen  denen  sich  Wasserschichten 
befanden.  Mittels  ))olari8irten  Lichtes  Uess  sich  an  gepressten  Eis- 


Verbiuidliiiigon  df«  naturhlstnrtscIi-flnedlciBiBohan  Yereias.         S71 

platten  von  etwa  4  Millimeter  Dicke  dieselbe  Zosammenset^mng  aus 
einem  Haufwerk  von  J[5mem  ebenfalls  leicht  erkennen,  auch  sogar 
nmnittelbar  nach  der  Pressung,  ehe  noch  das  Schmelzen  angefangen 
hatte.  Genau  dieselbe  Zusammensetzung  zeigt  bekanntlich  schmel- 
zendes Gletschereis,  nnr  dass  dieses  meist  grössere,  und  mehr  in 
einander  verschränkte  Kömer  zeigt. 

Die  Entstehung  dieser  Körner  scheint  äich  dadurch  zu  er- 
klären, dass  die  unregelmässigen  Bruchstücke,  aus  denen  der  zu- 
nammengepresste  Block  besteht  und  welche  durch  Begelation  ver- 
einigt sind,  bei  der  alimäligen  Erwärmung  des  Blocks  auf  Null 
Grad  gerade  an  den  Stellen  abschmelzen,  die  noch  gepresst  sind, 
dass  die  luftleeren  Spalten  sich  mit  diesem  Wasser  fallen,  und  so 
schliesslich  eine  Masse  von  aneinder  liegenden  Körnern  entstehen, 
die  durch  ihre  gegenseitige  Verschränkung  noch  aneinander  haften. 


16.  Vortrag  des  Herrn  Professor  Erlenmeyer:  »Ueber 

einige  Eigenthümlichkeiten  in  dem  Verhalten 

des  Amylens«,  am  10.  März  1865. 

(Das  Manoscript  wurde  am  23.  März  1865  eingereicht) 

Kurze  Zeit  nachdem  Wurtz  aus  Amyleu  und  Jodwasserstoff 
sein  Amylenjodhydrat  und  aus  diesem  durch  Silberoxyd  und  Wasser 
das  Amylenhydrat  resp.  den  Pseudoamylalkohol  dargestellt  hatte, 
versuchte  ich  diesen  Körper  in  analoger  Weise  zu  erzeugen,  wie 
Berthelot  den  Pseudoalkohol  Vom  Propylen  und  ich  mit  Wank- 
lyn  deiigenigen  von  Hexylen  gewonnen  hatte.  Ich  brachte  Amyleu 
mit  Schwefelsäurehydrat  und  später  auch  mit  Gemischen  dieses  mit 
Wasser  nach  verschiedenen  Verhältnissen  zusammen,  aber  in  kei- 
nem Falle  erhielt  ich  das  gewünschte  Besultat ;  das  Amylen  hatte 
sich,  wenn  die  Schwefelsäure  nicht  zu  sehr  verdünnt  war  zwar  ver- 
ändert nnd  einen  weit  über  100^  steigenden  Siedepunkt  bekommen, 
aber  es  konnte  keine  Spur  Pseudoalkohol  aufgefunden  werden.  Ich 
war  damals  genöthigt,  meine  Versuche  zu  unterbrechen. 

Mittlerweile  hat  nun  Berthelot  in  einer  Abhandlung  unter 
dem  Titel,  Untersuchungen  über  die  Amylalkohole,  folgende  Aeusse- 
ronggethan:  »Fast  die  ganze  Menge  des  Carbürs  (Amylens)  bildet 
beim  Zusammenbringen  mit  Schwefelsäure  entweder  polymere  Körper 
oder  eine  der  Isäthionsäure  analoge  complicirt  zusammengesetzte 
und  beständige  Säure,  und  ich  erhielt  eine  so  geringe  Menge  von 
Amylenhydrat,  dass  mir  ein  genaueres  Studium  desselben  nicht 
möglich  war.«  Diess  veranlasste  mich  meine  Versuche  wieder  auf- 
zunehmen, einerseits  weil  ich  früher  zum  Zwecke  der  Darstellung 
eines  Homologen  des  Taurins  die  Darstellung  der  Isamthionsäure 
durch  Herrn  Dr.  Ernst  ohne  Erfolg  hatte  versuchen  lassen  und 
nun  dachte  nach  der  Bemerkxmg  von  Berthelot  eine  Methode 
zu  deren  Darstellung  zu  gewinnen;   andrerseits   aber  weil  ich  mir 


272  Verhandlmigeii  des  naturhlsforifich-niediziiiiscben  Vereins. 

vorstellte,  dass  wenn  eine  kleine  Quantität  von  Amylen  in  Psendo- 
alkohol  übergeführt  werden  könne,  sich  auch  die  Bedingungen  finden 
lassen  müssten,  unter  denen  sich  grössere  Quantitäten  oder  alles 
Amylen  in  diesen  Körper  umwandele. 

Ich  will  die  Versuche,  welche  ich  anstellte;  nicht  alle  einzeln 
beschreiben,  sondern  nur  allgemein  Folgendos  anführen:  Ich  ver- 
wendete ausser  a)  Schwefelsäurehydrat  folgende  Verdünnungen 
b)  5  Vol.  80^  Ha  :  1  Vol.  H^  0;  c)  4  Vol.  SO^Hj  :  1  Vol.  H^O; 
d)  3  Vol.  SO4H2  :  1  Vol.  H.,  0;  e)  2  Vol.  SO4  Hj  :  1  Vol  HjO; 
f)  Vit  Vol.  SO^  H2  :  1  Vol.  H,  0 ;  g)  1  Vol.  SO4  K^  :  1  Vol.  H^  O. 

Sowohl  die  Säure,  als  auch  das  Amylen*)  war  vorher  in  Eis 
abgekühlt,  um  gelbe  bis  braune  Färbung  und  Bildung  von  Schwef- 
ligsäure zu  vermeiden;  das  Amylen  wurde  nach  und  nach  unter 
heftigem  Schütteln  und  steter  Abkühlung  in  die  Satire  eingetragen, 
und  dann  entweder  sogleich  nach  dem  Eintragen  oder  nach  ein- 
bis  mehrstündigem  Schütteln  oder  nach  ein-  bis  zweitägiger  Be- 
rührung die  schwerere  Flüssigkeit  von  der  aufschwimmenden  durch 
die  Glashahnbürette  getrennt.  Die  saure  Flüssigkeit  wurde  ver- 
dünnt und  zum  Theil  destillirt,  zum  Theil  mit  kohlensaurem  Baryt 
gesättigt,  das  Filtrat  vom  schwefelsauren  Baryt  auf  dem  Wasser- 
bad erwärmt,  um  den  kohlensauren  Baryt  abzuscheiden  und  dann 
über  Schwefelsäure  vollständig  verdampft. 

Die  leichtere  Flüssigkeit  wurde  mit  Wasser  gewaschen,  bis 
dieser  keine  saure  Beaction  mehr  annahm,  von  dem  Wasser  ge- 
trennt, mit  geschmolzenem  Chlorcalium  getrocknet  und  der  fractio- 
nirten  Destillation  unterworfen. 

Ich  habe  so  dreissig  bis  vierzig  Versuche  mit  verschiedenen 
Abänderungen  angestellt,  indem  ich  von  einer  Säure  das  gleiche, 
das  doppelte,  4  fache,  ja  oft  10  fache  Volum  von  dem  des  Amy- 
lens  anwendete.  Bei  einigen  Versuchen  wurde  auch  gleich  nach  der 
Mischung  die  ganze  Flüssigkeit  sofort  in  mit  Wasser  angerührten 
kohlensauren  Baryt  gegossen.  Aber  in  allen  Fällen  konnte 
weder  dieBildung  einer  derlsäthionsäure  ähnlichen 
Säure  noch  die  vonAmylenhydrat  beobachtet  werden.**) 


*)  Das  zu  meinen  Versuchen  verwendete  Amylen  war  mit  Chlorsink 
aus  Amylalkohol  bereitet  und  zuerst  durch  fraetionirte  Destillation  und  Chlor- 
calcium,  dann  durch  Destillation  über  Natrium,  so  lange  bis  dieses  niclitmehr 
anfregriffen  wurde,  gereinigt  worden. 

***)  Wurti  bat  früher  bei  der  Behandlung  seines  Amyienhydrats  mit 
Schwefelsäure  die  Beobachtung  gemacht,  dass  sich  keine  Spur  einer  gepaar- 
ten Schwefelsäure  bUdete,  und  das  Amylenhydrat  in  Polyamylen  übergeführt 
wurde. 

(Bchlnss  folgt.) 


r 


Ir.  18.  [BEIDEIBEBGEE  1805. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Yerhandlimgeii  des  natnrhistoriscli-mediziiiischen 
Vereins  zu  Heidelberg. 

(ScUoflS.) 

Anfangs  glaubte  ich  eine  geringe  Menge  eines  Barytsalzes  ans 
der  Mischung  von  Amylen  mit  Schwefelsäure  bekommen  zu  haben, 
denn  es  blieb  ein  Abdampfungsrttckstand  von  gelber  Farbe,  welcher 
der  Hauptmasse  nach  ein  gummiartiges  Aussehen  zeigte  und  an  der 
Loft  feucht  wurde.  Bei  näherer  Untersuchung  desselben  ergab  sich 
jedoch,  dasa  er  salpetersauren  Baryt  und  Ohlorbaryum  enthielt  und 
aosaerdem  noch  eine  barythaltige  organische  Masse,  die  in  schwa- 
chem Weingeist  löslich  war.  Von  15  CC.  Amylen»  welches  mit 
15  CG.  Schwefelsäure  geschüttelt  worden  war,  wurden  so  beispiels- 
weise 0,1817  Grm.  Bückstanderhalten.  Als  nun  eine  entsprechende 
Menge  Schwefelsäure  ohne  vorherige  Vermischung  mit 
Amjlen  direct  verdünnt  und  hierauf  mit  kohlensaurem  Baryt  ge- 
sättigt wurde,  so  blieb  nach  dem  Abdampfen  der  vorher  von  noch 
ausgeschiedenem  kohlensauren  Baryt  abfiltrirten  Flüssigkeit  ein 
Bückstand  von  ganz  gleichem  Aussehen  und  Oehalt  zurück,  der 
sogar  noch  eine  Kleinigkeit  mehr  wog  als  im  vorigen  Falle.  Der 
angewendete  kohlensaure  Baryt  war  aus  einer  chemischen  Fabrik 
als  chemisch  rein  bezeichnet  bezogen  worden.*)  Die  verwendete 
Schwefelsäure  war  frei  von  Stickstoffverbindungen,  aber  sie  war, 
obwohl  als  chemisch  reine  Säure  frisch  bezogen,  nicht  ganz  voll- 
kommen farblos.  Ich  vermuthe,  dass  die  Schwefelsäure  selbst  irgend 
welche  hineingefallene  organische  Substanzen  schon  vorher  in  irgend 
eine  gepaarte  Säure  umgewandelt,  oder  irgendwie  befähigt 
l^tte  eine  lösliche  Barytverbindung  zu  bilden. 

Wenn  man  den  in  Weingeist  gelösten  Yerdampfungsrückstand 
wieder  zur  Trockne  brachte  und  mit  einer  Säure  übergoss,  so  zeigte 
sich  ein  unangenehmer  Schweissgeruch ,  der  demjenigen  sehr  ähn- 
lich ist,  welcher  sich  bei  der  Destillation  von  Bunkelrübenmelasse 
mit  Wasser  entwickelt. 

Was  nun  die  Natur  der  über  der  Schwefelsäure  schwimmen- 
den Flüssigkeit  betrifft,  so  war  dieselbe  unlöslich  in  Wasser  selbst- 


*)  Ich  habe  mich  öfter  Überzeugt,  duss  es  ungemein  schwer  hält,  voll* 
kommen  reinen    kohlensauren  Baxyt  in  einlgermassen  erheblieheii 
Qttsatiateii  damstellen. 
LVXIL  Jshrg.  i.  Heft  18 


d74  Verhandlungen  des  naivbistorlflch^mediBinischen  Vereins. 

verständlicli  auch  in  Schwefelsäure,  and  zeigte  bei  der  Destillation 
je  nach  der  Coneentration  der  mit  ihr  in  BerUhning  gewesenen  Säure 
yersohiedene  Siedepunkte. 

Bei  .Anwendung  der  Säure  (a)  fing  die  Flüssigkeit  bei  150<^ 
an  zu  sieden,  der  grösste  Theil  ging  bei  200—2400  tLber,  bei  260^ 
war  das  Gefäss  trocken  und  etwas  kohlige  Masse   im  Bückstand. 

Die  Flüssigkeit  von  Säure  (b)  kam  bei  150^  in'f  Sieden,  der 
grösste  Theil  ging  um  200^  über,  bei  2300  ^ar  das  Ge^ss  trocken. 

Von  Säure  (c)  gingen  wenige  Tropfen  vor  100®  über,  die 
Hauptmasse  bei  150—1800  noch  wenig  bis2200,  wobei  das  Gefäss 
trocken. 

Von  Säure  (d)  bei  140^  anfangendes  Sieden,  die  Hauptmasse 
bei  167—170»,  bei  220«  das  Gefäss  trocken. 

Von  Säure  (e)  fast  Alles  bei  150  —  1600. 

Von  Säore  (f)  ungefähr  die  Hälfte  bis  400  die  andere  Hälfte 
bei  1480. 

Von  Säure  (g)  waren  nur  Spuren  umgewandelt,  der  grQsste 
Theil  zeigte  den  Siedepunkt  von  unverändertem  Amylen. 

Von  den  Fractionen  150 — 1600  war  eine  grössere  Menge  bei 
1550  gesammelt  und  eine  Analyse  davon  gemacht  worden. 

Dieselbe  gab  Zahlen,  welche  genau  mit  der  Zusammensetzung  eines 
Olefins  stimmen.  Diese  Flüssigkeit,  welche  einen  kampferähnlichen 
Genich  zeigte,  war  wahrsoheiiüich  der  von  Bauer  Diamylen*)  ge- 
nannte Kohlenwasserstoff,  welcher  sich  fast  vollständig  frei  von 
höheren  Polymeren  durch  Einwirkung  der  Säure  (e)  auf  Amylen 
darstellen  lässt.  (Ich  behalte  mir  vor,  diesen  EGrper  nach  der  an- 
gegebenen Methode  in  grösserer  Menge  darzustellen  und  einem  ge- 
naueren Studium  zu  unterwerfen.) 

Aus  den  hier  mitgetheilten  Beobachtungen  geht  hervor,  dasa 
das  Amylen  schon  von  einer  ziemlieh  verdünnten  Schwefelsäure  bei 
0^  polymerisirt  wird,  also  nicht  wie  manche  Chemiker  ausgespro- 
chen haben,  höherer  Temperaturen  dazu  bedarf,  es  geht  weiter  her- 
vor, dass  das  Amylen  nicht  wie  Propylen  und  Hexylen  mit  Schwefel- 
säure eine  Verbindimg  eingeht,  aus  welcher  es  als  Amylenhydrat 
abgeschieden  werden  kann. 

Man  kann  hiemach  wohl  der  Annahme  nicht  ausweichen,  dasa 
das  Amylen  auch  eine  von  der  von  Propylen  und  Hexylen  abwei- 
chende relative,  d.h.  eine  nicht  homologe  Constitution  besitze,  und 
es  wirft  sich  die  Frage  auf,  ob  es  nicht  möglich  sei,  auf  dem  Wege 
des  Experimentes  der  Brkenntniss  dieser  Constitotion  näher  ra 
kommen. 


*)  Nach  dem  Entdecker  des  Dismylens:  Gsnltier  de  CUubry 
rleeht  dasselbe  wie  faule  Aepfel,  nach  Baiard  kampferartig,  nach  Bauer 
angenehm  obstartig.  Ich  habe  bei  meinen  Versnoben  öfter  einen  cardamomen- 
ftholicbeii  Qemeb  bemerkt,  wenn  die  Mischling  mit  Wasser  verdttnnt  wnrde^ 
aber  dieser  verschwand  bei  der  Destillation  voüständig. 


TerliftBdlungeii  des  BAtnrhlstoriMli-medtriiilBcheii  YereliiB.  376 

Sehen  wir  uns  zniiftchst  nm,  ob  nicht  schon  Thatsachen  vor- 
handen sind,  welche  zur  Aufhelhing  dieser  Frage  beitragen  können, 
80  scheinen  hauptsächlich  drei  Experimente  der  Berücksichtigung 
werth  sa  sein,  und  zwar:  1)  die  Oxydation  des  Amylenglycols 
(Wuriz),  2)  die  Oxydation  des  Amylenhydrats  (Wurtz,  Kolbe), 
3)  die  Oxydation  des  Amylens  selbst  (Wurtz). 

Ziehen  wir  vor  der  Hand  nur  die  beiden  letzteren  Experi- 
mente in  Betrachtung. 

Wurtz  hat  bei  der  Behandlung  des  Amylenhydrats  mit  chrom- 
aaorem  Kali  und  Schwefelsäure  folgende  Zersetzungsprodukte  be- 
obaohtet. 

1)  Amylen,  2)  Essigsäure,  3)  Kohlensäure  4)  »eine  in  der  Reihe 
höher  stehende  Säure  wahrscheinlich  Propionsäure«,  5)  Butylen- 
hydrat,  6)  ein  wenig  beträchtliches  Gemisch  von  Ketonen,  das  von 
60*  bis  gegen  100*  siedete  und  in  welchem  mit  Sicherheit  nur  ge- 
wöhnliches, zwischen  57®  und  59®  siedendes  Aceton  (C3H^0)  er- 
kannt wurde,  während  aus  dem  über  60®  siedenden  Theil  ein  an- 
deres Eeton  im  Zustande  der  Reinheit  abzuscheiden  nicht  gelun- 
gen ist. 

Eolbe  hat  dagegen  bei  derselben  Einwirkung  hauptsächlich 
nur  Essigtöure  und  Kohlensäure  beobachtet.  Ausserdem  theilt  er 
aber  mit,  dass  er  eine  ölige  Flüssigkeit  von  anderem  Geruch  wie 
derjenige  des  Amylenhydrats  erhalten  habe,  deren  Analyse  die  Zu- 
sammensetzung eines  Gemisches  aus  gleichen  Molekülen  Amylen- 
hydrat  und  eines  Dehydrogenats  desselben  (C^HioO)  ergeben  hat; 
der  letztere  Körper  konnte  aber  durch  eine  Lösung  von  saurem 
schwefiigsauren  Natron  nicht  ausgezogen  werden. 

Wurtz  sagt  am  Schluss  der  Beschreibung  seines  Oxydations- 
versuchs von  Amylenhydrat  t  »Wenn  wir  die  Kohlensäure  und  das 
Batylenhydrat  bei  Seite  lassen,  so  sind  also  die  hauptsächlichsten 
Ozydationsproducte :  zuerst  Essigsäure,  sodann  eine  kleine  Menge 
Aceton  und  höherer  Acetone.«  Er  setzt  dann  hinzu:  »Ich  habe 
fesrtgestellt,  dass  das  Amylen  selbst  dieselben  Produkte  liefert.« 

Während  nun  bei  der  Beurtheilung  dieser  Oxydationsweise 
Wurtz  sich  einfach  dahin  ausspricht,  »dass  eine  solche  Spaltung 
eines  eompHcirt  zusammengesetzten  Moleküls  unter  Verlust  von 
Kohlenstoff  bei  der  Einwirkung  eines  kräftigen  Oxydationsmittels 
in  keiner  Weise  etwas  Ausserordentliches  ist«,  geht  Kolbe  in  sei- 
ner Ansicht  Über  die  Zersetzungsweise  des  Amylenhydrats  durch 
Oxydation  etwas  weiter.  Er  schliesst  aus  seinen  Beobachtungen, 
dass  das  Amylenhydrat  die  Constitution 

^H^JCH(OH) 

habe,    dass    das     primäre    Oxydationsproduct    desselben   Propyl* 
M ethylaceton  C  H3  i  ^  q 

O3  H7 1 
trad  dass  das  aus  dem  Amylalkohol  durch  Erhitzen  mit  Ghlorzink 


d?6  Verhandlungen  des  natvrhistorisch-medizlnlscben  Vereins. 

entstehende  sog.  Amjlen  nicht  das  eigentliche  Amjlen,  sondern 
Propyl-Aethylen  CH3  J^ 

OaHrr 

sei.  Er  stellt  sich  femer  vor,  dass  als  weitere  Oxydationsprodukte 
des  Propyl-Methylacetons  nach  folgender  Gleichung  Essigsäure  und 
Kohlensäure  auftreten  müssten: 

^^JcO  +  Oe  =  2(CaH,02)  +  H,0  +  COa 

Kolbe  hat  noch  weitere  Gründe  für  seine  Annahme  ange- 
führt, dass  das  Amylenhydrat  vonWurtz  der  Alkohol  des  Propyl- 
Methylacetons  sei,  die  ich  aber  hier  für  jetzt  unberücksichtigt 
lassen  will.  Ich  bemerke  nur,  dass  ich  vor  jetzt  anderthalb 
Jahren  schon  die  Ansicht  aussprach,  dass  das  Amylenhydrat  ein 
Eetonalkohol  sei  und  in  neuerer  Zeit  fast  gleichzeitig  mit  Kolbe 
es  als  wahrscheinlich  hinstellte,  dass  das  Amylen  sozusagen  ein 
deoxydirtes  Keton  sei,  ähnlich  wie  ich  das  Propylen  aus  Allyl- 
jodür  oder  aus  Pseudopropyljodür  für  desoxydirtes  Aceton 

erklärt  habe. 

Da  die  beiden  genannten  Forscher  Wurtz  und  Kolbe  bei 
der  Oxydation  des  Amylenhydrats  nicht  ganz  gleiche  Resultate  er- 
halten haben,  so  hielt  ich  es  zum  Zweck  der  Entscheidung  der 
Frage  wie  das  Amylen  constituirt  sei  für  wünschenswerth,  das 
von  diesen  Chemikern  ausgeführte  Experiment  zu  wiederholen. 
Es  erschien  mir  aber  zweckentsprechender  mit  der  Oxydation 
des  Amylens  selbst  zu  beginnen,  zumal  da  Wurtz  angibt,  da- 
bei dieselben  Resultate  wie  bei  der  Oxydation  des  Amylen- 
hydrats erhalten  zu  haben,  und  es,  weil  Wurtz  Amylen  unter 
den  Zersetzungsprodukten  des  Amylenhydrats  nachgewiesen  hat, 
nicht  unmöglich  ist,  dass  das  Amylenhydrat  zuerst  in  Amylen 
verwandelt  und  dieses  erst  oxydirt  wurde. 

Ich  wollte  hauptsächlich  wissen,  1)  ob  das  gewöhnliche  Aceton, 
welches  Kolbe  nicht  beobachtet,  und  Wurtz  nur  in  geringer 
Menge  erhalten  hatte,  Hauptproduct  oder  ein  untergeordnetes  Neben- 
produkt sei,  2)  ob,  wie  Wurtz  meint  annehmen  zu  sollen,  neben 
Essigsäure  auch  Propionsäure  entstehe. 

Ich  brachte  zu  dem  Ende  21,5  Amylen  ganz  in  derselben 
Weise  wie  es  Wurtz  angibt  mit  saurem  chromsaurem  Kali  und 
verdünnter  Schwefelsäure  in  Reaction.  Nach  6  stündigem  Kochen, 
wobei  sich  Kohlensäure  entwickelte,  wurde  die  Flüssigkeit  aus  dem 
Wasserbade  destillirt.  Bis  65^  gingen  8  CG.  über.  Diese  gaben 
an  Baures  sohwefligsaures  Natron  eine  kaum  bemerkbare  Menge 
Flüssiglceit  ab  und  bei  nachheriger  Zersetzung  konnte  auch  keine  sicht-^ 
bare  Spur  von  Aceton  gewonnen  werden^  wohl  aber  liess  sich  dessen 
Geruch  sehr  deutlich  wahrnehmen.  Bei  der  Destillation  der  Oxy- 
dationsflü0sigkeit  aus  dem  Asbestbad  bis  das  Destillat   nicht  mehr 


Yerhandliingen  des  nAtar1)l8toriscb-medliiiil8chen  Vereins.  277 

sauer  reagirte  wurde  eine  stark  nach  Essigsäure  riechesde  saure 
Flüssigkeit  erhalten,  welche  in  Silbersalz  umgewandelt  wurde.  Es 
zeigte  sieh  hierbei  keine  Reduction,  also  war  keine  Ameisensäure 
zugegen,  auch  ergab  sich  aus  mehreren  Silberbestimmungen  der 
ersten,  mittlem  und  letzten  Krjstallisation ,  dass  nur  Essigsäure 
und  keine  höhere  Säure  vorhanden  war. 

Da  bei  diesem  Versuch  das  Aceton  nur  durch  den  Geruch 
hatte  nachgewiesen  werden  können,  trotzdem,  dass  noch  yiel  unzer- 
setztes  Amylen  vorhanden  war,  so  wurde  das  Verfahren  in  folgen- 
der Weise  abgeändert.  80  CG.  Amylen  wurden  bei  einer  Tempera- 
tar,  die  nicht  über  20^  stieg  mit  dem  Oxjdationsgemisch  3  Tage 
lang  unter  sehr  häufigem  und  heftigem  Schütteln  in  Berührung 
gelassen.  Es  entwickelte  sich  viel  Kohlensäure,  welche  in  einem 
Gemisch  yon  Ammoniak  und  Chlorbaryum  aufgefangen  wurde.  Die 
Oijdationsflüssigkeit,  welche  eine  gp:tlnbraune  Farbe  angenommen 
hatte,  vnirde  nun  aus  dem  Wasserbad  destiUirt.  Es  gingen  zuerst 
24  CO.  un2ersetztes  Amylen  bis  40^  über,  daim  folgte  beim  Er- 
hitzen im  Kochsalzbad  eine  Flüssigkeit  in  der  Menge  von  16  OC. 
die  stark  nach  Aceton  roch,  und  sich,  indem  1 1  CC.  verschwanden, 
mit  saurem  schwefligsauren  Natron  so  stark  erhitzte,  dass  das  bei- 
gemischte Amylen  in  heftiges  Sieden  gerieth.  Bei  der  Zersetzung 
dieser  Lösung  mit  kohlensaurem  Natron  destillirte  eine  wie  reines 
Aceton  riechende  Flüssigkeit  über,  welche  nach  dem  Trocknen  mit  koh- 
lensaurem Kali  und  nachher  mit  entwässertem  Kupfervitriol  zwischen 
56mid58^  destillirte,  bei  60^  war  das  Gefllss  trocken.  Die  Menge 
derselben  betrug  8  CC. ,  die  Analysen,  sowie  die  übrigen  Eigen- 
schaften Hessen  keinen  Zweifel,  dass  die  erhaltene  Flüssigkeit  reines 
gewöhnliches  Aceton  CsHgO  war. 

Das  noch  unzersetzte  Amylen  wurde  von  Neuem  mit  der  Oxy- 
dationsflüssigkeit  zusammengebracht  und  wie  früher  behandelt.  Es 
wurden  so  noch  nahezu  2  CC.  Aceton  erhalten.*) 

Die  Oxydationsflüssigkeit  wurde  jetzt  aus  dem  Asbestbad  unter 
Einleiten  von  Wasserdampf  der  Destillation  unterworfen  bis  das 
Destillat  nicht  mehr  sauer  reagirte.  Dieses  wurde  dann  mit  kohlen- 
saurem Natron  neutralisirt ,  die  Lösung  zur  Trockene  verdampft. 
Der  bei  100®  getrocknete  41  Grm.  betragende  Salzrückstand  wurde 
mit  Schwefelsäure  (2  Vol.  Hydrat :  1  Vol.  Wasser)  im  Ueberschuss 
destiUirt.     Es  wurde  eine  Säure  erhalten,  die  nach  dem  Schütteln 


*)  B«l  dieser  Oxydation  Behwammen  auf  dem  no^h  wässrigen  Destillat 
einige  weiseUche  Flocken,  die  sieh  unter  derLoupe  als  Oeltröpfchen  in  er- 
kftinai  gaben,  sie  Belgien  einen  kräftigen  KransemtlnsOlgenieh.  Gans  der- 
•elbe  G«neh  wurde  bemerkt,  als  Amylen  mit  trockenem  SUberoxyd  in  einem 
^J^eiclimolsenen  Rohr  «Inifce  Stunden  bis  an  IWfi  erhitat  worden  war.  Das 
eflberoxyd  war  dabei  vollkommen  au  weissem  metalliMhen  Silber  reducirt 
^i^den,  aber  die  Menge  des  KOrpers,  weleber  den  genannten  Genioh  seigte 
^*sr  so  gering^  dass  er  nicht  isolirt  werden  konnte. 


378  VerbaDdlungen  dea  naturhiBtoxiscb-medixIiilachen  VereinB, 

mit  Bleibyperoxjd  den  charakteristischen  Essigsäuregeracb  ohnejeg« 
liehen  Beigeruoh  zeigte. 

Sie  wurde  aus  einem  Fractionirkölbchen  mit  in  gewöhnlicher 
Weise  eingesetztem  Thermometer,  (so  dass  dessen  Kugel  nur  bis 
an  das  Dampfableitungsrohr  reichte)  der  Destillation  unterworfen. 
Es  ereignete  sich  dabei,  dass  das  Thermometer  gegen  das  Ende  bis 
135^  hinaufging,  und  als  das  Geföss  trocken  war  auf  136^  stand. 
Man  hätte  danach  annehmen  können,  dass  wirklich  eine  der  Essig* 
säure  höhere  Säure,  vielleicht  Propionsäure  zugegen  wäre.  Als  aber 
die  sämmtlichen  Fraktionen  gemischt  und  einer  zweiten  Destillation 
aus  dem  Asbestbad  unterworfen  wurden,  gingen  zwei  Drittheile  -bei 
100—1100  über,  das  letzte  Drittel  destillirte  bei  110— 118»  und 
bei  120^,  während  bei  122^  das  Qeßiss  trockpn  war. 

Die  erste  und  letzte  Fraction  wurde  jede  für  sich  mit  kohlen- 
saurem Silber  gesättigt.  Die  in  den  erhaltenen  Salzen  vorgenom- 
menen Silberbestimmungen  stellen  die  vollkommene  Beinheit  der 
erhaltenen  Essigsäure  unzweifelhaft  fest.*) 

Nachdem  ich  so  mit  Bestimmtheit  nachgewiesen  zu  haben 
glaube,  dass  bei  der  Oxydation  des  Amylens  das  ge- 
wöhnliche Aceton  wesentliches  Zersetzungsprodukt 
ist  und  dass  keine  Propionsäure  und  keine  andere 
der  Essigsäure  höhere  Säure  gebildet  wird,  will  ich  es 
versuchen,  die  angefilhrteu  Beobachtungen  zur  Aufstellung  einer 
Hypothese  über  die  relative  Constitution  des  Amylens  zu  verwenden. 

Ehe  ich  dazu  übergehe,  glaube  ich  bemerken  zu  sollen,  dass 
ich  mich  hier  nicht  auf  die  Erörterung  der  Frage,  ob  die  bisher 
näher  untersuchten  Oleüne  im  freien  Zustand  vollkommen  geschlos- 
sene Verbindungen  sind,  oder  ob  sie  zwei  freie  KohlenstoffUquiva- 
lente  besitzen,  einlassen  werde«  Ich  will  diese  Frage  nicht  zur 
Discussion  bringen,  1)  weil  ich  den  letzteren  Fall  ebensogut  für 
möglich  halte  wie  den  ersteren,  nachdem  eine,  wenn  auch  nur 
eine  Verbindung  des  Kohlenstoffs  im  freien  Zustand  existirt,  welcher 
zwei  freie  Aequivalente  nun  einmal  nicht  weggeleugnet  werden 
können,  ich  meine  das  Eohlenoxyd ;  2)  weil  ich  für  jetzt  kein  Mittel 


*)  Von  der  be!  der  Oxydation  gebüdeten  Kohlens&nre  wurde  derjenige 
Thell  als  kohlensaurer  Baryt  gewo|i;eB,  welcher  sich  in  der  KKlte  entwickelt 
halte.  Er  betrug  0,8  CO«.  Der  Theil  aber,  welcher  sieh  während  derDeBtU«- 
lation  entwickelte,  wurde  leider  durch  ein  Versehen  nicht  bestimmt.  Dada« 
Aceton  in  der  wässerigen  Oxydationsflüssigkeit  weit  leiohter  löslich  ist,  als 
das  Amylen  und  erhöhte  Temperatur,  wie  der  frühere  Versuch  gezeigt  hat 
die  weitere  Oxydation  des  Aoetons  sehr  begOnstigt,  so  ist  es  sehr  wahr* 
seheinlieh,  dass  sieh  während  der  Destillation  «Ine  grössere  Menge  von 
Kohlensäure  bildete,  als  während  der  Einwirkung  in  der  Kälte  loh  halte  es 
aaeh  diesen  Erwägungen  fttr  unzweifelhaft,  dass  bei  der  Oxydation  des  Amy 
lens  die  Kohlensäure  ein  Hanptprodukt  (von  der  Oxdatton  des  Aoetons)  und 
nicht  ein  Nebenprodukt  oder  letstes  Oxydationsprodukt  ausmaohft,  als  wel- 
ehee  sie  bei  der  Behandlung  aller  kohlenstoffhaltigen  Substansen  mit  obrom- 
saurem  Kali  und  Schwefelsäare  aufsutreten  pflegt. 


Terfnn^ngea  dM  Bitnrldstof  iMdi-medlitnlMlMi  VeNlu.         UV 

selM  die  Frage  zu  entsobeiden.  Dagegen  mOehie  ich  aber  die  Be- 
hanptang  ftofttellen,  dass  nun  Mindeeten  die  di«i  Olefine,  das 
Aethjlen,  daePropyton  nnd  dae  Hexylen  (in  der  Form,  in  welcher 
sie  flieh  bisher  der  tTnierenohongdaigeboten  haben)  in  dem  Augen- 
blicke, in  welchem  sie  als  zweiaqniTalentigeBadioale 
wirken,  so  ccnstitnirt  sind,  dass  ihre  beiden  freien  Aeqnivalente 
Qiehi  zwei  yerschiedenen  Atomen,  sondern  einem  einzigen  Atom 
EoUenstofF  angehören. 

Schon  in  firttheren  Zeiten  haben  manche  Chemiker  dasAethylen 
nit  dem  Ammoniak  rerglichen ,  nnd  dae  Jod&thyl  mit  dem  Jod- 
ammoninm.  Indem  ich  diesen  Vergleich  ftlr  ganz  saohgemftss  er- 
achte, möchte  ich  denselben  noch  bestimmter  dahin  pritoisiren,  dass 
ich  das  Badical  Aethylen  mit  dem  Dimethylamin  in  Parallele 
stelle.  Das  letztere  ist  eine  Verbindung  des  5  äqnivalentigen  Stick- 
itoiB,  von  dessen  5  Aeqoiiralenten  zwei  nnverbunden  nnd 
Eins  mit  Wasserstoff  Tcrbtinden  gedacht  werden  moss, 
wfthrend  die  beiden  ttbrigen  mit  Methyl  vereinigt  sind  Dae  Ba- 
dical Aethylen  denke  ich  mir  als  eine  Verbindung  des  4  &qniTa- 
lentigen  Kohlenstoffs,  in  welchem  2  Aequivalente  nnrerbun- 
den  und  Bins  mit  Wasserstoff  yereinigt,  das  eine  noch 
flbrige  Aeqxiiyalent  aber  mit  Methyl  in  Verbindung  angenommen 
werden  kann. 

Der  ersten  Verbindung,  dem  Dimethylamin,  entspiechen  zwei 
«Bpirisch-homolog  zusammengesetzte  Verbiniungen  von  ganz  ver- 
schiedenen Eigenschaften.  Die  eine  ist  Dimethylamin,  in  welchem 
a&  die  Stelle  von  1  Methyl ,  1  Aethyl  eingetreten  ist  (Methyl- 
Mthjlamin),  die  zweite  ist  Dimethylamin,  in  welchem  an  die  Stelle 
des  einzelnstehenden  Wasserstoffs  1  Methyl  eingetreten  ist  (Trime- 
thylamin). 

Dem  Badical  Aethylen  entsprechend  denke  ich  mir  in  analoger 
Weise  zwei  verschiedene  neue  mit  ihm  empirisch-homologe  Badicale 
als  möglich,  je  nachdem  in  ihm  das  Badical  Methyl  durch  Aethyl 
oder  der  einzelnstehende  Wasserstoff  durch  Methyl  substituirt  ist. 
h  der  letztem  Weise  denke  ich  mir  dasjenige  Badical  Propylen 
<»n8titairt,  welches  bisher  den  Chemikern  bei  den  Untersuchungen 
der  Propylenverbindungen  zu  Gebot  gestanden  hat. 

Man  kann  auch  diese  Beziehung  des  in  Bede  stehenden  Ba- 
diealg  Propylen  zu  dem  Badical  Aethylen  mit  der  Belation  in  Pa- 
rallele stellen,  in  welcher  das  gewöhnliche  Aceton  nach  einer  jetzt 
wohl  ziemlich  allgemein  adoptirten  Annahme  z^  dem  gewöhnlichen 
Aethylaldehyd  steht. 

Aldehyd         Aceto« 

CHg  ^  CH3  n 

Badical  Aethylen    Badical  Propylen. 


S80  Yerhaadlnngen  des  naturhiBtorisch-medizbiiBcbeii  Vereins. 

Wenn  sich  Jodwasserstoff  oder  iibez'hanpt  ein  Halogenwasser- 
stoff mit  den  Radicalen  Aetbjlen,  Propylen  (oder  Hexylen)  ver- 
einigt, so  geschieht  dies  meiner  Meinong  nach  so,  dass  sich  die 
beiden  freien  Aequiyalente  des  einen  Atoms  Kohlenstoff  mit  dem 
Wasserstoff  nnd  dem  Halogen  sättigen.  Wenn  ich  dagegen  in  Be- 
tracht ziehe,  dass  Aldehyd  und  Aethylenoxyd ,  andrerseits  Aethy- 
liden-  und  Aethylenehlorär  verschiedene  Körper  sind,  und  wenn 
ich  deren  Entstehnngsweise  berücksichtige,  so  komme  ich  zu  der 
Annahme,  dass  die  freien  Halogene  in  der  Art  auf  die  oben  ge- 
nannten Olefine  einwirken,  dass  zunächst  1  Atom  Wasserstoff,  das 
mit  einem  andern  Kohlenstoffatom  verbunden  ist,  durch  1  Atom 
Halogen  substituirt  wird,  und  dass  dann  erst  der  erzeugte  Halogen- 
wasserstoff in  der  oben  gedachten  Weise  sein  Wasserstoff-  und  sein 
Halogenatom  an  die  beiden  freien  Aequivalente  des  einen  Atoms 
Kohlenstoff  in  den  Olefinradicalen  absetzt. 

Wenn  ich  mir  nun  auch  das  Hexylen  aus  dem  Mannit  nach 
meinen  mit  W  a  n  k  1  y  n  ausgeführten  Experimenten  als  ein  Keton- 
olefin  (im  Gegensatz  zu  dem  Aethylen,  welches  ich  Aldehydolefin 
nennen  möchte)  denke,  so  komme  ich  damit  zu  der  Frage,  in  wel- 
cher Relation  das  Amylen  als  Badical  zu  den  genannten  OleEn- 
radicalen  steht. 

Das  Amylen  ist  eigentlich  das  einzige  *)  von  den  bisher  näher 
untersuchten  Oleffnen,  das  in  analoger  Weise  aus  dem  Amylalkohol 
dargestellt  ist,  wie  da#  Aethylen  aus  dem  Aethylalkohol,  und  man 
hätte  erwarten  sollen,  dass  es  sich  analog  diesem  mit  Jodwasser- 
stoff zu  Amyljodür  und  mit  Schwefelsäure  zu  Amylschwefe  1- 
säure  verbände. 

Es  verhält  sich  aber  nach  den  Untersuchungen  von  Wurtz 
und  von  mir  in  beiden  Beziehungen  ganz  anders.  Wenn  man  auch 
die  Ansicht  von  Wurtz,  das  Amyljodür  unterscheide  sich  von 
dem  Amylenjodhydrat  nur  dadurch,  dass  in  dem  letzteren  Jod  und 
Wasserstoff  bei  der  Vereinigung  mit  Amylen  nicht  in  so  feste  Ver- 
bindung mit  C5  trete,  als  diese  beiden  Elemente  mit  dieser  Kohlen- 
stoffgruppe in  dem  Amyljodür  verbunden  sind,  als  Erklärung  des 
verschiedenen  Verhaltens  des  Amylenjodhydrats  gelten  lassen  wollte, 
so  würde  man  aber  doch  nicht  verstehen,  warum  das  Aethyle^jod- 
hydrat  nicht  in  analoger  Weise  verschiedenes  Verhalten  von  dem 
Aethyljodür  zeigt.  Man  wird  vielmehr  zu  dem  Gedanken  geleitet, 
dass  die  Constitution  des  Amylenjodhydrats  eine  von  der  des 
Amyljodürs  nicht  bloss  physikalisch,  sondern  wirklich  chemisch 
verschiedene  ist. 


*)  Der  Bntylen  Ist  swar  von  Wurtz  aus  dem  Batylalkohol  ebenfaUs 
in  aniäoger  Weise  wie  Aethylen  dargestellt,  aber  es  ist  meines  Wissens  nicht 
näher  stndirt  in  seinem  Verhalten  zn  Schwefelsäure  nnd  Halogensäuren. 
Wurtz  gibt  blos  an,  dass  es  aus  dem  Gemisch  mit  Butylwasserstoff  durch 
eine  mit  Schwefelsäure  hefeuchtete  Gokekugel  entfernt  werden  könne,  daaa 
es  sich  also  mit  Schwefelsäure  verbindet. 


Yerlnodliingen  des  DAtnrhistoritoh-niedlsliiiacben  Yereiiis*         981 

Vergleicht  man  andreneits  das  Verhalten  des  Amylei^od- 
hydrats  mit  denjenigen  von  Propjlei^jodhydrat  und  Hexylenjod- 
hjdrat,  so  findet  man  in  mancher  Beziehung  eine  so  überraschende 
Analogie,  dass  sich  schon  manche  Chemiker  veranlasst  gesehen 
haben,  die  drei  genannten  Körper  für  Glieder  einer  homologen  Beihe 
ni  halten  und  man  hätte  danach  erwarten  sollen ,  das  Amylen- 
oxyhydrat  liefere  bei  der  Oxydation  analog  dem  Propylen-  und  Hexy- 
knoxyhydrat  ein  Eeton  von  der  Zusammensetzung  C^  H|o  0,  welches 
Bieh  weiter  zersetze  in  Essigsäure  und  Propionsäure.  Wenn  man 
die  Homologie  dieser  Hydrate  annehmen  wollte,  so  könnte  man 
lieh  ihre  Zusammensetzung  durch  folgende  Formeln  ausgedrückt 
denken« 

Propylenhydrat  ^^  CH,  OH 

(Butylenhydrat  ^^  CH,OH) 

Amylenhydrat  ^^»    CH,  OH 
U3H7 

Hexylenhydrat  ^^^    cH,  OH 

Aus  den  bis  jetzt  in  dieser  Beziehung  •vorliegenden  Beobach- 
tungen geht  jedenfalls  das  Eine  hervor,  dass  der  Körper  CsHjoO, 
wenn  er  sich  überhaupt  als  erstes  Oxydationsprodukt  des  Amylen- 
Mrats,  beziehungsweise  des  Amylens  bildet  sehr  leicht  weiter  zer- 
setzt wird  in  Essigsäure. und  gewöhnliches  Aceton  und  dieses  wie- 
der in  Essigsäure  und  Kohlensäure. 

Gerade  die  Bildung  von  gewöhnlichem  Aceton,  statt  der  Bil- 
dung von  Propylaldehyd  resp.  Propionsäure,  welche  man  bei  An- 
nahme der  Homologie  von  Propylen-,  Amylen-  und  Hexylenhydrat 
tatte  erwarten  sollen,  veranlasst  mich  zu  der  Hypothese,  dass 
zwar  das  Amylenhydrat  nach  der  oben  angegebenen 
Pormel  zusammengesetzt  ist,  dass  aber  das  darin 
enthaltene  Eadical  C3  H7  nicht  das  des  gewöhnlichen 
Gibrungspropylalkohols,  sondern  dasjenige  des  Pro- 
Pylenhydrats  oder  Pseudopropylalkohols  ist,  dessen 
relative  Constitution  durch  folgendes  Schema  versimüicht  wird: 

MeH^Me  (^  =  ^  ö«^-  '^^'  Kohlenstoff  Me  =  Methyl) 
Mit  dieser  Annahme  ist  es  leicht  verständlich  wie  das  Amylen- 
hydrat resp.  Amylen  die  beobachteten  Oxydationsprodukte  liefern 
■onnte.  Die  folgenden  Gleichungen  werden  die  verschiedenen  Phasen 
welche  die  Oxydation  des  Amylens  nach  meiner  Hypothese  durch- 
lÄQft  Übersehen  lassen: 


282  Verhftndliingen  des  natnrbistoriscli-medldniseben  VereüiB. 

Badical  Amylen     Acetylpsendopropylür*) 
Essigsänre        Aceton 

4)  CH,0  +  0,=  C0,  +  H20. 

Jedenfalls  scheint  mir  diese  Hypothese  mehr  im  Einklang  m 
stehen  mit  den  bisherigen  Beobachtungen,  als  die  Anschanungs- 
weise  von  Wurtz,  nach  welcher  man  weit  eher  erwarten  sollte, 
dass  das  Amylenhydrat  resp.  Amylen  ebenso  wie  Amylalkohol  bei 
der  Oxydation  Amylaldehyd  und  Baldriansäure  lieferten,  da  ja  nach 
Wur  t  z  die  Gruppe  C^  H|o  in  dem  Amylenhydrat  ebenso  constituirt  ist 
wie  in  dem  Amylalkohol.  Mit  der  Anschauungsweise  von  Wurtz 
muss  man  es  allerdings  als  etwas  Ausserordentliches 
betrachten,  dass  diese  Gruppe  unter  denselben  Bedingungen  unter 
welchen  sie  in  dem  Amylalkohol  nicht  oder  doch  nur  zum  aller- 
geringsten Theil  zerfä.llt,  in  dem  Amylenhydrat  in  einfachere  ge- 
spalten wird  und  keine  Spur  Ton  Baldriansäure  liefert. 

Aber  doch  bin  ich  weit  entfernt  behaupten  zu  wollen,  dass  ich 
mit  meiner  Hypothese  alle  beobachteten  Eigenthttmlichkeiten  in 
dem  Verhalten  des  Amylens  zu  erklären  im  Stande  sei.  Warum 
das  Amylen  nicht  mit  Schwefelsäure  in  Verbindung  tritt  und  weit 
]eiohter  als  das  Propylen  und  Hexylen  in  polymere  Körper  ver- 
wandelt wird,  das  wird  auch  mit  der  Annahme  der  Gruppe  C  Me^  H 
vor  der  Hand  nicht  verständlich  gemacht.  Dies  liegt  freilich  im 
Wesentlichen  daran,  dass  wir  ftlr  jetzt  kaum  eine  Ahnung  haben^ 
in  welcher  Eichtang  und  in  welchem  Grade  die  Eigenschaften  ana- 
lytisch-gleich und  analytisch-homolog  zusammengesetzter  Körper 
durch  die  Veränderung  der  Verbindungsweise  ihrer  Elementarbe- 
standtheile   zu  verschiedenen  Badicalen  verändert  werden. 

Dieser  Mangel  in  unserem  Wissen  macht  sich  ganz  besonders 
fühlbar  bei  dem  Studium  der  Verbindungen,  welche  nur  Kohlenstoff 
und  Wasserstoff  enthalten.  Die  neueren  Untersuchungen  der  Kohlen- 
wasserstoffe Gn  Hj n  +  2  durch  Schorlemmer  und  derjenigen  von 
der  Formel  Cn  H211--6  durch  Fittig  und  seine  Schüler  haben  so 


*)  Ich  glaube  hier  nleht  uDerwälmt  lassen  su  sollen,  dass  iQh  ee  unter 
verschiedenen  Bedingungen  versucht  habe,  dieses  Keton  durch  Einwirkung 
Bowobl  von  Natrium  als  Kalium  auf  ein  Gemisch  von  i^eicben  MolektUen 
AeelylehlorOr  und  Paendopropy^odOr  kllnstlich  sn  eraeugen.  Meine  Ver^ 
snahe  sehaitertoB  aber  an  der  aehoa  von  Freund  beobaohtetea  Reaistenc 
dfts  Aoetylchlorürs  gegen  die  Alkalimetalle  bei  gemässigten  Temperaturen, 
w&brend  höhere  Temperaturen  unter  explosionsartiger  Erscheinung  tiefere 
^ersetsungen  herbeiführten. 


VcriMadliuigeB  dcB  DAtarfaiatoriflcb-Biedisüiisohen  V«niBS.  ttt 

übenMohende  Besultate  geliefert,  dass  von  einem  Versoeh  dieselben 
zu  erklftren  erst  dann  einiger  Nutzen  sn  erwarten  ist,  wenn  die 
verschiedenen  anderen  Reihen  von  Kohlenwasseretoffen  nnd  deren 
ümwandlimgsprodnkte  noch  besser  untersnoht  sind.  Es  ist  desshalb 
wohl  aoeh  an  der  Zeit,  die  Oiefine  einem  genaueren  Stadium  su  unter* 
werfen,  zumal  da  die  bis  jetzt  einigermassen  untersachten  Olieder 
dieser  Körperklasse,  welche  man  als  Glieder  einer  homologen 
Reihe  anzusehen  gewohnt  ist,  ein  den  bisherigen  Dogmen  der 
Chemie  TielAÜtig  widersprechendes  Verhalten  gezeigt  haben.  Ich 
erinnere  in  dieser  Beziehung  ausser  dem  oben  angedeuteten  noch 
an  die  Siedepunktsyerhältnisse  der  bis  jetzt  dargestellten  Glycole. 
Wahrend  von  dem  Amylenglycol  herab  bis  zu  dem  Aethylenglycol 
der  Siedepunkt  für  einen  Mindergehalt  yonjeCH^um  etwa  6 
bis  8^  höher  wird,  erleidet  derselbe  in  dem  Hezylenglyool  bei 
einem  Mehrgehalt  von  einmal  CH2  gegen  den  Amylenglycol  eine 
Erhöhung  um  80^. 

Diese  bei  homologen  Verbindungen  bis  jetzt  einzeln  stehende 
Ausnahme  von  der  Regel  l&sst  sich  nicht  wohl  anders  verstehen, 
als  indem  man  annimmt,  die  bisher  dargestellten  Glycole  sind  ni^ht 
Glieder  einer  homologen  Reihe,  sondern  sie  gehören  verschiedenen 
solchen  Reihen  an,  deren  übrige  Glieder  noch  unbekannt  sind. 
Wenigstens  wird  der  Aussprach  von  Wurtz,  dass  die  plötzliche 
Umkehr  der  Siedepunktsdifferenz  bei  dem  Hexylenglycol  »eine  leicht 
begreifliche  Thatsache  sei,  da  der  Siedepunkt  dieser  Ver- 
bindungen mit  der  Zunahme  des  Molekulargewichts 
nicht  bis  ins  Unendliche  abnehmen  könne«,  nicht  von 
allen  Chemikern  als  eine  befriedigende  Erklärung  dieser  Anomalie 
angenommen  werden. 


Bei  Gelegenheit  meines  Vortrags  machte  Herr  Prof.  Carius 
unier  andern  die  Bemerkung,  dass  in  seinem  Laboratorium  Herr 
Dr.  Ladenburg  die  Beobachtung  gemacht  habe,  dass  sich  das 
Amylen  mit  Acetylchlortir  zu  einer  leicht  wieder  in  die  Bestand- 
theile  zerfallenden  Verbindung  vereinige.  Ich  erwiederte  damals 
schon,  dass  auch  in  meinem  Laboratorium  Herr  Dr.  Ernst  vor 
anderthalb  Jahren  Amylen  auf  Acetylchlorür  habe  einwirken  lassen. 
Da  ich  mich  der  Einzelnheiten  nicht  mehr  zu  erinnern  wusste, 
so  will  ich  jetzt  aus  dem  Notizbuch  des  Dr.  Ernst  folgendes 
nachtragen. 

Acetylchlorar  zeigt  in  der  Kälte  keine  Einwirkung  auf  Amylen 
auch  nicht  beim  Kochen  mit  aufsteigendem  Kühlrohr. 

Gleiche  Gewichte  Amylen  und  Acetylchlorür  in  zugeschmolze« 
nem  Bohr  30  Stuuden  lang  bei  100^  erhitzt,  lieferten,  ohne  dass 
in  dem  Rohr  Druck  vorhanden  war,  eine  Flüssigkeit,  welche  durch 
fractionirte  Destillation  in  eine  Portion  die  bei  55^  und  eine  solche 


964  Verhandlungen  des  natnrhistorisch-medizinlscben  Vereins. 

die  böber  siedete  geschieden  wurde.  Die  letztere  hatte  keinen  be« 
stimmten  Siedepunkt,  sondern  das  Thermometer  stieg  ununter- 
brochen bis  zu  1600,  wobei  das  Geßlss  trocken  war  Beim  Ver- 
setzen desselben  mit  Wasser  schied  sich  unter  Bildung  von  Salz- 
säure und  Essigsäure  eine  aromatisch  riechende  Flüssigkeit  ab, 
welche  nach  dem  Trocknen  mit  geschmolzenem  Chlorcalcium  destil- 
lirt  wurde.  Sie  fing  bei  50^  an  zu  sieden,  das  Thermometer  stieg 
aber  unaufhörlich  bis  140^.  Derselbe  Versuch  wurde  noch  mehr- 
mals wiederholt,  eine  Portion  wurde  auch  bei  120^  längere  Zeit 
erhitzt,  aber  in  keinem  Fall  konnte  eine  Flüssigkeit  von  constan- 
tem  Siedepunkt  erhalten  werden. 

Gleichzeitig  wurden  ähnliche  Versuche  mit  Amylen  und  Aethyl- 
jodür  vorgenommen,  die  aber  zeigten,  dass  sich  bie  beiden  Körper 
wenigstens  nicht  bei  der  Temperatur  des  Wasserbades  mitein- 
ander verbinden. 

Herr  Dr.  Ernst  wurde  in  diesen  Versuchen  unterbrochen, 
weil  er  eine  Stelle  in  einer  chemischen  Fabrik  annahm  und  ich  habe 
auch  bis  jetzt  diese  Versuche  nicht  von  einem  Anderen  weiter  fort- 
setzen lassen. 


Geschäftliche  MUlheilungeD« 


Laut  Vereinbeschluss  vom  28.  October  1864  ist  die  1862  ein- 
geführte Sonderuug  der  Sitzungen  in  naturhistorische  und  medizi- 
nische wieder  aufgehoben  worden,  und  fanden  von  da  anfangend 
die  gemeinsamen  Sitzungen  wieder  alle  14  Tage  statt.  In  der- 
selben Sitzung  wurden  gewählt: 

Zum  ersten  Vorsitzenden:  Herr  Hofrath  Helmboltz. 

Zum  zweiten  Vorsitzenden:  Herr  Professor  Kirchhoff. 

Zum  ersten  Schriftführer :  Herr  Professor  H.  A.  Pagenstecher. 

Zum  zweiten  Schriftführer:  Herr  Dr.  F.  Eisenlohr. 

Zum  Rechner:  Herr  Professor  Nuhn. 

In  den  Verein  wurden  während  des  Winters  1864—1865  neu 
aufgenommen  als  ordentliche  Mitglieder  die  Herren: 

Dr.  Peltzer. 

Dr.  Alb.  Ladenburg. 

Werner,  pract.  Arzt. 

A.  V.  UexküU. 

Dr.  Erb. 

Gorrespondenzen  und  andere  Zusendimgen  bittet  man  nach  wie 
vor  an  den  ersten  8chriftsteller  des  Vereins  Professor  Dr.  H.  A. 
Pagenstecher  in  Heidelberg  zu  richten.  Für  die  nachstehend  ver^ 
zeichneten  dem  Verein  übersandten  Schriften  wird  hiermit  der  beste 
Dank  gesagt. 


Verluuidlii]ige&  de«  iiatiirhistorisohMnediriniBelien  Veraiiii.  SM 

Yerzeielmiss 

der  Tom  15.  October  1864  bis  1.  Mai  1865  an  den  Verein  einge- 
gangenen Dmokschriften. 


Berichte  über  die  Verbandl.  d.  König.  Sachs.  Qesellschaft  d.  Wi88* 

z.  Leipzig.  Math.  phys.  Classe.  1863.  H.  1  o.  2. 
Abhandl.  d.  Naturforsch.  Gesellschaft  zu  HaUe  1864.  YIII,  2. 
Lucien  Gorvisart :  Collection  de  m^moires  sor  nne  fonction  m^connue 

dn  pancreas. 
Bulletin  de  la  soci^tö  Impör.  des  Naturalistes  de  Moscou  1863,  3 

und  4.  1864.  1. 
Bericht  über  die    6te  Jahresversamnünng  des  Centralyereins  deut- 
scher Zahnärzte  zu  München  1864. 
Jahresbericht  der  Wetterauischen  Gesellsch.  f.  d.  gesammte  Natur- 
kunde zu  Hanau  1861—63. 
Vom  Wemerverein  in  Brunn:  Statuten 

Jahresbericht  1852—63. 

Hypsometrie  Mährens  u.  Schlesiens  t.  C.  Koristka.  1863. 

Bericht  über  einige  Höhenmessungen  von  demselben. 
Y.  d.  Kais.  Aead.  d.  Wiss.  zu  Wien:  Sitzungsberichte  1864.  1 — 22. 

24-28  Reg.  1865.  1.  3.  4.  6-10. 
Neues  Jahrbuch  für  Pharmacie  XXTT  4—6.  XXTTT  1—4. 
Berichte  über  die  Verhandl.  d.  naturf.  Gesellsch.  zu  Freiburg  i.  B. 

m.  Heft.  2. 
y.  d.  physik.  medizin.  Gesellschaft;  zuWttrzburg; 

Naturw.  Zeitschrift  IV  2  u.  3.  V  1—4. 

Medizin.  Zeitschrift  Y  2 — 6. 
Yom  Centralobseryatorium  in  St.  Petersburg : 

Annales  de  robservatoire  physique  central  de  Bussie  publikes 
par  A.  T.  Kupfer.  1860  1  u.  2.  1861  1  u.  2. 

Gompte  rendu  annuel  1861—63  par  A.  T.  Kupfer. 

üeber  die  Yorbestimmung  der  Stürme  t.  F.  Müller. 
Jenaische  Zeitschr.  f.  Medizin  u.  Naturwiss.  1864.  Bd.  I.  H,  1. 
Y.  d.  K.  Bayer.  Akademie  d.  Wiss.:  Sitzungsberichte  1864.  I  H. 

4-5.  n.  H.  1-4. 

J.  T.  Döllinger:  König  Maximilian  11. 

L.  Buhl:  Stellung  der  pathol.  Anatomie. 
Bulletin  de  l'acad^mie  Impör.  de  sciences  de  S.  Petersburg  Y  Nr.  3 

—8.  YI.  YH  Nr.  1-2. 

YerhandL  des  naturf.  Yereins  in  Brunn.  1863.  ü.  Bd. 

Lotes,  y.  naturhist.  Yerein  Lotos  in  Prag,   IX  1859.   JUll  1863. 

XIY  1864. 
Schriften  d.  K.  Physik.  Oekon.  Gesellsch.  zu  Königsberg  1864.  Y. 

1.  Abtheilung. 
Yerhandl.  d.  Naturw..  Yereins  in  Carlsruhe. 


SM  Verfaftodliuig«!!  de«  sathirliiBtOTiteli-inediBliiiselMii  Ver«iii8. 

Rendi  conti  del  reale  istituto  lombardo  di  scienze  e  lettere.  Class. 

mat.  e  nat.,  edannuario  1864. 
Jahresber.   des  Natorh.  Vereins  in  Zweibrücken  1863 — 64,   nebst 

Satzungen. 
Fünfter  Bericht  des  Offenbacber  Vereins  für  Naturkunde  1864. 
XXX.    Jahresbericht     des    Mannheimer    Vereins    für    Naturkunde 

1864. 
Von  d.  Acad^mie  Bojale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux  arts 

de  Belgique: 

Bulletins  pour  1863.  Annuaire  1864. 
Archiv  des  Vereins  d.  Freunde  d.  Naturgeschichte  in  Mecklenburg. 

XVU.  Jahrgang. 
Atti  del  Beale  Istituto  Lombardo  DI  Fase.  XK  u.  XX. 
Mittheilungen  des  Naturwissenschaftlichen  Vereins  in  Steiermark  zu 

Graz  I  u.  ü. 
Zoologisoher  Garten.  Jahi^.  V.  1864.  H.  7—12. 
XIV.  Bericht  des  Vereins  für  Naturkunde  zu  Cassel  1864. 
Nachrichten  y.  d.  E.  Gesellschaft  der  Wissensch.   und  der  Georg- 

Augusts-Üniversität  zu  Göttingen  1864. 
V.  d.  K.  ünirersitttt  zu  Ghristiania: 

L.  Bidenkap:  Om  det  syphilitiske  Virus 

Forhandlinger  i  Videnskabs  Selskabet  i  Christiania  aar  1863. 

M.  Irgens  og  Th.  Hiortdahl:    Om  de  geologiske  Forhold  paa 
Ejstetr&kningen  of  Nordre  Bergenhus  Amt. 

8.  A.  Sexe:  Om  SneebrSen  Folgefon. 

Generalberetning  fra  gaustad  Sindsygeasjl  for  aaret  1863. 

Tabeller  over  de  Bpedalske  i  Norge  i  aaret  1863* 

Beretning  om  Sundhedstilstanden  og  Medicinalforholdene  i  Norge 
i  aaret  1860  dito,  i  aaret  1861. 
üllersperger :  Memoria  sobre  la  influencia  del  cultira  del  arroz. 
E.  H.  Kiseh:  Marienbad  1864. 

Ktthlenwein:  Vorschläge  zum  Pflanzentausoh,  in  duplo. 
Petri:  Gegenwart,  Vergangenheit,  Zukunft  der  Wasserkur. 
Verhandlungen    der  Naturforschenden  GeseUsehaft;    zu  Basel.  FV. 

Heftl. 
Verhandfamgen  des  Naturhistorischen  Vereins  der  preussisohen  Bhein- 

lande  und  Westphalens.   XXI.  Jahrgang.   lU.  Folge.   Band  I. 

1  und  2. 
Erster  Jahresbericht  des  Vereins   deutscher   Zahn&rzte  zu   Frank- 
furt a.  M» 
Abhandlungen  der  Naturforschenden  Gesellschaft  sn  Hallo.  IX.  1. 


Grawnuillk  von  SehmItt-BUnk  ru  A.  Sebmldi.  SS? 

D€uUek$  Orammaäk  für  QdthrimaekuU.  Der  deiUBck^laUimtch' 
grieehiscken Paralldgrammaiik  erster  Theü,  von  J.C.BchfniiU 
Blank  ttnd  August  Schmidt.  Mannheim  1865^  Verlag 
von  IL  Segnit».  In  Commission  öei  Tobias  Löffler  (ö.  i—XJV 
und  140  8.) 

Es  ist  in  der  Natnx  der  Saohe  begründet,  dass  der  Unterricht 
in  einem  Lehrgegenstande  yon  grösserem  Erfolge  sein  mnss,  wenn 
anf  allen  seinen  yerschiedenen  Stufen  eine  einheitliche  Methode, 
ein  gleichartiges  System  herrscht,  als  wenn  bald  dieser,  bald  janer 
Weg  gegangen,  jetzt  diese,  dann  wieder  eine  andere  Form  im 
Unterrichte  beobachtet  wird.  Wie  nnn  diese  Einheit  der  Methode 
des  IJnterrichtens  sowohl,  als  auch  die  der  sprachliehen  Fonn  des 
Lehrstoffes  (Terminologie)  und  der  logischen  Gliederong  desselben 
bei  jedem  einzelnen  ünterrichtszweige  auf  seinen  yerschiedenen 
Stufen  zu  einem  erspriesslichen  fiesoltate  erforderlich  ist,  fUr  ebenso 
nothwendig  muss  dieselbe  Gleichförmigkeit  bei  mehreren  gleich- 
artigen ünterrichtsgegenständen,  wie  z.  B.  den  sprachlichen  erach- 
tet  werden,  wenn  der  Schüler  mit  einer  gewissen  Leichtigkeit  zur 
klaren  Erkenntniss  und  Sicherheit  in  seinen  sprachlichen  Aufgaben 
gelangen  soll.  Denn  wie  verwirrend  ist  es  nicht  für  die  lernende 
Jugend,  wenn  in  jeder  seiner  Grammatiken  sowohl  die  Anordnung 
des  Stoffes  als  auch  die  Terminologie  sich  verschieden  ze^en.  Von 
den  Nachtheilen,  welche  eine  solche  Verschiedenheit  der  Gliede- 
rung des  Stoffes  und  der  Terminologie  in  den  neben  einander  ge* 
brauchten  Schulgrammatiken  mit  sich  führt,  kann  sich  der  Lehrer 
jeden  Tag  überzeugen,  und  es  scheint  im  Ltteresse  des  sprach- 
lichen Unterrichts,  namentlich  an  den  Gelehrtenschulen,  an  denen 
als  humanistischen  Lehranstalten  das  granmiatische  Studium  eine 
Hanptstelle  einnehmen  muss,  eine  grössere  Conformität  in  den 
sprachlichen  Lehrbüchern  dringend  geboten.  Dieses  Bedürfniss  er- 
kennend, hat  auch  der  Erstunterzeichnete  der  beiden  Verfasser 
oben  angezeigter  deutscher  Grammatik  bereits  in  der  Beilage  zom 
Mannheimer  Lyceumsprogramm  vom  Jahre  1862  in  einer  Beihevon 
Thesen  zur  Beform  der  badischen  Gelehrtenschulen  die  Forderung 
aufgestellt,  »dass  der  Sprachunterricht  unserer  Gelehrtenschulen  auf 
eine  deutsch-lateinisch-griechische  Parallelgrammatik  zu  gründen 
sei,  der  Art,  dass  die  Grammatiken  der  drei  gedachten  Sprachen 
sowohl  nach  der  Anordnung  des  Stoffes,  als  nach  der  Terminologie 
streng  conform  und  mit  stetem  Bezug  ai^einander  eingerichtet 
w&ren.c  Derselbe  liess  es  aber  nicht  bei  der  blossen  Forderung 
bewandt  sein,  sondern  hat  selbst  es  unternommen,  in  Verbindung 
mit  noch  anderen  Collegen,  nämlich  den  Herrn  Aug.  Schmidt  und 
Dr.  G.  Deimüng,  ebenfalls  Professoren  am  Lyceum  in  Mannheim, 
eine  solche  Parallelgrammatik  nebst  einem  lateinischen  und  grie- 
chischen Vokabel-  und  Uebungsbuche  für  die  Anfangskurse  auszu- 


2S8  QrammAtik  von  Bdunitt-Blank  u.  A.  Sebmidt. 

arbeiten,  wovon  nun  die  deutsche  Ghrammatik  als  erster  Tbeil  er- 
schienen ist. 

In  der  Vorrede  zu  derselben  sprechen  sich  die  Herausgeber 
über  die  leitenden  Grundsätze,  welche  sie  sich  fUr  die  Abfassung 
ihrer  Lehrbücher  festgesetzt  hatten,  in  ausftlhrlicher  Weise  aus; 
es  sind  folgende:  a)  den  grammatischen  Lehrstoff  zu  vereinfiachen 
und  auf  das  Nothwendige  und  Wesentliche  zu  beschränken,  da- 
gegen alles  Seltenere,  Ungebräuchlichere  und  Absonderliche  der 
freien  Lectttre  zu  überlassen,  wo  alsdann  alles  Lidiyiduelle  auf 
Grund  des  Generellen  leicht  erkannt  und  gewürdigt  werden  könne ; 
b)  das  so  auf  das  Wesentliche  reducirte  grammatische  Material 
im  Einzelnen  mit  Bestimmtheit  und  Kürze  zu  behandeln,  namentlich 
auf  logische  Richtigkeit  der  Definitionen  und  Eintheilungen,  sowie 
auf  treffende  Benennungen  Bedacht  zu  haben ;  c)  das  also  verein- 
fachte und  im  Einzelnen  richtig  gefasste  Material  in  einen  syste- 
matischen Zusammenhang  zu'  bringen. 

Diese  in  pädagogischer  wie  wissenschaftlicher  Beziehung  als 
richtig  anzuerkennenden  Grundsätze  sind  nun  auch  in  der  vorlie- 
genden deutschen  Grammatik  aufs  Genaueste  beobachtet :  sie  bietet 
das  Wesentlichste  des  grammatischen  Stoffes  in  vollständiger  Weise  mit 
Weglassung  des  Unwesentlichen,  eine  Eigenschaft,  die  jedes  gute 
Schulbuch  vor  Allem  haben  soll ;  denn  es  gibt  nichts  Verwirrenderes 
und  Hentmenderers  für  den  Schüler,  als  ein  Lehrbuch,  in  dem  das 
Allgemeingültige  und  Wesentliche  von  dem  Seltenen  und  Unge- 
bräuchlichen überwuchert  ist.  Femer  herrscht  darin  Kürze  und 
Bestimmtheit  im  Ausdruck,  sowie  logische  Ordnung  in  Anordnung 
und  Vertheilung  des  Stoffes,  so  dass  das  Ganze  durch  leichte  Ueber- 
sichtlichkeit  und  Klarheit  sich  vortheilhafb  auszeichnet.  Es  kann 
daher  dieses  Lehrbuch  mit  bestem  Grunde  für  den  Gebrauch, 
namentlich  in  Gelehrtenschulen  empfohlen  werden,  selbst  auch  in 
solchen,  wo  andere  lateinische  und  griechische  Grammatiken  ein- 
geführt sind,  da  Terminologie  wie  Anordnung  des  Stoffes  in  dem* 
selben  den  neueren  griechischen  und  lateinischen  Grammatiken  im 
Ganzen  analog  sind.  Auch  ist  die  äussere  Ausstattung  in  Bezug 
auf  Papier,  Druck  und  Correctheit  durchaus  lobenswerth  zu  nennen. 

Rivola. 


Ir.  U.  HEIDGIBEEGGR  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Reinisch:  Denkm&ler  zn  Miramar.*) 


Zum  Hausgerftth  der  ewigen  Wohnangeii,  wie  die  Aegypter  die 
Orftber  nannten  (Diod.  I,  51),  gehören  auch  die  früher  irrig  als 
Wassergefässe  bezeichneten  Eanopen»  eine  Art  von  Krttgen,  deren 
Deckel  einen  Thier-  oder  Menschenkopf  vorstellt  nnd  deren  in  der 
Begel  je  vier  sich  in  jedem  Grabe  finden,  die  Eingeweide  der  Mumie 
enUialtend  nnd  jenen  vier  Genien  geweiht,  von  welchen  Eabasanuf 
Leber  nnd  Galle,  Daumutnf  Herz  und  Lunge,  Amsath  den  Bauch 
u.  s.  t  beschützen.  »In  den  meisten  Inschriften,  sagt  Hr.  Beinisch, 
der  nns  erhaltenen  Kanopen  werden  die  in  diesen  Vasen  aufbe- 
wahrten Eingeweide  mit  den  Todtengenien  selbst  identificirt  und 
die  Göttinnen  Isis,  Nephthjs,  Neith  und  Selk  als  Beschützerinnen 
derselben  dargestellt,  c  Als  Beispiel  übersetzt  er  die  Aufschriften 
solcher  Alabastervasen  aus  dem  Museum  zu  Triest.  Spricht  Neith : 
ich  wache  früh  und  spät  alle  Tage,  indem  ich  Sorge  trage  für  den 
Daumntuf  der  Frau  Sanahub.  Spricht  Isis:  ich  überwältige  den 
Feind,  ich  spende  Schutz  dem  Amsath,  welcher  in  mir  ist.  Ich 
bin  ein  Schutz  der  Frau  Sanahab.  Aehnlich  spricht  Nephtys  über 
Hnphy  in  Selk  über  Kabasanuf.  Da  diese  vier  Todtengenien 
an  den  vier  Seiten  des  Sarkophages  ihre  Stellung  als  Wachposten 
einnahmen,  da  wo  auch  die  vier  nach  ihnen  benannten  Kanopen 
anfgestellt  waren,  so  betrachtete  man  sie  auch  als  Vorsteher  der 
vier  Weltregionen  (Todtenbuch  112,  8.  113,  8).  In  der  Bichtung, 
in  welcher  sie  dem  Sarg  aus  den  vier  Himmelsgegenden  zuflogen, 
entfernten  sie  sich  auch,  um  den  Göttern  ihre  Botschaften  zu  ver- 
künden. So  befiehlt  Ba  in  der  DarsteUimg  zu  Medinet  Habu  dem 
Amsath:  »Gehe  nach  Süden  und  melde  den  Göttern  des  Südens; 
dem  Huphj:  gehe  nach  dem  Norden  u.  s.  w.c 

Als  ein  guter  Perieget  knüpft  so  Hr.  Beinisch  an  die  Erklä- 
rung der  einzelnen  Anticaglien  von  Miramar  allgemeine  Bemerkun- 
gen über  ägyptische  Philosophie  und  Theologie  (z.  E.  pag.  178— 
200  über  den  Apis  und  Serapis).  Wir  können  die  funeräre  Gruppe 
nicht  verlassen,  ohne  wenigstens  den  Kern  jener  allgemeinen  Ab- 
handlung darzulegen,  worin  er  von  einer  Stelle  des  Stobaeus  (Ed. 
phys.  pag.  950.  1000)  ausgehend  und  dieselbe  durch  eine  lange 
Reihe  von  hieroglyphischen  Citaten  mit  vollster  Sachkenntniss  er- 


*)  Nachtrag  su  der  Im  M&rsbeft  S.  198—204  abgedruckten  Amselge  und 
nnäcliat  an  deren  Sehlutt  sich  anreihend. 
LYm.  Jahrg.  4.  Heft.  19 


390  Reinlsch:  Denkmtier  wpl  Mkraauur. 

läuternd  sich  also  vernehmen  lässt:  »die  Aegypter  betrachteten  die 
Unaterbliehkeit,  welche  eins  ist  mit  ihrer  ewigen  Glückseligkeit  in 
der  Gesellschaft  der  Götter  als  letztes  Ziel,  das  die  Seele  nach 
einer  langen  Wanderang  zu  erstreben  im  Stande  ist;  die  Seelen- 
wanderong  ist  demnach  nicht  identisch  mit  der  Unsterblichkeit, 
dem  Endziel  des  Menschen,  sondern  nnr  der  Weg  zur  Unsterblich- 
keit, sie  ist  nur  Mittel  znm  Zwecke.  Diese  Trennung  der  beidea 
Begriffe  Unsterblichkeit  und  Seelenwanderung,  wie  sie  aus  der  Nach- 
richt bei  Stobäus  zu  folgern  ist,  wird  in  den  religiösen  Schriften 
der  Aegypter  strenge  eingehalten,  indem  darin  die  Unsterblichkeit 
der  Seele  als  ein  Zustand  derselben  dargestellt  wird,  in  welchem 
sie  Tereinigt  mit  ihrem  verklärten  Leibe  ein  ewiges  glückseliges  Da- 
sein geniesst,  befreit  von  allen  Leiden  und  Widerwärtigkeiten, 
denen  die  irdischen  Wesen  unterworfen  sind,  während  die  Seelen- 
wandenmg,  welche  auf  dieser  Erde  vollzogen  wird,  in  einem  steten 
Wechsel  zwischen  Tod  und  Wiederaufleben  in  einem  neuen  Körper 
besteht,  in  Folge  dessen  die  Seele  eine  Reihe  von  Leiden  und  Er- 
duldungen  in  den  verschiedenen  irdischen  Körpern  und  namentlich 
den  Schmerz  der  jedesmaligen  Trennung  vom  Körper  durch  den 
Tod  zu  ertragen  hat. 

Die  Reihe  der  historischen  Personen,  deren  die  Inschriften 
von  Miramar  theilweise  zum  erstenmal  Erwähnung  thun,  eröffnen 
die  Söhne  des  Ramses  11,  welche,  »um  das  Lob  ihres  Vaters  sprossen 
zu  machen  ihm  eine  Statue  errichten,  c  Am  meisten  tritt  unter 
ihnen  Sä-m6-zana  hervor  als  der,  »welcher  die  Geremonien  aller 
Tempel  und  Städte  kennt t,  ein  Zug  der  sehr  gut  zu  dem  fiist 
theologischen  Bilde  passt,  das  uns  die  Apisstelen  von  diesem  Für- 
sten hinterlassen  haben,  der  im  Ptahtempel  zu  Memphis  eine  hohe 
Priesterwürde  bekleidete  und  sich  im  Gewölbe  der  heiligen  Stiere 
beisetzen  Hess  mit  goldener  Maske;  beruht  aber  die  Erwähnung^ 
seines  Bruders  Ptahmi,  zu  Miramar  nur  auf  einer  ansprechenden 
Coigectur  des  &n.  Reinisch,  so  sei  es  dagegen  erlaubt,  einer 
Schwester  dieser  Prinzen  zu  gedenken,  deren  Existenz  bisher  über- 
sehen wurde,  deren  Name  im  Yerzeichniss  der  königlichen  Kinder 
bei  Lepstus  und  Brugsch  fehlt,  während  er  zu  ihren  Lebzeiten  auch 
unter  den  Landesfeinden  gefeiert  und  als  der  Hort  aller  Elenden  be- 
kannt war.c  Ihre  Fürsten,  ihre  Kinder,  heisst  es  von  den  unter- 
worfenen Hethitern  auf  der  Stele  zu  Abusimble*),  versuchen  den 
König  zu  besänftigen  durch  Vermittlung  seiner  Tochter  Hel-Ari, 
und  dass  sie  das  wirklich  that,  sagt  eine  andere  gleichzeitige  Säule 
ebendaselbst.  •♦) 

Gleichfalls  einen  forstlichen  Namen :  Hophra  ftlhrt  Taf.  XI,  3 
der  Befehlshaber  der  Schützen  Ba-wa-huti-mer-Nutmas,  d«  h.  Sohn 
der  Neit,   geliebt  von   Ba   dem   Herzerfreuer.     Sowohl  Neit,   die 


»)  Lepo.  Denkatim,  AbÜi.  m,  196,  a  Un.  VI. 


••)  A.  a.  O.  198  a  lin.  26. 


GöttiB  von  8«Xfl,  ah  d«r  tfarnft  Hofhra  YorbiiKUa  dieeen  Maim  dar 
26.  (saitiscilen)  Dynastie.  Möglich,  dass  ebenfalls  nach  Sals  (Dyn. 
XXIV)  jene  Mntiritis  Taf.  X.  3  gehört  wegen  Lepsios  Egsboh.  620. 

Ein  besonderes  Augenmerk  hat  Hr.  Reinisch  gerichtet  auf  die 
UebersetKung  der  gewöhnlich  sprechenden  Eigennamen  (pag.  114 
p.  147  ^oU,  p.  148  Note,  p.  149  Note),  unter  welchen  Xm»  3 
Pa-muneh  wegen  der  vorkommenden  griecluschen  Gleichung  IfyMpi^ 
imtereseant  iBt»  und  ebenso  der  Amtsnamen  wie  der  fiechnar  (Taf. 
XI,  2),  der  vortragende  Rath  (XXXj^  ligne  1\  der  Leichenbesorger 
(Garhub  p.  38  Note),  der  Aapreiser  (eigentlich  der  Anhörer),  der 
Favorit»  des  Ananon  (p.  113).  Nur  noch  ein  Wort  tiber  Letzte- 
Fen*  Weil  er  wiörilioh  der  Anhöxer  (Sotern)  und  oft  mit  dwi  Z^r 
s^  n  oseh  der  Anhörer  des  Geschreies  heisst,  so  deukt  Hr.,  Cbabas 
d^bei  an  eine  richterliche  Funl^ion,  und  sieht  in  dfm  yiiweilea  ga- 
naimien  ^Obersten«  dieser  Beamten  ein  Mitglied  des  Appellhofe^« 
Können  wir  in  der  That  uns  nicht  befreunden  mit  einem  >£i]]^ 
hider  zum  Betreten  des  Hauses  in  welchem  die  Favoritin  des 
AmnM>n  sich  den  Besuchern  preisgäbe,  so  scheint  dagegen  richtig, 
dase  der  betreffende  Beamte  eine  Beziehung  zu  dem  Cult  des  Ammon 
und  seines  Eebsweibes  {IlaXXaTtlQ  tpi;  ^i,6q  Herodot.  II,  54.  59. 
Diodox.  I,  47)  hatte.  Denn  zu  Miramar  (Taf.  7)  ist  genannt  ein 
Hörer  des  Ammon^  welcher  auf  demselben  Monument  auch  Hörer 
des  Hauses  der  Favoritin  des  Ammon  heiset..  Letzterer  Titel  wie- 
derholt sich  auf  einem  Sarg  zu  Triest,  und  nur  mit  dem  Zusatz 
Oberster  bei  Green.  Zu  diesen  drei  Beispielen  des  Herrn  Verf., 
w^he  alle  sich  auf  Ammon  beziehen,  füge  ich  noch  drei  weitere 
hinzu,  in  denen  das  ebenso  der  Fall  ist.  In  Memphis*)  ein  oberster 
Hör^  des  Geschrei'e  Namens  Her-Ammon;  im  Museum  zu  Neu- 
chatel**)  ein  oberster  Hörer  des  Geschreies,  erster  Priester  des 
Amxpon,  ebendaselbst  auf  einem  Ziegel  die  Darstellung  einer  Spende 
der  Pall^ü^  des  Ammon  dargebracht  durch  einen  Hörer  des  Ge- 
sehrei's.  Pennoch  ist  die  Sache  nicht  spruchreif  denn  die  genaiMiite 
Beziehimg  besteht  nicht  bei  Leps.  Denkmaler  Abth^HL  199  D  und 
173  B. 

Wir  bedauern  hier  nicht  genaper  eintreten  zu  können  auf  die 
Verdienste  des  Verfassers  um  die  neae  Phonetik  (wie  p.  151  Note 
der  Name  ftlr  Menschen  Sa)  oder  Entzifferung  so  mancher  Gruppen 
und  alle  Gelegenheiten,  wo  er  (z.  B.  fUr  wastan  eintreten)  die  Funde 
früherer  Forscher  bestätigt.  Wir  scheiden  von  ihm  dankbar  fUr 
die  mannigfache  Belehrung  und  von  dem  Kaiser  dankbar  dafür, 
dass  er  sein  kostbares  Eigenthum  zum  Gemeingut  der  Gelehrten 
gemacht  hat. 

Bern.  ZftndeL 


*)  Denen  voyage  en  Eg.  PI.  124,  i— 7. 
**)  ZBndel,  un  grand-prdtre  d'Ammon-Re  Im  Mus^e  htotorlque  de  KeuN 

ymkmA     ULmmm     4AAft 


ehmel.  Mtts  IMÖ. 


t§3  Lovelle:  Deatselie  GeseUehta, 

O.  Lortnt,  DeuUche  OesehieMe  im  13.  und  14.  JahrfumderL 

Von  oben  genanntem  Werke  ist  bis  jetzt  der  erste  Band  er- 
schienen; derselbe  behandelt  die  Zeit  des  grossen  Interregnums, 
tmd  zwar  mit  besonderer  Rücksicht  anf  Oesterreich.  Der  Verfasser, 
von  dem  verschiedene  Einzelarbeiten  über  diesen  Zeitraum  bekannt 
sind,  bietet  in  seinem  Buche  eine  Gesammtdarstellung  eines  Ab- 
schnittes, der  in  unserer  deutschen  Geschichte  schon  dadurch  einen 
hervorragenden  Bang  einnimmt,  dass  in  demselben  die  Grundlagen 
zur  ganzen  spfttem  Yerfiissung  Deutschlands  gelegt  worden  sind. 
Freilich  fehlt  hier  der  Glanz  des  Mittelalters,  und  der  Beiz,  den 
das  nationale  und  geistige  Bingen  des  15.  und  16.  Jahrhunderts 
auf  uns  ausübt ,  und  dass  das  allgemeine ,  allerdings  auch  durch 
treffliche  Werke  fort  und  fort  wach  erhaltene  Interesse  sich  eher 
diesen  beiden  Zeiträumen  zuwendet,  als  dem  18.  und  14.  Jahrb., 
leuchtet  von  selbst  ein.  Wer  aber  unsere  ganze  staatliche  Ent- 
wicklung begreifen  will,  der  darf  es  nicht  verschmähen,  seine  Auf- 
merksamkeit dieser  Zeit  zu  widmen,  in  welcher  unter  schweren  Gte- 
burtswehen  die  neue  Beichsordnung  sich  ausbildet,  in  gewaltigem 
Kampfe  mit  der  unter  dem  päpstlichen  Schutz  zum  Schaden  des 
Beichs  herangewachsenen  südöstlichen  Macht,  der  böhmisch-Öster^ 
Teichischen  Monarchie,  sich  behauptet,  und  der  Streit  zwischen  den 
allgemeinen  Beichsinteressen  und  den  territorialen  Mächten  endlich 
in  den  Eurvereinen  und  dem  Beichsgesetz  der  goldenen  Bulle  sei- 
nen Abschluss  findet. 

In  dieser  Epoche  gerade  die  Geschichte  der  österreichischen 
Länder  besonders  zu  behandeln,  empfiehlt  sich  einestheils  dadurch, 
dass  in  ihnen  die  Anfänge  zur  Entwicklung  einer  grossen  Macht 
gegeben  sind,  andrerseits  durch  die  höchst  bedeutende  Bückwirkung 
dieser  Länder  auf  die  ganze  Gestaltung  Deutschlands  seit  dem  13. 
Jahrhundert.  Das  Bestreben  des  Verfassers  richtete  sich  nun  dar- 
auf, seiner  Specialgeschichte  stets  die  grossen  und  aUgemeinen,  für 
die  deutsche  Beichsgeschichte  überhaupt  massgebenden  Gesichts- 
punkte festzuhalten.  So  orientirt  er  uns  in  der  Einleitung  durch 
eine  kurze  Schilderung  des  Zeitraums,  welcher  unmittelbar  der 
Epoche  der  territorialen  Machtentfaltungen  in  Deutschland  vorher- 
ging, indem  er  die  Bedeutung  des  Eaiserthums,  sein  Verhältniss 
zur  Kirche,  die  kirchenrechtlichen  Doktrinen,  die  ultramontanen 
Behauptungen,  die  Persönlichkeiten  Friedrich's  11.  und  Innocenz  IV. 
und  die  Mittel  der  päpstlichen  Politik  in  Deutschland  entwickelt. 
Indem  der  Ver&sser  im  ersten  Buche  seines  Werks  die  Grün- 
dung einer  österreichisch-böhmischen  Macht  erzählt,  geht  er  aus 
von  einer  Schilderung  jener  südöstlichen  Territorien,  wo  schon  seit 
längerer  Zeit  durch  die  Babenberger  Vereinigungen  einzelner  einst 
selbständiger  Beichsländer  in  dauernder  Form  zu  Stande  gebracht 
worden  waren.  Es  wird  sodann  ausgeführt,  dass  der  von  Ottokar 
von  Böhmen  begründete  Staat  sich  allerdings  ganz  auf  dem  Grunde 


Loreai:  Dentocbe  G^toUehte.  IM 

seiner  deatschen  Binriohtangen  erhob,  mit  der  Mehrzahl  seiner  Be- 
▼öJkenmgen  in  den  dentsohen  Yerh&ltnissen  wurzelte  und  in  den 
Zostanden  des  Reichs  seinen  Schwerpunkt  hatte,  dass  aber  doch 
daneben  ein  anderer  Theil  der  BeYÖlkening  sich  des  yoUen  natio- 
nalen Gregensatzes  wohl  bewnsst  war.  Diese  Erscheinung  ist  dem 
Yerfiwser  ein  Beispiel  dafttr,  dass  Nationalitftten  an  sich  kein  Hin- 
demiss  staatlichen  Lebens  und  einheitlicher  Qewalt  geworden  sind. 
Als  Ottokar  nach  dem  Tode  seines  filtern  Bruders  Wladislaos  den 
Gedanken  der  Erwerbung  aufs  Neue  aufiiahm,  geschah  diess  unter 
Verlialtnissen,  welche  mit  den  staufischen  und  pftpsUichen  K&mpfen 
eng  zusammenhingen«  Indem  die  päpstliche  Politik,  welche  haupt- 
sachlieh  durch  die  babenbergischen  Frauen  wirkte,  im  Erbfolge- 
streit nach  dem  Tode  Herzog  Friedrich*s  Entscheidungen  bean- 
fruchte,  die  nur  dem  Lehnsherrn  desselben  zukamen,  und  indem 
sie  schliesslich  nur  entschied  nach  den  Ghründen  der  unbedingtesten 
Abhängigkeit  und  tiefsten  Ergebenheit  gegenflber  der  Kirche,  offen- 
barte sich  unzweideutig  ihr  Endziel,  n&mlich  jeden  Funken  selb- 
ständiger politischer  Beguug  in  Deutschland  zu  ersticken,  und 
wenn  ihr  Kandidat  trotz  aller  Gtmst  der  Verhältnisse  in  Oester- 
reieh  doch  nicht  Herr  wurde,  so  zeigt  diess  am  Besten  fltar  die 
noch  immer  nicht  zu  yerachtende  l^ht  der  staufischen  Partei, 
deren  Qegenaustalten  nur  nicht  energisch  genug  durchgeführt  wur- 
den, um  zu  yerhindem,  dass  der  spätere  Träger  der  päpstlichen 
P(ditik  das  mit  allen  Mitteln  und  Bänken  angestrebte  Ziel  er- 
reichte. —  Die  Episode  der  kirchlichen  Kämpfe  in  Salzburg  ist 
zwar,  da  Lorenz  diesen  GK)genstand  schon  früher  in  seiner  bekann- 
ten Abhandlung  »Ottokar  11.  von  Böhmen  und  das  Erzbisthum 
Salzburg  »eingehend  und  grflndlich  behandelt  hat,  nur  in  allge- 
meinen Grundzflgen  und  gedrängtester  Kttrze  dargestellt;  sie  ist 
aber  trotzdem  ein  sehr  merkwürdiges  und  unterrichtendes  Zeitbild. 
In  dem  allgemeinen  Kriege  des  weltlichen  Landadels,  in  der  syste- 
matischen Aneignung  der  kirchlichen  Besitzungen  sehen  wir  im 
Kleinen  am  Ende  nur  eine  Wiederholung  der  Tendenzen,  welche  im 
Grossen  Friedrich  11.  der  Kirche  gegenüber  verfolgte,  und  die  Er- 
scheinung des  Erzbischoffs  Philipp  (von  Kärnten),  der  seine  bischöf- 
liche Würde  durchaus  nur  als  Einnahmsquelle  ansah,  aber  vom 
Papste  wegen  seiner  Feindschaft  gegen  die  Hohenstaufen  und  ihre 
Landeshauptleute  bestätigt  wurde,  ist  nicht  minder  bezeichnend, 
als  die  Art,  wie  das  tragische  Geschick  des  Kaiserhauses  auch  auf 
diesem  Gebiete  so  rasch  seine  yerhängnissTollen  Folgen  äusserte. 
Nach  dem  Tode  des  für  das  Herzogthum  Gestenreich  bestunmten 
Enkels  Friedrich's  und  nach  dem  Zuge  Konrad*s  IV.  nach  Italien 
iSste  auch  die  Partei  der  Osterreichischen  Ghibellinen  sich  auf,  und 
Erzbischof  Philipp  fand  in  Böhmen  einen  hinreichend  starken  Bun- 
desgenossen zur  Wiederherstellung  der  geistlichen  Fürstenthümer 
und  zur  Begründung  des  üebergewichts  der  geistlichen  Politik.  — 
Die  Erhebu:^  der  päpstlichen  Partei  in  Böhmen  und  Oesterreich 


ist  der  GegOnstftnd  des  folgenden  Abfidmities.  )7aclidem  Ottokttre 
Empömng  gegen  seinen  Vater  Wenzel  gescheitert  war ,  blieb  ihm 
Nichts  übrig,  als  diesem  sich  zu  unterwerfen  nnd  im  Bande  tait 
ihm  mid  mit  der  kirchlichen  'Partei  die  Erwerbung  Oesterreiehs 
anzubahnen.  Warum  hätte  er  sich  auch  in  jener  Zeit  der  berech- 
nendsten Selbstsucht,  wo  die  Stellung  zur  Partei  nur  als  Mittel 
zum  Zwecke  galt,  bedenken  sollen,  die  Staufer  und  ihre  Anh&nger 
am  yerliüssen,  denen  die  Zukunffc  olSbnbar  nicht  mehr  gehörte. 
SauTär  mag  ihm  der  inreite  Schritt  geworden  sein,  den  er  aus  den- 
selben poetischen  Granden  that,  die  Yerm&hlmig  mit  Margareth, 
det  iilten  Wittwe  König  Kcdnrioh's  Vü. ;  sehr  bezeichnend  fir  di^ 
ses  Missverhttltniss  ist  der  in  einer  Anmerkung  angeführte  Bericht 
de^  Beimchronik  hierüber.  Der  Vater  macht  seinen  etwa  zwei  und 
zwanrig  Jahre  alten  Sohn  auf  alle  Tortheile  dieser  Verbindung 
aüfhierksam  uüd  führt  ihm  wegen  Beiner  mehr  ehr-  als  liebens- 
wfbrdigen  Braut  den  unmoralischen  Trost  zu  Gemüthe:  Ir  rindet 
ze  Wienn  schone  Weib,  Der  Mine  so  süsset,  Daz  ir  euch  so  sanfte 
pttesset  Wez  ir  habt  gepressten  dort.  Uebrigens  mag  angeführt 
werden,  dass  die  nicht  bekannter  gewordene  Abhandlung  G.  Bier- 
mann*s  »Ottokar's  n.  Stellung  zur  römischen  Curie  uüd  zum  Reiche  c 
die  Ausführung  unseres  Verfossers  in  seiner  Abhandlung:  »Erwer- 
bung Oesterreichs«  berichtigt.  —  In  dem  Abschnitt  »Ungarn  und 
die  st'Cirisehenci  Handel«,  welcher  sich  hauptsächlich  auf  die  Quellen 
bei  Fejör  und  Theiner,  sowie  auf  die  Beimcfaronik  stützt ,  in  die 
nur  grossere  Ordnung  gebracht  werden  musste,  ist  entwickelt,  wie 
Ottokar  in  Ungarn  eine  rivale  Macht  fand,  die  ihm  nicht  nur  in 
Steie^rmark,  sondern  auch  bei  der  römischen  Curie  den  Ba«ig  ab- 
lauft konnte.  Das  mit  grosser  Geschicklichkeit  ron  Innocenz  IV. 
den  VasaßenkOttigen  von  BOhlnen  und  Ungarn  gegenüber  einge- 
haltene Schaukelsygtem  ist  bis  in  die  Einzelheiten  gesdrildert,  und 
wir  konnten  jedeb  Wort  der  hieran  geknüpften  OhaTakfcerisirtmg  dieses 
Papstes  und  seiner  Politik  untersdnreiben.  Als  einer  der  merk- 
würdiggten  Sohachzüge  des  Papstes  ist  anzuführen  sein  aus  nicht 
genug  aufgehellten  Gründen  nicht  zur  Ausführung  gekommener 
Ilan,  das,  wie  er  sich  ausdrückte,  eines  Königs  ermangelnde,  grosse 
Lehen  in  Sioilien  der  ungarischen  Dynastie  zuzuwenden.  Fireilioh 
war  dabei  keine  Rücksicht  darauf  genommen,  dass  die  Ungarn  nie- 
mals ein  Beetüchtiges  Volk  waren,  und  dass  in  den  Beziehufagen 
Venedigs  zu  dieser  Frage  unübenrindliche  Hindernisse  lagen ;  alleih 
grossartig  und  bezeichnend  genug  ist  immerhin  der  zu  Grunde 
Hegende  Gedanke,  auf  diesis  Weise  den  Schauplatz  des  Haupt- 
kampfbs  der  Hohenstaufen  aus  Italien  nach  den  Donauländem  zu 
terlegen,  um  die  ungestörte  Rückkehr  nach  Born  und  die  Unter- 
werfang  der  italienischen  GhibelHnen  zu  'bewerkstelligen.  —  Eine 
nkr  diostoenswerthe  Leistung  haben  wir  anzuerkennen  in  den  Aus- 
f%&roiigen  unseres  Verfaseers  Über  die  beiden  .^eussiseiAn  Kreuz- 
lüget  welehe  Ottokar  alä  gehorsamer  Sohn  der  Kirche  wa^&mAmHä 


Lorens:  De«CMk«  OmüMA/b.  195 

mvBstd.  IMe  orianialimhe  Politik  der  Fllpste  koiuite  es  seit  Fried* 
rieli  n.  m  keinem  rechten  AnÜBohwnng  mehr  bringen.  Man  verlor 
aber  mit  den  Kreoz&hrten  den  PrOfiBtein  des  Gehorsams  der  welt- 
liehen Mftchte  gegenflber  der  geistlichen  Gewalt;  einen  mn  so  ge- 
sckiokteni  Ghriff  that  non  Inaocenz  IV. ,  indem  er  denselben  mit 
aeioer  Vorliebe  flür  den  dentachen  Orden  eine  praktischere  Seite 
abgewann.  Lorens  stellt  die  sehr  einlenohtende  Vermnthnng  anf, 
daM  Otlokar  yon  dem  Orden,  der  in  allen  Osterreichischen  Lftn- 
den  groeae  Verbindungen  und  Besitsnngen  hatte  ^  und  gewisder^ 
maaaen  die  Erftfte  der  KlGster  und  diejenigen  des  Adels  in  sich 
Ttveinigte,  und  flberdiees  seit  1252  Freiheit  von  allen  Landesab« 
gaben  und  eigene  Gerichtsbarkeit  genoss»  schon  ftüh  zur  Hilfe« 
leiatong  aufgefordert  worden  sei.  Diueu  kam  wohl  auch  persönliche 
Theilnahme,  die  er  den  Arbeiten  und  grossen  Angaben  des  Ordens 
in  P^reuseen  schenkte.  Mit  grossem  Scharfsinn  hat  Lorenz  die  ün- 
haltbarkeit  der  bekannten  Berichte  über  den  Kreuzzug  selbst  nach- 
gewiesen. Das  Bichtige,  das  stehen  bleibt,  mag  sich  nach  ihm 
ungefthr  auf  Folgendes  beschrftnken.  Nach  einer  Nachricht  hielten 
sieh  die  Osterreichischen  Kreuzfahrer  ein  ganzes  Jahr  in  Preussen 
auf.  Ottokar  nahm  an  der  Unterwerfung  Samlauds  keinen  unmittel- 
baren Antheil,  er  mag  wfthrend  seines  kurzen  Aufenthalts  von  eini- 
gen Hftuptlingen  Geiseln  erhalten,  den  deutschen  Ordensbrüdern 
zum  Bau  einer  Burg  am  Ausfluss  des  Pregel  gerathen  haben ;  aber 
fiber  seine  strategischen  Leistungen  dürfen  wir  uns  von  den  über 
ein  Jahrhundert  spätem  Berichten  nicht  täuschen  lassen.  Dafür 
sprudit,  dass  der  schon  im  Anfang  des  Jahres  1255  zum  Bischof 
von  Samland  designirte  Heinrich  von  Strittberg  noch  im  Februar 
naeh  der  Rückkehr  Ottokars  in  Thom  ist  und  Verfügungen  über 
seia  Vermögen  trifft,  wie  wenn  der  Feldzng  erst  im  Beginn  wäre. 
Aueh  der  Papst  sah  den  Ereuzzug  nach  der  Bückkehr  Ottokars 
nieht  als  vollendet  an,  sondern  Hess  durch  den  Bruder  Bartholo- 
mSufl  SU  neuer  Kreuz&hrt  auffordern,  und  aus  einem  Breve  des 
Papstes  geht  hervor,  dass  kurz  darauf  Ottokar  noch  einmal  das 
Kreuz  nahm;  er  mochte  diess  auch  bei  seiner  frühem  Abreise  den 
Ordensbrüdern  versprochen  haben.  Vielleicht  hat  er  im  Herbst  1255 
noch  eine  Kreuzfahrt  nach  Preussen  unternommen,  da  sich  durch 
drei  Monate  keine  Spur  von  seiner  Anwesenheit  in  seinen  Ländern 
tindei.  So  wurde  auf  seinen  Namen  geschrieben,  was  sich  im  Laufe 
eines  Jahies  dort  zugetragen;  vielleicht  ist  auch  ein  Tbeil  seines 
Heeres  inzwischen  im  Dienste  des  Ordens  gewesen.  Ottokar  hielt 
sieh  für  lange  Zeit  von  ähnlichen  Unternehmungen  fem  und  liess 
sieh  erst  12  Jahre  später  zu  einem  neuen,  ganz  unglücklichen  Kreuz- 
zuge bestimmen,  und  zwar  nicht  durch  die  frommen  Redensarten 
von  Olaubensvertheidung  und  kirchlichem  Gehorsam,  sondern  durch 
sehr  weltliche  und  wichtige  Bücksichten.  Diese  bestanden  viel 
weniger  in  der  Einverleibung  Galindiens,  des  Jaczwingerlandes  und 
Littluniens,  als  in  seinem  Verlangen,   die  neue  Monarchie  in  der 


296  LoreDi:  Devtoolio  Getchlohte. 

kiroUicken   Yerwaltong  nnabhängig   zn   maches  Yon  ati8w&rtig«ii 
Metropolen.     Als  ihm   freilich  Clemens  IV.   in    »yäterlioh  abspre- 
chender Weise«  seinen  Lieblingswansch ,    Olmtttz   znm  Erzbisthom 
erhoben  zn  sehen,  abschlng,  da  war  es  sehr  begreiflich,  dass  Otto- 
kars Eifer  fttr  die  Angelegenheiten  des  deutschen  Ordens  rasch  er- 
kaltete. — •  Um  so  mehr  war  er  darauf  angewiesen,   die  Ordnung 
in  den  innem  Verhältnissen,  besonders  Steiermarks,   herzustellen. 
Hatte  er  durch  seine  völlige  Unterwerfung  unter  die  Kirche  nicht 
mit  deijenigen  Macht   zu  kämpfen,   welche  sonst  im  mittelalter- 
lichen Staate  das  Hindemiss  der  Selbständigkeit  und  innem  Frei- 
heit bildete,   so   blieb  ihm   die   andere  schwere  Aufgabe  nicht  er- 
spart, die  landesflirstlichen  Rechte  gegenüber  der  ünbotmässigkeit 
des  Landadels  zu  wahren.     Denn  auch  hier   ergab   sich   unmittel- 
bar dieser  Streit  mit  der  Beschaffenheit  des  mittelalterlichen  Staats- 
wesens überhaupt.     Ottokars  Stand  war  um  so  schwieriger,  als  er 
dem  Adel  verpflichtet  war,  dessen  Empörung  gegen  die  ungarische 
Herrschaft  er  selbst  seiner  Zeit  unterstützt  hatte.  Vermöge  seiner 
genauen  Kenntniss  des  immer  noch  viel  zu  wenig  beachteten  öster- 
reichischen Landrechts  hat  unser  Verfasser  überzeugend  dargethan, 
dass  der  Kern  des  ganzen  Streites  der  Burgenbau  war,  in  dessen 
übermässiger  Ausdehnung  der  räuberische  Adel  den  besten  Schutz 
gegen  die  landesfürstliche  Gewalt  fand.     Wenn   Ottokar   zuerst  in 
Böhmen  und  Oesterreich  und  später  auch  in  Steiermark  viele  Bur- 
gen brach,  die  Unbotmässigen  vor   Gericht   zog  und  Einzelne  am 
Leben  strafte,   so  war   diess  entschieden   eine   dringend  gebotene 
Massregel,  und  wir  pflichten  dem  Verfasser  ganz  bei,   wenn  er  es 
kindisch  nennt,  zu  untersuchen,  ob  diess  ein  grausames  Verfahren 
gewesen  sei  oder  nicht.     Ohnediess  beweist  wohl  die   dreimal  an 
die  betreffenden  steirischen  Herrn  ergangene  Ladung,  dass  die  ganze 
Sache  so  ziemlich  in  den  gehörigen  Bechtsformeln  vor  sich  gegan- 
gen ist;  die  meisten  der  in  Bede  stehenden    Persönlichheiten  sind 
nicht  der  Art,  dass  man   sich   zu   sonderlichem  Mitleide  mit   der 
rauhen  Behandlung,  die  sie  erfuhren,  gedrungen  fQhlen  könnte.  — 
Die  Vorgänge  in  der  allgemeinen  Geschichte  des  deutschen  Reichs 
sind,  wie  es  in  der  Aufgabe  des  Werkes  begründet  ist,  namentlich 
nach  der  Seite  klar  und  eingehender  geschildert,  nach  welcher  sich 
die  Umtriebe  einerseits   der  römischen  Kurie,   andrerseits   selbst- 
süchtiger und   vergrösserungssüchtiger    Fürsten,    wie    vor    Allem 
Ottokars,  geltend   machen.     Wir  sehen  zunächst,    wie   die  Macht- 
losigkeit König  Wilhelms  nicht  zum  geringsten  Theil  auf  den  Um- 
stand zurückzuführen  ist,  dass  Alexander  IV.,  nach  der  öffentlichen 
Meinung  Deutschlands  überhaupt  mehr  ein  Politiker  des  Geldes  als 
der  Kirchenstrafen,   zufrieden   ist  mit   einem   Strohmann  auf  dem 
deutschen  Thron,   wie  ferner  bei   der  Leitung   der  auf  Wilhelms 
Tod  folgenden    Wahlen   ein   so   unglückliches    Ergebniss    dadurch 
nothwendig  herbeigeführt  werden  musste,  dass  die  geistlichen  Für- 
sten, an  der  Spitze  der  Papst,  sich  dem  Beize  der  Bestechung  wo 


Lorea  ■:  DeatMh«  Cl«ielilelit«.  291 

möglioh  mit  noeh  grosserer  Sehamlosigkeit  hingaben,  ab  die  weit« 
liehen  Ffirsien  der  damaligen  Zeit,  nnter  welchen  «eh  doch  immer 
noch  einige  üeuiden,  denen  das  Wohl  des  Allgemeinen  am  Henen 
lag.  In  Beziehung  auf  die  Thronbewerbnng  des  Grafen  Richard 
Ton  Komwall  schliesst  sich  Lorenz  mit  Recht  der  Ansicht  an,  dast 
die  tiefem  politischen  Beweggründe  dabei  nicht  auf  Deatsohland, 
aondem  anf  StLditalien  gerichtet  waren.  Die  nngehenem  Snmmen, 
die  dem  Papst  yon  England  theils  bezahlt,  theils  Tersprochen  wnr- 
dea,  hatten  hanptsftchlich  den  Zweck,  zu  yerhindem,  dass  die  Rechte 
des  deutschen  Reichs  in  Italien  dnrch  eine  deutsche  Dynastie  aas* 
gebeutet  wttrden«  Es  mochte  viel  englischer  Spleen  beim  Verlan* 
gen  Richard*8  nach  der  deutschen  Kaiserkrone  mit  unterlaufettt 
ans  seinen  Briefen  und  Urkunden  geht  keine  Leichtfertigkeit  her* 
TOT ;  und  wenn  er  später  nicht,  wie  er  wollte,  seinen  Widersachern 
entgegentreten  konnte,  so  rtthrte  diess  theils  you  einer  Wendung 
in  den  innem  Verhältnissen  Englands  her,  auf  welche  hier  nicht 
naher  eingegangen  werden  kann,  theils  yon  dem  Widerstand  ein- 
zelner zu  machtiger  Fürsten,  wie  Ottokar,  der  AUes  darauf  an- 
legte, durch  den  Kampf  zweier  Könige  und  Parteien  die  Verkom- 
menheit der  Reichsgewalt  zu  fordern.  Wenn  Ottokar  sich  eben 
hierdurch  den  Besitz  der  böhmischen  Krone  und  seiner  neu  erwor- 
benen Länder  zu  sichern  strebt,  statt  durch  einen  mächtigen  Kaiser 
Frieden  mit  dem  Reiche  zu  machen  und  die  Losreissung  Steier- 
marks  yon  Ungarn  zu  bewirken,  so  erwies  die  nächste  Zeit  wenig- 
stens seine  Berechnung  als  richtig.  (Oegenflber  dem  traurigen  Bilde, 
das  eine  solche  Zerreissung  des  Reiches  durch  die  Territorialfürsten 
bietet,  hat  der  Verfasser  nicht  unterlassen,  auf  die  erfreulichere 
Erscheinung  der  Orfindung  des  rheinischen  Städtebnndes  hinzu- 
weisen, welcher  von  frühern  Anhängern  der  Staufer  ausgehend  nicht 
bloss  anf  die  Wahrung  der  Interessen  der  einzelnen  Mitglieder, 
sondern  auch  auf  die  Förderung  der  Reichseinheit  und  der  Rechte 
des  deutschen  Königs  angelegt  war).  Zunächst  siegte  Ottokars 
Interesse  im  Reiche  dadurch  yollständig,  dass  sein  päpstlicher 
Odnner  den  yom  Erzbischof  von  Mainz  festgesetzten  Wahltag  zu 
yerhindem  wusste,  und  dass  Ottokar,  als  Richard  in  seiner  yoU- 
stftndigen  üngefährüchkeit  sich  gezeigt  hatte,  demselben  sich  mehr 
in  dem  Verhältnisse  eines  Bündnisses,  als  der  Vasallität  anschlies- 
sen  konnte.  ürbanIV.  hielt  wie  Alexander  IV.  seine  Entscheidung 
hauptsächlich  nur  aus  politischen  Oründen  zurück,  weil  er  eben 
auch  in  der  Erhebung  jedes  aufstrebenden  Herrscherhauses  eine 
Geübr  für  den  römischen  Stuhl  sah.  Dadurch  dass  er  in  unerhörter 
Weise  nur  sieben  Wablfürsten  als  stimmberechtigt  zählte,  durch 
seine  Erklärungen  yom  31.  August  1268  wurden  jene  kurfürstlichen 
Vorrechte  begründet,  welche  mehr  und  mehr  die  Grundlagen  des 
Reichs  erschütterten.  Zunächst  ergab  sich  durch  die  schlaue  Bo- 
sehrftnknng  auf  7  Stimmen  die  glückliche  Berechnung,  dass  eigent- 
lich keiner  yon  beiden  Königen  wirklich  gewählt  sei,   da  einmal 


9i06  LorBbis  Deuteehe  GebcUebt«. 

Alfons  tier,  Richard  drei,  ein  anderes  Mal  Bicbard  vier,  Alfons 
drei  Stimmen  auf  sich  vereinigt  habe.  Alles  ist  unter  dem  tftn- 
sehenden  Schimmer  dargestellt,  als  hätte  schon  1257  das  Sieben- 
KurfÜrstenreoht  unzweifelhaft  bestanden.  Wir  müssen  nach  dieser 
Ausftlhrung  Herrn  Lorenz  beipflichten,  wenn  er  die  Papstgeschichte 
des  dreizehnten  Jahrhunderts  die  Geschichte  einer  europäischen  Ver- 
schwärung  gegen  Deutschlands  Machtstellung  nennt.  Im  weitem 
Verlauf  der  deutschen  Beichsgeschichte  unterlässt  der  Verfasser 
nicht,  daran  zu  erinnern,  wie  sich  später  diese  kurzsichtige  päpst* 
liehe  Politik  gestraft  hat,  wie  man  in  Rom  desswegen,  weil  man 
den  Sachsen,  Franken  und  Schwaben  den  Gehorsam  yerweigert 
hatte,  später  den  Bänken  der  Engländer,  Franzosen  und  Spanier 
preisgegeben  wurde.  Schon  in  den  Wahlvorgängen  von  1271  musste 
Gregor  X.,  um  den  Franzosen  ein  Gegengewicht  zu  sch'afPen,  das 
neue  Königthum  Rudolfs  von  Habsburg  eifrig  unterstützen.  Das 
böhmisch-österreichische  Reich  wurde  plötzlich  preisgegeben;  denn 
jetzt  bedurfte  es  ja  keines  Gegengewichtes  gegen  die  Staufer  in 
Deutschland  mehr.  Ottokar  freilich  begann,  als  er  die  Kurfürsten 
ernstlich  auf  eine  Wiederbesetzuug  und  Erneuerung  des  Reiches 
denken  sah,  das  alte  Spiel  der  Entzweiung.  Aber  wie  das  Papst- 
thum  aus  Furcht  vor  Frankreich  gewissermassen  reichsfreundlioher 
wurde,  so  begann  auch  das  westliche  Deutschland,  als  das  Streben 
der  französischen  Nachbarn  nach  der  Herrschaft  Deutschlands  immer 
offenkundiger  wurde,  mächtig  den  östlichen,  besonders  böhmischen 
Zerstörungsplänen  des  Reiches  entgegen  zu  wirken.  Mit  der  Schil* 
derung  der  Streitigkeiten  bei  der  Eaiserwahl,  aus  der  Rudolf  von 
Habsburg  später  als  Sieger  hervorging,  mit  der  Charakteristik 
Budolfs  und  einem  Rückblick  auf  seine  Vorgeschichte  wie  auf  die 
des  Habsburgischen  Hauses  schliesst  der  Verfasser  den  Theil  seiner 
allgemeinem  deutschen  Reichsgeschichte  ab.  Da  der  Raum  zu  be- 
schränkt ist,  um  in  die  Einzelheiten  seiner  Darstellung  der  Otto- 
kar'schen  Unterwerfungen,  Verwicklungen  und  Erfolge  im  Salz- 
burgischen,  inBaiem,  Kärnten,  Görz,  Kiain,  Ungarn  u.  s.  w.  ein« 
zugehen ,  so  woUen  wir  nur  noch  kurz  Rücksicht  nehmen  auf  das 
Bild,  das  er  uns  von  dem  böhmischen  König  entwirft,  als  sich  der- 
selbe auf  der  Höhe  seiner  Macht  befand.  In  dieses  Charakterbild 
sind  bekanntlich  nicht  bloss  durch  die  Dichter,  sondern  nament- 
lich in  neuerer  Zeit  durch  Parteischriftsteller  fremde  Züge  hinein- 
getragen worden,  so  dass  es  sich  wohl  verlohnte,  die  ursprüng- 
lichen Umrisse  wiederherzustellen.  Dem  Mittelalter  galt  Ottokar 
als  Urbild  eines  grossartigen  und  glücklichen  Eroberers,  zu  Grunde 
gegangen  durch  das  Unmass  seiner  Herrschaft  und  die  Grenzen- 
losigkeit seiner  Absichten,  als  ein  zweiter  Alexander.  Kein  Wunder, 
war  doch  eine  so  grosse  Vereinigung  von  Ländern,  wie  sie  durch 
ihn  stattfand,  beispieUos.  Ist  er  am  meisten  Heinrich  dem  Löwen 
vergleichbar,  so  ist  dieser  doch  zu  sehr  durch  Kaiser  Friedrich  in 
den  Schatten  gestellt,  während  Ottokar  in  Mitteleuropa  ohne  Glei* 


Lorenk:  DeatMbb  OtekttMe.  191 

cfaen   dastand.     Die  hohe  Vorstellnng,   die  man   von  ihm  iLatte, 
grtLndete  sich  aber  weniger  anf  genaue  Eenntniss  der  YerhaHniBse, 
als  auf  den  Eindruck  des  blossen   Erfolgs.     Trotz   einiger  grossen 
und  bedentenden  Zftge  in  seiner  Persönlichkeit,  steht  er  in  der  Äiplo- 
maüschen  Geschichte  seiner  Politik  mehr  anf  dem  Standpunkt  der 
kleinen  Gestalten,   die  aus   den   umgebenden   Verhältnissen  reieh- 
li^tsten  Nutzen  ziehen,  die  aus  der  Auflösung  gegebener  Zustände 
Tortheile  erringen,    (kurch   Httufiing  rieler   kleinen   Verdienste  zu 
grasaer  Macht  gelangen,  defaen   aber   der  Leitstern   eines   tiefcm 
Qedankens,   die  bewusste   Initiative   des   eigenen  Handelns    fehlt. 
Nirgend  ist  in  seinen  Planen  ein  sachliches  Interesse  zu  bemerken; 
er  ordnet  sich  weder  der  päpstlichen   Weltherrschaft  unter,   noch 
den   allgemein  deutschen  Reidisinteressen ;    Alles   wird   ihm   zum 
Mittel  eigennittziger  VergrOsseruugspolitik ;   er  lässt    sich   nie  von 
nationalen  oder  grossen  staatlichen  Grundsätzen  leiten.  Von  seiner 
Mutter,  der  edeln  Tochter  Philipp*s  ron  Hohenstaufen  hatte  er  den 
hohen  Flug  seines  Ehrgeizes;  eine  grosse  Verständigkeit  vereinigte 
sich  in  ihm  mit  einer  gewissen  Kurzsichtigkeit.  Wie  er  alsBtaats- 
mann  das  Ende  der  Dinge  schwerlich  genug  vorhersah,    so  war  er 
soeh  als   Feldherr   zwar  muthig   und   entschieden   in   der   offenen 
Msimesschlacht,  aber  nicht  fllhig,  einen  Feldzug   mit  weitschauen- 
der  Berechnung  anzulegen.     Ais  fromm  wurde  Ottokar  wohl  dess- 
wegen  in  Böhmen  gepriesen,  weil  er  stets  sehr  freigebig  geg^ndie 
GeisUiohkeit  war;   er   liebte  den  Prunk  an  seinem  Hofe  zu  Prag, 
wo  das  deutsche  Wesen  unter  ihm  so  sehr  überwog,  dass  damals 
der  vornehmste  bOhraisobe   Adel   deutsche   Namen    anuahiü.     Dem 
Bttrgettlmm  gab  er  eine  dem  Adel   zwar  nicht  ebenbürtige,   doch 
als  Stand  berechtigte  Stellung.    Ueber  das  letzte  Kiel  seines  Ehr- 
geizes hat  man  viel  gestritten ;  dasselbe  war  wohl  nicht  die  deutsche 
Kaiserkrone,  sondern  die  Bildung  eines  Staates,  der  ün  Gegensatz 
zu  den  Ueberlieferungen  des  Reichs  die   Österreichischen  und  hfSh" 
misdien  Länder  zu  einer   selbstilndigen   Macht  umfassen  und   auf 
den  Trtkmmem  der  deutschen  Einheit  begründet  werden  sollte.  Zu 
zeigen,  wie  Ottokar  mit  dieser  selbstsüchtigen  VergrOsserungspolitik 
sdilie^ich  natnrgemäss  zu  Schanden  werden  musste  an  den  ewigen 
imd  wahren  Bedürfnissen  eines  grossen  und  lebensfUhigen  Volkes, 
diess  seheint  der  leitende   Grundgedanke  des  Werkes  von  Lorenz 
zu  sein.  —  Eine  für  den  Geschichtsforscher  sehr   werthvoUe   Bei* 
gäbe  des  Buchs  sind  die  Abschnitte  über  das  Finanz-  und  Kanzlei- 
Ottokars,  so  wie  über  die  kirchlichen   Zustände  jener  Zeit. 

Dt.  W.  Laüwr. 


MO  ROdinger:  Die  Qesetse  der  Bewegang* 

Fr.  Rödinger,  Die  Oesetse  der  Bewegung  im  SiaaUleben  und  der 
Kreislauf  der  Idee.  1864.  8.  Stuttgart  bei  dMa. 

Die  vorliegende  Sohrift  nimmt  etwas  mehr  als  das  blose  Tages- 
Interesse  in  Ansprach,  indem  sie  die  wissenschaftliohe  BegrOndong 
der  demokratischen  Idee  vom  Staat  enthält.  Ihre  Prinoipien  sind: 
Der  Staat  ist  die  Wirkung  natürlicher  and  sittlicher  Gesetsse,  welche 
mit  dem  Dasein  des  Menschen  gegeben  sind.  Nichts  anderes  soll 
und  kann  im  Staat  sich  entfalten  and  yerwirklichen  als  was  im 
einzelnen  Menschen  liegt.  Er  ist  aber  nicht  blos  die  Samme  der 
in  ihm  yereinigten  Individuen,  sondern  —  wie  jede  Vereinigung  vieler 
Einzelner  nicht  blos  eine  Zahl,  sondern  eine  neue  Kraft  wird  — 
so  stellt  der  Staat  das  Wesen  der  einzelnen  Personen  in  erhöhter 
Potenz  dar,  er  ist  selbst  eine  Persönlichkeit.  Da  nun  die  Persön- 
lichkeit des  Einzelnen  auf  seiner  freien  Selbstbestimmung  beruht, 
so  muss  dieses  Princip  auch  im  Staate  herrschend  werden,  der 
Staat  muss  als  Einheit  der  freien  EinzelwiUen  nicht  nur  selbst  frei 
sein  nach  aussen,  sondern  auch  nach  innen  die  freie  Entwicklung 
aller  seiner  Angehörigen  wahren.  Durch  die  Freiheit  des  Willens 
erhebt  der  Mensch  im  Staate  die  natürlichen  Gesetze  des  Zusam- 
menlebens, welche  sich  in  dem  gegenseitigen  Bedürfhiss  aussprechen, 
zu  sittlichen;  und  die  Einheit  des  Willens  der  Gesammtheit  stellt 
sich  mittelst  des  Organismus  dar,  welchen  derselbe  zum  Behuf  sei- 
nes Ausdrucks  sich  schafPfc.  Da  nun  in  der  sittlichen  Natur  des 
Menschen  als  eines  zu  freier  Selbstbestimmung  geschaffenen  Wesens 
kein  Unterschied  zwischen  den  Einzelpersonen  ist,  so  gebührt  auch 
jedem  freien  Individuum  der  gleiche  Antheü  an  der  Thtttigkeit, 
welche  den  Gesammtwillen  zum  Ausdruck  bringt.  Das  heisst:  jedes 
selbstständige  Individuum  im  Staate  soll  unmittelbar  bei  der  Wahl 
der  gesetzgebenden  Körperschaft  sowohl,  als  bei  der  Wahl  der  Ver- 
treter seiner  Gemeinde  und  seines  Bezirkes  mitwirken.  Der  Verf. 
würde  davon  sogar  die  Frauen  nicht  ausschliessen,  wenn  nicht  die 
wohlbegründete  Sitte  sie  als  den  Mittelpunkt  des  geweihten  Kreises 
der  Familie  von  den  Parteikämpfen  des  öffentlichen  Lebens  fem 
hielte,  wo  zu  fürchten  wäre,  dass  das  Gemeinwesen  durch  ihre 
Theilnahme  auf  dem  Boden  der  Familie  mehr  verlieren  als  auf  dem 
der  Gesetzgebung  gewinnen  würde  (S.  121).  Mit  dem  Grundsatz 
der  aUgemeinen  Theilnahme  am  Staatsleben,  sowohl  in  seiner  Con- 
stituirung  als  in  seiner  Fortentwicklung,  ergibt  sich  femer  die  Noth- 
wendigkeit,  dass  die  Majorität  entscheide,  was  nicht  nur  das  ein- 
zige Mittel,  eine  Vielheit  zur  Einheit  zusammenzufassen,  sondern 
auch  der  zuverlässigste  Gradmesser  für  den  Bildungsstand  und 
die  Bedürfhisse  der  Gesammtheit  ist.  Als  die  natürlichen  Bedin- 
gungen der  freien  Individualität  stellt  sich  thatsächlich  das  Eigen- 
thum  und  die  Familie  dar,  ersteres  theils  als  Stoff  der  freien  Thätig- 
keit  theils  als  Festigung  und  Hebung  des  Individuums;  letztere 
als  Ergänzung  seiner  Einseitigkeit  und  als  Fortsetzung  seines  Da- 


&0dliig6rt  Die  OeseUe  der  Bewegung.  Wi 

Beins  in  der  Gattung,  welche  wiedemm  das  Eigentbnm  znrOnind* 
läge  nöthig  hat.  So  betrachtet,  ist  der  Staat  ein  bleibendes  In« 
stitnty  in  welchem  nur  die  Individuen  wechseln,  nnd  seine  Ent- 
wicklung hat  keine  natürliche  Qrense ;  Untergang  eines  Staates  ist 
nichts  anderes  als  eine  Folge  der  felderhaften  Einrichtung.  Der 
yemünftige  Staat  stirbt  nicht. 

Die  Formen  des  Staates  theilt  der  Verf.  nach  diesem  Princip 
in  zwei  Hauptklassen:  1)  den  Beherrschungsstaat,  in  welchem  ein 
Sonderwille  (eines  Einzigen  oder  Vieler)  gebietet,  und  2)  den  Ent- 
wicklnngsstaat ,  in  welchem  der  Oesammtwille  herrscht  und  die 
freie  Entwicklung  aller  Krftfte  gesichert  ist.  Die  constitutionelle 
Monarchie  nach  dem  Grundsatz  des  juste  milieu  betrachtet  er  als 
ein  Zwitterwesen,  welches  die  beiden  einander  entgegengesetzten 
Elemente,  Gewalt  und  Entwicklung,  in  gleichem  Maasse  zu  ver- 
knflpfen  suche,  bei  der  beständigen  Reibung  aber  neben  der  Ge- 
radheit auch  die  Klugheit  und  Schlauheit  herausfordere  und  bei 
dem  üebergewicht  des  einen  Elements  nothwendig  zum  offenen 
Kampfe  führe.  Gleichwohl  erkennt  der  Verü  auch  in  der  monar- 
chischen Form  die  Möglichkeit  freier  Entwicklung  an  und  weist  in 
dieser  Beziehung  auf  England  als  Musterstaat  hin,  in  welchem  das 
»Staatsoberhaupt  das  höchste  ist,  was  ein  Sterblicher  sein  kann, 
der  lebendige  Ausdruck  seines  Volks.  €  Wir  erblicken  in  seiner 
Schilderung  den  Musterstaat  wie  er  sein  sollte,  wenn  auch  in  der 
Wirklichkeit  die  ungenügende  Zusammensetzung  des  Parlaments 
(zumal  mit  Ober-  und  Unterhaus  in  einem  Einheitsstaat !)  mit  den 
Hindernissen,  welche  der  Wahlreform  von  Seiten  der  herrschenden 
Partei  fortwährend  entgegengesetzt  werden,  seinen  idealen  Forde- 
rungen weniger  entsprechen  dürfte.  Die  Richtung  nach  diesem 
Ziele  aber  findet  der  Verf.  in  der  geschichtlichen  Entwicklung  der 
modernen  Staaten  vorherrschend.  »Wo  es  nicht  der  Beseitigung 
der  Alleinherrschaft  gilt  (in  welchem  Falle  nach  dem  —  schon  von 
Aristoteles  aufstellten  —  durch  die  Geschichte  bestätigten  und 
auch  von  unserm  Verfasser  aus  seinen  Principien  deducirten  Gesetz 
das  Streben  auf  den  Freistaat  geht),  wird  es  sich  im  künftigen 
Weltprocess  um  die  Vollendung  der  constitutionellen  Monarchie 
handeln  und  je  nachdem  dieselbe  ihre  Weisheit  oder  ihre  Macht 
in  die  Wagschale  wirft,  wird  die  Geschichte  das  Schauspiel  der 
Reform  oder  der  Revolution  geben,  aus  deren  einer  der  monar- 
chische, aus  der  andern  der  republikanische  Entwicklungsstaat  her- 
gehen muss.c  Weil  der  Gegensatz  der  beiden  Elemente  in  der 
constitutionellen  Monarchie  weniger  stark  sei  als  in  der  absoluten, 
sieht  der  Verfasser  voraus,  dass,  »wenn  die  Herrscher  nicht  mit 
Blindheit  geschlagen  sind«,  die  künftige  Geschichte  unsers  Welt- 
theils  nicht  in  der  republikanischen  Staatsform,  also  nicht  mittelst 
Revolution,  sondern  in  der  Form  des  monarchischen  Entwicklungs- 
staates sich  darstellen  werde.  Indessen  erklärt  er  auch  diese  Form, 
die  sich  blos  durch  die  Erblichkeit  der  Macht  vom  Freistaat  unter- 


ffH^  R5diRf  er.  Dl^  Oe«etE«  der  Bemgavi^ 

so^i4e»  für  einen  Best  a^s  der  ps^triarchalischea  Zeit  und  zweiMt 
se)Lr,  ob  ein  Volk,  welches  nicht  geschichtlich  mit  derselben  ver- 
wachsen wäre,  in  völlig  freier  Wahl  eine  solche  Macht  jemails 
einem  Einzelnen  erblich  übertragen  würde.  >Die  sittliche  Per- 
sönlichkeit des  Staats  verbleibt  ihm,  die  Ansfühmng  seines 
Willens  einem  Nachfolger  in  der  Familie,  Jessen  er  sich  hin- 
sichtlich des  Charakters  nnd  der  Befähigung  gar  nicht  ver- 
sichern kann,  zu  überlassen,  um  so  mehr  als  die  Erblichkeit,  weU 
sie  traditionelle  nnd  sich  verhüllende  Flaue  der  Macht  begün- 
stigt, die  Machtfülle  so  steigert,  dass  es  keine  volle  Garantie 
gegen  il^en  Missbrauch  mehr  gibt.«  Aber  nicht  die  aicl\tbare  Fom^ 
des  Staates  allein,  sondern  yor  allem  der  Begiriif  der  stai^tUchen 
Gemeinschaft  macht  den,  Entwicklungsstaat  aus.  Ist  diesei^  ^b 
rec^itUch  gleiche  Geltung  süler  (versteht  sic^  vol^ährigen)  Indivi- 
duen, so  gehört  die  Gleiohheit  der  politischen  Rechte  und  damijt 
die  allgemeine  Wahlfreiheit  zu  den  wesentlichen  Einrichtungen  die- 
ser Staatsform,  und  der  geringste  Unterschied  im  politischen  Rechte 
der  Einzelnen  ist  die  Sdaverei  im  Keim.  Die  nach  der  Norm  der 
inneren  Gesetze  gebildeten  Elemente  und  Organe  des  Staats  aber 
enthalten  schon  in  ihrer  blossen  Existenz  eine  der  werthvollsten 
Garantien  der  Freiheit;  da  jedoch  die  Freiheit  nichts  anderes  ist 
als  Selbstbestimmung,  so  ist  klar,  dass  man  den  Weg  der  Freiheit 
nicht  getragen  werden  kann,  sondern  ihn  selber  gehen  muss. 

Diess  ungef^r  ein  schwacher  ümriss  der  allgemeinen  in  dßv 
Schrift  enthaltenen  Ideen,  soweit  sie  die  Genesis  und  die  Form 
des  Staates  betreffen.  Der  zweite  Abschnitt  des  11.  Buchs  be- 
spricht das  Leben  des  Staates,  wie  es  sich  darstellt:  1)  in  der 
Bepr&sentation,  und  zwar  a)  durch  die  äussern  Grundlagen  (Schutz 
und  Regelung  des  Verkehrs,  des  Geldes  als  Tausohmittels ,  Schutz 
der  Einzelwirthschaften  und  der  freien  Arbeit,  Pflege  der  geistigen 
Interessen  etcO»  b)  durcli  den  YolkswUlen  (die  Wahl  nebst  ihren 
Hilfsmitteln,  d,er  Presse,  4en  Vereinen  etc.):  die  Landesvertretung 
soll  der  unmittelbare  und  volle  Ausdruck  des  Volkswillens  sein,  da- 
her allgemeine  und  directe  Wahlen;  der  Wähler  muss  selbständig 
auftrete^  daher  a^ls  Regel  offene  Abstimmung  (geheime  Abstimmung 
lässt  der  Verf.  nur  als  zweifelhaftes  Palliativ  in  dem  unvollkom- 
menen Staate  zu,  in  welchem  Corruption  und  Furcht  das  üeber- 
gewicht  hat;  und  wer  bedenkt,  was  schon  mit  den  verschlossenen 
Wahlurnen  geschehen  ist,  wird  ihm  beistimmen);  die  Einheit  des 
Willens  muss  sich  darstellen  im  Einkammersystem  (der  Verfasser 
widerlegt  die  Gründe  für  zwei  Kammern  auf  überzeugende  Weise), 
dieses  erfordert  aber  als  Garantie  vor  übereilten  Beschlüssen,  wie- 
derholte Berathung  in  bestimmten  Zeitabschnitten  und  das  Sus- 
pen^iweto  des.  Staa^tsoberhaupts.  Besondere  Vertretung  gewisser 
Körperschaften  ist  durch  den  Grundsatz  der  unbedingte!;!  Recbts- 
gleiel^it  der  Eii^elnen  n^<]l  die  Universalität  des  Staates  ausge- 
echlossen  und  der  Verfasser  widmet  den  Ansprüchen  des  Adels  und 


Bddiagev:  Di«  OmoIi«  der  BcwegmiC-  MI 

der  Kirchen  sowie  des  grossen  Qrandbesitzes  nnd  des  Capitais  anf 
eigene  Vertretung  eine  eingehende  üntersnobnng  und  ErOrtemngi 
deren  Besoltat  freilich  fQr  die  Privilegirten  nicht  sehr  befriedigend 
ausfällt.  2)  In  der  Gesetzgebung;  der  Verf.  entwickelt  in  diesem 
Abschnitt  über  die  Entstehung  der  Gesetze  und  des  Rechts  und 
den  Inhalt  des  Bechts  auf  der  Grundlage  des  natürlichen  Gemein- 
schaftgesetzes der  menschlichen  Gesellsi^aft  die  mit  dem  Prineip 
des  Entwioklungsstaats  übereinstimmenden  Grundsätze  der  Bechts* 
bildung  und  Bechtsfindung  durch  das  Volk  in  so  lichtvoller  Weise, 
dass  sie  auch  dem  Laien  klar  werden,  und  insbesondere  beleuch- 
tet er  den  Begriff,  die  Arten  und  die  Wirkungen  der  Strafe  eben- 
sosehr vom  Gesichtspunkt  des  Staatszweckes  als  mit  der  Leuchte 
der  Hnnoanitttt.  Eine  neue  Forderung,  die  er  hier  stellt^  so  richtig 
sie  auch  aus  seinen  Prämissen  gefolgert  sein  mag,  wird  lange  Zeit 
bedürfen  um  sich  Bahn  zu  bredien.  Zwischen  den  äussersten  Gren- 
zen, der  Ehre  und  dem  Tode,  müssen  sich,  sagt  Bddiqiger,  die 
Mittel  finden,  die  verletzte  Gleichheit  wiederherzustellen,  auch  den 
verstocktesten  Verbrecher  für  das  Licht  der  Wahrheit  empfänglich 
SU  machen  und  dem  menschlichen  Vorkehr  zurückzugeben;  ja  es 
mnss  in  gewissen  Fällen  dem  Bichter  erlaubt  sein,  den  Verbrecher 
auch  ohne  Strafe,  mit  Belehrung  und  Ermahnung,  zu  entlassen 
oder  mit  dem  Eintritt  der  innem  Sühne,  derBeinigung  und  Besse- 
rung des  Menschen,  die  Strafe  aufzuheben.  8)  Aus  dem  Kapitel 
vom  Oberhaupt  und  der  vollziehenden  Gewalt,  bemerken  wir  nur 
den  Bath,  welchen  hier  die  Staatsphilosophie  ertheilt,  den  Ober- 
befehl über  die  bewa&ete  Macht  immer  vom  Staatsoberhaupt  zu 
trennen  und  einer  andern  verantwortlichen  Persönlichkeit  zu  über- 
tragen, was  jedoch  nur  auf  Freistaaten  anwendbar  sein  wird,  und 
die  Hüiweisong  auf  den  Brauch  des  Alterthums  un4  Mittelalters, 
Gesandtschaften  nur  für  besondere  Fälle  auszusenden,  anstatt  die 
loieiress^n  derVdlker  und  Staaten  durch  eine  eigene  Beamteaklias^y 
die  Diplomatie  leiten  und  bestimmen  zu  lassen« 

Dass  zwischen  der  Idee  des  Staates,  wie  aller  menschlichen 
Dinge,  nnd  der  Wirklichkeit  eine  weite  Kluft  besteht  und  dass  die 
unendliche  Angabe  des  Menschengeschlechts,  Freiheit  uuid  Npth- 
-  wendigkeit  in  Einklang  zu  bringen,  von  allen  Seiten  mit  unend- 
lichen Schwierigkeiten  umgeben  ist,  diese  Wahrheit  war  dem  Verf. 
des  v(»rliegenden  Werkes  wohl  bekannt.  Er  haj^  desshalb  nicht  nur 
im  Verlauf  der  wissenschaftlichen  DarsteUung  seiner  Ideen  aqf  die 
realen  Verhältnisse  gebührende  Bücksicht  genommen,  sondern  Sioch 
specieU  einen  durch  den  Gang  der  Weltereignisse  von  dem  Ideal 
des  Entwicklungsstaats  ebensosehr  als  von  ^ei^er  porsprünglich.en 
EinheiMorm  ahgplmnmenen  Staatencomplex  im  dritten  Abschnitt 
des  n.  Buchs  zum  Gegenstand  näherer  Betrachtung  gemacht.  Es 
konnte  diess  leider  nur  Deutschland  sein,  in  welchem  der  Verf. 
ein  schlagendes  Beispiel  des  »missbildeten  Staates t  erblickt,  das 
Land,  dessen  Volk  vorzugsweise  zum  Träger   der  Humanität  be- 


804  R^dlnfl^er;  Die  Gesetse  der  Bewegung. 

stimmt  ZQ  sein  scheint  und  dem  ebendarum  der  Beruf,  den  yoU- 
kommenen  Staat  herzustellen,  von  selbst  zufallen  sollte.  In  der 
historischen  Zergliederung  des  gegenwärtigen  Zustandes  yon  Deutsch- 
land hebt  der  Verf.  besonders  die  StUrke  des  föderativen  Elements 
der  Nation  hervor,  das  in  Folge  dieses  hergebrachten  üeberge- 
wichts  auch  bei  jeder  Neugestaltung  seine  Geltung  behaupten  werde 
und  die  Form  einer  starren  Centralisation,  sei  es  in  der  Monarchie 
oder  Bepublik  aus  der  Entwicklung  Deutschlands  ausschliesse.  Seine 
Hoffnungen  für  die  endliche  »Bettung  Deutschlands c  legt  der  Verf. 
in  dem  letzten  Kapitel  nieder,  das  mit  den  Worten  beginnt:  »Dass' 
die  Hilfe  nur  in  der  nationalen  Gonstituirung  Deutschlands  liegt, 
ist  gezeigt  worden,  und  dass  sie  nahe  bevorsteht,  verbürgt  der  ein- 
stimmige Wille  der  Nation  und  die  immer  dringender  hervortre- 
tende äussere  Nothwendigkeit«€  >Wenn  auch  der  innere  Drang, 
heisst  es  weiterhin  —  der  von  dem  Widerspruch  in  der  Bundes- 
verfassung ausgeht,  und  die  materiellen  Interessen  nicht  immer  die 
gleiche  Spannung  in  der  Nation  erhalten  sollten,  so  werden  doch 
die  Gefahren  an  den  offenen  Grenzen  und  die  europäischen  Ver- 
wicklungen jeder  Zeit  die  Lösung  wieder  zur  brennendsten  Tages- 
frage machen.  €  Da  es  nun  blos  zwei  Wege  der  Lösung  gibt,  Ver- 
ständigung und  Gewalt,  zur  Verständigung  aber  die  Lihaber  der 
Macht,  zumal  die  beiden  Grossmächte,  nicht  geneigt  sind  und  eine 
einseitige  Verständigung  im  besten  Fall  nur  eine  vorübergehende 
Einigkeit,  eine  taube  Frucht  zu  Stande  brächte,  so  bleibt  nur  das 
Mittel  der  Gewalt.  Gewalt  auf  Seite  des  Volks  —  da  >müsste  die 
Nation  das  unmögliche  thun  und  nicht  nur  ohne  Gewalt  die  Ge- 
walt überwinden,  sondern  auch  ohne  selbst  constituirt  zu  sein  die 
entgegenstehende  Gewalt  (die  Militärmacht)  zum  Werkzeug  ihres 
Willens  machen,  c  Dazu  wird  das  deutsche  Volk,  ohnehin  aller  (Ge- 
waltsamkeit abhold,  ausser  dem  Fall  äusserster  Verzweiflung  sich 
niemals  hinreissen  lassen.  Aber  es  wird*  sich  vorbereiten,  um  mit 
Benützung  der  Ereignisse  sein  Becht  zur  Zeit  geltend  zu  machen 
und  es  besitzt  dafür  eine  Grundlage  in  der  Beichsverfassung  von 
1849  ,  und  im  Beichswahlgesetz  ein  formelles  Mittel  zur 
Einigung  im  Parlament.  Kehrt  man  nicht  dahin  zurück,  so  steht 
nur  die  Gewalt  von  oben  in  Aussicht  und  für  diesen  mehr  als 
•  wahrscheinlichen  Fall  erblickt  der  Verfasser  in  der  Stellung  und 
in  den  Tendenzen  Preussens  allein  den  künftigen  Gang  der  Dinge 
in  Deutschland  vorgezeichnet.  Welche  Macht  aber  auch  die  Ein- 
heit der  Nation  herbeiführe,  der  Verf.  ist  überzeugt,  dass  auch 
aus  dieser  von  aussen  erzwungenen  Einheit  die  Freiheit  und  Selb- 
ständigkeit der  Nation  folgen  müsse.  . 

Dr.  Sehnitier. 


Ir.  20.  iHEIDEIBEBlGEE  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


O.  Flügel,  Der  Materiaiimnia  vom  Standpunkte  der  a(omiffifdb- 
mechanisehen  NtUurforschung  bdeuehieL  Leiptig,  Lauü  Per- 
nUz$eh.  1866.  XII  u.  100  8.  in  8. 

Wieviel  Getöse  auch  der  materialistische  Streit  seit  ein  paar 
Dezennien  bei  uns  gemacht  hat,  er  ist  meistens  in  andern  als  den 
streng  philosophischen  Kreisen  geführt  worden.  Die  in  der  philo- 
sophischen Literatur  besonders  angesehenen  Schriftsteller  haben  es 
fiatst  alle  yorgezogen,  schweigend  sich  dayon  fem  zn  halten.  Die 
Zahl  der  über  das  Thema  yeröffentlichten  Schriften  hat  darunter 
wahrüch  nicht  gelitten,  um  so  weniger  ist  man  geneigt,  von  einer 
neuen  noch  etwas  Neues  und  Besonderes  zu  erwarten.  Die  yor- 
liegende  hat  wenigstens  etwas  Apartes,  nämlich  dass  sie  sich  selbst 
auf  den  Standpunkt  der  atomistisch-mechanischen  Naturforschung 
stellt,  und  von  da  aus  den  Materialismus  beleuchtet.  Sie  ist  so  in 
der  günstigsten  Position,  um  dem  Materialismus  alle  nur  gestattete 
Gerechtigkeit  widerfahren  zu  lassen.  In  der  That  hebt  sie  das 
Bichtige  in  seinen  Aussagen  überall  hervor.  Doch  ist  sie  weit  ent- 
fernt, ihm  übrigens  durch  die  Finger  zu  sehen :  sie  stellt  auch  seine 
vornehmsten  Irrthümer  in  scharfe  Beleuchtung,  und  sucht  ihren 
Grund  aufzudecken.  Dabei  wird  dem  Materialismus,  der  es  so  sehr 
liebt,  sich  als  Erfahrungsthatsache  hinzustellen  oder  wenigstens  als 
diejenige  Ansicht,  die  allein  ein  Bekenner  der  exakten  Wissen- 
schaften hegen  könne  und  dürfe,  zu  Gemüthe  geführt,  wie  wenig 
er  selbst  eine  Thatsache  ist,  wie  wenig  er  es  mit  den  Thatsachen 
genau  nimmt,  und  wie  wenig  die  Hypothese,  die  er  ist,  mit  dem 
ganzen  Umkreise  und  der  Eigenthümlichkeit  der  natürlichen  und 
der  geistigen  Thatsachen  zusammenstimmt.  Bei  ihrer  allseitigen 
und  genauen  Erfassung  und  Erwägung  zeigt  sich  vielmehr,  dass 
für  die  atomistische  Hypothese,  wenn  sie  auch  innerhalb  gewisser 
Gränzen  genügt,  doch  noch  eine  um-  und  Weiterbildung  erforder- 
lich ist. 

Der  ganzen  Abhandlung  wird  eine  Erinnerung  an  die  Grund- 
begriffe vorausgeschickt,  von  welchen  die  diametral   einander  ent- 
gegenstehenden Naturansichten  abhängig  sind,  deren  eine  das  Sein 
'als  das  Ursprüngliche  der  Natur  ansieht,  während  nach  der  andern 
/das  Werden  an  der  Spitze  steht.    Ist  das  Beharrende  in  seinem 
^ Wesen  sich  gleichbleibende  Seiende  das  Erste,  so  setzt  man^  der 
Manchialtigkeit  der  Dinge  wegen,  von  vornherein  vieles  oder  vieler- 
lei Seiendes  voraus,  die   gegebenen  Veränderungen  sind  dann  als 
das  Sekundäre  Hauptgegenstand  der  Erklärung :  man  sucht  Ursachen 
LVUL  Jahis.  i.  Heft  20 


WM  FlIgeirDcr  Mtt«l»UBaiu«. 

für  sie,  Veränderungen  ohne  Ursachen  werden  gar  nicht  statnirt. 
Dias  ist  di#  Naturaniicht ,  die  Empedokles  und  die  Atomisten  in 
Gaag  liracktea;  unter  den  Fliilosc^haii  der  jüngsten  Vergangenheit 
huldigt  ihr  Herbart.  Man  sieht  leicht,  dass  die  empirischen  Natur- 
-wissenschafken  derselben  Fahne  folgen.  Wo  hingegen  das  Werden, 
die  Veränderung  als  das  Primäre  und  Ursprüngliche  angesehen  wird, 
da  setzt  man  in  der  Begel  auch  nur  Einen  Quell-  und  Anfangs- 
punkt des  Werdens,  der  schon  allein  zur  ManchfaJtigkeit,  zum  Vielen 
führen  wird.  Nach  dieser  Ansicht  bedarf  die  Veränderung  keiner 
Ursache:  das  Sichändem  ist  das  wahre  Wesen,  die  Natur  der 
Dinge,  die  Veränderung  geschieht  absolut  d.  h.  ohne  Ursache  und 
Bedingung.  Jetzt  erscheint  das  beharrende  Sein  als  das  Sekundäre 
und  Abzuleitende;  das  Eintreten  und  Vorhandensein  des  Sichgleich- 
bleibens  und  der  Bube  muss  erklärt  werden,  aber,  wenn  man  con- 
sequent  sein  will,  nicht  ans  Ursachen :  keine^  Veränderung,  welche 
es  auch  sei,  bedarf  oder  gestattet  eine  Ursache,  die  Veränderungen 
sind  ja  das  Primäre,  sie  treten  von  selbst  ein.  Hegel  schildert  das 
Bachyetliältniss  richtig,  wenn  er  sagt:  >das  Sich-selbst-aufheben, 
das  Uebergehen  in  entgegengesetzte  Bestimmungen  ist  die  eigene 
wahrliafte  Natur  der  Dinge;  Etwas  ist  durch  seine  Qualität 
veränderlich,  so  dass  die  Veränderlichkeit  seinem  Sein  ange- 
hört ;  was  in  der  That  vorhanden  ist,  ist,  dass  Etwas  zu  Anderem 
und  das  Andere  überhaupt  zu  Anderm  wird.€  Innerhalb  eines 
solchen  Fksses  des  Anderswerdens,  in  einem  so  »bacchantischen 
Taumel,  in  dem  kein  Glied  nicht  trunken  ist  c,  gibt  es  keine  Hoffnung, 
keine  Aussicht  auf  das  Hervortreten  einer  Buhe,  eines  wenn  auch 
nur  zeitweise  beharrenden  Seienden.  Daher  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundem, wenn  die  Vertreter  des  absoluten  Werdens  vor  derEin- 
Üabrung  sich  beugend  inkonsequent  werden,  und  die  durch  ihren 
QtundbegriiTausgestossenen  Ursachen  wieder  herbeirufen,  oder  stellen- 
weise  auch  sich  mit  blossen  Behauptungen  und  Worten  begnügen, 
iTie  wenn  es  heisst:  das  Dasein  ist  das  Besultat  des  Werdens, 
oder  es  ist  das  Werden  in  der  Form  des  einen  seiner  Momente, 
des  Seins,  gesetzt  Im  Alterthum  ist  diese  Naturansicht  durch 
Herakllt  repräsentirt,  in  der  neuem  Zeit  durch  Spinoza,  Pichte, 
SohelUng,  HegeL  Die  empirische  Naturforschung  hat  sich  mit  die- 
ffen  Denkern  theils  gar  nicht  berührt ,  theils ,  wo  es  geschehen, 
zwar  manchfache  Anregung  von  ihnen  erhalten,  aber  keine  durch- 
streifende und  haltbare  Umgestaltung  erfahren.  Jene  vorgeblichen 
^itwicklungen  der  Sinnendinge  aus  dem  Ureinen,  die  sogenannten 
g^struktionen  der  Welt  oder  des  Einzelnen  und  Besondem  aire 
>  Allgemeinen  sind  in  der  That  der  Methode  der  Naturforschung, 
"om  Einzelnen  ausgeht  und  dieses  genau  zu  erkennen  sucht, 
^  entgegenlaufend.  Der  Verf.  der  vorliegenden  Schrift  hat 
mügt,  den  Gegensatz  der  Lehren  von  dem  urspcünglicheu 
^em  absoluten  Werden  nur  in  der  Vorrede  zu  skizziren, 
>  kommt  er  nur  wenig  darauf  zurück.    Dem  eingenom- 


*Fl«g€ft  Der  Matttkltaiii.  807 

Staadpankte  gemäBS  erörtert  auch  er  Boccessir  das  Einsebie 
aü  Gkaaivigkeit ;  auf  allgemeinere  voeauiBienfaeBeitde  AAsiehten 
if«wt  er  mehr  kisi  als  daee  er  sie  aiufQhiie. 

Die  ganae  Abluuidkmg  Eerftllt  itaoli  den  Angelponkten ,  tun 
wekhe  eick  die  Materialieten  mit  ihren  Ghegnem  bewegen,  in  zwei 
AbBchaDitte:  die  Se^enfrage  nnd  die  Sohöpfongefrage;  diesen  beiden 
Titeln  wird  dae  Einzelne  «mtergeordnet« 

Im  ersten  Abschnitte  wird  onnaohst  der  Hanptirrthmn  des 
Ifateni^smns,  wonach  die  psyehisohen  Ersoheinnngen  lediglich  in 
Bewegoagsinstanden  bestehen  soUra,  belenchtet.  Der  empirische 
NatnHorseher  der  heutigen  Zeit  kann  zwar  leicht  daranf  TMrf&llen, 
iaeofcm  er  überhaupt  mit  Massen  und  Bewegungen  zu  thun»  und 
«Qoli  den  Organismus  nur  als  einen  unendlich  feinen  und  compli- 
zirten  MeehaniMnuB  aazasehn  gelecathat.  Auch  wenn  er  die  Sinnes» 
wahjmehmu&g  «ntersucht,  forscht  er  nach  den  dabei  stattfindenden 
iBat«rielieB  Veränderungen  des  Organismus.  Aber  wenn  er  nun  die 
(«Miem  mehr  afngeinommenen  als  beobachteten)  Bewegungen  des 
Qehims  oder  einiger  Theile  desselben  Air  die  Empfindungen  selbst 
«Mgibt,  so  ist  dies  nichts  mehr  und  nichts  weniger,  als  ein  Quid 
proqnOy  eine  Verm^ohselung  der  körperlichen  Bedingungen  mit  dem 
pvf ehisohen  Pldtaiomen  selbst.  Man  sollte  denken,  dass  Jeder,  der 
in  innerer  BrÜEdirung  der  Eigenthttmliehkeit  einer  bewussten  Empfin- 
dung oder  sonst  eines  geistigen  Zustandes  inne  geworden  ist, 
nimmermehr  es  über  die  Zunge  bringen  könnte  zu  sagen:  rSumr 
liehe  Bewegung  ist  bewusste  Empfindung:  so  sehr  sind  beide  Tcn 
einander  TerB<diiedenl  Was  müsste  alles  Empfindung  sein  oder 
Empfindung  haben,  wenn  der  Satz  wahr  wKrel  Man  flüchtet  zur 
Bigenthlimliehkeit  der  Gehimmasse«  Enthalt  sie  andere  chemische 
Ekunente,  ab  soldie,  die  andi  sonst  in  der  materiellen  Natur  be* 
wngt  Torkommenf  Man  laset  sick  vielleicht  noch  weiter  drangen, 
SU  den  Ertften  der  Atome.  Wie  man  diese  gewöhnlich  nur  in 
ihrer  Wirksunkeit  nach  aussen,  nach  ihren  räumlichen  Erfolgen 
der  Anziehung  «nd  der  Abstossung  betrachtet,  so  heffcet  man  sie 
jMOh  den  Atomen  selbst  gewissermassen  ansserlich  Mi,  und  tritt 
eo  ans  dem  Kreise  der  räumlichen  Yeifbiderang  gar  nicht  henms» 
2^  Losung  des  psydiologisdien  Problems  hat  man  so  lange  keinen 
MmShemden Schritt  gethaa,  als  man  nicht  die  Kräfte  als  innere 
Thfttigiceiten  oder  Ibtttande  fasst  Nur  wolle  man  sie  nicht  ffir 
sreprtngliohe  oder  spontane  erklären :  fanit  der  Erfi^urung  entstehen 
die  Bn^p£ndungen  zuerst  nur  beim  Eintritt  äusserer  Bedingungen. 
Man  muBS  danach  jene  innem  Thätigkeiten  als  Bückwixkungen  aitf 
äussere  Beize  ansehen,  eine  YorsteUungsweise ,  die  ja  dem  Naimr- 
forscher  längst  geläufig  ist,  und  nur  weiterer  Ausbildung  und  Anwen« 
dnng  hedatC  Solche  Thätigkeiten  mtlssen  nun  einerseits  von  der 
Qnalitai  ifcnr  Titger,  d.  i.  der  Substanzen,  deren  innere  Zustände 
sie  sind,  abh&ngen,  andrerseits  werden  sie  bestimmt  durch  die  Be- 
■^*^*^HbftH  der  Beize,  gegen  welche  sie  als  Beadäonen  «uftireten. 


806  Flügel:  D0r  MAtorialisimti» 

So  bekommen  sie  selbst  etwas  Qualitatives,  und  zwar  je  nach  jenen 
umständen  eine  versohiedene  Färbung.  Auch  werden  sie  naoh 
aussen  wirksam  werden:  die  reizenden,  wie  die  reagirenden  Sub- 
stanzen werden  je  nach  ihren  inneren  Zuständen  ihre  äussere  Lage 
verändern,  sich  anziehend  oder  abstossend  erweisen,  und  man  kann 
die  Bezeichnung  Kräfte  für  sie  recht  gut  beibehalten,  üeberträgt 
man  nun  diese  Vorstellungen  auf  die  Atome  des  Gehirns,  so  lässt 
sich  wohl  das  organische  Leben  desselben  dadurch  begreifen,  fUr 
das  eigentlich  geistige  zeigen  sie  sich  aber  noch  immer  nicht 
passend.  Denn  wenn  man  die  eigenthümUche  Natur  eines  bewussten 
geistigen  Zustandes  scharf  erfasst  hat  und  festhält ,  wenn  man  die 
Zusammenfassung  aller  gleichzeitigen  Zustände  in  Einem  Bewusst- 
sein,  die  Wechselwirkung  der  Vorstellungen,  den  Zusammenhang 
des  Vorstellens,  Fühlensund  Begehrens,  die  Continuität  des  geisti- 
gen Lebens  und  noch  manche  andere  psychische  Thatsaohen  genau 
betrachtet  und  erwogen  hat,  so  muss  man  es  aufgeben,  das  geistige 
Leben  in  irgend  eine  Parthie  des  Gehirns  auseinander  zu  streuen, 
ja  selbst  an  die  wenn  auch  unzertrennlichen  und  minimalen  doch 
immerhin  verschiedenen  Theilchen  eines  einzigen  körperlichen  Atoms 
zu  zertheilen;  man  ist  genöthigt,  eine  theillose,  einfache  und 
überdies  im  Flusse  des  Stoffwechsels  im  Organismus  permanente 
Substanz  als  Träger  der  geistigen  Zustände  anzunehmen.  Darin 
liegt  eine  Hauptschuld  des  Materialismus,  dass  man  sich  in  den 
psychischen  Thatbestand  nicht  vertieft  hat ,  dass  man  ihn  weder 
vollständig  kennt,  noch  genau  analysirt.  Daher  die  unzulässige 
Gleichsetzung  von  Bewegung  und  Empfindung  und  eine  Anzahl  vor- 
eiliger unlogischer  Schlüsse.  Zudem  wirkt  die  Furcht  vor  dem 
Dualismus  der  immateriellen  Seele  und  des  materiellen  Leibes  zurüok- 
scheuchend.  Diese  E[luft  hat  Gartesius  und  seine  Schule  nicht 
überbrücken  können,  und  sie  war  es  vor  Allem,  die  schon  im  vori-' 
gen  Jahrhundert  einige  starke  Geister  wieder  zum  Materialismus 
zurücktrieb.  Dass  der  Cartesische  und  der  gewöhnliche  Begriff 
der  Materie  einer  Korrektion  bedürfe,  das  liess  man  sich  damals 
nicht  beigehen,  und  bedenkt  es  auch  heute  noch  viel  zu  selten. 
Die  Kräfte,  die  man  der  Materie  und  somit  auch  dem  Leibe  zu- 
schreibt, sind  selbst  gewiss  nichts  Materielles  und  Ausgedehntes. 
Damit  will  Bef.  nicht  etwa  den  movistischen  Idealismus  z.  B.  von 
Hegel  in  verdeckter  Weise  empfehlen.  Da  schlägt  die  Idee  von 
selbst,  in  absoluter  Veränderung,  allerdings  immer  in  Materie  um, 
für  die  Seelenfrage  xmd  die  Psychologie  trägt  aber  diese  grundlose 
ewige  Metamorphose  ebensowenig,  als  die  verwandte  Lehre  Spino- 
za*s,  gute  Früchte;  worüber  auf  die  betreffenden  Erörterungen  in 
der  vorliegenden  Schrift  verwiesen  werden  kann. 

Der  zweite  Abschnitt  bringt  in  Bezug  auf  das  Beich  der  Or« 
ganismen  und  der  Zwecke  überhaupt  ähnliche  Nachweisungen,  wie 
der  erste  über  die  Thatsachen  des  menschlichen  Geistes.  Zu  der 
inechanisch-atomistischen  Grundlage  der  Naturbotrachtung  d.  h.  zu 


Flllgel:  Der  MstorlalteiiraB.  tOT 

den  VoTsielliuigeii  von  den  Bewegungen  der  Massen,  die  von  Em- 
pedokles  nnd  den  Atomisten  ausgingen,  braehten  Piaton  und  Aristo- 
teles nach  des  Anaxagoras*  Vorgang  eine  teleologisohe  ErgSniung 
hinxa,  d.  k.  die  Vorstellung  von  der  Wirksamkeit  der  Zwecke  oder 
Begriffe  in  der  materiellen  Welt.  Nach  Piaton  bleiben  jedoch  die 
Begriffe,  die  sog.  Ideen  den'Dlngen  Ausserlich,  Aristoteles  dagegen 
verlegt  sie  in  die  Dinge  hinein:  die  ihnen  innewohnenden  Begriffe, 
ihre  sBhf  sind  die  die  Dinge  schaffenden  und  gestaltenden  Krftfte. 
Daran  lehnt  sich  in  Bezug  auf  das  materielle  Weltg^nze  die  Yor- 
steDung  eines  der  Welt  ftusserliohen  oder  ihr  innewohnenden  Gottes, 
die  sog.  Transcendenz  oder  Immanenz.  Dem  Verf.  unsrer  Schrift  kommt 
es  vor  Allem  darauf  an,  Zweokverhältnisse  in  der  Welt  als  etwas  That- 
sachliches,  Oegebenes  nachzuweisen.  In  der  Anerkennung  des  Zweck- 
mässigen in  der  Natur  hat  er  wenigstens  nicht  alle  sog.  Materia- 
listen gegen  sich:  gerade  einem  Naturforscher  muss  es  schwer  &llen, 
die  Angen  davor  g&nzlich  zu  verschliessen.  Lassen  sich  nun  einige 
von  ihnen  dadurch  zu  der  Annahme  der  Ewigkeit  der  Organismen 
treiben,  so  mOgen  sie  es  selbst  verantworten,  wenn  diese  Annahme 
sehr  metaphysisch  und  unanschaulich  gefunden  wird.  Diejenigen 
Naturforscher,  welche  die  Zwecke  in  der  Natur  überhaupt  l&ugnen 
oder  ignoriren,  schiessen  wohl  über  die  Bakonische  Methodologie 
hinaus.  Bakon  hat  nicht  aufgefordert  die  Zweckverhftltnisse  in 
der  Natur  zu  Iftugnen,  überhaupt  nicht  zu  statuiren :  er  wollte  nur 
die  mechanische  Erklftrungsweise  nicht  durch  die  begriffsmftssigo 
Wirksamkeit  alterirt  oder  eludirt  wissen,  jene  sollte  in  Bezug  auf  die 
materielle  Natur  in  der  Physik  wirklich  durchgeftkhrt  werden.  Seine 
Vorschriften  sind  zunächst  gegen  die  von  Aristoteles  sich  herschrei- 
bende &lsche  Gleichstellung  der  bewegenden  und  der  Zweckursachen 
und  gegen  eine  verkehrte  Ueberordnung  der  letztem  über  die 
ersteren  gerichtet,  unser  Verfasser  bemerkt  in  dieser  Beziehung, 
dass  auch  eine  allmächtige  Intelligenz  das  an  sich  (mechanisch) 
unmögliche  nicht  möglich  machen  kann,  und  Herbart  sagt:  »Keine 
Endursache  vermag  irgend  etwas,  das  nicht  im  Gebiete  der  Mittel- 
ursachen (causa  efficiens)  liegt,  c  Mit  Becht  legt  nun  unser  Verf. 
Gewicht  darauf,  dass  die  begriffliche,  blinde,  zufällige  Bewegung 
von  Atomen  und  Massen  wohl  einmal  zu  etwas  Organischem  und 
Zweckmässigen  führen  könne,  aber  es  sei  höchst  unwahrscheinlich, 
dass  auf  diese  Weise  eine  ineinander  eingreifende  Beihe,  ein  System 
von  Organismen  und  Zwecken,  kurzum  die  Welt,  wie  sie  ist,  ent- 
stehe. »Die  Unmöglichkeit  eines  so  zweckmässigen  Zusammen- 
treffens kann  freilich  nicht  dargethan  werden,  wohl  aber  liegt  die 
höchste  UnWahrscheinlichkeit  jedem  vor  Augen  dergestalt,  dass, 
sobald  man  versucht,  der  Teleologie  zu  widersprechen  und  einen 
andern  nur  leidlichen  Gedanken  an  die  Stelle  zu  setzen,  man  auf 
eine  so  ungeheure  ünwahrscheinlichkeit  stösst  oder  auf  ein  so 
tbörichtes  Hypothesenspiel,  dass  selbst  der  kälteste  Verstand  sich 
dagegen  erklären  muss.€  Dabei  wird  auch  der  Darwinschen  Hypothese 


8Q8r  Frikart:  LabrbMli  der  A^Miaietik  mid  Algebra. 

Erwähauag  gethan.  Kämmt  mm.  der  Verf.  von  dieeeii  Grittndlag«ii 
ans  auf  einen  persönlichen  substantiell  you  der  Welt  vOrBchiedeiMB 
Gott,  80  hütet  er  sich  doch  vor  Hypothesen  über  seine  Wirfaungt- 
weise;  er  entscheidet  nicht  emmal,  ob  er  nur  als  Schöpfer  deft 
zwecks  und  ordnungsvoUen  Weltganxen,  oder  aaeh  als  ScbOpfor  dar 
isolirt  gedachten  Weltsubstansen  su  denken  s^i.  Zuletzt  wird  ein^s 
Betrachtung  über  das  Sittliche  aagesehloaBen,  da  die  UateirialiateB 
auch  davon  handekk 

Wir  haben  nur  den  Hauptgedankenzug  signalisirt  und  empfth« 
len  das  Einzelne  dem  eigenen  Stadium.  Der  Yerl.  zeigt  sieh  überall 
als  klarer,  vorsichtiger  Denker,  und  hat  eine  durchsiehtige  Dar- 
steUnng.  Wer  imnier  sich  für  die  jetzt  so  vielfaeh  veiitilirten 
Fra£^  interessirt,  wird  bei  ihm  Belehrung,  mindestens  Anregimg 
finden  kl^nnen.  Man  sage  uns  nicht,  dass  die  materialistische  Ten- 
denz bereits  in  starkem  Bückgang  begrifien  ist,  and  dass  man 
kritische  Untersuchungen  darüber  entbehren  kihme.  Wenn  selbst 
die  Sprachforschung  fUr  eine  physische  Wissenschi^  erkl&rt  Wird, 
(von  M.  Müller)  und  die  Sprache  für  eine  nur  materielle  Existenz 
(von  A.  Schleicher),  als  ob  die  Sprache  im  tönenden  Worte  auf- 
ginge, und  ein  Leib  ohne  Geist  wäre,  muss  man  diesen  jüngstwi 
Kundgebungen  gegenüber  wohl  srogeben,  dass  der  MateriaUsmUfi 
noch  in  Bdütbe  steht. 

Giessen.  fikhilliiig. 


K.  8.  FrikarU  Lehrbuch  der  AriihnuUk  und  Algebra.  FürMiMl^ 
achtden  und  Lehrer$0minarej  und  %um  Selbetunierriehie,  EreUr 
Tluii»  ufdcher  den  ersten  Cure  der  ArUhm^l^  mdhäti.  Aarmi  töSfi. 

Dieses  Buch  ist  von  einem  auf  drei  Bände  berechneten  Werke 
der  erste  Band,  welcher  den  ersten  Cnrs  der  Arithmetik  enthält, 
und  in  drei  Hauptabschnitte  zerfallt«  Der  erste  Hauptabschnitt 
beschäftigt  sich  mit  den  ganzen  Zahlen,  der  zweite  mit  den  ge^ 
meinen  Brüchen,  und  der  dritte  mit  den  Decimalbrüchen«  Mit  der 
Theorie  sind  zugleich  die  für  das  Berufsleben  wichtigen  Anwea^ 
düngen  verbunden.  Dieser  erste  Ours  enthält  also  den  Lehrstoff 
für  die  zwei  untersten  Klassen  einer  gut  organisirten  Mittelachnle. 

Der  zweite  Band,  welcher  noch  nicht  erschienen  ist,  aber  mit 
dem  ersten  ein  abgoschlossenes  Ganzes  bilden  soll,  wird  als  zweiter 
Curs  der  Arithmetik  die  höheren  Partien  dieser  Wissenschaft  ent-^ 
halten  (Vorrede  S.  V). 

Der  Verfasser,  welcher  bei  seiner  langjährigen  Lehrtfaätigknii 
sich  als  einen  ausgezeichneten  Lehrer  geltend  gemacht  hat,  und  als 
solcher  auch  allgemein  anerkannt  ist»  liefert  mit  seinem  Buche  eiiM 
systematische  Darstellung  seines  ünterriohts,  wie  er  ihn  sowohl 
dcff  Methode  nach  ala  auch  dem  Stoffe  nach  ertheilt.  Br  geht  aus 
von  d^r  einfachsten  Anschauung^  und  von  ihr  schreitet  er  fort  zum 


Frikartx  UUbaA  ier  Ariümellk  «ad  Algebn.  BM 

BegniüB.  Er  b«obaolit«t  eme  liehtroDe  Ordmmg,  tutd  kllt  aif 
OiftndHohMt  und  Consequeni ,  sowie  wa£  Strenge  in  DenkMi  nad 
Beireiien.  Auch  die  Begeln  sind  kltr  abgefuet,  so  das»  d«r  ScMler 
sie  mit  BewusstMin  gebrauchen  kann,  and  niemale  meebaaleeh 
arbehei.  Beeonders  bei  den  praktischen  Anwendungen  i  deren  in 
dieeem  ersten  Coree  eine  ttberaoe  zahbreiehe  Menge  TorlBoaiiiity  M 
zn  bemerken,  dast  ele  alle  dnreb  Bednetiea  auf  die  Biakeii  getoit 
Bind«  Die  AnflOeong  der  Sreisati«  nnd  Vieleatfreohnangen  i^telfl 
der  Proportionen,  eowie  die  Behandlung  dee  Kettensatfes  als  einer 
Verbindung  Ton  Oleiehungen  aind  mit  Recht  dem  zweiten  Oars  der 
Arithmetik  Torbehalten. 

Vorzüglich  mag  herrorgehoben  werden,  daee  die  BehanAong 
der  Brüche,  sowohl  der  gemeinen  als  auch  der  Deelmalbraohe,  eine 
sehr  gelungene  und  dem  Verfasser  elgenthfimHche  ist.  Und  gerade 
das  Bmehimhnen  bietet  dem  ersten  Anlteger  jedesmal  die  gitSseten 
Schwierigkeiten  dar.  Hier  nun  hat  der  Verfasser  sich  bemüht,  der 
Individualit&t  der  verschiedenen  Schüler  möglichst  Becbnung  zu 
tragen.  Für  einen  solchen,  dem  die  wissenschaftliche  Aufibssung 
Schwierigkeiten  macht,  ist  gezeigt,  wie  man  ihm  auf  dem  Wege 
der  Anschauung  die  n(5thigen  Kenntnisse  beibringe;  und  zugleich 
findet  sich  für  den  Schüler,  der  besser  begabt  ist,  eine  gründliche 
und  wissenschaftliche  Behandlung. 

Weil  es,  wie  ja  der  Verfasser  selbst  gleich  im  Anfange  der 
Vorrede  zu  bemerken  nicht  yergisst,  in  den  verschiedenen  Sprachen 
sehr  viele  gute  Bücher  über  Arithmetik  gibt,  so  wftre  es  mit  den 
grl^eeten  Weitläufigkeiten  verbunden,  speciell  anzugeben,  welche 
Vorzüge  das  Friksit^sche  Buch  vor  diesem  oder  jenem  der  früher 
ersehienenen  Bücher  über  Arithmetik  hat.  Wegen  seines  weitaus^ 
sehenden  Zweckes  und  wegen  seines  reichen  Inhalts  musste  das 
Bueh  ein  compendioses  werden;  und  so  kann  es  einem  Schüler 
nicht  wohl  als  Schulbuch,  zum  Gebrauche  beim  Unterrichte  gegeben 
werden,  es  ist  vielmehr  als  Handbuch  für  den  Lehrer  bestimmt. 
Nun  ist  es  sehr  oft  der  Fall,  dass  mancher  Schüler  einer  Mittel- 
sdiule  nur  etwa  die  beiden  ersten  Klassen  durchmacht,  und  von 
da  hinweg  sic^  einem  Lebensberufe  widmet;  und  fOr  so  einen 
Schüler  ist  es  ganz  zweckmässig,  wenn  er  in  seinem  Lebensbemfo 
ein  Handbuch  besitzt,  das  auf  die  Grundlage  des  früheren  Ünter^ 
riehtes  gebaut  ist.  Ein  solches  Handbuch  kann  er  dann  gebrauchen 
theils  zur  Wiederholung  und  Befestigung  dessen^  was  er  iVüher  in 
der  Sehuk  gidemt  hat,  theils  zu  seiner  weiteren  Ausbildung.  Kament* 
lieh  ist  zu  beachten,  dass  gerade  dieser  erste  Ours  fttr  das  gewühn* 
Uohe  Berufsleben  ein  abgeschlossenes  Ganzes  bildet  und  vonkottur 
ausreicht.  Es  ist  aber  auch  ftir  solche  Schüler,  welche  die  m 
Mittelsohule  durchmachen,  gut,  wenn  sie  nach  ihrem  Austri^or 
der  Schule  im  Berufiileben  ein  solches  Handbuch  besitzen.'»  so 

Besonders  empfehlenswerth  ist  das  Buch  ftlr  aaigef>^>   wo 
meindeschullehrer.    Diese  künnen  es  in  seinen  elemdstp^^'^^ni 

.  Baum- 


810  Brande 8:  Amflug  bmIi  Bpanton. 

als  metikodisohes  Handbuch  bei  ihrem  unterrichte  verwerthen,  und 
dessen  höhere  Partien  zu  ihrer  weiteren  Fortbildung  benützen.  In 
letzterer  Beziehung  wäre  es  freilich  erwünscht,  dass  auch  der 
zweite  Oors  der  Arithmetik  erscheinen  möge.  Belbstycrständlich 
kann  man  ein  Buch,  das  den  angestellten  Gemeindeschullehrem 
empfohlen  zu  werden  yerdient,  auch  den  Zöglingen  des  Lehrer- 
seminars empfehlen ,  denn  diesen  bleibt  immerhin  noch  soviel  Zeit 
und  Mühe  übrig,  dass  sie  neben  ihrem  obligatorischen  Tagespenqum 
auch  noch  in  irgend  einem  Fache  Selbststudium  treiben  können. 
Auch  die  an  höheren  Schulen  angestellten  Mathematiklehrer, 
namentlich  die  angehenden,  können  in  dem  Buche  in  methodischer 
Beziehung  gar  manches  Neue  finden;  und  keiner,  auch  der  er- 
fahrenste, wird  dasselbe  ohne  wahre  Befriedigung  aus  der  Hand 
legen,  er  wird  vielmehr  eingestehen,  dass  man  aus  diesem  Buche 
etwas  Tüchtiges  lernen  könne.  Dr.  Strauch. 


Autflug  naeh  Spanien  im  Sammer  1864  von  Dr.  H.  K.  Brandet, 
ProfesBor  und  Reeior  des  Oymncuiuma  »u  Lemgo.  I^emgo  und 
Detmold.     Meyer^sehe  Hofbuehhandlung  1865.  96  S.  in  8. 

Es  ist  diess  das  eilfte  Mal,   dass  wir  mit   dem  Verfasser 
zusammentreffen,  der  in  dieser  Schrift  seinen  eilften  Ferienausflng 
auf  dieselbe  eingehende  Weise  beschrieben  hat,   die  wir   aus   der 
Darstellung  seiner  frühern  Ausflüge  nach  Süden  wie  nach  Norden, 
zuletzt  noch  aus  dem  Ausflug  nach  Portugal  bereits  kennen;  siehe 
diese  Jahrbb.  1864.  S.  551.     Das  gleiche  Interesse  wird  auch  der 
Leser  bald  diesem,  wenn  auch  kürzeren  Ausflug  nach  Spanien  ab- 
gewinnen; und  mit   gleicher  Theilnahme   wird  er  der  natürlichen 
und  lebendigen  Schilderung  dessen  folgen,  was  der  Verf.  auf  diesem 
Ausfluge  erlebt  und  gesehen  hat.  üeber  Marseille,  und  von  da  zur 
See  ward  die  Reise  angetreten,     ünwillkührlich  trat  bei  dem  Be- 
suche dieser  Stadt   dem  Verf.   die   Erinnerung   an   die   Gründung 
derselben  durch  die  Phocäer,  an  ihre  Schicksale   und   ihre  Bedeu- 
tung im  Alterthum  vor  die  Seele:    aber  er  yergisst  darüber   auch 
nicht  die  Oegenwari    um  die  Stadt  mit   Einem  Blick   zu  über- 
schauen, bestieg  er  die  weithin  in   die   See   einlaufende  Felshöhe, 
welche  auf  ihrer  Spitze  die  Kirche  Notre  Dame  de  la  Garde  trägt : 
▼or  seinen  Blicken  lag  die  Stadt  mit  ihren  Tausenden  von  Häusern 
ausgebreitet;  »der  Hafen,  so  schreibt  der  Verfasser,  erscheint  fast 
v^u^ein  Landsee.     Gewiss  der  Anblick  ist  prächtig  und  grossartig, 
ungeheuere  Masse  yon   grossen   hellstrahlenden   Häusern,    die 
sich  ^  Thaltiefe  bergen  steigen,  die  unzähligen  weissen  Bastiden 
solcher. dhäuser),  das  blaue  Meer  und  der  Hafen  mit  dem  Wald 
syatema^,  allein  ich  muss  hier  sagen,   was   ich  jüngst  von  der 
der  Meth<Portugal's  sagte:  Eins  fehlt,  was  dem  Gemälde  Leben 
YOÄ  Ä«r  eÜ 


BraadeB:  Ausflug  nmth  Spuioi.  Sit 

und  Frische  ertheilt,  es  fehlt  das  Grttn  des  Waldes ;  und  die  weiss« 
lieh-graae  Farbe  der  Oliyenb&ume ,   fem   dayon  jenes  va  ersetsen, 
stimmt  mit  dem  Oran  der  Felsen  and  yermehrt  nnr  den  einiftnni- 
gen  nad  melancholischen  Ton  der  Landschaft,   der  man  aber  den 
Charakter  des  Grossen  nnd  Erhabenen  nicht  absprechen  kann.  Leb- 
haft stellen  sich  hier  unsere  grünen,  frischen,   lebendigen  Buchen- 
gehfilze  yor  meine  Augen,  und  ich  freue  mich  auch  in   der  Feme 
der  W&lder  unsers  deutschen  Vaterlandes  c  (S.  8).     Von  Marseille 
ging,  wie  bemerkt,  die  Reise  weiter   zur   See,  auf  dem  Dampfer, 
welcher  direkt  nach  Gadix  steuerte^    und  unterwegs  nach  kurzem 
Aulenthalt  zu  Barcelona,  etwas  länger  zu  Alicante  und  lu  Malaga 
anhielt,  daher  yon  beiden  Städten  eine  Beschreibung  gegeben  wird« 
Die  Weinberge,  nach  denen    der  Verfasser   sich   an  beiden   Orten 
erkondigt,  lagen  hinter  den   Bergen,   und  konnten  nicht   gesehen 
werden;  am  besten  mundete  indess  der  Wein  yon  Alicante.     Von 
Cadix  eilte  der  Verf.,  der  zunächst  Andalusien  kennen  lernen  wollte, 
nach  Seyilla,  das  auf  ihn  einen  heitern  Eindruck  machte,  und  durch 
die  grossartige  Kathedrale,  wie  durch  den  Alkassar,  den  ehemaligen 
maurischen  Eönigspalast,  nicht  minder  anzog,  yon  da  nach  Cordoya, 
wo   der   erste  Gang   ebenfalls  nach   der  riesigen  und  berflhmten 
Kathedrale  gerichtet  war,  welche  aus  einer  Moschee  in  eine  christ- 
liche Kirche  um  geschaffen,  ungeachtet  aller  ihier  Ausdehnung  und 
des  kolossalen  Baues  doch  »nicht  den  tiefen,  erhabenen,  andächti- 
gen, feierlichen,  heiligen,  zum  Himmel  ftlhrenden  Eindmck  macht, 
welchen  das  Innere  des  im  gothischen  Styl  erbauten  Doms  mit  den 
felsenstarken    Pfeilern    und    Spitzbogen   der  Seele  einprägt,    wie 
man  ihn  in  dem  Münster  zu  Strassburg,  in  dem  Dom  zu  Cöln,  in 
der  Marienkirche  zu  Danzig  oder  im  Münster  zu  Freiburg,  oder  in 
der  Lorenzkirche  zu  Nürnberg  empfindet  u.  s.  w.c  (S.  81).     Von 
Cordoya  ging  es  mit  der  DiUgence   nach   Granada:  hier  war  die 
Alhambra  Hauptgegenstand   der   Betrachtung,  und  sie  hinterliess 
auch,  zumal  durch    die   ganze  Umgebung  und   den   Blick   auf  die 
ganze  herrliche  Gegend,  auf  die  nahen  Felsen,  die  Wald-  und  Schnee- 
bex^e  den  tiefsten  Eindruck  in  der  Seele  des  Beisenden.  Von  Granada 
ans  wendete  die  Beise  sich  nach  Madrid,  theils  auf  der  Diligence, 
theils  auf  der  Eisenbahn;   yon   der  behaupteten   Unsicherheit  der 
Gegenden,  durch  welche  die  Diligence  in  raschem  Lauf  ihren  Weg 
nahm,  fand  der  Verfasser  durchaus  keine  Spur.  Ausflüge  nach  dem 
Eskorial,  nach  Toledo  und  nach  Arai^juez  wurden  yon  Madrid  aus 
auf  der  Eisenbahn  entnommen:    der  Eindmck,  den  diese  Orte  auf 
den  Verfuser  machten,  spiegelt  sich  in  der  Schilderang  derselben 
ab,  namentlich  war  es  das  freundliche  Aranjuez,  das  auf  ihn  einen 
ganz  andern  Eindruk  machte,   als  das  finstere  Toledo,  und  daher 
aach  mit  sichtbarer  Vorliebe  geschildert  wird.     >In  Wahrheit,  so 
schliesst  seine  Beschreibung  S.  74,  es  ist  schün  in  Arai\juez,   wo 
überall  die  frischen  grünen  Farben  der  Natur  yor  uns  schimmern 
und  spielen ,   wo   auf  Baumgruppen  und  Wald ,   Wald  und  Baum- 


Sit  BrätLdtni  AiiBflni  uicli  Spudaa. 

gmppea  folgen,  wo  die  Wasser  lanfen,  pl&tschern  und  springen, 
wo  die  Kunst  so  manches  liebliche  nnd  anlockende  Plfttzchen  fein 
zureohi  gemacht;  und  es  war  mir  wohl  zu  Mathe,  als  mich  nach 
der  sengenden  Hitze  auf  der  Hochebene  Madrid*s  and  an  Toledo's 
nakten  Felsen  die  ktthle  Waldang  ron  Araojoez  empfinge  (S,  74). 
Die  Bfickreise  erfolgte  Yon  Madrid  anf  der  Eisenbahn  nach  Bar^ 
celona,  das  nnn  näher  besehen  nnd  anch  geschildert  wird.  Am 
Freitag  den  5.  Angast,  am  4  ühr  Nachmittags  fahr  der  Yerfasser 
auf  dem  Dampfer  nach  Marseille,  das  am  folgenden  Tage  Mittags 
erreicht  ward ;  am  1  ühr  desselben  Tages  fahr  er  mit  der  Eisen- 
bahn weiter  in  einem  Zag  über  Lyon,  Dijon  nach  Mühlhaasen,  wo 
Übernachtet  werden  mnsste.  Am  Sonntag  ging  es  dann  über  Strass» 
borg,  Frankfurt,  Kassel  nach  Paderbora,  wo  der  YerÜASser  Montag 
Morgens  am  9  Uhr  eintraf,  and  von  da  die  noch  übrigen  acht 
Standen  zn  Foss,  »darch  die  prächtigen  Bachen wftlder  des  Saltos 
Teatoborgiensis,  die  doch  zwanzigmal  schöner  sind  als  alle  Oliyen* 
haine  Spaniensc,  nach  der  Heimath  wanderte,  am  des  andern  Tages 
den  Primanern  seiner  Anstalt  Ton  8-^12  nnd  toü  1-^2  fünf  Stao« 
den  Unterricht  za  ertheilen  t  Wir  wünschen  dem  Verf.  von  Herzen 
die  gleiche  Bttstigkeit  nnd  Aosdaaer  aach  für  noch  lange  Zeit.  Sr 
sehliesst  seine  Schüderang  dieser  Beise  nach  Spanien  mit  der  Be- 
merkang,  dass  ihn  diese  Beise  mehr  ai^griffen,  ak  die  io  Griechen- 
land, haaptsftohlich  darom,  wtil  er  sich  hier  eines  ongestürten 
rahigen  Schlafes  erfrente,  was  in  Spanien  nicht  der  Fall  war,  wo 
Mücken  and  andere  Unthiere  ihn  peinigten  xmd  zn  einet  erf^nlichen 
Bohe  nicht  kommen  liessen.  Indess  —  so  sehliesst  er  sein  anzie- 
hendes Beisebüohlein  —  das  Ungemach  ist  rergessen  and  wo  ich 
gehe  nnd  stehe,  zieht  nnn  das  schöne  Land  Tor  meinen  Augen  her 
nnd  zeigt  ihnen  die  altberfihmten  Städte  Malaga,  Gadix,  Sevilla, 
Oordova,  Qranada,  Toledo,  Saragossa,  Barcelona,  das  moderne 
Madrid  nnd  das  reizende  Araojnez  mit  den  prftchtigen  Wäldern, 
sodann  die  himmelhohe,  schneebedeckte  Sierra  Nevada,  das  grosse 
wohlbebante  Thal  des  Qnadalqnivir ,  die  Felsen  and  Kappen  der 
Sierra  Morena  mit  ihren  arabischen  Defileen,  das  zackige  wilde 
Gnadarrama-Gebirge  mit  dem  Escorial,  die  endlosen  Waizenfelder 
mit  ihren  Olivenhainen  in  den  Ebenen  der  Mancha  and  mit  jeder 
Stadt  eine  schöne  Alameda  (Promenade),  anf  welcher  ich  michonter 
dem  spanischen  Volke  freadig  einherbewegte.  Die  luftigste  Stadt 
schien  mir  Sevilla,  die  glänzendste  Madrid,  die  gewdrbreichste  Bar* 
celona,  jedoch  in  keiner  weilte  ich  so  gern,  and  in  keiner  gefiel 
es  mir  so  wohl  als  in  Granada  and  Arai^aez.  Was  mir  aber  am 
merkwürdigsten  bleibt  von  Allem,  was  ich  anf  der  Halbinsel  ge^ 
sehen,  das  ist  die  Kathedrale  von  Cordova  nnd  die  Alhambm  voii 
Granada.  €  Eine  schöne  poetische  Zagabe  ist  die  Elegie  des  Bpsbm- 
sehen  Diehters  Bioja  (f  1659)  aaf  die  jetzt  gänzlich  verschwondene 
Bömisohe  Stadt  Italica:  Oancion«  Las  ruinas  de  Itdlica,  welche  im 


spMUidieii  Original  abgednuskt,  vom  einer  getohmaekroUeai  dent- 
0ofao(D  üebersebsong  des  YerÜMaerB  begleitet  ist* 


Dms  fMim  ä  Nieotaa  de  Flu$.  ROaUam  de  Jmn  d$  WoftMeJm  d 
^Mderi  de  BmmUttm,  iraduUee  par  Eduard  Fiek,  doeUu^ 
en,  droü  ei  tn  phüotopkU,  Oen^e,  Imprimerie  de  J.  Q.  Fiek 
1864.  10  8.  8. 

Wir  haben  sekon  mehrfach  Gelegenheit  gehabt,  in  diesen  BlAUem 
der  von  der  Fick*8ehen  Bnehhandliing  an  Genf  ausgegangenen  Droeke 
zn  gedenken,  in  welchen  yersohiedene  anf  die  Voraelt  Genüi,  int* 
beaoadere  aof  dessen  BeformationsgesckiQhte  besttgliche  ttltere  Dmok- 
Befarüien  in  einer  Form  und  in  einem  Aeossem,  welches  gans  der 
alten  nnd  nrsprflnglichen  gleicht,  nnd  diese  in  täaschendünr  Weise 
nachzubilden  verstanden  hat,  erneuert  worden  sind.  Die  grossen 
Schwierigkeiten,  mit  welchen  diese  Terknüpft  ist,  und  die  ausser- 
(nrdeniliche  Genauigkeit  und  Sorgfalt,  welche  dabei  beobachtet  wor- 
den, sind  Hberall  und  mit  Becht  der  Gegenstand  der  vollsten 
Anerkennung  nnd  wohlverdienten  Beifalls  geworden.  Auch  die  vor- 
liegende Publikation  kann  darauf  mit  allem  Grand  Anspruch  machen : 
sie  ist,  was  die  äussere  Form  betrifft,  in  derselben  antiken  Weise, 
gleich  den  früheren  Drucken  gehalten;  und  in  ihrem  Inhalt  eben- 
falls  auf  das  fünfiehnte  Jahrhundert  beztlgKch:  der  Gegenstand 
derselben  betrifft  auch  diesamal  die  ältere  Gesehiehte  der  Schweis, 
es  ist  der  in  seiner  Zeit  so  gefeierte  Einsiedler  Nicolans  von  der 
Flüfi,  dessen  Leben  und  Wirken  noeh  in  neuester  Zeit  durch  eine 
unsÜEkssende  Darstellung  in  das  Gedächtniss  der  Zeitgenossen  znrftek- 
gerafen  worden  ist.  Die  Erxählung  von  swsi  dem  Einsiedler  ge^ 
machten  Besuchen  wird  uns  hier  in  einer,  von  Hm.  Dr.  Eduard 
Fiek  veranstalteten  frsAzösischen  üeberseisnng,  die  sich  durch  ihre 
fliefisende,  anziehende  Bprache  empfiehlt,  vorgelegt,  die  eine  dieser 
Emfthlungen  ist  aueh  mit  dem  lateinischen  Original  begleitet,  ans 
deren  Yergleichang  wir  wohl  ersehen  können,  mit  welcher  Ge* 
wandkeit  und  mit  welchem  Geschicke  der  üebersetzer  sich  seiner 
An%abe  entledigt  hat.  Die  erste  Errähhmg  ist  der  Bericht  von 
einer  Beise,  welche  einEdelmann  zu  Halle,  Johann  von  Wald- 
heim im  Jahre  1474  in  die  Schweiz  unternommen,  welcher,  da 
er  von  dem  Bufe  des  Einsiedlers  gehört,  auch  den  merkwürdigen 
Mann  selbst  besnehen  und  kennen  lernen  wollte ;  dieser  Bericht,  der 
in  der  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel  sieh  befindet,  wurde  zuerst  im 
Jahre  1826  in  Ebert*s  üeberlieferungen  und  dann  im  zweiten  Bande 
v<»i  Balthafiar's  Helvetia  abgedruckt:  er  ist  in  der  That  so  in^ 
teressaat,  dass  man  zumal  in  der  geftUigen  Form,  in  welcher  der- 
selbe hier  vorliegt,  gern  dabei  verweilen  wird.  Aber  auch  v(m  dam 
andern  Beriobt  mag  das  Gleiche  gelten;  sein  Verfasser  ist  eine  he» 


814  V.  Malortie:  Bettr&ge  nir  GeMhichie  n.  8.  w. 

kannte  Persönlichkeit,  Albert  yon  Bonstetten;  sein  Beriebt, 
den  er  ttber  den  BeBucb  bei  dem  Eremiten  abgestattet  nnd  im  Mai 
1485  an  den  Magistrat  zn  Nürnberg  in  zwei  Gopien,  einer  Latei- 
nischen nnd  einer  Deutschen,  abgesendet  hatte,  war  lange  vermisst, 
erst  im  Jahre  1861  in  dem  Nürnberger  Archiv  durch  Hm.  Baader 
aufgefonden,  und  durch  denselben  an  Pater  Gall  Morel  zu  Ein- 
siedlen  abgeschickt  worden,  der  im  Geschiohtsfreund  Band  18  im 
Jahre  1862  den  lateinischen  wie  den  deutschen  Text  veröffentlichte. 
Nach  dem  ersten  ist  die  hier  gegebene  üeberseteung  veranstaltet, 
welcher  der  lateinische  Text  selbst  nachfolgt,  mit  aller  kritischen 
Sorgfalt  abgedruckt.  Beide  Reiseberichte,  wie  sie  hier  vereinigt 
sind,  wenn  sie  auch  keine  neuen  historischen  Aufschlüsse  ttber  eine 
seinerzeit  so  bedeutende  Persönlichkeit  wie  die  des  Nicolaus  von 
derFlue  bringen,  sind  doch  ungemein  anziehend  geschrieben  und 
verdienten  daher  wohl  die  Erneuerung,  die  ihnen  durch  diese 
Schrift  zu  Theil  geworden  ist. 


BeUräge  %ur  Oeschiehte  des  Braunsehtüeuj-Läneburfrischen  Hauses  und 
Hofes.  Von  C.  E,  von  Maloriiey  Dr.  phü.  kdnigl  Hanno^ 
vef^sehen  OberhofmarsehaU  de.  Hannover.  Hahfi^scke  Hofbueh^ 
Handlung  186^—1864.  Drittes  Heft.  215  8.  Viertes  Heft 
188  8.  in  gr.  8. 

Beide  Hefte  werden  nicht  minder  Beachtung  verdienen,  als 
ihre  beiden  Vorgänger,  denen  sie,  was  Wesen  und  Charakter  der 
hier  gelieferten,  archivalisohen  und  urkundlichen,  daher  auch  offi- 
oiellen  Mitthoilungen  betrifft,  gleich  stehen  und  des  Interessanten 
nicht  Weniges  in  dieser  Hinsicht  bringen,  was  zur  Charakteristik 
des  Hof-  und  Militftrlebens ,  wie  auch  der  Civilverwaltung  dient, 
meist  aus  einer  früheren  Zeit,  noch  ehe  die  Stürme  hereinbrachen, 
welche  mit  dem  neunzehnten  Jahrhundert  eine  Umgestaltung  aller 
Verhältnisse  in  Deutschland  herbeigeführt  haben.  So  enthält  das 
dritte  Heft  einen  merkwürdigen,  in  französischer  Sprache  abge- 
fassten  Brief  eines  Beisenden  über  die  Haltung  Hannovers  in  den 
zunächst  verflossenen  Jahren,  vom  1.  Juni  1698,  dann  eine  Ge- 
schichte des  Hannoverischen  Militärs  von  1692—1762  mit  genauen 
Angaben  über  den  Bestand  in  den  einzelnen  Jahren,  dann  folgen 
Aufsätze  über  das  diplomatische  Corps,  die  Bangverhältnisse  und 
die  Hoffllhigkeit  in  den  Hannoverischen  Landen,  so  wie  merkwür- 
dige Beiträge  zur  Geschichte  des  Küchen-  und  Tafelwesens  bei  den 
deutschen  Höfen.  Die  Beschreibungen  des  königl.  Besidenzschlosses 
zn  Hannover  und  des  Schlosses  zu  Celle  machen  den  Beschluss. 
Das  vierte  Heft  wird  eröfinet  mit  einer  genauen,  für  die  Cultur- 
geschichte  interessanten  Darstellung  derBraunschweig-Lüneburgischen 
Eleiderordnungen(S.  1— 56),  an  welche  sich  passend  dasSparsam- 
keitsi-Besoript    des  Kurfürst  Ernst  August  vom  September    1691 


Fieklcr:  nHutt  dvNli  KooatanL  ttS 

ttaohliesst,  in  welchem  Massregeln  angeordnet  werden ,  damit  ein 
eingetretenes  Defioit  von  24,000  Thlr.  ttber  die  fOr  Tafel,  Ettche 
nnd  Keller  aasgesetzten  84,000  Thaler  nicht  wiederkehre.  Weitere 
kllrsere  Mittheihmgen  betreffen  die  Feierlichkeiten  wegen  Erlangung 
der  Knrwflrde  im  Jahr  1692  und  den  Fürstenhof  1609.  Dann  folgt 
die  Beschreibong  der  Schlösser  Gifhom  and  Osnabrück  1675, 
ein  (französischer)  Bapport  über  die  Schlösser  anter  der  West- 
phftlischen  Begierong  vom  Jahr  1810,  an  welche  eine  Darstellung 
des  Theater's  zu  Hannover  vom  Jahre  1680  sich  anschliesst,  die 
in  ihren  mannig£EM)hen  Details  auch  jetzt  noch  die  Aufmerksamkeit 
aaf  sich  ziehen  wird.  Die  übrigen  Aufsätze  dieses  Heftes  schlagen 
in  die  Landesverwaltung  ein.  Zuerst  wird  mitgetheilt  die  Organi- 
sation der  Oberharzischen  Bergwerksverwaltung  durch  Herzog  Julius 
y(m  1568—1577,  worauf  Nachrichten  über  die  ältesten  Berghaupt- 
kate  vom  Oberharze  1524—1570  folgen;  den  Beschluss  macht  der 
Staatshaushalt  des  Fürstenthums  Grubenhagen  in  den  Jahren  1622 
—23  und  1623—24. 

Wir  haben  damit  den  Inhalt  dieser  beiden  Hefte  näher  be- 
zeichnet: der  Werth  dieser  Mittheihmgen  in  geschichtlicher,  wie 
insbesondere  in  culturhistorischer  Hinsicht  bedarf  keines  weiteren 
Nachweises:  wir  erinnern  nur  an  den  erwähnten  Aufsatz  über  die 
Kleiderordnungen,  welche  mit  den  Tcrschiedenen  Luxusgesetzen, 
wie  man  sie  in  älterer  und  neuerer  Zeit  Torgeschlagen  hat,  in 
n&herer  Verbindung  steht  und  zu  mancher  interessanten  Yerglei- 
dnmg  Anlass  bietet.  In  historisch-dynastischer  Beziehung  werden 
die  yersohiedenen  Aufsätze  über  die  Schlösser  auch  manches  Neue 
bringen.  Dabei  ist  die  Darstellung  rein  objectiv  gehalten,  auf  das 
Thatsächliche  beschränkt,  oder  eben  dadurch  um  so  werthyollen 
Wir  glauben  darauf  um  so  mehr  hinweisen  zu  dürfen,  als  man  so 
oft  heatigen  Tags  bei  ähnlichen  Mittheilungen  auf  das  Qegentheil 
stoBst.  Die  weitere  Fortsetzung  derartiger  Mittheilungen  wird  da- 
her erwünscht  sein« 


Führer  durch  du  Stadt  Kondan»  und  du  JUerthumshaiU  im  Kauf' 
hause.  Kanstam  1864.  J.  Stadhr^iehe  BuehdfiiekereL  78  8. 
fff»  8. 

Schon  der  Name  des  Verfassers  (Professor  Fickler)  kann 
dafttr  bürgen,  dass  wir  in  diesem  Führer  durch  Konstanz  keines 
der  gewöhnlichen  Produkte  Tor  uns  haben,  wie  sie  von  der  ge- 
sehftftigen  Speculation  aller  Orten  im  Umlauf  gesetzt  werden,  son- 
dern Etwas  Anderes  und  Besseres  zu  erwarten  haben«  Und  in  die- 
ser Erwartung  wird  man  sich  bei  näherem  Einblick  in  diesen 
Führer  nicht  getäuscht  finden.  Er  bringt  zwar  auch  alle  diejenigen 
Notizen,  welche  dei^enigen  yon  Nutzen  sind,  welche  in   der  denk- 


zw  Heta«BB;  "Bmäm^nttmmmg  tet9ckwe!s. 

wüpdigett  Stiidt  sich  «tther  amseh«!!  «md  das,  wae  sie  Merkwfir^ges 
bieUt,  koimeQ  Idrnea  wollen ;  allein  er  verbindet  damit  aaoh  weiter 
eine  Oesobiohte  der  Stadt  in  einer  gedrängten,  sehr  befriedigenden 
Weise,  »as  der  bald  ersiehtlioh  wird,  wie  der  Yerf.  eeines  Stoffes 
Ydllig  Herr  und  Meist«*  ist,  und  darum  es  wobl  versteht,  mit 
Uebergehung  minder  wichtiger  Ereignisse  denBliek  des  Lesers  auf 
das  zu  leiten,  was  unwillkürlich  in  der  Stadt  Oonstanz  seine  Auf- 
meiksaiiikeit  erregt.  So  ist  ee  begreiflich,  dass  dem  berühmten, 
in  dieser  Stadt  von  1414—1418  abgehaltenen  Ooncil  besondere 
Beachtung  gesollt  und  die  fiauptmomente ,  die  hier  in  Betracht 
kommen,  dargestellt  werden,  stets  im  Hinblick  auf  die  einselnen 
LokaKtärten,  an  welche  diese  Ereignisse  sich  knüpfen.  Daher  wird 
«ach  der  Gonciliensaal  (im  EaufhauB)  mit  den  jetzt  dort  befind- 
tiehen  Sammlungen  S.  34  ff.  näher  beschrieben  und  der  Bestand 
dieser  Sammlungen  im  Einzelnen  aufjgeführt;  ni^  minder  das 
Münster  mit  den  übrigen  Kirchen,  so  wie  das  t.  Wessenberg'eohe 
Haus  mit  den  darin  jetzt  befindlichen  Eunstsoh&tzen  und  der  Hblio- 
thek  (S.  70  f.).  Auf  diese  Weise  wird  dieser  Führer  auch  ausser- 
halb der  fitadt  Oonstanz  und  abgesehen  Ton  dem  nächsten  Zweoke, 
fltr  den  er  bestimmt  ist,  Beachtung  und  Anerkennung  finden« 


Die  Bwndesoerfammg  der  eehwehferiicken  Bidgtnouemtkaft  und  die 
StaaU^erfoßsungen  der  Kantone.  OesammeU  und  herausgegeben 
ven  Füreprecher  Heimann,  e^  Z.  8iaat$anMUt  dei deekmdm. 
Ifidem  1864.  Jm  ßtlbitveruige  dee  Herauegebere.  /F  %u  624  S. 
tu  gr,  o« 

Da  seit  dem  Jahre  1856,  in  welchem  eine  Sammloag  der 
Verfassang  der  Sohw«izerkantone  2U  Freiburg  erschien,  mekxeite 
Oantone  theils  neue  Verfassungen  sich  gegeben,  theils  die  bis  da^ 
hin  bestandenen  revidirt  und  mehr  oder  minder  erhebliche  Aende- 
rungen  gemacht  haben,  so  war  schon  aus  diesem  Grunde  eine 
Sammlung,  welche  die  Verfassungen  aller  Cantone,  so  wie  sie  jetzt 
beetehen  und  in  Wirksamkeit  Bind,  enthält,  wünachenewertk  und 
.selbst  neihwendig;  ale  Ausgangspunkt  ist  der  1.  April  1864  an- 
genommen, seit  welcher  Zeit  auch  keine  erhebliche  Aenderungen 
in  dem  Ver&ssungsleben  des  Ganzen  wie  der  einzelnen  Gantone 
«iaigetretein  sind.  Wir  finden  mm  in  dem  Toriiegendea  Werke  einen 
fpananen  Abdruck  sämmtlioher  Ton  dem  bemerkten  Zeitpunkt  aa 
in  Erafb  getretenen  Btaatsveifassongen  der  einaelnea  Oaatoaa 
-der  Schweiz,  wekhen  ein  eben  eo  genauer  Abdruck  der  Bundes- 
^aifassung  der  «diweizerisehen  Eidgenossenschaft  Toraageht.  Da  es 
hei  einem  solchen  unternehmen  hauptsäefalich  auf  die  Autfaentia 
des  Gkmzen  wie  des  Einaelnen  ankommt,  so  mag  hier  nnr  bemerkt 
weiden,  elase  der  Heransgeber  bemüht  war,  den  in  dieser  Hinsielit 


sa  «UDeAden  A&forddnmgeii  ta  «nttpreoheiiy  dass  er  dessbalb  ttberall 
den  «otlieiitiBokeii  devtsolieiiTezt  gegeben  hat,  und  bei  demjenigen 
Oantoaen,  von  welehen  kein  eolcbw  Originnltezt  vorliegt  -^  Teeein, 
Wandt,  Kenenborg  nnd  Genf  —  die  üebereetsnng  der  amtlichen 
AiOigabe  nnfgenommen  and  darüber  selbst  eine  offioieUe  Beglan- 
bignng  gegeben  hat»  Demnach  erscheint  die  ganze  Sammlung  gleieh- 
mieeig  in  deutsoher  Sprache.  In  Anmerlnuigen  unter  im  Text 
änd  die  nOthigen  Verweisungen  auf  die  Artikel  der  Bundeever- 
fiwsong  und  Aehnliehes  beigefügt  Auf  diese  Weise  hat  der  Heraus- 
geber ein,  auoh  ausserhalb  seines  Heimathlandes  brauchbares  Werk 
geliefert,  welches  in  einem  massigen  Band  die  Verfiassnngen  aUer 
sdiweiierischen  Oantone  enthalt,  und  auch  dem  femer  Stdheaden 
SU  manchen  interessanten  Yergleiohungen  über  den  jetxigen  Stand 
des  sohweiserischen  Verfassungslebens  Gelegenheit  gibt.  Auf  die 
Yerfisssung  der  sehweiserischen  Bidgenossenschaft  folgen  die  Ter- 
fiMSongen  der  einzelnen  Cantone  in  folgender  Beihe :  Zftrich,  Bern, 
Lnaem,  üri,  Sehwys,  ünterwalden  ob  dem  Wald,  Unterwnlden  nid 
dem  Wald,  Glarus,  Zug,  Freiburg,  Solothnzn,  Basel-Stadt,  Basel- 
landechaft,  Sehafhsusen,  Appenzell  Ausserrhoden,  Appenzell  Inner- 
rhoden,  St.  Gallen,  Graubttnden,  Aargau,  Thurgau,  Tessin,  Waadt, 
Wallis,  Neuenbürg,  Genf.  —  Druck  tmd  Papier  sind  gut  ausgebUen, 
das  Ganze  correct  gehalten. 


P§yeh$.  Em  da$gari9dka  Märeken.  Nuek  dem  Laieinieehen  dee 
ÄppuUjus  vom  Friedrieh  Preaeeh  Vhn.  Kridfeehe  Bueh* 
umd  Kumthamdlung.  1864.  68  8.  in  19. 

Wir  erhalten  in  dieser  Schrift  eine  Bearbeitung  oder  Tielmehr 
eine  &eie  üebersetsung  der  schOnen  Mythe  Ton  Psyche  und  Onpido 
(Snw),  wtiche  Appulejus  im  vierten  Buche  seiner  Metemerphosen 
bis  zum  sechsten  erzKliU ;  der  Verfasser  hat,  wie  er  sich  ansdrtLekt, 
nicht  an  den  Text  rieh  angeklammert,  sondern  es  für  widitiger 
eraehtet,  an  den  Genius  der  deutschen  Sprache  und  Dichtung  üdk 
zu  halten.  Daher  liest  sieh  auch  das  Ganae  in  der  üeseenden 
Darstellung  ganz  angenehm  und  lässt  eben  darum  kaum  merken, 
dass  wir  hier  ein  fremdes  Original,  das  mit  aller  Gewandheit  in 
deutscher  Sprache  wiedergegeben  ist,  vor  uns  haben.  In  den  am 
Schlüsse  beigefügten  >Erläaterangen€  macht  der  Verf.,  in  Bezug  auf 
die  Verschiedenheit  des  antiken  Geistes  von  dem  modernen,  dar- 
auf aufmerksam,  dass  dem  klassischen  Alterthum  das  Märchen  als 
eigene  Kunstgattung  fremd  geblieben  sei,  und  dass  wir  in  der  Mythe 
von  Psyche  und  Eros  eigentlich  das  einzige  antike  Märchen  be- 
sitzen, das  er  eben  darum  versucht  habe,  in  der  ihm  angemessenen 
Kunstform  auch  weiteren  Kreisen,  als  den  blos  gelehrten,  zu- 
gänglich zu  machen. 


8t0  Psyelie.  VonPr^steL 

Der  Yer£iasser  stellt  nicht  in  Abrede,  dass  allerdings  Märchen- 
haftes in  Hülle  und  Fülle  im  Alterthum  yorkomme,  von  der  Ho- 
merischen Circe  an  bis  anf  den  Bing  des  Gjges  bei  Plato,  allein 
das  Märchen  selbst,  als  eine  von  Mythus  und  Sage  unabhängige 
Knnstgattung  besitzt  nach  seiner  üeberzeugong  das  Alterthum  nicht : 
den  Grrund  dieser  Erscheinung  findet  er  darin,  dass  das  Märchen 
ein  Kind  der  Romantik  ist,  eine  Art  Fluchtversuch  aus  der  Wirk- 
lichkeit. Seine  Voraussetzung  ist  die  Scheidung  des  Natürlichen 
und  Göttlichen  im  Bewusstsein,  und,  was  die  Folge  daron  ist,  das 
Hinausstreben  aus  der  Öden  armen  Welt  in  die  Einbildungskraft, 
die  gleichsam  eine  Vergütung  dafür  verlangt,  dass  der  Verstand  die 
Welt  entgöttert,  entseelt  hat ;  dem  von  der  Gegenwart  seiner  Götter 
gesättigten  Griechen  lag  daher  das  Märchen  ferner,  und  noch  mehr 
dem  von  dem  Idol  der  Macht  beherrschten  nüchternen  Bömer; 
»allein,  setzt  der  Verfasser  S.  56  hinzu,  es  kam  eine  Zeit,  da  das 
antike  Bewusstsein  an  sich  selbst  inne  wurde,  da  ihm  die  schöne 
Sinnlichkeit,  die  machterfüllte  Gegenwart  schwanden  und  der  Glaube 
an  eine  unsichtbare  Macht  BedüiMss  wurde.  Der  Vertreter  dieser 
Richtung,  die  sich  als  ein  üebergang  zur  Romantik  darstellt,  wurde 
derNeuplatonismu8.€  Appulejus  gehört  zu  dessen  hervorragendsten 
Anhängern;  er  hat  in  dieser  Episode,  die  jedenfalls  einen  tieferen 
Hintergrund  hat ,  es  versucht ,  die  Platonische  Lehre  von  der  Seele, 
deren  Präexistenz,  ihrem  Fall,  ihren  Leiden  im  Zustand  des  Suchens 
und  ihre  Wiederkehr  darzustellen  und  in  dem  Bilde  von  Psyche 
deutlich  genug  gezeichnet  (S.  57).  Wir  theilen  diese  Anschauung, 
so  sehr  man  auch  in  neuer,  ja  neuester  Zeit  es  versucht  hat,  dem 
schönen  Bilde  diese  tiefere  Bedeutung  zu  entziehen  ^  es  aller  alle- 
gorischen Beziehung  zu  entkleiden,  und  auf  die  den  indogermani- 
schen Völkern  gemeinsamen  Märchen  zurückführen,  dem  Appulejus 
aber  nur  den  Ruhm  zuzuweisen,  das,  was  er  als  Volksmärchen 
kennen  gelernt,  mehrfach  durch  Zusätze,  Weglassungen,  Aenderon- 
gen  entstellt  zu  haben.  Wir  können  uns  dieser  Auffassnngsweise 
nicht  anschliessen  und  verweisen  darum  lieber  auf  den  Verfisbsser 
und  seine,  wie  es  uns  erscheint,  richtige  Auffassung  der  ganzen 
Mythe,  die  von  ihm,  in  einer,  wie  schon  bemerkt  worden,  so  wohl- 
gelungenen Weise  deutschen  Lesern  hier  vorgeführt  wird. 


Ii.  21.  HEIDELBEB6EB  18115. 

JAflilBÜCBER  DER  LITERATUR. 


Blauer  für  Oefängtmskunde.  Organ  da  Vereins  der  deutschen  Straf 
€auiaUbeamien,  herausgegeben  von  dessen  Ausschuss.  1-^3  Hrft. 
Heideiberg.  In  Kommission  bei  O.   Weiss.  1H65. 

Wem  an  der  FOrdening  des  Ge&ngnisswesens  liegt,  Der  kann 
sich  nur  freuen,  dass  der  fraohtbringende  Qedanke  des  Zosammen- 
wirkens  neuerlich  auch  auf  diesem  Gebiet  sich  wieder  bethatigt 
hat  dnrch  Stiftmig  eines  Vereins  deutscher  Strafanstaltbeamten  und 
Ghündung  eines  besondem  Blatts  für  denselben,  wovon  die  drei 
ersten  Hefte  vorliegen«  Für  sich  klar  ist,  dass  ein  so  loser  Ver* 
ein  sich  kaum  von  einer  freien  Zusammenkunft  (Eongress)  unter- 
scheidet; und  darum  liegt  die  Frage  nahe,  ob  für  die  Sache,  d.h. 
für  die  gegenseitige  Förderung  in  Erreichung  des  gemeinsamen 
Zwecks,  dadurch  Etwas  gewonnen  sein  werde,  dass  man  nur  die 
ganz  haltlose  und  unverständliche  (I,  19)  Beschränkung  auf  süd- 
deutsche Straf&nstaltbeamte  alsbald  angegeben,  dagegen  an  der 
Beschränkung  auf  Strafanstaltbeamte,  und  zwar  auf  deutsche, 
festgehalten  hat.  Politisch  sind  für  uns  z«  B.  die  Ost-  und 
Westpreussen  ebensogut  Ausländer  als  die  deutschen  Schweizer, 
während  national  sie  Alle  zu  uns  gehOren  und  obendrein  Alle 
von  Einander  ohne  Frage  lernen  können.  Aber  ein  Orund  des  Aus- 
schhiBses  auch  anderer  nicht  deutsch  er  Mitglieder  —  so  dass 
Diese  nur  als  G^ste  »eingeladen  werden  könnenc  —  lässt  sich 
schwerlich  entdecken;  vielmehr  würde  durch  deren  Zulassung,  da 
die  weit  überwiegende  Mehrheit  doch  immer  aus  Deutschen  be- 
stehen wfrd,  ohne  alle  Qefahr  eine  wohlthätige  Bürgschaft  grösse- 
rer Vielseitigkeit  gegeben  sein;  denn,  so  wünschenswerth  und  natür- 
lich es  auch  ist,  dass  wir  Deutschen  lieber  z.  B.  in  Bruchsal  als 
in  Irland  oder  England  uns  über  die  sachdienlichste  Einrichtung 
der  Einzelhaft  belehren,  so  ist  doch  noch  zur  Zeit  bei  uns  kein 
solcher  Ueberfluss  an  Zellengefängnissen  und  völlig  genügenden  Er- 
&hnmgen  vorhanden,  dass  es  nicht  gerathen  wäre,  einen  verglei- 
chenden Blick  auch  auf  die  Leistungen  andrer  Völker  und  nament- 
lich nnsrer  nächsten  stammverwandten  Nachbarn,  der  Belgier  und 
Holländer,  zu  werfen. 

Koch  weniger  zweckentsprechend  ist  die  Beschränkung  auf 
»Stra&nstaltbeamte«,  woraufhin  man  das  Betheiligungsrecht  sogar 
den  Gtefängnissbaumeistem  hatte  abschneiden  wollen  (I)  •—  und 
wovon  man  sofort  schon  zu  Gunsten  der  » Aufsichtbehördenc  wieder 
abgehen  musste.  üeberhaupt  wird  jeder  Versuch,  einen  zünfti- 
gen Abschluss  festzuhalten  -^  zum  unterschied  von  früheren 
IiVHL  Jatirg.  6.  Heft.  21 


dA2  Blltlef  fOr  GeJUngnitBirnacie. 

Versammlungen  —  sicher  nicht,  wie  Mittermaier  meint |  zmn 
Yortheil  eines  solchen  Vereins  ausschlagen,  soivlern  nur  schlechte 
Frflchte  tragen.  Eitle  Schwstzer  und  Schonredner  fehlen  nie  in 
einigermassen  zahlreichen  Versammlungen.  Ein  Praktiker  aber, 
der  —  vollends  in  einer  Zeit  des  Fortschritts  und  der  unleugbaren 
tiefen  Erschütterung  und  stetigen '  Umgestaltung  der  bisher  herr- 
schenden Strafrechtsbegriffe  —  dessenungeachtet  mit  Bewusstsein 
der  Theorie,  also  der  Wissenschaft,  den  Bücken  kehren  wollte, 
würde  sich  lediglich  als  einen  gemeinen  Handwerker  biosssteilen, 
als  ein  blindes  Werkzeug  höherer  Befehle.  Oder  —  wäre  zum 
Mindesten  die  Eigenschaft  des  Staatsdieners  nothwendig?  Sollte 
eine  völlig  unabhängige  Stellung,  ein  völlig  uneigennütziges  In- 
teresse für  die  Sache,  für  Becht  und  Menschlichkeit,  wie  z.  B. 
Howard,  Elisab.  Ery,  Suringar  u.  A.  ihr  ganzes  Leben 
hindurch  es  so  erfolgreich  bethätigt  haben,  wirklich  nicht  genügend 
sein  um  Theil  zu  nehmen  am  lebendigen  Meinungsaustausch  in  die- 
sen Dingen,  um  dessen  willen  einst  sogar  Amerikaner  nach  Europa 
kamen  und  die  Kongresse  zu  Frankfurt  und  Brüssel  besuchten, 
und  wahrlich  nicht,  \im  »schöne  Beden  zu  halten. €  Ohne  Frage 
war  daher  der  Kongress  zu  Frankfurt  1846  der  bedeutendste  und 
lehiTcichste  Kongress,  der  je  gehalten  worden  ist. 

Es  ist  leider  nicht  zu  leugnen,  Was  ich  bereits  1857  zu  Frank- 
furt, mit  Zustinunung  aller  anwesenden  Strafvollzugbeamten,  aus- 
geführt hatte,  dass,  zufolge  der  heute  noch  geltenden  Strafgesetze, 
den  Leitern  und  Angestellten  der  Strafanstalten  noch  vielfach  von 
Oben  wahrhaft  unwürdiges  zugemuthet  wird,  z.B.  die  Vollstreckung 
vom  Bichter  verhängter  s.  g.  Strafschärfungen  der  Hungerkost, 
Dunkelhaft  etc.  Ist  ihr  Beruf  ohnehin  ein  dorniger,  so  wird  er 
durch  Dergleichen  ohne  Noth  noch  erschwert  und  noch  weniger 
beneideuBwerth.  Und  wenn  auch  Böckel*)  im  Allgemeinen 
sich  zu  hart  über  die  Beurtheilung  dieser  ihrer,  mitunter  geradezu 
drückenden,  Stellung  von  Seiten  des  Volks  ausgedrückt  haben  mag, 
so  kann  wenigstens  Niemand,  der  Jahrzehnte  hindurch  Alles,  was 
den  Strafvollzug  angeht,  aufinerksam  beachtet  hat,  ihm  Unrecht 
geben,  wenn  er  (S.  246)  »die  üeberzeugung  ausspricht,  dass  von 
Seiten  der  Leiter  und  Beamten  unsrer  Strafanstalten  nie  eine  der 
vorgeschrittenen  Bildung  und  Humanität  entspreohende  Beform  der- 
selben ausgehen  werde.  Li  diese  Finstemiss  muss  das  Licht  von 
Aussen  hineingetragen  wordene  und  (S.  266):  »Aus  sich  selbsft 
werden  diese  Anstalten  sich  nie  reformiren ;  ebensowenig  von  Oben 
zum  Besseren  geführt  werden,  solange  unsere  staatlichen  Zustände 
dieselben  bleiben;  nur  der  Aufschrei  und  die  nachhaltige  Forde- 
rung der  öffentlichen  Stimme  kann  eine  durchgreifsnde  Umgestal- 
tung derselben  erzwingen  etc.«  Der  Kern  von  Wahrheit,  der  hierin 
liegt,  wird  keinesfEÜls  durch  alle  die  vorgebliche  Entrüstung  wider- 


*)  Sftchsena  Erhebung  und  das  Zuchthaus  su  WMdheim.  1466.  ^  808. 


ttitttf  fthr  QMngtüaAxmAe.  838 

legt  wetden,  mit  der  Jene  ihn  Lügen  zu  strafen  versnchen  werden, 
die  es  flfcr  die  erste  Bürger-  und  Stsatsdienerpflicht  halten,  Alles 
höchst  vortrefflich  nnd  weise  zn  finden,  was  ihre  eigne  ^hohe 
Staatsregierang€  thut  oder  lässt. 

Wie  immer  aber  die  Gesetze  nnd  die  Einrichtung  der  Straf- 
anstalten mitunter  noch  tranrig-  beschaffen  sein  mögen  nnd  so  ge- 
wiss es  aueh  ist,  dass  ebendadurch  der  Berof  vieler  der  achtbarsten 
Beamten  im  Ganzen  zn  einer  trostlosen  Sisyfiisarbeit  gemacht  wird, 
wofthr  einzeles  Böse,  was  sie  zn  verhindern,  einzeles  Gute ,  was 
sie  zn  fbrdem  im  Stande  sind,  nie  entschädigen  kann,  so  ist  es 
doch  für  den  Fortschritt  zum  Besseren  gewiss,  trotz  R  6  c  k  e  1,  Nichts 
weniger  als  gleichgültig,  wenn  sie  sich  wenigstens  über  Das,  was 
sie  bei  der  dermaligen  Sachlage  erreichen  und  nicht  erreichen  kOn*^ 
nen,  allgemein  verständigen  und  ihre  Ueberzeugungen  über  Das, 
was  anders  und  besser  werden  müsste,  laut  werden  lassen  (I,  18  f.). 
Wir  betrachten  es  in  dieser  Hinsicht  als  ein  gutes  Vorzeichen, 
dass  zunächst  in  Bruchsal  die  Versammlung  getagt  hat,  da  sicher- 
lieh mit  der  Zeit  kein  Beamter  alter  oder  auch  Aubum* scher 
Btralanstalten,  zum  Mindesten  kein  Vorstand,  Geistlicher  oder  Lehrer 
einer  solchen,  sich  der  Einsicht  wird  verschliessen  können,  dass  mit 
durchgehender  Absonderung  der  Sträflinge  von  Einander 
mit  einem  Mal  das  bisherige  Haupthindemiss  ihres  gedeihlichen 
Wirkens  aus  dem  Wege  geräumt  sein  würde. 

Sehr  überraschend  nnd  unzweckmässig  war  es,  dass  der  ein- 
leitende Vortrag  über  die  Zellenhaft,  ihre  Licht-*  nnd  Schatten- 
seiten, von  dem  Beamten  einer  Gesammthaftanstait  gehalten  wurde, 
an  der  sich  zugleich  eine  Anzahl  Zellen  befindet,  ohne  dass  uns 
aber  gesagt  wird,  wie  viele  oder  wenige;  Ebendaher  ist  man  ganz 
ausser  Stande  über  die  Weite  oder  Enge  des  eigenen  Beobachtungs- 
kreises  desBedners,  Curaten  Dorfner,  sich  ein  Urtheil  zu  bilden, 
der  obendrein  versichert,  dass  er  es  absichtlich  unterlassen  habe, 
wenigstens  von  den  dmckschriftlich  mitgetheilten  Erfahrungen 
Anderer  Über  den  Gegenstand  Nutzen  zu  ziehen,  um  •—  sich  seine 
Unbeftuigenheit  zn  bewEkhren!  Ein  solches  Verfahren,  wobei  man 
naeh  AUem,  was  vor  uns  da  gewesen,  beobachtet  und  erfahren 
worden  ist,  gar  Nichts  fragt,  ist,  vollends  bei  so  hochwichtigen 
Angelegenheiten,  jedenfalls  mehr  als  naiv  1  Wohin  sollte  es  führen, 
wenn  ein  Jeder  so  die  Welt  mit  sich  gewissermassen  wieder  von 
Vom  an&ngen  lassen  wollte,  obwohl  Diess  gerade  in  dieser  Sache, 
die  dock  das  Stadium  des  Versuchmachens  längst  hinter  sich  hat, 
sogar  von  manchen  Regierungen  geschehen  ist.  Merkwürdig  und 
gewiss  den  Meisten  nen  sind  besonders  die  (I,  32)  mitgetheilten 
Feinheiten  Über  die  geschlechtlichen  Verirrungen  weiblicher  und 
mftnnücher  Gefangenen,  üeber  die  sehr  eigenthümliche  Theorie  der 
Seelenkräfbe,  wovon  der  Redner  ausging  und  worin  die  Einbildungs- 
kraft eine  hervorragende  Bolle  spielt,  sowie  über  dessen  höchst 
angewtOmliche  Art  des  Ausdrucks  nnd  des  Gebrauehs  der  ^remd- 


824  IBl&tier  Ar  Gef&iigiiiMkund«^ 

Wörter  soll  hier^nioht  mit  ihm  gerechtet  werden.  Beachtenswerth 
ist  Was  auch  er  über  die  Unmöglichkeit  sagt,  mit  allgemeinen 
Mitteln,  wie  Predigten  und  Dergleichen,  vras  kein  Einziger  anf  sich 
beziehe,  Viel  auszurichten  (I,  25),  über  die  während  aller  Haft, 
trotz  musterhaften  Verhaltens,  nie  unbedingte  Zuverlässigkeit  prob- 
haltiger  Besserung  und  über  die  Arbeit,  »die  vielfach  ein  Spiegel- 
bild vom  ganzen  Geisteszustand  des  Grefangenen  gebet ;  er  betont 
den  Werth  der  Zelle,  als  Bettungsmittels  für  die  Besseren,  aber 
auch  bei  den  Verkommensten  und  Unzugänglichsten,  sowie  bei  den 
durch  Streitsucht,  Hetzerei  und  Widerspänstigkeit  Gefährlichen, 
endlich  bei  den  Leichtfertigen  und  nur  auf  Geschlechtverkehr  Be- 
dachten —  wenigstens  als  Mittels  ihrer  Unschädlichmachung.  Für 
Letztere,  und  nicht  bloss  für  Trübsinnige,  sei  aber  auch  die  Zelle 
bedenklich,  weil  sie  darin  über  ihren  verhängnissvollen  Neigungen 
brüteten  und  ihnen  unbemerkt  nachhängen  könnten.  Um  Diess  — 
was  er  offenbar  zu  hoch  anschlägt  —  zu  hindern  und  doch  auch 
die  Verführung  Anderer  zu  erschweren,  will  er  solche  Sträflinge  in 
einem  abgescUossenen  Baum  des  Arbeitsais  zunächst  den  Aufsehern 
unterbringen,  wogegen  —  da  wo  nun  einmal  Gesammthafb  alsBegel, 
unter  demselben  Dach  mit  Einzelhaft,  besteht  —  Nichts  einzuwen- 
den ist.  Er  führt  aus.  Was  er  in  seinem  ersten  Schlusssatz  zu- 
sammenfasst,  dass  die  Zellenhaft  die  unbestreitbar  beste  Strafhaft, 
daher  ganz  oder  wenigstens  theilweise  einzuführen  sei.  Der  zweite 
Schlusssatz  scheint  die  Anstellung  besonderer  Haus-Geistlichen 
und  Haus-Lehrer  zu  fordern,  leidet  aber  ebenso  an  unverständlicher 
Fassung  wie  vieles  Andere  in  dem  ganzen  Vortrag,  in  welchem 
z.  B.  mehrfach  die  Bede  ist  von  »abnormer  Melancholie«  oder  von 
»abnormem  Gemüthieben,  wodurch  das  Geistesleben  krankhaft  affizirt 
werde«  etc.  Niemand  wird  sich  wundem,  dass  der  Bedner,  als 
katholischer  Geistlicher,  für  Einführung  geistlicher  Bruder-  und 
Schwesterschaften  in  die  Gefängnisse  ist,  folglich  für  Eonfessions- 
gefängnisse,  wobei  er  natürlich  die  Juden  und  die  Angehörigen 
besondrer  christlichen  Sekten  ganz  unberücksichtigt  lässt  und  — 
selbstverständlich  mit  Zustimmung  des  jetzigen  Direktors  von  Moabit 
—  für  Protestanten  dieBauhhäusler,  bezieh.  Diakonissinen,  empfiehlt, 
obwohl  nur  unter  der  Bedingung  ihres  (jedenfalls  höchst  seltnen) 
gebührenden,  nicht  unbotmässigen  Verhaltens  (I,  88). 

Eine  wesentliche  Ergänzung  fand  dieser  Vortrag  durch  eine 
Ausführung  Mi  ttermaier's  über  den  Werth  der  Einzelhaft  und 
die  Bedingungen  ihrer  erfolgreichen  Durchführung.  Er  zeigt,  dass, 
trotz  der  sichtlich  steigenden  Anerkennung  der  Einzelhaft,  doch 
noch  allerlei  Vorurtheile,  auch  der  Gesetzgeber,  zu  folgewidrigen 
Beschränkungen  derselben  führten,  dass  man  z.  B.  wähne,  schon 
nach  kurzer  Einzelhaft  in  Gemeinschaft  versetzen  zu  dürfen,  so 
aber  die  in  jener  entwickelten  guten  Keime  bald  wieder  zerstöre; 
er  hebt  hervor,  dass  im  Grundsatz  auch  die  englischen  Parlament- 
ausschüsse 1863  die  Einzelhaft  anerkennten   und  für  nothwendig 


Bllfttar  fttr  Oeflagnlwkmide.  826 

erklftrien ;  dass  Hannover,  und  noch  folgerichtiger,  Braunschweig  in 
eben  diesen  Weg  eingelenkt  seien;  dass  die  meisten  Oegner  der 
Einzelhaft  (auch  in  England  und  in  der  ^ Strafrechtzeitung«,  ebenso 
wie  Yidal  und  Gosse)  nicht  vertraut  seien  mit  dem  Wesen  der 
Einzelhaft  und  sich  einbildeten,  dass  diese  »absolute  Einsamkeit c 
zur  Verzweiflung  und  Abstumpfong  bringen  müsse.  Hiergegen  ver- 
weist er  auf  Bruchsal  und  auf  die  Thatsache,  dass  Seelenstörungen 
in  Gesammthaft  sogar  häufiger  vorgekommen  seien  (z.  B.  nach  den 
Berichten  der  rheinisch-westüllischen  Gesellschaft  und  an  den  fran- 
zösischen Minister,  wonach  1863  die  Zentralh&user  62  Seelenstörun- 
gen aufwiesen) ;  er  erinnert  daran ,  dass  zwar  bei  gttnstigen  Yer- 
h&ltnissen  in  kleinen  Strafanstalten,  trotz  der  Gesammthaft,  Man- 
ches sich  erreichen  lasse,  dass  aber  alle  Mittel  ihre  Nachtheile  ab- 
zuwenden, die  man  im  EQassifiziren ,  Spioniren  und  Schweiggebot 
gesncht  habe.  Nichts  gefruchtet  hätten;  individualisirende 
Erziehung,  Besserung,  Seelsorge  und  Beschäftigung  sei  nur  bei  Ein- 
zelhaft möglich,  ebenso  alsbaldiges  Erkennen  der  Anfänge  einer 
Geistesstörung,  endlich  Hinderung  des  verderblichen  Einflusses  der 
YerfUhrung  und  Einschüchterung,  sowie  der  Meuterei.  In  England 
hätten  die  erfEÜurensten  Männer  auch  ihre  abschreckende  Kraft  und 
die  Erleichterung  des  Unterkommens  der  ans  ihr  Entlassenen  be- 
tont. Vorausgesetzt  sei  jedoch,  dass  man  die  geistig  und  leiblich 
fllr  die  ZeUe  Ungeeigneten  ausscheide,  dass  alle  Angestellten  im 
rechten  erziehlichen  Geiste  wohlwollend  wirkten,  dass  der  Unter- 
richt geistanregend,  die  Seelsorge  echt  menschlich,  nicht  pietistisch, 
geübt  werde,  dass  nicht  zu  wenige  und  nur  tüchtige,  also  gut  be- 
zahlte, Aufseher  da  seien,  dass  es  nicht  bei  der  Arbeit  bloss  auf 
Gewinn,  Verwandlung  des  Hauses  in  eine  Fabrik,  der  Sträflinge 
in  Maschinen,  oder  auf  Härte  und  Abschreckung  abgesehen  sein 
dürfe.  Als  nothwendige  Ergänzung  der  Einzelhaft  fordert  Mi  tter- 
maier,  in  voller  Uebereinstimmung  mit  dem  Unterzeichneten*): 
1)  Umgestaltung  unsrer  Strafgesetzbücher  im  Geist  der  Einzelhaft 
d.  h.  der  Besserung,  2)  Vermittlung  des  Uebergangs  zur  Freiheit, 
und  zwar  durch  Einrichtung  einer  Gesammthaft,  wenn  auch  nicht 
in  irländischer,  doch  in  oldenburgischer  Weise,  wogegen  Ref.  sich 
(bei  Prüfung  des  Für  und  Wider  der  Schriften  von  Grevelink 
und  Cool  in  diesen  Jahrbb.  1868.  Nr.  54)  bereits  näher  ausge- 
sprochen hat,  8)  Bedingte  Beurlaubung,  mit  Bücksicht  auf  die  Er- 
fahrungen in  Sachsen,  4)  Vereine  zur  Fürsorge  für  die  Entlassenen, 
5)  Belehrung  des  Volks  über  die  bessernde  Wirkung  der  Einzel- 
haft, statt  der  bisher  —  auch  in  Baden  —  herkömmlichen  »Ge- 
heimnisskrämerei.  € 


*)  YiJL  beeonders  Röder,  BttsfvoQsug.  lAbh.:  «»Ueber  die  nothwen- 
dige Rftekwiikiuig  der  EinfAhmiig  der  Einielhsft  auf  die  Gesetsgebong' 
8.  83  ff. 


929  BMUer  Ar  Omm^^min. 

MwsterialdireVtor  Junghamis  bemerkt ,  dass^  aiiob  wenn 
die  Zellenlmft  in  einem  Masse  Gefahren  der  Seeleustörang  mit  sich 
brächte,  wie  es  nicht  der  Fall  sei,  dennodi  solchd  Gefahren  weni- 
ger Gewicht  haben  würden  als  die  Nacbtheile  der  Gesammthaft 
(wie  Pas  mit  Recht  schon  Füesslin  hervorgehoben  hatte).  Das 
hjsoiptsächliche  Gegenmittel  ist  aber  nicht,  mit  ihm,  in  der  Ver- 
set;9ung  in  Gesammthaft,  sondern  in  der  Entfernung  ans  der  Zelle 
zn  anchen,  der  man  jene  voreilig  unterzuacbieben  pflegt*),  Ss 
scheint  I  dj^ss  er  nur  im  Fall  einer  gemischten  Hausbevölkemng 
gegen  die  Znlassung  geistlicher  Genossenschaften  in  den  Gefäng- 
nissen ist,  wie  Dij»ktor  Wilke  bloss  gegen  die  eigentlichen  geist- 
lichen Orden  (H,  80),  anstatt  nnbedingt.  Wie  schlecht  übrigans 
die  3elobnng^i  der  IBrüder  des  ranhen  Hauses  durch  den  Letzte- 
ren mit  den  Urthjöilen  seines  Vorgängers  Schuck  und  den  noch 
lauter  sprechenden  Thatsachen  stimmen,  ist  anderswo  ♦*)  des  Nähe- 
ren zu  ersehen.  In  Köln  hat  Direktor  v.  Götzen  allen  entlasse- 
nen Zellengefangenen  (ähnlich  wie  einst  W.  Bus  seil  in  PentonviUe) 
passende  Fragen  ^u  schriftlicher  Beantwortung  vorgelegt,  und  alle 
72  erhaltenen  Antworten  lauteten  zu  Gunsten  der  Einzelhaft.  Dar- 
aus wird  vielleicht  Einer  oder  der  Andere  von  Denen,  die,  wie 
Direktor  Ekert,  daran  festhalten,  dass  die  Strafe  ihrem  Wesen 
naeh  ein  Uebel  sei  und.  zugleich  die  Einzelhaft  für  härter,  für  ein 
schwereres  üebel,  erklären  als  die  Gesammthaft,  leman,  dass  ent- 
weder die  letztere  oder  die  erstere  Behauptung  falsch  sein  muss, 
wenn  es  nicht  beide  sein  soUten,  wie  es  nach  der  Ansicht  des 
Ref.  der  Fall  ist. 

Weiterhin  wird  sieh  Gelegenheit  finden,  einige  Bemerkungen 
9U  machen  über  die  bei  der  Versamnalung  zu  Bruchsal  von  Bauer 
aufgestellten  Streitsätze«  Auf  eine  vollständige  Mittheilung  der  be- 
merkenswerthen  Thatsachen  aus  den  Jahresberichten  des  Vorstandes, 
Hansarztee  und  Verwalters  des  ZeUenge&ngnisses  zu  Bruchsal  muss 
hier  ebenfalls  verziehtet  werden,  obwohl  im  Folgenden  das  Eine 
und  Andere  daraus  besprochen  werden  wird.  Hier  sei  nur  soviel 
gesagt,  dass  man  sich  nur  freuen  kann  aus  Ekert' s  Bericht  zu 
ersehen  (II,  8),  dass  seit  5  Jahren  kein  Selbstmord,  seit  fast  2  Jah- 
ren keine  Seelenstörung  v(^kam,  seit  geraumer  Zeit  der  Kranken»- 
stand  80  niedrig  war  wie  nie  zuvor  und  die  Ergebnisse  des  Ge- 
werbbetriebs  beispiellos  günstig  sind;  dass  1863  auf  nur  49  von 
überhaupt  897  Sträflingen  67  Ordnungsstrafen  fallen,  darunter  nur 
28  fftr  verschiedene  Verkehrversuche,  nur  eine  fllr  Arbeitweigerung ; 
dass  nach  pechsjähriger  Einzelhaffc  fast  alle,  nämlich  13,  Sträf- 
linge (von  wie  Vielen?)  freiwillig  femer  in  der  Zelle  blieben,  und 
zwar  ohne  dass  diese  Wahl  ihren  Grund  gehabt  hätte  entweder  in 
ünkenntniss  der  Gesammthaffc,  oder  in  der  (bei  den  fraglichen  auf 


**)  Ebenda  B.  280  ff. 


BUttar  Or  Otfftiisnittkviida  M? 

Lebengzeit  Yerartheilten  natürlich  undenkbaren)  Absiebt  dadurch 
ihre  Strafe  zu  kürzen  (11,  17  f.).  Es  würde  lehrreich  gewesen  sein 
fiberall  auch  die  Gründe  der  Bitten  umBückvcrsctzung  in  die 
Zelle,  ihres  Abschlagens  oder  des  Abrathens  davon  zu  erfahren, 
dessgleichen  von  der  einige  Male  yorgekommonen  Weigerung,  sich 
dem  Schntzrerein  zn  unterwerfen,  —  Was  in  der  Regel  von  ihrem 
Willen  gar  nicht  abhängen  dürfte.  Wir  begegnen  (ü,  11  ff.)  guten 
Bemerkungen  über  das  oft  genug  gerügte  unrecht,  entlassene  Diebe 
etc.  unmittelbar  nach  der  Entlassung  in  die  polizeiliche  Be- 
wahranstalt zu  stecken  (IT,  16),  über  die  ungünstigen  Einwirkun- 
gen sehr  langer  Strafzeiten  auf  die  Gesundheit  und  die  sittlichen 
Belange,  während  der  Gewerbbetrieb  dabei  gewinne.  Wir  erfahren 
ferner,  dass  zu  Anfang  1863  die  Hausbevölkerung  nur  215  K5p£8 
stark  war,  dass  1863  der  Zugang  an  unehelichen  Züchtungen  86 ^/o 
betrug,  dass  der  Nichtbadener  etwa  V^  waren  etc.,  dass  nach  Amerika 
ebenso  Viele  begnadigt  wurden,  als  in  dio  Heimat,  nämlich  15. 
Da  schon  seit  Jahren  nicht  viel  über  die  Hälfte  der  Zellen  mit 
Züchtungen  besetzt  war,  so  ward  endlich  1868  durch  Gesetz  be- 
stimmt (Was  1862  in  meinem  Vorwort  zur  neuen  Ausgabe  von 
Hägele's  »Erfahrungenc  als  höchst  dringlich  bezeichnet  war),  dass 
künftig  auch  die  Strafe  des  s.  g.  Arbeithauses  im  Zellengefingniss 
Tcrbüsst  werden  solle. 

Fast  das  ganze  dritte  Heft  der  »Blätter  für  GefUngnisskundet 
und  ein  Theil  des  zweiten  Hefts  enthält  lediglich  Ausfälle  gegen 
mich  und  gegen  Füesslin.  Damit  diese  Ausfälle  sammt  ihren 
Beweggründen  ins  rechte  Licht  treten  und  zugleich  die  Sache  selbst, 
um  die  es  sich  dabei  dreht,  kann  ich  nicht  umhin,  wenigstens  das 
Nöthigste  darüber  hier  zu  sagen.  Selbstverständlich  halten  mich 
dabei  nicht,  wie  meine  Gegner,  nahe  liegende  Bücksichten  auf  hohe 
und  einflussreiche  Vorgesetzte  vom  Aussprechen  der  vollen  Wahr- 
heit ab.  Ich  hatte  und  habe  keinerlei  Ursache,  Missgriffe  und 
Fehlrichtungen  zu  beschönigen  und  fühlte  ohnehin  nie  den  Beruf, 
Alles  höchst  weise  zu  finden,  was  unsere  oder  irgend  eine  andere 
»hohe  Staatsregierunge  gethan  oder  nicht  gethan  hat.  üeberhaupt 
nicht  um  irgend  Jemandes  Dank  zu  verdienen,  sondern  nur  um 
einer  Sache  zu  dienen,  die  mir  heilig  ist,  habe  ich  Jahrzehnte  hin- 
durch im  Vaterlande  und  ausserhalb  Beisen  gemacht,  Zeit  und  Geld 
und  meine  beste  Lebenskraft  freudig  geopfert;  nur  um  ihretwillen 
habe  ich  —  auch  heute  —  die  Feder  ergriffen,  da  hierzu  blosse 
Venmgiimpfungen  meiner  Person  mich  viel  zu  wenig  anfechten. 
Jeder  unbefangene  Leser,  der  sine  ira  et  studio  meine  Darstellung 
(zumal  in  den  Schriften  »der  Strafvollzug  im  Geist  des  Bechtsc 
1863  und  »Bessenmgstrafe  und  Besserungstrafanstalten  alsBechts- 
forderung€  1864)  gelesen  und  sie  mit  der  meiner  Gegner  ver- 
glichen hat,  wird  sicherlich  in  deren  Auslassungen  fast  nur  die 
Bestätigung  der  alten  Begel  finden,  dass  »der  Getroffene  zu  schreien 
pflegt.«    Die  Tonart,  in  der  Diese  geschiehti  ist  hier  überdiess  be» 


898  Blfttter  fttr  GefSagniflskande. 

zeichnend  genug.  Nicht  wenige  ihrer  (offenbar  verabredeten)  drei- 
sten Erfindungen,  deren  Absicht  mit  Händen  zu  greifen  ist,  z.  B. 
dass  ich  nur  einmal  in  Bruchsal  gewesen  sei  (IE,  48 ;  84)  —  sind 
geradezu  lächerlich.  Anderes,  was  sie  auftischen  in  Bezug  auf  das 
Zellengeföngniss  zu  Bruchsal,  zu  Amsterdam  etc.,  wird  ohne  Zweifel 
demnächst  von  Denen,  die  es  noch  näher  angeht  als  mich,  ins  Licht 
gestellt  werden.  Meine  Bekanntschaft  mit  dem  Gef^ngnisswesen 
stammt  übrigens  ebensowenig  bloss  von  Bruchsal  her  als  meine 
Nachrichten  über  das  dortige  ZellengefUngniss  bloss  von  dessen 
früherem  Vorstand  stammen,  wie  meine  Gegner  willkürlich  vor- 
aussetzen, weil  Das  eben  in  ihren  Kram  passt.  Lange  ehe 
diess  Gefängniss  gebaut  war  hatte  ich  Zellengefängnisse  gesehen, 
Zellengefiangene  besucht  und  zwei  Gefängnisskongressen  beigewohnt, 
war  ich  mit  einer  Reihe  der  anerkanntesten  Sachkenner  genau  be- 
kannt geworden  und  hatte  mich  der  Benützung  des  reichen  Schatzes 
ihrer  Erfahrungen  zu  erfreuen.  Auch  seit  Eröffnung  der  Bruchsaler 
Anstalt  war  ich  nicht  nur  durch  möglichst  häufige  Besuche  der- 
selben, sondern  vor  Allem  durch  stete  Mittheilungen  von  dort  — 
auch,  aber  lange  nicht  bloss,  von  Seiten  Angestellter  des  Hauses 
—  genau  unterrichtet  von  aÜen  Zuständen  und  bemerkenswerthen 
Vorgängen. 

Ohne  Zweifel  würden  auch  der  Hausarzt  Gutsch  und  der 
Verwalter  Bauer,  die  ich  meines  Wissens  nur  ein  oder  zwei  Mal 
in  meinem  Leben  gesehen  und  nie  aufgesucht  habe,  nicht  verfehlt 
haben  mich  sogar  für  sehr  gut  unterrichtet  zu  erklären,  falls  ich 
es  nicht  verschmäht  hätte  in  ihrHom  zu  blasen,  d.  h.  mit  ihnen 
gegen  ihren  ehemaligen  Direktor  Partei  zu  ergreifen.  Da  mir  aber 
ihr  ganzes  Auftreten  gegen  Diesen,  aufs  Aeusserste  missfiel,  so 
habe  ich  auf  den  persönlichen  Verkehr  mit  ihnen  verzichtet  und 
in  Hinsicht  Dessen,  was  in  ihren  Geschäftkreis  einschlug,  auf  die 
Belehrung  durch  ihre  (mir  bekannt  gewordenen)  Jahresberichte 
mich  beschränkt ;  im  üebrigen  zog  ich  es  vor,  mich  nur  an  solche 
Hausbeamten  zu  halten,  die  unzweifelhaft  ihre  Stelle  im  rechten 
Geist  ausfüllten,  vor  Allen  an  den  damaligen  Vorstand,  Dr.  F  ü  e  s  s- 
lin,  selbst,  sowie  an  den  verstorbenen  Hausgeistliohen  Weite 
und  den  früheren  Oberlehrer  Müller,  —  drei  Männer,  denen  ich 
bleibenden  Dank  schuldig  bin  und  über  die  es  unter  allen  Unbe- 
fangenen nur  eine  Stimme  gibt.  Von  ihnen  liess  ich  mich  in  alle 
Einzelheiten  des  Zellengefängnisses  einführen  und  machte,  so  oft  ich 
nach  Bruchsal  kam,  wo  möglich  in  Begleitung  des  Einen  oder 
Andern  von  ihnen  Zellenbesuche. 

Lebhaft  habe  ich  bedauert,  seit  dem  Amtsantritt  des  jetzigen 
Vorstands  unser  Zellengefängniss  mit  einer  einzigen  Ausnahme 
nicht  mehr  gesehen  zu  haben;  und  auch  diese  eine  Ausnahme 
machte  ich  nur  auf  den  Wunsch  des  Grafen  v.  Görtz:  dass  ich 
ihn  und  den  hessischen  Justizminister  nebst  einem  Mitgliede  der 
zweiten  hessischen  Kammer  dorthin  begleiten  möge.     Mein  Grund 


Bluter  fOr  Oefftngntekiude.  899 

war  eiii&cb  der,  dass  die  offenkundige,  von  Karlsruhe  aus  vor- 
geschriebene, von  Hittermaier  wie  von  mir  jederzeit  gerügte, 
>Geheimni8skränierei«  damals  auf  dem  Gipfel  war;  dass  kurz  vor* 
her  sogar  die  von Füe sslin  ausgegangenen  hOohst zweckmässigen 
Einladungen  zu  den  Schulprüfungen  der  Str&flinge  ihm  für  die  Zu- 
kunft untersagt  worden  waren;  ja  dass  er  einen  scharfen  Verweis 
erhalten  hatte  wegen  Mittheilung  eines  Jahresberichts  an  —  Hitter- 
maier (!),  dem  man  doch  wohl  zutrauen  durfte,  dass  er  —  ftlr 
den  man  doch  sonst  auch  von  dieser  Seite  schöne  Worte  hat  — 
davon  keinen  Missbrauch  machen  werde;  dass  forthin  regelmässig 
der  Zutritt  zum  Zellengefllngniss  einer  höheren  Bewilligung  be- 
durfte, so  dass  ich  vielleicht  selbst,  ohne  solche,  einer  Zurückwei- 
sung ausgesetzt  gewesen  wäre,  die  ich  allerdings  in  Gesellschaft 
des  Ministers  und  zweier  Landstände  eines  Nachbarstaats  (denen 
ein-  für  allemal  der  Zutritt  bewilligt  war)  nicht  zu  besorgen  hatte ; 
dass  endlich  mehre  von  mir  an  den  neuen  Direktor  empfohlene 
Ausländer  mir  bitter  klagten,  dass  sie  dort  nur  mit  Mühe  und 
unter  vielen  Klauseln  Einlass  gefunden  hätten.  Diess  Alles  sind 
unleugbare  Thatsachen,  wodurch  wohl  zur  Genüge  be- 
wiesen sein  wird,  wie  schwach  der  Versuch  des  Herrn  Ekert 
ist,  sogar  den  Vorwurf  der  >Geheimnis8krämerei<  als  »ganz  unbe- 
gründete darzustellen,  und  wonach  mir  wohl  Niemand  ein  unbe- 
hagliches Gefühl  bei  dem  Gedanken,  Bruchsal  femer  zu  besuchen, 
verdenken  wird!  —  Von  selbst  versteht  sich  danach,  dass  ich  in 
den  letzten  Jahren,  nachdem  auch  fast  alle  meine  dortigen  sach- 
kundigen Freunde  entweder  gestorben  oder  versetzt  waren,  nur 
noch  sehr  mittelbar  und  weniger  genau  über  dortige  Zustände 
unterrichtet  sein  konnte,  um  so  weniger  als  bis  vor  Kurzem  nur 
sehr  Vereinzeltes  seinen  Weg  in  die  Oeffentlichkeit  gefunden  hatte, 
überhaupt,  der  neuen  Aera  ungeachtet,  noch  immer  sehr  viel  alter 
Unfug  unberührt  geblieben  ist.  So  war  mir  denn  z.  B.  die  1863 
geschehene  Einführung  der  auch  von  mir  —  zuerst  von  Diez  — 
gewünschten  Sonntagkleider  der  Sträflinge  entgangen.  Die  end- 
liche Erfüllung  einer  andern,  wichtigeren,  stets  von  mir  wieder- 
holten Forderung,  mit  der  alle  Welt  einverstanden  war,  hatte  ich 
dessenungeachtet  kaum  zu  erleben  gehofft,  nämlich  die  Veröffent- 
lichung der  •—  während  vieler  Jahre  so  sorgfältig  verheimlichten 
—  Jahresberichte.  Ich  begrüsse  in  ihr  zugleich,  und  um  so  mehr 
wenn  ich  aus  Ekert* s  Aesserungen  schliessen  darf,  dass  seit 
einiger  Zeit  auch  die  andern  vorerwähnten  Beschränkungen  weg- 
gefallen seien,  ein  erfreuliches  Zeichen,  dass  man  in  keiner  Hin- 
sicht mehr  das  Licht  scheuen  zu  dürfen  glaubt,  vielleicht  sogar 
einige  Hofinung  da  ist,  der  unablässige  stille  Krieg  eini- 
ger badischen  Abschreckungsmänner  gegen  die  Ein- 
zelhaft werde  allmählich  aufhören,  —  ein  Krieg,  dessen 
Spuren  und  Nachklänge  auch  in  den  vorliegenden  Ausführungen  dreier 


930  Bl&tter  fttr  GeftugntoBlnincle« 

badischen  ZellengefUngnissbeamten  noch  deutlich  genug  wahrzu- 
nehmen sind. 

Wenn  Beamte  alter  Strafanstalten  mit  Gesammthaft  entweder 
die  ünhaltbarkeit  dieser  Haftweise  noch  immer  leugnen  oder  sich 
doßh  nicht  überwinden  können,  gleich  ehrlich  wie  es  kürzlich  von 
E.  McBS*)  geschehen  ist,  sie  einzugestehen,  wenn  Dieselben  daher 
in  jedem  Gegner  der  Einzelhaft  einen  Bundesgenossen  begrüssen, 
in  jedem  Vertreter  der  Einzelhaft  einen  Eeind  sehen,  so  lässt  sich 
Das  noch  allenfalls  begreifen.  Geradezu  unnatürlich  und  nur  aus 
einer  aller  Gesetze  des  Denkens  vergessenden  Leidenschaftlichkeit 
zu  erklären  ist  es  aber,  wenn  Beamte  eines  ZellengefUngnisses,  in 
welchem  die  ZeUenhaft  wenigstens  im  Ganzen  folgerichtig  und  zweck- 
entsprechend durchgeführt  wird,  mir,  der  ich  für  diese  folgerechte 
Durchführung  —  wie  sie  längst  ausser  mir  Diez,  Füesslin, 
Y^rrentrapp,  Ducpötiaux,  Suringarund  David,  also  die 
ersten  Sachkenner,  gefordert  haben  und  wie  sie,  nach  langem  Be- 
denken, endlich  auch  Mittermaier  als  die  richtige  anerkannt 
hat  —  soviel  ich  vermochte  und  immerhin  nicht  ganz  ohne  Erfolg 
gewirkt  habe,  ebendaraus  einen  Vorwurf  machen  und  auf  die  ge- 
suchteste Weise  möglichst  augenfällig  entgegentreten,  ja  —  damit 
nicht  genug  —  sogar  keinen  Anstand  nehmen,  dem  entschiedensten 
Gegner  ebendieser  Durchführung,  Holtzendorff,  laut  beizupflich- 
ten, —  einem  Manne,  der  für  diese  »echte,  reine,  unverfälschte, 
von  ihm  sogenannte  Bö  der 'sehe  Einzelhaft«  nur  sinnlosen  Spott 
und  wegwerfende  Ausdrücke  hat,  der  darin  nur  eine  »lächerliche 
Künstelei,  kleinliche  Auswüchse,  einen  Mumifikationsprozess«  sieht, 
der  die  Anhänger  einer  solchen  folgerechten  Durchführung 
—  also  vermuthlich  (?)  doch  wohl  auch  die  Herrn  Be- 
amten des  Bruchsaler  Zellengefängnisses  selbst  — 
sammt  und  sonders  für  »Einzelhaftfanatiker«  erklärt,  einem  Manne 
endlich,  der  den  Hochpunkt  und  Abschluss  des  Gefängnisswesens  in 
der Rückkehrzur  —  Gemeinschaft  der  Arbeiten  imFreien 
nach  irländischem  Muster  erblickt! !(  Fast  könnte  man 
versucht  sein  gewisse  Hintergedanken  bei  den  Herrn  vorauszusetzen, 
worauf  hin  sie  sich  bevmsst  wären  von  diesem  Schimpfwort  nicht 
mitgetroffen  zu  werden,  ohne  doch  den  Muth  zu  haben  völlig  Farbe 
zu  zeigen!  — 

Wenn  in  ihrem  Zorn  über  mich  und  in  ihrer  Freude,  in 
Holtzendorff  einen  Gegner  ihres  Gegners  entdeckt  zu  haben, 
die  Herren  G  u  t  s  c  h  und  Bauer  sich  in  so  grober  Weise  mit  allem 
gesunden  Menschenverstand  überwerfen  und  zu  allen  Berliner  Witzen 
die,  in  Ermanglung  von  Gründen,  jener  Herr  auf  mich  loslässt, 
lauten  Beifall  klatschen,  so  lässt  sich  Das  einigermassen  verstehen; 
nicht  so  wenn   auch   Ekert   in   diesen  Ton   offen   einstimmt,  ja 


*)  Die  öffentliche  M^iing  gegenüber  den  Gefflngnlwen.    1666.  6.  4f. 
26;  36. 


BWtDf  nur  OaflbigiiliBbttAi.  m 

keinen  AiKstand  nimmt,  sogar  die  gemeinen  Ausdrucke,  wooüt 
Boltzendorff  mich  und  alle  der  Sache,  d.  h.  dem  »Himge- 
spinnst«  der  unrerfiLlschten  Einzelhaft,  Ergebenen  bedient  hat,  ge- 
wissenhaft wiederabdrucken  zu  lassen!  Oder  gehört  das  sudiUiche 
Wohlgefallen  an  Dergleichem  etwa  auch  zur  Sache?!  —  Schade 
nur,  dass  nicht,  zur  Yervollständigung  dieser  schönen  Blumenlese, 
auch  noch^  die  neuesten  Witzfunken  und  Zornesausbrüche  des  Herrn 
▼  on  Holtsendorff  hatten  benutzt  werden  können!  Doch  findet 
sieh  Tielleicht  in  einem  Nachtrag  hierzu  Gelegenheit,  wenn  anders 
das  AnfitandgefÜhl  der  übrigen  Mitglieder  des  Vereins  deutscher 
StrafauBtaltbeamten  Nichts  gegen  eine  solche  Benützung  ihres 
Organs  yon  Seiten  ihres  Ausschusses  einzuwenden  haben  sollte. 

Nicht  weniger  musste  mich  das  Auftreten  des  Herrn  Ekert 
in  einer  andern  Beziehung  aufs  Aeusserste  befremden.  Da  ich 
Demselben  nie  Etwas  zu  Leide  gethan,  nie,  auch  nur  im  Entfern- 
testen ihm  Anlass  gegeben  habe  zu  glauben,  dass  ich  ihn  auf 
eine  Linie  mit  seinen  vorgenannten  Untergebenen  stelle,  so 
traute  ich  kaum  meinen  Augen,  als  ich  sah,  dass  er  Diess  nun  selbst 
tbut,  ja  sich  im  Grunde  guiz  mit  Denselben  identifizirt.  Meine 
Ansichten  über  die  einzige  eines  Direktors  würdige  Stellung  hatte  ich 
ihm  bereits  mündlich  mitgetheilt,  als  er  nicht  lange  nach  Antritt 
seines  jetzigen  Amts  mich  besuchte.  Seitdem  habe  ich  druck- 
schriftlieh meine  ohne  Frage  gerechte  Entrüstung  darüber  ausge- 
sprochen*), dass  Verwalter  Bauer  es  wagen  konnte,  den  Direktor 
des  Zellengefängnisses  zur  »blossen  Fahne  auf  dem  Tharm«  herab- 
zusetzen, »die  man  abnehmen  könne,  ohne  dass  der  Thurm  selbst 
zusammenfalle«;  denn  ich  fand  eine  solche  unziemliche  Ausdruck- 
weise nicht  nur  geradezu  ehrenrührig,  dem  eigenen  früheren  ebenso 
wie  dem  jetzigen  Direktor  gegenüber,  sondern  auch  mit  den 
einfachsten  Bücksichten  des  Staatsdienstes  so  völlig  unverein- 
bar, dass  gewiss  Niemand,  der  nicht  die  Dergleichen  hier  zu 
Lande  erklärenden  persönlichen  Verhältnisse  genau  kennt,  begrei- 
fen wird,  dass  nicht  von  Amtswegen  gegen  diese  Ungebühr  einge- 
schritten worden  ist,  während  wenige  Jahre  vorher  sogar  ein 
durchaus  wahrbeitgemässer  freimüthiger  Tadel  des 
Einen  und  Andern,  was  von  Karlsruhe  aus  gutgeheissen  ward,  in 
der  dankenswerthen  Schrift**)  eines  überaus  verdienten  und  sach- 
kundigen Beamten,  D  i  e  z  -^  des  vormaligen  Vorstehers  des  Zellen- 
gelängnisses  zu  Bruchsal  —  Diesem  einen  scharfen  Verweis  (einen 
8.  g.  »Dienergrad«)  zuzog!  Ekert  aber  lässt  sich  sogar  angelegen 
sein  auszuführen,  dass  er  an  jener  unwürdigen  Aeusserung  über 
die  SteUxmg  des  Direktors  (also  wohl  auch  an  dem  danach  be- 
messenen SeQehmen  der  Herr  Gutsch  und  Bauer  gegen  ihren 


*)  Der  Btafvollsug  im  Oelst  des  Rechts  6.  S9e  Anmerk. 
**)  Ueher  VflfWAltung  und  Eiartehtnng  der  Str^l^uuttalten  mit  Einsel- 
bell  etc.  1657. 


883  Bl&Uer  ftir  Gef&ngnlisktinde. 

früheren  Direktor?)  gar  keinen  Anstoss  nimmt,  indem  er  diess 
Alles,  obwohl  die  fragliche  Aenssenmg  ganz  allgemein  gehalten 
war,  ^auf  sich  nie  bezogen  hat«  (m,  11;  8),  mithin  seine 
Ehre  dadurch  nicht  nur  nicht  berührt  findet,  sondern  umgekehrt 
in  meiner  ernsten  Rüge  dieser  Auslassung,  sowie  des  ihr  entspre- 
chenden Benehmens  jener  Beamten,  »Ehrenrühriges«  zu  entdecken 
verstanden  hat.  Oewiss  ist  wenigstens  soviel,  dass  bis  dahin 
ausser  den  betheiligten  Beamten  selber  und  der  leitenden  Oberbe- 
hörde mir  keine  Menschenseele  begegnet  ist,  die  jene  ungebührliche 
Selbstüberhebung  in  der  Ordnimg  gefunden  hätte,  dass  hingegen 
alle  mir  bekannten  Autoritäten  in  Gefllngnisssachen  nebst  zahl- 
reichen Beauftragten  auswärtiger  Begierungen,  die,  nachdem  sie 
unser  Zellengefängniss  gesehen,  mich  mit  ihrem  Besuche  beehrt 
hatten,  schon  lange  vor  dem  Erscheinen  des  Bäuerischen  Buchs 
laut  ihr  Erstaunen  über  die  fortwährende  sichtliche  Parteinahme 
gegen  den  damaligen  Vorsteher  Füesslin  ausgesprochen  haben, 
zum  Theil  sogar  durch  den  Druck.  Dass  irgend  ein  unparteiischer 
Strafanstaltbeamter  der  Welt  mit  meiner  Rüge  dieser  Vorgänge 
nicht  einverstanden  sein  sollte,  muss  ich  bis  auf  Weiteres  bezwei- 
feln. TJeberdiess  drückt  sich  Ekert  (III,  11),  gewiss  unabsichtlich, 
so  schlecht  aus,  dass  ein  Jeder,  der  meine  Worte  nicht  vor  Augen 
hat,  sogar  geradezu  glauben  muss,  ich,  und  nicht  Bauer  —  dem 
ich  Diess  als  schnöden  Hohn  vorwarf  —  habe  gesagt :  dem  Direktor 
stehe  nur  das  Recht  zu,  Wünsche  auszusprechen,  dem  Verwalter 
aber  das  Recht,  diesen  Wünschen  ein  Veto  entgegenzusetzen.  Deut- 
lich genug  verlangt  übrigens  auch  Ekert  nicht  weniger  als  ich  ver- 
langt habe,  nämlich  natürlich  keinen  »unbedingten  Gehorsam«,  (den 
ich^  beihin  gesagt,  von  keinem  Menschen,  auch  nicht  vom  Solda- 
ten, fordere,)  wohl  aber,  dass  im  Zweifel  überall  der  Direktor 
entscheide  (auch  über  die  Zutheilung  der  Sträflinge  zu  der  einen 
oder  andern  Beschäftigung)  —  selbstverständlich  mit  Ausnahme 
solcher  Fragen,  worüber  ausdrücklich  der  Gesammtvorstand  durch 
Beschluss  zu  entscheiden  berufen  sein  sollte.  Wozu  also  jenes, 
ohnehin  auf  Kosten  seiner  eigenen  Stellung  betriebenes.  Beschönigen 
der  von  mir  gerügten  Unwürdigkeiten ?  und  wozu  auf  Den,  der 
diese  rügt,  den  Schein  werfen,  als  ob  er  damit  dem  Direktor  noch 
»die  ganze  Last  des  materiellen  Theils  der  Verwaltung  aufladen 
wolle«?!  —  Nach  dem  Allen  wird  Ekert  es  sich  nur  selbst  zu- 
zuschreiben haben  wenn  Dritte  sein  ganzes  überaus  befremdendes 
Auftreten  in  dieser  Sache,  die  unbedingte  Gesammtbürgschaft  mit 
seinen  Amtsgenossen  und  seinem  hohen  Vorgesetzten,  die  er  zur 
Schau  trägt,  sein  unbedingtes  Gutheissen  alles  Dessen,  was  ich  und 
sein  Amtsvorgänger  (mit  Zustimmung  übrigens  einiger  der  höchst- 
stehenden Männer  des  Landes)  missbilligt  haben  —  nur  daraus 
zu  erklären  wissen  werden,  dass  die  Übeln  bispirationen ,  die  zum 
Erstaunen  so  vieler  von  ihren  Regierungen  nach  Bruchsal  und 
Karlsruhe  gesandten  Ausländer  Jahre  lang  von  letzterem  Orte  ans- 


BUlUr  fBr  GcOnsBlnkiuia«.  M) 

gegangen  sind,  noch  immer  nicht  ganz  fortzuwirken  aufge- 
hört haben. 

Die  überaus  glänzenden,  früher  nie  erreichten  Zustände  und  Er- 
gebnisse des  Bruchsaler  ZeÜengefilngnisses  schreibt  Ekert  (ü,  8) 
»entschieden  allein  zweien  Faktoren  zu:  der  weisen  Sorgsamkeit 
unsrer  Grossh.  Staatsregierung  und  dem  einmüthigen  Zusammen- 
wirken der  Haasbeamten.  €  Da  indess  der  honoris  causa  an  die 
Spitze  gestellte  erste  Faktor  doch  wohl  nicht  erst  seit  dem  Dienst- 
antritt des  jetzigen  Direktors  des  ZellengefUngnisses,  auch  nicht  des 
jetzigen  Justizministers  (also  seit  der  »neuen  Aera«),  sondern 
jedenfalls  schon  des  jetzigen  Bespizienten  des  Gefängnisswesens 
wirksam  ist,  da  überdiess  auch  die  Herrn  Gutsch  und  Bauer 
schon  lange  vorher  am  Hause  angesteUt  waren  ^  so  folgt  unwider- 
sprechlich,  dass  das  ganze  Verdienst  doch,  nach  EkerVs  Meinung, 
im  Grunde  nur  dem  zweiten  Faktor  beizumessen  ist:  »dem  ein- 
müthigen Zusammenwirken  der  Hausbeamtenc,  und  zwar,  wie  bei- 
gefügt hatte  werden  sollen:  im  Sinn  des  Bespizienten. 

Dass  die  vormaligen  steten  Kämpfe  der  Hausbeamten  unter 
sich  und  des  Vorstandes  mit  dem  Bespizienten  für  das  Gedeihen 
der  Anstalt  nicht  erspriesslich  sein  konnten,  versteht  sich  von  selbst. 
Mit  Füesslin's  Abgang  sollen  namentlich  die  früheren  unauf- 
hfirlichen,  ebenso  kleinlichen  als  hemmenden  büreaukratischen  Ein- 
mischungen von  Oben  aufgehört  haben.  Sogar  halbamtlich  ist  in 
der  »allgemeinen  Zeitung«  versichert  worden:  »Vieles,  was  seiner 
Zeit  Füesslin  erstrebt,  sei  nun  erreicht  worden. €  Unstreitig  ist 
Vieles,  vollends  seit  1860,  wie  überhaupt  im  Lande,  so  auch  im 
Geflüignisswesen  besser  geworden;  und  man  hat  darin  ohne  Frage 
ein  unabweislich  gewordenes  nicht  zu  verachtendes  Zuge- 
standniss  des  hier  wie  überall  engherzigen  Büreaukratismus  an  den 
Geist  der  Zeit  und  die  Wahrheit  anzuerkennen;  denn,  dass  echte 
Büreaukraten  nie  Etwas  danach  fragen:  ob  die  öffentliche  Meinung 
für  oder  gegen  sie  ist,  daran  werden  wir  rechtzeitig  von  Ekert 
erinnert  (11,8).  Der  nicht  von  ihm  erwähnte  Hauptfaktor  aller 
der  von  ihm  gerühmten  Fortschritte  lag  aber  doch,  beim  Licht 
betrachtet,  nur  in  der  lauten  Missbilligung  mancher  offenkundigen 
Missstände  durch  die  öffentliche  Stimme  *),  nächstdem  in  dem  Auf- 
hören der  alten  Gemeinschaftzuchthäuser  und  mit  ihm  der  höchst 
unverständigen  früheren  Versetzung  der  Züchtlinge  bald  hierhin 
bald  dorthin,  femer  in  der  seltner  gewordenen  Zuerkennung  oder 


*)  Deren  Einfluss  wird  nur  von  Bauer  (II,  Ö8)  gelegentlich  efamisl 
•UigMliunt,  indem  er  In  Bezug  sof  die  allgemeine  MiasbÜllgung  seiner  Drileh«- 
hoftenfsbrlkatlon  bemerkt:  die  ElnfOhmog  feinerer  Arbeiten  wfirde  er  i«iir 
bcArwortea  „dem  vielfaoh  sosgeeprochenen  Verlangen  entsprechend  und  um 
den  In  der  Prcsae  hartnäckig  fortgesetsten  Vorwürfen  su  entgehen.**  Sollte 
es  dam  kommen,  so  wird  vlelleioht  auch  su  hoffen  sein,  dass  nicht  dieFa- 
biik^km  der  PackUsten  und  Paekfässer  die  der  geliebten  DrfloUioeen  zu 


894  BiSKtttr  flif  GefSD^faudmidtf. 

doth  Volhiehimg  von  richierKchen  Strafschfirftingen,  wenigstens  Ton 
empörend  hohen,  obwohl  die  »weise  Sorgsamkei«  unsrerBegienmg 
noch  immer  nicht  darauf  Bedacht  genommen  hat,  dass  man  nicht 
femer  im  Aaslande  die  Achseln  zucke  ttber  den  Fortbestand  dieser  zeit- 
widriges  Quälereien,  die  auch  £k er  t  als  »ausgemacht  schädlich  und 
der  Einzelhaft  geradezu  widersprechend«  betrachtet  und  wozu  bisher 
noch  immer  etwa  ein  Viertheil  aller  Eingelieferten  rerurtheilt  war, 
und  demnächst,  wie  es  nach  Ekert  die  »Natur  der  Sache«  mit  siah 
bringt  (IE,  20),  seitdem  auch  die  Arbeithaussträflinge  in*s  Zelleti^ 
gefängniss  übergezogen  sind,  noch  häufiger  yerurtheilt  und  durch 
»öfteres  und  strengeres  Einschreiten«  yon  Seiten  der  HausrerwaN 
tung  redlich  nachgeholfen  werden  wird,  —  eine  jedenfalls  för  den 
guten  Erfolg  der Zellenhaffc  höchst  erbauliche  Aussicht!  — 
Nimmermehr  kann  es  genttgen,  dass  man  diese  Schärfongen  einst- 
weilen, bis  zu  30  Tagen  im  Jahr,  beschränkt,  überhaupt  ein  Wenig 
gemildert  hat  durch  Aufbesserung  auch  der  Hungerkost  und  Be- 
seitigung der  alten  Thurmkerker  flir  die  Dunkelhaffc.  Sicher  wird 
eine  neue  Aera  für  die  Einzelhaft  in  Baden  —  wo  noch  keines- 
wegs allerseits  soviel  Licht  herrscht  wie  manche  Wohldiener  es 
behaupten  —  erst  dann  anbrechen,  wenn  alle,  auch  die  letzten 
Spuren  des  alten  schmählichen  Abschreckungsgeistes  dem  Licht  der 
Zeit  gewichen  sein  werden,  wenn  also  das  tresetz  nicht  ferner 
den  Bichtern  erlaubt^  durch  die  Zuerkennung  zu  bestimmten 
Zeiten  wiederkehrender  Misshandlungen  durch  Hunger  und  Finster- 
niss  die  gute  sittliche  Wirkung  der  Freiheitstrafe  auf  die  wider- 
sinnigste und  dabei  gesundheitwidrigste  Weise  zu  kreuzen,  erst  damx, 
wenn  auch  keine  Bede  mehr  sein  wird  Ton  Ketten  und  dem  Marter- 
werkzeug des  Strafstuhls,  das  Ekert  freilich  noch,  aus  ähnlichen 
s.  g.  »praktischen«  Gründen*^),  in  Schutz  nimmt,  wie  Andere  das 
Prügeln,  die  Lattenkammer  oder  das  ErummschUessen,  wenn  end- 
lich alle  diese  höchst  absonderlichen  Ausgeburten  der  »Gereohtig- 
keit«!  wie  Modderman**)  es  ausdrückt,  »in's  Grab  der  allge- 
meinen Verachtung  gesunken«  sein  werden. 

Man  kann  sehr  weit  entfernt  sein  zu  erwarten  oder  gar  zu 
verlangen,  dase  von  heute  auf  morgen  Gesetzgeber,  Biehter  oder 
Strafanstaltbeamte  sich  von  allen  altgewöhnten  Vorstellungen, 
allen  üblichen  hohlen,  aber  tönenden,  unbestimmten  Worten  und 
Bedensarten  lossagen  sollten;  denn  der  Lauf  der  Welt  bringt  es 
mit  sich,  dass  der  Wahrheit  und  dem  Becht  im  Leben  nur  sehr 
allmählich  in  Gestalt  kleiner  Abschlagzahlungen  die  Ehre  gegeben 
wird»  weil  entweder   die  volle   Einsicht  und  Folgerichtigkeit  des 


*)  Der  alte  Krlmlnalpraktiker  Klein  war  bektfmtilch  überhaupt  der 
Meimmg,  daee  man  dem  inneren  Meneeben  nur  dnroh  dne  medium  der  Haut 
beBcommen  könne,  und  Siinlicher  Meinung  sind  die  Junker  noch  beute,  vor- 
amgesettt  natllrlieb^  dass  nur  von  einem  plebejisehen  Fell  die  Rede  ist,  dae 
man*  selBetvervtandHch  ed  libiifinn  gerben  oder  über  die  Obren  tfeben  darf. 
••)  8.  Heidelb.  Jabrbb.  1866.  Nr.  2. 


Blttter  fOr  GeflngniBakimde.  886 

Denkens  noch  felilen  oder  andre  inneren  nnd  ftnsseren  Hindemisse 
noch  zur  Zeit  nicht  überwanden  werden  kOnnen ;  man  kann  dämm 
zwar  dem  redlichen  Willen  aller  Derer  alle  Anerkennung  zollen,  die 
zur  Zeit  noch  auf  dem  Standpunkt  der  Grundsatz-  und  Ueber- 
zeugungslosigkeit,  und  demzufolge  der  Halbheit  und  des  Schwankens 
stehen,  auch  wenn  man  selbst,  wie  der  Unterzeichnete,  zu  tiefen 
üeberzeugungen  Ober  Recht,  Staat  und  Strafe  gelangt  ist,  und  wenn 
man  die  Yolle  und  ganze  Einzelhaft  ebendesshalb  fordert,  weil  man 
die  Verderblichkeit  aller  Gesammthafb  erkannt  hat.  unmöglich 
kann  man  aber,  wenn  man  das  Recht  und  die  Einzelhaft  will,  zu- 
gleich das  unrecht  und  die  Gesammthafb  wollen  und  dulden 
wollen  —  d.  h.  auch  sie  vortrefflich  finden  und  den  Kampf  gegen 
sie  aufgeben  —  es  sei  denn,  dass  man  im  Grunde  selbst  nicht 
weiss  Was  man  will,  so  aber  in  der  glttcklichen  Lage  ist,  auch 
das  Entgegengesetzteste  preisen  und  es  Allen  recht  machen  zu 
kSnnen«  Der  Unterzeichnete  wird  seinen  Grunds&tzen  und  Üeber- 
zeugungen und  ihrer  Geltendmachung  im  Leben,  nach  wie  vor,  nie 
auch  nur  eines  Haares  Breite  vergeben  —  unter  keinen  UmstSnden 
und  aus  keinerlei  Rücksichten,  so  gut  er  auch  begreift,  dass  es 
Leute  gibt,  die  eine  solche  »Intoleranz«  nicht  begreifen. 

Nach  £kert*s  Ansicht  ist  jede  Strafe,  auch  die  Einzelhaft, 
und  muss  sie  immer  sein,  ein  äusseres  Uebel,  das  wir  zuer- 
mitteln haben  auf  dem  Wege  der  Gerechtigkeitstheorie  (obwohl 
weder  er  noch  irgend  Jemand  sonst  bis  jetzt  uns  über  das  Wie 
den  erforderlichen  Aufschluss  hat  geben  können*).  Die  Grundlosig- 
keit jener  Behauptung  glaube  ich  längst  bewiesen  zu  haben  auf  eine 
Weise,  die  jedenfalls,  wie  aus  Nr.  2  dieser  Jahrbücher  erhellt,  sich 
der  Anerkennung  in  immer  weiteren  Kreisen  zu  erfreuen  hat,  und 
die  ich,  wie  auch  Ekert  einsehen  wird,  durch  blosse  Wieder- 
holungen der  entgegenstehenden  Behauptung,  die  auf  meine  Gründe 
gar  nicht  eingehen,  natürlich  ebensowenig  für  widerlegt  halten 
kann  wie  durch  Berufung  auf  ein  Juristentagsheer  von  dritthalb- 
tausend  Mann,  das  nach  Ekert 's  Meinung  noch,  wie  er  es  von 
sich  selbst  sagt,  ganz  >in  den  Ansichten  der  Schule  befangen  ist«, 
oder  aber  durch  Berufung  auf  Hye,  der,  offenbar  in  Erwägung 
ebendieser  Ansichten  der  Menge,  den  Ton  auf  das  Uebel  in  der 
Strafe  legt,  obendrein  nur  insofern  als  es  ihm  nöthig  scheint, 
uih  einem  aus  übel  angebrachter  Empfindsamkeit  stammenden 
(übrigens  in  der  Wirklichkeit  doch  wohl  verzweifelt  seltnen) 
»Hätscheln«  der  Sträflinge  entgegenzutreten,  aber  gewiss  nicht  um 
die  wesentliche  Beziehung  aller  rechtlichen  Straf  mittel  auf  einen 
vernünftigen  sittlichen  Zweck  auszuschliessen  und  das  Zwin- 
gen als  Selbstzweck  hinzustellen,  wo  nicht  gar  die  Leidenszu- 
fügung!  — 


*)  Sogar  CbrlBtiansen  („über   Qnalität  und  Quanttat  der  Strafe'' 
1865)  geBtoht  DIms  unumwunden  sn« 


886  Bl&tter  ffir  Gef&ngnlsakiinde. 

Dass^aber  Ekert*s  Praxis  doch  besser  sein  mag  als^seine 
Theorie,  wird  schon  dadurch  wahrscheinlich,  dass  er,  obgleich  die 
badischen  Gesetzgeber  —  schwerlich  wiederum  aus  »Weisheit«  — 
einige  Bohheiten  aus  der  Abschreckungszeit  noch  immer  nicht  aus- 
gemärzt  haben,  sich  doch  schon  erlaubt,  wenigstens  an  der  Zweck- 
mässigkeit der  Strafschärfungen  zu  zweifeln  (II,  20).  Je  weniger 
ich  ihn  und  seine  Mitbeamten  tadle,  wenn  sie  das  bestehende  Ge- 
setz als  ihre  höchste  und  einzige  Richtschnur  betrachten,  oder  gar 
sie  zu  dem  Gegentheil  verleiten  will,  desto  nothwendiger  war  es 
für  mich,  die  Mangelhaftigkeit  des  Gesetzes  selbst  und  dessen  Mit- 
schuld an  so  manchen  Misserfolgen  der  Einzelhaft  in  Baden  her- 
vorzuheben. Doch  glaube  ich  gezeigt  zu  haben  und  zweifle,  dass 
es  Ekert  wirklich  entgangen  sein  sollte,  dass  eine  weit  richtigere 
und  würdigere  Auffassung  der  Strafe  als  wie  sie  noch  in  nnserm 
Strafgesetzbuch  waltet,  bereits  in  dem  Gesetz  über  die  Einzelhaft 
vorherrscht,  üebrigens  hatte  Jagemann,  mit  dem  ich  manch- 
fach  verkehrt  und  zwei  Ge&ngnisskongresse  besucht  habe,  die  Ein- 
zelhaft ganz  ebenso  wie  ich  überwiegend  als  Vehikel  der  Besserung 
aufgefasst  —  obwohl  ihm  damals  der  Muth  noch  fehlte  sich  druck- 
schriftlich offen  dazu  zu  bekennen  —  und  er  wollte  sie  in  diesem 
Sinn  vollzogen  wissen,  wie  auch  Füesslin  es  bestätigen  wird. 

Für  etwas  »Nothwendiges«  halte  auch  ich  eine  G^sammtbe- 
hörde  an  der  Spitze  des  Gef^ngnisswesens  und  aller  übrigen  Wohl- 
thätigkeitanstalten  des  Staats  keineswegs,  da  ich  an  D  u  c  p  ö  t  i  a  u  x' 
Beispiel  gesehen  habe,  Was  auch  ein  einziger  inspecteur  gön^ral 
des  prisons  et  des  Etablissements  de  bienfaisance  leisten  kann. 
Immerhin  wird  aber  durch  eine  solche  Behörde  und  ihre  selbst- 
verständliche Stellung  unter  dem  Ministerium  des  Innern  derzeit 
weit  eher  einer  verhängnissvoUen  Einseitigkeit  vorgebeugt  werden 
als  wenn  die  Oberleitung  des  Gefängnisswesens  für  sich  allein 
—  wie  Diess  idealiter  freilich  das  Bichtigere  wäre  —  unter  dem 
Justizministerium  steht. 

Ekert  selbst  musste  zwar  einräumen.  Was  ich  getadelt:  dass 
im  Yerordnungswege  die  durch  das  Gesetz  von  1845  vorge- 
schriebene Zahl  der  jedem  Zellengefangenen  zu  machenden  Besuche 
beschnitten  worden  sei ;  dennoch  gibt  er  sich  die  Miene  mich  wider- 
legt zu  haben,  weil  — •  dieses  Beschneiden  schon  1857  geschehen 
sei,  und  nicht,  wie  ich  »glauben  machen  wolle c  (I)  »neuerlich.« 
Mir  ist  es  jedoch  nie  eingefallen,  den  Ton  auf  die  Zeit  desEr- 
lassens  jener  willkürlichen  Verordnxmg  zu  legen,  obwohl  es,  je 
länger  diese  bereits  ihre  üble  Wirkung  übt,  um  so  schlimmer  ist. 

(Bchluss  folgt) 


Ir.  22.  UEIDELBEKGEE  1865. 

JAMBÜCIIER  DER  LITERATUR. 

Blätter  für  öefängnissknnde. 


(SchloBs.) 

Das  geringste  Nachdenken  lehrt  aber,  dass  diese  Verordnung 
einen  schweren  Missgriff  nnd  zugleich  Eingriff  in  das  Gesetz  ent- 
hAlt;  denn  dieses  wollte  jedem  Zellengefangenen  möglichst  viele 
Besuche  sichern;  seit  jener  Verordnung  aber  brauchen  Dieselben, 
selbst  wenn  —  wie  es  während  Jahren  der  Fall  war  —  das 
Haus  kaum  halb  besetzt  ist,  doch  immer  nur  gleich  selten,  z.  6. 
vom  Verwalter  nur  einmal  monatlich,  besucht  zu  werden!  —  Die 
jetzige  Beseitigung  der  gemeinschaftlichen  Säle  und  Errichtung  einer 
Halfstrafanstalt  enthält  jedenfalls  einen  Schritt  der  thätlichen  An- 
erkennung, dass  »unsre  Befürchtungen  in  Betreff  der  gemeinschaft- 
lichen Säle«  keineswegs  »unnütz«  (111,13)  waren;  räthselhafb  aber 
ist  es,  wie  Ekert  als  Zeugniss  hierfür  und  zu  Gunsten  des 
Gesetzes,  das  den  Zellensträilingen  nach  6  Jahren  unverstän- 
diger Weise  die  Wahl  gelassen  hatte  zwischen  fernerer  Zellen- 
oder Gesammthaft,  auch  den  Umstand  geltend  machen  will,  dass  die 
Mehrzahl  dieser  Sträflinge  verständiger  Weise  sich  für  das 
Bleiben  auf  der  Zelle  entscheidet  und  dadurch  den  Fehler  des  Ge- 
setzes unschädlich  macht.  Dass  auch  Ekert  für  die  späteren  Jahre 
eine  Abkürzung  in  stärkerem  Verhältniss  für  nöthig  hält  —  obwohl 
nur  wegen  der  dann  vermeintlich  grösseren  Härte  —  kann  mir 
nur  lieb  sein;  ebenso,  dass  auch  meine  Bemerkungen  über  die 
Polizeiaufsicht  und  die  polizeiliche  Bewahranstalt  bei  ihm  nur  eine 
in  der  Hauptsache  zustimmende  Entgegnung  gefunden  haben.  Auch 
in  Hinsicht  der  gewerblichen  Ausbildung  der  Sträflinge,  ihres  An- 
theils  am  Arbeitlohn  und  ihrer  Nebenarbeitien  weicht  er  im  Wesent- 
lichen nicht  von  mir  ab  (III,  18 ff.);  es  ist  daher  nicht  abzusehen, 
wie  er  dazu  kömmt  —  Was  ich  nur  von  Seiten  Bauer* s  ganz 
natürlich  gefunden  haben  würde  —  mir  den  Vorschlag  unterzu- 
schieben (in,  20):  »dass  man  der  finanziellen  Seite  des  Gewerb- 
betriebs gar  keine  Aufmerksamkeit  schenken  solle«  etc.  und 
darauf  hin  mir  die  Verantwortung  zuzuschieben  wenn  etwa  den 
Begierungen  die  Einzelhaft  gründlich  verleidet  werde!  —  Wenn 
er  hingegen  für  sich  und  die  Hausgeistlichen  die  Verantwortung 
für  das  Zurückhalten  Geisteskranker  in  der  Strafanstalt  durch 
den  Hausarzt  mit  übernimmt,  so  ist  Das  seine  Sache;  mir 
war  demnach  (obwohl  von  glaubwürdiger  Seite)  mit  Unrecht 
das  Gegentheil   hiervon,   sowie    überhaupt   von   der   vollständigen 

Vm.  Jahrg.  5.  HefL  22 


888  Blätter  fttr  G^fftngnitBlniBde. 

preiswürdigen  üebereinstimmang  sämmtlicher  Beamten  des  Hanges, 
yersichert  worden.  War  der  anf  die  Zelle  gebrachte  Fallsftchtige 
in  der  That  »nur  anf  der  Zelle  zu  bemeistem«  und  zugleich  &ir 
genügende  Aufsicht  gesorgt,  so  verschwindet  das  Auffallende, 
was  ich,  sowie  der  zur  Prüfung  der  Gesundheitverhftltnisse  der  An- 
stalt beauftragte  Arzt,  darin  gefunden.  Anerkennung  verdient  die 
Verbesserung  der  Kost,  die  Einführung  von  Sonntagkleidem ,  die 
beabsichtigte  Verbesserung  der  Badeinrichtung  —  deren  Werth  nicht 
zu  unterschätzen  ist.  Als  Grund  dafür,  dass  es  für  das  Badwesen 
eines  besondem  sachkundigen  Aufsehers  bedürfe,  ist  mir  z.  B.  in 
Halle  (wo  ich  eine  verhftltnissmässig  gute  Badanstalt  &nd)  die 
Erfahrung  angegeben  worden,  dass  sonst  leicht  durch  Unverstand 
gelUhrlicher  Missbrandi  vorkomme,  üeber  die  frühere  mehr  wie 
planlose  Art  deac  Bevölkerung  des  Zellengefängnisees  und  die  dar- 
aus so  klar  hervorgehende  völlige  Misskennuug  des  Wesens  und 
Unterschieds  der  Einzelhaft  und  der  Oesammthaft  ist  nach  den 
vorliegenden  unbestreitbaren  Thatsachen*)  jedes  weitere  Wort  unnütz, 
und  Ekert  hatte  am  Besten  gethan  darüber  ebenso  zu  schweigen, 
wie  er  über  die  Späherei  mittels  der  den  Hausbeamten  vorge- 
schriebenen Tagebücher  u.  A.  m.  weislich  geschwiegen  hat.  Es 
würde  übrigens  gewiss  leicht,  wo  nicht  gar  durch  die  schuldigen 
Bücksichten  für  einen  hohen  Vorgesetzten  oder  vielmehr  fOr  die 
»Weisheit  der  hohen  Qrossh.  Staatsrogierung«,  der  wir  ohne  Frage 
auch  diese  Einrichtung  verdanken,  geboten  gewesen  sein  die  Preis- 
würdigkeit derselben  schlagend  darzuthun  —  etwa  durch  Bezugs 
nähme  auf  die  Thatsache  des  dadordi  in  keiner  Weise  gestör- 
ten besten  Einvernehmens  sämmtlicher  Hausbeamten  I  Der  Unter- 
zeichnete glaubte  darin,  gleich  den  holländischen  Begierungskom- 
missaren  u.  A.,  etwas  Unwürdiges,  gegenseitiges  Misstrauen  Näh- 
^^endes  imd  vollends  das  Ansehen  des  Vorstands,  sofern  diese  Ti^- 
bücher  hinter  seinem  Bücken  an  die  Begierung  eingesandt  werden 
dürfen,  Untergrabendes  zu  erblicken.  Bauer,  der  durch  pflicht- 
schuldige Belobung  der  Einrichtung  das  von  Ekert  Versäumte 
nach  Kräften  gutgemadit  hat  (HI,  48 f.)  wusste  natürlich  hier- 
gegen Nichts  vorzubringen. 

In  Betiieff  des  Hausarzts ,  Dr.  Gut  seh,  darf  idi  nicht  nntei^ 
lassen  Folgendes  zu  bemerken.  Derselbe  machte  auf  mich  einen 
ähnlichen  Eincbmck  wie  auf  viele  Andere,  auch  unter  den  nach 
Bruchsal  gesandten  Beanfbragten  fremder  Regierungen**).  Es  war 
mir  daher  sehr  lieb,  dass  ich  durch  das  Nichteintreten  in  nähere 
persönlichen  Beziehungen  £u  ihm  um  so  weniger  ssu  verlieren 
fürchten  dusfke  «Is  ja  sein  frftiierer  Direktor  ebenfalls  Arzt,  ja  sogar 
einige  Jahre  lang  Arzt  an  demselben  ZeUengefilngniss  war.     Dass 


*)  Vgl.  FUeBslln'B  Kachweifungen  in  seiner  Schrift:    Die  neuesten 
Vemnglimpfüngeii  der  Einselhafi,  8.  67—72. 
**)  Vgl  X.  B.  Zsbn's  Reisebericht. 


Btttter  für  GeAngnlBaknnde.  889 

ich  mich  nielit  in  jenem  Mann  geirrt  hatte,  ward  mir  vollends 
klar,  als  ich  die  ftlr  einen  Arzt  gewiss  beispiellose,  gewisserraassen 
burschikos-terroristische,  Sprache  in  seinen  Berichten  über  einzele 
Fälle  geistiger  Störung  Gefangener  kennen  gelernt  hatte,  —  eine 
Sprache,  zu  deren  Würdigung  man  weder,  wie  Bauer  will  (IT,  48), 
selbst  Arzt  zu  sein,  auch  nicht,  wie  ich,  seit  Jahrzehnten  mit 
psychologischen  Studien  sich  befasst,  sondern  nur  einiges  mensch- 
liehe G^e^hl  zu  haben  braucht,  —  als  ich  endlich  bekannt  ward 
mit  den  ürtheilen  der  Illenauer  Irrenärzte  über  ebendiese  Fälle, 
(worüber  seitdem  Boller*)  sein  Gutachten  in  einer  Weise  abge- 
geben hat,  die  mit  meiner  Ueberzeugung  vollständig  übereinstimmt,) 
sowie  über  den  »psychiatrischen Standpunkt«  des  Herrn  Gutsch, 
und  ab  mir  unter  den  unheilbaren  Geisteskranken  in  Pforzheim 
Einige  gezeigt  wurden,  die  —  vielleicht  nicht  dort  gewesen  sein 
würden,  wenn  sie  rechtzeitig  aus  der  Straf-  in  die  Irrenanstalt 
versetzt,  somit  seinen  Experimenten  —  oder,  wie  er  sagt,  seiner 
»ezspektativen  Methode«  —  entzogen  worden  wären.  Die  Ober- 
beh5rde  hatte  freilich  auch  in  dieser  Frage  —  ob  aus  Gründen  des 
Rechts  und  Strafrechts  oder  der  Heilkunde  t  bleibt  dem  Scharfsinn 
des  Lesers  zu  errathen  —  für  den  Hausarzt  gegen  die  Ansicht 
des  damaligen  Direktors  und  der  Irrenärzte  des  Landes  entschie- 
den; ebenso  der  vor  anderthalb  Jahren  nach  Bruchsal  gesandte 
ärztliche  üntersuchnngsbevoUmächtigte ,  dessen  amtlichen  Bericht 
das  badische  Zentralblatt  wiedergegeben  hat  und  dessen  Mitthei- 
hmgen  in  unsrer  Schrift  »Besserungstrafe  etc.«  benützt  worden 
sind.**) 

Dass  das  Versäumen  rechtzeitiger  Verbringung  Irrgewordener 
in  die  Irrenanstalt,  was  man  bei  St.  Jakob  und  Dreibergen  als 
einen  schweren  Fehler  getadelt  hat,  für  Bruchsal  das  Richtige  ge- 
wesen sein  sollte,  davon  hat  nicht  bloss  mich  weder  Gutsch 
noch  der  erwähnte,  lediglich  seinen  Angaben  folgende,  ärztliche 
Untersuchungsbericht  überzeugt.  Niemand  zweifelt  zwar  an  der 
grossen  Gefährlichkeit  mancher  Irren;  dass  Dieselben  aber  »nicht 
nur  obgleich,  sondern  weil  sie  irre  geworden  sind,  nach  wie 
vor  gefährliche  Verbrecher  bleiben«,  ist  eine  jedenfalls  ungereimte 


•)  In  Lähr's  Zeitschrift  für  Psychiatrie,  20.  Bd.  8.  195£P. 
**)  leb  ergreife  diese  Gelegenheit,  um  eines  VerseheiiB  xn  gedenken,  das 
bei  den  fOr  mieh  gefertigten  Aussügen  aus  dem  ZentralbUtt  untergelaufen 
ist  und  das  von  Gutsch  in  hohem  Ton  gerügt,  aber  ebensowenig  wie  von 
Ekert  —  durch  Mittheüung  der  Gesammtiahl  der  binnen  16  Jahren  in  das 
Brachsaler  ZellengefAngniss  Aufgenommenen  —  verbessert,  mithin  als  weni- 
ger bedeutend  behandelt  wird  als  es  mir  selbst  erscheint.  Jene  Gesammt- 
aahl  konnte  Ireüloh  durch  Zasammenzfthlung  der  GesammtbevOlkerung  des 
Hauses  während  jedes  der  15  Jahre  seines  Bestandes  nur  durch  eine  von 
mir  übersehene  grobe  Missdeutung  heraussubringen  versucht  werden.  Dass 
Indess  die  so  herausgebrachte  irrige  Zahl  7196  von  mir  irgend  welchen  ^Be- 
hauptungen tarn  Grunde  gelegt  worden  eel^,  ist  eine  müssige  Erfindung 


840  Blätter  fQr  Gef&ngnbskunde. 

Behauptung  (ü,  89),  abgesehen  davon,  dass  dadurch  die  ganze 
heutige,  allerdings  mehr  wie  schwache,  Zurechnungslehre  *)  geradezu 
auf  den  Kopf  gestellt  wird.  Kann  man  auch  zugeben,  dass  be- 
sondere Einrichtungen  getroffen  werden  sollten,  die  die  Mitte  halten 
zwischen  Straf-  und  Irrenanstalten,  so  muss  man  doch  dann  und 
überhaupt  auf  alle  Fälle  einen  psychiatrisch  tüchtig  gebildeten 
Arzt  als  erstwichtiges  der  »Hülfmittel  zur  Pflege  geistig  Er- 
krankter« verlangen,  wie  ich  bereits  früher**)  bemerkt  habe.  Ich 
fühle  mich  nicht  berufen,  Boller  in  Beantwortung  der  psychia- 
trischen Ausführungen  Qutsch*s  vorzugreifen;  nur  kann  ich  nicht 
umhin,  wenn  Letzterer  erklärt,  »dass  er  wahrlich  nicht  wüsste, 
welches  Verbrechen  er  nicht  als  verabscheuenswürdig  zu  bezeich- 
nen hätte«,  die  damit  zur  Schau  getragene  sittliche  Feinfühligkeit 
und  UDvergleichliche  Loyalität  eines  Mannes  zu  bewundem,  der 
noch  kurz  vorher  (II,  87)  ganz  denselben  höhnischen  Ton  einer 
rohen  Abschreckerei  anstimmt,  der  uns  in  seinen  erwähnten  Be- 
richten über  einzele  geistig  gestörten  Sträflinge  so  überaus  widrig 
berührt  hat,  eines  Mannes,  der  ohne  Zweifel,  neben  weniger  acht- 
baren, doch  auch  einen  oder  den  andern  achtbaren  politischen  Ver- 
brecher kennen  gelernt  hat!  —  Dass  übrigens  auf  die  lange  Fest- 
haltung politischer  Verbrecher,  ungeachtet  sie  geisteskrank  gewor- 
den sind,  in  Strafanstalten  nicht  immer  der  Geist  der  Rache  ohne 
Einfluss  geblieben  ist,  davon  habe  ich  unter  andern  auch  aus  einer 
pi'eussischen  Strafanstalt  1856  die  üeberzeugung  mitgenommen. 
Die  Veröffentlichung  der  fraglichen  Berichte  des  Hausarzts  würde 
wohl  das  einfachste  und  sicherste  Mittel  sein,  um  unbefangenen 
Dritten  ein  eignes  ürtheil  über  dessen  inneren  Beruf  zur  Psychia- 
trie möglich  und  jeden  ferneren  Streit  darüber  unmöglich  zu  machen, 
zugleich  aber  klar  darzuthun,  ob  hier  ein  »quousque  tandem«  ge- 
rechtfertigt oder  »lächerlich«  ist.  Nicht  Wenige  halten  es  für  ein 
schweres  Unrecht  ♦♦♦),  wenn  in  solchen  Dingen  die  Staatsregierung 
nicht  durchgreift,  und  zwar  auf  eine  Weise,  die  auch  den  entfern- 
testen Verdacht  büreaukratisch-nepotistischer  Parteilichkeit  aus- 
schliesst. 

Sehr  auffallend  ist  es,  dass  (ü,  83  u.  100)  nur  bis  1857  auch 
die  nach  der  Entlassung  erfolgten  Todesfälle  in  Rechnung  ge- 
bracht sind,  während  für  die  ganze  Zeit  seit  1857  »die  nöthigen 
Erkundigungen  noch  nicht  eingezogen  waren.«  Daraus  folgt,  dass 
jeder  Vergleich  der  vor  und  nach  1857  eingetretenen  SterbfUlle 
völlig  unstatthaft  ist,  indem  jeder  Vergleichungspunkt  fehlt. 
Das   Prunken  des   Hausarzts   mit   der   späteren   geringen   »auf  so 


*)  Vgl.  meine  „Grundzüge  des  NAturrechts.'^  2.  Auflage,  n,  8.  U8ff. 
**)  „BeBBemngstnife  und  BeasernngstrafansUlten  als  Rechts forderuDg" 
8.  185. 

*«*)  Zum  Beleg  sei  hier  nur  auf  die  Tübinger  „Zeitschrift  fUr  die  ge- 
sammte  StaatBWiBsenschaft"  1865.  Heft  1  u.  2.  8.  126  verwiesen. 


Blfttter  nsr  Crr&Dgnisskunde.  841 

ab^ieuerlicher  Gnindlage  gewonnenon«  Zahl  lässt  sich  mm  zwar 
begreifen,  da  es  ihm  galt  um  jeden  Preis  alle  »günstigeren  Ge- 
sammtverhältnisse  der  Anstalt,  auch  in  der  MortalitAt«  dreist  an 
den  Dienstwechsel  in  der  Direktion  zu  knüpfen;  dass  aber  sogar 
der  jetzige  Direktor  selbst  (II,  8)  in  einen  ähnlichen  Ton  fKllt, 
muss  ohne  Frage  gerechtes  Erstaunen  hervorrufen.  Wo  die  wahre 
Ursache  davon  zu  suchen  sei,  dass  in  der  That  Manches  —  trotz 
Alledem  —  im  Zellengeföngniss  zu  Bruchsal,  wie  überhaupt  im 
Geülngnisswesen  des  Landes,  besser  geworden  ist,  darüber  finden 
sich  bereits  oben  die  nOthigsten  Andentungen,  woraus  sich  zugleich 
zur  Genüge  die  in  ganz  verschiedenem  Sinn  und  Zusammenhang 
gethanen  Aeusserungen  erklären,  aus  denen  Gut  seh  den  mir 
(IT,  84)  untergeschobenen  Satz  zusammengeschweisst  hat. 

Was  den  Verwalter  Bauer  angeht^  so  habe  ich  dessen  Ge- 
schick in  Leitung  des  Arbeitbetriebs  im  Zellongeßlngniss  in  ge- 
werblicher und  kaufmännischer  Hinsicht  jederzeit,  auch  in  meinen 
Schriften*),  ausdrücklich  anerkannt,  wie  ich  dazu  durch  die  Er- 
folge und  meine  eignen  Wahrnehmungen  ein  Recht  zu  haben  glaubte, 
obgleich  ich  in  jenen  beiden  Hinsichten  besondere  Studien  nie  ge- 
macht habe.  Da  Dasselbe  indess  von  Bauer  gilt,  der  meines 
Wissens  weder  als  Weber,  noch  als  Schneider,  Schuster,  Schreiner 
etc.  oder  als  Kaufmann  je  auch  nur  in  der  Lehre  gewesen,  ge- 
schweige es  zur  Meisterschaft  gebracht  hat,  so  kannte  ich  ihn  ohn- 
gefähr  mit  gleich  viel  oder  gleich  wenig  Fug  des  Nichtverständ- 
nisses  und  der  Anmassung  des  ürtheils  in  diesen  Dingen  zeihen 
wie  er  mich.  Es  ist  mir  Diess  aber  ebensowenig  je  eingefallen 
als  dass  ich  einen  solchen,  sehr  brauchbaren,  Autodidakten  vom 
Zellengefängniss  »weggejagt«  wissen  wollte;  wohl  aber  halte  ich 
es  für  dringend  nöthig,  dass  ein  solcher,  ohnehin  wissenschaftlicher 
Bildung  sowie  des  Urthe]ls  in  Fragen  der  Gesetzgebung  und  des 
Rechts,  der  Psychologie  und  Pädagogik  entbehrender  Mann  einfach 
bei  seinem  Leisten  bleibe,  und  dass  seine  Vorgesetzten  ihn  vor 
Selbstüberhebung  und  jenen  einseitigen  Fehlrichtungen  bewahren, 
deren  höchstes  Ziel  das  Sparen  und  die  Steigerung  der  Einnahmen 
um  jeden  Preis  ist,  weit  entfernt  ihn  gar  noch  dazu  anzuspornen. 
Allein  während  Jahren  ist  hier  unstreitig  Vieles  versäumt  worden, 
was  die  höheren,  einzig  massgebenden,  Zwecke  der  Strafe  schlechter- 
dings fordern.  Dass  ich  mit  diesem  Manne  mich  femer  einlasse 
auf  die  Erörterung  dahin  einschlagender  und  ähnlicher  tieferen 
Fragen,  wird  wohl  Niemand  erwarten.  Auch  verlange  ich  ebenso- 
wenig ihn  zu  bekehren  als  irgend  einen  Andern,  dem  alle  wissen- 
schaftlichen Voraussetzungen  fehlen,  ohne  die  man  hier  nie  ein 
selbständiges  ürtheil  zu  gewinnen,  sondern  höchstens  Andern  nach- 
zusprechen im  Stande,  also  genöthigt  ist,    sich   an   die  herkömm- 


*)  Z.  B.  Btrafvollziig  8.  278  u.  806. 


843  Blätter  f!kr  Gefftngniaskiuide» 

lieben  hohlen  Redensarten  von  »Gerechtigkeit«  und  »Sühne«,  ao- 
wie  an  das  in's  Uebel  verlegte  Wesen  der  Strafe  zu  halten,  — 
Redensarten,  die,  wie  ich  hinreichend  nachgewiesen  zu  haben  glaube, 
keinen  festem  Halt  gewähren  als  der  Strohhalm,  nach  dem  ein 
Ertrinkender  greift,  um  sich  z\i  retten. 

Schon  die  von  Bauer  auf  der  Versammlung  zu  Bruchsal  auf- 
gestellten Streitsätze*),  sowie  seine  späteren  Erörterungen  über  die 
Gefängnissarbeiten,  sind  sichtlich  grossentheils  zunächst  gegen 
meine  Ausführungen  über  dieselbe  Frage ♦♦)  gerichtet,  und  inso- 
weit ist  für  Den,  der  diese  —  sei  es  auch  nur  die  §§.3—5  meiner 
einschlagenden  Abhandlung  —  gelesen  hat,  kaum  ein  Wort  weiter 
nöthig.  Namentlich  der  erste  jener  Sätze:  »Die  Beschäftigung  der 
Gefangenen  ist  zunächst  als  ein  Bestandtheil  der  Strafe  zu  be- 
trachten« —  sagt  entweder  nur  gerade  so  viel  oder  so  wenig 
als  etwa  der  Satz  sagen  würde :  Die  Kost  und  Kleidung  der  Ge- 
fangnen, oder  auch  die  Seelsorge,  der  (allgemeine,  religiöse  und 
gewerbliche)  Unterricht  etc.  ist  bei  ihnen  zunächst  als  ein  Be- 
standtheil der  Strafe  zu  betrachten  —  oder  er  mü8st.e  (wenn 
anders  Bauer  den  Muth  der  Folgerichtigkeit  hätte)  im  Namen  der 
Abschreckung  oder  doch  der  Sühne,  auf  die  dabei  Bezug 
genommen  wird,  soviel  sagen  sollen,  dass  noch  immer,  wie  vor 
Zeiten,  die  Arten  der  Arbeit  nach  ihrer  Härte,  Gesundheitwidrig- 
keit, Widerwärtigkeit,  also  z.  B.  öffentliche  Arbeiten  im  Galeeren- 
hof oder  in  der  Karre  (s.  g.  Kettenarbeiten)  oder  aber  Baspel- 
und  Spinnhausarbeiten,  das  Wesen  der  Strafe  ausmachen.  Da  je- 
doch Bauer  selbst  diese  Bohheiten  nicht  mehr  will,  so  sagt  in 
der  That  sein  Satz  gar  Nichts  und  würde  sicher  keine  Zustimmung 
gefunden  haben,  wenn  die  Zustimmenden  Zeit  gehabt  hätten  sich 
Diess  klar  zu  machen.  Wir  wollen  hier  über  diese  Frage  nur  noch 
Folgendes  bemerken.  Gewiss  können  Strafanstaltbeamte,  die  sich 
nicht  auf  ganz  äusserliche  Weise  mit  ihrem  Beruf  abfinden,  ihr 
volles  Genüge  nicht  darin  finden,  dass  sie  an  den  Sträflingen  mittels 
der  durch  das  Strafdrtheil  vorgeschriebenen  Einsperrung,  Arbeit 
u.  s.  f.  in  allen  Stücken  lediglich  auf  rein  mechanische 
Weise  verfahren,  d.  h.  bloss  einen  äusseren  Zwang  oder  Dnick 
auf  sie  üben,  ganz  unbekümmert  um  alle  höheren  Zwecke  und 
darum,  wie  dieses  Verfahren  auf  deren  Geist  und  Körper  wirken 
werde.  Sie  werden  vielmehr,  weit  entfernt  durch  solche  Aeusser- 
lichkeiten  das  Wesen  der  Strafe  erschöpft  zu  halten,  eingedenk 
sein,  dass  äussere  Freiheitbeschränkungen,  Gewalt  und  Zwang  bloss 
als  solche  ebensowohl  rechtmässig  als  unrechtmässig  sein  können 
und  dass,  ob  sie  Dieses  (d.  h.  wie  v.  d.  Brugghen  sagt:  ein 
blosses  Beoht  des   Stärkeren)  oder  Jenes  seien,    sich   nur  danach 


*)  Im  1.  Heft  der  Blätter  fOr  Gefängnisslnuide. 

**)  In  der  Schrift:    Der  Strafvollsog  im  GeiBt  des  Rechts.  9.  Ahhandl. 
S.  277-561. 


BI&M«r  fOT  GiOogBlMkiiBd«.  ftia 

beartheilea  UUsi,  ob  sie  als  Mittel  zar  ErreicbuBg  des  imBecht 
begrCbideteii ianeren  (psyehisch-pftdagogischen)  nächsten  Zwecks 
der  Strafe  gelten  können  oder  nicht.  Kein  vernünftiger  Mensch 
hat  swar  je  daran  gezweifelt,  dass  Alles,  was  an  sich  Recht  ist, 
geschehen,  dass  also  anch  in  der  Strafe  dem  Strilfling  unbedingt 
sein  Becht  widerfahren  mnss,  er  mag  Diess  wollen  und  wttnschen 
oder  nicht.  Aber  ebensowenig  ist  ein  Zweifel  daran  möglich,  dass 
es  höchst  wllnschenswerth  ist,  wenn  der  Sträfling  diese  Nothwen- 
digkeit  selbst  einsieht,  sich  freiwillig  darein  ergibt,  also  anch  von 
selbst,  gern  nnd  mit  Lust  seine  Arbeit  thnt,  anstatt  in  fortge- 
setzter Widerspänstigkeit  immer  nur  dem  Zwang  zu  weichen.  Was 
soll  nun,  fragt  man  mit  Fng,  wenn  Dem  so  ist,  das  nnanfhOr* 
liehe  Pochen  auf  den  Zwang  nnd  das  Geftlhl  des  Mfissens  als  das 
Wesentliche,  Charakteristische  der  Strafe  bedeuten?  Wie  kann  das 
Wesen  einer  Sache  in  Dem  bestehen,  von  welchem  alle  Welt, 
Yor  Allen-  der  StrafroUzugbeamte  selbst ,  lebhaft  wünschen  muss 
und  wünscht,  dass  es  fehle!  Wer  auch  nur  ein  Fünkchen  Logik 
im  Kopf  hat,  muss  begreifen,  dass  andern  Falls  die  Strafe  sofort 
aufhören  würde  Strafe  zu  sein,  mithin  verändert  werden  müsste, 
sobald  der  Sträfling  sich  bereitwillig  in  seine  Lage  fügt,  also 
nngetrieben  und  ungezwungen,  ja  freudig  sein  Tagwerk  verrichtet, 
überhaupt  mit  Dank  Alles  erkennt  was  der  Staat  mittels  der  Strafe 
an  ihm  selbst  für  sein  eignes  Bestes,  für  seine  ganze  Zukunft  thut 
und  gethan  hat,  wenn  der  Sträfling  somit  in  dem  Alien  den 
Schein  —  worauf  hin  er  darin,  solange  ihn  sein  verkehrter  Wahn 
bethört,  nur  ein  Uebel  empfindet -*  von  der  Wahrheit  scheiden 
gelernt  hat,  wonach  es  für  ihn,  wie  für  die  Qesellschaft,  eine 
Wohlthat  ist* 

In  demselben  Sinn  hat  sich  denn  anch  der  Vorstand  eines 
Gesammthafthauses,  Elvers*)  -—  der  mithin  nach  Bauer  auch 
zu  den  »Schwärmern«  und  »Fantasten«  (II,  47  etc.)  gehört  — 
sehr  treffend  ausgesprochen  über  »die  verhängnissvollen  Folgen  des 
unseligen  Gedankens  der  Zwangarbeit  (wie  der  frühere  englische 
Generalinspektor  Hill  sich  ausdrückt :  der  Verwandlung  in  »  Sklaven- 
arbeit«), der  aus  der  alten  rohen  Abschreckungstheorie  stamme 
u.  s.  f.«,  und  man  darf  wohl  überzeugt  sein,  dass  bei  näherer  Er- 
wägung aller  der  widerrechtlichen  und,  wie  vorhin  gezeigt  worden, 
sogar  geradezu  widersinnigen  Folgerungen,  zu  denen  man  sich  ge- 
drängt sieht,  sobald  man  den  anscheinend  harmlosen  Bäuerischen 
Satz  gntheisst  und  festhalten  will,  nur  eine  verschwindend  geringe 
Minderzahl  sich  für  denselben  erklären  würde. 

üeber  die  andern  Bäuerischen  Streitsätze  (I,  86),  und  Das 
was  daran  wahr  und  falsch  ist,  findet  sich  alles  Nöthige  bereits 


*)  In  Holteendorffs  Strsf^eebtszeitung.  1861.  S.  806  u.  806.  Schon 
1b  meiner  Schrift:  „Der  Strafvollzug'^  8.  805.  Anm.  hebe  ich  Diess  henror- 
gehebca. 


844  Bl&tter  fOr  OefAngDiaBkiinde. 

in  meiner  vorerwähnten  Abhandlung.  Hier  sei  nnr  bemerkt,  wie 
aus  dem  Satz:  dass  alle  Gefangenarbeit  wesentlich  Sklayenarbeit 
sei,  weiter  folgerichtig  (lit.  d  und  e)  abgeleitet  wird,  dass  auch 
in  Bezug  darauf,  d.  h.  auf  gewerbliche  Ausbildung  und  Arbeitlohn, 
die  Sklaven  rechtlos,  d.  h.  bloss  vom  Belieben  der  Verwaltung  und 
der  Gnade  des  Staats  abhängig  seien.  Völlig  folgewidrig  hat 
sich  aber  Bauer  durch  eine  richtige  Ahnung  zu  dem  Satz  c ,  der 
Zutheilung  zur  Arbeit  nur  nach  Massgabe  der  Individualität  und 
der  Gesundheit  will,  verleiten  lassen,  sowie  zu  dem  Satz  b,  wo- 
nach, wie  alle  Einrichtungen  der  Strafanstalt,  so  auch  die  Arbeit, 
möglichst  auf  Besserung  berechnet  sein  soll  (für  die 
ihm  sogar.  Was  freilich  ein  Irrthum  ist,  die  richtig  gewählte  Arbeit 
das  geeignetste  Mittel  zu  sein  scheint),  und  doch  —  kann  sich 
derselbe  Mann  nicht  denken  (1,53),  dass  jemals  in  der  Absicht, 
ihn  zu  bessern,  ein  Verbrecher  in  die  Strafanstalt  werde  geschickt 
werden!  — Derselbe  Mann,  der  es  für  »gleichgültig«  erklärt  hatte, 
ob  der  Sträfling  (in  der  Zelle)  gern  arbeite  oder  nicht,  sieht  sich 
hintennach  doch  genöthigt  zu  gestehen  (I,  56),  wieviel  gewonnen 
ist,  wenn  der  Sträfling  die  Arbeitscheu  überwinden,  die  Selbstbe- 
friedigung durch  die  Arbeit  kennen  lernt  u.  s.  f.  Weil  femer  »an 
dem  Mangel  an  Widerstandskraft  oft  die  besten  Vorsätze  scheitern« 
—  »desshalb  ist  es  lächerlich,  wenn  man  —  eine  Strafanstalt  zu 
einer  Besserungsfabrik  stempelt« !  Also  ist  es  wohl  auch  lächerlich, 
ein  Krankenhaus  zu  einer  Heil-Anstalt  oder  Fabrik  zu  stempeln, 
weil  —  nicht  Alle,  die  daraus  hervorgehen,  demnächst  Alles  zu 
vermeiden  wissen,  was  einen  Bückfall  nach  sich  ziehen  kann!  — 
Man  sollte  denken^  der  Arzt,  wie  der  Strafanstaltbeamte,  könne 
und  solle  für  die  Zweckerreichung  das  Seinige  thun  und  sei  eben 
nur  dafür  verantwortlich,  nicht  aber  dafür,  dass  seine  Bemühungen 
oft  genug  durch  den  Entlassenen  selbst  oder  durch  widrige  Um- 
stände vereitelt  werden!  Auch  Bauer  scheint  nicht  zu  ahnen 
(11,57),  dass  es  keine  Praxis  geben  kann  ohne  eine  entsprechende 
— -  gute  oder  schlechte,  bewusste  oder  unbewusste  —  Theorie, 
die  man  ausübt,  und  dass  eine  Praxis  der  letzteren  Art  nur  ein 
blinder  tappender  Schlendrian  ist.  Seine  selbstbelobte  »Besse- 
rungspraxis« ist  jedenfalls  ein  sehr  zweideutiges  Zwitterding,  wenn 
er  sie  (H,  58)  als  eine  mit  »Abschreckung  \md  Härte«  sehr  wohl 
verträgliche  aufliässt,  da  —  ja  auch  das  badische  Strafgesetz  Zucht- 
linge  zu  »harten  Arbeiten«  angehalten  wissen  wolle!  Diese  höchst 
verkehrte  Bestimmung,  deren  Unanwendbarkeit  in  der  Zelle,  und 
wenn  man  bessern  wolle,  er  übrigens  selbst  (H,  58)  zugibt,  hat 
jedoch,  wie  er,  gleich  Ekert,  verschweigt,  bereits  der  §.  2  des 
spätem  Gesetzes  über  den  Vollzug  der  Zuchthausstrafen  im  Zellen- 
gefängniss,  der  nur  »Beschäftigung  der  Zellensträflinge«  will,  in 
Uebereinstimmung  mit  dem  Wesen  der  Zellenhaft  beseitigt  —  Was 
jetzt  also  allen  männlichen  Züchtlingen  Badens  zu  Statten  kömmt. 
Von  dieser  Seite  trifft  also  der  Vorwurf  des  »Ignorirens  der  posi- 


r 


mucr  ffir  OcfloginlMkniide.  84$ 

ÜTen  Geseizgebang  BadeDSc  nicht  mich,  sondern  nur  Diejenigen, 
die  ihn  erheben;  vollends  tragikomisch  nimmt  er  sich  aber  ans 
dnrch  die  nicht  zn  missverstehende  Erläntemng  Baner*s  (II,  4v): 
»ich  verfolge  das  bei  uns  herrschende  Strafprinzip  in  der  Per- 
son zweier  Beamtencl 

Welcher  Mittel  sich  Baner  bei  seinen  Beweisftthmngen  be- 
dient, wird  ans  folgenden  Proben  hinreichend  ersichtlich  sein.  Mir, 
der  ich  —  im  Gegensatz  zn  ihm  —  bei  der  gesammten  Behand- 
lung der  Sträflinge,  anch  bei  dem  ihnen  zn  gewährenden  Antheil 
am  Arbeitiohn,  die  Nothwendigkeit  betont  hatte,  ihr  gntes  oder 
schlechtes  Verhallen  mit  zu  berücksichtigen*),  schiebt  er  dreist 
die  Behanptnng  nnter  (in,  32),  dass  ich  »Nebenarbeiten  dem  Ge- 
fangenen unbedingt  freigegeben  wissen  wolle,  anch  wenn  er 
darüber  Kirche  nnd  Schnle  versäume,  Krankheit  vorspiegle  etc.«; 
ebenso  verschweigt  er  weislich,  dass  ich  ausdrücklich  Elvers 
zQgestimmt  hatte**),  der  es  für  eine  Unmenschlichkeit  und  Un- 
khgfaeit  zugleich  erklärte,  wenn  man  Gefangenen  Nebenarbeiten 
anch  für  den  Fall  verbieten  wollte,  dass  sie  allen  Anforderungen 
des  Hauses  in  Hinsicht  der  gewerblichen  und  Schularbeiten  ge- 
ofigt  haben.  Mit  derselben  Dreistigkeit  schiebt  er  mir  unter,  dass 
ich  auf  Kosten  der  Wahrheit  die  >  Arbeitzweige  c  in  la  Hoquette, 
Amsterdam  und  Löwen  »angepriesen«  habe  und  zieht  daraus 
wider  besseres  Wissen  den  Schluss,  dass  ich  keine  dieser  Anstalten 
besucht  habe.  Von  Amsterdam  wenigstens  musste  er  das  (jegeu- 
tbeil  bereits  aus  meinem  »Strafvpllzng«  (S.  116)  wissen,  auch 
wenn  er  es  nicht  von  dem  Direktor  des  dortigen  ZellengefängniBses 
erfahren  hätte.  Wenn  wirklich  neuerdings  in  la  Roqnette  ein 
ganz  einseitiger  fabrikmässiger  Betrieb  herrschen  sollte,  so  wäre 
Bas  ein  weiterer  Beweis,  wie  sehr  seit  dem  Staatstreich  des 
2.  Dez.  die  Gefllngnisssache  in  Frankreich  zurückgegangen  ist,  wie 
der  Vergleich  mit  dem  früheren  Zustand  lehrt,  dessen  Surin- 
gar  (der,  wie  ich,  Paris  seit  geraumer  Zeit  nicht  mehr  gesehen 
hat)  Erwähnung  thut***).  Ebenso  ist  es  rein  erfunden  (III,  34), 
dass  »ich  es  ganz  in  der  Ordnung  finde,  dass  Männer  und  Frauen 
in  derselben  Anstalt  verwahrt  werden« ;  vielmehr  habe  ich  an  der- 
selben Stelle,  worauf  Bauer  zum  Beleg  verweist f),  nnd  ander- 
wärts, aufs  Bestimmteste  das  gerade  Gegentheil  gesagt;  ich 
habe  überhaupt  1858  in  einer  Sitzung  des  Verwaltungsraths  im 
Zellengefitogniss  zu  Amsterdam,  zw  der  ich  eingeladen  war,    ganz 


*)  BirafvoUzug  8.  808. 
**)  Ehend*  8.  812. 

***)  Ebenda  S.  209.  —  In  meiner  „Besserungs träfe"  S.  155  hahe  ich  auf 
das  Beiapiel  von  U  Roquette  jedoch  nur  insofern  verwiesen ,  als  ich  daran 
den  WuiBch  knftpfte,  dass  man,  statt  der  Gemoinsohaft,  bei  den  Jugend- 
lichen Verhrechem  in  Rotterdam  ebenso  wie  dort  ZelU  uhaft  einfahren  möge 
—  ein  Wunsch,  dessen  ErfOUung  bevorsteht, 
tj  Strafvollzug  S.  816  zu  E. 


'  S46  Bl&tter  IQr  Geflagnisskniide. 

offen  meine  Missbilligung  mancher  dortigen  Einrichtnngen  —  andh, 
aber  lange  nicht  bloss,  des  düstem  Theeranstrichs  der  unteren 
Hälfte  der  Zellen*)  und  der  schlechten  Beschaffenheit  der  Fenster, 
vollends  in  Vergleich  zu  denen  von  Bruchsal  —  ausgesprochen,  imd 
man  hat  dort  nicht  nur  von  Seiten  des  Verwaltungsraths,  son- 
dern auch  der  Regierung,  meinen  Tadel,  sowie  meine  Berichtigun- 
gen einiger  irrigen  Auffassungen  und  Yorschl&ge  des  General- 
inspektor Qrevelink,  freundlich  und  dankbar  angenommen,  weil 
man  die  Wahrheit  höher  anschlug  als  die  Bücksichten  auf  yer- 
kehrte  Meinungen  und  Bestrebungen  hoher  Beamten.  Ich  darf  wohl 
mit  einiger  Befriedigung  sagen,  dass  die  drei  auf  f  an  der  Brug- 
g  h  e  n  gefolgten  Justizminister,  der  frühere  Kultusminister  J  o  1 1  e  s  *"*") 
und  der  jetzige  Ministerpräsident  Thorbecke  sämmtlich  mit  mir 
nicht  auf  Seiten  des  Herrn  Grevelink,  sondern  auf  Seiten  der 
öffentlichen  Meinung  des  ganzen  Landes  standen^  deren  ünzweifel- 
haftigkeit  selbst  van  der  Brugghen  offen  anerkannt  hat,  und 
die  Suringar***)  mit  den  Worten  bezeugt;  »c^est  la  couTiction 
pre8qu*unanime  qu*au  Systeme  cellulaire  pur  (mit  Holtzendorff 
zu  sprechen:  der  »Bö  der 'sehen  Einzelhaft«)  doit  döcidöment  etre 
accordöe  la  pr^f^rence«.  Mit  diesen  Anerkennungen  werde  ich  mich 
denn  wohl  über  die  Anfechtungen  von  Seiten  der  Herrn  Bauer 
und  Genossen  trösten  müssen. 

Wer  diesen  Herrn  mit  dem  zuversichtlichen  Ton  genauesten 
Wissens  über  das  Zellengef^ngniss  zu  Amsterdam  so  plump  hinters 
Licht  geführt  hatte,  findet  er  für  gut  nicht  zu  sagen.  Dass  er 
aber  dergleichen  falsche  Berichte,  und  zwar  mit  der  Miene 
des  Selbstgesehenhabens  und  sichtlichem  Wohlge- 
fallen nacherzählt  hatte,  kömmt  lediglich  auf  seine  Beohnung, 
obwohl  er  nun  vergeblich  versucht  es  durch  Ungezogenheiten  gegen 
mich  von  sich  abzuschieben.  Es  gehört  zu  diesem  Versuch  eine 
um  so  grössere  Dreistigkeit,  als  er  keinesfalls  seine  Mitschuld 
leugnen  kann,  sei  es  nun,  dass  er  den,  wie  ich  gezeigt  habe,  von 
ihm  selbst  angeführten  Bericht  von  J olles  über  das  Amster- 
damer Zellengefängniss  wirklich  gelesen  hatte,  wie  es  jedenfiaUs 
seine  Schuldigkeit  gewesen  wftre,  oder  nicht.  Im  erst.en  Fall  hat 
er  bewusst,  im  zweiten  unbewusst,  aber  mit  unverantwortlicher 
Leichtfertigkeit,  Unwahrheiten  verbreiten  helfen«  Ebendiess  gilt  von 
der  jetzt  (III,  34),  von  ihm  aufgetischten  Albernheit :  dass  die  Ge- 
fangenen dort  nur  mit  bedecktem  Gesicht  zu  den  Besuchern  spre- 
chen dürften. 


*)  S.  meine  ^Bessemngstrafe  etc."  8.  174  Anm. 


j  Von  ihm.  der  »uf  dem  Frankfurter  Eongress  von  1867  anwesend 
war,  rührt  die  Anzeige  meiner  Schrift  über  den  StrafvoUsug  im  Weekblad 
van  het  regt  vom  18.  Jan.  1864. 

***)  VlDgt-cinqni&me  annlversaire  de  Texistence   de  la  sociM^  K4erlan- 
daise  poor  lam^Uoration  morale  des  prlsonniers,  avant-propos. 


BlÜUr  für  GeflDgninkiuide.  847 

Er  selbst  hat  ferner  oft  genug  gepredigt,  dass»  anf  je  kürzere 
Zeit  Strtflinge  vemrtheilt  sind,  desto  mehr  die  Schwierigkeiten 
eines  wohlgeordneten  Gewerbbetriebs  steigen,  und  er  wird  Dies», 
seitdem  das  Bmchsaler  Zellengef&ngniss  auch  die  Arbeithausstrftf- 
Imge  anfninunt,  noch  mehr  gewahr  geworden  sein,  gans  abgesehen 
von  der  durch  »sftmmtliche  Beamten  als  nachtheilig  erkannten« 
(m,  53)  weiteren  kllnstlich  geschaffenen  Schwierigkeiten  dnrch  das 
Getrennthalten  der  Arbeit-  von  den  ZnchthansstrSflingen  *).  Um  so 
anfallender  und  ein  nm  so  sprechenderes  Zengniss  für  den  Wahr- 
heit- und  Bechtsinn  Baner*s  ist  es,  wenn  er  für  gut  findet,  die 
eigenen  weisen  Lehren  plötzlich  zn  vergessen  (III,  85  f.)  >  sobald 
?on  dem  Zellengeftngniss  zn  Amsterdam  die  Rede  ist,  wo  doch 
jene  Schwierigkeiten  noch  unvergleichbar  grosser  sind,  weil  dort 
gar  Keiner  über  ein  Jahr  bleibt,  sehr  Viele  weit  kürzer,  wo 
also  ein  ungleich  stärkerer  Wechsel  der  Hausbevölkemng  statt 
findet.  Jedenfalls  sind  die  Nothbehelfe,  nach  denen  man  dort  ge- 
griffen hat,  wenn  auch  minder  einträglich,  doch  weniger  gesund- 
beitwidrig  als  die  Weberei,  nach  der  e  r  in  solchen  Fällen  wo  immer 
mOglich  greift,  üebrigens  ist  es  mir  nie  eingefallen,  »mit  beson- 
derer Befriedigung«  in  Hinsicht  des  Arbeitbetriebs  anf  Amsterdam 
za  verweisen. 

Da  die  Gefahr  fabrikmässigen  Arbeitbetriebs,  sowie  über- 
haupt mechanischer  Behandlung  der  Sträflinge,  bc<p:eif- 
licb  um  so  mehr  steigt,  Individuali  sirung  um  so  weniger  mOglich 
wird,  je  überfüUter  ein  Zellengefängniss  ist,  so  hatte  ich  seiner 
Zeit  nach  Kräften  gewarnt  vor  dem  Bau  eines  solchen  für  600 
Sträflinge,  wie  das  zu  Löwen,  um  so  mehr  als  Ducp^tiaux  selbst 
und  1847  der  Brüsseler  Kongress  300  KOpfe  für  die  höchste  wün- 
sehenswerthe  Bevölkerungszahl  eines  ZeUengeiHngnisses  erklärten, 
die  Holländer  sogar  nur  250  Köpfe.  Für  jenen  schweren  Missstand, 
den  Bauer  ohne  Weiteres  Ducpötiaux  in  die  Schuhe  schiebt, 
anstatt  dass  man  dadurch  nur  einen  doppelten  ötat-major  ersparen 
wollte,  kann  freilich  keine  Schönheit  des  Baues  entschädigen.  Sollte 
es  also  wahr  sein,  dass  dermalen  der  dortige  Arbeitbetrieb  Bauer's 
Ideal  einer  Fabrik  von  Soldatenkleidem  ziemlich  nahe  käme 
(HI,  86  f.)  —  Was  ich  einstweilen  bezweifle  —  so  wäre  Das  traurig 
gemig;  und  wenn  es  in  Bruchsal  nicht  ganz  so  schlimm  geworden 


*)  Am  a.  O.  wird  auch  der  Kaohthefl  der  Trennung  in  besondemFlü- 
gdn  ftir  die  gewerbliche  AusbilduDg  und  die  Unmöglichkeit,  lie  in  der  Kirche, 
Bchule  und  bei  ErkrankiiDgen  aufrechUuhalten,  betont  Wie  lange  wird  ee 
doch  noch  dauern  bis  man  diese  und  ähnliche  Unterschiede,  wie  in  der  Be- 
BchlftigQDg  und  Wohnung,  so  auch  in  der  Kleidung,  Koat  (m,  64}  etc.  bei 
to  IQ  Frdheitotrafen  Yemrtheilien  endlich  aufgibt,  statt  sich  mit  klein- 
lieker  AengstiicUelt  krampfhaft  an  sie  zu  klammem,  da  sie  doch  in  keiner 
Weise  als  durch  den  Strafzweck  geboten  erscheinen  und  lediglich  auf  eine 
Verschiedenheit  in  Bttckeicht  der  Schädigung  der  Geeundbeit  oder  dea  Ehr- 
gefühls hinauslaufen! 


348  BlJlttcr  fQr  GefängnisskuDde. 

ist  oder  wenigstens  jetzt  nicht  mehr  sein  sollte*),  so  ist  Das  doch 
gewiss  nicht  sein  Verdienst!  Wie  mag  er  sich  daher  Dessen 
rühmen?  Wie  er  aber  keine  Gelegenheit  vorübergehen  lässt,  die 
sich  zu  seiner  Selbstverherrlichung  ausnützen  lässt,  so  berühmt  er 
sich  auch  damit,  dass  die  in  Bruchsal  versammelten  Beamten  (von 
fast  lauter  Strafanstalten  auf  Gremeinschaftfuss)  gefunden  hätten  — 
Was  von  ihrem  Standpunkt  sehr  natürlich  genannt  werden muss 
—  dass  e  r  sogar  bei  Weitem  zuviel  für  die  gewerbliche  Ausbildung 
der  Sträflinge  gethan  wissen  wolle.  Nur  da,  wo  die  Zellenhaft  be- 
reits den  Weg  gebahnt  hat  zur  vollen  und  richtigen  Würdigung 
Dessen,  was  die  Strafe  von  Gott-  und  Bechtswegen  leisten  sollte, 
nur  da  lässt  sich  mit  Fug  erwarten,  dass  man  die  alte  Denkweise 
fahren  lasse,  wonach  man  nicht  nöthig  fand  viel  Federlesens  mit 
Sträflingen  zu  machen,  die  ja  nur  dazu  da  waren  geduldig  Alles 
über  sich  ergehen  zu  lassen,  was  man  mit  ihnen  vorzunehmen  für 
gut  fand.  Immerhin  ist  es  bemerkenswerth,  dass  auch  der  Beamte 
eines  Zellengefängnisses  eine  Verpflichtung  zu  gewerblicher 
Ausbildung  bei  BückfUUigen  und  bei  Ausländem  in  Abrede  stellt 
(III,  39f.),  freilich  in  demselben  Athem  »dieNothwendigkeit« 
(d.h.  doch  wohl  die  Verpflichtung  ?)  anerkennt,  »welche  die  Zellen- 
haft in  dieser  Eücksicht  auferlegt«,  da  die  Bohheit  der  Voraus- 
setzung doch  gar  zu  grell  ist:  jeder  Bückfall  bezeuge,  dass  man 
sich  mit  solchen  Menschen  bisher  nur  unnütze  Mühe  gegeben  habe 
und  ferner  geben  würde.  Ueber  Diess  und  Anderes  mehr  ist  für 
Den,  der  meine  Ausführungen  mit  Bauer' s  Gründen  vergleicht, 
jedes  weitere  Wort  überflüssig.  Wer,  gleich  ihm,  selbst  nicht 
zu  behaupten  wagt,  dass  die  Einträglichkeit  der  höchste  Entschei- 
dungsgrund für  die  Auswahl  der  Gefangenarbeiten  sei.  Der  wird  b  e  i 
folgerichtigem  Denken**)  zugeben  müssen,  dass  solche 
Arbeiten  unbedingt  vorzuziehen  sind,  die  am  Meisten  den  hohem 
Zwecken  aller  Strafarbeit  entsprechen,  und  dass  davon  weder  die 
Schwierigkeit  des  Absatzes  abhalten  darf,  noch  das  Unangenehme 
der  Mitwerbung  für  die  freien  Arbeiter,  so  gewiss  auch  im  Uebri- 
gen  Beides  alle  nur  mögliche  Bücksicht  erfordert.  Es  mag  sein, 
dass  ich  in  dieser  letzten  Bücksich t«  nämlich  auf  Nichtbeeinträcb- 
tigung  der  »freien  ehrbaren  Arbeiter«,  vielleicht  sogar  etwas  zu 
weit  gegangen  bin  und  mir  dadurch  den  Vorwurf  jenes  grossen 
Logikers  zugezogen  habe,  dass  sie  »nach  meiner  aschgrauen  Theorie 


*)  Noch  immer  herrschen  zwar  die  dahin  ilelenden  Gewerbe  vor  und 
namentlich  die  Weberei,  die  als  das  einträglichste  von  allen  von  Bauer  be- 
seiehnet  wird;  aber  es  konnte  das  Zeichen  einer  Wendung  zum  Besseren 
sein,  dass  (II,  51)  von  182  Eingelieferten  40  den  Holaarbeiten  sngetheilt 
wurden,  und  diese  Überhaupt  287o  aller  Gewerbarheiten  ausmachen  —  falls 
es  nicht  dabei  bloss  auf  fabrikmässiges  Fertigen  von  Packkisten  und  Paek- 
fässem  abgesehen  ist. 

**)  Wie  es  in  dieser  Hinsicht  mit  Bauer  aussieht  zeigt  schon  die 
Reibe  von  Beispielen,  die  wir  oben  aufgeführt  haben,  sowie  das  logische 
euriosum  des  Gegensatzes  (II,  Öl) :  „Kranke'^  und  „vorübergehend  Kranke."^ 


Butter  für  Gef&DgaiMkunde«  849 

zn  Grunde  gerichtet  werden  dürfen  c  (III,  37  f.).  Aber  sein  Eifer 
reisst  ihn  sogar  za  dem  Triumfgeschrei  hin,  dass,  indem  ich,  anter 
andern  auf  deren  Schonung  zielenden  Vorschlägen,  auch  auf  die 
Möglichkeit  einiger  Arbeiten  fttr  die  Trappen  (natürlich  nnr  so- 
weit nicht  Wichtigeres  darnntcr  leidet)  hingewiesen,  ich  eben- 
damit  meine  ganze  eigne  Lehre  über  den  Hänfen  geworfen  und 
selber  das  Lob  der  Baner' sehen  Soldatenkleiderfabrik  gesangen 
habe,  —  dieses  lange  genng  getriebenen  nnverantwortlichen  Fa- 
brizirens  von  vielen  Tausenden  grober  Kleidungsstücke,  ohne  alle 
Bücksicht  auf.  die  dadurch  gedrückte  Stimmung,  vemachlftssigte 
Fortbildung  und  trübe  Zukunft  zahlreicher  Sträflinge! 

Ich  glaube  im  Bisherigen  mehr  als  genug  gesagt  zu  haben, 
nm  die  steten  abgeschmackten  Verdrehungen  und  die  Schwäche  der 
Grtlnde  des  Mannes  aufzudecken  und  für  das  Üebrige  auf  mein 
Buch  »der  Strafvollzüge  verweisen  zu  dürfen.  Nur  zur  Kennzeich- 
nung des  Werths  seiner  ürtheile  über  Personen  bleibt  mir  noch 
beizufügen  übrig,  dass  er  sich  nicht  scheut  zu  verstehen  zu  geben, 
dass  ich  bei  Suringar  und  Füesslin  in  bOser  Oesellsohafb  sei 
(II,  48 f.)!  —  Was  Letzteren  betrifft,  so  erinnere  ich  bei  diesem 
Anlass,  dass  seine  redlichen  und  erspriessliohen  Bemühungen  um 
eine  wahrhaft  bessernde  Gestaltung  der  Einzelhaft  allgemeine  Aner- 
kennung fanden,  auch  von  Seiten  mehrer  badischen  Minister,  und  zwar 
im  ausgesprochenen  Gegensatz  zu  der  blossen  Abschreckerei  und 
Geldmaoherei  Anderer,  die  Nichts  nach  der  Übeln  oder  hoffnungs- 
reichen Stimmung  der  Gefangenen  fragten,  deren  Besuche  möglichst 
kärglich  zumessen  wollten  und  Nichts  versäumten  um  den  Gegnern 
der  Zellenhaft  Waffen  in  die  Hand  zu  geben.  Bekanntlich  ist  es 
noch  gar  nicht  lange  her,  dass  man,  wie  es  die  Nichtken  ner  noch 
heute  thun,  ohne  Weiteres  alle  BückfUlle  den  Strafanstalten  zur 
Last  legte  und  aus  der  grossen  Zahl  der  EückfUUe  zuiUckschloss 
auf  die  Schlechtigkeit  dieser  Anstalten.  Dieser  Schluss  ist  indess 
nur  bei  gemeinschaftlicher  Haft  einigermassen  zulässig,  da 
diese  selbst  unleugbar  die  Quelle  zahlreicher  Bückfälle  ist,  niemals 
aber  die  Zellenhaft  als  solche.  Trotzdem  suchte  man  damals  das 
Brachsaler  Zellengefängniss  planmässig  in  Misskredit  zu  bringen 
und  bediente  sich  dazu  der  selbstredend  aller  Beweiskraft  erman- 
gelnden Zahlen,  die  Bauer  nun  gesteht  der  Oberbehörde  hinter 
dem  Rücken  des  Direktors  mitgetheilt  zu  haben,  die  halbamtlich 
durch  alle  Zeitungen  liefen  und  mehrfach  in  deutschen  Kammern 
gegen  die  Einzelhaft  geltend  gemacht  wurden.  '  Was  den  Einfluss 
der  Zellenhaft  auf  die  Besserung  betrifft,  so  hatte  seiner  Zeit 
Füesslin  seine  auf  zehnjährige  Erfahrungen  gestützte  (von  mir, 
wegen  ihrer  wesentlichen  üeberein  Stimmung  mit  allen  anderwärts 
gemachten  Wahrnehmungen,  getheilte)  Ueberzeugung  ausgesprochen 
in  Hinsicht  der  wahrscheinlicher  Weise  —  also  in  der 
Begel,  die  natürlich  ihre  Ausnahmen  hat  —  zur  Bewirkung  einer 
Sinnesänderung    der    Gefangenen   genügenden   und    ungenügenden 


850  Claiidil  AeUani  e  rec.  HercberL 

Zeit*),  und  diesen  Erfahrungen  seines  ehemaligen  Vorgesetzten 
erdreistet  sich  nun  ein  Bauer  vom  hoben  Pferde  herab,  im  Namen 
sämmtlicher  Beamten  des  Hauses,  alle  Glaubwürdigkeit  abzusprechen 
und  sie  als  rein  aus  der   Luft  gegriffen  zu   bezeichnen   (III,  49)! 

—  Mir  aber,  der  ich  doch  wohl  etwas  mehr  für  die  Anerkennung 
der  Individualität  und  ihres  Rechts,  auch  beim  Sträfling,  gethan 
habe  als  er,  schiebt  er  den  Unsinn  in  den  Mund  (IQ,  50  f.),  dass 
ausnahmlos  binnen  einer  bestimmten  längeren  Zeit  Besserung 
erreidiit,  binnen  einer  bestimmten  kürzeren  Zeit  nicht  erreicht 
werde!  —  Wenn  er  gar  endlich,  um  den  Bohluss  zu  ziehen,  dass 

—  die  Einzelhaft  nicht  untrüglich  wirke,  für  nöthig  gehalten 
hat,  auf  einige  Sträflinge  zu  verweisen,  die  »schon  über  12  Jahre 
in  der  Zelle  sitzen  und  ihre  klar  örwiesene  Schuld  leugnen«,  so 
hätte  er  diese  Mühe  sparen  können.  Uebrigens  hat  wahrscheinlich 
in  Bezug  auf  Einen  dieser  unverbesserlich  hariaiäckigen  Sträflinge 
der  verstorbene  Hausgeistliche  Weite  mir  seine  volle  Ueberzeu- 
gung  ausgesprochen,  dass  Derselbe  ganz  unschuldig  auf  Lebens- 
zeit vemrtheilt  sei! 

Nach  diesen  nothgedrungenen  Erklärungen  schliesse  ich  — 
Anderes  Andern**)  überlassend  —  mit  der  bestimmten  Erwartung, 
dass  Badens  neue  Aera  endlich  auch  darin  sich  bewähren  möge, 
dass  sie  den  Übeln  Lispirationen  ein  Ziel  setze,  durch  welche  das 
Treiben  der  im  Vorstehenden  gezeichneten  Leute  bedingt  istl  — 

Heidelberg  im  Mai  1865.  K.  Röder. 


BibUotheea  Scripiorum  Oraecorwn  et  Romanorum  Teuhneriana, 
Claudii  Aeliani  De  natura  animalium  libri  XVII  Varia  JERsUh- 
ria  Epi$iolae  Fragmenta.  Ex  recognUione  Rudolphi  Her- 
eheri.  Accedunt  rei  accipürariae  scriptorea  Vemetrii  Pepa- 
gomeni  Cynosophium  Georgii  Püidae  Hezaemeron  Herctäanense. 
Vol  l  Lipdae  in  aedibua  B,  0.  Teubneri  MDCCCLXIV.  LXJ 
und  488  8.  8,  Auch  mit  dem  besonderen  Tuet: 
Ciaudii  Aeliani  De  natura  animalium  libri  XV JL  Ex  recog- 
nüione  Rudolphi  Hercheri.  Lipsiae  etc. 

Die  Herausgabe  der  Thiergesohichte  des  Aeliaims,  sammt  den 
weiter  in  dieser  Ausgabe  daran  geknüpften  Schriftstellern,  ist  einem 
Gelehrten  anvertraut  worden,  der  insbesondere  dazu  berufen  war, 
eben  so  sehr  durch  seine  vertraute  Bekanntschafb  mit  den  Schrift- 
steilem  dieses  Kreises,  wiediess  die  noch  unlängst  in  diesen  Blättern 
(Jahrgg.  1864.  S.  785  ff.)  besprochene  Ausgabe  des  Artemidorus 

*)  leh  habe  mleh  hierüber  In  einer  PrOfung  des  hMmover'sohen  und  des 
bimvnachweiglsdMn  Entwurfs  eines  Qesetees  über  die  Einzelhaft  in  der 
^H.  Tierteljahrechrift"  6.  Bsnd.  S.  252  bereits  näher  ausgeaprooben. 

**)  FUeBslin  wird  im  4.  Heft  «der  Blätter  für  Gefängnisslainde'^  sich 
■iiS8|>reehen. 


Dionyti  HaUcMViBeMls  Opp.  ree.  Klessling.  ft51 

bewaifit,  als  aiieh  durch  seine  im  Jahr  1858  in  Awr  Pariser 
Didot'sdieii  Sammlmig  erschienene  grössere  Bearbeitimg  desselben 
Schriftstellers,  dessen  Text  darin  in  einer  neaen,  anf  bisher  nnbe- 
nntzte  handschrifUidhe  Quellen  gestütsten  Berision  gegeben  war, 
Terbnnden  ndt  einer  sorgfitltigen  ZnsammensteUnng  des  kritischen 
Apparates,  zur  Gontrole  dee  gelieferten  Textes  in  seinen  zahlreichen 
Abweichungen  Ton  den  fraheren  Ausgaben.  Der  hier  gegebene  Text 
ist  aber  keineswegs  ein  blosser  Abdruck  dieser  Pariser  Ausgabe; 
er  enthält  vielmehr  eine  genaue  Bevision,  oder,  wie  der  Heraus- 
geber auf  dem  Titel  es  nennt,  fieoognition  des  Textes,  in  Folge 
deren  mehrfikche  Veränderungen  oder,  wie  wir  wohl  sagen  dürfen, 
Verbessennigen  stattgefunden  haben,  durch  welche  manche  fehler- 
hafte Leearten  durch  bessere  ersetzt  worden  sind.  Man  wird  diess 
bald  im  Einzelnen  wahrnehmen,  wenn  man  einen  vergleichenden 
Blick  in  die,  dem  griechis<^en Texte  unter  der  Aufschrift:  »Index 
Kotaiicnam  im  Aeliani  verbis  praeter  Codices  foctanunc  voraus- 
gehende Zusammenstellung  wirft,  in  welcher  auch  manche  andere 
Winke  und  Vorschläge  zur  Besserung  des  Textes  gegeben  sind. 
Ansaerdem  ist  am  Schlüsse  ein  Index  animalium  plantarum  lapidnm 
metaUorum,  femer  ein  Index  hominum,  locorum  et  renim  memo- 
rabilium,  und  ein  dritter  Index  scriptorum  quos  Aelianus  nomine 
landavit  hinzugekommen,  lauter  sehr  brauchbare  Zugaben,  welche 
der  Benutzung  des  Ganzen  nur  förderlich  sein  können. 


Dionyii Hatiearnaieniie  AniiguUatumBommnarumquatttiper-' 
nmt,  reeenmdi  Adolpkui  KiesBling.  YM.  II.  Lipaiae  in 
aedüm  B.  Q.  Teubnen.  MDCCCLXIV.  XLV  und  82S8.  in  8. 

Nach  längerem  Zwischenraum  folgt  auf  den  ersten  1860  er- 
sdhienenea  Band  hier  der  zweite,  welcher  gleich  dem  ersten, 
auch  drei  Btlcher  enthält  (IV.  V.  V),  deren  Text  hier  mit  der- 
selben kritischen  Sorgfalt  und  Genauigkeit,  die  wir  an  dem  «raten 
Bsnde  anzuerkennen  hatten,  geliefert  wird,  und  zwar  hauptsächlich 
auf  Grundlage  des  Codex  ürbinas,  in  welchem  der  Herausgeber 
die  Alteste  und  sicherste  üeberlieferung  erkennt  und  dem  er  selbeft 
Tor  dem  Oodex  Ohisianus  den  Vorzag  gibt.  Wie  viele  Stellen  nach 
dieser  Handschrift  gebessert  und  berichtigt  erscheinen,  kann  Jeder 
bald  ersehen,  wenn  .er  in  die  dem  Texte  vorausgehende  Adnotatio 
critica  nur  einen  Blick  werfen  will.  Denn  diese  gibt  eine  genaue 
Bechenschaftsablage  des  ganzen  kritischen  Verfahrens,  in  dem  Nach- 
weis Dessen,  was  aus  dieser  Quelle  in  Verbindung  mit  der  andern, 
oben  genannten,  und  theilweise  auch  ans  dem  Cod.  Coislinianus 
und  Begius  entnommen  ist,  enthält  aber  überdem  auch  zahlreiche 
Verbesserungsvorschläge  zu  einzelnen  Stellen,  welche  noch  nicht  in 
den  Text  ai^genommen  wurden,  von  Stephanus,  Portus,  Casaubonus 


852  Phaedri  Fabb.  von  Eicheri 

Sylburg  an  bis  anf  Beiske,  Sintenis,  Pflaglr,  Krüger,  Cobet,  Büche- 
ier n.  A. ,  welchen  die  eigenen  des  Herausgebers  sich  anreihen. 
Auf  diese  Weise  lässt  sich  leicht  übersehen,  was  in  dieser  neuen 
Ausgabe  oder  Becension,  wie  sich  dieselbe  füglich  nennen  kann,  ge- 
leistet worden  ist.  Und  darum  wird  wohl  der  Wunsch  einer  baldi- 
gen Fortsetzung  dieses  Unternehmens  gestattet  sein. 


Phaedri  Augusti  liberli  Fabularum  Aesapiarum  libri  guinque  cum 
iripHei  appendice  fabtdarum  novarum.  Für  den  Sckulgebrauch 
ausgewählt  und  mit  einem  Wörierbuehe  versehen  von  Dr. 
Otto  Eich  er  t  Hannover  IS65.  Höhnische  Hofbttchhand- 
lung,  VIII  und  80  S.  in  gr.  8. 

Wir  stehen  nicht  an,  diese  Ausgabe  der  Fabeln  des  Fhädms 
für  eine  brauchbare  und  zweckmässig  für  den  Schulgebrauch  ein- 
gerichtete zu  bezeichnen.  Denn  erstens  gibt  sie  eine  gute  Aus- 
wahl, wie  diess  schon  ein  Blick  in  das  vorgesetzte  Verzeicbniss 
lehren  kann,  dem  die  Nummern  der  Dressler'schen  Ausgal>e 
beigesetzt  sind,  an  welche  auch,  was  den  Text  betrifft,  mit  nur 
wenigen  Ausnahmen  diese  Auswahl  sich  anschliesst ;  dann  aber  hat 
sie  keine  deutschen  erklärenden  Anmerkungen  unter  dem  Text  bei- 
gegeben, sondern  dafür  ein  passend  für  die  Schüler  bearbeite- 
tes und  eingerichtetes  Wörterbuch  beigefügt,  das  auch  noch  weitere 
Erklärungen  und  Winke  enthält,  welche  jedenfalls  vor  den  deut- 
schen, erklärenden  Anmerkungen,  wie  sie  jetzt  so  beliebt  sind,  den 
Vorzug  verdienen,  da  auf  diese  Weise  die  Kraft  und  die  Selbst- 
thätigkeit  des  Schülers  mehr  angeregt  wird.  Wenn  bei  diesem  Wörter- 
buch kleinere,  aber  sehr  deutliche  Lettern  angewendet  sind,  so  ist 
dagegen  der  lateinische  Text  der  Fabeln  mit  grösseren ,  und  recht 
in  die  Augen  fallenden  Lettern  gedruckt,  auch  sind  dabei  die  ein- 
zelnen Worte  mit  Accenten  bezeichnet.  So  wird  unter  der  Leitung 
eines  tüchtigen  Lehres  diese  Ausgabe  mit  gutem  Erfolg  bei  dem 
Unterricht  in  der  Schule  gebraucht  werden  können,  für  welche  die  Fabeln 
des  Phädrus  immerhin  eine  für  die  Bedürfnisse  des  Schülers  geeignete 
LecttLre  bilden,  die  wir  nicht  gern  aus  dem  Bereich  der  Schule 
verbannen  möchten,  wie  diess  wohl  hier  und  dort  verlangt  worden 
ist,  wo  man  freilich  das,  was  der  Schule  wahrhaft  frommt  und 
dient,  nicht  gehörig  beachtet  zu  haben  scheint.  Das  Ganze  ist 
durchaus  correct  gehalten. 


It.  23.  HEIDELBERGER  1866. 

JAHEBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Neuesie  Sammlung  ausgewählter  griechischer  und  römischer  Klassiker 
verdeutscht  von  den  berufensten  Uebersetzem.  Lieferung  159 
bis  188.    Stuttgart.  Krais  ^  Hoffmann,  1864  u.  1865  in  8. 

Seit  der  letzten  Besprechung  dieser  Sammlung  von  üeber- 
setzungen  der  classischen  Schriftsteller  des  Alterthums  in  diesen 
Jahrbb«  1864.  S.  423  ff.  ist  eine  Beihe  Ton  Fortsetzungen  erschie- 
nen, über  welche  wir  einen  kurzen  Bericht  hier  vorzulegen  geden- 
ken,  unter  Bezugnahme  auf  das,  was  in  der  oben  angeführten 
Anzeige  wie  in  den  früheren  Anzeigen  über  den  ganzen  Charakter 
dieser  Sammlung  und  deren  einzelne  Bestandtheile  bemerkt  worden 
ist.  Durch  die  hier  anzuzeigenden  Fortsetzungen  werden  einige  der 
früher  angefangenen  Schriftsteller  vollendet,  andere  weiter  fortge- 
führt: mehrere,  und  zwar  wichtige,  sind  neu  hinzugekommen,  auf 
welche  wir  darum  insbesondere  die  Aufmerksamkeit  lenken  mOchten. 

Wir  beginnen  mit  den  griechischen  Schriftstellern,  und 
zwar  zuvörderst  mit  den  Dichtem.  Von  Aristophanes  erschien 
ein  viertes  Bändchen  mit  der  Ljsistrata*),  und  von  Euri- 
pides  ein  achtes Bändchen  mit  dem  rasendenHerakles*'*), 
beide  von  demselben  Gelehrten  bearbeitet,  dessen  Leistungen  aus 
den  vorausgegangenen  Bändchen,  wie  aus  andern  ähnlichen  Versuchen 
auf  demselben  Gebiete  sattsam  bekannt  sind,  um  hier  nicht  noch- 
mals näher  besprochen  zu  werden.  Ueberdem  hat  Derselbe  in  bei- 
den Bändchen  sich  nicht  blos  auf  eine  Uebersetzung  beschränkt, 
sondern  durch  erklärende  Anmerkungen,  wie  durch  eine  umfassende 
literarhistorische  Einleitung  für  das  Verständniss  des  Einzelnen, 
wie  die  richtige  Auffassung  und  Würdigung  des  Ganzen  gut  gesorgt. 
Diese  gilt  nicht  minder  von  der  Ljsistrata  des  Aristophanes,  als 
von  dem  Euripideischen  Drama.  Das  erst^re  Stück  ist  eines  der 
verrufensten  des  Dichters  wegen  so  mancher  darin  vorkommenden, 
nach  unseren  Begriffen,  obscönen  Stellen,  während  es  in  andern  Be- 
ziehungen als  eines  der  reizendsten  und  anmuthigsten  erscheint :  eben 
deshalb  hat  der  Verfasser  es  fUr  nöthig  erachtet,  seine  Einleitung 
mit  einer  Erörterung  über  den  Werth   des  Stückes  und  mit  einer 


*)  Aristophanes*  Lustspiele  verdeutscht  von  Johannes  Minek- 
witi.  Vierter  Band.  LysistraU.  Stuttgart.  Krais  <& Hoffknann  1864.  134  8.  8. 
(Clasaiker  nr.  177.) 

**)  DieDramendes  Euripidea.  Verdeutscht  von  Johannes  Minck- 
witz.    Achtes  B&ndoben.    Der  rasende  Herakles.    Stuttgart  u.  b.  w.  1864. 
188  S.  8.  (Classiker  nr.  188.) 
LVm.  Jahrg.  6.  Heft.  23 


864  Neueste  BammliiDg  von  UeberBetziir4geA  grieoh.  u.  rSm.  Klassiker. 

Rechtfertigung  des  Dichters  zu  beginnen,  in  welcher  mit  Becfhi  das 
edle  Motiv,  das  den  Dichter  bei  diesem  wie  bei  dem  zehn  Jahre 
zuvor  aufgeführten  Stücke  (den  Frieden)  leitete,  und  das  auch  in 
andern  Stücken  als  Hauptaufgabe  und  Ziel  des  Dichters  erscheint, 
hervorgehoben  wird,  nemlich  der  Wunsch  die  Beendigung  des  Pe- 
loponnesischen  Krieges  herbeizuführen,  und  zwar  durch  ein  Mittel, 
das  wohl  kaum  ein  Dichter  je  für  solche  Zwecke  aufgeboten  hatte, 
durch  die  Frauen,  welche  den  Männern  die  eheliche  Pflicht  verweigern, 
um  sie  auf  diese  Weise  zum  Absohluss  eines  Friedens  zu  zwingen.  Die 
Durchführung  dieses  Gedankens  musste  unwillkürlich  Dinge  zur 
Sprache  kommen  lassen,  die  das  Anstandsgefühl  nach  unsem  Be- 
griffen verletzen,  während  diess  in  dem  Alterthum,  dessen  An- 
schauimgBwei«e  in  dieser  Beziehung  eine  andere  war,  und  das  hier 
eine  derbere  Sprache  ertragen  konnte,  minder  der  Fall  war :  hätte 
doch  sonst  Aristophanes  gar  nicht  zu  einem  solchen  Mittel  greifen 
dürfen,  ohne  Anstoss  zu  erregen,  den  er  in  keiner  Weise  bei  sei- 
nen Zeitgenossen  damit  erregt  hat.  Von  diesem  Standpunkt  ans 
wird  daher  das  Stück  zu  würdigen  und  der  Dichter  zu  entschul- 
digen sein:  nur  wird  man  diesen  Standpunkt  nicht  auf  andere 
Zeiten  und  Verhältnisse,  am  wenigsten  auf  unsere  Zeit,  die  in 
dieser  Hinsicht  ganz  andere  Forderungen  stellt,  anwenden  dürfen: 
hier  scheint  er  verwerflich.  Aus  der  üebersetzung  selbst  können 
wir  uns,  nach  manchen  schon  früher  gegebenen  Proben,  auf  eine 
einzige  beschränken,  entnommen  Vs.  507,  wo  Ljsistrata  in  trochai- 
schen  Tetrameterm  also  spricht: 

Ich  gehorche! 
In  dem  Kriege  bislang,  in  der  vorigen  Zeit,   da  trugen  wir  Alles 

geduldig, 
Mit  bescheidenem  Sinn,   nach  Frauennatur,   was   ihr  Männer  nur 

immer  vollbrachtet. 
Auch  durften  wir,  traun,  nicht  mucksen.  Indess  nicht  konnten  von 

euch  wir  entzückt  sein. 
Wir  belauschten  vielmehr  in   der  Stille   des  Heerds  euch  draussen 

mit  sorglichen  Blicken. 
Und  so  hörten   wir   oft,    welch'   schiefsn   Beschluss  ihr  gefasst  in 

den  wichtigsten  Dingen : 
Da  pflegten  wir  euch,  in  der  Seele  betrübt,  doch  lächelnden  Mundes 

zu  fhkgen: 
Was   habt  ihr  wohl  heut  im  versammelten  Volk   anlangend    den 

Frieden  beschlossen 
Und  zum  Schriftanschlag  für  die  Säule  bestimmt?  »Ficht  dich*s  an?« 

brummte  der  Mann  dann, 
»Gleich  sohliesse  den  Mundl«  Und  ich  schloss  ihn  sofort. 

Bei  dem  rasenden  Herakles  d^  Euripides  war  die  Auf- 
gabe des  Verfassers  in  der  Einleitung  eine  ähnliche:  bei  der  Ver- 
schiedenheit  der   Ansichten,    welche   in  neuerer   Zeit   über  dieses 


K««aite  Samiifeliuig  von  UeberaetiimgeD  grieob.  n.  rtau  KkMsiker.  BW 

Stfick  herrorgetreten  sind,  und  dasselbe  bald  lelir  boch,  bald  aehr 
nieder  gestellt  baben,  war  eine  genaue  PrUfang,  durch  wekiie  der 
Werth  des  Stückes  festgestellt  werden  mosste,  kaum  erlässlioh ;  der 
Yer&sser  hat  daher  zuerst  durch  eine  genaue  üebersioht  des  In- 
halts und  Ganges  eine  riehtige  AufEutung  des  Oanzen  herbei  xn 
f&hren  gesucht  und  ist  dann  in  eine  Prttfting  der  abweichenden,  nach 
seiner  üeberzeugung  nicht  gehörig  begründeten  ürtheile  einge» 
gangen.  Der  Yer&sser  kann  sich  nemlich  dem  von  mehreren  Kri* 
tikem  ausgesprochenen  Tadel  über  dieses  Stttek  nicht  anschlietseB, 
er  findet  yielmehr,  dass  diese  Tragödie  nicht  allein  von  erheblichen 
Fehlem  frei  ist,  sondern  überhaupt  für  eine  regelrecht  gearbeitete 
treffliche  Dichtang  sn  gelten  hat  (8.21);  der  Stoff  ist  nicht  allein 
mit  geschickter  Hand  künstlerisch  angeordnet  und  ausgeführt, 
sondern  auch  durch  und  dun^  tragisch  (S.  12);  »die  Vorzüge  des 
Stückes  beruhen  in  der  künstlerischen  Begrenzung  der  Handlung-, 
in  der  richtigen  Geschlossenheit  ihrsr  Theiie,  in  der  durchgreifen- 
den Entfaltung  des  tragischen  Elements,  in  der  überall  gelungenen 
Aasmalung  desselben,  und  in  der  Angemessenheit  der  an  der  Hand- 
lung bethätigten  Charaktere  €  (S.  28):  sonMih  ist  der  Verfasser  ge- 
neigt, in  diesem  Stücke  eine  der  tadellosesten  und  eindrucksvollsten 
Tragödien  zu  erkennen,  die  aus  dem  Alterthum  uns  vorliegt,  und 
obwohl  sie  zu  der  Gattung  der  verwickelten  gehört,  behaupte  sie 
doch  eine  ausserordentliche  Einfachheit,  indem  der  Dichter  j^B 
Motiv  verschmäht  habe,  das  ihm  entbehrlich  ge^icuen.  Wir 
haben  damit  das  Endurtheil  des  Verfassers  im  wesentlichen  mit- 
getheilt,  die  nähere  Begründung  mag  man  bei  ihm  selbst  nach* 
lesen.  Sollten  wir  auch  hier  eine  Probe  unsem  Lesern  vorlegen, 
so  würden  wir  dazu  aus  dem  letzten,  fünften  Akt  die  von  Herakles 
an  Theseus  gesprochenen  Worte  wählen  Vs.  1255: 

So  höre  denn  und  lass  mich  dein  ermahnend  Wort 
Mit  Gründen  niederwerfen:  klar  entfalt  ich  dir, 
Dass  mir  ein  Fluch  das  Leben  jetzt  wie  immer  war. 

(Auf  den  greisen  Amphitfyon  hiiiEelgend:) 
Entsprossen  erstlich  bin  ich  diesem  Aermsten  hier, 
Der  seinen  eigenen  greisen  Schwäher  t()dtete. 
Und  diese  Blutschuld  tragend,  mit  Alkmene  sich 
Vermählte,  meiner  Mutter.     Ward  der  Grund  indess 
Des  Stammgeschlechtes  falsch  gelegt,  so  pflanzt  sich  auch 
Auf  seine  Sprossen  unbedingt  ünsegen  fort. 
Zeus  selber,  —  waches  Wesen  Zeus  auch  immer  sei,  — 
Er  hat  erzeugt  mi<^,  ach,  zum  Hass  der  Hera  nur! 
(Zu  Amphiiryon  gewendet:) 

(Trotz  dieses  Punkts  erzürne  dich  mit  nichten,  Greis: 
Du  bist  und  bleibst  mein  theurer  Vater,  statt  des  Zeus!) 
Und  noch  ein  Milchling  war  ich,  als  des  Kronossohns 


866  Kevesto  Bammlimg  von  Uebeneinmgoii  grieeb.  u.  rSin.  Kksstker. 

Qemalilin  mir  in  meine  Wiege  Schlangen  schob, 

Gorgonenängige  Bestien,  die  mir  Untergang 

Bereiten  sollten.     Als  der  JngendfÜlle  Pracht 

Mich  dann  omblühte,  welche  Müh^n  ich  da  bestand, 

Was  soll  ich  dieses  schildern?    Welche  Löwenbmt 

Erlegen  mnsst'  ich,  welche  Brot  dreileibiger 

Typhonen,  sammt  Giganten,  sammt  yierfGlssigem 

Eentan'rgewimmel,  ach,  im  Eriegsgewitterbrans ! 

Nachdem  ich  femer  jene  ringsgehänptete 

und  immerwachsende  Hjdrahttndin  umgebracht, 

Dnrchschritt  ich  tausend  anderer  Abenteurer  Schwärm 

und  stieg  in's  Beich  der  Todten,  um  der  Unterwelt 

Dreihäuptigen  Pfortenwächter,  ihn,  den  Hadeshund, 

An's  Licht  hervorzuholen,  wie  Eurjsth  gebot 

Das  letzte  Wehsal  endlich  litt  ich  Armer  nun. 

Den  Schlag  des  Kindermordes:  ach,  er  setzt  dem  Haus 

Des  Leides  Schlussstein  I 

(Eine  kurse  Pause.) 
Und  so  gross  ist  meine  Noth: 
Zuerst  im  theuem  Theben  ist^s  mir  nicht  erlaubt 
Hinfort  zu  wohnen;  denn  gesetzt,  ich  bliebe  doch. 
In  welchen  Tempel  soll  ich,  welchen  Preundeskreis 
Des  Puss  noch  setzen?  Jeden  Lippengruss  verscheucht 
Das  Wermi  i^eines  PluchesI     Soll  ich  also  mich 
Nach  Argos  wenden?  Bin  ich  nicht  von  dort  verbannt? 
Wohl,  rieht'  ich  denn  nach  einer  andern  Stadt  den  Schritt? 
Allein,  erkannt  als  Prevler,  werd*  ich  sicherlich 
Auf  finstere  Blicke  stossen  dort  und  dergestalt 
Mit  bitterer  Stachelrede  zum  Empfang  begrüsst: 
»Ist  dieses  nicht  der  Zeusentstammte,  welcher  einst 
»Die  Kinder  hingemordet  hat  sammt  seinem  Weib? 
»Ei,  weicht  er  nicht  aus  diesem  Land  zum  Henker  fort?« 

Weiter  haben  wir  zu  nennen  die  üebersetzung  des  Ana* 
kreon*),  die  allerdings  in  dieser  Sammlung  nicht  fehlen  durfte. 
Sie  erscheint  als  Revision  wie  als  Vervollständigung  einer  froheren 
üebersetzung,  hat  aber  die  Ergebnisse  der  neuem  Forschung  in 
Bezug  auf  das,  was  dem  alten  Sänger  von  Teos  wirklich  zukommt 
oder  doch  ihm  nahe  steht,  wie  in  Bezug  auf  das,  was  in  der  Weise 
des  alten  Sängers  in  späteren  Jahrhunderten  nachgedichtet  worden 
ist,  sorgfoltig  benutzt  und  durch  die  Unterscheidung  dieser  Theile 
eine  Erkenntniss  der  alten  und  ächten  Beste  möglich  gemacht.  Es 


*)  AnakreoB  und  die  sogenannten  Anakreontisohen  Lieder. 
Revision  und  Ergänsnog  der  J.  Fr.  Degen'schen  Üebersetzung  mit  Erklär* 
nngen  von  Eduard  Mörike.  Stuttgart  u.  s.  w.  1864.  164  8.  8.  (Classiker 
nr.  170.) 


NMi€«t«  SttiiBliiBg  von  UelMraeUungen  geMh.  v.  r5m.  Klassiker.  867 

nnd  dabei  insbeflondere  B.  Stark's  Untersachnngen,  die  im  Jahre 
1846  %VL  Leipzig  enchienen  sind,  BuGhninde  gelegt  und  seinen  Er- 
örtemngen  ist  der  Verftwser  mit  Recht  gefolgt  eben  so  wohl  in 
der  Toransgeschickten  Einleitung  wie  in  den  aof  die  Ueber- 
setxnng  folgenden  Anmerkungen.  So  ist  das  Game  nnn  in  zwei 
Theile  geschieden,  Ton  welchen  der  erste,  unter  der  Aufschrift 
Anakreon,  die  dem  alten  Dichter  von  Teos  selbst  zuge- 
schriebenen Beste  von  Liedern,  wie  die  Epigramme  —  unter 
denen  aber  immerhin  mehrere  schwerlich  für  ein  Produkt  des  alten 
Anakreon  gelten kOnnen,  befasst,  deranderedie  Anahreonteen, 
oder  die  Anakreon*s  Namen  tragenden,  aber  mit  Ausnahme  Ton 
einigen  wenigen  Liedern,  in  eine  sptttere  Zeit  eilenden  Dichtungen 
enthält,  in  fthnlicher  Weise,  wie  auch  in  Bergk*8  Lyrici  poetae 
beides  unterschieden  ist.  Wir  lassen  als  Probe  der  Uebersetzung 
ans  diesem  zweiten  Theile  zwei  kleine  Lieder  folgen,  welche  ihrem 
Inhalte  nach  dem  Anakreon  zufallen  dürften,  wenn  auch  in  der 
Form  Yerftndert  oder  aus  Theilen  ächter  Lieder  zusammengesetzt, 
und  zwar  Nr.  1.     Die  Leier. 

Ich  will  des  Atreus  Söhne, 

Ich  will  den  Eadmos  singen: 

Doch  meiner  Laute  Saiten^ 

Sie  tönen  nur  ron  Liebe. 

Jttngst  nahm  ich  andre  Saiten,         --^ 

Ich  wechselte  die  Leier, 

Herakles'  hohe  Thaten 

Zu  singen :  doch  die  Laute, 

Sie  tönte  nur  yon  Liebe. 

Lebt  wohl  denn,  ihr  Heroen! 

Weil  meiner  Laute  Saiten 

Yon  Liebe  nur  ertönen. 

und  Nr.  55:  Naturgaben. 

Es  gab  Natur  die  Homer 
Dem  Stier,  dem  Boss  die  Hufe; 
SchneUfUssigkeit  dem  Hasen, 
Dem  Löwen  Bachenzähne, 
Den  Eischen  ihre  Flossen, 
Den  Vögeln  ihre  Schwingen; 
und  den  Verstand  dem  Manne. 
—  So  bliebe  nichts  den  Frauen? 
Was  gab  sie  diesen?  -'  Schönheit: 
Statt  aller  unsrer  Schilde, 
Statt  aller  unsrer  Lanzen! 
Ja  über  Stahl  und  Feuer 
Siegt  Jede,  wenn  sie  schön  ist. 


808  Neueste  ßammloiig  von  Ufbmetcimgen  grieeh.  «.  rdiiL  Kkaeikec 

*  Von  griecbisdieii  Prosaikem  erseheint  Herodotns'^)  mit  drei 
Bände  hen,  welche  die  drei  letsten  BtLeh^r  enthalten,  und  damit  das 
Ganze  Tollenden,  desgleichen  Thucydides*'*')  in  sechs  Bändohen, 
welche  die  Bücher  4— Sinei,  enthalten,  und  im  letzten,  nennten 
Bändehen  auch  eine  Uebersetznng  der  unter  Marcellinns  Namen 
auf  uns  gekommenen,  aus  ▼ersohiedenartigenBestandthailen  zusammen- 
gesetzten, daher  mit  Vorsicht  zu  benutzenden  Biographie  des 
Thneydides,  so  wie  ein  gutes  Begister  der  Namen  und  Sachen 
bringen,  welches  für  den  Gebranoh  des  Ganzen  recht  förderlich  ist. 
Von  Plutaroh^s  Biographien '*''*'*)  ist  eine  Fortsetzung  in  drei 
Bändchen  erschienen,  welche  die  Lebensbeschreibungen  des  Pom- 
pejus  des  Grossen,  des  Agesilaus  und  des  Lncullus  enthalten.  End- 
lich ift  noch  der  Schluss  der  Aristotelischen  Ehetorikf) 
in  einem  dritten,  das  dritte  Buch  und  damit  den  Schluss  des  Gan- 
zen enthaltenden   Bändchen  zu  nennen. 

Neu  erscheint  der  Anfang  der  Xenophonteischen  Oyro- 
pädieft)  ^^^  d^Q  2W6^  ersten  Büchern,  welche  mit  kurzen,  meist 
geographischen  Erklärungen  versehen  sind,  und  Epiktet*s  En- 
chiridion  nebst  Gebes,  in  einem  Bändchen  vereinigt. ftt)  I^er 
ersteren  Schrift  geht  eine  Einleitung  voraus,  in  welcher  das  Wenige, 
was  wir  über  Epiktet^s  Leben  wissen,  sich  zusammengestellt  findet, 
und  eine  kurze  Erörterung  über  Epiktet's  Philosophie  wie  über 
rtcine  Schriften  gegeben  wird.  Der  philosophische  Standpunkt  Epik- 
tet's  wird  Im  Wesentlichen  als  der  stoische  bezeichnet,  aber  es 
werden  auch  die  Abweichungen  seiner  Anschauungen  von  den  Tra- 


*)  Die  Musen  des  Herodoins  von  HalikfunoBSua übersetzt vob  J.  Chr. 
B&hr.  Stuttgart  n.  s.w.  1864.  SiebeDtes  BSn^chen.  Polymnia.  176  S.  Achtes 
Händchen.  Urania.  101  8.  Neuntes  B&ndchen.  Kalllope.  87  S.  8.  (aassiker 
nr.  171.  178.  179). 

**)  Thukydides  GescbioMe  des  peleponnealeobe«  Krieges  von  Adolf 
Wahrmnnd.  Stuttgart  u.  s.  w.  1864.  8.  Viertes  Bändchen.  4.  Buch.  XII  n. 
8.  261—868.  Fünftes  Bftndchen.  6.  Buch.  IV  u.  78  S.  Sechstes  Bänd- 
chen. 6.  Buch.  IV  bis  166  8.  Siebentes  Bändeben.  7.  Buch.  IV  n.  6.  167 
—222.  Achtes  Bftndchen.  8.  Buch.  IV  u.  S.  2S8— 800.  Neuntes  Bänd- 
chen 8.  301-861  (Classiker  nr.  181.  182.  184.  186.  186.  187). 

•••)  Plntareh's  anßgewählte Biographien.  Deutsch  v.  Ed.  Eyth,  Pro- 
fessor am  theol  Seminar  in  Schfintbal,  Stuttgart  u.  s.  w.  1864.  8.  Dreizehn- 
sehntes  Bändchen.  Pompejus  der  Ormse.  IV  n.  110  8.  Vienehntes  Bänd- 
chen. Agesllaos.  60  S.  FUnfzehiilea  Bändchan.  Luonllus.  76  8.  8.  (Classiker 
nr.  169.  160.  161.) 

t)  Aristoteles  Rhetorik.  lieber  setzt  und  erklärt  von  Adolf  Stahr. 
Drittes  Bändchen.  Stuttgart  n,  s.  w.  1864.  8,  226  bis  816.  8.  (Classiker 
nr.  172.) 

ff)  Xenophon's  Gyropädie  amfb  neue  übersetit  und  durch  Anmer- 
kungen erläutert  von  Christian  Heinrich  Dörner,  Dekan  und  Pfarrer 
in  Plochingen.  Erstes  Bändchen.  Bach  1  u.  2.  Stuttgart  1866  u.  s.  w.  86  S. 
8    (Classiker  nr.  188.) 

ttt)  E  pikt  et' 8  Handbflcblein  der  stoischen  Moral  und  das  Gemälde  des 
Cebes  von  Theben.  Uebersetsl  und  erklärt  von  Carl  Conz.  Stuttgart 
1864  8   n.  s.  w.  85  8    (Classiker  nr.  176). 


Nwarta  8aiiiinl«sg  toh  UcberBetnuigcii  grieeh.  a«  röok  K]aMik«r.  8M 

ditionen  der  iUteren  sioisehen  Sohule  angegeben:  sie  werden  mit 
Reelit  aas  dem  Sireben  dieeer  spftteren  Stoiker  in  der  römischen 
Kaiaenseit  abgeleitet»  welches  mehr  aof  die  Anwendnng  der  Philo- 
sophie im  Leben,  als  änf  die  Theorie  gerichtet  war,  nnd  nament- 
lich ist  Epiktet  so  sehr  Praktiker,  dass  Logik  nnd  Physik  bei  ihm 
in  den  Hintergrund  treten  nnd  in  Folge  dessen  manchmal  selbst 
ein  Mangel  an  Schftife  der  Gonseqnenz  snm  Vorschein  kommt. 
»Glttcklicher  Weise  —  so  schreibt  der  Verfasser  und  wir  stehen 
nicht  an,  seine  Worte  za  nnterschrelben  —  ist  Epiktet  eine  so 
edle  nnd  liebenswürdige  Natur,  dass  seine  Moral  durch  die  wissen- 
schaftliche Inkonsequenz  materiell  hftufig  nur  gewinnt.  Er  httlt  sich 
fem  von  der  abstossenden  Härte,  durch  welche  die  stoische  Moral 
in  ihrer  Unerbittlichkeit  so  ofk  das  sittliche  QefQhl  empört.  Er 
bemllht  sich,  in  den  Schranken  &cht  sokratischer  Milde,  MUssigung 
und  Nüchternheit  zu  bleibenc  (8.  14).  Auch  darin  müssen  wir 
dem  Verfasser  vollkommen  Recht  geben,  wenn  er  einen  Einfltkss 
des  Christenthums  auf  Epiktet  und  seine  Lehre  entschieden  in  Ab- 
rede stellt;  es  ist  diess  bei  diesem  Stoiker  ebMi  so  wenig  der  Fall 
wie  bei  Seneca. 

In  der  Uebersetsung  selbst  ist  der  üebersetzer  zun&chst  dem 
in  Schweighauser*8  Ausgabe  gelieferten  Texte  gefolgt,  er  hat  zur 
Bequemlichkeit  des  Lesers  die  einzelnen  Abschnitte  mit  Ueber- 
fichriften  versehen  und  in  den  unter  der  Uebersetzung  auf 
Seite  befindlichen  Anmerkungen  die  nöthigen  Erlftuterungen  und 
Nachweisungen  zum  bessern  Verständuiss  der  Uebersetzung  ge- 
geben, insbesondere  auch  es  sich  angelegen  sein  lassen,  die  tech- 
nischen Ausdrücke,  wie  sie  in  der  stoischen  Schulphilosophie  vor- 
kommen, näher  zu  erläutern,  was  wir  für  Etwas  ganz  dankens- 
werthes  ansehen.  In  ähnlicher  Weise  ist  auch  die  Uebersetzung 
von  dem  Gemälde  des  Cebes  gehalten,  das  der  Verfasser  in  der 
kurzen,  vorausgeschickten  Einleitung  immerhin  für  acht,  d.  h.  für 
ein  Werk  des  Cebes,  des  Schülers  des  Sokrates  hält.  Wenn  die 
Anmerkungen  hier  minder  umfangreich  ausgefallen  sind,  so  liegt 
diese  in  der  Natur  der  Bache,  da  dieselben  hier  auch  minder  nöthig 
waren. 

Von  römischen  Scbriftstellem  haben  wir  zuerst  die  Fort- 
setzungen von  Plautus*)  und  Livius  anzuführen.  Die  beiden 
hier  gelieferten  Stücke  des  Plautus  gehören  bekanntlich  zu  den  ge- 
feiertsten Stücken  des  Dichters,  das  letztere  ist  auch  mehrfach 
für  die  neuere  Bühne  bearbeitet  worden,  daher  die  Uebertragung 
um  so  Wünschenswerther,  zumal  da  sie  durch  dieselben  Eigen- 
schaften sich  empfiehlt,  die  wir  in  der  Anzeige  des  ersten  Bänd- 
obens  hervorgehoben  haben.     Es   wird  daher  auch  kaum  der  Vor- 


*)  Tltns  M a ec ins  Plaut ns  Lustspiele.  Deutsch  v.  Dr.  Wilbelm 
Binder  Stuttgart  1864  u  s.w.  Zweites  Bandcben  Der  Bramarbas.  (MUes 
gloriosn?)  150  8.  Drittes  Bandchen.  Der  Schatz.  (Trlnummus)  110  S.  8. 
(Claseiker  nr.  168.  169.) 


360  Neueste  Sammlung  von  UeberaetniDgen  grieeh.  n.  r5m.  Klassiker. 

läge  besonderer  Proben  bedürfen,  und  wird  nnr  diese  zu  bemerken 
sein,  dass  einem  jeden  dieser  beiden  Stücke  eine  Einleitung  Yor- 
ausgescbickt  ist,  welche  über  Anlage  des  Stückes,  die  Tendenzen 
desselben,  die  handelnden  Personen  u.  dgl.  m.  sich  verbreitet  und 
damit  eine  richtige  Würdigung  vermittelt,  femer,  dass  am  Schlüsse 
gleichfalls  erklärende  Anmerkungen  hinzugekommen  sind. 

Auch  von  den  beiden  Bftndchen  des  Livius*),  welche  die 
vier  ersten  Bücher  der  vierten  Dekade  enthalten,  gilt  dasselbe,  was 
wir  von  den  vorausgehenden  Bändchen  mehrfach  bemerkt  haben, 
und  es  wird  hier  eben  so  wenig  der  Vorlage  besonderer  Proben 
bedürfen,  um  zu  zeigen,  mit  welchem  Geschick  die  oft  verschlungene 
Darstellung  des  Livius  und  ihr  verwickelter  Periodenbau  hier  wieder- 
gegeben ist  in  einer  fliessenden,  und  dabei  die  Treue  nie  verletzen- 
den deutschen  Sprache.  In  den  Anmerkungen,  welche  jedem  ein- 
zelnen Buche  in  kleinerer  Schrift  nachfolgen,  und  meist  sachliche, 
auf  den  Inhalt  der  Erzählung  des  Livius  bezügliche  Gegenstände 
betreffen,  zeigt  sich  die  gleiche  apologetische  Tendenz  gegen  die 
Willkühr,  womit  in  der  römischen  Geschichtschreibung  neuester 
Aera  wider  die  historisch-beglaubigte  üeberlieferung  verfahren  wird, 
die  man  da,  wo  sie  modernen  Parteizwecken  dienlich  erscheint, 
benutzt,  und  da,  wo  eine  solche  Benützung  nicht  möglich  ist,  weg- 
wirft und  verachtet.  Von  solcher  Aechtung  ist  auch  Livius  mehr- 
fMJi  betroffen  worden,  da  man  jetzt  sich  einbildet,  von  der  römischen 
Geschichte  mt^br  zu  wissen  und  sie  besser  zu  verstehen,  als  es  zu 
Livius  Zeiten  möglich  war.  Einer  solchen  ungerechten  Behandlung 
des  Livius  tritt  der  Verfasser  mehrfach  entgegen,  während  er  da, 
wo  ein  wirkliches  sprachliches  Missverständniss  bei  Livius  obzu- 
walten scheint,  auch  nicht  ansteht,  diess  offen  anzuerkennen,  wie 
z.  B.  XXXin,  8,  wo  in  den  Anmerkungen  S.  288  nachgewiesen 
wird,  wie  Livius  wohl  das  Griechische  missverstanden  haben  mag. 

Von  den  Epigrammen  des  Martialis**)  worden  in  den  vier 
Bändchen  das  Buch  von  den  Schauspielen  und  die  neun  ersten 
Bücher  mit  einem  Theile  des  zehnten  geliefert,  übersetzt  von  der 
Hand  desselben  Gelehrten,  dem  es  schon  früher  gelungen  war,  eine 
so  befriedigende  üebersetzung  des  in  dieser  Hinsicht  so  schwierigen 
Juvenalis  zu  liefern,  und  dem  es  auch  hier  wieder  gelungen  ist, 
die  schon  durch  die  verschiedentlich  angewendeten  Metra  nicht 
minder  schwierigen  Epigramme  des  Martialis  in  einer  metrischen, 
wohl  verständlichen  und  fliessenden  deutschen  üebersetzung  wieder- 


*)  Tltus  Livius  Römische  Geschichte.  Deutsch  von  FraniDorotheua 
O erlach,  Professor  an  der  Universität  ku  Basel.  Eilftes  Bändchen.  80.  u 
81.  Buch.  Zwölftes  Bändoben.  83.  n.  88.  Buch.  267  8.  8.  Stuttgart  1864 
(GlasBiker  nr.  174.  175). 

^)  Die  Epigramme  des  Marcus  Valerlus  Martialis  in  den  Vers- 
massen des  Originals  Obersetst  von  Dr.  Alexander  Berg.  Stuttgart  1864 
u.  8.  w.  Freies,  zweites,  drittes,  viertes  B&ndchen  868  8.  8.  tClassiker  nr. 
166.  167.  178.  HO.) 


NeiMiU  BMMilwng  von  UebertetaaBg«B  grlMh.  u.  rOn«  KlMtikcf.  861 

zugeben,  und  durch  die  beigefügten  Anmerkungen,  welche  Uber  die 
in  diesen  Epigrammen  vorkonunenden  Personen  nnd  Sachen  sich 
Terbreiten,  aaoh  dem,  mit  der  2Seit  des  Martialis  minder  bekann- 
ten Leser  yerstftndlich  za  machen.  Denn  dass  hier  dem  üebersetser, 
wenn  er  seine  Aufgabe  in  einigermassen  befriedigender  Weise  lOsen 
will,  nicht  geringere  Schwierigkeiten  entgegenstehen,  kann  schon 
die  ungemeine  Mannichfaltigkeit  der  in  diesen  Epigrammen  be- 
bandelten Oegenstftnde,  und  die  Gedrängtheit  der  Sprache,  die  in 
wenig  Worten  möglichst  Viel  zusammenzufassen  sucht,  lehren; 
Niemand,  der  das  Original  auch  nur  Etwas  kennt,  wird  diess  in 
Abrede  stellen  können.  Wir  glauben  daher  unsere  Leser  nicht 
besser  Ton  dem,  was  hier  wirklich  geleistet  worden  ist,  überzeugen 
ZQ  können,  als  wenn  wir  zur  Probe  einige  aufs  Qeradewohl  aus- 
gewählte Epigramme  hier  Yorlegen.  Aus  dem  ersten  Buche  das 
Tierte  Epigramm: 

Wenn,  o  Kaiser,  yielleicht  du  meine  Bücher  berührtest, 

Lege  die  Hoheit  ab  eines  Oebieters  der  Welt. 
Eure  Triumphe  sogar  sind  Scherz  gewohnt  zu  ertragen, 

und  auch  der  Feldherr  dient  willig  als  Stoff  für  den  Witz. 
Lies  mit  der  nämlichen  Stirn,  mit  der  duThymele  schauest, 

Oder  den  Spötter  Latin,  unsere  Dichtungen  auch. 
Harmlos  scherzendes  Spiel  kann  wohl  der  Ceusor  erlauben: 

Ist  leichtfertig  mein  Blatt,  bin  ich  im  Leben  doch  keusch. 

Oder  aus  dem  zweiten  Buch  das  siebente  Qedicht : 

Du  sprichst,  Atticus,  schön,  du  führest  schön  die  Prozesse, 

Schreibest  Oeschiohte  schön,  machest  ein  schönes  Gedicht, 
Schön  verfassest  du  auch  Lustspiele,  schön  Epigramme, 

Bist  als  Grammatiker  schön,  schön  in  der  Astrologie, 
Nicht  nur  singest  du  schön,  du  tanzest,  Atticus,  schön  auch. 

Spielest  die  Lyra  schön,  spielest  auch  schön  mit  dem  Ball. 
Willst  du,  da  Jegliches  schön,  da  gar  nichts  aber  du  gut  machst. 

Wissen  von  mir,  was  du  bist?  Nur  ein  geschäftiger  Narr. 

Aus  dem  vierten  Buche  Nr.  27 : 

Meine  Gedichtlein  pflegst,  Augustus,  oft  du  zu  loben. 

Sieh,  es  bestreitet^s  der  Neid:  pflegst  du  es  minder  darum? 
Hast  du  nicht  den  Geehrten  mit  mehr,  als  Worten,  beschenket. 

So  wie  ein  Anderer  nicht  hätte  zu  geben  vermocht? 
Wiederum,  siehe,  zernagt  sich  der  Neid  die  schmutzigen  Nägel. 

Gib  du  um  desto  mehr,  Kaiser,  damit  es  ihn  schmerzt. 

Womit    wir  verbinden    das    zehnte   Epigramm   des   fünften 
Buches : 

Sagen  soll  ich,  warum  man  den  Buhm  den  Lebenden  weigert, 
und  der  eigenen  Zeit  selten  ein  Leser  sich  freut? 


des  KienMfe  Samtnhmg  ▼««  UeberaMgUTif^Ti  griech.  «.  rdn  Klanlker« 

Wundra  dich,  RegcQiu,  nicht,  das  ist  die  Sitte  des  Neides, 

Das8  er  das  Aeltere  stets  über  das  Nettere  setzt. 
So  Bucht  undankbar  man  den  alten  Schatten  Pompejis  anf, 

So  lobt,  kärglich  gebaut,  Catulas'  Tempel  der  Greis. 
So  las  Ennins  Rom,  als  du  noch  lebetest,  Marc, 

Dein  Jahrhundert  auch  hat  dich,  Mftoaide  verlacht: 
Selten  hat  dir  die  Bflhne  geklatscht,  gekrGnter  Menander, 

Ihres  Naso  Verdienst  war  nur  Corinnen  bekannt. 
Ihr,  0  unsere  Bttoher,  jedoch,  nicht  braucht  ihr  zu  eilen: 

Wenn  nach  dem  Tode  mir  Ruhm  kommet,  so  lass'  ich  mir  Zeit. 

Wir  schHessen  mit  dem  88.  Epigramm  des  siebenten  Buches, 
in  welchem  der  Dichter  selbst  über  seine  Lieder  sich  ausspricht: 

Meine  Büchelchen  zählt,  so  heisst's,  das  schöne  Yienna, 

Wenn  nicht  lüget  der  Ruf,  unter  die  Lieblinge  mit. 
Dort  liest  jeglicher  Qreis   und  der  Jüngling   mich   und  der  Knabe 

Und  vor  des  grämlichen  Manns  Augen  die  züchtige  Frau. 
Das  erfreuet  mich  mehr,  als  sängen  meine  Gedichte, 

Die  aus  den  Quellen  selbst  trinken  das  Wasser  des  NiVs, 
Als  wenn  mein  Tagns  mich  reich  mit  Hispanischem  Golde  beschenkte, 

Bienen  der  Hybla   mir  speist*  und  der  Hymettische  Berg. 
Etwas  gelt*  ich  denn  doch,  und  die  artig  schmeichelnde  Zunge 

Täuschet  mich  nicht:  ich  will,  Lausus,  dir  glauben  hinfort. 

Von  Cicero*  8  ausgewählten  Reden  ist  das  zweite  Bändchen  *) 
zu  nennen,  welches  die  Rede  über  den  Oberbefehl  des  Cnejus  Pom- 
pejus  enthält,  versehen  mit  einer  umfassenden  historischen  Einlei- 
tung, wie  sie  zum  Verständniss  der  Rede  allerdings  nothwendig 
ist,  und  einer  genauen  Disposition  derselben,  so  wie  mit  kurzen 
erklärenden  Anmerkungen  sachlicher  Art  unter  dem  Texte  der 
üebersetzung,  die  mit  aller  Genauigkeit  an  das  Original  sich  an- 
schliesst.  Weiter  sind  aber  auch  die  drei  Bändchen  anzuführen, 
welehe  den  Cato**),  den  Lälius***)  und  die  Paradoxenf) 
enthalten.  Wir  verdanken  diese  kleinere  Schrifken  demselben  Ge- 
lehrten, der  auch  die  üebersetzung  mehrerer  der  grösseren,  in  die- 


*)H.  Tulliu0  Cicero's  ausgewählte  Reden,  verdeutscht  vod  Dr. 
Johannes  Slebelis.  Zweites  Bändchen.  Bede  über  Onäus  Pompejue' 
ObiTbefehl  oder  fftr  den  maniliseben  Gesetivorseblftg.  Stuttgart  1864  u.  s.  w. 
66  8.  In  8.  (GUasIkor  Nr.  163). 

**)  Marevs  Tulliua  Cloero'e  Cato  oder  von  dem  Greiseoalier  an 
Tltüs  Pomponins  Attlous.  Ueberaetzt  und  erklärt  von  Dr.  Rapbael  Küh- 
ner. Stuttgart  1864  u.  b.  w.  69  S   in  8.  (Classlker  Kr.  168). 

***)  Marcus  Tullins  Cicero^s  L&lins  oder  Ton  der  Frenndsebaft 
an  Titns  Pomponins  Attlcus.  Üebersetat  und  erklBrt  Ton  Dr.  Kaphael 
Kühner.  Stuttgart  1864  n.  s.  w.  75  8   8.  (Claasiker  Nr.  164). 

+)  Marcus  Tullius  Cicero'a  Paradoxen  der  Stoiker  von  Mar- 
cus Brutus.  Uebersetxt  und  erkl&rt  von  Dr.  Raphael  Knbror.  Stuttgart 
1864  u.  B.  w.  48  8.  8.  (Claasiker  Nr.  165). 


K«a«t«  CftBidiiiig  von  Ue)>or««tgwic«s  grieeh.  v.  HtaiL  Kkariktr.  ttt 

ser  Bmnmhmg  enihaltenra  Schriften  Oicero's,  der  Btteher  vom 
Redner,  von  den  Pflichten,  den  Tnsculanen  geliefert  hat,  worflber 
schon  frflher  ansftlhrlicher  in  diesen  Blättern  gesprochen  worden 
ist.  Man  wird  daher  mit  den  gleichen  Erwartungen  anch  an  diese 
Schriften  gdien  nnd  sich  anch  eben  so  befriedigt  finden:  die- 
selbe Sorgfalt  in  der  ganzen  Behandlnng  tritt  auch  hier  heryor 
und  zeigt  sich  eben  so  sehr  in  der  genauen  und  getrenen,  aber 
dämm  doch  fliessenden  deutschen  üebersetznng ,  wie  in  den  unter 
derselben  beigefügten  Anmerkungen,  welche  die  Erhlftmng  einselner 
Stellen,  den  Nachweis  der  Quellen,  die  von  Cicero  benutzt  worden, 
und  Anderes  der  Art  betreffen,  insbesondere  aber  auch  in  den  aus- 
fUhrlidien  Einleitungen,  welche  einer  jeden  dieser  Schriften  vor- 
ansgehen.  So  wird  in  der  Einleitung  zum  Cato  die  Beziehung  und 
das  Yerhftltniss  dieser  Schrift  zu  den  andern  Schriften  moralischen 
Inhalts  angegeben,  die  dialogische  Form  wie  die  Zeit  der  Abfassung 
besprochen  und  die  in  dieser  Schrift  von  Cicero  redend  eingeführ- 
ten Personen  nach  ihren  historischen  Beziehungen  geschildert,  end- 
lich eine  äusserst  genaue  Uebersicht  des  Inhaltes  und  des  Ganges 
der  Darstellung,  wie  des  innem  Zusammenhangs  der  einzelnen  Theile 
geliefert.  In  ähnlicher  Weise  sind  auch  die  Einleitungen  zu  dem 
Lälius  und  zu  den  Paradoxen  gehalten.  Man  sieht,  wie  der  Verfasser 
durch  yie^iährige  Studien  mit  diesen  von  ihm  hier  übersetzten  und 
erklärten  Schriften  des  Cicero  innig  vertraut,  die  Resultate  der 
eigenen,  wie  fremder  Forschung,  hier  in  einer  Weise  yerarbeitet 
hat,  welche  sich  Jedem  Gebildeten  empfiehlt,  welcher  eine  nähere 
Bekanntschaft  mit  diesen  schönen,  und  von  Cicero  schon  ftlr  ein 
grösseres  gebildetes  Publikum  bestimmten  moralischen  Abhand- 
lungen, in  dieser  ihrer  populären  Fassung  gewinnen  will.  Wir 
wttssten  keinen  besseren  Führer  zu  empfehlen.  In  der  Üebersetznng 
hat  sich  der  Verfasser  an  den  Text  von  Halm,  in  der  zweiten  Aus- 
gabe des  Orelli'schen  Cicero,  gehalten,  da  wo  er  davon  abweicht, 
oder,  bei  der  Unsicherheit  der  schrifUichen  üeberliefemng  seiner 
eigenen  Wahl  folgen  musste,  ist  diess  in  den  Anmerkungen  unter 
dem  Text  jedesmal  bemerkt.  Zum  Schluss  fügen  wir  noch  wenig- 
stens Eine  Probe  an  aus  dem  fünften  Paradoxon,  welches  den 
stoischen  Satz  erhärten  soll,  dass  der  Weise  allein  frei  sei  und 
jeder  Thor  ein  Sklave;  hier  heisst  es  (§  34) :  »Was  ist  Freiheit? 
Die  Macht  so  zu  leben,  wie  man  will.  Wer  lebt  nun  so,  wie  er 
will,  ausser  denjenigen,  welcher  zu  jeder  Zeit  dem  Sittlichrechten 
folgt,  welcher  seine  Pflichten  freudig  erfüllt,  welcher  sich  einen 
wohl  überlegten  und  bedachten  Lebenswandel  gesetzt  hat,  welcher 
den  Gesetzen  zwar  nicht  aus  Furcht  gehorcht,  aber  sie  befolgt 
und  ehrt,  weil  er  diess  für  das  Heilsamste  erkennt,  welcher  Nichts 
sagt.  Nichts  thut.  Nichts  endlich  denkt  als  gern  und  frei,  dessen 
sämmtliche  Entschliessnngen  und  sämmtliche  Handlungen  aus  ihm 
selbst  hervorgehen  und  auf  ihn  selbst  wieder  zurückgehen,  und  bei 
welchem  Nichts  mehr  gilt,  als  sein  eigener  Wille  und  sein  eigenes 


864  Neneete  Samnünng  von  UebeneisuTifrn  griecb,  u.  röm.  KlMSlker. 

ürtbeily  welchem  sogar  die  SchicksalsgOttin ,  der  man  doch  die 
grOsste  Gewalt  zuertheilt,  weichen  muss  ?  sowie  ein  weiser  Dichter 
gesagt  hat:  Jedem  gestaltet  sich  sein  Schicksal  nach 
seinem  eigenen  Charakter. 

Dem  Weisen  allein  wird  also  das  zn  Theil,  dass  er  Nichts 
gegen  seinen  Willen  thnt,  Nichts  mit  Betrübniss,  Nichts  ans  Zwang. 
Wenn  nun  auch  der  Beweis  für  diese  Behauptung  mit  mehreren 
Worten  zu  erörtern  ist,  so  ist  es  doch  ein  kurzer  und  einzuräumen- 
der Satz,  dass,  wer  sich  nicht  in  einer  solchen  Qemüthsstimmung 
befinde,  auch  nicht  frei  sein  könne.  Sclaven  sind  also  alle  Sohlechten. 

Und  diese  Behauptung  ist  weniger  der  Sache  als  den  Worten 
nach  befremdend  und  seltsam.  Denn  nicht  in  dem  Sinne  sagt 
man,  solche  Menschen  seien  Sklaven  wie  die  Leibeigenen,  die  durch 
Schuldhörigkeit  oder  auf  eine  andere  Weise  nach  dem  bürgerlichen 
Rechte  Eigenthum  ihrer  Herren  geworden  sind,  sondern  wenn 
Sklayerei,  wie  sie  es  denn  auch  wirklich  ist,  darin  besteht,  dass 
man  einem  kraftlosen  und  kleinmüthigen  Geiste,  der  keinen  freien 
Willen  hat,  Gehör  gibt :  wer  sollte  da  noch  leugnen,  dass  alle  Leicht- 
fertigen, aUe  Leidenschaftlichen,  kurz  alle  Schlechten  Sklaven 
seien  ?« 

Endlich  freuen  wir  uns  noch,  von  einer  schon  frOher  erschie- 
nenen Uebersetzung  eine  erneuerte  und  auch  verbesserte  Auflage 
anzeigen  zu  können: 

Des  Cajus  Sallusiius  Crispus  Werke,  tiberselsi und  erläuiert 
von  Dr.  C.  Clese,  Oberstudienrathj  J?.  d.  O.  d.  W,  Krone. 
Er  et  e  8  Bandchen.  Der  Krieg  gegen  Jugurtha.  Zweite 
verbesserte  Auflage.  Stuttgart.  Krais  ^  Hoffmann  1866.  IV 
und  195  S.  8.  (Classiker  Nr.  17). 

In  der  neuen  Auflage  dieser  meisterhaften  Arbeit,  die  unter 
den  verschiedenen  Uebersetzungen ,  die  wir  von  den  Werken  des 
Sallustius  besitzen,  eine  ausgezeichnete  Stelle  einnimmt,  hat  der 
Verfasser  seine  Hauptsorge  der  Uebersetzung  selbst  zugewendet, 
und  hier  das  Ganze  einer  nochmaligen,  genauen  Bevision  unter- 
worfen, welche,  wie  er  versichert,  zwischen  zu  enger  Treue  und  zu 
freier  Wiedergabe  die  rechte  Mitte  zu  halten  suche.  Wir  haben 
die  neue  Uebersetzung  mit  der  früheren  verglichen  und  diese  Be- 
hauptung in  Allem  bewährt  getunden :  schärfere  Fassung  des  Aus- 
drucks, grössere  Bestimmtheit  und  Klarheit,  ohne  Aufgeben  der 
Treue  in  dem  genauen  Anschluss  an  das  Lateinische  Original,  tritt 
in  der  neuen  Uebersetzung  auf  eine  Weise  hervor,  welche  das  beste 
Zeugniss  ablegen  kann  für  die  SorgfoJt,  mit  welcher  der  gewissen- 
hafte Verfasser  sein  Werk  behandelt  hat.  Wir  hatten  in  der  An- 
zeige der  ersten  Auflage  in  diesen  Jahrbüchern  (J.  1855  8.518)  als 
probe  der  Uebersetzung  das  zweite  Capitel  mitgetheilt,  wir  wollen 


KMflsto  S>niin1iittg  toh  UeberteCnuseft  grlecb.  «.  rte.  KlaMikar.  86& 

hier  den  Au&ng  wenigstens  ans  beiden  Auflagen  mittheilen  und  die 
Aenderongen  in  der  zweiten  durch  besonderen  Draok  hervorheben : 
es  wird  sich  daraus  ergeben,  dass  die  Aenderongen,  welche  ge- 
macht worden,  auch  als  Verbessenmgen  anzusehen  sind. 

In  der  ersten  Auflage  hiess  es: 

Denn  wie  das  Geschlecht  der  Menschen  zusammengesetzt  ist 
ans  Seele  und  Leib,  so  richtet  sich  Alles  in  den  Dingen  und  Alles 
in  unsem  Bestrebungen  theils  nach  des  Leibes,  theils  nach  der  Seele 
Natur.  Daher  ein  glänzendes  Aeussere,  grosser  Beichthum,  zudem 
Körperkraft,  Anderes  der  Art :  Alles  in  kurzem  zerstäubt,  dagegen 
ausgezeichnete  Werke  des  Geistes,  wie  die  Seele,  unsterblich  sind, 
u.  8.  w. 

In  der  neuen  Auflage  lauten  diese  Worte  also: 

Denn  wie  das  Wesen  des  Menschen  zusammengesetzt  ist  aus 
Leib  und  Seele :  so  richtet  sich  Alles  in  den  Dingen  und  Alles  in 
unseren  Bestrebungen  theils  nach  der  leiblichen  theils  nach  der 
geistigen  Natur.  Daher  ein  glänzendes  Aeussere,  grosser  Beich* 
thum,  zudem  Körperkraft  und  Anderes  der  Art :  Alles  in  Kurzem 
zerfällt;  dagegen  ausgezeichnete  Werke  des  Geistes,  wie  die  Seele 
selbst,  unsterblich  sind,  u.  s.  w. 

Oder  wir  wenden  uns  zu  dem  vierten  Capitel,  in  welchem  die 
am  Anfang  stehenden  Worte:  »simul  ne  per  insolentiam  quis 
existumet  memet  Studium  meum  landando  extollere«  in  der  ersten 
Auflage  übersetzt  worden  waren:  »zugleich  auch  darum,  dass  Nie- 
mand wähne,  ich  erhebe  ans  Anmassung  durch  Lobsprtlche  meine 
Lieblingsarbeiten.«  In  der  neuen  Auflage  heisst  es  »mein  Lieb- 
lingsfach« und  gewiss  mehr  dem  lateinischen  Ausdruck  Studium 
meum,  entsprechend,  da  Sallustius  damit  seine  persönliche  Nei- 
gung, die  ihn  gerade  zu  diesem  Gegenstand  und  zu  dieser  Thätig- 
keit  Älhre,  bezeichnen,  aber  keineswegs  von  seinen  Lieblingsarbeiten 
reden  will.  In  demselben  Capitel  lauten  die  Worte:  »profecto 
existumabunt  me  magis  merito  quam  ignavia  iudicium  animi  mei 
mutavisse  maiusque  commodum  ex  otio  meo  quam  ex  aliorum  ne- 
gotiis  reipublicae  venturum«  in  der  früheren  Ausgabe:  »wahr- 
lich sie  würden  alsdann  ermessen  können,  dass  ich  vielmehr  mit 
Fug  und  Becht,  als  aus  Trägheit  meine  Ansicht  geändert  habe, 
und  dass  von  meiner  Muse  dem  Staat  ein  grösserer  Gewinn  zu- 
fliesseu  werde,  als  von  der  Geschäftigkeit  Anderer.« 

In  der  neuen  Auflage  ist  an  die  Stelle  des  Wortes  Trägheit 
gesetzt:  Arbeitsscheu,  was  wohl  richtiger  den  hier  von  Sal- 
Instius-mit  dem  Worte  ignavia  gemeinten  Begriff  ausdrückt; 
an  die  Stelle  des  Wortes  Muse  (ex  otio  meo)  ist  gekommen 
Geschäf  tslo  si  gkei  t ,  als  Gegensatz  zu  dem  nachfolgenden  Worte 
Geschäftigkeit.  In  demselben  Kapitel,  wird  in  den  Worten: 
»scilicet  non  oeram  illam  neque  figuram  tantam  vim  in  se  habere« 
figura  jetzt  gewiss  richtiger  durch  Gestalt,  als  durch  Bild, 
wie  ee  in  der  ersten  Auflage  hiess,  wiedergegeben,  tmd  wenn  am 


S66  KeiMtie  SAiniiluag  von  Uabenafratigen  ^keb.  «.  rOft.  Klttfilker. 

Schlüsse  dieses  selben  Capitels  >civitatis  mores«  jetzt  dtDroh 
»die  sittlichen  Zustände  in  unserem  Staate«  übersetzt  werden,  so 
halten  wir  auch  diess  für  besser,  als  die  frühere  Uebersetzung : 
>der  Geist  in  unserm  Staate.« 

Wenden  wir  uns  zu  einem  andern  Abschnitt,  zu  der  Bede  des 
Memmiusim  31.  Kapitel,  so  tritt  uns  auch  hier  die  gleiche  Wahr- 
nehmung entgegen,  die  wir  durch  einige  aus  diesem  Oapitel  ent- 
nommene Proben  belegen  wollen.  Wenn  im  An&ng  der  Bede  in  den 
Worten:  »denn  davon  mag  ich  gar  nicht  sprechen,  wie  sehr  Ihr 
in  den  letzten  zwanzig  Jahren  dem  üebermuthe  Weniger  zum  Spiele 
ball  (ludibrio)  dienen  musstet«  der  Ausdruck  Spielball  an  die 
Stelle  des  früher  gebrauchten  Spielzeug  getreten  ist,  seiet  diess 
nach  der  deutschen  Ausdruoksweise  gewiss  besser;  eben  so  wenn 
gleich  darauf  die  Worte:  »ut  vobis  animus  ab  ignavia  atque  so- 
oordia  corruptus  sit«,  welche  in  der  ersten  Auflage  lauten:  »wie 
Euch  in  Folge  von  Lässigkeit  und  G-leichgültigkeit  der  Sinn  ent- 
nervt worden  ist«,  nun  also  wiedergegeben  sind:  »wie  Ihr  in  Folge 
von  Feigheit  und  Stummsinn  ganz  herabgekommen  seid«,  was  wir 
jedenüalls  vorziehen.  In  den  bald  darauf  folgenden  Worten:  »uti 
contra  injurias  armati  eatis«  war  injurias  das  erstemal  durch 
Beeinträchtigungen  wiedergegeben,  was  uns  ebenfalls  doch 
Etwas  zu  schwach  vorkommt;  in  der  neuen  Auflage  erscheint  da- 
für der  auch  dem  Sinn  nach  passendere  Ausdruck:  Bechtsver- 
letzungen;  bei  den  Worten:  »in  plebem  Bomanam  quaestioncs 
habitae  sunt«  war  zuerst  übersetzt  worden:  »über  das  römische 
Volk  [man  denkt  hier  unwillkührlich  an  populus  Bomanus, 
was  Sallustius  absichtlich  nicht  angewendet  hat  oder  vielmehr  nach 
dem  von  ihm  beabsichtigten  Sinne  nicht  anwenden  konnte]  wurden 
peinliche  Untersuchungen  verhängt«;  jetzt  heisst  es  dafür:  »über 
die  römischen  Bürger«  was  wir  wohl  vorziehen.  Gewiss  rich- 
tiger aber  sind  die  Worte:  »Sed  sane  fnerit  regni  paratio  plebi 
8ua  restituero ;  quicquid  sine  sanguine  civium  ulcisci  nequitur,  jure 
factum  sit«  in  der  neuen  Ausgabe  also  übersetzt:  »Doch  es  heisse 
das  immerhin  ein  Trachten  nach  der  Krone,  wenn  man  die  Volks- 
reohte  wieder  herstellt ;  was  Allee  ohne  Bürgerblut  nicht  geahndet 
werden  kann,  heisse  mit  Becht  gethan« ;  während  sie  in  der  früheren 
Aasgabe  lauteten:  »Doch  es  heisse  das  immerhin  ein  Trachten  nach 
der  Krone,  wenn  man  dem  Volke  wieder  zu  seinen  Gerechtsamen  vcr- 
hilffe;  die  Strafe  (?),  welche  ohne  Bürgerblut  nicht  vollzogen  werden 
kann,  sei  mit  Becht  vollstreckt.«  Wenn,  um  Anderes  zu  übergehen^  die 
bezeichnende  lateinische  Wendung  »divina  et  hnmanaomnia  hosti* 
bus  tradita  sunt«  jetzt  durch:  »alle  götUichen  und  menschliehen 
Ordnungen  (wurden)  an  die  Feinde  verkaufb«  übersetzt  ist,  so 
halten  wir  diees  für  richtiger  als  das  frühere;  »Alles  Göttliche 
und  Menschliche  (wurde)  an  die  Feinde  verrathen«;  eben  so  anch 
wenn  kurz  zuvor  »gloria«  durch  »Buhmes^^anz«  statt  des  früheren 
»Glanz«  gegeben  ist.  Eher  könnte  man  bedenklich  sein,    wenn  in 


KeuesU  SaBunlnng  toü  r*bersMi«iig«i  gvteeh.  «.  rtai.  Kkssiker.  867 

folgendsr  Stelle:  >At  qai  sunt  ü,  qui  rem  pablieam  oocapavere? 
Homines  soeleratissimiy  cnientis  manibos,  immani  ayaritia,  nooen- 
tiaaimi  iidemqae  tmperbissiini«  die  beiden  letzten  Worte,  die  in 
der  enten  Ausgabe  übersetzt  waren:  »die  schnldbekdeiisten  und 
lagleich  übermftthigsten  Menschen«  nun  Ubersetsi  werden:  »die 
ärgsten  Misaetliftter  nnd  zugleich  yoU  Uebermuth«,  während  der 
Anfang  dieser  Stelle  gewiss  besser  gegeben  ist  dnrch:  »Aber  was 
sind  denn  das  für  Leute,  (statt:  aber  wer  sind  denn  diejenigen) 
welche  sich  des  Staatsruders  bemächtigt  haben?«  Besser  werden 
auch  die  Worte:  »Ita  quam  quisque  pessume  fecit,  tarn  maxume 
tutns  est«  nun  gegeben  durch:  »So  je  ärger  es  Einer  getrieben 
hat,  desto  gesicherter  ist  er«;  früher  lautete  die  Uebersetzung : 
»So  je  schlechter  £iner  gehandelt  hat  u.  s.  w.«  Gleich  darauf 
werden  die  Worte:  profecto  neque  respublica  sicuti  nunc  yastare- 
tor,  et  beneficia  yosira  penes  optumos  non  audacissimos  forent« 
nun  in  folgender  Weise  wieder  gegeben:  »Fttrwahr  unser  Gemein- 
wesen läge  nicht  nur,  wie  es  jetzt  der  Fall,  im  Argen,  und  die 
Aemter  Eurer  Huld  wären  in  den  Händen  der  Biedei'sten,  nieht  der 
Verwegensten«;  die  frühere  uebersetzung  lautete:  »Fttrwahr  das 
Gemeinwesen  würde  nicht  nur  wie  jetzt  nicht  zerrüttet,  sondern 
Enre  Ghinstbezeugungen  wären  auch  in  den  Händen  der  Biedersten, 
nicht  der  Kecksten« ;  man  wird  auch  hier  der  neuen  uebersetzung 
wohl  den  Vorzug  geben,  selbst  wenn  man  an  dem  Ausdruck :  läge 
im  Argen«  (für  yastaretur)  einen  Anstoss  nehmen  wollte,  der 
aber  noch  weit  mehr  das  frühere  »zerrüttet«  treffen  würde. 

Wir  wollen  indess  nicht  weiter  diese  Proben,  die  sich  aas 
demselben  Kapitel  noch  weiter  fortsetzen  Hessen,  fortführen,  ua  die 
Geduld  unsrer  Leser  nicht  zu  ermüden:  jeden&Ua  wird  das  hier 
aus  wenigen  Kapiteln  Angeführte  ein  hinreichender  Beweis  unserer 
Behauptung  sein,  daas  in  Allem  ein  sorgfiLltige  Beyision  derUeber- 
setzong  statt  gejfnnden  und  zu  deren  Veryollkonunnung  beigetragen 
habe.  Die  gleiche  Sorgfalt  erstreckt  sich  auch  über  die  auf  die 
Uebersetzung  folgenden  Anmerkungen,  und  wenn  die  hier  getroffia- 
nen  Aendenmgen  nicht  yon  dem  Umfang  waren,  so  liegt  diess  in 
der  Natur  der  Sache.  Indessen  fehlt  es  im  Einzelnen  anch  hier 
nieht  an  neu  hinzugekommenen  Belegen  und  Beweisstellen  oder  ge- 
lehrten Nachweiaungen  aus  der  neuesten  Literatur  über  die  Iner 
berührten,  namentlich  geographischen  oder  antiqnarischen  Punkte, 
oder  an  yeränderter  Fassimg  einzelner  Anmerkungen,  wie  z.  B., 
um  nnr  zwei  Punkte  der  Art  zu  berühren,  die  Anmerkung  Nr.  6 
zu  ca^  28,  welche  die  interessante  Betrachtung  über  Jugnrtlui's 
Kriegführung  zur  Erhaltung  der  Selbständigkeit  Afrika's  enÜiäH 
mit  Hinweis  auf  den  neuesten  Vertbeidiger  derselben  Abdel  Kader, 
oder  die  mehrHach  umgestaltete  Anmerkung  über  die  oap.  79  ge- 
gebene 1g««ftlilTiTig  yon  der  That  der  Philänmi  und  den  über  die 
Glaubwürdigkeit  dieser  Sage  in  neuester  Zeit  erhobenen  Streit.  So 
Hesse  sich  noch  Manches  der  Art  anführen,  was  im  Einzelnen  ge- 


368  Fu^hs:  Die  wlkanteehon  li^raoiteliitittgen  der  iSrde. 

schehen  ist,  wenn  auch  im  Ganzen  keine  so  grossen  Veränderungen 
stattgefdnden  haben :  von  welcher  Bedentang  aber  diese  Anmerkun- 
gen sind,  in  Bezug  auf  das  Verständniss  und  die  Erklänmg  des  Sal- 
lustius  ist  schon  in  der  früheren  Anzeige  a.  a.  0.  S.  519  hervor- 
gehoben worden  und  wird  es  darum  auch  jetzt  nicht  nSthig  sein, 
darauf  insbesondere  zu  verweisen,  namentlich  auch,  was  die  ge- 
nauen, zum  Verständniss  oft  so  nothwendigen  Erörterungen  geogra- 
phischer Punkte  betrifft.  Chr.  BAbr. 


Die  vülkanisehen  Erscheinungen  der  Erde  von  Dr.  C,  W,  C,  Fuchs. 
Leiptig  bei  C.  F.   Winter  1865. 

Im  verflossenen  Jahrzehnte,  und  schon  etwas  länger,  wurden 
die  vulkanischen  Erscheinungen  verhältnissmässig  weniger  berück- 
sichtigt und  waren  weniger  häufig  Gegenstand  wissenschaftlicher 
Untersuchung,  wie  andere  Zweige  der  Geologie.  Wir  haben  aus 
dieser  Zeit  zahlreiche  Werke,  die  speciell  der  Petrographie ,  der 
Paläontologie  u.  s.  w.  gewidmet  sind,  aber  fäst  keines,  das  die 
zahlreichen  Beobachtungen  an  einzelnen  Vulkanen  und  die  Residtate 
neuerer  Reisen  zusammenfasste.  Das  vorliegende  Buch  soll  nun  eine 
Darstellung  Alles  dessen  geben,  was  der  Wissenschaft  bis  jetzt  über 
die  vulkanischen  Erscheinungen  bekannt  ist;  es  soll  dadurch  auch 
zugleich  der  Unterschied  hervortreten  zwischen  dem,  was  hypothe- 
tisch ist,  und  dem,  was  auf  zuverlässiger  Beachtung  beruht  oder 
experimentell  erwiesen  ist.  Es  lässt  sich  nicht  läugnen,  dass  die 
genaue  Kenntniss  der  vulkanischen  Erscheinungen  einen  grossen  Ein- 
fluss  auf  die  Geologie  ausüben  muss  und  es  kann  daher  derselben 
eine  solche  Darstellung,  in  der  jene  Erscheinungen  eine  ihrem  hohen 
Interesse  entsprechende  Würdigung  erfahren,  und  in  der  zugleich 
ihrer  geognostischen  und  geogenetischen  Bedeutung  Rechnung  ge-* 
tragen  werden  soll,  erwünscht  sein. 

Solange  die  Ursache,  welche  den  vulkanischen  Erscheinungen 
zu  Grunde  liegt,  nicht  bekannt  ist,  wird  es  nicht  möglich  sein 
ihren  Begriff  genau  zu  definiren,  alle  verwandten  derartigen  Er- 
scheinungen zusammenzustellen,  die  andern  aber  davon  zu  sondern. 
Man  bleibt  darum  vorerst  durch  das  Herkömmliche  gebunden, 
welche  Naturerscheinungen  unter  dem  Namen  » vulkanische  <  zu- 
sammengefasst  werden  sollen.  Dem  entsprechend  haben  im  vorlie- 
genden Werke  die  Vulkane  selbst,  dann  die  Erdbeben,  die  Schlamm- 
vulkane und  die  heissen  QueUen  ihre  Stelle  gefunden,  obgleich 
manche  derselben  durch  ganz  verschiedene  Ursachen,  die  uft  nichts 
mit  dem  gewöhnlichen  Begriffe  von  vulkanisch  gemein  haben,  ver- 
anlasst werden  dürften.  Fuchs« 


It.  24.  HEIDEIBER6ER  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Le  Poeme  de  Ja  craisade  eontre  les  Albigeois  par  O.  Ouibal.  ParU» 
Durand  1863. 

Fauriel,  der  im  Jahr  1824  die  Chants  populaires  de  laGröce 
moderne  herausgab,  ist  auch  einer  der  gründlichsten  Kenner  der 
proyencalischen  Poesie  gewesen.  Er  yeröffentliohte  im  Jahr  1837 
die  Reimchronik  über  den  Kreuzziig  gegen  die  Albigenser,  das  sttd- 
firanzösische  Nationalepos  aus  dem  dreizehnten  Jahrhundert.  Die 
neuesten  Untersuchungen  über  dieses  in  literarischer  wie  in  histo« 
rischer  Beziehung  gleich  bedoutungsYolle  Dokument  verdanken  wir 
einem  Provencalen,  dem  Dr.  G.  Ouibal,  der  wohl  eine  allzu  be- 
scheidene Meinung  von  sich  haben  dürfte,  wenn  er  sich  dahin 
äussert,  das8  er  die  Faurierschen  Arbeiten  nur  fortgesetzt  habe. 
Er  hat  uns  vielmehr  ein  klares  Bild  von  der  Entstehung  und  dem 
Wesen  des  nationalen  Epos  gegeben,  und  ein  Jeder  der  seinen 
lichtvollen  üiftersuchungen  auf  diesem  Gebiete  gefolgt  ist,  wird 
denselben,  auch  wo  sie  von  Fauriel,  abweichen  beizupflichten  ge- 
neigt sein.  Zunächst  taucht  uümlich  hier  die  Hauptfrage  über  die 
Abschaffung  auf :  wie  kommt  es,  dass  der  Autor  des  ersten  Theils 
vor  Allem  Franzose  und  eifriger  Anhänger  des  Kreuzzugs  ist,  wfth« 
rend  er  sich  im  zweiten  Theil  in's  Lager  der  Gegner  schlägt,  den 
Kreuzzug  als  ein  Werk  der  Lust  und  der  Gewalt  darstellt,  Tou- 
louse als  die  ruhmvolle  Vertreterin  des  Rechts  und  des  Bitterthums 
anpreist?  Sollte  er,  wie  Fauriel  meint,  eine  innere  Umwälzung 
durchgemacht  haben?  Sollten  ihm  die  Schuppen  von  den  Augen 
gefallen  sein,  als  die  Schrecken  des  Krieges  an  ihn  selbst  heran- 
traten, als  die  geheimen  Absichten  der  geistlichen  und  weltlichen 
Eroberer  an' s  Licht  kamen?  In  der  That  ist  Alles  verändert,  wenn 
wir  das  Auge  von  dem  ersten  auf  den  zweiten  Theil  des  Gedichts 
wenden.  Wir  haben  den  Dichter  im  Lager  der  Kreuzfahrer  ver- 
lassen, wir  finden  ihn  unter  den  Männern  des  Südens  wieder.  Er 
ist  voller  Sympathie  für  die  Albigenser  und  Waldenser,  wenn  er 
sich  auch  hütet  seine  Gefühle  gar  zu  offen  zur  Schau  zu  tragen. 
Cruibal  weist  auf  eine  dunkle  Stelle  der  Epopöe,  worin  es  Montfort 
zum  Vorwurf  gemacht  wird,  dass  er  Bemis  zerstört,  und  daselbst 
manche  »gute  Leute  voller  Milde,  die  Almosen  austheilten  und  Ge* 
traide  säten  und  manche  gute  Ritter  die  noch  nicht  verdammt 
w&renc  getödtet  habe,  unter  diesen  »guten  Leuten«  sind  offenbar 
Albigenser  zu  verstehn,  oder  wie  sollte  man  sich  anders  jenen  Zug 
erklären,  dass  sie  im  Lande  umher  streiften  und  Wohlthaten  ver- 
richteten?   Dass   die   Ketzer  gleichsam  hinter  Thurm  und  Riegel, 

VIIL  Jahrg.  6.  Heft  24 


S70  Onibal:  Le  Potaft  d«  1»  erotaftAs  eontre  1«  Albigeois. 

dasB  sie  hinter  den  Mauern  der  feudalen  Schlösser  predigten,  ist 
eine  bekannte  geschichtliche  Thatsache;  in  den  Schlössern  von 
Bochefort  und  Vilamnr  scheinen  gewissermassen  die  Sicherheits- 
burgen anticipirt,  welche  der  Protestantismus  in  späteren  Jahr- 
hunderten gegen  das  königliche  Frankreich  behauptete.  So  sind 
also  jene  Verse,  welche  uns  das  Leben  der  »guten  Leute  €  schil- 
dern, ein  getreues  Bild  der  Beziehungen,  unter  welchen  eine  solche 
proscribirte  Gesellschaft  ezistirte;  und  auch  die  Bewunderung, 
welche  der  Dichter  für  die  Yertheidiger  von  Toulouse  an  den  Tag 
legt,  yerrilth  seine  Gesinnung  den  Ketzern  gegenüber  deutlich  ge- 
nug. Allein  bei  der  blossen  Bewunderung  bleibt  es;  der  Dichter 
hält  an  dem  überlieferten  Christenthum  fest,  und  legt  uns  sogar 
ein  feierliches  Glaubensbekenntniss  ab  an  Gott,  »der  Alles  ge- 
schaffen habe,  und  in  den  Busen  der  Jungfrau  herabgestiegen  sei, 
um  das  Gesetz  zu  erftillen,  der  im  Fleisch  das  Märtjrerthum  ge- 
litten habe  um  die  Sünder  zu  heilen,  und  sein  kostbares  Blut  hin- 
gegeben, um  die  Dunkel  zu  erhellen.  €  Es  sind  das  die  Funda- 
mentalartikel des  orthodoxen  Glaubens;  nur  hat  diese  Orthodoxie 
Nichts  Enges,  Exklusives,  Intolerantes.  Der  Gedankenkreis  des 
Dichters  scheint  offen  und  weit  zu  sein,  wie  das  einer  Gesellschaft 
entspricht,  die  in  ihrem  Schooss  die  yerschiedensteii  Menschen  und 
Interessen  yereinigte. 

Denn  wo  Ketzer  neben  Katholiken  kämpften,  wo  die  südlichen 
Bitter  mit  den  strenggläubigsten  Bürgern  an  Heldeamuth  rivali- 
sirten,  da  lernten  die  Meinungen  selbst  sich  gegenseitig  achten. 
Lothar  TonKonti  erwehrte  sich  nur  mühsam  einiss  Gefühls  der  An- 
erkennung vor  jenen  Männern,  die  Innocens  m.  mit  seinen  Bann- 
strahlen traf.  Ganz  anders  hatte  der  Dichter  in  dem  ersten  Theil 
geurtheilt,  wo  er  kalt  und  erbarmungslos  den  Qualen  der  Schlacht- 
opfer zusah,  und  mit  einer  Buhe  die  an  Cynismus  grenzt,  berich- 
tete: »Sie  verbrennen  manchen  schurkischen  Ketzer  und  manche 
tolle  Ketzerin,  die  im  Feuer  schreit :  man  liess  ihr  nicht  den  Werth 
einer  Kastanie,  dann  warf  man  die  Körper  weg,  begrub  sie  im 
Schmutz,  damit  diese  bösartigen  Gegenstände  unser  fremdes  Krieg- 
volk nicht  ansteckten.«  Fauriel  hat  Becht,  wenn  er  den  Verfasser 
solcher  Stellen  kalt  und  gefühllos  nennt;  Bationalismus  ist  sein 
Fehler,  nicht  etwa  Fanatismus,  wie  er  bei  dem  gleichzeitigen  Peter 
von  Vaux-Cemay  hervortritt. 

Einen  deutlichen  Beweis  dieses  Unterschiedes  finden  wir  in 
dem  Bericht  über  die  Belagerung  von  Carcassonne.  Vaux-Oemay 
ist  geneigt  in  dem  üeberfluss  an  Lebensmitteln  der  unter  den 
Kreuzfiahrem  herrscht,  eine  wunderbare  Aeusserung  der  göttlichen 
Ghiade,  eine  Erneuerung  der  Speisung  der  Fünftausend  durch  Christus 
zu  sehn.  Ganz  anders,  und  weit  nüchterner  der  Dichter,  der  Alles 
auf  die  glücklichen  Ernten  und  die  Fruchtbarkeit  des  Bodens 
schiebt  »es  herrschte  üeberüuss  an  Lebensmitteln,  man  gab  dreissig 
Brote  für  einen  Pfennig,   die   Kreuzfahrer  nahmen   das  Salz   der 


ttatVal:  Le  Pota«  de  1»  erolMd«  eoatre  Im  Alblgaois.  871 

SttliiMB  und  luden  es  anf  ihre  Wagen,  c  Es  kann  wohl  geschehn, 
das«  ein  sehsamea  Ereigniss  der  Vorsehong  in  die  Schnhe  geschoben 
wird,  dass  Qott  oder  die  beilige  Jangfran  als  Tnterventionsmftcbte 
•rwfthnt  werden,  doch  gewöhnlich  erholt  sich  der  Dichter  davon 
sehr  rasch  and  ffthrt  einen  natürlichen  Brklftmngsgmnd  an,  der 
das  Oeprftge  jenes  kritischen,  skeptieeben  Oeists  trägt,  welcher  den 
Provencalen  eigenthOmlieh  ist.  Die  Ketzerei  erscheint  dem  Dichter 
■ieht  in  dem  satanischen  Licht,  wie  dem  weniger  historischen 
Tanx-Cema j ,  sie  gilt  ihm  nnr  als  eine  Thorheit,  weil  sie  etwas 
Neues,  WiderspruchBTolles  bedeutet.  Er  ftrgert  sich  weit  weniger 
fliber  die  hftretischen  Ideen  als  nber  die  Impertinenz  der  Ketzer 
die  den  Predigten  des  Abt  von  Clteaux  hartnäckig  ihr  Ohr  ver* 
sehlieasen.  »Sie  achten  die  Predigt  nicht  (für  einen  faulen  Apfel. 
Ptlnf  Jahr,  oder  ich  weiss  nicht  wie  lange  fuhron  unsre  Prediger 
so  fort  Doch  dies  verblendete  Volk  will  sieb  nicht  bekehren  ;  so 
sind  denn  auch  Manche  davon  drauf  gegangen  und  werden  noch 
dranfgehn  bis  zum  Ende  dieses  Kriegs,  denn  so  musste  es  kommen.« 
DiMe  kalte,  verstandesmftssige  Anschauung  gewinnt  nun  noch  ein 
eigenthflmliches  Belief  durch  den  Hass  des  Mächtigen  gegen-  den 
Schwachen,  des  (Crossen  gegen  den  Kleinen,  der  oberen  socialen 
Klassen  gegen  die  auf  niederer  Stufe  Befindlichen.  Erbarmungslos 
gegen  das  gemeine  Volk,  wird  der  Dichter  sofort  von  Respekt 
dniohdrungen  und  die  Stärke  seines  Urtheils  mildert  sich,  sobald 
er  einem  Adligen  oder  Baron  gegenttber  tritt.  Ein  echt  feudaler 
Qeiflt  weht  durch  den  ersten  Theil  dieses  Kreuzzugsgedichts ;  überall 
jsignet  dem  Dichter  ein  vorsichtiger,  enger  und  kalter  Sinn. 

Im  zweiten  Theil  jedoch  verläset  der  Troubadour  die  engen 
Grenzen  einer  vorsichtigen  Mittelmässigkeit.  Wenn  er  auch  den 
groesen  Eigenschaften  des  Pabstes  Innocens  III.  alle  Gerechtigkeit 
wider&hren  lässt,  und  mehr  als  ein  anderer  Historiker  ihn  von  der 
sehlimmen  Verantwortlichkeit  der  Gewaltthaten  freispricht,  die  in 
den  Albigenser  Kriegen  begangen  wurden,  so  ist  er  doch  darum 
Biohts  weniger  als  bUnd  für  seine  Fehler ;  und  deutet  klar  an,  dass 
laaccens  zwar  das  Schlechte  nicht  will,  aber  duldet;  und,  einmal 
verübt,  sanktionirt. 

In  den  Auftritten  des  Concils  zeigt  er  den  gleichen  Freimuth, 
oad  wagt  es  gegen  die  Beschlüsse  der  Kirche  die  Schrift  und  das 
Gesetz  anzurufen.  Im  Namen  des  Rechts  protestirt  er  gegen  die  Miss- 
brauche  der  Gewalt  und  der  Unterdrückung.  Das  Gefühl  aber  welches 
all*  diesen  verschiedenen  Aeussorungen  einheitlich  zu  Grunde  liegt  ist 
der  BnthumaemusfÜr  die  feudale  und  ritterliche  GiviHsation  des  Südens, 
flir  die  Sitten  und  den  Glanz  der  provencalischen  Gesellschaft,  für  die 
vaterUndisohen  Ideen  in  denen  er  aufgewachsen  ist.  Nicht  die  Ereig- 
nisse haben  eine  neue  Wendung  genommen,  als  vielmehr  in  demGk^ 
■ekioltteohreiber  selbst  ist  eine  so  totale  Umänderung  vorgegangen,  dass 
et  auf  der  Hand  liegt  in  dem  Autor  dee  zweiten  Theils  eine  neue  Per- 
sö^chkeit  zu  erblicken,  die  an  Stelle  jenes  ersten  nüchternen  und 


872  Gnibal:  Le  Pofime  de  1*  eroiaade  oontre  Üb  Alblgeoif • 

gleichgültigen  Chronisten  getreten  ist.  Wo  Jener  schflchtem  znrtlck- 
hielt,  tritt  nns  dieser  mit  völliger  Oeistes-Ünabhängigkeit  und  dichte- 
rischer Freiheit  gegenüber,  nnd  doch  yerräth  seine  Darstellung  nirgends 
die  Aufregung  und  Unruhe,  welche  nach  einer  inneren  Bevolution,  wie 
sie  Fauriel  annimmt,  sich  nothwendiger  Weise  Kund  geben  wOrden* 
Die  Klarheit  und  Sicherheit,  die  in  diesem  zweiten  Theil  des 
Gedichts  hervortreten,  würde  der  Dichter,  der  eben  erst  ^ine 
Meinung  abgeschworen  und  seine  Partei  gewechselt,  im  Angesicht 
seiner  früheren  Freunde  und  jetzigen  Gegner  nicht  beibehalten 
haben.  »Der  ebenbekehrte  heidnische  Priester  pflegt  nicht  gern 
die  plastischen  Schönheiten  des  Idols  zu  bewundem,  vor  dem  er 
kurz  zuvor  Weihrauch  gestreut  hat.«  Auch  in  der  äusseren  Form 
der  Darstellung  macht  sich  mit  dem  zweiten  Theil  des  Gedichts 
ein  Unterschied  geltend,  der  auf  eine  andere,  grundverschiedene 
Persönlichkeit  zurückschliessen  lässt.  Der  erste  Theil  des  Gedichts 
ist  nur  eine  gereimte  Chronik,  der  zweite  ist  ein  Gedicht,  das  oft 
die  Gestalt  eines  Heldengesangs  annimmt.  Eine  unwülkührliche 
Gewandtheit,  die  nur  aus  wahrer  Empfindung  entspringen  kann, 
eine  dichterische  Kunst  die  sich  vielleicht  selbst  nicht  kennt  und 
gerade  darum  den  Stempel  echter  Dichtung  an  der  Stirn  trägt, 
macht  sich  geltend;  die  Darstellung  wird  belebter,  und  die  That- 
Sachen  selbst  gewinnen  eine  dramatische,  fast  leidenschafbliohe 
Färbung.  Die  literarische  und  dichterische  Einheit  ¥rird  nun  durch 
die  Einheit  des  moralischen  und  providentiellen  Gedankens  ergänzt, 
den  der  Dichter  im  Grunde  alles  Geschehenen  erblickt;  er  sieht 
die  Hand  der  Vorsehung,  welche  Alles  auf  ein  vorher  bestimmtes 
Ziel  hinleitet,  üeber  den  gewöhnlichen,  nnzusammenhängenden 
Thatsachen,  über  dem  wirklich  Todten  und  Vergangenen  in  der 
Vergangenheit,  erscheint  derjenige  höhere  Bestandtheil  der  Ge- 
schichte, der  nicht  mit  dem  Augenblick  stirbt,  wo  er  geboren  wird ; 
das  Ewig  Bleibende,  die  höheren  moralischen  Ideen;  und  wenn 
irgend  Etwas  für  die  Verschiedenheit  der  beiden  Gedichteshälfben 
spricht,  so  ist  es  der  Umstand,  dass  der  Dichter  der  zweiten  Hälfte 
sich  weniger  mit  den  Thatsachen,  als  mit  den  Eindrücken  und 
Empfindungen  beschäftigt,  die  sie  in  der  Seele  hervorrufen,  und 
dass  er  sich  somit  für  die  feinere  psychologische  Art  der  Ge- 
schichtsbetrachtung befUhigt  erweist,  die  man  nicht  an  einem  Tage 
zu  erlernen  vermag.  Diese  Ueberlegenheit  und  Feinheit  der  Dar- 
stellung bewundem  wir  vor  Allem  bei  dem  Bericht  über  das  Latera- 
nensische  Koncil ;  welches  gleichsam  eine  grosse  Einleitung  des  nun 
an  den  Ufern  der  Bhone  beginnenden  und  an  der  Garonne  endi- 
genden Dramas  bildet.  Nun  folgt  der  glänzende  Einzug  Baymund 
des  Sechsten  und  seiner  Söhne  inAvignon,  der  Einzug  in  Beaucaire, 
die  Schlacht  bei  Baziöge.  Ueberall  fühlen  wir,  dass  der  Dichter 
den  Ereignissen  nahe  steht  und  tief  von  ihnen  durchdrungen  ist, 
seine  Sprache  erhebt  sich  zu  dramatischer  Lebhaftigkeit ;  der  Dia- 
log zwischen  Montfort  und   dem  Boten   der  Gräfin,   welcher  ihm 


Oiilbal:  L«  Potae  de  1»  orototd«  oonlre  Im  Alblgeois.  978 

die  ganie  OrOsse  seines  ünglflcks  sehildert,  könnte  an  Shakespeare, 
oder  —  eine  Parallele  die  wir  YorzieHn  möchten  —  an  Corneille 
erinnern.  VergeLens  lehnt  sich  der  Stolz  des  Grafen  wider  den 
unabftnderliehen  Willen  der  Vorsehung  auf.  Vergebens  spannt  er 
alle  seine  Krftfte  zum  letzten  Entscheidungskampf  an.  E  veno  tot 
dreit  la  peira  lai  on  era  mestiers,  mit  diesen  scheinbar  kalten 
Worten  bereitet  uns  der  Dichter  auf  die  Wirkung  des  Geschosses 
TOT,  das  von  Frauen  und  jungen  Mädchen  gegen  den  wilden  Kriegs- 
mann gerichtet  wird;  Montfort  fUllt  in  demselben  Augenblick  wo 
ihn  weiche  Regungen  zu  beschleichen  und  gleichsam  sich  selbst 
untreu  zu  machen  scheinen.  Wenn  wir  uns  die  Einzelnheiten  der 
Schilderung  seines  Trotzes  und  seines  Falls  vergegenwftrtigen ,  so 
muss  sich  die  üeberzeugung ,  dass  hier  der  Dichter  nicht  so« 
wohl  das  Echo  der  im  Volke  lebenden  Sagen  und  Anschauungen 
war,  sondern  dass  er  es  an  subjectiyer  Zuthat  nicht  hat  fehlen 
lassen,  immer  tiefer  in  uns  befestigen.  Auch  in  den  rein  ftusser- 
Hchen  Formen  des  Stjls  offenbart  sich  die  grösste  Verschiedenheit ; 
der  Autor  des  ersten  Theils  erscheint  als  kalter,  nüchterner  Chronist, 
ohne  Bilder  und  Metaphern  und  ohne  jede  Fantasie.  Der  Styl  des 
zweiten  Theils  fKrbt  und  belebt  sich,  er  schimmert  in  den  duftig* 
sten  Blüthen  der  Einbildungskraft  und  in  jugendliche  üeppigkeit  der 
Formen.  Ergiebt  sich  nun  aus  air  diesen  Prämissen,  dass  die 
beiden  Hälften  des  Gedichts  von  verschiedenen  Verfassern  her« 
rflhren?  Herr  Guibal  bejaht  die  Frage,  indem  er  bemerkt,  dass 
ein  solches  Gedicht  niemals  gesungen  ward,  da  Franzosen  und 
Frovencalen  keine  Zeit  hatten  den  Gesängen  des  Troubadours  zu 
lauschen  Das  Gedicht  konnte  nur  als  Manuskript  und  als  Chronik 
veröffiBntlicht  sein;  und  es  erscheint  höchst  unwahrscheinlich,  dass 
der  Dichter,  nach  der  völligen  Geistesumwandlung ,  die  mit  ihm 
vorgegangen  sein  musste,  das  Gedicht  wieder  vornahm  und  voll- 
endete, ohne  die  Ausdrücke  zu  bessern  und  zu  modifiziren,  die  mit 
seiner  neuen  üeberzeugung  in  Widerspruch  stehen  mussten.  Wenn, 
wie  es  durch  die  gewichtigsten  Zeugnisse  festgestellt  ist,  das  Ge- 
dicht erst  1212  begonnen  ward,  wie  sollte  dann  der  Dichter  drei 
lange  Jahre  hindurch  Vertheidiger  und  Sänger  des  Ereuzzugs  ge- 
blieben sein  und  dann  plötzlich  vor  dessen  Gewaltthätigkeiten,  von 
Unwillen  erfasst  und  innerlich  umgewandelt  zu  werden?  Die  dürf*- 
tigen  Notizen,  die  uns  über  seine  Persönlichkeit  erhalten  sind,  er- 
geben, dass  der  Dichter  ein  Schützling  Boger  Bernhards,  eines  der 
unerschrockensten  Vorkämpfer  der  südlichen  Sache  war.  Gewiss: 
das  stimmt  wenig  mit  dem  Charakter  eines  Lobredners  auf  Mont- 
fort und  auf  den  Kreuzzug  zusammen.  Die  Troubadours  die  zu  der 
Kirche  und  zu  den  Franzosen  übergingen,  wurden  von  der  proven- 
calischen  Gesellschaft  in  die  Acht  gethan ;  und  die  Unzufriedenheit, 
der  schlecht  verhehlte  Aerger  über  die  Barone,  der  aus  dem  ersten 
Theil  des  Gedichts  hervorblickt,  lässt  wohl  darauf  schliessen,  dass 
dieser  Dichter  in  die  Klasse  der  Benegaten  gehörte,  die  wie  Per- 


374  Gulb«l:  Le  PoQme  d«  U  oroiMide  ooatnt  U^IMigaoi», 

cUgoQ  gegen  den  Grafen  Baymund  wirkten.  Die  Angabe,  die  sieh 
im  ersten  Theil  findet,  dase  Wilhelm  von  Tndela  der  Verfasser  «ei 
unterliegt  den  ernstesten  Bedenken,  ttber  die  sich  Fanriel  selbst 
keinen  Augenblick  im  unklaren  war.  Zu  einer  Zeit,  wo  die  Schreokea 
der  Inquisition  über  dem  Lande  achwebten,  musste  es  als  ein  Wa^- 
nisß  erscheinen,  wollte  der  Troubadour  seinen  Namen  nennen.  Von 
dem  Koncil  von  Avignon  (1219)  an,  nicht  wie  man  gewöhnlich 
annimmt,  von  dem  Jahre  1229  suchte  man  den  gegen  die  Ketser 
ausgesprochenen  Bann  in's  Werk  zu  setzen ,  schon  damals  ward 
eine  stehende  Inquisition  organisirt,  zwei  oder  drei  Laien  wurden 
in  jeder  Diöcese  bezeichnet,  die  verpHichtet  waren,  vor  den  Herrn 
und  Obrigkeiten  die  Ketzer  zu  dennnciren.  Leicht  begreift  sioh 
nun  die  Haltung,  die  einem  Troubadour  durch  eine  solche  Con- 
stellation  der  Verhältnisse  vorgezeichnet  war.  Er  mnsste  seinen 
Namen  verschweigen,  nm  das  Misstrauen  der  Kirche  nicht  zu 
wecken;  ja  noch  mehr:  er  musste  dieSp&her,  die  ihn  zu  errathen 
suchten,  irre  führen,  der  Name  Wilhelm  von  Tudela  ist  ein  reines 
Kunststück,  das  durch  die  Klugheit  des  Dichters  erfonden  ist.  Die 
Berge  von  Navarra,  die  merkwürdigen  Bezeichnungen  eines  »Klerk« 
und  eines  »Zauberers«,  die  Vision,  die  er  berichtet:  Alles  deutet 
auf  die  Furcht  entdeckt  zu  werden.  Der  sociale  Znst«nd  des  Südens 
im  13.  Jahrhundert  muss  uns  dies  ganze  Geheimniss  lOsen,  wie  er 
uns  den  Schlüssel  liefert  zu  dem  seltsamen  Schwanken  zwischen 
Kirche  und  Bitterthum,  zwischen  Tonsur  und  feudaler  Lebensart. 
Der  Dichter  ist  in  Spanien  geboren,  worauf  seine  genaue  Eennt- 
niss  des  Landes,  der  Verwaltung  vonKastilien  und  Leon  schliesaen 
lässt;  er  ist  in  Navarra  erzogen,  wo  er  die  Tonsur  erhalten  hat; 
siedelte  dann  nach  Frankreich  über,  lebte  in  Montauban  und  später 
beim  Grafen  Balduin,  dessen  Wohlwollen  ihm  eine  ZuflnofatsstStie 
unter  den  Geistlichen  von  St.  Antonin  sicherte.  Alle  diese  biogra- 
phischen Notizen  können  sich  aber  blos  auf  den  Autor  des  erstea 
Theils  beziehn.  Der  zweite  ist  von  einem  Augenzeugen  der  ge- 
schilderten Begebenheiten,  von  einem  Troubadour,  einem  Bitter, 
einem  Bürger  von  Toulouse,  einem  ünterthan  der  Bajmunds  ge- 
schrieben. Wenn  der  Autor  des  ersten  Theils  Wilhelm  von  Tudala 
war,  so  ist  der  zweite  das  Werk  eines  ganzen  Volks  das  seine 
Regungen  in  die  Seele  eines  inspirirten  Sängers  übertrug:  »Jener 
hat  sich  genannt.  Sein  Name,  seine  vorsichtige  Orthodoxie,  seine 
Eigenschaft  als  Geistlicher  decken,  wie  mit  einem  Schild,  die  Kühn- 
heit und  den  ritterlichen  Enthusiasmus  des  anonymen  Troubadours 
der  sein  Werk  fortgesetzt  hat.  Die  Chronik  hat  das  Gedicht  be- 
schützt, c  —  Die  Prüfung  des  Textes  hat  somit  ein  fUr  die  Ein- 
heit der  Abfassung  entschieden  abgünstiges  Resultat  ergeben.  Der 
Gewinn  den  uns  das  Gedicht  in  historischer  Beziehung  liefert  wird 
jedoch  dadurch  nicht  geschmälert.  Klarer  als  in  den  Chroniken 
von  Peter  von  Vaux-Cernay  und  von  Wilhelm  PuylaurenB  tritt  uns 
der  Entschluss  des  Grafen  von  Toulouse  vor  die   Angen  sich  vom 


G«ltel:  La  P#Im  ds  k  «nlMd«  oMire  IctAIHgBofti.  an 

Kreasng  absawendta;  mit  Hontfort  mid  den  Legaten  an  brechin. 
Ein  haUeres  Lieht  fiUlt  anf  die  ganze  grosse  Protestation  des  Südens 
gegen  die  Herrschaft  Montforts  und  der  Kirche;  die  Bewegnng 
eneheint  in  ihrem  feudalen  und  ritterlichen  Charakter.  Von  Per^ 
sOnlichbeiten  nimmt  Tor  Allem  Lmooens  m.  eine  merkwürdig  ge- 
Beicfanete  Stellung  ein.  Er  erscheint  nicht  als  der  Mann  nnbeng* 
samer  Willenskn^  wie  man  ans  seiner  Eröffnungsrede  Tor  dem 
Tiateranensischen  Ooncil  zu  eohliessen  ersucht  ist  Hurter,  der 
das  Oedicht  gekannt,  aber  nicht  ersdi(}pfend  benutzt  hat,  l&sst 
seiaen  Helden,  den  Pabst  in  den  Hintergrund  treten,  und  erqmrt 
ihm  wohlweislich  die  Demftthigung,  die  er,  dem  Bericht  des  Qe« 
diehta  zur  Folge,  erlitten  hat.  Zu  Beginn  des  Concils  nahmen 
nftmlidi  die  Angelegenheiten  eine  f&r  die  Südlinder  scheinbar  gOn* 
stige  Wendung«  Man  beschwerte  sich  ttber  Simon  Ton  Mcmtfori, 
»mehrere  Barone  stellten  ihn  eher  als  einen  Räuber  dar,  wie  als 
einen  Bitter,  der  Ehre  und  Recht  achtete  (Schmidt,  Histoire  et 
doetrine  de  la  secte  des  cathares  ou  Albigeois  I.  p.  268).  Diese 
Berichte  yerfehlten  nicht  Eindruck  auf  Innocens  zu  machen.  Den 
Grafen  Ton  Toulouse  und  seinen  Sohn,  den  Qrafen  von  Foix  nahm 
er  freundlich  und  wohlwollend  auf;  nichts  scheint  nach  Ghaibal  zu 
der  Annahme  zu  berechtigen,  dass  er  ein  falsches  Spiel  spielen  und 
die  sfldlichen  Barone  in  eine  Falle  locken  wollte.  So  konnte  es 
einen  Augenblick  scheinen  als  werde  die  auf  soTiel  Oewaltthaten 
gegründete  Macht  Simons  gestürzt  werden;  aber  nun  erhoben  der 
Bisehof  Foulques  und  die  andern  Prälaten  des  Südens  ihre  Stimme 
und  bemühten  sich  ihren  alten  Satz  zu  erweisen,  dass  wenn  der 
Pabet  den  Grafen  ihre  Länder  zurückgäbe,  die  Kirche  die  schreck* 
liehsten  Ge^EÜiren  laufen  würde.  Papa  comitem  so  faeisst  es  bei 
Alberieus  IL  p.  489  videbatur  velle  restituere  ad  terrae  suas  quod 
ne  fierit  unirersum  fere  concilium  redamabat.  Auch  nach  der  Dar- 
atdlung  unsres  Gedichts  war  der  Pabst  von  den  besten  Gesinnun- 
gen beseelt,  bis  ihn  seine  Legaten  und  der  Lärm  des  Klerus  von 
der  richtigen  Bahn  abbrachten,  und  Guibal  bemüht  sich  nachzu- 
weiasn,  dass  eine  solche  Sinnesänderung  des  Pabstes  und  Nach« 
giabigfceit  gegen  seine  Umgebung  in  den  Umständen  begründet  ge* 
waaen  eeL  Er  meint;  die  Sympathie  die  Linocens  fttr  die  Grafen 
ea^rfnnden,  sei  eine  jener  geraden,  legalen  Inspirationen  geweeeui 
die  sidh  wie  ein  Lrrlicht  aus  dem  Grund  der  Seele  zu  erheben 
pflegten;  das  Gewissoi  habe  sich  in  ihm  geregt,  und  wenn  er  je 
einen  Moment  des  Zaudems  und  schweren  Zweifels  gehabt  habe, 
so  sei  es  damals  gewesen.  Das  Hin-  und  Herschwanken  zwischen 
den  Parteien,  das  Bild  yoll  Leben  und  Bewegung,  das  uns  der 
Dichter  entwirft,  entspricht  nach  Guibal  dem  historischen  Verlauf 
der  Begebenheiten.  Wenn  wir  uns  erlauben  in  dieser  wichtigen 
Frage  eine  andere  Ansicht  zu  vertreten,  so  geschieht  dies  nur  weil 
eiB  so  jäher  Wechsel,  ?rie  er  hier  auf  Seiten  des  Pabstes  voraus- 
gesetzt wird,  der  Persönlichkeit  und  dem  Charakter  von  Innocens  HL 


476  Gaibal:  Le  Potoe  de  U  croiMde  contte  let  Alblgeois. 

durchaus  widerspricht.  Guibal  glaubt  zwar  nicht  an  eine  List,  an 
eine  Falle  die  der  grosse  römische  Politikus  seinen  bisherigen  Geg- 
nern legen  wollte^  aber  der  einzige  Grund,  den  er  für  seine  An- 
sicht andeutet,  fällt  in  sich  selbst  zusammen ;  die  Bemerkung,  dass 
der  Zorn  von  Innocens  Zeit  gehabt  habe  um  zu  verrauchen,  lässt 
sich  mit  dem  zähen  und  nachhaltenden  Sinn  des  Pabstes  schwer 
vereinigen,  und  jene  Instruktion,  die  Guibal  selbst  anführt,  jene 
Instruktion  Innocens  III.  vom  Februar  1209  an  den  Abt  Arnold 
den  Bischof  vonOonserans  und  Raymund  von  Biez,  sie  spricht  klar 
genug  aus,  wieviel  von  den  plötzlichen  edelmüthigen  Aufwallungen 
und  Gewissensbissen  dieses  Pabstes  zu  halten  ist.  Innocens  befahl 
ihnen  nämlich,  mit  einer  sophistischen  Verdrehung  der  biblischen 
Worte  im  Eorintherbnef  (XII.  16)  an,  sie  sollten  dem  Grafen  von 
Toulouse  gegenüber  das  Beispiel  des  Apostels  befolgen  der  gesagt 
habe,  »da  ich  ein  listiger  Mann  bin,  habe  ich  Euch  durch  List 
gefangen.«  Eine  solche  List  sei  vielmehr  Klugheit  zu  nennen,  man 
solle  die  Gegner  der  Kirche  einzeln  fassen,  den  Grafen  von  Tou' 
louse  hinhalten  und  durch  die  Kunst  einer  schlauen  Verstellung 
täuschen  (sed  eo  primitus  arte  prudentis  dissimulationis  eluso,  ad 
exstirpandos  alios  haereticos  transeatis).  Das  ist  jenes  Programm 
hierarchischer  Politik,  dem  Innocens  HI.,  unwandelbar  gefolgt  ist 
und  darin  gerade  bestand,  so  wenig  auch  Hurter  und  Guibal  über- 
einstimmen mögen  —  seine  welthistorische  Grösse.  —  Wenn  er 
deshalb  auf  dem  Concil  zuerst  die  Miene  annahm,  als  sympathisire 
er  mit  der  Sache  des  Südens,  so  galt  es  ihm  nur  darum,  seine 
Gegner  sicher  zu  machen  und  völlig  in  seine  Netzen  zu  umstricken. 
Die  Legaten  und  der  übrige  Klerus  übernahmen  die  Bolle  der 
Opposition,  auf  die  Gefahr  hin  momentan  für  die  Augen  Kurzsich- 
tiger mit  ihrem  Gebieter  als  entzweit  zu  erscheinen ;  und  Innocenz  m. 
Hess  sich  schliesslich,  dem  Vorgeben  nach  wider  Willen,  dazu  be* 
wegen  das  zu  thun,  was  von  Anbeginn  an  seine  Absicht  war.  — 
Wenn  es  uns  nicht  möglich  war,  die  Guibarsche  Ansicht  über  die 
Vorgänge  während  des  Lateranensischen  Concils  zu  adoptiren,  so 
können  wir  ihm  um  so  freudiger  in  seiner  Schilderung  der  aus- 
wärtigen Verhältnisse  des  Südens  folgen.  Es  gab  kein  Land  in 
Europa,  das  mit  den  benachbarten  Ländern  in  regerem  Verkehr 
gestanden  hätte,  wie  damals  Südfrankreich.  Das  Gedicht  richtet 
unsere  Aufinerksamkeit  besonders  auf  die  Beziehungen  mit  Italien, 
Spanien  und  Nordfrankreich.  Es  schildert  den  Einfluss  der  lern- 
bardischen  Städte,  auf  die  mächtigen  Schwestergemeinden  in  Süden. 
Wir  sehen  wie  Italien  das  Beispiel  municipaler  Unabhängigkeit  und 
echt  bürgerlicher  Verwaltung  bot.  Die  Constitutionsurkunde  der 
Universität  weist  entschieden  auf  italienischen  Ursprung  hin. 
Das  Gedicht  liefert  die  besten  Zeugnisse  für  die  Verbeitung  der 
Beohtsideen,  und  für  das  Ansehn^  in  dem  die  Juristen  standen.  In 
politischer  Beziehung  noch  bedeutungsvoller  und  für  die  französische 
Selbstständigkeit  bedenklicher  war  der  Einfluss  Aragons.  Der  dem. 


.^  b. 


Ovibal:  h%  P«ISnio  d«  la  eroisade  eontr«  iMAlUgeolt.  877 

Pabflt  OTgebene  Peier  n.  spielte  damaUi  die  BoUe,  welche  das  Pabst* 
iham  dem  gescbickteren  Philipp  Angnst  auferlegen  wollte.  In  Kar- 
kasaonne  verwarf  Peter  ü.  1203  feierlich  die  ketxerischen  Lehren; 
und  trat  Oberhaupt  als  getreuer  Diener  der  Kirche  auf.  Spftter 
tauscht  er  die  Bollen,  und  nimmt  für  die  Baymond^s  Partei,  die  seine 
Vassalen  werden;  stets  aber  sacht  er  sich  in  die  Angelegenheiten 
des  Südens  gebieterisch  einzumischen.  Das  Eindringen  des  spani- 
schen Klerus,  das  Auftreten  von  Dominikus  yerrathen  dieselbe 
Tendens.  Und  im  Sfiden  nimmt  man  an  den  spanischen  Dingen 
den  lebhaftesten  Antheil,  man  folgt  den  Kämpfen  mit  den  Arabern, 
als  sei  man  selbst  dabei  betheiligt.  Diese  Beziehungen  von  Sfld- 
Frankreich  zu  Spanien  konnten  um  so  wichtiger  werden,  als  die 
beiden  Hftllten  Frankreichs,  das  Land  des  geschriebenen  und  Ge- 
wohnheitsrechts damals  noch  scharf  von  einander  geschieden  waren. 
Die  Vereinigung  der  heterogenen  Elemente  ist  bekanntlich  nicht 
durch  einen  friedlichen  Assimilationsprocess,  sondern  durch  Gewalt 
erfolgt.  Herr  Guibal  scheint  geneigt  diese  letztere  Wendung  zu  be- 
dauern. >Man  darf  sich  fragen,  ob  die  Einheit  Frankreichs  nur 
aus  der  furchtbaren  Umwälzung  hervorgehen  konnte,  welche  jenen 
südlichen  Gegenden  einen  Schlag  versetzte,  von  dem  sie  zu  erholen 
sich  so  lange  Zeit  gebraucht  haben.  Eine  Heirath,  oder  eine  andere 
politische  Kombination  hätte  den  Thron  der  Kapetinger  mit  dem 
südiiehen  Frankreich  verbinden  kennen,  das  den  Kapetinger  ent- 
gegenkam; es  hätte  französisch  werden  können,  ohne  sein  persön- 
liches, originelles  Leben  zu  verlieren,  wie  die  Bretagne  würde  es 
lokale  Vorrechten  behalten  haben  und  jener  excessiven  Centrali- 
isatian  entgangen  sein,  die  selbst  unter  dem  ancien  regime  eine  der 
Plagen  unseres  Landes  war.«  Dies  ist  ein  Geständniss  aus  dem 
Munde  eines  Franzosen,  das  gerade  bei  dem  gegenwärtigen  Stand 
der  deutschen  Dinge  beherzigenswerth  und  geeignet  ist  den  Boms- 
somanen,  den  Anhängern  des  Einheitsprinzips  um  jeden  Preis  die 
Angen  zu  öffnen.  Und  wie  man  im  Süden  Frankreichs  den  Ver- 
lust der  Freiheit  schwer  verschmerzte,  und  sich  gegen  das  centra- 
liairende  System  der  Begierung  sogar  einen  Schutz  jenseits  der 
Berge,  in  Spanien  zu  gewinnen  bemühte,  so  wird  man  auch  bei 
ans  genöthigt  sei,  auf  die  Gefahr  hin  des  Vaterlandsverraths  be- 
züchtigt zu  werden,  stets  dann  einen  Halt  bei  dem  Ausland  zu 
suchen,  wenn  die  innere  ruhige  Entwicklung,  wenn  die  schöne 
Mannigfaltigkeit  unsres  Kulturlebens  durch  die  Nivellirungsgelüste 
der  Einheitspartei  bedroht  sind  Erst  mit  dem  Albigenserkrieg, 
der  die  künstliche  Einheit  des  Südens  und  des  Nordens  herstellte 
ist  ein  Gefühl  der  Abneigung  und  des  Hasses  unter  den  Südländern 
eatflianden,  da  sie  durch  alle  Schönplästerohen  der  Einheit  und  der 
gloire  ihr  altes  reichgegliedertes  freies  Leben  nicht  ersetzt  sehen. 
Das  Gedicht  über  den  Krenzzug  gewährt  uns  bedeutende  Aufhel- 
lungen über  die  Lehensverhältnisse  im  Süden  Frankreichs.  Wir 
finden  den  Mangel  an  fester  Lehensorganisatioui  der  hier  im  Gegen* 


876  Ovib^l:  Le  P^dme  d»  1«  crotaftd«  eontrft  ItsAOilgeoifl. 

eatz  gegen  den  Norden  hervortritt.  Die  LeheAflherm  stehen  in 
keinem  sonderlichen  Ansehen.  Während  der  Norden  sidi  schon 
unter  einer  einheitlichen  Disziplin  beugte,  herrschte  im  südlichen 
Lehenswesen  vollkommene  Anarchie.  Die  persönlichen  Gefühle  und 
Leidenschaften  herrschten  in  dem  Verhftltniss  zwischen  Vasall  und 
Sdzerlln  vor.  Der  niedere  Adel  gehörte  grossentheils  der  gallo- 
romanisohen  Eace  an,  während  der  hohe  Adel  von  germanischem 
Ursprung  war.  Jener  schloss  sich  in  seinen  Schlössern  zu  aristokrati- 
schen Gemeinwesen  ab,  die  einen  harten  Druck  auf  die  armen  Land- 
gemeinden ausübten.  Sie  organisirten  sich  nach  dem  Vorbild  der 
grossen  Städtegemeinden;  die  in  ihrem  Inneren  die  Vereinigung 
der  Bitterschaft  und  des  Bttrgerthums  darstellten.  In  der  Lom- 
bardei war  diese  Vereinigung  der  Capitanei  und  der  Bürger  das 
Resultat  der  Gewalt,  eines  Zwangs  gewesen,  den  die  mächtigen 
Städte  auf  die  Lehensbarone  der  Nachbarschaft  ausübten.  Die 
Kapitäne!  verpflichteten  sich  durch  förmliche  Charten  Bürger  und 
Vasallen  der  Städte  zu  werden.  Wir  können  aus  den  Beispielen 
von  Avignon  und  Toulouse  auf  analoge  Entwicklung  diesseits  der 
Alpen  schliessen ;  auch  hier  beruht  die  Grösse  und  Unabhängigkeit 
der  Stadtgemeinden  auf  der  engen  Verschmelzung  der  büi^erlichen 
und  feudalen  Elemente.  Die  Vorurtheile  die  anderswo  den  Eintritt 
in  den  Bitterstand  erschwerten,  fielen  hier  hinweg.  So  bieten  diese 
Städte  denn  auch  in  den  Augenblicken  der  Gefahr  ein  erhebendes 
Schauspiel:  in  Toulouse  finden  ruhig  Volksversammlungen  Statt, 
während  der  Feind  vor  den  Mauern  steht,  und  diese  Freiheit  äussert 
während  der  ganzen  Belagerung  ihre  segensreichen  Wirkungen. 
Zwei  Klassen,  die  im  übrigen  Europa  streng  geschieden  erscheinen, 
sind  in  Süd-Frankreich  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  vereinigt. 
Das  Gedicht  zeigt  uns  in  den  Umgebungen  von  Toulouse  eine  Ge- 
sellschaft, die  an  Jene  erinnert,  deren  Held  Richard  Löwenherz, 
deren  Sänger  Bertran  de  Born  war.  Die  feudale  Giviiisation ,  die 
auf  den  Bergen  von  Limousin  entstanden  ist,  hat  an  den  Uten 
der  Garonne  eine  andere  Giviiisation  getroffen,  die  ihren  Glanz 
nicht  sowohl  den  Waffen,  als  dem  Handel,  dem  Gewerbe  und  der 
Wissenschaft  verdankt.  Der  dorische  Genius,  der  sich  auf  die 
Waffen  stützt,  und  der  jonische  Genius,  der  sich  im  gdstigen 
Kampf  und  im  Völkerverkehr  entwickelt,  sie  finden  hier  ihre  har- 
monische Verschmelzung.  Aber  »gegen  die  glänzende,  stolze  doch 
Arivole  und  kormmpirte  Gesellschaft,  des  Südens  erfolgte  eine  ener- 
gische Protestation  von  Seiten  der  Kirche,  und  von  Seiten  des 
Volks.  Das  Volk  protestirte  durch  die  Ketzerei,  die  Kirche  dnroh 
den  fij^uzzug.«  IHe  Kirche  war  im  Süden  weder  gegenüber  dem 
Adel  noch  gegenüber  dem  Bürgerthum  zu  einer  würdigen,  stellen 
und  unabhängigen  Stellung  gelangt.  Der  Adel  handelte  schon  da- 
mals nach  der  Maxime,  dass  man  den  Klerus  seiner  weltlichen 
Güter  berauben  müsse,  damit  derselbe  desto  ungestörter  seinem 
geistlichen  Beruf  leben  könne.    Das  Wenige  was  der  Klerus  be- 


0«lbal:  Le  Potae  4«  U  «wtMdt  oobIm  IwAlblgeok.  179 

hielt,  ainMie  er  sieh  dwrdi  unwürdige  Trauaktioiieii  erkaulBii. 
Auch  flbte  dasriiterliohe  und  weit!  iehe  Treiben  Beiner  Umgebungen 
einen  BiitenYerderbliehen  Einflues  auf  ihn  selber  ans:  Yerechiedene 
Mönebe  and  Ordenaglieder  verliessen  ihr  geietliobes  Gewand,  ver- 
bargen ihre  Ineignien,  gaben  sich  dem  Spiel  und  der  Jagd  hin« 
So  TerBohwand  die  (JeisUichkeit  im  Schoosa  der  fendalen  Gesell- 
flcbaft;  Innocene  HI.  konnte  mit  Schmers  den  traurigen  Abüall 
konstatiren,  der  unter  seinen  Getreuen  Statt  gefunden.  Von  der 
KirekenverliuaBang  in  Süden  war  nur  der  Rahmen  geblieben.  Aber 
der  Pabet  hatte  ein  mftohtigee  Mittel  in  Händen  um  eine  Reaktion 
herrorrarufen;  w  brauchte  nur  den  Gegensatz  swisohen  der  welt- 
liehen und  dM  regulären  Geistlichkeit  zur  tiefen,  unvers^^hnlichen 
Kluft  tu  erweitem.  So  Hess  er  durch  die  MOnohe  jenen  grossen 
geietlichen  Feldsug  beginnen,  der  zum  Unglück  des  Sttdens  mit  dem 
Schwerdt  beendet  werden  sollte.  Die  Kirche  dachte  nicht  daran 
sieh  der  Halfemittel  zu  bedienen,  welche  ihr  der  unruhige,  fieberisch 
erregte  Znstand  der  Landbevölkerung  zu  gewähren  versprach.  Vom 
Feudaladal  unterdrückt  hätte  sie  sich  dem  Volke  nähern  sollen  um 
sein  Elend  zn  erleichtem  Das  war  der  Weg  die  verlorene  Macht 
wiederzuerlangen,  und  dem  Scharfblick  eines  Innocens  konnte  es 
nicht  entgehn,  welche  Gefahren  der  blinde  Egoismus  des  Klerus 
über  die  Kirche  heraufbeschwor.  Der  Klerus  wandte  sich  vom 
Volk  ab,  und  das  Volk  ergab  sich  der  Ketzerei.  Die  Lehre  der 
Waldeneer  und  der  Albigenser  erscheint  so  als  nofchwendiges  R^ 
suttai  der  kirchlichen  Verweltlichung.  Wenn  die  Prediger  der  neuen 
Lehre  Sindmok  auf  das  Volk  machten,  so  geschah  das  weil  sie  ein 
populäres  und  praktisches  Christenthum  vertraten,  weil  ihr  Leben 
und  ihr  Wort  im  Einklang  standen.  Erst  als  der  orthodoxe  Klerus 
seine  Gegner  mit  gleichen  Waffen  zu  bekämpfen  suchte,  als  die 
BettelmOnche  und  Franciskaner  dem  Volk  die  Hand  reichten,  erst 
da  hatte  die  Kirche  Aussicht  über  eine  ebenso  religiöse  wie  demo- 
kratiBche  Bewegung  sn  siegen.  Die  Ketzerei  gewann  wohl  auch 
unter  dem  Adel  Adiiäager ;  hier  waren  es  vor  Allem  der  Reiz  der 
Nenen,  und  der  Einfluss  der  Frauen  die  die  Propaganda  der  Albi- 
geneer  und  Waldenser  begünstigten;  doch  nur  unter  dem  niederen 
Adel  brach  sie  sich  Bahn,  die  Lehre  schien  an  Kraft  zu  verlieren, 
je  weiter  sie  sieh  von  ihrer  ursprflnglichan  Quelle  entfernte;  und 
wenn  auch  &8t  die  ganze  Ritterschaft  des  Südens  in  dem  Kreuz- 
zng  auf  Seiten  der  Ketzer  stand,  so  geschah  dies  mehr  aus  Hase 
gegen  den  Klerus  und  aus  Lust  an  dem  alten  glänzenden  und  fri- 
volen Leben  der  südlichen  Ctosellschaft.  als  aus  Ueberzeugnng.  Der 
Dichter  des  zweiten  Theils  stellt  uns  daher  den  Kreuzcug  als  den 
Kampf  der  Kirche  gegen  die  Ideen  und  Gefühle  des  Adels  dar; 
und  ist  geneigt  Alles  schwarz  zu  sehen,  wenn  der  Adel  unterliegt. 
Der  Krieg  nahm  einen  nationalen  Anstrich  an,  er  gestaltete  sich 
zu  einem  Kampf  auf  Leben  und  Tod  zwischen  der  Kirche  und  der 
Civilisation  des  Südens.  Um  einem  gemeinsamen  Gegner  zu  wider^ 


380  Weber:  WeltgeBcMchte,  Bd.  V. 

stehen  schlössen  sich  Bitterthnm  und  Ketzerei  enger  an  einander. 
Allein  der  Ausgang  des  Kampfes  gestaltete  sich  anders,  als  es  der 
Patriotismus  und  der  Stolz  der  Südländer  erwarteten.  Das  Ende 
der  Eegierung  von  Raymund  VTI.  war  das  traurigen  Gegenstück 
seiner  Anfänge,  die  Kraft  yerliess  ihn,  von  dem  Helden,  den  der 
Troubadour  besungen  blieb  fast  Nichts  mehr  in  ihm  übrig.  Er 
demüthigte  sich,  Königthum  und  Kirche  theilten  sich  in  seine  L&n- 
der.  Er  gab  die  Ketzer  preis,  während  zweier  Jahre  bezahlte  er 
zwei,  später  eine  Mark  Silber  an  Jeden  der  einen  Ketzer  verrieth. 
Seine  Finanznoth  trieb  ihn  dann  immer  sicherer  in  die  Arme  der 
strenggläubigen  Partei.  Wenn  sich  auch  seine  äussere  Lage  besserte, 
so  blieb  seine  Politik  seit  dem  Vertrag  von  Meaux  doch  stets 
eine  unzuverlässige  und  falsche.  Und  wie  der  ehemalige  Führer 
seine  Kräfte  rasch  verbraucht,  und  Alles  in  sich  selbst  zum  grellen 
Umschlag  gezeitigt  hat,  so  ist  auch  unter  den  Vertretern  jener 
einst  so  glänzenden  südlichen  Gesellschaft  nach  den  ersten  Jahren 
des  Aufschwungs  und  der  Begeisterung  ein  rascher  Verfall  nicht 
zu  verkennen:  der  Fanatismus  verdrängt  das  frühere  ritterliche 
Ideal,  die  Tugenden  und  Charaktere  der  alten  Zeit  verschwinden 
und  ein  grober  Egoismus  brüstet  sich  an  Stelle  der  einstigen  raf- 
ünirten  Sinnlichkeit.  Das  Volk  verliert  unter  den  Leidenschaften 
des  religiösen  Kampfes,  unter  den  Schrecken  der  Inquisition  jene 
ersten  frischen,  ungetheilten  Empfindungen,  aus  denen,  wie  wir 
gesehen  haben,  die  Epopöe  hervorging;  die  Satire  allein  entspricht 
noch  dem  Geist  der  Zeit,  und  an  Stelle  des  Epos  tritt  das  Sirventes. 

C.  Mendelssohn  Bartholdy. 


Allgemeine  Weltgesehichte  mit  besonderer  Berueksiehiigung  des  Geistes-- 
und  Ciüiurlehens  der  Völker  und  mit  ßenutsung  der  neueren 
geschichtlichen  Forschungen  für  die  gebildeten  Stände  bearbeitet 
von  Dr.  Georg  Web  er ,  Professor  uud  Schuldirector  in  Hei- 
delberg. Fünfter  Band.  Leipzig,  Verlag  von  WUhdm  Engel- 
mann.   1864.    XV  und  765  8.    qr.  8, 

Mit  dem  vierten  Bande  des  obigen  wichtigen  Werkes,  wel- 
cher die  Geschichte  des  Komischen  Kaiserreiches,  der 
Völkerwanderung  und  der  neuen  Staatenbildungen 
enthält,  schliesst  die  Geschichte  des  Alterthums.  Mit  dem 
vorliegenden  fünften  Bande  beginnt  ein  neuer  Hauptzeitramn, 
die  Geschichte  des  Mittelalters. 

Der  gelehrte  Herr  Verf,  schickt  diesem  Bande,  der  auch  unter 
der  Aufschrift :  Geschichte  desMittelalters,  ersterTheil, 
erscheint,  eine  Vorrede  voraus.  In  dieser  bezeichnet  er  die  Mittel 
und  Wege,  welche  er  zur  Lösung  seiner  beim  Beginne  seines  Unter- 
nehmens angedeuteten  Aufgabe  einschlug,  und  beleuchtet  die  bis- 


We^or:  WcMgraohtclite,  Bd.  V.  081 

her  angestrebten  und  noch  feiner  za  yerfolgenden  Zwecke  nnd  Ziele. 
Gewiss  ist  das  Pablikom  demselben  zum  besten  Danke  fOr  die 
treffliche  Arbeit  verpfliobtet,  die  immer  mehr  ihrem  Ziele  entgegen- 
geht und«  je  mehr  sievorrttokt,  desto  mehr  die  YoUste  Theilnahme 
des  gebildeten  denkenden  Lesers  in  Anspruch  nimmt. 

Das  Bnch  ist  für  alle  gebildeten  Stftnde  bestimmt  nnd  es  erfüllt 
diese  Bestimmung  in  hohem  Maasse  nicht  nnr  durch  die  anziehende 
Daratellimg,  sondern  auch  durch  die  geistvolle  Zusammenstellung 
der  geschichtlichen  Forschungen  Anderer,  durch  die  eigene,  auf  der 
Grundlage  eines  sorgfältigen  Quellenstudiums  entstandene,  in  allen 
Beziehungen  der  vernünftigen  Freiheit  und  dem  Fortschritt  zuge- 
wendete Ansicht,  durch  die  jedem  gebildeten  Leser  willkommene 
Aufnahme  einer  in*8  Einzelne  gehenden  lebenvollen  Schilderung  des 
Geistes-  und  Culturlebens  der  Völker. 

Was  der  Herr  Verf.  in  der  Vorrede  zum  ersten  Bande  ver- 
sprach, er  hat  es  treulich  gehalten,  ja  die  von  seinem  Buche  nach 
seinen  frühem,  für  die  Jugend  berechneten  Arbeiten  gehegte  Er- 
wartong  mit  dem  glücklichsten,  allgemein  anerkannten  Erfolge  über- 
troffen. In  rein  historischer  Auffassung,  ohne  Nebenzwecke  und 
Parteitendenzen,  stellt  er  alle  Bestrebungen  und  Errungenschafbeu 
der  Gnlturv5lker  dar,  nnd  behandelt  diejenigen  Völker  und  Staaten 
mit  allem  Bechte  umfassender,  welche  auf  den  Entwicklungsgang 
und  die  Anschttuungsweise  der  späteren  einen  besondem  und  nach- 
haltigen Einffuss  äusserten.  Mit  Becht  wurden  in  dem  nun  zum 
Abschluss  gekommenen  Alterthum  die  Hellenen  als  ein  sol- 
ches Volk  hervorgehoben.  Im  Mittelalter  und  in  der  neueren 
Geschichte  wird  der  »Ehrenplätze  dem  »deutschen  Volke  ein- 
geräumt.« Seine  »Thaten  und  Schicksale«  sollen  »eingehender  und 
umfassender«  behandelt  werden,  ohne  dabei  die  andern  Völker  nach 
der  ihnen  gebührenden  welthistorischen  Stellung  und  Bedeutung 
irgendwie  zu  vernachlässigen.  Gewiss  stimmt  jeder  vorurtheilslose 
Leser  der  Anschauung  des  Herrn  Verf.  bei:  »Gerecht  sein  gegen 
jede  aufrichtige  Bestrebung  ist  wahre  Humanität.«  Gewiss  ist  er 
mit  ihm  einverstanden,  wenn  er  S.  X.  vom  Alterthum  sagt, 
dass  es  vom  »Hellenischen  Geiste  und  Wesen«  »vorzugs- 
weise getragen  war«  und  vom  deutschen  Volke,  dass  es,  »so- 
bald es  sich  einmal  als  Ganzes  fühlen  gelernt  und  zu  Einem  Beiche 
geeinigt  hatte,  den  Kern  und  Mittelpunkt  bildete,  an  den  sich 
die  übrigen  Nationen  anlehnten,  das  Centrum,  um  das  sich  das 
gesehichtliche  Leben  im  Mittelalter  und  in  der  Beformationszeit 
bewegte.«  Die  objective  Behandlung  der  Geschichte  ist  das  Ziel 
jedes  unbefangenen  Geschichtschreibers.  Aber  diese  Objectivität 
darf  keine  »ablöse«  sein,  und  jeder  Gelehrte  und  Gebildete,  der 
ein  Herz  für  sein  Volk,  für  das  Ziel  der  Menschheit:  Humanität, 
für  die  höchsten  und  edelsten  Güter  der  Völker,  vernünftige  Frei- 
heit und  Gesittung  in  Staat,  Kirche,  Beligion,  Wissenschaft  tmd 
Kunst,  hat,  wird  dem  verdienten  Herrn  Verf.  Dank  dafür  wissen, 


S8i  Weber:  Wel«sMc1ilelrte,  BdL  Y. 

dass  er  in  allen  seinen  geschiehtHolien  Forschungen  nnd  Darstri- 
longen  jene  fiftlsche  »&rblo8e«  Objectiyitftt  za  vermeiden  traobtet, 
dasB  er  »allem  Kämpfen  und  Ringenc  um  »wttrdige  Zweckec  seine 
»tiefsten  Sympathien«  anwendet,  dass  er  »frei  von  konfessioneOer 
oder  politischer  Orthodoxie  das  welthistorische  Leben  ans  einem 
h5heren  menschlichen  oder  philosophischen  Qesiohtspnnkte  zu  er- 
fassen strebt.«  Denn  dies  ist,  was  die  Gesinnung  des  Gkscfaicht- 
schreibers  betriffi; ,  gewiss  die  seinen  wahren  Beruf  bezeiolmende 
Anschauung,  »mit  unbeüangenem  Sinn  ohne  vorge&sste  Meinung 
an  die  Erscheinungen  heranzutreten.«  Man  nimmt  jetzt  yielerlei 
»Bettungen«  vor.  Alba,  Philipp  ü. ,  Tilty  u.  A.  sollen  treffliche 
Leute  gewesen  sein.  Man  nennt  das  objectiv,  wenn  man  die  Be* 
strebungen  der  Jesuiten  dem  Protestantismus  gegenttber  als  die 
edelsten  Anstrengungen  für  wahre  Humanität,  ftlr  sitlüch  religiöse 
Veredlung  des  Menschengeschlechtes  bezeichnet.  In  solchen  Zeiten 
thut  es  noth,  gegenttber  einer  solchen  Objectiyitftt,  die  uns  die 
finstersten  Zeiten  des  Mittelalters  als  Ideale  für  Religion,  Kirche 
und  Staat  aufstellt,  Geschichte  nicht  nach  einseitigen  »Zeitström- 
ungen«  oder  nach  »den  Lehrsätzen  eines  kirchlichen  oder  politi* 
sehen  Katechismus«  aufzufassen  und  darzustellen. 

Der  Standpunkt  des  Geschichtschreibers  muss  von  politischen, 
religiösen,  wissenschaftlichen,  künstlerischen  und  sittlichen  Vomr- 
theilen  frei  sein.  Eines  solchen  Standpunktes  hftlt  der  Herr  Verf. 
am  meisten  das  deutsche  Volk  für  fUhig,  und  eignet  ihm  darum 
vorzugsweise  den  Beruf  der  unparteiischen  Gosdiichtsschreibung 
zu.  »Keinem  Volke,  sagt  er,  dürfte  ein  so  tmbeflEtngener  und  vor- 
urtheilsfreier  Sinn,  eine  so  gerechte  Anerkennung  und  Würdigung 
fremder  Natur  und  Eigentiiümlichkeiten  innewohnen,  als  dem  Deut- 
schen. Ich  bin  daher  der  Ansicht,  dass  das  deutsche  Volk  vor 
allen  andern  berufen  sei,  der  Weltgeschichte  ihre  echte  Gestalt  und 
Ausbildung  zu  geben.  Seine  Stellung  in  der  Mitte  von  Europa, 
sein  Streben  nach  universaler  Bildung,  sein  angebomer  kosmopoli- 
tischer Hang,  der  auch  an  das  Fremde  und  Feindliche  den  Maaes- 
stab  der  Humanitftt,  der  Gerechtigkeit,  der  Menschenliebe  anlegt, 
seheinen  es  besonders  zum  Hüter  und  Verwalter  der  historischen 
Sch&tze  zu  befähigen.  Hat  das  deutsche  Volk  in  ftüheren  Jahr- 
hunderten das  geschichtliche  Leben  bestimmt,  beherrscht  und  in 
FluBS  gesetzt,  so  ist  ihm  jetzt  der,  wenn  auch  unscheinbare,  doch 
immerhin  ehrenvolle  Beruf  zugefallen,  dasselbe  zu  beobachten  und 
die  eigenen  wie  die  fremden  Errungenschaften  genau  und  gewissen^ 
haft  im  grossen  Grundbuch  zu  verzeichnen«  (S.  XI). 

Immerhin  wftre  es  besser,  wenn  das  deutsche  Volk  nicht  nur 
den  Beruf  hätte,  das  geschichtliche  Leben  zu  beobachten  und  die 
eigenen  und  fronden  ErrungenschaOen  in  das  Grundbuch  zu  regi» 
sMren,  sondern^  wwm  es  auch,  wie  einst  in  alter  Zeit,  im  Mlttei- 
altor  und  im  Bef oimationszeifsalter ,  zu  den  mitwirkenden  anstatt 
nur  zu  den  schreibenden,  redenden  und  registrirenden  VMkem  der 


W«b«rt  WiMgmIMi««,  Bd.  V.  M 

QaganwMi  g«li5rie,  immerhia  wftre  es  b6Mer,  wenn  es  niebt  nur 
der  BMa  nad  Verwalter  der  hietoriechen  Sohfttze ,  sondern  ancli 
der  nachhaltig  wirkende  Behanpter  und  Yertheidiger  seiner  eige- 
nen Selbflietftndigkeit  nnd  einheitlichen  Volksthflmliohkeit  nach 
Innen  nnd  nach  Anesen  wftre.  Daes  das  dentsche  Volk  eine  be» 
dootendere  nnd  einflnssreichere  Stellung  unter  den  Völkern  Europas» 
als  dem  bescheidenen  Beruf  der  Lehre  und  SiAriftstellerei  haben 
konnte,  daflir  sind  seine  Kraft  und  sein  Sinn  ftlr  alles  Orosse  und 
Bdls^  sein  Math,  seine  Tapferkeit  und  Freibeitsliebe  die  suver- 
lIssigatMi  Bttrgen.  Ein  kräftiger,  nachhaltiger  Wille  flberwindet 
soletit  die  Sonderinteressen  der  Parteileidenschaft  und  Stammes- 
tfBnanag. 

Eine  ftbersichtliche  Darstellung  des  yoriiegenden  fflnften 
Bandes  gibt  uns  das  treuste  Bild  der  iweekmässigen  Anordnung 
und  in  allen  Theilen  gleichen  Beichhaltigkeit  seines  Inhaltes. 

Das  Ganze  serflült  in  zwei  Hauptabschnitte,  1)  die 
mohammedanische  Welt  (8.  1--226),  2)  das  Zeitalter 
der  Karolinger  (S.  227  —  765).  Im  ersten  Hauptab- 
schnitte wurden  ausser  Abulfedas  Quellenschriften  dieHtÜft- 
werke  Yon  Gibbon,  Gust.  Weil,  A.  Sprenger,  K.  E.  Oels- 
ner,  Oaussin  de  Perceval,  y.Hammer-Purgstall,  Gust. 
Flügel,  Jos.  Ant.  Oonde,  Jos.  Aschbach,  Fr.  Wilh. 
Lembke,  H.  Schftfer,  R.  Doiy,  Amari,  Gregororius 
und  Schlosser  benutzt. 

Die  hier  mit  m&glicher  Sorgfalt  behandelten  Gesichtspunkte 
sind  1)  Land  und  Volk  der  Araber,  2)  Mohammed  und 
der  Islam  (Mohammed  in  Mekka,  Mohammed  in  Medina,  Moham- 
med*8  Bttckkehr  nach  Mekka,  Tod  und  Charakter,  Ergänzungen,  der 
Islam),  8)  das  Chalifat  bis  auf  den  Tod  Alis  (Abu  Bekr 
und  Omar,  Siegeszug  des  Islam,  Eroberung  von  Syrien,  ünterwer* 
fimg  dee  Perserreiches ,  die  Moslemin  in  Aegypten  und  Afrika),  4) 
dasGhalifenreich  unter  d e n 0 m e j j a d e n (Huseins Mftrtyrer- 
thmn  nnd  die  religiöse  Spaltung  im  Islam,  die  Herrschaft  der 
Omejjaden  im  Innern,  Kriege  und  Eroberungen,  Unterwerfung  Ton 
Nordafrika,  die  Kftmpfe  mit  den  Byzantinern,  die  Vorgftnge  in 
Spanien  und  Gallien),  5)  dieAbbasiden  inBagdad  und  die 
Auflösung  der  Beichseinheit  (das  Chalifat  bis  zum  Sturz 
der  Barmakiden,  Harun  Alraschid  bis  auf  Muttawwakils  Tod,  die 
Kriege  mit  den  Byzantinern,  Verfall  des  Chalifenreiches  in  Bagdad), 

6)  die  Staaten  des  Westens  unter  dem  Einflüsse  der 
Moslemin  (die  Omejjaden  in  Spanien,  Entstehung  und  Ausbil- 
dung der  christlichen  Staaten  im  nördlichen  Spanien,  das  König- 
reich Aaturien,  die  spanische  Mark  unter  den  Franken,  die  Sara- 
cenen  in  Sicilien  und  Italien,  die  Beiche  von  Cordoya  und  Oviedo), 

7)  Gultnr-  undGeistesleben  der  Mohammedaner.  Tref- 
fend ist  die  Kennzeichnung  der  mohammedanischen  Welt;  doch 
möchte  Bei   die  yorherrschend  lyrische  Poösie  der  Araber  nicht 


Bfi4  Weber:  WeltgMoliiohte,  Bd.  Y. 

auf  die  »selbstsüchtige,  auf  die  eigene  Person  gekehrte  Natur  der 
Araber  €  zurückfuhren.  Der  Araber  zeichnet  sich  nicht  nur  in  der 
lyrischen,  sondern  auch  in  der  epischen  Po6sie  aus.  In  jener  herrscht 
die  Empfindung,  in  dieser  die  Anschauung  vor.  Beide  aber  be- 
ziehen sich  zunächst  auf  das  Einzelne.  Zum  eigentlichen  Epos  ist 
der  Sagenkreis  nicht  bedeutend  genug ;  er  bezieht  sich  zu  sehr  auf 
Einzelnes.  Ueberall  aber  zeigt  sich  bei  Völkern  auf  der  An&ngs- 
stufe  der  Cultur  zuerst  die  lyrische  und  epische  Poesie.  Die  Helden 
des  Epos  müssen  einer  mythischen  Welt  angehören.  Bei  den  Arabern 
aber  schwindet  der  Einfluss  des  Mythos,  da  sie  erst  in  der  spfttem  Ge- 
schichte im  siebenten  christlichen  Jahrhundert  ihre  Bedeutung  er^ 
halten  und  ihre  Heldenthaten  aus  jener  Zeit  keinem  Sagenkreise  ange- 
hören. Ein  Volk,  das  immer  ein  Buch  der  Bücher  hat  und  seine  Lehre 
mit  Feuer  und  Schwert  verbreitet,  ist  zu  einer  langsamen,  natnr- 
gemässen  Entwickelung  des  poetischen  Geistes  wenig  aufgelegt  und 
hat  in  seinen  eigenen  Lehren  ein  Culturhindemdes  Element.  Es 
war  eine  Zeit  lang,  als  wäre  der  Geist  der  Araber  ganz  und  gar 
im  Koran  aufgegangen,  der  die  ganze  Literatur  ersetzen  sollte. 
Jenes,  die  freiere  Geistesentwicklung  lähmende  Princip  der  mittel- 
alterlichen Scholastik,  es  hat  seine  Wurzel  vorzugsweise  im  Moham- 
medanismus, welcher  den  grössten  Einüuss  auf  die  Entwickelung 
der  christlichen  Scholastik  äusserte.  Von  einer  Einheit  in  der 
Empfindung  und  Anschauung,  wie  sie  sich  in  der  schwierigsten  und 
höchsten  dichterischen  Entwickelung,  im  Drama,  darstellt,  kann 
daher  bei  einem  Volke,  wie  die  Araber,  keine  Bede  sein.  Die  vor- 
herrschende Sinnlichkeit  und  Einbildungskraft,  das  mehr  verständige, 
als  vernünftige  Element,  die  unstete  Beweglichkeit  des  Lebens  und 
Charakters  hindern  die  das  Einzelne  zum  grossen  Ganzen  zusam- 
menfassende Entwickelung  des  Epos  und  Dramas. 

In  dem  Cultur-  und  Geistesleben  der  Mohamme- 
daner werden  nach  einer  allgemeinen  Charakteristik.  Astronomie 
und  Mathematik,  Naturwissenschaften,  Philosophie,  Poesie,  Ge- 
schichte und  Theologie  im  Allgemeinen  und  Einzelnen  dargestellt. 
Was  die  Philosophie  der  Araber  betrifPt,  so  macht  hier  Bef.  aaf 
die  in  gelungenster  Weise  zusammenfassende  und  zugleich  gründlich 
eingehende  Darstellung  derselben  in  der  Geschichte  der  Philosophie  von 
Ueberweg  (1864,  Thl.  IL,  Abthl.  H,   S.  49-62)   aufmerksam. 

(Schlass  folgt.) 


It.  21).  '   HEIDEIBEK6EB  IseS. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Weber:  Weltgeschiclite,  Bd.  Y. 

(Bebfam) 

ümfuigreieher  ist  das  nns  näher  stehende  Zeitalter  der 
Karolinger  im  zweiten  Hauptabschnitte  dargestellt.  Es 
werden  hier  drei  Hanptabtheilangen,  1)  das  bysanti- 
nisohe  Kaiserreich  wfthrend  des  Bilderstreites,  2) 
das  Frankenreioh  unter  den  Karolingerni  8)  Nor- 
mannen und  D&nen  unterschieden. 

Fflr  die  erste  Hauptabtheilung  wurden  ausser  den 
Quellen,  den  bedeutenderen  Historikern  und  Chronisten  im  corpus 
historiae  Bjsantinae  und  den  Werken  von  duFresne  und 
Le  Beau  die  Httl&schriften  von  Gibbon,  F.  Oh«  Schlosser, 
0.  Finlay,  Zinkeisen,  Behm,  SchOU,  Bernhardy  und  die 
Kirehengeschichten von  SohrOckh,  Oieseler,  Neander,  Hase 
U.A.  benutzt.  Fflr  die  zweiteHauptabtheilung  werdenausser 
der  Quellensammlnng  von  H.Pertz  (Monumenta  Germaniae 
historica),  den  mit  Einleitungen  und  Erklärungen  versehenen 
üebersetzungen  der  einzelnen  Quellenschrifksteller  durch  Pertz, 
J. Orimm,  K.  Lachmann,  L.Ranke,  K.  Ritter,  dem  Werke 
-Wattenbachs:  »Deutschlands  GeschichtsqueUen  im  Hittelalter« 
und  den  Materialien  in  den  yon  der  historischen  Oommission  bei 
derkgL  baierischen  Akademie  der  Wissenschaften  herausgegebenen 
Jahrbüchern  der  deutschenGeschichte,  insbesondere  den 
Jahrbflohern  des  fränkischen  Reichs  von  H.  Hahn  und 
der  Geschichte  des  ostfränkischen  Beichs  von  Ernst 
Dümmler  die  Forschungen  von  G.  Waitz,  H.  Pabst,  Bigurd 
Abel,  Karl  Hegel,  L.  A.  WarnkOnig,  W.  Giesebrecht, 
C.F.  Souchay,  Ed.  Jacobs,  Heeren,  Ukert,  Schäfer,  Alex. 
Schmidt,  Lappenberg,  Pfister,  Dahlmann,  Leo,  IL 
Ign.  Schmidt,  H.  Luden,  H.  Bückert,  Philipps,  Max 
Wirth,  Ad.  Pfaff,  J.  Yenedey,  Daniel,  Telly,  Meze- 
ray,  Michelet,  Sismondi,  Hume,  Lingard,  Turner, 
PalgraTe,  Kemble,  Rehm,  Rühs,  Schlosser, Mannert, 
LehuGron,  Guizot,  E.  Arnd,  J.Ellendorf,  Ferd.  Heinr. 
MflUer,  G.H.  Pertz,  Hegewisch,  Dippold,  Fr.  Lorentz, 
Fr.  Funk,  Schaumann,  Gaupp,  Ledebur,  JustusMOser, 
Stalin,  Buchner,  IL  Bfldiger,  die  kirchengeschichtlichen 
Werke  von  Hagenbach,  F.  Oh.  Baur,  Bettberg  ausser 
den  oben  genannten,  für  Literatur  J.  Oh.F.Bähr,  fttr  Philo- 
LVnL  Jehr»  ft.  Heft.  26 


Sophie  H.  Bitter,  für  Kunst  Lübke,  Kagler,  Sohnaasey 
für  den  juristischen  Theil  Werke  Ton  Biehhorn,  Hllll- 
mann,.Both,  G«  L.  y.  Matifer  n«  s.  w.,  fikf  iie  dritte 
Hauptabtheilnng  ausser  dem  Quellenschriftsteller  Sazo  Gram- 
maticus,  den  verschiedenen  Quellensammlungen  yon  Matth. 
Parker,  Gamden,  Saville  u.  s.  w.  und  Nestors  Chronik 
von  Schl5z«r  die  geschichtlichen  Darstellungen  von  E.  G.  G  e  i  j  e  r, 
F.  0.  Dahlmann,  A.  M.  SU^nnholm,  P.  A.  Munch,  E. 
Wilhelmi,  Eonrad  Maurer^  Max  Büdinger,  Eemble, 
Palgrave,  Lappenberg,  BeinholdSchmid,  Bud.Gneist 
und  Aug.  Thierry  angeftlhrt  und  mehr  oder  minder  in  dem  vor- 
liegenden Bande  verwerthet. 

Die  erste  Hauptabtheilung  (das  byzantinische  Eaiseir- 
reich  während  des  Bilderstreites)  um£ew8t  1)  Leo  IIL  und  Eon- 
stantin  Eopronymos,  2)  die  Kaiserin  Irene^  8)  Er- 
neuerung und  Ausgang  desBilderstreites,  4)  Michael 
HL  und  das  Emporkommen  des  macedonisohen  Herr- 
scherhauses! 5)  Oultur  und  Literatur  im  bytantini- 
schen  Beich.  Die  zweite  Hauptabtheilung  (das  Franken- 
reich unter  den  Earolingem)  enthält  1)  Ear  1  Martell  und  Pipp  in, 
2)  das  Langobardenreich  in  Italien,  8)  Wachsthum 
der  Eirche  im  Frankenreiche,  4)  Earl  den  Grossen 
(Pippins  Ausgang,  Earl  und  Earlmann,  Earls  Alleinherrschaft,  An- 
fang der  Saohsenkriege,  Untergang  des  Langobardenreiohs,  Unter- 
weidinng  der  Sachsen  und  Baiem,  Herstellung  des  römischen  Eaiaer- 
thums,  die  Zustände  im  Linem  des  Beiohs  nach  Bechtspflege, 
Kriegswesen  und  Verwaltung,  Hofleben  und  Beichsversammlungen, 
Onlturleben,  Earls  letzte  Lebenszeit,  Ausgang  und  Persönlioh- 
keit),  5)  Auflösung  des  Frankenreiohes  (Ludwig  denFrom- 
men  und  zwar  Begierungszeit  bis  zur  zweiten  Beiohstheilung,  die 
Kriege  zwischen  Vater  und  Söhnen  und  Ludwigs  Ausgang,  Erieg 
der  Brüder  und Theilungsvertrag  vonVerdun),  6)  die  Franken- 
reiche nach  demVertrag  von  Verdun  (dieTheilk(^ugreiche 
bis  zu  Lothars  L  Tod,  die  kirchlichen  und  politischen  Verhältnisse 
unter  Lothar  EL.  und  Papst  Nicolaus  L,  insbesondere  die  Lage  der 
drei  Beiche  und  Lothars  H.  Ehestreit »  die  MachtsteUnng  des 
Papstes  und  Lothars  n.  Ausgang,  femer  die  letzten  Begiemngs- 
jahre  Ludwigs  des  Deutschen  und  Earls  des  ElahLen»  den  raschen 
Thronwechsel !  Earls  des  Dicken  Alleinherrschaft  und  Ende»  die 
letzten  Zeiten  des  Earolingischen  Herrseherstammes,  insbesondere 
König  Arnulfs  Politik  und  Feldaüge,  Arnulfe  Ende  und  Ludwig  das 
Eind,  Ausgang  des  Earolingischen  Hauses  im  westfränkischen  B^ehe, 
Italien  in  der  kaiserlosen  Zeit),  7)  den  Entwick&lungsgang 
in  Staat,  Eirche  und  Literatur  (Ausbildung  des  Feodal- 
ttaateS)  Entwiokelung  und  Thätigkeit  der  Eirohe  hinsichtlich  der 
päpetlichen  Monarchie,  die  üeberreste  des  Heidenthuiu  und  die 
Seli<|uienverehrung>  Ausbildung  der  Hierarchie,  das  Eloiterweeen^  die 


W.»%«ti  WnHgütltoliiiii,  M.  V.  887 


MRwifamwtmigliit,  die  Maohtcfeallmig  desKlenis  und  die  gektlidie 
Liteniv).  Die  dritte  Hanptabtheilang  (Normennfln  und 
Dftaen)  beheadelt  1)  Land  nnd  ¥olk  der  Skandinavier, 
2)  die  Zeit  der  Wikingeriflge  (die  Urzeit  Skandinaviens, 
die  Wikingerfahrten),  3)  England  während  der  däniacken 
msd  norxnanniaehen  Invasion  (von  Egbert  bis  Alfired,  den 
Oreeeen,  Alfreds  Haehfolger  und  Ennd,  den  Orossen,  Wilhehn  den 
Sioberer  nnd  die  Normaanenherrsekaft  in  Bnghuid,  die  inneren 
Zmtinde  dieses  Landes  in  der  üebergaagszeit),  4)  Normannen 
in  Unteritalien  nnd  Bicilien,  5)Ba8sland  nndlsland 
(Taringer  nnd  Bussen  nnd  die  Nonnannen  in  Island).  Als  Beispiel 
gelnngener,  abgerondeter  Darstellung  fahren  wir  6it  Schildenmg 
desb  jiantinis  oben  Kais  er  reiehes  w&hrend  des  Bilder- 
streites an.  »Die  hnndert  nnd  ftln&ig  Jahre»  heisst  es  8.  262, 
die  wir  so  eben  dnrehlanfen  haben,  stellen  ein  dunkles  Gemftlde 
in  der  Oeaohiekte  der  Mensohheit  dar.  Wir  sehen  den  byzantini- 
sehett  Hof  und  Staat  den  letzten  Best  von  altrOmisoher  Kraft  und 
Mfliieatftt  dnroh  Lasterhaftigkeit  und  sittliche  Entartung  verzetteln 
und  wihrend  noch  ftusserlioh  die  alten  Formen  fortdauern,  mehr 
und  mehr  das  Wesen  und  den  Oherakter  orientalisoher  Despotien 
annehmen.  Mit  Widerwillen  erblicken  wir  ein  Hof  leben,  wo  Treu- 
losigkeit und  Yerrath,  Leidensohaften  und  Kabalen,  Binnenlust  und 
seUwtsIlQktiges  Trachten,  Bosheit  und  Herzenshärtigkeit  unter  einer 
leiohten  Decke  Kuaeerer  Politur,  unter  dem  heucUeriscben  Schein 
chrittlieher  Bildung  und  Sitte,  unter  einem  schimmernden  Oehfinse 
pnakender  Formen  und  Oereraonien  lauem,  stets  bereit  mit  gifti- 
gem Zahn  ihre  OpÜBr  anzufallen ;  mit  Verachtung  und  Widerwillen 
gewahren  wir  eine  Nation,  welche  sich  fisig  unter  das  unwürdige 
Joch  eines  gesetzlosen  Despotismus  beugt,  welche  den  frivolen  GhB- 
nftssen  der  Bennbahn  im  mfissigen  Nichtstbun  naclgagt,  mit  bla- 
sirter  Olelcbgttltigkeit  den  blutigen  Auftritten  und  grausamen 
WeohselfUlen  in  den  höchsten  Hof-  und  Beamtenkreisen  znsohaut 
und  von  dem  Baume  der  ckristlioben  Religion  nicht  die  Frttehte, 
sondern  nnr  die  vertrockneten  Zweige  und  Blätter  mit  emsigem 
Fleisse  pflegt  und  einthut ;  mit  Widerwillen  schauen  wir  auf  ein 
Heer  9  das  seltener  den  kriegerisehan  Geist  und  die  überlieferte 
Waffenkonde  der-  altrftmischen  Legionen  in  siegreichen  Kftmpfen 
widor  Barbaren  und  Moslim  zeigt,  als  den  unbotmttssigen  Sinn  und 
die  trotzige  Insubordination  der  Priltorianer  in  Abfall  und  Bm- 
pGrungi  ein  Heer,  das  nur  durch  die  Aufoahme  barbarischer  Söldner- 
scfaaaren  in  seine  Beihen  wieder  einige  -frische  Kr&fte  erbalten 
konnte.  Aber  trotz  aller  Laster  und  Gebrechen  in  Hof  und  Staat, 
trotz  der  EnteittUcbung  und  Yerweicblicbung  des  Volkes  in  den 
h&heven  wie  in  den  niederon  StHodeUi  trotz  der  Verarmung  der  Vto* 
vinzen  durch  drückende  Besteuerung  und  hohe  Z5Ue,  durch  Beamten- 
erpressungen  und  Kriegsnotb,  trotz  der  Ausartung  der  Beligion  in 
todie  Werkheiligkeiti  kirchliche  C^emonien  und  th#ologi9(dic  Strei- 


888  W«ber:  WdlgMeUolito,  Bd.  V. 

tigkeiteiii  gentthrt  durch  die  wadhBeade  Menge  mUflsiger  Ifönche, 
war  dennoch  das  byzantinische  Beioh  fOr  die  Gnltarentwiokehing 
der  Menschheit  in  dieser  Zeit  des  'Sinkens  nnd  VerfiEdles  eine  un- 
schätzbare Wohlthat.  Noch  immer  war  Eonstantinopel  die  reichste 
nnd  glänzendste  Stadt  der  Welt,  die  durch  die  Pracht  nndOrOsse 
ihrer  Kirchen  nnd  Paläste,  durch  die  Menge  herrlicher  Kunstwerke 
nnd  Monumente,  durch  die  Zahl  ihrer  Bewohner  und  dnroh  ihr 
reges  Handels-  und  Industrieleben  die  Fremden  mit  staunender 
Bewunderung  erftlllte.  Noch  immer  waren  die  byzantinischen  Städte 
der  Markt  der  Nationen,  wo  man  neben  den  Pelzwerken  des  Nor- 
dens die  edeln  Produkte  des  SüdenS|  die  Seidengewebe  des  Ostens, 
die  Kunsterzeugnisse  Ghriechenlands  zum  Verkaufe  ausgestellt  sah. 
Noch  inuner  waren  die  herrlichen  Teppiche  mit  feinen  Stickereien, 
die  Purpurgewänder,  die  Schmucksachen  von  Oold,  Elfenbein  nnd 
Juwelen  das  Eigenthum  und  der  geheime  Schatz  der  morgenl&ndi- 
schen  Menschheit.  Noch  immer  war  Konstantinopel  der  Sitz  der 
Bildung,  die  Trägerin  der  Wissenschaften  nnd  Gelehrsamkeit,  die 
Hüterin  des  heiligen  Feuers,  das  von  edlem  (jesohlechtem  entsfin- 
det  durch  sie  der  Nachwelt  überliefert  ward.  Die  byzantinische 
Hauptstadt  war  das  nothwendige  Mittelglied  in  der  Kette  der  Tra- 
dition, wodurch  die  Errungenschaft  des  Alterthums  den  späteren 
Qeschlechtem  zugeführt  wurde.  Während  das  übrige  Europa  sich 
langsam  aus  dem  Dunkel  der  Unwissenheit  und  der  Barbarei  empor- 
arbeitete, bewahrten  die  byzantinischen  Schriftsteller 
mittelgriechischer  Zunge,  wenn  auch  grösstentheils  dem  geistlichen 
Stande  angehörig  und  unter  dem  Nebel  theologischer  Streitigkeiten 
getrübt  tmd  in  der  Freiheit  des  Schaffens  gehemmt,  noch  wissen- 
schaftlichem Sinn,  Kenntniss  der  menscdlichen  Dinge  und  Achtung 
Tor  den  literarischen  Schätzen  des  Alterthums«  u.  s.  w. 

Die  Oeschiohte  der  christlichen  Tonkunst  (Ent- 
wickelung  der  christlichen  Musik  bis  auf  Gnido  yon  Arezzo  1000 
n.  Chr.  S.  410 — 413)  hat  Herrn  Dr.Friedr.  Ohrysander,  die 
»bewährteste  Autorität  in  diesem  Fache«,  zum  Verfasser.  Die 
Hoffiiung,  welche  der  rühmlichst  bekannte  Heir  Verf.  amSchfaisse 
seines  Vorwortes  ausspricht,  hat  sich  vollkommen  bewahrheitet. 
Auch  der  vorliegende  Band  giebt  ein  rühmliches  Zeugniss  von  dem 
freudigen  Muthe  und  der  ungebrochenen  Kraft  seines  Urhebers,  von 
welchen  er  beseelt  seinem  schönen  Ziele  rastlos  immer  näher  ent- 
gegenrükt.  Sein  Buch  ist  nicht  nur  für  ihn,  wie  er  S.  XI  sagt, 
als  »Beschäftigung  mit  einem  liebgewonnenen  Gegenstände«,  son- 
dern auch  für  jeden  -nach  wahrer  Aufklärung  über  die  wichtig- 
sten Fragen  des  Lebens  und  Wissens  strebenden  Leser  »eine 
Quelle  freudiger  und  erhebender  Empfindungen.«  Möge  ihm  auch 
fernerhin  die  ungesch?rächte  Kraft  des  Körpers  und  Geistes 
zur  Vollendung  seines  edeln,  gemeinnützigen  Unternehmens,  das 
sich  vor  Werken  ähnlicher  Art  durch  Aufbau  und  Anordnung,  Fonn 
nnd  Inhalt  gleichmässig  auszeichnet,  in  vollstem  Maasse  zu  Gebote 
irtehenl  v.  ReieUin-Mddegg. 


Rwr  md  HaUmJMmd$r  ftr  da$  Jakr  1886.    SMnUr  Jahrfanf. 
Drmek  umd  Yerlag  wm  G.  D.  Bädeker.  8.  8.  77. 


Olnoh  d«ii  früheren  Jalurgftiigen  feiohnet  8ich  der  Torliegende 
lefarte  des  Beriet  und  Hütten-Kalenden  dnroh  Maanichfaitigkeit 
und  selir  prakiiaelie  Einrichtong  ans.  Die  erste  Abtheihing  bringt 
«asfUuiiehe  ICttheihingen  Aber  die  preoesisohe  berg-  und  hütten- 
minnieche  Geeetigebong ;  in  der  zweiten  wurden  dnrch  Hinznftlgong 
grBeeerer  TabeUen  zur  Yergleiohung  des  Metermasses  nnd  des  preossi- 
eehen,  dnroh  neue  Tabelloi  zur  Verwandlung  der  Stunden-Einthei- 
hog  des  beigmännisdhen  Compass  in  die  gewöhnlichen  Graden.  s.w* 
dem  wirkliehen  Bedtlrfhiss  zu  entsprechen  gesucht.  An  die  in  den 
firfüieren  Jahrgingen  enthaltenen  Zusammenstellungen  sich  aaschlies- 
sead  bilden  die  neuesten  Notizen  über  die  Production  der  Berg- 
werke nnd  Salinen  in  den  verschiedensten  Lftndem  einen  interes- 
santen nnd  gewiss  Vielen  sehr  willkommenen  Theil  des  nützlichen 
Sehriflchens.  Die  Ausstattung  ist  wie  dies  gewöhnlich  bei  den 
Verlagsartikeln  des  Herrn  Bädeker  ein  geschmackvolle« 

O.  Leonhard« 


Dm  Berg-  und  HüUmwmm  im  EtnogÜium  Namau»  8Uaiäi$ehe 
Nmekriddm^  geogruHÜBeke,  mingraiogi$^  und  Uehm$^  Be- 
$du^mbungen  du  Yorkommem  nutabarer  MinträHm,  dmBwrg^ 
und  HttUmMrubB.  Jn  Ermäddiqung  der  HenogUchen  Landm^ 
Begitrung  nach  amüickm  QuitUn  und  unier  Mitwirkung  van 
HtTMogHßken  und  PriotU'^  Berg-  und  HuUenbeamien  und  wm 
Werkeeigenikämem  kerauegegehen  von  F.  Odernkeimer, 
fferzogUek  NaeeauUekem  Öberbergratk.  ZweUee  Heft.  MU  neke 
Plänen.  Wie$baden.  C.  W.  KreideU  Verlag.  1864.  gr.  8. 
&  m—804. 

In  dem  Jahrgang  1863  dieser  Blätter  haben  wir  bereits  das 
erste  Heft  der  Odernheimer* sehen  Zeitschrift  sowie  die  Ten- 
dens  des  ganzen  Unternehmens  besprochen.  Wir  haben  damals  dem- 
selben ein  günstiges  Prognostikon  gestellt;  solches  ist  auch  einge- 
troffen, denn  bereits  lie^^  das  zweite  Heft  vor,  dem  in  kurzer  Zeit 
das  dritte  folgen  wird,  womit  der  erste  Band  der  Zeitschrift  ab- 
Bchfiesst. 

Der  Inhalt  des  zweiten  Heftes  ist  folgender.  I.  Üebersichts- 
Tabellen  über  die  Production  der  Bergwerke  und 
Hütten  von  den  Jahren  1861  bis  1868.  IL  Oeognostische 
und  technische,  allgemeine  und  specielle  Beschrei- 
bungen der  Mineral-Vorkommen  und  der  Bergwerke, 
so  wie  technische  Mittheilungen  über  den  Hütten- 
betrieb. 1)  Der  technische  Betrieb  der  Blei-  nnd 
Bilberhütten  des  unteren  Lahnthaies  von  E.  Herget* 


Der  Vet&sso'»  dttrch  MiAe  trefflicfa»  8ölirift  ftbcr  ddü  sS^Msifefen- 
Sandsteine  bekannt)  gibt. eind  aiufllliztit^heSehiMoning des (äkikmels- 
Prozesses  der  auf  den  drei  Metall-Hütten  der  unteren  Lahn-Gegend 
za  Ems,  Branbaoh  und  Hölsappel  zur  Yetrarb^itüng  kommenden 
Erze ;  diese  sind  bauptsäohlich  eübeibaltigir  Blet^anz,  et?WBEii!^ftdn« 
kies  und Falilerz.i  2)  Beschreibung  des  Brannstein'^yoT^ 
kommens  und  Berigbaues  in  der  Lahn^Oegend  vom. 
Kays 8 er.  Bekanntlich  isi  die  QeWinnnng  TOn  Braunstein  fb 
Nassau  von  besonderer  Bedeutung.  Ein  ergiebiger  Betrieb  findet 
nameaitlioh  im  Lahnthale  iwischeu  Biez  und  Weilbnirg  statt.  Der 
Braunstein  ist  Torzugswoise  an  die  kalkigen  nnd  dolomitisoheh  Sehieh^ 
ten  der  mittlem  Abtiieilung  der  devonisohen  Formation,  an  den 
8«  g.  Btringooephaien-Ealk  geb«nden,  welcher  bald  von  Thonsohiefilr 
bedeckt  mrd,  bald  mit  solchem  wechsellagert.  Die  Braüiisteiii«- 
Lager  nehmen  entweder  unmittelbar  auf  Dolomit  ihre  Stelle  ein 
oder,  und  häufiger,  werden  sie  davon  durch  ein  kaum  Fiiss*mftolrttgea 
Besteg  Ton  sandigem  Thon  oder  Mulm  getrennt.  Die  dio^Atofanitt- 
liehe  Mächtigkeit  der  Braunstein-Lager  beträgt  Vs  h&s  l^t  Fnss. 
Fast  aSenthalben  sind  solche  bedeckt  von  einer  Schicht  eisen- 
haltigen Braunsteins,  manganhidtigen  Brauneisensteins,  Thoneisen- 
steins  auch  von  reinem  Branneisenstein.  Die  Schichten,  welche  die 
Stz-Yorkommnisse  ttberlagem  bestehen  meist  ans  plastiscÄien  Thonen, 
deten  Mächtigkeit  YOn  V>  bis  15  LsDhter  wechselt.  ünieV  den 
vecBChiedenen  Arten  ron  Braunstein  sind  zu  nennen:  Pyrolusit, 
krjstaUiniscfae  Massen  yon  kömiger  oder  &s6riger  Zusammen- 
setzung bildend ;  Psilomelan  in  traubigen,  nierenförmigen  Gestalten ; 
Manganit,  nadelfönnige  Erystalle,  aech  derb.  Diese  Manganerze 
werden,  wie  schön  bemerkt,  von  Brauneisenstein  begleitet,  von 
Gko^arten  exBcheinen  Ealkspath,  Braunspath  und  Qnars.  An  die 
Schilderung  der  BratLnstein-Verkommnisse  reiht  sich  noch  eine 
Beschreibung  des  Braunstein-Grubenbetriebs  so  wie  det  Aufberei- 
tung. —  3)  Eisenstein-Vorkommen  und  Eisenstuin- 
Bergban  in  demBergmeisterei-BezirkDies,  vonSiein. 
Nassau  besitzt  sowohl  Botheisenstein-  als  auch  Braaneisenstetai- 
Gruben*  Der  Rotheisenstein  findet  sich  lagerartig  theiis  zwiselMn 
Sohalstein  nnd  Schiefer,  theiis  zwisdien  Schalstein  allein,  während 
der  Broonstein  namentlich  nesterweise  in  Mulden  des  Stringo- 
eephalen- Kalksteins  auftritt,  oder  auch  im  Tfaon  über  der  xlieiiii- 
schen  Qrauwacke.  —  HI.  Mittheilungen  über  das  Berg« 
und  Hüttenwesen  deutscher  Nachbarstaaten  und  des 
Auslandes,  in  Beziehung  auf  Nassauische  Verhält* 
nisse.  üeber  das  Braunstein-Vorkommen  in  den  Pro- 
vinzen Hnelvannd  Almeria  inSpanien,  vcnBellinger« 
An  zahlreichen  Orten  sind  in  letzter  Zeit  in  Spanien  Lagei'stätten 
aufgeechloesen  worden.  Unter  diesen  gewinnen  zumal  die  Gmben 
in  der  Provinz  Hnelva  besondere  Bedeutung«.  Der  Braunstein  tritt 
lagsr^  vokäi  neeterartig  mit  QoaE&it  und  Eisenkiesel  in  sUnrisohcim 


BeJk taiij  Ftor»  disfe  Snq^dni.  891 

ThtaBcUflfinr  ailf;  die  bat  ffioasclilieesHoh  ToAonmiflDden  Ezkb 
siad  F^roltlAit  tuid  Peilomelan,  seltener  erBcheinen  Manganit  und 
WaAi  Im  Jabr  1859  ist  ia  der  Froiinz  Hoelra  nngefiflir  eina 
Villiaa  Ocfatnet  BEaimeteiii  gefördert  worden.  Weniger  dnrch  aiuk 
gedekiite  Ablag^onuigen  als  in  geognostisoher  Besiabaiig  interesiant 
iat  daa  Braunstein*- Yorbommen  am  Oapo  de  Gata  in  der  ProTins 
Ahneria.  Hier,  an  der  eüdöstlichen  Spitze  Spaniens  werden  Por- 
phyre «sd  Traobjtä  von  vielen  Q^&ngen  dorohsetzt,  welche  ans 
ManganfiTEen,  ans  Enp&rkies,  Weisbleierz  nnd  ans  Galmei  bestehen. 
Die  Mächtigkeit  der  Bratmstem^-äänge  ist  eine  so  geringe,  das« 
kaom  .eine  lohnende  Oewimmng  zu  hoffen. 

Die  seehs  Plane,  welche  dem  zweiten Hefb  von O d er nheimer  s 
Zeitsohrift  beigegeben«  enthalten  nnter  andern  sehr  lehrreiche  Profile 
dorefa  verschiedene  ßrannstein-  nnd  Branneisenstein-Ornben,  eine 
geognostisoihe  üebersichtskarte  des  geschilderten  Eisensteint-Vor** 
kommens,  so  wie  eine  topographische  Skizze  über  den  Brannstein'- 
Bergban  in  der  Provinz  Hnelva.  G«  Leenhard. 


Bmirä^  mar  Flwra  de$  Keuper$  und  der  rhäUsdkem  Formatim  von 
Frofmar  Dr.  Schenk.  Mit  emer  Tabelle  wd  Till  Tafdn. 
&  9L  (ßeparat^Abdruek  aus  dem  VIJ,  Beriehl  des  mxiur^ 
foreehenden  OeseUeehefft  «u  Bamberg.) 

Wfthvend  die  fossile  Flora  verschiedener,  tbeUa  ttUerer»  theüs 
jttngeiBr  Oebirgs-Formaüonen  eine  lunfassende  Schilderang  erfah)?en 
hat,  wie  die  trefflichen  Arbeiten  von  O e in i t z ,  Göppert,  Heer, 
Unger,  Ettingshansen  n.  A.  beweisen,  ist  Über  die  Pflanzen- 
Beste  das  Eeopers  nnd  der  rhätischen  PormatioA  (Bonebed),  einige 
ältere  BchriAen  von  Sternberg  nnd  Presl  aasgenommen  nnr 
wenig  bekannt  Um  so  dankbarer  ist  ee  daher  anzuerkennen,  dass 
fdn  so  bewährter  Kenner  fossiler  Pflanzen,  wie  Schenk  inWürs- 
boig,  esübemomnen  hat  diese  Lücke  anszofOllen  and  das  bereits 
Vorhandene  kritisch  zn  prüfen,  vielfach  zn  berichtigen  nnd  dnroh 
gar  manche  neue  interessante  Entdecknngen  zu  bereichenoL  Die 
Unterencihnngen  desselben  beziehen  sich  hauptsächlich  aaf  die  Pflaar 
zen  des  fränkischen  Eenpers  nnd  jene  der  rhätischen  Formation  von 
Bamberg,  wofür  ein  reichliches  Material  in  verschiedenen  Samm- 
lungen zu  München,  Wflrzbnrg  und  Bamberg  zu  Gebot  stand. 

Ans  dem  Eeuper  sind  gegenwärtig  52  Arten  von  Pflanzen  be- 
kannt; 25  derselben  gehören  den  sogenannten  Gto&sskryptogamen. 
an,  26  veiüheüen  neh  auf  die  Gräften  der  Monokotyledonen  (8), 
der  Oynunospeimen  <22)  und  der  AngiospenneA  (2).  Die  Arten 
gahöEsn  22  «Gattungen  an. 

Die  Mehrzahl  der  Gattungen  erscheint  überhaupt  erst  In  der 
IkiaB-FiOxmaüon,  die  MinderzaU  reieht  aas  älteren  Pexioden  her- 


SM  Schenk:  Flor»  iet  Kenpot. 

über.  Za  diesen  gehören  Cälamitea,  NeuropUri»,  BphmopUri»,  AcM- 
»opterü,  CyatheiU$t  Aldhapteris^  PeeopUris,  TaemopUriSj  Nöffgeraikia^ 
ÄrauearüeB.  Es  feUen  dem  Eenper  die  für  die  Slteren  Formatio- 
nen 80  sehr  bezeichnenden  Arten  von  Sigiüairia  und  Ltpidodendrcn, 
Ausser  den  G'attongen  Yoltsia  und  8chi9(meura  sind  mit  Sicherheit 
dem  Eenper  'nnd  Bnntsandstein  gemeinsam :  Egui$eUie8,  Neurapteru, 
AleOiopitris ,  Chelopieria  und  Pterophyüutn ;  es  fehlen  aber  dem 
Eenper  die  für  den  Buntsandsiein  charakteristischen:  Creniaiof4eri$^ 
Änomcpieris^  Albertia,  Füehselia,  Eehinostachys^  während  im  Bnnt- 
sandstein die  im  Eenper  vorhandenen  Gattungen:  Calamiie$,  Sphe^ 
nopieria,  Cyatheitesj  SchiaapieriSj  AraucarUta  yermisst  werden.  Zum 
erstenmale  erscheinen  im  Eenper:  Danaeopsis,  Chiropterüß  CMaeoj 
Camptopterisj  ChlaihrophyUum^  SclerophylHntZf  SehistosUiehyum,  Oy^ 
cadcphyltuntf  Widdringtonites,  BcyiophyUum.  Ein  Theil  dieser  Gattun- 
gen geht  Tom  Eenper  bis  zum  Schluss  der  "WUlder-Periode  durch 
alle  Formationen. 

In  dem  Hervortreten  der  Gymnospermen  im  Eenper  liegt  wohl 
der  bedeutendste  unterschied  für  die  Flora  dieser  Periode  gegen- 
über jener  des  Buntsandsteind.  Mit  d€^  Bonebed  hat  weder  Bunt- 
sandstein noch  Eenper  eine  Art  gemeinsam. 

Im  Eenper  Frankens,  Württembergs,  Badens  und  des  Oantons 
Basel  sind  bisher  mit  Sicherheit  noch  keine  Meerespflanzen  nach- 
gewiesen worden.  Die  Gesammt- Vegetation  besteht  nur  aus  Pflanzen 
des  Festlandes;  unter  ihnen  yorherrschend  Equüäiie»  arenaeau. 
Diese  wahre  Leitpflanze  kommt  allenthalben  in  grösster  Individuen- 
zahl  vor.  An  sie  reiht  sich  Pterophyüum  Jaegerij  dann  folgen  die 
übrigen  Cycadeen,  unter  welchen  bei  weitem  Danaeapaü  (früher 
TaeniopierU)  marantaeta  am  häufigsten. 

Wenn  man  die  sog.  Baibler-Schichten,  wie  solches  von  Güm- 
bel  geschehen,  dem  mittlen  Eenper  zuzählt,  so  ist  die  Flora  dieser 
Gebilde  eine  ganz  ungewöhnliche,  da  sie  ausser  TaemopteriB  und 
VoUsia  kaum  eine  gemeinsame  Gattung  besitzt,  während  doch  die 
Partnach-Schichten  eine  mit  dem  deutschen  Eenper  übereinstimmende 
Flora  zeigen.  Im  Hauptdolomit  der  Alpen  (mittler  Eenper)  er- 
scheint nur  eine  Landpflanze,  Arauearües  paehyphyUua,  Mit  Beeht 
betrachtet  Schenk  dieses  als  einen  Beweis,  dass  die  Entwicklung 
des  festen  Landes  zur  Bildung  des  Alpenkeupers  verglichen  mit 
jener  des  Eeupers  der  Ebene  von  geringer  Ausdehnung  war. 

Im  Allgemeinen  deuten  die  vielen  Equisetiten  auf  sumpfige 
Niederungen  des  Eeuper-Landes ,  in  welchem  diese  baumartigen 
Gewächse  gediehen.  Ihnen  waren  wohl  noch  CälamiUa  Meriam 
und  SchieAostachyum  beigesellt.  In  den  höher  gelegenen  Landstrichen 
wurden  Waldgruppen  von  Cycadeen,  Ooniferen  und  Baumfarren 
gebildet,  deren  Schatten  kleinere  Farren  beherbergte.  Die  Niede- 
rungen wurden  von  Zeit  zu  Zeit  vom  Meere  überfluthet;  hiednrch 
enstand  die  Bildung  der  Lettenkohle. 

Jedenfalls  erlangt  im  Eenper  die  Entwickelung  des  Pflanxen- 


Bebernk:  Hot»  d«t  Kenpcn«  BIS 

rttdis  ohui  Sinfe  auf  wdohor  zaorst  Formen  enolidineiii  deron  W6i* 
t«ie  Entwiokelmig  in  jüngeren  Fonaationen  exfolgt. 

Und  dennoch  ist  die  Flora  des  S[enper8  von  jener  des  darauf 
folgenden  firänldsehen  Bonebed  (rhätische  Formation)  ganz  yer- 
sehieden;  sie  stellt  sieh  in  Fnuiken  als  eine  Landflora  dar,  im 
Bonebed  der  Alpen  erscheinen  Meerespflansen»  Im  Bonebed  Frankens 
ist  insbesondere  das  Auftreten  yieler  Cjcadeen  henrorznbebeni  femer 
die  Httofigkeit  von  PäHsiya  Braunii,  Zamüe»  diitans,  EgtoMiUm 
MünaUri,  JeanpaüHa  diehotoma.  Ans  dem  Bonebed  der  Umgegend 
^n  Bamberg  sind  allein  schon  24  Oattungen  mit  89  Arten  be- 
kannt, die  fast  alle  auch  an  andern  Orten  im  Bonebed  Frankens 
Torkommen.  Bezeichnend  fELr  Bamberg  ist  namentlich  der  Beich- 
thnm  an  Arten  (7)  Ton  Sphenopteris. 

Fflr  das  Bonebed  ist  insbesondere  das  Auftreten  Yon  Pflanzen» 
Qattongen  bezeichnend,  die  älteren  Formationen  fehlen,  in  jünge- 
ren wieder  erscheinen  bis  zum  Beginn  der  Kreide-Periode.  Aber 
eben  in  dem  Anftanchen  so  zahlreicher  neuer  Formen  liegt  —  wie 
Schenk  sehr  richtig  bemerkt  —  der  Beweis  für  eine  mit  dem 
Bonebed  beginnende  Entwickelungs-Stufe  der  Pflanzenwelt,  welche 
erst  mit  der  W&lder-Oruppe  abschliesst,  bis  zu  welcher  Periode 
der  nftmliche  Oharakter  mit  denselben  oder  doch  mit  analogen 
G^ttongen  unverändert  bleibt.  Mit  der  Kreide-Formation  stellt 
sich  eine  neue  Entwickelungsstufe  ein,  jener  der  Tertiärzeit  sehr 
nahestehend. 

Die  Flora  des  Bonebed  reiht  sich  demnach  an  die  des  unteren 
Lias  an,  sie  trägt  unverkennbar  einen  liasischen  Oharakter;  sie 
erlangt  ihre  allgemeine  Bedeutung  durch  die  weitere  Entfaltung  der 
Fk>ra,  welcher  sich  in  ihr  kund  gibt.  Wenn  die  Thierwelt  des 
Bonebed  noch  den  triasisohen,  die  Pflanzenwalt  aber  den  liasischen 
hat,  spricht  solches  eben  für  die  Thatsache :  dass  die  Entwickelung 
des  einen  Reiches  jener  des  andern  um  eine  Stufe  yoraneilen  kann. 
Und  sehen  wir  nicht  wie  bereits  in  der  ältesten,  Versteinerungen 
führenden,  in  der  silurischen  Formation  Pflanzen  vor  den  Thieren 
den  Schauplatz  betreten,  wie  mit  Seepflanzen  und  zwar  Algen  die 
Beihe  der  organischen  Wesen  beginnt? 

Die  wichtige  Schrift  Schenke  wird  von  acht  Tafeln  beglei- 
tet, auf  welchen  80  Pflanzen  abgebildet  sind,  fiBmer  von  einer 
Tabelle,  die  Zahl  und  Verbreitung  der  Pflanzen  des  Buntsandsteins, 
Keupers  und  Bonebeds  angibt.  Leider  haben  sich  auf  dieser  TabeUe 
ein  paar  Unrichtigkeiten  eingeschlichen,  auf  welche  der  Verfasser 
erst  nach  Vollendung  des  Drucks  seiner  Arbeit  aufinerksam  ge- 
macht wurde.  Da  Prof.  Schenk  so  freundlich  war,  dem  Referenten 
diese  Berichtigungen  brieflich  mitzutheilen ,  fQgen  wir  solche  hier 
bri:  1)  Als  Fundort  von  Schisapteria  paehyrachü  und  Danaecpsis 
maranUuea  ist  der  mittlere  Keuper  von  Thumau  in  Franken  an- 
geführt. Nach  Gümbel  liegen  aber  sämmtliche  Steinbrüche  um 
Thumau  im  Oebiete  des  Bonebed.  Die  genannten  Pflanzen  können 


H«7«a«B: 


Schilftandstein  TorkommL  2)PUraphyUumJaegariititiMimLM&t' 
knUoi-SttiidfltaiB  aich  findend  aagefUnt,  wird  sImt,  nfteh  Sftnd- 
berger  nnr  im  BehUbandstein  getrofiai»  8)  E^miaUa  pkOifodfim 
(Equigdmmplabfodon  Brongniarts)  ist  dem Sehilfauidsieim  Fxaft- 
kens  eigimthflmlicfa  nnd  kommt  md&t  bei  BetenttH  iinfan  Wttn* 
boig  Tor.  4)  Ob  sich  Cotemte  Meriam  Heer  im  Sehitfwmdrteia 
bei  Stuttgart  finde,  dllifte  zu  besweifeln  sein,  da  dieee  Pflaaie  in 
Franken  auf  die  LettenkoUe  beiehztnkt  ist.  Die  nnriektigen  An- 
gaben ¥on  Fundorten  sind  wokl  dnrob  Yerwecheelmig  der  Etiqnettei^ 
in  den  Sammlnngen  sn  Wfknbnzg  nnd  Mfineben  Taranlasii,  iraa 
beeonderB  bei  letsterer  nm  so  walirtcheinliober  da  tie  £ut  limmt- 
liehe  fossile  Pflanzen  der  Sammlung  des  Grafen  Münster  fer- 
daakt,  die  wiederiiolt  Torpackt  mirde.  Cu  lif— hard. 


D%$  aUgemeinm  TerhaUmsm  des  PraimBdkm  BergweaemB^  mU  R9ek^ 
dcki  auf  Are  EfOmekdmng,  darfeddU  wm  Dr.  A.Huy$$en^ 
ItömgL  prtmm.  Berghauptmann.  MU  nkr  KarUn.  Enm.  In 
Oommi$8um  bei  D.  Q.  Baedeker.  1864,  gr.  8.  &  M. 


DerVeifaeser  entwirft  in  sehaHlan  Umrissen  ein  sehri 
Kches  Bild  ron  der  histoiiBcben  Sntwiekrinng  nnd  der  gegenwir* 
tigen  Lage  der  prenssischen  Berggesetzgebnng  und  BeTgrerwaltang, 
Br  seigt,  wie  die  preoesiselie  Begiervng  bestrebt  war  —  «nter 
Sdhonnng  vorgefundener  YerfaältnisBe  nnd  der  Anhiaglichkeit  Begg- 
be«  treibender  an  die  alten  Oesetse  —  ^ii^^aMig  die  so  aotitwcn- 
dige  Einheit  in  den  meisten  IMngon  herbeiznülhren,  Terattete  ¥or- 
sehriften  nnd  Einrichtnagen  zn  beseitigen  nnd  den  Beigben  wo 
md^ch  Ton  alien  Lasten  z«  befreien.  Er  hebt  aber  anoh  das  Br^ 
gehniss  dieses Strebens:  den  raschen  Anfsehwnng  des  Berg- 
banes  in  Prenssen  herror  und  nm  sein  Bild  zn  Terv^dleyLndi- 
gen  nnd  dnrch  Zahlen  den  Beweis  für  die  Biohtigkeit  der  anfjgo- 
steliten  Behanptnngen  zn  tiefem  gibt  er  eine  sehr  interessante  2n» 
sammenstelhmg  der  frOheren  und  neneren  BergweKks-Prodnetaon 
in  ganz  Prenssen,  ans  weleher  wir  nnr  einige  der  wichtigsten  Be- 
snUate  hier  mittheilen. 

Steinkohle  ist  in  jeder  Beziehnng  das  wichtigste  Bergwerks- 
Pkodnkt;  fiist  ''In  der  Bergleute  Preossens  sind  mit  deren  Gewin- 
noBg  beschäftigt  nnd  der  Werth  der  jfthilidi  davon  geltederten 
Mengen  beträgt  70  Proc.  des  Werthes  aller  prenssichen  Beigwerks- 
PktMhkte.     Die  Bteinkohlen-FOrdenmg  betrog: 

Tonnen 


Im  Jahre 

1827 

6,816,704 

» 

1887 

10,398,479 

» 

1847 

19,145,461 

> 

1857 

47,868,716 

» 

1862 

65,894,470 

(Bm  Tounass  7^9  pteaM.  CMikftm;  1  Ibm»  fiteinkokkii  witf|t 
im  DmhMhnitt  8,8  CtetiMr), 

Ab  der  FtMmwmg  Ton  1862,  irekke  22,565,058  Thaler  Wefth 
baUe,  nahmen  434  Bergleute  mit  69,468:  Axbeiten  Theil.  Mil  Am 
nidisten  Angehörigen  ^r  letztem  betrog  die  unmittelbar  Yom 
Steinkohlen-Bergban  emihrte  BevOIkenmg  196,785  Seelen,  ein 
starkes  Hnndertstel  der  ganxen  YolktzahL 

Brannkohlen  werden  gleiohfallB  in  Menge  gewonnen,  anch 
ist  die  grosse  Ausdehnung  des  Braunkohlen-Bergbaues  durch  den 
AnÜMÜiwnng  der  Bübenzucker^Fabrikation  mO^ch  geworden«  Die 
FSiderang  betrag: 

Im  Jahre  1825      1,842,449  Tannen 

>  1837   2,612,630    > 

>  1847   7,283,195    » 

>  1857  18,244,428    > 

>  1862  24,545,975    > 

Die  POrderung  des  ktxten  Jahres  stammt  von  443  Ortben, 
mit  11,534  Arbeitern  und  hatte  an  den  ürsprungsorten  einen  Werth 
Ton  3,382,400  Tfaaler. 

Dia  gance  Frodaction  von  Stein*  und  Braankohlan  betrag  zu« 
Bammen  im  J.  1862:  89,940,445  Tonnen  oder  337,900,00  Centner. 
Vergleicht  man  die  Eohlen-Production  Fteussens  mit  deijenigen 
anderer  Linder,  eo  nimmt  solches  den  dritten  Platz  ein,  nach 
Orossbritaanien  und  den  Vereinigten  Staaten  Ton  Nordamerika. 

Bisen  ist  nflehat  JUtilB  das  wichtigste  Prodoct  fttrPreossen, 
da  seine  £rae  eine  grosee  und  msnaig£aoha  Yerbreitaiig  besitsen ; 
SB  der  %ntze  steht  hier  das  Siegeiner  Land.  Im  ganesn  Staate 
erzeugten  die  Hohöfen  an  Boheisen  in  Massebi,  an  fertigen  Guss- 
flMflksn  und  am  BohstaUeisen: 
b  Jah»  1883  919,486  Otr. 

>  1837       1,989,999     »  bei     47,600  Ctr.  Eisen-Binälhr 
»  1847       2,757,951     >    >  3,287,826  >  » 

>  1852       3,344,227     >    »  2,313,961  >  > 

>  1857       7,945,489     >    »  5,466,005  »  » 

>  1862     10,521,532     >    »  3,484,180  »  » 

Im  Jahre  1862  erzeugte  man:  2,502,952  Centner  an  Ouss- 
waaie» ;  ferner  1,017,869  Oentner  an  Eisenblsoh  und  523,470  Ctr. 
au  Eisendi-ahtk  Es  beschttftigte  das  prsnssische  Eisen-  und  Stahl* 
HiMenwesen  im  Jahre  1S62  auf  929  Hfttten  55,441  Arbeiter. 

In  Betreff  der  Bisen^Production  ist  Prenssen  das  yierte  Land 
der  Erde ;  es  erzeugt  I  ^/e  so  viel  Boheisen  als  Oesterreich,  welches 
hierin  mit  Belgien  ungefähr  auf  gleicher  Stufe  steht,  hingegen  pro- 
dueiren  Prankreich  und  die  Vereinigten  Staaten,  welche  sich  eben- 
falls fast  gleichstehen  l^/smal  so  viel  als  Preussen,  wogegen  Qross- 
brittannien  das  7facbe  der  Eisenprodnction  besitzt. 

Zink  ist  reieUioh  Tertreten  und  bekanntiieh  eine  Specialität 
AttfireussiBofasQ  and  belgisehen  Htttenwesens,  da  die  ZinippradaotiM 


810  Hiiyf««Bs 

aiiddxer  Lftnder  gering  ist.  Eanm  ein  Montan-Prodoet  sohwaaU 
80  sehr  im  PreiBse,  wie  das  Zink,  womit  auch  der  Ertrag  steigt 
nnd  fiiUt.  Die  Plroduction  ist  hingegen  fortdauernd  im  Waohscm. 
Es  betrag  die  Production: 

Im  Jahie  1816  2058  Gentner 

1828        154,989 

1887       221,707 

1847        455,027 

1857       897,484 

1862     1,195,257 
Der  Bergbau  und   der  auf  die  Darstellmig  Yon  Bohxink  ge- 
richtete Hfittenbetrieb  besoh&ftigte  im  letzten  Jahre  nicht  weniger 
als  14,900  Arbeiter. 

Blei.  Wie  der  Bergbau  auf  Zink  der  jflngste,  so  ist  der  auf 
Blei  wohl  der  älteste,  denn  in  der  Eifel  wurde  er  sogar  schon  in 
Yorrömischer  Zeit  betrieben.  Auch  in  anderen  rheinischen  Gegenden, 
so  wie  in  Schlesien  ist  Blei*Bergbau  in  Umgang.  Die  Prodnetion 
an  Blei  beträgt: 


GlasBorens      Blei 

Glfttte 

Im  Jahn  1828 

88,886      28,987 

18,822  Oantner 

»        1887 

50,000      24,497 

11,161       > 

1857 

81,831      25,288 

16,214       » 

»         1867 

48,104    252,424 

20,948       > 

>         1862 

30,887    416,122 

41,809       > 

Preossens  Blei-Prodnction  ist  doppelt  so  gross  wie  die  der 
übrigen  ZoUyereins-Staaten  znsammen  und  dreimal  so  gross  wie 
die  Oesterreiohs,  beträgt  hingegen  nur  die  Hälfte  der  franiOsisohea 
und  ein  Viertel  der  englischen. 

Knpfer  wird  namentlich  ans  dem  Kupferschiefer  des  Mans- 
feldischen  nnd  ans  den  Enpfererz-Oängen  des  Siegenschea  gewon- 
nen. Die  Prodnetion  betrag: 


Im  Jahn  1823 

19,159  Geutner 

.          1887 

19,907       * 

>          1847 

25,809       > 

»          1857 

32,872       » 

»          1862 

51,640       » 

Sie  steht  demnach  der  Osterreichischen  fast  gleich,  betiägt 
aber  nur  */?  der  französischen  nnd  V«  der  englischen« 

Silber,  welches  gediegen  nnr  selten  in  Preossen  Torkommt, 
wird  ^t  ans  Kupfererzen,  V'  *^  Bleierzen  gewonnen,  nämlich: 
Im  Jahr  1823         7925  Pfund 

>  1837      11,243       » 

>  1847  13,020  » 
»  1857  27,613  » 
»         1862      46,157       » 

Schwefelkies  bildet  in  neuester  Zeit  einen  äusserst  wich- 
tigen Qegenstand  bergmännischer  Gewinnung.  Froher  nur  zur  Vitriot* 


«ad  Bokwdel-Sneiiguig  benntit,  hat  er  gBgenwttrüg  fttr  di«  Dar- 
fteDoBg  Yon  SehweMiiuia  in  den  öhemiMhen  Fabriken  einen  hohen 
Werih  erlangt,  so  daas  in  Oegenden,  wo  man  Tormals  den  Eisen- 
kies nnbenntit  stehen  Hess  oder  Terftchtlioh  bei  Seite  warf,  solcher 
nm  ein  geeaohtee  Mineral  geworden  ist.  Drei  Qmben  bei  Meggen 
UefBrten  allein  fast  300,000  Otr.;  den  Best  der  854,221  Ctr.  be- 
iiageiiden  FOrdemng  Ton  oompaktem  Eisenkies  lieferten  die  tlbri- 
gm  Omben. 

Sali  wurde  bekanntlioh  bis  Yor  wenigen  Jahren  nur  (Eoeh- 
nls)  ans  Boole  gewonnen;  eine  nene  Aera  begann  fOr  Prenssen 
mit  dem  1857  bei  Stassfart  nnweit  Magdeburg  im  Zeohstexn  er- 
tanftea  Steinsalzlager,  dem  sich  bald  swei  andere  Steinsals-Beig- 
weriw,  das  in  Stetten  in  HohenzoUem  und  das  Erfurter  beige- 
MUtea.  Der  preossische  Steinsak-Bergban  lieferte  im  Jahre  1862 
doroh  536  Arbeiter  1,395,757  Gtr.  Hienmter  befinden  sich  892,190 
Otr.  Kalisalze,  die  snStassfiirt  tlber  dem  Ohlomatriom  Yorkommen 
uid  in  zahlreichen  daselbst  angelegten  chemischen  Fabriken  so  wie 
in  aaswtrtigen  Werken  Yerarbeitet  werden«  Bei  ihrer  sonstigen 
Silteiiheit  bilden  sie  einen  Schatz  der  noch  werthYoller  ist,  als  das 
ngenthehe  Steinsalz.  Bechnet  man  die  Kalisalze  ein,  so  hat  Prenssen 
im  Jahr  1862  8,524,955  Otr.  Salz  zum  Yerbraach  erzeugt,  fut 
eben  so  Tiel  wie  die  flbrigen  ZollYcreins-Staaten  zusammen,  aber 
kran  halb  so  Yiel  als  Oesterreich,  etwa  ^/s  Yon  dem  was  Frank- 
nieh,  mir  V*  ▼on  dem  was  England  erzeugt,  wo  kein  Salz-Monopol 


ian<j|^ftl>  gibt  der  Yerfiisser  noch  ZnsammensteUnngen  der  Arbei- 
teitthl  und  des  Oesammtwerthes  der  Prodncte.  Yerglichen  mit 
•adem  Staaten  nimmt  Prenssen  die  Yierte  Steüe  ein.  An  der 
Spitie  steht  England,  dann  folgen  die  Vereinigten  Staaten,  Frank- 
leieh,  hierauf  Prenssen,  sodann  Belgien,  Oesterreich  und  die  llbri- 
gen  ZolWereins-Staaten. 

Am  Schlüsse  seiner  werthYoUen  Schrift  gedenkt  Berghanptmann 
Hnyssen  noch  aller  der  Mittel,  durchweiche  der  Bergbau  in  dem 
Orade  sich  emporgeschwungen  hat.  Diese  sind  namentlich :  Dampf- 
maschinen, die  Anwendung  Yon  Schienenwegen  fDr  die  Strecken- 
flrderung,  Yerkehrsstrassen  fttr  das  Berg-  und  Hflttenwesen« 

Die  geschilderten  YerhAltnisse  werden  noch  weiter  erltatert 
dnroh  Tier  Karten  in  Farbendruck,  n&mlich:  1)  üebersicht  der 
Bergreohts^Oebiete  Preussens;  2)  Üebersicht  der  Bergbaupunkte; 
B)  relatiYe  Verbreitung  des  Bergbaus  und  4)  relatiYC  Verbreitung 
des  Hflttenbetriebs. 

Es  wftre  zu  wünschen,  dass  wir  auch  Yon  andern  deutschen 
Staaten  fthnliche  gediegene  Darstellungen  des  Bergwesens  hfttten« 

G.  LeoDluurd. 


8ft8  aiSkrt  Rte  Kit^feMfM. 

JH$  KMpfaitnte  mn  der  BtätiKkeaaip  und  «ler  aiff  Umm  fftfttiitte 
BergboMi.  Vm  EmilStöhr.  3iU  4Tafan.  Zürich.  4,  Druok 
van  Zürcher  und  Furnr.  1868.  S.  86. 

In  der  NUte  der  im  Kanton  ölftma  gelegenen  Mttrtsohenalp, 
1611  Meter  über  dem  Meere,  befinden  sich  die  Qebände  des  im 
Jahre  1862  eingegangenen  Enpfer-Bergwerka.  Es  wurden  diese 
Qmben,  welche  schon  im  Jahre  1680  betrieben  worden  sein  sotteiiy 
im  Jahre  1849  aufs  Nene  in  Angriff  genommen,  aber  obaohon  sie 
in  den  letsien  Jahren  unter  trefflicher  Leitung  standen,  wieder  rer- 
lassen,  weil  die  beträchtlichen  Kosten  des  Abbaues  in  einer  hoch- 
gelegenen, unwirthsamen  Alpengegend  durch  den  Ertrag  der  Erze 
nicht  gedeckt  werden  konnten. 

Das  herrschende  Gestein  in  den  Umgebungen  der  Mürtsohenalp 
ist  das  Sernfgestein  (so  genannt  wegen  seiner  grossen  Ver- 
breitung- im  Semfthal)  oder  der  Sernifit,  ein  Oonglomerat, 
welches  in  einer  kieseligen  Grundmasse  Brocken  yon  Granit,  Thon- 
schiefer,  PxiKphyr,  Homstein  und  anderen  Gesteinen  umsoUiesat. 
Da  man  bis  jetzt  noch  keine  organischen  Beste  in  dem  Semifit 
angetroffen  kann  auch  dessen  Alter  nicht  mit  Sicherheit  bestimmt 
werden;  wahrscheinlich  gehört  er  der  Dyas-Formation  an.  üeber- 
lagert  wird  der  Semifit  von  nur  wenige  Meter  mächtigen  Schichten 
Yon  Kalk,  Dolomit  und  Quandt  die  nach  ihrem  Vorkommen  an  der 
Vansalpe  oberhalb  Flums  als  Vansschichten  bezeichnet  wurden 
und  vielleicht  als  Vertreter  des  Zechsteins  zu  betrachten  sind.  Die 
Kupfererze  brechen  theils  im  Semifit  selbst,  theils  in  den  Vans- 
schichten und  zwar  sind  die  Erzyorkommnisse  dreierlei  Art :  Lage r 
und  Gänge  nnr  im  Semifit,  sporadische  Vorkommnisse 
in  den  Vansschichten. 

Das  Kupfererz-Lager  findet  sich  2060  Meter  über  dem  Meere, 
also  noch  600  Meter  über  der  Sohle  der  Mürtsohenalp.  Es  ist 
etwa  2  bis  20  Fnss  mächtig,  besteht  aus  vorwaltendem  Quarz  mit 
Dolomit  und  Talk ;  in  dem  Quarz  sind  die  Erze  —  Buntkupferen, 
Fahlerz  und  Kupferglanz  fein  eingesprengt.  Wegen  seiner  grossen 
Höhe  wurde  das  Lager  in  neuerer  Zeit  gar  nicht  angegriffen.  Ebenso 
hatten  keine  bergmännischen  Arbeiten  auf  die  nur  sporadisch 
auftretenden  Erze  in  den  Vansschichten  statt,  sondern  aus- 
schliesslich auf  die  auf  Gängen,  oder  vielmehr  anf  einem  und 
demselben  Gange  brechenden.  Das  Verhalten  des  Ganges  ist  ein 
ungewöhnliches,  denn  nnr  selten  zeigt  sich  eine  von  diem  Neben- 
gestein geschiedene  Gangmasse,  vielmehr  eine  feste  Verwachsung 
beider,  SaUbänder  fehlen  ganz.  Die  Mächtigkeit  des  Ganges  ist 
sehr  weohsehid  von  1  Fuss  bis  4  Meter.  Die  Gangart  bestdit 
hauztaäoUiah  ans  krystaUinischem  Dolomit,  femer  aus  dem  so- 
genannten grauen  Gebirge,  d.  h.  einem  Conglomerat  von  grauem 
Quarz  mit  Felsit,  Talk  und  Dolomit.     In  diesen  beiden  (Gangarten 


4n6k0m0a  die  Eise  itnd  swtr  irmiugt weite  aa  den  Dolomit  ge- 
bunden der  als  eigentlicher  Erzbringer  :oder  Gkttigveredlar  sn  be- 
trachten ist. 

Was  nnn  die  Ertfthmng  betrifft,  so  wird  solche  im  Allge- 
meinen dnrch  ihre  Einü&chheit  characterisirt  —  eine  Eigenschaft, 
welche  sie  mit  den  meisten  Erzgängen  in  den  Alpen  gemein  hat. 
Als  eigentliche  Erze  kommen  vor:  silberhaltiges  Bnnt- 
knpfererz,  Knpferkies,  Kupferglanz,  Fahlerz,  Eisen- 
kies, Eisenglimmer,  Eisenrahm,  dann  noch  Molybdän- 
glanz nnd  gediegenes  Silber.  Von  wesentlichem  Einflnss  anf 
den  Gking  nnd  seine  Erzftlhrang  ist  die  Festigkeit  des  Nebenge- 
steins; denn  das  Anfreissen  der  €hingspalte  hat  im  festen  Gestein 
mehr  Wideretand  gefhnden  als  im  zerklüfteten,  welches  die  Trümmer- 
bildnng  begünstigte. 

An  die  Schilderung  des  Vorkommens  der  Erze  reiht  St  Ohr 
nnn  eine  nähere  Betrachtniig  der  Bergbau- Arbeiten  nnd  deren 
Beenltate.  Den  Schluss  bilden  einige  Mittheilungen  über  Aufbe- 
reitung, Verhüttung  und  Transport  der  Erze. 

Die  Terschiedenen ,  trefflich  ausgeführten  Tafeln  enthalten: 
eine  geologische  und  topographische  Karte  von  der  Mürtschenalp ; 
Längen-  und  Quer-Profile  derselben  und  endlich  einen  Plan  der 
Kupfererz-Omben.  G.  Leonliard. 


8ion$grü$$e,  Eine  Auntahl  äUchri$tl%eher  Hymnen  und  lAedtr 
au$  dem  Lateiniichen  übernixi  von  Heinrieh  Stadelmann. 
Haue,  Verlag  der  Buchhandlung  de$  Wamenhauees  1864.  VI 
und  74  8.  in  13. 

Mit  grosser  (Gewandtheit  und  sicherem  Takte  hat  der  üeber- 
setzer  sich  seiner  Aufgabe  entledigt.  Die  von  ihm  getroffene  Aus- 
wahl befasst  an  dreissig  der  gefeiersten  und  berühmtesten  christ- 
lichen Lieder,  welche  mit  zwei  Morgenliedem  und  einem  Abend- 
lied beginnen,  dann  aber  das  Kireheigahr  und  dessen  Feste  von 
Weihnachten  an  durchlaufen.  Unter  Nr.  28  wird  das  bekannte 
Sicilianische  Schifferlied  (0  sanctissima)  gegeben,  unter  Nr.  30  das 
G^bet  der  Künigin  Maria  Stuart  (O  Domine  speravi  in  te).  Dem 
Genius  der  deutschen  Spraohe  ist  keine  Gewalt  angethan,  nnd  doch 
die  Treue  der  Uebersetzung  stets  gewahrt.  Als  eine  Probe  setzen 
wir  die  erste  Strophe  des  Morgenliedes  (»Aurora  jam  spargit  polum«) 
hierher: 

Ln  Himmel  glüht  das  Morgenlicht, 

Der  Tag  mit  seinem  Schimmer  bricht 

Herein  in  uns'rer  Erde  Gau^n: 

Von  dannen  weichci  Angst  und  Grau'n ! 


400  Biftdelmanat 

Wir  iMten  die  beiden  letzten  Strophen  des  Abendliedes  (Ohrisfco 
qoi  Inx  es  et  dies)  folgen: 

0  steh  uns  gnftdiglich  znr  Seit', 
Daes  nicht  der  Feind  uns  thn*  ein  Leid! 
Die  du  erkauft  mit  deinem  Blut 
Nimm  uns  in  Deine  treae  Hut! 

Beschirm,  Herr  und  bewahr'  uns  Du 
In  dieses  trägen  Leibes  Buh! 
Du  unserer  Seelen  Schutz  und  Hort, 
Behfit  uns  Herr  nach  Deinem  Wort. 

und  den  Anfang  des  Hymnus:  Adyersa  mundi  tolera: 

Ertrag  die  Leiden  dieser  Zeit 
Ffir  Christi  Namen  gem\ 
Oft  bringet  dir  viel  grosser  Leid 
Des  Glückes  heller  Stern. 

Zum  Schluss  theilen  wir  noch  die  üebertragung  des  oben  er- 
wähnten, auch  Yon  Andern  übersetzten  (Gebetes  der  EOnigin  Maria 
Stuart  (0  Domine,  speravi  in  te)  mit: 

Herr  Gott,  auf  Dich  hab*  ich 
Mein  Ho£fen  gesetzt : 
Mein  Jesu,  Herzliebster, 
Befreie  mich  jetzt! 
In  Kummer  und  Bangen 
Die  bleichenden  Wangen 
Yon  Thr&nen  genetzt: 
Herr,  hOr'  im  Geflüigniss 
Mein  schweres  Bedrftngniss, 
Mein  Sühnen,  mein  Stöhnen! 
Befreie  mich  jetzt! 

Eine  nette  äussere  Ausstattung  empfiehlt  diese  wohlgelnngenan 
Uebertragongen. 


Ir.  28.  HEIDELBEBGEfi  ISet. 

JAHBBÜCHER  DER  LITERATUR 


Orundrisa  der  QeschiehU  der  Philosophie  von  Thaies  Ms  auf  die 
Gegenwart  Zioeiier  TheÜ.  ErsU  Abtheilung.  Die  ptUrisHsehe 
Periode.  Von  Dr.  Friedrieh  Ueberweg,  ausserordeniL 
Professor  der  Philosophie  an  der  Universität  m  Königsberg. 
BerHn  1864.  Druck  und  Verlag  von  E.  8.  MUtUr  und  Sohn. 
Vi  und  101  8.  Zweite  Abtheilung.  Die  seholastisehe  Periode. 
112  8.  gr.  8. 

Die  Yorliegenden  beiden Abtheilnngen  des  zweitenTheiles 
des  oben  genannten-  Buches  sind  mit  demselben  Fleisse,  mit  der^ 
selben  Gründlichkeit  und  mit  derselben  zweckmässigen  Anordnnngs- 
nnd  Darstellnngsgabe  yerfosst,  welche Bef.  an  dem  erstenTheile 
hervorhob.  Kein  Werk  ähnlicher  Art  verbindet  mit  dieser  Kürze 
diese  Beichhaltigkeit  des  Inhaltes  nnd  der  einschlägigen  Literatnr 
nnd  eine  überall  auf  der  Autopsie  der  Quellen  entstandene  richtige 
Anschauung  des  Entwickelungsganges  der  Philosophie.  Die  beiden 
vorliegenden  Abtheilungen  enthalten  die  Geschichte  der  Philosophie 
des  Mittelalters,  die  erste  Abtheilung  die  patristisohe, 
die  zweite  die  scholastische  Zeit.  Es  ist  ein  Hauptfehler 
der  meisten  Darsteller  einer  allgemeinen  Geschichte  der  Philosophie, 
dass  sie  auf  der  einen  Seite  von  der  Eintheilung  der  Philosophie 
in  vorchristliche  und  christliche  ausgehen  und  von  der  andern  Seite 
über  das  Christenthum  selbst,  welches  im  Mittelalter  der  Philo« 
Sophie,  zumal  in  der  patristischen  Auffassung,  den  Denkstoff  ge- 
boten hat,  ohne  jenes  kaum  auch  nur  mit  einigen  Worten  zu  kenn- 
zeichnen, noch  viel  weniger  in  das  Wesen  der  Patristik  einzu- 
dringen, flüchtig  hinweggehen  und  höchstens  die  Hauptrepräsen- 
tanten der  theologischen  und  philosophischen  Scholastik  und  der 
christlichen  Mystik  mit  Angabe  der  philosophisch -theologischen 
Hauptparteien  des  Mittelalters  erwähnen.  Die  bei  der  Abfassung 
leitenden  Grundsätze  sind  dieselben,  welche  der  um  die  Wissen- 
schaft sehr  verdiente  Herr  Verf.  im  ersten  Theile  zur  Anwendung 
brachte.  Ihm  war  die  »oberste  Normt,  »nicht  späterer  Zeit  ent- 
stammte Reflexion  oder  Speculation  über  die  Geschichte,  son- 
dern die  Geschichte  selbst  darzustellen.«  Diese  Norm  ist  ge- 
wiss auch  die  allein  richtige  jeder  wahren  Gesohichtschreibung. 
Wenn  ein  »treues  Miniaturbild  der  Geschichte«  gegeben  werden 
soll,  so  ist  dieser  Zweck  bei  einem  Grundriss  gewiss  der  natür- 
liche. Allerdings  lag  bei  der  Darstellung  der  patristischen  Periode 
eine  grosse  Schwierigkeit  in  der  Abgrenzung  des  philosophi- 
schen und  des  theologischen  Stoffes  vor.  Von  der  Dogmenge- 
VUL  Jahrg.  6.  Heft  26 


atA     Ueberwer  Oei^hkl««  d«  3»lifl0i#ililt,  I.  TU.  1.«.  1  Ab«K  .  ^ 

sohichto  und  positiven  Theologie  mnsBten  Elemente  in  der  Dar- 
steUnnf  aitf^enommeii  werden,  weil  ohne  jene  dai  Wesen  des 
Christenfhums  und  seine  Ghtwickelnng  durch  die  Eirohenlehreri 
also  der  Denkstoff  der  christlichen  Philosophie  unverständlich  bleibt. 
Gewiss  ist  der  Freund  der  Wissenschaft  dem  Herrn  Yerf.  zum 
besten  Danke  dafilr  verpflichtet,  dass  sich  von  religiösen  und  theo- 
logisefaen  Dii^en  in  den  beiden  Abtheihmgen  des  zweiten  Theiles 
der  vorliegenden  Geschichte  der  Philosophie  mehr  vorfindet,  als 
man  dieses  selbst  in  den  umfangreichsten  Werken  dieser  Art  wahr- 
zunehmen gewohnt  ist*  Es  bt  dieses  gewiss  kein  Fehler,  sondern 
ein  Vonug  des  Werkes;  denn  man  muss  bei  der  Darstellung  der 
mittelalterlichen  Philosophie  bis  auf  den  Ursprung  der  philosophi- 
schen Gedanken  zurückgehen,  welcher  eben  im  ürohristenthum  und 
der  «pstea  .patristisohen  Zeit  vorliegti  wenn  man  zum  rechten  Yer- 
stindniss  des  Gegenstandes  durchdringen  will.  Hier  war  in  den 
literarischen  Aagi^Mn,  was  die  .patristisohe  Zeit  betrifft,  keine 
VoUetand^keit  nothwendig,  weil  der  Beziehung  zur  Theologie  wegen 
eine  AnswBhl  ftyr  den  .philosophischen  Zweck  geboten  erschien.  Reü 
bogiaat  mit  der  üebersicht  der  ersten  Abtheilung  oder  der' 
patri'Stis'elien  Periode.  Sie  umfasst  1)  die  Philosophie 
der  ohristliehen  Zeit  überhaupt  (S.  3),  2)  die  Perio- 
den d^r  Philosophie  der  christlichen  Zeit  (S.  3-^4), 
8)  die  pathetische  Periode  in  ihren  beiden  H^uptab- 
sohnitten  (S.  4 — 5),  4)  die  christliche  ßeligion,  Jesus 
und  die  A^oeteL,  die  neutestamentlichen  Schriften 
(8.  ft-^lK),  5)  das  Judenohristenthum,  den  Paulinis- 
mus und  di^  altkatholisohe  Eirohe  (S.  15-^17),  6)  die 
apostolischen  Vftter  (S.  17— 22X  7)  dieönostiker  (S.22 
—32),  S)  Justinus,  den  Märtyrer  und  Philosophen 
(S.  82— 86),  9)  Tatianus,  Athenagoras,  Theophilus  und 
Hermias  (S.  36 — il),  10)  Irenäus  und  Hippel jtus  (S.  41 
—45),  11)  Tertullianus  (S.  45—48),  12)  Monarchianis- 
ttiuB,  Subordiaatianismus  und  das  Dogma  der  äomou- 
-sie  (S.  48-^52),  13)  Clemens  von  Alezandrien  und  Ori- 
genes  <S.  ^2—60),  14)  Minutius  Felix,  Arnobius  und 
Lactautius(S.6iO— 66),  15) Gregor  vonNyssa  (S,6e— 74), 
16)  Augustinus  (8,  74—87),  17)  lateinische  Kirchen- 
lehrer nach  Augustinus.  87—90),  18)  griechieche  Kit- 
cbenlel^rer  <8.  90—95).  Ein  Anhang  enthalt  einige  Zu- 
e&tse  aom  ersten  Theile  (S.  96—99)  und  zur  ersten  Ab- 
th^iluflig  delB  zweiten  Theiles  (S.  99—100).  Dabei  lag  in 
der  Abflseht  dieser  Zusfttse  nicht  eine  vollständige  Fortftihruug  der 
Literatur  bis  1-864^  sondern  nur  »eine  nachtirftgliche  Erwähnung 
einiges  Wichtigeren«  (S.  96). 

Der Uaftersoh&ed  4er  vorchristlichen  und  christlichen 
Phüeeopbie^  »wie  er  in  diesem  Weifce  und  vielen  andern  gewöhn- 
lich gMnacht  wird,  kann  sich,  wenn  er  richtig  au%e£Etsst  wird,  nur 


w 


TT^V^rwvg!  OMoMte»  4m  rMeet^Ali,  t.  V^  \.^%MA.     4M 


Mf  41m  Hiaoflopiii«  des  AltertlitiMi«  wd  dM  Mitt^Ulto^s 
b«^«beB.  DsBft  nur  ^H«  ttikMalterliolM  ffHäoMphie  kMii)  IIa  t<e 
ihnm  ^mmitBcbtB  CbaimbUr  dvroh  das  OhriBteathun  erWi,  4riiie 
^bmiÜiA«  iPliil0S0phw  geaMiit  iwerdaiu  ^at  der  H«t  Vetf.  €L  ,8 
«a|ft;  »»Dm  i^giOMii  TkatMielMii)  tAjiwlilNiattgett  wid  lAwa  ^es 
OknitattlNRU  gebe»  «wh  der  pl^ikMophitQhemi^oittoliVDg  tiaiie  Im* 
'pite.  Dm  pläosophimhe  ^SkmSkMk  richtet  Mh  ia  der  o4Ti#t- 
li'ckea  2ei4  Temgemiee  auf  d&e  4lie<el<egiia4i«a,  ikosai^- 
Wgi4«Lea  «nd  «niiiTop^ologlsch^a  Y^ra^eae^iatif  »n 
d«T  4Dribii«o4ia«  fleil«le^re^  d«reA  'Ftindaiiieat  i«  idi8«n 
Baw'a>aBteeiii  Aar  Stünde  «ad  dte^rSorlOvang  ii^gt«  edüAt 
eania AnaMndxiiig  m  darPairdatik  «adiader  ac'lm»la#ti«€.1i%n 
Pliido«ippiiie^  teineevage  »ber  «n  dar  4ia««rajti  ^PhiloJMqiiilef 
'mm  lee  sioh  aaafirtUoh  jaet  Fjraaa  ,B»oaa  Y'Oti  T^ev^aiaia, 
Meaüt^iwoh  mbi  «CarUiiu«  «aWp4ekelt  IV^fthveaidieaderjMioiacMk 
ima  Myitik  des  MüteliOtan  .eigaothüadieh  ist»  «iek  «of  dieeto  Hdk- 
lehsa,  attf  idla  ^Stade  nad  BrtOeang  aa  ettttoea^  «vi  ee  ^mde  Aaf- 
g^ba  idar  paaaiii  Fbttosopbie,  «loh  .vom  fiaai  Aindp  jeder  4aelo- 
lifeSi  Tomd  :2irar  beeonders  der  dnästlMlieii  ea  befceieti«  Se  istdleee 
<ia«iid|Miifcieii,  tKeeee  Bn^egeatralea  gegen  «den  ehxialliflheii  4&og- 
natüaBu  der  iveeentüdie  Ofaarabter  «der  iMen  flttkMfihie.  Sdbit, 
weaa  >awa  ia^erBeligiaiiepbiknoplne  daa  CftrietaathiaiiL  eamC^gan- 
itanda  madU>  aa  atettt  laaa  sioh  dbeeem  frei  «nd  anabhlagig,  aeie 
jedeat  aadeta  <3egaiutaiida»  von  ^incM  briideoben43taadpimkbe  aat- 
vgegaa«  edbit  aaf  die  tteftdir  Im,  aiäl  ilutt  an  »biaehaa  «der  aorit 
edmr  gfinsliobea  Ifogation  am  «cUieeeea.  d)ie  Termittkiag  oder 
YetaMiaiiag  4er  Gtegeosätze  das  ^inseitigeii  Seatiaauis  .and  IdeaUs- 
>mna,  wie  sie  in  der  -aeaBevea  Pbik)8oplEie  /etatrebt  wild ,  flfielet  &n 
intner  Hiawiciit  «ine  Beziabosig  aar  Yeiaöhnnngalabra  «dee  COirieieto- 


liü  Baoht  wird  &4  die  •»jp»trii#tiaih<e  Pierj^oda«  ^g 
»dia  Eeü  der  Oeaaeis  der  obnailichen  iiehve«  beaaiebnet.  iBie 
■patneüaohe  Periode  wird  bis anenfaiiaedioh  «nf  flcottKS  firi^eaa 
iwrabgeftSari»  fiäe  wird  in  zwei  Abea^bniiifte  gatfaeüU  DieAb- 
gye«aang  beider  bildet  dasiOonoil  ai  Niotta.  i)er  ara-te  labachsitt 
der  patmtieeben  Bmode  bis  S25  ol  €hr.  >eatfaftlt  »dia  JSeit  der 
(htoem  dar  Fnndamenrtaldoffttien,  in  welefaer  die  phtloio- 
fibiaebB  fipeanlstaon  mit  der  'tiieelogisd^  in  untteandMarer  Yar- 
fleefttong  «itelii« ,  dar  aweita  Abee-hnitt  »die  fiMt  der  S'ori- 
bildnn^g  der  kiroUioban  Leb»  «uf  <tihraad  denbereits  fesMeben- 
den  Fnndamantaildogman ,  in  nakher  die  'Phihiaoplne'abi.ein  bei 
der  Dagmenbildnng  mitwirkender  Factor  avA  von  der  dogmatiaten 
Leitfa  «ribat  abanzimgen  ibegiaat.«  JBEiaraäü  wird  dar  ikani  mun 
Hebetgnge  in  den  aweilen  AiAraom  der  auitelattedi<dNn  >BiBk>- 
aofhee,  in  die  ae^ola^itiaerb'e  Pexitodet  gekgt.  Aef.  .weist  basr 
auf  das  UaterseMdsnde  dee  in  dm  Broogelien,  dar  .Apaetelge- 
«ebiohta  nad  den  Briete  der  Apoatel  niedergelegtentChMeoibiuns 


404     Uelerweg:  OMehiahte  d«  PUlosqpIdfl,  8.  TU.  l.ii.9;AUli. 

bin.  Dieses  ist  niofat  sohleohtweg  mit  der  Genesis  der  Pfttiistik 
bis  nur  EirohenTersaminliuig  Yon  Nicäa  ziiBammensawerfe&  nnd  bil- 
det einen  mit  den  beiden  übrigen  angedeuteten  Zeiträumen  der 
patristischen  Periode  nioht  sn  yermisohenden  besondem  Absobnitt. 
Ja,  in  diesem  ürohristentbnme  selbst  ist  wieder  genau  der  ünter- 
sobied  zwiscben  den  Sprücben,  Gleiobnissen  und  Lebren  Jesu,  dem 
eigentlioben  Kern  des  ürcbristentbums  und  zwiscben  den  subjecti- 
▼en  Auffassungen  durch  die  Apostel  herrorzubeben.  8cb5n  und 
treffend  wird  dieser  Kern  S.  5  gescbildert.  Der  Gkist,  die  Ent- 
stehung und  die  Stellung  der  Evangelien  zu  diesem  wird  ausführ- 
lich entwickelt.  Die  Lehre  der  apostolischen  Väter  oder 
dexjenigen  Kirchenlehrer,  welche  unmittelbare  Schüler  der  Apbstel 
waren,  geht  auf  »die  Ausbildung  der  theoretischen  und  praktischen 
Orundlehren  im  Kampfe  gegen  Judenthum  und  Heidenthum  unter 
allmfthliger  Aufhebung  des  Gegensatzes  zwischen  Judenchristenthum 
und  Heidenchristenthum  und  unter  fortschreitender  Ausscheidung 
der  beiderseitigen  Extreme  auf  Grund  der  Zusammenfekssung  der 
immer  mehr  zur  allgemeinen  Anerkennung  gelangenden  Autorität 
aller  Apostel«  (8.  18).  Das  Bestreben  der  Gnostiker  ist  der 
erste  Versuch  zur  christlichen  Beligionspbilosophie.  Die  Form  ist 
»die  phantastische  Vorstellung,  welche  die  einzelnen  Momente  des 
religiösen  Processes  zu  fingirten  Persönlichkeiten  hypostasirfc,  so 
dass  eine  christliche  oder  vielmehr  halb  christliche  Mythologie  sich 
ausbildetei  unter  deren  Hülle  die  Keime  eines  geschichtsphiloso- 
phisohen  Verständnisses  des  Christenthums  verborgen  lagen«  (S.  23). 
Cerinthi  Nikolaiten,  Menander,  Saturnin,  Cerdo, 
Marcion,  Karpokrates,  die  Naassener  oder  Ophiten, 
Basilides,  Valentinus,  Bardesanes,  Mani  werden  im 
Einzelnen  behandelt.  Sehr  richtig  wurd  S.  49  bemerkt,  dass  »bei 
den  älteren  Kirchenvätern  das  Trinitätsdogma  noch  nicht  die  ToUe 
Bestimmtheit  hat,  zu  der  später  die  Kirche  es  fortbildete«  nnd 
dass  jene  Lehren  der  ersten  christlichen  Zeiten  »fest  durchweg  sieh 
einem  gewissen  Subordinatianismus  zuneigen«,  welcher  »später  im 
Arianismus  seinen  bestimmtesten  Ausdruck  fond«  (S.  49).  Zn- 
gleich  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  die  Urkunden  des  Ur- 
christenthums  in  Gott  Wesen  und  Person  nicht  unterscheiden,  ja 
diese  Ausdrücke  nicht  einmal  mit  Namen  anftlbren,  dass  mit  Aus- 
nahme des  Johannesevangeliums,  welches,  unter  Einfluss  der  jüdisch- 
alezandrinisehen  Beligionspbilosophie  entstanden,  das  Göttliche  in 
Christus  oder  den  Logos  von  Gott  unterscheidet,  überall  nur  von 
einem  Gotte  die  Bede  und  sich  nirgends  eine  Spur  von  einer 
göttlichen  unterschiedenen  Dreipersönlichkeit  in  einem 
Wesen  findet.  So  hat  in  der  That  der  von  der  spätem  Kirche 
verfluchte  Ar  ins  die  Anschauungen  der  ersten  christlichen  Zeit 
mehr  für  sich,  alsAthanasius,  dessen  Lehrbegriff  der  orthodoxe 
wurde.  Eingehend  werden  die  freieren  Lehren  des  Clemens  von 
Alezandria   und  Origenes    entwickelt.     Die   hellenistischen 


U«b«rw0g:  OeMUehte  der  PhfloaopUe,  1  ThL  tiklAbtiu     406 

Theologen  maohten  haxqyis&cUicb  »die  diristologitche  Speonlatioii«, 
die  laieiniBcheii  Kirchenlehrer,  >die  aUgemeinCi  in  dem  Glauben  an 
Ooit  nnd  üneierblichbeit  liegende  Basis,  wie  anoh  die  anthropo* 
logischen  nnd  ethischen  Momente  der  cbristlichen  Lehre«  zum  Gegen- 
stand  der  üntersnohnng  (8.  60).  Nachdem  die  Fnndamentaldogmen 
dnrcb  das  Concil  von  Niofta  (825  n.  Chr.)  gelegt  waren,  wandte 
sieh  »das  christliche  Denkentbeils  der  subtileren  Dnrcb  bildung, 
tbeils  der  podtiy-tbeologiscben  nnd  der  pbilosopbiscb-tbeologischen 
Begründung  der  nunmehr  in  den  Grandzttgen  feststehenden  Lehre 
zu«  (8.  66).  Die  »Eftmpfe  gegen  häretische  Richtungen  weckten 
die  productiye  Kraft  des  Gedankens.«  Darin,  dass  sich  das  Nicae- 
num  der  unbegreiflichsten  aller  Anschauungen  von  der  Natur  Christi 
zuwendete,  und  daftLr  das  Parteiscblagwort  derHomousie  brauchte, 
dass  diese  Anschauung  später  zur  Persönlichkeit  des  beil.  Geistes, 
zur  Lehre  von  einem  Wesen  und  drei  Personen,  von  zwei  Willen 
und  zwei  Naturen  in  einer  Person  Christi  führte,  gewann  gewiss 
die  philosophische  Entwickelung  nach  des  Bef.  Dafürhalten  nichts, 
da  gerade  meist  auf  Seite  der  Häretiker  die  gegen  die  blosse 
Glaubensauctoriät  sich  geltend  machende  Yemunft  als  Repräsen- 
tantin freieren  Denkens,  also  das  eigentliche  philosophische  Element 
sich  geltend  machte,  jedenfalls  derlei  Kämpfe  wohl  zu  spitzfindigen 
Distinctionen,  zu  neuen  Worten  und  Mysterien,  keineswegs  aber  zur 
> Weckung  der  productiven  Kraft  der  Gedanken«  ftlbren  konnten. 

Gregor,  Bischof  von  Nyssa,  (331—894  n.  Chr.)  war 
der  erste,  der  den  »ganzen  Complez  der  orthodoxen  Lehren  aus 
der  Yemunft,  wiewohl  unter  durchgängiger  Mitberttcksicbtigung 
der  biblischen  Sätze,  zu  begründen  sucht«  (8.  67).  Der  Versuch 
war,  was  sowohl  die  Bibel,  als  die  Yemunft  betrifft,  nach  des 
Bef.  Dafürhalten  ein  yergeblicber,  weil  er  bei  der  einmaligen  An- 
nahme der  orthodoxen  Mysterien  bei  jedem,  der  nicht  yom  Dogma 
abwich,  yergeblich  bleiben  musste.  Die  schiefe  Stellung,  in  welche 
die  Philosophie  durch  Annahme  des  theologischen  Denkstoffes  nach- 
male in  der  scholastischen  Zeit  geräth,  zeigt  sich  darum  schon  in 
der  patristischen  Periode.  Die  Saat  der  Patristik  ging  in  der 
Scholastik  auf,  und  ohne  eine  yoUständige  Emancipation  yon  dem, 
was  man  Christentbum  und  christliche  Theologie  im  patristischen 
und  scholastischen  Zeiträume  nannte,  konnte  die  Philosophie  keinen 
kräftigen  Keim  der  Entwickelung  fOr  die  Zukimft  gewinnen.  Die 
>Kulmination  der  kirchlichen  Lehrbildung«  zeigt  sich  in  Augu- 
stinus (8.  74).  Treffend  sind  seine  Lehren  (8.  75—87)  ent- 
wickelt. Auch  die  Augustinische  Anthropologie,  welche  wohl  das 
meiste  dem  berühmten  Kirchenlehrer  Eigenthümliche  enthält,  wird 
nach  des  Bef.  Dafürhalten  nur  dadurch  zur  Entvrickelung  philoso- 
phischer Gedanken  beitragen,  dass  sie  das  Denken  zur  Bekämpfung, 
zmn  Widerspruche  herau^ordert,  und  dass  eben  gerade  in  diesem 
der  Augustinus'scben  Auctorität  entgegentretenden  Speculiren  die 
Bechte  der  Yemunft  und  der  Philosophie  sich  geltend  machen.  Die 


4M      U  6if  Ar  W  eg):  ffieibllfebtii)  dv  PUloMfpUB,  1.  TU.  1. «.  t.  Al^tb^ 

uMnerbin^  Wie  Bef.  meint»  def  philocopkieeUeB  GbdaibcttiiirulieftiBg 
yeitheiUwftev,  aI»diieail9Fhftl88dpki»l»eBeiobMki  iiii%ia)«,  tÜMvoite 
Wider  die  Vemnüft'  geHeiiie  BeseUttee  toh  Kir^eifteifeaaBimliiligeB, 
wddie  af»tO<moeeaiofeieiiaBheidiiufche'Zeitdn8ohaimi^  totetood^av 
a«is^  der  Vesmuift  iMlgründeit  zu  ^^V^eii. 

Bk  aweite  AVtlieilnibg  eüXkfSli  die)  aUf  der  Gmkdlal^e 
der  pätribtiiklkte  Pertodei  enlstandeiie  »oki^lattiaelire  Fhilo- 
&er]^liio;  Sie'  bebandelt  in  17  Paaragrapftea  1)  Begriff  und 
Bilttbeilirng  ddr  Selolastik  (8.  l-^S),  2)  JeiBannes 
S-ocrftr»  Srigen»  (8.3~10),  S^>BefrIi»nias  nnd  Keime  de« 
Neminallidrmirfs  van»  nenttlenr  Iris'  gegd»  d»s  Ende  de» 
eil'ften-  Jikhrkntddrte  (&  W-^l7)f  4>  &<>*6oelli]i,  d»n 
NexBfittalksteil,  WilÜeli»  toin  Oktfvpeanx,  dAn  BA^ali" 
sicfn  (8.  17—22),  5)  Aftdel^m  ras  G»ntevb«ry  (8.  22—81), 
6)  AbKla^rd  nnd  ahndete  SekalaetikeT  de'S  s'w'5llteB; 
Ja-kikundlettay  BertbardTenOLairvanl  nild  dieVierto-* 
rinei'  (Si.  31— 4r7),  7>  g^rieeliscke  n»d  »yrieeke  Pbilo- 
sophen  im  Hittelalter  (fl.  47— 4^)^  &)  äi'abiftcke  Pkllo* 
sapbeiii  im  ICittelftiter'  {B.  4^—62),  6)  die  Pkileeopbke 
der  Juden  tjh  HitteUlter  (8.  &2-'75>,  10)  de'il  U*^ 
8'Okwitfng  der  sekelaetiifolken  Pkilcrserpkie  om  12(^G 
(8.  7&— 78)v  lI)Alex;aBlde»r  iren  HAlee  und  gleiebseitige^ 
Bckolaitiket,  BontfVeninis^,  den  Myfttiker  (ß.  7a— 81), 
12>Aib^rtnftMagnn8  ^8.  81--88),  ia)TboniafrTen  Aquitte* 
n>n<d  düe  Tb^vfidten  (&d5-— 97),  14)  Jo<bftn*e8  I^nn»  9ce-^ 
t«ft  »iVd  die  Bdotiste*  (8.  97—1021)^  1&>  ^eitgeH ehedem 
deaTbomafnnd  des  Dtfnf  Scdtne^  (8. 199— 104)^,  IS^Wil- 
beim  Tdn  Oecatn,  den  Brneirereir  des  N^ntitfaittf mlie 
(8.194— 108X  17)  »pätef  e  8ebola8tiket  bis  s^tun  Wildes- 
BfOifk&mAie»  de^ft  Plirttonifimn^»  (8.  198^119).  AngeMngt 
siild  Beiridhtignngeft  ted  Zns&tze  sn  der  Da#0M]ttig[  der 
paltiiltieebem  Pbiloeepkie  (8.111)  nitd  amf  DarsteHnng  der 
8ebolaetik  (S.  112). 

Eben  so  gmm  und  grtfidlieb^  ale  die  erste^  ist  aiMb  dieee 
Abtheihft^  aasg^ftliurt.  Man  iMtt  ans  der  Ueberstebt,  daee  kek» 
Hwij^i^inikt  ttbi$]««k4n  Wwde,  ud  daas  in  d^  DävsttikiBg  adeb 
di^  christHehen  Mystiker  an^eneiBünen  worden  siad^ 

TrAffmid  Irird  (8.  1)  ditf  Sebcflaetik  ak«  die  »Phüeeo^ie 
in»  DieüEfte  dfi:  bereit»  beat^iendeii  Kirdhenlebife  nnd  inabeeoad^^ 
die  Aeoomodaiion  der  telibeb  Phildsopbi»  an  dieselbe«  bezekfbneL 
Sbbon  kl  dieser  Definitikm  bidgt  das  ünpbilösepbiacdae  einer  soiebe» 
PkUofiJo^ie.  Bs  wetden  iii  ibv  8  Hanptperloden  onteraeUedtoi^ 
1)  »die  bfl^gitutende  Seb^laetik  oder  die  noeb  nnvoUkoianiene  AeeKh- 
modation  de^  (aristotelisi^logieehan  nad  nenplatönisobMf)  Philo* 
sot^hie  an  die  Eirebenlekre  toü  Jobailnee  8eotii8  Erigena  bie  aal 
di«  Ainahrioante  oder  tom  üeiiateA  bis  gegen  Ende  des  awfilAeii 


II«V0rw««:  QMcbichi»  der  PWl<Viopbliw  2.  TH  tu,.!  A]bK      407 

Jahrhvnderts«^  2)  mdie  BlfitbozeU  de?  SoholAstik  ode?  die  Yollei)r 
deta  Aocomodatioa  der  (nniunehr  yollfitttudig  bekannt  gewordenen, 
amtotelifioken)  Philosophie  an  daa  Pegma  der  Kirche ,  van  Alez^ 
x(m  Haies  bis  auf  Dans  Scotna  nnd  die  Scotisten  oder  von  Beginn 
dea  dieizehnten  bi^  gegen  die  Mitte  des  yieniebnien  Jahrhunderte  <», 
3)  »die  Auflösung  der  Scholastik  oder  d^  beginne9de  Widerstreit 
zwischen  Yemnnft  und  Qlanben,  von  der  Mitte  des  yierzebnten  bia 
xor  Mitte  nnd  nach  der  Mitte  des  ftUifzdmteA  Jah;rh]a|i.derts  oder 
Yon  Ocoam  bis  zum  Ausgange  dea  Mittelalters«,  welcher  dureh 
daa  »Wiederanfbltthea  der  klassischen  Studien«,  das  »Aufkonunen 
der  Katarforschung«  und  den  »Eintritt  der  Kirchenspaltung«  be- 
zeichnet wird  (S.  1).  Die  üebertragung  dea  Namens  »Sohplastiker« 
auf  >alle,  die  sich  schulmässig  mit  den  Wissenschaften,  insbesondere 
mit  der  Philosophie  beesch&ftigten«  mag  es  rechtfertigen,,  daßs  unter 
den  Begriff  der  Scholastik  auch  die  mittelalterliche  Mystik  ge- 
stellt wird,  wie  wohl  diese,  wenn  sie  auch  ihren  Denkstoff  aus  dem 
Christenthum  nimmt,  ein  anderes  religiösea  Elements  t^9  die  Scho- 
lastik  hak  Jede  Religion,  am  meisten  die  am  hOdhsten  ausgebildete 
Baligion  des  Ghriatenthums,  hat  auf  einer  gewissen.  Entwickelungs- 
stufe  zwei  Elemente,  ein  Element  dea  denken  und  begreifen  wollen- 
den Verstandes  und  ein  Element  des  sieh  an  die  Offenbarung  hin* 
gebenden  gl&ubigen  Herzens  oder  Gemüthes.  Jenen^  e^tspriqht  die 
Scholastik,  diesem  die  Mystik.  Mit  der  Scholastik  geht  auf 
dar  realen  Seite  dae  Bitterthum,  mit  der  Mystik  auf  der  idealen  Seite 
die  Minne  des  Mittelalters  in  Parallele.  In  Joha^nne^Sdott^sEri- 
gena  sind  noch  beide  Elemente  ungetrennt  vertrete«^ u^dii^^^^Ad- 
lichar  Yerwandtsohafb  yerbunden.  Wem»  auch  unmittelbair  nach  ihm 
keine  bedeutenden  Mystiker  auftraten  und  daa  aehiolaßtisohe  Element 
im  engem  Sinne  Torherrscht,  so  wurde  doch  der  Gegensatz  di^rch 
den  Angustinianismus  undPelagianismuSt.  durchPlator 
niker  und  Aristoteliker,  durch  BeaUsten  und  Nomina- 
listen  erhalten.  Das  mystische  Element  zeigte  sich  im  Au- 
gustinianismus,  Platonismus  und  Bealismus^  wS^hrend 
das  scholastische  durch  den  Pelagianismu,s,  Aristote- 
lismus  und  Naminalismus  vertreten  war.  Aber  schon  in 
Bernhard  yon  Clairvauz  nnd  den  Bernhardinern  trennen  sich 
die  beiden  Elemente  zu  einem  feindlichen»  sieh  bekSimpfeade^  Gegen- 
satze, um  gegenüber  blossen  GefUhlsergQasen  durch  die  Victor 
riner  eine  wissenschaftliche  Grundlage  zu  erhalten.  At^9  dem 
Emse  Einzelner  tritt  daa  mystische  dement  in  die  Volkskreise 
und  zwar  in  speculatiyer  Farm  durch  die  Keumanichäer, 
in  reformatorisch-praktischar,  antikatholisqher  Form  in 
dea  Waldensern,  Wioleffiten  und  Hussiten,  Luther 
war  ein  entsehiedener  Gegner  der  Scholastik,  welche  ^r  als  eine 
Stutze  des  Bomanismua  ansah,  so  daas  er  den  nur  aas  der  Schor 
lasidk  gekannten  Aristoteles  falsch  und  ungerecht  beurtheilte.  Da- 
gegen &nd  in  ihm  dai9  die  Scholastik  b^käQiplendei  zur  J^geiw^^pl^t 


408      TJoberweg:  GetoMohte  der  PhfloBophie,  2.  Tbl.  l.ii.2.Abl]L 

und  eigenen  üeberzeugnng  führende  mystische  Element  auf  dem 
Boden  des  evangelischen  Christenthnms  seinen  Vertreter.  Was  er 
noch  auf  der  Omndlage  der  Yerjährang  von  der  scholastischen  Tra* 
dition  behielt,  er  gab  ihm  seine  mystische  AafPassnng  und  Deutung 
und  machte  es  dadurch  zum  Oegenstande  eines  überzeugungstreuen 
Glaubens.  Es  entsteht  darum  die  Frage,  ob  man  nicht  fQglich 
die  Geschichte  der  Mystik,  wie  Viele  gethan  haben,  you  der 
Geschichte  der  Scholastik  abgesondert,  am zweckmässigsten 
behandelt.  Zum  Mindesten  geht  nach  des  Befer.  Dafürhalten  die 
Mystik  im  Mittelalter  ihren  eigenen  stillen  Gang,  bis  ihre  feind- 
liche Stellung  zur  Scholastik  und  Kirche,  der  sie  anfangs  ebenfalls, 
nur  in  anderer  Weise,  diente,  in^s  klare  Licht  kommt.  Ausser  dem 
neu  platonischen  Element  wird  bei  Scotus  Erigena  auch  auf  die 
platonischen  und  aristotelischen  Einflüsse  hingewiesen.  Seine  Lehr- 
formen sind  > realistische,  da  die  »üniversalien  Yor  den  Dingen«  sind ; 
aber  sie  sind  auch  in  den  »Einzelobjecten«,  oder  »vielmehr  die 
Einzelobjecte  in  den  üniversalien.«  Daher  hat  sich  der  unter- 
schied in  seinem  Realismus  noch  nicht  vollständig  entfaltet.  Po- 
sitiv enthält  sein  System  keine  »Keime  des  Nominalismus«;  doch 
konnte  es  negativ  dadurch  dahin  führen,  dass  es  »die  Pole- 
mik gegen  Voraussetzung  der  substantiellen  Existenz  der  Univer- 
salien« und  »die  Auffassung  derselben  als  bloss  subjectiver  Formen 
veranlassen  mochte.«  Ob  der  bei  Bulaeus  histor.  univ.  Pans.  I, 
p.  443  erwähnte  Joannes,  wie  Haureau  und  Prantl  vermuthen, 
wirklich  Johannes  Scotus  Erigena  ist ,  lässt  sich  nach  des  Refer. 
Dafürhalten  mit  Recht  bezweifeln  und  darum  kann  man  auch  die- 
sen nicht  als  den  Vorläufer  des  Roscellinus,  des  Nominalisten,  an- 
sehen, da  die  eigentlichen  nominalistischen  Lehren  der  ganzen  Welt- 
anschauung des  Erigena  widersprechen,  und  die  Auslegung  von 
Stellen  aus  seinen  Schriften  zu  diesem  Zwecke,  wie  S.  9  nachge- 
wiesen wird,  auf  einem  Missverständnisse  beruht.  Die  Entwioke- 
lung  der  sich  auf  die  Realität  der  Gattungs-  oder  allgemeinen  Be- 
griffe beziehenden  Lehren  knüpfte  an  Porphyrius*  Einleitung  zu 
den  logischen  Schriften  des  Aristoteles  an.  Der  »extreme  Rea- 
lismus« hatte  später  die  Formel :  üniversalia  sunt  ante  rem,  der 
gemässigte:  üniversalia  sunt  in  re.  Die  Gattungen  sind,  da 
nur  die  Individuen  reale  Existenz  haben,  dem  Nominalismus 
blos  subjective  Zusammenfassungen  des  Aehnlichen  mittelst  des 
gleichen  Begriffes  oder  mittelst  des  gleichen  Wortes.  Der  sich  an 
den  gleichen  Begriff  haltende  Nominalismus  ist  der  gemäs- 
sigte oder  der  »Conceptualismus  «,  der  sich  an  das  gleiche 
Wort  anschliessende  der  extreme  oder  der  Nominalismus 
im  engem  Sinne.  Theils  im  Keime,  theils  in  gewissen  Entwicke- 
lungen  finden  sich  alle  diese  Modifikationen  der  Lehre  von  den 
allgemeinen  Begriffen  schon  im  neunten  und  zehnten  Jahrhundert 
vor  (8.  11—17).  Die  entgegengesetzten  Ansichten  des  Nominalis- 
mUB   und  Realismus   erhielten   in   der   Zeit   des  Mittelalters   ihre 


Ueberweg:  Geselchte  der  Ffaflosophie,  2.  ThL  l.n.t.Abfli.      400 

Hanptbedeatung  dtiroh  die  Anwendung  anf  tbeologische  Fragen,  wie 
die  Trinitftt,  die  Menschwerdung  Chrieti  und  die  Abendmahlslehre. 
Nach  Ansebne  Schrift:  Cur  dens  homo?  wird  dessen  »kirchlich 
gewordene  Sattsfactionstheorie« ,  welche  »wesentlich  eine  An  wen« 
dnng  jnridischer  Analogien  anf  ethisch-religiSse  VerhSltnisse  ist«, 
in  Kttrze  also  bezeichnet  (S,  28):  »Die  Schnld  des  Menschen,  weil 
gegen  Oott  begangen,  ist  nnendlich  schwer,  mnss  daher  nach  Gottes 
Gerechtigkeit  durch  eine  nnendlich  schwere  Strafe  gestthnt  werden ; 
sollte  diese  das  Menschengeschlecht  selbst  treffen,  so  verfielen  alle 
der  ewigen  Verdammniss ,  was  der  göttlichen  Gttte  widerstreiten 
würde,  eine  Vergebung  ohne  Sühne  aber  würde  der  g((ttlichen  Ge- 
rechtigkeit widerstreiten,  also  blieb,  damit  sowohl  der  Güte,  als 
der  Gerechtigkeit  genügt  werde,  nur  die  stellvertretende  Genug- 
thuung  übrig,  die  bei  der  Unendlichkeit  der  Schuld  nar  von  Seiten 
Gottes  als  des  allein  unendlichen  Wesens  geleistet  werden  konnte: 
nur  als  ein  von  Adam  stammender  (jedoch  sündlos  von  der  Jung- 
frau empfangener)  Mensch  aber  konnte  er  das  Menschengeschlecht 
vertreten;  also  musste  die  zweite  Person  der  Gottheit  Mensch 
werden,  um  die  Gott  gebührende  Genugthuung  anstatt  der  Mensch- 
heit zu  leisten  und  dadurch  den  gläubigen  Theil  derselben  zur  Selig- 
keit zu  führen.«  Trefflich  ist,  was  der  Herr  Yerf.  über  diesen 
Theil  der  Anselm*schen  Lehre  S.  80  und  81  sagt :  »Das  Verdienst 
An  sei  ms  liegt  in  der  Ueberwindung  der  bis  dahin  vielverbreite- 
ten Annahmen  eines  Loskaufs  von  dem  Teufel,  welche  bei  mehreren 
Kirchenlehrern  (z.  6.  Origenes  und  anderen  Griechen,  auch  bei 
Ambrosius,  Leo  d.  Gr.  u.  s.  w.)  in  das  Eingestftndniss  einer  üeber- 
listung  des  Teufels  durch  Gott  auslief.  Ansei m  setzt  an  die 
Stelle  des  Gonflicts  der  Gnade  Gottes  mit  dem  (auch  von  Augustiu 
de  lib.  arbitr.  III,  10  behaupteten)  Bechte  des  Teufels  den  Gonflict 
zwischen  der  Güte  und  Gerechtigkeit  Gottes,  der  in  der  Mensch- 
werdung seine  LOsung  fand.  Der  Mangel  seiner  Theorie  ist  die 
(dem  mittelalterlichen  Prftvaliren  der  Seite  des  Gegensatzes 
zwischen  Gott  und  Welt  gemftsse)  Transcendenz ,  in  welcher  der 
Act  der  Versöhnung  Gottes,  obschon  vermittelst  der  Menschheit 
Jesu,  ausserhalb  des  Bewusstseins  und  der  Gesinnung  der  zu  er- 
lösenden Menschheit  vollzogen  wird,  so  dass  vielmehr  die  juridische 
Forderung  einer  Abtragung  der  Schuld,  als  die  ethische  einer  Läu- 
terung der  Gesinnung  zur  Erfüllung  gelangt.  Das  »pauliniscbe 
Sterben  und  Auferstehen  mit  Christo«  wird  nicht  mit  durchdacht, 
die  subjectiven  Bedingungen  der  Aneignung  des  Heiles  bleiben 
unerörtert,  eine  gleichmässige  Bettung  aller  Menschen  möchte  in 
der  Consequenz  liegen,  und  die  Beschränkung  der  Frucht  des  frem- 
den Verdienstes  Christi  auf  den  Theil  der  Menschen,  der  gläjahig 
die  Gnade  annimmt,  muss  als  eine  willkürliche  erscheinen^*,  so 
dass  diese  Aneignung  kirchlicher  Seits  auch  an  andere,  bewemere 
Bedingungen,  schliesslich  an  das  Ablassgeld,  geknüpft  werden  Iconnte.c 
Das  ünphilosophische  in   der  dem  Wesen  nach   in   die   «orthodoze^ 


4iar     Uebtrwtg::  €l«Mliie]ibft  te  PliBoMpUa,  IThL  I.11.I  AkUk 

CS^stanikvaialefase  tkbergegaageiMo.  JUaelm'schen  Qeniigthimii0deIixe 
ut  richtig;  beaeiohnet  und  btmeriity  unter  welolier  Anfbamug  die 
Lehrt  den  Anfbrdenn^en  der  Yernnnft  entsprechender  wird,  wie- 
denn  auch  diese  Lehre  gerade  die  reformatorische  BeweganK  her- 
vorrief, die  »gegen  die  ftossearsten  Consequenzen  der  Ablasetheorie 
geriehtet«,  in  »einer  ethisch-religiösen  Umbildung  der  Fundaraea- 
talanaohaonng  selbst  sich  Yollendete.«  Allein  philosophisch  wird 
die  Gewigthnuiigslriire  auch  bei  dem  Au%eben  der  juridischem  An- 
aehaunng  und  dem  Festhalten  der  aubjectiven  Bedingungen  einer 
eihischnreligiÖBen  Oesinnung  dennoch  nicht.  Lnmer  bleibt  stehen, 
dass  ein  Anderer  und  nieht  wir  uns  gerecht  machen;  denn  alle 
Sinnes&ndeniag  ist  nach  der  Orthodoxie  unmOglish  fruchtbringend 
ohne  den  Tod  des  Anderen«  Wir  haben  nichts  gethan,  der  andere 
hat  ee  geihaa;  ja  wir  thun  nur  in  so  ferne  etwas,  als  es  der  Andere 
in  une  tkut ;  alle  snl^iectiven  Bedingungen  helfen  ja  nach  dem  Dogma 
nichte  ohne  den  objectzren  Thatbestand  einer  Transcendenz,  ia  welcher 
auch  ausserhalb  des  Bewusstseins  und  der  Qesinnung  der  zu  er- 
lösenden Menschheit  der  Erldsungsact  YoUzogen  wird.  Denn,  ohne 
diese  Ttanscendenz  führt  die  religiös-sittlidie  Grundlage  zu  keinem 
Ziele,  wfthrend  die  Philosophie  die  Versöhnung  des  sündigen  Men- 
schen axif  den  Willen  des  Menschen,  seine  Freiheit  und  ihre  Frucht» 
die  wahre  Sinnesänderung,  zurückfClhrt.  Keiner  unter  den  Scholz*- 
stikem  hai  übrigens  den  in  der  Scholastik  verborgen  liegendea 
Eetm  dea  theologischen  Rationalismus  ausgeprägter,  als  Abälard, 
weehalb  auch  Bernhard  von  Olairyaux,  daa  GtofährUche  scd^ 
eher  YemunftbegründungeB  für  den  Glauben  fühlend,  ihn  ammeistent 
und  leideiischaftlichsten  bekämpfbe.  Sehr  kurz  ist  Peter,  der 
Lombarder,  behandelt  (S*  44),  dessen  Sentenzen  Jahrhunderta 
lang  die  Haiqitgnurdlage  des  theologischen  Unterrichts  waren  und 
zu  einer  Reihe  von  Oommentaaren  berühmter  mittelalterlioher  Philo- 
sophen Veranlassung  gaben.  Sehr  eingehend  und  genau  ist  die 
arabische  Philoaophie  dargestellt;  einzeln  werden  Alke ndi, 
Alfarabi,  Avicenna,  Algazel,  Avempace,  IbnTopkail„ 
AverroiTf  entwickelt  (S.  49—62).  Dire  Philosophie  ist  »duroh^ 
gängig  ein  mehr  oder  minder  mit  neiq>latoni8chen  Anschauungen, 
versetzte  Ari&totelismus.« 

Die  Philosophie  der  Juden  im  Mittelalter  ist  die  Kabbala 
und  die  umgeformte  platonisoh«aristotelisohe  Lehre.  Die 
schwärmerischen  Ideen  der  ersten  oder  der  emanatistiflchen  Ge- 
heimlehre sind  in  den  Büchern  lezirah  (Schöpfung)  und  Sohar 
((^lanz)  niedergelegt,  deren  Entstehung,  Inhalt  und  Charakter  nach- 
gewiesen wird.  Die  verstandesmässig  reflectirende  Philosophie  der 
eigentlich  jüdischen  Philosophen  bildete  den  Gegensatz  gegen  die 
schwärmerische  Eabbala.  Die  Earaiten  waren  die  ersten 
systematischen  Gegner  der  thalmudisrtisdien  Tradition;  dann  folg« 
tendie  rabbinisehen  Theologen  (Rabbaniten),  wie  Saadja, 
Bea  Gebire^l  oder  Avioebron,  Bahja  ben  Joaeph,  Je* 


Heber w^:  OeMhkhto  dm  PhÜDsaphl«,.  ^  Tbl  1.  ir.2.  Abth.      4U 

hutda  ben  Samuel  ba^Levi,  Abraka^m  b^en  David,  Koaea 
Maimonidaa  odflr  Maimani  imd  die  jü^oben üebersetser  und 
Ckmuiieiitaiareii  des  Aristotelea  und  dor  arabisobeii  Ari- 
stotalikeif  (Sv62-*75>.  DieErweitdrung  und  Umbildung 
der  Scbolaatik,.  mü  weleker  ein  neuer  Zeitraum  derselben  um 
1200  n«  Ckr.  begingt ,  ginf^  Ton  dem  Bekanntwerden  der  Meiar 
phyeik,  Physik^  Psyebologie  und  Etbik  des  Axistotelee,  tobl  dem 
Binftneee  der  tbeils  neuplatoniscben,  tkeüs  arietotelieoben  Scbriften 
der  arabiseben  und  jUdiecben  Pbilosopben,  so  wie  Yon  dem  Er- 
wirke» der  byaantiniflcben  Logik  ans  (S.  75).  Tbeologia  natoralis 
und  reyelata  werden  gescbieden,  in  der  Philosophie  der  aristote- 
lisebe,  M^abisohe  und  jüdisebe  Monotbeismüs  festgehalten  und  der 
Dteieinigkeatsglaube  »als  tbeologisebee  Mysterium  dem  pbilosophi- 
sehen  Denken  entzogene,  dagegen  der  Glaube  an  das  Dasein  Gottes 
mit  arieteleliscihen  Beweisen  Terseken.  Mirt  der  »Erneuerung'  ches 
Nominalismus  wmrde  die  Voraussetzung  der  Harmonie  de»  Glaubene- 
inkalts  mü  der  Vernunft  ersokttttertc  (8.  76),  vcm  welefaer  ZeH 
(Wilhelm  Gceam)  die  Abnahme  der  Seholastik  beginnt. 

Neek  win  Bei  darauf  aufmerksam  machen,  dase  der  Sinfluss 
des  beinahe  ganz  dogmenfreien  Islams  und  der  pantheistischen 
Lehren  der  araVtschen  Philosophen  sich  in  Paris  unter  philosophischen 
lidirem  durch  die  Unterseheidusg  der  theologischen  und  philoso- 
plaschen  Wahrheit  besonders  bemerkbar  machte.  MauTertheidigteTom 
herrschenden  Lehrbegriffe  der  Kirche  abweichende  Ansichten  damit, 
dass  man  die  ankikirclttcdie  Behauptung  zwar  als  theologisch 
falsch  (theologice  falsum),  aber  als  philosophisch  wahr 
(philosophice  verum)  bezeichnete.  Schon  1247  sprach  sich  Odo, 
Bischof  von  Tuskulum ,  päpstlicher  Legat ,  gegen  Lrthtlmer  eines 
Klerikers,  Jobdlnnes  de  Brescain,  aue,  welcher  seine  Behauptungen 
durch  diese  Unterscheidung  aufrecht  erhalten  wollte.  Im  Jahre  1276 
sendete  Papst  Johann  XXI.  einen  Erlas»  an  den  Erzbischof  von 
Paris,  Etienne  Tempier,  in  Betreff  dieser  dem  pftpstiichen  Stuhle 
höchst  verdammenswerth  erscheinenden  Unterscheidung.  Der  Erz- 
bischof machte  die  päpstliche  Verfluchung  des  Unterschiedes  zwi- 
seimn  phüotophiseher  und  theologischer  Wahrheit  bekannt.  Dem 
erzbieekOflichen  Bundscbreiben  war  ein  Anhang  beigefügt,  welcher 
ein  Ver^icfanias  der  unter  dem  Schutze  dieser  Vertheidigung  in 
Paris  von  Philosophen  vorgetragenen  >Irrthttmer«  enth&lt.  Merkwürdig 
ist  £eees  Verzeichniss  dnrdi  die  Sätze,  welche  darin  vorkommen,  wie : 
»Gott  ist  nicht  dreieinig  und  einer,  weil  die  Dreieinigkeit  mit  der 
reinen  Einfachheit  sich  nicht  vereinigen  läset;  Gott  kann  nicht  seines 
gleichen  zeugen;  denn,  was  von  irgend  einem  gezeugt  wird,  hat 
irgend  einen  Anfang,  von  dem  es  abhängt  und  das  Zeugen  ist  in  Gott 
'kein  Zeichen  der  höchsten  Vollkommenheit;  alles  Einzelne  ist  mit 
dem  böehstenPrincip  gleich  ewig;  es  war  nie  ein  erster  und  wird 
nie  ein  letzter  Mensch  sein,  sondern  immer  ist  und  wird  sein  die 
Zeugnilg  des  Menschen  vom  Menschen;  eine  kttnftige  Aniarstehung 


4ii  J.F.A.  van  Galker:  QnaeBtiones  nomrallM  ete. 

miiss  Ton  Philosophen  nicht  zugegeben  werden,  weil  es  nnm5glich 
ist,  durch  die  Vernunft  zu  dieser  Ansicht  zu  kommen;  die  vom 
KOrper  getrennte  Seele  leidet  in  keiner  Weise  vom  Feuer;  Ent- 
ztLckungen  und  Visionen  finden  nur  auf  natflrlichem  Wege  statt; 
man  muss  nichts  glauben,  ausser^  was  an  sich  bekannt  ist,  oder 
aus  durch  sich  Bekanntem  dargethan  werden  kann;  die  Welt  ist 
ewig ;  der  Naturphilosoph  muss  den  Anfang  der  Welt  läugnen,  weil 
er  sich  auf  natürliche  Ursachen  und  Gründe  stützt,  der  Gläubige 
läugnet  die  Ewigkeit  der  Welt  aus  übernatürlichen  Ursachen;  die 
Welt  ist  ewig,  weil  dasjenige,  welches  eine  Natur  hat,  durch  die 
es  für  alle  Ziikunft  sein  kann,  auch  eine  Natur  haben  muss,  durch 
die  es  in  der  ganzen  Vergangenheit  sein  konnte ;  der  Mensch  darf 
nicht  mit  der  Auctorität  zufrieden  sein,  um  in  irgend  einer  Frage 
Gewissheit  zu  erlangen;  die  theologischen  Reden  stützen  sich  auf 
Fabeln;  wogen  des  theologischen  Wissens  weiss  man  nichts  mehr,  c 
»Ein  Mensch,  mit  sittlichen  und  intellectuellen  Tugenden  ausge- 
rüstet, hat  an  sich  die  genügende  Befähigung  zur  Glückseligkeit; 
es  gibt  Fabeln  und  Falsches  im  Christengesetze,  wie  in  den  andern 
Gesetzen;  eine  Schöpiung  ist  nicht  möglich,  obgleich  man  das 
Gegentheil  nach  dem  Glauben  festhalten  muss;  es  ist  nicht  wahr, 
dass  etwas  aus  Nichts  wird  und  in  der  ersten  Schöpfung  geworden 
ist«  u.  s.  w.  Man  sehe  die  Urkunden  bei  Charles  du  Plessis 
d'Argentrö,  coUectio judiciorum  de novis erroribus.  Lutet.  Paris. 
1724,  fol.  tom.  I,  p.  158,C  p.  175-177. 

V«  Reichlin-Meldegg. 


Quaestiones  nonnuUae  de  nexu  ae  necessüuUne  phüoMphiae  et  seieniiae 
naturalis  ei  Uaihematicae.  Scripsil  Joan.  Frider.  Aug. 
van  Calker,  phüas.  doetor  et  professor  puhh  ord^  ordinis 
phüosophorum  h.  a.  decanus.  Bonnae.  Formis  CaroH  Qeorgu 
MDOCCLXIV.     22  8.     4. 

Zu  den  geachtetsten  Namen  im  Kreise  der  Bepräsentanten  der 
Philosophie  gehört  der  Name  des  Verfassers  des  obigen  zur  Jahres- 
feier der  Gründung  der  rheinischen  Universität  Bonn  durch  Fried- 
rich Wilhelm  III  geschriebenen  akademischen  Programmes.  Die 
riesigen  Fortschritte  der  Naturwissenschaften  und  der  Mathematik 
in  Theorie  und  Anwendung  auf  die  Erkenntniss  des  Wesens  der 
Natur  und  die  Bedürfnisse  des  Lebens  müssen  aufs  Neue  das^  Auge 
des  Denkers  auf  den  Zusammenhang  hinweisen,  der  zwischen  die- 
sen Wissenschaften  und  der  Philosophie  besteht,  der  wohl  bisweilen 
nach  Maassgabe  der  Zeitströmung  zu  phantastischen  oder  formali- 
stischen Auffassungen  der  Natur  führte,  wohl  auch  manchmal  auf 
kurze  Zeit  ganz  unterbrochen  wurde,  entschieden  aber,  wenn  die 
Bestrebungen  der  Philosophen  zu  einem  befriedigenden  Ergebnisse 


J.F.A.  TAB  Calk^r:  QuamHomi  bohohIIm  ale.  4^8 

fthren  BoUen,  wieder  nea  belebt  und  daaernd  festgehalten  werden 
muBS.  Eine  durchaus  richtige,  auf  genauester  Saohkenntniss  fussende, 
scharfsinnige  Untersuchung  über  den  Zusammenhang  und  das 
Yerhaltniss  der  sogenannten  exacten  Wissenschaf- 
ten und  der  Philosophie,  wird  in  diesem  Programme  ge- 
geben. 

Das  genaue  Eingehen  selbst  in  die  kleinsten  Einzelnheiten  des 
Stoffes  xmd  die  Yerwerthung  der  Entdeckungen  und  Erfindungen 
nnseres  Jahrhunderts  für  die  Erkenntniss  der  Natur  und  die  Be- 
dürfhisse des  Lebens  zeigen  den  mächtigen  Fortschritt  desQeistes 
im  Ereile  der  zur  philosophischen  Facultät  gehörenden  Wissen- 
schaften, besonders  der  Naturwissenschaften  und  der  Mathematik. 
Doch  stört  auch  dieses  Eingehen  in*s  Einzelne  den  Blick  in  den 
Zusammenhang,  in  welchem  die  Wissenschaften  zu  einander  stehen, 
da  doch  zuletzt  durch  die  Verbindung  mit  der  Philosophie  alle  Wissen- 
schaften, zumal  die  zur  philosophischen  Facultät  gehörigen,  als  ein 
grosser  Organismus  der  Erkenntniss  erscheinen.  Streitigkeiten  der 
Materialisten  mit  genauer  eindringenden  Erforschem  der  Natur 
ttber  die  Stellung  der  Natur-  und  ethischen  Wissenschafben  zu 
einander,  ttber  das  Wesen  des  Menschen  und  das  Yerhaltniss  der 
Geschichte  unserer  Erde  und  des  Menschengeschlechtes,  ttber  Phre- 
nologie xmd  Schädellehre,  ttber  die  mechanische,  dynamische  und 
teleologische  Naturforschungsmethode,  ttber  das  Wesen  und  die 
Natur  der  Induction,  ttber  das  Yerhaltniss  der  Natur  und  des  öei- 
stes,  die  Auffindungen  neuer  Stoffe  auf  unserm  Erdkörper,  wie  des 
Bubidiums  und  Cäsiums  und  der  Stoffe  in  den  Atmosphären  der 
Himmelskörper,  besonders  der  Sonne,  durch  die  neuesten  Entdeckun- 
gen der  Spectralanalyse,  die  Untersuchung  ttber  Licht  und  Schall 
in  der  Physik,  ttber  die  sinnlichen  Wahrnehmungen  und  Sinnes- 
organe in  Zoologie,  Anatomie,  Physiologie  und  Pathologie  bilden 
vielfache  Bertthmngs-  und  Beziehungspunkte  zur  Untersuchung  und 
Erkenntniss  des  Verhältnisses  des  philosophischen  und  naturwissen- 
schaftlichen Forschens. 

Es  wird,  was  die  streitigen  Punkte  betrifft,  auf  die  materiali- 
stischen Anschauungen  Carl  Yogts,  Moleschotts,  Czolbe^s^ 
Bttchner*s,  sodann  auf  die  Untersuchungen  von  Boucher  de 
Perthes,  Dr.  Mayer,  Charles  Darwin,  E.  F.  Apelt, 
Justus  von  Liebig,  E.  Fischer,  C.  Siegwart,  Hans 
Christian  Oersted,  Carl  Gustav  Carus,  Ulrici,  Fres- 
nel,  Frauenhofer,  Esselbach  hingewiesen. 

Die  Naturforscher  gehen  bei  allen  ihren  Untersuchungen  von 
dem  Haupt-  und  Grundsätze  aus,  »dass  sowohl  die  Sinnes- 
organe und  ihre  verschiedenen  Zustände  im  Schlafen  und  Wachen, 
in  Gesundheit  und.  Krankheit,  in  d^n  verschiedenen  Lebens-  oder 
Altersperioden,  als  auch  die  äusseren  Gegenstände  und  die  durch 
die  Erregung  des  Sinneswerkzeuge  entstandenen  Thätigkeiten  und 
Wirkungen  sosind,  »dass  ihre  Existenz  nicht  bezweifelt 


414  1.  F.  ÜL.  Tsm  Üml^«  t:  OoMtÜMiM 

werden  ItVk&n«  (B.  8).  Dieser  Satz  M  tiber  ein  fhSoBopliiiBelier 
Stftz;  denn  «r  Ist  «m  Act  unseres  Brtoimens.  MH  diesem  Satte 
wird  SQsgesproohen,  dass  die  »Kussere  sinnlvofae  Wahtncffaimittg  die 
Ormd-  und  HampteriEennimissArt  der  Natarwissenschaft,  tue  richtige 
Arty  das  Wahre  zn  erkennen,  ist,  dass  ^o  ^e  Oeg an- 
stände der  sinnlichen  Wahrnehmung  so  sind,  wie  sie 
dnroli  die  Sinne  wahrgefiommen  werden.^ 

So  wird  die  äussere  Wahrnehmang,  ohne  die  Qualität 
ganz  Yon  der  Quantität  zu  trennen,  znm  Princip  aller  Notitf- 
wissenschaft;  gemocht.  Allein  aaoh  hier  trilTt  die  Philosophie  der 
Natorwissenschtifb  gegenüber  anf b  Neue  in  ihi-e  Bechte.  Jene  w^ist 
nadi,  dass  anf  diesem  Wege  ohne  genaue  philosoptoscke  TJntar- 
suchnng  bei  der  Annahme  dieses  alleinigen  Ei^enntnissprmcipes 
Yier  Arten  von  Irrthflmern  sich  in  der  Natarfenchimg  ein- 
schleichen. 

Der  erste  Irrthum  liegt  in  der  Sfeinimg,  dass  die  äussere 
sinnliche  Wahmehnnmg  und  Beobachtung  die  alleinige  und  die  ge- 
wisse Art  der  Erkefuntniss  des  Wahren  sei.  Der  zweite  Irrthnm 
besteht  darin,  dass  man  eine  firkenntniss  fUr  das  Ergebniss  der 
sinnlichen  Wahmehnnmg  und  Beobaditung  hält,  welche  nieaials 
BUS  ihr  entstand,  noch  aus  ihr  entstamden  <sein  fceniite.  Es  ist 
di»ser  Irtthum  die  Verwechslung  der  Wahrnehmung  imd  Be- 
obachtung mit  -der  Befl«:Kion  oder  dem  Denken  "^Uber  den 
wahrgenommenen  O^genstand.  Der  dritte  Irrth'um 
entsteht  dadurch,  dass  man  die  Thätigkeit  des  Wahmehmens  der 
äussern  Gegenstände  yennittelst  der  Sinne  fttr  nichts  anderes  hält, 
als  fOr  die  Functionen  oder  Yerrichtungen  der  Sinnesorgane  oder 
des  Hirnes  selbst.  Dieser  Irrthum  entstand  durch  -den  neueren 
Materialismus  und  die  Anwendung  desselben  €Mrf  die  neueren 
Forschungen  über  Elektricität ,  Licht,  Schall  u.  s.  w.  Eine 
feinere  Art  dieses  Irrthums  glaubt,  tlass  die  Arton  der  Be- 
wegung, auf  wehdie  man  die  Erscheinungen  des  Lichtes,  der 
Farben  und  Töne  zurückfuhrt,  die  Qualitäten  des  'Lichtes,  der 
Farben  und  T6ne  selbst  seien.  Immer  tritt  aber  «ur  äiussem  sinn- 
lichen Wahrnehmung  eine  Erkonntniss  anderer  Art,  ohne  welche 
die  Mathematik  mit  ihrer  AUgeraeingültigkeit  und  Nothwendigkeit 
als  Wissenschaft  nicht  existiren  könnte,  hinzu.  Fenier  ist  mit  jeder 
auf sem  Wahrnehmung  auch  ^ine  innere,  d.  h.  das  Bewusstseln  des 
Wahrnehmenden  selbst  verbunden.  Denn  man  sieht  nicht  nur  den 
Gegenstand,  man  weiss  «och,  dass  man  ihn  sieht.  Man  muss  also  eine 
andere  Quelle  der'Erkenntniss  ausser  der  äussern  -sinnliehen  Wahr- 
nehmungannehmen, das  Bewusatsein  des  Wahrnehmenden,  die  innere 
Wahrnehmung. 

Damit  ist  auch  jener  'erste  Irrthum,  nach  welchem  *die 
äussere  Wahmehonmg  die  einzige  Srkenirtnxssart  sein  soll,  «ir  Ge- 
linge widerleg.  Der  zweite  Irrthum,  die  Verwedislaig  der 
sinnlichen  Wahrnehmung  mit   dem  Denken  über  den  wahigenem- 


7.T.A.  TU  Cftlktr:  QvMftHMiei  lMfeidUe*«le.  416 

menen'OegenBtaBS,  Iftsst  Bicfti  aus  j^nen  an  sidh  fidsohen  Tfaaiflachen 
erweisen,  welche  man  Jahitausetide  nur  wegen  dieser  VerweobshEng 
ftr  walir  kielt,  wie  die  angeblicke  Bewegung  der  Sonne  «m  die 
Erde  (S.  10  n,  11). 

Der  dritte  Irrtfanm,  der  die  BeelenthStigkeiten  als  blosse 
Yenricbtimgen  der  Sinnesorgane  und  des  Hirnes  bezeiohnet,  ist  der 
Irrthnin  des  Haterialismus.  Oegen  diesen  Intiram  spredben 
darum  alle  von  bedeutenden  Denkern  in  froherer  tmd  nenester  Zelt 
gegem  die  Materialisten  erhobenen  Orttnde. 

Der  gelehrte  Herr  Verf.  will  diese  lilngst  bekannten  Qrttade  * 
nicht  wiederholen,  fdgt  aber  2a  denselben  einen  neoen  hinzu.  Er 
h&lt  sich  mit  diesem  Ghxmde  an  die  folgericfatig  zu  Werke  gdien- 
den  Materialisten,  welöhe  behaupten,  dass  AHes,  was  ist,  nichts 
als  Stoff,  dass  also  die  hbchste  Kraft  des  Seins  die  oiganisehe 
tmd  die  höchsten  Yerrichtungen  des  Organismus  die  der  Nerren 
and  des  Oehimes  seien,  dass  man  alle  seeUschen  ThStigkeiten,  Be- 
dingfangen, KrSfte,  Vermögen  auf  die  nach  den  organischen,  ptvjsio- 
logischen,  chemischen  und  physikalischen  besetzen  thätigen  Nenrea- 
nnd  Himfonctionen  zurückfahren  mttsse;  dass  also  die  Seele  nur 
als  die  £iaheit  and  Substsms  dieser  Funktionen  eine  Bedeutung 
habe.  Damit,  dass  man  das  Bewusstsein  nur  für  eine  Vemohtung 
des  Hirnes  hält,  gei^th  mau  in  einen  »Ungeheuern  Widerspru<AHc 
(monstrosam  et  ineptam  contradictionem,  S.  12).  DasHim  mllssle 
sichnSmlich,  wenn  dieses  so  wäre,  >at^  das  Yollkomttienste  wissen 
und  erkennen.«  »Niemand  erhält  aber  durch  das  Hirn  das  Be- 
WQdfiitsein  seines  Hirnes  selbst.«  Auch  bekennen  ja  die  neuesten 
Phyisiologen  selbst,  dass  der  von  den  Functionen  des  Hirnes  nnd 
der  Nerven  handelnde  Theil  ihrer  Wissenschaft  »noch  ganz  dnakel 
und  unbekannt  (adhuc  plane  obscuram  atque  incognitam  partem) 
sei.«  Der  Herr  Yerf.  hält  diesen  Beweisgrund  fttr  klarer,  als  das 
Licht  und  hält  es  fOr  tiberflüssig,  weitere  Oründe  gegen  jene  vor- 
zubringen,  weldie  es  wagen,  auch  die  Kraft  dieses  Beweises  nicht 
anzunehmen. 

Heoi  muss  sich  hier  auf  den  Standpunkt  des  Materialismus 
stellen.  Dieser  aber  wird  den  Beweisgrund  deshalb  nicht  gehen 
lassen,  weil  ihm  Alles  Stoff,  also  auch  die  Seele  ein  sieh  denken- 
der Stoff  iät.  Nun  aber  findet  man,  dass  in  dem  Theile  des  Stoffes, 
welchen  man  den  Kopf  nennt,  gedacht  wird,  und  kommft  so  auf 
die  Annahme,  dass  irgend  ein  uns  unbekannter  Stoff  in  uns  die 
Thätigkeit  des  Denkens  zeigt.  Die  Oeflhung  des  Schädels  zeigt  uns 
nun,  dass  dieses  nur  in  der  Funktion,  nicht  als  Stoff  Bekannte  das 
Gtehim  ist,  und  so  sagt  nun  der  Materialist,  nachdem  er  anfangs 
nur  einen  sich  selbst  denkenden  Stoff  im  Körper  angenommen  hat, 
?ras  dieser  Stoff  ist.  Zunächst  erkennt  sich  der  Mensch  als  Orga- 
nismus, als  eine  Einheit  aller  seiner  geistigen  Functionen;  den  ein- 
zelnen Denkstoff  betrachtet  er  als  den  im  Schädel  Torhandeneui 
welcher  ihm  sodann  bei  näherer  Untersuchung  als  Hirn  erscheint. 


416  J.F.  A.  VAn  Calker:  QnMstiouM  nonniillM  0le. 

Befer.  ist  ferne  davon,  den  Materialismus ,  da  diese  ganze 
Theorie  zur  Erklärung  der  Lebensanschanungen,  besonders  der  see- 
lischen, in  keiner  Weise  genügt,  irgendwie  zu  yertheidigen ;  er  wiU 
hier  nur  auf  die  etwaige  Auffassung  dieses  Beweisgrundes  durch  den 
Materialismus  hinweisen.  Qeme  gibt  er  dabei  zu,  dass  ein  solcher 
Materialismus  kein  folgerichtiger  ist  und  gerne  erkennt  er  dabei 
auch  den  Scharfsinn  in  dem  vom  Herrn  Verf.  yorgebrachten  Wider- 
legungsgrunde an. 

Die  vierte  Art  des  Irrthums,  welche  sich  auf  die  neuesten 
Entdeckungen  der  Physik  und  Chemie  stützen  will,  zeigt  sich  als 
die  Behauptung,  dass  alle  sinnlichen  Qualitäten  auf  Arten  der  Be- 
wegung zurückzuführen,  ja  nichts  Anderes,  als  verschiedene  Arten 
der  Bewegung  seien.  Gewiss  ist  dieses  ein  Irrthum.  Er  wird  aus 
zwei  Gründen  widerlegt.  Wären  einmal  die  sinnlichen  Qualitäten 
nur  verschiedene  Arten  der  Bewegung,  so  müsste  der  Blind-  und 
Taubgeborene  mit  dem  mathematischen  Denken  oder  Oonatruiren. 
dieser  Bewegungen  sehen  und  hören  können,  was  unmöglich  ist. 
Dann  würde  es  aber  auch  keine  aprioristische  Erkenntniss  der 
Mathematik  geben.  Was  das  erste  betrifft,  so  ist  doch  immer 
zwischen  gedachter  und  zwischen  wirklicher  Bewegung  zu  unter- 
scheiden, und  man  könnte  zu  Gunsten  der  Bewegungstheorie  an- 
führen, dass  der  Blind-  und  Taubgeborene  durch  mathematische 
Constructionen  nicht  zur  wirklichen  Bewegung  kommt,  dass  ihm 
diejenige  wirkliche  Bewegungsfä^higkeit  abgeht,  die  zu  den  Er- 
scheinungen des  Lichtes,   der  Farben  und    Töne    nothwendig  ist. 

Nach  der  Philosophie  ist  die  Wahrnehmung  der  Sinne  an  Be- 
dingungen so  gebunden,  dass,  wenn  irgend  ein  Sinneswerkzeng 
fehlt  oder  zur  Ausübung  seiner  Thätigkeit  nicht  fähig  ist,  auch  die 
diesem  Sinneswerkzeug  entsprechende  Wahrnehmung  nicht  vorhan- 
den sein  kann ;  dann  hängt  die  Wahrnehmung  von  der  wahren  und 
wirklichen  Erregung  ab.  Aber  nicht  aus  dieser  allein  stammen  die 
Wahrnehmungen.  Dieses  erhellt  aus  genügend  bekannten  That- 
sachen.  Man  kann  nämlich  am  hellen  Tage  mit  offenen  Augen 
Gegenstände  nicht  sehen,  wenn  die  Seele  in  dem  gleichen  Augen- 
blicke durch  andere  Dinge  zerstreut  oder  mit  andern  Gedanken 
beschäftigt  ist.  Ebenso  geht  es  mit  dem  Hören  zu.  Schon  damit 
wird  die  materialistische  Behauptung,  dass  die  Wahrnehmungen 
allein  durch  die  Erregung  der  Sinneswerkzeuge  entstehen,  widerlegt. 

(Schlnsa  folgt.) 


Ii.  27.  HEIDELBEBGER  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

J.  F.  A.  Tan  Galker:  Qnaestioiies  nonnnllae  ete. 


(BcUoaaO 

So  entsteht  die  Frage,  was  und  wie  beschaffen  die  Seelenverrich« 
tnngen  seien,  ohne  welche  die  sinnliche  Wahrnehmung  unmöglich  ist* 
Dann  folgt  die  zweite  Frage,  ob  die  sinnliche  Wahrnehmung  wahr 
sei.  Hier  musste  der  idealistische  Irrthum  widerlegt  werden, 
dass  die  äusseren,  mittelst  der  Sinne  wahrgenommenen  Qegenstände 
nicht  ezistiren;  dann  der  empirische  Irrthum,  welcher  daran 
zweifelt,  dass  durch  die  sinnliche  Wahrnehmung  die  qualitative 
Wahrheit  erkannt  werde  und  erkannt  werden  könne,  wobei  man 
sich  auf  die  Sinnestäuschungen  beruft,  wie  bei  den  Gelbsüchtigen, 
die  Alles  gelb  sehen,  während  dieses  doch  nicht  objectiv  oder  an 
sich  selbst  der  Fall  ist.  Mit  Scharfsinn  wird  gezeigt,  dass  die 
Qualität  in  der  sinnlichen  Wahrnehmung  von  der  Quantität 
zu  unterscheiden  ist,  und  dass  die  Wahrnehmung  der  Qualität  als 
solcher  nicht  die  Erkenntniss  der  Quantität  ist  (S.  15).  Mit  Becht 
folgt  aus  allen  diesen  angegebenen  Andeutungen  der  enge  und 
innige  Zusammenhang  zwischen  Philosophie  und  der  neueren 
Naturwissenschaft  und  Mathematik  (S.  16). 

So  entsteht,  um  die  hier  in  Anregung  gebrachten  Fragen  richtig 
zu  beurtheilen  und  zu  lösen,  die  Berechtigung  und  zugleich  die 
Wichtigkeit  jener  besondem,  von  diesem  Zusammenhange  ausgehen- 
den Wissenschaft,  welche  wir  Philosophie  der  Natur  oder 
Naturphilosophie  nennen,  weder  im  phantastischen  Sinne 
Schellings,  noch  im  formalistischen  Hegels,  sondern  im  eigent- 
lich philosophischen  und  wahrhaft  naturwissenschaftlichen  Sinne. 
Treffende  Worte  aus  Alexander  von  Humboldts  Kosmos  wei- 
sen auf  die  Stellung  und  den  Werth  der  Naturphilosophie  gegen- 
über der  Philosophie  einerseits  und  den  Naturwissenschaften  und 
der  Mathematik  andererseits  hin.  Es  wird  mit  Berufung  auf  den 
berühmtesten  Naturforscher  unserer  Zeit  auf  die  Scheingründe  auf- 
merksam gemacht,  welche  man  so  häufig  gegen  das  Studium  der  Phi- 
losophie vorbnngen  hört.  So  werden  als  Scheingründe,  die  man  häufig 
aus  dem  Munde  oberflächlich  oder  halb  gebildeter  Männer  vom 
Fache  vernimmt,  angeführt  das  argumentum  ignaviae  (der 
Orund  der  Faulheit) :  >Man  habe  heutzutage  zu  den  philosophischen 
Studien  keine  Zeit  mehr« ;  >es  sei  schwer,  die  richtige  philosophische 
Methode  zu  finden;  die  philosophischen  Wissenschaften  seien  zu 
abstract,  sie  böten  zu  wenig  Beiz«  u.  s,  w.,  das  argumentum 
LVm.  Jahrg.  6.  Heft.  27 


416  J.  F.  A.  vaA  Otlkef:  QiiAMiotiei  ttonnTdlaa  eto. 

ignorantiae  (der  Omnd  der  Unwissenheit),  »man  kOnne  an  die 
Stelle  der  I)enk-  und  Schlnsskonst  die  Ennst  des  Messens  und 
Bechnens  setzen«,  »die  Behauptungen  der  Philosophie  seien  nicht 
Buverlässig  genug« ,  »es  sei  ein  unbedeutender  Zusammenhang  zwi* 
sehen  der  Philosophie  und  den  andern  Wissenschaften«,  »statt  der 
Philosophie  lasse  sich  besser  die  Methode  des  gesunden  Menschen- 
verstandes anwenden« ;  das  argumentum  falsae  suspicionis 
(der  Qrund  des  falschen  Verdachtes),  »die  Philosophie  bringe  dem 
Staat,  der  Religion  und  der  ganzen  Menschheit  Gefahr«;  das  ar- 
gumentum ostentationis  (der  Grund  der  Prahlerei):  »Es  existire 
in  den  philosophischen  Fragen  keine  Einigkeit  unter  den  Gelehrten, 
inan  müsse  darum  das  philosophische  Studium  so  lange  aufschieben, 
bis  diese  zu  Stande  gekommen  sei«;  das  argumentum  quaestus 
(der  Grund  des  Gewinnes):  »Die  philosophischen  Studien  seien  zur 
Erwerbung  yon  Vermögen,  zu  gemeinnützigen  Zwecken,  für  das 
öffentliche  Wohl  weniger  tauglich,  mau  dürfe  daher  auf  sie  nicht 
die  Sorgfalt,  wie  auf  andere  Wissenschaften  verwenden«  (S.  19 
und  20).  Gegen  den  Verdachtsgrund  bemerkt  der  Herr  Verf.,  man 
dürfe  wohl  mit  Eecht  fragen,  ob  die  philosophische  Widerlegung 
der  Materialisten  nicht  zur  Erhaltung  der  Güter  des  Staates  und  der 
iSeÜRion  beitrüge,  ob  man  nicht  dadurch  einen  tüchtigen  Grund  für 
Staat  und  Religion  lege  und  die  Menschen  zu  einem  besseren  Zu- 
stande erhebe,  gegen  das  argumentum  ostentationis,  dassman  mit 
Füg  entgegnen  könne,  ob  denn  nicht  auch  in  den  Übrigen  Wissen- 
schaften in  vielerlei  Fragen  Uneinigkeit  herrsche,  ob  die  Gelehrten 
nicht  auch  iii  geschichtlichen,  politischen,  juristischen,  theologischen, 
philologischen' und  physiologischen  Dingen  verschiedener  Ansicht 
seien,  ob  nicht  gerade  Solches  Begegnen  verschiedener  Meinungen 
als  das  beste  ^ttel  zur  Auffindung  uhd  Befestigung  der  Wahrheit 
gelten  müsse. 

linmer  wird  von  gleichexn  l^utzeh  ftlr  die  Naturwissenschaften 
uhd  die  Mathematik,  wie  für  die  Philosophie  die  genaue  Keiiht- 
niss  ihres  Zusammenhanges,  die  philosophische  Auffassung  und  Durch- 
führung der  in  das  Wesen  der  Dinge  und  des  Menschen  tiefer  ein- 
dringen wollenden  Naturwissenschaft,  die  wahre,  aus  den  Quellen 
der  sinnlichen  Wahrnehmung  und  den  Thatsachen  des  menschlichen 
Bewusstseins  schöpfende  Naturphilosophie  sein  und  für  alle  Zeiten 
bleiben.  Die  genauere  uhd  befriedigende  Erkenntniss  der  Natur 
ist  hur  auf  diesem  Wege  möglich.  In  keiner  Zeit,.wie  in  der  unsrigen, 
hat  man  sich  mit  so  vereinten  Kräften,  mit  so  trefflichen  Hülfsmitteln 
und  so  glücklichem  Erfolge  dem  auf  Erfahrung  und  Mathematik  ge- 
gründeten Studium  der  Naturwissenschaft  zugewendet,  wie  in  der 
unsrigen.  Darum  ist  eine  in  so  gelungener  Weise  den  Zusammenhang 
der  Naturwissenschaft  und  Mathematik  mit  der  Philosophie  ent- 
wickelnde Untersuchung  gäwiss  eben  so  willkommen,  als  zeitgemäss« 
Sie  ist  gegen  die  Auswüchse  des  einseitigen  Bealismus  und  Spiritualis- 
mus gerichtet,  gegen  eine  Philosophie  ohne  den  Boden  der  EiTahrung, 


Km  gegen  «iae  &&liituig8wiB86ii8oiiiift  ohne  philosophisclieii  daist  und 
philosophische  Methode.  Aach  in  dieser  Schrift  wird  von  ien  Herrn 
Verfiisser  jenes  Ziel  Yomrtheilaloser,  über  den  einseitigen  Parteien 
des  Tages  stehenden  Wissenschaft  verfolgt,  welches  er  sich  in  seinen 
übrigen  Schriften  in  so  rühmlicher  und  erfolgreicher  Weise  gesetzt 
hat.  In  der  Betrachtung  der  Naturwissenschaft  und  ihrer  Stellung 
Eor  Philosophie  bestätigt  sich  auch  hier  wieder  der  Ausspruch  des  be- 
rOhoiten  englischen  Naturforschers:  »Die  Natur,  oberflächlich  ge- 
kostet» führt  YonOott  ab;  tiefer  erfassi,  leitet  sie  zu  ihm  zurück. < 

V.  ReicUm-HdUlegg* 


Literalurberichte  am  UaUen. 


I^  amtliche  Zeitung  des  Königreich  Italien  ist  wegen  der 
darin  mitunter  Yorkommenden  literarischen  Berichte  nicht  zu  über- 
sehen, unter  andern  enthält  Nr.  44  Tom  28.  Februar  d.  J.  Nach- 
richt über  die  letzte  Sitzung  der  Deputation  für  die  vaterländische 
Oeschichtekunde,  welche  in  dem  königlichen  Staatsarchive  zu  Turin 
ihve  Sitzungen  hält,  deren  Ergebnisse  die  Bekanntmachung  der  Mo* 
nomenia  historiae  patriae,  in  Folio,  und  der  Miscellanea,  in  Octav, 
sind»  von  denen  zu  seiner  Zeit  Nachricht  gegeben  wird.  Diese 
letzte  Sitzung  beschäftigt  sich  unter  andern  mit  einem  sehr  wich* 
tigen  Codex  von  281  Pergamentblättem  aus  dem  IS.  Jahrhundert, 
welchen  der  Podesta  oder  Ober-Bürgermeister  der  piemontesischen 
Stadt  Alba,  Wilhelm  Bucco  durch  die  Notare  der  damaligen  Beichs- 
stadt  sammeln  liese.  Diese  für  die  Geschichte  sehr  wichtige  XTr- 
kundensammlung,  von  welcher  schon  1589  der  Qeschiohtsforsoher 
Serralonga  in  Alba  Erwähnung  thut,  war  jener  Stadt  entfremdet 
worden,  bis  sie  sich  jetzt  in  Mailand  wieder  aufgefunden  hat;  sie 
wird  jetzt  von  dem  gelehrten  Professor  xmd  Commandeur  Adriani 
zu  Turin,  bekannt  durch  seine  gründliche  Arbeiten  über  die  Stadt 
Cheraseo  u.  a.  m.  als  Liber  jurium  communis  Albas  nächstens 
herausgegeben  werden.  Da  die  hier  gesammelten  Urkunden  nicht 
blos  die  Stadt  Alba,  sondern  auch  die  Provinz  betreffen,  und  mit 
dem  Jahre  1026  anfangen,  kann  man  ermessen,  wie  wichtig  sie 
für  die  Geschichte  jener  Zeit  sind,  wo  die  deutschen  Kaiser  nooh 
in  Italien  Einfluss  hatten. 

Eetritia  di  iciense  mediehe.  Torino  1864.  -Prmo  Mmm. 

Bat  TorUegend»  neueste  4*  Heft  daeser  medioinisohen  Zeit- 
schrift enthält  unter  andern. eisen  widitigen  Anfcatz  vonJfatteucci 
über  den  Erd-Magnetismus,  über  den  Zudcerstoff  Yon  Debou<^  über 
die  Nahrungsmittel  von  Moleschott  u.  'S.  w« 


ItO  (t^tttatorberiehie  a«B  ttalleiu 

Le  ehiae  di  8.  Andrea  preaao  Rimini  dd  Dollar  L.  T<minL  Bindni 
1864.   4. 

Bei  einem  im  yergangenen  Jahre  vor  dem  St.  Andreas-Thore 
zu  Bimini  Torgenommenen  Bau  stiess  man  auf  altes  Gemäuer  und 
entdeckte  die  Gnmdmauer  einer  alten  kleinen  Kirche  in  der  Form 
eines  griechischen  Ejreozes  mit  einem  bei  den  ältesten  Kirchen  ge- 
wöhnlichen Yorsaale,  Narthex  genannt.  Die  Stadtgemeinde  von 
Bimini,  wo  sich  ein  Trimnphbogen  des  Kaisers  August,  eineBrdcke 
über  die  Marecchia  von  Tiberius,  xmd  Beste  eines  Amphitheaters 
befinden,  ernannte  eine  Gommission,  um  die  Ausgrabungen  dieses 
ganz  mit  Erde  bedeckten  alten  Bauwerkes  zu  leiten,  wozu  auch 
der  gelehrte  Tonini  gehörte,  welcher  sich  um  die  dortige  Bibliothek 
sehr  verdient  gemacht  hat  (s.  die  Stadt-Bibliothek  von  Bimini  von 
dem  G^heimenrath  Neigebaur  im  Serapeum  zu  Leipzig).  Dieser 
gibt  hier  die  Beschreibung  dieses  Fundes,  imd  beweisst,  dass  diese 
Kirche  schon  zu  Anfang  des  6.  Jahrhunderts  gestanden  hat,  und 
1469  abgebrochen  worden  ist,  als  Bobert  Malatesta,  Herr  von 
Bimini,  die  Vorstädte  abbrechen  Hess,  damit  sich  nicht  darin  seine 
Gegner  festsetzen  sollten.  Man  fand  hier  ausser  mehreren  Beliquien, 
einen  Denkstein  eines  gewissen  Leo,  welcher  Domänen-Pächter, 
Conductor  Domini  nostri  unter  dem  Consul  Maximus  gewesen  war, 
welches  in  das  Jahr  523  fällt.  Herr  Tonini  weisst  nach,  dass  in 
ein^m  Brief  von  Yalentinian  von  370  diese  Conductores  rei  privatae 
nostrae  erwähnt  werden,  cf.  Codex  Theodosianus  Lib.  X.  Tit.  IV, 
und  dass  diess  Amt  im  11.  Jahre  derBegierung  des  Königs  Theo- 
dorich angetreten  worden.  Noch  einige  andere  hier  mitgetheilte 
Inschriften  gehn  bis  zum  12.  Jahrh.  Der  Verfasser  ist  um  so  mehr 
im  Stande  über  diesen  Fund  ein  sachverständiges  ürtheil  abzu- 
geben, da  er  zugleich  der  Verfasser  des  von  den  Geschichtsforschern 
sehr  geachteten  Werkes  ist,  welches  er  unter  dem  Titel  der  bürger- 
lichen und  kirchlichen  Geschichte  von  Bimini  herausgegeben  hat. 
Besonders  ist  der  dritte  Band  unter  dem  Titel  >  Bimini  nel  secolo 
Xm  del  Dottor  L.  Tonini.  Bimini  1862.  Tip.  Malvotti  für  die 
deutsche  Geschichte  sehr  wichtig,  da  er  unter  andern  die  Theil- 
nahme  der  Malatesta  von  Bimini  an  den  Kämpfen  zwischen  dem 
Kaiser  Friedrich  II.  und  dem  Papste,  so  wie  zwischen  Conradin 
und  Carl  von  Anjou  urkundlich  darlegt.  Auf  diese  Weise  hat  sich 
Herr  Tonini  den  Dank  der  deutschen  Geschichtsforscher  erworben. 

Die  Ausbildung  des  Gemeinde wesens  in  Italien,  ein  Erbtheil 
der  frühem  Selbstverwaltung  in  den  klassischen  Municipien,  zeigt 
sich  auch  in  den  Berathungen  der  Provinzial- Angelegenheiten.  Dies 
beweist  folgendes  Werk: 

Aüi  dd  Consiglio  pnndneiale  di  Müano.  Anno  1864.  Milano  1864. 
Stamperia  reale,   gr.  8.  p.  433. 

Diesen  Verhandlungen  der  Abgeordneten  der  Provinz  Mailand 
ist  das  Verzeichniss  der  Abgeordneten  vorausgeschickt^  welche  aus 


Lttenlur1>erie]iie  ans  RaUen.  4SI 

der  freien  Wahl  ohne  allen  unterschied  des  Standes  hervorgehen, 
daher  hier  Markgrafen  und  Aerzte,  Grafen  und  Eanflente,  Barone 
nnd  Advokaten  erscheinen,  welche  an  den  Angelegenheiten  der 
Provinz  Theil  nahmen.  Die  hier  mitgetheilten  Sitznngs  Protokolle 
nnd  die  dazn  gehörigen  Denkschriften  betreffen  hauptsächlich  die 
Fühmng  eines  Canals  von  Oomo  nach  Mezzola,  einer  Eisenbahn  von 
Lecco  nach  Como,  die  Anlage  nener  Schulen  u.  s.  w.,  selbst  Samm- 
lungen für  die  polnischen  und  ungarischen  Ausgewanderten. 

ScriiH  tdUi  e  inedUi  dt  Oiuaeppe  MattinL    Vol.  Vü.  Müano  1864. 
Presso  DadL  8.  p.  869. 

Von  den  Schriften  des  Agitators  Mazzini  liegt  hier  der  7.  Band 
Tor,  welcher  das  merkwürdige  Jahr  1849  umfasst,  die  Zeit  der 
rQmischen  Republik,  die  nach  dem  Abgange  des  Papstes  nach  Gaeta 
ansgerofen  ward,  die  Yertheidigung  der  eigentlich  unbefestigten  Stadt 
durch  ebenfalls  eigentlich  unbewaffnete  Bürger  gegen  ein  französi- 
sches Heer,  die  Besitznahme  Roms  durch  die  Franzosen,  deren  da- 
durch erlangten  so  grossen  Einfiuss  die  europäischen  Grossmftchte 
sich  so  lange  haben  gefallen  lassen.  Am  9.  Februar  1849  war  in 
Bom  die  Republik  ausgerufen  worden,  dazu  wünschte  die  Berg- 
Partei  der  Pariser  constituirenden  Versammlung  am  21.  Februar 
den  Römern  Glück ;  das  hierauf  von  Mazzini  erlassene  Danksagungs- 
Bchreiben  macht  den  Anfang  dieses  Bandes.  Am  29.  M&rz  wurde 
ein  Triumvirat  gewählt,  und  Mazzini  ward  einer  der  Triumvim^ 
hier  folgt  sein  am  5.  April  erlassenes  Programm.  Auf  einige  die 
innere  Verwaltung  betreffende  Verfügungen  folgt  ein  Aufruf  vom  25. 
April  wegen  der  Annäherung  der  Franzosen  bei  Oivitavecchia ,  so 
wie  ein  ähnlicher  vom  2.  Mai  als  die  Neapolitaner  sich  ebeitfalls 
Rom  näherten.  Eine  Proklamation  vom  10.  Mai  an  das  franzö- 
sische Heer  nennt  diesen  Krieg  brudermörderisch.  Auf  mehrere 
an  den  französischen  Geschäftsträger  Lesseps  gerichtete  Noten  folgt 
eine  Proklamation  an  die  Römer  nach  dem  Einrücken  der  Oester- 
reicher  in  Bologna  vom  21.  Mai.  Während  die  Franzosen  Rom 
belagerten  und  bereits  die  Bresche  an  dem  Pancratius-Thore  ge- 
stürmt hatten,  erliess  Mazzini  noch  fortwährend  hier  mitgetheilte 
Verfügungen. 

Armaii  dfltalia  dal  1760,   di  A.  Coppu  Firenze  186S.   Tip.   Gälli- 
leiana.  Tom.  XIL  p.  168. 

Die  berühmte  Urkunden  -  Sammlung  von  Muratori  über  die 
italienische  Geschichte  hat  in  Herrn  Coppi  einen  Forscher  gefunden, 
indem  derselbe  die  Quellen  der  Geschichte  der  verschiedenen  Staaten 
Italiens  seit  dem  Jahre  1750  herauszugeben  angefangen  hat.  Der 
vorliegende  12.  Band  enthält  vom  Jahre  1850,  eine  kurze  Erzäh- 
lung der  seitdem  erfolgten  Begebenheiten,  indem  in  den  Anmer- 
kungen angegeben  wird,  wo  sich  die  diessfallsigen  Urkunden  abge- 
druckt finden,  mit  dem  Piemontesischen  anfangend.     Zuerst  wird 


499  l4itoiiiiiir1wri«M«  im  Xtallm. 

dor  Friede  mit  Oestorreich  yon  dem  Furlamente  genehmigt,  tiad 
den  Bescbloss  m«cht  der  Handelsvertrag  mit  Portugal  im  Jahr 
1854,  InAnsehnug  des  Eirohenataates  macht  ia  diesem  Absdiiiitta 
den  Anfang,  die  Bttokkehr  des  Papstes  nach  Bom,  nnd  den  Be^ 
sehlnes  machen  die  Maassregeln  gegen  die  Bftuber  im  Kirchenstaate» 
In  Neapel  undSiciHen  machen  die  dortigen  Bäuberbanden  den  Ast- 
fang» «nd  den  Beschlnss  die  YerschwGrongen  in  Palermo. 

Rendieonti  ddla  elasse  di  teuere  e  aeienge  fnoräli  e  polüiehe  dd  Idi- 
Mo  Lombardo.  Müano  1864.  TVp.  Bemardani. 

Alle  Monate  erscheinen  die  Sitzungsberichte  des  lombardischen 
Institniis;  diese  betreffen  die  Abtheilnng  der  politisch-moralischen 
Wissenschafken« 

V^Unga  iüUa  priMrüa  dd  eampleaao  di  mecaniemo  dd  iroMf^mmenU 
del  Mtmeenido  per  PiatiL  Müano  186L 

lieber  den  eigentlichen  Erfinder  des  Mechanismus  mit  com^ 
primirter  Lnfb  den  Tonnel  durch  den  Mont  Cenis  zu  ermfiglichen, 
war  Streit  zwischen  dem  Verfasser  und  andern  Ingenieuren  ent* 
standen^diese  Schrift;  gibt  darüber^  und  wie  dieser  Streit  beigelegt 
worden,  Auskunfk. 

Memorie  storieo  politiehe    eugli  anUchi   Oreei   e   Romardf   di  Chr. 
Negru  Torino  1864.  Tip.  Paravia.  8.  p.  232. 

Den  Anfang  dieser  Abhandlungen  macht  eine  üebersicht  der 
Politik  des  alten  Borns,  darauf  folgt  eine  Darstellung  der  Schick- 
sale des  öffimtliohen  Beohts  im  antiken  Bom,  und  den  Sehhiw 
macht  die  Verlegung  der  Hauptstadt  Ton  Bom  nach  Bjzimz. 

Rivida  ammimdraUva  dd  regno^  da   Vintenxo  AUberU.     Torino 

1864.  & 

Diese  der  Verwaltung  des  Innern  gewidmete  Monatschrifb  be- 
steht bereits  15  Jahre  und  enthält  nicht  nur  die  Verordnungen 
der  Behörden  in  Ansehung  der  Central-,  Provinzial-  und  Gemeinde- 
Verwaltung,  sondern  auch  theoretisch-praktische  Aufsätze,  alle  Zweige 
der  Verwaltung  umfassend.  Auch  werden  hier  statistische  Nach- 
richten gefunden,  von  denen  wir  aus  dem  letzten  Oktoberheffae  nur 
mittheilen,  dass  das  Vermögen  der  Wohlthätigkeits- Anstalten  der 
einzigen  Provinz  Novara  sich  auf  42,643,000  Franken,  mit  einer 
Einnahme  von  2,477,000  Frauken  im  Jahr  1864  belieb  Dazu  waren 
während  des  letzten  Jahres  noch  466,500  Franken  an  Geschenken 
und  Vermächtnissen  gekommen.  Diese  Provinz  ist  nehmlich  sehr 
wohlthätig,  daher  auch  vom  Volke  geliebt;  so  wie  überhaupt  in 
Italien  die  höheren  Stände  vom  VoÜe  geliebt  und  geachtet  wer- 
den ,   wen  flie   meist  gebildet  sind  und  den  Fortschritt  befördern. 


Iii«nitBrb«ic|i^  m  ItalleiL  4^ 

Della  ririecUura  (n  ordine  all  igiene  ed  äff  economia,  sa^io  deU 
DotL  0.  Btsozsi.  Oenova  1863,  Tip.  SamboUnoi, 

Der  BeUbaa,  welcher  für  miuicbe  Gegenden  Italiens  von  bo 
grosser  Wichtigkeit  ist,  fahrt  aber  grosse  Gefahr  filt  die  Gesund- 
lieit  herbei,  da  der  Reis  stets  in  mit  stehendem  Wasser  bedeckten 
Feldern  gebant  werden  muss.  Es  ist  derselbe  daher  auch  schon 
hie  und  da  bereits  gans  aufgegeben  worden,  wie  %  .B.  in  der  Um- 
gebung Ton  Pisa  viele  noch  vor  ein  paar  Jahren  sehr  ergiebige 
Beisfelder.  Es  sind  bereits  vielfach  über  diesen  Gegenstand  Oon- 
gresse  Ton  sachverständigen  Aerzten  abgehalten  worden ;  em  solcher 
gibt  hiear  sein  Gutachten  sowohl  in  Beziehung  auf  die  Gesundheit» 
als  auf  den  Yortheil  der  Landwirthschaft 

La  Roma  9oiieranea  Chridiana^  dal  Cßu.  de  BoaiL  Soma  1S64. 

Es  wird  jetst  dem  christlichen  alten  Bom  sehr  viele  Aufinerk- 
samkeit  geschenkt,  daher  ist  dieses  Werk,  von  welchem  eben  der 
erste  Band  erschienen  ist,  von  nicht  geringer  Bedeutung,  um  so 
mehr  da  es  den  berühmten  Antiquar  Herr  B.  de  Bossi  zum  Ver- 
fitfser  hat.  Der  Verf.  filngt  mit  einer  Untersuchung  ttber  die  Ge- 
schichte der  christlichen  Kirchhofe  in  Bom  an  und  ver^eicht  be- 
sonders die  unterirdischen  Begräbnissplfttze  mit  den  Gräbern  der 
Btrusker,  PhOnicier,  Hebräer,  und  anderer  heidnischen  Volker.  Der 
Verfasser  geht  von  den  ersten  Anfängen  der  christlichen  Zeit,  bis 
xa  dem  Einfalle  der  Gothen,  und  den  Verwüstungen  durch  die 
Jiongobarden,  bis  man  anfing  die  Märtyrer  nach  den  Kirchen  zu 
bringen. 

La  tperimenUde,  giomäU  di  Medioina  e  OMrurgia,    Firente  1864, 
Tip,  MarUmi.  8, 

Diese  Zeitschrift  für  ausübende  Aerzte,  welche  bereits  seit  16 
Jahren  besteht,  wird  von  den  Herren  Oommeno,  Bufalini  und  Pacci- 
notti  herausgegeben,  und  enthält  das  vorliegende  ll.Heffc  des  14. 
Bandes  eine  Abhandlung  über  Dermatologie  von  Michelacci,  eine 
über  Gehirnerschütterung  von  Gallignani,  eine  andere  über  Ver- 
giftung mit  Phosphor  von  Bellini,  und  über  den  Typhus  von 
Poggoschi. 

BiviUa  liaHana  di  eeienae  lettere  ed  arU.  Torino  1864.  Anno  quario. 
Ubreria  H.  Löscher.   4. 

Dies  literarische  Wochenblatt  ist  für  Deutschland  um  so  merk- 
würdiger, da  dasselbe  von  dem  in  Turin  seit  ein  paajr  Jahnen 
etabliriien  deutschen  Buchhändler  Löscher  herausgegeben  wird,  und 
zwar  durch  Unterstützung  des  Ministeriums  des  öffentlichen  Unter- 
richts, indem  es  zugleich  zur  Bekanntmachung  der  amtlichen  Ver- 
fügungen dieses  Ministeriums  bestimmt  ist.  Die  hier  aufgenomme- 
nen Aufsätze  rühren  von  nahmhaften  ftalienischen  Gelehrten  her. 


424  Lüeraturberlcbte  ans  ItaUen. 

und  dürfen  wir  zum  Beweise  nur  eines  der  letzten  Blätter  zur 
Hand  nehmen.  Hier  finden  wir  einen  durch  mehrere  Nummern  fort- 
gehenden Aufsatz  über  Plautus  und  das  italienische  Lustspiel,  worin 
aus  den  angeführten  Stellen  der  Classiker  eine  sehr  befriedigende 
Geschichte  und  Beschreibung  des  Lustspiels  bei  den  Römern  von 
dem  Professor  Pasquale  mitgetheilt  wird.  Von  dem  geachteten 
Dichter  und  Beisenden  Begaldi,  dem  jetzigen  Professor  der  Ge- 
schichte zu  Cagliari,  findet  sich  hier  ein  Aufsatz  über  das  Mittel- 
alter, womach  Bitter  und  Burgen  mit  der  Unterdrückung  der  Menge 
ein  fremdes  Element  in  Italien  war,  welches  aber  durch  das  in 
Italien  heimische  Gemeindewesen  beseitigt  worden»  Von  dem  italie- 
nischen Consul  E.  Degubematis  in  Susa  ist  eine  Beschreibung  der 
Provinz  Sähel.  Darauf  folgen  Berichte  über  neue  Werke,  und  von 
dem  Professor  A.  Degubematis  in  Florenz,  merkwürdige  Mitthei- 
lungen über  die  bekannten  Pergamente  von  Arborea,  über  welche 
die  Gelehrten  noch  nicht  einig  sind,  obgleich  deren  Werth  für  die 
Geschichte  der  Insel  Sardinien  sehr  bedeutend  ist,  auf  welche  zu* 
erst  der  gelehrte  Bibliothekar  Martini  in  Cagliari  aufinerksam  ge» 
macht  hat.  Der  amtliche  Theil  enthält  Verordnungen  des  Unter« 
richts-Ministeriums  und  Anstellungen.  Den  Beschluss  machen  An- 
zeigen neuer  Bücher  und  zwar  hauptsächlich  deutscher  wissen- 
schaftlicher Werke,  da  diese  jetzt  in  Italien  sehr  benutzt  werden, 
und  auf  der  Universität  zu  Turin  die  meisten  Professoren  der 
deutschen  Sprache  mächtig  sind,  welche  auch  besonders  auf  der 
zu  Neapel,  seit  der  gelehrte  F.  Gar  aus  Trient  dort  angestellt  ist, 
eifrig  betrieben  wird. 

Le  Legqi   Vacca  e  un  sacerdote,   di  E.  TommoAto.    Firmutt  1864. 
Tip.  Beneinü 

Hier  belehrt  der  gelehrte  Tommaseo  einen  Geistlichen  über 
die  Gesetze  wegen  Aufhebung  der  Klöster  und  die  bürgerliche  Ehe, 
die  in  Italien  wie  in  Frankreich  vorgeschlagen  werden. 

Saggio  c^osservasioni  dd  eireondario  Bieihse,  dd  commendatore  Dr. 
B.  Trompeo.    Biella  1864.  Tip.  Atnosso. 

In  der  trefflich  gelegenen  reichen  Fabrikstadt  Biella  wurde 
am  8.  September  1864  ein  Congress  der  italienischen  Naturforscher 
eröfinet,  bei  welchem  der  auf  der  Berg- Akademie  zu  Freiberg  in 
Sachsen  gebildete  gelehrte  jetzige  Finanzminister  Sella  den  Vor- 
sitz führte,  und  zwar  mit  um  so  grösserem  Rechte,  da  er  der 
eigentliche  Beförderer  dieses  Congresses  war.  Bei  dieser  Gelegen- 
heit hielt  der  Präsident  der  medizinischen  Akademie  zu  Turin,  der 
durch  mehrere  gelehrte  Schriften  wohl  bekannte  köuigl.  Leibarzt, 
Dr.  Trompeo,  welcher  in  Biella  geboren  ist,  einen  Vortrag  über 
die  natürliche  und  industrielle  Beschaffenheit  des  Kreises  Biella, 
welcher  hier  gedruckt  vorliegt.  Der  Herr  Verfasser  macht  dabei 
auf  die  gesunde  Luft  dieser  Gegend  aufmerksam,  welche  die  Anlage 


Lttonturberlolita  ans  Italien.  425 

mehrerer  Wasserheilanstalten   veranlasst  hat,    von  denen   die   zu 
Oropa,  Gassila  nnd  Andomo  vielfach  besucht  werden. 

Alcuni  depintij  disegni  oggetti  aniiechi  et  caäografi  poBseduii  dal  CanU 
L.  Cibrario,    Torino  1864.   Tip.  Boüa. 

Der  bestens  bekannte  Oesohichtsforsoher,  der  italienische  Staats- 
minister Graf  Cibrario,  hat  in  seinem  bewegten  Leben  Oelegenheit 
gehabt  so  viele  literarische  and  artistische  Seltenheiten  zu  sammeln, 
dasB  er  sich  veranlasst  gesehen  hat,  darüber  das  vorliegende  Ter- 
zeichniss  herauszugeben,  unter  den  Gemälden  finden  wir  zahlreiche 
Arbeiten  bedeutender  Meister  verschiedener  Schulen  und  Länder, 
als  Battoni,  Breughel,  Garavaggio,  Carlo  Dolce,  Guercino,  Honthorst, 
Parmeggianino  u.  s.  w.  unter  den  Autographen,  die  in  manchen 
Buchstaben  nach  dem  alphabetischen  Terzeiohnisse  zu  Hunderten 
zählen,  wollen  wir  nur  erwähnen,  Arago,  Balbo,  Beccaria,  Euler, 
Pouche,  Göthe,  beinahe  alle  Napoleoniden  u.  s   w. 

La  YaeeinaxUme  €  le  sue  leggi  in  Italia  dd  DotL  OxaneUL    Milano 
1864.  Tip.  BemardonL  gr.  4,  p.  70. 

Der  Protomedicus  der  Lombardei,  vormals  Professor  der  ge- 
richtlichen Medicin  zu  Padua,  gibt  hier  die  Geschichte  der  Ein- 
führung der  Kuhpocken  in  Italien  und  der  darüber  bestehenden  Ge- 
setzgebung ;  es  ist  ein  Werk,  welches  von  den  Sachverständigen  sehr 
geachtet  wird,  so  wie  der  Verfasser  überhaupt  für  eines  der  be- 
deutendsten Mitglieder  des  lombardischen  gelehrten  Instituts  zu 
Mailand  geachtet  wird. 

Lß  marinerie  militari  Italiane  nei  tempi  modemi,  da  C.  Bandaccio. 
Torino  1864.  Tip.  Artero.  gr.  8.  p.  160. 

Diese  Geschichte  des  Seewesens  Italiens  föngt  mit  dem  Jahr 
1750  an,  als  zu  welcher  Zeit  Piemont  die  Insel  Sardinien  erhielt, 
nachdem  es  kurze  Zeit  vorher  Sicilien  gehabt  hatte,  und  geht  bis  1850, 
bis  dahin,  ehe  das  Königreich  Italien  gebildet  ward.  Der  Ver- 
fasser ist  ein  wohl  unterrichteter  Ministerial-Beamter.  Die  erste 
Veranlassung  zu  einer  piemontesischen  Marine  gaben  die  Raubzüge 
der  Barbaresken ;  indem  zum  Schutze  gegen  dieselben  ein  paar 
kleine  Schiffe  zu  Villafranca  und  an  der  Küste  zu  Sardinien  ge- 
halten wurden,  von  deren  Heldenthaten  zuerst  die  Eroberung  eines 
türkischen  Gorsaren  im  Jahr  1757  erwähnt  wird.  Endlich  wurden 
2  englische  Fregatten  gekauft,  welche  im  Jahr  1 772  ähnliche  Dienste 
leisteten.  Nachdem  der  Hof  vor  den  Franzosen  das  feste  Land 
hatte  verlassen  müssen  und  Napoleon  I.  von  Corsica  aus  am  22. 
Februar  1793  mit  einem  Bataillon  Freiwilliger  auf  der  Insel  St. 
Magdalena  landete,  und  die  Veste  St.  Stefano  beschoss,  wurde  er 
von  einer  kleinen  in  seinem  Rücken  gelandeten  sardinischen  Macht 
vertrieben,  und  während  der  Üniversal-Monarchie  Napoleons  sind  nur 
unbedeutende  VorfiLlle   gegen   die   Franzosen  und  Barbaresken  zu 


4^  yj^epfi^inxlmicbt»  «w  ItaUm. 

^Khlen  gewosen,  bis  nftoh  deaaen  Falle  Sardmien  durph  den  Zu- 
wachs mit  Genua,  eine  Seemacht  wurde,  welche  1816  die  jetzige 
Kriegsflagge  erhielt,  und  sich  zuerst  1825  bei  dem  Unternehmen 
gegen  Tripolis  auszeichnete,  so  wie  1884  gegen  Tunis,  bis  sie 
zum  Schutze  des  Handels  mit  Brasilien  und  La  Plata  seit  1834 
yerwandelt  werden  mnsate.  Dies  waren  nur  geringe  Vorbereitun- 
gen zu  den  hier  stündlich  erzählten  Thaten  seit  dem  Kriege  von 
1848  an.  In  derselben  Art  wie  die  sardinischen  wird  auch  die  be- 
schichte der  neapolitanischeil  und  yenetianisohen  Marine  behandelt. 
Ausserdem  ist  ein  besonderer  Abschnitt  den  andern  untergegange- 
nen italienischen  Staaten  gewidmet,  als  der  Marine  der  Cisalpini- 
Bchen  Bepublik  von  1797-*1802,  der  italienischen  Bepublik  von 
:^802— 1805,  des  Königreichs  Italien  von  1805—1814,  und  der 
Maarine  Italiens  unter  der  Herrschaft  der  Franzosen  von  1803 
bis  1814. 

Sguardo  poliiieo  dd  Conie  8o7aro  della  MargarUa  Bulla  eonomuume 
dd  15.  SeUembre  1864.  Torino.  Tip.  Spärani  1864. 

Der  ehemalige  Minister  von  Carlo  Alberto,  ehe  dieser  den 
constitutionellen  Weg  einschlug,  ist  der  eifrigste  Tertheidiger  der 
vergangenen  Zeit,  und  tritt  stets  heftig  gegen  jede  Neuerung  auf, 
daher  er  auch  gegen  die  bekannte  italienisch-französische  Oonvention 
wegen  Bom  mit  der  Behauptung  auftritt,  dass  sich  jetzt  Italien  in 
demselben  Zustand  befinde,  wie  Griechenland  zur  Zeit  Philipps 
von  Macedonien:  ohne  FreUieit,  Ehre  und  Macht. 

CdHisthems  MieheUidoB  Ubri  IlL  Jugtutae  Taurinartim  1864. 

Hier  tritt  ein  Dichter  in  Turin  mit  einem  italienischen  Helden- 
gedicht auf,  welches  die  Erscheinung  des  Engels  Michael  auf  dem 
Berge  Gargano  besingt,  welches  im  Jahre  492  geschah,  weshi^b 
dieser  Ort  so  besucht  wird  wie  Kevelaer  bei  Cleve,  und  der  Anna- 
berg in  Schlesien. 

Ddla  vUa  t  degli  dudü  dd  Prof.  M.  A.  Parenti.  Modena  1864. 

Diese  Lebensbeschreibung  des  Verfassers  des  Strafrechts  su 
Bologna  hat  den  dortigen  gelehrten  Professor  Bitter  Yerrati  zum 
Verfasser,  welcher  von  seinen  Schriften  besonders  dessen  Dichtun- 
gen rühmt. 

8ui  fftaeimenti  mdäUiftri  e  hUuminMi  nd  (erreni  di  Besano  di  O. 
Curund.  Müano  1864. 

Der  gelehrte  Secretär  des  lombardischen  Instituts  gibt  hier 
eine  Monographie  der  metallischen  und  bituminösen  Flötzlager  zu 
Besano  bei  Varese. 


litaMtaibttlelito  hm  Uähmu  W 

^Omnd  admmnte  da  iaÜMo  Lombardä  ii  idmu  <  UUere.  MUaw 
1864.  Tip.  BemardanL 

Pm  wissenschaftliche  Institut  za  Mailand  gibt  hier  dei^  Be- 
richt über  die  Preisrertheilangen  für  die  wissenschaftlichen  Auf? 
gaben  f&r  dieses  Jahr  mit  einer  Einleitongsrede  des  hochverdienten 
Frftsidenten  dieser  Akademie,  des  berühmten  Dr.  Veiiga,  Oberarzt 
des  grossen  Hospitals  an  Mailand.  Beigefügt  ist  ein  Yerzeiohniss 
▼on  96  Qegenständen ,  welche  die  von  Yolta  zu  seiner  berühmten 
Erfindung  gemachten  Tersuche  betreffen. 

Bendi  eonU  du  reale  istüuto  Lomhardo,  dosM  di  Beienge  maiemor 
Uehe  e  naiurälu    Müano  1864. 

Ausser  den  obigen  Sitzungsberichten  der  moralisch  politischen 
Abtheilung  des  lombardischen  ^stituts  gibt  auch  die  mathematisch 
xmd  naturwissenschaftliche  Abtheilung  ihre  Sitzungsberichte  in 
monatlichen  Heften  heraus.  Bei  der  grossen  Wichtigkeit  für  den 
Seidenbau  der  Lombardei,  welcher  durch  die  seit  einigen  Jahren 
sieh  entwickelnde  Krankheit  der  Seidenwürmer,  Bombix  mori,  sehr 
gelitten  hat,  wird  versucht  andere  Spinnraupen  aufzufinden,  nach- 
dem der  Professor  Comalia,  der  Vorstand  des  städtischen  Museums 
En  Mailand,  den  für  Ermittelung  der  Abhülfe  dieser  Landplage 
aasgeseteten  Preis  erhalten  hat.  Derselbe  hat  hier  wieder  aufs 
Neae  Vorträge  darüber  gehalten,  diese  Thiere  durch  andere  zu  er- 
setzen, und  Seidengewebe  vorgezeigt,  welche  von  Baupen  herrühren, 
die  sich  in  Japan  von  Eiohenblättem  nähren  und  andere,  Lasio- 
campo  otus,  welchen  die  Pistacia  lentiscus  zur  Nahrung  dient.  Bis- 
her hatte  man  versucht,  Eier  der  gewöhnlichen  Seidenwürmer  aus 
der  Feme  zu  beziehen,  als  aus  Albanien,  selbst  aus  der  Moldau 
und  Walachei,  doch  alle  unterlagen  bald  derselben  Krankheit,  welche 
wie  die  der  Weintrauben  eine  wahre  Landplage  für  Italien  ward; 
so  wie  die  Kartoffel-Krankheit  für  manche  Oegenden  Deutschlands. 

Borna  nel  regno  e  deppo  il  regno  ^liaiia  iemäa  dei  Ertäi,  dagli 
OürogoÜd  e  dai  Langobardi,  dal  aw.  A.  Ambrosia,  Borna 
1864.  Tip.  Ändll 

Hier  wird  m  beweisen  gesucht,  dass  Born  stets  die  Hanpt- 
sladi  der  Kirche  sein  wird,  da  die  nordischen  Barbaren  während 
äurer  Herrschaft  in  Bom  vergeblich  darnach  getrachtet  haben,  da- 
selbst ein  italienisches  Beich  zu  bilden.  Aber  auch  selbst  dieVer- 
sadbe  des  Papstes  Plus  EL  ein^  italienischen  Staatenbund  mit 
der  Hauptstadt  Bom  zu  bilden,  sind  missglttdit.  Vergl.  den  italieni- 
seben  Bund  und  Aea  deutschen  Fürstentag  von  J.  F.  Neigebaur. 
Leipzig  1864.  bei  Bergson. 

Jpfo^  dd  Cardinäle  Bedinl  dal  Canonico  Arlemi.  Vüerbo  1864. 
Tip,  Sperandio, 

'Bioß  Lebensbeschreibung  des  Cardinais  Bedini* 


498  Litenituri>erlelit6  mnn  ItaHeB. 

Memorie  di  un  angelo  eustode  dal  80C.  Bu92äti.  Modena  1864.  Tip. 
Maria. 

Diese  Denkwürdigkeiten  eines  Schutzengels  sind  zur  Erbauung 
der  Jugend  verfasst. 

La  cottura  degli  api,  del  Fr.  Berra,  Novara  1864.  Tip.  Miglio. 

Diese  Schrift  über  die  Bienenzucht  enthält  nützliche  Belehrung 
und  unterhaltende  Beobachtungen. 

YÜa  dd  P.  Canisio  Vapo$lolo  ddla  Qermafna  dd  P.  Boero.  Roma 
1864.  8.  p.  618. 

Dieses  Leben  des  Jesuiten  CanisiuSi  welcher  hier  Apostel  der 
Deutschen  genannt  wird,  ist  auch  von  einem  Jesuiten  verfasst. 

La  polüica    Itäliana   dal  secolo  XV  cH  XIX.  per   O.   Carignani. 

NapoH  1864.  8.  p.  29^. 

Diese  Geschichte  der  italienischen  Politik  vom  15.  Jahrh.  bis  zum 
Falle  Napoleon  I.  ist  nach  den  Forschungen  unserer  Ranke  und  Leo 
hauptsächlich  bearbeitet;  das  Bedeutendste  aber  sind  103  Ur- 
kunden, welche  dem  Staats-Archive  zu  Neapel  entnommen  sind, 
und  die  Zeit  der  österreichischen  Successionskriege  von  1742  um- 
fassen, sowie  den  Briefwechsel  des  Königs  Carl  HL.  mit  Bene- 
dikt XIV. 

/  23  Franciseani  eroeiflsd  nd  Oiapone.  dal  P.  äIAqui.  MÜano  1864. 

Hier  werden  die  Schicksale  der  in  Japan  gekreuzigten  Märtyrer 
erzählt. 

Annuario  del  reale  istUuio  Lombarde  di  scienae  e  lettere.     Milano 
1864.  Tip.  Bemardoni. 

Dies  Jahrbuch  des  Instituts,  oder  der  Akademie  ftlr  die  Lom- 
bardei enthält  zuförderst  die  Oeschichte  dieser  wissenschaftlichen 
Gesellschaft,  welche  1776  unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Maria 
Theresia  gestiftet  worden,  einer  Zeit,  welche  in  Mailand  stets  in 
gutem  Andenken  geblieben  ist,  da  jene  Kaiserin  dort  nicht  als 
eine  fremde,  sondern  als  italienische  Herzogin  angesehen  ward. 
Damals  konnte  ein  Beccaiia  mit  seinen  freisinnigen  Ansichten  hier 
auftrot-en.  Seit  dem  5.  September  1863  hat  dies  Institut  seine 
letzte  gesetzliche  Verfassung  erhalten.  Ehren-Präsident  ist  der  auch 
in  Deutschland  wohlbekannte  Schriftsteller  Manzoni,  wirklicher 
Präsident  der  gelehrte  Arzt  Verga,  Vice-Piüsident  ein  ebenfalls 
bekannter  Literat  Carcano.  Von  deutschen  korrespondirenden  Mit- 
gliedern sind  hier  aufgeftlhrt,  Bergbaus,  Bunsen,  Qöppert,  Hei- 
dinger, Hyrtl,  KöUiker,  Liebig,  Czömig,  Neigebaur,  Raumer  und 
Witte.  Diese,  Akademie  ist  besonders  durch  mehrere  Privatstifkun- 
gen  so  reich  ausgestattet,  dass  sie  jährlich  viele  Preise  vertheilen 


4 


LttarMurbertokte  asis  lUlien.  490 

kann.  Dieselbe  besitzt  sehr  bedeutende  Bäumlichkeiten  in  dem 
Pallaste  der  Brera,  nebst  einer  Bibliothek  von  mehr  als  17,000 
B&nden.  (S.  Beschreibung  derselben  in  dem  Serapeum  you  dem 
Oeheimenrathe  Neigebaur.) 

Sakutzo-Mania'VerMuola  ndl  Ottohre  1863  di  O.  F.  BaruffL  Tarino 
1S64.  Tip.  Favale. 

Der  Professer  Baru£fi  in  Turin,  ein  unermüdlicher  Beisender, 
welchem  wir  viele  sehr  geistreich  verfasste  Berichte  über  seine 
Beobachtungen  in  Deutschland,  Frankreich,  Bussland,  Griechenland 
und  EgTpten  verdanken,  gibt  hier  die  Beschreibung  einer  kleinen 
Umschau  in  der  Oegend  von  Saluzzo  unfern  Turin,  nachdem  der- 
selbe früher  höchst  anziehende  Berichte  über  seine  Spaziergänge 
in  den  Umgebungen  von  Turin  bekannt  gemacht  hat.  Auch  hier 
werden  wir  auf  viele  von  ihm  auf  seine  geistreiche  Weise  beschrie- 
bene Gegenstände  aufmerksam  gemacht,  wovon  wir  nur  erwähnen, 
dass  der  damals  noch  unabhängige  Markgraf  Ludwig  ü.  von  Saluzzo 
keiner  der  gewöhnlichen  Fürsten  war,  sondern  nach  dem  Beispiele 
der  italienischen  gebildeten  Höfe  von  Ferrara,  Mantua,  Urbino 
n.  s.  w.  eine  Akademie  der  Wiäsenschaften  errichtete,  und  bereits 
im  Jahr  1475  die  Buchdruckerkunst  einführte;  hier  wurde  Bodani 
später  als  Buchdrucker  berühmt,  von  welchem  der  Verfasser  er- 
zählt, dass  er  kurz  vor  der  französischen  Revolution  den  damaligen 
KQnig  von  Sardinien  ersuchte,  ihm  die  Staats-Buchdruckerei  zu 
übertragen.  Dieser  aber  war  so  viel  mit  andern  Angelegen- 
heiten beschäftigt,  dass  er  ihm  zwei  Goldstücke  schenkte,  weil  er 
mit  einem  Fremden  nichts  zu  thun  haben  wollte ;  Bodani  schenkte 
das  Geld  dem  Kammerdiener,  und  errichtete  die  bekannte  Druckerei 
in  Parma.  Als  der  Nachfolger  jenes  Königs  auf  der  Flucht  vor 
den  Franzosen  dort  sich  anfielt,  lud  ihn  Bodani  zum  Essen,  was 
auch  allerhuldreich  angenommen  wurde. 

Favole  cPEsopo  volgarützaU  per  uno  da  Siena.  Firense  1864.   Tip. 
he  Monnier, 

Diese  üebersetzung  desEsop  aus  der  Zeit  des  Wiederauflebens 
der  Wissenschaft  in  Italien  ist  zwar  schon  früher  bekannt  gemacht 
worden,  allein  diese  Ausgabe  ist  nach  der  neuen  Handschrift  her- 
ausgegeben worden,  welche  sich  in  der  Laurentianischen  Bibliothek 
zu  Florenz  befindet. 

Storia  delle  due  Sicüie  dal  1846  al  1861  da  0.  di  8ivo.    Vol  111. 
Roma  1864.  Tip.  SalviuccL 

Diese  Geschichte  des  Königreichs  Neapel  aus  der  merkwürdi- 
gen Zeit  der  Bewegung  bis  zum  Untergang  dieses  Beiches  sucht 
die  Yorkommenheiten  der  dortigen  Missregiemng  mit  dem  Mantel 
der  christlichen  Liebe  zu  bedecken« 


B  na»UMM8mö  d  la  rOk/imij  $tfggto  do§mM€0  maräk  M  P.Sfido 
Fmrara.  CajfliAru  Tip.  Timtm  1864. 

Auch  Cagliari  liefert  hier  einen  Beitrag  zu  den  Schriftei!, 
welche  die  geoffenbarte  Religion  jetzt  gegen  viele  Keaeret  ver- 
ifaeidigen;  besoiiders  ist  dieses  Werk  gegen  den  Professor  Baoa- 
vino  in  Mailand  gerichtet,  welcher  nnter  dem  Namen  Ausonio 
Franchi  mehrere  philosophische  Werke  herausgegeben  hat.  Er  war 
Priester  in  Genua  und  legte  seine  geistliche  Würde  nieder ,  wie 
dies  jetzt  in  Italien  nicht  selten  der  Fall  ist,  z.  B.  in  Neapel  sind 
an  der  Universität  7  Professoren,  welche  aufgehört  haben  Geistliche 
zn  sein;  eben  so  sind  inCremona  mehx^re  derselben  in  demselben 
Falle. 

Corso  iff  miethaniea  daU  FtofMort  G.  FügKnL  Roma  1864.  T^. 
ddU  belU  AHL  8.  p.  688. 

Dies  Lehrbuch  der  Mechanik  enthält  ein  umfassendes  Vorwort 
über  die  analytische  Geometrie  und  über  den  Calculo  infinitesimale, 
and  sohliesst  mit  einer  Abhandlung  über  die  Acustik  und  Optik. 

La  civilla  presso  %  Franchi  di  iempi  Merovingij  t  sul  Carlo  Magno^ 
dl  Ozanatn,  tradotto  dal  A.  CarraretL  186i.  Firenat  prti$o 
Le  Mannier.  8.  p.  486. 

Dies  iii  die  erste  üebersetkung  des  bekannten  Werkes  von 
Osanan  über  die  Gesehiohte  der  Franken. 

Cajo  Crispo  SaÜusUo,  vo2garig»ato  da  C.  CasUilanL  Mäano  1864. 
Tip.  Agndlu  8.  p.  295. 

Dieser  üebersetznng  des  Sallnst  ist  der  lateinische  Text  giigen- 
ftber  gedruckt. 

Sioria  di  Ortcia,  dai  iempi  pritniUvi  fino  alla  canquiäa  nmiana 
di  0.  Smtih.  Firenge  1864.  8.  p.  6ä7.  Tip.  Barbara. 

Dies  ist  die  erste  italienische  üebersetzung  der  griechischen 
Geschichte  von  Smith.  Bs  ist  eine  Karte  des  alten  Griechttilands 
beigefügt. 

Ia  oper€  di  VirgiUo  Manmey  iradoUe  da  0.  Tomidli.  Navara  1864. 
Tip.  Miglio. 

Diese  Üebersetzung  der  sämmtlichen  Dichtungen  Yirgils  in 
Versen  kommt  aus  der  reichen  Provinzialstadt  Novara  zwischen 
Mailand  und  Turin,  wo  auch  wissenschaftlicher  Sinn  herscht ,  auch 
ist  eine  Karte  zu»  ESfUatenmg  beigsAgt. 

ChMo  e  Oväietla,  racconto  ddf  täiimo  secolo  per  C.  Zamhwd. 
Bologna  1864,    16.    p.  148. 

Eine  fUr  die  Jugend  bestimmte  Erzählung. 


ßii^ftxicM  per  rispondere  ad  tüeuni  iof^mii  eonirä  lü  podestä  dd 
iommo  P&nieflee,  da  F.  de  Zmf/i  TreviM  1868. 

Hier  tritt  der  Bischof  von  Treviso  in  W&lsch-Tirol  als  Yer- 
thaidiger  der  weltlichen  Herrschaft  des  Papstes  anf. 

Vüa  dd  Cav.  JP.  DerosH  di  Santa  Rosa,  dal  eanU  FiUppo  Saraceno. 
Tarino  1664.  Tip.  Pcmba.  8.  p.  260. 

Diese  Lebensbeeehreibting  des  Ministers  von  Santa  Bosa  ist  zu- 
gleich ein  trefflicher  Commentar  zu  der  NeagestaHnng  Italiens  nnd 
den  dieselbe  veranlassenden  Ereignissen,  nm  so  mehr  da  dieselbe 
mit  bisher  noch  nicht  bekannten  Urbinden  begleitet  ist;  anch  ist 
der  Yerfiasseri  Graf  Saraceno  durch  seine  verwandtschaftlichen  und 
amtlichen  Verhältnisse,  da  er  ein  sehr  geachteter  Beamter  des 
italienischen  Staats- Archivs  ist,  allerdings  in  dem  Falle  gewesen^ 
die  diessfallsigen  Verhältnisse  genau  zu  kennen.  Der  am  S.  April 
1850  zu  Turin  verstorbene  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten,  im 
Jahr  1805  sn  Turin  geboren,  war  der  Sohn  des  Qeneral  de  Bossi 
di  Santa  Bosa  und  Pomarolo,  welcher  auf  der  dortigen  üniver^ 
sitftt  sehr  gute  Studien  machte,  indem  es  in  Italien  besonders  dem 
Einflnsse  d^  Mfttter  zu  danken  ist,  dass  die  jungen  Leute  der 
ersten  Familien  sich  dtoroh  Kenntnisse  auszeichnen  mtssen.  Bs  ist 
in  der  That  merkwürdig,  wie  sehr  eben  die  Mütter  darauf  halten, 
und  darin  eine  besondere  Eitelkeit  setzen;  auch  studiren  solche 
junge  Leute  nicht,  um  sich  dadurch  ein  Amt  zu  erwerben,  sondern 
um  sich  darin  auszuzeichnen,  daher  hier  mehrere  für  die  Wissen- 
sehaft,  1^  ton  der  Wissenschaft  leben.  Aueh  unser  Santa  Bosa 
machte  Beisen  durch  Fnmkreich,  England  und  Deutschland,  indem 
er  dabei  seiner  Neigung  für  GFesehiohtsforschung  folgte.  Besonders 
war  es  die  Qeschichte  Italiens  nach  dem  Untergänge  destOmisdi^ 
Bmehes,  w^che  ihn  hauptsächlich  beschäftigte.  Am  meisten  ge^ 
schätzt  wurden  seine  Arbeiten  über  die  C^schichte  der  Longobar- 
den  in  Italien,  über  die  Geschichte  des  Krieges  von  Friedrich 
Barbarossa  gegen  den  lombardischen  Städtebund,  bis  zum  Frieden 
von  Gonstanz  und  von  da  an,  bis  zum  Verfalle  der  deutschen 
Kaiser-Hemehaft  in  Italien  durch  die  Berufung  des  Franzosen 
Oari  V.  Anjou  durch  den  Papst.  Natürlich  kam  ^n  solcher  Mann 
wie  Santa  Bosa  bald  in  Verbindung  mit  solchen  Landsleuten, 
welche  an  dem  Wiederaufleben  Italiens  arbeiteten,  wie  die  Grafen 
Balbo,  Maseimo  d*Azeglio  und  der  gelehrte  Priester  Gioberti,  be- 
sonders aber  aueh  mit  Oavour.  Als  daher  Oario  Alberto  dtitoh 
solche  Umgebungen  bestimmt  Ward,  schon  vor  der  fraiizösischen 
Februar-Bevolution  seinem  Lande  die  Constitution  zu  geben,  welche 
die  Neugestaltung  Italiens  herbeiführte,  war  es  nicht  zu  verwun- 
dem, dass  ein  solcher  Mann  wie  Santa  Bosa  am  7.  August  1848 
Minister  wurde,  aber  auch,  dass  ein  solcher  Mann  des  Fortschritt 
einen  schweren  Stand  gegen  die  Bückschritts-Partei  hatte«    Der 


M  Llteratnrberiehtelftiis  Italien. 

Herr  Verfasser  hat  sieh  durch  seine  klare  nnd  gründliche  Dar- 
stellung dieses  wichtigen  Abschnittes  der  Zeitgeschichte  ein  wahres 
Verdienst  erworben. 

Wie  Italien  seine  bedeutenden  Mitbürger  zu  achten  versteht, 
zeigt  unter  andern  folgendes  glänzend  ausgestattete  Buch: 

Prose  e  rime  in  onore  di  0.  EomnL  Peaaro  1864.  gr.  8. 

Am  Geburtstage  des  bekannten  Gomponisten  Bossini  wurde 
in  seinem  Geburtsorte  Pesaro  an  seinem  Geburtstage  den  29.  Febr. 
1864  in  dem  dortigen  nach  seinem  Namen  genannten  Theater  eine 
grosse  Festlichkeit  ihm  zu  Ehren,  während  er  in  Paris  lebt,  ver- 
anstaltet. Die  dabei  gehaltenen  Beden  und  vorgetragenen  Gedichte 
füllen  dieses  Bändchen. 

Rdasione  suUa  pianta  maralt  e  eeonomica  dd  musto  civico  e  stä 
istüuto  iecnico.  MUano  1861. 

Dies  ist  der  amtliche  Bericht  über  die  neue  Einrichtung  des 
städtischen  Museums  zu  Mailand,  auf  welches  diese  reiche  Stadt 
so  bedeutende  Summen  verwendet,  dass  dafür  ein  grosser  Pallast 
gekauft  worden,  der  jetzt  dazu  ausgebaut  wurde ;  der  gelehrte  Natur- 
forscher Comalia  macht  sich  dafür  besonders  verdient. 

Bivendieasione  di  una  glorla  Jtaliana^  Oiovanni  Branco,  inventore 
ddla  Machina  a  Vapore,  per  C  Qallarolu  Müano  1864.  8. 
Tip.  Albertoru 

Der  Verfasser,  aus  Oonobbio  gebürtig,  führt  hier  aus,  dass 
seinem  eben  daselbst  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  geborenen 
Landsmann  G.  Branco  die  Ehre  gebührt,  als  Erfinder  der  Dampf- 
maschinen gefeiert  zu  werden,  und  beruft  sich  darüber  hauptsäch- 
lich auf  die  von  Bobert  Stuart  in  englischer  Sprache  herausge- 
gebene Geschichte  der  Damp&iaschinen. 

Atti  ddf  Academia  ddle  scienze  Mche  e  maUmatiehe.  Napoli  7Hp. 
dd  Fibreno.  1863.  gr.  4. 

Seit  der  Neugestaltung  Italiens  ist  in  Neapel  eine  Akademie 
der  physischen  und  mathematischen  Wissenschaften  errichtet,  und 
deren  Statuten  sind  von  dem  Könige  am  17.  April  1862  genehmigt 
worden.  Der  vorliegende  Band  enthält  12  Abhandlungen  der  Mit- 
glieder dieser  Akademie  mit  trefflichen  Abbildungen  ausgestattet; 
Von  dem  Präsidenten  Gasparini  findet  sich  hier  eiue  Abhandlung 
über  Krankheiten  der  Agrunen,  und  eine  andere  über  die  Zellen 
der  Pflanzen,  und  eine  dritte  über  die  Natur  des  Hanfes ;  von  dem 
Secretär  der  Akademie  Scaachi  über  Stranzian  und  Baryt,  so  wie 
über  Gristallisationen ;  von  Guiscardi  über  das  geologische  Ver- 
lusten der  phlegräischen  Felder  u.  s.  w.  Neigebaur. 


Hl.  28.  HKIDELBERGEB  18t6. 

JAHBBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Janin,  Jules,  La  PoMe  et  tüoqueneeä  Rome  au  tempa  des  C/sars, 
PariSf  Didier  et  Comp.  1864.  8.  49L 

Der  Terfasser  liefert  in  dem  yorstehenden  Buche  eine  Reihe 
▼on  anf  das  römische  Alterthnm,  insbesondere  anf  seine  Literatur 
bezüglichen  Abhandinngen,  denen  die  dritte  schon  in  einer  Separat- 
ansgabe im  Jahr  1846  voranging.  Damals  aber  war  diese  letzt- 
genannte ihrerseits  wieder  ein  Separatabdmck  gewesen, 

um  aber  nicht  nnnOthig  vorzugreifen,  will  ich  die  üebersioht 
Aber  das  G^nze  geben,  um  erst  der  Reihe  nach  auf  die  beregte 
Abhandlung,  und  auf  ihren  Zusammenhang  zu  kommen.  Die  erste 
Abhandlung  heisst:  „Horaee  ei  son  iemps^  (S.  1 — 182),  die  zweite 
„Ovid^  (8.  188—240),  die  dritte  „PUne  U  Jeune  et  Quintilien'' 
(8.  241—400),  die  Yierie  „Patrone  et  U  datyrican''  (8.401—433) 
und  die  letzte  „Les  M^moires  de  MarHal*'  (8.  431—488). 

Eine  „IfAroducHon^  erOfihet  dieses  Gkinze,  und  den  8chlu8s 
bildet  eine,  in  französischen  Werken  dieser  Art  sonst  seltene,  TahU 
des  nama  ciUs  dans  touvraqe. 

Die  Einleitung  theüt  mit,  dass  es  eine  Arbeit  aus  jünge- 
ren Jahren  ist,  die  der  Verfasser  hier  dem  Publikum  übergiebt. 
Er  dnrchmisst  8.  n  n.  f.  in  fesselnder  Rede  die  Entwickelungs- 
perioden  der  lateinischen  Sprache,  ange&ngen  von  dem  Arvaien- 
liede,  unter  besonderem  Lobe  auf  Plantus,  dem  er  das  Privilegium 
nachrühmt,  „de  n'Hre  pas  mime  soumis  ä  la  Chronologie*^ ,  dann 
mit  einer  Rücksicht  auf  die  sich  ausbildende  Beredsamkeit  unter 
den  BOmem.  Bei  dieser  Gelegenheit  erfahren  wir,  dass  er  die 
letztere  monographisch  zu  behandeln  gedachte,  und  haben  nun  einen 
Anhaltspunkt  für  das  Vorkommen  von  Plinius  und  Quintilian  in 
der  obgenannten  Dichtergesellschaft.  Sueton's  »Berühmte  Bömerc 
d.  h.  zunächst  die  (Grammatiker  oder  das  erste  Buch  scheinen  ihm 
anch  bekannt  zu  sein,  die  Zeugen  des  Sinkens  dieser  Literatur,  wie 
er  meint,  8.  VIII,  ohne  an  die  Schriftsteller  zu  denken ,  die  ihre 
Zeitgenossen  waren,  und  doch  kein  Sinken  in  der  Entwicklung  ver- 
rathen.  Die  Litroduotion  ist  stellenweise  nicht  mit  Vorsicht  ge- 
schrieben, sondern  übereilt.  Nicht  ohne  Vorrecht  vergleicht  er  sich 
mit  Robinson  Cmso6,  der  sein  Boot  bereit  hat^  nnd  nun  bemerkt, 
dass  es  nicht  ansreicht,  ihn  über  Meer  zu  tragen.  Ich  will  ihn 
übrigens  über  sein  Vorbild  selbst  reden  lassen,  ^e  eherchais  er- 
klärt er  8,  XI  u.  f.,  le  moytn  d^employer  utilement  qtielgues-uns  des 
matMause  gue  favais  fagonn&t  avee  le  plus  de  9Üe  et  d'ardeur, 
loraqi^en  reHeant  le  grand  livre  <f  Institution  oratoire  -—  er  meint 
YUL  Jelof.  e.  Heft  28 


M  X  Jan  In:  Ia  tH>M«  el  Moiiaence  k  ftome. 

das  sehnte  —  »2  me  Mm5Za  (jt««  Ot<^*>^tM  Ita-in^m«  ifinquUtaü  de 
mon  iravaü,  et  me  venaü  en  aide^ ,  wozu  ich  seine  Sohlussworte 
8.  XIV  noch  hinzufdge:  „De  cäte  ma^mfique  expontion  des  leürrs 
romainee  faiU  pw  QmnUUm,  fai  compoei,  diaciple  obäaaanl,  U 
präsent  livre.^ 

Nun  wissen  wir,  woran  wir  sind,  und  können  uns  in  Betrach- 
tungen über  sein  Buch  einlassen  und  auslassen. 

Die  Beihe  der  hier  vereinigten  Zeitbilder  eröffiiet,  wie  bemerkt. 


Die  ersten  vier  Seiten  davon  sind  eine  französische  üeber- 
eetznng  von  Sneton's  »Berühmte  Römer c  Bach  IV.  Gap.  27.  ed. 
D.  d.  h.  von  Sueton^s  Leben  des  Horaz.  Der  ganze  erste  Abschnitt 
dieses  Zeitbildes  überhaupt  aber  ist  ein  Protest  gegen  die  kargen 
Details  bei  Sueton,  dictirt  natürlich  durch  Janin's  Eingenommen- 
heit für  des  Horaz  wundersame  literarische  Grrösse,  und  eine  Lob- 
rede auf  den  Letzteren,  sowie  auf  seinen  erhabenen  Patron,  den 
glüeUiehen  Srb^i  des  grossen  Cäsar. 

Diesem  Abschnitt  folgen  noch  eilf  andere  auf  einen  und  den- 
selben Horaz  oder  wenigstens  seine  Zeit  und  Zeitgenossen  bezüg- 
liche. Doram  wollen  wir  aber  nicht  eilfertig  über  den  vorMegen- 
den  ersten  Abschnitt  hinwegeiien,  da  einzelne  Punkte  darin  wohl 
geeignet  sind,  unsere  Aufmerksamkeit  zu  fesseln. 

Auf  die  Moquerie  des  Verfassers,  die  bekannte  Stelle  in  der 
Suetonieehen Biographie,  wo  das  eidatum  cubictUum  gedacht  wird*), 
betreffend,  wollen  wir  dee  lieben  Friedens  wegen  nicht  tiefer  ein- 
dringen. Desto  mehr  muss  uns  die  Parallele  beftfemden,  die  der 
VeifAsser  S.  8  zwischen  Snetcm  Aex  Quelle  dei:  Horaz-Biogra^hie, 
und  zwischen  Sueton  der  Quelle  ftkr  das  Leben  des  Tiberins  zi^t. 
f,U  fi^^pKgi  Horace  sagt  er  1.  1.,  «<  va  i^appeeanlir  sur  Tibirel  11 
ne  comprend  pae  que  le  eiiele  ^AugusU  e$t  reeU  iout  ühimm€  des 
Bpiendeun  d^Hwraee  ei  de  Virpüe.^  Hau  fühlt,  der  Verf.  kennt  die 
Biographie  des  Horaz  nur  aus  der  Diaspora»  Dass  Sueton  so  kurz 
darin  ist,  hat  derselbe  gut  und  leicht  eine  Blastrtheit  nennen.  Ver^ 
zeihlichl  Er  hatte  den  methodischen  Zusammenhang,  worin  diese 
Biographie  steht,  noch  nicht  erkannt,  und  dürfte  sich  wundem, 
ans  Demtsohland  herüber  zu  hören,  dass  sie  Bestandtheil  einer 
grösseren  Sammlung  von  Biographien  gewesen  und  wieder  gewor^ 
den  ist,  einer  Sammlung  von  Dichterbiographien,  die,  ein  Buch  fUr 
sich  bildend,  ein  einzriner  Bestandtheil  eines  weitläufigeren  Werkes 
de  Virie  Romanorum  ühtskibus  ist.**)  Nach  dieser  Begründung 
wird  es  nicht  verwundern,  die  bekannte  Biographie  des  H^raz  nicht 
unter  eioMu  andern  Oesichtspunkte  auffassen  zu  hören,  als  die 
Biographie  Onipho's,  worans  H.  Janin  S.  12  Mittheilungen  maeht, 


*}  Siehe  meine  Schrift  Über  8neton*8  de  virü  Bomanorum  iUHstrüme. 
iMMAg  1857. 

**>  Sneton's  Bertthmte  Römer  in  Tier  Büchern.  Leips.  Ei^ehnne»  1868. 


J.  jAnln:  La  PoAiie  ei  VSi^qjwäea  k  B«Dif.  48^ 

die  BiG^rai^hie  Hygiii*8  (ß.  13),  u.  8.  w.  die  der  YeifikSfler  aeinem 
Zweol^  Horas  und  seine  Zeit  za  beschreiben,  dienstbar  naoli^ 
Grammatiker  und  ILhetoren  durcheinander,  wovon  er  in  seiner 
Snetoa-Ausgabe  die  bekannten  zwei  Bttoher  de  ühtstfibw  ^ammor 
üds  ttt  de  clavei»  rketaribua  vorfand. 

Wir  verlassen  mit  dieser  Berichtigong  den  ersten  Abschnitt« 
der  Eweite  S.  20,  im  Wesentlichen  eine  Verherrlichung  Athens,  aus 
Pindar's  und  8{iäteren  Tagen,  weil  es  als  eine  Bildungsstätte  iftir 
eine  lernbegierige  und  lembedürftige  Jugend  Bom's  erseheint,  dient 
als  ein  'Abschnitt  im  Leben  des  Horaz,  indem  auch  er  dort  seine 
Studien  machte.  Dieser  Abschnitt  ist  ein  Gorollar  zu  der  bewuss- 
ten  Notiz  im  Leben  des  Horaz  vx>n  Bueton.  Es  wird  im  Verlauf 
gezeigt,  was  Born  trotz  seiner  Grammatiker  und  Bhetoren  und 
ihrer  Schulen  nicht  hatte,  und  was  Athen  hatte.  Auch  nach  sei- 
nem politischen  Fall,  will  der  Verf.  bezeugen,  hatte  das  letztere 
noch  eine  Macht.  Aber  Born,  von  seiiien  Triumviren  durchwühlt, 
was  hatte  es  übrig?  „La  vüle,  heisst  es  S.  28:  0«i  proie  aux  9oU 
daU,  le  maüre  oceuparU  le  chatnp  de  Mars,  VliaUe  au  pauvair  de» 
UgfßnSf  Jupiter  ehasei  de  eeg  autels/^ 

Kein  Wunder,  dass  der  Verfl  hier  Stoff  zu  einem  dritten  Ab- 
schnitt findet,  um  Sprache  und  Leben  in  Athen  in  seinem  Ein- 
flüsse anf  fleraz  einer  näheren  Betrachtung  zu  unterziehen  S.  23  ff. 

Pen  Gewinn,  den  Horaz  ans  dem  Umgang  mit  den  Schriften 
dar  alten  Philosophex^  z.  B.  Aristipps  n.  A.  zog,  finden  wir  mit 
Iskrreicher  und  unterhaltender  Ausführlichkeit  im  vierten  Abschnitt 
aasgesogen  S.  34 — 50.  Auffallen  wird  hier  die  Parallele  zwischen 
Harae  und  Pindar,  zum  Nachtheile  des  Letzteren,  wenn  man  seine 
Heftigkeit  und  seinen  ungestüm  nicht  für  eine  Vollkommenheit 
ansieht  S.  47 — 49.  Echo  und  Blumenflor  liegen  fioraz  mehr  im 
Sinne,  als  die  Wolkenhöhen,  worin  Pindar  mit  seiner  Phantasie 
verweilt.  Beispielsweise  besieht  sich  der  Verf.  auf  die  Ode  an  den 
Föns  Bandusiae,  die  er  zu  vergleichen  bittet  mit  Pindar's  Anrufung 
an  die  Stadt  Theben.  Wir  wollen  Herr  J.  selbst  hören,  weil  er 
hierüber,  als  psychologischer  Kunde  dem  Bildungsgange  des  Dichters 
nachspürt,  j^ll  ^mspiraU,  ssigt  er  von  Horaz  S.  50,  ehaque  jour, 
de  cm  eplendeure  ineffabUa,  gt^il  devaü  transporter  dam  tode  ro- 
maine^  Aoee  Pindare^  ü  ^^criait:  *Le  eoleüj  le  plus  brillant  dea 
oMlree  qui  parcoureni  le»  plaina  de  Vairl  ..•«.'  ll  mivaü,  de  taute» 
MS  force»f  dam  »e»  eharU»  (ü  ifarrUaii  au  nuage) :  le  pilote  auda- 
€ieiux  md  livre  aux  vent»  Uutee  »e»  votie»;  ü  adoraü  cd  homme 
€m»r€  ä  eeüe  cattpe  d'or^  beidllonante  du  ju»  de  la  treHlel  .....*  et 
quanä  ü  wntlut  itre  un  poeie,  ü  ae  trouva,  par  aon  admiration 
fnSme,  un  porie-foudre,  ä  aon  teur.^ 

Pindar  sei  nicht  der  einzige  Hellene  gewesen,  der  um  des 
Horaz  dichterische  Bildung  Verdienst  habe,  will  der  fUnfte  Ab- 
schnitt beweisen,  der  Plato  und  Platonische  Einfluss  auf  ihn  ge- 
recht zu  werden  sucht  S.  50  ff. 


itb  J.  Jftnlns  Lft  PoMe  et  Mo^utece  k  tlom^ 

Unter  den  Lehrern  des  Horaz  auch  den  Cicero  zn  nennen,  gilt 
dem  Ver£ft8ser  selbst,  S.  57,  wo  der  sechste  Abschnitt  beginnt,  für 
ein  kühnes  Unterfangen,  und  doch  hat  er  nicht  beanstandet  dem 
Einflüsse  Ciceronische  Lektüre  anf  den  Dichter  einen  besonderen 
Abschnitt  zu  widmen.  So  ist  es  erklärlich,  dass  Cicero*s  Schrift 
de  officiis  so  eingehend  ge¥rürdigt  wird,  wie  es  hier  geschieht,  und 
80,  dass  selbst  eine  Fortsetzung  davon,  dei:  siebente  Abschnitt, 
noch  die  Schrift  de  senectute  in  die  Darstellung  hereinzieht.  Die 
angebliche  Beschäftigung  des  Horaz  mit  Cicero,  die  eine  H^^pothese 
Janin*s  ist,  aber  eine  glückliche,  mochte  an  den  Gedanken  ihre 
Stütze  haben,  dass  auch  Cicero  in  seiner  Weise  aus  Athen  seine 
Bildung  sich  geholt  hatte.  Uebrigens  befinden  wir  uns  in  der  Zeit 
der  Alleinherrschaft  Cäsar's,  worüber  der  Verfasser  S.  68  sich 
so  äussert:  „Le  monde,  ä  cette  heure,  appartenaü  au  gAne,  ä  l^in- 
teUigenee,  au  courage,  ä  la  foree,  ä  la  gloire,  ä  toutea  les  grandes 
passions  du  coeur  deVKomme,  Hvousenotea  la  lü>eri€  ^..^  il  appar- 
tenaü ä  Jules  Chart 

Ce  mattre  avaü,  par  son  ginie  ä  par  $a  volonte,  domin^  la 
guerre  civile  et  les  ambUiona  de  aon  entourage,  On  eÜJt  dii  que  la 
paix  univeradle  aceomplissaU  aon  ehef-c^oeuvre  ....  0  paix  univer- 
teile  ....  une  halte  d^un  jourt" 

Sich  für  die  Bildung  an  die  hellenische  Art  und  Weise,  kurz 
an  dieses  Torbild  zu  halten,  konnte  natürlich  nur  der  Mangel 
einer  eigenen  gestatten.  So  war  es  auch,  wie  der  achte  Abschnitt 
darzuthun  sucht.  Ein  grosser  Unterschied  herrschte  zwischen  römi- 
scher und  athenischer  Erziehungsweise,  und  es  schien  der  letzteren 
gegenüber  in  Rom  —  Sparta  sich  verjüngt  zu  haben.  Das  bringt 
der  Verfasser  unter  individualisirender  Betrachtung  und  durch  Ver- 
gleichung  des  Pomponius  Atticus  mit  Cato  d.  A.  zum  massgeben- 
den Yerständniss  S.  68—75.  Man  hat  Alles  von  seinem  Uriheile, 
wenn  man  die  Schlussbemerkung  des  Verf.  liest,  S.  75:  „TeUe  fut 
la  Vit  ei  teile  fut  la  mort  dt  eet  ÄthMen  de  Rome;  ü  fut  ineon- 
iettablement  .....j  Veselave  le  plus  heureux  qui  ait  v4cu  dam  Vempirt 
ramain.^ 

Die  verhängnissvollste  Zeit  im  Leben  des  Horaz  kommt  erst. 
Die  Schreckensnachricht  von  dem  Tode  Cäsar's  unterbrach  den 
Gang  seiner  Studien  zu  Athen  und  wohl  die  Studien  Vieler.  Mit 
dem  neunten  Abschnitt  S.  75  sehen  wir  Horaz  die  Erbschaft  seiner 
politischen  Ueberzeugung  antreten:  die  Theilnahme  an  dem  Feld- 
zuge unter  Brutus  und  Cassius,  zugleich  aber  sich  auch  dieser  Ueber- 
zeugung entäussem,  um  den  Preis  seiner  militärischen  Ehre,  indem 
er  bekanntermassen  seinen  Schild  wegwarf,  und  floh.  Dass  er 
nachmals  von  dieser  Feigheit  Aufhebens  gemacht  hat  (Od.  11,  7), 
wirft  ein  schlechtes  Licht  auf  seine  Begriffe  von  Charakter  und 
Ehre.  Politisch  genommen,  war  derUebergang  des  Horaz,  das  ist 
unsere  Meinung,  keine  Acquisition  für  die  Cäsarische  Partei  und  eine 
Genugthuung  für  die  letztere,  dass  er  Dichter,  und  nicht  Soldat,  war. 


J.  JAnin:  La  PoMo  et  ffloqueBoe  kRovie.  487 

Noch  drei  Abschnitte  restiren  an  dieser  onlinrhistorischen 
Stndie  Aber  Horaz,  welche  von  der  Wiederanfrichtnng  des  C&sari- 
Bchen  Imperiums  im  Occident  datirend  8.  81 ,  und  die  flbrigen 
Lebensschicksale  des  Dichters  mit  eingehender  Gründlichkeit  er- 
örtern. —  Der  zehnte,  der  drittletzte  dieser  Abschnitte ,  hat  zum 
Thema  das,  was  die  Worte  des  Yer£ftssers  8.  82  besagen,  die  ich 
hier  folgen  lasse :  „Notre  envie  est  de  U  mivre^  juagt^ä  la  fln,  dam 
§a  cofutanee  ei  dam  belle  hummr,^ 

Natnrgemäss  beginnt  der  Yerfiisser  mit  dem  Tage  nach  der 
Schlacht  bei  Philippi,  wo  er  allein  auf  sich  angewiesen  war.  In- 
teressant ist  hier  bei  ihm  die  Fertigkeit  im  Auffinden  der  Bich- 
inng,  die  Horaz,  damals  ohne  väterliche  ünterstfltzung,  einschlug: 
„Comme  on  faü  Umjaurs  quand  on  est  jeune,  iqnorant,  mperhe  et 
d^daigneux:  ü  se  manifefia  par  la  saUrt.^  Die  Satire  ist  nach 
dem  Dafürhalten  des  Terf.  (8.  84)  HograpMe  infamante.  Hiermit 
ist  der  Inhalt  dieses  Buches  signalisirt,  und  es  kommt  nur  noch 
darauf  an,  das  Yerhältniss  des  Dichters  zu  dieser  Gattung  der 
Poesie  zu  fixiren.  HOren  wir  den  Verf.  selbst  8.  86:  „Au  faU^ 
ne  disofu  pas  que  Vexenvple  de  la  saUre  dere^  odieme,  personnelU 
aU  mangu^  au  saHrigue  Horaee  ....  11  eavaia  trie-bien  eomtnent  an 
faU  d^une  plume  tm  poignard,  «nois  ü  aavaU  ausai  gu'ü  y  a  de$ 
KmUee  qt^un  galant  komme,  honnüement,  ne  saurait  franchir;  qt^ü 
faut  lai$8er  au  furieux  les  colh'ts^  aux  foreen^s  tindignation  f/roee, 
enfln,  ü  savaU  que  ifü  faul  reeonnattre,  en  effet,  le  vifpenehant  des 
plus  hann^ee  gern  ä  tfamuser  de$  ehosee  malhonnStee  (Cieiron  parle 
ainH  au  ehapiire  de  fOrateur)^  le  poete  et  ticrivain  qui  a^honorent 
eux^mSmes  ftmi  leur  pr emier  devmr  d^eppaeer  wie  digue  ä  ee$  mau- 
vaie  penchania  de  fesprü  humainJ*  Diesen  Gedankengang  zu  yer- 
▼ollständigen ,  bitte  ich  noch  folgendes  Wort  des  Verf.  hinzuzu- 
nehmen: „Poete  acUirique,  heisst  es  8.  87,  tZ  fie  voulait  aaaaaainer 
peraonne.  H  diaait:  ^Ma  muae  et  moil'  (Rome  et  moil  diaaü  Auguale) 
noua  aommea  eontenta;  pour  peu  que^  parket  par-läy  noua  eorrigiona 
un  peUt  viee  /'  Dergleichen  Aeussemngen  Tersteht  man  unter  Be- 
zugnahme auf  das  Yerh&ltniss  des  Dichters  zu  Mikcenas  und  ande- 
ren einflussreichen  Freunden  Roms.  Die  Summe  seiner  Ansichten 
Aber  Horaz  poetische  Grundsätze  gibt  der  Verfasser  8.  91 :  „Comme 
ü  n'eet  paa  komme  ä  beaueoup  ae  contraindre,  il  n^eat  paa  komme 
ä  peaer  Irap  lourdement  aur  lea  vieea  d^alentouri  t^egt-  le  aatirique 
indulgeni  et  de  bonne  foi^  Atk^nien  ä  la  romaine,  et  ifü  adopte 
Auguate,  oubliant  irop  vUe  qt/il  fut  un  aoldat  de  Brutua,  <^eat  beau- 
eoup paree  qt^il  ne  aaü  comment  rMater  ä  la  ioute  —  ptdaaance^ 
et  beaueoup  auaai  paree  qt^ü  eomprend  que  le  ginie  italien  vient 
^iehapper  ä  Vinvaaion  du  gSnie  orientäl.  En  aa  double  qualüi  de 
Romain  et  d^AtkSnien,  Horaee  a  r^eii  avee  le  plua  profond  mipri» 
lea  arte,  lea  paaaiona,  lea  poemesy  lea  mytkea  et  lea  roia  de  f  Orient.^ 
So  kann  jene  douee  gaiet^,  jene  innocenie  ironie  in  seine  Satiren, 
woTon  der  Verf.  8.  92   spricht:     „Auguate  avaU,  eertea,  de  bonnee 


49§  X  JftntB!  Xa  PoMe  et  fffloqmaee  l  RooMi 

rai^5  pm»r  approuver  ce  Um  mmveau  de  la  8aUr$/'    Denn  man 
weiss,  dass  der  Imperator   die  famota  epi§ramm4Ua  hasste,   wie 
perpdua  digmisiü  nach   dem   SoetoniBchen  Anedmcke.     Beispiels- 
weise, d.  b.  um  von  der  Milde  imd  der  Süsse ,   welchen  maA  ans 
seinen  Batiren  kennen  )emt,  eine  Probe  en  geben,  beruft  sich  der 
Yerf.  8.  9S  anf  die  dritte  Satire   des  zweiten  Bnohes,   neben   der 
zweiten  ebendaselbst,   die  mit  der  Geschichte  eines  Ofellns  Ter- 
bunden  ist,    und  die  er  scheint  nnter  dem   (}eschichtspnnkte  der 
Comodie  zu  verstehen.  S.  94.  Im  Terkrafe  hat  der  Verf.  noch  einen 
Gnmd  fttr  den  Entschlnss  des  Dichters  zur  Satire  gefunden:   die 
Indolenz  der  Gesellschaft,  den  alten  Sitten  gegenüber.  „C^ait  dijä, 
heisst  es  S.  97,  beaueoup  dfav&ir  re<fr€tU  ä  hoMde  9üix  le$  aneknt 
roiSf  les  vieilles  moeuTB^  kt  vie  ä  foMtü  dofne$Hgue  ei   les  anciens 
dkux  de  kt  paMe  ..o  Va  plue  Unn,  tu  fexpoeet  ä  vt^re  pa$  euitfi. 
Parle  pltu  longiempe  la  lanptte  auslere  de  la  Sabine  au»  Rome^inM 
de  fempire  aoeomjfli,  pae  un   qui  if/e&ute,^    Diese   eben  berührte 
Indolenz  war,  nach  des  Yerfassers  Meinung  eine  Folge   des  wach* 
senden  und  imi   sich   greifenden  Einflusses    der  Oonrtisanen ,  mit 
denen  das  damalige  Rom  sich   ebenso   gern  beschäftigte,   wie  die 
heutige  GeseQschaft  mit  den  Figuren  des  Ballets   und  ihren  Dar* 
stellerinnen.  S.  100.  Für  die  Grenzen  der  Herrschaft  und  der  An* 
Sprüche  dieser  Damen  citirt  der  Verf.  die  Art  d^aimer   von  Ovid, 
die  hierüber  freilich  einen  mehr   als  blos  lehrreichen   Anfschhtss 
geben,  und  ihrem  Terfosser,  dessen  Begabung  sich  mit  erhabenen 
Stoffen  hatte  berühren  sollen,  mit  vielen  Feinen  nachmals  in  Tomi 
aufgewogen  wurden.  Wir  übergehen  die  Seiten,  welche  Herr  J.  der 
Betrachtung  über  den  Einfluss  widmet,  welche  dieses   Treiben  anf 
des  Horaz  Denkungs-  und  Dichtungsart  hatte,  und  wollen  uns  nur 
^i'g^enwftrtigen,  wie  Horaz,  ein  Vierziger,    seinen  Launen  Yalet 
gesagt  hat  und  sich  über   dieses  Entrinnen  vergangener  Genüsse 
tröstet  in  Gesellschaft  einer  jungen  und  schönen  Sclavin,  Xanthia. 
auch  hierin  ein  gewöhnlicher  Mensch,   der  solide  wird  aus  üeber- 
dmss.     Kein  Wunder,   wenn   er  darüber  ein  Vierziger  geworden 
war!     „AmH  bitn,  heisst  es  S.  107,  ü  rede  en  da^ä  des  paeaUme 
de  Tibuüe  et  de»  feux  de  Properee;  ü  n'eät  jamaü  eeneenii,  eömme 
Ovide^  ä  ne  aon^er  ^ä  see  amoure.     Nim,  eertee;  ii  afmge   ä  sen 
itat  dam  U  monde^  ä  sa  f&rtune,    ä  pteMre  au  C^ear,   ä  dSnentir 
ie  eatirique  Labt^ue;  ü  a  eompri»  qti  Auguste  —  empereur  *ne 
eauraU  ee  paseer  des  poHes,   et  surtaut  €pun  poHe  id  que  hd,   d 
pendant  que   Virgüe  enseume    aux  Rmiaine    fagricMure    ouhH^ 
Horaceenseigneaux  esprüs  turbulents  la  prudenee,  aux  dmes  r&yeh 
Ms  la  biefweUlanee  et  la  rSsignaUon.  R  enseigne  ä  tom  ^^Hseaneey 
et  eette  gloire  exeeiHente  gm  vimt  de  la  prcbitS,  de  fexaetitude,  et  de 
la  rMtarÜi  dans  le  eommeree  de  la  vie.^ 

Der  vorletzte  Abschnitt  S.  108  ff.  will  verhüten,  die  Herrschaft 
des  Angustns  einseitig  aus  den  Gedichten  der  Dichter  seiner  Zeit 
zu  studirea,  ist  aber  nichtsdestoweniger  ein  Oommentar  zu   den 


J.  Janln:  Ia  PoM«  et  Tdloque^oe  k  B^m«.  490 

Thema:  ^  n'dU  pos  v<ndu  du  pardon^  tont  ü  eompiaii  mr  la 
reeofmaisaanee  ....  et  mr  la  eomplaUanee  de  Thistoirel  11  a  donc 
eommand^  meme  ä  i'histoire,^  Und  dieser  Conuaentar  ist  auf  dem 
Grande  der  Biographie  des  Angustus  von  Sueton  angelegt,  und  yon 
Details  über  Yirgil  begleitet,  zum  Behuf  der  Lösung  der  Frage, 
ob  Horaz  wirklich  ebenso  innerlich,  wieVirgil,  fUr  die  Poösie  aus 
Glauben  berufen  war. 

An  diese  Lobrede  auf  Augustus  und  Yirgil  schliesst  sich  zu- 
gleich der  Schlussabschnitt  des  Ganzen,  der  zwölfte  Abschnitt 
8.  117  ff.  die  Verherrlichung  Agrippa's  Mäcen's  u.  A.  enthaltend. 
Eine  besondere  Eücksicht  wird  dem  Verhältnisse  des  Horaz  und 
Mäcen's  geschenkt,  S.  121,  und  weitl&ufig  (nach  Bat.  I,  9)  die  Ein- 
leitung dieser  Freundschaft  zergliedert.  Nicht  so  mit  Selbstgefühl 
ftihrte  sich  zu  seiner  Zeit  Balzac  beiBichelieu  ein,  wie  Horaz  bei 
Mäcen  I  S.  124.  „II  y  a  des  imtanU,  sagt  der  Verf.  t  1. ,  aü  tel 
hontme^  gut  voue  d^laüaü  hier^  voua  platt  et  voua  chartne  aujourd^huL 
Le  grand  secrei,  e^eet  cParriver  ä  Vheure  oü  Von  platte  ä  theure  o^ 
f(m  veui  plaire^  d  vraiment,  erdre  Horace  et  M^eine,  Tun  de  Vautre 
ä  tont  de  didanee,  ü  y  eut  une  exp^  de  Convention  taeiie,  qt^ils  ae 
eonvenaient  ä  merveille.^^  So  glaubt  der  Verf.  die  Annäherung  von 
Dichter  und  Minister  entwickeln  zu  können.  Besser  aber  mag 
sich*s  noch  aus  folgenden  Worten  ebendesselben  Herrn  J.  ergeben : 
„Horace  avait  peu  tPambüion,  liest  man  S«  121;  Michne,  prefet 
de  Borne  et  tPItaHe,  itaü  revenu  de  taute  ezpice  d^ambUion!  Vun 
et  fautre,  ile  faisaient  le  mime  reve :  un  grand  repoB  ...«  Mais,  le 
mimetre  est  mort  ä  la  tdche\  au  eontraire,  Horace  eutbienidt  r^a- 
liai  toue  eee  reves:  un  loirir  honorable^  une  fortune  4gale  aues  plus 
fnodeetee  dMrs,  un  beau  petü  eoin  de  terre  entre  le  sUence  et  Tombre! 
Jl  eut  done  ea  maieon  de  plaieance  ä  Tibur,  entre  lee  murmures  du 
fleures  et  lea  pamprea  de  la  colline;  il  eut  un  domaine  utile  et  de 
hon  rapport  dam  lea  terrea  de  la  Sabine,  4  Tibur,  il  äaü  le 
voisin  de  Miehu^  ....•  und  weiter:  „En  txwn  Michie  le  rappdle, 
fn  vain  ü  promet  ä  Miehua  de  revenir,^  ...«.  Endlich,  wie  er  das 
Beaeichnendste  sagen  wollte,  heisst  esa  „Horace  a  mia  en  actum 
eeUe  parole  de  la  Bruyire:  La  cour  ne  rend  paa  content,  die  em- 
pSeke  qtion  le  aoitf^^  Um  die  Zeit,  als  Mäcen  beauttragt  war, 
Aogustus  mit  Marc  Anton  zu  versöhnen,  war  die  Freundschaft 
zwischen  Horaz  und  Mäcen  schon  gesichert»  und  Jener  zählt  da- 
mals erst  fünf  und  zwanzig  Jahre. 

Mit  richtigem  Blicke  hebt  der  Verf.  S.  127  die  angeblichen 
Motive  bei  Augustus  hervor,  den  Dichter  in  seine  Umgebung  zu 
ziehen,  der  in  seinen  Versen  die  Feinde  seines  werdenden  Thrones 
gefeiert  hatte.  Er  misstraute  ihm,  und  doch  hatte  er  Gefallen  an 
ihm,  und  verlangt  ihn  wenigstens  zu  sehen.  —  Und  vom  ersten 
Zusammentreffen  an  gehört  ihm  der  Dichter,  dem  nur  noch  Virgil 
im  Wege  stand,   um  ganz  die  Gunst  des  Imperator  9U  besitzen« 


4i0  J.  Jan  ins  La  PoMe  et  rfloquenea  k  Boue. 

Es  müssen  also  Beide  eine  Zeit  sich  dieser  Gnnst  nebenander  ge- 
freut haben. 

Im  Cabinete  seines  erhabenen  Gönners  zu  arbeiten,  hat  Horaz 
vermuthlich  ftlr  zu  langweilig  befanden.  Desto  mehr  hat  er  sich 
angelegen  sein  lassen,  ihn  in  seinen  Gedichten  zu  Terherrlichen, 
nachdem  er  einmal  die  Neigung  des  Imperators  für  diese  Gaben 
erkannt  hatte.  S.  129.  und  seinem  eigenen  Andenken  hat  er  in 
seinen  Episteln,  welche  der  Verf.  die  Summe  der  antiken  Moral 
und  Philosophie  nennt,  die  Dichterkrone  aufgesetzt.  Er  sieht  in 
ihm,  nach  dieser  Seite  das  Vorbild  Voltaire's,  und,  in  Ansehung 
der  Ars  poeticaj  den  Vorläufer  Boileau*s,  und  endigt  seine  Kritik 
mit  dem  Ausspruche  8.  181:  „II  unit  ainn,  par  un  lien  inde» 
stmctible,  U  Mele  cTAugusie  et  dt  L<nm  U  Qrand.^ 

Noch  eine  Seite,  eine  Mittheilung  über  des  Horaz  undMftcen's 
Tod,  und  zu  Ende  ist  diese  Studie  über  Horaz,  welche  das  Zeug- 
niss  einer  gelungenen  Arbeit  verdient,  bis  auf  einige  historische 
Unrichtigkeiten ,  die ,  um  vielleicht  deutscherseits  verbessert  zu 
werden,  sich  in  die  Darstellung  eingeschlichen  haben. 

Die  erste  ist  die,  dass  Melissus,  zu  seiner  Zeit  Bibliothekar 
in  der  Porticus  Octavia,  dem  Tiberius  jene  famose  Antwort  ge- 
geben haben  soll:  „Certes,  vous  pouvez  danner  au  premier  venu  It 
droit  de  eii^,  maia  non  pa$  ä  un  seul  mot  eonlraire  au  gAne  et  ä 
la  volonU  de  notre  langue  I  (S.  14).  Leider  war  dieser  aber  nicht 
Melissus,  sondern Pomponius  Marcellus,  wie  Sueton's  Berühmte 
Römer  I,  cap.  22  ed.  D.  zu  lesen  ist  („Tu  enim,  Caesar,  civitaiem 
dare  potes  Jwtninibus,  verbo  non  potes,^) 

Die  zweite  Unrichtigkeit,  die  zu  constatiren  ist,  gehört  dem 
eilften  Abschnitte  an.  S.  110.  Dort  werden  zwei  Suetonische  Stellen 
nftmlich,  der  Einsturz  des  Amphitheaters  im  Fidenä  im  J.  27  n.  Chr. 
(S.  Suet.  Tib.  40)  und  einen  Beweis  von  Furchtlosigkeit  aus  dem 
Leben  des  Augustus  bei  einem  befürchteten  Einsturz  (S.  Suet. 
Aug.  43  ex.)  confundirt. 

Und  zuletzt  möchte  noch  zu  S.  125  eine  Bemerkung  zu  machen 
sein,  aber  in  Form  einer  Frage,  ob  nicht  Horaz  von  Mäoen  selbst 
sein  praedium  Sabinum  erhalten  hatte,  statt  dass  man  ihn,  wie 
Herr  J.  1.  1.  thut,  flugsweg  den  Nachbar  Mäcen's  nennt  ? 

Auf  Horaz  folgt  in  der  Reihe  seiner  biographischen  Studien  — 
tfM,  als  Studie  ein  Commentar  zu  einer  der  Tristien  (IV,  10), 
worin  Ovid  selbst  über  seinen  Lebensgang  referirt,  mit  Herein- 
ziehung des  auf  die  Zeitgenossen  Bezüglichen  und  Verflechtung  von 
Anspielungen  auf  die  moderne  Dichtung  Frankreichs. 

Auch  diese  Studie  zerfällt  in  mehrere  Abschnitte,  ftlnf  nilm- 
lich,  wovon  die  ersten  beiden  und  der  fünfte  ganz  kurz  sind,  und 
der  dritte  der  um&ngreichste. 

Für  die  Darstellung  des  Lebens  Ovid's  knüpft  Herr  J.  an 
Horaz  Tod  an:  „Horaee  ä peine  a  disparu  dans  le  tombeau,  qtiun 
nouveau  venu,  plein  de  gräee  et  de  jeunesse,  itaii  d^ä  la  vie  et  la 


J.  Janin:  La  Poetle  et  TfioqueBee  k  Rome.  441 

f^  des  Mpanee$  rtunaines.^  Stellen  ans  Velleras  Patercnlns,  Benecfti 
bez.  Quintilian,  maoben  auf  des  Dicbters  beirorragende  Bedentang, 
beTor  sie  detaillirt  zur  Erörtemng  kommt,  scbon  Eingangs  snm- 
mariseb  anhnerksam.  Der  Verf.  selbst  scbliesst  dieses  B^süm4 
mit  seinem  eigenen  ürtheil  8.  137  ab:  „11  ^taü  vif  ei  gen,  bien 
portant,  bim  faU,  aimahle  et  partout  bim  venu.  Füs  de  la  mode 
et  dee  bdles  ammtrs,  ü  ne  prenaii  puh'e  au  sMeux  que  Patnmir'^, 
Worte  worin  eine  Anknüpfung  an  Das  liegt,  was  er  oben  von  den 
Conrtisanen  gesagt  batte.  Füblend,  dass  er  eigentlicb  ein  Sobnl- 
tbema  bebandelt,  sncbt  er  fOr  die  Vertbeidignng  Orids  naeb  Mo- 
ÜTen  nnd  findet  sie  in  des  Letzteren  Appel  an  die  angeblicbe 
ewige  Jngend  des  Menseben  nnd  den  fortdanemden  Anfentbalt  der 
Nereiden  anf  den  üfem  EnbOa^sl 

In  dem  zweiten  Abscbnitt,  8.  188,  wo  wir  Mittbeünngen 
ttber  Ovid  erwarten,  erzftblt  Herr  J.  den  Tod  Cicero*?,  aber  gleiob 
darauf  beziebt  er  sieb  anf  den  Dicbter,  nnd  rnfb  den  Verstand  der 
Oescbicke  an,  die  einen  Ovid  nnd  Tibnll  erweckte,  unter  dem  Zu- 
sammentreffen so  gransenerregender  umstände. 

Die  n&heren  Mittbeünngen  über  Orid's  Lebensscbicksale  wer- 
den im  dritten  Abschnitte  8.  141  ff.  gegeben.  Mit  den  Inspi- 
rationen eipes  Bomanscbriftstellers  von  leidlicbem  Talent  verbreitet 
er  sieb  über  den  Antbeil  der  Heimatb  (Sulmo),  der  öffentlichen 
Scbnlen  dort  und  inBom  8.121  —  145  an  der  Bildung  des  jungen 
Dicbters,  die  persönliche  Anleitung,  die  er  von  dem  berühmten 
Anwalt  und  nacbmaligen  Consul Messala  empfing,  8. 145.  Erkennt 
verzeiblicberweise  sogar  den  Wortlaut  des  Briefes  Ovid's  an  seinen 
Vater,  von  dem  die  Welt  bisher  nur  das  Faktum  kannte,  8.  145, 
worin  er  bittet,  dem  juristischen  Beruf  entsagen  zu  dürfen.  Wir 
lesen  zwei  und  drei  Seiten  xmd  staunen,  wie  viel  Motive  Ovid  ftir 
die  Vorzüge  der  Poösie  anzubäufen  versteht,  um  seinem  Vater  die 
Nützlichkeit  dieses  Berufs  einleuchtend  zu  machen.  Ovid  war  ein 
enfant,  vielleicbt:  terrible?  Nein!  wenigstens  jetzt  noch  nicht, 
sondern  einstweilen  nur  inewrigible  „ei  doni  le$  d^fauts  tnSme  ont 
nne  <irdee  inflnie.^  Nebenbei  studirte  er  wohl  noch,  seiner  besorg- 
ten Familie  zu  Gefallen,  in  den  Bechtsquellen  herum,  aber  nicht 
mit  Ernst,  und  unter  den  Eindrücken  des  müssigen  Lebens  lag  er, 
erst  zwanzig  Jahre  alt,  plötzlich  in  den  Fesseln  einer  Frau,  selbst 
ohne  gesellscbaftlicbe  Bildung,  in  den  Fesseln  einer  ebenso  wenig 
gebildeten,  ganz  ordinären.  Der  Verf.  hierbei  idealistiscb  einge- 
nommen für  Ovid,  beurtheilt  dieses  Verbftltniss  etwas  zu  sehr 
nach  Pariser  Begriffen,  als  eine  Heiratb,  oü  Ton  h  prmaU  ä 
fessoL  8.  148.  Daher  sieht  man  keinen  Grund  ein,  anzunehmen, 
dass  sie  von  ,vomeberein  das  Gegentheil  von  ihm  war,  wie  der 
Verf.  meint.  8.150.  Ovid  war  noch  ein  unfertiger  Mensch  gewesen, 
nnd  das  Missverbftltniss  entstand  erst  mit  der  Zeit,  indem  er  sieb 
aasbildete,  sie  dieselbe  blieb.  Der  Hauptpunkt  ist  wohl  der,  dass 
diese  Ehe  verfrüht  war,  und  dieses  gilt  selbst  von  seiner  zweiteUi 


MS  l  Jai^iB;  U  PpMe  ei  l^oquence  i^  Btmf, 

alsbald  nach  der  Verab8ckiedimg  der  ersten  Fraa,  eingegangenen 
Ehe,  und  es  bedarf  durohans  nicht  der  HereinziehoDg  der  Conrti«- 
sanen,  worauf  der  Verf.  sein  geschichtliches  Wissen  verwendet. 
8.  151.  Die  Namen  dieser  beiden  Frauen  kennt  der  Verf.  nicht, 
indem  der  Dichter  selbst  es  fUr  gat  befanden  hat,  sie  der  Nach- 
welt Yorznenthalten.  8.  152.  Dann  heirathete  Ovid  noch  eine 
dritte,  aus  der  Fabischen  Familie,  von  besserer,  oder  achtbarer 
8ituation,  die  er,  wie  glaubhaft  ist,  aufrichtig  geliebt  und  geehrt 
bat,  und  die  nachmals  mit  ihm  auch  sein  Exil  getheilt  hat  8. 15ä. 
An  dieser  Verbindung  kann  man  die  8cala  der  zunehmenden  Soli- 
dität in  dem  Charakter  Ovid'B  studiren.  Der  Verf.  zieht  noch  die 
beherzigenswerthe  Parallele,  zwischen  der  ftmmt  dt  fortunt  und 
der  femmt  de  joQ,  und  widmet  dem  Begriffe  ipoust  ein  weihe- 
volles Lob,  das  uns  staunen  macht,  als  wäre  in  seiner  Umgebung 
die  Wirklichkeit  davon  abhanden  gekommen  8.  154.  Eine  Wen- 
dung im  Leben  Ovid's  war  der  Tod  seines  Bruders  >  der  ihn  in 
den  Besitz  eines  Vermögens  noch  zu  dem  seinigen  brachte.  8«  155. 
j^Et  eomme  ü  ne  pauvaü  pas,  hannStefnerU,  rester  un  oinf,  tot  rS- 
veur,  un  AthMen,  un  UUtur  d^ Homere  ei  cPAnaor^n,  ü  accepta 
Ua  maffistraturea  gui  hd  furent  offertte,  düona  miwa-,  imposüs^, 
d.  h.  um  deutsch  fortzufahren,  zuerst  das  Amt  eines  Gentumvim 
8.  156  oder  Richters  in  Civilsachen,  dann  das  Amt  eines  Decem- 
vim  8.  158,  oder  Mitglied  eines  hohen,  von  Senatoren  (aenatarü) 
und  Rittern  besetzten  OoUegium.  Im  Anschluss  hieran  muss  man 
wieder  den  Verfasser  selbst  hören  8.  159:  „11  est  facüe  de  ctm- 
prendre  qu'Ovide  un  poete^  tm  amoureux,  f^att  pae  rivS  lee  honneure 
du  se'nat,  dans  un  s^nat  ^esolaf>e$.  II  itcni  irop  habüe  et  trap  heu- 
reux  pour  se  Ia%8$er  prendre  ä  ee$  vaine  Honneurs^  dont  ü  preeeen- 
fait  lea  humüiations  et  les  dangere.^  Alsbald  hören  wir,  Ovid  ver- 
zichtet auf  sein  Amt  8.  159:  „Ovide  äaU  un  ÄiMnien,  so  lautet 
die  Besch¥dchtigung  unserer  Verwunderung^  ü  en  avßU  la  parate 
ei  taecent,  Ttmio  »ermo  Qraecusl  disaii  QuintUien,  ptmr  expUquer 
Vexcälenee  et  Vauiarii^  de  la  lanoue  gue  parlaient  Aristopham, 
Thticydide  et  Demaethene.^'  8.  162  heisst  es  dann  weiter:  y^De  ces 
maUres  divins,  la  jeuneaee  romaine  allaü  chercher  la  iraee  €loqueinte 
dam  he  ieoles  d'AihineB  et  dans  lea  ilea  de  VJtmie."  Denn  von  CBsar, 
PomponiuB  u.  s.  w*  und  v.  A.  gilt  ganz  dasselbe:  j,Aind  C^sar 
et  Pomp/e,  Craasua,  Antome,  Octave^  et  le  premier  de  Ums  cea  heaux 
esprita,  CieSron  (il  n'eai  paa  de  Twtre  livrej  et  nous  y  revenona  iou- 
joura),  daieni  purement  et  aimplement  des  Ath^rUenSk  II  enirait  un 
certain  mepria  pour  lea  eaprita  inculiea  dans  la  haine  gue  eea  deli^ 
€ais  porkBient  d  Marius  et  ä  ioua  eea  ruatrea  aana  lettres,  gut  ne 
cavaieni  mime  paa  la  muaique.  Ainai,  de  la  aoeUti  poUe  an  p4Ut 
dire  gu^elle  prend  aea  originea  auz  aeureea  mSmea  de  la  poüie,  Eüe 
a  r^gn^  auriout  dans  la  maiaon  de  Perieliat  dana  le  pälaia  dPAth- 
guate,''  Sehr  vortrefflich  hat  Herr  Janiu,  hier  anknüpfend,  seine 
P^(aUele  zwisck^n  dem  Zeitalter  des   Augustus  und  Louis  XIV. 


X  JAiila:  U  PoMo  ei  l'floqwiee  k  Bon«.  441 

gezogra.  8.  162  fr.  Mit  cierlieker  Pointinmg  weiss  der  Verf.,  das 
muss  man  anerkennen,  seine  Analogien  zu  betonen.  Man  lese 
8.  165  ff.  Was  ihm  an  Ovid  eigentlich  gefüllt,  ist  die  Tfaateaehej 
daes  er  ganz  Dichter  ist  S.  167:  „11  eut  bienioi  eonguü  la  ripu^ 
iation  dSm  bd  etprü  qui  miHtaü  U»  faveur  da  wnnakseuri  m 
beanx  ouvrages.  Bimidt^  grdee  ä  la  nouvtatä^  piquant€  de  8€$ 
poimeM,  ü  vü  ventr  ä  lui  Us  jeunet  gens  ä  peins  imancipA  H 
diKvr^  d€  la  bulle  dar,  et  le$  aneiem  jeunes  gene  qui  avaieni 
aeeittS  au  rSveü  de  la  poesie:  Meeeäba,  Varran^  Variue,  dmU  U 
Thyetie  a  rwoHeS  avec  la  Mid^e  dOvide^  Pomponkm  Setundue^  Oor- 
vinuf,  et  ee  ComSlim  Gälhis^  gouvemeur  de  fEgypte,^  Zu  diesen 
trat  dann  Albins,  Moenins,  Barms,  Noraentanns :  Elegants,  Ton  ge* 
ringhaltiger  Oesprttchsgabe.  Wirkliche  Acqnisitionen  waren  da- 
gegen ftlr  Orid  die  Freundschaften  mit  Macer,  Battos,  Ponticos» 
Seyems.  8.  167.  Den  ersten  Rang  nnter  allen  nahm  aber  der 
Bibliothekar  Hyginns  ein  8.  168,  femer  Albinovanns,  M&oen*s 
Freund,  und,  aus  der  Comelisohen  Familie,  Gelsus,  der  Arzt,  der 
Verfasser  zählt  noch  viele  Andere  auf.  Sein  eigentlicher  Freund 
und  Oönner  war  Maximus  8. 170,  selbst  Centurio  und  eines  Centurio 
Sohn.  Das  waren,  so  resumirt  8.  171  der  Verf.,  „TtU  fnrent, 
datu  lee  ränge  des  hommee  choisin  (hominum  venueHorum),  Us  ichos 
ffOvide^  et  des  Amours^y  d.  h.  der  „Atnores^^y  eines  Gedichtes  von 
ihm,  zu  dem  freilich  auch  die  Bekanntschaft  mit  vielen  jener  oben 
beschriebenen  Gourtisanen  Stoff  gegeben  hatte.  Denn  z.  B.  im 
ersten  Oesang  ist  eine  Corinne  der  gefeierte  Gegenstand  8.  178. 
Der  Verf.  müht  sich  vieles  Lobenswerthe  von  ihr  zu  wissen  8.174, 
und  ohne  Ahnung  von  den  gelehrten  Commentaren  der  Nachwelt, 
die  mit  mehr  Erfolg  die  Frage  I5sen  würden,  ob  vielleicht  eine 
Princessin  vom  Hofe  dahinter  stecke.  8.  174.  Wir  befinden  uns 
mitten  in  der  Analyse  dieser  Amores,  ohne  dass  die  Darstellung 
sich  als  eine  solche  verrathen  möchte  8. 175  ff.  Grelungen  zu  nennen 
ist  die  Parallele  zwischen  Horaz  und  Ovid  im  Punkte  der  Liebe, 
die  der  Brstere  tändelnd,  Dieser  ernsthaft  besungen  habe  8.  178. 
Das  Besnltat  ist,  dass  Ovid  bei  seiner  wichtigthuenden  und  pro* 
nonoirten  Behandlung  dieses  Themas  aus  der  Kunst  in  die  Theorie 
veriHllt  8.  180.  Das  Thema  von  der  Corinne  erweist  sich  als  sehr 
elastisch.  Denn  erst  8.  185  verschwindet  dieser  Name*  aus  der 
Darstellung  Eine  kurze  Vergleichung  zwischen  Ovid,  Tibull  und 
Oatnll  8.  185  bricht  die  Untersuchung  über  die  Amores  ab. 

Hiervon  zu  der  Ars  amandi  ist  kein  gefllhrlicher  Schritt  8. 187 : 
„Rome  entihre  applauäit  ä  la  seule  annonee  VArt  daimer.  U  avaü 
mm  prix  et.  son  knportanee,  le  doux  poeme,  iout  frivole  qu^il  dttt 
poreMre  aux  sSvh'es  parHsans  de  vieux  usagesi  ü  attestait  gueüe 
rSwdutimi  t^apSraU  dans  les  moeurs.  La  gnlanterie  naissait  Ch^de 
fkU  9om  po^y  eomme  Virgile  avail  4U  le  poete  de  famour  eSricua.^ 
In  der  Ars  amandi  findnt  der  Verf.  die  Typen  für  den  geprellten 
Ehemann  vor,   wie  ihn  die  französische  Comödie  hniiit    Ö«  188* 


444  J.  Jan  in:  La  Po4aie  et  l'ttoqnenoe  JiRoma. 

Mit  Entzücken  feiert  er  dämm  dieses  zuerst  von  Ovid  angebaute 
Oenre  S.  189:  „Ce  poeme  cUi  l'Art  d'aimer  est  une  merveilU 
äineelanie  des  pUa  rare»  beautü^  et  qui  seraü  l'honneur  cTun  H^le 
mime  pha  avanei  en  galanterie  que  le  tileU  d^Auguste,^^  Das  Ver- 
weilen bei  den  praktischen  Folgerungen,  die  er  aus  Oyid^s  Bath- 
schlagen  zieht,  lässt  die  Pariser  Pendants  herausfühlen,  8.  190 — 
192,  ohne  dass  der  Verfasser  sich  des  Vermögens  der  Unterschei- 
dung ent&ussert  S.  192,  deren  Resultat  darin  besteht,  dass  der 
Vorzug  der  Römischen  Courtisane  gespendet  wird,  der  nicht  mehr 
sichtbaren,  und  nie  gesehenen!  Natürlich  1  Was  sollte  sonst  aus 
dem  Roman  werden?  Wieder  einmal,  auf  8.  194,  gönnt  sich  der 
Verf.  Ruhe:  y^Ovidc  eaeceUe  ä  raconter  les  tempSf^s^  Ua  hourrcu^ 
ques  et  Üb  naufragei  de  Vamour;  ü  est  kabile  ä  naus  montrer  les 
Cent  miUe  peHts  drames  de  la  vingtihiie  anrUe\  semblable  au 
chasseur^  ü  est  ä  Vaffüt  du  sourire,  agiiant  Veventail^  et,  ^un  daigt 
empressi,  Stant  le  grain  de  poussihre.^  Zum  Beispiel  muss  ihm  eine 
8cene  aus   Comeille*s  Menteur  dienen,   wovon   er  behauptet,    sie 

sei  :    yfdle  est  prise  au  beau  miUeu  de  V Art  d'aimer,  eetU 

f^e  du  jeune  Dorante  ä  Clarisse.^  8.  195  ff.  Wer  sollte  es  be- 
zweifeln können?  —  y,Ce  grand  Corneille,  un  vrai  Romain  de  Rome, 
ü  savaU  Hre  aussi  un  bei  csprit  de  Versailles.  11  ä  fait  une  eomSdie 
intituUe sa  Suivante,  et dans eette eoniSdie il obiissaif  ä  ee conseü de 
l' Art  d'aimer/*  Nun  ist  natürlich  Nichts  mehr  zu  machen :  8.  198: 
„11  est  bien  aviri  que  dans  V Art  d'aimer,  le  charmant  poeme, 
Ovide  ensdgnait  aux  Romains  un  art  taut  nouveau,  qui  leur  etaü 
parfaitement  inconnu,  et  dont  le  poeme  ipique  ne  t^äait  pas  doyJU^, 
und  zwar  trotz  Mad.  Dacier,  die  schon  von  der  Qias  und  Odyssee 
dergleichen  behauptet  hatte.  Aber  Mad.  D.  hatte  Unrecht!  Der 
Dichter  weiss,  heisst  es  8.  203,  sein  Wort  in  hoc  puncto  zu  machen : 
y^Le  po^  sait  parier  avx  jeunes  femmes;  il  les  ealme  et  les  eon^ 
solCj  il  les  gmde  dans  touies  sortes  de  petiies  trahisons^  qt^eUes  eus~ 
sent  bien  devinies  sans  Uä^^;  z.  B.  was  die  Wahl  der  Farben  u.  s.  w. 
betriflPt.  „Ainsij  sagt  der  Verf.  8.  205,  dans  ees  trois  Uvres,  de 
V Art  d'aimer,  l'ingenua  manus,  la  main,  le  soufße  et 
Vesprit  cPun  komme  bien  ilevi  sc  fönt  seniir/^  und  damit  es  an 
Nichts  gebräche,  um  den  Comfort  zu  vervollständigen,  hatte  der 
Dichter  lieh  auch  bewogen  gefunden^  ein  Gedicht  de  medicamine 
faciei  zu  schreiben  8.  207.  ^Parmi  ces  enseignements  chers  ä  la 
jetinessCj  et  dont  eUe  a  gardi  le  Souvenir,  ü  faut  placer  le  char^ 
mant  traiti  des  Parfüms,  dans  lequd  itait  eontenu  le  secretdes 
toileUes,  ee  grand  art  des  fiosmiHques  pricieux  que  les  andens 
nvaient  poussi  si  loin ,  et  dont  nous  ne  sommes  que  Us  plagiaires^ 
dt^e  nos  essences  au  benjoin,  nos  eaux  virginaüs  ä  la  Dubarry^ 
noKpommades  ä  la  moelU  de  boeuf  Sehr  schmackhaft  modemi- 
sirtt^Der  Verf.  hat  sich  ziemlich,  wie  man  sieht,  in  die  Materia- 
lien säten  und  neuen  Datums  über  Toilette,  Kleidung  und  Bedien- 
ung u^esehen  8.  208.     Nur  noch  der  Heroiden  8.  210   wird 


J.  Janin:  La  PdMe  et  l^dloqueiice  k  Rom«.  445 

gedacht,  die  gleichfalls  eine  Erfindang  Orid's  waren.  Dann  nimmt 
die  Darstellung  des  Verf.  eine  ernstere  Wendung  8.  213.  Wir 
ahnen,  dass  er  den  Weg  nimmt,  in  der  Vereinsamung  und  den 
persönlichen  Bekümmernissen  des  Augustus  wenigstens  den  Grund 
SU  der  Ungnade  zu  finden,  worein  Ovid  hernach  fiel.  8.  217.  Vgl. 
S.  238.  „Auguste,  devenu  vUux,  itait  redevenu  le  iimide  Oetave. 
11  eonsuüaü  les  devins,  il  conntUais  des  oracles.^  S.  214.  und  so 
stehen  wir  in  der  Betrachtung  des  Lebens  Ovid^s  vor  dem  be- 
kannten Exil  im  Jahr  8  p.  Chr.  Vgl.  S.  225.  Er  musste  Abschied 
nehmen,  ohne  erst  noch  ein  bereits  Torbereitetes  grösseres  Gedicht, 
Zeuge  seiner  Hinneigung  zu  tieferen  Anschauungen,  zu  veröffent- 
lichen, jfll  avaü  ierit  V Art  d'aimer;  en  revanche,  il  venait 
d*a€hever  un  poSme  admirable  que  renfermait  Vhistoire  etUiere  de 
ces  dieux,  de  ces  hSros,  de  ees  croyanceSj  que  les  premkrs  ligis^ 
lateurs  de  Borne  avaient  empnmtis,  avee  Uurs  Uns  primüiveSj  ä  la 
Oreee.^'  Dies  waren  die  Metamorphosen,  die  er  erst  yon  Tomi  aus 
veröffentlichte,  in  deren  Verherrlichung  der  Verf.  mit  des  Dichters 
Verirrungen  versöhnt.  S.  217—223.  Er  hat  die  Ausdauer,  die- 
selben zu  zergliedern,  bis  zur  Apotheose  Cäsar^s  und  Augustes  hin- 
aus. S.  223.  „Malheurettx  I  ruft  er  zuletzt  aus,  Le  vieux  des/poU, 
Sans  aucun  motif  qu^ü  püt  avouer,  condamnaü  le  po^  ä  tous  les 
disespairs,  aux  IdeheUs  humüiantes  d'un  exil  sans  eonsolation  et 
Sans  dignit^.^  Diese  Verbannung  Ovid's  steht  als  eine  Ausnahme 
von  der  Regel  unter  Augustus  da,  und,  wie  wir  dem  Verf.  ein- 
räumen, als  ein  Vorspiel  zu  den  nachmaligen  grundlosen  und  namen- 
losen Verbannungen. 

„Exiler  Ovides,  so  sagt  der  Verf.  im  vierten  Abschnitte 
S.  225,  et  jeter  ses  fondres  s<ntdaines  sur  eette  tite  innocente,  ü  y 
avaü  lä  tout  un  mysthre,  et  ee  mysth'e  est  resU  ä  la  Charge  de 
Vempereur  Auguste;  ü  est  rest^  une  aceusatUm,  sans  r^lique,  ä 
cette  renomtnee  extraordinaire  en  Umtes  sartes  d'excht  Vexeis  du 
fiui/,  Vexe^  du  bien;  exch  dans  ia  honte,  exehs  dans  la  gloire  ..... 
et  finir,  en  se  vantatU  soi-mime  „d'avoir  M  un  hon  eotn^dien!" 
Es  ist  eine  bekannte  Sache,  dass  die  Verbannung  den  Bürger  elen- 
der machte,  als  den  Sclaven,  weil  selbst  das  Asjlrecht,  das  der 
Letztere  besass,  ihn  nicht  schützte.  8.  226.  Nun  begreift  man  den 
Ton  in  den  Elegieen ,  die  Ovid  schrieb  S.  225 :  „Dans,  ces  Um- 
ehant4:S  e'Ugies  qui  eonsaerent  les  mish^es,  les  ehagrins  et  VahjeetUm 
de  son  exil,  que  d^angoisses,  douleurs  raeontSts  par  Ovide;  douleurs 
dont  V^eho  est  venu  jtaqu'ä  nous,  des  conßns  du  monde,  en  tra-^ 
versant  la  Borne  imperiale,  abjecte  et  prostem^I  Sieben  Seiten 
eingehender  Erörterungen  über  diese  traurige  Katastrophe  in  seinem 
Leben  und,  wie  sehr  sich  der  Verf.  wundem  muss  über  den  ängst- 
lichen Freund,  der  anonym  seinen  Briefwechsel  vermittelte,  ebenso 
sieht  er  sich  genöthigt,  den  Muth  und  die  Ausdauer  derer  zu  be- 
wundem, die,  gegen  die  Verworfenheit  der  Spione,  den  Verbannten 
in  Schutz  nahmen:  Maximus  Cotta^  Bufinus  undGräcinus,  ein  alter 


44ft  ^.  Jüiiia:  La  B^to  et  P^tMftoe  k  &6mft. 

Freoad  Mttcen*8«  8.  244.  Alle  An8trengong«n ,  die  gemaclLi  war* 
den,  um  OYid's  Bttckkehr  zu  erzielen,  sind  Tergeblich  geweseiL 
8.  235«  Er  hat  sogar  Tiberius  geschmeichelt,  was  dem  Verf.  unbe» 
greiflieh  vorkommt.  S.  236  ff.  Es  hat  Ovid  an  Etwas  gefshlt,  aa 
4er  Grösse  im  Unglttok.  S.  287.  Er  ist  in  seinem  Yerbaammgsorte 
gestorben,  und  ein  Gete  hat  es  sein  sollen,  der  ihm  eine  Qrab*- 
Bchrift  setzte.  8.  287. 

Wir  wftr^  hier  zu  Ende,  insofern  mit  dem  Tod  die  Wirk- 
samkeit des  Dichters  aufhört.  Aber  der  Verf.  glanbt  sich  yeran» 
lasst,  noch  ein  besonderes  Faktum  nachzutragen,  ohne  das  viel- 
leicht die  VerbaanuBg  Ovid*s  lebenslänglich  gewesen  wäre.  Näm- 
lich ein  Individuum  von  der  Sorte,  woraus  später  die  Spione  ge- 
nommen wurden,  wagte  es,  auf  den  Umstand  hin,  dass  Ovid  exul 
war,  seine  Frau  zu  insultiren.  Diesem  hatte  der  Dichter  diese 
Schande  angeheftet,  und  durch  die  Benennung  Ibis  füx  immer  ge- 
ächtet. Wäre  Ovid  zurückgekehrt,  so  wäre  es  um  diesen  Elen- 
den gesehehen  gewesen.  Daher  zettelte  dieser  dooi  Dichter 
die  fortgesetzte  Verbannung  aiL  8.  288.  Einem  solchen  Elenden 
gegenüber  hätte  Ovid  nun  erst  recht  Muth  behalten  sollen.  Es 
ist  glaublich,  dass,  wenn  er  gewusst  hätte,  dass  die  VerzQgenmg 
seiner  Erlösung  durch  jenen  Unseligen  bewirkt  wurde,  er  doch  zu- 
letzt den  Hof  und  seinen  ganzen  Anhang  verachtet  haben  würde, 
weil  derselbe  den  Angaben  eines  Verworfenen  gefolgt  war.  S.  289. 

Im  Ganzen  genommen  hat  der  Herr  Verf.  stellenweise  mehr 
in  diesen  Studien  über  Ovid  gesagt,  als  er  verantworden  kann. 
Doch  wie  vollkommen  wieder  Manches  darin  befriedigt,  so  ist  am 
besten  der  Schluss  ab  schnitt,  als  solcher  bestimmt,  die  Neu- 
gierde der  Nachwelt  in  Betreff  des  ewig  Weiblichen  in  dieser 
Sache  zu  befriedigen,  indem  er  eine  Kaiserin  an  das  Grab  des  Ver- 
bannten führt,  die  Zarin  Katharina,  und  sie  Thränen  an  seinem 
Grabe  weinen  lässt.  Diese  Thränen  scheinen  beetimmt  gewesen  za 
sein,  die  Sühne  nachzuholen,  im  Namen  der  Geschichte,  da  das 
Staatsoberhaupt  Bom's  kein  Ohr  dafür  gehabt  hättet 

Hätte  sich  der  Veil  für  seine  Abbandlungen  und  ihren  Gegen- 
stand an  die  Zeitfolge  gebunden,  so  müsste  jetzt  Petroixus  an  die 
Beihe  kommen.  Aber  er  hat  zuvor  behandelt:  iffPUfu  le  Jeune  tt 
QuintUieH'^^  und  wollen  wir  denn  nun  zur  Besprechung  dieser  Ab- 
handlung als  der  dritten  übergehen:  PUnias  der  Jaageic  lad  ^ninll- 
lianl  8.  248 ff. 

Er  beginnt  mit  Lobsprüchen  auf  Bom*s  Mission  für  die  Bil- 
dtmg,  niehit  ohne  den  Wunsch,  seine  Nation  als  die  Erbin  der- 
selben zu  betrachten,  und  zwar  auf  seine  Mission  fClr  die  gramma- 
tische Wissenschaft,  von  der  QuintUian  sagte  (I,  4)  sie  aci  ^iucunda 
amäms,  dttUis  woretorwn  eomes^,  und  die  in  der  That  eine  Vor- 
schule für  die  Bedekusst  war,  dieses  stolzeste  Nationalgut  der 
alten  Römer*  Unter  den  ersten  Berühmtheiten  in  dieser  letzten 
Beziehung  rangirt  PUnina  der  Jttngeie,  der  beste  Freund  des  Tacitns 


3.  Janlas  Im  FoMe  et  t^^oquone«  li]i«m«.  M 

und  der  befite  Schüler  Qtuntiliaiis.  8.  276.  Dmr  V«rfa8se^  fasst  auf 
einigen  Seiten  das  Bild  von  dem  dttsteren  Zustande  der  Literatur 
unter  Domitian.  8.  247  ff.  Mit  diesen  Betrachtungen  bereitet  et 
auf  das  Auftreten  des  Plinius  als  auf  einen  wohlthätigen  Umschwung 
▼or  8.  249.  Ich  brauche  nicht  zu  Tersichem,  dass  er  dieGeburts^ 
statte  des  Flinius,  die  Gegend  des  0omer-8ee*B,  mit  allen  einem 
Roman  gebührenden  Farben  yeransohaulicht  8.  250,  ebenso  die 
Landhäuser  daselbst  8. 253  ihre  innere  Einrichtung  8.  255  u.  s.  w. 
Mit  der  Person  des  Plinius  fängt  er  an  erst  8.  257  sich  zu  be^ 
schaffcigen. 

Von  Comum  nach  Bom  gebracht,  lernte  er  dort  in  der  Schule 
des  berühmtnn  Quintilian  die  Redekunst.  8.  257.  Er  schildert  was 
es  mit  diesem  Meister  auf  sich  hatte,  und  mit  seinem  berühmten 
Werke,  der  Instütitio  oraUnia^  von  dem  er  eine  flüchtige  Vor** 
Stellung  gibt  S.  259—265,  und  die  er  die  Ausgangsst&tte  der 
üniTersitftten  nennt.  y^Et  voilä^  so  urth^lt  der  Yerftisser  8.  266, 
conrment  Vesprit,  la  probü/j  la  scimce  <iu  Uvre  de  QuintiUen  an 
vdtU  sur  len  ghUraÜon»  pasaies,  qui  mrveitteni  ä  cette  heure  Um 
ghUratUms  pr^entes;  fUimbtau  du  goüt  que  parierant  en  avant  Üb 
ginSraUans  ä  venir.^  Drum,  meint  er,  dürfe  man  den  Lehrer  vom 
Schüler,  Plinius  von  Quintilian  nicht  trennen  d.  h.  also,  wie  der 
Verf.  es  hier  thut.  Einige  beigebrachten  Briefstellen  geben  Zeug"- 
niss  von  der  Hingebung  des  Schülers.  Quintilian  selbst  muss  im 
Leben  die  Eigenschaft  besessen  haben,  welche  fesselt,  der  milde 
Ernst  (Za  douce  gravit^J!  Der  Verf.  erwähnt  dann  noch  anderer 
Lehrer  des  Plinius,  des  Eukrates  z.  B.  8.  268,  des  Spurinna  8.  269 
n.  m.  A.  Besonders  gern  hat  Plinius  nachmals  des  Philosophen  Arte^ 
midorus  sich  erinnert,  eines  Jugendfreundes,  den  das  bekannte  Edikt 
Domitian  aus  Rom  verbannte.  8.  274.  Er  ist  nachmals  auch  dem 
Dichter  Martial  zum  Wohlthäter  geworden,  indem  er  ihm  behülf- 
Hch  war,  wieder  nach  Spanien  snrückzukefaren.  8.  275.  So  erwähnt 
er  noch  des  Senator  Licinius  und  des  Geschichtschreibers  Famiius 
S.  275.  276  und  zuletzt  seines  Oheimes  Plinius  des  AeHeren  8.  278  ff,, 
bei  dessen  Todesscene  er  selbstredend  verweilt.  Er  würdigt  ebenso 
seine  Bedeutung  als  Schriftsteller  (Biograph  xmd  Naturforscher) 
S.  284  und  lenkt  dann  wieder  in  den  Weg  ein,  um  Plinius  zu 
verfolgen.  j^Tel  Aait,  so  resumirt  von  8.  285:  le  maüieur  des 
temps;  ees  rares  et  g^n&eux  eourages  h'navaient  guhre  que  des  tyran- 
nies  ä  atiendre^  et,  pour  le  soülagement  passnger  de  ees  tyrannies 
pesarUes,  deux  au  trais  bans  princes  qui^  dans  les  mtervdUes  Clements, 
venaieut  ealmer  ees  irrUaüans  et  ees  rmshres.  TrtnU-neuf  meurires 
seulement  jusqu^ä  Taeüe,  dans  la  maisan  des  Cisars!  Oest  rare  et 
beau  cependant  de  voir^  dans  le  courani  de  ees  misires,  VieoU  de 
QuintiUen  s^aüacher,  sans  reläche,  aux  sinehres  et  dangereuses 
majestA  de  la  parahJ^  8.  285.  Dieser  Verf.  zeigt,  wie  die  Römer 
das  Verlangen  hatten,  zu  Allem  Fähigkeit  zu  erwerben,  voraus- 
gesetzt, dass  es  gut  ist,  z.  B.  durch  die  Rede  zu  gefallen.    Dies 


446  J«  Jaiiin:  L»  PoMt  «t  l^^oqnenee  JtBomei 

erwirbt  man  dttroh  die  Beredsamkeit ;  ihre  Erlangnng  ist  aber  an  ein 
ganzes  Bepertoire  von  rhetorischen  Gemeinplätzen  gebunden,  und 
dann  kommt  es  zuletzt  auf  das  genu8  eloquendi  an,  ob  demondra- 
tivnmj  oder  deliberaüvum  oder  ütdiciariutn,  S.  289.  Dieses  Thema 
verfolg  der  Verf.  mehrere  Seiten  hindurch,  und  schliesst  es  mit 
einem  Bericht  über  die  Plaidojers  yon  Plinius  und  Tacitus  in 
Sachen  des  Proconsul  Marius  Priscus,  S.  299  £  Immer  nahm 
Plinius  Bezug  auf  die  Aussprüche  seines  Lehrers,  und  er  that  wie 
dieser  lehrte.  „U^loquencej  düaü  Quintüian  (X,  IJ,  se  compose  de 
irois  eho8e$,  :  lire^  ^crire  ei  parier;  trois  choses  ins^arabU»  ä  ce 
p4nnt  qu€,  ceUerd  n^giig^e,  le3  deux  autres  vont  manquer  par  ce 
faif,^  Auch  Plinius  las,  sprach,  studirtel  Er  kam  zum  Studium  der 
Geschichte,  und  wusste  nicht  wie,  und  folgte  den  grossen  Vor- 
gängern, „qtdj  les  premiersy  avaient  dibrouHle  les  origmes  üaligues 
ei  Venfanee  des  premiera  peuphs  latins.  San  amili^j  um  mit  dem 
Verf.  S.  303  ^fortzufahren ,  pour  ee  grand  tragSdien  qt^on  appeüe 
Tacüe,  968  liaisons  avee  Suäone,  le  Dangeau  funibre  du  paiais  des 
C^aarsy  J^inUrit  immeme  des  ^vh:emenU  ei  des  komme» ,  seulemeni 
deptds  AcHum,  le  conseil  de  ses  amis^  ei  eette  admirable  fa^on  de 
proionger  son  nom  dansVavtnir,  toutleporiaii  ä  ceUe  üude  severe: 
ffJe  n'ai  jamais  mieux  senii  que  ees  jours  passis  la  farce^  la  hatdeurj 
la  majeste,  la  divinüe  de  Vhistoire.^  Die  folgenden  Seiten  enthalten 
eine  üebersicht  über  die  Erfordernisse  zu  einem  guten  Plaidoyer. 
„Taus  ces  beaux  düaü»,  heisst  es  dann  S.  311 ,  vous  mctdreni  ä 
qttels  serupiUes  t^abandannaieni  ces  ezcellenis  arUsans  de  la  parole^ 
quelU  iiaU  Uur  crainte,  leur  retenue,  leur  aiientiansur  eux-mimee; 
de  guels  p&ils  üaii  eniouri  le  maindre  ouvrage  offert  au  public, 
ei  commeni  iU  s^essayaieni  ä  plaire  ioujours,  ei  ä  toui  le  monde/^ 
Worin  sind  die  Perioden  Oicero's  und  des  Plinius  verschieden? 
„Respeci  ä  la  plume!  disaii  Cic^ron.  —  Respect  au  public  i  disaU 
Pline/^  Woher  diese  Umwandlung?  j^Le  public  I  fährt  der  Verf. 
S.  312  fort,  ^SlaU  un  roi  »ans  appeL  ün  ^crivain  de  iragidies 
(er  meint  Pomponius  Seeundus),  quand  ses  amis  disapprouvaiefU 
guelque  schie  qu'il  leur  Ikait  en  peiU  comU^t  —  Ten  appeüe  au 
peupUj  s^Scriait  ü.  Popülum  provoco.  Le  peuple  des  oeuvres  chaisiee 
de  Pline  Üaü  une  assembUe  de  gens  hcmorables,  honoris,  qu^ü  esiin 
maii  siparimentj  äutani  qu'ü  les  redouiaü  quand  ils  üaieni  riunia 
— -  C^eei  Pline  ou  c^est  Moniesquieu  qui  appeüe  les  plaisirs  de 
Vesprü:  des  biem  sodaux.^ 

(BcUiiSB  folgt) 


Tl.  29.  HEIDELBERGER  1806. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

J.  Janin:  La  Poesie  et  Moquence  h  Borne. 

(BoUiiM.) 

Nach  dieser  Vorf&hnmg  des  Wirkens  des  PUnias  als  Bedner 
kommt  der  Verfasser  S.  314  auf  seinen  Aniheil  an  der  Poesie  zn 
reden:  „Quatd  ä  la  partU  poiUque  de  cetU  vie  labtnieuu,  ü  m€ 
sembUj  M  nmt»  en  jugeam  par  quelque$  Schaniiüona  peu  remarquablei, 
gt/ü  ne  faul  gtUre  rtgreUer  le$  vera  de  Pline;  üa  vaUnt,  ioui  au 
pius.  Je»  ver$  de  Cidrcn  Im-mimeJ'  In  dieser  Beziebmig,  wo  der 
Beruf  fehlte»  machte  ein  guter  Bath  entschuldigen,  ^om  avfme 
vu  que  Quisaüien  eoneeüie  la  po^eie,  comme  un  d^Uueement  exeeUenl 
dPaü  fw$  poetes  ani  eancluj  par  une  fletion  peu  poeUque^  qi^ü  tly 
aiümt  pae  de  plus  eür  moyen  de  fr^quenUr  les  poetee  que  de  h  faire 
poele  ä  $an  Umr.  De  lä  tont  de  petUe  vers,  ^ehappü  ä  faieiveU  de 
tont  de  grande  hommes.^  Bekannt  ist  die  Thatsache  dichte- 
rischer Erzeugnisse  des  C&sar,  Augustus,  Mäcen»  Nero  selbst.  Nun 
folgt  wirklich  eine  Besprechung  der  Plinischen  Hendecasjllaben. 
8.  317.  Das  erste  Capitel  war  Studium  und  Praxis  in  der  Bede* 
knnst  als  Yertheidiger  gewesen,  das  zweite  die  Poesie.  »Das  dritte, 
gegenwärtige,  handelt  von  seiner  Thätigkeit  als  Ankläger,  Staats- 
anwalt würden  wir  sagen.  S.  322.  Das  Lob,  was  Plinius  hier 
verdient,  hat  er  von  dem  Yerfuser  gespendet  erhalten.  S.  328. 
Was  Plinius  hier  leistete,  übertraf  den  Freimuth  des  Tacitus  und 
JuTcnal,  insbesondere  den  Spionen  gegenüber,  die  bis  dahin  Niemand 
gewagt  hatte  anzugreifen.  S.  330.  Eühu  trat  er  auf,  und  nannte 
selbst  Helyidius  seinen  besten  Freund !  Zum  ersten  Mal  lernte  Bom 
aufiathmen,  und  sich  im  lauten  Yerurtheilen  des  hassenswttrdigen 
Gewerbes  üben,  unter  dem  Fluche  und  den  Verwünschungen  seiner 
Zeitgenossen  vegetirte  und  verwendete  z.  B.  der  Spion  Begulus. 
8.  331.  Mit  dieser  Erinnerung  wagte  Phnius  seinen  Panegyricus 
auf  Trajan  einzuleiten.  S.  331.  Beim  Grabmal  des  Pallas  hören 
wir  Plinius  in  Entrüstung  gerathen  über  eine  unverdiente  Grab- 
schrift  S.  332  fr.  Hierin  zeigte  sich  Plinius  ab  Bömer,  S.  337, 
depn  er  liebt  den  ächten  Biäm,  nicht  den  geschminkten.  j^A  ioui 
prapoe,  ä  ehaque  imtatU  de  9a  vie,  ü  vom  dira  qu'ü  aime  la  gUnre 
avee  paeeion,  avee  füreur!  La  gloire,  ä  eon  eompte,  eet  voiiine  de 
fmnmorkUiU  de  tdme^  ü  ne  eaü  pae  dfautre  fa^on  dtHre  immortel^ 
que  SHre  un  homme  glorieux.^  S.  341. 

Der  Verf.  kommt  auf  seine  Freunde  zu  reden ;  das  würde  das 
vierte  Kapitel  sein,  wenn  er  es  für  gut  befunden  hätte,  es  in  Kapitel 
LYm»  Jahif.  6.  Hefl.  29 


460  J.  Janln:  t*  Po^l«  et  l^U0qtl««^e  IkRom«. 

einzatheilen.  unter  allen  Frenndschaften  nehmen  diejenigen  die 
erst«  Stelle  ein,  wdohe  der  Glanz  des  G^nie^s  xmd  des  Hutlies 
knüpft.  Did  Freundschaft  zwischen  Plinius  und  Tacitns  datirt  seit 
ihrem  Zusammentreffen  im  Schulsaale  des  Quintilian,  der  die 
Freundschaft  unter  seinen  Schülern  gelehrt  hatte,  „eomme  une 
garatdU  de  ^qivenirj*  S.  S4&.  Es  gibt  Briffe  zwischen  Beiden, 
die  hierauf  l^^tag  habön,  und  &ls  Muster  ihrör  Gattung  yerdienen 
angesehen  zu  werden«  S.  848.  Auffallend  ist,  dass,  während  Pli- 
nius den  Tacitus  bittet,  ihm  eine  Stelle  in  seinen  Annalen  zu  geben, 
der  Historiker  diese  Bitte  zu  erfüllen  versäumt  zu  haben  scheint. 
8.  B47.  Eine  einzige  Erinnerung  an  Plinius  aus  der  Fdder  des 
Tacitus  enthält  ein  Brief  des  Letzteren  unter  der  Flinischeü  8amm<^ 
lung.  S.  848.  Ein  Pendant  hiezu  ist  die  Oitirbettelei  an  Lucceius. 
der  eine  Geschichte  der  Verschwörung  des  Gatilina  schreiben  wollte. 
8.  849  ff. 

In  detn  Kreise  der  Freunde  tritt  auch  Sueton  S.  851  auf,  „ee 
tedmOable  $SerSMr6  de  Tefnpereur  Jdrien,  qui  deottU  ScHre,  etvee 
wie  fuaoeU  iangfanU,  fhigMte  den  plus  ctudlts  tyrann(e$  de  Rome.^ 
Durch  einen  seiner  Briefe  hat  Plinius  diesen  in  den  Augen  der 
Nachwelt  zu  einem  Traumdeuter  gemacht.  Wie  sollen  wir  uns  der- 
gleichen kleinliche  Wünsche  erklären?  Der  Verf.  gibt  S.  858  den 
AulsChluss  mit  den  Worten :  „Dana  eee  IMree,  oü  brÜU  le  eoin 
tf ttn  ptäHd  iefhain  gut  ae  eöinpläU  out  gräets  de  la  parole,  prdce» 
^Meu^ee,  grätee  li^^rte.^  In  der  Folge  wird  uns  noch  das  Ver« 
httltftiss  dee  FHnius  t&,  seiner  Familie,  insbesondere  zu  seinen 
Frtmen  (Gratia,  Qaadrantilla)  beschrieben  8.  854 ff.,  sowie  die 
Schicksale,  die  seine  Erinnerung  bei  der  Nachwelt  erlitten  8.  868. 
Schliesslich  ermahnt  der  Verf.  seine  Leser  B.  878:  ^^J^tonnez-tTotis 
ttusH  que  le  phts  grdnd  prateur  du  rigne  de  Trajan^  iblotci  de  tont 
d)$  Hd&iree  ä  de  hiefweiHanU  gnmdeur  raeonte  ä  f€Kvemr  les  m er- 
i^eühs  de  te  r^t  dMn!  tl  fand  dire  eda  ä  la  louange  dt  f&o^ 
quenee  tomaine:  eHe  ^aü  rtsüe  la  plus  digne  r/eompen»e  gut  $e  piä 
aeeördet  A  ht  gMre,  ä  la  vertu.''  Es  gab  schon  eine  panegyrische 
Literatur  8.  880,  und  jetzt  wartet  ein  Gegenstand  des  Enthusiast 
mus  auf  seine  Yerherrlichung.  S.  880.  Wie  jener,  so  muss  auch 
diese  ein  Ereigniss  sein  8.  888.  Man  wird  beim  Lesen  des  Pane- 
gyrions  mit  Achtung  für  den  Yerfesser  (Plinius)  erfüllt.  Er  ist 
das  Vonendetste,  nach  der  Meinung  des  Herrn  J.,  was  aus  dem 
Kopf6  dee  Plinius  hervorging.  8.  885.  Herr  J.  spendet  Pliniua 
Wehes  Lob.  8.  886.  Sehr  einleuehtend  ist  das  Argument,  dass 
jedes  Lob  in  dem  Pftnegytieus  eine  Ankhige  gegen  die  Vorgänger 
Träfan*s  Ist,  vcn  mef  angefangen  bis  auf  Nero.  8. 889.  Abo  hat 
es  doch  eine  Revanche  gegeben!!  Denn  nicht  sowohl  das  Glttck, 
ah  die  Persönlichkeit  (äme)  Trajan*s  ist  die  Voraussetzung  der 
Lobrede.  „Catmd,  et  rieUement  eonsul  par  la  bienveülance  de  7Va- 
pm,  PH^e  poutrait  dire  ä  son  tottr,  comme  Virgüej  dann  Vighgue  ä 
potftün:  Non  iniussa  cano;  lui^mhneü  t^hen&re  m  ed  doge  gut  hd 


J.  Jaiiift;  hk  Po^eto  «I  fH^qMiiM  H  Soale.  411 

demMOaÜ  M  mmid«  «nji^,''  B^  390.  DAher  nfthm  Tri^ttfi  4lai4n 
PüttegyriM«  mit  Huld  «ntg^fi.  8.  891.  j,Dmn$  $a  $agem^  ü  fr^UM 
^e  M  €0iina  rat^o«  OMMr  dtgtiimml  t^ui  pwit  qu*a  m  fit  Hm  em- 
90a  et  pour  ^'a  rsMt  iön  ämt^  Didde  Sokrift  mwi»  deit  lidMs 
sn  eiMt  Ctfn^Bpond^m  «wis^bett  d«iii  K^iMV  »d  flittiUB  dar  ^ 
IMto  Mit  dor  Y«r#iatiiilg  Bithylil#ng  lad  do»  P^tttllB  bMiAtMt 
Wtird«.  D^  VMf.  t«tW0ili  b«i  dieMtt  ftttfUli  AbMlddM«  8.  8il, 
verweist  auf  die  Briefe,  welche  die  Aufmerksamkeit  des  P^Bttliers 
verdient,  indem  sie  glelohsam  «ine  Oeeekichte  der  kais^rliehen  Cen- 
tnülsatioti  büdett  6.  S94.  MerktrOtdig  IM  die  Bewoadenuig,  die 
der  Verf.  der  PerMm  trajan^cf  tollt.  8«  995i  Br  enrahnt  dam, 
wie  Plinitis  ^etfct  ans  Bitbyniett  naob  Bom  sMtttokkebrte,  kSer  dar 
Wissensobaft  imd  den  Kttnsten  lebte,  und  andlieh  eeine  Hebnath 
Cömum  wieder  aofimcbte.  8.  896«  Plinius  starb  sieben  Jaltt«  vor 
seinem  kaiserlichen  Freunde.  8.  898:  j^au  tnoment  oä  fSvttkgvU 
$uH8€(Hd  t>&HaU  dTaee&mplir,  däm  l€$  öataeombeä  tt  däm  Üb  mtppHr 
eev,  le  premier  iUeU  de  ces  dMn$  eombaig  döfU  ta  paime  OmU  tfu 
OapUöle^  ^Mmd  h  tt3n9  de  saM  PUrre  $eru  ditmi  mtr  VMM  «*avi- 
i^sfs^  d»  JupHer  Cap^iölin,^  leb  mute  diese  Stelk  dattun,  waü  sie 
noch  kam  voy  dem  Sobluss  niebt  blos  einen  sedistea  odef  ietaten 
Abeohttlttbeginttt>  sondern  auch  dia  Methode  des  VeiftMiet«  dnr A- 
Mieksn  l&sst,  aneinftudersureiben»  Denn  jetat  wird  die  AniMit 
aittg^söhobent  welche  Plinins  von  den  Christen  gdkabt  bat^  nnd  die 
bekannte  CorrespondenK  swisohen  ihm  und  Trajan  (X,  97«  9Ö). 

Wobltbnsnd  iert  das  Oeftihl,  dem  der  Ver&  gebebt  wird^  tind 
das  anch  wir  haben,  dass  Rom  durch  seintn  f  aÜ  gelehrt  Wötden 
lel,  Btt  begreifen:  j^que  ee  n'eetpüe  la  fertune  qid  feuveme  lem9nde, 
med»  la  Preptdmee*^  8»  899. 

Wir  sind  beim  Bnde  dieser  Abbftndlnng  adgakommMi:  Lee 
dienen  eeni  parHa!  8eUl  eH  dieu  le  Dieu  fui  ttäüblUnuMre  et  Mth 
imit  mr  lee  nnnee  dt  eee  iyramdee  H  de  em  tffraneF 

£s  ist  ftlr  den  Leser  su  bedauern,  dass  der  Verfasser  nicht 
auch  hier,  wie  in  den  vorangegangenen  Abhandinngen  aber  HorAs 
und  Ovid)  Abtheilungen  angebracht  hat. 

üeber  Quintilian,  dessen  Iftelüuiiö  otal&fia  tfwar  hinreichend 
gewürdigt  ist,  sind  doch  mehr  Materialien  vorhanden,  als  wir  bai 
unserer  gewies  nicht  fittebtigen  Lektüre  vorgdb&den  haben«*) 

Und  dann  beklagt  der  Verf«  gegen  den  8chlnes  hin  (S#  89&) 
däi  fi!r  Bom's  Mission  so  Mhe  Vordringe  der  Barbaren  $  ieh 
giaabe»  dass  er,  bei  seiner  Entrostung  ftber  die  Btugnation  und, 
die  dadurch  bedingte  Abnahme  der  Kraft  im  B&mieehen  Natlcmat'- 
geieie,  nnd  bei  seinem  Glauben  M  die  Ifission  des  Christenthunie, 
jsMs  Tordaringen  en  so  lirtiier  Zeit  iü«sht  bednnem  kntttt#  Dieees 
Eindringen  hatte  zweierlei  zur  Eolge;  erstens  war  ee  bestimmt, 
der  Bevorzugung  Bom's,  aa  der  Spitae  der  Völker  zu  stehen  y  die 

•)  8.  Sueton's  BcMtfttta  Remer  ü,  1^  ed.  D, 


1 


4M  J.  JftBia:  La  Potek  et  f  Adqnsnca  k  Brnna. 

Bedeutung  eines  Privilegiums  zu  nehmen:  Dieses  hat  Thierry  in 
seinem  TäbUau  de  t Empire  yom  Standpunkte  der  socialen  Ideen 
und  des  Fortsohrittes  der  Civilisation  yortrefPUch  verstttndlioh  ge- 
macht.*) Zweitens  aber  sollte  jener  Bttoktritt  Bom's  von  seiner 
Mission  das  Emeuemngsbedttrfdiss  zum  Bewusstsein  bringen,  dem 
dann  die  chxistliohe  Religion  mit  ihrem  Geiste  sittlicher  Origina- 
lität abzuhelfen  bestimmt  war,  das  alte  Rom  in  ein  neues  um- 
wandelnd. 

Jetzt  kommt  die  yierte  Abhandlung  — :  Petraae  et  leSaljii- 
rea*  Sie  beginnt  mit  der  Erinnerung  an  die  Einäscherung  Bom's 
durch  Nero,  wobei  fOnf  Quartiere  im  Süden  der  Stadt  zu  Schaden 
gingen«  und  die  einer  Art  Hinmorden  gleichkam,  als  sollte  Oaligula's 
Wunsch  in  EifCQlung  gehen.  S.  404.  üeber  diese  Zeit,  wo  Solches 
geschehen  konnte,  ist  das  beredteste  Document  das  Satyrieon 
Petron*s  S.  405**),  wovon  der  Verf.  behauptet,  dass  es  Alles  in 
Allem  ist,  Roman,  Geschichte,  Satire,  Comödie  und  Tragödie,  wo- 
mit er,  malgri  lui,  vielleicht  die  Geschichte  jener  Zeit  sich  durch 
sich  selbst  vemrtheilen  lässt  S.  406,  indem  er  von  der  bekannten 
Stelle  bei  Tacitus  (XYI,  17  ff.)  prädicirt,  dass  sie  auf  den  Petro- 
nius  .des  Satyricon  gehe  S.  408,  und  dass  darunter  ein  junger  Römer 
zu  verstehen,  der  die  Schulen  von  Grammatikern  und  Rhetoren 
passirt  habe,  und  nach  Rom  kommt,  „pour  y  eherch^  forUuu.  Ce 
jeune  komme  a  comprii  de  bonne  heure,  et  meme  mr  les  batnee 
de  fieoUf  que  la  rkdorigue  eet  une  prande  vanMI^^  Die  Proben^ 
die  der  Verfasser  gibt,  zeigen  die  Folgen  der  üeberkultur,  die  da«-  * 
mals  herrschte  S.  409 ff.,  den  Hang  zum  Müssiggang!  Auf  das 
Beispiel,  das  Petron  von  Jung^Rom  gibt,  folgt  ein  Beispiel  ans 
der  Sphäre  der  vorgertlckteren  Altersstufe  (an  Trimalchio)  S.  412  ff. 
Und  was  hierauf  bezügliches  bei  Petron  zu  lesen,  ist  dictirt  von 
der  Einsicht  in  die  Verzweiflung  aller  Edlen:  ^jP^irane,  heisst  es 
S.  418,  est  un  aeeptique:  ü  ne  enrii  plus  ä  rien  depuis  qt/^ü  ne 
eroü  plus  ä  la  UbtrU  romaine.  Que  Rame  meure  aujimrd'hui  ou 
demain,  qt^elle  expire  som  N6r(m  ou  qu'elle  eoit  morte  eous  Tibire, 
qufimporie  ä  Pürwie.^  So  haben  die  gnädigen  Herrn  in  Florenz 
sich  ausgedrückt,  unter  dem  Einflüsse  der  entnervenden  Muse 
Boccaccio'sl  Wir  können,  an  unsere  Schlussworte  zur  dritten  Ab- 
handlung anknüpfend,  sagen,  dass  solche  gesellschaftliche  Physiog- 
nomie regelmässig  eine  Zersetzung  ankündigt.  Mehr  als  bisher, 
trägt  die  Sprache  des  Ver£  den  Charakter  der  Emotion.  S.  414. 
Er  entsetzt  sich  über  die  Auftritte  beim  (Jastmahl  Trimalchio's 
8.  415,  und  es  hat  den  Anschein,  als  ob  er  für  seine  Vorstellung 
die  Parallele  vom  Jahr  1789  anrufen  wollte.  Dann  wäre  Petro- 
nius*  Darstellung  das  Vorbild  La  Mettrie*s.    Die  beredte  Schilde- 


*)  B.  unsere  Anielge  von  Thlerry's  TabL  in  den  Hddelberffer  Jahrbb. 
1864.  No.  67.  * 

**)  8.  unsere  Ansetge  von  Chauvin's  Romanciers. 


J.  JabIb:  Im  Potete  el  fAoqveBae  I  Brnne.  4M 

mng  des  CkustmahlB  bei  ihm  nennt  der  Veif  .  eine  Leiehenrede  auf  die 
rOmisehe  OeBellsehafk.  8.  416.  Er  yerweilt  bei  den  Details  8.  417 
n.  8.  w.  Wftre  Trimalchio  nicht  das»  was  er  ist,  so  müsse  er  Don 
Jnan  sein :  h  pauvre.  (8.  Moli^re*8  D.  J.)  Mit  Becht  hat  der  Ver£ 
es  als  ein  Kaleidoskop  Ton  allen  literarisohen  Ckittongen  bezeich- 
net; denn  er  bedauert,  dass  Petron  Torgessen  hat,  die  Akte  nnd 
Scenen  absntheilen,  was  aber  nicht  schwer  sein  dürfte  nachzuholen. 
S.  422:  „Aifui  PHrone,  en  sa  eomidie  au  pur  $el,  vfoübUe  pa$^ 
dam  tautes  ee$  dieadenca  et  dans  iouies  eea  tnMres,  de  ngnaier  la 
tnU^e  des  arte,  la  d^eadenee  du  goüty  earrupHons  de  Ve^nit,  ^ 
iiennefit  ä  iautee  le$  carrupiions  du  eoeur.^  Die  Parallele  zwischen 
Petronius  und  Juvenal,  wozu  er  sich  yeranlasst  sieht,  ist  interes- 
sant. 8.  428:  Juvenal  nmis  raeonte  un  de  ces  hcrriblee  fesUns  aü 
U  iride  cHeni  d'un  sinaUurj  placi  au  hae  html  de  la  tabU,  manpe 
en  soupiratd  un  pain  dur,  a^ahreuve  avec  dauleur  d^un  vin  frdaU;  ü 
nebüU  paa  la  mimeeau  que  lemaitre.  PHrone  td  phte  ierribU  que 
JuvSnäl:  ä  wn  ewwive  tneulU,  Pänmne  difend  mime  la  plainie. 
En  vom  ce  pauvre  diable  t^^erieraU  qu^ü  e$t  himime  Hbre  ei  gu'ü 
a  poff/  mUle  deniers  la  Kberi/  de  sa  femme,  pewr  qt^dle  ne  servU 
d^eseuie^main  ä  aon  maUre  (ne  gme  einu  ÜHue  memua  tergeret).  A 
porte  le  müerable  qui  ee  planäl  ä  la  porte!  Un  Mte  ei  ginirmui! 
Que  Wed  ü  aueei  paHent  que  favoeat  Agamemnon!^  Wie  sehr  das 
Satyricon  seinen  Namen  rechtfertigt,  bestätigt  die  ganze  Darstellung 
des  Gastmahls  bis  auf  das  Schlussgebet,  welches  noch  8pott  und 
Ironie  ist.  8.  424.  und  das  Dessert  krOnt  erst  recht  würdig  die- 
ses in  gastronomischer  und  philosophischer  Beziehung  so  interes- 
sante Werk.  8.  425.  Würdig  solcher  Gastmahls&euden  ist  das 
Bekenntniss  einer  fingirten  Grabschrift  Trimalchio's,  »niemals  Philo- 
sophie gehört  zu  haben. €  8.  426.  üebrigens:  j^A  la  voix  plainHve 
de  leur  hdte  oeeup4  de  ces  euprSmee  dHaüe,  lee  eonvivee  ne  lamenieni, 
ile  vereent  dee  lärmte  et  jurent  de  ne  pae  lui  eurvivre.^  Ich  denke, 
das  reicht  aus.  Denn  jetzt  heisst  es,  Ue  uns  tombent  »ou9  la  table 
u.  s.  w.  Der  Yerf.  ruft  zuletzt  ans:  „MtMis,  je  voueprie,  Wen  de- 
fnandet  pae  davaniage:,  powr  euffire  ä  eee  hänleux  rieite,  ü  faudraU 
awnr  VatHeieme,  Til^anee^  la  poliiesse,  fe/frtmterie  de  Patrone;  ü 
faut  iire  ^neurien  eommt  hd,  et  eomme  lui  un  ipicurien  qui  n*a 
phie  rien  ä  mAuiger,  ear  taut  ä  fheure  ü  va  mourir,^  und  hier- 
auf folgt  das  Endresultat  des  Verf.,  welches  Bom*s  Fall  und  Unter- 
gang als  die  göttliche  Nemesis  bezeichnet.  Wie  einBefrain,  ver- 
glichen mit  dem  Schlüsse  der  Torigen  Abhandlung,  erscheinen  die 
Worte:  „Heureusement  qWä  fheure  eü  s'aeeamplisaait  la  demUre 
argie  romaine,  Dieuj  dans  sa  juetice,  remuaU,  du  fand  dt  leur  bar^ 
barie,  lee  Hüne  d  lee  Vandalee  ü  rSveiHait^  dans  leur  misirt  d  leur 
aeeujdtisstment,  quelques  pauvres  peekturs  de  J^rusaltm/* 

Was  wir  gegen  den  Verfasser  hierbei  geltend  zu  machen,  ist, 
dass  er  mit  seiner  Zeitbestimmung  noch  immer  auf  einem  aufge- 
gebenen Standpunkte  steht.    Was  er  8.  417  bemerkt,  htttte  ihn 


466  T.  WursbAoh:  OUmpf  imd  Bdilmpt 

ein  Dilettantismus  entgegen,  wie  man  ihn  bei  einem  Bibliothekar  nidit 
ftlr  möglich  halten  sollte. 

So  sehr  sich  nnser  Verfasser  über  die  »näselnde  Philologen- 
stimme« eines  Berliner  Professors  Instig  macht,  w&re  ihm  bei  sei- 
ner Snoht,  dnrch  Anftlhmng  fremder  Wörter  nnd  Phrasen  zn  glftn- 
zen,  doch  dringend  anznrathen  gewesen,  seinen  Aufenthalt  in  Ber- 
lin dazu  anzuwenden,  um  bei  einem  der  von  ihm  so  geringge- 
schfttzten  »sprachkundigen  Spreephilosophen«  einige  Collegien  über 
die  ersten  Regeln  der  Orthographie  der  germanischen  und  roma- 
nischen Volker  zu  hOren.  Er  würde  dann  doch  yielleicht  gelernt 
haben  ^  dass  es  nicht  hautgout  und  hautvol^e  (S.  189),  sondern 
haut  goüt  und  haute  Toläe;  nicht  tont  come  chez  nous  (S.  130), 
sondern  tont  c  o  m  m  e  chez  nous ,  und  nicht  c*  j  entendre 
(S.  145),  sondern  s*  j  entendre  heisst;  dass  femer  das  französische 
Zahlwort  quatre  nie  ein  s  als  Zeichen  der  Mehrheit  erhalt,  wie 
auf  S.  VI  und  145  geschehen,  das  engliche  Tory  aber  —  nicht 
Terry,  wie  S.  168  steht  —  sich  in  der  Mehrzahl  in  Tones  ver- 
wandelt, und  dass  man  endlich  im  Englischen  Whigs,  nicht 
Wlghs  (S.  168);  im  Holländischen  Eeyzer,  nicht  Kayser 
(S.  178),  Eabeljaauw,  nicht  Eaabeljauw  oder  Eabeljauw 
(S.  168—169)  und  voorst,  nicht  voerst  (S.  179);  im  Spani- 
schen cuatro,  nicht  quatro  (S.  130);  im  Italienischen  bacio, 
nicht  baccio  (S.  60)  und  im  Französischen  pr^cieux,  nicht 
precieux  (S.  103);  ehr 6m e  (altfiranzösisch  cresme,  Chrysam)  nicht 
cröme,  was  Sahne  bedeuten  würde  (S.  104);  Cröpin  (altfran- 
zösich  Crespin),  nicht  Cr  ispin  (S.  108);  m^decin  (Arzt),  nicht 
medecine,  was  in  der  richtigen  Schreibart  mödecine  lauten  und 
Arznei  heissen  würde  (S.  129);  öpingle,  nicht  epingle 
(S.  130);  app^tit,  nicht  appetit  (S.  142);  s^nevö,  nicht  se- 
nev^  (S.  143);  maröchal,  nicht  marsch  al  (S.  184)  u.  s.  w. 
schreibt. 

Nach  diesen  Proben  Ton  Sprachenkunde  können  wir  uns  natür- 
lich nicht  wundem,  dass  Dr.  Wurzbach  tou  Tannenberg  auf  S.  60 
die  Perser  ihre  Bezeichnimg  des  Eusses  bus  —  nicht  buss,  wie  dort 
steht  —  vom  basium  der  Römer  bilden,  und  auf  S.  169  den  Pto- 
veuQalen  beharrlich  hoi  statt  oc  oder  o  für  ja  sagen  lässt,  obwohl 
es  allbekannt  ist,  dass  gerade  die  verschiedene  Ausdrucksweise 
des  »Ja«  den  Namen  der  beiden  Hauptsprachen  Frankreichs  zn 
Orunde  liegt. 

Da  indessen  bereits  einer  unserer  competentesten  Richter  auf 
dem  Gebiete  der  Linguistik  und  Sprachforschung,  Prof.  Ai  Euhn, 
in  Nr.  2  des  »Centralblattes«  sein  ürtheil  über  den  Werth  oder 
Niohtwerth  der  etymologischen  Erklärungen  in  »Glimpf  und  Schimpf« 
abgegeben  hat,  können  wir  uns  ohne  Weiteres  zu  dem  Thatsftch- 
Hchen  in  den  geschichtlichen  und  culturhistorischen  Erklftrungen 
wenden. 

Wir  wollen  nicht  mit  dem  Verf.  über  die  merkwürdige  Logik 


▼.  WvrsbAeli:  Glimiif  imd  Behtmpf.  461 

rechten,  welche  er  in  der  Wahl  seiner  Sprichwörter  nnd  sprich- 
wörtlichen Bedensarten  bekundet  hat.  Er  selbst  gesteht  zn  wieder- 
holten Malen  ein,  dass  er  dieselben  »ohne  eine  bestimmte  Bioh 
tong«  ans  seinem  fertigen  Material  herrorgesncht  habe,  nnd  so 
finden  wir  denn  unter  den  » Tafelfreuden «  das  Henker  mahl;  unter 
den  »Titeln  und  Werden«  den  Knecht  und  Lakai,  und  unter 
»Kalender-Schimpf  und  Olimpfc  die  Bedensarten:  das  heilige 
Grab  hüten  und  kostbar  wie  das  heilige  Chrysam,  und 
sehen  den  ganzen  Inhalt  in  acht  Kapitel  vertheilt,   deren  üeber- 

schriften  abwechselnd  »Olimpfund  Schimpfe oder  »Schimpf  und 

Glimpf <  lauten. 

Dass  aber  Dr.  Wurzbach  von  Tannenberg  seine  Erklärungen 
vorzugsweise  aus  belletristischen  Zeitschriften  entnommen,  ist  jeden- 
falls neu,  und  um  so  auffallender,  als  er  an  mehreren  Stellen  sei- 
nes Buches  mit  rührendem  Eigenlob  von  seinen  unendlich  mühsamen 
»  Quellenforschungen  c  spricht. 

Noch  neuer  jedoch  ist  es,  dass  ein  solcher  Forscher,  welcher 
»das  culturhistorische  Gebiet«,  wie  er  sich  ausdrückt,  »in  einem 
fost  eolossalen  umfang  durchgearbeitet«  und  sein  Buch  naiy  »ein 
Oommentar«  nennt,  indem  er  mit  stolzem  Selbstbewusstsein  hin- 
zufügt: »Das  ist  ja  der  heilige  Beruf  der  Gelehrten,  Oommenta- 
toren  zu  sein«,  bei  seinen  Erklärungen  alle  chronologische  Genauig- 
keit ausser  Acht  Iftsst. 

So  heisst  es  z.  B.  auf  S.  16: 

»Der  Spitzname  Meissner  Kothurn  ist  im  J.  1536  bei 
Ctelegenheit  des  Lftrms  über  die  Annahme  des  bekannten  Interims 
in  der  Beligion  entstanden.« 

Nun  hat  es  zwar  seine  Bichtigkeit,  dass  die  Meissner  diesen 
Spitznamen  den  religiösen  Zänkereien  in  Folge  des  Interim  ver- 
danken, nur  war  durch  Zufall  kein  einziges  Interim  im  Jahr  1536, 
und  wenn  wir  auch  annehmen  müssen,  dass  unser  Verf.,  welcher 
1851  seine  » Sprich wOrter  der  Polen«  dem  damaligen  Minister  Bach 
widmete,  sich  wenig  mit  protestantischer  Kirchengeschichte 
beschäftigt  hat,  so  würde  er  doch  aus  jeder  Geschichtstabelle  für 
Schulen  augenblicklich  ersehen  haben,  dass  das  erste  oderBegens- 
burger  Interim  1541,  das  zweite  oder  Augsburger  1548  erlassen 
wurde. 

Dieser  allzu  geringen  Vertrautheit  mit  jener  Epoche  der  Be- 
formationszeit  wollen  wir  es  auch  zuschreiben,  dass  Herr  Wurz- 
bach von  Tannenberg  die  historisch  begründete  Erklärung  des 
Spottreimes : 

Meissner, 
Gleissner ! 
»zum  mindesten  abgeschmackt   findet.«     Er   weiss   nämlich  nicht, 
dass  dieser  Beim  eines  Ursprungs  mit  dem    »Meissner  Gothum« 
ist.  und  dass  Luther  selbst  in  seinen  Briefen  aus  den  Jahren  1542, 
1548  und  1546  die  Meissner  wiederholt  der  »Gleissnerei«  beschul- 


4M  ▼•  WnribAok:  Gilvipl  «ml  SdtepC 

digta.  (S,  Xiiitbers  BrUfe  von  de  Wetto,  fortgesetst  von  Sdi^J 
(Bwliu  1828.  1856)  V,  774.  V,  591,  VI,  314  u  9.  £) 

Ebenso  yarteizt  Dr.  Wur^baeh  von  Tannenbarg  auf  &  168 
die  Entstehiuig  der  Parteinamen  Hoeks  u.  Eabe^aauwa  wiUkürlidi 
ia*8  17«  Jabrhandert,  und  verweobselt  noch  überdies  beide  Namen, 
indem  er  sagt:  »und  zwar  waren  die  Hoeks  die  Anhänger  der 
Städte  mit  rothen  Eftppcben,  die  Kaabeljanws  der  Adel  mit  grauen.« 
EEätte  er  nur  einen  Blick  in  Franz  Löher*B  vortrefflicbe  äesohichto 
der  Jakobfta  von  Baiern  geworfen,  oder,  bei  seiner  entschie- 
denen Scheu  vor  ernsten  Quellenwerken,  wenigstens  das  ganz  an- 
spruchslose für  junge  Mädchen  geschriebene  »Buch  denkwürdiger 
Frauen«  (Leipzig  1863)  durchblättert,  so  würde  er  wissen,  dass 
die  beiden  Spitznamen  Hoeks  und  Eabeljaauws  schon  seit  der  Mitte 
des  vierzehnten  Jahrhunderts  vorkommen,  dass  das  erste  Wort 
»Haken«  oder  »Angelhakan«  (nicht  »Fischhaken«  wie  S.  168  steht), 
das  zweite  »Kabeljau«  bedeutet  (nicht  »Stockfisch«,  da  blos  der 
getrocknete  Kabeljau  »Stockfisch«  genannt  wird),  und  dass  endlich 
die  Kabeljaus  die  reichen  Bürger  in  den  grossen  und  blühenden 
Handelsstädten  waren,  die  Hoeks  aber  aus  Bittem  und  Bauern 
bestanden.  Nur  einige  missvergnügte  Adelsgesohlechter  hielten  es 
mit  den  Städten,  während  wiederum  die  mehr  oder  minder  von 
alten  Familien  abhängigen  kleineren  Städte  auf  Seiten  das  Adels 
standen.  Als  Unterscheidung  trugen  die  Hoeks  rothe  Hüte,  (nicht 
Kappen),  die  Kabeljaus  graue,  üeber  den  Ursprung  der  beiden 
Benexmungen  lauten  die  Erzählungen  widersprechend.  Nach  der 
einen  sollen  zwei  Edelleute  an  einer  Hoftafel  sich  gegenseitig  diese 
Namen  zugerufen  haben,  nach  einer  anderen  antwortete  ein  Schiff 
der  städtischen  Partei  auf  den  fragenden  Anruf  eines  feindlichen; 
»Kabeljaus  haben  wir  geladen«,  und  die  Antwort:  »Jawohl,  Kabel- 
jau*s,  wir  wollen  euch  Kabe^jau's  schon  haken«,  verhalf  beiden 
Parteien  zugleich  zu  Namen. 

Auch  über  den  Ausdruck  Maria  di  legno  (S.  115)  hätte  sich 
der  Dr.  Wurzbaeh  von  Tannenberg  in  einem  ziemlich  bekannten, 
von  einer  Frau  geschriebenen  ünterhaltungsbuohe :  Origine  delle 
feste  veneziane  di  Oiustina  Benier  Michiel  (Milano  1829)  etwas 
genauer  unterrichten  können,  um  den  Irrthum  zu  vermeiden,  das 
Fest  delle  Marie  statt  am  2.  Februar  am  5.  März  feiern  zu  lassen. 
Denn  nicht  am  Festtag  Maria  Verkündigung,  wie  auf 
S.  115  angegeben  ist,  sondern  an  Maria  Lichtmesa  fa«d  in 
ältester  Zeit  in  Venedig  der  Brauch  Statt,  alle  Brautpaare  naoh«- 
einander  in  der  Kirche  S.  Pietro  diCastello  (damals  Olivolo)  vom 
Bischof  einsegnen  zu  lassen.  Die  Oeremonie,  ursprünglich  sehr 
einfach,  ward  nach  der  Einsetzung  des  Dogen  immer  prunkvoller, 
indem  jedes  Jahr  12  arme  Mädchen,  welche  sich  durch  Schünbeit 
und  Tugenden  auszeichneten,  vom  Staat  ausgestattet  wurden.  Das 
Volk  nannte  sie  »le  Marie«  und  das  Fest  nach  ihnen  »la  feata 
delle  Marie.«    In  Folge  des  Sieges  über  die  Triestiner  Seeräuber, 


bei  wil^lMm  sich  die  Eistenmaolier  sehr  berrorgethaii  bitten,  ward 
auf  deren  Bitim  beMblosMii ,  das«  di«  BriimeniDg  an  den  glor- 
Tüdm  Kampf  aUjahrliob  dnrcb  einea  feieriiehen  Zug  den  Dogen 
in  die  Kirobe  6.  Maria  Forndoea  begangen  werden  aoltte.  Das  Fest 
Beibat  dauerte  acbt  Tage.  Die  12  Mftdcben,  von  denen  jeder  der 
6  Stadttbeile  oder  Sestieri  zwei  sa  w&hlen  and  xu  sobmüoken 
hatte»  fobren  an  dem  ersten  Tage  reicb  geputat  in  offenen  Barken 
xnm  Dogenpalast»  wo  der  Doge»  der  die  Wablen  xa  bestätigen  batte, 
siesdur  würdeyoU  empfing  nnd  siob  mit  ibnen  in  die  Eirobe  San 
Pietro  di  Castello  begab»  nm  einer  Dankmesse  beizuwobnen»  Naob 
derselben  kehrten  sie  nacb  San  Maria  Borüok»  wo  der  Doge  sie 
feierliob  entUess,  nnd  fahren  mit  Masik  dorch  den  Canal  grande, 
de«een  PaUste  festlich  gesebmüokt  waren.  Wechselweise  eine  der 
edelsten  nnd  wohlhabendsten  Familien  der  Stadt  bewirthete  die 
Marien  mit  ihrem  gansen  Oefolge»  and  beschenkte  sie  so  reichlich, 
daes  die  Begierang  die  Aasgaben  gesetzlich  beschränken  masste  and 
die  ^hl  der  Marien  im  Jahre  1272  anf  yier,  später  aof  nnr  drei 
festoetste«  Die  nächsten  Tage  waren  Öffentlichen  Vergnftgongen 
geweiht»  bis  am  achten  eine  praohtYolle  Prozession  nach  S.  Maria 
Formosa  das  Fest  beschloss. 

Da  aber  bei  dieser  die  Bränte»  welche  mitsogen»  dem  religiö- 
m  Eindmck  der  Cermonie  vielfach  Abbruch  tbaten»  warden  sie 
durch  Bolzpnppen  ersetzt»  and  als  das  niedere  Yolk  seinen  Un* 
willen  über  diese  Yeränderong  an  den  Figuren  aasliess,  indem  es 
dieselben  unter  Pfeifen  and  Schreien  mit  Buben  bewarf  ward  1349 
^n  besonderes  Dekret  gegeben»  am  die  hölzernen  Pappen  tot  jeder 
Miaehandlnng  an  schützen. 

Dies  nan  gab  die  Veranlassang,  den  verhaltenen  Qrimm»  ohne 
Wlß^  das  Verbot  an  stossen»  dadarch  za  äasseren»  dass  man  jede 
ii^i^^ere,  kalte  and  alberne  Fraa  eine  »hölzerne  Marie«  nannte. 

Das  Fest  selbst  ward  1379  während  des  Krieges  TonCbioggia 
Abgeschafft,  nnd  nor  der  jährliche  Besach  des  Dogen  an  Maria 
Lichtmess  in  der  Kirche  Santa  Maria  Formosa  erhielt  sich  bis  zam 
Me  der  Bepablik, 

Dass  Dr.  Wa;rsbach  von  Tannenberg  anf  8,  30  den  französi- 
sehen  Ansdrock  »<^äteaax  en  Espagne«  für  analog  dem  Dentacben 
^böhmische  Dörfer«  hält,  ist  am  ao  wanderbarer»  da  er  selbst  eine 
Stdle  von  Montaigne  im  Originaltert  mittheilt,  aas  wehsher  deatr 
hob  hervorgeht»  dass  diese  »Schlösser  in  Spanien«  eins  mi^  nnsem 
^I^aftseblösaem*)  sind»  and  Pasqnier»  den  er  ebenfalls  citirt»  ans- 
^^ktioh  sagt:  »C'est  poorqooy  on  a  dit  qoe  celoj  fait  en  eon 
^^t  das  dhaateaax  en  Bspagne»  qaant  il  s'amose  de  penser  ^  p^^ 
8oy  ^  ohoae  q^^  n*estoit  faisable««  Mahn, 

_  _•)  Italleiilach:  csstalU  ta  sria,  spaotech;  cordss  de  area  (B  ^„^™' 
Lttft^;  portnjIeBlBch:  projectos  no  sr  (Pläne  ip  die  Luft):  englk^  mamns 
oi  ihe  8ir;/honftndl8eh:  kssteelen  hi  SpsDJe  oder  LnchtksstA^ma^apao»  in 
^«ftesstdpiMr  a.  s.  w,  4>am  (altfranzösiseh 

/ 

f 


MO  y.  Wvrsbfteli:  Gfimpf  und  Seliimpf. 

Nioht  minder  seltsam  ist  es,  auf  S.  19  zn  lesen :  »Jan  Hagel 
—  John  Bull  ist  der  Ansdrack  fUr  den  pGpelhaftesten  P5bel<, 
da  man  unter  John  BuU  bekanntlich  die  ganze  englische  Nation 
Tersteht,  Janhagel  aber  nur  dem  englischen  mob  entspricht. 

Auch  das  holländisch  sein  sollende  »duysche  muff  (8.  36) 
beruht  wohl  auf  einem  Hissverständniss ,  indem  mof  allein  schon 
der  Spottname  für  die  aus  Westphalen  kommenden  Mäher  ist,  und 
zfthbeiche  Sprichwörter  in  Harrelom^'s  Spreekwoordenboek  der 
nederlandsche  Taal  (Utrecht  1858^61  beweisen,  dass  der  Holländer 
nie  de  dnitsche  mof  sagt. 

üeber  das,  was  namentlich  nach  englischen  Ideen  einen  gentle- 
man  ausmacht,  scheint  der  Verfasser  von  »Glimpf  und  Schimpf« 
zum  Mindesten  noch  nicht  ganz  klar  zu  sein.  Denn  ein  echter 
englischer  gentleman  macht  z.  B.  keine  »losen«  und  »ungentilen 
Streiche«,  wie  ihm  auf  S.  185  zugemuthet  wird.  Er  überliess  das 
früher  dem  rake,  später  dem  young  man  about  town,  und  wer  den 
Typus  des  echten  englischen  gentleman  in  seiner  höchsten  Voll- 
kommenheit kennen  lernen  will,  den  Terweisen  wir  auf  Thackeray's 
meisterhafte  Gestalten  Dobbin  in  Vanity  fair,  und  colonel  Newcome 
in  den  Newcomes. 

Indessen  gehört  allerdings  gentlemanlike  zu  den  Begriffen, 
welche  man  nicht  kaufen  kann,  wie  einen  Titel,  und  welche  man 
durch  und  durch  fühlen  muss,  um  sie  nur  einigermassen  richtig 
erklären  zu  können.  Vor  Allem  sind  Wahrheitsliebe  und 
Höflichkeit  zwei  Eigenschaften,  welche  man  besitzen  muss,  um 
Anspruch  auf  die  Bezeichnung  gentleman  zu  haben. 

Mit  besonderer  Vorliebe  hat  unser  Verf.  die  Artikel  Bönhase 
(für  Pfuscher)  (S.  158->160),  Klopffechter  (S.  166)  und  Schimmel- 
reiter (S.  5—7)  behandelt.  Dagegen  hätte  er  S.  191  zu  dem 
Sprichwort : 

Gewiss  kein  Messer  besser  schirt. 
Als  wann  der  Knecht  zum  Herren  wird, 
nicht  die  bekanntere  Variante  desselben  auslassen  sollen: 
Kein  Messer  ist,  das  schärfer  schiert, 
Als  so  der  Bauer  ein  Edelmann  wird, 
üeber  den  Ausdruck  »Quatre  mendiants«   (nicht  »les  quatres 
mendians«,  wie  S.  145  steht)  hätte  Dr.  Wurzbach  von  Tannenberg 
in  jedem  grösseren  französischen  Wörterbuch  die  ihm  nöthige  Be- 
^    lehrung  linden  können. 

Unter  quatre  mendiants  yerstehen  nämlich  die  Franzosen  ge- 
???*^öhnlich  nicht  »vier  Bettler«,  sondern  die  vier  sogenannten 
.!^^tt  clor  den,  und  wie  man  in  NorddeuteohiKnd  ein  Oemisdi 
eintach,  rändeln  und  Rosinen  —  ob  anderswo  auch  Vei^^^  xmd  Nüsae 
*"^*  tJ*  ^^  ören,  wie  der  Verf.  sagt,  weiss  ich  nicht  —  »Studenten- 
™7^^8®^f  ®Snt,  so  bezeichnet  man  in  Frankreich  eine  Schüssel  mit 
I  n  Sr*^  %ubenrosinen ,  Mandeln  und  Haselnüssen  aU  fr^it  de 
aeUe  Mane.«    In  i:.-^en  scherzhaften   Namen:    »vier  Bettl^yordea«, 


T.  WvrsbAeh:  Olimpf  imd  SeUnpf.  461 

weil,  wie  BeschereUe  (Diotionnaire  National  ou  Diotionnaire  üni- 
▼ersel  de  la  langae  fran^aise.  Paris  1858)  angibt,  jede  dieser 
Frflchte  einen  dieser  Orden  gewissennassen  zum  Patron  haben  soll« 
Wenigstens  kömmt  diese  Erkltlrang  schon  in  einer  Predigt  vor, 
welche  P.  Andrä  vor  Lndwig  XIIL  hielt. 

Die  geniale  Deutung,  welche  unser  Verfasser  auf  S.  121  den 
Martinshörnern  gibt,  indem  er  sie  ernsthaft  für  »eine  Nachahmung 
der  Heiligenstrahlen«  auf  allen  Bildern  des  hl.  Martin  h&lt,  Iftsst 
beinah  glauben,  dass  fOr  ihn  die  zahlreichen  Forschungen  auf  dem 
Gebiete  der  Sagen  und  Sitten,  die  wir  einem  Grimm,  Kuhn,  Lieb- 
re<%ht,  Bochholz,  Simrock,  Wolf,  Zingerle  u.  vielen  A«  verdanken,  völlig 
vergebens  gewesen  sind.  Und  doch  hätte  er  in  Simrock*s  treff- 
lichem Werkchen:  Martinslieder  (Bonn  1847)  nicht  nur  die  beste 
Auskunft  über  den  Ursprung  des  Martinsfestes  und  der  an  ihm 
flblichen  BrtLuche,  sondern  auch  den  richtigen  Text  des  S.  119 
mitgetheilten  Beimes  gefunden,  welcher: 

Stoockt  vyer,  maeckt  vyer: 
Sinte  Märten  komt  hier 
Met  syne  bloote  armen, 
Hy  soude  geeme  warmen 

ond  nicht:  Stockt  Yyer  an,  makt  Vyer 

Sinte  Martin  kommt  hier 
Met  syne  bieten  Armen 
Hy  soude  gerne  warmen, 

lautet,  und  nicht  von  der  jetzigen  Jugend  in  Holland,  sondern 
ehemals  von  den  vlaemischen  Kindern  gesungen  wurde. 

Denn  das  jetzige  Martinsfest  ist  nichts,  als  der  Best  eines 
altbeidnischen  Wuotansfestes,  welches  der  Legende  des  hl.  Martin 
die  ihm  nöthigen  Anhaltspunkte  entlehnt  hat,  um  sich  in  ein  christ- 
liches Fest  zu  verwandeln. 

Bezeichnend  für  das  hohe  Selbstbewusstsein  unseres  Verfassers 
ist  es,  dass  er  S.  126,  wo  er  den  Ursprung  des  Marzipanes  von 
den  Brödchen  herleitet,  die  man  in  Sachsen  zur  Erinnerung  an  eine 
Hungersnoth  im  Jahre  1407  oder  1480  jährlich  am  Markustage 
gebacken  und  desshalb  Marci  panes  genannt  haben  soll,  die  Worte 
hmznfügt: 

»Nach  anderer  Deutung  soll  der  Erfinder  dieser  Leckerei 
ein  Italiener,  Namens  Marzo,  gewesen  sein  und  von  diesem 
der  Name  herrühren«  Die  erstereDeutung  ist  aber  die 
richtige.« 

Sind  wir  nun  auch  nicht  anmassend  genug,  eine  Frage  ent- 
soheiden  zu  wollen,  welche  selbst  Sprachforscher,  wie  Diez,  Mahn, 
Scheler  u.  A.  ungewiss  lassen,  so  wollen  wir  doch  daran  erinnern, 
daaa  das  Marzipan  schon  vor  dem  15.  Jahrh.  als  panis  martius 
vorkömmt,  dass  es  in  Spanien  ma^apana,  in  Portugal  ma^pao,  in 
der  Provence  massapan,  in  Frankreich  massepain  (alt&unzösisch 


46S  Behoeiie:  QttäHt  ffleronymkAae. 

aianrcdi^fiüi),  in  ItaUen  manapäne,  in  deü  Nieddrlanddn  marMpefaiy 
i&  Englaikd  marebpane  heisfft,  und  das«  tis  jeden&lls  voii  dttt  Bo- 
maneti  zn  tttis  gfekommen  ist,  indem  es  nicht  nur  in  Spanien  und 
der  Provence  seit  alter  Zeit  im  den  flbliehen  Weihnachtegebttcken 
gebort,  sondern  aucb  dort  den  Kamen  ^^gestampftes  Brot« 
(portngieslBCb  und  spanisch  ma9ar,  proTencaHscb  mass^,  ^tfranzö- 
siseb  masser,  stampfen)  trttgt,  der  seiner  Znbereitting  atis  gestampf- 
ten Mandehi  mit  Zncker  nnd  Mehl  entspricht. 

Einige  Latinistefl  schreiben  Übrigens  die  Brfindtmg  des  Mar- 
xipans  dem  B5mer  Marens  Apicins  zn  nnd  geben  somit  der  Be- 
nennung des  Gebftckes  eine  Shnlicbe  Ableitung,  wie  den  bekannten 
pralines,  welche  vom  Koch  des  Marschall  Da  Plessis-Piulln  ber- 
rttbren  sollen. 

Doch  wir  glauben,  dass  die  hier  mitgetheilten  Proben  genügen 
werden,  um  zu  zeigen,  was  ron  den  unter  dem  Titel  >  Glimpf  und 
Schimpf«  veröffentlichten  Erklärungen  von  8priehw5rtem  ta  halten 
sei,  und  brauchen  wohl  nicht  erst  binsuzuftlgen,  dass  ein  solches 
Buch  weder  Concurrenz,  noch  irgeadwelche  Benutzung  zu  fOrch- 
ten  hat.  Frb.  v.  ReiBsberg-DfiringsfeM. 


Quaedhnum  Bienrnymidnamm  capUa  9ehcta  9cripdt  Alfred 
Sehoene,  pkU.  Dr.  BenMM  apud  WMmamioB.  MDCCCLXIV. 
59  S.  gr.  8. 

Diese  Sehrift  loU  als  YorlaaÜBar  einer  von  dem  YetÜMSor  be* 
absiolitigten  seuMi  Ausgabe  der  von  dem  H,  Hieronymus  veran- 
stalteten lateinischen  Bearbeitung  der  leider  grossentheih  verlore- 
nen Chronik  des  Ekasebins  gelten,  die  uns  nur  in  dieser ^  wie  In 
einer  armenischen  üebertragung  noch  bekannt  ist:  es  sali  eine 
handUehe^  zum  bequemen  Gebrauch  der  Gelehrlen  eingerichtete 
Ausgabe  werden  (vgL  p.  5)^  die  vor  allem  einen  urknndlieh  treuen, 
attf  die  illtesten  und  siehersten  Quellen  der  handsehrifkliehen  Ueber- 
liefenmg  zurttckgeftthrten  TeKt  bietet.  Dass  diess  aber^  auch  ab- 
gesehen von  Andeonn,  eine  Nothwendigkeit  ist,  hat  Jeder  eifoliren, 
der  in  der  Lage  war,  bei  seinen  Studien  auf  diese  Chronik  dM 
Hisiwjmus,  die  für  uns  jetzt  bei  dem  Untergang  so  vieler  andern 
chrottologisclMn  Sohriften  dn  AltertbuniB^  so  wichtig  ist»  lurück- 
gdken  au  mOBSsn:  die  BesclMfifenkeit  des  Textee  in  den  Ansgaben 
von  Pontacus  und  Scaliger,  welche  der  Verf.  richtig  abarakteriairt 
(S*  5)t  irt  von  der  Art^  dais  eine  Abbftlfis  dtnageod  evsoheint, 
namentHeh  aenli  in  Besag  ani  die  Skihlen,  nd  die  YeiiebiedaBtaelt 
derAngabeny  welohe  hier  obwaltet  Bewar  daher  vor  Allem  attiUg, 
naeb  den  ältesten  Haadachriften^  welohe  die  Onmdlage  deeTeKtes 
bildett  mttssent  sixab  umzueehen  und  so  ein  sinberee  iVindament  m 
gewinnen«    Und  dieaa  liat  der  Yerf*  in  sehr  befinadigender  Weise 


Sebo^ne:  QriMSt  HterouyitJiiliAö«  Ä6t 

gethan:  der  gtössere  Theil  der  Schrifb  ist  diesem  Gdgenetande  in 
einer  nftheren  ünterstichtuig  dieser  kandscliriftlielieii  Qoelleii  ge^^ 
widmet,  welche  in  dem  ersten  Capitel  aafgezfthlt  und  beschrieben 
werden,  in  der  Weise,  dass  an  erster  Beihe  die  ton  dem  Verf. 
selbst  eingesehenen  nnd  rergKchenen,  in  zweiter  Beihe  die  übrigen, 
ihm  Irgendwie  bekannt  gewordenen  Handschriften  verzeiehnet  sind  s 
dast  die  erste  Beihe  die  bedeutenderen  enthftlt,  nach  welchen  ror« 
sngsweise  der  Text  zn  gestalten  ist,  wird  kaum  zu  bemerken  nOthig 
sein.  An  erster  SteUe  erscheint  die  Handschrift  ron  8t.  Amand, 
Jetzt  m  Yalenciennes,  wohl  erhalten  und  ans  dem  siebenten  Jahr^ 
hnndert,  an  der  zweiten  der  Bemensis  oder  Bongarsianns ,  ans 
Orleans  oder  yielmehr  ans  der  Abtei  Flenry  in  dessen  Nfthe  stammend, 
auch  ans  dem  siebenten  Jahrhundert  (zwischen  627-^699),  an 
dritter  der  Leidensis,  früher  Freherianus  (weil  im  Besitze  von 
Freher)  aus  dem  Anfang  des  neunten  Jahrhunderts:  beide  schon 
von  8caliger  benutzt ;  an  vierter  ein  anderer  Leidensis,  früher  Fe* 
tavianus,  weil  in  dem  Besitze  von  Petan,  aus  dem  Ende  des  neun« 
ten  oder  An&ng  des  zehnten  Jahihunderts  imd  von  Fontacus  bei 
seiner  Ausgabe  benutzt!  dieser  Handschrift  angebunden  auf  sechs 
Fergamentblättem  in  Unzialschrift  des  siebenten  Jahrhunderts: 
Fragmenta  Petaviana;  dann  folgen  drei  andere  Leidner  Hand* 
Schriften,  die  eine  aus  Oorvie  stammend,  aus  dem  Jahr  1153,  die 
zweite  aus  dem  Ende  des  zwölften  oder  Anfang  des  dreizehnten 
Jahrhunderts,  die  dritte  aus  dem  vierzehnten  oder  fünfzehnten  Jahr- 
hundert, unter  den  vom  Verf.  selbst  nicht  eingesehenen,  aber  zu 
seiner  Kenntniss  gelangten  Handschriften,  namentlich  den  zwanzig 
in  Bom  befindlichen,  über  welche  dem  Yerf.  eine  Mittheihng  von 
Mommsen  zukam,  nach  welcher  dieselben,  vielleicht  mit  Ausnahme 
einer  einzigen,  mit  den  älteren,  vom  Yerf.  selbst  eingesehenen  Hand* 
Schriften  nicht  in  Yergleich  kommen,  dürfte  nur  das  Ms.  Fuxense, 
(aus  Toulouse)  in  Betracht  kommen,  weil  darnach  Fontacus  haupt^* 
sächlich  seine  Ausgabe  veranstaltete,  und  aus  seinen  Mittheilungen 
die  GKlte  und  der  Werth  der  Handschrift,  welche  der  Yerf.  dem 
Cod.  Amandinus  und  Petavianus  fast  gleichstellt,  erhellt,  wenn  auch 
gleich  diese  Handschrift  etwas  jünger,  aus  dem  zehnten  oder  eilften 
Jahrhundert  zu  sein  scheint.  Die  verschwundene  Handschrift  scheint 
nach  einer  Mittheilung,  jetzt  zu  Bom  in  der  Yaticana  sich  zu  be* 
finden:  indessen  dürfte  eine  nähere  Untersuchung  wttnscfaenswerth 
sein,  um  darüber  volle  Sicherheit  zu  gewinnen. 

Das  andere  Capitel  sucht  nun  die  Yerhältnisse  dieser  Hand- 
schriften, zunächst  der  ältesten,  in  erster  Beihe  aufgeführten,  unter 
und  zu  einander  zu  bestimmen,  um  darnach  auch  weiter  den  Werth 
derselben  festzustellen,  in  Bezug  auf  die  Gestaltung  des  Textes. 
Es  werden  zwei  Classen  oder  Familien  unterschieden,  deren  erste 
durch  den  Bongarsianns  repräsentirt  ist,  die  andere  durch  den 
Amandinus,  die  Fragmenta  Petaviana  und  den  daraus  wahrschein- 
lich geflossenen  Petavianus  und  den  Leidensis  oder  Freherianus; 


464  Sehoene;  Qnaest  HlerooymUiue. 

diese  ältesten  Handschriften  müssen  nach  dem  üriheil  des  Verf. 
die  Grundlage  des  Textes  bilden  (S.  37),  und  zwar  glaubt  er  unter 
diesen  dem  Bongarsianus  die  erste  Stelle  in  so  weit  zuerkennen 
zu  mflssen,  als  er  allein  keine  Spuren  irgend  eine  Diorthose  oder 
Nachbesserung  enthält,  und  auch  in  der  Form,  namentlich  in  der 
Orthographie  der  Urschrift  des  Hieronjmus  am  nächsten  zu  stehen 
scheint  (S.  49).  Darum  gedenkt  auch  der  Verf.  die  Orthographie 
dieser  SÜEUidschrift  in  dem  yon  ihm  zu  liefernden  Texte  möglichst 
beizuhalten,  namentlich  auch  da,  wo  dieselbe  mit  der  des  Aman- 
dinus  übereinstimmt,  in  abweichenden  Fällen  wird  dem  Bongarsi- 
anus der  Vorzug  gegeben,  wenn  nicht  ein  offenes  Yerderbniss  der 
Schrift  vorliegt. 

Wir  haben  im  Vorstehenden  uns  auf  die  Angabe  der  Resul- 
tate beschränkt,  zu  welchen  die  Untersuchung  des  Verfassers  ge- 
langt ist,  wir  haben  aus  diesem  Orunde  Manches  übergangen,  was 
zur  Begründung  dieses  Resultates  angeführt  ist,  das  auch  uns  ziem- 
lich sicher  gestellt  zu  sein  scheint.  Denn  es  mag  zweifelhaft  er- 
scheinen, ob  je  ältere  handschriftliche  Quellen,  als  die,  welche  in 
dem  Amandinus  und  Bongarsianus  Yorliegen,  aufgefunden  werden, 
und  wenn  jenes  Fuxense  Mss.  wirklich  in  Rom  sich  befindet,  als 
Cod.  Regius  560,  so  muss  der  Zusatz:  »saec.  Allil  Tel  fort. 
Xni,  »schon  einiges  Bedenkengegen  seinen  Werth,  im  Vergleich  zu 
jenen  älteren  Quellen  erregen.  Wir  bemerken  weiter,  dass  der 
Verf.  die  Mühe  nicht  gescheut  hat,  an  Ort  und  Stelle,  zu  Bern, 
wie  zu  Valenciennes,  die  beiden  genannten  Handschriften  zu  ver- 
gleichen, während  die  Leidner  Handschriften  ihm  zugeschickt  wur- 
den Behufs  der  Vergleichung.  Wir  können  also  mit  vollem  Ver- 
trauen dem  gewiss  wünschenswerthen ,  baldigen  Erscheinen  der 
neuen  Ausgabe  der  Chronik  des  Hieronjmus  entgegensehen. 

Als  Appendix  ist  S.  51  ff.  eine  Anzahl  von  Versen,  welche  in 
dem  Cod.  Freherianus,  der  auch  das  sogenannte  Chronicon  consu- 
lare  des  Prosper  enthält,  auf  dieses  folgen,  beigefügt;  ihr  Verf. 
unterschreibt  sich  Bonifatius  crucicola:  aus  der  Anrede  an 
Marinus,  glaubt  Mommsen  in  dem  letzten  den  Praef.  praet.  unter 
Anastasius  im  Jahr  515  zu  erkennen,  woraus  allerdings  ein  Schluss 
auf  die  Zeit  der  Abfassung  dieser  Verse  gemacht  werden  könnte, 
wenn  diese  Vermuthung  anders  Grund  hat.  Auch  ist  jener  Boni- 
fiatius,  der  in  keinem  Fall  mit  dem  berühmten  Mainzer  Bischof  zu 
identificiren  ist,  völlig  unbekannt. 


Ir.  30.  BEIDELBEBGEfi  18M. 

JAHBBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Aeaehyloa  Agamemnon.  Oriechüch  und  Deui$eh,  mit  Einle^ 
tungj  einer  Abhandlung  zur  Aeschylischen  Kritik  und  Com^ 
meniar.  Von  Karl  Heinrieh  Keck,  Leipzig,  Druck  und 
Verlag  von  B.  Q.  Teubner.   1863.  XIV  und  480  8.  in  gr.  8. 

Wenn  eine  Anzeige  dieser  schon  vor  bald  zwei  Jahren  erschienenen 
Schrift  yerspfttet  erscheinen  solltei  nachdem  auch  schon  andere  kri- 
tische Blätter  dieselbe  znm  Gegenstand  der  Besprechung  gemacht  haben, 
80  wird  vor  Allem  darauf  verwiesen  werden  dürfen,  dass  es  sich  hier 
nciht  um  eine  ephemere  Erscheinung  handelt,  sondern  um  eine  Arbeit, 
die  in  dem  einen  Theile  derselben  schon  vor  siebzehn  Jahren  be- 
gonnen, dann  ununterbrochen  fortgesetzt  ward,  und  in  den  letzten 
beiden  Jahren  fast  jede  freie  Stunde  in  Anspruch  nahm.  Der  in 
jener  ersten  Zeit  nämlich  gemachte  Versuch  einer  üebersetzung  des 
Agamemnon  führte  unwillkührlich  zu  einem  weiteren  Versuch  der 
Wiederherstellung  des  theilweise  in  einer  so  yerdorbenen  Gestalt 
auf  uns  gekommenen  Textes,  und  dieses  Streben  musste,  bei  dem 
innigen  Zusammenhang  der  Kritik  und  Erklärtmg,  ebenso  unwill- 
kührlich auch  dahin  führen,  die  letztere  in  den  Bereich  der 
zu  lösenden  Aufgabe  zu  ziehen.  Indessen  war  es  hier  keineswegs 
die  Absicht,  einen  erschöpfenden.  Alles  Einzelne  berücksichtigen- 
den, Wort  um  Wort  erläuternden  Gommentar  zu  geben,  wie  ihn 
%,  B.  die  Ausgabe  von  Klausen,  zumal  in  der  neuen  Bearbeitung 
von  Enger  liefert,  auf  welche  daher  auch  ausdrücklich  verwiesen 
wird,  sondern  insofern  an  die  Stelle  eines  solchen  Commentars  die 
üebersetzung  mit  der  vorausgehenden  ausführlichen  Einleitung  treten 
soll,  nehmen  die  dem  Texte  und  der  üebersetzung  nachfolgenden 
Anmerkungen  nur  Bezug  auf  einzelne  Stellen,  und  zwar  auf  solche, 
wo  eine  kritische  Erörterung  nöthig  war,  oder  das  richtige  Ver- 
ständniss  noch  nicht  gegeben,  durch  eine  weitere  Erklärung  ange* 
bahnt  und  auf  diese  Weise  die  Gesammtaufbssung  gefördert  wor- 
den sollte:  und  dass  hier  insbesondere  die  schwierigen  Stellen,  an 
denen  es  in  dieser  Tragödie  keinen  Mangel  hat,  so  wie  die  ver- 
dorbenen näher  besprochen  werden,  bedarf  wohl  kaum  besonderer 
Erwähnung:  der  Verf.  war  dabei  auch  von  dem  weitem  Wunsche 
geleitet,  Studirenden  der  Philologie,  welche  das  Buch  gebrauchen, 
in  diesen  Erörterungen,  in  welchen  Kritik  und  Erklärung  mit  ein- 
ander verbunden  ist,  eine  praktische  Anleitung  zu  geben,  wie  bei- 
des in  Verbindung  mit  einander  zu  behandeln  sei  (S.  XU). 

Wir  haben  es  also  mit  dem  Texte,  wie  mit  der  üebersetzung 
sammt  der  ihr  vorausgehenden  Einleitung  und  mit  den  nachfolgen- 
ym.  Jahfg.  6.  Heft  80 


den  Aomerkongen  zu  thun,  und  wollen  über  diese  drei  Funkte  zür 
näekflt  unseren  Lesern  berichten. 

Wir  beginnen  .mit  der  üebersetznng,  welche,  wie  der 
Verfasser  ausdrücklich  bemerkt  S.  VIII,  nach  dem  ersten  Entwurf 
nicht  weniger  als  viermal  eine  völlig  neue  Form  gewonnen  hat 
^nd  »jetzt  als  künstlerisches  Ergebniss  sorgfältigster  und  eindring- 
lichster Studien«  voigelegt  wird.  Der  Yeif,  wünscht  als  würdiger 
Nachfolger  W.  von  Humboldt's  und  Droysens  zu  erscheinen:  (wir 
werden  wohl  diesen  beiden  Namen  den  Namen  Donner*s  bei- 
zufügen haben,  der  seine  Meisterschaft  der  deutschen  üebersetzungs- 
JbEmst  i^ucl^  am  AescbjloB  bewährt  hat),  er  g^ubt  indessen,  dass 
eeine  Uebersetzung  »in  Erfassung  und  Wiedergebung  ftschjUacher 
SigepheiteUj  vor  Allem  seines  plastischen  imd  trotz  aller  Erhaben- 
b^t  nie  schwülstigen  imd  unklaren  Stils«,  über  die  Leistungen 
beider  hinausgehe  (was  wir  auch  im  Einzelnen  bestätigt  gefonden 
Jkaben))  den  Forderungen  des  Genius  der  deutschen  Sprache  glaubt 
er  stets  gerecht  geworden  zu  sein,  aber  eben  so  auch  die  ächte 
tJebersetzertreue  gewahrt  zu  haben,  und  wenn  er  im  Einzelnen 
griechische,  sprichwörtliche  Bedensarten  freier  ins  Deutsche  über- 
vagen,  ohne  Verletzung  des  in  ihnen  liegenden  Sinnes,  so  war  er 
dagegen  bemüht,  »Alles,  was  dem  grossen  Dichter  auf  dem  Boden 
seiner  Nationalität  individuell  und  eigenthümlich  zu  sein  schien, 
fißstznhalten  und  wort-  und  stilgetreu  wiederzugeben«  (S.  IX).  Auch 
was  das  Metrische  betrifft,  war  sein  Bestreben  dahin  gerichtet,  die 
äschvlischen  Bhjthmen  möglichst  nachzubilden;  zu  einzelnen  Ab- 
weichungen nöthigte  Natur  und  Charakter  der  deutschen  Sprache, 
ivie  diess  wohl  bei  jeder  üebersetzung  poetischer  Stücke  des  Altei^ 
thun^  der  Fc41  sein  wird.  Wir  wollen  als  Probe  der  üebersetzung 
die  Ansp^c^cd^  des  Agamemnon  an  den  Chor  Vs.  799  folgen  lassen : 

Nnr  seltnen  Menschen  ist  die  Sinnesart  verliehn, 

Nei4)os  ZfX  ehren  einen  hochbeglückten  Freund. 

Penn  Qi&  der  Mi^ssunft  frisst  sich  leicht  ins  Herz  hinein 

Vi^i  w^t  die  Q];alen  doppelt  schwer  dem  krankenden: 

Oe^iile]^  yen  seinen  eignen  Leiden  ächzet  er, 

JJni  Bf^^n  mnss  er,  wenn  er  schaut  aofs  fremde  Olück. 

Aohl  aus  Erfahrung  —  denn  die  Probe  kenn'  ich  wohl 
Des  langem  Umgangs  —  nenn*  ich  manchen,  welcher  n^ir 
Viel  triebe  3eigte,  Schatten  eines  Schattens  nnr. 
J^,  blpps  Odjsseus«  folgt'  er  auch  ungern  dem  Zug, 
7r^  nnve^rdrossen,  wann  es  galt,  das  Joch  mit  mir  ^ 
Ob  nun  er  todt  ist  oder  noch  im  Leben  weilt. 

Pas  andre,  was  die  Oötteri  was  den  Staat  betrifft» 
Pas  soll  gemeinsan^  vor  berufnem  Volkesthing 
Beriten  werden:  und  wie  dann  das  tüchtige 


kmtikfiim  AgtaAemrktm  von  &e6k.  4BT 

Auch  danernd  sieh  erhalte,  das  erwftgen  wir; 

Wenn  aber  notton  [?]  Arzenein  heilsamer  Art  — 

Nnn  wohl!  so  brancht  man  Feuer  auch  nnd  MesBerschnitt 

und  suchet  schonsam  abzuton  den  schlimmen  Krebs. 

Doch  non  hinein  an  meines  Herdes  Heiligtum, 
um  allererst  den  Oöttem  meinen  Süss  zu  weihn, 
Die,  einst  Oeleiter,  jetzo  mich  zurückgeftLhrt ! 
Mein  ist  der  Sieg  bis  heute,  bleib*  er*s  wandellos  1 

nnd  fügen  zur  Yergiaichung  die  üebersetzung  derselben  MeUe  dureh 
Donner  bei: 

Nur  wenig  Menschen  eigen  ist  die  Sizmesart, 

Neidlos  den  Freund  zu  ehren,  der  im  Glücke  wohnt. 

Denn  wo  der  Abgunst  feindlich  äift  am  Herzen  sitrt, 

Da  schafft  es  zwiefach  herbe  Qual  dem  Krankenden: 

Er  fClhlt  vom  eignen  Ungemach  sich  schwer  gedruckt, 

Und  jammert,  dass  er  sehen  muss  das  fremde  GltLck. 

Aus  eigner  Kunde  red'  ich,  denn  ich  kenne  wohl 

Der  Menschenfreundschaft  Spiegel:  bloss  des  Schatten»  Bild 

War  alle  Neigung,  die  mir  höchste  Liebe  schien. 

Und  nur  Odyseeus»  ging  er  auch  ungern  zu  Schiff, 

Zog  stets  am  gleichen  Joche  treuverbündet  mir: 

So  sag'  ich,  sei  er  lebend  oder  todt  bereits. 

Das  Andre,  was  die  Götter  und  die  Stadt  betrifft, 

Das  soll  im  allgemeinen  Bath  yereint  Ton  uns 

Erwogen  werden.  Was  sich  als  gesund  erprobt, 

Für  dessen  Dauer  sorgen  wir  mit  treuem  Bath: 

Doch  wo*s  der  Heilkrafb  edler  Arzenei'n  bedarf, 

Da  laset  mit  Feuer  oder  Schnitt  uns  wohlbedacht 

Versuchen,  wie  wir  solches  Weh  bewftltigen. 

Nun  geh*  ich  ein  zum  Hause,  grüss*  am  Vaterherd 

Zuerst  mit  adjgehobner  Hand  die  Himmlischen, 

Die  fem  hinaus  mich  sandten,  die  mich  heimgeführt. 

Wie  Nike  nun  mir  folgte,  sei  sie  ewig  meini 

Eine  weitere  Probe  mag   der  Bede   der  SHytamnestra  nach 
ToUbrachtem  Morde  des  Agamemnon  entnommen  sein:  Vs«  1882 ff. 

Von  vielem  früher  zeitgemttAs  gesprochenen 
Das  Gegentheil  nun  sag'  ich,  ohne  Sdham  und  Sehen. 
Wie  könnte  sonst  man  Feinden,  welche  Freunden  gleioh 
Erscheinen,  Feindschaft  bieten  und  ein  Jammemetz 
Aufzäunen,  höher  aU  der  kühnste  Sprung  sie  trftgt? 
Bei  diesem  Kample  war  ich  lange  echoa  bedacht 
Auf  Siegsgewissheit:  endliohi  endlich  kam  der  Slegl 
Hier  steh'  am  Ziel  ich,  stehe  bei  vollbrachter  Tat. 


M  Aesdiylofl  Agamettuioii  von  iCttclc. 

So  war  der  Anschlag  —  und  ich  rühm*  os  öffentlich  — 
Dass  keine  Flacht  ihm,  keine  (xegenwehr  yerblieb« 
Ein  weites  Fanggam,  ähnlich  einem  Fischernetz, 
Ward  rings  genestelt,  faltenreiches  Tmggewand: 
Zwei  schwere  Hiebe!  mit  dem  zweiten  Weheruf 
Streckt  schlotternd  er  die  Glieder«     und  dem  liegenden 
Versetzt*  ich  noch  den  dritten  —  diesen  Segensgrass 
Hatt*  ich  dem  Heiland  dort  im  Schattenreich  gelobt. 

So  schwillt  er,  jenem  auszuspein  die  Lebenskraft: 

Da  schnaubt  er  jfthlings  seines  Bluts  Sprühregen  aus 

und  trifft  mit  dunklem  Tropfen  mich  des  roten  Tau*8. 

Das  war  ein  Labsal,  wie  der  niederträufelnde 

Demant  dem  Saatfeld,  wenn -die  Knospe  kreisend  schwillt. 

(Zorn  Clior.) 

So  steht's  I  bedenkt  es,  graue  Häupter  dieser  Stadt, 
und  freuet  nun  euch,  wenn's  beliebt:  ich  juble  drob. 
Ja,  ziemten  Dankesspenden  über  Leichen  sich, 
Hier  wären  recht  sie,  oder  nein!  mehr  als  gerecht. 
Solch  einen  Kelch  voll  Fluches,  den  er  uns  im  Haus 
Bis  oben  ftQlte,  trinkt  er  selber  heimgekehrt. 

worauf  wir  gleichfalls  die  üebersetzung  derselben  Stelle  von  Donner 
nachfolgen  lassen? 

Kühn,  ohn*  Erröthen,  sag*  ich  nun  das  (xegentheil 
Von  Vielem,  was  ich  früher  sprach  der  Zeit  gemäss. 
Wie  könnte  sonst  dem  Feinde,  der  als  Freund  erscheint, 
Der  Feind  mit  Hass  entgegnen,  wie  des  Jammers  Netz 
Ulm  stellen,  das  unüberspringbar  hoch  sieh  schlingt  ? 
Mir  kam  er  endlich,  lange  schon  Yorausbedacht, 
Der  Kampf  des  alten  Grolles,  ob  mit  Zögern  auch. 
Da  steh'  ich  jetzt  am  Ziele,  wo  mein  Opfer  fiel. 
und  8  0  YoUzog  ich's  und  yerläugn*  es  nimmermehr^ 
Dass  weder  Flacht  ihm  übrig  war  noch  Widerstand. 
Ein  endlos  lang  Gewebe,  gleich  dem  Fischemetz, 
Schlang  ich  um  ihn,  ein  reiches  Frunkgewand  des  Leids. 
Ich  traf  ihn  zweimal;  zweimal  stöhnt  er  auf  und  lässt 
Sofort  die  Glieder  sinken:  als  er  niederlag. 
Versetz^  ich  ihm  den  dritten  Schlag,  willkommnen  Dank 
Dem  Todtenretter  Hades  dort  im  Schattenland. 
und  also  haucht  er  sinkend  aus  des  Lebens  Geist; 
und  wie  des  Blutes  jäher  Strahl  aussprudelte, 
Bespritzt  er  mich  mit  dunkeln  Tropfen  rothen  Thau's, 
Die  mich  erfreuten,  wie  Kronions  feuchter  Süd 
Die  Saaten,  wenn's  im  Mutterschooss  der  Knospen  schwillt. 
Ob  scAphen  Glttok's,  ihr  grauen  Häupter  dieser  Stadt, 

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AeBcbylos  Agamemnon  von  Keck.  460 

Prent  euch,  wofern  ihr  Freude  fWilt ;  ich  juble  laut ! 
Ja,  ziemte  sich*s,  Trankopfer  über  Leichname 
Zn  sprengen,  wttr'  es  hier  gerecht,  ja  voUgerecht. 
Er,  der  so  rielen  Wehes  fluchbeladenen  Eeloh 
Im  Hause  ftlllte,  leert  ihn  nun  heimkehrend  selbst. 

Wenn  diese  TTebersetzung,  welche  dem  griechischen  Texte 
gegenüber  auf  jeder  Seite  ihre  Stelle  erhalten  hat,  als  eine  Art 
Yon  Commentar  angesehen  werden  soll,  welcher  die  richtige  Einsicht 
in  das  Einzelne  vermittelt,  so  bezweckt  die  um&ssende,  vorausge- 
schickte Einleitung  das  richtige  Yerstanduiss  des  Ganzen  und  der 
diesem  Drama  zu  Omnde  liegenden  Idee,  so  wie  der  Art  und 
Weise  der  Durchführung  S.  1—43.  Der  Verf.  nimmt  hier  seinen 
Ausgangspunkt  von. der  dem  Stück  zu  Orunde  gelegten  Orestes- 
sage, deren  Homerische  Gestaltung  er  zuerst  angibt,  sowie  die 
Nachhomeriscbe  Umbildung  derselben,  um  daran  eine  nShere  Dar- 
stellung der  aeschjlischen  Fassung  derselben  zu  knüpfen,  wie  sie 
in  dieser  Trilogie,  deren  erstes  Glied  der  Agamemnon  bildet,  durch- 
geführt ist.  Wenn  hier,  namentlich  was  den  Schluss  der  Trilogie 
betrifft,  die  Anknüpfung  und  Beziehung  auf  politische  Institutionen, 
die  gerade  damals  in  Athen  Gegenstand  so  lebhafter  Erörterung 
und  selbst  des  Streites  unter  den  beiden  politischen,  sich  entgegen- 
stehenden Parteien  Athens  geworden  waren,  hervorgehoben  wird, 
so  ist  der  Verf.  doch  weit  entfernt,  in  derartigen  und  auch  noch 
andern  politischen  Motiven,  wie  z.  B.  in  dem  Bunde  von  Athen 
und  Argos,  den  Grundgedanken  des  Gkinzen  zu  finden,  er  ist  viel- 
mehr der  Ansicht,  dass  Aeschylus  »nie  seine  Poesie  zur  Dienerin 
einer  politischen  Tendenz  herabgewürdigt,  sondern  hier  wie  ander- 
wärts die  Begebenheiten  und  die  Stimmung  seiner  Zeit  nur  inso- 
fern verklärt,  als  es  unbeschadet  der  sittlich  religiösen  Idee,  die 
sich  ihm  in  seiner  Schöpfung  verkörpert,  geschehen  kann«  (S.  12). 
Auch  wir  sind  der  üeberzeugung,  dass  die  Grundlage  eines  jeden 
aeschylischen  Stücks  in  einer  höheren  religiösen  Idee  zu  suchen 
ist,  an  welche  zwar  oftmals  auch  politische  Beziehungen  sich  an- 
knüpfen^ da  in  der  Anschauungsweise  des  Dichters  sich  beides  an 
einander  anknüpft  und  mit  einander  verbindet,  und  erkennen  da- 
her selbst  in  den  Persern,  diesem  scheinbar  am  meisten  auf  die 
äusseren  Yerbältnisse,  die  unmittelbar  vorausgegangenen  Befreiungs- 
kämpfe, bezüglichen  Stück,  auch  nur  die  Darstellung  einer  höheren 
Idee,  die  Vorstellung  jener  hohem,  im  Hintergrunde  aller  irdischen 
Dinge  und  der  gesammten  Natur  und  W^lt  stehenden,  göttlichen 
Macht,  welche  vor  Allem  menschlichen  üebermuth,  menschliche  Er- 
hebung straft  und  in  die  dem  Menschen  nach  der  ewigen  Welt- 
ordnung gesetzte  Schranken  zurückweist:  eine  Lehre,  die  eben  so 
sehr  im  Leben  der  Völker  wie  in  dem  Leben  jedes  Einzelnen  Geltung 
hat  und  uns  desshalb  zur  Unterwerfung  unter  den  göttlichen  Willeui 
zur  Demuth  und  zu  einem  in  Allem  Mass  haltenden  Handeln  südinen 


4tQ  A#9ohgrlQ6  Aymmpnftn  tos  K^elu 

soll,  die  insofersL  mit  der  g&ttUeheii  Gereoktigkeitsidee  zagammen-' 
fMlt.  Es  ersclieint  daher  auch  richtig,  wenn  der  Yert  weiter  in 
Bezug  auf  die  hier  vorliegende  Oresteische  Trilogie  daran  erinnert» 
dasB  wir  hier  vor  Allem  der  Yorstellung  von  einem  blind  walten- 
den Schioksal,  das  den  Mensclien  wider  Willen  in  Schnld  nnd  Ver- 
derben stürze,  nns  zu  entschlagen  haben,  dass  Aeschylus  von  der 
YorsteUnjpig  eines  unbeugsamen  alle  individuelle  Freiheit  zermalmen- 
den Fatum's  himmelweit  entfernt  gewesen  ist.  Ihm  ist  vielmehr  (so 
flQurt  derYerf«  weiter  fort)  die  Moira  gleichsam  als  der  seelische  Ge- 
halt des  materiellen  üi^rundes,  aus  dem  Alles  hervorgegangen  ist, 
der  AUmutter  Erde,  das  vor  allen  Göttern  dagewesene  ewig  unwan- 
delbare Weltgesetz  oder  Weltgeschiokt  daa,  obgleich  ohne  Bewusstsein 
und  Persönlichkeit  mit  eiserner  Notwendigkeit  auf  dem  physischen 
wie  auf  dem  ethischen  Gebiete  an  bestimmte  Ursachen  bestimmte 
Wirkungen  kettet  und  so  dem  göttlichen  und  menschlischen  Indi- 
vidunm  daa  Bereich  und  die  Bedingungen  seines  Handelns  und 
seiner  Freiheit  von  Ewigkeit  gesetzt  hat  (S.  IS).  Das  Yerhältnisa 
dea  Zeus  zu  dieser  Moira,  nach  deren  ewigen  und  unveränderlichen 
Satzungen  er  das  Weltregiment  fUhrt,  wird  dann  weiter  er^&rtert» 
und  eben  so  diesem  gegenüber  das  Yerhältniss  der  Menschen,  welche 
einer  vernünftigen  Freiheit  und  Selbstbestimmung  theilhaftig  sind 
innerhalb  dieser  Schranken,  welche  die  ewige  Ordnung  der  Welt 
und  Natur,  die  Zeus  aufrecht  zu  erbalten  hat,  ihn^  gesetzt 
hat;  sa  wie  sie  aber  thörigten  Sinnes  und  verblendet  von  der 
Leidenschaft,  diese  Schranken  übersehreiten»  gerathen  sie  in  Sünde 
und  lallen  der  daftkr  eintretenden  Strafe  anheim»  deren  YoUziehung 
Zeus  zu  leiten  bestimmt  ist.  Und  wenn  selbst  die  Nachkommen» 
Söhne  und  Enkel,  ja  ganze  Generationen  in  diese  Sünde  und  damit 
auch  in  die  Folgen  derselben,  in  die  Strafe  hereingezogen  und  ver- 
strix^kt  werden,  wenn  Sünden  und  deren  Strafen  auf  einander  sich 
folgen  und  jieder  Mord  neuen  Mord  nach  sich  zieht,  bis  endlich 
eine  höhere  Macht  einschreitet,  Sühnnng  und  Beinigung  bringt, 
und  dadurch  die  moralische  Weltordnung  erhält,  so  haben  wir  damit 
das  grosse  Problem»  das  Aeschylua  in  dieser  Trilogie  zu  lösen 
unternommen  hat  (S.  1&).  Der  Yerf.  sucht  diess  nun  im  Einzel- 
nen an  den  in  dieser  Trilogie  auftretenden  Personen,  ihrem  Thuiv 
und  Leiden,,  nachzuweisen  und  geht  hier  näher  auf  die  Art  und 
Weise  ein»  in  welcher  der  Dichter  sie  zu  diesem  Zwecke  gemäss 
dargestellt  hat,  wobei  unter  Andern  auch  dem  Alastor  oder  Bache^ 
dämon,:  der  hier  in  besonderer  Weise  hervortritt,  eine  nähere  Aus- 
eüiandersetzung  (S.  17)  gewidmet  ist.  Eine  genaue  und  ausfdhr- 
lich«  Erörterung  über  die  einzeln^i  Theile  des  Agamemnon,  über 
den  Gang  des  Ganzen  und  den  inneren  Zusammenhang  der  ein- 
zelnen Theile«  also  die  Darlegung  der  ganzen  Oekonomie  des  Stückes» 
verbunden  mit  andern  auf  die  Aufführung  und  den  Yortrag  des^ 
selben  bezügUchen  Bemerkungen  bildet  den  Schluss  der  Ein- 
leitung. 


AMdiyloe  Agimwnwoii  ▼on  Keolu  4f| 

Wir  haben  mm  noch  dea  grieohisohen  Textes  nnd  dee  ani  deop 
selben  folgenden  kritisoh-*ezegetiB6hen  Commentar*8  zu  gedenken,  wel- 
chem unter  der  Aufschrift :  »Zur  Aeschjlisohen  Kritik c  8. 195~207 
ein  Vorwort  Yoraosgesohiokt  ist,  welches  über  die  kritischen  Grund«' 
s&tie  des  Herausgebers  und  über  die  Aufgabe,  die  er  sieh  gestellt» 
80  wie*  über  die  Handschriften  dea  Agamemnon  und  deren  Ver-» 
hältniss  zu  einander  wie  zum  Texte  selbst  sich  verbreitet,  Sebon 
das  Motto,  welehes  auf  dem  Titel  dieser  Ausgabe  sich  findet^^ent» 
nommen dem  Stücke  selbst  rVs,  813 ff.))  TOfih/  xaXäg  ipw  wmff 
XfiOv^Spv^  ^  fut^^r  ßmXavziov'  ot^  d\  xal  dst  ^pagfuoumr  nam^ 
yUom^  nxoi  xdavti^  ^  riiUvr$g  BVfpgovmq  xsi4^60(u6^a  jp^* 
cacQ0tQiiHxi  voöoVf  mag  eine  Andeutung  geben  über  das,  waa  in 
Bezug  auf  die  Kritik  der  Herausgeber  beabsichtigt  hat,  da  wir 
bekanntlich  in  dem  Agamemnon  wegen  mannichfitcher  Verderbnisae 
eines  der  in  kritischer  Hinsicht  am  meisten  schwierigen  Stücke 
des  Aeschylus  tobt  uns  haben,  das  in  der  jüngsten  Zeit  Tieliaeh 
behandelt  und  auch  mit  manchen  schätzbaren  Verbesserungen  be^ 
dacht  worden  ist,  auf  der  andern  Seite  aber  auch  die  ungemesseaste 
und  rücksichtsloseste  Kritik  an  sich  hat  erfahren  müssen  und  mit 
kühnen  Aenderungen,  Coi^ieciuren  jeder  Art  heimgesucht  worden 
ist,  da  die  handschriftliche  üeberlieferung  vielfach  uns  im  Stidi 
Iftsst,  und  damit  der  Coojecturalkritik  einen  weiten  Spielraum  bie* 
tet.  Die  Aufgabe  des  Verfassers  war  es,  »den  AgamemnoA  in 
seinem  ursprünglichen  Olanz  so  wiederzugeben,  dass  eiA  uavec* 
kttmmerter  und  reiner  Qeoiuss  dieses  Kunatwerkea  mögUcb  werde«  i 
eben  der  Hinblick  auf  den  Zusammenhang  des  Ganzen  und  auf  daa 
ganze  Kunstwerk  muss  nach  des  Verf.  Ansicht  aosh  die  Kritik  im 
Einzelnen  leiten.  Die  handschriftliche  üeberliefenmg  ist  von  ihca 
mit  mehr  Büeksicht  anerkannt  und  daher  auch  mit  mehr  Schonung 
behandelt  worden  als  von  Manchen  seiner  Vorgtager,  «ad  masi 
wird  diass  gewiss  nur  zu  billigen  haben;  namentlich  finden  bei 
ihm  die  yiel£ftch  in  neuerer  Zeit  behaupteten  Interpolationen  odev 
absiehtlicben  Fälschungen  der  Alexandriner  und  Byzantiner  keine» 
Eingang :  »die  Alexandriner  wie  die  Byzantiner  behandelten  den. 
ihnen  übermittelten  Text  mit  viel  zu  grosser  Ehrfurcht  und  bd 
den  letzteren  kam  dazu  noch  die  absolute  ünproductivität«  (S.  197)« 
Dieser  mehr  consenrativen  Bichtung  ist  es  daher  auch  zuzuachrei* 
ben,  dass  aus  der  ganzen  üeberlieferung  des  Agamemnon  nur  ein 
einziger  Vers  (49B  ed.  Hermann,  nach  welcher  Ausgabe  die  Vers* 
abtheilnng  hier  gemacht  ist  und  überhaupt  citirt  wird)  als  un&cht 
anegesohieden  wird,  und  auch  hier  keine  absiohtlicbe  Ftisohung  dttr 
Abschreiber  angenommen,,  sondern  das  fremdartige  EinsehiebseL 
ana  andern,  mehr  zufällig  zusammen  treffenden  Gründen  arUttri 
wkd.  »Statt  also  über  die  Interpolatioossucht  des  Byzaotiitev  uM 
za  ereifern,  tun  wir  wohl«  wenn  wijt  die  seibstTerleugnendc  Aas»"' 
danex  bewundarui  womit  sie  unverstandeae  Worte  miWisam  abge« 
malt  nnd  ao  diei  M5|^iehkeit  eaoer  WiederhMsteMMg  dflt  T<St€ft 


4ti'  Aescbyloe  Agamemnon  nm  Keek. 

gerettet  haben«  (S.  197).  Dass  in  Bezng  anf  die  Handscbriften 
dem  Medicens  die  erste  Stelle  zuerkannt  wird,  war  zu  erwarten: 
nnr  darin  ist  der  Verfasser  anderer  Ansicht ,  als  z.  B.  Dindorf, 
dass  er,  während  dieser  alle  übrigen  noch  Torhandenen  Hand- 
schriften ans  dem  Medicens  abstammen  lässt,  diess  insofern  be- 
streitet, als  er  diesen  Handschriften  eine  gemeinsame  Qnelle  zu- 
weist, deren  trenester  nnd  lanterster  Abflnss  allerdings  im  Medicens 
enthalten  sei.  Ihm  ist  daher  der  Heransgeber  bei  der  Bildung  des 
Textes  vorzugsweise  gefolgt  nnd  dessen  Lesarten  sind,  wenn  sie 
spraehlich  nnd  sachlich  haltbar  waren,  Yon  ihm  allen  andern  un- 
bedingt vorgezogen  worden:  wo  jedoch  der  Medicens  abgeht,  trat 
an  dessen  Stelle  der  Venetus  und  Florentinus,  welche  vor  dem  Par- 
hesianns,  der  aus  keiner  dieser  beiden  Handschriften  abgeschrieben 
ist,  den  Vorzug  verdienten.  Indessen  grosse  Verschiedenheit  der 
Lesarten  bietet  im  Ganzen  dieser  Farnesianus  von  den  beiden  andern 
nicht  dar,  er  stimmt  vielmehr  meist  mit  ihnen  überein:  die  An- 
nahme aber,  welche  diese  Handschriften  nicht  unmittelbar  aus  dem 
Medicens  stammen  lässt,  sondern  vielmehr  auf  eine  andere,  mit 
diesem  gemeinsame  Quelle  zurückführt,  gibt  denselben  allerdings 
einen  höheren  und  gewissermassen  selbständigen  Werth,  wenn  die- 
sto'auch  im  Verhaltniss  zu  dem  Medicens ,  dessen  Vorzug  unbe- 
stritten ist,  zurücktreten  muss.  Die  Verderbnisse  dieser  Hand- 
sehrift,  wie  auch  der  übrigen  ftlhren  den  Verfasser  auf  die  An- 
mihme  eines  schon  äusserst  beschädigten,  zerfressenen  und  theil- 
Tteise  ganz  unleserlichen  ürcodex,  welchen  er,  da  er  von  Alexandria 
yeainuthlich  nach  Byzanz  gebracht  worden,  als  Codex  Alexandrinns 
biSteichnet;  die  davon  zu  Byzanz,  wie  der  Verfasser  weiter  an- 
nimmt, genommene  Copie,  Codex  Bjzantinus,  welche  im  Wesent- 
liehen  schon  dieselben  Corruptelen  und  Lücken  entbleit,  die  in  den 
j6ts^  noch  existirenden  Handschaften  sich  finden,  bildete  dann  die 
Quelle,  aus  weicher  der  Medicens  im  zehnten  Jahrhundert  floss, 
'«(Fllhrend  Cod.  Venetus  und  Florentinus  aus  einer  andern  Abschrift 
des  Bjzantinus  stammen,  auf  welche  dann  zugleich  durch  ein  ver- 
loren gegangenes  Mittelglied  der  Farnesianus  zurückzuführen  sei 
(6.  204).  In  dieser  Weise  denkt  sich  der  Verf.  das  Verhaltniss 
der  Handschriften  und  er  hat  daraus  eine  Anzahl  von  Regeln  ab- 
geleitet, welche  als  feste  Grundsätze  fUr  die  kritische  Behandlung 
dids  Textes  gelten  sollen,  ftlr  welche  weiter  noch  das  in  Betracht 
kommt,  was  aus  den  Schollen  und  aus  den  alten  Lexicographen 
für  die  Herstellung  mancher  äschyleischen  Formen  und  Wortbil- 
dttn§^en  zu  gewinnen  ist.  Indess  werden  immer  noch  genug  Stellen 
übrig  bleiben,  in  welchen  aus  diesen  Quellen  keine  Heilung  oder 
Wiederherstellung  zu  gewinnen  ist ;  hier  hat  der  Verf.  die  eigenen 
Vermuthungen,  die  ihin  selbst  nicht  zweifellos  erscheinen,  in  den 
Text  gesetzt,  um  in  denselben  einen  Sinn  und  Zusammenhang  zu 
bringen,  da  die  Restauration  des  Ganzen,  so  weit  wie  nur  immer 
niOglich,  Min  Ziel  wttv«    In  wie  weit  hier  das  nöthige  Maass  ein- 


Aeseb^oe  AgamenuKm  tob  Keel:.  iM- 

gehalten  worden,  kOnnen  wir  dem  nnbefangenen  ürtbeil  dessen, 
der  das  aeschjleische  Stück  in  dieser  Ausgabe  darcbsttidirt ,  füg- 
lich anheimgeben,  da  diess  ein  Gegenstand  ist,  worüber  bei  der 
Verschiedenheit  der  kritischen  Anschauungen  schwerlich  die  ür- 
theile  sich  yereinigen  werden;  aber  —  so  schliesst  der  YerfiEisser 
dieses  Vorwort  —  der  Geist  des  grossen  Aeschjlos  wird  gnftdig 
und  freundlich  auf  meine  einfältigen  Versuche,  sein  Werk  ganz  und 
unverstümmelt  zum  Genüsse  zu  bringen,  herabblicken  und  darin 
mehr  Pietät  gegen  seine  SchOpfung  sehen,  als  in  dem  Wirken  jener 
Kritiker,  die  zwar  kein  Bedenken  tragen,  den  überlieferten  Text 
dreist  und  rücksichtslos  zu  ändern  oder  ganze  Partien  als  seiner 
unwürdig  zu  yerdammen,  aber  vor  der  Ausfüllung  einer  Lücke  wie 
Tor  einem  Sacrilegium  zurückbeben«  (S.  207). 

Wir  haben  im  Vorstehenden  die  kritischen  und  exegetischen 
Grundsätze  des  Verfassers  angegeben ,  ohne  uns  in  eine  weitere 
Prüfung  derselben  einzulassen,  welche  die  Grenze  des  uns  über- 
lassenen  Baumes  eben  so  sehr  überschreiten,  als  sie  dem  Zweck 
und  der  Absicht  dieses  einfachen  Berichts  fem  liegen  würde.  Aus 
diesem  Grunde  wollen  wir  auch  nicht  näher  in  den  »Commentar« 
(8.  298—472)  uns  einlassen,  in  welchem  einzelne  Stellen  kritisch 
und  exegetisch  besprochen  und  erläutert  werden,  zumal  solche 
Stellen,  in  welchen  die  Lesart  verdorben  auf  uns  gekommen  oder 
sonst  schwankend  ist.  Dass  nun  hier  neben  manchem  Treffenden, 
WM  zur  richtigen  Erklärung  und  Auffassung  mancher  einzelnen 
Partien,  wie  einzelner  Stellen  und  Worte  beigebracht  ist, 
auch  Anderes  vorkommt,  was  Zweifel  und  Bedenken  hervorzurufen 
geeignet  ist,  namentlich  in  Bezug  auf  manche  zur  Wiederherstellung 
des  Textes  eingeführte  Oonjecturen,  wird  dem  aufmerksamen  Leser 
meht  entgehen,  und  kann  auch  bei  einer  derartigen  Arbeit,  wo 
snbjective  Ansichten  und  Anschauungen  einen  weiten  Spielraum 
haben,  nicht  befremden.  Wir  kOnnen  die  Erörterung  dieses  Punktes 
und  die  Besprechung  einer  Beihe  solcher  bestrittenen  Stellen  füg- 
lich den  speciell  philologischen  Zeitschriften  überlassen,  zumal  wir 
nicht  die  Absicht  haben,  mit  dieser  Anzeige  in  der  Besprechung 
einzelner  Stellen  des  aeschyleischen  Agamemnon  einen  Beitrag  zur 
richtigen  Auffassung  und  Erklärung  desselben  zu  liefern,  was  wohl 
einer  andern  Gelegenheit  vorbehalten  sein  dürfte,  unsere  Aufgabe 
war  hier  blos  dahin  gerichtet,  die  Freunde  der  aeschyleischen  Poesie 
auf  diese  Leistung  aufmerksam  zu  machen  und  deren  Charakter  mög- 
lichst treu  darzulegen.  Ein  Wort-  und  Sachregister  über  die  in  dem 
Commentar  besprochenen  Worte  und  Gegenstände  fehlt  nicht  S.  478 
bis  480.  Die  ganze  äussere  Ausstattung  in  Druck  und  Papier  ist 
in  jeder  Beziehung  eine  vorzügliche  zu  nennen. 


Ait'  AtBchyloB  Agamemnon  Ton  Keek. 

gerettet  habent  (S.  197).  Dass  in  Bezng  auf  die  Handsclrnften 
dem  Medioeus  die  erste  Stelle  zuerkannt  wird,  war  zu  erwarten: 
nur  darin  ist  der  Verfasser  anderer  Ansicht,  als  z.  B.  Dindorf, 
dass  er,  wbbrend  dieser  alle  übrigen  noch  yorbandenen  Hand- 
soliriflen  aus  dem  Mediceus  abstammen  lässt,  diess  insofern  be- 
streitet, als  er  diesen  Handschriften  eine  gemeinsame  Quelle  zu- 
weist, deren  treuester  und  lauterster  Abfluss  allerdings  im  Mediceus 
enthalten  sei.  Ihm  ist  daher  der  Herausgeber  bei  der  Bildung  des 
Textes  vorzugsweise  gefolgt  und  dessen  Lesarten  sind,  wenn  sie 
sprachlich  und  sachlich  haltbar  waren,  Yon  ihm  allen  andern  un- 
bedingt Torgezogen  worden:  wo  jedoch  der  Mediceus  abgeht,  trat 
an  dessen  Stelle  der  Yenetus  und  Florentinus,  welche  ror  dem  Par- 
nesianus,  der  aus  keiner  dieser  beiden  Handschrifben  abgeschrieben 
idt,  den  Vorzug  verdienten.  Indessen  grosse  Verschiedenheit  der 
Lesarten  bietet  im  Ganzen  dieser  Farnesianus  von  den  beiden  andern 
nicht  dar,  er  stimmt  vielmehr  meist  mit  ihnen  ttberein:  die  An- 
nahme aber,  welche  diese  Handschriften  nicht  unmittelbar  aus  dem 
Mediceus  stammen  lässt,  sondern  vielmehr  auf  eine  andere,  mit 
diesem  gemeinsame  Quelle  zurückfahrt,  gibt  denselben  allerdings 
einen  h(5heren  und  gewissermassen  selbständigen  Werth,  wenn  die- 
sto^auch  im  Verhftltniss  zu  dem  Mediceus,  dessen  Vorzug  unbe- 
stritten ist,  zurücktreten  muss.  Die  Verderbnisse  dieser  Hand- 
sehrift,  wie  auch  der  übrigen  ftihren  den  Verfasser  auf  die  An- 
nähme eines  schon  äusserst  beschädigten,  zerfressenen  und  theil- 
Tteise  ganz  unleserlichen  ürcodex,  welchen  er,  da  er  von  Alexandria 
ymnuthlich  nach  Byzanz  gebracht  worden,  als  Codex  Alexandrinus 
iMteiehnet;  die  davon  zu  Byzanz,  wie  der  Verfasser  weiter  an- 
nimmt, genommene  Copie,  Codex  Bjzantinus,  welche  im  Wesent- 
Ueliisn  schon  dieselben  Oormptelen  und  Lücken  enthielt,  die  in  den 
j^zt  noch  existirenden  Handschaften  sich  finden,  bildete  dann  die 
Quelle,  aus  welcher  der  Mediceus  im  zehnten  Jahrhundert  floss, 
'«(FShrend  Cod.  Venetus  und  Florentinus  aus  einer  andern  Abschrift 
des  Bjzantinus  stammen,  auf  welche  dann  zugleich  durch  ein  ver- 
loren gegangenes  Mittelglied  der  Farnesianus  zurückzuführen  sei 
(6.  204).  In  dieser  Weise  denkt  sich  der  Verf.  das  Verhältnisa 
der  Handschriften  und  er  hat  daraus  eine  Anzahl  von  Regeln  ab- 
geleitet, welche  als  feste  Grundsätze  für  die  kritische  Behandlung 
dids  Textes  gelten  sollen,  für  welche  weiter  noch  das  in  Betracht 
kommt,  was  aus  den  Schollen  und  aus  den  alten  Lexicographen 
fttr  die  Herstelimig  mancher  äschyleischen  Formen  und  Wortbil- 
dungen zu  gewinnen  ist.  Indess  werden  immer  noch  genug  Stellen 
übrig  bleiben,  in  welchen  aus  diesen  Quellen  keine  Heilung  oder 
Wiederherstellung  zu  gewinnen  ist ;  hier  hat  der  Verf.  die  eigenen 
Vermuthungen^  die  ihm  selbst  nicht  zweifellos  erscheinen,  in  den 
Text  gesetet,  um  in  denselben  einen  Sinn  und  Zusammenhang  asn 
bringen,  da  die  Restauration  des  Ganzen,  so  weit  wie  nur  immer 
iMgUch,  ^8«in  Ziel  war.    In  wie  weit  hier  das  nöthige  Maass  din- 


AescIi^M  AgamemnoB  tob  KeelL  iM- 

gebalten  worden,  können  wir  dem  unbefangenen  ürtbeil  dessen, 
der  das  aescbjleiscbe  Stück  in  dieser  Ausgabe  durcbstudirt ,  ftlg« 
lieb  anbeimgeben,  da  diess  ein  Gegenstand  ist,  worüber  bei  der 
Verscbiedenbeit  der  kritiscben  Anschauungen  scbwerliob  die  ür- 
tbeile  sieb  yereinigen  werden;  aber  —  so  scbliesst  der  Verfesser 
dieses  Vorwort  —  der  Geist  des  grossen  Aesobjlos  wird  gnftdig 
und  freundlicb  auf  meine  einfältigen  Versucbe,  sein  Werk  ganz  und 
unyerstümmelt  zum  Genüsse  zu  bringen,  berabblioken  und  darin 
mebr  Pietät  gegen  seine  ScbOpfung  seben,  als  in  dem  Wirken  jener 
Kritiker,  die  zwar  kein  Bedenken  tragen,  den  überlieferten  Te3ct 
dreist  und  rücksichtslos  zu  ändern  oder  ganze  Partien  als  seiner 
unwürdig  zu  yerdammen,  aber  vor  der  Ausfüllung  einer  Lücke  wie 
vor  einem  Sacrilegium  zurückbeben  c  (S.  207). 

Wir  baben  im  Vorstehenden  die  kritischen  und  exegetischen 
Grundsätze  des  Verfassers  angegeben ,  ohne  uns  in  eine  weitere 
Prüfung  derselben  einzulassen,  welche  die  Grenze  des  uns  über- 
lassenen  Baumes  eben  so  sehr  überschreiten,  als  sie  dem  Zweck 
und  der  Absicht  dieses  einfachen  Berichts  fem  liegen  würde.  Aus 
diesem  Grunde  wollen  wir  auch  nicht  näher  in  den  »Commentar« 
(8.  298—472)  uns  einlassen,  in  welchem  einzelne  Stellen  kritisch 
und  exegetisch  besprochen  und  erläutert  werden,  zumal  solche 
Stellen,  in  welchen  die  Lesart  verdorben  auf  uns  gekommen  oder 
sonst  schwankend  ist.  Dass  nun  hier  neben  manchem  Treffenden, 
was  zur  richtigen  Erklärung  und  Auffassung  mancher  einzelnen 
Partien,  wie  einzelner  Stellen  und  Worte  beigebracht  ist, 
auch  Anderes  vorkommt,  was  Zweifel  und  Bedenken  hervorzurufen 
geeignet  ist,  namentlich  in  Bezug  auf  manche  zur  Wiederherstellung 
des  Textes  eingeführte  Oonjecturen,  wird  dem  aufmerksamen  Leser 
nicht  entgehen,  und  kann  auch  bei  einer  derartigen  Arbeit,  wo 
subjective  Ansichten  und  Anschauungen  einen  weiten  Spielraum 
haben,  nicht  befremden.  Wir  kOnnen  die  Erörterung  dieses  Punktes 
und  die  Besprechung  einer  Beihe  solcher  bestrittenen  Stellen  füg- 
lich den  speciell  philologischen  Zeitschriften  überlassen,  zumal  wir 
nicht  die  Absicht  haben,  mit  dieser  Anzeige  in  der  Besprechung 
einzelner  Stellen  des  aeschyleischen  Agamemnon  einen  Beitrag  zur 
richtigen  Auffassung  und  Erklärung  desselben  zu  liefern,  was  wohl 
einer  andern  Gelegenheit  vorbehalten  sein  dürfte.  Unsere  Aufgabe 
war  hier  blos  dahin  gerichtet,  die  Freunde  der  aeschyleischen  Poesie 
auf  diese  Leistung  aufmerksam  zu  machen  und  deren  Charakter  mög- 
lichst treu  darzulegen.  Ein  Wort-  und  Sachregister  über  die  in  dem 
Commentar  besprochenen  Worte  und  Gegenstände  fehlt  nicht  S.  478 
bis  480.  Die  ganze  äussere  Ausstattimg  in  Druck  und  Papier  ist 
in  jeder  Beziehung  eine  vorzügliche  zu  nennen. 


m  Prellec:  ROnüMhe  Hytlioloita. 

Rämiache  MfOtoio^  von  L.  Prell  er.  Zweite  Jußage,  revidiri  und 
mit  liUrariUhm  Zueälgen  versehen  von  Reink.old  Köhler. 
Berlin.  Weidmännische  Buchhandlung  1866.  820  S,  in  8. 

Bei  eixiem  Werke,  wie  das  yorliegende,  das  in  einer  neaen 
Avflage  Baeh  dem  Tode  des  Yerfeisaers  erscheint  und  bereits  hin- 
rsifibend  der  gelehrten  Welt  bekannt  geworden  ist,  wird  von  einer 
eingebenden  ijoseige  ttber  Inhalt  nnd  Gegenstand,  über  die  Be- 
handhing deeselben^  ttber  Methode  nnd  Ziel  des  Verfassers  föglicli 
Umgang  genommen  werden  ktonen.  Denn  es  darf  diess  wohl  ala 
bekwnnt  Toraosgesetzt  werden.  Wir  haben  hier  nnr  ansngeben,  was 
die  erneuerte  Ausgabe  im  Verhältniss  au  der  frttheren  bietet.  Die 
Besorgung  ward  demselben  Gelehrten  anvertraut,  welcher  schon 
frtther»  nach  Preller*s  Tod,  eine  Sammkag  der  in  verschiedenen 
Zeitschriften,  Gelegenheitsschriften,  wie  sdbst  grösseren  Sammel- 
werken zerstreuten  Aufsätze  und  Abhandlungen  Prellers  veran- 
staltet hatte,  von  welcher  auch  in  diesen  Bl&ttem  seiner  Zeit  die 
Bede  war  (s.  Jahrgg.  1868.  S.  956  fF.);  mit  gleicher  Sorgfalt  hat 
er  sich  auch  der  Herausgabe  dieses  Werkes  unterzogen,  aber  auch 
mit  lieber  Gewissenhaftigkeit.  Wir  erhalten  in  der  neuen  Au»» 
gäbe  Preller*s  Werk  im  Ganzen  unverändert»  insofern  nur  die  Be- 
richtigungen und  Zusätze,  welche  am  Schlüsse  der  ersten  Auflage 
vom  Yerfiajsser  selbst  noch  bemerkt  worden  waren,  an  den  betref- 
fenden Orten  angebracht,  auch  manche  Schreib-  oder  Druckfehl«: 
von  dem  neuen  Herausgcäier  berichtigt  worden  sind«  Wenn  also  in 
dem  Texte  selbst  keine  iiigendwie  belangreiche  Yer&ndemng  statt- 
gefunden, vielmehr  derselbe  fast  ganz  unverändert  geblieben  ist  — 
was  bei  dem  Werke  ebes  Hingeschiedenen  gewiss  das  rätUiohsta 
war  ---  so  hat  dagegen  der  Herausgeber  es  sich  angelegen  sein 
lassen,  in  den  Anmerkungen  unter  dem  Texte,  welche  die  Belege» 
so  wie  die  Anfllhmng  der  Literatur  enthalten.  Alles  das  sorgfältig 
nachzutragen,  was  inzwischen  d.  h.  seit  1858  auf  diesem  Gebiete 
erschienen  ist.  Diesem  Umstände  verdanken  wir  zahlreiche  Zur 
Sätze,  welche  auf  das,  was  über  jeden  einzelnen  Gegenstand  ixt- 
zwischen  in  einzelnen  Aufsätzen,  in  gelehrten  Zeitschriften,  oder  in 
gr(toseren,  seitdem  erschienenen  Werken  bemerkt  worden,  verwei- 
sen und  so  eine  schätzbare  Ergänzung  des  Werkes  bringen,  das 
damit  bis  auf  die  neueste  Zeit  geführt  ist;  ist  doch  z.  B.  Alles 
das,  was  in  den  Annalen  des  archäologischen  Instituts  über  ein- 
zelxie  Punkte  der  römischen  Gotterlehre  vorkommt,  hier  eben  so 
got  verzeichnet,  als  andererseits  bei  den  Inschriften,  von  denen 
Gebrauch  gemacht  wird,  auf  das  neue  Berliner  Corpus  Inschptio^ 
num  Latinn.  allerwärts  verwiesen  wird.  Im  üebrigen  ist  die  ganze 
äussere  Einrichtung  der  ersten  Auflage  beibehalten,  der  Druck  selbst 
mit  gleicher  Correctheit  besorgt,  und  so  mag  das  verdienstliche 
Werk  auch  in  dieser  erneuerten  Gestalt  Allen  denen  empfohlen 
werden,  welchen  es  um  eine  gründliche  Erkenntniss  der  gesanunten 


470  ICommten:  BOmiMb«  GMdUabl«. 

römischen  OOtterwdt  uzkd  «m  eine  richtige  Ei&siobt  in  den  rnligiS- 
Ben  Glauben  der  alten  BOxner  zu  thnn  ist :  wie  man  auch  über  ein- 
zelne Ponkte  des  schwierigen  Gegenstandes»  der  in  diesem  Werke  mit 
solcher  umfassenden  Gelehrsamkeit  und  Gründlichkeit  behandelt  ist, 
denken  mag:  reichliche  Belehnmg  wie  vielfache  Anregung  wird  man 
gewiss  darans  gewinnen  können.  Ein  ausfQhrliches ,  com  Nach- 
schlagen dienendes  Begister  erleichtert  sehr  den  Gebrauch. 

Wir  reihen  daran  die  Anzeige  einer  neuen  Auflage  eines  andern 
Wwkes,  das  ebenfalls^  wie  das  eben  besprochene,  in  die  Beihe  der 
Handbücher  gehOrt,  welche  in  derselben  Buchhandlung  erschienen 
sind,  mit  dem  Zwecke,  das  lebendige  Yerständniss  des  dassischen 
Alterthums  in  immer  weitere  Kreise  wbl  bringen: 


Römiieh€  Otsehiehie  ren  Theodor  Mommsen^  Ertier  Band.  Biß 
zur  SeMueht  von  Pydna*  \\ertt  Auflage^  Berlin  j^  Wädr 
mann'eche  Buchhandlung.  ISßh.  XU  und  956  &  in  & 

Auoh  bei  diesem  Werke,  das,  wie  wenige  der  Art,  in  wenigen 
Jahren  eine  so  ungemeine  Verbreitung  unter  uns  gefunden  hat, 
wird  ein  eingehender  Berieht  über  Inhalt  und  Gegenstand  desselben, 
Anlage  und  Ausführung,  Methode  und  Behandlung  eben  so  wenig 
hier  erwartet  werden,  wenn  wir  nicht  sattsam  Bekanntes  wieder- 
holen wollten.  Noch  weniger  wird  man  hier  erwarten,  dass  wir 
uns  in  die  mannichfacken  Controversen  einlassen,  zu  welchen  so 
manche  kühne  Behauptung,  so  manches  auffallende  Urtheil,  und 
eine  yielfach  von  dem  Herkömmlichen  abweichende  Behandlung  des 
Gegenstandes  Veranlassung  gegeben  hat:  es  noag  diese  andern 
Orten  oder  andern  der  Erörterung  dieser  Gegenstände  eigens  ge^ 
widmeten  Schriften  zu  näherer  Besprechung  überlassen  bleibeOb  Wir 
haben  hier  »ur,  indem  wir  das  Erscheinen  einer  neuen  Ausgabe 
anseigen,  deren  VerhäUniss  zu  den  yorausgegangenen,  insbesondere 
der  nächflten,  dritten,  in  der  EürsM  anzugeben.  Und  in  dieser  Be- 
ziehung wird  ein  Jeder,  der  sich  näher  in  dieser  vierten  Auf- 
lage umsehen  will,  bald  die  Ueberaeugung  gewinnen,  dass  keine 
wesentliche  Aenderung  oder  Umarbeitung,  es  sei  des  Ganzen j  wie 
etwa  einzelner  Abschnitte,  stattgefunden,  vielmehr  das  Werk  sich 
ziemlich  gleich  geblieben  und  am  wenigsten  seinen  ganzen 
Charakter,  Ton  und  Färbung  verändert  hat;  wohl  aber  sind  im 
Einzelnen  manche  Zusätze  gemacht,  auch  manche  Berichtigungen 
oder  Verbesserungen  angebracht  worden,  welche  der  neuen  Auf- 
lage zum  Vortheil  gereichen,  die  in  Allem  gegen  die  dritte  eine 
Vermehrung  von  etwa  einem  Bogen  aufweist.  Auch  in  der  äusse- 
ren Einrichtung  ist  Nichts  verändert»  der  Druck  selbst  mit  glei- 
cher Correctheit  veranstaltet  worden«  Das  in  der  Vorrede  sage- 
sagte Begister  ist  inzwischen  auch  in  einem  eigenen  Hefte  von 
55  Seiten  mit  doppdtexk  Columneu  mcbgeliafert  worden:  es  mag. 


i 


470       Vering:  OeBoliicbto  nnd  Insttitioneii  des  rOm.  Privtlre^to. 

hiernach  sein  Umfang  und  seine  Ausföhrlichkeit  wie  auch  seine 
Brauchbarkeit  bemessen  werden,  zumal  sogar  die  Seitenzahlen  der 
dritten  Auflage  in  Klammem  beigesetzt  sind. 


Oesehichte  und  Ingtitutianen  des  römUehen  Privafrechts  von  Df. 
Friedrich  Vering,  Professor  der  Rechte  an  derUniver- 
ßUät  zu  Heiddberg,  Mains,  Verlag  von  Franz  Kirehheim  1865, 
XI  und  454  8.  gr.  8.  (2  Thlr.) 

Zur  Abfassung  des  im  Vorstehenden  genannten  Buches  wurde 
ich   hauptsächlich    durch   das   Bedürfniss    einer   eingehenden   «um 
akademischen  Gebrauche  dienlichen  inneren   Geschichte  des  römi- 
schen Rechtes  veranlasst.  Von  der  Äusseren  Rechtsgeschichte  habe 
ich  nur  eine  gedrängte  Geschichte  der  Quellen  und  Aufzählung  der 
Bechtsquellen  aufgenommen,    und   ausserdem   diejenigen  Vorgänge 
und  Verhältnisse  aus  dem  öffentlichen  Rechte  der  Römer,  welche 
und    wo    sie   von  besonderem    näheren    Einfluss    auf  die  Bildung 
und   Entwickelung  des  römischen  Privatrechts  waren,   oder  deren 
Angabe    oder   Erläuterung   zum    Verständniss    dieser    oder  jener 
Bestimmungen  oder  Grundsätze  des   Privatrechts   nöthig  erschien. 
Dagegen  die  innere  Rechtsgeschichte  bestrebte  ich   mich  so  voll- 
ständig darzustellen,  als  ich  es  ftlr  das  Bedürfniss  der  Studirenden 
nöthig  und  nützlich  hielt.   Ich  habe  alle  Rechtsinstitute  von  ihrem 
Ursprung  an,  soweit  dieses  bei  dem  Stande  der  Quellen  möglich  ist, 
ohne  sich  in  blosse  Hypothesen  zu  verlieren,  und  in  ihrer  ganzen 
weiteren  Entwickelung  und  Ausbildung,  und  soweit  dieselben  nicht 
schon  früher  untergegangen  sind,  bis  zu  ihrer  Gestaltung  im  Justi- 
nianischen   und    heutigen    gemeinen    Rechte    verfolgt,    und    die 
dogmatische  Darstellung  des  heutigen  Rechts   so   ausführlich  ge- 
halten, dass  mein  Werk,  wenn  es  auch  zunächst  zur  Einleitung  fttr 
Anftlnger  bestimmt  ist,  doch  auch  durch  die  Reichhaltigkeit  seines 
Inhalts  sich  überhaupt  als   Lehrbuch   des  römischen   Rechts  und 
zur  Repetition  und  zum  Nachschlagen  eignet,  zu  welchem  letzteren 
Zwecke  ich  auch  ein  ausführliches  Sachrögister  beigefügt  habe. 

Ich  will  durch  mein  Buch  natürlich  nicht  das  Studium  der 
Pandekten  entbehrlich  oder  überflüssig  machen;  auch  ich  halte  das 
Studium  des  Details  des  römischen  Privatrechts  in  möglichst  wei- 
tem Umfange  und  das  Studium  der  wichtigeren  Cohtroversen  für 
ein  nothwendiges  unumgängliches  Mittel  zur  Bildung  und  Schärfung 
des  juristischen  Verstandes.  Aber  ich  halte  es  nicht  für  noth- 
wendig,  dass  ein  junger  Jurist  am  Ende  seiner  Universitätsstudien 
und  für  die  Examina  gerade  auch  alles  und  jedes  Detail  und  eine 
gar  grosse  Zahl  von  Controversen  in  ihrem  ganzen  Inhalt  und 
Umfang  vollständig  fttr  jeden  Augenblick  bei  sich  imKopf^^tr^go« 
Soviel,  als  aber,  wie  ich  glaube  jeder  angehende  Jurist  vom  römi- 


V«ring:  Geachlelite  imd  iMitationeii  d«s  röm.  Prhnlreebtt.     -iSl 

sehen  Bechte  zum  Wenigsten  an  Kenntnissen  jeder  Zeit  bereit 
haben  mnss,  soviel  wollte  ich  überhaupt  vom  römischen  Bechte 
zusammenstellen  und  zwar  in  möglichst  einfacher  und  fasslicher 
Darstellung.  Von  der  römischen  Bechtsgeschichte  musste  ich  mit- 
unter wohl  noch  mehr  geben,  wenn  ich  dieselbe  einiger  Massen 
erschöpfend  vorlegen  wollte.  Jedoch  habe  ich  auch  hier,  wie  über- 
haupt in  meinem  Buche  den  blossen  sogen,  gelehrten  Apparat  und 
ein  Eingehen  auf  Controversen  und  untergeordnete  Detailfragen  ver- 
mieden. Ich  habe  von  Literatur  nur  einige  besonders  hervorragende 
Werke,  soviel  als  zur  weiteren  Orientirung  in  derselben ,  und  als 
in  allgemeiner,  namentlich  auch  unter  den  Studirenden  vielver- 
breiteten Werken  zur  weiteren  Detailbelehmng  und  Auflassung  der 
eingehenderen  Begründung  leicht  nachgeschlagen  werden  konnte, 
verzeichnet.  In  derselben  Weise  habe  ich  in  der  Aufzeichnung  der 
einzelnen  QueUenbelege  ein  gewisses  Mass  eingebalten.  Vielleicht 
habe  ich  aber  in  dieser  oder  jener  Sichtung  dem  Einen  oder  dem 
Andern  bald  zu  viel,  bald  zu  wenig  gethan.  Jede  Belehrung  in 
dieser,  wie  in  anderer  Beziehung  werde  ich  mit  Dank  entgegen- 
nehmen und  alle  desfallsigen  Wünsche  sorgfältig  prüfen  und  dem- 
gemäss  berücksichtigen. 

Ich  gebe  zum  Schlüsse  zur  besseren  üebersicht  des  Inhalts  des 
Werkes  ein  kurzes  Yerzeichniss  des  Inhalts  der  18  Bücher,  in 
welche  dasselbe  zerföllt. 

Die  Einleitung  handelt  von  der  Bedeutung  des  römischen 
Rechts,  der  Aufgabe  und  Methode  des  vorliegenden  Werkes,  und 
von  den.  Quellen  der  röm.  Bechtsgeschichte. 

Buch  I  behandelt  die  Arten  und  Formen  des  Beohts  und  die 
Geschichte  der  Quellen  und  der  wissenschaftlichen  Behandlung  des 
römischen  Bechts. 

Buch  n  handelt  von  den  Voraussetzungen  und  Wirkungen 
der  Persönlichkeit,  wobei  auch  die  Lehre  von  der  Solaverei  ein- 
geschlossen ist. 

Buch  m  handelt  vom  Begriff  und  den  Arten  der  Sachen. 

Bach  IV  von  den  Handinngen  und  Becbtsgeschäften. 

Buch  V  von  dem  Bechte  im  subjectiven  Sinne. 

Buch  VI  von  der  Berechnung  der  Zeit. 

Buch  Vn  von  der  Sicherung  und  Vertheidignng  der  Bechte, 
wobei  der  ganze  römische  Oivilprooess  und  der  Einfluss  der  ein- 
zelnen Frozesstadien  auf  das  materielle  Becht  sehr  ausführlich  ge* 
schildert  sind. 

Buch  Vm  bespricht  den  Besitz. 

Buch  IX  behandelt  das  Eigenthum. 

Buch  X  die  Servituten. 

Buch  XI  die  Emphyteusis. 

Buch  Xn  die  Superficies. 

Buch  yiTT  das  Pfandrecht. 

Buch  XIV  das  Obligationenrecht. 


4^8  BÜttar  fttr  OeftagBlMkinide. 

Bach  XT  das  Eherecht. 

Bach  XVI  die  yttterliche  Gewalt. 

Bach  XVn  die  Yormondschaft. 

Bach  JLVIU  das  Erbrecht. 

Ich  habe  bei  der  Darstellang  des  Eibrechts  zwar  Öfter  auf 
die  detaillirten  Nachweisangen  meines  grosseren  »BOmischen 
Erbrechts  in  historischer  and  dogmatischer  Entwickehing«  (Heidel- 
berg bei  Mohr.  1861)  hingewiesen;  jedoch  ist  die  zwar gedrftngte, 
aber  wie  ich  meine  dennoch  ziemlich  reichhaltige  Darstelinng  des 
Erbrechts  am  Schlnsse  meiner  Torliegenden  Geschichte  and  Listi- 
tntionen  wieder  nach  einem  ganz  anderen  Plane  and  ganz  nea  and 
selbstst&ndig  aasgearbeitet  anter  möglichster  Berttcksichtigang  and 
Herrorhebnng  der  gerade  in  den  Darstellangen  des  Erbrechts 
meistens  so  wenig  hervortretenden  eigenthtlmlich  rOmisohen  inneren 
Gliederangtmd  Entwickelang. 

Es  erübrigt  mir  zam  Schiasse  noch ,  dem  Verleger  des  yor- 
Uegenden  Baches  für  die  gate  Aasstattang  bei  dem  massigen 
Preise  desselben  meinen  Dank  aaszaspreehen.  Verfug. 


Erklärung. 


IKe  Heidelberger  Jahrbücher  fOr  Litei*atar  haben  in  Nr.  21 
and  22  anter  dem  Titel  »Blfttter  für  Gefilngnisskande«  einen  Auf- 
satz Ton  Professor  BOder  in  Heidelberg  gebracht,  welcher  die  Diensi- 
fOhzong  and  die  Person  der  nnterzeiclmeten  Beamten  des  Brach- 
saler  Zellengeftngnisses  zam   Gegenstand  heftiger  AasfiLUe  macht. 

Wir  behalten  one  vor,  diesen  Aofsatz  an  anderem  Orte  ein- 
gehender za  besprechen.  Vieles  darin  ist  indess  dem  aafinerksamen 
Leser  für  sich,  and  nicht  za anseren üngansten  klar.  Hier  müssen 
wir  erklftren: 

1)  Wir  haben  nur  zor  Abwehr  die  Feder  ergriHbn,  wir 
haben  ans  nar  Tertheidigt  gegen  die  TielfUtigen  Angriffe  auf 
die  Zustande  and  Beamten  des  Zellengefftngnisses,  welche  Professor 

-  BMer  seit  dem  Abgang  des  früheren  Zellengeft-ngnissdirektors  Füeeslin 
tmermüdet  in  zweien  seiner  Werke,  in  der  Vorrede  za  Hftgele^s 

~  »Erfahrangen«,  in  Zeitangen,  Zeitschriften  and  bei  anderen  G^ 
legenheiten  gemacht  hat. 

2)  Wie  der  Zastand  des  Zellengefängnisses,  der  Geist  seiner 
Leitang  und  die  Wirksamkeit  seiner  Beamten  beschaffen  ist,  da- 
von kann  sich  jeder  unbefangene  darch  eigfene  Anschaaang  über- 
zeagen,  oder  wenigstens  dadarch,  dass  er  sich  die  Mühe  nimmt, 
die  Blatter  für  Geftognisskunde,  insbesondere  das  11.  Heft,  welches 
die  Jahresberichte  ftlr  1863  enthält,  za  darchlesen. 


Btt^bBT  flhr  €kff&ii|;iii8nciiiid6*  4^ 

8)  Die  Grossh.  Btaatsregiemng  hat  im  Lsofe  des  Jahres  1868 
durch  einen  Hinisterialcommissäry  und  durch  ein  Mitglied  der 
obersten  MedicinalbehSrde  gründliche  Visitationen  des  Zellenge- 
f&ngnisses  in  Betreff  der  allgemeinen  und  insbesondere  anch  der 
sanit&tiichen  Zustände  sowie  der  Wirksamkeit  der  Hansbeamten 
Tomehmen  lassen  nnd  darauf  bin  den  Beamten  die  Zufriedenheit 
mit  deren  Leistungen  ausdrücklich  ausgesprochen.  Der  Erfundbe- 
rieht  des  Chr.  Obermedicinalraths  ist  in  Kr.  5  u.  6  des  badischen 
Centralblatts  für  Staats-  und  Gemeinde-Interessen  Ton  1864  wört- 
lich abgedruckt. 

4)  Die  Oommission  für  das  (besetz  über  den  Vollzug  der 
Arbeitshausstrafe  in  Einzelhaft  bei  der  hohen  ü.  Kammer,  deren 
Pitsident  lange  Jahre  hindurch  Inspector  des  Zellengefilngnisses 
war,  nnd  viele  andere  Kammermitglieder  haben  im  Jahre  186S  das 
ZellengefUngniss  besucht  und  nur  Worte  der  Anerkennung,  nameirt- 
fich  auch  für  die  Wirksamkeit  seiner  Beamten  gefunden,  denen  der 
Berichterstatter  in  der  105.  Öffentlichen  Sitzung  in  der  schmeichel- 
haftesten Weise  Ausdruck  yerlieh. 

Hiemach  können  wir  es  getrost  der  »unverfiUschten«  Öffent- 
lichen Meinung  überlassen,  welches  Recht  ein  ICann  hat,  uns  den 
Stab  zu  brechen,  der  uns  nicht  kennt,  der  seit  yielen  Jahren  das 
Zellengefitogniss  nicht  gesehen  hat,  und  der  trotzdem  sich  nicht 
entblödet,  unsere  treueste  Pflichterfüllung  ein  »Treiben  der 
von  ihm  gezeichneten  Leute  €  zu  nennen  und  dagegen  die 
neue  Aera  Badens  zu  Hilfe  zu  rufen. 

Bruchsal  im  Juni  1865. 

Ekert,  Director  des  Zellengefilngnisses. 

Ad.  Bauer,  Verwalter  des  Zellengefibignisses. 

Dr.  Gutsehy  Hausarzt  des  Zellengeflbignisses. 


Was  Yon  den  Auslassungen  der  vorstehenden  Herrn  zu  halten 
sei,  werden  auch  Diejenigen  leicht  einsehen,  die  keine  Gelegenheit 
hatten  hinter  den  Vorhang  zu  blicken,  die  aber  wenigstens  unsere 
Kittheilungen  in  Nr.  21  und  22  dieser  Jahrbücher  aufmerksam 
gelesen  und  mit  jenen  Auslassungen  yerglichen  haben«  Doch  wollen 
wir  hier  noch  Folgendes  bemerken:  Wenn  wir  in  Tollem  Einver^ 
ständniss  mit  zahlreichen  deutschen  und  nichtdeutschen  Sachkun- 
digen, einige  entschiedenen  Missstftnde  und  Fehlrichtungen  in 
der  Oberleitung  des  Zellengefilngnisses  zu  Bruchsal,  sowie  in  der 
Dienstführung  einzeler  Beamten  desselben,  wiederholt  zur  Sprache 
gebracht  haben  —  Fehlrichtungen,  die  bereits  unter  dem  yorigen 
Direktor  die  Oberhand  gewannen  und  ihn  zuletzt  zum  Dienstaus- 
tritt drftngten  — f  so  geschah  Diess  doch  keineswegs,  wie  uns  jetzt 
untergeschoben  wird,  erst  seit  dessen  Austritt  und  noch  weniger 
wegen  dieses  Austritts,  so  sehr  wir  denselben  natürlich  auch 


400  Batto  Or  0eAii|9iüMkmiA0. 

badaaerthabeoa;  es  geschah lediglicfa,  weil  wir  es  um  der  guten 
Sache  willen  ftlr  unsere  Pflicht  hielten  nicht  zu  schweigen, 
während  alles  rein  Persönliche  selbstverständlich  nns,  den 
ganz  ünbetheiligten ,  gar  nicht  berührte.  Erst  seit  der  unerhört 
ungebührlichen,  unsers  Wissens  von  Oben  nie  missbilligten,  Herab- 
setzung der  Direktion  der  Anstalt  durch  den  Verwalter  Bauer 
(in  seiner  Schrift  »der  Gewerbbetrieb«)  fühlten  wir  uns  gedrungen 
(im  Vorwort  zu  »Hägele's  Erfahrungenc  sowie  in  unsem  Schriften 
»Der  Strafv^oUzug«  und  »Besserungstrafe  etc.«)  schärfer  und  ein- 
gehender über  diesen  und  andern  Unfug  uns  auszusprechen.  Die 
»Dienstführung«  des  jetzigen  Vorstands  haben  wir  mit  keiner  Silbe 
angefochten,  wohl  aber  die  unbegreifliche  Art,  in  der  er  sich  herbei- 
liess.  Alles  nur  zu  loben  oder  doch  zu  beschönigen,  sogar  jenes 
beispiellose  Auftreten  des  Verwalters  Bauer,  anstatt  sich  zu  er- 
innern, dass  ein  Lob  von  Seiten  Dessen  wenig  Werth  hat,  der 
nicht  auch  den  Mnth  zeigt  offen  zu  tadeln.  Wenn  er  daher  im 
Obigen  abermals  sich  als  mitgetroffen  und  sammtverbindlich  mit 
seinen  Amtsgenossei^,  hinstellt ,  so  muss  er  freilich  besser  wissen 
als  wir,  ob  und  wieweit  er  dazu  Grund  hat.  Was  endlich  die 
oben  beigebrachten  unmittelbaren  und  mittelbaren  Belobungen  der 
eigenen  »treuesten  Pflichterfüllung  c  gegen  xmsere  Vorwürfe  be- 
weisen sollen,  ist  nicht  abzusehen.  Oder  wird  dadurch  yielleicht 
unser  Tadel  des  vorbemerkten  unwürdigen  Verhaltens  entkräftet? 
Oder  weiss  nicht  etwa  Jedermann,  dass  es  Männern,  die  sich  allen 
hohem  Weisungen  gegenüber  stets  als  gehorsame  Diener  erweisen, 
an  Zufriedenheitbeweisen  aller  Art  —  auch  bei  Dienstvisitationen 
von  derselben  Seite  —  nicht  fehlen  kann?  UebrigeDS  haben  wir 
selbst  mehrfach  ausdrücklich  anerkannt,  dass  »trotz  Alledem«  Vieles 
im  Zellengefängniss  zu  Bruchsal  und  in  seiner  Verwaltung  heute 
besser  geworden  sei  als  früher.  Die  Wahrheit  wird  sich  unerbitt- 
lich auch  in  dieser  Sache  Bahn  brechen! 

K.  Röder. 


Ii.  a  HEIDEIBEBOES  18M. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


ProeapiuB  v<m   Caesarea  von  Dr.  Felix  Dahn.  ProfeMor  an  der 
Hochsehule  zu  Würtburg,  Berlin.    Mittler  1865, 

Prokopins  von  C&saria  war  unter'  seinen  Zeitgenossen  ein 
Gegenstand  nngetheilter  Bewunderang.  Der  Nachwelt  würde  er  zum 
Mindesten  im  Lichte  eines  harmlosen  Historiographen  erschienen 
sein,  wenn  nicht  Nikolaus  Alemannus  im  Jahre  1628  die  Oeheim- 
geschichte  herausgegeben,  und  damit  einen  Zankapfel  unter  die  ge- 
lehrte Welt  geworfen  hätte.  Die  Geheimgeschiohte  trftgt  so  deut- 
lich den  Stempel  eines  Libells,  sie  athmet  einen  so  glühenden  per- 
sönlichen Hass  gegen  Kaiser  Justinian  und  dessen  Oattin  Theodora, 
dass  sich  für  die  späteren  Kritiker  die  Alternative  herausstellte 
entweder  jene  Schrift  als  unächt  zu  erklaren,  oder  Prokop's  Cha- 
rakter aufs  Schärfste  anzugreifen.  Vor  Allem  waren  die  Juristen 
mit  einem  wegwerfenden  ürtheil  bei  der  Hand ;  da  Justinian  ihnen 
der  grSsste  Wohlthäter  der  Menschheit  zu  sein  schien,  und  da  sein 
Name  ihrer  dankbaren  Begeisterung  mit  allen  Herrlichkeiten  des 
Corpus  juris  in  eine  verklärte  Qlorie  zusammenfloss.  Die  Einen  nannten 
Prokop  einen  falschen  Ankläger,  die  Anderen  nannten  den  Ankläger 
einen  falschen  Prokop;  insgesammt  verwarfen  sie  den  Inhalt  der 
Schrift,  und  wenn  sie  sich  ftLr  den  ofQciellen  Prokop  überhaupt 
noch  interessirten ,  der  doch  immer  ein  Beamter  ihres  grossen 
Kaisers  gewesen  ist,  so  erwiesen  sie  ihm  die  Ehre  auseinanderzu- 
setzen, dass  er  die  Geheimgeschichte  nicht  geschrieben  habe.  Der 
Helmstädter  Professor  Eichel  glaubte  »die  Sache  aller  Fürsten  € 
zu  vertheidigen ,  indem  er  die  Invektiven  der  Geheimgeschichte 
zurückwies  und  schliesslich  an  der  Yerfasserschaft  Prokop*8  zwei- 
felte. Man  merkt  es  aber  seinen  wortreichen  Erörterungen,  in  denen 
die  ganze  Leidenschaftlichkeit  der  jüngst  vergangenen  Religions- 
kriege nachzittert ,  sofort  an ,  dass  es  mehr  auf  die  »Bettungc 
Jnstinian*8  und  Theodora*s,  auf  die  Rechtfertigung  des  aufgeklärten 
Absolutismus  und  der  Staatsraison  des  17.  Jahrhunderts  ankommt, 
als  auf  die  Bettung  Prokop^s.  Sed  esto,  heisst  es  in  der  Praefatio, 
Procopii  Caesariensis,  quamvis  id  nullo  certo  argumento  ostendi 
possit ;  muito  minus  metus  ille  removeri,  Avixdota  non  esse  inter- 
polata:  fama  tarnen  Justiniani,  quam  eversam  hoc  Scripte  ivit, 
nullo  modo  ne  in  minime  quidem  re  periditatur.  Der  politische 
Zweck  der  EichePschen  Schrift  liegt  damit  klar  am  Tage ;  Prokop*s 
literarischer  Ruhm  wird  der  Idee  des  landeshoheitlichen  Despotis- 
mus zum  Opfer  gebracht,  die  durch  die  kleindeutschen  Potentaten 
Yon  Braunschweig  und  Lüneburg  ebenso  vertreten  war,  wie  durch 
LVnL  Jahrg.  7.  Heft.  3X 


^1 


.4MP  DMi«:  V»%afßm  vtm  ClMrei. 

Jnfltiniaiu  Neben  dieser  politischen  versohwindei  die  kritische  Be- 
deutung def  Bicherschen  Schrift.  Sein  Miseiaraten  gegen  dLs  Bcht- 
hdt  der  Qeheimgeschichte  grtlndet  sich  auf  den  Itfo^ngel  gleich- 
zeitiger bestätigender  Zeugen;  das  Zeogniss  des  Snidas  wird,  da 
er  remotior  ab  aevo  Jostinianeo  gewesen  sei,  ebenso  entschieden 
bem&ngelt»  wia  daa  des  Nicephoms  Oallistas,  der  die  Geheimge- 
schichte niemals  gesehen  habe.  Dabei  wird  jedoch  die  Aehnlich- 
keit  der  Sprachweise,  die  Conformitas  stjli  keineswegs  in  Abrede 
gestellt^  wenn  anch  Eichel  dies  als  ein  argumentum  infinnioa  be- 
zeichnet, und  der  Ansicht  lebt»  dass  man  sich  durch  fleissige  Lek- 
türe in  den  Stjl  und  den  Charakter  eines  Anderen  vollkommen 
einbürgern  könne.  £!b  liess  sich  nun  erwarten,  dass  die  Zweifel, 
welohe  der  Helmstädter  Professor  angeregt  hatte  im  Stillen  fort- 
wirken, und  an  der  Parteileidensehaft ,  mit  der  die  ganze  Sache 
xum  einmal  verwachsen  war,  neue  Nahrang  gewinnen  würden.  Auf 
der  einen  Seite  blieben  die  Juristen,  wie  Fabricius  und  der  preus- 
sieche  Kanzler  Ludwig  in  dem  Glauben  an  die  Yortrefflichkeit 
Justiman's,.  an  die  Schmähsucht  Frokop*s  oder  an  die  Interpolation 
der  Geheimgeachichte  unerschütterlich  stehn.  Auf  der  andern  Seite 
etand  die  römisch-katholische  Kirche,  die  als  Gegnerin  Justinian*s 
die  Anklage  für  begründet  hielt,  und  die  Yerfassersohaft  eines  so 
aiigj99elienen«  wohlunterrichteten,  glaubwürdigen  Gewährsmanns,  wie 
Pcokop,,  gern  akkeptirte.  Dazwischen  trat^  Franzosen  wie  Bava- 
li^Cf  la  Mothe  le  Vayer,  Marmontel  auf,  um  über  den  ganzen 
Streit  xüii  der  Miene  der  Unfehlbarkeit  abzuurtheilen  und  die  Oe- 
heinagesehichte  für  ein  ebenso  werthloses  wie  unächtes  Machwerk 
zu  erklären.  Es  erheischte  Strafe,  dass  Frokop  die  Franken  das 
treuloseste  Volk  der  £2rde  genannt  hat,  G.  11,  25.  p.  217  i^xiyaQ 
l8i/og  xocüxo  xo  i^  jcüsxiv  öq^cdsfmxaxQv  avd^fmnfnv  axdvxGW  und 
^a  Moijhe  le  Yayer  äussert  ganz  mit  Beoht:  Un  auteur  plus  seaeö 
n'etti  pas  paorM  de  la  aorte  ni  offensö  temerairement  tont  une 
afttion*  Erst  in  neuerer  Zeit  hat  sich  das  Dunkel  gelichtet,  in 
welehei  unsere  Frage  durch  den  professionellen  und  politischen  Hader 
der  Kritiker  gehüllt  war.  Seit  der  geistvollen  Abhandlung  Teuffols 
im  achten  Bande  der  A.  Schmidt*schen  Zeitschrift  für  Geschichte 
Vonnta  »an  die  Akten  als  zu  Gunsten  Prokop's  geschlossen  ansehn. 
Qeiber  die  Echtheit  der  Geheimgesehichte  hätte  nach  Teuffeh  An- 
sichiti,  wenn«  man  immer  der  Gesetze  der  Kritik  bewuset  gewesen 
Waffe,  nie  der  leiseste  Zweifel  entstehen  können.  »Wer  anders  als 
Pj(ak<^  wäore  im  Stande  gewesen,  die  Schrift  so  in*s  Einzelne  hin- 
eilt iam  grösseren  Werke  anzupassen,  zu  sagen :  hier  habe  ich  dies 
anc^gelASsen,.  dort  war  jenes  anders  und  dies  Ereigniss  hatte  diede 
Gründe?  Ausserdem  ist  in  beiden  Werken  ganz  dieselbe  Weltaa- 
iH^haanpg^  derselbe  religiös^fatalistische  Pragmatismus,  die  nämliclie 
VecknUpfimg  von  Schuld  und  Strafe,  derselbe  Aberglauben ;  sodann 
ganz  dieselbe  Darstellung«  die  nämlichen  Wendungen,  dieselbe  Jagd 
nach  Gemeinplätzen,  dieselben  Lieblingsausdrücke,  derselbe  Stil  nur 


«tiwa»  MoUAafiger,  Qfapehm  h$Mw  wir  j%  4»»  ToUwicktJigff  mt 
drüokUche  Zeugnis»  des  Suidi^a.  Nn^  g^nz  fmlpritiacbe»  Bb^^tusti?^, 
ibffe»  SAbjet^tiy^  Veiaung  oder  Noigwg  all^p  olpjel^tiTe^  ^^wgi^mm 
QH^agensetzeiidQ  Kritiker ,  wie  Qi^jet  kQü^te«  d^r  diß  Bphtt^it 
betreuen.  B^sop^ers  hlu^t^lLekig  upMi  eig^nsmug  a^igteit  ai^h  n^^ 
h^r  die  Jl^riBten.  Ibx  tbeiu?er  J^^iinian,  deiv  Yat^  d^p  tiaxylicdMP^ 
Corp^  juris  iw4  damit  indirekt  a^ol»  ^  TMller  «peb  h«n5Ui*«:ep 
Canm^ntare  imd  Abbaadlongepj  mu^siet  Kfi^ii  tif^^m  md  ?rq^ii> 
Wl^r  ^  Lflgiv^r  und  Yerläqmder.  I)en  g^^dUchßtcm  4^iM|{)^^l^WgfiP 
AltmauA^B  9u  Gunsten  Prpkop^s  setzte  a^^Superi  d^;^  M^t^pppMb 
MVieß  Juristeziti^rsens  entgegen:  ProcopU  aiictpvitas  ej^d  f^^  (wi- 
deu  proreu^  eyUuit  qnidqoid  tandem  mp^i^tiu:  er^ditifl^iif^W  inj^s- 
pr^i  Wer  aber  nocb  heutzutage  die  Ikdi^eit  \>wf^ii^  W^i^^f 
der  BifiefE^  «ntved^r  die  Bella  oder  die  A^^dotn  ^K  bei4#  m^ 
if^  geleeea  haben.« 

I^  iex  Tl|<ft  nnterlipigt  ea  kemm  Zweifel  i  d^sa  4i^  ft^jfp^ 
litfsatur  init  der  Abbandtong  Te^ff^ra  einen  b€^digWi)it9<  M- 
aciUng«  gewonnen  bat.  Gerade  ^ber  weiU  in  4er  hi§r  v^ftt^iürtfi^ 
Er^gpbiaher  nur  einaeitige  befangene  Urt^eile  :fxm  ^QV^ok^ßs^  topof^ 
Qj^d  wei}  Teufiers  Urtheil  aelbat^  wie  der  Pi^ßsua  4^r  di^  «Ifijria^ 
\>eweisti  nicht  f^ei  yon  einer  gewissen  wQnig  a!W(nutJ^9|4§9  9ittf^- 
keit  iptf  g^rif^  darum  xnnaete  ea  erwtUiB^ht  er«^b^9^  vQg.  iRm^im' 
tar  Seitß  2>9  erfs^ren,  wiQ  mw  di^  Angelegfii^^it  j^t^t  ^n  Laggr 
dar  Ji^iaten  (MUiieht;  und  wir  Sfdbm  in  ^W^  Yo^c^^^fim  We^Se 
deß  Veifasaera  der  »Könige  dei:  äe^^ia^ef^c  ^j^m  ^H9»  ^  Yf^^^A^^ 
volleren  Beitr«^  ^nr  Sist(Q)ripgraphie  def  Yi^U^^rw^^dmiW  ¥»^4  4f ^ 
aink^ndepiL  Bönj^rthu«?,  aja  Pi^bn  aU^  Vgrurt^^äe  d^r  ?r^MAf  ^ 
gelegt  wvc  nxit  klarem  objektiven  Blick  zwißcii^  Frok^  und  «f^- 
n#n  juristischen  Gegnern  en^ckiedj^i^  hat«  K%g|^  dieser.  n/B9^a^ 
Pti^rstellung,  die  vor  Allen  frOber^n  den  Vora^  i^i^^  i^  4^  fHi^t 
bewnpdernswerthei^  ]ß:Qnntnis8  dei;  Schri%A  P^^qp'f,  yprf^nsi  feft^ 
mpaf  di^  ^hJtheit  dev  Geheiingpi«hipb<#  f^  ni)nnik#i#Ad^oh^  fe^ 
9t^h^d  ap>gw>mj?aen  werden,.  Mit  hifk^PAdia«^.  S9l»rfWi^J5  IF- 
]B9mt#  DaJw^  4W8  we  V^riedigende  I^^ßwg  dft%  langen  Sjif^iJa 
nickt  d^^kbaf  sei  ohne  die  grtlndtiehate  Sf^cgUedi^fuag  de^M.%^;i^#a 
Prokop,  und  er  hat  una  in  a«pineni  i^nf^aa^ndeffk  Werk  e^b^n^wQl^ 
ein  Chfkrakterbild  deflißelben,  wie  ^ine  Sohilderung  dea  g^tig^^i 
aittliohan  nnd  politischen  Zniatan^^s  »einer  Ze^t^  ^9  Si^hild^F^i^^  4ipB 
gwuen  Bjzantinerthnm«  gegeben« 

Die  Weltgesohiebte  iat  ein  ffMrtlaulen^fyB  fingen  ^w^i^r  V^- 
^ipi^;  Qewegungi  Lebeuapr^aeee  aqf  d^r  einen,  atar^  In  ipi^h 
Yerbarren  und  StiUatand  auf  der  %nder9n  Seite.  Unp^  d^  <WM- 
inigalen  Kritften  dfi^  Abendländer  ein  Gegengewicht  g^S^^l^W^- 
atellett^  um  die  äts&ende  Wirknng  der  okkiäwMis^^n  Gi|iateji\k^ 
w^liabkeit  m  attnfiig^n  h^  dieN^tni:  d%a  b jzMtinjii^«!  ^o^^l^ 
Pin  Blpi99wiAht  m  4ie  SohUm  Sn^oipipi  gel|(^.  Jn  im^  '^n»- 
ttn^klW  tritt  das  ei^AsiAnigp  V^atbaUien  fpi  ^t«n  Up]^f |:;Upfpi:^eni 


1 


MA  DftkB:  PifokopiM  VAU  Cttsar«*« 

gleichsam  die  Apotheose  der  Beharrung  und  des  Süllstands  her- 
Tor.  Hier  herrscht  allein  die  Anktorität,  nnd  die  Aufgabe  des 
Individmuns  löst  sich  in  vollkonunener  Resignation  nnd  Yemich- 
tnng  aller  individuellen  Selbstständigkeit.  Jedoch  ein  so  nnnatttr- 
Uches  System  bestraft  sich  selbst,  und  gerade  an  Prokop  können 
wir  ersehen,  wie  sich  der  Gewinn  über  die  Yerderbniss  der  be- 
stehenden Zustände  auf  die  Dauer  nicht  im  Geheimen  bergen  lässt, 
wie  das  Individuum  durch  die  erbittertste  Auflehnung  gegen  den 
Zwang  protestirte,  der  ihm  von  Oben  angethan  ward.  In  einer 
Brust,  die  von  den  Erinnerungen  an  die  Herrlichkeit  des  alten 
BSmerthums  geschwellt  war,  musste  sich  Verzweiflung  regen,  dass 
der  Sohwerpunkt  des  Reichs  nach  dem  Osten  verlegt  war,  und  dass  an 
Stelle  einer  reichen  fortschreitenden  Geisteskultur  die  Erstarrung 
und  der  wechsellose  Despotismus  des  Orients  immer  ho&ungsloser 
hereinbrachen.  Wen  aber  sollte  man  anklagen?  Sollte  manEin- 
aelne  für  das  verantwortlich  machen,  was  das  Werk  einer  unwider- 
stehlichen weltgeschichtlichen  Entwicklung,  die  nothwendige  Folge 
des  Scheidungsprozesses  der  antiken  von  der  modernen  Welt  ge^ 
wesen  ist?  Nur  der  Blick  eines  vollkommen  freien  und  klaren 
historischen  Auges  wird  in  solchen  Momenten  der  Gährung  und 
des  üebeigangs  das  Zufällige  von  dem  Nothwendigen  zu  unter- 
scheiden im  Stande  se]^.  Prokop  war  kein  Historiker  ersten  Ran- 
ges. Sein  Geist  verfing  sich  in  Einzelnheiten,  er  vermochte  nicht 
das  Wesen  aller  geschichtlichen  Entwicklung  zu  erfassen,  und  da- 
durch ttber  die  Misere  der  Gegenwart  hinauszuragen.  Es  fehlte 
ihm  die  Ejraft  zu  erkennen,  dass  das,  was  ein  Werk  des  Menschen- 
geistes und  der  Zeit  sei,  ein  Einzelner  nicht  verschuldet  haben 
kOnne.  Und  so  unterlag  er  der  Versuchung  seine  persönlichen 
Schicksale  und  Erfahrungen  durch  ein  allgemeines  historisches 
ürtheil  zu  verklären,  und  Justinian  zum  Sttndenbock  zu  machen, 
•  dem  er  fremde  und  eigene  Schuld  bequem  aufbürden  konnte.  — 
Es  ist  immerhin  anerkennenswerth ,  dass  Prokop  dem  Verfall  des 
Bömerthums,  dem  Schwinden  der  äusseren  Ehre  und  dem  Zuneh- 
men der  inneren  ünfireiheit,  nicht  gleichgültig  zuzusehn  vermochte. 
Vielen  ist  es  gegeben  die  Schande  der  Nation  und  den  Verlust  des 
inneren  politischen  Lebens  im  egoistischen  Genuss,  in  der  Pflege 
von  Wissenschaft  und  Kunst  zu  vergessen.  So  gab  es  zu  Prokop's 
Zeit  unzählige,  denen  der  Staat  nicht  im  Mindesten  am  Herzen 
lag,  die  über  dem  Wettkampf  der  (Grünen  und  Blauen  im  Girkus, 
oder  über  einer  neuen  Interpretation  des  orthodoxen  Lehrbegriffs, 
ttber  einer  theologischen  Haarspaltung  der  beiden  Naturen  in 
Ohristus  Ehre  und  Freiheit  der  Römer  vergassen.  Aber  in  Prokop's 
enger  und  von  kleinlicher  Selbstsucht  angekränkelter  Seele  ist  das 
ein  erfreulicher  Schimmer  von  Gesundheit,  dass  er  das  Unglück 
seines  Vaterlandes  tief  empfand.  Weder  Wissenschaft  noch  Reli- 
gion vermochten  ihm  Beruhigung  zu  gewähren.  Wohl  bot  das 
Christenthum  Trost  für  die  Qualen  des  Augenblicks ;  indem  es  die 


D»bii:  Profcoplm  tm  CiatrM.  4M 

GUltibigeii  auf  das  Jenseits  yerwies,  wo  die  Oednld  belohnt  und 
das  irdiselie  Leiden  mit  Wncber  vergelten  werden  sollen.  Doch 
das  sind  Lehren  wogegen  sich  eine  grobsinnliohe  Natnr  stets  em- 
pören wird.  Wer  viel  gelebt  hat,  wird  sich  zn  klng  denken,  nm 
einem  »Wahne  zn  hnldigen,  >den  nnr  Yerzfthmng  weihen  kann.« 
Li  Byzans  schüttelte  man  voll  weltmännischer  Erfahrung  den  Kopf 
über  dergleichen  unreife  Trftumereien,  gerade  so  wie  auch  heut  zu 
Tage  der  g^sse  gesellschaftliche  Pöbel  den  einsamen  Schwärmer 
Tcrlaoht  der  für  Hoffnungen  gewisse  OUter  hingibt.  »Sechstausend 
Jahre  hat  der  Tod  geschwiegen ;  kam  je  ein  Leichnam  aus  der  Gruft 
gestiegen,  der  Meldung  that  von  der  Yergelterin?«  —  Gewiss;  der 
Spott  hat  in  dieser  Frage  ein  weites  Spiel,  und  er  hat  auch  inso- 
fern Recht,  als  sich  Niemand  ohne  Seufzen  durch  die  Aussicht  auf 
ein  kummerloses  Dasein  jenseits  der  Sterne  ftber  die  Vernichtung 
irdischen  Glücks  trOsten  kann.  Prokop  war  am  AUerwenigsteii 
dasu  angethan  sich  mit  einem  idealen  Trost  zu  beruhigen.  Dem 
Christenthum  stand  er  kühl  und  skeptisch  gegenüber;  es  gelang 
ihm  nicht  sich  widerspruchsfreie,  zusammenhängende  Ansichten  über 
Gott  und  Schicksal,  Welt  und  Menschenleben  zu  bilden,  und  er 
rerstrickte  sich  nur  immermehr  in  dem  Labyrinth  qualroller  Zwei- 
fel, zu  dem  die  ruhelose  Skepsis  führen  muss.  Das  ist  die  ein- 
fachste Losung  eines  anscheinend  unerklärlichen  psychologischen 
Bäthselfl.  Prokop  war  kein  Idealist;  seinem  Wollen  war  es  nicht 
gegeben  den  Schmerz  im  religiüsen  Glauben  zu  überwinden,  sein 
Erkennen  reichte  nicht  aus  eine  philosophische  Lüsung  zu  finden, 
da  seine  Empfindungen  nur  momentane  und  schwache  waren,  so 
musste  eine  haltlose  Skepsis,  ein  Yollkommener  Selbstwiderspmch, 
ein  geistiger  und  moralischer  Banquerott  das  Resultat  jener  intel- 
lektuellen Verkümmerung,  und  die  nothwendige  Folge  jener  Nicht* 
Übereinstimmung  der  drei  menschlichen  Geistesfaktoren  sein.  Wo 
es  an  einem  im  Innern  freien,  nach  Aussen  kräftigen  Staatsleben 
mangelt,  da  werden  auch  geistig  freie,  sittlich  ehrenhafte,  kräftige 
Charaktere  selten  sein,  und  die  Verkümmerung  des  Geisteslebens, 
die  wir  an  Prokop  ron  Cäsaria  gekennzeichnet  haben,  erscheint 
nur  als  ein  Symptom  in  Mitten  eines  allgemeinen  Verfalls.  Der 
Staat  sinkt  mit  der  Abnahme  der  geistigen  und  sittlichen  Kräfte 
seiner  Bürger,  aber  es  ist  dem  Einzelnen  daium  nicht  gestattet 
sich  ans  dem  allgemeinen  Banquerotte  zu  retten ;  sich  seines  geistig- 
sittlichen  Eigenthums  ungestört  und  ungestraft  zu  erfreuen.  Denn 
ein  im  Inneren  unfreies,  nach  Aussen  ehrloses  Staatsleben  erzieht 
feige,  schwache  Seelen ,  und  erstickt  selbst  bedeutendere  Anlagen 
des  Geistes  und  des  Charakters,  als  wie  sie  Prokop  ron  Oäsarea 
besass;  und  wir  haben  dies  unerbittliche  Gesetz  der  Wechsel- 
wirkung zwischen  dem  Staat  und  seinen  einzelnen  Bürgern  in 
Deutschland  selbst  zur  Genüge  erfahren.  —  So  tritt  uns  Prokop*s 
ganze  Indiridualität  als  das  Produkt  des  Byzäntinerfhums  ent* 
gegen,  und  wir  künnen  Dahn  nur  Dank  wissen,  daes  er,  entfernt 


im  &9t  ^WAmBoIi^n  BiographtMUDaanier^  es  yerihiMen  hat  tte 
¥*^^r  Büiiito  Hel&«&  zu  btmifttttelii,  tmd  ilm  zn  V«rttieidigen,  m^ 
gturlA  ile^  birttfrisolien  Wahrlieit  tten  zu  bleiben.  So  wAnig  Slyn* 
]iaMiie0ii  tunto  aticli  %in  Oliatali»rv  ine  3er  Ptdkop'B,  einflOsst;  wir 
hab€»lin'dil^8«Di  Ohsralrter  4ieifögiioU:eit  gefonden,  jeneii  Streit>  €er 
Mt  !mkolMn  AleiKibinittB  Sie  geiefarte  Welt  bewegt  bat,  e&dgifRig 
im  eM»bbieden>  tmd  sobalrd  tun  <di6  Sieit,  in  'der  Frokop  leMe  mril 
der  Name  seibsiAter  vol*  det  Beele  eteht>  IkaHn  «acfa  dt«  fiat^ 
A»b«ng  und  Beiteotniig  >d«r  GebeimgesoMcfate  kein  BStHeel  mMir 
Mn.  lAe  Metorisblie  'Methode  Bäein  bttrgt  fttr  die  Sicb^sMit  d«f 
g9kaammtL  ErgebtilBse.  Bnber  hat  mim  Qevieht  auf  die  tasee« 
r€A  'Girttivfe  gelegt,  doch  imt  di^  inneren  Ortlnde  kOnnen  für  ^K6 
tMithbi);  «ohlaj^nd  wkd  «ntsebeidend  iBein.  ^e  Temfbl,  so  gelangt 
auoh  IMm  ans  einMÜ  sorgfUItigefn  Tergleich  der  QebeimigeBeiufcMiB 
mAi  idm  unliMweiiflblten  Werken  zu  dem  SeBüUat ,  djasii  Sptwolie, 
Sijl»  Wottänflcbäuung,  Oestinnang,  TJrtlwikaTt  voHkornmen bieriri^ 
dort  llbet^iiistiiii/men,  wShi^trd  die  WiderBprttche  «kd  ünters^lnede 
nnr  ecMüibttr  odbr  docb  leiofat  sn  iftseki  «ind.  Mit  wei&f^  B»- 
iv«ififen  kann  iiikn  ^en  B^wsede  anB  dbr  Sphtcbe  nidit  füllten ,  iak 
diSB  ffaeUnillafte  kton  hiei:  entsobetdto;  tmd  -es  nt  "sIb  eib  bcton» 
deree  VerdienBi  des  Bwbn'Bofaete  BeMn  m  nebifon,  dasB  ^  dnrbii 
ein  lEidJpbäfbbtTBdieB  ftegisftefr  'die  identttftt  «der  Bfnraobe  libcbMM, 
#Uehe  4ie  IfQgH^kkeii  der  Fftlecfanng  svsBcblieBst^  "nn^  die  NMb* 
ireudigkeft  ^der  Mentitllft  "des  Antorä  ImpMcirt.  Eine  geWiBse  Mo** 
neibnib  "des  Frok6^*  Beben  Bt]^^  imiBste  bier  ble'Bidttodhnnr  diei^i^ 
Prokop  büt  rfiob  an  bMimmte,  stebende  LiebKngbwÖrtet,  nnd  7ei^ 
BclbmiAtt,  snoli  Hv<ö  ob  osur  Aibt^ebeeking  tmd  znr  l^RyshdigeQ  Bmt"- 
bMt  'der*8prabfab  beitragen  ktante,  die  n&ebtt  biegenden  fly  ikonyiuen 
frii  gebnmebien*  Wenn  «r  einen  'Satz  ^anflhigt,  bo  tMbb  man  «ebön 
t>0^an8,  in  weiefaehr  VMse  er  hüö  Mitte  ¥oiftftlbfc«n  md  Sae  Ende 
«biMdeii  Mrird.  Disiiiit  ist  Abet  iceizte9vre|[B  geeagt,  dass  «ine  ao 
monätohe  fllmiobe  ieicbt  tiacbgeabmt  ^nrerden  ktene.  Bbnn  'gerade 
in  dta  Uea^  iriederkebrenden  Liebüngswendnngen  Prokop*B  zeigt 
dicih  eine  bo  völlige  üebereinetinmaBg  zwischen  d6r  'Oebeimge- 
seblcbte  nbrd  den  tfbrigen  Werken,  dass  eine  Fftltebnng  derglbicken 
ni^  bewxxkt  %iAen  würde«  So  wttve  dmih  dtärck  <deib  Vetr^eick  difr 
SlAtedbe  aücfin  der  Beweis  ToUkommenerbtiaeiit,  dbes  dersc^e-ülaim 
die  fiiBlxaveft,  «die  Bauwerke  utd  die  ^eleingescbiöbte  ^ohrieUen. 
Wie  aber  (die  «Spnidie  tax  der  Ausdniek  <deB  innelren  'SeeleiacfbbliB 
fit,  ^o  kcMDliaut  es  Vor  Alletm  darmif  an ,  dass  die  <>e8inriuBg  und 
BoBkvtfgsBrt  Iner  Wie  dotHi  dih  gleiche  iei.  9eb<m  in  der  Benutzuiii^ 
der  Q^Uen,  der  Bchrtfldichen  wie  "der 'mttndliehta ,  tritt  ime  d« 
B]gctatU(imlii{he  tntd  Widet^mebsvoMe  des  SeiofriftBtelldrB  pra^gnuit 
entgegen.  Aneh  faiermgt  eiob  der  WldeMpraob,  weiober  sieh  «därok 
Bbin  ga^ee 'gdtBtigee  und  BtttAibbeB  Wee^n  bindi^bziebt :  abb^k 
dbr  bHndcttften  lieMttfelttilÄgkeit  naSt  wAcbit  et  Wnnderfi^eetbieiiten 
tmid  Mythen  ««hinntft,  ignriit  mm  kiitfiBeberfioharfmn^  'der 


bloe  Am  glttohtn  ICrak«!  aUelmi,  die  er  ionrt  wniinmt,  ^ondoo^ 
saoh  an  eoloheb  Eraahlnngen,  welche  an  aieh  Nicbts  üawaliaraotmH 
liolie»  etttfaattea,  mäkelt.  £r  yerwakri  aioh  «af  da«  Entachiedenata 
gßgUA  4ie  VaniiiaehRing  der  reinea  Gesohidhie  umd  der  Mytbplogiyi^ 
imd  deniM>eh  bericUet  er  xa»  glttabig  auob  aplabe  ZUge  der  IiaUai* 
BiMben  Qttd  römiaekan  Götter- imdHeldenaagB,  weleba  dieibiateii^ 
aller  ä5ti»r  •ari6<^ii}aiid'6  oad  Boin*B  voranssataea«  Daaa  ler  vcgi 
dea  AtentlMaem  der  Odjaeee  ala  geeolüehtlkbeQ  Tbaiaaaha«  »ediA 
lat  fireiUcb  eine  Eraeheiftaiig»  die  keineii  Keaaier  dea  /griacbiffoliaii 
▲Uertfamns  Ubermacbt  wkd.  Wir  wisseot  daaa  der  fUanba  .an  düa 
hiatoriaehe  Bealität  dar  in  den  Hameriachen  GtoaftngB  gafaieortavi  'E^ 
«igniaae  aelbet  tob  dea  FreigeisUm  dar  cqp&iereB  Z^%  via  TJmpyr 
didea,  niaht  angeiaatet  worden  ist«  die  daoli  aonat  geiai  jade  •^n-* 
legaidbeit  ergDiffan  u»  ifarar  iSk^eie  in  Benig  a«f  die  Bconarifoto 
OKtter^  und  MUir«faenwelft  fraiea  Lauf  au  lasaen*  Im  V<dk  uliar 
w«r  man  aa  weit  atftfenKt  davon  mcb  jenen  GlaHrban  f^orprmohBr 
Vetgangenbait  dnrdi  ainaatna  S|)ö4t^  Ferkümmem  an  laffen«  daaa 
aueb  in  den  bietorisob  aiokaoen  2jeiteii  Beefctotitel  ana  dam  fiamar 
aar  SeUiofatang  Intemationalar  Streitigkeitan  Mgero&n  wncdan» 
wie  wir  ans  dem  Streit  dar  Atbaner  mit  Megaia  nnd  mit  Mitylene 
(Hetodot.  y,  94)  dentUcb  areelm.  Wann  daabalb  Prafassor  Dato 
Proko^^a  Festtudten  an  dar  Homeriaohen  Tcipograidde  ainaig  wd 
aUein  ana  daeaen  Mangel  an  kritiBober  Methode  be)lai(fcei»  lio  diHiAa 
er  Anf  Beebmmg  das  SUnoielnra  aotoaiban,  waa  in  dar  ganaeii  Walt- 
anaehannng  jener  Nation  begründet  und  mirt  ihrem  (SHattben  bip 
hantcntaga  anf  daa  Sngato  yerwacdiaaa  iat.  Ss  ist  Pvohop  an  ^«^ 
aeibot  daaa  er  Oon^ym  dse  Inael  derPhttaJcen  neimt,  w^m  die^GoKr- 
Selten  aiafa  in  ibren  Lokaidiranikan  «*-  wie  in  Daodela'a  'Oesohiabba 
^^  noflh  bantsatage  ala  die  dirdcian  Nacbkoaunan  der  PbttakM 
baaaiobaan,  wenn  aie  dem  Fveaiden  den  Flnas  S^atamo  «aaigeiif  W0 
Nanaifcaa  gawaaehen  bat,  nnd  von  dar  Höbe  das  San  Pantaleotia 
jenen  merkwürdigen  Falsbloek  im  Meer,  dar  die  Geatalt  mMa  fiebiffiia 
b«t,  ala  daa  Sabiff  des  Odyeaeoa  weiaen j  ^  dh  pdi»  axBÖw  likv^fi  4 

Sa«viel;  um  den  Vorwarf  dea  >gröbaten  AbMrglaabanaii  den  IMm 
gagan  Prokop  aobleadert,  aa  modifiaicen.  Anob  die  »bödiiat  w^ 
wiaaenaidiaftliobe  AaSassang  der  t^eacbiabte«,  die  siab  der  flistoriker 
Jnatiaian'B  sa  Scbalden  kommen  l&ast,  daxfte  ttoa  dam  Geist  adioer 
Zeit  heczaleiten  adin  aüad  ^es  aradieint  gerade  de«  geaaidMUaa 
GrSasan  dea  ByaantuierUmma  gegenüber  als  ein  ebenso  naOmmnr 
digea  wie  verdienatycdles  Eorrektiy,  daaa  snan  den  Wavth  a»d  4eii 
Zfwaok  der  Gesobiobte  saf  das  {trAktieabe  lieben  beacbrKnMe  and 
aia  Glaabanabekenntnisa  aafatellte,  wie  Janaa  im  tBinpwg  -dar 
Hiatoiäen:  ^üi»  Senntniea  des  Yej?g«kngeAen  bat  dnn  W^ertbi»  49m 
9»  die  liaobwelt  in  lAnüeben  £itaa(tiotian  a»  B.  im  lEj^ega;,  ^a- 
j4«i0en  Maameein  arcpei&n  hhxt,  mleb^  firttbar  M0fa  (dar  SMAr 


488'  D*lli:  PMkOidvt  yob  CIütc«. 

rnng  genützt  nnd  diejenigen  yermeiden,  welche  früher  naeh  der 
Erfohnrng  geschadet  haben.  €  Die  Fälschung  der  geeohichtliohen 
Wahrheit  zn  praktischen  Zwecken,  das  Abweichen  von  dem  zwei- 
ten Princip  des  Giceronianischen  Qesetzes:  Eam  esse  historiae 
legem,  ne  quid  falsi  dicere  andeat,  deinde  ne  qnid  verinon  andeat, 
rte  sind  nns  nie  entschnldbarer  nnd  sogar  in  einem  gewissen  Sinne 
achtbarer  erschienen,  als  bei  Prokop,  wenn  er  im  dritten  Bofih 
des  Oothenkriegs  berichtet:  >Die  Gothen  tOdteten  den  Priester 
tmd  die  Einwohner  des  eroberten  Tibnr  anf  eine  Weise»  die  ich 
sehr  wohl  kenne,  aber  nicht  mittheilen  werde,  anf  dass  ich  nicht 
der  Nachwelt  ein  Vorbild  der  Grausamkeit  ttbermittle.€  So  fastt 
er  sein  Wirken  als  ein  anf  die  Zukunft  gerichtetes,  von  dem  das 
Thnn  und  ürtheilen  der  Nachwelt  abhängen  wird,  und  wenn  wir 
ehrlich  sein  wollen,  mttssen  wir  gestehn,  dass  der  Geschichtsfor- 
scher sich  kein  höheres  Ziel  stecken  kann  (Anecdota  15.  p.  94). 
Wir  haben  damit  die  patriotische  Gesinnung  berührt,  die  für  Pro- 
kop  im  Gegensatz  zu  der  kosmopolitischen  Verworrenheit  mancher 
Zeitgenossen  ehrenvoU  und  charakterisch  ist.  Wohl  begannen  die 
Einzelnen,  die  sich  über  dem  Allgemeinen  erhaben  dünkt<en,  die 
Pflichten  gegen  das  Allgemeine  wegzudemonstriren,  und  sich  grol- 
lend YOn  dem  Staat  abzuwenden.  Die  Epikurfter  und  Stoiker  lehr- 
ten, dass  der  Weise  sich  gegen  den  Staat  ziemlich  gleichgültig 
▼erhalten  werde,  da  die  politischen  Gesch&fbe  Ton  der  philosophi- 
schen Müsse  der  Betrachtung  abzögen.  Dazu  kam  die  Macht  der 
im  Ohristenthum  enthaltenen  demokratischen  Tdeen,  die  die  Grund- 
lage des  antiken  Staats  untergruben.  Die  Zeit  des  begonnenen 
üebergangs  aus  der  Antike  in  das  Mittelalter  spiegelt  sich  nun  in 
Prokop  dergestalt  wieder,  dass  er  in  dem  Edelsten  und  Beeten  des 
geistigen  Lebens  der  alten,  überwundenen  Welt  angehört.  Spurlos 
konnten  die  neuen  Ideen  nicht  an  ihm  vorübergehn ;  aber  ihre  Ein- 
wirkung ist  fast  durchgehend  eine  ungünstige.  Sie  stören  ihm  nur 
die  Sicherheit  der  alten  ererbten  Ueberlieferung,  ohne  ihm  dafür 
den  ideellen  Ersatz  zu  geben,  für  den  er  nun  einmal  nicht  ange- 
legt ist.  So  wirken  denn  die  Begeisterung  für  die  Tergangene 
Herrlichkeit  des  Bümerreichs,  und  der  Sclmierz  über  das  gegen- 
wärtige Unglück  seines  Vaterlandes  zusammen  um  die  historisdie 
Anschauung  unseres  Autors  zu  bestimmen.  Gegenüber  der  rohen 
physischen  Macht  auf  Seiten  der  Barbaren  erscheint  die  römisofae 
Tapferkeit  und  Selbstbeherrschung  im  hellsten  Licht.  Für  den 
politischen  und  socialen  Gegensatz  des  Bümerthums  und  des  Bar- 
barenthums  hat  Prokop  einen  klareren  Blick  als  fast  alle  Kaiser, 
Staatsmanner  und  Historiker  des  Imperiums.  Er  fühlt  sich  be- 
rufen daran  zu  erinnern,  dass  Bom  den  Anspruch  auf  die  WeU- 
herrsohaft  nicht  angegeben  hat  unerachtet  seiner  zeitweisen  ün- 
fthigkeit  denselben  zu  yerfolgen,  er  achtet  es  für  den  Beruf  jedes 
kräftigen  Kaisers  jenen  Gedanken  wieder  aufisunehmen.  Wenn  man 
fMifich  dem  Andrangen  der  Barbaren  durch   Vertrige  und  Jahr- 


gelcler,  dwoh  Aufnahme  in  rOmische  Provinsen  und  r5nu8obea 
Kriegsdienst  steuern  wollte,  so  kiese  das  nur  einüebel,  das  man  su 
heilen  wtlnscbte»  verewigen.  Wenn  man  Persem  und  Hunnen, 
Gothen  und  Slaven  den  Frieden  um  Ländereien,  um  Gold  abkaufte, 
so  setzte  man  damit  nur  eine  Prämie  auf  ihre  Angriffe*  Prokop 
dnrohschaute  diesen  Fehler  des  Systems,  und  sprach  es  darum  auch 
in  den  Historien  ganz  offen  aus:  9 es  gebe  kein  anderes  Mittel, 
irgend  welche  Barbaren  den  BOmem  in  Treue  zu  erhalten,  als  die 
Furcht  Yor  den  T<)mischen  Waffen«,  Dieselbe  Anklage,  die  er  ia 
den  Historien  gleichsam  unbefangen  gegen  den  Kaiser  Justiniaii 
unterfliessen  läset,  er  wiederholt  sie  mit.  zermalmender  Schwere  in 
der  Qeheimgeschiohte.  Dass  ihm  die  militärische  Ehre  des  Bfimer- 
Teichs  vor  Allem  am  Herzen  liegt,  dass  er  die  Siege  der  BOmer 
mit  sichtbarem  Wohlgefiedlen  berichtet,  kOnnen  wir  nur  als  eine 
neue  Bestätigung  seines  Patriotismus  ansehn,  und  gewiss  ist  eine 
Wendung  wie  die  >bei  gleicher  Anzahl  gab  die  ihnen  eigene  Tiefer- 
keit  den  Bömem  ohne  Mähe  den  Sieg«  entschuldbarer  wie  das 
Stereotype :  D  ne  fallait  pas  dix  mille  Fran^ais  ponr  battre  ringt 
mille  Autrichiens,  welches  uns  bei  dem  modernen  Vertreter  der 
Oloire  und  des  Heroenthums  in  der  Geschichte  begegnet.  Aller* 
dings  mischt  sich  auch  in  Prokop*s  ürtheil  über  die  Barbaren  ein 
gutes  Theil  Willkflhr  und  Selbstoberschätzung.  Sie  stehen  ihm 
geistig  und  sittlich,  ja  zum  Theil  auch  physisch  tief  unter  den 
BOmem«  Bohheit,  Zügellosigkeit  und  leeres  Prahlen  aXa^orsm 
Unstätigkeit  des  Willens  und  Treulosigkeit  gelten  ihm  als  charak- 
teristisch für  jene  niedere  Menschenrace.  Der  leichtsinnige  Dtinkel 
ttber  einen  Sonnenblick  des  Glücks,  welcher  regelmässig  durch  desto 
tieferen  Fall  gebüsst  wird,  erscheint  als  echt  barbarisch;  und  im 
Gegensatz  zu  diesem  üebermuth  der  Gothen  spiegelt  sich  antike 
Buhe  und  Ueberlegenheit  in  dem  Gedanken  des  Narses:  >die  aus 
dem  Unglück  sich  wieder  emporgearbeitet,  sind  muthiger  als  die 
nie  in*s  Unglück  gerathen«  (G.  IE,  16.  p.  211).  So  sehr  jedoch 
Ftokop*s  Sinnesweise  alle  Züge  des  altrOmischen  Patriotismus  trägt, 
80  entschieden  er  die  Erweiterung  des  Beichs,  die  Unterwerfung  der 
Barbarm  als  eines  niederstehenden  Geschlechts  zu  seinem  politi- 
schen Programm  macht,  so  ist  er  doch  weit  entfernt  davon  sieh 
rosigen  Hofinungen  über  die  Bealisirung  desselben  hinzugeben.  Er 
ist  sich  klar  darüber,  dass  es  im  Orient  und  Okkident  gleich  trau- 
risch  aussieht,  dass  Born  auf  die  Dauer  den  Stürmen  der  Barbaren 
nicht  widerstehen  kann.  Er  widerspricht  in  den  Historien  mit 
dürren  Worten  dem  officieUen  Phrasengeklingel,  welches  Justinian 
den  Wiederhersteller  des  Beichs  nennt.  Adtius  und  Bonifadus, 
zwei  Feldherm  die  seit  hundert  Jahren  begraben  liegen,  nennt  er 
>die  letzten  BGmer,  in  diese  beiden  Männer  hat  sich  die  ganze 
Bümertugend  abgeschlossen.«  Mit  dieser  Tradition  von  der  guten 
alten  Zeit  stimmt  vollkommen  überein,  dass  Prokop  am  Ausgang 
des  Ctothenkriegs  »von  einem  hoch  denkwürdigen  Kampf  und  der 


4KQ  Diftika)  Vwfküflm  voa  CMmtm. 

TafttsArft  Aa»  MaunMi«  spridil;,  »dk  hinter  Koinetti  ^erer»  di* 
mas  iBferoto  (Dcmne  nrttekstehec  und  wenm  dieser  Tapfere  «eh  iiieht 
als  ain  BOmar^  eoadem  ala  Teja,  der  letzte  iJömg  der  Goihen  her- 
anSBtelli.  Auch  in  den  mannigfoehen  Beziehumea  des  inneren 
Stotttdtobene  xeigt  eioh  Prokop  als  Eoneenrativer  yom  rdastan 
Wasser.  Die  Nenenmgen  Jnsiki's  nnd  Jastinian's  waren  ihm  in 
tiefeier  Seele  yerhasst.  Mechte  aneh  die  Freiheit  dea  Staatalebene 
fveachwanden  sein,  Prokop  hing  an  der  herkömmlichen  Ordnung  an 
den  Hbeiüeferien  Formen  des  Siaatslehena ,  die  ein  Angnstae  ge- 
iobont  hatte.  Diese  Institationen  waxen  doch  inuneriiin  nooh  iaa 
Ctogensatz  amn  Anidand  griechisoh-rOmiseh»  diese  Fonaaen  iraiaA 
die  kftstea  Beste  des  altem  römieehen  Staatswesens ;  sie  waven  daas 
Pairiel^n  heilig  wie  todfce  Reliquien  und  wer  sie  yerletzte,  exregte 
•sine  Traaer  nnd  seinen  Zorn.  Die  höheren  Staatettaiter  mit  ihren 
•ocgflütig  abgertoAen  Ehremreohtsn  nnd  Attributen  hatten  nooh 
Moen  gewissen  Nämbtts  in  den  Angen  des  Konservativen;  dem  des- 
halb aoch  der  rOmiache  Adel,  weU  er  mit  den  Aeuteni  wid  der 
ganzen  hergebrachten  Verfassung  enge  zusammenhing,  als  ein 
ehrwttidiger  Best  glorreioher  Yei^gangenheit  erschien«  Das  bloeso 
Weort  der  Neuerung  wlemt^^f^lv  wird  so  bei  Prokop  su  eiaemAna- 
druck  herben  Tadels,  und  wenn  er  den  Quätftor  Proklus  als  »recht- 
liebend« nnd  H^im  höchsten  ärade  uid)e8tech]ich  lebt« ,  so  fOgt  «r 
cbarakteristiseh  hinzu,  '»deshalb  etliess  er  nicht  leichthin 'dtn 
acnes  Clesetz  und  'war  nicht  geneigt  an  dem  Bestehenden  in  iijgend 
EKwaa  zu  rttMela»«  Wenn  die  iEtegierung  selbst  es  ist,  w^ho 
Neuerungen  einnifiihren  eucht,  so  siegt  sogar  der  Konflermfeisasus  Pro* 
kep's  tlber  seine  Loyalität;  er  billigt  die  b^vratbete  Abwehr  sot« 
eher  Neuerungen  darch  das  »Übeneinstimmende«  Volk,  und  man 
kann  auch  hier  seine  Polemik  gegon  Justinian  schon  in  den  Histo- 
rien heraus  lesen.  Wie  es  b^  'einem  Oharakter  dieses  SoUagen  an 
erwarten,  ruht  die  ganze  ethmche  Anschauung  auf  der  des  klaeai* 
riehen  Afterthums.  Maanestugend  ägaetj  ist  ihm  die  Gnadlaga 
aftler  geistigen  load  sittlichem  Vorzttge.  AUean  gerade  bei  dem 
tapferen  und  mdkhvollen  Entgegentreten  gegen  die  Auesenwelt  wal- 
teti  das  echt  antike  Maass  und  die  antike  Buhe  vor«  Man  danfaia 
in  fieUas  nicht  darati  mit  dem  Heroismus  zu  kokettiren  und  um 
zum  bewussten  C^ensatz  gegen  das  Natürliche  und  Mensehliobo 
zu  -steigern.  Unter  dem  Biss  der  Nattern  lachend  zu  «terbeut  den 
Sriunerz  trotz  der  farohtharsten  Folter  zu  Terbeiseen,  das  ist  alter 
aovdiaclier  HeldeamuAh.  .AUein  der  Grieche  war  Ton  jeder  aata- 
loam,  ostmsibeln  Aufopferung  weit  entfiemt,  der  Beiz  das  Daasans 
foaselte  ihn  zu  tief,  als  dass  er,  ausser  wo  zwingende  Nothwendig* 
ksit  jede  Wahl  versagte,  sein  Leben  in  die  Sohanze  geschlagen 
hiAte. 

Der  Heroismos  ist  bei  den  Griechen  der  verborgene  Fuidcoa 
im  Joesel,  der  rdiig  sdilftft,  so  lange  heine  Amasre  Gewalt  ihn 
weett.    a»  steht  denn  nach  das  ideal  dm:  ßrokep'^ifdien  Zsjp&fkait» 


die  sMb  sweokbewtisfit  «nd  gBbaltoi,  bn  Hsndgettieng  batonam 
bleibt  and  nur  die  Blasse  des  Oegnert  Bcbltrf  enpftbi»  itü  sehroffan 
OegemaiE  zu  der  feurigen  bliaden  Kampfmitli  der  Bailiaren.  Bei 
den  Barbaren  ist  der  Heroismas  eine  helle,  fretoendä  Flamme.  ^ 
SMtiffkeit,  feilastäge  OleiolimaflSigkeit  der  Btimmnag  Te  ßifimow 
v^  yvAfiMiQ  die  Anlage  dem  Unglück  dnroh  FeitiiEfkerfc  seinen  Sta- 
ebel  M  nolunen:  das  eind  dieFrttehte  der  antiken  ^lipapif,  üeberaU 
Ingt  di^mt  agstii  eine  starke  Betonimg  der  IntolMgenis  sn  Oraode, 
wib  denn  schon  Sokraies  aHe,  itt^msfi  %vi  imon^fni  znrttckgefl&kft 
katbe.  Thoirkeit  und  Vettehrtheit  das  Willens  ersebemAn  ah  nn« 
trennbar  Terbünden.  Anoh  der  konservatiTe  Zug  Prokop  find«t 
Seme  Brklarang  in  der  aftheUenisohen  Etblk,  weiche  Ton  jeher  ' 
ünAerordniftig  des  Einzelnen  nnterdas  sobstanzidle  Bthos  forddiie 
und  im  Bmch  der  Sitte,  hn  Tenrooh  dee  EinzetaeA  lienemageB 
ennnfdfaren  Etwas  sittlieh  AnstQssiges  erblickte. 

Ke  drei  Hamptfkktoren  nnsres  eeeliaohten  Daeeins:  Brissntien» 
Em|y6nden  nnd  Wdlcn  sollen  in  der  antiken  Ethik  zu  Tfichtigani 
Znsammenwirken  Terbnnd^i  werden.  Axä  den  grieehisdien  l^d* 
wirken  entsptridht  die  Stirn  dem  tnyög^  die  Nase  dem  ^viMg  und 
der  Mond  der  ini^viUa\  das  Merkmal  des  antiken  Profils  be^ht 
auf  dem  Uebergewioht  der  gesstigen  S^tim  über  dem  Bin»lidMto 
Monde ;  die  fortltnifende  gerade  Linie,  Affe  Mangel  eines  EKnsotasitb 
Bwlsolwn  Stirn  nnd  Nase  drfteki  die  totsehlossene  Yeibhiftnng  des 
Brkennctos  nnd  des  Wolltos,  des  n^oüs  und  #1;^$  ans:  lindww  in 
der  Eilnst»  so  iik  es  anek  im  helknisofaen  ILebcni :  eine  hsnnonitete 
Anrioüdmig  des  ganzen  Metaschen  mit  stets  wacher  SeH»8tbeterrBcfating^ 
weldie  in  allto  Dingen  das  heiUge  Ton  derdotthait  gereiste  Maass 
einfaälts  ibit  stetigem  uebergewioht  "des  geistigem  Elements  t  darin 
besteh  das  erttüohe  Ideal  des  Altertirame.  Wer  kennen  mit  Dafan 
ndclit  i^^mpathisiren.  Wenn  <er  sich  Über  die  Marmorkalte  nnd  den 
Prost  bekkigt,  der  uns  ans  der  avtiken  Ethik  entgegeniBchisge.  W^ 
ni9olito  befaai^^ten,  dass  die  Glnth  der  Leädensdiaft,  dara  die  Ant* 
regnng  der  Oegenwatrt  jener  Nation  nnbekannt  geblid>enf  Dass 
die  Griechen  die  Lnft  des  Frtkhlings  gleichgültiger  geathmet  nnd 
doss  %ie  deim  Nachtignlleogesang  seltener  gelansebfc  hatten  als  nnser 
fnederhes  rtthrseliiges  GeSoldeoht?  Die  Denkmale  ihrer  Enndt  sind 
ans  das  sprechendste  Zengnies  daltbr,  dass  die  Begeistemng  für 
allee  ScibOne  in  d«r  Natnr  tmd  «das  Terstandniss  Air  die  Beize  flnet 
Utngebnngen  in  den  Alten  nicht  minder  lebendig  war  wie  in  nns, 
wenn  anch  die  Ausdmcksweise  TCrstdiieden  war ,  in  der  eich  da- 
mbls  wie  jetzt  der  Eindruck  der  AnssenWelt  reprodncii^.  Es  Wat 
keüiB  zittelmde  nnklaiiB  Möndsofaeinsstimmnng,  keine  ftlsche  Senti'- 
meivfaalitat;  es  Hi^ar  aber  dae  Beste  jener  tiefbn  eratftesi  Einpfindmq^ 
miA  der  wir  in  dnnkleir  Naebt  zum  geetitnten  Himmel  anlUkkea» 
nnd  nns  «as  der  'GrOeee  nnd  Ewi^it  der  W<eft  ddrt  ;dvo2ben  Trost 
Ar  mssclm  irdieehen  Kummer  holen.  »In  Einsamkeit  nm  wenigrten 
sdlen,  t^üiUt  dann  die^Seele  «mmUcIi  Lebensstilen  Wicnine  Wnlipi' 


IM  Dftkn;  Prökopini  vob  CImtm. 

lirii  die  dann  Eaer  Bein  BeingllÜit  Yom  Ich:  es  ist  ab  wftr  ein 
Ton,  Die  Seele  der  Musik  zn  Enck  entflohn,  Damit  Dir  ewige  Har- 
monie   empfindet,   Ein  Zanber    welcher  Erd'   und  Himmelsthron 
Gyteren's  Gürtel  gleich   in   Schönheit   bindet  nnd  dem  Qespenste 
Tod  die  stumpfe  WafT   entwindet.«    Nicht  weil  diese  weicheren 
Regungen  der  Antike   abgehn,   sondern  weil  sie  nur  idealen  Na- 
turen eignen  und  weil  Prokop  seinem  ganzen  Wesen  nach  Realist 
war,   deshalb  weht    es    uns    aus   seinen    Schriften  mitunter    an, 
ab  habe  die  Rhetorik  den  Menschen   erstickt;   und  ab  habe  der 
Triumph  des  Schlechten,  dessen  Zeuge   er  war,  ihm  aUen  Glauben 
und  alles  ürtheil   geraubt.    Prokop   zweifelte  am  Dasein  Gottes, 
weil  er  sich  die  Existenz  des  Hebels,  das  häufige  Leiden  des  Ge- 
rechten und  die  Straflosigkeit  des  Bossen  auf  Erden  mit  einer  ihm 
erreichbaren  Auffiissung  tou  Gott  nicht  vereinen  konnte.  Sein  Skepti- 
cismuB  ist  die  Resignation  eines  Geistes,  der  sich  nicht  über  den 
Widerspruch  erheben  kann,   weil   er   allzusehr  an  den  irdischen 
Dingen  haftet.     Aus  dieser  Unfähigkeit   einen  idealen  Aufschwung 
zu  nehmen  erklärt  sich  sein  krasser  Aberglaube;   denn   wer  nicht 
an  die  Unsterblichkeit  der  Seele  und  nicht  an  ein  Leben  nach  dem 
Tode  glaubt,  der  wird  sich  in  diesem  Leben  vor  den  Ammenm&hr- 
chen  der  Kinder,  yor  Zauberern  und  Hexen  ftlrchten.     Damit  ist 
denn  auch  der  religiöse   Standpunkt  Prokop's  aufs   Schärfste  ge- 
kennzeichnet.   Ueber  das  Schwanken  zwischen  Theismus  oder  Fa- 
talismus kam   er  nicht  hinaus.     Dahn  ist  nun   der  Ansicht,  dass 
durch    den    von    Jugend    an    auf    ihn   einwirkenden    christlichen 
Einfluss  ein  grösseres  Hinneigen  auf  die  Seite   des  Theismus  her- 
Yorgerufen  worden   sei. .  Wenn  aber  auch  Prokop   dem   Ohnsten- 
thum  Yor  andern  Religionen    den  Vorzug  eingeiUumt  haben  mag, 
sehr  tief  konnten   seine  religiösen   Ueberzeugungen  nicht  wurzeln. 
So  hat  sich  denn  schon  Eichel  über  die  kühle  Indifiierenz  empört, 
die  in  dem  Prokop'schen  Glaubensbekenntniss  liegt:   iyo  yoQ  ovx 
av  ovSh  aXlo  jcsqI  ^sov  ort  av  Imoifu  rj  vci  äya^og  ts  xavta- 
itaffiv  bI^  xal  0v[inatn:a  iv  t^  i^ovöia  x^  ccvrov  i%H.  Jisyhm  dh 
äansQ  yivdöxHv  exaötog  vjtIq  avvtov  otstcci  xal  Uqbvs  xal  Idm^ 
rrig.     Der  entscheidende  Eindruck  solcher  Stellen  wird  durch  die 
torcirte  Ohristlichkeit  die  in  den  Bauwerken  Yorherrscht,    keines- 
wegs abgeschwächt.     Der  Wunsch  Justinian  bei  seinen  Kirchen* 
bauten  als  unmittelbar  you  Gott  unterstützt  darzustellen,  schimmert 
gar  zu  deutlich  durch,  und  die  geheimen  Rücksichten,  die  bei  der 
Abfassung  dieser  Schrift  Yorwalteten  werfen  ein  yerdächtiges  Streif- 
licht auf  ihre  Religiosität.  —  Wenn  nun  Dahn   die  Lösung  aller 
dieser  Wiedersprüche  in   der  antiken  Anschauung  findet,   welche 
die  religiösen  Vorstellungen  Prokop's  bestimmt  habe,  so  übersieht 
er,  dass  auch  auf  Grundlage  der  antiken  Bildung  eine  reine  thei- 
stische    Fortentwicklung  tbr   den  Idealismus  möglich  war.     Wir 
müssen  uns  eine  eingehende  Begründung    dieser  Ansicht  hier  Yer- 
eagen.    Sie  würde  eine  eigene  Monographie  erfordern.    So  mnss  es 


]>aliB:  pMkaplnM  Ten  CUmu.  *48l 

▼or  der  Hand  genllgen,  darauf  hinzuweiBen ,  dass  wenn  der  Zeus 
des  polytheistisohen  HeidenthamB  nicht  das  Ideal  eines  immer  bei- 
ligen  Willens  zu  gewähren  scheint,  Yon  der  Entartung  nicht  anf 
das  ursprüngliche  Wesen  der  hellenischen  Gotteslehre  zorflekge- 
schlössen  werden  darf.  Zeus  war  diesem  Yolksstamm  yon  AnÜEUig 
an  als  der  ewige  Himmelsgott  im  Gegensate  Alles  Gewordenen 
Sichtbaren  hewusst.  Wir  erkennen  schon  zu  Beginn  der  grie- 
chischen Geschichte  die  höchste  Ahnung,  die  dem  Menschen 
gegönnt  ist,  und  verwahren  uns  gegen  die  Macht  der  nach  und 
nach  abgeleiteten  Vorstellungen ,  die*  uns  zu  leicht  mit  Scheu  und 
falscher  Skepsis  bef&ngt.  Das  ist  der  Gedanke  eines  unyordenk- 
iichen  ewigen  Gottes,  der  nicht  ein  Gewordener  war,  wie  Apollo, 
Ton  dem  Pindar  singt,  er  sei  in  der  Zeit  geboren;  sondern  ein 
llbeneitliches,  übersinnliches  Wesen,  der  geheimnissvolle  Grund 
alles  Daseins,  oder  wie  Maximus  Tyrius  gesagt  hat:  ocQimüOv 
jffivw)  xal  oUävoq  xal  naötig  (^towftig  qrvösiog.  Neben  dieser 
Tolksthümlichen  und  idealistischen  Auf&ssung  des  G^ttesbegriffes 
konnte  die  Idee  eines  unpersönlichen  Schicksals  niemals  zu  hoher 
Bedeutung  gelangen.  In  der  Philosophie  schrumpfte  allerdings  der 
höchste  persönliche  Gott  immer  mehr  zu  einem  Vollstrecker  der 
dunkelen  Schicksalsmacht  zusammen,  aber  im  hellenischen  Volks- 
geftihl  ist  die  Suprematie  des  Vaters  der  Götter  und  Menschen 
stets  ungebrochen  anerkannt  und  er  tritt  als  Schicksalslenker 
Moi4fayitris  erhaben  ttber  den  beschiUnkenden  Gewalten  der  Natur 
hervor,  wie  es  der  höchste  Triumph  der  Persönlichkeit  ist,  die 
Tmpersönlichen  Naturkr&fte  zu  überwinden.  Damit  ist  denn  zu- 
gleich die  Aufgabe  des  irdischen  Daseins  klar  bestimmt ;  denn  der 
Sieg  über  die  Natur  kann  nur  durch  die  Entäusserung  des  Ich 
und  durch  freudige  Hingabe  an  Andre,  durch  die  Liebe  errungen 
werden.  In  der  Selbstlosigkeit  ist  die  Einheit  des  Persönlichen 
mit  dem  unpersönlichen  gewährleistet,  in  der  Idee  des  Opfers  löst 
sich  der  Widerspruch  der  neuen  und  der  alten  Zeit.  So  konnte 
der  Idealismus  an  die  in  der  antiken  Bildung  gegebenen  Elemente 
-  anknüpfen.  Eine  solche  idealistische  Lösung  lag  aber  Prokop  ferne. 
Die  grossen  Katastrophen  in  Natur  und  Geschichte,  deren  Zeuge 
er  gewesen,  die  schrankenlose  Willkühr  des  Despotismus,  worunter 
er  hatte  leiden  müssen :  das  Alles  rief  ein  Gefühl  furchtsamer  Un- 
sicherheit hervor;  und  beim  Anblick  der  Vergänglichkeit  aller 
menschlichen  Grösse,  der  Unbeständigkeit  des  Glücks  und  der  ün- 
erklärlichkeit  der  Gegenwart  gewann  der  Fatalismus,  die  Idee  des 
unpersönlichen  Schicksals  von  Neuem  die  Oberhand  über  die  von 
ELindheit  ihm  eingeimpften  Vorstellungen  vom  persönlichen  Gott. 
Dazwischen  fehlt  es  nicht  an  Versuchen,  die  beiden  Principien  in 
Einklang  zn  bringen.  Prokop  versucht  bald  den  persönlichen  Gott 
wegzuschaffen,  dadurch  dass,  er  ihn  dem  Schicksal  unterordnet,  bald 
umgekehrt  das  Schicksal,  indem  er  es  Gott  unterordnet« .  Dies  fOhrt,  da 
die  einzige  Möglichkeit  der  Lösung  versagt  ist,  zu  einer  rathlosen 


Tttwimmg^  die  VantaUnngw  geken  churchmuafeter  vi«  dit  WoiAe 
«ad  6B  toh^int  reii^blidi,  einfin  konaequeBtea  Gedfuikoii  iu  Stellen 
m  aachen»  wie  bei  dem  Fall  vou  AntiochiAy  wo  GK)tt  i»n  SoUftg 
¥0iT«rkttnd6t  und  beBchloBsen»  da  aeijie  Wege  oiievfoniefalidi,  das 
Dänoninm  Qhosiofis  auf  dea  Thron  gebradit ,  uAd  das  Sohidkaal 
BfliBeoi  Plan  Gelingen  gegeben  bat«.  DMviecben  dtaiinevt  freilifih 
die  Erkenntniaa  anf »  dfyia  die  Uenaehen  ntur  den  Begriff  dee  Sohiok- 
eals  aebaffen,  weil  sie  den  Z^nsammenbang  der  Ereig&ieee  m^t  be- 
greifen, dase  aber  in  Wahrheit  Allee  dnrcb  den  Wülen  äottee 
gelenkt  wird,  den  wir  nur  eben  Sohieksal  nennen^  weil  er  uns  n»- 
eKforachlicfa  iet»  Trots  der  fataliatisohen  Neigungen  und  der  aben- 
glänbisohen  Geisterforebt ,  die  sich  in  den  b&ufig  wiedeAehreiadeii 
YoreteUnngen  vom  Dttmonimn  als  einer  finsteren»  meneebenfeindlielian 
Maeht  abspiegelt,  trotz  AUeden  überwiegt  gerade  bei  dar  Kefle»» 
ttber  den  Fall  von  Antiochia  im  Onmde  die  tbeifltiaehe  Idee. 
»Indem  ieb  ein  so  nngebenree  Unheil  beschreibe  und  dem  Andaaban 
der  Naehwelt  ttberlie&re,  beföllt  es  mich  wie  Schwindel»  und  ieb 
kann  mir  nioht  denken ,  was  Qott  dabei  will,  dase  er  das  OMeik 
einee  Mannes  jetzt  erhöht  und  dann  wieder  rtürst,  ohne  eiaa  ^^ 
uns  erkennbare  Ursache«  leb  sage  uns  erkennbare  —  denn  ee  ist 
nicht  erlaubt  su  sa^n,  dass  er  nicht  immer  Allee  ans  eiAam  vev^ 
nttnffcigen  Qvnnde  thne.«  —  Das  Bild,  das  wir  nunmehr  von  Pro- 
kop'a  Charakter  und  Weltaoschauang  gewonnen  haben,  passt  m 
atten  Zttgen  anf  den  Verfasser  der  GeheimgeBehichte«  Diee^ba  po* 
litiscbe  Gesinnung,  die  sich  bie  zwax  patriotisoihen  Zorne  ßteigürt. 
Derselbe  KonaerYatismus ,  der  dem  Kaiser  jede  Neuerung  aia  Yep- 
bseohen  TorhftU.  In  der  Ethik  der  alte  Tadel  über  dsn  Mangal  au 
frommer  Scheu  vor  dem  Göttlichen  und  Tor  dem  menaehliidien 
UrthfiiL  Eine  Misckung  Yon  Aberglauben  und  Skepsis»  yom  Ra- 
tionaliamua  und  Mjratik,  wie  sie  dein  Prokop  der  Historien  gMs 
enthebt  Degp  gjleieke  kühle,  objektiTe  Ton  über  im  Cblästm- 
tiram;  in  den  gaiegentUch  der  Ketoerverfolgungen  eina  f^iadsaU^e 
Bitterkeit  aütaater  Iftuft,  »d^na  daa  sehien  dem  KeMor  nio^t 
Mensehen  umbringen,  wenn  die  Getödteten  nicht  seiaer  GlaabMJh 
partei  waven,«  Ein  Schwanken  aiwisahea  der  AnnahnKB  des  pter- 
aönltfihen  Gottes  und  des  Schicksals  als  weltregierender  Mi&cb|ie, 
velebee  das  Mitwalten  von  bösen,  dftmeaiscben  Gewalten  aiebt 
ansechUasst.  Eine  Nei^pnng,  an  der  Existenz  des  pevateUiebKi 
Gottes  zu  sweifeln,  da  ihr  das  unyerscbuldete  Jjeidan  der  Guten  md 
das  unverdiente  Glück  der  Bösen  widerspricht,  und  sohUnasUeh 
doch  dia  Ansicht,  daes  die  Menschen  nur  deshalb  vi  der  Vor- 
stellung eines  blindsn  Schicksals  kommen,  weil  sie  die  Ursaoban 
der  gSIttUchen  Sathscblüsse  nieht  kennen.  Auch  das  VrtlieU  ab«r 
die  innere  und  Nassere  Politik  Justinian's  bleibt  das  GleiAbe;  es 
wird  nur  in  dar  Gefaeimgesebichte  durch  eine  Menge  von  kleiaeam 
BescbuldigungMi  peorfönlicher  Oahftssigkeit  yerbittert.  I>ie  Fiktiv 
dee  bQraantinischen  Despotiemue,  wonach  Alles  and  Jedes  imSta«^ 


d4li«7  fkolMpto  Iran  Cämam.  4M 

«gestKoh  niur  durob  den  Kaiaw  gesohieht,  wonadi  Jvsimiaii  «t  ist, 
äw  das  Verdienst  der  Thaten  seiner  rhnteiffebenen  tfVgt:  diese 
Fiktion  wird  in  der  Gebetmgesohichte  omgekehrt  verwandt  und 
sor  Veranglimpfimg  des  Kaisers  bis  in  die  absurdesten  Koneequenzen 
rerfolgt.  Die  Klagen  der  Historien  werden  zn  Anklagen,  sie  werden 
nicht  mehr  geflüstert,  sondern  mit  der  ganzen  Kraft  des  Zorns 
sosgeschneen  und  von  der  Leidensehafk  ine  Bieeenhatte  gemalt. 
So  eveckeint  Jos^ian  als  ein  vemchtlioher  Despot,  der  im  Frieden 
kme  Trene,  im  Kriege  keine  Kraft  besass.  Vergleieht  man  n«n 
mit  diesem  abgtestigen  ürtheil,  wevin  die  Historien  nnd  die  Ge« 
keimgesebichte  übereinstimmen,  die  maassloee  Lobbodelei  deeaelhen 
jQ8tinian*B  in  den  Bauwerken,  so  konnten  in  der  That  eher  Zweifel 
an  der  Bohtheit  der  letsteren  Sohrift  entstehen,  wie  an  der  fieht- 
keit  der  Oeheimgeeehiehte.  Wie  wir  Prok<^  kennen,  nniaBte  ein 
Idbell  eher  von  ihm  erwartet  werden  denn  ein  Panegjrikns.  Da 
Bon  seine  Stellang  ra  nnabhängig  war,  als  daee  er  sieh  dnroh  die 
Aussieht  auf  &assere  Vortheile  zom  Lobrednor  Justinians  hätte  kO- 
den  lassen,  so  bleibt  nnr  die  andere  HTpothese,  die  Dahn  soharf* 
ramig  ausgeführt  hat,  dass  ee  nioht  Hoffanng,  sondern  Fnrdht 
gewesen  ist,  welche  Frokop  veranlasste,  seine  Uebeneogung  in  den 
Bauwerken  so  yerl&ngnen.  Jostinian,  dessen  Lieblingsbeeohttftignng 
neben  den  theologischen  Streitigkeiten  im  Banen  bestand^  wavf 
seine  Augen  anf  Prokop,  nnd  es  kitzelte  seine  Eitelkeit,  einen 
Kann  zozn  officiellen  Lobredner  an  machen,  der  sich,  wie  wir  ge- 
flshn,  in  den  Historien  keineswegs  serril  erwiesen  hatte.  Prokop 
wagte  es  nicht,  dem  Unwillen  des  Machthabers  Trete  in  b&elan, 
Atif  höheren  B^ehl  schrieb  er  jenes  Lobgedioht  in  Proea,  dessen 
Qesohnrairtheit  und  Leere  überall  den  ttnsseren  Zwang  snklagti 
unter  dem  es  entstanden  ist.  Allein  während  er  mit  der  einen 
Hand  die  Eitelkeit  des  Kaisers  streicheln  mnsste,  baUte  er  die 
FWnst  in  der  Tasche.  Die  Oeheimgeschichte  ist  die  Fraoht  dieses 
Yerhaltenen  Ingrimms,  Der  ünmnth,  den  Prokop  über  seine  eigene 
Feigheit  empfand,  dass  er  die  Bauwerke  geschrieben,  steigerte  sei- 
nen Zom  gegen  Jttstinian,  nnd  jedes  Wort  des  Lobes  ward  nmn 
tarn  herlraten  TadeL  Zn  der  persönlichen  Leidenschaft  gesellte 
sieh  der  patriotische  Schmerz  über  den  VerMl  des  Beielia,  nnd 
ans  der  Feder,  die  noch  feucht  war  yen  der  Tinte  des  PanegTrikiM, 
floss  die  Schmähschrift,  in  der  es  heisst:  9Denn  Justinian  war 
übermässig  dumm  und  ganz  wie  ein  stumpf- fauler  Esel,  der  dem 
folgt,  der  ihm  am  Zügel  führt,  indem  er  oft  dazu  mit  den  CMiren 
wackelt.«  C^  Mendelseohii  BartfeMildy. 


496  PMOil't  Qtäaakm  tmi  UertekiüAiiii. 

,BkUH  PaaeaVs  Gedanken  über  die  ReH^hn,  ntbd  Btiefm  u$^ 
Fragmenten  verteandien  JnhaUs.  Für  die  QtbüdeUn  fßnmrer 
Zeit  bearbeitet  van  Dr.  Friedrieh  Mersehmann.  Haue. 
Verlag  der  Buchhandlung  de»  WaieenkoMues  1866.  X  u.  494  8. 
gr.  8. 

Bei  den  yiel^Achen  Angriffen^  welche  jetzt  wider  das  Ohristen- 
thun  sieh  erheben  und  aus  den  wisseneohaftUchen  Kreisen  auch  in 
weitere  Kreise  der  öebildeten,  wie  selbst  des  Volkes  sich  einen 
Weg  zu  bahnen  snchen,  kann  es  nur  als  ein  ntttzliohes  und  zeit- 
gemässes  Unternehmen  erscheinen,  die  »Pensöes«  des  geistreichen 
und  frommen  Pascal,  der  damit  eigentlich  eine  Apologie  der  christ- 
lichen Religion  zu  geben  beabsichtigte,  in  einer  angemessenen  Form 
auch  dem  weiten  Kreise  der  (Gebildeten  zugänglich  zu  machen,  nnd 
damit  sie  zu  stiurken  und  zu  kräftigen  wider  alle  Versuche,  die 
unter  oft  so  trügerischen  und  in  schmeichelnden  Formen  sich  ihnen 
nähern.  »Pascal*s  Pens^es,  schreibt  der  Verfasser  S.  VU  und  wir 
theilen  Yollkommen  seine  Ansicht,  sind  wohl  geeignet,  bei  Vielen, 
so  yerschiedeu  auch  ihre  Stellung  zum  Ghristenthum  sein  mag, 
durch  die  ürsprünglichkeit,  Ghrossartigkeit  und  Tiefe  des  (jeistes, 
wie  durch  die  Wärme  und  innere  Wahrheit  der  Gedanken  einen 
ttberzeugenden  Einfluas  auszuüben.  Auf  dem  Wege  der  Selbster-* 
henntniss  fährt  er  den  Zweifelnden  zur  Gotteserkenntniss.  An  allen 
Quellen  der  .Wahrheit  lässt  er  ihn  die  Lösung  des  Bäthsels  seines 
Daseins  suchen,  aber  stets  unbefriedigt  steigert  sich  die  Sehnsucht 

.  nach  der  Heilung  seines  innem  Zwiespaltes.  Nachdem  unter  diesem 
Suchen  die  Morgenröthe  der  Wahrheit  das  Herz  des  Zweiflers  mit 

,  Sehnsucht  erfüllt  hat,  lässt  Pascal  die  Sonne  der  vollen  christlichen 
Wahrheit  aui^ehen.« 

Der  Uebersetzer  hat  sich  bei  seinem  Werke  an  die  nach  dem 
in  der  Kaiserlichen  Bibliothek  zu  Paris  befindlichen  Autographum 
Teranstaltete  Ausgabe  von  Faug^ve  (Paris  1842)  gehalten  und  die 
freiere,   oft  aphoristische  Form  der  Darstellung,  in  welcher   sich 

.  Pascal  gefiel,  auch  in  der  üebertragung  wiederzugeben  verstanden: 
und  gewiss  hat  dadurch  das  Interesse,  das  der  Leser  an  dem  Ge- 
genstände nimmt,  nicht  verloren,  sondern  mehr  gewonnen,  als  durch 
einen  trocknen,  systematischen  Lehrvortrag.  Die  deutsche  üeber- 
setznng  ist  durchaus  fliessend,  und  in  der  dem  Gegenstande  ange- 
messenen Würde  gehalten,  sie  liesst  sich  sehr  gut.  Die  von  dem 
Verfiftsser  versprodiene  Abhandlung  über  Pascals  Leben  und  Denken 
wird  am  so  erwünschter  sein,  als  selbst  die  neueste  Darstellung 
darüber  von  F.  Höfer  in  der  Nouvelle  Biographie  üniverseUe 
T.  XXXIX,  so  verdienstlich  sie  auch  in  jeder  Hinsicht  ist,  doch 
in  Manchem  sich  hat  kürzer  fassen  müssen,  wie  dies  die  Natur 
des  Werkes,  in  welchem  dieser  Artikel  steht,  mit  sich  brachte.  — 
Druck  und  Papier,  wie  überhaupt  die  äussere  Ausstattung  ist  recht 
gefällig.  


Ii.  32.  HGID£LBEB,6ER  t8«ti 

JAMBÜCHER  DER  UTERATÜR 


Pindari  carmina  ad  fldem  opUmorum  codicum  reeemuU  inUgratn 
seripturae  diversitatem  ntbiecU  annoiaHonem  erUieam  etddidü 
Car.  JoK  Tyeho  Motnmsen  Qytnfu  Moenofrancof,  direeior^ 
BeroHni  apud   Weidmannoa  MDCCCLXIV.  LI,  491;  Hvo. 

Asmotationis  eritieae  $upplementufn  ad  Pindari  Olympias  BcripsU 
Car.  Joh.  Tyeho  Momm$en  de.  206;  8vo. 

Die  langerwarteto  Ausgabe  Pindar's,  auf  deren  Erscheinen  wir 
durch  manche  sch&tzbare  Vorarbeiten  begierig  wurden,  ist  endlich 
in  unsem  Händen,  n^d  man  muss  gestehen,  dass  ein  doppeltet 
nonum  prematur  ihr  sehr  zu  Gute  gekommen:  nach  und  nach  hat 
sich  ein  so  reicher  Apparat  angesammelt^  dass  die  Vorstellung,  es 
sei  damit  ein  Abschluss  erreicht,  ftlr  so  sicher  gelten  kann  als  es 
in  solchen  Dingen  möglich  ist ;  nur  ganz  überraschende  Entdeckun** 
gen  könnten  den  Stoff  der  diplomatischen  Kritik  auf  diesem  Ge* 
biete  noch  bereichern;  was  aber  irgendwo  in  deutschen,  italieni* 
sehen,  firanzOsischen,  spanischen,  holl&ndischen,  englischen,  d&ni* 
sehen  und  russischen  Bibliotheken  zu  finden  war,  hat  Mommsen 
entweder  selbst  eingesehen  und  benutzt,  oder  doch  von  Freunden 
untersuchen  lassen ;  dadurch  sind  die  Leser  des  Dichters  in  Stand 
gesetzt,  über  den  Werth  von  etwa  80  Handschriften,  die  BoecUi 
nicht  benutzt  hat,  sich  ein  klares  ürtheil  zu  bilden ;  aber  auch  die 
uns  aus  Boeckh*s  Notae  eritieae  geläufigen  Hfilfsmittel  sind  durch 
genauere  Vergleichungen  als  die  von  den  damaligen  Collatoren  auf- 
gestellten ergiebiger  geworden.  Merkwürdig  war  dabei  das  Mis* 
geschick,  das  B's  gelehrte  Freunde  treffen  sollte:  weder  in  Paris, 
noch  in  Leiden,  noch  in  Wien,  noch  in  Bom  fanden  sie  die  Tor-- 
zttglichsten  Teztesquellen  oder  erkannten  diese  als  solche,  sie  büe* 
ben  am  Hittelgut  hängen.  So  Yortrefflioh  nun  auch  Boeckh's  Be^ 
handlung  der  Epinikien  ist,  hat  doch  öfter  die  echte  Lesart  bei 
ihm  nicht  den  Vorzug  erhalten,  der  ihr  nach  Gebühr  zu  Theil 
werden  musste  und  geworden  wäre,  hätte  sie  eine  so  bedeutende 
Ifojorität  gestützt,  wie  sie  jetzt  in  unseres  Herausgebers  Varianten* 
sammhmg  oft  yorliegt.  Die  Anzahl  der  ungefHlschten  codd.  ist 
nämlich,  wenn  man  die  mitrechnet,  welche  nur  wenige  Oden  ent- 
halten, nicht  geringer  als  sechzig;  wenn  auch  nicht  von  gleicher 
Güte,  stimmen  sie  doch  bisweilen  alle,  oder  wenigstens  in  grosser 
Anzahl  zusammen.  Bei  näherer  Untersuchung  zeigen  sich  aller-' 
dings  unterschiede,  wie  denn  die  »vetusti  codd.«  Ton  Mommsen  in 
5  genera  zerfällt  werden :  1)  Ambrosiano-Vratislaviensis ;  2)  Vati- 
oani  proprii;  8)  Parisino-Leidensis ;  4)  Medioei,  (das  wieder  eine 
yUL  Jahff.  7.  Heft.  82 


4t$  PhlAaiAfli^tsm^AUomvUeiL 

Theilnng  in  fEunilia  Medieea,  familia  Vaticano-Gottingensis,  ÜEumHa 
incertBi  \A  Aiüta  tmd  fi^nilte  I*dl^in60Mi«'ei  Mkidel;  kt^tere 
be#teÜ  weitet  aus  einet  prfot  (äa^is,  det  aticb  unser  PaL  40  an- 
gehört, und  einer  altera  cL);  5  Parisino  Yeneta.  Diesen  Bchliessen 
sich  an  Werth  unmittelbar  die  theils  dem  14.  theils  den  15.  saec. 
augebörigen  Thomani  an,  welche  M.  naoh  zwei  Familien  nnter- 
eoh^idet;  sie  haben  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  die  Olympisehen 
Öden.  Des  Thomas  Magister  Einfluss  auf  die  Kritik  war  ein  sehr 
i)e8cheidenar,  um  so  ktthner  verfuhr  Manuel  Moschopulus  und  der 
tU)er  ihn  noch  hinausgehende,  wenig  später  lebende  Demetrius  Tri- 
klinius.  Das  Verdienst,  ihre  Becensionen  scharf  unterschieden  und 
die  diesen  beiden  zuzuweisenden  codd.  getrennt  aufgeführt  zu  haben, 
ist  kein  Ueines,  wenn  auch  die  8ahl  der  Entstellungen  bei  Mo- 
sobopol  die  der  Verbesserungen  weit  tiberwiegt  und  von  Triklinins 
gar  wenige  eigentliche  Oorrecturen  namhaft  gemacht  werden  kön- 
iieo.  I)ie  Arbeit  des  Moschopul  fällt  in  dastünde  des  dreizehnten, 
die  des  Triklinins  in  den  Anfang  des  vierzehnten  Jahrhunderts.  Von 
di^n  41  Moschopulischen  Handsdiriffcen,  die  tiieistens  sich  auf  die 
Oljmpien  beschränken,  verglich  lil.  die  Wiener  198  ganz;  W  den 
tlbiigen  begnügte  er  sich  mit  Pro{>en  oder  älteren  Collationen; 
unter  den  24  Trikliniscben  verglich  er  die  ehedem  der  Benedikti- 
nerabtei in  Florenz  angebörende,  wovon  Par.  2882  eine  Oopie  ist» 
^  Wiener  219,  und  grossentheils  Med.  32,  41,  Vat.  d85. 

Sehr  praktisch  bezeichnet  M.  die  besten  codd*  mit  lateinischen 
gfQSfen  Buchstaben, y  die  l!homani  mit  grossen  griechischen,  die 
Keschppulisohen  init  kleinen  Intemischen  und  die  des  l!nkliniua  mit 
kleinen  griechischen. 

Esf  ist  häufig  der  Fall,  dass  die  besten  ärundkgen  derTeztes- 
kritik  zulei»t  zum  Vorschein  kommen.  Dies  gilt  aueh  bei  Pindar, 
desReu  vorzüglichste  Handschriften  erst  Mommsen  aufgefunden  hat, 
xß^  tintep:  diesen  wieider  die  bedeuteiEdste,  Ambr.  C.  122  später 
al^  die;  übzigi^n^  Vorher  hatte  er  Vai.  1311/  (B)  und  Par.  2774 
(C>  entdeckt;  deun  selbst  dieser  ist  von  Bergk  in  der  zweiten 
Anfg^lbe  der  Poetae  Ijrioi  necb  nicht  zugezogen,  vom  Ambr.  aber 
[|pj;ickt  Memmsen  erst  186^1,  also  nach  Erscheinen  der  »Scholia 
ftenyaiMw  EiUae  1861«  mit  Vorrede  (^  Form  dreier  Briefe,  as 
Boeekb«  Bergk,  Sauppe)  vom  October  1860.  Den  Gewinn,  der  sich 
daraus,  ergibt,  machte  er  bereits  im  > Sendschreiben'*')  an  Herrn 
Fxpf^Sffor  Friederichs  in  Berlin«  bekannt,  weshalb  Be£.  nickt  allen 
Beißen  Lesern  viel  neues  aus  diesem  vortrefElichen  cod.  mitzn- 
thmlea  im  Stande  ist,  sondern  nur  denen,  welche  das  Programm 
i^ch  nicht  zu  Gesicht  bekommen  haben.  Diesen  führen  wir  0«  IE,; 
62  an  ÜMWtoL  ßiotov^  worauf  schon  Wttstemann  vexfiftllen  war, 
Wd.  wi^  iür   B^gks    zweiter  Ausgabe  Au&ahme  gefonden  hat; 


V  8i  2W»asii(iM  Vtofgßtaikk  d^  TeMi^hAl^  und'  Mhitfto  fi»rgei«efttt&i 
sn  OldsQJ^urg  etc.  Oldenburg  1808. 


fihHbM  hifadtMeth  WioHtt^f  tetr  noA  0;  HI,  Sf6  Sf^fJA  äib 
Rechtes  Ate  Ters^,-  ji  d^  SirdpHe,-  Bie  ^M  AB  tM  Sffäitih 
&^l8ttiir  gäBH  MiiioM  eiid^M.  I>^  tiU  tfbri{(eä  Mitihiscfin(6  Ih 
«eii^t  üii^te^lih&Bidgkeit  tib^eiiifftiinmton ,  Ihtt  lc«n  HMtb^^ 
4te  Mütb  gelttbt,  2a  &riaehi,  nüd  ^^ding»  ^trtogto  ätiöfi  dd^  I^- 
MHiit  Mi^«i^  (diiffit  hat  A  ik^ptds't')  Ikfd^kett.  El^  M^i^  jcim 
^(tetemt  sefitt,'  ftti  M  n^tralttol  ^ii^^  m  hläkklni  irtnd^  hmt^tie 
d#^  Bst^  f  Mii^  CMMkth  dü^nitt  ihn  in^il  Iiitn!i6ii/6  liflttid  änl  bclfofd^irdy 
m!t  ^\VMä.  0:  VI;  40  #itd  mit  /fcoj[fti^  {^  ^äi^ddig  hikift  äh 
A6&la9,iAi§  AiM  paäs^Mere  SitoMitm  ^6büdiv  hid^ixt  di^  OhbJ^äte 

Mreii;  m  «HrthAeä  iM  gle!^  linchher  gi^^ot^  i^tf  jäel,  (Ys:  m) 
MMt  M  m(te  fioi^imi  xnt.  0.  TH,  89  h&b^  sotist  tiU*  tA^^^ 
«Md.  eMei^  FifanHi«  d}^^^  --^  jfbiix»«;^,  dto*  iiif^lirt«^  BSm^ 

M^  §6  |[MtiIirtBb^ik  &tt1f(6i  ^ohl  iibt^  AntRtC  tidlt  dUr  EAtift^Üi^ 
Mt  tmraMHsdilML  B6miA^  k&t  höuktCdÜ^i  i^L  tti  dM  dtebttfd^li  dfr 
^«MHed  A^^tiVe  a»  ättbstitiHifte  P;  I,-  18.    im  Mtiis  di^  ä(JHfe 

iMtt  BtLiSbeä  tofi6iiM:trt  fbtneif  dett  ZtuUfttif  idA  liäkfh  Üiis^MiÄ'  €^ 
ftt»  imeüfbekdicttiM  t^öisbittü^  iii  0.  Xtt,  24  IMMd^  ^  äj^l^ 
4^1^^  #M  slöhoti  Jacob«  t^rldiigU  littd  Betp  aiifiMUt.  ^ 
«ei^r  Od^  MatosM'  leidM^  d«r  död.  YdtWr  ibM^  litt  niMh  0.  SB^ 
82  8Mi(tä  9ii^4U^k  1^  btia»61itefl,  ibtitit  Meä^  eä  #;  tM^fUä^e; 
nt,  88  A^o4i^  «^  ^  jld^^iiy  «^dt^A^,  fb.  1^  l^iöVäty  üil 
^fm&ikMt  iSk  iH^i  (Mbr^  dstfr  d^  Vetlf  iHd«x«tf«btöd«  iti  d4fa 
ibüiJMit  iödd.  «M^  (Aai^  stMilhid«  h^iJU&Ottvi  yUHüi  biM  ^HM 
Mm  Göt^fMHhii^  b^M&ti^,  iüd^efnif  Befugt  a«)i  ÄHstide«  ll,  8$  /  Wi 
aiatf  <k((AMto#ttl  lj^«ffe,  die  i4(^lfti^ä  Fofttf  defai  7^it  Witkl«%0|^b6iL 
BM^  0;  H;  25  di»  Wegfhi^ättii^  ioü  'HifdkUiii;  wMS  aWöV  VAli 
BtocMiistehi  itüdB^i^  alä-OloiMfi^  bliiMt«  b<^i6&ne«  #ofdM{  iMi 


D«^  is«  fMbü  IHM  UflbB6&«  äü^iMil  iMi  ym^BmUÄgäi  /  «b 
äöA  Irtit^ixMmk  VtttntolM'  #($ied^  ktttiüf^,  iMtii^  ^)rir  dMti^  Um"«!! 
#8  üdbM^  bM^dlMteü'  V^titbdBteifar;  AbUf  a^  I^  9^  däflbi 
W^^lk&e^  dli)^  Yiä^äh^  ate^  «dA,-   imiii'  atlidh'  iltiMIt  %c^  dr  dAr 

d«f  TbytMaüA^Ai  Ank^«  d<^  EpocM.  Die' BMfä1fiän|  Vött  e^»4^ 
jM^  für  nf»yfUiiä^  0.  TZt,  15  aOBii^  da«  GHctd  'P^fM/  ti^^i^ 
W  itt^  i»8£Mh,  Was'  8»,'  55  uiMt  95   I^ih«'  S^b^^ti^Heii'  VidMH^ 


MO  Piiidad  Oifmiii.  ed.  ItomtttM. 

fodsiofJvovg  luttdag  za  einer   Brechnng   ftthrt;   um   sie  sa  t«- 
meideu,  mufiste    M.   eine   wunderliche  Transposition    YomehiiMB: 
Ip9w  6<Hpmaxa  (ux^^k  xixiv  ixta  'Podp  itotk  voijpnr*  ixi  f. 
«.  jir.  %^  bei  der  es  noch  dazu  den  Anschein  hat   als  w&ien  au 
dem  Beilager  sehr  weise  Gedanken  entsprossen.     Freilich  hAli  bm 
ihr  Urheber  ftLr  facilis,  nam  öoipmccza  Bi^Podp  X(ni  altemmnb 
altero  exarata  sunt,  ut  locum  permutare  potuerint,  und  scheint  jeom 
üebelstand  nicht  bemerkt  zu  haben ;   wir  werden  aber  gewias  gut 
thun^  die  von  den  Scholien  und  sämmtlichen  übrigen  Handschriften 
beglaubigte   Form   beizubehalten.     Weshalb   in   derselben  Ode  90 
(sonst  86)  wx  ki(fOV  h^Cva  il;ä^pog  i%Bi  Xoyovj  wie  A  gibt,  besser 
.sein  soll  als  ovx  hafov  xti  ist  schwer  einzuseheui  da  gewiss  noeli 
viele  andere  Sieger  auf  der  steinernen  Tafel  in  Megara  eingegrab« 
wareui  und  es  ist  nichts  damit  bewiesen,  wenn  M.  yersichert:  hsbe- 
.bat    Toz   lapidea   loyov   ^utyoffay    ut   Homeri   yolumina   oonti- 
,nent  koyov  Odvffisdog,    Dass  aber  Diagoras  auch  in  Megara,  vie 
auf  Aegina  so  yielmal  den  Sieg  davon  getragen  habe,  scheint  die  ans- 
drttokliche  Phrase  ovx  ^"^^((ov  Sxh  lAyov  bedeuten  zu  sollen.  Pindar 
konnte  in  vollständiger  Fassung  sagen:  AlyCva  t€  vimAv%^  S^/m 
ifi^pog  Miva  ix^i  und  dann  hinzufügen  ovx  stSQOv  ijjBi  iiyw  hf 
.AT.  (so.  ifag>og  A.).  Um  blos  zu  erwähnen,  D.  habe  auch  in  M.  gesiegt, 
bedurfte  es  der  langen  Phrase  nicht.  Der  Einwand  M^s,  dass  von  se(äiB 
Megarischen  Siegen  des  D.  sonst  nichts  überliefert  sei,  macht  ksise 
Schmerigkeit :  wer,  ausser  Pindar,  könnte  uns  über  dergleichen  be- 
lehren? Zu  Anfang  des  Gedichtes  Vs.  5  wird  man  den  Dativ  tfvfi^ 
0ip  schwerlich  der  natürlicheren  und  ungezwungeneren  Constroctios 
vorziehen.    In  der  vielbesprochenen  Stelle  0.  IX,  16  scheint  jetst 
A,  indem  er  6oeckh*s  Ip  xb  KaötaXia  bestätigt,  einen  Abschloss 
bewirkt  zu  haben,  könnte  man  nur  über  die  Anwendung  derPrSr 
Position  sich  beruhigen,  gegen  die  sich  nach  unserer  Erklärung  is 
p.  P.  24  neuerdings  0.  Bossler  in  seiner   Dissertation  de  praepo- 
sitionum  usu  apud  Pindarum  Darmstadt  1862,   p.  81  sqq.  auage- 
.sproohen  hat;  ja  Mommsen  selbst  verurtheilt  eigentlich  die  tob 
'ihm  im  Sendschreiben  (7)  und  der  Annotatio  critica(120)  gepriesene 
Emendation  durch  das,  was  er  123  ib.  vorbringt.  0«  XI,  25  leitet 
das  jetzt  von  den  Scholien  bestätigte  ßafiäv  auf  die   schon  oben 
berührte  Stelle  zurück.     Es   ist  ein  Fortschritt,   dfass  ^Hgasdini 
in  dem  Verse  keinen  Platz  mehr  hat,  ob  aber  Pin4ar   von  einem 
iyiovßioiuov  iiuQi^lJtog  gesprochen  habe,  d.  h.  den  EsigapfphUf  wel- 
cher sechs  Altäre  zählte,  wagt  Bef.  trotz  der  entschiedenen  Sprache  H'b 
Ä.  er.  p.  146  immer  noch  zu  bezweifeln,  da  ihm  dj^  sehr  gezwnsr 
gene  Ausdruck  nicht  genügend  durch  Beispiele  w>de  XP<^^S  ^*^ 
Qi&l»og  i^iis(f<ov  gesichert  scheint;    dann  will  P.  nion^t  sowol  von 
dem  Kampfplatz  als  den  darauf  gefeierten  Spielen  reden.  Von  dam 
jnühsam  erlangten  Siege  des  jungen  Fanstkämpfers  Agesidamns  ist 
der  üebergang  auf  den  Olympischen  Agon  natürlicher  als  auf  dbuen 
IiocaUtät,  xmd  |iicht  umsonst  hat  weiterhin  der  Dichter  die  seob 


Ffaidttl  Oimni«  ed*  MonntsiL  6M 

ersten  Sieger,  welche  sein  Preis  zierte,  namentlioli  anfgefillirt.  Die 
Möglichkeit  dsss  in  den  Text  der  Handschriften  P*8  ror  Abfassung 
der  Scholien  Olosseme  gerathen  nnd  diese  selbst  wieder  unrichtig 
fortgepflanzt  worden  sind,  wird  man  nicht  Iftngnen  kOnnen,  und  so 
mag  auch  ans  ßcnfipj  zur  Erklärung  yon  öofuxti  beigefügt,  ficipuSv 
entstanden  sein,  was  dann  die  weitere  EzpHcation  der  Scholien 
veranlasste,  die  durchaus  nicht  mit  der  Torausgehenden  x6  avto 
iott  x6  xB  (ivrifistov  t6  rot;  lUXoxog  xal  6  ßmitog  stimmt; 
den  GknetiT  aber  musste  ein  gelehrter  Leser  nothwendig  auf  die 
sechs  Doppelaltäre  deuten  und  darüber  den  wahren  Sinn  Ton  aytov 
^OQiS'iiog^  dessen  anderes  Pr&dicat  i^aigBrog  auch  viel  besser  auf 
das  Institut  der  ludi  als  die  Wahl  ihres  Spielraumes  passt,  aus 
den  Augen  yerlieren.  Am  liebsten  wflrden  wir  nun  Bauchenstein^s 
Torschlag  benutzend  ta  XQm^'  i^ecQiS'iiov  hxiö^axo  lesen,  und 
damit  uns  wol  Tom  Oedanken  des  Dichters  nicht  zu  weit  ent- 
fernen. Hit  der  0.  XU,  13  aus  A  recipirten  Lesart  xal  9ihc  IIv* 
dmvog^  fSr  xal  ix  IT.  ist  nur  eine  Sonderbarkeit  aufgenommen, 
welche  denn  auch  eine  sehr  auffJEillende  Erklärung  in  den  Worten 
significat  yictorem  per  Delphos  Corona  redimitum  incessisse  eamqne 
ex  illa  urbe  domum  reportasse  erhalten  hat.  Statt  dies  8ihc  für 
egregie  cum  scholiastarum  silentio  consentiens  zu  erklären,  hätte 
M.  eher  dadurch  an  der  Form  irre  werden  mflssen,  dass  sie  Ton 
den  Scholien  nicht  berührt  wird,  obgleich  sie  als  sonst  bei  Pindar 
unerhört  (denn  N.  ÜI,  28  ist  Üflif  r'  ig&ivaös  überlieferter  Text) 
eine  Erörterung  nOthig  gemacht  hätte. 

Die  übrigen  Handschriften  erster  Familie  zeigen  weniger  Eigen- 
tfaümlichkeit  als  A;  ohne  genauere  Angaben  Torbringenzu  könneui 
bemerkt  Bef.  nur,  dass  Yat.  1812  (B)  o(f<fo  tixog  hat  für  op<yo 
tixvov^  und  mit  zweien  der  besten  anderen  Par.  2774  (0),  Med, 
32  (E)  in  0.  VII,  72  tBlEvrae^sv,  wo  nebst  A  alle  übrigen  das 
sonst  bei  P.  nicht  nachweisliche  Neutrum  tBlBvrMav  bieten.  0, 
IX,  45  gibt  A  mit  wenigen  andern  Tctiötfatf^ccv^  passender  zu  Xf^i' 
vov  yovov  als  xti]6a6d'avj  und  84  TcoiXav  ig  ayvupv^  hier  hat  auch 
das  Lemma  der  Breslauer  Scholien  nicht  die  Yulgate  x.  %lfog  a. 
G  mit  A  und  einigen  andern  liest  0.  11,  10  atwv  8*  ifpsnB^  für 
das  weniger  passende  zb.  P.  I,  78  hat  M.  das  richtige  MtfiBWi^ 
was  Beck  und  Boeckh  nur  aus  der  Aldina  und  interpolirten  Hand- 
schriften belegen  konnten,  jetzt  in  zweien,  Med.  82,  87  und  88 
(E,  F)  gefunden.  P.  IV,  228  steht  ava  ßalaxiag  nur  in  unserem 
Pal,  C,  Guelf.  (J),  Med.  82,  83  (F),  in  den  übrigen  avaßaXaxüzg^ 
die  richtige  Schreibung  ipxBdcxav  gibt  ib.  110  nur  B,  nur  dieser 
auch  129  nSöccv  ivtpQ06wav^  wo  man  sich  bisher  mit  Eiuschie- 
bung  Ton  ig  zu  helfen  suchte.  Die  Dialektform  des  Part.  aor.  act« 
auf  aig  haben  die  codd.  selten;  mehreremale  aber  B.  z.B.  P.  IHi 
57,  EX,  88. 

Dass  der  Text  durch  riele  grosse  und  kleine  Berichtigun- 
gen  bedeutend   gewonnen    hat,    geht   schon   aus    den  bis  jetzt' 


^9  uiitp;^^  folgeij  ^oiU^f  ^re^ftpn. 

?fiJWi<Wf  »9)*«»t  ]if •  freUi<*  pei^cnft  App«F?it  W  gpW»  ^-^ 

Q,  J,  $2f,  v^mi  1^(0^  B;iit  ^(ftfk^ic^f  ^  A,  P,  (?  ^ff  ag<  W  ftr  4i^ 
^Whf  ^i?W  i|^iip4  fpan  pi<ä>  eij^9|ai^8^n  Q.  Y,  I4  vf '  W^V^^ 

^?  «ffi*  «1  *w  4m  iii*erp9iirtsv^  ?wn|W^^  w4  weijige  <iq44,  4^ 

l^fi^l^en  ^9lj  yoft  ^^ei^f  PWfl  Ij^^Wn  «i  biHig^i,  8«  eifrig  ß^pli 
1^  J((..  ^v  Ypn  i^un  pmg^fthHj^  Lü^  j^^^iij>mt:  f|^qnißit4u8  pi 
I^fjriui}  1^  Qf^9  |i^  K>eili^  fliyWitie«  Sepa^Y^^.    P^n4wi»§  4ipit 

D^unge?^h^^t  i^t  y^'  (k^  ^pr  eiin  gphjwbfphler,  d^i  be^d^  P?:»PO- 

Bff^^v  A^,   T^^4  a  VI,  gs  ^wi^  aUf  j>o44,  im  pmmw  ^b«?: 

j\^^  4a9  (»'  e^ri^lft^  8ip)|  ai^Q  d^v  48|iwil^tipx|  T(W  K  —  <TW«WfJft» 
^Wf  f^aW  ^W  P<lftkk^^^r  ?«^T  g^wfilii^pljefl,  Fprg^  ^ur  F()Jgj^  Mfte; 
ßi»  }fom^  99  we^  w^l4i«lm  a^s  P'  vf  Q.  ^Pffi  J8,  W\4  wie  ]^^ 
efjüw?i*s,  ia  ?T  Wj  8q  V91:  p,  Q,  ]^,  Ip  f^%g  ft^  de?»  prägen  Bl^* 
^^ki^p.  Afflbr,  E  IQ^  (U)  ivi4  M4-  4  ^(P)  »IIJW  g«W».*f«W 
OfiSs  aw  passend  erscbeinen,  \^ü  ^^hfiX^j;  Ip^ti^^lf^ng  )4^^  ^^  ^^^F 
"öff  «W^,  %wViWi  P^ttfröJig' ?ii  4w^  ^^  Tcor^^r  iw  AAßw?f inen 
9f«Wff^%  8*«-)  gepp^qq^iw  w^?  Wd  P,  wb  %iif  ^c^  ^^^^^4^^ 
¥*  \^  Jff^<;fröP^V9  ^«*i  W W^  nop^  vonpyiiejiiw,  soU^  er  9^  ai^o^  l^iff 
au  figQB^  Qpne^y^t  V^igfiftgt  i)^bp?i.     .[e^^^  Ij^g^^pi«  k^u  ^ 

Op  ^f  ^ö?I  ^1^  Sl  a(^aT;\  ijin;^  j^^ft  Ijf..  fV^,  B  allein  ed^i*  ^ 
i^fAiief  %^ftbteii9  ein  (folclf^;  ^{^1)6»  yUcjl^ii^wk,  ^rjob^^ftUqh  g%- 
W}|[*f  1W  4iö  li^^ke.  im  ÄrP^P^Jpo^.  W  ye^Tix^ohen,;  W^  hier  qw 
b^exii^  27^$7  »SVaH*ieii  ßiege  4^3,  ^ei^pphjo;^  gopj^  ejiflffi^.  njit 
my^en  W^eb|±  bi^T^ngepi  Vpr4^a  k;9ini^  (11^4  ff(KfT9  i^t  ^iiyr  ^uf 
c^fi;;  finit  ^\^i  4e|  pligaet^ai^Btapiiies  zn  l;>^.zieibqn}^  b^ßi£^;ti 
wff  i^c^^t  j  flftpl^  flfw^V  IQX  mi^Bfii  P.'  4a8  {[ft^z^  C^^schl^cbt  \m  Siipi^ 
¥l^^^  °»Ph*  h]tpB  4ffl»  «W  TP?  })pntbe»ang^^i9j^  Q^yi^piijpfrl^ii  ß^egec, 
?f.  93t  4^  18*  ff*^«^?  (if?V  %  4ie  I^a  ^1  ni,  20.)  wl  I^QSMr 
^  4^  ^W«;^94,  WW  m}t  nw|  W.  C.  (ftöc  ipei.)  D  (AJä4,  ?2,  5?), 

1§WW  W^h  ^  (Crotit?|ig^).  I)4ft  So^r^qlien.  ^4m^«^  ^  ?^r  E^U^Lnw« 
*^5  StfiUß  \d9ft  4e^  Aww^t  P*|e^wt  ^fuppjtpc.  ?.  Jv,  147  ^ird  ^ 
v^  uuferpß  P  l^i^Wt^,  jq^^  to];  Q.  ÜJ^%  Vijnft  ^h  5,  Q. 
vtiüv  und  E,  G  vwv  oder  i/coi/  lesen.  P.  YIU  soll  cr^dp^t  wi^ 

^WnV*W  »^  W%  1?«te  Y9^;»ohiKijp4qii  «1i.  iPf  fj^i  ift  dfif 


me7UgitQm)g  d«r  SoboKen  euien  Beivms  für  die  90119  l^es^t  g%? 
fanden  za  )iftbeo;  doch  möchte  das  nur  scheinbar  für  atpdwov 
^sfngei^  da  e»  gewöhnlich  »nnbescholtep«,  alsp  »tadellos,  yoUI^oj^? 
iprac  bedeutet  mi  dann  eher  dem  ^(p^Lrov  entsprioht«  D^en 
wir  onsy  d^^s  in  0  der  Si^eiber  eigentlich  ivBZÜp^QVQf»  luein^ 
aad  in  der  Eile  ^  Wort  yersttlmineUe,  dann  ftUt  jede  diplQm^ 
tische  Stütp^e  fbr  die  Aenderong  wfg.  Schwerlich  woUte  d^r  frotPWif 
I>ichter  hi^r  Besoi^ias  vor  dem  JTeid  der  Gottheit  ansdrfLcWf 
aber  dauernde  Qnnet  derselben  den»  Zenokrates  nnd  seiner  bß« 
drftngten  Heimat  wünschen.  Die  vorhergehenden  Worte,  in  wel? 
eben  yL  Bef.  bestimmt,  wenn  er  xonra  nv'  oQfiovfav^  die  Lesart 
der  Handschriften  festhielt  and  a^iiwüfv  im  Sinn  von  fWr(K>v  odc): 
Mtui^og  fasste  (L.  F.  58  sqq.)}  verlangen  keineswegs,  dass  eini^  Au^ 
dentong  de«  göttlichen  Neidas  folge;  Mt  sagt  swar  »haep  verb» 
(67 — 72)  snbito  interieata,  nt  in  tot  aliis  capninib^s  niet^ti«  f^f 
admonitionis  fmnt,  ne  certonun  qoorandam  finiom  moa^i^  hpoio 
ezeedat,  neve  deomm  invidiam  ezeitare  videatnr;  ideo  ßq>ftwQv 
repoeoi  pro  S^p^^tov.^  Doch  spricht  P.  vorher  nur  von  seinen^ 
eigenen  Ma^sshalten;  iv^o^t  ist  nicht  precor,  sondern  Ikf&rmo, 
was  M.  vor  20  Jahren  ons^rogab,  vgl.  Bb.  M.  IV,  547,  |n  F.^  1^ 
103  ist  die  Frage  ifik  ^  ov  ziQ  do^pcv  diifov  oauuSfi^vov  ^gaß^t^ 
fjl^iog  amiq  ^^«üpaf  (^i);  ans  B,  B  (IJrb.  144),  ad.  Bqpiu  nicht 
fortior  et  ad  n^znm  verbprani  acoominodatior,  sondern  vor  bQchtt 
«ii£Eallend.  Jfin|  wonigen  codd*  ieiden  \\wp  blos^i^n  dem  Schreib« 
fehler  ov  für  otn/,  wie  die  andern  codd.  statt  9fv  babeu,  F,  ^  h% 
eteht  iiflun  9war  in  B,  V,  X,  fmcb  den  Mose bep^liscben  c»  f,  je- 
de^ in  der  grösseren  Anzahl  der  Handschriften  aixiv^  Jopes  &|t 
det  in  den  Schoben  keine  Btt^tsEe,  wir  dürfen  e«  uns  einer  Ho29a^ 
risoben  Bemiqifoen^  von  D.  9  644,  l  823  erkläreni  denn  ?in49i¥ 
brttocht  sonst  imin«r  ikm^  d  h.  noch  i^n  12  Stellen. 

Wir  wollen  nnn  mclmro  F9.Ue  anführen,  an  welchen  si^  ^ 
mit  Be^bt  eon^ewfitiv  »eigt  nnd  die  Lesart  allor  9a9d8cbrift9ii( 
restitoirt.  Daz^  gob^  F.  ][«  6^  i  ^t^f*^  oder  j4c9Q^9  ^  nacki» 
drücklicbß  Zusammenft^song  d^f  vorhergehenden  {i^iiovzk  ßl  Ih^^ 
ffvXov  —  Mfi^mv^ ;  dies  nicht  gewahrend  schrieb  Henqann  ^oir 
^ib<^  worin  ihm  alle  Späteren  gefolgt  sind.  0.  H,  99  bat  X9^  x^ 
voq  swar  einf»  minder  fliessende  Constraction,  als  hMvüQ^  irelobes 
Mo9Ghopal  xpi^  Bo^qkb*»  oad  anderer  Zastimmong  hereingebriicbt 
bat,  in  der  Mnabm^  wo),  da*  Metmm  erlanb^  hier  keine li(ingf; 
ab«r  nian  d^rf  darin  pichtp  anderes  aU  Ex^tiker  sehen,  denen  iqinf 
Apii^knpsa,  k^  lapibns  vorhergeht,  dab^r  die  s.  SAOßp^  \im  ^h^ 
zallMig  ist.  0,  Vn,  ^1  gaK  bisher  MingareUi's  Qorieciinr  nßüfQ»^ 
o  ^v  für  w^weifejhaft,  dn  »an  sich  nicht»  erinnertf  1  wie  in  ^n 
ersten  GUedf  der  Aof^blnng  oft  die  n^her^  B^cbnnng  wegb2(dilri^ 
▼gl*  P,  ro,  91,  wö  0  jtiiv  vor  Uf(¥i^ißP  feWt;  e«|  ge^qbieM  d^^ 
wwn  in  andern  Wo^n  ^^  S^l^t^pn  denilicb  »nagedrüakt  ieti  wi9 
im  i^^  Jjm^iv  ciycBjKoir  v^^ow.    0,  tS3^i  Q  l^mi  wk  jttffb 


iU  Fliidaf!  CttnuB.  ed.  Mommistt. 

wie  Bef.  einst  verlangte  (L.  P.  83) :  xaöijnnjta  n,  /IciApov  TeoXüWy 
aöfpalrjg  ^ixa  xal  oiiotgoipos  El^a  freilich  mit  starker  Oppo- 
sition Bchneidewins  (Jen  Litt.  Ztg.  1848,  p.  1214),  wo  es  heisst: 
»lächerlich  ist  der  gegen  äötpccXkg  gemachte  Einwand,  ein  /Scr^por 
Bei  an  sich  schon  MfpaXigl  Allerdings;  auch  yala  ist  ja  in  der 
Begel  Isvxov^  eine  Bnrg  fest.  Böckh  hatte  gute  Grttnde,  den  Plnral 
xaüiyvriTcu  der  Dentlichkeit  halber  yorznsiehen,  gnten  Orond,  das 
prosaische  oiiotQOfpog  zn  yerschmUhen,  gnten  Grund,  die  Hören  bis 
anf  Eirana,  die  nur  ofiozifonog  heisst,  ohne  Epitheton  zn  lassen, 
wie  Hesiod  gethan:  Evvo^rp;  xb  Jixfrpf  rs  xal  Elqrpniu  xB%tt>^ 
lv^av.€  Und  doch  gewinnt  das  bildliche /Sa^pov  itoXUov  an  Kraft, 
wenn  ihm  aiS^al^g  nicht  nachhinkt  und  die  Idee  der  Gerechtig- 
keit wird  bedentender  durch  den  Znsatz  atf^oAifg,  der  Plural  wäre 
eine  nicht  geschickte  Prolepsis  von  natdsg^  endilich  ist  ofiit^nog 
eher  prosaisch  als  das  Ton  den  besten  Bttchem  gebotene  6(t6vQoq>og. 
ICan  sehe  die  Annot.  er.  bei  M.  welchem  wir  aber  weiterhin  nicht 
zustimmen,  wo  er  (10)  der  Hjbris  das  Epitheton  ^Qa&viiv&fnf 
nimmt,  um  ein  minder  geeignetes,  d'Q€c6vdviioVj  wie  ausser  G,  D,  H, 
N,  0  die  meisten  Thomani  haben,  ihr  beizulegen.  P.  I,  89  wird  der 
in  allen  oodd.  festgehaltene  Datir  Üccifvaüp  wol  seine  Stelle  als 
Locatiy  behaupten  können,  obgleich  ihn  die  neuem  Herau^eber 
alle  entfernt  haben;  den  filteren  schien  IlttQvaCm  als  dorischer 
Genetiv  bei  Pindar  möglich.  P.  lY,  105  mag  ivxQixeXov  das 
richtige  sein  =  quod  quem  pudore  afficiat,  wofOr  man  svtifijteXap 
oder  ixTQOTCslov  bisher  las. 

Auch  die  Scholien  gaben  einigentale  schöne  Ausbeute,  wie 
0.  n,  52.  Hier  wird  man  zugeben  müssen,  dass  die  alten  Er- 
U&rer  nicht  das  noch  dazu  unmetrische  8v6ipQ0<SVvccv^  wie  die  nicht 
interpolirten  codd.  (auch  unser  Pal.)  haben,  in  ihren  Bttchem  lasen, 
auch  nicht  dvtfipQOvaw  ^  was  erst  MoBchopul*s  um  so  gewagtere 
Aenderung  ist  als  er  xccQaXvei  umstellen  musste,  sondern  aqppo- 
ffvväv*  Mit  Dindorfs  dvfStpffOvav^  wenn  es  auch  Schneidewin's  und 
Bergk*s  Beifall  erhielt, *war  also  nichts  gewonnen;  Hesiod  Theog. 
102  konnte  nur  die  Existenz  des  Wortes,  aber  nicht  die  Zweck* 
mässigkeit  seines  Gebrauchs  bei  P.  darthun.  Passender  citirt  M. 
P.  Vni,  74:  bI  ydg  tig  iüka  niTcatai  —  nolkolCg  60fp6g  iox^ 
ned'  ifpQOvav  ßiov  xoQV06i(isv.  Den  klaren  Sinn  der  Scholien 
wollten  diejenigen  nicht  begreifen,  die  nun  einmal  in  der  Yor- 
etellung  befangen  waren,  es  könne  hier  nur  von  der  Sorge  um 
Gelingen  des  Sieges  die  Bede  sein.  P.  m,  81  lesen  wir  jetzt 
tatovxi  aus  Schol.  A  zu  0. 1,  97  (p.  88,  1.  15  ed.  B)  wo  die  Am- 
brosianische Handschrift  dioptt  hat,  nicht  daCovtca^  wie  die  übri- 
gen. P.  X,  71  steht  aus  derselben  Quelle  und  mit  Zustimmung  yoü 
M,  ü  jetzt  A/O**  dya^oMi  &ii  iv  S*  ayaOiMi ;  so  rerliert  das  ▼on 
Boeckh  eingeftlhrte  iiBXtp&yvg  fgkv  seine  Beziehung.  Zu  Anfang 
der  Ode  gibt  M.  nach  einem  Pariser  Scholion  ötgtctä  &  aiupix- 
#^o»#)  indem  die  oontinuatiye  Partikel,  wie  so  häufig'  bei  Pindar» 


Pteittl  Ounniii.  •<.  M otnlit^flL  M 

Itr  fop  eintritt ;  die  Ynlg&te  ist  iftgcn^  x  a,  Bedentender  ist  dit 
Verbesserang ,  auf  welcbe  M.  nnabhRngig  von  Bergk  dnrch  die 
Scholien  und  die  wenn  anch  leieht  yerdorbene  Lesart  der  besten 
eodd.  gefübrt  wnrde  in  P.  IX,  62 :  9wj6i(i€vac  ergab  sieh  beiden 
Kritikern  ans  ^axafievcu  B,  ^6a[i€vai  E,  F,  0,  H,  P,  Q,  B>  ü» 
und  der  Erlftntemng  ^av(ia6a6ai  to  ßgifpog*,  vgl.  Sebol.  öerm* 
V.  Das  ist  gewiss  weit  dem  xcctd7ixa(i€vat  vorznzieben,  wie  man 
sonst  nach  der  Gorreotur  Ton  Mosobopnl  za  lesen  genOtbigt  war« 
Aof  den  ersten  Blick  wird  man  ib.  19  anch  die  starke  ümstellang 
nnd  tbeUweise  Aendemng  ovte  deinvan/  tipifucg  wd  itaQav  oixov* 
piäv  billigen,  doch  stOrt  die  rerschiedene  Belation  der  GenetiTe 
nnd  die  Verbindung  hapav  oixovQtav^  wo  xoqSv  olx,  zu  erwarten 
war.  Dies  liesse  sich  indessen  leicbt  machen ;  aber  allem  Ansohein 
nach  lag  dem  Scholiasten  die  Yerschreibnng  ov^*  für  {U^  vor; 
wenn  dem  so  war,  wird  man  sich  damit  begnftgen,  Mosohopnrs 
oixoQiav  gelten  zn  lassen.  Bergk  ist  auch  fUr  die  evidente  Correctur 
ioxkoxov  statt  lonlixafiov  M*b  Yorgftnger;  hier  durfte  man  dem 
ebengenannten  Byzantiner  nicht  folgen,  wenn  et  natlf  loß66ti^v%ov 
snbstitnirte,  nicht  eingedenk  der  nXoxoi  (fsUvcov  in  0.  XDI,  8S, 
Dagegen  wird  an  folgenden  Stellen  die  Auffassung  der  alten 
Ezegeten  mehr  unsere  Yorsicht  als  unsem  Dank  in  Anspruch  neh- 
men mttssen.  Wenn  0.  YIH,  23  von  der  richtigen,  mit  Erwägung 
aller  ümstftnde  geschehenden  Beurtheilung  die  Worte  o^a  iut- 
nptvai  ipQßvl  fei7  napä  Tcaigov  zu  verstehen  sind,  kann  auch  das 
mnftobst  vorhergehende  nicht  auf  ein  üeberwiegen  der  plebeischen 
dem  Fremden  abgeneigten  Masse  die  Bede  sein,  sondern  von  einem 
schwierigen  Gegenstand,  der  sich  viel  und  nach  vielen  Seiten  hin 
neigt.  M.  ISsst  sich  nun  von  den  Schollen,  die  leolv^  auf  das 
nlri^g  der  Bewohner  Aegina's  beziehen  und  darum  o  n  local 
lassen,  was  ^chon  grammatisch  unmöglich  ist,  bestimmen,  o^i  yoif 
%oXv  zu  corrigiren;  ausserdem  nahm  er  den  Schreibfehler  mehre* 
Iner  codd.  ^inov  auf,  wo  nur  ^iiCBt  angemessen  ist.  P.  H,  88  ver» 
mnthete  schon  Bergk  OvgavÜta^  und  zwar  wegen  der  Interpre- 
tation Tp  vnBffs%(yv6ri  rov  ovgavCov  Kqovcv  dn^tctpl^  welche  in- 
dess  auf  eine  prosaische  Deutung  zurückgeführt  werden  kann ;  ge- 
nauer wÄre  trj  vnsQBX^^V  ^^  ovQavCayv  rov  Kqovcv  ^vyatiQC9v* 
P.  IV,  26  ist  ipi^fwv  in  den  Scholien  und  wenigen  codd.  blos  eine 
Erleichterung  des  Lesers,  der  an  vmra  ig^fia^  welche  aber  den 
€VQda  vwta  J&aXa(S6i]g  nachgebildet  sind,  Anstoss  nehmen  mochte. 
ib.  284  hat  ein  Erklftrer  avayxa  in  seiner  Handschrift  gefunden, 
ein  anderer  avayxcrg^  wieder  ein  anderer  avayTCCug^  an  welchen 
sich  M.  hält,  indem  er  ßodovg  dr^üaig  avayxaig  lvxB6iv  (xv^ivag 
construirt  und  übersetzt  loris  bovinis  alligavit  cervices  ad  aratrum 
{SvtB6iV  sc.  apotgov).  Das  ist  gezwungener  als  wenn  wir  ßoioig 
mit  Svrsifiv  rerbmden  und  cn/a;/xa$  mit  mehreren  guten  codd.  lesen. 
Die  ivrea  avayxag  gehören  zusammen;  aväyxatg  scheint  nur 
dnrch  den  Gleichklang  in  di^aig  veranlasst  zu  sein.   ib.  255  ver^ 


106  Mi4«A  jOmufu  a«,  M#miii«a» 

wirft  ILHwrinwoii^sCQiijeotiur  tfs/^fr,  4i0  doch  8o  nah«  U^»  iftdf«i 
iAlodanafs  dem  9r^^  yorbergebt,  und  ersetst  dies  doreb  %qÄ^\ 
pif]iü)h  4w«i£elt  er  fiiebt  Mi  dem  ba^dflcbriftliobea  w^va^^  wd? 
fibea  slltrding»  die  SohoUan  mit  hp^imidovag  gloeeiveii^  und  mtüa^ 
pMigfUK  diene  dort  |i«r  snr  Erklftnug  de«  Bildes.  Wabmobeiaüdier 
ist  «B,  dass  man,  war  einmal  die  Stelle  yerdorben,  axtthm^  nioU 
mit  der  l^iobiea  G^rrector  äicwtvog  beriobtigte,  und  nur  den  ß^tiB 
^obl  oder  ftbel  sn  dentei^  sacbte.  Zn  weit  gebt  das  Yertmien 
pni  di^  ScboUen  aimb  Vs.  260  in  d^  Anfo^bm^  von  avv  ^^ 
obgleifib  alle  Manoscripte  öw  ^säv  t.  bieten,  ygL  Vs.  51,  dba^r 
die«  sonderbarerweise  so  Apollon  mit  Zeos  als  ^s6g  nsammengor 
stellt  wird.  P.  Vm,  89  bat  B  aßgatmog  ano  und  einige  Seholien 
erkiftreo  das ;  dennocb  wird  a.  Ign  bleiben  mUssen  vor  ii  iMd^ 
pnd  dem  ilbnliches  bezeichnenden  AblaUv  avoQda$g.  F.  IV,  258  aber 
kst  M.  Becbt  gehabt,  die  alte  Corrector  deß  Chaeris  ans  iem 
Beholien  anfEnnehmen,  wo  weder  das  Überlieferte  ap  ^uns  KjoülUt 
tttWy  nocb  Bo6ckb*9  xav  xots  K.  reobt  passen  wilL  Dass  die  dor 
visdia  Harmonie  eine  dialektisofae  Eigenthttmliobkeit,  wie  iv  mmdg 
nicht  snlasse,  werden  wir  mit  ibm  als  ein  Vornrtheil  betraehittt 
dfli&n.  P.  V,  28  ist  cum  erstenmal  q^voop  in  den  Text  gebracht, 
«ras  Beo.  einst  empiahl,  und  Bergk  in  seiiier  Note  (fortasse  raote). 
Sin  Yersehen  M's  ist  es  aber,  wenn  er  scdirieb  oimfoov  P,  Q,  B,  Sa4» 
(enrnScb.  1)  Ky,  (Bg),  qi^)d  reposm  fMKsentu  mntato,  deafiPwenicv 
stons  hat  den  Ac^entfebler  nicht,  so  wenig  als  imsere  Angab«  L, 
P.  58.  D\ß  Lesart  astSofkfyni  (Yß.  22)  ans  demselben  eodd.  mUsaen 
wir  jetat  nachtragen,  nm  sngleich  ihre  Annahme  gijit  ^u  beiseea« 
da  sieh  sonst  die  ßonstmotion  nicht  reditfertigen  läset,  die  aooh 
den  hishevigen  Text  lathm  mit  vjt^fti^diisv  in  nnerhOrter  Weiae 
POL  Yerbinde9  aMhigi  P<  VI,  4  war  es  auch  das  sicherste  ig  n&ov 
belsnbehaUcoi,  weil  anch  dip  SohoUen  darauf  hinweisen,  nnd  wedar 
ii9tpai9v  noch  is  XaMw  ^xl  die  Stelle  zu  setzen}  ebenso  Vs.  12 
wtfffMH;  nmr  wird  man  einen  medialen  (Hbrauch  von  tpm909m 
niel|t  aimehmen  d^en,  wenn  es  aach  die  alten  Brk^&rer  geghmhi 
haben,  die  anf  den  Schreibfehler  ztmtofuvoi  ihre  Explication  wt 
ntinft^g  wd  ö^oAp^Wig  gründeten;  yielleioht  abar  ist  das  niebt 
einmal  nothwendig  ans  ihrer  Paraphrase  an  schliessen,  die  sieh  aooh 
mit  dem  richtigen  %wn^i/k^ov  yerträgt. 

Nicht  befolgt  sind  die  Scholien  nnr  an  wenigen  Stellen,  wi0 
0«  ZI,  83;  hier  spricht  fKr  ^fuvov  auch  die  bandsehriitUqhe  Tra« 
ditiim,  nnd  M.  selbst  gibt  in  der  Annot.  er.  dem  Acensattv  de« 
Vorzug  Tor  f^fuvot,,  P.  IQ,  86  ist  nicht  klar,  warum  d"  naidi 
9iAim  wegfaJQen  mnsste;  da  es  alle  eodd.  habe^i,  die  SchcK« 
we^  in  einigen  ^benfialls  di  mit  dar  Bemerkung  sra^tcfvfv^  6  %i 
(ödes  d^>,  ist  an  d^  Bchtheit  der  Partikel  nicht  zweifeln.  BÜMifiger 
baban  sie  zt|  k4h^n  (kMueetnren  yerleitet,  die  m»  lieber  in  Aen 
Xfiri^A  if9i|^chlagen,  als  im  Te^t  au^^ommen  sllhe^  So  0.  VQ, 
SÄf  4«es  P^«^  (odfi^  i^m)  ursprünglich  da  gelesen  wurde»  wd 


B^ßs^^m  4aT0^  di«  CQoMe  g«wQW»,  ig^  sfhr  nnwabreciheiiliclf ;  fikw? 
llR^a  man  diepe«  darch  jene  Wörter  zu  deuten  getnoht,  Sq  be^ 
^mi((UM^  4fv  Aiiedmck  «2^^  x^looy  lantep  mag»  spricht  doeb  Q- 
Yl,109  ftp  *v|hw.  O.Xm,  HO  ist  ^^A€<rTuca?r«T^9  woftbrBo^pkb 
ly^tfOf^Koiniff #  T^riimtbet^,  ii^  den  Schollen  eW  f^u§  7erefBhe4  4^ 
C|(0|43ten  sipi  ^kULrep,  da  Tqv  folgt,  i^e  da^  xilsi^'  al^r  eoddr  fUr 
^fqnipiecenz  ans  {^,  I,  ß7  «n  halten.  Jetst  giht  %iU«if  ^nr  9M><^ 
^^^»«tiig^^  Pr&dioifnnf  zu  a^^^  ^b.  P.  J,  5^  Yeret^nd  ein  ßol^ol^t 
^  ^Vm  y^  d^  j^rankheit  piero^s,  welcher  den  Kri^  Tpn 
fljnner  SM^  ^8  dirigir^.  Schwerlich  wird  di^p  die  w^^  Aitf- 
%W(uig  faeieeen  hi^nnen;  die  Noth  ist  Yiehnebr  anf  die  tob  Hierq 
ttl^nenn4eiieii  Feinde  m  denten,  die  ihm.  mochte  ^  nnx^  hr^olF  ^^^ 
gmud  aein*  zn  huldigen  eich  gezwungen  sahen.  Für  K,  wi^  abpi: 
je^  Yor^Mlung  90  ftbfmzeiigend,  dass  er  voCQV  für  qiÜDy  in  den 
T^  setzte^  Wir  yerbindei^  ^Ck^fii  aviywtx  deip  anfgenQ^iigtea 
Ywbflndet^  §chi)iieiohe)t  selbst  ^in  Hbennüthiger.  Bo  be4%n  ef| 
meh  de^  j^^^^'^S  W  ^  V^'^  nicht,  wdche  von  Bf^ndhe^otei^ 
9fr|^  iMWS^tix^  h^J.  Pae  ane  einem  Scjiplipn  zu  0.  HI,  4  h«?: 
pei^iist^  ovrip  fixu  qf^^KfufrcpFOft  wird  nicht  npthwendi^  enM^^eineA 
V  YftTghaioh  n^it  dofu^  sqn^  g^le^en^ü  owo»  toi.  po^Bfiw  ff^  die 
l|]llfi^  h^^  ibiP  bereits  Q^iM^ai^d  gleistet,  wie  d^  sogleich  fotg9nd^ 
iWOfor»  r^iparof^  ^i  zeigt, 

]E!^e  gpte  Sii^riph^ng  hat  ^.  getroffen,  die  Yerpgliedc^r,  urele^a 
ohne  W()rlbvechnng  yqm  Yqrheygpb^den  i^tnennt  werden  btt^uiAn^ 
^\i  wt\p  Tertifjsl^  I^ii^e  ^b^oi^d^rn;  da^  i^  geachehfin  O.I  ^^ 
6,  O.n,  »tr.  6,  O.m,  ep.  4,  P.  I,ep.  7,  N.  VI,  stf,  J,  4,  6,^p.$* 
N.  Y^p,  fitr.  l.  ^.  I,  ptr.  9,  J,  lY,  ^-  3,  &,  Jr  T.  ep.  4,  ^F.  VI, 
8j^.  5,  J«  yiX,  ptr.  ß.  Die  vieist^  dieser  fidzfflchnnggffi  ^ind  fltf 
4iil  EritilF  irr(^eTa,nt,  an  letzter  @^e  mi^ss  ina«  es  ale  reinesi  2iU^ 
^  hetira^hten,  di^ss  ^n  i^inzeUier  A^apaest  an)  EJ^de  4ci<3  V^rsefl 
4^  ^Wört;  ^W  0.  I,  ep,  6  ergibt  sich  ^  V^.  «6  di^  Entb^l^ 
4^^  i^p^  qw  wplf;h^?  m^  bieher  von  Mo^ohepulne  di^ih^  9^1 
Jil(^  ijx^d  fortpfl^nzfli^:  W»t  M.  Hsst  d;^  Pf^rtikel  wg.  Zugfeich 
gf^^ifp^)!  wir  Va..57  mi^  ;ieuen  Beleg  vq»  dw  TyeniAv^^pit  4er 
Qqipppi^i^,  i^mi^^lich  4^1"  mit  Pr^ipoaitioi^efi  zusanunengßtietMw 
Yi^^^  i94em  sich  jetzt  VMfifXQ^(Mc06  auf  zwei  Glieds  vertheilt; 
^kfn  4wi  bietet  J,  V,  U,  ,(vgl.  Jj.  P.  93,)  i^nd  jetzt  auch  a  VI, 
6Xt  ipc^nn  ^ch  di^  ^li^ip?^  in  pivz^fp^4yifieK>.  'Bß^eukß^  erregen  mag) 
W^  ist  dapn  nipht  pe|ir  g^öthig^li  1^6  ^^  4ie  nip:  duJi^pK  Arsie 
l^nr^g^r^cht^Produption  ¥Qm  Uoiif^^ov  zu  gler^besu,  welc^^  S^^lf 
:  Wt^  ?.  nj,  6,  IY',  184,  I?»  114,  ?I.  Sa  tind  N.  L  69  zu  jener 
8teUi^  b^gt.  ^fttfi^  difl^enn^ftcht^P.^X,  J14  die  geriB«rte  Soh wier 
ngl^^t,  i^4^  pftQlm  iftit  ZQffW  eiii  V^fs  ei^d^i^  miw;  P-  Xt 
^erledigt  ^  ifeffpjji  die  Schreibung  (niqb^  Qqpjecti^)  ^(»loM«; 

*  58  z^  ^ii^i:  8tftrkere?i  Awd^in:^ng  yv«^*?  3P^  <^;9i;art'  nww  ^f^fi^- 
I     ^Pf>  pn^^W.  ?iji  dprYersptwig  wdpw  k  mf(m  W»i  Iwi^im. 


Sbi  Pfaidarl  Cannm.  ed.  MommBeii. 

nOthigte.  P.  IV,  184  wird  man  sieb  tnn  eine  leichtere  Bessenmg 
als  Hermann's  h^  nod'ov  d(tCs<Jx8v''HQa  nmtbnn,  und  nm  eine  wabr- 
Bcheinlicbere  als  6oeckb*8  ngo^dauv.  In  N.  I,  69  endlich  scheint 
iv  ffxsgS  als  eine  anmetrische  Variante  ro  tov  anavta  JP^^^'ov 
beigescbrieben  worden  zn  sein,  was  die  Folge  hatte,  dass  das  nr- 
sprüngliche  Wort  verloren  ging.  Es  bildete  keinen  Kretiker^  son- 
dern einen  Anapaest,  wie  die  Gomposition  der  ganzen  Epode 
erweist^  Tgl.  Bossbach  nnd  Westpbal  Metrik  m,  426.  Man  darf 
übrigens  nicht  glanben,  dass  M.  überall  jenen  Strich ,  wo  er  hin- 
gehOrte,  angebracht  habe.  Er  fehlt  0.  VI,  ep.  5 ;  0.  Vm,  ep.  6, 
denn  mit  naXa  —  rigm^  —  [likXovta  —  (lolQa  beginnt  eine  nene 
Periode ;  P.  11,  ep.  8,  P.'  III ,  str.  4,  nnd  wie  bemerkt ,  6,  P.  V, 
str.  7  wo  atävog  —  6(pd'aX(i6g  —  SfictTlfBV  —  [ivafi^ov  —  KaQ^ 
vste  —  ^ccv^ftöav  —  yXäMciv  te  —  eine  Dipodie  fÄr  sich  bilden ; 
so  braucht  man  65  nicht  xai  vor  jlaxsdaiiwvi  wegzulassen,  und 
eben  so  wenig  94  V(ivg>v  statt  des  angeblich  ans  einem  Glossem 
in  den  Text  gerathenen  xdfUDV  zu  schreiben ;  P.  IX,  str.  6  nimmt 
wieder  mit  difpgm  eine  Periode  ihren  Anfkng ;  N.  IV  ist  str.  3  in 
zwei  Kola  zu  zerlegen,  wodurch  freilich  die  Doppelbasis  wegfWlt; 
(eine  richtige  Abtheilung  muss  sie  auch  P.  Vlll,  5  entfernen,  0. 
TV,  ep.  9,  wo  sie  erst  M.  eingeführt  hat,  ist  seine  Versgliederang 
der  Symmetrie  zuwider.)  N.  V,  ep.  3  muss  mit  xai  ng  eine  ftisebe 
Zeile  anheben,  welche  bis  xfpdtW  reicht,  also  das  Versende  nach  aÄx(^ 
[lovg  nicht  zulftsst.  J.  11,  ep.  1.  fWlt  nach  itrqQ  —  6q>stiQCcv  — 
fpdx>vsQql  ein  Abschnitt,  der  das  Proodikon  von  der  folgenden 
Periode  scheidet. 

Wie  in  den  angegebenen  Fällen  die  Trennung  geboten  ist, 
wird  man  auch  einigemale  eine  Verbindung  Tomehmen  müssen,  um 
die  Eurhjthmie  der  Strophen  darzulegen.  Ausser  dem  eben  be- 
rührten  Verse  in  N.  V,  ep.  3  ist  eine  andere  Verbindung  als  die 
bisherige  noch  J.  11,  str.  4,  5,  welche  Verse  zu  einem  zu  verbin- 
den sind,  nOthig;  dasselbe  gilt  yon  den  beiden  letzten  Versen  der 
Epode.  P.  Vn  müssen  str.  5,  6  sich  ebenfalls  in  einen  grdssem 
aus  zwei  Tetrapodieen  bestehenden  zusammenziehen,  was  nur  durch 
eine  nach  olxov  eintretende  Position  möglich  wird.  Das  wird  er- 
reicht mit  Bergk's  t(va  olxov  r',  der  nur  nicht  vaCcyv  und  f^&coc 
tilgen  durfte,  sondern  jenes  in  angemessener  Weise  emendiren, 
dieses  aber  einfach  beibehalten  musste.  Die  Zuversicht  mit  welcher 
M.  von  seiner  Constitution  des  Textes  xlva  z  olxov  oftEv  öwftago- 
fua  spricht,  soll  uns  nicht  irre  machen,  wenn  wir  gegründete 
Zweifel  an  der  dialektischen  wie  syntaktischen  Berechtigung  seines 
tXxßv  alav  hegen,  welches  am  meisten  auf  Schneidewin*s  olx€yv 
lawv  herauskommt ;  nur  dass  dieses  wenigstens  der  Symmetrie  der 
Strophe  nicht  widerstreitet.  In  dieser  muss  ausserdem  Vs.  2,  um 
den  in  der  Antistrophe  unversehrten  Ithyphallikus  zu  gewinnen, 
ipMy^av^f  gelesen  werden,  wieBoeckh  in  der  ersten  Ausgabe  Trikli- 
nios  iölgend  schrieb;   dann   str.  8,  4  abermals  vereinigt  werden. 


PladMi  Cirmm.  «d.  Mom]D»#|u  MM 

Was  )L  mit  Aii&ahine  toh  »ofLßou  für  «hofux  xal  0.  IV,  27  be- 
sweokt«»  sagt  er  nicht  in  der  Annot.  er.  Die  Scholien,  welche  dort 
eitirt  werden  y  wieherholen  xai  ausdrücklich  vor  TUtQa  xov  t^ 
^küUag  iouma  j^oi/ov,  was  zugleich  fUr  Beibehaltung  von  aJiixüis 
spricht.  Jedenfalls  muss  mit  avdQOöi  (so  alle  gute  codd.»  die  ttbri- 
gen  iofdQaöifiß)  der  Vers  26  schliessen,  der  folgende  nohal  d'OfM 
ml  ist  der  Mittelpunkt  der  zweiten  Periode  dieser  Strophe.  0.  XIV 
hat  M.  die  Tripodie  zu  Anfang  stehen  lassen,  ohne  vor  dem  Hiatus 
imx^MM  iuzs  zurückzuschrecken.  Natürlich  berücksichtigt  er  dabei 
nicht  die  so  entstehende  Ungleichkeit  Ton  Ys.  2  und  3.  Das  Par- 
ticipium  beraufzunehmen  würde  freilich  die  Ton  Boeckh  verpönte 
Brecbui^  in  q>üafiC^iju  Ys.  14  zur  Folge  haben;  doch  kann  nach 
Analogie  der  oben  besprochenen  Brechungen  bei  Präpositionen  eine 
in  commissura  membrorum  zugelassene  immer  noch  eher  gültig  sein, 
«b  ein  Hiatus  nach  der  trochaeischen  Thesis,  welcher  auch  P.  YHI, 
96  mit  Recht  von  allen  Herausgebern  vor  M.  ungeachtet  der  über- 
einstimmenden handschriftlichen  Tradition  vermieden  worden  ist. 
Weiterhin  ist  nichts  gewonnen  mit  Weglassung  von  yiiQ  in  Ys.  5 
mid  17y  wol  aber  die  Symmetrie  der  mesodischen  Periode  zer- 
stört. Bergk  hat  6vv  yoQ  Vfi^v  und  Avd^  yoQ  jäöcix^r/ov  mit 
der  kleinen  von  Hermann  herrührenden  Oorrectur  von  AvoCp  bei- 
behalten; die  von  demselben  und  Schneidewin  aufgenommene  Be- 
richtigung ta  ylvxd*  ivstai  mochte  M.  nicht  benutzen,  indem  er  der 
Meinung  war,  Pindar  habe  hier  zwei  Kretiker  (d.  hi  mit  Auflösung  der 
zweiten  L&nge  im  ersten)  eingemischt;  er  folgt  also  der  von  Her- 
mann und  Boeckh  vertretenen  Aenderung  iv  za  luXhatg  asiämv^ 
aber  deon  rhythmischen  Charakter  der  Strophe  ist  nur  die  logao^ 
dische,  von  allen  Handschriften  bewahrte  Form  iv  iiskitcug  % 
iudmv  angemessen.  Bec«  hat  schon  1844  in  den  Wiener  Jahr- 
büchern CY,  108  die  Stelle  behandelt,  wo  aber  »den  fünften 
Schritt  des  Bhythmusc  ein  lacherlicher  Druckfehler  ist  statt  »den 
sanften  Schritt  des  Bhythmus.c  Nur  auf  die  angegebene  Weiae 
entsprechen  sich  die  Yerse  6,  7.  Bs  ist  noch  zu  bemerken,  dass 
M.  Jvda  ^AöMi^XQv  so  misst;  —  s.-^— ,  —  ww,  indem  er  eine  ganz 
unstatthafte  Yerkürzung  hier,  wie  P.  YIH»  96  in  av9(fantot  vor* 
aassetzt. 

Für  einige  andere  das  Metrische  betreffenden  Bemerkungen 
wollen  wir  die  Folge  der  Oden  einhalten«  0,  I,  28  wird  es  er- 
laubt sein  an  der  Correption  von  dem  acc.  pL  q>atig  und  hiemit 
an  dfft  Richtigkeit  dieser  Lesart  zu  zweifeln.  0.  XI,  IS,  wo  die 
Hehrzahl  übrigens  keinen  sachlichen  Grund  hat,  kann  für  die  Yer- 
kürzung nichts  beweisen,  noch  weniger  P.  HI,  112.  0,  I,  80 
nennt  M.  die  in  Q,  Z.  dann  Ay  11  und  den  jüngeren  oodd.  vorkomr 
mende  Lesart  i(fmvzas  matt  (Sendschreiben  p.  13);  sie  ist  das 
eben  so  wenig  als  i^vaöx^QixSy  wodurch  allein  an  dieser  Stelle 
ein  Spondeus  für  Jambus  eintritt;  freilich  kann  für  die  Licenz 
0.  XJy  48,  90  in  zwei  sonst  mit  einem  lambus  beginnanden  Gl;- 


Diu  ^TIwMbi  Giniun*  ML  flIölB'BvvB« 

]ton60U  &Agidfbhrt  W^i'den.  0;  I^  lO«  h^A^n  «UÜge  Md4^  MÜi 
taxier  VttL  ßtf^3  Buden»  in  ((r6s8<»tQi'  AitzAil  da#  Hier  «IrilfS- 
Mömmene  ß(fotiSp;  dies  sclidilt  jMoöb  ein«  GorreMttr  «m  ih 
ft1irig#iid  erbnibtidii  Hiftt  to  «uifftmöii.  üiti((^Mtart  M  dto  Fitt  & 
P.  il,  Wo  ^fötü^  weit  nätftrlush^  itfli  4hr  diis  voll  H^rkd^M  im- 
gedöhla^e,  tdä  Boetikh  tuid  Bcbneid^Win ,  ni<At  aMt  fAi 
Bm-gk  adoptirte  /fpot^.  W^diAldiir  0.  n,  &0  M.  die  UmiklM^ 
)r^^  m)  itdtifCttU  für  tixifvttu  Mmpte^  o^  tor&dkM,  wM  f£ 
ätiddm  Fretmde  de«  P.  keinett  hiitireidieiideii  GtrvaA  sbgel^M;  B^ 
ÄOhim  tnsK.  lediianetof  ^^i^^  servAt  dl  (nosti^  tratibue,  4labo0  f% 
lühtQCtai  dempM  offbnetfoni  ftdt)  meliti»  tonat.  Da  aonsl  btf  F. 
trat-  ^^t(kx^  Yorkltintnt,  di^  alt«  SebreibweM  tbwi^iils  ddi  XH^ää- 
MbiM  Yoü  ^  tuid  tu  nicJM  ka^te,  WiM  üml  (M»  B^^deifceA  tte 
0i1lM{{ iüpfaie  d^  MosiSbcf()fü!iM  befol|f6)i  vmd  dMk  indltidMUttü  Oi^ 
k^inatk  dM  Ktitik6r8  tticbt  isü  g^emuM  T^tinMtdft  sdbMlkeKi  Cl^ 
wagt  idt  M  üiit  H.  0.  V.  16  tiff^  ^httä  !Maft>t/,  tflei^di«^  Hb 
ttaditioti  der  öodd.  stebe^  ztx  laMen,  ided  diie  Con^e^tM  Mr 
erdtön  Syibe  ded  BigeiHiafiiebs  mt  etaftttiren,-  ntA  iiioM  fi^fc»  «äle 
tadtridebe  fr^beit,  deä  Bpe>tlde)ltt  ftü*  Daktylus^  Wie  OL  d^ii  IIA 
yt.  äKfrtt^t  dtbrt^ii  Bei^iel  O;  XI,  99.  Bioe  «[attii  ni^tli^rte-  Atf- 
ttcfüfr^  flfidMT  wit  a  Vm,  le,  ihM  Z^Mitigkeift  Wb^d  WM* 
^ttie!^  aüribnd»  efnteebiedMk,  obwd  M.  W^s^  daM  «s  etwM  aiaiM 
brt,  dtiHr^obef  Afsen  ab  ttodbaeiildbe    äefetiftML     DM   Wdlte 

ftfgt  bibzui  ib  MqnMiti  terBü  äi  cttm  OpüiMe  ^u^fk  pMy  ^  Mt^ 
tf^tiff,  ^aafdeu  stdationöäi  babebie,  9ec(ttettte  btevi.  Badeila  \mi\A  M 
y«.  £0f  42.  Omniitd  baec  ödA  letiox^s  Austtevoe  babet^  Daüiit  JK 
biobte  bewi^n;  jekies^  i^ffä  wäfe  iior  difl  SitteMoüb^encr  «Wh 
Bobi^ibftbiets.  tm  Scbenna  tu  0.  Xi  (bier  X>  «nMtd'  tiiit  BM^ 
mcbt  wä^7  iä(f€»i¥ä8§e1^  dieBetetobniü^de»  feWeisUbi^i^i*- 
KMse^  hat  ^^.  8  abgebl^klbt  ifMiitt,  WeM  ntab  bi^bl  vonHeli,  MtS 

iMMt  Skiftt  tu  les^  Afidet^r  Ansl^bt  i^Ü  BM'gk,  WiSeS^ibA» 
0d#  kt^iif6b^  Be^tandtiirile  findet  n^  «ei^  T^*i^bendeb  Bpo*- 
"detls  {d^  db^  bbfigett  Ei^ic^enr  blef  mH  d^M  "AMAÜQt  yerteüMB 
glaubt:  wir  mOgen  lieber  auf  die  lange  Anakruse  eine  troetMAMItt 
YMMf^MHefbl^  lass^fü.  O.  Xn,  18  Wid«Mtidbt  ijf^  Ik^fpivf 
nbr  £^  tfiii»  in  A  nikfat  de^'  MtfttfitHAöti'  AüffiMStttitg  frb  Mob,  itbelff  Wv 
bSef  baebtkrftgUeb  erinnert  Wef deifr  ^oU,  d«^  Butl^jiibittfe  il^  dMÜr 
Ikteibte  bÜ  Mlccdiiöcaf  ftßtH^ä^n  PM6d6.  O.  inTT,  lli,  IM  H 
"JaiXct  feättituiM'y  in  afleb  bb!i§f6tf  I^^diBb  ist'  «e  AifidKiMüg'  geffWM 
Ba  duck  btet  eiiftf  Yetl&bg^i^tr^  der  kürten  Bube  db)r(«  di<^  ÜMl 
iW  MÜj^  entflftebt,  und  die  Adi^ede  M  eicb  ibi€  detti  tniHM^ 
iKi/cMo^  eebr  aufikUeM  ist,  rietfaeb  Wiif  seieivr  ZeH  ttt  A^  aMr 
diM  ni(M  biif  Patiw  und  Bbeekii  (w^beit  beueie^iilge  L.  MbifM^ 
FitfdAr*B  Lebeb  tkM  DMbfftbng  p.  809  bel|yäMMiet)  ab"  VMMf^  ^ 
lMttf6llMb^  deMieif  ^bbub|r  ^^^  2e^  ^^le"  ddröH  Iftin'  tbey^eUk 


BdBpidi  Ml  xMktfertigeiid«  Härte  «mmgl,  M)iid«ni  6l«  ImpMitin 
n»  ftaUende  Sttbe  kOteie  tii^*  naoh  M^^v,  oder  4i  MMh  «m  a)M 
f»ben  9  totaeres  wttvde  aber  treges  der  aa  groesen  Aehi^ehkeii  Mixt 
€5  SfB  ih  mi  weniger  bii  empfebleii  eeis.  Hennami  sclilftgt  in 
euem  aemer  letitem  Progrimime  üi)  f&va  Yor,  ebne  ei6b  Obet  die 
Bedenrtoag  dieser  Stdile  ansBiurpteebeii ;  Bftob  Sobuidt  wttte  dieeert 
«o  König,  laee  sie  (die  OligaeUdden)  mit  ibreft  leiobteift  Ftteeen 
beraaaMbwünifteii.«  Dm  wttaseMeft  wir  aber  gfaiHDHiiisiAi  •t'^ 
wievn  «ad  mit  eichem  ParalMeB  belegt,  wie  eia  bo  pfttgnaate» 
Bion  im  liifinitiv  liegea  kana.  P.  IV,  31  wird  die  AnflOstfftg  de# 
tfoohaeiechen  Arsie  Termiset,  denn  irar  aweimal  nnd  zwar  nh  nerni 
fttpT.  M  oAd  IM  tmterbleibi  sie ;  man  ai^Mte  daroM  M *9.  Mmg 
UlUlieKi,  wenn  ee  eben  bo  ttbücb  war,  tiuag  als  dOhnm  {eriMMg 
im^iyÜMHv^  P.  XI,  4,  9,  41,  M,  57  sebeint  anob  «le  die  tett 
Dialiter  beabtiebtigte  Form  entweder  fstrerindert  erbaHeft  dde* 
mit  geringen  Aendenmgen,  wie  sie  bereits  Hermann  ftngabi  berge« 
eldlt  wer^n  in  können,  wie  «opa  Miüetv  ^  ii^  m3Up\  ma  in 
drei  Strophen  20,  25,  86  masste  sn  Mrkefen  Mitt^  gegttfeii 
mid  die  Hypotbeee  gewagt  Werden,  daes  KM&nA^^if^P  nnd  i7a^ 
wmöoi  gloesematiscbe-  LesaHen  seieil;  htuvjfi&  napefOP  mHm 
alMf  bat  mit  itn^iiji^  nigayev  H(HftrjfJ$id^  o.  v.  ft.  eine  an  itark4 
Aeftdenmg  eiMtten,  welche  leichter  mit  i¥Pv%09  ifMäyuyöv  n,  at 
bewarksteIHgen  war.  Znr  Atinabsae  aber,  P.  kabe  80  tind  S6  da» 
tiigvnnamen  gesetit,  sonst  iiber  die  eftte  AMie  dea  iMctjlen  se)^ 
Tfttty  kOnaea  wit  nm  nieht  entecbüessen.  YgL  Wiener  JeMh 
0?,  108. 

Stt  den  gnten  metriaebeD  Abftndentngen  im  Texte  H*i^  gib5fl 
fia  dtoob  mebrere  Strophen  dnrefagekende  von  0.  Uf  tf*  1,  wikbi 
•toigens  sobon  vor  längeres*  Zeit  von  ihn»  hi  der  Zeitschiüt  fitf 
AliegtimmgwiSBensehaft  1847,  p.  909  elbpfebM  Ttnd  diAe»  tmlli 
ten  Beifgk  nnd  tksbneidewin  in  ihren  nenösten  Ansgaben  PindiM^ 
lenutat  worden  isii  nemliek  vs.  55  testttüM  er  iopfbdw}^  Statt 
iea  im»  am  Bande  der  ed«  Renk.  t^eMMm  Mjftvfiöi^.  Bodekb'« 
VorUelM'  filr  diese  Yafiante  ist  taflbileiid;  ihr  Mehi  der  OettseuA 
MMr  gAted  Qdelleii  gegenüber  ^  welehe  MosebofMd  terarttwiftef 
Hv^Mty  Wie*  das  nMbriHohe  Seliolion  an  100  Uirtt  AJM^irinf  f^i^^ 
Ir  o*i£fo#  g  «D  fiit^  Mi  ^  hvpM  klinti  Jedtor  tMM  TfiUiin«» 
gar  adekt  geineint  faAben,  wton  sie  den  Yers  fti^  einett  ekoldateb; 
Mtt^  kraohjröB«.  (w— %-/— ,  ^.*-^*^,  ny-^)  eifMarten,  nnr  M^ 
•apedativ,  ^elehet  elfiein  in  den  noeh  ftiekt  iaterpolfarteü  AandM 
Mhriften  steht;  dnreh  die  Yerse,  weldbe  eine  ifWisoheK  kretutotoo^ 
mA  logtkoediscbem  OeS(^leAt  dchWttnkeüde  MedeäMg  iMVen,  nM 
M,  88  wAfdM  sie  aH  der  fäbniien  Anftisftuüg,  ifltf  iH  die  sw«ii# 
Syzjgie  choriambisch,  verleitet.  Jetzt  ist  der  reitt  ptteoUieeM 
Chamkter  der  Epode  YoUkeaMen  geWbhrt;  in  der  vierten  nnd 
fiinften  Wiederhohmg  derselben  war  der  Yers  leicht  dnrcb  of^M^ 
nnd  Ißa  zn  verderbt,  wie  dnrcb  o^f^HM^  nnd  i%ißa  zn  berioh« 


IIS  fiaiari  CmnoL  «d.  Itommftett. 

ÜgßXL  Was  TS..  61,  sq.  betrifft,  so  bemerkt  IL  ganz  wahr»  daflS 
in  Anwendimg  des  Eretikers  und  seiner  Solutionen  P.  eine  ^öaeeoce 
Freiheit  als  bei  andern  Bhythmen  sieh  nehme;  ohne  Bedenken 
durfte  er  also  C0iug  8h  vvxzsööip  aeiy  Cöcag  9"  i^ffcu^  lesen,  wo- 
bei nur  iv  Tor  aft^ipai^  getilgt,  sonst  die  Lesart  der  yorsttgliohstai 
Handsohriften  erhalten  wird.  Die  viel  gewähltere  Ausdrackaweiee 
muBste  einem  metrischen  Vorurtheii  weichen:  die  Bysaaüner 
hielten  das  zweite  Kolon  der  Strophe  xCva  d'sivj  %iv*  ^^ohx  fikr 
einen  katalektischen  lonicus  a  maiore  mit  Ditrochaeus  in  der  ersten 
Byzygie  und  geboten  dann  Afoi/  und  l6a  zu  schreiben.  Der  grund- 
lose Wechsel  der  Form  missfiel  Boeckh,  (N.  cn  357),  wenn  er 
gerne  t6Qv  Sk  v.  a.  Iksov  iv  a.  an  die  Stelle  jener  Interpolation 
gesetzt  hätte;  sed,  fQgt  er  hinzu:  acquiescendum putari  in leetlone 
vecepta,  praesertim  quum  äh  melius  repetatur  quam  omittatnr; 
licet  haec  scriptura  profeota  videatur  ab  recentioribus.  Hier  sagt 
▼ideatur  zu  wenig.  Einen  bedeutenden  Schritt  n&her  that  Bergk 
mit  seiner  Yermuthung  t&a  dh  —  tö^  ^,  und  ist  so  auch  Bchoii 
in  der  Ausslassnng  von  iv  vorangegangen. 

Sprechen  wir  nun  noch  von  einigen  Oonjecturen,  die  M.  in 
seinem  Diorthose  angebracht  hat.  0.  I,  60  erscheint  ^^t^  w# 
(sonst  9^Kav)  seltsam,  wenn  auch  die  Analogie  von  inav  daAlr 
jieugen  mag;  man  wünschte  das  irgendwo  yorgeschlagene  ^ijattv  in 
der  Bedeutung  von  id'Q&ljav  als  sichere  Lesart  au&ehmen  za 
können.  Viel  grössere  Bedenken  erregt  gleich  nachher  ei  dh  deoy 
ftt^  ttg  ikjuvm  IsXa^ifiev  iQÖoVf  ainxQzwei  durch  die  syn- 
taktische wie  prosodische  Schwierigkeit  des  Infinitivs.  0.  II,  16  isl 
mit  x^ovog  nichts  gewonnen,  wenn  nattiif  i%si,  stehen  bleibt ;  mit  dem 
Aofigeben  von  ov  y€  muss  doch  Ejronos  als  Sohn  der  Erde  bezeichnet 
werden.  Ist  weiterhin  vs.  86  der  Dual  yctQvstov  uns  auch  sohwv 
lu  deuten,  wird  man  doch  noch  weniger  ein  Schema  Pindarieum 
hier  anwenden  können,  was  mit  yaqvstm  geschieht.  0.  VIII,  52 
ginge  invpviü^jxav  eher  als  iaixaiikvzav^  da  indess  der  Gott  nicht 
sowol  den  .Ort,  als  das  ihm  geweihte  Festmahl  zu  besuchen  im 
B^priffe  steht,  (vgl.  0.  HI,  34,  auch  H.  Od.  a  25,)  möchte  das 
sicherste  sein,  mit  Beibehaltung  des  Dativs  'l6d'(ip  Ttovtia  und 
zugleich  des  Accusativs  deiQada  ein  Zeugma  gelten  zu  lassen,  so 
dass  dixtza  xXvtäv  nur  von  ino^yi^avoQ  abhinge.  0.  IX,  76  ist 
9hi/og  Fiwosj  worauf  auch  Ahrens  verfiel,  in  diesem  Zusammen- 
hang anstössig,  wenn  Achilles  als  ein  junges  Maulthier  neben  seiner 
göttlichen  Mutter  erscheint ;  dabei  fragt  es  sich,  ob  das  Digamma 
Fositionskraft  habe.  Ein  y^  einzuschieben  und  o^ßg  folgen  zu 
lassen,  wie  Bergk,  würde  dem  yovog  der  codd.  am  nächsten 
kommen,  wäre  nur  die  Partikel  besser  am  Platze.  Wir  vermuthen 
9itu>g  HQVQog* 

(Sohluss  folgt.) 


St.  33.  HEIDIIBERÖER  1865. 

JAHEBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Pindari  Gannm.  ed.  Mommsen. 


(8chlu»8.) 

0.  XI,    11    wird    man   dem  toxog  oitadimv^   wie   M.  jetzt 
liest,   Hermami's  TOXO9   ovazmQ  immer  noch  vorziehen ,   obgleich 
auch    damit    nicht    das    rechte    getroffen    sein    dürfte.     0.   XHI, 
107  finden  wir  M's.   ^AQxaöiv  aöiSov    weder    in   dem  Sinne   von 
apud  Arcades     (womit  N.  IX,  40,  XI,  4  nicht  verglichen   werden 
kann),   noch  in   dem  von   Arcadibus    coram    passend.     P.   I,    75 
können  weder  i^da  noch  igdofmif^  wie  M.  versichert,  die  Bedeutung 
von  interrogo  haben.     Wenn  auch  agdo^Lai  nicht  einmal  im  Leid, 
6.,  einem   moschopulischen   cod.   oder   der   Aldina   vorkömmt,   da 
beide  a^ioyML  haben,   wird   es  doch  festzuhalten  sein,  da  igiio  P. 
nur  im  Sinn  von  dicam  kennt,   von   igdoiua  aber  keine   Spur  bei 
ihm  zu  finden  ist.    P.  m,  11  sagt  M.  non  movi  'AtSao^  sed  de- 
levi  iv.   Beides  mit  Unrecht.    Jenen  Genitiv   hat  P.   sonst  nicht, 
aber  'Atda  an  einem  Halbdutzend  von  Stellen  und  iv  d'aka(ic)  ist 
grade  sehr  bezeichnend :  im  ^dXa(iogj  wo  sie  vorher  der  Liebe  mit 
Ischjs  gepflogen  hatte,    starb  sie  und  ging  von  da  in   den   Hades 
hinab.     0.  VI,  58  ist  die  Construction  nicht  dieselbe,    auch  nicht 
0.  I,  89,  auf   welche   beide   Stellen  sich  M.  beruft.     P.  Vm,    77 
wird     VTtoxstQOv    (lizQa   xataßaCvat.:     ad     modum    oppressorum 
hominum    deprimit    schwerlich    grösseren    Beifall   finden   als  wto 
XetQCov  (i.     Die  Gottheit   drückt,    wen   sie  grade   will,  unter   das 
Maass  der   Hände   hinab.      P.  X,    69   macht   M.   ein  neues   Wort 
jtoTaiVTjöo^v,   was   heissen   soll  insuper  laudabimus.     Allerdings 
kann  weder  ad€Xq>€ovg  (ihv  ijtaLvriöO(iev  noch  «.  i7t£  t'  cdvrfio^BV^ 
noch  xa9sXq>eovg  fihv  iitaLViqöoiuv^  wie  Boeckh,  Hermann,  ^  Bergk 
lesen  wollten,   gefallen.     Wir  dachten   von   aä.  tot  ijc<uvii0oiisVj 
was  wenigstens  die  leichteste  Aenderung  wäre. 

Gelegentlich  mag  P,  I,  85  die  Erhaltung  des  handschriftlichen 
xal  zeXevza  (pegtiga  gegen  M's.  x.  t.  fpsqiti(fOV  und  Bosslers 
xoX  relsvrag  (pagrigag  gehalten,  ib.  74  Heokers^  ßakav  für  ßaXed'\ 
und  unmassgeblich  auch  ib.  26  TtOQ'  idovxmv  axoviSav  empfohlen 
werden.  Noch  eine  andere  Vermuthung  P.  HI,  106  ^svjAogog, 
Bvt^  av  iTttßQLöcug  BJtrixav  glauben  wir  gegen  M's.  ofe,  nokvg  avz' 
av  inißgiüri^  SiCYitm  vertreten  zu  können.  ^ 

Die  palmaria  unter  M's.  Emendationen   ist  0.  I,    104   afi^u 
xalj  wo  man  sich  seit  Moschopul  fruchtlos  abgemüht  hat;  das  er- 
liYUL  Jahrg.  7.  Heft.  83 


5U  Berts:  IleD«iBaA&6#  und  Ho^oeo  lii  der  rSm.  Literatur« 

träglichete  war  noch  das  aUov  Tcal  von  Triklinins,  wodurch  frei- 
lich d^r  in  diesem  Gliede  sonst  nirgend  zugelassene  also  fehler- 
hafte Spondens  entsteht.  Der  Vorzag  liegt  hier  in  der  Leichtig- 
keit der  Besserung  aus  a(ia  xal  und  in  Uebereinstimmung  mit  den 
Seholien,  welche  in  der  Paraphrase  (is  oder  ifuxvtov  das  richtige 
nahe  legen  imd  nichts  von  dem  aklov  ri  (Moschopul's),  akka  wä 
(Hermann's)  od^r  fi^iUov  tdQW  ^  (Bergk's)  wissen,  durch  welche 
Aenderongen  das  vorhergehende  itakmv  ta  xal  keine  richtige  Ent- 
sprechung erhält«  Kayser. 


Renaissanee  und  Rocoeo  in  der  rätnisehen  Literatur.  Ein  Vor- 
trag v(m  Martin  Hert».  Berlin.  Verlag  von  WilKdm 
Hertz  (Bessersehe  Buehhandhing)  1865.  50  8.  in  gr.  8» 

unter  diesem  Namen  gibt  der  Yerfosser  eine  Darstellung  des 
Charakters  der  rSmischen  Literatur  in  der  späteren  Zeit,  insbe- 
eondere  in  der  Zeit  des  Hadrianus  und  der  beiden  Antonine.  Es 
ist  ein  Vortrag,  der  allerdings  für  ein  grösseres  gebildetes  Publi- 
kum bestimmt,  und  in  einer  äusserst  anziehenden  und  lebendigen 
Form  gehalten,  doch  den  mit  der  Sache  selbst  einigermassen  Ver- 
trauten bald  erkennen  lässt,  wie  diese  ganze  Schilderung  auf  den 
gründlichsten  und  ebenso  umfassendsten  Studien  beroht  und  dämm  auch 
das  Literesse  der  Männer  des  Fachs  in  gleicher  Weise  anzusprechen 
vermag,  zumal  der  Verf.  es  nicht  verschmäht  hat,  in  einem  An- 
hang die  nöthigen  Beweisstellen  und  Belege,  auf  welche  seine  Dar- 
stellnng  sich  hauptsächlich  stützt,  zu  geben  und  daran  selbst  einige 
andere  weiter  gehende  Bemerkungen  zu  knüpfen,  um  aber  eine 
richtige  Einsicht  der  von  ihm  darzustellenden  Periode  der  rSmi^ 
sehen  Literatur  herbeizuführen,  war  der  Verf.  nicht  sowohl  ge- 
nöthigt,  zurückzugehen  bis  auf  die  Glanzperiode  dieser  Literatur 
unter  Aügustus,  als  vielmehr  einen  Blick  zu  werfen  auf  die  nach 
Augustus  unmittelbar  folgende,  bis  zu  Hadrian  reichende  Zeit,  weil 
sie  gleichsam  das  Mittelglied  bildet,  durch  welches  die  Entwick- 
lung der  folgenden  Zeit  bedingt  und  diese  selbst  dann  richtig  er- 
ftfcsst  und  gewürdigt  werden  kann. 

W^nn  in  den  auf  August  folgenden  Zeiten  und  unter  dessen 
nächsten  Nachfolgern  in  der  Literatur,  wie  überhaupt  auf  dem  Gre- 
biete  der  geistigen  Thätigkeit  kein  frisches  Leben,  keine  frische  Trieb- 
kraft sich  zeigt,  und  bei  dem  äusseren  Drange,  wie  ihn  die  Des- 
potie jener  Kaiser  hervorrief,  das  geistige  Leben  versumpfte  ,  in 
der  Wissenschaft  wie  in  der  Poesie  eine  rhetorisch-declamatorisohe 
Bichtung  Alles  erftQlte  und  durchdrang,  so  beginnt,  als  man  nach 
Domitian's  Tod  wieder  aufzuathmen  wagte,  als  die  Freiheit  des 
Wortes  und  der  Schrift  gewissermassen  wieder  erstand  und  auch 
formal,  man  von  der  geistlosen  Schulrhetorik  der  vorausgegangenen 


Berti:  RennUsftX)^  tm4  Rocoeo  Iq  der  r5m«  t4t^tur.  915 

Zeit  wieder  za 'der  classiscben  Form  der  ciaeroniscbeQ  Proaa 
3;arackzukehren  strebte,  also  mit  dem  Zeitalter  des  Trajan,  in  den 
Augen  des  Verfassers  die  Zeit  der  Renaissance,  der  Wieder- 
geburt, in  welcber  Quintilian,  und  der  unter  seiner  Lebre  gebildete 
Plinius  der  Jüngere  bervortreten,  so  wie  auf  dem  Gebiete  derGe- 
scbichtscbreibung  die  letzte  grossartige  Erscbeinung  ia  Tc^citus, 
der  in  seinem  Dialogus  de  oratoribus^  welchen  der  Yerf^ia^er  in 
Uebereinstimmuug  mit  der  neuesten  Forschung  aufTacitus  zurück- 
führen zu  können  glaubt,  diesen  Standpunkt  der  ciceronischen 
Form  der  Rede  festzuhalten  sucht :  in  der  Poesie  steht  der  kräftige 
JuYenal  ihm  zur  Seite,  >der  einzige  nahmhafte  Dichter,  den  die 
Eegierungszeit  des  Trajan  aufzuweisen  hat«  (S.  14), 

Weit  bedeutender  erscheint  indessen  in  den  Au^en  des  Ver- 
fassers der  Einfluss  seines  Nachfolgers,  des  Hadrianus,  auf  die 
Literatur,  welche  bei  dem  Mangel  an  eigener  Production,  in  der 
Rückkehr  zu  jenen  besseren  Principien  nicht  auf  die  Dauer  zu 
bleiben  und  in  der  weiteren  Fortbildung  auf  der  wieder  gewonne- 
nen Grundlage  Nichts  Neues  zu  schaffen  vermochte,  sondern  in  eine 
neue  Bahn  getrieben  ward,  auf  welche  die  persönlichen  Neigungen 
und  Richtungen  des  Kaisers  ihren  Einfluss  übten.  Er  selbst  war 
Yon  Jugend  auf  in  griechischer  Literatur  wohl  gebildet  und  er- 
zogen worden,  und  hatte  dann  mit  gleichem  Eifer  den  Studien  der 
lateinischen  Literatur  sich  zugewendet:  bemüht  in  seiner  hohen 
und  einflussreichen  Stellung  die  Wissenschaft  und  Literatur  zu 
fördern,  selbst  durch  Anlage  einer  eigenen  höheren  Bildungsanstalt 
in  Rom  (Athenäum),  war  und  blieb  er  doch  mehr  ein  Dilettant, 
der  mit  der  Wissenschaft  kokettirte,  und  durch  Rücksichten  per- 
sonlicher Eitelkeit  vielleicht  selbst  der  Politik  bestimmt  ward,  in 
der  heimischen  Literatur  aber  eine  Vorliebe  für  das  Alterthüm- 
liche  zeigte,  die  ihn  die  Bahn  eines  Cicero  verlassen  Hess  und  zu 
einem  Cato,  Sallust  und  andern  Vertretern  dieser  alterthümelnden 
Richtung  eben  so  zurückführte,  als  er  in  der  Poesie  dem  Anti- 
machus  den  Vorzug  vor  Homer  gab  und  ihn  an  Homers  Stelle  ein- 
zusetzen versuchte.  Und  so  »beginnt  nach  jenen  ohne  nachhaltigen 
Erfolg  gebliebenen  Versuchen  der  Renaissance  für  die  römische 
Literatur  das  tragikomische  Zeitalter  des  Rocoeo,  das  die  Re- 
gierungsperiode des  Hadrian  und  der  Antonine  beherrscht«  (S.  25). 
—  >Aus  dem  Staube  der  Bibliotheken  zog  man  die  alten  Autoren 
hervor,  mit  ihnen  nährte  man  die  Jugend;  legte  Auszüge  und 
Wörtersammlungen  aus  ihnen  an  und  liess  sie  von  seinen  Schülern 
anlegen.  War  man  mit  diesen  sorglich  eingeheimsten  Schätzen 
ausgerüstet,  hatte  man  sich  dazu  einige  Kenntniss  der  schemati- 
scben  und  äusserlichen  Regeln  der  Rhetorik  und  einige  üebung  in 
ihren  geschnörkelten  und  gewundenen  Formen  verschafft,  so  b^- 
sass  man  die  nothwendigen  Requisiten  zur  Schriftstellerei.  Auf 
selbständiges  Denken  kam  es  dabei  am  wenigsten  an,  man  um- 
hüllte die  eigene  Trivialität  mit  erborgtem  Putz,  man  flickte  sein 


516  Herts:  RenAitsAnee  nnd  Rocoeo  la  der  r5m.  Literatur« 

ärmliches  Gewand  mit  den  aufgefärbten  Prachtlappen  aus  den 
Rumpelkammern  der  Literatur;  hatte  man  Glück  und  eine  hin- 
reichende Portion  Dreistigkeit^  verstand  man  sich  in  dem  altfrän- 
kischen, zopfigen  Aufputz,  in  dem  man  gravitätisch  einherschritt, 
ein  rechtes  air  zu  geben,  so  konnte  man  ohne  grosse  Anstrengung 
der  höheren  Geisteskräfte  ein  hochberühmter  Mann  werden.«  Als 
der  vollendetste  Vertreter  der  so  gezeichneten  Richtung,  oder  des 
Rocoeo,  erscheint  dem  Verfasser  der  von  seiner  und  der  nach- 
folgenden Zeit  so  hochgepriesene  Fronte,  »decus  eloquentiae  Ro- 
manae«,  wie  ihn  sein  kaiserlicher  Zögling  Marcus  Aurelius  begrüsst, 
um  von  andern  ähnlichen  Lobeserhebungen,  die  wir  bei  Gellius, 
Eumenius,  Ausonius  und  Andern  finden,  nicht  zu  reden.  Das  Ur- 
theil,  das  hier  über  diesen  Hauptvertreter  der  Rococozeit  gefällt 
wird,  ist,  namentlich  auch  in  Bezug  auf  die  erst  in  neuerer  Zeit 
durch  Angelo  Mai  wieder  ans  Tageslicht  hervorgezogenen  Schriften, 
ein  höchst  ungünstiges,  das  wir  in  dieser  Härte  kaum  zu  unter- 
schreiben vermöchten :  »Fast  nirgends,  heisst  es  S.  28,  ein  einiger- 
massen  bedeutender  Lihalt  dieser  Briefe,  dieser  Stylübungen,  die 
bis  zum  Lobe  der  Faulheit,  des  Rauches  und  des  Staubes  hinab- 
steigen; eben  so  selten  ein  über  die  Trivialität  sich  erhebender 
Gedanke,  die  Darstellung  ein  gelehrtes  und  buntes  Mosaik;  nicht 
einmal  ganz  an  Reminiscenzen  aus  Horaz  und  Virgil  fehlt  es  darin ; 
aber  neben  Lucrez  und  Sallust  sind  es  wesentlich  die  recht  eigent- 
lich rostigen  und  veralteten  Schriftsteller  der  frühesten  Literatur- 
periode, welche  die  Stifte  dazu  hergegeben  haben ;  auf  nüchternem 
und  farblosem  Grunde  liefern  sie  ein  darum  nur  um  so  barocker 
und  buntscheckiger  erscheinendes  Bild. «  und  wenn  es  weiter  heisst : 
»der  Verfasser  dieser  Nichtigkeiten  freilich  fordert  nicht  ohne 
SelbstgefUUigkeit  den  Vergleich  mit  Cicero  heraus«,  so  möchten 
wir  doch  aus  der  angeführten  Stelle  Fronto's,  in  welcher  Derselbe 
seine  Bithynische  Rede  mit  Aehnlichem,  was  in  Cicero' s  Rede  pro 
Sulla  vorkommt,  vergleicht,  eine  solche  Folgerung  kaum  ziehen: 
denn  Fronto  setzt  ausdrücklich  hinzu  »non  ut  par  pari  compares, 
sed  ut  aestimes,  nostrum  mediocre  Ingenium  quantum  ab  illo  exi- 
miae  eloquentiae  viro  abludat« ,  wie  er  denn  auch  in  einem 
Briefe  an  Verus  von  Cicero  schreibt:  »summum  supremumque  os 
romanae  linguae  fuit.«  und  daher  können  wir  auch  in  einer  andern 
Stelle,  in  dem  Briefe  an  Marcus  Aurelius,  keinen  Tadel  des  Cicero 
finden,  wenn  es  hier  heist:  »Epistulae  tuae  —  mihi  satis  osten- 
dunt,  quid  etiam  in  istis  remissioribus  et  Tullianis  facere  possis«, 
da  der  Ausdruck  remissioribus  uns  keineswegs  einen  solchen 
zu  enthalten  scheint,  vielmehr  eher  ein  Lob,  das  in  der  nach- 
ahmungswürdigen Fassung  dieser  Briefe,  der  natürlichen  Leichtig- 
keit und  üngenirtheit  liegt. 

Nicht  minder  günstig  ist  das  Urtheil  über  Appulejus  aus- 
gefallen (S.  32 ff.),  es  mag  erlaubt  sein,  auch  Einiges  davon  den 
Lesern,  als  Probe,  mitzutheilen.  »In  wunderbarer  Weise,  heisst  es 


Herts:  Renaissanoe  und  Rococo  in  der  r5m.  Liteiatnr.  517 

8.  33,  Tereinigen  sich  hier  wissenschaftlicher  Sinn  mit  phantasti- 
scher Wnndersucht,  originelle,  selbständig  durchgebildete  Anlagen 
mit  Anlehnnng  an  den  Zeitgeschmack;  hier  der  Modeeinrichtung 
entsprechend,  die  ans  den  Büstkammem  des  Archaismns  entlehn- 
ten, ans  dem  Stanhe  hervorgezogenen  Worte  und  Wendungen,  dort 
neue  wunderliche  Bildungen  individuellster  Art,  dort  wieder  pro- 
vincielle  Eigenthümlichkeiten  mit  all*  dem  ungezügelt  und  üppig 
wuchernden  Schwulst,  der  die  aufgeblähte  Latinität  der  Söhne 
Airika's  schlingpflanzenartig  zu  umranken  pflegt.  Hat  man  mit 
Recht  von  Fronto  gesagt,  dass  sich  in  ihm  nicht  die  Gluth«  nur 
der  Sand  Africa*s  finde  [?]  —  bei  Appulejus  sind  beide  neben- 
und  durcheinander  vorhanden.  In  ihm  stellt  sich  eine  ganz  ab- 
sonderliche und  zwar  die  barockste,  mit  wunderlichen  Arabesken 
verquickte  Species  unseres  Rococo  dar«  u.  s.  w.  Wir  wollen  hier 
nicht  gerade  eine  Lanze  für  Appulejus  und  seine  Redeweise  ein- 
legen, aber  doch  bemerken,  wie  die  Sprache,  deren  er  sich  in  der 
Apologie  bedient  —  allerdings  sehr  verschieden  von  der  blumen- 
reichen und  alterthümelnden  Sprache  in  den  Metamorphosen  — 
eine  Einfachheit  und  selbst  Reinheit  erkennen  lässt,  welche  den 
Appulejus  weit  über  Fronto  stellt  und  Ruhnken's  Urtheil  bestäti- 
gen kann :  tam  vacuus  est  his  ineptiis  scholasticis,  ut  ejus  orationi 
nihil  aut  certe  non  multum  ad  summam  sanitatem  de- 
esse  videatur:  ein  ürtheil,  das  auch  der  neueste  Herausgeber 
dieser  Rede  bestätigt  hat.  In  äusserst  anziehender  Weise  wird 
8.  35 ff,  Aulus  Gellius  geschildert:  und  gewiss  war  auch  Nie- 
mand mehr  zu  einer  solchen  Schilderung  berufen  als  der  Verfasser, 
der  uns  zuerst  den  Text  dieses  Schriftstellers  in  einer  auf  die  ur- 
sprüngliche Form  möglichst  zurückgeführten  Gestalt  gebracht  und 
viele  Jahre  seines  Lebens  dem  Studium  dieses  Schriftstellers  ge- 
widmet hat. 

Mit  Gellius,  den  uns  der  Verfasser  als  einen  jener  treufleissi- 
gen  und  bescheidenen  Gelehrten  vorführt,  an  welchen  es  auch  in 
jener  Zeit  nicht  fehlte,  schliesst  in  so  weit  die  Betrachtung  ein- 
zelner hervorragenden  literarischen  Grössen  der  von  dem  Verfasser 
als  Rococozeit  bezeichneten  Periode,  als  der  Verfasser  daran  noch 
eine  weitere  allgemeinere  Schilderung  oder  Charakteristik  der  vor- 
herrschenden Richtung  jener  Zeit  knüpft,  welche  eben  so  anziehend 
ausgefallen  ist.  »Es  galt,  wie  richtig  hier  bemerkt  wird,  noch 
immer  in  den  Kreisen  der  Vornehmen  und  Reichen  fUr  standes- 
und  anstandsgemäss,  äusserlich  ein  gewisses  Interesse  für  Literatur 
und  Wissenschaft  zur  Schau  zu  tragen.  Bei  dem  geschilderten 
Mangel  an  Productivität  und  Originalität  auf  dem  Gebiete  der 
römischen  Literatur  darf  es  uns  nicht  wundem,  wenn  man  dabei 
die  Grriechen  bevorzugte.  Es  gehörte  zum  guten  Ton,  einen  grie- 
chischen Philosophen,  Philologen,  Rhetor  oder  Musiker  als  Haus- 
freund und  je  nach  Bedürfniss  zugleich  als  Hauslehrer  in  seine 
Kähe  zu  ziehen;   gern  zeigte  man  sich  mit  einem  solchen  Leibge- 


618  Hertz:  Kenaisdance  und  Rococo  in  der  röm.  Literatur. 

lehrten,  man  drückte  ihm  auf  der  Strasse  die  Hand  und  scbwaÄte 
ihm  das  Ejrste,  Beste  vor,  um  das  Publikum  glauben  zu  macben, 
man  könne  nicht  einmal  auf  der  Gasse  seine  gelehrten  Studien 
vergessen«  u.  s.  w.  (39).  Wie  es  aber  in  Wirklichkeit  mit  dieser 
zur  Schau .  getragenen  Theilnahme  für  Gelehrte  und  gelehrte  Bil- 
dung aussah,  wird  im  Verfolg,  zunächst  an  der  Hand  des  Lucian, 
der  in  einigen  seiner  kleinern  Schriften  ein  treffendes  Bild  davon 
entworfen  hat,  gezeigt,  und  hier  eben  so  sehr  das  niedrige  Treiben 
der  Vornehmen,  als  die  Gemeinheit  Derjenigen,  die  als  Gelehrte 
und  Erzieher  in  deren  Häuser  sich  aufnehmen  Hessen,  geschildert. 
>Wie  ursprünglichö,  schöpferische  Kraft  bei  den  Gebenden,  so  fehlt 
die  wahre,  achte  Theilnahnae  bei  Empfangenden.«  Mit  diesen  tref- 
fenden Worten  beschliesst  der  Verfasser  seinen  Vortrag,  dessen 
Hauptpunkte  wir  im  Vorhergehenden  darzulegen  bemüht  waren. 
Wer  aber  den  Vortrag  selbst  in  die  Hand  nehmen  will  —  und 
wir  können  dem  in  der  Form  wie  im  Inhalt  gleich  ansprechenden 
Vortrag  nur  recht  viele  Leser  wünschen  —  wird  darin  noch  gar 
Manches  Andere  berührt  finden,  was  Alles  hier  anzuführön  nicht 
möglich  ist:  ja  er  wird  selbst  in  den  Anmerkungen,  die  am  Schluss 
beigegeben  sind  und,  wie  schon  bemerkt,  zunächst  die  Bestimmung 
haben,  die  Belege  des  in  dem  Vortrag  Enthaltenen  durch  Anfüh- 
rung der  betreffenden  Beweisstellen  zu  geben,  manche  Bemerkung 
finden,  die  der  Mann  des  Fach's,  der  Philolog,  nicht  wohl  über- 
sehen darf.  Um  nun  wenigstens  Etwas  der  Art  zu  berühren,  er- 
innern wir  an  die  zum  Beleg  der  anerkennenswerthen  Bestrebungen 
des  Trajanus  um  die  Förderung  der  Literatur  mit  Recht  Not.  24 
und  25  angebrachte  Verweisung  auf  JuveuaPs  siebente  Satire,  wo 
auch  wir  (mit  C.  Hermann)  nur  an  Trajan  denken  können  bei 
dem  im  ersten  Verse  angeredeten  CRsar;  wenn  aber  die  Worte, 
mit  welchen  Juvenal  die  traurige  Lage  der  Dichter,  und  ihre  j>er- 
sÖfiHöhe  Misäftßhtutig  oder  Geringschätzung,  vermöge  deren  sie,  um 
zu  leben,  genöthigt  sind,  in  den  Sälen  der  Reichen  ta  antiehan^- 
briren,  die  Sportula  zu  erbetteln  u.  dgl.  bezeichnend  darstellt  i  — 
»quum  desertis  Aganippefi  vallibud  esuriens  migraret  in  atriaClio« 
übersetzt  werden :  ^ 

>Wo  aus  des  Quelles  der  Musen  verlassenen  Thälern  sich  Clio 
Hungernd  schleicht,  sich  als  Wirthrschaftsmamsell  zu  ver- 

miethen«  \^ 

so  nehmen  wir  doch  in  äo  fern  dardru  Anstand,  als  wir  niis  nicht 
überzeugen  können,  dass  in  die  Worte  »migtaret  in  atri^«  ein 
solöhdr  Begriff  gelegt  werden  kann. 

Getn  aber  Stimmen  ivir  dem  Verfasder  bei,  wenn  er  den  wtin- 
derliehen  Titel,  welchen  Hadrian  einem  seiner,  dem  Antimachus 
naehgebildeten  Gedichte  gab,  als  Cataohannae  festätellt 
(d.  i.  Bäume,  die  attd  verschiedenen  Propfreisem  verschiedene 
Fmehte  hervorbringen),  dd»  dieeeö  Wort  in  zwei  vom  Verf.  not.  48 


Mornttteat  Zwei  6epiileralredttu  M 

nachgewieflenen  Stellen  des  Fronto  vorkommt.  Dies  liegt  der  hand- 
schrifklichen  Lesart  (in  der  betreffenden  Stelle  der  Vit.  Hadriani 
16  Tön  Spartianus)  Catacannas  allerdings  näher ,  als  das  von 
Andern  vorgeschlagene  Catachenas,  nach  KcezaxTjvrj^  einem  angeb- 
lichen (Gedichte  des  Antimachns.  Chr.  B&lir« 


Mommsen^  Theodor.  Zwei  Sepülerairedei^  aus  der  ZeU  Augiati 
und  Hadriam.  Aua  den  Abhandlungen  der  königU  Akademü 
der  Wissenechaflen  9U  Berlin  18S3.    Berlin  1864.    8.  85.   4. 

Eine  der  wichtigsten  Arbeiten^  welche  voriges  Jähr  Über  Ih* 
teinische  Epigraphik  vorbrachte,  ist  vorliegende  Abhandlung;  sie 
zeiftlllt  in  zwei  ungleiche  Theile,  die  erste  (von  28  S.)  gibt  >di0 
Grabrede  anf  die  Turia»  Gemahlin  des  Q.  Lncretins  Yespillo,  Gon- 
suis  785,  gestorben  zwischen  746  n.  752  der  Stadt.«  Diese  Grab- 
rede ist  in  fdnf  Brachstücken  übrig,  von  denen  drei  nicht  mehr 
vorhanden  aber  schon  früher  edirt  sind ;  auch  die  andern  zwei  noch 
in  Born  be^ndlich  sind  schon  bekannt  gemacht ;  auch  sind  einzelne 
Theile  von  Deutschen,  Italienern  u.  a.  zu  erklären  versucht  Worden, 
doch  eine  genügende  Bearbeittmg  fehlt.  Daher  verdient  der  be- 
rfthmte  Inschriften-Erklärer  wiederholt  hohes  Lob,  dass  er  uüs  eine 
sehr  gelehrte  Erklärung  hiermit  vorlegte.  Diese  besteht  nicht  ntir 
in  Ergänzung  einzelner  Worte  und  Buchstaben,  in  Bestimmung  der 
Personen,  die  auf  den  Inschriften  nicht  genannt  sind  und  der  Zeit 
(was  theilweise  schon  Andere  erkannten),  sondern  hauptsächlich  in 
der  klaren  und  scharfsinnigen  Erläuterung  des  juristischen  Theiles 
der  Inschrift ;  so  dass  hier  die  Juristen  einen  nicht  geringen  Zu- 
wachs über  Erbschaft  nnd  was  damit  verbunden. ist,  finden,  zu- 
gleich wirdBudorff,  welcher  hie  und  da  anderer  Ansicht  ist,  mit 
Crltlck  widerlegt.  Auf  die  näheren  Punkte  können  wir  nicht  ein- 
gehen. 

ßo  wie  diese  erste  Grabrede  keine  laudatio  funebris  war,  son- 
dern von  dem  Gatten  an  die  Verstorbene  gerichtet  wurde,  so  ist 
das  zweite  Fragment,  das  nicht  mehr  vorhanden  ist,  dagegen  eine 
Grabrede  und  zwar  des  Kaisers  Hadrian  auf  die  ältere  Matidia, 
die  Mutter  der  Kaiserin  Sabina,  der  Gemahlin  des  Kaiserö.  Die 
loflehrift  enthält  nur  37  Zeilen,  von  den  meisten  fehlt  der  Anfang. 
Jedoch  hat  der  Herausgeber  manches  glücklich  reStituirt,  so  dass 
fibsr  die  Bestimmung  dss  Fragmentes  kein  Zweifel  weiter  obwal- 
ten kann. 


530  Kenner:  Chronik  der  «rch&oloitiBelien  Funde. 

Kenner,  Friedr.,  Custos  des  k.  k.  Mups-  utid  JntUcen^Cabitiets, 
Beiträge  au  einer  Chronik  der  archäologischen  Funde  in  der 
österreichischen  Monarchie  (1862-^1863).  Wien.  8.  162.  8. 
(eigentlich  Abdruck  aus  dem  'X'XXIIL  Bande  des  von  der  k.  k. 
Akademie  der  Wissenschaften  herausgegebenen  Archivs  für  Kunde 
österreichischer  Geschichtsquellen). 

Der  Nachfolger  des  vor  zwei  Jahren  verstorbenen  Ameth,  dem 
die  Alterthumsknnde  Oesterreichs  viel  verdankt  hat  -—  wie  auch 
in  diesen  Jahrbüchern  öfters  anerkannt  wnrde  —  der  Cnstos  Dr. 
Kenner  legt  in  dieser  fleissigen  Arbeit  zum  drittenmal  —  wie 
früher  Seidl  eine  Sammlung  der  in  einem  oder  mehreren  Jahren 
in  ganz  Oesterreich  stattgehabten  Funde  vor:  hier  sind  nun  für 
weniger  als  zwei  Jahre  an  hundert  Orte  verzeichnet,  bei  welchen 
die  verschiedensten  Alterthümer,  Münzen  u.  a.  m.  aus  vorrömischer, 
römischer  und  mittelalterlicher  Zeit  entdeckt  wurden.  Die  Orte 
sind  nach  den  einzelnen  Provinzen  Oesterreichs  geordnet;  108  Holz- 
schnitte geben  die  bedeutenderen  Alterthümer  so  wie  auch  selte- 
neren Münzen ;  die  Inschriften  sind  meist  ohne  Erklärung  gegeben, 
manche  auch  aus  früherer  Zeit;  so  werden  namentlich  in  Sieben- 
bürgen die  >  schlechten  Abschriften  Neigebaur's« ,  von  denen  auch 
in  diesen  Blättern  seiner  Zeit  die  Bede  war,  S.  119  verbessert. 
üeberhaupt  gibt  Siebenbürgen  auch  hier  die  meisten  Inschriften, 
jedoch  nicht  gerade  von  besonderer  Bedeutung;  Eine  christliche, 
die  wir  wegen  der  Seltenheit  hier  mittheilen : 

M  M 

Q.  MiEC  .  DONATI  .  PAVSAVIT 
ANN  .  XVI  .  FILIO  .  PIENTI 
SSIMO  .  FECIT 
ARETHVSA 
MATER  (S.  129) 

wird  aus  Titel  in  der  Militärgrenze  mitgetheilt ;  ob  der  Sarkophag 
auf  dem  die  Inschrift  steht,  sonst  ein  christliches  Zeichen  hat,  wird 
nicht  beigefügt.  Bei  einer  anderen  Inschrift  aus  Mitrovic  eben- 
daselbst (S.  180)  erkennt  der  Verf.  Verse  meist  Hexameter,  doch 
nicht  überall,  auch  wenn  man  >accentativ<  lesen  will,  kann  dies 
Mass  erkannt  werden.  Sonst  enthalten  die  Inschriften  wenig  Merk- 
würdiges; auf  den  Altären  erscheinen  die  gewöhnlichen  Götter: 
I.O.M,  SILVAN.  AVG.,  ISIDI.  AVG.,  GENIO  LOCI,  OELEIA 
SANGT ,  LVNAE. 

Eine  bis  jetzt  unbekannte  Lokalgottheit,  wie  es  scheint,  finde 
ich  auf  folgendem  Stein  aus  Eämthen  S.  49: 
BELESTI.  AVG 
T.  TAPPONIVS 

MACRINVS 

IVLIA.  SEXTI 

CARA.  CVM.  SV 

V.  S.  L.  M. 


Scbeerer:  Dolomlt-BUdiiDg.  521 

Einige  wollten  CELESTI  lesen,  aber  die  Inschrift  gibt  B.  — 
Wir  müssen  nns  nicht  gerade  wundem,  dass  im  österreichischen 
Oebiete  so  wenig  Töplemamen  vorkommen  —  denn  manche  Gegen- 
den waren  von  den  Römern  gar  nicht  berührt,  wie  denn  die  hier 
ans  Böhmen  verzeichneten  Fnndstücke  alle  nicht  römisch  zn  sein 
scheinen  —  doch  erstaunten  wir,  dass  in  diesem  ganzen  Buche, 
wenn  wir  recht  sahen,  nur  ein  Töpfername  ARTILIVS  S.  65  in 
Aqnileja  verzeichnet  ist.  Wir  wünschen,  dass  der  gelehrte  Verf. 
bald  Gelegenheit  haben  werde,  dies  Werkchen  fortzusetzen. 

Klein. 


Beiirage  »ur  Erklärung  der  Dolomit  Bildung  von  Dr,  Th,  Sehte- 
rer.  Mit  in  den  Text  eingedruckten  Holsschniifen.  Dresden, 
Druck  und  Verlag  von  E,  Blochmann  und  Sohn.  1865.  4. 
8.  36. 

Die  Bildung  von  Dolomiten  und  von  dolomitischen  Kalk- 
steinen fand  bekanntlich  in  allen  geologischen  Perioden  statt,  von 
der  ältesten  oder  Urperiode  bis  zur  Tertiärzeit.  Entstanden  die- 
selben aber  auch  in  allen  Perioden  unter  gleichen  Bedingungen? 
Während  der  ältesten,  durch  hohe  Temperatur  und  bedeutenden 
Atmosphären-Druck  charakterisirten  Gneiss-Periode,  in  welcher  or- 
ganisches Leben  nicht  gedeihen  konnte,  wurden  dolomitische  Kalke 
und  Dolomite  als  rein  chemische  Niederschläge  abgelagert.  In 
allen  späteren  Perioden  mengten  sich  Kalksteine  und  Dolomite 
mehr  und  mehr  mit  den  kalkigen  Resten  organischer  Geschöpfe; 
da  letztere  nur  geringe  Mengen  kohlensaurer  Magnesia  enthalten, 
so  liegt  der  Schluss  nahe,  dass  je  jünger  Kalksteine  sie  um  so 
weniger  magnesiahaltig  sein  müssen,  und  dennoch  tri£Pt  man  in 
nicht  sehr  alten  Formationen  an  Magnesia  reiche  Kalksteine,  so- 
gar typische  Dolomite.  Die  räth  seihaften  Dolomit-Kolosse  Süd- 
tyrols  bieten  ein  bekanntes  Beispiel.  Sie  sind  es  ja,  welche 
manchen  geistvollen  Forscher  beschäftigten.  Besonders  einen, 
dessen  Name  mit  dem  Dolomit  so  innig  verknüpft  ist,  dass  der 
Geolog  keinen  von  beiden  nennt,  ohne  an  den  anderen  zu  denken. 
Sein  scharf  blickender  Geist  erkannte  die  Thatsache,  dass  die 
Dolomite  Südtyrols  aus  einer  chemischen  Umwandelung  von  Kalk- 
steinen hervorgegangen  seien;  nur  beging  der  grosse  Gebirgs- 
forscher  in  der  Art  und  Weise  wie  er  die  Metamorphose  erklärte  — 
durch  Insublimation  aus  dem  schwarzen  Porphyr  in  den  Kalkstein 
—  einen  Irrthum.  Seitdem  sind  verschiedene  Erklärungsweisen 
über  die  Dolomitisation  gegeben  worden;  namentlich  folgende: 
Einwirkung  einer  Solution  von  schwefelsaurer  Magnesia  auf  Kalk- 
stein; Einwirkung  einer  Solution  von  Chlormagnesium  oder  auch 
von  Chlormagnesium-Dämpfen  auf  Kalkstein ;  Einwirkung  von  koh- 
lensäurehaltigem Wasser   auf  magnesiahaltigen  Kalk  und   endlich 


((2i  Sc  beeret:  Dolomit-BUdung. 

EmWirbing  einer  Solution  von  kohlensaurer  Magnesia  in  koUen- 
öäutehaltigem  Wasser  auf  gewöhnlichen  oder  anf  bereits  magnesia^ 
haltigen  Kalkstein.  Es  nnterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass  für 
die  Bildung  Von  Dolomiten  einzelner  Gegenden  bald  die  eine  bald 
die  andere  der  genannten  Theorien  anzuwenden  sein  dürfte ;  jedoch 
im  Allgemeinen  und  im  Besondern  auf  die  Dolomite  Tyrols  dürfte 
die  letzte  Erklftrungsart  als  die  ungezwungenste  den  Vorzug  ver- 
dienen« Dieselbe  setzt  aber  voraus:  dass  Ealk-Carbonat  in  Koh- 
lensäure enthaltendem  Wasser  erheblich  löslicher  ist,  als  ein  Kalk- 
Magnesia-Carbonat.  Solches  hat  Scheerer  durch  verschiedene 
Versuche  bestätigt;  die  durch  letztere  erworbenen  Erfahrungen 
setzen  uns  in  den  Stand,  die  chemische  Einwirkung  eines  magne- 
siahaltigen  Kohlensäurelings  auf  einen  magnesiahaltigen  Kalk  fol- 
gendermassen  zu  erklären:  im  Anfang  nimmt  eine  derartige  Solu- 
tion aus  einem  solchem  Kalkstein,  unter  Ver Schonung  seines  Mag- 
nesia-Oehaltes,  kohlensaure  Kalkerde  auf,  bis  sie  so  damit  gesät- 
tigt ist,  dass  sie  krystallini sehen  Dolomit  abscheidet.  In  dem 
Maasse  aber,  als  dieser  aus  ihr  abgesetzt  wird,  wirkt  sie  —  da 
ihr  Gehalt  an  lösender  Kohlensäure  unverändert  bleibt  —  von 
Neuem  lösend  auf  den  Kalkstein  und  fährt  fort,  Dolomit  auszu- 
scheiden, bis  sie  ihren  gesammten  Gehalt  an  kohlensaurer  Mag- 
nesia eingebüsst  hat  und  eine  gesättigte  Auflösung  von  Kalkbicar- 
bonat  bildet.  Aus  letzter  wird  sich  dann  an  Orten,  wo  Gelegenheit 
zum  Entweichen  der  Kohlensäure  vorhanden,  schliesslich  auch  noch 
krystallinischer  kohlensaurer  Kalk  absetzen.  Ein  solcher  Process 
der  Dolomitisation  zeigt  sich  demnach  als  ein  langsam  und  ruhig 
wirkender,  aber  von  Grund  aus  zerstörender  und  wieder  aufbauen- 
der; er  erklärt  uns  die  Vermischung  der  Schichtung,  der  Ver- 
steinerungen, die  theils  drusige,  theils  dichte  Beschaffenheit  der 
Dolomite.  Sind  aber  auch  alle  Erscheinungen,  welche  wir  an  Do- 
miten  wahrnehmen,  durch  diese  Theorie  erklärbar?  Die  Frage 
sucht  Scheerer  sehr  umfassend  zu  beantworten,  ii^em  er  eine 
Anzahl  von  Beispielen  anfuhrt  und  hiebei  von  den  einfachsten,  den 
Pseudomorphosen  von  Bitterspath  nach  Kalkspath  ausgeht  und  sieh 
zuletzt  zu  dem  Tyroler  Dolomit-Gebiet  wendet.  Hier  fesselt  nament- 
lich die  Aufmerksamkeit  die  gewaltige,  inselförmig  bis  zu  3000  F. 
emporragende  Masse  des  Schiern.  Bekanntlich  hat  Bichthofen 
in  seinem  trefflichen  Werke  den  Schiern  und  andere  benachbarte 
Dolomit-Berge  für  ursprüngliche  Korallenbauten,  fttr  Korallenbftnke 
erklärt:  in  einer  Meeresbucht  befindlich,  deren  Boden  in  fortw^- 
r^ndem,  allmähligen  Sinken  begriffen  war;  während  dieses  Sinkend 
Übten  die  in  die  Bucht  einmündenden  Magnesia  und  Kohlensäure 
enthaltenden  Quellwasser  ihren  dolomitisirenden  Einfiuss  ans. 
Bichthofen  hat  desshalb  die  gewaltigen  Dolomit-Kolosse  für 
einstige  Korallenriffe  angesehen,  weil  er  glaubt,  dass  die  Bildung 
flölch  isolirter  Massen  nicht  durch  Wirkung  des  Wassers  gedeutet 
werden  könne,  wie  z.  B,  bei  den  kleineren  Felsgebilden  der  sftch- 


Bclieerer:  Dolomit-BÜdung.  538 

sischen  Schweiz,  und  dennoch  mnss  eine  derartige  Wirkung  an- 
genommen werden.  Hiervon  überzeugt  man  sich,  wenn  man  die 
Liaskalke  Südtjrols  betrachtet,  die  ganz  ähnliehe,  schroffe  Ge« 
birgsmassen  bilden,  wie  der  Dolomit  des  Schiern,  dem  sie  auch  an 
M&chtigkeit  nicht  nachstehen.  Alle  die  Sedimentär-Gesteine  Sttd- 
tyrols  werden  von  gewaltigen,  einige  tausend  Fuss  tief  eindringen- 
den Thalfurchen  durchzogen.  Warum  sollte  der  zur  Trias  gehörige 
Scblem-Dolomit  nicht  einer  gleichen  thalbildenden  Kraft  unter- 
worfen gewesen  sein.  Rührten  die  Gebirgsstöcke  des  Schiern, 
Langkofel  u.  a.  von  isolirten  Korallenriffen  her,  so  wäre  es  unbe- 
greiflich, dass  die  auf  den  Korallenriffenbau  folgende  m&chtige 
Lias-Eormation  sich  nur  auf  den  Bif^lateaus  und  nicht  auch  zwi- 
schen solchen  abgesetzt  hätte.  Nach  Allem  lässt  sich  die  Theorie 
der  Dolomitisation  auch  auf  weniger  poröse  Massen,  wie  Korallen- 
Bauten  in  Anwendung  bringen.  In  der  Muschelkalk-Periode  ging 
in  der  damaligen  Meeresbucht  des  jetzigen  Tyrols  eine  abnorme 
Bildung  vor  sich.  Während  der  Ablagerung  der  Kalksteine  mischte 
sich  hier  eine  wechselnde,  aber  meist  beträchtliche  Menge  von 
kohlensaurer  Magnesia  in  den  Kalkstein  ein.  Gewaltsam  drangen 
an  vielen  Stellen  des  Meeres-Bodens  Magnesia  und  Kohlensäure 
enthaltende  Quellwasser  empor  und  mischten  sich  dem  kalkigen 
Meerwasser  bei.  Die  Ausdehnung  derartiger  Quellwasser  im  Be- 
reich des  Südtyroler  Meerbusens  muss  eine  bedeutende  gewesen 
sein,  da  sie  —  wie  Scheerer  nachweist  —  sich  auch  auf  die 
krystallinischen  Silicat  -  Gesteine  erstreckt.  Der  un  geschichtete, 
drüsige  Habitus  der  Dolomite  ist  wohl  dem  Umstände  zuzuschrei- 
ben, dass  jene  Quellen,  da  wo  sie  am  mächtigsten  empordrangen, 
keinen  schichtenförmigen  Absatz  des  Niederschlags  zuliessen,  theils 
ihn,  wo  er  vorhanden  war,  wieder  zerstörten.  Fortwährend  fand 
auch  reichliche  Entwickelung  gasförmiger  Kohlensäure  statt.  Alle 
diese  Agentien  waren  im  Stande  einen  von  vielen  Hohlräumen 
durchzogenen,  drusigen,  krystallinischen  Dolomit  zu  bilden.  Aber 
wie  gelangte  der  so  auf  dem  Boden  des  Meeres  entstandene  Do- 
lomit zu  Tage,  wie  gewann  er  seine  jetzige,  vereinzelte  Gestalt? 
Durch  gewaltige  Hebungen  des  Meeresbodens,  welche  statt  xmd  viel- 
&che  Zerreissungen  und  Zerklüftungen  der  dolomitischen  Massen 
zu  Folge  hatten.  Alsdann  begannen  die  Wasser  ihr  andauerndesi 
mechanisches  Werk  der  Zerstörung  —  hier  wie  anderwärts  spielten 
sie  eine  Hauptrolle  bei  der  Thalbildung.  Endlich  setzten  die  zer- 
störenden und  umbildenden  Atmosphärilien  ihre  Thätigkeit  fort  bis 
die  gewaltigen  Naturbauten  einer  unabsehbaren  Beihe  von  Jahren 
ihre  gegenwärtige  Gestalt  erhielten.  G.  Leoüliard« 


524  Llierftiurbericbte  aTis  Italien. 

Literatnrbericlite  ans  ItalieiL 


AUi  deUla  societa  Lombarda  di  tconomia  poHtica  in  Müano.  Müano 
1864.  Tip.  Bosza.    8. 

In  Mailand,  wo  sieb  ohnehin  so  viele  wissenschaftliclie  Ge- 
sellschaften befinden,  ist  eine  nene  dergleichen  für  Staatswirth- 
schaft  am  17.  April  1864  gestiftet  worden,  wofür  besonders  der 
Professor  Rossi  thätig  war.  Hier  liegt  das  erste  Heft  ihrer  Ver- 
handlungen vor,  worunter  besonders  Vorschlage  über  bessere  Ein- 
richtung der  Findelhäuser  zu  beachten  sein  dürften. 

Annuario  ufficiale  della  Marina,  anno  III.    Torino  1864.  p.  176  tu 
CLXXIII. 

Dies  ist  eine  amtliche  Statistik  der  Kriegs-  und  Handels- 
Marine  des  Königreichs  Italien,  wornach  dasselbe  eine  Kriegs-Flotte 
von  99  Schiffen  besitzt. 

Le  Satire  e  le  epistole  di  Boileau  tradoite   da  N.  Continu     Firenze 

1863.  per  Le  Monnier.  8.  p.  30^. 

Diese  üebersetzung  von  Boileau  ist  mit  Anmerkungen  ver- 
sehen. 

Prospdto  cKnieo  della  scuola  di  osfeiricia  in  Müano.  dal  Doü.  Ca- 
sati.  Milano  1864.  gr.  8.  p.  181. 

Bericht  über  die  Hebammen-Schule  in  Mailand  vom  Jahr  1862. 

Della  afftniia  del  Tubereolo  e  canero  dd  Profess.  Cancato.  Bologna 

1864.  gr.  8.    p.  120.    Tip.  Fava. 

Der  Verfasser  hat  zugleich  die  Erblichkeit  dieser  Krankheit 
behandelt. 

Delle  imperfesdoni  alle  ferife  ed  nitre  malatie  contraiie  in  campagna 
di  F.  Cortese.  Torino  1864.  Tip.  Marino,  gr.  8.  p,  184. 

Der  Verf.  ist  Oberarzt  in  dem  Heere  des  Königreichs  Italien 
und  behandelt  hier  die  Folgen  der  im  Kriege  erhaltenen  Verwun- 
dimgen  und  anderer  Krankheiten. 

La  saliva  umana^  colla  siringasione  dei  condofti  ghiandolari  di  E. 
Oehl  Pavia.  Tip.  Fad.  1864.  qr.  8.  p.  188. 

Diese  mit  fünf  Steindruck-Tafeln  ausgestattete  Monographie 
über  den  menschlichen  Speichel  rührt  von  dem  Professor  Oehl  in 
Pavia  her. 

Ordine  e  Liberia  del  Dottore  P.  Mantegazsa,   Milano  1864.    Presso 
Bemardonu 

Der  Professor  Mantegazza  in  Pavia  gibt   hier   Betrachtungen 


Literatnrberiebt«  aus  lüdletu  t1t6 

über  die  yolksthümliche  Politik,  welche  der  Freiheit  die  Ordnung 
zn  Grande  legen  muss. 

Le  armueiaUyre   di   ealiedre  vacanti  aüa  pubölica  ülruaione.     Per 
MctsHmo  Fabi,  Fano  1864,  Tip.  Lana. 

In  der  sonst  zum  Kirchenstaat  gehörigen  Stadt  Fano  kommt 
jetzt  schon  seit  2  Jahren  ein  Wochenblatt  heraus,  worin  angezeigt 
wird,  welche  Lehrerstellen  zu  besetzen  sind,  bis  herab  zu  den  Dorf- 
Schulmeistern.  Man  sieht,  dass  jetzt  der  öffentliche  Unterricht  in 
Italien  grossen  Aufschwung  genommen  hat. 

RendiconU  deüa  aecademia  di  archeologia   letUre  e  belle  arti,   Na^ 
poli  lö64,  Stamperia  ddl  universita,  gr,  4.  p,  142» 

Dies  sind  die  Verhandlungen  der  Neapolitanischen  Akademie 
von  <^r  ersten  Hälfte  des  Jahres  1864.  Die  beigefügten  Abhand- 
lungen betreffen  das  Leben  und  die  Schriften  unsers  Grafen  Platen, 
Ton  dem  Mitgliede  Eanieri,  die  Benutzung  des  Galvanismus  zu 
topographischen  Kupferstichen,  von  Yuvara,  ein  lateinisches  Ge- 
dicht von  Pepe  beurtheilt  von  Guanciani,  über  den  Pytagorismus 
des  Numa  durch  Corcia;  den  Schluss  macht  ein  griechisches 
Gedicht  auf  den  Tod  Gavours,  welche  Elegie  folgendermassen  an- 
fangt: 

^ev!  (pevl  ItaUtig  TcimmxBv  ä(f€L6(uc  ßeßcuovl 
KafuUog  Bivaog  äkat(o  injöi  ßlp'  tCg  ^Qiva  Ka^Uklip  xal  vovv 

ivaUyjuog  risv. 

11  Diavolo  rosso,  romanso  atorico  per  Cleto  Arrichi.   L  IL  UL  Voh 
Milano  1864,  8.  Libreria  della  politica. 

Dies  ist  der  neuste  Boman  aus  der  Feder  eines  sehr  beliebten 
Mailändischen  Schriftstellers,  des  Doctor  Carl  Bighetti,  von  welchem 
»der  lombardische  Freiwillige«  besonders  gefallen  hat,  und  dessen 
»graue  Chronik«  eine  Monatschrifb,  die  Tagesfrage  scharf  behandelt, 
auch  seine  »heilige  Woche«  verdient  erwähnt  zu  werden.  Der  vor- 
liegende rothe  Teufel  ist  aber  nicht  etwa  ein  blosses  Phantasie- 
Gemälde,  sondern  ist  so  wie  dieser  ganze  Boman  auf  geschichtliche 
Thatsachen  gegründet,  welche  den  für  die  Weltgeschichte  so  wich- 
tigen Fall  der  kaiserlichen  Macht  in  Italien  umfassen,  namentlich 
die  Zeit  zwischen  der  Schlacht  von  Benevent,  wo  König  Manfred 
dem  von  dem  Papste  herbeigerufenen  Anjou,  dem  Bruder  des  heili* 
gen  Ludwig  unterlag,  bis  zur  Schlacht  von  Tagliacozzo,  wodurch 
der  letzte  Hohenstaufe  Conradin,  auf  das  Blutgerüst  gerieth.  Einer 
der  Hauptanfänger  der  schwäbischen  Dynastie  war  ein  mächtiger 
Vasall  in  den  Abruzzen,  welcher  unter  dem  Namen  der  rothe 
Teufel  als  einer  der  bedeutendsten  Feinde  der  Franzosen  und 
Guelfen  heldenmüthig  auftrat  und  endete.  Sein  Yerhältniss  zu  der 
Tochter  eines  Provencalischen  Anhängers  der  Franzosen  bildet  zwar 


596  Llterttvrberidlit«  ans  ttaUen. 

den  rochen  Ffbden,  4eT  durch  diesen  EomaQ  geht ;  allein  is^  (hißie 
ist  eine  so  treue  Barstellung  der  damaligen  Verbältnisse,  dasa  sehr 
viele  Urkunden  und  Hinweisungen  mitgetheilt  werden.  Welch  ein 
Unterschied  zwischen  diesem  Roman  und  denen  der  jetzigen  fran- 
zösischen Literatur,  wo  man  sich  gewöhnlich  nur  in  schlechter 
Gesellschaft,  selbst  in  der  von  Verbrechern  bewegt.  Hier  wird 
Theünahme  an  der  Geschichte  befördert. 

La  ConUsse  ddla  Ouastalla^  per  Cleto  Arrichi,     Milano  1868.     8. 
Liöreria  deüa  poliHca. 

Dieser  Boman  spielt  mit  derselben  Virtuosität  desselben  Ver- 
fassers in  der  Gegenwart  und  auch  hier  muss  man  demselben 
Herrn  das  Zeugniss  geben,  dass  er  es  vorsteht,  das  Leben  in 
der  höheren  Gesellschaft  treu  darzustellen.  Dieser  Boman  spielt 
in  Mailand  und  führt  uns  in  die  Zirkel  ein,  welche  die  politische 
Bewegung  der  Neugestaltung  Italiens  bewirkt  haben«  Es  ist  dies 
aber  kein  politisches  oder  leidenschaftliches  Treiben,  sondern  das 
Leben  in  der  vornehmen  Welt,  wo  endlich  der  Anstand  und  die 
Vernunft  die  Leidenschaft  besiegt,  ohne  dass  der  Verfasser  dazu 
besonders  auffallende  Begebenheiten  zu  erfinden  brauchte. 

Diseorso  del  Smatore  Conte  Selopis  del  30.  Novembre,  Torino  1864. 
Tip.  FavaU. 

Diess  ist  die  Bede,  worin  der  würdige  Präsident  des  Senats 
des  Königreichs  Italien  sich  gegen  die  bekannte  September-Con- 
vention erklärt,  wodurdi  Turin  aufhört  die  Hauptstadt  Italiens  zu 
sein,  ohnerachtet  man  nicht  traut,  dass  die  Franzosen  Bom 
räumen  werden ,  da  sie  als  die  Erstgeborenen  der  Kirche  dem  Papste 
mehr  ergeben  sind  als  die  Italiener;  Graf  Sclopis  ist  übrigens  der 
bekannte  Geschichtschreiber  der  Gesetzgebung  in  Italien  und  war 
der  erste  konstitutionelle  Justiz-Minister.  Er  hat  seine  Stelle  als 
Präsident  des  Senats  niedergelegt,  weil  er  die  Massregel  der  Be- 
gierung  nicht  theilt.  Er  ist  eine  der  bedeutendsten  Persönlich- 
keiten des  italienischen  Herrenhauses,  welches  aus  den  verdienst- 
vollsten Männern  Italiens  besteht,  obwohl  es  von  dem  Könige  er- 
nannt wird,  djcr  aber  kein  Vorrecht  der  Geburt  anerkennt. 

Lß  rtggenza  di  Maria  Cristina  duchessa  di  Savoia,  per  A.  Basvionu 
Torino  1866.  Tip.  Franco.  8.  p.  406. 

Die  Tochter  Heinrichs  IV.  von  Frankreich  und  der  Maria  von 
Mcdici,  M^ria  Cristina,  heirathete  den  Herzog  Victor  Am^deus  L 
Herzog  von  Savoien,  welcher  1637  nicht  ohne  Verdacht  der  Ver- 
giftung starb,  woraiiif  sie  durch  eine  Art  verdächtigen  Testaments 
zur  ßeg^ti^  während  der  Afünderjährigkeit  des  Nachfolgers  er- 
nazmt  wurde,  und  unter  4cn^  Namen  Madame  Bojale  bekannt  ge- 
worden ist.  Ihr^  Erzieherin,  die  Markgräfin  MonglaiS  kam  mit  ihr 
nach  Turin  und  wurde  ihre  Obeihofmeisterin.  Ein  damals  erschie- 


litterfttnrberldkte  m»  ItAÜey.  6^7 

901168  franzöelsehe«  Werk  erzählt  ihre  vielfache^  Liebschaften; 
allein  nnser  Verfasser  gibt  nur  ihr  inniges  Yerhältniss  mit  dem 
Grafen  d*Aglie  zu,  wobei  sie  mit  Kirchenbesuchen  und  Geschenken 
an  Kloster  beschäftigt  war,  aber  den  Kron-Prinzen  Carl  Emanuel  II. 
dergestalt  erzog,  dass  er  wenig  Neigung  zqr  Begierung  hatte,  so 
dass  sie  stets  Einfluss  behielt,  welcher  sich  besonders  Frankreich 
zuwandte,  Sie  war  sehr  schön  und  sehr  geistreich,  auch  besonders 
die  schonen  Künste  liebend«  Für  die  Geschichte  der  Zeit  des 
80jährigen  Krieges  sind  die  hier  stattgefundenen  Verhandlungen 
mit  Frankreich  und  dem  Cardinal  Moritz  von  Savoien,  dem  Prinzen 
Tommaso  von  Savoien  Carignän  und  dem  Jesuiten  Monod,  die 
diplomatischen  Umtriebe  und  die  kriegerischen  Ereignisse  im  Pie- 
montesischen  von  besonderer  Bedeutung.  Als  im  Jahr  1648  der 
Herzog  grossjährig  wurde,  übernahm  er  eigentlich  nur  dem  Namen 
nach  die  Herrschaft,  welche  noch  femer  in  der  That  durch  Madame 
Bojale  ausgeübt  wurde,  so  dass  er  auch  sehr  spät  im  Jahr  1668  sich 
Yorheirathete,  in  welchem  Jahr  auch  diese  Begentin  starb,  welche 
im  Ganzen  beliebt  war.  Doch  fällt  in  diese  Zeit  die  heftige  Ver- 
folgung der  Waldenser,  bis  endlich  die  Vorstellungen  von  Holland, 
England,  Schweden  und  der  Schweiz  diesem  Blutyergiesen  ein 
Ende  machten.  Die  als  Anhang  mitgetheilten  ungedruckten  Ur- 
kunden werden  dem  Geschichtsforscher  willkommen  sein. 

SonnetH  scelii  e  la  Rondinüla  dd  OrosH,  tradotti  in  disHci  Latini 
da  P.  Ranäti.  Torino  1864.  8.  p.  184, 

Dass  die  klassische  Literatur  in  Italien  noch  als  geistreicher 
Zeitvertreib  betrieben  wird,  zeigt  diese  Uebersetzung  der  Gedichte 
Ton  Grossi  in  lateinische  Distichen  durch  einen  Leibarzt  am  Hofe 
des  Königs  von  Italien,  wo  die  Artillerie-Offiziere  am  meisten  ger 
achtet  werden,  weil  sie  die  meisten  Kenntnisse  sieh  erwerben 
müssen. 

DineoTBO  del  DeputcUo  Mancini  ml  contermoso  amministrativo,  Torino 
1864.   4.    Tip.  Botia. 

In  dem  Parlamente  des  Königreichs  Italien  wurde  ein  Ge- 
setzesvorschlag beratheu;  um  die  Streitigkeiten,  welche  sich  in  Ver- 
waltungs-Angelegenheiten ergeben,  den  diessfi^s  bestehenden  ge- 
mischten Behörden  abzunehmen,  und  an  die  allgemeinen  Gerichte 
zu  verweisen.  Dieser  berühmte  Rechtsgelehrte  und  zugleich  einer 
der  bedeutendsten  Parlamentsredner  erklärt  sich  bestimmt  gegen 
solche  Ausnahme-Gerichte,  und  zeigt  er  bei  seiner  grossen  Kennt- 
niss  der  auswärtigen  Gesetzgebungen  die  Vorzüge  der  Länder,  wo 
solche  Ausnahme-Gerichte  bestehen,  gegen  die  Länder  des  Rück- 
schrittes, wie  Oesterreich  und  Preussen,  wo  in  solchen  Angelegen- 
heiten die  Entscheidung  dem  gewöhnlichen  Richter  entzogen   ist. 


528  Lltetatnrberlclite  Uns  Italien. 

AfPrancamento  del  TavoUere  di  Puglia.  Relasione  dd  Deputaio  Man-- 
cini,  Torino  1864.    Tip.   Reale.   4. 

Die  Apidische  Ebene,  Tavoliere  genannt,  welche  Theile  der 
Provinzen  Capitanata,  Bari,  Otranto  und  Basilicata  mnfasst,  war 
schon  In  der  klassischen  Zeit  zur  Viehweide  bestimmt,  wohin  auch 
Yarro  seine  Heerden  treiben  liess.  »Mihi  greges in  Apulia  hibemabant, 
qui  in  ßeatinis  montibus  aestivabant.«  Der  noch  jetzt  in  Italien 
hochverehrte  Hohenstaufe,  Friedrich  11.  versuchte  diese  fruchtbaren 
Gefilde  dem  Ackerbau  zugänglich  zu  machen;  doch  seine  Consti- 
tution de  animalibus  in  pascuis  affidandis,  hatte  keinen  Erfolg, 
vielmehr  wurden  diese  Hindernisse,  welche  auch  König  Joseph  Bo- 
naparte vergeblich  beseitigen  wollte,  durch  ein  bourbonisches  Ge- 
setz von  1817  vermehrt.  Vergeblich  versuchte  eine  Privat-Gesell- 
Bchaft  eine  Bank'  zu  gründen,  um  dieses  Land  dem  Ackerbau  zu 
gewinnen,  und  ein  Amsterdamer  Haus  verbreitete  viele  Actien 
derselben  Gesellschaft  in  Deutschland;  allein  diese  Gesellschaft 
machte  Bankerott  und  so  ging  selbst  in  Deutschland  viel  Geld 
verloren.  Endlich  hat  das  italienische  Parlament  sich  dieser  An- 
gelegenheit angenommen,  und  der  auch  in  Deutschland  wohlbe- 
kannte ehemalige  Minister  Mancini  hat  den  vorliegenden  Bericht 
als  Mitglied  des  Abgeordnetenhauses  erstattet,  wornach  die  bis- 
herigen Servituten  und  emphyteutischen  Gerechtsamen  mit  dem 
22.  Betrage  des  Canons  abgelöst  werden,  wodurch  dem  Ackerbau 
ein  fruchtbares  Feld  eröffnet  wird. 

Oraecarum  litterarum  noiüia.  Seripsit  H.  OUintis.  Auguüat  Tauri-' 
norum  1864,  Ex  officina  regia. 

Diese  üebersicht  der  griechischen  Sprache  von  dem  Anfange 
der  verschiedenen  Dialekte  bis  zur  alexandrinischen  Zeit,  in  latei- 
nischer Sprache  zeigt,  dass  die  Italiener  Erben  des  alten  Borns 
sind.  Allein  nicht  blos  Fachgelehrte,  sondern  viele  Kaufleute  und 
Offiziere  lesen  hier  zu  ihrer  Erbauung  ihren  Tacitus  u.  a.  m. 

La  banca  familiaria  italiana  di   C.  Ferraguii,    Torino  1864.    Tip. 
Vercellino. 

Hier  werden  wieder  Vorschläge  zur  Errichtung  einer  National- 
Bank  zu  Gunsten  des  Grundbesitzes  gemacht;  doch  alle  solche 
Versuche  müssen  scheitern,  so  lange  nicht  eine  vollständige  Beform 
des  Hypothekenwesens  erfolgt,  das  hier  noch   ganz  französich  ist. 

Keigebaur. 


Si.  34.  HEIDELBEBGES  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Die  nenestea  Leistungen  in  Italien  anf  dem  Gebiete 
der  EechtswiBBenschaft 


Wir  haben  seit  einer  Reihe  von  Jahren  in  diesen  Jahrbüchern 
den  deutsohen  Lesern  Bericht  erstattet  ron  den  Leistungen  der 
Italiener  anf  dem  Gebiete  der  Bechtswissensehaft.  Wir  verweisen 
in  dieser  Beziehung  auf  unsere  Anzeigen  in  diesen  Jahrbüchern 
1861,  Nr.  46.  1863,  Nr.  26.  42.  56.  1864.  Nr.  15.  unsere  Les« 
werden  sich  überzeugt  haben,  dass  in  Italien  ungeachtet 
mancher  ungünstigen  Verhältnisse,  da  fortdauernd  unter  den  auf- 
geregten politischen  Zuständen  die  Geister  zuviel  durch  politische 
Diseussionen  in  Anspruch  genommen  sind,  und  ungeachtet  der  Hin- 
denuBse,  welche  der  mangelhafte  Zustand  des  Buchhandels  in  Italien 
den  Gelehrten  in  Bezug  auf  Herausgabe  ihrer  Schriften  entgegen« 
setzt,  dennoch  der  wissenschaftliche  Sinn  nicht  in  Italien  erstorben 
ist  und  auch  auf  dem  Gebiete  der  Bechtswissensehaft  fortdauernd 
Werke  erscheinen,  die  der  allgemeinen  Aufinerksamkeit  würdig  sind. 
Nicht  unbemerkt  darf  noch  bleiben,  dass  immer  mehr  in  Italien 
die  Blicke  der  Gelehrten  auf  deutsche  Arbeiten  gerichtet  sind,  im^ 
besondere  philosophische  deutsche  Schriften  in  Neapel  bekannt  sind 
und  selbst  übersetzt  werden.  Z.  B.  die  Werke  von  Hegel  und 
Abrens.  Auch  ist  es  beachtenswerth,  dass  in  italienischen  Städten, 
z.  B.  in  Bom,  Neapel,  Turin  (wo  Löscher  mit  Eifer  thätig  ist) 
immer  mehr  deutsche  Buchhändler  sich  niederlassen,  und  rechter 
wissenschaftliche  Aufsätze  deutscher  Zeitschriften  durch  Ueber* 
Setzung  in  italienischen  Journalen  in  Italien  verbreitet  werden. 

Einen  beachtenswerthen  Mittelpunkt  für  wissenschaftliche  For- 
schungen» insbesondere  auch  rechtswissenschaftliche,  bietet  die  seit 
1861  in  Neapel  gegründete  Akademie  der  Wissenschaften,  in  wel* 
eher  eine  eigene  Abtheilung  unter  dem  Namen:  Academia  di  so&ense 
morali  e  politiche  mit  rechtswissenschaftUchen  Arbeiten  sich  be«- 
sch&ftigt,  und  wo  über  die  in  den  Versammlungen  vorgetragenen 
Abhandlungen  ein  monatlich  veröffentlichter  rendiconto  im  Ausr 
zuge  Nachricht  gibt  und  die  ausführlichen  Denkschriften  in  den 
Atti  deU  Academia  veröffentlicht.  Die  Akademie  hat  auch  auswär- 
tige Mitglieder  aufgenommen  (von  England  Stuart  MiU,  von  Amerika 
Carley,  von  Frankreich  Chevalier,  Helie,  Cousin,  von  Deutschland 
BobertMohl,  Brandis  und  den  Verfasser  der  vorliegenden  Anzeige). 

Wir  wollen,  um  unsere  Leser  mit  dem  Charakter  der  Wirk« 
samkeit  dieser  Akademie  bekannt  zu  machen,  aus  den  Monatsbe» 
LVnL  J9hrg,  7.  Heft  84 


n^     Lcistnagoi  in  Xtatta  M  dem  OelMe  toReolitswiaMiiMliAft. 

richten  einige  Mittheilongen  hervorheben«    Im  Jahre   1862  trog 
BoQQO  (der  Verfasser  eines  in  drei  Bänden  1860  ersehienenem  be- 
aöfatottgswlirdigen  Wei^s:  dintta  ciTÜe  intemasdonale)  einen  Be- 
richt über   das  der  Akademie  eingesendete  Werk  von   Bravard- 
Te jri^res  droit  commercial  mit  den  Noten  von  Demangeat  vor.  6e- 
dsntend  ist  in  seinem  Vortrage  die  Erörterung   (mit   der  nachfol- 
genden Biseuifsion  Ton  Seite  der  Mitglieder)   der  Frage:    welche 
Onmdsätze  über  Anwendung  der  Gesetze  auf  ansl&ndische  Handels- 
gesellschaften entscheiden  (Bendiconto  1862.  p.  12).  Pessina,  einer  der 
geistreichsten  und  gründlichsten  Lehrer  des  Criminalrechts  in  Italien, 
trog  eine  llx<(viemng  über  die  neuesten  Fortschritte  der  Criminal- 
p^litlk  in  Franknioh  Tor  (Bendieonto  1862.  p.  25—58).  Der  Bedaer, 
nachdem  er  die  neuen  französischen  Arbeiten  von  Berenger,  Bone- 
Villei  BlosseyiUe  aergUedert  hat,  spricht  sich  für  die  Kothwendig- 
keit  der  Einführung  des  Zellensystems  und  der  DurehfQhrung  des 
wt>h]!Ter8tandenen    Penitentiarsystems    aus;    ans    der    stattgefan- 
-denen  Disoossion  ergibt  sich,   dass  unter  den  Mitgliedern   «jm 
grotee   Venchiedenheit  der  Ansichten  darüber  herrscht,  ob  die 
-Bessenrng  Zweck  der  Strafe  sein  solL    Geietreieh  ist  die  Arbeit 
ffm  Trinchera  über  politische  Oekonomie  bei  den  Griechen  (Beadi- 
'nottto  1862.  p«  60).    Im  Bendieonto  von  1868  terdient  der  Vor- 
frag  (p.  Id)  Yon  Pessina  über  den  Zustand  der  criminalistisoheii 
Ponolrangen  in  Italien  Beachtung ;  schfttsbar  auch,  weil  man  dai> 
4iBB  auch  Keiminiss  von  neuen  in  ItiUien  erschienenen  joristisohen 
Schriften  eihftlt.  Bine  gute  Arbeit  findet  sich  (Bendiconto  p.  187) 
yum.  Lamonaco  über  den  Geist  des  Municipabrechts  in  dem  rönü- 
«<)hen  Bechte  im  Mittdalter  und  in  neuerer  Zeit.    Bocoo  liefert 
«inen  Vortrag  (Bendiconto  p.  91)  über  internationales  Seereoht  unter 
•kriegführaiden  Nationen.  Auf  Veranlassung  eines  Vortrages  von  Ar»- 
bia  (Bendiconto  p.  98  n.  111)  über  Mängel  des  Stra^esetxbuehes 
Ar  Italien  kommen  in  der  Discussion  feine  Bemerkungen  vor,  über 
"die  Gefahren  der  ro  grossen  den  Bichtern  eingerilumten  Freiheit 
in  ^er  Stn^ausmeesung;  ferner  über  Entschuldigung  des  Vaters  und 
-ISiemanns  bei  Ausschweifungen  der  Tochter  und  Ehefrau,  über  Ab- 
fiftifcmgen  der  Theilnahme  am  Verbrechen  und  über  BttokfUle.  Pessina 
BeMldert  (Bendiconto  p.  126)  den  Zustand  der  Philosophie  des 
tHMfreohts  in  Frankreich,  vxNrsügUoh  mit  gerechter  Anerkennung 
-der  neuesten  Arbeit  von  Frank  und  mit  Nadiweisung,  dass  immer 
6iefar  Irancüsisehe  Schriftsteller  über  dem  Strafrecht  von  einem 
wfssenechallliohen  Geiste  geleitet  aber  nicht  mit  dem  Ptincip  einer 
Hbsokiten  Strafgerechtigkeit  zufrieden  sind,   sondern  den  socialen 
Nutzen  beachten.    Bine  ausführliche  BriMemng  über  die   in^  der 
Logik  von  Hegdi  aufgestellten  Kategorien  liefert  Spaventa  (p.  ISl. 
142)  Die  neueste  Be^sphilosophio  von  de  Luca  ist  von  Lomonaoe 
(Bendieonto  p.  178)  zergliedert,  und  das  Werk  von  Crisaffali  über 
"die  Veifdieikste  der  Italiener  für  Bechtswissenschaft  von  Arabia 
^.  194)  angezeigt.  Erfreulich  ist  der  wissenschaftliche  Au&ohwung 


tAMfngm  iB  iMBeB  axtf  tan  CMiete  der  BeditfwImBMlisfi     HBl 

der  Bicli  in  den  jorisüsolieii  Z«it0ohriltoii  ItftHen»  ansspriekt.  WirlhaW 
bereits  in  diesen  Jahrb.  1868.  Nr.  56  über  die  ersten  bis  1868  ew 
sobienenen  Hefte  der  durch  einen  würdigsn  wiseenschafiliohen  Oeist 
sieh  MDpiehlender,  in  Neapel  erscheinenden  Zeitschrift:  La  Nemesi 
Nachrieht  gegeben.  Im  Hefte  8  o.  4  findet  sieh  ein  Aufsatz  Ton 
dem  geistyoUen  Gairara  (Professor  in  Pisa)  Ober  den  Terdaoh  des 
Yerbreohens  nnd  swar  über  die  in  neuerer  Zeit  darch  einen  Bechts«> 
tijpmth  des  Toskanisohen  Oassationshoft  bedeutend  gewordene  Frage : 
ob  ein  Versach  da  angenommen  werden  kann,  wenn  dieHandlmig 
in  impetns  yerübt  ist.  Die  maisten  tüchtigen  italienischen  Crimi* 
oalisten  yemeinten  die  Frage,  weil  in  einem  solchen  anstände  gei* 
stiger  Verwirmng  nicht  die  sur  üeberlegtmg  nOthige  Oemüthsmhe 
mid  Zeit  Yorhanden  ist,  nnd  so  kein  bestimmter  Dolus  angenommen 
werden  kann.  Die  von  CarTara  zur  Erlftutenmg  der  Frage  ange« 
führten  Falle,  so  wie  seine  ZergUederong  des  Wesens  des  Dolus 
sind  sehr  beachtungswerth.  üeber  den  Charakter  des  neuen  fran«^ 
zMsehen  Gesetzes  von  1868,  wodurch  wesentHehe  Aenderungen  im 
franaösischen  Ooda  penal  gemacht  wurden,  erklärt  sich  pag.  154 
Belüte.  Er  gibt  mit  ünparteilichkevt  zu,  daes  in  dem  neuen  Ge- 
setze viele  Verbesserungen  vorkommen,  tadelt  aber  auch  manehe 
Versebriften ,  wobei  seine  Bemerkungen  um  so  werthvoller  sind, 
da  er  überaÜ  mit  der  französischen  Gesetzgebung  die  italienische 
vergleicht«  Auch  über  das  neue  Gesetz  von  1868  über  flagrant 
delit  spricht  sich  Selitto  mit  Secht  nicht  günstig  aus«  Ein  merk- 
würdiges ümlanfschreiben,  worin  der  Gteneralproknrator  (jetzt  Justiz-^ 
minister)  Vacea  eingeschlichene  fehlerhafte  Verfahrungsarten  im 
BIrafjprozesse  mit  guten  Bemerkungen  rügt,  ist  Heft  S.  4  p.  216. 
bis  223  abgedruckt.  Das  5.  u.  6.  Heft  1864  enthalt  p.  248  einen 
wohl  zu  beachtenden  Aufsatz  von  filier  in  Bologna  über  Besserung 
als  Zweck  der  Strafe.  Der  geistreiche  Verfasser  kommt  zum  Er->^ 
gebniss ,  dass  Besserung  ein  accessorisoher  Zweck  ist,  welcher  dem 
Hauptzweck,  dass  gestraft  wird,  untergeordnet  sein  muss,  und  zeigt 
durch  welche  Mittel  (die  Ausfahnmg  des  Verf.  ist  in  praktischer 
B&ehttmg  mit  Eingehen  in  alle  Einzelnheiten  wichtig)  die  Besserong 
bewirkt  werden  kann.  Von  p.  298  ist  die  in  Belgien  erschienene 
Abhandlung  von  Thonissen  über  die  angebliche  Ncthwendigkeit  der 
Todesstrafe  mitgetheüt.  Im  zweiten  Bande  der  Zeitschrift  findet 
sich  ein  bedeutender  Aufsatz  von  Pessina  über  die  Lehre  von  der 
Scpiation  als  Prinzip  des  6trafrechts  (Bendiconto  1864.  p.  1.  n.  65). 
Der  Verfasser  zeigt,  dass  er  mit  der  Literatur  des  Strafrechts  ge^ 
nan  vertraut  ist,  und  ebenso  die  Forschungen  der  griechischen 
Philosophen  und  der  Ansichten  des  Ohristenthums  und  der  im 
Mittelalter  verbreiteten  L^ren  (insbesondere  auch  Thomas  d^Aeptin 
und  Dante)  als  die  Entwickelungen  spüterer  Juristen,  z.  B.  Hugo 
Ototius,  aber  auch  die  neuesten  Schriftsteller,  z.  B.  Hegel,  Abegg 
genan  kennt.  Seine  Bemerkungen  sind  sehr  geistreich;  nur  scheint 
eS|  daes  der  Verf.  xdAi  scharf  genug  die  verschiedenen  Biolbtungen 


M     LdrtnagflB  In  IteUn  auf  ans  GeUteto  der  RtebtowtoMMMiMilt 

und  Anlhssungen  der  Ezpiationstheorie  nnterseheidet ,  und  nicht 
^entig  beachtet,  dass  man  darunter  entweder  die  mystische  Anf- 
fassnng  von  der  Versöhnung  der  beleidigten  Gk>ttheit  oder  die 
Wiederrergeltung  oder  die  Sahne  yersteht,  welche  durch  Strafe  die 
beleidigte  bürgerliche  Gesellschaft;  erh&lt.  Was  neuerlich  Helie  du 
principe  du  droit  penal  p.  75.  Trebutien  cours  du  droit  penal  p.  81 
gegen  dies  Prinzip  bemerken,  ist  wohl  gegründet.  Ein  richtig  dies 
Wesen  der  Schwurgerichte  erörterndes  und  die  Einführung  dieser 
Gerichte  auch  für  correctioneUe  Fälle  »nachweisender  Aufsats  von 
Impriani  findet  sich  im  Bande  TL.  pag.  24  und  91.  Wie  sehr  in 
Italien  die  deutscheu  juristischen  Forschungen  gewürdigt  werden, 
lehrt  der  Aufsatz  p.  34  u.  105  der  eine  üebersetzung  des  im  Ge* 
richtssaal  abgedruckten  Aufsatzes  von  Mittermaier  über  das  eng- 
liche Schwurgericht  enthält. 

Zur  richtigen  Würdigung  des  Zustandes  rechtswissenschaft- 
licher  Forschungen  in  Italien  dient  rorzüglich  noch  die  Beachtung 
der  rechtswissenschaftlichen  Zeitschriften  Italiens.  Erfreuliche  Er- 
scheinungen sind  in  dieser  Hinsicht,  dass  ungeachtet  so  Tieler 
Hindemisse,  die  in  Italien  dem  literarischen  Verkehre  sich  ent- 
gegenstellen, wo  nicht  die  von  Verlegern  bezahlten  Honorare  die 
Schriftsteller  aufmuntern,  doch  viele  Zeitschriften  oft  mit  grossen 
Opfern  der  Herausgeber  veröffentlicht  werden  und  das  entschiedene 
Streben  bewähren,  wissenschaftliche  Arbeiten  zu  liefern  und  zur 
Verbesserung  der  Gesetze  beizutragen,  zugleich  der  BUck  inuner 
mehr  auch  auf  die  Leistungen  der  deutschen  Schriftsteller  gerich- 
tet ist,  und  die  Aufsätze  darauf  Bücksicht  nehmen.  Von  der  in 
Neapel  erscheinenden  juristischen  Zeitschrift:  La  Nemesi  ist  be- 
reits oben  gesprochen  worden. 

In  Toskana  erscheint  seit  einer  Beihe  von  Jahren  (es  sind 
jetzt  acht  Bände  in  94  Heften)  unter  dem  Titel:  LaTemi.  Bivista 
italiana  di  legislazione  e  di  giurisprudenza  herausgegeben  von  zwei 
sehr  tüchtigen  Juristen  Panattoni.  Der  achte  Band  enthält  viele 
beachtnngswürdige  Aufsätze  und  zwar  in  der  Bichtung,  wichtige 
Fragen  der  Bechtswissenschaft  und  Gesetzgebung  zu  erörtern  (da- 
hin gehören  voL  Vm.  p.  198.  IX.  p.  298.  480.  von  Tironi  über 
Schwurgericht,  wobei  die  Unbestimmtheit  der  Aufgabe  der  Ge- 
schworenen, welche  an  coscienza  o  opinione  publica  gewiesen  wer- 
den, getadelt  wird,  pag.  137  über  Beweise  im  Strafprozesse  von 
EUer),  insbesondere  neue  Leistungen  der  italienischen  Gesetzgebung 
einer  wissenschaftlichen  Kritik  zu  unterwerfen  (z.  B.  p.  201.  265 
von  Scovazzo  über  das  System  der  Oassation,  p.  853  über  die 
Beform  der  Hjpothekengesetzgebung  von  Panatoni,  p.  414  und  583 
über  Umgestaltung  des  Notariats  in  Italien  von  Spagna).  Beachtunga- 
werth  ist  die  Bichtung  von  neueren  wissenschaftlichen  Arbeiten  des 
Auslandes,  insbesondere  von  Frankreich  und  Deutschland  Nachrieht 
zu  geben,  hauptsächlich  mit  Mittheilungen  aus  dem  Werke  von  Bone- 
yille  und  den  Aufsätzen  des  Unterzeichneten.  In  jedem  Hefte  werden 


LiMaageD  ia  Italtai  maf  ätm  0«bi«la  dar  ReohtswitseMdiali      068 

die  neuen  joristisohen  in  Italien  erschienenen  Weike  angezeigt,  nnd  die 
^  Sechtssprftche  der  italieniscben  nnd  anslftndiBcbenOericlitshÖfe  mitge- 
theilt.  Die  in  Turin  seit  fünf  Jahren  erscheinende  Zeitschrift :  La 
Legge  Monitore  gindiziario  e  amministrativo  del  regno  d'Italia 
(heransgegehen  Yon  dem  Advokaten  Berettaist  werthroll,  weil  sie 
die  nenen  Gesetzesentwürfe  für  Italien,  die  Motive,  die  Berichte  der 
Kammern  nnd  oft  Anszttge  ans  den  Yerhandlnngen,  femer  die  TTmlanf- 
sohreiben  der  Ministerien,  die  wichtigen  Jahresberichte  der  Oeneral- 
proknratoren,  die  Entscheidungen  der  Cassations-  nnd  AppellationshSfe 
mittheilt.  Die  Zeitschrift  enth&lt  aber  anch  viele  bedentende  Ab- 
hand]nngen  Aber  wichtige  Fragen  mid  Zweifel  in  Bezug  auf  ein« 
zebie  Bestimmungen  der  Gesetzbücher  nod  nicht  selten  scharfe 
Kritiken  über  nene  Gesetzesvorschlftge  mid  ergangene  Rechtssprüche 
(besonders  bedeutend  um  die  Art  der  Darstellung  in  den  Schwur- 
gerichten kennen  zu  lernen),  so  dass  man  mit  Hülfe  dieser  Zeit- 
schrift mit  dem  Gange  der  Gesetzgebung  und  der  Rechtsprechung 
Italiens  vertraut  wird,  aber  auch  die  öffentliche  Stimme  über  beide 
kennen  lernt. 

In  einem  höheren  Grade  tiftgt  die  in  Mailand  seit  6  Jah- 
ren erscheinende  Zeitschrift:  Monitore  dei  tribunali  giomale  dl 
legidazione  den  wissenschaftlichen  Charakter  an  sich  und  hat  ein 
besonderes  Interesse  ftlr  Deutschland,  da  die  Herausgeber  Porro 
und  Gabelli  (der  letzte  ist  Verfasser  eines  sehr  guten  Werkes  über 
das  Schwurgericht,  wir  haben  es  in  den  Jahrbüchern  1861  Nr.  19 
angezeigt)  mit  den  Arbeiten  der  Gesetzgebung  und  Wissenschaft 
in  Deutschland  genau  vertraut  sind,  den  Werth  derselben  unpar^ 
teiisch  würdigen,  und  sich  das  Verdienst  erwerben,  in  der  Zeit- 
schrift deutsche  rechtswissenschaftliche  Aufs&tze  übersetzt  mitzu- 
theilen,  aber  auch  in  der  Lage  sind,  unter  ihre  Mitarbeiter  viele 
Mftnner  zu  zahlen,  welche  der  deutschen  Sprache  ganz  mttchtig, 
in  ihren  Aufsätzen  die  Forschungen  der  deutschen  Juristen  und 
die  Leistungen  der  deutschen  Gesetzgebung  benützen.  Die  Zeitschrift 
enthält  ausser  interessanten  Rechtssprüchen  die  oft  einer  strengen 
Kritik  unterliegen  und  prüf  enden  Anzeigen  neuer  juristischer  Schriften, 
vorzüglich  Prüfdng  der  neuen  Gesetzesentwürfe  und  Rechtseinrich-^ 
tungen.  Sehr  beachtungswerthe  Aufsätze  in  dieser  Beziehung  sind 
die  Arbeiten  des  mit  allen  deutschen  Leistungen  vertrauten  Maltini 
über  Beform  des  Civilprozesses  (dessen  Werk  wir  unten  anzeigen 
werden),  der  gute  Bericht  der  Advokaten  der  Lombardei  und  Tos* 
kana's  gegen  die  Einrichtung  der  Trennung  der  avouös  und  avocats 
(vol.  VI.  Nr.  6  und  der  damit  zusammenhängende  Aufsatz  von  Costi 
in  voL  VI.  Nr.  15  u.  17),  der  Aufsatz  über  die  Grundzüge  einer  ge- 
rechten Prozessgesetzgebung  (1865.  Nr.  6),  über  die  beabsichtigte 
Einführung  der  Rechtseinheit  in  allen  italienischen  Provinzen  (1865. 
Nr.  9).  Vorzüglich  werthvoU  sind  die  Aufsätze  von  Ambrosoli  (Staats« 
anwalt  und  seit  1864  am  italienischen  Justizministerium)  Verfasser 
bedeutender  Werke,  z.  B.  über  das  italienische  Strafgesetzbuch  von 


fSM     Uttugtt  «flf  d«iB  G«biti«  dn  lUohto^viMMMhafl  ia  Itelto. 

1369  («ngesMigt  m  dieien  JahrbHoham  1861.  Nr.  47).  Ihm  ▼•r* 
dankt  man  4iii»  grQudlichHten  MittheilaB^e&  ttbar  ne«6  logialotiTe 
Leistoagan  ul  Deutediland^  and  tief  eingehend«  Kritiken  acRMV 
italienischer  GeaetKesentwttrfe  (e.  B.  über  den  1864  vorgelegten 
Entwurf  der  AtrafgeBetihOoher  vol.  1864  yom  21—29  Ootob^). 
Ein  guter  Aufsatz  über  Notbwendigkeit  der  Bevisioa  der  Oeaetse, 
über  Besetsoag  der  Jury  findet  sich  voL  VL  p.  28. 

Die  in  Venedig  seit  15  Jahren  erscheinende  Zeitsohrift :  L'Eco 
dei  iribmali  (herausgegeben  von  Zajotti)  hat  ebenÜEkllB  für  Deuisoh- 
land  einen  besonderen  Werth,  da  sie  die  Fortschritte  der 
Qesetsgebung  «nd  Eechtswissenschaft  in  Oesterreich  beachtend,  diese 
Arbeiten  ebenso  wie  die  von  dem  Cassationshofe  in  Wien  er- 
gangenen Beohtssprüche  mit  kritischen  Bemerkungen  mittheilt, 
femer  die  strafgerichtlichen  Verhandlungen  in  den  unter  Oester- 
r^hs  Herrschaft  befindlichen  Provinzen  vollständig  liefert,  vor- 
züglich die  häufig  sehr  gut  abgefassten  Outachten  der  gerichta- 
irztlichen  Fakultäten  abdrucken  lässt  Die  Zeitschrift  enthält  aber 
auch  Mittheilungen  von  neuen  Gesetzen  und  Verhandlungen  des 
Anslandesj  insbesondere  auch  von  dem  Gange  der  Gesetzgebung  im 
EjQnigreich  Italien  (z.  B»  dio  vollstän^gen  Verhandlungen  des  Par- 
laments in  Turin  über  Aufhebimg  der  Todesstrafe),  und  der  deut- 
schen Staaten.  Es  finden  sich  aber  auch  häufig  gute  selbstständige 
Abhandlungen  über  wichtige  Lehren  (z.  B.  vol.  XV.  Nr.  1492—93 
ttber  Versuch  der  Verbrechen,  über  dolus  indireotus  vol.  XV»  Nr. 
U52);  ferner:  Erörterung^i  über  medizinisch-gerichtliche  Fragen 
(z.  B.  voL  XV.  Nr.  1502  über  Vergiftung), 

Die  in  Genua  seit  16  Jahren  erscheinende  Zeitschrift :  Gaaetta 
dei  iribunaU  hat  besonderen  Werth  für  das  Studium  des  Handels- 
rechts, da  sie  aHe  merkwürdigen  UrUieile  der  italienischen  Handels« 
und  anderer  Gerichte  in  Handelssachen  vollständig  oft  mit  prakt^ 
sehen  Bemerkungen,  aber  auch  die  wichtigsten  italienischen  fiechts- 
mrüche  in  -Gävü-  und  Strafsachen  mittheilt  |  häufig  enthält  dio 
Zeitschrift  auch  AbhandlungMi  über  wichtigOi  insbesondere  handels- 

äeriohtliohe  Fragen  (z.  B.  Jahrgang  XVn.  Nr.  21,  über  Verp&n« 
ung  von  Schifilen)* 

Noch  sind  drei  italienische  Zeitschriften  zu  erwähnen,  welche 
nur  'einzelne  Zweige  der  Aechtswissenschaft;  au  beleuchten  sich  sur 
Aufgabe  machen.  Dahin  gehört  die  in  Verona  seit  1860  erscher- 
i^enike  Zeitschrift;  II  oonsnitore  aministrativoi  Gtomale  di  lagis- 
laeione,  giuri^rudanza  dottrina  ed  interesse  «ministrativo  redatto 
4al  Dottore  Oar«  Bosio.  Der  Herausgeber  hat  sich  bereits  durch 
liiehrere  Schriften  Zi  B.  dei^ionfliti  di  competenza,  darch  die  Schrift: 
dell  eq^ropriazione,  und  besonders  -durch  seine  Schrift:  dei  c«n- 
ccffsi  d'aque  dei  regno  lombardo  veneto.  Verona  1855  rühmiidi 
bekannt  gemacht.  Wir  haben  über  diese  Schriften  in  den  HeideK 
Wrger  Jahrbüchern  1858  Nr.  47  umständliche  Nachricht  gegeban. 
Wer  es  waiss»  wie  in  der  Lombardei  mehr  als  in  jedem  andncn 


IiaiMb  leife  langer  Zeit  die  b«Bte  WatserceoIitigCdieitsgelnuig  gitt  mA 

die  dort  bettdienden  WaieerreohtBgenoaaeiischaften  wioUthätig  wir^ 

km»  BUMS  den  Wexth  genaner  Mittheilimgtn  boch  toMteaa»  die  er 

dnroh  die  Schriften  Yon  Bosio  nnd  seiner  Zextaohrift  enth&lt.  Diäte 

mk  dem  YerwmltimgBreeht  gewidmet,  nnd  Ue&rt  ein  eeltenes  vficbei 

Mittexial,  indem  kier  alle  Arbeiten  der  Oeeetsgebnog  Itaäene  n»t 

des  Anslandee»  ttber  OegesetHnde  des  Yerwaltw^^ereehta»  daberanck 

tüber  die  TielbestriUene  AdministratiT-Jnftiz ,  ferner  die  cSt  wiohf* 

tigen  Verbandhingen  nnd^  Beschlüsse  der  Oongregazione  centrale 

der   Lombardei,  nnd  die  EntsebeidnngMi  der  Behörden  und  Qe* 

riokte  über  Fragen  des  Yerwaltnngsreehts  nnd  wissensob^fcliohe  Ab- 

bandlnngen  darüber  mitgetheilt  werden,   insbesondere  bedeutende 

Aofafttie  ttber  Waaserrecht,  Aber  OemeindcTerbÜtnisse,  Eisenbahnen- 

Begleaients  (die  man  sonst  schwer  sich  Terschaffen  kann).  Niemand 

der  mit  Verwaltmigsreoht  sich  beschäftigt,   sollte  diese  ZeUschKia 

nnbenfttzt  lassen.    Eine  erfreuliche  Erscheinung  ist  das  wou  Fred 

EUer  in  Bologna  herausgegebene  Oiomale  per  raboüzione  deUn 

pena  di  morte.    Sie  bildet  einen  Mittelpunkt  für  die  Sawiirinng 

dar  Forsokongen  und  Erfakrungen  in  Bezug  auf  die  grosse  Frage* 

Es  gersiekt  Italien  sur  Ehre,  dass  in  diesem  Lande  das  Interesse 

ilbr  würdige  Lösung   der  Frage  sich  so   l^haft  ausq>richt|   dass- 

eiiiB  eigene  Zeitschrift  dsfür  gegründet  werden  und  sieh  so  erbat* 

teo  kau,  dass  bereits  12  Hefte   daTon  yorlSegen«    Ezfreidkh  ist 

in  dieser  Zeitsohrift  Stimmen  aehtungswttrdiger  Juristen  Bu  findent 

weleke  durch  Gründe  der  Wissenschaft,  wie  durch  praktische  Nack* 

weiflungen  2u  dem  Ergebniss  gelangen,  dass  die  Todesstrafe  weder 

nach  BeohtsgrOnden  gerechtfertigt,  noch  als  nothwendig  oder  zweck- 

mftesig  erkannt  i^rerden  kann.  Die  Zeitschrift  enthilt  aber  auch  ausser. 

vielen  Abhandlungen  über  die  Itodesstrafs  noch  anders.  Erörtenuir 

gen  über  (Mttngnisseinriohtung ,  über  Schwurgericht,  tlber  I>adl, 

und  Ejitiken  der  neuen  Gesetzesentwürfe  über  Strafireekk 

Eine  besondere  Zeitschrift  unter  dem  Titel:  Effemeride  ear« 
oecario  ossia  ramministrasione  deUe  caroeri  giudisaarie  diretta  4x1 
Gav.  Yasio.  Torino  1865,  bisher  5  Hefte,  hat  die  Aufgabe  für  die 
Yarbessemng  des  GefängnisBwesens  zu  wirken,  und  Alles  darauf 
besttgliche  mitsutheilen.  Da  der  Herausgeber  selbst  Inspektor  der 
Gefil^nisse  des  Königmchs  ist  und  die  Zeitschrift  untsr  Anten- 
satikon  des  Ministeriums  des  Innern  ersckeint,  so  kann  sie  ein  rei- 
ches ICalierial  lie£sm.  Der  Geist,  in  welehem  die  Zeitsekrift  t^äir 
girt  wird,  ist  ein  edler;  entschieden  wird  die  hoke  Bedeulbung des 
leoUimngssjsfoms  heorvorgehoben,  aber  der  praktische  Sinn»  der  de» 
Heransgeber  leitet,  führt  in  einer  unparteiischen  Prüteg  dmr  verr 
sekiedensn  Sjvteme  nnd  Yorschläge.  Die  Leser  finden  in  derZett" 
sehrift  eine  belehrende  Sammlung  Ton  statistischen  Naohriohten 
fibsr  die  iialienisehen  Geffaignisse  (p.  77  u.  188)»  gute  AUtMd^ 
hmgen  llber  die  GefiLugnisssystome  2.  B.  tLber  Anwendtttg  dflt 
Zellenhaft  auf  Lefaenssaeit  und  tber  DeportatiDn  p.  129  n»  U4&4j 


0B6     LsMaaMi  im  Itetten  auf  dem  Gebtote  der  Re^InviamBelMfft 


Berichte  ttber  den  Znstand  der  Strafanstalten  p.  277,  eine  wichtige 
Abhandlnng  des  verdienstycllen  Generalinspehtors  Peri  über  Befonn 
der  Stra&nstalten  p.  219,  und  die  miniBteriellen  ümlanftobreibea 
und  Beglements  ^ttber  Qe&ngnisse. 

Wenden  wir  nns  an  die  neuesten  rechtswissensohaftlioben 
Werke  Itaüens,  so  yerdienen  yorsüglich  zwei  neue  oriminalistiBohe 
Werke  die  Aufmerksamkeit  aller  Juristen  des  Auslandes,  da  sie 
auf  die  ErOrterong  des  besonderen  Theils  des  Strafreohts,  nftmli^h 
auf  die  Lehre  ron  den  einzelnen  Verbrechen  und  Strafen  sich  be- 
ziehen. Bs  ist  dies  die  ausftthrliche  Bearbeitung  unter  dem  Titel: 
Exposizione  dei  delitti  in  specie,  parte  speciale  del  programma  del 
oorso  de  diritto  oriminale  dettato  del  Professore  Carrara.  Lueca 
1864.  Vol.  I.,  und  das  Werk  yon  Mangano  diritto  penale  seccmdo 
il  Oodice  penale  italiano  con  confronto  del  Oodice  penale  napole- 
tano  abrogato.  Catanea  1864.  Garrara  ist  neben  Pessina  in  Neapel 
der  ausgezeichnetste  Criminalist  Italiens.  Wir  haben  in  diesen  Jahrb. 
1863.  Nr.  42  seine  früheren  Werke,  die  auf  den  allgemeinen  Theil 
des  Criminalrechts  mit  den  geistreichen  Erörterungen  über  die  allge- 
meinen Grundsfttze  und  Beohtsbegriffe  sich  beziehen,  angezeigt.  Das 
TOiüegende  Werk  beschäftigt  sich  nun  mit  dem  besondem  Theüeund  der 
vorliegende  Band  behandelt  die  Verbrechen  gegen  das  Leboi  der 
Menschen.  Der  Verf.  hat  dabei  denVortheil,  dass  er  die  reiche  ita- 
lienische, von  französischen  und  deutschen  Criminalisten  sparsam 
beachtete  Literatur  vollständig  benützt,  aber  auch  überall  die  For- 
schungen deutscher  und  französischer  Schriftsteller  (man  bemerkt 
freilich,  dass  ihm  die  deutschen  Arbeiten  nicht  genugsam  bekannt 
waren),  ebenso  wie  die  ausländischen  Stra^esetzbücher  beachtet, 
vorzüglich  die  Bechtsprechungen  der  italienischen  Gerichtshöfe,  ina- 
besondere der  toskanischen  anführt  und  prüft,  die  einen  besonde- 
ren Werth  haben,  da  in  Toskana  früh  die  Gerichte  schon  ror  dem 
Gesetzbuche  Ton  1853  einen  seltenen  wissenschaftlichen  Geist,  feine 
Zergliederungskunst  und  AufGeissang  der  Principien  des  Strafirechts  be- 
wHhrten,  und  unter  der  Herrschaft  des  neuen  Gesetzbuches  von  1853 
die  toskanische  Bechtsprechung  (auf  welche  der  ausgezeichnete  Com- 
mentar  von  Puccioni  grossen  Einfluss  hatte)  auf  gleiche  Art  sich 
aaszeichnete.  Auf  diese  Art  findet  man  in  dem  Werke  von  Garrara 
eine  in  aUe  Einzelheiten  eingehende  scharfsinnige  Behandlung  der 
wichtigsten  Streitfragen  in  der  Lehre  von  der  Tödtung.  Garrara 
theät  p.  44  alle  Verbrechen  in  natürliche  (solche  die  ein  Becht 
angreifen,  welches  schon  nach  dem  Naturgesetz  jedem  Menschen 
Msteht)  und  sociale  ein.  Wir  können  mit  dieser  Olassifikation 
uns  nidit  befreunden,  theils  weil  nicht  klar  ist,  was  unter  Natur- 
gesetz zu  verstehen  ist,  theils  weil  bei  jedem  Verbrechen  in  Be- 
sag auf  die  Anwendung  des  Strafgesetzes  es  darauf  ankommt,  in 
miUAßm  Umfang  das  positive  Gesetz  ein  Becht  (z.  B.  auf  Eigen- 
tfanm,  Ehre)  dnxcb  Strafdrohungen  schützen  wilL  Wir  wollen,  um 
dan- Werth  des  ßucbea  vo|i  Oarrara  zu  zeigen,  vorzüglich  auf  einige 


te  Iteltan  auf  4«  GebMe  d«r 

seiner  wiebtigsten  Aiufhbnmgea  aofinerksam  maoheii.  Der  Verf. 
hmdelt  p.  55  Ton  der  Wichtigkeit  dee  Thatbestandee  mit  An- 
ffthrang  merkwllrdiger  Fftlle  p.  57  tmd  Ton  den  versohiedenen 
Theorien  über  Tödlichkeit  der  Verletzungen  p.  60,  insbesondere  mit 
Benehnng  anf  die  toekanische  fiechtsprechnng  p.  68 — 75.  In  Be- 
eng anf  die  anch  in  Dentsohland  so  viel  bestrittene  Lehre  bei 
Fttllen,  wo  ohne  Absieht  zn  t5dten  dnrch  Beschädigung  der 
Tod  yemrsaoht  wird,  wo  die  italienische  Praxis  von  omicidio  preter- 
intensionale  spricht,  zergliedert  der  Verf.  p.  92. 100  scharfsinnig  das 
Wesen  dieses  Znstandes  im  Gegensatze  des  in  Italien  mit  Ferimento 
snssegnito  da  morte  bezeichneten.  Sehr  gut  ist  die  ErOrt-ernng  p.  100 
Aber  die  Arten  des  dolus  nnd  die  Merkmale  der  praemeditatio  im 
Gegensatze  des  impetns  mit  Btteksicht  anf  das  schon  im  oanonischen 
Beehte  in  den  Glementinen  p.  119  aufgestellte  Merkmal,  dass  eine 
Zwischenzeit  zwischen  Eutschluss  und  Ausführung  verflossen  sein 
mnss,  nnd  mit  Zergliederung  des  bedingten  Vorsatzes  p.  121.  Der 
Unterzeichnete  bedauert,  dass  der  Verf.  die  Ausführung  über  Mord 
und  Todschlag  in  Goltdammer*s  Archiy  Band  11.  S.  181  und  die 
neuen  deutschen  Forschungen  Aber  Error  in  persona  (wo  der  Verf. 
p.  138  nicht  genug  die  Fftlle  unterscheidet)  nicht  kannte.  Der 
Verf.  kommt  zwar  p.  498  noch  einmal  auf  die  Frage  zurtLck,  auch 
mit  Berufting  auf  deutsche  Oriminalisten  z.  B.  Gesterding  und  Geib. 
Ghit  ist  auch  die  Nachweisung  p.  152,  dass  das  französische  Recht 
mit  unrecht  bei  dem  parricidium  den  Einfluss  der  Nothwehr  und 
der  proYOcatio  nicht  anerkennen  will.  Bei  der  Frage:  ob  Bei- 
hülfe  zum  Selbstmord  strafbar  ist,  prüft  der  Verf.  p.  108.  die  ver- 
sohiedenen Theorien,  kommt  dazu,  diese  Beihülfe  nicht  als  strafbar  zu 
erklftren,  wohl  aber  als  delictum  sui  generis  mit  Strafe  zu  bedrohen. 
Bei  der  Erörterung  des  Giftmords  p.  196  bedauert  man,  dass  der 
Verf.  die  deutschen  Forschungen  und  die  wichtigen  Arbeiten  Yon 
Tardieu  in  den  Annales  d^Hygi^ne  legale  1865  p.  103  nicht  kannte. 
Gut  sind  seine  Ausführungen,  um  die  irrige  Annahme  gewisser 
Merkmale  zum  Begriffe  des  Gifts  zu  zeigen  p.  197  und  über  die  Frage, 
in  wie  fern  die  Quantität  des  beigebrachten  StoffiB  Einfluss  hat.  Die  Be- 
nützung neuer  toxikologischer  Forschungen  würde  den  Verf.  zu 
mancher  Modifikation  seiner  Ansichten  bewogen  haben.  Was  er  über 
Versuchdes  Verbrechens  sagt  p.  204.  217  verdient  Beachtung;  p  226 
zergliedert  der  Verf.  die  doppelte  Bedeutung  des  Wortes :  assassini. 
Beachtungswerth  ist  die  Erörterung  des  Kindesmords  p.  249,  ins- 
besondere über  den  Ursprung  dieses  Ausdrucks  p.257.  p.  277  über 
Bedeutung:  neugebornes  Kind  p.  261,  über  die  irrige  AuffiMSung 
des  Kindesmords  im  französischen  Oode.  Das  Verbrechen  des  aber- 
tns  ist  ausftlhrlich  von  p.  310  erörtert.  Zu  bedauern  ist,  dass  der 
Verf.  über  die  bedeutende  Frage  des  erlaubten  vom  Arzt  zur 
Bettung  der  Mutter  vorgenommenen  abortus  p.  825  die  neuen  For- 
schungen nicht  benutzt,  und  über  die  neue  pftpstliche  Entscheidung 
der  Frage  (abgedruckt  in  der  Gazette  medicale   1860.    Nr.  41. 


im  liilta  Auf  4Mft  OaUrta  dar 


p.  687)  rieh  niflht  erUftrten.  Chxt  ist  die  AvifiLhniig,  ob  Temidi 
d«B  abortas  strafbar  iat  p.  839.  Den  Soblnsa  des  Bandes  maoht 
die  Uniersachnng  der  Natur  der  TQdtong  in  impeia  mit  ünter- 
soheiduig  der  TOdtung:  a)  ans  gerechtem  Zorn,  b)  ans  Schmers, 
c)  ans  Fnreht,  s,  B.  bei  Ezzess  der  Notiiwehr  p.  844—407.  Hier 
finden  rieh  ton»:  praktische  Bemerkungen,  z.  B.  über  Binflnss  der 
Provokation  p.  867,  aber  Tödtnng  im  Banfhandel.  Dies  Verbrechen 
der  Todtang  ist  anch  Qegenstand  der  iweiten  oben  genannten  Schrift 
von  Mangano,  dessen  Schrift  ftber  die  Verbrechen  gegen  Ordnung 
dar  Familie  von  nns  früher  in  diesen  Jahrbüchern  1868  Nr.  42. 
p.  450  angeseigt  wurde.  Die  Schrift  von  Hm.  Mangano  (der  Verf. 
ist  Qeneralproknrator  in  Oalabrien)  unterscheidet  sich  von  der  des 
Oarrara  dadurch,  dass  der  letzte  die  einzelnen  Fragen  mehr  nach 
den  Prinsipien  des  Strafreohts,  Hr.  Mangano  mehr  praktisch  mit 
Besiehung  auf  die  positiven  Gkisetze  behandelt.  In  der  letzten  Be- 
ziehung ist  sein  Buch  besonders  beachtungswerth ,  weil  der  Verf. 
ausser  dem  Strafgesetzbuch  für  Piemont  immer  auf  das  neapolita» 
nischs  Gesetzbuch  von  1810,  das  Decret  vom  17.  Februar  1861 
und  die  Rechtsprechung  der  neapolitanischen  Gerichte  Bückstoht 
nimmt.  Während  Carrara  auch  auf  die  deutschen  Forschungen  und 
Leistungen  der  deutschen  Gesetsgebung  Rfldteicht  nimmt,  beachtet 
Mangano  nur  die  italienischen  und  friinzOsischen  Gesetze.  Herr 
Mangano  verweilt  viel  bei  dem  rSmisdhen  Bechte ,  liebt  es  aber 
sueii  viele  (oft  für  die  richtige  Erkenntniss  wenig  bedeutende) 
Stellen  aus  alten  Klassikern  und  selbst  aus  Dichtem  unnütiiiger 
Weise  anzuführen.  Auch  kann  man  bei  Vergleichung  der  Ansichten 
von  Carrara  mit  denen  von  Mangano  in  Bezug  auf  Bntsoheidnng 
einzelner  Streitfragen  nicht  verkennen,  dass  der  Lotste  weit  stren- 
ger als  'der  Erste  urtheilt.  Es  ist  jedoch  Pflicht  zu  bemerken,  dass 
Herr  Mangano  sich  p.  74  für  die  Aufhebung  der  Todesstrafe  ans- 
spricht,  p.  83  in  Note  bemerkt  der  Verf.,  dass  der  Ausspruch  der 
Geschwomen  in  einem  Falle  der  Anklage  wegen  Mords,  wo  sie 
das  Dasein  der  Praemeditation  verneinten,  als  Vorläufer  der  Auf- 
hebung der  Todesstrafe  anzusehen  ist.  Sehr  ausführlich  handelt 
Mangano  (mit  vielen  geschichtlichen  Nachrichten)  von  parrictdimn 
immer  abgesondert  p.  77  vom  filicidio  p.  91  vom  fratiddio  «ad 
p.  91  vom  conjugioidio.  Von  Ausfdhmngen  des  Verf.  sind  be- 
achtungswerth p.  18.  88  die  über  F&Ue  wo  der  Tod  praeter  in- 
tenttonem,  wo  die  Absicht  niicht  auf  Tödtung,  sondern  nur  auf  Be- 
sdi&digung  gerichtet  war,  erfdgte,  p  300  über  Beihülfe  zum  Seihet- 
mord.  Auch  verdienen  viele  Bemerkungen  des  Verf.  über  Sielhmg 
der  Fragen  an  Geschworene  Beaditung. 

Eine  erfreuliche  Erscheinung  ist  die  juristische  Enojklop&die 
unter  dem  Titel:  Tniitato  di  Enciclopedia  giuridica  per  L.Pepere 
(Professor  in  Neapel)  Napoli.  Es  liegt  uns  zwar  nur  die  erste  Ab- 
theüung  des  eririien  Bandes  vor;  allein  sie  genügt,  um  den  Geist 
dar  Arbeit  nn  zeigen.  Wir  finden  hier  einen  BchriftsteUer,  der  mit 


lo  naUn  Mf  dem  CMUato  d«r  BMÜtiwiMitaMlMft      IV 

der  gauMn  Likeisttir  desAvekades  rwtrwA  isti  und  iütbMondere 
die  deatschen  juristiBcben  Arbeiten  wttrdigt.  Der  Verf.  entwickelt 
cap.  1  die  Idee  nnd  die  Entstehung  der  Ansicht  yon  der  Aufgabe 
einer  juristischen  Encyklopftdie,  in  cap.  2  das  Wesen  nnd  den 
Qrganisnns  einer  aolehen  Arbeit,  cap.  8  die  Nator  in  Entwiek^ 
lang  des  Seohts»  caap.  4  das  Yerhältniss  Yon  Moral  nnd  Recht  mit 
Beziehung  auf  die  Torstehenden  Auffassungen  im  Alterthnni  (z.  B« 
bei  Plato)  jond  in  der  modemea  Welt,  cap.  5  entwickelt  dasVer« 
hftltniss  der  Yeninnft  und  des  positiven  Rechts,  cap.  6  das  Wesen 
der  Bechtswissenschaft  und  cap.  7  das  Yerhältniss  der  Oesetz- 
gebung.  Ueberall  durchdringt  ein  philosophischer  Geist  und  eine 
würdige  Benutzung  der  Geschichte  die  Forschungen  des  Yerfaeeer^ 

Der  durch  mehrere  Schriiten,  insbescmdere  sein  1858  in  Turin 
eiBchienenes  Werk :  n  diritto  de  punire  e  la  tutela  pönale  bekannte 
Schriftsteller  Poletti  erGrtert  die  Idee  des  Rechts  in  seinem  neuen 
Werke :  la  Giustizia  e  le  leggi  universi  di  natura,  principi  di  filo«» 
Sofia  positira  applioati  al  diritto  criminale.  Cremona  186.4.  YoL  I. 
Wir  finden  in  dem  uns  vorliegenden  ersten  Band  beaohtungswerth 
die  Forschungen  über  ZurechnungsfUhigkeit  p.  148  und  Yerantwort- 
lichkeit,  wobei  man  nur  bedauert,  dass  der  YerfL  zu  sehr  bei  all-* 
gemeinen  i^ilosophisohen  Bntwickelnngen  ohne  Benützung  der  hier 
so  wichtigen  psychologischen,  physiologischen  und  psychiatrischen 
iPorschungen  stehen  bleibt,  was  insbesondere  bei  seiner  Prüüang 
dea  Wesens  des  Willens  cap.  XY  als  naohtheilig  sich  zeigt.  Manche 
beaohtuagswerihe  Bemerkungen  finden  sich  in  den  Erörterungen 
über  die  Einflüsse,  durch  welche  die  Yerantwortlichkeit  modificirt 
wird,  nnd  zwar  im  cap.  XYI.  p.  220  durch  das  Gesetz  der  ripro- 
duzione,  cap.  17  durch  die  Erziehung,  cap.  18  durch  die  Religion, 
cap.  19  durch  die  Legislations-  und  Yerwaltungsth&tigkeit,  cap.  20 
duroh  die  ökonomischen  Bedingungen  der  bürgerlichen  Gesellschaft. 
Im  cap.  XI  versteht  der  Yerf.  unter  Gesetz  der  riproduzione,  die 
Gesetze,  welche  die  originelle  Thätigkeit  des  Menschen  bestimmen, 
wobei  der  Yerf.  neue  physiologische  Forschungen  benutzt ;  man  be- 
dauert nur,  dass  der  Yerf.  statt  eines  gründlichen  Eingehens  mit 
allgemeinen  Andeutungen  sich  begnügt. 

Wir  werden  im  folgenden  Aufsatze  von  den  neuesten  juri- 
stiaoheii  Arbeiten  der  Italiener  die  Schrift  von  Bemmola  delle 
obiigazioni  naturalis  Napoli  1864  die  Schrift  von  Gianelli  föndamenti 
e  piani  di  legislazione  ed  amministtasione  della  igiene  poblica  nel 
regno  dltalia ,  die  neue  Ausgabe  von  Gandolfi  medicina  forenee 
uad  das  Werk  von  Borsari  Giurispmdenza  ipotecaria  dei  vari  steii 
d'Italia»  Ferri^a  1859.  Bosio  prcgramma  über  Rechtsnntemioht  und 
Maltüii^s  Schrift:  riforma  deUa  procedura  oivile  anzeigen. 

MitteriMtter 


UO         Gfledi,  uad  laftete.  Belurtftotoner  von  Haupt  n.  Sanppc 

ftrieehisehe  und  lateinische  SchriJMeller  yon  Hanpt 
und  Sanppe. 


Homer' $  Iliade.  Erklärt  von  J.  ü.  Fae$i.  Erster  Band. 
Vierte  beriehtiate  Auflage.  BerHn,  Weidmann'eehe  Buehhand- 
lung.  1864   US  8.   8. 

Sophokles.  Erklärt  von  F.  W.  Sehneidewin.  Erstes  Bändr- 
ehen. Allgemeine  EifOeOung.  Aias.  Philoktetes.  Fünfte  Auf* 
läge  besorgt  von  A,  Nauek.  Berlin  u.  s.  to.  1865.  XU  und 
348  8.   8, 

Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  Erklärt  von  A.  Wester^^ 
mann.  III  Bändehen.  (XXIII.)  Rede  gegen  Aristokrates.  (UV.) 
Rede  gegen  Konon.  (LVII.)  Rede  gegen  Eubülidea.  Zweite 
verbesserte  Auflage.   BerHn  u.  s.  w.  1865.    175  8.  8. 

Ausgewählte  Biographien  des  Plutareh.  Erklärt  von  C.  8inte^ 
nis.  Zweites  Bändelten.  Agis  und  Cleomenes.  Tiberius  und 
Cajus  Qraeehus.  Dritte  verbesserte  Auflage.  Berlin  u.  s.  w. 
1865.   178  8.   8. 

VirgiVs  Oediehts.  Erklärt  von  Th.  Ladewig.  Erstes  Bänd- 
chen. Bueoliea  und  Oeorgica.  Vierte  vidfaeh  berichtigte  und 
vermehrte  Auflage.     Berlin  u.  s.  w.  186h.    VI  und  197  8.    8. 

Cieero's  ausgewählte  Reden,  Erklärt  von  Karl  Halm.  V. 
Bändchm.  Die  Rede  für  T.  Annius  Müo^  für  Q.  Ligarius 
und  für  den  König  Deiotarus.  Fünfte  vielfach  verbesserU 
Auflage.  BerUn  u.  s.  w.  186h.  VI  u.  158  8.  8. 

Cieero's  Brutus  De  elaris  oratoribus.  Erklärt  von  Otto  Jahn. 
Dritte  Auflage.  Berlin  u.  s.  w.  1865.  189  8.   8. 

M.  Tullii  Cieeronis  De  natura  deorum  libri  tres.  Erklärt  von 
Q.  F.  8ehoemann.  Dritte,  verbesserte  Auflage.  BerUn 
u.  s.  w.  1865.   IV  u.  268  8.   8. 

Cornelius  Taeitus.  Erklärt  von  K.Nipperdey.  Erster  Band i 
ab  exeesso  divi  Augusti.  I — VI.  Mit  den  VariarUen  der  Floren- 
tiner  Handschrift.  Vierte,  verbesserte  Auflage.  Berlin  u.  s.w. 
1864.  XXXVI  und  870  S.    8. 

Die  hier  aufgeftlhrten  Ausgaben,  sftmmtlicb  Theile  der  Ton 
Haupt  und  Sanppe  herausgegebenen  Sammlnng  olassischer  Schrift- 
steller, griechischer  wie  lateinischer,  sind  in  ihren  früheren  Auf- 
lagen bereits  hinreichend  bekannt  geworden,  und  haben  bereits  eine 
solche  Verbreitung  erlangt,  dass  ein  näheres  Beferat  darüber  in 
der  That  überflüssig  erscheinen  kann.  Es  wird  daher  hier  nur  das 
Verhältniss  anzugeben  sein,  in  welchem  diese  neuen  Auflagen  zu  den 
früheren  und  Torausgegangenen  stehen,  und  hier  zeigt  es  sich  dann 
bald,  dass  bei  den  meisten  mehr  oder  minder  beträchtliche  Ver- 
änderungen stattgefunden  haben,  ohne  dass  jedoch  Plan  und  An- 
lage des  Ganzen  dadurch  einer  Veränderung  oder  Umgestaltung 


OrlMh.  und  latebk  SeldrIIMtItar  tM  Haupt  nid  Sanpp^       541 

iint«il6gen  wftre.  Im  Gegentheil,  man  miutte  wohl  um  so  mehr 
darauf  denken,  bei  dem  dem  ganzen  unternehmen  zn  Ghmnde  ge- 
legten Plan  nnd  einer  daran  sich  getren  ansohliessenden  Ans- 
fühmng  stehen  zn  bleiben ,  als  Beidem  eben  der  Beifall,  welcher 
diesen  Ausgaben  zn  Theil  geworden,  nnd  die  Verbreitung^  die  sie 
namentlioh  auf  Schulen  erlangt  haben,  zuzuschreiben  ist«  Es  haben 
daher  auch  bei  den  in  Folge  dessen  nothwendig  gewordenen  neuen 
Auflagen  die  Herausgeber  dieser  gflnstigen  Aufnahme  dadurch  zu 
entsprechen  gesucht,  dass  sie  bemttht  waren,  ihr  Werk  jedesmal 
einer  genauen  und  wiederholten  Durchsicht  zu  unterwerfen,  dabei 
Ton  Allem,  was  für  die  Gestaltung  des  Textes,  wie  für  die  Er- 
klArung  ihres  Autors  inzwischen  irgendwo  geleistet  worden  ?rar, 
Notiz  zu  nehmen,  und  ftir  die  neue  Auflage  zu  verwerthen,  Ein- 
zelnes, was  ihnen  minder  richtig  erschien,  zu  berichtigen,  um  so  den 
neuen  Ausgaben  immer  grossere  Vollkommenheit  und  Brauchbar- 
keit, namentlich  für  die  Schule  zuzuwenden.  Es  gilt  diess  Ton 
der  an  erster  Stelle  oben  angeflihrten  yierten  Aiäage  der  Ho- 
merischen Ilias,  deren  erster  Band  mit  der  Einleitung  und 
den  zwOlf  ersten  Oesftngen  hier  vorliegt,  insbesondere  aber  gilt 
diess  Yon  der  in  fünfter  Auflage  hier  vorliegenden  Bearbeitung 
des  Sophokles  durch Schneidewin,  welche  nach  dessen  1856  er- 
folgtem Hinscheiden  in  theilweise  dritter  und  vierter  Auflage 
von  demselben  Gelehrten  besorgt  ward,  der  nun  auch  die  Besor- 
gung dieser  neuen  fünften  Auflage  übernommen  hat*  Da  er  mit 
dem  Erscheinen  dieses  Bftnddiens  den  Kreislauf  der  sieben  Sopho- 
deischen  Stücke  abermals  durchmessen  hat,  so  glaubt  er  diese  (Ge- 
legenheit zn  einem  Bückblick  auf  das  von  ihm  Geleistete  benutzen 
und  über  das  sich  ntther  aussprechen  zu  müssen,  was  er  als  seine 
nftohste  Aufgabe  bei  der  ihm,  nach  dem  Wunsche  des  ersten  Be- 
arbeiters, von  dem  Verleger  übertragenen  Arbeit  betrachtete.  Wenn 
eine  völlige  Umgestaltung  derselben  anf&nglich  keineswegs  in  seinen 
Absichten  lag,  wenn  die  eigenthümlichen  Vorzüge  der  überkomme- 
nen Arbeit  gewahrt  und  nur  einzelne  Mängel,  die  als  solche  aner- 
kannt waren,  beseitigt  werden  sollten,  so  überzeugte  er  sich  doch 
bald,  dass  er  bei  dieser  blossen  Beseitigung  einzelner  Mftngel  oder 
fishlerhafter  Oitate  u.  dgl.  nicht  stehen  bleiben  konnte,  sondern 
vielüeudi  in  der  Fassung  des  Textes  wie  in  der  Erklärung  den  eige- 
nen Weg  zu  gehen  genöthigt  war,  wenn  der  Zweck  des  Ganzen 
erreicht  und  ein  den  Bedürfhissen  des  Schülers,  sowohl  was  den 
Text  als  was  die  Anmerkungen  betrifft,  völlig  entsprechendes  Werk 
geliefert  werden  sollte.  Wenn  daher  auch  von  dem  neuen  Heraus- 
geber Manches,  was  der  frühere  behauptete,  geändert  worden,  und 
wir  glauben  auch,  nicht  ohne  Grund,  so  ist  diess  doch  geschehen» 
ohne  dass  darum  eine  Polemik  gegen  den  ersten  Herausgeber  ge- 
führt, oder  eine  Art  von  Discussion  in  Besprechung  der  verscMe- 
denen  Meinungen  oder  Erklärungs-  und  Bessemngsversnche  ein-, 
geleitet  worden,  da  Beides  hier  nicht  am  Platze  gewesen  wäre.  In 


m      .tifMk  tmd  liNo.  8eMitetan«r  von  S*iipt  ü.  Sav^^^«. 

dtr  Bohandliiiig  des  Tozles  hat  siob  cUr  nave  HenuMgeber  atfwggr 
«n  den  Oodex  LaiuraituuraB  gelialten,  so  daes  er  in  dem  kritiae^Ni 
Anhang  ba  erster  Stelle  sogar  eine  AnflfÜhning  aller  der  weieni* 
liehen  Abweichungen  seines  Textes  von  dem  Text  dieser  Hand* 
s^rift  gibt,  nnd  dadnroh  einem  Jeden  die  Mittel,  eine  Prflfting 
seines  ganzen  Yerfobrens  anzustellen,  an  die  Hand  gegeben  hat. 
Dazu  dient  aber  auch  noch  weiter  die  in  dem  kritischen  Anhang 
an  zweiter  Stelle  folgende  Besprechung  einzelner  Stellen,  in  welchen 
das,  was  rom  Vorgänger  stammt,  durch  Beifügung  der  Namens- 
chiffire Ton  dem,  was  dem  neuen  Bearbeiter  zuäut,  sorgfiUtig  ge- 
schieden ist:  »dieser  Thttl  des  Anhangs,  bemerkt  der  Herausgeber 
a.  VII,  bietet  einerseits  eine  gedrängte  Bechenschaft  über  dia 
wichtigeren  gegen  die  handschriftliche  Autorität  Torgenommenen 
Neuerungen,  andrerseits  eine  Anzahl  eigener  oder  feemder 
VerbessanmgSTorschläge,  die  in  den  Text  zu  setzen  ich  Bedenken 
trug.  Nicht  selten  habe  ich  die  interpolirte  Vulgata  in  Eraaage- 
lung  eines  Besseren  oder  aus  Scheu  yor  gewaltsamen  Aendenmgen 
gedbiüdei,  nur  an  sehr  wenigen  Stellen  sind  dagegen  zu  Ghinsten 
der  Lesbarkeit  solche  Vermuthungen  zuerst  eingefnhrt  worden,  an 
deren  Bichtigkeit  ich  selbst  zweifelte.«  In  dieser  Beeprediung  haben 
auch  die  inzwischen  von  andern  Gelehrten  bis  in  die  neueste  Zeii 
gemachten  Vorschläge  Erwähnung  und  Beachtung  gefunden;  das 
ßkiohe  ist  durchweg  bei  der  Erklärung  geschehen,  wie  diess 
bei  einer  näheren  Vergleiehung  bald  wahrzunehmen  ist,  auch  ohne 
dass  wir  diess  im  Einzelnen  nachzuweisen  yersuchten.  Was  die 
lyrischen  Abschnitte  betrifft,  so  ist  am  Schluss,  hinter  dem  kriti- 
schen Anhang  eine  üebersioht  der  Metra  derselben  beigefügt.  End- 
lich ist  auch  in  der  allgemeinen  Einleitung^  welohe  über  das  Leben 
Sophodes  und  über  seine  Dramen  und  dramatische  Kunst  in  zwei 
Abschnitten  sich  Tcrbreitet,  so  wie  in  der  besondem  Einleitung  zu 
den  beiden  in  diesem  Bande  enthaltenen  Stücken  (Ajas  und  Phi- 
kotet)  mit  gleicher  Sorgfalt  verfahren  worden. 

Die  beiden  neuen  Auflagen  der  Demostheniechen  Beden 
wie  der  Biographien  Plutarch's  lassen  in  ähnlicher  Weise  eine 
sorgfältige  Durchsicht  erkennen ,  namentlich  in  Bezug  auf  die 
Anmerkungen,  die  sich  mit  weiser  Auswahl  nur  auf  soldie  Punkte 
besshränikeny  in  welchen  wirklich  dem  Schüler  eine  Nachhülfe  er- 
wünscht sein  mag:  im  Uebrigen  ist  in  der  Anlage  des  Oansen 
keine  Aendemng  eingetreten. 

Die  Bearbeitung  des  Virgilius,  die  hier  in  vierter  Auf- 
lage nach  nur  kurzen  ZwischemUnnien,  in  denen  die  einzelnen  Auf« 
lagen,  aufeinandergefolgt  sind,  erschabit,  kann  in  jeder  dieser  Auf- 
lagen zeigen,  mit  welehem  Eifer  der  Heransgeber  bemüht  war, 
sein  Werk  flttr  den  Zweck  der  Sehnle  immer  nützlicher  zu  gestal- 
ten; alle  die  in^wisohen  erschienenen  Arbeiten,  kritischer  wie  eoro- 
geäscher  Art  über  Vir^ns  hat  er  zu  Batha  zu  ziehen  nnd  ar- 
fiif  deriichen  Falls  zu  benutzen  gesucht.  Und  so  sind  es  bei  dieser 


OrMhi  tmi  UMxu  SihHftelclkr  tm  Bm]^!  «•  6atipp#.        048 

irtffrtaii  Auflage  insbesoiklere  Pe6(ri)cMip>*8  Btttovkungiii  la  daa 
Biogen  «nd  so  den  Gkorgiois  im  zelnteii  Bude  der  Mnanotjne 
geweseDy  welche  sn  einzelnen  Aendemngen,  so  wie  insbeeondere  xa 
einebnen  nenen  Bemeikimgen  YeronlaesiiBf^  gegeben  haben,  wtth^ 
read  Binigee  von  den  früheren  Bemerkongen  hier  nnd  dort  durch 
die  Beseeretellnng  dee  Textes  wegfallen  konnte:  und  hat  dieser 
umstand  den  Heransgeber  yeranlasst,  in  dem  Anbang  S.  187  ff. 
ein  Yeneicbniss  aller  der  in  jenem  Iftngem  Aufsätze  zn  diesen  Oe» 
diofaten  Yirgil's  Torgebraohten  Co^jectoren  Peerlkamp's  sn  geben, 
womit  die  Angabe  der  Abweichnngen  seiner  Ausgabe  Ton  dem  Texte 
Bibbeek*s  wie  von  der  dritten  Auflage  der  kleineren  Wagner'schen 
Ausgabe  und  die  Besprechung  einzelner,  mehr  oder  minder  in  ihrer 
Fassung  bestrittenen  Stellen  verbunden  ist.  Das  kritische  Ver- 
fahren des  Herausgeber's  liegt  offen  vor  und  kann  von  Jedem  hiernach 
geprOfb  und  gewürdigt  werden :  auch  der  Tielfach  von  der  neuesten 
Kritik  angefochtenen  nnd  als  unttcht  ausgestossenen  Verse  wird 
am  beireffenden  Orte  stets  gedacht:  aber  der  Torsiditige  uad  mit 
seinem  Dichter  und  dessen  Oedanken  und  Ausdmdksweise  wohl 
vertraute  Herausgeber  ist  fem  davon,  solcher  Hyperkritik  sofort 
Folge  SU  gebwi  und  haltloser  Schwindelei  die  wohl  beglaubigt 
handschriftliche  üeberlieferung  preiszugeben. 

Wir  können  hier  nicht  weiter  in  das  Einzelne  eingehen,  und 
eine  Reihe  von  Stellen  einer  näheren  Besprechung  unterziehen,  weil 
diese  dieser  Anzeige  fem  liegt,  zweifeln  aber  nicht,  dass  Jeder, 
welcher  sich  näher  umneht,  bald  die  gleiche  Wahrnehmung  machen 
wird.  Auch  Aber  die  Brklärang,  d.  h.  über  die  unter  dem  Text 
befindlichen,  erklärenden  Anmerkungen,  so  wie  über  die  vorgesetzte 
Einleitung,  die  in  kurzer  Zusammendrängung  das  WesentlielMte  von 
dem  bietet,  was  wir  aus  VirgiVs  Leben  wissen  und  damit  eine 
eine  kurze,  aber  gute  Charakteristik  seiner  Schriften  verbind^, 
können  wir  uns  kurz  fassen:  denn  was  durch  drei  Auflagen  be** 
kannt  ist,  bedarf  keiner  weiteren  Darlegung.  Nur  so  viel  können 
wir  versichern,  dass  auch  das  Neueste,  was  für  diese  Gedichte 
Virgil's  vorgebracht  worden,  Beachtung  gefunden,  wie  z.  B.  um 
doch  wenigstens  Einen  Fall  der  Art  anzuführen,  die  Ergebnisee 
einer  über  die  Abfossungszeit  der  Eklogen  gelieferten,  ausführlichen 
Untersuchung  von  Schaper,  die  mit  den  Annahmen  dee  Herausp 
gd^ers  mcht  in  üebereinstimmimg  steht,  auch,  wie  wir  gknben, 
kaum  ihn  veranlassen  werden,  seine  Ansicht  zu  ändern,  namentUeh 
was  die  drei  letzten  Eklogen  betrifft,  deren  Abfassung  nach  Schaper 
in  die  Jahre  727—729  u.  c.  fallen  soll,  während  nach  Ladewig 
die  Abfassung  der  letzten  zehnten  Ekloge  in  das  Jahr  37  v.  Ohr. 
(d.  i.  717  u.  c.)  fällt,  und  in  das  unmittelbar  vorhergehende  die 
siebente,  was  auch  ims  richtiger  zu  sein  scheint. 

Bei  der  dritten  Auflage  des  Ciceronischen  B  r  u  t  u  s  ist  gleich* 
falls  in  Bezug  auf  Kritik  und  Erklärung  vor  Allem  dem,  was  seit 
der  zweiten  Bearbeitung  über  diese  Schrift  irgend  wie  zu  Tage 


6U        CMeoK  und  lAtaiii.  fiMutfMelkr  tm  Htnpt  «i.  6a«pp«L 

getreten  war,  ein  erBprieslicher  Oebraneh  gemaoht  worden i  und 
rechnet  der  Herausgeber  dahin  insbesondere  die  Anagabe  YonKayser 
nnd  Fiderit,  und  anderweitige  Arbeiten  dieser  Gelehrten  Uber  Äeie 
Schrift,  dann  die  Bemerkungen  von  Bake,  Koch  nnd  Campe.  Aach  die 
fttnfte  Auflage  der  drei  Giceronischen  Beden  von  Halm  kann 
sich  mit  Becht  eine  vielfach  verbesserte  nennen,  indem  eben  so 
.wohl  in  den  jeder  Bede  vorgesetzten  Einleitungen,  wie  in  den 
deutschen  Anmerkungen  Manches  anders  nnd  schärfer  gefasst,  Ein- 
seines auch  berichtigt  oder  ergänzt  worden,  ohne  dass  der  ümiang 
des  Ganzen  dadurch  wesentlich  verändert  und  die  fiLr  die  Schule 
zunächst  bestimmte  Ausgabe  ihrem  Zwecke  entfremdet  worden  wftre, 
was  durchaus  nicht  der  Fall  ist.  Dass  für  die  Bede  für  Milo  die 
inzwischen  erschienenen  Ausgaben  von  Wagner  und  Bichter  nieht 
unbenutzt  blieben,  konnte  man  bei  der  Sorgfalt  und  Umsicht  des  Her- 
ausgebers erwarten.  Die  in  dieser  Bede  wie  in  den  beiden  andern 
aufgenommenen  Ooigecturen  sind  auf  einem  Schlussblatt  S.  158  zu 
bequemerer  üebersicht  zusammengestellt :  sonst  ist  im  Wesentlichen 
der  Text  gegeben,  der  in  der  grosseren  kritischen  (Züricher)  Aus- 
gabe des  Verfassers  vorliegt,  und  jedenfalls  derjenige  ist,  welcher 
nach  den  vorhandenen  Mitteln  der  Urschrift  nach  am  nächsten 
kommt. 

Dass  der  Text  derselben  erneuerten  (Züricher)  Ausgabe  des 
Oicero  auch  deijenige  ist,  an  welche  die  dritte  Berarbeitong  der 
Giceronischen  Schrift  De  natura  deorum  sich  im  Ganzen  an- 
schliesst,  wird  kein  Befremden  erregen.  Erstmals  im  Jahre  1850 
erschienen,  hat  sie  eines  nicht  geringen  Beifalls  sich  er&eut,  anf 
den  man  wohl  um  so  mehr  Werth  legen  kann,  als  es  sich  hier  ja 
nicht  um  eine  Schrift  handelt,  die  in  Schulen  gelesen  wird  —  wozu 
sie  nach  unserer  Ueberzeugung  sich  minder  eignet,  wie  denn  auch 
der  Herausgeber  selbst  schon  bei  der  ersten  Ausgabe  sich  dahin 
aussprach,  dass  diese  Schrift  auf  Gymnasien  nur  von  gereiften  Jüng- 
lingen gelesen  werden  dürfte  —  wohl  aber  in  diesem  OiceroniBchen 
Werk  eine  Schrift  vorliegt,  deren  Studium  einem  Jeden,  der  mit 
alter  Fhilosophie  und  Beligion  sich  beschäftigt  und  in  diese  eine 
richtige  Einsicht  gewinnen  will,  unerlässlich  ist,  zumal  dieselbe  uns 
jetzt  eine  ganze  untergegangene  Literatur  ersetzen  muss,  dadurch 
zu  einer  unserer  wichtigsten  Erkenntnissquellen  der  alten  Philo- 
sophie geworden  ist,  und  desshalb  nicht  hoch  genug  angeschlagen 
werden  kann. 

(Schluss  folgt.) 


It.  36.  HEIDELBEBGER  1865. 

JABRBÜCHER  DER  UTERATÜR. 


Grieclilsche  und  lateimsclie  Scliriftsteller  toh  Haupt 
und  Sanppe. 

(SohlvBS.) 

Man  ist  freilich  gewohnt,  die  Missachtimg  des  Cicero ,  in  der 
sich  die  neueste  Zeit  gefällt ,  auch  auf  seine  philosophische  Schrif- 
ten ausgedehnt  zu  sehen:  wir  freuen  uns,  solcher  Auffassung  das 
ürtheil  eines  Veteranen  unserer  Literatur,  wie  der  Herausgeber 
dieser  Schrift  es  ist,  entgegen  halten  zu  können,  zumal  dasselbe 
in  der  neuesten  dritten  Ausgabe  noch  verstärkt  und  erweitert 
worden  ist.  £r  überschätzt  den  Werth  der  philosophischen  Schrif- 
ten des  Cicero  keineswegs,  er  erkennt  ihre  Mängel  und  die  man- 
cherlei Missverständnisse  an,  auf  welche  wir  hier  und  dort,  auch  in 
der  Schrift  De  natura  deorum  stossen,  und  hat  in  seinen  Anmerkun- 
gen selbst  darauf  hingewiesen  (wir  erinnern  z.  B.  an  die  Bemerkung 
ZUI9I9  S.  87,  wornach  Cicero  selbst  nicht  recht  verstanden,  was  er 
schrieb),  aber  er  will  nur  den  richtigen  Maassstab  an  diese  Schrifb- 
ten  gelegt  wissen,  nach  dem,  was  Cicero  selbst  beabsichtigte  und  nach 
der  Art  und  Weise,  wie  er  arbeitete.  Indessen,  so  schliesst  der 
Verf.  seine  Erörterung  S.  23,  »dergleichen  Mängel  dürfen  uns  nicht 
hindern,  Cicero*s  Verdienste  auch  als  philosophischen  Schriftsteller*s 
dankbar  anzuerkennen.  Er  vor  Allen  hat  die  lateinische  Sprache 
zur  Behandlung  philosophischer  Gegenstände  ausgebildet:  er  hat 
mehr  als  Andere  die  Beschäftigung  mit  der  Philosophie  unter  sei- 
nen Landsleuten  befördert  und  erleichtert:  ihm  endlich  verdanken 
wir  die  Eenntniss  vieler  Partien  der  antiken  Philosophie,  die  uns 
ohne  ihn  gänzlich  unbekannt  sein  würden  und  so  geringschätzig 
auch  Dieser  oder  Jener  heutzutage  über  Cicero's  philosophische 
Schriften  zu  urtheilen  sich  beeifert,  ihre  bedeutende  und  für  die 
Geschichte  der  Philosophie  einflussreiche  Wirksamkeit  wird  sich 
doch  nicht  in  Abrede  stellen  lassen.« 

Weil  demnach  die  Leetüre  dieser  Schrift  über  den  engeren 
Kreis  der  Schule  reicht,  und  der  Inhalt  insbesondere  es  ist,  der 
uns  zu  derselben  führt,  so  hatte  der  Herausgeber  gewiss  Becht,  in 
seinen  Anmerkungen  vorzugsweise  die  sachliche  Erklärung  ins  Auge 
zu  fassen,  weniger  in  grammatische  oder  sprachliche  Erörterungen 
sich  einzulassen,  als  vielmehr  den  richtigen  Sinn  der  einzelnen 
schwierigeren  SteUen  anzugeben  und  hier  insbesondere  die  philoso- 
phischen, von  Cicero  vorgetragenen  Lehren,  unter  Hinweis  auf  die 
LVm.  Jahrg.  7.  Heft  85 


IM         Orieelu  und  Uteiik  Sokriftiteller  tob  Haupt  m  6»nppd. 

griechische  Quelle,  in's  Licht  za  setzen.  Das  letztere  ist  nament- 
lich auch  in  der  jedem  der  drei  Bücher  Yorgeaetsten  Angabe  des 
Inhalts  geschehen,  auf  die  Weise,  dass  an  die  genaos  Angabe  des 
Inhalts  sich  eine  weitere  Betrachtang  über  denselben  und  über  die 
Qnellen  desselben  im  Aligemeinen  knüpft,  da  Cicero  auch  in  dieser 
Schrift  wie  in  andern  sich  vorzugsweise  an  diese  griechischen 
Quellea  hält,  so  dass ,  wie  es  S.  23  der  Einleitung  heisst ,  seine 
philosophischen  Schriften  in  der  Tbat  wenig  anders  sind  als  Ueber- 
setzungen  oder  Auszüge  aus  griechischen  Vorgängern,  woraus  sich 
eben  manche  Missverständnisse,  auf  die  wir  hier  und  dort  stossen, 
und  selbst  einzelne  Spuren  Ton  Flüchtigkeit  sattsam  erklären. 
Eben  darum  glaubte  der  Herausgeber  diesem  Gegenstande,  und  mit 
vollem  Recht,  alle  Anfhierksamkeit  zuwenden  zu  müssen;  auch  die 
Torliegende  dritte  Auflage  zeigt  diess,  insofern  z.  B.  die  Einleitung 
zum  ersten  Buche  auf  fast  zehn  Seiten  statt  der  früheren  sieben 
angewachsen  ist,  eine  fast  gleiche  Erweiterung  zeigt  die  Einleitung 
au  Buch  n  wie  au  Buch  m.  und  so  wird  man  durchgehende  in 
der  neuen  dritten  Auflage  einzelne  Zusätze  und  Erweiterungen  neben 
manchen  Aenderungen  und  selbst  Weglassungen  angebracht  finden, 
so  dass  die  Seitenzahl  des  Ganzen,  die  in  der  ersten  Auflage  235 
betrag,  jetzt  auf  268  gestiegen  ist,  und  zwar  mit  Einschluss  des 
Anhangs  und  Registers  (S.  252^ — 268),  was  beides  früher  fehlte. 
Wenn  z.  B.  bei  I,  2  zu  der  Erklärung  des  Wortes  religio ,  jetzt 
noch  die  von  Cicero  selbst  De  Inyent.  IT,  53  gegebene  Erklärung 
hinzugekommen  ist,  ebenso  wie  in  der  Anmerkung  zu  11,  28  über 
die  Ableitung  Ton  religare,  die  der  Verf.  mit  Grund  festhält, 
zumal  wenn  man  neben  1  i  g  a  r  e  noch  eine  ältere  Form  1  i  g  e  r  e  an- 
nimmt, so  wird  man  diess  nur  billigen  können.  In  der  Stelle  I,  8 
(ünde  vero  ortae  illae  quinque  formae  —  apte  cadentes  ad  animum 
afficiendum  pariendosque  sensus?)  bleibt  der  Herausgeber  bei 
dem  schon  früher  von  ihm  gesetzten  afficiendum,  was  auch 
Baiter  jetzt  aufgenommen  und  Kühner  in  seiner  deutschen  üeber- 
setzung  befolgt,  gegen  die  handschriftliche  Lesart  efficiendum, 
welche  verworfen  wird,  indem  es  sich  hier  um  Darstellung  der 
Platonischen  Lehre  handele,  womach  die  verschiedenen  Mischungen 
der  Elemente  geeignet  seien,  die  Sinnesorgane  und  mittelst  dieser 
die  Seele  zu  afßciren  und  Empflndungen  (denn  dies  sollen  sen- 
sus hier  sein)  dadurch  hervorzubringen.  Wir  haben  poch  immer 
einiges  Bedenken,  indem  gerade  die  Anwendung  des  pariendos 
im  Folgenden  eher  ein  efficiendum  als  afficiendum 
erwarten  liess,  und  am  Ende  sich  es  noch  fragen  lässt,  ob  der 
Epikureer,  der  in  seiner  übersichtlichen  Darstellung  der  verschie- 
deaen  Lehren  griechischer  Philosophie  sich  so  manchen  Missgriff  zu 
dehalden  kommen  lässt,  nicht  auch  hier  ein  Aehnliches  gethan, 
und  dem  Plato  Etwas  Anderes  zugelegt,  als  das,  was  Plato  wirk- 
lich lehriie.  Dagegen  in  der  gleich  darauf  folgenden  Stelle  wird 
>Sed  illa  palmaris«  beibehalten,  was  Lesart  der  Handschriften 


Oriedu  uad  ktdik  BchrlftsleUer  v<m  Haupt  m  Banppe.         9i^ 

ist,  md  dam  von  ABdem  yefmatheten  palmaria  woU  i^^onr»- 
zkhen  ist.  Eben  so  ist  eap.  9  in  den  Worten:  »spatio  tamett 
qnalis  ea  fuerit,  intelligi  non  potest,  qnod  ne  in  oogitationem 
quidem  cadit  etc.«  die  Partikel  nan,  die  hier  nothwendig,  bei- 
behalten, ungeachtet  sie  in  den  Handschriften  vermisst  wird.  In 
der  vielbesprochenen  Stelle  oap*  10:  »Atque  faaec  qnidem  restra 
Lueili:  qnalia  vero  [cetera]  sint,  ab  nltimo  repetam  superiorom« 
ist  der  Verfasser  dieser  schon  in  der  ersten  Ausgabe  Yon  ihm  ge- 
gebenen Lesart  aneh  jetzt  noeh  treu  geblieben:  wir  würden  jetzt 
statt  cetera,  was  in  keiner  Handschrift  steht,  Torzieben  alia, 
was  bei  Baiter  aus  zwei  freilich  jüngeren  Handschrifteit,  derLeid- 
ner  und  Brianger,  aufgenommen  ist,  Aueh  in  der  8telle  11,  41. 
§.  104:  »quarum  (stellarum)  ita  descripta  distinctio  est,  ut  ex 
not  ata  figurarum  similitudine  nomen  invenerint«  hat  der  Ver- 
&S8er  das  von  ihm  früher  aufgenommene  not  ata  beibehalten  und 
jetzt  aoek  näher  vertkeidigt,  iasofom  not  ata  so  tiel  bedeuten 
sqQ  als  asimadversa  et  consignata.  Wird  aber  diese  Aefl- 
denmg  notkwendig  erscheinen,  wenn  wür  an  die  kandsehriftlielte 
Lesart  iiatarum  uns  halten  und  ex  notarum  figurarum  si^ 
Militudine  mit  Klotz  erklären  in  dem  Sinn  ron  propter  si* 
Militudinem  eum  notis  figurist  Wir  wollen  diese  Naeb* 
lese,  zu  der  noch  manche  andere  Stellen  Gelegenheit  bieten 
tonnen,  nicht  weiter  fortsetzen,  und  kdnnen  nooh  weniger  uns  ein*- 
lassen  auf  Anführung  aller  der  im  Einzelnen  gemachten  zwecfc- 
m&ssigen  Zusätze  oder  Aenderungen,  indem  uns  der  Raum  abgeM, 
das  Alles  anzuführen ,  was  fast  auf  jeder  Seite  wahrnehmbar  Ist. 
Nur  an  den  Anhang  möchten  wir  noch  erinnern,  in  welchem  eine  Beihe 
Ton  Stellen,  die  in  kritischer  wie  exegetischer  Hineieht  Schwierig«- 
ketten  enthalten,  näher  und  zum  Theil  auslQhrlicher  beeprochen 
wird.  ^ 

In  der  vierten  Auflage  der  Annalen  des  Taeitus  wird 
man  eben  so  wenig  im  Einzelnen  die  Sorgfalt  des  Herausgel^ers 
rermissen,  als  selbst  einzelne  in  der  Einleitung  wie  in  den 
Anmerkungen  gemachte  Zusätze,  zu  welchen  letztem  wir  insbe- 
sondere die  Hinzu^gung  von  Beleg-  und  Parallelstellen  aus  Ta- 
eitus, wie  aus  andern  Schriftstellern,  bei  grammatischen  oder 
spraohHchen  Bemerkungen  (wiB  b.  B.  über  den  Gebrauch  Tun  apud 
I,  6)  oder  die  über  yorkommende  Personen  gegebenen  Nachweise 
aas  den  noch  vorhandenen  Denkmalen  (z.  B.  über  die  Livta  zu 
I,  8)  rechnen;  wir  unterlassen  weitere  Anführungen,  die  Jeder 
leidit  bei  einer  auch  nur  oberflächlichen  Einsichtsnahme  maehen 
kann,  und  bemerken  nur,  wie  diese  vierte  Auflage  ebenfalls  eine  Er- 
weiterung zeigt,  indem  die  Seitenzahl,  die  in  der  eweiten  Auflage 
sich  noch  auf  888  belief,  jetzt  zu  370  gestiegen  ist,  ohne  die  be^ 
sonders  paginirte  Einleitung,  die  ebenfeUs  um  einigt»  Seiten  zug^ 
nommen  hat.  Und  so  ist  allerdings  die  Brauchbarkeit  der  neuen 
Auflage  erhöht  werden:    hoffen  wir,   dass  es   auch  ihr  nicht   au 


6Aft  fiomar'ft  Odywite  von  Amels,  ft.  AdL 

LeBom  fehlen  werde,  die  zu  einem  gründlichen  Studium  des  Ta- 
citus  und  zu  einer  richtigen  Erkenntniss  seiner  Werke  eingeführt 
werden  wollen. 


Homer* B  Ody$$ee.  Für  den  Sckulgeöraueh  erklärt  van  Dr.  Karl 
Friedrich  Ameie,  ProfenorundFroreeUn'amOymnctmum 
gu  Mühihaueen  in  Thüringen.  Ereter  Band.  Eretee  HefL 
Oeeang  1 — YL  Dritte  vieLfaeh  berichtigte  Auflage.  Leipaig. 
Druck  und  Verlag  v<m  B.  Q.  Tetdmer  1866.  XXJV  u.  176  8. 
gr.  8. 

Anhang  bu  Homer*  b  Odyssee,  Schulausgabe  von  K.  F.  Am  eis, 
I.  Heft  ErlcnUerungen  su  Gesang  J — Vi.  Leipzig  u.s.v>.  1866. 
73  8.  gr.  8. 

Kaum  war  im  yerflossenen  Jahre  die  zweite  Auflage i  Ton 
welcher  wie  früher  yon  der  ersten  ein  eingehender  Bericht  in  die« 
sen  Blättern  (Jahrg.  1861.  S.  824  ff.  1862.  S.  661  ff.  1863.  B.  145  ff. 
1864.  S.  50)  erstattet  worden  ist,  Tollendet,  so  tritt  schon  in  die- 
sem Jahre  wieder  eine  neue  Auflage  uns  entgegen,  die  in 
gleicher  Weise,  wie  die  zunächst  vorausgegangene  zweite,  in  Allem 
die  rastlos  und  unermttdet  an  dem  Werke  nachbessernde  Hand  des 
Herausgebers  erkennen  lässt,  der  seine  wohlgelungene  und  aner- 
kannte Leistung  immer  mehr  zu  vervollkommnen  und  ihrem  Zwecke 
entsprechender  zu  gestalten  bemüht  ist.  »In  der  dritten  Auflage, 
sagt  der  Herausgeber,  ist  wieder  vieles  geändert  tmd  hoffentlich 
verbessert.  Die  wesentlichste  Aenderung  betrifft  den  Anhang,  der 
jetzt  vom  Schulcommentar  getrennt  worden  ist.  Diess  konnte  um 
so  leichter  geschehen,  da  der  Inhalt  desselben  gleich  an&ngs  über 
den  Gesichtskreis  der  Jugend  hinausging.  Bei  der  vorgenommenen 
Einrichtung  nun  war  es  möglich,  vieles  zu  erweitem,  anderes  ge- 
nauer zu  begründen,  manches  neue  hinzuzufügen,  je  nachdem  diess 
in  den  einzelnen  Fällen  bei  der  gegenwärtigen  Lebhaftigkeit  der 
verschiedensten  homerischen  Forschungen  rathsam  und  zweckmässig 
schien.  Daraus  sind  einige,  wie  ich  hoffe,  nicht  verächtliche  Bei- 
träge zu  einem  gründlichen  Verständniss  der  homerischen  Lieder 
hervorgegangen.  Wenigstens  bin  ich*  nach  Kräften  bemüht  gewesen, 
sicheres  übersichtlich  zusammenzustellen,  schwankendes  möglichst  zu 
befestigen,  streitiges  einer  Entscheidung  näher  zu  bringen.  € 

Was  der  Verfasser  hier  ausgesprochen  hat,  wird  Jeder,  der 
einen  näheren  Blick  in  diese  neue  Auflage  geworfen,  bestätigen 
können.  Wenn  in  den  unter  dem  Texte  befindlichen,  zunächst  für 
den  Schüler  und  den  Gebrauch  in  der  Schule  bestimmten  Anmer- 
kungen mehrfach  nachgebessert,  im  Ausdruck  Einzelnes  schärfer 
gefust.  Einzelnes  auch  in  der  Kürze  hinzugefügt,  Anderes  in 
den  Anhang  verwiesen  worden  ist,  so  hat  doch  dadurch  der  Charak- 
ter des  Giuizeni  wie  es  nun  einmal  in  dieser  Fassung  sich  bewährt 


Hoiiier's  Odyaaee  tob  Anelt,  8.  Aufl.  549 

hat,  keine  Aendernng  oder ümgestaltang  erlitten:  wohl  aber  kann 
diese  y  wie  auch  in  der  eben  mitgetheilten  Stelle  ansgesprochen 
worden  ist,  von  dem  Anhang  gelten,  der  allerdings  eine  wesent- 
liche Aendernng  erfahren  hat  und  von  circa  38  Seiten,  die  er  in 
der  zweiten  Anflage  einnahm,  jetzt  anf  72  Seiten  gestiegen  ist. 
Dieser  Anhang,  welcher  in  den  beiden  frtlhem  Auflagen  den  Schlass 
eines  jeden  sechs  Oesftnge  umfassenden  Heftes  bildete,  nnd,  nicht 
sowohl  für  den  Schüler,  als  vielmehr  ftlr  den  Lehrer,  welcher  diese 
Ausgabe  gebraucht,  bestimmt,  Bemerkungen  des  Herausgebers  Aber 
einzelne  von  ihm  aufgenommene  oder  abgewiesene  Lesarten,  Er- 
örterungen über  einzelne  bestrittene  Stellen  oder  Ausdrücke,  nament- 
lich in  sprachlicher  Hinsicht  enthält  und  auf  diese  Weise  zugleich 
eine  Art  Ton  Rechenschaftsbericht  über  das  von  dem  Verfasser 
eingehaltene  kritisch-exegetische  Verfahren  bringt,  ist  jetzt  Ton 
der  Ausgabe  selbst  getrennt,  zu  einem  eigenen,  dieser  Ausgabe  bei- 
gegebenen, sonst  aber  selbständigen,  auch  besonders  ausgegebenen 
Hefte  erwachsen,  wie  solches  oben  aufgeführt  worden  ist.  Hier  sind 
nnn  nicht  blos  einzelne  Zusätze  zu  den  früheren  Bemerkungen  hin- 
zugekommen, hier  und  dort  Aenderungen  in  der  Fassung  der 
Erklärung  gemacht,  auch  Alles  berücksichtigt  was  seit  dem  Er- 
scheinen  der  letzten  Auflage  über  solche  Stellen  und  deren  Er- 
klärung Yon  andern  Gelehrten  irgendwie  bemerkt  worden,  sondern 
es  sind  auch  zahlreiche  neue  Erörterungen  über  einzelne  Verse,  Worte, 
Ausdrücke  u.  dgl.,  selbst  in  sachlichen  Gegenständen,  aufgenom« 
men  worden,  um  das  m  der  für  die  Schule  bestimmten  Ausgabe 
eingehaltene  Verfahren  und  die  darin  gegebenen  meist  kurzen  Er- 
klärungen weiter  zu  begründen  oder  zu  rechtfertigen  und  damit 
überhaupt  die  richtige  Auffassung  und  Erklärung  der  homerischen 
Gedichte  zu  fördern:  daher  auch  die  namhafte  Erweiterung  dieses 
früheren  Anhangs  zu  einem  fast  doppelt  so  grossen  umfang.  Es 
würde  uns  zu  weit  führen,  Alles  im  Einzelnen  anzuführen,  was  in 
dieser  Umgestaltung  oder  Erweiterung  des  Anhangs  hinzugekommen, 
oder  geändert  worden  ist ;  es  »wird  für  Alle,  welche  das  erneuerte 
Buch  einer  näheren  Einsicht  würdigen  wollen,  sehr  leicht  erkenn- 
bar seine  können  wir  wohl  mit.  dem  Verfasser  ausrufen  (S.  XXlll.) ; 
um  jedoch  nicht  ganz  leer  auszugehen  und  unsere  Behauptung 
wenigstens  einigermassen  zu  belegen,  wollen  wir  nur  auf 
Einiges  der  Art  hinweisen,  was  in  den  Bemerkungen  zum  ersten 
Gesang  hinzugekommen  ist.  Gleich  zu  den  ersten  Versen  finden 
sich  neue  Bemerkungen  über  noXvtQOTCog  wie  Insgösv^  namentlich 
auch  zum  dritten  Vers  noXXmv  d'avd'Qcinan/  tdsv  aörsa  xal  voov 
iyvw) ;  in  der  Ausgabe  selbst  ist  die  frühere  Bemerkung  zu  noXlSv 
Av^gmtmv  atfxBa  (»nemlich  bei  nichtgriechischen  Völkerschafben, 
die  fem  von  einander  entlegen  und  in  Sitten  unter  einander  ver- 
schieden sind«)  jetzt,  was  wir  vollkommen  billigen,  ganz  weg- 
gefallen und  kurch  eine  kürzere  Erklärung  {^noXlAv  bis  amsa 
führt    den   Relativsatz    weiter    aus.     Sinn:    er    ist   weit   herum- 


HO  Homers  OdyBae»  v^n  AaiAia,  8.  Avfl. 

gdsomoaen«)  ergetzt  irordeiu  Yers  8  ist  die  schon  früher  gegebene 
Srkl&rong  über  ^TstsQÜnf  ganz  beibehalten  worden:  es  kg  wohl 
awsh  kacuoa  ein  Grand  einer  Aenderung  vor:  desgleichen  Ys.  10 
zal  ^(UVj  aU  Lesart  des  Aristarchos  für  das  gewöhnliche  wAri^/lv, 
Biae  neue  Bemerkung  ist  zu  Ye.  11  über  die  Bedeweise  ivd*'  aklot 
fliv  ixavz^s  hinzagekonunen ,  eben  so  zu  Ys.  44  über  die  y2MV^ 
nfÜTtig  ^^dTjvi^y  zu  Ys.  50  über  od'v  xs  zunächst  über  die  Bedeu- 
tung von  %£  in  dieser  und  in  ähnlichen  Yerbindungen,  zu  Ys.  64, 
über  dessen  Wiederholung  un  Ganzen,  wie  zum  Theil,  zu  Ys.  83 
über  9olvg)QOvay  was  wohl  mit  Recht  beibehalten  worden  statt 
d^dqi^Qva.  Eine  ausführliche  Erörterung  ist  Ys.  92  über  alXixoäag 
S^4!?üK£  ßovg  gegeben,  und  in  dieselbe  auch  die  früher  in  die  An- 
merkungen anfgenommene  Erklärung  des  ApoUonius  eingebracht 
worden.  Erweitert  ist  die  Bemerkung  über  die  substantivirten 
Feminina  der  Adjective  zu  Ys.  97;  neu  die  über  iXxa  und  hxC 
oder  vielmehr  die  darüber  gegebenen  Naoh Weisungen  zu  Ys.  130; 
Zusätze  ähnlicher  Art  sind  zu  Ys.  149.  151.  152  (über  ya^  xs) 
gegeben,  üeber  ^  und  17  ist  zu  der  kürzeren  Bemerkung  in  den 
Anmerkungen  (zu  Ys.  175)  jetzt  in  diesem  Anhang  eine  nähere 
Erörterung  über  den  Gebrauch  gegeben.  Ys.  199,  den  Bekker 
athetirt  hatte,  wird  gut  vertheidigt.  Ys.  225  hat  der  Yerf.  jetzt 
in  den  Text  angenommen:  xiq  daCq^  xig  dal  o^ukog  oS"  inksxo^ 
als  Lesart  des  Aristarchus,  statt  xig  dh  Ofiü/yg^  was  in  der  zwei- 
ten Auflage  noeh  beibehalten  war:  in  einer  ausfUfarlicheren  Er- 
örterung wird  nun  dai  (was  denn)  statt  des  einfach  anknüpfen- 
den 9^  (und  was)  zu  rechtfertigen  gesucht,  und  die  Aufnahme  von 
8cU  auch  an  zwei  andern  Stellen  (ei  299  und  x  408)  verlangt. 
Zur  sachlichen  Erklärung  dienen  die  Yerweisungen  über  die  a^^nai 
Ys.  241,  die  Zusätze  über  Dulichion  zu  Ys.  246,  die  Bemerkung 
über  Ephyra,  unter  welchem  das  Eleische  verstanden  wird,  bu 
Ys.  259,  die  Zusätze  über  die  sdva  zu  Ys.  277.  Zu  dem  seltsamen 
vr^awa  Ys.  297  (vfjTCidag  6%iBLv)  ist  jetzt  eine  von  dem  Sohn  des 
Herausgebers  (Theodor  Ameis)  stammende  Bemerkung  hinzuge- 
k<Mnmen,  zu  Ys.  324  über  den  Gebrauch  von  l(s6^£og^  zu  Ys.  848 
über  den  Gebrauch  von  fiafivtjfidvos  \  über  Sinn  und  Bedeutung 
der  in  der  Anmerkung  kurz  erklärten  ^iyoQa  fSMOBvxa  Ys.  865 
wird  eben  so  eine  nähere  Erörterung  gegeben,  desgleichen  Ys.  881 
über  oda|;  zu  Ys«  394  wird  die  gewöhnliche  Lesart  («2^  xi  oC 
ä&  oatpvaihv  iti^etai  x.  r.  l.)  beibehalten  und  die  Gonjectur  Sm^a 
(für  ol  Sa)  zurückgewiesen ,  eben  so  zu  Ys.  426  eine  gute  Be- 
merkuilg  über  die  Lage  des  Pallastee  des  Odysseus  gegeb^.  Wir 
könnten  diese  Angaben  noch  weiter  fortsetzen  auch  über  die  andern 
fünf  Gesänge,  welche  in  diesem  ersten  Hefte  behandelt  sind,  wenn 
wir  glauben  könnt^i,  dase  diess  nothwendig  wäre,  um  zu  zeigen, 
in  welcher  Weise  der  Yerfasser  gleichmässig  auch  in  den  übrigen 
Theüen  verfahren  ist,  da  Jeder  davon  sich  leicht  überzeugen  kann. 
Keine  der  zahlreichen  Monographien,  meist  Programme,  in  welchen 


Homer^t  OtfysBee  von  AmelB,  8.  Aiifl«  561 

einzelne  auf  Homer,  homerische  Sprache  nnd  Anschammgen  he« 
zngMche  Gegenetftnde  verhandelt  worden  sind,  ist  dem  Verfasset 
nnbekannt  geblieben  und  aller  Orten  ist  von  dem,  was  sie  Air  diese 
Bearbeitung  Nützliches  bringen,  entsprechender  Oebranch  gemacht 
worden.  Anch  davon  wird  man  sieh  bei  näherer  Einsichtsnahmö 
bald  tlberzengen  kOnnen.  Wir  wollen  daher  nicht  weiter  in  die- 
sen Gegenstand  nns  einlassen  nnd  nnr  noch  eines  Ponktes  gedenken, 
dessen  der  Yerfiässer  selbst  in  dem  Vorwort  der  neuen  Ausgabe 
erwähnt  hat,  wir  meinen  die  homerische  Frage  ttbeihaupt,  insbe- 
sondere die  Frage  nach  der  Odyssee,  ihrer  Entstehung  und  Ab- 
&9snng,  ein  bekanntlich  in  neuerer  und  neuester  Zeit  so  vielfach 
besprochener  und  bestrittener  Gegenstand,  worüber  sich  der  Y&t*' 
fasser  folgendermassen  auslässt:  »Da  diese  Frage  in  ihren  Ziel- 
punkten über  das  Gebiet  der  Gymnasien  hinausgreifk,  so  ist  sie 
in  vorliegender  Ausgabe  nicht  eingehend  behandelt,  sondern  nur 
an  einzelnen  charakteristischen  Stellen  berücksichtigt  worden. 
Manche  haben  freilich  diese  Frage  gleichsam  als  Grundfrage  be- 
trachtet, von  der  auch  die  Schulerklärung  des  Dichters  ausgehen 
müsse.  Aber  ein  solches  Verfahren  gilt  mir  theils  als  voreilig, 
theils  als  unpädagogisch.  Denn  man  kann  die  homerische  Burg 
nicht  eher  erobern,  als  bis  man  die  sprachlichen  Propyläen  er- 
stiegen hat.  Hierin  liegt  für's  Gymnasium  bei  der  Leetüre  Homer*s 
die  pädagogische  Propädeutik.  Daher  halte  ich  es  mit  Nägels- 
bach Gymnasialpädagogik,  herausgegeben  von  Autenrieth  8.  145. 
Und  dabei  gestehe  ich  ganz  offen,  dass  mich  die  Verhandlungen 
der  Lachmannianer  nicht  selten  entzückt  und  vielfach  gefördert, 
aber  von  ihrer  inneren  Wahrheit  in  Hinsicht  auf  Grundlage  und 
Ausführung  noch  nicht  überzeugt  haben«  (S.  XXIII).  Man  wird 
dieser  Ansicht  eines  erfahrenen  Schulmannes  ihre  Geltung  nicht 
bestreiten  können:  so  wenig  gesichert  die  von  der  Kritik  oder 
Hyperkritik  unserer  Tage  über  die  Entstehung  und  Bildung  der 
Odyssee  aufgestellten  Behauptungen  sind,  so  sicher  dürfte  es  auf 
der  andern  Seite  anzusehen  sein,  dass  Nichts  dem  Schüler  den 
Genuss  der  homerischen  Gedichte  mehr  verkümmern,  und  Lust  und 
Liebe  zu  deren  Studium  entziehen  wird,  als  das  Hereinziehen  einer 
solchen  Kritik  in  die  Behandlung  der  homerischen  Gedichte,  und 
können  wir  daher  es  nur  vollkommen  billigen,  dass  der  Verfasser 
in  seinen  Anmerkungen  Alles  darauf  bezügliche  fern  gehalten  hat 
—  denn  die  Erwähnung  einzelner,  eingeschobener  oder  verdächti- 
ger Verse,  die  mit  der  Erklärung  und  richtigen  Auffassung  zu- 
sammenhängt, kann  dahin  nicht  gerechnet  werden,  zumal  Niemand 
daran  denkt,  das  spätere  Einschieben  einzelner  Verse  in  die  home* 
rischen  Gedichte  in  Abrede  stellen  zu  wollen  — ,  er  hat  vielmehr 
alles  Augenmerk  auf  die  sprachlich-grammatische  Erklärung  neben 
der  nöthigen  sachlichen  gerichtet,  und  ist  in  diese  Erörterungen 
über  die  angebliche  Bildung  einzelner  Gesänge,  über  die  Zusam» 
menwürfelung   derselben  zu    dem    vorhandenen    (Ganzen  nirgends 


552  Tanbert:  Paul  Schede. 

eingegangen.  Der  SohtQer  und  Leser,  welcher  die  Odyssee  mit 
diesem  Commentar  durchgangen  und  so  das  Einzelne  richtig  er^ 
fasst  hat,  wird  sich  dann  selbst  weit  eher  ein  ürtheil  zu  bilden 
vermögen  über  diese  Frage,  als  wenn  sie  ihm  von  vorneherein, 
noch  ehe  er  das  Ganze  richtig  erkannt  hat,  aofgediUngt  wird.  Ob 
indessen  es  nicht  räthlich  wäre,  bei  einer  erneuerten  Auflage  eine 
kurze  Einleitung  vorauszuschicken,  in  welcher,  ohne  Eingehen  auf 
diese  Fragen  der  höheren  Kritik,  das  Ganze  als  Gedicht  nach  sei- 
nen einzelnen  Theilen  zergliedert,  dem  Schüler  vorgeführt  und  so 
Derselbe  auf  entsprechende  Weise  in  die  Leetüre  des  Gedichts  ein- 
geführt würde,  wollen  wir  der  Erwägung  des  Verfassers  anheim- 
geben, Chr.  B&hr. 


Dn  Otto  Taubert^  Paul  Schede  (Mdisnis).  Leben  und  Schraten, 
Torgau.  Friedr.  Jacobs  Buchhandlung.  1864.  18  8.   4, 

Der  Verf.  legt  uns  hier  eine  Bearbeitung  seiner  Promotions- 
schrift de  vita  et  scriptis  Pauli  Schedii  Melissi  vom  Jahre  1859 
vor.  Dankenswerthe  bio-  und  bibliographische  Notizen,  welche 
seine  Erstlingsschrifb  uns  bot,  sind  hier  weiter  ausgeführt,  die 
Verdienste  des  Dichters  nach  Gebühr  gewürdigt.  Zu  einer  völlig 
erschöpfenden  Darstellung  aber  hat  dem  Verf.  ein  Zeitraum  von 
5  Jahren  nicht  genügt.  Auffallend  wenig  weiss  er  über  die  letzten 
Lebensjahre  des  Dichters  zu  berichten.  Und  doch  geben  gerade 
hierüber  nicht  beachtete  lateinische  Gedichte,  welche  in  den  Jahren 
1590—1601  Paulus  Melissus  mit  dem  Schlesier  Mel.  Laubanus  und 
beider  Gemahlinnen  unter  einander  wechselten  (gedruckt  in  M. 
Laubani  musa  lyrica,  Dantisci  Boruss.  1607),  interessante  Auf* 
Schlüsse.  Minder  werthvoU,  aber  belehrend  über  die  Beziehungen 
zu  den  Gelehrten  Marquard  Freher  und  Hans  Lewenklav,  welche 
dem  Verf.  unbekannt  geblieben,  sind  mehrere  an  dieselben  gerich- 
tete Gedichte  in  antiquen  Metren  (gedruckt  bei  Jo.  Leunclavins. 
Dionis  Cassii  histor.  Eom.  libri  46.  Freft.  1592.  p.  1  u.  2  und 
paratitlonim  libri  tres  antiqui  ibid.  1593.  p.  14.  —  M.  Freher 
rerum  germanic.  scriptores  I  und  origines  palatinae  im  Eingange). 
Auch  eines  schwungvollen  Gedichtes  an  Kaiser  Budolf  sei  hier  ge- 
dacht (gedruckt  bei  Jo.  Leunclavius  juris  Graeco-Bom.  tom.  duo 
Frcft  1596).  Keine  Ausbeute  gewährt  ein  Gedicht  des  poeta  lau- 
reatus  M.  Gothus  Secundus  Cheruscus  de  obitu  P.  Melissi  Schedii 
in  der  Pphandschr.  nr.  1912  der  Heidelb.  Universitätsbibliothek. 
Es  rechtfertigt  unter  Anderem  die  Enthaltsamkeit  unseres  Dichters, 
welcher  ja  den  sonderbaren,  von  Fi  schart  verspotteten  Poetenein- 
fiall  hatte,  in  seinem  geliebten  Myrtilletnm  —  denn  so  latinisirt 
er  Heidelberg  (cfr.  P.  Melissi  Commentatiuncula  de  etymo  Heidel- 
bergae  et  monte  Myrtillifero  v.  Jahr  1598,  welche  Freher  als  cap.  9 


liobeek'a  Akftdamiftelie  Reden,  tob  Lebierdl  56S 

in  seine  oiigines  palatinae  auftialim)  — -  mit  Posthine  einen  Mäseig- 
keitsverein  sn  gründen,  in  den  Versen: 

Non  haorientem  pocla  Tocayeris 
Beete  PoCtam.  rectins  oecnpat 
nomen  Po^tae,  qui  liqnore 
Pierio  sapienter  nti 
Mnsasque  callet  yisere  sobrins. 
Nicht  nnerwünscht  wäre  es,  wenn  der  Verf.  aach  die  nbrigen 
Heidelberger    Dichter    einer    eingehenden   Betrachtung    nnterzOge^ 
wobei  ihm  das  reiche  Material  der  hiesigen  Universitätsbibliothek 
sehr  zu  Statten  käme,  W. 


Äumoahl  am  Lobeek's  Akademischen  Bfderu  Heraua^egebm  von 
Albert  Lehnerdt,  Direetor  des  kömgl.  Oymmuiums  9U 
Thom.  Berlin.  Wtidmanvfsche  Buchhandlung.  1866.  YIU  u. 
230  8.  in  gr.  8. 

Lobeck's  gesammter  litei^rischer  Nachlass  ist  bekanntlich  nach 
dessen  Tod  in  der  königlichen  Bibliothek  zq  Königsberg  angestellt 
worden:  er  besteht,  wie  wir  ans  der  in  der  Einleitung  darttber 
gegebenen,  ans  einem  Programme  des  Jahres  1863  hier  wieder- 
holten Nachricht  ersehen,  aus  mehr  als  130  zum  Theil  sehr  starken 
Qnartbänden  und  zusammengeschnürten  Faskikeln,  was  allerdings 
einen  Begriff  zu  geben  vermag  von  der  unermüdlichen  Thätigkeit 
und  dem  Staunen  erregenden  Fleisse  eines  Gelehrten,  der  »solange 
er  war,  lebte  und  webte  im  olassischen  Alterthum«  (S.  31).  Es 
umfasst  aber  dieser  Nachlass  eben  so  wohl  die  verschiedenen  von 
Lobeck  angelegten  Collectaneen ,  in  Bezug  auf  grammatische  oder 
mythologisch-antiquarische  Oegenstände,  als  die  unvollendeten  Manii- 
scripte  der  Schematologie,  eben  so  Anderes  über  die  griechischen 
Adverbien  und  über  die  Composition  griechischer  Nomina  und 
Verba  u.  dgl.  m.  dann  die  Collegienhefte  und  die  akademischen 
Beden:  aus  den  letzten  ist  die  Auswahl  entnommen,  welche  hier 
im  Druck  vorliegt.  Der  Herausgeber  hat  dieselbe  eingeleitet  durch 
eine  die  akademische  Thätigkeit  Lobeck*s,  wie  sie  zunächst  in  die- 
sen Beden  sich  kund  gab,  darstellende  Erörterung  (S.  29—70), 
welche  alle  diese  Beden,  wie  sie  theils  in  lateinischer,  theils  in 
deutscher  Sprache  gehalten  worden  sind,  in  chronologischer  Beihen- 
folge  während  der  langen  akademischen  Wirksamkeit  des  Mannes, 
von  dem  Jahre  1814  an  bis  gegen  Ende  von  1856  verzeichnet, 
nnd  dann  über  Inhalt  und  Charakter  derselben  sich  weiter  ver- 
breitet. »Die  Oegenwart  im  Lichte  des  Alterthums  oder  das  Alter- 
thum im  Lichte  der  Gegenwart  zu  betrachten,  das  ist  im  Wesent- 
lichen Zweck  dieser  akademischen  Beden.  Bei  weitem  der  grosseste 
Theil  derselben  berührt  den  eigentlichen  Anlass  des  Festes  nur 
3[urz  und  geht  dann  auf  einen  demselben  näher  oder  femer  liegen- 


554  Ii6^«eV^  Ak«d«nfBelM  Reden,  von  Lehn  er  dl 

den  Gegenstand  Über.  Solche  AbBohweifnng  wird  entschuldigt 
mit  der  so  häufig  wiederkehrenden  Yerpflichtnng  zn  reden,  die 
nm  den  üeberdrass  zn  yerhttten,  nur  Abwechslang  nöthigte,  oder 
mit  dem  über  allen  Zweifel  erhobenen  Werth  der  zn  feiernden 
Person,  welche  eines  besondem  Lobes  nicht  bedürfe.  Einige 
Beden  schliessen  sich  wenigstens  in  so  fem  enger  an  die  Yer- 
anlassnng  des  Festes  an,  dass  sie  über  ähnliche  Festlichkeiten 
bei  den  Alten  sich  verbreiten,  n.  s.  w.«  (S.  48).  Diesen  Charakter 
der  Reden,  wie  er  in  vorstehenden  Worten  von  dem  Herausgeber 
ganz  richtig  gezeichnet  ist,  wird  man  anch  in  der  Auswahl,  welche 
hier  vorliegt,  überall  erkennen:  nnr  kurz  wird  am  Eingang  die 
festliche  Veranlassung  der  Rede  berührt,  und  dann  geht  der  Red- 
ner auf  irgend  einen  andern  Gegenstand  antiquarisch-historischer 
oder  literarischer  Art  über,  und  fallen  hier,  vom  Standpunkte  des 
Alterthums  aus  auch  manche  Streifen  auf  die  neueste  Zeit,  und  auf 
einzelne  Richtungen  derselben,  yn  politischer  wie  in  religiöser  Be- 
ziehung: es  fehlen  darin  selbst  nicht  Anspielungen  auf  manche 
politische  Ereignisse  der  unmittelbaren  Gegenwart;  indessen  sind 
es  doch  im  Ganzen  »weniger  die  äusseren  historischen  Ereignisse 
als  die  Erscheinungen  des  inneren  politischen,  religiösen  und  wissen- 
schaftlichen Lebens,  welche  das  Interesse  des  Redners  in  Anspruch 
nehmen«  und  von  ihm  in  irgend  eine  Beziehung  zum  Alterthum 
gebracht  werden«  Und  da  Lobeck  in  allen  diesen  Dingen  seinen 
festen  Standpunkt  eingenommen  hatte,  so  finden  wir  überall  seine 
persönlichen  üeberzeugungen,  in  Sympathien  wie  in  Antipathien, 
ausgesprochen,  und  erscheinen  so  seine  Reden  allerdings  als  »ein 
klarer  Spiegel  seines  Innern«  (S.  51).  Der  Herausgeber  lässt  als 
Beleg  seiner  Behauptung  einige  grössere  Auszüge  aus  LobecVs 
Habilitationsrede  und  einigen  andern  Reden  folgen,  die  das  nur 
bestätigen,  was  auch  aus  andern  bereits  gedruckten  und  von  Lobeck 
selbst  herausgegebenen  Schriften  ersichtlich  ist  und  den  fest  aus- 
geprägten Charakter  dieses  Mannes  zeichnet,  namentlich  auch  in 
seiner  Auffassung  der  Theologie,  die  eine  streng  rationalistische 
war,  wie  wir  sie  bei  dem  ihm  geistesverwandten,  aber  an  gründ- 
licher und  umfassender  Gelehrsamkeit  weit  nachstehenden  G.  J. 
Voss  antreffen,  mit  welchem  Lobeck  vielfach  in  Beziehungen  stand, 
die  auch  in  dem  früher  publicirten  Briefwechsel  hervortreten:  da- 
her anch  seine  Auflassung  der  religiösen  Anschauungen  des  Alter- 
thums, wie  sie  in  dem  Aglaophamus  eben  so  wie  bei  mehr  als  einer 
Gelegenheit  sich  kund  gibt,  nicht  befremden  kann. 

Die  von  S.  71  an  gegebene  Auswahl  aus  Lobeck's  akademi- 
schen Reden  enthält  vierzig  Nummern  vom  3.  August  1814  an 
bis  zu  dem  15.  Octob.  1855,  und  schliesst  somit  einen  Zeitraum 
von  ein  und  vierzig  Jahren  in  sich:  dazu  kommt  noch  S.  227 
die  Gedächtnissrede  auf  Herbart,  welche  zwar  bereits  abgedruckt 
ist  (in  ^er  Vorrede  zu  Herbart's  kleineren  Schriften  von  Harten- 
stein), aber  hier  nochmals  wiederholt  und  passend  an  den  Schluss 


L^bMVfl  Akadcmlaclie  Reden,  tob  L  ebb  et  dt.  ftB5 

der  ganzen  AnswaU  gofliellt  ist.  Ungeachtet  des  l&ngeren  Zett- 
lanuis,  in  weloben  diese  Beden  fallen,  wird  man  doch,  was  deren 
Charakter,  Fassung  nnd  Haltung  betrifft,  eine  gewisse  Gleiofafaeit 
erkennen,  die  auch  in  der  classisohen  Sprache  nnd  in  dem  ge* 
w&hlten  Ausdrack,  im  Deutschen  wie  im  Lateinischen  gleichmässig 
zu  erkennen  ist«  Wir  wollen  diess  nur  an  ein  paar  Beispielen,  die 
als  Belege  unserer  B^auptnng  dienen  sollen,  zeigen.  Wir  wählen 
dazu  ans  der  am  S.  August  1815,  also  nach  dem  letzten,  glüok- 
lichen  Ausgang  der  deutschen  Befreiungskriege  gehaltenen  Rede 
»üeber  den  Glauben  des  Alterthums  an  eine  über  den  Geschicken 
der  Volker  waltende  Nemesis« ,  die  folgende  Stelle.  Der  Redner, 
nachdem  er  den  Charakter  der  Oesehichtschreibung  der  ciassiechen 
Vorseit  hervorgehoben  und  den  zarten,  menschlich  frommen  Sinn, 
mit  welchem  sie  die  wunderähnlichen  Begebenheiten  ihrer  Tage, 
den  Wechsel  ihrer  Reiche,  den  Fall  ihrer  Throne  aoffassten,  f&hrt 
dann  (S.  84)  also  fort: 

»Umgeben  you  solchen  Bildern  der  Vergänglichkeit,  Ton  den 
Zeugen  der  Zerstörung  erhob  sich  das  Alterthum  zu  jener  grossen 
Ansicht  der  Weltbegebeuheiten,  die  unserem  im  engen  Spielraum 
alltäglicher  Erfahrung  befangenen  Eleinmuth  so  räthselhaft  erseheiutf 
zu  dem  Glauben  an  ein  imendliohes  Schicksal,  an  ein  Gericht, 
weiches  nicht  Einzelne  nach  Einzelnen  richtet,  das  die  Sttnden  der 
Väter  heimsucht  an  Kindern  und  Enkeln,  das  Völker  und  Jahr- 
hunderte in  seine  Schalen  legt  und  die  Gesammtheit  ihrer  Thaten 
abwägt.  Denn  jedes  Volk  ist  nach  dem  Glauben  des  Alterthums 
ein  ideales  (ranze,  eine  mystische  Einheit,  deren  Theile  wie  in 
einem  otganischen  Körper  sich  wechselseitig  bedingen  und  ver- 
treten. 

Die  Geschichte  der  Völker  ist  der  Spiegel  ihres  inneren  Lebens, 
die  Tugenden  und  Laster  der  Einzelnen  gehen  aus  dem  Geiste  der 
Gesammtheit  hervor.  Darum,  was  der  Einzelne  verbrach,  fällt  auf 
das  Ganze  zurück,  und  was  die  Mehrzahl  aussprach,  gilt  fUr  den 
einstimmigen  Beschluss  Aller.  Welchen  Einfluss  dieser  Glaube  auf 
das  Leben  und  Handeln  der  Besseren  gehabt,  welchen  kühnen 
Widerstand  gegen  jede  Entweihung  des  Volksnamens,  welche  Auf- 
opferungen für  das  allgemeine  Beste  er  hervorgebracht  habe,  kann 
hier  nicht  entwickelt  werden. 

Wie  tief  er  aber  in  den  Herzen  jener  Völker  gewurzelt ,  da- 
von zeugen  die  Bilder,  Sinnsprüche  und  Sagen,  in  denen  er  sich 
vielfach  ausprägt. 

unabwendbar  ist,  so  verkünden  sie  uns,  das  Gericht  der  ewi- 
gen Nemesis,  und  wird  es  an  dem  Verbrecher  nicht  vollzogen,  so 
rächt  es  sich  au  seinem  Geschlecbte,  es  ergreift  den  Schuldlosen 
mit  dem  Schuldigen,  es  verwickelt  Freunde  und  Nachbarn  in  sei- 
nen Fall,  und  wird  nicht  versöhnt,  bis  es  die  letzt»  Spur  des 
Frevels  getilgt  hat.  Welche  Vergleichungen  bietet  uns  in  diesem 
Augenblicke  ein  benachbartes  stammverwandtes  Volk  dar,  dessen 


566  Lo1>Mk*8  AkftdemlBclie  Reden,  yob  Lelmerdi 

letzte  Katastrophe  nur  als  ein  Ring  in  der  grossen  Kette  seiner 
Verimingen,  seiner  Meineide  nnd  Blntschnlden  erscheint,  ein  war- 
nendes Beispiel,  wie  der  einmal  ausgestreute  Same  des  Unheils  tief 
nnd  nnvertilgbar  in  dem  Boden  wurzelt  und  ein  Geschlecht  nach 
dem  andern  überwuchert. 

In  diesem  Geiste  feisste  Herodot  die  yerhftugnissyollen  Ereig^ 
nisse  der  gpriechischen  Vorzeit  auf  als  ein  grosses  Epos,  als  eine 
Reihe  zusammenhängender  Handlungen,  deren  eine  die  andere  vor- 
bereitet, bedingt,  bestraft  und  belohnt.  Und  diese  Ansicht  ist  es, 
die  der  ganzen  alterthümlichen  Geschichtsschreibung  den  eigen- 
thttmlichen  Charakter  einer  fast  dichterischen  Erhebung  giebt,  in- 
dem sie  die  Begebenheiten  nicht  bloss  durch  das  Gesetz  der  Zeit- 
folge, sondern  durch  eine  innere  Noth wendigkeit  mit  einander  ver- 
bunden betrachtet  und  sie  nicht  abgesondert  und  einzeln,  wie  sie 
sich  der  sinnlichen  Wahrnehmung  darbieten,  hervortreten  Iftsst, 
sondern  als  Bedingungen  und  Folgen  darstellt.  Sofort  erscheint 
ihr  nichts  mehr  als  zufä.llig;  oft  in  dem  Unbedeutenden,  in  dem 
überraschenden  Zusammentreffen  von  Tagen  und  Namen  erkennt 
sie  die  höhere  Leitung.  Vielleicht  dass  Thukydides  der  einzige 
war  unter  den  griechischen  Geschichtsschreibern,  der,  geblendet 
von  dem  Glänze  eines  hellen  sich  selbst  vertrauenden  Zeitalters, 
jenes  alten  Glaubens  sich  entäusserte  und  die  letzten  Ursachen  der 
Ereignisse  in  dem  Umtriebe  menschlicher  Leidenschaften  und  in 
unberechneten  ZuÜllligkeiten  suchte.« 

Solche  Schilderungen  werden  auch  heute  noch  wie  damals  — 
im  Jahr  1815,  also  vor  fünfzig  Jahren,  gleiche  Beachtung  finden. 
Von  den  andern  deutschen  Reden  bemerken  wir  noch  die  Bede 
über  den  Glauben  der  alten  Volker  an  Palladien  (S.  94  ff.),  über 
den  Hang  der  Völker  des  Alterthums  zu  religiöser  Mystik  (S.  102  ff.), 
über  die  Besteuerung  der  Literaten  im  Alterthum  (S.  182  ff.),  über 
den  Glauben  der  Alten  in  Bezug  auf  Fortschritt  und  Rückschritt 
der  Welt  TS.  185  ff.),  über  politische  und  kirchliche  Restaurations- 
versuche (S.  196 ff.),  über  die  Aehnlichkeit  der  königlichen  und 
priesterlichen  Gewalt  in  Titel  und  Insignien  (S.  216  ff.)  u.  dgl.  m. 
Eine  ähnliche  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts  zeigen  auch  die  Latei- 
nischen Reden,  welche  als  Muster  einer  classischen  Ausdrucksweise, 
die  auch  moderne  Begriffe  und  Anschauungen  in  das  Gewand  des 
alten  Rom's  geschickt  zu  kleiden  versteht,  gelten  können.  Einige 
derselben  beziehen  sich  auf  Gegenstände  des  Alterthums,  wie 
z.  B.  die  Rede  De  amnestiae  apud  veteres  usu  (S.  122 ff.),  oder 
De  politia  secreta  veterum  (S.  125 ff.),  De  Proteo  deorum  versu- 
tissimo  (S.  169  ff.),  Caerimoniae  quibus  Graeci  Romanique  virorum 
principum  ingressum  celebrarunt  (S.  209 ff.),  oder  sie  knüpfen 
Neueres  daran  an,  wie  z.  B.  die  R>ede:  Comparatio  fabularum  et 
superstitionum,  quae  Graecis  communes  sunt  cum  priscis  Bomssis 
(8. 118 ff)  oder:  De  mira  recentiorum  Graecorumin  superstitionibus 
majorum  constantia  (S.  132  ff),  oder  sie  behandeln  Gegenstände  allge- 


Lobeok*a  AkAdemisehe  Reden,  von  Lehnerdi  M7 

meiner  Art^  wie  z.  B.  die  Bede :  De  yitae  literariae  intenrallis  (S.  1 29ff.), 
De  yetere  yitae  et  scholae  dissidio  (S.  136 ff.)»  oder  die  Bede: 
Quid  sit  homo«  (S.  154  fl.)  in  welcher  sogar  die  Frage  nach  der 
ursprünglichen  Einheit  des  Menschengeschlechts,  in  Bezug  anf  Ab- 
stammong  nnd  Yerbreitnng  behandelt  wird,  oder  die  Vertheidignngs- 
rede:  »Philologi  maxime  Wolfios  apostasiae  ethnicae  et  idololatriae 
rei  fikcti«  (S.  161  ff.).  Die,  wenn  auch  nicht  in  ihrem  UmÜEUig  aus- 
gedehnte (wie  denn  die  meisten  dieser  .Beden  einen  kurzen  Umfang 
haben)  aber  nach  Inhalt  und  Fassung  vorzügliche  Trauerrede  auf 
Friedrich  Wilhelm  m.  im  Jahr  1840  gehalten:  »In  memoriam 
Friderici  Wilh.  III.  modo  mortuic  (S.  139  ff.),  würden  wir,  wenn  es  die 
Gr&nzen  dieser  Anzeige  gestatteten,  gern  hier  vollständig  mitthei- 
len. Um  indessen  doch  eine  Probe  aus  einer  Lateinischen  Bede 
mitzntheilen,  greifen  wir  zu  der  Bede:  De  Utopiis  veterum  ao  re- 
centiorum  (S.  172  ff.)  gehalten  am  18.  October  1845,  welche  mit 
den  Worten  beginnt:  »Quoniam  hisce  diebus  haud  paucos  tantum 
cepit  BoH  patrii  taedium,  ut  regiones  disjunctissimas  et  inoultas 
emigrare  parent,  haud  importunum  videtur  quaerere,  quidnam  iis 
faeiendum  sit,  qui  neque  domesticarum  rerum  statu  delectentur, 
neque  sperent,  se  alibi  beatius  victuros  esse.  Etenim  emigrantium 
pars  maxima  nihil  aliud  quaerit  quam  solum  fertilius  et  liberatio- 
nem  a  vectigalibus,  servitiis  aliisque  commode  vivendi  impedimen- 
tis,  quibus  novi  orbis  coloni  carere  dicuntur.  Alii  enimvero  non 
haec  Bolum  expetunt,  sed  multo  magis  depulsionem  eorum  malorum, 
quibus  libertas  animorum  opprimitur,  hoc  est  inscientiae,  supersti* 
tionis,  nequitiae,  vanitatis. 

Hi  desiderant  ejusmodi  civitatis  constitutionem ,  in  qua  non 
solum  aequae  omnibus  leges,  aequa  jura,  sed  etiam  eadem  omnibus 
detur  mentis  excolendae  facultas  atque  Über  ad  omnem  perfectio- 
nem  oorsus. 

Sed  nimirum  ejusmodi  civitatem  reperimus  nusquam  nisi  forte 
in  orbe  picto  poetarum  atque  philosophorum ,  qui  quae  de  hujus- 
modi  secessibus  prodiderunt,  hie  breviter  referam,  ut  quisque  oom- 
periat,  quo  emigrare  possit,  si  rerum  praesentium  obortum  fuerit 
taedium  neque  tamen  regionem  Texianam  vel  Mosquitensem  adire 
meditetur.« 

Hierauf  folgt  die  Erwähnung  der  Wolkenknkuksstadt  des  Ari- 
stophanes,  der  Platonischen  Atlantis,  mit  Bezng  auf  die  in  der 
Politeia  vorgetragenen  Lehren,  undPlotin's  nicht  ausgeführter  Ver- 
such zur  Gründung  eines  Platonischen  Staates;  der  Bedner  geht 
dann  auf  die  neuere  Zeit  über,  auf  Thomas  Morus  und  dessen 
Utopia,  auf  ähnliche  Versuche  Anderer,  zunächst  Engländer,  und 
schliesst  dann  mit  den  Worten:  »Verum  etiam  ex  his  quae  dicta 
sunt  jam  satis  apparet,  quam  multa  nobis  parata  sint  effngia  et 
receptacula,  si  quando  rerum  quotidianarum  taedium  obrepserit* 
Etenim  solet  hoc  probissimo  et  intelligentissimo  ouique  acoidere, 
quum  animadverterit,  quantum  sit  ubique  fraudis  et  erroris,  quanta 


66i  Peter:  Geeehiefate  VLom\  L  Bd. 

potentium  inaolentui,  quanta  ambientimn  vilitaB,  qwxa  muHa  sa- 
perbe, perfide,  sinistre  gerantur.  Tone  igitur  mente  et  cogitatione 
emigrat  in  illam  amoenissimam  regionem,  in  qna  tbeoria  habitat, 
t'onnarmn  aetemarum,  quas  Flato  ideas  appellat,  speenlatriz.  Hie 
aoinram  xeoreat  miseriarum,  qmbns  Tita  hnmaiw  laborat,  oblitm 
indeqne  Tevereas  omnea  vitae  actiones  ad  illa  natorae  et  Teritatis 
exempla,  quonun  spectaculo  perfructu»  est,  dirigere  gestit  et  qae 
ploa  ad  id  effioiendnm  potestatis  habet,  eo  magia.c 

So  mag  dieee  Auswahl  akademischer  Beden  eben  so  sehr  den 
dchtkleni,  den  Freundea  und  Verehrern  Lobeck* s  wie  selbst  weite- 
ren Kreisen  bestens  empfohlen  sein.  Die  in  den  Beden  berührten 
Btellen  der  alten  Schriftsteller  sind  von  dem  Herausgeber  sorgsam 
in  den  Noten  nachgewiesen  worden. 


Quehichte  Rom'a  in  drei  Bänden  von  Carl  Feier.  Ersier  Band, 
die  fünf  ersten  Bücher  von  den  ältesten  Zeüen  bis  auf  die 
GraocJien  enÜuUtend.  Zweite  grösstentheüs  völlig  umgemröei^ 
iete  Auflage.  Haue,  Verlag  der  Bucfikandiung  de$  Waieen- 
hause»  1866.  XXIV  und  661  ß.  gr.  8. 

Der  Verfasser  dieser  Geschichte  Bom's  hatte  bei  der  Bearbei* 
inng  dieses  Werkes  zunächst  die  Absicht  »der  studirenden  Jagend 
und  angehenden  Lehrern  ein  geeignetes  Hülfsmittel  zur  Orientirong 
auf  diesem  Gebiete  der  Wissenschaft  darzubieten«  und  dabei  aaok 
zugleich  das  Interesse  des  gebildeten  Publikums  in  weiteren  Kreisen 
durch  eine  Darstellung  zu  befriedigen,  welche  dem  jetzigen  Stand- 
punkt der  Forschung  entsprechend,  leicht  verständlich  und  geniessbar 
sei.  Diesem  Zweck  entspricht  eine  einfache,  \^enn  man  will 
selbst  schmucklose,  an  die  historische  Ueberlieferung  sich  im  Gan- 
zen haltende  Darstellung,  und  eine  Behandlung,  die,  ohne  damit 
alle  Vermuthungen  Niebuhrs  aufzunehmen  oder  blindlings  denselben 
zu  folgen,  doch  im  Ganzen  auf  der  Grundlage  der  Niebuhr'schen 
beruht,  daher  auch  nicht  in  eine  Eeihe  von  Einzelforschungen  über 
einzelne  Punkte  der  römischen  Geschichte  oder  des  römischen 
Staatslebens  sich  einl&sst,  sondern  nur  die  Ergebnisse  der  bisheri- 
gen Forschung,  so  weit  sie  nemlich  sicher  gestellt  sind,  darlegt 
und  zwar  ohne  gelehrten  Apparat,  oder  Belegstellen,  die  sich 
leicht  ans  andern  Schriften  über  die  römische  Geschichte  werden 
herübemehmen  lassrai.  Das  in  diesem  Sinne  bearbeitete  Werk  hat 
eine  günstige  Aufiiahme  gefunden  und  dadurch  eine  erneuerte  Auf- 
lage hervorgen^en,  in  welcher,  und  mit  Grund,  derselbe  Stand- 
punkt beibehalten  worden,  wohl  aber  im  Einzelnen  mehrfache 
Aenderong  und  selbst  Umarbeitung  einzelner  Theile  stattgefunden 
hat.  Auchf  f^lt  in  die  Zwischenzeit  das  Erscheinen  zweier  Werke, 
deren  Bedeotang  für  den   hier  zu  bearbeitenden  Gegenstand  Nie* 


P«ter:  QM^fiblA  EomVI'  Bd.  M^ 

mani  reithnoKaa  oder  in  Abrede  giallen  wird,  wir  meinen  die  Werke 
Yon  Scbwegler  undMommsen.  Wenn  dem  ersten  die  verdiente  An- 
orkennnng  gesollt  wird,  wenn  in  seinem  Werke  »gründliohe  nnd 
uAifa^aende  Gelehrsamkeit,  Strenge  und  Sicherheit  der  methodiechen 
F(»8ohnng,  klare  nnd  liohtTolle  Darstellung  nnd  Besonnenheit  nnd 
Seife  des  Urtheüs  in  seltenem  Maasse  yereinigt«  gefunden  wird, 
so  wird  diesa  gern  Jeder,  der  dieses  Werk  kennte  unterschreiben 
nnd  ee  begreiflich  finden,  wie  die  Studien  unseres  Verfassers,  bei 
ailer  Unabhängigkeit  und  Selbständigkeit  seiner  Forschung,  doch 
dureh  ein  solches  Werk  ylelfaeh  gefördert  worden  sind:  und  was 
Mommsen  betrifft,  so  spricht  der  Ver£  gleichfeüls  seinen  Dank  ans 
fUr  die  mannichfache  Anregung  und  selbst  Belehrung,  die  er 
dem  Werke  dieses  Gelehrten  verdankt,  von  dem  er  sonst  in  der 
Behandlung  des  Stoffs  völlig  abweicht,  wie  diess  noch  unlängst  in 
den  von  dem  Verfasser  herausgegebenen,  auch  in  diesen  Blättern 
(Jahrg.  1863,  S.  945)  besprochenen  »Studien  zur  römischen  Qe^ 
schichte.  Halle  186S«  des  Näheren  entwickelt  ist. 

Inabesondere  tritt  die  Verschiedenheit  der  beiden  Standpunkte 
in  der  Behandlung  der  älteren  Geschichte  Bom's  hervor:  von  der 
in  der  neuesten  Zeit  eingerissenen  Willkühr,  welche  an  die  Stellar 
deeeen,  was  die  Quellen  des  Alterthums,  römische  wie  griechische 
berichten,  die  eigenen  Fhantasiegebilde  zu  setaen  und  diese  fttr 
wahre  Geschichte  auszugeben  bemüht  ist,  hat  sich  der  Verf.  aach 
in  dieser  zweiten  Auflage  durchaus  fem  gehalten,  und  so  gibt  er 
uns,  namentlich  in  dem  ersten  Buch,  welches  die  Gründung  Bom'a 
imd  dessen  Geschichte  unter  den  Königen  (TöS^-ölO  v.Chr.)  ent* 
hält,  das,  was  die  geschichtliche  Ueberliefernng  des  Altecthnma^ 
mag  man  es  jetzt  auch  als  Sage  bezeichnen,'  darüber  berichtet, 
nicht  ohne  eine  gewisse  kritische  Sichtung,  wie  diess  ja  auch  bei 
Niebuhr  und  Schwegler  der  Fall  ist:  in  weitere  Deutung  dieser 
angeblichen  Sage  und  eine  darauf  begründete  Darstellung  der  älte- 
ren römischen  Geschichte  hat  er  sich  nicht  eingelassen.  An  Nie* 
bnhr  schliesst  er  sich  auch  namentlich  in  der  Aufiassang  des  Ver- 
hältnisses zwischen  Fatriciem  und  Plebejeni  an,  so  wie  der  Bil- 
dung des  letzteren  Standes  (vgl.  p.  VII) :  anderen  der  mannigfachen 
Vermuthungen  oder  Gombinationen  aui  diesem  Gebiete  der  älteren 
römischen  Geschichte  hat  der  Verf.,  dem  Zwecke  seiner  Arbeit  ge- 
mftas,  keinen  Eingang  verstattet,  und  eben  dadurch  seinem  Werke 
den  CharaktM  einer  treuen,  an  die  alte  Ueberliefernng  sich  an«- 
sohUessanden,  und  insofern  auch  wahren  Geschichte  Bom's  verliehen, 
wie  sie  der  Schüler  und  die  Jugend  zunächst  kennen  lemeui 
soll»  welcher  mit  solchen  Phantasiegebilden  eben  so  wenig  gedient  ist 
als  mit  dem  räsonnirenden.  Alles  in  dem  Alterthum  bemtogehidon^ 
und  Alles  besser  wissen  wollenden  Tone ,  der  auch  in  die  römische 
Geschichtschreibung  eingedrungen  ist,  und  nur  zu  leicht  in  jungen 
Gemüthem  Hochmuth,  üeberschätzung  und  Oberflächlichkeit  erregt, 
statt  eine  Anregung  zu  gründlichem  Studium  zu  geben.    Auf  der 


660  Peter;  Oeeelüchte  l3iom\  I  Bd. 

andern  Seite  aber  hat  der  Verf.  es  doch  nicht  ganz  unterlassen,  anf  den 
mythischen  Charakter,  namentlich  bei  Manchem,  was  die  König^- 
geschichte  bietet,  hinzuweisen:  es  war  diess  zwar  auch  schon  in 
der  ersten  Auflage  geschehen,  aber  der  betreflPende  Abschnitt,  der 
die  Aufschrift:  »Werth  und  geschichtlicher  Chankter  der  KOnigs- 
geschichtec  führt,  und  um  den  Zusammenhang  der  zunächst  nach 
Livius  gegebenen  Erzählung  der  Königsgeschichte  nicht  zu  untere 
brechen,  dieser  in  einem  besondem  Abschnitt  nachfolgt,  hat  in  der 
neuen  Auflage  eine  YÖllige  Umarbeitung  erlitten,  aus  der  wir  nur 
die  Schlussworte  beifügen  wollen  (S.  57):  »Oleichwohl  ist  diese 
ganze  üeberlieferung ,  so  wenig  sie  uns  auch  eine  sichere  glaub* 
hafte  Geschichte  Bom*s  für  die  Zeit  bis  zur  Vertreibung  der  Könige 
bietet,  für  uns  nicht  ohne  historischen  Werth,  weil  sie  bis  auf  die 
wenigen,  in  unserer  obigen  Darstellung  bereits  hervorgehobenen  ein- 
zelnen Punkte  durchaus  echt  römisch  und  ein  Erzeugniss  des  eige- 
nen nationalen  Geistes  der  Bömer  ist  und  demnach,  wenn  nicht 
ein  Mittel,  so  doch  selbst  ein  nicht  unwichtiges  Object  der  histo- 
rischen Erkenntniss  bildet.  Wenn  in  Widerspruch  hiermit  be- 
hauptet worden  ist,  dass  sie  der  Phantasie  der  Griechen  und  deren 
Wünsche,  sich  die  Gunst  der  mächtigen  Römer  zu  erwerben,  ihren 
Ursprung  verdanke :  so  widerlegt  sich  diess  dadurch,  dass  sie  ihren 
Hauptbestandtheilen  nach  älter  ist,  als  diese  Bemühungen  der  Grie- 
chen, und  dass  sie  überall  mit  römischen  Einrichtungen  und  Ge- 
bräuchen und  Oertlichkeiten  aufs  Engste  verflossen  ist;  die  den 
Griechen  unmöglich  so  genau  bekannt  sein  konnten.  Wir  erinnern 
in  dieser  Beziehung  nur  an  den  Yestacult,  an  das  Fetialenrecht, 
an  die  Auspicien,  von  denen  namentlich  die  letzteren  eine  so  grosse 
Bolle  spielen,  und  an  das  Capitol,  an  den  Buminalischen  Feigen- 
baum, an  den  Lacus  Ourtius  u.  A.c 

Auch  der  nun  folgende  Abschnitt  über  die  Verfassung  S.  58  ff. 
hat  manche  Veränderungen  und  Zusätze  erlitten;  dass  der  Ab- 
schnitt: »die  Anfänge  der  römischen  Weltherrschaft;«  nun  dafür 
die  Aufschrift  erhalten  hat:  »die  ersten  Fortschritte  der  Bömer  in 
Ausbreitung  ihrer  Herrschaft«,  wird  wohl  zu  billigen  sein. 

In  ähnlicher  Weise  sind  auch  die  nachfolgenden  Abschnitte, 
das  zweite,  dritte,  vierte  und  fünfte  Buch  —  denn  die  frühere  Ab- 
theilung nach  Büchern,  deren  jedes  eine  bestimmte  Periode  behan- 
delt, ist  auch  in  der  neuen  Auflage  geblieben  —  behandelt  worden, 
und  so  tritt  das  Werk  in  dieser  zweiten  Auflage  als  ein  durchweg 
mit  aller  Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit  revidirtes  uns  entgegen, 
das  auch  ein  angenehmeres  Aeussere  in  Druck  und  Papier  erhalten 
hat.  Möge  es  daher  einer  günstigen  Aufnahme  empfohlen  sein. 
Der  zweite  Band,  der  alsbald  folgen  soll,  wird  die  Darstellung  von 
den  Gracchisohen  Unruhen  bis  zum  Sturze  der  Bepublik  enthalten. 


>i.  38.  HKIDELBEB6ES  18«5: 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Qalliae  Narbonenaia  provineiae  romanae  hisloria  deseripUo 
imtüutarum  expontio  BeripHi  Erneatua  Herzog.  Tübingen^ 
aü.  AccedU  appendiz  epigraphiect.  Lipsiae  in  cudibm  TeuB- 
MDCCCLX2V. 


Auf  keinem  Gebiete  der  klassischen  Altertbamswissenschaft  hat 
in  den  letzten  Jahrzehnten  eine  so  fruchtbare  Thätigkeit  geherrscht, 
als  anf  dem  der  Inschriftenkunde.  Ganz  grosse  neue  Gebiete  der 
alten  Culturwelt  sind  in  ihren  Monumenten  und  vorzugsweise  in 
ihren  Inschriften  geradezu  eröffnet  worden,  ich  erinnere  nur  an 
Algerien,  an  die  transjordanischen  Länder,  an  das  Innere  Elein- 
asienSy  an  Ljkien,  an  die  Donauländer.  Andere  längst  bekannte, 
yielfachst  bereiste,  von  mannigfachsten  Lokalstudien  seit  Jahr- 
hunderten gleichsam  übersponnene  Fundstätten  haben  erst  jetzt 
ihre  methodische,  auf  Autopsie  gegründete,  alte  Fälschung  abwei- 
sende Bearbeitung  gefunden,  wie  das  Neapolitanische  Gebiet.  Und 
so  reift,  nachdem  das  Corpus  inscriptionum  graecarum  seinen  vor- 
läufigen Abschluss  erhalten,  auch  das  grosse  in  Deutschland  unter- 
nommene lateinische  Inschriftenwerk,  von  dem  in  Bitschis  Priscae 
latinitatis  monumenta  epigraphica  und  in  Mommsens  erstem  Band 
ein  so  bedeutsamer  Anfang  vorliegt,  seiner  Vollendung  entgegen, 
und  die  Inschriften  werden  nicht  allein  gesammelt,  kritisch  ge- 
prüft, ergänzend  gelesen,  sie  werden  vor  allem  auch  benutzt  und 
verarbeitet  und  dadurch  für  die  Erkenntniss  des  antiken  Lebens 
in  rechtlicher,  socialer,  religiöser  Beziehung  eine  urkundliche 
Grondlage  gewonnen,  die  man  früher  kaum  ahnte.  Es  ist  ganz 
natürlich,  dass  das  Bedürfniss  der  Theilung  der  Arbeiten  wie  des 
Stoffes  sich  dabei  geltend  macht,  aber  ebenso  wichtig,  dass  diese 
Theilung  eine  wirkliche  Gliederung  ist,  nicht  nur  auf  subjectiven  Ver- 
hältnissen beruhende  Zersplitterung,  eine  von  beschränktem  Lokal- 
patriotismus allein  getragene  Thätigkeit  wird.  Man  hat  mitBeoht 
eine  geographische  Eintheilung  nach  Grundlage  der  antiken  Länder- 
gliederung als  die  erste  und  nothwendigste  bezeichnet,  wenn  auch 
die  älteren,  verhältnissmässig  seltenen  aber  um  so  wichtigeren  der 
römischen  Bepublick,  wie  dann  die  wichtige  Klasse  der  altohrist- 
lichen  Inschriften  aus  der  Hauptmasse  ausgeschieden  und  für  sich 
getrennt  behandelt  werden.  Die  gegenseitige  Beziehung  der  an 
demselben  Orte  sich  findenden  oder  auf  dieselben  Personen  sich 
beziehenden  griechischen  und  lateinischen  Inschriften  wird  nach 
gründlicher  Feststellung  des  Textes  beider  Gattungen  sich  weiter 
als  fruchtbar  erweisen. 

LVIIL  Jahrg,  8.  Hea  86 


Vorliegende  Sohrift  eines  jnngen  schwäbischen  Philologen,  der 
als  tViT|ti<dodent  an  der  TJniTersität  Tübingen  wirkt,  wtlchir  be- 
reits friüier  eine  Schrift  de  qnibnsdem  praetomm  OaUiae  Karbo- 
nensis  manicipalinm  inscriptionibus  (Lipsiae  1862)  als  Yorlftnfer 
dazu  yerSfienuicht  hat,  ist  eine  sehr  dankenswerthe  Fracht  dieser 
Bewe^pong  auf  dem  Gebiete  der  Inschriftenknnde  nnd  in  diesem 
Sinne  den  drei  hochverdienten  Männern,  Henzen,  Mommsen  nnd 
ftenier  gewidmet.  Das  Ziel  des  Verfassers  war:  eine  Provinoial- 
geschichte  auf  der  Grandlage  der  Inschriften  abzufassen,  in  der 
sich  in  besonders  günstiger  Weise  der  aUgemeine  Zustand  des  römi- 
icben  Beiches  abspiegele  und  er  wählte  dazu  die  Provinz  der  Gallia 
ISTarbonensis  als  besonders  geeignet  durch  den  hohen  Grad  ihrer 
rl5mischen  Durchbildung,  so  dass  sie  als  ein  zweites  Italien  im  An- 
&ng  der  Kaiserzeit  bereits  erscheinen  konnte,  durch  ihre  friedliche, 
zur  Entwickelung  bürgerlicher  Zustände  besonders  günstige  Lage, 
wäbr^d  die  Grenzprorinzen  des  römischen  Beiches  uns  vielmehr 
das  so  verschiedene  Bild  einer  reich  entwickelten  Militärverhssung 
Vor  Augen  fUhren.  Der  Verf.  hat  selbst  das  südliche  Frankreich 
dujrQbreist,  und  selbst  möglich  viel  gesehen,  verglichen  und  neue 
Inachiiftea  abgeschrieben,  er  hat  mit  grossem  Fleiss  das  reiche, 
yiellftcb  zeratreute  literarische  Material  benutzt,  er  hat  dann  mit 
llaass  und  Umsicht  den  Stoff  verarbeitet,  übersichtlich  in  einem 
fliessenden»  eehr  lesbaren  Latein  ihn  dargestellt  und  das  ürkunden- 
buch  c^iner  Insohriftensammhing  seiner  Arbeit  beigefügt.  Der  unter- 
^ichnete  darf  umsomehr  dieses  günstige  ürtheil  über  die  vor- 
liegende Arbeit  und  sein  freudiges  grosses  Interesse  an  derselben 
ausspjfechen»  ala  er  selbst  einst  diese  Gegenden  und  ihrer  £Sr- 
i^rfiichnng  aucb  vom  Standpunkte  des  Alterthums  aus  eingehende 
Aufinerksamkeit  geschenkt  und  durch  sein  Buch  über  »Städteleben, 
JECnnst  und  Altorthum  in  Frankreich«  nachfolgenden  j^^u^ei^  ?or- 
eohem^  wie  auch  Dr.  Herzog  dankbar  anerkennt,  vielfach  Weg- 
weiser geworden  ist,  auch  die  Lücken  anderer  Arbeiten,  sowie  die 
9einer  eigenen  XTntersuchung  hervorgehoben  hat.  Der  Gesichtspunkt 
äe»  Verf«  war  ein  mehr  begränzter^  aber  um  so  intensiver  konnte 
dh  AufgOibe  gelöst  werden. 

Das  Buch  zerfallt  in  zwei  Haupttheile  (p.  1<^262)  und  eine 
selbständig  paginirte  (p.  1 — ^158)  Appendix  epigraphica.  Jene  be- 
oteben  in  einer  geschichtlichen  Uebersicht  der  Entwickelung 
nnd  Scbic^seJce  der  Provinz  von  Beginn  der  römischen  Herrschaft 
bis  mx  Zeit  des  Diokletian,  und  zweitens  in  der  systematischen 
DarsteUuBg  der  Insitutionen  der  Provinz  aber  nur  von  der  Neu- 
ordnung unter  Augustus  bis  Diokletian ;  die  Schilderung  der  frühe- 
isen Institutionen  ist  in  die  geschichtliche  Erzählung  verwebt.  So 
wenig  diese  Abeondemng  rein  logisch  begründet  ist,  so  ist  sie  es 
in  -der  Natur  der  Quellen  vollständig.  Wir  bedauern  nur  Eines, 
dass  es  dem  Verf.  nicht  ge^EkUen  hat,  auch  die  in  vieler  Beziehung 
80  inbaJtreiche   Zeit   der  Provincialgesohichte  von  Diokletian  bis 


Hert«gf  OiBlairMtflNiMBftU  IttNUMi  Ml 

KUH  AiitehtB  der  Promeia  Natbmensis  oder  der  Bepteiii  JMr^^tt^ 
•iae  in  Im  Weetgolbon-  and  BurgcmdenMieli  wefligetene  lA  g»* 
Bobialitlieber  Uebmiolit  Toraoftüuieii.  Es  wOrdea  bierbei  neeb  Mse 
Reibe  von  wiebtigen  Ergtaznngen  des  a«8  frtlberer  Zeit  STaebfi*- 
ireiee&dea  und  aene  CregensUnde  der  ünterguebang  berrotfgetwMi 
ami«  MOge  dieses  Bedauern  niebt  als  Yorwiurfi  w^  aber  ale 
Aallbrderong  dem  Verf.  gelten  diesen  Absebnitt  aneb  aoeb  iia  Ea^ 
■anueaenbang  nas  eiamal  TorxnftLbren. 

Das  Prooemioin  p.  1^3$  orieatiri  uns  ttber  die  QriABe  der 
nachbexigen  Oallia  Karbooeosis  swisohea  Alpen  nad  Oeveaaea»  Bioa* 
and  Oenünrsee,  Mittelmeer  nnd  P  jrenaea  mit  dem  oberea  PltMlaitf 
der  öaronne  and  ttber  die  etbnogn^bisoben  VerbftltalSBe  ottf  tt^ 
■em  Gebiet.  Wirsebenzaerst  Ligarer,  deren  Stellang  imMaaiai^ 
baom  der  eoropftisebea  Völker  noeb  niebt  fixirt  iet  aad  Ibere^r 
eieb  tbeilen  in  die  KtUtealaader  GaUieae  am  Mittehneer.  Ati  fliMA 
Saame  bin  nnd  Bbone  anfwärts  siebt  sieb  bereits  em  Haodelsireg  der 
Pböaikier  bin,  in  der  Sago  des  wandernden  Herakiee  wie  in  pbOai^ 
kieebea  Mftaalanden  beeeogt.  Biae  böobst  merkwtttdige  Steile  nl  d^r 
peeado-aristetelisoben  Scbrift  de  mirabilibae  aueeoltatievibtta  e.  M 
leigt,  welcbe  auf  Vertrag  woblmbende  Sioberbeit  die  auf  dieser  Itoaese 
(der  2f(MfixJU^  odog)  äebenden  Handelsbmte  tob  Seiten  dee  Bia^ 
geborenen  genossen.  Das  Vordringen  der  Gelten  fui  die  Bidkäete 
Galliea»  and  »war  die  Stämme  der  AllobrogeSi  Trieastiai,  Voe^tlii> 
Oarares,  Triomi  and  des  mäebtigsten,  aber  getlieÜten  Siataiae* 
der  Voloae  (Teetosages  nnd  Areoomici)  sebeint  sieailieb  fflelobfteiUg 
mit  ibrem  Vordringen  naob  Spanien  stattgefunden  ea  babea  afld 
zwar  in  der  Zeit,  als  die  tjrisebe  Macbt  dort,  wie  tberall  gtbiMH 
eben  ward,  niebt  sebr  lange  vor  dem  Auftreten  der  HdUeaea  fas 
diesen  Westländem,  d.  b.  im  8.  mid  7.  Jabirbaadert.  Die  Llonrer 
worden  nie  ganz  ans  den  Ettsteogebirgen  der  Frereaee  TeftnebeA 
and  aaob  bei  Karboane  bielten  sieh  noob  lange  SSleqrket  nfld  Be« 
brykflv  niobtoeltiscber  Abkonft. 

Zn  diesen  Volkseiementea  treten  naa  seit  <00  als  wiobtimi 
Bildongsferment  die  Hellenen  binza  und  zwar  rott  mail^salktet 
Cleinaeiens  ausgehend,  doeb  so,  dass  der  eiae  dann  den  gßAt  über- 
wiegenden Eiaflnss  gewiuit,  tob  Pbok&a  and  von  Bb^do« 
IMMr  Sioilien  and  die  tiparisoben  Inseln  kamen  diese  mit  Enidierii 
ta  dem  Abfall  der  Pyren&en  in  das  Mittelmeer  aad  gründetet 
Bbode,  das  jetzige  Boeas,  was  Ton  dem  Verf.  mit  Beebt  rwi4ff^ 
maesüisohen  Colonie  am  Bbodanas,  Bbodanwiia  ganz  gedebiedear 
wird.  Die  Aaswanderong  nnd  Toraosgeheade  Ooloaieseiidang  de« 
Pbokier,  ibre  Ansbreitong  m  den  Efleten  Galüens,  Spanleas  attd- 
Italiens  bildet  e^  der  interessantesten  Absebnitte  in  der  grieebi« 
Beben  Golonialgesobiobte.  Die  äwsiserBten  Ponkte  wie  MaJnate  btt  der 
Baetica  (Almoneoar  bei  Malaga)  nnd  Monoikos  (Monaeo)  bk  lUdieii 
eebemea  mit  um  Mbesten  beeetzt  zn  eeta«  dann  aber  ieteidttlMi 
mAi  »89,  seit  den  Uotigen  (fcUaehtea  miiTynbeneB  aad  HMta« 


MI  Berf  og:  GiOISm  NaiboMniU  hlttoriä. 

KOm  ein  Zasammeiizioheii  des  Oolonialkreises  und  intoaiiffr  Ooloni- 
4Mtioii  zwisoben  Alpen  und  Pyrenäen  erfolgt,  wobei  Massilia,  das  ja 
seit  Harpagos  Krieg  gegen  die  grieohisohen  Kttstenstädte  zar  eigent- 
liehen  Phofcto  geworden  war,  dorchans  als  Metropolis  auftritt.  Nor 
Emporiaehat  auch  im  Mttnzsystem  eine  selbständige  Stellang  län- 
gere Zeit  eingenommen«  Da  begegnen  uns  die  wohl  bekannten 
ÜTamen,  wie  ^oizen,  Olbia,  Nikaia,  Antipolis,  Athenopolis,  Taoro- 
eis,  Eithariste,  Heraklea,  auch  selbst  Kyrene  und  Agathe,  von  denen 
die  letzten  nnd  auch  Heraklea  und  Troizen  anf  peloponnesische 
Betheilignng,  anf  die  in  Bhodos  nnd  Enidos  einst  wirksamen  Ele- 
ment der  Bevölkerung  hinweisen.  Weiter  im  Innern  des  Landes 
werden  allein  Avenio  undOabellio  als  Colonien  Massilias  bezeichnet,  ihre 
Lage  an  der  Mündung  der  Dnrance  in  den  Bhonefluss  maohen  es 
dem  Yerf,  (p.  25)  mit  Beoht  wahrscheinlich,  dass  diese  Städte  zur 
Sicherung  der  FlussschifiOfahrt  im  Interesse  Massilias,  als  Stapelplatz 
sogleich  der  Waaren  griechische  Eaufleute  und  eine  griechische  Be- 
satzung zum  Schutz  besassen.  Der  Einfluss  der  Griechen  auf  die 
gallischen  und  ligurischen  Völkerschaften  war  überwiegend  einer 
der  äusseren  Cultur:  Ackerbau,  Wein-  und  Oliyenanpflanzungen, 
BefBStigung  der  Städte,  auch  Schlagen  der  Münzen  an  einzelnen 
Punkten,  so  in  Baeterra  bei  den  Yolcae,  sowie  manche  handwerkliche 
Thätigkeit;  dagegen  wurde  Verfassung  und  der  gesellschaftliche 
Zustand,  das.  Königthum,  die  Macht  des  Adels,  die  strenge  Ab- 
hängigkeit schwächerer  Volksstämme  als  Olienten  von  Herrschen- 
den nicht  geändert*  Da  der  Verf.  dieser  Schrift  den  politischen 
nnd  rechtlichen  Gesichtspunkt  in  yorderster  Linie  stellt,  bat  er 
jenen  Cnltuseinfluss  nur  kurz  berührt  und  warnt  vor  einer  üeber- 
Schätzung  desselben. 

Der  erste  Theil  (p.  87—117)  behandelt  die  Geschichte  der 
Provinz  GkiUia  Narbonensis  von  ihrer  Bildung  bis  Diokletian  und  zer- 
iäUt  in  drei  Kapitel:  Anfänge  und  erste  Constitution  der  Proyini, 
dann  die  entscheidende  Zeit  unter  Oaesar  und  Augustus,  welche 
der  Provinz  ihre  bleibende  Gestalt  und  ihre  innere  Bomanisirung 
gab  und  drittens  die  Zeit  von  Augustus  bis  Diokletian. 

Wohl  mag  es  befremdend  erscheinen,  dass  die  Bömer  so  spät 
erst  dazu  gelsngt  sind  das  südliche  Gallien  zu  einem  Bestandtheik 
ihres  Staatswesens  umzugestalten,  zu  einer  Zeit,  wo  bereits  nicht 
allein  Oberitalien,  Sicilien,  Sardinien,  Afrika,  sondern  auch  schon 
längere  Zeit  ein  grosser  Theil  Spaniens  römische  Provinz  geworden 
war.  Das  Bestimmende  war  zunächst  das  alte  Freundschaftsver- 
hältniss  mit  Massilia  und  wir  dürfen  sagen,  die  Bequemlichkeit 
sichern  Verkehrs  an  und  durch  die  gallische  Küste  nach  Spanien 
vermöge  dieser  Kette  griechischer  Golonisation ,  die  Sicherung  des 
Meeres  durch  die  Flotte  Massilias  und  im  Gegensatz  dazu  die  un- 
absehbare Kette  von  Kämpfen  und  Verwickelungen,  die  das  Auf- 
suchen und  die  Unterwerfung  der  Gallier  in  ihrer  eigenen  Heimath 
erregen  musste,  vor  denen  man  sich  in  Italien  selbst  noch  nicht 


Heriog:  Galliae  KarboncDSis  Ustorlaa  560 

ganz  sicher  ftUilte.  Dazu  kam  die  Politik  der  Nobilitllt  bis  zu  den 
Oracchen  und  im  Gegensatz  zu  diesen,  die  entschieden  nenen  unter* 
nehmnngen  abhold  war. 

Diese  alte  Verbindung  Massilias  mit  Bom  ist  eine  interessante, 
meist  noch  unterschätzte  Thatsache,  deren  Anknüpfung  unter  Ser- 
yius  TuUius,  d.  h.  in  die  Zeit  grosser  Kftmpfe  zwischen  den 
Phok&em  mit  Tyrrhenen  und  Karthagern  kaum  zu  bestreiten  sein 
wird.  Wenn  der  Ver&sser  p.  38  bei  dieser  Gelegenheit  sagt :  neque 
majorem  fidem  tribuas  Straboni,  si  Dianae  in  Aventino  simulaomm 
a  Massiliensibus  receptum  esse  refert,  so  muss  ich  erstens  bemerken, 
dass  dieser  Ausdmck  dem  Texte  nicht  genau  entspricht,  denn  Strabo 
(IV.  p.  180)  sagt  nur,  dass  das  auf  dem  Aventin  Ton  deuBSmem 
gestiftete  ^oavov  der  Artemis  dieselbe  dia^etfig  hat,  wie  das 
Artemisbild  der  Massalioten,  ein  aus  Eleinasien  mit  herüberge» 
brachtes  Götterbild,  das  nachweisbar  weithin  in  diesen  westlichen 
Gegenden,  z.  B.  in  dem  sog.  Dianium  Hispaniens  zum  Vorbild  ge* 
dient  hat  und  als  Münztjpus  auf  den  altgallischen  Münzen  fort« 
wirkt.  An  dieser  Bemerkung  der  TJebereinstimmung  der  Ersohei« 
nung  des  Dianabildes  auf  dem  Aventin  mit  dem  der  Artemis  von 
Massilia  zu  zweifeln  sehe  ich  femer  durchaus  keinen  Grund  bei  der 
Thatsache,  dass  die  BCmer  selbst  die  menschliche,  statuarische  Bil* 
düng  ihrer  Götter  erst  von  andern,  vor  allem  von  den  südetruri- 
schen  und  griechischen  Städten  entlehnt  haben  und  femer  der  That» 
Sache,  dass  die  Diana  in  Aventino  ja  ausserhalb  des  Pomoe- 
riums  der  Stadt  ausdrücklich  ftlr  die  Latiner  und  ihren  Bund  mit 
Bom,  nicht  ftlr  Bom  specifisch  in  ihrem  Cult  eingesetzt  ward, 
also  um  so  eher  fremden,  hier  griechischen  Einfluss  zeigen  konnte. 

Die  BOmer  kamen  aber,  nach  dem  Ende  des  zweiten  pnnischen 
Krieges  vielfach  in  die  Lage  die  Massilioten  zunächst  gegen  die 
räuberischen,  unruhigen  ligurischen  Völkerschaften  wie  Salyes,  De« 
ciaten  zu  unterstützen.  Auch  hier  wie  in  Hellas  selbst  mag  die 
kriegerische  Tüchtigkeit  der  Bürger  der  hellenischen  Städte  erlahmt 
sein  und  wie  man  dort  auf  Soldtruppen  sich  stützte,  auf  dietapfem 
Arkader,  Thessaler,  Karer  und  andere  die  unter  ihren  Condottieri 
zur  Ausfechtung  der  Kämpfe  bereit  waren,  so  war  es  hier  nun  be« 
quemer,  römisches  Militär,  das  ja  bereits  rechts  und  links  Gallier, 
Oeltiberer,  wie  Ligurer  im  Zaume  hielt,  das  zu  Land  und  zu  Schiff 
über  Massilia  die  Strasse  zog,  zur  Hülfe  zu  beanspruchen.  Mit  dem 
Jahre  125  beginnen  die  ernsten  und  grossen  Kämpfe  der  Bömer 
in  Südgallien  im  Bücken  der  griechischen  Küste,  die  blutigen 
Sohlachten  am  Bhodanus,  an  derlsara,  am  Sulgas  die  der  Macht  der 
Allobroges  und  der  Volcae  Arecomici  einen  schweren  Stoss  versetzten 
und  durch  die  Volkspartei  Boms  wird  die  Gründung  von  Narbo, 
einem  alten  Emporium  des  griechisch-gallischen  Handels  als  römisch« 
Oolonie,  als  eine  dem  Mars  geweihte,  von  Mars  genannte  Bömer- 
stadt  durchgesetzt.  Ich  freue  mich,  dass  der  Verf.  p.  50  diese  Ab- 
leitung von  Martins,  die  ich  in  Städteleben  Kunst  und  AlterUnan 


(IUI;  Humoge  OaWM  NnboBoiilf  bUtoria. 

i«  Fraskr^fcli  p.  598.  599  eingehend  begründet  hatte  d«r  meist 
ikDfik  herr^ohenden  Ableitung  von  Qn.  Maroius  Bex  gegenüber,  auch 
seinerseits  durchaas  als  richtig  anerkannte,  ebenso  dase  er  Aqnae 
Se^^tiaa  niobt  aU  römische  CSolomo  mit  latinisohem  Bürgerrecht, 
was  Zwnpt  behanptete,  sondern  als  römische  Besatzung  dort  wie 
i^  TolosAy  «Is  eine  ^pov^  mit  Strabo  anerkennt;  das  latinisohe 
I^wbt  hei  Aqnae  Sextiae  erst  viel  später  erhalten.  Dass  die  GaUis 
Ifarboneneis  Ton  124-^100 v.Chr.  noch  gar  nicht  als  selbständige 
Pfovina  betrachtet  wnrde,  sondern  ein  Appendix  von  Italien  war, 
diese  Ansicht  von  ^nmpt  wie  von  dem  Verf.  p.  63  ansfÜhrKch  be- 
lAmpftt  die  ansserordentlichen  Gefahren,  welche  in  dieser  Zeit  in 
cl,e^  Jahren  109-^102  nicht  nur  diese  Provinz,  sondern  in  ihr  auch 
gan^  Born  durch  die  Cimbem-  und  Teutonenzüge  bedrohten,  musa- 
tea  die  römischen  Gonsoln  selbst  dauernd  in  dieser  Gegend  fett- 
halten und  eine  geregelte  Provimrialverwaltung  unter  eigenen  Pro- 
CQi^suln  oder  Proprätoren  hindern.  Aber  auch  die  folgenden  Jahr-* 
zehnten  sind  weder  ruhig  noch  für  das  materielle  Gedeihen  der 
Provinz  besonders  erspriesalich  gewesen.  Ein  oft  unerhörter  Druck 
d^r  römischen  Verwaltung,  ist  unter  U,  Pontejus,  unter  0.  Calpn- 
niufl  Piso,  unter  Murena  trieben  die  gallischen  Völkerschaften  wie«- 
deorbolt  zur  Skapörung  und  zu  blutigen  Kämpfen,  deren  letzten  wir 
von  Seiten  der  Allobrogen  unter  G.  Pomptinms  im  Jahr  62  geführt 
sehen»  Damit  scheint  Kraft  und  Hoffnung  dieser  Stämme  gebro- 
chen zu  sein  (p.  69).  Inzwischen  hatte  Massilia  durch  Pompejus 
die  grösste  Ausdehnung  seines  Stadtgebietes,  das  es  je  besessen, 
erhalten,  mämlich  das  grosse  Gebiet  der  Volcae  Arecomioi  und  Hei«* 
vü  an;f  dem  rechten  Bhoneufer,  ihre  Besitzung  war  bis  zu  den  Ce«- 
vennen  auf  diese  Weise  aasgedehnt  worden,  nur  um  so  raedier  dann 
zua^mmenzuschmelzen. 

D^  Verf,  stellt  auf  S.  72  ff.  die  Frage  hin,  welchen  Zustand 
Cl^r  im  Jahr  59  voorgefunden  habe.  Noch  stehen  unvermittelt  neben 
einander  die  Griechen  des  Freistaates  Massilia,  die  oives  Bomani 
i^  Narbonne»  die  über  das  Land  zerstreuten  römischen  Zollpächter, 
Haufleute,  die  Aratores  und  Peouarii,  d.  h.  die  meist  für  ganze 
(Gesellschaftern  thätigen  Güterwirthschafter  und  Viehzüchter,  diesen 
gegenüber  eine  feindselige  oft  hartgedrückte,  gallische  Landbevölke- 
rung«  in  oonventus  (Oaes.  b.  gall.  Vm.  46)  nach  den  einzelnen 
Stämmen  gegliedert. 

Von  entscheidender  Wichtigkeit  für  die  ganze  Zukunft  der 
Gallia  Karbenenais,  für  den  auf  einmal  wunderbar  durchgreifenden 
italischen  Charakter»  für  die  Culturstellung  der  Provinz  ist  die 
Zeit.Cäsars  und  des  Augustus.  Der  Verf.  hat  dieselbe  mit 
Beobt  auch  in  einem  besondem  Abschnitt  (P.  I.  Cap.  2.  p.  74—^106) 
behandelt  uiid  sieh  bemüht  aus  den  oft  nur  sehr  fi*agmentarisohen  An^ 
d^utui^n  die  Tbätigke&t  der  beiden  Männer  von  einander  zu  schei-» 
d^»  Alt  äussere  hervortretende  Ereignisse  haben  wir,  natttilioh 
a]^^lie)iai^  vfn  d^r  wai  d^e  Narbeaensis'  gewältig  siu^rückwirkendfa 


Ktriogs  CUIM  KkrMMiit  Urtorik  IM 

Dntarwvrfimg  des  Hlnrigim  OalliniB  (58—50  t.  (Ar.)»  in  i^iA  j^Hi 
Bewegung  das  Sfldens  immer  neue  Qaelien  imd  fasten  Anfialt  gth 
fcmden,  erstens  die  Erobemng  Massilifts  durch  Oftsat  im  Bttt|(er» 
^'ieg  gegen  Pompejns,  fttr  den  es  Partei  ergriffen«  im  Jnhr  40  di% 
dnianf  folgende  Sendang  des  Tiberios  Olnndios  Nero,  des  Vnters 
dee  Kaisers  nnd  Quftstor  Cäsars  im  Jahr  47  ad  eolokiiafe  dednoefr- 
das  nach  der  Narbonensis,  dann  die  Vollettdimg  der  Beidiatif«' 
mestang  im  Westen  unter  Agrippas  Obexleitnag  und  den  hnrfllMn» 
ten  oonventos  für  gans  Gallien  in  Narbonne  tunter  Aagoslift  itt 
J.  27  T.  Chr.*),  endlich  die  Uebergabe  der  Narboneneia  9A  dte 
Senat  im  Jahr  22  ▼.  Chr.  m  betrachten. 

Schwierigkeiten  erhebe  sich  oft  über  die  ntthere  Bestimknnfeig 
dee  Antheils  beider  Imperatoren»  indem  der  alleinige  Beinalne  einar 
Stadt  als  Julia  allerdings  allein  auf  Cäsar»  der  i^einige  Angusttk 
anf  Augustus,  und  zwar  nach  dem  Jahr  27  t.  Chr.,  dagegen  db 
so  hftufige  Verbindung  von  Julia  Augusta  sowohl  allein  auf  dei 
letzteren  aber  auch  auf  doppelte  Verleihungen  und  Anonhiuiii^ 
erst  des  Cftsar,  dann  des  Augustus  gehen  kann.  Die  bisher  s6  ga» 
schonte,  hoch  angesehene  Stellung  Massilias  und  sein  weit  auflge* 
dehnter  Landbesitz  schwindet  nun  sehr,  Massilia  behalt  nur  Nicaea» 
Athenopolis  und  die  StOchadischen  Inseln  mit  Selbst&ndiger  Vet«' 
waltung,  natürlich  aber  doch  als  ein  kleines  Qlied  nnn  in  der  glh 
sammten  Provinciahrerwaltung.  Es  ist  eine  hierbei  noeh  nieht  A 
beantwortende  Streitfrage,  ob  das  Mflnzreoht  der  griediisdUen  Btftdk^ 
auch  in  der  Eaiserzeit  fortgedauert ;  aus  der  Anakgie  anctereor  a«t<»- 
n<Mner  griechischer  Stttdte  wenigstens  im  Osten  des  IMches  snfteUe 
man  das  sehliessen,  ebenso  aus  dem  immer  sohlechter  wtodendaii 
Gepräge  der  massilisohen  Mflnsen,  za  deren  Venohleokte^mig  ia 
Caears  und  Augustus  Zeit  durchaus  kein  Grund  vorliegt»  andexor» 
seits  iet  es  aufbUend,  dass  auf  massilisohen  Münzen  bishsfc  hAtüb 
Andeutung  kaiserlicher  Namen  sich  findet.  Herzog  leognst  mit 
Mommsen  die  Fortdauer  massiÜsoher  Münzpxftgung  über  28  t.  Oh^. 
hinaus,  w&hrend  de  la  Saussaye  sie  bis  in  das  dritte  Jahrhundert 
fottsetst.  Die  Bache  selbst  ist  noch  nSher  su  untersuchen  uadvnr 
allem  nachzuweisen,  wie  die  Münzprägung  griechischer  atttonomtt 
Städte  in  den  senatorischen  Pix>Tinzen  sich  gestaltete.  Die  übrigen 
Stftdte^  und  Stammmünzen  der  Narbonensis,  die  vor  allsm  seit 
Cäsar  von  Stftdten  latinischen  Rechts  fleissig  geübt  ward,  endet 
mit  der  Uebergabe  der  Provinz  an  den  Staat. 

Die  Romanisirung  der  Provinz  ruhte  vor  allem  auf  einem  gros^ 
artig  durchgeführten  Militftrcolonialsystem,  ebensosehr  aber  aaf  dam 
von  Jul.  Cäsar  so  ausserordentlich  einsichtigea  Hexanzielien  der 
gallischen  Orte  durch  Verleihung  des  jus  Latii  au  rt^miechem  Erieg»- 


*)  Die  Unterwerfung  der  Alpenrelker  md  die  Ausfahnüg  un 
TQBg  der  aswel  AlpenstrAssca.  Über  die  oottlscliea  uat  g^jUdraa  JÜ^nft 
welche,  wenigstens  was  die  Salssser  betrifft,  im  J-  26  v,  übt.  erfo%t  wai^ 
kenmit  dabei  auch  sehr  in  Betieeht 


lii  Heriog:  QtOUm  KarboneAftlB  htttorl^ 

«fiensty  rötnisclier  Spraohe,  rSmischem  Beeilt  nnd  dem  mittelbar 
damit  znsammenhängenden  Aufsteigen  der  einseinen  Glieder  dnreh 
muLicfpale  Aemter  wie  römiBchen  Kriegsdienst  zum  römischen 
Bürgerrecht.  Neben  den  itinf  grossen  nach  cäsarisohen  Legionen 
genannten  Colonien  Narbo  Martins,  Baeterrae»  Arelas,  Arausio  und 
Forum  Julii  kennen  wir  eine  überraschend  grosse  Reihe  Ton  SlAdten 
launischen  Rechtes,  so  Ruscino,  Caroaso,  Nemausus,  eine  der  be- 
deutendsten mit  dem  grossen  Landbesitz  der  Yolcae  Arecomici, 
Oabellio»  Avenio,  Aquae,  Sextiae,  Yienna,  Antipolis  u.  s.  w.  die  alle 
als  Julia  sich  kundgeben ;  andere  besonders  Städte  an  den  Alpen- 
strassen  haben  ihre  Constituirung  erst  durch  Augustus  erhalten, 
wie  Lucus  Augusti,  Dea  Augusta,  Alba  Augusta,  Augusta  Tricasti- 
norum.  Zugleich  geschah  unter  Augustus  der  weitergehende  Schritt, 
der  dann  auch  von  folgenden  Kaisem,  besonders  von  Claudius  ge- 
than  wurde,  besonders  ergebene,  in  einzelnen  Mitbürgern  bereits 
hochgeehrte  Städte  dieser  Art  zu  römischen  Colonien  zu  erheben, 
ohne  dass  eine  Neucolonisation  irgend  nachzuweisen  wäre,  so  ge- 
schah es  mit  Yalentia  im  Gebiet  der  Cavares,  so  mit  Yienna,  so 
mit  Aquae  Sextiae. 

Die  weitere  äussere  Geschichte  der  Narbonensis  bis  Diocletian 
<P.  L  Cap.  3.  p.  107—117)  bietet  wenig  hervorragende  Thatsacben 
dar.  Agrippas  Thätigkeit  in  den  Jahren  16—18  y.  Chr.  in  der 
Proyini,  in  welcher  er  bereits  zwanzig  Jahre  früher  so  bedeutsam 
gfewirkt  für  Anlegung  der  Strassen,  für  Bauten,  so  der  Mauer  um 
Nemausus  ist  aus  einzelnen  inschriftlichen  Zeugnissen  kaum  ge- 
nügend zu  entnehmen.  Yen  besonderer  Fürsorge  hat  Kaiser  Clau- 
dius sich  der  Provinz  gegenüber  gezeigt.  Narbonne  ftlgte  zu  sei- 
nem Ehrennamen  auch  den  der  Claudia  hinzu,  Yienna  empfing  das 
jus  Italicum,  das  bald  darauf  im  Kampf  zwischen  Yitellius  und 
Otho  durch  die  Eifersucht  des  benachbarten  Lugdunum  der  Plün- 
derung durch  die  germanischen  Legionen  nur  mit  Mühe  entging. 
<Hadrian  und  Antoninus  Pins,  welche  seibat  aus  einer  Nemausensi- 
Bchen  Familie  stammten,  haben  ihr  Wohlwollen,  ihre  Baulust  reich 
in  der  Narbonensis  bewährt.  Da  es  dem  Yerf.  zunächst  nur  um 
d&e  Darlegung  der  rechtlichen  und  gesellschafblichen  Yerhältnisse 
SU  thun  war,  hat  er  von  dem  reichen  Culturleben  der  Provinz  ge- 
rade in  den  ersten  Jahren  des  Kaiserreichs  kein  eingehendes  Bild 
uns  gezeichnet;  aber  schon  die  nackte  Reihe  für  Rom,  für  Staat 
und  Literatur  bedeutsamer  Männer  aus  dieser  Provinz,  die  er  p.  114 
•vorführt  und  die  leicht  zu^  vermehren  wäre,  zeugt  daMr.  Eine 
Charakteristik  der  architektonischen  und  plastischen  üeberreste, 
ttiioh  nur  von  Seite  ihres  Zweckes  nicht  in  erster  Linie  ihres  Kunst- 
jwertfaes,  eitie  Behandlung  der  durch  Inschriften  und  die  Monumente 
uns  bezeugten  theatralischen  und  sonstigen  Spiele ,  Stiftungen  pri- 
irater  Art>  die  aus  den  Inschriften  zu  entnehmenden  Zeugnisse  der 
handwerklichen  Thätigkeit  wie  des  Handels  würden  sich  dann  an- 
zuschtiesseii  haben.     Der  letzte  uns  bis  jetzt   bekannte  Proconsul 


Reriog:  GaBiM  KtfboaaBsto  Mstorla.  SM 

der  FroTiiUE  ist  CIodinB  Papienns  Maximas  vor  288  p.  Ohv.  Die 
in  den  Inschriften  erwfthnten  Kaiser  gehen  weit  ttber  Diocletian 
noch  hinans,  reich  ist  Gonstantinns  yertreten  durch  sieben  Inschri- 
ten ;  ein  Meilenstein  zwischen  Massilia  and  Arelate  weist  noch  ans 
in  das  Jahr  485  p.  Chr.,  in  die  Begiemng  von  Theodosins  ü.  nnd 
Yalentinianas  m.  (Append.  epigr.  Nr.  625). 

Der  zweite  Theil  (p.'  118—262)  behandelt  die  Verwaltung 
der  Provinz  in  der  kaiserlichen  Zeit  nnd  zerfHUt  wieder  in  drei 
grössere  Abschnitte,  in  einen  topographischen,  die  üebersicht  der 
ein  gewisses  Mass  der  selbständigen  Verwaltung  geniessenden  Terri- 
torien (p.  118 — 148),  dann  den  Abschnitt  de  institutis  municipa- 
libns  (p.  148 — 236)  und  den  letzten  Abschnitt  de  institutis  provin- 
eialibus  (p.  286—262),  indem  der  Verf.  zu  dem  Beweis  von  den 
Elementen  des  socialen  Lebens,  von  der  Einzelperson  zu  dem  nahem 
Kreise  der  Funktionen  des  municipalen  Selfgovemments  und  zu 
dem  weitesten  und  obersten  Kreise  der  von  Born,  Yom  Staat  und 
Tom  Kaiser  ausgehenden  Regierung  aufsteigt.  Der  Verf.  hat  sich 
Tiel  Mflhe  gegeben  im  ersten  Abschnitt  den  umfang  der  Stadtge- 
biete wesentlich  auf  Grundlage  des  Abschnittes  in  Plinius,  der 
hierin  den  Angaben  der  Beichsyermessung  des  Agrippa  folgte,  Strabo, 
Mola,  Ptolemaeus,  seine  auf  Omndlage  von  Ortsnamen  der  Strassen- 
stationeu  näher  zu  bestimmen;  wir  bedauern  nur,  dass  ihm  oder 
der  Verlagshandlung  nicht  gefallen  hat  eine  Karte  der  Narbonen- 
sifl  mit  Angabe  der  modernen  Namen  und  der  gesicherten  alten, 
sowie  der  Strassenzttge  und  der  Fundst&tten  Ton  Monumenten  bei- 
zufügen.  Es  wflrde  dies  das  Bild  der  Provinz  erst  zur  Anschauung 
gebracht  haben.  Zweitens  ist  hier  wenigstens  zu  fragen,  ob  der 
Veif.  sich  gar  nicht  nach  der  ältesten  kirchlichen  Eintheilung  des 
Landes  umgesehen  hat,  die  ja  hier,  wie  überall  im  römischen  Beich 
auf  der  alten  politischen  beruht.  Die  grosse  Zahl  alter  Bischof^- 
Sprengel  würden  feste  Anhaltspunkte  für  frühere  Zeit  gegeben  haben. 
Einige  Städtebezeichnungen  bleiben  auch  bei  dem  Verf.  unerklärt, 
so  p.  138  das  Glanum  Liyii,  womit  die  Station  Liviana  p.  128 
wohl  zunächst  zusammen  zu  stellen  ist.  Sollten  die  Namen  Calum 
und  Megalone  (pag.  126.  127)  nicht  griechischen  Ursprungs  sein, 
jenes  im  xaXov  sc.  aTtQcati^Qiav^  6t6ita  oder  ähnliches  bezeichnen, 
dieses  den  alten  Namen  einer  Colonie  Massilias  !^Aon^,  die  Insel 
ausdrücklich  genannt  wird,  in  sich  enthalten? 

Mit  vorzüglicher  Sorgfalt  ist  das  zweite  Capitel  gearbeitet  und 
wahrhaft  geeignet  nicht  blos  für  diese  Provinz,  sondern  überhaupt  einen 
Einblick  in  die  reiche  und  interessante  Gliederung  des  römischen  Mu- 
nicipallebens  zu  gewähren.  Der  Verf.  verbindet  hier  auf  sehr  geschickte 
und  einsichtige  Weise  die  in  der  lex  Bubria  vom  J.  49,  in  der  lex 
Julia  municipalis  vom  J.  45  und  der  lex  Salpensana  und  Malpensi- 
tana  von  den  Jahren  82.  84  p.  Chr.  in  neuer  Zeit  besonders  durch 
Mommsens  Scharfsinn  gewonnenen  Bestiltate  mit  den  inschriftlichen 
Zeugnissen  der  Provinz.    Es  werden  uns  zuerst  die  Gattungen  der 


ifO  Heriogt  ChDte  Mrbonaitit 

du  0«biet  der  Provinz  bfldenden  Gemeinden,  44  an  Zaid,  skea«- 
loniae  oirinm  Romanonun,  als  oppida  oivinm  Latinornm,  eivitas 
foederata  jure  Latii  donata ,  oiyitaa  foederata  libera  immmiiB  und 
endlich  afa  oivitates  stipendiariae  vorgefGllirt,  praefeetmrae  gab  es 
nicht.  Die  Eintheünng  der  römisohen  Colonien  in  die  iaribns  läart 
sich  feststellen,  so  gehören  zur  Volünia  die  Yiennensis  und  ttber- 
hmspt  alle  mit  dem  Bürgerreohi  begabten  AUobroger.  Wenn  der 
Yerf.  p.  165.  166  bohamptet»  dasa  die  eives  der  römischen  Oolo* 
nien  nicht  als  solche  das  jus  hononun  in  Rom  hatten»  aondem  erst 
durch  besondere  Verleihung  an  die  dnzelnen  Personen  oder  dnrdi 
Ertheilnng  des  jns  Italicnm  erhielten,  so  kann  er  doch  wohl  nickt 
meinen,  dass  z.  B.  jene  ftlnf  clUiarischen  grossen  Colonien  römischer 
Bürger  diesen  das  jus  bonorum  entzogen,  —  natürlich  mnsste  ee 
in  Rom  selbst  gesucht  und  ausgeübt  werden  —  sondern  wohl  nur, 
dasB  bei  der  ohne  Oolonisation  stattfindenden  Verleihung  des  Ehren- 
namens einer  römischen  Colonie,  wie  in  Vienna  nicht  unmittelbar 
das  jus  bonorum  mitgegeben  war.  Die  Verwaltung  der  dieeen 
etTitates  oder  oppida  untergebenen  Ortschaften,  Flecken,  der  fora, 
Tiei,  pagi,  deren  Nemausus  z.  B.  allein  24  besaes,  deren  einzelne 
wie  Oularo,  spftter  Oratianopoiis  genannt  auch  zur  Selbstftndigkeit 
gelangten,  war  eine  verschiedene;  die  eigentlich  entscheidenden 
Behörden  werden  doch  Ton  den  heiTSohenden  civitates  gesetzt. 

Wir  kommen  weiter  p.  174ff.  zu  der  Oliederung  der  Be- 
wohner, zunächst  zu  dem  wichtigen  Unterschied  der  munioipes 
und  inoolae,  der  allerdings  sich  wesentlich  ausglich,  seitdem 
die  honores  der  einzelnen  Städte  als  Last  geflohen  wurden  und 
man  zu  ihnen  auch  die  reichen  incolae  heranzog.  Dann  behandelt 
der  Verf.  die  Frage  nach  Nationalität  und  nach  Beschäfti- 
gung, womit  die  Frage  des  statns:  seryi,  liberti,  libertini,  liberi 
eng  yerkntlpft  ist.  Sehr  wichtig  sind  die  Bemerkungen  über  das 
Verschwinden  der  gallischen  Namen,  während  das  Oriechische  iBn- 
ger  widerstanden  habe.  Ref.  hätte  gewünscht,  dass  er  diesen  letzten 
Punkt  auch  statistich  möglichst  genau  rerfolgt  hätte,  wenigetens 
uns  eine  üebersicht  der  so  überaus  zahlreichen  griechischen  Namen 
der  Inschrifben  nach  bestimmten  Vergleichungspunkten  z.  B.  mit 
Unteritalien,  wo  das  Verhältniss  ein  sehr  ähnliches  wohl  war,  ge^ 
geben  hätte.  Das  Berufsleben  müssen  wir  uns  in  der  Narbö- 
nensis  sehr  entwickelt  denken.  Wie  Massilia  notorisch  ein  west- 
liches, TOn  jungen  Römern  vielfach  besuchtes  Athen  war,  so  fehlte 
es  an  Lehrern,  Musikers,  öffentlich  angestellten  Aerzten  in  den  ein- 
zelnen Städten  nicht.  Die  coUegia  opiflcum  können  wir  uns  un- 
möglich als  blosse  Leiehenkassen  denken,  wenn  auch  dieser  Qe- 
sichti^unkt,  gemeinsame  BegiUbnissstätten,  Kosten,  religiöse  Form 
-ein  sehr  wichtiger  war;  Herzog  wirft  mit  Recht  die  Frage  anf, 
warum  gerade  die  inschriftlich  bezeugten,  wie  die  fobri  tignarii  und 
Bubaediani,  utricularH,  nautae,  centonarii,  dendrophori  und  dagegen 
M  viele  andere  nioht  in  eollegia  verbunden  waren.  Br  meint,  ea  Bmütt 


Harsor  OaBk#  MarbiNMUto  UrtMte.  Ml 

wiflontliah  soklie  Oesohttfte,  bei  denen  wegen  der  groaseo  dam 
nStkigen  Capitalien  Geselkchaften  sich  empfiahlen  (p.  189).  Sollten 
ee  niokt  eher  eolohe  Oeschäfte  sein,  welohe  eine  gewisse  milit&risohe 
Bedeutung  hatten  nnd  als  solche  mit  dem  Staate  dnrob  Bauten, 
durch  Beziehungen  lu  Land«-  und  Waseerstrassen  in  Verbindung 
standen?  Bei  den  dendrophori  wird  man  zugleich  immer  an  gewisse 
gemeinsame  religiöse  Functionen  denken.  Auch  diese  coUegia  hatten 
im  FesUeben  eine  Art  Öffentliche  Anerkennung  durch  Brtheilong 
besonderer  Sitse  im  Theater. 

Aus  dem  Kreise  der  Ubertini  geht  seit  Augnstus  göttlicher 
Verehrung  in  den  ProTinzen  eine  Art  höherer  gesellschafUicher  Stufe 
hervor,  die  man  wohl  mit  dem  Bitterstande  in  Bom  yerglichen  hat» 
obgleich  er  zunächst  nichts  damit  zu  thun  hat,  die  seviri  Au- 
gustales  (p.  196—199).  Für  die  Oallia  Narbonensis  knttpftsich 
diese  durch  alle  Stftdte  sich  yerbreitende,  von  den  Öffentlichen  Or- 
ganen gewählte,  lebenslängliche  Ehrenstellung  der  Verehrer  des 
numen  Augusti  im  Namen  des  Volkes  an  die  Stiftung  des  Altares 
durch  die  plebs  Narbonensium  auf  dem  forum  von  Norbonne  im 
Jahr  11  V.  Ohr.  der  uns  mit  seinen  Weihinschriften  noch  erhalten 
und  von  Herzog  nach  neuer  Vergleichung  in  Append.  Nr.  1  her- 
ausgegeben ist.  Hier  werden  in  der  That  seviri  und  zwar  trea 
equites  Bomani  a  plebe  und  tres  libertini  gewählt,  um  an  dem 
Tage,  wo  den  Augustns  saeculi  felicitas  orbi  terrarum  reotorem 
edidit,  also  an  seinem  Geburtstage  wie  an  dem  Tage,  wo  er  zu« 
erst  imperium  orbis  terrarum  auguratus  est,  sowie  au  einem  dritten 
Tage  zu  opfern  und  Wein  und  Weihrauch  colonis  et  incolis  zu  ge- 
währen und  zwar  solchen,  qui  se  nomini  ejus  in  perpetuum  eolendo 
obligaverunt.  Wir  haben  hier  zugleich  einen  interessanten  Akt, 
der  von  dem  Volke  und  zwar  der  plebs  in  geordneter  Versamm- 
lung ausgeht,  zugleich  aber  noch  die  wichtige  Nachricht,  dass  im 
Jal^  11  n.  Ohr.  Augustus  judicia  plebis  deourionibus  eoigunxit, 
was  ich  mit  Keller  nur  davon  verstehen  kann,  dass  in  diesem  Jahre 
die  bisher  von  den  Decurionen  allein  besetzten  Bichterstellen  nun 
auch  EU  einem  Theil  aus  der  plebs  hervorgingen,  wie  in  Bom  selbst 
zwischen  Senatoren,  Bittem  und  tribuni  aerarii  die  Decurien  der 
Richter  vertheilt  waren.  Herzog  (p.  206.  207)  versucht  einen  gans 
andern  Weg,  indem  er  von  einer  Stelle  des  codex  Theodosianus 
(12,  1,  171)  Oebrauch  macht,  wo  es  heisst:  oonsensu  onriae  eli- 
gendos  esse  censemus  qui  contemplatione  actuum  omnium  possint 
respoiidere  judicio ;  aber  dies  respondere  judicio  d.  h.  der  gehegten 
Erwartung  entsprechen  kann  doch  unmöglich  mit  dem  Ausdruck: 
judicia  (nicht  Judicium)  plebis,  die  durch  einen  Akt  denen 
der  decuriones  verbunden  werden,  verglichen  werden» 

Der  erste  und  wichtigste  ordo  in  den  Städten  der  Provinz  ist 
natürlich  der  ordo  decurionum,  über  deesen  Album  und  die  Auf- 
i^alime  U  bestimmtem  Alter  nach  Abkunft,  ünbesoholtenheit,  Oeo- 
stts  von  100|000  Sesterseni  zufolge  beUeideter  stldtiaeher  .Ateiitcrj  xaiii». 


^71  Hertog:  OalUae  Karbonensis  Idstorie« 

tftriBoher  Chargen,  aus  dem  Bereiche  der  vom  Kaiser  anerkannien 
eqnites,  über  deren  lectio  durch  die  obersten  städtischen  Magistrate 
über  deren  fUnQährige  Amtsdauer,  über  deren  acta  et  decreta  der 
Verf.  S.  190  ff.  und  S.  209  ff.  handelt. 

Von  dem  in  späterer  Eaiserzeit  sich  bildenden  Zwischenstand 
zwischen  ordo  und  populus  oder plebs,  nämlich  den  possessores 
kennt  der  Verf.  in  der  Narbonensis  nur  ein  Beispiel  und  zwar  ans 
Aquae  Allobrogum  (Aix-en  Savoie)  Append.  Nr.  574.  Er  versteht 
darunter  mit  Eudorff  die  Grundbesitzer,  deren  Census  zwischen 
10,000  und  100,000  Sesterzen  war  und  die  ohne  alle  Rücksicht 
auf  Abstammimg  und  sonstige  Bedingungen  in  Folge  elues  Qrund- 
hesitzes  zu  den  öffentlichen  Lasten  hinzugezogen  wurden. 

In  den  städtischen  Beamten  (p.  2 1 5  ff.  220  ff.)  spiegelten  sich 
im  Kleinen  die  honores  Roms  selbst  ab,  als  quaestura,  aedilitas, 
duumyiratus  oder  quatuorviratus.  Die  aediles  munerarii  (p.  222. 
Nr.  330.  368)  behalten  die  Ehrenseite  der  Aedilität,  die  Feier 
der  Spiele,  während  die  geschäftliche  Seite  ihres  Amtes  in  manchen 
Städten,  so  in  Vienna  an  triumviri  locorum  pubUcorum  perse- 
quendorum  übergegangen  zu  sein  scheint.  Der  älteste  Name  ftir 
die  oberste  Behörde  ist  entschieden  praetores^  dann  praetores  duum- 
viri,  dann  duumviri,  woraus  durch  Verdoppelung  quattuorviri  wor- 
den, indem  man  die  dnumviri  juri  dicundo ,  und  die  aediles  oder 
duumviri  ab  aerario  zusammen  begriff.  In  Nemausus  aber  werden 
von  quattuorviri  ausdrücklich  noch  quattuorviri  ab  aerario  geschiee 
den.  Der  Name  quinquennales  tritt  in  Narbo  und  Arelate  zu  dem 
der  duumviri  hinzu,  wenn  die  duumviri  jedes  fünfte  Jahr  den  Cen- 
sus halten  und  die  lectio  decurionum  ausftlhren. 

Auch  in  den  priesterlichen  Functionen  sinddieprie- 
sterlichen  Aemter  Rom*s  auf  interessante  Weise  in  der  Provinz 
wiederholt.  Da  kennen  wir  pontifices,  da  flamines  mit  der  flami- 
nioa,  da  augures  und  haruspices  (p.  232—236).  Wir  erkennen  aber 
auch,  wie  hier  der  Cult  der  Roma,  des  Augustus  und  der  kaiser- 
lichen Familie  den  Mittelpunkt  der  Verehrung  der  flamines  bildet. 
Nur  in  Vienna  kennen  wir  einen  flamen  Martis  Juventutis  und  eine 
flaminica  Herae  (nr.  504.  591.  549);  in  Bezug  auf  den  letzten 
Namen  mache  ich  aufmerksam  auf  die  aus  Rom  alt  bezeugte  Hera 
Martea  (Preller,  röm.  Mythologie  S.  304.  Note  1).  Warum  verweist 
der  Verf.  bei  dem  XV^vir  Arausensis  (Append.  nr.  450)  nicht  ebenso 
gut  auf  die  so  wichtigen  und  hochangesehenen  XVviri  sacris  faci- 
undis  Roms?  Der  Jupiter  Anxur,  dem  die  Cadienses  ein  Gelübde 
lösen,  (Append.  nr.  446)  nach  Millins  Vorgang  ohne  Weiteres  für 
einen  gallischen  in  lateinisches  Gewand  gesteckten  Gott  zu  halten 
(p.  202)  scheint  mir  gewagt ;  alle  andern  von  ihm  angeführten  Bei- 
spiele bezeugen  in  Namen  oder  Beinamen  ausdrücklich  oder  in  den 
mitgenannten  Gottheiten  die  gallische  Lokalität  und  Ursprung. 
Warum  kann  der  Cult  des  Jupiter  Anxur,  den  die  gens  Vibia  z.  B« 
zu  ihrem  Hauptkulte  hatte,  nicht   durch  solche  Privatbeziehungen 


B«rBOg;^€tenui«  KwboMnsli  lüstofüL  978 

eines  öliedes  einer  römischen  öens  nach  der  Provinoia  versetst 
sein?  Warum  ist  femer  die  Dea  Aogosia  Andarte  (Append.  nn465) 
unter  die  orientalischen  Gottheiten  gekommen?  Sie  ist  auf  einer 
Reihe  von  Altftren  aas  dem  Ort  Dea  Aognsta  (Die)  bezeugt;  sie 
ist  schon  länger  inschriftlioh  bekannt  als  eine  von  den  Britannen 
verehrte  Gottheit  (Grater  p.  88,  9.  10).  Ich  glaube  im  Gegen- 
theil»  sie  ist  eine  ächte  lokale  und  swar  grosse  Gottheit,  die  nur 
durch  den  Beinamen  Augusta  anerkannt  im  ofEciellen  römischen 
Colt  der  Stadt  schliesslich  den  Namen  gab. 

Eine  wichtige  Zwischenstelle  zwischen  den  ciyitates  der  Pro- 
vinz und  dem  römischen  Staatsmittelpunkt  nehmen  die  patroni 
ein,  die  gewählt  auf  Lebenszeit ,  ja  in  manchen  Familien  erblich 
werden  (p.  206—229),  natürlich  einflussreiche,  hochstehende  Per- 
sonen sind,  die  sich  um  die  Proyincialstadt  besonders  verdient 
gemacht,  ihr  besonderes  Wohlwollen  bewiesen  haben.  So  ward  0. 
Cäsar,  Sohn  des  Agrippa,  Patronus  von  Nemausus.  Eine  grössere 
und  seltenere  Specialisirung  dieser  Würde  ist  es,  wenn  ein  patro- 
nus urbanae  plebis  in  Beii  Apollinares  (Biez)  und  sogar  ein  patro- 
nus pagi  uns  genannt  ¥rird  (Append.  nr.  388.  423).  Dir  reines 
Gegentheil  bilden  die  curatores  oppidorum,  welche  seit  Trajan 
häufig  werden,  und  als  ausserordentliche  Oommissäre  zur  Herstel- 
lung der  Ordnung,  zur  üeberwachung  der  Städte  gerade  die  muni* 
cipalen  Bechte  nicht  schützen,  sondern  mehr  und  mehr  illusorisch 
machen  (p.  252  ff.). 

Wir  treten  hiermit  bereits  in  das  Gebiet  der  das  römische 
Imperium  vertretenden  Gewalten  ein,  in  die  von  Bom  ausgehende 
oberste  Verwaltung  und  Leitung  der  Provinz.  Li  dem 
dritten  Capitel  des  zweiten  Theiles  hat  der  Verf.  de  institutis  pro- 
vincialibus  gehandelt  und  zwar  nach  den  zwei  Hauptgesichtspunkten 
de  officiis  magistratum  (p.  239 — 241)  und  de  partibus  administra- 
tionis  (p.  241—262).  Da  die  Narbonensis  seit  22  v.  Ohr.  sena- 
torische Provinz  war,  so  sind  die  obersten  Behörden  der  propraetor 
oder  proconsttl  dem  Titel  nach,  dessen  legatus  und  quaestor.  Da 
der  proconsul  keine  Militärmacht  zur  Seite  hat,  zieht  er  togatus 
in  die  Provinz.  Von  in  der  Provinz  stehenden  Legionen  ist  daher 
auch  nichts  zu  suchen;  nur  eine  cohors  provinciae  Narbonensis 
(Append.  nr.  676)  wird  uns  einmal  genannt,  welche  allerdings  in 
der  Umgebung  des  proconsul  ezistiren  mochte.  Der  delectus,  die 
Aushebung  zum  Legioneudienst  fand  im  Namen  des  Kaisers  durch 
dessen  legati  Statt,  ihm  untergeben  waren  die  viae  publicae,  die 
grossen  Heerstrassen,  an  ihn  konnte  schliesslich  appellirt  werden; 
ein  kaiserlicher  procurator  hatte  die  an  den  kaiserlichen  fiscus 
fiiessenden  Einkünfte  zu  besorgen.  Die  Fiuanzverwaltung  hatte 
überhaupt  es  mit  den  Einkünften  dreier  Kassen  zu  thun,  dem  aera- 
rium  publicum,  aerarium  militare  uud  dem  fiscus  Oaesaris;  fielen 
in  die  erste  und  wichtigste  die  tributa  soli  und  capitis,  in  die 
zweite  die  annona,  die  NaturalUeferungen  für  die  durchziehenden 


5fi  S«rs#gs  (MBm  Ni 

Truppen,  so  die  Tio«ilina  Hbertatis  hereditt^tam,  wi#  di«länkftiift« 
ttiM  dem  patrimoniimi  Caeearis  z.  B.  den  wichtigsten  Siseiibev^wef k«ii 
bei  Karbonne  in  die  dritte  Kasse.  Die  Reobtspflege  mit  Ausnokme 
des  kleinen  den  Munieipiem  vorbehaltenen  Kreises,  die  Oberanfsiekt 
der  Offdntlioben  Arbeiten,  die  oberste  Yerwaltamg  der  Staatsetn* 
kflnfte,  die  religiösen  Functionen,  die  im  Namen  der  ganzen  Pro- 
vinz regelmässig  wiederkehren  oder  besonders  angesetzt  werdm, 
s.  B.  (jhelübde  iür  das  kaiserliche  Haas,  alle  dieee  OegensUnde 
fallen  den  obersten  senatoriscken  Beamten  zu.  Oerade  der  leirte, 
der  reUgiSse  Oesicktspnnkt  war  es,  an  den  die  Entseheidimg  regel- 
massig zusammentretender  ProTinoiallandtage  sieh  anknüpft  (eon- 
¥entas,  eondlia  quinqaennalia),  welohe  dann  sMieh  eine  weitere  Be* 
denttmg  in  Bezog  auf  Anerkenmmg  oder  Büge  über  die  VerwaHvag 
der  Proconanlee  erhielten.  Gerade  hierAlr  ist  jenes  wiehtige  Beeoitpt 
•des  Honorios  imd  Tkeodosins  11.  ans  dem  J.  418  so  entseheidend» 
dessen  Betrachtoag  aber  bereits  die  Gränzen,  die  der  Verf.  sieh 
gesteckt,  überschritt  (p.  258). 

Der  wichtige  Anhang  der  hier  in  mögliehst  gedrängter  üeber^ 
sieht  dargelegten  schätzbaren  Arbeit  von  Herzog  bildet,  wie  Bdktm 
erwähnt,  die  Appendix  epigraphica  Ton  174  Seiten.  Wir  mftaaeo 
tms  versagen  hier  aof  vielfach  lockende  Einzelheiten  einzugehen, 
bemerken  aber  nmr  zur  Orientinmg,  dass  wir  in  den  hier  vereiiitmi 
670  Inschriften  allerdings  kein  volles  Corpus  inscriptionnm  latina- 
mm  provinciae  Narbonensis  besitzen,  dass  der  Verf.  ganz  unbe- 
deutende, nur  Namen  enthaltende  oder  verdächtige  Inschriften  aus- 
gelassen, dass  er  dagegen  zuletzt  auch  andere,  auf  die  Narbonen- 
sis bezügliche  Inschriften,  lateinische  und  griechische  angeftkgt  hat, 
dasB  auch  ihm  ein  guter  Theil  von  Inschriften  z.  B.  von  den  Mauern 
Narbennes  unzugänglich  blieb,  dass  er  darauf  verzichtete  die  In- 
schriften in  ihrer  Form  zu  reproduoiren,  aber  Aocente  und  lange 
J  aatgegebenhat;  eine  grosse  Zahl  verdankt  ihm  eine  genaue  Lesung. 
In  der  Anordnung  folgt  er  der  geographischen,  innerhalb  derselben  dami 
der  realen  der  Abstuflmg  von  kaiserlichen  bis  zu  rein  privaten  In- 
schriften. Die  Inschriften  der  Strassen  (»lapides  miliarii«)  bilden 
einen  Abschnitt  tta  sich.  Gute  Register  unterstützen  endlich  wesenl- 
Kcfa  den  GebnMich  dieses  so  werthvoUen  Urktmdenbnches. 

Heidelberg,  im  JuU  1866.  K*  IL  Stark. 


Jf  oaf  ueltjr,  Ehtdw  jmt  la  eastramOaäon  dm  Romaim  -ä  mtr  imntg 
inMudom  müUaire».    Paria  1864. 

Der  Verfasser  langweilt  sich  an  den  Irrthttmem  eines  gelelir- 
ien  OoBunentators  Plntaroh's  ane  yergangMen  Zeiten,  F^lard's  nftm- 
liob,  und  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt  seinerseits  eine  neoe  grOnd* 
li^he  Studie  ttber  Lagerbefestignng  n.  s.  w.  bei  den  BCmem  zu 
lieten,  was  ihm  ans  awei  Chrflnden  leichter  werde«  wird,  ein« 
mal  weil  inzwischen  Plntarch  und  Polybias  besser  tlberwtst 
worden  sind,  als  es  z*  B.  ThaiUier  zo  seiner  Zeit  (1727)  yet^ 
standen  hatte,  nnd  dann  weil  der  Verf.,  Herr  Masqnelez,  selbst 
MiHtir  war. 

Indras  er  den  Vorzug  der  Orttndlichkeit  mit  dem  der  VoIU 
sttndigkeit  zn  Tsrbinden  strebt,  spricht  «r  sieh  nicbt  blos  ttber 
die  Ihigenttgendheit  seiner  gelehrten  Verginger  auf  diesem  Oebieta 
ans  (Just.  Lipsins,  Saumaise,  Schelius,  Casauboms),  sondern  er 
yerspricht  die  Berichtigung  der  bertthmten  Stelle  bei  Peljbtns 
(VI,  26),  nnd  in  Verbindnng  damit  eine  Prttfting  und  Benrtheilung 
des  eiasohlftgigen  mibtärischen  QueUenschriffesteUers  Hjginns  Ore- 
maticufl  n.  a. 

So  weit  die  erste  Abhandlung!  Er  erörtert  hierauf  den  Grad 
der  Ghündlichkeit  in  des  Polybius  Angaben  (8.  10  ff.)»  Tecfatfertigt 
das  Bedftrfoiss  der  Vereinigung  mid  Uebersetzung  der  auf  die 
Lagerbauten  bezüglichen  Stellen  aus  Polybifos  undHygin  (8. 24  ff«). 
Darauf  unternimmt  der  dritte  Abschnitt  die  erwähnte  Vereini« 
gung  u.  s.  w.,  woran  sich  reichhaltige,  und  dmrch  Hinweisong  auf 
die  Griechen,  sowie  durch  veranschaulichendo  Figuren  erweitevie 
firkllrungen  sieh  als  vierter  Abschnitt  ansohliessen  &  4Sfr« 
Dieser  ist  sehr  ausgedehnt  und  grttndHcb;  den  Besehhtss  macht 
ein  alphabetisch  geordnetes  VerzeichniBS  ron  hsnfig  bei  Schrift* 
st^em  wiederkeharenden  Ausdrücken  ftLr  Belagerung,  MssohineUi 
nebst  zugehörigen  Erklftrongen  (8.  177  ff.).  Da  sher  dieser  dem« 
mentar  noch  nicht  zu  Ende  sein  soll,  feigen  nun  Erldlimngen  wich« 
tiger  militftrischer  Aemter  (legati,  tribuni  S.  196,  nnd  militärischer 
cattungen,  yelites,  rorarii,  accensi,  6.  20i2,  Lagerinstrumente) 
comu,  tuba,  bucina,  lituus,  S.  219,  Lagersignale,  classicum  8.228, 
Poetenablösung,  Tag-  und  Nachtdimist,  8.  289,  Lagerdisciplin, 
8.  250,  Belohnungen,  8.  267,  Ernährung,  8  298,  Verwaltung  und 
Verantwortlichkeit,  S.  298,  Marschregel,  8.  828,  üntersohied  zwi* 
sehen  acies  und  agraen,  8.  282.  Der  hier  verwerthete  Apparat 
militftrisohen  Wissens  ist  unter  zwei  und  yierzig  Fragmente  ver* 
theilt,  womit  zugleich  der  methodische  Standpunkt  der  Schrift  an- 
gedeutet ist,  die  kein  neues  System  geben  will,  8.  1. 

8o  sind  wir  endlich  auf  S.^337  angelangt,  wo  eine  neue  Ab- 
handlung, die  fünfte  beginnt,  die  TTebungen,  Zeltaufrichtungi 
weise  u.  s.  w.  betreffend. 


Die  sechste  Abhandlung  giebt  speciell  eine  XJebersetzucg  ^^^ 


^' 


fM  llAtqu^l«*:  Im 

Hjginos,  8.  344,  nebst  den  zagehOrigen  ErUttnuigen  unter  LTUI 
Absatzen,  S.  844—449. 

Die  siebente  Abhandlnng  ist  ein  Abschnitt  ans  dem  Cestea 
des  Jnlins  Airicanns,  der  den  Lagerdienst  besohreibt  8.  450  ff. 

Der  achte  ist  eine  dankenswerthe  Uebersicht  der  Darstellnng 
des  Vegetins  über  Lagerbefestigong,  8.  455. 

Die  nennte  führt  die  Institntiones  militares  des  Kaisers  Leo 
Philosophns  anf  Excerpte  ans  Onosander  nnd  E.  Manricins  znrü.ck. 
8.  465  nnd  citirt  speciell  daraus  Institutionen  (die  9.,  11«,  14., 
16.,  17.,  29.)  an,  welche  die  Einrichtung  des  Lagers  leiten. 

Etwas  genauer,  weil  wir  selbst  doch  anderw&rts  schon  daa 
Bedürfniss  einer  Kritik  des  Yegetius  nahe  gelegt  haben*),  wollen  wir 
noch  auf  die  achte  Partie  des  Werkes  eingehen.  Die  Stellen,  welche 
sich  auf  die  Befestigung  eines  Lagers  beziehen,  sind,  wie  gesagt, 
hier  übersichtlich  vereinigt;  theils  gehören  sie  dem  ersten  Buche 
des  Yegetius  an,  theils  dem  zweiten,  theils  dem  dritten,  und  sind 
übersetzt. 

In  den  Stellen  »us  dem  ersten  Buche  wird  die  Lokalität  und 
die  Orösse  des  Lagers  besprochen;  femer  die  Gestalt,  dann  der 
Hergang,  wie  es  ausgeworfen  wurde ;  endlich  wird  der  Fall  gesetzt, 
dass  ein  Kampf  engagirt  ist,  und  es  nun  rasch  von  der  halben  In- 
fanterie aufgeschlagen  wird.  Diesen  Stellen  geht  ein  Oapitel  voran, 
das  historischen  Werth  hat.  Yegetius  klagt,  dass  zu  seiner  (also 
zu  Yalentinian's  11.)  Zeit  diese  Kunst  verloren  sei,  und  findet  den 
Grund  darin,  dass  die  alten  Lager  immer  wieder  bezogen,  und  mit 
Gr&ben  und  Palissaden  versehen  vorgefunden  werden.  Er  versichert, 
dass  die  Soldaten,  welche  in  einem  Gefecht  nicht  in  ein  befestig* 
tes  Lager  sich  zurückziehen  können,  sich  tödten  lassen  wie  wehr- 
los, und  dass  man  keine  dem  Tode  entrinnen  sehe,  als  nur  die- 
jenigen, welche  der  Feind  nicht  hat  verfolgen  wollen. 

Die  Stellen  aus  dem  dritten  Buche  sind  Wiederholungen  und 
Erweiterungen.  Die  Stellen  aus  dem  zweiten  beschäftigen  sich  mit 
dem  praefectus  castrensis  der  die  Arbeiten  leitete. 

Die  Einleitung  des  Yerfassers  zu  dieser  Abhandlung  resumirt 
die  Aeusserungen  seiner  Yorgftnger  (Maizeroy,  Guischard  und  Sohe- 
lius)  über  die  ünkritik  des  Yegetius! 

Im  Ganzen  und  Einzelnen  ist  die  Absicht  des  Yerfassers  ge- 
wesen, einen  Gommentar  zu  den  bereits  genannten  Schriftstellern 
SU  liefern.  Gründliche  Forschung,  wie  der  reichhaltige  Citaten- 
apparat  beweist,  paart  sich  bei  ihm  mit  dem  Beruf  für  diese  Arbeit. 
Illustrationen  sind  stellenweise  angebracht,  doch  spftrlich. 

Heidelberg,  im  JuU.  Dr.  H.  Doergeiifl« 


*)  Eine  solehe  wird  noch  bei  Lfmarre  TennUai 
"*Mdelb.  Jahrb.  1865.  No.  18.  8.  197.  - 


S.  unsere  Anselge 


Ii.  37.  HEIDELBEBGEB  1866. 

JAHBBÜCHBR  DER  LITERATUR 


Die  Lustspiele  des  Plautus^  DeuUch  in  den  VeretnoBsen  der  ür- 
eehrift  van  J.  J.  C  Donner,  Leipzig  und  Heidelberg,  0,  F. 
Wintereiche  Verlägshandlung.  Erster  Band.  1864.  846  8.  Zwei- 
ter Band.    1865.    298  8.  in  8. 

Es  ist  noch  nicht  lange,  seit  wir  in  diesen  Jahrbüchern  (Jahrg. 
1864*  S.  744  ff.)  die  von  dem  Verf.  gelieferte  üebersetznng  des 
Terentias  besprochen  haben:  im  Vorstehenden  haben  wir  den 
Lesern  eine  neue  üebersetznng  vorznftlhren,  welche  der  nnermüdet 
thfttige  Yer£Eisser  von  dem  andern  komischen  Dichter  der  römischen 
Welty  Ton  Plantns  geliefert  hat.  Dass  bei  Plantus  die  Schwie- 
rigkeiten einer  gnten  nnd  lesbaren  dentsohen  üebersetznng  nngleioh 
grösser  sind,  als  bei  Terentins,  wird  Jeder,  der  nnr  einigermassen 
in  den  lateinischen  Originalen  sich  nmgesehen  hat,  gerne  einge- 
stehen: er  wird  eben  so  aber  anch,  wenn  er  in  die  hier  gelieferte 
deutsche  üebersetznng  einen  Blick  wirffc,  sich  bald  überzengen,  wie 
glücklich  der  Meister  deutscher  Uebersetznngskunst  auch  diese 
Schwierigkeiten  zu  überwinden  gewnsst  hat,  nm  auf  diese  Weise 
den  gefeiertsten  komischen  Dichter  der  römischen  Welt  auch  wei- 
teren gebildeten  Kreisen  unserer  Zeit  zugänglich  zu  machen.  Die 
richtige  Erkenntniss  dessen,  was  von  einem  üebertrager  classischer 
Werke  des  Alterthums  verlangt  werden  kann,  die  sichere  Oewand- 
heit  in  der  Anwendung  der  deutschen  Sprache  hat  sich  auch  in 
dieser  üebersetznng  bewährt :  die  reiche  Erfahrung  und  üebung,  wie 
sie  dem  Verf.  auf  diesem  Gebiete  zu  Gebote  steht,  hat  ihren  Charakter 
auch  diesem  neuen  Werke  eingeprägt,  und  wird  auch  nicht  verfehlen, 
einen  günstigen  Eindruck  überall   bei  dem    Leser  zu  hinterlassen. 

In  der  äusseren  Einrichtung  ist  diese  üebersetznng  des  Plan- 
tus der  des  Terentius  ganz  gleich  gehalten.  Der  reine  correcte 
Druck  und  das  gute  Papier  verdienen  gewiss  alle  Anerkennung; 
auf  die  üebersetznng  eines  jeden  Stücks  folgt  eine  üebersicht  der 
darin  vorkommenden,  vom  Verf.  in  der  deutschen  Sprache  mit 
möglichster  Treue  nachgebildeten  Yersmaasse,  und  dann  die  An- 
merkungen, in  welchen  einzelne,  einer  Erklärung  bedürftigen  Punkte 
des  Textes,  erörtert  werden.  Ein  jeder  der  beiden  Bände  enthält 
drei  Stücke,  im  ersten  ist  der  Grosssprecher  (Miles gloriosus), 
der  Schatz  (Trinummus)  und  der  Schiffbruch  (Budens),  im 
zweiten  sind  die  Kriegsgefangenen  (Captivi),  die  Zwillinge 
(Menächmi)  und  der  Hausgeist  (Mostellaria)  enthalten.  Wir 
haben  schon  früher  darauf  hingewiesen,  mit  welchem  Geschick  der 
VerjEEisser  insbesondere  die  sechsfüssigen  Jamben  in  imserer  Sprache 
LYm.  Jahrg.  &  Heft  87 


BTd  Vliiitftft  VMi  Dotilior. 

wiederzngeben  weiss:  reiohliche  Belege  aller  Orten  bieten  daza 
aaoh  diese  tJebersetetoigen  des  Pla^tus.  So  z.  B.  bei  dem  aa  «rster 
Stolle  genannten  BtUok  greifen  wir  naeb  dem  Anftmg  des  zweiten 
Acts,  wo  Palästrio,  der  Diener  des  Hauptmanns,  an  die  Znscbauer 
mit  der  folgenden  Ansprache  sieb  richtet : 

Den  Inhalt  darznlegen,  bin  ich  gern  bereit. 

Habt  ihr,  mich  anzuhören,  die  Gewogenheit. 

Wer  nicht  verlangt  zn  hören,  hebe  sich  hinaus, 

Auf  dass  ein  Andrer  sizen  kann,  der  hören  will. 

Nun,  weil  ihr  euch  an  diesem  lustigen  Ort  gesezt. 

Will  ich  des  Lustspiels,  das  vor  euch  jezt  spielen  soll, 

Inhalt  sowohl  als  Namen  euch  verkündigen. 

Alazon  ist  der  griechische  Name  dieses  Stücks, 

Das,  was  in  unsrer  Sprache  jezt  >Orosssprecher€  heisst. 

Die  Stadt  ist  Ephesus,  und  der  Soldat  mein  Herr, 

Der  jezt  zum  Markte  ging,  ein  frecher  Lügenbold, 

Ein  rechter  Schweinkerl,  voll  Betrug  und  Ehebruch; 

Sagt,  alle  Weiber  laufen  ihm  freiwillig  nach. 

Wohin  er  geh*n  mag,  ist  er  aller  Leute  Spott. 

Drum  auch  die  Mädchen^  die  nach  ihm  den  Mund  verziehen, 

Die  siehst  du  meist  mit  schiefen  Mäulern  hinter  ihm. 

Dagg  ich  in  seinen  Diensten,  ist  nicht  lange  her. 

Doch  wie^s  gekommen,  dass  ich  an  den  Herrn  gerieth 

Von  meinem  andern,  frühem  Herrn,  erfahrt  ihr  jezt. 

Merkt  auf;  denn  nun  beginn^  ich  die  Historia. 

In  Athen  bedient'  ich  einen  wackem  jungen  Herrn. 

Der  war  verliebt  in  ein  athenisch  Mädchen,  und, 

Wie*s  ächte,  wahre  Liebe  pflegt,  sie  liebt'  auch  Qm. 

Der  ward  einmal  von  hoher  Bepublik  Athen 

In  Statsgeschäfben  nach  Naupactus  abgesandt. 

Indessen  kommt  auch  mein  Soldat  zur  Stadt  Athen, 

Schleicht  bei  der  Freundin  meines  Herrn  sofort  sich  ein, 

Und  fängt  mit  Wein,  Puzwaaren,  leckem  Gasterei'n 

Sich  bei  des  Mädchens  Mutter  einzuschmeicheln  an. 

So  wird  er  bei  der  Kupplerin  bald  ganz  vertraut. 

Kaum  dass  dem  Söldner  die  öelegeiiheit  sich  bot, 

So  wird  des  Mädchens  Mutter,  das  mein  Herr  geliebt, 

Der  Kupplerin,  das  Maul  geschmiert;  die  Tochter  wird 

Von  ihm^  der  Mutter  unbewusst,  in  ein  Schiff  gelockt, 

Und  wider  Willen  hergeschleppt  nach  Ephesus. 

Doch  ich,  sobald  ich  hörte,  dass  sie  von  Athen 

Hinweggeschleppt  sei,  sehe  möglichst  schnell  mich  um 

Nach  einem  Schiffe,  meinem  Herrn  es  kundzuthun. 

Als  wir,  an  Bord  gestiegen,  kaum  die  hohe  See 

Gewonnen,  nahm  ein  Kaper  unser  Schiff  hinweg. 

So  war  ich  Sklave  noch  bevor  ich  meinen  Herrn 


Erreicht;  ^  Kiwer  nobfDikt»  «Mk  4eiii  SöUmt  kiet. 

Naohdem  mich  4^^  m  9»mm  H»nghi4t  fling»ftfcyt> 

Seh'  ich  die  Fieimdi4  i^mes  Hßmi»  ii^  Aikew$M^ 

Sie,  mich  gewahro^d»  wiffkte  mit  4^ii  Ang^li  mir 

Za  schweigen;  d(wi»,  ßobftU  fliob  ihr  0#kge»hftH 

Darbot,  beklagt  sie  gegPü  wich  ihr  IßsgeMhiök. 

Sie  sagt,  sie  wolla  «ach  Athf  a  mm  ämem  Ifona 

Entfliehen,  eatflieh'a  za  meioom  B^fr»*  de^  lieb^  m$ 

Und  hasse  keinen  Menseben  wift  4e»  ^öidiwr  hier» 

Ich  aber,  als  ich  ihrf i^  ^tnm  Sim  ejrkwmt, 

Schrieb  gleich  ein  BriefchWi  und  Tfrsi^V  M  mg^m  0«  s.  w« 

Oder  wir  lassen  auf  diese  Iftqg^re  gteUf  im  AtJmg  Mß  depi 
Schatz  folgaii,  wo  Ibigaroiiidiß  mi  fplgaade«  WortM  M(t|#|: 

Fürwahr,  den  Frenjid  zu  schelten  um  rerdiente  Schuld, 
Belohnt  sidi  niemals,  aber  mag  zu  Zeiten  doch 
Erspriesslich  sein.    So  mnss  ich  heute  meinen  Fretmd 
Für  seine  wohlverdiente  Schuld  aussöhmah'ü :  ich  tha*d 
Ungeme,  doch  mich  treibt  daen  die  Frenndespflicht. 
Die  Seuche  griff  hier  ohne  Mass  die  Sitten  an, 
Dass  wir  dem  Tode  grössten  Theils  verfiftlleTi  sind, 
lodess  die  Sitten  kranken,  schiesst  voll  TJeppfgkeit, 
Wie  geiles  Unkraut,  wild  empor  die  schlechte  Zucht, 
mchts  ist  bei  uns  wohlfeiler,  als  die  Schurkerei; 
Da  kann  die  reichsten  Garben  mäh'n;  wer  ernten  will. 
Denn  Viele  buhlen  um  die  Gun^t  yon  Wei^gen, 
Und  achten  die  weit  hoher  als  gemeines  Wohl. 
So  muss  der  Wohlstand  weichen  vor  der  Schmeichelei^ 
Die  manches  Unheils  Mutter  ist,  Unfrieden  s&t. 
Und  alles  wahrhaft  Edle  hemmt  in  Haa3  imd  Sta^t« 

Nicht  minder  gelungen  erscheuit  der  Prolog  des  Schiff«- 
bruchs,  aus  welchem  wir  wenigstens  dcA  Anfang  mittheilen  wol- 
len, wo  der  Dichter  den  Arcturus  also  redend  einftlhrt: 

Der  alle  Völker,  aUee  Meer  und  Land  bewegt. 

Des  Gottfif  LandsmuHi  bin  ich  in  des  HüttttcJls  Land. 

Ich  bin  ein  cflättZAnd  heiler  9tem,  vie  iixx  sueh  eeht; 

Ein  Zeichen,  das  ni  seinsr  Zeit  Ak  stet»  ecbebt 

Hier  und  am  Himmel,  «ftd  ijwtnr  werd'  ioh  geianoi. 

Naehfa  g^laf  ioh  faoU  am  Himnud  bei  der  G0tter  OchMr; 

Ta^  irandl'  ich  «m  M9i  Erdan  wter  Sterblidtan. 

Auch  andre  Sterne  senken  sich  zur  Erd*  herab. 

Der  Gi5tter  und  der  Mensdwr  Herrscher,  Jupiter, 

Schickt  durah  die  Welt  uns,  diesou  hiei;,  den  andern  dort, 

Dass  ¥rir  der  MeDecheu  Werke,  SHiev,  FrOmnugkAit 

U«d  Txw  erepäb'm  und  wi^  der  WohletoAd  ihnw  bommU 


810  Pktilii  TOB  D#iifl6r; 

Wer  Yor  dem  Biohter  seine  Solmld  absohwOrt,  ond  wer 
Durch  falsches  Zengniss  fidsches  Eigenthtim  erstrebt, 
Die  Namen  Soloher  bringen  wir  yor  Jupiter. 
Tagtäglich  wird  ihm  Kunde,  wer  auf  fibses  sinnt. 
Wer  hier  mit  Heineid  den  Process  gewinnen  will, 
Wer  vor  (Bericht  böswillig  fremdes  Gut  erwirbt, 
Die  Sache  dessen  richtet  er  nochmals  und  straft 
Mit  grosseren  Bussen,  als  Qewinn  der  Trug  gebracht. 
Der  Guten  Namen  kündet  ihm  ein  andres  Buch. 
Die  Bösen  aber  wähnen  oft,  Zeus  lasse  wohl 
Durch  Opfer  und  Geschenke  sich  begtttigen; 
Doch  sie  yerlieren  Htth*  und  Geld;  denn  kein  Gebet 
Von  eidvorgessenen  Freylem  ist  ihm  angenehm. 
Ykl  leichter  wird  der  Fromme,  der  die  Himmlischen 
Anfleht,  Gewährung  finden,  als  der  Bösewicht. 
Euch,  die  ihr  hier  seid,  mahn*  ich  denn,  ihr  Bedlichen, 
Die  treu  ihr  Leben  führen  und  mit  Frömmigkeit: 
So  bleibt  hinfort  auch,  die  ihr  einst  euch  dessen  freut« 
Doch  nun,  warum  ich  hier  erschien,  erklär*  ich  euch: 
Vernehmt  den  Inhalt  unsres  Stücks  aus  meinem  Mund. 


Um  indessen  auch  eine  Probe  der  achtfüssigen  Trochäen  zu 
geben,  setzen  wir  den  Anfang  der  ersten  Scene  im  dritten  Act  der 
Eriegsgeüangenen  hierher,  wo  der  Parasit  Ergasilus,  in  folgender 
Weise  sich  yemehmen  lässt: 

Schlimm  hat*s  der,  der  sich  sein  Essen  sucht,  imd  kaum  es  finden 

kann. 
Schlimmer  noch,  wer  sich's  mit  Mühe  sucht,  und  gar  nichts  finden 

kann, 
und  am  schlimmsten,  wer  zu  essen  wünscht,  und  nichts  zu  essen  hat. 
Ging'  es  nur,  dem  heut'gen  Tage  krazt*  ich  gern  die  Augen  aus: 
So  mit  Bosheit  hat  er  alle  Menschen  wider  mich  erfüllt. 
Ja,  so  nüchtern,  so  gestopft  mit  Hunger,  sah  ich  keinen  Tag, 
Keinen  noch,  wo  mir  so  wenig  glückte,  was  ich  unternahm. 
Also  feiern  Mund  und  Magen  heute  Hungerferien. 
Fort  mit  ihr,  an*s  höchste  Kreuz  fort  mit  der  Parasitenkunst  1 
Einen  armen  Lustigmaoher  meidet  jezt  das  junge  Volk. 
Man  yerachtet  uns  Lakonen,  die*s  am  Tafelrande  sich 
Gnfigen  lassen,  Prttgelleider,  Schwäzer  ohne  Gut  und  Geld. 
Solche  sucht  man,  die*s  erwiedem,  wenn  man  sie  gefüttert  hat* 
Auf  dem  Markte  kauft  man  selbst  ein,  —  sonst  der  Parasiten  Amt. 

Oder  aus  demselben  Stück  den  Epilog  der  Schauspieler: 

Werthe  Bürger,  dieses  Stück  ist  züchtig  und  yon  keuscher  Art 

Keine  Buhlschafb,  keine  Liebeleien  finden  sich  darin, 

Nichts  yon  untersohobnen  Kindern,  nichts  yon  abgelocktem  Geld; 


PkvftBS  ^n  Donaer.  ati 

Kein  VerUebier  kauft  ein  Mädchen  hinter  eeinam  Tater  los. 
Selten  nnr  erfinden  Dichter  solcher  Art  Oom5dieB9 
Wo  die  Guten  besser  werden.    Aber  nun,  wenn^s  euch  gefiütt, 
Wenn  wir  euch  gefielen,  nieht  langweilten,  gebt  ein  Zeichen  uns: 
Ist  die  Sittsamkeit  noch  eines  Kranzes  werth,   so  klatschet  brar! 

Eine  weitere  Probe  mag  den  Zwillingen  entnommen  sein, 
wo  am  Anfange  des  dritten  Acts  der  Parasit  Kehrwisch  (so 
wird  Peniculns  Übersetzt)  folgende  Worte  spricht: 

üober  dreissig  Jahre  bin  ich  jezt  hinaus;  doch  macht*  ich  nie. 
Seit  ich  lebe,  solchen  dummen,  solch  yermchten  Streich,  wie  heut. 
Wo  ich  in  die  Yolksrersammlung   (o   der  Schmach  I)   mich  einge- 
drängt. 
Während  ich  das  Maul  daselbst  aufsperre,  macht  Menächmus  sich 
Weg  Ton  mir,  läuft  wohl  zu  seinem  Liebchen  hin,  und  läset  mich 

stehen. 
Straften  ihn  doch  alle  05tter,  der  die  Yolksrersammlungen 
Einst  erfand  und  schon  beladne  Leute  so  noch  mehr  belud! 
Sollte  man  nicht  Hüssiggänger  auserseh*n  zu  dem  Geschäft? 
Kämen  die  nicht  zur  gebotnen  Zeit,  so  strafte  man  sie  gleich. 
Viele  gibt's,  die  Ein  Gericht  nur  täglich  essen,  nichts  zu  thun 
Haben,  und  zu  keinem  Mahle  laden  noch  geladen  sind. 
Wären  die  nicht  gut  genug  zu  Volks-   und  Wahlyersammlungen? 
Gälte  das,  dann  hätt'  ich  heute  nicht  die  Mahlzeit  eingebüsst, 
Die  so  sicher,  als  ich  lebe,  mir  die  Götter  zugedacht. 
Aber  geh'  ich :  auch  die  Hoffnung  auf  die  Brocken  reizt  mich  noch. 
Doch  Menächmus  seh'  ich  dort;   er  kommt  bekränzt  heraus.     Das 

Mahl 
Ist  Tortlber;  ihn  zu  holen,  komm*  ich  eben  recht  daher. 

Oder  was  in  der  zweiten  Sceue  des  yiertenAkts  dem  Menäch- 
mus in  den  Mund  gelegt  ist,  in  Bakchischen  und  Kretischen 
Versen : 

Wie  herrscht  doch  so  gar  allgemein,  uns  zur  Last  nur, 

Der  unsinn'ge  Brauch!  Wenn  im  Staat  Einer  Einfluss 

Und  Macht  hat  und  hoch  steht,  so  hat  er  die  Grille: 

Er  wünscht  eine  recht  grosse  Zahl  von  Clienten. 

Ob  sie  gut  oder  sohlecht  sind,  nach  dem  fragt  kein  Mensch. 

Ob  sie  reich  oder  arm,  das  allein  wird  gefhtgt, 

Sei  der  Buf,  wie  er  will. 

und  ist  Einer  arm,  aber  ehrlich,  er  gilt  doch 

Fttr  mmüz ;  ein  Schelm,  ist  er  reich,  steht  in  Anseh'n. 

Wer  nach  Becht,  Billigkeit  und  G«sez  nirgend  fragt. 

Der  ist  seinem  Schuzherm  zur  Qual  nur, 

Lftugnet  ab,  was  man  ihm  anvertrant; 

Stets  nach  Baub  und  Streit  verlangend, 


snr  piMCitt  t4D  i>oiit«v. 

Ist  Trag  beia^  Lofug« 

Durch  Meineid  oad  VTwlier 

Erwatb  er  sidi  BekUhani;  auf  Zank  steht  sein  Sma  tmr. 

Belangt  Inau  ihn,   00  mnei  sii(^ai4h  mit  ihai  der  Behoaherr  rot 

Ctorioht^ 
Mu88  seinen  Sohüzling,  was  er  anch  verbroohen,  selbst  yertheidigen^ 
Es  sei  TOT  ten  Ydk,  yof  dem  Piftfor,  dem  Eiohter« 

Wir  Algen  cum  Schlnea  dieser  Proben  nooh  die  vierte  Soene 
des  sechsten  Aktes  bei,  welche  einen  Monolog  des  Bedienten  Mes- 
seni»  anfiillt  «nd  atls  Bakdieen»  Kretikern»  TroohAen  nad  Jamben 
ist: 


Döf  Knecht,  wld  er  sein  doli«  der  nur  seines  Herrn  Wohl 

Bedenkt  und  besorgt,  der  bewacht,  was  des  Herrn  ist, 

Ancid  wenn  er  entfernt  ist,  mit  Sorgfalt  und  Umsicht, 

iln  wir*  er  wgegcn,  ja,  wahrt  es  noch  treuer. 

Die  Haut  muss  ihm  mehr,  als  der  Schlund,  und  die  Beine 

Ihm  meht  als  ddr  JSatich  sein,  wess  Herz  nicht  verkehrt  ist. 

Denk'  et  doch,  welcher  Lobn  von  dem  Herrn  denen  wird. 

Welche  nichts  taugen,  die  trag  und  unnüze  sind: 

Schläge,  Ketten,  Mtlhle,  Mattheit,  grösser  Hunger,  bittre  Küte, 

Das  ist  der  Tr&gheit  hetber  Lohn. 

Vor  solchen  Üebebi  sehen*  ich  nüch|  dnim  bin  ich  lieber  gnt  alft 

schlecht. 
Denn  lieber  duld*  ich  Mahnungen,  als  Ahndungen,  da  graut  mir  vor. 
Und  esse  so  ^el  lieber  auch  Gemahlenes,  als  icli  mahle  selbst. 
Vttm  itaht^  Ich,  was  mein  Hert  befiehlt,  wohl  aus,  bedien'  ihn 

amsig,  und 
Das  frommt  mir  auch.  Die  Andern  mögen  sein,  wie's  ihnen  nflz- 

lich  dünkt; 
loh  aber  will  mich  halten^  wie's  die  Pflicht  gebeut,   will  stets  in 

J'urcht 
▼ot  Strafe  selii,  damit  ich  stets  mich  rein  erhalte  ton  derÖchuli?, 
So  dass  ich  stets  und  überall  dem  Herrn  zum  Dienst  gewärtig  bitt. 
Die  Knechte,  die  itoh  kein  Yergeh'n  za  Schnlden  b6mtneti  lasMil  and 
Die  Strafe  sdiei*'a^  sind  ihrem  Herrn  ntur  nüdiok.    Jetfe^  dat  siek 

sonst 
Nicht  fürchten,  fünditen  Sich,  s6bald  sie  einsStrafb  sich  vsrtient. 
Ich  fürdhte  keine  Sttafet  neita,  die  Ztit  ist  nsbe»  wo  mein  Harr 
Für  meine  treuen  DtLsoste  n^ioh  belohnmi  wirdi    loh  diMs  so^ 
Wie's  meinem  Bücken  dienlich  ist. 

Nun  ich  im  Gasthof  louäi  Befehl  OepHck  mid  Sklaven  abgeSezt, 
So  komm'  ick  1ms,  ihn  selbto  abzuholen.     An  df«  Tüttre  Usr 
Klopf  ich  sofoity  dtuftiii  es  merkt,  inh  wlott  seili,  und  dbss  ioh  mir 
Aus  der  Verderbensgrube  da  ubit  heötor  Host  ikn  zisksn  kann. 
Doch  komm'  ioh^  furcht'  ich^  wM  n  epttt^  nachdem  dii  StddacAt 

gelMhbkgen  ist 


Aus  diMOB  wenugdiiy  mehr  naeh  Zufall  als  mit  boBtimmier  Ab- 
sicht ansgewtthlteii  Proben  mag  jeder  Leser  selbst  bemessen,  was 
Ton  dem  Yerüasser  aach  ia  dieser  Deberaetznng  geleistet  worden 
ist,  die  sieh  den  ähnlichen  Meisterwerken,  welche  wir  seiner  Hand 
▼erdanken»  nioht  minder  würdig  angibt. 

Chr.  Bfthr. 


Jl.  T&rtnH  Varratds  S^Bbtrarum  Menippearum  rdiquiae.  BecemuU, 
proleffornma  9erip$it,  apptnäieem  adkcit  Ahofandir  BitB4* 
Lipeiae  tn  asdibuB  B.  Q.  Teuinun.  MDCCCLXV.  XVI  und 
dlO  8.   gr.  8. 

Na^Adem  in  der  letzten  Zeit  von  yersohiedenen  Seiten  vialee 
für  diese  früher  sehr  Temaekl&sstgten  Beste  römisoher  Litterator 
im  Einzelnen  geschehen  war,  ersehien  es  als  Möglichkeit  wie  als 
Bedürfnisse  eine  neue  dem  Stande  der  Wissenschaft  möglichst  «at- 
spreehende  Ausgabe  derselben  zu  veranstalten.  Die  Prolegomena 
musst^i  theüs  eine  genaue  PrOfong  der  alten  Nachrichten  über  die 
Varronische  Satirengattung  und  eine  nach  Möglichkeit  anschauliche 
Schilderung  derselben  enthalten,  wobei  zugleich  auf  die  Scheidung 
der  Satiren  tou  Pseudotragödien  und  Logistorici  Bücksicht  zu  neh« 
men  war;  theils  war  insbesondere  .eine  eingehende  Untersuchung 
über  die  seit  Böper's  erstem  Auftreten  viel  besprochene  Frage  nach 
dem  Vorhandensein  und  der  Ausdehnung  prosaischer  Theile  in  den 
Satiren  nöthig.  Diese  Untersuchungi  welche  mich  zu  dem  Betul* 
täte  führte,  dass  grössere  prosaische  Bestandtheile  als  selbst  Büehe* 
1er  annahm,  darin  vorhanden  sind,  führte  ich  hauptsächlich  auf 
der  Baeis  der  als  nothwendig  erkannten  stilistischen  Verschiedem« 
hait  zwiaohen  prosaischem  und  poetischem  Ausdrucke.  Bndlioh 
musste  die  Yanonische  Metrik  im  Zusammenhange  dargestellt 
werden. 

In  der  Anordnung  der  Textesrecension  selbst  nahm  ioh  mir 
Bibbeck's  Fragmentsammlungen  zuhi  Vorbilde.  Ausser  der  Angabe 
der  Fundstellen  yetrsuchte  ich  mich  auch  auf  dem  schlüp£rigen  0-»' 
biete  der  Beeonstruction  einzelner  Satiren.  Den  handschriftlichen 
Apparat  hoffe  ich,  Dank  vielfacher  gütiger  Unterstützung,  voll- 
ständig gegeben  und  von  Conjecturen  nichts  im  Qeringsten  Wush-* 
tigee  l&argangen  zu  haben ;  wie  weit  ich  in  eigenen  Yermuthungen 
das  richtige  Maas  gehalten,  wird  die  unbefangene  Kritik  beup* 
theilen. 

Im  Anhange  findet  man  verschiedene  für  die  Eenntniss  der 
VarroBiaehen  Satire  in  der  einen  oder  andern  Weise  widitige  Beste 
des  AlterÜiuns  zusammengeetellt.  A«  Biese* 


584  Weloker:  T^pebQch  einer  OrleeUwdieB  Reise. 

Tagebuch  einer  Grieehisehen  Rei$$  von  F.  O.  Weleker.  BorMn, 
Verlag  wm  Wilhelm  Herl»  (Beea&f'eehe  Buehhandhmg)  ISSö. 
ErHer  Band.   X  und  B44  B.  Ztoeiier  Band.  8S8  8.  in  8. 

Das  Tagebuch  einer  im  Jahr  1842  von  Born  atis  nadh  Grieohen- 
land  unternommenen  Reise,  welches  hier  nach  den  an  jedem  Tage 
gemachten  Aufzeichnungen  yeröffentlicht  wird,  soll  nach  der  aus- 
drücklichen Erklärung  des  Verfassers  von  dem  Gesichtspunkte  eines 
ffir  Freunde  gedruckten  Manusoriptes  betrachtet  werden;  es  soll 
nicht  die  Ergebnisse  gelehrter  Forschungen  über  einselne  Theile 
der  griechischen  Welt,  zunitohst  des  Alterthums  enthalten,  da  solche 
bestimmte  Zwecke  mit  der  Reise  des  Verfassers  nicht  in  Verbin- 
dung standen,  diese  vielmehr  dazu  dienen  sollte,  »Anschauung  zu 
gewinnen  von  dem  Boden  und  Himmel  und  Erfahrung  Ton  dem 
Klima  des  Landes,  das  mich  so  viel  und  so  befriedigend  beschäf- 
tigt hatte,  und  die  merkwürdigsten  üeberbleibsel  aus  dem  Alter- 
thum  auch  mit  eigenen  Augen  zu  sehen«  (S.  VII).  Indessen  wird 
es  doch  immer  einen  Unterschied  ausmachen,  den  Reisebericht 
eines  gewöhnlichen  Touristen  und  die  Schilderung  einer  Reise  nach 
Griechenland,  die  eia  anerkannter  Kenner  des  hellenischen  Alter- 
thums unternommen  hat,  vor  sich  zu  haben,  und  der  Leser,  auch 
wenn  er  nicht  gerade  gelehrte  Untersuchungen  in  einer  solchen 
Schilderung  erwartet,  wird  doch  selbst  die  einfache  Erzfthlung  des 
tftglich  Erlebten  oder  Gesehenen  mit  ganz  anderm  Sinne  betrach- 
ten, eben  weil  er  Ton  dem  Blick  eines  solchen  Mannes  Etwas  ganz 
Anderes  erwarten  zu  können  glaubt.  Und  so  wird  man  gern  nach 
diesem  Tagebuch  greifen,  zumal  es  auch  so  Manches  Persönliche 
bringt ,  dass  es,  wie  der  Verfasser  sich  ausdrückt,  (S.  IX)  » Aehn- 
lichkeit  mit  einem  Stückchen  Selbstbiographie  enthält«,  indem  der 
Ver&sser  sich  ganz  so  gibt,  wie  er  ist  und  in  allen  seinen  per- 
sönlichen Mittheilungen  doch  wieder  Manches  von  allgemeinerem 
Interesse  einmischt.  Die  einfache  tägliche  Aufzeichnung  hat  ffkr 
den  Leser,  der  nicht  nach  gelehrter  Forschung  lüstern  ist.  Etwas 
unterhaltendes:  die  Aufzeichnungen  tragen  auch  jetzt  noch,  nach 
mehr  als  zwanzig  Jahren,  eine  gewisse  Frische  des  Geistes  an  sich, 
und  gewähren  dem  Leser,  der  mit  Interesse  folgt,  eine  eben  so 
angenehme  Unterhaltung  als  selbst  Belehrung:  wir  rechnen  dahin 
audi  manche  Naturschilderungen,  welche  der  Verfosser  in  eben  so 
freier  ungezwungener  Weise  gibt,  als  er  seinen  Verkehr  mit  Ge- 
lehrten, Diplomaten  u.  s.  w.  erzählt.  Nie  wird  man,  ungeachtet 
jeder  Besuch  und  jede  Unterhaltung  verzeichnet  ist,  auf  irgend 
etwas  Verletzendes,  in  den  darauf  bezüglichen  Mittheilnngen  stossen : 
das  Pikante,  oder  richtiger  das  Widerwärtige,  das  uns  solche  Auf- 
zeichnungen des  täglich  Erlebten  in  Deutschland  geboten  haben, 
wird  man  hier  gänzlich  Tcrmissen:  aber  desto  lieber  dem  Ver^Eksser 
auf  seinen  täglichen  Wanderungen  und  Wahrnehmungen  folgen, 
mögen  nie  die  neuere  Zeit  von  Hellas  oder  die  alte  Zeit,  einzelne 


W«Ieker:  Ta^elmdi  einer  GMeoUsch»  R«Im.  666 

herrorragende  Paukte  des  Atterthtuns,  Kunstwerke  u.  dgL  betref- 
£bii.  Dabei  ist  kaum  ein  Gegenstand,  welcher  der  Anfinerksamkeit 
des  Verfassers  entgeht.  Der  YerfiMser  yerliess  Born  am  12.  Janoar 
1842  nm  Ankona  zu  erreichen,  Ton  wo  die  Reise  znr  See  fortge- 
setst  und  Athen  am  26.  Jannar  erreicht  ward.  Ein  l&ngerer  Auf- 
enthalt ward  dieser  Stadt  und  dem  Besuche  ihrer  Umgebungen 
gewidmet,  mehrfach  aUe  Hauptpunkte  des  Alterthums,  vor  Allem 
die  AkropoUs,  der  Parthenon,  das  sogenannte  Theseion  (worüber 
jedoch  keine  Entscheidung  gewagt  wird  S.  124)  besucht:  und  diese 
Besuche  wechseln  mit  den  Besuchen  deutscher  wie  inländischer 
Qelehrten,  bei  den  Diplomaten,  bei  Hof  u.  s.  w.  Am  15.  März 
ward  Ton  Athen  ein  Ausflug  nach  der  Marathonischen  Ebene  unter» 
nommen  und  von  da  nach  dem  Vorgebirge  Sunium  an  der  süd- 
lichen Spitze  Attika's  mit  seinem  berühmten,  durch  ein  Erdbeben, 
wie  auch  hier  angenommen  wird,  zerstörten  TempeL  Es  ist  zu  be- 
dauern, dass  der  VerÜEtsser  sich  nicht  länger  auf  der  Marathoni* 
sehen  Ebene  yerweilt  hat,  um  so  manche  der  hier  sich  bietenden 
Zweifel  zu  lösen:  dass  das  alte  Marathon  an  dem  jetzigen  Vrana 
zu  suchen  sei  (wie  Leake  insbesondere,  dem  Viele  folgen,  darzu- 
thnn  gesucht  hat)  oder  doch  ein  wenig  weiter  seewärts,  scheint 
ihm  annehmbar  (S.  181):  nach  Bangabe*s  Ausführung  wird  man 
dies  kaum  behaupten  können.  Der  Weg  Ton  da  nach  Thoriko  bot 
wenig  Anziehendes :  die  Gegend  Öde  und  ohne  Anbau :  bei  Thoriko 
entschädigte  die  Höhe  der  Lage  und  der  weite  Femblick  von  da« 
Eine  nähere  und  anziehende  Beschreibung  wird  dem  von  hier  nur 
zwei  Stunden  entfernten  Sunium  zu  Theil:  der  Weg  dahin,  die 
herrlichste  Aussicht  bietend,  war  im  Ganzen  noch  der  alte,  wenn 
auch  theilweise  jetzt  kaum  zugänglich  und  von  dem  Zahn  der  Zeit 
zerstört.  >An  einer  Stelle,  so  meldet  das  Tagebuch  S.  141,  eine 
halbe  Stunde  von  Sunium  war  ein  reiches  Grabmal  mit  der  abge- 
schlossenen Aussicht  aus  einer  Bergecke  auf  den  Canal  und  Mak- 
ronisi,  dessen  Stelen  und  Bruchstücke  lebensgrosser  Figuren  you 
Mann  und  Frau  umherliegen.  Mehrere  andere  Gräber  folgen  nach, 
ehe  die  Säulen  des  Tempels,  wie  ein  Drahtgitter  sich  in  den  blauen 
Himmel  zeichnen.  Den  Berg  hinabgestiegen  kommt  man  über  einen 
kleinen  Damm,  über  welchen  die  Bucht  eine  kleine  Strecke  hin 
ausgetreten  ist  und  erklettert  dann  das  Vorgebirge,  das  sich  mehr 
gegen  die  nördliche  Seite  wölbt  und  ausbreitet.  Auf  dem  Plateau 
des  Tempels  bleibt  ein  Vorplatz  nach  dem  Meer  von  24  Schritten 
Tiefe,  die  Längenseite  des  Tempels,  und  geringerer  Breite  nach 
den  Seiten  hin.  Hinunter  starrt  und  klüpftet  sich  ein  braunes 
GMdipp,  das  man  hie  und  da  hinabklettem  kann,  doch  nicht  weit 
-—  ostwärts  erhebt  sich  von  der  Tiefe  des  Vorgebirge  aus  noch 
ein  anderer  ähnlich  brauner  Felsen,  fast  in  der  Gestalt  eines 
Löwennackens  mit  aufgesperrtem  Bachen.  Schaut  man  sich  um, 
so  geht  der  Blick  von  den  schneeigen  Höhen  Euböa*s  über  auf  die 
in  der  Nähe  nicht  minder  lang  gestreckte  Insel  Makronisi.    Dann 


sidit  man  die  lange  Zea»  Thermia,  Seripho,  Bt  Qioi^Oi  Hydsa» 
Aeginai  das  Featland,  eine  Solmeekoppel  und  weiteren  schneebe- 
deckten Bergzug  von  Arkadien  and  am  andern  Ende  zwificben 
nahen  grauen  H&hen  durchblickend  SaLamie«  Noch  schöner  nadi 
diesem  Blick  auf  die  Weite,  die  gegen  Kreta  hin  eine  grosse  im- 
unterbrochene  Meerlinie  darbietet,  ist  das  Meer  in  der  Nfthe,  wenn 
man  gerade  hinab  durch  die  braunen  Klippen  auf  seine  Bläue  sehaut 
oder  in  die  kleinen  Buchten  y  die  es  rechts  von  der  nach  Sunium 
bildet;  auch  die  nahe  Felseninsel  Gaidaronisi  trägt  sur  Terschdne- 
rung  des  Seegemäldes  nicht  wenig  bei.  Wie  prächtig  aber  und 
rührend  ist  die  schneeweisse  Tempelruine.  Die  aus  den  Spitsen 
gewichenen  Säulenstücke,  viel  stärker  als  die  des  Theseion  ver- 
rttekt,  und  die  auf  der  östlichen  Ecke  gehäuften  Marmormassen  — 
wohl  Über  50  Trommeln,  Oapitäle  und  grosse Qebälkstttcke,  sowie 
die  auf  der  Seite  nach  der  Stadt  zum  Theil  weit  hinabgerollten 
zeigra  auf  den  ersten  Blick  die  Ursache  der  Zerstörung  in  einem 
Erdbeben.  Darum  wäre  hier  zu  graben.«  Es  folgt  nun  eine  ge* 
naue  Beschreibung  der  noch  Torhandenen  Beste«  Von  Sunium  ward 
die  Bückreise  auf  der  andern  Seite  Attikas  über  Vari  (Anagyms)  nadt 
Athen  unternommen :  zahlreiche  Gräber  zu  beiden  Seiten  des  Weges 
erinnerten  an  die  Appische  Strasse,  sonst  war  der  Boden  Öde,  und 
>der  Anbau  beginnt  erst  etwa  eine  Stunde  von  Athen.  Je  mehr 
man  diesem  sich  nähert,  um  so  mehr  spannt  die  Aussicht,  die 
schon  Yorher  durch  die  immer  wechselnden  Ansichten  der  Inseln, 
jetzt  durch  eine  Bucht,  vor  der  Aegina  sich  lagert,  jetzt  durch 
längere  Bergzüge  stets  unterhält.  Besonders  majestätisch  hebt  sich 
von  dieser  Hochebene  in  der  Feme  der  Kithäron  hervor,  Salamis  sieht 
man  nun  noch  von  dieser  Seite  in  seiner  gegen  die  Mitte  einge- 
kerbten Ausdehnung  •—  den  Hymettus  und  Pames  wird  man  nicht 
müde  zu  betrachten  —  und  tritt  endlich  auch  der  Pentelikon  wie- 
der hervor  und  studirt  man  im  Einzelnen  die  Berge,  so  glaubt 
man  nun  erst,  wenn  man  Attika  umkreist  ist,  und  von  dieser  Seite 
her  ihre  ganze  Bedeutendheit  und  Herrlichkeit  zu  verstehen.  Selten 
war  ich  in  Betrachtung  feierlicher  gestimmt ;  es  wurde  eben  Nacht 
und  alle  Umrisse  zeichneten  sich  schärfer.  Der  Eindruck  der 
Wüstenei  Attika's  im  Ganzen  und  das  Alterthum,  durch  dieAkro- 
polis  repräsentirt,  müssen  zusammenwirken.  Die  Anschaunng  die- 
ses Landes  vor  Andern  lässt  sich  durch  keine  Beschreibung  er- 
setaen«  (S.  149). 

An  diesen  Ausflug  schloss  sich  Ende  März  eine  weitere  Beiae 
nach  dem  Feloponnes  über  Megara,  dessen  Lage  als  vorzüglich 
schön  bezeichnet  wird,  und  über  den  Isthmus  nach  Kozinth»  von 
da  über  das  alte  Kleonä  tmd  Nemea  nach  Mykenä,  von  wo  aus 
das  Löwenthor,  und  das  alte  Heräum  besucht  und  nach  ihrem 
gegenwärtigen  Stande  beschrieben  werden,  dann  über  Ohonika  nach 
Arges,  das  jetet  (d.  k  im  Jahre  1842)  wieder  600  Häuser  und 
12000  Elawofafiier  d&hUe;  von  hier  ward  die  Beise  in  daslnnera. 


WiBlelccr:  THiAnich  einer  CWIechlköhen  ReM^  MY 

dm  P^o)K)dne8  aaoh  Tripplitei  nnd  von  da  nadi  dem  alten  Sparia 
und  Amjklft  fortgesetzt.  In  gleicihdr  Weise  wie  die  eben  als  Pro- 
ben mitgoftlieüteti  Scbüderangeii  von  Snniom  und  von  Attika«  wech- 
seln anoh  hier  angenehme  Landsohaftsbilder  mit  antiqnariseheo 
BrOrtenmgen,  zn  denen  die  an  den  genannten  Orten  besachten 
Beete  altfaelhinisdier  Zeit  mebr£EM)he  Veranlaasong  boten;  die  nti-' 
geofwnngene  Weise,  in  der  diess  geechieht,  Iftsst  uns  gern  bei  allen 
derartigen  Sdiüdemngen  oder  Beechreibangen  verweilen.  Diese 
angenehmen  Landseheitsbilder  treten  anoh  weiter  entgegen  in  der 
von  da  fortgesetzten  Reise  dnrch  das  alte  Messenien,  dessen  im  Alter- 
thnm  hervorragende  Orte  besnoht  wurden,  dann  4ber  ein  Theil 
Aritadiens  naeh  Olympia  nnd  von  da  wieder  znrtlek  ttber  das  alte 
Psephis,  Pheaens,  Phlins  nach  Argos,  Hjkenä  nnd  Epidamnns, 
von  da  Aber  das  Meer  nach  Aegina,  womit  der  erste  Band 
seidiesst* 

Der  aweite  Band  beginnt  wieder  mit  Athen,  wohin  der  Ver- 
faeasr  am  5i.  Mai  von  dieser  Beise  nach  dem  Peloponnes  mrtlck- 
katt,  und  nai^  einiger  Hast  ward  am  15.  Mai  die  Reise  nach  dem 
nOrdliehen  Grieohenland  angetreten  über  Eieosis,  Eleutbertt  nach 
¥MU,  (KoklaX  Olisas,  Theben  nnd  dem  Helikon»  von  da  nach 
Lebadea  und  der  H5hle  des  Trophonius,  naeh  Orohomenos,  Cb&ronea 
n.  8.  Wh  nach  Delphi  nnd  dessen  ümgebnngen:  wir  können  deoi 
YerlAsser  nicht  in  allen  diesen,  meist  auf  das  Alterthnkn  Rftekeicht 
nehmenden  Sohildenmgen  folgen,  nnr,  was  er  ttber  Delphi  S»  74v  75* 
sehreibt,  mag  hier  eine  Stelle  finden: 

»Wekh*  ein  Ort  schon  dtiroh  die  Natur  I  Zogeeohlöseen  dnrch 
die  hofae  Eirphis  nnd  den  Pamaes  nach  der  Meeraeite»  eingeengt 
dnrch  die  Phftdriaden  hinter  dem  Tempel  her  nnd  geschlossen 
nach  der  andern  Seite  gegen  Arachova,  etwas  weniger  eng,  dumh 
die  tich  hembziehende,  unebene  aber  huchtbare,  echtnale  Thalfläche, 
wnkhe  die  höhe,  mächtige  Kirphis  abschneidet*  In  tiefem  Bett» 
Ükli  an  dieeer  der  Pleistos  hinab,  in  den  die  Eastldia  unter  der 
Stadt,  auch  in  tiefer  Schineht  sieh  ergiesst  und  die  Oliven  neben 
detn  weissen,  trockenen  Flussbett  bezeichnen  den  Lauf  des  Flusses 
sehr  stark.  Der  Tempel  muss  dor^  seine  Grösse  in  dieser  Enge 
und  mit  der  nmsehliessenden  Felsenwand  einen  eigenthttmlichen 
Eindruck  gemacht  haben  —  imposant  und  den  Apollo  als  Herren 
erhebend,  wenn  nicht  verhältnissmftssig  in  stttdtiecher  Hinsicht  (?)• 
Dass  ein  Tempel  der  Pronäa  hier  nicht  Platz  hatte,  ist  klar  (?). 
Theater  und  Stadium  über  dem  Tempel,  zur  höchsten  Stelle  das 
Gymnasium  gerade  unter  dem  Tempel  auf  einem  besondem,  durch 
die  Eastalia  abgesonderten,  jetzt  auch  mit  Oelbäumen  bepflanzten 
Yorsprung;  für  die  Städter  ist  auf  dieser  Seite  so  wenig  Raum. 
Diess  zusammen  gibt  dem  Ort  im  Mittelpunkt  seiner  Bedeutung, 
von  dem  Winkel  der  Eastalia  in  geringem  Raum  umher  eine  eben 
so  starke  Eigenthümlichkeit,  als  er  in  dem  weiteren  umfang  des 
Bergkessels  hat.    und   bei  dieser  Begrenzung,  bei  der  Starrheit 


58S  Welek«r:  Tigebneli  «liier  Oiieehtoehw  IUIm. 

der  Phftdriadeiii   der  Strenge   der  Eirphie  tL  8.  w.  ist  doeh  das 
GhkDze  nicht  schanerlich  noch  dflster.c 

DasB  im  weiteren  Fortgang  der  Reise  anoh  die  Thexmopjlen, 
Tanagra,  Anlis,  Ohalois  n.  s.  w.  besacht  werden,  brauchen  wir 
wohl  kanm  zu  bemerken:  Ende  Mai  erfolgte  die  Büekkehr  nach 
Athen^  und  Ton  da  nach  einem  etwa  zehntägigen  Aufenthalt  die 
Abreise  zur  See  über  Syra,  Delos  u.  s.  w.  nach  Smjma,  das  am 
11.  Jnni  erreicht  ward:  diese  Stadt,  ihre  Umgebungen,  dann  wei- 
ter Ephesus,  Magnesia  werden  beschrieben,  eben  so  ward  das  an- 
gebliche Monument  des  Sesostris  besucht,  dann  Sardes  und  das 
Grabmal  des  Alyattes,  Pergamos,  Assos  u.  s.  w.  zuletzt  auch  noch 
die  Gegenden  des  alten  Troja  —  was  8. 215  ff.  bemerkt  wird,  mag 
allerdings  die  Schwierigkeiten  dieser  ganzen  Streitfrage  über  die 
Lage  des  Homerischen  Troja  erkennen  lassen,  wenn  es  auch  gleich 
kaum  zweifelhaft  sein  kann,  dass  zunächst  an  Bunarbaschi,  wie 
der  Ort  jetzt  heisst,  dabei  zu  denken  ist.  Die  weitere  Reise  über 
Eonstantinopel ,  Smyma  zurück  nach  Athen,  und  von  da  nach 
Eorinth  mag  man  in  dem  Tagebuch  selbst  lesen:  nur  noch  eines 
Ton  Eorinth  aus  unternommenen  Ausfluges  zur  Styx  haben  wir 
zu  gedenken,  um  so  mehr  als  die  Schilderung,  die  uns  von  dieser 
wilden  Gebirgsgegend  entworfen  wird,  ganz  übereinstimmt  mit  dem, 
was  Schwab  und  Andere  über  die  grossartige  Natur  dieser  Gegend 
berichtet  haben:  es  ist  eine  nicht  ohne  Beschwerden  und  selbst 
Gefahren  zu  erreichende  Gebirgswelt,  die  auch  den  Verfasser  mit 
Staunen  erfüllte,  als  er  in  der  engen  Felsschlucht  immer  weiter 
vorwärts  dringend  das  yon  einer  Felswand  herabstürzende  Wasser, 
das  schon  die  Alten  schrecklich  und  schauerlich  nannten,  aus  der 
Feme  erblickte.  Von  da  eilte  der  Verfosser  nach  dem  auf  einem 
Felsenvorsprung  gelegenen  Eloster  Megaspiläon  und  Ton  da  über 
Vostizza  nach  Patras,  wo  er  sich  einschiffte  und  über  Eorfn  nach 
Ankona  zurückkehrte.  Hiermit  schliesst  das  Tagebueh,  Ton  dem 
wir  hier  nur  eine  dürftige  Skizze  gegeben  haben,  die  auch  Andere, 
als  den  blossen  Forscher  des  Alterthums  yeranlassen  mag,  sich 
näher  mit  diesem  Tagebuch  zu  beschäftigen,  eben  weil  es  nicht 
blos  das  Alterthum,  sondern  auch  die  neuen  Zustände  und  Vor* 
hältnisse  berührt,  und  hier  nicht  Weniges  von  Interesse  selbst  für 
weitere  Ereise,  mittheilt.  —  Die  äussere  Ausstattung  in  Druck  und 
Papier  ist  ganz  angenehm. 


'  Kvha:  Suattoelie  Yerftmiu«  im  RtalMbiii  Bcloka»  tL         StO 

DU  iMWMA«  und  bürgerUae  Verfaanmg  dm  EamUdkm  Bekhg  bi$ 
--^4M^iJM  ZeUen  JtuHmam.     Yon  Dr.  Emil  Kuhn.    Zimter 
TheO.   Leipzig.  Druck  und  Verlag  wm  B.  G.  TetOmer.  2865. 
JV  umd  611  S.  gr.  8. 

Auf  den  enten,  im  vorigtti  Jahre  enchienenen  und  in  dieeen 
Jahrbb.  (Jhrg.  1865,  S*  74  ff.)  nach  seinem  Inhalt  nnd  (Gegenstand 
näher  besprochenen  Theil,  ist  alsbald  der  iweite  Theil,  mit  dei^enigen 
Forschungen  gefolgt,  die  in  dem  Sohlusswort  des  ersten  S.  289  ff.  ge- 
wissermassen  angekündigt  worden  waren.  Der  Y er£  hatte  in  dem  ersten 
Theü  nachzuweisen  versacht,  »dass  der  Begriff  der  rOmischen  Ge- 
meindeverfiMsang  anf  dem  Grandsatze  der  Abgeschlossenheit,  ja 
Selbständigkeit  der  Oommnnalitäten  berohtec,  und  »eine  jede  Stadt 
des  Römischen  Beiehs  der  andern  gegenüber  ein  sich  abgeschlosse* 
nes  Gemeinwesen  darstellte,  c  Daher  die  Au^be  des  ersten  Theils 
eben  dahin  ging,  die  Beschaffenheit  dieses  Gemeinwesens  darzu- 
stellen, er  sollte  zu  der  Erkenntniss  führen,  wie  jeder  Stadt,  jeder 
Gemeinde  des  rOmischen  Beiehs  eine  Gewalt  in  Bezug  auf  die  Per- 
sonen ihrer  Abkömmlinge  beiwohnte,  welche  den  freien  und  unab- 
hftngigen  Gemeindewesen  des  dassischen  Alterthnms  zustand,  die 
Autonomie,  die  ihnen  zustand,  mithin  nicht  als  die  Eigenthümlich« 
keit  weniger  bevorzugten  Gemeinden,  sondern  als  ein,  unter  Be- 
schränkung auf  die  innem  Angelegenheiten  ihrer  Stadt,  allen  ge- 
meinsam zuzustehendes  Becht  erscheint.  Diess  nun  bei  den  ein- 
zelnen Ländern,  welche  als  Theile  des  römischen  Beiehs  erscheinen, 
nachzuweisen  in  der  Art  und  Weise,  wie  die  Bömer  ihre  Herr- 
schaft ausübten,  in  den  Verfügungen,  welche  sie  in  Bezug  auf  die 
ihrer  Herrschaft  unterworfenen  Völker  trafen,  ist  die  nächste  Be* 
Stimmung  des  zweiten  Theiles,  der  in  der  Fülle  und  in  dem  Beich- 
thum  des  Details,  bei  der  umiiebssenden  Belesenheit  und  Gelehr- 
samkeit des  Verf.  wie  sie  sich  insbesondere  in  den  4380  Noten, 
welche  die  Beweisstellen  enthalten,  unter  dem  Texte  selbst,  kund 
gibt,  wahrhaftig  dem  ersten  nicht  nachsteht,  und  in  der  ganzen 
Behandlung  des  Gegenstandes  eben  so  wenig  wie  in  der  äusseren  vor* 
zflglichen  Ausstattung  sich  davon  entfernt.  Der  Verf.  geht  in  der  allge-  ^ 
meinen  Betrachtung,  die  er  der  Erörterung  des  Verhältnisses  der 
Bömer  gegenüber  den  unterworfenen  vorausschickt,  von  dem,  nicht 
genug  audi  für  unsere  Zeit  zu  beachtenden  Grundsätze  aus,  »dass 
das  Verhalten  der  römischen  Begierung  den  Gemeinwesen  der 
unterjochten  Völker  gegenüber  ein  wesentlich  conservatives  (Ge- 
präge an  sich  trug.  Zwar  waren  die  Kittel,  deren  sich  die  Bömer 
zu  der  Befestigung  ihrer  Herrschaft  im  Grossen  bedienten ,  durch 
den  erfolgreichsten  Nachdruck  be^ichnet.  Die  zusammenhaltenden, 
beherrschenden  Institutionen  dieses  Staates  bethätigten  zu  allen 
Zeiten  eine  wahrhaft  unwiderstehliche  Gk)walt.  Diess  hinderte  je- 
doch nicht,  dass  der  römische  Staat,  seinem  inneren  Wesen  nach 
unberührt  von  dem  Streben,   welches  die  Verschmelzung  der  ein* 


M)        Kuhn:  Stidttoelw  TeiiMBWg  iM  MmMbm  Bel^»  IL 

Minen  Thtile  dM  Staatskörpars  eq  eisern  Garoen  hemnM»,  fM 

mehr  den  yorgefdndeiien,  gesohichtlieh  begriindetwi.  B^|t£|^d  dinr 

einaelDOB  Theile  dea  Btaatskörpera  mit  Ansnalusa  wenigar  FftUe 

Ton  freien  Stücken  anerkannte.«     Nicht  da«,   naoh  aM>denier  An- 

Bchanung,  die  Welt  beglückende  Centralisationssystem  war  es  also, 

was  die  Onindla^a  der  rfimiaofaan  Hemehaft  biM#tai  dk  fliek  doch 

80  lange,  länger  alt  äluüicl&e  Weltberrichaftea ,  die  wir  kaaaaa» 

erhahen  hat,  sookLem  Tielmehr  daa  entgegengeaattte  Synten,  das 

-dar  Absonderong  der  einzelnen ,   fttr  sieh  beateh^ndeiii   in  allen 

inneven  Angeleganheiten   oistanomen  Gemeinwaeeiu     Welohe  Fol- 

-garongen  daraus  eioh  weiter,  auch  auf  nneere  ZeityarhiUiiiißaQ  aa- 

gewendeti  ergebaa,  wollen  wir  hier  nicht  berühren;  wir  haben  U^fi 

Bericht  sn  erstatten  über  ein  Werk,  das  durch  die  geoaueite  Er- 

lirterang  und  DarsMlnng  dieeer  YarhiltBiase  im  Alterthum  aa  der«* 

artigen  Betraefatungan  imd  Yerglaiehangen  reichliohan  Stoff  bi^ei 

Geben  wir  näher  anf  den  Inhalt  dieses  aweitea  Theilies  exai 

ao  aerfiült  derselbe  in  drei  grosse  Abgohnitte;  in  dam  erat^  der** 

aeMien  werden  zsmäehst  die  Anordnungen  der  S&m&c  betzaehtet  in 

Bazäehnng  auf  die  überwundenen  Völker  Italiens,   Sipiliena,  Ckie^ 

ohenlanda  u«  b.w.  Oonoilia,  Oonnabia,  Oommerci&  g.  7£,  dann  die 

Yeriiältnisse  der  Terbündeten  fosien  und  unterthtaigen  Gemeinden 

•8. 14  ff.,  die  OebietsForleihungen  derSömer  an  einzelne  Gemeindea, 

4ie  Unterordnung  einzelner  Gemeinden  unter  andere,  die  Betheili*' 

•gung  der  rOmiaehen  Untergebenen  an  den  inaeneii  Bewegungen  d^r 

jümiachen  Bepnblik  S.  41  ff.  Dann  ioJigen  noch  baaendare  Ab^chnitta, 

welche  die  Gemeinden  8ioillen'a  (S.  &8ff.),  die  Gemeinden  und 

v51kerBchafUichan  Vereine  Acbej^'s  (8*  64  ff.)  und  die  Aaordnxingea 

des  Augnatus  in  Bezug  auf  Aegypten  (S.  80  ff.)  enthalten«  In  diep 

aen  Anordnungen   findet    der  Verl  Berechnungen   monarobieohar 

Vorsicht   mit    den    Beweggründen,    welche    das    Vesühalten    der 

Bümer,  gageniüber  den  unterworfenen  Völkern  schon  Ton  jeher  aJe 

maasgebend  bestimmten,  yereinigt.    8o  wenig  wie  Oäsar,   wollt(B 

August  eine  so  wichtige  Proyina  in  die  Hände  irgend  einea  aage** 

aehenen  Gonsularcn  gelegt  sahen,  er  zog  es  daher  ¥or,  die  oberste 

Leitung  eines  so  bedeutenden,  durch  seine  eigenthümliche  Lege, 

durch  den  Beiohthum  des  Bodena,    dessen  Produkte  Italien  »ge^ 

fthrt  wnrden,  wichtigen  Landes  in  die  Hände  eines  blos  yoü  Um 

abhängigen  Beamten,  und  zwar  eines  römischen  Bitters  zu  l^fS^ 

nach  daa  Land  gewiaeermaesen  zu  eineor  Privatdomäne  zu  machen, 

und  zttgifiioh  es  völlig  abzusehliessen.   Die  weiteren  Massnahmen  dee 

Augustus  zur  Durohführung  dieser  Absieht  werden  dargelegt,  aber 

auch  zugleich  darauf  hingewiesen,  wie  durch  alle  diese  Ver&Jsgqup 

gen  die  Verwaltung  einheimiscfaar,   örtlicher  Magbtraturen  diutA 

die  Aegyptier  nicht  ausgesohlosaen  war. 

Der  Eweite  Abschnitt  fUhart  die  eigeatliohe  Fr<>¥inzialvarwaV* 
Anng  in  ansgedebniter  und  umfassender  Weiae  yoa:,  wo^ei  neben  dar 
genauen   Benutzung  Alles   dessen,    was    dafür    in    grieohiacbeo 


1 


LHiVAtQiforliBlite  ms  lisltoii.  tÜ 

und  r5miMkeii  Bobnftftelloni  mit  BingehliMB  d«r  eplteMi  BeehAa- 
quellen  sich  irgendwie  findet,  »ncli  die  zahlreichen  bischiriften,  wie 
sie  in  neuerer  Zeit  in  grosser  Zahl  an^s  Tageslicht  getreten  sind, 
als  eine  ergiebige  Fundgrube  gerade  für  diesen  Zweig  der  Alter- 
thumsforschung  benutzt  worden  sind.  Zunächst  sind  es  in  diesem 
Abeohnitt  die  Asiatie^ien  Lttnder,  Macedoniea  und  Afrioa,  über 
weiche  die  Darstellung  sich  Terbreitet,  und  ewar  in  der  Art,  daes 
bei  Asien  der  Verf.  lurüokgeht  bis  auf  die  Zeiten  der  Penisehen 
und  der  darauf  folgenden  ICacedonisehen  Herrschalt,  weil  am  den 
damals  bestandenen  Verhttltnissen  sieh  Manches  erkUirt,  was  wir 
auch  spftter,  in  der  rom  Verfasser  zunächst  ins  Auge  gonommeBen 
Zeit,  nooh  Torfinden,  und  so  selbst  ein  gewisser  innerer  Znsammea- 
hang  in  diesen  Verhttltnissen  erkennbar  ist,  welcher  durch  diese 
ausfthrliche  historische  Darstellung  erst  reaki  klarwird.  Auf  diese, 
keineswegs  überflüssige  Erörterung  iblgt  dann  eine  üebersieht  der 
Prorinzen  des  rOmisohen  Asiens,  zuerst  in  Kleinasien  und  dann  in 
Syrien  (8. 144  ff.),  begleitet  von  einer  weiteren  Erörterung  (8.201) 
über  die  successiven  Aenderungen  in  der  Eintheüung  der  übrigen 
Provinzen.  Nun  erst  wendet  sich  die  Darstellung  den  Städten  des 
römischen  Asiens  zu  (S.  230  ff,),  und  zwar  zuerst  in  der  Pontischen, 
dann  in  der  Asiatischen  Diöeese  und  dann  in  der  Diöcese  des 
Orients.    Darauf  folgen  Macedonien  und  Afrika  (S.  888  ff.). 

Der  dritte  Abschnitt  (8.  454  ff.)  gibt  ein  um&ssendes  Bild  d«r 
Verwaltung  und  der  gesammten  Lage  Aegypten's  in  der  Zeit  der 
römischen  Herrschaft;^  mit  gprosser  Sorgfalt  aus  den  zagängliehen 
Quellen,  Schriftstellem  wie  Inschriften,  zusammengestellt,  und  in 
alles  Detail  der  Verwaltung  eingdiend.  Die  religiösen,  wie  die 
politischen  Verhältnisse,  in  letzter  BeziehuBg  die  Behörden  des 
Kaisers  wie  des  Landes,  werden  näher  besprochen,  die  gesammte 
Gintheilung  des  Landes  wird  yorgeftlhrt,  es  folgen  dann  die  ein- 
zelnen Nomen  mit  ihren  Behörden,  den  Nomarchen  und  Strategen, 
darauf  die  Eomen,  ebenfedls  mit  ihren  Vorstehern  und  Allem  dar- 
auf Bezüglichen,  was  erschöpfend  hier  behandelt  wird,  so  dass 
damit  zugleidi  ein  weiterer  Beitrag  fär  die  EenntBiss  dieses  Lan- 
des in  der  späteren  Periode  des  Altexthuus  geliefert  wird. 


LiteiatorbericlLte  ms  Italiei. 


PraposU  e  diseorgi  dd  deptäaio  Maneini  std  imposto  dd  repistro 
e  ddla  ricckisxa  mobüe.  Torino  1860.  7\p»  Comagrcu 

Der  bekannte  Professor  Manoini  macht  hier  die  Vorschläge  be- 
kannt, welche  er  in  der  Kammer  der  Abgeordneten  filier  die  Sin- 
kommen-Steuer  gemacht  hat,  nebst  den  von  ihm  desshalb  gelMlte- 
nen  Beden,    Es  ist  derselbe  nämlich  ein  eben  so  erfahrener  Ver- 


M  LltarttvrberMito  fttts  liilfefi. 

waltungsbeamter  als  Lehrer  des  Yölkerreohts,  jetst  auf  der  Uni- 
versität za  Turin,  früher  in  NeapeL 

DüeorH  dd  depuiaio  Mancim  nd  impodo  sui  reddiU  ddla  rieeheste 
mobüe.  Tarino  1863.  Tip.  Botta. 

Die  in  dem  weiteren  Verfolge  der  diessCallsigen  Verhandfamgen 
im  Parlamente  yon  demselben  Abgeordneten  gehaltenen  Beden  wer- 
den hier  mitgetheilt.  Jetzt  ist  derselbe  hauptsftchlich  im  Parla- 
mente mit  seinem  Vorschlage  beschäftigt»  die  Todesstrafe  absa- 
schaffen,  wofür  jetzt  in  Italien  sich  überall  Stimmen  erheben ;  aneh 
hat  ein  anderer  Bechtsgelehrter  Ellero  bereits  eine  Zeitschrifb  ge- 
gründet, welche  nur  diesen  Zweck  hat.  Ein  eifriger  Verfechter  der 
Abschafiimg  dieser  Strafe  ist  ein  sehr  fähiger  Zögling  Hancinis, 
der  Advokat  Pierantoni  ans  den  Abmzzeni  welcher  diesem  Gegen- 
stände bereits  viele  Spalten  in  der  Toriner  Zeitong  >I1  Diritto« 
gewidmet  hat,  wodurch  er  eine  Menge  Anhänger  dieser  Ansicht 
gewinnt. 

La   Conoentiane  e  ü  voto  dd  19.  OUobre  per  D,  Levi  depuiaio. 
Torino  1861.    Tip.  Franco. 

Der  sehr  geachtete  Abgeordnete,  Doctor  Levi  ans  Turin,  rich- 
tet hier  an  seine  Wähler  seine  Ansichten  über  die  bekannte  Pari- 
ser Convention  wegen  Born,  worin  er  die  früheren  Minister  Perruzzi 
und  Mignetti  scharf  angreift,  indem  er  die  Art,  wie  diese  Ver- 
handlungen geführt  wurden,  einen  Staatsstreich  nennt,  welcher  zwar 
durch  die  Abstimmung  in  der  Kammer  am  19.  Oktober  genehmigt 
worden,  den  er  aber  für  Italien  sehr  gefährlich  hält,  so  dass  er 
nur  Heil  in  einem  National-Gonvent  findet« 

11  Secolo  XVlj  dal  Conte  Ttdlio  Dandolo.  Müano  1864.  Presse  Saft- 
vüo.  IV.  Vol  in  12. 

Der  unermüdliche  Qraf  Dandolo  gibt  hier  eine  Geschichte  des 
17.  Jahrhunderts  mit  besonderer  Beziehung  auf  Italien,  ein  Werk, 
welches  gewissermassen  einen  Theü  eines  Ojclus  seiner  Arbeiten  bil- 
det, weljshe  die  Qeschichte  des  Bewusstsehis  der  Neu-Zeit  (stoiia 
del  pensiero  nei  tempi  modemi)  umfassen.  Dazu  gehört  als  Vor- 
läufer und  Einleitung  U  Pensiere  pagano  ai  giomi  dell  Impero, 
II  Oristianesimo  crescente  und  I  secoli  Barbari,  I  secoli  di  Leone  X., 
di  Dante  e  di  Oolombo.  ID.  VoU.  Auch  gehört  dazu  Italien  im 
verflossenen  Jahrhundert,  femer:  der  Norden  von  Europa  und 
Amerika  in  jener  Zeit,  Frankreich  im  vergangenen  Jahrhundert, 
n.  Voll.,  so  wie  Born  und  die  Päpste.  V.  Voll.  Früher  erschien 
von  demselben  Verf.  das  Jahrhundert  desPerikles  mit  einer  Ueber- 
setzung  der  Charaktere  des  Theophrast  u.  s.  w.  Man  muss  daher 
gestehen,  dass  Dandolo  nebst  dem  bekannten  Cantu  die  beiden 
fleissigsten  Schriftsteller  Mailands  sind. 

Neigebaur. 


Ii.  SS.  HEIDELBEKGEa  IStS. 

JAHRBÜCHER  DER  UTERATÜR. 

Literatarberichte  ans  ItalieiL 


DUUmario  dx  geograßa  univer$aie  modema  da  F.  Predaru  Müano 
1864. 

Dies  geographische  allgemeine  Wörterbuch  empfiehlt  sieh  schon 
durch  den  Namen  des  Verfassers,  des  bekannten  Herausgebers 
mehrerer  Encjclopttdien ,  welche  in  Turin  und  Mailand  seit  dem 
Jahre  1842  erschienen  sind.  Er  war  der,  welcher  zuerst  die  be« 
rfihmte  Encjclopädie  zu  bearbeiten  anfing,  welche  die  Buchhaud* 
lung  von  Pomba  in  Turin  haupsftchlich  ehrenvoll  bekannt  gemacht 
hat,  und  welche  jetzt  in  einer  sehr  vermehrten  Auflage  von  dem 
Bitter  di  Mauro  aus  Neapel  bearbeitet  wird.  Herr  Predari  ist 
bereits  seit  vielen  Jahren  als  ein  sehr  thätiger  Gelehrter  bekannt, 
seit  er  seine  schriftstellerische  Thfttigkeit  mit  der  Herausgabe  der 
Werke  von  Yico  mit  deren  Uebersetzung  begann,  worauf  er  ge- 
schichtliche Untersuchungen  über  die  Amazonen  herausgab,  denen 
dergleichen  Aber  die  Zigeuner  folgten.  Auch  war  er,  neben  vielen 
andern  von  ihm  verfiässten  Werken,  Begründer  der  in  Turin  er- 
schienenen Antologia  Italiana,  und  der  Bevista  Italiana,  welche 
noch  jetzt  in  Turin  mit  vielem  Beifalle  erscheint,  da  nach  ihm  der 
bekannte  Staatsmann  Lafarina,  der  gelehrte  di  Mauro  und  der 
Linguist  Yeggezzi  Buscalla  diese  wissenschaftliche  Zeitschrift  zu 
leiten  fortgesetzt  haben.  Predari  ist  jetzt  wieder  mit  einer  grosse- 
ren literarischen  üntemehung  beschäftigt ;  man  will  nftmlich ,  da 
Turin  durch  die  Verlegung  der  Besidenz  nach  Florenz  viel  verliert^ 
eine  grosse  Verlags-Gesellschaft  in  Turin  stiften,  um  den  vielen 
hier  lebenden  Buchdruckern  und  den  andern  dazu  gehörigen  Hilfs- 
arbeitern ihr  Auskommen  zu  sichern,  wozu  Actien  bis  zum  Be- 
trage von  250,000  Franken  gesammelt  werden. 

AJbum  deüa  publica  espomiofi«  dd  1864,  da  L.  Boeco.  Tormo.   4. 

Dies  ist  der  amtliche  Bericht,  welchen  die  Turiner  Gesellschaft 
zur  Beförderung  der  schönen  Künste  über  die  letzte  von  derselben 
veranstaltete  Kunstausstellung  herausgegeben  hat.  Diese  Aus- 
stellung umfasst  467  Kunstwerke,  worunter  349  Oelgemälde,  89 
Sculpturen,  femer  andere  Miniaturen,  Aquarellen  und  Pastellge- 
mälde u.  s.  w.  Der  Besuch  dieser  Ausstellung  hatte  über  5000  Fr. 
eingebracht,  und  der  Verkauf  der  Kunstwerke  60,000  Fr.,  wovon 
diese  Gesellschaft  selbst  für  25,000  Fr.  zur  Verloosimg  an  die 
LYIIL  Jahrg.  8.  Heft.  88 


SM  UtmtaUrüfihiM  sat  ttallan. 

Mitglieder  angekauft  hatte.  Von  rielen  der  besten  Ennsiwerke 
sind  hier  Abbildmngen  in  sehr  gelungenen  Kupferstichen  nnd 
auek  ven  noch  andern  Besohreibcingen  mitgeiheilt*  Das  Titel- 
Enpfer  gibt  das  ausgezeichnete  G^emäide  von  Oilardi  in  Turin, 
irelches  den  jungem  Brutus  darstellte,  wie  er  die  Stunde  er- 
wartet, um  sein  Vaterland  zu  befreien;  der  Kupferstich  ist  yon 
SaWioni,  die  Beschreibung  yon  Pagoni.  Eine  treffliche  Landschaft, 
einen  Bergstrom  in  den  Alpen  Yorstellend  yon  Castan  in  Genf  ist 
yon  einem  Kunstfreunde,  dem  Grafen  Sambuj  beschrieben.  Eine 
sokke  geistreiche  kunstsinnige  Beschreibung  gibt  auch  der  Herzog 
yon  Castromediano  yon  Caballini  bei  Lecce  yon  der  trefflichen 
Landschaft  von  Smargiassi  aus  Neapel,  die  Quelle  des  Flusses  Melfi 
in  den  Apenninen  zwischen  den  Abruzzen  und  Terra  di  Layoro, 
welcher  yon  Strabo  erwähnte  Fluss  dem  Liri  zuströmt.  Von  dem- 
selben Herzoge,  dessen  Famlie  unter  dem  Namen  Limburg  aus 
Deutschland  schon  unter  den  Hohenstaufen  in  dem  damaligen  Nor- 
mannischen Süd-Italien  belehnet  ward,  ist  auch  die  treffliche  dich- 
terische Beschreibung  des  schönen  yon  Argenti  in  Mailand  in  Mar- 
mor ausgeführten  Bildwerkes  eines  schlafenden  M&dchens,  einen 
Traum  im  fünfzehnten  Jahre  darstellend.  Ein  brayes  Viehstück 
ist  Yon  dem  Maler  Pittora  in  Turin,  und  Faust  mit  Gretchen  yon 
dem  ausgezeichneten  Maler  Giuliani  in  Mailand,  dessen  Gemahlin, 
eine  geborene  Geryasoni,  ebenfalls  eine  sehr  geachtete  Künstlerin  ist, 

Torio  e  airilio  dell  ingerensa  dello  Btaio  nelle  proprieia  della  ehiese 
dl  Stuart  Müly  iradoiio  da  Bon- Compagni,  Torino  1864.  Tip, 
Cavour. 

Der  jetzt  beantragte  Gesetzes- Vorschlag  wegen  Aufhebung  der 
Klöster  hat  dieses  Werk  yeranlasst,  in  welchem  der  ehemalige 
Minister  Bon  Compagni  neben  der  üebersetzung  der  angeblichen 
Abhandlung  die  Rechte  der  freien  Kirche  in  dem  freien  Staate 
ausfuhrt.  Beigefügt  ist  ein  umfassendes  Sendschreiben  des  Abge- 
erdnetea  Bonghi,  welcher  sich  durch  seine  üebersetzungea  grieefai- 
sehet  Tragiker  und  mehrere  philosophisohe  Werke  als  Schüler  des 
QeütUohen  JBosmini  bereits  einen  Namen  gemacht  hat« 

Mediiasioni  per  gli  Ecclesiastici  in  tuiii  giorni  dd  anno,  dd  P.  Stub, 
Jorvio  1864.  Tip.  Mariettu  2  Bände  zu  500  Seiten. 

Diese  fietmchtungen  auf  alle  Tage  im  Jahn  sind  fiür  &  Er- 
bauung der  GeistUohen  bestimmt. 

Dd  Papa,  del  Conte  Q.  de  Maisire,  iradoUo  da  B.  Oerini.  Torino 
1864.  Tip.  MarieUu   gr.  8.  p.  390. 

Der  Professor  der  Rhetorik,  Gerini  gibt  hier  eine  Üebersetzung 
des  bekannten  Werkes  des  Orafen  de  Maistre  über  den  Papst  aus 
dem  Französischen« 


IdteMtQfflKTlehfte  «M  Itelitt.  «MB 

Xtf  üarie  ^AfftO^  di  Torino,  Gtnöv^,  Caeale  6  Cafium,  ed  %  loro 
eapi,  di  C.  DumisoUi,  BiMa  18B4.  Tip.  Arnes». 

Diese  Gescbicbte  der  vier  Appell-Hö£e  der  alten  Provinzen  de? 
jetzigen  Königreichs  Italien  ist  nicht  nur  an  sich  sehr  nützliob  flir 
die  letzten  Jahrhunderte,  sondern  auch  durch  die  beigefügten  Bio- 
l^raphien  der  Präsidenten  dieser  Glerichtshöfe  beachtenswerth.  Pie- 
mont  war  über  100  Jahoe  von  Saroien  getrennt  gewesen,  bo  lange 
die  Seitenlinie  der  Fürsten  von  Achaja  im  Piemontesischen  herrsch- 
ten; Amadeus  VTII.  vereinte  1418  diese  Länder  wieder,  und  nahm 
den  Herzogs-Titpl  an,  beseitigte  auch    die  durch  das   germanische 
Lehnwesen  eingeführten  Sonderrechte   der   verschiedenen  Herrlich- 
Iceiten,  so  dass  1477  eine   allgemeine   Gesetzsammlung   erscheinen 
konnte,  die  1477  per   Joannem  Fabri  Lingonensem   zu    Turin  ge- 
druckt,  zu  den  ersten   Incunabeln   dieses   Landes   gehört.      Auch 
wurde  damals  der  oberste  Gerichtshof  zu  Turin  angeordnet,  dessen 
erster  Präsident  der  Doctor  der  Rechte,  Delpozzo  Cassiano,  Mark- 
graf diBomagnano  1560  wurde;  der  jetzige  Präsident  ist  der  aus- 
gezeichnete Bechtsgulehrte  Stora  Malin verni,  welcher  in  ganz  vor- 
züglichen Rufe  als  Richter  steht,  und  deshalb  mit  Recht  zum  Se- 
nator des  Reiches  und  zum  Grafen  ernannt  worden  ist.   In  Genua 
war  die  Aristokraten-Herrschaft,  welche  bald  die  Franzosen,  l)ald 
die  Gestenreicher  herbeigerufen  hatte,  durch  die  französische  Revo- 
lution beseitigt,   und    1805    als   erster  Appellations-Präsident  der 
Advokat  Carbonara  angestellt   worden.     Der  jetzige    ist    der  Graf 
Pinelli,  ebenfalls  Senator,  und  ausser  seiner  bedeutenden  Gesetzes- 
Kenntniss  geachtet   als  Verfasser   eines   gründlichen   Werkes   über 
die  Verwaltung  Piemonts  im  13.  Jahrhundert. 

Osservazioni  intomo  ai  pensieri  di  Oiaeomo  Leopardij  per  P,  €a- 
slagnola,  Torino  1864,  gr.  8,  p.  138. 

Die  Werke  des  bekannten  italienischen  Philosophen  Leopardi 
geben  hier  dem  Ver&sser  Veranlassung  dessen  den  Nihilisflons  as- 
etrebenden  Ansichten  zu  beurtheilen. 

TJunUa  ddla  Vita,   dell  Professore    J.   MoUeschott.     Torino    1864. 
Presso  Löscher. 

Dies  ist  bereits  dia  dritte  Eröfißaaagsrede  detr  Vorksnoge«, 
wskhe  dw  hier  sehr  geachtete  Ptofassor  MoUeeohott  auf  der  Toxiner 
Universität  hält,  welohe  mit  mikroskopischen  Beobachtungen  er- 
läutert selrr  besucht  worden,  tmd  nicht  allein  von  Studenten^  son- 
-dem  anch  von  älteren  GelehrteiL  Es  ist  zugleich  £Ur  Deotseblaad 
beachtenswerth,  dass  er  ausser  den  dentschea  Gelehrten,  die  er  in 
seinen  Ansichten  Aber  die  Eudbieit  des  Lebens  anführt,  mit  einem 
Mbtto  aus  Göthe's  Faust  schliesst,  und  zwar  naoli  der  ü^bersetzni^g 
desselben,  die  1862  von  Gaerrien  in  Mail^d  herausgegeben  wor- 
den ist;  auch  ist  der  Verleger  ein  deutscher  hier  sehr  geachteter 


SN  Ltteraiufberldite  rä«  ttaU«il. 

BacbhUndler,  Hr.  Löscher,  welcher  sehr  bedeutende  Qeschäfte  sutcht, 
da  die  reichen  Italiener  mehr  Bücher  kanfen,  als  in  Deutschland, 
wo  man  sich  mehr  mit  Leihbibliotheken  behilft.  Uebrigens  ist  der 
Professor  Moleschott  auch  von  dem  Könige  Yon  Italien  zum  Bitter 
des  Moritz-  und  Lazarusordens  ernannt  worden. 

Ccdendario  pener <Ü€  del  regno  cPllaUa,   del  Ministero  ddV  inUmo. 
Anno  in.  Torino  1864.  gr.  8.  p.  1298. 

Dieser  amtliche  von  dem  Ministerium  des  Innern  herausge- 
gebene Allgemeine  Kalender  für  das  Jahr  1864  enthalt  höchst  wich- 
tige Zusammenstellungen  über  das  Königreich  Itatien.  Bei  der  Qe- 
nealogie  des  königlichen  Hauses  wurde  gewöhnlich  sonst  Wittekind 
als  der  erste  Begründer  dieser  Familie  aufgeführt;  die  neueren 
Entwickelungen,  besonders  durch  den  Geschichtsforscher  Cibrario 
haben  herausgestellt,  dass  der  eigentliche  Stammvater  der  Mark- 
graf von  Ivrea  war,  welchen  die  italienischen  Lehnsherrn  der  deut- 
schen Kaiser  unter  dem  Namen  Berengar  IL  zum  Könige  yon  Italien 
gewählt  hatten,  welcher  966  starb.  Sein  Sohn  Adalbert  IL  ver- 
lor dies  Reich  schon  968,  und  seine  Wittwe  Gerberga  heirathete 
den  deutschen  Kaiser,  hier  Heinrich  der  Grosse  genannt,  und  adop- 
tirte  ihren  Sohn  erster  Ehe,  den  Grafen  Otto  Wilhelm  von  Hoch- 
Burgund  und  der  Franche  -  Comt^ ,  gewöhnlich  Berold  genannt, 
welcher  von  seiner  Gemahlin  Ermentraut,  Humbert  I.  mit  der 
weissen  Hand,  zum  Nachfolger  in  Savoien  und  Aosta  hatte  Sein 
Enkel  Otto  erhielt  durch  die  Heirath  mit  Adelheid  von  Susa,  die 
Grafschaft  Turin.  Yon  da  an  ist  die  Geschichte  des  Piemontesi- 
schen  Hauses  bekannt.  Unter  den  fremden  souveränen  Familien 
sind  bei  Spanien  auch  die  andern  bourbonischen  Abkömmlinge  mit 
aufgenommen,  wie  der  Graf  Ohambord  bei  den  älteren  Linien, 
worauf  die  Neapolitanische  und  die  Linie  Orleans  folgt.  Der  Auf- 
führung der  Beamten  geht  der  Wiederabdruck  der  Constitution  vor, 
welche  Carlo  Alberto  schon  vor  der  Febraar-Bevolution  1848  gab, 
als  Pins  IX.  seine  Reformen  begann,  und  an  welcher  bisher  noch 
nichts  geändert  worden  ist.  Auf  die  zehn  verantwortlichen 
Minister  ohne  Portefeuille,  unter  denen  ausser  ein  paar  Ministem 
aus  der  alten  Zeit  sich  die  Gelehrten  Sclopis,  Mano,  Cibrario  und 
Azeglio  befinden,  so  wie  der  verdienstvolle  Paleocopa,  welcher  die 
ersten  Eisenbahnen  im  Lande  erbaute  folgt  die  erste  Kammer  des  Par- 
laments, welche  aus  den  ausgezeichnetsten  Männern  Italiens,  welche 
den  Grundbesitz,  das  Vermögen,  die  Gelehrsamkeit  und  Lidustrie 
repräsentiren,  besteht:  noch  nie  hat  der  Einsender  hier  gehört,  dass  die 
Wahl  des  Königs  auf  einen  Unwürdigen  gefallen,  da  es  kein  ge- 
borenes Herrenhaus  ist.  Die  Abgeordneten  sind  nach  dem  Namen 
ihrer  Wahl-CoUegien  aufgeAihrt,  und  noch  hat  man  hier  nichts 
von  Wahlumtrieben  gehört,  für  den  Dienst  bei  den  Sitzungen  sind 
18  Stenographen  angestellt.  Unter  den  Mitgliedern  des  Staatsraths 
ist  unter  andern    der    geachtete   Statistiker    Correnti   angestellt. 


LItentariMrielkte  a«t  ItallMi.  MI 

welcher  Ton  seiner  Regiemng  za  dem  statistisebea  CongreBse  za 
Berlin  geschickt  ward.  Hier  sind  nur  4  Bitter>Orden.  Dentsohland 
ist  unter  den  fremden  Gesandten  nnr  durch  Preossen  vertreten, 
dessen  Gesandter  Graf  Usedom,  ans  dem  gebildeten  schwedisch 
Pommern,  wegen  seiner  klassischen  Kenntnisse  sehr  geachtet  wird ; 
vor  Allen  wird  der  amerikanische  Gesandte,  Perkins-Marsch  f&r 
den  gelehrtesten  im  hiesigen  diplomatischen  Corps  gehalten,  obwohl 
man  in  Deutschland  in  massgebenden  Kreisen  die  Amerikaner  ver- 
ächtlich wie  Kr&mervolk  nennen  hört.  —  Ausser  6  Generalen  der 
Armee  befinden  sich  73  General-Lieutenants  und  81  General-Majore 
im  Dienste,  wobei  von  Beförderung  nach  dem  Vorzüge  der  Geburt 
nicht  die  Bede  ist ;  alle  haben  die  Feuertaufe  erhalten ;  die  Artillerie 
wird  am  meisten  geschätzt,  weil  sie  zu  den  gelehrten  Waffen  ge- 
hört. Das  Heer  ist  in  7  General-Commandos  vertheilt,  zu  Turin, 
Mailand,  Parma,  Bologna,  Florenz,  Neapel  und  Palermo.  Beachtens- 
werth  ist  besonders  die  Statistik  der  den  Öffentlichen  Unterricht 
betreffenden  Abtheilung,  und  die  Aufzählung  der  zahlreichen  in 
Italien  befindlichen  Akademien  und  gelehrten  Vereine ,  da  hier  die 
ersten  Klassen  der  Gesellschaft  schon  seit  den  gebildeten  Höfen 
der  Medicis,  Malatesta,  Este,  Gonzaga,  Bovere  u.  s.  w.  eine  Ehre 
darin  suchten,  sich  durch  Bildung  auszuzeichnen. 

//  Minütero  dclP  Aisaasinio  e  U  noUe  di  Torino  dd  2L  e  22.  Sä-- 
iembre  1864  di  Marco  Venesiano.   Lugano  1864.   8. 

Dieser  Bericht  über  die  blutigen  September-Ereignisse  in  Turin 
rührt  von  einem  der  ausgezeichneten  Ausgewanderten  aus  Venedig, 
Herrn  Garini,  her,  welcher  die  damaligen  Minister  des  Königreichs 
Italien  Verraths  beschuldigt.  Da  er  diese  blutige  That  mit  vielem 
Eifer  und  sehr  geistreich  beschreibt,  muss  man  abwarten ,  welche 
Ergebnisse  sich  durch  die  desshalb  niedergesetzte  Commission  her- 
aussteilen werden.  Jedenfalls  ist  es  ein  trauriges  Ereigniss,  dass 
von  Soldaten  auf  unbewaffiiete  Bürger,  Frauen  und  Kinder  ge- 
schossen worden,  statt  mit  gefälltem  Gewehr  vorzugehen,  und  die 
öffentlichen  Plätze  zu  räumen.  Den  hier  angegriffenen  Herrn  Mig- 
netti,  Peruzzi,  Pepoli,  Spaventa  u.  m.  u.  wird  als  Verrath  ange- 
rechnet, dass  durch  die  September-Convention  mit  Napoleon  III. 
alle  Ansprüche  Italiens  auf  Bom  aufgegeben  worden  sind. 

Primo  a  Venesia,  poi  a  Rome.  Doeumenti  e  fcdiu  Torino  1864, 

Von  demselben  Professor  Carini  ist  auch  diese  Denkschrift, 
welche  zum  Zweck  hatte,  die  Unternehmung  der  Venetianischen 
Ausgewanderten  im  November  1864  zu  befördern;  sie  ist  mit  der 
feurigsten  Vaterlandsliebe  verfasst,  und  dringt  darauf  erst  Venedig 
zu  erobern,  ehe  man  an  Bom  denken  kann.  Allein  es  ist  zu  be- 
dauern, dass  alle  solche  Versuche  mit  der  Begeisterung  Garibaldis 
anfangen,  daher  ohne  Hoffnung  des  Erfolgs ;  auch  sagen  jetzt  schon 
Manche:  »Garibaldi  hat  ein  grosses  Herz,  aber  einen  kleinen  Kopflc 


In  dinem  constitutionellen  Staate  hat  die  Mehrheit  des  Parlameiita 
ta  entscheiden,  «nd  dies  hält  selche  Bewegungen  für  yerfirtdU. 
Dabei  behalten  aber  die  begeisternden  Werte  des  Verfassers,  als 
Volksredners  ihren  Werth. 

Drami  storici  e  memorie  concemenii  la  sioria  segreta  del  itairo  per 
0.  Sabbaiinu  Vol.  IL  Torino  1864.  Tip.  Caffareiti.  8.  p.  343. 

Der  erste  Band  der  geschichtlichen  Schanspiele  von  dem  be> 
liebten  Schriftsteller  Sabbatini  enthielt  Alessandro  Tassoni  und 
Bianca  Capello;  der  yorliegende  Piccarda  Donati  und  Masaniello. 
Beide  Stücke  sind  mit  vielem  Beifall  anf  den  italienischen  Theatera 
anfgenommen  worden,  und  zeichnet  sich  das  erste  besonders  durch 
ergreifende  Darstellung  weiblicher  Charaktere  aus.  Auch  dieser  Gegen- 
stand gehört  der  Geschichte  an,  und  wird  von  Dante  in  seiner 
göttlichen  Comödie  erwähnt.  Einer  der  Partei-Häupter  in  Florenz, 
Corso  Donati  hatte  1395  seine  Schwester  Piccarda  einem  seiner 
Yerbüttdeten  zu  ehelichen  versprochen,  sie  hatte  sich  aber  gegen 
seinen  Willen  in  dem  Kloster  S.  Chiara  als  Nonne  einkleiden  lassen, 
bei  den  damaligen  Unruhen  zwischen  Guelfen  und  Ghibellinen  liess 
aber  Corso  Donati  dies  Kloster  durch  seine  Bewafiheten  erbrechea 
und  diese  Nonne  rauben,  welche  mit  Gewalt  mit  Bosellino  della 
Torre  vermählt  ward;  sie  konnte,  da  sie  einen  andern  geliebt 
hatte,  dies  nicht  ttberleben,  sie  starb  an  gebrochenem  Herzen.  Der 
geistreiche  Herr  Verfasser  giebt  nicht  nur  Eechenscbafb  von  den 
Gründen  des  von  ihm  verfolgten  Fadens  der  Darstellung,  sondern 
auch  Urtheile  anderer  Gelehrten  darüber,  und  haben  wir  mitVei^ 
gnügen  ein  solches  auch  von  dem  bekannten  Dali  üngaro  gelesen. 
Jedenfalls  gehört  Herr  Sabbatini  jetzt  zu  den  geachtetsten  drama- 
tischen Schriftstellern  in  Italien. 

Jnsignamento  professionale  e  indusiricHey  dal  Ministero  di  AgriaiUura 
e  commercio.  Torino  1864.  Tip.  Dalmasssio.  8,  p,  393. 

Hier  erscheinen  81  verschiedene  Arten  von  Gewerbe-  und 
technischen  Schulen,  deren  Programme  hier  gesetzlich  durch  ein 
Gesetz  vom  14.  Aug.  1860  festgestellt  sind ;  so  hat  z.  B.  jede  Special- 
sehule  fCLr  die  Handels-Scfaifffahrt  10  Lehrer  für  die  versehiedensn 
Fächer.  Eine  Commission  von  5  Mitgliedern  in  dem  betrefienden 
Ministerium  hat  die  Oberleitung  derselben,  und  ist  ihr  Präsident 
der  sehr  geachtete  Gelehrte  und  Staatsmann  Boncompagni. 

Annäli  della  9piriiismo  in  Italia  da  T.  Coreni.  Torino  1864.   Tip» 
De  Oeorgis,  Fascicolo  XIL 

Dies  isi  bereits  das  12.  Heft  der  Jahrbücher  der  Oeister- 
seherei,  wozu  sich  in  Turin  eine  kleine  Gesellschaft  gebildet  hak* 
ha  dem  verliegenden  Befke  ist  besonders  die  Frage  behandelt,  cb 
die  Seele  schon  vorhei|f  bestanden  hat,  oder  erst  in  dem  Angen* 
büelpe  der  Empfängnies  durch  die  Mutter  geachaffen  wird.    IMe 


IMMtat^aMiUi  mu  ItiOieii.  OM 

Haaptqiielleii  für  mid  wieder  werden  in  dem  alten  und  nenen  Teeta- 
mente,  besonders  aber  in  den  Kirehenvfitem  AugnBtinas,  Bierenjmns 
Tertullian  n.  a.  m.  gefanden. 

Porti  e  vie  düf  cmUca  lAguria,  per  B.  (klewi.  Qmova  186S,  ^.  8w 

Der  gelehrte  Genuese  Professor  Herr  Celesia  giebt  bier  den 
Archäologen  gewiss  sehr  willkommene  Zusammenstellungen  über  die 
Seehäfen  und  Herrstrassen  in  dem  antiken  Ligurien^  mit  dem  Hafen 
von  Luni  anfangend,  wo  die  Etrusker  ihre  Seemacht  unterbrachten, 
bis  sie  den  B5mem  unterlagen,  welche  weniger  auf  die  Schifffahrt 
achteten.  Der  Verfasser  führt  die  Stellen  aus  Strabo,  Persius, 
Silius  Italiens  und  andern  Classikem  an,  welche  diesen  Hafen  er- 
wähnen, der  erst  wieder  in  Aufnahme  kam,  als  die  freie  !Reichs- 
stadt  Pisa  gewissermassen  als  Erbe  der  Herrschaft  der  Etrusker 
als  Seemacht  auftrat,  die  aber  den  Genuesern  weichen  musste.  In 
Genua  hatten  die  Römer  unter  Publius  Scipio  eine  grosse  Plotte, 
und  noch  vor  Kurzem  wurde  hier  ein  tüchtiger  Schiffs-Schnabel 
einer  Trireme  gefunden.  Die  Yada  Sabatia  bilden  den  gegen- 
wärtigen Hafen  von  Savona,  wie  aus  Plinius  hervorgeht;  nach 
Strabo  hatten  die  Massaboti  einen  Hafen  in  dem  jetzigen  Monaco. 
In  Ansehung  der  Strassen  in  Ligurien  geht  der  Verfasser  in  die 
Zeit  zurück,  wo  die  Römer  für  nöthig  fanden,  ihre  Legionen  durch 
Ligurien  gegen  die  ungezähmten  Apuani  zu  führen.  Das  seefahrende 
Genua  hatte  aber  alle  Landstrassen  dergestalt  eingehen  lassen, 
dass  schon  Petrarca  über  terrestrem  duritiem  intra  Ligusticos  sco- 
pulos  klagt. 

Von  demselben  Gelehrten  iet  auch  aeiae  Untersbehuig  über 
<Lie  älteste  Spraohe  in  Ligurien: 

Süll  antichissima  idioTna  dei  Liguri  per  E.  Celesia.     Oenova  1863, 
Tip,  gordo  mutu 

Der  Verfasser  hält  die  Ligurer  für  Stammgenossen  derOseer, 
der  sogenannten  italienischen  Aborigines,  und  die  vergleiehende 
Sprachknnde  ist  von  ihm  zu  vielen  etymologischen  üntersnehnngen 
benntzt  worden,  die  seine  Bekanntschaft  mit  unsermBopp,  Grimm^ 
Humboldt,  Eichbof  u.  a.  m.  bekunden«  Nach  ihm  erfolgte  diese 
Etnwandemng  über  das  Azowisohe  Meer  die  Donau  aufwärts  üb» 
die  Alpen ;  ausser  vielen  Orts*Namea  führt  er  auch  viele  Vergleiche 
zwisoben  dem  Sansorit  und  andern  Sprachen  an,  z.  B.  Dina^  Dies, 
Dags  im  Ootbisobeii,  Tag,  Dag  im  Holländischen,  Daeg  imAsgelr 
sftohsisehen  n.  s.  w.  Macrobins  sagt:  Oscis  verbis  uaii  sant  vete» 
IM.  üeber  den  Einfluss  der  Sprache  der  Etrosker  und  deren  lUgeibr 
ibftmliebkeit,  so  wie  über  den  Einfluss  der  semitischen  und  der 
odtisehen  Sprache  so  wie  anderer,  bringt  der  Verfasser  eben&Us 
vielüaehe  vergleddiende  Worte  bei,  welohe  ven  dem  aussei?ordeni^ 
liehen  Fleisse  des  Verfassers  Zeugsiss  geben^ 


aOO  Thierry:  HMolre  d'Aiilk. 

Teo$&fta  di  AnUmio  Ro$mini-8erbali^  preU  R&verdano,  &pera  poäuma. 
m  VoL  Tfmnc  1864.  Tip.  Franeo. 

Dies  ist  das  letzte  Werk  des  flbr  einen  sehr  bedenienden  Phi- 
losophen gehaltenen  Bosmini,  welchem  er  noch  ein  Capitel  bei- 
fügen wollte,  worüber  ihn  aber  der  Tod  zu  Stresa  am  Lago 
Maggiore  überraschte,  wo  er  einen  neuen  Mönchsorden,  die  B<^ 
minianer  gestiftet  hatte,  wozu  ihm  von  dem  Papste  ein  Leichnam 
aus  den  römischen  Catacomben  mit  einer  Inschrift  übersandt  wor- 
den, welche  der  gelehrte  Abbate  Gazzera  in  seinem  Werke  über 
die  im  Piemontesischen  befindlichen  classi sehen  Insohriften,  benr- 
theilt  hat.  Die  Freunde  der  abstracten  Philosophie  werden  hier 
viel  über  Ontologie,  Ideologie,  Objectivität,  Abstraction  n.  s.  w. 
zu  lesen  finden,  aber  auch  viele  Hinweisungen  auf  die  philoso- 
phische Literatur  von  Aristoteles  bis  zum  heiligen  Thomas,  bis  zu 
Wolf  u«  8.  w.,  denn  Bosmini  war  ein  gründlicher  Gelehrter. 

Neigebaur« 


Thkrry,  ÄnUd^e^  Histoirt  dPAUUa  d  de  aes  sueeesseurs  jusgu'ä  Täab- 
l%8i€meni  des  Hongroü  en  Europe  sttivie  des  legendes  et  iradir 
UofUf  Tomes  premier  et  eecond.  Paris  1864. 

Ein  neues  Werk  von  dem  Verfasser  des  TMeau  de  VEmpire 
ramain,  das  wir  im  vorigen  Jahre  hier  anzeigten !  Wer  möchte  von 
einem  Geschichtschreiber  wie  Amedee  Thierry  Anderes  als  Tüchti- 
ges erwarten! 

Aeusserlich  betrachtet,  zerf&Ut  die  Eintheilung  des  ersten  Ban- 
des in  die  Geschichte  Attila's  als  erster  Partie,  S.  1  fp.  und  in  di« 
Geschichte  seiner  Söhne  und  Nachfolger,  S.  229  ff.  Zehn  Seiten  mit 
Noten  bilden  eine  Art  Anhang  dazu  S.  427  ff.  Wie  der  erste  Band, 
hat  auch  der  zweite  seine  zwei  Theile,  wir  unten  des  Näheren  be- 
sprechen werden. 

Yornftchst  soll  uns  der  erste  Band  beschäftigen.  Ans  dem 
Hunnenkönige  Attila  ist  im  Laufe  der  Zeiten  eine  mehr  legenden- 
mftssige,  als  historische  Persönlichkeit  geworden.  Der  Ver&sser 
stellt  sich  die  Aufgabe,  den  historischen  Inhalt  festzustellen,  nnd 
uns  den  wahren  Attila  vorzuftlhren.  Dazu  war  ein  ernstes  Stadium 
der  Fragmente  des  Priscus,  der  Chroniken  des  Prosper  von  Aqni- 
tanien,  und  des  Idatius,  besonders  aber  des  für  die  Geschichte  der 
Völkerwanderung  so  wichtigen  Jomandes,  endlich  drittens  der  teu- 
tonischen Dichtungen  sowie  der  lateinischen  Legenden  nebst  des 
aus  dem  Orient  gekommenen  Traditionen  nöthig.  Aus  diesen  Quellen 
suchte  der  Verfasser  sich  jedesmal  das  besondere  Bild  hersass^' 
lesen,  und  durch  Vergleichung  dieser  einzelneu  Bilder  zu  dem  wah- 
ren Bilde  zu  gelangen.  Der  Hauptzweck  des  ersten  Bandes  i^i 
dieses  wahre  Bild  von  Attila  zn  gewinnen. 


Tblerry:  BUtdn  d'Attflt.  001 

80  stehen  wir  denn  bei  seiner  Geschichte  Attila's.  Wenn 
andere  Männer,  so  beginnt  er  nngeftLhr,  sich  dnrch  Be^nndemng 
die  Unsterblichkeit  erwarben,  so  hat  bei  Attila  die  Fnrcht  dies 
erzielt.  Er  schliesst  darans,  dass  diese  Fnrcht  noch  heute  in  der 
Menschheit  nachrittert,  anf  das  Fnrchtbare  in  dem  Erscheinen  die- 
ses Barbaren  anf  der  Wahlstatt  der  Oeschichte  zurfick,  anf  dem 
der  Finch  der  Jahrhunderte  lastete.  Er  hat  einen  Namen  hinter^ 
lassen,  der  popnlttr  ist,  aber  im  Sinne  des  Schreckens,  nnd  gleieh- 
bedentend  mit  Zerstörung  1  Man  bemerkt,  dass  der  Attila  der  Oe- 
schichte nicht  ganz  derselbe  ist,  wie  der  Attila  der  Tradition. 
Ueberdies  gibt  es,  je  nach  verschiedenen  Ausgangspunkten  ver* 
schiedene  Traditionen,  (eine  rOmische,  germanische  und  natio- 
nale. Aber  sie  haben  nichtsdestoweniger  eine  Stelle  in  einer  ge- 
lehrten Arbeit  über  Attila,  und  kOnnen  erst  in  Verbindung 
mit  der  nachfolgenden  Geschichte  nach  ihrem  wahren  Werthe 
beurtheilt  werden.  Das  Leben  Attila*s  selbst  ist  nur  ein  Drama, 
das  plötzlich  endet,  dessen  Abwicklung  Persönlichkeiten  zweiten 
Banges  anheimfWt,  die  yQUige  Zertrümmerung  des  römischen 
Beiches. 

An  die  Spitze  dieser  Darstellung  gehOrt  die  Geschichte  der 
Herkunft  der  Hunnen,  wenn  ihre  Vergangenheit  bis  zu  dem  Jahre, 
da  sie  in  das  Reich  einbrachen  (375),  geschichtlichen  Werth  be- 
anspruchen kann.  Zudem  fliessen,  wie  das  die  ersten  fünfzehn 
Seiten  des  VerÜEissers  beweisen,  die  einschlftgigen  Nachrichten  sehr 
spärlich,  eingeschrtokt  auf  einzelne  Ausdrücke  und  Ausspüche  bei 
Procopius,  Ammianus  Marcellinus  und  Jemandes,  Einzelheiten,  deren 
Verwendung  zu  einem  lesbaren  Zusammenhange  eine  Aufgabe  für 
die  Feder  unseres  Verfassers  war.  Mit  der  Nachricht  von  dem 
üebergang  der  Hunnen  über  die  Wolga  (874)  ändert  sich  die  Sache. 
Zu  Jemandes  gesellen  sich  nun  noch  kirchenhistorische  Quellen 
(Sokrates,  Sozomenus,  Epiphanius,  Philostorgius)  u.  s.  w.  Natura 
Üch,  da  sind  ja  die  Oothen,  die  sich  yor  den  Hunnen  zurückzogen, 
und  deren  Ohristenthum  nicht  das  beste  war,  weil  sie  Hftresiarchen 
unter  ihre  Apostel  rechneten  S.  28.  Seitdem  unter  den  Letzteren 
Theophüus,  und  sein  Nachfolger  Ulfilas  als  BischOfe  genannt  wer- 
den, beginnt  die  Vergangenheit  der  Hunnen  deutlicher  sich  mit 
der  Geschichte  der  ciyilisirten  Menschheit,  auf  deren  Schwelle  die 
Gothen  stehen,  zu  begegnen.  Die  Berührung,  in  welche  die  Gothen 
mit  dem  Kaiser  Valens  traten,  wurde  eine  Katastrophe  für  den 
Letzteren,  der,  indem  er  von  der  Bolle  eines  Konstantin  träumte, 
und  die  Politik  mit  der  Beligion  yerband,  für  die  Vergehen  seiner 
Offiziere  einstehen  musste,  und  die  Beleidigungen  eines  yerzweifelten 
Volkes  mit  seinem  Leben  sühnen  musste  S.  82.  Mit  lebhaften 
Farben  beschreibt  der  Verfasser  die  Vorgeschichte  der  Schlacht  yon 
Adrianopel  yom  9.  August  des  Jahres  878,  einem  Tage,  der  in 
doppelter  Beziehung  heiss  war,  durch  Sonnenschein  und  Kampfes- 
wttth,  und   den  die  Zeitgenossen    (Amm.  Marcell.  81,   14)  mit 


MS  TkUrryi  Hlitolr«  d^AUIlA. 

Beeht  dem  Tiage  von   Catmft  aa  Söhreoken  gfeiehsMleii    konnten 
S.  &6ff. 

Knn  und  bündig  yerfolgt  der  Yeiimtser  die  fernere  Ghesohicbie 
der  Westgothen,  die  sich  suletzt  in  Oallien  niedergelaseen,  am  im 
aweiten  Kapitel  S.  38  mit  der  Ankunft  der  Hunnen  an  der  Donan 
die  Qeschichte  der  Letzteren  zn  beginnen.  Sie  bebauten  nioht  da« 
Feld  und  hatten  bald  das  Wenige  von  Cnltnr,  welches  sich  vorge* 
fanden,  zerstört,  so  dass  Bom   sie  in  Sold  nehmen  mosete,    nm 
einem  Kriege  zuvorzukommen,  wozu  die   Barbaren  sie  gezwangen 
haben  würden.     Theodoeius,    der  die  Gothen   fOrchtete,  braachte 
gegen  sie  die  Hannen;   eine  Politik,  die  aueh  seine  Säine  befolg- 
ten.   So  dient  ein  Hunnenkönig,  üldinus  mit  Namen,  405,  anter 
Honorias  gegen  die  Schaaren  des  Badagaisus,  und  entscheidet  durch 
seine  Cavalerie   die  Schlacht   bei   Florenz   (Orosius  VH,  80).     Sie 
wussten  schon  was  sie  für  das  alte  Beich  bedeuteten,  als  sie  ihre 
Zelte  an   der  mittleren    Donau   aufschlugen.    Im  Norden    hiervon 
wohnten  Burgunder^   die   durch  einen   Bischof  von  Trier   getanfl 
wurden.     Die  gallischen   Burgunder  waren  schon  Christen  S.  45. 
Es  sollte  abgemacht  werden,  dass  Alles,   was  nördlich  der  Donau 
wohnte,  den  Hunnen  gehöre,  und  Alles,  was  südlich,  den  Römern. 
Dieses  üebereinkommen ,  von  dem  Hnnnenkönige  Bona  eingeleitet, 
wurde,  da  Bona  zwischen  434  und  435  starb,  von  den  königlichen 
Brüdern  Attila  und  Bleda  mit  den  Bömem  auf  einer  Ebene  an  der 
Donau,  da  wo  die  Morara  hineinmündet,  verabredet,  und  als  Ver- 
trag festgestellt  S.  47.    Die  römische  Gesandtschaft  wurde  durch 
die  Drohung  mit  Krieg  in  Furcht  gehalten.     Bei   dieser   Oelegesr 
heit  entwirft  der  Verf.  ein  Bild  von  Attila,  8.  48,   das  in  seinen 
Umrissen  uugef&hr  auf  einen  Kalmuken  hinausläuft.    In  ihm»  der 
den  Krieg  wie  eine  Oarotte  ausübte,  entwickelte  sidi  der  Gedanke 
Booa's  zu  einem  STstem   „qni  ne  tmdaU  pw  ä  moins  qiiä  er^er, 
au  moyen  du  Huns  rhtms  «otis  \t  mtmt  gouvememeiü  ei  ob^ütd 
ä  la  mimt  volonte,  un  empire  des  naiiona  barbttrea  en  oppositum  ä 
Vempire  rotnain,  qt^ä  faire,  en  un  mot^  pour  le  nord  de  VEurope 
ce  gue  Rome  avait  fatU  pour  le  midi^^  S.  52.    Um  diese  Idee  eines 
nordischen  Beiches  in's  Werk  zu  führen  bedurfte  es  vor  AJÜeoi  d«r 
Vereinigung  aller  hunnischen  St&mme  und  dies  war  das  erste  IJntw 
nehmen,  wozu  er  überging  S.  33.    Dann,  um  das  Angefangene  sn 
vollenden,  tödtete  er,  man  weiss  nicht  wodurch  veranlaset,  seinen 
Mitregenten  Bleda  8.  55.  Von  da  ab  agirte  und  parlirte  er  als  Herr 
und  Meister  über  die  ganze  Barbarensohaft  S.  56.  Konstuttinopel 
und  sein  Hof,  von  Weibern  und  Eunuchen  regiert,  nnd  von  Th«^ 
dosins  nur  piHsidirt,  liessen  alles  geschehen,  und  fluchten  nur  dem 
Barbaren! 

Attila  schickte  eine  Gesandtschaft  dorthin  ab ;  hiemit  beginnt 
das  dritte  Kapitel^  S.  60.  Dieser  Theodosius,  der  zweite  diesM 
Namens  und  dem  ersten  sehr  un&hnlieh,  machte  sich  zwar  dtsrob 
die  Oodifikation  der  Gesetze  der  duristUchen  Kaiser  verdient,  sckrieh, 


TkUrry:  Hiitoira  a'Afttilfl.  60t 

wie  berichtet  wird,  eine  nnüberireffliob  schöne  HandBohrifk,  war  aber 
kein  Kaiser  fOr  eine  Zeit  wie  die  seinige.  Der  Verfasser  nennt  ihn 
ein  altes  Kind,  das  seine  Freiheit  haben  moss  8.  61.  Die  Gesandt- 
schaft Attila's  wird  von  ihm  mit  einer  Gesandtschaft  erwiedert,  die 
ans  Maximin,  Priscns  und  Vigilas  besteht.  Das  Cai»tel  besteht  nun 
ans  einer  Darstellung  der  Erlebnisse  dieser  Gesandten,  bis  sie  im 
Lager  vor  Attila  erschienen.  Hier  traf  den  Dollmetseher  Vigilas 
der  Zorn  dieses  Königs  und  er  mosste  nach  Gonstantinopel  zurück* 
reisen.  Die  beiden  anderen  Gesandten  reisen  weiter  bis  sur  Haupt- 
stadt Attila's.  Auch  was  hier  erlebt  wurde,  kommt  im  Schluss 
des  Kapitels  zur  Sprache. 

Das  vierte,  S.  90,  beginnt  mit  der  Beschreibung  yon  Attila's 
Pallaste  in  der  Hauptstadt,  deren  Namen  der  Verfasser  in  einer 
Anmerkung  erörtert  S.  89,  und  wobei  er,  ohne  für  einen  Namen 
sich  zu  entscheiden,  auf  den  Anhang  zum  ersten  Bande  yerweist 
S.  427.  Dort  meint  er,  sie  sei  in  der  Umgebung  von  Taszberönj  in 
in  der  Nähe  der  Wälder  von  Matra  und  des  Gomitats  Ton  Pesth 
zu  suchen.  Kehren  wir  zurück  zum  Haupttexte. 

Für  das  vierte  Kapitel  sind  wir  auf  den  Aufenthalt  in  der 
Hauptstadt  angewiesen.  Eine  Unterredung  zwischen  Priscns  und 
einem  angeblichen  Hunnen,  der  eigentlich  ein  Grieche  war,  wird  einge- 
flochten; es  ist  auf  eine  Vergleichung  zwischen  dem  barbarischen 
und  eiviüsirten  Leben  abgesehen.  Eine  andere  Unterredung  be- 
trifft die  Macht  und  die  Entwürfe  Attila's.  Attila  ist  der  oberste 
Richter.  Die  römischen  Gesandten,  werden  zu  Tisch  geladen.  Die 
Mahlzeit  und  ihr  Ceremoniell  wird  besehrieben.  Auch  bei  der 
Königin  Kerka  wird  gespeist.  Dann  nimmt  Maximin  Abschied. 
Vigilas  kehrt  zurück,  aber  fäst  zu  seinem  Unglück,  weil  er  des 
Complotts  überführt  wird;  doch  Attila  hielt  ihn  seiner  Bache  für 
unwürdig,  aber  er  verlangte  den  Kopf  des  Eunuchen  Chrysaphins. 
Das  Jahr  450  begann  unter  diesen  Auspieien.  Massenhait  trafen 
die  Contingente  der  hunnischen  Stämme  an  den  Ufern  der  Donau 
ein,  und  Bewaffnungen  wurden  ins  Werk  gesetzt  bei  allen  abhän- 
gigen Völkern  (Ostgothen,  Gepiden,  Heruler,  Bugiem  u.  s.  w.)* 
Aufregung  bemächtigten  sich  des  Occidents  nicht  weniger  als  des 
Orients.  Die  Conjuncturen  waren  drohender  Natur«  Und  nicht 
geringer  muss  der  Schrecken  gewesen  sein,  den  die  Sprache  der 
Gesandten  Attila*s,  zweier  Gothen  in  GonsWtinopel  erregte,  von 
denen  Jeder  zu  erklären  den  Auftrag  hatte:  »Attila,  mein  Herr, 
und  der  deinige,  befiehlt  dir  ihm  einen  Palast  zu  bauen;  denn  er 
wird  kommenc  S.  120. 

Das  fünfte  Gapitel  leitet  die  Kriegssüge  AttUa's  nach  dem 
Westen  mit  der  Bemerkung  ein,  dass  das  Jahr  451  für  denOooi- 
dent  eine  der  unheilvollen  Epochen  war,  welche  die  ganze  Geeell- 
sohaft  zitternd  erwartet,  und  die  ihr  Unglück  so  zu  sagen  an  einem 
feetbestimmten  Tage  herbeiführen  8.  122.  Weissagungen,  Ptodig* 
ien,  aussergewöhnliche  Zeichen,  ein  unausbleibliches  Gefolge  allge* 


S04  Tlilerry:  Blsiolre  d'Attila. 

meiner  Vornrtbeile,  fehlten  diesem  ünglttoksjahre  nicht.  Die  O^e- 
schichte  spricht  von  Erdbeben,  welche  im  Jahr  450  Gallien  und 
einen  Theil  von  Spanien  erschütterten  (Tdat.  Chron.  ann.  450); 
der  Mond  verfinsterte  sich  bei  seinem  Aufgange,  was  fttr  ein  an- 
glückliches Vorzeichen  galt;  ein  Komet  von  erschreckender  Grösse 
nnd  Gestalt  erschien  am  Horizont  bei  Sonnenuntergang  n.  s.  w. 
Das  waren  Prophetien  für  das  aberglänbige  Volk,  sagt  der  Ver- 
fasser; fromme  Seelen  suchten  deren  noch  andere.  Er  entwirft  ein 
Tableau  der  Zerstückelung  Galliens  unter  fünf  Völkerschaften, 
Spaniens,  das  halb  für  Rom  verloren  war,  Afrika's,  das  ganz  ver- 
loren war,  und  des  insularischen  Britanniens,  aller  im  Jahr  430. 
Zwei  Ereignisse  vermehrten,  sagt  er,  die  ünbehaglichkeit  der  Geister, 
weil  sie  der  Verwirrung  durch  vorhergesehene  üebel  die  unvorher- 
gesehenen Chancen  einer  Palastrevolution  hinzufügten,  n&mlich  der 
Tod  des  Kaisers  Theodosius,  am  28.  Jnli  450,  der,  sowie  die  Hin- 
richtung des  Chr jsaphius,  ein  grosser  Vortheil  für  den  Orient  war, 
und  zweitens  die  Wendung  bei  Placidia,  welche  die  Zügel  der 
Regierung  in  der  Hand  behalten  hatte  Dir  Tod  brachte  heilloses 
Unglück  über  den  Occident.  Attila,  welcher  vor  dem  neuen  Kaiser 
Marcian  Respect  bekommen  hatte,  warf  sich  auf  den  Occident,  ver- 
langte eine  Princessin  zur  Gemahlin,  die  bereits  in  der  Ehe  war, 
und  liess  schon  einen  Ring  machen,  den  er  bald  nachher,  wie  wenn 
eine  f&rmliche  Verlobung  stattgefunden  hätte,  nach  Ravenna  zurück- 
schickte. Er  verband  sich  mit  Genserich,  bewegt  sich  nach  dem 
Westen,  S.  ISO,  zahlreich  sind  seine  Heerschaaren ,  wie  die  des 
Xerzes,  S.  133,  er  passirt  den  Rhein,  S.  135 ff.  in  verschiedenen 
Haufen,  die  südlichste  Abtheilung,  welche  bei  Äugst  hinüberging, 
schlug  den  Burgunder  Gondicar,  S.  139.  Attila  selbst  hatte  die 
Richtung  auf  Trier  und  von  da  nach  Metz  genommen  und  kam  so  vor 
Reims  an,  eine  zwar  grosse  Stadt,  die  aber  keine  Vertheidiger  ihm 
entgegenstellte,  und  so  eine  leichte  Eroberung  war.  S.  242.  Die 
Parisier  wollen  ihre  Stadt  (Lutetia)  verlassen,  werden  aber  von 
einer  Frau  zum  Bleiben  vermocht ;  Genovefa  hiess  diese,  ihr  Leben 
wird  mit  Benutzung  der  Bollandisten  (zum  8.  Januar)  erzählt  S.  145  ff, 
Sie  lebte  damals  auf  einer  Insel  in  der  Seine,  besass  die  Prophetie 
lind  Wundergabe  S.  148.  Zu  einer  Vorgängerin  der  Johanna  von 
Orleans  in  dem  Kriege  gegen  Attila  ausersehen,  S.  149,  bewahrte 
sie  Lutetia  vor  Ver5dung  und  rettete  durch  ihren  Muth  und  ihre 
Festigkeit^  welche  sich  den  Frauen  mitgetheilt  hatte,  die  Richtig- 
keit ihrer  Vision,  vermöge  welcher  Paris  nicht  verwüstet  werden 
würde  S.  151.  Inzwischen  ging  der  Marsch  Attila*s  auf  Orleans. 
S.  153.  Geplündert  wurde  jetzt  nicht  mehr,  seit  die  Städte  Metz, 
Toni  und  Reims  dieses  Schicksal  erlitten  hatten.  Der  Marschroute 
lagen  wohl  die  officiellen  Wegekarten  (Itinerarien)  zum  Grunde.  In 
einer  Anmerkung  S.  154  gibt  der  Verfasser  sich  die  Mühe,  allen 
Spuren  dieses  Aurohtbaren  Eroberers  auf  dem  Boden  Frakikreich*8  zu 
folgen. 


Tblftirry:  Hiatoira  d^Attllä.  IM 

Das  sechste  Kapitel,  S.  155  beschäftigt  sich  mit  den  Ereig- 
nissen des  Jahies  451,  deren  Interesse  in  dem  Siege  der  West- 
gothen  über  Attila  auf  den  Oatalaonischen  Feldern  sich  vereinigt. 
Orleans,  das  am  Ende  des  vorigen  Buchs  belagert  wurde,  hätte 
von  den  Westgothen  entsetzt  werden  können.  Der  Bischof  der 
Stadt  hatte  sich  nach  Arles  zu  Aetins  begeben;  dieser  Patrioier 
konnte  aber  den  Beistand  der  Westgothen  nicht  erlangen*  Dann 
musste  derselbe  Priester  zuletzt  in  das  Lager  Attila's  gehen  und 
die  Bedingungen  der  üebergabe  vermitteln.  Aber  Attila  verlangte 
und  erzwang  unbedingte  Unterwerfung.  Inzwischen  zogen  die 
Schaaren  des  Astius  heran:  ein  allgemeiner  Zusammenstoss  schien 
xmvermeidlich. 

Zwischen  Beims  und  Ch&lons  war  das  Lager  Attila*s  gelegen, 
S.  178,  wo  dieser  erfolgen  sollte.  Die  Nacht  zuvor  brachte  Attila 
in  einer  unbeschreiblichen  Unruhe  zu.  Seine  Armee  war  nicht  im 
besten  Zustande.  Ein  Eremit,  den  er  zu  befragen  den  Ein&ll 
hatte,  redete  ihn  als  Geissei  Gottes  an,  und  wies  ihn  auf  die  Un« 
beständigkeit  irdischer  Macht  hin.  Dann  wurden  die  hunnischen 
Zauberer  gefragt;  die  Auftritte  erzählt  der  Verf.  nach  Jemandes. 
Alle  Yerkttndigungeu  Hessen  ihn  eine  Niederlage  befürchten;  des- 
halb dachte  er  die  Schlacht  nicht  zu  früh  am  Tage  anzufangen. 
Sie  kostete  den  König  der  Westgothen  das  Leben.  Attila  untere 
lag,  die  kriegführenden  Mächte  zogen  sich  zurück,  Attila  nach  dem 
Bheine,  die  Westgothen  nach  Toulouse.  S.  187. 

Die  Ereignisse  des  folgenden  Jahres  (452),  welches  zunächst 
die  Folgen  für  das  Hunnenreich  der  Niederlage  bei  Ohalons 
enthalten,  sind  der  Gegenstand  des  siebenten  Buchs.  Attila  wendet 
sich,  da  seine  Projekte  in  Gallien  fehlgeschlagen  sind,  nach  Italien, 
geht  über  die  Julichen  Alpen,  S.  193,  und  belagert  Aquileia  S.  199. 
(Beschreibung  seiner  militärischen  Bedeutung,  S.  194 ff.)  In  der 
Tradition  über  die  Belagerung  sucht  der  Verf.  genau  Geschichte 
und  Ausschmückung  zu  unterscheiden.  Attila  nahm  an  Aquileia  für 
seinen  Widerstand  furchtbare  Bache,  so  dass  man  an  Earthago*s 
letztwillige  Zerstörung  denkt,  wobei  auch  die  Einwohner  sich 
anderswo  ansiedeln  mussten.  Die  Folge  war,  dass  alle  Städte  Ober- 
italiens ihm  ihre  Thore  öffneten.  Die  geflüchteten  Bewohner  von 
Aquileia  liessen  sich  in  Grado  nieder,  spätere  gleichfalls ;  so  erhob 
sich  aus  den  Lagunen  eine  Stadt  (Venedig).  Dann  durchzog  Attila 
Ligurien  (Milanum  und  Ticinum  werden  geplündert,  S.  203),  und 
stand  nun,  Anfangs  Juli,  im  Begriff,  einen  Plan  zu  fassen.  Attila 
wollte  gegen  Rom  ziehen;  seine  Krieger  sehnten  sich  nach  Buhe 
für  dieses  Jahr.  Bei  Mantua  zog  er  seine  Truppen  zusammen; 
Kaiser,  Senat  und  Volk  fürchteten  für  Bom,  und  hielten  es  für  das 
Heilsamste,  um  Frieden  den  wilden  König  zu  bitten.  Indess  A^tius 
nur  darauf  dachte,  Bom  zu  retten.  S.  209,  machte  sich  eine  Ge- 
sandschaft, deren  vornehmstes  Glied  der  Papst  Leo  war,  auf  den 
Weg,  und  erlangte  von  Attila  den  Frieden  gegen  Tribut,  S.  211, 


«6  Tki^rry:  Htetoirt  d'Attillu 

Nooh  einmal  Terlaagte  er  die  Princdssin  Honoria  zam  Weibe.  Dann 
entweicht  er  über  den  Lech  (Lyons),  wo  ihm  beim  Uebergange 
(snb  trajectam  Ljci  amais)  ein  Weib  von  der  Art  der  Oalliachen 
Draidumen  ihr  »Büokwärtelc  zniief,  wie  wenn  dem  Könige  ein 
Unglüök  bevorstände  8.  212.  Anf  9  Nene  war  es  aof  Mareiaa  in 
Oonstantinopel  abgesehen,  den  Attila  im  nächsten  Frühjahr  in 
seinem  Palais  zn  finden  drohte,  wenn  der  ihm  yon  Theodosins  mt- 
gestandene  Tribut  nicht  unmittelbar  bezahlt  würde.  Aber  eine 
Campagne  und  einige  Schlachten  cegen  die  mit  Attila  yerbundenen 
Alanen  im  Kaukasus  waren  das  Einzige,  was  noch  in  diesem  Jahre 
(452)  Torfiel.  Und  das  folgende  Jahr  gehörte  Attila  schon  nicht  mehr. 

Im  Eingange  des  achten  Buches  finden  wir  Attila  wieder  in 
seiner  Königsbarg.  Ein  grosses  Fest  wird  yorbereitet  6.215.  Attila 
vermählt  ^ch  mit  lldico  (nach  dem  Verf.  =  Hildegonde)  von  nicht 
ermittelter  Abstammung,  überlebte  aber  die  Brautnacht  nicht.  In 
Bhzt  gebadet  wurde  er  am  Morgen  darnach  gefunden  —  er  war 
^ahial  S.  216.  Man  hat  nichts  Genaues  über  die  Todesuraaehe 
feststelien  können ;  doch  scheint  es  Hämorragie  und  Erstickung  ge- 
wesen SU  sein  S.  219.  Der  Tod  Attila's  war  das  Signal  zur  Be- 
freiung der  Yasallenvölker.  Bald  fieuid  A^tius  seinen  Tod  von  der 
Hand  des  Yalentinian's  der  letzte  der  Bömer,  gegen  den  Gleieh- 
^Itigkeit  und  Kabale  sich  verbunden  hatten.  S.  227.  AuchYalen- 
ünian  starb,  das  Opfer  seiner  Treulosigkeit  und  seiner  Ausschwei- 
fungen, und  drei  Monate  später  gab  Genserich  Rom  der  Plünde- 
rung Preis.  Der  Tod  des  A^üus  war  das  Ende  der  occidentalischen 
Kaiser:  „Les  C^$ars  ^phimeres,  sagt  der  Verf.  S.  225:  qui  ^ndos- 
ürttä  meore  la  paurpre  ne  furtnt  que  des  HeutenanU  de  patHfies 
barb€wei,  qui  lea  ilevaient,  les  d^oeaient,  les  tuaient  auivant  leur 
eapHee*  Les  Barbares  itaient  partout  en  Oeddent^  individudlement 
ou  en  masse;  üs  avaient  le  gouvemement,  ü  leur  faUut  bientdt  la 
terre."" 

Mit  diesem  Kapitel  hat  der  Verf.  die  eigentliche  Geschichte 
Attila'B  beendet,  und  wir  die  üebersicht  über  die  erste  Partie  die- 
ses Buches.  Wie  sich  im  Alterthum  um  Alexander  und  Cäsar  ein 
Sagenkreis  bildete,  so  bildete  in  der  nachchristlichen  Zeit  sich  ein 
solcher  um  Attila  und  Karl  d.  Gr« 

Den  Vergleich  dieser  Traditionen  über  Attila,  je  nachdem  sie 
römischen  ürspmngs  sind,  oder  germanischen,  oder  endlieh  ogri- 
sehen»  stelU  der  Verfksser  in  einem  besonderen  Theila  des  ^wedtan 
Bandes  an. 

Deber  die  iwelte  laMe  des  ersten,  welche  die  Geschichte  der 
:  Söhne  und  Haehfolger  Attila'e  enthält,  S.  228,  können  irir  kürzer 
sein,  obwohl  idiese  aweihundert  Seiten  genug  neue,  dem  Var&sser 
eigenthfimliohe  Auifassimgen  enthalten^  die  verdienen  unsere  Auf- 
merksamkeit zn  fdsseln. 

Mit  dam  Leben  Atiila*s  waar  der  äseme  Wille  dahin,  der  Alle 
.  disparaten  Elemente  unter  den  Hunnen  wie  ein  höheres  Gesetz  f&r 


Thttrryc  BMoii«  d^AttOa.  MI 

•in  VierteUahrlrnndert  zusammeugelialteii  hatte«  Dan  kam  aooh 
die  ünainigkeit  unter  den  Söhnen  AttUa's.  Die  dentsohen  Vassallett 
reyoitirten  zuerst.  Beim  Netad,  einem  jetzt  unbekaasten  Neben* 
flueae  der  Donau  kam  es  zur  Entseheidungseohlaohty  infolge  wovon 
die  Hunjien  über  die  Donau  zurückgingen.  Ardario  bem&ohtigte  eioh 
der  Ebenen  an  der  Theiss  und  schlug  sein  Zelt  wieder  da  auf» 
wo  Attüa  das  seinige  hatte,  bevor  er  nach  dem  Westen  aufbrach. 
Uebrigens  umfasst  dae  erste  Capitel  dieser  zweiten  Hälfte  die  Er- 
eignisse von  neun  Jahren  (453—462).  Verf»  widmet  einige  Seiten 
dem  Zustande  dieses  Landes  und  dem  Schicksale  eeiner  Bewohner, 
den  natürlichen  Yertheidigungsplätzen  an  der  Donau  S.  284—240. 
Attila  war,  so  schliesst  er,  der  Zerstörer  dieser  früher  blühenden 
Oegenden«  j,AUila  fttl  le  grand  destrueieur  de  em  contr^eSy  au  ion 
nom,  triUemeni  popidaire,  reda  atiachi  ä  Undes  les  ruineij  eamme 
eeUd  de  Trojan  d  toutes  les  ftmdcUiana.  Jvstinien  mü  $a  gltnre  ä 
r^parer  le»  dSstuiree  cfua  pays  gtd  6taü  le  sien,  maia  au  momeni 
QÜ  commtneeni  mos  ricUa,  les  villes  de  fint^rieur  ti^iaitfA  pour  la 
plupari  que  des  fnoneeaux  de  dicombres,  et  lee  plaees  de  Danuöe, 
presgue  iouies  demanteUes,  n'oppoeaieat  qt^une  barriire  itnpuissaTiie 
Ott  passage  des  Barbares."  Nach  der  blutigen  Schlacht  am  Netad, 
waren  die  Sieger  fiftst  ebenso  rathlos  wie  die  Besiegten.  Ohne 
Heimath,  da  sie  die  ihrige  verlaasen,  theüten  sich  die  Gepiden  und 
Oetgothen  in  die  Länder  von  der  Mündung  der  Donau  bis  Wien. 
Die  Ostgothen,  welche  sich  von  Sirmium  bis  Wien  ansiedelten^ 
standen  unter  drei  Königen  (Theodemir,  Yalemir,  Widemir). 
Marcian  gab  zu  dieser  Besitzergreifioiig  seine  Einwilligung.  Vor 
den  so  nach  dem  Süden  vordringenden  Germanen  ?richen  die  Hunnen 
abermals  nach  den  Ste^^en  am  Digepr  und  Don  zurück,  ihrem 
eigentlichen  Patrimonium  oder  Heimathsbeeitz ,  nicht  entmuthigt 
durch  ihre  Niederlage,  sondern  voll  Zuversicht!  Sie  wollten  die 
Projekte  Attila's  erneuern.  S.  343.  Wir  übergehen  die  Beiträge 
zu  dem  Charakter  der  Söhne  Attila's  S.  245.  Wichtiger  ist  zu 
wissen,  dass  die  Vorbereitungen  zu  dem  neuen  Feldzuge  wahr- 
scheinlich (probablement)  das  ganze  Jahr  455  ausfüllten.  S.  277. 
Ihre  neuen  Angriffe  auf  die  Ostgothen  missglücken,  S.  252, 
wie  der  Eingang  des  zweiten  Capitels  darthut  (Zeit  von  462—535); 
dann  machen  sie  einen  Einfall  in  Mösien,  aber  belagert  in  Sardica, 
ziehen  sie  sich  wieder  zurück,  nachdem  sie  diese  Stadt  vergeblich  zu 
halten  gesucht  hatten.  S.  256.  Ueber  diesen  kurzen  Peldzug  der 
Hunnen  hat  der  Schwiegersohn  des  E.  Avitus  und  spätere  Bischof 
von  Clermont,  nämlich  Sidonius  Apollinaris,  Details  in  Versen 
hinterlassen  (Panegyricus  auf  Anthemius  S,  257  ff.).  Nun  ersuchen 
die  Söhne  Attila's  den  E.  Leo  um  Gewährtmg  des  Rechts,  Handel 
mit  Mösien  zu  treiben.  Der  Eaiser  weigert  sich.  Die  Söhne  Attila's 
zürnen.  Der  Eine  will  den  Erieg,  der  Andere  den  Frieden.  Der 
Erstere  betritt  das  römische  Oebiet,  aber  mit  den  Oothen  die  sich 
an  ihn  angeschlossen  haben,  geräth  er  in  einen  Engpass  und  be- 


aOI  Thi^tty:  Bkioire  d^AiUk. 

kommt  HäadeL  Die  yerbttndeten  Hunnen  and  (rothen  ecUngen 
sich  untereinander.  Auf  einem  neuen  Eeldzug  nach  Mdsien  wird 
dieser  gefangen  and  getOdtet.  Jetzt  trat  eine  Wendong  ein,  die 
ebenso  merkwürdig  fdr  Politik  wie  für  die  Oultar  ist :  Die  Hunnen 
nehmen  Oultar  an:  „Ced  en  effd,  so  sagt  der  Verfasser,  de  ee 
momtnt  que  les  coloniea  hunniquea  de  Pannonie  ei  de  MMe,  Ubra 
de  tout  empiehemeni  exUrUur,  marehent  d^une  allure  plu$ 
franche  ven  la  civilisationj  ou  du  moine  vere  eeUe  imi- 
talion  de$  hctbitudes  romaines  qtti  eonstUuaii  U  premier  dtgr/  de  la 
romamJUJ'^)  Die  Folgen  des  Todes  dieses  löriegerischen  Sohnes 
Attila's  (Denghizikh)  werden  erst  im  dritten  Oapitel  erzählt  S.  281. 
Zunächst  sehen  wir  die  Hunnen  infolge  ihres  Anschlusses  an  die 
Cultur,  Aemter  annehmen  im  römischen  Reiche.  8.  271.  Zahllos 
ist  die  Menge  der  aus  den  hunnischen  Golonien  an  der  Donau 
hervorgegangenen  Häuptlinge,  die  zugleich  im  rOmischen  Heere  hohe 
Grade  erlangten.  Der  Verf.  verweilt  nur  bei  einem  derselben,  einem 
Enkel  Attila's  und  Statthalter  Belisar^s,  nämlich  Mundo,  etwas 
länger.  S.  272 ff.  Dieser,  Anführer  seines  Stammes,  riss  sich  von 
dem  Qepiden  Thras^ric  los  xmd  trat  auf  römisches  Gebiet  hinflber. 
Er  führt  das  Leben  eines  Bäubers  (Scamar,  iUjr.  Wort),  wovon 
die  Seinigen  als  Seaman  in  der  Geschichte  figuriren.  S.  274.  Er 
wird  bald  ihr  König,  Vassall  Theodorichs,  dessen  Leute  ihn  ans 
einer  Belagerung  befreiten,  und  zuletzt  tritt  er  in  die  Dienste 
Justinian*s,  dem  er  vortrefiPliche  Dienste  bei  der  Unterdrückung  des 
Aufstandes  im  Oircus  leistete.  Dafür  wurde  er  Gommandant  von 
nijrien;  jetzt  hatte  er  den  Ehrgeiz,  für  einen  Römer  gelten  n 
wollen.  S.  277.  Alsbald  brach  zwischen  Justinian  und  denGothen 
ein  Krieg  aus.  Mundo  vertrieb  die  Gothen  und  nahm  ihnen  Sa- 
loua;  sie  kamen  aber  wieder.  Mundo  sandte  seinen  Sohn  wider 
sie  ab,  welcher  fiel;  dann  zog  er  selbst,  und  hatte  schon  wieder 
den  Sieg  errungen,  als  ein  Gothe,  der  über  das  Schlachtfeld  eilte, 
ihn  erkannte,  und  niederstiessi  den  letzten  Abkömmling  Attila's. 


•)  Um  diese  Zeit,  bemerkt  der  Verf.,  bedeutete  RomanitM  die  Eigen- 
schaft eines  römischen  Bürgers,  und  im  Gegensatisum  Barbarenthum:  Civl- 
Ueationl 

(Bchluss  folgt.) 


Ii.  39.  HEQ)EIBKB6£B  1886. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR 

Thierry:  Histoire  d'Attila. 


(SohlnssO 

Das  dritte  Kapitel,  dessen  Eingang  die  Anflösnng  des  Reiches 
Ton  Denghizikh  erzählt,  S.  280,  beschäftigt  sich  mit  dem  Erschei- 
nen der  Slaven  (Antes^  Vendes  und  Slovenen)  auf  dem  Wege  der 
Geschichte,  ihren  Beziehongen  zu  den  ansässigen  Qepiden,  nnd  mit 
der  Lage  des  römischen  Reichs  in  den  ersten  Jahrzehnten  des 
VI.  Jahrhunderts,  mit  Nestorianismns  nnd  Entjchianismns,  die  die 
Kirche  des  Orients  entzweiten,  mit  den  theologischen  Kaisern,  (Zeno, 
Anastasius  und  seinen  Massregeln  zum  Schutze  der  Hauptstadt), 
die,  nach  die  Tode  des  Anastasius,  Justin  noch  vermehrte,  wie  denn 
dieser  auch  die  Donau  in  Yertheidigung  setzte.  Dieses  Werk,  wel- 
ches die  Wiederherstellung  aller  festen  Plätze  miteinbegriff,  wurde 
Ton  Justinian  fortgesetzt  und  vollendet.  S.  313.  unter  Justin,  der 
neun  Jahre  regierte,  hatte  das  Reich  vollständig  Ruhe.  So  sehr 
waren  die  Barbaren  überzeugt,  dass  man  sie  nicht  schonen  würde, 
wenn  sie  wieder  zu  erscheinen  wagten.  Justin  starb  im  Jahr  527. 
Sein  Neffe  wurde  sein  Nachfolger,  Justinian,  der  schon  vorher 
designirt  war. 

Mit  ihm  beschäftigen  sich,  unter  dem  weiten  Gesichtspunkte 
der  Beziehungen  des  Reiches  zu  den  bekannten,  und  inzwischen 
neu  auftauchenden  Völkern,  das  vierte  und  fünfte  Oapitel.  Erst  im 
sechsten  stirbt  dieser  Kaiser.  Für  seine  Regierung  so  wie  ftlr  sein 
Leben  ist  eine  der  Hauptquellen  Procopius  von  Cäsarea*),   dessen 


*)  Eine  Quelle  fUr  die  Regierung  JusUniAn's  sind  die  Historien  und  die 
,iB«iwerke**  von  Procopius,  eine  Quelle  fUr  dAS  Privatleben  dieses  Kaisers 
und  seliieB  Hofes  ein  kleines  Werkchen,  betitelt  f,Gehelmge8ehiclite  (blttorla 
areana).*  Hlemit  verhUt  ea  sich  so.  Der  Inhalt  ist  eine  für  Justinlan'a  An- 
denken nloht  rtthmliche  Geaehichte  seiner  Behw&ehen,  sowie  deren  seiner 
Gemahlin  Theodora.  Daher  hat  Procopius  selbst  bei  seinen  Lebzeiten  sie 
nicht  herausgegeben.  So  gehörte  sie  in  die  Kategorie  der  'Avsndota,  was 
lateinisch  ungeschickt  mit  areana  flbersetat  wurde.  Dass  Procopius  der  Verf. 
dieses  postumen  Werkes  ist,  hat  Jüngst,  mit  philologisolier  Ausdauer  und 
historischer  GrOndllohkeit,  aus  Spraohe  und  Inhalt,  Prof.  Dabn  bewiesen. 
8.  sein  Werk:  «Procopius  von  Cftsarea.  Ein  Beitrag  zur  Historiographie 
der  Völkerwanderung  und  des  sinkenden  Römerthums.  Berlin  1865.^  — 
Die  Hauptpartie  dieses  Werkes  ist  die  Kritik  der  GeheimgeBobichte  von 
ihm,  und  ihre  Verglelchung  mit  den  Historien  desselben  Schriftstellers,  da- 
neben das  Resultat  aus  Procop  für  die  Geschichten  der  Gothen  (Ostgotben) 
und  der  Franken.  Sehr  des  Dankes  würdig  ist  der  letzte  Tbell  des  An- 
hangs, fiberschrieben:  „Zur  Literaturgeschichte  Procop's.''  In  sebior  ersten 
LVHL  Jahrg.  8.  Heft  89 


eiÖ  Thierrye  BXsioIr«  d'iitf«. 

Werke  von  dem  Verf.  demgemäss  auch  frachtbar  angezogen  sind. 
Doeh  reieht  ikre  Competenz  ntcr  bis  nun  Jahr  548,  was  also  ge- 
rade zusammenftllt  mit  dem  Zeiträume ,  dem  da«  yierte  Capitel 
gewidmet  ist  (von  527— 548),  8.315  ff.  Justinian  regierte  im  Gun- 
sen  acht  xmd  dreissig  Jahre  (527—565). 

Das  vierte  Capitelj  welches  die  ersten  ein  und  zwanzig  Jahre 
erzählt,  beginnt  imt  einer  Gontroverse  Iber  selae  Bedeutung  in  der 
Geschichte,  die  rückwärts  sich  mit  Theodosius,  Constantinns  and 
Septimius  Severus,  ja  Hadrian  berührte,  und  abwärts  mit  der  gan* 
zen  geistigen  Cultur  sich  berührt,  welche  durch  Gesetze  und  Ge- 
setzgebungen vertroten  wurde.  Wir  lesen,  er  wanderte  aus  Bede- 
riana  mach  Constantinopel  ein,  unter  Kaiser  Justin,' seinem  Onkel, 
der  ihn  nebst  seiner  Mutter  gerufen  hatte.  Justin  war  474  von 
ebendaher  emgewandert,  und  hatte  die  bekannte  Caxriöre  gemacht 
S»  81  &.  Er  heirathete  eine  Tänzerin,  gegen  Herkommen,  Gesetz, 
und  Gutheissung  seines  Onkels.  S.  320.  Kaum  auf  dem  Throne, 
begann  er  die  Codification  sämmtlicher  von  jeher  erlassenen  Ge- 
setze, womit  er  die  Absicht  verband,  die  römische  Welt  wieder- 
herzusteUeUf  deren  Gesetze  er  sammelte,  erläuterte  und  vereinÜEu^hte, 
indem  er  sieaufdie  Verbesserung  der  Sitten  anwendete.  Aber  schon 
Tacitus  hatte  gesagt,  dass  Gesetze  keine  guten  Sitten  machen. 
Aber  nichtsdestowemger  war  der  Gedanke  gross,  und  die  AnsfÜh- 
mng  noch  grösser,  und  würdig  dem  bekannten  Gedanken  Cttsars*) 
an  die  Seite  gesetzt  zu  werd^i«  Darauf  beschränkten  sich  die 
Entwürfe  Justinian's  nicht.  Was  er  nicht  gegen  Hunnen  nnd  Sl»- 
ven  nöthig  hatte,  dazu  wurde  er  von  den  treulosen  Gefuden  ge- 
zwungen. S.  327.  Es  gelang  ihm  die  Gepiden  durch  die  I^ongo- 
barden  im  Schach  zu  halten,  S«  329,  die  sich  dann  an  Jostinian 
als  Schiedsrichter  wandten,  S.  830—336.  Jede  Partei  hielt  ihre 
Ansprache,  Lange  wurde  deliberirt.  Man  wies  die  Gepiden  ab, 
und  versiprach  den  zweiten  ein  Hfilfsheer.  Zum  Schlnss  machte  die 
Audienz  eines  Gothenstammes  aus  Tauris,  der  ehristlich  war,  nnd 
einen  Bischof  von  Justinian  verlangte,  eine  Unterbrechung  im  Gange 
der  Darstellung,  doch  nicht  ohne  einigen  Zusammenhang,  indem  er 
die  tV)litik  der  Oströmer  beleuchtet,  die  mit  Minen  und  Gegen- 
minen an  der  Unterwerfung  der  Stimme  am  scbvaraen  Meer 
iubeiiietA.  S.  342. 

Der  Bruch  des  Walfenstülstandes  zwischen  Gepiden  und  Lom- 
barden liess  nicht  lange  auf  sich  warten,  S.  343,  und  bald  ist, 
wie  wir  im  filnften  £apitel  8.  351  lesen,  aooh  der  Krieg  da,  den 
die  (Gepiden  gern  Tenndedeii  hätten.  Der  Lombardenkönig  ^Aldcfln) 
hatte  «uf  die  ihm  von  Jostinian  versprochene  Hülfe  gehofft,  welche 


Bftlfte  eine  Ueberalcht  über  die  Aueg aben  und  Uebersetmqgea  Procopfl|  Ist 
dieser  Theil  in  seiner  zweiten  Hälfte  sn  einer  sohätzbaren  Fundgrube  und 
Kachsohli^eqQeUe  Itr  JQrUUiteruDgen  nnd  BeurtheÜUQgen  erweitert! 
*J  Bneton.  Caee.  L  (4&). 


«bor  nicM  emtrikf ,  sq  4aß0  «r  auf  MiqeA  Degen  «ioti  veäattMn 
xoneate.    Die  LaiAbfiar4e9  w^rea  abev  Sieger,  »ber  ohae  4a9e  Büke 
folgte«  In  Itelieo«  dgA  €|i»rcb  Nimes  erobert  war,  trote  &]|i&ieQb«r 
Goalitiooeu,  folgte  tiefe  Buhe  aaf  die  iSeiten  der  YeTwimmgeii.  Da 
auch  in  Persieo  der  Kfi«iig  »it  ei«em  nenen  Frieden  einrerstanden 
war»  so  konnte  sioh  Jnetiniftn  rübwen,  der  Wiederberateller  der  vQmi- 
aoben,  Geeellsehaft  wn  eein  ^  im  Jahr  658»  mdi  einer  S2jfthiigeu 
Eegierung,  und  im  siebeq^igaten  J^hre  aeineB  Alters  I    Die  Fol^n 
dea  Altere  stellten  sieh  ein»  Bebnsnielit  naehBohe,  Fnrebt  vor^m 
Kriege,  überwiegendes  I^aobdenken  ttber  die  Mittel.   »^  ce  cov^le  ^ 
dM  gloire^  sagt  der  Verfasser,  ü  $emMa  tlaffmwx  mr  Mr^miine.  Les 
MMaiwm  a  Iq  U^rpenr  mceid^nni  ä  VaMoiU  üvwrawU  et  4  ^a 
fd  m  wUnühnt,  o«  d^uhU  ft  imifkcUU  insirummi  de  sa  grßndmr* 
ü  $ß  mit  ä  erqindre  Ja  umrrt,  pareeqm  Za  guirr^  cnirt^  ftpriß 
tue  dea  eh€mem  de  fortu^  e^  h  mouvwimi;  ü  la  em^>itt  üum 
pßtpt  gu'eUe  cr{e  d€B  gin^mm,  el  qu^  dam  «n  Üoi  iUfitif  un  g4n4- 
tqI  glarist4^  e<  jpapwtotrf  ß$t  um  menacä  venafife  j^eur  un  prmce 
vieilli:  ce  trdne  oü  ü  üaü  asm  ne  le  tut  enseignaU  que  irop,  Coft 
Ja  la  vraie  raison  qt$i  Ui  rtnäU  ißtgna  ptmr  BäUaire  et  U  laissa 
jmU  pour  Narsisj  en  gui  ü  hd  ^taU  d^fmidu  de  voir  un  rioai*^ 
An  der  SteUe  der  LeideoeabaA  fttr  den  Krieg  trat  bei  Juetinian 
die  Vorliebe  fUr  3anten»  die  meistens  zwar  nütsHob  waren,    aber 
zugleich  9a  präehtig  im  VerhUtniss  zn  den  Torhandenen  Geldmitteln, 
dj^a  man  sogar  den  Notsen  derselbMi  verkannte*  So  hatte  er  noob 
an  seinem  I^bemiabende»  als  die  gefUrchtete  Theodora  üia  in  den 
Tod  ßcbon  Toi^pgegMogen  war,  den  Aerger  zn  erfahren,  dass  man 
die  WoUtbaten  vexgass,  die  er  dem  Beißh  dnreh  daa  Qaeetabneh 
erwiesen  hatte.    Jetzt  fehlte  noch,  dass  er  Unglück  haUe.    Aneb 
das  k^ml    3r  31^6.    Die  Jabise  557  nnd  558  wechselten  ab  mit 
Pest,  Erdbeben  n.  s.  w.  nnd  um  daa  Masa   der  Leid^  voll  za 
ma^bePt  br^h  eip  wilder  Krieg  mit  den  Knirignri  im  Winter  von 
559  i^nf  ^h^  am,  Der  K^aig  dieser  Vfilkerschaft,  Zabergte,  dnwg 
bis  \n  die  Qegend  vou  Gonatantinopel  vor.  8.  856  ff.    AUes  war 
trostlos.    Pa  mniste  der  Kaiser   seinen  General  Belisar  angehen. 
Dieser  eetzte  alle  disponiblen«  verfaültnissmässig  s^r  geringen  Vesi* 
tbeidigongsmittei  zu  Fnas  und  zu  Pferd  in  Bewegung  S.  368  ff.  nnd 
rettete  die  Hauptstadt»  deren  Untergang  schon  gewiss  war.  S.  367. 
DieWT  Triumph  Belisara,  der  Better  des  Baiohea  zu  beiesen,  wurde 
eine  Ursacbe  des  Neides,   dem   Juatinian  wieder  sehr  zugajiglidi 
w«r,  und  BeUear  aelbat,  der  seinen  geschlagenen  Gegner  verfol^^ 
welUe,  9lirückber«feii.  Da  soll  auch  Zabevgin  wieder  gekehrt  aein. 
8,  869.    Die  Hwmen  wurden  aber  auf  dem  Oheraonnea  TiCmiehMi 
S.  878  und  Zabergto  blieb  nichts  ülwrig,  als  abzureisen.  8.  874. 
Was  die  Hunnen  nicht  unter  den  Söhnen  Attila's  zu  wiederholen 
vermocht  hatten,  das  schienen  die  Avv^en,  4ie  die  Reste  der  ersten 
Hunnen  mit  sich  verbanden,  und  den  Thron  Attila'ß  ai^  den  Ufen^ 
der  Donau  wieder  errichtete»  2T3i  wollen,  S.  87*.  Hiemitbegi»*  dw 


Wl  f  hlerry:  Atetoife  d'AtlilA. 

sechste  oder  letzte  Kapitel  dieses  Baches,  welches  die  Schicksale  der 
Avären*)  erzählt,  bis  zu  dem  Zeitpunkte,  wo  Tiberios  ihnen  8ir^ 
nimn  llberiässt.  Jostinian  an  den  die  Avaren  noch  eine  öesandt- 
sohafl  schickten,  war  schon  565  gestorben.  Sein  Nachfolger  war 
Jnstin  U»,  der  eine  avarische  Gesandtschaft  ungnädig  entliess.  Im 
Heere  Albo1tn*s  helfen  die  Avaren  Qepidien  erobern,  das  seinen 
Namen  Hunnien  wieder  annimmt.  Dann  verlangt  der  Avaren  Khan 
die  Stadt  Sirmium«  Justin  II.,  in  Wahnsinn  verfallen,  stirbt  dar- 
über* Der  Khan  (Baian)  baut  eine  Flotte,  und  schliesst  die  Stadt 
ein.    Tiberius  überlässt  endlich  Sirmium  an  die  Avaren. 

Der  erste  Band  ist  hiermit  zu  Ende.  Ein  Anhang,  der  ihm 
beigefügt  ist,  g^ebt  noch  Belehrung  ausser  ttber  den  Namen  der 
hunnischen  Königsstadt,  besonders  über  das  Schlachtfeld  von  Gha- 
lons;  diese  Belehrung  ist  eine  Art  Memoire,  S.  427—487,  wozu 
Niemand  Geringeres  flds  der  Kaiser  Napoleon  selbst  den  Verfasser 
vor  acht  Jahren  veranlasste,  der  hier  zugleich  eine  Kritik  einer 
früher  1833  von  Toumeuz  veröffentlichten  Beschreibung  der  Schlacht 
liefert. 

Der  zweite  Baad  enthält  die  Fortsetzung  des  letzterwähnten 
Kapitels  aus  dem  vorerwähnten  Bande,  mithin  eine  Geschichte  der 
Begebenheiten,  welche  das  Beich  der  Avaren  begleitet  haben,  und 
die  bis  auf  den  deutschen  König  Heinrich  L  herabreichen. 

Das  erste  Kapitel  dieser  Geschichte  umfasst  die  Jahre  582 
bis  602  und  schliesst  mit  dem  Tode  des  obengenannten  Khan*8 
Baian  und  zugleich  des  byzantinischen  Kaisers  Mauricius. 

Das  zweite  Kapitel,  eben  so  viele  Jahre  (602 — 622)  um- 
fiftssend,  beginnt  mit  dem  Begierungsantritte  desHeraklius  inCon- 
stantinopeL 

Das  dritte  behandelt  die  Unternehmungen  dieses  Ejiisers 
gegen  die  Perser  vom  Jahre  622  bis  639. 

Im  vierten  erhalten  wir  Belehrung  über  Politik  des  Kaisers 
gegen  die  Avaren  und  Slaven,  über  die  Gründung  zweier  König- 
reiche in  den  Donaugegenden  (Groatien  und  Serbien),  sowie  über 
das  Abblühen  des  zweiten  hunnischen  Reiches,  Alles  die  Ereignisse 
vom  Jahr  639—662.  Die  nächsten  hundert  und  fünfzig  Jahre  sind 
im  fünften  Kapitel  erzählt,  während  dessen  wir  über  die  christ- 
lichen Missionen  unter  den  Hunnen,  ihr  Erscheinen  auf  dem  Beichs- 
tage  in  Paderborn,  Niederlage  der  Franken  am  Süntel  und  Bache 
dafür,  Wittekind*s  ünterwei^mg  und  Taufe,  Bündniss  Tassilo's  mit 
den  Hunnen,  Niederlage  der  Hunnen  und  Griechen  in  Italien,  und 
noch  einmal  der  ersteren  in  Baiem,  Angriff  KarPs  d.  Gb:.  auf  ihr 
Lager  an  dem  rechten  Ufer  der  Donau,  ihre  Vertreibung  nachBaab 
u.  s.  w.  Aufschlüsse  erhalten  (v.  J.  649— 791):  die  Hunnen  waren 


•)  Das  cweite  a  iat  kura.   Vgl  den  Hexameter  b.  d.  Verf.  (Theoduph. 
."^.-•«•P*  ^-  ^®^-  ^  "^•)-  ^*  venlunt  Avarea.    Arabes,  Nemadesque,  ve- 
Bite,  I  Regia  et  ante  pedea  fleotite  corda,  genu. 


Tbierry:  W»toltte  d'Attfla.  618 

diejenigen  gewesen»  welohe  KarVs  d.  Gr.  Rnf  nnd  Name  nach  Eon- 
stantinopel  yerbreiteten.  Dort  herrschte  eine  förmliche  Panik  bei 
seinem  Namen,  weil  man  ihn  anf  den  Fersen  hatte  nnd  im  Geiste 
das  Erbe  des  weströmischen  Eaiserthnms  ihn  antreten  sah.  Karl 
zieht  gegen  die  Avaren,  wie  das  sechste  Kapitel  fortführt,  zn 
ers&hlen  (yom  J.  792—826),  8. 178,  welohe  von  den  Sachsen  anf* 
gewiegelt  waren,  nnd  besiegt  sie:  dieBente  schenkte  er  dem  Papste 
nnd  den  Kirchen.  Der  Khan  Tndnn  liess  sich  in  Aachen  tanfen, 
anneetirte  das  Land  Baiem  somit  dem  fränkischen  Gebiete  8.185. 
Diese  Tentonisirang  brachte  die  Hnnnen  in  Zorn.  8.  186.  Tndnn 
wnrde  rfickftllig,  sammelte  ein  Heer  nnd  flberfiel  den  Statthalter 
Gerold.  Karl  hörte  dayon  als  er  in  Paderborn  sich  anfhielt  (899), 
knrz  nachdem  er  den  Besnch  Leo*B  erhalten  hatte.  Er  sammelte 
Tmppen,  kam  nach  Begensbnrg  leitete  yon  hier  ans  den  Feldzng 
gegen  die  Ayaren  der  sich  bis  znm  Jahre  803  hinzog.  Der  Nach» 
folger  Tndnn's,  Zodan,  unterwarf  sich  KarVs  Oberherrschaft.  Fr&n» 
kiscbe  Verwaltnng  pacificirte  das  Land  nnd  die  christliche  Reli- 
gion ciyilisirte  das  Volk.  Die  Folgerungen  des  Krieges  in  Hnnnien 
hat  Einhard  in  seiner  yita  Caroli  M.  13  gezogen.  Die  Ayaren  be- 
kamen nun  yergolten,  was  sie  ihren  Nachbaren  zugefügt  hatten, 
und  entschlossen  sich  zuletzt  ihre  Wohnsitze  zu  yerändem,  nnd 
Karl  ttberliess  ihnen  die  Gegend  zwischen  Oamnntum  nnd  Sabaria 
S.  194.  Doch  nur  ein  Theil  fUhrte  den Entschluss  aus;  die,  welche 
im  alten  Dacien  blieben,  yerschanzten  sich  in  den  Thälem  der 
Kaxpathen. 

Nach  dem  Tode  Karls  nahmen  die  Unordnungen  im  8ttden  der 
Karpathen  zu.  In  der  Gebirgsgruppe ,  wo  die  Moraya  entspringt, 
liess  sich  eine  slayische  Macht  nieder,  und  machte  sich  dem  Fran- 
kenreich furchtbar.  Dieses  war  Mfthren,  ein  Serzogthum,  das  eine 
Zeitlang  blühte,  um  endlich  in  einem  dritten  hunnischen  Reiche, 
dem  Reiche  der  Ungarn,  der  Rächer  der  Ayaren,  unterzugehen. 
8.  195.  Der  Entstehung  dieses  Reiches,  nämlich  dem  Eintreffen 
der  üngem  in  Europa,  und  ihrer  Niederlassung  an  der  Donau  nnd 
später,  unter  Arpad,  in  Transsylyanien,  ihrer  Vwstärkung  durch 
den  Magyarenstamm ,  der  Schwäche  der  Nachfolger  Karl's  d.  Gr. 
im  Regieren,  den  Fortschritten  der  Morayen,  und  den  Auftritten 
zwischen  ihrem  Könige  8watepolc  und  dem  deutschen  Könige  Ar- 
nulf u.  B.  w.  ist  das  8chlus8capitel  gewidmet,  welches  die  Zeit  yom 
Jahr  888—927  behandelt.  Das  Ergebniss  ist,  die  Ungarn  machen 
immer  mehr  Fortschritte,  Swatepolc  unterliegt,  seine  Söhne  gleich- 
falls, das  Reich  der  Morayen  selbst,  und  zuletzt  sind  die  Hnngam 
Herrn  auf  beiden  Ufern  der  Donau.  Dies  ist  der  Anfang  eines 
dritten  hunnischen  Reiches. 

Das  Verdienst  der  Darstellung  des  Verfassers,  die  hiemit  die 
Geschichte  Attila*s  schliesst,  liegt  in  der  scharfen  Unterscheidung 
der  Succession  der  hunnischen  Reiche,  welche  auf  einem  sprach- 
lichen  und  geschichtlichen   Grunde  zugleich  basirt  sind»     Diese 


614  Thierryt  Hfaldn  d'Attlla. 

üntorBefaeidung  eines  ersten  hunnischen  Reichs  (doroh  Attila  436), 
ednes  Eweiten  (durch  Baian,  den  Efaan  der  Ayarer,  582).  und  eines 
dritten  (duroh  Arpad,  924)  ist  jedenfsdls  eine  willkommene  Be- 
grftOEung  beim  Nachforschen  in  diesen  sonst  nodi  dunkeln  Partien 
an  der  Schwelle  der  nachdhristliehen  Geschichte.  Im  Einzelnen 
theilt  sich  unser  ürtheil  nach  der  geschichtlichen  Seite,  dem  wir 
durch  die  Torangeschrittene  Zergliederung  entsprochen  haben,  and 
nach  der  sagenhaften  Seite. 

Far  diese  hat  der  Verfasser  selbst,  indem  er  den  Sagenfcids 
AMih's  gesondert  behandelt,  den  Gedankengang  und  die  Grenzen 
yorgezeiohnet.  Diese  Sagengeschichte  bildet  den  vierten  Theil  des 
ganzen  Werkes  (Band  IL  S.  221).  In  der  Vorrede  hierzn  8a<^t  er 
die  Gründe  auf,  welche  die  Entstehung  eines  Sagenkreises  nm  eine 
historische  Person  erklären.  Er  findet  sie  in  dem  Ueberachnes  ron 
Schrecken  bei  den  Einen  und  Bevrunderung  bei  den  Anderen.  Diese 
Eindrücke  abertreffen  weit  die  Wichtigkeit  der  Thaten,  "vrelehe  ein 
frühzeitiges  Tod  ihm  dia  Zeit  lies  auszuführen.  In  dem  Dorch- 
einander  (amas  oonfus)  von  Erinnerungen,  die  sich  erhaiien,  moss 
man  sich  gefasst  machen  Widersprüche  zu  finden,  daher  nicht  mit 
naserümpfenden  Vorartheilen  daran  vorbeigehen.  Diese  allgemeine 
Ben»erkung  wendet  er  speciell  auf  Attila  an.  Geschichtlich  fasst 
er  die  Stellung  Attila*8  so  auf,  Worte,  welche  zugleich  praeter 
propter  sein  Gkube  sind:  ^lace  ä  la  limüe  de  deux  dges^  enk-e 
V^poque  romaine  qu^il  emevdU  80U8  des  d^bris  et  V^poque  des  grand» 
äablüsements  barbarea  dont  il  pripare  Vavinemeni.  Attila  apparait 
dam  VhiUoirt  aoue  deum  powi9  de  wie  taut  dliffirent»:  ä  la  fois 
devtrueieur  et  fondaieur,  ü  ferme  Vire  de  la  dominaUon  rümaine 
m  Ooeidenl,  ü  y  moKre  Vire  vir&abU  des  dominations  gemnarnquee^ 
il  initie  la  öarbane  ä  aa  vis  nouveUe^^  Dann  führt  er,  zur  Er- 
klttrung  der  Ssgen  übergehend,  so  fort:  ^CPest  par  aüe  double 
aciion  qu'ü  domime,  dans  Us  detuo  mondss  cwiHs^  et  barbar^  le  V* 
siMe^  qui  est  le  sUOe  de  trcmsüion.  De  lä  auui  deux  oouraaUs  de 
satwemre,  dfimprtssions,  dt  jugeimenU  aüachis  ä  »a  m^mvire,  Vun 
qui  pari  du  monde  romain,  Vauire  qmi  prmd  sa  «mree  dem»  le 
monde  ^etmanigue:  dütinctSß  oppos^  meme  ä  leur  orifine,  üa  restent 
aSparh  (out  en  eheminant  Vun  pres  de  Vdu/brey  tt  troüeraatU  U  m^en 
dge  scms  $e  reneontrer  ni  se  eänfondre.^ 

Gemäss  dieser  Eintheihing  behandelt  er  nun  den  Sagenstoff  in 
geeonderten  Kapiteln:  Legendes  et  tradUiona  latmes,  S.  224 ff..  Le^ 
gemäss  ei  iraditima  germanipies,  S.  260 ff.,  Ligendee  et  iradUuma 
hmgroim,  ä.  342  ff.  ^ 

In  «rstecer  Beziehung  wird  die  Sage  betraohtei,  wd's^itUa  als  . 
Zerstörer  und  als  Gründer  erscheint,  vor  den  Bisehölan  ui4>^*'  i 
Papste  und  als  Geisel  Gottes.  Ferner  was  den  Mythus  Ton^l^^|J 
Geisel  Gottes  betrifft,  so  forscht  der  Verlasser  seinem  Ursprung  im^^ 
fünften  Jahrhmdeart  und  seiner  teneren  Enimeklung  in  einem  be« 


Thlerry:  HIMolre  d'yHIbt  616 

sonderen  Alradmitte  naoh.  Wir  müinen  nns  hier  auf  Andenttmgen 
beschränken« 

In  zweiter  Beziehung,  wo  die  Sage  uns  n&her  tritt,  wird  der 
Nachweis  geliefert,  dass  die  germanische  Tradition  bei  den  orien- 
talischen Germanen  entstanden  ist,  und  dass  die  occidentaUschen 
sie  annahmen  und  modificirten.  So  entstand  eine  besondere  Tra- 
dition bei  den  Franken,  bei  den  Angelsachsen,  bei  den  Scandina- 
yiem,  bei  den  Rheinländern.  An  diese  Untersuchung  schliesst  sich 
S.  28S  eine  andere  über  den  Charakter  Attila's  in  den  verschie- 
denen deutschen  Gedichten  und  über  sein  tragisches  Ende  von  der 
Hand  eines  Weibes.  Die  Sage  hatte  noch  ein  drittes  Stadium» 
wie  die  Abhandlung  über  das  Nibelungenlied  8.  522  zeigt.  Hier 
erscheint  Attila  als  Freund  der  Christen. 

Eine  besonders  schwierige  Untersuchung  ist  die  dritte  8.  340  ff. 
Hier  werden  drei  Gesichtspunkte  unterschieden,  zuerst  nachdem 
der  Verfasser  die  Möglichkeit  einer  hunnischen  Tradition  bei  den 
Ungarn,  und  die  Echtheit  ihrer  traditionellen  Denkmale  erörtert 
hat,  die  Volksgesänge  und  Chroniken,  zweitens,  die  Magyarische 
Epopöe  (Attila,  Aipad,  der  heil«  Stephan),  S. 361,  und  drittens 
die  Sagen,  welche  sich  an  den  Degen  Attila*s  knüpften.  Doch  sind 
eigentlich  die  beiden  ersten  wichtig,  weil  sie  zugleich  die  Bedeu- 
tung von  Epochen  haben.  Der  heil.  Stephan  ist  gewissennassen 
die  erhabene  Sühne  für  die  Tergangenheit.  ,fia  tomhe,  der  Verf. 
spricht  von  Stephan's  Grabe,  acMoe  la  com^craUon  dupdU  terri- 
toire  oä  tont  d^SvSnements  se  Bont  accomplU.  üne  grande  rieoncir 
liatian  tfoph't  et  emhrasse  tout  It  pcuts^,  8i  Us  m&iU$  d^AUüa  ont 
prSpari  la  puiaaance  d'Arpad  et  la  $aintel^  d'EHerme,  la  saintäi 
d'EHenne  rejaillü  mr  aes  deuz  glorimx  antttrea^  La  eroix  qui 
domine  PEgUse-Blanche  Maire  au  loin  de  ae^  rayona  la  aSpüUure 
du  duc  magyar  et  le  cippe  fun£raire  de  Kewe-Haaa,^  S.  406. 

Schliessen  wir  nach  dem  Bisherigen  mit  des  Verf.  Worten: 
„Id  ae  termine  Vtpopie  traditionelle  dea  Hongroia  avee  V^poque 
hSrctgue  de  leur  hiatoircj  et  (^eai  iei  gue  noua  noua  arreterona.  Lea 
iradUiona  gue  lea  tempa  poslMeura  voient  naitre  rCont  plm  ni  la 
mime  poAie,  ni  U  aena  profond  et  mysHque  gut  donne  ä  cdle-ci  un 
caracth'e  ä  mon  avia  ai  admirable.  On  riy  rencontre  plua  die  lora 
gue  dea  versUma  plua  ou  moina  aXtireee  de  la  rdäliU/^ 

Auch  dem  zweiten  Bande  ist  ein  Anhang  mit  Noten  beige- 
geben. 

Heidelberg»  im  August«  Dr.  H«Doergeil8. 


616  Hansen:  ReUttenen  u.  6.  w. 

RelaUonm  einedheils  aufUelien  Summen  und  Differenzen  und  andern- 
theils  stüischen  Integralen  und  DiffereniicUen,  Von  P.  X 
Hansen,  Des  VJL  Bandes  der  Abhandlungen  der  mathema" 
tüch-^hysischen  Glosse  der  k.  Sachs.  Qesellsehafl  der  Wüsen- 
Schäften  Nr.  JJI.  Leipzig  bei  S.  Hirzd.  1865  (79  Seiten). 

»Das  Thema,  welches  ich  hier  behandele,  ist  in  frühem  Zeiiea 
schon  mehrmals  bearbeitet  worden,  allein  es  fand  sich  demonge- 
achtet,  dass  manches  nicht  unwesentliche  hinzugefügt  werden  konnte.« 
Mit  diesen  Worten  beginnt  die  uns  vorliegende,  aus  den  Abhand- 
lungen der  Sachs.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  besonders  abge- 
druckte Schrift  des  um  die  mathematischen  und  astronomischen 
Wissenschaften  hochverdienten  Verfassers.  Ist  aber  der  Gegenstand 
auch  nicht  neu,  so  ist  es  doch  sicher  von  grossem  Interesse,  ihn 
von  einem  so  erfahrenen  Manne  der  Wissenschaft  neu  behandelt  zu 
sehen  und  wir  woUen  desshalb  versuchen,  den  Lesern  dieser  Blfttter 
die  Behandlungsweise  Übersichtlich  darzustellen,  wobei  wir  be- 
merken, dass  wir  von  den  Bezeichnungen  der  Schrift  in  so  ferne 
abweichen  wollen ,  als  wir  die  durch  jx  bezeichnete  Funktion  von 
X  durch  f(x)  bezeichnen  wollen,  was  uns  hier  für  den  Druck  be- 
quemer erscheint.  Diese  Aenderung  beachtet,  werden  sich  die 
Zeichen  des  Verfassers  leicht  aus  den  folgenden  herauslesen  lassen. 

Sind  X, x-f-h,  x  +  2h,  ...,  x— h,  x— 2h,  ...  die  um  das  In- 
tervall h  von  einander  abstehenden  Werthe  von  x,  so  ist  der  Unter- 
schied f[x  +  (n4-l)h]— f(x-f-nh)  die  erste  Differenz,  die  mit 
-^ f  [x  -f-  (n -{- 1 ) h]  bezeichnet  wird ;  der  Unterschied  ^  i\x^ 
(n-f-jjhj  — ^f[x  +  (n  — 4)h]  bildet  die  zweite  Differenz,  die 
durch  ^^f(x4-tth)  bezeichnet  werden  soll,  u.  s.  w.  Allgemein  ist 
.:/°»f(x.f  nh)=.^-i  f[x-[.(n-f  i)h]  — ,J«-i f [x+(n— 4)h},  welche 
Gleichung  von  m=l  bis  m=oo  gilt,  wo  n  nicht  gerade  eine  ganze 
Zahl  sein  muss.  Ebenso  ist  -2>f(x-|-nh)  =  2;»^+iftx+(n-f  |)h] 
—  2>+if[x4-(n— 4)h],  welche  Gleichung  ebenfalls  von  m  =  1 
m  =  00  gilt.  Schreibt  man  für  27-"» :  J^  tmd  für  z^-"* :  2>,  so  kann 
man  eine  der  beiden  obigen  Gleichungen  allein  beibehalten  und  sie 
von  m  =  —  00  bis  m=a.-}-oo  gelten  lassen.  Dabei  ist  freilich  zu 
beachten,  dass  die  erste  Gleichung  für  alle  positiven  Werthe  von 
m  bestimmte  Werthe  liefert,  für  negative  m  aber  unbestimmte, 
weil  in. der  Beihe  der  Summenglieder  einer  jeden  Ordnung  ein 
Glied  willkürlich  angenommen  werden  kann.  Es  enthält  also  (för 
ein  negatives  ganzes  m)  die  erste  Gleichung  so  viele  willkürliche 
Glieder  als  die  Zahl  m  Einheiten  hat.  Dasselbe  gilt  natürlich,  in 
umgekehrter  Ordnung  freilich,  von  der  zweiten  Gleichung. 

Aus    der   Erklärung  werden  nun  die    Ausdrücke  von  i^f(x), 

/ßi{j)y   ...   abgeleitet,    und    gefonden:     z/"f(x)  =  f (x-|— ^-h) 


HAnsen:  BdattooiB  v.  t.  w.  ^^^ 

[f  (x^J^Iüib)  —  f  (x  — 5^|i)]  — ....  Entwickelt  man  alle  diese 

2  2 

Grössen  nach  dem  Taylor*schen  Satze,  wobei  man  h  klein  genng 
Toraussetzt,  damit  die  entstehende  unendliche  Reihe  noch  konver- 
gent sei,  so  erh&lt  man  den  Ansdruck  von  -^f(x),  den  jedoch  die 
Schrift  nur  für  die  besondern  Fälle  m=l,  ...,  7  und  zwar  nur 
in  den  ersten  Gliedern  giebt. 

Es  Iftsst  sich  ganz  leicht  auch  der  Ausdruck  fttr  z/™f(x+|h) 
4--^f(x— ih)  auffinden,  der  übrigens  aus  dem  Yorigen  abgeleitet 
werden  kann.  Daraus  findet  man  idr*f(x  +  Jh),  was  Alles  nun  an 
dem  besondem  Beispiele  f(x)=x*  erörtert  wird. 

Eb  ist  ^f(x)=f(x  +  4h)-f(x  +  4h)=hf«(x)  +  J^p-2-3- 

f'W+i'il — r^W+  •••;  iatogrirt  man  diese  Gleichung   ein- 
1  •  •  5 

mal  nach  x ;  differentirt  sie  dann  ein,  drei, . . .  Mal,  so  erhftlt  man 

Beihe  Gleichungen,  die  nun  mit  den  Koeffizienten  1,  aj  h^  b|  h^, 

Cj  h*,  ...  muitiplicirt  werden,  worauf  die  Addition  liefert:  hf(x)  = 

/l   p(x)dx+a,h»z/-^^4-b,h4z^^^^+...,wenn  a„bj,.. 

stimmt  werden.    Daraus  folgt  dann  27f  (x)  =  -r- 1  f  W  d  3l  +  *i  ^ 

in£L+b,h3^?i^  +  ...  .    So  kann  man  eine  Formel  finden  för 
dx      '     '        dx3     ' 

2;2f(x),   u.  s.   w.;    eben   so    für  Zf  (x+ 4  h)+ 27f  (x  — Jh), 

2r'f(x+4h)  +  2;»f(x-4h),...,  2;f(x±jh),  2;»f(x  +  4h) , 

was  wieder  fttr  den  besondem  Fall  f(x)  :=  x«  durchgeführt  wird. 
Aus  diesen  Untersuchungen  hat  sich  herausgestellt,  dass  man 

aUgemein  2;-f(x)=-lTV)dx-+^^J""^^^^^ 

Jii-4  p-r  d'f(x) 

f  (x)  d  X«-*  -f- . . . .  setzen  dürfe,  wo  I      f  (x)  d  x-'  =  — ^-^^ 

zu  setzen  ist,  und  wo  a^,  bn>  .  •  •  gewisse,  von  der  Form  der  Funk- 
tion f  (x)  ganz  unabhängige  Grössen  sind.  Weil  dem  so  ist,  kann 
man  sie  dadurch  bestimmen,  dass  man  für  f  (x)  eine  Form  wählt, 
bei  der  die  Bechnung  sich  durchführen  lässt:    diese   ist  e*.     Man 

e' 
findet,  dass  2>e^=-^r— =  _    >      ,  welcher  Ausdruck  (für  positive  und 

(e-e    ) 

negativem)  den  obigen  Erklärungs  -  Gleichungen  genügt.    Hiedurch 

h^ 
wird   obige  Gleichung  zu   /  ih-ih\n  "=14"*»  t^  +  l^n  h*4-  ••••• 

(e-?) 


Ci6  Hcnsenr  RdattoiMi  m.  8.  tr. 

so  dass  maa  sagen  kann,  es  sei  »-2>f(x)  =  (e*— e*^)^*»  ^^*^ 
man  nack  der  Entwicklang  der  rechten  Seite  in  eine  nach  stei- 
genden Potenzen  von  h  fortschreitende  Reihe   allenthalben  h-"»+P 

mit  I      f(r)dx^'*v  moltiplizirt ,  nnd  wo  ^  nnd   |  mit  negatiTen 

Indices  behaftet  vorkommen ,  dafür  bez.  ^  nnd  d  mit  denselben 
positiven  Indices  versahen»  ansetzt.« 

Die  Bestimnmng  von  a^t  ba,  ...  ist  ans  der  obigen Oleichnng 
klar  und  die  Schrift  führt  dieselbe  zunächst  ftlr  negative  n  voll- 
ständig durch  xmd  zeigt  dann  auch,  dass  wenn  man  diese  GrGssen 
für  n£=  —  1  kennt,  man  sie  leicht  für  alle  negativen,  und  eben 
so  wenn  man  sie  fttr  n=r=4-l  kennt,  ftlr  alle  positiven  n  erhalten 
kann.  Beides  ist  aber  leicht  durchzuführen. 

Füri  [27»f(x4-4h)  +  2;«»f(x-4h)J  erhält  man  ^  ^f  (x) 

^^'+hSj""fW^""'+^/"~*fWd^""*+  •••»  ^^  ^^^ 

abermals  «n)  ßm  •••  sich   als   die  Koeffizienten  der  Entwicklung 

von  -  ^^(eii;*^)""+' herausstellen. 

Die  ümkehmng  der  bereits  gelösten  Aufgaben,  nämlich  die 
Differentialquotienten  durch  die  Differenzen  auszudrücken,  lässt  sich 
nun  ebenfalls  bequem  durchführen,  wobei  zunächst  die  sogenannte 
Gaussische  Interpolationsformel,  »die  schon  vor  Gauss  vorhanden 
wäre,  aufgefunden  wurde.  Dergleichen  lassen  sich  jedoch  allgemeinere 

bUden.   Es  ist  f(x-f  kh)  =  f(x)+khf'(x)-f -^^^  f»  (x)  +  . . ., 

1  •  2 

vorausgesetzt  allerdings  kh  sei  klein  genug,  damit  die  Beihe  kon- 
vergire.  Setzt  man  hier  die  Werthe  der  Differentialquotienten,  in 
Differenzen  ausgedrückt,  ein,  so  ergibt  sich  f  (x-f-  kh)  =  4  [f  (x -|-  J  h) 
+  f(x~|h)]  +  A,  ^f(x)  +  AaH-^^f(i  +  il^)+^'f(x— tt)] 
+  A3^»f(x)  +  A4i  [z^»f (x  +  4 h)-f^4f(x-ih)] +  ....,  woraus 
auch  folgt,  f(x  +  kh)=Hf(x  +  l^)  +  f«]  +  Bi^f(x-f4h>4-B2i 
[z^»f(x-fh)  +  ^2f(x)]^....,  undfemerf(x  +  kh)  =  f(x)4-0,i 
[z/f(x4.th)+^f(x-4h)]  +  02i^^f(x)-f In  diesen  For- 
meln sind  die  A,  B,  C  Eoefizienten,  die  sich  allerdings  durch  die 
Ableitung  ergeben,  die  aber  auch  dadurch  gefunden  werden  ken- 
nen, dass  man  f(x)=e'  setzt.  Es  ergibt  sich  daraus  dann,  dass 
diese  Bestimmung  mit  der  Entwicklung  von  (u+yT+n*)^^  ^^^ 
steigenden  Potenzen  von  u  zusammenhängt.  Diese  Entwicklung 
wird  hier  dadurch  gefunden,  dass  gezeigt  wird,  es  folge  aus  A= 

(u+V^i-j-u*)**  die  Differenzialgleichung:  (1  -}-n*)  -r— y  +  u  -^ — 

—  4k)A=0,  die  dann  durch  die  Reibe  l-f-MiU+M^u^-j-...  in 


Baltx«r:  Theoito  wU  ADwendvag  4«r  DeiennSnaDteiL  619 

gewOhnlidwr  WaÜM  Uiegrirt  wird.  Didfie  Beihe  ist  die  £n«liolie 
Entwicklung. 

In  tiinlicher  Weise  wird  die  Barstellang  der  (wiederholtem) 
Integrala  durch  Smamea  und  Differeneea  durchgeführt.    80  findet 

sich,  dass  man  setzen  kann  ^|  f(x)dx"  =  2;"f(x)-}-An2>~»f(x) 

+  Bn  2;»-^  f  (x)  +  ...  und  es  steUt  sich  heraus,  dass  j  f  (x)  d  x»  gleich 

ist  h«u»P(u+VTT?)]^*i  wenn  man  hier  statt  n*  setzt^  2?»-»  f  (x). 

Diese  Eoei&ueaten  werden  dann  auch  durch  bestimmte  Integra 
ausgedrltokt,  was  wir  hier  übergehen  mflssan. 

Die  Anwendung  auf  Berechnung  der  bestimmten  Integrale  liegt 
unmittelbar  zur  Hand,  und  wird  durch  das  Beispiel  f(x)=ztinx 
für  ein-,  zwei-  und  dreifache  Integration  zwischen  45 ^  und  95^ 
erl&utert. 

Die  Koeffizienten,  die  in  den  frühem  Entwickhingen  vorkom- 
men, hängen  mit  den  Bemoullischen  Zahlen  zusammen.  Dies  gibt 
dam  Verf.  Tenmlassuag,  zwei  verschiedene  Ausdrücke  zur  Berechnung 
der  Bemoullischen  Zahlen  abzuleiten«  wegen  deren  wir  ebenfalls  auf 
die  Schrift  selbst  verweisen  müssen.  Einen  Naohtheil  haben  alle 
hier  gefiondenen  Formeln,  den  nämlich  >  dass  man  di«  Grenze  des 
begangenen  Fehlers  nicht  kennt.  Davon  muss  man  dlerdings  ab- 
seben, wenn  man  die  Form  der  Funktion  f  (x)  nicht  kennt ;  andern- 
falls aber  lassen  sicdi  für  die  nähemngsweise  Berechnung  bestimm- 
ter Integrale  bekanntlich  Formeln  aufstellen,  die  von  diesem  üebel- 
stande  frei  sind. 


Theorie  und  Anwendung  der  Determinanten  vtm  Dr.  Richard 
Baltzer,  Oberlehrer  um  etädtiaehen  öymncu^um  »u  Dresden, 
Mitglied  der  k,  säche,  OeseUsehaft  der  Wissenschaften  zu  Leipzig, 
Zweiie  vermehrte  Auflage,  Leipzig.  Verlag  von  8.  Hirzd  1S64. 
(VUJ  u.  224  S.  in  8.). 

Wir  haben  im  Jahrgange  1858  dieser  Bltttter  die  1857  er- 
schienene erste  Auflage  dieses  vortreSHchen  Buches  angezeigt  und 
wir  können  also  bei  der  zweiten  Auflage  auf  das  bereits  dort  Ge- 
sagte hinweisen.  Die  Eintheilung  des  Buches  ist  dieselbe  geblie- 
ben, nur  ist  Einiges  neu  hinzugekommen,  oder  Früheres  geändert 
worden.  So  sind  zunächst  mehrfache  Zusätze  zu  §.  8:  »Entwiefc»- 
lung  einer  Determinante  nach  den  in  einer  Beihe  stehenden  Ele- 
menten« hinzi^ekommen )  vielfach  geändert  ist  ebenso  der  g.  4: 
»Zerlegung  einer  Determinante  nach  parti^ea  Determinanten<i  mit 
dem  der  frühere  §.  5  vereinigt  wurde;  in  g.  5:  »Produkte  der 
DeterzniuMifasn«  wnrd^  wa  d^  Hanptaatz  über  die  Zerlegung  einer  ^ 


690  Oiornale  dl  Matoiiuitleh& 

Determinante  anf  denLaplaceschenDeterminantenBats  zarftckgefUirt, 
auch  der  letzte  Lehrsatz  des  betreffenden  §.  geändert;  der  §.  6: 
»Determinanten  Yon  adjnngirten  Systemen«  hat  ans  Arbeiten  von 
Franke,  Brioschi  u.  a.  ebenfalls  mehrere  Erweiterungen  erhalten, 
während  der  §.  7 :  »Determinante  eines  Systems,  dessen  correspon- 
dirende  Elemente  entgegengesetzt  gleich  sind«,  im  Wesentlichen 
derselben  geblieben  ist. 

Damit  schliesst  in  beiden  Auflagen  die  Theorie,  nnd  es  ent- 
hält der  zweite  (weitaus  grössere)  Abschnitt  die  »Anwendungen  der 
Determinanten.«  Auch  hier  ist  gleich  der  §.  8:  »Auflösung  eines 
Systems  yon  linearen  Gleichungen«  yerändert  dargestellt;  der 
nächste  aber:  »Lehrsätze  über  die  linearen  Differentialgleichungen« 
ziemlich  unverändert  geblieben.  Sehr  bereichert  dagegen  wurde 
§.  10:  »Produkte  aller  Differenzen  yon  gegebenen  Qrössen«;  der 
nächste:  »Resultante  von  zwei  ganzen  Funktionen«  wurde  YöUig 
umgearbeitet,  wie  er  denn  auch  in  der  ersten  Auflage  unter  ande- 
rer Ueberschrifb  und  in  anderer  Ordnung  erschien.  »Die  Funktio- 
naldeterminanten« sind  dieselben  geblieben  wie  in  der  froheren 
Ausgabe,  und  auch  die  »Lehrsätze  yon  den  homogenen  Funktionen« 
haben  sich  in  den  sieben  Jahren  nicht  geändert,  während  §.14: 
»Die  linearen,  insbesondere  die  orthogonalen  Substitutionen«  eine 
Beihe  wichtiger  Zusätze  erhalten  hat.  Die  letzten  drei  Abtheilun- 
gen: »Die  Dreiecksfläche  und  das  Tetraedervolum ;  Produkte  von 
Dreiecksflächen  und  Tetraedervolumen ;  polygonometrische  und  polye- 
drometrische  Relationen«  sind  nicht  bedeutend  anders  geworden, 
da  nur  einige  kleinere  Zusätze  neu  erseheinen. 

Wir  können  nur  wünschen,  dass  das  Buch,  das  in  bequemerem 
(kleinerem)  Format  erscheint,  als  die  erste  Auflage,  sich  auch  in 
der  neuen  Auflage  viele  Freunde  erwerben  möge,  die  es  ganz  ent- 
schieden verdient. 


Oiornale  di  MaUmcAiche  ad  uso  degli  Oudenti  ddle  univerdtä  tto- 
Hane  pubbliccUo  per  eura  dn  professt^ri  O.  Battaglini, 
V,  Janni  e  N.  Trudi.  Napoli,  Benedetto  Pdlerano^  Ediimrt. 

unter  diesem  Titel  erscheint  seit  Januar  1863  in  Neapel  eine 
mathematische  Zeitschrift  »zum  Gebrauch  für  die  Studirenden  an 
den  italienischen  Universitäten«,  und  zwar  in  monatlichen  Heften. 
Neben  selbstständigen  Abhandlungen  enthält  sie  Aufgaben  und  Auf- 
lösungen derselben. 

um  den  Geist  der  Zeitschrift  zu  charakterisiren  mag  es  ge- 
nügen, eines  der  Monatshefte  des  Jahres  1864  willkürlich  heraus- 
zuheben, um  seinen  Inhalt  zu  betrachten.  So  wählen  wir  etwa  das 
Juliheft.  Es  enthält  zunächst  die  Fortsetzung  einer  Abhandlung 
von  Bf^ttfiglini;  »SuUe Forme  binarie  dei  primi  quattro gradi«, 


Bseher?  Thebrle  iad  BUreteamL  691 

also  üntersnchimgeii,  die  dem  Qebiete  der  Zahlenlehre  und  der 
Determinanten  zogebören,  wobei  selbstverständliob  auch  mit  die 
Absicht  nnterlAufty  schon  Bekanntes  dem  Kreise  der  Leser  zugäng- 
lich zu  machen.  Die  zweite  Abhandlung  ist  entnommen  demTheil 
m  der  Memorie  delP  Accademia  delle  scienze  di  Bologna  und 
enth&lt:  »Nuoye  Bicerche  di  geometria  pura  suUe  cubiche  gobbe 
ed  in  specie  sulla  parabola  gobba«  per  L.  Crem ona,  somit  Unter- 
suchungen über  die  hohem  Theile  der  neuem  Geometrie.  Die  dritte 
Abhandlung  ist  die  Fortsetzung  einer  »Teorica  dei  contravarianti, 
de  ooyariantii  e  degli  invariantic  per  G.  Janni,  ist  also  mitten* 
in  der  neuem  Algebra,  und  hat  zum  Zwecke,  die  fraglichen  Theo- 
rieen  möglichst  elementar  darzustellen.  Endlich  erscheint  eine 
»Dimostrazione  della  Questio  ne  N.  36c  per  M.  Ferrari  Luogo- 
tenente  nel  Genio  militare,  und  eine  >Que8tione«,  die  heisst:  >De- 
terminare  un  triangolo,  conoscendo  le  lunghezze  delle  bisettrici  dei 
suoi  angolicy  die  in  das  Gebiet  der  elementaren  Geometrie  eingreift. 
Es  ist  hieraus  wohl  schon  zu  ersehen,  in  welchem  Sinne  die 
hier  genannte  Zeitschrift  ihre  Aufjgabe  zu  Usen  sucht.  Sie  ist  — 
wenn  auch  nicht  vollständig  —  entsprechend  den  weit  verbreiteten 
»Nouvelles  Annales  des  Math^matiquesc,  die  von  Görono  (und  dem 
verstorbenen  Terquem)  begründet  sind,  die  jedoch  einen  grösseren 
Theil  ihres  Baumes  den  Aufgaben  widmen.  Wir  hielten  es  fUr 
Pflicht,  die  Leser  dieser  Blätter  auf  die  besprochene  Zeitschrift 
aufmerksam  zu  machen. 


Elementare  Theorie  der  Differensen  briggieeher  und  trUianofnetriaeher 
Logarithmen.  Von  Dr.Paul  Es  eher,  Wien  1864.  Verlag 
des  Verfassere  (M  8,  in  4.). 

Für  die  Anwendung  der  Logarithmen  ist  es  von  Wichtigkeit, 
entscheiden  zu  können,  in  wie  weit  die  gewöhnliche  Art  der  Inter- 
polation zulässig  ist  oder  nicht.  Diese  Entscheidung  lässt  sich 
n^ittelst  des  Taylor' sehen  Satzes  bekanntlich  leicht  fällen;  dieser 
Satz  selbst  aber  liegt  ausser  dem  Kreise  der  Elemente.  Der  Verf. 
der  vorliegenden  Abhandlung,  der  auch  sonst  schon  durch  gute 
mathematische  Arbeiten  bekannt  ist,  hat  nun  die  nöthige  Unter- 
suchung auf  sehr  elementarem  Wege  geführt,  so  dass  die  Schrift 
der  Berücksichtigung  von  Seiten  der  Lehrer  der  Elemente  der 
Mathematik  würdig  ist. 

Zunächst  zeigt  der  Verf.,  dass  wenn  a  —  /},  a,  a  -f-  /3  (a  grös- 
ser als  ß)  drei  positive,  in  arithmetischer  Progression  stehende 
Zahlen  sind,  immer  log  a  —  log  (a— /J)  >  log  (a -f- /5)  —  log  a,  wel- 
cher Satz  noch  allgemeiner  sich  dahin  aussprechen  lässt,  dass  wenn 
in  den  zwei  Zahlen  a,  tt-f-/3  die  eine,  a,  sich  ändert  (wächst), 
während  die  andere,  fi,  ungeändert  bleibt,  die  Grösse  log  (et -}-/!) 


•*«-log«  abmmmt.    Di*  Biehtigkeit  dieses  AusqHraöhs  eigibt  n4di 

9ofoirt  daraus,  dass  die  fragliche  Differeiut  gleich  log(  14--^)  ist- 

Durch  eine  Reihe  hierauf  gesttttzter  Betraehtungen,  die  wir 
nicht  wiederholen  wollen,  gelangt  die  Schrift  zu  dem  Schhissei  dass 
wenn  x,  x-f-^»  ••••!  x^nd  eine  Anzahl  in  arithmetischer  Pro- 
gression stehende  Zahlen  sind  (x  und  d  positiv)  und  wenn  log  x  =  s, 
log  (x  -|-  d)  —  log  X = w,  log  (x«  4-  d»)— log  X* = z,  immer  log  (x-f  rd) 

I              11             r(r— 1)     ,. 
zwisohan  u-f-tw  wds  +  rw -5 — z  hege,   wo  r  «wisfiben  0 

TT  1     r(r— 1         j  n(n— 1)  ^,      . 

und  B.  Kann  man  ako  — 5—  z,  oder  gar.  >    ■ .     b  TemacUaMi- 

gent  so  ist  log(x4-rd)=;s-|-rw,  und  es  bilden  somit  die  Loga- 
rithmen der  vorhin  genannten  Zahlen  ebenfalls  eine  arithmetisohe 
Progression,  was  bekanntlich  bei  der  gewöhnlich  benützten  Inter- 
polations-Fonnel  vorausgesetzt  ist.  Für  x»  10,000,  d=^0'001und 

n  =  1,000  findet  der  Verf.-^-^^^  z  =  0-000000002 ,  so  dass  also 

für  siebenstellige  Logarithmen  die  Literpolation,  wi9  die  TaMn  sie 
vorschreiben,  als  gerechtfertigt  anzusehen  ist. 

Für  die  trigonometrischen  Funktionen  beweist   der  Vert  in 

ganz  sinnreicher  Weise,  dass  die  GrCsse  — —^  wenn  g)  in  Sekunden 

ausgedrückt  ist,  abnimmt  mit  wechselndem  9),  wobei  9X^324000 

(=90^)  gedacht  ist;  dass  dagegen-^^  wachse  mit  wachsendem  97. 

Dasselbe  gilt  natürlich  auch  von  den  Logarithmen  dieser  Brüche. 
Hieraus,  in  Verbindung  mit  dem  Satze,  dass  cos  9^1  —  {arc'9), 
erläutert  er  das  von  Bremiker  angewandte  Ter&hren,   um  fOr 

Winkel  unter  0®  85'  mittetet  des  log  -^  u.  a.  Wp  dw  Jpg  sin  od 

zu  ermitteln  —  ein  Verfahren,  bemerken  wir  gelegentlich,  das  auch 
in  den  Schr5nschen  Tafeln  aufgeführt  und  benützt  ist« 

Für  die  Dififerenzen  der  log  sin  zeigt  die  Schrift  zuerst  \?ie- 
der,  dass  \ogsixi(cC'\- ß)  —  lo^^^na  abnimmt,  wenn  a  wächst  und 
ß  unverändert  bleibt.  Daraus  folgert  er  dann  abermaljs,  dass  wenn 
h)g  sin  X  =^  8,  log  sin  (x  -|-  d)  —  log  sin  x  =  w,  lo^  sin^  x  —  log  (sin*x 
—  sin'd)=^z,    man  log  sin  (x -j- r  d)  als  zwischen  s-^-rw  und 

8  -|.-  rw ^-5 — ^z' liegend  ansehen  könne.  Dsorf  man  alaon-^^ — ^ 


oder  allgemeiner  (höchstens)  — ^ — ^  z  vernachlässigen,  eo  bilden 

die  log  sin  der  Winkel  x»  x-^^d,  ... ,  x-j-nd«  wo  x  und  d  positiv 
und  x*f-nd<C900,  eine  aritbmetifcbe  Progression  9  wa»  ebenfalls 
diegeiröhnliehe  Interpolation  voraoAsetzt.  Für  xs;:^«^',  d;=;:Q'0ai'^^ 


n=1000   findet   sieb   ^    ~  ^  z  =  0-00000005,  so  dass  ftlr  Win- 

k«l  über  0^85'  dUset  Yerfobren  zv  EinsobalUnig  binmoliend  ge- 
recbtfertigt  erscbeint.  Fürx  =  5^  d  =  0-01'',  n=1000  (weil  ln«r 

die  Winkel  von  10  m  10  Sekunden  gehen),  findet   sich  ^~^ — -z 

s:0*0000<M)07.  (Dabei  hat  der  Verf.  die  Tafeln  von  Bremiker- 
Yega  im  Auge ,  bei  denen  anfänglich  die  log  sin  Yon  Sekunde  zu 
Seknnde,  spttter  von  10  zm  10  Sekunden  gegeben  sind).  Fflr  log 
eos  lassen  sieh  die  Oesetze  at»  logsi»  folgern. 

Fflr  logtg  ist  obige  örOsse  z  gleieh  der  Torigem,  s^slogtgx, 
w  =  logtg(x-f>d)  —  logtgx  und  man  erhftlt  dieselben  Ergebnisse, 
logcotg  ist  =*- logtg,  so  dass  für  diese  GrOsse  keine  besondero 
▲nfstellnng  neihwendig  wird. 


Du  magneUBche  Drehung  der  Polariaatiomeikme  de$LiMe$,  Ver$ueh 
Hner  malhematifcken  Theorie  von  Carl  Neummnn.  Haäe. 
Verlag  der  JBtteKbandkmg  dee  Waieenhaum.  1863.  (VUl  und 
82  8.  in  8.). 

Die  durch  Erfiährung  nachgewiesene  Drehung  der  Polarlsations-* 
ebene  des  (linear  polarisirten)  Lichtes,  das  einen  Körper  durch- 
läuft, der  magnetisch  erregt  ist,  soll  in  der  vorliegendea  Schrift 
durch  die  mathematische  Theorie  als  aus  dem  gegenseitigen  Eiur 
wirken  der  Aetheitheile  und  der  magnetischen  Molekularströme  ab- 
geleitet werden.  Bei  der  Widitigkeit  des  Gegenstandes  and  den  fielen 
neuen  Annahmen  über  diese  Innern  Zustände  werden  wir  uns  ein 
etwas  ausführliches  Eingehen  auf  den  Inhalt  der  Schrift  erlauben 
dürfen,  wobei  yon  einer  »Kritik c  der  gemachten  Annahme,  so  wio 
der  Sirgebnisse  saLbBtyerständlich  keine  Bede  sein  kaoA,  da  jeder 
Versuch,  diese  so  schwierig  zu  behandelnden  Gegenstände  der 
mathematischen  üntersuchungsweise  zu  unterwerfen,  wenn  er  über- 
dies in  gewissem  Maasse  gelingt,  von  ^ossein  Werthe  ist. 

Der  (para-  oder  dia-)magneti3che  Zustand ,  in  den  ein  Körper 
von  aussen  her  durch  eine  auf  ihn  wirkende  magnetische  Kraft  B 
yersetzt  wird,  beruht  auf  gewissen  elektrischen  Vorgängen^  die 
doppelter  Art  sind.  Einerseits  nämlich  werden  die  im  Körper  be- 
reits vorhandenen  Molekularströme  regulirt,  anderseits  werden  solche 
Strömungen  durch  die  induzirende  Wirkung  von  B  hervorgerufen. 
Die ersteren heissen  natürliche,  letztere  induzirte  Molekular- 
ströme. Für  jetzt  wird  vorausgesetzt,  dass  die  Kraft  B  innerhalb  des 
von  dem  Körper  eingenommenenen  Baumes  allenthalben  konstant  sei. 
Zudem  soll  es  sich  um  durchsichtige  Körper  handeln,  die  also  nur 
eines  geringen  Grades  von  Para- und  Diamagnetismus  fähig  sind, 
woraus  folgt,  dass  auch  der  durch  die  Kraft  B  herbeigeführte  Zustand 
> 


'6i4  IffeumAan:  ÜAgnetladi«  Drehmag  iL  •.  w. 

des  Körpers  ein  gleichförmiger  ist.  Diese  OleiohfÖrmigkeit  wird  sich 
jedoch  nur  dann  herausstellen,  wenn  man  nicht  die  einzelnen  Mo- 
lekalarströme  I  sondern  Gruppen  von  solchen  unter  einander  yer- 
gleicht. 

Enthält  ein  Volumenelement  n  einzelne  Molekularströme,  und 
sind  «j,  /J|,  y^;  ...,  a^,  ^,  y^  die   (Seiten-)  Momente  derselben, 

80  werden  die  Grössen    '^+"  +  ''\    A+U±^,    ?H:il±^ 

n  n  n 

als  konstant  anzusehen  sein,  also  im  ganzen  Körper  dieselben 
Werthe  haben.  Dabei  ist  a  =  AjcosU|  /SstAjcosYi  ^=Ajco8w, 
wenn  X  die  Yon  dem  Strome  umflossene  Fläche,  j  die  Stärke  des 
Stromes,  u,  t,  w  die  Winkel,  welche  die  Normale  an  die  Flftcfae 
(A)  mit  den  Azen  macht,  wo  die  Normale  so  gerichtet  ist,  daas 
der  in  ihr  Stehende  (mit  dem  Fuss  auf  der  Fläche)  den  Strom 
von  rechts  nach  links  sich  bewegen  sieht.  Mit  Sl  mag  das  Vo- 
lumen bezeichnet  werden,  das  ein  Element  des  Körpers  mindestens 
besitzen  muss,  damit  die  mittlem  Monumente,  die  er,  /},  yhm- 
sen,  (wie  sie  so  eben  erklärt  wurden)  noch  fftr  dieses  Element 
konstant,  also  Yon  der  Lage  desselben  unabhängig  seien.  Sind  a, 
b,  c  die  Winkel,  welche  die  Richtung  von  B  mit  den  (Koordinaten-) 
Axen  macht,  so  ist  a  =  kBcosa,  /}  =  kBcosb,  ^=kBcosc,  wo 
k  eine  von  der  Natur  des  Körpers  abhängende  Konstante  ist 

Die  Thatsache,  dass  die  Folarisationsebene  abgelenkt  wird, 
beweist,  dass  auf  den  Lichtäther  eine  Wirkung  durch  die  magne- 
tische Kraft  ausgeübt  wird,  die  in  der  Einwirkung  der  elektrischen 
Ströme  auf  den  Aether  zu  suchen  sein  wird.   Für  das  Gesetz  die- 

[dO  d*/dr\* 

—  ~5 h  G "ja — {'TTJ  42^* 

^^7^  I  angenommen,  wo  (i  die  Masse  des  elektrischen,  m  des  Aethe^ 

theilchens,  r  der  Abstand  beider  zur  Zeit  t,  und  O  eine  nur  Ton 
r  abhängende  Funktion  ist.  Die  Formel  entspricht  dem  Weber- 
Bchen  Gesetze  für  die  Einvdrkung  zweier  elektrischer  Theilchen  auf- 
einander (wobei  4^  s= —  ist,  welches  Letztere  hier  nicht  angenom- 
men wird). 

(Bchluss  folgt.) 


Hr.  40.  HEIDEIBERGER  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Neu  mann:  Magnetische  Drehnng  n*  s.  w. 

(8c1i1ii0bO 

Ist  d<T  die  LlUige  eines  Stromelements ,  -{-tjäCf  —tide  die 
darin  enthaltenen  Mengen  positiver  nnd  negativer  Elektrizität ,  so 
ist  oben  (i=^fid6  (wenn  wir  fUr  den  Augenblick  nur  die  positive 
Elektrizität  beachten),  r  ist  als  abhängig  von  6  und  s  anzusehen, 
wo  8  der  vom  Aethertheilchen  zurückgelegte  Weg  ist,  so  dass 
dr^^dr  d£  ,   dr  ds^     d2r_ dh- /d_^a     d^r  /dsy  d>r 

dt      dtf  dt"'"  dsdt'    dta~dtf*\dt/ "•  ds<  Vdtj"^       d<yds 

dsddf   ,  drd»tf    .  dr  d^s  .   ,    ,       ,        .      .        V      *     . 

■TT -rr  +  T3^T7  +  T"  "JTT»  wo  jedoch,   da  wir  einen  konstanten 
atdt       aoat*       dsat^ 

elektrischen  Strom,   d.  h.   einen   solchen    dessen  Oeschwindigkeit 

d^  d^6 

-TT-  konstant  ist,  annehmen,  nothwendig-rT)  =  0  ist.    Führen  wir 

diese  WerthB  in  ,d.m  [-^^  + Gi^(l^)  +  2  G«^] 

und  setzen  dann  auch  noch  — 17  für  -}-  Vi  ^^n  auch  den  negativen 
Strom  zu  berücksichtigen,  so  gibt  die  Summirung  beider  Grössen, 

d.  h.  die  ganze  Wirkung:  4Qmrjdal-z — -z—-^ h  2  9- — 5-I 

°  °  '.      \dr  dtfds  da  d%) 

-TT  *Tr  =  P-    Hier  ist  ri  -r-r-  die  Elektrizit&tsmasse,  die  auf  einer 
dt  dt  'dt 

Strecke  von  der  Länge -jr-  vorhanden  ist,  also  auch  (da  -77-    die 

Geschwindigkeit)  diejenige  Masse,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch 
einen  Querschnitt  der  Strombahn  hindurchgeht.     Setzen  wir  sie  j, 
so  ist  diese  Grösse  das  Maass  für  die  Intensität  des  Stromes.  Da- 
durch wird  P  =  4Gm  -rrjdtf  2  v^*-5~(\/'d>  t-^. 
dt  dO\  dsj 

Nach  der  xAxe  zerlegt  liefert  dies,  wenn  x^,  Ji,  Zi  die  Koor- 
dinaten von  dtf,  X,  y,  z  die  von  m  sind:  P  cos  (P,  x)  =  4  Gm 
ds.  ,       «  X— Xi     ^  .  d  /   ^^dr\        .  ^     d8.,^rd/x  — xj 

sener,  wie  hier  vorausgesetzt  wird,   so  wird  bei  der  auf  alle  Ele- 
LVUL  Jahrg.  8.  Heft.  40 


ein. 


Vi— xj  ds^ 


mente  i6  ausgedehnten  Snmmation  das  erste  Glied  der  eingeklammer- 
ten Qröise  weg&Uen  (indem  die  Integration  liefert  ■    ■  ■  9-^-^   und 

r         dB 

Anfangs-  und  Endpunkt  zusammenfallen),  so  dass  man  auch  so- 
gleich jenen  Theil  weglassen  darf. 

_     dr       X— Xi  dx  ,  y— Ji  dy   ,   z— Z|  dz  «vx  -  i.  ^ 

Da  T^==»' — ^  ,    ■     - — ii-ji-J — i. -=-,  so  ergibt  sich  ^- 

ds  r      ds  "^     r      ds  ~     r      ds'         *^  d<y 

^ ,  (^  -^)  dzt -(z^ -z)  dx^         JjrJ)  ^1  -(^i-^J^Ji 

(xi— x)»d8dtf  ^      (x,-x)2dsda 

Legen  wir  yon  m  nach   A6  ein  (£lementar-)Dreieck  und  sind  z/,, 

^2»  ^a  dossoA  Projektionen  auf  die  drei  Koordinaten-Ebenen,  so  ist 

d  /     r     dr\  2^^ j  2^3  ^^ 

di^Vx-Xids/'^      (xi-x)»d8dtf     ^(xi-x)2dsdtf'    '^ 

Pcos(P,x)  =  4a?5^('2^3  1|-.2^3^'|  u.  s.  w. 
r2     \  dt  ut  J 

Sind  also  7||  Vj,  y3  die  Seitengeschwindigkeiten  von  m«  so  ist 

Pcos  (P,x)  =  Bv3— Cva,  Pcos(P,y)  =  CYi— AV3,  Pcos(P,  «)  = 

AV3--BV1,  wo  A=4ami«^,  B=4Gmja>?^,  0=:4Qmj* 

— K    Summirt  man  in  Bezug  auf  alle  Elemente,  so  hat  man  die 

Wirkung,  die  der  geschlossene  Strom  auf  m  ausübt.  Diese  (Seiten-) 
Wirkungen  sind:  X=^r^  SB— v^  SO,  u.  a.  w.  Seien  nun  |,  ij,  f 
die  relativen  Koordinaten  des  Strommittelpunkts  in  Bezug  auf  m, 
die  des  Elementes  da  aber  fi+|^  1^4"^^  6+6^  ^^^  ßöi  V'\'V^ 
+  P  =  r2,  (5+g»)3  +  (ij  +  ,i)«+(f+g')2=r«  woridasfrühei« 
r  ist;  so  hat  man,  wenn  der  Strom  sehr  klein:   ri'=r'-(-2  (|£^ 

+  W*+K0  +  6**  +  ^*'+£",  also  r>=r-f  ^^^±53!±^,wenn 

r 

man  die  h&hem  Potenzen  von  |*,  17^,  i^  yemachläSBigt,  was  man  unter 

der  gemachteu  Annalune  darf.    Al8o^=^+(li^^?l 

2*(r)\  6£*4-iw*4-£t* 

—^  I  s2 — l-^li — L-S-   woraus  nach  einer  Beihe  von  XJmform- 

r3     /  r 

ungen  sich  endlich  ergibt :  X  5=  BV3  —  Cvj^,  T = Gv^  — Avg>  Z  =Avj 
-Bv„  wenn  jetzt  A^4Bm[{^^^Y 

"^     dr      rJ'  l\    dr  r     /  r^ 

dr      rj'  L\    dr  r     /  r^ 

J^      h  ^^  "'  A  y  die  Momente  Ajcosu,  Ajcosv,  Ajeosw 

sind^  die  bereits  oben  aufgeführt  wurden. 


Der  Verf.  zeigt  nan^  daas  <&(r)  xxicht  —  sein  kann,  da  liier« 

tLUB  folgen  würde,  es  hänge  die  Wirknng  der  Molekülflt'strHme  von 
der  Gestalt  des  Körpers  ab,   was  den  Thatsacben  widerspricht. 

Ans  den  aufgestellten  Formeln  folgt,  dass  die  Wirlning  eines 
Molekalarstromes  Nnll  ist,  wenn  der  Aether  in  Ruhe  iöt  (v^,  V2,  Vg 
Nnll  sind).  Es  können  also  die  Molekularströme  keine  Bewegung 
in  dem  Aether  hervorrufen ,  sondern  nur  vorhandene  ändern.  Ss 
geht  weiter  aus  den  Untersuchungen  hervor,  dass  die  Einwirkung, 
welche  die  Molekularströme  auf  den  Lichtäther  (wenn  er  schon  iü 
Bewegung  ist)  ausüben,  verschieden  sein  wird  ftlr  die  verschiede- 
nen Theile  des  Aethers.  Doch  ist  es  für  die  Zwecke  der  vorlie- 
genden Untersuchung  nicht  nothwendig^  auf  diese  Vetechiedenheiten 
einzugehen,  da  es  genügt,  gewisse  Mittel werthe  zu  erhalten« 

Ist  ß,  das  bereits  oben  definirte  Yokunen,  n  die  Anzahl  der 
darin  enthaltenen  Aethertheilchen,  so  soll  der  mittlere  Werth  der 
n  Wirkungen  gefunden  werden,  welche  jedes  einzelne  dieser  Aether- 
theilchen von  den  Molekolarströmen  erfährt.  Durch  ein  sehr  scharf- 
sinniges Verfahren,  dae  wir  hier  selbstverständlich  ohne  zu  grosse 
Weitläufigkeit  nicht  anführen  können,  findet  der  Verf.  als  solche 
mittlere  Werthe  der  (Seiten-) Wirkungen :  mE|=mLS  (V|C08C 
—  V3C0sb),  mE3=mLB  (vgcosa— Vj  cos  c),  m  Eg^amLS  (v^  cosb 
— v^cosa),  wo  a,  b,  c  die  bereits  früher  angegebene  Bedeutoag 

haben,  L  aber=^?^M  t  ist,  wenn  T  t^  U  fi-^  + 
0(r)\  J»  »       Vr      dt      ^ 

— j— I,  wo  8  ein  Summationszeidian ;  k,  Q  die  schon  beoeiohnete 

Bedeutung  haben ;  N  die  Anzahl  der  Moleküle  in  der  Volunteinheit 
des  Körpers;  m  die  Anzahl  der  Aethertheilchen  in  derselben  ist. 
L  hängt  also  von  äet  Natur  desEörpertf  ab  und  iat  konstant«  Da 
aus  obigen  Werthen  folgt:  EiCoea-f-Ejöoeb-f-Eacosc^AO,  E^vj 
-|- Ej  V2 -J- E3  V3=0 ,  so  steht  also  die  eigentliche  Wirbtmg  senk^ 
recht  auf  der  Bichtung  der  Kraft  B  und  auf  der  Richtung  der  l^e- 
wegung  von  m. 

Nach  einer  Untersuchung  über  die  Frage,  ob  zWimheB  dem 
magnetischen  Znstande  (N&tur)  des  Körpers  und  der  Drehung  der 
Polarisationsebene  des  Lichtes  ein  ZusAmmenhaag  bestehe^  was 
verneint  werden  muss,  wird  dmr  Yerf«  zu  einer  thereotisoken  Untexf^ 
SBchnng  über  die  Undolationstheorid  detf  Lichtes  iok  AUgemetMB 
genöthigt. 

Bei  den  seitherigen  Untersuchungen  wurde  der  Aeiber  ^&  frM 
beweglich  angesehen,  und  es  ergeben  sich  dann  bekanntlich  zwei  trans« 
versale  und  eine  longitudinale  Wellen,  für  welch'  letztere  sich  in 
den  Erscheinungen  nichts  Entsprechendes  findet«  Der  tTutersuchung 
Lam^*s  (»Lebens  sur  la  th^orie  mathömatique  de  Tölasticitö  des 
Corps  soMdesc,  Le^ons  JLYU)  hält  der  Verl  ^nlgeges,  daes  die  fireie 
Beweglichkeit  ausigeschlössen   sei.    Er  hält  dafür,   dass  man  wie 


026  .Menmannt  Magnetlsdie  Drtlniiig  «•  u.  w. 

in  der  Hydrodynamik,  die  Incompressibilität  des  Aethers  anzu- 
nehmen habe ,  in  dem  Sinne,  dass  derselbe  Bewegongen ,  die  mit 
Aendenmgen  der  Dichtigkeit  verbanden  sind,  sehr  grossen  Wider- 
stand leiste,  und  dieselbe  also  nur  als  yeränderlich  anzosehen  sei, 
wenn  sehr  starke  Kräfte  auf  ihn  einwirken.  Nachdem  er  die  etwa 
dagegen  zu  erhebenden  Einwände  zu  widerlegen  gesacht,  stellt  er 
die  Gleichungen  der  Aetherbewegung  unter  dieser  Annahme  auf  und 
findet,  dass  wenn  u,  v,  w  die  Zuwächse  bedeuten,  welche  die  Qleich- 
gewichtskoordinaten  eines  Aethertheilchens  im  Bewegungszustande 
erhalten,  q  die  Dichtigkeit  des  Aethers,   m  die  Masse   des  Theü- 

d*u 
chens,  mX,  mY,  mZ  die  auf  dasselbe  wirkenden  E[räfte :  tti  =^ 

dt' 

+  qdx'  dt»~  "^qdy'  dt^  ""'"'' q  dz'  dx^^dy'^di 
=  0  ist,  wo  »A  eine  unbekannte  Funktion,  die  jedoch  bloss  eine 
auxiliäre  Bolle  spielt,  c 

Sollen  nun  die  »Differentialgleichungen  für  die  Bewegung  des 
Aethers  in  einem  gleichförmig  magnetisirten  homogenen  onkrystal- 
linischen  Eörperc  aufgestellt  werden,  sn  müssen  dreierlei  WirkuB- 
gen  auf  die  Aethertheilchen  in  Betracht  gezogen  werden:  die  von 
den  umgebenden  Aethertheilchen  auf  jenes  ausgeübte,  die  von  den 
umgebenden  Eörpermolskulen  und  endlich  die  von  den  Molekular- 
strömen  herrührende.  Dabei  setzt  der  Verf.  voraus ,  der  durcli- 
sichtige  Körper  sei  auf  gegenüberliegenden  Seiten  von  zwei  paral- 
lelen Ebenen  begränzt  und  es  seien  die  in  ihn  eintretenden  Licht- 
wellen  eben  und  den  bezeichneten  Ebenen  paralleL  Wird  die  Ebene 
der  X  y  als  die  eine  der  beiden  begränzenden  Ebenen  angenommen, 
so  ist  w  Null  und  u,  y  hängen  nur  von  z  ab.  Alsdann  findet  der 

TT  «f     *'^       n      in   ^'^    I    n   ^^^     f  i    tu  ^^       d*V 

^^^••dt?  =  ^^+^^dS  +  °*d^  +  -  +  ^^'"''dt^    dT^ 

d'  V  d^  Y  du 

CY-f-CiT-s+Cj^— J  +  -«  ""^^®°s®  TT  zur  Bestimmung  der  Be- 
wegung des  Lichtäthers  im  Körper,  wo  C,  0^,02,  .  •  •  gewisse  Kon- 
stanten sind. 

Nimmt  man  nun  an,  die  einfallenden  Lichtwellen  seien  linear 
polarisirt,  und  es  laufe  die  x*Axe  parallel  der  Polarisationsebene 
des  Lichtes;  sei  femer  ^  die  Dicke  des  Körpers,  also  z:=:0  die 
eine,  z  =  ^  die  andere  Begränznngsebene,  so  hat  man  für  das  ein- 
fallende Licht:  XJ=acos  (i j — ,  V  =  0,  wo  a  die  Amplitude, 

t  die  Schwingungsdauer,  m  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  in 
der  Luft  ist.  Die  Orössen  u,  y  müssen  nun  so  bestimmt  werden, 
dass   sie   obigen  Differentialgleichungen  genügen  und  für  z=0: 


sind. 


pr^TJ,  Y=ssO  sei.    Setzt  man  u  =  ccos  (t 1  — ,  v=Ä  sin 

id,  d  \         fLj   T  '  ^ 


Kenmann;  Magnetisobe  Drehung  u.  8.  w.  639 

t I  —  ,80  mnsB  wegen  der  DifiFerentialgleichimgen ;  «    I  —  I 

-f-C— 0,  I  —  I+Cjl  —  I  —  ..  l  +  a  —  L B cos c=0 sein,  wor- 

ans /J»=«..(^)'+C-C,(^)'+Ca (I)  - .. ±^LEcosc=0. 

Es  gibt  also  zwei  Werthe  Ton  ß  zu  jedem  a  (+  a)  und  folglich 

...  /^       z\2«  ,  /^       zi2« 

ist  zu  setzen  n=acoslt 1 |-aco8  I  t 1 — ,  y  =  asm 

I  t 1 asinft I  — ,  wo  (i^f  fc^   die  Werthe  Yon  (i 

sind,  wie  sie  dem  oberen  oder  unteren  Zeichen  entsprechen«     Da 

für  z  =  0  noch  u=XJ,  y  =  0  sein  soll,   so  ist  a={B,  zu  setzen. 

Für  die  aus   dem  Körper  austretende  Liohtbewegung  ist  zu 

setzen:  Ui  =  Acos  To  +  t- -')— ,  Vi=BcosrD4-t~^')^ 

und  es  muss  fttr  z=^  der  Werth  von  ü^  und  der  Yon  u»  sowie 

Yon  Vj  und  V  zusammenfallen,  ih.  es  muss  A  cos  (  C-f-t 1 

— =— I  Bini  t I sml  t I —  I  sein.    Dies  ist,  da 

(^      ^  \  JC 
I  — 

— ,  der  Fall,  wenn  A=acosr ^^-,  B  =  a8in| | 

-,  0  =  D  = ( 1 ^^,  so  dass  Ui  =  aco8r ^^- 

Das  austretende    Licht    ist   also   geradlinig  polarisirt;   die  Rich- 
tung seiner  Polarisationsebene    macht   mit   der  x-Axe  den  Winkel 

"\-.  Das  das  eintretende  Licht  parallel  der  x-Axe  pola- 

risirt  war,  soistalso  dieDrehung  der  Polarisationsebene 


W^  8oliw%^9;  T^Q?i#  dar  gßn^v^  Unie  mi  4ar  Ebene. 

W|re  keine  Dispersion  vorhanden,  so  müssten  C«  C^f  «•  NnU 
84in ;  iß  aUen  F&Uen  sind  sie  aber  klein«  Daraus  ergibt  sieb,  dass 

wenn  r^w  t—  ^acb  Potenzen  von  B  entwickelt,  nnd  [Iq  den  Werth 

f*  1 

ft  fftr  R=:0  nennt,  man  annehmen  k%nn  —=«-{" /'ß 4"" •»  ^'^ 

man  —  wie  aus  den  Betrachtungen   des  Yerf.  hervorgeht  —  sich 

d^r  ersten  Potenz  von  R  begnügqn  darf,    Kan  findet  a  =^ 1 

ß  xm  -7 — ' — r- — r,.»,; — ,  wo  das  obere  Zeichen  Ar  ii«, 

und  das  untere  Zeichen  für  fi2  ^^t     Demnach  ist  die  Ablenkung 

L  ^  R  cos  C  -  j        XT   X         j        rr« 

,  WO  L,  ffQ  von  der  Natur  des  K5r- 


^[°-"^D"+-] 


pors  (wiq  0^1  C,,  ,,)  ahbängcn.  Dieser  Ableukungswinkel  ist  also 
proportional  der  Dicke  jd ,  dor  magnetischen  Kraft  R,  nnd  dem 
Ge4uus  des  Winkels  unter  dem  die  magnetische  Erafk  gegen  die 
Richtung  der  Lichtstrahlen  geneigt  ist. 

Die  so  erhaltenen  theoretischen  Gesetze  vergleicht  der  Yerf. 
vunmehir  mit  deu  Thatsacheu,  namentlich  mit  den  von  Verdet 
sorgfältig  studirten  Gesetzen  der  Ablenkung  der  Polarisationsebene 
^nd  findet,  dass  Theoria  und  Erfahrung  genau  zusam- 
qpianstimmen.  Ein  ^Anhange  enthält  die  Ableitung  der  von 
Mac-Cullagh  fCLr  den  Fall  dexjenigen  Körper,  welche  die  Pola« 
nsationsebene  bereits  im  natürlichen  Zustande  drehen,  empirisch 
aufgestellten  Differentialgleichungen  der  Aetherbewegung.  Sie  er- 
gab^ sich  aui  der  Anuahm^:  »dass  die  relative  Verrückung  eines 
Aethertheilebens  in  Bezug  auf  ein  anderes  auf  dieses  letztere  eben 
^  einwirkt,  wie  das  Element  ejLues  elektrischen  Stromes  auf  einen 
jlaguetpol  einwirkt.  € 

Au9  vorstehender  Ueharsicht  ergibt  sich  wohl  unzweifelhaft| 
4asa  die  vorliegende  S(Ärift  für  die  Theorie  des  Lichtes  von  grosser 
Bedeutung  ist,  was  hervorzuheben  d^r  Zweck  der  Anzeige  war. 


Die  Theorie  der  geraden  Linie  und  der  Ebene,  ein  Versuch  sur 
strengen  Begr&ndtmg  der  ersten  geometrischen  GrundanschoH- 
ungen  ven  Dr.  Hermann  Sehwaratj  Oberiehrer  em  der 
höheren  Bürgerschule  zu  Düren,  Mit  einer  8  Figuren  enthalt 
tenden  lUhographirten  Tafel  Halle,  Eduard  Anton,  1865.  (VUi 

^^  »  ^  'fasser  der  vorliegenden  Schrift  ist  der  ma^^atischen 

^  nsgebcr  nnd  Fortsetzer  der  Schriften  von  Sohncke 


Bdhwari:  Tliaort«  der  geraden  Linie  und  der  Ebene»  MI 

bekannt,  bo  wie  er  bereits  ftnoh  auf  dem  philoBophiaohen  Gebiete 
der  mathematiechen  Wissensobaften  sich  versaoht  hat  —  wenn  wir 
uns  nicht  irren.  Im  Ghnmde  in  das  letztere  Gebiet  gehört  aach 
die  Yorliegende,  sehr  beachtenswerthe  Schrift.  Sie  behandelt  eine, 
seit  Ehiolides  viel  besprochene  Frage,  bei  der  »noch  jeder  Yersaeh 
missglückte,  die  Theorie  gemäss  den  Anfordernngen  strenger  Wis- 
senschaft sca  Yer7ollkommnen«€  Die  Auflösung  dieser  sehr  schwieri- 
gen Aufgabe,  welche  der  Verf.  gibt,  ruht  auf  einem  Grunde,  der 
Ton  dem  des  alten  griechischen  Geometers  yerschieden  ist.  Der 
Letztere  schloss  mit  Yollem  Bewusstsein  und  in  aller  Strenge  die 
Idee  der  Bewegung  von  seinen  Grundideen  der  Geometrie  aus,  w&h* 
rend  der  Verf.  diese  Anschauung  wesentlich  festhftlt  und  wohl  mit 
Recht  sich  auf  die  Analogie  mit  der  Darstellung  der  höheren 
Mathematik  stützt.  Doch  dürfte  dabei  nur  zu  bedenken  sein,  dass 
seine  »unendlich  Kleinen c,  wenn  er  ihnen  auch  nicht  diesen 
Namen  gibt,  eben  etwas  um&ssbare  Dinge  sind,  und  auch  die 
Differential-  und  Integralrechnung  doch  nur  erst  zu  voller  Klarheit 
kömmt,  wenn  sie  den  Gränzbegriff  in  die  Darlegung  ihrer  Elemente 
einführt.  Etwas  Aehnliches  hätte  yielleicht  auch  hier  geschehen 
sollen.  Wir  wollen  nachstehend  einige  der  Grundanschaunngen  des 
Verf.  darzulegen  versuchen,  müssen  aber  zum  Toraus  unsere  Mein» 
ung  dahin  aussprechen,  dass  für  den  Unterricht  die  Dinge  von  ihm 
nicht  zureeht  gelegt  sind,  so  dass  die  Schrift  vorerst  nur  der  Be- 
achtung der  Lehrer  und  zur  Benützung  der  Ideen,  die  in  derselben 
niedergelegt  sind,  in  so  weit  eine  solche  thunUoh  ist,  zu  empfehlen 
ist.  Das  hat  aber  der  Verf.  wohl  auch  nur  bezweckt,  da,  wenn  er 
das  erste  Kapitel  eines  (ganz  streng  wissenschaftlichen)  Lehrbuches 
der  Geometrie  hätte  schreiben  wollen,  Anordnung  und  Form  wohl 
eine  andere  geworden  wären« 

»Der  allgemeine  Baum  ist  ein  durchweg  auf  dieselbe  Art 
Ausgedehntes;  das  völlig  Ausdehnungslose  im  Baume  heisst  Funkt. c 
Das  ist  die  erste  Erklärung,  mit  der  die  Schrift  beginnt.  Sie 
definirt  selbstverständlich  den  Baum  nicht  -*-  das  ist  unerklärbar 
— ,  sondern  gibt  seine  wesentlichste  Eigenschaft  an.  Aus  dieser 
Angabe  folgert  die  Schrift  die  Continnität  oder  Stetigkeit  des  Baumes. 
»Unter  der  Bewegung  eines  Baumgebildes  versteht  man  jede  Orts- 
veiAnderung  desselben,  c  Ein  Baumgebild  ist  »Alles,  was  im  allge» 
meinen  Banme  existirt,  ohne  mit  ihm  völlig  einerlei  zu  sein.c  »Ein 
bewegtes  Baumgebild  gelangt  aus  einer  bestimmten  Aufisngslage  in 
eine  bestimmte  Endlage  entweder  ohne  Durchlaufnng  irgend  wel- 
cher Z?ri8chenlage,  oder  nach  Durchlaufung  einer  begrenzten  Menge 
von  Zwischenlagen,  oder  nach  Durchlaufung  einer  unbegrenzten 
Menge  von  Zwischenlagen.  Im  ersten  Falle  heissen  die  betrach- 
teten Lagen  einander  benachbart  oder  angrenzend;  im  zwei- 
ten nnd  dritten  Falle  können  sie  in  eine  zusammenfallen  oder  ver- 
schieden sein»  ohne  dass  die  Nothwendigkeit  einer  besonderen  Be- 
zeichnung für  jetzt  hervorträte.«    Wir  haben  die  eigenen  Worte 


6B9  Sebwarx:  Theorie  der  geraden  Lliile  uid  der  Ebene. 

des  Verf.  aufgeführt,  weil  die  in  denselben  ausgesprochene  Idee  ge- 
wissermassen  die  ganze  Schrift  beherrscht.  Dass  hier  ein  nnend« 
lieh  Kleines  Yoxliegt,  ist  unmittelbar  ersichtlich;  es  ist  die  an- 
grenzende Lage,  die  ohne  Durchlaufen  you  Zwischenlagen  erreicht 
wird.  Streng  genommen  ist  ein  Giilnzverhalten  hier  vorhanden, 
denn  fassbar  ist  die  Sache  sonst  nicht. 

Auf  Ghrund  der  seitherigen  Erklärungen  werden  nun  drei  Grund- 
sätze aufgestellt,  die  als  solche  eines  Beweises  natürlich  nicht 
bedürfen  sollen.  Sie  heissen:  »Jede  spezielle  Lage  eines  in  einer 
bestimmten  Bewegung  begriffenen  Baumgebildes  ist  auf  eindeutige 
Art  bestimmt.«  »Die  Bewegung,  vermöge  welcher  ein  Raumgebild 
aus  seiner  primitiven  Lage  unmittelbar  in  eine  bestimmte  angren- 
zende Lage  übertritt,  ist  nur  auf  eine  Art  möglich.«  Endlich  »die 
beiden  Bewegungen,  welche  einem  Eaumgebilde  dieselbe  nur  ent- 
gegengesetzt geordnete  Folge  von  Lagen  geben,  erzeugen  ein  und 
dasselbe  Raumgebild.«  Abgesehen  von  der  bereits  oben  berührten 
Schwierigkeit  lässt  sich  gegen  diese  Sätze,  als  Grundlagen,  wohl 
kein  gegründeter  Einwurf  erheben. 

»Linie  heisst  jedes  Raumgebild,  welches  sich  als  der  Inbegriff 
von  Lagen  eines  bewegten  Punktes  ansehen  lässt;  Linienele- 
ment heisst  specieU  dasjenige  Raumgebild,  welches  entsteht,  indem 
ein  Funkt  aus  seiner  primitiven  Lage  unmittelbar  in  eine  angren- 
zende Lage  überitt«  (ohne  Zwisohenpunkte  zu  durchlaufen).  Wir 
sind  also  zum  Differential  der  Länge,  dem  Linienelement,  gelangt. 
Durch  zwei  angrenzende  Punkte  kann  selbstverständlich  nur  ein 
Linienelement  gelegt  werden  und  alle  solche  Elemente  sind  con- 
gruent  (wobei  zwei  Raumgebilde  als  oongruent  erklärt  werden, 
wenn  sie  sich  nur  durch  ihre  Lage  im  Räume  unterscheiden). 
»Gerade  heisst  der  Inbegriff  von  Lagen  eines  Linienelements, 
dessen  Anfangspunkt^ mit  dem  Endpunkt  in  fester  Verbindung  ge- 
dacht zuerst  die  primitive  und  darauf  der  Reihe  nach  jede  neu 
entstehende  Lage  dieses  Linienelements  beschreibt,  während  der 
Endpunkt  allein  vermöge  der  Bewegung  des  Anfangspunktes  seinen 
Ort  im  Baume  ändert.«  Diese  Definition  wird  nun  ausftihrlich  er- 
örtert, was  wohl  auch  sehr  nothwendig  ist,  da  sie  allerdings  rich- 
tig ist,  aber  trotz  alledem  eben  vorauszusetzen  scheint,  man  wisse 
schon,  was  eine  »Gerade«  sei.  Wir  übergehen  die  hieraus  gezoge* 
nen  Folgerungen  und  daran  geknüpften  Erweiterungen  und  heben 
nur  Weniges  heraus:  »unter  der  Richtung  einer  Geraden  im  engem 
Sinne  des  Wortes  versteht  man  den  Verlauf  der  Geraden  in  iht 
selber«,  woraus  folgt,  da  gezeigt  wurde,  dass  jede  Gerade  in  sich- 
selber  denselben  Verlauf  habe,  dass  »jede  Gerade  in  jedem  Punkte 
ihres  Verlaufes  dieselbe  Richtung  hat.«  Was  ist  Verlauf  einer  Ge- 
raden? und  denkt  man  sich  nicht  dieses  wieder  durch  die  Rich- 
tung erklärt?  Eine  etwas  eigenthümliche  Verdeutlichung  finden  wir 
bei  dem  Satze:  »Jede  Gerade  befasst  (enthält?)  nirgends  mehr  als 
zwei  von  einem  Punkte  aus  gezogene  Linienelemente.«  Denken  wir 


Behwari:  Theorie  der  geraden  Lliüe  und  der  Ebene.  68S 

uns  einen  »Strahl« ,  d.  h.  eine  in  einem  Pnnkt  begrenzte  Gerade, 
80  wird  entweder  keiner  der  folgenden  Punkte  mit  einem  früheren 
zasammentreffen^  wo  dann  der  Satz  sofort  klar  ist,  oder  es  wird 
ein  solches  Znsammentreffen  stattfinden.  Nun  wird  gezeigt,  dass 
in  diesem  Falle  die  Gerade  ein  mit  jedem  Punkte  in  sieh  selber 
zurücklaufendes  Baumgebild  wäre.  »Dass  es  nicht  so  sein 
kann^  wird  erst  sp&ter  bewiesen.« 

»Fläche  heisst  jedes  Baumgebild,  welches  sich  als  der  Inbe- 
griff Yon  Lagen  einer  bewegten  Linie,  die  nicht  sämmtlich  in  ein 
und  dieselbe  Linie  fallen,  ansehen  lässt.  Körperlicher  Baum 
heisst  jedes  Baumgebild,  welches  sich  als  der  Inbegriff  Yon  Lagen 
einer  bewegten  Fläche,  die  nicht  sämmtlich  in  dieselbe  Fläche 
fallen,  ansehen  lässt.  Ein  Baumgebild  heisst  um  einen  fest  mit  ihm 
yerbundenen  Punkt  gedreht,  wenn  es  unter  Festhaltung  dieses 
Punktes  aus  einer  bestimmten  Anfangelage  allmälig  in  eine  be- 
stimmte Endlage  übergeht.  Wir  haben  diese  Erklärungen  hier  zu- 
sammengestellt,  da  man  gegen  dieselben  wohl  Nichts  einwenden 
kann.  Als  Grundsatz  wird  dazu  gefügt:  »Die  Lage  eines 
Punktes  im  Baume  kann  immer  durch  Drehung  geändert  werden«, 
woraus  sofort  folgt,  dass  man  eben  die  Lage  eines  jeden  Baum- 
gebildes durch  Drehung  ändern  kann,  da  dazu  die  Aenderung  der 
Lage  eines  Punktes  desselben  genügt. 

»Ein  ebenes  Winkelelement  oder  auch  Winkelelement 
schlechthin  heisst  dasjenige  Baumgebild,  welches  entsteht,  indem 
ein  Strahl  unter  Festhaltung  seines  Ausgangspunktes  aus  einer  be- 
stimmten Anfangslage  unmittelbar  (d.  h.  ohne  Durchlaufung  irgend 
welcher  Zwischenlage)  in  eine  bestimmte  angrenzende  Lage  über- 
tritt.« Das  ist  ersichtlich  dieselbe  Erklärung,  wie  für  das  Linien- 
element, auch  entsteht  aus  dem  Winkelelement  durchaus  in  der- 
selben Weise  die  Ebene,  wie  die  Gerade  aus  dem  Linienelement. 
Man  braucht  oben  (in  der  betreffenden  Erklärung)  nur  für  Linien- 
element: Winkelelement,  für  Anfangs-  und  Endpunkt:  Anfangs- 
und Endschenkel  zu  setzen.  Gelegentlich  gefragt,  wäre  es  nicht 
zweckmässiger,  statt  »Schenkel«  eines  Winkels  »Seiten«  zu  setzen? 
Natürlich  wiederholen  sich  die  frühem  Sätze  auch  hier  wieder. 

»Unter  Winkel  versteht  man  die  Grösse  der  Bewegung,  ver- 
möge welcher  der  eine  Ebene  beschreibende  Strahl  aus  einer  be- 
stimmten Anfangslage  allmälig  in  eine  bestimmte  Endlage  über- 
geht.« Was  ist  aber  »die  Grösse  der  Bewegung«?  »Jedes Wiukel- 
element  lässt  sich  unter  Festhaltung  eines  befassten  Strahles  aus 
einer  bestimmten  Anfangslage  unmittelbar  in  eine  angrenzende 
Lage  überführen.«  Aus  diesem  Grundsätze,  d.  h.  dem  der  Dreh- 
ung um  eine  Axe  wird  die  Erklärung  des  räumlichen  Win- 
kelelements gefolgert,  »welches  cntstoht,  wenn  ein  ebenes  Win- 
kelelement unter  Festhaltung  eines  Sckenkelstrahls  unmittelbar  in 
eine  angrenzende  Lage  übertritt.«  Aus  dem  räumlichen  Winkel- 
elomeat  entsteht  der  »Ebenenbüschel«  gerade  so,  wie  dieGe* 


634  Sehwarg:  Tbeorit  der  geraden  Linie  vnd  der  Ebene. 

rade  ans  dem  Linienelement  und  die  Ebene  ans  demWinkelelemont. 
Dabei  ergeben  sich  dann  die  Erklärongen  der  Flftcbenwinkel  u.  s.  w. 
Neben  der  Congruenz,  die  bei  den  frühem  Gebilden  allein  er* 
sohien,  tritt  jetzt  noch  die  Symmetrie  auf.  Jeder  YoUatändige 
Ebenenbüschel  fällt  mit  dem  allgemeinen  Baum  zusammen,  so  dass 
man  von  dem  Punkte  bis  zum  allgemeinen  Baume  aufgestiegen  ist, 
und  es  ist  unmöglich,  durch  Bewegung  eines  Ebenenbüschels  eine 
Lage  des  bewegten  Baumgebildes  zu  erhalten,  die  sich  Ton  der 
anfänglichen  unterscheidet. 

Die  obigen  Sätze  enthalten  die  Qrunderklärungen  und  An- 
schauungen; die  weitem,  die  wir  natürlich  nicht  alle  anfllhran 
können,  da  unsere  Anzeige  nicht  ein  Abdruck  der  Schrift  seinsoU, 
befassen  sich  nun  mit  den  Eigenschaften  der  erklärten  Gebilde. 
Ein  Strahl  geht  ins  Unendliche,  ohne  je  in  einen  frühem  Punkt 
zurückzukehren;  zwei  von  demselben  Punkte  ausgehende  Strahlen 
haben  keinen  weitem  Punkt  gemeinschaftlich ;  zwischen  zwei  Punk- 
ten kann  eine  Gerade  gezogen  werden,  aber  auch  nur  eine  u.  s.  w. 
Aehnliche  Sätze  werden  für  die  Ebene  aufgestellt  und  erwiesen. 
»Kreislinie  heisst  diejenige  Linie,  welche  während  der  Erzeu- 
gung einer  Ebene  ein  bestimmter  Punkt  des  bewegten  Strahles 
beschreibt.  Eugelfläche  heisst  diejenige  Fläche,  welche  die 
Peripherie  eines  Halbkreises  yermöge  einer  vollständigen  Umdrehung 
um  den  begrenzenden  Durchmesser  als  Axe  beschreibt.«  Sodann 
folgen  Sätze  über  die  Yerbindimg  von  Ebenen  und  Geraden,  unter 
denen  natürlich  die  in  den  Elementen  der  Stereometrie  her- 
kömmlich aufgeführten,  so  weit  sie  sich  hieher  eigneten,  auch  ent- 
halten sind,  wie  Senkrechte  auf  Ebenen,  senkrechte  Lage  der  Ebe- 
nen gegen  einander  u.  s.  w. 

»^enn  irgend  eine  Ebene  und  eine  darauf  Senkrechte  in  fester 
Verbindung  mit  einander  gedacht  und  letztere  in  sich  selber  yer- 
schoben  j^rird,  so  erlangt  die  Ebene  eine  unendliche  Folge  Yon  ein- 
ander verschiedener  Lagen,  deren  keine  mit  den  übrigen  einen 
Punkt  gemeinsam  haben  kann.«  Dies  wird  aus  dem  Satze  erwiesen, 
dass  auf  dieselbe  Gerade  nicht  zwei  Senkrechte  von  demselben 
Punkte  des  Baumes  aus  gezogen  werden  können.  Solche  Ebenen 
heissen  parallel.  Eine  Gerade  ist  einer  Ebene  parallel >  wenn 
sie  in  einer  Parallelebene  zu  letzterer  enthalten  ist,  sie  ^so  nie 
treffen  kann.  »Zwei  Gerade  heissen  einander  parallel,  wenn  sie  in 
einer  Ebene  liegen  und,  soweit  man  sie  auch  verlängern  mag, 
keinen  gemeinsamen  Punkt  haben.«  Daraus  folgt  sofort,  dass  die 
Durchsehnittslinien  zweier  paralleler  Ebenen  mit  einer  dritten  Ebene 
parallel  sind.  »Durch  einen  Punkt  ausserhalb  einer  gegebenen  Ge- 
raden lässt  sich  zu  dieser  immer  eine  parallele  Gerade,  aber  auch 
nur  diese  eine  legen.«  Dieser  Fundamenialsatz  der  Theorie  der 
Parallelen  wird  in  strenger,  natürlich  auf  eine  Beihe  Vordersätze 
beruhenden  Weise  erwiesen  nnd  dann  die  Theorie  der  Parallden 
kurz  angeführt. 


MArtus:  Mnihainfttinclw  Aiafjgft1»en.  Wft 

Was  der  Verf.  hinsichtlich  des  B  er  tr  and 'sehen  Beweises 
sagt,  hätte  —  unserer  Meinung  nach  —  wegbleiben  können.  Denn 
dass  »YöUige  Gleichheit  zwischen  zwei  Grössen  stattfinden  kann, 
auch  wenn  dieselben  sich  nm  eine  Grösse  niederer  Ordnung  von 
einander  unterscheiden«  verwirrt  ganz  unnöthiger  Weise  die  Be* 
griffe,  die  die  Schrift  aufzuklären  bemüht  gewesen  ist« 

Dem  denkenden  Lehrer  der  Mathematik  ist,  wie  wohl  aus 
unsem  Andeutungen  hervorgeht,  die  vorliegende  Arbeit  eines  Mannes 
der  Wissenschaft  und  die  Verbreitung  derselben  auf  dem  Wege 
des  Unterrichtes,  recht  sehr  zu  empfehlen,  da  sie  ihm,  wie  wir 
bereits  Eingangs  unserer  Anzeige  bemerkt,  lehrreiche  Winke  und 
Andeutungen  für  die  Art  der  Darstellung  geben  wird,  wenn  er 
auch  nicht  geneigt  sein  sollte,  ihr  ohne  Weiteres  in  Allem  und 
Jedem  zu  folgen.  Bei  der  durchaus  veränderten  Gestaltung  der 
übrigen  Theile  der  WissenschaE  seit  den  Tagen  der  alten  griechi- 
schen Mathematiker  ist  es,  trotz  der  mit  Recht  hoch  geachteten 
und  als  mustergiltig  aufgestellten  Weise  jener  Männer,  wohl  am 
Platze,  auch  in  der  Geometrie  den  neuen  Anschauungen  Baum  zu 
geben« 


Maihematüeke  Aufgaben  sum  Gebrauche  in  den  obersten  Claeeen 
höherer  Lehranstalten.  Aits  den  bei  Abiturienten' Prüfungen  an 
preussiscJun  Gymnasien  und  Realschulen  gestelUen  Aufgaben 
atsegewähü  und  mit  Hinzufügung  der  Resultate  au  einem  Uebunge^ 
buche  vereint  von  H.  C.  E.  Marius^  Oberlehrer  an  der 
KönigstädtUchen  Realschule  in  Berlin.  I,  Aufgaben.  QreifS" 
loald,  1865.  C.  A.  Koche  Verlagsbuchhandlung.  (XII  u.  IS7  S. 
in  8.J. 

Wie  der  etwas  weitläufige  Titel  der  vorliegenden  Schrift  aus- 
sagt, sind  die  Aufgaben,  welche  dieselbe  enthält,  dem  grössten 
Thoile  nach,  bei  Abiturieuten-Prüfiingen  an  preussischen  Mittel- 
schulen gestellt  worden.  Sie  sind  gesammelt  aus  den  durch  die 
Schulprogramme  von  1857  —  1862  veröffentlichten  derartigen  Auf- 
gaben, nebst  den  frühern  Prüfungsarbeiten  der  altern  Berliner 
Gymnasien  bis  1832  zurück.  Da  nicht  alle  preussisehen  Mittel- 
schulen Programme  veröffentlichen,  welche  die  fraglichen  Aufgaben 
enthalten,  so  sind  auch  die  Provinzen  des  Staates  ungleich  in  der 
vorliegenden  Sammlung  vertreten.  Zwei  Drittheile  der  benutzt<en 
Aufgaben  stammen  aus  der  Provinz  Brandenburg,  und  von  diesen 
wieder  zwei  Drittel  aus  Berlin  selbst.  Neben  diesen  thatsächUch 
gestellten  Au%aben  hat  übrigens  der  Verf.  selbst  viele  neu  gebil- 
det. Wo  sieh  in  dem  gesammelten  Material  Lücken  zeigen,  indem 
ontwedar  einzelne  Abtheilungen  schwach  oder  gar  nicht  vertreten 
waren,  bat  er  diese  Lücken  durch  eigene  Arbeit  aasgefallt;  eben 
^  hat  «r  die  Zablenbeisjpiele  vielfach  geändert, 


68&  Marina:  MatiiematlBclie  Anfgaban. 

Immerhin  aber  stellt,  wie  der  Verf.  mit  Becht  sagt,  diese 
Sammlang  ein  Stück  Geschiebte  des  prenssischen  Schulwesens  dar, 
das  nur  zu  Gunsten  desselben  spricht,  da  die  hier  aufgeführten 
Aufgaben  so  vielseitig  und  zum  Theil  weitgehend  sind,  dass  da- 
durch das  beste  Zeugniss  fCbr  die  grosse  Beachtung  ausgestellt  ist, 
die  den  mathematischen  Wissenschaften  geschenkt  wird.  Die  » Auf- 
lösungen €  zu  den  einstweilen  yeröfifentlichten  Aufgaben  werden  in 
kurzer  Zeit  nachfolgen. 

Die  Eintheilung  der  ganzen  Sammlung  geschah  nach  der  all- 
gemeinen Eintheilungsweise  der  Elementar-Mathematik :  Geometrie 
und  zwar:  Planimetrie,  Trigonometrie,  Stereometrie,  analytische 
Geometrie;  Arithmetik  und  zwar:  Algebra,  niedere  Analysis  und 
endlich  Aufgaben  aus  der  Physik. 

Die  Aufgaben  aus  der  Planimetrie  sind  zunächt  einige 
(18)  Lehrsätze  aus  allen  Theilen;  dann  Gonstruktions- Aufgaben, 
welche  das  Dreieck,  Viereck,  den  Kreis  in  allen  Richtungen  be- 
treffen. Femer  Aufgaben  aus  der  rechnenden  Geometrie,  welche 
wieder  Dreieck  und  Kreis,  so  wie  auch  Stereometrie  behandeln, 
denen  dann  Zahlenbeispiele  zugegeben  sind.  Die  ebene  Trigo- 
nometrie bringt  zuerst  einige  Aufgaben  der  Goniometrie,  dann 
Auflösung  trigonometrischer  Gleichungen;  Berechnung  der  Dreiecke 
(Seiten,  Winkel,  Höhen,  Inhalt,  Transversalen),  der  ein-  und  um- 
schriebenen Kreise,  der  Vierecke,  Vielecke  und  des  Kreises  je  mit 
Zahlenbeispielen;  angewendet  wird  die  Trigonometrie  auf  Berech- 
nung von  Längen  und  Entfernungen.  Die  sphärische  Trigo- 
nometrie enthält  theoretische  Aufgaben  und  dann  Anwendungen 
in  der  mathematischen  Geographie;  doch  sind  diese  Aufgaben  als 
ttber  das  »Pensum  der  Gymnasien  hinausgehend«  bezeichnet.  Die 
Stereometrie  ist  reichlicher  bedacht;  die  Aufgaben  betreffen 
die  Tetraeder;  Pyramiden  überhaupt;  Prismen  aller  Art;  Kegel 
allein  oder  in  Verbindung  mit  der  Kugel,  vollständig  oder  abge- 
stumpft; zusammengesetzte  Körper;  Zylinder;  Kugel  (voUe,  Ab- 
schnitt, Zone,  Ausschnitt);  Kugel  in  Verbindung  mit  einem  Kegel; 
die  regelmässigen  Körper.  Maxima  und  Minima  aus  der  Stereo- 
metrie, Planimetrie,  Kurvenlehre,  Physik  werden  diesen  Aufgaben 
angefügt.  Die  Coordinaten-Geometrie  enthält  Aufgaben 
aber  gerade  Linie;  Kreis;  Parabel  (Parabelsegment,  Paraboloid) ; 
Ellipse  (EUipsoid) ;  Hyperbel. 

Die  Arithmetik  führt  zuerst  aus  der  Algebra  eine  Beihe 
von  Gleichungen  aller  Art  auf;  dann  »Gleichungen,  in  Worten  ge- 
geben«, mit  allgemeinen  oder  besondem  Zahlzeichen,  in  arithmeti- 
scher oder  geometrischer  Einkleidung;  diophantische  Gleishungen; 
höhere  algebraische  Gleichungen;  transzendente  Gleichungen. 

Aus  der  niederen  Analysis  sind  die  arithmetischen  Pro- 
gressionen erster  und  höherer  Ordnung,  dann  die  geometrischem. 
Progressionen  reichlich  bedacht ;  Zinseszinsrechnung  mit  allen  ihren 
ünterabtheilungen,  nebst  Bentenrechnung  liefern  die  nächsten  Auf» 


Föaiix:  ElemoDtare  Plaiümetrie.  6S7 

gaben ;  eben  so  über  Eettenbrüche,  Gombinationslehre,  Wahrscbein- 
licbkeitsrecbnnng  und  Anwendung  des  binomisehen  Satzes  (selbst 
für  gebrochene  Exponenten,  was  doch  zu  weit  geht);  den  Schluss 
bilden  einige  Aufgaben  über  unendliche  Reihen. 

Der  Natur  der  Sache  nach  sind  die  Aufgaben  aus  der 
Physik  am  wenigsten  zahlreich,  Sie  yertheilen  sich  auf  Mechanik 
(Hebel,  Schwerpunkt,  freier  Fall,  Gravitation,  senkrechter  Wurf, 
schiefe  Ebene,  schiefer  Wurf,  Schwungkraft,  Pendel,  specifisches 
Gewicht,  Luftdruck) ;  Wärmelehre  (Strahlung,  Ausdehnung,  Wärme- 
capazit&t,  Dampfmaschine) ;  Optik  (Beflexion,  Hohlspiegel,  Prismen, 
Linsen,  Begenbogen). 

Abgesehen  davon,  dass  diese  Aufgabensammlung  zur  Beurthei- 
lung  des  wissenschaftlichen  Gehaltes  der  preussischen  Mittelschulen 
von  grossem  Werth  ist,  empfiehlt  sie  sich,  neben  den  sonst  schon 
bestehenden  vortrefFlichen  solchen  Sammlungen,  immerhin  durch  die 
Beichhaltigkeit  ihres  über  alle  Theile  der  elementaren 
Mathematik  sich  erstreckenden  Inhalts.  Mit  den  »Auflösimgenc, 
^  die  wir  erwarten,  bilden  sie  für  die  Hand  des  Lehrers,  so  wie  des 
Schülers,  der  sich  selbst  üben  will,  ein  hoch  zu  schätzendes  Material. 


Tjehrbueh  der  demeniaren  Planimürie  van  Dr.  B.  F4auz,  Ohtr^ 
lihrer  am  Gymnasium  zu  Paderborn.  Dritte  verbesserte  Auf" 
läge.  Paderborn^  Yerlag  vtm  Ferd.  Schömngh.  1866.  (1928.  6.) 

Die  hier  bezeichnete  Schrift  behandelt  die  elementare  Plani- 
metrie in  demjenigen  Umfange,  der  dem  Studienplan  der  preussi* 
sehen  Gymnasien  entspricht.  Nach  den  vom  Verf.  gemachten  An- 
gaben ist  in  der  zweiten  und  dritten  Auflage  der  Umfang  des 
Buches  selbst  jeweils  etwas  verringert  worden,  da  derselbe  jenem 
ersten  wohl  nicht  ganz  entsprach;  immerhin  haben  wir  aber  eine 
vollständige,  für  die  hier  verfolgten  Zwecke  durchaus  genügende 
Darstellung  vor  uns.  Wenn  der  Verf.  (im  Vorwort  zur  ersten  Auf- 
lage, die  aber  natürlich  hier  noch  immer  Geltung  haben  soll)  sagt, 
dass  »in  der  Verschmelzung  der  strengen  synthetischen  Form  der 
alten  Geometer  mit  der  elastischen  Anschauung  der  neuem  die 
Geometrie  zu  einem  Bildungsmittel  werde,  das  die  Geister  der 
studirenden  Jugend  für  ein  scharfes  und  rasches  Auffassen  des  ein- 
zelnen Gedankens  und  ganzer  Gedankenreihen  zubereiten  hilft«,  so 
darf  ein  Freund  der  »Alten«,  nicht  vor  dem  Buche  gleich  von  vom 
herein  erschrecken:  der  Veif.  hat  von  der  synthetischen  strengen^ 
Methode  noch  genug  beibehalten,  und  —  wie  wir  meinen  —  mit 
Becht.  Eines  oder  das  Andere  der  »elastischen  Anschauungen«  haben 
wir  vielleicht  zu  tadeln ;  es  gibt  nun  einmal  keinen  besondem  Weg 
zur  Geometrie  für  die  Könige,  und  die  unerbittlich  strenge  Form 
der  alten  Griechen  ist  immer  ein  nachzuahmendes  Muster,  auf  das 


6dS  FAanx:  ElementAre  Plaatnetrie. 

man,  wenn  man  auch  einmal  davon  abirrte,  stets  wieder  KnrtLck- 
kommt. 

Von  der  geraden  Linie  sagt  das  Bnch  aus,  dass  sie  »offenbar€ 
der  kürzeste  Weg  von  einem  Punkte  zum  andern  (den  sie  mit  jenem 
verbindet)  sei.  Wir  halten  diesen  Ausspruch  nicht  für  geeignet, 
abgesehen  davon,  dass  er  gar  nicht  nothwendig  ist.  Allerdings  be» 
weist  der  Verf.  (S.  14)  den  Satz,  dass  zwei  Seiten  eines  Dreiecks 
zusammen  grösser  sind  als  die  dritte,  mittelst  dieser  »offenbaren« 
Wahrheit ;  man  kann  das  aber  bekanntlich  streng  erweisen  und  von 
da  aus  den  ausgesprochenen  Satz.  Wenn,  sagt  der  Verf.,  ein  Punkt 
sich  so  bewegt,  dass  er  die  einmal  angenommene  Richtung  immer 
beibehält,  so  beschreibt  er  eine  gerade  Linie.  Das  genügt,  und  mehr 
muss  man  nicht  annehmen. 

Unter  »Grad«  versteht  das  Buch  den  360.  JTheil  des  Ereia- 
umfangs  (S.  9),  und  unterscheidet  zwischen  Länge  und  Orösse 
eines  Kreisbogens.  Offen  gestanden  ist  das  etwas  spitzfindig.  »Das 
Maass  der  Drehung  (bei  einem  Winkel)  ist  gegeben  durch  die  Grösse 
desjenigen  Kreisbogens,  der  um  den  Scheitel  als  Centmm  mit  einem 
beliebigen  Halbmesser  zwischen  den  Schenkeln  beschrieben  ist.« 
Wozu  braucht  man  sich  jetzt  noch  (S.  73)  »durch  das  Mittel  der 
Deckung  zu  überzeugen,  dass  gleichen  Centriwinkeln  eines  Kreises 
gleiche  Bogen  entsprechen«?  Das  ist  doch  wohl  in  obiger  Erklärung 
angenommen,  trotz  der  Unterscheidung  zwischen  Länge  und  G^r5sse? 

Die  Lehre  von  den  ebenen  Figuren  beginnt,  wie  natürlich,  mit 
dem  Dreieck.  Der  Satz  von  der  Summe  der  drei  Winkel  wird  in 
der  sehr  anschaulichen  Weise  von  Thibaut  dargestellt,  darauf  das 
Verhalten  von  Seiten  und  Winkeln,  sowie  die  Kongruenzsätze  nach- 
gewiesen. Parallele  Linien  wurden  (S.  7)  als  solche  erklärt,  die 
sich  nicht  schneiden;  nunmehr  (S.  24)  sind  es  Gerade,  die  einen 
Winkel  Null  machen.     Das  ist  nicht  ganz  dasselbe. 

Die  hier  nun  vorkommende  Unterscheidung  von  zweierlei  NuDen, 
einer  absoluten  und  einer  relativen  muss  den  jmigen  Schülern 
höchst  absonderlich  erscheinen,  zumal  diese  Unterscheidung  »nicht 
sowohl  objectiv,  als  subjectiv«  ist.  Relative  Nulle  heisst  der  Verf. 

den  Werth  von-  fUr  ein  unendlich  grosses  a«  Man  sieht,  er  verhüllt 

oder  verwechselt  den  Gränzbegriff  in  einer  dem  klaren  Verständniss 
Eintrag  thuenden  Weise.  Was  die  »Maurer  und  Zimmerleute«  in 
der  Praxis  thun,  hat  die  grieschischen  Geometer  in  ihren  Schriften 
nicht  berührt.  Den  Beweis,  dass  parallele  Gerade  überall  gleich 
weit  entfernt  sind  (S.  28)  führt  das  Buch  als  »leicht«  nicht. 

Das  Yiereck  mit  seinen  einzelnen  Arten,  die  Mittellinie  mit 
einer  Reihe  wichtiger  Sätze  werden  untersucht  und  dann  die  be- 
kannten Konstruktions-Aufgaben  gelöst.  Alles  in  klarer,  deutlicher 
Weise.  Die  vier  »merkwürdigen  Punkte«  des  Dreiecks  (Durch- 
schnittspunkte der  drei  Höhen,  Mittellinien,  Winkelhalbirungslinien, 
Senkrechten  in  den  Mitten  der  Seiten)  werden  gleichfalls  nachge- 
wiesen, und  dann  die  Hauptsätze  der  Yieleckslehre  behandelt« 


Kag«l:  Sben«  Geometrie.  ttf 

Hieran  sohliesst  sich  der  Kreis;  die  GleicUieit  und  Ansmessimg 
der  Figuren»  wobei  z.  B.  auch  die  Formel  für  die  Berechnung  eines 
Dreiecks  ans  seinen  drei  Seiten  yorkommt ;  die  Proportionalität  der 
Linien;  die  Aehnlichkeit  derFignren  mit  Anflösong  von  Aufgaben, 
Bereohnnngsanfgaben  (namentlich  ein-  und  nmgesehriebene  Kreise) ; 
die  Flftohenränme  ähnlicher  Figuren;  Yerwandlong  und  Theilnng 
der  Figuren;  die  harmonische  Theilung. 

Die  Beweise  sind  durchweg  klar  geführt  und  überall  ist  auf 
die  Umkehruug  der  Sätze  die  gebührende  Rücksicht  genommen 
worden.  Wenn  (S.  67)  die  krumme  Linie  »als  aus  zahllosen  un- 
endlich kleinen  geraden  Linien  bestehende  angesehen  wird,  so  ge- 
hört das  wieder  zu  den  glücklicher  Weise  nur  selten  im  Buche 
Yorkommenden  »elastischen  Anschauungen«. 

Auch  Yon  der  »algebraischen  Geometrie  €  d.  h.  also  von  der 
Konstruktion  algebraischer  Ausdrücke  gibt  das  Buch  eine  kurze 
durch  Beispiele  erläuterte  Darstellung;  betrachtet  dann  die  regu- 
lären Figuren  mit  Rücksicht  auf  den  Kreis  und  sucht  die  Berech- 
nxmg  des  Kreisumfenges  mittelst  der  »Exhaustionsmethodet,  d.  h, 
mit  unserer  heutigen'  Gränzmethode.  Einen  Anhang  bilden  die 
geometrischen  Oerter,  durch  Begriff  und  Beispiele  dargestellt. 

Wenn  wir  auch  einigen  Besonderheiten  widersprachen,  so  geht 
schon  aus  dem  Gesagten  heryor,  und  wir  wiederholen  es  schliesslich 
ausdrücklich,  dass  wir  das  vorliegende  Buch  für  ein  zweckmässig 
eingerichtetes,  mit  der  gehörigen  Klarheit  und  Schärfe  in  den  Be- 
weisen durchgeführtes  ansehen,  und  überzeugt  sind,  dass  junge 
Studirende  dasselbe  mit  entschiedenem  Nutzen  für  ihre  mathema* 
tische  Ausbildung  gebrauchen  werden.  Durchdrungen  ron  der  Wich- 
tigkeit der  »Gränzmethode«  für  die  höhere  Mathematik  wünschen 
wir  auch  nirgends  in  den  Elementen  Begriffe  eingeführt  oder  Sätze 
ausgesprochen,  die  der  Zukunft  verwirrend  vorgreifen.  Das  der  Grund 
unserer  oben  gelegentlich  ausgesprochenen  gegentheiligen  Meinung. 


Lehrbuch  der  ebenen  Oe&meirie  »um  Oebrauehe  bei  dem  Unterricht 
in  Real-  und  GymnasialrAfuiaUen  vcn  Dr.  Chr.  H^  Naget 
Eeehr  der  Reed-Amtaä  in  Ulm.  Elfte  vermehrte  Auflag  MU 
200  in  den  Text  eingedruckten  HolxsehniUen.  Ulm  7865.  Ferw 
leuf  der  Wähler^ sehen  Buchhandlung  (X  u.  148  8.  in  8}.  Dasut 
Ereter  Anhangt  Lehrsätze  und  Aufgaben  sti  Uebungen  im 
Selbstaufßnden  von  Beweisen  und  ConetrukUonen  (70  8,). 
Zweiter  Anhang:  Aufgaben  au  Uebungen  in  geometrieehen  Bt- 
reehnungen  (öl  8,). 

Hat  eine  Schriffc  über  elementare  Mathematik  bei  der  Masse 
von  Werken  dieser  Art  einmal  elf  Auflagen  erlebt,  so  hat  sie  da- 
durch eine  Art  Freischein  gegen  die  Kritik  sich  erworben,  der  von 


640  K«gel:  Ebene  Geometrie. 

letzterer  auch  zu  acliteu  ist.  Derselbe  kann  sich  freilich  manchmal 
auf  Gründe  stützen,  die  nicht  gerade  besonders  zu  loben  sind;  in 
der  Eegel  ist  aber  doch  eine  so  bedeutende  Verbreitung  eines  Lehr- 
buchs ein  Beweis  seines  innem  Werthes.  Das  ist  denn  auch  bei 
dem  vorliegenden  Buche  der  Fall,  das  seinen  Gegenstand  klar  und 
deutlich,  dabei  auch  mit  angemessener  Yollsülndigkeit  behandelt. 
Wir  rechten  nicht  mit  einem  Verfasser  über  die  Anordnung  ein- 
zelner Sätze,  denn  wir  halten  dafür,  dass  eine  solche  sehr  mannig- 
faltig sein  und  doch  den  Endzweck  mathematischer  Bildung  er- 
reichen kann.  Nur  Eines  ist  natürlich  immer  zu  fordern:  strenge 
Folgerichtigkeit.  Wenn  wir  gegenüber  dem  Buche,  das  wir  be- 
sprechen, AussteUungeu  machen  wollten,  so  würden  wir  thatsäcbi- 
lieh  nur  Weniges  der  Art  finden,  das  wir  theilweise  andeuten  wollen. 

Bei  »Parallellinienc,  die  als  solche  erklärt  werden,  die  sich 
nicht  schneiden,  wird  als  geradezu  aus  der  Definition  folgend  an- 
genommen, dass  sie  gleiche  Richtung  haben,  also  eine  dritte  Gre- 
rade  unter  denselben  Winkeln  schneiden.  Das  lässt  sich  bestreiten. 
Bei  der  Theorie  der  Parallelogramme  namentlich  haben  wir  die  Um- 
kehrungeu  der  einzelnen  Sätze  ungern  vermisst,  da  sie  einer  einiger^ 
massen  erschöpfenden  Darstellung  nothwendig  einzureihen  sind.  Die 
geometrischen  Beweise  für  die  Ausdrücke,  die  sich  durch  Entwick- 
lung von  (a  +  b)*,  (a  — bP,  (a-[-b)(a  — b)  ergeben  (S.  45)  halten 
wir  für  überflüssig. 

Dass  der  Verf.  gezwungen  war,  ein  Buch  »Proportionenlehre« 
einzufügen,  rührt  von  seiner  (altherkömmlichen)  Bezeichnung  der 
Proportionen  (a: b  =  c:d)  her.  Warum  zieht  er  nicht  vor,  die 
Form  der  Brüche  (und  deren  Gleichsetzung)  anzuwenden,  die  durch- 
weg die  Betrachtung  und  die  Beweise  vereinfacht. 

Das  sind  einige  Punkte,  die  der  Verf.  vielleicht  hätte  ändern 
können,  und  über  die  er  unsere  Bemerkungen  nicht  ungerechtfertigt 
finden  wird.  Sonst  aber^  wiederholen  wir,  ist  die  Schrift  ein  durch- 
aus zweckmässiges  Lehrbuch,  das  mit  der  Anleitung  eines  tüchti- 
gen Lehrers  für  die  Schülerkreise,  denen  es  bestimmt  ist,  von  ent- 
schieden guter  Wirkung  sein  muss. 

Der  »erste  Anhang«  ist  dem  Buche  selbst  beigeheftet.  Er  zer- 
fällt in  fünf  Abtheilungen,  die  Lehrsätze  und  Aufgaben  zu  den  ein- 
zelnen Abtheilungen  (Büchern)  des  Werkes  selbst  enthalten.  Der 
»zweite  Anhang«  ist  als  besondere  Schrift  ausgegeben  und  enthält 
eine  grosse  Anzahl  Uebungsaufgaben  zu  numerischen  Berechnungen.- 
Dieser  Anhang  erscheint  zur  elften  Auflage  des  Buches  zum  ersten 
Male  und  wird  auch  in  Kreisen,  die  das  Buch  selbst  nicht  an- 
schaffen wollen,  von  Werth  sein. 

Dr.  J.  Dienger. 


Sx.  41.  HEIDElBEßGEK  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Die  Grenzen  utuL  der  Ursprung  der  mensehiiehen  Erkenniniee  im 
Qegensatst  »u  Kant  und  Hegd.  NcUunütstiaeh^teleologiseke 
Durchführung  des  meehanisehen  Principe  van  Dr.  Hein  rieh 
Czolbe,  Arzt  in  Königsberg.  Jena  und  Leipzig.  Hermann 
Costenoble.  1866.  VUI  und  282  8.  gr.  8. 

Man  hat  den  durch  eine  Reihe  von  Schriften  bekanntan  Herrm 
Verf.  einen  Materialisten  genannt.  Noch  im  Jahre  1862  zählt  ihn 
Friedrich  van  Calker  in  seinem  Programm  über  den  Za- 
sammenhang  der  Philosophie  und  der  NatorwissentSehaften  nnd 
Mathematik  zu  den  Materialisten  nnd  gewiss  mit  Beoht.  öiebt  der 
Herr  Verf.  doch  in  seiner  »Entstehung  des  Selbstbewusstseias« 
(1856)  folgende  Definition  vom  Menschen:  »Der  Mensch  ist  nichts 
weiter,  als  ein  aus  den  yerschiedenartigsten  Atomen  in  künstlori- 
scher  Form  mechanisch  zusammengefügtes  Mosaikbild,  c  In  der 
vorliegenden  Schrift  nun  sagt  er  sich  vom  Materialismus  los« 
»Ich  bin,  heisst  es  S.  VI,  von  dem  Irrthum  zurückgekommen,  dass 
sich  aus  der  Materie  Empfindungen  und  Gefühle  ableiten  lassen. < 
^....  »Wenn  ich  auch  mit  dem  sittlichen. Princip  des  Materialismus, 
der  Zufriedenheit  mit  der  einen,  alles  Wahre,  Schiene  und  Gute 
umfassenden  Welt  übereinstimme,  so  doch  nimmermehr  mit  seinem 
ganz  unfruchtbaren  Erklärungsprincipe :  der  Ableitung  der  Orga* 
nismen  und  des  Geistes  aus  der  einen  Materie.  Diess  Princip  ist 
ein  Irrthum,  der  unbedingt  aufgegeben  werden  muss.«  S.  VII: 
»Meine  durch  und  durch  mechanische  Auffassung  der  Welt  ist  keine 
materialistische.  Es  ist  im  Gegentheiie  keine  gründlichere  Widern 
legung  des  Materialismus  denkbar,  als  die  von  mir  gegebene. € 
S^hen  wir  zu,  ob  imd  in  wie  fem  dem  Herrn  Verf.  diese  Wider- 
legung des  Materialismus  gelungen  ist. 

Das  ganze  Buch  zerfUlt  in  fünf  Kapitel. 

Im  ersten  Kapitel  (S.  1—58)  wird  das  »durch  die  m^g« 
liohste  Vollkommenheit  bedingte  Glück  jedes  fühlenden 
Wesens«  als  letzter  Zweck  der  Welt  oder  als  »ideale  Grenze 
der  Erkenntnisse  bezeichnet.  Zum  Grundprincip  der  Moral  und  des 
Rechtes  wird  das  Streben  nach  solchem  Glücke  gemacht  und  die- 
ses wesentlich  von  dem  einseitigen  Streben  nach  sinnlichem  Glücke 
und  von  dem  einseitigen  Egoismus  unterschieden.  Das  Gefühl  des 
Glückes  ist  entweder  ein  sinnliches  oder  materielles  des  normalen,  ge- 
sunden Organismus  bei  der  Befriedigung  seiner  sinnlichen  Bedürf- 
nisse oder  ein  geistiges,  das  drei  verschiedene  Gesichtspunkte  hat. 
Das  geistige  Glück  geht  nämlich  aus  der  Be^edigung  enjtweder 
liVm.  Jahrg.  9.  Heft  41 


644    Ofolbat  Qmawk  und  Ursprung  der  mensoUicli«n  Srktnntiiiaa. 

ein  künftiges  Leben  zu  erwarten  haben.«  Die  Zahl  der  Armen, 
der  nnverschnldet  körperlich  nnd  geistig  Leidenden ,  der  Gebredb- 
liohen  nnd  von  Missgeschicken  Veriolgten  ist  gewiss  nicht  gering 
nnd  darf  entschieden  als  grösser  angeschlagen  werden,  als  die  Zahl 
der  GlüCKÜchen.  Was  soll  dem  Menschen,  der  sich  nicht  helfen 
kann  nnd  dem  andere  nicht  helfen  wollen,  die  Oewissheit,  dass  es 
keine  göttliche  Hülfe  für  ihn  giebt?  Weckt  eine  solche  Oewissheit 
das  Selbstvertranen?  Führt  sie  nicht  eher  zum  Selbstmorde,  wenn 
er  weiss^  dass  das  Jammerleben  für  ihn  damit  für  immer  ein  Ende 
nimmt?  Weckt  diese  Gewissheit  die  Menschenliebe?  Wer  weiss, 
dass  es  nach  diesem  Leben  zu  Ende  geht,  der  wird  es  so  lange  and 
so  viel  als  möglich  zu  geniessen  suchen,  der  sucht  Alles  für  si^h 
und  nichts  für  den  Andern  zu  verwenden,  da  er  ja  kein  Leben 
mehr  hinter  sich  annimmt.  Die  Armen  werden,  weil  sie  nur  den 
diesseitigen  Genuss  haben,  sich  ihn  überall  möglichst  mit  allen  Mit- 
teln zu  rerschaffen  suchen.  Der  dem  Menschen  angeborene  Grand- 
trieb der  Selbsterhaltung  wird  auch  der  Grandtrieb  der  Leiden- 
schaften als  Selbstsucht  werden.  Die  Selbstsucht  aber,  die  nur  für 
Oenuss  und  Glück  dieser  Welt  zu  arbeiten  hat,  ist  der  Menschen- 
liebe diametral  entgegengesetzt.  Wer  wird  sich  für  einen  Andern 
aufopfern  wollen,  der  mit  diesem  Leben  sein  ganzes  Leben  verUert? 
Der  Wegfall  des  übernatürlichen  Himmels  soll  der  »kräftigste 
Sporn«  zur  Verwirklichung  des  Himmels  auf  der  Erde  sein.  Wir 
zweifeln  sehr  daran.  Wenn  die  Ueberzeugung  des  Herrn  Y^.  die 
allgemeine  w&re^  so  würden  sich  die  Menschen,  da  weitaus  die 
wenigsten  sind,  was  sie  sein  soUen,  statt  des  Himmels  eine  uner- 
trägliohe  Hölle  auf  der  Erde  bereiten.  Das  Hobbes'sche  bellum 
omnium  contra  omnes  würde  entstehen,  da  Jeder  nur  einen  Himmel, 
den  diesseitigen  Himmel  und  ohne  Angriff  auf  den  andern  auch 
diesen  nicht  haben  könnte.  Wir  glauben  allerdings,  dass  Natura- 
listen, die,  wie  der  Herr  Verf.,  eine  reine  Sittenlehre  aufstellen, 
»besser  sind,  als  die  Gonsequenzen  ihrer  Lehre«,  und  dass  nicht, 
wie  der  Herr  Verf.  bescheiden  beifügt,  das  »Umgekehrte  der  Fall« 
ist.  Aber  die  Consequenzen  eines  solchen  Naturalismus  sind  ge- 
wiss bei  der  Mehrzahl  der  Menschen  die  allerschlimmsten. 

Doch  man  soll  eine  Lehre  nicht  nach  ihren  Folgen,  sondern 
nach  der  Folgerichtigkeit  ihrer  Sätze  beurtheilen.  Sehen  wir  also 
zu,  wie  es  mit  dieser  beschaffen  ist. 

Der  Herr  Verf.  halt  vom  Standpunkt  des  Naturalismus  »unsere 
Handlungen«  für  »durchaus  naturnothwendig«,  »nicht  für  ein  Pro- 
dukt der  vermeintlichen  (sie)  absoluten  WiUensfreiheit  oder  Wahl- 
freiheit zwischen  Gut  und  Böse«  (S.  30).  Damit  soll  nicht  geaagt 
werden,  dass  wir  »ein  ohnmächtiger  Spielball  äusserer  Einflüsse 
tmd  zuftlliger  Zustände  unseres  Körpers  sind.«  Der  Naturalismus 
»behauptet  vielmehr,  dass  die  dem  Menschen  theUs  angeborene^ 
theils  anerzogene,  zum  festen  Abschluss  gekommene  Bichtung.  sei- 
nes Streben^  naob  dem  Guten  oder  nach  dem  ScUeohten  d«h«i 


Csolbe:  Gfeiuwn  und  XJnpnnig  dor  menicliHöhen  ErkMuttalfli.     645 

allmttiig  mit  Nothwendigkeit  entstandener  Oharahter  oder  Wille 
sein  Handeln  in  der  Regel  bestimmt,  nicht  die  ftossern  Ißindrttckec 
n.  8.  w.  Die  »Beactionenc  gegen  die  Eindrücke  -sind  durch  die 
»verschiedenen  Charaktere c  bestimmt.  Wenn  die  Handlungsweise 
des  Menschen,  wie  die  Wirkung  aus  der  Ursache ,  von  dem  mit 
»Nothwendigkeit  entstandenen ,  angeborenen  und  anerzogenen 
Charaktere  abhängt,  so  kann  nicht  nur  von  keiner  »absoluten«,  son- 
dern nicht  einmal  von  einer  relativen  sittlieben  Freiheit  die  Rede 
sein.  Der  Charakter  müsste  im  letzteren  Falle  wenigstens  theil- 
weise  mein  eigenes  Werk  sein;  das  ist  er  aber  nicht,  wenn  er 
nichts  als  die  Frucht  meiner  Geburt  und  Erziehung  ist.  Der  Herr 
Verf.  kann  demnach  auch  nicht  von  Tugend  reden  und  von  sitt- 
lichem Glück,  wie  er  thut,  weil  das,  was  nicht  von  mir,  sondern 
vom  Werke  eines  Andern,  der  Zeuger  und  Erzieher,  kommt,  keine 
Tugend  und  Sittlichkeit  ist.  Seine  Tugendlehre  ist  darum  im 
Widerspruch  mit  seiner  mechanischen  Ansicht  von  der  Freiheit. 
Folgerichtiger,  als  Schopenhauer,  zeigt  sich  der  Herr  Verf.  darin, 
dass  er  vom  »rein  theoretischen  oder  absoluten  Standpunkte«  weder 
»eine  Zureohnungsülhigkeit«,  noch  eine  »Verantwortlichkeit«  ftlr's 
BOse  annimmt.  Er  vertheidigt  diese  nur  »relativ«  oder  »praktische 
d.  h.  »in  Bezug  auf  das  Bestehen  des  Staates  oder  im  socialen 
Leben«  (S.  87).  Der  Herr  Verf.  kann  darum  von  keiner  »sittlichen 
Freiheit«  sprechen;  denn  einmal  hilft  alle  Erziehung  nicht,  den 
angeborenen  Charakter  ganz  zu  beseitigen,  sie  kann  ihn  vieUeicht 
zum  Bessern  lenken;  allein  auch  das  hilft  nichts,  wenn  man  den 
Einfluss  der  Erziehung  nicht  mit  Freiheit  annehmen  oder  zurück- 
weisen kann;  darum  ist  ja  auch  der  anerzogene  Charakter,  wie 
ausdrücklich  behauptet  wird,  »nothwendig.«  Ein  nothwendiger 
Charakter  ist  aber  niemals  »sittlich  frei.«  Es  klingt  fast  komisch, 
wenn  der  Herr  Verf.,  der  den  Gott-  und  ünsterblichkeitsglauben 
bekämpft,  sich  auf  die  Theologen  beruft,  welche  »die  Gnade  Gkttes 
allen  zu  Theil  werden  lassen«  und  damit  seinen  Satz  vertheidigt: 
»Alles  ist  Nothwendigkeit  oder  Bestimmung.« 

Er  entwickelt  ein  »zweifach  sittliches  Yerhältniss  des  Men- 
schen zur  natürlichen  Welt«  und  findet  darin  den  »tiefsten  Grund 
einerseits  der  Theologie,  andererseits  des  Naturalismus  «  Von  einem 
sittlichen  Verhältniss  des  Naturalismus  kann,  wenn  er  die  Hand- 
lungen der  Menschen  als  »natumoth wendige  Producte«  nach  dem 
mechanischen  Princip  erklärt,  eigentlich  keine  Rede  sein.  Das  sitt- 
liche Verhältniss  des  Menschen  zur  natürlichen  Welt  soll  nach  der 
Theologie  nicht  so  rein  sein,  als  nach  dem  Naturalismus.  Die  An- 
nahme einer  zweiten  Welt  nach  dieser  im  Sinne  der  Theologie 
vermehrt  die  Unzufriedenheit  mit  dieser  Welt,  während  der  Natura- 
lismus mit  der  wirklichen  Welt  und  ihrer  Ordnung  zufrieden  ist, 
weil  er  weiss,  dass  es  keine  andere  Welt  giebt,  als  eben  diese.  Ob 
hiedurch  die  Zufriedenheit  erzielt  wird,  ist  eine  grosse  Frage.  Wie 
verhält  es  sich  mit  den  vielen  arbeitsunfähigen ,  kranken ,  axme9| 


94^.   C»^l^«s  0ra»Mii  v&d  Urspnjig  der  mensoblidiMi  Srkoixitniuk 

uagÜtcWcb«!!  M^Btehen  ?  Werden  sie  aa  Zufriedenheit  gewinnaiit 
weim  «ie  keinen  Tröste  keine  Hoffnung  durch  den  Glanben  an  ein 
glücklioheres  Jenseits  haben,  wenn  sie  wissen,  dass  dieser  ihr 
Jammer  im  Diesseits  auch  zugleich  ihr  einziger  Hinunel  ist?  Es 
sind  die  wenigsten  Menschen ,  die  sich  den  Himmel  auf  der  Erda 
bereiten  können« 

Der  Herr  Vert  spricht  sich  gegen  die  materialistische  Be- 
hauptung selbst  aus  (S.  49) i  dass  »die  Macht  der  naturwissan* 
sohafUicben  Thatsaohen  es  sei,  die  beim  Denken  zum  Principe  der 
Ausschliessung  alles  üebematürlichen  nOthige.«  »Ich  war  immer» 
heiast  es  weiteri  überzeugt,  dass  die  Thatsachen  der  äussern  und 
iimern  firfahrung  sehr  vieldeutig  sind  und  auch  durch  Annahme 
einer  zweiten  Welt  theologisch  oder  spiritualistisoh  mit  yollkomme* 
nem  Bechte,  oder  ohne  irgend  einen  logischen  Fehler  gedeutet 
werden  können.«  Doch  will  er,  weil  es  der  Zweck  der  Philosophie 
ist,  die  »Principien  der  Welt  zu  begreifen  oder  zu  erklären«,  »aUee 
unbegreifliche  oder  Unerklärliche« ,  wohin  er  »alles  zur  Annahme 
einer  zweiten  Welt  Führende  oder  das  Uebematürliche,  z.  £.  die 
Unsterblichkeit  der  Seele,  einen  persönlichen  oder  unpersönlichen 
Gott«  rechnet,  »ausschiiessen.« 

Zur  »Ausschliessung  des  üebematürlichen«  berechtigen  ihn 
nicht  die  »naturwissenschaftlichen  Thatsachen«,  »auch  nicht  die 
AUes  begreifen  wollende  Philosophie«,  sondern  »im  tiefsten  Grunde 
die  Moral  (sie),  nämlich  dasjenige  Yerbältniss  des  Menschen  zur 
Weltordnung,  was  ich  Zufriedenheit  mit  der  natürlichen  Welt  ge- 
nannt habe.<  Das  »moraliche  Pflichtgefühl  gegen  die  natürliche 
Weltordnungi  die  Zufriedenheit  mit  derselben«  nöthigt  den  Herrn 
Verf«  »zur  Lttugnung  einer  übernatürlichen  8eele.«  Die  »chemische 
und  physikalische  Beschaffenheit  der  Hinunaterie«  ist  bald  »dem 
religiösen  Bedür&isse«,  bald  »dem  atheistischen«  angemessen.  Das 
ist  die  »Triebkraft«  bei  »allen  Yertretern  des  Naturalismus«,  der 
»desshalb  entschieden  Gefühlssache  ist.«  Bei  »allen  Naturalisten 
ist  es  sicher  der  Fall«,  dass  sie  ihre  Lehre  aus  »dem  Glauben  und 
Gemüth«  nicht  aus  Wissen  und  Verstand«  haben.  »Der  Anfang  der 
Metaphy^  ist  die  Ethik«  (S.  50  u.  51).  Da  hört  freilich  aUer 
Streit  auf,  wenn  man  sich  auf  die  subjective  chemische  und  physi* 
kaiische  Organisation  seiner  Himmasse,  auf  sein  Gefühl,  seinen 
Glauben  und  das  Gemütb,  also  auf  rein  subjective  Bedingungen 
beruft.  Wenn  der  Naturalismus  keine  andere  Stütze  hat,  so  kann 
er  auch  auf  keine  objective  Wahrheit  Anspruch  machen.  Er  kann 
mit  deinjenigen  nicht  rechten,  der  nach  einer  andern  Zusammen- 
setzung des  Birns  eine  andere  Triebkraft,  einen  andern  Glauben, 
ein  anderes  Gefühl  und  Gemüth  besitzt.  Aber  es  ist  ja  haupt« 
sächlich  die  ethische  8eite ,  auf  welche  sich  dieser  Naturalismus 
beruft.  Diese  ethische  Seite  ist  die  Zufriedenheit  mit  der  Welt* 
Ordnung.  Auch  bei  der  grösstmöglichsten  ethischen  Vollkommen- 
hi^it.  l^st  sich  wohl  mit  ßecht  zweifeln,   ob  man  zufrieden   a^m, 


V 


Cflolbet  Ornown  und  TJrspnag  der  meiiMbBolie&  BrkelioliilBft.     M 

kann,  warn  mit  diestm  Dasein  alles  aufhört.  Wie  wenige  Onte 
sind  glttoklicb!  Man  gebe  mit  dem  NataraliBmns  dem  Menscben 
die  (}ewi88heit  einer  Nichtigkeit  seiner  Fortdauer  und  er  wird  mit 
dieser  allein  wirMiohen  Welt  so  wenig  snfrieden  sein,  dass  er, 
wenn  er  Math  genug  besitzt,  das  Leben  wie  eine  ekle  Bürde,  je 
eher,  je  lieber  abschüttelt.  Dass  selbst  die  denkendsten  und  edel« 
sten  Menschen  mit  einer  Welt,  die  nichts,  als  das  kurze  Mensches» 
dasein  bietet,  nicht  zufirieden  sind,  sehen  wir  aus  einer  Aeussemng 
des  grössten  Mathematikers  unserer  Zeit,  des  hochberühmten  Gauss, 
der  »schlicht  und  ein&ch,  wie  ein  Stoiker  lebte  und  an  eine  zweite 
Welt  glaubte.«  Nach  seiner  Lebensbeschreibung  von  Sartorius  von 
Waltershausen  (1856)  sagte  er  einst:  »Wenn  auf  verschiedenen 
Weltkugeln  Geschöpfe,  die  zu  solchem  Genüsse  (dem  Creuusse  des 
Verstandes  und  des  Herzens)  vorbereitet  sind,  nur  entst&nden,  um 
achtzig  bis  neunzig  Jahre  zu  leben,  so  wäre  das  ein  erbärmlieher 
Plan  und  das  Problem  schofel  gelöst.  Ob  die  Seele  achtzig  Jahre 
oder  achtzig  Millionen  Jahre  lebt,  wenn  sie  irgend  einmal  unter- 
gehen soll,  so  ist  der  Zeitraum  doch  nur  eine  Galgenfrist ;  endlich 
würde  es  doch  vorbei  sein  müssen.  Man  wird  daher  zu  der  An- 
sicht gedrängt,  für  die  auch  ohne  eine  streng  wissenschaftliche  Be- 
gründung vieles  Andere  spricht,  dass  neben  dieser  materiellen  Welt 
noch  eine  andere,  rein  geistige  Weltordnung  ezistirt  mit  ebenso- 
viel Manniohfaltigkeiten  als  die,  in  der  wir  leben  und  ihrer 
sollen  wir  theilhaffcig  werden.«  In  ähnlicher  Weise  dachten  auch 
Newton,  Euler,  Johann  Müller  u.  s.  w.  (S.  261).  Wenn 
die  intelligentesten  und  besten  des  Volkes  mit  der  alleinigen  Rea- 
lität dieser  Welt  die  von  dem  Herrn  Verf.  als  ethische  Ginmdlage 
des  Naturalismus  verlangte  Zufriedenheit  nicht  verbinden,  was  soll 
dann  von  dem  Volke  selbrt  erwartet  werden?  und  wie  sieht  es 
dann,  da  nicht  die  uaturwissenBchaftliohe  Thatsaohe,  auch  nicht 
Philosophie,  sondern  allein  diese  Zufriedenheit  als  ethisches  Element 
die  Grundlage  bilden  soll,  mit  dieser  Grundlage  aus? 

Das  zweite  Kapitel  (S.  69— 107)  handelt  von  der  Materie 
und  dem  Baume  als  den  ersten  fundamentalen  Grenzen 
der  Erkenntnis 8.  Die  sinnlichen  Wahrnehmungen  sollen  zer- 
legt werden.  Der  Herr  Verf.  geht  hier,  wie  überall,  von  der  An- 
wendung des  mechanischen  Principe  zur  Erklärung  derThat- 
sachen  aus.  Er  spricht  sich  für  dieses  Princip  aus,  weil  die  EiT- 
klämng  desselben  zu  einem  »absolut  klaren  Denken«  führt.  Darum 
soll  es  auf  alle  Verhältnisse,  auch  die  »psychischen«,  angewendet 
werden.  Doch  gesteht  er,  indem  er  den  Mechanismus  auf  Alles 
anwendet,  dass  sich  »eben  so  wenig  beweisen  lasse,  dass  die  Mecha- 
nik das  Prototyp  aller  Erkenntniss  sei,  als  das  Gegentheü«  (S.  69). 
Es  lässt  sich  nur  »durch  den  Erfolg  der  Anwendung«  beweisen. 
Die  Aufgabe  seiner  Schrift  ist,  »Alles  mechanisch  zu  erklären.« 
Seine  »mechanische  Weltanschauung«  will  er  wiederholt  nicht  mit 
dem   »Materialismus«  verwechselt  haben.     Br  ist  dagegen»  daaa 


646    C.gol^ec  Cfcmuea  imd  Unpnmg  d«r  mensehlidittii  Brkeniilrikt, 

»allein  ans  der  einen  in  der  Physik  nnd  Chemie  so  genannten  Ma«- 
teri^'yicht  nnr  die  nnorganische  Natur,  sondern  anch  die  Organis- 
men nnd  die  geistigen  Vorgänge  entstehen.«  Die  meohanisohe  An- 
sicht behauptet  nnr,  dass  alle  Thätigkeiten  in  der  Welt  »Bewegun- 
gen« sind.  Man  mnss  aber  anch  noch  Dinge  annehmen»  die  sioh 
bewegen.  Neben  der  Materie  werden  »zweckmftssige  (oiganischa) 
Formen  mid  eine  den  leeren  Banm  continnirlich  erfilllende,  die 
Eörperwelt  durchdringende,  aus  sich  durchdringenden  Empfindungen 
und  Gefühlen  bestehende  Weltseele«  als  das  sich  Bewegende  unter- 
schieden (S.  70).  »Materie,  zweckmässige  Formen  und  Geiste  sollen 
also  die  wesentlich  Yerschiedenen,  nur  mechanisch  nisammenhängenden 
Bestandtheile  der  einen  ohne  AniPang  bestehenden  oder  ewigen  natür^ 
liehen  Welt«  sein  (S.  71). 

Es  wird  aus  gewissen  speciellen  Wahrnehmungen  und  Vor- 
stellungen per  analogiam  geschlossen ,  dass  die  »subjectiren  sinn- 
lichen Wahrnehmungen  im  Allgemeinen  durch  eine  aus  Atomen 
zusammengefOLgte  Eörperwelt  und  deren  physikalische  und  ohemisefae 
Bewegungen  zwar  keineswegs  allein  bewirkt,  wohl  aber  objectiv  be- 
dingt sind.«  Die  Betrachtungen  über  die  Principien  der  Atomistik 
fuhren  den  Herrn  Verf.  zu  folgenden  Ergebnissen  (S.  .98) :  1)  »Nnr 
der  mathematische  Punkt  ist  absolut  untheilbar.  Keine  Thatsache 
fordert  aber  eine  absolute  Untheilbarkeit  und  Undurchdringlichkeit 
der  AtomCj  sie  müssen  nur  als  gegenseitig  untheilbar  und  un- 
durchdringlich angenommen  werden.«  2)  »Die  Ausdehnung  der 
Atome  ist  nicht  nur  ihre  Eigenschaft,  sondern  auch  ihr  Subject 
(Substrat  oder  Materie).  Es  giebt  kein  anderes  unbekanntes  Substrat 
der  Eigenschaften  der  Atome.«  3)  »Gegenseitige  Anziehung  und 
Abstoisnng  der  Atome  sind  selbst  elementare  Eigenschaften  der- 
selben und  nicht  Wirkungen  unbekannter  Ursachen  oder  Krftfte.« 
4)  »Eben  so  wenig,  als  es  Kräfte  als  Ursachen  der  Bewegungen 
giebt,  giebt  es  eine  Kryställisationskraft.  Die  Krystallfbrm  der  Atome 
ist  sowohl  der  Grund  der  Krystalle  der  Mineralien,  als  auch  der 
chemischen  Verwandtschaft.«  5)  »Die  Atome  sowohl  als  der  sie 
durchdringende  Baum  sind  ohne  zeitlichen  Anfang  und  ewig.« 

Ref.  hat  sowohl  gegen  diese  Ergebnisse,  als  gegen  die  Art, 
wie  sie  gewonnen  werden,  mancherlei  Bedenken. 

Es  handelt  sich  vorerst  bei  der  Bestimmung  des  Atombegri£Pes 
nicht  darum,  wie  der  Herr  Verf.  Fechner,  Lotze  und  andern 
▼erdienten  Psychologen  vorwirft;,  die  Atome  »als  eine  Brücke  zur 
Welt  des  Unbegreiflichen,  zur  Theologie  zu  benutzen«,  sondern  jenen 
Begriff  nach  s^nem  Wesen  zu  bestimmen.  Wenn  aber  dem  Zu- 
sammengesetzten ein  Einfaches  zu  Grunde  liegen  soll,  so  kann  die- 
ses Einfache  unmöglich  wieder  theilbar  sein;  denn  es  ist  eben  als 
theilbar  nicht  einfach.  Man  kann  sich  mit  der  Auskunft  nicht 
helfen,  dass  »keine  factische  Ungetheiltheit «,  sondern 
»nur  eine  gegenseitige  Untheilbarkeit  der  letzten  Theilchen« 
a^genoipmen  wird.    Solche  üactisch  nicht  ungetheilte  Atome  sind 


Caolb«!  Grenien  und  Ihvpnmg  d«r  mtmöMfabgii  BfteBiitoite.    040 

eben  znaammengeBetite  KOrper  tmd  keine  Atome.  Die  Ftthigkeit 
der  Atome,  »sich  gegenseitig  nicht  Eertrflmmem  zu  können <  is^ 
eine  nnerweisbare  Hypothese,  wenn  die  Atome  Theile  haben.  Die 
»Sabstanz  oder  das  Wesen«  dieser  Atome  nnd  zugleich  des  Banmes, 
in  welchem  sie  sieh  befinden,  ist  »die  Ausdehnnngc  (8.  78).  Ganz 
richtig  wirft  Lotze  die  Frage  auf,  was  an  den  Atomen  ausge- 
dehnt sei,  da  eine  Qualität  etwas  haben  müsse,  dessen  Qualität  sie 
sei.  Der  HerrYerf.  will  diese  richtige  Frage  damit  zurückweisen, 
dass  er  die  Ausdehnung  »nicht  nur  eine  nach  allen  Dimensionen 
stattfindende  Eigenschaft,  sondern  auch  Subject,  Substanz  sowohl 
der  Atome  als  des  sie  durchdringenden  Baumes«  nennt.  Ausdeh- 
nung ist  aber  nur  eine  Bichtung  nach  der  Länge,  Breite  und  Tiefe ; 
sie  ist  ein  Attribut,  welches  man  dem  Körper  beilegt,  wenn  auch 
ein  Grundattribut,  weil  man  den  Körper  ohne  sie  nicht  denken 
kann.  Immer  aber  bleibt  die  Frage:  Was  ist  das,  welches  diese 
Ausdehnung  hat?  Solange  wir  nichts  als  Ausdehnung  haben,  haben 
wir  Baum,  aber  keinen  Körper. 

Dem  Baume,  wie  den  Atomen,  wird  dieselbe  Eigenschaft,  die 
»Ausdehnung«  beigelegt;  aber  zugleich  behauptet,  dass  sie  auch 
die  Substanz  oder  das  Wesen  nicht  nur  der  Atome,  sondern  auch 
des  Baumes  sei.  Allein,  wenn  dasselbe  Wesen  das  Wesen  der  die 
Körper  durch  ihre  Zusammensetzung  bildenden  Atome  und  des 
Baumes  ist,  wie  kann  man  dann  Atome  und  Baum  von  einander 
unterscheiden?  Auch  auf  diese  Frage  findet  sich  eine  Antwort. 
Die  Ausdehnung  des  Baumes  ist  die  »durchdringliche  oder  leere«, 
die  der  Atome  »die  undurchdringliche  oder  YoUe«  Materie  (S.  79). 
Gegen  Lotze's  Einwendung,  dass  Letzteres  eine  contradictio  in 
adjeoto  sei,  wird  bemerkt,  dass  das  »Leere  keine  nothwendige  d.  h. 
allein  mögliche  Eigenschaft  der  Ausdehnung  sei« ;  man  »könne  sie 
leer,  man  könne  sie  aber  auch  undurchdringlich  oder  voll  denken.« 
Allein  es  handelt  sich  hier  nicht  darum,  dass  man  die  Ausdehnung 
bald  Yoll,  bald  leer  denkt,  sondern  darum,  dass  sie  zugleich  voll 
und  leer  gedacht  wird.  Hierin  liegt  der  Widerspruch.  Auch  zeigt 
uns  diese  Unterscheidung  deutlich,  dass  des  Herrn  Verf.  so  ge- 
nannte Substanz  keine  Substanz  ist.  Denn  es  muss  doch  noch  zur 
Ausdehnung  etwas  kommen,  dass  sie  eine  nicht  leere  oder  volle 
wird.  So  lange  sie  leer  ist,  ist  sie  kein  Körper,  sondern  Baum. 
Folglich  macht,  da  das  Wesen  des  Baumes  Ausdehnung  ist,  diese 
das  Wesen  des  Atoms  nicht.  Wodurch  unterscheidet  sich  nun  das 
angebliche  »Wesen  der  Ausdehnung«  im  Baume  und  in  den  Atomen? 
Der  leere  Baum  hat  die  ihn  von  den  Atomen  unterscheidenden 
Eigenschaften  »der  Unendlichkeit  und  Durchdringlichkeit.«  Die 
Atome  dagegen  sind  »begrenzt,  gegenseitig  untheübar  und  undtfroh- 
dringlich.«  Der  Baum  ist  also  blosse  Ausdehnung.  Wie  kann  aber 
dieser,  wie  der  Herr  Verf.  will,  eine  »Substanz«  sein?  Die  Bich- 
tung nach  der  Länge,  Breite  und  Tiefe,  unausgefüllt  gedacht,  in 
alle  Unendlichkeit,  ist,  so  lange  der  Baum  nicht  ausgeftllt  wiM,  kein 


MO    Osolb«:  Qfemii  imd  Uf»|ff«ng  der  nenaoUiofaaft  lUki 

Weeen,  Bondeni  ein  Verkältnies,  wekheaerBtinimdinit  denK&rpwii 
erkannt  wird,  das  Nebeneinander  der  ErBohoinnngen.  Eine  »elemen- 
tare Eigensohaft«  der  Atome  ist  die  »gegenseitige  Anziehnng  und 
Abstoasnng.«  Die  Atome  zeigen  sich  in  »Bewegung.«  Dieae  Atome 
und  dieser  Aamup  wie  sie  der  Herr  Yert  anfTasst,   sind  ihm  die 
ersten  fundamentalen  Qrensen  der  Erkenntaiss.    Er  nimmt  einmal 
an:  Es  ist  so  und  weiter  kann  nnd  darf  man  nioht  fragen.  Ebenao 
macht  er  es  mit  der  Bewegung.    »Es  ist  ein  prinoipieller  Inthmui 
heisst  es  8.  80,  die  Bewegung  für  eine  Wirkung  ansoaeheny  sie  ist 
eine  ursprüngliche  Th&tigkeit.    Es  giebt  keinen  Omnd,  daas  eine 
Thfttigkeit  .nicht  ursprünglich  aein  könnte.«     Allein  die  Erfiahrung 
zeigt  uns,  dass  Bewegungen  anfangen  und  aufhören,  dass  sie  tlberali 
als  Wirkungen  einer  Ursache  erscheinen,  von  welcher  zunächst  die 
Bewegung  yeranlasst  wird,    dass  die  Bewegung  ein  Bewegendes 
voraussetzt,  und  es  liegt  daher  im  Wesen  des  Oeistes,    bei   einer 
erscheinenden  Wirkung  nach  der  Ursache  zu  fragen.     Der   grösste 
Philosoph  des  Alterthums,   Aristoteles,  kam  zu  seinem  Gotte 
durch  das  Forschen  nach  dem  letzten  Orunde  der  Bewegung.   Der 
Herr  Verf.  hat  darum  gewiss  nicht  Recht,   wenn  er  Virohow's 
Meinung  (Vier   Beden  über  Leben  und  Kranksein»  1862,  S.  69) 
entgegentritt,   es  genüge  nicht,  jene  Bewegungen  der  Atome  als 
ihre  ursprünglichen  oder  elementaren,   durch  das  Gontinnnm  des 
leeren  Baumes  in  die  Feme  wirkenden  Eigenschaften  zu  betrach-; 
ten,  sondern  wir  müasten  zeigen,  wie  sie  es  machen,  eich  gegen- 
seitig anzuziehen  und  abaustossen,   oder  für  diese  Wirkungen  die 
davon  verschiedenen  Ursachen  finden,  die  man  Kräfte  nennt.«  Die 
Bewegung  ist  Th&tlgkeit,  und  das  Ursprüngliche  der  Thätigkeit  ist 
die  Kraft.  Man  wird  sich  nie  damit  begnügen  können,  wenn  man 
die  Wirkung,  als  welche  die  Bewegung  erscheint,    zum  Ursprünge 
liehen  machen  will«     Mit  Unrecht  wird    darum  in   der  Ansicht 
Virchow*8  »nur  ein  Seh  ein  (sie)  von  Gründlichkeit  und  Tiefe« 
gefunden,  mit  Unrecht  wird  derselben  vorgeworfen,   dass  sie   »iB 
Wahrheit  einen  innem  Widerspruch  enthalte«,  weil  sie  »nach  dem 
Ursprünge  von  Ursprünglichem  oder  nach   der  Ursache  oder  Entr 
stehung  von  Unentstandenem  oder  Elementarem  frage.«  Vir  oho  w 
fragt  nicht  nach  dem  Ursprünge   des  Ursprünglichen,   auch   nicht 
nach  dem  Entstehen  des  Unentstandenen ;  sondern  er  forscht  nach 
dem  Grunde  der  Anziehung  und  Abstossung.     Ihm  ist  das  Ur- 
sprüngliche und  Unentstandene  der  letzte  Grund,   nicht  aber  das» 
nach  dessen  Grunde  er  forscht.  Bewegungen  ohne  Krfifte  heisst  so  viel 
als  Wirkungen  ohne  Ursache  annehmen.    So  wenig  man  im  Lebm 
denken  kann  ohne  Denkkraft,  so  wenig  giebt  es  ein  Bewegen  ohne  bei- 
wegende  Kraft.  Der  Herr  Verf.  nennt  die  Kräfte  »unbekannt«  und 
»undenkbar.«     Der  Begriff  »Kräfte«  werde,  sagt  er  S.  82,   »aus 
BequemlichkeitsrUcksichten  für   die  unsichtbaren  elementaren  Be« 
wi^ngen  der  Atome«  gebraucht.     Sind  uns  aber  diese  »unsicht^ 
\>§itw,  elementaren  Bewegungen!  »bekannt'^  sind  nicht  vielmehr 


0«»lb«:  OreMMD  imi  ütspraiig  der  mewoliUoliM  Brtamtatot«    Mi 

Bewegungen  ohne  bewegende  Kräfte ,  Wirkungen  ohne  ürBaehea 
„undenkbar''?  Er  leitet  die  Kräfte,  wie  „die  ünrämnlichkeit  der 
Atome''  und  das  „mysteriöse  Substrat  ihrer  Eigenschaften"  yon 
der  „theologischen  Neigung  des  unbegreiflichen"  her,  welches  letztere 
er  ans  seinem  Naturalismus  ausschüesst.  Das  Einfache  ist 
untheilbar,  und,  da  Alles  Körperliche  theilbar  ist ,  kam  die  Philo* 
Sophie  auf  das  Geistige,  die  Kraft,  die  Monas,  ohne  dass  sie  dabei 
eine  theologische  Neigung  befriedigen  wollte.  Es  ist  uns  eben  so 
unbegreiflich,  wie  der  im  Baume  befindliche  auch  noch  so  kleine 
Körper  nicht  noch  wenigstens  in  Gedanken  getbeilt  werden,  als  er 
ein  untheilbarer  Körper,  das  dem  Zusammengesetzten  su  Grunde  lie- 
gende Einfache  sein  kann.  Wenn  die  Ausdehnung  Wesen  und  nicht 
Eigenschaft  sein  soll,  so  ist  dieses  Wesen  viel  „mysteriöser",  als 
irgend  ein  anderes  „Substrat"  yon  Eigenschaften«  Denn  es  ist  ja 
klar,  dass,  wenn  die  Ausdehnung  Substanz  ist,  es  auch  eine  leere 
Substanz  geben  muss,  da  ja  der  Herr  Verf.  selbst  den  Baum  „als 
leere  Ausdehnung"  betrachtet.  In  ähnlicher  Weise,  wie  oben  bei 
der  Bewegung  angedeutet  wurde,  dürfen  wir  wohl  auch  yon  der 
Krystallisation  der  Mineralien  auf  eine  „Krystallisationskraft"  schlies» 
gen,  ungeachtet  der  Herr  Verf.  erklärt,  dass  es  „keine  solche  giebt," 
Es  ist  eine  unerweisbare  Hypothese,  anzunehmen,  dass  die  „Krystall- 
form  der  Atome  sowohl  der  Grund  der  Kiystalle  der  Mineralien, 
als  auch  der  chemischen  Verwandtschaft  sei."  Ist  diese  Annahme 
„begreiflicher"  imd  weniger  „mysteriös",  als  die  Annahme  einer 
Krystallisationskraft  ? 

Die  Vorstellungen  des  Baumes,  der  Zeit«  des  Seins  nebst  den 
nothwendigen  und  allgemeinen  Wahrheiten  Kants  (den  syntheti- 
schen ürtheilen  a  priori)  werden  als  j,subjeatiye  Abbilder  objectiyer 
Dinge"  dargestellt  (S.  95). 

Das  dritte  Kapitel  (S.  109— 190)  handelt  von  den  „zweck- 
mässigen Formen  der  Welt"  als  der  „zweiten  fundamentalen 
Grenze  der  Erkenntniss." 

Hier  soll  zuerst  gezeigt  werden,  „wie  die  Beizbarkeit  oder 
das  Leben  der  Organismen  allein  durch  die  eigenthümliche  Form 
der  Zusammenfügung  ihrer  sichtbaren  und  unsichtbaren  Theile  be- 
dingt ist,  welche  Form  wegen  der  Unbegreiflichkeit  ihrer  ursprung- 
lichen Entstehung  zur  Annahme  der  Ewigkeit  der  ganzen  Welt« 
Ordnung  zwingt"  (S.  109 — 128).  Sodann  werden  „die  Einwendun- 
gen der  Astronomie  und  Geologie"  gegen  die  Annahme  der  Ewig- 
keit der  Weltordnung  als  „unzureichend"  bezeichnet  und  behauptet, 
dass  „keine  einzige  positive  Thatsache  mit  dieser  Annahme  im 
Widerspruch  stehe."  Hieran  reiht  sich  der  Abschnitt  „von  den 
ewigen  Naturgesetzen",  von  denen  als  das  „umfassendste"  die 
„zweckmässige  Weltordnung"  hervorgehoben  wird,  welche  „wegen 
jener  Anfangslosigkeit  kein  Subject  zu  seiner  Entstehung  bedaarf" 
(S.  169—181).  Der  „objective  Grund  des  Verstandes"  sind  dem 
Herrn  Verf.  „die  Aohnlichk^itan  in  der  Natur'^i  Aiß  „Zw^ekipAs^^ 


BSi    Cstflbes'Otasen  «ad  Unpnuig  der  m^möbiüfaaA  ISAmaMm, 

keit"  derselben  „der  objeotive  Gnmd  der  Vemanft/*  Das  ^yNatcur^ 
schöne"  fABst  er  anf  „als  diejenigen  speciellen  rahenden  und  be- 
wegten Formen  der  Id^rperlichen  nnd  der  geistigen  Welt,  so  wie 
diejenigen  Farben-  und  Tonyerbindnngen ,  welche,  in  sich  harmo- 
nisch und  unserer  (Organisation  angemessen,  in  der  Seele  eine  be- 
sondere Gtattung  von  angenehmem  QeftLhl  erregen"  (9.  182—190). 

Das  vierte  Kapitel  (S.  262)  umfasst  „die  im  Baume  yer- 
borgenen Empfindungen  undOefnhle"  und  nennt  diese  die  „Welt- 
seele." Diese  so  genannte  Weltseele  wird  die  „dritte  fnn« 
damentale  Grenze  der  Erkenntniss"  und  ist  zugleich 
„nebst  der  davon  durchdrungenen  Eörperwelt  ihr  Ursprung  "  Das 
Kapitel  beginnt  mit  der  „Analyse  der  Empfindungen,  ihrem  Glei^- 
gewicht  oder  Verschwinden  im  Raum  und  Störung  dieses  Gleich- 
gewichts oder  ihrem  Wiederauftreten  durch  Bewegungen  des  Ge- 
hirns von  bestimmter  Geschwindigkeit  und  Intensitftt'^  (S.  IM — 
209).  Sodann  wird  die  Seele  der  Menschen  als  „die  Summe  der 
durch  Gehimthätigkeit  bedingten,  aus  Empfindungen  und  GeftLhleii 
der  Weltseele  sich  zusammenfügenden  und  in  derselben  wieder  ver- 
schwindenden Mosaikbilder"  (sie)  bestimmt  (S.  210—246).  Hier- 
auf wird  auf  den  Gegensatz  der  Erkenntnisstbeorie  Kants  tmd 
Hegels  zu  der  bisher  entwickelten  Erkenntnisstheorie  anfinerk- 
sam  gemacht  und  an  Sokrates,  Plato  und  Aristoteles  er- 
innert. 

Das  fünfte  Kapitel  enthält  die  „Schlussbetrachtung"  über 
den  „wissenschaftlichen,  sittlichen  und  ästhetischen 
Werth"  des  vom  Herrn  Verf.  entwickelten  „Naturalismuss"  (S.  263 
—282). 

Auch  mit  der  weitem  vom  dritten  Kapitel  an  durchgeftlhrten 
Entwickelung  ist  Bef.  nicht  einverstanden. 

üeberall,  wo  nach  einem  Grunde  geforscht  werden  soll,  muss 
das  Wort  „elementar  oder  ursprünglich"  aushelfen.  Das  wendet 
det  Herr  Verf.  nicht  nur  auf  die  Materie  und  den  Baum,  sondern 
auch  auf  Zeit  und  Sein  an.  Es  klingt  sonderbar,  dass  er  die  Aus- 
dehnung und  damit  den  Raum  zu  einer  Substanz  macht,  während 
die  Zeit  nur  eine  Eigenschaffc  und  zwar,  um  nicht  weiter  nachzu- 
forschen, eine  „elementare"  Eigenscbafb  des  Baumes  und  der  Materie 
sein  soll.  Es  ist  überhaupt  verkehrt,  den  Begriff  der  Substanz  und 
Eigenschaft  auf  Baum  und  Zeit  anzuwenden.  Baum  und  Zeit  müssen 
unter  dieselbe  Kategorie  gefasst  werden,  diese  ist  aber  weder  die 
Substanz,  noch  die  Eigenschaft,  sondern  das  Verhältniss,  welches 
mit  den  Dingen  gegeben  und  ohne  diese  an  und  für  sich  nicht  ist. 
üeber  das  Wesen  der  Zeit  wird  dadurch  hinweggegangen,  dass  man 
diese  „Eigenschaft"  (?)  zu  einer  „nicht  weiter  definirbaren"  macht. 
Niemand  wird  das  Sein  zu  einer  Eigenschaft  der  Dinge,  wie  grün, 
gelb  u.  s.  w.  machen  wollen.  Das,  ohne  welches  nichts  ist,  ist 
gewiss  mehr,  als  eine  Eigenschaft  und  mit  Unrecht  wird  dieses 
den  Eleaten  und  Hegel  vorgeworfen. 


Cisolbei  OrenBen  «nd  Uftprimg  der  mewieiaSehMi  JSrkentaU«.    6W 

Gewiss  kann  man  den  Satz:  Alles  muss  eine  Ursache  haben 
nicht  als  „Vomrtheil''  bezeichnen  und  sich  deshalb  gegen  die  An- 
nahme einer  Kosmogonie  erkl&ren  (S.  159).  Der  Herr  Verf.  will 
ein  Cansalyerh&ltniss  „nnr  innerhalb  der  Weltordnnng''  zulassen; 
die  Weltordnung  selbst  aber  soll  keine  Ursache  haben ,  weil  sie 
yyunentstanden  oder  elementar"  ist.  Die  Betrachtung  der  Erde  aber 
zeigt,  dass  sie  Stadien  der  Entwickelung  durchgelaufen  hat,  dass 
sie  sich  allmälig  zu  andern  Gestalten  und  Geschlechtern  heran- 
bildete, dass  viele  derselben  untergegangen  sind,  zeigt  überhaupt 
nicht  eine  stabile,  sondern  eine  sich  entwickelnde  Ordnung.  Ordnung 
ist  aber  überall  eine  Wirkung  und  setzt  ein  ordnendes  Element, 
eine  Ursache  voraus.  Wenn  dieses  nun  bei  allem  Einzelnen  der 
Welt  der  Fall  ist,  so  muss  es  wohl  auch  bei  der  Summe  alles  Ein- 
zelnen, der  Welt  selbst,  so  sein,  und  man  darf  dem  Materialisten 
Carl  Vogt  deshalb  keinen  Vorwurf  machen,  was  S.  159  gesohiehti 
dass  er,  „weil  Alles  eine  Ursache  haben  muss,  eine  Kosmogonie 
annimmt.'^  Man  kann  die  Ewigkeit  der  Welt  mit  dem  Herrn  Verf. 
und  dennoch  eine  allm&lige  Entwickelung  derselben  zu  den  ein« 
zelnen  Sonnen,  Planeten,  Kometen  und  den  zu  ihnen  gehörigen  In- 
dividuen annehmen  und  er  hat  deshalb  Unrecht,  wenn  er  die  Kos* 
mogonie  unserer  Naturforscher  gänzlich  verwirft  und  derselben  die 
mosaischeSchöpfungsgeschichte  als  eine  „reine,  aber  für  dieMeieten 
zugängliche  und  ansprechende  kurze,  durch  ihr  Alter  ehrwürdige 
Phantasie"  (S.  165)  vorzieht.  Die  durch  geologische  und  paleon- 
tologische  Forschungen  der  Naturwissenschaft  aufgefundenen  Tbat- 
bachen  sprechen  für  eine  allmälige  Entwickelung  unserers  Erd- 
körpers und  seiner  verschiedenartigen  Organismen  und,  was  von 
diesem  gilt,  muss  wohl  von  den  andern  Himmelskörpern  gelten«  da 
sie  unter  gleichen  Bedingungen  und  Verhältnissen  eidstiren,  und  die 
Wissenschaft  an  ihnen  gleiche  mathematische  Verhältnisse  nnd  gleiche 
physikalische  und  durch  die  neuesten  Entdeckungen  der  Speotral*> 
analyse  in  ihren  Atmosphären  auch  gleiche  chemisehe  Bestand- 
theile  aufgefunden  hat.  Das  sind  keine  Phantasien.  Auch  zeigt  uns 
die  tägliche  Erfahrung,  dass  Alles  in  der  Zeit  ist,  also  nach  ein- 
ander kommt  und  wird.  Das  Werden  ist  ein  Charakteir  nicht  nur 
des  Einzelnen,  sondern  auch  des  Ganzen«  Wenn  auch  das  Werden 
ein  Sein  ist,  so  ist  es  kein  starres,  sondern  ein  fliessendes,  sich 
immer  anders  gestaltendes  Bein.  Dieses  führt  aber  nothwendig  vat 
Annahme  einer  Kosmogonie. 

Der  Herr  Verf.  lehrt  eine  „Zweckmässigkeit''  der  Welt  und 
betrachtet  diese  als  ein  „Princip  oder  Naturgesetz  von  objectiver 
Gültigkeit,  auf  das  ihn  die  Analyse  der  £r£ahrung  leitet' '  (3.179). 
Wir  wollen  diese  Ansicht  nicht  bestreiten,  aber  fingen  müssen  wir: 
Wie  lässt  sich  die  Anwendung  „des  mechanischen  Princips''  auf 
Alles,  „der  allgemeine  Welt-Geist*  und  Naturmechanismuss'S  wie  er 
in  der  vorliegenden  Schrift  vorgetragen,  wird,  mit  einer  teleolot- 
gischen  NaturbetracUiung  ui^d   Natüi^atiffassungj vereinigen ?  ..Deir 


666     Ctolbe:  Oraasea  «ad  Ursprung  dier  iMKknMkikMt  Erfcrtntnttt, 

rialkt  galt,  folgende  Bebauptung  zu  yemehmen:  „Es  ist  ein  yer^ 
geblicbes  Bemüben,  ans  dem  frttber  genau  festgestellten  Begriffe 
der  Materie  und  den  Bewegungen^'  „Empfindungen  und  QdüUe 
ableiten  zu  wollen,  selbst  wenn  man  nur  die  Bewegungen  des  Oe- 
bims  oder  seine  materielle  Zusammensetzung  im  Auge  hat.'*  .... 
i,Das8  die  Nerrenmaterie  wegen  ibrer  äusserst  complicirten  cbemi- 
scben  und  pbysikalisoben  Structur  wenn  aucb  nur  zum  Tbeil  empfinde 
oder  fable,  dafür  ist  durchaus  kein  Qmnd  zu  finden  oder  diess  ist 
ganz  undenkbar.''  •  •  «  i,Der  Alles  aus  der  Materie  ableitende 
Materialismus,  an  den  ich  selbst  früher  zum  Tbeil  glaubte,  ist 
eine  durchaus  falsche  Auffassung,  ich  bin  aufs  Qrttnd* 
liebste  davon  zurückgekommen."  „Nicht  nur  die  organischen 
Formen,  auch  die  Empfindungen  und  QefÜhle  stehen  selbständig 
oder  unabhängig  neben  der  Materie,  können  nicht  von  ihr  abge- 
leitet werden"  (S.  198).  Es  werden  darum  „drei  letzte  Bestand- 
theile  der  Welt"  unterschieden,  „die  Materie,  die  durch  die^ 
selbe  realiflirten,  wenn  auch  keineswegs  davon  abgeleiteten  zweck- 
mässigen Formen  unddieEmpfindungen  undGefüble" 
aus  welchen  letzteren  „sämmtliche  Seelenvorgänge  zusammengefügt 
sind"  (sie).  Die  Empfindungen  und  Gefühle  treten  in  „Folge 
von  Beizen  oder  Bewegungen  in  Menschen  und  Thieren"  aa( 
während  sie  vorher  nicht  da  ?raren.  Sie  müssen  also  irgendwo 
„verborgen"  sein.  Wenn  sich  „ausscbliessende  Bewegungen  d.  h. 
gleich  intensive  in  entgegengesetzter  Richtung  zusammentreffeo 
so  entsteht  Gleichgewicht  oder  Buhe  d.  h.  die  Bewegungen 
verschwinden  vollständig,  bleiben  aber  in  ihrer  Wirkung,  z.B. 
dem  Zusammenhaften  von  Körpern,  unsichtbar  vorhanden,  welche 
Wirkung  indess  unter  umständen  durch  Störung  des  Gleichgewichte 
mittelst  einer,  andern  Bewegung  wieder  so  zerlegt  werden  kann, 
dass  eine  jener  früher  dagewesenen  Bewegungen  hervortritt"  (S.  199). 
Die  Körperwelt  „durchdringt  der  unbegrenzte  Baum"  (sie),  eben  so 
durchdringt  er  also  auch  das  „Gehirn  der  Menschen  und  Thiere." 
In  diesem  unbegrenzten  Baume  sind  „die  Empfindungen  und  Ge* 
fühle"  als  „sein  ruhender  Inhalt",  als  „todte,  unsichtbare  Spann* 
kraft"  (sie)  „überall  verborgen."  Durch  ,^anz  bestimmte  Gehim- 
bewegungen"  werden  sie  nun  „als  lebendige,  zum  Bewusstsein 
kommende  Kräfte  f^i  gemacht  oder  ausgelöst"  (S.  200).  Mit  allen 
Empfindungen  und  Ge^blen  iflt  zwar  elementar  oder  ur^rünglioh 
Bewusetsein  verbunden;  aber  die  Gefühle  und  Empfindungen 
„sohliessen  sich  als  Ganzes  entschieden  oder  absolut  aus." 

(Bchluss  folgt) 


Ir.  42.  HKISEIBEEGEB  186a. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Gzolbe:  Grenzen  nnd  ürsprang  der  menschlichen 

Erkenntniss. 

(BcbluBsO 

y,Niinint  man  nun  an,  dass  die  sänuntlichen  denkbaren  Empfin- 
dungen und  Gefühle  überall  oder  in  demselben  einen  Eaum  gleich- 
massig  vorhanden  sind   oder   sich   durchdringen,   so   müssen   nach 
Analogie  der  obigen  mechanischen  Thatsachen,  nach  der  sich  aus- 
schliessende  Bewegungen  zusammentreffend  als  solche  gänzlich 
verschwinden  und  nur  in   ihrer  Wirkung   unsichtbar  fortbestehen, 
auch  die  Empfindungen  und  Gefühle  als  solche  verschwinden,  wenn 
sie  auch  in  der   unendlichen,    durchdringlichen   Ausdehnung,    dem 
Baume,  durchaus  unverändert   in  ihrer  ganzen   zahllosen  Verschie- 
denheit oder  Mannigfaltigkeit,    deren   Eihheit  oder  Harmonie  nur 
die  allen  gemeinsame  Qualität  des   Bewusstseins  bildet,  —  fortbe- 
stehen werden.    Diesen  geistigen  Inhalt  des  Baumes  darf  man  wohl 
Welt  seele  nennen^'  (sie,  S.  201).     Die  „Empfindungen  und  Ge- 
ftthle"  können  „nicht  in  die  Materie   verlegt   werden."     Es  bleibt 
also  für  „den  naturalistischen  Standpunkt,  der  zunächst  nur 
Materie,  Bewegungen  und  Baum  kennt,  kaum  etwas  Anderes  übrig, 
als  sie   in    den   Baum   zu   verlegen"  (S.  208).     Aus   den   Empfin- 
dungen und  Gefühlen  „fügen   sich    zunächst   die  sinnlichen  Wahr- 
nehmungen und  dann  sämmtliche  andere  psychische  Processe  mosaik- 
artig zusammen"  (S.  214).     Das   „Selbstbewusstsein   ist   nicht  als 
eine  zweite  besondere  höhere  Art  von  Bewasstsein  zu  betrachten", 
sondern  soll  sich  „sehr  einfach"  erklären   lassen,    „wenn  man  als 
seine  nothwendigen  Bedingungen  zunächst  die  Erkenntniss  auf  der 
Basis  der  äussern  Erfahrung  ansieht  und  es  zweitens  als  Thatsache 
anerkennt,  dass  diese  verschiedenen  speciellen  geistigen  Processe  in 
uns  gleichzeitig   stattfinden"  (S.  240).     Die   psychischen  Pro- 
cesse entstehen  durch  „das  Zusammenwirken  des  von  der  Körper- 
welt erregten  Gehirns  mit  der  dasselbe  durchdringenden  Weltseele" 
(S.  243).     Das  „so  genannte  Ich  als  unräumliche    oder   als  räum- 
liche, ausgedehnte,  einheitliche  Ursache   aller  psychischen  Vor- 
gänge" ist  „nicht  eine  ursprüngliche   und  unmittelbare  Thatsache 
des   Selbstbewusstseins"^   sondern   „nur   eine   spiritualistische   An- 
nahme, die  unwillkürlich  in  den  Menschen  entstehende  Hypothese, 
dasB  die  psychischen  Processe  nicht  von  Aussen  veranlasst  werden, 
sondern  dass  sie  auch   eine   im   Gehirn   befindliche   übernatürliche 
Ursache  haben."     Diese  „spiritualistische   Hypothese   ist  natürlich 

LVIU.  Jahif.  9.  Heft  42 


668    Czolbe:  Gfrenzen  nnd  Ursprung  der  menflehlielien  Erkenntnlsft« 

von  dem  hier  festgehaltenen  Standpunkte  prinzipiell  abzuweisen" 
(S.  242  u.  248). 

Sicher  ist  diese  Theorie  des  so  genannten  Naturalismus 
viel  complicirter ,  enthält  viel  mehr  Unerklärliches  und  ist  selbst 
nicht  so  folgerichtig,  als  der  Materialismus,  mit  welchem 
übrigens  Ref.  so  wenig,  als  mit  dieser  naturalistischen  Lehre,  ein- 
verstanden ist.  Die  Gründe,  welche  in  vorliegender  Schrift  gegen 
den  Materialismus  angeführt  werden,  sind  durchaus  befriedigend, 
nicht  so  die  für  den  Naturalismus  vorgebrachten  Gründe. 

Offenbar  ist,  wenn  man,  wie  der  Herr  Verf.,  Alles,  auch  alle 
geistigen  Vorgänge,  aus  dem  Wcltmechanismus,  aus  der  Anwendung 
des  mechanischen  Princips  der  Bewegung,  erklären  will,  die  Behaup- 
tung folgerichtiger,  dass  Alles  Stoff  sei.  £s  ist  die  in  der  vorliegenden 
Schrift  enthaltene  naturalistische  Anschauungsweise  um  so 
weniger  haltbar,  als  sie  zu  weit  mehr  hypothetischen  und  nner- 
weisbaren  Behauptungen  ihre  Zuflucht  nehmen  muss,  und  dabei 
dennoch  in  allen  negativen  Resultaten,  der  Negation  Gottes,  der 
Freiheit  und  Unsterblichkeit,  ganz  mit  dem  Materialismus  über- 
einstimmt. 

Die  Sinneswahrnehmung  soll  „mosaikartig' '  aus  „Empfindungen 
und  Gefühlen  zusammengesetzt  sein**?  Wer  eine  Sinneswahrnehmung 
hat,  nimmt  etwas  durch  die  Sinne  wahr;  die  Sinneswahrnehmung 
ist  die  Vorstellung  eines  Gegenstandes.  Diese  ist  eine  Art  des 
Erkennens ;  man  erkennt  etwas,  das  man  wahrnimmt,  in  bestimm- 
ter Weise.  Die  sinnliche  Wahrnehmung  setzt  allerdings  Empfindung 
und  Gefühl  voraus,  sie  ist  ohne  diese  Voraussetzimg  nicht  möglich ; 
aber  sie  ist  deshalb  nicht  Empfindung  und  nicht  Gefühl  und  am 
allerwenigsten  aus  beiden  mosaikartig  zusammengesetzt  d.  h.  so, 
dass  beide,  Empfindung  und  Gefühl,  verschieden  und  nur,  gleich 
zwei  verschiedenen  Steiuclien,  zu  einem  Mosaikbilde  sich  verbinden. 
Das  Empfinden  ist  das  in  sich  Finden  des  Eindrucks  eines  Objects, 
welcher  die  Thiitigkeit  unseres  Lebens  durch  Vermehrung  oder 
Verminderung  derselben  eigenthümlich  stimmt.  Empfindung  und 
Gefühl  lassen  sich  also  nicht  trennen,  wenn  wir  auch  im  Denken 
die  das  Gefühl  veranlassende  Qualität  des  Objects  und  die  durch 
letztere  entstehende  angenehme  oder  unangenehme  Stimmung  unter- 
scheiden. Beide  sind  zumal  in  und  mit  einander  thätig.  Rich- 
tiger wird  das  Bewusstsein  als  etwas  Anderes  von  beiden  unter- 
schieden, da  das  Wissen  meines  und  eines  fremden  Daseins  vom 
blossen  Fühlen  und  Empfinden  sehr  verschieden  ist.  Das  Bewusst- 
sein soll  etwas  sein,  das  im  Menschen  und  Thiere  gleich  ist,  wäh- 
rend doch  die  Selbstempfindung  des  Thieres  sich  nie  zum  Selbst- 
bewusstsein  erheben  kann,  da  dem  Thiere  die  Freiheit  oder  innere 
Selbstbestimmungsfähigkeit  des  Denkens,  also  die  klare  und  deut- 
liche Unterscheidung  des  Sub-  und  Objectes  fehlt.  In  der 
Empfindung  soll  „die  Sinnesqualitüt** ,  im  Gefühl  „die  Gefühls- 
qualität"   liegen?      Zu    der    Sinnesqualität    gehört    aber  eben    so 


Ciolbe:  Greifen  iw4  IIr8{kn^iig  der  m^nneliUAeA  fUkßMatm.    MO 

wenig  allein  die  Empfindong,  als  zn  der  GefÜhleqnaUt&t  das 
Fühlen.  Es  ist  dazu  ein  Erkennen  nöthig.  Sonst  können  wir 
beide  nicht  unterscheiden.  Der  Herr  Yerf,  hilft  sich  damit»  dass 
er  sagt,  mit  beiden  ist  „Bewusstsein''  Terknüpft,  das  von  Empfin* 
düng  und  Gefühl  nicht  getrennt  werden  kann.  Was  ist  aber  Be^ 
wusstsein,  wenn  es  nicht  ein  bestimmtes,  einzelnes  Bewusstsein  ist  t 
Denn  auch  das  Bewusstsein  des  Objects  geht  ja  vom  Subjeote  ond 
von  der  Unterscheidung  von  diesem  aus.  Nicht  durch  die  Empfin- 
dung wird  die  Qualität  der  Sinne  gefunden,  nicht  durch  das  Ge- 
fühl die  Qualität  des  Gefühls,  sondern  erst  durch  die  Aufmerksam- 
keit und  das  Unterscheiden  des  Bewusstseins  im  Denken.  Aach 
empfindet  die  Empfindung  nicht,  sondern  das  Empfindende,  filhlt 
das  Gefühl  nicht,  sondern  das  Fühlende,  und  dieses  Empfindende 
und  Fühlende  ist  immer  und  muss  immer  im  Einzelwesen  sein. 
Indem  ich  empfinde,  iühle  ich.  Wo  ist  hier  ein  Mosaikbild  zweier 
„ursprünglich  oder  elementar  sein  sollender  Erkenntnissgrenzen*', 
der  Empfindung  und  des  Gefühls?  Zu  den  Gefühl^ualitäten  wer- 
den drei  Arten,  das  angenehme  und  das  unangenehme  (beide 
„ruhende  oder  passive  Gefühle**)  und  das  „active  Gefühl  des  Bedürf* 
nißses  oder  Triebes*'  gezählt.  Ist  denn  der  Trieb  ein  GefUhl?  Ist 
er  nicht  vielmehr  ein  Streben  von  Innen  nach  Aussen,  während  das 
Gefühl,  die  Vermittlung  der  Eichtung  von  Aussen  nach  Innen  und 
von  Innen  nach  Aussen,  also  des  Erkennens  und  Begehrens,  voa 
den  beiden  letzteren  wohl  zu  unterscheiden  ist? 

Wie  Baum  und  Atome,  sind  auch  Empfindungen  und  Gefühle 
dem  Herrn  Verf.  etwas  „Ursprüngliches",  „Elementares'^  „nicht 
Entstandenes.*'  Es  ist  aber  eine  unläugbare  Thatsache,  dass  die 
Empfindung  eine  Wirkung  ist  und  also  eine  Ursache  voraussetzt« 
Diese  Ursache  liegt  nicht  nur  im  äussern  Beize,  sondern  auch  in 
einem  innem  Factor  des  Organismus,  in  der  in  den  Empfindungs- 
werkzeugen vorhandenen  Empfindungs^higkeit^  welche  durch  den 
Beiz  Empfindungswirklichkeit  oder  Empfindungsthätigkeit  wird.  Die 
Empfindung  entsteht;  es  ist  anfangs  keine  da;  nun  wirkt  der  Reiz 
und  die  Empfindungskraft  wird  Empfindung.  Wie  kann  man  etwas, 
das  erst  durch  das  Zusammenwirken  von  zwei  Factoren  zum  Vor- 
schein kommt  oder  entsteht,  ein  „Elementares**,  „Unentstandenes" 
nennen?  Unser  Bewusstsein  spricht  dagegen,  dass  die  Empfindung 
etwas  Allgemeines  ist,  eben  so  aber  auch  dagegen,  dass  sie  an-» 
fangslos  ist.  Freilich  wäre  die  Behauptung  ein  „Widerspruch**, 
dass  die  Empfindung  „elementar**  und  doch  „entstanden**  sei.  Das 
Werden  oder  Entstehen  gehört  aber  zum  Wesen  der  Empfindung, 
das  Elementare  ist  aus  ihr  zu  entfernen  und  dann  hört  der  Wider- 
spruch von  selbst  auf.  Denn  das  erst  Entstehende  oder  Werdende 
ist  nicht  elementar.  Allerdings  existirt  die  von  dem  Herrn  Verf. 
bestrittene  Veranlassung  zur  Empfindung  durch  die  Eörperwett» 
Denn  ohne  diese  Veranlassung  ist  ja  keine  Empfindung  möglich, 
da  die  Empfindung  veranlassenden  Beize  von  der  Körperwelt  ane* 


•60    Oiolbe:  Örenioa  und  Vnpnuig  der  menaehüchen  &keiiiitiü«. 

gehen  und  ohne  diese  gar  nicht  denkbar  sind.  Wir  wollen  damit 
die  Empfindungen  nicht  allein  ans  der  Materie  und  ihren  Bewegun- 
gen ableiten;  eben  so  wenig  sind  wir  der  Meinung,  dass  die 
Empfindungen  nichts  als  Bewegungen  des  Hirns  sind,  oder  dass 
die  Empfindung  nur  in  der  Neryenmaterie  besteht.  Wir  stimmen, 
wie  die  Torliegende  Schrift,  keiner  Theorie  bei,  weiche  Alles  nur  aus 
dem  Stoffe  erklären  will.  Wir  sind  in  gleicher  Weise  auch  nicht 
der  Ansicht,  dass  die  organische  Entwickelung  allein  durch  den 
Stoff  erklärt  werden  kann.  Allein  so  wenig  „zweckmässige"  oder 
„organische  Formen"  dadurch  in  ihrem  Entstehen  erklärt  werden, 
dass  man  sie  als  ursprünglich  oder  unentstanden  annimmt,  so  wenig 
wird  durch  die  Annahme  dieser  ürsprünglichkeit  oder  Anfangs- 
losigkeit  das  Entstehen  der  Empfindungen  klar.  Wenn  man  nach 
dem  Warum  fragt,  folgt  die  Antwort:  Es  ist  einmal  so,  weil  es 
immer  so  ist  und  immer  so  war  und  so  sein  wird.  Wird  die 
Sache  dadurch  klar,  wenn  uns  unser  Bewusstsein  und  die  Erfahrung 
jeden  Tag  zeigeui  dass  zweckmässige  Formen,  ebenso  wie  die  Empfin- 
dungen, entstehen,  dass  solche  Formen  und  Empfindungen  zu  Tage 
kommen,  die  noch  nicht  da  waren?  Es  wird  hervorgehoben,  dass, 
„wenn  sich  ausschliessende  Bewegungen  d.  h.  gleich  intensive  in 
entgegengesetzter  Richtung  zusammentreffen,  Gleichgewicht  oder 
Buhe  entstehe,  d.  h.  die  Bewegungen  vollständig  verschwinden, 
aber  in  ihrer  Wirkung,  z.  B.  dem  Zusammenhalten  von  Körpern 
unsichtbar  vorhanden  bleiben."  Lässt  sich  dieses  mechanische  Ge- 
setz auf  die  Empfindungen  und  Gefühle  anwenden?  Gewiss  nicht. 
Diese  sind  einmal  nicht  blosse  Bewegungen.  Beize  können  wohl  Be- 
wegungen sein ;  aber  die  Empfindung  ist  der  Eindruck,  der  aus  der 
Bewegung  hervorgeht.  Dann  schliessen  sich  die  Empfindungen  nicht 
aus  und  sind  am  allerwenigsten  intensiv  gleich.  Sie  sind  ja  nicht 
nur  vom  äussern  Beiz,  sondern  von  der  innem  Kraft  bedingt, 
welche  sich  mechanisch  nicht  berechnen  lässt.  Endlich  bleibt  bei 
diesen  Bewegungen  der  Körperwelt,  wenn  die  sich  neutralisirenden 
Bewegungen  aufhören  oder  verschwinden,  doch  noch  etwas  übrig, 
nämlich  die  Körperwelt.  Wenn  aber  die  Empfindungen  nichts  als 
sinnliche  oder  Empfindungsqualitäten  und  keine  Körper  sind,  bleibt 
bei  diesem  Neutralisiren  Nichts  mehr  ttbrig.  Auch  wird  man  nicht 
behaupten  wollen,  dass  die  sich  neutralisirende  Bewegung,  wenn  sie 
Buhe  geworden  ist,  noch  Bewegung  sein  soll.  Was  berechtigt 
femer  zu  der  Hypothese,  dass  die  Empfindungen  und  Gefühle  überall 
in  demselben  Baum  gleichmässig  vorhanden  sind?  Was  aber  im 
Baum  ist,  sollte  wohl  ausgedehnt  sein.  Kann  man  das  von  Qua- 
litäten sagen,  die  sich  neutralisiren,  verschwunden  sind  und  nicht 
zum  Vorschein  kommen?  Kann  man  überhaupt  verschwundene  und 
nicht  zum  Vorschein  kommende  Qualitäten,  z.  B.  verschwundene,  nicht 
zum  Vorschein  kommende  Farben,  Töne,  Geschmacks-,  Geruchs- und 
Tastempfindungen  noch  Empfindungen  nennen  ?  Erst,  wenn  sie  in  uns 
9um  Vorschein  kommen,  sind  sie  Empfindungen.  Freude  oder  Lust, 


Ol olbe:  Qnamn  und  XTriprang  der  meDBöUloliai  ErlmmtBiM.    Ml 

Sclmierz  oder  Trauer,  Bedürfhiss  oder  Trieb  kQnnen  nicht  atisserhalb 
der  K(5rperwelt  im  leeren  Banm  an  sich,  vom  KOrper  getrennt  sein. 
Sie  sind  ja  nnr  OefUhle  im  Subjecte»  im  Körper,  nicht  ansserbalb 
des  Körpers.  Sie  könnten  wohl  im  Körper,  aber  nicht  ansserhalb 
des  Körpers  im  Banm  latent  sein.  Die  nicht  znm  Vorschein  kom« 
menden,  einander  nentralisirenden  Empfindungen  nnd  OefUhle  bil- 
den »den  rahenden  Inhalt  des  Baumes«,  seine  »todte,  nnsichtbaro 
Spannkraft.«  Auch  hier  geht  man  wieder  von  jener  yerkehrten  An« 
sieht  ans,  dass  der  Banm  »Substanz«  sei.  DerBatmi  kann  keine  Spann« 
kraft  haben,  weil  er  kein  Wesen,  die  Spannkraft  kann  nicht  latent 
sein,  weil  eine  todte  Spannkraft  keine  Spannkraft  ist.  Wie  können 
wir  von  einer  Spannkraft  von  Qualitäten  sprechen,  die  wir  erst 
dann  erkennen,  wenn  sie  aus  der  Buhe  zur  Bewegung  kommen, 
die  wir  aber  ruhend  durch  keinen  Sinn  auffassen  können?  Es  ist 
eine  willkürliche  und  unerweisbare  Annahme,  dass  sich  Empfin* 
düngen  und  Gefahle  als  Ganzes  absolut  oder  entschieden  ans- 
schliessen.  Absolut  schliessen  sich  nur  solche  Dinge  aus,  die  in 
keinem  Merkmale,  in  keiner  Hinsicht  übereinstimmen.  Das  wird 
man  aber  doch  wahrlich  nicht  von  den  Empfindungen  und  Gefühlen 
sagen,  die  zusammengehören  und  nicht  anders  als  zusammengehörig 
gedacht  werden  können.  Auch  ist  zwischen  absolut  und  ent- 
schieden zu  unterscheiden.  Wenn  die  Empfindungen  und  Ge« 
fühle  sich  auch  neutralisiren,  so  sind  sie  doch  als  »yerschwunden 
im  Baum  vorhanden«,  weil  dieser  »durchdringlich«  ist.  Dire  »Ein- 
heit oder  Harmonie«  ist  die  den  Empfindungen  und  Gefühlen 
»gemeinsame  Qualität  des  Bewusstseins««  Natürlich  muss  also 
auch  diese  Qualität  »im  Baume«  und  wie  die  Empfindungen  und 
Gefühle,  wenn  sich  diese  neutralisiren,  ebenfalls  unsichtbar  als 
»todte  Spannkraft«  im  Baum  sein.  Giebt  es  aber  ein  Bewusstsein, 
ein  schlafendes  oder  wachendes  wo  anders,  als  innerhalb  der  Sphäre 
der  bewussten  oder  des  Bewusstseins  fähigen  Individualität?  Ein 
in  allen  Bäumen  vorhandenes  Bewusstsein ,  das  mit  allen  latenten 
Empfindungen  und  Gefühlen  verbunden  ist,  soll  »die  Weltseele« 
sein  ?  Hat  aber  das  ein  Bewusstsein,  was  ausserhalb  der  bewussten 
Sphäre  liegt;  kann  Bewusstsein  aus  Elementen  kommen,  die  gar 
nicht  in  der  Bewusstseinsfähigkeit  liegen?  So  sehr  wir  an  der 
»todten  Spannkraft«  der  Empfindungen  und  Gefühle  im  Raum 
zweifeln,  so  wenig  dürfen  und  können  wir  das  Bewusstsein  ausser- 
halb der  Körperwelt  als  Inhalt  des  Baumes  betrachten.  Das  Ge- 
hirn wird  nun  »durch  die  Körperwolt  erregt«  und  von  »der  Welt- 
seele durchdrungen.«  So  entstehen  die  »psychischen  Processe.«  Wir 
wissen  aber  nur  etwas  von  einer  Erregung  durch  Stoffe  und  Kräfte, 
niemals  aber  von  einer  Weltseele  oder  von  Elementen,  die  uns  die 
Empfindungen  und  Gefähle  aus  unsichtbaren  Elementen  des  Baumes 
und  nicht  aus  der  uns  umgebenden  Welt  der  Stoffe  und  Kräfte 
zufiiessen  lassen.  So  wird  unser  Ich  die  »Weltseele«^  die  sich  im 
Gehirne  ihrer  bewusst  ist.    Wir  sind  xms  aber  der  einheitlichen 


J 


M    Otolbei  OrflBsen  imd  Ursprung  der  mentiiUichen  SrkeimtniBB. 

Cöncentratioiieii  aller  unserer  SeelenkrKfte  im  Geiste  bewnsst,  mid 
die  individuelle  Seele  ist  etwas  ganz  anderes,  als  diese  so  genannte 
Weltseele.  Wenn  diese  Weltseele  znm  Bewnsstsein  kommt,  ist  sie 
ja  nur  eine  selbstbewnsste  einzelne  nnd  keine  allgemeine  Seele. 
Das  Ich  ist  keine  »Hypothese«;  es  ist  wirklich  vorhanden;  denn 
ed  ist  das  sich  selbst  Wissende  nnd  von  allem,  was  es  nicht  ist, 
Unterscheidende. 

So  werden  demnach  vier  Grenzen  der  ßrkenntniss 
unterschieden,  eine  ideale  »das  darch  möglichste  Yollkommen- 
heit  bedingte  Qlüok  jedes  fühlenden  Wesens«  und  drei 
fundamentale,  1)  Materie  und  Baum,  2)  die  zweck- 
mässigen Formen  der  Welt  und  3)  »die  im  Baum  verborgenen 
Empfindungen  und  Gefühle«  oder  die  »Weltseele.« 

Sie  werden  Grenzen  der  Erkenntniss  genannt,  weil  bei  ihnen 
nach  keinem  weiteren  Warum  oder  Ursprung  gefragt  werden  soll 
Im  Baume  sind  aber  keine  Empfindungen  und  Gefdhle  verborgen 
und  diese  können  keine  Grenze  bilden,  weil  man  nach  ihren  Factu- 
ren  forschen  mass  und  sie  auf  dem  Wege  der  Beobachtung  findet. 
Dasselbe  ist  mit  der  Zweckmässigkeit  der  Fall,  die  nicht  der  letzte 
Grund,  sondern  nur  die  Folge  eines  höheren  Grundes  sein  kann. 
Auch  ist  der  Baum  eben  so  wenig  eine  Substanz,  als  theilbaxe 
Körper  Atome  sind. 

Der  Herr  Verf.  hat  mit  vorliegender  Schrift  nicht  »zum  abso- 
luten Begreifen  der  Welt«  geführt.  Das  sittliche  Grundprincip  des 
Naturalismus  ist  ihm  die  »Zufriedenheit  mit  der  natürlichen  Welt«, 
welche  der  ethischen  Forderung  genügt. 

Ungeachtet  seines  Gott,  Unsterblichkeit  und  Freiheit  aus- 
sehliessenden  Naturalismus  äussert  er  sich  sehr  duldsam  über 
die  christliche  Kirche,  indem  er  sie  »im  Vergleiche  zu  sämmtliohen 
phildsophischen  Systemen«  (er  nimmt  auch,  wie  er  bescheiden  von 
seiner  Schrift  sagt,  »die  mangelhafte  dilettantische  Darstellung« 
seines  Systemes  nicht  aus)  »und  zu  andern  Kirchen  und  sittlichen 
Verbrüderangen  heute  und  noch  für  lange  Zeit  theoretisch  nnd 
praktisch«  »das  Beste«  nennt.  Er  erklärt,  dass  diese  seine  »Ueber- 
zeogung«  mit  seinem  »Atheismus«  »eben  so  wenig  im  Widerspruch 
stehe«  und  erklärt  den  ihm  in  Bom  von  Pius  IX.  zu  Theil  gewor- 
deaeü  »wohlwollenden  Empfang  und  Segen«  als  eine  »unverges?- 
liche  Erinnerung.«  Ja,  er  geht  in  der  Duldsamkeit,  während  er 
sich  gegen  die  »freien  Gemeinden«  ausspricht,  soweit,  zu  erklären, 
dass  die  Encyclica,  welche  »die  naturalistische  Philosophie«  des 
Härm  Verf.  verdammt,  dessen  »Sympathie  für  die  erhabene  Orga- 
nisation der  katholischen  Kirche  (sie)  nicht  verlöscht  habe«  (S.  27f ). 
Dabei  wird  der  Glaube  an  »einen  Vater  im  Himmel«  ein  »Phan- 
tasiegebilde« genannt,  das  »allmälig  erblassend  dahin  sterben  wird.« 
So  berühren  sich  auch  hier  in  gewisser  Beziehung  die  Extreme.  Ob 
die  Zufriedenheit  mit  dieser  Welt  durch  die  Annahme  der  Nichtig- 


Taeiü  Opp.  ed.  Fr.  Ritter.  663 

keit  aller  ttbersinnlichen  Ideen  verwirklicht  wird,  muss,  wie  vie- 
les Andere,  ans  dem  theoretischen  Lehrgebände  des  Herrn  Verf. 
mit  Becht  bessweifelt  werden. 

V.  Reichlin-Meldegg. 


P,  Cornelii  Taeiii  opera,  ex  vetustissimis  codidbttB  a  st  dermo  eolla^ 
Us,  glossis  seclusis,  laciinis  releclis,  wendis  correctü  recensuÜ 
Fr.  Ritter.  Lipsiae  1864.  S.  XXXVIII  u.  799  S. 

Der  bekannte  Erklärer  des  Horatins,  Prof.  Ritter  in  Bonn 
bat  wiederum  durch  die  Bearbeitung  eines  andern  Klassikers  sich 
ansem  Dank  erworben;  doch  ist  die  Behandlung  beider  Schrift- 
steller nicht  dieselbe.  Während  z.  B.  um  nur  eines  anzuführen, 
der  Dichter  mit  verschiedenen  Anmerkungen  bekleidet  ist,  und  der 
Gedankengang  jedes  Gedichtes  ausführlich  entwickelt  wird :  ist  da- 
gegen der  vorliegende  Prosaiker  ohne  alle  Anmerkungen  und  Er- 
klämngen  edirt;  nur  sind  die  Varianten  der  einzelnen  Mss.  und 
manche  Conjecturen  von  früheren  Herausgebern  verzeichnet;  auch 
ist  besonders  angegeben,  welche  Veränderungen  der  Verfasser  im 
Text  selber  macht,  meist  jedoch  ohne  die  Gründe  anzuführen.  Der- 
selbe bat  nun  zwar  in  der  langen  Vorrede  (von  88  Seiten),  wo  er 
nicht  nur  von  den  Mss.  ausführlich  spricht,  sondern  auch  die 
Fehler,  welche  nach  und  nach  sich  in  den  Tacitus  eingeschli- 
chen haben,  in  drei  Klassen  theilt  und  diese  Eintheilung  immer 
durch  eine  Anzahl  von  Beispielen  belegt,  hierbei  viele  seiner  Ver- 
mnthungen,  Aenderungen  und  Verbessei  ungen  aufgeführt  und  auch 
meist  kurz  erhärtet  oder  vertheidigt;  aber  wenn  man  auch  in  der 
Vorrede  dem  Verfasser  meist  Recht  geben  möchte;  wenn  man  im 
Text  an  seine  Aenderung  kommt,  gefällt  sie  nicht  immer  ebenso; 
man  zweifelt  oder  hält  sie  für  unnöthig ;  z.  B.  ann.  I.  65  hat  der 
cod.  Medic.  en  Varus  et  eodemque  iterum  fato  vinctae  legiones ;  da 
die  doppelte  Verbimdung  et  und  -que  nicht  stehen  kann,  hat  Lipsius 
*que,  andere  wie  auch  Ritter  in  der  ersten  Ausgabe  et  gestrichen, 
nun  fügt  er  nach  et  das  Wort  fuga  ein,  indem  er  meint,  ein  Ab- 
schreiber sei  von  G  in  FVGA  auf  E  in  EODEMQVE  übersprun- 
gen und  habe  so  fuga  ausgelassen ;  diese  Conjectur  wird  schwerlich 
gefallen,  indem  sie  auch  matt  ist.  Ueberhaupt  setzt  der  Verfasser 
gern  ein  Wort  ein:  z.  B.  ann.  I,  8  sestertium,  da  im  Mss.  die 
Zahl  mit  Ziffern  steht,  ist  jedenfalls  annehmbar,  besonders  da  bei 
den  gleich  folgenden  Zahlen  nummum  etc.  dabei  steht.  Ob  im 
nämlichen  Kapitel  per  vor  improspera  zu  setzen  sei,  bleibt  zweifel- 
hafter, ist  aber  fast  annehmbarer,  als  die  bisherige  Correctur  im- 
pTOspere,  da  dies  mit  dem  folgenden  repetite  eine  Kacophonie  bil- 
det. Während  wir  in  cap.  27  cum  nach  eum  zugesetzt  und  im  30. 
fion  vor  comgregari  wiederholt  billigen  mögen,  ünden  wir  cap.  28 


664  Gaisberger:  ArohHologisdie  Nachlese. 

annOthig  impetrare  yor  pergerent  einzuschieben.  Im  csp»  82  wird 
sogar  durch  ein  wiederholtes  neque  eine  Lücke  eingebracht,  die 
gar  nicht  existirt ;  wie  wir  auch  cap.  35,  41,  69  etc.  keine  Uüek« 
für  nöthig  halten,  indem  die  breviloquentia  des  Tacitus  den  Sinn 
ganz  leicht  errathen  lässt.  Eine  andere  Art  von  Conjecturen  be- 
trifft weniger  den  Sinn  als  die  Sprache  oder  Schreibart  des  Schrift- 
stellers :  so  schreibt  der  Verfasser  überall  unaetvicesimani  und  ähn- 
liches statt  unetvicesimani ,  so  corrigirt  er  faciat  in  faciant  (ann« 
I,  42),  weil  zwei  nominativi  vorausgehen,  so  cap.  56  cumque  qni- 
dam  statt  cum,  da  que  leicht  wegen  qui  verloren  ging;  cap.  63 
wird  in  eingesetzt  leicht  erklärlich,  weil  equitum  vorausgeht  (cap. 
60  ist  das  eingeschobene  in  nicht  so  leicht  zu  erklären,  da  prae- 
fectus  vorausgeht;  vielleicht  ist  zu  schreiben  inducit,  statt  dncii, 
indem  in  wegen  Frisiorum  abhanden  kam). 

Aus  diesen  wenigen  Conjekturen  und  Verbesserungen  des  ersten 
Buches  sehen  wir  hinlänglich,  mit  welcher  Aufmerksamkeit  und 
mit  welchem  Scharfsinne  der  Verfasser  seinen  Autor  behandelt 
hat;  es  ist  daher  nicht  nothwendig  noch  weitere  Stellen,  wo  eine 
bessernde  Hand  eintrat,  auszuheben;  nur  bemerken  wir,  wie  auch 
aus  obigen  Beispielen  erhellt,  dass  der  Verfasser  sich  oft  zu  sehr 
gehen  lässt,  d.  h.  dass  er  zu  schnell  bessern  will,  wo  eigentlich 
kein  Fehler  ist,  zu  oft  ändert,  wo  nicht  nothwendig  ist ;  denn  wir 
sind  von  jeher  der  Ansicht,  dass  in  den  alten  Klassikern  die  über- 
lieferte Lesart  wo  möglich  zu  behalten,  höchst  selten  etwas  herans- 
zuwerfen  oder  einzusetzen  ist;  denn  wenn  wir  diese  Erlaubniss  jed- 
wedem, auch  scharfsinnigen  Herausgeber  gestatten  wollten,  würde 
bald  der  Text  nicht  mehr  der  alte  überlieferte  sein.  Noch  merken 
wir,  dass  vorliegender  Ausgabe  ein  sehr  sorgföltiger  index  histori- 
cus  beigefügt  ist ;  wir  hätten  gewünscht,  dass  auch  ein  index  ver- 
borum  beigegeben  wäre,  wie  der  oben  erwähnte  Horatius  einen 
sehr  genauen  aufweist. 


Joseph  Gaisberger.    Archäologische  Nachlese;  mü  einem  Kmi* 
chen  und  zwei  Tafeln  in  Steindruck.  Lint  1864.  76  8.  8. 

Der  regulirte  Chorherr  Gaisberger,  dem  wir  schon  schöne 
Arbeiten  über  die  römischen  Inschriften  Eämthens  verdanken,  hat 
sich  ein  neues  Verdienst  durch  vorliegende  Schrift  erworben,  in 
welcher  er  au  die  früheren  Funde  aus  Eömer  Zeit  diejenigen,  welche 
seit  dem  bei  der  Kaiserin  Elisabeth- Westbahn  und  durch  andere 
Bauten  entdeckt  werden,  am*eiht,  so  dass  wir  eine  Uebersicht  von 
dem  gewinnen,  was  immer,  so  viel  bekannt  ist,  in  jenem  Lande 
aus  der  alten  Zeit  aufgefunden  wurde.  Der  Verfasser  führt  so 
58  Orte  in  dem  nicht  grossen  Landstrich  an,  und  verzeichnet  bei 
jedem  die  kleinern  Alterthümer,  die  Münzen,  die  Lischriften  u.  s.  w«. 


Die  Aadri*  des  Terentivt  von  Klot«.  665 

und  da  das  Werkcben  nur  eine  Nachlese  ist,  so  werden  die  In« 
Schriften  n.  8.  w.  nicht  wörtlich  aufgeführt ,  sondern  immer  nnr 
angegehen.  wo  jede  veröffentlicht  ist;  wir  würden  dem  Verfasser 
grösseren  Dank  schulden,  wenn  er  sie,  was  freilich  das  Büchlein 
bedeutend  vermehrt  hätte,  aufgeführt  hätte.  Nur  die  neu  entdeck- 
ten inschriftlichen  Steine  werden  mitgetheilt;  dies  sind  fast  nur 
Legionsziegel  meistens  der  11  Italica,  oder  Töpfemaraen  wie  FORTIS 
VRSINVS  u  s.  w.  auch  seltene  wie  CENNO ;  und  folgende  Votiv- 
tafel: 

I  0  M 

M.  RVSTIVS.  P  f. 

VNIANVS.  BF  Consulis 

LEG  n  ITAL.  PF 

seVeriana 

pRO  SALute  sVA 

sVORuMQVE 

V.  L.  M 

AGRICOLAET  cleMENT  .     p.  Ch.  230 

P.  ID.  MAIS  15.  Mai. 

Wir  möchten  Zeile  8  lieber  Junianns  als  ünianus  lesen,  be- 
sonders da  auch  Zeile  4  vom  ein  Buchstabe  fehlt.  Dem  Werkchen 
sind  beigefügt  ausser  den  Abbildangen  neugefundener  Alterthümer 
auch  eine  Karte  über  Kämthen  mit  den  Orten,  wo  solche  jemals 
gefunden  wurden,  und  der  betreffende  Abschnitt  der  tab.  Penting. 
Möge  der  gelehrte  Verfaeser  bald  die  Inschriften  Kärhtheus  u.  s.  w. 
vollständig  veröffentlichen.  Klein. 


Andria  P,  Terenti,  Mit  krüiwhen  und  exegetischen  Anmerhin* 
gen  von  Reinhold  Klotz,  Beigegeben  ist  ein  Exeursus  über 
die  unlaieinische  Wortform  Sublimen.  Leipzig,  Verlag  von 
VeU  et  Comp.  1665.  XII  und  220  8.  in  gr.  8. 

Auch  mit  dem  weiteren  Titel: 

Biblioiheea  Latina  minor.  Herausgegeben  von  Reinhold 
Klotz.  Zweites  Bändchen.  Andria  P.  Terenti.  Leipzig 
u.  s.  w. 

Das  Unternehmen,  von  dem  hier  ein  erstes  Band  eben  —  in 
der  Reihenfolge  des  Ganzen  das  zweite,  insofern  das  erste,  welches 
die  Bearbeitung  des  Miles  gloriosus  enthalten  soll,  demnächst  erst 
erscheinen  wird  —  verdient  gewiss  die  Beachtung  aller  Freunde 
der  Literatur.  Es  ist  hervorgegangen  aus  dem  von  früheren  Zu- 
hörern wie  jüngeren  Gelehrten  an  den  Herausgeber  gerichteten 
Wunsche,  einen  Theil  der  Vorlesungen,    welche  von  ihm  verschie- 


660  Die  Andrla  des  TerentitiB  von  Kloti, 

dentliob  Aber  lateinische  Schriftsteller  gehalten  worden  waren,  im 
Druck  erscheinen  zu  lassen,  nnd  so  den  Inhalt  dieser  VortrSge  m 
einem  Gemeingut  auch  Rir  Andere  zu  machen,  welche  daraus  die 
Art  und  Weise  der  Behandlung  eines  alten  Schriftstellers,  sowohl 
in  Bezug  auf  die  Kritik  des  Textes,  als  namentlich  dessen  Er- 
klärung ersehen,  und  dadurch  lernen  sollen,  selbst  den  richtigen 
Weg  in  der  kritischen  wie  exegetischen  Behandlung  der  Alten  ein- 
zuschlagen. So  wird  das  ,  was  yon  einem  der  erfahrensten  und 
gründlichsten  Kenner  der  lateinischen  Sprache  und  Literatur  hier 
geboten  wird,  auch  als  eine  Anleitung  dienen  kCnnen,  welche  vor 
jedem  einseitigen  wie  ungründlichen  Verfahren  in  der  Behandlang 
der  Alten  abhalten  soll,  während  sie  insbesondere  auch  auf  das- 
jenige hinweist,  was  von  einer  genauen,  die  Sache  wie  die  Sprache 
berücksichtigenden  Exegese  verlangt  werden  kann. 

Das  unternehmen  beginnt  mit  einem  der  gelesensten  Stücke 
des  Terentius  und  mit  einen  der  gefeiertsten  Dramen  des  Piautas. 
Wenn  in  den  letzten  Zeiten  für  die  Texteskritik  der  lateinischen 
Dichter  Vieles  geleistet  worden  ist,  wenn  man  insbesondere  be- 
müht war,  den  Text  derselben  auf  die  älteste  handschriftliche  Ueber- 
lieferung  möglichst  zurückzuführen,  die  älteren  Formen  der  Sprache, 
wie  die  ältere  Schreibung  wiederherzustellen  und  ebenso  auch  die 
metrischen  Verhältnisse,  die  früher  weniger  beachtet  worden  waren, 
ins  Licht  zu  setzen,  so  hat  die  eigentliche  Wort-  und  Sacherkl&rung 
kaum  gleichen  Schritt  mit  diesen  kritischen  Bemühungen  gehalten, 
mit  denen  sie  so  oft  zusammenhängt,  während  sie  andererseits  darch 
diese  selbst  wieder  vielfach  bedingt  ist.  Um  so  mehr  wird  es  da- 
her jetzt  an  der  Zeit  sein,  diese  Lücke  auszufüllen  und  wenn  diess 
durchgehends  in  solcher  Weise  geschieht,  wie  es  in  dieser  Be- 
arbeitung der  Andria  geschehen  ist,  so  würden  wir  uns  daza  in 
der  That  Glück  zu  wünschen  haben.  Wir  werden  freilich  dabei 
nicht  übersehen  dürfen ,  dass  die  Ergebnisse  vieljähriger  Studien 
eines  Veteranen,  und,  wie  schon  oben  bemerkt,  eines  der  gründ- 
lichsten Kenner  der  gesammten  lateinischen  Literatur,  welcher  über 
den  Terentius  mehrmals  Vorlesungen  gehalten  hat,  in  dieser  Aus- 
gabe niedergelegt  sind,  die  darum  keineswegs  in  Eine  Reihe  mit 
denjenigen  Ausgaben  gestellt  werden  darf,  wie  sie,  zum  Schulge- 
brauch bestimmt  und  mit  deutschen ,  darauf  eingerichteten  An- 
merkungen versehen,  jetzt  vielfach  uns  entgegentreten.  Es  ist  viel- 
mehr diese  Ausgabe  nach  einem  ganz  andern  Massstabe  angelegt, 
und  in  Plan  wie  in  Ausführung  von  derartigen  Fabrikaten  ver- 
schieden: sie  ist  vielmehr,  wie  wir  schon  angedeutet  haben,  für 
jüngere  Gelehrte,  wie  für  den  weiteren  Kreis  gebildeter  Kenner 
(des  Alterthums  bestimmt  und  wird  in  der  umfassenden  und  allsei- 
a-igen,  gelehrten  Auslegung  des  Terentius  auch  die  Aufmerksamkeit 
der  Männer  des  Faches  eben  so  sehr  anzusprechen  haben, 
je.  Das  Ganze  beginnt  mit  einer  Einleitung,  welche  über  die 
*«on  des  Terentius  sich  verbreiteti  und  das,  was  aus  den  Nach* 


Die  Andrl«  cUe  Terentias  von  Kloti.  66t 

nebten  der  Alten  in  Verbindnng  mit  den  Porschnngen  der  Neueren 
«ich  mit  Sicherheit  ergibt,  znsammengefasst  hat.  Das  Geburtsjahr 
des  Dichters  wird  570  u.  o.  (die  Zahl  756  beruht  wohl  auf  einem 
Druckfehler)  angesetzt,  als  das  Todesjahr  wird  das  Jahr  nach  der 
nach  Oriechenland  unternommenen  Reise  (594  u.  o.)  angenommen: 
beides  auf  Grund  der  Stelle  im  Leben  des  Terentius  von  Suetonius, 
womach  Terentius  nach  Herausgabe  seiner  Komödien,  »nondum 
quintum  et  yicesimum  annum  egressus  (so  haben  die  Handschriften, 
und  an  dieser  Lesart  hält  auch  unser  Verfasser,  gegen  Ritschi, 
welcher  ingressus  schreibt)  —  egressus  urbe  est  (nemlich  zur 
Reise  nach  Griechenland)  neque  amplius  rediit.c  Es  ist  diess  aller- 
dings das  einzige  sichere  Zengniss  und  darum  wird  man  auch  daran 
sich  zu  halten  haben,  um  so  mehr,  als  dann  das  vielbesprochene 
Verhaltniss,  in  welchem  Terentius  zu  Scipio  Africanus  dem  Jüngern  und 
zu  Lälius  stand,  als  ein  ganz  natürliches  erscheint,  indem  Scipio 
(geboren  569  n.  c.)  zu  einem  Altersgenossen  wird,  an  welchen  sich 
der  gebildete  Terentius  anschloss»  Was  die  verschiedentlich  von 
Suetonius  und  Andern  berichteten  Angaben  über  dieses  Verhaltniss 
betrifft,  so  hat  sich  der  Verf.  darüber  in  folgender,  nach  unserer 
üeberzeugung  durchaus  richtigen  Weise  ausgesprochen  8.  4.  5.: 
»Mögen  immerhin  a]le  diese  verschiedenen  Annahmen  auf  blossen 
Muthmassungen ,  zum  Theil  auch  gehässigen  Darstellungen  von 
Neidern  und  Gegnern  beruht  haben,  so  ist  doch  das  engere  An- 
schliessen  unseres  Dichters  an  die  jüngere,  geistvoll  zu  höherer 
Bildung  zu  seiner  Zeit  aufstrebende  Generation  Rom's  dadurch 
ausser  Zweifel  gesetzt  und  erklärt  es  uns  genugsam,  wie  es  dem 
jungem  Manne,  der  nicht  geborener  Römer  war,  vielleicht  ursprüng- 
lich einer  ganz  fremden  Nationalität  angehört  hatte,  so  schnell  und 
so  ganz  vorzüglich  gelang,  in  seinen  den  Bühnenstücken  der  neue- 
ren attischen  Komödie  nachgedichteten  Lustspielen  die  Sprache  des 
höheren  Umgangstones  in  Rom  in  einer  so  vollkommenen  Weise 
wiederzugeben,  indem  er  einerseits  alles  Missfällige  und  in's  Ge- 
meine Streifende  im  Ausdruck,  andererseits  alles  Ausschweifende 
in  Possen  und  Witzen  fem  hielt,  dass  er  zu  allen  Zeiten  als  Muster- 
schriftsteller in  dieser  Beziehung  dastände  u.  s.  w.  In  dem,  was 
dann  weiter  S.  5  und  6  so  wie  8.  9  ff.  über  des  Terentius  Lei- 
stungen bemerkt  wird,  wird  man  eine  durchaus  richtige  Charakte- 
ristik, bei  welcher  auch  die  Urtheile  der  Alten  in  Betracht  gezogen 
sind,  finden. 

Auf  die  Einleitung  folgt  der  Text  der  Andria,  mit  dem  in 
doppelten  Oolumnen  in  kleinerer  Schriit  darunter  abgedruckten 
deutschen  Commentar,  dessen  Fülle  allerdings  die  Beifügung  eines 
Index  über  die  darin  erklärten  Ausdrücke,  so  wie  über  alle  sach- 
lichen Bemerkungen  (S.  208—218)  und  eines  weiteren  Index  Über 
die  in  diesem  Commentar  behandelten  zahlreichen  Stellen  anderer 
lateinischer  Autoren,  namentlich  des  Plautus  und  des  Cicero,  ver- 
anlasst hat.  Am  Schlüsse  des  Textes  folgt  eine  genaue  Angabe  der 


968  Die  Andrla  des  Terentiiis  Ton  Klots. 

▼on  Terentius  in  den  einzelnen  Abschnitten  angewendeten  Metren, 
und  zwar  Vera  nm  Vers,  so  wie  als  weitere  Zngabe  8.  195  ein 
eigener  Excurs  (zn  V,  2,  20  oder  Vers  861  des  Ganzen)  über  die 
unlateinische  Wortform  Sublimen. 

Was  nun  zuvörderst  den  Text  betrifft,  so  erkl&rt  der  Verf. 
yorzugsweise  demselben  die  Ausgabe  von  A.  Fleckeisen  zu  Omnde 
gelegt  zu  haben,  und  diesem  Heransgeber  auch  in  der  älteren  Ortho- 
graphie gefolgt  zu  sein,  eben  weil  er  bei  seiner  Ausgabe  yorzugs- 
weise den  exegetischen  Theil  in's  Auge  gefasst  hatte.  »Allein,  wie 
nur  erst  nach  einer  umsichtigen  Kritik  eines  Textes  die  gehörige 
Ausdeutung  desselben  möglich  zu  werden  pflegt,  so  meint  der  Ver- 
fasser aber  auch  durch  eine  gründliche  Auslegung  und  Worterklft- 
rung  die  endgültige  kritische  Feststellung  des  Textes  selbst,  ohne 
den  Schein  der  Anmassung  auf  sich  zu  laden,  nicht  unerheblich 
gefördert  und  Mancherlei  in  seine  Anmerkungen  mit  eingeflochten 
zu  haben,  was  auch  für  weitere  und  höhere  Kreise  nicht  aller  Be- 
achtung unwerth  erscheinen  möchte«  (S.  XI).  Von  der  Wahrheit 
dieser  Behauptung  wird  man  sich  bald  überzeugt  finden,  da  fast 
jede  Seite  dazu  irgend  einen  Beleg  liefern  kann.  Die  Erklärung, 
wie  sie  nun  eben  Hauptaufgabe  geworden  ist,  befasst  sich  nicht  nnr 
mit  Allem  dem,  was  zur  Oekonomie  des  Stückes,  Anlage  und  Durch- 
führung durch  die  einzelnen  Akte  und  Scenen  gehört,  von  welchen 
jede  mit  einer  darauf  bezüglichen  kurzen  Einleitung  oder  Erörte- 
rung begleitet  ist,  oder  was  zur  sachlichen  Erklärung  gehört,  son- 
dern sie  ist  insbesondere  auch  auf  das  Sprachliche,  und  auf  das,  was 
in  grammatischer  Hinsicht  eigenthümlich  erscheint,  gerichtet,  nm 
80  mehr,  als  bei  all*  den  umfassenden  Bemühungen  der  neuesten 
Zeit  um  die  Texteskritik  der  lateinischen  Komiker,  doch  für  die 
sprachliche  Erklärung  nicht  in  dem  Grade  das  geleistet  worden  ist, 
was  man  wünschen  mochte  Man  hat  daher  schon  ans  diesem 
Grunde  alle  Ursache,  dem  Verfasser  dankbar  zu  sein,  dass  er  diese 
Lücke  in  so  befriedigender  Weise  auszufüllen  unternommen  hat, 
zumal  bei  seiner  umfassenden  Kenntniss  des  Sprachgebrauchs  der 
classischen  römischen  Zeit ;  man  sieht  bald,  wie  durch  diese  sprach- 
lichen Erörterungen  nicht  blos  das  Verständniss  des  Terentius  und 
die  richtige  Erkenntniss  seiner  Bede-  und  Ausdrucksweise  wesent* 
lieh  gefördert  wird,  sondern  auch  für  die  Erkenntniss  des  Sprach- 
gebrauches der  klassischen  Schriftsteller  Bornas  überhaupt  mancher 
Gewinn  hervorgeht. 

Wir  haben  oben  bemerkt,  dass  der  Verfasser,  wie  er  selbst 
in  der  Vorrede  erklärt,  Fleckeisen's  Ausgabe  dem  Text  der  seinigen 
zu  Grunde  gelegt  hat.  Indessen  zeigen  sich  doch  bei  näherer  Be- 
trachtung bald  grosse  Verschiedenheiten,  wie  sie  bei  der  Selbstän- 
digkeit der  Forschung,  die  sich  in  der  ganzen  Bearbeitung  kund 
gibt,  auch  kaum  ausbleiben  konnten.  Man  wird  die  Abweichungen 
des  hier  gelieferten  Textes  weit  zahlreicher  und  bedeutender,  aber, 
setaen  wir  hinzu,  auch   meist  wohl  begründet  finden.     Der  Verf. 


Die  Andria  des  ffereiitttiB  von  Klots»  669 

nemlich  hat  im  Ganzen  auch  hier   den   conseryativen  Standpunkt 
eingehalten,   den  er  in   andern   der   von  ihm  veranstalteten  Aus- 
gaben lateinischer  Olassiker  beobachtet  hat :  das  heisst,  er  hat  die 
handschriftlich  überlieferte  Lesart,  zumal  wenn  die  üeberliefei'ung 
eine  alte  und  wohlbeglaubigte  ist,  nicht  fallen  lassen,  um  unsiehem 
und  willkührlichen  Einföllen,  die  man  Verbesserungen  nennt,  Baum 
zu  geben,  er  ist  vielmehr  bedacht,  die   handschriftliche   Lesart  zu 
erklären,  was  ihm  auch  in  den  meisten  Fällen  gelungen  ist«  Manche 
unnöthige  Verbesserungen  Bentlej*s,    die   selbst   Fleckeisen   aufge- 
nommen hatte,   sind   daher   in  Wegfall   gekommen,  und   ist  das 
kühne  Verfahren  des  Letztem  in  so  manchen  durchaus  unnöthigen 
Aenderungen  in  die  gehörige  Gränze  gewiesen,  und  zwar  ohne  wei- 
tere Polemik,  durch  einfache  Darlegung    des  richtigen  Sinnes  oder 
des  Sprachgebrauchs :  und  es  wird  nicht  zu  Viel  gesagt  'sein,  wenn 
wir  erklären,  dass  auch  dazu  fast  jede  Seite  des  Buches  die  Belege 
bietet.  Wir  wollen  nur  an  wenigen  Beispielen,  dem  ersten  Acte  ent* 
nommen,  diess  Nachweisen.     In  der  ersten  Scene   des  ersten  Akts 
Vs.  25  hält  Fleckeisen  die   Worte:     »Sosia,   liberius  vivendi  fuit 
potestasc  die  in  allen  Handschriften  und  bei  Donatus  stehen,   für 
eingeschoben  und  hat  sie  deshalb  in  eckige  Klammern  eingeschlos- 
sen;   unser  Herausgeber   hat  sie  davon  mit  Becht  wieder  befreit; 
wer  die  von  ihm  gegebene  umfassende  Erörterung  der  ganzen  Stelle 
mit  unbefangenem  Sinne  durchgeht,  wird  sich  um  so  mehr  von  der 
Grundlosigkeit  eines  jeden   Verdachts   überzeugen,   als   der  proso- 
dische  Anstoss,  der   in   liberius   gefanden  ward,   gleichfalls  be- 
seitigt wird,  so  dass  die   Scansion:    liberius   oder   librius  vi- 
vendi fuit  potestas  nicht  mehr  befremden  darf,  und  daraus   selbst 
das  unnöthige  einer  andern  in   einem  Epigramm  des  Ennius  vor- 
geschlagenen Aenderung  (opis  für  operae  d.i.  op'rae)  erkannt 
wird«     Mit  gleichem  Erfolg  werden   Vs.  37  u.  38    die  nach  Bent- 
ley's  Vorgang  gleichfalls  von  Fleckeisen  mit  eckigen  Klammem  ein- 
geschlossenen und  damit  als  imächt  bezeichneten   Worte:    »adver- 
sus  nemini:   nunquam   praeponens   se   illis«  von  dieser  gmndlosen 
Verdächtigung    befreit,   eben    so   Vs.  43    die   Lesart   aller  Hand- 
schriften: »ex  Andre  commigravit  huic  viciniae  in  Schutz  genom- 
men und  durch  eine  richtige  Auffassung  gesichert,  damit  auch  die 
Unhaltbarkeit   de»  Lesart   huc    viciniae   (einer    grammatischen 
Verbindung,  welche  sonst  nicht  nachzuweisen  ist),   welche  Bentley 
und  nach  ihm  Fleckeisen  in   den   Text  gesetzt  hat,   nachgewiesen« 
Aber  Vs.  47  (»primo  haec  pudice  vitam  parce  ac  duriter  agebat«) 
hat  der  Herausgeber  mit  Fleckeisen  unbedenklich  primo  gesetzt 
(statt  primum),  gestützt  auf  die   Anfahrungen   dieser   Stelle   bei 
Nonius  und  Priscian,    und    auf  die   richtige  Erkenntniss,   dass  in 
prim  o   die  Beziehung  auf  die  Zeit  besser  und  schärfer  hervortritt. 
Dagegen  ist  Vs.  77  fere,  für  welches  die  handschriftliche  Autori- 
tät spricht,  beibehalten  und  nicht  durch   das  jedenfalls    unsichere 
fermei  das  Fleciceisen  aufgenommen,  ersetzt;  eben  so  im  vorher« 


678  Die  Andri*  des  Ttoentliift  von  "Bülöit. 

zelnen  Stellen,  oder  den  Nachweis  des  inneren  Zusammenhangs  nnd 
des  Oedankenganges  zu  geben  bat,   sondern   auch   der  Erörtomng 
des  Sprachgebrauches  in  Verbindung  mit  grammatischen  Erörte- 
rungen und  selbst  den  metrischen  Beziehungen,  so  wie  der  Ortho- 
graphie, der  Alliteration  und  dergleichen  Gegenständen  alle  Sorge 
nnd  Aufmerksamkeit  zugewendet   ist.     Wenn  nun,  um   auch    hier 
einige  Beispiele  wenigstens  anzuführen,  in  den  Worten  des  Prologs 
Vs.  15  und  16:  »id  isti  uituperant  factum  atque  in   eo  dispntant 
oontaminari  non  decere  fabulas«,   das   nach    disputant  gewöhnlich 
gesetzte  Gomma,  durch  welches  in  e  o  mit  diesem  Yerbum  in  nfthere 
Verbindung  gesetzt  werden  soll,    weggelassen  und  in  eo  mit  den 
folgenden  Worten  »oontaminari  non  decere  fabulas«  verbunden  wird, 
als  bezüglich  »auf  das  von  Terentius  eingehaltene  Verfahren,  wo- 
bei die  Stücke  durch  einander  geworfen  worden  sein  sollten  c,  so 
sind  ?nr  in  so  fern   anderer   Ansicht,    als   wir  lieber  in  eo  mit 
disputant  verbinden,    und  auf  das  vorhergehende  id  factum 
beziehen  in  dem  Sinne:   und  dabei  d.  i.  bei  dieser  Gelegenheit, 
bei  diesem  Tadel,  den  sie  über  die   von  mir  vorgenommene  Ver- 
bindung der  Andria  und  Perinthia  zu  Einem   Stück  aussprechen, 
indem  sie  jede  derartige  Verbindung  oder  Verschmelzung  von  zwei 
Griechischen  Stücken  zu  Einem  Bömischen,  für  unpassend  und  un- 
geeignet halten«  In  der  Andria  selbst  1,  1,  17  (>nam  istaec  com* 
memoratio   quasi  exprobratiost  inmemori  beneficii«)   wird  man 
auch  wohl  die  Aufnahme  des  Dativs   inmemori  statt  des  Grene- 
tivs  inmemoris  zu  billigen  haben,    zumal  die  Verbindung  von 
exprobratio  mit  einem  Dativ  auch  durch  eine  ähnliche  Stelle  des  Liviaa 
(XXin,  35)  bestätigt  wird   und   überhaupt   hier  von  der  Art  ist, 
dass  sie  nicht  wohl  Anstand  erregen  kann.  Eigenthümlichkeiten  in 
einzelnen  Formen  u.  dgl.  sind  mit  besonderer   Genauigkeit  behan- 
delt, so  z.B.  die  Zusammenziehung  servibam  (I,  1,  11),  die  mit 
zahlreichen,  ähnlichen  Zusammenziehungen  belegt  wird,  was  in  noch 
umfassenderer  Weise,  in  einer  fast   drei  Seiten  mit  doppelten  Go- 
lumnen  fortlaufenden  Anmerkung  zu  der  Form  praescripsti  (I,  1, 
124)  geschieht,  in  welcher  noch  eine  Reihe  von  ähnlichen  Zusam- 
menziehungen,  wie  sie  in  der  römischen  Dichtersprache,  zumal  der 
älteren  vorkommen,  besprochen  werden.    Eben  so  wird  zu  I,  1,  58 
die  richtige   Erklärung   von   so  des    (si  audes)    gegeben,   die  Be- 
ziehung auf  sodalis  als  unstatthaft  mit  Becht  verworfen,   üeber 
die  Schreibung  non  pedisequa  (zu  I,  1,  96)  mit  einfachem  s,   und 
eben  so  zu  Vs.  38  über  ilico  mit  einfachem  1  statt  des   gewöhn- 
lichen doppelten,  oder  über   die   Form  obstipui  (für  obstupui)  zu 
Vs.  21  werden  eben  so  befriedigende  Nachweise  gegeben,   desglei- 
chen zu  Vs.  31  eine  gute  Erörterung  über  den  Infinitivus  historicns 
nnd  dessen  Gebrauch.  Wir  übergehen  Anderes :  was  wir  angeftlhrt, 
kann  genügen  zum  Beleg  unseres  üriheils  wie  zur  Empfehlung  des 
ganzen  Unternehmens,   dem  wir  den  besten  Fortgang  wünschen. 
Eben  so  befriedigend  ist  die  äussere  Ausstattung. 

Chr.  BAhr. 


Ii.  43.  EEIDEIBGSGEB  1868. 

JAHBBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Literatnrberichte  ans  ItalieiL 


La  ean^ura  dd  eotde  Oianluigi  Fiesehif  per  E.  Cdtsicu  Omota  IS^>L 
Tip.  aardo  tnuü.  gr,  8.  p,  328» 

Der  Genuesische  Geschichtsforscher  Celesia  gibt  hier  nach  bis- 
her unbekannten  Urkunden  die  Geschichte  der  bekannten  Verschwö- 
rung des  Fiesohi ,  wornach  manche  frühere  Ansichten  tlber  dieses 
Ereigniss  bedeutend  berichtigt  werden.     Der  Verfasser  zeigt^  dass 
schon  seit  der  Zeit  von  Otto  dem  Grossen  an  der  Küste  Liguriens 
vier  grosse  Familien  bekannt  waren,   die  Markgrafen  Savona  und 
Malaspina,  so  wie  die  Grafen  Lavagna  und  Ventimiglia,  von  deneB 
der   Verf.  glaubt,  dass  sie   longobardischen  Ursprunges  waren,  so 
wie  die  Este  und  Pallavicini.  Die  Grafen  von  Lavagna  führten  meist 
deutsche  Namen,   als  Sinibald,    Valpert,   Aripert,   Obert,  Tebald 
n.  8.  w. ;  ein  Tedisio  wird  zuerst  992   als  Graf  von  Lavagna  er- 
wähnt, welcher  dem  EOnig  Arduin  von  Italien  Hülfe   leistete  und 
1177  kommt  in  dieser  Familie  zuerst  der  Name  Fieschi  vor,  ein 
Sohn  von  ihm  wurde  Papst    als  Innocenz  IV.     Allein  schon  seit 
1008  hatte  die  Stadtgemeinde  von  Genua  bereits  angefangen,  sich 
als  freie  Reichsstadt  von  dem  germanischen  Lehnwesen  zu  befreien, 
und    gerieth    bald    mit    diesem   benachbarten    Feinde  Fieschi   in 
blutige  Fehde  seit  1110.   Kaiser  Friedrich  L  begünstigte  zwar  die 
Grafen  von  Lavagna   Fieschi,   allein   die  tapfern   Bürger  Genuas 
.vertheidigten  sich  so  wirksam,  dass  1198  die  Fieschi  den  Bürgereid 
schwören   mussten,    auch  theilte  sich   diese   Familie    in  mehrere 
Stämme,  von  denen  wir  nur  die  noch  bekannten  Familien  Casanova, 
Pinelli  nnd  della  Torre  erwähnen.     Bei  den  Kämpfen  zwischen  den 
Ghibellinen  und  Guelfen  hielten  es  die   Fieschi   mit   der   Bürger- 
schaft, mussten  aber  auswandern  und  kamen  erst  1476   von  Born 
zurück,  besiegten  die  Gegenpartei,  benutzten  dies   aber  nioht  für 
sich  selbst ,  sondern  beriefen  eine  Volksversammlung  und  so  wurde 
die  Verwaltung  acht  Freiheits-Capitänen  übergeben,  von  denen  nur 
2wei  dem  Patriziat  angehorten.     Zur   Zeit   Carl  V.   war  Simibald 
Haupt  der  Familie  Fieschi,  welche  durch  kaiserliche  Belehnungen 
und  Anhäufung  vieler  Herrschaften  sehr  reich  geworden  war.   Un- 
geachtet damals  das  Zeitalter  Leo's  X.   Italien  durch  Kunst  und 
Wissenschaft  berühmt  gemacht  hatte,   zeigt  der  Verfasser,  dass 
Italien  dabei  politisch  sich  in  der  elendesten  Verfassung  befand,  die 
Franzosen  und  Schweizer  verheerten  die  Lombardei,  die  Franzosen 
liVTOL  Jahrg.  9.  Heft.  48 


/ 


Mi  tdMtaMAmkix^  aus  ttallefL 

tind  Spanier  das  Neapolitamsche ,  die  Franzosen  nnd  Denisclieii 
Venedig  n.  fe.  w.;  besondere  wird  über  das  Heet  yon  FraiidBl)6ig 
geklagti  Welcher  mit  den  Golonnas  gegen  die  p&pstliofaen  Sdiaaren 
focht  nnd  darin  selbst  von  dem  Cardinal  Pompeo  unterstützt  wurde, 
der  den  Papst  einen  Sultan  der  Christenheit  nannte,  weil  er 
es  mit  den  Franzosen  hielt.  Dieser  Krieg  zwischen  Carl  V.  tmd 
Franz  I.  hatte  in  Italien  über  200,000  Menschen  gekostet,  über 
100  Städte  waren  verwüstet  worden,  und  Tausende  yon  Menschen 
Tor  Hunger  und  Elend  umgekommen ,  so  dass  viele  Italiener  die 
Herrsohafb  der  Türken  vorgezogen  hfttten,  da  sie  wüssten,  dass 
Solimann  nie  sein  Wort  brach ,  während  dies  die  Franzosen  stets 
thaten.  In  Genua  hatte  sich  eine  oligarchisohe  Adelsherrschaft  aa»- 
gebildet,  und  Andreas  Doria  herrschte  unumschränkt,  indem  er  erst 
den  Schutz  dei^  Franzosen,  dann  den  des  Kaisers  benutzt  hatte. 
Mit  dem  Volke  hielten  es  die  Fieschi,  denen  sich  die  Orimaldi  ai- 
schlössen,  während  die  Spinola  es  mit  Doria  hielten.  Damals  war 
Sinibald  Fieschi  gestorben,  der  von  seiner  Gemahlin ,  Tochter  des 
Betzogs  Bovere  von  ürbino,  den  Gianluigi  Fieschi  hinterlassen 
hatte,  welchem  sie  eine  ausgezeichnete  Erziehung  gab.  Im  Jahr 
1539  zeichnete  et  sich  in  der  Seeschlacht  gegen  den  gefürohteten 
Cotsaten  Totghud  aus,  den  er  gefangen  nahm,  worauf  er  die  Prin- 
zessin Oybo,  Herzogin  von  Oamerino  heirathete,  wodurch  er  mit 
dem  franzödischön  Kbnigshause  durch  Catharina  von  Medici  ver- 
wandt ward.  Damais  I  zur  Zeit  Carl  V.  stand  Italien  unter  der 
Doppel-Herrschaft  der  Gestenreicher  und  Spanier ;  es  war  stets  der 
Wunsch  der  Italiener  gewesen,  sich  vom  fremden  Einflüsse  zn  be- 
freien. Dies  War  auch  der  Zweck  des  Grafen  Fieschi,  welcher 
sich  der  Franzoden  nur  als  Mittel  zu  diesem  Zwecke  bedienen 
wollte.  Dazu  kam,  dass  damals  Paul  m.  die  Hausmacht  der 
Farnese  vergröäsem  wollte,  was  ebenfalls  Fieschi  für  Genua's  Un- 
abhängigkeit benutzen  wollte.  Die  zu  diesem  Behuf  geleitete  Ve^ 
bindung  wird  nun  von  dem  Verfasser  genau  erzählt,  wornach  der 
Zweck  durchaus  rein  patriotisch  war,  welchem  edlen  Streben  Fieschi 
ttuterlag;  mit  den  nächsten  Folgen  für  Genua  schliesst  dies  Werk, 
Welches  nach  der  Vorrede  an  Catilina  erinnert,  welcher  ebenfalls 
besser  gewesen  sein  soU,  als  sein  Ruf. 

Ctotnwdl  e  ia  r^ublioa  di  Venesia.  Per  0.  Berehet.  Veneria  I89i 
Tip.  NarcdoPieh.  gr.  8.  p.  128. 

Dies  mit  41  Urkunden  aus  dem  geheimen>>.,^taatS' Archiv  der 
alten  Venetianischen  Bepublik  ausgestattete  Werl^iMPWj^JfTJ 
Herrn  Berehet  in  Venedig,  dem  wir  auch  ein  treffliches  WeMH 
die  Verhältnisse  dieses  Freistaates,  mit  Persien  verdanken,  gib^l 
Etmde  von  den  Verhältnissen  Venedigs  zu  Cromwell,  indem  a 
Verfasser  vorausschickt,  dass  die  früheren  Handelsverbindun 
durch  die  erste  Gesandtschaft  Venedigs  nach  England  im  Jahr  1 31 
näher  befertigt  wurden,  bis  die  regelmässigen  Gesandtschaften  m 


litentnzlwrictite  ans  ttaüeo«  «76 

TreTiflani  im  J.  1396  anfingen,  bis  sie  dnrch  die  Beligionsrerhält- 
niBse  unter  Heinrich  Yin.  und  Elisabeth  nnterbrochen  wurden. 
Doeh  da  Venedig  auch  mit  dem  Papste  in  Streit  gerietfa,  wurde 
bald  wieder  unter  dem  Stuart  Wilhelm  I.  der  diplomatische  Ver* 
kehr  wieder  hergestellt.  Unter  Oarl  I.  fanden  stehende  Gesandt- 
schaften statt,  und  war  es  Oontarini,  welcher  den  Frieden  zwischen 
Frankreich  und  England  vermittelte.  Als  Gromwell  Protector  wurde, 
war  Paulnzzi  Venetianischer  Gesandter  in  London,  und  das  frühere 
gute  Vernehmen  blieb  ungetrttbt.  Der  Verfasser  fuhrt  diese  ge- 
schichtliche Darstellung  fort  bis  zur  Wiederherstellung  derKOnigs- 
würde. 

DoeumenU  diplömoHd  dagH  archivi  Milanen ,  di  L.  Orio,     Vol  L 
Müano  1864.  Tip.  Bemardini.  gr.  4.  p.  244. 

Das  grosse  Archiv  zn  Mailand  wird  durch  die  jetzt  verstattete 
Oeffentliohkeit  bald  Gemeingut  fitlr  die  Wissenschaft  werden.  Un- 
geheuer sind  die  urknndlichen  Schätze,  welche  hier  stets  sehr  sorg* 
faltig  in  15  verschiedenen  Abtheilungen  aufbewahrt  wurden;  die 
erste  derselben,  die  diplomatische  Abtheiluug,  meist  aus  aufgehobe- 
nen Klöstern  stammend,  besitzt  allein  über  100,000  Pergament- 
Urkunden,  von  denen  29  aus  dem  8.  Jahrhundert  stammen,  123 
aus  dem  9.,  225  aus  dem  10.,  785  aus  dem  11.  und  einige  Tausend 
aus  dem  12.  Jabrhimdert;  die  älteste  ist  von  714,  die  Stiftung 
eines  Klosters  in  Pavia  betreffend.  Diese  älteren  Urkunden  gibt 
jetzt  die  lombardisohe  Abtheilung  für  die  Gesehichtsquellen  heraus, 
welche  unter  dem  Cassationsgeriehts-Präsidenten  Manne  steht.  Von 
den  spfiiteren  bat  der  Director  der  Mailändisehen  Archive,  der  be- 
reits bestens  bekannte  L.  Osio  die  ^erausgabe  insoweit  übemom- 
mien,  als  sie  von  geschichtlichem  Werthe  sind,  und  liegt  hier  der 
erste  Band  vor,  welcher  mit  der  Zeit  der  Herrschaft  der  Visconti 
den  Anfang  macht.  Die  erste  Urkunde  von  1265  betriffb  einen  Be- 
8chlu3S  der  Stadt-^Gemeinde  von  Mailand,  womit  sie  das  Veriangen 
zojückweist,  einen  Theil  des  Schlosses  abzubrechen;  die  letzte  ist 
vom  Jahr  1381,  und  umfasst  dieser  Band  182  Urkunden.  Mithin 
ist  dies  Werk  für  den  Geschichtsforscher  sehr  wichtig  und  wird 
nächstens  fortgesetzt  werden. 

OUo  antd  ß  Jtrt/uakme  dal  dott.  PieroUL  Tormo  186h.  Cßsa  Pomba. 

Der  Verjbsser,  früher  Hauptmann  im  sardinischen  Genie-Corps, 
ist  jetzt  als  Architect  für  Palästina  bei  Sorraja  Pascha,  dem  Gou- 
verneur EU  Jerusalem  angestellt;   er  gibt  hier  seine  seit  8  Ji^ren 
kdaaelbst  unternommenen  Forschungen  über  das  gegenwärtige  und 
mas  alte  Jerusalem  heraus,  wo  er  vielfache  Ausgrabungen  vornahm, 
ribt  |A   sowohl  die   alten  Tempel-Mauern  der  verschiedenen   Bauten 
[Qfn  oeelben,  als  auch  die  verschiedenen  Stadtmauern  klar  zu  machen 
j^^jigeij^ndem  bat,  wodurch  er  in  den  Stand  gesetzt   w^den,   unter 
L  iSlS  ni  auch  die  wahre  Lage  von  Golgata  und  des  heiligen  Grabes 


<t)d  lilMr«tiirbeHciite>u  ttalkd« 

festzustellen«  Er  bat  überall  die  betreffenden  Bibelstellen  mit  der 
Oertlichkeit  in  Verbindung  gebracht,  und  wenn  man  in  Frankreich 
dem  Qrafen  Melchiorre  de  Yoga^  das  diessfallsige  Verdienst  bei- 
gemessen hat,  so  hat  er  hauptsächlich  die  Arbeit  dieses  gründlichen 
Pierotti  benützt.  Man  sieht  dabei  zugleich,  welche  Toleranz  bei 
den  Türken  herrscht,  bei  denen  dieser  eifrige  Christ  eine  gute  An- 
stellung fand,  auch  ist  der  Gouverneur  der  Provinz  Libanon  ein  in 
Venedig  erzogener  katholischer  Armenier,  Davoud  Oglou  Pascha, 
welcher  seine  diplomatische  Laufbahn  in  Berlin  anfing,  und  sein 
gelehrtes  Werk  über  die  altdeutschen  (Gesetzbücher  aus  lateinischen 
Quellen  französisch  herausgab. 

VAÜtgoria  ddla  divina   Comedia  di  Dante  tsposta  da  N.  Bareüi, 
Firenxt  1864.  Tip.  dUim.  12.  p.  XXIV.  372. 

Dies  ist  eine  der  vielen  Erklttrungen,  welche  das  berühmte 
Gedicht  von  Dante  erfahren  hat,  um  die  darin  vorkommenden  Alle- 
gorien zu  erläutern.  Besonders  stellt  nach  dem  VerfMser  das  Fege- 
feuer die  katholische  Kirche  dar,  und  der  Fluss  Lethe  ist  die  Abso- 
lution von  allen  Sünden. 

II  domino  vero,  romansi,  nouveüe,   Varidä  Uatri  di  P«  Sabarim. 
Tarino  1865,   Tip.   Ortero.    4. 

Dies  ist  eine  neue  humoristische  Wochenschrift,  welche  zu- 
gleich einen  geistigen  Mittelpunkt  der  grösseren  italienischen  St&dte 
bilden  soll,  und  wozu  sich  bedeutende  Kräfte  vereinigt  haben.  Den 
Anfang  macht  ein  ausgezeichneter  Schriftsteller  von  Oeist,  Heir 
Straffiftrello,  Mitredacteur  der  grossen  italienischen  Encyolopädie, 
von  welcher  bereits  450  Lieferungen  erschienen  sind.  Von  ihm  ist 
eine  sehr  gelungene  Erzählung:  die  Frau  mit  dem  Todtenkopfe  in 
Turin.  Der  Herr  Verfasser,  der  in  der  deutschen  Literatur  sehr 
bewandert  ist,  hat  sich  unsem  Hoffmann,  Heine  u.  s.  w.  zum  Vor» 
bilde  genommen,  und  ist  er  vielleicht  derjenige  italienische  Schrift* 
steiler,  welcher  am  meisten  für  das  Bekanntwerden  der  deutschen 
Belletristik  in  Italien  thätig  ist. 

Memorie  atorico-polüiclie  $ugH  antiehi  Ored  e  Romani  di  Chr.  NegrL 
Torino  1864.  Tip.  Paravia.  8.  p.  332. 

Ein  erfahrener  Mann,  der  in  der  grossen  Welt  lebt  und  über 
der  Forstgesetzgebung  und  über  das  Wasserrecht  geschätzte  Werke 
herausgegeben  hat,  ist  im  Stande  die  Welt*Ereignisse  anderweit  zu 
beurtheilen,  wie  der,  welcher  die  Welt  nur  aus  Büchern  kennt; 
darum  haben  seine  geschichtlich-politischen  Abhandlungen  in  dem 
vorliegenden  Werke  einen  nicht  unbedeutenden  Werth.  Zuerst  gibt 
er  hier  eine  politische  üebersicht  der  alten  (beschichte,  mit  den 
Griechen  anfangend,  weichein  drei  verschiedenen Oruppen  erscbei« 
nen,  in  Asien,  in  dem  eigentlichen  Ghrieohenland  und  in  dem  Grie* 
ohenlaode  des  Westens,  inltalim,  Gallien '4md  Spanien.  Die  sweite 


LltorAtiirberldife  Evtl  ItellML'-  677 

Abhandlung  über  die  Sobicksale  des  öffentlichen  innemfiechts  des 
alten  Roms  geht  genau  ein  in  den  Streit  ttber  den  Einfinss  der 
Hetmsker  anf  die  Einrichtnngen  Borns.  Der  Verfasser  will  zwar 
diesen  Einflnss  nioht  wie  Nicbuhr  für  so  ganz  unbedingt  anerken- 
nen ;  allein  er  findet  unverkennbare  Spuren  hetruskischer  und  grie- 
chischer Kenntnisse  bei  den  Patriziern,  wie  auch  schon  die  zwölf 
Tafeln  beweisen.  Die  letzte  Abhandlung  erklärt  die  Verlegung  der 
Hauptstadt  nach  Byzanz,  und  den  Verfall  des  abendländischen 
Reiches.  Der  Verfasser  findet  die  Veranlassung,  mit  unserm  Botteck, 
in  der  Ausbreitung  des  Christenthums  in  jenen  morgenländischen 
Gegenden.  Er  zeigt,  wie  der  Ausbreitung  des  Christenthums  die 
Aufklärung  der  klassischen  Zeit  vorgearbeitet  hatte,  wie  das  von 
dem  Christenthum  gelehrte  Sitteogesetz  bei  den  Menschen  Eingang 
finden  musste,  welche  von  ihren  Dichtem  ein  reines  Gewissen  als  das 
höchste  Out  gerühmt  fanden.  In  Bom  erinnerte  aber  Alles  an 
sinnliclies  Heidenthum  und  an  politische  Freiheit;  gegen  Morgen 
fand  mehr  stille  Betrachtung  statt,  und  daneben  nur  Denkmäler 
der  kaiserlichen  Autorität.  Auf  diese  Weise  geht  der  Verfasser  in 
sorgfältige  Erwägung  der  Beweggründe  ein,  welche  diese  Verlegung 
der  Hauptstadt  veranlassten,  die  mannigfaltigen  darüber  sonst  ge- 
äusserten Ursachen  beurtheilend. 

La  grandexza  Italiana,  studi,  eonfnmdi  e  denderU  di  Negru  Torino 
1864,  Tip.  Paravia.  8.  p.  4h4. 

Hier  hat  derselbe  Verfasser  mehrere  Aufsätze  vereinigt,  zum 
Zwecke  statistische  Nachrichten  über  Italien  zu  geben,  und  zu 
praktischer  Anwendung  der  Kräfte  des  Landes  zu  ermuntern.  Ein 
Aufsatz  handelt  unter  andern  von  dem  Seidenbau  in  Pommern,  in 
welchem  er  erzählt,  dass  die  preussische  Gesandtschaft  nach  China 
von  dort  Eier  von  Seidenwürmem  mitgebracht,  welche  mit  Vor- 
theil  fortgepflanzt  würden,  indem  er  darauf  aufmerksam  macht, 
dass  solchem  Beispiele  zu  folgen  sei.  Derselbe  ist  auch  bereits  zum 
Gesandten  Italiens  nach  China  bestimmt;  er  war  Professor  der 
Bechtsfakultät  zu  Padua,  ging  von  dort  aus  politischen  Verhält- 
nissen ab,  und  wurde  in  dem  Ministerium  der  auswärtigen  Ange- 
legenheiten zu  Tarin  angestellt,  in  welchem  er  jetzt  der  Abthei- 
lang  über  die  Consulate  vorsteht.  Hier  werden  Professoren  zu  Ge- 
sandten ernannt,  während  nach  der  Geschichte  der  Griechischen 
Begentschaft,  während  der  Minderjährigkeit  des  Könige  Otto ,  die 
Gräfin  Arma^berg  von  den  dabei  angestellten  Professoren  sagte: 
G'est  de  remplissagel  So  dumm  ist  man  in  Italien  nicht! 

VindiffereniiBfno  rdigioso  smcuteherato  per   E.  M,  RavioUh     Trino 
1H64.   Tip.  Borla.  8.  p.  208. 

Der  Verfasser,  Canonicus  zu  Trino,  in  der  piemontesischen 
Provinz  Montferrat,  tritt  hier  gegen  den  Indifi^erentismus  auf,  wel« 
eher  meint,  dass  jede  Beligion  gut  ist,  wenn  sie  das  Sittengesetz 


&7a  LUeratorberiolite  au*  IlaUüi. 

befördert ;  er  nennt  dies  den  positiven  IndifferentismoB,  den  n  e  g  i^ 
tiyen  dagegen,  wenn  man  keine  Beligion  für  gut  hält,  unge- 
achtet der  Klagen  über  den  Indifferentismus  bemerkt  derVerfiuaer 
doch,  dass  die  katholische  Kirche  in  stetem  Wachsthnm  begriften 
ist.  England  hatte  vor  70  Jahren  nur  60,000  Katholiken,  jetzt 
zählt  London  allein  deren  300,000.  Nord-Amerika  hatte  za  An- 
fang dieses  Jahrhunderts  nur  25,000  Katholiken,  mit  einem  Bischöfe, 
jetzt  beinahe  5  Millionen  unter  7  Erzbischöfen  und  47  Bischöfen. 
Dieses  Buch  ist  insofern  eine  typographische  Merkwürdigkeit,  da  es 
zur  Einweihung  der  neuen  Buchdmckerei  in  Trino  geschrieben  ward. 
Denina  in  seiner  Geschichte  der  italienischen  Bevolution  sagt,  „daas 
die  Stadt  Trino  die  Mutter  vieler  berühmten  Buchdrucker  ist;  so 
dass  man  diese  Stadt  das  italienische  Leipzig  nennen  könne,  c  Der 
Verfasser  bemerkt  in  der  Vorrede,  dass  schon  1483  Bemardino 
Giolito  de  Ferraris  Stagnino  in  Trino  eine  Oiesserei  fOr  Lettern 
anlegte,  welchem  Wilhelm  Animamia  und  Johann  de  Cerretta  Tacnino 
oder  di  Tridino  folgten,  worauf  Johann  Oiolito  und  Gerhard  de  Zejis 
die  CoUectio  Consiliorum  Andreae  Barbatiae  in  4  grossen  Folio- 
Bänden  herausgab.  Später  sank  Trino  zu  einer  kleinen  nnbeden- 
tenden  Stadt  herab,  so  dass  lange  keine  Buchdmckerei  dort  be* 
stand.  Endlich  wurde  eine  neue  von  S.  Borla  angelegt,  welchem 
der  Verf.  das  erste  Werk  zum  Drucke  lieferte. 

RaceoUa  di  alcune  proposte  di  Ugffi  e  di  varii  aeritU  müa  puöblica 
üirtunone,  dd  Senatore  Matteucci.  Torino  1865,  Tip.  Franco. 

8.  p.  283. 

Der  Verfasser  war  einige  Zeit  Minister  des  öffentlichen  Unter- 
richts des  Königreichs  Italien,  nachdem  er  sich  als  Professor  der 
Naturwissenschaften  in  Pisa  ausgezeichnet  hatte.  Er  gibt  hier 
zuerst  seine  Ansichten  über  die  von  ihm  erstrebten  Verbesseraagra 
in  der  Verwaltung  des  ünterrichtswesens,  die  er  in  seinen  Briefen 
naher  ausführt,  so  wie  in  einer  Denkschrift  bei  dem  vor  2  Jahren 
in  Florenz  abgehaltenen  Congresse  der  Italienischen  Pädagogen.  Am 
wichtigsten  sind  seine  Gesetzentwürfe  für  die  Neugestaltung  des 
ünterrichtswesens  in  Italien,  woraus  wir  nur  in  Ansehung  des 
höheren  Unterrichts  erwähnen «  dass  die  Universitäten,  die  ganz 
ToUständig  besetzt  sind,  folgende  6  Fakultäten  haben,  1)  Theologie, 
2)  Jnrispi^enz,  3)  Medicin,  4)  die  mathematischen  Wissenschaften, 
5)  Physik  und  Naturwissensehait,  6)  Philosophie  und  Philologie, 
zu  dar  letzteren  gehören  folgende  Haupt-Professuren^  Logik  und 
Methaphysiky  Moral-Philosophie,  allgemeine  Geschichte,  italienische 
Literatur,  lateinische  Literatur,  griechische  Literatur,  Archäologie 
und  Palaeographie ,  italienische  Geschichte.  Ausserdem  bestehen 
complementar - Course  für  Pädagogik,  morgenländische  Sprachen, 
arabische  Literatur,  Sanscrit,  yergleicb^de  Grammatik,  Geschichte 
der  Philosophie,  Geschichte  der  alten  und  neuen  Literatur,  allge- 
mßw&  und  T^rgleichende  Erdbeschreibung,  Statistijc.  Ueberoli  seigi 


literatvrberichta  Ans  IUHml  tn 

der  Yer&Bser  Bekanntsohaft  änoh  mit  der  Emrichiimg  des  öffent- 
lichen Unterrichts  des  Auslandes. 

Teatro  di  ^iavimäH,  dei  R.  AHaviUa,  L.  BodioH,  ea.  Torino  1866. 
Tip.  Franeo.  8.  p.  77. 

Eine  Gesellschaft  von  Schriftstellern  giebt  Schauspiele  für 
Familien-Theater  für  die  Jugend  heraus.  Der  vorliegende  Band 
enthält:  Die  Zigeunerin,  von  Altavilla,  und  hundert  BUnkei  von 
Demselben. 

Rappofio  9ul  eanpresso  da  nakiriOitU  Itäliani  In  BieUa,  dal  Com^ 
mendaiore  Trompeo.  Torino  1866. 

Im  Anfange  des  Septbr.  1864  wurde  ein  Congress  der  italieni^ 
sehen  Naturforscher  zu  Biella,    einer  kleinen  Stadt  am  Fusse  der 
Alpen  im  Piemontesischen  abgehalten,  worüber  hier  der  bekannte 
fleissige  Theilnehmer  an  allen  wissenschaftlichen  Vereinen,  der  ehe- 
malige kOnigl.  Leibarzt  Trompeo,  Bericht  erstattet.    Präsident  war 
der  gelehrte  Minister  Sella,   welcher  in  Freiberg   in  Sachsen  das 
Bergwesen  studirte  und  über  Erjstallisation  in   der  dort  heraus- 
kommenden Zeitschrift  einen  geachteten  Aufsatz  yerOfflBntlicbt  hat. 
Derselbe  legt  eine  treffliche  Karte  über  das  geologische  Verhalten 
der  Umgegend  von  Biella  vor,  womit  dieser  Oongress  eröffnet  ward, 
welcher  in  folgenden  Abtheilungen  arbeitete :   1)  Geologie  tmd  Mi- 
neralogie unter  dem  Vorsitze  des  gelehrten  Prof.  Ourioni,  Secretär  des 
lombardischen  Instituts.    2)  Botanik,  Professor  Bertoloni  aus  Bo- 
logna. 3)  Zoologie,  Professor  Balsomo-Orivelli.  Es  wurde  bestimmt, 
dass  der  nächste  diessfallsige  Congress  zu  Spezia  abgehalten  wer- 
den sollte,  zu  dessen  Vorsitzender  der  gelehiie  Markgraf  Doria  aus 
Genoa  gewählt  ward,  welcher  Mitglied   der   diplomatisch  wissen- 
sohaftliohen  Gesandtschaft  nach  Persien  war,  welche  das  Königreich 
Italien  vor  8  Jahren  nach  Persien  geschickt  hatte,  unter  den  hier 
gehaltenen  Vorträgen  wird  besonders  hervorgehoben,  die  Vorlegung 
der  geologisch-topographischen  Karte  vom  Etna,  durch  unsem  be- 
rühmten Waltershausen  in  GCttingen,   mehrere  Vorträge  von  dem 
gelehrten  Professor  Comalia  in  Mailand,  femer  über  in  Italien  seit 
Kurzem  aufgefundene  Waffen  aus  der  vorgeschiehtlichen  Zeit  durch 
den  gelehrten  Gastaldi,  über  die  Knoohenhöhlen  von  Mandaria  in 
Sicilien  von  dem  Herzoge  von  Brolo  u.  s.  w. 

Origiate  e  progresao  deVt  igime  navale^  dal  Comfnendatort  Trompeo. 
Torifio  1866.  Tip^  Favalc 

Der  Doetor  Bruzza  hat  über  den  Ursprung  und  den  Fort- 
gang des  Medicinalwesens  bei  der  Marine  ein  bedeutendes  Werk 
henuisgegeben,  worüber  der  gelehrte  Doktor  Trompeo  diesen  Be- 
richt an  die  medioinische  Akademie  in  Turin  erstattete.  Man 
findet  hier  die  Geschichte  des  Seewesens  von  der  Lex  Decia  an 
(im  Jfthr  448  nach  Borns  Erbauung),  bis  in  die  neueste  Zeit  erwähnt« 


6M  IJ««mt«r^Ielite  ttiii  IMmL 

Düear9o  dal  Senators  RkoM  tuUa  legge  pü  irasferimetäo  äeOa 
Capitale.  Tarino  1865. 

Der  Vertrag  des  Königreichs  Italien  mit  Frankreidk  wegen 
Verlegung  der  Hauptstadt  von  Turin  nach  Florenz  war  dem  Par- 
lamente vorgelegt  worden;  im  Senat  sprach  sich  der  Professor  Bi- 
ootti  dagegen  aus,  seine  diessfalsige  Bede  ist  ein  Meisterstück  der 
Beredsamkeit,  obwohl  er  überstimmt  ward.  Der  Bedner  ist  der 
rühmlichst  bekannte  Professor  der  Geschichte  an  der  Universität 
zu  Turin,  welcher  vorher  zugleich  Major  im  General-Stabe  war. 
Seine  Geschichte  Italiens  und  besonders  seine  Geschichte  von  Pie- 
mont  waren  Veranlassung,  dass  er  von  der  Begierung  zum  Bector 
der  Universität  ernannt  wurde,  worauf  auch  seine  Ernennung  zum 
Senator  des  Beiches  folgte,  und  zwar  mit  allgemeinem  Beifall ;  denn 
hier  ist  die  erste  Kammer  kein  geborenes  Herren-Haus,  sondern 
die  Auswahl  der  bedeutendsten  Männer  des  Landes. 

Storia  ddla  Valsolda,  eon  doeumenU  e  «MiOL  C.  Barrera.  Italia. 
1864.  Tip.  Chiantore.  gr.  8.  p.  404. 

Diese  Monographie  betrifft  ein  schönes  aber  unbedeatendes 
Thal  am  See  von  Lugano  oder  Oeresio  unfern  Lugano,  zwischen 
dieser  Stadt  und  Porlezza,  mit  Namen  Valsolda,  in  den  alten  Ur- 
kunden Vallis  Solida,  oder  auch  Vallis-Solda  genannt,  reioh  an 
Weinreben«  Oelbäumen  und  Seidenzucht,  da  dieses  Thal,  obwohl 
unter  dem  46. -Grade  der  nördlichen  Breite,  und  an  dem  See  ge- 
legen, welcher  716  Fuss  über  dem  Meere  sich  erhebt,  der  Sonne 
ausgesetzt  und  durch  die  Berge  vor  kalten  Winden  geschützt  ist. 
Der  Verfasser  gibt  sich  viele  Mühe  die  Etymologie  dieses  Namens 
zu  erforschen,,  muss  aber  zugeben,  dass  dieses  Thal  zum  erstenmale 
durch  das  Er^bisthum  Mailand  bekannt  geworden  ist,  welches  sich 
schon  seit  dem  5.  Jahrhundert  über  die  Bisthümer  Vercelli,  Novara, 
bis  Brescia,  Db^i ,  Pavia,  Turin,  Genua,  Gomo  und  andere  bis  naeh 
Chur  erstreckte,  wie  auch  in  den  Briefen  von  Gregor  dem  Grossen 
anerkannt  ward.  Die  Frömmigkeit  der  Deutschen  beförderte  die 
Macht  dieses  Ambrosianischen  Erzbischofs,  worin  er  durch  den 
Kaiser  Lothar  835  bestätigt  ward,  so  dass  schon  im  Jahr  1065 
die  weltliche  Herrschaft  desselben  begründet  war;  er  wurde  darin 
durch  eine  Bulle  von  Alexander  IIL  unterstützt,  welcher  sich  mit 
Frankreich  gegen  die  römisch-deutschen  Kaiser  verband,  worauf 
die  Verwüstung  Mailands  durch  Friedrich  den  Bothbart  erfolgte, 
ünterdess  war  auch  ein  Krieg  zwischen  den  Städten  Mailand  und 
Gomo  ausgebrochen,  wobei  diese  Gegend  viel  zu  leiden  hatte,  indem 
das  feste  Schloss  S.  Michele  in  diesem  Thale  belagert  wurde,  in 
welchem  sich  11  Ortschaften  befinden,  dessen  Hauptstadt  Castnim 
Sancti  Michaelis  oder  Castello  Valsolda  ist,  von  dem  sich  noch 
Beste  vorfinden.  Als  Landesherm  sahen  sich  die  Bischöfe  von  Mai* 
l^nd  an,   sich  auf  die   Stiftung  von  Carl  dem  Grossen  benifendi 


cloeh  hatten  die  Bewohner  dieses  Thaies  so   Tollst&ndige  Seihst* 
Verwaltung,  dass  sie  sich  ihre  eigene  Statuten  schon  im  Jahr  1246 
yer&ssten,  und  zwar  unter  ausdraoklicher   Berufung  auf  den  Erz- 
bischof,  als  Yicecomes,  und  bemerkt  der  Verfasser  dabei,  dass  die 
Statuten  yon  Bresoia  erst  im  Jahr  1200,  tmd  die  von  Gomo  129d 
abgefasst  wurden,  wogegen  die  Mailftndischen  schon  vom  Jahr  1216| 
die  von  Susa  von  1148,  die  der  Stadt  Pistoja  von  1117,  die  der 
Stadt  Mantua  von  1116  und  die  von  Verona  vom  Jahr  1100  sind. 
Die  alten  Statuten  dieses  Tbales  wurden  1888  unter  dem  kaiser- 
Hehen  Vicar  Galeazzo  Visconti   reformirt,  und  bei  jedem  neuen 
Bischöfe  bestätigt.     Auch  hier  wählten   sich  die  Einwohner  dieses 
Thaies  für  jede  Ortschaft  2  gute  Männer,  welche  sich  am  Sylvester- 
tage    in    der    Kirche    von    Mamette    yersammelten ,     und    einen 
Podesta  als  Oberhaupt  wählten,  auch  bemerkt  der  Verfasser,  dass 
die  freie  Gemeinde- Verfassung  des  Landes  bereits  auf  einer  Synode 
zu  Pavia  im  Jahr  809  festgestellt  worden:   plebeji   omnes  et  uni- 
yersi  ecclesiae  filii  liberi  suis  utantur  legibus,    üebrigens  war  es 
noch    erlaubt,    von    der  Entscheidung    des  Podesta    eine    ander- 
weite Berufung  zu  versuchen.  Der  Verfasser  verfolgt  die  Oeschichte 
dieses  Thaies  und  erzählt,  wie  sich  hier  der  heilige  Carl  Borromeo 
hat  huldigen  lassen,  wie  die  Verhältnisse  unter  der  Herrschaft  der 
Spanier  waren,  bis    Eugen  von  Savoien    die  Lombardei   von  den 
Spaniern  befreite.     Doch   hörte  endlich  die  Souveränität  des  Erz- 
bischofs  von  Mailand  über  dies  Thal  auf;  Kaiser  OarlVL,  und  be- 
sonders Kaiser  Joseph  wurden  dergestalt  von  den  Päpsten  Clemens 
XIU.  u.  XIV.  begünstigt,  dass  der  Verf.  sagt :  dieselben  bewilligten 
jenem  Kaiser  mehr,  als  was  jetzt  Italien  von  dem  Papste  fordert. 
Die  Minister  Firmian  nnd  Kaunitz  wussten,    dass  man  in  Italien 
nicht  so  fromm  war,  als  in  Deutschland,  wo  es  erst  der  französi- 
schen Bevolutionskriege  bedurfte,  um  die  weltliche  Herrschaft   der 
reiohsunmittelbaren  Bischöfe,    Aebte  und  Aebtissinnen  aufzuheben. 
Schon  am    13.  August  1720   war  ein  kaiserliches .  Decret  erlassen 
worden,  nach  welchem  hier  die  geistlichen  Besitzer  von  Lehngütern 
dem  Kaiser  den  Vasallen-Eid  schwören  mussten,  so  dass  endlich  am 
15.  Mai  1788  Begierungs-Commissare   in    dem   Prätoriats-PaUaste 
zu  Mamette  sich  einfanden,  welche  im  Namen  des  Kaisers  von  dem 
Thale  Valsolda  Besitz  nahmen,  am  12.  Sept.  1784  befahl  der  Kai- 
ser, dass  daselbst   alle   Oesetze   des   Staats  fortan   gelten  sollten, 
nnd  dass  der  Erzbischof  den  Eid  der  Treue  als  Privatbesitzer  von 
Valsolda  zu  leisten  habe.     Seit  jener  Zeit   folgte   dieses  Thal  dem 
Schicksale  der  Lombardei.     Seine   Bewohner,   ausgezeichnet  durch 
ihre  Geschicklichkeit  in  Erbauung  der  sogenannten  trocknen  Mauern 
ziehen  vielfach  nach   Deutschland,   um    sich  dadurch  Geld  zu  er- 
werben, und  wohlhabend  zurückzukehren.  Eine  wichtige  Zugabe  sind 
14  Urkunden  ans  alten  Archiven,  darunter  von  dem  Kaiser  Fried- 
rich n.  zu  Capna  1240  ausgestellt,  die  Verhältnisse  dies^w*  tiales 
zu  Como  betreffend.  Ausserdem  aber  wer^n.«bipr  die  .die  sehriUm- 


im  Sfa^toien  mitgetiieilt,  mit  dem  Bemerken,  das«  sie  den  fie« 
schichtsolireibeni  Gantu,  de  Bossi»  dem  deutsohen  Saiigny,  dem 
Gibrario  und  Bonaini  Bioht  bekannt  geweeoi. 

BluBtrcuione  «torjea,  artUHea  e  epigraftca  deU  antiehmUna  ekuta 
di  8.  Maria  di  Caäeüo  in  Otnova,  dal  R.  A.  Vigna,  Omopa 
1864.  gr.  8.  p.  604.  Tip.  Lanaia. 

Ein  Dominicaner  in  Genua,  welcher  Yice-Pr&sident  der  Ligo- 
riscben  GeeeUsobaft  für  yaterländiscbe  Geschichte  iät,  gibt  hier  die 
Beschreibung  der  genuesischen  Kirche,  welche  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert dem  Dominicaner-Orden  gehört.  Er  ftngt  mit  der  Ein- 
f&hrung  des  Cfaristenthums  in  Genua  an,  welches  durch  die  heiligen 
Nazarini  und  Oelsus  geschehen  sein  soll,  welche  vor]  den  Verfol- 
gungen durch  Nero  aus  Bom  flohen,  in  Genua  tauften  und  predig- 
ten, und  nachher  iu  Mailand  von  dem  Präfecten  Annalinus  den 
Mftrtyrer-Tod  erlitten.  Genua  war  schon  nach  Strabo  der  Hanpi- 
stappelplatz  von  Lignrien,  man  hatte  daher  andere  Beschäftigung, 
als  sich  um  das  zu  bekümmern,  was  die  Leute  glaubten;  es  hat 
daher  dort  nie  eine  Christen- Verfolgung  stattgefimden,  sowie  auoh 
Sektenstiftung  dort  nicht  vorkam.  Ungeachtet  es  an  genauen  Nach- 
richten fiber  die  Gründung  der  ersten  Kirchen  in  Genua  fehlt; 
so  wird  doch  die  Kirche  dalCastello  für  die  älteste  gehalten.  Man 
hat  lauge  darüber  gestritten,  ob  sie  ihren  Namen  von  den  alten 
Herren  di  Castello  erhalten  hat,  oder  ob  sie  —  wie  jetzt  ange- 
nommen wird,  in  der  Nllhe  des  alten  Schlosses  gelegen.  Die  älteste 
Nachricht  ist  von  1049  nach  einer  Urkunde,  in  welcher  ein  ge- 
wisser Rainald  dieser  Kirche  ein  Grundstück  schenkt.  Eine  andere 
Urkunde  von  1064  enthält  die  Schenkung  aller  Besitzungen  der 
Tochter  eines  Arduino  zu  Montesignano.  Diese  Kirche  hat  stets 
den  Vorrang  vor  den  andern  Kirchen  in  Genua  behauptet,  und 
wird  besonders  Werth  darauf  gelegt,  dass  der  Papst  Innocenz  IE. 
durch  ein«)  Bulle  von  1187  dem  Erzbischof  von  Genua  befahl,  nach 
al^er  Gewohnheit  in  Procession  sich  an  einem  bestimmten  Tage 
nach  jener  Kircbe  zu  begeben,  und  das  Taufbecken  einzusegnen; 
dieser  Befehl  ward  von  Alexander  HC.  1160  vriederholt.  Diese 
Kirche  soll  vor  Erbauung  der  Kirche  S.  Siro  die  Gathedralkirche 
des  dortigen  Bisthums  gewesen  sein,  worüber  ein  ganzes  Ki^>itel 
handelt,  dagegen  wird  die  Erbauung  dieser  Castell-Kirche  nur  an- 
nähernd um  das  Jahr  660  angegeben,  und  zwar  durch  den  Longo- 
bardenkünig  Aripert  L,  nachdem  Botaris  die  frühere  Kirche  mit 
^der  Stadt  zerstört  hatte,  die  jetzige  Gestalt  hat  sie  erst  später 
^^rhalten,  und  ward  sie  1237  eingeweiht,  im  Jahr  1290  erhielt  sie 
g^jjge  Binge  von  ißt  Kette,  weldie  die  Pisaner  gebraucht  hatten, 
j^g^^'hren  Hafen  zu  sperren,  die  aber  von  der  genuesischen  Flotte 
land  an '^ef^'^^*  °^^  wurden  1860  auf  Anordnung  der  Stadtgemeinde 
'     '^  rt,  nm  die  Einheit  Italiens  m  feiern. 


LüeraliiiteUiU  ma  Biltoo.  Ml 

Dat6  memarabiU  ddla  $i&ria  modema  dfliaKa  1M0— IM<.  Torina 
1866.  Tip.  CeruUi.  gr.  8.  p.  117. 

Dies  kleine  Werk  ist  von  grossem  Werthe,  denn  es  enthttlt 
in  knx^n  Andentangen  alle  Ar  die  Nengestaltang  Italiens  wichti- 
gen Tage,  mit  dem  16.  Jnni  1846  anfangend,  an  welehem  Tage 
Pins  IX.  znm  Nachfolger  des  am  1.  Jnni  Terstorbenen  Gregor  AVI. 
gewllhlt  ward.  Am  15.  Juli  erliess  Pins  IX.  die  berühmte  Amnestie 
für  alle  politischen  Verbrecher,  worauf  Festlichkeiten  und  Anträge 
der  ProYincialstände  folgten,  bis  der  Papst  am  17.  April  1847  eine 
constitnirende  Yersammlnng  berief,  am  -16.  Juli  wurde  aber  eine 
Verschwörung  entdeckt,  welche  gegen  die  freisinnigen  Ansichten 
des  Papstes  einschreiten  wollte;  am  17.  Juli  schritten  die  Oester- 
reicher  dagegen  durch  die  Besetzung  von  Ferrara  ein,  und  am  19. 
erklärte  sich  Oesterreieh  gegen  die  Errichtung  von  National-Qarden 
in  Italien.  Am  19.  August  erklärte  der  König  von  Sardinien,  dass 
er  keiner  fremden  Macht  eine  solche  Einmischung  erlauben  würde. 
Am  6.  September  wurden  Lobgesänge  auf  den  Papst  in  Mailand 
durch  bewafihetes  Einschreiten  verhindert.  Am  16.  Oktober  ward 
in  Born  die  Consnlta  als  repräsentatiye  Behörde  eröffnet.  Am  29. 
machte  Carlo  Alberto  seine  Beformen  bekannt.  Am  8.  November 
erfolgte  schon  eine  Zollvereins* Verbindung  zwischen  Rom,  Floren« 
und  Turin,  wogegen  am  24.  das  Standreeht  in  der  Lombardei 
und  Venedig  verkündet  wird.  Am  7.  Desbr.  wurden  die  Lobgesänge 
auf  Pius  IX.  zu  Verona  verhindert,  und  am  81.  die  Oesterreicher 
nach  Modena  berufen.  Am  8.  Januar  1848  folgten  blutige  Auf- 
tritte wegen  des  Tabackrauchens  in  Mailand,  am  12.  der  Aufstand 
in  Palermo,  doch  am  28.  erliess  der  König  von  Neapel  eine  Amne- 
stie. Am  26.  schenkte  die  Stadt  Genua  dem  Papst  2  Kanonen,  weil 
er  einen  italieniiihen  Bund  zur  Aufrecfathaltung  der  Unabhängig 
keit  Italiens  wollte,  auch  versprach  der  König  von  Neapel  am  2S. 
Januar  eine  Constitution,  ebenso  am  31.  der  Grossherzog  von  Tös- 
cana;  am  8.  Februar  auch  der  König  von  Sardinien.  Am  11.  be- 
schwört der  König  von  Neapel  die  Constitution.  Am  21.  März  er- 
klärt sich  der  Groesherzog  von  Toscana  für  einen  italienischen  Bund 
(S.  der  italienisehe  Bund  und  der  deutsche  Fürstentag,  von  J.  F. 
Neigebaur,  Leipzig  1863,  bei  Bergson).  Am  22.  März  wurde  Ba- 
detzki  von  den  bewaffneten  Bürgern  Mailands  vertrieben,  ebenso 
in  Venedig.  Am  25.  rückte  das  sardinische  Heer  in  Folge  des 
Bandes  in  Mailand  ein.  Am  8.  April  erklärt  der  König  vonNeapely 
dass  er  dem  Bunde  mit  seiner  bewaineten  Macht  beitrete.  Am  6. 
Mai  ermahnt  der  Papst  den  Kaiser  von  Oesterreieh  den  Krieg  ein- 
zustellen, da  er  doch  die  Gemüther  der  Lombarden  und  Venetianer 
nicht  wieder  erobern  könne.  Wir  haben  nur  die  wichtigsten  Daten 
aus  dieser  Sammlung  hervorgehoben ,  welche  die  darauf  fo^nden 
Schlachte,  Siege,  Niederlagen  und  die  Beaction  u.  s.  w/ois  zur 
ünification  in  so  kurzer  Weise  berichtet|  dass  hier  eine/sehr  nütz- 


tS4  Hiwgfurfarlriite  ane  ItalfMi: 

Kdie  Chronik  Italiens  die  letzten  19  Jahre  darstellt.  DenBescUiu» 
macht  nach  der  p&pstlichen  Encyclica  vom  8.  Dezember  1864,  die 
Bekanntmachung  der  Genehmigung  der  Convention  mit  Frankreich 
vom  15.  September  1864,  wodurch  alle  Hoffnung  auf  einen  ita- 
lienischen Bund  nach  den  Worten  des  Friedens  von  Zflrioh  abge* 
schnitten  worden  ist.  Auf  diese  Chronik  folgt  eine  üebersicht  der 
Ministerien  zu  Turin  seit  der  constitntionellen  Zeit,  nachdem  das 
Ministerium  Solar  della  Margarita  abgetreten  war,  als  der  KOnig 
Carlo  Alberto  sich  den  Beformen  zuwandte  und  vom  9.  Oktober 
1847  an  unter  dem  Grafen  St.  Marzano  die  Constitution  vorbereitete. 
Das  erste  Constitutionen^  Ministerium  ward  von  dem  berühmten 
Geschichtschreiber  Graf  Balbo  geleitet,  wobei  der  gelehrte  Graf 
Sclopis  der  erste  constitutionelle  Justiz-Minister  ward.  Das  Mini- 
sterium des  mailändischen  Grafen  Casati  war  nicht  von  langer 
Dauer,  dabei  trat  zum  ersteumale  der  noch  junge  Advokat  Batazzi 
als  Minister  des  öffentlichen  Unterrichts  auf.  Dann  folgte  das 
Ministeritmi  des  Markgrafen  Alfieri,  dann  das  Ministerium,  vrelches 
den  zweiten  Krieg  gegen  Oesterreich  Torbereitete,  unter  dem  Geist- 
lichen Gioberti,  worauf  bei  der  Thronbesteigung  von  Viktor  Bma- 
nuel  General  Delaunay  Minister-Präsident  ward,  auf  welches  bald 
das  Ministerium  des  geistreichen  Schriftstellers,  Landschaftsmalers, 
tapfom  Generals,  th&tigen  und  gewandten  Staatsmannes,  Massimo 
V.  Azeglio  folgrte,  seit  dem  4.  Nov.  1862  trat  zuerst  Oavour  als 
Minister-Präsident  auf,  nachdem  er  vorher  schon  Finanzminister 
gewesen  war;  er  blieb  in  dieser  Stellung  bis  nach  dem  Kriege 
1859,  und  folgte  ihm  der  General  La  Marmora,  doch  trat  1860 
Cavour  wieder  auf,  bis  er  am  6.  Juni  starb,  worauf  ihm  der  Baron 
Bicasoli  folgte,  und  auf  ihn  wieder  Batazzi;  dann  der  berühmte 
Geschichtschreiber  Farini,  nach  dessen  Tode  der  Bolognesische 
Staatsmann  Minghetti  folgte,  den  schon  Pius  IX.  <n  seiner  consti- 
tntionellen Zeit  gebraucht  hatte,  der  aber  nach  der  September-Conven- 
tion abtreten  musste,  worauf  ihm  wieder  der  General  La  Marmora 
folgte.  Es  sind  daher  seit  dem  constitutionellen  Leben  vielfache 
Ministerwechsel  eingetreten,  und  folgen  darauf  die  einzelnen  Mini- 
sterien, wobei  der  jetzige  Minister  der  auswärtigen  Angelegenheiten 
der  21.  ist,  welches  Ministerium  den  meisten  Wechsel  erfahren  hat. 
Hierauf  folgt  das  Verzeichniss  der  diplomatisch  wichtigsten  Ur- 
kunden mit  einem  Edict  des  Papstes  Pius  ES.  vom  15.  Juli  und 
seine  Encyclica  vom  8«  Nov.  1846  anfangend,  bis  zu  seiner  En- 
cyclica vom  8.  Dez.,  femer  ein  Verzeichniss  von  Schreiben  ver- 
schiedener Monarchen,  der  Tagesbefehle,  Thronreden,  Schlachteu, 
Staatsvertt^ge,  und  macht  den  Beschluss  eine  üebersicht  derjenigen 
Mächte,  welche  das  Königreich  Italien  anerkannt  haben,  die  erste 
war  England  am  80.  März  1861,  die  letzte  das  Kaiserthum  Mexiko 
am  28.  August  1864,  Preussen  erst  nach  Bussland  am  21.  Juli 
1862,  und  von  den  deutschen  Bundesstaaten  nur  allein  Baden  am 
2^  April  18^8. 


titeralutlMritflito  aus  ItaUaü  M 

LuciHna.  Strenna  in  pro$a  ed  in  vertL   Tonne  186^4   Tip.  BMa^ 
8.  p.  800. 

Der  Titel  dieses  Taschenbuches  als  Neigahrsgeschenk  ist  von 
dem  Namen  des  Petroleums  entnommen ,  welches  jetzt  zur  Er- 
leuchtung gebraucht  wird,  und  der  liebliche  Inhalt  entspricht 
dieser  Bezeichnung.  Hier  findet  sich  ein  schönes  Gedicht  der 
Dichterin  Laura  Mancini-Oliva  aus  Neapel,  enthaltend  die  Gedanken 
einer  Venetianerin  an  ihren  Bräutigam,  der  in  dem  italienischen 
Heere  als  Scharfschütze  kämpfte,  ein  anderes  von  der  Dichterin 
Qiulia  Molino-Colombini,  worin  sie  im  Jahr  1842  Turin  als  Helden- 
stadt der  Vergangenheit  und  der  Zukunft  darstellt.  Beide  geist- 
reichen Frauen  sind  jetzt  Zierden  Turins;  von  einer  dritten  wird 
hier  von  G.  Valerie  Erwähnung  gethan,  der  Markgräfin  Caraglio, 
welche  in  ihrem  Schlosse  Boffie  eine  Bachdruckerei  anlegte«  und 
ihre  geistreichen  Gedanken  selbst  setzte.  S.  Pensöes  dötachäes 
par  C.  de  C.  Boffie  chez  Christin  Carail  typographe  editeur.  Von 
Valerio  sind  hier  unter  andern  mehrere  deutsche  Gedichte  in 
guter  üebersetzung  mitgetheilt. 

Aneora  sul  disseeeamenio  dd  lago  Tradmeno,   di  CatnUlo  BonflgK 
Tarino  1865.   Casa  Pomba.   4. 

Eine  Gesellschaft  beabsichtigt  den  Trasimener-See  trocken  sa 
legen;  die  Vorbereitungsarbeiten  haben  ergeben,  dass  durch  einett 
Emissar  nach  der  Tiber  und  einen  andern  nach  dem  Arno  dieser  See  so 
weit  abgelassen  werden  kann,  dass  mehrere  Tausend  Morgen  jetzt 
mit  Sumpfwasser  bedeckten  Landes  f&r  den  Ackerbau  gewonnen 
werden  können,  und  dass  dann  auch  die  benachbarten  Ortschaften 
von  den  schädlichen  Ausdünstungen  befreit  sein  werden,  welche 
jetzt  so  viele  Krankheiten  erzeugen.  Die  benachbarte  aiuf  hohem 
Berge  gelegene  Stadt  Perugia,  welche  davon  nicht  zu  leiden  hat, 
fürchtet  die  schöne  Aussicht  über  den  See  und  dessen  schmack- 
hafte Fische  zu  verlieren;  so  dass  von  dorther  Einspruch  geschehen 
ist.  Dies  nüt  einer  Specialkarte  versehene  Werk  ist  nun  dazu  be- 
stimmt, solchen  engherzigen  Ansichten  entgegenzutreten. 

Almanaeo  tnilüare  illudrato  1865,  Torino,  7Hp.  Ceusone,  8.  p.  229. 

Dieser  für  das  italienische  Heer  bestehende  Kalender  filngt 
mit  der  Lebensgeschichte  der  bedeutendsten  kommandirenden  Ge- 
nerale an,  deren  Bildnisse  beigefügt  sind,  mit  dem  Kriegsminister 
Grafen  Boglioni-Petitti  anfangend.  General  Durando  war  Student 
der  Rechte  in  Turin,  als  die  Revolution  von  1830  aasbrach,  an  der 
die  vornehmsten  Familien  Theil  nahmen,  auch  der  junge  Doraadö 
musste  als  verdächtig  auswandern,  er  zeichnete  sich  bald  als  pop« 
tugisischer  Offizier  aus  und  trat  nach  der  Neugestaltung  ItalienB 
in  den  vaterländischen  Dienst.  General  Graf  Gianotti  trat  bei  der 
sardinischen  Artillerie  ein,  da  dieselbe  von  den  ernten '  FamiUea 


eM  LitemtorWriöhto  Mt  ttaU«A. 

TorgdzQgon  wird,  weil  sie  die  meisten  Mittel  haben,  sieh  za  unter- 
richten, und  die   gelehrten  Waffen  am  meisten   geachtet   werden. 
Qeneral  Cucchiari  war  Advokat  in  Modena,  als  er  wegen  der  Re- 
volution vom  Jahr  1880  auswandern  musste,  und  im  portugiesischen 
Heere  den  Krieg  lernte.     General  Bixio   ging   als  Knabe  Ton  13 
Jahren  aus  seiner  Vaterstadt  Oenua  auf  ein  Handelsschiff,  trat  aber 
später  in  die  Kriegs-Marine  ein,  und  machte  alle  Prüfungen  durch, 
nahm  aber  seinen  Abschied  und  befehligte  Handelsschiffe   in    den 
Meeren  aller  Welttheile ;  einst  ward  an  der  Küste  von  Sumatra  sein 
Schiff  vom  Sturme  yernichtet,  er  rettete  sich  zwar  durch  Schwim- 
men, wurde  aber   als  Sklave  verkauft,   glücklicherweise   an  einen 
amerikanischen  Schiffskapitän,   welcher  ihn   gut  brauchen  konnte, 
auch  erhielt  er  nach  der  Ankunft  in  Nord- Amerika  seine  Freiheit. 
Bei  der  Neugestaltung  Italiens  im  1848   trat  er  in  das  Heer  ein, 
welches  aus  Freiwilligen  bestehend  im  Yenetianischen  bis  Treriso 
vordrang  und  wurde  Lieutenant,    dann  unter   Garibaldi    in   Born 
gegen  die  Franzosen  Hauptmann,  schrieb   dann  über  die  Kriegs- 
Marine  ;  als  aber  Garibaldi  an  dem  Kriege  gegen  Oesterreich  Theil 
nahm,  drang  er  bis  an   das  Stilfser  Joch  vor,   studierte  dann  anf 
der  trefflichen  Militär-Bibliothek  zu  Turin   (S.  Beschreibung  der- 
selben im  Serapeum  von  J.  F.  Neigebaur,  Leipz.  1862)  die  Kriegs- 
kunst theoretisch,  bis  Garibaldi  mit  seinen  1000  Mann  die  Landung 
in  Marsala  bewirkte,  und  mit  Becbt  Bixio  schnell  beförderte,  denn 
vielfach  war  er  schwer  verwundet  worden.    Er  wurde  von  Genna 
zum  Abgeordneten  gewählt,  und  zeichnete  sich  auch  als  Politiker 
aus,  da  er  sich  von  allem  Uebermaass  frei  hält.    Er  ist  jetzt  schon 
geachteter  General^Lieutenant,  und  man  h5rt  nicht,   dass   er  des- 
halb angefeindet  wird.    Dieser  Soldaten-Kalender  enthält   sodann 
eine  Beschreibung  des  Krieges  gegen  Dänemark,  aus  dem  die  Italiener 
nicht  recht  klar  werden  können,   da  man  den  am  meisten  bethei«* 
ligten  Sohleswig-Holsteinem  nicht  erlaubte,  an  dem  Kampfe  Theil 
zu  nehmen.  Hier  sind  die  Abbildungen  von  dem  dänischen  General 
La  Mesa,  von   Wrangel  und  dem   Prinzen  Friedrich   Carl   nebst 
mehreren  Schlachten-Bcenen  beigefOgt,   dergleichen   auch   aus   den 
Kämpfen  des  italienischen  Heeres  und  sind  besonders  die  mit  den 
neapolitanischen  Strasseni^ubem  sehr  gut  in  Holzschnitten  ausge- 
ftlhrt.  Auch  finden  sich  hier  die  Denkwürdigkeiten  eines  Tambours 
nnd  zweckmässig  ausgewählte  Müitär-Yerordnungen. 

Histoire  de  Saint  Ouiüaume  par  fäbbi  CroacU^MoucheU  Turin  1863. 
Tip.  Marzoraii.  8.  p.  348. 

Dies  Werk  ist  zwar  fianzösiscli  geschrieben,  allein  da  es  die 
italienieche Geschichte  betrifft,  durfte  es  um  so  mehr,  da  es  auch 
in  Italien  erschien,  hier  erwähnt  werden,  da  es  die  Zeit  betrifit, 
wo  nooh  Otto  der  Grosse  das  römisch-deutsche  Beich  in  Italien  in 
Ehren  halten  konAte*  Der  heilige  Wilhelm  ist  es,  dessen  G^sobichte 
bier  gegeben  wird.    Damals  war  Otto  der  Grosse  von  der  Wittwe 


ttt«nititttiMo1iie  Mfl  tuXML  MY 

Lothan,  Adelheid»  um  Httlfe  gegen  Betengat  n.  König  von  Italien 
ersacht  worden,  welche  aof  dem  Bchlosse  Oanossa  lebte,  welches 
später  anf  so  traurige  Weise  ftb:  Deutschland  berühmt  ward.  Be* 
rengar  masste  sich  unterwerfen  und  behielt  Italien  nur  als  kaiser- 
liches Lehn.  Doch  das  germanische  Lehnwesen  hatte  die  Ungarn 
nicht  abgehalten,  nach  Westen  vorzudringen ;  Berengar  besiegte  sie 
in  Italien,  machte  sich  aber  so  verhasst,  dass  die  Grossen  den  Kai- 
ser herbeiriefen,  welcher  962  mit  einem  Heere  ttber  die  Alpen  kam 
nnd  sich  in  Mailand  2nm  Könige  von  Italien  krönen  Hess,  nach- 
dem der  nnznfriedene  Adel  anf  dem  dortigen  Landtage  ansgespro^ 
chen  hatte,  dass  Berengar  aufgehört  habe  zu  regieren,  unter  den 
demselben  und  seiner  Gemahlin  Willa  treu  gebliebenen  Grundbe« 
sitzern  war  ein  Graf  von  Yolpian  tou  dem  Wibo  aus  Schwaben 
abstammend,  welcher  Perinzia  die  Tochter  Dadons,  Grafen  von 
Turin  geheirathet  hatte,  die  Schwester  des  Markgrafen  Arduin  Ton 
lyrea.  Ein  Sohn  aus  dieser  Ehe  war  der  heilige  Wilhelm,  ünter^ 
dess  war  Berengar  mit  der  Willa  nach  Bamberg  in  die  Gefangen* 
Schaft  abgeführt  worden,  wo  er  966  starb,  Otto  aber  von  Johann 
Xn.  in  Rom  als  Kaiser  gekrönt  wurde.  Das  deutsche  Reich  war 
zwar  ein  Wahlreich  geworden;  allein  die  deutsche  Frömmigkeit 
musste  abwarten«  bis  die  Kaiserkrone  von  dem  Altare  durch 
den  Papst  ertheilt  ward.  Allein  der  Sohn  Berengars,  Adalbert^ 
trat  mit  vielen  Italienern  und  dem  Papst  gegen  den  Kaiser  auf; 
dieser  aber  siegte,  setzte  den  Papst  ab  und  setzte  Leo  VIII.  an 
seine  Stelle,  Adalbert  starb  bald  darauf  und  seine  Wittwe  Herberga 
floh  zu  ihrem  Vater  Heinrich  Herzog  von  Burgund,  mit  ihrem  Sohne, 
wacher  der  Stammvater  des  savoischen  Hauses  wurde.  Der  oben- 
erwähnte Vater  des  heiligen  Wilhelm  war  durch  seine  Unterhand- 
lungen mit  dem  Kaiser  dergestalt  in  seiner  Gunst  gestiegen,  dass 
Otto  mit  seiner  Gemahlin  Adelaide  Taufpathen  waren,  auch  war 
er  wegen  einer  Erscheinung  von  Engeln  schon  vor  der  Geburt  dem 
geistlichen  Stand  geweiht ;  sowie  auch  der  Sohn  der  ersten  Ehe  dee 
Kaisers  schon  Erzbischof  von  Mainz  war.  Auch  der  Bruder  der 
Mutter  Wilhelms  erfreute  sich  der  Gnade  des  Kaisers;  es  ist  dies 
derselbe  Arduin,  welcher  später  König  von  Italien  wurde.  Der 
heilige  Wilhelm  studierte  in  Vercelli,  wo  auch  Petrarca  und  der 
heilige  Antonius  von  Padua  erzogen  worden  waren,  wurde  Mönch 
und  Einsiedler,  dessen  Frömmigkeit  und  seine  Reise  hier  erz&hlt 
werden,  während  sein  Oheim  Arduin  mit  der  Markgrafschaft  Ivrea 
belehnt  wurde,  welche  von  Aosta  bis  Paiia  reichte.  Arduin  unter- 
warf sich  das  Bistham  Vercelli  mit  Gewalt,  wofUr  er  von  Otto  m. 
im  Jahr  1000  in  die  Acht  erklärt  wurde;  doch  dieser  Kaiser,  rer 
wickelt  in  die  Bewegung  der  Römer  unter  Orescenz  hatte  ir^ 
ganz  geistlichen  Bussübungen  hingegeben,  und  starb  1002  b^  ^ 
Umgebung  von  Rom.  Schon  24  Tage  nachher  hatten  dieB^^^^, 
nnd  die  Grossen  des  Reichs  eine  Versammlung  zu  Pavia  '^    ^ 

nnd  Arduin  zum  Könige  von  Italien  gewählt,  während  die  7;^'    ®^ 

44 


literarischen  Mitte  seiner  Zeit,  c  Er  will  hiermit  za  verstehen  geben, 
es  gebe  ein  politisohes  Mittel  a.  s.  w.,  wie  es  ein  arithmeüaches 
gibt,  oder  aber  sein  Ansdrack  ist  der  F&role  nachgebildet,  iu$U 
tnüieu.  üebrigens  versteht  man,  was  der  Verfasser  damit  meint, 
nnd  seine  Vorrede  gibt  in  seinem  weiteren  Verlaufe  ebenso  wohl 
erklärende  Anfschlttsse,  wie  die  Abhandinngen  seiner  Bande  die 
Verwirklichnng  eines  Gemäldes  des  Jahrhunderts,  worin  Taoiins 
lebte. 

In  der  politischen  Sphäre  dieser  Zeit  findet  er  vier  EJAnpt- 
titger  wirksam,  Senat,  Heer,  Fttrst,  Volksmasse,  nnd  diesen  Ele- 
menten sor  Seite  als  sehr  wichtige  Triebfedern,  die  Erinnemng  an 
die  alten  Freiheiten,  und  die  öffentliche  Meinung.  In  ebenso  vielen 
Abhandlungen  hat  er  diese  als  Bestandtheile  seiner  Darsteünng 
behandelt,  nämlich  8.  5  U  8imat  rQtnain,  S.  24  tArmie  romaüu^ 
S»  45  le  Pmplc  romain,  8.  61  du  Bisaauvemr  de  la  liberU^  8.  85 
De  VOpinion  fmbligtu. 

Vom  Fürsten  bat  er  sich  vorbehalten  erst  dann  zu  reden, 
uchdem  er  noch  das  Gebiet  tder  socialen  Mitte  c  sowohl  nach  der 
speciellen  Seite  (des  Moeun  socialem  S.  162  ff.)  i  als  unter  den  veor- 
wandten  Gesichtspunkten  (PkUoBophie,  Droit,  Paganisme^  JudoiBnuj 
ChriMiaxdsme)  behandelt  hat,  und  zwar  dann  unter  der  CoUektiv- 
überschrift:  jJLe»  Cüar$.^  S.  425  ff.  bis  597.  Der  Grund  dieaer 
Hinausschiebung  ist  leicht  zu  vermuthen,*auch  wenn  der  VerCasaer 
unterlassen  hätte,  ihn  besonders  auszusprechen. 

Wie  diese  Abhandlung  das  natürliche  B6sum6  und  gleichsam 
die  Vervollständigung  der  politischen  und  socialen  Prüfung  des 
kaiserlichen  Boms  ist,  denn  man  begegnet  den  Cäsaren  überall  in 
dieser  Sphäre,  ebenso  fasst,  im  zweiten  Bande,  die  Abhandlung, 
welche  speciell  von  Tacitus  handelt,  die  Prüfung  seines  Jahrhnxi- 
derts  nnter  dem  politischen,  gesellschaftlichen  und  litterarischen 
zusammen,  da  das  Genie  des  Tacitus  sich  beständig  auf  diesen  drei 
Seiten  mit  seiner  Zeit  berührt.  Diese  Abhandlung  lautet  vollstäji- 
dig:  „StiT  la  vie  —  la  phüosophie  —  la  rdigion  —  h  eharaetire 
—  et  tesprit  de  Tacüe.  Sa  personncdüi.^  S.  323  ff.  Diese  sowie 
die  folgenden:  ^TaeUe  hifitorien^^  S.  354 ffL  y,De  tHidoire  dana  ea 
forme''  nebst  ihren  Fortsetzungen  S.  406  ff.,  456  ff;,  498  ff.  bilden 
den  Schwerpunkt  des  ganzen  Werkes  unseres  Verfassers.  Aehnlioh 
wie  im  ersten  Bande,  hat  er  sich  auch  hier  vorbehalten,  von  Ta- 
citus namentlich  erst  zu  reden,,  nachdem  er  zuvor  über  die  „Moeure 
UU&aifres^  (S.  Iff.},  j»Pe  la  Corrupium  des  leUres  romaine»^  (S. 
aiff.>,  von  dem  y^Mouotmerd  HJUdrairt"^  (S.  89— -240)  und  »De 
fMidoire  dam.  $en  enaeignemerUf'  (S.  240  ff.)  weitläufiger  gehan- 
delt bat.. 

Wir  mAsaen  darauf  verzichten^  einen  Auszug  aus  diesen  AB- 
handlnngen  der  Beihe  nach  zu  geben ;  sowohl  dÜ  Methode,  des  Ver- 
ÜMsers  hindert  uns  hieran,  wie  ^e  OriÄnalität  des  Verfassers.  In 
methodischer  Beziehung  gleicht  seiner  Darstellnng  einem  Mosaik; 


denn  sie  besteht  fast  ans  eiser  gesebiekt  flnigelegten.Aneiimnder<» 
reihung  dtirter  Stellen,  und  macht  nach  dieser  Seite  wahr,  wai 
der  Verfasser  yorgibti  de  parier  tfaprh  les  ancitns.  In  Hinsiedit 
der  Originalität  kann  seine  Darstellung  französischerseits  für  das 
gelten,  was  wir  deutscherseits  in  der  Sittengeschichte  Bom's  ans 
der  Feder  Friedlftnder's  besitzen,  das  wir  unangetastet  lassen,  es 
mtlsste  denn  sein,  dass  wir  an  besonderen  Anssügen  Stil  und 
Charakter  der  Darstellnng  dartbon  wollen.  Ans  diesen  Ortinden 
asüssen  wir  uns  daher  bescheiden,  die  fleissigen  nnd  grttadliahen 
Stadien  des  Verfassers  xa  sex^liedem«  Nur  xwei  Abhandlnngen 
durften  uns  hier  n&her  beschäftigen,  die  Cäsaren,  nnd  das  Leben 
ttnd  die  geistigen  Fähigkeiten  des  Tacitos,  namentlich  diese  letzte. 
Zunächst  will  ich  die  erstere  zergliedern.  Die  Cäsaren,  be* 
ginnt  er,  waren  Gegenstand  des  Hasses  bei  den  republikanisch  ge* 
sinnten  Bömern,  woran  besonders  Soeton  und  Taeitns  Antheil  habeoy 
während  die  Sache  sich  anders  herausstellt  ^  wenn  man  nicht  die 
Urtheile  der  letzteren  gelten  lässt,  nnd  die  Cäsaren  darstellt  als 
solche.  I>er  Verf.  erinnert,  dass  Claudius  das  Muster  der  Trare-^ 
stimng  der  Cäsaren  geworden,  nnd  zeigt  an,  dass  er  sich  an  die 
Thatsachen  aus  dem  Leben  der  Letzteren  mehr  halten  werde,  als 
an  ihre  Widersprüche«  S.  425  ff.  Man  geisselt  politisch  die  Cäsa*' 
ren,  indem  man  der  kaiserlichen  Dienstbarkeit  das   öemälde   der 

republikanischen  Freiheit  entgegenstellte Unter  der  Bepublik 

vernichtete  Born  die  Provinzen,  unter  den  Kaisern  wurden  die 
Provinzen  mehr  protegirt  als  die  Hauptstadt.  Der  Verfasser  findet 
in  den  Kaisern  die  Abbilder  der  Originale  aus  der  Zeit  des  besten 
BepublikanismuB.  S.  428  ff«  Oleich  darauf  begegnete  der  Verf.  dem 
Sinwande,  dass  das  römische  Volk  seine  Freiheit  verkaufte,  um 
ernährt  zu  werden,  womit  eigentlich  eine  Satire  auf  die  Bepublik 
gemacht  sei.  Er  sagt,  dass  die  Cäsaren  nicht  blos  nützlich,  son- 
dern auch  nothwendig  waren,  und  erörtert  zuletzt  die  Ursachen, 
warum  die  Cäsaren  so  angeschwärzt  wurden.  S.  431.  Er  unter** 
sucht  dann  das  Wesen  ihrer  Macht  als  römischer  Kaiser  S.  435, 
weist  nach ,  dass  Bom*s  Institutionen  nicht  theoretisch  sich  ent^ 
wickelte,  sondern  unter  der  Herrschaft  des  Usus  standen,  der  das 
Princip  war  S.  440 ;  handelt  von  der  (wie  er  es  nennt)  infatuaUon 
der  Kaiser  nnd  von  dem  Ueberwiegen  ihres  pert^mnalitnu  Hber 
Politik  S.  452 ;  protestirt  gegen  das  Travistiren  der  Cäsaren  mittels 
sogenannter  Epitheta  oder  Schlagwörter«  Er  vemrtheilt  das  ak 
Declamation,  und  unwürdig  des  Öeschiohtsehreibers.  Die  Begierung 
derCSseren  verdient  ein  apartes  Studium,  um,  jenem  sammarischen 
Verfahren  gegenüber,  zu  tieferen  Besultaten  zu  gelangen  S.  468. 
Bas  WEnen  Alles  erst  allgemeine  Betrachtungen.  Der  Verf.  prtlft 
jetzt  die  Tragweite  der  öffentlichen  Qereohtigkeit  (Lynch)  gegen 
die  Cäsaren  seit  Ifero,  und  bis  t^  den  Antoninen  herab,  kurz, 
aber  binreiehend  S.  466.  Als  Fortsetzung  hiesu  dient  No.  IX:  Die 
patricisobett  Stoiker  rivalisiren  gegen  die  Kaiser  i   wie  sieh  Imht 


Ton  diasoB  Ergdirmge«  profitirte  imw,  di4i«r  feine  normflle 
Begierung,  als  deren  Beqmelte  der  Verf.  betraclitet:  1)  AnfreoU- 
erbaltnng  der  Disciplin  üb -Heere,  and  Verwendung  der  letasieren 
gegen  das  Ausland,  2)  gute  Verwaltung,  nm  niobt  die  MaJison  sn 
reiten,  8)  Gewftbnmg  eines  reioblicben  Hasses  ron  Haebt  nnd 
Freiheit  an  die  Grossen  nnd  Vomebmen,  nm  ibrem  fein^ehen  Anf- 
treten  yorznbengent  Man  sollte  meinen,  der  Verf.  habe  das  Ge- 
beimniss  in  Hftnden,  wie  man  das  Kaiserreich  anfreebt  halte  I  Nadi- 
dem  der  Verf.  die  Anstrenguogen  gezeigt  bat^  welche  die  Freiheit 
gemuht  hatte,  um  sieb  mit  der  Macht  zu  organisiren,  nnd  wie 
die  Begiemng,  welche  einen  Augnstns,  Tiberius,  Ciaodinsund  Vee- 
pasian  zu  Trägem  hatte,  mit  den  Antonimen  hinstarb,  wie  der 
Oivismus  nnd  der  römische  Qeist,  und  femer  die  Anstrengung, 
welche  die  orientalisohe  Macht  aufgeboten  hatte,  nm  dk  rSmisobe 
Freiheit  zu  ersetzen,  geht  er  zu  dem  Nachweise  über,  wie  niebt 
allein  der  Athem  Borns  ausgeht,  sondern  wie  auch  seine  Herrschaft 
ein  Stück  nach  dem  anderen  auseinanderf&Ut.  Demnach  nennt  er 
das  Buch  Procop's,  welches  über  diese  finstere  Epoche  bandelt, 
eine  Nekrologie,  ein  Buineninyentar.  S.  574.  Er  bat  Procop  ge- 
lesen, und  kennt  den  bTzantinischen  Hof.  Procop  ist  fäv  seine  Zeit 
dasselbe  was  Sueton  ftir  die  seinige.  Für  welche  der  letstere  ein 
Orakel  ist,  die  dürfen  Procop  nicht  Tersobm&ben.  Der  Verf.  streift 
biemit  hart  an  der  Grenze  der  Schlagwörter  yorbei,  wovor  esc  {rüber 
gewarnt  hatte,  indem  er  Trajan  den  Bepr&sentanten  desrömiseben 
Geistes  nennt,  Julian  den  Beprftsentanten  des  griechischen,  und 
Jußtinian  den  Beprüsentanten  des  orieotaliscben.  8.578.  Srsobliesst 
diesen  Abschnitt  mit  einer  Lobrede  auf  den  christlichen  Geist, 
dessen  Zweck  erhabener  sei  als  der  Socialismus,  indem  er  die  Erde 
regiert,  nur  nm  sie  zum  Himmel  zu  lenken.  Der  Scblussabsebnitt 
des  ganzen  Bandes  (XV:  S.  579—598)  behandelt  die  Begier^ngt- 
maxime  der  Kaiser»  und  die  Stelle,  sowie  die  Persönlichkeit  der 
Cäsaren. 

Völlig  in  Paarallele  zu  dem  ersten  Bande,  behandelt  der  Veifl 
in  dem  zweiten :  Taoitus  und  sein  Jahrhundert  unter  dem  literari- 
soben  Gesiehti punkte ,  um  die  Berührungspunkte  ^wischen  diesem 
und  ersterem  9n  finden  nnd  m  erUutem.  Aus  der  hier  yerwertlie- 
ten,  sehr  breit  angelegten  Darstellung  wollen  wir  uns  ynnftchainur 
mit  seiner  Bedeutung  als  Gescbicbtsobreiber  befassen,  und  seben» 
wie  Herr  Dübois  ihn  auffasst  (Bd.  ü.  S.  354-^.40$).  Die  Naeb- 
richten  über  sein  Leben  sind  hier  Nebensache  S.  884;  weniger 
Würde  es  freilich  die  Frage  nach  seinem  philosophischen  Stund- 
punkt  seiA  S.  880,  nach  seinem  religiösen  S.  384,  endliob  nafch 
seinem  moT^Useben  und  inteUectuellen  Wesen.  S.  837  ff. 

Die  Methode  unseres  Monographen  besteht  nun  darin,  d&ss  er 
die  Geschichte  der  Literatur  seit  Augustus  nach  Gkkttungen  oder 
9ch]»)4^  «Is  S^nlctituDg  m  seinen  Disouraen  über  Twitus  betraohtet 
und  behandelt  bat.  So  begegnet  er  sich  hier  aalt  Tbieray'i  TaUemu 


df  f Empire  romain*),  xnit  der  EinHohrtalnmg,  dass  er  eben  nur 
die  Litoiutarheroen  bis  auf  Tacitas  in  seine  Betrachtang  über  die 
»literarische  Bewegung«,   wie  er   die  Entwicklungsgeschichte   der 
Literatur  nennt,  hereinzieht.  Zuerst  behandelt  er  Sehnlen  (Gattun- 
gen) und  Schultraditiott  S.  59ff.|   deren  Ergebnis«   darin  besteht» 
dass  er  der  kaiserlichen  Literatur  die  Yolle  Ebenbürtigkeit  mit  der 
republikanischen  einräumt,   soweit  sie  sich  des  Unterschiedee  der 
Schulen  nach  Massgabe  der  Dichtungsgattung  bewusst  war«    Nun 
kam  aber  der  Begrifi  des  Handwerks  auf;  man  qu&lte  sich  akBe« 
ruf  an^  was  nicht  angeboren  war.  Als  Dichter  sind  Brutus,  Oioeron, 
Julius  Cäsar  niemals  bekannt  gewesen,  oder  aber  sie  mussten  wtLn« 
sehen  es  nicht  zu  sein.     Wo  sind  Mäcena,  Gallien,  GaUus  selbst» 
den   Yirgil  verherrlicht?    Wo   sind   Bassus,  Terentius,  Secundus 
u.  B.  w.     Solche  Fragen  legt  sich  der  Verf.  Yor,   ohne  zu  ahnen« 
das»  wenigstens  die  philologische  Jugend  Deutschlands   sich  mit 
ihren  soi-disant    dichterischen   Fragmenten  befasst     Das  beweist 
nichts  für  ihren  dichterischen  Werth,  und  meistens  sind  auch  die 
Fragmenteiijäger  im  Stande,   den  letzteren  zu  beurtheilen.    Wir 
wollten  mit  dieser  Episode  nur  andeuten,  dass  dem  Yerf«  bei  seinem 
Streben,    dichterische  ^Tradition   (Schule)  und  dichterische  Nach-» 
abmung  (Handwerk)  wesentlich  auseinander  liegen.    Diese  letztere 
lehnte  sich  zonächst  an  die  stoische  Schule  an,  mit  der  die  virgi- 
Uscbe  Schule  die  Beinheit  ihrer  Bichtung,  bei  Übrigens  Yersohie- 
denen  Materien,  gemein  hatte«    Aus  der  Schule,  welche  sich  um 
die  Stoa  hemmdrängte,  si  c'tn  est  une^  leitet  der  Verfasser  die 
Gorruption  in  der  Literatur  ab !  S.  85.    Hier  lebten,  wie  in  ihrem 
Heiligthum,  und  mit  Buhmredigkeit,  die  Oesuchtheit,  der  Bealis« 
mus,  d.  h.  der  gewöhnliche  Sensualismus  und  das  System  derwdd^ 
klingenden  Kleinigkeiten,   ein  Ausdruck   des  Horaz  (Ars  poäita)^ 
dem  somit  der  Verf.  seinen  Standpunkt  entlehnt,    ungeachtet  der 
fehlenden  Docimiente,  da  in  diesem  Sinne  damals  Literaturgeschichte 
nicht  geschrieben  wurde,  wie  heute,  unter  dem  Gesichtspunkte  des 
Naturgesetzes  von  Werden,  Blüthezeit  und  Yerderbniss,   hat  der 
Verf.,  begünstigt  von  den  Früchten  seiner  Nachforschungen  in  Se« 
neca,  Quintilian  und  Lucian,  doch  das  Thema  vom  Oonterfei  des 
Genialen,  das  nur  seine  eigene  Bewunderung  für  sich  reden  lassen 
kann,  zum  Yerständniss  gebracht     Das  konnte  in  der  Liierator 
einer  Zeit,  wo  die  subalterne  Coterie  bestimmend  war,  und  an  die 
Stelle  des  wahren  Schönen,  dessen   sie  un&hig  war,   das  poetisch 
gemachte  Hässliche  trat,  nicht  anders  sein.  Die  virgilische  Schule 
und  die  stoische  vergleicht  er,  für  den,   der  Personification  liebt, 
mit   den  beiden   grossen  Schauspielern  Demetrins  und  Stratokles 
(Namen  bei  Quintüian).    Für   die  Schule   der  Gorruption  erb<H;gt 
er  von  Lucian  die  Bolle  des  Tragikers,  der  den  rasenden  Ajax  dar* 


•)  Siehe  unsere  Anietge,   Heidelberger  Mirbfteiier    ISM«   Vm.  ft 


606  Dubois:  Tftcite  et  Bon  sUde. 

znsteilen  hatte,  nnd  das  znsclianende  Pnbliknm  in  seine  Baserei  mit 
fortriss. 

Als  Ausgangspunkt  fUr  die  Verschlechterung  des  Q^sohmaclcs 
bezeichnet  der  Verf.,  S.  93,   das  Auseinandergehen  der  Meinungen 
über  das,  was  literarische  Yollkommenheit  ist,   bei   den  Meistern. 
Er  beruft  sich  hiefür  auf  eine  Stelle  bei  Seneca  (Epist.  114).  Diese 
bringt  ihn  zu  der  Querelle  des  anciens  ei  des  modernes,   die  schon 
das  alte  Born  aufgeregt  habe,  und  Ton  der  der  Dialog  des  Tacitus 
De  oratoribus  ein  Beweis  sei.  Er  gibt  dem  jüngeren  Plinius  Becht, 
zu  denken,  dass  man  die  Alten  zu  schätzen  verstehen  müsse,  ohne 
die  Modernen  zu  verachten  (Epist.  VI,  21).     Er  beschliesst   diese 
Erörterungen  mit  deraUrtheil:  > Manches  Jahrhundert  ist  Erfinder, 
manches  andere  Nachahmer  und  üebersetzer;  aber  jedes  Jahrhun- 
dert hat  seinen  Qrund  zu  sein,  und  das  Einzelschöne  jeder  Epoche 
bildet  ein  Totalschönes  für   das   menschliche   Geschlecht     Ebenso 
wie  ein  Volk  Vorgänger  hat,  eine  Sprache  und  einen  Charakter  die 
ihm  eigenthümlich  sind,  hat  es  auch  eine  Literatur  gemäss  seinen 
Vorgängern,  seiner  Sprache,  seinem  Charakter.  Ans  den  nämlichen 
Gründen  hat  jedes  Volk  ein  ihm  eigenes  Ideal,  denn  es  fügt  sein 
Ideal  seiner  Persönlichkeit  hinzu,   und  wie  «ein  Volk  sich  dauernd 
verändert,  so  verändert  sich    sein  Ideal   selbst  mit  seiner  Alters* 
stufe.  Ich  nenne  dieses  Ideal  relativ,  weil  es  einem  einzigen  Volk 
angehörig  ist ;  combinirt  man  aber  die  Principien,  welche  als  Ideal 
mit  Bezug  auf  jedes  Volk  gedient  haben,  so  wird  man  daraus  ver- 
möge einer  mit   der   Geschichte  verbundenen  Prüfung   Etwas   ge- 
winnen, was  über  allem  partiell  Idealen  ist.  Dieses  Etwas  wird  das 
absolut  Ideale   sein.«     Soweit   der  Verf.,  S.  97,   der  hieran  nun 
(«inige  Beflexionen  über   das  absolut  Ideale  anknüpft,   und   zuletzt 
noch  in  Erwägung  nimmt,   in   welchem   Grade   sich  das  römische 
Ideal  demselben  angenähert  hat.     Diesem  Zwecke  dienen  dann  die 
nächsten  Seiten,  femer  die  fünfte  Abhandlung,  welche  sich  specieü 
mit  Schriftstellern  befasst  S.  107  ff.     Hier  bietet    sich  dem  Leser 
eine  Würdigung  der  Philosophie  des  Seneca  nach  Inhalt  und  Form, 
und  zum  Schluss  eine  Parallele  zwischen  diesem  Spanier   und  den 
Franzosen  Voltaire  und  Bousseau,  sowie,  S.  120  ff.,  eine  Zergliede- 
rung und  Untersuchung   der  Pharsalia   von  Lucanus,   dem   Sänger 
des  Unglücks  gegen  den  Erfolg,  wie  HerrDübois  ihn  nennt.     Für 
ihn  ist  das  seine  gefährliche  Partie ;  aber  er  hat  die  Vorsicht,   die 
hinreicht,  um  sich  aus  den  Netzen  zu  retten,  die  der  Dichter  ihm 
stellt.     Die  Hauptsache  ist,  er  will  nachweisen,  dass  Lucanus,  ob- 
gleich er  seinen  Beruf  als  Epiker  verfehlt  hat,  ebenso   die   patri- 
cische  Opposition  vertrat,  welche  sich  unter  der  Form  des  Stoicis- 
mus  darstellte,  wie  Seneca  und  wie  nachmals  Tacitus.     Zu  diesem 
Zwecke  macht  er  sich   eine  Beihe  von   Stellen   aus  der  Pharsalia 
dienstbar.  S.  134  ff.     Uebrigens  machten  sich   drei   Faktoren    den 
Dkhter  streitig,  die  patrieische  Gesinnung,  der  stoische  Standpunkt 
und  der  Berof  als  Bömer.     Als  Stoiker  besingt  er  in  edler  W< 


ei8ۀ 


Dnbois:  Taolte  etsMi  tlAole.  90T 

die  Sacke  des  Hecbtes  und  des  TJnglflcks;  als  Patricier  feiert  er 
eine  nnmögliche  Sache,  und  eine  verfehlte  Grösse ;  er  verkennt  nicht 
die  Katastrophe  (les  neeemt^s)  von  Pharsalus;  er  vermengt  —  sehr 
bezeichnend  fttr  den  Standpunkt  von  Herrn  D.  I  —  O&sar  mit  ge- 
meinen Ehrgeizigen;  als  ROmer  erforscht  und  erklärt  er  anf  be- 
wnndemswerthe  Art  die  Quellen  des  republikanischen  Untergangs; 
er  geisselt  die  socialen  Verderbnisse,  welche  die  Völker  vernichten; 
er  brandmarkt  die  Friedensstörer  Rom's.  Indem  der  Verfasser  so 
raisonnirt,  zeigt  er,  dass  er  diesem  Thema  interessante  Seiten  ab- 
zugewinnen gewusst  hat.  Die  allgemeine  Erörterung  über  Lucan 
schliesst  er  mit  dem  Ausspruch:  So  war  Lucan  in  dem  Beiche  der 
Idee !  Dann,  S.  140,  kommt  er  zu  den  Einzelheiten  der  Pharsalia, 
ihren  Fehlem  (Monotonie,  Mangel  an  Begrenzungen  und  an  Colo- 
rit)  u.  s.  w. 

Der  nächste  Schriftsteller,  und  Oegenstand  einer  eigenen  Ab- 
handlung, S.  146,  ist  Juvenal!  Der  Verf.  nimmt  den  traditionellen 
Juvenal  für  complett,  ohne  Frage  nach  den  kritischen  Arbeiten, 
welche  anderswo,  in  Deutschland  zumal,  doch  nicht  so  geradezu 
alle  sechszehn  Satiren  für  baare  Arbeiten  Juvenals  gelten  lassen. 
Man  kann  freilich  nicht  wissen,  ob  nicht  die  Kritik,  die  sich  aus- 
toben muss,  wie  jedes  böse  Fieber,  wieder  einmal  glRubig  wird. 
Für  diesen  Fall  hätte  der  Verf.  Recht  gehabt,  sich  ruhig  an  den 
hergebrachten  Text  zu  halten,  und  Alles  herauszulesen  als  ge- 
eignet, JuvenaPs  Hass  und  Liebe  zu  erklären.  Die  Zergliederung 
der  verschiedenen  Eigenschaften  dieses  Dichters,  von  der  wir  un- 
vermerkt gefesselt  werden,  erweitert  sich  bald  zu  einer  Darstellung 
aller  möglichen  D^sordres  im  damaligen  Rom,  wozu  die  Trägheit 
des  Armen  und  die  Schlechtigkeit  des  Reichen  contribuirten.  S.  159. 
Dem  Charakter  JuvenaVs  lässt  er  Gerechtigkeit  widerfahren^  indem 
er  weder  misanthropisch  sei,  noch  ausgelassen,  S  161,  zu  welchem 
Ende  er  es  unternimmt  ihn  mit  den  Schöngeistern  zu  vergleichen  I 
Er  kommt  zu  dem  Ergebniss,  S.  170,  dass  Juvenal  mit  der  stoi- 
schen Strenge  den  gesunden  Menschenverstand  des  Epioureismus 
nebst  Anklängen  an  das  Ohristenthum  verbunden  habe. 

Die  noch  übrigen  Seiten  dieser  Abhandlung  sind  der  Form 
gewidmet,  in  Bezug  worauf  der  JuvenaPschen  Satire  epischer  und 
Genie  athmender  Charakter  zuerkannt  wird.  Dabei  fehlt  es  nicht 
an  herbeigezogenen  Parallelen  aus  alten  und  neuen  Dichtem. 

Die  nächste  Abhandlung  ist  der  Erörterung  über  das  römische 
Ideal  gewidmet,  also  eine  Art  ethnologischer  Studie  unter  dem 
literarischen  Gesichtspunkte.  S.  178  ff.  Manches  wird  aus  früheren 
Abhandlungen  noch  einmal  wieder  zusammengefasst,  Vergleiche  mit 
Griechenland  gezogen,  die  spontane  Literatur  als  der  einzige  par- 
tielle Ausdmok  der  Gesellschaft  festgestellt,  und  der  römischen 
Literatur  die  Individualität  abgesprochen,  insofern  Rom  seine  Per- 
sönlichkeit dem   griechischen  Genius  unterordnete.    Hiemach  be- 


tu.  Pubolai  TMltoMtoB  dtek. 

Btirnni«  sioli  dar  salbstBttodige  Werth  der  y^radUedaii«!!  Yoa  Bom*s 
S(dirifl»t6Ueni  angebauten  Oattongen. 

Noch  eine  Betrachtung  wird,  S.  204»  dem  jttdiaohen  Element 
gewidmet,  was  ein  sehr  richtiger  Gedanke  yon  dem  Ver&  war.  Di« 
geographieohe  Läge  Jadfta*8  hatte  diesem  Volke  eine  weltgeschicht- 
liche Aufgabe  smgewiesen.  Sein  Geist  war  bestimmt  sich  in  der 
römischen  WeU  anszubreiten,  und  breitete  sich  auch  ans,  und  zwar 
vermittelst  der  Bibel!  Der  Verf.  erörtert  die  Frage,  was  die  Bibel 
ist,  formell  und  materiell,  und  findet  dort,  dass  sie  weder  ein  Ge- 
dicht noch  ein  Drama  sei,  hier,  dass  sie  weder  eine  (jeschiohta, 
noch  ein  politischer,  richterlicher  oder  moralischer  Codex  seL  £r 
nennt  sie  eine  —  Enojolopädie !  Die  Bibel,  sagt  er,  enthalt  Oott, 
das  Weltall,  die  menschlichen  Gesellschaften,  den  ganzen  Menschern 
in  der  umfassenden  Weite  dieses  Wortes  1  S.  217.  Er  glanbt  an 
die  Inspiration  auf  jeder  SMte  dieses  Buches.  Formell  ist  sie  ihm 
fortwährender  Dialog  eines  Volkes  und  Gottes  1  S.219.  Er  kommt 
u.  A.  dann  auf  die  Schrift  yon  Bossuet  zu  reden:  La  PclUiqui 
ür/4  de  l'Eeriiure  sainle,  und  liefert  dann  einige  Beitrage  im  Sinne 
einer  biblischen  Philosophie.  Zuletzt  betrachtet  er  das  Verhältnin 
der  Darstellung  des  Taoitus  zur  Geschichte  der  Juden.  8.281.  Das 
Erbleichen  des  Glanzes  der  römischen  Literatur,  der  in  Tacitns 
seine  intensivste  Macht  äusserte  begegnete  sich  mit  der  Ausbrei- 
tung der  christlichen  Idee.  3.  282  ff.  Man  hat  hin  und  wieder 
einen  Uebergang  aus  dem  Heidenthum  behaupten  wollen.  Der 
Verfasser  erinnert  daran,  wohin  die  rein  literarische  und  philoso- 
phische Bewegung  des  heidnischen  Geistes  geführt  habe,  zu  — 
Apuleius  I  Dann  fragt  er,  S.  236,  wie  weit  es  sei  von  Apideius  zu 
dem  heiligen  Augustinus,  dem  grossen  Christen  yon  Carthago? 
8.  286.  Aus  der  Civücu  Dei  entnimmt  er  die  Beweise,  wie  wesent- 
lich erhaben  die  fromme  Sammlung  über  die  glftnzende  Geschwätzig- 
keit des  Apuleius  ist?  Die  heidnische  Literatur  hat  durch  ihre 
blosse  Fortentwicklung  nicht  zur  christlichen  geführt.  Dazu  hat 
es  eines  übernatürlichen  Elements  bedurft,  welches  eben  das  jüdische 
gewesen  ist.  »Ich  habe,  so  schliesst  er,  mit  der  allgemeinen  Be- 
wegung der  römischen  Literatur  bis  zum  Eintritt  des  christlichen 
Geistes  geendigt.  Ich  kann  nicht  in  meinen  Bahmen  die  Geschichte 
begreifen;  sie  ist  ein  zu  weitschichtiger  Gegenstand,  um  nicht  ge- 
sondert behandelt  zu  werden,  wenn  es  sich  darum  handelt,  über 
das  Alterthxmi,  besonders  über  Bom,  zu  urtheilen.€ 

Jetzt  wäre  Tacitus  und  seine  Beurtheilung  an  der  Beihe ;  aber 
er  lässt  dieser  Aufgabe  noch  eine  Abhandlung  vorher  gehen«  eise 
Beurtheilung  der  alten  Geschichte  im  Hinblick  auf  ihren  moraü- 
sehen  Gdialt,  wovon  er  sich  den  Erfolg  verspricht,  alsdann  TacitoB 
im  Geiste  Bom*s  und  in  seinem«  d.  h.  des  Tacitus,  eigenen  zu  be- 
uvtheilen:  »De  VHuMre  dane  9on  enseignemenl,  c^eai'ä^ire  dans  iea 
prineifiee  qui  comtiUfieni  sa  moralM,'^  S.  241  ff.  In  dieser  Ahhaiod* 


hm«,  welche  aobtssig  Seite»  filUt,  ^Mmn  die  groMen  Tinrgftnger, 
Herodot,  Tbnejdides  nnd  Xeaophon  eine  eingehende,  geeobiobÜich 
erUnterte,  yon  Lektüre  nnd  Veniftadies  «engenda  Prttfiing;  eie  ist 
insofern  von  Wiohügkeit,  als  sie  zeigt,  welchen  Stadien  der  Ter» 
feaier  eich  nnierziebt,  nm  das  ürtheil  ttber  Tacitne  mDgliohetgrOnd- 
lieh  nnd  nmsichtig  Torsubereiten.  Anf  s  Nene  wird  ferner  anoh 
hierans  wieder  die  Belebnmg  gexogen,  dase  die  Griechen  nnsere 
Lehrer,  wie  im  Verbrechen ,  so  in  allen  Künsten  sind,  nnd  mit 
Becht  Klage  darüber  geführt,  dass  die  griechischen  Oeschicht- 
schreiber  so  wenig  die  schlechten  Lehren  Ciurrigieren,  welche  die 
Thatsachen  liefern,  dass,  wenn  sie  dieselben  nicht  fi^mlich  gnt« 
heissen;  was  ihnen  bisweilen  begegnet,  man  fast  niemals  weiss,  ob 
sie  dieselben  missbilligen ;  nnd  dass  im  besten  Falle  der  Oeschicht- 
tohreiber,  der  sich  enthftlt  die  Förmlichkeiten,  welche  er  erzahlt, 
ea  prüfen,  Ihnen  erlaubt  daran  zu  zweifeln,  dass  er  damit  einyer- 
standen  ist.«  8.  271.  Man  Tersteht,  woranf  der  Verf.  die  Frage 
hinbringen  wird.  In  Thucydides  behauptet  er  den  Artisten  zu  be- 
wundern, nicht  den  Moralisten,  was  zur  Folge  hat,  dass  der  histo- 
rische Unterricht,  das  Emeignemtnt  hisUmgiu,  daronter  leidet. 

Mit  Thncjdides  berührt  sich  Tacitns  in  formeller  Beziehung, 
wie  das  der  Verf.  im  Verlaufe  seiner  Darstellung,  8.  456  ff.,  498  ff. 
einrünmt. 

Nach  diesen  dem  Verf.  abgelauschteu  Gesichtspunkten  wollen 
wir  zu  der  Bekanntschaft  mit  seinem  Kapitel  über  Tacitus  als 
Oeschiehtschreiber  zurückkehren.  8,  854  ff.»  dem  Hauptkapitel  die- 
ses Bandes  uud  seines  Werkes  überhaupt.  In  dem  Kapitel,  wel- 
ches vorhergeht,  nnd  wo  er  die  Persönlichkeit  des  Tacitus  nach 
seinen  Werken  schildert,  aber  im  Unterschiede  davon,  und  wo  er 
den  gansen  sittlichen  Charakter  dieses  hervorragenden  Mannes  nach 
Möglichkeit  aufgestellt  hat,  hat  er  ihn  nicht  ohne  Schwächen  ge-^ 
innden,  wie  er  sagt,  aber  als  Oeschiehtschreiber  ist  Tacitus,  wie 
er  nunmehr  dieser  (ZIU.)  Abhandlxing  vorausschickt,  eine  äusserst 
sittliche  Strenge !  Auf  sechs  Unterabtheilungen  vertheilt,  betrachtet 
die  Abhandlung  zuerst  das  Verhältniss  der  Tacitus'sohen  Ge- 
sohiohtsohreibung  zu  der  8uetoniscfaen,  vgl.  S.  863,  das  er  dahin 
bestimmt:  »Sueton  ist  eine  gewöhnliehe  Schlechtigkeit  (m/ehatä); 
•r  ist  es  aus  Charakter;  Tacitus  ist  es  nur  aus  Geist,  Suek>n  er- 
dichtet Facta,  Tacitus  Absichten;  der  Erstere  ist  mehr  Lügner, 
der  Andere  mehr  Schwarzseher.«  S.  880.  Hiergegen  liesse  sich 
Viel  einwenden;  aber  -^  Esfempla  trahunti  Möge  der  Tiberins  des 
Buetonius  gegen  den  Tiberins  des  Tacitus  zeugen!  Der  Ver&  unter- 
sucht auf  üehn  und  mehr  Seiten  die  Geschichte  Tiber's  unter  Be- 
zugnahme auf  Beide  und  kommt  zu  dem  Besultate,  dass  der  Tibe- 
rins des  Tacitus  nicht  der  Tiberins  Bom*s  ist,  oder  dass  vielmehr 
zwei  Tiberil  es  bei  Taoitus  geb«,  wovoos  der  eine  falseh  ist,  wenn 
dieT  »ndere  wahr  ist  Der  Verf.  neigt  in  einer  Anmwkwig,  8.  $90, 


YOO  H  nbois:  TVielie  et  Bon  eltela. 

der  Barstelhmg  des  Yelleius  Paterculue  (ü,  129)  sn;  sie  entspreche 
mehr  seinem  Leben.  Anf  den  Tacitns  wendet  er  das  Wort  des- 
selben über  Tiberins  an,  »dass  er  zu  viel  Geist  hatte,  um  sich  in 
'seinen  ürtheilen  conseqnent  zu  bleiben  c  (ut  eällidufn  ingeniunt  üa 
anxium  iudiciufn:  I,  81).  Er  beschliesst  seine  Untersuchung  Aber 
Tacitus  mit  der  Bemerkung,  dass  man  mit  Yortheil  die  Begienng 
Nero^s  gerade  wie  die  Tiberische  untersuchen  wlirde,  und  ohne  den 
Einen  mehr  als  den  Andern  von  den  gerechten  Anklagen  loszu- 
sprechen, welche  sie  herausfordern,  erinnern  wir  uns^  dass  Agrippina, 
Tigellinus  und  Seneca  die  Sejane  Nero's  waren!  —  Zweitens 
überzeugt  er,  dass  man  mehr,  als  anders  wo,  in  der  historiechen 
Schule  Bom*s  lernt,  wie  die  römischen  Geschichtschreiber  eine  Lektüre 
bieten,  die  ihres  Gegenstandes  würdig  ist;  die  Beschreibung  der 
Kriege  an  den  Ostgrenzen  (Ann.  XY,  10),  den  Fall  von  Jerusalem 
(Hist.  Y,  10),  die  gefährlichen  Grenzen  in  Britannien  (Annal.  XU, 
39.  XIY,  29  etc.  Agricol.),  die  in  grossartigem  Massstabe  ange» 
legten  Expeditionen  in  Germanien,  angefangen  mit  der  Niederlage 
'des  Yarus,  kurz,  alle  Auftritte  zwischen  Bom  und  dem  Auslande, 
bei  Tacitus  erzählt,  grosse  und  kleine,  erinnern  an  die  Darsiellnn- 
gen  bei  Livius  und  Sallustius.  Dadurch  hielt  sich  aber  auch  das 
alte  Bom  unter  dem  Kaiserreich.  S.  881  ff.  —  Indem  so  Tacitns 
seine  Yorgänger  fortsetzt,  nur  unter  der  Einschränkung,  dass  mit 
dem  Gegenstande  (d.  h.  den  Zeitumständen)  sich  auch  der  Geist 
des  Historikers  ändern  dürfe,  gesteht  der  Yerf.  selbst  den  Tacitus 
sich  zumYorbilde  genommen  zu  haben,  und  darum  sogar  als  Titel 
diesen  grossen  Namen  gewählt  zu  haben.  S.  888 ff.  —  Die  vierte 
ünterabtheilung  beschäftigt  sich  mit  den  Yeränderungen ,  welche 
Bom  und  Bom's  Zeitgeist  erfahren  hatte.  S.  891  ff«  Er  yergegen- 
wärtigt  sich,  wie  Bom^s  Herrschaft  nach  Unterwerfung  der  damals 
bekannten  Yölker  solide  begründet  schien,  so  dass  Jeden  konnte 
nach  diesem  Machtzuwachs  gelüsten,  womit  die  Eintracht  zwischen 
Yolk  und  Grossen  schwand  und  an  die  Stelle  der  Freiheit  die  Macht 
eines  Einzigen  trat.  Der  Kampf  galt  ferner  nur  noch  der  Wahl 
eines  Herrn !  Mit  dieser  Auseinandersetzung  sehen  wir  den  Yer£ 
für  die  Darstellung  des  Tacitus  die  Anlässe  zu  dem  Interregnum 
von  Nero  bis  Yespasian  auffinden,  und  die  Wandelungen  in  den 
Begriffen  von  Monarchie  und  Bepublik.  Bom  ist  das  Schlachtfeld 
(Histor.  n,  82.  vgl.  I,  87,  wo  der  Ausbruch  Otho's),  und  das 
Kaiserreich  ist  der  Imperator!  An  der  Stelle  des  Yaterlandes  mid 
der  Bürger,  gibt  es  nur  noch  Mannschaften.  Was  Ton  dem  alten 
Bom  noch  überlebend  geblieben,  beschränkt  sich  auf  einen  Rest 
von  jenen  Sitten,  welche  die  Freiheit  gründeten  und  ihre  Stellver- 
treterin  sind.  Es  sind  die  alten  Grundsätze.  Tiberius  sagt  von 
einer  grossen  Persönlichkeit,  von  Bufus,  er  sei  der  Sohn  seiner 
Werke,  und  verkündet  hiemit  den  Grundsatz  der  Gleichheit  (AnnaL 
•XI,  21),  er  stellt  so  zu  sagen  das  Theater  des  Pompeius  wieder 


D  tt  b  0 1*8 ;  Taciie  «t  son  «i^cd«.  701 

her,  ohne  die  Namen  zu  ändern,  (Annal.  in,  72),  hiemit  verkün« 
digt  er  die  politische  Dnldongl  Dergleichen  Züge  gibt  es  noch 
9cbiedene;  auch  der  Senat  liefert  Beispiele  dafOr.  Kurz,  länger 
als  die  alten  Einrichtungen  lebten  Sitten  fort,  Grandsätze,  welche 
den  alten  römischen  Geist  wach  erhielten,  freilich  nicht  ohne  Misch« 
nng,  und  auch  der  neue  Geist  war  nicht  ohne  Einfluss.  Das  Wohl- 
gefallen an  ungebundenem  Leben  war  etwas  Neues«  So  konnte 
man  Drusus  seinem  strengen  Vater  vorziehen  (Annal.  HI,  37), 
entnervende  Spiele  auf  der  Bühne  den  blutigen  Spielen  im  Girkus 
(XrV,  14.  XV,  20);  dass  mehrere  Mitglieder  des  Senats  ansge- 
stossen  wurden  als  Fälcher  (XI,  14.);  dass  man  den  Tod  eines 
Kaisers  verhehlte,  bis  der  Astrologe  die  Anzeige  davon  gestattete 
(Annal.  XII,  68);  dass  ein  Kaiser  wagte  sich  in  einer  heiligen 
Quelle  zu  baden  und  sie  durch  solchen  Schmutz  zu  entweihen 
u.  s.  w.  Der  alte  Geist  und  der  neue  Geist,  sagt  der  Verfasser, 
scheinen  sich  zu  vermischen,  oftmals  in  einem  und  demselben  Men- 
schen z.  B.  in  Asiaticus,  der  lieber  sein  Leben  als  die  Schatten 
seines  Gartens  opfert;  oder  in  Fetronius,  der  so  weichlich  lebt, 
obwohl  kräftiger  Gonsul  und  Proconsul ;  oder  inOtho,  der,  alsPro- 
consul  oder  Kaiser,  seine  Privatschwelgerei  wieder  erlangt,  und 
bei  so  vielen  Anderen,  ungerechnet  die  Vertrauten  des  Augustus  •— 
Mäcenas  und  Sallustius  — ,  welche  mit  so  viel  Seelenkraft  so  viel 
Hinfälligkeit  verbanden!  Wer  denkt  nicht,  unter  dem  Gewichte 
dieses  Zusammenhanges,  jener  starken  Seelen,  die  noch  ganz  jenes 
alte  Gepräge  verriethen,  die  auch  Hr.  Dübois  namhaft  macht,  oder 
auf  die  er  anspielt.  Doch  der  neue  Geist  macht  die  neue  Zeit,  und 
das  Privilegium,  was  dem  alten  bleibt,  ist  sein  —  Tod  I  Mit  dieser 
altrömischen  Todesverachtung  hatten  die  Kaiser  vielfach  zu  rech- 
nen, besonders  bei  denen  die  besser  zu  sterben,  als  zu  leben  ver- 
standen! —  In  der  fünften  ünterabtheilung  hebt  der  Verf.  an 
Tacitus  das  allgemein  menschliche  Interesse  hervor,  welches  seine 
Darstellung  hervorruft.  Doch  stossen  wir  auf  einen  Widerspruch, 
dass  er  nämlich,  der  die  Lehre  vom  Fatalismus  bekennt ,  sich  in 
die  Inconsequenz  bringt,  die  menschliche  Verantwortlichkeit  zu  ver- 
kündigen, und  ihren  Standpunkt  zu  üben.  Darum  scheint  es,  dass 
er  besser  gethan  hätte,  die  aus  der  Jugend  herübergenommene 
stoische  Moral  u.  s.  w.  verständig  zu  sichten,  da  doch  die  sittliche 
Natur  mit  Ueberlegenheit  das  Bichteramt  in  der  Geschichte  zu 
hiuidhaben  berufen  war.  Aus  diesem  Widerspruch  entspringen  viele 
logische  Ungereimtheiten  in  seiner  Darstellung,  der  Verf.  bemerkt, 
S«  398:  »Tacitus  schloss  nach  meiner  Meinung  nicht  richtig  aus 
sem  Gesammtvorrath  der  Thatsachen,  welche  er  constatirt.  Handelt 
es  sich  um  die  Kaiser,  so  lässt  er  sie  viel  besser  handeln,  als  er 
die  malt  oder  beurtheilt.  Handelt  es  sich  um  die  Stoiker^  um  den 
Adel,  um  diejenigen  zumal,  welche  den  Zorn  der  Kaiser  verdient 
habeui  so  malt  xmd  beurtheilt  er  sie  besser,   als  er  sie  handeln 


tDi  Oiiboiffs  TKdie  et  sbii  üM«. 

tll88t.  Die  von  ihm  entworfenett  Mder  seiner  Per«8nIMikeitea 
entspi^hen  nicht  dem  Leben,  welehee  er  ihnen  beilegt  Der  Artist 
überwiegt  hier  den  Historiker ;  dasistfnndamentall«  So  nrtheiltHn 
DUboisl  Er  kommt  wieder  anf  Nero  zn  reden,  nnd  macht  sm 
Taeitns  wahrscheinlich,  dass  der  Kaiser  sich  nicht  für  verbredbe« 
tisch  hielt,  nnd  dass  der  Mensch  oder  der  Sohn  mehr  gefehlt  hatte 
als  der  Fftrst,  nSmlich  anlässlich  des  Brandes  oder  des  Matter« 
mords.  Hieratrf  wird  ans  Taeitns  Aehnliches  fUr  Tiberins  ermittelt^ 
welches  amfii  Kene  darthnt,  wie  schwierig  es  ist,  diese  probiema* 
tische  Hatnr  zn  zergliedern,  wenn,  nm  sie  sn  erkoinen,  es  der  Zer- 
legung in  verschiedene  Willensrichtnngen  bedarf.  Taeitns  hat  sieh 
in  dieser  Schwierigkeit  verfangen,  indem  er  Tiberms  schildert,  wie 
er  zerrissen  wird  von  Glewissensbissen,  eis  Kaiser«  Hier  bringt  der 
Artist  in  ihm  den  Staatsmann  ztEm  Falle!  -^  Die  letzte  Unterab* 
theihmg  besoiiftfligt  sich  mit  Taeitns  als  Moralisten.  S*  400'.  Der 
Terf.  Iflsst  merken,  dase  er  fast  mehr  noch  Prediger  ist,  aber  nur 
insofern  er  den  Versuch  dazn  mache.  Wirklieh  Pre^ger  zn  seäi, 
dazu  gehöre  ein  flbematürlicher  Zweek,  der  erlaube,  in  dem  Fllrsien 
einen  Mensehen  zn  sehen,  und  jenen  diesem  unterzuerdnen ,  ak» 
das  Christenthum.  Der  Yerf.  findet  also  fehlerhaft,  dase  er  einen 
Ton  anschlugt,  wie  die  christlichen  Prediger,  ohne  doeh  weder 
noch  Christ  zu  sein,  und  erkennt  hierin  mehr  einen  Miesbranii 
seines  grossen  Geistes  als  einen  Fehler  seines  Herzens  1  Niehta- 
destoweniger  rftumt  er  ihm  das  Verdienst  ein^  den  Menschen 
in  die  Geschichte  eingeführt  zu  haben.  S.  402.  j^TaeiU 
a  irdroduU  f  komme  dans  VMstoirej  c^est  f  komme,  tf^t  tkumcanU 
qi/Ü  raeonie  en  raeotüant  Rome  d  les  Romain»»  ffü  fausse  akm 
la  partie  poHtique  de  Vhistoire  en  eubordonani  iout  ä  la  mor^tU 
priv^e,  et  f komme  public  ä  Fkomme,  ü  n'en  ^tend  pae  moine  ftortL 
gon  kigtori^e  de  tous  he  aspeets  qtu  fournii  eetU  tnisle  äude^  tkomme/' 
Zu  diesem  so  eben  anerkannten  Verdienst,  tritt  in  Taeitns'  Oe- 
schidttschreibung  noch  ein  zweites,  welches,  nach  des  Ver&seers 
Vrtheil,  weder  die  Griechen  gehabt  haben,  noch  die  flbrigen  SOmer, 
das  ist  das  Gefühl  (h  eentiment),  ^Les  Grees  rciieennen^  sagt  er, 
les  tmtref  Romcrim  raisonnent  et  moräHseni;  Taeiie  eeni,  Ü  &eml 
vivemeni;  ü  impreedonne  commt  &  sent.  Dem»  se»  tabUaux  le»  pto 
terribhsy  ^est  hx  pHie  qui  domine,  Phts  la  iyrann^  ffexaUe  eipunä, 
plus  la  p&U  de  Vkishrien  s^aecroit  ä  eonsale.  Ce  n's9<  pc»  ea  phune 
qtti  eM  ierU  ee  bktepkeme  „que  la  pÜU  n^est  pa»  poHtique^,  eetfmMt 
»i  les  iyrans  mSme-  n^a^aitTÜ  pas  heeoin  de  piiUj  etue  qm,  »i  »ouveM, 
foni  pV^l  Ott,  eommt  ri  les  phts  crud»  des  tyrun»,  It»  tyran»  popu- 
hrires,  ita^nA  smU  dignes  de  pUi^F  Diese  EigenschafI  bei  Tacit« 
nennt  der  Verfasser  Vimpressionnab&iU  oder  die  i^igteeit,  Em- 
drücken  zu  folgen.  Als  drittes  Verdienst  rühmt  der  Verftuner  an 
Tadtus,  dasff  er  das  öffe-ntliche  Gewissen  geschaffen  harbe. 
;i,B  a  eQn8aer€  eomme  mveni^,  ce  grani  mott  la  eonscknee  du  j^ettre 


Ihi^dli!  «Mite  et  Mi  tlM«.  «OB 

hmmain/^  Hi6rcitiiierAgiiool.  2:  Mmdeniam  fmeris  kumanL  Dum 
fthrfc  er  Ibrt:  „Au  nom  de  ceUe  canacienee,  ü  rmd  de$  arr9$  que 
la  poMriU  peut  dUeuier,  sans  douUj  mai»  qi^ette  honorem  mSme  m 
Im  discutüffU,  ä  eatae  de  tUüention  gAUreuse  gui  Ue  dkie.''  Nim 
imiefrflcheidet  der  Yeif.  freilich  seine  arrSts  polUig[ue$  Ton  seinen 
arräe  moraux.  Der  Gtrand  davon  ist,  dass  bei  Taoitns  die  Al>- 
siolvien  die  Urtiieile  überwiegen.  Weshalb  sehr  schwer  seine  poii- 
tische  Schnle  zu  zergliedern  wäre.  Denn  fiist  fiberalt  ist  sie  Ton 
der  Moral  absorbirt.  Da  das  historische  Lehrfach  des  Tacitas  mehr 
BHoke  (ifUmihn$)  als  Beweise  hat,  so  kann  man  es  nicht  im  Ans* 
znge  Tsrarbeiten,  man  durchdringt  sich  damit.  Es  macht  sich 
fahlbar  in  dreifacher  Bexiehong  durch  sein  tteht  r5mi8ches  Schick  sn 
schelten ;  dnreh  seine  Hinneigung,  sich  in  Etwas  hiseinsBTsrsetzen, 
und  endlich  durch  seinen  Geschmack  für  die  Kunst  d.  i.  ftlr  sein 
Temperament  als  Artist.  Das  Alles  macht  Tacitns  zu  einem  Tiel- 
heitliohen  Geiste,  der  nur  von  sehr  gereiften  Geistern  gelesen  wer- 
den kann.  Der  Geist  der  (beschichte  (des  affßiree)  ist  nii^t  allein 
nOthig,  um  die  ganze  Tragweite  des  Tacitns  zu  begreifen;  er  ist 
noch  n^hig,  um  ihre  falsche  Tragweite  zu  berichtigen.  Anlässlich 
des  Justus  tiipsius,  der  Tielleicht  der  berufenste  Leser  des  Tacitus 
war,  drückt  sich  der  Verf.  in  Worten  aus,  welche  beweisen,  wie 
hoch  er  yon  Tacitus  hält:  ^Quand  JusUrLipBe,  sagt  er,  dii  que  ntU 
auietir  ne  Va  plus  iclairi  que  Taeite,  je  le  crois  sans  peine,  8i 
e'^etit  Jueie-lApee  qui  proftttxU  de  eet  aukur,  a^iMi  JueU-^Lipse  qui 
ie  HeaU;  ii  aoaä  ee  Bemexquie,  ee' sixiStne  sene  qtiüfüki,  eeten 
/«t,  poHv  lire  TaeUe.^  Der  Verfasser  oitirt  dazu  die  Worte  des 
Lipsins  (aus  der  Vorrede  zur  Elzevir'schen  Ausgabe  aus  dem  Jahr 
1634}:  „Acute  arquteque  scrijmsee  faieor,  H  iaiUg  eate  debere  qui 
eum  Ugurd.^ 

Nun  folgt  bei  dem  Verfasser  eine  besondere  Abhandlung  über 
die  Geschichte  in  formeller  Beziehung,  oder  über  das  acntike  Ideal 
in  der  Kunst  der  historischen  Composilion  —  eine  Abhandlang, 
welche  von  den  Vorgängern  des  Tacitus  untev  dem  fermeUen  Ge- 
sichtspunkt hat.  S.  406  ff.  üeber  Tacitus  als  Schriftsteller  verbrei» 
tet  sich  die  Fortsetzung  derselben.  S.  498 ff.  Hier  werden,  unter 
fünf  Gesichtspunkten,  zuerst  die  Schriften  beleuchtet,  dann  Tacitus 
mit  Sneton  und  Seneca  Tcrglichen,  drittens  seine  Vorzüge  hervor- 
gehoben, viertens  seine  Beredtsamkeit  speciell  rühmend  entfaltet, 
und  fünftens  ürtheile  Anderer  über  Tacitus  beleuchtet. 

Dann  folgt,  S.  549,  die  sehr  umfangreiche,  mit  vielem  Auf- 
wand von  Lektüre  zusammengetragene  Vergleichung  zwischen 
der  historischen  Schule  Griechenlands  und  Boms,  eine  Abhandlung, 
in  die  Machiavell  und  Bossuet,  sowie  die  moderne  Schule  der  Ge- 
Bchichtschreibung  hereingezogen  wird. 

Den  Abschluss  des  Werkes  bildet  eine  allgemeine  Paral- 
lele oder  Berührungsfragen  zwischen  der  alten  Civilisation  und 


704  Ol^tBsebmABns  Di«  Aiifb«reitimg. 

den  modernen  Zeiten  seit  1789,  8.  600 ff.,  diese  Abhandlung  iat 
das  Feld,  wo  Yico  und  Herder,  Montesquien  und  Boasnet  zu  reden 
haben.  Sie  wird  das  Priyatleben  (Vordre  privi)^  das  öffentliche, 
das  wissenschaftliche  und  philosophische,  sowie  die  Meinungen,  das 
literarische  Leben  und  die  Sitten  der  beiden  zusammengestellten 
Zeiträume  umfassen. 

Was  sollen  wir,  unsere  üebersicht  beschliessend ,  über  dieses 
eigenthümliche  Werk  sagen?  „Um  vciste  iiudeF  ist  der  erste  Aus- 
ruf, der  uns  entschlüpft.  In  der  Ableitung  der  literarischen  und 
psychologischen  Wahrheiten  durch  breite  Ghründlichkeit  gekenn- 
zeichnet, yerdient  es  wegen  der  Originalität  in  den  Ansichten,  und 
wegen  der  fesselnden  Reflexionen  grosse  Anerkennung. 

Heidelberg.  Dr.  H.  Doergens. 


Die  Aufbereitung.  Von  M.  F*  Oäizschmann,  Bergralh  und 
Professor  der  Bergbaukunst  an  der  K,  8.  Bergakademie  in 
Freiberg.  Vierte  Lieferung.  fSchluss  des  ersten  Bandes.)  MU 
10  lithographirten  Tafeln  und  vielen  in  den  Text  eingedruckt 
,  ten  Holasehnüten*  Leipzig.  Verlag  von  Arthur  Felix.  1865.  8. 
8.  545--'720. 

Von  den  Mheren  Lieferungen  dieses  gründlichen  Werkes  haben 
wir  bereits  Bericht  erstattet.  Mit  der  vorliegenden  vierten  schliesst 
der  vierte  Band.  Es  werden  in  derselben  die  verschiedenen  Arten 
von  Mühleu  beschrieben,  so  wie  die  Abläuter-  und  Sortir- Vorrich- 
tungen. Die  eingedruckten  Holzschnitte  sind  vorzüglich,  wie  denn 
überhaupt  die  Ausstattung  des  Buches  nichts  zu  wünschen  übrig 
lässt. 

Ein  zweiter  Band,  der  ebenfalls  in  Lieferungen  erscheint, 
schliesst  das  ganze  Werk.  In  demselben  sollen  die  Schlämen-  und 
Setzarbeiten  abgehandelt  werden. 

G.  Leonhard. 


Ii.  46.  HEIDELBERGER  ISOS. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Eralagerstätten  im  Banal  und  in  Serbien,  Beschrieben  von  BernK 
von  Cotta,  Professor  der  Oeognosie  an  der  k,  Bergakademie 
SU  Freiberg.  Mit  26  Holzschnitten  und  einer  ehromo-lithogr. 
Tafel.  Wien  1866.  W,  Braumüller,  k.  k.  Hofbuchhänditr. 
8.  108. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  beschäftigt  sich  B.  y.  Cotta 
hauptsächlich  mit  der  üntersuchnng  und  Vergleichnng  der  Erzlager- 
stätten verschiedener  Länder  und  hat  zu  diesem  Zweck  nicht  wenige 
Erzreviere  besucht,  um  durch  Selbstanschauung  sich  noch  näher  zu 
belehren.  Im  Sommer  1863  unternahm  v.  Cotta  eine  Reise  in 
das  Banat,  welche  wegen  der  Fortsetzung  der  Erzlagerstätten- 
Zone  noch  nach  Serbien  ausgedehnt  wurde.  Die  Forschungen  von 
C  o  1 1  a '  8  haben  aber  nicht  allein  in  Bezug  auf  die  Erzlagerstätten 
des  Banats  interessante  Resultate  geliefert,  sondern  auch  hinsicht- 
lich der  mit  denselben  verbundenen  Eruptivgesteine. 

Eslässt  sich  durch  das  ganze  Banat  und  von  da  nach  Ungarn 
und  Serbien,  eine,  von  Süd  nach  Nord  laufende,  30  bis  40  Meilen 
lange  Zone  von  Eruptivgesteinen  verfolgen,  welche  von  jüngerem 
Alter  sind,  als  die  Schichten  der  Jura-  und  wohl  auch  der  Kreide- 
Formation,  da  sie  solche  mehrfach  durchbrochen  und  stark  ver- 
ändert haben.  Die  petrographische  Beschaffenheit  dieser  Eruptiv- 
gesteine, ihre  Zusammensetzung  und  Structur  ist  sehr  verschieden ; 
sie  wurden  zeither  bald  als  Syenite,  bald  als  Granite  bezeichnet, 
obwohl  sie  keines  von  beiden.  Sie  nähern  sich  am  meisten  der- 
jenigen Abänderung  des Diorit.  welche  Breithaupt  als  Timazit 
bezeichnet  hat  (nach  dem  Vorkommen  an  den  Gehängen  desTimaz 
im  östlichen  Serbien).  Sie  bestehen  nämlich  aus  einem  klinokla- 
klastischen  Feldspath  (wohl  meist  Oligoklas),  aus  Hornblende,  Glim- 
mer und  zuweilen  noch  Quarz.  Von  unwesentlichen  Gemengtheilen 
enthalten  sie  besonders  Magjieteisen ,  Titanit  und  Epidot.  Die 
Grundmasse  ist  bald  dicht,  bald  feinkörnig.  Der  Kieselsäure-Gehalt 
der  Masse  schwankt  zwischen  67,4  und  54,8  mit  verschiedenen 
mittleren  Werthen,  so  dass  also  ein  üebergang  von  sauren  zu  ba- 
sischen Gebilden  statt  findet.  Cotta  fasst  alle  diese  Gesteine, 
weil  sie  geologisch  zusammengehören  und  nur  Modificationen  einer 
Eraptivmasse  sind,  unter  dem  Namen  Banatit  zusammen.  Geolo- 
gisch stehen  wohl  die  Banatite  dem  Timazit  am  nächsten,  der  in 
Serbien,  Ungarn  und  Siebenbürgen  sehr  verbreitet,  häufig  von  Erz- 
lagerstätten begleitet  ist  und  wo  er  mit  älteren  Tertiärbildungen 
in  Berührung  tritt,  solche  durchsetzt. 
XjVIIL  Jalu&  9.  Heft.  45 


706  V.  Cötta:  KraligerBtllttefl. 

Die  Banatite  werden  an  ihren  Grenzen,  znmal  gegen  die  you 
ihnen  durchbrochenen  Kalksteine,  von  auffallenden  Contact-Eracki- 
'  uungen  begleitet,  welche  sowohl  rein  mechanischer  Natur  sind^  als 
auch  von  solchen,  die  auf  gewissen  Aenderungeu,  auf  der  Nda- 
bildung  mancher  Mineralien  beruhen.  Wenn  schon  der  Gharacter 
der  Erzlagerstätten  im  Allgemeinen  ein  übereinstimmender,  zeigen 
sich  doch  an  einzelnen  Orten  verschiedene  Mineralien.  Die  Gontact- 
Bildungen  müssen  von  den  eigentlichen  Erzlagerstätten  getrennt 
werden;  letztere  zerfallen  aber  wieder  in  ursprüngliche  (Schwefel- 
metalle) und  in  Ümwandelungs-Produkte  (wie  z.  B.  Brauneisenen). 
Diese  drei  Arten  von  Lagerstätten  sind  von  ungleicher  und  nn- 
gleichzeitiger  Entstehung;  dennoch  verlaufen  sie  in  einander.  Die 
ursprünglichen  Erze  sind  in  die  ächten  Gontact-Bildungen  verzweigt. 
Die  Zone  von  Erzlagerstätten  lässt  sich  von  Petris  bei  Lippa  über 
Moravicza,  Dognacska,  Oravicza,  Cziklova,  Szaska  und  Neu-Moldawa 
im  Banat  bis  Kuczaina  in  Serbien  verfolgen;  es  reihen  sich  aber 
daran  noch  Milova  und  Eezbanja  in  Ungarn  und  Radnik  in  Serbien. 
Den  ächten  Contact-Lagerstätten  gehören  als  ursprüngliche, 
d.  h.  wahrscheinlich  durch  den  Contact  der  Banatite  mit  dem  Kalk- 
stein ausgebildete  Mineralien  an;  Granat,  WoUastonit,  Malakolith, 
Grammatit,  Asbest,  Strahlstein,  Vesuvian,  Glimmer  und  Ealkspath. 
Diese  Mineralien  bilden  unregelmässige,  krystalllnische  Gemenge, 
welche  Gotta  als  Granatfels  bezeichnet  hat;  sie  sind  wab^ 
scheinlich  meist  Producte  der  Verbindung  von  Ealkerde  des  Kalk- 
steins mit  den  Silicaten  der  Banatite,  durch  Schmelzung  unter  hohem 
Druck  und  hierauf  folgender  sehr  langsamer  Abkühlung  im  g^ 
schbssenen  Baum.  Mit  den  genannten  Mineralien  als  secundftn 
Eindringlinge  oder  als  Ümwandelungs-Producte  kommen  in  den 
ächten  Gontact- Bildungen  noch  vor:  Epidot,  Quarz,  Bildsteioi 
Steatity  Serpentin,  Chlorit,  Magneteisen,  Bleiglanz,  Blende,  ye^ 
achiedene  Kiese, 

Die  Erzlagerstätten,  welche  erst  nach  der  Erstarrung  der  Ba- 
natite  durch  Ablagerung  aus  Solutionen  in  zufällig  vorhandenen 
oder  durch  die  Solutionen  neugeschaffenen  Bäumen  abgelagert  wür- 
den, enthalten  als  Haupterze :  Eisenkies,  Kupferkies,  Fahlerz,  Blei- 
glanz, Blende,  Magneteisen,  begleitet  von  verschiedenen  Zersetzung' 
Producten,  unter  welchen  Brauneisenerz  am  häufigsten. 

Alle  diese    Erzablagerungen   erscheine^    unregelmässige   an 
der  Grenze  von  Eruptivgesteinen  meist  im  Kalkstein,  auch  an  der 
Grenze  zwischen  Kalkstein  und  Glimmerschiefer.  Nicht  selten  stellea 
sich  Imprägnationen  damit  verbunden  ein,   während  regelmäas^ 
Lager  oder  Gänge  gänzlich  vermisst   werden.     Die  unregelm^ssiv 
Form  war  aber  sicher  durch  besondere  Umstände  bedingt;  als  ä'd^ 
sind  zu  betrachten:    1)  unregelmässige  Höhlungen  und  ZorklüftiK 
gen  durch  mechanische  Kräfte   beim   Empordringen    der^Banati 
gebildet;   2)  lokale   Auflösung  und   Auswaschung   des   Kai^stein 
durch  die  nämlichen  Solutionen,    aus   welchen   sich   die    £Ir^ 


Albertl:  Die  THa».  TOT 

lagerten  und  3)  nachtrttgliche  EinstttrzTingen,  Hebungen  tind  Senk** 
nngen.  Die  Solutionen  —  anf  ihrem  nnterirdisolien  Wege  wohl 
warme  Mineralquellen  —  sind  wahrscheinlich  Nachwirkungen  der« 
selben  plutonisohen  Th&tigkeit  durch  welche  die  Banatite  emporge- 
trieben wurden. 

Die  Bildung  der  Erzablagerungen  hat  mit  der  Kreide-Periode 
ihren  Anfang  genommen  und  durch  einen  langen  Zeitraum  hin- 
durch fortgedauert,  während  dessen  aber  bereits  auch  die  Umbil- 
dung und  Zersetzung  statt  fand. 

Der  geologische  Zusammenhang  aller  dieser  Erzlagerstätten 
in  einer  über  30  Meilen  langen  Zone  ist  nicht  ohne  Bedeutung. 
Er  gibt  dem  Gedanken  Baum:  dass  auch  die  Zwischenräume  zwi** 
scheu  den  bis  jetzt  im  Banat  bekannten  Erzgebieten  in  der  Tiefe 
noch  Erzlagerstätten  enthalten,  vielleicht  weniger  veränderte,  vor-* 
zugsweise  aus  Schwefelmetallen  bestehend.  Ob  sie  aber  für  den 
Bergmann  erreichbar  ist  eine  Frage,  welche  sich  immer  nur  für 
den  einzelnen  Fall  mit  Sicherheit  entscheiden  lässt« 

Die  Erzlagerstätten  des  Banats  stimmen  nach  ihrer  Zusammen- 
setzung, ihrer  Form  und  geologischem  Vorkommen  am  meisten 
überein  mit  denen  von  Bogoslowsk  im  Ural,  etwas  weniger  mit 
denen  von  Schwarzenberg  in  Sachsen,  Bochlitz  in  Böhmen,  OfiFen- 
banya  in  Siebenbürgen,  Chessy  bei  Ljon,  Bio  Tinto  in  Spanien, 
Christiania  in  Norwegen  und  Tunaberg  in  Schweden.  Sämmtliche 
lassen  sich  einer  Olasse  von  Contact-Lagerstätten  zurechnen. 

G«  Leottbard* 


Ueberblick  über  die  Tria$y  mit  Berücksichtigung  ihres  Vorkommens 
in  den  Alpen  von  Dr,  Friedrich  v,  Alberti.  Mit  7  Stein- 
druektafeln,  Stuttgart.  Verlag  der  /•  (7.  Cottaschen  Buchhand^ 
Jung.  8.  1864.  8.  XX.  u.  863. 

Ueber  dreissig  Jahre   sind  verflossen   seit   der  Verfasser  vor- 
liegender Schrift  durch  sein  treffliches  Werk  9Beitrag  zu  einer 
Monographie   des   bunten    Sandsteins,    Muschelkalks 
und  Keupers  und   die  Verbindung   dieser  Gebilde  zu 
einer  Formation«   gleichsam  den  Grund  zu  unserer  Eenntniss 
dieser  im  südwestlichen  Deutschland  so  sehr  verbreiteten  Gebirgs- 
Formation  legte.     Seitdem  sind  in   Geologie  und  Paläontologie  so 
bedeutende  Fortschritte  gemacht  worden,  dass  es  in  hohem  Grade 
wünsohenswerth    erschien,   die  Arbeit  über    die   Trias-Formation 
vom  Jahre  1884  in  kurzer  Uebersicht   zu  vervollständigen  und  zu 
Jbericbtigen ;  mit  grossem  Dank  aber  ist  es  zu  erkennen ,  dass   der 
^/^liverdiente  Verfasser  selkst  die  Aufgabe  übernommen. 
'^      Pie  vorliegende  Schrift  zerfällt  in  drei  Abtheilungen.  Die  erste 
^^ildert  die  verschiedenen  Glieder  der  Trias  in  ansteigender  Ord- 


V 


708  Albertl:  Die  TrUka. 

nong  nach  ihrer  Reihenfolge  und  ihrer  petrographischen  Beschaffen- 
heit.    Es  sind   dies   folgende:  L  der  bunte    Sandstein.    Der 
Verfasser  unterscheidet  a)  Vogesensandstein  (unteren  bunten 
Sandstein)  und  b)  bunter  (oberer)  Sandstein.     Diese  Tren- 
nung des  bunten  Sandsteines  in  zwei  Gruppen  ist  aber  nur  lokal, 
für  den  Schwarzwald  und  ftlr  Vogesen,   hingegen   nicht  fflr   das 
nordwestliche  Deutschland  oder  die  Alpen  anwendbar.  IL  Muschel- 
kalk zer^Qlt  in:  c)  Wellenkalk,   d)  Anhydrit-Gruppe  und 
e)  Kalkstein  von  Friedrichshall  (eigentlicher  Muschelkalk). 
ni.  Eeuper.     In  dieser  Gruppe  finden  wir,  verglichen  mit   der 
früheren  Schrift  y.  Albertis,   eine  mehr  detaillirte  und  compU- 
cirte   Gliederung.     A.  Der  untere  Keuper  oder  di«  Letten- 
kohlen-Formation, vorzugsweise  aus  unterem   dolomitischem 
Kalkstein,  aus  Sandstein  mit  Lettenkohle  und  oberem  Dolomit  be- 
stehend. Der  Verf.  hat  früher  die  untersten  Schichten  dieser  Gruppe 
zum  Muschelkalk  gestellt,  jedoch  aus  petrographischen  und  paläon- 
tologischen  Gründen    seine    Ansicht    geändert.     B.   Der  mittle 
Eeuper,   hauptsächlich  aus  bunten  Mergeln  mit  Gyps,   aus  fein- 
und  grobkörnigem    Sandstein    zusammengesetzt.     C.   Der    obere 
Eeuper  umfasst  jenen  Complex  von  Schichten,  welche  in  letzter 
Zeit  so  vielfach  beschrieben  und  unter  zahlreichen  Namen  (Täbin- 
ger  Sandstein  v.  Albertis,   Bonebed  der  Engländer,   Eössener 
Schichten,   rhätische  Formation  u.  s.  w.   aufgeführt  wurde).     Es 
schliesst   sich  also  v.  Alberti  der  Ansicht   derjenigen   Geologen 
an,  welche  die  »Eössener  Schichten«  als  oberste  Glieder  der 
Trias,  nicht  als  unterste  des  Lias  ansehen. 

Die  zweite  und  umfangreichste  (S.  27—242)  Abtheilung  vor- 
liegender Schrift  betrifft  die  organischen  Beste.  Der  Verf.,  früher 
im  Besitz  einer  ausgezeichneten  Sammlung,  die  jetzt  dem  Naturalien- 
Cabinet  in  Stuttgart  angehörig,  hat  in  der  langen  Zeit,  welche  er 
der  Erforschung  der  Trias  widmete,  ein  sehr  reichhaltiges  Material  i 
zusammen  gebracht,^  eine  nicht  geringe  Anzahl  neuer  YersteineroB- 
gen  aufgefunden  und  zugleich  die  bedeutende  Literatur  über  die 
Paläontologie  der  Trias  mit  Sorgfalt  benutzt,  so  dass  die  von  ihzs 
zusammengestellte  üebersicht  der  organischen  Beste  der  Trias  ein^ 
sehr  vollständige  zu  nennen  ist.  Wir  müssen  uns  darauf  beschic- 
ken, nur  einige  der  wichtigeren  neueren  Entdeckungen  und  Be- 
richtigungen hervorzuheben. 

Von  Pflanzen  in  der  Trias  sind  bekanntlich  die  Hauptlager- 
stätten :  der  bunte  Sandstein,  der  Lettenkohlen-Sandstein,  der  untere 
Eeuper-Sandstein  und  das  Bonebed.  Die  Pflanzen  des  bunten  Sand- 
steins —  zur  Zeit  als  v.  Alberti  sein  erstes  Werk  veröffentlichte  noch 
wenig  gekannt,  haben  seitdem  durch  Schimper  und  Monge  ot 
eine  vortreffliche  Bearbeitung  gefunden.  Es  sind  besonders  von 
Farnkräutern  Anomopteris  und  Crematopteris,  welche  als 
leitend  zu  betrachten.  In  Bezug  auf  die  von  dem  Verfiasser  al3 
Strangerites  marantaceus  aufgeftthrte  Fam-Species,  w^elche 


Alberti:  Die  THm.  700 

im  Lettenkohlen-Sandatein  so  wie  im  Sohilfsandstein  eine  Leit- 
pflanze, ist  zn  bemerken,  dass  sie  neuerdings  von  Heer  —  da  die 
Nervatur  der  Blätter  wie  ihr  ganzer  Habitus  der  Gattung  Danaea 
sehr  nahe  stehen,  als  Danaeopsis  marantacea  bezeichnet 
worden  ist.  —  Was  die  Equisetaceen  der  Trias  betrifft,  so  müssen 
gegenwärtig  alle  dem  bunten  Sandstein  angehörigen 
Formen  desCalamites  arenaceus  zu  Equisetites  Mon- 
ge o  t  i  i  gestellt,  die  Hauptleitpflanze  des  Lettenkohlen-  und  Schilf- 
sandsteines alsEquisetites  arenaceus  aufgeführt  werden.  Das 
Geschlecht  Calamites  ist  im  Keuper  durch  die  Art  C.  Meriani 
vertreten. 

Die  thierischen  Beste  der  Trias  sind  im  südwestlichen  Deutsch- 
land bekanntlich  hauptsächlich  im  Muschelkalk  zu  Hause,  unter 
den  wichtigeren  Leitfossilien  aus  der  Classe  der  Orinoideen  führt 
der  Verfasser  zunächst  den  Encrinus  liliiformis  nebst  den 
neu  aufgestellten  Arten  von  Encrinus,  welche  in  Norddeutsch- 
land sich  finden,  auf,  wobei  er  auch  des  Vorkommens  des  Encri- 
nus liliiformis  im  Wellenkalk  bei  Böthenberg  gedenkt,  was  je- 
doch zu  bezweifeln  sein  dürfte,  da  —  wie  Sandberger  neuer- 
dings gezeigt  hat  —  alle  bis  jetzt  aus  dem  Niveau  des  Wellen- 
kalkes bekannt  gewordenen  Encrinus-Eronen  auf  andere  Arten,  als 
E.  liliiformis  hindeuten,  nach  Säulen-Gliedern  allein  aber  die 
Art  nur  schwer  ermittelt  werden  kann.  —  Zahlreiche  Berichtigun-  , 
gen,  auch  neue  Geschlechter  und  Arten,  bietet  die  üebersicht  der 
Mollasken.  So  zunächst  in  der  Abtheilung  der  Conchiferen  zwei 
Arten  von  Avicula,  nämlich  die  zierliche  Avicula  pulohella 
V.  Alb.  im  Muschelkalk  und  die  Avicula  Gansingensis  v. 
Alb.,  in  den  Schichten  von  Gansingeu  im  Cauton  Aargau  in  Menge 
vorkommend.  (Beide  sind,  wie  überhaupt  die  in  vorliegender 
Schrift  vom  Verf.  neu  aufgestellte  Arten,  auf  den  letztere  beglei- 
tenden Tafeln  abgebildet).  Femer  die  neue  Art  Modiola  gibba 
V.  Alb.  Wichtige  Bemerkungen  theilt  der  Verf.  über  das  in  der 
Trias  durch  verschiedene  Arten  vertretene  Geschlecht  Myophoria 
mit  und  stellt  einige  neue  Arten  desselben  auf,  Myophoria  cor- 
nata,  alata,  vestita,  rotunda  v.  Alb.  Als  ein  neues  Ge- 
schlecht nach  Sandbergers  Mittheilung  ist  Trigonodus  zu 
betrachten,  im  Zahnbau  Unio  ähnlich;  die  Art  T.  Sandberger! 
im  unteren  Dolomit  der  Lettenkohle  häufig.  Das  von  Sandber^ 
ger  aufgestellte  Geschlecht  Anoplophora  umfasst  alleMyaciten 
die  am  Ende  nicht  klaffen,  keine  Zähne,  aber  einen  geraden  Schloss- 
rand, einen  ganzrandigen  Manteleindruck,  einen  schmalkeilförmigen 
Muskel-Eindruck  und  das  Band  äusserlich  haben ;  es  gehören  dahin 
Anoplophora  musculoides  (früher  Myacites  musculoides  und 
elongatus)  femer  A.  Fassaensis,  lettica,  Münsteri,  so  wie 
die  neuen  Arten  A.  dubia  und  A.  impressa  v.  Alb«,  welche 
auch  abgebildet.  —  Aus  der  Abtheilung  der  Brachiopoden  bildet 
bekanntlich  Terebratula  vulgaris  die  wichtigste  Leitmuschel 


710  Alberli:  Die  TriM. 

für  den  Muschelkalk.  Alberti  bringt  dieselbe  zu  dem  von  King 
gegründeten  snbgenns  Waldheimia,  weil  solche  sich  in  ihrem 
inneren  Bau  wesentlich  von  Terebratnla  unterscheidet.  Das  Aens- 
sere  der  Waldbeimia  vulgaris  ist  sehr  veränderlich  nndgibt 
Veranlassung  zu  einer  Menge  mit  verschiedenen  Namen  belegten 
Varietäten. 

Für  einen  Theil  der  Qasteropoden  der  Trias  bleibt  es  jetzt 
noch  eine  schwierige  Aufgabe,  sie  in  Geschlechter  und  Arten  zn 
bringen  bei  der  schlechten  Erhaltung  derselben.  Dies  gilt  unter 
andern  von  den  Geschlechtern  Pleurotomaria,  Turbonilla, 
Chemnitzia,  Natica.  Zu  letzter,  der  Species  N.  gregaria, 
welche  iu  ihrem  Aeussem  sehrvariirt,  stellt  v.  Alberti  die  unter 
den  Namen  Buccinites  gregarius,  Trochus  gregarins 
aufgeführten,  in  manchen  Gegenden  so  häufig  vorkommenden  kleinen 
Schnecken.  In  der  Abtheilung  der  Cephalopoden  finden  sich  nur 
wenige  Berichtigungen;  der  kloine,  scharfgekielte  Ceratites  Bu- 
chii    wird   von   dem  Verf.  als  Goniatites  Buchii   aufgeftlhrt. 

Was  die  Olasse  der  Crustaceen  betrifft,  so  verdienen  hier  zu- 
nächst die  kleinen Ostracoden  Erwähnung,  welche  Seebach  in  der 
Lettenkohle  bei  Weimar  entdeckt  hat,  verschiedene  Arten  des  Ge- 
schlechtes B  a  i  r  d  i  a ,  welche  bis  jetzt  in  Schwaben  noch  nicht  auf- 
gefunden, hingegen  neuerdings  durch  Sandberger  in  der  Letten- 
kohlen-Gruppe bei  Würzburg  nachgewiesen  worden.  —  Dass  die  io 
den  Dolomiten  der  Lettenkohle  so  sehr  verbreiteten,  gewöhnlich  in 
Gesellschaft  von  Lingula  tenuissima  vorkommenden,  früher  alsPo- 
sidonomya  minuta  aufgeführten  Beste  keine  Mollusken,  son- 
dern Schalenkrebse  sind  (Estheria  minuta)  hat  bereits  im  J. 
1856  Jones  gezeigt. 

Ueber  die  Saurier  der  Trias  haben  namentlich  die  trefflichen 
Forschungen  von  H.  v.  Meyer  bedeutende  Beiträge  und  Berich- 
tigungen geliefert.  Zu  letztem  ist  insbesondere  die  Bestätigung 
der  Ansicht  Owens  zu  zählen ;  dass  Placodus  —  bisher  zu  den 
tischen  gestellt  —  zu  einer  eigenen  Familie  triasischer  Saurier  der 
Placodonten  zu  erhel^n  ist,  wie  solches  der  genaue  Kenner  fosailer 
Wierbelthiere  durch  eme  Monographie  in  seinen  »Paiaeontographicac 
zeigte. 

Die  dritte  Abtheilung  von  Alberti's  Schrift  bespricht  die 
Vertheilung  und  Verbreitung  der  Versteinerungen  in  und  ausser 
Schwaben,  und  versucht  eine  Classification  der  einzelnen  Gruppen 
in  und  ausser  den  Alpen.  Eine  Parallelisirung  der  Trias  des  süd- 
westlichen Deutschlands  mit  jener  der  Alpen  bietet  bekanntlich 
grosse  Schwierigkeiten,  da  die  Verhältnisse,  unter  welchen  hier  die 
Schichten  abgesetzt  wurden,  ganz  andere,  wie  dort ;  denn  die  Trias 
ist  in  den  Alpen  in  einem  mehr  als  dreifach  so  tiefen  Meere  ab- 
gelagert, wie  in  Deutschland.  Aber  die  umfassenden  Forschungen 
zahlreicher  verdienter  Geologen  haben  gezeigt,  dass  trotz  aller  petro- 
graphischen  und  paläontologischen  Verschiedenheiten  in  den  Alpen 


Platonls  Protagoras.    Ree.  KrosobeL  711 

dennoeh  eine  Trias  sich  naohweisen  Iftsst,  wenn  auch  einzelne  Glie-* 
der  derselben  —  Tergliohen  mit  den  typischen  Sobichten  in  Deutsch* 
land  —  in  ihrer  Oesteins-Bescbaffenbeit  nnd  namentlich  in  ihren 
organischen  Besten  ganzlich  verschieden  sich  darstellen,  wie  z.  B. 
die  viel  beschriebenen  Ablagerungen  bei  St.  Gassian  in  Tyrol.  — 
Als  Resultat  seiner  Vergleichungen  gibt  der  Verf.  eine  parallelisirende 
Tabelle  der  Trias  ausser  und  in  den  Alpen»  woraus  namentlich  die 
beträchtliche  Verbreitung  und  Mächtigkeit  des  Eeupers  in  den  letz- 
teren hervorgeht.  Zum  Bchluss  stellt  endlich  v.  Alberti  noch 
eine  sehr  sorgfältig  ausgearbeitete  tabellarische  üebersicht  über  die 
Vertheilung  der  Versteinerungen  in  den  Gruppen  der  Trias  zusam- 
men ;  dieselbe  gewährt  ein  besonderes  Interesse,  wenn  wir  die  ähn- 
liche Zusammenstellung  des  Verf.  aus  dem  J.  1884  daneben  legen. 
Sie  zeigt  uns,  welche  bedeutende  Fortschritte  in  der  Kenntniss  der 
Trias-Formation  gemacht  wurden ;  und  zu  diesen  Fortschritten  haben 
die  Forschungen  v.  Alberti's  nicht  wenig  beigetragen. 

G.  Leonbard* 


Ptaton%8  Opera  omnia.  Reeensuitj  proUgomenis  ei  eommetUarÜB 
insiruxU  Oodofredus  Stallbaum.  \ol,  IL  8eeL  U,  coft^ 
iinens  Protagoram.  Edüio  tertia,  multi$  partibua  atieta 
et  emendaia,  Lipdae,  In  aedibtia  B.  0.  Teubneri.  MDCCLXV, 
VI  und  196  8.  in  gr.  8. 

Auch  mit  dem  weiteren  besonderen  Titel: 

Platonie  Protagorae.  ReeognovU  et  cum  Oodofrtdi  Stall-- 
baumi  suisgue  annotalionibus  edidit  Dr,  J.  S.  Krosehel,  in 
gymnano  Siargardienai  superiorum  ordinutn  praeceptor.  Lip* 
siae  etc. 

Die  Bearbeitung  dieser  neuen,  dritten  Auflage  eines  der  von 
Stallbaum  bearbeiteten  Platonischen  Dialoge  ist,  nach  dem  Tode 
dieses  um  Plato  und  dessen  Studium  so  hochverdienten  Mannes, 
einem  Gelehrten  anvertraut  worden,  der  schon  im  Jahre  1859 
seine  Bekanntschaft  mit  diesem  Dialoge,  wie  mit  Plato' s  Schriften 
überhaupt,  in  einer  die  Zeitverhältnisse  dieses  Dialogs  betreffenden 
Abhandlung  bewährt  hatte,  und  in  der  neuen  Auflage  eine  theil- 
weise  Umarbeitung  der  früheren  gegeben  hat.  Es  gilt  diess  zu- 
nächst von  der  Einleitung,  in  welcher  zwar  Stallbaum's  Erörterung 
über  Inhalt  und  Gang  des  Dialoges  beibehalten,  dagegen  Zweck 
and  Ziel  des  Ganzen,  so  wie  die  Zeit  der  Abfassung  anders  be- 
stimmt worden  ist.  Denn  während  Stallbaum  die  letztere  in  das 
dritte  oder  vierte  Jahr  der  94.  Olympiade  (also  402  oder  401  v. 
Chr.)  verlegt  hatte,  glaubt  der  neue  Herausgeber,  gestützt  auf  die 
p.  350  A  vorkommende  Erwähnung  der  Peltasten,  einer  im  Jahr 


712  Platonts  Protagoras.    Kee.  Krosehel. 

392  vor  Chr.  gemachten  Neuerong  des  Iphikrates,  die  Abfassung 
dieser  Schrift  auf  die  bald  darauf  folgende  Zeit,  etwa  das  Jahr  388 
vor  Chr.  vorlegen  zu  können,  während  er  in  Bestimmung  der  Zeit, 
in  welche  das  in  dieser  Schrift  abgehaltene  Gespräch  zu  setzen  ist, 
—  nach  Stallbanm  etwa  das  erste  Jahr  der  90.  Olympiade  (420 
vor  Chr.)  —  lieber  zu  dem  Frühling  des  vierten  Jahres  der  86. 
Olympiade  (431  vor  Chr.)  greifen  zu  müssen  glaubt.  Am  Schlüsse 
der  Praefatio  wird  noch  die  von  G.  Hermann  versuchte  Wieder- 
herstellung des  Simonideischen  Gedichtes,  das  in  diesem  Dialog 
p.  339  vorkommt,  beigefügt,  so  wie  die  Angabe  der  betreffenden 
Handschriften  und  der  Literatur  des  Protagoras.  Im  üebrigen  ist 
die  Einrichtung  der  Stallbaum^schen  Ausgabe  beibehalten:  unter 
dem  Texte  unmittelbar  steht  die  Varia  Lectio  und  darunter  die 
erklärenden  Anmerkungen«  Dass  bei  der  Gestaltung  des  Tertes, 
der  in  Manchem  von  dem  früheren  abweicht,  auch  Alles,  was  seit 
dem  Jahre  1840  dafür  irgend  wie  geschehen  war,  berücksichtigt 
worden,  bedarf  kaum  ausdrücklicher  Erwähnung :  dasselbe  gilt  auch 
von  der  Erklärung,  d.  h.  von  den  unter  den  Text  gestellten  An- 
merkungen, in  welchen  die  Selbständigkeit  des  neuen  Heraus- 
gebers in  anerkennenswerther  Weise  hervortritt.  Was  aus  der 
früheren  Ausgabe  herübergenommen  ward,  ist  mit  Stallbaum^s 
Namen  bezeichnet :  aber  man  wird  auf  jeder  Seite  den  Beweis  der 
eigenen  Thätigkeit  des  neuen  Herausgebers  finden  in  manchen,  die 
sachliche,  wie  die  sprachliche  Erklärung  betreffenden  Bemerkungen, 
welche  sich  übrigens  an  die  Art  und  Weise  der  Behandlung  an- 
schliessen,  welche  Stallbaum  in  seinen  Anmerkungen  nach  dem 
Zwecke  des  ganzen  Unternehmens  eingehalten  hatte:  dass  auch 
Manches  in  diesen  Anmerkungen  Stallbaum*s  weggefallen  ist,  eben 
weil  08  minder  richtig  erschien,  und  durch  Besseres  ersetzt  ist, 
wird  und  kann  nicht  befremden.  Im  Ganzen  aber  wird  man  die 
von  Stallbaum  durchgeführte  und  von  dem  Herausgeber  dieses  Dia- 
logs beibehaltene  Art  der  Behandlung  zn  billigen  haben,  weil,  wie 
wir  wenigstens  glauben,  das  gründliche  Studium  der  Platonischen 
Schriften  und  die  richtige  Erkenntniss  seiner  Sprache  (die  Jeder, 
der  mit  griechischer  Philosophie  sich  beschäftigt,  kennen  muss), 
wie  seiner  Lehre,  namentlich  für  junge  Philologen  wie  Philosophen, 
mehr  gefördert  wird  durch  eine  solche  Behandlungsweise ,  welche 
das  Nöthige  zum  richtigen  Yerständniss  der  Sprache  wie  der  Sache 
in  Lateinischer  Sprache  bietet,  hier  das  gehörige  Mass  einzu- 
halten und  auf  diesem  Wege  in  das  tiefere  Studium  einzuführen 
versteht,  welches  Ziel  und  Aufgabe  insbesondere  jugendlicher  Be- 
strebungen sein  soll.  —  In  der  äusseren  Ausstattung  zeichnet  sich 
diese  dritte  Auflage  vortheilhaft  vor  den  beiden  vorausgegange- 
nen aus. 


Pal  Im  Ann:  Der  Stvri  des  Wesirnmisebcn  ReldM*  71^' 

Der  Stur»  des  Wedrömüehen  Reiek»  durch  die  deidaehen  Söldner. 
Nach  den  Quellen  dargesteUli  von  Reinhold  Pallmann, 
Dr.  phU,  und  Cusios  su  Oreifiwald.  Weimar.  Hermann 
Böhlau  1864.  XVI  und  619  8,  8. 

Aach  mit  dem  weiteren  Titel: 

Die  Geschichte  der  Völkencanderung  nach  den  Quellen  dargesUGt 
von  Reinhold  Pallmann,  Dr,  phil.  und  CusLoe  zuQreif^ 
v*ald.  Zweiter  Theil.  Der  Sturs  des  WeMrömieehen  Reichs 
durch  die  deutschen  Söldner. 

Das  vorliegende  Werk,  von  dem  wir  hier  einen  Bericht 
zn  erstatten  haben,  behandelt  einen  der  wichtigsten  Theile  der 
alten  Geschichte,  den  Sturz  des  römischen  Reichs  im  Abend- 
lande, und  damit  den  grossen  Wendepunkt,  welcher  die  alte  rO- 
mische  Zeit  in  eine  neue  Gestaltung  hinüber  führte;  und  hat  der 
Verfasser  diesen  Gegenstand  nicht  in  allgemeinen  umrissen,  für 
ein  grösseres  gebildetes  Publikum,  wie  es  jetzt  Mode  ist,  behan« 
delt,  sondern  er  hat  ihn  ans  den  Quellen  unmittelbar  darzustellen 
gesncht  und  diese  selbst  einer  sorgfltltigen  Kritik  unterworfen,  wo- 
durch sein  Werk  den  Charakter  einer  gelehrten  nnd  kritischen 
Forschung  einnimmt.  Wer  je  einmal  in  jenen  Quellen  sich  umge- 
sehen hat,  wird  die  Nothwendigkeit  bald  erkannt  haben,  diese  selbst 
vor  ihrer  Benutzung  einer  kritischen  Untersuchung  zu  unterwerfen, 
um  dann  auch  sichere  Ergebnisse  daraus  ableiten  zu  können,  und 
diess  hat  der  Verf.  vor  Allem  getban:  ein  Hauptverdienst  seiner 
Arbeit  liegt  mit  in  diesem  Streben  der  kritischen  Sichtung  der 
Quellen,  welche  die  Grundlage  der  Darstellung  bilden,  die  sich  füg- 
lich als  zweiter  Theil  an  die  im  ersten  Theile  behandelte  Wan- 
derung der  Gothen  bis  zu  ihrer  festen  und  bleibenden  Niederlas- 
sung  in   den  einzelnen  Theilen  des  römischen  Reiches  anschliesst. 

Von  den  zwei  Büchern,  in  welche  das  Ganze  zerf&Ut,  beschäf- 
tigt sich  das  erste  mit  den  Wanderungen  der  Hernien,  Rügen,  Tnrci- 
lingen  und  Sciren,  so  wie  mit  der  Person  des  Odovakar,  seiner  Her- 
kunft und  seinem  Leben  bis  zu  seiner  Erhebung  durch  die  Söld- 
ner ;  lauter  Gegenstände,  die  nicht  ohne  die  sorgsamste  Kritik  der 
aus  dem  Alterthum  uns  überlieferten,  oftmals  nicht  miteinander 
übereinstimmenden  oder  sich  widersprechenden  Nachrichten  darüber, 
behandelt  werden  konnten.  Dass  bei  Odovakar  die  mgische  Ab- 
kunft als  die  wahrscheinliche  dargestellt  wird,  findet  in  den  Quellen 
seine  Bestätigung;  eben  so  richtig  wird  nachgewiesen  (S.  171), 
dass  Odovakar  kein  Fürstensohn,  auch  nicht  aus  einer  Adelsfamilie, 
sondern  von  gewöhnlichem  Herkommen,  ein  Gemeinfreier  gewesen, 
der  als  Jüngling,  wie  so  Manche  Andere  damals  nach  Italien  ge- 
zogen und  im  Heere  Dienst  genommen,  wo  ihn,  ohne  dass  er  eine 
höhere  Stelle  bekleidete,  der  Aufstand  vom  Jahr  476  zum  Befehls- 
haber und  König  (rex)   der  Söldner  erhob,   und  es  wird  gezeigt. 


j 


tu  PAllmanii:  Der  8tan  des  Weetrömiseben  Relohs. 

wie  dieses  Emporsteigen  eines  gewöhnlichen  Freien  bei  einem  tein 
germanischen  Volke  durchaus  Nichts  unmögliches  gewesen  (S.  179). 
Odoyakar's  Gestalt  wird  als  eine  hohe,  imponirende  bezeichnet; 
sein  Gesicht  —  nach  den  Münzen  —  hat  einen  kräftigen,  entschie- 
denen Ausdruck  und  soll  sogar  »eine  auffallende  Aehnlichkeit  mit 
dem  grössten  neueren  deutschen  Helden,  Blücher«,  zeigen;  weiter 
wird  auf  den  Schnurbart,  welchen  er  trägt,  hingewiesen,  und  fftr 
nicht  unwahrscheinlich  gehalten,  dass  der  Schnurbart,  den  die  rö- 
mischen Kaiser  nicht  trugen,  durch  Odovakar  und  die  Deutschen 
Mode  geworden  (S.  175). 

Des  zweiten  Buches  Gegenstand  ist  »der  Sturz  Westrom' s  und 
die  Geschichte  des  ersten  deutschen  Reiches  in  Italien«  8.  183  ff., 
in  sieben  Abschnitten,  von  welchen  der  erste  eine  Untersuchung 
über  die  Quellen  dieser  Darstellung  enthält,  der  zweite  die  Ent- 
wicklung des  Söldneraufstandes  im  Jahr  476  und  der  dritte  die 
Begründung  der  neuen  Herrschaft  bringt;  im  vierten  werden  Odo- 
yakar's  Hoheitsrechte,  im  fünften  der  dalmatische  und  der  rugische 
Krieg,  im  sechsten  der  Zug  der  Ostgothen  nach  Italien  und  im 
siebenten  der  ostgothische  Krieg  in  Italien  und  der  Ausgang  Odo- 
vakar's  geschildert. 

Wir  können  hier  begreiflicherweise  nicht  näher  eingehen  in 
die  umfossende  Untersuchung,  welche  im  ersten  Abschnitt  enthal- 
ten ist,  in  Betreff  der  Quellen,  aus  welchen  die  ganze  Darstellung 
über  Odoyakar  jetzt  entnommen  ist;  sie  ist  wichtig  genug,  um  auch 
in  andern  Beziehungen  die  volle  Beachtung  anzusprechen.  Eben 
so  wenig  können  wir  auch  in  das  Detail  der  Gesohichtserasählung, 
wie  sie  in  den  folgenden  Abschnitten  enthalten  und  auf  die  kri- 
tisch gesichteten  Quellen  möglichst  zurückgeführt  wird,  uns  ein- 
lassen, wir  wollen  diese  Abschnitte  vielmehr  dem  sorgfältigen  Sta- 
dium Aller  derer,  welche  sich  für  diesen  wichtigen  Gegenstand 
interessiren,  empfohlen  haben.  Worauf  wir  zunächst  hier  aufmerk- 
sam machen  zu  müssen  glauben,  ist  die  in  dem  Ganzen,  wie  in 
allen  Einzelnheiten  hervorragende  Tendenz,  den  Odovakar  und  seine 
Söldner  in  ein  besseres  Licht  zu  setzen  und  auf  diese  Weise  eine 
Ehrenrettung,  wenn  man  es  so  nennen  will,  des  Odovakar,  zumal 
im  Gegensatz  zu  dem  meist  hochgepriosenen  Theoderich,  zu  liefern. 
Wir  wollen  daraus  nur  Einiges  darauf  Bezügliche  hier  anführen. 
Als  Odovakar  zur  Herrschaft  gelangt  war,  musste  sein  Augenmerk, 
so  argumentirt  der  Verf.  S.  317  ff.,  hauptsächlich  auf  Herstellung 
eines  guten  Einvernehmens  mit  den  Italienern  gerichtet  sein,  er 
durfte  sich  nicht  als  Eroberer  und  seine  Herrschaft  als  eine  ge- 
waltsame einführen,  sondern  seine  Aufgabe  war  es,  die  neuen  Zu- 
stände in  den  alten  zu  begründen  und  als  Vertreter,  wo  möglich 
als  berechtigter  Träger  der  Kaisergewalt  zu  erscheinen.  Von  diesem 
Standpunkte  aus  suchte  er  auch  die  schwierigste  innerei^rage 
zu  lösen,  die  sich  alsbald  darbot,  die  Vertheilung  des  Landes, 
Drittel  seine  Söldner  ftir  sich  in  Anspruch  nahmen,    die, 


ereiPrage 
les,  ai^J 
e,    wieifl 


PAllmann:  Der  8ivn  des  Weetrömiaehen  Reiehs.  716 

der  Verf.  ansieht,  durch  das  Erlangen  Ton  Gnmdeigenthnm  erst 
ein  wahres  Volk  werden  sollten,  eben  darum  aber  einen  Yergleioh 
mit  den  Ansiedlungen  der  Westgothen  und  anderer  Völker  gar  nicht 
zulassen.  »Dass  die  Tbeilung  schwierig  war,  und  dass  sie  zugleich 
gerecht,  ohne  Gewaltthätigkeiten  gegen  die  Römer  ausgeführt  wurde, 
ist  anzunehmen;  wie  sie  im  Einzelnen  geschah,  schlechterdings  nicht 
anzugeben.  Dem  Söldner  wurde,  wenn  es  anging,  wohl  gewiss  der 
seinem  Quartier  am  nächsten  liegende  Boden  zugewiesen,  überhaupt 
wird  die  Vertheilung  des  Landes  im  Anschluss  an  die  als  zweck- 
mässig erwiesene  Vertheilung  der  Söldner  über  Italien  hin  geschehen 
sein  (S.  324).  c  Es  fUllt  uns  schwer,  eine  solche  gewaltsame  Thei- 
lung  oder  yielmehr  Wegnahme  des  Drittels  alles  Grundeigenthums 
in  einem  so  günstigen  Lichte  zu  erblicken,  mag  man  über  das 
Becht  oder  vielmehr  über  die  Gewalt  des  Eroberers  auch  denken, 
wie  man  will.  Ob  die  Söldner  als  Grundeigenthümer  sich  viel 
besser  benommen ,  als  die  Veteranen ,  welche  zur  alten  Bömerzeit 
von  dem  siegreichen  Feldherrn  in  Italien  mit  dem  Besitzthum  der 
Stadt-  und  Landbevölkerung  belohnt  wurden,  bezweifeln  wir ;  auch 
unser  Verf.  will,  aus  Mangel  an  Nachrichten,  die  Frage,  ob  sie  das 
erhaltene  Land  selbst  bebaut  oder  in  Pachtung  den  Römern  über- 
lassen, weder  entschieden  verneinen  noch  bejahen;  doch  neigt  er 
sich  der  Annahme  zu,  dass  Letzteres  in  vielen  Fällen  stattgefun- 
den, namentlich  von  Seiten  der  in  grossen  Städten  liegenden  Krie- 
ger. Eben  so  schwer  will  es  uns  fallen,  zu  glauben,  dass  in  volks^ 
wirthschaftlicher  Beziehung  Italien  durch  die  gewaltsame  Land- 
theilung  unendlich,  wie  es  hier  S.  825  vgl.  845  heisst,  gewonnen, 
insofern  aus  den  grossen  als  Capital  oft  ganz  todt  liegenden  Gü- 
tern nun  verhältnissmässig  viel  mehr  kleinere  geworden,  überdem 
augenblicklich  für  den  Landbau  viele  kräftige  deutsche  Hände  ge- 
wonnen worden,  die  Bewirthschaftung  des  Landes  lebhafter  betrie- 
ben und  mancher  Öde  Strich  Landes  dem  Ackerbau  wieder  gegeben, 
so  dass  die  Theilung  ein  Schritt  zum  wahren  Heile  Italiens  gewesen ; 
das  moderne  Italien  ruhte  thatsächlich  (so  lesen  wir  S.  845)  auf 
den  Schultern  der  Söldnerzeit.  Erst  jetzt  (?)  erhielt  die  Halbinsel 
gesundere  volkswirthschaftliche  Grundlagen,  theils  in  der  Zerlegung 
der  grossen,  zum  Theil  unbewirschafteten  Güter,  theils  durch  die 
vielen  rüstigen  Ackerbauer  und  Städter,  welche  er  jetzt  theils  zur 
Arbeit  anregte,  theils  für  später  gewann.  Es  sind  dies  Folgerun- 
gen, die  nicht  einmal  aus  der  eigenen  Annahme  des  Verfassers  sich 
genügend  werden  ableiten  lassen.  »Die  Söldner,  lesen  wir  S.  326, 
sahen  sich  ihrerseits  im  Besitze  des  Landes  jedenfalls  als  berech- 
tigt an.  Freilich  nahmen  sie  sich  selbst,  was  man  ihnen  nicht 
gab(!);  wir  heben  es  aber  nochmals  hervor,  wie  deutlich  ihr  ehr- 
licher Sinn  daraus  hervortritt,  dass  sie  nach  dem 
Siege  mit  dem  ursprünglich  verlangten  Drittel  zu- 
frieden waren,  durch  das  Beispiel  der  Westj?othen  und  Bur- 
gunder sich  nicht  zu  Weiterem  reizen  liessen.€    Wirgesteheui  dass 


716  P  all  mann:  Der  Sinn  des  WestrOmtsclieii  Reloht. 

wir  uns  über  solche^  Bebauptangen  und  ürtbeile  nur  wnndom  kön- 
nen, und  dass  wir  es  eben  so  befremdlicb  finden,  wenn  in  einer 
Noie  bebanptet  wird:  »Die  Landtbeilnng  der  Söldner  war,  wenn 
wir  die  notbwendigen,  woblthätigen  (?)  Wirkungen  ins  Auge  fassen, 
nicbt  ungerecbter,  als  eine  scbroffe  Begulirung  der  Grundsteuer- 
verbältnisse  bei  uns  es  sein  würde  (?).  In  staatsökonomiscber  Hin- 
sicbt  war  sie  damals  in  Italien  wünsobenswertb.«  Aucb  wird  weiter 
angenommen,  »dass  die  Italiener  der  Nothwendigkeit  sieb  fügten 
und  gutwillig  die  Lose  abtraten.  Das  Verfabren  der  Söldner  trug 
sonst  den  Obarakter  von  Eroberung  und  Gewalttbat  nicbt  an  sieb, 
tim  wenigsten  gerade  den  Italienern  gegenüber« ;  eben  so  gilt  die 
Annabme  für  berecbtigt,  »dass  die  Römer  in  privatrecbtlicher  Be- 
ziehung nicbt  gefllbrdet  wurden,  nacbdem  die  Abtretung  des  Lan- 
des Tollendet  war,  dass  Barbaren  und  Römer  yielmebr  nacb  einem 
Punkte  des  Privatrecbts  hin  eine  friüdlicbe  Vereinigung  geschlossen, 
und  Unterschiede,  die  früher  nur  mit  grosser  Strenge  des  Gesetzes 
aufrecht  erhalten  werden  konnten,  aufgehoben  haben«,  womit 
zunächst  die  Ebeverbindungen  von  Römern  und  Barbaren,  wie  sie 
nun  vorkommen,  bezeichnet  werden.  In  staatsrechtlicher  Beziehung,  in 
dem  Verbältniss  der  Obrigkeiten  und  der  Bürger  als  Glieder  des  Staates 
zu  einander,  blieb  nach  des  Verfassers  Annabme,  Alles  bei  dem 
Alten.  Auch  in  der  Stellung  Odovakar^s  zur  römischen  Kirche  zeigt 
sich  derselbe  »als  ein  ruhiger,  kluger  und  durchgreifender  Regent 
in  dem  günstigsten  Lichte.«  (S.  887.)  »Obgleich  Arianer  trat  er 
der  orthodoxen  Kirche  nicht  schroff  in  den  Weg.«  —  »Der Kirche 
als  solcher  gegenüber  scheint  Odovakar  die  Rechte  des  weltlichen 
Herrschers  jedoch  mit  Festigkeit,  wenn  auch  mit  Mftssigung  gewahrt 
zu  haben.  Leider  ist  nicht  genau  festzustellen,  ob  Odovakar  nnr 
im  Interesse  seiner  Herrschergewalt  oder  durch  wirklich  eingeris- 
senes Unwesen  zum  Vorgehen  vermocht  wurde.  Das  letztere  ist 
auf  den  ersten  Blick  das  Wahrscheinlichere.  Odovakar's  Verfiahren 
verdient  aber  in  allen  Fällen  Lob.«  (S.  338.)  Indem  der  Verf. 
den  Vorgang,  worauf  dieses  ürtheil  sich  stützt,  näher  betrachtet, 
knüpft  er  daran  noch  weitere  Bemerkungen,  unter  welchen  wir  nnr 
auf  das  aufmerkfiam  machen  wollen,  was  S.  840  bemerkt  wird. 
Der  Verf.  meint  nämlich,  dass  trotz  der  Stellung,  welche  Odovakar 
zur  Kirche  einnahm,  indem  er  sie  als  Staatseinricbtung  betrachtete, 
die  Herrschaft  der  arianischen  Söldner  auf  das  Hervortreten  des 
katholischen  Bischofs  zu  Rom,  wenn  auch  nicht  gerade  den  andern 
hoben  Bischöfen,  so  doch  dem  Kaiser  im  Osten  gegenüber,  einen  wesent- 
lichen Einfluss  übte.  Für  die  streng  legitim  denkenden  Italiener  war 
eigentlich  jetzt  nur  noch  der  Papst  die  einzige  sichtbare,  legitime,  höchste 
Gewalt.  So  beginnt  das  Papsttbum  mit  dem  FalleRom' 8. 
Die  Aussonderung  der  Kirche  aus  dem  Bereiche  der  weltlichen 
Macht  konnte  auch  nur  unter  Verhältnissen^  wie  sie  zu  den  Zeiten 
der  Söldner  und  Ostgothen  in  Italien  obwalteten,  in  Zeiten  man- 
gelnder, sichtbarer   »legitimer«  Regierung  vor  sich  gehen.    Daher 


J^ikllmanD.  Der  äton  dies  Wefltrömischen  tUiuhfl.  111 

das  ungewohnte  Gefahl  der  Beschränkung  zu  Rom,  als  mit  der 
Sanctio  pragmatica  nach  554  die  legitime  weltliche  Macht  in  Ita- 
lien wieder  eingesetzt  war,  daher  von  da  an  jenes  selbständige, 
fast  feindselige  Auftreten  der  Päpste  dem  byzantischen  Kaiser  gegen- 
über für  Interessen,  die  bis  476  nicht  gekannt  waren  oder  doch 
mit  der  Offenheit  nicht  ausgesprochen  wurden,  an  die  man  sich 
aber  seit  476  gewöhnt  hatte.« 

Wir  haben  diese  wichtige  Stelle  um  so  mehr  mittheilen  zu 
müssen  geglaubt,  als  man  bisher  mehrfach  die  wachsende  Macht 
und  das  steigende  Ansehen  des  römischen  Bischofs  aus  andern  Ur- 
sachen abzuleiten  gewohnt  war,  und  darin  namentlich  die  natür- 
liche Folge  der  zerrütteten,  zum  Theil  anarchischen  Zustände  Som's 
und  des  grössern  Theiles  von  Italien  erkannte,  welche  unwiUkühr- 
lich  auf  diesen  einzigen,  festen  Haltpunkt  hinführten,  und  dadurch 
dessen  Bedeutung  so  sehr  hoben  und  steigerten. 

Auch  das  Yerhältniss  Odovakar's  zu  seinen  Söldnern,  und  der 
Charakter  tmd  das  Wesen  seiner  Herrschergewalt  wird,  so  weit  es 
die  Quellen  möglich  machen,  einer  Betrachtung  unterzogen.  (S.  358  ff.) 
Der  Verf.  betrachtet  den  Odovakar  von  dem  Augenblick  an,  wo  er 
erhoben  wurde,  als  einen  germanischen  König  im  vollen  Sinne  des 
Wortes  und  mit  allen  Befugnissen,  welche  andern  Königen  zustan- 
den, ausgestattet,  und  eben  so  erscheint  ihm  der  Söldnerstaat  von 
dem  Moment  an,  wo  die  Landtheilimg  stattgefunden  hatte,  als  ein 
germanischer  Staat  innerhalb  des  römischen;  mit  der  Erwerbung 
des  Landes  zu  Eigenthum  waren  alle  Grundlagen  für  einen  ger- 
manischen Staat  gegeben,  freie  germanische  Grundeigenthümer  unter 
einem  Könige.  Der  Verf.  knüpft  daran  noch  weitere  Bemerkungen 
über  die  Fähigkeit  und  das  Bestreben  der  Vereinigung,  was  man 
mit  Unrecht  bisher  der  deutschen  Bace  abgesprochen.  > Die  deutsche 
Bace  ist  aber,  so  wird  S.  359  behauptet,  von  Hause  aus  universell 
der  T  h  a  t  nach  und  doch  zugleich  fähig  zur  Centralisation  gewesen, 
während  es  die  römische  nur  in  den  Formen  und  durch  dieselben 
war  Der  Act  der  Erhebung  Odovakar*s  zum  Könige  und  der  Söld- 
ner zu  einem  Volke  ist  daher  besonders  hervorzuheben.  Er  beweist, 
wie  tief  befähigt  die  germanische  Race  zur  Staatenbildung  war.  Es 
erscheint  als  Phantasie  und  schwächliche  Sentimentalität,  an  den 
Deutschen  gar  das  Oegentheil  loben  zu  wollen.  Die  Deutschen 
haben  jene  Fähigkeit  bis  heute  nicht  verloren,  sie  haben  es  nur 
verlernt  gehabt,  sie  zu  üben  und  anzuwenden.  Heute  ist  die  ger- 
manische Bace  zu  ein^m  besonnenen  constitutionellen  Staatsleben 
befähigter  als  die  rein  romanischen  Völker,  die  von  einem  Extrem 
zum  andern  springend  seltsamerweise  beide  zu  ertragen  verstehen.« 

Dass  die  Kämpfe  Odovakar*s  mit  den  andringenden  Ostgothen 
mit  aller  der  Genauigkeit,  die  auch  in  den  andern  Theilen  des 
Werkes  herrscht,  dargestellt  werden,  wird  nach  dem  Gesagten  nicht 
befremden,  und  was  den  für  Odovakar  unglücklichen  Ausgang,  ins- 
besondere dessen  Ermordung,  nach  abgeschlossenem  Friedensvertrag 


718  ^allmann:  Der  6tun  dea  WMrOmfscbeii  lUlcbk 

zu  Ravenna,  durch  Theoderich  betrifft,  so  trägt  der  Yerf.  kein  Be- 
denken, nach  genauer  Prüfung  der  ttber  dieses  Ereigniss  yorliegen- 
den  Angaben,  den  Theoderich  der  Wortbrüchigkeit  und  des  ver- 
rätherischen  Mordes  für  schuldig  zu  erklären  (8.473);  »Theoderich 
hatte  in  der  oströmischen  Erziehung  wahrscheinlich  die  Theorie  der 
Nothwendigkeiten  kennen  gelernt  und  glaubte  mit  jenem  Morde 
allen  Gefahren  vorbeugen  zu  müssen.«  (S.  470.)  Wie  der  Yerf. 
Oberhaupt  das  Yerhältniss  beider  Herrscher  zu  einander  aufjgefaset, 
zeigt  am  besten  das  Schlusswort,  das  wir  hier  noch,  um  zugleich 
eine  grössere  Probe  der  Darstellung  des  Verfassers  zu  geben,  wört- 
lich beiflLgen  wollen  (S.  476  ff.). 

»So  fiel  Odoyakar  und  mit  ihm  das  Reich,  welches  er  unter 
schwierigen  Verhältnissen  dreizehn  Jahre  lang  bis  zum  Ausbruche 
des  ostgothischen  Krieges  glücklich  und  segensreich  regiert  hatte. 
Die  Geschichte  hat,  obgleich  er  von  allen  deutschen  Helden  der 
Völkerwanderung  der  erste  gewesen  ist,  dem  es  in  einem  der  Brenn- 
punkte der  alten  Bildung  ein  Beich  zu  gründen  und  zu  eriialten 
gelang,  sein  Andenken  doch  wenig  treu  bewahrt,  ja  geflissentlich 
verdunkelt  oder  entstellt.  Sein  Bild  wie  das  seiner  Völker  ist  yer» 
blasst  und  fast  geschwunden,  kaum  sind  für  den  ersten  Blick  un- 
deutliche Züge  nachweisbar;  Theoderich  dagegen  strahlt  hell  und 
klar,  wie  die  Morgensonne.  Das  ist  aber  ein  erborgtes  Licht,  wenn 
Odoyakar  darunter  leidet. 

Alle  die  Formen,  in  denen  das  Germanenthum  zum  römischen 
Wesen  in  Italien  eine  schonende  Stellimg  einzunehmen  suchte,  hat 
Odoyakar  yorgezeichnet ,  Theoderich  sie  nicht  erst  gefunden.  Odo- 
yakar hat  femer  mit  Festigkeit  regiert.  Die  Söldner  wurden  streng 
behandelt,  das  zeigt  die  Bestrafung  des  Brachila.  Aufsteigenden 
Gelüsten  eingebomer  italischer  Elemente  wurde  ebenso  wenig  Spiel<- 
raum  gegeben.  Die  Waffen,  mit  denen  der  SöldnerKönig  die  An- 
massung  des  Bischofs  zu  Born  bekämpfte,  waren  geschickt  gewählt; 
nur  scheinen  sie  nicht  mit  der  rechten  Consequenz  gebraucht  wor- 
den zu  sein:  die  Aufstellung  eines  Papstes  zu  Bayenna,  welche 
einen  Theil  der  italischen  Geistlichkeit  an  ihn  fesseln  musste,  wäre 
dann  unausbleiblich  gewesen.  Dem  Lande  die  Buhe  und  Erholung, 
welche  so  nöthig  war,  zu  wahren,  war  Odoyakars  augenscheinliches 
Streben.  Deshalb  yermied  er  Kriege ;  nur  die  Nothwendigkeit  zwang 
ihn,  endlich  gegen  die  Bugen  das  Schwert  zu  ziehen,  er  hätte  denn 
yor  dem  Schwächeren  zurückweichen,  seine  kriegerische  Ehre  preis- 
geben wollen.  Die  Unternehmungen  gegen  .Dalmatien  und  in  Sici- 
lien,  wenn  wir  die  letzten  wahrscheinlich  zu  machen  yermochten, 
haben  kaum  auf  den  Namen  oines  Angriffskrieges  Anspruch.  In 
Dalmatien  kämpften  die  Söldner  gegen  Mörder  und  gewissermassen 
für  die  Legitimität ;  in  Sicilien  handelte  es  sich  um  die  Besetzung 
esnes  Stücks  Landes,  welches  die  Vandalen  in  ihrer  Verlegenheit 
nicht  gut  zu  yertheidigen  yermochten. 

Theoderioh  steht  in  keiner  Hinsicht  grösser  da  als  Odoyakar. 


PaUmena:  Der  Bkan  df«  Westrtelsohen  Riiebt.  tl9 

Dieselbe  Klippe,  welche  dieser  nicht  zu  umflchiffen  vermochte,  die 
byzantinische  Politik,  liess  auch  ihn  Schiffbruch  leiden.  In  mancher 
Besiehnng  war  Odovakar  noch  gewandter,  als  jener.  Theoderich, 
so  geistvoll  er  auch  war,  verdient  das  ihm  gespendete  Lob  nicht 
im  ganzen  Umfange.  Die  innere  Politik  —  die  wichtigste  Aufgabe 
der  germanischen  Herrscher  in  den  römischen  Provinzen  und  zumal 
in  Italien  —  war  ungewandt  und  schwankend,  zum  ünheile  far 
seine  Nachfolger  und  zum  ünheile  ftLr  die  Italiener  selbst.  Es  wird 
anch  nicht  umsonst  erzählt,  dass  die  Köpfe  des  Sjmmachus  und 
Boethius  noch  in  der  Todesstunde  vor  seinen  Augen  erschienen: 
Theoderich  starb  eben  mit  dem  Fluche  eines  Theiles  der  Italiener 
beladen.  Odovakar  hat  bessere  Denksteine  hinterlassen.  Wir  brau- 
chen nur  auf  die  Treue  des  Liberius  hinzuweisen.  Dieser  wackere 
Körner  rühmte  sich  Odovakars  als  seines  Herrn  noch  zu  Theodorichs 
Zeiten,  wo  die  Meisten  den  gefallenen,  ermordeten  Helden  des  neuen 
Herrschers  wegen  verunglimpften ;  und  blieb  doch  im  höchsten  An- 
sehen  bei  den  Ostgothen.  Auch  im  Kriege  war  Odovakar  dem 
Amaler  ein  ebenbürtiger  Gegner;  kein  oströmischer  Feldherr  hat 
diesen  in  so  grosse  Verlegenheiten  zu  bringen  gewusst  wie  er,  kei- 
ner ihm  zäher  widerstanden.  Wenn  er  unterlag,  so  ¥rar  es  Schuld 
des  Glückes  und  des  Yerrathes  eines  Theiles  der  Italiener:  daran 
ging  später  ja  auch  die  Ostgothenherrsehaft  unter. 

Wenn  die  deutsche  Heldensage  den  Söldnerkönig  nach  und  nach 
zu  einer  wahren  Jammergestalt,  zu  einem  elenden  Feiglinge  er- 
niedrigte^ so  hat  sie  einen  Gang  genommen,  auf  dem  ihr  leider 
aach  die  Forschung  lange  gefolgt  ist«  Odovakar  ist  es  aber  wertb, 
in  die  Beihe  der  anerkannten  deutschen  Helden  aus  der  Zeit  der 
Völkerwanderung  aufgenommen  zu  werden.  Er  steht  ebenso  gross 
da  wie  Theoderich,  nur  war  er  nicht  wie  dieser  so  glücklich,  glän- 
zende Erfolge  zu  erringen  und  lobpreisende  Federn  in  Bewegung 
zu  setzen.  Der  Mann,  welcher  in  Italien  das  erste  germanische 
Reich  begründet  hat,  welcher  die  alte  mit  der  neuen  Cultur  in  einem 
Brennpunkte  der  classischen  Welt  friedlich  zu  vermitteln  versuchte, 
kann  nicht  unbedeutend  gewesen  sein,  auch  in  dem  Falle  nicht, 
wenn  im  Einzelnen  kein  Wort  über  seine  vermittelnde  Thätigkeit 
berichtet  wäre.« 

Die  am  Schlüsse  des  Ganzen  folgenden  Beilagen  betreffen  ein- 
zelne, im  Werke  selbst  berührte  Gegenstände,  und  erscheinen  als 
eigene  Excurse,  die,  um  die  Darstellung  nicht  zu  unterbrechen, 
hier  als  Beilagen  hinzugefügt  wurden.  Die  erste  Beilage  enthält 
eine  topographische  Darstellung  von  Bavenna  und  seinen  Um- 
gebungen, begleitet  von  einer  lithographirten  Tafel;  die  zweite 
bringt  eine  Zusammenstellung  der  Angaben  der  Jahre  489  bis  493 
in  den  ravennatischen  Fasten  und  im  Anonymus  Valesii:  die  dritte 
betrifft  die  Beichsannalen  und  die  Schlacht  bei  Follentia  vom  Jahr 
402 ;  die  vierte  enthält  einen  Abdruck  des  Abrisses  der  Weltge- 
schichte vom  Jahre  452,  wie  er  sich  in  der  Berner  Handschrift 


720  Beck:  Lehrbueh  der  altgemoinea  Öeeoliiobt«. 

Nr.  128  findet.  Die  fünfte  Beilage  gibt  eine  Zeittafel  zu  dem  zweiten 
Buobe,  die  secbste  ein  Verzeichoiss  der  in  dem  Werke  benatzieo, 
oft  nur  kurz  angeführten  Quellen  und  Hülfsmittel.  —  Die  äussere 
Ausstattung  des  Ganzen  ist  sehr  befriedigend. 


lA'hrbuch  der  allgemeinen  Geeehiehte  für  Schule  und  Haw.  Von  Dr. 
Jos.  Beck,  Qrossh.  Bad,  Geh.  HofratK  Erster  Theü  (Cursus), 
Achte  vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  Hannover  18S4, 
Hahn'sche  Hoßuchhandlung.  XVI  und  301  8.  in  gr,  8. 

Auch  mit  dem  weiteren  Titel: 

Lehrbuch  der  allgemeinen  Geschichte  für  die  unteren  und  mittleren 
Klassen  höherer  Unterrichtsanstalten.  Von  Dr.  Jos.  Beck  etc. 


Das  Lehrbuch,  das  hier   in   seiner  achten  Auflage  vor] 
hat  sich  in  seinem  Gebrauch  »für  Schule  und  Haus«  auf  eine  solche 
Weise  bewährt,    dasd   wir   in    der   That  nicht  nöthig  haben,  ein 
empfehlendes  Wort  zur  weiteren  Verbreitung  dieses  trefflichen  Schul- 
buches  einzulegen,   sondern   nur  wünschen  können,   dass  an  den 
Orten,  wo  dasselbe  noch  keine  Au&ahme  gefunden  hat,  auch  ihm, 
im  wahren  Interesse  des  Unterrichts   und   der  Bildung,    der  Ein- 
tritt  geöffnet  werde,     und   dazu  kann   die  neue  Auflage  um  so 
mehr  dienen,  als  der  Verfasser  das  ganze  einer  nochmaligen  stren- 
gen Durchsicht  unterworfen,  und  da,  wo  es  nötbig  schien,  die  oacb- 
bessemde  Hand  angelegt  hat.     Er  war  dabei,  wie  er  ausdrücklich 
versichert,  von  der  Absicht  geleitet,  »einerseits  die  Geschichte  der 
einzelnen  Staaten  stets   soweit   zu  verfolgen,   dass  jeder  einzelne 
Abschnitt  ein  möglichst  geschlossenes  Gaoze  darstelle ;  andererseits 
aber  auch  den' engen  Zusammenhang  und  die  thatsächliche  Wech- 
selwirkung in  der   Entwickclung   der  historischen   Kulturvölker  in 
einer  für  diese  ünterrichtsstufe   angemessenen   Weise  anzudeuten.« 
und  diese  Absicht  ist  in  der  That  erreicht:  Nichts  ist  ausser  Acht 
gelassen,  was  zu  diesem  Ziele  führen  kann,  unter  anderm  ein  eige- 
ner Abschnitt   (§.    6)    über    die  historischen   Kulturvölker  einge- 
schoben.    Auf  neue  Forschungen,  deren  Ergebnisse   sicher  gestellt 
sind,  ist  stete  Bücksicht  genommen,   so   weit  es  mit  dem  Zwecke 
und  der  Bestimmung  des  Lehrbuches   sich  vertrug;   wir   erinnern 
nur  an  die  orientalische  Geschichte,  welche  hiemach  neu  bearbeitet 
ward.     Und  wenn  auf  diese  Weise  der  Gehalt  des  Ganzen  wesent- 
lich gefördert  worden  ist,  so  wird  flic  kltuc,  fassliche,  fttreinLehr- 
und  Schulbuch  so  geeignete  Darstellung  nicht   minder  dem  Werke 
zur  Empfehlung  gereichen*,   auch  von  dieser  Seite  aus  können  ^ 
nur  demselben  weitere  Verbreitung  wünschen. 


Ji.  46.  HEIDELBEBGEK  im- 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Verhandlungen  des  natnrhistoriscli-medizinißclien 
Vereins  zn  Heidelberg. 


1.  Vortrag  des  Herrn  Hofratb  H.  Helmholtz:  >üeber 
*  den  Ursprung  der  Eenntniss  des  Sehfeldes«, 

am  5.  Mai  1865. 

2.  Mittheilung   des  Herrn  Prof,   0,   Weber:     »Ueber 

einen  Fall  von  Gefahr  des  Ohloroformtodes«, 
am  5.  Mai  1865. 

(Das  Mannscrlpt  ^^urde  eingereicht  am  17«  Mai  1865.) 

Prof.  O.  Weber  berichtet  über   einen  Fall  von  sehr  bedenk* 
lieber    Asphyxie   durch   Chloroformnarkose,   in  welchem    sich    die 
Marsball -HalV sehe   Methode   der    künstlichen  Bespiration   ausser- 
ordentlich nützlich  und   einfach  erwies.     Ein  sonst   kräftiger  imd 
gesunder  Bauer  hatte  sich  beim  Herabspringen  von  einem  Leiter- 
wagen dadurch  eine  Verrenkung  beider  Oberarme  nach  vorn  zu- 
gezogeoi  dass  er  mit  dem  Haken  seines  Stiefels  hängen  blieb,  auf 
die  vorgestreckten  Arme  stürzte  und  sich  dabei  überschlug.    Beide 
Schalterköpfe  standen  unter  den  Schüsselbeinen  und  trotz  eilfmal  wie- 
derholter auswärts  vorgenommener  Versuche  die  Verrenkung  zu  heben, 
war  ihre  Stellung  u  averändert   geblieben.     Als  der  Kranke  in  die 
Klinik  aufgenommen  w  urde,  waren  bereits  8  Wochen  seit  dem  Vor- 
falle verflossen  und  die  Arme  fast   gar  nicht  beweglich,   daher  so 
gat  wie  unbrauchbar.  Bei  dem  ersten  Einrenkungsversuche  lag  der 
Kranke  auf  einer  Matraze   an   der  Erde,   der    Stamm    war    durch 
Leintücher    fixirt    und   der   Arm   sollte  elevirt   werden.     In   dem 
Augenblicke  wo  die  Elevation  begann  wurde   der   bis  dahin  noch 
nicht  völlig  betäubte  Mann,   der   gar   nicht   an   geistige   Getränke 
gewöhnt    war,   und   eine   ganz  ruhig    verlaufende  Narkose   hatte, 
nachdem  er  ungeföhr  eine  Drachme  Chloroform  bekommen,  blauroth 
im  Gesichte,   athmete   nicht   mehr  und  drohte  zu  ersticken.     Der 
Puls    war    sehr   schwach,    doch    noch   flihlbar.      Durch   zahlreiche 
Versuche   an  Thieren  belehrt,  die  der  Vortragende  in  seinen  »chirur- 
gischen Erfahrungen«  mitgetheilt  hat,  schien  es  ihm  am  nothwen- 
digsten,   vor  allem  die  Respiration  wieder  in  regelrechten  Gang  zu 
bringen.      Es  war  keine  Zeit  zu  verlieren,    denn   der  Kranke  war 
cranz  kalt  und  blau  und  von  einer  spontanen  Inspiration  war  nicht 
die  Bede  wiewohl  der  Mund  weit  offen  stand  und  die  Zunge  auch 
j^Vin*  Jahig.  10.  Heft.  46 


n%         Yttimdlniigeii  des  iiatiirhistoriflcli-inedisiniBelieB  Verdiifl. 

nicht  auf  den  Laryni  drückte.  Hätte  man  andere  Versaehe  be- 
nutzen wollen,  so  wäre  das  Leben  sicher  erloschen  gewesen.  Es 
wurde  daher  mit  vollkommener  Buhe  und  sorgfältiger  Nachahmung 
des  Typus  der  normalen  Bespiration  ohne  Zögern  zur  AnsteUung 
einer  künstlichen  Athemung  nach  dem  M.-Hall'schen  Verfahren  als 
dem  einfachsten  geschritten.  Der  Kranke  wird  zu  dem  Ende  ab- 
wechselnd auf  den  Bauch  und  den  Bücken  gew&lzt ,  was  dnroh  3 
G^hülfen  auf  jeder  Seite  sehr  bequem  und  sicher  geschieht.  Dabei 
wird  der  eine  Arm  so  gelagert,  dass,  sobald  der  Körper  auf  dsn 
Bauch  zu  liegen  kommt,  der  querüberliegende  Arm  den  Brustkasten 
mit  zusanMnendrückt«  Sowie  dies  geschieht  hört  man  ein  lautes 
EzspiratioDSgerftusch«  Wird  der  Kranke  dann  auf  den  Bücken  ge* 
walzt,  so  erweitert  sich  die  Thorax  yermöge  seiner  natürlichen 
Elasticität  und  die  Luft  stürzt  nach,  man  hört  sie  deutlich  ein- 
ptreichea.  Dies  Verfahren  wurde  fast  10  Minuten  lang  nnaosg^ 
setzt  angewendet,  da  erst  erfolgte  die  erste  spontane  Inspiration  und  nun 
war  das  Leben  des  Patienten  gesichert.  Der  Puls  erholte  sich,  die 
Wangen  wurden  gefärbt  und  der  Kranke  erwachte,  ohne  eine  Ahn- 
ung zu  haben,  dass  sein  Leben  in  der  ernstesten  Gefahr  geschwebt 
hatte.  Für  diesmal  wurde  von  weitem  Bepositionsyersuchen  abge- 
sehen. Als  dieselben  am  folgenden  Tage  wieder  angestellt  worden, 
Yerlief  die  Narkose  ganz  normal,  und  es  gelang  vollständig  die 
beiden  Arme  einzurenken,  wobei  der  Kapselriss  zunächst  durch 
Botation  nach  aussen,  klaffend  gemacht  und  erweitert  wurde,  und 
sodann  der  Arm  durch  Botation  nach  einwärts  eingerenkt  ward. 
Der  im  rechten  Winkel  gehaltene  Vorderarm  wurde  dabei  als  pas- 
sender Hebel  benutzt. 

Es  kann  nach  dieser  Erfahrung  das  Hall'sche  Verfahren  seiner 
grossen  Einfachheit  wegen  bei  der  Ohloroformasphyxie  sehr  empfoh- 
len werden*  Nur  kommt  es  darauf  an,  das  man  die  künstliehe 
Bespiration  sofort  beginnt  und  nicht  mit  andern  Versuchen  die 
Zeit  verliert.  Nichts  ist  unter  solchen  Umständen  schlimmer  und 
gefährlicher  als  ein  kopfloses  ümhertappen  nach  allen  mögUcheo 
kleineren  aber  nicht  ausreichenden  Hülfsmitteln  —  worüber  der 
kostbare  Moment  verstreicht,  in  welchem  das  einzig  sichere,  die 
künstliche  Bespiration  noch  zu  helfen  vermag.  Es  mag  hinzugefügt 
werden,  dass  Herr  Dr.  Knapp  mündlichen  Mittheilungen  zufolge 
einige  Tage  nach  der  Sitzung  das  Verfahren  in  einem  ähnlichen 
Falle  gleichfalls  mit  Erfolg  anwandte,  und  dass  einige  Zeit  dar- 
nach in  der  Klinik  auch  ein  dritter  eben&lls  durch  die  Hall*8che 
Methode  glücklich  gerettet  wurde.  Das  Verfahren  hat  sich  in  Eng- 
land auch  bei  andern  Formen  der  Asphyxie  namentlich  durch 
Kohlenoxjdgas  und  bei  Ertrunkenen  bewährt. 


Verhandlungen  des  n&tnrhlBtorisohMnedijEiniselien  Verefna.  7l3 

8.    Vortrag  des  Herrn    Prof.  v.  Dusch:     >Üeber  das 
Emphysem  nach  Tracheotomie«,  am  19.  Mai  1865. 

(Das  Manuscript  wurde  eingereicht  am  28.  8ept.  1865 ) 

Der  Vortragende  macht  auf  das  zuweilen  vor  Eröffnung  der 
Luftröhre  bei  Vornahme  der  Tracheotomie  plötzlich  eintretende 
Emphysem  der  Haut  am  Halse  und  Gesicht  aufmerksam,  und  er- 
wähnt, dass  ihm  selbst  ein  solcher  exquisiter  Fall  vorgekommen 
ist.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  sucht  derselbe  in  der  Opera- 
tionsstelle (subthyrioideale  Operation)  wobei  das  hintere  Blatt  der 
oberflächlichen  Halsfescie  leicht  verletzt  wird,  sowie  in  dem  eigen- 
thümlichen  Athmungsmechanismus  bei  Verengerungen  im  Kehlkopfe, 
wodurch  Luft  in  den  vordem  Mediastinalraum  eingepumpt  werden 
kann.  Die  sofortige  Erö&ung  der  Luftröhre  ist  das  beste  Mittel 
diesem  Vorgange  eine  Gränze  zu  setzen,  sowie  denn  überhaupt  die 
subthyrioideale  Operation  als  die  gefthrlichere  Methode  möglichst  zu 
vermeiden  sei« 


4.  Vortrag  des  Herrn  Professor  Erlenmeyer:  ȟeber 

Distyrol,  ein  neues  Polymere  des  Styrols«, 

am  2.  Juni  1865. 

Als  ich  Zimmtsäure  mit  wässeriger  Bromwasserstoffsäure  von 
1,35  spec.  Gewicht  im  zugeschmolzenen  Bohre  mehrere  Stunden 
bei  150  bis  240^  erhitzt  hatte,  war  dieselbe  der  Hauptsache  nach 
in  Kohlensäureanhydrid  und  in  ein  dickes,  in  Wasser  untersinken- 
des Oel  von  der  Zusammensetzung  CnHn  zerfallen*).  Chlorwasser- 
stoffsäure  von  1,12  spec.  Gewicht,  und  Schwefelsäure,  aus  1  Theil 
Hydrat  und  2  Theilen  Wasser  bestehend,  lieferten  dasselbe  Besultat. 

Beim  vorsichtigen  Zusammenbringen  des  Oeles  mit  Brom  bil- 
dete sich  unter  Wärme-Entwickelung  ein  krystallinisches  Bromür 
von  der  Zusammensetzung  Cie  Hie  Brs,  woraus  man  wohl  schliessen 
darf,  dass  das  Oel  selbst  Distyrol,  CieHie,  gewesen  ist. 

Dieses  geht  bei  längerem  Erhitzen  f&r  sich  auf  200^  nicht  in 
Metastyrol  über.  Aber  gewöhnliches  Styrol,  das  durch  Destillation 
von  flüssigem  Storax  mit  Wasser  erhalten  war,  hatte  sich  nach 
mehrstündigem  Erhitzen  mit  Salzsäure  von  1,12  spec.  Gewicht  auf 
170^  zum  grossen  Theil  in  Distyrol  verwandelt,  während  Meta- 
styrol in  dem  erhaltenen  Product  nicht  nachzuweisen  war. 

Diess  berechtigt  wohl  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Zimmtsäure 
bei  den  angegebenen  Bedingungen  in  Kohlensäureanhydrid  und 
Styrol  zerfällt,  und  dass  dieses  dann  weiter  in  Distyrol  verwan- 
delt wird. 


*)  Ans  IC  Grm.  Zlmmtdfture  waren  10,86  Grm.  Gel  erhalten  wordeoi 
die  Reehnung  setit  11,26  Grm«  voraus. 


73i         Verbindlnniceii  des  natarhlBiorisoh-mediilnisoheii  Vereios. 

Die  Zimmtsftnre  wird,  wenn  man  sie  mit  Wasser  allein  er- 
hitrti  selbst  bei  230^  nicht  bemerkbar  zersetzt.  Erhitzt  man  die- 
selbe im  trockenen  Znstand  im  zugeschmolzenen  Rohr,  so  gibt  sie 
(langsam  bei  240 0,  rascher  bei  270^)  ebenfalls  Eohlensänreanhjdiid 
ans.  Ob  dabei  anch  Distyrol,  oder  obMetastyrol  (TristTTol?)  ge- 
bildet wird,  werde  ich  später  mittheilen. 


6.  Mittheilnng  des  Herrn  Prof.  H.  Alez.Fagen8tdcher 

»üeber  junge  Fische  in  den  Kiemen  von  ünio 

pictorum«,  am  2.  Juni  1865. 

Als  Uteste  Mittheilung  über  das  Vorkommen  von  Fischbnt 
in  Muscheln  haben  Anbert  und  nach  ihm  Maslowskj  eine  Bemeik- 
nngen  vonCaTolini  aus  seinem  berühmten  Werke:  sulla  generazione 
dei  pesci  e  dei  granchi  (Napoli  1787;  deutsch  von  Zimmermaim 
1792)  im  Vergleiche  mit  ihren  eigenen  Beobachtungen  angeführt 
Aus  dem  Texte  jenes  Werkes  (in  der  Uebersetzung  p«  41,  42  o.  78) 
scheint  mir  jedoch  nicht  sicher  hervorzugehen,  dass  die  Wahrneh- 
mungen Yon  Oavolini  wirklich  mit  denen  yon  Aubert,  Maslowsky 
und  den  weiter  zu  erwähnenden  verglichen  werden  können.  Gavo- 
lini,  welcher  die  Brut  von  Seefischen  einmal  in  Venus,  das  andere 
Mal  in  Spondylus  (gaederopus  ?)  fand,  spricht  in  jenem  Falle  von 
angetriebnen  Schalen  und  in  diesem  gibt  er  an,  dass  er  die  Muschel 
zwar  von  einer  Klippe  genommen,  dass  aber  das  Thier  darin  todt 
gewesen  sei.  Diese  Beobachtungen  sind  also  bis  auf  Weiteres  nicht 
sicher  als  solche  anzusehen,  in  denen  junge  Fische  in  den  Organen 
lebender  Muscheln  und  unter  Begünstigung  durch  deren  Funktion, 
parasitisch,  gefunden  wurden;  es  scheint  vielmehr  möglich,  dass 
die  Fische  ihre  Eier  nur  in  die  klaffenden  Schalen  abgestorbener 
Thiere  gelegt  hatten  und  davon  dass  die  Kiemen  die  Brutstätte  ge- 
bildet hätten,  ist  gar  keine  Bede. 

Die  erste  entsprechende  gedruckte  Mittheilung  würde  dann 
wohl  die  von  Küster  sein  (Artuntersuchung  der  Najaden,  Okena 
Isis  1843.  p.  584).  Derselbe  entdeckte  in  Unio  pictorum  im  Juli 
1889  junge  Fische,  fand  sie  dann  auch  in  Anodonta  coUensis  und 
auch  die  zugehörigen  Eier.  Letztere  seien  nicht  Hirsekomgross 
gewesen ;  Fische  kamen  bis  siebzehn  in  einer  Muschel  vor.  Er  hielt 
sie  für  Junge  von  Cyprinus  oder  Cobitis.  Oken  setzte  jedoch  als 
Redakteur  hinzu,  DöUinger  habe  schon  entdeckt,  dass  sie  Stichlinge 
seien.  Der  Fundort  in  der  Muschel  wurde  nicht  genau  beschrieben* 

Damach  fand  O.Vogt  (Ann.  des  sciences  nat. IILXn.  p.  201; 
1849)  gleichfalls  junge  Fische  in  Süsswasser-Muscheln,  die  er  nur 
moules  nennt,  die  aber  nach  den  aus  ihnen  erhaltenen  Helminthen 
wohl  Anodonten  gewesen  sein  müssen.  Die  Zahl  der  Fischchen  aas 
einer  Muschel  erreichte  vierzig,  einige  waron  bis  zehn  Millimeter 
lang ;  die  Grösse  der  Eier  wurde  fUr  den  langen  Durchmesser  mit 


Vtthandlttiigen  des  natnrhiBtorisch-mecIlslDiflolien  Yerahii.         7S5 

1,6  xnm.  angegeben.  Nach  der  Zeichnung  steckten  die  Fischchen 
senkrecht  in  den  Bogen  der  Kiemen  der  Muscheln.  Vogt  meinte, 
die  Eier,  die  er  fGLr  die  von  Cottas  gobio  hielt,  seien  mit  dem 
Wasser  eingesogen. 

Anbert  erwähnte  nnr  beiläufig  (Zeitschnftlrwissensch.  Zoolog. 
Vn.  p.  868)  einen  gleichen  Befand  ans  den  Kiemen  der  Flnss* 
mnscheln  nnd  vermochte  (Amnerk.)  die  Art  nicht  zn  bestimmen. 

Maslowskj  (Bullet,  de  la  Sociöt^  Impör.  des  Nat.  de  Moscon. 
87.  1865.  I.  p.  269)  fand  die  jungen  Fische  in  Anodonta  cellensis 
in  den  Kanälchen  der  innem  und  äussern  Kiemen  mit  dem  Kopfe 
nach  dem  freien  Bande,  also  wohl  in  derselben  Lage  wie  Yogt, 
vom  12.  Mai  an.  Alle  hatten  das  Ei  schon  yerlassen.  Ein  Fisch- 
chen wurde  drei  Wochen  im  Wasser  frei  lebend  erhalten  und  seine 
Entwicklung  aufmerksam  yerfolgt,  wobei  es  die  Länge  von  1,5  cm. 
erreichte.  Die  Bildung  eines  innem,  nicht  äussern  Dottersackes 
und  die  Gegenwart  einer  Schwimmblase  schloss  die  Annahme  Vogts, 
dass  die  Fischchen  Gottus  gobio  seien,  ftir  diese  Beobachtung  durch- 
aus aus.  Er  glaubt,  dass  die  Thiere  erst  im  August  die  Kiemen  yer« 
lassen  und  hält  sie  wegen  des  frühen  Ausschlüpfens  aus  dem  Ei, 
wegen  der  Schwimmblase  und  der  Uebereinstimmung  der  Zeit  des 
Fundes  mit  der  Laichzeit  der  Cjprinoiden,  für  letzterer  Fisch- 
gruppe angehörig.  Nach  privaten  Mittheilungen  sollen  noch  nicht 
yeröffentlichte  Untersuchungen  Maslowsky's  ergeben  haben,  dass  es 
sich  um  den  Bitterling  handle,  dessen  Legeröhre  Krauss  1858  be- 
schrieb. 

Ich  selbst  fand  nun  junge  Fischchen  in  den  Saemen  von  ünio 
pictorum  am  21.  Mai  d.J.,  nachdem  ich  durch  die  dunklen  Augen, 
welche  ich  auf  den  ersten  Schein  für  versteckt  liegende  Hjdraclmen 
hielt,  auf  die  Gegenwart  eines  fremden  Körpers  aufmerksam  ge- 
worden war.  In  untermischten  Anodonten  fehlten  diese  Bewohner, 
auch  habe  ich  sie  früher  weder  in  diesen  Muscheln  noch  in  Mar- 
garitina  margaritifera  unserer  Gegend  gesehn.  Eier  fanden  sich 
durhaus  nicht  vor  und  es  war  der  Entwicklungszustand  der  sämmt- 
lichen  gefundenen  Fische  nicht  sehr  verschieden.  Die  Lage  der 
Fische  in  den  Kiemen  war  in  durchgehender  Weise  abweichend 
von  der,  welche  von  den  angeführten  Autoren  angegeben  worden 
ist.  Die  Thierchen  befanden  sich  beständig  in  dem  oben  an  dem 
Anheftungsrande  in  den  Kiemen  befindlichen  in  der  Längsaxe  der 
Muschel  sich  erstreckenden  gemeinsamen  Binnenraum,  auf  welchem 
die  Böhrensjsteme  der  Kiemen  senkrecht  aufstehn.  In  diesem 
Baume  waren  die  Fischchen  stets  mit  dem  Kopfe  nach  dem  Vorder- 
rande der  Muschel  gewandt,  öfters  dicht  an  einander  und  über 
einander  gedrängt,  fast  wie  zusammen  gepackt,  als  wenn  sie  von 
hinten  her,  soweit  es  eben  anging,  nach  vom  zu  eingewandert 
wären.  Ich  fand  bis  sieben  Fische  in  einer  Muschel.  Sie  massen 
etwa  ein  Gentimeter  in  Länge.  Einzelne  wanderten  freiwillig  aus 
der  Muschel  aus  in  das  Aquarium,  andere  herausgenommen  sohle« 


7M         VerbfUEidhiBgen  des  natnrhlBtoriseli-iiiedijdiiiBeheii  VereinB. 

nen  vergeblich  den  Bückweg  in  die  klaffende  Muschel  zu  saohen. 
um  die  Fischchen  zu  weiterer  Entwicklung  zu  bringen,  wurde  ein 
Theil  der  Muscheln  in  die  Becken  zu  künstlicher  Fischzucht  auf 
dem  Wolfsbrunnen  gebracht,  es  fand  sich  jedoch  später  in  keiner 
dieser  Muscheln  oder  in  den  Gef&ssen  ein  junger  Fisch  vor.  Abge- 
sehen von  der  Lage  in  der  Muschel  haben  wir  an  unsem  Fiach- 
chen  gegen  Maslowsky's  Angaben  nichts  Besonderes  hervorzuheben, 
ich  zweifle  nicht,  dass  auch  wir  Oyprinoiden  vor  uns  hatten.  Im 
Qanzen  aber  scheinen  die  verschiedenen  Beobachtungen  darauf  zu 
deuten,  dass  die  Jungen  verschiedener  Arten  von  Süsswasserfigchen 
auf  diese  Weise  in  Muscheln  schmarotzen.  Bekanntlich  schmarotzoi 
umgekehrt  junge  Anodonten  an  Kiemen  und  Haut  von  Oyprinoiden, 
wie  wir  das  hier  öfters  zu  beobachten  Gelegenheit  hatten.  In  der 
gestreckten  Gestalt  glichen  unsere  Fischchen  mehr  den  Elritzen. 


6.  Vortrag  des  Herrn  Prof.  Friedreich:   ȟeber  einen 

Kranken,  welcher  brennbare  Gase  ausathmet«, 
am  16.  Juni  1865. 

7.  Vortrag  des  Herrn  Prof.  Carius:    »Ueber   Butter- 

säuregährung  im  Magen  eines  Erankenc, 
am  16.  Juni  1865. 

(Das  Manuscrlpt  wurde  elDgerefcht  am  19.  Sept  1865.) 

Die  Untersuchung,  welche  ich  auf  den  Wunsch  des  Herrn  Prof. 
Friedreich  über  den  von  ihm  mitgetheilten  Krankheitsfall  ausführte, 
habe  ich  mit  der  Analyse  der  von  dem  Kranken  durch  den  Mund 
ausgestossenen  brennbaren  Gase  begonnen.  Sie  wurden  3  bis  4 
Stunden  nach  dem  Mittagessen  aufgefangen,  zu  welcher  Zeit  die 
Gasentwicklung  nach  Aussage  des  Kranken  am  reichlichsten  war, 
in  der  Weise,  dass  der  Kranke  ein  Glasrohr  in  den  Mund 
nahm,  welches  durch  ein  Kautschuckrohr  mit  einem  unter  Wasser 
mündenden  Gasleitungsrohr  verbunden  war.  Dieses  ganze  Gas- 
leitungsrohr war  vorher  mit  Wasser  gefüllt,  und  durch  einen 
Quetschhahn  gesperrt.  Wenn  der  Kranke  das  Ankommen  des 
Gases  bemerkte,  wurde  demselben  die  Nase  zugehalten,  und  der 
Quetschhahn  geöffnet,  worauf  das  Gas  ruhig  ausströmte.  Die  Menge 
des  so  erhaltenen  Gases  war  sehr  bedeutend ;  der  Kranke  stiess  auf 
einmal  gegen  200  und  wenige  Minuten  später  sogar  800  Cbc. 
Gas  aus. 

Die  Analyse  wurde  nach  der  Methode  vonBunsen  ausgeführt, 
wobei  zur  sicherem  Prüfung  auf  Sumpfgas  bei  der  zweiten  mit 
einer  neu  aufgefangenen  Gasprobe  angestellten  Analyse  auch  die 
Menge  des  durch  Explosion  mit  überschüssigem  Sauerstoff  gebil- 
deten  Wasserdampfes  beobachtet  wurde. 

Die  Rechnung  ergab  aus  den  ^haltenen  Beobachtungen: 


Verliandlimgen  des  utnrUatorlaeh-medldiiif  eben  Verdiu.         IST 
1.  2. 


Eohlens&are    26.56 
Waaserstoff     32.30 
Sumpfgas          0.84 
Sauerstoff         7.36 
Stickstoff        33.44 

—  28.45  Vol. 

—  81.55     „ 

—  0.24    „ 

—  6.82     „ 

—  82.94    „ 

100.00 

100.00  Vol. 

Schwefelwasserstoff  und  Phosphorwasserstoff  konnten  nicht  auf- 
gefunden werden. 

Stickstoff  und  Sauerstoff  sind  in  dem  Gasgemenge  nahezu  in 
dem  Yerhältniss  wie  in  der  atmosphärischen  Luft  vorhanden ,  so 
dass  man  sicher  annehmen  darf,  dass  dieselben  nur  aus  der  von 
dem  Kranken  miteingeschluckten  oder  bei  ihm  noch  in  der  Mund- 
höhle befindlich  gewesenen  Luft  stammen»  besonders  da  der  kleine 
Verlust  an  Sauerstoff  sich  aus  der  leichtern  Absorbirbarkeit  des- 
selben im  Wasser  erklärt.  Die  Gegenwart  des  Sumpfgases  erklärt 
sich  leicht  aus  der  Entstehung  des  Cktsgemenges ;  von  Bedeutung 
ist  sein  Vorkommen  in  so  kleinen  Mengen  nicht.  Die  wichtigen 
Bestandtheile  des  Gasgemenges  sind  daher  nur  Kohlensäure  und 
Wasserstoff.  Es  fiel  mir  sofort  auf,  dass  dieselben  zu  annähernd 
gleichen  Volumen  vorkommen,  und  wenn  man  sich  erinnert,  dass 
Kohlensäure  weit  stärker  vom  Wasser  absorbirt  wird,  als  Wasser- 
stoff, so  lässt  sich  die  verhältnissmässig  geringere  Menge  der  er- 
steren  daraus  erklären.  Bei  der  Bildung  von  Butter  säure  durch 
Gährung  entstehen  Kohlensäure  und  Wasserstoff  ebenfalls  zu  glei- 
chen Volumen,  wodurch  es  wahrscheinlich  schien,  dass  im  Magen 
des  Kranken  wirklich  eine  gewöhnliche  Buttersäuregährung  statt- 
finde. Um  Dieses  einer  weitem  Prüfung  zu  unterwerfen,  habe  ich 
den  flüssigen  Theil  des  frisch  Erbrochenen  des  Kranken,  welches 
stark  sauer  reagirte,  der  Destillation  unterworfen.  In  dem  stark 
sauren  Destillate  fanden  sich  sehr  reichliche  Mengen  von  Butter- 
säure; aus  dem  auf  einmal  Erbrochenen  wurden  nahe  5  Gramm 
reine  Buttersäure  gewonnen.  Neben  Buttersäure  enthielt  das  De- 
stillat noch  Spuren  der  höheren  Homologen  derselben,  Capronsäure 
u.  s.  w.,  aber  keine  Essigsäure.  Die  Identität  der  erhaltenen  Säure 
mit  Buttersäure  wurde  durch  die  Analyse  und  Eigenschaften  ihres 
Bariumsalzes  sicher  gestellt. 

Dem  Mitgetheilten  zufolge  ist  kein  Zweifel  vorhanden,  dass  im 
Magen  des  Kranken  wirklich  Buttersäure  durch  Gährung  gebildet 
wird.  Ganz  ähnlich  scheint  dies  in  einem  zweiten  von  Herrn  Prof. 
Friedreich  beobachteten  Falle  zu  sein,  wenigstens  fand  ich  in  dem 
Erbrochenen  dieser  Kranken,  die  ebenfalls  viel  Gas  ausstiess,  fast 
ebenso  bedeutende  Mengen  von  Buttersäure. 

Die  Buttersäure  entsteht  durch  Gährung  aus  Zucker,  Stärke  und 
ähnlichen  Stoffen,  indem  dabei  zunächst  wahrscheinlich  immer  Milch« 


728  Verhandlnngen  deB  naturMBtorlsch-medlziniscben  Yerdiu. 

säure  gebildet  wird,  und  diese  dann  bei  Gegenwart  in  Zersetzung  (Fäul- 
niss)  befindlicher  Proteinkörper  nach  folgender  Gleichung  zerföllt: 
(Cs  Hg  03)9  =  04  Hs  O2  +  (COOt  +  H4. 
Es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  auch  in  dem  Magen  des 
Kranken  die  Milchsäure  in  derselben  Weise  zersetzt  wird.  Eine 
Verschiedenheit  dieses  Processes  und  des  bekannten,  kann  möglicher- 
weise nur  darin  vorhanden  sein,  dass  bei  der  bekannten  Buttersänre- 
gährung,  wenigstens  in  den  gut  untersuchten  Beispielen  nicht  freie 
Milchsäure  sondern  milchsaures  Salz  der  Zersetzung  unter  Bildung 
von  Buttersäure  unterliegt,  während  hier  in  dem  Magen  des  Kran- 
ken ohne  Frage  freie  Milchsäure  zersetzt  wird. 


8.  Vortrag  des  Herrn  Hofrath  H.  Helmholtz:   »Ueber 
stereoskopisches  Sehen«,  am  30.  Juni  1865. 

(Das  Manuficrlpt  wurde  eingereicht  am  U.  Juli  1865  ) 

Der  Vortragende  zeigte  zunächst  ein  nach  seinen  Angaben  con- 
struirtes  Stereoskop  vor,  welches  etwa  doppelt  so  starke  Vergrös- 
serung  hervorbringt  als  die  gewöhnlichen  Stereoskope,  nur  Linsen, 
keine  Prismen  enthält,  und  mit  den  nöthigen  Einrichtungen  ver- 
sehen ist,  um  eine  genaue  Einstellung  der  Linsen  für  den  richtigen 
Grad  der  Convergenz  hervorzubringen.  Photographien  auf  Glas 
machen  darin  einen  viel  mehr  der  Wirklichkeit  entsprechenden 
Effect,  als  in  den  gew{)hnlichen  Stereoskopen. 

Der  Vortragende  berichtete  darauf  über  Versuche,  die  er  theils 
früher,  theils  neuerlich  über  die  binoculare  Raumprojection  ange- 
stellt hatte,  mit  Beziehung  auf  die  denselben  Gegenstand  betreffen^ 
den  Arbeiten  von  Herrn  E.  Hering. 

Es  kommen  bei  diesen  Raumprojectionen  gewisse  Täuschungen 
vor.  Erstens  hat  Hr.  Hering  gezeigt,  dass  eine  in  der  Median- 
ebene befindliche  Normale  zur  Visirebene  nicht  immer  normal  er- 
scheint. Dass  man  vielmehr,  wenn  die  Augen  gegen  das  Gesicht 
nach  unten  gewendet  sind,  einen  Faden  oder  Drath,  den  man  senk- 
recht zur  Visirebene  zu  stellen  sucht,  mit  dem  oberen  Ende  gegen 
den  Beobachter  neigt,  wenn  die  Augen  dagegen  nach  oben  gewen- 
det sind,  mit  dem  untern  Ende  nähert,  Herr  Hering  schliesst 
daraus,  der  Faden  müsse  im  Horopter  liegen,  um  senkrecht  zur 
Visirebene  zu  erscheinen.  Die  Regel  mag  für  Herrn  Hering's 
Augen,  welche  die  Abweichung  zwischen  den  scheinbar  verticalen 
und  wirklich  verticalen  Meridianen  nur  in  sehr  geringem  Grade 
zeigen,  und  für  die  Medianebene  thatsächlich  zutreffen.  Der  Vor- 
tragende, für  dessen  Augen  jene  gewöhnlich  vorhandene  Abwei- 
chung sehr  merklich  ist,  findet  für  seine  Augen  jene  Regel  nicht 
richtig.  Die  Linien,  welche  ihm  vertical  zur  Visirebene  erscheinen, 
liegen  niemals  im  Horopter,  sondern  erscheinen  immer  in  deutlich 
n^ch  unten  convergirenden  Doppelbildern,   wenn    man  einen  nahe 


Verhandlnngen  des  nattulüfitoriflch-inediEtiÜBcben  Verefn«.         730 

hinter  ihnen  liegenden  Punkt  fixirt.  Die  Linien  dagegen,  welche 
im  Horopter  liegen,  erscheinen  mit  ihrem  oberen  Ende  stets  vom 
Beobachter  entfernter. 

Der  Vortragende  hat  schon  bei  einer  früheren  Gelegenheit  dar- 
auf aufmerksam  gemacht,  dass  wir  die  Lage  der  Objecto  immer  so 
beurtheilen,  sowohl  in  Beziehung  auf  Bichtung  (wie  Herr  Hering 
richtig  bemerkt  hat)  als  auf  Baddrehung,  wie  wenn  jedes  Auge  der 
mittleren  Sehrichtung  parallel  gestellt  wäre.  Unter  mittlerer 
Sehrichtung  verstehe  ich  nach  Hering  eine  Linie,  die  den 
Fixationspunkt  mit  einem  mitten  zwischen  den  Mittelpunkten  bei- 
der Augen  gelegenen  Punkt  verbindet.  Die  Baddrehungen,  welche 
in  jedem  Auge  beim  üebergange  aus  der  zeitigen  mittleren  in  seine 
actuelle  Stellung  eintreten,  werden  nicht  bertlcksichtigt.  Daraus 
ergibt  sich  nun  auch  für  die  hier  besprochenen  Projectionen  fol- 
gende Begel,  welche  auch  durch  die  Versuche  sowohl  für  die 
Medianebene  des  Kopfes,  als  auch  fUr  seitlich  gelegene  Punkte  be- 
stätigt wird,  dass  senkrecht  zur  Visirebene  solche  ge- 
rade Linien  erscheinen,  die  sich  abbilden  auf  den- 
jenigen Meridianen  beider  Augen,  welche  bei  Stel- 
lung der  Augen  parallel  der  zeitigen  mittleren  Seh- 
richtung senkrecht  zur  Visirebene  sein  würden.  Diese 
Meridiane  sind  aber  bei  Augen,  welche  die  Abweichung  der  schein- 
bar verticalen  Meridiane  zeigen,  und  dem  Listing'  sehen  Gesetze 
der  Baddrehungen  folgen  niemals  identische  Meridiane. 

Auf  eine  zweite  Täuschung  hat  der  Vortragende  zuerst  in 
seinem  Aufsatz  über  den  Horopter  aufmerksam  gemacht.  Drei 
Nadelköpfe,  welche  in  einiger  Entfernung  von  einander  vor  dem  Be- 
obachter in  einer  von  rechts  nach  links  laufenden  geraden  Linie 
sich  befinden,  scheinen  bei  der  Betrachtung  mit  zwei  Augen  in 
einem  gegen  den  Beobachter  convexen  Bogen  zu  stehen.  Damit  sie 
in  gerader  Linie  erscheinen  sollen,  müssen  sie  in  einem  gegen  den 
Beobachter  etwas  concaven  Bogen  stehen,  Herr  Hering  hat  die 
entsprechende  Beobachtung  an  senkrecht  aufgehängten  Fäden  ge- 
macht, und  auch  hier  behauptet,  die  Fäden  erschienen  in  einer 
Ebene,  wenn  sie  im  Längshoropter  lägen,  also  bei  horizontal  ge- 
richteter Visirebene  durch  den  Müller  'sehen  Kreis  gingen.  Der  Vor- 
tragende hat  nun  Messungen  der  Krümmung  angestellt,  und  für 
seine  eigenen  Augen  und  für  Begel  Beobachter  die  allergrössesten 
Abweichungen  von  dieser  H  e  r  i  n  g '  sehen  gefunden.  Wenn  die  drei 
Fäden  in  einer  schwach  gekrümmten  Cylinderfläche  hängen,  so 
müsste  man  sie  nach  Hering  in  einer  Ebene  sehen,  wenn  die 
Augen  des  Beobachters  um  den  Durchmesser  des  Cylinders  von 
ihnen  entfernt  wären.  Statt  dessen  mussten  alle  drei  Beobachter 
in  oft  wiederholten  Versuchen  auf  ^js  bis  ^je  dieses  Durchmessers, 
der  Vortragende  auf  '/lo  desselben  sich  nähern,  um  die  Fäden 
scheinbar  in  einer  Ebene  zu  sehen,  wobei  die  Fäden  also  nicht 
im   Horopter  lagen,  und  zum  Theil  Doppelbilder  der  seitlichen 


7tO         Verhandinngen  des  naturhistoriseli-mediffailseheii  Vereins. 

F&den  dentlicb  erkannt  werden  konnten.  Bei  Herrn  Hering  ist 
also  die  optische  Täuschung  in  diesem  Versuch  sehr  viel  grOsier, 
als  bei  andern  Beobachtern,  was  damit  zusammenzuhängen  scheint, 
dass  nach  häufig  sich  wiederholenden  Aeusserungen  in  seinen  Schrif- 
ten das  Urtheil  über  Entfernung  nach  Convergenz  der  Gesichts- 
linien bei  ihm  besonders  unvollkommen  zu  sein  scheint,  üebrigens 
zeigen  sich  bei  diesem  Versuche  sehr  grosse  individuelle  Verschie- 
denheiten, die  wahrscheinlich  von  der  Uebung  der  Augen  nach  der 
Convergenz  die  Entfernung  zu  beurtheilen  abhängen. 

Dass  die  letztgenannte  Fähigkeit  keine  grosse  (renauigkeit  er- 
reicht, zeigen  die  Versuche  von  Wundt.  Aber  auch  bei  diesen 
Versuchen  zeigte  sie  sich  durchaus  nicht  als  gänzlich  mangelnd. 
Der  Vortragende  hat  Versuche  nach  einem  etwas  modificirten  Ver- 
fahren angestellt,  und  bei  sich  und  einem  andern  Beobachter  eine 
grössere  Sicherheit  in  der  Beurtheilung  gefunden,  als  Wundt  er- 
reicht hatte.  Aber  allerdings  zeigen  bekannte  Versuche,  dass  wenn 
bei  irgend  welchen  binocularen  Erscheinungen  andere  Urtheilsmotive 
für  eine  andere  Entfernung  sprechen,  oft  nach  denen  geurtheilt, 
und  die  Convergenz  nicht  berücksichtigt  wird. 

Man  hat  nun  bisher  bei  den  stereoskopischen  Bildern  nur  zn 
berücksichtigen  gepflegt,  dass  die  horizontalen  Abstände  der  ein- 
zelnen Objektpunkte  beiden  Augen  verschieden  erscheinen,  aber 
nicht  dass  auch  die  verticalen  Abstände  nach  rechts  gelegener 
senkrecht  über  einander  befindlicher  Funkte  dem  rechten  Ange 
grosser  als  dem  linken  erscheinen  müssen.  Auch  das  hat  Einflnss 
auf  die  stereoskopische  Projection.  Der  Vortragende  legte  zwei 
stereoskopische  Zeichnungen  vor,  die  eine  darstellend  die  Projectio- 
nen  einer  ziemlich  nah  vor  den  Augen  befindlichen  ebenen  schach- 
brettartig gemusterten  Fläche,  die  zweite  darstellend  die  Projectio- 
nen  eines  entfernten  schachbrettartig  gemusterten  senkrechten  Cjlin- 
ders.  In  beiden  waren  die  horizontalen  Abstände  der  verticalen 
Linien  genau  dieselben,  und  nur  die  oberen  und  unteren  Begren- 
zungslinien der  Felder  waren  verschieden  gezogen,  und  doch  gaben 
sie  ein  vollkommen  verschiedenes  Relief.  Das  eine  erschien  als 
Ebene,  das  andere  als  Cjlinder.  Dadurch  wird  nachgewiesen  (in 
Widerspruch  mit  den  Voraussetzungen  der  He  ring 'sehen  Theorie), 
dass  nicht  blos  die  Differenzen  der  horizontalen  Entfernungen,  son- 
dern auch  die  der  verticalen  die  stereoskopische  Wirkung  bestim- 
men. Die  Convergenz  der  Sehaxen  war  beim  Anblick  beider  Zeich- 
nungen mit  unbewaffneten  Augen  gleich  Null,  entsprach  also  nicht 
dem  Anblick  eines  nahen,  sondern  nur  dem  eines  fernen  Objekts. 
Dennoch  wurde,  da  die  beiden  Netzhautbilder  des  oberen  Schach- 
bretts in  dieser  Form  nur  durch  ein  ebenes  Object  geliefert  we^ 
den  konnten,  das  Object  als  eben  angeschaut. 

Aus  diesem  Versuche  geht  also  hervor,  dass  auch  die  Differen- 
zen in  den  verticalen  Distanzen  mitwirken,  um  den  Eindruck  eines 
nahen  Objects  hervorzubringen.    Bei  dem  Hering 'sehen  Versnobe 


Verlumdlnngen  des  natnrblBtoriBch-medlilnisolieB  VerelBs.  7B1 

mit  den  drei  Fäden  fehlen  nun  erkennbare  Differenzen  der  yerti- 
calen  Distanzen,  weil  an  den  Fäden  kein  Punkt  einen  deutlich  her* 
vortretenden  Eindruck  macht.  Es  fehlt  also  eines  der  Zeichen, 
an  denen  wir  ein  nahes  Object  erkennen,  und  wir  halten  deshalb 
das  Object  für  femer,  und  da  dann  die  Unterschiede  der  horizon- 
talen Distanzen  in  den  beiderseitigen  Netzhautbildern  fUr  Theile 
einer  Ebene  zu  gross  sind,  so  halten  wir  die  Fläche  fllr  convex 
gegen  uns. 

Werden  an  den  Fäden  Gpldperlen  in  kleinen  Zwischenräumen 
befestigt,  um  Merkpunkte  für  das  Auge  zu  geben,  so  schwindet  die 
beschriebene  Täuschung  über  ihre  Lage  fast  ganz;  wodurch  die 
gegebene  Erklärung  bestätigt  wird. 

Die  beschriebenen  Erscheinungen  sind  also  neue  Beispiele  für 
den  Satz,  dass  die  Abweichung  der  Augen  von  der  mittleren  Seh- 
richtimg^  sowohl  der  Richtung  als  der  Baddrehung  nach  theils  gar 
nicht,  theils  nur  unsicher  beurtheilt  und  berücksichtigt  wird,  wäh- 
rend sie  den  angeblichen  Thatsachen,  auf  welche  Herr  Hering 
seine  Theorie  der  stereoskopischen  Baumprojection  gegründet  hat, 
vollständig  widersprechen« 


9.  Mittheilungen  des  Herrn  Prof.  H.A.  Pagenstecher: 

ȟeber  das  Vorkommen  von  Trichina  spiralis 

beim  Igel«,  am  80.  Juni  1865. 

Der  Vortragende  hat  zwei  Fütterungsversuche  mit  trichinigem 
Kaninchenfleische  an  Erinaceus  europaeus  angestellt.  Der  erste 
Igel  erhielt  am  9.  Mai  1865  stark  trichiniges  Kaninchenfleisch  mit 
Kartoffeln  gemischt  vorgesetzt  und  frass  dasselbe  in  der  folgenden 
Nacht.  Er  bekam  am  11.  Mai  eine  zweite  tüchtige  Portion.  Nach 
sechs  bis  acht  Tagen  wurde  er  träge,  die  Glieder  steif  und  kühl, 
das  Auge  sehr  matt,  er  frass  jedoch  noch  am  20.  Mai.  Am  21. 
fand  man  das  Thier  todt  und  es  ergab  die  am  22.  angestellte 
Section  eine  sehr  grosse  Menge  von  Trichinen  im  Magen,  auch 
ziemlich  viele  im  Darme.  Die  Würmer  waren  geschlechtsreif,  die 
Weibchen  mit  Eiern  gefüllt.  Embryonen  wurden  noch  nicht  vor- 
gefunden. 

In  einem  zweiten  Versuche  gelang  es  zu  vollkommeneren  Ergeb- 
nissen zu  gelangen.  Der  Igel,  welcher  am  6.  Juni  zuerst  und  dann 
wiederholt  mit  trichinigem  Kaninchenfleische  gefüttert  worden  war, 
lebte  diesmal  nach  Beginn  des  Versuches  vierzehn  Tage.  Am  20. 
Juni  gestorben  kam  er  leider  erst  am  22.  zur  Sektion.  Bei  der 
sehr  grossen  Hitze  war  der  Darm  so  faul  geworden,  dass  man  die 
Untersuchung  desselben  unterliess.  Im  Muskelfleische  fand  sich  eine 
ziemliche  Anzahl  von  jungen  Trichinen,  deren  Grösse  von  0,11  bis 
0,14  mm.  gemessen  wurde.  Da  wir  bisher  noch  keinen  Fall  ken- 
ncBi  in  welchem  die  jungen  Trichinen  wohl  zur  Einwanderung  in 


T8d  YerLaiidluDgeii  des  naturhistoriscb-mediiinlsdien  Verdns. 

die  Muskeln  aber  doch  nicbt  zu  Toller  Yollendung  des  in  diesen  za 
durchlaufenden  Lebensstadiums  gelangen,  so  ist  durch  diese  Versuche 
wohl  der  Beweis  gegeben,  dass  der  Igel  vollkommen  fftr  die  Tri- 
chineninfektion geeignet  sei.  Durch  den  Gknuss  seines  Fleisches 
kann  demnach  auch  wieder  eine  Infektion  mit  Triebinen  herbeige- 
führt werden. 


10.    Vorstellung   zweier   Kranke    durch   Herrn   Prof. 
O.Weber  »Heilung  einer  perforirenden  Tibiafraktur 
und  einer  Verkrümmung  der  Hand  durch  Brand- 
wunden«, am  14.  Juli  1865. 

(Das  ManuBcrlpt  wurde  eingereicht  am  17.  August  1865.) 

Prof.  0.  Weber  stellt  einen  Kranken  vor,  welchem  er  wegen 
einer  consecutiven  complicirten  Luxation  des  Unterschenkels  mit 
Splitterbruch  der  Tibia  und  Fibula  das  untere  Ende  der  Tibia  mit 
dem  einen  Knöchel  in  der  Höhe  von  ^j^  Zoll  subperiostal  resecirt 
hatte.  Der  46jahrige  Mann,  ein  starker  Trinker,  hatte  seiner  An- 
gabe nach,  Mitte  März  durch  einen  Fall  auf  ebener  Erde  im  Felde 
das  Bein  gebrochen  und  war  auf  allen  Vieren  nach  seiner  eine 
viertel  Stunde  entfernten  Wohnung  hingekrochen,  wo  ihm  der  hin- 
zugerufene Arzt  einen  Schienenverband  anlegte.  Indess  wurde  der- 
selbe nicht  gut  ertragen.  Es  stellten  sich  furchtbare  Muskelzuck- 
ungen ein,  durch  welche  der  Fuss  sich  fortwährend  dislocirte;  die 
Haut  über  dem  einen  Knöchel  wurde  brandig  und  schliesslich  per- 
forirte  die  Tibia  hier  die  Haut,  und  drang,  indem  der  Fuss  durch 
den  Muskelzug  immer  weiter  nach  aussen  und  in  die  Höhe  gezogen 
wurde,  an  der  Innenseite  desselben  zollweit  hervor.  In  diesem  Zu- 
stande wurde  der  Kranke  am  18.  April  in  das  akademische  Kran- 
kenhaus aufgenommen,  weil  man  die  Amputation  ftir  unvermeid- 
lich hielt.  Dort  wurden  wiederholte  Bopositionsversuche  gemacht, 
auch  ein  Gypsverband  angelegt,  der  aber  schon  am  folgenden  Tage 
wieder  abgenommen  werden  musste,  und  endlich  der  Fuss  in  der 
dislocirten  Stellung  in  das  warme  Wasserbad  gelegt.  In  diesem 
Zustande  fand  der  Vortragende  den  Kranken,  entschlossen  sich  das 
Bein  abnehmen  zu  lassen,  bei  Uebernahme  der  Klinik  am  20.  April 
vor.  Die  Tibia  ragte  mit  dem  inneren  Knöchel  in  der  Länge  von 
1^1%  Zoll  zur  Seite  des  Fussgelenkes ,  ihres  Periosts  ganz  beraubt, 
hervor.  Der  innere  Knöchel  war  erhalten,  die  Bänder  von  ihm  mit 
dem  Perioste  abgerissen.  An  ihrer  Aussenseite  gegen  die  Fibula 
war  ein  schräges  Fragment  losgetrennt  und  mit  dem  Fusse  in  die 
Höhe  gezogen,  der  Fuss  selbst  durch  eine  mehrfache  Fractur  der 
Fibula  in  der  von  Dupuytren  zuerst  beschriebenen  Weise  dislocirt: 
er  lag  zur  Seite  der  Tibia,  sein  äusserer  Band  war  steil  nach  auf- 
wärt gewendet,  die  Fusssohle  sah  ganz  nach  aussen,  der  innere 
Band  nach  abwärts.    Die  Hauptfractur  der  Fibula  lag  dicht  über 


Terhandliuigen  des  naturliistoiisch-medlziiiischen  Vereins.  7dS 

dem  Knöchel:  eine  zweite  mehr  in  der  Mitte.    Die  Wadenmuskeln 
waren  stark  contrahirt. 

Es  wurde  ein  Versuch  gemacht,  den  Fuss  in  der  Chloroform- 
narkose und  bei  rechtwinckliger  Beugung  des  Unterschenkels  zu 
reponiren.  Indess  war  dies  völlig  yergeblich,  da  die  schon  länger 
bestehende  Muskelcontraktur  sich  in  keiner  Weise  überwinden 
liess.  Es  blieb  nichts  übrig,  als  den  Innern  Knöchel  mit  der  unteren 
Gelenkfläche  der  Tibia  zu  reseciren,  was  in  Rücksicht  auf  die  gün- 
stigen Resultate  welche  B.  y.  Langenbeok  neuerlichst  durch  die 
Besection  am  Fussgelenke  erreicht  hat,  um  so  eher  geschehen  durffce, 
als  das  Periost  YoUkommen  znrückgestreift  war  und  man  also  eine 
Begeneration  erwarten  durfte.  Die  Operation  wurde  am  23.  April 
vorgenommen  und  ein  ^ji  Zoll  hohes  Stück  mittelst  der  Stichsäge 
entfernt.  Die  Reposition  des  Fusses  gelang  jetzt  mit  Leichtigkeit. 
Der  Fuss  wurde  von  langen  Spreukissen  unterstützt  und  mit  einer 
SculteVschen  Binde  umgeben  in  einen  Heister'schen  Kasten  ge- 
lagert. (Nach  neuen  Erfahrungen  würde  der  Vortragende  einem 
gefensterten  Gypsverbande  den  Vorzug  geben.)  Die  Heilung  er- 
folgte ohne  Schwierigkeit,  wiewohl  noch  einige  dünne  Splitterchen 
die  Fibula  später  ausgezogen  werden  mussten.  Die  Beweglichkeit 
des  Fassgelenks  ist  durch  passive  und  aktive  Bewegungen  ziemlich 
gut  erhalten,  die  Form  sehr  befriedigend,  die  geringe  Verkürzung 
beim  Gange  nicht  bemerkbar.  Bei  der  Vorstellung  des  Patienten 
überzeugte  sich  die  Gesellschaft,  dass  der  innere  Knöchel  sich  voll- 
kommen regenerirt  hatte  imd  dass  der  E^ranke  bereits  recht  gut 
auch  ohne  Stock  zu  gehen  vermochte. 

Prof.  0.  Weber  stellte  femer  ein  17jähriges  Mädchen  vor,  bei 
welchem  eine  starke  Contraktur  der  Finger  in  Folge  einer  Ver- 
brennung durch  Excision  der  Narbe  und  permanente  Dehnung  der 
Granulationen  vollkommen  geheilt  hatte.  Die  Kranke  war  als  Kind 
mit  der  Hand  gegen  den  glühenden  Ofen  gefallen.  In  Folge  der 
Vemarbung  war  der  fünfte  Finger  bis  in  die  Vola,  der  vierte 
Finger  etwas  weniger,  Daumen,  Zeigefinger  und  Mittelfinger  bis  zu 
starker  Beugung  nach  einwärts  gezogen,  wie  der  vorgelegte  Gyps- 
abguss  zeigte.  Die  Nachbehandlung  nach  der  Excision  muss  mit 
grosser  Sorgfalt  geleitet  werden,  indem  die  Granulationen  täglich 
durch  starke  Dorselflexion  getrennt  werden  müssen.  Ausserdem 
muss  die  Hand  fortwährend  bis  die  Narbe  ganz  weich  und  nach- 
giebig ist  in  der  stärksten  Streckung  befestigt  bleiben.  Die  von 
vielen  noch  bezweifelte  Wirksamkeit  dieses  Verfahrens,  welches  man 
auch  bei  frischen  Verbrennungen  und  bei  traumatischen  Defecten 
der  Haut  mit  grossem  Vortheile  anwendet,  hatte  in  diesem  wie  in 
andern  von  Busch  und  0.  Weber  behandelten  Fällen  eine  sehr  gute 
Herstellung  der  Form  und  Brauchbarkeit  der  Hand  ergeben. 


784  Verbaadlungen  des  natürbistorisch-mediiiiiiBcliein  VctcIbb. 

11.  Vortrag  des  Herrn  Dr.  J.  H.Enapp:  ȟeber  die  bei 
der  epidemischen  Cerebr ospinalmeningitis  vor- 
kommende  Erkrankung  des  Angapfels«, 
am  14.  Juli  1365. 

(Das  Mannscript  ^vrde  eingereicht  am  17.  Juli  1866.) 

Bei  der  in  den  letzten  Jahren  in  der  Gegend  von  BastaU 
epidemisch  und  in  Heidelberg  sporadisch  auftretenden  Meningitis 
cerebrospinalis  wird  eine  so  eigenthümliche  und  in  ihrem  Verlaofe 
sich  so  gleichbleibende  innere  Augenentzündung  beobachtet,  dass 
mich  der  erste  mir  davon  zu  Oesicht  gekommene  Fall  lebhaft  an 
zwei  unter  denselben  Erscheinungen  erblindete  Augen  erinnerte, 
deren  Augenkrankheit  angeblich  im  Verlaufe  des  Typhus  aufgetre- 
ten war.  In  Ereitmair*s  vor  Kurzem  erschienenen  Bericht*] 
über  seine  Augenheilanstalt  zu  Nürnberg  finde  ich  darüber  eine 
kurze  Notiz.  Er  hält  die  Erkrankung  für  eine  Iridochoroiditis,  be- 
obachtete davon  einen  Fall  auf  der  Höhe  der  Hornhautentzündung 
und  mehr  als  ein  Dutzend  nach  Ablauf  derselben.  Ich  selbst  habe 
bis  jetzt  10  Fälle  der  Art,  sämmtlich  nach  Heilung  der  Meningitis, 
beobachtet.  Nach  statistischen  Erkundigungen,  die  ich  belBastatter 
Aerzten:  Hang,  Oster,  Bopp  einzog,  werden  etwa  4  bis  5^/o  der 
an  Meningitis  cerebrospinalis  Erkrankten  von  Augenentzündnng 
befallen. 

Symptome.  Die  fragliche  Augenerkrankung  tritt  gewöhn- 
lich während  der  2.  und  3.  Woche  der  Hirnhautentzündung  ein  nnd 
zwar  unter  dem  Bilde  einer  mehr  oder  weniger  heftigen  Iridocho- 
roiditis  exsudativa,  welche  in  den  allermeisten  Fällen  schon  binnen 
2  bis  4  Tagen  zu  völliger,  unheilbarer  Erblindung  führt.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle,  7  unter  den  10  von  mir  beobachteten,  waren 
die  Beizerscheinungen  gering:  leichter  Augen-  und  Stimschmers, 
der  oft  durch  das  Hirnleiden  völlig  verdeckt  wird,  massige  sab- 
conjunktivale  Injektion  um  die  Hornhaut  mit  dicken,  bläulichen, 
geschlängelten,,  episkleralen  GefUssstämmen ;  dabei  die  Iris  ver- 
erbt, der  Pupillarrand  mit  isolirten  kleinen,  meist  braunen  Syne- 
chien besetzt,  Pupille  ziemlich  eng,  leicht  getrübt;  durch  dieselbe 
sieht  man,  nach  Aussage  der  Bastatter  Aerzte,  schon  in  den  ersten 
Tagen  der  Augenerkrankung  das  Innere  des  Auges  weisslicfa 
grau.  In  andern,  weniger  zahlreichen  Fällen  sind  aber  auch  die 
Beizerscheinungen  heftig:  starke  Böthe  und  seröse  Anschwellung 
der  Bulbusbindehaut,  röthliche,  ödematöse  Lidschwellung,  gelbröth- 
liche  Verfärbung  der  Iris,  rauchig  trübe  Pupille,  Hypopyon,  welches 
den  grössten  Theil  der  vorderen  Kammern,  ja  einmaJ  diese  ganz 
füllte. 

Der  Verlauf  schwankt  zwischen  einer  und  mehreren  Wochen. 
Die  starken  Beizerscheinungen,  wenn  sie  vorhanden  sind,  schwinden 

Wb* 


BandT 


AersÜ.  InieUigeiucblaH  fUr  Bayern  1866.  Nr.  21.  u.  22. 


Verbandliingeii  des  naturHsioriseli-inedleiniBcben  Vereins.         7M 

immer  in  der  ersten  Woche.  Die  Iris  bleibt  verfärbt  und  wird  immer 
atrophisch,  die  kleinen  zarten  Synechien  verlötheten  nur  in 
einem  Falle  die  verengte  Papille  ganz,  so  dass  der  Einblick  in*s 
Innere  verhindert  war.  Die  Hornhaut  bleibt  klar  und  empfindlich, 
die  episkleralen  Gefässe  sind  oft  noch  nach  Monaten  stärker  ii^i- 
zirt,  länger  als  6  Wochen  aber  sind  selten  mehr  als  einzelne  Stämme 
derselben  hjperämisch,  die  vordere  Kammer  hat  normalen  Inhalt, 
ist  aber  immer  seicht  durch  Yorwärtsdrängung  der  Iris  und  Linse. 
Diese  Yorbauchung  der  Iris  ist  in  der  Regel  einfach  kugelförmig, 
manchmal  aber  auch  konisch,  so  dass  im  äussern  peripherischen 
DrittheU  die  Irisebene  in  normaler  Lage  ist,  die  übrigen  zwei 
Drittheile  aber  als  ein  schroff  ansteigender  Kegel  vorspringen.  Die 
Linse  fand  ich  nur  in  einem  Fall  in  den  ersten  Monaten  getrübt, 
in  den  andern  blieb  sie  hinreichend  klar,  um  eine  Einsicht  in*s 
Innere  des  Auges  zu  gestatteü.  Dieses  ist  nun  charakteristisch: 
der  Augengmnd  ist  mit  blosem  Auge,  ohne  Augenspiegel,  immer 
zu  sehen.  Er  erscheint  beträchtlich,  oft  bis  dicht  an  die  Linse, 
vorgerückt.  Seine  Färbung  ist  weissgrau  oder  weissgelb,  immer 
matt,  niemals  schillernd,  wie  beim  Fungus  retinae.  Die  Oberfläche 
ist  ziemlich  eben  und  zuweilen  von  einigen  rothen  Streifen  durch- 
zogen. Die  Mitte  des  Augengrundes  liegt  am  tiefsten  und  entzieht 
sich  zuweilen  dem  Blick.  Der  Bulbus  ist  immer  kleiner  und 
weicher.  Seine  Bewegungen  fand  ich  ungestört*},  unter  den 
10  Fällen  war  9  Mal  das  andere  Auge  vollkommen  gesund  ge- 
blieben, 1  Mal  waren  beide  Augen  unter  den  erwähnten  Er- 
scheinungen erblindet.  Einmal  war  die  einseitige  Erblindung  com- 
binirt  mit  doppelseitiger  Taubheit,  in  den  übrigen  9  Fällen  war 
das  Auge,  nach  geheilter  Krankheit,  das  einzige  nicht  vollkommen 
wieder  funktionsfähig  gewordene  Organ.  In  den  10  von  mir  be- 
obachteten Fällen  war  die  Erblindung  eine  vollständige, 
nur  in  einem  zeigte  sich,  bei  fast  gänzlichem  Pupillarverschluss,  noch 
quantitative  Lichtempfindung  ohne  Sehfeldbeschränkung.  Ich  machte 
Iridektomie,  die  schnell  heilte.  Die  Patientin  konnte  am  sechsten 
Tage  Finger  in  der  Nähe  zählen.  Die  Untersuchung  ergab  gelb- 
weisse  Trübungen  in  der  Gegend  des  hinteren  Linsenpols,  die  sonst 
immer  veränderten  Seitentheile  des  inneren  Auges,  soweit  ein  Ein- 
blick möglich  war,  nicht  abnorm.  Kreitmair  gibt  an,  dass 
das  Knäblein,  welches  er  auf  der  Höhe  der  Entzündung  beobachtet, 
mit  theilweiser  Synechie  und  leichtem  Strabismus,  jedoch  sehend 
(wieviel?)  davon  kam.  Zwei  andere  Kinder  hätten  sich,  trotz  fort- 
geschrittener Aderhautexsudation,  bedeutend  gebessert,  die  übrigen 
seien  unheilbar  erblindet.  —  Die  Augapfelaffektion   bei  der 


*)  Auch  den  inNlemeyer's  Brochfire  über  die  epldanlsche  Cerebrospinal- 
menlngiiis  als  Keratomalacie  (?)  angefahrten  Fall  sah  ich  in  Rastatt.  £r  bot 
die  gewöbnliehen  Erscheinungen:  vordere  Kammer  seicht,  Iris  atrophischi 
weissgraue  Massen  im  Glaskörper,  Auge  klein  und  weiobf  Hornhaut  klar« 


786         Verliandlüngexi  des  natttrhUtorlBch-anedizintschen  Vereint. 

epidemischen  Meningitis  cerebrospinalis  gehört  demnach  zn  den  ge- 
fährlichsten, welche  es  gibt. 

Was  ist  nun  die  anatomische  Grandlage  dieses  merkwürdigen 
Krankheitsbildes?  Ist  es  eine  Fortpflanzung  der  cerebrospinalen 
Veränderungen  durch  den  Stamm  des  Sehnerven,  also  eine  eitrige 
Retinitis?  Dieses  würde  das  Bild  der  cerespinalen  Meningitis  ein- 
heitlich ergänzen.  Ich  glaube  es  nicht,  denn  eitrige  Entzündungen 
sind  der  Netzhaut  fremd,  wiewohl  sie  nicht  geläugnet  werden  kön- 
nen. Das  Ganze  liefert  in  seinem  Symptomencomplex  ein  trenes 
Bild  einer  Choroiditis  hyperplastioa  mit  consecutiver  Betheilignng 
der  Iris.  Nur  ist  der  Verlauf  ein  rascher.  Das  Stadium  der  Drnck- 
steigerung  während  der  massenhaften  Zellenwucherung  wUide 
dann  rasch  vorüber  und  in  die  dem  Schwunde  zukommende  Dmck- 
verminderung  übergegangen  sein.  Das,  was  man  als  weissgrane 
Decke  des  vorwärts  gerückten  Augengrundes  sieht,  halte  ich  für 
die  Netzhaut.  Ob  die  massenhaften  Produkte,  welche  die  Netz- 
haut mit  mehr  minder  subretinalem  serösem  Erguss  abheben 
und  nach  vom  drängen,  mehr  faserstofßger ,  oder  eitriger,  oder 
sarkomatöser  Natur  sind,  müssen  Sectionen  lehren.  Zorn  Schlosse 
noch  meine  Diagnose :  Ich  halte  die  hier  skizzirte,  bei  Cerebrospi- 
nalmeningitis  vorkommende  Augapfelerkrankung  für  eine  aknte 
sarcomatöse  (sive  hyperplastische)  Choroiditis  mit 
consecutiver  Netzhautablösung  und  consekutiver 
Iritis. 


12.  Vortrag  des  Herrn  Prof.  Oppenheimer:     >Ueber 
die  Wirkungen  des  Morphium  c,  am  28.  Juli  1865. 

13.  Mittheilungen  des  Herrn  Prof.  Dr.  C.W.  0.  Fuchs: 

»üeber  die  Entstehung  einiger  Mineralien.« 
am  28.  Juli  1865. 

(Das  ManuBcrlpt  wurde  eingereicht  am  12.  Aug  1865.) 

Da  die  Mineralien  das  gesammte  Material  der  festen  Erdmasse 
bilden,  so  darf  man  nicht  allein  die  Gesteine  im  Grossen  und  Gan- 
zen betrachten,  wenn  man  die  geologischen  Hypothesen  auf  einer 
etwas  sicheren  und  wissenschaftlichen  Grundlage  erbauen  will,  son- 
dern muss  auch  auf  ihre  einzelnen  Bestandtheile ,  eben  die  Mine- 
ralien und  ihr  Verhalten  eingehen  und  wo  möglich  ihre  Entstehung 
zu  ergründen  suchen.  Die  Mineralogie  ist  keine  rein  beschreibende 
Wissenschaft,  sondern  enthält,  wie  die  Geologie  in  den  empirischen 
Theil  oder  die  Geognosie,  und  in  den  theoretischen  Theil  oder  die 
Geogenie  zerfällt,  gleichfalls  ein  theoretisches  Gebiet. 

(6ehlu8B  folgt.) 


Bi.  47.  HEID£LB£E6£It  1866. 

JAHEBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Verhandlnngen  des  natnrhistorisch-nLedizinisclieii 
Vereins  zu  Heidelberg. 

(Sehlnaa.) 

Wenn  dieses  durch  EinfUhmng  gründlicher  chemischer  Kennt- 
nisse fruchtbar  gemacht  und  die  Entstehung  der  einzelnen  Mine- 
ralien dadurch  nach  den  bekannten  chemischen  und  physikalischen 
Gesetzen  erklärt  wird,  dann  wird  die  Mineralogie,  die  jetzt  schon 
die  Grundlage  der  Geognosie  ist,  indem  sie  die  Mineralien  be- 
schreibt und  in  den  Gesteinen  wieder  erkennen  lehrt,  auch  zur 
Grundlage  der  Geogenie  werden. 

Es  gibt  vorzugsweise  zwei  Wege,  auf  denen  man  mit  einiger 
Sicherheit  zur  Bestimmung  der  Entstehungsweise  von  Mineralien 
gelangen  kann.  Der  eine  Weg  ist  die  Beobachtung  der  schaffen- 
den Natur,  der  Veränderungen  und  Neubildungen,  die  sich  gegen- 
wärtig ereignen.  Es  ist  dies  offenbar  der  sicherste  Weg,  weil  er 
unmittelbar  den  Vorgang  in  der  Natur  bei  der  Entstehung  des 
Minerals  zeigt.  Der  andere  Weg  ist  der  der  künstlichen  Mineralbildung. 
Dieser  Weg  ist  natürlich  weniger  sicher,  weil  derjenige  Prozess, 
welcher  bei  der  künstlichen  Darstellung  eines  Minerals  eingeleitet 
wurde,  nicht  immer  derselbe  ist,   welcher  in  der  Natur  stattfand. 

Aber  beide  Wege  führen  bei  den  meisten  Silikaten  nicht  zum 
Ziele.  Ihre  Bildung  in  der  Natur  erfolgt  so  langsam,  dass  wir 
dieselbe  nicht  unmittelbar  beobachten  können  und  auch  auf  chemi- 
schem Wege  lassen  sie  sich  nur  selten  und  unvollkommen  dar- 
stellen. Gerade  diese  Silikate  sind  es  aber,  die  das  Material  fast 
aller  krjstallinisch  massigen  .Gesteine  —  der  plutonischen  Gesteine, 
nach  den  altem  Geologen  —  bilden ;  sie  setzen  also  diejenigen  Ge- 
steine zusammen,  deren  Entstehungsweise  für  die  Geologie  von  der 
höchsten  Bedeutung  ist.  Darum  ist  gerade  ein  eingehendes  Studium 
der  Silikate,  ihrer  Eigenschaften  und  ihres  gesammten  Verhaltens 
nothwendig  um  wenigstens  einen  Beitrag  für  die  Kenntnisse  ihrer 
Entstehung  zu  erhalten. 

«^Zu  diesen  Mineralien  gehört  in  erster  Reihe  die  reine  Kiesel- 
säure, der  Bergkrystall.  Gerade  dieser  kann  aber  zum  Ausgangs- 
punkt für  Untersuchungen  der  Silikate  dienen. 

Die  natürlich  vorkommende  Kieselsäure,  sowohl  als  Bergkrystall, 
wie  als  Quarz,  als  Gemengtheil  der  wichtigsten  krystallinisch  massi- 
gen Gesteine,  hat  stets  das  specifische  Gewicht  2,651.     Wird  die- 
I,VIIL  Jahrg.  10.  Heft.  47 


788  Verbandlungen  des  naturhistoiisch-medliinlBchm  Vereins. 

selbe  bis  nahe  zu  ihrem  Schmelzpunkte  erhitzt,  so  ändert  dieselbe 
das  für  sie  so  charakteristisohe  spezifische  Gewicht,  wie  St.  Gl&ir 
Deville  1855  gezeigt  bat,  und  nimmt  das  spezifische  Gewicht  2,2 
an,  welches  für  die  amorphen  Quarzarten  charakteristisch  ist.  Durch 
Einwirkung  hoher  Temperatur  vergrSssert  also  der  Quarz  sein  Volum 
so  sehr,  dass  dadurch  sein  spezifisches  Gewicht  um  0,451  abnimmt, 
und  er  behält  dies  niedrigere  spezifische  Gewicht  dann  auch  später 
bei.  %chon  früher  (1831)  hatte  Brewster  die  Beobachtung  gemacht, 
dass  durch  eine  solche  Einwirkung  der  Quarz  auch  seine  charakte- 
ristischen optischen  Eigenschaften  verliert.  Dies  gab  H.  Rose  die 
Veranlassung  zu  der  Behauptung ,  dass  der  Quarz ,  in  Form  des 
Bergkrystalles  sowohl,  wie  als  Gemengtheil  des  Granites,  Porpbym 
u.  s.  w.  nicht  aus  feurigem  Flusse  erstarrt  sein  könne,  wie  es  m 
vielen  andern  Gründen  eine  grosse  Zahl  Geognosten  schon  ISngst 
mit  Recht  behauptet. 

Daran  schliessen  sich  nun  einige  Verbindungen  der  Kiesel- 
säure, einige  Silikate  an.  Der  Granat  ist  ein  solches  Silikat,  dem 
man  gewöhnlich  die  Formel  2R«,  2SiO«4-B20^SiO«  gibt.  Er  ist 
so,  wie  er  in  der  Natur  gefunden  wird,  unlöslich  in  Säuren,  be- 
sitzt eine  sehr  grosse  Härte  7 — 7,5  und  ein  spezifisches  Gewicht, 
das  zwischen  3,5  und  4,2  schwankt,  je  nachdem  die  Varietät  Kalk-, 
Eisen-,  Mangan-Granat  ist.  Eobell  zeigte  nun,  dass  der  Granat, 
wenn  er  geschmolzen  wird  und  wieder  erkaltet,  alle  diese  Eigen- 
schaften geändert  hat.  Er  ist  dann  in  Säuren  löslich,  besitzt  eine 
geringere  Härte  und  ein  geringeres  spezifisches  Gewicht.  Church 
hat  neuerdings  diese  Versuche  wiederholt  und  erhielt  dieselben 
Resultate. 

Er  fand  bei  braunem  Eisengranat  von  Arendal  das  spezifisch« 
Gewicht : 

I.       n.      in.      IV. 

Vor  dem  Erhitzen:     4,058     4,059     4,059     4,059 
Nach  dem  Erhitzen :    3,596     3,401  3,3095     3,204 
Ein  weiteres  Schmelzen  verringerte  das  spezifische  Gewicht  nicht 
mehr.     Ealkgranat  hatte  dagegen: 

Vor  dem  Erhitzen:  3,666 
Nach  dem  Erhitzen :  3,682. 
Der  Idokras,  welcher  mit  Granat  isomer  ist  und  sich  n^ 
durch  abweichende  physikalische  Eigenschaften  von  demselben  unter- 
scheidet, stimmt  mit  ihm  doch  darin  überein,  dass  er  durch  Ein- 
wirkung einer  hohen  Temperatur  weicher  wird  und  ein  geringeres 
spezifisches  Gewicht  annimmt. 

Der  Zirkon  verhält  sich  abweichend  davon,  indem  er  das 
spezifische  Gewicht,  welches  ihm  in  der  Natur  eigenthümlich  ist, 
durch  Erhitzen  vermehrt.  Damour  hat  zuerst  diese  Eigenschaft 
hervorgehoben.  Ein  Zirkonkrystall  von  Zeylon  hatte  das  spezifiscb^ 
Gewicht  4,183  nach  dem  Erhitzen  dagegen  von  4,534.  Gleich« 
zeitig  wurde  der  Zirkon  glänzender  und  durchsichtiger,  verlor  aber 


VerhaD^nngen  des  natiirbistoriscb-medifllniBcben-Yerelas.  789 

seine  Farbe.  Ohnrch  nntersuchte  einen  Zirkon  dessen  spez.  Oew. 
sogar  auf  4,696  stieg  nnd  der  später  sein  arsprüngliches  spez.  Gew« 
nicht  mehr  annahm.  Schon  Tor  Damour  hatte  Henneberg  Aehn- 
liches  beobachtet  und  auch  Svanberg  kam  zu  denselben  Resultaten. 
Kürzlich  hat  dann  noch  Mohr  die  Versuche  über  die  Yerände- 
nmg  des  spez.  Gew.  der  Silikate  an  andern  Silikaten  for^esetzt. 
Angitkrjstalle  aus  den  Laven  des  Laacher  See-Gebietes  hatten  ein 
spez.  Gew.  von  3,267  und  nach  dem  Glühen  von  3,272,  so  dass 
sich  dasselbe  nur  um  0,005  änderte,  eine  Differenz,  die  noch  innere 
halb  der  nicht  zu  vermeidenden  Beobachtungsfehler  liegt,  so  dass 
man  in  Wahrheit  sagen  kann,  dass  jener  Augit  seine  Eigenschaften 
nicht  änderte.  Ebenso  hatte  Hornblende  von  demselben  Fundorte 
ein  spez.  Gew*  von  3,131  und  bewahrte  dasselbe  auch  bei  höherer 
Temperatur,  denn  nach  dem  Glühen  wurde  dasselbe  zu  3,146  ge- 
funden. —  Merkwürdig  ist  es,  dass  dagegen  Hornblende,  die  nicht 
aus  Lava  stammte,  sondern  aus  dem  Trachyt  des  Siebengebirges, 
sich  jenen  Silikaten  anschloss,  die  durch  Einwirkung  einer  höheren 
Temparatur  ihre  Eigenschaften  verändern.  Dieselbe  hatte  nämlich 
ein  spez.  Gew.  von  3,194,  nach  dem  Glühen  aber  von  3,156.  Das 
spez.  Gew.  hatte  somit  um  0,038  abgenommen.  Ebenso  betrug  das 
spez.  Gew.  des  Sanidins  aus  dem  Siebengebirge  2,514,  nach  dem 
Glühen  aber  nur  noch  2,379,  also  um  0,135  weniger. 

In  Bezug  auf  die  Entstehung  der  Silikate  scheint  der  Schluss 
gerechtfertigt:  dass  alle  diejenigen  Silikate,  welche  durch  Glühen 
einmal  ihre  Eigenschaften  ändern  (also  der  Regel  nach  ein  gerin- 
geres spez.  Gew.  annehmen),  die  durch  weiteres  Glühen  ihre  physi- 
kalischen Eigenschaften  nicht  weiter  ändern  und  nach  dem  Glühen 
in  längerer  Zeit  ihre  ursprünglichen  Eigenschaften  nicht  wieder 
annehmen,  nie  einer  so  hohen  Temperatur  können  ausgesetzt  ge- 
w^esen  sein.  Es  ist  ein  ähnlicher  Schluss,  wie  derjenige,  welcher 
H.  Böse  veranlasste  dem  Quarz  eine  Entstehung  auf  wässrigem 
Wege  zuzuschreiben.  Der  Granat,  der  Idokras,  die  Hornblende  des 
Tracbytes,  der  Sanidin,  vermehren  ihr  Volumen  durch  Glühen,  er- 
halten dadurch  ein  geringeres  spez.  Gew.  und  eine  geringere  Härte, 
so  dass  dieselben  nur  bei  niederer  Temperatur  entstanden  sein 
können. 

Da  ich  gerade  im  Besitze  von  solchem  Materiale  war,  welches 
dazu  dienen  konnte  die  vorliegende  Frage  noch  mehr  zur  Entschei- 
dung zu  bringen,  so  stellte  ich  ähnliche  Versuche  damit  an,  wie 
Deville,  Church,  Eobell,  Mohr  u.  A.  Wenn  nämlich  die  oben  an- 
gegebenen Schlüsse  sich  bestätigen,  so  darf  ein  Mineral,  das  vul- 
kanische Einwirkung  erlitten  und  in  dem  Vulkane  einer  hohen 
Temperatur  ausgesetzt  war,  durch  Glühen  keine  solche  Veränderung 
seiner  Eigenschaften  zeigen ,  wie  die  vorhergehenden  Mineralien« 
Die  in  den  Laven  eingeschlossenen  Krystalle  waren  einer  solchen 
Einwirkung  preisgegeben  und  sie  können  daher  durch  weitere  Ein- 


740  yerhAndluiigeii  des  DAturlitstoriflcb-inedfEinischen  Vereins. 

wirbing  hoher  Temperatar  ihr  spez.  Gew.  and  ihre  Härte  nicbt 
mehr  ändern. 

Ich  nahm  Lenzitkrystalle,  welche  1845  vom  Vesnv  ausgewo^ 
fen  worden  waren  und  fand  ihr  spec.  Gewicht  zu  2,484,  nach  dem 
Glühen  zn  2,486.  Die  äusserst  kleine  Differenz  von  0,002  nrnn 
als  Beobachtnngsfehler  angesehen  werden. 

Darauf  nahm  ich  Leuzit,  der  in  der  Lava  der  Eocca  monfini 
eingeschlossen  vorkommt  und  bestimmte  sein  spez.  Gew.  zn  2,497 
Durch  Glühen  verminderte  sich  das  absolute  Gewicht  um  0,69 
Prozent  und  das  spez.  Gew.  erhöhte  sich  auf  2,510.  Die  kleine 
Zunahme  des  spez.  Gew.  um  0,018  erklärt  sich  daraus,  dass  dss 
Gestein  eine  vorhistorische  Lava  ist,  die  nicht  mehr  gaai 
frisch  sein  kann.  —  Dieselben  Resultate  erlangte  ich  mit  Augitkrystal- 
len,  die  vom  Aetna  ausgeworfen  wurden.  Diese  Krjstalle  hatta 
von  dem  Glühen  ein  spez.  Gew.  von  3,445,  nachher  von  3,453. 
Die  Differenz  von  0,008  liegt  ebenfalls  noch  in  den  Grenzen  der 
Beobachtungsfehler. 

Der  Wollastonit,  in  seiner  ehemaligen  Zusammensetzung  dem 
Augit  so  ähnlich,  verhält  sich  anders.  Wollastonit  aus  dem  k9^ 
nigen  Kalke  von  Auerbach  hatte  ein  spez.  Gew.  von  2,892,  das 
aber  nach  dem  Glühen  auf  2,798  sank. 

Da  bei  den  Silikaten  so  wenig  Gelegenheit  sich  bietet  fiber 
ihre  Entstehung  Aufklärung  zu  erhalten,  so  sind  auch  solche  ye^ 
suche  und  deren  Resultate  wohl  zu  beachten  und  für  die  Geogenie 
von  Werth. 

14.  Vortrag  des  Herrn  Professor  Friedreioh:    »Ueber 

progressive  Muskelatrophie  mit  Muskel- 
hypertrophie«, am  4.  Aug.  1865. 

15,  Mittheilungen  des  Herrn  Professor  H.  A.  Pagen- 
stecher: >üeber   Trichinen   und   Psorospermien  beim 

Maskenschweine«,  am  27.  October  1865. 

(Das  Maniueript  wurde  sofort  eingereicht) 

Ein  Zufall  hat  in  den  letzten  Wochen  Gelegenheit  geboten, 
Fütterungsversuche  mit  trichinigem  Fleische  an  einem  Masken* 
Schweine,  Sus  larvatus,  vorzunehmen.  In  der  Menagerie  des  Hem 
Kreutzberg  war  ein  erwachsenes,  verschnittenes  Männchen  dieser 
Species  angeblich  durch  einen  Schlag  mit  dem  Rüssel  des  Elepban* 
ten  im  Hintertheile  gelähmt  worden  und  wurde  deshalb  und  yrä 
es  am  ganzen  Körper  Geschwülste,  vermeintliche  Eiterbeulen,  be' 
sass,  dem  Zoologischen  Institute  überlassen.  Man  gab  diesem  Thieie 
am  26.  September  ein  halbes  trichiniges  Kaninchen,  dessen  Fleisch 
es  sehr  begierig  frass.  Am  24.  Oktober,  also  acht  und  zwaniig 
Tage  nach  Einleitung  des  Versuches  wurde  das  Thier  getödteti 
nachdem  es  in  der  ersten  Zeit  sich  recht  wohl   befunden  und  g^ 


VerhADdlnogen  des  naturhistorisch-mediziiiiichen  Vereiiis.  7il 

fressen  hatte,  dann  aber  seit  8—10  Tagen  abgemagert  war  und 
zuletzt  kaum  noch  eich  zubewegen  und  das  in  den  Mund  gebrachte 
Futter  zu  kauen  vermochte. 

Die  Untersuchung  erwies  zunächst,  dass  jene  Oesohwülste 
Atherome  waren,  welche  sich  an  den  verschiedensten  Stellen  in  der 
Haut  entwickelt  hatten,  von  Nadelknopf-  bis  zu  Faustgrösse  be- 
sassen  und  am  gewaltigsten  auf  den  Hinterschenkeln  auftraten.  Sie 
verunstalteten  das  faltige  sonderbare  Aussehn  der  Haut  desThiers 
noch  erheblich.  Häufig  sah  man  im  Innern  der  Atherome  die 
Wurzelenden  der  Borsten  nach  Zerstörung  der  Wurzel  selbst  frei 
und  lose  vorstehn,  auch  fand  man  im  Inhalte  abgebrochene  Borsten- 
stüokchen. 

Die  Trichinenftltterung  hatte  vollständigen  Erfolg  gehabt*  Es 
fanden  sich  in  dem  sehr  leeren  Darmkanal  im  Dünndarm  männ- 
liche und  weibliche  Darmtrichinen  vor.  Die  Muskeln  waren  in  der 
vordem  Körperhälffce  reichlich  in  der  hintern  weniger  infizirt«  Ein 
Theil  der  Muskeltrichinen  war  schon  spiralig  im  Muskelschlanche 
gerollt,  wenn  auch  noch  nicht  solide  abgekapselt.  Die  Injektion 
der  Capillargefässe  der  Muskeln  und  der  Zerfall  der  kranken  Bün- 
del waren  wie  sonst  nachzuweisen.  Das  Maskenschwein,  welches 
vielleicht  eine  besondere  von  dem  gewöhnlichen  Hausschweine  und 
dessen  nähern  Verwandten  zu  trennende  Gattung  bilden  sollte,  ist 
also  so  gut  wie  unser  Schwein  der  Trichinenerkrankung  unter- 
worfen. Um  so  weniger  ist  daran  zu  denken,  dass  etwa  das  unga- 
rische Schwein  von  solcher  eximirt  sei,  wie  man  das  aus  dem 
Mangel  an  Beobachtungen  von  dort  hat  schliessen  wollen. 

In  demselben  Schweine  wurden  nun  endlich  Fsorospermien- 
schlänche  entdeckt,  wie  sie  ja  auch,  ausser  von  vielen  andern 
Thieren,  vom  gemeinen  Schweine  reichlichst  bekannt  sind.  In  der 
ersten  untersuchten  Portion  vom  Hinterschinken  mehrfach  gefanden, 
wurden  sie  nachher  nur  wenig  wieder  gesehn.  Die  Psorospermien- 
schläuche  waren  in  diesem  Falle  erheblich  kleiner  als  wir  sie  bei 
der  Batte  und  bei  der  Maus  gemessen  haben,  kaum  über  1  mm. 
lang.  Die  hyaline  Umhüllung  war  durch  schräg  überlaufende  Linien 
sehr  deutlich  gerippt  und  erschien  am  Bande  ganz  gezähnt;  die 
Spitze  eines  theilweise  entleerten  Schlauches  erhielt  durch  die  nun 
noch  tiefer  einsinkenden  Fältchen  nahezu  ein  federbuschartiges  An- 
sehen. Die  in  den  Schläuchen  enthaltene  Masse  wurde  im  Allge- 
meinen durch  PseudonavizeUen  gebildet.  Die  Pseudonavizellen  waren 
selten  elliptisch,  meist  nierenartig  oder  selbst  halbmondförmig  und 
oft  dabei  in  sich  verdreht  oder  windschief  gebogen.  Meist  war  der 
eine  Pol  deutlich  spitzer.  Die  Contonren  der  Hülle  waren  meist 
nicht  von  ausgezeichneter  Schärfe,  vielmehr  weich,  blass,  oft  un- 
gleich und  höckrig.  Einzelne  dieser  Körper  waren  sehr  blass  und 
besonders  solche  waren  gerne  mehr  hoinartig  in  die  Länge  ge- 
streckt und  dabei  abwechselnd  gebläht  und  eingeschnürt,  fast  perl- 
schnurartig» Der  Inhalt  der  PseudonavizeUen  war  theils  klar  und 


742         Verhandlungen  des  natnrhistorlsch-medizlnisclten  VereisB. 

an  solchen  Stellen  zeigte  er  eine  oder  mehrere  Hohlblasen,  theils 
sah  man  kleine  kömige  Moleküle.  Die  Form  der  weichem  ym 
veränderlich,  jedoch  in  träger  und  wenig  ausgiebiger  Weise.  Die 
Durchschnittslänge  betrug  etwa  0,015  mm.  Zwischen  den  Pseudo- 
navizellen  fanden  sich  zahlreich  Spermatozoiden  ähnliche  KQrp6^ 
eben,  deren  Köpfe  nicht  den  zehnten  Theil  der  kleinem  festen 
Pseudonavizellen  massen,  deren  Schwanzfäden  aber  deutlich  be- 
merkt werden  konnten  und  die  sich  bei  Entleerung  der  Sohlänclie 
iu  wenig  Wasser  lebhaft  und  anhaltend  bewegten.  Die  KOpfe 
waren  nicht  einfach  rund,  sondern  etwas  länglich  und  in  der  Mitte 
eingeschnürt,  die  vordere  Ansdhwellung  stärker  lichtbrechend,  & 
Einknickungen  der  Schwänze  in  der  Bewegung  scharf.  Zuweilen 
fand  man  ein  Paar,  mehrmals  einen  ganzen  Haufen  solcher  Sper« 
matozoiden  ähnlicher  Körperchen  mit  den  Köpfen  noch  an  einander 
klebend.  Es  schien,  dass  sie  in  kleineren  runden  zwischen  den 
Pseudonavizellen  zerstreuten  Zellen  Ursprung  nahmen,  mit  Gewiss- 
heit war  das  aber  nicht  herauszustellen.  In  allen  beobachteten 
Erscheinungen  scheint  dem  Vortragenden  nichts  zu  liegen,  was  der 
Annahme,  dass  diese  Geschöpfe  den  Pflanzen  zuzuzählen  seien,  ent- 


(reschäftllche  Mittheilungen. 

In  den  Verein  wurden  während  des   Sommers    1865  neu  auf- 
genommen als  ordentliche  Mitglieder  die  Herren: 
Dr.  Otto  Pröls. 
Professor  Dr.  Weber. 
Dr.  Bernstein. 
Hofapotheker  Leimbach. 
Dr.  Heine. 
Der  Verein  verlor  dagegen  durch  Verzug  die  Herren : 
Baron  Alex,  von  üexkül. 
Dr.  Erb. 
Dr.  Weller. 
Dr.  Ladenburg. 
Professor  Dr.  Meidinger. 
Professor  Fuchs. 

Die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  des  Vereins  beträgt  nun- 
mehr 68. 

In  der  Sitzung  vom  27.  Oktober  1865  wurden  den  bisherigen 
Vorstandsmitgliedern  die  Aemter,  welche  sie  bis  dahin  bekleidet 
hatten,  wieder  übertragen.     Es  fungiren  also  als 

Erster  Vorsitzender:  Herr  Hoirath  H.  Helmholtz. 
Zweiter  Vorsitzender:  Herr  Professor  G.  Kirchhoff. 
Erster  Sohrütführer :  Herr  Professor  H.  Alex.  Pagenstecher. 
Zweitev  Schriftfabrer ;  Herr  Professor  F.  Bisenlohr.. 
Bechner;  Herr  Professor  Nuhn. 


Yerhandlvsgea  des  lUktiirliiBtoriMh-mediziiilaeheii  Vereins.  f48 

(Jorrespondeuzen  und  Zusendungen  bittet  man  nach  wie  vor 
an  den  ersten  Schriftführer  des  Vereins  Professor  Dr.  H.  A.  Fagen- 
stecher  in  Heidelberg  zu  richten.  Für  die  nachstehend  verzeich- 
neten dem  Verein  übersandten  Schriften  wird  hiermit  der  beste 
Dank  gesagt. 

Verzeiclinisß 

der  vom  1.  Mai  bis  zum  letzten  Oktober  1865  an  den  Verein  ein- 
gangenen  Druckschriften. 

Anzeiger  der  kaiserl.  Academie  der  Wissenschafben  zu  Wien  1866. 

11—20.  22.  23. 
Jahresbericht  des  phjsikal.  Vereins  zu  Frankfurt  a.  M.  1863—64. 
Jahresbericht  der  Oesellsehaffc  für  Natur  und  Heilkunde  in  Dresden 

1863-64. 
Mämoires  de  la  Sooi^tö  Imperiale  des  sciencee  naturelles  de  Cher- 

bourg.  IX  et  X.  1863  et  64. 
Vierzehnter  Jahresbericht  der  naturhist.  Oesellsehaffc  zu  Hannover 

1863-64. 
Jahrbuch  des  naturhistorischen  Landesmuseums  zu  Eärnthen.  6.  H. 

1863. 
XrV.  Jahresbericht  und  Jubelschriffc  der  Philomathie  in  Neisse* 
Vom  Istituto  Beale  Lombarde  di  scienze  e  lettere: 

Solenne  adunanza  del  7  Agosto  1864« 

Bendi  conti:  Olasse  di  1.  e.  s.  morali  e  politiche,  Volume  I 
f.  8—10,  Volume  H  f.  1. 

Classe  di  soienze  matematiche  e   naturali,   Volume  I  f.  7 
—10.  Volume  11  f.  1—2. 
Jenaische  Zeitschrift  für  Medizin  und  Naturwissenschaft.   I.  H.  4. 

n.  H.  1. 

Würzburger  medizinische  Zeitschrift.  VL  H.  1 — 4. 

Neues  Jahrbuch  f.  Pharmaoie.  XXm.  H.  5—6.  XXIV.  Heft  1—3. 

Correspondenzblatt  des  Vereins  für   Naturkunde  zu  Pressburg.  11« 

1862.  • 

Der  zoologische  Oarten:  VE.  Jahrg.  H.  1—6. 
G.  L.  Gianelli:  La  vaccinazione  e  le  sue  leggi  in  Italia. 
Sitzungsberichte  d.  k.  bajer.  Academie  d.  Wissensch.  1865.  I — IV* 
Bnlletin  de  la  Sooiötö  Palöontologique  de  Belgique  h  Anvers.  I. 
Oemmellaro:  La  creazione,  quadro  filosofico. 
Das  50jährige  Doctor- Jubiläum  des  Geheimraths  0.  E.  v.  Baer. 
Beoueil  des  Travaux  de  la  Sociötö  m^dicale  allemande  de  Paris. 
Wiggers :  Chemische  Untersuchung  der  Pyrmonter  Eochsalzquellen ; 

in  duplo. 
Fresenius :  Analyse  der  Trinkquelle,  Badcquelle  u.  Helenenquelle  zu 

Pyrmont;  in  duplo. 
Prooeedings  of  the  natural  history  society  of  Dublin. 


744  Sftpfle:  Anleitung  snm  LftteinscbrefbcB. 


Von  der  Acadömie  Royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beanx  arti 
de  Belgique,  Classe  des  sciences: 
Annuaire  1865. 
Bulletins  1864,  1865  T.  XIX. 
Mus^e  Vrolik.     Oatalogne  par  J.  L.  Dnsseau;   de   la  part  de  la 

famiUe. 
Yerslagen  en  Mededeelingen  der  koninklijke  Akademie  von  Weten- 

schappen,  Afdeeling  Naturkunde  XVII;  Amsterdam. 
Elfter    Bericht    der    Oberhessisohen    Gesellschaft   für    Natur  und 

Heilkunde. 
Xqtjöto^vov  ävalvTLXot  nivaxsg.   ^1865. 

Schlesische  Gesellschaft  ftir  vaterländische  Cultur :  42.  Jahresberiebt 
Abhandlungen:    Naturw.   und  Medizin  1864.     Philos.  histor. 
Abhandl.  1864.  H.  2. 
Jahresbericht  der  Naturf.  Gesellschaft  Graubündens.  X.  1864. 
Durch  die  Smithsonian  Institution  in  Washington: 

Transactions  of  the  New -York   State   Homöopathie  Society 

I  u.  II. 
Smithsonian  Beport  1868. 
Besults  of  the  Moteorological  obseryations  1854—59.  toLII. 

part  I. 
Boston  Society  of  natural  history:  Journal  vol.  "VH,  Procee 
dings  vol.  IX. 
Jahresbericht  über  die  Verwaltung   des  Medizinalwesens  der  freies 

Stadt  Frankfiirt.  VI.  Jahrg.  1862. 
Giomale  di  scienze  naturali  ed  economichi   del    consiglio  di  perfe- 

zionamento  al  B.  istituto  tecnico  di  Palermo. 
Goeteborgs  k.  Vetenskaps  och  Vitterhets  Samhäles  Handlingar  Vm. 
u.  IX.  H. 


Praktüehe  Anleitung  »um  Lateinsehreiben  in  Verbindung  mit  üebungt 
bfispiden  und  zusammenhängenden  Aufgaben  in  swti  AbÜhor 
Jungen  bearbeitd  van  Karl  Friedrieh  Süpfltj  Grwk 
•  Bad.  Hofralh  Karlsruhe,  Druck  und  Verlag  van  ChriMfH^ 
Theodor  Oroos.  ErsU  Abthdlung  1862.  VIIl  u.  406  8.  ZwtiU 
AbtheÜung.  1865.  XVIII  und  492  8.   gr.  8. 

Wenn  Jemand  zur  Abfassung  eines  Werkes,  wie  das  hier  an- 
gezeigte, berufen  war,  so  war  es  gewiss  der  Verfasser,  dessen  Auf- 
gaben zu  lateinischen  Stylübungen  bereits  die  dreizehnte  Auf- 
lage, und  damit  eine  Verbreitung  erreicht  haben,  wie  sie  kaum 
einem  ähnlichen  Werke  je  zu  Theil  geworden  ist.  Was  der  woU 
erfahrene  Verfasser  damit  zu  erreichen  suchte,  das  wird  durch  die 
vorliegende  Anleitung,  die  Frucht  eines  diesem  Gegenstand  gewid- 
meten vieljährigen,  unablässigen  Studiums  und  einer  reichen,  in 
vieljähriger  X^ehrthätigkeit  gewonnenen  Erfahrung,   noch  ungleich 


Sftpfle:  AnlHtnng  srnn  Latelnscfareibeii.  746 

mehr  gefördert  werden,  und  dämm  glauben  wir  um  so  mehr  in 
diesen  Blättern  darauf  aufmerksam  machen  zu  mttssen,  als  uns  in 
der  ziemlich  umfangreichen  Literatur,  welche  unser  Vaterland  über 
Lateinische  Grammatik  und  Stjlistik  aufzuweisen  hat,  doch  kaum 
ein  Werk  bekannt  ist,  welches  wir  in  Bezug  auf  Inhalt  und  Fassung 
und  die  daraus  hervorgehende  praktische  Nützlichkeit  mit  dem  vor- 
stehenden zusammenstellen  möchten.  Es  konnte  dem  Verfasser  bei 
seiner  vteljährigen  üebung  nicht  entgehen,  dass  in  den  Büchern 
der  bemerkten  Art  doch  dem  Schüler  nicht  immer  gerade  das  ge- 
boten wird,  was  seinem  Bedürfhiss  angemessen  erscheint  und  das- 
selbe wahrhaft  zu  befriedigen  vermag,  wenn  auch  im  Einzelnen 
Manches  Oute  darin  sich  finden  mag;  um  so  mehr  ward  in  ihm 
der  Wunsch  rege,  »dass  das  Zerstreute  gesammelt,  das  gelegen- 
heitlich gegebene  in  einen  geordneten  Lehrgang  aufgenommen  und 
in  einen  bestimmten  Zusammenhang  den  Schülern  näher  gelegt 
werden  möge«  (8.  IV.).  In  vorliegendem  Werke  ist  dieser  Wunsch 
in  ErftÜlung  gebracht  worden;  man  würde  sich  jedoch  sehr  irren, 
wenn  man  nach  vorstehenden  Worten  hier  eine  blosse  trockene  Zu- 
sammenstellung von  Regeln  und  Vorschriften»  wie  sie  die  Grammatik 
bietet,  erwarten  würde :  es  beziehen  sich  diese  Worte  vielmehr  dar- 
auf, dass  der  Verf.  bemüht  war,  nicht  gerade  nur  Neues  in  seiner 
Anleitung  zu  geben,  sondern  »das  durch  langjährige  Beobachtung 
und  Erfahrung  als  bewährt  Erfundene«,  um  dadurch  aller  Unsicher- 
heit, wie  aller  Willkühr  im  Gebrauch  der  Sprache  entgegen  zu 
wirken.  Es  ist  die  hier  gegebene  Anleitung  ein  innerlich  zusammen- 
hängendes, wohl  geordnetes  und  gegliedertes  Ganze,  das  in  der  An- 
lage wie  in  der  Ausführung  seinem  Zwecke  durchaus  entspricht, 
durch  die  grosseste  Klarheit  und  Bestimmtheit,  wie  durch  eine 
streng  logische  Ordnung  sich  ausgezeichnet,  und,  da  zugleich  nichts 
Wesentliches,  was  die  Grammatik  enthält,  übergangen  ist,  wohl 
geeignet  wird,  zugleich  die  Stelle  einer  Grammatik  zu  vertreten, 
umsomehr  als  an  die  Theorie  sich  hier  überall  die  Praxis  anknüpft 
durch  die,  jedem  Abschnitt  nachfolgenden  zum  üebersetzen  be- 
stimmten üebungen.  Und  wenn  bei  dieser  Anleitung  auf  dereinen 
Seite  stets  Bücksicht  genommen  ward  auf  die  mustergültige  Prosa 
der  Bömer  und  diese  als  Norm  betrachtet  ward,  so  ist  auf  der 
andern  Seite  ebenso  stets  die  Vergleichung  mit  der  deutschen  Sprache 
herangezogen  und  auf  das  Gemeinsame  beider  Sprachen,  wie  auf 
das  sie  Unterscheidende  hingewiesen  worden,  um  auf  diesem  Wege 
auch  die  deutsche  Stilistik  zu  fördern,  und  ein  ebenso  genaues  als 
richtiges  Verständniss  beider  Sprachen  zu  erzielen.  So  schwierig 
diese  auch  im  Einzelnen  ist,  so  legen  wir  doch  darauf  um  so  mehr 
besonderen  Werth,  als  dieser  Punkt  in  ähnlichen  Uebuugs-  und 
Anleitungsbüchem  minder  beachtet  oder  berücksichtigt  worden  ist, 
und  Niebuhr^s  Behauptung,  dass  das  Lateinschreiben  eine  gute 
Schule  und  Uebung  für  jeden  Styl  sei,  in  Manchem  noch  nicht  die 
Beachtung  gefunden  hat,  die  sie  unleugbar  verdient.  Gerade  durch 


T46  Sfipfle:  AiMtiiBg  zum  Latelnsefcratben. 

diese  Rücksichi,  welche  durchweg  auf  die  dentsohe  Sprache  und 
deren  Anedmcksweise,  Satzbildung  u.dgl.  genommen  ist,  hat  der 
Verf.  die  Nützlichkeit  und  Brauchbarkeit  seines  Werkes  nicht  wenig 
erhöht.  Kurz  man  sieht  es  dieser  Anleitung  bald  an,  dass  sie  du 
gereifte  Werk  eines  Mannes  ist,  der  das  Bedttrfniss  der  Schule  erkannt, 
aber  auch  durch  Studien  wie  durch  Erfahrung  die  Mittel  und  Wege 
gefunden  hat,  dieses  Bedür&iss  zu  befriedigen  und  damit  einen 
gründlichen  Unterricht  in  der  lateinischen  wie  in  der  deutschen 
Sprache  wahrhaft  zu  fördern. 

Versuchen  wir  nun  in  der  Kürze  einen  Ueberbliok  des  Wertes 
zu  geben,  wie  es  in  den  beiden  Abtheilungen  jetzt  vorliegt.  Inder 
ersten  finden  wir  in  einem  ersten  Abschnitt  zuerst  die  Lehre  m 
der  Oongruenz  oder  Uebereinstimmung  der  Satztheile :  es  wird  hier 
die  Verbindung  des  Subjects  mit  dem  Prädicat  und  die  des  Attri- 
buts mit  dem  Substantiv  erörtert,  dann  von  der  Uebereinstinixnnng 
(Gongmenz)  des  Pronomen  Belativum  mit  dem  Nomen,  auf  welches 
es  sich  bezieht,  und  vom  Genus  und  Numerus  des  Pronomen  Belir 
tivum,  auf  mehrere  Nomina  bezogen,  gehandelt,  woran  sich  noch 
die  Lehre  von  der  Apposition ,  und  von  der  Oongruenz  der  Fnge 
mit  der  Antwort  anschliesst.  Es  bedarf  kaum  eines  Hinweises  vd 
den  Innern  Zusammenhang  dieser  Abschnitte  und  ihre  Stellung  am 
Anfang  des  Ganzen:  mit  aller  Klarheit,  Schftrfe  und  Bestimmtheit 
werden  die  betreffenden  Regeln  und  Vorschriften  aufgestellt,  dnreh 
Beispiele,  die  mit  der  grössten  Sorgfalt,  aus  Cicero  haaptsftcUich, 
und  einigen  andern  Schriftstellern  der  classisohen  Latinitat  aoege- 
wählt,  die-  Begel  nachweisen,  unterstützt,  und  am  Schlüsse  eines 
jeden  der  fünf  Hauptkapitel,  die  wir  eben  angegeben  haben,  ixir 
gen  die  deutschen  üebungsbeispiele ,  zu  welchen  die  lateinischen 
Worte,  da  wo  es  nöthig  erschien,  oder  der  Ausdruck  schwieriger 
erschien,  unter  dem  Texte  beigeftlgt  sind,  so  dass  der  Schüler  eigentr 
lieh  keines  weiteren  Wörterbuches  zum  üebersetzen  dieser  üebungB' 
stücke  ins  Lateinische  bedarf.  So  ist  Theorie  und  Praxis  vereinigt» 
die  richtige  Auffassung  einer  jeden  Begel  durch  Beispiele  wie  durch 
Uebersetzung  sicher  gestellt.  Wie  klar  ist  z.  B.  in  diesem  ersten 
Abschnitt  die  an  dritter  Stelle  S.  42  ff.  gebrachte  Lehre  von  dem 
Pronomen  Belativum  in  seiner  Beziehung  auf  das  Nomen  des  vor- 
hergehenden Satztheiles,  wie  auf  das  nachfolgende  Prädioatsnomen 
vermöge  der  Attraction  dargestellt:  es  mag  darauf  xun  so  eher 
hingewiesen  werden,  als  hier  so  leicht  Schwierigkeiten  in  der  Debei*' 
Setzung  oder  vielmehr  in  der  Auffassung  sich  bieten,  wodurch  die 
Uebersetzung  dem  Schüler,  der  leicht  in  ein  Schwanken  gerftth, 
erschwert  wird.  Auf  die  deutschen  üebungsbeispiele  ist  hier  sowohl, 
wie  in  den  übrigen  Theilen  des  Werkes  grosse  Sorgfalt  verwendet 
worden,  wie  man  bald  wahrnimmt;  vielfach  ist  der  Lihalt  ge- 
schichtlicher Art,  alles  Triviale  und  Ordinäre  ist  fem  gehalten, 
und  was  die  Form  betrifft,  so  sind  dieselben  in  einer  einflMhen, 
reinen  deutschen  Sprache  gehalten,  was  wir  für  unumgänglich  noth- 


SUpfle:  Aaleltmig  sum  LttefaiBchreiben.  TU 

wendig  halten,  wenn  anders  der  oben  bemerkte  Zweck  erreicht  xmA 
die  Anleitung  znm  lateinischen  Styl  zngleich  eine  Anleitung  m 
einem  jeden  gnten  Styl,  namentlich  auch  einem  deutschen  werden 
soll.  Die  Nachbildung  antiker  Formen  oder  eine  Annäherung  an 
dieselben  im  deutschen  Ausdruck,  zum  Nachtheil  des  letztem,  um 
damit  dem  Schüler  sein  Werk  des  üebersetzens  zu  erleichtern, 
haben  wir  stets  als  Etwas  Verderbliches  und  Verkehrtes  betrachtet, 
welches  nur  die  Folge  hat,  dass  der  Schüler  weder  richtig  latein 
noch  richtig  deutsch  schreiben  lernt.  Auch  ist  man  jetzt  von  den 
in  dieser  Beziehung  früher  gemachten  Versuchen  mit  Becht  zurück- 
gekommen, der  Forderung  eines  gnten  deutschen  Styls  in  derarti- 
gen üebungen  wird  sich  jetzt  kaum  Jemand  entziehen  wollen:  von 
dem  einsiohtyollen  und  erfohrenen  Verfasser  dieses  Werkes  war 
diesB  von  romeherein  nicht  anders  zu  erwarten. 

Der  zweite  Abschnitt  behandelt  die  wichtige  Lehre  von  den 
Casus  (S.  58 ff.),  mit  Uebergehuug  des  Nominativs,  über  welchen, 
als  Subjects  wie  als  Prädicatsnominativ,  in  dem  ersten  Abschnitt 
das  Nöthige  erörtert  worden  war.  Auf  den  zuerst  behandelton 
Nominativ  folgt  dann  in  grösserem  Umfang  die  Lehre  vom  Accu- 
sativ  (S.  60  ff.)  in  seinen  verschiedenen  Beziehungen  nach  transi- 
tiven wie  intransitiven  Verbis,  zur  Bezeichnung  des  Maasses,  des  üm- 
fangs,  des  Baumes  und  der  Zeit,  bei  Ausrufungen  u.  dgl. ;  dann 
die  Lehre  vom  Dutiv  (S.  98  ff.),  vom  Ablativ  (S.  118  ff.)  und  vom 
Genitiv  (8.  150  ff.).  Die  Einrichtung  ist  auch  hier  dieselbe,  an  die 
Begeln  schliessen  sich,  zur  Verdeutlichung  und  zur  richtigen  Auf- 
fassung derselben,  Beispiele  an,  und  zu  jedem  Casus  sind  zur  Ein- 
übung deutsche  Beispiele  gegeben,  zuletzt  noch  zusammenhangende 
Aufgaben  über  sämmtliche  Casus  (S.  203  ff.).  Es  wird  kaum  nöthig 
sein,  *  auf  die  Wichtigkeit  der  in  diesem  Abschnitt  enthaltenen  Lehre 
aufmerksam  zu  machen :  wohl  aber  dürfen  wir  aufmerksam  machen 
auf  den  innem,  logischen  Znsammenhang,  in  welchen  hier  Alles 
das,  was  auf  den  Gebrauch  und  die  Anwendung  der  Casus  im  Ein- 
zelnen sich  bezieht,  miteinander  gebracht  ist.  Als  ein  Anhang  dazu 
erscheint  S.  217  die  Constniction  der  Orts  und  Zeitbestimmungen, 
in  welchem  namentlich  das  Verhältniss  der  Präpositionen  und  deren 
ausdrückliche  Stellung  gegenüber  der  Anwendung  des  einfachen 
Casus  auf  vorzügliche  Weise  im  Einzelnen  erörtert  ist,  zumal  hier 
gerade  so  wesentliche  Verschiedenheiten  in  der  lateinischen  wie 
deutsehen  Sprache  hervortreten;  die  betreffenden  Beispiele,  so  wie 
die  deutschen  Uebungsstücke  fehlen  auch  hier  nicht. 

Der  dritte  Abschnitt  behandelt  die  Lehre  von  dem  Verbum 
und  seinen  Theilen  (8.  271  ff.),  zuerst  Numerus  und  Genus,  worauf 
die  Modi  folgen ;  dass  bei  dem  Indicativ  insbesondere  auf  die  Falle 
hingewiesen  wird,  in  welchen  der  Deutsche  den  Conjunctiv  anzu- 
wenden pflegt,  wahrend  im  Lateinischen  der  Indicativ  gebraucht 
wird  (S.  286  ff.),  bedarf  kaum  näherer  Ausführung.  Im  Gegensatz 
zum  Indicativ,  der  Etwas  als  wirklich  behauptet  |  ste&t  der  Con- 


748  Sflpfle:  Anleitung  mm  Lateinschreibeii. 

jonctiv  (8.  290)  den  Gedanken  als  Annahme,  als  Vorstellung  hm, 
und  steht  dann  entweder  unabhängig,  als  selbständiger  Satz  oder 
abhängig  von  einer  Partikel  oder  von  einem  andern  Satze,  der  ihn 
gleichsam  regiert.  Da  der  letzte  Fall  bei  der  Satzlehre  näher  er- 
örtert wird,  so  ist  hier  blos  von  den  Fällen  die  Bede,  wo  der  Con- 
junctiy  unabhängig  steht,  als  Potentialis  oder  Dubitativus,  als  Opift- 
tiyns,  als  Suasorins  oder  Jussiyus  (in  Yoi*schriften ,  Vorschlägen, 
Ermahnungen)  und  als  Goncessivus  oder  Permissivus.  Darauf  folgt 
der  Imperativus,  dessen  Anwendung  in  der  milderen  und  strengeren 
Befehlsform  (als  Jussiyus  und  Imperativus) ,  namentlich  auch  als 
verneinender  Jussivus  hier  sehr  gut  nachgewiesen  wird  (S.  SOOff.)) 
so  wie  auch  sein  Verhältniss  zu  dem  Futurum ;  daran  schliesst  siek 
der  Gebrauch  des  Infinitivs,  des  Gerundiums  und  GerundiviuD's, 
namentlich  in  der  Verbindung  mit  Casus,  so  wie  des  Supinnms 
(S.  356  ff.).  Den  Rest  dieses  Abschnittes  füllt  die  Lehre  von  dem 
Gebrauch  der  Tempora,  und  zwar  in  erster  Reihe  Tempora  abso- 
luta (Präsens,  Perfect,  Futurum),  in  zweiter  Tempora  relativa  (Im- 
perfect  mit  einem  Anhang,  der  den  Infinitivus  historicns  betrifil, 
Plusquamperfect  und  Futurum  exactum),  darauf  folgt  die  Lehre 
von  dem  Gebrauche  der  Tempora  in  der  Gonjugatio  periphrastica 
(hier  wird  wohl  S,  379  statt  D  ein  C  zu  setzen  sein,  und  dann 
auch  S.  382  D  statt  E  und  so  fort),  und  vom  Gebrauch  der  Tem- 
pora im  Briefstyl,  nebst  der  Consecutio  Temporum,  die  den  Schlnss 
bildet.  Alle  diese  Punkte,  die  so  leicht  dem  Schüler  Anstoss  geben, 
werden  hier  mit  einer  Klarheit  und  Bestimmtheit,  so  wie  Einfach- 
heit behandelt,  dass  wir  überzeugt  sind,  der  Lehrer,  der  diese  nun 
Theil  schwierigen  Lehren  nach  der  hier  gegebenen  Anleitung  mit 
seinen  Schülern  behandelt,  werde  sie  dahin  bringen,  dass  sie  überall 
das  Richtige  leicht  finden  und  anwenden,  ohne  irgend  wie  in  Ve^ 
legenheit  zu  gerathen. 

Die  zweite  Abtheilung  des  Ganzen,  die  auch  besonders  pagi- 
nirt  ist,  hat  es  bloss  mit  der  Satzlehre  zu  thun,  die  freilich  um- 
fangreich und  schwierig  genug  ist,  um  in  dieser  Ausdehnung  be- 
handelt zu  werden.  Und  diess  ist  hier  allerdings  in  erschöpfender 
Weise  geschehen :  man  wird  nicht  leicht  Etwas  finden,  sowohl  in 
Bezug  auf  die  verschiedenen  Arten  der  Sätze  und  deren  Verbindung, 
als  in  Bezug  auf  den  Gebrauch  der  einzelnen  Redetheile  ausserhalb 
der  Satzverbindung,  was  hier  nicht  in  eben  so  anschaulicher  wie 
befriedigender  Weise  behandelt  worden  wäre«  In  dem  ersten  Gapi- 
tel  dieser  Lehre  von  der  Satzverbindung  werden  die  coordinirten 
Sätze  behandelt,  und  zwar  die  copulativen,  wie  die  adversativen, 
disjunctiven,  die  Gausalsätze  wie  die  Gonsecutivsätze :  man  wird 
demnach  hier  eine  gute  Anleitung  über  die  Anwendung  der  hier 
einschlägigen  Partikeln  finden,  wie  et,  que,  atque,  neque,  cum,  tum) 
autem,  sed,  vero,  at,  aut,  vel,  sive,  nam,  itaque,  igitur  u*  s.  w. 
mit  sorgfältiger  Angabe  der  Unterschiede,  wie  sie  im  Gebrauch, 
namentlich  auch  bei  negativen  Verbindungen,  sich  herausstellen. 


Büpfle:  Aii]6lttiiig  xum  LatelDflCTireibeil.  74d 

Eine  grössere  Ansdehnnng,  wie  indess  kaum  befremden  kann, 
bat  das  zweite  Capitel  erhalten,  welches  subordinirte  Sätze  behan- 
delt :  zuerst  die  Relativsätze  (Attributivsätze),  wobei  anch  die  Fälle, 
in  welchen  das  Relativ  mit  dem  Conjnnctiv  verbanden  wird,  also 
die  Relativsätze  des  Grundes,  der  Absicht,  der  Folge,  der  Ein- 
räumung, der  Bedingung  u.  s.  w.  vorkommen.  An  zweiter  Stelle 
erscheinen  die  Yergleichungssätze  (Comparativ,  Superlativ,  Ver- 
gleichungssätze,  mit  ut  —  ita  u.  s.  w.),  an  dritter  die  Fragesätze, 
die  directen  wie  die  indirecten  (hier  auch  von:  haud  scio  an  und 
Aehnlichem),  an  vierter  die  Zeit  oder  Temporalsätze  (von  quum, 
dum,  donec,  postquam,  ubi  u.  s.  w.),  an  fünfter  die  Causalsätze, 
an  sechster  die  Bedingungssätze,  an  siebenter  die  Concessiv  oder 
Einräumungssätze  (hier  von  quamquam,  etsi  und  etiamsi,  tametsi, 
quamvis,  licet,  ut,  quum  und  deren  Anwendung);  nun  folgen  die 
Objectiv  oder  Gegenstandssätze,  d.  h.  die  Sätze  mit  der  Conjunction 
dass,  und  zwar  als  Absichts-  oder  Finalsätze,  als  Folge-  oder 
Consecutivsätze,  und  dann  in  der  Stmctur  des  Accusativs  mit  dem 
Infinitiv,  so  wie  mit  der  Conjunction  quod:  es  ist  diess  einer  der 
wichtigsten,  mit  aller  Schärfe  und  Genauigkeit  behandelter  Abschnitt, 
auf  den  besonders  hingewiesen  werden  mag ;  es  schliesst  sich  daran 
noch  ein  Abschnitt  über  die  Oratio  obliqua,  und  dann  folgt  in  um- 
fassender Darstellung  die  Lehre  von  dem  Gebrauch  der  Participien, 
insbesondere  der  Ablativi  absoluti  (S.  844 — 369):  ebenfalls  einer 
der  gewichtigsten  und  bedeutendsten  Abschnitte  dieser  zweiten  Ab- 
theiiung. 

Das  dritte  Capitel  handelt  von  dem  Gebrauche  der  einzelnen 
Bedetheile  ausserhalb  der  Satzverbindung,  also  zuerst  vom  Sub- 
stantiv, dann  folgen  das  Adjectiv  und  adjectivische  Participien,  die 
Pronomina  (Seite  417—466,  ein  eben  so  wichtiger,  mit  aller 
Sorgfalt  durchweg  bearbeiteter  Abschnitt,  wie  z.  B.  insbesondere 
in  den  Regeln  über  die  Interrogativa  und  Indefinita,  also  über 
aliquis,  quis,  quispiam,  quisquam,  ullus,  quidam  u.  s.  w.),  die  Zahl- 
wörter, das  Adverbium,  die  syntaktische  Anwendung  der  Präposi- 
tionen (z.  B.  über  ihren  Wegfall  oder  Wiederholung  bei  zwei  da- 
von abhängigen  Substantiven,  über  die  Verbindung  von  zwei  Prä- 
positionen mit  Einem  Substantiv  u.  dgl.  m. ;  die  specielle  Anwen- 
dung und  den  Gebrauch  der  einzelnen  Präpositionen  s.  oben  bei 
der  Lehre  von  den  Casus)  und  zuletzt  von  den  Vemeinungswörtem 
und  verneinenden  Satzformen. 

Wir  haben  im  Vorstehenden  einen  Abriss  des  Ganzen,  in  der 
Angabe  des  Inhaltes  der  einzelnen  Theile  und  deren  Anordnung  zu 
geben  versucht :  man  wird  daraus  entnehmen,  dass  in  diesem  Werke 
ungleich  mehr  geleistet  ist,  als  der  Titel  erwarten  lässt,  insofern 
in  der  hier  gegebenen  Anleitung  nicht  blos  Alles  enthalten  ist, 
was  zur  eigentlichen  Grammatik  gehört,  sondern  auch  so  Manches 
Andere,  was  sprachlicher  Art  ist  und  daher  oft  dem  Wörterbuch 
überlassen  bleibt,  hier  mitbehandelt  ist,  weil  es  eben  so  unentbehr- 


760  Sftpfle«  Anleltiiiig  ram  LateliisclmibaL 

lieh  erscheint  für  die  richtige  ErkenntniM  der  lateiniadhea  Spiacbe 
und  die  za  erzielende  Sicherheit  eines  richtigen  Ansdmcks,  der  an 
die  besten  Master  der  dassischen  Latinität  sich  anschliesst.  Daher 
ist  überall,  im  Allgemeinen  wie  im  Einzelnen,  anf  die  Yerscfaie- 
denheit  der  lateinischen  und  der  deutschen  Sprache  hingewiesen, 
um  ein  sicheres  Yerständniss  beider  herbeizuführen,  wodurch  allein 
eine  richtige  Anwendung  möglich  wird:  und  wenn  der  Yer&uer 
in  dieser  Beziehung  versichert  (S.  IV) ,  wie  es  überall  sein  Be- 
mühen gewesen,  »die  lateinische  Sprache  bei  aller  ihrer  Eigen- 
thümlichkeit  unmittelbar  mit  der  deutschen  zusanunenzuhalten  und 
sogleich  in  praktischer  Weise,  nämlich  in  Beispielen,  die  eine  dorck 
die  andere  zu  verdeutlichen  und  das  Maass  ihrer  gegenseitigen  An- 
wendbarkeit zu  bestimmen  €,  so  kann  jede  Seite  seines  Werkes  dnn 
den  Beleg  liefern.  Keine  Erscheinung  in  dem  Sprachgebrauch  wird 
man  hier  übergangen  finden,  und  da  eine  jede  Spracherscheinnng 
»am  geeigneten  Orte,  d.  h.  in  ihrem  naturgemftssen  Zusammenhaag 
mit  den  Sprachgesetzen  besprochen  und  dadurch  zu  einer  möglichst 
lebendigen  Anschauung  gebracht  ist«  (S.  10),  wird  man  auch  leieht 
in  Allem  sich  zureoht  finden,  abgesehen  davon,  dass  durch  die  ge- 
naue, der  zweiten  Abtheilung  vorgesetzte  Inhaltsangabe,  so  wie 
durch  die  jeder  der  beiden  Abtheilungen  beigefügten  Register  du 
Suchen  des  Einzelnen  möglichst  erleichtert  ist.  Was  wir  aber  am 
Schlüsse  unseres  Berichtes  nochmals  hervorheben  zu  müssen  gloabesi 
ist  die  Klarheit  und  Bestimmtheit,  die  Präcision  und  die  SchiLifei 
welche  in  der  Darlegung  der  einzelnen  Lehren,  Begeln  und  Vor* 
Schriften  statt  findet,  namentlich  aufs  genaueste  auf  alle  die  feine- 
ren Nuancen  und  Unterschiede  im  Sprachgebrauch  scheinbar  syno- 
nymer Wörter  und  Ausdrücke  hinweist,  und  auch  darin  uns  ^igti 
wie  wir  in  dem  Ganzen  kein  ephemeres  Werk  vor  uns  haben, 
sondern  die  Früchte  eines  lebenslänglichen,  diesem  Gegenstand  ge 
widmeten  Studium' s  und  einer  auf  auf  diesem  Felde  gewonnenen 
reichen  Erfahrung,  die  sich  vollkommen  klar  ist  über  das,  was 
wahres  Bedür&iss  des  Schülers  ist ,  so  wie  über  die  Mittel  and 
Wege,  dieses  Bedürfniss  zu  befriedigen.  Eben  darum  wird  es  nicht 
nöthig  sein.  Etwas  Weiteres  zur  Empfehlung  eines  Buches  beim* 
fügen,  dem  wir,  im  Interesse  eines  gründlichen  Unterrichts  in 
Lateinischen  und  der  Förderung  eines  guten  lateinischen  Styk» 
wie  er  leider  immer  seltener  wird,  nur  recht  grosse  Verbreitong 
wünschen  können.  Chr.  BdUir» 


Dio  CamIhb  Vol.  V.  cum  aai^  L.  DiBdorf.  761 

Dionii  Casaii  Coeceiani  hiaioria  Romana*  Cum  attnotaUombus 
Ludoviei  Dindorfiu  VoL  V.  Lipsiae  in  aedibus  B.  O. 
Teuöneri  MDCCCLXV.  LXXVJII  und  286  8.  in  8. 

Von  den  vier  vorausgehenden  Bändchen  ist  in  diesen  Jahr- 
büchern (Jahrgg.  1864.  S.  289.  787)  bereits  die  Rede  gewesen; 
mit  dem  dritten  Bande  war  Dio's  Werk  bis  zum  sechzigsten  Buch 
inoL  geführt,  im  vierten  die  Fortsetzung  in  dem  Auszug  deeXiphi- 
linus  von  Buch  LI  bis  zu  Buch  LXXX  incl.  geliefert  worden.  Der 
fünfte  hier  vorliegende  Band  enthält  in  seinem  grösseren  Theil 
S.  1—181  einem  Abdruck  des  von  Bobert  Stephanus  1551  erst- 
mals edirten  Auszugs  des  Xiphilinus  (EjuzofLtl  rot;  ^üovog  xov 
Nixaiix>S  PafUJcVK^  foro^o^,  rjv  ewitsiuv  '/oai/njg  6  XLg)Mvog^ 
^UQi4%ovCa  nLovoQxCaq  xcuaoQOv  sixoöiTcavts  j  im  Ilo^ntjltov 
Miyvov  [idjfii  IdXs^avdifov  xov  Ma(iaiag)f  in  theil  weise  berich- 
tigter Grestalt  und  mit  steten  Verweisungen  auf  die  betreffenden 
Stellen  des  Dio,  am  Bande  jeder  Seite,  versehen.  Nach  der  Wahr* 
nehmung  des  Herausgebers  hat  dieser  Byzantiner,  der  im  eilfben 
Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  diesen  Auszug  fertigte,  nicht 
eüunal  die  besseren  und  reineren  Formen  des  Dio  beibehalten,  son- 
dern durch  die  minder  guten  der  späteren  Zeit  ersetzt,  und  über- 
haupt manche  Aenderungen  oder  vielmehr  Entstellungen  sich  erlaubt, 
die  von  seinem  ganzen  Verfahren  kein  besonders  günstiges  Urtheil 
erwecken.  Indessen,  wie  nun  einmal  die  Sachep  jetzt  stehen,  wer- 
den wir  noch  immer  froh  sein  müssen,  von  so  Manchem,  was  da- 
mals noch  vorhanden  war  und  später  verloren  ging,  doch  wenig- 
stens Auszüge  zu  besitzen,  ohne  welche  unsere  Lücken  in  der  alten 
Geschichte,  zumal  in  der  Geschichte  Bom's  und  zwar  in  der  spä- 
teren Zeit,  noch  viel  grösser  und  empfindlicher  sein  würden.  Auf 
die  Form  darf  man  freilich  dann  weniger  sehen ;  auch  jene  byzan- 
tinischen Ezcerptoren  hatten  nur  die  Sache  vor  Augen,  wenn  auch 
nicht  immer  in  der  von  uns  gewünschten  Art  und  Weise  der  Be- 
handlung, 

Auf  Xiphilinus  folgen  andere  Excerpte  aus  Dio,  von  Angelo 
Mai  aus  Vaticanischen  Handschriften  im  zweiten  Bande  der  Scriptt. 
Vatt.  nova  CoUectio  veröffentlicht  S.  181—217  und  S.  234—236, 
dazwischen  S.  218—233.  die  aus  denselben  Handschriften  zu  Tage 
geförderten  Excerpte  eines  unbekannten  Fortsetzers  der  Geschichte 
des  Dio,  welche  bis  auf  Constantin  herabreichen ;  bei  den  Excerpten 
aus  Dio  ist  ebenfalls  am  Bande  der  betreffende  Nachweis  aus  den 
Büchern  Dio's  angegeben.  Den  Beschluss  machen  S.  234  Excerpta 
Planudea,  ebenfalls  nach  Angelo  Mai,  jedoch  nur  das  enthaltend, 
was  bei  Dio  und  Xiphilinus  nicht  vorkommt,  und  S.  237  und  238 
Excerpta  sedis  incertae,  nach  H.  Valois  und  ürsinus,  deren  ur- 
sprüngliche Stellung  sich  nicht  sicher  nachweisen  lässt. 

Auf  diese  Weise  findet  man  hier  Alles  zusammengestellt,  was 
auf  Dio  sich  bezieht,  und  dienen  oftmals  diese  Excerpte  auch  da, 


76S  DIo  Cässins.  VoL  V.  enm  anii.  L.  DlDdort 

wo  das  Original  noch  vorliegt ,  zur  richtigen  Aaffii88iuig  nnd  zan 
besseren  Verständniss  desselben,  so  wie  selbst  nir  Verbessenmg  des 
fehlerhaften  Textes,  für  welchen  noch  gar  Manches  zu  thun  flbiig 
gelassen  ist,  namentlich  auch  in  Zurückführung  der  richtigen,  tob 
Dio  angewendeten,  Formen,  die  sich  so  oft  verwischt  finden,  wlii- 
rend  es  keineswegs  glaublich  erscheint,  dass  der  sonst  so  genaue 
Schriftsteller  in  diesem  Pankte  nachlässiger  verfahren.  Der  Heniu- 
geber  hat  in  der  Praefatio  S.  IX  ff.  Einiges  der  Art  bertthrt  o&d 
damit  allerdings  gezeigt,  was  hier  noch  weiter  zn  thun  ist,  und 
worauf  zur  Feststellung  der  richtigen  Formen  überhaupt,  bei  den 
mancherlei  Verderbnissen ,  welche  Dio*s  Handschriften  auch  dirb 
bieten,  das  Augenmerk  insbesondere  zu  richten  sejn  wird.  Eine 
genaue  Erkenntniss  dieser  Formen  und  damit  weiter  auch  des  ge 
sammten  Sprachgebrauchs ,  der  bisher  noch  wenig  beachtet  oder 
zum  Gegenstand  besonderer  Forschung  gemacht  worden  ist,  wird 
auf  die  Besserstellung  des  Textes  nur  vortheilhaften  Einfluss  änseen 
können. 

Noch  haben  wir  einiger  weiteren  Zugaben  zu  gedenken.  Auf 
die  Praefatio  nämlich  folgen  S.  XIV  ff.  die  griechischen  Argumente 
oder  Inhaltsangaben  der  einzelnen  Bttcher  Dio's  vom  sieben  ood 
dreissigsten  Buche  an,  was  davon  noch  erhalten  ist,  und  dano 
schliessen  sich  die  lateinischen  Argumente  vom  36.  Buch  an  bis 
zum  80.  Buch.  Dann  folgt  ein  Abdruck  des  den  Dio  betreffenden 
Artikels  in  des  Photius  Bibliothek  Cod.  LXXI,  und  darauf  ein  Ans* 
zug  (Excerpta)  aus  Beimarus  Abhandlung  über  Leben  und  Schrif- 
ten Dio*s  aus  dessen  Ausgabe  entnommen.  Man  wird  für  diesen 
Wiederabdruck  dankbar  sein,  da  die  Abhandlung  des  Beimans 
noch  immer  ihren  Werth  über  den  betreffenden  Gegenstand  behlH, 
ohne  darum  auf  den  Wunsch  zu  verzichten ,  dass  bei  diesem  Ab- 
druck aus  Beimarus  Abhandlung  auch  die  neuere  Literatur  einign^ 
massen  wenigstens ,  sei  es  in  einigen  Zusätzen ,  Nachträgen  oder 
Nachweisungen  berücksichtigt  worden  wäre,  was  nicht  geschehen 
ist,  obwohl  in  den  seit  Beimarus  verschiedentlich  über  Dio  in 
neuerer  Zeit  angestellten  Forschungen  Manches  enthalten  ist,  das 
eine  solche  Beachtung  wohl  verdienen  kann.  Ein  Index,  d.  h.  ein 
alphabetisches,  sachliches  Begister  in  lateinischer  Sprache  flberdw 
in  Dio*s  Büchern  vorkommenden  Gegenstände  ist  am  Schloß 
S.  289—286  in  doppelten  Golumnen  beigefügt. 


Br.  48.  HKIUELBEKGEIl  18(6. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


1)  Simson.  Ein  Bühnenstück  in  fünf  Handlungen  von  Albert 
Benno  Dulk.  ManuscripL  Eigenihum  des  Verfassers.  1859. 
88  8    8.; 

2)  Der  Tod  des  Beitusstseins  und  die  ünsterblichkeiU  Von  A.  B, 
Dulk.    Leipgig,   Verlag   von    Otto   Wigand,  1863.   191  S.    8.; 

3)  JesuSj  der  Christ.  Ein  Stück  für  die  Volksbühne  in  neun 
Handlungen  mit  einem  Nachspiel  von  A.  B.  Dulk.  Stuttgart, 
Verlag  von  Emü  Ebner,  1865,  VJ.  u.  280  S.  8. 

Zu  den  begabtesten  belletristischen  Schriftstellern  unserer  Zeit 
gehört  unzweifelhaft  Albert  Benno  Dulk.  Seine  Arbeiten  sind  geist- 
voll, genial,  die  Darstellung  ist  leicht,  fliessend,  gefällig  und  viel- 
fach bekundet  sich  in  ihnen  eine  umfossende  und  tief  eingehende 
Sachkenntniss.  Referent  hat  zur  kritischen  Beurtheilung  vonDulks 
Schriften,  dessen  Leben  auch  vielfach  bewegte^  interessante  Mo- 
mente bietet,  zwei  dramatische  Dichtungen  und  eine  populär  philo- 
sophische Schrift  desselben  zusammengestellt. 

Wir  beginnen  mit  dem  1859  erschienenen  Simson.  Die 
Tüchtigkeit  des  dramatischen  Genius  zeigt  sich  darin,  wenn  man 
einem  an  sich  wenig  bedeutenden  Stoffe  nicht  nur  eine  dramatische 
Seite  abgewinnen,  sondern  diese  auch  zu  einem  abgerundeten  Gan- 
zen dramatischer  Handlungen  und  Charaktere  gestalten  kann;  noch 
mehr  aber,  wenn  dem  Ganzen  eine  philosophische  Idee  zu  Grunde 
gelegt  wird,  deren  Wahrheit  durch  die  ganze  Dichtung  hindurch- 
geht und  welche  mit  der  Lösung  des  dramatischen  Knotens  ihren 
würdigen  Abschluss  findet.  Was  Bef.  hier  als  Charakter  ächter 
dramatischer  Begabung  bezeichnet,  zeigt  sich  in  vollem  Maasse  in 
Dulks  Simson« 

Eine  einfache  Handlung,  welche  im  16.  Kapitel  des  Buches  der 
Richter  von  Vs.  4 — SO  enthalten  ist,  gibt  den  Stoff  zu  dieser  Dichtung. 
Simson,  der  israelitische  Held  der  Kraft,  gewinnt  Delilah,  ein 
Weib  am  Bache  Sorek,  lieb.  Die  Philisterftlrsten  bereden  sie,  dem 
Simson  das  Geheimniss  seiner  Kraft  abzulauschen  und  versprechen 
ihr  eine  Summe  Geldes  dafür.  Dreimal  richtet  Delilah  die  aus- 
forschende Frage  über  das  Kraftgeheimniss  an  Simson  und  wird 
von  diesem  dreimal  getäuscht,  bis  er  endlich  den  wahren  Grund 
seiner  Kraft  dem  Weibe  offenbart  und  von  diesem  den  Philistern 
überantwortet  wird.  Simson  wird  geblendet  und  muss  Sklaven- 
dienste  verrichten.  Die  Haare,  in  welchen  seine  Kraft  liegt,  sind 
wieder  gewachsen.  Die  Philisterfürsten  sind  im  Tempel  ihres 
Gottes  Dagou  versammelt,  um  ihm  für  den  Sieg  über  Simson  za 
LVUI-  Jahrg.  10.  Halt  ig 


1U  Dvlks  ßehrtfM. 

danken.  SimBon  soll  vor  den  PhiliBtem  im  Tempel  spielen.  Ein 
Knabe  filhrt  den  Blindes  aas  dem  Geftngniss.  Er  steht  zwiadieo 
zwei  Sttnlen,  welche  des  Haases  Dach  irag«i.  DreiianseBd,  Muin 
und  Weib,  sind  auf  dem  Dache,  die  PhilisterfÜrsten  alle  im  Tempel 
yersammelt.  Simson  betet  zn  Jehova,  ergreift  die  beiden  SSolen 
nnd  das  Hans  begräbt  ihn,  die  Fürsten  und  das  Volk.  Was  nodi 
über  Simson  im  13.  14.  und  15.  Kapitel  des  Baches  der  Bichter 
enthalten  ist,  bezieht  sich  anf  Simsons  Eltern,  dessen  Gebort, 
Kraftthaten,  Hochzeit  nnd  Bäthsel  imd  steht  mit  der  im  16.  Ka- 
pitel erzählten  Bachethat  des  Kraftmannes  in  keiner  näheren  Ye^ 
bindnng.  Die  genannten  Kapitel  konnten  also  unserem  Herrn  Vezl 
nnr  einzelne  Züge  zn  dem  Bilde  des  Simson  liefern,  seinen  draau- 
tischen  Stoff,  in  welchem  Simson  nnd  Delilah  sich  als  Heldei 
gegenüber  stehen,  mnsste  «r  allein  aus  den  genannten  Versen  da 
16.  Kapitels  nehmen,  die  nichts  als  die  Qeschichte  vom  Falle  Sim- 
sons durch  Delilah  und  yon  dessen  Bache  an  den  Philistern  ent- 
halten. 

Aus  diesem  Stoffe  nun  entstand  das  Bühnenstück :  Simson  io 
fünf  Handlungen  (Akten).  Vorerst  werden  sich  Philister  als  Ve^ 
ehrer  des  Fischgötzen  Dagon  und  Israeliten  als  Verehrer  des  im- 
sichtbaren,  Alles  schaffenden  und  regierenden  Jehoragottes  ent- 
gegengestellt. Aus  dem  Philisterstamme  ist  es  die  Heldin  Delikb, 
welche  den  festen  Glauben  an  den  Philistergötzen,  Simson,  weleher 
den  Jehovaglauben  seines  Volkes  darstellt.  Simsons  KraftthateB 
sind  Ausflüsse  seines  Gottvertrauens.  Delilah  im  Gefühle  desGlaa- 
bens  an  die  Macht  ihrer  Schönheit  und  ihres  Gt)tte8,  in  dessen 
Heiligthum  zu  Ghiza  ihr  Vater  (Seboa)  selbst  Oberpriester  ist,  hdt 
sich  und  ihr  Volk  ftLr  unüberwindlich.  Die  Grundbedingung  eines 
Heldencharakters  ist  die  Kraft  und  diese  zeigt  sich  in  Delilah  nnd 
zwar  Kraft,  wie  sie  der  schönen  Tochter  des  Philisterpriesters  ziemt 
üebermuth  aus  dem  GeftLhle  ihrer  Abstammung,  der  Macht  ikrei 
Gottes  und  Volkes.  Sie  verachtet  die  Philister  und  hasst  ihrea 
Gottgesandten,  Simson.  Siehe  da,  sieht  sie  Simson  und  die  Liebe 
keimt  in  ihrem  Herzen.  Trefflich  wird  der  Kampf  zwischen  des 
menschlichen  Gefühle  und  dem  eingewurzelten  Beligionshasse  ge- 
schildert. Aber  immer  noch  ist  der  alte  Glaube  in  Delilahs  Henen. 
Sie  will  das  Geheimniss  Simsons  erfahren,  um  ihn  zu  einem  An- 
hänger ihres  Gottes  und  Volkes  zu  machen.  Ihr  schönes  Geges- 
bild  ist  ihre  israelitische  Dienerin  Achsa,  die  mitten  unter  den 
Philistern  ihrem  Gotte  treu  bleibt  und  an  Simsons  Gotteskraft 
glaubt.  Auch  in  Simson,  dem  gewaltigen  Helden,  keimt  die  Liebe 
zur  schönen  Priestertochter.  Im  Glauben  an  seinen  Gott  und  seine 
Kraft  vertraut  er  ihr;  in  einer  schwachen  Stunde,  in  welcher  die 
Liebe  über  den  Glauben  des  Nasiräers  siegt«  verräth  er  das  Oe- 
heimniss  seiner  Kraft.  Delilah  hofft,  indem  sie  ihn  in  die  H&nde 
ihres  Volkes  bringt,  den  Versprechungen  der  Philisterfttrsten  trauend, 
ihren  Geliebten  zu  einem  Manne  ihres  Volkes  zu  machen.    Aber 


J)iilk8  8ohifft«iL  16p 

Simsou,  der  ewine  Kraft  dnxch  DelUah  yerloren,  wird  von  den 
Pbiliat^rn  geblendet  und  ge&ngen  gehalten.  Jetzt  erst  IftQtert  sieb 
der  Kern  der  reinen  Liebe  von  den  Schlacken  des  Uebern^uthes 
und  Stolzes.  Die  Liebe  führt  Delilah  znm  wahren  Glauben;  denn 
in  ihrer  Sklavin  Aohsa  Leben  ütlr  Simson  sieht  sie,  was  wahres 
Gottesvertranen  und  wahre  Liebe  können.  Da  der  Knabe,  der  deii 
blinden  Simson  führt,  ihn  verlassen,  ist  es  Delilah,  die  sich  demüthi*- 
gend  nnd  arbeitend  für  die  einst  verachtete  Adisa,  im  Gewände 
eines  Knaben  (Parah)  den  geblendeten  Helden  leitet.  Die  £r- 
kennimgsaoene  ist  wahrhaft  ergreifend  (S.  82—84),  in  welcher  Sim- 
son von  Aohsa  erfllhrt,  dass  der  Sjiabe  Purah,  der  für  ihn  lebte 
nnd  das  frühere  Vergehen  an  ihm  durch  ein  nenes  Leben  büsste, 
Delilah  ist.  Israel  soll  vernichtet  werden  durch  die  Philister,  welche 
mit  Jnbelgesohrei  zu  Tausenden  in  der  Hoflnung  des  Sieges  im 
Dagontempel  versammelt  sind.  Der  blinde  Simson,  dessen  Haare  wieder 
gew^bchseu  sind,  wird  von  dem  Knaben  Purah  (Delilah)  in  den 
Tempel  geführt.  Delilah  wird  erkannt  und  getödtet.  Das  Geheim^ 
niss  der  Süulen,  welche  den  Tempel  des  alten  Gottes  tragen,  wird 
von  der  mit  Jehova  versöhnten  Delilah  an  Simson  verrathen,  Sim- 
ßon  ergreift  die  Säulen  und  Dagons  Volk  wird  begraben. 

Man  sagt  mit  Recht  von  einem  Bomane,  einer  Erzählung  oder 
eineni  Drama,  sie  seien  in  der  Wahl  und  Ent Wickelung  ihres  Stoffes 
gelungen,  wenn  sie  den  Leser  mit  solcher  Macht  schon  im  An« 
laDg0  ergreifen,  dass  er  sie  bis  zum  Abschlüsse  unausgesetzt  fort- 
zalesen  wie  durch  eine  unsichtbare  Macht  gezwungen  wird.  Man 
iat,  wie  man  sich  ausdrückt,  durch  die  dichterische  Schöpfung  ge- 
fesselt* Dieses  muss  man  im  vollsten  Maasse  von  Dulks  Simson 
sagen.  Der  Kraftmann  zwingt  uns,  noch  ehe  er  im  Stücke  auf« 
tritt»  schon,  wie  wir  ihn  aus  Achsas  Erz&hlung  kennen  lernen,  und 
ihm  gegenüber  die  schöne  ttbermüthige  Dagonitin,  in  einem  Zuge 
die  lebenvoll  entwickelte  Handlung  fortzuleseuj  bis  sie  mit  dem 
Sturze  des  Dagontempels  endiget,  und  uns  in  der  Form  einer  alt- 
teetamentliohen  Geschichte  verkündet,  dass  die  Liebe  mächtiger, 
als  das  VprurtheU  des  Glaubens,  dass  mit  ihr  der  Sieg  des  wah- 
ren iGottes  ist.  Immer  aber  ist  dieser  Jebpvagott  ein  Gott  der 
Itocbe«  durch  dessen  Mund  der  geweihte  Simson  spricht.  Wenn  ein 
PhiUsterfürst  eine  Streitaxt  nach  Simson  wirft,  ergreift  dieser  die 
YOD  Delilah  bezeichnete  Säule  und  nift: 

»Du  kannst  nicht  treffen  ...  ob  du  Dagon  wärst! 
Denn  sieh!  Hier  ist  der  Herr  und  spricht:  Nicht  einer 
Geht  lebend  von  mir!  —  Wehe  Euch!  Dies  ist 
Die  Bache  Simsons  und  Delilahs  I     Amen !  c 

So  ist  Simson  eine  Vorbereitung  zum  Volksstücke:  Jesus 
der  Christ.  In  jenem  ist  der  alttestamentliche  Gott  des  aus- 
erwSlhlten  Volkes  der  Gott  der  iBache,  in  diesem  der  Gott  der 
2fan8chheit,  der  Gott  der  Liebe  geschildert.  Treffend  ist  in3imson 


1U  Dnlks  gchrlltoH. 

der  Glaube  an  Astaroth,  die  Göttin  der  Liebe,  in  deren  Teapel 
Delilah  Priesterin  ist,  als  Waffe  gegen  Simson  benntit.  Va  lA- 
testamentlichen  Mythen  von  Simson  werden  mit  idelem  GeaohidR 
yerwendet  nnd  in  der  Sohildemng  des  Ganzen  nnd  Einzelnen  die 
genaueste  Bekanntschafl  mit  den  Sitten  und  Einrichtimgen  d« 
Orients,  welchen  der  Herr  Verf.  aus  eigener  Ansohammg  kent, 
bekundet. 

Die  Verstösse  eines  Stttckes  gegen  seine  Darstelibarkeit  uf 
der  Bühne  sind  nicht  im  Stande,  ttber  seinen  dramatischen  W«rtk 
den  Stab  zu  brechen.  Dieses  zeigt  sich  am  deutlichsten  in  der 
grössten  dramatischen  Dichtung  unserer  Zeit,  in  Qöthe's  Fust, 
welcher  nicht  nur  im  zweiten ,  sondern  auch  im  ersten ,  jetit  nf 
allen  Bühnen  dargestellten  Theile  bedeutende  Btthnenmftngel  bl 
Entschieden  liest  sich  Faust  besser,  als  er  sich  darstellen  iSasi 
Dasselbe  müssen  wir  auch  von  Dulks  Simson  sagen. 

Es  wird  in  unserm  Bühnenstücke  Allerlei  zur  Schau  gebmkt, 
was  auch  bei  der  besten  Darstellung  kaum  dem  Schein  des  L&olM^ 
liehen  entgeht  und  gerade  in  der  Darstellung  des  Dramas  ist  der 
Schritt  Tom  Ernsten  zum  liächerlichen  oft  sehr  klein.  Wir  neh- 
neu  dahin,  wenn  Simsons  Haare  im  eilften  Auftritte  der  sweiia 
Handlung,  in  sieben  Locken  geflochten,  mit  einem  Fieehtbaod  tob 
Delilah  an  dem  Haken  eines  Pfahles  befestiget  werden  (6.  42), 
wenn  im  neunzehnten  Auftritt  der  dritten  Handlung  (S*  68)  en 
Sklave  aufDelilahs  Bef^  dem  schlafenden  Simson  mit  einer  SchBen 
die  Haare  abschneidet  und  sie  auf  einer  Schüssel  Delilah  fibv" 
geben  will,  wenn  Haare,  Schüssel  und  Scheere  bei  einer  Aimbe 
wegung  der  Delilah  auf  die  Erde  fallen  (S.  64),  wenn  Sims« 
kurz  darauf  mit  abgeschnittenen  Haaren  auftritt,  wenn  Delilah  da* 
durch  getödtet  wird,  dass  ein  Philister  eine  Lanze  nach  ihr  wM 
(S.  87).  Das  Alles  stört  den  mächtig  ergreifenden  Eindruck  is 
Lesen  nicht,  wohl  aber  in  dem  Darstellen.  Solche  Dinge  gehör« 
wenn  die  Dichtung  Bühnenstück  werden  soll,  nicht  auf  dieBduK. 
sie  müssen  erzählt,  nicht  aber  vor  den  Zuschauem  gethan  weido* 

Dichtkunst  und  Philosophie  sind  vielfach  verwandt.  Der  G^g«* 
stand  beider  ist  die  Idee,  nur  bei  letzterer ,  wie  sie  an  sich  iski 
bei  ersterer  in  der  Form  begränzter  Erscheinung.  Es  ist  dis 
Farbenspiel  der  Sinnenwelt,  in  welchem  sie  uns  in  der  Künstelt 
gegentritt.  Bei  keinem  Philosophen  des  Alterthums  zeigt  tiA 
dieses  innige  Kunst  und  Wissenschaft  zusammenhaltende  Band  mdir, 
als  bei  Plato. 

Auch  in  der  zweiten  Schrift  unseres  Herrn  Verf.  erscheint 
sein  dichterisches  Element,  wenn  es  auch  philosophische  Tnff^ 
die  hier  zur  Sprache  kommen ,  behandelt  und  die  Arbeit  nicht  in 
gebundener  Bede  durchgeführt  ist.  Diese  zweite  Schrift  führt  den 
Titel:  Der  Tod  des  Bewusstseins  und  die  Unsterblich- 
keit. Es  ist  in  ihr  die  Unsterblichkeitsfrage  behandelt,  undiwtf 
weniger  in  streng  wissenschaftlicher  dialektischer  Gestalt,  als  tod 


Dulks  Scbriften*  757 

der  ästhetisohen  und  religiösen  Seite,  welche  ja  auch  in 
den  beiden  andern  Werken:  Simsen  nnd  Jesus  der  Christ 
die  YOrherrschenden  sind.  Die  Sprache  ist  nicht  nur  durchweg 
oorrect,  sondern  edel  und  schön  und  gebraucht  häufig  passende, 
nicht  selten  dichterisch^schöne  Bilder  zur  Bezeichnung  der  Begriffe. 
Schon  die  Aufschrift  zeigt,  was  der  Herr  Verf.  will,  im  Tode  des 
Bewusstseins  die  Unsterblichkeit ;  er  spricht  sich  darum  gegen  die 
Fortdauer  des  individuellen  Selbstbewusstseins  nach  dem  Tode  aus 
nach  der  durch  den  Materialismus  und  'die  Jimghegerscbe  Philo- 
sophie, noch  mehr  durch  letztere  yertretenen  Ansicht;  nicht  der 
einzelne  Geist,  die  einzelne  Seele,  das  einzelne  Bewusstsein,  son- 
dern Geist,  Seele,  Bewusstsein  an  sich  sind  ihm  das  Wesen  und 
die' Unsterblichkeit  ftir  den  Einzelnen. 

Von  S.  1 — 38  behandelt  er  die  Anfänge  des  Jenseits. 
Er  bestimmt  hier  das  natürliche  Verhftltniss  des  Lebens 
zum  Tode,  die  geschichtliche  üebersicht  der  Todes- 
empfindung  und  das  Wesen  der  Ohristuslehre.  Von  da 
geht  er  zur  Täuschung  des  Jenseits  über  (S.  38 — 86)  und 
stellt  das  natürliche  Leben  des  Geistes,  die  Forde- 
rung des  Volks-  undKirchenglaubens,  die  Forderung 
der  Sebstsucht  und  die  Entdeckung  eines  Samm(Gesammt-) 
Ichs  im  Menschen  dar.  Indem  der  Herr  Verf.  zor  Mensch- 
heit (S.  86—124)  gelangt,  werden^  da  das  G^sammtich,  wie  er 
sagt,  > Anfang  wie  Ende  des  Menschen  umfasst«,  Geburt  und 
Leben  desIchs,  der  unbewussteGeist  und  dieMensoh- 
heit  als  Momente  aufgezählt.  Zum  Schlüsse  wird  auf  die  Wahr- 
heit des  Jenseits  (S.  124—189),  den  Tod  des  Bewusst- 
seins, das  Sterbliche  und  das  unsterbliche  hingewiesen. 

Es  verknüpft  sich  ein  unwillkürliches  Grauen  mit  dem  Ge- 
danken einer  gänzlichen  Zemichtung  des  Selbstbewusstseins  und 
man  hält  die  Anschauung  von  einem  gänzlichen  Aufhören  des  Ein* 
zelichs  nicht  nur  f(lr  unserer  Natur  widerstrebend,  sondern  für 
irreligiös.  Es  ist  nun  yorzugsweise  des  Herrn  Verf.  Streben,  im 
Yolksthümlichen,  jedem  Gebildeten  verständlichen  Tone  das  Aesthe- 
tische  und  das  Religiöse  seiner  Negation  des  individuellen  ün- 
sterblichkeitsglaubens  darzuthun.  Ref.  kann  dem  Herrn  Verfasser 
hierin  nicht  beistimmen.  Es  handelt  sich  bei  der  individuellen 
Unsterblichkeit  nicht  um  das  Wissen,  sondern  um  das  Glauben, 
und  Jeder  wird  eine  schönere  Seite  in  der  Hoffnung  des  Wieder- 
fiodens  seiner  Lieben,  in  dem  Bleiben  des  Schönsten  und  Edelsten, 
was  er  in  seinem  eigenen  Selbstbewustsein  hat,  als  in  der  Zer- 
nichtung des  ganzen  Inhaltes  seines  Bewusstseins  finden.  Die 
Frucht  wahrer  Religion  ist  die  Sittlichkeit  und,  wenn  auch  eine 
sinnliche,  vorurtheilsvoUe  Anschauung  von  Himmel  und  Hölle  in 
uns  eine  Tugend  des  Eigennutzes  und  der  Furcht  schafft,  so  ist 
doch  der  Gedanke  einer  weitem,  höher»  Entwickelung  des  persön- 
lichen Geistes  nach  dem  Tode  dem  Edeln  ein  Sporu,  da  ihm  daa 


TM  Dulki  BehrtflMi. 

Ringeii  nach  einem  beim  Tode  in  Hiohts  Mirinnettden  IM  ih 
nnnfli»  ersoheinen   nmee,    dem    BDsen   ein   Schrecken.    Wie  tkl 
Schlechtes  wird  ans  Furcht  Tor  dem  Jenseite  nnterlassen,  wie  tid 
Ontes  in  Hoffhnng  auf  das  Jenseits  gethan  I  Die  Wissensdiaft  km 
dem  Denker  nicht  dieselbe  Oewissheit  der  Nichtfortdaner  seines  seftst* 
bewnssten  Oeistes  geben,  welche  die  Beügion  dem  glSobigen  Chri- 
sten Ton  der   Gewissheit   seiner   indiyidnellen  geistigen  Fortdiwi 
giebt.     Freilich  handelt  es  sich  nicht  darmn  in  wissenschaMieha 
Fragen,  was  schOner  und  fClr  das  Volk  besser  ist,   sondern  ledig- 
lich dartun,  was  wahrer  ist.    Es  wird   sich   also  vorzugsweise  tm 
die  Begrtkndong  der  Ansicht  vom  Tode  des  Bewnsstseins  hsadch. 
ZweiS&tM  werden  8.42  anfgestellt:  l)Der  »Geist  danert 
nicht  fort,  wie  er  in  mir  lebt«   nnd   2)  »Er  kann  nidtt 
in  Nichts   dahin   schwinden.«     Man  kann  die  hier  ausge- 
gpyochenen  8&tze  adoptiren,  ohne  deshalb  die  von  dem  Hm.  Yeif. 
daraus  gezogenen  Folgerungen  ftLr  den  Tod  des  Bewnsstseins  xnIm 
am  müsben.     Man  kann  n&mlich  ans  diesen  S&tzen  folgern:  Das  in 
Geiste  Dauernde  allein  lebt  fort  und  diese»  kann   nicht  in  Niebit 
dahin  schwinden.     Es  wird  sich  also  um  die  Frage  handeln.  Wts 
ist  denn  im  Geiste  dieses  Dauernde?    Das  »persönliche  Ich«  W> 
auf  und  wird   statt  dessen   »ein  unpersönliches  allgemeines  leb«. 
Dieses   »unpersönliche  allgemeine  Ich«  soll  das  »Dauernde«,  wll 
imsere  wahre  und  eigentliche  Unsterblichkeit  sein.  Wir  können  ii 
diesem  Gebiete,  Wenn  Wir  wissen  und  nicht  glauben  wollen,  liebt 
weiter  gehen,  als  die  Erfahrung  geht  und  als  unsere  mit  Netli- 
wendigkeit  auf  die  Ei-fahmng  gebauten  Schlüsse  reichen.  Nun  aber 
zeigt  uns  die  Erfahrung,  dass  alle  Dinge,  welche  ezistiren,  so  tsxk 
die  Geister,  indiriduell  sind.     Wenn  man  das  Wesen  eines  Dinges 
erfassen  will ,  muss  man  diejenigen  wesentlichen  Merkmale  heran»- 
fluchen,  welche  allen  Dingen,   also  hier  allen  Geistern  zukonoiffL 
Nun  aber  kommt  dem  Geiste  das  individuelle  Denken  zu  und  olne 
ein  solches  lernen  wir  keinen  Geist  kennen.    Was  wir  Mesflob- 
heitsgeist  nennen,  ist  nur  die  Summe  aller  menschlichen  ^va^ 
geister.     Man  sagt  aber,  dass  »dieses  Einzelbewusstsein  im  Kiirft 
und  in  der  Zeit  bis  zur  Pubertät  fehle.«  Die  Grenze,  wo  dasSelbft* 
bewusstseitt  als  eigentliches  Wissen   des   Selbst  von   seinem  Sein 
beginnt,  Iftsst  sich  freilich  nicht  genau   bestimmen.     Aber  es  i^ 
doch  Selbstbewusstseinsfthigkeit  da  und  wenn  man  uns  einwendet, 
dass  das  Können  noch  kein  Sein,  die  Möglichkeit  noch  keine  Wiit- 
lichkeit  ist,  so  entgegnen  wir,  dass  immer  eioe  individuelle  OH^* 
barung    der    individuellen   Selbstentwickelungsfthigkeit  vorhanden 
ist,  so   lange  von  einem   individuellen  Menschenleben  gesprodiea 
wird,  und  ein  anderes  kennen  wir  nicht,  weil  das  sogenannte  all- 
gemeine Menschenleben  nur  die  Summe  aller  menschlichen  Biniei- 
leben  nach  den  Modifikationen  der  Basse,  des  Volks,  Temperuttents, 
Talents,  Gteohlechts   u.  s.  w.  ist.    Auch   hier   sind   Basse,  Volk, 
Tempieretml^t,  Talent,  GetfchleehC  u.  s.w.  immet  wieder  nurdnrcb 


Ihilki  SckrlfteB.  TM 

Individuen  Terireten.  üeber  das  Individuelle  kommen  wir  durch- 
aas  moht  hinaas.  Zam  Wesen  des  Geistes  gehört  die  Indiyidaali- 
tttt.  Die  Offenbaning  des  Selbstbewusstseins  nach  der  Geburt  zeigt 
sich  schon  als  Empfindang,  als  Belbstgeffthl  und  kommt  in  immer 
engerem  Kreise  znm  Wissen  des  Ichs.  Das  Einzelich  kaan  also 
kein  Gesammtioh  werden,  weil  zum  Wesen  jedes  Ichs  die  Inditi- 
dnalität,  die  Persönlichkeit  gehört.  Das  Ich  ist  ein  sich  selbst 
wissender  Geist.  Der  Geist  weiss  sich  aber  dadnroh  als  selbst^ 
dass  er  sich  von  dem  trennt  oder  unterscheidet,  was  er  nicht  selbst 
ist.  Das  Ich  denkt  sich  dem  Nichtich  entgegen,  und  wenn  es  auch 
im  Andern  etwas  erkennt,  das  durch  seine  Händlungen  sich  als 
Ich  offenbart,  so  ist  doch  dem  Ich  auch  dieses  andere  von  ihm 
unterschiedene  Ich  wieder  ein  Nichtioh.  Ein  sich  selbst  wissender, 
dem  Andern  seiner  selbst  entgegensetzender  Geist  ist  Persönlidi- 
keit.  Diese  Persönlichkeit  «ist  nothwendig  individuell,  weil  nur  das 
Ich  Person  sein  kann  und  der  Begriff  der  Ichheit  =  dem  Begriffs 
einer  sich  selbst  wissenden  Individualität  ist.  Das  allgemeine  loh, 
das  allgemeine  Bewusstsein  ist  ein  von  den  Ichen,  den  bewussten 
Einzelgeistem  abgezogener  Begriff.  Dies  gilt  auch  gegen  die  He- 
gel'sohe  Anschauung,  welche  in  den  allgemeinen  Begriffen  das 
Wesenhafle  sucht  und  dabei  den  concreten  Boden  der  Wirklichkeit 
verliert.  Als  Grundtrieb  unseres  ganzen  Seins  wird  S.  66  die 
»Selbstsucht«  bezeichnet,  und  in  ihr  die  gute  und  schleohte  Seite 
dargestellt,  um  zu  zeigen,  dass  gerade  das  Edle  in  der  Selbstsucht, 
wie  in  der  Liebe,  in  der  Ehe,  im  Streben  für  die  Wissenschaft,  auf 
das  Gemeinwohl,  auf  das  Allgemeine  geht.  Man  kann  aber  ein 
solches  Streben  für  das  Ganze,  das  Allgemeine,  oder  wie  in  der 
Liebe  für  ein  Anderes,  in  welchem  das  eigene  Dasein  aufzugehen 
scheint  oder  wirklich  flir  einige  Zeit  aufgeht,  weder  edle  noch 
unedle  Selbstsucht  nennen.  Ein  solches  Streben  wirkt  gerade  der 
Selbstsucht  entgegen,  üeberhaupt  müsste  man,  wenn  man  von 
»einem  Gmndtrieb  unseres  ganzen  Seins«  spricht,  diesen  Selbst- 
erhaltungstrieb und  nicht  Selbstsucht  nennen*  Die  Selbst- 
sucht wird  S.  66  als  der  »Trieb«  bezeichnet,  »Alles,  wonach  ich 
Sucht  habe,  mir  anzueignen,  es  zu  meinem  Selbst  zu  machen.« 
Einmal  ist  Selbstsucht  nach  des  Herrn  Verf.  eigener  Bezeichnung 
»Suoht«  und  »Sucht«  bezeichnet  eine  Leidenschaft,  so  in  Ehrsucht, 
Geldsucht,  Habsucht,  Bohmsucht,  Verschwendungssucht,  Mord- und 
Stehlsucht  u«  s.  w.  Sie  ist  also  sdion  an  und  für  sich  ein  Hindere 
niss  des  (juten,  ein  Anderes  ist  der  Selbsterhaltungstrieb,  welcher 
in  einer  höhern,  das  vemttnftige  Erkennen  überwältigenden  Steige- 
rung des  Gefühls  und  der  Begierde  Selbstsucht  genannt  wird.  Dass 
die  Selbstsucht  nicht  dahin  fährt,  wohin  der  Herr  Verf.  will,  zum 
allgemeinen  Selbst,  das  nur  in  abstracto,  nie  aber  in  concreto  vor- 
handen ist,  also  nur  gedacht  wird  und  nicht  existirt,  zeigt  schon 
seine  eigene  Definition  der  Selbstsucht,  die  ja  die  »Sucht«  ist. 
Alles  zu  »meinem  Selbst«  su  auwhen.    Nach  der  Selbstsucht  und, 


MO  Dnlk«  Bchriflen. 

wenn  diese  hemoht,  mufls  also  immer  and  Tor  klißm  »mein  SdlNt« 
bleiben  nnd  alles  »andere  Selbste  in  diesem  anf-  nnd  nnteigsb«, 
oder  anr  ein  Mittel  für  dieses  »mein  Selbste  werden.    Anf  dieata 
Wege  kommt  kein  Allselbst  nnd  keine  Allperson  zu  Stande.    Du 
»Allgemeinwesen,  die  Menscbheitsseelec  kann  nicht  als  unser  Wem 
allein  bezeichnet  werden,   da  jedes   Einzelwesen  nothwendig  nieht 
nur  die  mit  den  übrigen   Einzelwesen   seiner  Klasse  gemeinBoluBr 
liehen,  sondeni  anoh  die  besondem  es   zn  diesem  nnd  keiBem  ai- 
dem  Einzelwesen  machenden  Eigenschaften  besitzen  mnss  xmd  ge- 
rade hierin  das  Weseli  des  Einzelwesens  besteht.  Das  »Allgemdn« 
wesen,  die  Menschheitsseele«  ist  nicht,  wie  es  S.  89  heisst,  >tqd 
Anfang  her  nnser  Selbst ,    ans  welchem  das  persönliche  Ich  gleiek 
einem  nnterirdischen  Keime  emporwuchs«,  nnd  welches  wieder n 
einem   »unpersönlichen  Wesen    des  Qeistes«    zurttckkehrt.     üms 
Leben  ist  yon  AnÜEuig  an,   vom  ersten  durch  den  Befruchtoagttct 
im  Mutterleibe  gesetzten  Keime  an  kein   allgemeines,   sondern«! 
indiyiduelles.     Das  Individuelle  wird  aus  Individuellem  und  selbst, 
was  wir  nach  dem  Tode  vom  Körper  sehen,   ist  und   bleibt,  wk 
alles  Werdende  und  Existirende,  individuell.     »Seele   der  Mensd- 
heit,  sagt  der  Herr  Verf.  S.  89,  sind  wir,   soviel  wir  nicht  das 
Fühlen  der  Persönlichkeit  haben,  Oeist  der  Menschheit  werden  wir, 
soviel  wir  das  Wissen  der  Persönlichkeit  verlieren.«  Wir  sind  aW 
im  ersten  Falle  nicht  Menschheitsseele,  sondern  individuelle  Seele, 
wir  können  durch  den  Verlust  unseres  persönlichen   BewusstwBi 
nicht  Gteist  der  Menschheit  werden ,   da  ein  solcher   Geist  nur  als 
das   den  Einzelichen  gemeinschaftlich  Zukommende,  nicht  aber  u 
und  für  sich  als  Wesen  existirt.     Die   Seele   ist   erst    dann  Qeist, 
wenn  das  Denkende  derselben  sich  selbst  zum  Objecto  macht  & 
gehört  demnach  zum  Wesen  des  Geistes,  persönlich  zn  sein.  So  iasgi 
der  Geist  nur  die  EntwickelungsfUhigkeit  zur  Person   hat,  ist  er 
Seele.     Man  kann   also  nicht  mit   dem   Herrn  Verf.  S.  169  von 
»unpersönliehen  Geiste«   als  unserm   eigentlichen  Wesen  spreche«* 
Vortrefflich  ist,  was  der  Herr  Verf.  S.  28  über  die  Entwirft 
lung  des  Christenthums  sagt.     »Der  Geist  Gottes,  sagt  .der  Hfl? 
Verf  daselbst,   oder  der  Geist  Christi,  das  ist  der  selbstwisaeiJ« 
Geist  der  Wahrheit,  der  Liebe  und  des  höchsten  Gerichts  war  swv 
allen   Menschen   versprochen  worden  —   allen   Gläubigen  is 
neuen  Bunde,  allen  Menschen   der  Erde   im   alten  Bunde:  —  ^ 
Kirche  aber  sprach  denselben,  um  ihn  regieren,  regeln  und  hwi- 
sichtigen  zu  können,  als   einen  ursprünglichen  und  gewissen,  ^ 
Priestern  der  Kirche  mit  seltenen  Ausnahmen  allein  zu,  undnster 
den  Priestern   eigentlich   allein  und  unumschr&nkt  wiedenim  v« 
einem  Menschen,  dem  Haupte  der  Kirche,  dem  »Stellvertreter 
Gottes.     So   musste    sie  denn  dem  Evangelium,  der  Verkündigung 
Christi  von  vornherein   widersprechen   und   mit  der   Christusleht» 
selbst  zugleich  jenen  Samen  innem  Krieges  und  wachsender  Ze^ 
Störung  säen,  welcher   seit  Jahrhunderten  aufgegangen  und  beste 


Dtilkt  Scbriften  W 

zn  einer  allgemeinen  Fracht  nnd  Emdte  gereift  ist.  Das  Ünatie« 
blei  bliebe  mneete  also  geschehen.  Denn  der  Erkenntnissgeist  wnehs 
in  der  ganzen  Menschheit,  in  allen  Kindern  Qottes,  die  Kirohe  aber 
wollte  yon  einem  Wacbsthnme  des  Erkenntnissgeistes  ttberhanpt 
nichts  hOren,  nicht  einmal  im  eigenen  Schoosse;  sie  hatte  ihre 
ewigen  Wahrheiten  in  Worte  aasgeprägt  nnd  anf  Wort  nnd  Bnch- 
Stäben  derselben,  das  ist  des  Dogmas,  verpflichtete  sie  die  eigenen 
OHeder.  und  obwohl  im  Laafe  der  Jahrhunderte  die  Kirche  in  der 
That  neue  Dogmen  nnd  widersprechende  Erkenntnisse  anfstellte 
—  wie  denn  auch  wir  erlebt  haben,  dass  die  Tom  heiligen  Bern« 
hard  noch  so  krttftig  geläagnete  unbefleckte  Empfllngniss  der  Jung- 
fran  Maria  neuerdings  za  den  Nothwendigkeiten  des  seeligmachen- 
den  Glaubens  erhoben  wurde  —  so  hielt  sie  doch  die  häretische 
nicht  minder  als  die  orthodoxe  —  so  starr  wie  immer  möglich  an 
Veraltetem  fest,  läugnete,  Melanchthon  der  Protestant,  voran,  auch 
die  Bewegung  der  Erde  Jahrhunderte  lang  und  hatte  mit  Ver- 
werfung, Ausstossung  und  Vernichtung  solcher  Christen,  in  denen 
der  Nachfolgergeist  jenes  selbstwissenden  Oeistes  der  Ge* 
rechtigkeit  und  Wahrheit  besonders  mächtig  auftrat,  so  viel  und 
nbel  zu  thun,  dass  sie  mit  der  Arbeit  niemalen  fertig  geworden 
ist.  Darüber  ist  denn  das  kirchliche  Wesen,  zumal  in  den  ur- 
ohristlichen  Kirchen,  der  griechisch-katholischen  und  der  römisch- 
katholischen,  vielfach  zu  Aeusserlichkeit,  zu  Wort-  und  Werkheilig- 
keit geworden,  und  ein  unbefangener  Fremdling,  welcher  der  christ- 
lichen Anbetung  geschnitzter  Amulette  im  stillen  Kämmerlein  oder 
der  geräuschvollen  Verehrung  der  mannigfachen  Statuen,  Bilder 
und  Sjmbole  in  ofi«ner  voller  Christengemeinde  anwohnte,  wttsste 
wahrlich  die  Religion  des  Geistes  nicht  mehr  zu  unterscheiden 
von  dem  Fetischdienste  der  heidnischen  Abgötter,  welche  zu  be- 
kämpfen und  aaszurotten  jene  sich  vorsetzte.  € 

Wir  kommen  endlich  zu  Dulk*8  dichterischem  Hauptwerke, 
das  den  Gott  der  Liebe  dem  in  Simsen  dargestellten  Gotte  der 
Bache,  den  neutestamentlichen  Gott  dem  alttestamentlichen  ent- 
gegensetzt.    Wir  meinen  »Jesus,  den  Christ.« 

Die  dramatische  Dichtung  wurde  1855  im  Manuscripte  voll- 
endet. Der  Herr  Verf.  wollte  dieselbe,  da  sie  ein  deutsches  Volks- 
bühnenstück  werden  sollte,  dem  Publikum  im  mündlichen  Vortrage 
sugänglich  machen.  Seine  in  dieser  Dichtung  ausgesprochenen  Ge- 
danken sollten  zuerst  auf  dem  Wege  dramatischer  Vorlesungen  mit 
dem  Zeitbewusstsein  vermittelt  werden,  ehe  das  sie  enthaltende  Stück 
durch  den  Druck  im  weitem  Kreise  bekannt  gemacht  oder  Gegen- 
stand der  Bübnendarstellung  wurde.  In  vielen  bedeutenderen  Städten 
Deutschlands  und  der  stamm-  nnd  sprachverwandten  Schweiz  wur- 
den solche  Vorlesungen  seines  Jesus  von  dem  Hm.  Vert  gehalten, 
znerst  1855  in  Zürich,  zuletzt  1864  in  Heidelberg.  Trotz  mancher 
Missvemtändnisse  und  beschränkter  oder  böswilliger  Verketzemngen 
fanden  diese  Vorträge  über  den  neuen,  dramatisch  nur  in  Volks- 


tM  Dfilki  SckrtflML 

spielen  bekandelten  Gegenstand,  die  lebendigste  nnd  anerkenaMidsie 
Tbeilnahme  Yon  Seite  eines  gebildeten  nnd  denkenden  Fablünuni. 
Dieses  Drnmn,  dne  Ref.  sehen  dnreb  Vortrage  des  Hm«  YerL  tos 
der  Tortheilbafteeten  Seite  kannte,  ist  nnn  so  eben  (1865)  im  Dracb 
erschienen.  Die  günstige  Meinung,  die  Bef.  bei  der  Yorlesang  dm 
Stockes  gewann,  hat  sich  durch  das  Lesen  desselben  nicht  nur  be- 
stätigt, sondern  im  hohen  Grade  Terst&rkt.  Das  Bneh  istalsYolb- 
drama  ein  BOhnenstttck  der  Zukunft;  denn  noch  sind  wir  siokt 
so  weit,  dass  im  natürlichen  und  rationellen  Sinne  geeehrkbemt 
den  religiösen  Wunderglauben  vom  historischen  Kern  sondernde 
Volksstttcke  vom  Volke  selbst  dargestellt  werden  könnten.  Die 
Paesionsspiele ,  wie  sie  noch  jettt  in  einigen  Orten  DentscUasds 
üblich  sind,  üeberUeibsel  der  ihre  Geheimnisse  dramatisch  dnnk 
das  Volk  darstellenden  mittelalterlichen  Kirche,  gehen  tob  to 
unbefangenen,  sich  kindlich  ohne  weitere  Prüfung  an  die  geheish 
nissYollen  Wunder  der  Kirche  hingebenden  Glauben  ans.  DasStfi^ 
hat  mit  den  Epoche  machenden  Werken  über  die  QieUen  und  die 
Geschichte  des  Christenthums  von  St ranss  und  Baur  dieTenden 
gemein.  Es  stellt  ein  menschliches,  auf  natürlichem  Boden  er- 
wachsenes Bild  eines  grossen  Menschen  und  seines  Kampfes  für 
die  Menschheit  gegen  die  Dummheit  und  Bosheit,  von  allem  Wun- 
derglauben befreit,  in  der  lebendigen  Handlungs-  und  Bedewe» 
des  Volkes  dar.  üeberaU  xeigt  sich  die  sorgfältigste  Benutfing 
des  geschichtlichen  Bodens  der  Evangelien,  und  in  dieser  Hinskht 
nähert  sich  die  Dichtung  mehr  den  Paulus'sohen  Forsohunga, 
welche  mit  vielem  Scharfsinn  im  Nebel  der  Wunder  den  geschicbir 
liehen  Kern  der  Thatsachen  aufgefunden  haben.  Der  historische 
Kern  ist  es  ja  auch,  aber  ein  wahrhaft  historischer,  vernünftiger 
Kern,  von  welchem  ein  historisches  Drama  aussngehen  hat.  Du 
Drama,  welches  menschliche  Handlungen  darzustellen  hat,  darf  knn 
anderes  Wunder,  Bäthsel  und  Geheimniss  keinen,  ab  den  Menschen 
und  seine  ThatkrafL 

ImUebrigen  ist  das  Werk  von  den  rationalistisch  hiatorisdieB 
Auffassungen  der  Theologen  so  verschieden,  als  die  Wissenschaft 
von  der  Kunst.  Die  Ausgangspunkte  in  der  Anschannng  vonJew 
Persönlichkeit  sind  dieselben,  die  Ausführung  und  Darstellung  mse« 
eine  andere  sein  und  ist  auch  eine  andere.  Hier  sind  bei  der 
natürlichen  Auffiassung  und  Darstellung  Jesu  nicht  die  Gründe,  wie 
in  der  Wissenschaft,  sondern  die  aus  der  evangelischen  Gesdiidite 
in  der  Form  eines  Kunstwerkes  gesammelten  Züge  die  Hauptsache. 
Die  Offenbarung  erscheint  hier  in  Einheit  mit  der  Natur,  »nicht  in 
dem  gebrochenen  unlebendigen  Liebte  de«  Buchstabens  und  der 
Bucbstabenlehrec  (S.  VI).  Der  Herr  Verf.  ist  in  den  Geist  der 
Bibel  gedrungen.  Seine  Sprache  ist  eine  biblische.  Ja  er  brancht, 
wo  er  bedeutende  Charaktere  der  Bibel  darstellt,  selbst  die  eigenes 
Worte  der  Bibel.  Die  Worte  werden  überall  an  der  rechten  Stelle 
eingesKßhaJtea  und  dienen   noch  mehr  dazu  uns  gan»  in  die  Zeit 


I>till8  Bobriften.  t6l 

diar  Tölker,  der  Charalctere,  der  Handlungen  der  Bibel  zn  ter- 
setzen.  Die  Obarakteristik  iet  eine  lebenvoll  und  naturgetreu 
individualisirende.  Die  Volkscharaktere  und  Volksparteien  sind 
treffend  einander  gegenüber  gestellt,  das  Bömertbum  dem  Juden- 
tbum,  in  dem  ersteren  wieder  der  eigentliche  Besieger  der  Welt, 
der  B5mer,  ihm  gegenüber  der  Grieche  und  der  Germane.  Im 
Jadentbnm  sind  die  handelnden  Hauptparteien  die  eifernden  Juden 
oder  Zeloten  mit  ihrem  Streben,  die  BCmer  zu  bekriegen,  sich  die 
weltliche  Herrschaft  anzueignen  und  ein  weltliches  neues  Messias- 
reiob  zu  grflnden  und  die  Essfter,  unter  denen  Jesus  erzogen  wurde, 
die  auf  eine  geistige  Beform  dringen,  auf  Erkenntniss  des  Geistes 
und  darum  die  Messiasidee  in  einer  hohem  und  gelSluterteren  Form 
aufnehmen.  Die  Hauptrertreter  des  BOmertbums  im  engeren  Sinne 
sind  der  römische  Procnrator  Pontius  Pilatus  und  dessen  Neffe 
der  Eriegstribun  Flavius  Dentatus.  In  diesem  Römerthum 
zeigen  sich  die  Elemente  der  besiegten  Nationalitftten ;  der  Germane 
in  Astolfus  wird  dem  Griechen  in  PSstus  gegenüber  gestellt.  Die 
Hauptvertreter  des  jüdischen  Zelotenthums  sind  der  Saductter  und 
Priester  JudaBenTabai  und  der  in  die  Handlung  tief  eingreifende 
Schüler  und  Freund  Jesu,  Judas  Ben  Simon,  genannt  Ischarioth. 
Auf  der  Seite  der  Essfter  stehen  Joseph  von  Arimathia,  der  essttisobe 
Erzieher  Jesu,  der  den  gekreuzigten  Scheintodten  durch  Anwendung 
seiner  medicinischen  Kenntnisse  ins  Leben  zurückrufb,  und  Johannes, 
genannt  der  Täufer,  Sohn  Zaoharift,  der  Vorläufer  Jesu.  Der  Mittel- 
und  Glanzpunkt  des  Ess&erthums  und  der  ganzen  Handlung  al^r 
ist  Jesus,  Sohn  Josephs  von  Nbzareth.  Auf  seiner  Seite  stehen  die 
edeln  Frauen,  seine  Mutter  in  hoher  religiöser  Begeisterung,  den 
Glauben  an  die  göttliche  Abkunft  ihres  Sohnes,  an  seine  Messias- 
würde  und  an  seine  Wundertbaten  festhaltend,  Maria,  genannt 
Magdalena,  früher  des  Ischarioth  Geliebte,  spftter  die  treueste  und 
edelste  Anb&ngerin  des  Herrn,  das  Vergangene  durch  die  reinste, 
gottinnigste  Hingabe  sühnend,  endlich  Elisabeth,  die  Freundin  der 
Mutter  des  Herren,  die  Mutter  Johannes  des  Tftufers.  Von  den  Zeloten 
werden  wieder  die  pharisäische  und  sadncftische  Partei  geschildert, 
jene  von  der  edleren  Seite  in  Gamaliel  Ben  Simon  und  Nikodemus, 
diese  in  dem  Anführer  des  zelotischen  Volkes,  Juda  Bett  Tabai. 
Das  jüdische  Pfaffenthum  hat  seinen  Hauptvertreter  in  Caiphas, 
dem  hohen  Priester  des  jüdischen  Volkes.  Der  Stoff,  die  Grund- 
legung des  Gbristenthums  und  di«  grösste  That  desselben  in  der 
Hingabe  des  Messias,  den  Gläubigen  die  Quelle  der  Erlösung  und 
Beselignng,  den  objectiven  Betrachtern  die  grossartigste,  erhabenste 
und  folgenreichste  That  der  Weltgeschichte,  WBlobe  aus  den  unbe- 
dentendsten  Anfängen  eines  verachteten  und  unterdrückten,  viel- 
fach in  Vorurtheilen  befangenen  Völkleins  die  Quelle  aller  civilisa-' 
toriseben  Entwickelung  der  Menschheit  in  Staat,  Kunst,  Betigion 
and  Wissensohaffc  für  alle  Zeiten  hervorruft,  der  Kampf,  Tod  und 
Sieg  des  Erlösers  und  Heilandes  der  Welt  ist  schon  an  und  für 


764  DolkB  9e1irlfM«  | 

Bidi  ein  in  seiner  Art  einziger  dramatisoher   Stoff  tmd  im  & 
religiöse  Sehen  konnte  die  dichterische  Behandlung  des  8toiB8  & 
die  Bühne  verhindern.    Doch  rief  diese  Begeistemng  imlCtteiilbi 
jenes  heilige,   von   der  Kirche  zunächst  ausgebende  und  ulnp 
selbst  in  der  Kirche   stattfindende  dramatische   Spiel  herrorj  du 
uns  die  Qeburt,  das   Leben,   den   Tod  und   die  Auferstehang  ^ 
Heilandes  durch  handelnde  Personen  in   Dialogen,   Kostümen ai 
Soenerien  vor  die  Augen  stellt.     Von  der  Kirche   kam  das  koüp 
Spiel  in  die  Hände  des  Volkes;  es  war  die  heilige  Qeschidiiefli 
dem  Volke  verwachsen  und  das  Volk  stellte  die  in  seinem  Inifli 
lebenden  Oeheimnisse  seines  Glaubens    im   Volksstücke  äussott 
dar.   Spiele,  wie  im  Oberammergau,  sind  die   üeberbleibsel  dioB 
dramatischen  Volkspo^sie  und   darstellenden   dramatischen  Yotb- 
knnst.    Aber  das  Wunder  vertritt  hier  die  Stelle  der  psychohf" 
sehen  Oründe.    Das  Volksstück,  das  ein  wahrhaftes  Drama  iverdfi 
soll,  muss  vom  Himmel  zur  Erde  herab ;   denn  dort  beg^nen  n 
keinen  menschlichen  Figuren  und  Handlungen.  Die  Charakters  m^ 
Handlungen  müssen    menschliche   sein,   denn   das    eigentlich  ni 
wahrhaft  Menschliche  ist  auch  das  Göttliche.     Der    Mensebei^ 
handelt  und  stellt  die  Handlung  dar;  vor  dem  Geiste  aber  sckviB- 
det  der  Nimbus  des  Wunders  und  an  seine  Stelle  tritt  die  xaßDS^  , 
liehe  Thatsache,  die  allein  Stoff  des  Dramas  werden  kann. 

Der  Herr  Verf.  nennt  die  Acte  Handlungen ,  die  Scenen  Aa 
Darstellungen.  Das  ganze  Stück  zerfällt  in  neun  Handlungen  ^ 
kann  zur  Darstellung,  wie  dieses  der  Herr  Verf.  anoh  bei  saa» 
Vorträgen  desselben  gethan  hat,  fElglich  in  zwei  Tbeile  ge^ 
werden. 

Die  erste  Handlung  stellt  uns  Rom  und  JudaimO^ 
satzedar,  die  zweite  die  Versuchung  Jesu,  die  dritte^ 
Messias,  die  vierte  die  Tempelreinigung,  die  fttn^^' 
das  Abendmahl,  diesechste  Gabbata,  die  siebente  Gol- 
gatha^ die  achte  die  Auferstehung,  die  neunte  & 
Himmelfahrt. 

Es  ist  in  neuerer  Zeit  vielfach  seit  den  Wundererklftraogs 
und  dem  Leben  Jesu  von  Paulus  theils  auf  der  Grundlage  sirsji^ 
historisch  kritischer  Forschungen,  theils  auch  in  philosophiacbeBi 
speciell  psychologischen  Darstellungen  der  Versuch  gemacht  trD^ 
den,  das  Leben  Jesu  und  alle  in  ihm  vorkommenden  Wunder  IiatB^ 
lieh  zu  erklären  und  in  natürlichem,  rein  menschlichem  Sinne  dar 
zustellen. 

Dulk  aber  ist  der  ersfe,  welcher  einen  rationalistiscli  9Xar 
gefassten  und  in  einem  natürlichen  Leben  dargestellten  Hessii^ 
auf  die  Bühne  bringt  und  die  menschlich  begründete  Grafldli|p 
der  Christenthumsentwicklung  in  philosophisch*dichteriacher  W^ 
verherrlicht.  Es  wehet  durch  diese  natürliche  Darstellung  ein  tie- 
fer religiöser  Sinn,  eine  genaue  und  tief  eingehende  Besohäftiga>V 


Dulks  SohrihMi.  W 

mit  der  heiligen  Oeschichte,  eine  nmfiMeende  Ewntnifls  der  Volker 
nnd  Sitten  jener  Zeit. 

Das  Stück  ist  reich  an  schönen  dichterischen  Stellen  nnd  die 
Anordnung  des  Ganzen  durchaus  gelungen. 

Wir  geben  keine  Auszüge.  Es  genügt  uns  auf  den  Inhalt  und 
Werth  des  Buches  aufmerksam  gemacht  zu  haben,  das  zu  den 
merkwürdigsten  literarischen  Erscheinungen  der  Oegenwiuii  gehOrt. 
Man  muBS  es  lesen,  wenn  man  sich  mit  seinem  philosophischen 
und  dichterischen  Geiste  vertraut  machen  will,  und,  was  wir  von 
Simsonunddem  Tode  des  Bewusstseins  sagten,  müssen  wir 
auch  hier  wiederholen.  Wer  angefangen  hat,  wird  fortlesen,  bis 
er  den  ganzen  Geist  des  Werkes  in  sich  aufgenommen  hat  und 
dieses  Fesseln  ist  die  schönste  und  beste  Beurtheilung  des  Buches, 
es  ist  die  Selbstrecension  desselben  durch  die  That.  Die  Essäer 
legen  den  Grund  zu  Jesu  Bildung.  Joseph  Y(m  Arimathia,  der 
Arzt  und  Denker,  ist  sein  Lehrer;  er  führt  Jesus  in  seine  Heimat h 
zurück  aus  dem  fernen  Lande,  wo  er  erzogen  wurde.  Der  Bsstter- 
geist  spricht  sich  in  den  Lehren  des  Joseph  von  Arimathia  aue; 
Er  ruft  Jesu  zu: 

»So  trag'  denn  unsere  Lehren  in  die  Welt 

Ins  yielgestalte  Leben,  üV  sie  aus!  .... 

So  kehre  nun  zurück  in  Galiläa 

Zum  Hause  deines  Vaters  ...  unterwirf  dich  ^ 

In  Allem  ihm,  dass  lang  du  lebst  auf  Erden 

Und  alle  Tugend,  die  du  hier  geübt 

Und  hier  geschaut  ^  mag  dir  lebendig  bleiben, 

Vor  Allem  doch,  dass  Glück  und  Freiheit  nur 

Hier  in  der  innem  Welt  —  nicht  aussen  liegen  — 

und  dass  unsterblich,  unvergänglich  in  uns 

Die  Seele  wohnt!  Auch  mag  dich  tftglich  mahnen 

Jeglich  Gebot  rechten  Essäergeistes ; 

Kein  Schwur;  doch  strenge  Wahrheit!  Bechtlichkeit 

Und  Brudersinn  I  Und  Liebe,  Liebe,  Wohlthun« 

Ein  religiöser  Volksauflauf  imponirt  dem  Landpfleger  Pilatus. 
Jesus,  aus  seiner  l&ndlichen  Gemeinschaft  des  Essfterordens  ent- 
lassen, zu  den  Eltern  und  in  das  öffentliche  Leben  zurückkehrend, 
ist  Zeuge  der  öffentlichen  Begeisterung  für  Jehovah.  Die  dabei 
gezeigte  Erwartung  des  Messias  erschüttert  ihn  auf  das  Tiefste 
und  regt  ihn  zum  eigenen  Handeln  in  Jehovahs  Namen  auf.  Jesus 
kämpft  in  der  Wüste  bei  Jericho  den  innem  Seelenkampf,  seine 
Versuchung  durch,  und  es  zeigt  sich,  dass  es  überall  der  Geist  ist, 
der  sich  sammelt  und  zum  Bewusstsein  der  Wahrheit  kommt.  In 
der  Wüste  trifft  er  Johannes  den  Täufer,  auf  welchen  er  mächtig 
erregend  wirkt.  Johannes  wird  mit  der  Predigt  des  Messias  und 
der  Taule  zum  nahen  Himmelreiche  beauftragt.    Jesu  Mutter  und 


7<8  Dulkt  BchrUten. 

acht  Jahre  za.  Dort  eehrieb  er  seine  in  der  arabiaoken  WOike 
unter  den  Beduinen  begonnene  »Stimme  der  Menscbheii«, 
ein  bis  jetzt  ungedrucktes  Werk.  Es  sollte  eine  alle  Beligionm 
in  sich  aufnehmende  neue  Religion,  die  naturreife  Entwickelong 
und  Frucht  des  Christenthums  enthalten.  Hier  wurde  aach  1855 
sein  Jesus,  der  Christ  geschrieben,  dessen  Soenerie  er  sohoi 
1849  aui'  einer  Fuss Wanderung  von  Born  nach  Neapel  in  den  pw- 
tinisohen  Sümpfen  entworfen  hatte.  Hier,  auf  den  Bergen  im 
Genfersee,  entstand  auch  1858  sein  Simson.  Seiner  Familie 
wegen  kehrte  Dulk  (1859)  nach  Deutschland  zurück,  wo  er  noek 
jetzt  in  Stuttgart  lebt.  In  diesem  neuen  Aufenthaltsorte  wnidea 
sein  deutscher  Kaiser,  Konrad  II.,  der  Text  zor  Oper: 
König  Enzio  und  seine  in  Stuttgart  zur  Aufführung  gekommeDe 
Umarbeitung  eines  Kleist*sohen  Bühnenstückes  geschnoben.  So  kil 
er  mitten  in  den  Stürmen  seines  vielbewegten  Lebens  die  alte  migi- 
schwftchte  Kraft  des  Geistes  bewahrt.  Aber  auch  seine  in  der 
arabischen  Wüste,  in  der  SinaihOhle  unter  den  Beduinen  nnd  u 
den  Katarakten  des  Nils,  durch  eine  Beihe  yon  K&mpfen,  Hflb- 
salen  und  Entbehrungen  in  fernen  Landen  hart  geprüfte  Knft  das 
Körpers  ist  noch  jetzt  im  45.  Jahre  seines  Lebens  die  gleiche  ut- 
v6rtlnderte.  Wir  haben  kürzlich  in  öffentlichen  Blättern  gelaaem 
dass  Dulk  die  grösste  Breite  des  Bodensees  von  Bomanshom  \m 
Friedrichshafen  in  dem  kleinen  Zeiträume  von  kaum  6  Stunden  doich- 
schwamm,  ohne  auch  nur  ein  einzigesmal  den  neben  ihm  berbk- 
renden  Nachen  zu  besteigen.  Alle  Blätter,  welche  diese  gewiss 
merkwürdige  Thatsache  erwähnten,  fügten  die  Bemerkung  bei,  da« 
er  eine  noch  grössere  körperliche  Kraft,  als  der  von  ihm  bemn- 
gene  Simson,  besitze.  Möge  ihm  ungesohwächt  diese  geistige  und 
körperliche  Kraft  zur  Erreichung  der  weiteren  künstlerisehen  Ziele 
bleiben,  mit  welchen  sich  sein  anstrebender  Genius  beschäftigt  I 

V.  Ileiclilfai.Melflcgg. 


Ii.  49.  UEIDELB££6£ll  186S. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Beiträge  9ur  geognoslisehen  Kenntnisa  des  Ersgebirgee.  Auf  Anord- 
nung des  KönigL  Sachs.  Oberbergamtes  aus  dem  Oangunier" 
suchungs-Archiv  herausgegeben  durch  die  hiergu  besiellte  Com" 
mission,  1.  Heft,  Die  Oranite  von  Geyer  und  Ehrenfrieders^ 
dorf  sowie  die  Zinnerz- Lagerstätten  von  Geyer,  Von  Alfred 
Wilhelm  Steigner.  Mit  3  Tafeln  und  2  Holzschnitten. 
Freiberg,  In  Commission  bei  Gros  und  Gerlach  (R.  Mänmeh) 
8.     S.  58. 

Schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren  sind  anf  Anordnung  des 
Oberbergamtes  zu  Freiberg  unter  der  Leitung  einer  besonderen 
Commission  —  zur  Zeit  aus  den  Herren  Reich,  Breithaupt, 
y.  Cotta,  Scheerer  und  Müller  bestehend  —  durch  geeignete 
Bergbeamte  geognostische  Special-Untersuchungen  einzelner  Gegen- 
den ausgeführt  worden.  Auf  diese  Weise  hat  sich  ein  reichhaltiges 
Material  gesammelt,  das  auf  Kosten  des  Freiberger  Gangunter- 
suchungs-Fonds  in  zwanglosen  Heften  nach  und  nach  veröfifentlicht 
werden  solL 

Das  erste  Heft  liegt  nun  vor  uns  und  bringt  eine  yortreffliche 
Arbeit  des  Herrn  Alfred  Stelzner  ttber  die  Granite  und  Zinnerz- 
Lagerstätten  von  Geyer. 

Das  geschilderte  Gebiet  wird  vorwaltend  durch  einen  feld- 
spathhaltigen  Glimmerschiefer  zusammengesetzt.  Unter- 
geordnet treten  einige  inselförmige  Partien  von  rothem  Gneiss 
anf;  sie  zeigen  gleiches  Fallen  und  Streichen  der  Schichtungs- 
Structur,  wie  der  sie  umgrenzende  Glimmerschiefer.  Wenn  nun  die 
neuesten  Untersuchungen,  besonders  von  Scheerer,  dargethan 
haben,  dass  dem  rothen  Gneiss  eine  eruptive  Bildung  einzuräumen 
sei,  so  folgt  hieraus  ^  wie  Stelzner  treffend  hervorhebt  — -  dass 
die  Schichtung  der  krjstallinischen  Schiefer  nur  eine  Schicht- 
oder Parallel-Structur  ist,  die  wahrscheinlich  nicht  durch 
innere,  d.  h.  ursprüngliche  Ablagerungs  -  Verhältnisse  begründet, 
sondern  als  die  Folge  der  Einwirkung  fremder  EiUfte  anzu- 
sehen ist. 

Das  interessanteste  Gestein  der  ganzen  Gegend,  Granit,  er- 
scheint in  drei  Stöcken:  am  Greifenstein,  am  Zinnberge  und  am 
Geyersberge.  Diese  drei  Stöcke  hängen  aber  wohl  in  der  Tiefe 
zusammen.  Die  Granite  von  den  genannten  Orten  werden  in  petro- 
graphischer  Beziehung  besonders  durch  Armuth  an  Glimmer 
oharacterisirt.  Von  Feldspath  lassen  sich  zwei  Species  unterschei- 
den, deren  eine  Mikroklin,  der  andere  Albit  sein  dürfte.  Unter 
LVUL  Jahrg.  10.  Heft  49 


770  Stellner:  Beitrüge  mr  Kenntnise  dee  Erigebbges. 

den  mazmigfaohen  Oranit- Abänderungen  verdient  der  Greisen 
Erwfthnang,  bestehend  ans  einem  grobkörnigen  Gemenge  Ton  grüs- 
licbgrauem  Glimmer  mit  Quarz.  Er  findet  sich  bei  Geyer  und  moss 
als  ein  umgewandelter  Granit  betrachtet  werden,  in  welchem 
durch  die  Einwirkung  von  Chlor-  und  Fluor-Verbindungen  der  Feld- 
spath  zerstört  und  eine  Neubildung  von  Quarz  und  Glimmer  ?er- 
anlasst  wurde.  DafOr  liefern  zunächst  die  im  Granit  der  Gegend  tob 
Geyer  vorkommenden  Mineralien  einige  Beweise.  Sehr  häufig,  n- 
mal  bei  Greifenstein,  ist  Topas,  in  bläulich  weissen  Krystallen; 
er  dürfte  gleichzeitiger  Entstehung  mit  den  wesentlichen  Gemeng- 
theilen  des  Granits  sein.  Dafür  spricht  folgender  Umstand:  in  der 
Nähe  der  grossen  Schollen  von  Glimmerschiefer,  welche  derGraoH 
umschliesst,  sind  Quarz  und  Feldspath  des  Granits  sehr  grm- 
kömig  krystallinisch  ausgebildet.  Von  diesen  für  die  krystal^ 
nische  Entwickelung  günstigen  Bedingungen ,  welche  zur  Zeit  der 
Erstarrung  des  Granits  an  solchen  Contact-Stellen  stattgefunden 
haben  müssen  hat  auch  der  Topas  Gebrauch  gemacht,  denn  ytür 
rend  er  im  normalen  Granit  nur  in  bis  zu  zwei  Linien  grossen 
Körnern  eingesprengt  ist,  erscheint  er  in  den  erwähnten  Contact- 
Regionen  in  erbsengrossen  Erystallen.  Demnach  steht  die 
Grösse  der  Topase  im  Yerhäitniss  zu  der  krystalli- 
nischen  Entwickelung  des  Granits,  in  dem  sie  eingewacb- 
Ron  sind  —  eine  Thatsache,  die  nur  in  der  gleichzeitigen 
Bildung  der  Topase  mit  dem  Granit  ihre  Erklärung  findet. 
Turmalin  stellt  sich  gleichfalls  häufig  ein  in^prismatischen  Erystal' 
len  und  zwar  ähnlich  wie  der  Orthit,  denn  seine  Krystalle  sind 
von  einer  rothen,  quarzfreien  Zone  von  Feldspath  umgeben,  die 
nach  Aussen  allmählig  verläuft  —  ein  Umstand,  der  für  pri- 
märe Bildung  des  Turmalins  spricht. 

Der  Granit  der  Gegend  von  Geyer  ist  so  ausgezeichnet  platten- 
fbrmig  zerklüftet,  dass  man  ihn  früher  für  ein  geschichtetes  6^ 
stein  hielt.  Die  ganze  Erscheinung,  obschon  durch  ursprünglicbe 
Structnr- Verhältnisse  begründet,  hat  durch  langdauernde  Verwitte 
rungs-Processe  erst  ihre  vollständige  Entwicklung  erlangt.  Der 
Granit  nimmt  dem  Glimmerschiefer  gegenüber  eine  durchgrei- 
fende Lagerung  ein.  Eine  auffallende  Störung  des  Schichten- 
baues hat  nirgends  stat  gefunden.  Hingegen  gewinnen  die  Gon- 
tact-Verhältnisse  zwischen  Granit  und  Schiefer  ein 
ganz  besonderes  Interesse ;  sie  sind  es,  welche  schon  seit  geraumer 
Zeit  die  Aufmerksamkeit  der  Geologen  auf  sich  zogen  und  die  v^ 
schiedensten Theorien  veranlassten.  Es  lassen  sich  mechanisclfk* 
und  chemisch-physikalische  Contact-Wirkungen xintefl 
scheiden.  Die  ersteren,  die  mechanischen,  sind  einfacher  Qi(atu 
Der  Granit  hat  bei  seinem  Empordringen  Schollen  des  GUfaime 
Schiefers  losgerissen,  mit  sich  emporgeftlhrt  und  umschlossen. \  Ab 
nur  in  der  Schiefer- Grenze  finden  sich  diese  zahlreichen  Schlafe 
Schollen;    sie  dienen   uns   als  vollgültige  Beweise  für^ 


Stelcner:  fieitfftg«  rar  Keimitiifla  des  £!rifebtrges.  ?71 

eruptive  Natur  des  Granits.  Unter  den  chemiscb^phjsika'* 
lischen  Contact-Wirkungen  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  die 
derben  Quarzlagen  des  normalen  Glimmerschiefers  sind  körnig  ge^ 
worden,  die  anfangs  zusammenhängenden  hellen  Membranen  yon 
Glimmer  haben  sich  in  ein  feinschuppiges  Haufwerk  kleiner,  schwar- 
zer Glimmer-^Blattchen  aufgelöst ;  es  ist  eine  festere  Verbindung  der 
beiden  Gemengtheiie  eingetreten,  in  Folge^  deren  das  Gestein  seine 
Tollkommene  Spaltbarkeit  eingebttsst  hat.  —  In  hohem  Grade  merk* 
w'Qrdig  ist  aber  die  Bückwirkung  des  Schiefers  auf  den 
erstarrenden  Granit.  Bingsum  den  Granit-Kegel  des  Stock- 
werkes von  Geyer  zieht  zwischen  dem  feinkörnigen  Granit  des 
Centrums  und  dem  anliegenden  Glimmerschiefer  eine  eigenthüm- 
liehe  Masse  hin,  V»  his  2  Lachter  mächtig,  der  Stockscheid  er. 
Es  besteht  dieselbe  aus  den  drei  Gemengtheilen  des  Granits,  welche 
aber  eine  ganz  grobkrystallinisohe  Textur  zeigen.  Obwohl  mit  dem 
Glimmerschiefer  fest  rerwachsen  scheidet  der  Stockscheider  dennoch 
scharf  von  ihm  ab.  Anders  rerhält  er  sich  aber  zum  Granit  des 
Gentrums.  Aus  letzterem  entwickelt  er  sich  allmählig,  obwohl  auf 
kurze  Strecke.  Es  darf  der  Stockscheider  als  kein  selbstständigeg 
Gebilde,  sondern  nur  als  eine  unter  besondern  Umständen  hervor- 
gegangene Granit-Abänderung  betrachtet  werden.  Man  findet  in 
diesem  Biesengranit  die  nämlichen  Schiefer-Fragmente,  wie  in  dem 
normalen,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dass  sie  in  ihm  nie  un- 
mittelbar inne  liegen,  sondern  stets  von  einem  sehr  fein- 
körnigen Gemenge  vonQuarz  undFeldspath  umgeben 
werden.  Mit  Beoht  bemerkt  Stelzner:  während  also  der  Stock- 
scheider im  Allgemeinen  eine  eigenthamliche  Ausnahme  von  dem 
Gesetz  macht,  nach  welchem  erstarrende  Gesteine  sich  an  der  ab- 
kühlenden Oontact-Fläche  dicht  oder  feinkörnig,  im  Centrum  aber 
grobkörnig  krystallinisch  entwickeln,  kommt  das  über  Bord  ge- 
worfene Gesetz  inmitten  der  eigenthttmlichen  Masse  und  im  Con- 
tact  mit  den  von  ihr  umschlossenen  Fragmenten  plötzlich  wieder 
zur  Geltung.  ^  Die  beiden  anderen  Granitmassen,  vom  Ziegels- 
berge und  vom  Greifenstein,  zeigen  an  ihren  Contact-Stellen  mit 
Schiefer  nichts  Eigenthümliches.  Auffallend  ist  aber  der  Umstand: 
dass  neben  den  vom  Granit  des  Greifensteins  um- 
schlossenen Schiefer-Fragmenten  die  grosskörnige 
Structur  uuvermuthet  sich  einstellt.  Also  am  Stock* 
werke  Biesengranit  an  der  Schiefer-Grenze ,  in  der  Umgebung  der 
Schollen  feinkörniger;  am  Greifenstein  normale  Textur  an  der 
Hauptgrenze«  grobkrystallinische  an  den  Fragmenten.  —  Die  Unter- 
suchung  der  in  dem  Granit  vom  Greifenstein  eingeschlossenen 
*  Schiefer-Fragmente  bietet  viel  Belehrung,  weil  hier  die  in  der  fein- 

[ kömigen  Masse  liegenden  Schollen  scharf  zu  beobachten;  sie  fuhrt 
aber  zu  dem  wichtigen  Besultat:  dass  die  Contact-Wirkungen 
stets  im  Yerhältniss  zu  der  Grösse   der  umschlösse- 
li^en  Fragmente  ist  und  dass  die  grobkrystallinisohe 


773  Steliner:  Beiträge  lur  KenninSM  dm  En^ebirges. 

Aasbildnng  die  Folge  einer  durch  Contact  mit  frem- 
den Massen  bedingten  Temperatur-Erniedrigang  ist 
Der  Verfasser  macht  darauf  aufmerksam,  dass  sonst  gewöhnlich  da 
entgegengesetzte  Fall  wahrzunehmen  ist.  Eine  zur  Eruption  ge- 
langte geschmolzene  Gesteinsmasse  besitzt  meist  nur  hinreichend« 
Wärme,  um  sich  im  geschmolzenen  Znstande  zu  erhalten.  Die  fio- 
rührung  mit  einer  fremden,  erkaltenden  Masse  wird  an  den  Contaet- 
Fl&chen  eine  rasche  Erkaltung  herbeifQhren ;  während  die  Hanpi- 
masse  langsamer  erkaltet  und  eine  mehr  kömige  Textur  annimmt, 
entsteht  an  den  Salbändern  eine  dichte.  »Anders  aber  werden  dii 
Verhältnisse  sein«  —  so  erklärt  der  Verfasser  den  yorliegendeo 
Fall  —  >wenn  eine  Masse  mit  grösserem  Wärme-Üeberschuse, 
vielleicht  unter  starkem  Druck  hervorbricht,  wenn  nachquellend» 
Material  neue  Wärme  zuführt,  wenn  sich  in  Folge  dessen  Eroptin 
und  Erstarren  nicht  plötzlich  folgen  können,  sondern  zunächst  eii 
Stagniren  des  geschmolzenen  Plutonits  im  mächtigen  Spalten-Bann 
ermöglicht  wird.  Die  Folge  davon  muss  sein,  dass  die  erkaltefide 
Einwirkung  der  durchbrochenen  Masse  spurlos  vorüber  geht;  ja  in 
Oegentheil  wird  das  feste  Gestein,  die  Geftss- Wandung  selbst  e^ 
wärmt  werden  und  dabei  möglich  eine  Metamorphose  erleiden.  In- 
dessen tritt  hier  mit  der  Zeit,  wenn  auch  allmählig,  eine  Abküh- 
lung und  mit  ihr  zugleich  die  erste  Tendenz  zur  Erystailisatios 
ein.  Erystalle  scheiden  sich  porphyrartig  aus  und  die  festen  G^ 
Steins- Wandungen,  die  nach  unten  gerichteten  Seiten  losgerisseDV 
und  im  geschmolzenen  Brei  inne  liegender  Fragmente  bieten  ande- 
ren Krystallen  eine  willkommene  Gelegenheit  zum  Anschiessen  dar: 
es  bilden  sich  grobkrjstaliinische  Salbänder  (Stockscheider)  iib4 
weil  der  Schwerkraft  folgend,  nach  unten  gerichtete,  also  einseitig!! 
Contaot-Binden  an  Schollen ;  der  Quarz,  als  strengflüssigster  KCrpOf 
scheidet  sich  aus  der  Umgebung  zuerst  aus,  ihm  folgt  der  Fellu 
Späth.  Mehr  oder  weniger  plötzlich  tritt  später  eine  wesentüeb 
Aenderung  des  Zustandes  ein;  sei  es,  dass  sich  die  Drackverhitt 
nisse  durch  Entweichen  von  Gasen  und  Dämpfen  ändern,  sei 
dass  die  erwärmenden  neuen  Zuflüsse  versiegen.  Die  Gesamml 
masse  beginnt  zu  erkalten  und  kömig  zu  erstarren.  Merkwttrdij^ 
Weise  scheidet  sich  jetzt  der  Feldspath  vor  dem  Quarz  aus.  DM 
die  rein  plutoischen  Bildungs- Verhältnisse  granitischer  und  and< 
Gesteine. 

Der  Granit  des  Stockwerkes  von  Geyer  hat  die  Gestalt 
abgestumpften  Kegels.     Das  ganze  Stockwerk  wird  von  unzäl 
Vi  bis  4  Zoll  mächtigen   Gängen  durchzogen,   deren  Streichen 
Stunde  8,  4—4,   4  bei  70   bis  80^  nordwestlichem    Einfallen 
Je  3  bis  zu  12    solcher   Gänge   (in  Geyer  Klüfte  genannt)  bil( 
zusammen  einen  Zug  in  der  Art,  dass  die  Gänge  eines  jeden  Zi 
3  bis  10  Zoll  von   einander  entfernt  sind.     Man  kennt  19  Zi 
Die  Gänge  setzen  aber   nicht   allein  im  Granit,   sondern   auch 
Glimmerschiefer  und  im  rothen  Gneiss  auf  und  behaupten  in 


Stelzner:  Beiträge  sar  KenntnitB  des  Engeblrgee.  778 

drei  Gesteinen  das  nämliche  Streichen  und  Fallen  bei.  Die  Be- 
nennung Stockwerk  im  streng  geognostischen  Sinne  ist  für  die 
Erzlagerstätte  von  Geyer  nicht  anwendbar.  Es  liegt  vielmehr  ein 
vielgliedriger  Gangzng  vor,  dessen  einzelne  Indiyiduen 
von  Imprägnationen  begleitet  werden.  Ziehen  letztere 
weit  genng  fort,  nm  mit  denen  des  nächsten  Zuges  zusammen  zu 
treffen,  dann  kann  allerdings  eine  Bauwürdigkeit  der  Gesteinsmasse 
in  ihrer  Gesammtheit,  also  eine  stockwerksartige  Gewinnung  ver- 
anlasst werden.  —  Die  Erze  sind  hauptsächlich  Zinnerz  und 
Arsenikkies,  femer  Wo  1fr  amit;  seltener  finden  sich  Molyb- 
dänglanz, Eisenkies,  Eisenglanz.  Diese  Erze  erscheinen 
entweder  in  der  Mitte  der  Gänge,  oder  durch  den  Gang  zerstreut 
und  überall  eingesprengt.  Der  Gang  selbst  wird  fast  stets  zu  bei- 
den Seiten  von  Imprägnationen  von  Quarz  begleitet. 

Der  Verfasser  schliesst   seine  werthvollen   Mittheilungen    mit 
einigen   Bemerkungen   über   die    Paragenesis   auf  Zinnerz- 
gängen.    Bekannt  ist  der   scharf  ausgesprochene   mineralogische 
wie  geologische  Charakter  derselben.  Allenthalben  findet  man  eine 
Gruppe   von   Mineralien,   welche   für   die   Zinnerz-Lagerstätten   so 
charakteristisch,    dass  man  aus  dem  Vorhandensein   einiger,   auch 
auf  die  Gegenwart  anderer   mit   Sicherheit   schliessen   kann,     und 
nicht  allein  in  ihrer  Vergesellschaftung,   sondern  auch  in 
ihrer  zeitlichen  und   reihenweisen  Entwickelung  lassen 
die  Mineralien  der  Zinnerz-Lagerstätten  eine   merkwürdig  Be- 
ständigkeit erkennen.     Diese  Mineralien   sind  in  nachstehender 
Aafeinandei*f olge :    Quarz,   Zinnerz,    Arsenikkies,  Beryll, 
Ferro  wolframit,    Topas,     Phengit,    Molybdänglanz, 
Herderit,   Apatit,    Flussspath.      Bei  dem   Entwickelungs- 
Processe  der  Zinnerz-Lagerstätten  fanden  in  der  Regel  keine  Wie- 
derholungen statt,  jedes  Mineral  tritt   nur  einmal  auf.   Quarz 
eröffnet    stets    die    Reihe    ihm   unmittelbar    folgt    das 
Zinnerz. 

Die  Ausstattung  des  vorliegenden  ersten  Heftes  der  »Beiträge 
zur  geognostischen  Kenntniss  des  Erzgebirges«  ist  sehr  geschmack- 
voll. Hoffentlich  wird  demselben  bald  ein  zweites  folgen  mit 
eben  so  gründlichen  Schilderungen,  wie  jene  im  ersten  durch 
Alfred  Stelzner. 

G.  Leonhard. 


774  liieraturWichte  Mi  lUllea. 

Literatnrbericlite  ans  ItaUen. 


La  d(mna  in  faeeia  al  progelto  del  nuovo  eodice  eivile  Haliano,  di 
Maria  Mozaoni.     Milano  1866, 

Dor  Minister  PisanelU  hatte  einen  Vorschlag  gemacht,  die  rer- 
schiedenen  in  Italien  bestehenden  Gesetzgebungen  znr  Einheit  n 
verschmelzen ;  die  Verfasserin  beurtheilt  hier  die  bei  dieser  neuea 
Bedaction  das  weibliche  Geschlecht  betreffenden  gesetzlichen  Be- 
stimmungen, wobei  hauptsächlich  auf  die  täglichen  wirtbscbafl- 
liehen  Beschäftigungen  der  Frauen  Bücksicht  genommen  wird.  Na«l 
der  Verfasserin  zeigen  die  Verhältnisse  der  untern  Klassen,  diä 
die  Frau  oft  eben  so  viel  und  dasselbe  arbeitet,  wie  die  MSnoer, 
und  dass  sie  dabei  doch  noch  Zeit  hat,  für  die  täglichen  Bedürf- 
nisse zu  soi'gen.  Waimm  soll  dies  Verhältniss  nicht  auch  in  des  | 
höheren  Klassen  stattfinden?  Der  Einsender  hat  in  Italien Fniue& 
gefunden,  welche  ihren  Männern  bei  ihren  gelehrten  Werken  inso- 
fern halfen,  dass  sie  Oorrecturen  besorgten ,  dass  sie  statistisch 
Zahlen  nachrechneten,  und  dass  sie  die  Tage  und  Abende  gemeinschaft- 
lich verlebten ;  daher  die  Verfasserin  auf  solche  Verhältnisse  Acbt 
haben  konnte,  die  Wirthschaft  geht  dabei  sehr  ordentlich,  m« 
lebt  im  Ganzen  in  Italien  mehr  mitBechnung,  und  wenn  eine  Frau 
nicht  nothwendig  hat,  Arbeiten  zu  machen,  welche  ihre  KammeT- 
frauen  eben  so  gut  machen,  so  glauben  sie  in  Italien  nicht  a 
arbeiten,  wenn  sie  mit  solchen  Kleinigkeiten  die  Zeit  tödten ;  &ud 
glauben  sie  nicht  recht  häuslich  zu  wirthschaften ,  wenn  sie  ilu« 
Leute  an  selbstständigen  Arbeiten  dadurch  hindern,  dass  sieihoci 
Nichts  allein  überlassen ;  denn  nur  dann  können  diese  Freude » 
der  Arbeit  haben,  wenn  es  ihr  eigenes  Werk  ist.  Dabei  kann  doc: 
die  grösste  Aufsicht  stattfinden,  und  Vertrauen  erwirkt  Vertmä 
auch  bei  der  Dienerschaft. 

La  Sahhia  caduta  in  Roma  nel  21  e  23.  Febrajo  1864  cortfrcnl^^^ 
con  la  sabbia  del  deserlo  di  Sahara,  lioina  1865,  Tip,  ^^ 
belle  artL 

Als  im  Februar  dieses  Jahres  bei  einem  heftigen  Südwind 
auster  notus  meridiei,  in  Bom  grosse  Massen  Sand  die  Str&sses 
bedeckten,  wurde  von  mehreren  Gelehrten  bewiesen,  dass  der  Stum 
diesen  Sand  aus  der  Wüste  Sahara  über  das  Mittelmeer  geflilö^ 
habe ;  allein  eine  in  der  Meteorologie  sehr  erfahrene  Frau,  Cateriiä 
Scarpellini  wollte  diese  Sache  näher  untersuchen,  sie  wusstc  dahs 
durch  den  Ingenieur  der  Algerischen  Eisenbahnen,  Herrn  Fonn 
sich  Sand  aus  der  Wüste  Sahara  auf  der  Caravanen-Strasse  nad 
Tambuctu  75  Meilen  von  Constantine  zu  verschaffen,  und  unter 
warf  ihn  einer  genauen  Vergleicbung  mit  dem  nach  jenem  Sturmi 
in  Bom  gesammelten  Saude,  und  fand  durch  das  Mikroskop,  dnrci 


LKeraturberlclxte  aus  Italien.  776 

chemische  Auflösungen  nnd  alle  andern  wissenschaftlichen  Mittel, 
dass  Seneca  recht  hat,  wenn  er  sagt:  Sapiens  divitiarum  natura- 
lium  est  quaestor  acerrimus,  und  dass  der  Sand  der  Sahara  an 
Farbe,  Eisen  und  anderem  metallischen  Gehalte,  so  wie  an  gänz- 
lichem Mangel  an  magnetischem  Salze  von  dem  in  Rom  gefallenen 
Sande  verschieden  ist.  Diese  für  die  Wissenschaft  lebende  Frau 
richtete  ihren  diessfallsigen  Bericht  an  den  Gommandeur  Trompeo 
zu  Turin,  einen  bei  den  meisten  naturwissenschaftlichen  Congressen 
betheiligten  Gelehrten,  der  auch  zum  Präsidenten  der  meteorologi- 
schen Observatorien  in  Italien  ernannt  worden  ist.  Die  gelehrte 
Verfasserin  zeigt,  dass  das,  was  in  den  vorstehenden  beiden  Schrif- 
ten behauptet  worden,  sich  bewährt,  was  überhaupt  in  Italien  nicht 
selten  vorgekommen  ist.  Auf  der  Universität  Bologna  lehrte  einst 
eine  Frau  mit  Ehren  die  Rechtswissenschaft,  eine  andere  die  Ana- 
tomie; aber  auch  gegenwärtig  fehlt  es  in  Italien  nicht  an  ausge- 
zeichneten Schriftstellerinnen,  von  denen  wir  nur  die  Frau  Colom- 
bini-Molino  erwähnen,  deren  Bildniss  Dr.  Dietzmann  in  der  Leip- 
ziger Mode-Zeitung  vor  Kurzem  mit  ihrer  Lebensgeschichte  von 
J.  F.  Neigebaur  mitgetheilt  hat;  ferner  die  Frau  Mancini-Oliva, 
eine  ausgezeichnete  Dichterin,  welche  zehn  Kinder  trefflich  erzogen 
hat ;  die  Frau  Savio-Rossi  eben  so  geachtet  als  Schriftstellerin  wie 
als  Hausfrau,  wobei  auch  die  improvisirende  Dichterin  Milli  nicht 
zu  vergessen  ist. 

Atti  del  consiglio  provinciale  di  Torino,  Sessione  atraordinaria  di  1864, 
Torino  1864.  Tip.  Favale.  4. 

Dies  ist  der  Bericht,  welcher  über  die  ausserordentliche  Ver- 
sammlung der  Provincialstände  zu  Turin  im  Herbst  1864  abge- 
halten worden,  um  über  die  Vertheilung  der  Mobiliarsteuer  zu  ent- 
scheiden. Die  Sitzungen  fanden  in  dem  Gebäude  der  Provincial- 
Präfectur  statt,  und  wurden  von  dem  Präfecten  der  Provinz  als 
königlichen  Gommissar  eröffnet,  worauf  der  gewählte  Präsident  der 
Provinzial-Abgeordneten  den  Vorsitz  führte.  Dies  sind  aber  hier 
keine  geborenen  Provinzial-Stände ;  sondern  durch  das  Vertrauen 
der  Einwohner  der  Provinz  frei  gewählte  unabhängige  Männer.  Die 
Provinz  aus  5  Kreisen  bestehend  hat  950,000  Einwohner,  gibt  an 
Grundsteuer  4,840,000  Franken  und  an  Mobiliarsteuer  1,495,000 
Franken.  Hier  werden  genaue  statistische  Nachrichten  nnd  die 
Verhandlungen  in  den  Sitzungen  mitgetheilt. 

Qntts   eon  impronta  di   Eqtdseto   del   Commendaiore  A.  Si9m<md€^ 
Torino  1865. 

Eine  der  wichtigsten  Entdeckungen  in  der  Geologie,  welche 
in  der  Neuzeit  stattgefunden,  ist  die  Umgestaltung  der  Felsen,  nnd 
hat  besonders  Hutton  nachgewiesen,  dass  die  Mehrzahl  des  Ge- 
steins durch  Niederschläge  im  Wasser  entstanden  ist,  welche 
durch  das  Feuer  Veränderungen  erlitten  haben.  Hier  wird  gezeigt, 


77«  Utentnrberlehta  ans  lulkn, 

dass  auch  der  Oneiss  ein  solches  metamorpbisohes  Gestein  ist, 
worüber  unter  andern  die  Meinung  von  nnserm  Mitscberlich  ango- 
ftlhrt  wird.  Darnach  hat  der  Herr  Verfasser  Gneisa  gefanden,  in 
welchem  Yegetabilien  enthalten  waren ,  welche  für  eine  Art  Ton 
Asterafite  (annnlaria)  erkannt  wurden,  bis  endlich  für  dasMoseoiB 
zu  Trient  ein  Stück  Gneiss  mit  einem  Abdrucke  einer  neuen  Axt 
Ton  Eqniseto  erworben  ward,  von  dem  hier  eine  trefiFliche  photo- 
graphische Abbildung  gegeben  wird,  welche  für  die  Geologen  you 
grossem  Werth  sein  muss.  Verfasser  dieser  Beschreibung  ist  der 
Professor  der  Geologie  an  der  Universität  zu  Turin  und  Director 
des  Naturalien-Cabinets,  Herr  Angelo  Sismonda,  der  gelehrten  Welt 
durch  mehrere  sehr  geachtete  Werke  bekannt,  der  gewöhnliche  Be- 
gleiter des  Kronprinzen  auf  seinen  Reisen. 

Sülle  tnoneie  di  Sardegna,  dal  Cavah  D.  Muonu  MUano  1865.  Tif, 
Bona. 

Der  Verfasser,  welchem  wir  auch  eine  Geschichte  des  Mfinz- 
wesens  in  Italien  seit  dem  Mittelalter  verdanken,  gibt  hier  eine 
Geschichte  der  Münzen  der  Insel  Sardinien,  anfangend  von  Marens 
Oppius,  welcher  61  Jahre  vor  unsrer  Zeitrechnung  in  Cagliari 
Münzen  schlagen  Hess,  mit  der  Umschrift:  Sardus  Pater,  welche 
zuerst  von  Gronovius  beschrieben  wurden.  Seitdem  wurde  eine  xn 
Iglesias  geprägte  Münze  von  Viani  beschrieben,  mit  der  Umschrift: 
Fridericus  Imperator,  und  auf  der  Rückseite :  Facta  in  villa  ec- 
desiae  pro  communi  Pisano,  worauf  die  Münzen  unter  spanischer 
Herrschaft  folgen,  nachdem  die  4  Ricbtep-Herrschaften  dieser  Insel 
beseitigt  worden  waren. 

La  »eienza  della  legislasione  di  Oaetano  FUangeri^  preceduta  da 
un  discorao  di  P.  Villari,  Firense  IH64.  Tip,  Le  Monnifr,  ö. 
p.  375  u.  LX. 

Die  Einleitung  zu  dem  Jahr  1780  zuerst  erschienenen  Werk« 
von  dem  grossen  Staatsmanne  Filangeri  macht  uns  mit  dessen  Le- 
ben bekannt,  indem  zugleich  die  Einwirkung  seiner  Zeit  und  seiner 
Umgebungen  trefflich  gezeichnet  wird.  Filangeri  war  1752  gebo- 
ren worden,  und  zwar  zu  Neapel,  wo  seit  der  Zeit  der  Normannen 
das  Feudalwesen  sich  so  ausgebildet  hatte;  von  den  2765  Städtea 
des  Landes  waren  nur  50  sogenannte  Immediat-Städte,  das  Eigen- 
thum  war  so  wenig  getheilt,  dass  auf  dem  Lehen  von  S.'Gennaro 
di  Palma  an  200,000  Unterthanen  lebten.  Nachdem  der  Streit 
zwischen  Oesterreich  und  Spanien  über  Neapel  zu  Gunsten  d^ 
letzteren  entschieden  war,  führte  Carl  III.  viele  Verbesserungen  ein, 
und  1752  wurde  Filangeri  zu  Neapel  geboren.  Schon  mit  5  Jah- 
ren wurde  er  nach  dem  göttlichen  Rechte  der  Geburt  als  Fähndrieli 
zu  einem  Regimente  eingeschrieben,  in  das  er  mit  14  Jahren  ein- 
trat; doch  er  zog  die  klassische  Bildung  vor,  und  schrieb  schon 
mit  19  Jahren  über  Erziehung  und  die  Moral  der  Fürsten;  Neapel 


Ltterahirbericlite  ans  ItalieiL  777 

hatte  damals  einen  tüchtigen  Minister,  Tanncci,  nndFilangeri  gab 
ungehindert  1780  sein  berühmtes  Werk  über  die  Wissenschaft  der 
Gesetzgebung  heraus.  Es  ist  daher  nicht  zu  verwundern,  dass  auch 
jetzt  unter  den  Neapolitanern  sehr  tüchtige  Männer  erscheinen, 
welche  mehr  den  deutschen  als  den  französischen  Wissenschaften 
angehören.  Der  gelehrte  Herausgeber  dieser  neuen  Auflage  hat 
derselben  eine  sehr  beacbtenswerthe  Einleitung  vorausgesohickt. 

Sioria  d^ Europa  dal  1789  al  1865  di  Wolfgango  Menzd,  iradusione 
del  Tedesco.  Milano  1864.  Tip.  Guigoni.  gr.  8. 

Von  dieser  recht  tüchtigen  Uebersetzung  der  Geschichte  Eu- 
ropa*s  von  unserm  Wolfgang  Menzel  ist  bereits  der  zweite  Band 
erschienen. 

Slorie  minori  di  Cesare  Caniü*  Torino  1864.    Casa  Pomba.  gr.  8. 
JJl  Vol. 

Der  unermüdliche  Geschichtschreiber  Cantü  gibt  hier  Episoden 
aus  seiner  allgemeinen  Weltgeschichte,  welche  Italien  betreffen. 
Mit  seiner  bekannten  Gewandtheit  gibt  er  in  dem  ersten  Bande 
die  Geschichte  von  Ezelino,  die  Brianza,  Como,  Veltlin,  Venedig; 
im  zweiten  Bande  die  Geschichte  von  Mailand,  die  Lombardei  im 
17.  Jahrhundert,  und  Anderes. 

Oj^erazioni  ddV  antiglieria  negli  assedi  di  Gaeta  e  Messina.   1860  e 
1861.  ToHno  1865.  Tip.  Boita.  gr.  8.  p.  460. 

Mit  Genehmigung  des  Eriegs-Ministeriums  ist  hier  die  Be- 
schreibung der  Belagerung  von  Gaeta  und  von  Messina  in  den 
Jahren  1860  und  1861  besonders  fOr  Militairs  herausgegeben  wor- 
den, wobei  hauptsächlich  die  Artillerie  betheiligt  war,  welche  be- 
kanntlich in  Italien  vorzüglich  ist.  Für  die  Umgegend  von  Gaeta 
ist  eine  Karte  beigefügt,  welche  die  verschiedenen  Stellungen  der 
Soldaten  und  der  Batterien  darstellt.  Bei  der  Belagerung  von  Messina 
ergab  sich  eine  Schwierigkeit  durch  neutrale  Schiffe,  und  erhielt  dort 
ein  kleines  Schiff,  die  Lorley,  den  Namen  Buffiano  der  Kuppler. 
Auch  wird  hier  kurz  die  Belagerung  von  Aucona  beschrieben, 
welche  bald  nach  der  Schlacht  von  Castelfidardo  erfolgte. 

Della  edueazione  popolana   e  del  paironato  civüe  delle  moliitudini, 
di  G.  A.  Franceschi  Firenze  J864.  Tip.  Bencini  8.  p.  332. 

Die  Florentiner  gelehrte  alte  Gesellschaft  der  Georgofili  wen- 
dete in  neuerer  Zeit  ihre  Aufmerksamkeit  vorzüglich  auf  die  Er- 
ziehung des  Volkes,  durch  Stiftung  von  Erziehungshäusem  (Asyle) 
für  arme  Kinder,  wobei  sich  besonders  der  Graf  Guicciardini  zu 
Florenz  auszeichnete«  Es  wurde  dazu  eine  besondere  Gesellschaft 
im  Jahre  1833  gebildet;  auch  wurde  für  dieMaremmen  besonders 
eine  solche  Anstalt  1850  gegründet,  nachdem  Fürst  Demidoff  zu 
Florenz   ebenfalls   eine  solche  wohlthätige  Anstalt  errichtet  hatte, 


77S  litentnrberiehte  au«  Italien. 

und  der  Markgraf  Torregiani  und  der  Adyocat  Andmcci  ebenfallg 
ihätig  gewesen  waren.  Das  vorliegende  Werk  enthält  die  Grond- 
Bfttze,  die  dabei  befolgt  wurden,  die  betreffenden  Stataten  n.  s.  w. 

11  medaglione  Arabo-Sieulo  ^  ülusirato   dal  Marchese  F.  Marliliaro. 
Palermo  1863.  8.  p.  146. 

In  der  Bibliothek  der  Stadt  Palermo  befindet  sieb  eine  Samm- 
lung von  Münzen  aus  der  Zeit  der  Herrschaft  der  Araber.  Die 
Älteste  dieser  Münzen  ist  von  Mohammed  Zeiadath,  welcher  von 
827  an  regierte.  Die  normannischen  Eroberer  vmssten  die  h5here 
Bildang  der  Araber  zu  achten,  sie  behielten  das  Münzwesen  mit 
den  früheren  Lettern  bei,  und  es  ist  auffallend,  dast  sich  weder  in 
Sicilien  noch  im  Neapolitanischen  Spuren  von  ihrer  Sprache  und 
Schrift;  erhalten  haben.  Als  durch  Heirath  der  letzten  Erbtochter 
der  Normannen-Könige  die  Hohenstaufen  Herren  jener  Länder  wur- 
den, setzte  hier  auch  Kaiser  Friedrich  H.  die  Münzen  mit  ara- 
bischen Lettern  fort.  Der  gelehrte  Markgraf  Mortillaro  bat  in 
diesen  und  in  seinen  anderweiten  sehr  zahlreichen  Werken  sehr 
viel  für  die  Numismatik  Siciliens  geleistet. 

Revista  numUmatiea   antica  e  modema   da  A.  Olivieri.   Asti  1864. 
Tip,  Rnspi.  4,  p.  103.  Fascicolo  /. 

Der  Professor  Olivieri,  Bibliothekar  der  Universität  zu  Genua, 
gibt  hier  das  erste  Heft  einer  für  die  Münz-  und  Siegelkunde  be- 
stimmten Zeitschrift  heraus,  welche  jährlich  auf  einen  Band  von 
400  Seiten  berechnet  ist.  Der  erste  Aufsatz  ist  von.  dem  bekann- 
ten Archäologen,  dem  Bibliothekar  Cavedoni  in  Modena,  welcher 
eine  Münze  aus  Apulien  griechischen  Stjls  beschreibt,  welche  den 
Sieg  des  Pjrrhus  bei  Ascoli  betrifft,  die  man  sonst  für  eine  Münze 
aus  Campanien  hielt.  Von  Fabretti  wird  über  eine  Münze  des 
Gordianus  Pius  mit  der  Inschrift  AK Jj^l2J2JESlNherichiet,  dass, 
nach  dem  Grammatiker  Hierocles,  ein  solcher  Ort  in  Lycien  sich 
befunden  habe.  Von  Promis  ist  eine  Münze  von  dem  Markgrafen 
Hugo  I.  von  Toscana  von  1356  beschrieben,  u.  s.  w.  von  dem  Heraus- 
geber selbst  sind  neu  aufgefundene  Münzen  der  Genuesischen  Fa- 
milien Doria,  Spinola  und  Centurioni  beschrieben.  In  dem  Ab- 
schnitte über  Sphragistik  sind  die  alten  Siegel  der  freien  Stadt 
Genua  beschrieben,  ein  anderer  gibt  Nachricht  über  die  numisma- 
tische Bibliographie  und  den  Beschluss  macht  eine  Necrologie, 
diesmal  den  Lazari  aus  Venedig  enthaltend,  den  Verfasser  der 
Moneta  Veneziana.  Zur  Erläuterung  sind  brave  Eupfertafeln  bei- 
gefügt. 

Discorsi  parlamentari   del    Conie  C.  Cavour.    Torino  1864.    gr.   8. 
p.  459. 

Eben  ist  bereits  der  S.Band  der  auf  Veranlassung  des  Hauses 
der  Abgeordneten  des  Königreiches  Italien  bekannt  gemachten  Par- 


LHeraturberlchie  ttis  Italiea  7^ 

lamentsreden  Cavonr^s  erschienen,  mit  dem  9.  Mai  1851  anfangend 
und  mit  dem  14.  Juli  desselben  Jahres  endigend. 

Storia  Romana  flno  alla  caduta  della  republica.  da   Fr.  Bertolini, 
Firense  1864.  Tip.  Le  Monnier.  8.  p,  422. 

Diese  Geschichte  ßoms  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Zeit 
Cäsars  ist  für  die  italienische  Jugend  bestimmt. 

Di  un  frammtnlo  di   Falconeito   di  Pico  Signore  di  Mirandola,  di 
A,  Angelncci.  Torino  1864,  Tip.  Cassone, 

Der  Hauptmann  der  italienischen  Artillerie  und  Vorstand  des 
reichhaltigen  Militair-Museums  im  Arsenal  zu  Turin,  welcher  sich 
vorzugsweise  mit  Ermittlung  der  Schuss- Waffen  im  Mittelalter  be- 
schäftigt, brachte  in  Erfahrung,  dass  auf  dem  Schlosse  Musso  un- 
fern des  Comer-See's  ein  Stück  von  einem  alten  Geschütze  gefun- 
den worden,  welches  sich  im  Besitze  des  Herzogs  Melzi  in  Mailand 
befand,  welcher  die  geschichtlichen  Forschungen  des  aus  Rom  ge* 
hurtigen  Oapitains  Angelucci  zu  würdigen  versteht,  und  dieses  Bruch- 
stück dem  Turiner  Arsenal  schenkte.  Der  Herr  Verfasser  gibt  hier 
eine  getreue  Abbildimg  dieses  üeberrestes,  welcher  unter  dem 
Wappen  der  Pico  einen  Theil  der  Inschrift  dieser  Kanone  enthält, 
welche  der  gelehrte  Verfasser  dahin  ergänzt  hat,  dass  sie  auf  Be- 
fehl des  Joh.  Fr.  Pico  von  Mirandola  im  Jahre  1500  gegosssen 
worden.  Als  Sachverständiger  gibt  er  genau  die  Masse  an,  welche 
dieses  Geschütz  (Falconet)  gehabt,  und  theilt  die  Geschichte  dieser 
Familie  seit  dem  Jahre  1212  mit,  um  genau  zu  ermitteln,  welcher 
aus  dieser  bekannten  Familie  dieses  Falconet  hat  giessen  lassen, 
wobei  er  darthut,  wie  dieser  Franz  Pico  von  dem  Kaiser  Maximi- 
lian 1499  mit  Mirandola  belehnt  worden,  wie  sein  Bruder  von  dem 
Herzoge  Hercules  von  Ferrara  unterstützt,  ihn  1502  in  Mirandola 
belagerte  und  dass  daraus  ein  langjähriger  Krieg  entstand,  an  dem 
auch  Julius  ü.  Theil  nahm.  Mit  gleicher  Sorgfalt  führt  der  Ver- 
fasser auch  aus,  wie  dieses  Geschütz  nach  dem  Schlosse  Musso  ge- 
kommen sein  muss.  Auch  über  das  Schloss  gibt  der  Verfasser 
nähere  Nachricht,  da  es  dem  berühmten  Johann  Jacob  vonMedioi 
gehörte,  der  unter  dem  Namen  des  Markgrafen  von  Marignano, 
der  Henker  von  Siena,  bekannt  geworden  ist. 

Libro  di  Letture  Italiane  per  A.  FaaHni.  Torino  1865.  Tip.   Para- 
vio.  8.  p.  602. 

Dies  in  der  dritten  Auflage  bereits  erschienene  Lehrbuch  zu 
Styl-Uebungen  ist  für  die  Militair-Erziehungs-Anstalten  bestimmt, 
und  enthält  ausser  allgemeinen  Anweisungen  eine  Sammlung  von 
Briefen  bekannter  Personen,  Berichte,  Beden  u.  s.  w,,  selbst  Ge- 
dichte. 


780  LlUntnrlierielite  ams  Itallai. 

IJinduäria  seriea  in  Italia,  del  Dofiore  L.  Fedi.  Torino  18S5. 

Hier  werden  Yorscbläge  zur  Verbesserung  des  Seidenbaues  ge- 
macht, wobei  ersichtlich  ist,  dass  vor  der  eingetretenen  Krankheit 
der  Seidenraupen  die  Ausfuhr  der  Seide  aus  Piemont  an  83,000,000 
Franken  und  aus  der  Lombardei  über  88,000,000  Franken  betrog. 
Italien  ist  also  kein  armes  Land. 

J^iscorso  in  oecasione  del  nuovo  anno  giudisiario  da  G,  Vignali 
Torino  1865.   Tip.  leütraria. 

Im  Jahre  1847  hielt  der  Verfasser,  als  Qeneral-Procurator  des 
Ober-Gerichts-Hofes  zu  Messina  eine  EröflFnungs-Rede,  wegen  deren 
Freimuth  er  bei  der  damaligen  Missregierung  verfolgt  ward;  jetzt 
da  constitutionelle  Freiheit  herrscht,  hat  er  sie  drucken  lassen,  da 
sich  die  Verhältnisse  geändert  haben. 

Della  pena  di  mortt,  di  N,  Tommaseo,  Firense  1865,  Presso  Lt 
Monnier,  8.  p.  494. 

Der  bekannte  aus  Dalmatien  gebürtige  Gelehrte  Tommaseo, 
welcher  jetzt  in  Florenz  lebt,  spricht  sich  hier  gegen  die  Todes- 
strafe ans;  ein  Gegenstand,  welcher  jetzt  Italien  in  bedeutende 
Bewegung  gesetzt  hat,  da  das  Parlament  in  Turin  im  März  d.  J. 
in  der  Depntirten-Kammer  ebenfalls  für  die  Abschaffung  derselben 
sich  ausgesprochen  hat. 

Raccolia  di  dialeiii  Jtaliani  eon  illusirasioni  etnoloqiche,  di  Ä. 
Zuccangni- Orlandini,  Firense  1864,  Tip.  Tofani.  gr,  8, 
p.  483. 

Diese  Sammlung  der  verschiedenen  in  Italien  gesprochenen 
Volks-Mundarten  ist  für  die  Sprachforschung  von  grosser  Wichtig- 
keit. Der  Prinz  Ludwig  Lucian  Bonaparte,  der  Bruder  der  Dich- 
terin Prinzessin  Valentino,  und  des  verstorbenen  Omithologen  Ci- 
nino  hat  zu  einer  ähnlichen  Sammlung  die  verschiedenen  Ueber- 
setzungen  des  Vater  unser  benutzt;  allein  Orlandini  bemerkt  mit 
Becht,  dass  man  ans  einer  Uebersetzung  den  wahren  Sprachgebrauch 
nicht  kennen  lernen  kSnne;  er  hat  daher  wirkliche  nationeile  Pro- 
ben mitgetheilt,  von  denen  man  manche  wenig  versteht,  wenn  man 
auch  die  italienische  Sprache  gründlich  gelernt  hat.  Z.  B.  in  den 
Abruzzen  sagt  man ;  Plu  tavele  ch*  aveme  da  da,  accunce  tutt*  s 
la  cambra  cohinbel.  D.  h.  bereite  alles  in  dem  Zimmer  zu  dem 
Mittagsmahle  vor.  In  Sassari  auf  der  Insel  Sardinien  sagt  man: 
Pa  la  pranzu  chi  debimu  fra,  prepara  tuttu  in  la  sola.  In  Pa- 
lermo sagt  man:  Pr'  u  pranzu  prpara  tuttu  uto  salottu.  In  Malta: 
Ghae  pranza  li  ghan  dua  naghenlu  lesti  colla  fissola.  In  Corsica: 
Pe'  la  pranza  ch'  avemu  da  fa  prepara  tuttu  in  lu  salottu.  In 
Calabrien :  Ppe  la  pranzu  chi  si  deve  fare,  prepara  tuttu  alla  came- 
rlna.     In  Turin:  Pr'  1  disnö  ch'  i  \  cuma  da  de'  prounta  tuttant 


litetatnrWiobie  maa  ttalieli.  IBi 

la  salotta.  In  S.  Marino:  Per  e  pranz  ca  am  da  fe  manissi  qui 
cosa  a  la  sola.  Am  wenigsten  italienisch  klingt  der  piemontesische 
Dialect,  welcher  an  die  französischen  Nasalen  erinnert. 

Relasione  ddla  eommissione  intomo  dl  riordinamento  e  ampHatione 
ddle  reit  ferroviarie  dd  regno.  Torino  1866.  4.  p.  385, 

Dies  Werk  des  berühmten  Statistikers,  Staatsrath  Correnti, 
enthält  den  Bericht  desselben,  welchen  er  als  Mitglied  des  Haases 
der  Abgeordneten  über  den  Gesetzes-Entwnrf  erstattete,  welcher 
den  Zweck  hatte  die  Eisenbahnen  mehr  von  Privat-Gesellschaften 
rerwalten  zu  lassen,  nnd  das  italienische  Eisenbahn-Netz  zu  er- 
weitern. Hier  findet  sich  die  Geschichte  aller  seit  1836  in  Italien 
erbauten  Eisenbahnen,  Yon  denen  jetzt  schon  3330  Kilometer  im 
Gebrauche  sind;  mehr  als  noch  einmal  so  viel  sind  aber  bereits 
in  Arbeit. 

DUcarsi  dd  Senatore  Corde  Sdopis  ndla  diaeusBione  ml  mairimomo 
civile.  Torino  1865.  Tip.  Favale. 

Das  Parlament  des  Königreichs  Italien  war  in  der  letzten  Zeit 
sehr  ernstlich  mit  der  Bewirknng  der  Einförmigkeit  der  Gesetz- 
gebung für  das  ganze  Land,  statt  der  früheren  yerschiedenen  Ge- 
setzgebungen beschäftigt.  Ein  wichtiger  Gegenstand  war  die  Ehe, 
welche  unter  der  früheren  Franzosen-Herrschaft  vor  den  bürger- 
lichen Behörden  geschlossen  wurde,  was  aber  nach  der  Restauration 
wieder  abgeschafft  worden  war;  nur  im  Neapolitanischen  wurde 
die  Civilehe  neben  der  kirchlichen  beibehalten,  wobei  aber  die  kirch- 
liche Ehe  darauf  noth wendig  folgen  musste.  Die  Kammer  der  Ab- 
geordneten entschied  sich  ohne  bedeutenden  Widerspruch  für  die 
bürgerliche  Ehe ;  im  Senat  dagegen  trat  ein  sehr  bedeutender  Geg- 
ner derselben  auf,  das  ist  der  berühmte  Bechtsgelehrte,  Graf  Sclopis, 
der  erste  constitutionelle  Justiz -Minister  in  Turin,  dann  langjäh- 
riger Präsident  des  Senats  oder  der  ersten  Kammer,  ein  compe* 
tenter  Richter,  denn  von  ist  die  treffliche  Geschichte  der  Gesetz- 
gebung u.  a.  m.  Ohnerachtet  er  den  Grundsatz  von  Oavour  »die 
freie  Kirche  im  freien  Staate  €  in  Nord- Amerika  in  Ausübung  findet, 
ist  dies  in  Europa  doch  noch  nicht  der  Fall,  und  als  praktischer 
Jurist  hält  er  die  Ausführung  dieses  Grundsatzes  in  Italien  noch 
nicht  angemessen.  Er  beruft  sich  auf  das  Beispiel  der  protestan- 
tischen Staaten,  wo  die  kirchliche  Ehe  die  Regel  bildet,  und  führt 
unsern  würdigen  Mittermaier  an,  welcher  sich  ausdrücklich  für  die 
kirchliche  Ehe  ausgesprochen  hat,  so  wie  ein  an  ihn,  den  Redner, 
gerichtetes  Schreiben  unsers  Savigny  yom  19.  December  1851. 
Mag  man  auch  anderer  Meinung  sein,  so  wird  man  doch  die  Treff'- 
lichkeit  und  Gründlichkeit  der  Ausführung  anerkennen  müssen. 

Vor  mehr  als  30  Jahren  gab  der  Mailändische  Gelehrte  Franz 
Ambrosoli  ein  Handbuch  der  italienischen  Literatur  heraus,  welches 


783  Llt«r»tiirbflriohfta  aus  ttaUett. 

allgemeinea  Beifall  £and|  jetzt  erscheint  dayon  die  zweite  Auflage 
unter  dem  Titel: 

Manuale  della  lelteratura  llaliana,  da  F.  ÄmbraolL  III  YoL  in  8, 
Firenne  1864.  Presse  Darbera. 

Der  Herr  Verfasser,  ein  sehr  bedeutender  Philologe,  welcher 
von  der  österreichischen  Regierung  vielfach  zu  wissenschaftlichen 
Arbeiten  benutzt  worden  ist,  auch  die  deutsche  Literatur  kennt, 
und  besonders  durch  ein  griechisches  Schulwörterbuch  bekannt  ist, 
hat  die  seit  der  ersten  Auflage  dieses  Werkes  gemachten  Erfah- 
rungen auf  dem  Felde  der  Geschichtsforschung  treulich  benutzt  und 
dasjenige  nachgetragen,  was  seit  jenem  ersten  Anfange  geschehen 
ist.  Er  ist  nicht  in  den  Fehler  so  mancher  Geschichtschreiber  der 
Literatur  yerfallen,  welche  es  für  leichter  halten  scharfe  Kritik  zu 
üben,  als  thatsächlich  zu  berichten,  was  von  den  betreffenden 
Schriftstellern  hervorgebracht  worden  ist.  Dem  Philologen  wird 
von  dem  Herrn  Verfasser  dessen  üebersetzung  der  (Geographie  von 
Strabo  und  von  Ammianus  MarcellLnus  bekannt  sein. 

Progeili  per  la  ferravia  dt  Varchi  dello  Spluga  e  del  Sepiimer, 
siudiati  a  cura  della  Soeiefä  Vanoüi  e  FinardL  Müano 
1864.  Fol. 

Diese  Studien  für  die  Anlage  einer  Eisenbahn  vom  ComarSee 
über  den  Splügen  oder  den  Septimer  zum  Anschlüsse  nach  Cfaur, 
und  zur  Verbindung  zwischen  dem  mittelländischen  Meere  und  der 
Nord-  und  Ostsee,  sind  auf  Kosten  der  Mailändischen  Provinz  her- 
ausgegeben worden;  da  hier  keine  solche  Centralisation  herrscht, 
welche  die  Privat-Theilnahme  verhindert.  Dieser  Atlass  mit  den 
genauesten  Details  der  Vermessungen  u.  s.  w.  ist  allein  schon  ein 
sehr  kostspieliges  Unternehmen. 

Dass  in  Italien  Bücher  gekauft  werden,  kann  man  daraus  ent- 
nehmen, dass  von  der 

Storia  universale  di  Cesare  Cantu,  Torino  1664.  8, 

bereits  das  167.  Heft  der  9.  Turiner  Auflage  erschienen  ist.  Jedes 
Heft  von  4  Bogen,  sehr  enge  gedruckt,  und  in  grossem  Formaty 
wird  von  der  rühmlichst  bekannten  Buchhandlung  Pomba  für  acht 
Sübergroschen  oder  einen  Franken  geliefert.  Cantu  ist  vielleicht  der 
fruchtbarste  der  jetzt  lebenden  italienischen  Schriftsteller,  seine 
Werke  bilden  allein  eine  nicht  kleine  Bibliothek,  obwohl  er  erst 
1805  zu  Brivio  bei  Lecco  geboren  ward,  Die  letzte  seiner  Arbei- 
ten ist  die  Geschichte  der  lateinischen  Literatur : 

Sioria  della  leiteratura  Latina^  da  Cesare  Cantu.  Firense  1864, 
Fresso  F.  le  Monnier.   8.  p.  568, 

Der  Verfasser  fUngt  mit  der  Aufzählung  der  ältesten  Sprache 


t^teratnrbericliie  ans  ttaUen«  783 

in  Italien  an,  geht  dann  zu  den  archaischen  Schriftstellern  überi 
bis  zu  dem  griechischen  Einflasse,  worauf  die  Eintheilang  nach  der 
Geschichte  und  nach  den  Materien  folgt;  von  dem  Einflasse  des 
Christenthams  geht  der  Verfasser  auf  den  Verfall  der  Sprache  und 
den  Einfluss  der  Barbaren  über,  bis  zu  den  gereimten  Versen.  Der 
Verfasser  schliesst  mit  den  letzten  lateinischen  Schriftstellern. 

Ein  'anderes  noch  im  Fortgange  begriffenes  grossartiges  unter- 
nehmen von  Cesare  Cantu  ist  eine  Sammlung  von  Geschichten  und 
Denkwürdigkeiten  der  Gegenwart,  welche  auf  50  Bände  berechnet 
ist,  von  denen  bereits  seit  dem  vergangenen  Jahre  10  Bände  er- 
schienen sind.  Den  Anfang  macht  Polen  nach  Boman  Soltyk,  unter 
dem  Haupttitel: 

„Collana  di  siorie  e  memorie  coniemporanetj^  La  Polonia  e  sua 
revolusdone  nel  1830  per  R,  Soliyk,  con  proemio  generale  di 
C.  Caniu.  Müano  1863,     Fresso  Corona  e  Caimi,   8.  p.  435. 

Cantu  hat  diesem  Werke  eine  allgemeine  Vorrede  auf  79  Seiten 
vorausgeschickt,  worin  er  das  Becht  der  Geschichte  behandelt, 
das  sich  auf  Wahrheit  gründen  muss.  Er  zeigt,  wie  aus  dem 
Naturzustande  sich  das  Becht  Aller  gegen  Alle  entwickelt  hat; 
dann  den  Einfluss,  den  das  Christenthum  und  dann  bald  die  Kirche 
auf  die  Geschichte  gehabt  hat ;  worauf  er  zum  Natur-  und  Völker- 
rechte übergeht.  Nach  Betrachtungen  über  Staatsverträge  und  die 
heilige  Allianz  schliesst  er  mit  Hinweisung  auf  die  Liebe  für  eine 
vernünftige  Freiheit.  Dem  Werke  von  Soltyk  über  Polen  folgt  ein 
Nachtrag  von  Cantu  über  die  Folgen  der  Bevolution  von  1830  bis 
zu  den  letzten  Ereignissen. 

Der  zweite  Band  dieser  Sammlung  (Collana)  enthält: 

OH  staii  uniti  d* America,  nel  1863  per  0.  Bigelow,  Milano  1863, 
Presso  Corona  e  Caimi,  8.  p,  470. 

Bei  den  jetzigen  Verhältnissen  Nord-Amerikas  ist  dies  Werk 
von  um  so  grösserem  Werthe,  da  sein  Verfasser  General-Consul  der 
vereinigten  Staaten  in  Paris  ist. 

Drei  Bände  dieser  Sammlung  betreff'en  Griechenland  unter  dem 
Titel: 

Risorgimenio  della  Qrecia  per  0,  0,  GervinuSj  hadumone  del  Te- 
desco,  Milano  1862.     Presso  Corona  e  CaimL  lU  VoL  8, 

Cesare  Cantu  hat  diese  Geschichte  des  Wiederauflebens  Grie- 
chenlands bis  auf  die  neueste  Zeit,  bis  zur  Yeroinigung  der  Re- 
publik der  7  Inseln  fortgesetzt.  (S.  die  Verfassung  der  Joaischeit 
Inseln,  und  die  Versuche  dieselbe  abzuändern,  von  J.  F.  I^eigobaur, 
Leipzig  1840.  bei  Focke).  In  diesem  Anhange  bat  Cautti  Veriin* 
lassung  genommen,  den  gegenwärtigen  Zustand  OriechenlELnda  und 
seine  Vergangeaheit  herzuleiten,  und  über  die  Ausbildung  diäs  Valk»« 


\ 


784  Lit«imtiitb€rlelite^QS  tUlleiL 

Charakters  n.  s.  w.  Mittheilangen  zo^  machen.  Von  der  neagriechi- 
sehen  Sprache  sagt  er,  dass  sie  sich  zu  dem  klassischen  Griechi- 
schen verhalte,  wie  das  Italienische  za  der  lateinischen  Sprache. 
Auch  hat  er  schAtzbare  Nachrichten  über  die  giiechischen  Colonien 
der  Neuzeit  beigefügt,  die  sich  in  Ünter-Italien  und  Sicilien  noch 
im  Besitze  der  Sprache  befinden. 

//  Messico  per  Michade  Chevalier,     Milano  1864.    Pres$a  Corona  e 
Caimi. 

Diese  Uebersetzung  der  Beschreibung  Ton  Mexiko  macht  den 
6.  Band  der  yon  Cantu  herausgegebenen  Collana  aus,  wozu  er  eine 
Vorrede  gegeben  hat. 

La  Resiauraaione  e  ü  Trattaio   di  Viennaj  per    Qiorgio  Goffrede 
Oervinus.  Milano  1864, 

Hier  gibt  Cantu  als  den  7.  Band  seiner  Collana  die  Ueber- 
setzung der  Geschichte  des  Wiener  Vertrages  Ton  Gervinus. 

Quglielmo  Pitt  e  ü  euo  iempo^  per  Lord  Statihope.  U  VoL 

Diese  Lebensbeschreibung  des  Minister  Pitt  gibt  hier  Cantu 
als  den  8.  bis  10.  Band  dieses  geschichtlichen  Sammelwerkes  der 
Neuzeit. 

indueiria  del  ferro  in  Itälia,  dal  Jngeniero  Feliee  Oiordano.  Torino 
1864.  Tip.  Coita.  4,  p.  437. 

Dieses  mit  sieben  Karten  ausgestattete  Werk  über  die  Eisen- 
Industrie  Italiens  ist  eine  von  dem  Ingenieur  Giordano  redigirte  Arbeit, 
welche  einer  Commission^  durch  den  Marine-Minister  aufgetragen 
worden  war.  Die  Alpen- Abhänge  der  Lombardei,  das  Thal  von 
Aosta,  die  Maremmen  und  Calabrien  bei  Pizzo  sind  am  reichsten 
mit  Eisenwerken  versehen. 

MoUusquee   terresires  vivanU  du  Piemont^  per  J.  Stabile.     Milano 
1864.  p.  143.  gr.  8. 

Dies  mit  2  Kupfern  ausgestattete  Werk  gibt  Nachricht  von 
den  im  Piemontesischen  lebenden  Mollusken. 

Atti  deir  Academia  Qioenia  di  seienze  naiurdli  di  Caiania.     Tom. 
XIX.  Calania  1864.    4.   p.  264. 

Hier  erhalten  wir  aus  dem  verschrienen  Sicilien  die  Arbeiten 
der  naturforschenden  Gesellschafb  in  Catania,  deren  Vorstand  der 
gelehrte  Gemmellaro  ist.  Den  Anfang  macht  eine  Uebersicbt  des 
von  dieser  Academie  seit  den  38  Jahren  ihres  Bestehens  Geleiste- 
ten. Von  dem  Vorstande  ist  eine  Anweisung  fdr  Reisende,  welche 
den  Etna  besteigen  wollen.  Die  andern  AufBätze  betreffen  Ichtho- 
logie,  Entomologie,  und  Nachrichten  über  die  Vergrösserung  des 
Hafens  von  Catania.  Keigebaiir« 


V 


It.  eo.  HEIDELBERGEfi  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Literaturberielite  ans  Italien. 


La  prosaima  communicasione  di  itä^  i  populi  della  terra,  dal  Cav. 
Ferdin,  de  Luca,  NapoH  1864.    4 

Dies  mit  einer  Weltkarte   ausgestattete   Werk  zeigt,   welche 
Fortschritte  die  Yerbindang  zwischen  deu  Völkern  in  neuester  Zeit 
'gemacht  hat,  und  was  in  dieser  Beziehung  noch  nächstens  zu  er- 
warten ist. 

La  medicina  communalej  dal  DoUore  L.  Ripa,   Monza  1864.     Tip. 
Beretta.  gr.  8.  p.  192, 

Dies  ist  eine  populärer  Leitfaden  für  praktische  Anwendung 
der  Heilkunde  in  wöchentlichen  Lieferungen  Yon  1863  an. 

AUi  deila  socUta  Italiana  di  sciense  naturalis  fascieolo  20.   Milane 
1864.    8. 

Die  seit  längerer  Zeit  in  Mailand  bestandene  geologische  Ge- 
sellschaft hat  sich  seit  ein  paar  Jahren  in  eine  Gesellschaft  für 
Naturkunde  umgestaltet  und  ist  der  gelehrte  Naturforscher  Oomalia 
Präsident  und  eigentlich  die  Seele  derselben,  wofür  er  hier  einen 
günstigen  Boden  findet ;  denn  in  der  reichen  Stadt  Mailand  finden 
sich  mehr  Menschen,  welche  für  die  Wissenschaften  leben,  als 
von  denselben.  Die  Verdienste  des  gelehrten  Herrn  Gornalia  sind 
auch  ausser  Italien  bekannt;  er  isi  Mitglied  der  Leopoldino  Caro- 
linischen deutschen  Akademie  der  Naturforscher.  Ausser  den 
Sitzungsberichten  enthält  das  vorliegende  letzte  Heft  Nachrichten 
über  die  Geologie  in  der  Umgebung  von  Born,  über  die  Vögel  auf 
der  Insel  Sardinien  u.  s.  w.,  auch  sind  sauber  ausgeführte  Abbil- 
dungen von  Crustaceen  beigefügt. 

Mti  della  R.  Academia  di  belle   arti  in  Müano.    Müano  1864.    8. 
Presso  Pirola. 

Die  Verhandlungen  der  Akademie  der  schönen  Künste  in  Mai- 
land für  das  Jahr  1864,  enthalten  einen  sehr  eingehenden  Aufsatz 
tLber  den  Fortgang  der  schönen  Künste  in  Italien  ron  dem  ge- 
schätzten Herrn  Boito,  Professor  der  höheren  Baukunst  bei  dieser 
Akademie,  ausserdem  Berichte  über  die  Vertheilung  der  ausge- 
setzten Preise  mit  den  darüber  abgegebenen  Beurtheilungen.  Vor- 
stand dieser  Akademie  ist  der  Graf  Barbiano  di  Belgiojoso,  auch  einer 
liVIIL  Jahrg.  10.  Heft  50 


A 


786  Litentnrberichte  Mt  ItalleB. 

der  reichen  Mailänder,  welche  für  die  Wissenschaften  leben.  Bei 
dieser  Akademie  ist  für  die  Geschichte  der  gelehrte  Doetor  Hal- 
fatti  angestellt,  für  Malerei  die  berühmten  Hayez  nnd  Bertini,  fftr 
die  Sculptur  Strozza  undMagni,  für  Architectnr  Pestagalli  n. s.w. 

Dizionario  ddle  aniichiia  greche  e  romane,  di  A.  Rieh,  tradoäo  dd 
inglese  per  Bonghi  e  del  Be,  eon  supplenurdo  di  O,  FiortBL 
Torino  1864,  Tip.  Cavour. 

Dieses  grossartige  antiquarische  Werk  ist  zwar  nur  eine  üebei^ 
setznng  aus  dem  englischen;  allein  Tervollständigt  durch  einen 
Sachkenner,  den  gelehrten  Fiorelli,  welcher  die  Ausgrabungen  in 
Pompeji  leitet.  Die  üebersetznng  ist  Ton  zwei  gelehrten  Neapo- 
litanern, dem  Philologen  Bonghi,  welcher  griechische  Tragiker  über- 
setzt hat  und  sich  viel  mit  Philosophie  als  Freund  Rosmini's  be- 
schäftigt hat,  auch  jetzt  thätig  als  Abgeordneter  ist.  Sein  Grehülle 
ist  der  in  der  klassischen  Literatur  wohl  erfahrene  del  Be^  der  zu- 
erst mit  einer  antiquarischen  Reise  Ton  Neapel  nach  Constantinopd 
auftrat,  wo  er  Schritt  vor  Schritt  die  antiken  Lokalitäten  mit 
Stellen  aus  den  Klassikern  nachwies.  Das  TorHegende  Werk  mit 
2000  in  den  Text  eingedruckten  Abbildungen  der  antiken  hier  be- 
schriebenen Gegenstände  ist  dabei  trefflich  und  doch  nicht  kost- 
bar ausgestattet. 

Republieam  e  Sforzesehi  (IUI— 1455).  Vol.  L  II.  Müano  1864. 
Pre880  Brigola.   8.   p.  414.  420. 

Dieser  geschichtliche  Roman  ist  aus  der  Zeit  der  Parteinngen 
in  Mailand  zwischen  den  Feudal- Ghibellinischen  Anhängern  des 
Sforza  und  den  Freisinnigen,  welche  die  städtische  Gemeindevei^ 
"'"'^  Tfessung  der  freien  Reichsstädte  aufrecht  erhalten  wollten,  nnd  in 
dem  Papste  ihren  Schutz  suchten.  Der  Verfasser  ist  der  geistreicks 
Graf  Barbiano  di  Belgiojoso,  Präsident  der  Kunst- Akademie  zu 
Mailand,  nicht  weil  seine  Familie  yon  dem  berühmten  Capitano  di 
Ventura,  Barbiano,  herstammt,  sondern  weil  er  ein  hochgebildeter 
Mitbürger  der  reicher.  Stadt  Mailand  und  grosser  Kunstfrennd  niä 
Kunstkenner  ist. 

8tU  credito  fondiario  in  Italia,  per  Dottore  NapoUone  PerelU.  Mi- 
lane 1864.    PrcBso  Brenna. 

Hier  tritt  wieder  ein  Rechtsgelehrter  mit  Vorschlägen  zur 
Hebung  des  Realkredits  in  Italien  auf;  allein  auch  er  suoht  alles 
Heil  nur  in  einer  dazu  geeigneten  Bank,  ohne  zu  berücksichtigen, 
dass  nur  ein  geordnetes  Hypothekenwesen  dazu  führen  kann ,  wie 
in  folgendem  Werke  längst  nachgewiesen  ist:  Oenno  critioo  sulla 
riforma  del  sistema  ipotecario  francese  proposta  dal  Cav,  Neige- 
baur,  per  il  Professore  Sciascia,  Palermo  1847,  was  auch  von  dem 
berühmten  Rechtsgelehrten  Mancini  in  seiner  Vorrede  zur  zweiten 
Auflage  in  Turin  1853  anerkannt  worden  ist. 


LHeraturberichte  aus  Italien.  737 

Ännuario  bihliografico  lialiano  per  cura   ddla  istrutione  pubblica. 
Torino  1864.  Tip.  Cerutli,  S.  p.  884. 

Endlich  ist  der  Wunsch  aller  Freunde  der  italienischen  Li- 
teratur, einen  Katalog  aller  neuen  in  Italien  erscheinenden  Bücher 
zu  besitzen,  erfüllt  worden,  wie  wir  denselben  lange  für  Deutsch- 
land hatten*  Das  Ministerium  des  öffentlichen  Unterrichts  deh 
Königreichs  Italien  hat  sich  dieser  wichtigen  Aufgabe  unterzogen, 
und  alle  Verleger  veranlasst,  die  betreffenden  Titel  ihrer  Bücher 
einzusenden,  welches  mit  den  Berichten  der  General-Procuratoren 
zugleich  durch  das  Justiz-Ministerium  geschehen  ist.  Damach  sagt 
die  Vorrede,  dass  diese  Arbeit,  welche  das  Jahr  1863  umfasst, 
grosse  Schwierigkeiten  gemacht  hat,  und  ersucht  alle  Verleger  für 
die  Folge  thätig  zu  diesem  wichtigen  Zwecke  mitzuwirken.  Dieser 
erste  Jahrgang  ist  sehr  zweckmässig  systematisch  geordnet ,  so  dass 
nebst  dem  alphabetischen  Verzeichnisse  der  Aiitoren  das  Auffinden 
sehr  erleichtert  ist.  Die  systematische  Eintheilung  erscheint  in 
19  Abtheilungen,  von  denen  die  des  öffentlichen  Unterrichts  die 
stärkste  ist,  mit  608  Nummern.  Zeitschriften  erschienen  581, 
über  Staatswirthschaffc  286,  über  Rechtswissenschaft;  239,  über 
Theologie  460,  über  Geschichte  251  u.  s.  w.  Im  ganzen  König- 
reiche erschienen  nebst  531  Zeitschriften  4735  Bücher.  Von  den 
nicht  zum  Königreiche  Italien  gehörigen  italienischen  Provinzen 
enthält  ein  Nachtrag  570  Schriften,  worunter  123  theologische, 
6  philosophische,  4  philologische  und  12  Zeitschriften. 

Raceolia  delU  opere  idrauliche  e  iecnologiche  dt  Qiuseppt  Bruscheiti. 
Torino.  Prmo  BoUa.  4.  Vol.  I.  p.  383.  Vol.  II.  p.  652. 

Bekanntlich  sind  die  Lombarden  durch  ihre  Wasserbauten  be- 
rühmt, und  darf  man  nur  an  den  schiffbaren  Kanal  erinnern,  welcher 
Mailand  mit  dem  Tessin  und  dem  Po  in  Verbindung  setzt,  und  die 
vielen  Kanäle,  welche  die  lombardischen  Wiesen  bewässern.  Der 
Verfasser,  ein  sehr  geachteter  Ingenieur,  worunter  in  Italien  ein 
Baukünstler  und  Feldmesser  verstanden  wird,  gibt  hier  eine  Ueber- 
sicbt  der  Kanal-  und  Wasser- Verbindung  in  der  Ebene  des  Po, 
von  dem  Lago  Maggiore  an  bis  zu  den  Lagunen  von  Venedig,  aus- 
gestattet mit  18  grossen  Karten  und  Plänen.  Doch  auch  für  den 
Nicht-Sachverständigen  hat  dieses  bedeutende  Werk  grossen  Werth 
durch  die  geschichtlichen  Nachrichten  über  die  diessfallsigen  Arbeitun. 

Di  una  mcUatia  ddla  glandtda  mammuria  eon  la  sifilide  cQsiitusio~ 
näle,  del  C.  AmbrosolL  Müano  1864. 

Dies  ist  die  neueste  Schrift  des  sehr  geachteten  Arztes  Carlo 
Ambrosoli  zu  Mailand,  der  sich  durch  mehrere  Schriften  über 
syphilitische  und  andere  Krankheiten  ausgezeichnet  hat,  von  denen 
wir  nur  die  Cura  della  Blennorragia  (1868),  die  Sifilide  coiiJftitaxio- 
nale  (1863),  die  Cura  dei  bubboni  (1863),  della  giuntivite  aifili- 
tica  (1863)  erwähnen,  viele  andere  früheren  übergehend, 


788  Llteratnrberlchte  aus  Ittllen. 

Saggio  di  una  storia  naturale  dei  pdroHL  per  A,  Sioppanu  MÜano 
1864. 

Diese  Untersuchungen  über  die  Natur,  die  Fundorte  und  den 
Gebrauch  des  jetzt  vielfach  erwähnten  Petroleums  haben  den  ge- 
lehrten Professor  Stoppani  zum  Verfasser,  welcher  an  dem  rühm- 
lichst bekannten  technischen  Institut  zu  Mailand  angestellt  ist, 
über  welches  folgende  Schrift  Auskunft  gibt: 

Propramma  del  Istüuio  iecnico  superiore  di  Müano,  per  Vanno  1864 
—1865.  Milano  1865.  Tip.  VallardL 

Die  höhere  technische  Lehranstalt  in  Mailand  ist  hauptsäch- 
lich zur  Ausbildung  der  für  die  Lombardei  höchst  wichtigen  Givil- 
Ingenieure  bestimmt  und  hat  ihre  jetzige  Einrichtung  durch  ein 
königliches  Decret  vom  13.  Novbr.  1862  erhalten.  Dieselbe  steht 
aber  auch  zugleich  mit  den  Abgeordneten  der  Provinz  in  Verbin- 
dung, so  dass  diese  thätigen  Antheil  nehmen,  und  dies  gern  thun, 
da  zu  der  Verwaltung  neben  dem  Director  Brioschi,  auch  unab- 
hängige Männer  gehören,  wie  der  von  den  Provinzial- Vertretern 
dazu  abgeordnete  Ritter  Lombardini,  Senator  des  Reiches,  der  von 
der  Stadtgemeinde  von  Mailand  ernannte  Gemeinderath  Graf  Paul 
Betgiojoso  und  der  Graf  von  Taverna.  Zu  den  dabei  angestellten 
Lehrern  gehört  der  Professor  Stoppani,  Verfasser  des  erwähnten 
Werkes,  für  Geognosie  und  angewandte  Mineralogie,  der  Director 
^Brioschi  lehrt  Mechanik.  Der  Unterricht  in  der  Geognosie  und 
Mineralogie  wird  in  dem  städtischen  Museum  ertheilt,  um  welches 
der  gelehrte,  auch  in  Deutschland  wohl  bekannte  Ritter  Comalia 
sich  so  grosse  Verdienste  erworben  hat.  Der  erwähnte  Brioschi 
ist  zugleich  Präsident  der  in  Mailand  neu  errichteten  philosophi- 
schen Fakultät  unter  dem  Namen  Academia  scientifica-letteraria, 
deren  Sekretär  der  in  der  deutschen  Literatur  wohl  bewanderte 
gelehrte  Camerini  ist;  dieselbe  hat  folgendes  Programm  heraus^ 
gegeben : 

Programma   della   academia   scientifieo   lelieraria  di  Müano,    doli 
Consiglio  diriitivo.  Milano  1865. 

Nach  demselben  sind  hier  11  Professoren  angestellt,  Picchioni, 
Professor  der  griechischen  Sprache,  Verfasser  eines  Wörterbuches 
und  mehrerer  Uebersetzungen,  ist  Präsident  dieser  Akademie,  Bion- 
delli,  der  bekannte  Linguist,  ist  Professor  der  Archäologie,  Mal- 
fatti  der  alten  Geschichte,  Ferrari  der  neueren,  Bonavino  der  CTe- 
schichte  der  Philosophie,  der  unter  dem  Namen  Ausonio  Franchi 
sich  durch  philosophische  Schriften  ausgezeichnet  hat  u.  s.  w. 

üterostenomatOy  dal  A,  Ricardi.   Milano  1864. 

Der  für  die  Syphilis  bei  dem  grossen  Hospital  zu  Mailand  an- 


Scriptoree  HUitoJiae  August  Reo.  H.  Peter.  789 

•gestellte  Arzt  Ricardi  gibt  hier  die  Abbildung  seines  Instruments, 
um  im  Uterus  Operationen  vorzunehmen. 

La  sociela  inglese  d'Assecurazione  suUa   vüa,    Gresham^    di   Pieiro 
Addone,    Napoli  2864, 

Betrachtungen  über  Lebensversicherungs-Anstalten. 
Rivisla  dei  eomuni  ItalianL  per  G,  Masari,  Torino  1864,   8. 

Von  diesen  Verhandlungen  über  Gemeinde- Angelegenheiten  liegt 
bereits  das  11.  Heft  des  4.  Jahrgangs  vor,  zum  Beweise,  dass  das 
Gcmeindeleben,  das  sich  in  Italien  aus  der  klassischen  Zeit  leben- 
dig erhalten  hat,  und  seit  der  erlangten  italienischen  Einheit  er- 
freulichen Fortgang  gewinnt.  Hier  wird  Nachricht  gegeben  von 
der  Thätigkeit  aus  allen  Theilen  Italiens  in  Gemeinde-Angelegen- 
heiten, z.  B.  über  eine  Verhandlung  der  Provinzialstände  zu  Bo- 
logna, über  die  Armen- Anstalten  zu  Pinerolo  u.  s.  w. ;  es  werden 
Vorschläge  gemacht,  wie  die  Gemeinde-  und  Provinzial-Berathungen 
zu  vervollkommnen;  auch  von  den  diessfallsigen  Verhältnissen 
anderer  Länder  wird  Nachricht  gegeben,  z.  B.  über  die  Aufhebung 
der  Verbrauchssteuer  in  Belgien.  Ein  besonderer  Abschnitt  ist  der 
einschlagenden  Bibliographie  gewidmet,  und  ein  anderer  den  betref- 
fenden amtlichen  Verordnungen,  welche  sich  weniger  in  die  Ver- 
waltung der  Gemeindeangelegenheiten  mischen,  als  in  den  Ländern, 
wo  zu  viel  regiert  wird.  Neigebaur. 


Scriptores  Hisioriae  Augti9iae.  Recensuit  Herrn annu 8  Peter,  Volu" 
menprius,  Lipsiae  in  aedibus  B,  0,  Teuhneri,  MDCCCLXV, 
XXXJJ  und  276  S,     Volumen  alterum  362  S.  in  8, 

Auf  die  vor  nicht  langer  Zeit  zu  Berlin  erschienene  neue  Textes- 
ausgabe der  Scriptoros  historiae  Augustae,  über  welche  in  diesen 
Blättern  (s.  Jbrg.  1864  S.  950  fiF.)  berichtet  worden  ist,  folgt  als- 
bald eine  andere,  völlig  unabhängig  von  der  oben  genannten  unter- 
nommene Ausgabe,  die  sich  das  gleiche  Ziel  gesteckt  hat,  indem 
sie  einen  auf  die  ältesten  Quellen  zurückgeführten,  mithin  urkund- 
lich getreuen  und  auch  lesbaren  Text  dieser  für  die  spätere  römische 
Kaisergeschichte  so  wichtigen  Schriftsteller  zu  liefern  niitoniimmt. 
Der  Herausgeber,  der  schon  in  zwei,  in  den  Jahren  1860  u.  1S63 
orschienenen  Abhandlungen  über  die  kritische  Behandlang  der  in 
dieser  Sammlung  vereinigten  Schriftsteller  sich  näher  verberettet 
hatte,  glaubte  daher  vor  Allem  auf  diesen  Punkt  in  der  Vorrede 
näher  eingehen  zu  müssen,  und  wenn  er  hier  unter  ^Mvr  Bezug- 
nahme auf  diese  früheren  Forschungen  und  die  dadurch  für  die 
Texteskritik  gewonnenen  Ergebnisse,  hinsichtlich  der  Handschriften, 
welche  zunächst  die  Grundlage  der  Textes  bilden  sollen,  zu  einsui^ 


790  Serlptores  HlatorUie  Aagnsi  Ree.  H.  Peter. 

fthnlichen  Besnltat,  wie  die  Berliner  Herausgeber,  gelangt,  eo  wird 
doch  die  nähere  Begründung,  wie  sie  in  dieser  Vorrede  enthalten 
ist,  abgesehen  selbst  yon  so  Manchem  Neuen,  was  sie  bringt,  dazu 
dienen,  jenes  Ergebniss  noch  mehr  zu  sichern,  und  die  Doreh- 
führung,  welche  daraufhin  im  Einzelnen  stattgefunden  hat,  zu  recht- 
fertigen. Der  Herausgeber  war  aber  um  so  mehr  dazu  befähigt, 
als  er  die  beiden,  auch  nach  seiner  üeberzeugung,  und  wohl  zwei- 
fellos ältesten  Quellen  der  handschriftlichen  üeberliefemng«  die 
ehedem  Pfälzische  (jetzt  Yaticanische)  und  die  Bamberger  Hand- 
schrift selbst  näher  untersucht  und  yerglichen  bat,  die  erste  in  Bom 
selbst,  wohin  er  zu  diesem  Zweck  wanderte,  die  andere  zweimal 
sogar,  zu  Breslau  im  Jahre  1857  und  später  zu  Posen,  wohin  ihn 
die  Handschrift  geschickt  worden  war,  und  kann  die  8.  XXX  tob 
ihm  aus  der  einen  Vita  Hadriani  gelieferte  Probe  zeigen,  dass  seine 
zweimalige  Vergleichung  vor  derjenigen,  welcher  die  Berliner  Heraat- 
geber  folgten,  den  Vorzug  grösserer  Genauigkeit  und  Sorgfalt  anzu- 
sprechen hat,  und  schon  aus  diesem  Grunde  das  ganze  Unterneh- 
men mit  nichten  als  ein  übeiflüssiges  erscheinen  kann,  da  es  -viel- 
mehr als  ein  durchaus  selbständiges  sich  darstellt,  welches  die  ur- 
sprüngliche Fassung  des  Textes  möglichst  wiederzugeben  sucht, 
üeber  das  Verhältniss  jener  beiden  ältes^ten  Quellen  des  Textee  zu 
einander  war  aber  der  Herausgeber  wohl  berechtigt,  ein  ürtbeil 
abzugeben,  weil  er  ja  selbst  beide  eingesehen  hat,  und  in  solchen 
Fällen,  wo  auch  die  äussere  Beschaffenheit  der  Handschriften  in 
Betracht  zu  ziehen  ist,  ohne  Autopsie  ein  sicheres  Besultat  kaum 
zu  gewinnen  steht.  Wenn  nun  auch  nach  seiner  Ansicht,  nnter 
jenen  beiden  ältesten  Quellen  schon  um  der  Form  der  Buchstaben 
willen  die  Bamberger  Handschrift  um  ein  Jahrhundert  alter  zu 
setzen  ist  (in  das  neunte  Jahrhundert)  als  die  Pfälzer,  welche  in 
das  zehnte  oder  eilfte  fällt,  so  kann  schon  darum  nicht  die  Bede 
sein,  die  erstere  als  eine  Abschrift  der  letztern  zu  betrachten,  irie 
unlängst  zu  behaupten  unternommen  ward,  aber  es  kann  auch  eben 
so  wenig,  wie  hier  S.  X  nachgewiesen  wird,  die  Pfälzer  Hand- 
schrift als  eine  aus  der  Bamberger  genommene  Copie  angesehen 
werden ,  sondern  beide  sind  zu  betrachten  als  Handschriften ,  die 
einer  und  derselben  Quelle  entstammen,  in  welcher  diese  Sammlung 
die  Aufschrift  führte,  welche  nach  den  beiden  Handschriften  nun 
auch  von  dem  Herausgeber  dem  Texte  vorangestellt  ist:  Vitae 
diversorum  principum  et  tyrannorum  a  Divo  Hadri- 
ano  usque  ad  Numerianum  a  diversis  compositae;  denn 
die  gewöhnliche  Aufschrift,  die  von  dem  Herausgeber  aus  begreif- 
lichem Grunde,  schon  um  Missverständnisse  zu  verhUten,  auf  dem 
allgemeinen  Titel  des  Ganzen  beibehalten  worden  ist:  Scripto- 
res  historiae  Augustae  ist  bekanntlich  neueren  Ursprungs. 
Auch  das  in  beiden  Handschriften  befindliche  Verzeichniss  der  ein- 
zelnen Vitae,  welche  die  Bestandtheile  der  Sammlung  bildeten,  be- 
trachtet  der  Herausgeber  diesem    Codex  Archetypus   entnommen. 


Scrlptores  Hlstoriae  August  Reo.  H.  Peter.  701 

in  welchem  dieselben  auch  wohl  in  der  Ordnung,  in  welcher  sie 
in  diesem  Verzeichniss  aufgeführt  sind,  auf  einander  folgten;  und 
zwar  nach  der  Folge  der  Zeit,  vor  der  nur  einige  Ausnahmen  jetzt 
sich  vorfinden,  worüber  S.  XIQ  eine  befriedigende  Auskunft  er- 
theilt  wird. 

Der  Herausgeber  hat  sich  in  seinen  kritischen  Forschungen, 
so  sicher  und  fest  auch  das  aus  der  Yergleichung  der  beiden  ge- 
nannten Handschriften  gewonnene  Resultat  steht,  doch  nicht  dabei 
beruhigt,  sondern  seine  Forschung  noch  weiterausgedehnt,  und  wenn 
dieselbe  auch  nur  dazu  gedient  hat,  dieses  Resultat  noch  mehr  zu 
begründen  und  ausser  Zweifel  zu  stellen,  so  werden  wir  dem  Heraus- 
geber um  so  dankbarer  dafür  sein  müssen.  Er  hat  zuvörderst  die 
ebenfalls  in  der  Yaticana  zu  Rom  jetzt  befindlichen  Ezcerpta 
Palatina,  wie  die  gewöhnliche  Bezeichnung  dieser  Verschiedenes 
enthaltenden  Handschnft  des  eilften  Jahrhunderts  lautet,  selbst  ein- 
gesehen und  verglichen,  ohne  jedoch  bei  der  offenbaren  Nachlässig- 
keit, mit  welcher  die  in  dieser  Handschrift  befindlichen  Stücke  ab- 
geschrieben sind,  wesentlichen  Gewinn  daraus  für  die  Gestaltung 
des  Textes  ziehen  zu  können :  es  entstammen  diese  Excerpta  Pala- 
tina nach  der  Ansicht  des  Herausgebers,  der  früher  eine  Abschrift 
ans  der  vorher  erwähnten  Pfälzischen  Handschrift  darin  zu  erkennen 
glaubte,  vielmehr  der  gleichen  Quelle,  aus  der  die  Pfälzische  und 
Bambergische  Handschrift  stammen,  nur  dass  diese  beiden  mit 
grösserer  Sorgfalt  daraus  abgeschrieben,  und  nicht  mit  der  Nach- 
lässigkeit, durch  welche  der  Werth  dieser  Excerpta  in  Vergleich  zu 
jenen  beiden  Handschriften  sehr  herabsinkt.  Und  diese  Ansicht  scheint 
auch  uns  die  richtigere  zu  sein.  Der  gleichen  Quelle  entstammt  weiter 
eiae  Vatikanische  Handschrift  (Nr.  5801  aus  dem  15.  Jahrb.),  deren 
nähere  Yergleichung  aber  schon  aus  dem  Grunde  der  Herausgeber  sich 
ersparen  zu  können  glaubte,  als  Accursius  in  der  Editio  Princeps 
(Mailand  1475)  diese  Handschrift  benutzt  und  nach  ihr  den  Text 
gegeben  hat,  die  Editio  Princeps  aber  schon  früher  von  dem  Heraus- 
geber auf  das  genaueste  verglichen  worden  war.  —  Eine  ähnliche 
Beschaffenheit  zeigt  eine  ebenfalls  vom  Herausgeber  eingesehene 
Ambrosianische  Handschrift  (zu  Mailand)  aus  dem  fänfzehnten  Jahr- 
hundert und  eine  aus  dem  Kloster  Murbach  (im  Elsass)  stammende^ 
durch  Froben's  Ausgabe  zu  Basel  1518  bekannt  gewordene  Hand- 
schrift, die  jetzt  veiloren  scheint,  da  es  dem  Herausgeber  nicht 
golang,  eine  Spur  derselben  aufzufinden:  bei  der  üebereinstimmung 
mit  der  Bamberger  und  Pfälzer  Handschrift  dürfte  sie  übrigens 
kaum  Neues  von  einigem  Belang  bieten. 

An  diese  ältesten  Quellen  der  üeberliefemng  reiht  sich  eine 
Reihe  von  jüngeren  Handschriften,  die  indessen,  welches  auch  ihr 
Ursprung  sein  mag,  für  die  Besserstellung  des  Textes  wenig  nützen 
und  insofern,  gegenüber  jener  ersten  Classe  von  Handschrifteui 
kaum  in  Betracht  kommen  werden;  der  Herausgeber  verfehlt  in« 
dessen  nicht,  auch  mit  diesen  Handschriften,  die  zum  Theil  selbst 


1 


799  Beriptores  Htstoriie  Avgott  Keo.  H.  Peter« 


von  ihm  eingeseben  wnrden,  uns  bekannt  zu  machen :  es  ist  danmter 
eigentlich  kanm  Eine,  welche  eine  grossere  Beachtung  ansprechen 
kann,  insofern  sie  wenn  auch  nicht  aus  derselben  Quelle,  ans  wel- 
cher die  Pßllzer  und  Bamberger  stammen,  geflossen,  doch  auf  eine 
ihr  Ähnliche  oder  verwandte  zurückzuführen  scheint,  n&mlich 
eine  Yaticaner  Handschrift  Nr.  1899  aus  dem  vierzehnten  Jahr- 
hundert, und  eine  andere,  aus  dieser  hinwiederum  stammende  Ta- 
tikanische  Handschrift  Nr.  1901,  welche  das  Datum  des  Jahres 
1470  trägt,  mithin  ganz  neueren  Ursprungs  ist 

Diese  Angaben  mCgen  genügen,  um  zu  zeigen,  wie  der  Herans- 
geber  sich  allerwftrts  umgesehen,  um  einen  handschriftlichen  Ap- 
parat zu  gewinnen,  nach  welchem  die  neue  Ausgabe  zu  gestalten 
wäre:  die  Vergleichung  dieser  verschiedenen  Handschriften  mit 
einander  konnte  freilich  nur  zu  dem  oben  bemerkten  Resultat  füh- 
ren, womach  die  Pfälzer  und  Bamberger  Handschrift  vorzugsweise 
die  Grundlage  des  Textes  bilden  müssen,  weil  sie  verhältnissmftssig 
noch  am  reinsten  die  Urschrift  erhalten  haben.  Daher  der  Herans- 
geber sich  vorzugsweise  an  diese  beiden  Handschriften  hält  und 
einen  meist  hiemach  gestalteten  Text  liefert,  ohne  jedoch  auch 
einzelne  Verbesserungen  einzelner  Gelehrten,  insofern  ihre  Aufnahme 
geboten  schien,  zu  übersehen.  Selbst  in  der  Orthographie  folgt 
derselbe  diesen  beiden  ältesten  Quellen,  und  wo  sie  von  einander 
darin  abweichen,  ward  diejenige  Schreibung  vorgezogen,  welche  mit 
der  an  andern  Stellen  vorkommenden  übereinstimmend  war  oder 
durch  Inschriften  u.  dgl.  mehr  empfohlen  ward.  Unter  dem  Text 
ist  die  Adnotatio  critica  zusammengestellt,  sie  enthält  die  yom 
Texte  abweichenden  Lesarten  jener  beiden  Handschriften,  verban- 
den mit  der  Angabe  einzelner  mehr  oder  minder  beachtenswerther 
Abweichungen  der  Excerpta  Palatina,  der  Editio  Princeps,  und  der 
eben  erwähnten  Vatikanischen  Handschrift  Nr.  1899;  auch  einzelne 
Oonjecturen,  von  neueren  Gelehrten  gemacht,  werden^  hier  und  dort 
angeftlhrt.  Bequemer  ist  diese  Einrichtung,  den  kritischen  Appa- 
rat unter  den  Text  unmittelbar  unter  die  Augen  des  Lesers  zu 
rücken,  jedenfalls,  und  wir  würden  dieselben,  zumal  bei  solchen 
Autoren,  die  keinen  Gegenstand  der  Schullectüre  bilden,  sondern 
nur  dem  gelehrten  Gebrauch  dienen,  unbedingt  der  bei  andern 
Autoren  dieser  Sammlung  befolgten  Einrichtung  vorziehen,  wo  die 
Adnotatio  critica  entweder  unmittelbar  auf  die  Praefatio  folgte 
oder  wo  sie  am  Schlüsse  des  Textes  gegeben  ist.  In  diese  kri- 
tische Zusammenstellung  hier  näher  einzugehen,  und  hiemach  etwa 
einzelne  Stellen  einer  weiteren  Betrachtung  in  kritischer  Hinsicht 
zu  unterwerfen,  liegt  nicht  im  Zweck  und  in  der  Bestimmung  dieser  An- 
zeige: es  genügt  zu  bemerken,  dass  durch  die  hier  gelieferte  Zu- 
sammenstellung des  kritischen  Apparats,  zumal  derselbe  mit  eben 
so  grosser  Sorgfalt  als  Genauigkeit  gemacht  ist,  nun  eine  sichere 
Grundlage  des  Textes  gewonnen,  auf  welcher  dann  auch  bei  sol- 
chen Stellen,   in  welchen  jene  ältesten  Quellen  uns  nicht  beMedi- 


L 


6cr!ptore8  Historlae  Aug'-si  Rec.  H.  Peter.  79S 

gen  können,  weitere  Versnobe  der  Besserung  gemacht  werden  kön- 
nen. Eben  so  wird  auf  dieser  Basis  die  üntersncbung  über  Bil- 
dung und  Entstehung  dieser  ganzen  Sammlung  von  Kaiserbiogra- 
phien, sowie  die  Frage  nach  den  einzelnen  Verfassern  der  einzelnen 
Vitae  zu  führen  sein,  und  hiemach  auch  die  Würdigung  des  Gan- 
zen in  geschichtlicher  wie  in  andern  Beziehungen  geschehen  können ; 
von  der  vorliegenden  Ausgabe  sind  natürlich  alle  derartigen  Un- 
tersuchungen ausgeschlossen,  da  sie  einzig  und  allein  den  Zweck 
hat,  einen,  möglichst  der  Urschrift  sich  annähernden,  sicheren  und 
verlässigen  Text  zu  geben,  so  weit  dies  nur  immer  nach  den  uns 
noch  zugänglichen  Mitteln  möglich  ist.  Eben  deshalb  sind  auch 
der  einzelnen  Lebensgeschichte  diejenigen  Verfasser  beigesetzt, 
welche  in  den  beiden  oben  genannten  Handschriften  ihnen  zugetheilt 
werden,  wie  z.  B.  die  Vitae  des  Antoninus  Pins,  Marcus  Antoninus 
und  Verus  unter  dem  Namen  des  Julius  Capitolinus,  dem  sie  aus- 
drücklich in  diesen  Handschriften  zugewiesen  werden ;  aus  gleichem 
Grunde  trägt  die  Vita  des  Avidius  Cassius  den  Namen  des  Vul- 
catius  Gallicanus;  dem  Aelius  Spartianus  bleiben  alle  diejenigen 
Vitae,  die  ihm  auch  bisher  in  den  Ausgaben  beigelegt  waren  und 
so  fort.  Ohne  den  über  die  Autorschaft  der  einzelnen  Vitae  weiter 
noch  anzustellenden-  Untersuchungen  vorgreifen  zu  wollen,  müssen 
wir  es  doch  immerhin  für  eine  sehr  bedenkliche  Sache  ansehen, 
die  Autorität  der  ältesten  Handschriften  hier  zu  verlassen:  ohne 
die  wichtigsten  Gründe  wird  dies  nicht  geschehen  dürfen.  Vielleicht 
haben  wir  Hoffnung,  auch  über  diese  Fragen  dereinst  von  dem 
Herausgeber  noch  sichern  Aufschluss  zu  erhalten. 

Die  äussere  Einrichtung,  die  deutlichen  Lettern,  das  gute  Pa- 
pier und  der  correcte  Druck  werden  alle  Anerkennung  verdienen. 
In  der  gewöhnlichen  Reihenfolge  der  Zeit  erscheinen  im  ersten 
Bande  die  Vitae  von  Hadrianus  bis  Alexander  Severus  incl. ;  der 
zweite  Band  enthält  die  übrigen,  von  den  beiden  Maximianen  an 
bis  auf  Carinus,  mit  dem  bekanntlich  die  Sammlung  schliesst.  Der 
diesem  Bande  beigegebene,  umfassende  »Index  nominum  et  rerum 
momorabilium «  S.  228—360  mit  doppelten  Columnen  auf  jeder 
Seite  ist  eine  sehr  dankenswerthe  und  nützliche  Zugabe,  um  so 
mehr  als  er  nicht  blos  auf  Eigennamen  sich  beschränkt,  sontlern 
auch  Alles  in  sachlicher  Beziehung,  wie  auch  in  sprachliclior  Bo- 
merken swerthe,  in  letzterer  Beziehung  sogar  einzelne  Än^tlrüclt''^, 
wie  admissionales,  adytum,  actuarius,  callistruthiae,  frigidarifi,  iu* 
cantare,  podagrosi,  podium,  und  hundert  ähnliche  der  Art  enthnlt. 


TN  Vilorlw  Muimiis.    Reo.  C.  Halm. 

y alert  Maximi  Faetorum  d  Dieiorum  memorabüium  Ubri  navem, 
JtilU  Paridis  et  JanuarU  Nepotiani  ejntomie  adjedis  reeennäi 
Caroius  Halm.  Lip$iae in aedibue  Teubneriams.  MDCCCLXV. 
XXn  und  664  8.  in  8. 

Auch  diese  neue  Ausgabe  der  Teubner'schen  Sammlmig  em- 
pfieblt  sich  durch  ähnliche  Vorzüge:  der  Schriftsteller,  der  hier  in 
einem  erneuertem  Abdruck  erscheint,  ist  ebenfalls  kein  Autor,  der 
auf  Schulen  gelesen  zu  werden  pflegt,  aber  er  ^  ist  ftLr  den  gelehr- 
ten Gebrauch  durch  die  Masse  historisch-antiquarischer,  sonst  nicht 
bekannter  Gegenstände,  die  er  uns  bringt,  so  wichtig,  dass  fast 
keine,  auf  irgend  einen  Punkt  des  Alterthums  gerichtete  Unter- 
suchung, dessen  entbehren  kann,  ein  verlässiger,  auf  die  ältesten 
Quellen  zurückgeführter  Text  mithin  ein  Bedürfniss  ist,  dasror  Allem 
Befriedigung  verlangt.  Und  diesem  Bedürfniss  wird  hier  entsprochen, 
so  weit  es  nach  den  noch  yorhandenen  Mitteln  möglich  war.  Unter 
den  Handschriften  nimmt  die  Berner,  die  gegen  Ende  des  nennten 
Jahrhunderts  fällt,  unleugbar  die  erste  Stelle  ein:  auch  der  letsta 
Herausgeber  des  Yalerius  hat  den  von  ihm  gegebenen  Text  haupt- 
sächlich auf  diese  Handschrift  basirt:  allein  die  Art  und  Weise, 
mit  der  er  bei  der  Vergleichung  derselben  yerfahren,  konnte  eine 
erneuerte  Einsicht  und  genauere  Vergleichung,  wie  sie  unser  Heraus- 
geber angestellt  hat,  keineswegs  überflüssig  machen:  im  Gegen- 
theil  nach  den  hier  in  der  Vorrede  niedergelegten  Proben  erschien 
sie  nothwendig.  Dem  schwierigen  und  mühevollen  Geschäft  hat 
sich  der  Herausgeber  theils  in  Bern,  theils  in  München,  wohin  er 
die  Handschrift  geschickt  bekam,  mit  der  in  solchen  Fällen  n5- 
thigen  Ausdauer  unterzogen:  aber  seine  Mühe  ist  auch  nicht  nn- 
belohnt  geblieben:  wir  lernen  nicht  blos  diese  Handschrift,  welche 
ausser  der  Hand,  die  das  Ganze  geschrieben,  noch  Correctnren, 
Veränderungen  u.  dgU  von  mehreren  andern  Händen  enthält,  nnd 
überhaupt  nicht  leicht  zu  lesen  ist,  durch  eine  genaue  Beschrei- 
bung ihrer  Beschaffenheit  (S.  IV  ff.)  näher  kennen,  sondern  er^ 
sehen  auch  aus  der  Mittheilung  der  Lesarten,  und  dem  Gebrauch, 
welchen  der  Herausgeber  von  denselben  gemacht  hat,  wie  förder- 
lieh  ftbr  die  Gestaltung  des  Textes  dies  Alles  geworden  ist.  Es 
hat  derselbe  zwar  auch  die  andern  bisher  bekannt  gewordenen  Hil&- 
mittel  nicht  ausser  Acht  gelassen,  aber  sein  Augenmerk  war  doch 
mit  gutem  Grunde  vorzugsweise  dieser  ältesten  Handschrift  zage- 
wendet,  um  nach  ihr  zunächst  einen  urkundlich  getreuen  Text,  so 
weit  wie  nur  möglich,  zu  liefern.  Und  dass  ihm  dies  gelnng^, 
wird  eine  nähere  Durchsicht,  wie  sie  Jeder  leicht  vomehmea  kann, 
nicht  in  Abrede  stellen  können,  zumal  er  sich  nicht  geschont  hat, 
in  Fällen,  wo  die  Lesart  dieser  Handschrift  offenbar  verdorben  ist, 
das  nach  seiner  üeberzeugung  Bichtige  in  den  Text  zu  setzen,  wie 
z.  B.  IV,  3  §.  14  am  Schluss,  welcher  jetzt  also  gegeben  ist :  »band  scio 
majore  cum  gloria  hujus  urbis  moribus  anmoenibus  repulsus  sit«,  wo 


Valeffins  Maziiniis.    Reo.  C  Halm.  795 

dieBemer  HandBcliTift  »moribus  moribnac  enthält,  diebeigefdgte  Cor- 
rectnr  einer  anderen  Hand  aber  »armis  an  moribus«  bringt.     Oder 
nm  noch   einen  andern  Fall  beizufügen,   in  welchem  man  eben  so 
wenig  Bedenken  tragen  wird,  in  dem,  was  der  Heranegeber  gesetzt 
hat,  das  Bichtige  zu  erkennen,  lY,  7,  in  der  Einleitung:    »itaque 
celerins    sine   reprehensione    propinquum    ayersere  quam  amicuroi 
quia  altera  diremptio  neutiquam  iniquitatis,  altera  utique  levi* 
tatis    crimini   subjecta   est«,   wo  ntique,    das  die  Bemer  Hand- 
schrift hat,  nicht  passt,   auch  wenn  man  mit  dem  letzten  Heraus- 
geber ein   non  dafür  setzt,   neutiquam,    das  auch  die  andere 
Hand  in  der  Bemer  Handschrift  zugesetzt,   am   ersten  richtig  er- 
scheint.    Doch    so   Hesse   sich   noch   gar  Vieles  anfCLhren,   wo  der 
Herausgeber  das  Bichtige  erkannt  und  an  seine  Stelle  gesetzt  hat : 
wir  sehen  hier  davon  ab,    da  es  nicht  unsere  Absicht  ist,    in  die 
Kritik  des  Einzelnen,  durch  Besprechung  einzelner  Stellen,  uns  ein- 
zulassen, wohl  aber  unsern  Lesern  einen  getreuen  Bericht  über  diese 
neue  Erscheinung   vorzulegen.     Und    darum  dürfen  wir  auch  nicht 
unerwähnt  lassen  den  kritischen  Gebrauch,  welcher  von  dem  Aus- 
zuge des  Paris  für  die  Berichtigung  einzelner  Stellen  gemacht  ist, 
(worauf  schon  früher  auch  Dirksen  aufmerksam   gemacht  hat)    so 
wie  die  Berücksichtigung  Alles  dessen,  was   einzelne  Gelehrte  der 
früheren  wie  der  neuesten  Zeit   an  einzelnen  Stellen  bemerkt  oder 
zur  Besserung  des  Textes  in  Vorschlag  gebracht  haben:   die  auch 
bei  dieser  Ausgabe  unter  den  Text  gestellie  Adnotatio  critica  gibt 
darüber  nähere  Auskunft,  insbesondere  über  die  Lesarten  der  Ber- 
ner Handschrift,   als  derjenigen,    die   auch  in  ihren  Abweichungen 
von   dem   hier  gelieferten  Texte   die  meiste  Beachtung  verdiente. 
Den  ganzen  kritischen  Apparat  hier  niederzulegen,  ging  nicht  wohl, 
aber   das  Wesentlichste   und   für   den  Kritiker  Nothwendigste  hat 
seinen  Plaiz  gefunden.     Zwischer  dieser  Zusammenstellung  des  kri- 
tischen Apparates  und  dem  Texte  selbst  ist  auf  jeder  Seite  durch 
besonderen  Druck   leicht  kenntlich,    die  Epitome   des  Paris  abgr- 
drackt,   auch    diese   nicht   ohne   zahlreiche  Verbesserungen   des  in 
dem  ersten  von  Angelo  Mai  veranstalteten  Abdruck  mancher  Vei- 
besserung   bedürftigen  Textes:   die  nach  Mai  von  Du  Rieu  vorgr- 
nommene  Vevgleichung  der  Vatikanischen  Handschrift,  aus  welcher 
Mai's  Abdruck   genommen   war,   konnte  zur  Berichtigung  mancher 
Stellen   dienen.     Endlich   hat   am   Schluss   des   Ganzen  S.  488  ff. 
der  andere  ebenfalls  durch  Mai  erstmals  bekannt  gewordene  Aus- 
zug des  eben  so  wenig  wie  Paris  näher  uns  bekannten  Januarius 
Nepotianus   ebenfalls   einen  Abdruck  gefunden,   der  eben  so  durch 
die  erneuerte  Einsicht   der  betreffenden  Vatikanischen  Handschrift 
durch  Du  Rieu,    und    später   noch    durch    einen  andern  Gelehrten 
August  Wilmanns,  manche  Berichtigung   erhalten   hat.      Zwisohcrn 
diesem  Auszug  des  Nepotianus  und  dem  Schluss  des  Valerius  mit 
dem  Ende  des  nennlen  Buches,  wo  sich  in  der  Berner  Handschriii 
die  bei  dem  Scblui^e  der  übrigen  Bücher  nicht  vorkommende  Sub- 


7P0  Georges:  DenUeh-UtelnlsehesH&ndwarterbiieh. 

soription  befindet:  Yaleri  Maximi  Factoram  et  Dictomm  [Me]ni(H 
rabiliam  [libe]r  nonus  explc.  (explicit),  findet  sich  S.  484 — 487 
das  Bmohstück,  das  die  Bemer  Handscbrift  mit  den  Worten: 
Lib.  X  de  praenomine  bringt,  unter  der  Aufschrift:  »Incerti  anctorii 
über  de  praenominibus  de  nominibus  de  cognominibus  de  agno- 
minibus  de  appellationibns  de  verbis  in  Epitomen  redactas  a  Jnlio 
Paride«,  so  wie  mit  der  merkwürdigen  Subscription,  die  noch  un- 
längst 0.  Jahn  in  den  Verhandl.  d.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wissensch. 
ni.  S.  845  ff.  besprochen  hat:  Titi  Probi  finit  Epitoma  bist»- 
riarum  diversamm  exemploramque  Romanorum:  foliciter  emendavi 
descriptum  Babennae  Busticus  Helpidius  Domnulus  V.  C.c :  die 
Bemer  Handschrift  bringt  im  Ganzen  dieselbe  Subscription,  nur 
in  veränderter  Ordnung,  auch  lässt  sie  Probi  weg.  —  Noch  uX 
zu  erwähnen,  dass  am  Schlüsse  ein  guter  Ind^x  Berum  et  Nomi- 
num  beigefügt  ist. 


Kleines  deutsch^lateinüchea  Handtcörlerhuch  von  Dr.  K,  E,  Geor» 
gesy  Professor  in  Gotha.  Leipsticf^  Hahn* »che  Verlagsbuchhand- 
lung 1865.   VI  und  2690  Columnen  in  gr.  8. 

Auch  mit  dem  besondern  Titel: 

Kleines  lateinisch-deutsches  und  detUsch-lateinischea  Handtoörterhudk 
von  Dr.  K.  E.  Georges.    Deutsch-^lateiniseher  TheU, 

Bei  dem  Umfang,  welchen  das  von  dem  Verfasser  bearbeitete 
im  Jahr  1861  in  letzter  Auflage  erschienene  deutsch-lateiniscfae 
Wörterbuch  im  Laufe  der  Zeit  erhielt,  (s.  diese  Jahrbb.  1862 
S.  72  ff.)  ward  ein  kürzeres  Handwörterbuch,  zunächst  fQr  den 
Gebrauch  auf  Mittelschulen,  vielfach  verlangt:  diesem  Verlanges 
soll  durch  das  vorliegende  Handwörterbuch  entsprochen  werden, 
das  aber  darum  keineswegs  als  ein  Auszug  des  genannten  grÖBseres 
Wörterbuchs  anzusehen  ist,  sondeiii  als  eine  selbständige,  zu  dem 
bemerkten  Zweck  unternommene  ArLeit,  die  daher  auch  in  Man- 
chem von  diesem  grösseren  Werke  sich  unterscheidet,  nirgends  aber 
die  Sorgfalt  und  die  in  allem  Einzelnen  nachbessernde  Hand  verken- 
nen lässt,  mit  welcher  das  Ganze  in  seinen  Tausenden  von  Einzelheiten 
bearbeitet  worden  ist.  Was  zunächst  die  Anlage  dieses  Handwörter- 
buchs betrifft,  so  äussert  sich  darüber  der  Verfasser  folgendermassen: 

»Aufgenommen  wurden  nur  solche  deutsche  Wörter  und  Be- 
densarten,  welche  im  Bereiche  der  Schularbeiten  vorkommen  dürf- 
ten. Uebergangen  sind  daher  namentlich  alle  neueren  Titulaturen, 
viele  Fremdwörter  und  die  meisten  Bedensarten  des  ganz  gewöhn- 
lichen Lebens.  (Doch  ist  z.  B.  »crepireu:  mori  perire«  beibe- 
halten). Auch  die  Zahl  derjenigen  zusammengesetzten  Substantiv» 
ist  sehr  beschränkt  worden,  für  welche  der  Schüler  sich  leicht  den 


Georges:  Beatech-lateinisclieB  Bandwörierbuch.  797 

geeigneten  Ausdruck  selbst  bilden  kann;  doch  wurde  fast  immer 
am  Ende  des  einfachen  Wortes  angegeben,  wie  die  Zasammen- 
setzimgen  ausgedrückt  werden  und  mit  einigen  Beispielen  belegt. 
Andererseits  enthält  dieses  kleine  Handwörterbuch  eine  Beihe  von 
Artikel,  welche  in  meinem  grösseren  Werke  nicht  gefunden  werden.« 
Diese  zuletzt  ausgesprochene  Behauptung  können  wir  nach 
näherem  Einblick  in  das  Handwörterbuch  und  Vergleichung  des- 
selben mit  dem  grösserem  nur  bestätigen,  die  Zahl  der  von  dem 
Verfasser  selbst  in  einer  Note  zu  dieser  Stelle  aufgeführten,  neu 
hinzugekommenen  Worte  und  Ausdrücke  Hesse  sich  leicht  noch  ver- 
mehren:  man  wird  darin  einen  Beweis  der  unermüdeten  Thätig- 
keit  und  Sorgfalt  des  Verfassers  auf  diesem  Gebiete  der  Lexico- 
graphie  erkennen.  Aber  auch  das,  was  er  über  den  Umfang  sei- 
nes Werkes  angibt,  insofern  es  Alles  enthalten  soll,  was  dem 
Schüler  nothwendig  ist,  können  wir  wohl  unterschreiben ;  dass  hier 
eher  zu  Viel  als  zu  Wenig  geschehen  ist,  wird  Jeder,  der  sich  in 
dem  Werke  Etwas  umgesehen,  bald  wahrzunehmen  im  Stande  sein, 
ja  er  wird  in  diesem  Handwörterbuch  ein  Hülfsmittel  finden,  das 
ihm  selbst  über  den  Bereich  der  Schule  hinaus  in  Vielem  sich 
nützlich  und  dienlich  erweisen  wird.  Wir  halten  diesen  grösseren 
Beichthum  des  Gegebenen  nicht  für  einen  Nachtheil,  sondern  eher 
für  einen  Vorzug,  da  jeder  Schüler,  der  im  Laufe  seiner  Schul- 
jahre bis  zur  Entlassung  dies  Handwörterbuch  gebraucht  und  da- 
mit sich  vertraut  gemacht  hat,  es  gern  auch  noch  weiter  benützen 
und  zu  Bathe  ziehen  wird.  Und  wenn  ihm  dabei  die  Titulaturen 
entgehen,  so  wie  manche  Fremdwörter,  so  wird  dies  nicht  Viel  zu 
sagen  haben:  von  Fremdwörtern  finden  wir  übrigens  noch  immer 
genug  aufgenommen,  theilweise  auch  in  Verweisungen  auf  den  be- 
treffenden deutschen  Ausdruck,  (so  z.  B.  Bivonak,  Cour,  Cousin, 
einlogiren,  Falliment,  Bapport  und  unzählige  andere)  während  Ti- 
tulaturen allgemeiner  Art,  wie  z*  B.  Secretär,  Director  u.  dgl.  auch 
nicht  fehlen.  Was  die  lateinischen  Ausdrücke  betrifft,  so  ist  hier 
zunächst  auf  Ausdrücke  und  Wörter  der  classischen  Latinität  Bück- 
sicht genommen ;  wo  spätere  Ausdrücke  genommen  wurden  oder  viel- 
mehr genommen  werden  mussten,  wird  dies  stets  ausdrücklich  be- 
merkt; oftmals  sind  auch,  um  die  Biohtigkeit  der  angeführten 
Phrase  zu  beweisen,  die  betreffenden  Stellen  der  alten  Schriftsteller 
citirt.  Ein  zu  weit  gehender  Purismus  ist  übrigens  vermieden,  und 
in  dieser  Hinsicht  eine  richtige  Mitte,  wie  uns  scheint,  eingehalten. 
Wenn  nun  z.  B.  Hofpartei  übersetzt  wird  durch  regii,  so 
möchten  wir  dafür  lieber  aulici  oder  aulicorum  cohors,  au* 
licorum  factio  setzen;  ebenso  will  uns  Hof  ton,  übersetzt  mit 
aulae  Ingenium  (was  auch  Forbiger  angibt)  nicht  ganz  zusa* 
gen.  Es  kommt  zwar  einmal  bei  CurtiusVUI,  29  bei  der  Erzäh- 
lung von  dem  Tode  des  Callisthenes  vor;  »Gallisthenes  —  haud- 
quaquam  aulae  et  assentantium  accommodatus  ingenio« ;  aber  wir 
glauben,  dass  aulae  hier  als  Dativ  abhängig  von  »accommodatus« 


708  Oeor|;et:  Üeatseli-kteiDlBeSM  Handwörterbncfc. 

i8t  und  nicht  als  Oenetiy  zn  ingenio  zu  ziehen  ist,  wie  dennancli 
Siebeiis  richtig»  wie  wir  glauben,   übersetzt:    »doch  sonst  f&r  den 
Aufenthalt   am  Hof  und   unter   schmeichlerischen  Seelen  dnicfaus 
nicht  geeignete;  wir  glauben  daher,   dass  die  Phrase  yorkommen- 
den  Falls  entweder  zu  umschreiben  oder  durch  aulicorum  sermo 
et  ratio  oder  auch  durch  mos  zu  geben  war.     Hohepriester 
wird  mit  sacerdos   sunimus   (warum  nicht  umgekehrt:  sam- 
mus  sacerdos?)  gegeben,  wofür  Forbiger  Pontif ex  maximos 
angesetzt  hat.     Das  Corps  diplomatique  wird  flberseiit:  l^ 
gationes;  warum  nicht  legatorum  corpus  oder  colleginm? 
Damenbrett  wird  gegeben  durch  tabula  lusoria,  aba- 
Gus;  wir  halten  das  letztere  fttr  minder  passend,    wohl  aber  dis 
erstere  nach  dem  Epigramm  des  Martialis  XIV,  15.     Auch  bei  der 
unter  Etikette  vorkommenden  Bedensart :  »nur  nach  der  streng- 
sten Etikette  handeln :  nihil  unquam  nisi  severissime  ac  graTissine 
facere«   (wbs  auch   in   dem  grösseren  Wörterbuch  sich  angegebei 
findet)  haben  wir  einiges  Bedenken,    da  mit   severissime  wie 
mit  gravissime  doch  noch  ein  anderer  Sinn,  als  der  desblosea 
und  strengen  Festhaltens  an  dem  Hergebrachten  oder  Festgestellten, 
sich  verbinden  Iftsst;  wir  würden  lieber  einfach,  nisi  ex  usaoder 
nisi  ex  more  consueto  oder   recepto   setzen.     Bei  dem  Ar- 
tikel:   das  Farben   wird   auf   den  Artikel  Färbung  vennesea, 
der  besonders  gar  nicht  vorkommt;  nur  unter  dem  Artikel  Farbe 
wird  einmal  auch  der  bildliche  Gebrauch,  »Färbung  der  Bede«  e^ 
wähnt.     So  wird  wohl  ein  Jeder,   der  sich  in  diesem  Wörterbuek 
umsieht,    auf  Einzelnes  unter  den  vielen  Tausenden  von  Artikeln 
stossen,  wo  ein  Bedenken  ihm  aufkeimt  oder  eine  bessere  Fassnag 
möglich  erscheint.     Wir  haben  nur  aufs  Oeradewohl  einige  Fslk 
angeführt,   die   dem  Verfasser  wenigstens  zeigen  sollen,   dass  vir 
unser  ürtheil  Aber  die  Brauchbarkeit  und  Nützlichkeit  seines  Wer 
kes  auf  nähere  Einsicht  und  Prüfung  des  Einzelnen  gestellt  haben ; 
dass  wir  die  unsägliche  Mühe  und  den  ausdauernden  Fleiss,  «o-  j 
mit  das  Werk  zu  Stande  gekommen,  im  vollen  Sinu  des  Wortes  aser  ! 
kennen,  bedarf  keiner  weiteren  Bemerkung:  eben  darum  haben  wir  es 
unterlassen,  die  einzelnen  Beispiele,  die  wir  eben  vorgebracht,  noek 
weiter  fortzusetzen  und  Einzelnes  einer  weiteren  Besprechung  zu  unter 
ziehen.   Dem  Verfasser  wird  dies  selbst  am  wenigsten  entgehen,  «» 
bei  fortgesetzter  Erforschung  und  Betrachtung  des  Einzelnen  zu  änden 
und  zu  berichtigen  ist,  und  er  wird  davon  bei  einer  erneuerten  Auflegt 
gewiss  Gebrauch  machen.     Ein  Wörterbuch  wird  nie  einer  solchee 
Nachlese  und  theilweisen  Verbesserung  entbehren^     Wir  aber  wflB- 
sehen  dem  nützlichen  Werke>  innerhalb  wie  ausserhalb  derSolnilei 
die  Verbreitung,  die  es  durch  die  Gründlichkeit  der  Leistung  vai 
die  Zweckmässigkeit    der   Behandlung    verdient.      Der  Druck  ist 
klein,  aber  deutlich:   unendlich  Vieles   ist  hier  auf  einen  verhält" 
nissmässig  kleinen  Baum  zusammengedrängt. 


Heyse*«  Fremdwfirtorbucli,  18.  Ausg.  700 

Dr.  Joh.  Christ.  Äug,  Hey 8  6*$  allgemeines  verdeuUehendes  und  er' 
klärendes  Frerndtoörterbuch,  mit  Beziehung  der  Aus^ 
spräche  und  Betonung  der  Wörter  nebst  genauer  Angabe  ihrer 
Abslammung  und  Bildung,  Dreisehnte,  neu  bearbeite/ e, 
vielfach  berichtigte  und  vermehrte  Ausgabe.  Hannover^  Hahn^sche 
Hofbuchhandlung  1865.  XVI  und  978  S.  in  gr.  8. 

Von  der  zwölften  Ausgabe,  welche  im  Jahre  1859  erschien, 
ist  in  diesen  Blftttem,  Jhrgg.  1859  S.  191  ff.  und  1860  S.  78  ff. 
berichtet  worden.  Was  dort  über  die  Vorzüge  dieser  neuen  Aus- 
gabe Yor  den  nächst  vorhergehenden,  die  sich  bereits  einer  we- 
sentlichen Vermehrung  erfreut  hatten,  bemerkt  worden  ist,  kann 
in  fast  noch  höherem  Grade  yon  dieser  dreizehnten  gelten,  in 
welcher  das  Ganze  einen  Grad  von  Vollständigkeit  wie  von  Ge- 
nauigkeit in  allen  den  einzelnen,  tausenden  yon  Artikeln,  erlangt 
hat,  wie  er  keinem  ähnlichen  Werke  zukommt.  Die  Bearbeitung 
der  neuen  Auflage,  begonnen  vom  Herrn  Theodor  Heyse,  der 
aber  in  Folge  einer  fijrankheit  yon  der  weiteren  Fortsetzung  seiner 
Arbeit  abzustehen  genöthigt  war,  ist  dann  in  die  Hände  eines 
Mannes  gelegt  worden  (Herr  Dr.  A.  Otto-Walster),  der  AUes 
aufgeboten  hat,  nicht  blos  dem  Werke  seinen  Charakter  zu  wah- 
ren, sondern  auch  dasselbe  möglichst  zu  berichtigen,  wozu  es  bei 
einem  Werke  der  Art  nie  an  Gelegenheit  fehlen  kann,  so  wie  auch 
zu  erweitem  und  zu  yermehren,  wozu  gleichfalls  die  Gelegenheit 
nicht  fehlen  kann.  Denn  bei  dem  erweiterten  und  erleichterten 
Verkehr  der  yerschiedenen  Völker  des  Continents,  wie  selbst  ausser- 
halb desselben  kann  es  nicht  ausbleiben,  dass  einzelne  Ausdrücke 
immer  wieder  yon  neuem  in  die  Sprache  sich  eindrängen,  Auf- 
nahme und  Verbreitung  finden,  und  bald  mehr  oder  minder  ein- 
gebürgert werden,  ohne  dass  man  immer  klar  dabei  denkt  oder 
sich  klar  dessen  bewusst  ist,  was  damit  eigentlich  bezeichnet  wer- 
den soll.  Auch  die  wissenschaftliche  Forschung  wie  die  technische 
Ausbildung  führt  stets  neue,  andern  Sprachen,  alten  wie  neuen, 
entnommene  Ausdrücke  herbei,  die  dem  Laien  oft  unyerständlich, 
w^l  fremd  sind,  eben  darum  aber  einer  Erklärung  oder  Erörtenuig 
in  einem  solchen  Fremdwörterbuch  bedürftig  erscheinen,  und  so 
ist  es  denn  ein  Hauptbestreben  des  neuen  Bearbeiters  gewesen,  die 
neu  aufgenommenen  oder  neu  gebildeten  Fremdwörter  zu  berück- 
sichtigen, und  wenn  man  bedenkt,  dass  es  sich  hier  nicht  um  Hun- 
derte, sondern  Tausende  yon  Wörtern  handelt,  so  wird  man  sich 
einen  Begriff  machen  können  yon  der  Mühe  und  Ausdehnung  der 
Arbeit,  wie  sie  hier  yorlag.  Die  Folge  dieser  Bemühung  zeigt 
sich  aber  auch  in  der  Beichhaltigkeit  und  Vollständigkeit  dieses 
Fremdwörterbuches,  mit  dem  kein  anderes  in  dieser  Hinsicht  sich 
messen  dürfte.  Aber  die  Bemühung  des  neuen  Herausgebers  war 
weiter  auch  darauf  gerichtet,  ohne  von  den  leitenden  Grundsätzen 
seiner  Vorgänger  sich  zu  entfernen,  im  Einzelnen  das  Ganze  einer 


600  Beyse'B  FremdwSrterbiicIi,  18.  Ausg. 

sorgiUltigen  Revision  in  Absiebt  anf  die  gegebene  Erkl&roDg  der  | 
einzelnen  Fremdwörter  zu  unterwerfen.  In  dem  lebendigen  Yhsß  \ 
der  Sprache  treten  selbst  bei  dem  Fremdworte  Yerändernngen  io  | 
der  Bedeutung,  in  dem  Gebrauche  ein,  wie  sie  schon  der  alte  Dich- 
ter der  römischen  Welt  erkannt  hat,  wenn  er  singt  »juTenum  rita 
florent  modo  nata  yigentqne  (verba)«,  und  wenn  er  weiter  dan 
ftlgt,  »multa  renascentur,  quae  jam  cecidere  cadentque  quae  nme 
sunt  in  honore  yocabula^  si  Yolet  usus«  n.  s.  w.;  auf  alle  deiaiti- 
gen  Veränderungen  sein  Augenmerk  zu  richten,  darf  der  Bearbeiter 
eines  solchen  Wörterbuches  nicht  yersfinmen,  und  es  ist  auchnicbt 
bei  dieser  neuen  Ausgabe  versäumt  worden :  was  in  dieser  Be- 
ziehung zu  ändern  war,  ist  geändert  worden;  eben  so  ist  die  Pas- 
sung der  gegebenen  Erklärung  eine  schraffere  aber  präcisere  g^ 
worden ,  gewiss  nicht  zum  Nachtheil  des  Ganzen :  und  eben  so 
wenig  wird  man  es  missbilligen  können,  wenn  einige  gänzlich  tci- 
altete  und  völlig  ausser  Cours  gekommene,  meist  medizinisebeAo»- 
drUcke,  die  in  früheren  Auflagen  noch  verzeichnet  waren,  ausge- 
fallen sind:  das  Ganze  ist  wahrhaftig  ausgedehnt  und um&ugreidi 
genug,  um  einen  solchen  Ausfall,  der  selbst  wünschenswerth  war, 
zu  ertragen.  Denn  die  Zahl  der  fremden  Worte,  die  in  Folge 
des  gesteigerten  Verkehrs  aus  dem  Englischen  und  FranzSn- 
scben,  um  nur  diese  beiden  Sprachen  zu  nennen,  aufzonebmeB 
waren,  oder  welche  auf  technischem  und  wissenschaftlichem  Ge- 
biete angewendet,  nun  selbst  iu  den  Umlauf  des  gewöhnlichen  Le- 
bens und  der  Schriftsprache  (man  denke  nur  an  die  Zeitnogen!) 
gekommen  sind,  nimmt  von  Tag  zu  Tage  zu  und  erfordert  K^ 
Scheidung  des  Veralteten  und  gänzlich  ausser  Gebrauch  Gekom- 
menen. Im  Druck  selbst,  wie  in  der  ganzen  äusseren  Ein- 
richtung ist  keine  Veränderung  vorgenommen  worden,  dafür  aber 
auch  der  Preis  der  neuen  Ausgabe  unverändert  der  alte  gebliebea. 
Um  so  mehr  wird  man  der  neuen  dreizehnten  Ausgabe  die 
gleiche  günstige  Aufnahme,  wie  der  früheren,  zu  wünschen  haben: 
die  vorher  bezeichneten  Eigenschaften,  in  welchen  kein  anderes 
ähnliches  Werk  ihr  gleich  kommt,  sichern  der  neuen,  in  derTbat 
»vielfach  berichtigten  und  vermehrten«  Ausgabe,  eine  weitere 'V^ö' 
breitung,  und  dem  Bearbeiter  die  verdiente  Anerkennung. 


Ir.  61.  HEIDELBERGER  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Elementarbuch  der  Differential-  und  Integralrechnung  mit  zahlreicf^en 
Anwendungen  aus  der  Änalysis,  Geometrie^  Mechanik,  Physik, 
u,  8.  w.  für  technische  Lehranstalten  bearbeitet  von  Friedr. 
Autenheimer,  Rektor  der  Oeroerbeschule  in  Basel.  Mit  134 
in  den  Text  eingedruckten  Holsschnüten.  Weimar,  1865.  Bern- 
hard Friedrich  Voigt.  (406  S.  in  8.). 

Die  Zahl  der  Lehrbücher  ftlr  Differential-  und  Integralrechnung 
beginnt  allmälig  zu  wachsen,  und  droht  bald  eben  so  gross  zu 
werden,  wie  die  für  niedere  Mathematik.  Dagegen  lässt  sich  nun 
Nichts  einwenden;  es  ist  auf  dem  geistigen  Gebiete  ohnehin  Ge* 
Werbefreiheit  schon  früher  eingeführt  gewesen  als  auf  dem  mate- 
riellen, und  wenn  die  Gewerbeschulen  auch  »höhere  Mathematik« 
treiben  und  so  den  »technischen  Lehranstalten«,  unter  denen  man 
doch  gewöhnlich  die  eigentlichen  polytechnischen  Schulen  begreift, 
einen  Theil  der  Arbeit  abnehmen,  so  lässt  sich  auch  dagegen  Nichts 
einwenden,  wenn  nur  die  Zöglinge  die  Sache  verstehen 
und  der  Unterricht  ein  guter  ist.  Wir  sind  freilich  per- 
sönlich der  Meinung,  dass  die  Differential-  und  Integralrechnung 
eigentlich  den  polytechnischen  Schulen  sollte  yorbehalten  bleiben 
und  die  Gewerbeschulen  ganz  genug  leisten,  wenn  sie  die  »niedere 
Mathematik«  (Algebra,  Geometrie,  Trigonometrie,  analytische  Geo- 
metrie) gehörig  verarbeiten. 

Dem  Verf.  scheint  der  Unterricht  an  den  »technischen  Schulen« 
(natürlich  in  höherer  Mathematik)  zu  »abstrakt«,  und  er  hatdess- 
halb  die  Sache  etwas  anschaulicher  behandelt.  Wir  habt^n  vielfach 
schon  Gelegenheit  gehabt,  in  diesen  Blättern  solche  »anschauliche« 
Darstellungen  zu  besprechen,  wollen  uns  aber  trotzdem  di^  Mähe 
nicht  verdriessen  lassen,  der  neuen  Form  der  alten  Sache  etwa» 
näher  in*s  Angesicht  zu  blicken.  Wenn  wir  dabei  hin  uud  wieder 
mit  der  Behandlung  nicht  einverstanden  sind,  so  werden  wir  <— 
unserer  Gewohnheit  gemäss  —  unsere  Gründe  dafür  auiTahreu,  es 
xnüsste  denn  nur  einen  Punkt  betreffen,  der  als  längst  erledigt  an- 
zusehen ist. 

Gegen  die  Eintheilung  des  Buches,  nach  der  die  Differential^ 
rechnung,  so  wie  die  Integralrechnung  in  zwei  Theile  getrennt  ist, 
haben  wir  selbstverständlich  Nichts  einzuwenden,  da  wir  im  Gegen* 
theil  damit  ganz  einverstanden  sind.  Ueber  das  Wieviel  Ussi  sich 
freilich  sprechen.     Wir  wenden  uns  aber  besser  zum  Buche  selbst. 

Die  »Einleitung«  beginnt  gleich  mit  einem  fatal on  Druck- 
fehler: »In  der  Formel  y  =  x'-f"2^+3  denke  man  sich  die  Grösse 
LYin.  Jahrg.  11.  Heft 


809  Autenlieimeri  DUferenital-  uid  InUgnlreeliiiiiiii:. 

yeränderlich«  tu  s.w.  Welche  Grösse?  Es  fehlt  eben  der  Zusafcx:  x, 
abgesehen  davon ,  dass  man  7=z3-f~^^4*^  herkommliolt  eine 
Gleichung  nennt.  Die  »Eintheilong  der  Funktionen«  ist  eine  durch- 
aus überflüssige  Sache,  zumal  in  einem  Elementarbuch;  dag^n 
ist  der  Begriff  der  Stetigkeit  ein  wesentlich  zu  beachtender. 
Da  lässt  der  Verf.  nun  urplötzlich  »unendlich  kleine  Intervalle« 
auftauchen,  die  er  gar  noch  »auftragen«  (also  geometrisch  kon- 
struiron)  will*  Was  sind  nun  aber  solche  Intervalle?  Davon  ist 
im  Buche  auch  nicht  die  leiseste  Andeutung,  bleibt  vielmehr  Alles 
dem  Privatfleisse  des  Lesers  überlassen.  Wir  rechten  niclit  gern 
um  Worte;  aber  »Grenze  der  Stetigkeit«  ist  doch  nicht  der  Werth 
von  X,  für  den  die  Stetigkeit  der  Funktion  aufhört?  Noch  klarer 
ist  folgende  Darstellung :  »Man  lasse  die  Variable  x  einer  Funktioa 
f(x)'Bich  stetig  andern.  Nähert  sich  hiebei  der  Werth  der  Funktion 
mehr  und  mehr  einer  bestimmten,  konstanten  Grösse,  ohne  diese 
überschreiten  zu  können,  so  wird  diese  Grösse  eine  Grenze  der 
Funktion  genannt.« 

Nach  solchen,  etwas  absonderlichen  Erklärungen  beginnt  nun» 
mehr  die  eigentliche  Differentialrechnung.  Lässt  man  in  y=Lf(x) 
die  Grösse  x  um  z^x  zunehmen,  so  ändert  sich  7  um  ^y;  diese 
Aenderung  kann  positiv  oder  negativ  sein.  »Nehmen  wirz^j  positiT 

«,  80  hataiany+./y=f(x+^x),  „»,  ^«Si+^zS^ 

Hat  man  diese  Gleichung  nicht  auch,  wenn  etwa  Aj  negativ  ist! 
Fast  scheint  der  Verf.  zu  meinen,  es  sei  dem  nicht  so  \  er  konunt 
auch  nicht  mehr  darauf  zurück.  Es  bleibt  also  bei  positivem  ^y 
und  wohl  auch  positivem  ^x  (da  ja  von  Zunehmen  bei  x  die  Hede 
ist).     »Wird  ^x  =  0,  so  wird   auch  dj=Q,    Für    dieaen  Grens- 

zustand  geht  also  das  Yerhältniss  -p-  Über   in    die    unbestimmte 

0  -^^0 

Form-»  Gleichwohl  entspricht  dem  Ausdrucke  —  immer  ein  be- 
stimmter Werth  u.  s.  w.<  Wenn  aber  ^x  =  0,  so  hört  eben  aQi 
Aenderung  von  x  auf,  und  es  ist  reine  Spiegelfechterei,   noch  tob 

dy  0 

—^  zu  sprechen.  Dass  —  immer  em  bestimmter  Werth  sei,  int  nlebt 

wahr;  in  dem  Falle,  da  man  weiss,  w  0  h  e  r  dieseForm  stammt» 
kanü  man  allerdings  den  Werth  finden. 

Dass  sein—  ein  bestimmter  Werth   sei,   zeigt   der  Yeiiksso' 

geometrisch,  wobei  er  freilich  vergessen  hat,  zu  erklären,  was  die 
Berührungslinie  an  eine  Kurve  sei.  Wenn  er  dann  von  ^x  aa^ 
es  durchlaufe  diese  Grösse  eine  Reihe  von  Werthen»  bis  sie  S^ 
werde,  so  möchten  wir  gerne  wissen,  was  er  einem  Schüler  ent- 
gegnen würde,  der  auf  die  Vemrathung  kommen  könnte,  man  k&tte 
lieber  gleich   ^x=0   gesetzt,    als  es  zuerst  Etwas  und   eadlio^ 


Antenlielmer:  DlfTerentifll-^  find  Integralredültin^.  ^(A 

eigentlich  doch  Kichts  zu  setzen.     Einen  nnendlich  Ueiüelt  tVerth 

von  ^x  setzt  der  Yerrf.  2=:^Mn  nnd  konstnuri  ihn  in  ganz  anstän- 

^    dy 
diger  Länge  I  »Hiemach  wird  das  Verhältniss  3-^  nur  nm  unendlich 

0  ^^ 

wenig  vom  Grenzwerth  —  abweichen,  also  mit  ihm  verwechselt  wer- 
den können.«  Wir  führen  wörtlich  an,  da  wir  eine  solche  » An- 
schaulichkeit <  nicht  f(ir  möglich  halten  würden,  wenn  sie  nicht 
auf  anständig  weissem  Papiere  gedruckt  vor  uns  läge.  Das  ist 
nicht  »abstrakt«,  aber  einfach  Unsinn,  der  nur  Übertroffen  wird 
von  der  zugegebenen  Erläuterung,  womach  »zur  strengen  Erfüllung 

dy 
der  Gleichung  -j^  =>  tg  a  allerdings  d  x  =r  0  und  d  y  =  0  sein  sollte. « 
dx 

Sintemalen  mit  solchen  Nullen  aber  auch  rein  gar  Nichts  anzu- 
fangen wäre,  »denkt  man  sich  dx  und  dy  gleichwohl  nicht  als 
Nullen,  sondern  als  unendlich  klein  werdende  Grössen,  welche  die 
Null  zur  Grenze  haben.«  Anfänglich  sind  dx,  dy  wirklich  un- 
endlich klein;  jetzt  werden  sie  es  erst,  u.  s.  w. 

Nunmehr  beginnt  die  Differentiation  damit,  dass  um  »die 
Formel  y  =  x^— x — 2«  zu  differenziren,  eine  Parabel  verzeichnet  und 
förmlich  untersucht  wird,  worauf  dann  x°  zur  Behandlung  gelangt. 
Das  läuft  Alles  glatt  ab.  Der  binomische  Satz  wird  kurzweg  vor- 
ausgesetzt (für  beliebige  n)  und  man  lässt  einmal  ^x  auch  wie- 
der »kouvergiren«  statt  es  kurzweg  0  zu  setzen.  Man  muss  doch 
der  Mode,  die  nun  einmal  Grenzbetrachtungen  fordert,  huldigen, 
wenn  man  auch  ganz  andere  Dinge  (oder  vielleicht  auch  gar  Nichts) 
darunter  versteht.  Wenn  aus  -<i/  (x  y)  =  x  ^  y  -|-  (y  -|-  z/  y)  ^  i  bei 
»ohne  Ende  abnehmendem  ^x«  nicht  geschlossen  wird,  dass  Null 
=  Null  sei,  so  muss  man  daraus  schliessen,  dass  d  (x  y)  =»■  x  d  y  -}- 
ydx-f-dydx.     Warum  lässt  der  Verfasser  das  letzte  Glied  weg  ? 

Am  klarsten  ist  die  Ableitcmg  von  dlogx.  Man  bat  ^7';7"=^Iog 

I  1  -| j  ,  wo  — -=— •  Nun  entwickelt  man  (  1  H — )     nach 

dem  binomisohen  Satze,   lässt  z/x  »ohne  Ende  abaehnoien«  (doob 

X 

nicht  bis  —<»?);  da  bleibt  dann  f  1  -f-  —  r'^rsl-f-l-f-J^.,, . 

Man  entwickelt  die  Brüche   in  Dezimalbrüche ,   additt   und  findet 

dx, 
2*718  ..•,  nennt  das  e  und  hat  so  dlogx=  —-log  e.  —  Wir  konn- 
ten in  Yerdaeht  kommen,  die  Darstellung  anders  zu  geben  als  sie 
ist^  desswegen  setzen  wir  zu,  dass  die  eben  gebrauchte  Beweisform 
ganz  die  dee  Buches  ist.  Man  wird  es  uns  erlassen^  die  einfachen 
Differentiale  weiter  i^u  verfolgen^  meist  sind  9ie  eben  so  deuUbh 
abgeleitet. 


804  Autenhelmer:  Diffarential-  und  Integrilredmn&if. 

Wie  man  allgemein  eine  »Funktion  von  einer  Funktion«  dif- 
ferenzirt,  wird  nicht  gezeigt,  aber  an  ein  paar  Beispielen  mögliebst 
erlftntert;  worauf  dann  die  Differentiation  unentwickelter  Funktion 

in  bereits  bekannter  klarer  Weise  aufgeführt  wird.  Dass ^— ^ — -^ 

df(i,r)  -^y 

eben  gegen  — 5—^  konvergirt,  versteht  sich  von  selbst«  Damit  ist 
dy 

der  erste  theoretische  Theil  der  Differentialrecnung  zu  Ende  und 

wir  gelangen  jetzt  zu  den  Anwendungen. 

Die  erste  ist  die  der»Maxima  und  Minima.«  Der  theoreüscbe 
Theil  ist  so  schlecht  als  nur  immer  möglich  dargestellt;  die  Ent- 
scheidung, ob  Maximum  oder  Minimum,  kann  natürlich  gar  nicht 
gefällt  werden,  da  man  von  höheren  Differentialquotienten  nodi 
nicht  gehandelt.  Doch  gibt  das  Buch  eine  solche.  Man  untersucht, 
ob  das  Differential  dy  stetig  von  positiven  Wertheu  zu  negativa 
übergeht  u.  s.  w.  Also  das  Differential,  das  »allerdings  =  0  sein 
sollte  c,  hat  jetzt  positive  und  negative  Werthe  u.  s.  f.  Was  nützen 
nun  all  die  Aufgaben,  wenn  die  Theorie  unverständlich  ist?  Der 
öffentliche  Unterricht  muss  gegen  solche  Manieren  Einspraclie  er- 
heben. In  diesen  Aufgaben  kommt  u.  A.  auch  y^860' — x*  statt 
y^(23r)»— X*;  dass  die  »Methode  der  kleinsten  Quadrate«  zur  Ab- 
leitung des  arithmetischen  Mittels  angewendet  wird,  ist  doch  eine 
Art  Frofanation  der  Theorie.  Die  Aufgabe  35 :  »Ein  Körper  vom 
Gewichte  P  werde  auf  einer  Horizontalebene  fortgezogen  mit  einer 
Kraft  K,  welche  mit  der  Horizontalebene  einen  Winkel  a  bildet 
Bei  welchem  Winkel  a  wird  die  Zugkraft  K  ein  Minimtmi?«  ist 
so  wie  sie  gestellt  ist,  nicht  zu  lösen. 

Die  zweite  Anwendung  ist  die  »Methode  der  Tangenten«,  wie 
hier  die  Bestimmung  der  Tangenten,  Normalen  u.  s.  w.  benannt 
wird,  was  geschichtlich  nicht  gerechtfertigt  ist.  Wir  wollen  weiter 
nicht  darauf  eingehen,  dafür  etwas  mehr  bei  der  dritten  Anwen« 
düng:     »Entwicklung  der  Funktionen  in  Belhen«  verweilen. 

Durch  Division  findet  man-j =•  l+x-f"^^+  —  »  »agt  der 

Verf.  Das  ist  falsch ;  man  findet  nie  eine  unendliche  Beihe,  sondern 
eine  endliche  mit  einem  Bestgliede.  Das  hat  der  Verfasser 
übersehen  und  dreht  sich  dann  in  wunderlichen  Betrachtungen  hemm, 
nm  zu  sohliessen,  es  könne  »die  angegebene  Beihe  nur  gelten  l&r 
solche  Werthe  von  x,  die  sie  konvergent  machen.«  Warum  denn? 
ȟeberhaupt  ist  eine  Beihe  nur  dann  als  Ausdruck  von  f(x)  ansn- 
sehen,  wenn  die  Beihe  konvergent  ist.« 

Den  »Satz  der  unbestimmten  KoefQzienten«  spricht  der  Verf. 
dahin  aus,  dass  wenn  zwei  Beihen  nach  den  ganzen  Potenzen  Ton 
z  fortschreiten  und  immer  gleich  sind,  die  Koeffizienten  der  gleich 
hohen  Potenzen  auch  gleich  sind,  und  sagt  dann  mit  rohigem 
Gewissen:  »Nach  dem  Satze  der  unbestimmten  Koeffizienten  wird 
man  setzen:  a»=A4-Bx+0x'-|- ....«  Die  Beihe  wird  difteren- 


Autenhelmer:  Differential-  und  Integralreelmnng.  805 

sirt  n.  8.  w.,  Alles  ohne  nur  zu  fragen,  ob  denn  eine  solche  Dif- 
ferenzirung  anoh  nur  gestattet  sei.     Für   log  (14~^)  findet  man, 

jS 

natürlich  immer  mittelst  des  berührten  Satzes:  x  —  -^ -(-.•••     Es 

zeigte  sich,  dass  die  Beihe  1  — x  +  x* —  ...  nur  für  x^<^l  kon- 
vergirt  ist,  »also  ist  auch  die  Reihe  für  log(l-{-x)  ^^^  ^  d^^se 
Werthe  konvergent.«  Abgeleitet  ist  die  Reihe  jedoch  ganz  allge- 
mein !  um  uns  kurz  auszusprechen,  führen  wir  also  an,  dass  diese 
Entwicklung  in  Reihen  mittelst  der  längst  verurtheilten  Methode 
der  unbestimmten  Koeffizienten  geschieht,  von  einem  Restgliede 
nie  die  Rede  ist,  folglich  die  ganze  Abtheilung  wissenschaftlich 
von  keinem  Werthe  geachtet  werden  muss.  So  wären  wir  nun 
in  einer  fast  immer  zu  verwerfenden  Weise  zur  »Integralrechnung« 
gelangt. 

Die  Hast,  zu  »Anwendungen«  zu  gelangnn,  lässt  auch  hier 
der  Theorie  keinen  Raum  zur  Entwicklung.  Wird  das  »Integral« 
auch  richtig  erklärt,  so  finden  wir  jedoch  keine  Methode  der  In- 
tegration in  halbwegs  allgemeiner  Weise  dargestellt,  ja  selbst  die 
Beispiele,  auf  die  Alles  hinausläuft,  sind  in  höchst  einfaches  Ge- 
wand gekleidet.  Nun  gelangen  wir  zu  den  Anwendungen,  die  aller- 
dings den  Haupttheil  des  Buches  ausmachen,  über  die  wir  also 
auch  sprechen  müssen.  Wie  schon  der  Titel  sagt,  sind  diese  An- 
wendungen aus  einer  grossen  Zahl  einzelner  Gebiete  genommen  und 
fallen  S.  71— 210  des  ersten  Theils  der  Integralrechnung,  während 
die  Theorie  auf  10  Seiten  (die  noch  verschwenderisch  mit  Zwischen- 
räumen ausgefällt  sind)  Platz  genommen.  Das  heisst  sicher  nicht, 
die  Schüler  mit  »abstrakter  Theorie«  überladen. 

Zuerst  erscheint  natürlich   die   Quadratur   der  Kurven.     Die 
Grenzbetrachtung,  mittelst  der  der  Differentialquotient  einer  Fläche 
gefunden  wird,  ist  ganz  richtig;  in  diesem  Buche  ist  sie  aber  ein 
Sani  unter  den  Propheten.  Es  kommt  gleich  die  wörtliche  Aeusse- 
rung:  »Denkt  man  sich  die  Differentiale  nicht  =  0,  sondern  un- 
endlich klein,   so  ist  ydx  ein  Rechteck  u.  s.  w.«     Also   stellt  es 
der  Verf.  uns  wohl  frei ,   seine   Differentiale  auch  =^  0  zu  denken. 
Zwischen  hinein  wird  die  Erklärung   eines   bestimmten  Inte- 
grals gegeben  als  Inhalt  einer  Fläche  und   daraus  einige  Eigen- 
schaften desselben  gefunden.     Wir  werden  hierüber  uns  nicht  wei- 
ther zu  verbreiten   haben.    Natürlich   erhält  der  Verf.  auch  einmal 
negative  Flächen  (S.  75),   die   zieht  er   »also«  von  der  positiven 
ab.  Daran  knüpft  er  dann   die  Yorschrifb ,   wie  man  zu  verfahren 
liabe,   wenn  die  Kurve   die  Abszissenaxe  schneidet,   statt  das  in 
seinem  Beweise  zu  benützen.  Aus  einer  Figur  wird  das  bestimmte 
Integral  als  Summe  erläutert,  wobei  freilich  vergessen  ist,  dass  dies 
nur  für  positive   Ordinaten  gilt,  und   dann  trotzdem  getrost  die 
Sache  als  allgemein  giltig  erklärt. 

Der  Bogen  einer  Kurve  erreicht  seine  Sehne,  wenn  z^x  zu  dx 
(also  Null?)  wird|  (wobei  abermals  ausdrücklich  gesagt  ist,  dass 


800  AuteBheimer:  DÜX^reiiiUX-  md  IniagziJredmiiQg 

mßfk  mh  ix  unendlkli  Uem  »itatt  Oc  denkdu  wolle);  du  ia^ 
eben  »itlr  alle  Anwendangea  sehr  bequezn«,  aber  fftr  die  Ttuoh« 
herzlich  schlecht.  Sonst  werden  die  Kurven  rekiifizirt,  Botatioiis- 
flftchea.»lcomp}aAirtc  irod  Rotationskörper  knbirt,  Alles  naeh  der- 
für  die  Anwendungen  bequemen  Methode.  Allemal  geht  aber  eine 
Gränzbetrachtung  zur  Ausschmückung  vorher;  hinteunach  kommen 
freilich  die  lieben  unendlich  Kleinen  ganz  ungcnirt  und  wimdern 
sich  wohly  was  der  ihnen  fremde  Nachbar  hier  zu  thun  hat.  Kii> 
yen  werden  aus  gegebenen  Eigenschaften  bestimmt,  also  im  Gnmd« 
einfache  Differentialgleichungen  integrirt,  wo  u.  A.  die  »parabo* 
lische  Kettenlinie«  bestimmt  wird;  dann  Schwerpunkte  von  Linien, 
Flächen,  KOrpem  ermittelt,  dabei  der  Guldinschen  Eegel  gedielt. 
Bei  der  Ableitung  der  Formeln  für  die  (geradlinige)  Bewegung  ist 
vergessen  worden  zu  bemerken,  dass  ^t  klein  genug  sein  müsse, 
damit  in  dieser  Zeit  die  Geschwindigkeit  nur  wachse  oder  nar  aV 
nebme.  Aber  wer  wird  sich  um  solche  Kleinigkeiten  kümmern! 
Als  Beispiele  finden  sich  u.  a.  die  Wurfbewegung  (yertikal)  in 
widerstehenden  Mittel.     Die  Pendelbewegung  [wobei  aus  d  arc  (ccs 


—  dr  P  —  d® 

'">  ■     ■  ohne  weitere  Umstünde  ffesohiossen  wird :  I  -  >    .== 


=  arc  I  cos  =  ^  j  1,  Ueberströmen  von  Dampf  aus  einem  Geföss  in 

ein  anderes. 

Die  »Aufgaben  über  mechanische  Arbeit«  enthalten  u,  a,  die 
üebertragnng  mechanischer  Arbeit  duroh  die  Kurbel,  Arbeit  du 
Dampfes  bei  einer  Expansionsmaschine.  Dann  werden  TrUgheüi' 
momente  ermittelt,  und  Aufgaben  über  Reibung  (Zapfen,  Seil)  ge- 
löst. Qb  die  »logarithmische  Linie  als  BQschungslini^  eiaes  Send- 
haufens«  verstanden  werden  kann,  wagen  wir  nicht  zu  entecbeideB. 

Diesen  Aufgaben  folgen  solche  über  die  »Festigkeit  der  MAte- 
rialien«,  wo  wir  zunächst  einer  förmlichen  Theorie  dieser  Festig- 
keit begegnen,  (über  die  wir  uns  auszusprechen  nicht  gesonnen  aifi^ 
da  wir  es  ja  hier  mit  einem  Lehrbuch  der  »Diff'erentiaU  und  Ib- 
tegralireohiwig«  sollen  zu  thun  haben*  Selbst  die  ;»Toreioa<  iM 
ni^bt. 

üefoer  »Anziehung  nach  dem  Gesetz  der  Oravitation«  —  vk 
das  Buch  sich  ausdrückt  (darunter  Anziehung  zwisohen  eiafir  Koge^ 
und  einem  auf  ihrer  Oberfläche,  oder  ausserhalb  liegenden  Ponkk): 
über  »Gleichgewicht  und  Bewegung  des  Wassers«  (Druck,  Ausfloß 
durch  verschieden  geformte  Oeffhungen,  Beibung  in  Böhrenl^tmigeDi 
Stoßs)  werden  eine  grosse  Anzahl  Aufgaben  gelöstf  woraof  en4U<i 
noch  »vermischte  Aufgaben«  folgen,  die  dsx  Physik  u.  s.  w,  eflig«- 
hören.  Wir  begegnen  hier  Untersuchung^  über  das  Gesetz,  oad 
welehem  die  Diohte  der  Atmosphäre  abninunt,  über  die  BestimmTU^ 
der  Abplattung  der  Erde  ans  Gradi^essrjngen  u.  a*  m.  A1I#  dieaa 
Ai^fgaben  sind  im  Grande  gelöst  mittelst  der  anf  den  10  S^tes 


AuieBbflimert  DUf«reilial-  und  iDiegralreoliBuig,  807 

enthaltenen  Lehroa  der  Integralreehnnng,  die  wir  oben  bezeicbneten, 
nebst  den  paar  gelegentlichen  Bemerknogen,  denen  man  mfäUig 
begegnete. 

Naoh  dieser  in  gans  anständigem  Maasse  aaegeführten  Aus* 
beutungen  der  Lehrbücher  der  Mechanik  kehren  wir  wieder  zur 
Theorie  zurück,  bei  der  wir  trotz  unserer  grossen  Freude  an  An- 
wendungen jetzt  etwas  länger  yerweilen,  yoransgesetzt ,  daes  uns 
bei  der  Ueberschwemmung ,  der  wir  kaum  entronnen  sind,  nicht 
die  Lust  zu  theoretischen  Studien  gründlich  vergangen  ist. 

Die  »Differentialrechnung«  wendet  sich  jetzt  zu  hohem  Dif- 
ferentialen. Da  ist  df(x)  =  f(x  +  dx)  — f(i),  d'^f(x)^df(i  +  dx) 
—  df(x),  d3f(x)  =  d2f(x  +  dx)  — d«f(x)  u.  s.  f.,  gewiss  eine  durch- 
aus neue,  nur  leider  auch  durchaus  unverständliche  ErklAmng.  Die 
wirkliche  Rechnung  geschieht  freilich  nach  einem  ganz  andern 
Grundsatze  I  Was  von  den  unendlich  kleinen  Grössen  und  ihren 
Ordnungen  gesagt  ist,  wäre  besser  weggeblieben. 

Die  »Taylorsche  Beihe«  wird  nach  der  ursprünglich  von  Taylor 
gebrauchten  Methode  abgeleitet,  die  einen  geschichtlichen,  aber 
keinen  wissenschaftlichen  Werth  mehr  hat;  von  einem  fiestgliede 
ist  keine  Bede,  wäre  wahrscheinlich  zu  »abstrakt.«  Für  mehrere 
Veränderliche  wird  derselbe  Satz  in  eben  so  scharfer  Weise  abge- 
leitet, worauf  die  »hohem  Differentiale  einer  Funktion  mit  mehre- 
ren unabhängig  veränderlichen  Grössen«  auf  einer  Seite  abgethan 

werden.    Dass  ^    ,    =^-; — ;—  wird  aus  dem  Taylor'schen  Satz  ge- 
dxdy       dydx 

folgert.  Aus  der  Gleichung  f(x,y,  z)=0  werden  nicht  etwa  die 
partiellen  Differentialquotienten  von  z  nach  x  und  y  finden  gelehrt; 
nein,  man  zieht  daraus  dz,  d^z,  u.  s.  w.  Was  sollen  wir  dazu 
sagen? 

Von  den  Anwendungen  der  Differentialrechnung  wollen  wir  die 
auf  Auflösung  höherer  Gleichungen  überschlagen  und  nur  die  sonst 
gebräuchlichen  herausheben.  Für  die  »unbestimmten  Formen«  wird 
mittelst  des  Taylor'schen  Satzes  die  bekannte  Begel  aufgestellt; 
die  »Zerlegung  gebrochener  rationaler  Funktionen  in  Partialbrüche« 
wird  ziemlich  ausfUhrlich  erläutert,  worauf  die  »Maxima  und  Mi- 
nima« zum  zweiten  Male  erscheinen.  Dass  in  einer  Reihe  ah^-f- 
bh^-f  ...  die  Grösse  h  klein  genug  genommen  werden  könne,  da- 
mit das  erste  Glied  überwiege,  wird  kurzweg  angenommen,  im 
üebrigon  die  Theorie  mittelst  des  (eigentlich  gar  nicht  bewiesenen) 
Taylor'schen  Satzes  dargestellt.  Beispiele  waren  schon  früher  da, 
jetzt  werden  nur  einige  wenige  (darunter  die  Maximalleistung  eines 
untersohlächtigen  Wasserrades)  aufgeftlhrt.  Dass  der  Taylor'sohe 
Satz  für  die  Maxima  und  Minima  von  Funktionen  zweier  Veränder- 
lichen sich  nicht  gut  verwenden  lässt,  ist  bekannt;  hier  wird  er 
aber  natürlich  dazu  gebraucht.  Endlich  werden  noch  Untersuchungen 
über  ebene  Kurven  (Krümmung,  Evoluten,  Wendepunkte,  Folar- 
koordinaten)  gegebeui  deren  Grunddarstellung  abermals  verfehlt  ist» 


tos  AvteBbeim^r:  DUTeretttial-  und  IntfgnlneliiiiiBg. 

Von  der  Integralreohniiiig  werdeo  nnn  die  sonst  in  den  Lehr» 
bttchem  gebränobliohen  Formeln  ftlr  einfacbe  Integrale  nacbgdioh; 
darauf  die  Simpson'scbe  Begel  falsch  erwiesen  und  die  »Methode 
von  Poisson«  zur  näbeningsweisen  Berechnung  eines  bestimmten 
Integrals  in  derselben  Weise  dargestellt  Der  eigentlichen  Theorie 
der  bestimmten  Integrale  ist,  wie  schon  gesagt,  nur  ge- 
legentlich einmal  früher  gedacht  oder  vielmehr  nicht  gedacht  worden. 

Nunmehr  werden  die  doppelt  gekrümmten  Kurven  rectifizirt; 
Körper-Inhalte  von  beliebiger  Begränzung  berechnet ;  krumme  Ober- 
flächen quadrirt ,  wo  von  Flftchenelementen,  Bertthrungsebenen  il 
dgL  wie  von  alten  Bekannten  gesprochen  wird;  »physikalische  Auf 
gaben«  schliesseu  diesen  Theil.  Da  begegnen  wir  der  Torsion  eines 
Prismas,  Trägheitsmomenten,  Anziehung  einer  Kugel,  Anzieboog 
eines  Berges  und  eines  Punktes  auf  seiner  Spitze,  Wärmeentwick- 
lung bei  der  Bildung  der  Himmelskörper.  Die  letzte  Aufgabe  hit 
der  Verf.  so  getreu  kopirt,  ohne  die  Quelle  zu  nennen,  dass 
er  auch  die  im  Original  leider  unrichtig  geführte 
Bechnung  ebenfalls  unrichtig  führt.  Seine  Tabelle  ist 
eben  desshalb  von  keinem  Werthe.  (Die  richtige  Bechnung  findet 
er  in  der  Anzeiger  des  Originals  in  diesen  Blättern,  1861,  m.Heil). 

Die  »Differentialgleichungen«  werden,  obgleich  im  Grunde  eiiM 
grosse  Zahl  Beispiele  bereits  solche  einführte,  jetzt  erst  int^ii 
Zu  erweisen,  dass  eine  solche  Gleichung  nur  eine  Integralgleicbusg 
mit  einer  bestimmten  Zahl  Konstanten  habe,  fällt  dem  Buche  ganz 
selbstverständlich  nicht  ein;  das  wird  eben  »praktisch«  erledigt 
Welche  Bedeutung  dem  singulären  Integrale  zukommt,  bleibt  ^toist- 
örtert ;  die  Differentialgleichungen  höherer  Ordnung  füllen  drei,  niit 
ganz  aussergewöhnlicher  Baumverschwendung  bedruckter  Seiten, 
wie  denn  überhaupt  auf  die  Differentialgleichungen  16  solcher  Seiten 
verwendet  sind.  Mit  theoretischen  Kenntnissen  will  eben,  wiemftn 
sieht,  der  Verf.  seine  Leser  nicht  überladen;  er  hat  in  der  Vo^ 
rede  bereits  vor  diesem  gräulichen  Uebel  gewarnt.  Dafür  werden 
nun  aber  wieder  Aufgaben  in  reichlicherer  Zahl  gelöst.  Dieselben 
sind  der  Mechanik  und  Physik  entlehnt. 

Die  Kettenlinie  wird  untersucht ;  die  Biegung  elastischer  Stftbi 
in  einer  Beihe  von  Fällen  bestimmt;  die  Bewegung  eines  von 
zwei  Punkten  angezogenen  Punktes  in  der  Geraden,  welche  letztere 
verbindet,  ermittelt ;  die  Wurfbewegung  im  leeren  und  luftgefüllten 
Baume  (frei  nach  Poisson);  die  Längenschwingungen  eines  elasti- 
schen Stabes;  Schwingungen  eines  elastischen  Mittel;  Bestimmnsg 
der  mittlem  Dichte  der  Erde ;  Pendelschwingung  in  der  Luft; 
Zentralbewegung ;  Wärmeleitung  in  einem  prismatischen  Stabe  bil* 
den  das  weitere  Material  dieser  Aufgaben,  mit  denen  dann  das 
Werk  abschliesst.  | 

Unser  Urtheil  über  dasselbe  werden  wir  nicht  besonders  mebi 
aussprechen  dürfen.  Es  mag  genügen  anzuführen,  dass  wir  jedes 
Schüler   oder  Leser  bedauern,    der   nach    einer  solchen  Metbode 


Briot:  Essais  svr  la  tb^orls  de  Is  Lnmtöre.  M0 

oder  einem  solchen  Buche  nntemohtet  wird.  Wir  haben  zwar  in 
letzter  Zeit  Gelegenheit  nehmen  müssen,  ein  oder  das  andere  Bnch 
zu  besprechen,  das  nicht  viel  werth  ist:  die  Palme  in  dieser  Be- 
ziehung gebührt  unstreitig  dem  vorliegenden.  In  wie  weit  der  Verf. 
berechtigt  ist^  sich  über  die  Einrichtung  des  mathematischen  Unter- 
richtes an  höhern  technischen  Schulen  auszusprechen,  ist  durch  sein 
Buch  so  klar  festgestellt,  dass  auch  das  keiner  besondem  Formu- 
lirung  bedarf.  Eine  Aufgabensammlung  mit  gelegentlich  ange- 
brachten, möglichst  leichtfertig  (wenn  wir  den  Ausdruck  im  wissen- 
schaftlichen Gebiete  brauchen  dürfen)  ausgeführten  Stücken  und 
Stückchen  Theorie,  das  wäre  der  für  das  vorliegende  Buch  geeig- 
netere Titel.  Diese  Aufgaben  aber  wird  mancher  Lehrer  und  Schüler 
benützen  können,  und  es  wäre  zu  wünschen  gewesen,  der  Verf. 
hätte  sich  auf  das  Gebiet  eingeschränkt,  das  ihm  genauer  bekannt 
ist.  Denn  das  dürfen  wir,  wenn  wir  anders  neben  unserer  nichts 
weniger  als  günstigen  Anzeige  gerecht  bleiben  wollen,  zum  Schlüsse 
nicht  verschweigen,  dass  der  Verf.  im  Gebiete  der  Anwendungen 
viele  Kenntnisse  besitzt  und  er  also  dort  etwas  Tüchtiges  leisten 
kann.  Mit  der  Theorie  ist  er  vorläufig  noch  in  gar  grossem  Conflikt. 


Essais  8ur  la  ihSorie  malh^matigvt  de  la  Lumüre,  par  Charles 
Briot,  Professeur  au  Lye^e  Saint-Louis,  Mailre  de  Conf&en- 
ces  ä  lEcole  Normale  sup^rieure»  Paris^  Mallet^Bachelier,  1S64. 
(XXII  u.  182  8.  in  8). 

Von  dem  Verfasser  der  vorliegenden  Schrift  sind  in  diesen 
Blättern  bereits  zwei  Werke  angezeigt  worden  (VI,  1862  und  IX, 
1859);  besonders  das  letztangeführte  Buch  (Theorie  des  fonctions 
doublement  pöriodiques)  hat  ihm  und  seinem  Mitarbeiter  Bouquet 
einen  klangvollen  Namen  in  der  Wissenschaft  verschafft.  Auch  die 
vorliegende  Schrift  ist  bereits  von  den  ersten  wissenschaftlichen 
Autoritäten  Frankreichs  in  höchst  ehrender  Weise  anerkannt  worden. 

Die  Aufgabe  der  Schrift  ist  durch  den  Titel  in  so  weit  be- 
zeichnet, als  es  sich  um  die  Theorie  des  Lichtes  handelt;  doch 
haben  wir  so  ziemlich  eine  eigentliche  Theorie,  also  etwas  mehr 
als  blosse  »Essais«  vor  uns,  wie  schon  der  Titel  der  vier  Abthei- 
lungen aussagen:  Allgemeine  Gesetze  der  schwingend eu  Bewogiin- 
gen ;  doppelte  Strahlenbrechung ;  Zerstreuung  (Dispersion)  i^es  Lich^ 
tes;  kreisförmige  Polarisation. 

Anfänglich  auf  den  Wegen  Cauchy's,  die  er  mehr  ebnet, 
was  bekanntlich  bei  den  Darstellungen  jenes  Meisters  oft  notb- 
wendig  ist,  verlässt  er  bei  den  spätem  Abtheilungf^n  denselben, 
um  namentlich  die  Dispersion  entschieden  anders  m  erklUren.  Die 
von  ihm  eingehaltenen  Methoden  wollen  wir  den  Lesern  dieser 
Blätter,  so  weit  es  möglich  ist,    übersichtlich  darzustellen  snobi^iu 


•n  Bf  lolc  Emif  wr  It  ftluiofia  ie  U  Lnmttffe. 

Di0  dar  gaqten  ÜBtenoobttiig  zu  Qnmde  gelegten  AnnahmeB 
9ind  die  von  Canohy.  Der  freie  Aether  ist  aus  gleichen  Molekfiln 
gebildet,  die  daroh  Ansiehung  oder  Abstossong  auf  einander  wiikei. 
Ist  f  der  Abstand  xweier  Aethermoleküley  m  die  Masse  eines  jedn, 
so  ist  niniF(r)  die  Kraft,  mit  der  sie  auf  einander  wirken,  dk 
mcb  der  verbindenden  Geraden  r  gerichtet  ist.  P(r)  ist  peiäif 
oder  negativ,  je  nachdem  die  Kraft  anziehend  oder  abstosseod 
wirkt 

Sind  (im  Oleicbgewiohtsznstand)  x,  7,  z  die  (rechtwinkelige) 
Koordinaten  des  Molekttles  m;  x  +  ^/x,  7 -{-^7,  z+^^a  die  eb« 

andern  m<;  femer  f(r)  =  -?^,  so  ist  fttr  das  Gleichgewicht:  2m 

^/xf(r)=r=0,  -Emyyf(r)=0,  27m  ^^ z f(r)=0.  Sind  femer x+|,  y+if» 
z  +  f  die  Koordinaten  von  m  znr  Zeit  t  im  Zustande  der  Bewegnng; 
x-f"'^^'f'6  +  '^Sf  •••  die  von  m*;  vemachlftssigt  man  überdies 
die  zweiten  und  hohem  Dimensionen  von  ^6,  ^17,  z/f,  so  eriilK 
man  als  Gleichungen  der  Bewegung  von  m:  (Di  *— L)  g  —  Biy-iK 
=  0,  (D,2-.M)iy-.Pf-Rg  =  0,  (D,«~N)f— Q6-Pij  =  0,  wol, 
M,  ...,  B  eine  symbolische   Bedeutung  haben  und   zwar  ist 

istLrrrZm  \ i(T)+Jx^^-^'\  ^  P  =  2;mz/y^z^^  n.  8.ir, 

L  r   J  ^2  r 

zugleich  ist  D^  eine  Abkürzung  für  -r-r-.     Statt  des  Zeichens  4 

dt* 
,       ,    .  ^  nl+v/*+wir 

aas  bei  L, ...  angehängt  ist,  kann  man  setzen  e  — 1»  wenn 

^  (h  V  Abkürzungen  sind  fftr  jiJx,  z/y,  ^z;  u,  v,  w  die  Symbolfl 
D»,  D,,  D,  bezeichne,  und  fttr  u^nv, ...  gesetzt  wird  D.^  D,,',... 

Ist  dann  G=2;n.f(r)  Q'-^^'-^JlD .  E^sjM:"-^^-! 

— (nX-f  vfi+wf/)— J  (uA+vft  +  wv)»],  so  erhalt:  (D»»— G)|— D. 
[D.H5  +  DvHi7  +  D,Ha  =  0,  (D,3-G)  17  — Dv[D„H|  +  D,H^ 
+  p,Ha  =  0,  (D,a-G)f~D,  [D„H6  +  DvHi74-D,,Hg]=0  ab 
Gleichungen  der  Bewegung  eines  Aethermoleküls.  Diese  Gleichns- 
gen  sind  in  sehr  gerundeter  Form,  wenn  auch  etwas  umstKndliefc 
auszulegen.  Deren  Integration  fuhrt  zu  den  Gesetzen  des  Lichten 
Den  Differentialgleichungen  wird  genügt  durch  die  Formen 
^x  +  ey  +  p»— <rt  ^x+ay+^s— crt  ^x+ey+^-Ä 

5=Ae  ,  iy=Be  ,  5=^0e  , 

wo  d,  e,  (>,  <y,  A,  B,  0  Konstanten  sind,  wenn  (<r^—- L^)  A— Bi 
B-Q,  C=0,  (<y«-MO  B-Pi  C— R,  A=0,  (<y«-Ni)  C-Q|  A-Pj 
B=0,  wo  L, ,  ...  die  Werthe  von  L ,  ..  sind ,   wenn  man  Dx ,  .- 

[x»f»(r)ir*^+*'*+n 
f(r)  -( I  ve  — 1^1 

Pi  =  Zmiiv  — ^-^  \js  —  1 J,  u.  8.  w.  Aus  diesen  Gleichungen 

ergibt  sieh  leicht  die  bekannte  kubische  Gleichung  fttr  tf^,  und 


ferner,  dass  zu  jedem  der  drei  Wertbe  von  ifi  je  ein  l>ertimmter 
Werth  der  Quotienten  j,  -  gehört. 

Im  Allgemeinßn  eiud  |,  rj,  t  imaginftr;  da  aber  die  Differ^- 
tialgleichungen  nur  ßeelles  enthalten,  so  werden  die  reellen  Theil^ 
jener  Grössen  für  sich,  und  eben  so  die  imaginären  für  «ich  den 
Gleichungen  genügen.  Setzt  man  also  *  =  U  +  u  i,  f = V+v  h  9^^ 

ai  ßi  yi 

4-wi,  (T  — S-f  si,  A  =  ae  ,  B=be  ,  C  =  ce  ,  macht  k  = 
Y^a2+v2  +  w»  ,  KsrV'ijnpv^Tw»,  k^  =  ux  +  vy  +  wz,  Kp, -- 
XJx  +  Vy  +  Wz,   so   ergibt   sich,   dass   die  reejlen   Theile   sind: 

Kpi-8t  Kei— St 

§=ae  cos  (k^— st+a),  ij  =  be         cos   (kp  —  st-f-p), 

K^i— St 
gi=ce  eoB  (k^— st  +  y).     Dia  diesen  reellen  Theilen  entspre- 

chenden Bewegungen  heisst  der  Verf.  einfache  Bewegungen. 
Die  durch  die  eben  gegebenen  Werthe  ausgedrückten  Bewegungen 
gehen  in  ebenen  Wellen  vor  sich,  parallel  der  festen  Ebene  ui+ 
vy  +  w  z  =T  0,  weil  alle  Moleküle,  die  in  einem  Abstand  q  von  dieser 
Ebene  sind,  z^  gleicher  Zeit  gleiche  Oszillationsphase  haben.  Ist  J  die 
WellenUnge,  T  die  Oszillationsdauer,  so  ist  kJ=23r, 
8T=;2jr,  und  wenn  w  die  Geschwindigkeit  der  Fort- 
pflanzung:  w=-  =  ?;.     S   ist   der   »Auslöschungs-Coeffizient« 

(coeflF.  d'extinction).  Alle  Moleküle,  welche  in  der  Entferpung  ^i 
YQn  der  featen  Ebene  Ux+Vy-fWz=0  sind,  baden  zu  gleicher 
Zeit  gleiche  Oszillations- Amplitude,  letztere  nimmt  aber  in  geoma- 
triacher  Progression  ab  (wenn  nicht  K=0). 

Sind  «,  ß,  y  gleich,  so  geschieht  die  Bewegung  in  gerader 
Linie:  da3  Licht  ist  in  gerader  Linie  polarisirt;  wenn 
sie  nicht  gleich  sind,  so  wird  gezeigt,  dass  die  Bewegung  in  Ellip- 
sen vor  sich  geht ,  deren  Ebenen  parallel  sind  der  Ebene  — —  sin 
(^_y)-|-  ^sin  (y— «)-]-- sin  («— j8)  =  0  und  Durchschnitte  der 

Ebenen  mit  einem  Zylinder  sind.  Das  Licht  ist  dann  elliptisch 
polarisirt.  Ist  ß  =  0,  so  sind  die  Flächen,  welche  dor  Fahr- 
strahl  der  Ellipse  beschreibt,  der  Zeit  proportional,  woraus  folgt, 
dae9  die  Gesarnnjitwirkung  auf  das  Aethertheilchen  proportional  dem 
FahFfltrahl  ist. 

Sollen  die  Wellen  nicht  erlöschen,  so  müssen  K  (und  S)  Kuli 
gcin;     also    setzen    wir    U,  V,  W   Nul}.      Dann   ist  Lj  =  1^  m 

rf(r)  +  A»~l  [cos(uA  +  vft+wi/)-l  +  i8in(uA  +  v^-pwv] 

u.  8.  w.  Ist  nun  das  Medium  homoe drisch,  d.  h*  sind  ^.Ue 
Mpleküle  zu  je  zwei  symmetrisch  gelagert  in  Bezug  awf  eia  beüe^* 
biges,  so  ^Uen  die  Sinus,  also  die  in^aginären  TheU^  ^V^\  mÜhtn 


1 


M  Brlot!  Eteaia  svr  k  tbJorie  de  U  Lumlire. 


L 


B  G 

werden  p-j  reell  init<^,  so  dass  nothwendig  a^=ß:=f  Bein  mm. 

Die  beharrenden  Wellen  (ondea  persistanies)  sind  also  geradlinig 
polarisirt.  Sind  alle  drei  Werthe  Ton  <fl  reell  nnd  negaÜY,  so  ist 
<r  =  8iy  also  S  =  Oy  nnd  es  zeigt  sich,  dass  es  drei  geradlinig  polar 
risirte  Wellen  gibt,  deren  Schwingungen  parallel  sind  den  dro 
Hanptaxen  des  Ellipsoides  L,  x»  +  M,  y«  +  N,  z»  +  2  P^  y  » + 2  Q»  xx 
4-2Bixy-|-l  =  0y  also  auf  einander  senkrecht  stehen. 

Die  Grösse  nA-f-vfi-^wv  ist  gleich  krcosöss — ,  i 

wenn  S  der  Winkel  ist,  den  die  Normale  an  die  Wellebene  mit 
r  macht.  Wird  nun  angenommen,  dass  der  Halbmesser  der 
Actionssphäre  eines  Moleküles  klein  sei  im  Verhältp 
wiss  zur  Wellenl&nge,  so  ist  uA-f-y/ti-l-wi/  klein  nnd  nu 

Ui+V/Ä  +  W«' 

kaim   sich   in  der  Entwicklung  von  e  auf   die    enta 

Glieder  einschränken.    Da  ungerade  Ordnungen  sich  anlheben,  lo 

wird  G  =  42:mf(r)(uA  +  vfi  +  wi;)»,  Si  =  j\£m^^inl+if 

+  wv)*  und  jetzt  erhält  man  die  gewöhnlich  aufgestellten  Be- 
wegungsgleichungen als  solche  der  zweiten  Ordnung.  In  diesem 
Falle  zeigt  es  sich,  dass  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  dieselbe 
ist  in  jeder  Richtung,  welches  auch  die  Wellenlänge  sei,  so  dass 
eine  Dispersion  nicht  yorhanden  ist. 

Mit  diesen  Untersuchungen  ist  natürlich  die  Integration  der 
Di£ferentialgleichungen  der  Lichtbewegung  nicht  erledigt.  Behuft 
derselben  erinnert  der  Verf.  an  die  Grundsätze  der  Cauchy'schen 
Bestrechnung  (calcui  des  r^sidus).  Wir  wollen  hier,  statt  des  be- 
kannten Zeichens  (aus  Rücksichten  auf  den  Druck)  das  Zeichen  T 

wählen.     Lässt  sich^-^  in  Partialbrüche  auflösen  (wo  also  Z&h- 

ler  und  Nenner  ganze  Funktionen  sind),  so  ist  ^—t-t   ^«^    Summe 

der  Zähler  derjenigen  Brüche  gleich,  die  erste  Potenzen  der  Fakto- 
ren ersten  Grades  des  Nenners  als  Nenner  haben.  Diesen  »Inte 
gralrest«  (rösidu  total)  wendet  nun  die  Schrift  zur  Integration 
gleichzeitiger  Differentialgleichungen  an.  Das  System  D,|=rL{ 
+  Eij4Qe,  D,ij=R|  +  Mij  +  Pe,  Die=:Q6  +  Pi?  +  N&  indem 
für  t=:0:  5  =  «>  V^ß'  6==y  sein  soll,   wird  so  iutegrirt  durch 

die  Formen  5=1»-^"-.  ,-r-^,t  =  r-|^,    wo    S  = 

(b  _L)  (8— M)  (s-N)  -  P»  (s-L)  -  Q2  (s-M)  -  B»  (s  -JJ)- 
2PQE,  Ö=E,Q,a  +  P,Ri/J-f-PiQ,j/,  P,=P(8-L)4-RQ,  Q, 
=  Q(8-M)+RS,  Ri=R(8— N)+PQ;  a,  ß,  y  die  drei  will- 
kttrlichen  Konstanten  sind,  die  Beste  in  Bezng  anf  die  drei  Wur- 
zeln der  Gleichung  S  =  0  genommen  sind,  nnd  natürlich  s  je  einen 


Briot:  Essais  sur  Is  th^rie  de  U  liomi^re*  8l3 

dieser  Werthe  annimmt.  Eben  so  werden  die  Gleichungen  (Dt'— L) 
5-ßij— Qg=0,  (D,2-M)  ,-Pg-ßg=o,  (D,2-N)  e-QJ 
—  Pij  =  0  integrirt,  wo  für  t-^0:  a,ß,y  die  Werthe  von  l^fjfti 
^S  /3S  }^*  die  Yon  D»^,  Di  17,  D|{;  sein  sollen.  Man  findet  diesel- 
benFormen,  nur  ist  ©=QiRi  (a*-f-sa)+PiRi  (/J«4-s/J)+PjQ^ 
(y*-J*^y)>  S  hat  denselben  Werth  wie  vorhin»  wenn  s'  für  s  ge- 
setzt wird,  und  eben  so  in  P^,  Q|,  B|,  und  die  Beste  sioh  auf  die 
sechs  Wurzeln  von  8  =  0  beziehen. 

Die  Differentialgleichungen  der  Aetherbewegung  sind  die  vor- 
hin aufgeführten  zweiter  Ordnung,  nur  sind  L,  ...  symbolische  Aus- 
drücke, die  wir  bereits  früher  andeuteten.  Diese  Gleichungen  sollen 
integrirt  werden  und  zugleich  für  t  =  0:  g=g?  (x,  y,  z),  ij  =  x 
(x,  y,  z),  g=  ^{x,  y,  z),  l>il=q>i  (x>  7»  z)»  I>i^=Z»  (x,  7,  z),  D,g  =  ^j 
(x,  y,  z)  sei,  wo  q>,  .. ,  ^,  beliebfge  Funktionen  sind.  Nun  ist  all- 
gemein l  gleich  dem  sechsfachen  Integrale 

wenn  die  Gränzen  je  von  —  00  bis  -f-  00  gehen,  und  Jj  der  Werth 
von  I  ist,  in  dem  x,  y,  z  durch  a,  ß,  y  ersetzt  sind.  DieGrrösse 
(Dt^  — L)   S  — Bi}  — QS    is^    gleich    dem   sechsfachen   Integrale 

>  [u(x~«)+v(y^ß+w(.-.y)]i 

e  [(D,*-Li)  Si-Bi  %  — Ol  liJ 

da  du   dß  dv   dy  dw 

-z ^ i; — ,  wenn  ij^,  f^  dieselbe   Bedeutung  haben,  wie 

li ;  wenn  Lj  der  Werth  von  L  ist,  in  dem  D«  durch  ui,  Dy  durch 
vi,  D|  durch  wi  ersetzt  ist  u.  s.  w.  Es  ergibt  sich  dies  sofort 
aus  den  angewandten  Werthen  von  |,  ij,  i  bei  denen  die  Differen- 
zirungen  nach  x,  y,  z  geradezu  Multiplikationen  mit  ui,  vi,  wi 
gleichkommen.  L|,  ...  aber  sind  jetzt,  in  Bezug  auf  t,  Eonstanten« 
Man  kann  also  den  Gleichungen  der  Bewegung  genügen,  wenn  man 
die  Gleichungen  (Di* — Lj)  5j — Bj  iji— Qi  fi=0,  u.  s.  w.  integrirt, 
die  nur  noch  t  enthalten.  Gerade  diese  Form  wurde  aber  behan- 
delt und  bereits  deren  Integral  angegeben.  Für  t=0  muss  li=9> 
(a,  ßt  y),  Dt||  =  9)i  (a,  ß,  y),  ...  sein,  welche  Grössen  an  die 
Stelle  der  früher  genannten  a,  a^  ...  treten.  So  ergeben  sich  die 
allgemeinen  Werthe  von  ||,  ti^y  ^ ;  also  dann  von  g,  rjy  i  in  sechs- 
fachen Integralen. 

Kann  man  die  Gleichungen  der  Bewegung  auf  homogene  der 
zweiten  Ordnung  reduziren,  wie  wir  bereits  oben  angedeutet,  so 
reduziren  sich  durch  ein  einfaches  Verfahren  die  Werthe  auf  doppelte 

Integrale,  welche  die  Form  -  ^jfr^.^^^^±^pt±^ 

00 

sin  pdpdq  haben.  Hieran  knüpft  der  Verfasser  die  Untersuchung 
über  die  Ausbreitung  der  Wellen,  wenn  die  Bewegung  anfänglich 


M  Briot:  EMAft  dvr  k  th^orfe  ie  1a  Lami^f€. 

die  ebetier  Welkn  war,  oder  anftngfich  im  Batiine  emet  Ueinei 
t[ngel  eingeschlossen.  Wir  k5nnen  diese  durch  Figoren  erl&itterte 
üntersaehtnig  hier  nicht  weiter  betrachten,  tmd  müssen  auf  die 
Schrift  verweisen. 

Die  zweite  Abtheilung  behandelt  die  »Doppelbrechung. €  Zuerst 
wird  die  Fortpflanzung  des  Lichtes  im  freien  Aether  uniersncfai 
In  homoedrischen  Medien  kann  man,  wie  oben  angef&hrt,  setzen; 

G  =  42?mf(r)  (uA-fvft+wt;)«,  H  =  ,«,2;m^  (uA+v^^fv)', 

und  wenn  man  die  symbolischen  Ausdrücke   entwickelt,  so  erMt 

man  Koeffizienten  wie  Zml^f(r),  ,  von  denen  alle,  welclie  tuh 

gerade  Potenzen  ton  A,  ft,  v  (^x,  z/y,  z/z)  enthalten ,  Null  sioi 
Zugleich  bestehen  zwischen  denselben  gewisse  Gleichungen,  dieia 
herkömmlicher  Weise  abgeleitet  werden.  Dadurch  ergeben  sich  als 
Gleichungen  der  Bewegung :  D^^g— (g-j-h)  (D,*  J  +  D/  g  +  D,*Ö-21i 

(D/H-I>«y*^  +  I^-"^0  =  ö  ^'  8-  w-i  wö  g=i2;mr»f(r),  h=,', 

f'(r> 
27m  r^  —l^.    Betrachtet  man  hier  wieder  die  >ein&ehen  Bem^ 

ungenc  d.  h.  die  ebenen  Welkn,  und  sind  a,  b,  c  die  Cosinus  d« 
Winkel,  welche  die  Normale  an  die  Wellenebene  mit  den  Eoordi- 
natenaxen  macht,  seist  in  den  frühem  Resultaten :  u=ka,  Y=skb, 
WÄ=k(j,  UÄd  wennalso  |=Aco8  (kax-f-kby-|-kcz  —  kot-fff) 
u.  s.  w.,  so  ergibt  sich:  [o^  — (g-fh)]  A— 2ha  [Aa-j-Bb-j-Cc] 
arO,  [ti»--(g  +  h)]B— 2ha[Aa+Bb  +  Cc}=0,  [mMg+l»)l 
C  — 2hc[Aa4-Bb  +  Cc]  =  0.  Daraus  zieht  man  (a^  —  (g+3b)l 
(Aa-{-Bb-j-Cc)  =  0.  Letztere  Gleichung  ist  erfüllt  durch  Aa-f 
B  b  -f-  C  ö  ÄrO,  woraus  dann  co*= g  -f-  h  folgt,  oder  durch  o»=g-f  Sis 
woraus  A :  B  :  C  =  a :  b  :  c.  Im  ersten  Falle  ist  die  Schwingung  in 
der  Wellebene,  die  eigentliche  Richtung  derselben  (in  der  Ebene) 
aber  unbestimmt;  im  zweiten  Falle  ist  die  Schwingung  senkrecBt 
zur  Weüebene  und  geradlinig.  Es  gibt  folglich  transversale  wi 
longitudinale  Schwingungen. 

Kehmen  wir  an,  dass  die  anfänglich  mit  F(r)  bezeichnete  Enft 
der  n**  Potenz  von  f  umgekehrt  proportional  ist,   setzen   sie  als» 

s-^^  wo  6  eine  Eonstante  (positiv  im  Falle  der  Amdehvng).  Dm 
ist  g={2;-^jjzj^,  h=~-g^2;^;^= ^g.    Diebeidö 

Werthö  ton  &,  die  sich  so  eben  ergaben,  sind  also  ^ir?  g  una 

— r~^g-  Da  es  wahrscheinlich  ist,  dass  sich  die  AethertheilclieB 
5 

abstossen,  mithin  g  negativ  ist,  so  muss  also  tt  grSsser  als  4  s$l&) 

wenn   die  transversalen  Wellen   (Licht)    sich  fortpflanzen   sollen; 

alsdann  ist  aber  auch  (2— 8n)  g  positiv  1   uz^   die  longitudinalstf 

Wellen  pflanzen  sieh  dessgleieh^  fort«  Würden  die  Aethertheilcba 


Briot:  Etiaii  ma  k  tfaforte  de  1»  Lttibldr^  tt$ 

sich  anziehen,  so  mttsste  n  Ueinet  als  4  sein,  damit  iie  tran&T«r* 
sakn  Wellen  fortschreiten  können. 

Feste  Eihrper  denkt  sich  derVerf^ans  »ponderablenMolekttlenn 
(Eörpermolekülen)  gebildet,  die  von  Aetherm&lekülen  tangehen  sind, 
wobei  die  Zahl  letzterer,  die  eines  der  erstem  nmgeben,  Sehr  grosft 
ist«  Wäre  ein  fester  Körper  völlig  durchsichtig,  so  wftrde  die 
Bewegung  der  Aethermolekttlo  keinen  Einfloss  auf  die  Eörpermole« 
küle  haben;  in  d«i  Fällen  der  Natur  ist  dies  nicht  so«  Soll  die 
Bewegung  der  einen  Art  Einfluss  auf  die  der  andern  haben  ^  so 
müssen  Aether-'  und  Körpermolekttle  auf  einuider  wirken,  wie 
dies  auch  schon  daraus  herrorgeht,  dass  der  Aether  in  festen  Körpern 
anders  gruppirt  sein  muss  als  im  freien  Zustande,  indem  die  Licht« 
fortpflanzung  nicht  dieselbe  ist  in  beiden  Fällen.  Oauchy  dachte 
sich  den  Aethor  in  E^rystallen  eben  so  angeordnet,  wie  die  Körper-* 
moleküle  selbst.  Dies  hält  der  Verfasser  nicht  fttr  zulässig,  was 
er  daraus  schliesst,  dass  ein  Krjstall  des  kubischen  Systems  sich 
80  verhält  wie  ein  Stück  Glas.  Er  untersucht  für  diesen  Fall  die 
»einfache  Bewegungc  und  findet ,  dass  wenn  der  Aether  geordnet 
wäre  wie  die  Körpermoleküle,  das  Licht  polarisirt  seinmüsste.  Den 
Aether  in  Krjstallen  denkt  sich  der  Verl  analog  dem  fireiea,  nur 
modifizirt  durch  die  Anwesenheit  der  Körpermoleküle.  Wenn  wir 
die  Länge  einer  Geraden  von  bestimmter  Länge  durch  die  (sehr 
grosse)  Zahl  von  Aethermolekülen  theilen,  die  auf  ihr  liegen,  so 
erhalten  wir  die  mittlere  Entfernung  der  Aethertheilcben für 
diese  Richtung.  Ln  freien  Aether  ist  dieselbe  für  alle  Sichtungen 
gleich,  in  den  festen  Körpern  nicht«  Man  kann  sich  also  ein  an- 
fänglich isotropes  Medium  denken  überall  von  gleicher  Dichte, 
und  dasselbe  ausdehnen  oder  zusammendrücken  nach  gewissen  Rich- 
tungen: dieses  neue  Medium  lässt  sich  dem  vergleichen,  was  unter 
der  BeschajBTenfaeit  des  Aethers  in  Krystallen  zu  denken  ist.  Es  ist 
wahr,  dass  in  der  Ausdehnung  von  einem  Körpertheilchen  zum 
andern  der  Aether  nicht  gleich  dicht  ist,  von  dieser  kleinen  Ver- 
schiedenheit wird  aber  für  den  Augenblick  abgesehen,  und  es  tritt 
in  derselben  Richtung  durchweg  der  inittlere  Werth  der  Dichte 
dafür  ein. 

Nehmen  wir  drei  rechtwinklige  Koordinatenaxen  an,  von  denen 
eine  (x<)  parallel  einer  Axe  der  Ausdehnung  (oder  Zusammen- 
drttckung)  sei,  so  wird  die  Grösse  x^  die  einem  Molekül  zugehört, 
um  a'x^  geändert,  wo  a' konstant.  Bezeichnet  man  diese  Aenderung 
mit  dem  Vorzeichen  d,  so  ist  dl' =  a'xS  *y*  =  0,  dz*fc=2Ö,  WorrtttS 
wenn  a,  ß,  y  die  Kosinus  der  Winkel  sind,  die  x^  mit  den  Axen 
der  X,  y,  z  macht:  dx  =  adx^=a'a  («x-f-/ly+y^)>  ^7== 
/Jdx>  =ra«/S  (ax  +  /Jy+yz),  dz=ydxi==a»y  (ax-|-/Jy-|-yz), 
Aehnliche  Ausdrücke  werden  für  jede  Axe  der  Ausdehnung  erhal- 
ten, so  dass  allgemein  dx  =  Ax  +  By-}-Cz,  dy=i=Bx-|-I)y-f-Ez, 
dx=Gx4-Ey-|-Fz.  Daraus  lässt  sich  leicht  schliessen,  dass 
man  die  Axen  der  x,  y,  z  immer  so  wählen  könne  (auf  einander 


] 


tu  Brioi:  £tl«lA  mt  k  th^ria  de  la  Lnml&ra.  | 

senkreeht)  dass  Ax=sax,  ^y  =  byi  Azssoz.  Die  QrSssen  a,b,  e 
sind  dabei  sehr  klein,  da  der  Aether  eine  sehr  grosse  Elaslisitti 
besitst,  so  dass  die  hohem  Dimensionen  derselben  yemacblftsagt 
werden  können.  Da  die  Dichte  des  Aethers  sieh  nicht  &ndert|  n 
ist  also  a-|-b  +  c=.0. 

Daraus  folgt  natürlich  auch  d>l-=aA,  dfi^s-hfi^  dr=s«er, 
die  Grösse  G,  H  Andern  sich  um  Grössen  dG,  dH,  die  wir  nach  des 
gewöhnlichen  Begeln  der  Dififerentialrechnong  erhalten,  wo  tbo 
z.  B,#Q=2:mf(r)  (uA  +  vf*  +  wt/)  (udA+vdf^  +  wdv+ilm 
f^r)  (nX'\'rfL-^wv)dr,  wo  rdr  =  XdX+(idfi'\-viv^^V 
-f-bft'+Cf/*  a.  8.  w.  Dadurch  werden  nun  Summen  wie  z.  B.  £mX^T\ 
Sml^li^v^ipir)  u.  8.  f.  eingeführt,  zwischen  denen  (bei  homoedih 
sehen  Erystallen)  die  bekannten  Beziehungen  besteben  (YgL  etwa 
in  der  Abhandlung  des  Unterzeichneten  in  Grunerts  Archiv,  23. 
Theil  den  §.  XI).     So   ergibt  sich  endlich   G  =  g(u«  +  v2-f^^ 

+  2(g  +  h)  (au»  +  b7a+cw2),H  =  ^  (a«+Y«  +  w^)2 +(h+l) 

(au«+bv3  +  (w«)  (u»+y»+w«)   wo  l={£ml^iL^p^  D^IM 

ist.  Dadurch  ftndem  sich  die  Koeffizienten  in  den  Gleichungen  der 
Bewegung,  deren  neue  Zuzammensetzung  natürlich  gegeben  wird. 
Aus  den  Gleichungen  dx=:ax,  ^y  =  by,  dz  =  cz  folgt  leicht, 
dass  wenn  in  ax'-}-^y'+cz^^2 A  die  Grösse  A  eine  willk11^ 
liehe  Konstante,  man  A  so  bestimmt  denkt,  dass  das  durch  die 
Gleichung  dargestellte    Ellipsoid   durch   den   (betrachteten)  Pauli 

^ ^  2A 

geht,  die  Verrückung  (v^dx»+dy>-)-di«)  desselben  durch —  »tö- 

gedrückt  ist,  wo  p  die  Länge  der  Senkrechten  ist,  die  man  tod 
Mittelpunkt  auf  die  durch  den  Punkt  gehende  TangentialebeDe 
fllllt.  Dieses  Ellipsoid  stellt  also  die  Anordntmg  des  Aethers  in 
KrjstaU  vor. 

Hat  der  Krystall  nun  nur  eine  optische  Axe,  so  kann  maa 
ihn  dadurch  charakterisiren,   dass  man  sagt,  er  decke  sich  selbst, 

2« 

wenn  man  ihn  um  seine  Axe  eine  Drehung,  die  — beträgt,  machcB 

n 

lässt,  wo  n  eine  ganze  Zahl  grösser  als  2.  Dasselbe  muss  also  sack 

bei  dem  EUipsoide  eintreffen,  wozu  gehört,  dass  eine  seiner  Axei 

mit  der  optischen  Axe  zusammenfalle,  und  es  dann  ein  Botatioitf- 

ellipsoid  sei  (um  diese  Axe). 

(Schluss  folgt.) 


Kr.  62.  HEIDElßERGER  18fe 

JABKBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Briot:  Essais  sur  la  tWorie  de  la  Lnmifere. 


(SohlusB.) 
Ist  also  die  Axe  des  Erystalls  die  der  z,  so  mitss  b  =  c,  also 

OL 

wegen  a4-b-J-c  =  0:  b  =  C'=  —  — .  Führt  man  dies  in   die  frü- 

2 

hem  Formeln  ein,  so  ergibt  sich,  dass  für  eine  ebene  Welle,  deren 
Normale  mit  der  optischen  Axe  zusammenfällt,  das  Licht  unpola- 
risirt  ist.  Im  allgemeinen  Falle  erhält  man  drei  Schwingungen, 
von  denen  die  eine  in  der  Geraden  vor  sich  geht,  welche  die 
Durchschnittslinie  der  Wellebene  und  einer  auf  der  Axe  senkrechten 
Ebene  ist  —  also  genau  transversal  — ;  die  zweite  einen  kleinen 
Winkel  mit  der  Wellebene  macht,^  und  die  dritte  fast  senkrecht  zu 
letzterer  ist.  Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  m  der  ersten  Schwin- 
gung ist  gegeben  durch  co^  =  g  +  h  —  (g-|-3h-|-  2 1)  a+8  (g+  2  h-4- 1) 
a  a'  (wo  a,  /3,  y  die  Cosinus  der  Winkel  sind,  welche  die  Normale  an 
die  Welle  mit  den  Axen  macht  und  die  x-Ajce  die  optische  ist) ;  die 
der  fast  transversalen  durch  (D''  =  g-f-h  —  (g  —  1) a -|- 3 (g -|- b) 
a  a^  Eine,  so  lehrt  die  Erfahrung,  ist  konstant  für  alle  Bichtungen. 
Sollte  es  letztere  sein ,  so  müsste  g  -f  h  =^  0  sein ,  was  unzulässig 
ist,  da  im  isotropen  Medium  sonst  die  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit Null  wäre;  damit  die  erstere  es  sei,  muss  g-|-2h-|-l  =  0, 
was  somit  nöthig  ist.  Dies  ist  der  gewöhnliche  Strahl  der 
Physiker.  Da  man  Polarisations-Ebene  die  Ebene  nennt, 
welche  durch  die  optische  Axe  senkrecht  zur  Wellebene  gelegt  ist, 
so  ist  also  die  Schwingungsrichtung  dieses  Strahls 
senkrecht  zur  Polarisationsebene,  Setzen  wir,  wie  früher, 

F(r)=  — ,  so  ist  g-|-2h-4-l  =  ^ ^ök ^ g.  so  dass  da  diese 

Grösse  Null  sein  soll,  n'=:4  oder  =  6  sein  muss.  Ersteres  kann 
nicht  angenommen  werden,  weil  sonst  die  transversalen  Schwingun- 
gen nicht  sich  fortpflanzen  würden;  bleibt  also  n  rr  6,  und  g  nega- 
tiv, d.  h.  B  negativ,  oder  die  Aethertheilchen  stossen  sich  ab  mit 
einer  Kraft,  welche  der  6*'°  Potenz  der  Entfernung  umgekehrt  pro- 
portional ist.  Die  Wellenfläche  u.  s.  w.  für  Erjstalle  mit  zwei 
optischen  Axen  wird  kurz  abgeleitet  und  dann  zur  Lichtzer- 
streuung übergegangen. 

Cauchy  erklärt  dieselbe  aus  einer  weiter  getriebenen  Näherung 
und  findet  für  die  Fortpflanzung  o   der  Elementarwellen:  C9'  =  g 

ffi-l-h*  €    ff^  +  h*      6  — n 

+  h-?-^k2,  wo,  wenn  wieder  F(r)=^:5-X^=:^^^gt, 

LVm.  Jahrg.  11.  Heft  52 


ä 


filft  Brlot:  Essais  sur  k  th^orU  4e  U  Lnml&re. 

was  (für  11  =  6)  Null  wäre,  so  dass  die  Dispersion  nicht  atatt&ttde. 
In  allen  Fällen  muss  entgegnet  werden,  dass  dann  die  Zerstreaung 
auch  im  leeren  Baume  stattzufinden  hätte,  was  thatsächlich  nieM 
der  Fall  ist.  Der  Verf.  untersucht  nun  die  Hypothese  der  £in- 
wirkong  der  Körpermoleküle  auf  die  Aethertheilchen,  aus  der  he^ 

vorgeht,  dass  ®'  =  g+h-f-^~— — ^  sein  soll,  wo  gj,  \  Konstan- 
ten sind;  nun  lehrt  aber  die  Erfahrung,  dass  iD'  =  A-f-Bk*,  w« 
obiger  Formel  widerspricht.  Es  muss  folglich  gj  -f-  ^i  nahe  Kdl 
sein,  woraus  zu  schliessen  ist,  dass  Körper-  und  Aethertheile  sicii 
anziehen  und  zwar  nach  dem  Newton' sehen  Gesetze.  Also  wk 
diese  Annahme  ist  zu  verwerfen. 

Es  bleibt  folglich  nur  noch  die  periodische  Ungleicli- 
heit  in  der  Aethervertheilung  zu  untersuchen.  In  den  »Zellen«, 
welche  durch  die  Körpermoleküle  gebildet  sind,  wird  in  jeder  ein- 
seinen der  Aether  verschieden  angeordnet  sein;  in  den  einzelnen 
Zellen  wiederholt  sich  dies  fortwährend.  Von  dieser  periodischefi 
Verschiedenheit  wurde  bis  jetzt  abgesehen,  da  nur  die  mittleit 
Entfernung  der  einzelnen  Theilchen  als  in  den  verschiedenen  Bicb 
tungen  verschieden  angenommen  wurde. 

Sind  m,  n,  p  ganze  Zahlen,  V'  =  niax-|-n/Jy-|-pyz,  sohnn 
jede  periodische  Veränderung  des  Aethers  dargestellt  werden  dnreli 
Summen  von  Glieder  der  Form  Äx  =  asinV'-|-bco8^,  #y=*i 
sin  ^ -|- bj  cos  ^,  d  z  .==  a2  sin  V' -}"  ^2  ^^s  ^  >  "W^  ^j  •••!  ^2  klein  sind 
im  Verhältniss  zur  Ausdehnung  der  Zellen.  Man  wird  also  di« 
höhern  Potenzen  dieser  Grössen  vernachlässigen  können,  und  es 
genügt  vollstängig  die  zweiten  beizubehalten.  Die  von  dieses 
Aenderungen  herrtthrenden  Aenderungen  der  Coeffizienten  in  des 
Differentialgleichungen  der  Bewegung,  die  jetzt  ebenfalls  periodiscl» 
Funktionen  werden,  berechnet  der  Verf.  nunmehr  und  zeigt  dann? 
wie  sich  die  Integrale  dieser  Gleichungen  unter  der  Form  5=si 
+  Ij  sin ^-f-lj^^ös^ "!"•••  ^"  s.  w.  finden  lassen,  wo  die  Grosses 
lo»  Vot  £b  diejenigen  Theile  sind,  die  wesentlich  beizubehalten  sind. 
Dadurch  erklärt  sich  dann  die  Dispersion,  indem  die  durch  die 
Erfahrung  bestätigte  Formel  erscheint.  Es  ergibt  sich  hiebeiao^ 
dass  die  grösste  Amplitude  der  periodischen  Ungleichheiten,  wekin 
die  Vertheilung  des  Aethers  in  der  Ausdehnung  einer  Zelle  da^ 
bietet,  nicht  grösser  sein  darf  als  der  20.  Theil  der  Entfernvtf 
ssweier  Körpertheilchen  wenn  das  Medium  noch  durchsichtig  sein  s(i 

Es  ist  wohl  selbstverständlich,  dass  wir  die  ganz  ausserordei^ 
lieh  weitläufigen  zusammengesetzten  Formeln  hier  nicht  aa£%bi^ 
können. 

Die  letzte  Abtheilung  behandelt  die  kreisförmige  Polarisation. 
Sie  wird  aus  denselben  Gleichungen  abgeleitet,  die  für  periodispbe 
Medien  aufgestellt  wurden ,  nur  hat  man  die  Näherung  weiter  la 
treiben;  dabei  sind  die  betrachteten  Medien  als  »dissymetriseb« 
betrachtet. 


Baader?  ßocietiltflpbdoBoplirt«.  M% 

^Flüssigkeiten,  welche  die  Kreispolarisation  zeigen,  eind  solclt^y 
in  denen  eine  Unzahl  kleiner  dissymetrischer  ErTBtalle,  die  naeh 
allen  Bichtnngen  gewandt  sind,  schwimmt.  Diese  lassen  sich  mit 
den  vorhin  betrachteten  Medien  vergleichen,  wenn  man  die  »Ebene 
der  periodischen  Modifikation«  ^=^0  nach  allen  mOgfichen  Rieh«- 
tnngen  gewandt  denkt.  Durch  eine  Reihe  Betrachtungen,  die  hier 
aus  dem  schon  angeführten  Grunde  nicht  skizzirt  werden  können, 
erklärt  der  Verf.  die  kreisförmige  Polarisation  und  die  Drehung  der 
Polarisationsebene. 

Für  die  Erystalle,  welche  die  kreisförmige  Polarisation  Kefem, 
genügt  die  Hypothese  Fresnels  nicht,  wie  zuerst  gezeigt  wird.  Man 
musB  zu  den  allgemeinen  Formeln  zurückgehen,  wobei  zugleich  auf  die 
Aenderung  der  mittlem  Entfernung  in  verschiedenen  Richtungen 
zu  achten  ist. 

Wir  müssen  leider  für  die  letzten  Abtheilungen,  die  wir  8d 
eben  berührten,  auf  die  Schrift  selbst  verweisen,  obgleich  sie  die 
wichtigsten  derselben  sind.  Bei  der  grossen  Ausdehnung  der  er-> 
baltenen  Formeln  und  der  Gedrängtheit  der  Darstelimig  des  Buehf^ 
müssten  wir  im  Grunde  den  Uebersetzer  machen,  was  unfr  durch 
die  Formel:  »L*Auteur  et  PEditeur  de  oet  Onvrage  se  r^serrevt 
le  droit  de  traduetiou«  nicht  gerade  untersagt  wäre,  aber  niofet  in 
der  Aufgabe  dieser  Blätter  liegt.  Zur  Bezeichnung  d^s  Inhalts  de^ 
wichtigen  Schrift  genügt  das  Gesagte.'  Dr*  J.  DltllgW* 


Grundzuge  der  Societäiiphilosaphie :  Meen  über  Reeht^  8iaed,  Ge^ 
seUsehaft  und  Kirche  von  Franz  von  Baader.  Mit  An*' 
merhrn^en  und  Erläuterungen  von  Prof.  Dr.Fran»  ffc^ff^ 
mann.  Zweite  verbesserte  und  erweHerte  Auftage.  Würsburg. 
A.  8iuber'8  Buchhandiung.  18^6.  XIV  u.  S08  8. 

Der  Herr  Herausgeber  bietet  seine  zuerst  1837  erschienene  Zu-* 
sammenetellung  von  ausgewählten  Ideen  und  Abhandlungen  Baader's 
sur  praktischen  Philosophie  hiemit  in  der  2.  Aufiage,  welche  dtfrdk 
einen  neuen,  B.'s  Forderungen  nach  einer  ächten-  Theologie  und 
nach  einer  damit  in  Verbindung  gesetzten  kirchlichen  Reform  enf-^ 
haltenden  Abschnitt  sowie  durch  Erläuterungen  vermehrt  ist«  Es 
Ittsst  dieses  bei  der  1.  Auflage  von  Anton  Günther  mit  dem  Bei* 
wort  »golden«  bezeichnete  Buch  die  hohe  Bedeutung  des  Autore 
aueh  für  die  Wissenschaft  von  Staat,  Recht  und  Gesellschaft  reich*' 
lieh  erkennen  und  wird  hinwieder  nicht  verfehlen,  darüber  hinaus* 
zu  einem  ernsten  Studium  der  Philosophie  B.'s  überhatrpt  in  wei«^ 
tem  Kreisen  als  es  bisher  der  Fall  gewesen  aufsruwecken. 

I.  Der  1.  Abschnitt  behandelt  die  >IntelleetuelleGrund^ 
I^age  des  Rechts,,  des  Staates  und  der  Gesellsohaft.^r 
AlsPrincip  alles  wahrhaft  freien GemeinVfesens nennt B.  dielriebe 


Jtt  Baadtr:  Societlt^lifloioplita. 

sa  Oott  und  sa  dem  Nftchsten.  Den  Ansdrack  Princip  aber,  desBei 
sich  B.  hier  bedient,  werden  wir  nicht  in  dem  Sinne  nehmen  dtb^ 
fen,  als  ob  damit  der  erkannte  specifische  Orond  gemeint  sei,  der 
aus  sich  die  Oesellschaft,  den  Staat,  das  Becht,  das  sittliche  Stre- 
ben des  Einseinen  nach  Vollendung  hervorbringe.  Denn  der  \mU 
Art  ist  es  yielmehr,  dass  sie  das  yorhandene  Höhere  und  Niedeii 
mit  einander  ausgleicht:  der  ttber  mir  Stehende  mag  von  mir  gi- 
glaubt,  bewundert,  erhofft  werden,  aber  er  wird  von  mir  nicht 
wirklich  geliebt,  wenn  er  sich  nicht  zu  mir  herablässt,  wie  deu 
auch  der  unter  mir  Stehende  von  mir  nicht  wirklich  geliebt  wird 
wenn  ich  nicht  zu  ihm  hinabsteige  oder  ihn  zu  mir  emporaehe. 
Als  das  Princip  gedacht  müsste  daher  die  Liebe  eine  Gleicblieit 
aller  setzen,  in  welcher  Jeder  Alles  zu  eigen  hat  und  doch  wieder 
Nichts,  ein  Beich,  wo  Jeder  König  ist  und  doch  Keiner.  Dan  ist 
es  unleugbar  die  Persönlichkeit  und  zwar  die  ganze  Persönlichkeit 
des  Menschen,  welche  als  Princip  zur  gesammten  Sphftre  des  Ethoe 
sich  entfaltet,  die  Persönlichkeit,  in  der  das  Oemüth  und  mit  den 
Oemttth  die  Liebe  nur  als  ein  Moment,  obschon  als  eines  d« 
wichtigsten  Momente,  verbindend  und  verklärend  wirkt.  Bereiti 
darum  werden  im  nicht  fehlen,  wenn  wir  den  obigen  Ausqinck 
dahin  deuten:  B.  hat  die  Liebe  als  das  die  Verschiedenen  ma- 
lieh  einende  und  hiedurch  ebenso  zu  gemeinsamer  Thätigkeit  trü- 
bende wie  zum  gemeinsamen  Grunde  zurückführende  Krafbcentnm 
im  Auge,  ohne  welches  keinerlei  Gemeinwesen  gedeihen  und  der 
Bestimmung  des  Menschen  entsprechen  könne ;  gegenüber  den  hen- 
losen  in  sich  zerfahrenen,  von  aussen  nothdürftig  zusammengehalte 
nen  Figuren  auf  dem  ethischen  Gebiet  verweist  er  auf  die  Lieba 
als  auf  die  Macht,  welche  das  vorhandene  Oben  und  Unten,  Hüben 
und  Drüben  zusammenwachsen  macht  und  trägt.  Damit  musser 
folgerichtig  zugleich  den  Connex  betonen  zwischen  der  irdischa 
Secletät,  die  Bestandsucht,  und  zwischen  dem  Reiche  Gottes. 
So  zeigt  Baader  überall  das  hereinschauende  Angesicht  des 
Himmels  dem  Sterblichen,  der  leicht  über  dem  Aeussem  das  InoeR 
und  das  Ewige  über  dem  Zeitlichen  vergisst.  Und  wie  wenige 
in  der  That  die  Liebe  als  den  hervorbringenden  Grund  des  Ethot 
hingestellt  haben  will,  ergibt  sich  sofort  aus  dem  Gewichte,  welch« 
er  auf  die  Autorität  legt. 

Ihrem  Ursprünge  nach  leitet  er  die  Autorität  zurück  auf  d« 
Yerhältniss  Gottes  zum  Menschen  und  erklärt  umgekehrt  aas  dff 
Entstellung  solchen  Verhältnisses  die  Entstellung  der  Autoritii 
unter  den  Menschen.  Auffallen  möchte  es  indessen,  wenn  er  dk 
Societät  im  Ganzen  nach  Entwicklungsstadien  (oder  eigentlich  ii 
der  einen  Sichtung  Deminutionsstadien)  unterscheiden  zu  könn« 
glaubt  1)  in  die  natürliche  Gesellschaft,  wo  nur  die  Liebe  herrscht 
(Theokratie  im  engeren  Sinn),  2)  in  die  Civilgesellschaft ,  wo  bei 
verletzter  oder  mangelnder  Liebe  das  Gesetz  spricht  (Regiment  der 
Bichter  bei  den  Juden),  3)  in  die  politische  Gesellschaft,  wo  die 


Bftftder:  BocieULtspTiIIotoplite.  891 

Autorität  als  personificirte  Macht  yor  den  üebrigen  herauBtritt 
(Regiment  der  EOnige  bei  den  Juden).  Denn  auch  zugestanden 
dieses,  dass  es  eine  Periode  gegeben  habe,  wo  nur  die  Liebe  herrschte 
d.  h.  keine  Lieblosigkeit  und  Feindschaft  den  Bund  trübte,  so 
können  wir  doch  weiterhin,  was  die  Reihenfolge  anlangt,  nicht 
finden,  dass  sich  der  üebergang  Ton  jenem  idealen  Verein  zum 
staatlichen  Leben  durch  die  Ciyilgesellschaft  yermittelt ;  abgesehen 
nftmlich  yon  dem  herangezogenen  aber  nicht  zutreffenden  Beispiel 
der  Juden  zur  Zeit  der  Richter  scheint  uns  yielmehr  die  Herr- 
schaft des  Gesetzes  umgekehrt  irgend  welch  staatliches  Leben  und 
die  hiemit  heryortretende  Autorität  des  Machthabers  oder  der 
Machthaber  zur  Voraussetzung  und  Grundlage  zu  fordern  und  zn 
haben.  Dazu  dürfte  die  Eintheilung  der  Societät  nach  den  be- 
zeichneten Stadien  schwerlich  als  yoUständig  gelten.  Wenn  das 
menschliche  Vereinleben  im  Allgemeinen  zu  charakterisiren  wäre 
nach  bestimmten  Stadien,  die  zwar  Entwicklungsstufen  darstellen 
und  sich  als  solche  yon  einander  durch  das  üebergewicht  eines 
bestimmten  ethischen  Moments  unterscheiden,  aber  doch  so,  dass 
keines  das  andere  ausschliesst ,  sondern  jedes  alle  übrigen  in- 
yolyirt  und  alle  mit  einander  recht  wohl  in  reger  Wechselwirkung 
stehen  und  sich  gegenseitig  heben  kOnnen,  so  glauben  wir,  dass  in 
aufsteigender  Reihe  das  erste  Stadium  jenes  wäre,  in  welchem  die 
Sitte  oder  wenn  man  will  die  Sittigkeit  den  Geschlechtsyerkehr, 
die  Familie,  Stände,  geselliges  Zusammensein  durchherrscht;  das 
zweite  hieraus  sich  ergebende  Stadium,  jenes  in  sich  aufnehmend, 
durch  den  Staat  repräsentirt  würde  als  ein  der  menschenwürdigen 
Entwicklung  seiner  physisch-seelischen  Fülle  obliegendes  Gkinzes; 
das  dritte  Stadium  im  unmittelbaren  Anschlüsse  hieran  durch  die 
Ausbildung  und  Macht  des  Rechts  sich  auszeichne;  das  höchste 
Stadium  endlich  durch  die  Bethätigung  der  moralischen  Gesinnung 
sich  ankündige.  Umgekehrt  würde  die  Entneryung  der  Moralität 
zunächst  das  yorhandene  politische  Treiben  inficiren,  hiedurch  das 
Recht  unterhöhlen  und  schliesslich  an  die  Stelle  der  Sittigkeit  die 
Brutalität  durchbrechen  lassen.  Solche  Gliederung  liesse  sich 
ebensowohl  aus  der  Geschichte  mit  zureichenden  Exempeln  be- 
legen als  sie  aus  demPrincip  des  Ethos,  nämlich  aus  der  mensch- 
lichen Persönlichkeit,  dargelegt  werden  kann.  —  Mit  seinem  ge- 
wohnten Scharfblick  und  zurechtweisenden  Ernst  gedenkt  B.,  rück- 
sichtlich des  Zusammenhangs  yon  Religion  und  Autorität,  der  herr- 
schenden Tendenz  des  öffentlichen  Unterrichts,  welche  das  begrün- 
dende und  positiye  Element,  die  Religion,  als  ein  den  Geist  Hem- 
mendes und  Unyemünftiges  der  Jugend  yorstellt  und  an  den 
Doktrinen  yon  der  Autonomie  und  Souyeränetät  des  Menschen  den 
refraktären  Geist  der  Hoffahrt,  des  Dünkels  und  der  Selbstsucht 
in  jungen  'Gemüthern  entzündet  und  gründlichen  Hass  gegen  alle 
bestehenden  sociale  Institute.  Trefflich  zeichnet  er,  yor  dessen 
Blicke  die  Menschenseele  offen  daliegt,  die  drei  Klassen  der  Schlecht- 


a»  B«Ad«r;  ßaoMltopliadMpUe. 

^(Hinten,  deren'  Atigriffea  die  bttrgerliche  wie  die  religUse  SoineiSi 
bloegestellt  sei»  und  ihnen  gegenüber  die  drei  Kangstofen  der  Gnt- 
gaeinnten,  auf  deren  Hülfe  die  Societät  zählen  dürfe :  dort  der  Yer* 
brecherlefarling,  der  sich  nach  und  nach  gewöhnt,  das  Verbrechen 
neben  dem  Genüsse  vorzufinden  und  schliesslich  den  Dienst  dei 
ersteren  zur  Erlangung  des  letzteren  sich  gefallen  l&sst;  dann  dar 
Geselle,  der  das  Verbrechen  zugleich  mit  dem  Genüsse  als  Wfine 
sucht;  endlioh  der  Meister,  dem  der  Genuss  nur  noch  Mittel  ist 
zum  Verbrechen  als  dem  Zweck ;  und  hier  der  Mensch,  der  vorerst 
zwar  das  Gute  übt  als  bloses  Mittel  zur  Erreichung  seines  Zweckes, 
später  aber  neben  letzterem  und  endlich  um  des  Guten  selbst 
willen.  —  Hinsichtlich  der  Wirksamkeit  der  Autorität  aber  fisst 
B.  die  letztere  nicht  als  ein  Krafthemm eodesi  sondern  als  ein  Kraft- 
gebendes. Weit  entfernt  von  der  einseitigen  Auffassung  der  Abso- 
lutisten  und  geleitet  von  der  Idee  eines  durch  Entfaltung  sem 
Fülle  mit  sich  vermittelten  Organismus  lehrt  er,  dass  das  Haupt 
9war  in  jeder  Region  weil  begründet  auch  befreit,  dass  aber  6,m 
Begründung  oder  Verselbstständigung  darum  nicht  minder  wechsel- 
seitig ist  und  das  sich  dem  Leibe  entgegensetzende  Haupt  eich 
nicht  minder  entgiündet  als  der  sich  vom  Haupt  trennende  Leib. 
Folgen  wir  Baadern  auf  das  specielle  Gebiet  der  Politik. 
Zunächst  dürfte  ein  Irrthum  abzuwehren  sein,  der  entstehen  kennte, 
wepn  der  Pbüosoph  bezüglich  des  persönlichen  Regiments  sich  also 
vernehmen  lässt :  »In  dieser  äussern  Region,  wo  Alles  noch  PartÄ 
machend  oder  nehmend  als  Einzelnes  neben  und  gegen  Einzelnes 
tritt,  muss  das  Allgemeine  und  Eine  selbst  eine  Form  annehmea 
und  gleichsam  Partei  machen.  So  muss  die  Nationaleinheit  selbst 
in  einer  einzelnen  oder  mehreren  einzelnen  Personen  auftreten.  ..• 
Diese  Nothwendigkeit  des  Fortbestandes  eines  Einzelnheit,  welcbe 
auf  das  Allgemeine  hindeuten  soll,  dauert  fort  so  lange  bis  das 
Allgemeine,  Eine,  ins  Centrum  aller  einzelnen  Formen  eingednmgeot 
diese  alle  sich  subjicirt  und  organisch  d.  h.  von  innen  heraus  sick 
assimilirt  haben  wird:  wo  sodann  im  Innern  undAeussem  nur  Eis 
Rgiment  sein  d.  h.  die  Idee  gleich  einer  ailwesenden  Sonne  aufgeben 
wird.«  Mit  Anwendung  dieser  Worte  auf  den  monarchischen  Stasi 
könnte  man  meinen,  die  Monarchie  sei  lediglich  als  eine  Durch- 
gangsform  zu  betrachten  mit  der  Richtung  auf  eine  solche  Demo- 
kratie, wo  vermöge  innerer  Bildung  der  Einzelnen  und  bei  eotr 
sprechend  durchgearbeiteten  äusseren  Verhältnissen  Jeder  Regest 
sein  könne  und  doch  Keiner  es  wollen  werde.  Dass  B.  diess  sagen 
will,  denken  wir  zwar  nicht;  wir  halten  dafür,  dass  er  nicht  eins 
künftig  zu  realisirende  Staatsform,  nicht  einen  Staat,  also  auch  nicht 
eine  Demokratie,  sondern  ein  religiös  moralisches  Vereinleben  iiB 
Sinne  habe,  in  welches  bereits  auf  Erden  die  von  sittlichem  Stre- 
ben Erfüllten  thatsäohlich  sich  gesetzt  finden,  vorbildend  so  ä^ 
jenseitige  Reich»  wo  alles  Stückwerk  aufhören  wird.  Aber,  nia 
Missdeutung  zu  vermeiden,  scheint  uns  eine  strengere  Untersckei- 


Baadejr:  Socief&tBphflosophie.  BfÜ 

dting  und  zugleich  Beziehung  von  Politie  und  MoraUtät  noihwen- 
dig.  Denn  gerade  die  BeRtmeinenden ,  welche  nach  Demokratie 
rufen,  wenig  erbaut  yon  der  ünvoUkominenheit  der  menschlichen 
Dinge,  yerwechseln  offc  gänzlich  Staat  und  moralisches  Yereinleben, 
Politie  und  Moralität,  eine  Verwechslung,  die  um  so  leichter  ist  als 
beide  dem  ethischen  Gebiet  angehörend  aufs  Engste  mit  einander 
verwandt  sind,  eine  Verwechslung,  welche,  in  die  Praxis  konse*- 
quent  übersetzt,  nothwendig  zur  Revolution  des  Staates  führt,  eine 
Verwechslung,  welche,  noch  gesteigert  durch  den  Zusatz  neukirch- 
licher  Bestrebungen,  der  Theokratie  Calvin's  nicht  minder  wie  dem 
Reiche  der  Heiligen  bei  den  englischen  Independenten  zu  Grunde 
lag,  eine  Verwechslung,  welche  das  Seitenstück  abgibt  zu  den 
socialistischen  und  communistischen  Theoremen,  die  ihrerseits  ntcht 
sowohl  das  Verhältniss  von  Staat  und  Moralität  als  von  Gesell- 
schaft und  Staat  verkennend  letzteren  in  jener  untergehen  lassen. 
Gegenüber  der  bezeichneten  Verwirrung  wird  immer  daran  fest- 
zuhalten sein,  dass  die  Monarchie,  nicht  die  Despotie  und  absolute 
Begierung  noch  auch  eine  Bepublik  mit  ihrem  erwählten  Präsiden- 
ten, sondern  eine  auf  dem  Gemeindeleben  ruhende,  die  menschidn«- 
würdige  Entfaltung  der  vorhandenen  Lebensfülle  durch  entspre- 
chende Veranstaltungen  ermöglichende  und  durch  den  Aemter- 
organismus  regelnde,  von  ihrem  Haupt  aus  sich  kräftig  regierende 
Erbmonarchie,  die  aus  der  Sitte  sich  aufgebaut  hat,  durch  Mora- 
lität der  Bürger  gehoben  und  von  einem  aus  der  Wirklichkeit 
herausgewachsenen  Bechtssystem  assistirt  wird,  die  wahre  Gestalt 
des  Staats  ist,  die  Demokratie  hingegen  in  Vergleich  damit  als  ein 
bald  vor-  bald  rückläufiger  Versuch  sich  zeigt  und  nicht  das  ge- 
sunde Ziel  politischen  Strebens  sein  kann.  Es  wird  ferner  daran 
festzuhalten  sein,  dass  die  Moralität  zwar  das  TtgotSQOV  ty  (pvöBt 
oder  das  Apriori  für  den  Staat  ist  sowie  die  Gesellschaft  als  das 
7Cq6t€QOv  xa^  fiiiäg  oder  das  empirische  Prius  erscheint,  aber 
hinwieder  doch  nur  unter  Voraussetzung  des  Staates  und  vermittelst 
des  Gesetzes  zur  reicheren  Entfaltung  ihrer  selbst  kommt,  Morali- 
tät also  nicht  durch  Destiniktion  und  üeberspringen  des  Staates 
hergestellt  zu  werden  vermag.  Es  wird  weiter  daran  festzuhalten 
sein,  dass  die  Moralität,  so  sehr  auch  ein  Einzelner  darin  erstarken 
mag,  immer  nur  Streben  nach  einem  Ziele  bleibt,  das  erst  im  Jen- 
seits sich  erfüllt,  der  Staat  demnach  nur  mit  dem  Ende  der  Ge- 
schichte auch  sein  eigen  Ende  findet.  Es  wird  endlich  daran  fest- 
zuhalten sein,  dass  die  Kirche  als  göttlich  menschliche  Institution 
nicht  los  sein  darf  von  dem  Gebiete,  welches  die  menschliche  Frei- 
heit für  ihre  Selbstbethätigung  zu  eigen  hat  und  darbildet,  aber 
auch  nicht  diesem  Gebiet  zu  überantworten  und  da  zu  absorbiren 
ist,  sondern  in  freiem  Verhältniss  zu  letzterem  zu  stehen  hat,  es 
tragend  und  hebend  bis  alle  Zeit  erfüllt  ist.  —  Entgegen  dem  un- 
vermittelten Dualismus  von  Regenten  und  Regierten,  der  zur  revo- 
lutionären Despotie  von  Oben  oder  Unten  ausschlägt,  erscheint  B.'n 


SU  Bftadar:  SoeitUtaplifloftophle. 

der  Staat  als  ein  Organismns,  in  welchem  alle  Glieder,  nicht  kftmip 
lieh  aogezengt,  sondern  aus  dem  Ganzen  und  ftlr  das  Ganze  er- 
wachsen,  sich  Handreichnng  thnn  zor  Befreiung  Aller«  Beide,  Begeet 
und  ünterthanen,  dienen  einer  höheren  Macht;  das  corporatin 
Element  soll,  zu  mässigenden  und  massgebenden  Mittelorganen  ndi 
gestaltend,  zwischen  dem  Haupt  und  jedem  Einzelnen  die  Circo- 
lation  des  gemeinsamen  Lebens  ermöglichen ;  eine  Constitution  soll 
auch  auf  Tradition  sich  stützen;  das  Haupt  darf  nicht  aufhören, 
mit  allen  Gliedern  organisch  verflochten,  ihnen  einyerleibt  imd 
einer  Natur  mit  ihnen,  somit  demselben  Oentrum  untergeordnet  n 
sein.  Als  eines  der  Mittel  aber,  den  Regenten  bei  aller  ihm  n- 
kommenden  Freiheit  und  Selbstständigkeit  offen  zu  erhalten  ffir  die 
ünterthanen  und  letztere  fOr  jenen,  führt  er  die  Ständeversamn- 
lungen  an:  unter  Voraussetzung  der  geforderten  Wechselwirbng 
fügt  er  indessen  bei,  dass  eine  Regierung  auch  in  hohem  Grade 
konstitutionell  sein  könne  ohne  Ständeversammlung ,  wenn  sie 
den  Deliberativstellen  möglichste  Unabhängigkeit  und  den  Deii- 
berationen  möglichste  Publicität  gebe.  Was  letzteres  anlangt,  w 
müssen  wir  unsrerseits,  mit  B.  das  sogen,  palamentarische  Frineip 
allerdings  verwerflich  findend,  behaupten,  dass  der  moderne  Coltn^ 
Staat  ohne  repräsentative  Körperschaft  unvollkommen  sei  und  dieM 
in  gewisser  Beziehung  ebenso  nöthig  habe  wie  die  Lehr-  und  Bil- 
dungsanstalten und  wie  die  Presse. 

Es  ist,  kurz  bezeichnet,  der  entgöttlichte ,  desorganisirende 
Geist  des  Materialismus,  welchen  B.  wie  anderwärts  so  aock 
auf  dem  gesammten  ethischen  Gebiete  bis  hinab  in  den  Kreis  der 
Privatökonomie  aufspürt,  verfolgt,  bekämpft  und  widerlegt.  Uebe^ 
wunden  wird  derselbe  vom  Geiste  des  Christenthums.  Wobl 
waren,  lehrt  B.,  die  primitiven  Wahrheiten,  an  denen  die  Societtt 
im  Laufe  der  Geschichte  ihr  inneres  Leben  hätte  haben  soUes. 
dem  ersten  Menschen  mitgetheilt;  aber  solches  Gemeingut  ward 
vielfach  verdunkelt  und  verunstaltet,  bis  rettend  das  Christenthmn 
auftrat,  alle  Menschen  mit  einander  und  mit  Gott  vereinend,  der 
Autorität,  dem  Recht  und  der  Pflicht,  dem  gesammten  ethisch« 
Gebiete  religiösen  Sinn  und  neue  Kraft  verleihend.  Die  Kirdtf. 
früher  den  Staat  in  sich  tragend,  darnach  in  der  Form  des  Prote- 
stantismus vom  Staate  umfangen ,  muss  in  freier  Ehe  stehen  mit 
diesem  und  allem  was  in  dessen  Sphäre  gemäss  der  Menschenbe 
Stimmung  emporblüht  und  dieser  hinwieder  mit  der  Kirche.  Dew 
was  die  Kirche  promulgirt,  ist  dem  Menschen  gegeben  immer  «wtf 
zunächst  auf  Treu  und  Glauben;  aber  erstarkt  in  solcher  Hingab« 
findet  er  suchend  in  sich  selbst  den  Beweis  der  Wahrheit,  welob« 
so  auf  zweier  Zeugen  Mund  beruhend  das  irdische  Leben  freadig 
seinem  hohen  Ziele  zuzuführen  vermag.  So  erscheint  uns  denn  ^is 
die  allerdings  unerschütterliche,  von  der  Ueberschrift  des  ersten 
Abschnitts  sog.  »intellectuelle  Grundlage«  das  Reich  Gottes,  ^^ 
ches  dem  Menschen  offenbart  ist,  in  dessen  eigenem  gottesbildlicbea 


Bftftder:  Sodetiltsphllosopliie.  MS 

Wesen  Zengniss  gewinnt  und  in  den  einzelnen  ethischen  Sphären^ 
sie  durchdringend,  sich  aotualisirt. 

&.     Schärfer  noch  und  mit  einer  wundervoll  durchleuchteten 
Tiefe,  die  Alles  übertriffb,  was  die  neueren  Denker  in  dieser  Rich- 
tung gesprochen,  tritt  im  2.  Abschnitt  hervor  die  Gemeinschaft  der 
menschlichen  Societät  mit  dem  göttlichen  Leben,  von  welchem  die- 
selbe urstSndet  und   von  welchem   sie   nicht   lassen   kann,   es  sei 
denn,  dass  sie  sich  mit  sich  selbst  entzweien  wolle.  Es  trägt  die- 
ser Abschnitt  den  Tittel  »Evolutionismus  und  Bevolutio- 
nismus  des  gesellschaftlichen   Lebens.«     Eine  revolutio- 
näre Bewegung,  so  wird  uns  gesagt,  dürfe  nicht  allein  von   ihrer 
negativen  Seite  gefasst  werden,  sondern  sei  auch  nach  ihrem  posi- 
tiven Streben  in  Betracht  zu  ziehen  als  eine,  wenn  schon  abnorme 
Lebensgeburt  in  Folge  vorangegangenen  Stillstandes  oder  vorange- 
gangener Hemmung:  darum  sei  es  ein  verkehrter  Versuch,  sie  nur 
zurückdrängen  zu  wollen :  vielmehr  müsse  man  zugleich  die  zurück- 
gehaltene Evolution  wieder  frei   machen.     Ebensowenig  dürfe  von 
dem  andern  Standpunkt  her  die  Revolution  angesehen  werden  als 
ein  Mittel  zur  Beförderung  der  Evolution,  da  sie,  durch  Hemmung 
der  Evolution  entstanden,  kraffc  dieser  ihrer  Abkunft  und  Unnatur 
gerade  der  Evolution  widerstreite.     Wo  immer  ein  Höheres  gegen 
sein  Niederes,  das  Niedere  gegen  sein  Höheres,  ein  Gleiches  gegen 
sein  ihm  Goordinirtes  sich  lossage  aus  der  gemeinsamen  organischen 
Verbindung,  da  trete  die  revolutionäre  Manifestation  ein ;  die  Evo- 
lution dagegen,  identisch  mit  dem  Leben  selbst,  befasse  in  einem 
und  demselben  Lebendigen   dessen  unterschiedene   Momente,    Mo- 
mente, die  im  Absoluten  in   einander  stehen,   im   Zeitlichen   aber 
nach  einander  auftretend  sich  zu  verdrängen  scheinen:    kein  Aus- 
und  Aufgehen  ohne   ein   Ein-   und   Niedergehen.     So   spreche  mit 
Recht  die  Religionslebre  in  Bezug  auf  Gott  von   Genitor  und  Ge- 
nitus,  da  ja  ausserdem  Gott  kein  lebendiger  Gott  wäre;  die  näm- 
liche Religionslehre  aber  handle   auch  von   der   Erschaffung  freier 
Wesen  durch  den  Sohn  und  für  und  in  ihm,  welche,  ihren  eigenen 
Willen  wieder  eingebend   in   den   ewigen   Vaterwilleu,   mit  ihrem 
Leben  das  göttliche  Leben  nachbilden  (mit  andern  Worten  dürfen 
wir  wohl,  ohne  B.'s  Anschauung  zu  alteriren,  so  sagen:  die  Crea- 
turen  finden  ihr  seliges  Leben  darin,  dass   sie  mit  Allem   was  sie 
sind  Gott  den  Sohn,  der  ihnen  sich  opfert,  bezeugen).     Gehe  nun 
die   Creatur   einen   der   göttlichen   Lebensgeburt    nicht   conformen 
Lebensgeburtsprocess   ein,   sich   entziehend   dem   seinen   Sohn  ge- 
bttrenden  Vaterwillen  und  sich  sogar  widersetzend  ohne  doch  wirk- 
lich sich  losringen  zu  können,  so  müsse   eine   solche   die  Zweiheit 
ihrer  Lebensmomente  inne  werden  als  gewaltsame  Entzweiung  und 
aus  der  innem  Freiheit  in  die  Unfreiheit  fallen,   aus   der   Freude 
in  die  Angst,  aus  Liebe  und  Sanffcmuth  in  Hass  und  Zorn,  ja  in 
eine  Wuth,  welche  recht  eigentlich  Gottessohnsscheue   sei  und  das 
fliehe,  dessen  die  Creatur  zur  Löschung  ihres  ausgekommenen  Lebens- 


9H  BftAder:  Boel0l&l9UlMbpU& 

fmers  am  Meisten  bedOrfe.  Angewendet  anf  die  BocietSt  ergebt 
sich,  dass  deren  abnorme  Evolution  ihren  tiefsten  Gnmd  habe  ii 
der  Relationsweise  zur  gOttliehen  Lebensgebart;  wie  der  Mensch 
zu  Gk>tt  stehe,  so  stehe  er  su  den  andern  Menschen  nnd  zar  Nator; 
aich  vermöge  man  nnn  zu  erkennen,  warum  jeder  AbsolutisiDiu, 
komme  er  von  Oben  oder  Unten,  irreligiös  sei.  Das  sind  die  weit- 
tragenden Gedanken  B.*8 ;  mannigfache  Folgerangen  für  die  poü* 
tische  Praxis  sind  darein  verwebt  und  reiche  Belege  ans  dfin 
Ezempelbuch  der  Oeschichte. 

III.  Ist  im  2.  Abschnitt  der  Revolutionismus  in  seiner  Wor- 
xol  erfasst,  so  wendet  sich  der  3.  Abschnitt  »Das  Bevolutio- 
niren  des  positiven  Bechtsbestandes«  einer  bestimmi« 
historischen  Erscheinung  des  revolutionären  Geistes  zu,  deren Abs- 
gangspnnkt  und  Ziel  als  Entgründungsversuch  des  positiven  Bechts- 
bjstandes  zum  Behufs  der  Entgründung  der  gesammten  Societit 
und  damit  auch  des  Staates  sich  kennzeichnet.  Durch  solches 
Btreben  werde  für  die  Politik  die  Nothwendigkeit  sowohl  als  aodi 
die  Noth  des  Begierens  gesteigert.  Nan  könne  zwar  natflrlich 
nicht  die  Bede  sein  von  einer  absoluten  Unverftnderlichkeit  des 
Hechts:  Bechtsbestand  bedinge  Bechtsfortgang  und  dieser  jenen 
Aber  die  Begierung  des  Staates  habe  vor  Allem  auf  Seite  öer 
Begierten  die  üeberzengung  herzustellen  und  zu  stärken ,  dass  w 
selbst  rechtlich  bestehe  und  auch  das  Becht  handhabe  gegen  Jeden; 
biedurch  werde  sie  das  Vertrauen  sich  erwerben,  dessen  sie  sis 
ihres  geistigen  Faktors  schlechterdings  bedürfe,  und  die  fliessen^ 
Quelle  verstopfen  dem  Bevolutionismus ,  der  dem  Volke  den  Uo- 
glauben  an  die  rechtliche  Existenz  der  Begierung  sowie  an  ^ 
Handhabung  desBechts  beizubringen  sich  befleisse,  andrerseits  der 
Begierung  anrathe,  das  Begieren  dadurch  sich  bequem  und  des 
Volke  gefällig  zu  machen ,  dass  sie  sich  des  strengen  Haltens  i^ 
das  positive  Becht  begebe.  So  Baader.  Er  hat  hiemit,  zugleich 
das  wirksame  Geschoss  darbietend,  die  Achillesferse  des  Ber^- 
lutionismus  ausfindig  gemacht:  denn  der  letztere,  merkend,  ^ 
das  Becht  das  specifische  Organon  ist  für  Entwicklung  und  Be- 
stand der  Societät,  richtet  dahin  seinen  Angriff,  das  historisckt 
Becht  missachtend  und  misshandelnd  und  dafür  ein  leeres  NatB^ 
oder  Vernunftrecht  ersinnend  für  den  Egoismus  der  Partei  undd« 
ludividuums. 

IV.  Im  4.  Abschnitt  finden  wir  die  Gedanken  B.'s  bescW 
tigt  mit  der  Basis  des  staatlichen  Lebens,  mit  der  Gesellschtfti 
nnd  zwar  speciell  mit  dem  >  Dermaligen  Verhältniss  der 
Vermögenslosen  zu  den  Vermögen  besitzenden  CU«" 
sen.«  Auch  hier  gilt  es  ihm,  eine  Evolution  zu  fördern  und  des 
alten  und  doch  immer  neuen  Feinde  zu  begegnen,  der  des  Prol^ 
tariats  als  gleichsam  seiner  stehenden  Armee  sich  bedient  siub 
gelegentlichen  Anlauf.  Ein  Doppeltes  nimmt  er  für  das  Proletaiii^ 
in  Anspruch:  einmal  Bestitution  in  den Arbcitsorganismns  derOe- 


Ba«d«rt  SooietftUphflosopUe.  827 

sellBehaft  und  zweitens  eine  gewisse  politische  Berecbtigong«  In 
BeKag  hierauf  hofft  er  erstens  Hülfe,  wenn  es  den  Begierongen  ge- 
länge, theils  den  relativ  zu  tief  herabgedrückten  Werth  uud  Preis 
des  Naturais  und  der  Arbeit,  mit  gesteigerter  Nachfrage  nach 
ihnen,  zu  erhöhen  theils  den  Werth  und  Preis  des  Geldes,  mit  ge- 
mindertem Bedarf  desselben,  von  der  erkünstelten  Höhe  herabzu« 
bringen,  insbesondere  dem  Creditwesen  eine  nicht  blos  individuelle, 
sondern  corporative  Basis  wieder  zu  verschaffen.  Zweitens  fordert 
er,  dass  des  Proletariers  Stimme  auch  gehört  werde  in  der  Kammer 
der  Abgeordneten,  in  den  Landrathssitzungen ,  in  Kreisversamm- 
lungen; können  die  Vermögenslosen  schon  nicht  das  gleiche  Beprä- 
sentationsrecht  (votum?)  geniessen  wie  die  Vermögenden,  so  sollen 
sie  doch  ihre  selbstgewählten  Spruchmänner  haben :  hiebei  aber  er- 
öffne sich  dem  Geistlichen  als  Anwalt  der  ünberathenen  ein  segens- 
reicher Wirkungskreis.  —  Selbstverständlich  will  B.  anduroh  die 
Lösung  des  beregten  Missverhältnisses  nicht  erschöpft  haben ;  denn 
da  die  Proletarier  weniger  die  Vermögenslosen  als  vielmehr  die 
Standlosen  sind,  so  hängt  die  Beantwortung  der  Frage,  wie  dem 
Proletoriat  auf-  und  abzuhelfen,  zunächst  ab  von  Beantwortung  der 
andern  Frage,  welcherlei  Stände  oder,  sofern  die  Pflicht  des  Arbei- 
tens  an  Jeden  herantritt,  welcherlei  Arbeitsclassen  auf  dem  Boden 
der  modernen  Gesellschaft  sich  herauszubilder  und  zu  bestehen  ver- 
mögen, ein  Problem,  dessen  gründliche  Lösung  gar  nicht  vor  sich 
gehen  kann,  ohne  dass  mit  Anknüpfung  an  das  Historische  das 
ganze  Gebiet  der  Gesellschaft  durchmessen  und  hier  namentlich  die 
Familie  in  Betracht  gezogen,  aber  zur  Gesellschaft  auch  die  andern 
ethischen  Lebenssphären  herzugenommen  und  alle  in  ihrer  Wechsel- 
wirkung erfasst  würden. 

V.  Der  5.  Abschnitt  handelt  von  »Einem  Gebrechen  der 
neuen  Constitutionen«,  welches  B.  darin  findet,  dass,  falls 
die  Verfassung  von  Seite  der  Kammer  oder  von  Seite  der  Regie- 
rung verletzt  würde,  die  Entscheidung  hierüber  nur  von  einer  der 
zwei  Parteien  selbst  beansprucht  werde.  Für  den  Eintritt  solcher 
Conflicte  schlägt  er  vor  ein  nach  dem  Princip  des  Geschworenen- 
gerichts nur  momentan  entstehendes  und  bestehendes  Schiedsge- 
richt. Der  Herr  Herausgeber  fügt  in  einer  Anmerkung  bei,  dass 
die  Vergleichung  der  bundesrechtlichen  Bestimmungen  über  das 
deutsche  Bundesschiedsgericht  von  1884  mit  den  Vorschlägen  B/s, 
die  von  1831  datiren,  die  Vermuthung  nahe  lege,  es  sei  die  be- 
treffende Schrift  B/s  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Errichtung  jenes 
Bundesschiedsgerichts  gewesen.  Jedenfalls  ist  ersichtlich,  dass  B., 
indem  er  das  Schiedsgericht  fordert,  von  der  Politik  aus  an  das 
Äecht  appellirt  wissen  will,  dieses  hiemit  als  nächstes  Kriterium 
der  Politik  anerkennend  und  den  nach  unserer  Ansicht  —  jedoch 
^ter  der  Voraussetzung  der  Föderation  mehrerer  Staaten  —  ein- 
zig entsprechenden  Ausweg  bei  dubiösen  Oonflioten  zunächst  über 
das  innere  Staatsrecht  zeigend. 


S)8  Baader:  Bodetfttspliflosoplile, 

VI.  Im  6.  Abschnitt  sehen  wir  B.  von  der  Schrift  des  A.\M 
F.  de  Lamennais :  Paroles  d*un  Croyant  Anlass  nehmen,  darin  ent- 
haltene »Theologisch-politische  Irrthümerc  zn  veniiclh 
tcn.  Der  eine  Hauptirrthum  besteht  in  Vermengnng  der  wahren, 
ans  dem  Christenthum  gezengten  Freiheit  mit  der  Selbstsucht  des 
Menschen.  Eine  andere  falsche  Behauptung,  die  ihre  Widerlegnng 
findet,  beruht  auf  Yermengung  der  Autorität  und  des  ihr  gebüh- 
renden Gehorsams  mit  dem  Despotismus  nnd  der  Enechtschaü  Ein 
anderer  Wahn  des  Abb6  geht  darauf  hinaus,  dass  er  die  Worte 
der  Schrift  »alle  Obrigkeit  ist  von  Gott«  so  anl^sst  als  ob  die- 
selben nnr  von  jener  Obrigkeit  gälten,  welche  Gott  selbst  ebge 
setzt,  im  neuen  Bunde  aber  Gott  sich  hiezn  den  Yolkswillen  re9e^ 
viii  habe.  Alle  diese  Zumuthungen  weist  B.  'znrück  vom  Stand- 
punkt der  ihres  Grundes,  Mittels  nnd  Zwecks  wohlbewussten  Frei- 
hiit  des  Christen. 

VII.  Es  ist  eines  der  grossen  Verdienste  B.'s,  den  lebendiges 
Oonnex  von  göttlichem  Wunder  nnd  menschlicher  Freiheit,  tot 
Historischem  nnd  Specnlativem,  von  Glauben  und  Wissen  in  hdl« 
Licht  gesetzt  zn  haben.  Auf  letzterem  Gebiet  auch  bewegen  siel 
dio  Untersuchnngen  des  7.  in  der  vorliegenden  Ansgabe  nen  hin- 
zugekommenen Abschnitts  ȟeber  die  Verfassung  der  christ- 
lichen Kirche  und  den  Geist  des  Ohristenthnms«.  BSr 
hat  vor  Allem  eine  Religionswissenschaft  im  Ange,  welche,  frei  toi 
den  Fehlem  der  blos  antoritätsglftubigen ,  sowie  der  blos  gefthb- 
glftubigen  (pietistischen)  nnd  der  nngläubigen  (rationalistisch«!) 
Untheologie,  die  Erforschung  der  natürlichen  und  göttlichen  Ding« 
für  untrennbar  erklärend,  bei  freiem  Vernunft-  nnd  Sohriftgebrandi 
in  die  Mysterien  derselben  wirklich  eingeht;  diese  acht  deutsche 
Theologie  gilt  ihm  zugleich  für  föhig,  den  Streit  der  christlichei 
Confessionen  gründlich  beizulegen.  Für  das  eflTektive  Hemmnis 
solcher  Entwicklung  aber  hält  er  nun  anf  Seite  der  katholisches 
Kirche  das,  was  er,  unterscheidend  von  Katholicismus ,  Papissns 
heisst  und  als  eine  dem  Geist  des  Ohristenthums  widerstreitende 
hierarchische  Dictatur  sich  denkt.  Das  Christenthnm  selbst  be- 
greift er  als  eine  Corporation,  die  als  solche  den  Primat  an*- 
schliesse.  So  riclitet  er  denn  gegen  letzteren  seinen  Angriff,  ^^ 
sucht  aus  der  Schrift  den  Beweis  gegen  den  Primat  zu  führen  rai 
durch  Aussagen  älterer  Kirchenlehrer  und  findet  die  Behanptongei 
Späterer  nnd  neuerer  Theologen,  die  den  Primat  vertheidigen,  üb- 
genügend  und  unhaltbar.  Dafür  dünkt  ihm  die  SynodalverfiwsuDg 
der  morgenländischen  Kirche  im  Wesentlichen  die  rechte  zu  sei»- 
Dem  allen  zu  Folge  lehrt  er,  dass  die  eigentliche  Reformation  der 
christlichen  Kirchen  im  Abendland  nicht  zu  Stand  und  Bestand 
kommen  könne  ohne  eine  durch  die  permanente  Synode  in  jedem 
Lande  geübte  Kirchenverwaltung  und  ohne  die  Besoldung  des  Cleras 
aus  dem  Kirchenfonds  desselben  Landes.  So  Baader.  In  seinem 
Vorwort  zum  14.  Band  der  Gesammtausgabe  von  B.'s  Werken  be- 


Baader:  ^ociet&tspliilosophie.  A20 

merkt  Herr  Professor  Schlüter,  er  müsse  die  späteren  Aeussemn- 
gen  B/s  bezüglich  der  Kirche  als  die  Wirkung  einer  in  ihm  er- 
regten Animosität  und  als  seinem  System  und  seiner  innersten 
Denkart  fremd  und  als  keineswegs  einen  Bruch  mit  seiner  Kirche 
beabsichtigend  betrachten.  Wir  unsrerseits  führen  theoretisch  den 
Irrthum  B/s  darauf  zurück,  dass  er  die  Kirche,  entgegen  ihrer 
wahren  Bedeutung,  als  dem  Gebiet  der  Societät  d.  i.  des  Ethos 
einverleibt  denkt  und  in  Folge  davon  als  eine  Corporation  zu  be- 
greifen nicht  mehr  umhin  kann.  Hiemit  befindet  er  sich  entschie- 
den auf  einem  Boden,  wo  der  Platz  der  ächten  Kirche  nicht  ist. 
Dieser  Schritt  B.'s  aber  setzt  voraus  oder  ist  umgekehrt  die  Ur- 
sache davon,  dass  er  die  Kirche  aus  ihrer  specifischen  Sphäre, 
nämlich  dem  OfTenbarungswunder,  entrückte  und  nicht  zwar  etwa 
in  den  Staat  aber  doch  einseitig  in  das  subjektive  Beich  der  mensch- 
lischen  Freiheit  überhaupt  hineinversetzte,  während  einerseits  das 
Offenbarungs wunder  und  damit  auch  die  Kirche  und  andererseits 
die  menschliche  t^reiheit  mit  ihren  Gebilden,  so  sehr  diese  letztere 
auf  die  erstere  angewiesen  ist  und  an  ihr  sich  sättigen  muss  zum 
Behuf  eigener  Entfaltung,  besondere  Sphären  im  Zeitleben  sind  und 
wie  Mutter  und  Kind  sich  zu  einander  verhalten.  Seine  Polemik 
leidet  ferner  nicht  nur  dadurch,  dass  er  die  mit  der  Fülle  der 
menschlischen  Freiheit  noch  schwanger  gehende  katholische  Kirche 
des  Mittelalters  und  die  von  der  menschlichen  Freiheit  als  von 
ihrer  Geburt  entbundene  und  so  in  eine  neue  historische  Funktion 
eintretende  katholische  Kirche  des  neuen  Zeitalters  nicht  unter- 
scheidet, sondern  auch  um  der  Ausartungen  und  Missbräuche  willen 
das  Wesen  selbst  und  den  normalen  Zustand  mit  seinem  Tadel 
trifft.  All  das,  so  scheint  uns,  hat  mitgewirkt,  um  jene  Aeusse- 
rungen  bezüglich  der  Hierarchie  und  insbesondere  des  Primats  her« 
vorzubringen. 

Der  8.  Abschnitt  enthält  die  belehrenden  Erläuterungen  des 
Herrn  Herausgebers,  welche  die  societätsphilosophischen  Gedanken 
B.'s  theils  in  ihrem  Einklänge  sowohl  mit  dem  besten,  was  die 
einschlägige  Literatur  aufzuweisen  hat,  als  auch  mit  den  Bedürf- 
nissen des-  praktischen  Lebens,  theils  in  ihrer  üeberlegenheit  zeigen» 
Und  in  der  That,  obschon  vorliegendes  Buch  lange  nicht  Alles 
enthält  und  enthalten  will  was  B.  in  Bezug  auf  das  Ethos  Grosses 
gedacht  und  hinterlassen  hat,  sondern  nur  die  »Grundzüge«  bietet, 
so  ist  es  doch  völlig  dazu  angethan,  innige  Hingabe  an  den  Mei- 
ster zu  erwecken,  der,  vermöge  seiner  umfasssenden  und  tiefen 
Blicke  ein  König  im  Beiche  des  Geistes  überhaupt,  auch  dem 
menschlichen  Vereinleben  wie  Keiner  in  das  Herz  schaut  und  ihm 
zu  Herzen  redet.  In  letzterem  Betracht  wird  es  daher  nicht  ge- 
nügen, in  einer  Darstellung  der  Geschichte  der  ethischen  Wissen- 
schaften ihn  gegenüberzustellen  den  Lehrern  des  abstracteu  Natur- 
rechts und  ihn  beizuordnen  den  Vertretern  der  theologischen  Rich- 
tung, die  neben  der  historischen  Schule  ergänzend  einhergeht.  Das 


SM  Lltctaturtwrlehte  «us  ttafien. 

Zukünftige  im  Vergangenen  erschauend,  das  Historische  mit  dem 
Speculatiren  durchdringend,  die  Einseitigkeiten  von  ihrem  üeW 
gewicht  auf  ihr  Maass  zurückführend  wurzelt  seine  Lehre  in  einer 
so  erhabenen  Erkenntniss  gerade  des  göttlichen  persönlichen  Lebens 
nnd  seiner  Beziehung  zum  creatürlichen  Leben,  dass  er  kraft  boI- 
eher  Onosis  den  berühmtesten  Philosophen  überhaupt  yoraosio- 
schreiten  yermochte  und  mittelbar  hiedurch  auch  auf  dem  Gebiet 
der  Societätsphilosophie  oben  an  steht.  Rabm. 


Literaturbericlite  aus  Italien. 


Arehivio  JicUktno  per  le  malaUie  nervöse  e  aliena»umi  meniaU,  4d 
doüori  Verga,  Caeliglioni  e  Biffu  MUom  1864.  Preaao  Chmgi 
gr.  B. 

Von  dieser  Zeitschrift  über  Nerven-  und  Geisteakrankheitea 
ist  bereits  das  6.  Hefb  erschienen.  Der  Hauptbei^rderer  derselben 
ist  der  berühmte  Di rector  des  grossen  Hospitals  zu  Mailand,  Bitter 
Verga,  welcher  auch  Präsident  des  Instituts  der  Wissenschaften  in 
Mailand  ist,  die  in  grosser  Achtung  steht. 

Oiornale  ddV  Ingegniere-Architäto,  ed  Agronomo.  Milano  1864,  & 
Mit  Kupfertafelru 

Von  dieser  Zeitschrift  für  Baukunst  und  Landwirthschaft,  die 
schon  12  Jahre  besteht,  ist  bereits  das  NoYomberhefb  aasgegabei, 
welches  ausser  mehreren  Original- Aufsätzen ,.  z»  B.  Über  den  M 
von  Lombardini  (welcher  über  diesen  Fluss  bereits  eine  besonden 
Hjdrographie  herausgegeben  hat),  über  die  Eisenbahn  von  Hon« 
nach  Lecco,  auch  Nachrichten  aus  fremden  Werken  mittfaeüt.  AiA 
Neapel  bleibt  nicht  zurück,  wie  folgende  Zeitschrift  zeigt: 

Qiornah  äi  matemaiica  dei  professori  Baüaglinij  Joani  t  Trui^ 
NapolL  Preseo  P.  Aeratio.   8»    1864, 

Diese  der  Mathematik  gewidmete  Zeitschrift  besteht  benäs 
2  Jahre. 

Bulleiino  delle  sciense  mediche,  diritto  dal  Dotlore  Verardini,,  B(r 
logna  1864.  8. 

Von  dem  35.  Jahrgange  dieser  Zeitschrift  liegt  bereits  das 
Kovemberheft  vor.. 

Aiti  dd  aienta  Venete.    Ventzio  1864.    Tip,  del  cö 

Die  Verhaitdlangen  des  Venetianisehen  geiefartCn-  AtheneiUBi 
haben  ebenfalls  ihren  erspriesslichen  Fortgangs  wie f  die  hier  lot- 


Llteratcrbericlite  «ns  Italien.  ISl 

liegenden  Sitzungsberichte  darthnn,  von  denen  wir  nur,  YorscblSge 
über  Volksbank- An  stalten,  über  die  Trichinen,  ttber  die  Mosaiken 
in  der  St.  Marcuskircbe  zn  Venedig  erwähnen,  besonders  auch  über 
die  Verhältnisse  der  Vene tiani  sehen  Lagunen  zu  der  bevorstehen- 
den Eröffnung  des  Kanals  yon  Suez  yon  de  Orandis. 

Afinuatio  siaiistico  del  regno  di  Italia,  particolarmente  della  Lomr^ 
bardia,  dall  A.  dtlC  Aqua.  Anno  V.  Müano  1864.  gr,  S, 
pag.  760. 

Dies  statistische  Jahrbuch  umfasst  zwar  im  Allgemeinen  das 
jetzige  Königreich  Italien ;  allein  es  beschäftigt  sich  besonders  mit 
den  lombardischen  Provinzen,  und  enthält  ausser  den  Namen  der 
sämnktlichen  Gemeinden  Italiens  und  den  Namen  der  in  diesen  lom- 
bardischen Provinzen  angestellten  Beamten  viele  geschichtliche 
schätzbare  Mittheilungen.  Die  Einwohner-Zahl  Italiens  ist  auf 
21,894,000  Seelen  angegeben,  auf  einem  Flächen -Inhalte  von 
257,376  Q.-M.  Kilometer,  deren  8  auf  eine  deutsche  Meil«  gehen. 
Die  Staats  Einnahme  im  Jahr  1863  weist  614,000,000  Fr.  nach, 
die  Ausgabe  935,000,000  Fr.,  mithin  ein  Minus  von  320  Millionen. 
Die  Civil-Liste  des  Hofes  betragt  10,500,000  Fr.  und  die  Staats- 
schulden 3,017,000,000  Fr.  Auf  das  stehende  Heer  werden  nur 
197,000,000  Fr.  verwendet,  dagegen  auf  den  öffentlichen  Unter- 
richt 14,000,000  Fr.,  wobei  alier  der  Unterricht  unentgeltlich  er- 
theilt  wird«  Das  Heer  besteht  aus  241,900  Mann,  auf  dem  Kriegs- 
fuss  aber  aus  416,000  Mann,  indem  die  Mannschaft  stets  beurlaubt 
wird,  sobald  sie  ausgebildet  ist.  Benutzt  wurden  am  1.  Januar 
1863  bereits  2,252  Kilometer  Eisenbahn  und  zwar  meist  von  Privat- 
Gesellschaften,  so  dass  nur  676  von  dem  Staate  verwaltet  wur- 
den ;  allein  es  sind  schon  viele  andere  in  Arbeit,  dass  bald  Italien 
von  6626  Kilometer  Eisenbahnen  durchschnitten  sein  wird.  Von 
Telegraphen  sind  über  11,000  Kilometer  im  Gebrauche.  Der  unter- 
irdische Beichthum  Italiens  besteht  hauptsächlich  in  Schwefel,  von 
dem  an  30,000,000  gewonnen  wird;  aus  dem  hiesigen  Eisenerz, 
von  welchem  22,000  Tonnen  ausgeführt  werden,  werden  noch  im 
Lande  25,000  Tonnen  Eisen  gewonnen.  Die  Töpferarbeiten,  welche 
80,000  Menschen  beschäftigen,  bringen  an  50,000,000  Franken« 
Aus  dem  Thierreiche  liefern  3,500,000  Stück  Bindvieh  monatlich 
über  7000  das  Fleisch  zur  Nahrung,  wozu  auch  über  3,000,000 
Schweine  gehalten  werden.  Die  Schaafe,  welche  in  Deutschland 
meist  der  Wolle  wegen  gehalten  werden,  wie  in  England  wegen 
des  Fleisches,  werden  in  Italien  hauptsächlich  der  Milch  wegen  zum 
Käse  gehalten.  Das  meiste  Geld  aber  bringt  die  Seide  mit  gegen 
300,000,000  Franken.  Italien  ist  daher  so  reich,  dass  es  seine 
Schulden  bezahlen  kann,  wofür  es  zur  Einheit,  zur  fünften  Gross- 
inacht  und  dabei  zur  constitutionellen  Freiheit  gelangt  ist.  In 
Ansehung  des  öffentlichen  Unterrichts  ist  der  Unterschied  der  ein- 
zelnen Provinzen  sehr  bedeutend;  die  alten  Provinzen  haben  bei 


882  LiteMtnrbericliie  «ms  IttUeti. 

4,060,000  Einwohner  2,100  Knaben-  und  1,500  Mädchen-ScliTileD, 
die  Lombardei  etwas  weniger,  Parma,  Modena  und  die  Bomagoa 
bei  2,000,000  Seelen  245  Knaben-  und  190  MädchenscholeD,  Tos- 
oana  bei  1,800,000  Seelen  250  Knaben-  nnd  230  Mädchenschulen 
In  den  Marken  und  ümbrien  bei  1,300,000  Seelen  411  Knaben- 
nnd  225  Mädchenschalen.  Im  Neapolitanischen  sind  bei  7,000,000 
Seelen  nur  1755  Knaben-  und  835  Mädchenschulen.  In  Siciiien 
sogar  bei  2,200,000  Seelen  nur  268  Knaben-  und  66  Mädcheo- 
schulen;  hier  kommt  auf  500  Schulpflichtige  ein  Kind,  in  dem 
Tormaligen  Kirchenstaate  1  auf  82,  und  in  Ober-Italien  1  aof  18. 
Es  ist  aber  auch  erstaunlich,  wie  jetzt  der  Eifer,  etwas  zu  lenea 
sichtbar  wird;  in  Bologna  allein  wurden  27  Abendschulen  tob 
Erwachsenen  besucht. 

Societa  di  aeclinasione  e  di  Agrieoüura  in  Sicilia,     Palermo  18^ 
Tip.  Lorsnaider. 

Dies  ist  der  Bericht,  welchen  die  Ackerbaugesellschaft  ftr 
Siciiien  über  die  im  März  d.  J.  in  Palermo  abgehaltene  Ausstel- 
lung Yon  Blumengewächsen  erstattet  hat. 

ÄtH  dtUa  aeademia  d^  finocratiei  di  Siena.  II  Vol.  Siena  1861 

Die  Verhandlungen  der  Akademie  zu  Siena  beginnen  mit  die- 
sem Hefte  eine  neue  Serie  und  enthält  dasselbe  die  Abhandlungen 
der  physikalischen  Abtheilung,  welche  mit  4  Steindrucktafeln  aus- 
gestattet sind.  Präsident  dieser  Akademie  ist  der  Senator  des 
Reiches,  Graf  Borghesi,  der  beide  Stellen  nicht  seinem  Namen, 
sondern  seinem  Wissen  verdankt.  Vorstand  der  physischen  Klasse 
ist  der  Professor  Paccianti,  und  der  moralischen  Wissenschaftet 
der  Ritter  Polidori,  und  Schatzmeister  Pieri-Peggi,  Markgraf  tos 
Balloti-NerU. 

La   diffusnont    del   credito   e  le   banche  popolari^  per   L,  Lus%äii 
relasione  del  F,  Dinü     Pesaro  1864,  Tip.  JSobili. 

Dies  ist  auch  einer  der  vielfachen  Vorschläge  dem  5ffentlicb«i 
Credit  durch  Banken  aufzuhelfen,  da  das  Hypothekenwesen  mangel- 
haft ist,  das  sich  allein  auf  das  römische  Recht  gründet. 

Neigebaar. 


Ir.  63.  HEtDELB£ReER  1865. 

JAHBBÜCHBR  DER  LITERATUR. 

YerMltniss  der  StrafanMage  und  der  dyiUdage. 

TrmU  thiwrique  et  pratique  dea  quesHons  pr^udicieUes  en  matUre 
repressive  seien  le  droit  franQaüy  priced^  d^un  exposi  dan» 
la  mime  forme  de  VacHon  publique  ei  de  VaeUcn  cioiie^  eon- 
8ider€es  separSment  et  dans  leurs  rapports  mutuels  par  J.  B. 
Hoffmann,  Proeureur  du  Roi  ä  Malines.  Paris  ehe»  Durand, 
in  Vol  1865. 

Die  Verhältnisse  der  aus  der  nfimlichen  straibaren  Handlung 
entstehenden  Ciyilklage  und  der  auf  Strafverfolgung  gerichteten 
Anklage  sind  häufig  sehr  yerwickelt,  und  in  ihrer  richtigen  Be- 
handlung schwierig.  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  Auffassung  die- 
ses Verhältnisses,  sowohl  in  den  Gesetzgebungen,  als  in  der  Bechts- 
übung  eine  sehr  verschiedene  ist,  und  vielfach  von  der  Art  der 
geltenden  Gerichtsverfassung  abhängt,  wie  sich  dies  klar  aus  der 
Vergleichung  römischer  Geseizesstellen  (Zachariä,  Handbuch  des 
deutschen  Strafprozesses.  H.  Bd.  S.  92)  ergibt,  wenn  man  damit 
die  Ansichten  der  Juristen  des  Mittelalters  vergleicht  (Flank, 
Mehrheit  der  Bechtsstreitigkeiten  im  Prozessrecht  S.  255  u.  517), 
wo  sich  ergibt,  dass  die  damals  aufgestellten  Ansichten  aus 
den  eigenthümlichen  Jurisdiktionsverhältnissen,  insbesondere  der 
damaligen  Bichtung  sich  erklären,  nach  welcher  der  Inhaber  jeder 
Gerichtsbarkeit  eifersüchtig  daran  festhielt,  dass  ihm  keine  zu 
seiner  jurisdictio  gehörige  Sache  entzogen  wurde.  Der  leitende  Grund- 
satz war  in  der  Bechtsübung  der  der  ünabhängkeit  der  Orimi- 
nal-  und  Civilsache  von  einander.  Das  Verhältniss  beider  wird 
Torzüglich  in  zwei  Hauptrichtungen  bedeutend;  1)  bei  der  Frage: 
in  wie  ferne  ein  im  Civilprozesse  ergangenes  rechtskräftiges  Urtheil 
auch  auf  die  damit  zusammenhängende  Strafsache  wirkt  und  um« 
gekehrt  ob  das  rechtskräftig  im  Strafprozesse  ergangene  Urtheil 
auf  den  damit  zusammenhängenden  Civilprozess  rechtlichen  Einfluss 
hat;  ^)  in  wie  ferne  da,  wo  im  Strafverfahren  eine  prfijudicielle 
Einrede  erhoben  wird  wegen  eines  Bechtsverhältnisses ,  das  civil- 
rechtlich  vorerst  entschieden  sein  muss,  wenn  die  Anklage  gegrün- 
det sein  soll,  die  Verhandlung  der  Einrede  von  dem  Stra&ichter 
entschieden  oder  vorerst  an  das  Civilgericht  gewiesen  werden  muss. 
In  den  früheren  deutschen  wissenschaftlichen  Arbeiten  war  für  die 
Erörterung  dieser  Fragen  wenig  geleistet.  Grössere  Entwicklungen 
kamen  schon  in  Frankreich  bei  den  Juristen  vor  der  Bevolution 
vor,  mit  der  Bichtung,  strenge  an  der  Unabhängigkeit  der  Criminal- 

LVin.  J«hig.U.Heft  59 


8^  VerhXltnlss  der  Str«f«nklag6  und  der  CivUkkge. 

und  Civi^'urisdiction  festzuhalten,  daher  auch  in  der  Praxis  aog^ 
nommen  wurde,  dass,  wenn  in  einer  Strafsache  eine  prBjudidelle 
civilreohtliche  Frage  vorkam,  der  Strafrichter  das  St/afrerfalireB 
80  lange  snspendiren  muss,  bis  die  civilreohtliche  Vorfrage  im  Civü- 
prozease  entschieden  ist.  Streit  kam  nnter  den  Juristen  in  so  ferne 
vor,  wie  weit  die  Annahme  einer  Fräjudicialeinrede  ausgedeint 
werden  kann.  Feststehend  war  nur  die  vorzüglich  auch  auf  miss- 
verstandene römische  Stellen  (Gute  Nachweisungen  in  Jacobi  de 
erimine  »tatus  snppressionis.  Amstelod.  1859.  p.  55)  gebaute  Ai- 
9icht  der  Praxis,  dass  bei  Anklagen  wegen  suppressio  status  eines 
Kindes,  vorerst  im  Civilprozesse  die  Frage  über  status  entschieden 
sein  müsste.  Merkwürdig  ist,  dass  in  England  und  Schottland  im 
17.  Jahrhundert  die  Ansicht  siegte,  dass  bei  einer  civilrechtliclien 
i?rajudicialeinrede  der  Strafrichter  die  Verhandlung  über  die  An- 
klage aussetzen  soll  (Hume,  Oommentaries  II.  p.  302) ,  dass  aber 
peit  einem  Jahrhundert  die  entgegenstehende  Ansicht  feststeht,  oaeli 
welcher  der  Strafrichter,  wenn  auch  ein  Civilpunkt  in  die  Stitf- 
verhandlung  gezogen  ist,  diese  Verhandlung  nicht  auesetzen,  son- 
iMn  selbst  den  Punkt  entscheiden  soll,  z.  B.  bei  Anklagen  wegei 
Biga»de  (Alison,  practice  of  the  criminal  law  of  Sootland  p.  S74). 
Bei  der  AJ>fas8ung  des  Code  civil  machte  nun  die  vor  der  Bevolaüos 
T«n  den  Juristen  vertheidigte  Theorie  sich  geltend,  und  unter  in- 
filhrung  vieler  Qründe  der  Zweckmässigkeit  wurde  in  dem  Code 
civil  Art.  826,  829  der  Satz  aufgenommen,  dass  die  Givilgeriokte 
allein  zuständig  sind,  über  die  reclamations  d'ötat  eines  Kindes 
^  entscheiden  und  die  Criminalklage  nicht  beginnen  soU,  so  laa^ 
nicht  durch  Endurtheil  über  die  Status-Frage  entschieden  ist.  V» 
Jnriston  fanden  darin  ein  Prinzip,  welches  von  Manchen  in  der 
Xichre  von  den  Präjudioialeinreden  auch  auf  andere  Fälle  auip- 
dehnt  wurde,  auch  im  Code  forestier  in  so  ferne  anerkannt  vai^ 
daaa,  bei  Bestrafung  von  Forstfreveln,  wenn  der  Angeschuldigte 
sein  Eigenthum  des  Forstes  behauptet,  vorerst  die  civilrecfatliobe 
Entscheidung  abgewartet  werden  sollte.  Eine  Masse  wissenschafc' 
Hoher  Erörterungen  über  die  Natur  der  Präjudioialfrage  xmd  da 
üufiang  ihrer  Zulässigkeit  entstanden  nun  in  Frankreich ,  jedoeb 
so,  dasa  in  der  Wissenschaft  wie  in  der  Bechtsprechung  eine  gioase 
Verschiedenheit  der  Ansichten  sieh  aussprach  (Helie,  instroeiMS 
eriminelle.  Vol.  III.  p.  186.  VU.  p.  888.  Bertauld,  questions  ft 
exeepidons  prejudicielles  en  matibre  orim.  Paris  185.6.  Uora 
Ffipertoine  questions  prejud.  Trebutien  cours  11.  p.  58)  und  vorsfiff* 
lidi  wegen  der  Klarheit  der  Darstellung  (Haus,  cours  du  dirÄ 
erim.  p.  392-^446.  Njpels  in  den  Noten  zur  Ausgabe  von  Helie)- 
in  Deutschland  wurde  aUmähUg  auch  in  den  wissensohaft- 
Hohen  Arbeiten  mit  Benützung  französischer  Foreehongen  dts 
¥«.rhältniss  der  Criminal-.  und  Civilklage  erörtert.  Schon  vor  nehf 
als  40  Jahren  behandelte  der  Unterzeichnete  in  seinem  Strafv«^ 
fahren  §.  6-^10  die  Lehre,  und  in  nei^ester  Zeit  haben  Piank,  Dm» 


V«rfaftltiii88  der  ßtrftfanklige  trnd  der  OlrÜklftge.  SM 

tieÜoBg  defi  Strafrerfabreas  %.  158,  Walther,  Lehrbneh  des  Sttttf^ 
prosedses  §•  3,  und  vorzüglich  Zaobaria  im  Handbuch  des  8tnif>> 
Terfahrene  II.  §.  84—86  belehrende  Erörterungen  geliefert.  In  Italieti 
hat  Pisanelli  (später  JuBtizminister)  eine  treffliche  Arbeit  (beson^ 
deM  wichtig,  weil  der  Verfasser  darin  an  die  ältere  italienische 
Ptttris  anknüpfte  und  mit  AnfOhnmg  der  Rechtssprüche  der  italie^ 
msehen  Gerichte  verglichen  mit  den  französischen)  in  dem  Werke : 
Oommentario  del  Godioe  de  procedura  civile  per  gli  stati  Bärdi; 
Torino  1857.  Vol.  I.  p.  25—63  über  die  Verhältnisse  der  Civil*. 
und  Strafklage  geliefert.  Vergleicht  man  die  neuere  Gksetzgebtrtig 
über  das  Verhältniss  der  Civilklage  und  der  Strafklage,  so  hatte 
vor  40  Jahren  noch  die  fhinzösische  Ansicht  auf  sie  grossen  Ein^^ 
fluss  geübt,  wie  dies  die  baierische  Strafprozessordnung  von  1818 
Art.  8 — 9  zeigt;  allein  man  bemerkt  leicht,  wie  der  Gtosetzgebet 
französische  und  deutsche  Ansichten  zu  vereinigen  suchte.  Aehn« 
liches  zeigte  sich  auch  bei  der  badischen  Strafprozessordnung  Von 
1845.  Art.  2. 

Der  Charakter  der  neuesten  Gesetzgebungen  ist  entschieden 
•der,  die  Befognisse  der  Strafgerichtebarkeit  auszudehnen  und  aus*^ 
zusprechen,  dass  der  Strafriehter  selbstständig  auch  Vorfragen,  d$e 
sn  sich  civilrechtliche  Punkte  betreffen,  untersuchen  und  tu  ettfr^ 
scheiden  hat,  wie  dies  die  österreichische  Strafprozessordnung  vo« 
1858  §«  4.  5  bestimmt  (Hje,  leitende  Grundsätze  der  österreiehi«« 
sehen  Strafprozessordnung  S.  91—99),  nur  mit  der  Ausnahnie,  wof 
die  Vorfrage  die  Gültigkeit  einer  Ehe  betrifft,  z.  B.  bei  Anklagt 
tregen  Bigamie,  weil  in  Oesterreich  die  Entscheidung  der  Bhesaehen^ 
an  geietliehe  Gerichte  gewiesen  ist.  In  gleichem  Gkiste  etttschei*" 
det  auch  die  neue  badisehe  Strafprozessordnung  von  1864  Art.  5^ 
doss  der  StrafHchter  die  dvilreohtliche  Vorfifage  zu  entscheiden 
hat,  nur  mit  der  Ausnahme,  wenn  der  Tbatbestand  der  strafbarctf 
Handlung  von  der  Gültigkeit  einer  Ehe  abhängig  ist  (und  nach 
Forstgesetz  §.  251  und  nach  dem  Art.  829  de»  bfikrgei^lkhen  Ge^ 
setzbuchs  wegen  Unterdrückung  des  Familienstandes).  —  tJeberein'^ 
stimmend  mit  dem  badischen  Gesetze  ist  auch  die  grossherzogKeh 
hessische  Straft>rozessordnung  von  1865  §.  3  und  der  würtember« 
gisohe  Entwurf  §.  7*  Abweichend  von  dieser  gewiss  zu  schroffen  Xülti 
aas  einem  bedenklichen  Generalieiren  stammenden  Ansicht  sind  da-> 
gegen  einige  neuere  Gesetzgebungen,  welefae  gewiss  richtiger  deny 
Ermessen  der  Gerichte  es  überlassen,  in  verwickelten  Fällen,  we^ 
voraussiebtlieh  nur  eine  auf  dem  Wege  des  Oivilprozesses  geleitetet 
Verhandlung  geeignet  ist,  die  Ausmittelung  der  Wahrheit  zt(  be^ 
wirken,  die  Verhandlung  und  Entscheidung  der  Vorfhige  an  daif 
Oivilgericht  zu  verweisen,  wie  dies  in  der  hannoverschen  ProzescK 
Ordnung  §.  97,  der  königl.  sächsischen  §.  12^  (gut  darüber  Sohwan-ze 
Oommentar  zur  Strafyrezessordnung  S.  212)  und  der  Aargauieebss 
Prozessordnung  §.  8  vorgesehrieben  ist.  Von  den  neuesten  /ge- 
seizgebungsarbeiten  hat  der  1864  für  das  Königreich  Italien /eise 


Mi  VarbiltniBS  der  StrafanklH«  vnd  der  GbÜkkge. 

gelegte  Entwurf  der  Strafprozessordnung  in   §•  ^  bestimmt,  im 
bei  Verbrechen  der  Unterdrückung  des  status  die  Anklage  nur  nach 
dem  Ton  dem  bürgerlichen  Bichter  geföllten  ürtheil  über  den  statos 
verfolgt  werden  kann.     In  §.  5   ist  ausgesprochen,  dass,  wenn  in 
einer  Strafsache  eine  Einrede  des  bürgerlichen  Rechts  erhoben  wird, 
welche,  wenn  sie  begründet  würe,  die  Annahme  eines  Yerbrecheu 
auBSchliessen  würde,  der  Bichter,  wenn  er   Gründe   hat,    die  Ein- 
rede als  wahrscheinlich  begründet  anzunehmen,  die  strafgerichiUclie 
Verhandlung  einstellen,   und   die   Entscheidung  über   die  Einrede 
dem  zuständigen  Bichter  überlassen  kann  und  dann    dem  Ange- 
schuldigten eine  Frist  bestimmt,   um   die  Erledigung  der  Einrede 
SU  betreiben«    Nach  §.  7  kann  der  durch  ein  Verbrechen  Beschl- 
digte  die  Klage  wegen  erlittenen  Schadens  nicht   anstellen,  weiu 
durch  eine  Verfügung  oder  rechtskräftige  Entscheidung  der  Ange- 
sobnldigte  freigesprochen  wurde,  oder  wenn  erkannt  war,  dass  die 
weitere  Strafverfolgung  nicht  statt  fand,   in   so  ferne  anzunehmen 
ist,  entweder  dasd  die  Handlung,  welche  der  Oegenstand   der  An- 
klage ist,  nicht  verübt  wurde  oder  der  Angeklagte   nicht  Urheber 
oder  Theilnehmer  derselben  war.  Nach  §.  8  kann  man  in  den  Fällen, 
in  welchen  die  Anklage  nur  auf  Antrag  des  Beschädigten  erhoben 
werden  kann,  wenn  dieser  die  Civilklage  vor  dem  Civilrichter  an- 
gestellt hat,    nicht    mehr    auf    Strafverfolgung    antragen.     Eine 
strenge  Ansicht  stellt  der  neueste  Entwurf  der  Strafprozessordnong 
für  Preussen  von  1865  in  §.8  auf,  in  dem  er  ausspricht,  dass 
wenn  die  Strafbarkeit  einer  Handlung  davon  abhängt,  ob  zur  Zeit 
ihrer  Begehung  ein  gewisses  Bechtsverhältniss  bestanden  hat,  oder 
nicht,  auch  hierbei  der  Strafrichter  nach  den  für  Strafsachen  gel- 
tenden Vorschrifben^zu  bestimmen  hat.  Im  Civilprozess  ergangene  Ent- 
scheidungen sind  für  die   Benrtheilung  nur  insoweit  massgebend, 
als  durch  dieselben  das  in  Frage  stehende  Bechtsverhältniss  schon 
vor  jenem  Zeitpunkte  rechtskräftig  geregelt  worden  ist.  Nach  §<d 
soll  eine  Ausnahme  eintreten  bei  Untersuchungen  wegen  Entwendung 
von  Früchten  oder  anderen  Bodenerzeugnissen,  Jagdvergehen  oder  Zo- 
widerhandlungen  gegen  das  Gesetz  von  1845,  Diebstahl  in  andem 
Walderzeugnissen.  Hier  gestattet  das  Gesetz,  wenn  der  Einwand  ge- 
macht wird,  dass  der  Thäter  zur  Handlung  befugt  war,  das  StraiT6^ 
fahren  auszusetzen.  Die  Motive  S.  14  rechtfertigen  die  Bestimmnog 
des  §.  8  dadurch,  dass  nach  der  im  Strafverfahren  entscheidenden 
Offizialmaxime  das  Ergebniss  dieses  Verfahrens  unberührt  von  der  Will- 
kür der  Parteien  bleiben  muss,  was  aber  nicht  der  Fall  wäre,  wenn 
der  Ausgang  des  Civilprozesses,  in  welchem  soviel  von  Versäumnissen) 
Geständnissen  abhängt,  Einfluss  haben  könnte.  Die  Motive  erklfiren 
sich  selbst  dagegen,  dass  eine  Bestimmung,  wie  sie  der  französiBobe 
3ode  Art.  827  kennt,  wegen  des  Personenstandes,  oder  wogender 
^^fragen  in  das  Gesetzbuch   aufgenommen  werden   soll,   weil  in 
als  lg  auf  die  letzteren  die  Singularität  des  Falls  keine  Aufstellang 
ühxK  Ausnahme  rechtfertigte  und  in  Ansehung  der  Ersten  die  nn* 
"^  Aufnahme  einer  Ausnahme  bedenklich  machen  würde. 


Verbältnlee  der  Strafanlilage  und  der  Clyflklagei  887 

Eine  YergleiohTing  der  bisher  mitgetbeilten   neueren  Gesetz- 
gebnngBarbeiten    in  Bezug   auf  Behandlung  präjudicieller  Fragen 
und  die  Beachtung  der  Erörterungen  und  Bechtssprüche  über  Bechts- 
kraft;    der   strafrechtlichen  ürtheile   auf  Civilprozess  (Literatur  in 
Zacharia  Handbuch  II.  8.  99)  zeigt  eine  so  bunte  Verschiedenheit 
der   Ansichten   über    das  Yerhältniss    der    Straf-  und   Civilklage, 
dass  man  bald  zur  üeberzeugung  kommt,   dass   die   Wissenschaft 
noch  nicht  dazu  gelangt  ist,  feste,   dem   Bedürfniss  entsprechende 
Grundsätze  aufzustellen.  Man  muss  zwar  anerkennen,  dass  für  die  in 
neuem  Gesetzgebungen,  wie  in  der  Bechtsübung  herrschende  Grund- 
richtung auch  bei  civilrechtlichen  als  präjudiciell  aufgestellten  Ein- 
reden den  Strafrichter  entscheiden   zu   lassen   gewichtige   Grttnde 
sprechen ;  allein  das  üebel  liegt,  wie  so  oft  bei  neuen  Gesetzgebungen 
in  dem  yerderblichen  generali  sirenden  Formalismus,   mit  welchem 
man  durch  eine  absolute  gesetzliche  Bogel,  die  yerschiedenartigsten 
Fälle  zusammenwerfend,  eine  Frage  entscheiden  will,  unbektlmmert 
um  das  vielgestaltete  Leben.     Wir  wollen  nur   auf  einige  vorge- 
kommene Fälle  aufmerksam  machen.     In   einem   Falle  war  gegen 
A  die  Anklage  erhoben,    dass   er   aus   einer   Erbschaft  werthyolle 
Gegenstände  gestohlen  habe.     A  hatte  sich  auf  ein  Testament  be- 
rufen, nach  welchem  ihm  jene  Sachen  als  Vermächtniss  zugeschrie- 
ben wurden.     Die  Intestaterben  behaupteten,   dass  das  Testament 
ungfiltig  sei.     Die  präjudicielle  Einrede  und   das  Gesuch  über  das 
Testament  yorerst  im  Ciyilprozesse  entscheiden  zu  lassen,   wurde 
verworfen.     B  war  wegen  Bigamie  angeklagt.  Er  machte  die  Nich- 
tigkeit der  ersten  in  Südamerika  geschlossenen  Ehe   geltend;   das 
Strafgericht  fand  sich  nicht  ermächtigt,  die  Vorfrage  an  das  Oivil- 
gericht  zu  weisen.  0  war  angeklagt  der  Unterschlagung,  brachte  aber 
die  Einrede  vor,  dass  nach  den   Abrechnungen  zwischen  ihm  und 
dem  Ankläger  die  in  Frage  steheudön  Staatspapiere  ihm  eigenthüm- 
lich  zustanden.     A  wurde  vom   Strafgericht   wegen   Diebstahls,  B 
wegen  Bigamie  und  C  wegen  Unterschlagung  yerurtheilt.  •  Die  Br^ 
fahrung  lehrt  nun,  dass  durch  das  absolute  Gebot  alle  civilrecht- 
liche  Vorfragen  vom  Strafgerichte  entscheiden  zu  lassen,  mehrfiacbe 
Nachtheile   herbeigeführt  werden,    die    wir    hier  nur  andeuten 
wollen.  Es  ergibt  sich,  dass  zur  gerechten  Entscheidung  verwickel- 
ter schwieriger  Vorfragen   die  Formen   des   Straf7erfahrens  nicht 
geeignet  sind,  und  dass,  wenn  der  Bichter  doch  versucht,  die  Er^ 
ledigung  civilrechtlicher  Fragen  in  das  Strafverfahren  hereinzuziehen, 
dies  letzte  häufig  in   die  Länge   gezogen  wird,   die   dadurch  ent- 
stehende Verwicklung  durch  das  Zusammenwerfen  fremdartiger  Ge- 
sichtspunkte nachtheilig  auf  die  Entscheidung  wirkt  und  vorzüg- 
lich die  Entscheidung  der  Geschworenen  wegen  des  Hereinziehens 
civilrechtlicher  Fragen  und  Merkmale  in  die  Schuldfrage   sehr  er- 
schwert ist.     Am  schlimmsten  aber  wirkt  die  Erscheinung,   dass 
dann  oft,  wenn  über  die  civilrechtliohe  Vorfrage,  die  das  Strafge- 
richt in  seine  Beurtheilung  hereinzieht,  und  auf  eine  {{[ewisse  Weise 


W  VarWiplBt  te  BiraDHikUce  i»4  der  GMUi^gep 

Q^tdcbeid^  qdlter  eia  CiTÜprozesa  aich  eibebt  und  abweickaad  toh 
der  Ansicht  des  Btrafgeriehts  entschieden  wird,  ein  Widerair»! 
XQ^  zwei  Urtheileo  berboigefQhrt  wird,  weldier  der  Aobtni^  und 
^ßm  Ansebea  der  Justiz  nicht  günsiig  ist.  In  dem  oben  aige- 
Ätbvten  ersten  Falle  wurde  im  sp&tem  Civilprozesse  daa  Testaraat 
ab  gültig  erkannt,  im  zweiten  Falle  war  in  Prozessen,  welche 
wc^en  Nichtigkeit  der  Ehe  erhoben  wurden,  die  Ehe  als  niohtig  er* 
k«mt>  während  das  Strafurtbeil ,  da  es  die  Ehe  als  gültig  angth, 
den  3  wegen  Bigamie  verurtheilte ;  im  dritten  Falle  war  im  spStem 
Giyilprpzesse,  nach  sehr  schwierigen  Verhandlungen,  erkannt,  dsN 
Q  Eigenthümer  der  fraglichen  Papiere  war.  Nach  solchen  Erfab- 
r^ng^  sollten  unsere  Gesetzgeber  anerkennen,  dass  die  ^on  ihieB 
absolut  aufgestellte  Regel  nur  unschädlich  gemacht  werden  kaan, 
wenn  das  Gesetz  ausspricht  (wie  in  Sachsen,  Hannoyer»  Araa,  m 
italienischen  Entwurf^  dass  es  vom  Ermessen  des  Gerichts  abhängt, 
ob  es  präjudiciell  angebrachte  Einreden  an  das  CiTÜgericht  yoieni 
yerweisen  will. 

Alle  bisherige  Mittheilongen  führen  dazu,  dass  eiae  tüchtige, 
in  alle  einzelne  Streitfragen  eingehende  Erfahrungen  «nd  Beehts- 
sprücha  benutzende  wissenschaftliche  Arbeit  über  die  Lehre  des 
Verhältnisses  der  Strafanklage  (action  publique)  zur  CiyiUdage  höchst 
^ünschenswerth  sein  würde.  Ein  solches  Werk»  dessen  Titel  obes 
angegeben  wurde,  liegt  nun  yor  uns,  und  ist  der  Aufaierksankeit 
der  Juristen  aller  Länder  würdig.  Der  Verfasser  ist  als  StaatsftBr 
lisli  in  der  Lage,  die  Eechtsübung  genau  kennen  zu  lernen,  lad 
hat  die  schwierige  Lehre  zum  Gegenstande  seiner  Studien  in  eines 
umfang  gemacht,  wie  kein  Schriftsteller  yor  ihm  getban  hat.  Per 
wissendchaftlicbe  Charakter  des  Buchs  bewährt  sich  darin^  dass  der 
Verüeisser  überall  leitende  Grundsätze  aufstellt ;  die  praktische  Bicli- 
tuj^g  zeigt  sich  in.  der  Behandlung  aller  möglichen  StpeitliBgeD  ia 
einein  Umlange,  wie  dies  noch  kein  Schriftsteller  getban  hat»  ihenSi 
noit  den,  einechlfägi^en  Rechtssprüchen  und  mit  klarer  Erört^rosg 
der  Gründe  für  und  wider  eine  Ansicht.  Zwar  hat.  der  Yeishssfi 
stets  nxa^  auf  die  französische  und  die  belgische  Gesetzgebung  n>d 
Bechtsprechnng  Bücksicht  genommen;  allein  dies  hindert  nieii^ 
duiss  das  Werk  doch  für  die  Juristen  eines  j^eden  Landes  aiaea 
greisen  Werth  hat,  weil  eben  in  Frankreich  und  Belgien «  wo  die 
Gesetzgebung  seü  Jahrzehnten  in  Kraft  war,  eine  Masse  yonFftU» 
yorkam,  wie  in  keimem  Lande,  und  die  dadurch  yeranlassteu  Becbt^ 
Sprüche  der  obersten  Gerichte  ausführliche  Entwickelnngen  «ith^- 
ten.  Wir  wolleii  yorerst,  um  unsem  Lesern  den  Beichthnm  des  ia 
diesem  Werke  ap%ehäu£ten  Materials  zu  zeigen,  den  Lihalt  nütr 
theilen. 

Der  erste  Band  beginnt  mit  der  Erörterung  dfi&Verhäliniases 
der  Straf-  und-  Ciyilklago,  und  geht  dann  dabei  yon  dem  Priazip 
dex  Unabhängigkeit  beider  Klagen  aus  (Titel  I),  handelt  dann  Tii  U 
y^Pr  den  Ur^^heu;^  durch  ^Kelche  jede  dieser  E^gen  erlöscht».  IM 


Verbftltnits  der  Strafaiüclage  und  der  CiTillclJ^e.  SM 

Titel  m  behandelt  die  wechselseitigen  Beziehmigen  heider  Slafte 
daher  1)  Ton  der  gleichzeitigen  Verhandlung  der  beiden,  2)  von  der 
abgeeonderten  Verhandlung  und  zwar :  a)  Ton  der  Wahl  der  GiYilpar^ 
teicii  zur  Anstellung  einer  oder  der  andern  Klage ;  b)  von  der  Einrede 
der  Rechtskraft ;  a)  vom  Einfluss  des  rechtskräftigen  Civilurtheils  auf 
Strafklage;  /})  Einfluss  des  Strafurtheils  auf  Civilklage;  7/)Einfiu8S  der 
Verfügung  der  chambre  du  couseil,  dass  keine  Verfolgung  fortza*- 
setzen  sei.  3)  Fälle  der  Suspension  der  Civilklage  durch  dieStitif- 
klage.  Der  zweite  Theil  enthält  die  Lehre  von  den  prttjudiciellen 
Fragen  und  ihr  Verhältniss  zu  den  sogenannten  vorläufigen  Fragen 
(pröalables).  1)  Von  dem  Grundsatz,  dass  der  Strafrichter  auch 
zuständig  ist  neben  präjudiciellen  Einreden  zu  entscheiden«  2)  Von 
den  Einreden,  welche  präjudiciell  in  Bezug  auf  die  Strafverfolgimg  sind« 
8)  Von  Einreden,  welche  es  für  das  Stratothoil  sind.  A)  Zerglie» 
demng  der  einzelnen  Einreden  der  letzten  Art.  B)  Insbesöndete 
yon  Einreden,  welche  aus  dem  Eigenthum  beweglicher  Sachen  ab- 
geleitet sind.  C)  Präjudieielle  Fragen,  welche  durch  Auslegung 
entweder  der  Verabredungen  über  Rechtsgeschäfte  der  Privatpersonen, 
oder  durch  Auslegung  administrativer  Akte  entstehen.  8)  Präjudieielle 
Fragen,  welche  sich  auf  den  status  von  Personen  beziehen.  Theil  III 
(der  noch  nicht  erschienen  ist)  wird  die  Lehre  von  präjudioiellen 
Fragen  erörtern,  die  sich  auf  die  Strafverfolgung  wegen  einzelner 
Verbrechen  beziehen.  Wir  wollen  nun,  um  unsem  Lesern  den 
Beichthum  des  aufgehäuften  und  trefflich  geordneten  Materials  und 
den  Charakter  der  Entwickelungen  des  Verfassers  zu  zeigen,  bei 
einzelnen  Ansichten  des  Verfassers  prüfend  verweilen.  Nachdem 
der  Verfasser  (Theil  I.  p.  2—20)  das  Wesen  der  action  publique 
und  die  Frage  erörtert  hat,  welchen  Beamten  die  Strafverfolgung 
übertragen  ist,  erörtert  er  p.  22  die  Frage  über  die  Bedeutung 
des  Satzes  der  Unabhängigkeit  der  Strafklage  und  daher  die  Qrin- 
zen  der  Befugnisse  des  Staatsanwalts.  Nach  §.  28  folgt  aus  der 
Unabhängigkeit  der  Staatsbehörde,  dass  sie  der  Gensur  der  €k- 
richte  nicht  unterworfen  ist  (was  der  Unterzeichnete  im  Interesee 
der  Staatsbehörde  wie  in  dem  der  Justiz  beklagt,  weil  auf  diese 
Art  der  Staatsanwalt  in  der  Sitzung  alles  mögliche  noeh  so  ver- 
letzende zu  dem  Vertheidiger  sagen  darf,  ohne  der  Büge  des  Prä- 
sidenten ausgesetzt  zu  sein).  Gut  ist  die  Erörterung  p.  40  der 
Frage,  welche  Personen  die  Civilklage  anstellen  können,  und  p^  40 
auf  welche  Art  die  Strafverfolgung  erlöschen  kann,  wobei  wichtige 
Strvitfragen  vorkommen,  z.  B.  p.  49 — 60  über  Einfluss  des  Todes 
des  Angeschuldigten  (schwierig  z.  B.  wegen  Geldstrafen).  Bei  der 
Frage  der  Erlöschung  der  Civilklage  zeigt  die  französische  Praxis 
eine  grosse  Streitfrage  in  Bezug  auf  den  Fall,  wo  die  Strafklage 
durch  den  Tod  des  Angeschuldigten  erloschen  ist  und  die  Frage 
entsteht,  ob  doch  die  Civilklage  angestellt  werden  kann.  In  Frank- 
reich kamen  darüber  drei  Systeme  vor,  welche  p.  62— 70  der  Ver- 
klär entwickelt,  indem  er  unterscheidet,  ob  der  Tod  erüDlgto 


•40  VarbiltnisB  der  8timf«ikUge  und  der  Ctviftlage 

ehe  ein  üriheil  de8  Strafgerichts  ergangen  war,  oder  wo  je  ein  Urteil 
schon  erlassen  war.  Aach  die  schwierige  Fn^e :  wer  die  Kosten  n 
tragen  hat,  wenn  die  Straf  klage  erloschen  ist,  wird  gat  p.  76—88 
erörtert.  Höchst  bestritten  ist  das  Yerhältniss  des  gleichseitign 
Zusammentreffens  der  Straf»  und  Civilklage,  insbesondere  die  Frage, 
ob,  wenn  der  durch  das  Verbrechen  Beschädigte  Klage  erhebt  od«r 
selbst  als  Civilpartei  sich  darstellt,  der  Staatsanwalt  Terpflichtsfc 
ist,  die  Strafv^erfolgung  einzuleiten.  Der  Verfasser  widerlegt  p.  98 
mit  Becht  die  häufig  aufgestellte  Ansicht,  dass  der  Staaisai- 
walt  es  zu  thun  schuldig  ist.  Gewiss  ist  der  Vertreter  der  Staats- 
behörde derjenige,  welcher  zu  prüfen  hat,  ob  das  öffanthcbi 
Interesse  verletzt  ist.  Sehr  klar  ist  die  Durchftihmng  der 
Frage  nach  Beschaffenheit  der  einzelnen  strafbaren  Handluages 
so  wie  p.  106  die  Erörterung  der  berühmten  Frage :  ob,  wenn  d« 
Angeklagte  nicht  gestraft  würde,  doch  gegen  ihn  die  Klage  weg« 
Entschädigung  eingeleitet  werden  darf,  was  nur  mit  vielen  UBte^ 
Scheidungen  bejaht  werden  kann.  Schon  in  der  alten  Jorispradeaz 
stellten  die  Juristen  in  Bezug  auf  das  Wahlrecht  des  Verletsk» 
zwischen  Civil-  und  Strafklage  den  Satz  auf:  electa  una  via  dod 
datur  regressus  ad  alteram.  Sehr  bestritten  ist  nun  die  Frage, 
ob  dieser  Satz  noch  jetzt  Anwendung  findet;  drei  Hauptsystene 
sind  darüber  aufgestellt,  die  der  Verf.  p.  154—169  sehr  8cb5i 
entwickelt,  indem  er  die  Ansicht  vertheidigt,  dass,  wenn  der  Be- 
schädigte sein  Wahlrecht  ausgeübt  und  einen  Weg  ergriffen  kat, 
er  nicht  mehr  den  anderen  Weg  ergreifen  darf,  wobei  freilich  wie- 
der verschiedene  Bedingungen  (die  der  Verf.  gut  bis  186  angiM) 
aufgestellt  werden  müssen.  Die  Hauptfrage  ist  hier,  welchen  Su- 
fluss  das  rechtskräftige  XTrtheil  des  Strafgerichts  auf  das  Giyi)g*- 
rioht  und  umgekehrt  hat.  Im  letzten  Falle  ist  am  meisten  der 
Satz  anerkannt,  dass,  wenn  über  die  Schadensklage  aus  einem  Vo- 
brechen  im  Civilgericht  entschieden  ist,  die  Strafklage  deswegen 
nicht  angebracht  werden  kann,  was  der  Verf.  nun  nach  den  T«^ 
schiedenen  Folgerungen  p.  191-^200  durchfährt.  Bei  der  auch  in 
Deutschland  wie  in  Frankreich  sehr  bestrittenen  Frage,  welche» 
Einfiuss  die  strafgerichtliche  Entscheidung  auf  die  Oivilklage  hat, 
unterscheidet  der  Verf.  vorerst  ob  im  Strafverfahren  der  BescbX- 
digte  als  Civilpartei  auftrat  oder  nicht.  Im  ersten  Fall  wirkt  dtf 
strafgerichtliche  Urtheil  auch  auf  die  Civilkläger,  jedoch  mit  einigei 
Beschränkungen  (p.  204—210),  z.  B.  dass  da,  wo  die  Strafklage 
beseitigt  wurde,  nur  weil  sie  verjährt  war ,  der  Civilkläger  nich* 
gehindert  ist,  die  Civilklage  zu  verfolgen.  Die  Schwierigkeit  be- 
ginnt im  zweiten  Falle,  wo  der  Beschädigte  nicht  als  Civilpartei 
auftrat.  Zwei  Systeme  stehen  sich  schroff  entgegen,  das  z.  B.  tob 
Toullier  vertheidigte ,  nach  welchem  die  Strafklage  keinen  Einfluß 
hat,  während  das  Andere  z.  B.  von  Merlin  den  Satz  aufstellt,  dass 
die  von  dem  Strafgerichte  als  bewiesen  angenommenen  Thatsaches 
auch  in  Bezug  auf  Civilklage  als  gewiss  angesehen  werden  mfissffB' 


VerliUtiiiBS  der  Strafanklage  und  der  Civfiklage.  841 

Die  Ghründe  beider  Systeme  sind  sehr  gut  von  dem  Verf.  p.  211 
bis  288  entwickelt,  wobei  er  anch  von  den  vermittebiden  Systemen, 
z.  B.  von  Helie,  Zachariä  und  Trebutien  spricht.  AUe  darauf  be- 
zfigliche  Rechtssprüche  sind  angeführt  und  geprüft.  Das  von  dem 
Verf.  vertheidigte  System  ist  das  folgende.  1)  Ein  vom  Strafige- 
richt  ergangenes  den  Angeklagten  vemrtheilendes  Erkenntniss  be- 
wirkt, dass  auch  im  nachfolgenden  Civilprozesse  die  Thatsachen 
als  gewiss  anzunehmen  sind  (Nr.  52);  hier  kommt  nun  eine  sehr 
bestrittene  Frage  in  Bezug  auf  Anklage  wegen  Bigamie  vor,  ob 
das  Strafgericht  auch  die  Nullität  der  zweiten  Ehe  aussprechen  kann, 
was  der  französische  Cassationshof  mit  gewissen  Einschränkungen 
bejaht,  der  Verf.  aber  p.  241  mit  Recht  bezweifelt.  2)  Wenn  der 
Angeklagte  nur  ein  ürtheil  d'absolution  für  sich  hat,  wo  daher  er  von 
der  Jury  schuldig  erklärt  wurde ,  aber  der  Assisenhof  freispricht, 
weil  das  Strafgesetz  nicht  anwendbar  ist,  so  kann  der  Beschädigte 
seine  Civiklage  verfolgen  (Nr.  158).  3)  Ist  dagegen  der  Angeklagte 
von  dem  Schwurgericht  nicht  schuldig  erklärt,  so  kommt  es  darauf 
an,  ob  aus  dem  Wahrspruch  nach  der  Art  der  gestellten  Fragen 
erhellt,  also  sich  ergibt,  dass  die  Jury  aussprechen  wollte,  dass 
die  That  nicht  begangen  oder  der  Angeklagte  nicht  der  Thäter 
ist.  Hier  kann  keine  Oivilklage  angestellt  werden,  während  da,  wo 
der  Wahr^pruch  nicht  ergibt  was  eigentlich  die  Geschworenen  ver- 
neinen wollten  (non  coupable),  der  Beschädigte  die  Civilklage  an- 
stellen kann,  wenm  nur  diese  Klage  anders  qualificirt  wird,  als  sie 
im  Strafgerichte  es  war,  z.  B.  wenn  wegen  Anzündung  seiner  eige- 
nen Sache  Jemand  angeklagt  und  nicht  schuldig  erklärt  wurde, 
wo  dann  die  Assekuranzgesellschaft  doch  die  Civilklage  hat,  und 
sich  dabei  nur  auf  die  Fahrlässigkeit  des  Angeklagten  stützt  p.  253. 
Wenn  der  Verf.  gegen  die  Einwendung,  dass  vielleicht  doch  die 
Geschworenen  das  Nichtschuldig  aussprechen,  weil  die  That  oder 
die  ürheberschafb  nicht  hergestellt  war,  anführt,  p.  255  dass  man 
dann  mit  der  Unvollkommenheit  menschlicher  Gesetze  sich  bemhi- 
gen  muss,  und  er  glaubt,  dass  dann  das  Oivilgericht  nicht  das 
Gegentheil  von  dem  Strafurtheil  aussprechen  wird,  so  kann  man 
schwerlich  seinen  Ansichten  beistimmen.  4)  Klagen,  die  sich  auf 
Thatsachen  stützen,  welche  Gegenstand  der  Strafverfolgung  waren, 
können  ungeachtet  jeder  Entscheidung  des  Strafgerichts  angestellt 
werden,  z.  B.  Klage  auf  Nichtigkeit  eines  Rechtsgeschäfts  p.  272. 
5)  Bei  accessorischen,  dem  Civilrecht  angehörigen  Fragen,  die  aus 
einer  strafgerichtlichen  Entscheidung  fliessen,  bleibt  die  civilrechtliche 
Entscheidung  durch  die  letzte  unberührt  p.  274.  Eine  sehr  gute  Aus- 
führung findet  sich  auch  in  Bezug  auf  die  Frage :  ob  bei  Anklagen 
wegen  Bigamie  die  Frage  über  Gültigkeit  der  Ehe  als  entschieden 
durch  das  Strafurtheil  gilt  p.  281.  Der  Verf.  nimmt  an,  dass  die 
Entscheidung  solcher  Fragen  nicht  dem  Oivilgericht  entzogen  wer- 
den darf,  indem  sonst  grosse  Verlegenheiten  herbeigeführt  werden 
können.     6)  Incidentfragen,  welche  im  Laufe  der  strafgerichtliehen 


0fS  V«riillteln  der  StnÜMiUa««  «nd  der  CtTOklag«. 

Verluuidlimg  Torkommen  und  Yom  Sirafgeriohte  entaehieden  werte, 
■z.  B.  bei  Gelegenheit  der  Frage  über  ZuläBsigkeit  der  Vernehnnmg 
etnes  Zengen,  können  dnrch  das  Strafgericht  nicht  definitiT  ent- 
aehieden werden  p.  286  (siehe  anch  gnt  Haus,  Gonrs  dn  droit  orin. 
Nr.  507—687).  Eine  scharfsinnige  ErOrtemng  des  Verf.  flber^ 
Wirknng  der  das  non  lien  aassprechenden  Verfügung  der  Batks- 
kammsr  findet  sich  p.  290.  Solche  Verfügungen  sind  ohne  Bis- 
fluss  auf  die  Giyilklage.  Bekanntlich  kömmt  in  der  franE5siache& 
Praxis  der  Satz  vor:  le  criminel  tient  le  civil  en  ätat.  Die  wahn 
Bedeutung  dieses  Satzes  ist  vielfach  bestritten.  Eine  schöne  £^ 
örterung  hat  nun  darüber  der  Verf.  p.  313  ff.  geliefert.  DieHanpi^ 
wirknng  ist,  dass  die  Ausübung  der  Civilklage  solange  aufgeschoba 
bleibt,  als  nicht  detinitiv  über  die  Strafklage  entschieden  ist,  weicke 
Tor  oder  während  der  Verhandlung  der  Civilklage  eingeleitet  wird. 
Ueber  die  Motive  dieser  Vorschrift  sind  die  Schriftsteller  vMä 
«ehr  uneinig  (Nr.  189)  Die  einflussreichste  Bestimmnng,  dass  d» 
Civilklage  die  Suspension  der  Strafklage  begründen  kann,  komiBt 
vor  bei  den  sogenannten  PrKjudicialfragen,  die  eine  Ausnahme  bil- 
den von  dem  Grundsatz,  dass  der  Richter  der  S[lage  auch  dtf 
Richter  der  Einrede  ist.  Der  Verf.  zeigt  richtig,  dass  es  in  die- 
ser Lehre  schon  darauf  ankomme,  den  Begriff  der  piftjndieiellMi 
Fragen  richtig  festzustellen  und  sie  von  den  sogenannten  questiois 
pr^alables  zu  trennen.  In  der  ersten  Rücksicht  billigt  der  Varf. 
p.  836  die  von  Helle  aufgestellte  Definition ,  nach  welcher  piüjv- 
dicielle  Einrede  diejenige  ist,  welche  die  Strafverfolgung  oder  die 
Aburtheilung  einer  strafbaren  Handlung  aufschiebt  bis  zu  Tor- 
gffngiger  Herstellung  einer  Thatsache,  deren  rechtliche  Wfirdigong 
eine  wesentliche  Bedingung  der  Strafverfolgung  oder  des  ürtheils  ist. 
In  der  zweiten  oben  angegebenen  Beziehung  ist  es  wichtig,  die  prk- 
judicielle  Einrede  zu  trennen  von  der  vorläufigen  (prtolabH 
WBlche  die  Hauptsache  nicht  betreffen,  vielmehr  nur  die  Strafiev- 
folgung  gänzlich  oder  vorübergehend  beseitigen  will.  Einreden 
der  letzten  Art  sind  entweder  dilatorisch  oder  peremtorisek.  2^ 
den  Ersten  gehOrt  z.  B.  die  Einrede,  dass  es  zur  Strafverfolgung 
der  vorgängigen  Autorisation  der  obem  Behörde  bedarf  z.  B.  i& 
Frankreich  bei  Klagen  gegen  Staatsbeamte.  Zu  den  peremtorischen 
gehören  die  Einrede  der  Rechtskraffc,  die  Amnestie,  die  Verjähnmg* 
Die  Wirkung  der  vorläufigen  Einrede  ist,  dass  das  Strafgerioht 
(nicht  die  Jury)  über  diese  Einrede  zu  entscheiden  hat.  Nr.  309. 
814.  In  Bezug  auf  die  präjudiciellen  Einreden  sind  einige  tos 
der  Art,  dass  für  ihre  Entscheidung  das  Strafgericht  zuständig 
ist,  indem  die  Einrede  eine  civilrechtliche  Frage  betrifft,  bei  wel- 
cher die  Existenz  eines  Verbrechens  zweifelhaft  ist,  wogegen  bei 
andern  das  Strafgericht  nicht  zuständig  ist,  wobei  man  wieder 
«nterscheiden  muss,  solche,  welche  die  Strafverfolgung  hindetBi 
z»  B.  wegen  Unterdrückung  des  status ,  wogegen  andere  auf  das 
Urthdil  wirken,    in  so  ferne   das   Strafgericht  solange   nickt  ss^ 


VerUliniflS  der  BtrafinltlAge  und  der  Chrflklftge  H^ 

scheiden  kann,  als  die  Vorfrage  nicht  erledigt  ist.  Mit  grosser 
Klarheit  entwickelt  nun  der  Verf.  p.  851  die  Bedingungen,  unter 
welchen  eine  wahre  prSjudicielle  Einrede  angenommen  werden  darf, 
und  rechtfertigt  die  Ansicht,  dass  der  Strafrichter  auch  über  eine  Frage 
des  CiTilrechts  selbst  entscheiden  darf,  wenn  der  acte  civil  mit 
dem  Verbrechen  innerlich  zusammenhängt.  Der  Verf.  p.  872  wendet 
diesen  Batz  vorzüglich  auf  die  Fälle  an,  wo  die  Anschuldigung  auf 
Unterdrückung  oder  Zerstörung  einer  Urkunde  gerichtet  und  dae 
Dasein  dieser  Urkunde  bestritten  wird;  die  Befugniss  des  Straf- 
richters  selbst  zu  entscheiden  wird  auch  gerechtfertigt  in  den  Fällen 
der  Anklage  wegen  gewohnheitsmässigen  Wuchers  p.  885,  bei  bo- 
trttglichem  Bankerott  p.  386,  bei  Anklagen  wegen  Unterschlagung 
anvertrauter  Sachen,  wenn  die  Verwahrung  in  Abrede  gestellt  ist 
p.  390,  wo  die  berühmte  Streitfrage  vorkommt,  ob  der  Vertrag, 
dessen  Gegenstand  150  Franken  übersteigt,  durch  Zeugen  bewiesen 
werden  darf,  oder  die  civilrechtliche  Vorschrift  über  Zeugenbeweis 
anzuwenden  ist.  Das  letzte  nimmt  der  Verf.  an  p.  892.  In  Deutsch- 
land, in  Ländern,  wo  der  französische  Code  gilt,  z.  B.  in  den  Khein-* 
Provinzen,  oder  wo  die  Gesetzgebung  auf  den  Code  civil  gebaut 
ist,  z.  B.  in  Baden  ist  die  vorwaltende  Ansicht  (badische  Straf-* 
Prozessordnung  von  1864  Art.  5),  dass  Zeugenbeweis  zulässig  ist. 
Ein  ähnlicher  Streit  über  Anwendung  des  Zeugenbeweises  kommt 
auch  vor  bei  Anklage  wegen  falschen  Eides  in  Civilsaeben,  wenn 
der  Akt,  der  dem  Meineid  zum  Grunde  liegt,  geläugnet  ist  und  die 
Summe  über  150  Franken  beträgt  p.  416—440. 

Eine  tief  eingehende  Untersuchung  widmet  der  Verf.  Theil  11. 
p.  10—84  der  bedeutendsten  Frage  in  dieser  Lehre,  nämlich  der 
prl^'udiciellen  Natur  der  Einrede  bei  Klagen  wegen  Unterdrückung 
des  Status  eines  Kindes,  wo  der  code  civil  Art.  326.  327  vor- 
schreibt, dass  die  Verhandlung  der  Anklage  solange  suspendirt 
werden  soll,  bis  vor  dem  Civilgericht  über  den  status  entschieden 
ist.  Beachtenswerth  ist  hier  schon  die  geschichtliche  Nach  Weisung, 
wie  diese  Ansieht,  und  aus  welchen  Motiven  in  die  französische 
Gesetzgebung  kam  p.  11—24.  Bekanntlich  ist  in  Frankreich  ^her 
den  Umfang,  in  welchem  die  Vorschrift  angewendet  werden  soll  und 
über  die  Wirkungen  grosser  Streit  unter  den  Juristen  und  zwar 
schon  über  die  Frage,  in  welcher  Lage  des  Streits  die  Eiurede  vor» 
g.ebraeht  werden  kann,  Nr.  275—277,  ob  der  Assisenhof,  wenn 
die  Einrede  erhoben  ist,  die  Angeklagten  provisorisch  in  Freiheit 
setzen  boU,  Nr.  278.  Wichtige  Vorschläge  für  die  Gesetzgebung 
macht  der  Verf.  p.  42.  Die  Vorschrift  von  Art.  327  kann  nuff 
unter  zwei  Bedingungen  angewendet  werden:  1)  nur  wenn  die  Ein'* 
rede  die  Kindschaft  (Filiation)  betrifft,  2)  wenn  dieser  status  be« 
stritten  ist  oder  die  Strafverfolgung  einen  unmittelbaren  Einfluss 
auf  den  status  des  Kindes  hat,  Nr.  283.  Aus  dem  ersten  Satse 
folgt,  dass.  der  Art.  327  nicht  zur  Anwendung  kommt ,  wenn 
bestrittene  Frage  den  status  der  Ehegatten  betrifft,  Nr,2S9v 


844  VeriiUtnUs  der  StrAfuiklage  und  der  CtvOkUge. 

die  Anklage  nicht  solche  Handlungen  betrifil ,  in  denen  nicht  du 
eigentliche  Verbrechen  der  Unterdrücknng  des  statns  eines  Kin- 
des  liegt,  also  nicht,  wenn  die  Anklage  eigentlich  auf  ein 
anderes  Verbrechen  gerichtet  ist,  z.  B.  Aussetzung  des  Kindea, 
oder  Vernichtung  des  Civilstandsregisters,  Nr.  288.  302.  806.  810 
311.  Der  zweite  oben  bemerkte  Satz  wird  bedeatend  in  F&llen 
der  Entfllhrong  oder  Verheimlichung  eines  Kindes,  Nr.  301.  Ein 
anderes  Verbrechen,  bei  welchem  die  Frage,  ob  die  präjudicielk 
Einrede  an  das  Civilgericht  zu  verweisen  ist,  kommt  vor  bei  An- 
klagen wegen  strafbaren  Bankerotts.  In  Frankreich  sind  die  Mei- 
nungen der  Juristen  sehr  getheilt,  Nr.  313—323.  Der  Verfasser, 
welcher  sich  für  die  Annahme  der  prftjudiciellea  Natur  der  Ein- 
rede ausspricht,  also  dafttr  sich  erklärt,  dass  vorerst  das  Dasein 
der  Insolvenz  durch  das  Civilgericht  hergestellt  sein  muss,  ent- 
wickelt sehr  klar  die  Gründe  für  jede  Ansicht.  Der  Verf.  gebt 
dann  über  auf  die  pr&judiciellen  Einreden,  die  es  nur  in  Bezog 
auf  das  ürtheil  nicht  auf  die  Strafverfolgung  sind,  wo  insbesonden 
die  Erörterung  der  allgemeinen  leitenden  Grundsätze  und  des  Ganges 
der  französischen  Gesetzgebung,  Nr.  324— 331,  sehr  gut  ist.  Zuerst 
kommen  hier  die  Fälle  in  Frage,  wo  die  Einrede  aus  dem  Eigen- 
thumsreohte  abgeleitet  ist  und  zwar  1)  in  Bezug  auf  das  Eigen- 
thum  an  Liegenschaften,  2)  in  Ansehung  des  Besitzrechts  an  den- 
selben, 3)  bei  Fragen  über  dingliche  Rechte  an  Immobilien,  4)  Eigen- 
thum  oder  Besitz  von  beweglichen  Sachen.  Eine  Masse  von  Streit- 
fragen erhebt  sich  in  der  Praxis  bei  jedem  dieser  Punkte ;  sie  sind 
von  dem  Verf.  p.  169—340  in  einer  Ausführlichkeit,  die  nichts 
zu  wünschen  übrig  lässt,  und  mit  den  Unterscheidungen,  ohne 
welche  die  Frage  über  die  Behandlung  dieser  Einreden  nicht  rich- 
tig entschieden  werden  kann,  von  dem  Verf.  erörtert.  Eine  der 
bedeutendsten  Entwicklungen  ist  die  p.  340  über  die  Frage:  in 
wie  ferne  präjudicielle  Einreden  bei  dem  Streite  über  Auslegung 
von  Vertilgen  p.  341  von  Akten  der  Verwaltung  p.  346,  der  Akte 
der  vollziehenden  Gewalt  p.  378,  insbesondere  auch  der  diplomsp 
tischen  Verträge  entstehen  können.  Hier  bemerkt  man  die  Wich- 
tigkeit des  Einflusses  politischer  Zustände  eines  Staates.  Während 
in  Prankreich  nach  dem  Streben  die  Macht  der  mehr  von  dem  Willen 
des  Ministeriums  abhängigen  Verwaltungsstellen  zu  erweitem  die  Qe- 
richte  unzuständig  erklärt  sind,  Akte  der  Verwaltung  zu  interpretiren, 
erkennt  man  in  Belgien  bei  freien  politischen  Zuständen  die  grössere 
Unabhängigkeit  der  Gerichte  und  daher  ihr  Auslegungsrecht  an, 
Nr.  433.  435.  TreflFliche  Entwicklungen  liefert  hier  der  Verfesser 
ebenso  auch  p.  385  über  die  schwierige  ausführlich  erörterte  Frage 
der  Auslieferung.  Interessant  ist  hier  p.  395  die  Erörterung  der 
Streitfrage  über  das  Verhältniss  der  Verwaltungsstellen  und  der  Ge- 
richte. Der  Verf.  beschränkt  dieselbe  mehr,  wogegen  Haus  Nr.  496 
wie  wir  glauben  mit  Recht  an  dem  Prinzip  der  Unabhängigkeit 
der  Gerichte  festhält.     Den  Schluss  des  zweiten   Theils  macht  die 


WeimAHselie  Beitrftge  für  LlterAtnr  und  Kunst  U$ 

üniersaohung  über  präjadicielle  Einreden  in  Bezog  auf  den  staius 
der  Peraonen  und  hier  wird  zuerst  von  dem  status  der  Ehegatten 
gehandelt,  wo  vorzüglich  die  bestrittene  Frage  zur  Sprache  kommt» 
in  wie  ferne  bei  Anklage  wegen  Bigamie  die  Einrede  der  UngUl* 
tigkeit  einer  der  Ehen  erhoben  wird.  Bekanntlich  sind  in  Frankreich 
(ähnlich  wie  in  anderen  Staaten)  die  Meinungen  der  Juristen  sehr 
verschieden,  man  kann  drei  Systeme  unterscheiden:  1)  Dasjenigat 
welches  in  allen  Fällen  die  Strafgerichte  für  zuständig  erklärt  über 
die  Einrede  zu  erkennen.  2)  Dasjenige,  welches  die  Frage  mit 
Unterscheidungen  beantwortet  und  zwar  ob  die  Gültigkeit  der  ersten 
oder  zweiten  Ehe  bestritten  wird.  3)  DasSjstem«  welches  fordert» 
dass  da,  wo  die  Gültigkeit  einer  Ehe  (erster  oder  zweiter)  ange- 
griffen wird,  das  Strafgericht  darüber  nicht  entscheide,  jedoch  da 
zu  entscheiden  hat,  wo  die  Existenz  eines  Ehevertrags  und  seiner 
Unterdrückung  oder  Zerstörung  in  Frage  steht.  Der  Verf.,  welcher 
sich,  wie  wir  glauben,  mitBecht  für  das  dritte  System  aussprichti 
entwickelt  so  klar  und  vollständig  wie  kein  anderes  neueres  Werk 
es  gethan  hat,  die  Gründe  fUr  und  wider  jedes  System.  Gewiss 
ist,  dass  das  dritte  System  das  consequenteste  ist,  indem  hier  der  mög- 
liche Nachtheil  des  ersten  Systems  vormieden  wird,  dass  über  oft  sehr 
schwierige  civilrechtliche  Punkte  oberflächliche  Verhandlungen  vor* 
kommen  und  die  Geschworenen  irregeleitet  und  später  widerspre- 
chende Urtheile  veranlasst  werden,  während  nach  dem  zweiten 
System  die  Entscheidung  von  willkürlichen  Unterscheidungen  ab- 
hängig gemacht  wird.  Die  Ausführlichkeit  unserer  bisherigen  Mit- 
theilungen wird  gerechtfertigt  durch  die  Wichtigkeit  der  bisher  in 
der  Wissenschaft  nicht  genug  gewürdigten  Lehre,  durch  den  Wunsohi 
den  Beichthum  des  in  dem  Werke  aufgehäuften  Materials  zu  zeigen 
imd  die  mit  der  Behandlung  der  Lehre  in  Gesetzgebung  oder 
Bechtsübung  Beschäftigten  auf  die  bedeutenden  Erörterungen  in  dem 
Werke  aufmerksam  zu  machen.  Mittermaier. 


Weimarische  Beüräge  aur  Literatur  und  Kunst  von  K.  Brügir, 
Fr,  Dingelstedt  u,  8.  w.  zur  Feier  der  fünf  und  swanzig^ 
jährigen  Wirksamkeit  der  Kranken-,  Peneiona--  und  Wittwen" 
kasee  für  die  Buchdruekergehülfen  au  Weimar  am  24.  Juni 
1864.  Zum  Besten  dieser  Anstalt.  Weimar,  In  dmimiation 
bei  Hermann  Böhlau  1866.  II  und  210  8. 

»Weimarische  Beiträge«,  zumal  wenn  sie  so  rühmlich  bekannte 
Namen  wie  die  der  Mehrzahl  der  Verfasser  an  der  Stime  tragen, 
müssen  ein  günstiges  Vorurtheil  erwecken.  Der  Name  » Weimar c 
hat  für  ein  deutsches  Ohr  einen  gewissen  Zauberklang,  welcher 
die  einzige  Saite  des  Nationalstolzes,  die  fOr  uns  zur  Zeit  noch 
tönt,  jederzeit  weckt.  Wer  spricht  das  Wort  »Weimar«  aus,  ohne 
dabei  unwillkürlich  wenigstens  an    Göthe   und   Schiller   zu  de» 


lea«  jA 


•a  Walautfteolit  Beltrige  fftr  literaiiir  und  Kwad. 

keiB?  E«m  Wunder  also  auch,  vielmehr  ganx  natfirlidi,  daat 
diese  » Beitrüge  €  mit  einem  Aufsatz  über  Göthe,  nSmüch  über 
aein  »Yerhftltniss  zum  Theater«  beginnen.  Daes  der  Y«^ 
fiwser  desselben,  A.  Scholl,  in  seiner,  wie  alle  flbrigen^  des  b»* 
•ohrttnkten  Baumes  wegen  freilich  nnr  sehr  kurzen  Mitthsüog 
(8.  1*— 22)  Neues  und  Anziehendes  muss  zu  sagen  wissen,  wird 
Jeder  voraussetzen  und  sich  nicht  getäuscht  finden.  -~  »Dsrid 
Strauss  zum  erstenmal  in  Weimar«  von  J. Marsbai  (8.23 
•^82)  schildert  eine  Zusammenkunft  des  Verfassers  mit  dem  be- 
vfthmten  Theologen.  Herr  Marshai  schreibt  das  Deutsche  mii 
grosser  Gewandtheit,  wenn  auch  Einzelnes  z.  B<  S.  82  »Ab- 
sehrift  von  Yersen«  für  »copy  of  verses«  an  den  Bb^ 
Ulnder  erinnert.  —  »Göthe  und  die  freie  Zeichnenschule  [wirm 
nicht  »Zeichenschule«?]  in  Weimar  von  G.  T.  Stichliig 
(S.88— &0)  erzählt  die  Geschichte  der  ersten  Periode  dieser  8<A«k 
md  zeigt  »wie  Göthe*8  schöpferischer  Geist  auch  da,  wo  er  äi 
Gebiet  des  praktischen  Lebens  berührte,  seiner  Zeit  weit  von» 
•Ueod ,  mit  Adlerblicken  in  die  Zukunft  schaute  ....  aber  sock 
zngleieh  den  grossen  Mann,  dessen  Gedanken  die  Welt  umfEUstei, 
wie  er,  weit  entfernt  von  jener  falsch  verstandenen  geistigen  Y«^ 
nehmheit,  es  nicht  verschmähte,  auch  den  kleinsten  Gegenständ«!, 
die  sein  Amt  ihm  vorfahrte,  die  eingehendste  und  gewissenbaiM« 
Vttrserge  tu  widmen.«  —  »Drei  Fest  spräche«  von  Fraai 
Dwgelstedt  (S.  51—60)  sind  bei  Gelegenheit  der  deutsdien  Too- 
kOastler- Versammlung  (4.  bis  8.  August  1861),  zum  MasksiM 
(11.  März  1868)  und  zu  Shakspeare  Jubelfeier  im  Hoftheater  (2S. 
AiHril  1864)  gedichtet  worden.  —  »Ein  Jenaer  BathswackV 
meister  und  Poet«  von  Dr.  Brüger  (8.  61—86)  zeigt,  and 
durch  mitgetheilte  Proben,  die  nicht  geringe  Begabung  des  wasmt' 
halb  Jena*s  wenig  bekannten  Dichters  Wilhelm  Treunert  (geb.  1717 
gest.  1860).  —  Von  den  »Sonetten«  von  A.  von  Maltita  (8.  8? 
— 102)  kann  Ref.  nicht  umhin  folgendes  hier  mitzutheilen,  das  üui 
ganz  besonders  angesprochen  und  überschrieben  ist: 

»Eine  Gasse«. 
Sobliesst  eure  Reihen,  Ritter,  nicbt  zu  strenge. 

Wie  einst  gethan  bei  Sempach  Habsburgs  Heer; 

Von  Lanzen  starrend  und  gewitterschwer, 

So  zieht  einher  das  eiserne  Gedränge. 
Doch  Winkelried  tritt  aus  der  Seinen  Menge, 

Entwaffnet,  nicbt  der  Waffen  braucht  er  mehr; 

Umarmend  niederdrückt  die  Lanzen  er: 

»Ich  bahn  euch  einen  Weg  durch  diese  Enge.« 
Und  durch  die  Gasse  die  er  aufgeschlossen, 

Verderbend  dringen  ein  die  Eidgenossen. 

So  lernt  aus  eurer  Väter  Missgeschicken: 
In  eure  Reihen  dringt  der  Geist  der  Zeit, 

Drückt  eure  Lanzen  nieder  vor  dem  Streit, 

Und  wird  in  eurem  Harnisch  euch  ersticken.« 


Fiselier:  Clavis  der8ffio«l«.  S4t 

Eine  »deutsche  Frauc  (8.  103—116)  ist  eine  httbsche 
Novelle  von  Hans  Röster.  —  »Ohronioa  von  den  sechs  Wolf- 
gangen. Eine  aristophanische  Bhapsodiec  von  Karl 
Eitner  (S.  11 7*- 135)  ist  der  einleitende  Theil  eines  Ganzen,  wel» 
ohes  nnter  dem  »Zoilomastik  d.i.  Zelotengeissel«  zum  Zweck  hat, 
die  an  nnsem  grossen  und  schätaenswerthen  Geistern  auf  unwür« 
digste  Weise  verübten  Unbilden  eines  literarischen  Zeloten,  bald 
in  strengerer  Kritik,  bald  in  mehr  scherzhafter  oder  ironischer 
Darstellung  za  rügen  c  und  preist  poetisch  den  heiligen  Wolfgang 
(&  Leg.  Aur.  ed.  Graesse  c.  211  p.  912),  femer  Wolfgang,  Fürst 
zu  Anhalt  (geb.  1502  gest.  1566),  Wolfgang  Christoph  Dessier 
(geistlicher  Liederdichter  geb.  1660  gest.  1722),  endlich  Mozart 
undGOthe.  — »Das  Schattenspiel  »»Minervens  Geburtftc 
von  A.  SchöU  (8«  137—144)  theilt  einlneditum  mit,  welches  isa 
den  Urkunden  aus  dem  Hofpoetenleben  Göthe^s  gehört«  c  ^  Der 
Aufsatz  »Zur  Erinnerung  an  Carl  Benedict  Hase«  vom 
Hermann  Sassow  (S.  145—154)  enthält  einen  kurzen  Lebensabrias 
des  berühmten  Hellenisten.  —  »Aus  »»Elisabeth  von  Thtt- 
ringen.««  Geschichtliche  Novelle  in  Versen«  von  Lud« 
wig  Stiebritz  (S.  155—180).  Ein  Bruchstück.  —  »Ueber  die 
europäischen  Volksmärchen«  (S.  181— 203);  ein  vor  einen 
grösseren  Publikum  gehaltener  Vortrag,  der  zwar  nur  im  AUge« 
meinen  auf  die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Märchen  aufmerk« 
ahm  machen  wollte,  gleichwohl  aber  wie  alles  was  aus  der  Feder 
dieses  in  der  erzählenden  Literatur  so  weitbewanderten  Gelehrten 
kommt,  mannigfache  Belehrung  bietet.  —  »Der  Gränzlauf« 
von  Karl  Eitner  (S.  203—210) ;  poetische  Behandlung  einer  Schweiz 
zersäge  (s.  Grimm,  Deutsche  Sagen  No.  287).  Aus  Vorstehendem 
erhellt  hinlänglich,  ohne  dass  es  nötbig  sei,  auf  jeden  einzelneB 
»Beitrag«  näher  einzugehen,  wie  inhaltsreich  der  vorliegende  Band 
ist  und  dass  er,  abgesehen  von  dem  wohlthätigen  Zwecke,  atuch 
vielfadi  litterarisch  Interessantes  bietet.  Nur  darüber  wundert  8i<^h 
Bef.,  dass  Göthe  darin  dreimal,  Schiller  aber  auch  nicht 
mal  bedacht  ist;  und  warum? 

Lüttich.  Felix  Liebrecht 


CUmi  der  SiUcate,  Diehotomisehe  Tabeüen  zum  B€$Umiaun  alhr 
kieselsauren  VerbindungeH  im  Mineralreiehe,  Auf  ^emiseker 
Grundlage  ausgearbeitet  von  Dr.  Leop,  Heinrich  Fiseher, 
ordenU,  Professor  der  Mineralogie  und  Geologie  an  der  Unir 
vereiiät  Freiburg,  Leipzig.  Verlag  von  Wilhelm  Engdmann.  & 
miU.  8.  US. 

Mehrfach  ist  schon  der  Versuch  gemacht  worden  für  die  Mi* 
neralien  BestimmungS'Tabellen  zu  entwerfen.     Der  dabei 


S48  Fieeber:  ClAvia  der  BflittM. 

haliene  Standpunkt  war  aber  ein  verschiedener.  Bald  dienten  mor- 
phologiscbe,  bald  phjBikaliscbe  Merkmale  biebei  snr  Orondlag«, 
Erst  darcb  Fr.  y.  Eobells  »Tafeln  zur  Bestimmung  der  IGnen- 
lien  mittelst  einfacher  chemischer  Versuche«  ist  ein  anderer,  aber 
der  sichere  Weg  eingeschlagen  worden;  das  chemische  Verhaltes 
ist  für  die  Aufsuchung  in  den  Vordergrund  gestellt.  Besser  ab 
eine  weitere  Lobrede  ftlr  die  grosse  Brauchbarkeit,  den  wisaea- 
schaftliohen  und  praktischen  Werth  von  Fr.  y.  Kobell's  Tafeia 
dient  der  Beweis,  dass  solche  bereits  8  Auflagen  erlebten  und  ,in 
yier  fremde  Sprachen  übersetzt  wurden.  Aber  gerade  die  Anlage 
und  ganze  Tendenz  der  y.  KobelTschen  Tafeln  erforderte,  da» 
das  ganze  Material  auf  einem  Baum  yon  wenigen  Druckbogen  n- 
sammengeüasst  wurde.  Es  mussten  namentlich  die  Silicate  nur  eiu 
kürzere  Behandlung  erfahren,  die  selteneren  konnten  gar  nicht  ad- 
geführt  werden«  Nun  bietet  aber  die  Bestimmung  der  kiesekaaia 
Verbindungen  oft  ganz  besondere  Schwierigkeiten  und  Fischer 
hat  sich  desshalb  die  missliche  Aufgabe  gestellt:  die  Silicate  ge* 
sondert  und  ganz  selbständig  in  Bestimmungs-Tabellen  durcha- 
arbeiten.  Er  ging  dabei  yon  der  richtigen  üeberzeugung  aus,  dass 
es  für  yiele  Mineralogen  sehr  erwünscht  sein  dürfte,  ein  Ifinenl, 
das  sie  durch  eine  Probe  auf  trockenem  oder  nassem  Wege  als 
ein  Silicat  überhaupt  erkannt,  so  genau  und  rasch  als  m5glidi 
unter  den  yielen  jetzt  bekannten  Arten  entweder  unterzubringea 
oder  andererseits  zu  ermitteln,  ob  die  Substanz  etwa  neu  sei  und 
welches  deren  nächste  chemische  Verwandte  wären. 

Diese  schwierige  Aufgabe  hat  nun  Fischer  mit  Glück  ge- 
löst; seine  fleissige  und  gründliche  Arbeit  yerdient  daher  die  Aa- 
erkennung  und  den  Dank  der  Mineralogen*  Bei  einer  Vergleichong 
seiner  Schrift  mit  den  Tafeln  yon  y.  Eobell  erkennt  man  bald, 
dass  Fischer  die  Schmelzbarkeit  und  das  Verhalten  gegen  Sänrei 
in  gleicher  Weise  wie  dort  yerwendet,  bei  der  Ermittelung  der 
Species  hingegen  die  chemische,  meist  mit  wenig  Material  ausfUu^ 
bare  Untersuchung  auf  trocknem  und  nassem  Wege  consequent  viel 
weiter  ins  Detail  ausgeführt,  dabei  aber  auch  die  morphologischen 
und  physikalischen  Merkmale  zu  Hülfe  genommen  hat. 

Im  Verlaufe  seiner  mehrjährigen  Studien  über  diesen  (Jeges- 
stand  sah  sich  Fischer  yeranlasst  über  50' Mineral-Species  ge- 
nauer zu  untersuchen,  weil  bei  solchen  in  allen  ihm  zu  Gebot 
siehenden  Handbüchern  das  Verhalten  yor  dem  Löthrohr  und  geges 
Bftnren  gar  nicht  oder  nur  sehr  unyollständig  oder  sogar  zuweilen 
unrichtig  angegeben  war. 

Möge  dem  Wunsch  des  Verfassers,  dass  seine  Arbeit  zunächst 
den  angehenden  Forschern  die  Orientirung  im  grossen  Gebiete  der 
Silicate  einigermassen  erleichtere  durch  deren  weite  Verbreitong 
und  fleissigen  Gebrauch  entsprochen  werden. 

G.  Leonhard. 


Kr.  S4.  HEIDElBEfiGEB  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 


Dr,  Karl  von  Spruner' s  historisch-geographischer  Hand-AUcu. 
Erste  Aölheilung  Atlas  antiqiais* 

Mit  dem  weiteren  Titel: 

Karoli  Spruneri  Optis  tertio  edidit  Theodorus  Menke.    Qothae.  Sum- 
tU>u8  Justi  Perthes.  MDCCCLXV.  in  gr.  Fol. 

Dieser  Atlas  der  alten  Welt,  wie  er  hier  in  einer  bedeutend 
erweiterten  nnd  vielfach  verbesserten  Gestalt  zum  drittenmal 
erscheint,  dürfte  wohl  unter  den  ähnlichen  Werken,  wie  sie  mehr- 
fach in  neuerer  Zeit  erschienen  sind,  die  erste  Stelle  einnehmen, 
ebensowohl  was  den  umfang  und  die  Beichhaltigkeit  des  Ganzen 
wie  die  Genauigkeit  und  Sorgfalt  des  Einzelnen  betrifft.  Wenn 
wir  erwägen,  was  gerade  im  Einzelnen  auf  diesem  Gebiete  in  der 
neuesten  Zeit  geleistet  worden  ist,  durch  Beisen,  in  die  Haupt- 
länder der  alten  Welt,  die  sich  jetzt  mehr  den  Zutritt  erschliessen, 
imternommen,  durch  richtige  Erklärung  der  alten  Schriftsteller, 
durch  neue  Funde  von  Inschriften  und  andern  alten  Denkmalen, 
die  uns  über  die  oft  zweifelhafte  und  darum  bestrittene  Frage  so 
mancher,  selbst  bedeutenden  Städte  und  Völker  der  alten  Welt 
einen  sichern  Aufschluss  gebracht  haben,  so  tritt  hier  vor  Allem 
die  Aufgabe  heran,  für  einen  Atlas  der  alten  Welt  alle  diese,  oft 
durch  langwierige  Forschungen  und  Untersuchungen  gewonnenen  Be- 
sultate  zu  verwerthen  und  zu  benutzen,  aber  auch  hier  mit  aller 
nöthigen  Vorsicht  zu  verfahren,  und  nur  von  dem  Gebrauch  zu 
machen,  was  sich  als  anerkannt  sicher  herausstellt  und  bewährt 
hat.  Wir  freuen  uns,  dieser  Aufgabe  in  dem  vorliegenden  Werke 
auf  eine  Weise  genügt  zu  sehen,  die  unsere  volle  Anerkennung  er- 
fordert. Es  wird  dabei  wohl  kaum  nöthig  sein,  an  die  grossen 
Schwierigkeiten  zu  erinnern,  mit  welchen  die  Ausführung  eines 
solchen  Unternehmens,  verknüpft  ist ,  welche  Ausdauer  erforderlich 
ist,  auf  Alles,  was  zerstreut  hier  und  dort  im  Einzelnen  geleistet 
worden  ist,  ein  achtsames  Auge  zu  werfen,  dann  aber  auch  mit 
kritischem  Blicke  dasselbe  zu  prüfen  und  das  zu  ermitteln  j  wai 
wirklich  zu  verwerthen  ist,  da  auch  auf  diesem  Gebieto  €!s  an  man- 
chen Produkten  einer  kühnen  Phantasie  nicht  fehlt.  Man  wird 
aber  bald  finden,  wie  in  dem  vorliegenden  Atlas  auch  daa  Neuesta 
der  Art  nicht  unberücksichtigt  geblieben  ist. 

Wenn  der  neue  Herausgeber  in  dieser  Hinsicht  S.  2  des  Vor- 
worts bemerkt:  »Das  bedeutende  Material  für  alte  Goograpkia,  am 
seit  D'Anville,  Mannert,  Ukert  und  Forbiger  durch  Borgfdltige  kri» 
LVm.  Jahrg.  11.  Heft  54 


8fiO  Bprnnev-Menke:  Atbi  der  «Itea  Welt 

tische  Benatzung  der  biblischen  and  klassischen  Schriftsteller,  so 
wie  der  griechischen  und  römischen  Inschriften^  dnroh  die  Anf- 
Bchliessnng  des  ttgyptisehen,  indischen,  zendischen  und  persiseken 
Alterthoms,  durch  Reisen  und  Aufgrabungen  sich  angesammelt  hat, 
ist  nach  Kräften  benutzt.  Auch  die  in  Zeitschriften  und  Mono- 
graphien zerstreuten  Aufsätze  über  alte  Geographie  und  Statistik 
Sind  gesammelt  und  zuBathe  gezogen«  u.  s.  w.  so  wird  man  diese 
Erklärung  thatsächlich  bestätigt  finden,  wenn  mau  einen  Blick  in 
die  einzelnen  Tafeln  wirft  und  einer  sargftltigen  Vergleichong  die- 
selben unterzieht;  man  wird  aber  auch>  und  gewiss  zum  Yortkeil 
des  Ganzen,  wahrnehmen,  dass  manche  der  kühnen  und  willkfl> 
liehen  Ansätze  des  Bcichard*schen  Atlas,  welche  in  den  yoraiisg»- 
gangenen  Auflagen  noch  hie  und  dort  beibehalten  waren,  beseitigt 
sind,  und  der  Herausgeber  von  einem  solchen  Verfahren  sich  mög- 
lichst fem  zu  halten  bemüht  war.  So  erscheint  die  neue  Ausgabe, 
sowohl  was  Anlage  wie  Behandlung  betrifft,  in  Vielem  fast  wie  ein 
neues  Werk.  Es  wird  diess  aus  dem  Bericht,  den  wir  hier  folgen 
lassen,  noch  deutlicher  herrorgehen. 

Was  zuvörderst  den  Umfang  der  Ganzen  betrifft,  so  habeo 
wir  nur  anzuführen,  dass  von  den  ein  und  dreissig  Karten, 
welche  den  Bestand  dieser  dritten  Auflage  bilden,  nicht  weniger 
als  achtzehn  neu,  die  übrigen  dreizehn  aber  nach  den  £^ 
gebnissen  der  neuesten  Forschungen  mehrfach  berichtigt  und  Te^ 
bessert  sind,  während  die  Gesammtzahl  der  am  Bande  dieser  31 
Karten  angebrachten  Kebenkärtchen  und  Pläne  bis  auf  hundert 
und  acht  und  zwanzig  gestiegen  ist.  Jene  31  Karten  aber 
lassen  sich  in  zwei  Abtheilungen  ordnen,  wovon  die  eine,  die  erstes 
«sechzehn  Karten  befassend,  einen  üeberblick  über  die  gesammte 
alte  Geschichte  nach  Perioden  gibt,  die  andere,  mit  fünfzehn  Tafeln 
in  Specialkarten  die  alte  Welt  zur  Zeit  des  römischen  Beiche8da^ 
stellt. 

Durchgehen  wir  nun  etwas  näher  die  einzelnen  Tafeln  anter 
Benutzung  der  vom  Herausgeber  dazu  gelieferten  Erläuterungen,  in 
welchen  er  zugleich  die  von  ihm  bei  seiner  Arbeit  benatzteD 
Quellen  gewissenhaft  verzeichnet  hat,  so  bringt  die  erste  Karte 
ausser  einer  allgemeinen  Karte  der  den  Griechen  und  Römern  snr 
Zeit  des  Ptolemäus  bekannten  Welt,  noch  besondere  Tafeln,  welcb« 
die  alte  Welt  nach  Homerischer,  Herodoteischer,  Strabonischer  ont). 
Ptolemäischer  Vorstellung  enthalten,  und  fügt  dazu  noch  oben  am 
Bande  die  Darstellung  der  Peutinger' sehen  TafeL  Die^^LIVlHiTlBfel 
enthält  eine  Darstellung  der  Welt  zur  Zeit  der  Assyrischoo^^ 
herrschaft,  mit  einer  Nebenkarte  von  Aegjpten,  woran  sich  y^ 
kleinere  Tafeln,  welche  die  Pyramidengruppe,  Theben  mit  p«* 
Umgebungen  und  einen  Plan  von  Ninus  so  wie  selbst  eine  beson- 
dere Darstellung  der  Welt  nach  den  Vorstellungen  der  HebrSef 
enthalten.  Wie  auch  hier  die  neuesten  Forschungen  benutzt  sind, 
ergibt  sich  schon  aus  deren  Aufiührung  in  der  Erläuterungen :  und 


j 


8pruner*Menke:  Atkt  der  alteii  Welt.  861 

wenn  hier  z.  B.  bei  Aegypten  die  ans  den  heimisdieii  QneUen,  alao 
aus  den  Hieroglyphen  hervorgegangenen  Ortsnamen  weniger  berück- 
siebtigt  worden  sind,  so  wird  man  daraus,  bei  der  hier  noch  sohwe« 
benden  Unsicherheit,  dem  Heransgeber  keinen  Vorwurf  machen 
können.  Er  hat  aus  gleichem  Qrunde  das  Gleiche  auch  bei  dem 
beobachtet,  was  aus  Persischen  Quellen,  oder  aus  Keilschriften  i|i 
neuester  Zeit  hervorgezogen  worden  ist.  Hier  ist  gewiss  alle  Vor- 
sicht am  Platze,  und  manche  Vorarbeiten  sind  noch  n&thig,  bis 
wir  dahin  kommen,  einen  völlig  gesicherten  Gebrauch  von  diesen 
Entdeckungen  zu  machen. 

Die  dritte  Karte  ist  der  Geographie  des  heiligen  Landes  ge<* 
widmet;  sie  enthält  eine  genaue  Karte  des  Landes  Kanaan,  woran 
sich  eine  grössere  Nebenkarte  anschliesst,  welche  dieses  Land  in 
Verbindung  mit  den  östlichen  Nachbarländern,  Babylonien  und 
Assyrien  enthält,  und  dazu  kommen  noch  die  Pläne  der  Stadt  Jeru- 
salem und  ihrer  Umgebungen,  so  wie  des  Berges  Sinai.  Dass  auch 
hierauf  die  neuesten  Forschungen,  die  so  manche  Aufklärung  über 
einzelne  Theile  gebracht  haben,  stets  Bttcksicht  genommen  ist,  b^ 
darf  wohl  kaum  einer  besonderen  Erwähnung :  über  einige  bestrittene 
Punkte  hat  sich  der  Herausgeber  in  den  Erläuterungen  erklärt  oder 
vielmehr  gerechtfertigt :  man  wird  daraus  ersehen,  dasa  sein  Augen- 
merk auf  alle  neueren  Forschungen  gerichtet  war  und  hier  kaum 
Etwas  übersehen  worden  ist.  Die  vierte  Karte  führt  die  Persische 
Weltmonarchie  vor,  mit  einer  Beihe  von  Nebenkärtchen,  welche  die 
Pläne  und  Umgebungen  von  Persepolis,  Pasargadä,  Babylon,  Susa, 
Sardes,  das  Nildelta  enthalten  und  selbst  in  einem  kleinen  freig»- 
bliebenen  Baum  noch  die  Insel  Samos  einschalten.  Dass  es  auch 
hier  an  mancherlei  Schwierigkeiten  nicht  fehlt ,  weiss  Jeder ,  der 
sich  einigermassen  mit  dem  Gegenstande  beschäftigt  hat ;  man  denke 
nur  an  die  Schwierigkeit,  die  verschiedenen  einzelnen,  von  Hero^ 
dotus  in  dem  Verzeichniss  der  Satrapien  genannten  und  in  Eine 
Satrapio  zusammengestellten  Völkerschaften  mit  den  Volks-  und 
liändemamen  in  Uebereinstimmung  zubringen,  welche  in  den  Keil- 
schriften des  Darius  zu  Nakschi  Bustan  und  Bisutun  vorkommen, 
und  hiernach  jedem  einzelnen  Volk  seine  richtige  Stelle  auf  der 
Karte  anzuweisen.  Der  Herausgeber  hat  sich  diesen  Schwierig- 
keiten nicht  entziehen  können,  und  eine  Lösung  versucht,  die  in 
den  vorgesetzten  Erläuterungen  ihre  nähere  Begründung  findet : 
auf  der  Karte  selbst  sind  mit  besonderer  Schrift  die  Namen  der 
Keilschriften  den  gewöhnlichen,   durch   die  Griechen    üborliefeiten 

'-     beigesetzt,  eine  dankenswerthe,  noch   auf  keiner  ähnUchen  Karte 

)U     vorgekommene  Einrichtung. 

^^\         Die  nächsten  drei  Blätter   (V.  VI.  VIL)   haben    Griöchenlana 

i  ^'^  zum  Gegenstände,  und  zwar  das  Griechenland  im  harolschen  Zeit^ 
alter  wie  zur  Zeit  der  dorischen  Wanderung,  dann  der  darauf  fol« 
genden  historischen  Zeit,  und  der  Zeit  nach  dem  Poraischen  Krio^ 
gen.   Zahlreiche  Nebenkärtehen  füllen  den  Band  oder   üb 


S6a  Spruner-Menke:  AUm  d«r  alten  Welt 

den  frei  gebliebenen  Raum  eines  jeden  Blattes  ein,  so  auf  dem  eni- 
genannten  Blatte,  das  auch  Eleinasien  nnd  Phönicien  enthält,  die 
Pl&ne  von  Ithaka,  von  Theben,  von  Troja,  und  zwar  den  letzteren 
auf  dreifache  Weise,  nach  Strabo  nnd  Lechevalier,  sowie  nach  der 
eigenen  Ansicht  des  Herausgebers,   welcher,   um  diese  hier  gleicb 
zu  bemerken,  in  den  Erläuternngen  sich  gegen  die  von  der  Mehr- 
zahl neuerer   Gelehrten   ausgesprochene  Ansicht,   welche  das  alte 
nium  bei  der  Höhe  von  Bunarbaschi  sucht,  und  schon  yon  Leche- 
valier im  vorigen  Jahrhundert  aufgestellt  worden  war,  erkl&rthat, 
indem  er  sie  als  unmöglich  vereinbar  mit  den  bestimmten  Angahen 
der   Homerischen  Dichtungen  selbst   darzustellen   sucht;   ihm  e^ 
scheint  das  spätere  Neu-Ilium   als   der  Ort,   wo   auch   die  Statte 
des  Homerischen  üiums  zu  suchen  sei.   Wir  können  hier  uatürlieli 
in  diese  schwierige  Oontroverse  uns  nicht  weiter  überlassen ,  fiber 
welche  selbst  die  beiden  neuesten  Forscher  dieses  Punktes,  der  Eng- 
länder Haclaren  in  seiner  1863  zu  London  erschienenen  Beschrei- 
bung der  Ebene  von  Troja ,  und  der  Deutsche   J.  G.  von  Hahn  n 
einer  kleinen  in  diesem  Jahre  erschienenen  Schrift  über  die  Ans- 
grabungen  des  Homerischen  Pergamos,  auseinandergehen  ond  dk 
beiden  entgegengesetzten  Ansichten  repräsentiren ,  indem  der  eng- 
lische Gelehrte  für  Neu-Ilium,   der  Deutsche  fUr  die    oben  ange- 
führte in  Deutschland,  und  zwar  in  der  letzten  Zeit  am  meisten 
verbreitete    seine   Stimme  erhebt.     Es  wird  also   die    Controverse 
nicht  für  abgeschlossen  gelten  können  und  neuere,  weitere  ünte^ 
suchungen,  an  Ort  und  Stelle  geführt,   werden   noch   nöthig  sein, 
um  eine  völlig  gesicherte  Entscheidung  herbeizuführen.     Auf  den 
beiden  andern  Blättern  sind  gleichfalls  zahlreiche  Nebenkftrtchen 
angebracht,  welche  Pläne  von  den  in  der  Griechischen  Geschichte 
durch  die  dort  gekämpften  Schlachten  so  wichtigen   Orten  enthal- 
ten, wie  Marathon  (das  in   die    Nähe   des  heutigen  Yrana  verlegt 
wird,  ungeachtet  ßangabe*s  Widerspruch)  Platää,  Mantinea,  Leactn, 
die  Therm  opylen,  dann  Athen,  die  Stadt,  die  Acropolis,  die  Hafen- 
städte   mit  Salamis,  (was  zugleich  für   die   Sohlacht  von  Salamii 
dient),  Delphi. 

Auf  dem  achten  Blatte  folgt  das  Reich  Alexanders  des  Grossen, 
an  welches  auf  dem  neunten  sich  anreiht  die  Darstellung  der  ans 
der  Monarchie  Alexanders  hervorgegangenen  Reiche,  wie  eine  solche 
zur  Geschichte  der  sogenaimten  Diadoohen  als  Hülfsmittel  unent- 
behrlich ißt:  Orbis  terrarum  post  proelium  Corupediense  282—220 
a.  Ohr«,  d«  h.  nach  dem  Siege  des  Seleucus  über  Ljsimaohus  bei 
Koros  oder  Eorospedion  (welchen  Ort  wir  übrigens  vergeblich  auf 
der  Karte  selbst  gesucht  haben,  wie  er  denn  auch  in  unsemReai- 
Wörterbüchern  fehlt,  aber  gewiss  eher  in  die  Nähe  des  Hellespontes  ala 
nördlich  von  den  cilicisohen  Pässen  zu  verlegen  ist)  281  a.  Chr. 
und  der  dadurch  hervorgerufenen  Neugestaltung.  Ali  den  Neben- 
kärtchen  sind  auch  die  Reiche  der  vorhergehenden  Diadochen  bis  282 
a.  Ohr.  dargestellt,  dann  Pläne  von  Rhodus,  Sparta-Sellasia,  SeleaciSi 


Bprnner-Menlce:  Atlas  der  alten  Welt  853 

Antiochia,    Cypern  und  Susiana   gegeben,    eben   so   wie  anf  dem 
achten    Blatte   von   Halicarnassus ,   Tyrus,  Arbela-Gaugamela  und 
80  weiter.     Die  drei  folgenden  Tafeln,    also    X.    XI.  XII.    haben 
Italien    und    die    Nebenländer    zum    Gegenstand,    and    zwar    in 
dreifacher   Abstufung,   erstens   in   der  Zeit  der   Blüthe  von  Gross- 
griechenland und  der  tyrrhenischen  Macht  bis  zum  Unterliegen  der- 
selben, dann  in  der  darauf  folgenden  Zeit  bis  zum  letzten  Kampf 
der  Römer  mit  den  Italikern,  welche  das  römische  Bürgerrecht  er- 
halten, und  drittens  zur  Zeit   der   Bürgerkriege   und   der  Militär- 
kolonien bis  zum  Ende  der  Republik.     Dass  die  Hauptlandschaften 
Italiens,  wie  Etrurien,  Latium,  Campanien  mit  Nebenkärtchen  be- 
dacht sind,  wird  kaum  beft-emden ;  eben  so  wenig  fehlen  die  Pläne 
der  Hauptpunkte,  wie  Rom  und  das  römische  Forum,  Brundusium, 
Syracus,  Agrigent,  Tarent.  Auch  hier  sind  wieder  die  neuesten  Ent- 
deckungen und  Forschungen   benutzt,    und  eben  so  ist  die  neuere 
Literatur,  die  geschichtlich-antiquarische,  wie  die  geographische  zu 
Bathe  gezogen  worden.     Zwei  weitere  Blätter  (XIII.  XIV.)  stellen 
das  Mittelmeer  mit  den  daran  liegenden  Ländern  in  der  Zeit  vom 
Kriege    Hannibals    bis    zur    Zeit    des    Mithridates    des    Grossen, 
und  in  der  Zeit  von  der  Rückkehr  des  Pompejus  bis  zum  Kampfe 
bei  Actium  dar ;  dann  folgt  auf  Blatt  XV  und  XVI  das  Römische 
Reich  in   seiner   Gesammtausdehnung    von   August   bis   Diocletian, 
und  von  Constantin  dem   Grossen   an;   zahlreiche   Nebenkärtchen, 
welche  einzelne  Länder  u.  dgl.  darstellen,  füllen  die  freigelassenen 
Räume.     Die   drei  nächsten  Tafeln   (XVII.   XVm.   XIX.)   bringen 
Spanien,  dessen  südlicher  Theil  oder  die  Provinz  Bätica  auf  einer 
Nebenkarte  besonders  dargestellt  ist,  Britannien  nebst  Irland,  und 
Gallien:   die   beiden   folgenden   (XX  und  XXI)   geben   Italien  und 
Sicilien  nach  den  Regionen,  wie  Plinius  dieselben  verzeichnet:  ein 
schöner  Plan  von  Rom,   so   wie  ein  besonderer  der   achten  Regio 
(also  des  Mittelpunktes  der  Stadt,  welcher  Capitol,  Forum  u.  s»  w, 
enthält)  ist  als  Nebenkarte  beigefügt,  eben  so  ein  Plan  von  Pom- 
peji und  des  diesen  Ort  umgebenden  Theils  von  Campanien  u.  s.  w. 
Dann  folgt  auf  Blatt  XXII  Germanien,  Rhätien  und  Noricum,  auf 
Blatt  XXIII  die  nördlich  von   Griechenland   gelegenen   Länder  bis 
zur  Donau,  mit  Einschluss  von  Macedonien  und  Thracien,  auf  Blatt 
XXIV  der  Pontus  Euxinus  mit  den  anstossenden  Küstenländern  und 
schönen  Nebenkärtchen    des   Cimmerischen    wie    des    Thracischen 
Bosporus,  auf  Blatt  XXV  Kleinasien  ^   nach  seiner  sptitern  Abthei- 
lung mit  den  anstossenden  Landschaften,  von  welchen  Lycien  und 
Jonien   noch    mit   besondern   Nebenkärtchen  bedacht   sindj    Blatt 
XXVI  wendet  sich  wieder  dem  heiligen  Lande  zu,   und  gibt  Doo*- 
Stellungen  desselben  zur  Zeit  der  Makkabäer,  zur  Zeit  der  Horodes- 
Herrscher  und  in  der  späteren   Zeit  vom  Jahr  70  p*  Cbr.    bis  auf 
Diocletian;    auch  hier  ist  ein  schöner    Plan   von  Jerusalem  beige- 
geben, und  sind  weiter  hier,  wie  auf  den  beiden  folgenden  Tafeln, 
Stücke  der  Peutinger'schen  Tafel  beigednioktj  Blatt  XXVH  bring 


B54  Mtnke:  Bolml^Atks  der  tlitm  Wilt 

die  ostwärts  vom  Pontas  Enxinus  gelegenen  L&nder,  mit  EineelihaB 
von  Armenien  und  Mesopotamien,  bis  nach  Babylon;  Blatt  XXVm 
IndoBoythien  und  die  Parthischen  Reiche ;  Indien  kommt  dann  auf 
Blatt  XXIXy  Arabien,  Aogypten  (mit  einem  besondem  Kärtchen 
der  Heptanomis  and  Thebais)  nnd  Aethiopien  auf  Blatt  XXX,  nnd 
anf  Blatt  XXXI  die  Nord-Africanischen  Kttstenländer,  so  weit  die 
römische  Knltnr  gedrungen  ist,  mit  einem  Abdruck  der  Peatin- 
ger'sohen  Tafel. 

Wir  schliessen  damit  nnsem,  ziemlich  im  Allgemeinen  ge- 
haltenen Bericht,  da  der  uns  zugewiesene  Baum  es  nicht  verstaUet, 
Alles  Einzelne,  namentlich  was  auf  den  zahlreichen  Nebenkärtcbea 
enthalten  ist  namhaft  zu  machen  nnd  mit  weiteren  Bemerkungen 
zu  begleiten.  Was  wir  angefllhrt  haben,  mag  zur  richtigen  Wfirdi- 
gung  des  Ganzen,  aber  auch  zur  Empfehlung  desselben  dienen;  wer 
in  den  Atlas  selbst  einen  Blick  werfen  und  sich  hier  im  Einzebea 
näher  umsehen  will,  mit  welcher  Genauigkeit  und  Sorgfalt  AUei 
Einzelne  behandelt,  und  jede  Forschung  der  neuem  Zeit  auf  die- 
sem Gebiete  die  gebührende  Berücksichtigung  gefunden  hat,  wird 
unserm  ürtheil  gerne  beipflichten.  Für  alle  Theile  und  Perioden 
der  alten  Geschichte  ist,  imter  sorgfUtiger  Unterscheidung  de^ 
selben  gesorgt,  und  damit  ein  Hülfsmittel  für  alle  Theile  unserer 
gesammten  Alterthumsforschung  gegeben,  dessen  Werth  man  nieiit 
hoch  genug  anschlagen  kann.  Ein  gleiches  Lob  verdient  aber  auch 
die  vorzügliche  künstlerische  Ausführung  der  Karten. 

Wir  reihen  hier  noch  an: 

Orbü  aniiqui  deseriptio.  In  usum scholarum  edidit  Th.  Menke,  EdSÜß 
quarta.  Octhae:  Bumtibus  JusH  Perthes.  Anna  MDCCCU^- 
in  klein  Fol 

Dieser  Schulatlas  in  seiner  vierten  Ausgabe  erscheint  eben- 
falls in  einer  vielfach  berichtigten  Gestalt,  indem  auch  ihm  Allel 
das  zu  Gute  gekommen  ist,  was  dem  grosseren,  eben  besprocbeneB 
Werke  so  förderlich  war,  ja  sogar  noch  Anderes,  was  bei  jenem 
noch  nicht  benutzt  werden  konnte,  ist  ihm  zu  Statten  gekommen, 
wie  z.  B.  die  neue,  im  Stich  befindliche  Ausgabe  von  Van  de 
Velde's  Karte  des  heiligen  Landes,  die  verschiedenen  Schriften  t<» 
G5ler  über  Gäsars  Feldzüge  in  Gallien  u.  A.  der  Art.  Natürlid) 
musste  bei  Allem  Bücksicht  genommen  werden  auf  die  Bestimmnng 
des  Atlas,  zunächst  für  die  Zwecke  der  Schule  und  die  in  dersel- 
ben gelesenen  Schriftsteller :  eben  desshalb  sind  die  in  diesen  vor- 
kommenden Orte,  so  weit  sie  nur  mit  Sicherheit  sich  bestimmen 
lassen,  durchweg  aufgenommen,  von  Anderem  aber  Abstand  genom- 
men. Man  wird  übrigens  bald  auch  bei  diesem  kleineren  Atlfts 
dieselbe  Sorgfalt  und  Genauigkeit  wahrnehmen,  die  wir  in  ders 
grösseren  Werke  eben  heiTorgehoben ,  und  was  die  künstlerisoh« 


Ap«l6i  norida.  Bd.  O.  Krneger.  866 

AüsffUirung  der  Eaarteu  selbst  betriffi,  so  bleibt  wahrhaftig  dieser 
kleinere  Atlas  in  keiner  Weise  hinter  dem  grösseren  zurück,  und 
kann  Zeichnung  nnd  Stich  als  sehr  ansprechend  bezeichnet  werden. 
Auch  hier  hat  der  Herausgeber  einige  Erläuterungen  beigefügt»  die 
zunächst  historischer  Art  sind  und  so  als  eine  Art  von  Anleitung 
bei  dem  Gebrauche  dienen  kdnnen.  Das  Ganze  besteht  aus  acht« 
zehn  Blättern,  von  denen  aber  fast  ein  jedes  für  ein  oder  mehrere 
Nebeukärtchen  noch  Baum  hat.  Zuerst  kommt  Aegypten  vor  der 
Persischen  Eroberung  und  das  heilige  Land  mit  besondem  Plänen 
der  Pyramiden  wie  der  Stadt  Jerusalem ;  das  zweite  Blatt  bringt  eine 
Tafel  der  alten  Welt  überhaupt  bis  627  v.  Chr.,  das  dritte  Blatt 
enthält  die  Persische  Monarchie  bis  auf  Herodotus  Zeit;  die  bei- 
den folgenden  enthalten  Griechenland ,  wobei  Attika,  Athen  und 
dessen  Akropolis  mit  besondern  Darstellungen  bedacht  sind;  drei 
weitere  Blätter  sind  dem  Persischen  Weltreiche  vor  und  nach 
Alexander  gewidmet;  drei  andere  Blätter  beziehen  sich  auf  Italien 
in  der  voraugusteischen  Zeit,  mit  besondem  Plänen  der  Stadt 
Bom  wie  des  römischen  Forums;  ihnen  folgen  zwei  Blätter,  welche 
die  Küstenländer  des  mittelländischen  Meeres  nach  Westen  und 
Osten  darstellen ;  ein  weiteres  Blatt  bringt  Gallien  zu  Cäsar's  Zeit. 
Blatt  XY  wendet  sich  wieder  dem  heiligen  Lande  zu  und  stellt 
dieses  zur  Zeit  Christi  und  der  Apostel  dar,  mit  besondem  Nebeu- 
kärtchen von  Judäa  und  Galiläa,  so  wie  der  Stadt  Jerosalem.  Nun 
folgt  das  römische  Reich  von  Augustus  an,  auf  Blatt  XVI,  dem 
Blatt  XVn  sich  anschliesst,  mit  Italien  und  ßicilien  zur  Kaiserzeit 
und  mit  einem  weitereu  Plan  von  Born.  Den  Beschluss  macht  Blatt 
Xym  mit  Britarnien,  Germanien  und  Bhätien  u.  s.  w. 

Man  kann  schon  daraus  ersehen,  wie  auch  hier  auf  die  ver- 
schiedenen Zeiten  Bücksicht  genommen  und  die  Hauptländer  nach 
den  verschiedenen  Perioden  der  Geschichte  auf  verschiedenen 
Blättern  dargestellt  sind,  was  für  den  Gebrauch  dieses  Atlae(  von 
der  grossesten  Wichtigkeit  ist.  Wir  stehen  auch  aus  diesem  Grunde 
nicht  an,  diesen  Atlas  zum  Gebrauch  der  Schüler  bestens  zu 
empfehlen,  da  er  für  diese  allerdings  das  leistet,  was  für  einen 
solchen  Zweck  nur  immer  verlangt  werden  kann,  und  dabei  noch 
einer  so  vorzüglichen  äusseren  Ausstattung  sich  erfreut. 


Ik  Apulei  Madaurensis  Floridornm  quat  mpermnlf  edidU 
OusU  Krueger,  BeroUm  apud  Weidmannos.  MDCCCLXV^ 
VJJ  und  89  8.  in  gr,  4. 

Diese  neue  Ausgabe  der  Florida  des  Appulejus  reiht  sich  ge- 
Wissermassen  an  die  Ausgabe  der  Apologia  desselben  Schriftstellers, 
die  wir  unlängst  von  demselben  Herausgeber  erhalten  haben :  (siehe 
diese  Jahrbücher  Jahrg.  1865.  S.  147  ff.)  sie  ist  nach  denselben 


866  Apvlei  Florida«    Ed.  G,  Krveger. 

kriÜBohen  GrandBätzen  bearbeitet  und  der  Text  znnftobst  auf  die- 
selben handschriftlichen  Quellen  basirt,  welche  auch  für  die  eben 
erwähnte  Apologia  als  die  Ultesten  der  handschriftlichen  üeber- 
liefemng  anzusehen  sind,  nemlich  die  Florentiner  Handschrift  (Cod. 
Laurent.  LXVUI,  2)  ans  dem  elften,  nnd  die  andere,  (Cod.  Lanreni. 
XXIK,  2)  darans  copirte  des  zwölften  Jahrhunderts,  von  welcbea 
der  Herausgeber  eine  sehr  genaue,  von  Herrn  Wilhelm  Stademnnd 
gemachte  CoUation  erhielt;  auch  das  Exemplar  der  Editio  Viceo- 
tina  vom  Jahr  1488,  mit  den  von  P«  Victorius  am  Bande  bemerk- 
ten Varianten  einer  Florentiner,  von  jenen  beiden  allerdings  Te^ 
schiedenen  Handschrift  ward  dem  Herausgeber  mitgetheüt,  der 
darauf  hin  nun  den  hier  Yorliegenden  Abdruck  des  Textes  yerao- 
staltete,  der  wohl  als  eine  neue  Textesrecension  angesehen  werdet 
kann,  da  ihm  zunächst  jene  beiden  Florentiner  Handschriften  lo 
Grunde  gelegt  sind,  während  unter  dem  Text  eine  sorgfältige  Zu- 
sammenstellung des  kritischen  Apparates  sich  befindet,  in  welcher 
nicht  blos  die  abweichenden  Lesarten  der  genannten  Handschriften, 
sondern  auch  die  der  edit«  Vicent.  und  der  yerschiedenen  neuer^i 
Herausgeber  aufgeführt  sind.  Die  Abtheilung  nach  Büchern  ist 
verlassen,  obwohl  sie,  wie  man  aus  dem  kritischen  Apparat  er- 
sieht, in  den  beiden  Florentiner  Handschriften  sich  findet,  und 
jedes  Buch  durch  das  gewöhnliche  incipit  und  explicit  ausdrück- 
lich bezeichnet  wird;  aber  die  Abtheilung  nach  Capp.  ist  beibe- 
halten, die  Seitenzahlen  der  Florentiner  Handschriften  sind  auf  der 
einen  Seite  des  Druckes^  und  auf  der  andern  die  der  Oudendoip- 
schen  Ausgabe  bemerkt,  und  wird  man,  in  Bezug  auf  kritische 
Genauigkeit  nicht  wohl  Etwas  yermissen.  Auf  diese  Weise  liegt 
auch  das  andere,  wenn  auch  nicht  vollständig,  sondern  nur  inAas- 
zttgen  erhaltene  Denkmal  der  Beredsamkeit  desAppulejns  in  einem 
gereinigten  und  so  weit  nur  immer  möglich  verlässigen  Text  vor, 
und  kann,  auch  abgesehen  von  dem  Inhalt,  der  doch  manche  be- 
merkenswerthe  Notizen  aus  dem  Alterthum  bringt,  dieser  Text  dazn 
dienen,  ein  richtiges ürtheil  über  die  rednerische  Kunst  desAppu- 
lejns herbeizuführen,  der,  wie  unser  Verfasser  anzunehmen  geneigt 
ist  (S.  Y),  selbst  diese  Beden,  die  er  nach  Sitte  der  Zeit  öffentlich 
gehalten,  in  eine  Sammlung  gebracht,  und  ihnen  die  Aufschrift 
Florida  gegeben  hatte,  eben  weil  er  in  ihnen  Muster  des  >flori- 
dum  dicendi  genus«  (s.  Quintilian  Inst.  Orat. XH,  10,  58)  zugeben 
bemüht  war.  Immerhin  zeigt  sich  Appulejus  auch  in  diesen  Braoh- 
stücken  als  Bedner  von  einer  vortheilhaften  Seite,  da  diese  Florid» 
im  Ganzen,  und  wenige  einzelne  Stellen  und  Worte  abgerechnet, 
sich  freier  gehalten  haben  von  den  Auswüchsen  und  dem  Schwulst, 
den  man  sonst  der  Afrikanischen  Beredsamkeit  vorwarf,  und  durch 
grössere  Einfachheit  und  Natürlichkeit  selbst  vor  den  Metamor- 
phosen sich  bemerklich  machen.  Noch  ist  zu  bemerken,  dass  ein 
Index  Nominum  am  Schlüsse  beigefügt  ist. 


Plantm  von  Brix  n,  und  IMvm  von  Frey.  86t 

ÄuageiDähUe  Komödien  des  T.  M.  PI  au  tu s.  Für  den  Sehulgehrauch 
erklärt  von  Julius  Brix,  Zweites  Bändchen.  Captivu 
Leipsig.  Druck  und  Verlag  von  B.  0.  Teubner.  1864.  664  8. 
in  gr.  8. 

üeber  das  erste  Bändchen,  welches  den  Trinummas  enthält, 
ist  in  diesen  Jahrbüchern  Jahrg.  1864.  S.  709  £f.  näher  berichtet 
worden:  das  zweite  vorliegende,  ist  nach  denselben  Grund- 
sätzen bearbeitet  nnd  zeigt  anch  im  Aenssem  die  gleiche  Einrich- 
tung. Eine  Einleitung,  welche  die  Anlage  des  Stückes  und  die 
Durchführung  wie  den  Charakter  des  Stückes  bespricht,  geht  auch 
hier  dem  Texte  voraus,  deutsche  Anmerkungen  unter  demselben  er- 
läutern die  allgemeinen,  einer  Erklärung  bedürftigen  Punkte,  wobei 
insbesondere  auf  das  Sprachliche  und  alle  die  hervortretenden 
Eigenthümlichkeiten  Plautinischer  Sprache  in  sehr  befriedigenderWeise 
Bücksicht  genommen  wird,  so  dass  wir  auch  diese  Bearbeitung 
namentlich  angebenden  Philologen  empfehlen  möchten ,  die  den 
PlautuB  gründlich  studiren  und  dadurch  die  römische  Sprache  der 
früheren  Zeit  näher  kennen  lernen  wollen.  Am  Schlüsse  sind  die 
in  diesem  Stücke  vonPlautus  angewendeten  Metra,  Vers  um  Vers, 
angegeben  und  ein  kritischer  Anhang  verzeichnet  die  einzelnen  von 
dem  Herausgeber  im  Text  vorgenommenen  Aenderungen. 


TitiLivi  ab  urbe  condita  Liber  1,  Für  den  Schulgebrauch  «r- 
klärt  von  Joseph  Frey.  Leipsig.  Druck  und  Verlag  von 
B.  0.  Teubner.  1865,  Vlll  und  112  S.  in  gr.  8. 

Aus  der  auf  dem  Titel  ausgesprochenen  Bestimmung  dieser 
Ausgabe  für  Schulen  zunächst  lässt.sich  schon  entnehmen,  dass  es 
sich  hier  nicht  um  eine  kritische  Ausgabe,  oder  auch  nur  um  be- 
sondere Berücksichtigung  der  Kritik  handelt,  sondern  der  Haupt- 
zweck auf  die  Erklärung  gerichtet  ist.  Indessen  ist  doch  am 
Schlüsse  auf  einem  eigenen  Blatte  eine  Zusammenstellung  der  Ab- 
weichungen vom  Texte  der  zweiten  Weissenbom' sehen  Ausgabe 
(Lips.  1862  bei  Teubner)  gegeben,  worin  auch  die  abweichenden 
Lesarten  von  Madvig  und  Hertz  aufgeführt  sind,  so  dass  die  kritische 
Gontrole  leicht  von  Jedem  vorgenommen  werden  kann.  In  der 
unter  den  Text  gesetzten  Erklärung  ist  auf  das  Sachliche,  wie  das 
Sprachliche  gleiche  Bücksicht  genommen;  sie  soll  »in  möglichster 
Kürze  dasjenige  bieten,  was  den  Schüler  in  den  Stand  setzt,  auch 
selbständig  den  Schriftsteller  mit  Verständniss  zu  lesen.«  Und  für 
diese  selbständige  Leetüre  möchten  wir  allerdings  diese  Bearbeitung 
empfehlen,  da  die  gegebenen  Erklärungen  sich  über  Alles  das  ver- 
breiten, was  ein  solcher  Leser  zu  seiner  Nachhülfe  verlangen  oder 
wünschen  mag.     Was  den  Gebrauch  für  die  Schule  selbst  betrifft, 


Si8  6«pl»oUM  AflUsooe  tm  W#lf  f. 

80  wird  der  erfahrene  Schnlmann,  der  diese  Ansgabe  in  derSdnik 
gebrauchen  will,  selbst  sich  diese  Frage  zu  beantworten  wissen. 
Jedenfalls  wird  derjenige,  welcher  für  'seine  PriTatlectIire  die- 
ses erste  Bnch  des  Livins  wählt,  sich  befriedigt  finden  dnrdi 
die  Fülle  und  Genauigkeit  der  Anmerkungen,  welche  von  sorgfiüti- 
gen  Stadien  und  nfiherer  Bekanntschaft  mit  dem  Schriftsteller  gelbst 
und  der  ganzen,  auf  ihn  bezüglichen  neueren  Literatur  Zeugniss 
abgeben.  —  Druck  und  Papier  sind  ebenso  befriedigend  aasge&Ueo. 


Sophokles.  Für  den  Sehulgebraueh  erklärt  von  Ou$tav  Wolff. 
Dritter  Theü.  Antigone,  (Auch  mit  besonder m  Titel:  SiffAo- 
kies  Antigone  für  den  Sehulgebraueh  erklärt  v.  <.  w,).  Leipsi9. 
Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner.  1865.  VJIl  u.  156  & 
in  gr.  8. 

An  die  beiden  ersten  Bändchen,  welche  den  Ajas  und  di« 
Elektra  enthalten,  schliesst  sich  diese  Bearbeitung  der  Antigene 
gleichmässig  an,  und  was  in  diesen  Blättern  (Jhrgg.  1859  8. 62i 
1863  S.  478)  über  die  Bearbeitung  jener  beiden  Stücke  bemerkt 
worden  ist,  mag  auch  von  diesem  dritten  Bändchen  gelten,  das 
seiner  ganzen  Anlage  nach,  wie  in  der  Ausführung,  in  der  grflnd- 
lichen  und  umfassenden  Behandlung  Alles  dessen,  was  zur  Erklä- 
rung gehört,  den  beiden  vorausgegangenen  Bändchen  sich  wohl  u 
die  Seite  stellen  kann.  Wenn  die  Kritik,  wie  diess  schon  in  dem 
Plan  der  Ausgabe  lag,  allerdings  beschränkt  ist,  auch  nur  wenige 
Gonjecturen  im  Ganzen,  an  desperaten  Stellen  eine  Aufnahme  ge- 
funden haben,  so  ist  doch  dafür  in  den  kritischen  Anmerkungen, 
welche  eine  Art  von  Anhang  zu  dem  Ganzen  bilden  (S.  133—149), 
gut  gesorgt  worden,  insofern  hier  eine  Besprechung  der  verschie- 
denen Lesarten  gegeben  ist,  verbunden  mit  weiteren  Auslassungen, 
Verbesserungsvorschlägen  u.  dgl.,  und  darin  selbst  manche  andere 
Stellen  anderer  Dichter  Berücksichtigung  finden.  Die  Hauptsache 
ist  die  Erklärung  in  den  unter  den  Text  gesetzten  deutschen  An- 
merkungen, welche  vielleicht  Manchem  fUr  den  Gebrauch  in  der 
Schule  zu  umfangreich  erscheinen,  im  üebrigen  aber  reiche  Beleh- 
rung einem  Jeden  bringen,  der  diese  Ausgabe  gebraucht  und  dmcb 
sie  nicht  blos  in  den  richtigen  Sinn  des  Dichters,  und  eise 
allseitige  Auffassung  aller  der  zum  vollen  Verständniss  nothwendi- 
gen  Punkte  eingeführt  wird,  sondern  auch,  namentlich  in  Absiebt 
auf  die  Erkenntniss  des  Sprachgebrauches  der  griechischen  Dichter 
und  ihrer  ganzen  Bedeweise  Viel  aus  dieser  Ausgabe  lernen  kaon. 
Denn  aller  Orten  sind  die  Belege  des  Sprachgebrauches  oder  der 
grammatischen  Eigentbüralichkeit ,  welche  zu  erörtern  war,  ans 
Sophokles,  Euripides  und  andern  Dichtern,  insbesondere  audi  I 
aus  Homer,  oder  aus  Prosaikern,  wie  Plato,  Herodotus  u.  A.  g«* 


SopbeklM  Aatlgofte  von  Wolf  f.  859 

geben;  wir  glauben  anf  diese  Seite  der  Erklärung  insbeBondere 
hinweisen  zu  müssen,  eben  weil  w\r  der  Ansiebt  sind,  dass  der 
junge  Mann,  der  diese  Ausgabe  gebraucht,  daraus  nicht  blos  das 
richtige  Verständniss  im  Einzelnen  erkennen,  sondern  auch  über- 
haupt seine  Kenntniss  der  griechischen  Sprache  erweitem  und  be- 
festigen kann.  Alles,  was  auf  die  Einrichtung  des  Stückes  sich  be- 
zieht, den  Gang  der  Darstellung,  den  Inhalt  der  einzelnen  Ab- 
schnitte, namentlich  der  Chorlieder  betrifft,  hat  seine  Er- 
örterung erhalten ;  desgleichen  ist  in  gehöriger  Weise  der 
metrische  Bau  berücksichtigt,  und  durchweg  wird  in  den  Anmer- 
kungen auf  die  metrischen  Verhältnisse  genau  und  im  Einzelnen 
eingegangen;  am  Schluss  8.  150 — 156  wird  eine  Uebersicht  der 
in  den  lyrischen  Abschnitten  angewendeten  Versmaasse  gegeben. 
So  sind  die  verschiedenen  Seiten  der  Erklärung  beachtet :  der  Rück- 
blick S.  126 ff.,  der  auf  den  Text  folgt,  bringt  eine  ästhetische 
Würdigung  des  Oanzen,  bespricht  daher  nochmals  die  ganze 
Anordnung  des  Stückes,  und  schliesst  mit  der  Hinweisung  auf 
einige  sprachliche  Neuerungen,  welche  in  diesem  Stücke  bemerk- 
lich sind. 

Dies  sind  im  Allgemeinen  die  Eigenschaften,  durch  welche 
auch  dieses  Bändchen  sich  gleichfalls  der  Beachtung  und  dem  Ge- 
brauch empfiehlt.  Dass  in  einem  Stücke,  das  ungeachtet  aller 
der  Behandlung,  die  ihm  in  neuester  Zeit  za  Theil  geworden  ist, 
doch  noch  immer  Stellen  genug  sich  finden,  in  welchen  Kritik  und 
Erklärung  J^estritten  ist,  brauchen  wir  nicht  besonders  zu  bemer- 
ken, und  so  könnten  wir  auch  hier  Stellen  anfuhren,  in  welchen 
unsere  Auffassung  von  der  des  Herausgebers  mehrfach  abweicht, 
wie  z.  B.,  um  nur  den  Einen  Fall  anzuführen,  in  der  Behandlung 
der  vielbesprochenen  Worte  der  Antigene  Vs.  905  ff.,  in  welchen 
der  Herausgeber  ein  fremdartiges  Einschiebsel,  von  Jophon,  dem 
Sohne  des  Sophokles,  bei  einer  wiederholten  AuflFQhrung  des  Stückes, 
gemacht,  erkennen  will,  wovon  wir  uns  jedoch  nicht  haben  über- 
zeugen können,  da  die  Stelle,  wie  wir  glauben,  in  den  Zusammen- 
hang des  Ganzen  gehört  und  daraus  nicht  herausgenommen  werden 
darf,  der  Gedanke  selbst  aber,  der  darin  ausgesprochen  ist,  eine 
allgemeine  in  der  Hellenischen  Welt  verbreitete  Sentenz  enthlilt, 
die  Sophokles  eben  so  gut  wie  Herodotus  anwenden  konnte.  In- 
dessen diess  sind  Einzelnheiten,  in  welchen  die  Wege  der  ge- 
lehrten Erklärung  stets  auseinandergehen  werden,  und  so  enthalten 
wir  uns  der  Versuchung,  noch  andere  Stellen  hedbeizuzieteu 
und  einer  näheren  Besprechung  zu  unterwerfen :  das,  was  über  An- 
lage und  Ausführung  des  Ganzen  oben  bemerkt  ist,  würde  ohnebin 
dadurch  keiner  Aenderung  unterliegen.  Und  so  mag  auch  diese 
Bearbeitung  eines  jetzt  auch  unter  uns  durch  die  wiederholten  Auf- 
führungen auf  der  Bühne  bekannter  gewordenen  Meisterwerkes 
Hellenischer  Poesie  die   verdiente   Aufnahme   finden ,   insbesondere 


eeO  DMte*0  Gftttllclie  EomSdle,  von  K.  Witte. 

bei  allen  denen,  welche  es  vorziehen,  zn  dem  Originale  selbst  zurück- 
zukehren und  ans  der  richtigen  Anffassnng  desselben  sich  einen 
erhöhten  Qennss  zu  bereiten« 


Dante  AUighien^s  OöttHehe  Komödie.  Uebertettt  von  Karl  WitU 
Berlin  bei  Rudolph  Luduig  von  Becker  1865.  Im  seckMen 
Säeularjahr  nach  des  Diehiers  Geburt.  727  8.  in  12. 

Der  Verfasser  ist  bekanntlich  einer  der  gründlichsten  Kenner 
des  Dichters,  dessen  Hauptwerk  er  hier  in  einer  VerdentschaiigTOT- 
legt,  nachdem  er  unlängst  eine  anerkannt  vorzügliche  Ausgabe  das 
Originales  selbst  geliefert  hatte.  Es  mag  schon  darin  eine  hin- 
reichende Bürgschaft  liegen,  dass  in  dieser  üebersetzung  der  Sinn 
des  Originals  richtig  erkannt  und  anfgefasst ,  eben  so  richtig  in 
unserer  Sprache  wieder  gegeben  ist,  mithin  die  üebersetzung  anf 
Treue  und  Zulässigkeit ,  diese  ersten  Bedingungen  einer  jeden  de^ 
artigen  üebertragung,  Anspruch  machen  kann,  und  in  dieser  £^ 
Wartung  wird  man  sich  auch  nicht  getäuscht  finden :  man  wird  ins- 
besondere finden,  dass  dieselbe,  wenn  sie  auch  nicht  in  gereimten 
Versen,  sondern  in  fünffüssigen  Jamben  sich  bewegt,  doch  durch- 
weg deutlich  und  verständig  gehalten  ist,  frei  von  so  manchen 
Härten,  zu  welche  eine  gereimte  üebersetzung  unwillkürlich  zn 
führen  pflegt.  Wir  führen  als  Beleg  unserer  Behauptimg  nur  die 
bekannten  Eingangsverse  des  dritten  Gesanges  der  HOlle  an,  welche 
hier  also  wiedergegeben  werden: 

»Der  Eingang  bin  ich  zu  der  Stadt  der  Schmerzen, 
Der  Eingang  bin  ich  zu  den  ew*gen  Qualen, 
Der  Eingang  bin  ich  zum  verlorenen  Volke. 

Gerechtigkeit  bewog  den  höchsten  Schöpfer, 

Gescha£fen  ward  ich  durch  die  Allmacht  Gottes, 
Durch  höchste  Weisheit  und  durch  erste  Liebe. 

Vor  mir  entstand  nichts,  als  was  ewig  währet, 

und  ew'ge  Dauer  ward  auch  mir  beschieden; 
Lasst,  die  Ihr  eingeht,  alle  Hofi^nung  fahren. c 

In  dunkler  Farbe  sah  ich  diese  Zeilen 

Als  einer  Pforte  Inschrift.     Drum  begann  ich: 
0  theurer  Meister,  düster  ist  ihr  Sinn  mir.  — 

Er  aber  sprach,  begegnend  meinem  Zweifel : 
Absagen  musst  du  jeglichem  Bedenken 
und  jeden  Kleinmuth  hier  in  Dir  ertödten. 

Gelangt  sind  wir  dahin,  wo  ich  Dir  sagte, 

Du  würdest  sehn  die  schmerzerfüllten  Schaaren, 
Die  der  Erkenntniss  hohes  Gut  verloren.  — 


DAnte's  Qöttliohe  Komödie,  vöa  K.  Witte.  861 

Wir  setzen  diese  Probe  nicht  weiter  fort,  um  noch  Baum  zu 
gewinnen  für  eine  andere  Probe,  die  Anfangsverse  des  Paradieses, 
welche  also  lauten: 

Die  Qlorie  Dess,  der  Jegliches  bewegt, 

Durchdringt  das  Weltall,  aber  sie  erglänzet 

An  einer  Stelle  mehr  als  an  der  andern. 
Im  Himmel,  dem  von  Seinem  Licht  am  meisten 

Zu  Theil  wird,  war  ich  und  ich  schaute  Dinge, 

Die  weder  sagen  kann,  noch  weiss,  wer  heimkehrt. 
Denn,  naht  sich  unser  Qeist  dem  letzten  Ziele 

Der  Sehnsucht,  so  versinkt  in  solche  Tief  er, 

Dass  das  Qedächtniss  ihm  nicht  folgen  kann. 
Doch,  was  an  Schätzen  aus  dem  heiligen  Eeiche 

Aufspeichern  ich  in  der  Erinnrung  konnte. 

Sei  nun  der  Gegenstand  von  meinem  Liede. 

Der  Verfasser  hat  sich  bei  diesem  Unternehmen  nicht  auf  eine 
blosse  üebersetzung  beschränkt:  er  hat,  was  bei  einem  Dichter, 
wie  Dante,  allerdings  nothwendig  erscheint,  seiner  deutschen  üeber- 
tragung  »Erläuterungen  S.  539— 727  c  beigefügt,  welche  das,  was 
zum  Yerständniss  einzelner  Stellen,  wegen  der  darin  enthaltenen 
Beziehungen  und  Anspielungen  auf  Zeitverhältnisse,  auf  das  heid- 
nische Alterthum  wie  das  schon  christliche  Mittelalter,  nöthig  ist, 
enthalten  und  dadurch  in  bündiger  Weise  dem  Leser  das  Yerständ- 
niss des  im  Text  Berührten  oder  oft  nur  kurz  Angedeuteten  er- 
schliessen.  Dass  diess  nun  aber  keine  leichte  Aufgabe  war,  weiss 
Jeder,  der  mit  Dante  nur  einigermassen  sich  beschäftigt  hat  und 
die  zahlreichen  Controversen  kennt,  die  über  einzelne  Stellen  und 
die  darin  enthaltenen  Aeusserungen  nicht  minder  wie  über  das 
Ganze  dieser  Dichtung  und  deren  Deutung  erhoben  worden  sind. 
Der  Erörterung  dieses  Punktes  und  damit  der  richtigen  Auffassung 
nnd  Würdigung  des  ganzen  Gedichtes  ist  die  Einleitung  gewidmet, 
auf  welche  wir  noch  besonders  hinweisen  zu  müssen  glauben,  in- 
sofern der  Verf.  darin  seine  aus  vieljährigen  Studien  des  Dichters 
und  der  vertrautesten  Bekanntschaft  mit  demselben  hervorgegan- 
gene Ansicht  über  Gegenstand  und  Inhalt,  wie  Zweck  und  Be- 
stimmung der  Divina  Comedia  niedergelegt  hat.  Er  bespricht  daher 
vor  Allem  die  äussern  Verhältnisse,  die  den  Dichter  bewegen  konn- 
ten, in  diesem  Werke  eine  Schilderung  de^^  Zustauiles  der  abge- 
schiedenen Seelen  in  der  jenseitigen  Welt  zu  versuchcia,  er  zeigt, 
wie  es  sich  dabei  weniger  um  Erfindung  handelte,  als  um  festere 
Gestaltung  Dessen,  was  schon  im  Glauben  des  Volks  lebte ,  wie 
denn  seit  Jahrhunderten  die  Phantasie  dor  ClariBt^nbeit  beachUftlgt 
gewesen,  sich  die  Strafen  der  Verdammten  und  die  Busäau  der- 
jenigen zu  veranschaulichen,  die  zwar  im  tilaubon,  aber  noch  mii 
ungesühnter  Schuld  beladen,  die  Welt  verkssuo  battoa,  er  aelg^ 


Md  BnWfl  Oötdiehe  Komödie,  von  K  Wltla 

wie  daher  aach  die  erwachende  Eunst  Torzngaweise  derartige  Gegen- 
stände ergriff  und  in  Kirchen,  in  Mosaiken  n.  dgl.  danosteUn 
suchte.  »Um  so  wirksamer  (wir  lassen  hier  lieber  den  Verfasser 
selbst  reden  S.  10)  aber  mnsste  seine  (d.  i.  Dante^s)  Schildening 
ergreifen,  je  verwandter  sie  sich  einerseits  an  die  Yorstelliuigai 
ansohloss,  die  den  Letem  überliefert  waren,  und  je  aasckanlicher, 
körperlicher  sie  andererseits  sich  der  Auffassung  darbot.  Za  jenem 
ersten  Zwecke  verwerthet  der  Dichter  nicht  nur  die  maanich&cii- 
stcn  Deberliefemngen  des  Volksglaubens  und  der  mittelatterlichen 
Sagenkreise,  sondern  er  geht  auch  auf  das  heidnische  Altertknm 
zurück.  Erschien  doch  dem  Mittelalter,  Tor  Allem  dem  itatieni- 
schen,  die  antike  Welt  durchaus  nicht,  so  wie  uns,  als  von  der 
Gegenwart  durch  eine  breite  Kluft  geschieden.  Auch  die  Qestaltefi 
heidnischer  Mythologie  gelten  jener  Zeit  nicht  schlechthin  ala  will- 
kürlich ersonnene  Wahnbilder,  sondern  vielmehr  als  entstellter 
Ausdruck  auch  für  das  Christenthum  fortbestehender  Wahrheit  Sa 
finden  denn  nicht  nur  heidnische  Götter  und  Halbgötter  als  Dl- 
monen  einen  Platz  in  Dante's  christlich  gestalteter  Unterwelt,  nicbt 
nur  ruft  der  Dichter  ApoUo's  und  der  Musen  Beistand  fOr  seil 
christliches  Gedicht  an,  sondern  er  trägt  kein  Bedenken»  keidniseh 
geweihte  Gotteenamen  auf  die  göttlichen  Personen  unseres  Glanbeu 
zu  übertragen.  € 

Aber  diese  Schilderung  des  Zustandes  der  abgesohiedensi 
Seelen,  lesen  wir  weiter  S.  12,  ist  nur  die  äussere  Schale.  Baato 
selber  sagt,  Gegenstand  des  Gedichtes  ist  der  Mensch ,  wie  er  h 
Folge  seiner  Willensfreiheit  gut  oder  schlecht  handelnd,  der  belok' 
nenden  oder  strafenden  Gerechtigkeit  anheimflQlt.  Wenn  also  dk 
Worte  vom  jenseitigen  Leben  reden,  so  gilt  der  wahre  Sinn  von 
diesseitigen.  Die  physische  Strafe,  die  Schmerzzuftlgnng,  «m 
mannichfach  auch  die  Phantasie  des  Dichters  sie  abgestuft  bii, 
sie  ist  doch  nur  ein  Sinnbild  ftir  den  Seelenzustand  des  in  sein« 
Sünde  verstockten  Sünders.  Die  Strafe,  die  der  Dichter  einer  Sttndt 
zuweist,  ist  nur  ein  Ausdruck  dieser  Sünde.  »So  sehen  wir  du 
Wollüstigen  von  dem  Sturm  (ihrer  Leidenschaften)  hin  und  hr- 
gepeitscht,  die  Geizigen  bemüh'n  sich  unablässig  Steinklumpen  be^ 
anzuwalzen,  die  ihnen  doch  immer  wieder  tückisch  entrollen,  ^ 
Zornigen  zerfleischen  einander  wechselweise,  die  Heuchler  vai 
Speichellecker  versinken  £ast  in  Schmutz  und  ünrath,  die  Gdd* 
macher  und  Alchymisten  sind,  wie  es  die  giftigen  Metalidttnste  0 
verursachen  pflegen,  mit  Geschwüren  überdeckt,  und  endlich  du 
herzlosen  Verräther  sind  erstarrt  im  ewigen  Eisen.  Entgegengesetiiff 
Art  sind  die  Bussen  des  Purgatoriums.  Als  das  direkte  Wider* 
spiel  der  Sünde,  die  durch  sie  gelöst  werdui  soll,  sind  sie  be- 
stimmt, die  Gewohnheit  dieser  Sünde  zu  bewältigen.  Der  Hoek* 
müthige  muss  lernen,  den  stolzen  Nacken  unter  schweren.  Lsstei 
zu  beugen,  dem  Neidischen  schliesst  ein  Eisendraht  die  Lider,  dis 
er  nicht  femer  scheel  sehe  auf   den   Besitz  des  Nachbarn,  dit 


DMte's  GötaiehaKomddie,  Ton  K.  Witte.  S0d 

Lässigen  eilen  in  mheloser  Hast  nnd  die  Schlemmer  verlechzen 
beim  Anblick  nnd  beim  Dufte  köstlicher  Früchte  nnd  frischkühlen 
Wassers.  Drum  ist,  was  sie  leiden,  ihnen  nicht,  wie  den  Verdamm- 
ten der  Hölle,  äusserlich  zwingende  Qnal,  sondern  selbst  erkann- 
tes nnd  willkommenes  Heilmittel.«  Demnach  wird  also  Hölle  nnd 
Fegfener,  das  der  Dichter  vorführt,  nicht  mehr  ausschliesslich  im 
Jenseits  zu  suchen  sein:  »Dem  tieferen  Sinn  nach  will  der  Dich- 
ter uns  vor  Augen  stellen,  wohin  auch  den  Lebenden  die  Ver- 
stookung  in  der  Sünde  führt,  und  wie,  wer  seine  Schuld  erkannt 
hat,  sich  Yon  den  Fesseln  los  macht,  mit  denen  sie  angefangen  hatte, 
ihn  zu  umstricken.  Ebenso  ist  die  Paradieseswonne  der  Seeligen,  die 
der  dritte  Theil  des  Gedichtes  geschildert,  wenigstens  vorbildlich 
schon  den  lebenden  Christen  eigen,  die  im  Glauben  wiedergeboren 
nnd  ihrer  Schuld  ledig  geworden,  zur  Heiligung  gelangt  sind.«  — 
Es  kommt  also  dem  Dichter  darauf  an  »Strafe,  Busse  nnd  Heili- 
gung für  den Hülfsbedürftigen  wirksam  zumachen,  ihn losznreiasen 
von  der  Sünde,  von  ihrem  Schmutze  ihn  zu  läutern  und  ihn  zu 
Gott  zu  erheben.  Der  Weg  zur  Himmelfahrt  des  Versenkens  in 
Gott  führt  aber  nothwendig  hin  durch  die  Höllenfahrt  der  Selbst- 
erkenntnisB,  der  Erkenntniss  der  Sünde  im  eigenen  Herzen  in  ihrer 
Naktheit  und  Gottesfeindschaft.  Mit  dieser  Höllenfieihrt  mnss  der 
nach  Heil  Verlangende,  noch  aber  in  der  Welt  und  ihren  Sünden 
Verstrickte  beginnen  und  als  einen  solchen  stellt  Dante  sich  selber 
hin«  u.  a.  w. 

Aus  Vorstehendem  mag  erhellen,  in  welchem  Sinn  der  Ver- 
fasser die  grosse  Schöpfung  Dante* s  in  ihrem  Grunde  aufzufassen 
bemüht  ist.  Wir  können  hier  nicht  in  die  weiteren  Erörterungen 
eingehen,  wie  sie  hier  ^zur  Begründung  dieser  Ansicht  im  Einzelnen 
gegeben  werden,  und  nur  im  Allgemeinen  die  Leser  darauf  auf- 
merksam machen.  Es  mag  nur  noch  erlaubt  sein,  anzuführen,  wie 
der  Verfasser  die  Stellung  des  Virgil,  des  Dichters  Führer  durch 
Hölle  und  Fegfeuer,  aufgefasst  hat.  »Virgil,  so  spricht  sich  der 
Verfasser  S.  32  aus,  ist  der  Sänger  jenes  mustergültigen  römischen 
Weltreiches.  In  seinem  Gedichte  von  des  Aeneas  Auszug  von 
Troja  und  dessen  Ansiedelung  in  der  Latinischen  Ebene  erscheinen 
die  Fundamente  der  einstigen  Grösse  Eoms  als  herbeigeführt  durch 
göttliche  Vorherbestimmung.  Des  Aeneas  Wanderung  durch  die 
Unterwelt,  diess  Vorbild  von  Dante's  poetischer  Reise,  entrollt  das 
Bild  der  künftigen  Triumphe  Boms  mit  der  farbenglänzenden  Ver- 
bindung jenes  beglückenden  Augustischen  Regiments,  an  dessen 
Erbschaft  sich  nach  Dante's  Bemerkung  (Hölle  H.  25)  die  Univer- 
salität sowohl  des  päbstlichen  Hirtenamtes,  als  des  römisch-deutschen 
Kaiserthums  anknüpfen  sollte.  So  vertritt  denn  Virgil  in  dem  Ge- 
dichte zugleich  das  kaiserliche  Begiment  und  die  von  diesem  aus- 
gehende, d.  h.  die  oberste,  weltliche  Gerechtigkeit.« 

Wir  übergehen  ungern  noch  Manches  Andere,  was  wir  hier 
anführen  möchten,  das  Mitgetheilte  mag  genügen,  die  Freunde  des 


86i    Knigge:  tJeber  den  Umgang  mit  MeoBclieii,  iL  AuAg.  von  Goedeke. 

grossen  Dichters  auf  diese  neue  Bearbeitung  der  Divina  Comedia 
aufmerksam  zu  machen,  und  dieselbe  der  verdienten  Beaohtong  zu 
empfehlen.  Eine  Photographie,  Dante's  Büste,  nach  Baphael  dar- 
stellend schmückt  den  Titel.  Der  Druck  ist  zwar  klein,  aber  deut- 
lich, das  Ganze  dabei  sehr  correct  gehalten, 


üeber  den  Umgang  mU  Menschen.  Van  Adolph  Freiherrn  v, 
Knigge,  Viersehnte  Originalausgabe  in  Einem  Bande, 
Aufs  neue  durchgearbeitet  und  eingeleitet  van  Karl  Qoedtkt 
Hannover.  Hahn'sehe  Hafbuchhandlung  1866.  XXJJl  u.  3968, 
in  gr,  8. 

Das  vorliegende  Buch,  das  im  Jahre  1788  erstmals  erschien} 
und  mit  ungemeinem  Beifisill,  der  sich  in  mehrfach  erneuerten  Aiu- 
gaben  und  selbst  Nachdrücken  wie  Uebersetzungen  in  andere  Spra- 
chen kund  gab,  aufgenommen  ward,  das  dann  in  seiner  eilffcen  und 
insbesondere  in  seiner  zwölften  und  dreizehnten  Ausgabe  (s.  diese 
Jahrbb.  1844.  S.  638  ff.  1854.  8.  622  ff.)  durch  den  gegenwärtigen 
Herausgeber  mehr  den  jetzigen  Verhältnissen  angepasst  ward,  er- 
scheint hierin  einer  vierzehnten  Ausgabe,  in  welcher  das  Ganze 
unserer  Zeit  und  unseren  Verhältnissen  noch  näher  gerückt  und  in 
diesem  Sinne  bearbeitet  worden  ist,  ohne  jedoch  durch  eine  g&ns- 
liehe  Umgestaltung  des  Inhaltes,  das  vielverbreitete  Buch  seiner 
ISestimmung  und  seinem  Zwecke  zu  entfremden.  Bestimmt  für  die 
höheren  und  gebildeten  Klassen  der  Gesellschaft,  hervorgegangen 
aus  tiefer  Menschenkenntniss  und  sorgfältiger  Beobachtung  der  Ye^ 
hältnisse  des  Verkehrs  der  Menschen  unter  einander,  der  verschie- 
denen Richtungen  und  Bestrebungen  kann  dieses  Buch  als  eine  An- 
leitung zur  Lebensklugheit  gelten  und  diesem  Standpunkt  ver- 
dankt es  auch  den  ungemeinen  Beifall,  den  es  errungen,  auch  wenn 
man  darin  nicht  immer  den  moralischen  Standpunkt  ganz  streng 
lind  fest  inne  gehalten  sehen  wollte.  Der  Verfasser  wollte  eben 
kein  System  der  Moral  schreiben,  sondern  ein  Buch  von  unmittel- 
barem praktischem  Nutzen,  wobei  der  Sittlichkeit  immerhin  an 
erster  Stelle  Bechnung  getragen  wird,  ehe  die  Klugheit  erfolgt. 

(Schluss  folgt.) 


St.  56.  fiEIDEI&EKGER  1866. 

JAHBBÜCHEß  DER  LITERATUR. 

Enigge:  üeber  den  Umgang  mit  Menschen  n.  s.  w. 

(BchlfUuO 

Dass  nun  das,  was  im   Jahr  1788  mit  Bücksicht  auf  damals 
bestehende    Verhältnisse ,    Sitten    niedergeschrieben  worden,   wenn 
es  anch  in  seinen  Grundlagen  jetzt   noch   eben   so  wahr  ist,    wie 
damals,  doch  in  seiner  äusseren  Einkleidung  Manches    bietet,   was 
auf  die  jetzigen  Verhältnisse  nicht  mehr  passt  und  anwendbar  ist, 
begreift  sich  leicht:   und  diess   zunächst  zu  ändern,  und  dadurch 
das  Ganze  auch  unserer  Zeit  geniessbar  und  förderlich  zu  machen, 
war  das  Bestreben  des  Herausgebers,  der  in  dieser  vierzehnten  Aus- 
gabe, noch  mehr  wie  in  der  zwölften   darauf  ausging,    Alles   Ver- 
altete wegzuschaffen,  an  die  Stelle  jetzt   überwundener   oder  ver- 
gessener Zeitrichtungen,  gegen  welche  die  Polemik  des  ersten  Her- 
ausgebers auftrat,    ähnliche  der  neueren   Zeit  zu  setzen,   aber  »in 
dem  Geiste,    der   sich   aus   der   Totalität  von  Enigge's  religiösen, 
politischen,  literarischen  und  socialen  Grundansichten   ergäbe,  und 
80  das  Ganze  den  veränderten  Sitten  und  Richtungen  unserer  Zeit 
entsprechender  zu  gestalten.    So  ist  allerdings,  wie  der  neue  Her- 
ausgeber versichert  (S.  XIX),  fast  keine  Seite  ohne  irgend  eine  Um- 
gestaltung geblieben,  bald  liess  sich  diess  mit  geringer  Aendenmg 
bewirken,  bald  war  eine  Umgestaltung  von  Grund  aus  nothwendig. 
Und  so  »kann  das  Buch  in  der  vorliegeüden  Gestalt  ftlr  eine  neue 
Bearbeitung  gelten,  welche  das  Gute,  was  in   Enigge' s  Werke  ge- 
geben war,  sorgfältig  schonte,  aber  reichhaltig  vermehrte  und  stjli- 
stisch  wie  sachlich  von  dem   Hauche   der  vercdtenden  Vergangen- 
heit zu  befreien  bemüht  war.     Dass  dem  Buche   in  dieser  Gestalt 
ein  neues  verjüngtes  Leben  möge  zu  Theil  werden,  ist  mein  Wunsch, 
den  die  Theilnahme  der  Leser  bestätigen  mag.c    Wir  theilen  die- 
sen Wunsch  des  neuen  Bearbeiters   und  zweifeln  nicht,    dass   sein 
Werk  in   dieser  neuen,   unsern  Verhältnissen,    ohne   Aufgabe    der 
Grundlage  besser  angepassten   Gestalt    eine   ähnliche  Verbreitung 
finden  werde,  wie  sie   dem  Werke   früher  bei   seinem  ersten   Er- 
scheinen in  seiner  ersten  Gestalt  zu   Theil  geworden  ist,   da    die 
darin  niedergelegten  Wahrheiten  und  Lebensregeln  heute  noch  eben 
so  wahr  sind  wie  im  Jahre  1788,  während  den  Anforderungen,  die 
man  jetzt  an  einen  gefälligen  und  fliessenden  Styl  macht,  hier  ganz 
andere  Rechnung  getragen  worden  ist.  Die  äussere  Ausstattung  in 
Druck  und  Papier  ist  ganz  befriedigend   zu  nennen.     Noch   ist  zu 
bemerken,  dass  durch  eine  allgemeine  Uebersicht  der  Anlage  und 
JjYÜL  Jahrg.  11.  Heft  55 


P66  BergmftOB;  V^iof  Br«kte«ieii  «•  s.  w« 

des  Inhalts  des  Ganzen,  so  wie  doroh  ein  beigefügtes,  alphabeti- 
sches Btgisttr  über  die  in  dem  Bache  behandelten  Gegenstände  gnt 
geborgt  ist,  um  sich  in  Allem  leicht  zurechtzufinden. 


J)  DqfiUüimg  tnihrerer  bißhengm  Systeme  für  Anordnung  wm 
Sammlungen  mittdaUerlicher  und  modemer  Mun»en  und  Me- 
daillen und  Begründung  eines  ufiasenschaftliehen  Systems  vw 
Kaiser  Karl  dem  Grossen  bis  auf  unsere  Tage;  von  Joseph 
Birgmann,  toirkUchim  Mitglied  der  kaiserl,  Akademie  der 
Wissenschaften,  Wien,  h  Ar.  Hof^  und  StaatsdruekereL  In 
Com^mission  bei  K.  Gerolds  Sohn.  1865.  S*  60.   4« 

2)  Pie  feierliche  Doppelvermählung  der  Enkel  Kaiser  McueimHian  L 
und  das  Turnier  in  M'ien  im  Jahr  1515,  toie  auch  Sigmumk 
von  Dieirichsieins  festliches  Beilager  mit  Barbara  von  RoMi 
nebst  dessen  Qedächtnisstafel  in  Wiener- Neustadi  und  seiner 
Ruhestätte  zu  Villach  j  von  Demselben.  Ebendaselbst  1%^ 
S,  15.    4. 

3J  Der  Bracteafen-Fund  von  Klaus  unweit  Rankweil,  von  Dr, 
Joseph  Bergmann,  Direktor.  Aus  dem  ^ahre^erichi  da 
historischen  Vereins  für  Vorarlberg  bis  1865.  Mü  einer  Taf4 

Der  den  Lesern  dieser  Blätter  wohlbekannte  Forscher  auf  einem  6e- 
I^iete,  welches  theils  überhaupt  yon  special  wissenschaftlichem  Interesse 
ist,  theils  insbesondere  in  das  Gebiet  unserer  landesgeschicbtlicheß 
Fon^chung  hinübergreift,  hat,  zunächst  im  Schoosse  der  Wienei 
Akademie  der  Wissenschaften  wieder  drei  jener  Abhandlungen  rer- 
öffentlicht,  die  um  so  willkommner  sein  müssen,  je  speciellere  Toi 
schwerer  zugängliche  Punkte  sie  aufklären. 

in.  pie  Abhandlung  Nr.  3   ist  ein  Gastgeschenk,  darge- 
bracht dem  strebsamen  Vereine   in   Vorarlberg,   der   Heimatb  des  I 
Verfassers,  deren  grüne  Weid-  und  Waldberge  Derselbe  diesen  Herbst 
in  jugendlicher  Frische  besuchte. 

D^r  Münzfund,  welcher  der  Gegenstand  dieser  Beschreibung 
ist,  wurde  schon  1827  gemacht  und  die  Fundstücke  an  das  k.  i 
Münzcabinett  nach  Wien  gebracht.  Da  aber  dieses  nur  einige 
Stücke  erwarb,  und  die  remittirten  übrigen  bald  zerstreut  wurdest 
80  ging  die  Kunde  des  Fundes  dort  in  der  Masse  einer  grossen 
San^mluug,  hier  im  Drange  der  Angelegenheiten  dos  Tages  ye^ 
Ipren,  und  ^s  ist  die  vorliegende  Beschreibung  gerade  eben  so 
danke^swerth  als  ob  der  Verfasser  einen  Münzfund  von  gestem 
veröffentlicht  hätte. 

Die  beschriebeuen  Münzen  sind  meistens  sogenimnte  Halb- 
bracteatei;  voa  ^^m  eigentbümUchon  Charakter  der  sphwäbiacben 
und  haben  theils  ganz  neues  Gepräge,  theils  bedeutende  Modification 
d^s  Gepräges  bekannter  Münzen. 


Bergmanm  Ucber  Brakteaten  tu  8,  w.  667 

Der  orste,  gleich  eine  der  bedeutendfiteiiy  hat  in  eiaem  Perlen- 
rand  und  einer  Kreislinie  die  Worte  Fride-rions  Oes  und  zeigt  den 
Kaiser  auf  dem  Throne  mit  Scepter  und  Beichsapfel.  Sie  wiegt 
6  Gran  osterr.  Gewicht  und  wird  vom  Befer.  gewiss  mit  Becht 
Friedrich  dem  Zweiten  zugeschrieben. 

Die  zweite  ist  eine  St.  Galler  und  hat  die  Figur  eines  Abtt 
mit  hober  zweitheiliger  Mitra,  angethan  mit  der  sogen.  Flocke, 
oder  Flott^Kutte.  Auf  dem  von  zwei  Thürmen  flanhirten  Spitz- 
bogen,  innerhalb  dessen  das  Brustbild  des  Abts  sich  befindet ,  ist 
ein  Kreuz;  zu  dessen  Seiten  S  —  G,  d.  h.  Sanctus  Gallus.  Der 
Architectur  der  Thürme  nach  zu  schliessen  dürfte  die  Münze  dem 
13.  Jahrh.  angehören.  Das  Gewicht  ist  6Vs  Gran. 

Die  dritte,  ebenfalls  von  St.  Gallen,  hat  einen  Perlenrand 
und  2  Binge,  zwischen  welchen  die  Inschrift  f  Moneta  Sancti  Galli 
in  einer  Schrift  steht,  die  gleichfalls  dem  13.  Jahrhundart  ange* 
hören  dürfte.  Im  Innern  Kreis  ist  das  bärtige  Haupt  des  hl.  Gallus. 
Dieser  Bracteat  von  6^^  Gran  ist  nach  Dr.  H.  Meyer  der  grösste 
der  Schweiz. 

Der  vierte  Bracteat  hat  ein  rückwärts  schauendes  Lamm  mit 
der  Kreuzesfahne  —  ein  auch  im  Breisgau  und  in  der  Pfolz  vor^ 
kommender  Typus  —  und  ist  durch  Meyer  ebenfalls  St.  Gallen 
zugeschrieben. 

Der  fünfte  mit  der  Umschrift  Moneta  Abbatis  Augen- 
sis  zwischen  einem  Perlen  und  einem  einfachen  Kranze  hat  zwei 
horizontal  liegende  Fische  in  verkehrter  Bichtnng  zwbchen  2  sechs- 
strahligen  Sternen.  Er  wurde  früher  dem  Abt  von  Bheinau  zuge- 
schrieben, welcher  auch  schon  seit  1241  münzen  durfte;  Freiherr 
von  Berstett  schrieb,  der  erste,  ihn  der  Abtei  Fischingea 
(Augia  S.  Mariae  Piscinae  oder  Augia  Piscina)  zu.  Sein  Gewicht 
hat  6  Vi  Gran. 

Der  sechste  und  siebente  gehören  Lindau  an,  wahrscheinlich 
der  Stadt,  nicht  der  Abtei;  jene  wurde  zwar  erst  1274  durch 
Budolf  V.  Habsburg  Beiohsstadt,  tritt  aber  doch  schon  1240  mit 
mehreren  Städten  am  Bodensee  als  münzberechtigt  auf.  Beide 
Stücke  haben  das  Wappen  der  Stadt  und  der  Abtei,  der  sieben- 
blättrige Lindenzweig,  die  eine  aber  mit  Perlen-  und  einfachem 
Kranze  ohne  Umschrift,  die  andere  nur  mit  einem  Perlenkranz  um 
den  Zweig  und  ausserhalb  desselben  die  Umschrift  Lindaugia.  Das 
Gewicht  der  erstem  ist  6^4,  der  letztern  7  Gran. 

Dem  14.  Jahrhundert  scheint  anzugehören  ein  achter  Bracteat 
von  Bavensburg  mit  der  Umschrift  f  Bavenspurg  und  im 
Felde  eine  Burg  mit  Thor  und  zwei  Seitenthürmen,  rückwärts  von 
einem  höhern  überragt  (Gewicht  6  Gran).  Ein  neunter  ist  wohl  aus 
dem  15.  Jahrhundert ;  er  zeigt  über  einem  von  einem  Giebel  übeiv 
ragten  Tbor  zwei  Thürme  mit  Zinneui  wiegt  nur  5  Gran  und  ist 
ohne  Umschrift. 


A 


1 


868  Bergmann:  üeber  Braoteaton  u.  b.  nr. 

Diesen  Mttnzen  des  Fonds  wurde  yom  Verf.  noch  eine  der 
Abtei  Kempten  beigefügt. 

Vor  den  Beschreibungen  ist  eine  kurze  Geschichte  von  Klaus 
oder  Calcaires  (Kalchem)  bei  Bankweil  und  dieser  wird  als  Ein- 
leitung eine  kurze  Abhandlung  ttber  Bracteaten  überhaupt  voraos- 
geschickt,  so  dass  auf  wenigen  Seiten  der  Verf.  seinen  Landsleuten 
yiel  Belehrendes  und  Beachtenswerthes  geschenkt  hat. 

IL  Die  zweite  Schrift  ist  eine  jener  anscheinend  andank- 
baren Arbeiten,  die  Beschreibung  längst  verklungener  Festesfreuden, 
die  uns  mit  ihren  Aufzählungen  Ton  Namen  langst  verstorbener 
Gäste  und  der  Nomenklatur  altfränkischer  DiTertissements  fast 
mumienhaft  anmuthen,  aber  gerade  hier  hat  die  minutiöse  Sorg&lt 
des  Herrn  Verfassers,  welche  so  grosses  specialgeschichtliches  Ma- 
terial zusammen  zu  bringen  wusste,  manches  bisher  noch  nicht 
gelöste  Bäthsel  der  österreichischen  und  schwäbischen  Genealogie 
auch  denen  »aus  dem  Beichec  zugänglich  gemacht. 

Die  beschriebenen  Hochzeiten,  denen  der  Verf.  als  Motto  das 
bekannte  »Tu  felix  Austria  nubec  voranstellte,  sind  die  den  22. 
Juli  1515  in  Scene  gesetzten  Vermählungen  der  Prinzessin  Anna 
von  Ungarn  mit  Maximilians  jüngerm  Enkel,  Ferdinand,  und  des 
Bruders,  des  Erbprinzen  Ludwigs  von  Ungarn  mit  der  Enkelin 
Maximilians,  der  Infantin  Maria,  die  kürzlich  erst  aus  den  Nieder- 
landen nach  Wien  gekommen  war. 

Die  vor  und  nach  der  Vermählung  stattgefundenen  Begegnun- 
gen, Jagden,  Turniere,  Mahlzeiten  u.  s.  w.  geben  ebensowohl,  als 
die  diplomatischen  Irrgänge,  durch  welche  diese  Doppelvermäblung 
mit  der  Aussicht  auf  ein  Königreich  bald  gefördert,  bald  durch- 
kreuzt wurde,  dem  Ver£  zu  anziehenden  belebten  Schildeningen, 
namentlich  aber  zu  genealogischen  Aufklärungen  Gelegenheit. 

Kaiser  Maximilian  hatte  nach  einer  Sitte,  die  bis  in  das  17. 
Jahrh.  sich  am  Kaiserhofe  erhielt,  am  nemlichen  Tage,  an  wel- 
chem die  Doppelvermählung  seiner  Enkelkinder  statt  fand,  auch 
die  Hochzeit  eines  Günstlings  gefeiert,  des  1480  gebornen  Sig- 
mund von  Dietrich  stein,  seines  geheimen  Baths  und  Landes- 
hauptmanns in  Steiermark,  mit  Barbara  von  Rottal,  eine  Fest- 
lichkeit, die  auch  durch  ein  kurz  nachzeitiges  Gemälde  im  Schlosse 
SU  Nikolsburg  verherrlicht  ist. 

An  die  Beschreibung  derselben  knüpft  der  Verf.  eine  Unter- 
suchung über  die  Buhestätte  Sigmunds,  von  der  man  bisher  fälsch- 
lich annahm ,  dass  sie  sich  neben  der  des  Kaisers  befinde ,  and 
über  eine  Gedächtnisstafel  desselben,  so  wie  über  die  zweite  Ver- 
mählung seiner  Wittwe  mit  Ulrich  von  Czettritz,  der  mit 
Ludwig  von  Ungarn  in  der  Schlacht  bei  Mohäcz  kämpfte,  ihn  ans 
dem  Gewühle  der  Niederlage  entführte,  im  schlammigen  Boden  des 
Csellie-Baches  versinken  sah  und  später  seinen  Leichnam  nach 
Stulweissenburg  brachte. 

Bei  dieser  Gelegenheit  führt  der  Verf.  die  auch  für  die  allge- 


Bergxnftnn:  üeber  Braeteaden  xu  8«  w.  860 

meine  Oescliiclite  bedeutsame  Variante  Georg  Szer^mi*8 
Hanscaplans  der  Könige  Lndwig  U.  nnd  Johann  von  Zäpolja  an, 
die  im  40.  Oapitel  (»de  morte  Lndovici  regiflc)  seiner  Denkschrift 
über  die  Zerrüttung  Ungarns  in  den  Jahren  1484—1548  nieder- 
gelegt ist. 

Nach  derselben  hätte  nach  dem  Zeugnisse  eines  nngarischen 
Soldaten,  welches  dieser  freilich  erst  1540  abzulegen  für  gut  fand, 
Graf  Georg  von  Zips,  der  Bruder  Johanns  von  Zapolya,  Paul  To- 
mori,  Erzbischof  von  Kalocsa  und  Cytrich  Bohemus  (offenbar  unser 
Cettritz),  Kämmerer  des  Königs,  den  fliehenden  Ludwig  aus  der 
Schlacht  geleitet.  Der  Graf  von  Zips  habe  diesem  den  verräthe- 
rischen  Bath  gegebe o ,  den  Harnisch  abzulegen,  um  sich  auszu- 
ruhen, dann  den  Wehrlosen  mit  drei  Hieben  niedergehauen,  sei 
aber  sofort  von  dem  Erzbischofe  niedergestossen  worden  und  den 
letztem  habe  ein  ünterfeldherr  des  Grafen  Georg  getödtet.  Man 
habe  alsdann  die  Leiche  des  Königs  am  Bande  eines  Sumpfes  ein- 
gegraben. Czettritz  aber  sei  die  Nacht  hindurch  nach  Stulweissen- 
burg  zur  Königin  Wittwe  geritten  und  habe  ihr  gemeldet,  was 
geschehen  war,  sei  aber  von  ihr,  weil  er  seinen  Herrn  verlassen 
habe,  gefangen  gesetzt  und  später  von  den  Deutschen  getödtet 
worden. 

Wiewohl  Ref.  überzeugt  ist,  dass  dieses  nur  eine  aus  Ge- 
hässigkeit gegen  das  Geschlecht  der  Zapolya  verbreitete  Sage  ist, 
gibt  er  gleichwohl  zu,  dass  es  von  grosser  Wichtigkeit  wäre,  wenn 
ungarische  Specialhistoriker  —  die  aber  freilich  gerade  jetzt  am 
wenigsten  Lust  dazu  haben  werden  —  sich  mit  der  Prü^ng  der- 
selben beschäftigen  möchten. 

L  Die  erste  der  drei  Schriften  endlich  enthält  die 
»Darstellung  mehrerer  bisheriger  Systeme  für  An- 
ordnung von  Sammlungen  mittelalterlicher  und  mo- 
derner Münzen  und  Medaillen  und  Begründung  eines 
wissenschaftlichen  Systems  von  Karl  dem  Grossen 
bis  auf  unsere  Tage.c 

Schon  vor  einiger  Zeit  hatte  der  gelehrte  Verf.  in  den  vor- 
trefflichen Abhandlungen  »Pflege  der  Numismatik  in  Oesterreich, 
mit  besonderm  Hinblick  auf  das  k.  k.  Münz-  und  Antikencabinet 
und  auf  Privatsammluiagen  in  Wienc  die  Gmndlagen  einer  Ge- 
schichte der  Numismatik  in  seinem  Yaterlanda  gebaut;  jetzt  be- 
schäftigt er  sich  zuerst  mit  der  Geschichte  der  vcrschiedetien  nach 
einander  wechselnden  Systeme  für  Anordnung  und  Sammlnng,  wenig- 
stens der  mittelalterlichen  und  modernen  Münzen.  Aus  dem  am 
5.  April  d.  J.  in  der  Sitzung  der  philosophisch -historischen  Klasse 
gehaltenen  Vortrag  ist  die  oben  aufgeführte  Schrift  entstanden, 

Sie  findet  dreierlei  bisherige  Ein  th  eil  tings  weiten 
vor,  L  nach  dem  hierarchischen  (kirchenfürstlicheii) ,  H. 
nach  dem  laienfürstlichen  und  HI.  nach  dem  geogra« 
phisohen  System. 


\ 


8fO  B«rgmftBn>  XTeber  Brteteatoi  «•  •»  w. 


'  Die  dtste,  yertreten  dnroh  Otiavio  Strada,  HerSns,  diefran- 
z58isah6n  Catalogues  dtsMonnaies  en  Or  eten  argent  1756.  1769. 
1770,  Yertretea  in  der  Ordnnng  des  alten  Hanscabinets  nnd  dnreh 
Appely  auch  duroh  Baron  Brettfeld  Cblnmc  zanzkj  beginnt  mit 
wenigen  Variationen  mit  den  Münzen  der  Päpste,  Gardin&le,  Pa- 
triarchen ,  ErzbiscbOfe  (geistliche  KarfUrsten) ,  Bischöfe ,  Aebte, 
Bitterorden,  nnd  schliesst  dann  mit  denjenigen  der  Kaiser,  Könige 
n.  a.  Fürsten.  Die  zweite,  vertreten  dnrch  Madai-Lilientbal, 
die  beiden  Köhler,  das  »Groschencabinetc  nnd  Ritter  von  Frank 
hat  die  römisch- dentsohen  Kaiser  an  der  Spitze,  lässt  dann  die 
Könige,  KurfClrsten,  die  geistlichen  nnd  weltlichen  Fürsten  n.  s.  w. 
folgen,  geht  dann  zn  den  ausserdentschen  über  nnd  schliesst  mit 
Miscellen  oder  unbekannten  Thalem.  Die  dritte  beginnt  ao 
einem  Ende  der  Welt  nnd  durchläuft  die  Länder  bis  zum  andern, 
von  Nord  nach  Bttd,  von  Ost  nach  West  oder  umgekehrt.  Dan 
gehören  die  Anordnungen  von  Leitzmann,  von  Ampach,  Welzl,  voo 
Wellenheim,  v.  Beichel,  v.  Mader,  die  Systeme  im  k.  k.  Münz- 
oabinet  im  19.  Jahrhundert,  endlich  dasjenige  von  Scholthes»- 
Beohberg. 

Wie  viele  Mängel  und  Verwirrung,  Zersplitterung  des  Zu- 
sammengehörigen und  Vereinigung  von  Ungleichartigem  jedes  die- 
ser Systeme  mit  sich  bringt,  hat  wohl  jeder  erfahren,  der  sich 
auch  nur  oberflächlich  mit  Anordnung  von  Münzen  und  Medaillen 
beschäftigte.  Der  Verfasser  hat  dieselben  theils  bei  den  einzelnen 
Systemen  angedeutet,  theils  hat  er  zur  Erkennung  derselben  auf 
das  von  ihm  selbst  aufgestellte  System  verwiesen,  welches  den 
zweiten  Theil  seiner  Schrift  bildet  (S.  23—50). 

Dieses  System  bezeichnet  der  Verf.  als  ein  historisch- 
geographisches,  wissenschaftliches  nnd  praktisches. 
Wenn  wir  diese  Eigenschaften  in  demselben  ohne  Zwang  und  Ver- 
wirrung vereinigt  finden,  so  ist  es  nach  unserer  Ansicht  jedem 
andern  weit  vorzuziehen  und  darf  allen  Sammlungen  empfohlen 
werden. 

und  in  der  That  glauben  wir,  dass  diese  Klarheit  nnd  XTeber- 
sichtliohkeit  vollkommen  gelungen  ist,  wenn  gleich  vielleicht  eine 
krankhafte  Empfindlichkeit  gegen  die  Voranstellung  Oesterreiehs 
einige  Einwendungen  zu  erheben  geneigt  ist. 

•  Wir  woUen  zum  Belege  dasselbe  kurz  andeuten.  Die  erste 
Hauptabtheilung  ist:  europäische  und  aussereuropäische 
Staaten.  Die  letztern  nehmen  mit  den  Namen  Asien,  Afrika, 
Amerika  und  Australien  die  XVIII.  Bubrik  ein,  während  die  XVII 
vorhergehenden  auf  Europa  lallen  und  die  XIX.  gleichsam  als  A  n- 
hang  die  Medaillen  auf  berühmtePersonen  enthält.  Von 
Europa  bildet  nach  Gebühr  das  deutsche  Beich  von  seiner 
Gründung  durch  Karl  den  Grossen  bis  zu  seiner  offiziellen  Auf* 
lösnng  1806  die  erste  Beihe,  dann  folgen,  ohne  dass  gerade 
der  Grund  der  Anordnung   besonders  betont  wäre,  die   Schweiz, 


Bergmftniis  Vthet  &riketoftt«ft  tt.  ■•  w.  tfi 

Italien,  Portugal,  Spanien,  Ftankreioh,  Bel(^en,  ^Niederlande,  Oross- 
britannien  mit  Schottland  nnd  Irland,  Dänemark,  Schweden,  Bnss- 
land,  Polen,  die  altern  christlichen  Königreiche  nnd  ne^em  Süzerä- 
nen Fürsten  in  der  europäischen  Türkei,  Qriechenland,  die  Kreuz- 
fahrer, endlich  die  Münzen  und  Medaillen  der  Städte. 

Hier  sind  uns  indessen  offen  gestanden  einige  Bedenken  auf- 
gestossen,  die  wir  dem  Herrn  Verf.  zu  erwägen  geben  wollen. 

Wir  vermissen  vorerst  die  Türkei  und  das  byzantinische 
Kaiserthum  vor  und  nach  den  Kreuzzügen. 

Der  Verf.  ging  wohl  von  der  Ansicht  aus,  da(ss  beide  keine 
rein  europäische  Staaten  seien  oder  gewesen  seien.  Allein 
einerseits  wäre  ein  ähnliches  Yerhältniss  bei  Spanien,  Portugal, 
England  u.  A.  auch  zu  constatiren  gewesen,  andererseits  ist  der 
üebelstand  vorhanden,  dass  wir  sie  auch  nicht  in  Asien  oder  Afrika 
finden.  Dürfte  nicht  die  Eintheilung :  XTV.  Türkei,  a.  Byzantinisches 
Beich,  b.  lateinisches  Kaiserthum  und  die  darin  entstandenen  Fürsten- 
thümer,  c.  ältere  christliche  Königreiche  und  jetzige  Süzeräne  Für- 
sten, d.  Königreich  Oriechenland  erschöpfender  sein?  Dann  auch 
»XVI.  die  Münzen  der  Kreuzfahrer«  ist  unseres  Erachtend 
eine  Eintheilung,  die  zwar  der  alten  üebung  entspricht,  aber  doch 
den  üebelstand  hat,  dass  europäische  und  asiatische  Münzen,  die 
eigentlich  als  Unterabtheilung  zu  XVilL  A.  unter  Liteta  g  gehören, 
zu  Europa  eingetheilt  sind. 

Dass  dem  jetzigen  Königreiche  von  Italien  eben  so  wie 
in  Würtemberg  auch  in  dem  Mtinzsysteme  die  Anerkennung  noch 
versagt  ist,  darf  mit  dem  Verf.  den  noch  in  Gährung  befindlichen 
Zuständen  der  apenninischen  Halbinsel  zugeschrieben  werden;  — 
doch  werden  die  neuen  Münzen  Victor  Emmanuels ,  unter  jenem 
Titel  aufgeführt  werden  müssen,  wie  auch  in  der  Schweiz  die  der 
helvetischen  Vasallen-Republik,  die  wir  S.  36  vermissen. 

Gelegentlich  der  Aufstellung  seines  Systems  hat  der  Herr  Verf. 
nicht  unterlassen,  nach  seiner  Sitte,  als  »lepidum  quoddam  corrol- 
larium«  da  und  dort  sehr  interessante  Notizen  einzustreuen. 

Zu  diesen  rechnen  wir  z.  B.  S.  36  die  Nach  Weisung,  dass  die 
Päpste  unter  Karl  dem  Grossen  und  seinen  nächsten  Nachfolgern 
die  Oberhoheit  der  Frankenkönige  anerkannten  und  z.  B.  auf  dem 
Avers  CARLV8  und  als  Monogramm  Imperator,  auf  dem  Eev. 
PETRVS  und  als  Monogramm  LEOPA(pa)  prägten,  gerade  wie 
Herzog  Grimwald  von  Benevent  auf  dem  Avers  DOM(inus)  invictuS 
CAR{olu)S  Rx  —  Ref.  möchte  statt  invictus  Sau  et  na  lesen,  alfl 
einen  Ueberrest  römisch-kaiserlicher  Superstition  — ^  und  auf  dorn 
Revers  GRIM-VALD  prägte.  Diese  Beispiele  Hossen  sich  leicht 
vervielfältigen  und  bestätigen  nur,  dass  ausser  dem  bedeuten- 
den Werthe  des  systematischen  Versuches  der  Verfasser  Seiner 
Schrift  noch  eine  hinlängliche  Anzahl  von  Anxiehungiipuinkten  %}x 
geben  wusste. 

Mannheim.  Ticklcr« 


Sit  Literalivbcfflehfte  Mi  IttUou 

LiteratnrbericlLte  ans  ItalieiL 


Es  sind  in  nenester  Zeit  in  Deutschland  grosse  Schützenfest« 
gefeiert  worden ;  allein  es  dürfte  die  Frage  sein ,  ob  für  die  Ge- 
schichte des  Scheibenschiessens  so  yiel  geschehen  ist,  wie  in  Italien^ 
worüber  wir  anf  folgendes  Werk  verweisen : 

H  Uro  al  aegno  in  JiaKa  della  ma  origine  dno  ai  nosiri  ffiarm,  ü 
A,  Angelucci.  Torino  1866.  Tip.  Baglione  e  Comp. 

Dieses  Werk  enthält  eine  gründliche  Geschichte  des  Scheiben- 
schiessens von  seinem  Ursprünge  bis  anf  unsere  Tage,  nachdem  der 
Verf.  schon  vor  ein  paar  Jahren  eine   Schrift  über   die  Feier  yob 
Gemeinde-Festen  in  Italien   durch    Scheibenschiessen  im  15.  Jahr- 
hundert   yeröffentlicht  hatte.     Zuvörderst  wird  nachgewiesen,  wann 
sich  die  ersten  Nachrichten  Ton  tragbaren  Schusswaffen  in  Italien 
vorfinden.     Nach   Muratori  besass   schon  Rinaldo  von  Este  1334 
Feuerwaffen,  und  der   gelehrte  Minister  Graf  Cibrario   hat  darge- 
than,  dass  dergleichen  schon  1846  in  Turin  vorhanden  waren;  die 
Stadt  Perugia  Hess  1364  davon  800  Stück  anfertigen,  und  die  da- 
mals  freie    Reichsstadt   Bologna  besass   dergleichen   schon   1397. 
Während  in  Deutschland  nur  von  Raubrittern  des  Lehnwesens  und 
den  Burgen  derselben  Nachrichten  vorhanden  sind,   erscheint  bei 
dem  italienischen  Gemeindewesen  schon  früh  eine  bewaffnete  Bürger- 
schaft  mit  ihren   Waffenübungen.     Nach    einer    Urkunde    in  Pisa 
waren  schon  1162  daselbst  Bürger-Caropagnien    organisirt,  welcbe 
ihre  Waffenübungen  abhielten.  Nach  einem  Vertrage  zwischen  den 
freien  Städten  Genua  und  Alessandria  von  1181  wurde  bestimmt, 
wie  viele  ausgerüstete  Bürger  sich  gegenseitig  im  Falle  eines  Krie- 
ges zu  Hülfe  kommen  sollten.  Mit  ausserordentlicher  Sorgfalt  fObit 
der  Verfasser  von   vielen  italienischen  Gemeinden   die  Einrichtnog 
und  üebung  der  bewaffneten  Bürgerschaft  nach  urkundlichen  Nacb- 
i  richten   an,  und  versteht  es  sich  von  selbst,   dass  diese  üebungen 

j  auch    nach    der  Erfindung    des  Schiesspulvers  fortgesetzt   wurden. 

I  Dabei    bemerkt    der   Verfasser,    dass  man  bisher  keine   gezogene 

Büchse  vor  der  1498  bei  dem  Scheibenschiessen  in  Leipzig  von 
Zollner  vorgezeigten  kannte,  dass  aber  eine  solche  schon  1476  zn 
Ouastalla  vorhanden  war.  Mit  grosser  Sorgfalt  hat  der  Verfasser 
merkwürdige  Nachrichten  über  die  Waffenübungen  der  Bürger  in 
Venedig,  Lucca,  Florenz  und  vielen  andern  italienischen  Städten 
urkundlich  zusammengestellt. 

Hiemächst  zeigt  der  Verfasser,  dass  es  schon  früh  Gesell- 
schaften von  Bogenschützen  gab  und  führt  derselbe  mehrere  Ver- 
ordnungen über  dies  Waffenspiel,  balistarins  ludus,  an;  z.  B.  in 
Lucca  vom  15.  Mai  1882,  von  Osimo  von  1838,  von  Asti,  Casale, 
Ferrara  u.  s.  w.  Mit  genauer  Kritik  wird  die  Einführung  der 
Feuervraffen  von  dem  Verfasser  behandelt  und  für  entschieden  an- 


literatnrberlclite  ans  Italien.  873 

genommen,  dass  eine  Artillerie-Schnle ,  die  erste  in  Europa  1491 
zu  Venedig  errichtet  wnrde.  Bei  der  Geschichte  der  Bildung  von 
Schützen-Gesellschaften  wird  erwähnt,  dass  in  der  Stadt  Cuneo  die 
dortige  diessfallsige  Gesellschaft  zu  ihrem  Schützenkönige  den  Anton 
Opezzo  durch  Stimmenmehrheit  gewählt  hatte.  Indem  der  Verf. 
die  Geschichte  der  italienischen  Schützen-Gesellschaften  fortführt, 
schliesst  er  mit  dem  ersten  Scheibenschiessen  des  jetzt  vereinigten 
Italiens,  welches  am  21.  Juni  1862  zu  Turin  mit  61  Scheiben  er- 
öffnet ward,  wobei  250,000  Schüsse  fielen,  und  die  vertheilten 
Preise  über  100,000  Franken  betrugen,  worüber  in  einem  beson- 
dem  annuario  storico  statistico  del  tiro  a  seguo  nazionale,  Torino 
1862,  Nachricht  gegeben  ward,  worin  unter  anderm  erwähnt  wird, 
dass  die  Kanone,  welche  das  Signal  zu  der  EröfEnung  des  Festes  gab, 
in  Parma  mit  folgender  Inschrift  gegossen  worden  war:  Carlo  HI. 
di  Borbone,  Paskiewitsch,  1852 ;  wobei  man  keine  Ahnung  haben 
konnte,  dass  sie  in  Turin  zu  einer  solchen  italienischen  Fest- 
lichkeit würde  gebraucht  werden.  Der  gründliche  Verf.  schliesst 
mit  einer  chronologischen  Tabelle  des  italienischen  und  ausländi- 
schen Scheibenschiessens,  anfangend  mit  den  diessfallsigen  Hebungen 
in  Bayenna  im  7.  Jahrhundert,  in  Sardinien  im  9.  Jahrhundert,  in 
Bergamo  1120,  in  Genua  1161,  in  Pisa  1172  u.  s.  w.  bis  zudem 
zu  Pisa  im  Jahr  1286  gefeierten  Scheibenschiessen  mit  Bogen  und 
Armbrust,  wobei  zugleich  das  erste  ausländische  Schützenfest  er-' 
wähnt  wird,  nämlich  das  von  dem  Herzoge  Boleslaus  zu  Schweid- 
nitz  in  Schlesien  eingeführte  Scheibenschiessen,  welches  Moritz 
Meyer  erwähnt ;  nach  vielen  solchen  in  Italien  vorgeflihrten  Festen 
kommt  1863  eine  Verordnung  von  Eduard  III.  von  England:  Ueber 
das  Scheibenschiessen,  dann  wieder  von  auswärtigen,  Zürich  1386, 
Augsburg  1392,  Hamburg  1394,  auch  in  Frankreich  in  demselben 
Jahre ;  hierauf  wird  wieder,  nach  vielen  italienischen  solchen  Festen, 
im  Jahre  1400  die  Stiftung  der  Schützenzunft  in  Zürich  und  Luzern 
erwähnt,  bis  endlich  1427  zum  erstenmale  mit  Feuergewehr  zu 
Aosta  ein  solches  Fest  gefeiert  ward,  worauf  dasselbe  ebenfaUs  in 
Nürnberg  im  Jahr  1429  erfolgte.  Hierauf  werden  wieder  viele 
Schützenfeste  mit  Pfeilen  in  Italien  angeführt,  so  wie  auch  in 
Frankreich  1448,  bis  wieder  im  Jahr  1450  in  der  Schweiz  mehrere 
Schützenfeste  mit  Feuergewehren  erwähnt  werden,  bo  wie  H61  zu 
Augsburg.  Endlich  tritt  in  Lucca  1467  eine  Schützen- GeaeUacliaft 
mit  Feuergewehren  auf,  1491  in  Venedig,  bis  endlich  von  1500 
an  diese  Uebungsfeste  mehr  mit  Feuergewehreu  erwühnt  werden. 
Auf  diese  Weise  wird  fortgefahren  bis  zu  den  im  Jahr  1864  in 
Italien  bestehenden  namentlich  aufgeführten  Bchübeti-Geaellscbaften, 
Diese  merkwürdige  Chronologie  füllt  die  engf^ednickten  Seiten  die- 
ses Werkes  von  135  —  190.  Hierauf  folgen  71  meist  bisher  unbe- 
kannten Urkunden  von  707  an  bis  1785.  Den  Bestiblnsa  macht 
eine  Sammlung  von  Statuten  mehrerer  SchUtzengilden  und  ArtilU^ritr- 
Schulen,  von  1488  an  bis  1730.     Auf  diese  Weise  i^t  ^  ' 


6T4  LttaratuHmrldiia  mi  ItofieB. 

ein  aeQor  Beweis  Ton  der  Oelebnamkeit  uod  dem  Fleiase  dM  ftr 
die  Geschiebte  thatigen  Verfassers.  , 

Dei  Sehioppettieri  Milanen  ml  16  secolo.    Müano  1865. 

Herr  Angelncci,  der  Verfasser  des  eben  erw&bnten  grösserei 
Werkes  über  das  Scbeibenscbiessen ,  gibt  hier  eine  ebenfalls  mit 
ausserordentlicher  Sorgfalt  aus  alten  Urkunden  gesogene  Oeschichto 
der  Mailändischen  Bttchsenschützen  in  dem  Kriege  gegen  Venedig, 
nachdem  die  Feuerwaffen  in  Gebrauch  gekommen  waren.  Der  Ver- 
fasser hat  ermittelt,  dass  die  Mailänder  Bürger  im  Jahr  1441  be- 
reits eine  bedeutende  Schaar  von  Büchsenschfitzen  zu  der  Belag^ 
rang  von  Caravagio  unter  Sforza  aufgestellt  hatten.  Eine  noch 
grossere  Menge  solcher  Schützen  wurden  gegen  die  Venetianer  ia 
das  Feld  geführt,  als  im  Jahr  1452  der  Krieg  gegen  Venedig  wie- 
der ausbrach,  dasselbe  war  auch  der  Fall,  als  Franz  Sforza  im  Jak 
1463  sich  anschickte  Genua  zu  erobern.  Der  Verf.  trägt  biernieM 
blos  die  damaligen  Kriegs-Begebenheiten  vor,  sondern  gibt  «leh 
als  Sachyerständiger  genaue  Beschreibungen  der  damals  gebranch- 
ten  Gewehre,  und  der  Arsenal* Vorräthe  mit  gewohnter  Gründ- 
lichkeit. Eine  wichtige  Beilage  sind  23  ungedrackte  Urkunden  toi 
1455  anÜEtngend  bis  1499. 

Von  demselben  unermüdlichen  Forscher  in  alten  ArchircD 
ist  auch: 

II  Uro  al  9epno  in  Aosta,  dal  12  al  19  secolo  di  A.  AngelueeL  ISSi 
Tip,  Baglione.     4, 

worin  die  Geschichte  des  Scheibenschiessens  in  der  an  der  Alpen- 
Strasse  über  den  St.  Bernhard  liegenden  Stadt  Aosta  erzählt  wird 
In  dem  Archive  der  Stadt  Aosta  finden  sich  Beweise,  dass  schon  I 
im  Jahr  1218  daselbst  eine  Compagnia  del  Arco  bestand,  ürknnd- 
ifc^  wird  nachgewiesen,  dass  man  bereits  seit  längerer  Zeit  Kngeln 
mit  Armbrasten  zu  schiessen  pflegte,  welche  nach  der  Erfindung 
des  Pulvers,  wofür  gewöhnlich  das  Jahr  1854  angenommen  wird, 
zu  tragbaren  Feuergewehren  Veranlassung  gaben.  Es  wird  daher 
mit  vieler  Gründlichkeit  erörtert,  in  wie  fem  eine  Inschrift  in 
Aosta  wichtig  sein  kann,  naeh  welcher  im  Jahr  1427  daselbst 
Arquebusen-Schiessen  stattgefunden  habe,  nachdem  der  Venetia- 
nische  General  Coglione  aus  Bergamo  schon  1876  Kanonen  im 
freien  Felde  benutzte,  und  in  Florenz  der  Muster  ügonino  ans 
Ghatillos,  im  Thale  von  Aosta,  schon  1847  Kanonen  lieferte, 
worüber  auch  der  gelehrte  Minister,  GrafCibrario  in  seiner  Sohriß: 
Dell*  uso  degli  Sehioppi  nell'  anno  1347.  Torino  1844  Untersuch- 
ungen angestellt  hat.  Jedenfalls  hält  Herr  Angelncci  ftlr  bewiesen, 
dass  in  Aosta  schon  im  Jahr  1427  Schiesspulver  zum  Soheiben- 
schiessen  benutzt  worden,  welches  nach  Moriz  Meyer  in  Nürnberg 
erst  1429  stattfand;  er  gibt  femer  sehr  beachtenswerthe  Nach- 
richten,  Urkunden  und  Facsimile  über  die  kriegerischen  Unte^ 


Litentarbaieliie  «vfl  Itallea  815 

nehmniigen  der  Einwohner  in  dem  Valle  d^Aosta,  nnd  Aber  die 
ritterlichen  8chüt«en  von  Aosta,  i  Cayallieri  Tiratori,  la  noble 
oompagnie  de  rArqnebnse,  anch  les  Chevaliers  tireurs  genannt. 
Jedenfalls  ist  auch  dieses  Werk  des  gründlichen  Verfassers  eine 
dem  Geschichtsforscher  wichtige  Arbeit. 

Lettere  d%  Galileo  Qalilei  puhblicati  la  prima  volia  pd  9U0  irecen" 
tesimo  natalizio.    Pisa  1864. 

Als  am  18.  Februar  1864  zu  Pisa  der  80jährige  Geburtstag 
Galilei*s  feierlich  begangen  wurde,  liess  die  Commission,  welche  dies 
Fest  veranstaltete,  bestehend  aus  dem  damaligen  Präfecten,  dem 
späteren  Minister  Torelli,  dem  Bector  Centofanti  an  der  dor- 
tigen Universität  und  dem  Oberbürgermeister  del  Punta  5  bisher 
unbekannte  Briefe  dieses  grossen  Mannes  drucken  und  der  gelehrte 
Bibliothekar  Sacohi  aus  Mailand  noch  6  andere,  welche  er  dort 
aufgefunden  hatte.  Jetzt  erscheint  diese  Sammlung  von  11  Briefen 
mit  wichtigen  Anmerkungen  ausgestattet. 

StUla  canservaaione  ddle  piiture  dtl  Camposanio  di  Pisa.  Memorie 
e  leilere.     Pisa  1864.  Tip.  LUi. 

Der  Maler  Botti  zu  Pisa^  welcher  einige  neue  Glasgemälde 
für  das  Battisterium  zu  Pisa  gearbeitet  hatte,  machte  den  Vor- 
schlag die  Fresken  in  dem  berühmten  Campo  santo  daselbst  wie- 
der herzustellen,  und  zwar  nach  einem  von  ihm  erfundenen  neuen 
Verfahren.  Die  Stadtgemeinde  ging  darauf  ein,  und  die  Ausfüh- 
rung war  befriedigend.  Die  diessfallsigen  Verhandlungen  werden 
hier  bekannt  gemacht. 

11  libro  dH  seite  savj  di  Roma,   testo   del  buon  secolo  deUa  lingua. 
Pisa  1864.  Tip.  NütH.  gr.  8.  p.  LXIV.  ISl. 

Das  Buch  der  sieben  Weisen  war  schon  vor  1000  Jahren  im 
Oriente  bekannt,  anfangs  nur  in  mündlicher  Ueberlieferung,  bis  es 
endlich  durch  die  Ereuzzüge  nach  Europa  verpflanzt  und  in  ver- 
schiedene Sprachen  übersetzt  wurde.  Herr  Alessandro  d'Ancona 
macht  hier  eine  italienische  Bearbeitung  dieser  Erzählungen  be- 
kannt, indem  sie  sprachlich  einen  Gegenstand  der  Gesellschaft  aus- 
macht, welche  sich  zur  Heraufgabe  der  Testi  di  lingua  in  Italien 
gebildet  hat,  deren  Vorstand  Herr  Zambrini  ist.  Zu  dem  Vor- 
worte wird  die  Literatur  dieses  alten  Buches  der  sieben  Weisen 
mit  Benutzung  auch  der  auswärtigen  Literatur  vorgeführt,  wobei  unser 
V.  Hammer,  Bohlen,  Weber,  Rosen,  Keller  u.  s.  w.  benutzt  werden ; 
auch  ist  die  gelehrte  Abhandlung  darüber  von  unserm  verdienst- 
vollen Professor  Brockhaus,  Tnti  Namah  di  Nakhshabi,  von  E. 
Teza  in  italienischer  Uebersetzung  beigefügt. 


J 


} 


ftT6  LItentturberichto  atn  IteUen. 

Vüe  degK  uomird  ülugiri  dflidlia  in  poliüea  e  in  arm  dal  F.  2). 
QutrrasTsL     Milano  1863.  Tip.  OuigonL    4. 

Von  dem  Leben  der  berühmten  Italiener  von  Gnerrazzi  sind 
bereits  120  Lieferungen  erschienen.  Der  mit  der  104.  Lieferang 
anfangende  2.  Band  dieses  bedeutenden  Werkes  enthält  das  Leben  des 
Florentinisohen  Helden  Ferrucci,  welcher  1489  geboren  ward.  Dem 
gelehrten  Herrn  Verfasser  stand  das  grosse  Staatsarchiv  zu  Florenx, 
welches  von  dem  bekannten  Archivar  Ritter  Bonaini  trefflich  ge- 
ordnet ward,  natürlich  offen ;  dies  allein  reicht  hin  auf  diese  für 
die  Oeschichte  höchst  bedeutende   Arbeit  aufmerksam    zu   macbeB. 

Carlo  Heqely  storia   dtlla   constUuiione   dei   fnutficipü  Haliani,  ira- 
dotia  dal  Prof.  Canti.     Milano  1864.    Tip.    Guigoni. 

Diess  für  die  Oeschichte  des  Gemeindewesens,  welches  in  Italiei 
in  seinen  7600  Gemeinden  vollständig  ausgebildet  ist ,  wichtige 
Werk  unsers  gelehrten  Hegel  erscheint  hier  in  italienischer  Uebe^ 
Setzung.  Wie  sehr  man  in  Italien  die  deutschen  Werke  zu  w11^ 
digen  versteht,  kann  man  daraus  abnehmen ,  dass  bei  demselben 
Verleger  zu  gleicher  Zeit  eine  üebersetzung  der  Geschichte  Europas 
von  Wolfgang  Menzel,  und  der  römischen  Geschichte  von  Mommsen 
erscheint. 

Avanzi  preromani  delle  terremare  e  paJaßtte  deW  Emüia  dd  Prof* 
Sirohd.     Parma  1863. 

Der  Professor  Strobel  in  Parma,  ein  gelehrter  Deutscher,  fr&- 
her  an  der  Universität  zu  Piacenza  angestellt,  hat  in  der  Um- 
gegend von  Parma  Pfahlbauten  entdeckt  und  darüber  hier  Nach- 
richt gegeben ;  so  dass  man  jetzt  Spuren  von  den  wahren  Antoch- 
tonen  Italiens  besitzt.  Es  hat  derselbe  in  dem  üniversitätsgebäade 
zu  Parma  bereits  ein  sehr  reiches  Museum  der  von  jenen  Bewoh- 
nern der  Pfahlbauten  benutzten  Geräthe  angelegt. 

Qiornale  delle  Alpi,  degli  Apptnnini  t  dd  Yolcani,  ddl  Avoc.  6.  T. 
Cimini.     Torino  1864. 

Veranlasst  durch  einen  Bericht  über  die  Besteigung  des 
Monte  Viso  von  dem  gegenwärtigen  Minister  Sella,  bildete  sich 
seit  1868  ein  Alpen -Clubb  in  Turin,  und  ein  Mitglied  des- 
selben, Herr  Cimini  gründete  eine  Zeitschrift  unter  dem  vo^ 
stehenden  Titel,  von  welcher  bereits  das  4.  Heft  herausgekommen 
ist,  enthaltend  sehr  beachtenswerthe  Abhandlungen  über  die  Er- 
forschung der  italienischen  Berggegenden.  Von  Gastaldi  ist  unter 
andern  nachgewiesen  worden^  dass  die  Ausdehnung  der  Gletscher 
sich  sonst  viel  weiter  erstreckt  hat.  Eine  schöne  Zugabe  sind 
Karten  und  mitunter  Ansichten,  schöne  Alpengegenden,  von  denen 
schon  Virgü  den  pinifer  Vesulus  erwähnt. 


titeraiiirbericlite^ftiiA  Italien.  877 

Eine  der  in  Italien  h&ufig  vorkommenden  nnd  für  die  Gescbiclite 
oft  wichtigen  Monographien  ist  folgende: 

DelV  Abazia  di  S.  Alberto  di  Butero  e  dd  rrumastero  J.  Maria  in 
Vogheroy  di  A,  Cavagna^Sangitäiani^  Milano  1866»  Tip, 
Angelli.  gr.  8.  p.  312. 

Nachdem  die  Benedictiner  -  Mönche  seit  dem  Anfange  des 
6.  Jahrhunderts  in  Italien  eingeführt  worden  waren,  entstand  auch 
in  der  Provinz  Pavia  unfern  von  Voghera  am  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts ein  solches  £[lo8ter,  woraus  bald  eine  grossartige  Abtei 
wurde,  welche  wie  eine  Bitterburg  gebaut  war,  und  den  Namen 
S.  Alberto  di  Butero  erhielt.  I)ie  erste  hier  mitgetheilte  Ur- 
kunde ist  von  1074,  womach  Gregor  VII.  die  Wahl  eines  neuen 
Abtes  bestätigt;  die  durch  das  germanische  Lehnwesen  hier 
entstandenen  Lehnsherren  machten  diese  Abtei  bald  so  i'eich, 
dass  ihr  beinahe  die  ganze  Umgegend  gehörte,  besonders  war  es 
der  Markgraf  Malaspina,  welcher  grosse  Schenkungen  an  Land- 
gütern machte.  Eine  päpstliche  Bulle  von  Innocenz  11.  sicherte 
dieser  Abtei  im  Jahr  1134  den  unverletzlichen  Besitz  dieser  und 
aller  künftigen  zu  erwerbenden  liegenden  Gründe  zu,  und  bald  er- 
langte sie  auch  die  Jurisdiction  über  andere  Kirchspiele,  so  dass 
sie  eine  Landschaft  von  12  Q.-M.  bildete,  von  welcher  eine  Karte 
beigefügt  ist.  Eine  wichtigere  Beilage  aber  sind  17  meist  unbe- 
kannte Urkunden.  Eine  besondere  Abtheiluug  dieses  Werkes  bildet 
die  Geschichte  des  1492  bei  Voghera  an  der  Via  Emilia  gestifte- 
ten £[losters  S.  Maria  della  pieta. 

Für  die  klassische  Zeit  ist  höchst  wichtig  das  folgende  Werk 
des  gelehrten  Grafen  Gozzadini,  welcher  wie  viele  Vornehmen  und 
Eeichen  in  Italien  für  die  Wissenschaft  lebt,  statt  wie  anderwärts 
seine  Zeit  mit  dem  gewöhnlichen  Land-  oder  Garnisonsleben,  und 
Anderm  zuzubringen : 

Jniorno  alV  aquedoiio  cd  alle  terme  di  Bologna^  dd  CanU  Oozsadini. 
Bologna  1864,  in  4. 

Nachdem  der  Herr  Verf.  auf  seinen  Gütern  mehrere  hetrurische 
Gräber  aufgefunden  und  beschrieben,  hat  er  auch  die  beinah  ganz 
verloren  gegangene  Wasserleitung  bei  Bologna  aufgefunden  und  Bio 
bis  zu  ihrem  Anfange  in  dem  Flusse  Setta  meilenweit  verfolgt^  sie 
genau  beschrieben  und  auf  einer  diesem  gründlichen  Werke  beige- 
fügten Karte  nebst  den  architectoni sehen  Durchschnitton  u.  s,  w, 
erläutert  dargestellt.  Sie  war  nach  dem  Fall  der  Bömor-Hcrrscbaft 
in  Vergessenheit  gerathen,  weil  sie  nicht  wie  gewöhnlich  auf  Bogen, 
sondern  unterirdisch  angelegt  war.  Mit  gründlicher  Kenntniss  der 
Klassiker  weisst  der  Verfasser  nach,  warum  diese  Bauart  vorgezogen 
•  worden,  besonders  aber  auch  warum  nicht  der  viel  ntther  gelego&ö 
Flnss  Beno  dazu  benutzt  worden,    da  die  Bömer  genau  dio 


^6  U\mtmbtTUlhis  m«  Üdita. 

sohaffenheit  des  Wassers  unterscheiden ,  aaeh  die  Toa  dam  Y«f- 
f asser  veranlasste  chemisohe  Analyse  des  Wassers  aas  beidaa  FlS*'  i 
sen  ergeben  hat,  dass  die  Setta  ein  viel  gesunderes  Wassers  ea«-! 
hält,  als  der  Beno,  welches  durch  die  geologischen  Verhältnisse  be 
dingt  wird.  Um  zu  bestimmen,  in  welcher  Zeit  diese  Wasser- 
leitung gebaut  worden,  welche  sehr  bedeutende  Mittel  Toransaetst, 
hat  der  Verfasser  wieder  eine  bedeutende  Eenntniss  der  Flairinlffr 
entwickelt,  und  da  Manche  geglaubt,  dass  sie  Ton  Marios  %rbm 
worden«  hat  er  genau  die  Zeit  ermittelt,  wo  sich  Marios  in  d« 
Zwischen-Zeit  seiner  Feldzttge  und  Consulate  aufgehalten  ond  nac^ 
gewiesen,  dass  manohe  den  Theil  Ton  Gallien,  woza  Bologna  eisa 
gehörte,  mit  dem  an  den  Alpen  jenseits  des  Po  gelegenen  GaSia 
verwechselt  haben.  Mit  gleicher  Gründlichkeit  hat  der  Herr  Ya<- 
fasser  nachgewiesen,  dass  dieser  merkwürdige  Ban  unter  Angosui 
ausgeführt  worden.  Dasselbe  findet  auch  bei  der  Beschreibung  ^ 
in  Bologna  von  den  Bömem  angelegten  warmen  Bäder  statt,  m 
denen  ebenfalls  noch  Spuren  vorhanden  sind.  Wenn  ein  sold» 
Mann  als  Ehrenamt  die  Stelle  eines  Mitglieds  der  philoaopbiscki 
Fakultät  an  der  Universität  zu  Bologna  annimmt,  so  kann  an 
zugleich  daraus  eine  Eigenthümlichkeit  mehrerer  der  italieniseäB 
Universitäten  würdigen  lernen.  Ausser  den  ordentlichen  ProfesscBa 
der  verschiedenen  Fakultäten  werden  nämlich  noch  Doctores  ooDs- 
giati  angestellt,  nicht  um  Vorlesungen  zu  halten,  sondern  om,  oatt 
einem  besonders  abgelegten  Examen  rigorosum,  bei  den  PMkfiu^ 
zu  akademischen  Graden  als  unparteiische  Mitglieder  bethaüigt  m 
sein.  Da  nämlich  die  Professoren  ihre  Zuhörer  zum  Bebofa  ig 
Promotion  zu  prüfen  haben,  so  könnte  ihr  Urtheil  vielleicht  ft 
betbeiligt  angenommen  werden ;  daher  besteht  ein  Theil  der  be- 
treffenden Examinatoren  in  jeder  Fakultät,  ausser  den  Profeesom 
aus  solchen  Doctores  coUegiati.  Dies  sind  oft  in  der  jnrietiadB 
Fakultät  gelehrte  Siebter,  oder  Advokaten,  oder  auch  Privatpar 
sonen ;  denn  in  Italien  pflegen  die  vornehmsten  jungen  Leoie  da 
Doctorgrad  zu  erwerben,  damit  sie  die  Ehre  haben,  als  Gelehrte 
zu  gelten;  so  sind  auch  in  den  medizinischen  Fakultäten  oft  aoi- 
übende  Aerzte,  oder  auch  Privat-Naturforscher  solche  Mitglider 
der  Fakultät. 

Das  seit  1841  bestehende  Archivio  storico  Italiano»  eradui^ 
jetzt  mit  dem  Anfange  dieses  Jahres  in  neuer  Gestalt: 

Archivio  storico  Italiano,  serie  UL  Tom.  L  Parte  L  Fircnme  ISSi 
Tip.  Cdlini. 

Nach  dem  Tode  des  wohlbekannten  Begründers  dieser  Zeii* 
Schrift  >Yieussieuxf  hat  die  Deputation  für  vaterlündieolie  Ge> 
schichte  von  Toscana,  Umbrien  und  den  Marken  die  FortaetxBDf 
derselben  für  e^e  Bechnung  übernommen,  und  die  Leiimig  des 
Prof.  Milanesi|  dem  Conunandeur  CSapei,   und  dem  Seeretftr 


X4t6r8tiir1)ericl]ie  «us  Itillen,  879 

l^esellschaft  Tabarrini  übertragen.  Da  ItalieB  jetzt  der  Seelenzahl 
lach  die  vierte  Grossmacht  ist,  wird  anch  der  Gesichtskreis  die- 
er  Zeitschrift  insofern  erweitert,  dass  mehr  als  bisher  anch  anf 
kusländisohe  geschichtliche  Werke  Bücksicht  genommen  werden 
^rd.  Das  vorliegende  Heft  enthält  den  Beisebericht  der  Gesandte« 
lebaft,  welche  nach  dem  Tode  Carls  YII.  von  Frankreich  dorthin 
geschickt  ward,  nm  seinem  Sohne  Lndwig  XI.  Glück  zur  Thronbe« 
Steigung  zu  wünschen.  Diese  Gesandtschaft  bestand  aus  dem  Gar-« 
Unal  Vieri  de  Medici,  dem  Lnca  Pitti  imd  dem  Piero  di  Pazzi, 
md  i8t  dieser  Bericht  von  dem  Gesandtschafts-Kanzler  Neri-Cecohi 
f erfasBt,  der  mit  dem  Beise-Tagebach  anf&ngt,  welche  am  27.  Oct. 
L461  angetreten  ward,  üeberall  wird  erzählt  wo  übernachtet  wor- 
den, nnd  mit  welchen  Ehrenbezeugungen  die  Gesandtschaft  in  Bo- 
logna, Modena,  Parma  xmd  Mailand  empfangen  worden,  auch  was 
tiberall  Merkwürdiges  zu  sehen  gewesen.  Damals  ging  die  Haupt- 
strasse  von  Mailand  über  Yerceili,  Ivrea  und  Aosta  über  den  St. 
Bernhard  nach  dem  Wallis  und  die  Bhone  herab  bis  nach  Genf, 
der  üebergang  über  die  Alpen  wird  sehr  beschwerlich  und  gefähr- 
lich geschildert.  Ueber  Lyon  ging  die  Beise  nach  Bourges  und 
Tours,  wo  man  den  König  am  23.  Dezember  antraf.  Die  Bück- 
reise ging  über  Troyes,  Dijon  und  den  Mont-Cenis  nach  Asti  und 
Mailand  nach  Florenz  zurück,  wo  sie  am  18,  März  1462  wieder 
anlangten.  Sehr  merkwürdig  ist  ein  anderer  Aufsatz  über  den 
Cardinal  Archetti,  welcher  bald  nach  der  ersten  Theilung  Polens 
als  Nuntius  nach  Warschau  geschickt  ward  und  1785  nach  Bom 
2urückkehrte ,  nachdem  er  in  Petersburg  fiuch  am  Hofe  der 
Katharina  IL  sich  aufgehalten  hatte.  Der  Verfasser,  der  gelehrte 
Gabriele  Bosa,  hat  sich  durch  diese  Mittheilungen  ein  besonderes 
Verdienst  erworben,  unter  den  Beurtheilungen  neuer  geschicht- 
licher Werke  werden  auch  deutsche  Arbeiten  erwähnt,  z.  B.  die 
Gultur  der  Benaissance  in  Italien  von  Burkhardt,  femer  das  Ver- 
zeichniss  der  Gemälde-Gallerie  in  Dresden  von  Hübner,  femer  die 
Monogrammiaten  u.  s.  w.  aller  Schulen  von  Nagler  und  Dantes 
Ailigherii  Monarchia,  per  0.  Witte,  welcher  auch  in  Italien  für  den 
ersten  Kenner  der  Dante-Literatur  gehalten  wird. 

La   Corsica^    sonetH  di  Maria  BonaparU   Valeniinij  Paris  1864. 
Presso  Dupont    4. 

Diese  Dichtungen  über  Corsica  verherrlichen  das  Stammland 
der  Verfasserin,  welche  sie  ihrem  Bmder,  Peter  Bonaparte,  gewid- 
met hat,  und  zeigen,  dass  auch  die  weiblichen  Mitglieder  der  Familie 
Caniuo-Lucian-Bonaparte  sich  literarisch  beschäftigen,  so  wie  dies 
auch  mit  ihrer  geistreichen  Verwandtin,  der  Enkelin  Lucian  Bona- 
partes,  der  jetzigen  Frau  Batazzi,  früher  verwittweten  Solms  der 
Fall  ist,  welche  in  diesem  Fache  so  viel  geleistet  hat,  und  noch 
damit  fortfährt,  aber  freilich  in  französischer  Sprache« 


8d0  Lltefatorberlclite  Btu  ttalleli. 

Deüe  isUltuioni  poUUche  logobardiche  dt  Fr.  Sehupfer.  Pirenzt  186i. 
Tip^  Lt  Monnier. 

Schon  Vico  machte  seinen  Landsleuten  den  Yorwnrf,  dass  ne 
das  Mittelalter  weniger  kannten,  als  das  alte  Born  and  Atben; 
daraus  hat  der  Verfasser,  welcher  in  Padoa  Professor  der  juristi- 
schen Fakultät  ist,  zu  beweisen  gesucht,  wie  die  wenig  zahheichen 
Longobarden  durch  ihren  Einfall  in  Italien  dem  römischen  Beidie 
nicht  nur  so  schnell  ein  Ende  machen,  sondern  auch  die  Zeit  des 
Mittelalters  begründen  konnten.  Indem  die  Sieger  sich  mit  der 
Verwaltung  wenig  abgaben ,  konnte  das  Gemeindewesen  der  sidi 
meist  selbst  überlassenen  Eingeborenen  sich  frei  entwickehi,  und 
ohne  Einmischung  von  Seiten  des  Staates  keimten  ganz  neue  Y6^ 
hftltnisse  gebildet  werden. 

Suüa  aniichila  ddla  Carnia,  di  F.  Q.  Ermaeora,  volgariazak  äd 
D.  Lupuri.  Udine  1868. 

Diese  im  16.  Jahrhundert  lateinisch  verfasste  Greschichte  toa 
Eämthen  und  Friaul  erscheint  hier  als  eines  der  literarischen  Hocli- 
Zeitsgeschenke,  wie  sie  in  Italien  gewöhnlich  sind,  übersetzt,  undfis- 
det  sich  hier  die  Geschichte  von  dem  an  Cäsar  erinnernden  Foram 
Julii,  der  Civitas  Austriae  der  Longobarden,  welche  hier  einen 
Herzog  bestellten,  die  Verhältnisse  zu  dem  Patriarchen  Yon  Aqaileja 
bis  zum  Erlöschen  deren  weltlicher  Herrschaft. 

La  eivüta  Jtaliana,  revista  di  scienge ,   letiere  ed  arH,  per  de  Ott 
bematü.    Firense  1866.  Tip.  Nicolai,  gr.  8. 

Seit  dem  Anfange  dieses  Jahres  erscheint  zu  Florenz  diese 
wissenschaftliche  Wochenschrift,  worin  in  einer  der  letzten  Nummen 
von  Bonatelli  über  den  ütilitarismus  von  dem  Engländer  Mill  Nadi- 
richt  gegeben  wird,  Lioy  zeigt  den  Menschen  in  Verbindung  mit 
der  Natur,  de  Meis  den  Naturforscher  selbst,  Ascoli  die  Geschichte 
des  Wortes  in  philologisch-linguistischer  Bedeutung,  Zendrinifübii 
unsem  Dichter  Heine  vor,  der  ebenfalls  mit  der  deutschen  Litera- 
tur sehr  vertraute  Gelehrte  Straffarello,  einer  der  Herausgeber  der 
grossen  italienischen  Encyclopädie  zu  Turin,  gibt  eine  Zusammen- 
slellung  von  Sprüchwörtem  über  die  Frauen.  Den  Schluss  machen 
Bücher- Anzeigen. 

Neigebaur. 


Vi.  66.  EEIDEIBEBSEß  188S. 

JAHMÜCHER  DER  LITERATUR. 


Sein  und  Sollen.  Abriss  einer  phüoaophüehen  Einleitung  in  deu 
Sitten"  und  Reehisgesetz  von  Arnold  Kitz.  Frankfurt  a.  M. 
Joh.  Chr.  Hermann* sehe  Buchhandlung.  Morüss  Diederufeg. 
1864.  IV  u.  123  S.  gr.  8. 

Die  Yorliegende  Schrift  enthält  aasser  einem  Vorworte 
(S.  m  n.  IV)  und  einer  Einleitung  über  die  historische  Schule 
und  ihre  »Naturwüchsigkeit«  (S.  1 — 5),  1)  den  erkenntnisstheore« 
tischen  Standpunkt  (S.  16—35),  2)  die  Thatsache  des  sittlichen 
Bewusstseins  (S.  85— 44),  8)  Untersuchung  über  die  Frage:  Lässt 
sich  das  Sollen  mit  Kant  aus  der  reinen  Vernunft  schöpfen?  (S.  44 
— 56),  4)  Anhang:  Schopenhauer  über  Kant  (S.  56— 65),  5)  die 
beiden  Grundgebiete  des  menschlichen  Denkens  und  zwar  das  Sein 
und  das  Sollen  (S.  65  —  75),  6)  den  menschlichen  Willen  .als  das 
den  Zusammenfluss  des  Seins  und  Sollens  vermittelnde  Element 
(S.  76—85),  7)  den  göttlichen  Willen  als  den  Ausgangspunkt  des 
Seins  und  Sollens  (S.  85—94),  8)  den  Inhalt  des  Sollens  (S.  94 
—107),  9)  den  Uebergang  zum  Rechte  (S.  107—123). 

Der  Herr  Verf.,  welcher  »praktischer  Jurist«  ist  und  sich  in 
philosopluschen  Dingen  einen  »Dilettanten«  und  die  von  ihm  be- 
bandelten Gegenstände  »philosophische  Allotria«  nennt,  ist,  wie  er 
sagt,  mit  seiner  Schrift  «im  Voraus  auf  ein  bedeutendes  Schütteln 
des  Kopfes«  gefasst.  Er  tritt,  wie  er  sich  ausdrückt,  mit  »eigen- 
köpfigen  principiellen  Ansichten«  hervor. 

Sehen  wir  zu,  wie  es  sich  mit  diesen  Ansichten  verhält.  Mit 
Becht  wird  in  dieser  von  philosophischer  Sachkenntniss  und  Ent- 
vdckelungsgabe  ihres  Urhebers  zeugenden  Schrift  die  Gleichgültig- 
keit vieler  Juristen  hervorgehoben,  mit  welcher  sie  philosophische 
Begründungen  des  Rechtes  und  Staates  entweder  geringschätzend 
betrachten,  oder  gänzlich  als  unnütz  und  unausführbar  bei  Seite 
schieben  und  damit  Alles,  was  in  dieser  Beziehung  geschieht, 
ignoriren. 

Nach  der  historischen  Rechtsschule,  welche  das  Recht  als  »das 
naturwüchsige  Product  des  Volkswilleus  nimmt  und  anerkennt«  und 
»mit  dem  Ergebnisse  zugleich  auch  die  Begründung  des  Rechts 
verbindet«,  ist  für  den  Juristen  die  Philosophie  ein  »indifferentes 
Feld.«  Manche  treffende  Bemerkungen  über  Savigny^s  und  seiner 
Schule  Rechtsbegründung  finden  sich  in  der  Einleitung,  welche  von 
der  historischen  Rechtsschule  handelt  und  zeigt,  dass  mit  der  so 
genannten  »Naturwüchsigkeit«  des  Rechtes  dieses  noch  lange  nicht 
begründet  ist.  Immerhin  wird  man,  wenn  man  sich  auf  die  »Natur- 
LVm.  Jahrg.  13.  Heft  56 


wüchsigkeit«  des  Hechtes  und  der  Sittlichkeit  beraft,  nach  den 
letzten  Ghründen  derselben  fragen  müssen  und  diese  Frage  ist  eine 
Frage  der  Philosophie,  welche  der  gelehrte  Herr  Verf.  in  den  nach- 
folgenden Abschnitten  zn  beantworten  versucht. 

Seine  Ansicht  ist,  in  Kürze  zusammengefasst ,  diese:  8 ein 
und  Sollen  sind  zwei  auseinander  liegende,  sich  nicht  unmittel- 
bar berührende,  unabhängige  Oebiete  des  Denkens.  Was  sein  soll, 
ist  noch  nicht,  und  was  ist,  soll  nicht  immer  so  sein,  wie  es  isi 
Die  beiden  Gebiete  liegen  auseinander,  das  Sollen  gehört  nicht  inm 
Sein,  das  Sein  nicht  zum  Sollen,  keines  kann  der  Grund  des  anden 
sein,  da  keines  das  andere  berührt,  da  beide  Gebiete  unmittelbar 
nichts  mit  einander  zu  thun  haben.  Es  muss  ein  Drittes  ange- 
nommen werden,  durch  welches  sie  zusammenkommen  oder  >zih 
sammenfliessen.«  Dieses  dritte,  beide  an  sich  getrennte  Gebiete 
vermittelnde  Blement  ist  der  menschliche  Wille.  Das  Solles 
thut  sich  als  Sittengesetz  dem  menschlichen  Willen  kund  und  gebt 
80  zum  Sein  über.  Das  höch^^te  Sittengesetz  oder  das  Sollen  setzt 
aber  einen  Willen  voraus,  vou  welchem  das  Sollen  oder  Sittengesets 
ausgeht  und  welcher  dieses  Gesetz  dem  menschlichen  Willen  zu- 
wendet. Dieser  Wille,  von  dem  das  Sollen  ausgeht,  muss  notb- 
wendig  ein  unendlich  höherer  Wille,  als  der  menschliche  sein,  u 
welchen  sich  dieses  Sollen  wendet,  und  welcher  diesem  SoHes 
gegenüber  blos  als  untergeordnet  erscheint.  Dieser  höhere  Wilk 
ist  der  göttliche  Wille.  Das  Sittengesetz,  der  Ausdruck  dies^ 
Sollend,  hat  also  seinen  letzten  zureichenden  Grund  im  g5tt- 
Hchen  Willen.  Das  vom  göttlichen  Willen  ausgehende  Sitten- 
gesetz, welches  mit  dem  Moralgesetz  des  Christenthums :  Liebe  des 
Nächsten,  wie  dich  selbst,  identisch  ist,  ist  aber  die  nächste  Grand- 
läge  des  Rechts  und  Rechtsgesetzes,  der  staatlichen  Vereinigong- 
Das  Sollen  ist  die  Aufforderung  des  göttlichen  Willens  an  da 
mensehliohen  Geist,  sich  selbst  zu  dem,  was  er  soll,  zu  bestimneiL 
»Der  Wille  tj^ottes  geht  also  darauf,  dass  der  Mensch  nicht  ge- 
zwungen, nicht  aus  Nothwendigkeit  nach  der  Causalität  desSeiss 
ihn  erfülle,  sondern  mit  Freiheit  aus  eigener  Bestimmung.  Diese 
Freiheit  ist  das  nothwendige  Lebenselement  des  Sollens ,  ist  die 
conditio  sine  qua  non  der  Erfüllung  des  göttlichen  Willens.  Sie 
ist  als  dieser  modus  seiner  Erfüllung  sonach  eine  Seite  dtf 
Sittlichkeit  und  diese  Seite  ist  das  Recht,  mithin  die  Beeintrltob- 
tigung  oder  Aufhebung  dieser  Freiheit  das  Unrecht.  Da  diese  Frei- 
heit selbstredend  nicht  bloss  in  der  Erfüllung,  sondern  eben  so 
wohl  in  der  Nichterfüllung  des  göttlichen  Willens  besteht,  so  be- 
findet sich  im  Unrechte  sowohl  der,  welcher  mich  zu  dem  Einen, 
als  der,  welcher  mich  zu  dem  Andern  nöthigt.«  ....  »Darin  also, 
dass  ich  unsittlich  handeln  kann  und  doch  im  Rechte  bleibe,  liegt 
der  nicht  gemachte,  sondern  sachlich  gegebene  Unterschied  zwisches 
dem  bloss  rechtlichen  und  dem  sittlichen  Handeln  und  dieLösnog 
des  anscheinenden  Paradoxon,  dass  Gott  einen  Zustand  als  recht- 


Kttz:  Sein  und  Sollen.  %Ö8 

lieben  wolle,  in  welchem  sein  Wille  auch  nicht  erftlllt  werde.«  .... 
»Das  Recht,  in  dessen  Bereiche  das  Unsittliche  möglich  ist,  liegt 
so  also  nicht  weniger  in  dem  Willen  Gottes  begründet,  als  die 
Sittlichkeit  selbst:  die  letztere  als  Zweck,  das  erstere  als  dessen 
nothwendigo  Bedingung.  Die  Erfüllung  des  göttlichen  Willens 
bleibt  also  natürlich  auch  im  Hechte,  als  dem  freiheitlichen  modus 
dafür,  immer  das  Letzte.«  ....  »Dadurch,  dass  wir  hierin  den 
Willen  Gottes  zur  Ausführung  bringen,  untergraben  wir  nicht  die 
Freiheit,  sondern  erhalten  sie  ja  eben  aufrecht.  Diese  Seite  des 
göttlichen  Willens  zu  erfüllen,  sind  wir  ohne  Einschränkung,  also 
allerdings  auch  so  zu  erfüllen  verpflichtet,  dass  wir  mit  allen 
nnsem  Kräften  dafür  einstehen  und  jeden  sich  dagegen  erheben'den 
Widerstand  niederwerfen.  Diese  Erzwingung  der  Freiheit  ent- 
spricht vielmehr  hier  eben  so  sehr  dem  Willen  Gottes,  als  die  Er- 
zwingung der  Sittlichkeit  seinem  Willen  widerstreitet,  weil  der 
erstere  Zwang  gerade  das  Mittel  ist,  von  dem  Gebiete  des  Sitt- 
lichen den  mit  diesem  unverträglichen  Zwang  abzuhalten.  Mit  dem 
Rechte  ist  also  die  allgemeine  Verbindlichkeit  verbunden,  es  zu 
schützen.  Hieraus  folgt  die  sittliche  (aus  dem  Willen  Gottes  ge- 
botene) Nothwendigkeit  des  Staats  als  des  einzigen  Mittels,  diesen 
Schutz  zu  gewähren«  (S.  108  und  109). 

So  wird  der  Staat  auf  das  Recht,  dieses  auf  die  Sittlichkeit, 
die  letztere  auf  den  göttlichen  Willen  zurückgeführt,  welcher  die 
letzte  Begründung  des  Sitten-  und  Rechtsgesetzes  ist.  DerRechts- 
pliilosoph  Stahl  wird  im  Laufe  der  Darstellung  mit  Anerkennung 
erwähnt  und  der  Abhandlung  als  Motto  eine  Stelle  aus  Puchta's 
Vorlesungen  vorgesetzt,  welche  also  lautet:  »Wir  stellen  nicht  in 
Frage,  dass  das  Recht  von  Gott  ist,  das  wäre  eine  Erniedrigung 
des  Rechts.  Die  Frage  ist  nur,  wie  Gott  das  Recht  hervorbringt. « 
IHe  letztere  Frage  ist  es,  welche  in  der  vorliegenden  Abhandlung 
zur  Sprache  kommt.  Dass  aber  diese  Frage  in  genügend  philoso- 
phischer Weise  erörtert  und  beantwortet,  also  die  Aufgabe  einer 
philosophischen  Begründung  des  Sitten-  und  Rechtsgesetzes  ent- 
sprechend gelöst  ist,  muss  Refer.  bezweifeln. 

Das  »Sein«  ist  dem  Herrn  Verf.  »die  allgemeinste  Denkbe- 
stimmung, worunter  wir  Alles  in  und  ausser  uns  fassen«  (S.  65), 
»Alles,  was  ist,  heisst  es  weiter,  muss  auch  Was  (Etwas)  sein, 
denn  sonst  ist  es  nicht.  In  diesem  Was  wird  das  Sein  realisirt 
und  ist  so  erst  ein  wirkliches,  kein  eingebildetes.  Unter  dem  Was 
verstehen  wir  hier  noch  nicht  Dieses  im  Gegensatz  zu  Jenem,  son- 
dern überhaupt  dasjenige,  was  ist.  Das  so  genannte  reine  Sein  als 
das  vollkommen  Leere,  Bestimmungs-  und  Inhaltslose,  also  Das- 
jenige, welches  nicht  ein  Was  wäre,  ist  nur  als  Abstractum  von 
oder  aus  dem,  was  ist,  zu  denken,  aber  als  real  nicht  zu  fassen. 
Ein  solches  Sein  ohne  seienden  Inhalt  ist  sonach  allerdings  mit 
dem  Nichts  identisch',  aber  diese  Identität  ist  und  bleibt  eine  so 
absolut  vollständige,   dass   dieses  Nichts-Sein  durch  Reibung   an 


884  Kits:  Bein  und  Soüea. 

einander  sicli  zu  einem  Werden  niemals  entzünden  kannc  (S.  66). 
Das  Sein  muss  also  »Was«  sein.  Dieses  oder  Jenes  erkennen  wir 
in  ihm  noch  nicht.  Das  »Was  ist  mehr  als  blosses  Sein,  dajt 
das  Sein  in  demjenigen,  was  es  ist,  sofort  über  seinen  Begriff  ih 
blosses  Sein  hinausgeht«  (S.  67).  Auf  diesem  Wege  gelangen  wir, 
da  das  Sein  ohne  Oränze  gedacht  werden  muss,  »weder  zu  Oott^ 
noch  zur  Freiheit«  (S.  72).  Hier  muss  »der  erkenntnisstheoreiiscbe 
Theil«  aushelfen.  Wenn  wir  erkennen,  erkennen  wir  »uns  und  du 
Andere  ausser  uns«,  »ünsern  Horizont  zu  erweitem«,  kennen  wir 
»die  zwischen  uns  und  dem  Andern  für  unser  Erkennen  bestehende 
Schranke  aufheben«,  wozu  wir  »vermOge  der  in  unserm  Denken 
liegenden  vorstellenden  Kraft  im  Stande  und  darum  yersochsweisa 
berechtigt  sind«.  In  diesem  Falle,  wenn  wir  die  Schranke  auf- 
heben, »haben  wir  uns  und  das  Uebrige  und  ergreifen  damit  so- 
fort Alles«.  »Dieses  Alles,  die  s&mmtlichen  Substanzen  und  Th&tig- 
keiten,  die  den  Inhalt  der  Welt  ausmachen« ,  vermSgeu  wir  abä 
nicht  als  »so  viele  besondere  Wesenheiten«,  sondern  nur  als  *m 
in  Einheit  verbundenes  Ganze«  zu  denken.  Es  ist  ein  »Qanzes  toa 
Wirklichkeiten«.  Das  Erkennen  ist  »als  thätige  Potenz«  wieder  eii 
»Wirkliches«.  Also  ist  zwischen  dem  Wirklichen  und  dem  Erkennea 
»kein  Gegensatz«.  Das  »Wirkliche  begreift  das  Erkennen  mit  in 
sich«.  Das  Erkennen  ist  nur  »eine  Partie  des  Wirklichen'«  Das 
Erkennen  als  Theil  des  Wirklichen  kann  sich  nur  »auf  das  Wirk- 
liche« beziehen.  »Das  ganze  und  eine  Wirkliche  erkennt  sich  selbst 
in  dieser  Ganzheit  und  Einheit«  (S.  18).  Es  ist  alsSubject  und  Oh- 
ject  Eines  im  »Ganzen«  und  »Wirklichen«.  Das  »menschliche  E^ 
kennen  muss  also,  was  es  erkennt,  zugleich  sein,  und,  was  es  isfci 
muss  es  erkennen«  (S.  28).  In  der  Sinnlichkeit  kann  das  »Fühlen« 
»nur  durch  das  Fühlen  erkannt  werden«.  »Nur  als  Fühlen  kann 
das  Fühlen  sich  intuitiv  erkennen«,  nicht  durch  das  »Denken,  da 
das  Denken  nicht  Fühlen«  ist  (S.  27).  Meine  Wissenschaft  besteht 
»in  meinem  Denken,  Fühlen  und  Wollen«.  Ich  »komme  ans  meinem 
Ich,  mir  selber  nicht  heraus«  (S.  29).  Nur  »unsere  ünselbst^ 
ständigkeit  und  Beschränktheit«  sagt  uns,  dass  es  ausser  uns  Dinge 
gibt  (S.  31).  Immer  haben  wir  noch  keine  Gewissheit  ftir  das 
Entsprechen  der  Innern  Wahrnehmungen  und  der  äussern  Dinga 
Der.  Verstand  hängt  von  den  sinnlichen  Anschauungen  und  diese 
von  unsem  subjectiven  Empfindungen  ab.  Hier  muss  wieder  das 
»Sollen«  aushelfen ;  denn  es  geht  auf  ein  »Handeln«,  das  Handeln 
aber  bezieht  sich  »auf  die  Dinge,  wie  sie  mir  erscheinen«;  dai 
Sollen  aber  kann  nicht  auf  eine  blosse  »Täuschung«  hinauslanfea 
(S.  82). 

Der  Herr  Verf.  beruft  sich  nun  auf  diesen  erkenntniss- 
theoretischen  Theil,  wenn  er  S.  72  behauptet,  »dass  das  Oantt 
der  Wirklichkeiten  nicht  das  Eine  und  das  Erkennen  das  davon 
getrennte  Andere  sei,  sondern  dass  das  Ganze  und  eine  Wirkliche 
sich  selbst  in  dieser  Ganzheit   und   Einheit  erkenne  und  sich  so 


Kits:  Bdn  und  BoIleiL  886 

zur  Wahrheit  werdec.  »Damit,  meint  er,  haben  wir  ja  nicht  bloss 
ein  schrankenloses  Seiendes  als  den  ürqnell  des  alle  Daseinsformen 
stetig  dnrchfliessenden  Lebens,  sondern  anch  ein  in  diesem  Sein 
nnd  Wirken  sich  selbst  erkennendes  nnendliches  Wesen,  also  den 
in  höchster  göttlicher  Intelligenz  sich  selbst  wissenden,  vollständig 
sich  selbst  durchsichtigen  Allgott  erkannt«.  Jedenfalls  sind  wir 
»dabei  von  einem  persönlichen  Gott  noch  immer  weit  entfernt«. 
Aus  dem  »Mechanismus  der  Natnr  kommen  wir  dadurch  nicht  her- 
aus, dass  wir  diesen  Mechanismus  mit  Intelligenz  versehen« 
(S.  78).  Wenn  man  auch  das  Allwissende  und  Allwirkende  als 
identisch  betrachtet,  so  fehlt  doch  noch  immer  der  »sich  selbst 
bestimmende  göttliche  Wille«  und  die  »Freiheit«.  Darum  müssen 
wir  uns,  diese  zu  gewinnen,  abermals  dem  Gebiete  des  »Sollens« 
zuwenden.  »Etwas  kann  sollen  und  doch  ist  es  weder  früher  ge- 
wesen, noch  ist  es  jetzt,  noch  wird  es  künftig  sein«.  Sein  und 
Sollen  sind  »gänzlich  verschiedene  Grundgedanken«,  so  wenig  aus 
einander  zu  erklären,  wie  »Steinkohlenformation  und  ein  guter  Vor- 
satz« (S.  74).  Das  Sollen  braucht  »gar  nicht  ins  Sein  zu  treten«, 
noch  »aus  dem  Sein  zu  kommen«  und  »ist  und  bleibt  doch  ein 
Sollen«.  Das  Sollen  »geht  zwar  auf  ein  Etwas  sein,  aber  es  ist 
weder  durch  ein  solches  Etwas  in  seinem  Wesensbestande  bedingt, 
noch  auch  durch  ein  anderes,  diesem  Etwas  vorangegangenens  seien- 
des Ding,  noch  ist  es  selbst  ein  solches  Etwas.  Allerdings  i  s  t  in 
gewissem  Sinne  auch  das  Sollen ;  auch  hat  es  nicht,  wie  der  blosse 
Gedanke,  z.  6.  die  Abstraction  des  s.  g.  reinen  Seins  nur  ein  ideel- 
les Dasein,  sondern  ist  eine  wirkliche  Macht  und  in  so  fern 
selbst  real  seiend«  (S.  74). 

Das  Dritte,  durch  welches  die  beiden  »von  einander  unabhän- 
gigen Gebiete  des  Seins  und  Sollens«  in  Beziehung  kommen,  muss 
eine  »Potenz«  sein,  die  »erstens  sowohl  vom  Sein  wie  vom 
Sollen  unabhängig  ist  und  doch  zweitens  sowohl  von  demeinen 
veie  von  dem  andern  afQcirt  wird«.  Diese  Potenz  ist  »der  mensch- 
liche Wille«.  Der  Wille  »schwebt  nicht  in  der  Luft  zwischen 
beiden«,  sondern  er  gehört  beiden  »zugleich«  an  (S.  76).  Das 
Sein  ist  dabei  »nicht  der  Causalität  des  Sollens«  und  das  Sollen 
»nicht  der  Causalität  des  Seins«  unterworfen  (S.  80).  Wenn  also 
auch  »Sein  und  Sollen  auf  den  Willen  wirken,  so  wirken  sie 
doch  in  dem  Willen  nicht  gegeneinander«.  Dieses  ist 
das  »für  die  Freiheit  durchschlagende  Moment«  (S  81).  Da  Sein 
und  Sollen  nicht  gegeneinander  im  Willen  wirken  können,  so  gibt 
keines  von  beiden  ftir  den  Willen  den  »Ausschlag«.  Der  »Aus- 
schlag« muss  also  vom  Willen  kommen.  Das  »dem  Willen  imma- 
nente Vermögen  der  Wahl«  ist  »die  Freiheit«.  Sie  ist  das  »eigenste 
Wesen«  des  Willens  (S.  82).  Wir  fragen  nach  dem  Ursprung 
»dieser  Kraft«  des  Willens,  nach  dem  Ursprünge  »dieses  Willens« 
selbst  (8.  82).  Wenn  Sein  und  Sollen  im  menschlichen  Willen 
zu  einander  in  Beziehung  treten,  wenn  der  menschliche  Wille 


^  Kltc:  Sein  und  SoUaii. 

iÜx  das-  Seiu  oder  Sollen  bestimmt ,  so  »folgt  daraas  noeH  nicht<, 
dass  dieser  Wille  auch  die  Gebiete  des  Seins  und  Solleus  selbst 
»bestimme  und  trage«  und  »ibren  Ausgangspunkt  bilde«  (S.  85). 
Sein  und  Sollen  bilden  »keinen  Weltdualismus«,  was  ein  »Unge- 
danke«  genannt  wird.  Es  muss  »eine  Einheit,  ein  gemeinschaft- 
liches Frius«  angenommen  werden,  wodurch  »Sein  und  Sollen  zu- 
sammengehalten und  beherrscht  werden«.  Nur  »diese  Einheitc 
kann  »unser  Gott«  sein.  Aus  dem  »Sein  der  Dinge«  können  wir 
»kein  Sollen  herausdenken«.  Hierauf  legt  der  Herr  Verf.  »dea 
»Schwerpunkt«  seiner  Schrift  (S,  88).  Woher  kommt,  fragen  wir 
nämlichi  »das  Sollen«?  Daraus,  dass  ich  mir  desselben  bewusst 
bin,  folgt  »noch  lange  nicht,  dass  ich  es  in  mir  hervorgebracht 
habe«  (S.  89).  Vom  »Sein  gelangen  wir  nicht  zum  Sollen«.  Es 
kann  also  nur  eine  »der  Causalität  des  Seins  nicht  unterworfene 
Potenz«  sein.  Wir  könnten  also  wieder  nur  auf  den  Willen  als 
»die  Quelle  des  SoUens«  kommen.  »Mein  Wille«  könnte  wohl  die 
Quelle  des  Sollens,  aber  nicht  die  Quelle  des  Seins«  sein;  nur  »ein 
für  das  Tolihaus  Beifer«  erklärt  seinen  eigenen  Willen  als  »den 
Spiritus  rector  des  Seins«,  Die  Gründe  werden  dafür  angeführt, 
dass  der  menschliche  Wille  nicht  die  Quelle  des  Sollens  sein  kann. 
Man  erinnert  sich  »dieser  schöpferischen  That«  nicht,  während 
man  sich  doch  an  manche  »Thaten«  des  W^illens  von  »frühester 
Kindheit«  an  erinnert.  Nichts  in  mir  könnte  mich  ferner  für  die 
Schöpfung  des  Sollens  »befruchten«,  nicht  »mein  Sein«,  nicht  »mein 
Denken«.  Endlich  müsste  mein  Wille,  wenn  von  ihm  dieses  Sollen 
käme,  auch  dieses  wieder  »aufheben  oder  rückgängig  machen 
können«.  Man  verdankt  also  dieses  Sollen  einem  »andern«  Willen. 
Seiner  Natur  nach  geht  das  Sollen  auf  den  »Willen«.  Von  einer 
»Unterwerfung  meines  Willens  unter  meinen  W'illen  kann  nicht  die 
Rede  sein«.  Eine  »moralische  Nöthigung  meines  Willens,  die  in 
sonst  nichts  als  in  meinem  W^illcn  ihre  Begründung  hätte,  ist 
nicht  denkbar«.  Das  »Gesollte  ist  nothwendig  von  dem  W^illen, 
aus  welchem  es  kommt,  ein  Gewolltes;  wäre  dieses  Gewollte  nun 
zugleich  auch  ein  von  demselben  Willen,  der  es  wiU,  zu  Setzendes, 
so  würde  Sollen  imd  Wollen  identisch  sein;  was  es  aber  bekannt- 
lich nicht  ist,  da  wir  ja  alle  wissen,  dass  wir  lange  nicht  immer 
wollen,  was  wir  sollen.  Es  kann  daher  das  Gesollte  das  Object 
des  Begehrungsvermögens  desjenigen,  aus  dessen  Willen  es  kommt, 
nur  so  sein,  dass  nicht  er,  sondern  ein  Anderer  es  zu  verwirklichen 
habe.  Stehen  sich  sonach  zwei  Willen  gegenüber,  der  eine,  aus 
dem  das  Sollen  kommt,  der  andere,  an  den  sich  jener  Wille  richtet; 
so  liegt  darin,  dass  der  eine  soll,  was  der  andere  will,  von  selbst 
ausgesprochen,  dass  der  Wille,  an  den  das  Sollen  geht,  dem  Willen, 
Nms  dem  es  an  ihn  kommt,  nntersteben  und  sich  diesem  auch  da- 
fWjvdass  er  thue,  was  er  solle,  verantwortlich  fühlen  müsse,  da 
ja  döf  Gedanke  der  Indifferenz  des  Thuns  und  Unterlassens 
dieses  Gesollten  mit  dem  Begriffe  des  Sollens  im  Bewusstsein  sieb 

\ 


Kits;  Sefai  tnd  BoIIetL  88T 

nicht  yereinigen  läset«.  Das  Sollen  muss  also  ans  einem  »heberen 
Willen«,  als  der  menschliche  ist,  kommen,  und,  da  wir,  uns  die 
absolute  Zweiheit  nicht  denken  können,  auch  das  »Sein«  yon  dem- 
selben Willen  »determinirt«  sein.  Die  »Art  und  Weise«  der  De- 
termination des  Seins  durch  diesen  Willen,  welcher  auch  die  Quelle 
des  SoUens  für  den  menschlichen  ist,  »vermögen  wir  nicht  zu 
schauen  und  anzugeben,  nicht  einmal  zu  ahnen«.  Das  Dass  ist 
ein  »unbeweisbares  Resultat«,  das  »nicht  zu  beantwortende  Wie« 
hebt  seine  Wahrheit  nicht  auf.  So  liegt  der  »Einheitspunkt«  in 
dem  »Willen  Gottes«  (S.  90—94). 

Aus  dem  Sein  müssen  wir  uns  über  den  »Inhalt  des  Sollens« 
belehren.  Das  Sein  ist  »die  grosse  Urkunde  des  göttlichen  Willens«. 
Hier  zeigt  sich  uns  »der  Glückseligkeitstrieb«  als  das  »Werk 
Gottes«.  Gott  will  aber  das  Glück  Aller,  also  »mein  Glück  und 
das  Glück  Anderer«  (S.  94—96).  Man  soll  das  Glück  Anderer 
fördern,  »ohne  seine  Selbstbefriedigung  aufzugeben«.  Es  ist  das 
Sittengesetz  das  Gesetz  des  Christenthums :  »Liebe  deinen  Näch- 
sten wie  dich  selbst«. 

Von  der  Ableitung  des  Rechtes  aus  dem  »Sittengesetze«  und 
»dem  Willen  Gottes«  wurde  oben  gesprochen.  Gehen  wir  nun  zur 
Beurtheilnng  dieser  neuen  Begründung  der  Sittlichkeit,  des  Rechtes 
und  Staates  über. 

Es  ist  schon  von  vornherein  nicht  zu  begreifen,  wie  der  Herr 
Verf.  auf  der  einen  Seite  unter  dem  Sein  diejenige  Denkbestim- 
mung versteht,  worunter  wir  Alles  in  uns  und  ausser  uns  fiassen, 
und  auf  der  andern  Seite  doch  behauptet,  dass  Sollen  und  Sein 
zwei  sich  nicht  berührende,  von  einander  unabhängige,  völlig  ge- 
trennte Gebiete  sein  sollen.  Denn  jedenfalls  muss  doch  das  Sollen 
auch  zu  der  Denkbestimmung  gehören,  worunter  wir  Alles  in  uns 
und  ausser  uns  fassen,  weil  wir  sonst  gar  nicht  vom  Sollen  spre- 
ohen  könnten.  Das  Sollen  erscheint  demnach  nach  dieser  Bestim- 
mung nur  als  eine  besondere  Art  des  Seins,  nicht  aber  als  vom 
Sein  unabhängig.  Das  Sein  soll  so  lange  nach  dem  Herrn  Verf. 
ein  eingebildetes  sein,  bis  es  als  Was  (besser  Etwas)  gefasst  wird ; 
erst  als  Was  ist  es  ein  wirkliches  Sein.  Das  reine  Sein  ist,  wie 
der  Herr  Verf.  sagt,  ja  ein  Abstractum,  leer,  bestimmungs-  und 
inhaltslos,  abgezogen  aus  dem,  was  ist,  und  eben  darum  mit  dem 
Nichts  identisch  und  diese  Identität  ist  und  bleibt  ihm  eine  abso- 
lut vollständige.  Verhält  es  sich  denn  hinsichtlich  dieser  gegen 
das  reine  Sein  erhobenen  Anstände  anders  mit  dem  Was?  Auch 
das  Was  (Etwas)  ist  ein  Abstractum,  leer,  bestimmungs-  und  in- 
haltslos, es  ist  abgezogen  von  den  einzelnen  Etwasen,  denn  nur 
das  Einzelne,  Daseiende  ist  Etwas.  Sagt  doch  der  Herr  Verf.  aus- 
drücklich, dass  er  unter  dem  Was  nicht  Dieses  im  Gegensatze  zu 
Jenem,  sondern  überhaupt  dasjenige  verstehe,  was  ist.  Was  ver- 
steht man  aber  unter  dem  Sein  anders,  als  eben  dasjenige,  was 
ist?  Zudem  ist  das  Sein  so  wenig  mit  dem  Nichts  identisch,    als 


868  Kits:  Sda  und  8oa»iL 

das  Wfts;  denn  der  Begriff,  der  das  aoBdrttckt,  was  ist,  ist  nicht 
absolut  inhaltsleer;  das  Sein  selbst  ist  schon  Was;  denn  es  ist 
Man  kann,  wie  die  tiefsinnigen  Eleaten  ganz  richtig  sagen,  yon 
dem  Sein  nicht  behaupten,  dass  es  nicht  ist,  weil  man  in  diesem 
Falle  dem  Sein  beilegte,  was  es  nicht  wäre,  da  nur  das  Nichtsein 
nicht  ist.  Nach  dem  ewig  wahren  Denkprincip  yom  Widerspruche 
Ittsst  sich  das  Sein  nicht  zum  Nichtsein  und  das  Nichtsein  nicht 
zum  Sein  machen.  Nichts  ist  kein  Begriff;  denn  es  ist  die  Auf* 
hebung  des  Seins  und  Denkens,  ein  Nichtsein  und  Nichtdenken. 
Die  Etwasheit  oder  Realität  gehört  zum  Wesen  des  Seins  und  ein 
solches  Sein  ist  immer  noch  das  reine  Sein.  Das  Was  ist  also 
nicht  mehr,  als  blosses  Sein,  und  die  Behauptung  des  Herrn  Yerf. 
wird  schon  dadurch  yerdächtig,  dass  er  selbst  gesteht,  nicht  sagen 
zu  können,  was  denn  das  ist,  wodurch  das  Was  mehr  ist,  als 
das  Sein«  Das  Was  ist  nur  dann  mehr,  wenn  es  als  ein  bestimm- 
tes einzelnes  Sein,  also  als  das  Sein  mit  der  Kategorie  der  Be- 
stimmtheit aufgefasst  wird,  während  der  Herr  Verf.  doch  ans- 
drücklich  dagegen  Widerspruch  erhebt,  dass  sein  Was  ein  Dieses 
im  Gegensätze  zu  Jenem  darstelle.  Das  Sein  soll  in  »demjenigen, 
was  es  ist,  über  seinen  Begriff  als  blosses  Sein  hinausgehen«  ?  Wie 
ist  dieses  möglich,  wenn  das  Sein  weder  Dieses  noch  Jenes  sein 
darf,  wenn  man  es  nur  als  ein  allgemeines  Was  fasst?  Es  bleibt 
in  diesem  Falle  das,  was  fttr  alle  passt,  wie  das  Sein,  und  geht 
nicht  über  das  Sein  hinaus.  Auch  gehen  die  unterschiede  des 
Seins  als  seiner  bestimmten  Merkmale  nicht  über  das  Sein  hinaus, 
denn  es  kann  nichts  Umfassenderes  geben,  als  eben  das  Sein,  weil 
in  ihm  Alles  ist,  was  ist.  Geht  denn  das  bestimmt  Seiende  über 
das  Seiende  hinaus  ?  Nein ;  es  ist  im  Seienden ;  es  gehört  mit  zum 
Seienden.  Das,  was  über  das  bestimmt  Seiende  hinausgeht,  ist 
eben  das  Seiende,  weil  .dieses  Alles  einschliesst,  was  seiend  ist. 

Der  Herr  Yerf.  will  durch  den  erkenntnisstheoretischen  Theii 
zu  G 0 1 1  und  zur  Freiheit  kommen.  Im  Erkennen  unterscheiden 
wir,  wie  richtig  bemerkt  wird,  uns  und  das  Andere.  Aber  wir 
können  nicht,  wie  der  Herr  Verf.  will,  dW  zwischen  uns  und  dem 
Andern  fUr  unser  Erkennen  bestehende  Schranke  aufheben.  Denn 
wir  können  nur  so  lange  vom  Objecte  reden,  als  wir  uns  als  Snb- 
jecte  von  ihm  unterscheiden,  und  wir  können  nur  dadurch  er- 
kennende Subjecte  werden,  dass  wir  die  Objecte  von  uns  in  Ge- 
danken trennen,  und,  wenn  wir  das  ganze  All  erkennen  wollten 
und  könnten,  immer  würde  uns  das  All  als  ein  von  unserm  Sub- 
jecte unterschiedenes,  ihm  entgegenstehendes  Object  erscheinen. 
Wenn  wir  unser  Subject  hinwegdenken  wollten,  müssten  wir  das 
Denken  selbst  hinwegdenken,  da  würde  es  auch  mit  dem  Objecte 
ein  Ende  nehmen.  Unser  Denken  bleibt  immer  subjectiv  und  über 
die  Subjectivität  seines  Denkens  steigt  kein  Sterblicher  hinaus. 
Gesteht  doch  der  Herr  Verf.  selbst,  dass  wir  nach  Aufhebung  der 
zwischen  uns  und  dem  Andern    ausser  uns   befindlichen   Schranke 


Kits:  Sein  mtd  Bolleii.  ^M 

»nnB  Tind  das  üebrige  und  damit  Alles  habenc.  Bleibt  nicht 
mit  dieser  XJDterscheiduug  von  »uns«  nnd  »dem  Uebrigen«  anch 
noch  die  Schranke  zwischen  uns  nnd  dem,  was  wir  nicht  sind, 
dem  üebrigen?  Man  bat  freilich  »Alles«,  aber  Alles  mit  der 
nicht  anfgehobenen  nnd  nicht  aufzuhebenden  Unterscheidung  Yon 
€ubject  und  Object.  Eefer.  muss  daher  der  Behauptung  wider- 
streiten, dass  wir  »im  Stande  sind,  vermöge  der  in  unserm  Denken 
liegenden  yorstellendcn  Kraft«  eine  zum  Wesen  des  Denkens  ge- 
hörende Schranke  aufzuheben.  So  wenig  es  eine  solche  Kraft  geben 
kann,  weil  damit  die  Natur  unseres  Denkens  selbst  aufhören  raüsste, 
was  unmöglich  ist,  so  wenig  können  wir  zu  einem  solchen  logisch 
unmöglichen  Schritte  »versuchsweise  berechtigt  Eein«.  Was  der 
Herr  Yerf.  bestreitet,  dass  wir  die  »sämmtlichen  Substanzen  und 
Thfttigkeiten ,  die  den  Inhalt  der  Welt  ausmachen,  nicht  als  so 
viele  besondere  Wesenheiten«  denken  können,  sondern  nur  als  ein 
»in  Einheit  verbundenes  Ganzes«,  ist  gerade  im  Beginne  des  mensch- 
lichen Denkens  umgekehrt.  Es  sind  einzelne  Gegenstifnde,  die  wir 
als  einzeln  nicht  nur  empfinden,  sondern  auch  denken,  so  dass  das 
Allgemeine,  die  Einheit  erst  eine  Folge  der  Abstraction  vom  Ein- 
zelnen ist.  Allerdings  können  wir  die  einzelnen  Substanzen  als 
eben  so  viele  Wesenheiten  denken  und  wir  denken  sie  anfangs  so: 
erst  ein  weiteres  Denken  durch  Vergleichen,  Trennen  und  Ver- 
binden führt  zu  dem  »in  Einheit  verbundenen  Ganzen«.  Das  Er- 
kennen ist  nicht  nur  eine  »Potenz«,  sondern  eine  Aeusserung  der 
Potenz,  eine  Thätigkeit  und  zwar  die  Thätigkeit  eines  Subjects 
dem  Gegenstande  gegenüber,  ein  Unterscheiden  des  Ichs  vom  Nichts 
ich.  Wenn  auch  das  Erkennen  zum  Wirklichen  gehöi*t ,  so  bleibt 
desshalb  doch  der  Gegensatz;  denn  das  Wirkliche  wird  eben  nur 
als  Wirkliches  durch  diesen  Gegensatz  erkannt.  Gehört  auch  das 
Erkennen  zum  Wirklichen,  so  ist  es  doch  im  Wirklichen  nicht 
anders  möglich,  als  dadurch,  dass  derjenige  Theil  des  Wirklichen, 
welcher  erkennt,  sich  von  dem  Theile  unterscheidet,  der  von  ihm 
erkannt  wird.  Gesteht  doch  der  Herr  Verf.  selbst  ein,  dass  das 
Erkennen  »nur  eine  Partie  des  Wirklichen«  sei,  dass  das  Er^ 
kennen  als  Theil  des  Wirklichen  sich  auf  das  Wirkliche  beziehe. 
Eben  darum  kann  er  uns  und  das  Uebrige  nicht  in  einen 
philosophischen  Topf  zusammenwerfen  und  sagen,  dass  das  »ganze 
und  eine  Wirkliche  sich  selbst  in  dieser  Ganzheit  und  Einheit  er- 
kennt«. Eben,  weil  das  Ich  nach  des  Herrn  Verf.  eigener  Be- 
hauptung nicht  aus  sich  hinauskommen  kann,  kann  es  auch  nicht 
das  ganze  imd  eine  Wirkliche  sein,  es  müsste  denn  nur  Ich  und 
Welt  identisch  sein,  was  zu  dem  von  dem  Herrn  Verf.  selbst  be- 
kämpften subjectiven  Idealismus  führt.  Allerdings  wäre  es  aber 
subjectiver  Idealismus ,  wenn  es  wahr  wäre ,  was  der  Herr  Verf. 
sagt,  dass  »meine  Wissenschaft  in  meinem  Denken,  Fühlen  und 
Wollen  besteht«.  Wenn  es  übrigens  auch  richtig  ist,  dass  wir 
unser  Denken  nur  durch  unser  Denken  erkennen  können,  so  ist  es 


Mi  Kits:  Sein  md  Soll«!. 

entschieden  zu  bestreiten,  dass  man  durch  das  Pühlen  das  Fflhlen 
erkennen  kann.  Fühlen  ist  kein  Denken,  kein  Erkennen,  kein 
Wissen;  nicht  das  Fühlen  führt  nns  zur  Erkenntniss  des  Fahlen», 
sondern  lediglich  das  Denken  über  das  Wesen,  die  Factoren  und 
Beziehungen  des  Füblens.  Kann  man  doch  das  Sehen  nicht  durch 
das  Sehen  selbst,  sondern  nur  durch  das  Denken  über  Organ  und 
Thätigkeit  des  Sehens  zum  Erkenntnissgegenstande  erheben.  Wenn 
man  > nicht  aus  dem  Ich  herauskommtc ,  wenn  »meine  Wissen- 
schaft in  meinem  Denken,  Fühlen  und  Wollen«  besteht,  wie  ge- 
langt der  Herr  Verf.  zur  Realität  einer  Aussenwelt ,  die  er  doch 
annehmen  muss  und  annimmt,  weil  er  den  subjectiven  Idealismus 
als  unhaltbar  von  sich  weist?  Dafür  sollen  unsere  »ünselbststän- 
digkeit  und  Beschränktheit«  sprechen.  Die  Schranke  kann  aber 
bloss  eine  gedachte,  eine  im  Wesen  unserer  Thätigkeit  liegende 
Hemmung,  ein  Act  der  Selbstbeschränkung  sein  und  so  kommt  man 
gewiss  mit  dieser  ünselbstständigkeit  und  Beschränktheit  auf  dem 
angedeuteten  Wege  zu  keiner  an  sich  existirenden ,  objectiren 
Aussenwelt.  Vielmehr  spricht  das  allgemeine  Bewusstsein  der  Auf- 
BÖthigung  von  Vorstellungen  yon  Aussen ,  durch  einen  äusseren, 
nicht  in  uns  liegenden  Factor  dafür,  während  wir  andere  Vor- 
stellungen der  Einbildung  im  wachen  und  schlafenden  Zustande 
wohl  von  jenen  von  Aussen  aufgenüthigten  unterscheiden ,  welche 
letztere,  wie  uns  unser  Bewusstsein  sagt,  Produkte  eines  bloss 
inneren  Factors,  unserer  eigenen  Seelenthätigkeit  sind.  Auch  tren- 
nen wir  die  Schranke  und  die  Einwirkung  von  nns  als  nicht  zu 
uns  gehörig,  als  nicht  innerlich,  als  Gegenstände  der  Aussen- 
welt, 

Wenn  aber  auch  der  Herr  Verf.  die  Realität  der  äussern  Welt 
annimmt,  und  damit  das  Gebiet  des  subjectiven  Idealismus  ver- 
lässt,  so  hat  er  dieses  doch  noch  nicht  ganz  gethan,  weil  erst  noch 
begründet  werden  soll,  dass  die  innem  Wahrnehmungen  wirklich 
den  äussern  Gegenständen  entsprechen,  dass  wir  nicht  mit  Kant 
das  unerkennbare  Ding  an  sich  und  die  unter  unseru  subjectiven 
Anschauungs-  und  Denkformen  auf  uns  wirkenden  Dinge  in  der 
Ei*scheinung  unterscheiden  müssen.  Hier  soll  das  »Sollen«  helfen, 
weil  es  auf  das  »Handeln«  und  dieses  auf  »äussere  Gegenstände« 
geht.  Allein  diese  Gegenstände  könnten  immer  nur  Erscheinungen 
sein,  welche  sich  unserem  Erkenntniss vermögen  als  ein  Anderes 
darstellten,  als  sie  wirklich  an  und  für  sich  sind.  Ja  sie  könnten 
selbst  gar  keine  Dinge,  sondern  aus  der  Selbstbeschränkung  des 
Ichs  entstehende  Vorstellungen  sein.  Denn,  wenn  man  behauptet, 
dass  uns  das  »Sollon«,  welches  auf  äussere  Gegenstände  geht,  nicht 
„täuschen''  kann,  so  ist  dieses  noch  lange  kein  Beweis ;  wir  könn- 
ten eben  doch  getäuscht  sein.  Auch  unser  Erkennen  verlangt  für 
die  Erkenntniss  der  Wahrheit  der  Welt  so  gut  keine  Täuschung, 
als  das  Sollen.  Auch  unser  Wissen  sagt  uns,  dass  eine  äussere 
Welt  ist;  ilhd  kann  uns  nicht  täuschen.     Es   ist  also  nicht  einzu- 


KiUt  Bein  und  BoUou  Wk 

sehen,  wie  hier  das  Sollen  helfen  soll;  denn  es  ist  eben  noch  zu 
beweisen ,  dass  uns  das  Sollen  nicht  täuschen  kann.  Ja,  das  Sollen 
kommt  überhaupt  nur  zur  Annahme  Ton  äussern  Gegenständen  als 
den  Objecten  des  vom  Sollen  erzielten  Handelns  durch  die  Ver- 
knüpfung mit  dem  Erkennen.  Das  Erkennen  leitet  das  Sollen  durch 
das  Handeln  auf  die  Objecto,  und  es  wäre  also  auch  hier  nicht 
das  Sollen,  sondern  das  Erkennen,  das  „uns  nicht  täuschen  soir^ 
Wenn  der  Herr  Verf.  im  erkenntnisstheoretischen  Theile 
behauptet,  dass  das  Ganze  der  Wirklichkeiten  nicht  das  Eine  und 
das  Erkennen  das  Andere. sei,  sondern  dass  das  ganze  und  eine 
Wirkliche  sich  selbst  in  dieser  Ganzheit  und  Einheit  erkenne  und 
damit  nicht  nur  ein  „schrankenloses  Seiendes  als  den  Urquell  des 
alle  Daseinsformen  stetig  durchfliessenden  Lebens,  sonderu  auch  ein 
in  diesem  Sein  und  Wirken  sich  selbst  erkennendes  unendliches 
Wesen,  also  den  in  höchster  göttlicher  Intelligenz  sich  selbst  durch- 
sichtigen Allgott«  für  die  Erkenntniss  gewinnen  will,  so  wird  die- 
ses wohl  immer  noch  von  diesem  Standpunkte  aus  in  Frage  ge- 
stellt werden  müssen,  da  dieses  sich  wissende,  in  seinem  Wirken 
erkennende  All  immer  zuletzt  unser  Ich  bleibt,  über  welches  wir 
im  Erkennen  nicht  hinaus  gelangen ,  das  sich  selbst  wissende  All 
aber  für  uns  bei  der  Unmöglichkeit,  die  Schranke  zwischen 
Subject  und  Object  aufzuheben,  unerkennbar  ist.  Wir  sollen 
„aus  dem  Mechanismus  der  Natur  dadurch  nicht  herauskommen, 
dass  wir  diesen  Mechanismus  mit  Intelligenz  versehen*'.  Die  Natur 
ist  übrigens  nicht  als  blosser  Mechanismus,  sie  ist  dynamisch  und 
teleologisch  aufzufassen  und  auf  diesem  Wege  werden  wir  eher  zu 
Gott  als  dem  letzten  Grunde  alles  Seins  und  Erkennen s  gelangen, 
als  durch  das  unmögliche  Aufheben  der  Schranke  des  Subjectsund 
Objects.  Auch  durch  den  „Willen"  gelangen  wir  noch  zu  keinem 
„persönlichen  Gotte",  da  ja  der  Wille,  was  bekanntlich  Schopen- 
hauer gethan  hat,  als  Ding  an  sich,  als  Wille,  Trieb  der  Natur 
gefasst  werden  kann.  Abermals  soll  das  Sollen,  den  persönlichen 
Gott  zu  erhalten,  aushelfen. 

Sein  und  Sollen  werden  als  „ganz  verschiedene  Grundgedanken" 
betrachtet,  da  doch  nach  der  vom  Herrn  Verf.  gegebenen  Auf- 
fassung dus  Solleu  unter  das  Sein  gehören  muss,  weil  dieses  nach 
ihm  eine  Denkbestimmung  ist,  worunter  wir  Alles  in  uns  und 
ausser  uns  fassen.  Da  das  Sollen  jedenfalls  entweder  in  uns  oder 
ausser  uns  ist,  so  muss  es  zum  Sein  gehören.  Damit  wird  die 
Sache  nicht  geiindeit,  dass  man  sagt:  „Etwas  kann  sollen  und 
doch  ist  es  weder  Irüher  gewesen,  noch  ist  es  jetzt,  noch  wird  es 
künftig  sein",  oder:  das  Sollen  „braucht  gar  nicht  ins  Sein  zu 
treten,  noch  aus  dem  Sein  zu  kommen"  und  „ist  und  bleibt  doch 
ein  Sollen",  oder:  das  „Sollen  geht  zwar  auf  ein  Etwassein,  aber 
es  ist  weder  durch  ein  solches  Etwas  in  seinem  Wesensbestande 
bedingt,  noch  ist  es  sellbst  ein  solches  Etwas".  Es  handelt  sich 
vorerst  nicht  um  das  Sollen  könuen^  sondern  um  das  Sollen,  also 


Ms  Kiti:  Belli  nad  BoHeii. 

sollend  sein  und  Niemand  wird  von  diesem  behaupten,  dass  es 
weder  war,  noch  ist,  noch  sein  wird,  weil  in  jenem  wirklichen  Sollen 
schon  der  Begriff  des  Seins  liegt.  Würde  das  Sollen  nicht  ans  dem 
Sein  kommen  und  nicht  ins  Sein  treten,  so  wftre  es  nichts;  denn 
nur  das  Nichtsein  ist  nicht.  Es  müsste  also  das  Sollen  ans  dem 
Nichtsein  kommen  und  ins  Nichtsein  treten,  denn  irgendwoher 
mnss  ja  das  Sollen  kommen  und  irgendwohin  treten.  Ans  Nichts 
wird  Nichts  und  es  wird  Niemand  behaupten  wollen,  dass  das 
Sollen  Nichts  ist.  Wenn  das  Sollen  nicht  ein  Etwas  ist,  so  ist  es 
ein  Nichtetwas,  also  Nichts;  dieses  kommt  allerdings  ans  Nichts 
und  tritt  in  Nichts  über.  So  lange  es  anf  ein  „Etwassein"  sich 
bezieht,  ohne  Etwas  zn  sein,  ist  es  blosse  Möglichkeit,  w&hrend 
doch  das  Sollen  nicht  nnr  Möglichkeit,  sondern  anch  Wirklichkeit 
ist.  Sagt  doch  der  Herr  Verf.  selbst  von  dem  „Sollen",  dass  es 
„allerdings  in  gewissem  Sinne  ist".  Wohl  ist  hier  die  Frage 
natürlich:  In  welchem  Sinne  ist  das  Sollen^  in  welchem  Sinne 
kommt  also  dem  Sollen  ein  Sein  zn?  Der  Sinn  wird  schwer  20 
bestimmen  sein,  wenn  etwas  sollen  kann  und  doch  weder  war, 
noch  ist,  noch  sein  kann,  wenn  das  Sollen  nicht  ins  Sein  zutreten 
nnd  nicht  aus  dem  Sein  zn  kommen  braucht,  wenn  es  weder  durch 
ein  Etwas  bedingt,  noch  selbst  ein  solches  Etwas  ist.  Allenfalls 
könnte  man  hier  vielleicht  an  die  Idealität  des  Sollens  gegenüber 
der  Bealität  des  Seins  denken.  Allein  auch  daran  ist  nicht  zn 
denken,  dass  es  vom  Herrn  Verf.  nur  ideal  genommen  wird.  Denn 
ausdrücklich  wird  dagegen  Einspruch  erhoben,  dass  das  Sollen  ein 
blosser  Gedanke,  wie  die  Abstraction  des  reinen  Seins,  sei,  dass 
es  also  nur  „ein  ideelles  Dasein"  habe.  Es  ist  eine  „reale  Macht 
und  in  so  fern  selbst  realseiend".  Kann  aber  etwas,  das  sollen 
kann  und  doch  nie  war,  nie  ist  und  nie  sein  wird,  das  nicht  ins 
Sein  zu  treten  und  nicht  aus  dem  Sein  zu  treten  braucht,  das 
kein  eigentliches  etwas  ist,  eine  „reale  Macht"  sein?  Jeder  realen 
Macht  muss  Realität,  also  Etwasheit,  Sein  zukommen  und  so  ge- 
hört das  Sollen  allerdings  unter  die  Denkbestimmung  des  Seins, 
welche  nach  des  Herrn  Verf.  eigenem  Ausdrucke  Alles  um&sst, 
„was  in  uns  und  ausser  uns  ist".  Man  kann  also  die  Gebiete  des 
Seins  und  Sollens  nicht  als  von  einander  unabhängig  und  als  gänz- 
lich verschiedene  Grundgedanken  bezeichnen,  die  an  und  für  sich 
in  gar  keiner  Beziehung  zu  einander  stehen. 

Wenn  die  beiden  Gebiete  des  Seins  und  Sollens  nicht  von 
einander  unabhängig,  sondern  zu  einander  in  Beziehung  stehen,  so 
bedarf  es  keines  „dritten  Vermittelnden"  zwischen  beiden.  Das 
Sollen  braucht  mit  dem  Sein  nicht  „zusammenzufliessen" ,  da  es 
schon  zum  Sein  gehört.  Das  dritte  Mittlere  zwischen  beiden  soll 
der  „menschliche  Wille"  sein.  Allerdings  darf  er  nicht  zwischen 
beiden  Gebieten,  dem  Sein  und  Sollen,  „in  der  Luft  schweben"« 
Der  Wille  gehört  beiden  „zugleich"  an.  Vom  Willen  geht  du 
Sollen,  aus  und  auf  den  Willen   bezieht   es  sich ;   der  Wille  iilr 


Kits:  Sein  und  Bolka.  89S 

wie  das  Sollen  ist.    Wozu  bedarf  es   hier  des  Willens,   das  Sein 
mit  dem  Sollen  zn  rermitteln,  oder  Sein  nnd   Sollen  ,,zasammen- 
fliessen"  zu  lassen?   Ist  etwa  der  Wille  ohne  Sein  und  das  Sollen 
ohne  Willen  und  ein  Sollen  im   Willen   ohne  Sein?     Der  mensch- 
liche Wille  ist  nicht  eine  blosse  Potenz ;  denn  Potenz,  potentia,  ist  ein 
Sein  können,  eine  blosse  Möglichkeit,  und,  was  sein  kann,  ist  noch 
lange   nicht,  —    er  ist    auch  eine   Thätigkeit,   Wirklichkeit.     Er 
kann  nicht  nur  sein;  er  ist  auch.  Das  Sein  soll  gegenüber  dieser 
angeblichen  Vermittlung  „nicht   der  Gausalitftt   des   SoUens"    und 
das  Sollen  „nicht  der  Causalität  des  Seins^'  unterworfen  sein.  Man 
kann  sich  aber  unmöglich  irgend  ein  zur  Entwickelung  Kommendes, 
wie  das  Sollen,  im   Willen  anders,   als   unter   der   Causalität  des 
Seins  denken.     Wo  nichts  ist,  wird  nichts.  Das  Werden  setzt  als 
letzten  Grund  das  Sein  voraus.     Wenn   also  das  Sollen  ist,  so  ist 
es  nicht  ohne  das  Sein  und,  wie  Alles,    was   ist,   nur   durch  das 
Sein.     Wenn  nur   auf  die   Gegensätze   des   Seins  und   Sollens   die 
Bealität  der  Gottheit  als  des   die  Gegensätze  beherrschenden  und 
zusammenhaltenden  prius  gegründet  werden  kann,  so  sieht  es  mit 
dieser   angeblichen   Begründung   misslich    aus.      Offenbar    bin  ich 
mir   selbst   des    Sollens  und    des   Sittengesetzes   bewusst.      Wenn 
nun  der  Herr  Yert.  die  Frage  aufwirft,  „woher  das  Sollen  komme'^, 
so  ist  die  natürliche   Antwort,  das   es  von  uns,    unserem    Geiste, 
unserer  Vernunft,  unserem  sittlichen  Willen  kommt,  weil  wir  die- 
ses Sollen,  dieses  Sittengesetz  nicht  ausser  uns,   nicht  in  der  leb- 
losen oder  unorganischen,  nicht  in   der  organischen,   nicht  in  de- 
Pflanzen- und  Thierwelt,  sondern  nur  in  uns,  im  Menschen  findenr 
Allein,  wendet  der  Herr  Verf.  selber  ein,  daraus,  dass  ich  mir  des« 
Sollens  bewusst  bin,  „folgt  noch  lange  nicht,   dass  ich  es  in  mir 
hervorgebracht  habe'*'.  Folgt  aber  daraus  das  Gegentheil,  dass  ich 
es  nicht  hervorgebracht  habe?     Ueberhaupt  bringt   solche   Dinge, 
wie  die  sittliche  Substanz,  ein  einzelner  Mensch  nicht  hervor ;  diese 
ist   vielmehr  ein  im    We&en    der    menschlichea  Natur    ursprünglich 
liegender  Keim,  der  durch  die  gemeinschaftliche  Pflege  vieler  ver^ 
einigt  er  Men^^cheu  der  Gegenwart,  der  Vergangenheit    und  Zukunft 
zur  immer  reinem  und  hohem  Entwickelung  kommt.     Yom  „Sein, 
haisi^t  es,  gelangen  wir  nicht  tum  iSoUeu**.     Wir  müssen  also  zum 
Bollen  durch  eine  „Potenz' '  gelangen  ^    welche    „der  Causalität  des 
Seins  nicht  unterworfen    ist**.     Und   warum  aollen   wir   vom    Sein 
nicht  zum  Bollen  gelangen  kbuuen.     Das  Sollen  ist  auch  ein  Sein, 
ein  eigenthtlmlich  in  der  Henschennatar  begründetes   Sein;   warnt 
da^  Sollen  nicht  als  Potenz ,    sondern   als   Wirklichkeit   att^^q^ifl 
wird,  kann  es  nicht  bloss  sein,  €S  ist,  und  w^s  istp  gehOffvP 
das  Sein  und  zu  d&m  Seiö,     AV-      '  igt  es  durch    den  me 

lieh  eil  Willen^  abar  m  Wil4  winA^i  u.,J^:  Jinann  mii  dorn  S«ia 
mittdtf  da  ans  dem  Wilk^B|i  ii»    V*  ii   Soliifn   tit, 

keiner  Vermittlung  i- *         ^"^^j^jjtd^^^^^,.  ^  V,  ir  flnr 

vorbanden,  d^n  mu^  ^^^^^^^H 


A 


Quelle  des  Sollens  zn  betrachten,  da  wir  das  Bewnssisein  haben, 
dasa  das  Sollen,  die  Stimme  des  Sittengesetzes,  von  uns  kommt. 
Der  Hr.  Verfasser  selbst  gibt  dieses  eh,  nur  meint  er,  dass  dieser 
menschliche  Wille  wohl  die  Quelle  des  menschlichen  Sollens,  aber 
nie  der  Grund  des  Seins  sein  könnte.  Wenn  man  unter  Sein  das 
versteht,  was  ist,  also  Alles,  was  in  und  ausser  uns  ist,  so  kann 
allerdings  der  menschliche  Wille  so  wenig  Ursache  davon  sein,  als 
er  der  Schöpfer  der  realen  Welt  ist,  und  der  Hr  Verfasser  ist 
in  seinem  Eechte,  wenn  er  jenen  »für  das  Tollhaus  reif«  erklärt, 
der  den  menschlichen  Willen  zum  spiritus  rector  der  Welt  machen 
will.  Allein  der  menschliche  Wille  kann  der  Grund  des  Sollens 
und  Sittengesetzes  sein,  ohne  dass  er  deshalb  die  Quelle  des  Seins 
ist.  Die  letztere  Quelle  ist  allerdings  der  letzte  Grund  von  allem, 
was  ist,  war  und  sein  wird,  und  eine  solche  kann  nur  Gott  sein. 
Freilich  ist  dann  auch  der  letzte  Grund  des  menschlichen  Willens 
der  göttliche,  aber  in  anderer  Art-,  die  menschliche  Vernunft  ist 
so  eingerichtet,  dass  sie  dieses  Solleu  dieses  höchste  Sittengesetx 
aus  sich  entwickeln  und  als  Norm  für  Gesinnung  und  Handlung 
aufstellen  kann.  So  kommt  das  Sollen,  das  in  dem  menschlichen 
Willen  ist,  zwar  nicht  unmittelbar,  aber  doch  mittelbar  durch  das 
medium  des  menschlichen  Willens,  der  eine  besondere  Art  des  Seins 
ist,  von  Gott,  der  Quelle  alles  Seins.  Die  Gründe  gegen  den  mensch- 
lichen Willen  als  die  nächste  unmittelbare  Quelle  des  Sollens  sind 
nicht  beweisend. 

Man  erinnere  sich  dieser  schöpferischen  That  nicht,  heisst  der 
erste  Grund,  wohl  aber  anderer  Thaten.  Jeder  aber  wird  das 
Sittengesetz  nicht  als  Etwas  von  Aussen  an  ihn  gelangtes,  sondern 
als  eine  Stimme  seines  Innern  erkennen  und  sich  der  Zeit  erinnern^ 
wo  er  das  Gute  und  Böse  zu  unterscheiden  anfing.  Das  Sittenge- 
setz liegt  im  Menschen,  geht  von  ihm  aus,  wie  das  Bechtsgesetz, 
ohne  dass  es  von  ihm  geschaffen  ist.  Es  war  schon  vor  dem  ein- 
zelnen Menschen  da,  weil  vor  ihm  Menschen  waren  und  wird  nach 
ihm  sein,  weil  nach  ihm  Menschen  sein  werden.  Es  liegt  als  nr- 
sprünglicher  Keim  im  Mensohengeiste ;  allerdings  ist  der  Keim  nicht 
vom  Menschen  geschaffen,  aber  er  entwickelt  sich  aus  und  in  dem 
Menschengeiste  und  durch  diesen.  Nichts  kann  mich,  lautet  der 
zweite  Grund,  für  die  Schöpfung  des  Sollens  „befruchten",  nicht 
„mein  Sein",  nicht  „mein  Denken".  Liegt  denn  der  Grund  des 
Sollens  in  mir  nicht  in  der  Art  meines  Seins,  in  meinem  Denken, 
in  dem  in  meinem  sittlichen  Willen  liegenden  Frnchtkeim,  der 
freilich  zuletzt,  wie  alle  Keime,  im  letzten  Grunde  alles  Seins  und 
Denkens  begründet  ist,  aber  zur  Entwickelung  durch  unsem  Geist  und 
in  unserem  Geiste  gelangt?  Wenn  von  meinem  Willen  das  Sollen 
käme,  so  mttsste  dieser  es  auch  wieder  aufheben  können,  ist  end- 
lich der  dritte,  von  dem  Herrn  Verf.  dafür  angeführte  Grund,  daa 
das  Sollen  nicht  vom  menschlichen,  sondern  einzig  und  allein  vom 
göttlichen  Willen  kommt.    Allein,  was  unserer  Natur  als  zu  ihr 


Kits:  8«la  v&d  Solleii,  8M 

gehörig,  sie  yoq  Anderem  wesentlich  nnterscheidend ,  eigen  ist^ 
können  wir  nicht  aufheben,  so  können  wir  in  uns  das  Erkennen 
unserer  Sinne  und  unseres  Verstandes,  unser  Bewusstsein,  die  Denk- 
gesetze nicht  aufheben  und  doch  haben  sich  die  dazu  in  uns  lie- 
genden Keime  durch  uns  und  in  uns  allmählig  entwickelt.  Der 
Herr  Verf.  ündet  aun  den  göttlichen  Willen  als  die  Quelle  des 
Sitten-  und  Rechtsgesetz^s  also:  Beim  Sollen  soll  sich  mein  Wille 
einem  ,, andern  unterwerfen"!  Nun  aber  kann  von  einer  Unterord- 
nung meines  Willens  unter  meinen  Willen  „keine  Bede  sein*'.  Eine 
^,moralische  Nöthigung",  die  ,,in  sonst  nichts,  als  in  meinem  Wil- 
len" begründet  wäre,  ist  „undenkbar".  Wenn  das  Sollen  vom 
nämlichen  Willen  käme  und  sich  auf  denselben  Willen  bezöge,  so 
müssten  „Sollen  und  Wollen  identisch"  sein,  was  sie  be- 
kanntlich nicht  sind.  Das  kann  daher  nur  aus  „einem  andern  Wil- 
len" kommen,  dem  sich  mein  Wille  unterwirft.  Der  Wille,  der  die 
Quelle  des  Sollens  ist,  muss  ein  höherer,  mir  übergeordneter,  der 
göttliche  sein,  von  welchem,  da  keine  absolute  Zweiheit  angenom- 
men werden  kann,  auch  das  Sein  determinirt  ist.  Dagegen  kann 
man  mit  Becht  begründete  Bedenken  erheben. 

Es  ist  bekannt,  dass  im  Menschen  gegenüber  dem  Sittenge- 
setze  ein  Zwiespalt  herrscht,  dass  der  vernünftige  oder  sittliche 
Wille  nach  der  Bealisirung  des  Unbedingt-  oder  Vernünftigguten 
strebt,  während  das  verständige  Begehmngsvermögen  sich-  äussere 
Zwecke  oder  das  Nützliche,  der  Trieb  die  Befriedigung  der  sinn- 
lichen Lust  oder  das  Angenehme  zum  Ziele  setzt.  Der  sinnliche 
und  einseitig  verständige  Wille ,  der  nichts  Höheres ,  als  das  An- 
genehme und  Nützliche,  kennt,  hat  sich  also  dem  das  Sittengesetz 
aufstellenden  vernünftigen  Willen,  von  welchem  das  Sollen  ausgebt, 
zu  unterwerfen.  Allerdings  ist  es  also  ein  anderer  Wille,  der  das 
Sittengesotz  aufstellt  und  ein  anderer,  an  den  sich  das  Gebot  rich- 
tet und  der  sich  dem  Gebot  unterordnet.  Aber  diese  beiden  Willen 
Bind  nur  zwei  verschiedene  Seiten  in  einem  und  demselben  Men- 
schen. Von  der  einen  Seite  geht  das  Sollen  aus  und  die  andere 
unterwirft  sich  ihm.  Man  braucht  also  zum  Sittengesetze  keinen 
•  andern,  als  den  menschlichen  Willen,  und,  da  die  beiden  verschie- 
denen Seiten  des  Willens  zu  einem  und  demselben  Wesen,  zu  dem 
gleichen  Selbst  gehören,  so  geht  allerdings  die  „moralische  Nöthi« 
^ng"  von  uns  aus;  sie  ist  eine  innere  oder  Selbstnöthigung ,  die 
demnach  nicht,  wie  der  Herr  Verf.  meint,  „undenkbar",  sondern, 
-wie  uns  unser  Bewusstsein  sagt,  wirklich  vorhanden  ist.  Der 
menschliche  Wille  ist  also  die  Quelle  des  Sollons.  Das  Sein  an 
sich  ist  eben  so  wenig  als  der  Wille  von  einem  Andern  ausser  ihm 
y, determinirt".  Denn  das  Sein  ist  ja  eine  Denkbestimmung,  die 
yyAlles  umfasst,  was  in  und  ausser  uns  ist".  Das  Sein  an  sich 
kann  nicht  weiter  ,^determinirt"  sein,  da  es  nur  entweder  vom 
Nichtsein  oder  Sein  determinirt  sein  könnte.  Vom  Sein  kann  man 
dieses  nicht  sagen,  da  das  determinirende  Sein  eben  auch  ein  Sein 


SM  Kits:  Sein  wni  SoHett. 

ist,  also  das  Sein  nicht  yon  einem  Andern,  sondern  durch  ncli 
determinirt  erscheint.  Vom  Nichtsein  kann  man  es  eben  so  wenig  sagen, 
da  das  Determinirende  ein  determinirend  Seiendes,  also  nicht  ein 
Nichtseiendes  ist.  Wo  soll  nun,  wenn  man  den  Begriff  des  reinen 
Seins  hat,  die  Determination  herkommen?  Es  ist  eben,  weil  das 
Sein  nichts,  als  Sein  ist,  ein  Sein  in  sich  und  durch  sich  selbst 
Der  Einheit  des  Seins  und  SoUens  bedarf  es  nicht,  weU  auch  die- 
ses zu  jenem  gehört.  Gesteht  doch  der  Herr  Verf.  selbst  bei  die- 
ser Einheit  des  Seins  und  Sollens,  die  er  ein  „unabweisbares  Postu- 
lat'' nennt  —  das  Eant'sche  der  praktischen  Vernunft  ist  jeden- 
falls besser  durchgeführt,  —  dass  wir  diese  Einheit  „nicht  n 
schauen  und  anzugeben,  nicht  einmal  zu  ahnen  yerm^gen''.  Wu 
soll  man  aber  mit  einer  Sache  anfangen,  wie  kann  man  eineSadu 
begründen  wollen,  die  man  weder  schauen,  noch  angeben,  noeh 
ahnen  kann?  Der  Zweifel  an  einem  Gegenstande  dieser  Art  ist 
daher  wohl  begründet.  Dem  Herrn  Verf.  ist  demnach  die  Ablei- 
tung des  Sitten-  und  Bechtsgesetzes  aus  dem  göttlichen  Willei 
nicht  gelungen.  Das  Recht  soll  eine  „Seite  der  Sittlichkeit"  sein, 
die  Freiheit,  nach  welcher  ich  nicht  gezwungen  den  göttlichen 
Willen  erfülle.  Die  „Aufhebung  dieser  Freiheit"  ist  „das  unrechte 
Die  Freiheit  besteht  aber  nicht  nur  in  der  „Erfüllung",  sondern 
auch  in  der  „Nichterfüllung"  des  göttlichen  Willens.  Demnach  ist 
der  im  „Unrecht",  der  mich  zur  Erfüllung  oder  Nichterfüllung  des 
göttlichen  Willens  „nöthigt".  Man  „kann  unsittlich  handeln  und 
doch  im  Rechte  bleiben".  Hierin  liegt  der  „Unterschied  zwischen 
dem  rechtlichen  und  sittlichen  Handeln".  In  dem  •  Bereiche  des 
Rechtes  ist  „das  Unsittliche  möglich".  Die  „Sittlichkeit  ist  Zweck, 
das  Recht  als  die  Freiheit  die  Bedingung".  Mit  dem  Rechte  h&ngt 
die  „Verbindlichkeit,  es  zu  schützen"  zusammen.  Der  Staat  e^ 
scheint  als  das  „einzige  Mittel",  diesen  Schutz  zu  gewähren.  Ein- 
mal ist  aber  die  Freiheit  nicht  „eine  Seite  der  Sittlichkeit*',  son- 
dern die  Bedingung,  unter  welcher  die  Sittlichkeit  möglich  ist 
Denn,  wenn  wir  das  Gute  nicht  thun  oder  unterlassen  können,  so 
kann  yon  keiner  Sittlichkeit  die  Rede  sein.  Dieses  sittlich  oder 
unsittlich  sein  Können  ist  noch  nicht  das  Recht.  Das  Recht  unte^ ' 
scheidet  sich  von  der  Sittlichkeit  dadurch,  dass  bei  jenem  eine 
äussere,  bei  diesem  eine  innere  Nöthigung  eintritt.  Die  ftasseie 
Nöthigung  geht  yom  Staate,  die  innere  vom  Gewissen  aus. 

(Schluss  folgt.) 


Sr.  67.  HKIDELBEEGER  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Kitz:  Sein  und  Sollen. 

(SchluBB.) 

Nicht  darin,  dass  man  im  Rechte  das  Sittengesetz  übertreten 
kann,  liegt  der  Unterschied  des  Rechtes  nnd  der  Sittlichkeit,  son- 
dern im  Unterschiede  der  Nöthignng.  Der  Staat  ist  nicht  eine  blosse 
Rechtsschatzanstalt,  sondern  er  bestimmt  durch  das  Gesetz,  was 
Recht  und  was  Unrecht  ist,  und  ist  die  Anstalt,  welche  zur  Er- 
füllung des  Gesetzes  zu  zwingen  im  Stande  ist,  die  Gewalt  hat  nnd 
wirklich  dazu  zwingt,  die  Gewalt  anwendet.  Wenn  also  ein  Mensch 
unsittlich  handeln  wollte  und  das  das  Recht  bestimmende  Staats- 
gesetz den  Menschen  zum  Erfüllen  des  Sittlich  Gebotenen  zwingen 
kann,  so  besteht  der  Unterschied  des  Rechtes  und  der  Sittlichkeit 
nicht  darin,  dass  beim  Rechte  auch  die  Möglichkeit,  das  Sitten- 
gesetz nicht  zu  erfüllen,  gegeben  ist,  weil  ja  hier  durch  das  Recht 
das  Gebot  der  Sittlichkeit  im  äussern  Handeln  wenigstens  erfüllt 
wird,  sondern  darin ^  dass  man  beim  Rechte  zur  Erfüllung  des 
Sittengebotes  gezwungen  wird,  während  das  Sittengesetz  eine  innere 
(moralische)  Selbstnüthigung  ist.  Man  kann  sich  das  Recht  nicht 
ohne  Rechtsgesetz  und  dieses  nicht  ohne  den  Staat  denken.  Das 
ursprüngliche  Recht  des  Menschen,  vom  Staate  abgesehen,  ist,  wie 
Spinoza  sagt,  das  Recht  auf  Alles,  was  der  Mensch  kann ;  es  geht 
so  weit,  als  seine  Macht.  Bei  der  Begründung  des  Rechtsgesetzes, 
welches  ohne  Staat  unmöglich  ist,  handelt  es  sich  nicht  um  jenes 
ursprüngliche  Recht  eines  uns  unbekannten  Nai  Urzustandes ,  der 
nicht  einmal  in  den  Wäldern  der  Wilden  angetroffen  wird. 

Wenn  dem  Herrn  Verf.  die  Ableitung  des  Sittengesetzes  ans 
Gottes  Willen  nicht  gelungen  ist,  so  kann  er  natürlich  auch  das 
Rechtsgesetz  nicht  aus  ihm  herleiten,  da  sich  dieses  auf  jenes  stützt. 
Diese  Ableitung  hat  aber  auch  noch  eine  andere  Seite,  weil  namentlich 
auch  die  Theologie  in  ihrer  hyperorthodoxen  Gestalt  und  in  glei- 
cher Weise  die  unter  der  Firma  der  Theokratie  herrschende  Hier- 
archie sich  auf  den  Willen  Gottes  berufen.  Freilich  ist  diesem  bfi 
unser m  Herrn  Verf.  nicht  der  Fall ;  aber  bekaEntUch  hat  man  im 
Mittelalter  die  grausamsten  Handlangen  des  kirchlichen  Fanati a* 
mos  mit  dem  Willen  Gottes  entschuldigt.  Sittlichkeit  und  Recht 
sind  im  Wesen  des  Menschengeistes  begründete  Erscheinungen  nnd 
müssen  darum  zunächst  aus  diesem  abgeleitet  und  durch  ihn  be- 
gründet werden.  V.  Beielilln-illeiilf 
LVIU.  Jahrg.  12.  Heft. 


898  V.  Backen:  Ltitfadeii  tnr  Kimät  4m  Altcrthvms. 

van  Sacken^  Freiherr  Eduard.  Leidfaden  »ur  Kunde  d»  kai- 
machen  AUerihums  mii  Benehung  auf  die  österreidneehen  Lot- 
der;  mU  84  in  den  Text  gedrudäen  Holgeehtntten.  WienlSßi 
VUi  u.  224  8.   gr.  8. 

Der  Verfasser  dieser  Schrift ,  Casios  des  k.  k.  Müni-  md 
Antiken-Cabinets ,  nennt  vorliegende  Schrift  mar  »einen  Versadi, 
die  Cnltarznstände  unseres  Vaterlandes  in  der  yorchristliohen  Zeit 
und  in  ihrer  Entwiokelung  darzulegen,  so  weit  wir  sie  ans  des 
üeberresten  derselben  zu  erkennen  im  Stande  sind,  welche  in 
Sohoosse  der  Erde  geborgen  waren«.  Das  Baoh  ist  aber  mehr  als 
ein  Versnob ;  es  gibt  eine  genaue  Schilderung  jener  alten  Zeit,  so  veit 
es  mOglich  ist,  und  eine  Beschreibung  der  yon  d<Nrt  erhaLtenai 
Alterthttmer  und  was  sonst  hiezu  gehört,  so  dass  es  als  ein  klu^ 
reiches  Handbuch  angesehen  werden  kann,  wie  der  Inhalt  anzeigt, 
den  wir  kurz  angeben  wollen.  In  der  kurzen  Einleitung  (von  9  Sä- 
ten) wird  zwar  zugegeben,  dass  wir  bei  den  deutschen  Völkern  in 
den  Zeiten  yor  dem  Ghristenthum  zwar  nicht  »jene  geistige  Eat- 
wickelung  und  Höhe«  finden,  die  wir  bei  den  Griechen  und  Bömem 
bewundern,  es  wird  aber  zugesetzt:  »dass  deren  Oultur  bei  weiieD 
nicht  so  tief  stand,  als  nach  den  Aussagen  griechischer  und  lOmi- 
scher  Schriftsteller,  die  alle  Völker  ausser  sich  Barbaren  nannten, 
gewöhnlich  angenommen  wird««  Dies  zeigt  sich ,  wie  weiter  da^  | 
gelegt  wird,  nicht  aus  den  Berichten  der  Alten,  sondern  ans  dnl 
Fundstücken,  aus  welchen  man  »mit  ziemlicher  Sicherheit  auf  die 
Lebensweise,  den  Grad  der  Be&higung,  die  Handelsyerbindungei, 
kurz  die  gesammte  Civilisationsstufe  schliessen  kann«.  Nach  di^ 
ser  Einleitung  werden  »die  Culturepochen  Mitteleuropa's  beeproeta, 
zuerst  im  Allgemeinen  kurz  aber  genügend,  dann  so  ziemlich  nscä 
Worsaee's  Vorgang  die  drei  Zeitalter  abgehandelt,  zuerst  dis 
Steinalter  fast  zu  ausführlich,  indem,  was  dooh  nur  theilwsidi 
hierher  gehört,  sehr  viele  Auffindungen  von  antedilnTianiseba 
Thieren  in  Frankreich,  England,  ftist  weniger  in  Deutsohlaiid  saf- 
gezählt  sind  -*  indem  man  z.  B.  mehrere  Orte  aus  der  hessiselieB 
Bheinproyinz  hätte  anfügen  können  *—  bei  vielen  dieser  Ansgnr 
bungen  £uiden  sich  auch  ziemlich  roh  bearbeitete  Feuersteine,  ^ 
ältesten  Geräthschaften ;  doch  sind  aus  dieser  ersten  Stufe  der 
Steinperiode  so  dürftige  Beste  von  menschlichen  Knochen  bisjet^ 
angefunden  worden,  dass  man  noch  nicht  die  Ba^e  dieser  ento 
Menschen  Europas  hat  bestimmen  können.  Eine  yorgerüdkte  Bil- 
dungsstufe zeigen  die  Pfahlbauten,  welche  sofort  sehr  ga» 
besohrieben  werden.  Auch  hier  finden  sich  in  manchen  Orten  aor 
Stoindenkmäler;  doch  kannten  die  Bewohner  schon  Ackerbau  lai 
Viehzucht,  dagegen  sind  selten  Knochen  ausgestorbener  Thiere;  aaeh 
keine  Leiehen  zeigen  die  PfEihlbanten ;  die  Gräber  des  Steinalters  sind 
entweder  oberirdische  nämlich  Steinkisten,  die  theils  in  der  Ebene, 
theils  anf  künstlichem  Hügel  stehen  (dies  die  Hüneabettea)  oder 


Y.  Sftckeii:  htiitmitik  nr  tLxmie  des  AltertliitiD«.  SM 

anterirdiBohe,  ebenfalls  aoB  Steinen  gebildet  oder  Chrabkammem 
darstellend.  Die  Leichen  sind  entweder  begraben  oder  Terbrannt, 
letzteres  herrscht  in  Deutschland  yor.  Sowohl  den  Gerippen  als 
den  Aschen-Urnen  sind  die  steinernen  öeräthe  als  (Jaben  beigelegt. 
Aermere  Leute  wurden  mit  ihren  Gkbben  wohl  nnr  in  die  blosse 
Erde  gelegt,  ohne  Steingrftber.  Nachdem  hierauf  der  Verfasser 
noch  die  Fundorte  von  Steinwerkzeugen  in  Oesterreich  aufgezählt 
hat,  wiederholt  er,  dass  das  Steinalter  bei  yerschiedenen  Völkern 
in  eine  etwas  yerschiedene  Zeit  f&Ut,  dass  aber  das  Volk  »keines*^ 
wegs  im  Zustande  der  Wildheit  lebte«,  sondern  namentlich  die 
südliehen  Stftmme  feste  Wohnsitze  hatten  und  im  Besitze  mancher 
Fertigkeiten  und  Kenntnisse  waren.  Eine  bestimmte  Zeit  oder 
einen  etwaigen  Orenzpunkt  g^bt  er  jedoch  nicht  an.  Freilich  zog 
sich  das  Steinalter  weit  in  das  Bronzealter  hinein,  indem  wohl 
lange  Zeit  die  Bronze  (in  der  Begel  90  Prooent  Kupfer  und  10 
Procent  Zinn)  für  die  Masse  des  Volkes  zu  kostbar  war.  Daher 
finden  wir  in  vielen  Gräbern  Steine  neben  Bronze.  Und  nun  zählt 
der  Verfasser  die  wichtigsten  Bronze-Objekte  des  Bronzealters  auf, 
wie  die  Aexte,  die  Celts  d.  h.  Aexte  mit  SchafbrOhren^  Schwerter 
und  andere  Waffen,  Helme  (eine  grosse  Seltenheit),  Schilde  (meist 
aus  Holz  oder  Leder  mit  bronzenen  Buckeln,  doch  auch  yon  Bronze), 
Messer  oft  geschweiste,  Gefässe  aus  einem  Stücke  dünn  getrieben 
mit  Handheben«  Dann  als  Schmucksachen  Ringe,  Armringe, 
Nadeln,  Spangen,  Fibeln  mit  Klapperblech.  Die  Formen  sind  meist 
gelallig,  gegossen,  ciselirt,  mit  Punkten  und  Strichen  gravirt,  später 
andi  mit  plastischen  Ornamenten,  ohne  pflanzliche  Gebilde  und 
Tbierfiguren  ausser  in  ganz  später  Zeit.  Ausser  Bronze  kommt  auch 
Gold  (ebenfalls  dünn  getrieben),  Bernstein,  Glasperlen  als  Schmuck 
yor.  Die  GefUsse  sind  von  grobem  Thone,  in  manichfaltiger  Form, 
wechselnder  Grösse.  Die  Völker  des  Bronzealters  stehen  auf  »ziem- 
lich vorgeschrittener  Culturstufec,  üben  Ackerbau,  haben  Hausthiere, 
leben  auf  Pfahlbauten,  meist  aber  auf  dem  Lande  in  Dörfern, 
haben  gemeinsame  Begräbnissstätten ;  die  Wohnungen  sind  einfach, 
bloss  Buhestätten  und  Vorrathskammem.  Weberei,  Bergbau,  Han- 
del ist  ihnen  bekannt,  durch  letzteren  lernen  sie  Münzen  kennen 
und  nachbilden,  wie  dies  die  Begenbogensohüsselchen  und  andere 
sogenannte  keltische  Münzen  zeigen,  welche  meist  von  Gold  oder 
Silber  selten  von  Bronze  vorkommen ;  auf  ihnen  stehen  auch  Namen ; 
sonst  ist  keine  Schrift  erhalten.  Die  Gräber  sehr  verschieden,  eben- 
falls mit  beiden  Bestattungsweisen  und  Beigaben  aller  Ajrt.  Dieses 
Zeitalter  reicht  in  Deutschland  von  mehreren  Jahrhunderten  vor 
unserer  Zeitrechnung  bis  in  die  ersten  Jahrhunderte  nach  Christus. 
Nachdem  der  Verfasser  auch  hier  die  österreichischen  Fundorte 
aufgezählt  hat,  kommt  er  zu  der  Frage,  ob  diese  Bronzesachen  im 
Lande  verfertigt,  oder  von  aussen  eingebracht  seien,  womit  er 
gleich  die  Frage  über  die  Verwandtschaft  der  B^i 
manen  in  Verbindung  setzt.     Der  Ver£M8i|p;^ 


900  V4  Saektn:  Leitf«d«o  nr  Kunde  des  Alterthttmt. 

scliieden  haiton,  fügt  aber  einen  Satz  bei,  der  das  Gegentheil  sei- 
gen  kann.  Wenn  er  nämlich  S.  130  sagt:  >£b  ist  ein  ähnlicher 
Unterschied  wie  im  Mittelalter  nnd  selbst  in  der  neueren  Zeit  fwi- 
Bchen  Franzosen  nnd  Deutschen«:  so  hätte  ihm  einfallen  sollen, 
dass  zu  KarPs  des  Grossen  Zeit  kein  unterschied  zwischen  den 
Deutschen  und  Franken  bestand,  sondern  er  sich  eben  so  in  den 
nächsten  500  Jahren  ausbildete  wie  die  Kelten  und  Germanen  ur- 
sprünglich d.  h.  etwa  500  Jahren  vor  unserer  Zeitrechnung  eins 
waren,  aber  nachher  die  Kelten  oder  Germanen,  welche  nach  Grallies 
gegangen  waren  —  wohl  durch  den  Einfluss  der  Iberer  —  sich 
von  den  in  Deutschland  gebildeten  Kelten  oder  Germauen  souater- 
schieden,  dass  die  Bömer  sie  fast  fUr  zwei  Völker  hielten,  was  sie 
früher  nicht  waren  (wie  ich  dies  schon  1851  im  Philologus  Y. 
S.  107  gezeigt  habe).  Was  die  Anfertigung  der  Bronzesachen  be- 
trifft, so  stimmen  wir  dem  Verfasser  bei,  wenn  er  die  meisten 
dem  eigenen  Lande  zuschreibt;  die  zierlichen  mögen  auB  Etrurien 
u«  s.  w.  sein. 

Den  Schluss  dieses  Alters  bildet  ebenfalls  eine  Mischperiodei 
welche  den  Uebergang  zum  Eisenalter  macht,  mit  abweichen- 
der  Form  in  Waffen  und  Geräthon,  so  wie  in  Schmucksachen; 
man  kann  diesen  Stil  den  germanischen  nennen.  Nun  konunt  wenig 
Bronze,  dagegen  Messing  und  auch  Silber  bei  Schmucksachen  7or. 
Auch  hier  zählt  der  Verfasser  die  Geräthschaften  auf  und  zeigt 
deren  Verschiedenheit  von  den  oben  erwähnten ;  eigenthOmlich  sind 
hier  Sporen,  kostbarer  Schmuck  auch  mit  farbigem  Glasschmelz,  mit 
Thierbildungen  u.  s.  w.  Die  Verbrennung  der  Todten  hört  fast 
auf,  sie  liegen  in  Reihen-  oder  Furchengräbern  wie  in  Oesterreich 
an  vielen  Orten.  Diese  Zeit  geht  bis  in  das  siebente  Jahrhundert 

Dies  der  kurze  Inhalt  des  lehrreichen  Buches.  Noch  ist  bei- 
gefügt  eine  allgemeine  Schilderung  und  Aufzählung  der  römischen 
Alterthümer  in  den  österreichischen  Ländern  (nicht  aber  hier  eine 
Aufzählung  der  Orte;  man  hätte  freilich  in  mancher  Gegend  alle 
Dörfer  anführen  müssen).  Den  Anhang  bildet  eine  lehrreiche  An- 
weisung bei  der  Ausgrabung  und  der  Behandlung  der  Alterthümer. 
Endlich  sind  zum  Schlüsse  die  Orte  angegeben  wo  die  84  abge- 
bildeten Gegenstände  gefunden  wurden.  Aus  Obigem  folgt,  dass 
dies  Buch  recht  brauchbar  und  verdienstlich  ist. 


Die  römischen  Inschriften  in  Dacien;  gesammelt  und  bearbeitä  von 
Mich,  /.  Aekner,  gestorben  als  evang,  Pfarrer  in  Eamerf 
dorf  u.  8.  IT.  und  Friedr.  Müller,  Oymnasial'Director  in 
Schässburg  u,  s,  to,;  herausgegeben  mit  Unterstützung  der  k. 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien,  Wim  1865.  XXIIJ  u, 
247  S,  gr.  8. 

Als  wir  vor  eilf  Jahren  Neigebaur's  Werk  über  Dacien  einer 
eingehenden  Besprechung  hier  (1854  S,  641  ff.)  unterwarfen,  haben 


Ackner:  D!«  römiseten  InscbrlftMi  In  Dftden.  ÖOl 

wir,  da  dieses  Werk  nicht  einmal  geringen  Anfordemngen  entsprach, 
S.  655  den  Wunsch  ausgesprochen,    dass  Pfarrer  Ackner,   der  da- 
mals   einen   Nachtrag    zu    Neigebaur's   Schrift    versprach,     nicht 
diesen  geben,  »sondern  die  Inschriften  Daciens  gesondert  nnd  einer 
genauen   und  kritischen  Revision  unterworfen,   uns  bald  in  erneu- 
erter Gestalt  vorlegen  möge.«  Dass  Ackner  diese  Aufforderung,  die 
wir  später  wiederholten  (vgl.  diese  Jahrbücher  1859  S.  925),  wirk- 
lich in  Berücksichtigung  nahm,  wird  in  der  Vorrede  S.  XIX  vor- 
ligenden   Werkes    angemerkt.     Doch   starb  dieser  12.  Aug.  1862, 
nachdem  bereits  von  ihm  und  seinem  Mitarbeiter,  dem  Gymnasial- 
Director  Müller  zu  Schassburg,  die  Vorrede  vollendet  war;  warum 
aber  erst  nach  weiteren  drei  Jahren   das  Werk  erscheinen  konnte, 
wird  nicht  angemerkt;  wir  denken  nämlich  nicht,  dass  es  mit  der 
kaiserlichen  Akademie   der  Wissenschaften  zu  Wien  langer  Unter- 
handlungen bedurfte.     Das  Werk  enthält  die  Inschriften  von  etwa 
140  Fundorten  in   Siebenbürgen  und   den   angrenzenden  Ländern 
d.  h,  dem  alten  Dacien.     Wenn  man  sich  erinnert,  wie  bisher  die 
Inschriften  in  diesen  Gegenden  behandelt  und  veröffentlicht  wurden, 
so  wird  man  den  Herausgebern  hohes  Lob  zuertheilen,  da  sie  mit 
vieler  Sorgfalt,  grossem  Fleisse  und  mannichfachen  Kenntnissen  die 
Sammlung  veranstalteten  und  vorlegten.     Die  Inschriften  sind  genau 
auch  mit  den  Ligaturen  —  mit   den  Punkten   in  der  Mitte,    was 
nicht  überall  in  andern  Werken  geschieht  —  angeführt  (man  hätte 
die  Zahl  der  Zeilen   am  Rande   den  Inschriften  beifügen  können). 
Voraus  geht  eine  Angabe  des  Ortes,  der  früheren  Herausgeber  und 
eine  kurze  Beschreibung   des  Denkmals  und   wo  es  vorhanden  ist. 
Unter   den  Inschriften  folgen  Varianten,    kleine  Bemerkungen  und 
die  Paraphrase.     Man  sieht,    dass   die  Inschrift   nicht  viel  Raum 
einnimmt,  so  dass  auf  204  Seiten  976  Inschriften  aus  Dacien  ver- 
zeichnet sind.     Beigefügt  sind  eilf  indices  und  im  Abhang  52  aus- 
wärtige Inschriften,  welche  sich  auf  Dacien  beziehen.     Im  Ganzen 
genommen   können  wie   der  Methode   wie   der  Abfassung  und  der 
Erklärung  nur  unsern  Beifall  zuertheilen,    doch    erlauben  wir  uns 
einige  Fragen  und  Bemerkimgen.     Vorerst  wissen  wir  nicht,  welche 
Reihenfolge  in  den  Orten  beliebt  war;  manchmal  sind  die  Inschrif- 
ten desselben  Ortes  durch  mehrere  andere  Orte  getrennt,  wir  sehen 
nicht  ein,  aus  welchem  Grunde  z.B.  die  90  Inschriften  von  Värhely 
mehr  als  zwanzigmal  durch  Inschriften  anderer  Orte  getrennt  sind ; 
eben   so   stehen   von   den  14  Inschriften   von  Osztrova  kaum  zwei 
beieinander.     Ferner  hätten  die  unächten  und  verdächtigen  Steine 
am  Ende  der  einzelnen  Orte  oder  am  Schlüsse  des  ganzen  Werkes 
znsammengestellt  werden  können.     Die  Verf.  sind  überhaupt  etwas 
zti  nachsichtig.     Gerade  von  dem  oben  erwähnten  Orte  Vdrhely  sind 
mehrere  entschieden  unächt,  andere  schwer  verdächtig ;  und  da  war 
es  nicht  genug  einige  blos  mit  einem  Sternchen  zu  bezeichnen,  an- 
dere ohne  weiteres  für  acht  zu  halten  oder  zu  erklären.     Ohne  uns 
nun  in   Einzelnheiten   zu  ergehen,    wo   wir  anderer  Meinung  sein 


9M  Aokntr:  Dia  römtocfaeB  IcscbrlfteB  in  Dtdaa. 

möchten  oder  kleine  Unrichtigkeiten  im  Text  und  der  Paraphraee 
—  meist  als  Druckfehler  •—  uns  aufgestossen  sind :  fltgen  wir  Eini- 
ges bei,  was  wir  von  anderswoher  kennen  und  hier  yergebens  su- 
chen. Im  Mai  1864  wurde  zu  Yeczel  ein  Fragment  in  zwei  Siflcken 
zerbrochen  aufgefunden. 

PRINCIPI.ALA 

LHISP.CAi&AQ.ANTO 

NINIANA.INDVLGENTI 
IS.EIVS  AVOTA.LIBERALI 

T...IBVSQVE  DITATa. 
Dieselbe  ala  I  Hispanorum  Campagonum  ist  auch  sonst  von 
dort  bekannt,  siehe  N.  254,  wo  sie  noch  den  Beinamen  Philippica 
hat.  Ebendaselbst  wurde  im  nämlichen  Jahre  ein  Ziegel  von  den 
coh.  II  Flayia  Oommagenomm  gefunden,  der  um  so  mehr  einzu- 
reihen war,  da  so  wenig  Ziegel  mit  Inschriften  bisher  in  Dacien 
bekannt  sind.  (Vgl.  Mittheilungen  der  k.  k.  Central-Commissioa 
sur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Baudenkmale.  1865  8.  XGI). 
Vielleicht  ist  aber  vorliegendes  Buch  schon  gedruckt  gewesen,  als 
jene  Fragmente  gefunden  wurden.  Ebenso  ist  jetzt  erst  bekannt 
geworden  ein  Ziegel  im  bukarester  Kloster  der  S.  Saba,  auf  wel- 
chem deutlich  steht: 

LEGXmGETADI. 

Dieser  Ziegel  ist  desswegen  merkwürdig,  weil  auf  einem  Ziegel 
zwei  Legionen  erwähnt  werden ;  wir  führen  ihn  hier  aber  an,  weil 
gerade  diese  zwei  Legionen  lange  Zeit  in  Dacien  standen  (vgl. 
Mommsen  im  archäol.  Anzeiger  1865  S.  96).  Weiter  ist  zu  loben, 
dass  die  Verfasser  sich  bemühten,  jene  Inschriften,  deren  Fandort« 
Neigebaur  8.  282  ff.  nicht  genau  angeben  konnte,  einem  bestimm- 
ten Orte  zuzuweisen,  wiewohl  manches  noch  hiebei  fraglich  bleibt, 
sowie  auch  hier  zwanzig  Inschriften  ungewissen  Fundoris  am  Ende 
aufgeführt  sind,  namentlich  solche,  die  in  Privatsaromlangen  in 
Siebenbürgen  waren  oder  sind,  ohne  dass  der  nähere  Fundort  an- 
gefügt ist.  Hiebei  übersahen  die  Verfasser  den  Töpfemamen 
FOETIS,  der  auf  einer  Lampe  im  reformirten  CoUegium  zu  EInyed 
sich  findet  (Neigeb.  S.  289.  10).  Ebenso  finde  ich  nicht  alle  Le- 
gionsziegel aufgelührt  z.  B.  nicht  gerade  Neigeb.  8.  299,  6.  2, 
wiewohl  I  bei  Ackner  Nr.  ^71  steht.  Die  indices  endlich  sind  recht 
brauchbar;  sie  behandeln  die  alte  Geographie,  die  Gottheiten»  das 
kaiserliche  Haus,  die  Consuln,  die  Tribus  (hier  hätte  man  die  St&dta 
der  einzelnen  Tribus  beifügen  können),  die  Trnppenkörper  (hier 
steht  in  erster  Zeile  Asturorum,  wohl  nur  Druckfehler),  die  Com- 
mandanten  (warum  nicht  der  alte  Ausdruck?)  der  leg.  V  Maced. 
und  Xm  gemina;  die  Statthalter  in  Dacien  und  endlich  sonstige 
Personen  und  Sachen  (man  hätte  diese  trennen  sollen;  aach  aind 
die  cognomina  nur  bei  den  nomin.  gentil.  angegeben,  nicht  beson- 
ders aufgeführt)  und  zuletzt  die  Fundorte ;  wir  vermissen  ein  Ver* 


Berirftnd:  dOenl  diff^DtiaL  908 

zeichniss  der  Abkürzungen.  Unter  den  Inschriften,  welche  im  An- 
hang stehen,  weil  sie  answ&rts  gefrinden  auf  Dacien  sich  beziehen, 
bemerken  wir  B.  237  aoch  eine  Mainzer,  sie  war  aber  nicht  in 
Brinczenheim  wie  unrichtig  statt  Bretzenheim  steht  (nach  Gmter), 
sondern  stand  zuerst  in  Mainz  selbst,  wie  der  erste  Herausgeber 
Huttich  anno  1520  angibt.  Endlich  wünschen  wir  noch,  dasseine 
Karte  der  dacischen  Fundorte  beigegeben  wäre,  besonders  da  die 
bei  Neigebaur  ganz  unbrauchbar  ist.  Sonst  sind  wir  dem  Heraus* 
gcber  sehr  zu  Dank  verpflichtet,  da  er  seines  verstorbenen  Freun- 
des Sammlung  mit  schönen  und  gelehrten  Zusätzen  und  Nachträgen 
vormehrt  und  verbessert  uns  vorgelegt  hat:  jene  war  nach  etwas 
alten  Ansichten  angelegt  und  so  konnte  jetzt  nicht  alles  umgeän- 
<  dert  und  verbessert  werden,  wie  der  Herausgeber  ohne  Zweifisl  ge- 
wünscht hätte.  Eine  zweite  Ausgabe,  die  wohl  bald  erfolgen  dürfte, 
wird  diesem  kleinen  üebelstande  ebenfiEklls  abhelfen.  Klein« 


Tratte  de  Ctüad  diffireniial  et  de  Ctüaü  iniigral  par  J.  Ber^ 
trand,  Membre  de  rinsiüid,  Prof,  ä^Ecole  impir.  polyi.  et 
au  CoUige  de  France,  Caicul  differentiel.  Paris,  Oauthkr* 
VÜlars.  1864.  (XLIV  u.  780  S.  in  4.). 

Das  Werk,  von  dem  der  erste  Theil  —  die  Differentialrech- 
nung —  uns  vorliegt,  ist  auf  einen  grossen  Umfang  berechnet,  da 
eben  dieser  erste  Theil  nicht  weniger  als  780  Quartseiten  enthält. 
Es  ist  also  offenbar  die  Absicht  des  Verfassers,  die  Lehren  der 
hohem  Mathematik  in  umfassendster  Weise  darzustellen,  so  dass 
nach  seiner  Vollendung  das  Buch  — •  wenn  wir  ein  Beispiel  brau- 
chen dürfen  —  das  für  unsere  Zeit  sein  soll,  was  das  grosse  Werk 
von  Lacroix  für  seine  Zeit  war.  Dagegen  lässt  sich  natürlich  Nichts 
einwenden,  da  solche  Schriften  für  diejenigen,  die  mathematische 
Studien  als  Lebensaufgabe  betreiben,  von  grösster  Wichtigkeit  sind 
und  viele  (verlorene)  Mühe  ersparen  dadurch,  dass  sie  eine  grosse 
Beihe  von  Einzelheiten  enthalten,  die  in  den  Lehrbüchern,  und  auch 
den  ausführlicheren,  fehlen.  Die  Leser  dieser  Blätter  werden  es 
desshalb  ganz  in  Ordnung  finden,  wenn  wir  ihnen  den  Lihalt  des 
ersten  Bandes,  der  erst  erschienen  ist,  übersichtlich  vorführen,  wo- 
bei wir  eine  oder  die  andere  Bemerkung  zufügen  wollen. 

Wir  von  unserm  Standpunkte  aus  wünschen  die  Darstellung 
der  hohem  Mathematik  nach  der  Methode  der  Gränzen  in  aus« 
schliesslicher  Weise,  da  sie  —  vrie  schon  oft  gesagt  und  an  den 
gcgentheiligen  Schriften  auch  nachgewiesen  —  allein  zur  vollen 
Klarheit  führt.  Zur  Bequemlichkeit  der  Herren  Professoren  der 
Mechanik  und  angewandten  Mathematik  kann  man  noch  immerhin 
die  unendlich  Kleinen  auftreten  lassen,  die  dann  erst  verstanden 
werden.     Der  Verf.  des  vorliegenden  Buches  ist  hiomit  nicht  ganz 


J 


•04  Bertrand:  Calcnl  aUTtfoiitiftL 

einverstanden,  da  bei  ihm  die  unendlich  kleinen  GrGssen  eine  gtoftse 
Bolle  spielen;  wir  werden  desshaib  mehrfach  auf  seine  Beweisart 
eingehen,  nm  unsere  so  eben  aufgestellte  Behauptung  an  ihm  selbst 
zu  bekräftigen. 

Die  Vorrede  enthält  eine  Geschichte  der  Entdeckung  der  Dif- 
ferentialrechnung, oder  wenn  man  lieber  will,  des  bekanntlich  etwas 
unerquicklichen  Streites  zwischen  (den  Anhängern  von)  Newton 
und  Leibnitz.  Darauf  folgt  eine  üebersicht  des  Inhalts  des  Tor- 
liegenden  ersten  Bandes  mit  fortwährender  Beachtung  der  Ge- 
schichte der  Wissenschaft.  Obwohl  sehr  interessant,  wollen  wir 
auf  diesen  Theil  des  Buches  nicht  eingehen,  da  es  uns  gar  nicht 
am  Herzen  liegt,  in  Bezug  auf  Genauigkeit  oder  üngenauigkeit  der 
Angaben  eine  Untersuchung  anzustellen,  es  auch  für  die  Wirkung 
des  Werkes  ziemlich  gleichgitlig  ist,  ob  die  hier  gelieferte  Ge- 
schichte der  Wissenschaft  richtig  ist  oder  nicht.  Wir  wenden 
uns  also  zum  Buche  selbst. 

Wir  begegnen  da  zuerst  der  bekannten  Definition  der  unend- 
lich kleinen  Grössen,  die  natürlich  scharf  gefasst  ist,  über  die  wir 
uns  also  auch  nicht  weiter  yerbreiten  wollen.  Dasselbe  gilt  tob 
der  Erklärung  der  unendlich  kleinen  Grössen  yerschiedener  Ord- 
nungen. Hierauf  will  der  Verf.  nun  zeigen,  dass  wenn  <p{x)  irgend 
eine  Funktion  von  x  ist,  h  ein  Zuwachs  von  x,  die  Grösse  9(x-|-fa) 
—  9(x)  ein  unendlich  Kleines  erster  Ordnung  ist,  in  Bezug  anf  die 

unendlich    kleine   Grösse  h.     Dazu   gehört,    dass  — — ~^-^r — — — 

n 

mit  unendlich  kleinem  h  gegen  einen  bestimmten  Werth  geht. 
Gerade  das  wird  aber  nicht  bewiesen,  sondern  blos  gezeigt,  dass 
jener  Bruch  nicht  für  jeden  Werth  von  x  zu  Null  oder  unendlich 
wird.  Ob  es  aber  nicht  nothwendig  ist,  zu  zeigen  dass  der  frag- 
liche Quotient  nicht  unbestimmt  wird?  Wir  halten  den  ganzen 
Beweis  allerdings  für  überflüssig,  aber  wenn  er  einmal  versacht 
wird,  so  sollte  er  vollständig  durchgeführt  werden.  Zudem  siebt 
man  nicht  recht  ein,  warum  für  besondere  Werthe  von  x der 
Beweis  nicht  zulässig  ist.     Wenn   also  der  Verf.  in  §.  8  beginnt: 

„Welches  auch  die  Funktion  <p{x)  sei,  das  Verhältniss  ^- — ^^-r- — ^-^ 

hat  eine  endliche  Gränze,  wenn  h  gegen  Null  strebt'S  so  ist  dieser 
Satz  —  unserer  Meinung  nach  —  nicht  erwiesen«  Dass  die  hieraus 
gefolgerten  Sätze  ebenfalls  zweifelhaft  werden,  ist  natürlich.  Be- 
gleich der  erste:  „Wenn  die  Koordinaten  der  Punkte  einer  Kurve 
als  Funktionen  einer  Grösse  a  ausgedrückt  sind,  so  ist  die  Ent- 
fernung zweier  unendlich  naher  Punkte  der  Kurve  von  derselben 
Ordnung  mit  dem  Unterschiede  der  Werthe  von  a,  denen  sie  zu- 
gohören."  Aehnliche  Sätze  werden  für  krumme  Oberflächen  auf- 
geführt und  als  Beispiel  für  unendlich  Kleine  der  zweiten  Ordnung 
der  Krümmungskreis  angedeutet. 

Nachdem  der  allgemeine  Satz  der  Ersetzung  unendlich  kleiner 


Berirand:  Galen!  diff^ential.  905 

Grössen  dnreh  andere  erwiesen,  wird  gezeigt,  wie  man  diese  un- 
endlich kleinen  Qrössen  bei  Auflösung  Ton  Aufgaben  verwenden 
könne.  Als  erste  dieser  Aufgaben  ist  die  Bestimmung  der  Tan- 
gente an  einige  Eurren  behandelt.  „Zur  Abkürzung*'  sagt  man, 
es  sei  ein  Punkt  mit  dem  „unendlich  benachbarten'*  zu  verbinden : 
so  drückt  sich  der  Verfasser  ganz  richtig  aus,  nachdem  er  die 
klare  und  unzweideutige  Definition  nach  der  Oränzmethode  gege- 
ben. Dagegen  haben  wir  selbstverständlich  Nichts  einzuwenden. 
Der  Verf.  zeigt  nun  an  ziemlich  verwickelten  FäUen  sehr  allge- 
meiner Art,  wie  sich  die  Tangente  bestimmen  l&sst,  wenn  nur  das 
Bildnngsgesetz  der  Kurve  bekannt  ist. 

Die  Tangentialebene  erklärt  der  Verfasser  als  diejenige  Ebene, 
welche  (in  dem  Berührungspunkt)  die  Tangenten  an  aUe  Kurven 
auf  der  krummen  Oberfläche,  die  durch  diesen  Funkt  gelicn,  in 
sich  enthält.  Das  ist,  unserer  Anschauung  nach,  die  allein  richtige 
Erklärung,  und  wenn  man  die  analytische  G^eometrie  zu  Hilfe  neh- 
men darf,  so  lässt  sich  auch  leicht  zeigen,  4^S8  diese  Ebene  exi- 
stire.  Hievon  konnte  aber  hier  nicht  Gebrauch  gemacht  werden, 
und  der  Verf.  hat  desshalb  geometrische  Betrachtungen  angewendet. 
Wir  sind  jedoch  nicht  in  der  Lage  gewesen,  seinen  Beweis  recht 
zu  verstehen.  Sei  M,  sagt  er,  der  Bertihrnngspnnkt ;  MP,  MQ  zwei 
Kurven  auf  der  Oberfläche  (die  durch  M  gehen),  so  kann  man  durch 
die  Tangenten  an  diese  beiden  (in  M)  eine  Ebene  legen,  von  der 
zu  erweisen  ist,  dass  sie  auch  die  Tangente  an  eine  beliebige  dritte 
Kurve  MB  enthält.  Diese  Kurve  betrachtet  der  Verf.  als  „Gränz- 
lage"  einer  Kui-ve  R'R",  die,  indem  sie  MP,  MQ  beständig  in  A, 
B  schneidet,  sich  eben  dieser  Gränzlage  unbegränzt  nHhert.  Das 
scheint  uns  nicht  klar,  jedenfalls  etwas  arg  küntlich  und  gleich  zu 
Lingang  eines  Werkes  nicht  einladend. 

So  werden  noch  die  Längen  von  Bögen  einiger  Kurven  be- 
stimmt und  namentlich  der  Bogen  der  abgewickelten  Kurve  ermit- 
telt. Den  Schluss  des  ersten  Kapitels  bilden,  wie  bei  allen  fol- 
genden, „üebungen'^,  die  jeweils  eine  Eeihe  sehr  interessanter  Sätze 
enthalten. 

Nach  diesen  Einleitungen  gelangen  wir  zur  Theorie  des  Dif- 
forentialquotienten  (dörivöe  nennt  ihn  der  Verfasser).     Das  ist  der 

Gränzwerth    von  —      '     .; ?-^,  von  dem  freilich  nicht  bewiesen 

n 

ist,    dass   er   einen  bestimmten  Werth    (une  limite  döterminöe, 

wie  der  Vei-f.  sagt)  habe.     Hierauf  werden  die  Differdntialquotienten 

der  einfaclicn  Funktionen  bestimmt,  wo  z.  B.  vorausgesetzt  ist,  dass 

i_ 

der  Gränzwerth  von  (1-j-a)*^^  die  Gnindzahl  der  natürlichen  Lo- 
garithmen sei.  Diese  Logarithmen  bezeichnet  der  Verf.  übrigens 
auch  durch  l(x). 

Sodann  zeigt  der  Verf.,  wie  man  die  Differentialquotienten  der 
umgekehrten  Funktionen  aus  denen  der  unmittelbaren  findet.    Ist 


006  BtrtrftBd:  Cdmd  dUrimHia. 

j  =  9>(x)  und  folgt  daratu  x=^(y),  bo  i8t^^^(x)^'(y)=-l.  Wir 
halten  einen  Beweis  dieses  Satzes  für  überflflssig,  da  er  ja  nur  ein 
besonderer  Fall  des  Satzes  der  Differenzirang  Ton  znsammenge- 
setzton  Funktionen  ist.  Dabei  ist  übrigens  zu  bemerken,  dass  der 
Verf.  die  umgekehrten  Funktionen,  wie  arc  sin  x  n.  s.  w.  yiel- 
dentig  nimmt,  was  wir  entschieden  für  verwirrend  halten. 

Hierauf  erscheint  nun  der  eben  angeführte  Satz,  worauf  die 
Sfttze  für  dieDi£ferenzirung  eines  Produkts  a.8.w.  aufgestellt  werden. 
Vermisst  haben  wir  dabei  die  Differenzimng  einer  Summe.  Dass 
Vi  — Bln'x  ohne  Weiteres  gleich  cosx  zu  setzen  ist,  wie  es  der 
Verfasser  thut,   ist  nicht  gestattet.     So  findet  er  ab  Difierential- 

quotionten  von  j=V^i — r,-^  den  Werth  .     Dieser    letz- 

i  — Binz  1— smx 

tere  ist  nun  unbedingt  positiv,  woraus  folgen  würde,  dass  y  mit  x 

7t 

beständig  wachse,  was  nur  von  o  bis  -•  der  Fall   ist.       Ob   nun 

2 

solche  Widersprüche  nicht  in  Verwirrung  bringen  müssen? 

Das  Differential  von  (p  (x)  wird  aus  der  (richtigen)  Gleichung 
g>  (x  +  h)  —  9  (x)  =  h  9*  (x)  +  ha  erklärt,  wo  s  selbst  unendlich  klein 
ist  mit  h,  indem  man  die  Differenz  9)(x-}-h)— 9>(x)  gleich  hg) H^) 
setzt,  und  also  „einen  unendlich  kleinen  Theil  ihres 
Werthes  vernachlässigt."  Wie  früher  erwiesen,  kann  also 
hqp'(x)  statt  g)(x  +  h)— 9)(x)  bei  unendlich  kleinem  h  gesetzt  wer- 
den in  jedem  Probleme,  wo  es  sich  um  ein  Verhältniss  oder  eine 
Summe  unendlich  kleiner  Grössen  handelt.  Setzt  man  h  =  dx,  nnd 
9?'(x)dx  =  d9(x),  so  ist  also  das  Differential  nicht  gleich  9(x-i-dx) 
—q)(x)y  sondern  kann  diese  Differenz  nur  in  den  so  eben  genann- 
ten Fällen  ohne  Fehler  ersetzen.  In  dieser  Form  des  Ansdracks, 
die  der  Verf.  braucht,  können  wir  der  Theorie  der  unendlich  Klei- 
nen natürlich  zustimmen ;  aber  man  wird  uns  die  Frage  gestatten, 
wozu  das  Alles  notbwendig  sein  soll?  Diese  Frage  stellt  sich  der 
Verf.  denn  auch,  da  es  scheine  „es  biete  die  Anwendung  des  Dif- 
ferentials keinen  wirklichen  Vortheil  dar"  (S.  42).  Das,  wa3  er 
aber  sagt,  ist  Alles  erst  richtig,  wenn  es  bewiesen  ist.  Wenn  aus 
y=9(x)   gefolgert  wird   dy  =  9'(x)dx,    so  kann  er  hieraus  die 

Gleichung  dx  =  — rr-rdv  doch  nur  schliessen,  wenn  er  bewiesen 
hat,  dass  das  Produkt  der  beiden  Differentialquotienten  (im  streng- 
sten Sinne  des  Wortes)  -r^,  —  gleich  1   ist.     Was  hat  man    nun 

aber  dadurch  gewonnen? 

Wenn  nun  auch  die  Differentiale  von  Funktionen  mehrerer  un- 
abhängig Voränderlicben  ermittelt  werden  sollen,  so  werden  wir  in 
etwas  grösserem  Maassstabe  auf  die  „Vernachlässigungen"  geratben. 
Wir  müssen  übiigens  hier  tibermals  ein  Bedenken  äussern.  Bleiben 
wir   bei    dem    oben    gegebenen  Ausdrucke    von   9>  (x -}"  h)  —  9>  W 


B«rirtnd:  Cidevl  diff^rantlaL  907 

stehen,  so  setzt  hier  der  Yerf.  yorans,  dass  €  ein  unendlich  Elei« 
nes  erster  Ordnung  (mindestens)  sei.  Das  ist  nirgends  erwiesen« 
Es  ist  allerdings  unendlich  klein;  aber  ist  nicht  auf  v/'h  unend- 
lich klein  mit  h  und  doch  nicht  der  ersten  Ordnung.  Wenn  also 
(§.  54,  S.  48)  von  einer  Veruachlässigung  unendlich  kleiner  Or()ssen 
zweiter  Ordnung  gesprochen  wird,  so  ist  dies  unrichtig  und  das 
Wort  gelegentlich  eingeschmuggelt.  Das  gilt  natürlich  wieder  bei 
der  Ableitung  des  Differentialquotienten  zusammengesetzter  Funktio- 
nen (S.  54).  Welche  Umständlichkeit  die  „Methode  des  unendlich 
Kleinen*'  nöthig  hat,  um  einfache  S&tze   klar  zu  erweisen,   zeigt 

dy 
§.  60.  Aus  der  Gleichung  (p(Xfj)  =  0  soll  -p  gesucht  werden.  Dar- 
aus folgt^   dx  -|-  j^dy=0,  woraus  u.  s.  w.     Hier,  meint  der 

Verf.,  konnte  leicht  eine  &]8che  Anschauuung  unterlaufen,  wenn 
man  die  Qleichung  benütze,  indem  man  in  Versuchung  kommen 
könnte,  auch  hier  unendlich  Kleine  der  zweiten  Ordnung  als  yer- 
nachlässigt  anzusehen.  Dass  dem  nicht  so  ist,  zeigt  er  dann. 
Warum  aber  nicht  in  den  immer  klaren  Orundanschauungen  blei- 
ben, yielmehr  lieber  Sätze  auf  Sätze  aufthürmen? 

Wie  leicht  man  überhaupt  hier  fehlen  kann,  ist  wohl  ans  den 
arg  komplizirten  Betrachtungen  des  §.  65  klar. 

Das  dritte  Kapitel  behandelt  die  „Determinate  eines  Systems 
Ton  F^nktionen'^  Die  eigentliche  Theorie  der  Determinanten  wird 
vorausgesetzt  und  nur  einige  Sätze  aus  der  Theorie  der  „Funktional- 
Determinanten*'  nachgewiesen.  Die  Beweisart  ist  eigenthümlich, 
und  wenn  auch  die  unendlich  kleinen  Qrössen  eine  Bolle  darin  spielen, 
lässt  sie  sich  doch  wohl  auch  in  der  andern  Ausdrucksform  an- 
wenden. 

Der  Verf.  geht  nun  zu  den  Anwendungen  auf  analytische 
Geometrie  über  und  behandelt  zunächst  die  Tangenten  und  Nor- 
malen an  ebene  Kuryen,  wozu  eine  Beihe  Beispiele  gegeben  wer- 
den. Die  Darstellung  ist  erschöpfend,  wie  sich  dies  bei  einem  Werke 
yon  diesem  umfang  als  sclbstyerständlich  erwarten  lässt.  Hierauf 
werden  die  Kuryen  doppelter  Krümmung  und  die  krummen  Ober- 
flächen (Tangenten  und  Tangentialebenen)  betrachtet.  Als  weitere 
Anwendung  erscheinen  die  einhüllenden  Kuryen  und  Flächen  mit 
einer  Anzahl  wichtiger  Beispiele. 

Auch  der  nächste  Abschnitt  ist  im  Grande  geometrischen  An- 
wendungen gewidmet.  Das  Differential  einer  ebenen  Fläche  wird 
in  wenig  ptrenger  Weise  gefunden,  da  yorausgesetzt  wird,  das  be- 
kannte Dreieck  sei  unendlich  klein  der  zweiten  Ordnung.  Die 
Differentiale  der  Kuryenbögen  bei  rechtwinkligen  und  Folarkoordi- 
naten,  so  wie  in  einem  System  krummliniger  Koordinaten  (Lam^) 
werden  sodann  in  eingehender  Weise  betrachtet,  worauf  zur  ana- 
lytischen Theorie  zurückgegangen  wird. 

Die  Differentiale  höherer  Ordnung  werden  aus  dem  der  ersten 


4 


t06  Bertrtnd:  Calevl  aifTilmitiftl. 

OrdnuDg  abgeleitet,  zngleich  aber  aaeb  ans  den  Differenzen  z/y, 
^•y,  ...  Dabei  siebt  sieb  der  Verf.  genötbigt  zu  erläutern,  d&ss 
zwischen  den  Differentialen  höherer  und  denen  erster  Ordnung  ein 
wesentlicher  Unterschied  sei  (S.  137);  die  letztem  sind  völlig  be- 
stimmt, die  erstem  sind  es  nicht,  so  lange  man  sich  nicht  über 
die  nnabhängig  Yernnderlicbe  entschieden  hat.  Es  liegt  wohl  nuhe 
zu  fragen,  ob  dieser  „wesentliche  Unterschied"  in  der  Natur  Her 
Sache,  oder  in  der  Methode  der  Darstellung  begröndet  sei?  Wir 
meinen  das  Letztere,  und  es  ist  dies  itlr  uns  ein  Orund  mebr. 
diese  Methode  der  Differentiale  zu  verwerfen.  Wenn  man  sich  anf 
Differentialquotienteu  einschränkt,  so  ist  man  all  diesen  wunder- 
lichen Unterscheidungen  und  Spitzfindigkeiten  überhoben,  die  man 
sich  ganz  unnöthiger  Weise  selbst  bereitet  hat. 

Der  Verfasser  bestimmt  nun  eine  Reihe  höherer  Differential- 
quotienten (die  er  immer  d^rivöes  nennt),   wobei  er  sich  nament- 

d"g)(u) 
lieh  auch  mit  der  Aufgabe  beschäftigt,  die  Grösse  — T.  \  zu  fin- 
den, wenn  u  eine  Funktion  von  x  ist.  Die  allgemeine  Formel  wird 
auf  eine  Anzahl  verhältnissmässig  zusammengesetzter  Fälle  ange- 
wendet, worauf  die  Werthe  von  gewissen  (hohem)  Differential- 
quotienteu für  den  Fall,  dass  die  unabhängig  Veränderliche  Nnll 
werde,  bestimmt  sind. 

•r.        »  .       AM   .       ,  d'u  d'u        .   ,  V 1 

Der  allgemeine  Satz,  dass  -; — r—  —  ,     ,     wird  klar  erwiesen, 

dxdy       dydx 

und  dann  die  »Differentiale«  von  Funktionen  mehrerer  Veränder- 
lichen behandelt.  Dass  der  Verf.  gezwungen  wird  (S.  160)  w 
sagen,  dsss  seine  Formeln  > nicht  mehr  anwendbar  sind«,  wenn  in 
9  (Pi  ^)  die  Grössen  p  und  q  selbst  von  andern  Grössen  abhängen, 
ist  sicher  verwirrend,  nachdem  der  Ungeübtere  aus  dem  Vorher- 
gehenden hat  schiiessen  wollen,  dass  eben  Alles  in  derselben  Weiie 
verlaufe. 

Der  folgende  Abschnitt,  über  die  Aenderung  (Vertauschnng) 
der  Veränderlichen  beginnt  mit  einer  Einleitung,  die  unserer  Mein- 
ung nach,  nicht  zur  Empfehlung  der  Methode  beiträgt.  Ist  y=i*> 
so  erhält  man  d^y=  12x*dx^;  setzt  man  weiter  x*''  =  u,  so  ergibt 
sich  y=ru',  und  da  du  =  2xdx:  d'y  =  8x*dx'.  Das  stimmt  nicM 
mit  dem  vorhin  Erhaltenen  und  ist  auch  nicht  richtig;  aber  mos» 
ein  solcher  Zustand  nicht  verwirren?  Der  Verf.  führt  die  hier  vor- 
liegende Aufgabe  sehr  ausführlich  durch,  und  wenn  wir  von  der 
Methode  absehen,  lässt  sich  dagegen  Nichts  einwenden. 

Den  weitem  Abschnitt,  über  die  Bildung  der  Differential- 
gleichungen, der  die  Elimination  der  willkürlichen  Konstanten  nnd 
Funktionen  und  damit  zusammenhängend  die  partiellen  Differential- 
gleichungen gewisser  kniramer  Flächen  sehr  ausführlich  behandelt, 
tibergehen  wir,  da  wir  nichts  Besonderes  dagegen  zu  erinnern  haben. 
Hiemit  schliesst  das  erste  Buch. 


i 

L 


Bei ifanü:  Caliml  diff^tentUl.  MO 

Das  zweite  behandelt  die  Beihenentwieklungen  (S.  225—522). 
Als  erster  AbBohnitt  erscheint  eine  allgemeine  Theorie  derBeihen, 
bezüglich  deren  Convergenz  oder  Divergenz.  Die  Darstellung  ist 
im  höchsten  Grade  ausführlich,  so  dass  man  sich  in  diesem  Buche 
völlig  Bath  haben  kann.  Dass  wir  uns  nicht  auf  eine  Herzäfalung 
der  einzelnen  Sätze  einlassen  können ,  liegt  auf  der  Hand.  Der 
zweite  Abschnitt  behandelt  das  Theorem  von  Taylor.  Zuerst 
wird  die  ursprünglich  von  Taylor  gegebene  Ableitung  aufgeführty 
von  der  gesagt  wird,  »cette  d^monstration  n*est  pas  rigourouse.« 
Der  Beweis  des  Werkes  scheint  uns  aber  auch  nicht  klar.  Bei 
der  fundamentalen  Bedeutung  des  Satzes  wollen  wir  dies  näher 
erörtern«  Nachdem  gezeigt  ist,  d^ss  wenn  eine  Formel  q>  (x)  Null 
für  x  =  a  und  x=b,  noth wendig  ihr  Differentialquotient  Null  wer- 
den muss   für  einen  Werth  von  x  zwischen  a  nud  b,   setzt   der 

Verf.   die   Grösse  y  (x)  +  ^^  y  i  (x)  -}- ..  -}-  ^^^^^  9" (^)  +  R 

gleich  9(X),  wo  x,  X  zwei  gegebene  beliebige  Zahlen  sind.    Dann 

(X-x)'*+^ 

setzt  er  B  =  — ; r—  P,  wo  P  zu  bestimmen  ist.     Setzt  man 

1  .  .  n+l 

hier  statt  x  die  Veränderliche   z,  so  ist  die  Differenz  (p  (X) — ^^(z) 

-... -^= -y"W-    .  A..  PNullfürz  =  xundfürz=X; 

1  ..n    ^  ^  ^  1   .,  n+l  ' 

also  kann  man  den  Hilfssatz   darauf  anwenden.     Als  Differential- 

..     .            V         -u*                     CX— z)"     n+l,,  ,   (X-z)«. 
quotienten  nach  z  gibt  er  nun :j ip    '    (z)  -| — :j P ; 

er  betrachtet  also  P  als  uuabhängigvon  z,  was  so  kurz- 
weg nicht  gestattet  ist.  Da  diese  Grösse  Null  werden  muss  für 
einen  Werth  von  z  zwischen  x  und  X,  so  ergibt  sich  daraus  leicht 
P  in  der  bekannten  Form.  Der  Beweis  des  Satzes  ist  hiernach 
nicht  richtig  geführt,    um  die  »zweite  Form«  zu  finden  setzt  der 

Verf. :  ^(X)  =  9>(x)  +  (X-x)  q>\x)  +  ...  +  Sl^^.(x)+(X-x) 

P.  Auch  hier  bildet  er  den  Difierentialquotienten  von  9>(X) — ^{z) 

rj z)" 

—  ... 9"(z)--(X— z)  P,  indem  er  P  als  von  z  un- 
abhängig behandelt  (ohne  das  freilich  bestimmt  auszusprechen 

(X— — zV    n  !  1 

und  erhält  als  solchen:  — -i ^-<P         (z)-|-P,   was   entschieden 

unrichtig  ist«  Eine  »dritte  Form«  wird  eben  so  abgeleitet.  Es 
lässt  sich  die  Darstellung  allerdings  so  einrichten,  dass  der  ge- 
rügte Fehler  nicht  vorhanden  ist;  doch  ist  dies  im  Buche  eben 
nicht  geschehen,  auch  ist  selbst  dann  die  Ableitung  eine  künstliche. 
Die  Anwendungen  des  Taylor^schen  Satzes  sind  natürlich  sehr 
zahlreich.  Bei  dem  Binom  (l-J-x)"  wird  gezeigt,  dass  das  Br- 
gänzangsglied  verschwindet,  wenn  x^  unter  1 ;  was  den  Fall  x'r=l 


»10  B«rirtii4:  Oftleul  dUf^iittal. 

betrifit,  BO  wird  nniemobt,  waiio  die  Beiben  nocb  konTergiren,  xmcl 
dann  kurzweg  angenommen,  dssB  ibre  Summe  eben  noch  (1-^x)* 
sei,  was  man  nicht  darf. 

Der  folgende  AbBcbnitt  behandelt  die  Reiben  von  Bemoolli 
den  Lagrangescben  und  Bflrraann'seben  Sats  mit  ihren  Anwendm- 
gen,  die  Methode  der  unbestimmten  Koeffizienten,  die  Theorie  der 
fonctions  gönöratrioes  von  Laplace,  die  Bemonllischen  Zahlen  wi 
die  Legendreschen  Funktionen  X..  Der  Bflrmann'sche  Satz  ist  aoi 
dem  Lagrangeschen  gefolgert,  was  uns  verkehrt  scheint;  letzterer 
selbst  nach  Laplace  bewiesen.  Dass  man  dabei  die  Hauptfrage, 
welche  Wurzel  erhalten  werde,  nicht  löst,  ist  bekannt,  und  aadi 
der  Verf.  meint,  dass  er  sie  >en  ce  momentc  nicht  lösen  kösie, 
so  dass  er  in  einem  spftteren  Abschnitte  wieder  auf  dieselbe  zurfiek« 
kommen  werde«  Die  Methode  der  unbestimmten  Koeffizienten  wird 
angewendet,  aber  als  nicht  genau  erklärt.  Dass  solche  halb  rieb- 
tige  S&tze  aber  in  einem  Fundamentalwerk  nicht  erscheinen  sollen, 
halten  wir  fUr  so  ausgemacht,  dass  wir  fOglich  weiteres  Eingeho 
sparen  können. 

Der  vierte  Abschnitt  ist  der  Theorie  imagin&rer  Fanktionei 
gewidmet,  wobei  namentlich  auch  die  Entwicklungen  io  Beibeo 
behandelt  sind,  während  der  fünfte  den  Tajlor'schen  Satz  auf 
Funktionen  mehrerer  Veränderlichen  ausdehnt ,  was  auch  fttr  den 
Lagrangeschen  geschieht. 

Der  nächste  Abschnitt  behandelt  die  unendlichen  Produkte. 
Aus  sehr  begreiflichen  Gründen  werden  nur  Produkte  der  Form 
(l-|-ai)  (l-f-^a)*"*  untersucht,  in  deren  a.  gegen  Null  geht  vit 
unendlich  wachsendem  n.  Sind  alle  a  von  gleichem  Zeichen,  so 
sind  (l  +  Äi)  (l-j-^a)"*  ^^^  «j+aj"}""'  ^^  gleicher  Zeit  kon- 
vergent und  divergent.     Wenn  angenommen  wird,  ee  sei  l(l-f  ^) 

=k ^,  wo  e  kleiner  als  1 ,   so  ist  diese  Annahme  für  ein  ne 

k^     k^ 
gatives  k  unzulässig,  da  aus  1(1— k)  =  —k—-r~-^  — ...  doch  so» 

fort  heorvorgeht,  dass  8  &ix  diesen  Fall  grösser  als  1  wird.  Ibso- 
feme  also  die  Beweisführung  sich  auf  diesen  Satz  stützt,  und  des 
Fall  des  negativen  k  beachten  will,  ist  sie  unsicher  geworden. 
Damit  natürlich  sind  die  Folgerungen,  die  sehr  zahlreich  sind,  ii 
ähnlicher  Lage,  namentlich  der  Beweis  für  die  Richtigkeit  des  be- 
kannten unendlichen  Produkts  für  sin  x,  der  überhaupt  hier  sehr 
künstlich  geführt  wird. 

Zu  den  Reihenentwicklungen  ist  ein  weiterer  Abschnitt  über 
die  Entwicklung  in  unendliche  Kettenbrüche  gefügt,  von  der  nbl- 
reiche  Beispiele  gegeben  werden,  worauf  dann  die  Cauchy'sche  Best- 
rechnung theoretisch  und  praktisch  erörtert  wird. 

Zur  eigentlichen  Differentialrechnung  gehört  wieder  die  Unter* 
suchung  der  »unbestimmten  Formenc,   die  mit  gehöriger  Scb&rffl 


Berirftüd:  Caleol  aiff4r«iitUl  911 

dnrchgefUhrt  wird,  der  dann  die  Theorie  der  ansgeaeiclmeten  Punkte 
der  Kurven  nnd  Fl&efaen  beigegeben  ist. 

Die  Theorie  der  Maxima  und  Minima  ist  auf  die  Anwendung 
der  Taylor'schen  Beihe  gebaut  und  mit  einigen  zusammengesetzten 
Aufgaben  erläutert.  Die  Maxima  und  Minima  für  Funktionen  meh- 
rerer Veränderlichen  leiten  sich,  nach  unserer  Anschauung,  nicht 
klar  aus  dem  Taylor*schen  Satze  ab,  wie  hier  geschehen,  und  bei 
den  »relativen  Maxima  und  Minimac  sofort  unendlich  kleine  Zu- 
wächse annehmen,  widerstreitet  der  vorangehenden  Darstellung. 
Die  Aufgabe :  ein  Vieleck  aus  gegebenen  Seiten  so  zu  bilden,  dass 
die  Fläche  ein  Maximum  sei,  ist  schon  desshalb  nicht  gut  gelöst, 
dass  die  Anzahl  der  angenommenen  Unbekannten  2  n  ist  (S  508) 
und  man  nur  2n— 1  Gleichungen  findet.  Die  künstliche  Lösung 
Tschebitscheflfs  der  Aufgabe:  einen  Ausdruck  zu  suchen  der,  inner- 
halb gewisser  Oränzen,  sich  am  wenigsten  entfernt  von  einer  ge- 
gebenen Funktion,  ruht  nicht  auf  klaren  Gründen.  Es  sollte  die 
Aufgabe,  scheint  es  uns,  mittelst  der  Methode  der  kleinsten  Qua- 
drate gelöst  werden,  wie  denn  die  zwei  Aufgaben  S.  118 — 128 
meiner  dahin  bezüglichen  Schrift  besondere  Fälle  der  allgemei- 
nen sind. 

Das  dritte  Buch  enthält  Anwendungen  der  Differential- 
rechnung auf  Geometrie  (S.  528 — 763).  Wir  begegnen  hier  den 
Untersuchungen  über  Krümmung  ebener  Kurven  mit  all  der  zu  er- 
wartenden Ausfährlichkeit  und  auch  mit  der  Anwendung  der  krumm- 
linigen Koordinaten,  so  wie  der  abgewickelten  Kurven ;  weiter  der 
Theorie  der  Berührungen  verschiedener  Ordnungen  (abgeleitet  nach 
Lagrangescher  Weise  aus  dem  Taylor^  sehen  Satze) ;  hierauf  der  Be- 
trachtung der  Krümmung  der  Kurven,  die  auf  einer  Kugel  ver- 
zeichnet sind,  wobei  im  Wesentlichen  dieselben  Gegenstände  zur 
Sprache  kommen,  die  bei  den  ebenen  Kurven  erörtert  wurden. 

Nunmehr  wird  die  Theorie  der  doppelt  gekrümmten  Kurven 
aufgestellt,  und  zwar  wird  zuerst  die  Krümmungsebene  in  etwas 
künstlicher  Weise  definirt,  statt  sie  anzusehen  aJs  die  Gränzlage 
aller  durch  drei  Punkte  der  Kurve  gehenden  Ebenen,  worauf  die 
alle  Krümmungsebenen  einhüllende  Oberfläche  bestimmt  wird.  Die 
beiden  Krümmungen  einer  doppelt  gekrümmten  Kurve  werden  de- 
finirt und  ermittelt,  worauf  noch  einige  andere  hierher  gehörige 
Aufgaben  gelöst  werden.  Eben  so  wird  nun  die  Krümmung  der 
Oberfläche  in  bekannter  Weise  untersucht,  die  Normalen  an  die- 
selben näher  betrachtet,  dessgleichen  die  Krümmungslinien ,  was 
Alles  durch  Beispiele  erläutert  wird. 

Endlich  werden  die  geodätischen  Linien  auf  einer  krummen 
Oberfläche  einer  eingehenden  Untersuchung  unterzogen,  wobei  die 
Gauss*8che  Theorie  angewendet  wird,  sowohl  in  Bezug  auf  das 
Maass  der  Krümmung  als  die  Abwicklung  der  krummen  Flächen 
auf  einander.  Die  Behandlung  dieser  Theorie  ist  übrigens  im 
WesMitlichen  geometrisch,  indem   auf  solchem  Wege  die  Haupt- 


dlä  Kephärovioli:  VoitrSc^e  Über  Ulnehdogl«. 

Bätze,  die  Oanas  aufgestellt,  nacfagewieaen  werden.  Eine  alpbabe- 
tische  > Table  analjtique«,  also  eine  Art  ausfübrlicben  InbaltsTer- 
zeiobnisses  scblieBst  das  Werk,  das  bei  seiner  umfassenden  Dar- 
stellung und  Benützung  des  heute  yorhandeuen  Materials  to& 
grÖBster  Wichtigkeit  ist.  Dr.  J.  Dienger. 


Krysiaüoifraphisehe  Wandtafeln  für  Verträge  über  Mineralogie  an 
höhertii  und  niedtren  Lehranstalten  von  Dr.  Victor  Rültr 
von  Zepkarovichf  k.  k.  Professor  der  Mineralogie  an  der 
Prager  Universität.  Erste  Lieferung.  No.  l-^IL  Plenotessirak 
Formen.  Prag.  gr.  Fol.  Buchhandlung  von  11.  Dominieue.  1805. 

Bekanntlich  bietet  der  krystallographische  Theil  der  Mineralogie 
dem  Lehrer  wie  dem  Lernenden  eigenthUmliche,  in  der  Natur  des 
Gegenstandes  begründete  Schwierigkeiten,  welche  nur  durch  geeig- 
nete Hülfsmittel  in  möglichst  vollständigen  Reihen  gehoben  wer- 
den können«  Es  sind  Krjstall-Modelle  und  Wandtafeln  für  den 
Vortrag  vor  einem  zahlreichen  Auditorium  gerade  zu  unentbehrlich, 
wenn  der  Vortrag  von  einigem  Erfolg  sein  soll,  üeber  die  beiden 
genannten,  sich  gegenseitig  ergänzenden  Hülfsmittel  zu  yerfOgeo 
dürften  nur  wonig  Lehranstalten  im  Stande  sein;  die  Anschafioag 
grosser  Krjstall-Modelle  bei  einiger  Vollständigkeit  ist  nicht  ohne 
bedeutende  Kosten  möglich;  daher  man  sich  bei  den  meisten  An- 
stalten mit  kleinen  für  das  Einzelstudium  geeigneten  Krystall- 
Modellen  behilft.  Um  so  dringender  wird  dann  das  Bedttrfniss  aof 
grössere  Entfernung  berechneter  Krjstall-Zoichnungen.  Diesem  Be- 
dürfniss  suchen  nun  die  »krystallographischen  Wandtafeln  c  des  treff- 
lichen Mineralogen  y.  Zepharoyich  abzuhelfen  und  es  ist  nicht 
zu  bezweifeln,  dass  sie  sieh  eines  zahlreichen  Beifalls  erfreuen  werden. 

Die  yorliegende  erste  Lieferung  enthält  die  sieben  Hauptformen 
des  tesseralen  Systems  (das  Octaeder  z.B.  14  Zoll  hoch,  13  Zoll 
breit);  der  ganze  Atlas  wird  200  Tafeln  enthalten  und  die  wichtig- 
sten einfachen  Formen  und  Combinationen  der  Krystallsjsteme  um- 
fassen. Dass  die  N  au  mann  *sche  Bezeichnungsweise  gewählt  wurde 
ist  nur  sehr  zu  billigen,  da,  wie  ein  hochyerdienter  Krystallograph 
sehr  richtig  sagt:  die  Haudhabung  der  Naumann* sehen  Formeln 
gerade  für  den  Unterricht  des  Anfängers  ein  tre£Fliches  Hülfsmittel 
bietet,  indem  diese  Formeln  kurz  genug  sind,  um  als  wirkliche 
Zeichen  Anwendung  zu  finden  und  doch  der  Anblick  oder  Gebrauch 
einer  jeden  Formel  eine  bessimmte  Vorstellung  über  die  Lage  der 
damit  bezeichneten  Flächen  heryorruft  oder  yoraussetzt. 

Somit  seien  die  krystallographischen  Wandtafeln  allen  Lehrern 
und  Lehranstalten  aufs  Beste  empfohlen.  Der  niedrig  gestellte  Preis 
(10  Kr.  für  das  Blatt)  so  dass  der  ganze  Atlas  nach  Vollendung 
20  fl.  kostet,  das  Erscheinen  in  Lioferuogen  wird  die  Anschaffang 
gewiss  erleichtern.  Gt  Leonhard« 


It.  68.  HEIDELBEfiGEK  im. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR. 

Liteiatnrberielite  ans  ItalieiL 


Di  una  epigrafe  greea  irwcda  in  Siracma^  di  0.  de  Spuehes.  Pa^ 
lermo  1864. 

üeber  eine  in  Siraons  anfgefnndene  griechische  Inschrift  gibt 
der  gelehrte  Sohn  des  Herzogs  yon  Cacamo  in  Palermo ,  bekannt 
durch  seine  Uebersetzungen  griechischer  Tragiker,  philologische  Er- 
läuterungen, nach  welchen  Cleomenes  dem  Gelo  festliche  Andenken 
nach  dem  Gebrauche  der  Isis  widmet. 

Sloria  dOla  rtvolutione  di  BrtMcia  deUf  anno  1849.    Bruda  1864. 

Ein  ungenannter  Einwohner  yon  Brescia  gibt  hier  die  Be- 
schreibung des  Aufstandes  der  Einwohner  von  Brescia  gegen  die 
Osterreich ische  Besatzung  im  Jahr  1849,  ein  um  so  kühneres  Unter- 
nehmen, da  damals  yon  Aussen  keine  Hülfe  zu  erwarten  war. 

La  Bciemia  e  tarit  di  ttato,  da  0^  CanesirinL   Firente  1862.   Tip. 
Le  Mannier. 

Herr  Canestrini ,  einer  der  Abgeordneten  Toscanas  zu  '  dem 
italienischen  Parlamente  gibt  hier  die  Lehre  der  Staatswirthschaft, 
wie  sich  dieselbe  in  der  Verwaltung  der  Florentinischen  Bepublik 
und  unter  den  Mediceern  entwickelt  hat.  Allerdings  ist  die  ge- 
schichtliche Entwickelung  eines  wohlgeordneten  S{aat8leben8  dort 
schon  früh  aus  Beminiscenzen  des  olassischen  Municipalwesens  ent- 
standen, da  das  älteste  bekannte  Statut  yon  Florenz  yon  1267 
bereits  auf  weit  ältere  gegründet  war.  In  diesem  ersten  Bande 
wird  die  allgemeine  Organisation,  die  Fiüanzen  und  die  Besteue- 
rung sowohl  des  beweglichen  als  unbeweglichen  Vermögens  behan- 
delt, wie  sie  sich  dort  ausbildeten. 

Giuseppe  Ferrari,  per  D.  Lioy.   Torino  1864,     Caea  Pomha.    16. 
p.  88. 

Dies  ist  das  68.  Bändchen  der  italienischen  Zeitge- 
nossen und  National-Oallerie  aus  dem  19.  Jahrhundert;  es  ent- 
hält das  Leben  des  gelehrten  und  sehr  geachteten  Abgeordneten 
der  Stadt  Mailand  zum  italienischen  Parlamente,  Herrn  Ferrari, 
welcher  yon  reichen  Eltern  1812  zu  Mailand  geboren ,  sich  ganz 
den  Wissenschafben  widmete,. nicht  um  yon  ihnen,  sondern  für 
sie  zu  leben.  Er  trat  mit  dem  Leben  Bomagno8i*8|  seines  Vorbildes 
als  Schriftsteller,  auf,  fand  aber  unter  den  damaligen  Verhältnissen 
liVm.  Jahrg.  13.  Hefi  68 


914  UtmtalNrlahte  mm  IteMw. 

das  Leben  in  der  Heimath  nioht  flir  seine  Ansiehten  geeignet, 
sondern  ging  naoh  Puris,  wo  er  1840  Tiee  et  Pltaliot  sowie 
de  religioei«  Campanellae  opinionibns  keransgab,  und 
dorch  Cousin  Tormocht  ward,  eine  Stelle  als  Professor  an  derüni- 
versitftt  zn  Strassbnrg  anzunehmen,  wurde  aber  von  der  GeisUidi- 
keit  verfolgt,  gab  unter  andern  1848  ein  Werk  Aber  die  GreniCD 
der  Philosophie  4er  Oeeefaichte  in  flrancömehw  Sprache  henuu; 
seine  filosofia  della  riyoluzione  bat  vielen  Beifall  gefunden« 

Cöse  tiKte  e  poeo  note,  per  gtovard  e  per  veeehi  di  (?.  Timb^  Jß- 
lano  1864.  8.  p.  117. 

Der  fleissige  Mitarbeiter  an  der  grossen  in  Turin  herauskom- 
menden italienischen  Encyclopftdie,  Herr  Strafforello,  dem  wir  mek- 
rere  Üebersetznngen  aus  dem  Deutschen  verdanken ,  gibt  hier  die 
erste  italienische  üebersetzung  aus  dem  englischen  in  80,000 
Exemplaren  schnell  verbreiteten  Buche:  Things  not  generallj  ksowB, 
worin  Q.  Timbs  eine  Sammlung  kurzer  Aufsfttae  über  nützUche  ud 
wenig  bekannte  Gegenstände  herausgegeben  hat.  Es  wird  di- 
mit  zugleich  der  Anfang  zur  Verbreitung  ähnlicher  Werke,  all 
Bibliotheca  utile,  gemacht,  zur  Belehrung  von  jung  und  alL  Du 
vorliegende  Werk  gibt  Belehrungen  unter  folgenden  Absdmitten: 
Wunder  des  Himmels,  der  Erde ,  das  Heer ,  die  Luft ,  Sehen  nod 
HSren«  Leben  und  T^ni,  Thiere  und  Pflanzen.  Zur  Probe  geben 
wir  nur  folgende  Bemerkung  über  alles  Oold  der  Welt.  »Wesn 
alles  Qold  zusammengeschmolzen,  würde  es  nicht  mehr  Baum  einneh- 
men, als  ein  Zimmer  von  24  Quadrat-Puss  und  von  60  FussHSbe; 
alles  Geld  Califomiens  und  Australiens  würde  nur  einen  Cubus  toh 
9  Quadrat-Puss  bilden.  €  lieber  den  Wetter-Propheten  Hathie«  de 
la  Drome  sagt  dies  Buch:  »Es  sind  die  Ergebnisse  von  vie]jdn- 
gen  Beobachtungen;  freilich  ist  die  Meteorologie  noch  in  der  Kind- 
heit ;  allein  es  wird  die  Zeit  kommen ,  wo  man  vielleicht  eben  so 
sicher  das  Wetter  wird  vorher  berechnen  können,  wie  die  Sonnes-  j 
und  Honds-Pinstemisse. 

Rdaaione  di  FcoU  Oerini  mi   lavori  per  la  eoneervaathne  Mfi 

aostanze  ammälL  Müano  1864.    Presse  JkUtH: 
mä 

sui  preparaii  eadaverici   di   Paolo    OorinL     Torino  1864.    7^ 
Favale. 

Dei:  gelehrte  Katurforeoher  Gorini  hat  ^ein  Mittel  eiiinidfls, 
jeden  thieriBchen  und  menBchlieh^i  Leichnam  «ine  beariimmte  1d 
dergestalt  zu  erhal4»ii,  dsss  er  «u  anateiniBchen  ünterraehnngn 
gebratioht  werden  kann;  a&ein  auch  isach  längerer  Zeit  kann  ff 
'demselben  eine  ftoldie  HArte  geben,  dass  m  äkÜBL  wie  eme  Miii0*| 
ttnvet^hrt  ettelten  kann,  so  dass  er  die  «rollMndlge  E^balssB»* 
nmg  zu  Momien  dantellim  kann;  ebenso  kann  dieses  Mitiiel  aiA| 


LMmtnAefklite  mm  Itali«i.  «10 

gebraucht  werden,  um  dergleichen  Qegenstftnde  in  BnatomiBohen 
Museen  aafznbewahrei]u  Endlich  kann  dieee  Verfahrongs-Art  auch 
gebraucht  werden^  um  das  Fleisch  Yon  essbaren  Tbieren  znmEssw 
tauglich  zu  erhalten.  Das  diessfaüsige  Verfahren  ist  von  der  Turi- 
ner Akademie  der  Wissenschaften,  besonders  von  dem  Secret&r 
derselben,  dem  befugten  Sachverständigen  Professor  Uolleschott 
untersucht  worden»  und  die  zweite  vorstehend  angegebene  Schrift 
enthSlt  das  Gutachten  der  diessfaUfiigen  Commission. 

Beviäa  müUare  HaUana.    T<nino  K64.  8.  Tip.  Ctmcm. 

Diese  milii&rische  Monatschrift  hat  den  besten  Fortgang  und 
enthalten  die  letzten  Hefte  des  vergangenen  Jahres  Aufsätze  llber 
die  im  italienischen  Heere,im  Jahr  1863  bei  der  Artillerie  gemachten 
Erfahrungen,  über  die  russische  Becrutimqg,  über  die  in  Lagern 
zu  erbaoenden  Backöfen,  von  dem  Hauptmu»  Outanzoritti,  eimem 
thatigen  Mitarbeiter.  Unter  den  beigefügten  Lithographien  findet 
sich  auch  das  Bildniss  des  verstorbenen  Eriegsministers  Gteneral 
dellaBovere,  welcher  nicht  nur  gegen  die  Oestorreicher  und  Bussen 
gefochten,  sondern  auch  ein  gelehrter  O^ier  war,  der  als  miU- 
tftrischer  Schriftsteller  das  Wissen  mit  der  Tapfarkeit  m  verbin- 
den verstand. 

Solenne  trmtM^urasiene  di  eingut  menumenH  di  Vincenze  Monii^ 
ügo  Foseoloj  Oianthmen.  RomagnaH,  Ani.  Rordfmi  e  Cliueeppe 
Bern.  P4ivim  t864.   TSp.  CenttU.  4. 

Am  8.  September  1864  wurden  die  Denkmtier  von  £ünf  yex" 
dienstvoUen  Italienern  enthiUti  welche  eiM  ats  Privat-Personen  zn*- 
sammengetretene  Gommission  denselben  in  Pavia  lecrichten  liess. 
Wir  haben  in  Deutschland  viele  Gelehrte,  viele  Universitäten,  aber 
die  eiBten  Klassen  der  Oeerilsehaft  haben  nicht  dieselbe  Achtang 
vor  der  Gelehrsamkeit,  wie  dies  in  Italien  der  FaU  ist,  wo  es 
zwar  nicht,  wie  in  Bussland  Gesetz  ist,  dass  der  graduirte  Doktor 
den  Bang  des  Majors  hat,  wo  aber  das  öffentliche  Bewusstsein  mehr 
den  Geist  als  die  Uniform  beachtet. 

Saggio  mit  indudria  eotoniera,  di  C.  PoUioUl  Tarino  1884.  Tip. 
LeUeraria.  gr.  8.  11.  Vol 

Hier  gibt  ein  sehr  geachteter  Turiner  gründliehe  Brmittelufi- 
gen  über  den  Verbrauch  der  Baumwolle,  welche  in  hohem  Grade 
«nsiehend  sind,  von  denen  wir  nur  erwähnen,  dase  d^  erste  An- 
iuig  des  Anhanes  der  BaumwoUe  in  Nord-Amerika  im  Jahr  1621 
an  den  ÜCem  des  Missisi|»pi  ei<olgte.  bn  Jahr  1747  wurden  ^ 
«rsten  8  Ballen  BaumwoUe  aaoh  En^nd  verschilft,  im  Jahr  1860 
«6bon  4,675,060  Ballen.  In  SnglaoMl  wurden  damais  «chon  8  Mil- 
dienen  Meter  Oalioo  gewebt,  weMi0s  ein  Band  bildet,  wemit  tum 
den  Mond  ntii  der  Erde  veiWnden  könnte. 


916  liUMtnrberiolita  mu  ItalleD. 

Jl  eampo  dei  ftloioß  lialianL    NapoH  1864.   Tip.  Gvubaru  & 

In  Neapel  kommt  jetzt  ein  grösseres  Werk  in  einzelnen  Lie- 
ferangen faeranSy  welches  Nachricht  über  die  jetzigen  Bestrebnngen 
der  italienischen  Philosophen  gibt,  welche  sich  besonders  den  dent- 
sohen  Philosophen  znwenden,  was  vorzüglich  in  dem  Neapolitani- 
schen der  Fall  ist,  wo  die  politischen  Verhältnisse  die  Den- 
ker von  den  sie  nmgebenden  Gegenständen  zu  den  femer  liegenden 
verwiesen.  Das  Werk  fängt  damit  an,  zu  zeigen,  wie  die  Flulo- 
sophie  in  Italien  sieh  das  Beste  aus  der  Philosophie  der  ganza 
Welt  anzueignen  sucht.  Der  Zweck  dieses  Werkes  ist  hauptsäch- 
lich im  kirchlichen  Sinne  zu  wirken,  und  zeigt  es  viele  Bekanntschaft 
mit  der  deutschen  Literatur,  wofür  der  gelehrte  Bibliothekar  Gar 
sehr  thätig  ist,  da  in  dem  von  ihm  eingerichteten  Zeitschriften-Saale 
der  neapolitanischen  Üniversitäts-Bibliothek  21  deutsche  wisseo- 
sohaftliche  Zeitschriften  gehalten  und  die  Heidelberger  Jahrbfleb« 
auch  jetzt  in  Italien  bekannt  werden,  da  sie  italienische  Literatur^ 
Berichte  bringen. 

Jleune  eonaidercunoni  intomo  aUa  sirada  di  val  di  8eUa,   deO,  tu- 
gtnere  MotUolu    Bologna  1866.  Tip.  regia.  8. 

Hier  wird  vorgeschlagen  aus  dem  Thale  der  Setta,  welche  bei 
il  Sasso  in  den  Beno  fällt,  eine  Strasse  von  Bologna  über  die  an 
2000  Fuss  hohen  Apenninen  nach  Florenz  zu  bauen ;  da  jetzt  Bo- 
logna gewissermassen  die  Vormauer  für  die  neue  Hauptstadt  Ita- 
liens, Florenz,  ist,  und  wohl  bleiben  wird,  denn  schon  Cavoor 
sagte,  wegen  Bom  müssen  wir  warten,  bis  die  Bildung  so  weit  vor- 
geschritten sein  wird,  dass  die  weltliche  Herrschaft  der  Hierarchie 
von  selbst  fällt. 

De»  monumenU  storiei  perUnenti  aUe  proüinde  deüa  Romagna,  «fo- 
iuti  dd  comune  di  Bologna,  Bologna  1864.  Tip.  regia,    gr.  i. 

p.  288. 

Sobald  sich  die  Bomagna  nach  dem  Siege  von  Villafranca 
durch  ein  Plebiscit  fUr  dem  neu  gestifteten  Italien  beitretend  er- 
klärt hatte,  stiftete  der  damalige  Dictator,  der  gelehrte  Historiker 
Farina  in  Bologna  eine  Deputation  zur  Herausgabe  der  vaterlän- 
dischen Geschichtsquellen  für  die  Romagna,  nach  dem  Muster  der 
in  Turin  so  viel  leistenden.  Präsident  dieses  Vereins  der  gelehrtesten 
Geschichtsohreiber  des  Landes  ist  der  bekannte  Geschichtsforscher 
Graf  Gozzadini,  Mitglied  der  philosophischen  Fakultät  der  Univer^ 
sität  zu  Bologna,  welcher  die  auf  seinen  Gütern  entdeckten  hetiur 
riechen  Gräber  illustrirt  herausgegeben  hat»  und  als  Ver£asser  der 
Beschreibung  der  von  ihm  wieder  au^efimdenen  römischen  Wasser- 
leitung, welche  Meilen  weit  unter  der  Erde  das  Wasser  der  Setta 
nach  Bologna  führte,  wieder  einen  neuen  Beweis  seiner  nnermüd" 
Uchen  Forschungen  gegeben  hat.    Eins  der  thätigsten  Mi%lieder 


LlteratiiTl>eriehte  aus  TtaHen.  917 

dieser  Deputation  ist  der  um  die  Geschichte  Bologna's  hochver- 
diente Bibliothekar  der  Stadt  (Bibliotheca  comnnale  Magnani) 
Bitter  Frati,  welcher  sofort  die  Statuten  der  Stadt  Bologna  in  dem 
vorliegenden  Werke  zum  erstenmale  bekannt  machte  (S.  die  Stadt- 
Bibliothek  zu  Bologna  von  dem  Geheimenrath  Neigebaur  im  Se- 
rapeum).  Das  älteste  Statut  dieser  schon  früh  den  Wissenschaften 
gewidmeten  Stadt,  deren  Universität  schon  im  5.  Jahrhundert  be- 
standen haben  soll,  ist  von  dem  Jahre  1245,  mithin  aus  derZeit, 
als  Bologna  noch  freie  Beichsstadt  war,  aber  im  Kriege  mit  dem 
Kaiser  Friedrich  II  seinen  Sohn  Enzio  gefangen  nahm  und  bis  zu 
seinem  im  Jahr  1272  erfolgten  Tode  behalten  konnte.  Die  ersten 
Statuten  sind  aber  nur  in  einem  kurzen  Bruchstücke  vorhanden, 
um  so  umfassender  sind  die  von  1250,  als  Biccardo  da  Villa  Mi- 
lanese  Ober-Bürgermeister  war,  woraus  man  annehmen  kann,  dass 
schon  längst  in  dieser  Stadt  sehr  genaue  gesetzliche  Bestimmungen 
über  alle  städtischen  Verhältnisse  bestanden.  Der  Herr  Heraus- 
geber hat  mit  der  grössten  Sorgfalt  mehrere  diese  Statuten  ent- 
haltende Codices  verglichen  und  die  Varianten  in  vielen  Anmer- 
kungen beigefligt,  besonders  aber  wichtig  sind  die  geschichtlichen 
Anmerkungen  und  andere  linguistische  Bemerkungen,  da  viele  Worte 
des  damaligen  lateinischen  Geschäftsstyls  einer  Erklärung  bedurf- 
ten, so  dass  der  Bitter  Frati  sich  in  jeder  Beziehung  ein  grosses 
Verdienst  erworben  hat. 

Atii  e  memorie  deUa  regia  deptdaziane  di  storia  patria  per  le  pro^ 
vincie  di  Romagna.     Bologna  1864.    Tip.   Fava.  4.  p.  137. 

Dies  ist  der  dritte  Jahrgang  der  Verhandlungen  und  Denk- 
schriften der  Deputation  für  die  vaterländische  Geschichtskunde  der 
Romagna,  welcher  den  Bericht  des  Seoretärs  Professor  Mercantini 
über  die  Arbeiten  des  vergangenen  Jahres  enthält,  anfangend  mit 
einer  Vorlesung  von  dem  Professor  Bocchi  über  eine  zu  Forli  be- 
findliche antike  Inschrift,  und  über  die  Gründung  dieser  Stadt; 
ausser  rühmlicher  Erwähnung  mehrerer  anderer  gelehrten  Mitthei- 
lungen, hielt  auch  der  Inspektor  der  Gemälde-Gallerie,  der  gelehrte 
Bitter  Giondoni  einen  Vortrag  über  das  Leben  und  die  Werke  des 
Francesco  Francia  Recibolini,  welcher  mit  Recht  der  Rafael  der 
bolognesischen  Schule  genannt  wird.  Der  gelehrte  Ritter  Frati 
hatte  sein  bisher  mit  so  vielen  Ehren  verwaltetes  Amt  als  Secre- 
tär  dieses  Vereins  niedergelegt,  wofür  ihm  gedankt  wurde.  Die 
hier  mitgetheilten  Denkschriften  enthalten  unter  andern  das  Werk 
des  gelehrten  Antiquar  Grafen  Gozzadini,  welches  auch  besonders 
abgedruckt  ist,  und  worüber  anderweit  berichtet  worden,  ferner 
von  dem  Professor  Ritter  Tonini  über  den  alten  Hafen  vonRinüni, 
über  eine  zu  Ancona  aufgefundene  Inschrift,  den  Kaiser  Geta  be- 
treffend, so  wie  von  dem  Professor  Ritter  Fabretti  über  Kupfer- 
tafeln  mit  Inschriften,  das  alte  Lucanien  betreffend. 


MS 

MmMinetäi  di  $t&ria  pmMa  ddle  provmeie  ModauaL  Pmrma  tB$i, 
Tip.  Fiaecadori.  fr.  4.  p.  280. 

Dieser  Band  enthält  die  geschichtliche  Einleitung  zu  den  Sta- 
tuten der  Stadt  Modena,  nach  ihrer  Beform  vom  Jahr  1327, 
Ton  dem  Markgrafen  Campori,  einem  sehr  bedeutenden  Geachichts- 
forscher,  und  ist  diese  gediegene  Arbeit  für  die  Oescbichte  der 
Entwicklung  des  Qemeindewesens  in  Italien  von  ausserordentlichem 
Werthe. 

Eiposinüne  UaKana  in  FirenMe  186L  11  Vol.  Firtme  1664.  Tip. 
Bcwbera.  gr.  S.  p,  648^ 

Die  erste  Aufstellung  der  Kunst-Industrie  und  naturgeschicfai- 
lichen  Erzeugnisse  aus  dem  gesammten  Italien,  welche  1861  ra 
Florenz  auf  eine  so  glftnzende  Weise  abgehalten  ward,  beschftftigt 
noch  jetzt  die  Literatur,  und  enthftit  dieser  zweite  Band  des  Be- 
richts Über  diese  Ausstellung  von  dem  Ministerium  des  Ackerbaues, 
der  Industrie  und  des  HaddelSy  jetzt  der  sehr  geachtete  Minister 
Torelli,  die  Berichte  der  damaligen  Geschworenen  über  die  ausge- 
stellten Gegenstände,  von  dem  Professor  Protonotari  geordnet, 
von  der  1.  bis  zur  12.  Klasse. 

La  divma  comedia  dt  DantSj  eon  eommesdo  di  Q.  FraUcdlL  Firenu 
1864.  Tip.  Barbera.  8.  p.  752.  und  CXXX. 

Dies  ist  die  neueste  Ausgabe  der  göttlichen  Komödie  mit  eiueic 
sehr  geachteten  Commentar  von  dem  gelehrten  Kenner  der  Dante- 
Literatur,  Herr  Fraticelli,  welcher  schon  früher  die  kleineren  Ge- 
sänge dieses  grossen  Dichters  herausgegeben  hat» 

El  KamsOj  il  eavällo  arabo  puro  sangue,  di  Carlo  Ottarmani,  ira- 
dottö  dd  A.  FeUHi.  Bologna  1664.  Tip.  Qaragnani.  gr.  S, 
p.  164. 

Ein  aus  Livomo  gebürtigter  Gelehrter,  der  sich  bereits  U 
Jahre  in  Jerusalem  angehalten  hat,  um  eine  genaue  Kenntnisi 
jener  Gegend  zu  erlangen,  gab  dem  Doctor  Feletti  aua  BologM» 
welcher  über  Egypten,  um  die  heiligen  Orte  kennen  zu  lenm 
dort  mit  ihm  zusammentraf,  seine  sorgfältigen  Beobachtungen  über 
die  arabischen  Pferde,  da  er  sich  dort  ganz  eingelebt  und  ili 
Beduine  bekleidet  vielfachen  Umgang  mit  den  Eingeboraen  der 
ganzen  Gegend  gehabt  hatte.  Hier  gibt  der  Verfasser  die  Üeb6^ 
Setzung  aus  der  französischen  Handschrift  mit  Anmerkungen.  lOt 
Recht  wird  hier  hervorgehoben,  dass  über  Länder,  die  noch  sooft 
beschrieben  worden,  dennoch  die  grössten  Irrthümer  obwalten,  weil 
die  Beisenden  gew'Shnlich  nicht  Zeit  gehabt  haben,  den  XJrsacbeB 
solcher  Vorurtheile  nachzuspüren.  Hier  werden  die  alten  Sages 
über  die  Pferde,  mit  denen  die  Araber  auiwachsen,  erzählt.  D» 
genau  beobachtende  Ver&eser  findet,  dass  die  Kreuzung  des  araU- 


scImh  mife  dem  «ngUscliea  Pferde  dte  Tondlgliehste  kt»  dasa  es 
aber  unrichtig  ist,  wenn  man  sagt:  daa  arabische  P&rd  ist  der 
Sohn  der  Natur,  das  englische  das  der  Kunst,  daher  behauptet  er, 
dass  der  arabische  Beschäler  stets  der  erste  der  Welt  fikr  die  Yer« 
bessemng  der  Pferde-Zucht  ist.  Allen  Freunden  der  Hippologie  wird 
dieses  Werk  hOchst  willkommen  sein. 

Compendio  di  sioria   modema  del  1454  cd  IS61,  da  Celestino  Bi^ 
anchl  Firenze  1864.  8.  p.  688.  LX. 

Diese  Oeschichte  der  Neuzeit  hat  bereits  die  8.  Auflage  er- 
lebt, und  geht  bis  sur  endlieh  erlangten  lange  erstrebten  £&nheit 
Italiens. 

AI  ekiariisimo  letteraio  Cav.  Pxäro  Fanfam,  il  VoUor  Z,  Vivor 
ndli   Bologna  1864.  Tip.  Mareqgiani. 

Man  glaubt  hier  eine  der  Sermonen  des  klassischen  Hovan  at 
lesen,  so  ausgezeichnet  hat  der  Doctor  ViraneUi,  bekannt  durch 
mehrere  sehr  geachtete  belletristische  Werke,  sidi  den  Oeist  des 
alten  Lateiners  angeeignet,  dessen  Satiren  und  Sermonen  er  auch 
tre£Qioh  übersetzt  hat.  Das  yorliegende  Sendschreiben  an  den  ge^ 
lehrten  Linguisten  Fan&ni  in  Florenz  behandelt  die  Frage,  ob 
manche  sogenannte  Fortschritte  einen  wirklichen  Fortschritt  der 
Bildung  mit  sich  fOhren ,  welche  hier  sehr  geistreich  und  oft  sohaif 
treffend  beantwortet  wird. 

jU  chiarisHmo  Professore  Cresceniino  Giarmim,  ü  Dottor  L.  Viva-' 
ndli.    Bologna  1864.  Tip.  di  Dante. 

Dies  ist  eine  ebenfalls  im  Horazischen  Qeiste  geschriebene 
Sermon  über  die  gegenwärtigen  Zeitläufe  Italiens,  welche  mit  schar- 
fer Satire  behandelt  werden. 

M  ehiarissimo  Professore  MichaeU  Mdga,  ü  Dcitar  VhantUL    BO' 
logna  1864,  Tip.  Mareggiam.    8. 

Hier  werden  die  Zeitungsschreiber  scharf  gegeisselt;  stets  aber 
sind  die  Dichtungen  des  gelehrten  Doctor  Vivanelli  so  yerschieden 
Ton  dem  Wortgeklingel  oder  den  erhabenen  mitunter  sehr  leeren 
Phrasen  der  meisten  Diohterlinge,  dass  man  sich  sehr  freut,  hier 
einen  Dichter  zu  finden,  welcher  so  einfach  alles  vorträgt,  wie  die 
Klassiker,  während  man  bei  andern  den  Sinn  aus  einem  Schwall 
von  Worten  herausfinden  muss. 

Elementi  di  eeonomia  politica,   ddl   C.  OHva.   Parma  1864.   Tip. 
Orasioli.  16,  p.  385. 

Dies  Lehrbuch  der  Staatswissenschaffc ,  welche  jetzt  in  Italien 
bei  dem  dort  regen  constitutionellen  Leben,  sehr  emsig  betrie- 
ben wird,  hat  zum  Verfasser  einen  gelehrten  Neapolitaner,  welcher 
als  Staatsanwalt  bei  dem  Appellhofe  zu  Parma  angestellt  ist,  und 


j 


MD  LURttarbOTloite  ans  Itaita. 

sohon  von  Hnas  aoB  fttr  die  WisBenscliaftaii  enogen  worden  ist 
Sein  Vater  war  mit  den  Klassikern  so  Tertrant,  daes  selbst  seine 
Tochter  ihm  dieselben,  wenn  er  krank  war,  yorlesen  mnsste,  welehe 
daher  ebenüalls  gründlich  nnterrichtet  ward;  diess  hat  sie  jedoch 
keineswegs  zn  einem  sogenannten  Blau-Strumpf  gemacht;  sondern 
sie  hat  als  Qemahlin  des  berühmten  Rechtsgelehrten  Mancini,  wel- 
cher auch  Minister  des  öffentlichen  Unterrichts  war,  10  Kinder  sehr 
gut  erzogen,  dabei  aber  auch  ausgezeichnete  dichterische  Werke 
verfasst,  von  denen  wir  nur  das  herrliche  Trauerspiel  Ines  ervihr 
neu.  Ihr  Bruder,  der  VerfiEisser  dieses  Werkes,  ein  Zögling  Man- 
oini'Sy  ist  dieser  Familie  würdig,  steht  mit  Ehren  seinem  Amte 
Tor,  und  gibt  hier  ein  sehr  nützliches  Lehrbuch  der  Staatswirtln 
Schaft.  Wenn  dergleichen  in  Deutschland  gelehrt  wird,  geschiebt 
es  grösstentheils  um  Beamte  zu  bilden,  welche  dafür  besoldet  we^ 
den.  In  Italien  aber  wird  der  Staatshaushalt  auch  von  Erwach* 
senen  fortwährend  stndirt,  um  durch  das  Vertrauen  der  Mitbürger 
zu  Gemeinderäthen,  zu  Mitgliedern  des  Provinzialrathes  oder  zu  Ab* 
geordneten  im  Parlament  gewählt  zu  werden;  alles  ohne  Gehalt, 
filr  die  Ehre  ab  Männer  zu  erscheinen,  welche  das  öffentliche  Ver- 
trauen geniessen.  Dies  Lehrbuch  fängt  mit  dem  Hervorbringen  des 
Erwerbs  an,  geht  dann  zu  den  Mitteln  über,  den  Erwerb  zu  Ye^ 
breiten,  zeigt  dann  die  Vertheilung  und  den  Verzehr  des  Erworbe- 
nen. Der  Herr  Verf.  bekundet  überall  seine  Bekanntschaft  mit  den 
besten  Werken  des  In-  und  Auslandes  über  diese  Lehre,  und  hat 
durch  ein  vollständiges  Sachregister  den  Gebrauch  sehr  erleichtert. 

Dem  gelehrten  Bibliothekar  der  Stadt  Bimini,  Herrn  Doctor 
Tonini,  hat  der  dortige  klassische  Triumphbogen  Veranlassung  m 
folgender  Schrift  gegeben: 

Sulla  pubblieasioTU  ddle  opere  compleU  di  Bartolomeo  Borghesi,  dd 
DoiU  Lidgi  Toninu    Rimini  1865.   Tip.   MalvoUi  ed  Eseolani 

wozu  er  durch  die  Herausgabe  der  Werke  des  bekannten  AntiqnarS; 
Bartolomeo  Borghesi  noch  näher  veranlasst  ward.  Borghesi,  welcher 
den  deutschen  Gelehrten  besonders  durch  die  Verdienste  unseres  Pro* 
fessor  Gerhard  in  Berlin  um  das  archäologische  Institut  zu  Kom, 
bestens  bekannt  ist,  war  einer  der  reichen  Leute  in  der  Bomagna, 
welcher  f  ü  r  die  Wissenschaften  lebte  und  eine  treffliche  Bibliothek 
gesammelt  hatte,  welche  er  mit  seinem  Fallaste  zu  S.  Marino  sei- 
nem Neffen  dem  Grafen  Mezzofanti  vermachte,  (S.  die  Bibliothek 
zu  S.  Marino,  von  Neigebaur  in  dem  Anzeiger  für  Bibliographie 
von  Petzholdt  in  Dresden  1863)  oinem  ebenfalls  für  die  Wissen- 
schaft lebenden  reichen  unabhängigen  Manne.  Als  Erbe  des  gei- 
stigen Nachlasses  des  gelehrten  Antiquars  Borghesi  erscheint  aber 
eigentlich  der  Kaiser  Napoleon,  welcher  eine  Prachtausgabe  von 
den  Werken  Borghesi's  veranstaltet  hat,  eins  von  den  gelehrtes 
Werken,  welche  dieser  Kaiser  —  auf  dem  Gymnasium  zu  Aogs- 


Lll«Nitvrberidito  «n  tüüea.  9fl 

biifg  als  Primaner  enogen  —  mit  den  Praohtansgaben  dnicken  Iftset» 
welche  dazn  bestimmt  sind»  um  an  die  Bibliotheken  in  Frankreich 
nicht  nur,  sondern  auch  im  Auslände  yertheilt  zu  werden.  Zu  solchen 
Prachtausgaben  gehören  auch  die  Werke  des  der  gelehrten  Republik 
Ton  ganz  Europa  angehörenden  Borghesi,  zu  deren  Herausgabe  Napo- 
leon lU.  eine  besondere  Commission  ernannt  hat,  bei  welcher  der  be- 
kannte Gelehrte  Ernst  Desjardins  hauptsächlich  mit  der  Ausführung 
beauftragt  wurde,  unter  den  Werken  Borghesi^s  befindet  sich  auch 
eine  Abhandlung  desselben  über  den  Bogen  des  Kaisers  Augustus 
zn  Rimini,  zum  Andenken  der  Wiederherstellung  der  YiaFlaminia, 
welche  bei  der  Brücke  Milvio  zu  Rom  anfing,  und  Rimini  berührte, 
worin  Borghesi  unter  andern  eine  Münze  der  Familie  Yinicia  an- 
führt, welche  den  Bogen  zu  Rimini  darstellt ;  da  dieser  aber  nach 
dieser  Münze  8  Bogen  hat,  und  der  rühmlichst  bekannte  Archäo- 
loge Benier  zu  Paris  behauptet  hätte,  dass  der  Bogen  zn  Bimini 
nicht  einen  sondern  drei  Bogen  gehabt  hatte,  so  tritt  hier  Hr.  Tonini 
dagegen  auf.  Dieser  Gelehrte,  welcher  in  seinem  bekannten  grossen 
Werke  die  Geschichte  von  Rimini  umfassend  bewiesen  hat,  dass 
er  seinen  Wohnort  besser  kennt,  als  die  gewöhnlichen  gelehrten 
Touristen,  zeigt  hier,  dass  er  diesen  aus  einer  einzigen  OefiFhung 
bestehenden  Bogen  genau  untersucht  hat,  wobei  sich  ergeben,  dass, 
so  wie  jetzt,  auch  bei  Errichtung  desselben  nur  ein  Bogen  bestan- 
den hat,  wie  auch  der  bekannte  Antiquar,  der  Markgraf  Canina 
in  seinem  bekannten  Werke:  Architettura  Romana  angegeben  hat, 
wodurch  die  entgegenstehende  Behauptung  von  Rossini  in  seinem 
Werke:  gli  archi  antichi  romani  widerlegt  wird.  Herr  Tonini 
bemerkt  hierbei  die  Oberflächlichkeit  des  bekannten  Bibliothekars 
von  Louis  Philipp,  Vaillant,  welcher  in  seinem  Werke  über  Italien 
ebenfalls  behauptet,  dass  der  Bogen  zu  Rimini  drei  Oefinnngen  ge- 
habt habe,  dass  sich  dieser  Tonrist  denselben  auf  seiner  Reise 
durch  Rimini  nicht  angesehen  habe  müsse,  so  wie  er  auch  in 
Cagliari  sich  —  als  Bibliothekar  —  nicht  die  dortige  Bibliothek 
angesehen  hat  (S.  die  Insel  Sardinien  von  dem  Geheimenrath  Dr. 
Neigebanr.  Leipzig,  Dicksche  Buchhandlung.  2.  Auflage  1853)  wor- 
über der  gelehrte  Bibliothekar  Ritter  Martini  mit  Recht  sein  Be- 
fremden aussprach. 

VesUio  di  Dante,  conto  di  Salom.  Marino.  1865.  Feder mo. 

Bekanntlich  ist  der  600jährige  Geburtstag  Dantes  überall  in 
Italien  festlich  begangen  worden.  Auch  Palermo  ist  darin  nicht 
zurückgeblieben,  wo  im  Lyceum  daselbst  eine  akademische  Dante- 
Feier  durch  dies  Gedicht  verherrlicht  ward,  welches  den  grossen 
Dichter  als  Staatsmann  behandelt,  der  von  seinen  Mitbürgern  aus 
Florenz  Verbannt  ward,  weil  er  es  mit  der  Partei  des  Kaisers  hielt, 
denn  er  gehörte  zu  denen,  welche  schon  damals  die  Einheit  Italiens 
erstrebten.  Es  ist  daher  natürlich,  dass  es  hier  an  Anspielungen 
auf  die  jetzt  yon  den  Italienern  erlangte  Einheit  nicht  fehlt. 


Ml 

DiMi  Müghüri  in  Bwetum,  memor.  Uariö.  di  Qa^pm^  (krdcd 
MarinetH.  Ravenna  1865.  Presao  AngelätL 

Dante  starb  als  Ausgewanderter  in  Bavenna,  wo  sich  aach 
sein  Begräbniss  befindet ,  ein  dortiger  Gelehrter  hat  besonders  über 
den  letzten  Lebensabschnitt  des  Dichters  hier  Nachrichten  mitge- 
theilt,  die  sich  hauptsächlich  auf  dort  beGndliche  Urkunden  grün- 
den, welche  beigefügt  sind. 

U  nataKsio  di  Dante  AUeghieri  festeggiafe  dd  IsHtuto  di  Seiende  ddle 
citta  di  Venezia  1865.  Venesia. 

Das  wissenschaftliche  Institut  seu  Venedig  hat  hiermit  den  Ge- 
burtstag Dantes  gefeiert.  Diese  gelehrte  Oesellsobaft  ist  zwar  unter 
der  früheren  franzüsisohen  Herrschaft  errichtet  worden,  ward  ab«r 
von  der  österreichischen  Regierung  beibehalten,  welche  dabei  em 
nicht  überall  wahrzunehmende  Achtung  vor  der  Wissenachaft  aa 
den  Tag  legte, 

EUmoIogieo  dei  vocaboli  italiani  di  origine  elleniea^  con  raffHnU  ad 
altre  HnguCj  preceduto  da  una  tnonografia  mi  nomi  Bio  t 
uomo,  di  Marco  Antonio  Canini.     Torino  1865. 

Obwohl  dieses  über  20,000  Worte  enthaltende  Wörterhnoh 
dem  Titel  nach  für  ein  italienisches  gehalten  werden  muss ;  so  ge- 
hurt es  doch  der  wissenschaftlioh-techniscfaen  Sprache  der  gesammtexi 
civilisirten  Welt  an,  indem  es  alle  aus  der  griechischen  Sprache 
abgeleiteten  Bezeichnungen  im  Gebiete  der  Technik  jeder  Art  nm- 
fasst,  welche  auch  in  jeder  Sprache  sofort  das  Bürgerrecht  er^ 
hielten,  so  dass  überall,  wo  man  die  Sache  kennt,  auch  solche 
Worte  verstanden  werden,  wie  z.  B.  Lithographie,  Photogn^pfaie 
u.  8.  w.  Der  gelehrte  Herr  Verfasser  hat  Jahre  lang  sich  mit  der 
Arbeit  beschäftigt,  und  bei  seiner  Sprachkenntnlse  die  bedeatend- 
sten  Werke  fremder  Oelehrten  benutzt,  von  denen  wir  nur  Boppi 
Kuhn,  Bitschi,  Steintbal,  Pott  und  Benfey  erwähnen.  Durch  ein 
solches  ernstliches  Studium  ist  es  dem  gründlichen  Verfasser  ge- 
lungen, noeh  gegen  600  solche  technisebe  Worte  zu  entdecken, 
deren  griechischer  Ursprung  bisher  unbekannt  geblieben  war,  wo- 
bei er  auch  auf  andere  als  die  italienische  Sprache  Bücksicht  ge- 
nommen hat,  daher  dies  Werk  den  deutschen  Gelehrten  sehr  wül- 
kommen  sein  wird.  Der  Verfasser  ist  ein  Professor  aus  Venedig, 
welcher  sich  zugleich  politisch  vieliach  ausgezeichnet  hat  Schon 
im  Jahr  1847  gab  Herr  Canini  zu  Lucca  ein  Werk  hieraus,  in 
welchem  er  den  Verrath  Frankreichs  gegen  Venedig  zu  Campo 
Formio  1797  geissei te,  und  von  da  an  eine  bessere  Zukunft  ver^ 
^»ic?8;  nach  dem  letzten  Kriege  zwischen  Oesterreich  und  Frank- 
reich in  Italien  lebte  der  Verfasser  in  Turin  den  Wissenschaften, 
was  ihn  aber  nicht  verhinderte  an  den  Verhandlungen  des  Venetia- 
nischen  Oentral-Gomitös  zu  Turin  Theil  zu  nehmen,  und  machten 


8MM  iB  diese»  VeihaiidliiBgttii  gebAttenen  Beden  beeondeM  nadi 
der  bekannten  September- Convention  die  Runde  darch  mehrere 
Zeitungen,  Ton  denen  wir  die  am  6.  November  1864  gehaltene 
Bede  erwähnen.  Er  ist  jetzt  mit  nach  Florenz  übergesiedelt^  wird 
aber  bald  nach  Paris  und  London  gehen ,  nm  dort  das  erwähnte 
griechisch-technische  Wörterbuch  in  der  englischen  und  französi- 
schen Sprache  herauszugeben,  welches  gewiss  auch  in  deutscher 
Sprache  bald  erscheinen  wird.  Einen  Anhang  zu  dem  vorliegen- 
den Werke  bildet  eine  Monographie  Aber  die  Worte:  Gott  und  der 
Mensch,  so  wie  über  verwandte  Gegenstände,  welche  von  den  Sprach- 
kenntnissen des  gelehrten  Verfassers  Zeugniss  gibt. 

//  mairimcnio  oma  Vavvenire  del  PoriogaUo  di  Maria  Ratasgi  nata 
prineipetsa  BonaparU^WyHj  prima  verHone  italiana,  Torino 
Tip.  di  composüori  lipografl,  1863. 

Herr  Oorgi  gibt  hier  die  Uebersetzung  einer  cwar  französisch 
aber  höohst  geistreich  verfassten  Denkschrift  bei  Gelegenheit  der 
Yerfaeirathung  der  Prinzessin  Pia  von  Italien  mit  dem  König  Lud* 
wig  L  von  Portugal,  welche  pseudonym  den  Yicomte  Mory  di  Tres- 
serre  als  Verfasser  bezeichnete.  Es  war  aber  dem  üebersetzer  be- 
kannt geworden,  dass  eine  geistreiche  Schriftstellerin  diesen  Namen 
angenommen  hatte ;  er  gibt  daher  nicht  nur  die  Uebersetzung  die- 
ser Arbeit,  sondern  auch  Nachricht  über  die  höchst  merkwürdige 
Persönlichkeit  der  Verfasserin.  Er  nennt  uns  dieselbe  als  die  Enkel- 
Tochter  von  Lucian  Bonaparte,  des  freisinnigen  Bruders  Napoleon  I., 
welche  erst  mit  einem  Deutschen,  Namens  v.  Solms,  verheirathet 
war,  und  als  Wittwe  sich  mit  dem  früheren  Minister-Präsidenten 
Batazzi  verheirathet  hat.  Diese  seltene  Frau,  eine  eben  so  fleissige 
als  geachtete  Schriftstellerin,  sagt  hier  mit  ausserordentlicher  Kennt- 
niss  der  Geschichte  voraus,  dass  die  Iberische  Halbinsel  duroh  die 
constitutionelle  Begierung  des  Fortschrittes  in  Portugal  eben  so 
zur  politischen  Einheit  gelangen  wird,  wie  Italien  durch  den  Vater 
der  jetzigen  Königin  von  Portugal.  Diese  Voraussetzung  wird  zwar 
Manchen  nicht  gefallen ;  aber  sie  macht  dem  Geiste  und  dem  Her* 
zen  der  eben  so  liebenswürdigen  als  geistreichen  Ver&aserin  alle 
Ehre. 

Saggio  di  psicologia  e  di  logica  ddla  Marehesa  Marianna  Florenzi' 
Waddingion.  Fireme  1864.  Tip.   Monnier.  8,  p.  259. 

Dieses  Werk  über  Psychologie  und  Logik  hat  eine  der  be- 
deutendsten italienischen  Schriftstellerinnen  zur  Verfasserin.  Sie  ward 
in  Bavenna  als  Gräfin  Bacinetti  geboren,  hatte  den  Markgrafen 
Florenzi  in  Perugia  geheirathet,  mit  welchem  sie  nach  Baiern 
reisste,  und  mit  Liebhaberei  deutsch  lernte,  besonders  aber  sich 
mit  der  deutschen  Philosophie  beschäftigte.  Dabei  hat  sie  einen 
Sohn  und  eine  Tochter  sehr  tüchtig  erzogen.  Jetzt  ist  sie  mit 
einetti  reiehen  Engländer,  Waddington,  verheirathet,  wdobec  bei  eige» 


Vti  Llt«nitiirlMHelite  av«  fMnL 

I 
ner  Bildtmg  fthig  ist,  eine  solche  Frau  za  wftrdig«B.    Bat  tot-    j 
liegende  Werk  ist  ein  grOndliches  Lehrbnoh   der  Psjobologie  nnd 
Logik,  welches  sich  besonders  auf  die  bedeutendsten  Werke  dent- 
Bcber  Philosophen  gründet,   von   denen  sie  früher  Uebersetznngen 
lieferte. 

Saggio    storieo   sulla  filoiofia    greea    del    professore   F.    Fioreräino, 
Firenze  18H4.  Tip.  U  Monnier,  8.  p.  368. 

Hier  gibt  der  Professor  Fiorentino  ans  Calabrien  gebürtig,  die 
Geschichte  der  griechischen  Philosophie,  ein  Werk,  welches  you 
vieler  Bekanntschaft  mit  der  deutschen  Literatur  zeigt,  auch  ist 
der  Verfasser  der  deutschen  Sprache  mächtig;  so  wie  überhaupt 
im  Neapolitanischen  sehr  viele  Gelehrte  deutsch  verstehen.  Jetzt 
bei  der  Universität  zu  Bologna  angestellt,  hält  er  Vorlesungen  über 
Anthropologie  und  überzeugt  man  sich  bald,  dass  er  unsem  Kant 
und  Hegel  nicht  blos  aus  französischen  Uebersetznngen  kennt.  Wenn 
man  solche  Bekanntschaften  in  Italien  macht,  überzeugt  man  sich, 
dass  noch  viele  Voi-urtheile  in  Deutschland  über  Italien  herrschen, 
welches  davon  herrührt,  dass  die  meisten,  welche  über  Italien  ge- 
schrieben haben,  sich  zu  kurze  Zeit  daselbst  aufgehalten  oder  ledig- 
lich einem  besondem  Gegenstande  ihre  Aufmerksamkeit  zugewen- 
det haben. 

Societa   artigiana,   discorso  del  preaidenU   PepoU.     Bologna  1865, 
Tip.  Mcnti.  8. 

Diese  Rede,  gehalten  zu  Bologna  am  22.  Januar  d.  J.  zeigt, 
dass  in  Italien  manche  Verhältnisse  ganz  anders  sind,  als  man  sie 
sich  mitunter  jenseits  der  Alpen  vorstellt.  Seit  der  Nengestaltnng 
Italiens  haben  sich  die  Gesellschaften  der  Arbeiter  zu  gegenseiti- 
ger Unterstützung  ausserordentlich  vermehrt,  und  wenn  in  Eng- 
land an  solchen  Gesellschaften  100,000  Mitglieder  Theil  nahmen; 
so  ist  Italien  darin  um  so  weniger  zurückgeblieben,  da  hier  das 
Gemeindewesen  wohl  am  vollkommensten  ausgebildet  sein  dürfte. 
Die  neuesten  statistischen  Berichte  des  italienischen  Ministeriums 
geben  darüber  glänzende  Beweise.  Auch  in  Bologna  hat  sich  eine 
solche  Gesellschaft  gebildet,  welche  zu  ihrem  Ehren-Präsidenten 
den  Markgrafen  Pepoli  wählte,  einen  der  reichsten  Mitbürger  der 
über  100,000  Einwohner  zählenden  Stadt  Bologna,  deren  Herzog 
im  14.  Jahrhundert  einer  seiner  Vorfahren  war.  Was  dieser  Pe- 
poli für  ein  Mann  ist,  kann  man  aus  dieser  Rede  entnehmen,  nnd 
zugleich  welchen  Einfluss  ein  solcher  Mann  auf  seine  Mitbürger 
haben  muss.  Indem  er  den  versammelten  Arbeitern  dankt,  dass 
sie  ihn  zum  Ehren-Präsidenten  erwählt  haben,  bemerkt  er,  dass 
man  in  der  an  ihn  gerichteten  Dankschrift  die  Verdienste  erwähnt 
habe,  welche  er  sich  durch  die  Beförderung  der  September-Con- 
vention zwischen  Italien  und  dem  Kaiser  Napoleon,  seinem  Vetter, 
(er  ist  nämlich  ein  Enkel  des   König  Murat)  erworben;  er  müsse 


Lltef  ftturberiohte  at»  ItelietL  926 

aber  auf  diese  Ehre  verzichten,  wenn  er  seine  Wahl  dieser  politi- 
schen Bflcksicht  verdanke;  die  Arbeiter- Verbindungen  hätten  mit 
der  Politik  dorchans  nichts  zn  thnn ;  sie  wären  lediglich  zum  Zwecke 
der  Humanität  bestimmt.  Diese  Bede  ist  ein  wahres  Meisterstück 
im  Dienste  der  Menschenliebe. 

Del  piu  conveniente  edißcio  per  residenta   dl  Senaio   del  Regno  dd 
Prof.  Bonaini.  Firenze  1865,    Tip^  Otüüeiana. 

Dies  ist  zwar  nur  eine  Gelegenheitsschrift»  welche  zum  Zwecke 
hat,  bei  der  Yerlegong  der  Residenz  des  Königreichs  Italien  für 
die  erste  Kammer  des  Parlaments  ein  passendes  Lokal  zn  ermit- 
teln ;  doch  dürfte  sie  erwähnt  werden,  da  sie  von  dem  berühmten 
Archivar  Comthur  Bonaini  herrührt,  welcher  so  viele  Verdienste 
um  die  Geschichtsqnellen  zu  Florenz  hat,  als  sein  herrlich  geord- 
netes Archiv  bedroht  war,  an  Baum  zu  verlieren. 

Ddla  amministrazione  mililare    dd  Mar  ehest  F.  Cibo-Ottone^    Voh 
1.  IL  in.  Torino  1863. 

Dies  ist  die  Sammlung  der  Verordnungen  und  gewissermassen 
ein  Lehrbuch  für  alle  Beamten,  welche  mit  der  Militär- Verwaltung 
und  Verpflegung  beschäftigt  sind.  Der  wohlunterrichtete  Herr  Vor^ 
fasser,  Markgraf  Ottone,  ist  Sektions-Chef  im  Kriegsministerium 
des  Königreichs  Italien,  welches  nun  seinen  Sitz  in  Florenz  ge- 
nommen, wo  auch  in  dem  alten  Pallaste  dei  Giudici  ein  Theil  der 
Militär-Verwaltung  untergebracht  ist,  und  die  Gamisons^Bäckerei 
sich  in  denselben  Bäumen  befindet,  welche  die  Bepublik  Florenz 
bereits  anlegte,  wo  die  Silos,  oder  Getraidekeller  aus  jener  Zeit 
noch  jetzt  vorhanden  sind. 

Storia  doeumentaia  della  diploma»ia  eurapea  in  Ualiaj  daü  anno 
1815  alV  186L  Torino  gr.  8.  Casa  Pomba.  1865. 

Dies  wichtige  geschichtliche  Werk  hat  den  Herrn  Bianchi  zum 
Verfasser,  welcher  jetzt  General -Secretär  des  Ministeriums  des 
öffentlichen  Unterrichts  in  Turin  ist,  welcher  also  Gelegenheit  hatte 
das  dortige  Staatsarchiv  zu  benutzen;  er  hat  aber  auclf  die  jetzt 
zugänglichen  Archive  zu  Mailand,  Parma,  Modena,  Bologna  u.  s.  w. 
benutzt  und  damit  eine  auf  Urkunden  gegründete  Geschichte  Italiens 
von  dem  Falle  Napoleon  I.  an,  bis  zur  Entstehung  des  jetzigen 
Königreichs  Italien  bearbeitet;  auf  welche  alle  Geschichtsforscher 
längst  sehr  gespannt  waren.  Es  fängt  diese  Geschichte  mit  der 
Zeit  an,  wo  die  Italiener,  welche  an  die  Errungenschaften  der  grossen 
französischen  Bevolution  durch  die  Franzosen-Herrschaft  gewöhnt 
waren,  es  schwer  empfanden,  den  früheren  Missregierungen  wieder 
verfallen  zu  sein,  welche  durch  die  heilige  Allianz  gehalten  wur- 
den. Hier  wird  nunmehr  aktenmässig  das  Verfahren  der  daikiali* 
gen  Begienmgen  nachgewiesen,  welche  nicht  sowohl  gegeü  das  ge* 
meine  Volk,  sondern  gegen  die  Gebildetsten  am  meisten  wiUkürUch 


M6  LMtti^ti^erfolrti  nm  ftitttt. 

verfohren.  Die  Vornehmfltdn  waren  die  Qebildetsten,  dieOeMldeteien 
aber  fanden  solohe  Bttcksekritte  am  nnleidliobsien  und  sie  fiBUtea 
sieb  erbittert. 

Opere  ediie  e  inedite  dt  0.  B,  Nicolini,  raeeoUt  da  C»  OargioüL 
Müano  1863.  Tom.  IL  gr.  8.  p.  797.  Preaso  QiugonL 

Dies  ist  der  zweite  Band  der  gesammelten  gedmckten  und 
nngedmckten  Werke  des  bekannten  Scbriftstellers  Nicolini ,  too 
denett  der  erste  Band  die  Traaerspiele  Aniold  ▼.Bresda,  Giovanni 
di  Prooida  nod  Leopolde  Sfona  enthaltend,  im  Jahr  1862  araelMi« 
Dieser  Band  entkfüt  Philipp  Strosä»  Foscarini  nnd  Nabacao  mit 
den  Lebensbeschreibnngen  dieser  Helden  der  theatralischen  Muse 
des  Dichters  nnd  yielen  Anmerkungen  versehen. 

i  faiti  di  Cesare  iedo  di  lingua  inedUo  dd  $eeoIo  XIV.  pubbiicatß 
di  L.  Banehi.  Bologna  1863.  Tip.  Romagnolu   gr,  8.  p.  388. 

Die  Thaten  Cäsars  in  einer  Handschrift  ans  dem  Anfange  des 
14.  Jahrhunderts,  welche  sich  in  der  Bibliothek  zu  Siena  (8.  die 
Beechreibnng  dieser  Bibliothek  im  Serapevm  yxm  Geheimeniath 
Neigebaxur)  befindet,  verglichen  mit  noch  zwei  andern  Haadsehnften, 
erscheinen  hier  enm  erstenmale  bekannt  gemacht  dnreh  dieOommie- 
sion  zur  Heransgabe  der  testi  di  lingna,  welche  fOr  die  Provins 
Emilia  von  dem  gelehrten  Gesehiehtsdireiber  Farint  geetiflet  ward, 
bald  nachdem  er  als  Dictator  der  Bomagna,  Panna  nnd  üodena 
verwaltete,  welche  Provinzen  sich  zn  dem  KOnigreiohe  ItaHen  bei- 
tretend erklArt  hatten. 

fja  favola  ritonda  t  Visioria  di  TristanOj  testo  di  Ungua,  ptr  2a 
prima  volta  pubblieaia  di  J.  PoUdori.  J  VoL  Bologna  1864. 
Tip.  R&magn0U.  gr.  6.  p.  961  u.  CXVU. 

Dies  ist  ebenfalls  eine  der  alten  Handschriften  aus  der  ersten 
Zeit  der  Bildung  der  italiettisehen  Sprache,  welche  eiofa  m  der 
Mediceo-Lanrentianischen  Bibliothek  zu  Florenz  befindet,  welche 
von  der  vorstehend  genannten  Commission  heransgegeben  wird 
Dieser  Bhnd  enthält  ausser  der  Einleitung  des  gelehrten  Hern 
Polidori  zu  Siena  den  alten  Text,  und  soll  die  Fortsetzung  An- 
merkungen u.  s.  w.  enthalten.  Es  ist  erstaunlich,  was  jetzt  in 
Italien  auf  das  Auffinden  und  Bekanntmachen  der  ersten  Sprach- 
denkmale Italiens  gewandt  wird. 

La  düa  d'ümbria  neU'  Jppennino  Piaeeniino,  di  B.  PaüaatrdU. 
PiaoenMa  1864.  Tip.  dd  Majo.  4.  Mit  Plänen  und  Phch- 
jgrapfden. 

Alte  Karten  bis  ans  dem  17.  Jahrhandert  enthielten  Naeh- 
lichtea  von  einer  alten  Stadt  üaÜEnria,  weldie  auf  den  über  Pi»» 
eenza  -sich  erhebenden  Appenninen  bestanden  haben  seilte,  ohne 
dass  man  deren  OerttioliMt  kannte^  endlich  q»iheto  diesoH  An- 


LIteTfttvberMiiU  cu  ttalte.  Wt 

demtimgeii  eia  in  Piacenza  sich  seit  dn  paar  Jahren  der  Wissen- 
sehaft  wegen  mnfhaltenden  Herr  Wolf  ans  Amerika  nach,  nnd 
fond  die  Mauern  dieser  alten  Stadt  nebst  den  Orandmaneni  aines 
Tieieokigen  Thnrmes.  Jetst  kat  der  gelehrte  öraf  Paliastrelli  en 
Piacenza,  den  Gelehrten  durch  seine  aatiqnansdhen  und  nomis- 
matisohen  Forschungen  bestens  hekaant,  über  diese  Stadt  hier 
Nachricht  gegeben,  welche  ans  den  altem  daMikeni  deren  nrqnrang 
lange  war  Born  naehweisBt. 

FasH  legislativi  e  parlamenlari  deUe  rivcluzUmi  italiane  nü  seeolo 
XIX.  ddl  Avv.  E.  ßollati.  Vol  IL  Müano  1865.  Tip.  Civillu 
gr.  8,  p.  1217»  In  gespaltenen  Columnen, 

Dieses  Werk  von  dem  fleissigen  Ritter  BoUatii  Secticms-Chef 
im  Ministerium  des  Innern  zu  Turin,  enthält  alle  amtlichen  Yer* 
handlnngen,  welche  in  Italien  seit  dem  Anfange  dieses  Jahrhun- 
derte stattgefunden  haben,  um  Berolutionen  gegen  das  Bestehende 
zu  bewirken.  Damals  war  seit  der  Auflösung  des  heiligen  deutschen 
römischen  Reiches  die  üniversalherrschaffc  Napoleons  gewissermassen 
das  Bestehende;  er  herrschte  bis  zur  Meerenge  yon  Messina  in 
Italien^  nur  in  Sicilien  unterstützten  die  Engländer  die  Volksbe- 
wegungen. Dies  Werk  soll  daher  mit  dem  Parlamente  in  Palenno 
«nfiangen;  doch  ist  der  yorliegende  2*  Band  znecst  heransgegeben 
worden,  der  Ton  1859  bis  1861  die  Pnmnzen  Lombardei  nnd 
Emilia  enthält,  und  mit  der  Proclamation  vom  24.  Mai  1859  an- 
fängt, welche  der  ausserordentliche  Bevollmächtigte  des  EOnigs 
Victor  Emanuel,  der  spätere  Minister  Visconti- Venosta  aus  Mai- 
land naoh  der  Schlacht  Ton  Magenta  für  die  besetaten  Tfaalle  der 
Londmrdei  erliees.  Dieser  jimge  Mann  gehörte  der  löeadladkaft 
der  Fortschrittsmänner  an,  welche  in  Mailand  durch  die  nater  den 
schwierigsten  Verhältnissen  redigirte  Wochenschrifb  >il  Crepnscolo« 
auf  die  Einheits-Bestrebungen  Italiens  wirkte.  Es  war  dieselbe 
von  dem  ausgezeichneten  Literaten  Cairlo  Tenca,  dem  jetzigen  Se- 
eretär  der  Deputirten-Eammer,  mit  solcher  Vorsicht  redigirt  wor- 
den, dass  ihr  die  damalige  sehr  strenge  Österreichische  Polised  nichts 
anzuhaben  vermochte.  Die  in  der  Lombardei  einrückenden  Veiv 
bündeten  fanden  daher  Alles  vorbereitet,  und  folgten  auf  diese 
erste  Bekanntmachung  von  Visconti  Beitritts -Erklärungen  von 
mehreren  Städten  der  Lombardei,  Prodamaüonen  von  Victor  Ema- 
nuel, von  Napoleon  in.  u.  s.  w.  bis  zu  der  völligen  Einver^ 
leibung  der  Lombardei  mit  der  piemcostesieohen  Begierang.  Eben 
so  enthalt  dieses  Werk  die  Proclamation  der  provisorischen  Ver- 
waltung in  Parma  nach  der  Entfernung  der  Herzogin- Vormünderin, 
nnd  die  amtlichen  Verhandlungen  bis  zur  Einrichtung  der  Dictatur, 
welche  der  Volkswille  für  die  Provinz  Emilia  bildete.  Dasselbe  ist 
auch  der  Fall  mit  dem  Herzogthum  Modena  und  der  Bomagna, 
welche  sich  sofort  nach  dem  Abzüge  der  österreichischen  Besatzun- 
gen von  Bologna  u.  s.  w.  selbst  verwalteten ,  bis   sie  der  diese 


ise  J 


026  literitnrlMricIiie  ans  ttAUeü. 

drei  Lltnder  umfassenden  Diotator  beitraten.  Diese  wurde  nun- 
mehr die  Provinz  Emilia  genannt,  weil  sie  dnrch  die  klassische 
Bömerstrasse  mit  einander  in  Verbindung  stehen.  Eben  so  wie 
alle  Öffentlichen  Actenstttcke  dieser  einzelnen  Provinzen  hier  gesam- 
melt sind,  so  sind  es  auch  die  für  die  Gesammt-Provinz  Emilia 
erlassenen  öffentlichen  Aktenstücke  nnter  dem  als  G^sohichiscliFeiber 
bestens  bekannten  Diotator  Farini,  bis  zu  dem  Plebiscit  flir  Victor 
Emanuel.  Man  kann  leicht  ermessen,  von  welcher  Bedeotong  die« 
Werk  ftr  die  Oeschichte  der  Gegenwart  ist,  woraus  zugleich  her^ 
'  vorgeht,  dass  in  Italien  der  monarchische  Geist  vorherrscht ,  denn 
wenn  man  vorher  so  viel  von  republikanischon  Gelüsten  spracb, 
war  jetzt  davon  durchaus  nicht  die  Bede ;  die  früheren  geheimen 
Gesellschaften  hatten  nur  die  Einheit  Italiens  zum  Zwecke  gehabt, 
wie  auch  in  einer  Schrift  nachgewiesen  worden,  welche  unter  fol- 
gendem Titel  erschien:  »Der  italienische  Bund  und  der  deutsche 
Fürstentag,  von  J.  F.  Neigebaur.  Leipzig  1864  bei  Bergson.« 

Due  poveri  fiori,    raeconio  pcpolare   di  C.  Magnico,    Torino  1864. 
Tip,  del  Commereio.   8.  p.  339, 

Dies  ist  eine  Volksgeschichte  in  der  Art  von  unserm  Auer^ 
bach ;  sie  kommen  viel  seltener  in  Italien  vor,  da  die  Standesver- 
schiedenheit hier  weniger  hervortritt,  so  dass  dies  in  sehr  gntem 
Sinne  geschriebene  Buch  hauptsächlich  ftlr  die  Jugend  bestimmt  ist 

Saggio  stdli  nuovi  nslemi  di  #m  coliura  del  Dr.  Ddprino.    Tori»o 
1865.  4. 

Hier  wird  über  die  neuesten  Versuche  den  Seidenbaa  za  ver- 
vollkommnen Nachricht  gegeben,  ein  fllr  Italien  sehr  wichtiger 
Gegenstand. 

Raeeolta   deüa  piu  importanti  düpositioni  legidaiive  e  regoiiime»' 
tarie,  di  Fr.  Lanzeüa.  Napoli  1865.  Tip.  Baldi. 

Herr  Lanzetta,  Mitglied  des  Gassationshofes  zu  Neapel,  hat 
hier  eine  Sammlung  der  Gesetze  und  Verordnungen  über  folgende 
Gegenstände  gegeben :  über  die  Gerichtskosten  in  Strafsachen,  denn 
in  bürgerlichen  Bechtsstreitigkeiten  beziehen  die  Gerichte  keine 
Sportein ;  femer  über  die  Gehalte,  Pensionen  und  Entschädigungen 
der  öffentlichen  Beamten,  femer  über  das  königliche  Ezequatnr  der 
päpstlichen  Bullen,  über  das  ö£Pentlich6  Ministerium  und  die  Hussiers, 
über  die  Depositenkassen  xmd  die  Strafanstalten. 

Neigebaur. 


Ii.  6«.  HEIDElBEßGEE  1866. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR 


Arrian's  Werke.  Uebersetst  und  erläutert  von  Dr,  C.  Cless, 
Obentudienrath,  R.  d,  0.  d,  W,  Krone,  Drittes  Bändchen, 
Anabasis  oder  Feldsüge  Alexander^ 8,  2008.  Viertes  Bändchen, 
Indische  Nachrichten  und  Geschichtliche  Bruchstücke^  Leben 
und  Charakteristik  Arriaris,  IV  und  142  8.  Stuttgart,  Krais 
und  Hoff  mann.    1865.     8, 

Diese  beiden  Bändchen  bringen  den  Schluss  der  Werke  Arrian's, 
auf  die  wir  hier,  nachdem  wir  der  beiden  ersten  Bändchen,  welche 
die  vier  ersten  Bücher  des  Anabasis  enthalten,  in  diesen  Blättern 
(1863.  S.  282  £f.)  gedacht,  um  so  mehr  anfmerksam  machen  müssen, 
als  mit  der  wohlgelongenen  Uebertragung  zugleich  ein  umfas- 
sender sachlicher  Commentar  verbunden  ist,  welcher  in  ein- 
gehender und  gründlicher  Weise  sich  über  Alles  verbreitet,  was 
einer  näheren  Erklärung  bedürftig  erscheint  und  in  Allem  die  Be- 
weise der  umfassendsten  Studien,  wie  der  ausgebreiteten  Bekannt- 
schaft mit  der  gesammten,  den  Arrianus  selbst,  so  wie  das  von 
ihm  Berichtete,  zumal  in  geographischen  wie  historischen  Bingen 
betreffenden  Literatur  darlegt.  Was  in  dieser  Hinsicht  über  den  früher 
erschienenen  Commentar  des  Sallustius  in  diesen  Blättern  (Jahrg. 
1865.  S.  353 ff.)  bemerkt  worden  ist,  das  kann  in  der  That  eben 
so  sehr  von  diesem  Commentar  zu  den  Schriften  des  Arrianus  gel- 
ten. Wir  haben  demnach  eben  so  wohl  die  üebersetzung  wie  den 
Commentar  in  den  Bereich  unseres  Berichtes  zu  ziehen  und  wer- 
den versuchen,  durch  eine  kurze  Darstellung  unsere  Leser  in  den 
Stand  zu  setzen,  sich  selbst  ein  richtiges  ürtheil  über  das  in  bei- 
den Beziehungen  Geleistete  zu  bilden. 

Das  dritte  Bändchen  enthält  den  Schluss  der  Anabasis  mit 
dem  fünften,  sechsten  und  siebenten  Buch,  also  den  Zug 
Alexanders  nach  Lidien  und  die  daran  sich  anschliessenden  Ereig- 
nisse bis  zu  Alexanders  Tod.  Jedem  Buche  ist  ein  genaues  In- 
haltsverzeichniss  vorausgeschickt,  was  die  üebersicht  nicht  wenig 
erleichtert,  dann  folgt  die  üebersetzung,  und  hinter  derselben  die 
Anmerkungen,  welche  durch  einzelne  Nummern  mit  der  üeber- 
setzung in  Verbindung  gebracht  sind  und  von  S.  153— 201  reichen, 
was,  zumal  bei  der  kleineren  Schrifb,  mit  welcher  sie  gedruckt  sind, 
schon  auf  ihren  umfang  hinweisen  kann.  Arrian  hat ,  namentlich 
im  fünften  Buch  sich  in  der  Erzählung  auf  das  beschränkt,  oder 
vielmehr  allein  auf  das  sich  eingelassen,  was  den  Zug  Alexanders 
und  die  damit  zusammenhängenden  Ereignisse  betrifft,  eben  weil 
er  bei  Abfassung  dieser  rein  geschichtlichen  Darstellung  schon  die 
LYUI.  Jahrg.  12.  Heft  59 


980  Arrian'ft  Werke  Ton  Clees. 

Absicht  hatte,  die  er  auch  nachher  ansgeftthrt  hat,  die  Herkwfli- 
digkeiten  der  indischen  Welt  in  einer  eigenen  Schrift  seinen  Zeit- 
genossen vorzuführen,  auch  diess  Cap.  5  dieses  Baches  aosdrücl- 
lich  bemerkt.  Indessen  hat  er  doch  der  geschichtlichen  Erzählung 
eine  Beschreibung  des  Landes  vorausgeschickt ,  aus  der  wir  bier 
Einiges  zugleich  als  Probe  der  IJebersetzung  Capitel  6  anführen 
wollen. 

»Der  grösste  Theil  des  Landes  ist  eine  Ebene,  und  zwar,  ine 
man  vermuthet,  durch  die  Flüsse  angeschwemmt.  Allerdings  nSm- 
lich  sollen  auch   alle   übrigen  Ebenen   des  Welttheils   unfern  des 
Meeres  wenigstens  grösstentheils  in  den  einzelnen  Landstrichen  Ge- 
bilde der  Flüsse  sein,  und  daher  soll  von  alten  Tagen  an  anch  die 
Gegend  je  den  Namen  ihres  Flusses  führen.   So  spricht  man  z.  B. 
von  einer  Ebene  des  Hermus,  welcher  in  (Klein-)   Asien  auf  dem 
Berge  der  Mutter  Dindjmene    entspringt  und   an  Smyma  vorbei 
ins  äolische  Meer  sich  ergiesst;  ebenso  von  einer  Ebene   des  Gaj- 
sters  in  Lydien  von  einem  lydischen  Flusse,  einer  Ebene  desCaie^ 
in  Mysion  und  einer  Ebene  des  Mäanders  in  Carien  bis   zur  joni- 
schen  Stadt  Milet  herunter.  Auch  Aegypten  nennen  die  (xeschicbl- 
schreiber  Herodot  und  Hecatäus  —  oder  von  wem  sonst  die  nnter 
Hecatäus'  Namen  bekannte  Schrift  über  Aegypten  herrührt  —  beide 
übereinstimmend  ein  Geschenk  seines  Flusses  und  mit  einleacbten- 
den  Gründen  hat  Herodot  nachgewiesen,  dass  dem  so  sei,  und  da- 
her auch  das  Land  selbst  vielleicht  vom  Flusse  seinen  Namen  trage. 
Denn  dass  der  Fluss,  welchen  jetzt  Aegyptier  sowohl  als  Nicbt- 
&gyptier  Nil  nennen,  in  alten  Tagen  Aegyptus  geheissen  habe,  da- 
für ist  Homer  ein  gültiger  Zeuge,  wenn  er  sagt,  am  Ausflusse  des 
Stromes  Aegyptus  habe  Menelaus   seine  Schiffe  vor  Anker  gelegt 
Wofern  denn  nun  schon  jeder   einzelne   dieser  nicht   bedeutendes 
Flüsse  im  Stande  ist,  bei  seiner  Mündung  ins  Meer  viel  Land  ab- 
zulagern, wann  er  aus  den  höheren  Gegenden,  wo  seine  Quellen  sisiit ; 
Schlamm  und  Morast  mit  herabführt,  so  dürfen  wir  es  somit  aaoU 
in  Betreff  Indiens  nicht  in  Zweifel  ziehen,   dass   es  grösstentbeil 
eine  Ebene  und   zwar  eine  von  den   Flussarmen  angeschwenunt 
Ebene  sei.    Denn  der  Hermus,  Cayster,  Caicus  und  Mäander,  nu 
all*  die  vielen  Flüsse,  welche  sich  in  unser  inneres  Meer  ergiesse^ 
lassen  sich,  alle  zusammengenommen,  an  Wassermenge  mit  keuiefl 
einzigen  der  indischen  Flüsse  vergleichen,  geschweige  denn  mit  de« 
grössten  derselben,  dem  Ganges,   mit  dem  sich  weder  der  Nilii 
Aegypten,  noch  der  Buropa  durchströmende  Ister  an  Inhalt  messet 
darf,  oder  auch  nur  mit  dem   Indus ,    dem   sie   alle  vereint  nicht 
gleichkommen:   denn  gross  gleich  aus  seinen  Quellen  hervorstrSD* 
mend,  nimmt  er  noch  fünfzehn  andere  Flüsse  auf,  alle  grösser  &I^ 
die  (klein-)  asiatischen ;  und  behält  seinen  Namen  bei,  bis  er  in^ 
Meer  fällt.     So  viel  sei  für  jetzt  über  Indien  gesagt:  das  UebriJ 
bleibe  meiner  Schrift  über  Indien  vorbehalten,  c 

Wir  wollen  dieser  einen  Probe  noch  eine  andere  folgen  hssei 


Axrita's  Werke  von  Gless«  991 

aas  dem  sechsten  Buch,  Gap.  25  wo  Yon  den  Mühseligkeiten  die 
Bede  ist,  welche  das  Heer  bei  dem  Bückzage,  dnrch  die  Sandwüste 
Gedrosien*s  za  erdulden  hatte;  hier  heisst  es  unter  Anderm: 

»An  Lastthieren  aher  litt  das  Heer  auch  durch  eigene  Schuld 
bedeutende  Einbusse.  Denn  so  oft  ihnen  die  Lebensmittel  aus- 
gingen, traten  sie  zusammen,  sohlachteten  die  meisten  Pferde  und 
Maulesel  ab.  Terzehrten  ihr  Fleisch  und  gaben  dann  yor,  sie  seien 
Yor  Durst  gefallen  oder  den  Anstrengungen  erlegen.  Den  wahren 
Thatbestand  zu  ermitteln  trat  Niemand  auf,  theils  wegen  der 
Drangsale,  theils  weil  alle  insgesammt  gleich  schuldig  waren.  Zwar 
blieb  Alexandern,  was  vorging,  nicht  verborgen ;  allein  bei  so  be- 
wandten Umständen  erblickte  er  die  Abhülfe  eher  darin,  dass  er 
sich  unwissend  anstellte,  als  wenn  er  die  Sache  wissentlich  ge- 
stattete. Dadurch  aber  kam  es  so  weit,  dass  man  weder  die  von 
Krankheit  Ueberfallenen  im  Heere,  noch  die,  welche  vor  Erschöpfung 
am  Wege  liegen  blieben,  leicht  weiter  schaffen  konnte;  denn  nicht 
nur  war  Mangel  an  Saumthieren  eingetreten,  sendern  sie  zerschlu- 
gen auch  eigenhändig  die  Frachtwägen,  weil  sie  ausser  Stands 
waren,  dieselben  in  dem  tiefen  Sande  fortzubringen,  und  sich  dess- 
halb  auf  den  ersten  Tagmärschen  genöthigt  sahen,  nicht  die  kür- 
zesten, sondern  die  für  das  Fuhrwerk  gangbarsten  Strassen  einzu- 
schlagen. Und  so  blieben  denn  Einige  krankheitshalber  an  den 
Wegen  liegen.  Andere  von  Erschöpfung,  Hitze  oder  Durst  über- 
wältigt, und  es  fehlte  an  Leuten,  um  sie  weiter  zu  schaffen,  oder 
zu  ihrer  Verpflegung  zurückzubleiben;  denn  in  grosser  Eile  ging 
der  Zug  vorwärts  und  unter  der  Sorge  für  das  Ganze  mosste  die 
Sorge  für  den  Einzelnen  unumgänglich  Noth  leiden«  Einige  wur* 
den  auch  unterwegs  vom  Schlafe  übermannt,  weU  man  eben  grössten- 
theils  die  Nacht  durch  marsohiren  musste.  Standen  sie  dann  auch 
wieder  auf,  so  verfolgte  zwar,  wer  noch  bei  Kräften  war,  die  Spuren 
des  Heeres,  und  Wenige  von  Vielen  retteten  sich  so;  die  Meisten 
jedoch  kamen,  wie  auf  dem  Meere  verschlagen,  im  Sande  um.« 

Man  glaubt  in  der  That,  die  Beschreibung  eines  Zugs  durch 
die  Wüste  in  neuerer  Zeit,  und  nicht  vor  mehr  als  zweitausend 
Jahren  zu  lesen.  Aus  beiden  Proben  aber  wird  Jedermann  ersehen, 
wie  der  Verfasser  eine  üebersetzung  geliefert  bat,  welche  durch 
eine  einfache  und  klare,  aber  doch  fliessende  Sprache,  bei  aller 
Treue  des  Einzelnen,  sich  auszeichnet,  und  in  so  fern  selbst  von 
der  natürlichen  Einfachheit  des  griechischen  Originals  dem  Leser 
einen  Begriff  zu  geben  vermag.  Dasselbe  wird  der  Fall  sein,  wenn 
wir  noch  weiter  Einiges  aus  dem  siebenten  Buch,  und  zwar  aus 
dem  Urtheil  Arrian's  über  Alexander  den  Qrossen  hier  anführen« 
Wir  lesen  im  1.  Capitel: 

»Was  mich  anlangt,  so  vermag  ich  weder  mit  Sicherheit  an- 
zugeben, was  für  Plane  Alezander  im  Schilde  führte,  noch  küm- 
merte mich,  Vermutbungen  darüber  anzustellen.  Soviel  aber  glaube 
ich  behaupten  zu  dürfen,  dass  Alexander  weder  etwas  Geringes  und 


Ml  ArrWa  V/erke  von  Glett. 

Unbedeutendes  Torhatte,  noch  dass  er  bei  dem  bereits  Erworbenen 
rahig  stehen  geblieben  wäre,  selbst  wenn  er  noch  Europa  zu  Asien, 
oder  selbst  die  britannischen  Inseln  zu  Europa  hinzu  erobert  hätte ; 
sondern  dass  er  vielmehr  noch  darüber  hinaus  eines  und  das  andere 
der  unbekannten  Länder  aufgesucht  haben  würde,  und  wenn  auch 
mit  niemand  Anderem,  so  doch  wenigstens  mit  sich  selbst  in  einen 
Wettstreit  eingetreten  wäre.  Und  in  diesem  Betracht  lobe  ich  die 
Weisen  der  Inder,  deren  einige,  von  Alexander  unter  freiem  Him- 
mel auf  einer  Wiese  angetroffen,  wo  sie  ihre  Unterhaltungen  an- 
zustellen pflegten,  bei  seinem  und  seines  Heeres  Anblick  Nichts 
weiter  gethan  haben  sollen,  als  dass  sie  mit  ihren  Füssen  auf  deo 
Boden  stampften,  worauf  sie  standen.  Als  sie  aber  Alexander  durch 
DoUmetscher  fragen  liess,  was  diess  ihr  Vornehmen  bedeute, 
da  hätten  sie  folgende  Antwort  gegeb^^n;  König  Alexander,  jeder 
Mensch  nimmt  nur  so  viel  Erde  ein,  als  das  ist,  worauf  wir  stehen ; 
du  aber,  obgleich  nur  ein  Mensch,  gleich  wie  andere  Menschen»  aus- 
genommen, dass  du  vielgeschäftig  und  übermüthig  bist,  durchziehst 
von  deiner  Heimath  aus  so  viele  Länder  der  Erde,  dir  selbst  und 
Anderen  Unlust  bereitend.  Und  doch  in  Kurzem  auch  eine  Leiche, 
wirst  du  so  viel  Erde  einnehmen,  als  zum  Begräbniss  deines  Leibes 
hinreicht.« 

Auch  die  drei  Schlussoapitel,  in  welchen  Arrian  die  Persön- 
lichkeit wie  den  Charakter  Alexander* s  schildert,  gehören  hierher, 
wir  wollen  nur  den  Anfang  des  28«  Kapitels  beifügen: 

»Von  Körper  war  er  sehr  schön  und  äusserst  thätig ;  sehr  rasch 
in  Ausführung  seines  Willens,  höchst  mannhaft;,  ungemein  ehrgeizig, 
in  hohem  Orade  gefahrliebend  und  im  Götterdienste  sehr  aufmerk- 
sam, in  leiblichen  Genüssen  sehr  enthaltsam,  in  geistigen  für  Lob 
allein  unersättlich;  bei  einem  noch  ungewissen  Stand  der  Dinge 
war  er  ebenso  geschickt,  das  Erforderliche  zu  ersehen,  als  höchst 
glücklich,  aus  klar  vorliegenden  Verhältnissen  die  wahrscheinlichen 
Folgen  zu  errathen,  und  ungemein  erfahren,  um  ein  Heer  zu  stellen, 
zu  bewaffnen  und  auszurüsten,  den  Muth  seiner  Soldaten  anzufeuern, 
sie  mit  guten  Hoffnungen  zu  erfüllen  und  die  Furcht  in  den  Ge- 
fahren durch  seine  Furchtlosigkeit  zu  verscheuchen:  zu  dem  Allem 
war  er  wie  geschaffen.  Und  daher  ging  er  auch  bei  Allem ,  wo 
aufs  Ungewisse  zu  handeln  war,  mit  der  grössten  Zuversicht  zu 
Werk,  und  wo  es  galt,  durch  Ueberraschung  dem  Gegner  einen 
Yortheil  abzugewinnen,  verstand  er  es  ganz  meisterlich,  demselben 
zuvorzukommen,  bevor  dieser  etwas  der  Art  auch  nur  von  fem  her 
besorgte.  In  Erfüllung  von  Verträgen  oder  mündlichen  Znsagen 
war  er  unerschütterlich  fest;  gegen  Betrüger  und  ihre  Schlingen 
möglichst  gesichert,  mit  dem  Gelde  für  eigene  Genüsse  ebenso 
sparsam,  als  in  Wohlthätigkeit  gegen  Andere  höchst  freigebig.« 

Mit  dieser  Schilderung  Arrian's  wird  man  nun  zu  verbinden 
haben  die  Erörterung,  welche  unser  Verfasser  am  Schlüsse  seiner 
Anmerkungen  8.  199—201   gegeben   hat,    insofern  er   darin  das 


AxTiAn*B  Werko  von  Cless.  dSS 

üri;beil  Arrian's  über  Alexander,  nach  den  Licht-  und  Schatten- 
seiten desselben»  einer  eingehenden  Prüfung  und  Vergleichung  mit 
anderen  Zeugnissen  und  Urtheilen  des  Alterthums  unterwirft,  und 
daran  selbst  die  Urtheile  neuerer  Schriftsteller  in  ihrem  Gegen- 
sätze anreiht,  um  so  zu  einer  ebenso  gerechten  als  sicheren  Würdi- 
gung Alexander's  zu  führen.  Man  wird  bei  näherer  Betrachtung 
dem  Verf.  nicht  Unrecht  geben  können,  wenn  er  der  Charakteristlky 
welche  Arriau  tou  Alexander  gibt,  den  Vorzug  zuerkennt,  dass  sie 
eine  klare  Einsicht  in  das  Wesen  und  Thun  des  Mannes  gebe,  der 
nach  seinen  Licht-  und  Schattenseiten  hier  gezeichnet  werde,  die 
Thaten  desselben  richtig  würdige,  freilich  mit  üebergehung  seiner 
ausgezeichneten  Liebe  für  Kunst  und  Wissenschaft,  und  bei  aller 
Begeisterung  für  die  OrOsse  des  Mannes  doch  eine  im  Ganzmi  un- 
partheiische  Haltung  bewahre,  und  in  so  fem  wohl  auch  vor  der 
Darstellung  desCurtius  wie  des  Liyius  den  Vorzug  yerdiene.  Eben 
so  wird  man  dem  Verfasser  beistimmen  müssen,  wenn  er  gegen  die 
Zweifel  Grote's  an  den  grossen  und  edlen  Absichten  Alexander's 
sich  erhebt,  und  die  Grösse  und  Bedeutung  Alexander's  für  alle 
kommenden  Zeiten  anerkannt  wissen  will. 

Die  Anmerkungen  haben  den  Zweck,  nicht  blos  an  einzelnen 
bestrittenen  Stellen  die  von  dem  Verf.  bei  der  üebersetzung  ge- 
wählte Lesart  zu  rechtfertigen  (wie  z.  B.  zu  V,  9.  10.  14.  25. 
VU,  8.  11.  26,  wo  man  mit  der  Erklärung  und  Auflassung  des 
auf  Alexander  angewendeten  XQattötog  als  eines  Ausdrucks,  welcher 
die  Begriffe  einer  alle  Andern  überragenden  Tüchtigkeit  und  Tapfer- 
keit vereinigt,  wohl  sich  einverstanden  finden  wird,  u.  dgl.  m.), 
und  damit  also  das  richtige  Verständniss  zu  fördern,  sondern  sie 
geben  auch  die  befriedigendsten  und  umfassendsten  Erklärangen  über 
alle  geographischen  oder  historisch-antiquarischen  Punkte,  welche 
eine  Erörterung  wünschen  lassen:  der  Verfasser  ist  zwar  überall 
bemüht,  in  gedrängter  Kürze  nur  das  Hauptsächliche  oder  das  Er- 
gebniss  der  über  strittige  Gegenstände  geführten  Forschung  mitzu- 
theilen,  allein  er  verbindet  stets  damit  umfassende  Naehweisun- 
gen  so,  dass  Jeder,  der  weiter  über  den  Gegenstand  sich  orien- 
tiren  will,  Alles  hier  verzeichnet  findet,  was  ihm  dazu  nothwendig 
ist.  Die  Urtheile  über  andere,  vonArrian  genannte  oder  auch  be- 
nutzte Schriftsteller  zeugen  von  richtiger  Auffassung,  wie  z.  B. 
das  über  Ctesias,  zu  V,  4;  oder  auch  über  Hecatäus  zu  V, 
6 ;  denn  dass  an  der  letzten  Stelle  Hecatäus  von  Milet  gemeint  sei, 
wird  kaum  einem  Bedenken  unterliegen  können;  eben  so  die  ge- 
nauen chronologischen  Bestimmungen  über  Aiexander's  Leben  zu 
VIT,  28.  Wenn  oC  koyioi  VII,  16  nicht  durch  die  Geschicht- 
kundigen  wiedergegeben  ist  (wie  Indic.  1  mit  der  Note),  sondern 
die  Wahrsager  der  Chaldäer,  so  rechtfertigt  die  Note  hinreichend 
diese  mit  dem  Zusammenhang  der  ganzen  Stelle  allein  überein- 
stimmende Erklärung.  Zu  der  VII,  18  gegebenen  Erklärung  von 
den  hundert  augeblichen  Amazonen,   welche  AtropateSf  der  Statt- 


93i  AfiUn^a  Weike  Ton  Olett. 

kalter  Ton  Medien  an  Alexander  geschickt  haben  soll,  was  Arrian 
zu  einer  weiteren  Betrachtnng  ttber  das  Vorhandensein  dieses  Wei- 
bervolkes yeranlasst,  mit  der  Bemerkung,  dass,  wenn  das  Faktnm 
richtig  sei,  hier  an  im  Reiten  geübte  Weiber  Ton  Barbaren,  die 
wie  Amaxonen  herausgeputzt  waren,  zu  denken  sei,  gibt  der  Ver* 
fieisser  eine  Bemerkung,  welche  sich  im  Oanzen  dieser  letzten  Aof- 
&88ung  ansehliesst  und  hier  etwa  an  Kurdinnen  denken  möchte, 
da  in  Kurdistan  heute  noch  Weiber  viel  Macht  und  Einfluss  haben ; 
ftbrigens  zweifelt  auch  er  nicht  an  der  Wahrheit  von  gewisser 
Weiberheirschaft  im  Orient  noch  in  der  historischen  Zeit.  Die  in 
demselben  Oapitel  erwähnten  Nisftischen  Bosse  (der  Verf.  schreibt 
Nesftischen,  nach  der  auch  von  Geier  empfohlenen  Lesart  NrficOoi; 
wfthrind  Dübner  NwuOOi  hat;  ob  richtig?  da  Herodotus,  auf  den 
sieh  Arrian  beruft,  NiötOoi  hat)  werden  mit  Recht  in  die  Waide- 
plfttze  verlegt,  welohe  zwischen  Kermanschah  und  Ispahan  sich  auf  einer 
Hochebene  ausbreiten.  Eben  so  richtig  finden  wir  auch  in  der  An- 
merkung zu  Vn,  7  die  beiden  Flüsse  Eulaeus  und  Choaapes 
sergfiUtig  unterschieden,  jenen  als  den  Ostlich  von  Susa  fliessenden 
oberen  Karun  oder  Kur  an,  diesen  als  den  westlich  davon  lau- 
fenden Kerrah  oder  Kerkka;  da  beide  sich  nicht  w^it  von  Susa 
mit  einander  vereinigen,  so  konnte  leicht  eine  Verwechslung  statt 
finden,  wie  wir  schon  zu  Herodot.  I,  188  bemerkt  haben;  die  An- 
sicht, welche  den  Choaspes  im  Shapiir  sucht,  und  den  Euläus  im 
untern  Laufe  des  Kuran  erkennen  will,  können  wir  nicht  für  be- 
gründet halten.  Auch  über  die  schwierige  Lage  von  Pasargad& 
(zu  VI,  29)  hat  sich  der  Verf.  naher  erklärt;  er  führt  die  ver- 
schiedenen Ansichten  der  neueren  Forscher  an,  meint  aber  doch, 
dass  nach  den  Andeutungen  von  Strabo,  Ptolemäus  und  Arrianus  Pa- 
sargadä  südüstlich,  nicht  aber  nordöstlich  von  Fersepolis  zu  suchen 
sei  (also  nidit  bei  dem  jetzigen  Murghab).  Vielleicht  gelingt  es 
neueren  Untersuchungen ,  in  diesen  Gegenden  angestellt,  zu  einem 
sicheren  Endergebniss  zu  gelangen.  Auch  die  ttber  den  Indus  und 
dessen  Breite,  wie  über  das  von  ihm  gebildete  Delta  zu  VI ,.  14 
und  17  gegebenen  genauen  Erörterungen  werden  eben  so  sehr  be- 
friedigen, wie  die  Erläuterungen  über  Ebbe  und  Fluth  zu  VI,  19, 
oder  über  die  Krokodile  zu  VI,  2  vergl.  zu  Indic.  6;  über  das 
mythische  Nysa  zu  V.  1, 

Das  andere  Bändchen  enthält  Arrian*s  Buch  über  Indien,  ge- 
wissermassen  eine  Vervollständigung  der  Anabasis  mittelst  der  Er- 
zählung von  der  Küstenfahrt  Nearch*s,  nach  dem  Berichte  dessel- 
ben, und  mit  einer  vorausgeschickten  Erörterung  über  das  Land  Indien 
und  seine  Bewohner,  wie  denn  am  Schlüsse  dieser  Darstellung, 
welche  über  die  Naturbeschaffenheit  des  Landes  und  alle  seine 
Eigenthümlichkeiten  sicli  verbreitet  und  in  so  fem  gewissermassen 
den  ersten nieil  dee  Gkinzen bildet,  Arrianus  selbst  cap.  17  schreibt: 
»Diess  genügt  mir  über  die  Inder  bekannt  gemacht  zu  haben,  was 
Nearch  und  ^e^gasthenes,  zwei  bewährte  Männer,   als  das  Merk- 


Axria&'B  Werke  von  CletB.  936 

würdigste  anfgezeiobnet  haben ;  da  es  eigentlich  nicht  die  Aufgabe 
dieser  meiner  Schrift  war,  die  Einrichtungen  der  Inder  zn  be* 
achreiben,  sondern  vielmehr,  wie  die  Flotte  Alexander*s  von  Indien 
nach  Persien  übergeführt  wurde.  So  mßge  diess  denn  als  eine  Ab« 
Schweifung  von  meinem  Hauptgegenstande  gelten,  c 

Der  Verfasser  hat  beiden  Abtheilungen  der  Schrift  die  gleiche 
Sorgfalt  zugewendet :  die  Nachrichten  über  Indien,  die  Beschaftenheit 
des  Landes,  die  Flüsse,  die  Thierwelt,  die  Menschen,  und  deren 
Lebensweise,  werden  in  den  nachfolgenden  Anmerkungen  durchweg 
mit  den  Berichten  anderer  alten  Schriftsteller  verglichen,  und  eben 
so  zu  ihrer  richtigen  Aufifiorssung  und  Würdigung  Alles  das  benutzt, 
was  von  neueren  Forschern  ermittelt  worden  ist,  und  dasselbe  gilt 
auch  von  dem  andern  Theile,  wo  besonders  die  geographischen 
Angaben,  die  Bestimmung  der  von  Arrian  erwähnten  Orte,  die 
Entfernungen  derselben  von  einander  xu  dgl.  mit  ungemeiner  Sorg« 
falt  und  Gründlichkeit  behandelt  sind,  um  so  das  volle  Yerstfind« 
niss  der  interessanten  Ettstenfahrt  zu  erzielen.  Mit  Becht  aber 
nimmt  der  Verf.  Anstoss  an  dem  Schluss  des  Büchleins  oder  vielmeht 
an  dem,  was,  nachdem  die  Vereinigung  mit  Alexander  stattgefunden, 
noch  im  43.  Gap.  gewissermassen  nachhinkt,  und  keinen  rechten 
und  passenden  Schluss  der  ganzen  Erzählung  bildet:  entweder  fehlt 
hier  noch  Etwas,  was  uns  nicht  erhalten  ist,  oder  wir  sind  zu  der 
Annahme  eines  ungenügenden  Schlusses  genöthigt,  in  so  fem  der 
Schriftsteller,  der  wohl  die  Absicht  gehabt,  das  Gbinze  der  Erzäh- 
lung durch  einige  passende  Worte  oder  Betrachtungen  abzuschlies- 
sen,  dazu  nicht  gekommen  und  so  diesen  Theil  seiner  lehrreichen 
und  für  uns,  bei  dem  Mangel  anderweitiger  Nachrichten,  so  wich* 
tigen  Schrift  nicht  ganz  vollendet  hinterlassen  hat.  Diess  ist 
wenigstens  der  Eindruck,  den  auf  uns  die  wiederiiolte  Lectttre  die- 
ses Schlnsscapiters  gemacht  hat. 

Im  Einzelnen  ist  auch  hier  Alles  auf  das  Genaueste  erläutert 
und  namentlich  das,  was  zur  Beschreibung  des  Landes  und  der 
Bewohner  Indiens  gehört,  aus  den  alten  Schriftstellern,  wie  aus  den 
heimischen  Quellen  besprochen,  unter  Hinweisung  auf  neuere  Schrift- 
steller, welche  diese  Gegenstände  in  grösserer  Ausdehnung  behan- 
delt haben.  Um  auch  hier  einige  Beispiele  anzugeben,  erinnern 
wir  an  die  Bemerkung  zu  §.  2  über  die  indischen  Gebirgsnamen 
Paropamisus,  Emodus  und  Imaus  und  die  Beziehung  derselben  auf 
Himalaja;  oder  an  die  Bemerkung  zu  cap.  8  wo  y^g  nsgCodog 
(von  dem  Werke  des  Eratosthenes)  richtig  mit  Erdbeschrei- 
bung wieder  gegeben  ist  und  auf  Aristot.  Bhet.  1,  4,  28,  wie 
HerodotusIV,  36  verwiesen  wird,  wo  es  mit  tcCvoI^  verbunden  sei : 
diess  ist  aber  vielmehr  an  der  andern  Stelle  der  Fall  V,  49  wo 
Aristagoras  von  Milet  den  Lacedämoniem  zeigt:  %ahtBOV  tcivaxa, 
iv  TGi  y^g  anaörig  nsgiodog  ivstit(iifco  x.  r.  A.;  in  jener  Stelle 
ist  wohl  kaum  die  spöttische  Beziehung  auf  des  Hecatäus  Erdbe- 
schreibung unter  diesem  Titel  zu  verkennen.    Eben  so  mag  auch 


886  ArrUm*8  Werke  von  Clete. 

wohl  an  das  erinnert  werden,  was  zu  cap.  4  ü'ber  die  yerscbiede- 
nen  Flüsse  Indiens  bemerkt  wird ;  ansprechend  ist  hier  die  Ver- 
muthung,  dass  da,  wo  von  den  Nebenflüssen  des  Ister  die  Rede 
ist,  dem  Enos  und  Saos,  zn  lesen  sei  6  dh  Imoq  xotxa  Ilavvovag 
statt  üaiovag^  oder  man  müsste annehmen,  dass  die  Pftonier  in 
Thracien  sich  bis  zn  dem  Flnsse  Saos  ausgebreitet  hätten,  oder 
wenigstens  diess  die  Ansicht  Arrian*s  gewesen,  so  wenig  glaublich 
auch  diess  ans  andern  Rücksichten  erscheint. 

Mit  gleichem  Interesse  wird  man  die  Bemerkungen  über  Sandra- 
eottns  und  Indathyrsus  (zu  §.  5)  lesen,  so  wie  über  mehrere  der 
erwähnten  Thiere  der  indischen  Welt,  namentlich  auch  der  Elephanteo 
cap.  13,  14.  15:  die  hiervon  Arrian  erwähnte  Sage  von  den  Gold 
ausgrabenden  Ameisen,  die  wir  gewissermassen  schon  bei  Herodot 
m,  102  ff.  finden,  wird  auf  die  Thatsache  zurückgeführt,  dass  aaf 
den  sandigen  Ebenen  Tubets,  Murmelthiere  —  von  den  Indiem 
als  Ameisen  bezeichnet  —  vor  den  Mündungen  der  Höhlen,  in 
welchen  sie  lebten,  gleich  Maulwürfen  den  Goldsand  aufgehäuft; 
die  Nachrieht  von  den  16  Ellen  (24  Fuss)  messenden  Schlangen 
wird  auf  die  Boa  constrictor  oder  Riesenschlange  bezogen.  Eine 
eingehende  Erörterung  ist  zu  §.  11  dem  indischen  Kastenwesen, 
wie  es  Arrian  darstellt,  gewidmet. 

Diese  wenigen  Belege,  im  Yerhältniss  zu  der  Masse  des  hier 
Gegebenen,  mögen  genügen,  um  zu  zeigen,  wie  auch  diese  Schrift 
des  Arrianus  sich  der  gleichen  Berücksichtigung,  wie  die  Anabasis, 
mittelst  eines  ebenso  umfassenden,  mit  allen  Nachweisungen  reichlich 
ausgestatteten  Commentars  erfreut.  Der  Verfasser  hat,  um  eine 
vollständige  üebersicht  der  historischen  Schriften  Arrian' s  zu  geben, 
noch  eine  üebersetzung  folgen  lassen  der  von  Photius  Bibl.  Cod.  92 
in  einem  Auszug  mitgetheilten  zehn  Bücher  der  Geschichte  nach 
Alexander,  so  wie  des  Bruchstückes  aus  den  siebenzebn  Büchern 
Parthisoher  Geschichte,  und  der  Bithyniscben  Geschichte  bei  dem- 
selben Photius  Bibl.  Cod.  58  und  93;  auch  diese  Stücke  sind  mit 
erklärenden  Anmerkungen  begleitet.  Den  Schluss  des  Ganzen  bil- 
det S.  135—142:  »Arrian's  Leben  und  Charakteristik«  ein  Auf- 
satz, der  auf  einen  verhältnissmässig  sehr  geringen  Raum  Alles 
das  zusammengedrängt  hat,  was  über  Leben  und  Schriften  dieses 
ausgezeichneten  Mannes  mit  Sicherheit  ermittelt  und  bekannt  ist, 
und  damit  eine  Würdigung  desselben,  sowohl  nach  seinem  pei-sön- 
lichen  Verhalten,  wie  nach  seinen  literarischen  Leistungen  verhin- 
det,  auf  die  wir  noch  besonders  hinweisen  zu  müssen  glauben.  Wir 
wollen  nur  Einen  Punkt  daraus  hervorheben,  die  Nachahmung 
Xenophons,  die  dem  Arrianus  schon  im  Alterthum  den  Namen 
des  jüngeren  Xenophon  verschafft  hat.  Mit  vollem  Recht  will  der 
Verfasser  diese  Bezeichnung  nicht  auf  eine  blos  äusserliche  Aehn- 
lichkeit  beschränkt  sehen,  sondern  vielmehr  auf  die  innerliche  Aehn- 
lichkeit  ausdehnen,  in  so  fern  Arrian,  nach  diesem  seinem  Vorbilde, 
seiner  Erzählung    durch    dieselben   künstlichen  Mittel  Leben  und 


Kömisebe  Oeecb.  v.  Mommsen  n.  OrtecblBolie  von  Curtius.      MT 

Mannichfaltigkeit  zn  verleihen  gestiebt,  dass  er  bemüht  war,  inun« 
gesuchter  Natürlichkeit  nod  Einfachheit,  in  Leichtigkeit  des  Ana« 
drucks  nnd  einer  gefälligen,  anmnthigen  Darstellung  seinem  Vor- 
bilde sich  möglichst  anznnAbem,  und  dadurch  vor  der  rhetorischen, 
bald  schworfälligen  bald  schwülstigen  Ausdrucksweise  bewahrt  blieb, 
die  den  gleichzeitigen  Producten  der  Geschichtschreibung  mehr  oder 
minder  anklebt,  und  gern  stimmen  wir  dem  Verfasser  bei ,  wenn 
er  dem  Arrian  unter  den  Oeschichtschreibern  des  kaiserlichen  Bom*s 
nicht  blos  eine  der  ehrenvollsten  Stellen  zuerkennt,  sondern  ihn 
auch  unter  allen  uns  erhaltenen  griechischen  Historikern  nur  einem 
Herodotus,  Thucydides  und  Xenophon  nachgesetzt  wissen  will. 

Chr.  B&hr. 


Römische  OeschiehU  von  Theodor  Mommsen,  Zweiter 
Band,  ^on  der  Schlacht  bei  Pydna  bis  auf  SuUa's  Tod. 
Vierte  Auflage.  Berlin,  Wddmann'^sche  Buchhandlung  1865, 
470  S.     8. 

Griechische  Geschichte  von  Ernst  Curtius,  Zweiter  Band, 
Bis  sum  Ende  des  Peloponnesvtchen  Krieges.  Zweite  Auflage, 
Berlin.      Weidmännische  Buchhandlung    isßS.  763  8.  8. 

Beide  Werke,  wie  sie  hier  in  erneuerten  Auflagen  vorliegen, 
sind  nach  ihrem  Inhalt,  wie  nach  ihrer  Tendenz  hinreichend  be- 
kannt, ein  eingehender  Bericht  darüber  aus  diesem  Grunde  kaum 
nothwendig;  es  mag  daher  genügcu,  das  Verbältniss  der  neuen 
Auflagen  zu  den  zunächst  vorausgegangenen  anzugeben. 

Die  vierte  Auflage  des  zweiten  Bandes  der  römischen  Ge- 
schichte ist  ein  erneuerter  Abdruck  der  dritten  und  setzt  die  neue 
(vierte)  Auflage  des  ersten  Bandes  in  dieser  Weise  fort ;  die  z  w  e  i  t  e 
Auflage  des  zweiten  Bandes  der  griechischen  Geschichte  ist  kein 
blosser  Wiederabdruck,  sondern  ist  das  Ganze  einer  Durch- 
sicht selbst  bis  in  das  Einzelne  unterworfen,  wobei  von  allen 
den  Specialforschungen,  wie  sie  über  einzelne  Punkte  der  in  diesem 
Bande  behandelten  Gegenstände  inzwischen  erschienen  waren,  Ge- 
brauch gemacht  wird;  was  zu  manchen  Aendenmgen  im  Einzelnen 
und  selbst  Erweiterungen  Veranlassung  gegeben  hat:  die  sorgsam 
nachbessernde  Hand  des  Verfassers,  unterstützt  auch  durch  einige 
gelehrte  Freunde,  deren  das  Schlusswort  dankend  gedenkt,  hat  in 
dieser  Hinsicht  nicht  leicht  Etwas  tibersehen,  was  für  den  erneuer- 
ten Abdmck  von  Nutzen  sein  konnte.  So  ist  denn  bei  ganz  glei- 
chem Druck  der  Umfang  des  Buches  von  684  Seiten  der  ersten 
Auflage  zu  786  Seiten  gewachsen,  an  welche  die  Anmerkungen 
S.  737—763  sich  anreihen,  die  in  der  ersten  Auflage  nur  19  Sei- 
ten (S.  685—704)  einnehmen.  Wer  näher  und  im  Einzelnen  über 
so  manche  Aenderungen,  zu  welchen  der  Verf.  sich  veranlasst  sah, 
Auskimft  zu  erbalten  wünscht,  wird  sie  hier  finden,   und  dadurch 


138  Livingstone:  RelMn  is  BfidafirOuL 

am  besten  von  dem  sich  überzengen  können,  was  wir  eben  über 
die  genaue  Durchsicht,  welche  dem  Ganzen  aller wftrts  znTheil  ge- 
worden ist,  bemerkt  haben:  denn  diese  Anmerkungen  enthalten 
theils  Nachweisung  der  betreffenden  Stellen  alter  Schriftsteller,  auf 
welche  die  geschichtliche  DarsteUung  in  einzelnen,  meist  streitigen 
Punkten  sich  stützt,  oder  sie  dienen  zur  Begründung  der  auf^e« 
stellten  Ansicht  und  geben  in  dieser  Hinsicht  zu  einer  näheren  Be- 
sprechung mancher  Stelle  Veranlassung,  was  allerdings  um  so 
Wünschenswerther  ist,  als  die  geschichtliche  Erzählung  im  Ganzen 
aller  derartigen  Belege  oder  Nachweisungen,  wie  es  im  Plan  und 
Anlage  des  ganzen  Unternehmens  liegt,  entbehrt,  und  der  VerfL 
vielfach  bemüht  ist,  in  oft  kühner,  aber  stets  geistreicher  und  von 
Yerständniss  des  Alterthums  zeugender  Weise  die  mannig&chen 
Lücken,  welche  aus  Mangel  an  Quellen,  die  alte  Geschichte  bietet, 
auBzufüllen  und  so  das  Ganze  zu  einem  schönen  Gesammtbilde  nach 
allen  Seiten  hin  abzurunden.  Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe 
sein,  in  alle  diese  Einzelheiten  einzugehen  und  dieselbe  einer  Be- 
sprechung zu  unterziehen,  welche  allerdings  einen  die  Gränzen  die> 
ser  Anzeige  weit  überschreitenden  Baum  in  Anspruch  nehmen 
würde:  überdem  ist  der  Verfasser  im  Ganzen  den  schon  in  der 
ersten  Auflage  aufgestellten  und  daher  bekannten  Ansichten  treu 
geblieben,  wenn  er  auch  im  Einzelnen  Aenderungen  vorgenommen 
und  alles  einer  genauen  Bevision  unterzogen  hat;  der  aufinerk- 
same  Leser  wird  bald  sich  davon  überzeugen  können,  wenn  er  in 
die  neue  Auflage,  zumal  in  die  Anmerkungen  einen  Blick  wirft. 
Mit  gerechtem  Verlangen  aber  wird  man  der  baldigen  Fortsetzung 
dieses  von  einem  edlen  Geiste  getragenen,  auf  gründlicher  For* 
schung,  wie  selbst  eigener  Eenntniss  des  Landes  beruhenden  Wer- 
kes entgegensehen. 


Neue  Mianonereisen  in  Süd^Afrika^  unternommen  im  Auftrage  der 
englischen  Regierung,  Forschungen  am  Zambesi  und  seinen 
Nebenflüssen,  nebst  Entdeckung  der  Seen  Schiru>a  und  Ni/asaa 
in  den  Jahren  1868  bis  1864.  AutoriHrte  vollständige  Ausgabe 
für  Deutschland*  Von  David  und  Charles  Livingstone, 
Aus  dem  Englischen  von  J.  C.  A,  Martin.  Nebst  einer KaHe 
und  40  Illustrationen  in  Holssschniit^  Erster  Band,  Jena  und 
Ldpzig,  Hermann  Costenoble.  1866,  Vll  u.  S58  S.  Zweiler 
Band  XIX  und  346  8.  in  gr.  8. 

Diese  Beise,  über  welche  in  vorstehendem  Werke  ein  sehr  an- 
ziehender und  interessanter  Bericht  erstattet  wird,  war  in  ein  Land 
und  in  eine  Gegend  gerichtet,  die  bisher  fast  völlig  unbekannt, 
der  Cultur  und  Civilisation  erschlossen  werden  sollte,  deren  sie  in 
jeder  Hinsicht  fähig  ist,  und  wollen  wir  auch  hoffeUi  dass  der  hier 


LlTlngstone:  Reisen  In  Sttdftfrika«  MO 

gemachte  Versach  in  dieser  Hinsiclit  seine  gewttnscfaten  Frftchte 
tragen  möge.  Es  ist  zwar  ein  Theil  des  hier  durchforschten  Lan- 
des bereits  den  Portugiesen  bekannt:  allein  es  ist  so  wenig,  wie 
diese  die  ganze  hier  gelieferte  Darstellung  zeigt,  von  denselben 
für  die  Cultur  des  Landes  und  seiner  BcTÖlkerung  geschehen,  daee 
in  der  That  die  Kraft  des  anglikanischen  Stammes  nöthig  erschei- 
nen mag,  um  auch  diese  Ländergebiete  der  Civilisation  und  dem 
daTon  unzertrennlichen  Christenthum  zuzuftlhren.  Es  ist  nemlicb 
ein  Theil  des  östlichen,  zunächst  der  Küst^  gelegenen  Afrika's, 
welcher  den  Gegenstand  der  Expedition  und  damit  auch  des  in 
Yorliegendem  Werke  darüber  erstatteten  Berichts  bildet ;  es  ist  ins- 
besondere das  Flussgebiet  des  Zambesi  und  seiner  Nebenflüsse,  so 
wie  die  weiter  nach  Innen  zu,  westwärts  und  nordwärts  sich  er- 
streckenden Landstriche  von  Ost-  wie  von  Centralafrika ,  und  be- 
stand, nach  dem  von  der  brittischen  Regierung  ausgestellten  Li- 
stmktionen  der  Hauptzweck  der  Expedition  darin,  die  geographische 
Kcnntniss  dieser  Gegenden,  so  wie  der  mineralischen  und  land- 
wirthschafblichen  Hülfsmittel  zu  vermehren,  die  Bekanntschaft  mit 
den  Eingebomen  zu  erweitem  und  den  Versuch  zu  machen,  die- 
selben zu  veranlassen,  sich  der  Industrie  und  der  Bebauung  des 
Landes  zu  befleissigen,  mit  der  Absicht,  Rohstoffe  zum  Export  nach 
England  gegen  brittische  Manufacturwaaren  zu  produciren  (8.  9)» 
Und  daran  kntipfte  sich  auch  die  weitere  Hoffnung,  damit  zur 
Unterdrückung  des  in  diesen  Gegenden  noch  immer  betriebenen 
Sclavenhandels  beizutragen,  der,  wie  wir  S.  8  lesen,  das  grosseste 
Hindemiss  der  Civilisation  und  der  Ausbreitung  des  Handels  ist, 
daher  auch  die  von  der  englischen  Regierung  zur  Unterdrückung 
desselben  angeordneten  Massregeln  gebilligt  und  gelobt  werden, 
auch  wenn  die  schwierige  Ausfühmng  derselben  noch  immer  nicht 
diesen  Handel  völlig  zu  beseitigen  vermocht  hat,  dessen  gänz- 
liches Verschwinden  zugleich  als  eine  Hauptaufgabe  der  fort- 
schreitenden Cultur  und  Civilisation  erscheint.  »So  bestand  also 
der  Hauptgegenstand  unserer  Forschung  (so  heisst  es  S.  6)  nicht 
darin  Wunder  zu  entdecken,  die  bald  ihr  Interesse  verlieren,  zu 
staunen  und  von  Barbaren  angestaunt  zu  werden,  sondern  viel  mehr 
das  Klima,  die  Naturprodukte ,  die  Localkrankhoiten ,  die  Einge- 
bornen  und  ihre  Beziehungen  zur  übrigen  Welt  kennen  zu  lernen« ; 
damit  also  nicht  blos  einen  Beitrag  zur  näheren  Kunde  dieser  im 
Ganzen  frachtbaren,  aber  kaum  bebauten  und  benutzten  Länder 
zu  geben,  sondern  auch  eine  Veranlassung  zu  geben  zu  weiteren 
ähnlichen  Unternehmungen,  die,  wenn  es  gelungen,  die  in  Bar- 
barei versunkene  Bevölkerung  dieser  zu  entreissen,  auch  den  Seg- 
nungen des  Evangelium's  Eingang  zu  vei*schaffen  vermag  (S.  2). 
Die  Expedition,  nachdem  sie  am  10.  März  1858  England  ver- 
lassen, erreichte  über  dsis  Cap  der  guten  Hoffnung,  wo  sie  gast- 
liehe Aufnahme  fand,  schon  im  folgenden  Mai  die  an  der  Ostküste 
Afrika*s  beffndlichen  Mündungen  des  Zambesi,  am  durch  dieselben 


040  Livlogstone:  Reisen  fn  Sndafrikt. 

weiter  in  das  Innere  yorzndringen ,  die  Nebenflüsse,  als  Strassen 
für  Handel  nnd  Verkehr,  wie  für  die  Ausbreitung  des  Christen- 
thums,  zu  erforschen,  und  so  eine  genaue  Bekanntschaft  mit  dem 
Lande  selbst,  wie  mit  der  Bevölkerung  zu  gewinnen.  Was  auf  diese 
Weise  erreicht  ward,  wird  in  lebendiger  Schilderung  in  den  fünf- 
zehn Kapiteln  des  ersten  Bandes  vorgeführt,  während  eine 
Einleitung  uns  mit  dem  Gegenstande  der  Expedition  und  ihren 
Zwecken,  so  wie  mit  den  darauf  zielenden  Instructionen  bekannt 
macht.  Nachdem  die  Mündung  des  grossen  und  breiten  Stromes 
Zambesi  erreicht  war,  versuchte  man  auf  dem  Dampfer  aufwärts 
zu  fahren  und  so  in  die  Nebenflüsse  einzudringen.  Auf  dem  linken 
Ufer  des  Stromes  geboten  die  Portugiesen :  das  rechte  nahmen  un- 
abhängige Negerstämme  ein,  die  damals  im  Kriege  mit  den  Por- 
tugiesen begriffen  waren.  Wie  wenig  übrigens  von  den  letztem  tflr 
die  Oivilisation  der  Bevölkerung  und  die  Cultur  des  Bodens  ge- 
schehen ist,  zeigt  sattsam  das,  was  über  den  Zustand  dieser  Ge- 
biete hier  berichtet  wird;  auf  den  (verbotenen)  Sclavenhandel  und 
den  daraus  zu  ziehenden  Gewinn  war  ihr  Hauptaugenmerk  gerich- 
tet. Nachdem  die  Beisenden  zuerst  zu  Senna,  nnd  dann  zu  Tette 
sich  aufgehalten  und  Ausflüge  von  da  auf  den  Nebenflüssen  des 
Zambesi  gemacht,  bei  welcher  Gelegenheit  sie  auch  einen  grossen 
Wasserfall,  welcher  zugleich  sie  verhinderte  weiter  auf  dem  Shire, 
einem  Nebenflusse  des  Zambesi  vorzudringen,  entdeckten,  auch  Man- 
ches Andere,  so  wohl  in  Bezug  auf  die  Natur  des  Landes,  die 
Eigenthümlichkeiten  des  Bodens,  die  Thierwelt,  wie  die  Menschen- 
welt, entdeckt,  verliessen  sie  das  Fahrzeug,  um  landeinwärts  in 
nördlicher  Richtung  vorzudringen  durch  ein  wald-  und  wasser- 
reiches Hochland,  an  das  sich  treffliches  Waideland  anreihte,  zur 
Entdeckung  des  grossen  Nyassasees.  Die  Entdeckung  erfolgieanch 
wirklich  am  16.  September  1859  und  verfehlen  die  englischen  Eei- 
senden  nicht,  sich  die  Priorität  dieser  Entdeckung  vor  dem  Deut- 
schen Röscher  (der  bald  darauf  eintraf)  zuzuschreiben,  indem  die- 
ser, wie  sie  behaupten,  erst  am  19.  November  desselben  Jahres 
dahin  gekommen  und  den  See  erblickt  habe.  Die  Rückkehr  nach 
Tette  erfolgte  am  2.  Februar  1860,  um  dann  im  März  wieder 
stromaufwärts  zu  neuen  Entdeckungen  zu  fahren;  es  galt  dem 
Makolololande ,  und  einem  andern  der  Nebenflüsse  des  Zambesi, 
Kebrabasa  genannt,  dessen  Besichtigung  von  einem  Ende  zum 
andern  durchgeführt  ward.  Ein  grosser  Theil  der  Beschreibung 
hat  es  mit  den  Erlebnissen  dieser  Reise,  mit  der  Schilderung  der 
Natnrmerkwürdigkeiten ,  wie  den  Zuständen  der  Bevölkerung  zn 
thun,  und  stossen  wir  allerwärts  auf  interessante  Gegenstände  in 
Muer  uns  bisher  ganz  fremden  Welt,  die  aber  wohl  einer  besseren 
zitur  ftlhig  und  für  die  Wohlthaten  der  Oivilisation  empfänglich 
und^ürfte.  An  zahlreichen  Hindernissen,  an  mannichfachen  Ge- 
der  Ouxrelche  die  Reisenden  zu  bestehen  hatten,  fehlte  es  nicht, 
jeder  Hii^Uung  erhöht  den  Reiz   der  Schilderung  und"  erregt  die 


LlvingstoÄe:  Reisen  ln8fldafrlkA.  041 

Theihiahine  des  Lesers,  der  gern  hei  diesen  anziehenden  Bildern 
verweilt.  Nicht  blos  die  grossen  Wunder  der  Thierwelt,  der  Ele- 
phant  und  das  Flusspferd,  denen  wir  allerwärts  begegnen,  ziehen 
die  Aufmerksamkeit  auf  sich,  sondern  auch  Anderes,  was  von 
den  geringeren  Schöpfungen  der  Natur  berichtet  wird,  wie  z.  B. 
im  neunten  Capitel  von  den  Ameisen,  schwarzen  und  weisen,  ihren 
Fehden,  wo  sie,  gleich  Soldaten,  aufmarschiren  und  auf  das  von 
dem  Führer  gegebene  Commando  horchen  und  auch  ihm  gehorchen 
u.  dgl.  m.  Zu  den  grossesten  Merkwürdigkeiten  der  Natur  gehörea 
aber  die  im  zwölften  Oapitel  beschriebenen  Wasserfälle  des  Zam- 
besi-Stromes,  Mosi-oa-tunya  (d.  i.  Schallen  des  Bauches)  von 
den  Eingebomen  genannt,  welchen  Namen  die  Engländer  in 
Victoriafälle  umsetzten.  Einige  Meilen  weit  oberhalb  dersel- 
ben schifften  sich  die  Beisenden  in  einem  Baumstamme  ein  und 
liessen  sich  hinabtreiben,  zuerst  den  glatt  und  ruhig  dahin  fliessen- 
den Strom  hinab,  dann  in  die  Stromschnellen,  auf  eine  zum  Theil 
nicht  gefahrlose  Weise,  zu  dem  oberen  Ende  einer  Insel,  der  Gar- 
teninsel, die  ziemlich  mitten  im  Flusse  und  gerade  am  Bande  der 
Wasserfälle  liegt,  um  von  diesem  Stande  aus,  als  dem  gelegensten 
Punkte,  die  schwindelnde  Höhe  hinab  den  prachtvollen  Wasserfall 
näher  zu  beschauen.  Wir  erhalten  eine  genaue  Beschreibung  die- 
ses grossen  Wunders  der  Natur,  obwohl  ausdrücklich  hervorge- 
hoben wird,  wie  es  eine  ziemlieh  hoffnungslose  Bemühung  sei,  in 
Worten  eine  Vorstellung  davon  zu  geben.  Gebildet  werden  diese 
Wasserfälle  durch  eine  gerade  quer  über  den  1800  Yard^s  (also 
circa  5400  Fuss)  breiten  Strom  hindurch  ziehenden  Biss  in  dem 
harten  basaltischen  Felsen,  welcher  das  Bett  des  Zambesi  bildet, 
während  die  Wände  von  den  Kanten  aus  gerade  hinablaufen,  ohne 
jeden  Vorsprung  einer  Felsspitze.  So  rollt  der  eine  volle  (englische) 
Meile  breite  Fluss  in  eine  Schlucht,  die  zweimal  so  tief  ist  als  der 
Niagarafall,  hinab  mit  einem  Brausen,  von  dem  man  taub  werden 
könnte.  Aus  dieser  Schlucht  entrinnt  der  in  ein  ganz  enges  Bett 
gedrängte  Strom ,  um  sich  wie  im  Zickzack  durch  scharf  abge- 
schnittene Felswände  hindurchzuwinden.  Kehrt  man,  so  lesen  wir 
S.  284,  das  Gesicht  dem  Wasserfall  zu,  so  haben  wir  am  west- 
lichen Ende  der  Schlucht  zuerst  einen  Fall  von  36  Yard's  Breite, 
und  natürlich,  wie  alle  über  310  Fuss  Tiefe;  dann  tritt  Boaruka, 
eine  kleine  Insel  dazwischen,  und  nächst  dieser  kommt  ein  grosser 
Fall  mit  einer  Breite  von  573  Yard's,  ein  vorspringender  Felsen 
trennt  denselben  von  einem  zweiten  grossen  Falle,  der  325  Yard's 
breit  ist,  im  Ganzen  über  900  Yard's  (also  etwa  2700  Fuss)  immer- 
währende WasserföUe.  Weiter  östlich  steht  die  Garteninsel ;  dann 
kam,  als  der  Fluss  seinen  niedrigsten  Wasserstand  hatte,  eine 
grosse  Stelle  nakten  Felsens  von  seinem  Bette  mit  etlichen  zwanzig 
schmalen  Fällen,  welche  zur  Zeit  des  Hochwasserstandes  einen  ein- 
zigen Ungeheuern  Wassersturz  von  fast  wieder  einer  halben  Meile 
ausmachen.    Am  östlichen  Ende  der  Schlucht  befinden  sich  zwei« 


942  LlTingtlOQ«:  Befs«  io  SidAfrSk». 

grossere  FftUe,  aber  sie  sind  bei  niedrigem  Wasserstande  im  Ver- 
gleich zu  dei\jenigen  zwischen  den  Inseln  nichts.  Das  ganze  Wasser 
wälzt  sich  klar  und  völlig  nngebroohen  über  den  Felsen;  abernach 
einem  Fall  von  zehn  oder  mehr  Fuss  wird  die  ganze  Masse  plötz- 
lich einer  nngeheaem  Decke  yon  frisch  gefallenem   Schnee   gleich. 
Stacke  Wasse  springen  in  der  Gestalt  von  Kometen  hinten  nach- 
atrömenden  Schweifen  davon  ab,  bis  die  ganze  schneeige  Decke  zn 
Myriaden  dahin  fliegender,  abspringender,  wässeriger  Kometen  wird« 
n.  8.  w.  Noch  wird  bemerkt  (S.  285):  »Charles  Livingstone  hatte 
den  Niagara  gesehen  nnd  reidite  dem  Mosi-oa-tjnna  die   Sieges- 
palme,  obgleich  wir  nns  jetzt  am  Ende  einer  Dürrnng   befanden 
und  der  Flnss  auf  seinem  niedrigsten  Wasserstande  vrar.     Viele 
fohlen  sich,  wenn  sie  die  grossen  amerikanischen  Wasserfalle  zum 
erstenmal  sehen,  in  ihrer  Erwartung  getäuscht,  aber  der  Mosi-oa- 
tyuna  ist  so  unerhört  grossartig,   dass  er  stets   Bewunderung  er- 
regen muss«  u.  8.  w.  Wir  brechen  hier  ab,  in  so  fem  das  Mitge- 
theilte  genügen  mag  eine  Vorstellung  dieses  grossartigen  Wasser- 
falls zu  geben,  und  wird  dieselbe  nicht  verringert,  wenn  wir  einen 
Blick  auf  die  bildliche  Darstellung  werfen,  welche  dem  Titel  bei- 
gegeben ist,  und  das  Qanze  auf  diese  Weise  uns  veranschaulicht. 
Auch  ausser  diesem  dem  Titel  beigegebenen  Blatte  sind  am  Schlüsse 
noch  einige  bildliche,   wohl  ausgeführte  Darstellungen  beigefügt, 
die  wohl  im  Stande  sind,  uns  einen  Begriff  von  diesen  Gegenden  des 
östlichen  Afrika's  wie  seinen  Bewohnern  zu  geben;  desgleichen  sind 
zahlreiche    Illustrationen    dem    Texte    eingedruckt,   durch    welche 
kleinere,    bemerkenswerthe   Gegenstände    dargestellt   werden.     Die 
äussere  Ausstattung  des  Ganzen  ist,  wie  diess  auch  bei  andern  von 
derselben  Verlagshandlung  ausgegangenen  Werken  der  Art  der  Fall 
ist,  sehr  befriedigend. 

Soweit  hatten  wir  geschrieben,  als  uns  der  zweite  Band  zu- 
kam, welcher  in  den  Abschnitten  16—28  den  weiteren  Bericht 
über  die  Reise  und  die  Erlebnisse  der  Beisenden  liefert  und  in 
einem  Sohlusscapitel,  dem  29,  noch  einmal  die  Resultate  der  Reise 
zusammenfasst  und  in  weitere  culturhistorische  Erörterungen  sich 
einlässt,  deren  Gegenstand  die  Bebauung  dieser  fruchtbaren  Land- 
striche, die  Gesittigong  ihrer  Bewohner  ist,  um  so  die  Wohlthaten 
der  Givilisation  und  Cultur  auch  diesem  Theile  Afrika' s  zukommen 
zu  lassen«  da  er  dazu  befähigt  ist  und  die  der  Civilisation  ent- 
gegenstehenden Hindemisse  möglicher  Weise  zu  beseitigen  sind. 
Denn  diese  liegen  hauptsächlich  in  dem  Sclavenhandel,  welcher  nach 
dem  Verfasser  als  eine  unübersteigliche  Schranke  für  jeden  mora- 
lischen und  commerciellen  Fortschritt  sich  erweist,  wie  in  der  Art 
und  Weise  des  portugiesischen  Regiments,  das  in  diesen  Gegenden 
noch  immer  einen  Schatten  von  Gewalt  ausübt,  der  aber  mehr  zu  eigen- 
süchtigen Zwecken  und  Vortheilen  als  znm  Wohle  der  uncultivirten 
Bewohner  des  Landes  benutzt  wird«.  So  führt  diese  Betrachtung 
zu  dem  unwillkürlichen  Schloss^  diese  Länder  engUsobem  EinflnsSp 


Krcnner:  Bindleii  Über  den  Antimomit.  MS 

englischer  Cnltur  und  Sittigang,  wie  anob  englischem  Handel  nnd 
englischer  Industrie  geöffnet  zu  sehen  und  damit  die  Einführung 
des  Christenthums  und  die  Segnungen  desselben  zu  vereinigen.  Und 
allerdings  scheinen  auch  solche  politische  Ursachen  einen  Haupt- 
grund zu  dem  ganzen  Unternehmen ,  wie  es  von  der  Regierung 
unterstützt  ward,  abgegeben  zu  haben.  In  das  Einzelne  des  Beise« 
berichts  weiter  einzugehen,  überlassen  wir  dem  Leser,  dessen  In- 
teresse durch  so  manche  Schilderungen,  zumeist  solche,  die  in  das 
Gebiet  der  Naturkunde  einschlagen,  auf  einem  noch  so  wenig  be- 
tretenen, Europäern  fast  ganz  unbekannten  Gebiete,  stets  wach  er- 
halten wird ;  auch  liest  sich  die  Schrift  recht  gut,  die  Darstellung 
ist  meist  lebendig  und  klar.  Auch  der  zweite  Band  enthält 
einige  bildliche  Darstellungen  Ton  Gegenden,  Wasserfällen  u.  dgl. 
insbesondere  ist  ihm  eine  vorzügliche  Karte  in  grösserem  Format 
beigefügt,  ausgeführt  von  John  Arrowsmith,  welche  das  ganze  Strom- 
gebiet des  Zambesi  mit  seinen  Nebenflüssen,  und  den  1800  Fuss 
über  dem  Meer  liegenden  ausgedehnten  Nyassa^See^  sowie  die  Meeres- 
küste übersehen  lässt,  sie  bildet  eine  unentbehrliche  Zugabe  zu 
dem  ganzen  Beisebericht  und  verschafft  überhaupt  die  nöthige 
Orientirung  in  diesem  weiten  Ländergebiet. 


Kry8tallographi8ck4  Studien  über  den  ArdimoniL  Von  J.  A^  Kren^ 
ner.  Mit  11  Tafün.  Wien.  8.  Verlag  von  W.  Braumüller. 
(Sonderabdruck  aus  dem  LL  Bande  der  SUssungeberiehU  der 
kais.  Akademie  der  Wissenschaßen,) 

Schon  im  hohen  Alterthume  spielte  unter  dem  Namen  S ti- 
bi um  ein  Mineral  in  medicinischer  wie  in  cosmetischer  Beziehung 
eine  wichtige  Bolle.  Später,  im  Mittelalter,  taucht  das  nämliche 
Mineral  in  den  Händen  der  Alchemisten  als  ein  gern  benutzter 
Gegenstand  ihrer  Experimente  auf;  in  der  zweiten  Hälfte  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  gelang  es  Basilius  Yalentinus  aus  die- 
sem Mineral  das  Metall  abzuscheiden,  das  er  Antimonium 
nannte.  In  seinem  merkwürdigen  in  mystischem  Style  geschrie- 
benen Buche  (»Triumphwagen  des  Antimons«)  kommt  bereits  der 
noch  heutiges  Tages  oft  übliche  Namen  Spiessglas  vor,  welcher 
sich  ohne  Zweifel  auf  die  spiessigen  Krystalle  des  Antimonglanz 
(Antimonit)  bezieht. 

Torbern  Bergmann  zeigte  bereits  in  der  ersten  Hälfte  des 
vorigen  Jahrhunderts,  dass  das  sogenannte  Spiessglass  aus  74  Thei- 
len  Antimon  und  26  Theilen  Schwefel  besteht  —  ein  Ergebnisa 
was  mit  den  Analysen  späterer  Chemiker  übereinstimmte. 

Mit  den  Krystallformen  des  Antimonglanz  beschäftigten  sich 
zuerst  Bom6  de  Lisle,  Hauy  und  dann,  zu  Anfang  der  fünf- 
ziger Jahre  Miller  und  Hessenberg.  Die  Gesammtzahl  der  bis- 


944  Krenner:  ßludi^  ftbtr  den  Antimonit. 

her  bekannton  Flächen  beträgt  16.  Die  neuesten  umfassen  den  Unter- 
suchungen von  Krenner  Hessen  ihn  eine  bedeutende  Beihe  neuer 
Formen  finden;  ihre  Zahl  ist  nun  auf  28  gestiegen. 

Krenner  hatte  Gelegenheit,  ausser  verschiedenen  Priyat- 
Sammlungen  die  reichhaltigen  Mineralien-Cabinette  zu  Wien  und 
Pesth  zu  sehen  und  bietet  als  ein  Resultat  seiner  Studien  über  den 
Antimonglanz  eine  vortreffliche,  von  vielen  Abbildungen  b^leitete 
krystallographische  Monographie  des  Antimonglanz. 

Nach  der  Angabe  der  von  ihm  benutzten  Literatur  und  einer 
Uebersicht  der  Fundorte  des  Antimonglanz  bringt  K  renn  er  eine 
ausführliche  und  gründliche  Schilderung  der  krystallographischeo 
Verhältnisse  des  Antimonglanz ^  über  die  von  ihm  beobachtetea 
Flächen  und  gemessenen  Kantenwinkel  und  theils  insbesondere  in 
tabellarischer  Form  eine  uebersicht  sämmtlicher  nun  bekannter 
Formen  mit  nebst  den  vergleichenden  Symbolen  von  Naumann, 
Weiss  und  Miller. 

Betrachtet  mau  die  mannigfaltigen,  oft  sehr  oomplicirten  For- 
men des  Antimonglanz  so  lassen  sich  solche  in  drei,  scharf  von 
einandergeschiedene  Gruppen  sondern.  Die  erste  umfasst  Säulen, 
welche  oft  ansehnliche  Dicke  und  Länge  erreichen  und  deren  Ende 
von  stumpfen  Pyramiden  begrenzt  wird  (Ungarn,  Siebenbürgen). 
Die  zweite  Gruppe  enthält  die  meist  flachgedrückten,  bandartig  ge- 
krümmten Krystalle  mit  sehr  spitzen  Pyramiden  (Harz).  Die  dritte 
endlich  jene  strahlenförmig  gruppirten  oft  haarfeinen,  aber  steta 
geraden  Kryßtalle,  an  deren  Enden  steile  Pyramiden  auftreten 
(Ungarn  und  Siebenbürgen). 

Die  Krystalle  des  Antimonglanz  gewinnen  noch  einen  ganz 
eigenthümlicben  morphologischen  Charakter  durch  ihre  Abweichung 
von  der  regelmässigen  idealen  Form  wie  wir  sie  bei  kaum  einem 
Mineral  wieder  finden.  Es  gibt  sich  diese  Abweichung  von  der  Sym- 
metrie kund  durch  das  oftmalige  Wiederholen  der  Prismen-Fläohen 
die  fast  regellos  aneinander  gereiht  eine  Form  begrenzen,  die  sich 
von  der  Idealgestalt  sehr  weit  entfernt;  es  entsteht  eine  eigen- 
thtimlich  gereifte  und  gefurchte  Mantelfläche,  welche  die  Säulen  um- 
hüllt und  fast  bei  jedem  Antimonglanz-Krystall  wahrzunehmen  ht 
Durch  sehr  starke,  oft  bandartige  Krümmung  sind  besonders  die 
Harzer  Krystalle  ausgezeichnet,  während  man  diese  Erscheinung  sn 
den  ungarischen  Krystallen  noch  nicht  beobachtet  hat,  welche  nur 
eine  einfache  oder  mehrfache  Knickung  zeigen. 

Es  ist  zu  hoffen^  dass  Kr  e  n  n  er  die  in  der  Einleitung  zu  seiner 
werthvoUen  Abhandlung  ausgesprochenen  Absicht:  aurh  die  physi- 
kalischen, chemischen  und  paragenetischen  Verhältnisse  des  Antimon- 
glanz zu  Schilder  ausführen  wird  um  uns  dann  eine  in  jeder  Beziehung 
vollständige  Monographie  dieses  wichtigen  Minerals  zu  liefern. 

G,  Leonhard. 


St.  60.  HEIDELBEEGEK  1865. 

JAHRBÜCHER  DER  LITERATUR 


Dr,  Anton  Quiizmann:  die  älteste Reehtsverfaasung  der  Baitoa- 
ren,  als  faktischer  Beweis  für  die  Abstammung  des  baierischen 
Volksstammes.  Nürnberg,  Stein'sche  Buchhandlung^  1866,  gr.  8. 
Bog.  26.  8.  419. 

Die  Urgeschichte  der  Baiem  ist  in  tiefes  Dankel  gehüllt,  Plöt2- 
lieh  mit  dem  6.  Jahrhundert  treten  sie  diesseits  des  Böhmerwaldes 
als  eroberndes  Kriegervolk  auf  und  nehmen  ihre  Sitze  im  entvöl- 
kerten, herrenlosen  Vindelicien  und  Noricum,  wo  sie  als  Eines  der 
deutschen  Hauptyölker  an  allen  Geschicken  und  Angelegenheiten 
Deutschlands  den  wichtigsten  Antheil  haben.  Es  kann  niqjit  Wun- 
der nehmen,  dass  man  fragte,  woher  dieses  Volk  gekommen,  nnd 
dass  man  bemüht  war,  es  in  abstammliohe  Verbindung  mit  Einem 
der  im  alten  Germanien  heimischen  Völker  zu  bringen.  Ebensowenig 
kann  es  überraschen,  dass  vor  400  Jahren  der  päbstliche  Historiker 
Aeneas  Sylvius  die  verkommenen  Bojer  hervorsuchte  und  die  Chro- 
nisten Ampekh  und  Aventin,  seiner  Infallibilität  folgend,  die  deut- 
schen Baiern  von  den  keltischen  Bojem  abstammen  Hessen.  Die 
Aehnlichkeit  des  Namens  musste  bei  ungenügender  Sprachkenntniss 
um  so  leichter  zu  diesem  Irrthume  verführen,  als  die  älteren  Histo- 
riker keinen  charakteristischen  unterschied  zwischen  Kelten  und 
Germanen  anerkannten.  Wenn  aber  selbst  jetzt,  wo  eine  gründ- 
liche Durchforschung  der  germanischen  Urgeschichte  imd  insbe- 
sondere der  Abstimmungsfrage  der  Baiem  diese  Verschiedenheit 
dargelegt  hat,  Schriftsteller  wie  Grimm,  Zeuss  und  Müllenhoff, 
welche  doch  die  germanische  Herkunft  der  Baiem  vertreten,  sich 
nicht  entschliessen  können,  bei  der  Namenserklämng  das  keltische 
Etymon  bei  Seite  zu  lassen,  so  muss  ein  solches  Festhalten  des 
anerkannten  Irrthums  billig  befremden. 

Die  Grundursache  dieses  sonderbaren  Verfahrens  muss  wohl 
darin  gesucht  werden,  dass  die  bisherigen  Forscher  sich  zuerst  an 
die  Erklärung  des  Volksnamens  machten  und  von  einer  hypothe- 
tischen Etymologie  ausgehend  ebenso  hypothetische  Bückschlüsse 
auf  die  Abstammung  des  Volks  wagten«  Die  nothwendige  Folge 
dieses  circulus  vitiosus  war,  dass  die  Ableitung  des  Namens  und 
die  angebliche  Abstammung  immer  nur  in  einer  künstlichen 
Verbindung  gehalten  werden  konnte  und  dass  man  in  letzter  In- 
stanz sich  immer  zu  der  scheinenden  Un Wahrscheinlichkeit  gezwun- 
gen sah,  ein  wanderndes  Eriegervolk  habe  seinen  Namen  von  einem 
besiegten  und  vor  einem  halben  Jahrtausend  verschollenen  Volke 
hergenommen.  Der  Verfasser  legte  bereits  vor  neun  Jahren  das 
LVIIL  Jahrg.  12.  Heft  60 


946  Qnitimain:  Becbtrresfaisan^  der  Btlivareit 

Fehlerhafte  dieser  Methode  dar  in  seiner  Schrift:  Abstammung, 
Ursitz  und  älteste  Geschichte  der  Baiwaren,  Manchen 
18i57,  (Heidelb.  Jahrb.  1858.  Nr.  18)  indem  er  die  bisherigen  Ab- 
stammungstheorien  einer  kritischen  Beleuchtung  unterzog.  Um  aber 
den  Weg  zu  zeigen,  auf  dem  es  möglich  wird,  mit  Sicherheit  fest- 
zustellen, wie  weit  in  der  angeregten  Frage  die  Thatsacben 
reichen,  entschloss  sich  der  Yed.  Religion,  Sitten,  Bechtsgebränche 
und  Sprache  der  Baiwaren,  soweit  sie  aus  frühem  Denkmalen  und 
noch  üblichen  Aberglaubensresten  zu  ermitteln,  zu  durchforschen, 
um  durch  dieses  gewonnene  Resultat,  der  Erledigung  der  Abstam- 
mungsfrage eine  faktische  Grundlage  zu  bieten. 

Den  ersten  Erfolg  seiner  Quellenstudien  veröffentlichte  der 
Verfasser  mit  seinem  Buche  über  die  heidnische  Religion 
der  Baiwaren,  Leipzig  1860  (Heidelb.  Jahrb.  1860.  Nr.  54), 
worin  er  den  Beweie  lieferte,  dass  kein  einziger  Oötternamen, 
nicht  eine  Einzige  ihrer  Sagen  und  Sitten  die  Baiwaren  weder  a& 
die  frühem  keltischen  Bewohner  des  Süddonaulandes,  noch  über- 
haupt an  keltische  Volksgenossen  anknüpfen  lasse,  w&hrend  alle  ihre 
religiösen  Bräuche  und  Mythen  sie  auf  das  Engste  mit  denen  der 
Germanen  und  Nordleute  verbunden  zeigen.  Da  sich  übrigens 
einerseits  erweisen  lässt,  dass  die  Baiwaren  den  bei  den  Sueven 
heimischen  Wanengöttern  eine  vorzügliche  Verehrung  widmeten, 
sowie  anderseits  der  hieratische  Kult  des  Ear  und  Hirmin,  den 
Herminonen  eigenthümlich,  seine  Spuren  noch  heutzutage  bei  den 
Baiem  verfolgen  lässt,  so  glaubte  sich  der  Verfasser  zu  der  An- 
nahme berechtigt,  dass  die  Untersuchung  über  die  heidnische  Re- 
ligion der  Baiwaren  mit  möglichster  Klarheit  und  Schärfe  den 
Schlusssatz  begründen  lasse,  dass  dieselben  mit  den  hermino- 
nischen  Sueven  auf  das  Innigste  verwandt  sich  darstellen  und 
dessfaalb  auch  mit  grösster  Bestimmtheit  ihre  Abstammung  von 
ihnen  und  zwar  zunächst  von  den  Donausueven  herzuleiten  be- 
rechtigt seien. 

Seinem  früheren  Versprechen  gemäss  übergibt  der  Verf.  mit 
dem  vorliegenden  Buche  den  2.  Theil  des  faktischen  Beweises  in 
der  Abstammungsfrage  der  Baiern  der  Oeffentlichkeit ,  indem  er 
die  älteste  Rechtsverfassung  der  Baiwaren  darstellt,  so 
weit  nämlich  die  lex  Baiwariomm,  die  Synoden  des  8.  Jahrhunderts 
und  die  auf  Baiwarien  bezüglichen  karolingischen  Capitularien  des 
8.  und  9.  Jahrhunderts  Anhaltspunkte  bieten  in  Verbindung  mit 
den  aus  den  Archiven  unsrer  ältesten  Bisthümer  und  Stifter  zu 
erhebenden  Belegstellen.  Es  konnte  dabei  nicht  in  seinem  Plane 
liegen,  die  Rechtsalterthümer  der  baierischen  und  österreichischen 
Lande  in  ihrem  ganzen  Umfang  zu  behandeln.  Dass  er  aber  hie- 
bei  die  Landfrieden  des  13.  Jahrhunderts,  das  Rechtsbuch  Kaiser 
Ludwig's  und  das  Versprechen  Ruprecht's  von  Freising,  sowie  noch 
spätere  Stadtrechte  und  Weisthümer  wiederholt  berücksichtigte, 
wird  ihm  um  so  weniger  als  Uebergriff  ausgelegt   werden  köimen, 


QvlMmanii:  KofiMsrorfMiUBg  der  Bt^iww*  Hl 

als  dies^  Belege  einerseits  nur  die  Bebauptwg  begriUideo,  dass 
Becbtsinatitute,  wie  der  Brautkanf,  die  Morgengabe  imd  der  Sekwnr 
auf  Brust  und  Zopf,  auch  wenn  sie  nicht  in  den  ältesjien  Quellen 
enthalten  sind,  bei  uns  ein  nrheimisohes  Herkomnien  gemessen, 
soMrie  diese  spätem  Urkunden  anderseits  4on  Beweis  liefern,  dsiss 
unsere  ältesten  Bechtsnormen,  wie  im  Hansbruch  durch  Eingrabung, 
im  Dreiereide,  in  der  Zannhöhe,  im  HammQrwurf ,  in  der  Bicbter- 
wahl,  in  der  Bedeutung  des  Judex,  im  Felderwechsel,  sowie  in  un- 
zählig andern  Fällen  bi^  in  die  let^tep  Jahrhunderte  sich  in  natur- 
wüchsiger Frische  erhalten  haben* 

Da  die  lex  Baiwarionun  bi^h^r  nur  nebenher  besprochen  wurde, 
so  schickt  der  YerC.  in  der  Einleitung  einei  umfassende  Abhandlung 
über  Alter  und  Entwicl^king  des  Bechtsbuchos  der  Baiem  Yort^os 
und  glaubt,  indem  er  sich  möglichst  an  den  historischen  TheU  des 
Prologes,  soweit  sie  dem  Chankkter  des  Gesetjws  und  sonst  ver- 
bürgten Nachrichten  entsprechen,  anlehnt,  eine,  dieifa^e  Bedaktion 
der  lex  Baiwariorum  festhalten  zu  mflssen.  Die  erste  Aufseicbnnng 
geschah  unter  Theodorich  und  umfasst  die  Titel  m.  IV  cp,  1— 29. 
V.  VI.Ym.  1—17.  XHL  XIV.  XK— XXn  und  oharakterisirt  sich 
durch  ihren  Zusammenhang  mit  dem  Pactus  Alam«  das  gleich^ 
sucTischp  Bussensjstem  und  eine  fr^gmentare  Kürz«  des  Aufdrucks 
—  6*  Jahrhundert,  yielleicht  534,  Die  2.  Bedaktio^  unter  Dago^- 
bert  I.  ^mfa8st  die  Titel  Vm.  18—23,  K— XU  nnd  XV— XVLH 
und  charakterisirt  sich  durch  theilweise  Zugrundelegung  dcrAntiqna 
Beccaredi  zur  Ueberarbeitung  einheimischer  Weisthttmer  unter  Beit 
ftigung  Yon  processnalen  Formeln  —  7.  Jahrhundert,  wahi^obeinlich 
635,  Die  3.  Bedaktion  endlich,  höchst  wahrscheinlich  unter  d^m 
Einfluss  eines  der  austrasischen  ^ausmeier  ausgeä)hrt,  umfasst  Titel  L 
n.  IV.  30  und  31.  VIL  1—3  und  charakterisirt  siph  dnvcb  Ein» 
dring^i)  des  fränkischen  Busssystems,  Uebei:glswioht  d^jp  Königsge- 
walt  und  Sorge  für  das  neu  begründete  Christenthum  —  8.  Jajbr^ 
hundert,  yielleicht  734,  als  Odilo  in  der  Qefangenschaft  seines 
Schwagers  Pipin  war,  weil  sich  im  Jahr  754  dfts  AsQhbsinif^r  Con- 
cil  cp.  4  auf  Titel  I.  2  des  geschriebenen  Partus  b^ffishtt  Ausserir 
dem  seien  spätere  Zusätze  II.  8  b.,  VII.  4»  I^«  4  n.  1^  und  Titel 
XXin,  welche  wahrscheinlich  durch  spätere  LandfricdensbescUttssQ 
in  das  Gesetzbuch  Au^^hme  fanden,  wie  z.  B.  Tit.  XL  5-*«  7  aus 
dem  Conc.  Nivihingense. 

Das  LBuch  behandelt  das  öffentliche  Beoht  S,  24^126 
und  zwar  im  1.  Abschnitt  die  Standesverhältnisse,  Adel«  Freie,  Frei- 
gelassene, Unfreie  und  Fremde;  im  2.  Abschnitt  das  Staatsrecht, 
Herzog,  Hoheitsrechte,  Territorialstaatsrecht,  Markr  und  Qauyer- 
üassung  und  Einfluss  des  Christenthumes  auf  die  staatsrechtlichen 
Verhältnisse.  Das  U.  Bach  behandelt  das  Priyatrecht  S.  127 
— 209  und  zwar  im  1.  Abschnitt  das  Familienrecht,  Mundiumund 
Eherecht ;  im  2.  Abschnitt  Sachenrecht,  echtes  Eigen,  Erwerbungs- 
arten, Vindikation,  unechtes  ^igen,  Beallasten  wd  Dienstbarkeiten ; 


iM  Qaitimanii:  RechtsverfMSiing  der  Baiwam. 

im  3.  Absohnitt  Erbrecht,  Intestaterbfolge,  Testamentare  und  aasser- 
ordentliche  VerfÜgongen ;  im  4.  Abschnitt  Yertragsreoht ,  Schen- 
kung, £[auf,  Tausch,  Hinterlegung  und  Leihvertrag,  Vergleich,  Pfand- 
und  Bürgschaft.  Das  ELL  Buch  handelt  über  das  Strafrecht 
S.  210 — 308  und  zwar  im  1.  Abschnitt  Criminalrecht,  Bache-  und 
Fehdeseit,  und  Entwicklung  criminalrechtlicher  Theorien ;  im  2.  Ab- 
schnitt die  Verbrechen,  Lebensschftdigungen,  Versetzen  in  Lebens- 
gefahr, unuuan,  Leibesschädigungen,  Gewaltthat,  Eigenthumsschädi- 
gung,  complicirte  Verbrechen,  Verbrechen  wider  die  Beligion,  Hoch« 
yerrath;  im  3.  Abschnitt  Bussen,  besondere  Befridungen,  Frie- 
densgeld,  Sühnbusse  und  Wehrgeld ;  4.  Abschnitt  Strafen  und  zwar 
Todesstrafen,  Körperstrafen,  Ehrenstrafen,  Freiheitsstrafen,  Landes- 
yerweisung,  Gütereinziehung.  Das  IV.  Buch  stellt  das  Gerichts- 
verfahren dar  S.  309 — 375,  und  zwar  im  1.  Abschnitt  die  con- 
stitutiven  Momente,  nämlich  Gerichtsarten,  Gerichtsleute,  (xerichts- 
gelegenheiten ;  im  2.  Abschnitt  den  Process,  d.  h.  Vorladung,  die 
Klage  mit  ihren  Folgen,  das  Beweisverfahren,  und  endlich  das  Ur- 
theil  und  seine  Vollstreckung. 

In  der  Ausfüllung  dieses  Rahmens  bespricht  der  Verf.  den 
Volksadel  bei  den  Germanen  und  zeigt,  dass  die  sechs  Adelsge- 
schlechter, welche  die  lex  Baiwariorum  nennt,  die  Agilolfinga, 
Huosi,  Drozza,  Fagana,  Hahilinga  und  Anniona  S.  30  £f.  durchaas 
zu  diesem  gerechnet  werden  müssen,  so  wie  er  statt  spitzfindiger 
Namensspielereien  den  urkundlichen  Nachweis  über  die  Nieder- 
lassungen dieser  Geschlechter  in  dem  eroberten  Lande  liefert. 

Nicht  unwichtig  ist  die  Darlegung  der  hantgimahili  8.40 
(al.  Handgemalchen ,  cyrografum)  des  altbaienschen  Handzeichens 
d.  h.  eines  Theils  von  Grundstücken,  welchen  Freie  bei  Vergebung 
von  Erb  und  Eigen  ausdrücklich  zurückbehielten,  um  die  Freiheit 
unangetastet  zu  bewahren  d.  h.  das  Recht  der  Schöffenbarkeit  — 
dempsit  partem  unam  pro  libertate  tuenda  sagt  eine  Salzborger 
Urkunde. 

Dass  bei  den  Baiem  die  Freilassung  durch  den  jactos  denarii 
rechtsüblich  war,  erweist  sich  aus  Urkunden,  insbesonders  durch 
den  scazwurp  in  den  Mondseerglossen  S.  47,  die  zu  den  ältesten 
Dokumenten  der  Baiern  gehören. 

Im  Staatsrecht  widmet  der  Verf.  dem  Verhältniss  der  baieri- 
schen  Herzoge  zu  den  fränkischen  Hausmeiem  eine  eingehende  Be- 
sprechung, so  wie  besonders  die  Mark-  und  Gauverfassung 
umfassend  durgestellt  wird.  Der  Verf.  zeigt  unter  Anderm,  dass 
der  Nordgau  altbaierisches  Stammland  sei,  welchem  gegenüber  das 
eigentliche  Baiem  lange  Südgau  —  Sundergave  —  geheissen  habe. 
Femer  gibt  ihm  das  Culturverhältniss  Veranlassung,  seine  Ansicht 
über  die  älteste  Ansiedlung  von  München  niederzulegen  S.  97, 
woiilber  soviel  Unhaltbares  gefabelt  wird.  Auch  das  oft  genannte 
Haberfeldtreiben  als  Ueberrest  der  alten  Dorfgerichte  findet 
eine  eingehende  Behandlung   und  Verf.  zeigt  S.  143  u.  395,    dass 


Qiilt2in«nn:  Reehtoverfasmug;  der  BatwAren.  040 

sein  Name  mit  nrsprttnglicli  mythischer  Tradition  zusammenhänge 
nnd  auf  den  Donarknlt  zurückweise,  so  dass  es  ursprünglich  Habar 
(Book)-Fell-Treiben  geheissen  haben  müsse.  Endlich  ist  in  den 
Wechselwiesen  S.  104,  welche  inganzBaiem  vorkommen,  eine 
Erinnerung  an  den  altgermanischen  Felderwechsel  erhalten,  wie  ihn 
Tacitus  bei  den  Germanen,  Cftsar  insbesondere  bei  den  Sueven  als 
alljährlich  stattfindend  schildert. 

In  priyatrechtlicher  Beziehung  finden  wir  in  dem  Drangeid 
S.  183,  welches  der  Bräutigam  noch  hin  und  wieder  in  Altbaiem 
der  Braut  bezahlt,  ein  üeberbleibsel  des  altdeutschen  Frauenkaufes, 
oder  des  Mal-  und  Muntschatzes,  welchen  der  Bräutigam  sonst  für 
das  zu  erwerbende  Mundium  seiner  Zukünftigen  zu  erlegen  hatte. 
Auch  die  Morgengabe,  obwohl  nicht  in  den  ältesten  Rechts- 
denkmalen der  Baiem  vorkommend,  ist  in  spätem  Urkunden  als 
munus  virginitatis  aufbewahrt  S.  185 ,  und  unter  den  Yerlöbniss- 
brauchen  gebürt  der  üeberreichung  des  Traurings  am  Schwerthefte 
die  Zuerkennung  hohen  Alters,  da  ihrer  schon  im  Buodlieb  im 
10  Jahrh.  erwähnt  wird. 

Ein  paar  Stellen  der  Freisinger  Urkunden,  wo  dasselbe  Orund- 
stück»einan  hluz,  quod  angar  dicimus«  und  wieder  »XII.  worpac 
genannt  wird,  gibt  dem  Verf.  Veranlassung,  sich  über  die  Bedeu- 
tung des  Hammer-  oder  Axtwurfes  auszusprechen  S.  158  und  in 
demselben,  dem  altgermanischen  Symbol  der  Besitzergreifung,  das 
älteste  Maass  bei  Vertheilung  des  eroberten  Landes  zu  erkennen, 
so  dass  bei  den  Baiwaren  die  zu  vortheilenden  Ländereien  in  Loose 
von  12  Axtwürfen  ausgeschieden  worden  sein  dürften^  so  wie  man 
bis  ins  14.  Jahrhundert  den  Hammerwurf  in  baierischen  Bechts- 
sitten  als  schiedsrichterliches  Mittel  trifft. 

Bei  den  Naturaldiensten  kommt  der  Verf.  S.  178  auf  eine  Ab- 
gabe an  Brod  und  Fleisch  zu  sprechen,  welche  unter  dem  Namen 
wised,  wisod,  weisat  bekannt  ist  und  von  den  Schriftstellern 
bald  an  wissen,  goth.  veisön-besuchen,  wisse  spise,  von  den  Eel- 
tisten  gar  an  aisead-puerperium  angeknüpft  und  danach  verschie- 
den erklärt  wird.  Verf.  zeigt  nach  heimischen  Urkunden  und  noch 
üblichen  Bräuchen,  dass  darunter  bis  heute  nur  eine  kirchliche  Ab- 
gabe »pfarlich  rechte  verstanden  wurde  und  leitet  den  Namen  von 
ahd.  wlzi,   welches  wie   das  ags.  vlte   Strafe  und  Busse  bedeutet. 

Im  Strafrecht  bestätigt  der  Verf.  durch  Stellen  der  lex  Baiw. 
Wilda's  Ansicht,  dass  die  Grundlage  der  germanischen  Staatsver- 
fassung die  Idee  einer  Friedensgenossenschaft  gewesen  sei 
S.  211,  so  dass  also  die  Mannheiligkeit  aller  zu  Einer  Opferge- 
nossenschaft  gehörigen  Mitglieder  als  oberstes  Frincip  anerkannt 
wurde  und  die  rechtliche  Befugniss  aller  Volksgenossen  zur  Erhal- 
tung des  allgemeinen  Friedens  die  Umwandlung  der  privaten  Fami- 
lienrache in  das  nachfolgende  System  der  Sühnbussen  vermittelte. 

Bei  Darstellung  der  Verbrechen  S.  227 ff.  bestrebte  sich 
der  Verf.  aus  den  Worten  des  Gesetzbuches  die  zum  Thatbestande 


950  QuitMniinli:  RMittVSfflnitltig  d«  BilWtiVh. 

noth^ndigen  Momentd  festsstihalteii  und  diOder  Saolilage  entspre- 
che&d  die  in  der  le^  Baiw.  vorkommetidett  Recbtstechnicismeti  zu 
erläutenu  Er  wich  darin  anch  wiederholt  von  seinen  Vorg&ngeni 
Orimm  und  Merkel  ab,  welche  mehr  den  Standpunkt  grammatikaleT 
Wortentwicklnng  einnehmen  nnd  dadurch  mit  der  juridiachen  Be- 
deutung in  Widersprach  gerathen,  wie  z.  B.  bei  palcprust,  htao- 
pant,  taudregil  u.  s.  w.  Zur  ErgOtinng  des  Lesers  hat  der  Vetfl 
die  Spraehyerdrebungen  beigefügt,  welche  die  Eeltomanen  mit  die- 
sen malbergiechen  Glossen  durch  cwangsweise  Anordnung  gäUaeher 
Wörterbücher  sich  erlaubten  und  überläset  es  Jedem  ünbefkngenen, 
zu  entscheiden,  ob  Auslegnngen  wie  Meisselzurüstutig,  Datcb&lls- 
färbe,  Sohimpfprahlerei ,  Fleckenanbiss ,  Fransenabschnitt ,  Auf- 
schneidesichel, Oeishalsherttmdrehung,  Eitelkeitshindemiss  und  Shii- 
lidhe  Sptaohmartereien  Anspruch  auf  eine  ernsthafte  Würdigung 
haben  känüen. 

Das  Yerhältnifls,  in  welchem  Friedensgeld  und  Sflhn- 
busse  ausgeschieden  wurden,  ist  nicht  in  bestimmten  Ausdrücken 
angegeben ;  doch  lässt  sich  nach  Tacitus  anüehmen,  dass  die  Busse 
in  Einet  Stimme  bestimmt  wurde  und  sich  alsdann  der  Staat  und 
der  Verletzte  in  diese  Gesammtbusse  zu  gleichen  Tfaeilen  zu  Recht 
fanden.  Dieser  Absoheidungs-Modus  bestätigt  sich  durch  ein  Weis- 
thum  über  Baumfrevel,  welches  T.  XXTI.  1.  des  baierischen  Rechts- 
buches  bildet  S.  277.  Yerf.  zieht  nun  hieraus  weitere  Schlüsse  auf 
die  Entstehung  des  Wergeides,  da  ihm  die  Uebereinstimmnng 
ycm  40  SoL  und  der  Wundenbusse  zu  12  SoL  mit  den  beiden  Bussr 
ausätzen  des  grossen  und  kleinen  Friedensgeldes  eine  gewiss  nicht 
zufällig^  Gelegenheit  zur  Zusammenstellung  darbietet.  Von  diesen 
Vordersätzen  aus  geht  der  Verf.  S.  281  ff.  anf  die  ursprüngHehe 
Grosse  des  Wek*geldes  ttberhatipt  über  und  beweist  nach  ttberein- 
stimmenden  Oapiteln  der  1. 1.  Baiw.  Alaman  und  Thuring.,  dass  bei 
den  äueTiiroheh  Vtflkem  das  älteste  Fr^ienWergeld  40  Sol.  betragen 
habe,  welches  nur  im  Verlaufe  der  Jahrhunderte  dadurch,  daes  sich 
zwischen  di6  Unfreien  und  Freien  die  Freigelassenen  und  Freige- 
lai»eneii  des  Königs  und  der  Kirche  einschoben,  verdoppelt  nnd 
späii^r  terVierfkcht  werden  musste. 

Zur  Erlnittlung  der  iuBaiem  in  ältester  Zeit  üblichen  Stra^ 
fen  hat  der  Verf.  ausser  historischen  Dokumenten  insbesondere  die 
von  Schm^ller  entdecktet!  Fragmente  aub  Fromunds  Buodlieb  be- 
nützt. Es  erhellt  daraus,  dass  bei  den  Baiwären  noch  im  10  Jahr 
hundert  das  Ersticken  im  Sumpfe  (mersa  cloaca),  wie  es  Tacitas  bei 
den  Germanen  erzählt^  tiicht  vergessen  war  S.  295.  Neben  andern 
Todesarten  schlug  man  auch  Verbrechet  in  Tonnen  ein  und  aber- 
gab sie  mit  der  Aufschrift  ihres  Vergehens  den  Fluthen  S.  304, 
wie  man  noch  im  15.  Jahrhundert  die  Leichen  der  Selbstmörder 
in  Baiem  behandelte. 

Einet  ^ht  eingehenden  Behandlung  unterzog  der  Verf«  das 
älteste  Görichtsverfahten  S.  d26ff(  wobei  ihm  fireilich  Siegels 


Qnilsmftnn!  Rariitotufiiiinng  d«r  Btthrarcn.  961 

Oeschidite  des  deutsohea  Geriohisyerfahrent  eine  sehr  nütsliolie  Vor- 
arbeit darbot.  Dass  übrigens  der  Verf.  dieaem  Bache  nicht  kritik- 
los folgte,  erweist  er  dnroh  die  Abweichungen,  worin  er  sich  von 
seinem  Vorgänger  unterscheidet.  So  will  Siegel  das  altbaierische 
stapsaken  zu  einer  einfachen  eidliehen  Anklage  anf  den  Ge- 
richtsstab machen,  während  der  Verf.  aus  den  dabei  brttuchlichen 
Worten  und  den  damit  verbundenen  wahrzeiohnenden  Armbewegun- 
gen zeigt,  das  es  nur  als  Oottesurtheil  aufgefasst  werden  kann 
S«  841.  Bei  DursieUung  der  Widerreden  behauptet  Siegel,  dass 
während  der  Schwebe  eines  Gräozstreites  bei  Hofraiten,  sdeme  die 
Umzäunung  nicht  ToUendet  ist,  von  dem  Gegner  durch  feierliche 
mit  wahrzeiohnendem  Hammerwurf  rerbundene  Erklärung  das 
Weiterbauen  auf  dem  streitigen  Grunde  bis  zur  Austragung  der 
Sache  habe  verboten  werden  kOnnen.  Obgleich  nun  Merkel  in  sei- 
ner neuesten  Ausgabe  der  1.  Baiwar.  dieser  Ansicht  beipflichtet, 
so  ist  dieselbe  dennoch  nur  durch  eine  Erinnerung  an  die  ri^misehe 
operis  novi  nuntiatio  per  ictum  lapilli  hervorgerufen  worden  und 
entspricht  weder  der  betreffenden  Gesetzesstelle  Tit.  Xu.  9  u.  10, 
nach  der  symbolischen  Bedeutung  des  Hammerwurfes  bei  den  Ger- 
manen; denn  dieser  ist  kein  Wahrzeichen  des  Verbietens,  sondern 
der  Besitznahme  und  nach  dem  Wortlaut  des  Gesetzes  erwirbt  der 
Beklagte,  wenn  ihm  der  Weiterbau  vor  Zeugen  untersagt  wird, 
durch  den  Hammerwurf  gegen  Morgen,  Mittag  und  Abend  das 
Becht,  wie  weit  ihm  erlaubt  ist,  den  Zaun  vor  Beendigung  des 
Frocesses  zu  schliessen  S.  846.  Wenn  femer  Siegel  annimmt,  dass 
wehadinc  den  vorausgehenden  Eampfvertrag,  camfwio  aber  den 
wirklichen  Zweikampf  bedeute,  so  erweist  der  Verf.  8.  861 ,  dass 
nach  den  aufeinander  folgenden  Capiteln  des  Neuchinger  Landtags- 
abschieds beide  Technicismen  als  gleichbedeutend  erscheinen. 

Indem  nun  der  Verf.  in  den  Sohlussfolgerungen  S.  275 
die  charakteristischen  Merkmale  der  baiwarischen  Beohtsverfassung 
ordnet,  je  nachdem  sie  eine  Verwandtschaft  mit  germanischem 
Bechtsbrauche  im  Allgemeinen  bekunden,  ohne  einem  besondem 
Volksrechte  zugehören,  oder  je  nachdem  sie  insbesondere  bei  sue- 
vischen  Völkern  bezeugt  werden,  oder  aber  je  nachdem  sie  in  den 
Volksrechten  der  Alamannen  und  Westgothen  verwandte  Beleg- 
stellen finden:  so  ergibt  sich  nachfolgendes  Besultat  hinsichtlich 
ihrer  innem  üebereinstimmung  mit  verwandten  Völkern,  oder  der 
blos  formellen  Nachbildung  ihrer  Gesetzbücher.  Das  Baiwarenrecht 
ist  verwandt:  1)  mit  germanischem  Bechtsbrauch  im  Allge- 
meinen in  der  Gauverfassung ,  im  Mundium  der  Familienältesten, 
in  der  Vindikation,  in  den  Gerichtsgelegenbeiten  bezüglich  Ort  und 
Zeit  und  von  wahrzeichnenden  Handlungen  im  Axt-  undHammer- 
wnrfe; 

2)  mit  suevischcr  Beohtsverfassung  durch  das  ange- 
stammte Eönigthum,  den  Volksadel,  die  Ständegliedemng,  durch 
die  Sitte  einer  die  Freien  auszeichnenden  Haartracht|  im  Familien- 


952  Qnltimana:  ReelitwerfeMimg  der  Btiwaren. 

rechte  insbesondere  durch  das  doppelte  Wergeid  des  weiblichen 
Geschlechts,  im  Besitz-  und  Sachenrechte  dnrch  Ueberreste  des 
uralten  Gemeindebesitzrechtes  und  des  alljllfarlichen  Feldcrwechsels, 
im  Erbrechte  durch  Begünstigung  der  weiblichen  Erbfolge  vor  ent- 
fernten männlichen  Erben,  femer  durch  das  eigenthttmliche  Baasen- 
Bjstem  und  endlich  durch  die  ausgedehnte  Anwendung,  welche  dem 
gerichtlichen  Zweikampfe  im  Beweisrechte  gestattet  ist; 

8)  mit  dem  Alamannen rechte  insbesondere  dnreli  die 
gleichen  Bestimmungen  des  Eherechts  yorzfiglich  im  ehelichen 
Gflterrecht,  durch  unbedingte  Gleichheit  im  Strairecht,  welche  sich 
zunächst  dnrch  dieselben  Rechtstechnicismen  bei  ähnlicher  Oasaistfk, 
die  gleichen  Bussansätze  und  überhaupt  ganz  dasselbe  Oomposiüons- 
system,  sowie  m^^glichste  Beschränkung  wirklicher  Strafen  äassert, 
durch  die  ausserordentliche  Stellung  des  Jndex,  die  mit  dem  schwei- 
zerischen Brödten  identische  Sitte  des  Haberfeldtreibens  alsUeber- 
rest  der  alten  Yolksgerichte  und  die  gleichmässige  Umbildung  im 
Beweisrechte.  • 

Bis  hieher  reicht  die  innere  Verwandtschaft  mit  den 
genannten  Völkern,  welche  auf  gemeinschaftlicher  Entwicklung  be- 
ruht und  für  gleiche  Abstammung  beweisend  erkannt  werden  kann 
(Aeltester  Theil  der  1.  Baiwar.).  Dagegen  liefern  jene  Bestimmun- 
gen, welche  über  gemischte  Ehen  verschiedener  Standesglieder, 
über  die  kirchlichen  Verhältnisse,  die  unerlaubten  Ehen  und  die 
Rechte  des  Herzogs  in  das  Baiwaronrocht  aufgenommen  wurden 
und  dem  alamannischen  Königfgesetz  gleichlauten,  nur  den  Beweis 
einer  formellen  Verwandtschaft,  indem  sie  theils  dem  Ein- 
flüsse der  den  beiden  Völkern  gemeinschaftlich  gewordenen  fränki- 
schen Staatsgewalt,  theils  wirklicher  Nachbildung  zugeschrieboi 
werden  müssen  (3.  Redaktion). 

4)  Mit  dem  Westgothenrechte  hängt  die  1. Baiw.  gleich- 
falls nur  in  formeller  Beziehung  zusammen,  indem  die  daraus  ent- 
lehnten Bestimmungen  über  die  Markenverrückung ,  das  Erbrecht, 
Vertragsrecht,  die  Diebstahlsfälle  und  Prügelstrafen  gleichfalls  durch 
wörtliche  Oopie  sich  als  spätere  Redaktionseinschübe  charakterisiren 
(2.  Redaktion). 

5)  Als  dem  Baiwarenrecht  eigenthümlich  muss  be- 
zeichnet werden:  die  Bestätigung,  suiron,  die  Form  processualer  An- 
sprachen, Widerreden  und  Zwischenklagen  und  endlich  von  wahr- 
zeichnenden Handlungen  das  Ohrenziehen  der  Zeugen. 

Das  Ergebniss  der  Thatsachen  beweist  somit  zur  üebersengung, 
auf  welche  Seite  die  Wagschaale  in  der  Abstammungsfrage  der 
Baiwaren  mit  Uebergewicht  sich  neige;  denn  wenn  sich  vreitaus 
die  zahlreichsten  Berührungspunkte  mit  der  Rechtsyer&ssung  der 
Sueven  nachweisen  lassen,  wenn  hier  wieder  das  Baiemrecht  dem 
Alamannenrechte  am  nächsten  steht,  so  ist  es  wohl  über  jeden 
Zweifel,  dass  beide  Völker  auch  auf  denselben  Hauptstamm,  näm- 
lich den  suevisohen  zurückzuführen  seien.  Zwar  hat  neuerdings 


Qnitiniaiins  Reo1itsy«rfMSiing  der  Balwiriii.  OfiS 

Merkel  die  Behauptung  vertreten,  dass  die  üebereinstimmung  der 
1.  Baiw.  mit  der  1.  Alam.  und  Visigoth.  bloss  auf  Äusserer,  durch 
das  Gutdünken  der  Gesetzgeber  bedingter  Nachbildung  beruhe. 
Wenn  aber  der  fränkische  Oberkönig  nach  dem  Prologe  die  Ver- 
anlassung zur  Aufzeichnung  des  baierischen  Yolksrechtes  gab,  so 
lag  es  in  der  Natur  des  UnterwerfungSYerhältnisses ,  dass  der 
fremde  Gesetzgeber,  wenn  er  dem  unterjochten  Volke  das  ange- 
stammte Recht  nicht  lassen  wollte,  jedenfalls  nur  zu  dem  Gesetz- 
buche des  eigenen  Volkes  gegriffen  haben  würde,  wie  dieses  in  der 
1.  Thuringorum  zu  erkennen  ist.  Wenn  aber  der  frftnkische  König 
nicht  einmal  den  unterjochten  Alamannen  ein  fremdes  Beoht  oktro- 
jirte,  so  ist  es  noch  viel  unwahrscheinlicher,  ja  geradezu  unmög- 
lich, dass  er  den  seine  Oberherrschaft  anerkennenden  Baiwaren 
das  Becht  der  besiegten  Alamannen  aufgezwungen  haben  würde 
und  es  bleibt  nur  der  Schluss  gerechtfertigt,  dass  die  in  den  11« 
Baiw.  und  Alam.  hervortretende  Gleichheit  auf  innerer  Stam- 
mesverwandtschaft beruhen  müsse. 

Dagegen  erlaubt  die  copienartige  Einschaltung  einiger  Capitel 
des  alten  Westgothenrechtes  durchaus  nicht,  ihre  Aufnahme  in  die 
L  Baiw.  durch  partielle  Abstammung  der  Baiem  von  gothischen 
Volksresten  zu  motiviren,  weil  in  diesem  Falle  die  übereinstimmen- 
den Sätze  über  das  ganze  Gesetzbuch  und  namentlich  über  dessen 
erwiesenen  ältesten  Theil  verbreitet  sein  müssten,  während  sie  doch 
nur  in  einigen  nachweisbar  später  zugefügten  Titeln  in  gewisser- 
massen  unvermittelter  Stellung  zu  deren  übrigen  Inhalte  sich  vor- 
finden. 

Die  Baiwaren  können  somit  nach  allen  noch  vorhandenen  fakti- 
schen Belegen  nur  als  ein  Volk  suevischen  Stammes  d.  h.  als 
ein  oberdeutsches  Volk  anerkannt  werden.  Hierfür  liefert  noch 
insbesondere  ihre  Sprache  unverwerflichen  Beweis.  Und  da  der 
Verfasser  schon  bei  der  Erläuterung  der  Rechtstechnicismen  wieder- 
holt auf  den  etymologischen  Zusammenhang  mit  dem  Althoch- 
deutschen hinzuweisen  Gelegenheit  hatte,  so  fügte  er  sogleich  das 
Ergebniss  aus  der  Betrachtung  der  ältesten  baierischen  Sprach- 
denkmäler in  etlichen  Beispielen  und  Sätzen  bei,  um  auch  nach 
dieser  Seite  hin  das  Zeugniss  der  Thatsachen  nach  Möglichkeit  und 
Bedürfniss  zu  erschöpfen,  und  allen  keltomanischen,  gothischen  und 
andern  Muthmassungen  und  Träumen  die  Thüre  objektiver  Ge- 
schichtsforschung zu  Bchliessen. 

Soweit  reicht  also  das  Ergebniss  der  Thatsachen  und  man 
wird  in  Zukunft  die  Baiem  nicht  mehr  von  Bojem  oder  Kelten 
ableiten  dürfen,  wenn  man  nicht  windige  Hypothesen  wohlbegrün- 
deten Thatsachen  vorzuziehen  beliebt,  denn  selbst  die  Verwandt- 
schaft von  Kelten  und  Germanen  zugegeben,  stellen  sich  doch  die 
Baiwaren  in  Religion,  Recht,  Sprache,  Sitten  und  Gebräuchen  durch- 
aus auf  die  gleiche  Culturstufe  mit  den  Letztern.  Man 
wird  aber  ebensowenig  daran  denken  dürfen,  die  Abstammung  der 


9ttt  Qvttf  AABB!  BeelittmflüiiiBg  der  BdwAtiB. 

Baiwaren  toa  einer  freiwilligen,  etwa  rertragsrnftssigen  Yeremi- 
guiig  gothischer  Völkerreste  herleiten  m  wollen;  denn  zngegebeo, 
dass  die  Ton  den  Ostgothen  rersprengten  Skirren,  Rogier  nnd  Hera- 
1er  in  einzelnen  Marken  des  Sttddonanlandes  Unterkunft  gesudit 
hikben  mOgea,  so  musste  doch  ein  snevischer  Yolksstamm 
diese  üeberreste  unterwerfen  und  zn  einem  neuen  Yolks- 
thuine  yerscfamelzen,  um  in  Baiwarien  eine  Bechtsyerfassung 
väAi  Durchbruch  kommen  zu  lassen,  welche,  wie  die  L  Baiwariorom, 
eine  so  innige  Verwandtschaft  mit  dem  Sneven-  und 
insbeeondere  mit  dem  Alamannenrechte  nachzuweisen  gestattet 

Wenn  wir  nun  dieses  auf  dem  Boden  der  Thatsachen  fest- 
stehende Resultat  anf  das  Gebiet  *der  historischen  Conjektur  yer- 
folgen,  um  zu  ermitteln,  welchem  yon  den  yerschiedenen  Sueyen- 
stummen,  die  im  Herminonenlande  genannt  werden,  die  Abstam* 
mung  der  Baiwaren  zustehe,  so  treten  uns  in  der  Geographie  das 
horsten  Mittelalters  d.  h.  bald  nach  der  VOlkerwandening  zwei 
Lftndemamen  entgegen,  welchen  um  so  grössere  Bedeutung  zue^ 
kannt  werden  muss,  als  sie  im  Gebiete  der  herminonischen  Sueyen 
bezeugt  werden.  Nach  den  Angaben  des  Gothen  Markomir  nennt 
der  anonyme  Geograph  yon  Rayenna  ein  Land  B  a  i  a  s,  yon  welchem  der 
Verfasser  in  seinerAbstammung  8.  41  u.  66  erwiesen  hat,  dass  es 
nicht  in  Böhmen,  sondern  yielmehr  innerhalb  der  Karpaten  gesaebt 
werden  mO^se.  Denselben  Landstrich  nennt  200  Jahre  später  der 
griechische  tCaiser  Constantin  Bagibareia  ^  ein  Beweis,  dass 
hier  die  frtthem  Bewohner  einen  Landesnamen  zurttckliessen,  wel- 
cher in  der  yoUen  Form  nicht  Baia,  sondern  Baiwaras  gelautet 
habet!  müsse,  wie  solches  auch  Zeuss  in  seiner  Herkunft  der  Baiem 
muthmasst,  ohne  aber  dieses  Baiwaras  mit  seinem  Baioyare  in  Ve^ 
bindung  bringen  zu  können.  Die  historische  Forschung  nach  der 
Herkunft  der  Baiem  ftlhrt  uns  also  in  die  Waldmarken  an  den 
bergigen  Ufern  der  March  und  Gran  und  wenn  wir  die  ältesten 
Schriftsteller  fragen,  welches  Volk  daselbst  sass,  so  antworten  uns 
Tacitus  Annal.  IL  63  und  Plinius  IV.  12,  dass  20  Jahr  nach  Chr. 
zwischen  den  Flüssen  March  und  Theiss  die  Gefolgschaften  zweier 
durch  die  Intriken  des  römischen  Eabinets  yertriebenen  Marko- 
mannenfürsten, des  Marbod  und  Catwalda,  auf  Befehl  dieses  Ea- 
binets angesiedelt  worden  waren.  Der  Verf.  macht  also  nirgend  einen 
hypothetischen  Syllogism  oder  theoretischen  Sprung,  sondern  wird 
Schritt  für  Schritt  durch  logische  Schlussfolgerung  zu  dem  Resol- 
tate  geführt,  dass  die  alten  Baiwaren  und  somit  auch  die  heuti- 
gen Baiem  yon   diesen  beiden  Gefolgschaften  abstammen  müssen. 

Auf  diesem  natur-  und  sachgemässen  Wege  kam  der  Verf.  sn 
seiner  Ableitung  des  Volksnamens  der  Baiem,  welche  sich  nicht 
auf  eine  lexikalisch  emirte,  sprachliche  Hypothese  stützt,  sondern 
anf  den  Zusammenhang  der  ältesten  Schreibweise  —  baiobaros, 
baiyarius  —  mit  den  ethnographischen  Belegen  jener  Orte,  an 
welchen  der  Name  zuerst  anftauchte.    Denn  die  ältesten  Ansiedler 


Bauer:  LtteixiiBelie  Fonnenlelire.  955 

des  Landstriebes,  der  später  die  Namen  Baias  nnd  Bagibaria  ftlhrte» 
wenn  anch  in  überwiegender  Hauptmasse  Markomannen,  in  geringe- 
rer Zabl  Qnaden  (des  Vannins)  gehörten  keinem  dieser  Völker  in 
ihrer  Oesammtheit  an,  und  konnten  somit  anch  nm  so  weniger 
nach  Einem  derselben  genannt  werden,  weil  eine  solche  Benennung 
ihre  Unterscheidung  von  dem  Stammvolk  nicht  bezeichnet  haben 
würde.  Es  ist  somit  weder  unwahrscheinlich,  noch  den  Verhält- 
nissen widerstreitend,  anzunehmen,  dass  die  neuen  Ansiedler  von 
ihren  suevischen  Oränznachbam  nach  ihrer  Eigenschaft :  die  beiden 
Bünde  »baiuuärasc  genannt  wurden  —  mit  einem  Namen,  der 
genau  ausdrückte,  was  sie  auch  in  der  That  waren,  nämlich  die 
beiden  vertriebenen  Gefolgschaften  des  Marbod  und  Catwalda*  Nach 
diesen  historischen  Conjekturcn  erklärt  sich  also  auch  der  Name 
des  vorher  nicht  genannten  und  bekannten  Volkes  in  ganz  conse- 
qnenter  Weise  und  hängt  auf  das  Innigste  mit  seiner  Entstehungs- 
weise zusammen.  Verfasser  hat  in  seinem  Vorwort  zur  heidnischen 
Religion  der  Baiwaren  seine  Ableitung  des  baierischen  Volksnamens 
nach  den  Regeln  der  historischen  Grammatik  und  durch  die  Be- 
lege der  ahd.  Sprachdenkmale  begründet  und  wenn  sich  hieraus, 
wie  er  daselbst  gezeigt  hat,  alle  Formen,  unter  welchen  derBaiern- 
namen  vorkommt,  auf  eine  natürliche  und  einfache  Weise  entwickeln 
lassen,  wenn  sich  aus  dieser  Ableitung  selbst  jene  Abweichungen 
erklären,  welche  nach  den  frühern  etymologischen  Hypothesen  nur 
als  corrupte  Ausnahmsformen  aufgeführt  werden  konnten,  so  ist 
diess  selbst  wieder  kein  gering  anzuschlagender  Beleg  für  den  inni- 
gen Zusammenhang  zwischen  der  Entstehung  des  Volkes  und  seinem 
Namen  und  für  die  vom  Verfasser  gefolgerte  Abstammungstheorie« 
Denn  da  die  Baiem  nur  von  den  herminonischen  Sueven  abstam- 
men können,  wie  sich  aus  der  Durchforschung  mythologischer  Ueber- 
reste,  ihrer  Sprache  und  Rechtsbräuche  erweist,  so  muss  ihr  Name 
anch  auf  dem  Boden  der  ahd.  Etymologie  seine  Begründung,  Be- 
deutung und  Entwicklung  nachweisen  lassen,  wenn  er,  wie  solches 
doch  anzunehmen  ist,  aus  dem  Volke  selber  hervorgewachseh  sein  soll: 


Fr.  Bauer,  Die  Elemente  der  lateinischen  Formenlehre^  in  gründ" 
licher  Einfachheit^  gestutzt  avf  die  Restdiale  der  vergleichenden 
Grammatik,  Ein  Lehrmittel  für  Lateinschulen  sur  Ergänzung 
eines  jeden  Uebungsbuches  für  Anfänger  und  sur  stetigen  Repe- 
tition  bis  in  die  höheren  Klassen,  Zwei  Theile.  Nördlingen 
1865. 

Ein  in  seiner  Art  vortreffliches  Buch.  Es  zerfallt  in  zwei 
Theile,  wovon  der  zweite  die  Partikeln  der  lateinischen  Sprache 
enthält.  Berichterstatter  vermisste  seither  ein  Buch  dieser  Art^ 
welches,  unter  Ausschluss  des  Baisonnements,  eine  nackte  Gruppi- 


056  Bauer:  Latelnisolie  Formeolehret 

mng  des  Lehrstoffs  enthalte.  Doch  glaubte  er,  ftlr  die  Bestimmnng 
als  Ergänzung  eines  jeden  üebnngsbuches  für  AnfÜnger  zu  dienen, 
hätte  es  kürzer  gefasst  werden  können,  wenigstens  in  dem  Ab- 
schnitte über  die  Conjngationstabellen.  In  denselben  Tabellen  findet 
er  ferner  immer  noch  nicht  die  rechte  üebersetzung  des  Conjnnctivs, 
die  der  üeberzahl  der  Fälle  der  Anwendung  im  abhängigen  Satze 
gerechter  werden  müsste. 

Etwas  weiter  rückwärts,  S.  40  fi.,  leidet  die  Aufzählung  mit 
1,  2,  3,  4,  5  u.  s.  w.  immer  noch  an  der  hergebrachten  Unbe- 
quemlichkeit. Man  sollte  das  Yerständniss  auch  bei  diesen  Zahlen 
erzielen  und  z.  6.  unter  den  Ordinalia  übersetzen:  der  erste  pri- 
mus,  der  zweite  secundus  n,  s.  w,  statt:  1)  primus  der  erste,  2) 
secundus  der  zweite  u.  s.  w.;  unter  dem  Distributiva ;  je  einer 
singuli,  je  zwei,  bini  u.  s.  w.  unter  den  Numeralia:  Imal  semel, 
2mal  bis  u.  s.  w. 

In  dem  Abschnitte  von  Pronomen  ist  richtig  das  Possessiynm  ein 
Adjektivum  genannt,  S.  46,  was  auch  hätte  beim  Demonstrativurn 
geschehen  sollen,  S.  47.  Nur  Personalpronomen  und  Fragpronomen 
haben,  weil  sie  das  Substantiv  oder  einen  Substantivbegriff  ver- 
treten, Anspruch  darauf,  Pronomina  zu  heissen.  Diese  Auffassung 
liegt  zum  Lobe  des  Verfassers  den  §§.  57  und  60  zum  Grunde. 

In  den  Declinationen  hat  der  Verfasser  dem  Princip  desFin- 
dens  oder  vielmehr  Wiederfindens,  indem  ja  sein  Buch  zum  Nach- 
schlagen dient,  begründete  Rechnung  getragen. 

Das  Buch  will  vom  Standpunkte  des  Nachschlagens  benrtheilt 
werden,  und  verdient,  wo  es  sich  um  ein  Nachschlagebuoh  handelt, 
im  Privatbesitz  von  Schülern  höherer  Klassen  sich  zu  befinden. 

Die  allgemeinen  Geschlechtsregeln,  S.  7,  wird  der  Verf.  bei 
der  nächsten  Auflage  zweckmässig  unter  die  Gesichtspunkte  ver- 
theilen:  1)  entweder  Masculina  oder  Feminina  —  denn  dieses 
sind,  im  Anschluss  an  die  Vorstellung  von  dem  natürlichen  Ge- 
schlechte, die  einzigen  oder  normalen  Wortgesohlechter  —  2)  so- 
wohl Masculina  wie  Feminina  (d.  h.  Communia  oder  Epic5na), 
und  3)  weder  Masculina  noch  Feminina  (d.  h.  Neutra). 

Des  Lobes  ist  im  Uebrigen  viel  von  diesem  Buche  zu  sagen. 
Nur  die  Einschränkung  muss  ich  hinzufügen,  für  die  grammatischen 
Lehrstunden  wird  man  sich  an  eine  vollständige  Grammatik  halten. 
Das  Bäuerische  Elementarbuch  ist  ein  Auszug  für  Kepetitionsstunden. 

Heidelberg.  Dr.  II.  Doergeiis. 


Virgü  von  Ladevlg  u.  s.w.  957 

YirgiVa  Qedichte,  erklärt  von  Th.  Ladevig,  Drittes  Bändchen. 
Aeneide  Buch  VJI — XII.  Mit  einer  Karte  von  H.  Kiepert, 
Vierte  vielfach  berichtigte  und  vermehrte  Ausgabe.  Berlin. 
Weidmännische  Buchhandlung.  1865.     279  8.     8. 

Titi  Li  vi  ab  urbe  eondiia  libri.  Erklärt  von  W.  Weissen^ 
born.  Zweiter  Bandi  Buch  111— V.  376  8.  Vierter 
Band:  BucK XXl—XXUl.  372  8.  8.  Dritte,  verbesserte  Auf- 
lage. Berlin  u.  s.  to.  1865. 

C.  Julii  Caesaris  Commentarii  de  beüo  OaUico.  Erklärt  von 
Friedrich  Kraner.  Mü  dner  Karte  von  Gallien  von  U. 
Kiepert.   Fünfte  Auflage.  Berlin  u.  s.  tr.  1865.   8.  424  8. 

Ausgewählte  Briefe  von  M*  Tullius  Cicero.  Herausgegeben  von 
Friedrich  Hofmann.  Erstes  Bändchen.  Zweite  Auf- 
lage.    Berlin  u.  s.  w.  1865.  IV  und  266  8.   8. 

Homers  lliade  erklärt  von  J.  U.  Faesi.  Zweiter  Band.  Vierte 
Auflage.  Berlin  u.  s.  w.   1865.   439  8.   8. 

Ausgewählte  Biographien  des  Flutarch.  Erklärt  von  C.8intenis. 
Drittes  Bändchen:  Themistokles  und  Ferikles.  Dritte  Auf^ 
läge.    Berlin  u.  s.  w.  138  8.   8. 

Die  vorstehende  Liste  von  neuen  Ausgaben  der  fUr  den  Be- 
darf der  Schule  zunächst  bestimmten  Sammlung  Griechischer  und 
Lateinischer  Schriftsteller  mit  deutschen  Anmerkungen  von  Haupt 
und  Sauppe  kann  hinreichend  ein  Zeugniss  ablegen  von  der  gün- 
stigen Aufnahme,  und  dem  Beifall,  welchen  diese  Bearbeitungen 
gefunden  haben.  Sie  sind  allerwärts  bekannt  und  verbreitet,  auch 
diese  Blätter  haben  mehrfach  in  eingehender  Weise  darüber  sich 
verbreitet,  so  dass  es  nicht  weiter  nöthig  ist,  über  Anlage  und 
Behandlung  sich  des  Näheren  auszulassen:  die  erneuerten  Auflagen 
haben  sich  nicht  von  dem  Plan  in  der  Anlage  des  Ganzen  entfernt, 
wohl  aber  waren  die  Herausgeber  bemüht,  ihr  Werk  einer  sorg- 
f)&ltigen  Durchsicht  zu  unterziehen,  und  in  Folge  dessen  in  der  An- 
merkungen Einzelnes  zu  berichtigen  oder  zu  ergänzen.  Es  mag, 
um  ein  Beispiel  anzuführen,  diese  insbesondere  von  dem  dritten 
Bändchen  der  Gedichte  Yirgil's  gelten,  welches  in  beider  Hin- 
sicht genug  Belege  bietet,  und  in  dem  kritischen  Anhang  auch 
Manches  Andere  bringt,  was  für  Kritik  wie  Erklärung  beachtens- 
werth  erscheint;  das  Register  über  die  sprachlichen  Anmerkungen, 
welches  über  die  Eklogen,  die  Georgika  xmd  Aeneis  sich  erstreckt, 
ist  eine  sehr  nützliche  Zugabe;  das  weiter  beigefügte,  sehr  nette 
Kärtchen,  stellt  den  mittleren  Theil  Italiens  dar,  während  der 
freie  Baum  an  beiden  Ecken  benutzt  ist  für  eine  Darstellung  des 
ältesten  Bom's  und  der  alten  Landschaft  Latium :  das  Ganze  eben- 
falls eine  für  die  zweite  Hälfte  des  Aneis  gewiss  brauchbare  Zugabe. 

Auch  die  beiden  Bände  des  Li v ins  enthalten  manche  Ver- 
besserungen so  wie  einzelne  Zusätze,  und  bringen  am  Schlüsse  ein 
Yerzeichniss  deijenigen  Stellen,  an  welchen  Gonjeoturen  aufgenom-. 


OIHS  Rvge:  Der  Cbald&er  SeleiikpB. 

men  worden  sind.  Insbesondere  dür&n  wir  hier  wohl  auf  den 
Band  aufmerksam  machen,  welcher  das  ein  und  zwanzigste  Buch 
oder  den  Zug  Hannibals  über  die  Alpen  enthält,  wo  derVerfiewaer 
bemüht  ist,  die  Abweichungen  des  Livius  von  Poljbius  genau  sd 
verfolgen,  ohne  indess  über  die  wirkliche  Sichtung  des  Zuges  eine 
bestimmte  Ansicht  auszusprechen,  die  indess  nach  den  erneuerten 
Forschungen,  namentlich  auch  den  in  diesen  Blättern  seiner  Zeit 
erwähnten  Untersuchungen  Bauchenstein's,  kaum  mehr  zweifelhaft 
sein  dürfte«  Dass  die  sprachliche  wie  die  sachliche  Erklärung 
überall  auf  das  sorgfältigste  behandelt  ist,  wird  kaum  einer  be- 
sonderen Erwähnung  bedürfen. 

Was  die  weiten  oben  angezeigten  neuen  Auflagen  von  Cäsar  b 
Bellum  Gallioum,  von  der  Auswahl  der  Briefe  Cicero 's  wie  von 
dem  zweiten  Bändchen  der  Homerischen  Ilias,  und  dem 
dritten  der  Biographien  des  Plutarch  betrifft,  so  kann  hier  füg- 
lich auf  die  früheren  Berichte  darüber  verwiesen  und  damit  auä 
eine  erneuerte  Empfehlung  derselben  ausgesprochen  werden.  In  der 
äusseren  Ausstattung  wie  in  der  ganzen  Einrichtung  zeigt  sieh 
keine  Verschiedenheit  von  den  früheren  Abdrücken,  wohl  aber  eio 
rühmliches  Streben  nach  möglichster  Correctheit  des  Druckes. 


Der  ChaJdäer  Sekukoa.  Eine  krüUehe  ünUrsufihung  am  der  6Fe- 
achichte  der  Oeographie  von  Dr.  Sophus  Rüge,  Lehrer  an 
der  öffentlichen  HandelslehranstaU  su  Dreeden.  Dresden,  G. 
8chönfeia$  Buchhandlung  (C.  A.  Werner).  1866.  23  8.  gr.  8. 

Der  Gegenstand  dieser  Monographie  ist  ein  wenig  bekannter, 
nur  an  sechs  Stellen  alter  Schriftsteller  genannter,  gelehrter  For- 
scher des  Alterthums,  der  aber  doch  wohl  verdiente  der  Vergessen« 
heit  entrissen  und  so  gewissermassen  in  sein  Beoht  wiedier  einge- 
setzt zu  werden,  da  ihm  eine  wichtige  Lehre  zugeschrieben  wird, 
die  gewöhnlich  als  eine  Erfindung  des  sechzehnten  christlichen  Jahi^ 
hunderts  betrachtet  wird,  die  Lehre  von  der  rotirenden  Bewogong 
der  Erde,  die  man  jetzt  dem  Copemicus  beizulegen  gewohnt  ist; 
so  mag  auch  diese  Schrift  einen  neuen  Beleg  für  die  Behauptung 
bringen,  wie  so  manche  Erfindung  auf  dem  Gebiet  des  Geistes,  so 
manche  Lehre,  auf  welche  die  neuere  Zeit  stolz  ist,  bereits  dem 
Alterthum  bekannt  war:  so  wenig  näher  auch  uns  jetzt  der  Name 
belf  annt  ist,  der  schon  im  Alterthum  jene  Lehre  geltend  zu  machen 
gesucht  hat.  Es  ist  der  neben  Arlstarchus  genannte  Seleucus, 
bald  der  Babjlonier,  bald  der  Erythräer  u.  s.  w.  genannt,  als 
dessen  Heimath  jedoch  hier  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  das 
am  Tigris  gelegene  Seleucia,  das  mit  dem  Sinken  Babjlons  ab 
eiuß  grosse  Weltstadt,  bald  aber  auch  als  eine  Stätte  wissenschaft- 
licher Forschung,  griechischer  wie  chaldäischer,  sich  erhob,  nachge* 


SoMra«f   Lebybneh  der  lAnwtlogle.  9M 

wiesen  wird;  Seleucus  —  unter  welndiem  Namen  mehrere  Gelehrte 
im  Alterthnm  yorkommen  —  »war  hiernach  ein  Chaldäer  aus  der 
Stadt  Seleokeia  am  Tigris,  aas  der  Landschaft  Babylonien  am 
erythräischen  Meere«  (S.  9),  dessen  Lebenszeit  in  die  Mitte  des 
zweiten  Jahrhunderts  vor  Ohr.  fallt  (S.  10)*  Nicht  einen  Griechen, 
der  bei  den  Chaldäern  in  die  Schale  ging,  mächte  der  Verf.  in 
ihm  erkennen,  sondern  einen  Chaldäer,  dem  griechische  Bildung  zu 
Theil  geworden  w^r  (S.  12).  Der  Verfasser  legt  uns  dann  weiter 
Yor,  was  Yon  den  kosmischen  und  astronomischen  Ansichten,  von  den 
physischen  Lehren  des  Seleucus  (insbesondere  Über  Ebbe  und  Fluth) 
zu  unserer  Eenntniss  gelangt  ist  und  zeigt  damit,  bei  aller  Spär*- 
licbkeit  der  über  diesen  alten  Forscher  vorhandenen  Nachrichten, 
die  Bedeutung  und  die  Wichtigkeit  eines  Mannes,  dessen  Lehre, 
im  Alterthnm  bald  vergessen,  erst  durch  den  grossen  Astronomen  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  wieder  erweckt  worden  ist*  Man  wird  die 
gründliche,  mit  aller  Klarheit  hier  geführte  Untersuchung  nicht 
ohne  mehrfache  Belehrung  aus  der  Hand  legen,  und  dem  Ver&sser 
dafür  dankbar  sein. 


Lehrbuch  der  ph'^kaKsehen  Mineralogie  von  Dr.  Albr.  8  ehr  auf, 
Docenien  der  Mineralogie  an  der  Wientr  ümveridiät  OustOB- 
Adjunkt  an  k.  h.  Ho fmineraHen- Gabinet,  /.  Band.  Lehrbuch 
d^  Kryeiällographie  und  Mineral-Morphologie,  Mit  100  dem- 
Text  eingedrukten  Bolzeehnitien.  Wien  186ß.  Wilhelfn  Brau- 
mmier.   8.  8.  253. 

Der  VerfBkSser  ist  der  wissenschaftlichen  Welt  bereits  vortheil- 
haft  bekannt  durch  viele  kleinere  krystallographische  Abhandlungen 
als  auch  ganz  besonders  durch  seinen  »Atlas  der  Erystall-Formen.« 
In  vorliegendem  Werke  bezweckt  Sehr  auf  besonders  das  Studium 
der  Mineral-Physik  zu  fördern  und  zu  erweitem,  welches  —  ver- 
glichen mit  Erystallographie  und  Mineral-Chemie  —  weniger  eifrig 
betrieben  worden  war. 

Die  physikalischen  Eigenschaften  hängen,  wie  bekannt,  mit 
jenen  der  Gestalt  so  innig  zusammen,  dass  man  auch  die  Erystal- 
lographie als  einen  Theil  der  Physik  und  somit  Physik  und  Chemie 
als  zwei  Hülfs- Wissenschaften  der  Mineralogie  zu  bezeichnen  pflegt. 
Und  in  der  That  ist  der  Einfluss  dieser  beiden  Hülfs- Wissenschaf- 
ten so  bedeutend,  dass  sie  den  Impuls  zu  besonderen  Sichtungen 
der  mineralogischen  Discipiin  gegeben  haben. 

Als  Gründer  der  physikalischen  Mineralogie  ist  Bom^  de 
Li  sie  zu  betrachten,  obwohl  dieselbe  erst  durch  Ha  uy  und  Weiss 
ihren  eigentlichen  Aufschwung  gewann. 

Es  sind  namentlich  zwei  grosse  theoretische  Abtheilungen, 
welche  die  physikalische  Mineralogie  umfasst;  die  Mineral-Morpho- 


MO  8e>faQf:  Lehrlroch  der  Mintralogie, 

logie  und  die  specielle  Mineral^Physik.  Die  Minend-MoTphologie 
lehrt  —  gestutzt  auf  die  Oeometrie  —  die  rftnmlicheiL  Verh&ltiiiaae 
der  Oestalt  und  ihre  Abhängigkeit  Yon  den  Eigenschaften  der 
Materie  und  sucht  diese  gewonnene  Erkenntniss  zur  Charakteriai- 
mng  der  Species  zu  verwenden.  Die  specielle  Mineral-Physik  hin-, 
gegen  erforscht  die  Verhältnisse  von  Optik,  Elasticität  n.  s.  w.» 
insofern  sie  durch  krystallinische  Structur  bedingt  sind  und  lehrt 
ihre  Anwendung  auf  dem  Felde  der  Mineralogie. 

Der  vorliegende  erste  Band  von  Sehr  aufs  Lehrbuch  der 
physikalischen  Mineralogie  zerfWt  in  drei  Abtheilungen.  Die  erste 
enthält  die  allgemeine  Morphologie;  sie  schildert  die  Entwicklung 
der  krystallographischen  Anschauungsweise,  die  verschiedenen  Theo- 
rien über  Erystallogenesis  und  behandelt  ausfOhrlich  die  Lehren 
der  AUotropie  und  Isomerie,  des  Homöomorphismus ,  der  Pseudo- 
morphosen.  Die  zweite  Abtheilung,  die  grössere  Hälfte  des  ganzen 
Bandes  bildend,  umfasst  die  theoretische  Morphologie,  also  den 
mathematischen  Theil,  in  welchem  die  verschiedenen  Erystali- 
systeme  abgehandelt  werden.  Unter  diesen  begegnen  wir  einem 
neuen,  dem  von  dem  Verfasser  aufgestellten  orthohexagonalen  System 
von  welchem  bereits  in  diesen  Blättern  bei  Besprechung  des  »Atlas 
der  Erystall-Formen«  die  Bede  war.  In  der  zweiten  Abtheilung 
verdient  besonders  das  Capitel  über  die  Zwillings-Erystalle  Be- 
achtung. In  der  dritten  Abtheilung  gibt  der  Verfasser  die  Anlei- 
tung zum  Messen  der  Erystall-Winkel  und  zum  Berechnen  der 
Erystalle  und  führt  am  Schluss  in  tabellarischer  Uebersicht  die 
Bezeichnungs-Methoden  der  krystallographischen  Schulen  auf. 

Die  Ausstattung  des  Werkes  durch  die  Üniversitäts-Buchhand- 
lung  von  W.  Braumüller  ist  eine  vorzügliche. 

G.  Leonhard. 


Chronik  der  ümyersität  Heidelberg  für  das  Jahr  1865. 


Am  22.  November  wurde  in  herkömmlioher  Weise  das  Fest 
der  Gebart  des  erlauchten  Restaurators  der  üniyersitäty  des  hOchst* 
seligen  Gbrossherzogs  Karl  Friedrich,  yon  der  üniyersität  be- 
gangen. Die  Festrede*)  des  zeitigen  Prorector*s,  Hofrath  Kirch* 
hoff  verbreitete  sich:  ȟeber  das  Ziel  der  Naturwissen- 
schaften.« 

Der  Bedner  ging  davon  aus,  dass  alle  Vorgänge  in  derNatur, 
wie  unendlich  mannigfaltig  sie  sich  auch  zeigen,  in  Bewegungen 
unveränderlicher  Materie  bestehen;  er  setzte  auseinander,  wie  die 
Mechanik  die  Bewegung  eines  jeden  Systemes  von  materiellen  Thei- 
len  zu  berechnen  erlaubt,  wenn  die  Kräfte,  die  auf  diese  wirken, 
und  der  Zustand  des  Systemes  —  d.  h.  Art  und  Geschwindigkeit 
eines  jeden  Theiles  —  für  einen  Augenblick  bekannt  sind,  und 
stellte  als  das  höchste  Ziel,  welches  die  Naturwissenschaften  zu  er- 
streben haben,  die  Ermittlung  der  Kräfte  hin,  die  in  der  Natur 
vorhanden  sind,  und  des  Zustandes,  in  dem  die  Materie  in  einem 
Augenblicke  sich  befindet,  mit  andern  Worten,  die  ZurückfÜhrung 
aller  Naturerscheinungen  auf  die  Mechanik.  Es  folgte  darauf  die 
Aufzählung  der  Kräfte,  die  man  in  der  Natur  erkannt  hat,  oder 
erkannt  zu  haben  glaubt:  der  Gravitation,  der  Molekularkräftei 
der  Kräfte,  welche  von  den  Theilen  des  Lichtäthers  und  von  denen 
der  elektrischen  Flüssigkeiten  ausgehn.  Musste  unsere  Kenntniss 
von  diesen  Kräften  als  eine  lückenhafte  und  zum  grossen  Theile 
unsichere  bezeichnet  werden,  so  war  das  nicht  minder  der 
FaU  für  unsere  Kenntniss  des  Zustandes  der  Materie.  Der  Bedner 
wies  darauf  hin,  wie  wenig  wir  von  der  Beschaffenheit  der  Ge- 
stirne und  des  Erdinnem  sowie  von  der  Anordnung  der  Materie 
in  allen  den  Körpern,  die  wir  greifen  können,  wissen.  Kennten 
wir  die  Anordnung  der  Materie,  so  bliebe  noch  die  Frage  nach 
ihrer  Bewegung  übrig,  eine  Frage,   die  um  so  wichtiger  ist,   als 


*)  Dieselbe  ist  bereits  Im  Druck  erschienen:  Vortrag  nun  Geburtsfeste 
des  höchstseligen  Grosahersogs  Karl  Friedrich  von  Baden  und  jBur  akademi- 
schen PretsvertbeUnng  am  23.  Novb.  1866  von  Dr.  G.  Kirehhoff,  Grosäh. 
Bad.  Hofrath  und  ordentl.  Professor  der  Physik,  dermaUgem  Proreetor. 
Heidelberg  1865.  Buohdruokerei  von  Georg  Mohr.  S%  8«  in  gr,  4. 
liVm.  Jahrg.  13.  Heft  61 


969  Cbronlk  der  Uniiraniai. 

Bewegting  überall  und  immer  yorhanden  ist,  auch  da,  wo  tmser 
Auge  sie  nicht  wahrnimmt,  indem  die  Erscheinungen  derWftrme 
auf  einer  Bewegung  beruhen.  Der  Bedner  nahm  Gelegenheit,  diese 
Behauptung,  die  in  den  letzten  Decennien  erst  als  wahr  erkannt 
ist,  näher  zu  begründen  und  die  Grundlage  der  sogenannten  mecha- 
nischen Wärmetheorie  zu  entwickeln.  Durch  diese  Theorie  ist  jene 
Behauptung  sicher  bewiesen,  aber  über  die  Art  der  Wärmebe- 
wegung  bis  jetzt  wenig  ermittelt.  Es  musste  der  Schluss  hieraus 
getogeii  warc(eni  dass  die  Naturwisaeuschaften  noch  weit  von  ihnm 
Ziele  entfernt  sind,  vollständig  erreicht,  so  schloss  der  Bedner,  wird 
dieses  Ziel  niemals  werden;  aber  schon  die  Thatsache,  dass  es  als 
iolohos  ^rkao^t  igt,  bietet  eine  gewisse  Befriedigung  und  in  der 
Annäherung  an  dasselbe  liegt  der  höchste  Geaast,  den  die  Besch&f- 
tigui^g  mit  cle^  Erscheinungen  der  Natur  zu  gewähren  vermag. 


An  der  üniversitl^t  selbst  fanden  im  Laufe  des  Jahres  folgende 
V^ränderuiigen  statt: 

Von  den  L^ern  der  Hochschule  ist  Prof,  extraord.  Dr.  Wilh. 
poesQlt  auf  sein  Ansuchen  aue  dem  Universitätsverbande  ent* 
If^ssen^  Dr,  Oscar  B  Ulo  w,  bisher  Privatdocent  der  Juriatenfakidttti 
'ajis  Fro&  extraord.  nachGiessen  berufen  und  Dr.  Ludwig  Carins, 
bisher  ausserordentlicher  Professor,  als  ordentlicheir  Professor  der 
{/Jt^emie  nach  Marburg  gegangen. 

Dagegen  wurde  Prof.  Dr.  Otto  Weber  als  ordentlicher  Pro- 
fessor der  Chirurgie  und  Vorstand  der  chirurgischen  Klinik  ^ 
rufen  ^nd  Geheim^ath  Dr.  Knies  zum  grdentlichen  Professor  dar 
^taatswissenschaften  ernannt.  Als  Frivatdocenten  haben  sich  habi- 
Uürt:  in  der  geologischen  Fakultät  Dr.  Fried.  Nippold,  in  d« 
juristischen  Dr.  Rieh.  Sontag  undHern>.  Strauch,  in  dermedi« 
Oinisehen  Dr.  Jul.  Bernstein,  Dr.  Carl  Heine  und  Dr.  Witt. 
Srb)  in  der  philosophischen  Dr.  Paul  du  Bois-Beymond  fti 
rei^e  und  angewandte  Mathematik,  Dr.  Heinrich  Steiner  flr 
orientalisohe  Sprachen,  Dr.  Wilh.  Ben  ecke  für  Geologie  wd  Fs- 
läoftto^ogie» 

Der  bisherige  ausserordentliche  Prof.  Dr •  H  o  1 1  z  m  a  n  n  ist  zvm 
grdentlichen  Professor  in  der  theologischen  Fakultät,  und  der  bid- 
l^erige  Privatdocent  Dr.  Knapp  zum  ausserprdentliohen  ProfioiBor 
i^  der  mediciniscben  Fakultät  ernannt. 

D^m  Hofi«^th  Häusser  und  Hofrath  HelmhoUz  ward  der 
Charakter  als  Geheimrath  m.  Classe,  dem  zeitigen  Prorector  Prof. 
Kirchhoff  der  Charakter  als  Hofrath  verliehen;  Hofrath  Zöpfl 
hat  von  S.  H.  dem  Fürsten  von  Monaco  das  Ritterkreuz  des 
VerdieknstQrdeD^s^  vom  beil.  Carl  erhalten,  Kirchenrath  Schenkel  Ton 
S.  H«  dem  Herzog  vom  Sachsen-Ooburg-Gotha  das  Ritterkreuz  E 
Classe  des  Sftchs.-Emestinischen  Hausordens,  Geheimrath  Bunsen 


Chronik  der  UaiTttBlUt  968 

das  Gommandeurkrenz  des  Königl.  Schwedisehen  Nordstefmotdens 
und  denKaieerl.  Russischen  8t.  Anna*Orden  II.  ClaGne,  Prof.  Kopp 
das  Bitterkreuz  des  KönigL  Schwedischen  Nordeternordens ,  Geh* 
Hofrath  Lange  das  Commandeurkrenz  11.  Glasse  Tom  Zähriiig«y 
Löwenorden,  Geheimrath  Blnntschli  daik  Bitterkreaz  vom 2äfarin- 
ger  L^wenorden  und  den  Xaiserl.  BusBischeü  St.  Anlia-^Orden  11* 
Classe,  Geheimrath  Mi  tt er mai er  und  Geheimrath  y.  Vangerow 
den  Eaisdrl.  Bussischen  St.  Stanislaus-Orden  II.  Claste  mit  Sterne 
Geheimrath  Helmholtz  den  Eaiserl.  Russischen  St.  StanislauS"' 
Orden  II.  Olasse,  Professor  Erlenmejer  den  Kaiserl.  BuBsisohen 
St.  Anna-Orden  III.  Glasse,  Hofrath  Eirchhoff  das  Bitterkreua 
des  Eönigl.  Schwedischen  Nordstemordens  und  deh  Eaiserl.  Bussi- 
schen St.  Stanislaus-Orden  11.  Classe. 

Es  fanden  im  Laufe  des  Jahres  die  folgenden  Promotionen  statt  t 
In  der  juristischen  Fakultät  erhielten  did  Doctorwürd«: 
Am  24.  Febr.:  Salomon  Gabrjlosvicz ;  am  3.  März:  Alfred  Bösen 
ans  Dannstadt;  am  6.  März:  Carl  Schenck  zu  Schweinsberg  von. 
Schweinsberg  in  Eurhessen;  am  7.  März:  Johann  Angerte  aits 
Wattens  inTjrol;  am  S.März;  Alphons  Mittelstrass  aus  Hamburg; 
am  15. März:  Franz  Joze£fbyicz  aus  Warschau;  am  18. März:  John 
Fallis  aus  den  Vereinigten  Staaten  in  Nordamerika;  am  31.  Mai: 
Feter  Logothetis  aus  Griechenland:  am  4.  Juli:  Erwin  Stammann 
aus  Hamburg;  am  12.  Juli:  C.  F.  Bodatz  aus  Bremen;  am  16. 
Juli:  Paul  Breyer  ans  Camp  in Bheinpreussen ;  am  19.  Jidi:  Aloys 
Gjr  aus  Schwytz  in  der  Schweiz;  am  28.  Juli:  Nicolaus  Eldüte«- 
resco  aus  der  Wallacbei;  am  26.  Juli:  Adolph  Yarrentrapp  aus 
Frankfurt  a.  M. ;  am  28.  Juli:  Georg  Niemeyer  aus  Petersburg; 
am  29.  Juli:  Alphons  Bandelier  aus  St.  Imer  in  der  Schweiz;  am 
2.  August:  Stephan  Makowski  aus  Polen;  am  4.  August:  Addi^ 
Samueli  aus  Pesth  in  Ungarn ;  am  5.  August:  B.  yon  Oampenhausen 
aus  Livland ;  am  8.  August :  Emil  Berend  aus  Berlin ;  am  9.  Aug. : 
Carl  yon  Glotz  aus  Warschau;  am  12.  August:  F.  G.  Farquhar 
aus  Amerika;  am  26.  Septbr.r  Bobert  Eupfer  aus  Coburg;  am  29« 
Septbr. :  Gustav  Fick  aus  Genf;  am  18.  Octob. :  Joh.  Zographos 
aus  Griechenland;  am  16.  Dec:  Hermann  Basche  aus  Bergen:  am 
20.  Dec. :  Constantin  Georg  Makkas  aus  Athen ;  am  22.  Dec. :  Wilh. 
Graf  zu  Castell-Bttdenhausen  in  Franken. 

Weiter  wurde  diese  Würde  »honoris  oausac  am  1.  Aug.  tot- 
liehen  dem  Hm.  Carl  Brater,  und  zwar,  wie  das  Diplom  be- 
sagt: »propter  insignia  merita  de  jure  publice  excolendo  atqne  in«- 
primis  de  jure  reipublicae  administrandae  ptomovendo« ;  femer  am 
26.  Novbr.  dem  Hrn. Franz  Ludwig  Witt  zu  Lübeck,  welcher 
Yor  fünfzig  Jahren  die  Doctorwürde  bei  der  Fakultät  erlangt  hatte, 
»qui  quinquaginta  per  annos  causamm  patroni  munere  in  urbe 
patria  fimctus,  summam  et  magistratuum  et  civium  sibi  oomparayit 
laudem  et  comprobationem«,  das  Diplom  erneuert. 


9A  Chronik  der  UntrerslUli 

Dilieübüt^  diitcli  eind  Anzahl  europäischer  Fledi^rknUnstoi  tob  den 
Hblren  S  c  h  m  i  d  t  üüd  Stad.  B  e  s  8  e  1  s  duroh  Beitr&ge  aut  Insekiea- 
sammlmig,  vom  Direotor  des  Instituts,  Professor  Alex.  Pagen- 
stecher,  duroh  einen  Delphin  und  andere  auf  Majorka  gesammelte 
Thiiire,  sowie  durch  eine  Anzahl  grosserer  Säugethiere,  Löwen, 
Tilget,  Leo|)ard  und  andere  in  liberalster  Weise  bereichert.  Die 
archäologische  Sammltlttg  hat  im  Laufe  dieses  Jahres  zweifachen, 
säht  ärfreulicheti  Zuwachs  erhalten.  Erstens  wurde  derselben  die 
bis  dahin  der  Museumsgesellsohafb  gehörige  Webe r 'sehe  Sammlung 
TOn  kleineh  Anticaglien  und  Münzen  yon  Seite  dieser  als  Geschenk 
zttgeWieseü,  und  es  sind  die  Gegenstände  dieser  Sammlung  stiftungs- 
gemäss  aufgestellt  worden.  Zweitens  floss  in  Folge  eines  Beschlus- 
ses des  Vereine  Heidelberger  Universitätslehrer  zur  Abhaltung 
öftentlichet  Vorträge  der  diesjährige  Reinertrag  dieser  Vorlesungen 
im  Betrage  von  351  fl.  und  57  kr.  in  die  Kasse  der  archäologi- 
schen Sammlung  und  es  sind  bereits  mehrere  Statuen,  Kö^Ib  und 
Belietb  Von  dieser  Schenkung  in  den  Räumen  der  Sammlung  auf- 
gestellt Worden.  Der  Uniyersitätsbibliothek  sind  in  dem  äbgelaü- 
f6tien  Jahte  nicht  Wenige  Geschenke  zugekommenen  Ton  einzelnen 
Mitgliedern  der  Universität,  von  auswärtigen  gelehrten  Freunden 
uhd  Gönnern  uhd  verschiedenen  Akademien  und  gelehrten  Gesell- 
söhafteu;  von  diesen  führen  wir  insbesondere  die  Akademien  von 
Wien,  Petersbul-g,  München  uhd  Brüssel  an,  sowie  die  Smithsoniah 
Institution  zu  Washington;  selbst  von  der  öffentlicheti  Bibliothek 
zu  Melbourne  in  Australien  ist  lins  eine  werthvoUe  Sendung  von 
Büchern  zugegangen.  Aehnliche  Gaben  haben  wir  von  dem  stastiti- 
Böhen  Oongress,  von  den  Grossh.  Ministerien  des  Innern,  des  Han- 
dels und  der  Finanzen  und  von  dem  Königl.  Italienischen  Ministe- 
rium des  Ackerbaues  und  des  Handels  erhalten.  Auch  Si  M.  der 
Kaiser  der  Franzosen  hat  in  diesem  Jahre  wie  früher  die  Bibliothek 
nlit  werthvoUen  Geschenken  bedacht. 

Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht,  im  Namen  der  Universität 
für  alle  diese  Gabeh  den  verbindlichsteh  Dank  öfibütlich  auszu- 
s{n*echen. 


Von    den   im   vorigen  Jahre   gestellten  Preisfragen  hatte  die 
Aufgabe  der  theologischen  Fakultät,  welche  lautete: 

»Disseratur  de  ratione  studii  theologici   in  melius  corrigendi 
a  theologis  seculi  quindecimi  Parisiensibus :  Petro  de  Alliaoo, 
Joatafle  Gefsonio  et  Nicoiao  de  Clemangis  propositac 
eine  mit  dem  Motto  »nünquam  retrorsüm«  bezeichnete  Bearbeitung 
gefunden,  übet  welche  das  Urtheil  der  Fakultät  also  lautet: 

»Auetor  ^onimentationis  propositiones  de  emendenda  ötadii 
th^oiögici  ratione  e  scHptis  trium  virorum  diligenter  quidem 
<^oll^git,  sed  paruin  diligenter  in  testimoniis  hisee  ex  histcria 
aefi  illiuB  illustrandis  versatus  est.     Nam  untce  id  egit,    ut 


Chronik  dn  UnlverdUt.  MT 

eormpttun  illo  tempore  ecclesiae  Btatum  enarraret,  non 
autem  coram  gessiti  ut  qnae  ad  Btatnm  literarum  theo- 
logicarum  pertinent,  luculenter  apparerent.  Theologiae 
enim  et  philosophiae  scholasticae  imaginem  nusqnam  depinxit, 
ita  Qt  oormptelae  studii  theologici  seculis  scholasticismi 
exemitiB  accnratins  cognoscerentnr.  Tarn  qnae  seculis  illis 
animoB  movebant  decertationes  inter  Bealismi  et  Nomina- 
lisini  Beetatores  perbreviter  quidem  anctor  attigit,  Bed  de 
incrementis  Nomitialisini  eo  tempore,  nee  non  de  cansis  et 
de  vi  et  effectn  ejus  in  theologiam  non  disseruit.  Theologiae 
deniqne  mjeticae  mentionem  fecit  paene  nuUam^  qnamyis 
Buccinctam  saltem  ejus  descriptionem  Joannis  Gersonii  scripta 
poscerent.  Ita  factum  est,  ut  auctor,  qui  nniversam  aevi 
illias  indolem  non  accnratins  perspexit,  aevius  et  leyins,  quam 
.  yerius  de  studii  theologici  emendandi,  qnae  illis  viris  placuit, 
ratione  sententiam  dixerit.  Deniqne  sermo  latinns,  quo  usus 
est,  tantum  abest  ut  laudari  possit,  ut  valde  reprehendi  de- 
beat,  propterea  quod  Stylus  ubique  magis  quam  ferri  potest 
T^rnäculae  natnram  redolet  et  grayissimis  contra  gramma- 
iioam  scatet  peocatis.  Quae  cum  ita  sint,  Ordo  theologomm 
commentationem  praemio  ornandam  esse  non  censnit.c 

Das  von  der  j  nr  i  st  iechen  Fakultät  gestellte  Thema  lautete : 
»Darstellung  der  gemeinrechtlichen  Grundsätze  über  die  Eir- 
ehenbaulast.« 
£s  waren  drei  Arbeiten  über  dasselbe  eingegangen;  die  eine 

mit   den  aus   detn   zweiten  Buche  Mosis  genommenen  Warten    als 

Mottet 

»Und  sie  sollen  mir  ein  Heiligthum  machen,   dass  ich  unter 
ihnen  wohne», 

die  zweite  mit  dem  Motto: 

»Juristen  sind  gute  Christen«, 

die  dritte  mit  dem  Motto: 

»Si  fractuB  illabatur  orbis,  impayidum  ferient  ruinae.« 
Das  Urtheil  der  juristischen  Fakultät  darüber  lautet: 
»Die  erste  dieser  Schriften  giebt  die  Quellen  und  die  Litera- 
tur des  katholischen  Kirchenrechts  umfassend  an,  erörtert  die 
Geschichte  früherer  Zeiten,  unterscheidet  mit  Recht  die  Ka- 
thedral-,  Collegial-  und  Conventualkirchen  von  den  Pfarr- 
kirchen, so  dass  das  Concil  you  Trient  nur  über  die  Baulast 
bei  den  Pfarrkirchen  zu  entscheiden  hatte.  Der  Verfasser  er- 
örtert die  Stellen  des  Concils  genau :  allein  es  fehlt  der  Schritt 
an  der  Methode  und  der  übersichtlichen  Darstellung  der  ein- 
zelnen Abtheilungen,  das  System  liegt  nicht  klar  vor  Augen. 
Dagegen  zeichnet  sich  die  zweite  Schrift  ror  der  ersten  gün- 
stig aus  durch  eine  schärfere  juriBtische  Methode  in  Fest- 
stellung  der  Bechtsgedanken  und  Ziehung  der  Folgen  und 


OdS  Chronik  der  üiÜTersit&t 

durch  eine  klare  Darstellung.  Diese  Schrift  hält  sich  an  die 
neuere  praktische  Darstellung  katholischer  und  protestan- 
tischer Schriftsteller. 

Die  dritte  Schrift  zeigt  Fleiss  und  Umsicht,  ist  schnell  ge* 
arbeitet,  weshalb  der  Verfasser  sich  selbst  entschuldigt,  zeigt 
Ton  Talent,  erreicht  aber  den  Werth  der  beiden  andern  Schrif- 
ten nicht. 

Die  Fakultät  kann  allen  drei  Schriften  die  Bedeutung  keines- 
wegs geben,  dass  sie  zum  Drucke  reif  sind  und  ohne  gänz- 
liche Umarbeitung  gedruckt  werden  können.  Gleichwohl  findet 
sie  die  beiden  ersten  Schriften  für  preiswttrdig.  Die  dritte 
Schrift  ist  der  Belobung  werth. 

Das  Grossh.  Ministerium  des  Innern  hat  es  genehmigt,  dass 
die  juristische  Fakultät  heute  zwei  Preismünzen  ertheile. 

Nach  Eröffnung  des  mit  dem  Motto:  »und  sie  sollen  mir  ein 
Heiligthum  machen,  dass  ich  unter  ihnen  wohne«  überschriebenen 
Briefes,  zeigt  sich  als  Verfasser  der  ersten  Schrift:  Karl  Kah, 
stud.  jur. 

Als  Verfasser  der  zweiten  Abhandlung  mit  dem  Motto:  »Ju- 
risten  sind   gute  Christen«   zeigt   sich:   Max  Eügler,  stud.  jur. 

Die  medicinische  Preisaufgabe  lautete: 
»Disseratur   de  causis  et  genesi  coarotationis  pelvis,    quam 
Yocant  obliquam  seu  unilateralem.« 

Das  ürtheil  der  Fakultät  über  die  eingelaufene  Arbeit  lautet: 
»Der  Verfasser  beginnt  seine  Abhandlung  in  ganz  zweckmäs- 
siger Weise  mit  einem  Abrisse  der  Geschichte  der  zu  bespre- 
chenden besondem  Art  der  fehlerhaften  Becken,  unter  vor- 
züglicher Berücksichtigung  der  verschiedenen,  seit  ihrem  ersten 
Bekanntwerden  über  die  Ursachen  und  die  Entstehungsweise 
derselben  von  den  Fachkundigen  ausgesprochenen  Ansichten, 
stellt  dann  die  allen  Becken  dieser  Art  gemeinsame  anato- 
mische Gnmdursache  ihrer  Beschaffenheit  fest,  und  erforscht 
hierauf  die  entfernteren  Ursachen,  d.  h.  die  umstände  und 
Einflüsse,  welche  jene  gemeinsame  Grundursache  zu  bedingen 
geeignet  sind,  und  gelangt  so  zu  dem  Nachweise  des  Vorkom- 
mens von  vier,  eben  nach  den  ermittelten  entfernteren  Ur- 
sachen von  einander  verschiedenen  Unterarten  oder,  wie  er 
sie  nennt,  Kategorien  der  einseitig  verengten  Becken.  Er  hat 
die  zu  lösende  Aufgabe  richtig  aufgefasst  und  liefert  in  der 
Bearbeitung  derselben  unverkennbare  Beweise  sowohl  von  sehr 
guter  Befähigung  als  von  grossem  Fleisse.  Er  bekundet  femer 
nicht  nur  eine  umfassende  Bekanntschaft  mit  der  einschlfi- 
gigen  Literatur,  sowie  lobenswerthe  Kenntnisse  in  der  Ent- 
wicklungsgeschichte und  vergleichenden  Anatomie,  sondern 
auch  eine  besonders  hervorzuhebende  Selbständigkeit  seines 
Urtheils,  die  er,  ohne  jedoch  dabei  gegen  die  Anforderungen 


Gbronik  der  Universität  96d 

der  Besoheidenheit  za  yerstosBen,  yorzngsweifie  bei  seiner,  der 
Natur  der  Sache  nach  nicht  zu  umgehenden  Kritik  der  An- 
sichten Anderer  geltend  macht,  durch  die  er  zu  dem  als  ganz 
richtig  anzuerkennenden  Ergebnisse  geführt  wird,  dass  manche 
derselben  unhaltbar  sind.  Endlich  ist  seine  Arbeit  auch  in 
sprachlicher  und  stylistischer  Beziehung  als  eine  befriedigende 
zu  begrassen.  Das  Urtheil  der  Fakultät  geht  also  dahin, 
dass  ihm  der  Preis  zuzuerkennen  ist. 

Als  Verfieisser  ergibt  sich  nach  Oeffnung  des  Siegels:  Albert 
Otto,  stud.  med   von  Heidelberg. 

Von  den  beiden  Preisfragen,  welche  die  philosophische 
Fakultät  gestellt  hatte,  ist  nur  die  eine  bearbeitet  worden.  Sie 
lautete : 

»In  einem  yertikalen,  cylindrischen  Gefässe  mit  horizontalem 
Boden  befindet  sich  eine  Wassermasse.  Es  sollen  die  stehen- 
den Wellen,  die  in  dieser  sich  bilden  können,  untersucht 
werden.  € 

Eine  Arbeit  mit  dem  Motto:  „Trado,  quae  potui  etc."  ist  ein- 
gereicht worden ;  über  diese  urtheilt  die  Fakultät  folgendermassen : 
„Die  Arbeit  zeigt  Yon  dem  Fleisse  des  Verfassers,  von  seiner 
Belesenheit  in  mathematischen  und  physikalischen  Werken 
und  seiner  Geschicklichkeit,  verwickelte  analytische  Rechnun- 
gen durchzuführen.  Die  Lösung  der  gestellten  Aufgabe  ist 
aber  nur  eine  unvollkommene.  Es  wäre  zu  wünschen  ge- 
wesen, dass  die  Aufgabe  auf  theoretischem  und  experimen- 
talem  Wege  behandelt  und  eine  Vergleichung  zwischen  den 
Resultaten  der  Theorie  und  der  Beobachtung  angestellt  wäre. 
Der  Verfasser  hat  sich  auf  theoretische  Untersuchungen  be- 
schränkt und  bei  diesen  auch  nur  die  Wellen  näher  in  Be- 
tracht gezogen,  bei  denen  in  gleicher  Entfernung  von  der 
Axe  gleiche  Bewegungen  stattfinden ;  er  behauptet  sogar,  dass 
solche  stehende  Wellen  die  einzig  möglichen  sind,  was 
durchaus  nicht  der  Fall  ist.  Da  auch  noch  andere  Unrich- 
tigkeiten in  der  Arbeit  vorkommen,  und  die  Darstellung  der 
Untersuchungen  in  Beziehung  auf  ihre  Uebersichtlichkeit  viel 
zu  wünschen  übrig  lässt,  so  hat  die  Fakultät  den  Preis  nicht 
zusprechen  können,  lässt  derselben  aber  in  Anerkennung  des 
rühmlichen  Strebens  des  Verfassers  eine  ehrenvolle  Erwäh- 
nung zu  Theil  werden.  Wenn  der  Verfasser  seinen  Namen 
nennen  will,  so  wird  dieser  nachträglich  bekannt  gemacht 
werden," 

Als  Preisfragen  für  das  folgende  Jahr  werden  aufgestellt: 
Von  der  theologischen  Fakultät: 

„Schleiermacheri  de  Christi  persona  placita  illustrentur  et 
examinentur,  ita  quidem,  ut  eorum  cum  doctrina  libris  sym- 
bolicis  sancita  quae  sit  discrepantia,  dilucide  explicetur." 


9T0  Ohronlk  der  Uiiiversit&i 

Die  Bearbeitnng  dieser  Frage  in  deutscher  Sprache  wird  von 

der  Fakultät  nicht  nur  gestattet,  sondern  empfohlen. 

Von  der  juristischen  Fakultät: 

I, lieber  Wesen  und  Bedeutung  des  Indicienbeweises  und  sein 
Verhältniss  zum  sogenannten  natürlichen  Beweis  im  Straf- 
rerfahren." 

Von  der  medioinischen  Fakultät: 

„Das  Spektrum  des  sauerstoffFreien  Hämokrystallins  wird 
durch  minimale  Quantitäten  SauerstofiP  auffedlend  yertUidert 
und  kann  durch  Zusatz  redacirender  Substanzen  wieder  her- 
gestellt werden.  Es  soll  versucht  werden,  ob  nicht  durch 
genaue  Abmessung  der  dazu  nöthigen  Quantität  eines  geeig- 
neten Beductionsmittels  schon  an  verhältnissmässig  kleinen 
Blutmengen  die  Menge  des  gelösten  Sauerstoffs  bestimmt  wer- 
den kann,  und  femer,  ob  nicht  mit  Hülfe  der  Hämokrystal- 
linlösungen  die  Menge  gelösten  Sauerstoffs  auch  in  den  thieri- 
schen  Organen,  namentlich  Muskeln  im  frischen  und  im  er^ 
Bchöften  Zustande  gefunden  werden  kann." 

Von  der  philosophischen  Fakultät: 

aus  den  Staatswissenschaften:  „Es  soll  die  geschicht- 
liche Fortbildung  der  Lehre  von  der  Volksvertretung  seit 
Bousseau  dargestellt,  und  ihr  Einfiuss  auf  die  henie  be- 
stehenden  Bepräsentatiwerfkssungen  nachgewiesen  werden." 

Aus  der  Philologie: 

De  Vegetii  Bebati  fontibus  quaeratur  ita,  ut  cum  oeterorum, 
quos  diserte  laudavit,  auctorum  particulae  distinguantur  et 
indicentur,  tum  inprimis  libri,  quem  Cato  Censorius  de  dis- 
ciplina  militari  soripsit,  fragmonta  diligenter  inquirantnr  et 
componantur," 


Inhalt 

.     .  •     •     •     •     der 

Heidelberger  JalirMcher  der  Literatur« 


Acht  und  fünfzigster  JcArgang,  1865. 

Seite 

y.  Alb  ext i:  Ueberblick  über  die  Trias 707 

Aelianos  de  natura  animall*  ed.  Her  eher 350 

Apnlei  Apologia  s.  de  magia.  Ed.  Krneger      .     .     .     ..  147 

Apnlei  Florida  reo.  Krueger ;  855 

Aristophanes  Vögel  von  Kock -.     .  235 

Arnold:  üeber  die  Ganglienzellen  des  Nervus   sjmpathicns  254 

Arrians  Werke  von  Cless  2   u.  3.  Bdchen 929 

Aeschylos  Agamemnon  von  Keck 465 

Antenheimer:  Differential-  und  Integralrechnung     .     .     .  801 

Y.  Baader:  Grundzttge  der  Societätsphilosophie     .     .  819 

Baltzer:  Theorie  und  Anwendung  der  Determinanten   .     .  610 

Bauer:  Elemente  der  lat.  Formenlehe 055 

Beck:  Lehrbuch  der  allgemeinen  Geschichte.  I.  Cursus   .     •  720 

Berg-  und  Hüttenkalender.    X.  Jahrgang 380 

Bergmann:  Darstellung  d.  Systeme  f.  Mttnzsammlungen    .  866 

>  Doppelvermählung  der  Enkel  Maximilian's  .     .  866 

>  *           Bracteatenfnnd  von  Klaus 866 

Bertrand:  Calcul  difförential  et  integral 908 

L.  Blanc:  Die  göttliche  Komödie  von  Dante 68 

Blätter  fUr  Ge&ngnisskunde • ...  321 

Brandes:  Ausflug  nach  Spanien <     •  310 

Briot:  Essais  sur  la  throne  de  la  Lumiöre      .....  309 

van  Calker:  Quaest.  nonn.  de  philos.  etc 412 

Carius:  Ueber  Buttersäuregährung 726 

»          üeber  die  Synthese  zuckerähnlicber  Körper  .     .     .  259 

Oaesaris  comment.  von  Kraner 957 

Chabas:  Observations  sur  le  Bituel  Egyptien 198 

Oelini:  Determinazione  analytica  eto 91 

>  Oicero's  ausgewählte  Briefe  von  Hoffmann 957 

Corssen:  Beiträge  zur  lateinischen  Formenlehre   ....  65 

V.  Cotta:  Erzlagerstätten  im  Banat 705 

Curtius:  Griechische  Geschichte  II 939 

Ozolbe:  Grenzen  und  Ursprung  der  Erkenntniss     .     .     .     .  641 

Dante's  Göttliche  Komödie,  von  C.  Witte 860 

Dio  Cassius,   Ed.  Dindorf.   Vol.  V 751 

Dionysü  Halic.  Antiqq.  Bomm.  ed.  Kiessling.    Vol.  H.     .  352 

Dubois-Guchon:  Tacite  et  son  si^ele 689 

Duhamel:  Des  Mäthodes  dans  les  soienoes 22% 

Dulk:  Simson ,     ,    *    .    .  758 

Dulk:  Tod  des  Bewusstseins  •    •     .    • 753 

>        Jesus  der  Christ     •*••*•• 758 


97t  Inhalt 

Seite 

y.  Dusoh:  üeber  das  Emphysem 723 

Eichthal:  De  Tasage  de  la  langne  Orecque 129 

£)isenlohr:  Zur  Theorie  der  Aberration 264 

Eckert:  Erklärung  tu  s.  w 479 

Erklärung  Ton  Böder 480 

Erlenmeyer:  Ueber  Distyrol 728 

»               üeber  Eigenthümlichkeiten  des  Amylens       .  271 

Escher:  Theorie  der  Differenzen  u«  s.  w 621 

Extrait  du  Catalogue  de  la  Bibliothäque  da  Senateur  Habe  54 

Föaux:  Elementare  Planimetrie 637 

Fick:  Deuz  yisites  h  Nicolas  de  Flue 313 

Fickler:  Führer  durch  Eonstanz 315 

Fischer:  Clavis  der  Silicate 847 

Flügel:  Der  Materialismus  u.  s.  w 305 

Frauenstädt:  Aus  Schopenhauer's  Nachlass 24 

Friedreich:  üeber  multiple  Hyperplasie  der  Milz  u.  Leber  266 

»               üeber  multilokularen  Leberechinokokkus  .     .  243 

Frikart:  Lehrbuch  der  Arithmetik  und  Algebra  ....  308 

Fuchs:  üeber  Entstehung  einiger  Mineralien 736 

>  üeber  die  Entstehung  der  Westküste  von  Neapel  .  245 

>  Die  Yulkanischen  Erscheinungen  der  Erde      •    •     •  368 

Gaisberger:  Archäologische  Nachlese 664 

Qätzschmann:  Die  Aufbereitung 704 

Georges:  Kleines  deutsch-lateinisches  Handwörterbuch  .*  •  796 

Giomale  di  Matematiche  eto 620 

Oregorii  Opera,  ed.  O'ehler.  VoL  L     ........  237 

Grohmann:  Aberglauben  in  Böhmen  und  Mähren    .     •     .  100 

Guibal:  Le  Po^me  de  la  croisade  contro  les  Albigeois       .  369 

Hansen:  Belationen  zwischen  Summen  und  Differenzen      .  616 

Heer:  Urwelt  der  Schweiz 13 

Hei  mann:  Bundesverfassung  der  Schweizer  Cantone       .     .316 

Helmholtz:  üeber  die  Augenbewegungen 255 

>  üeber  Eigenschaften  des  Eises 268 

>  üeber  den  Einfluss  der  Baddrehung  d.  Augen  244 
»              üeber  stereoskopisches  Sehen 728 

Hense:  Poetische  Personificalion  1 78 

Heronis  Beliquiae.  ed.  Hui t seh 238 

Herr:  Lehrbuch  der  höheren  Mathematik  H 209 

Herzog:  Galliae  Narbonensis  desoriptio       561 

Heyse's  Fremdwörterbuch,  13.  Ausgabe 799 

Hoffmann:  Traitö  des  quaestions prejudioielles    ....  838 

Hof f meister:  üeber  d.Mechanik  d.  Protoplasmabewegungen  251 

Homer's  Ilias  von  Fäsi.  2.  Bd 957 

Huyssen:  Preussisches  Bergwesen 394 

Janin:  La  Poesie  et  Töloquence  ä  Borne 438 

Eirchhoff:  üeber  die  Spektra  der  Gestirne 248 

Zitz:  Sein  und  Sollen ,     .     .     .  881 

Knapp:   üeber  die  Diagnose  irreguL  Asymmetrie  d.  Auges  254 


Inlialt.  »78 

Seite 

Knapp:  Ueber  Erkrankuog  des  Augapfok 7B4 

K  n  i  g  g  e :  Ueber  den  Umgang  mit  Menschen,  14.  Ausg.  .     .  864 

Kopp:  Ueber  die  specifisohe  Wärme  starrer  Köi-per    .     .     .  241 

Kren n er:  St^dien  über  den  Antimonit 945 

Kuhn:  Städtische  u.  btirgerlicLe  Verfassung  d.röm.  Reichs  I.  74 

»         Städtische  Verfassung  d.  röm.  Reichs,  II.  Theil  .     .  589 

Ladenburg:  Ueber  eine  neue  Methode  der  Elementaranalj'se  267 

Lamarre:  De  la  Milice  romaine 177 

Livingstone:  Neue  Missionsreisen 940 

Livius  von  Frey  1.  Bändchen •  857 

Livius  von  Weissenborn  IL  u.  IV •     .     .  957 

Lorenz:  Deutsche  Geschichte 292 

Lutheri  Colloquia  ed.  BiudseiL  T.  IL    .     .     *     .     .     .     .  176 

M  a  1 0  r  t  i  e :  Beiträge  z.  Gesch.  v.  Braunschweig  Lüneburg  III.  IV.  314 

Martus:  Mathematische  Aufgaben 635 

Masquelez:  La  castram^tation  des  Romains 575 

Menke:  Orbis  antiqui  descriptio.  4.  Aufl 854 

Modderman:  Straf— geen  kwaad 17 

Mommsen:  Rümische  Geschichte.  4.  Aufl*  1 475 

„             Römische  Geschichte.  II 939 

Nagel:  Lehrbuch  der  ebenen  Geometrie 689 

Neigebaur:  Literaturberichte  ausItalien  115  419  524591  673  775 

872  913. 

Neumann:  Drehung  der  Polarisationsebene  des  Lichts  .     .  623 

Odernheimer:  Berg-  und  Hüttenwesen  in  Nassau  .     .     .  389 

Ödes  d'Anacröon  par  Didot 207 

Pagenstecher:  Ueber  junge  Fische 724 

„                 Ueber  Trichina  spiralis.     ......  731 

,,                 Ueber  Trichinen 268 

M                 Ueber  Trichinen  und  Psorospermien     .     .  740 

Pallmann:  Der  Sturz  des  Weströmischen  Reichs      .     .     .  713 

Parallelgrammatik  von  Schmitt-Blank  u.  A.  Schmitt.  287 

Pfitzner:  Das  Sabinische  Landgut  des  Horatius  ....  10 

Pfnorr:  Der  Krieg,  seine  Mittel  und  Wege 103 

Pbsedri  Fabb.  Aesopp,  cd.  £iohert 352 

Phillips:  Kircbenrecht 49 

Piderit:  Gehirn  und  Geist 152 

Y.  Beichlin-Meldegg:  Erwiederung 157 

'Piatonis  Protagoras.     Reo.  Kroschel 711 

Plautus  von  Brix  2.  Bändchen 8&7 

Plautus  Lustspiele  von  Donner 577 

Plutarqhs  Biograpbieen  von  Sintenis.  III. 957 

Preller:  Römische  M^ibologie.  2.  Aufl 474 

Pressel:  Psyche^  ein  M&rchen 317        -.  / 

Qnit^mann:  Die  Reichsverfassnng  der  Baiwaren.     •     .     .  946 

Bein:  Thuringia  sacra  II 238 

Beinhard:  Atlaß  orbis  aotiqui ^     •  174 

Beiuiscji:  .Dip  ägyptischen  Denkmäler  2U  Miramar   •     •     .  198 


V 


§74  Inhalt 

Seite 

Beinisch:  Denkmäler  zu  Miramar .     .     .    ,  ' 289 

Bö  der:  Besfierungstrafe  und  BeBsenrngstrafianstalteii  ...  22 

Bödin.ger:  Die  Gesetze  der  Bewegung  im  Staatsleben  .     .  S(H) 

Buge:  Der  Ghaldäer  Selenkos 958 

Backen,  von:  Das  heidnisohe  Alterthum 898 

SallustiuB  Catilina  von  Dietsch .228 

Sallustius  Jugurtha  von  Cless 35S 

Sammlung  von  Uebersetzungen   der  Klassiker  (Aristophanes^ 

Enripides,  Anakreon»  Epiktet,  Livius,  Martialis,  Cicero u.  A.  358 

Schenk:  Flora  des  Keupers 891 

Schilling:  Grundriss  der  Naturgeschichte.  III 151 

Sohoene:  Quaestionn.  Hieronymm 462 

Schopenhauer:  üeber  die  vierfache  Wurzel 85 

8  ehr  auf:  Physikalische  Mineralogie 959 

Schwarz:  Theorie  der  geraden  Linie  und  der  Ebene      .     .  630 

Scriptores  Historiae  August.  Bec.  Peter 789 

Sohnkes  Sammlung  von  Aufgaben  Ton  Heis 219 

Sophokles  Antigone  von  Wolff   .     . 858 

Sprenger:  Leben  und  Lehre  des  Mohammed.  8.  Band  .     •  161 

Spruner-Menke:  Atlas  Antiquus.  3.  Aufl 849 

Stadelmann:  Sionsgrtlsse 399 

Stahr:  Cleopatra 1 

Stelzner:  Beiträge  zur  Kenntniss  des  Erzgebirges    ...  769 

Stöhr:  Die  Kupfererze  an  der  Mürtschenalp 398 

Strauch:  Anwendung  f.  d.  Integral  u.  s.  w 81 

Süpfle:  Anleitung  zum  Lateinschreiben 744 

Taciti  Opera  ed.  Fr.  Bitter 668 

TerentiuBy  Andria  von  Klotz 665 

Tewes;  System  des  Erbrechts,  II  Bde 145 

Theocriti  Idyllia  ed.  Fritzsche 46 

Thierry:  Histoire  d'Attila 600" 

üeberweg:  Geschichte  der  Philosophie  11.  • 401 

Yalerius  Maximns.  Bec.  Halm .  794 

Varronis  Saturr.  Menipp.  Beliqq.  reo.  Biese.     .     .     .     .•     .  588 
Verhandlungen  des  naturhistorisch-medicinischen  Vereins    241  721 

Vering:  Geschichte  und  Institutionen  des  röm. Privatrechts  476 

Virgils  Gedichte  von  Ladewig.  III 957 

0.  Weber:  üeber  Gefahr  des  Chloroformtodes 7?1 

„            Heilung  einer  Tibiafractur  u.  s.  w 783 

Weber:   Allgemeine  Weltgeschichte,  Bd.  V 380 

Weimarische  Beiträge  für  Literatur  und  Kunst 846 

Welcker:  Tagebuch  einer  Griechischefte*  Beise 581 

Weller:  Bepertorium  typographicum 71 

"^ickram's  BoUwagenbüchlein  von  H.  Kurz 205 

William:  Bechtfertigung  der  Südstaaten  Nordamerika's     .  97 

V.  Wurzbach:  Glimpf  und  Schimpf 455 

Wuttke:  Städtebuch  des  Landes  Posen 5? 

Zepharovich:  krystallogr.  Wandtafeln  I .913 


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