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1
A
T-'l
HEIDELBERGER
JAHRBtCHGR
DER
UTERATUR.
Acht vnd fünfzigster Jahrgang.
Erste lUfto.
Janaar bis Jani.
Heidelberg.
Akademliche Verlagshandlong von J. G. B* Mohr.
1865.
HEIDELBERGER
JIHRBVCIER
DER
UT£RATÜR.
Acht und fünfzigster Jahrgang.
Zveite Ulfte.
Juli bis Decemben •
V'- ?*- • »
■ddellieif.
Akademitche VerlagihaDdlang von J, C. B. Mohr.
1865.
It. 1. UEIDELBERGEK 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Cleopatra van Adolf Stahr, Non humVü mulur! Horat.
Berlin. Verlag von J. QuUentag 1864. X und 279 8. in gr. S.
(Auch mit dein weiteren Titel: Bilder aus dem Alierikame.
Von Adolf 8tahr. Cleopatra,)
In dem Lebensbilde, welches uns dieser Band yorführt, ver*
folgt der Verfasser eine ähnliche Tendenz, wie in dem froheren
Bilde des Tiberius, worüber in diesen Blättern seiner Zeit be-
richtet worden ist, Jhrgg. 1863. S. 918 fP. >Die Tendenz dieses
neaen historischen Charakterbildes, sagt der Verf. in dem Vorwort,
ist dieselbe wie die des ersten : Beinigung eines historischen Charak-
ters von gewissen Flecken, mit welchen Partei-Interesse und —
Gedankenlosigkeit alter imd neuerer Schriftsteller das Bild Cleo-
patra^s entstellt haben.« Es soll also auch in diesem Bilde die
Ehrenrettung eines Weibes versucht werden, welches zwar nicht
die Stelle eines Tiberius in der Weltgeschichte einnahm, aber doch
nach einer ähnlichen Stellung strebte, und in diesem Streben auf
den Gang der Ereignisse, durch welche der römische Freistaat in
eine Alleinherrschaft überging, einen so entscheidenden Einfluss
Übte. Und wenn wir in diesem hochstrebenden, ehrgeizigen Weibe,
das einen Cäsar wie einen Antonius mit unwiderstehlicher Gewalt
aa sich zu fesseln wusste, keine gewöhnliche Erscheinung erblicken,
eben darum auch ein mit solchen Gaben ausgerüstetes Weib nicht
nach dem Massstab einer gewöhnlichen Buhlerin bemessen wollen,
ao werden wir um so verlangender nach der Schilderung der Per-
sönlichkeit eines solchen Weibes blicken, und begierig sein, die
Mittel und Wege kennen zu lernen, durch welche sie ihren ehr-
geizigen Plänen Geltung zu verschaffen suchte. Es wird aber diese
Theilnahme noch mehr gesteigert durch die glänzende Darstellung,
in welcher uns eine solche Persönlichkeit hier vorgeführt wird;
der Verfasser hat seine Meisterschaft in derartigen Schilderungen
aach hier wieder in einer solchen Weise bewährt, dass die Theil-
nahme des Lesers unwillkürlich seiner lebendigen Schilderung folgt,
welche die Vergangenheit wie Etwas Gegenwärtiges vor unsem
Blicken entfalten, durch schöne und passend eingeflochtene Episo-
den — wir erinnern nur an die Beschreibung von Alexandria im
dritten Kapitel — zugleich eine angenehme Abwechslung in das
Ganze zu bringen, und auch die femer liegenden Gegenstände mit
dem Hauptgegenstande geschickt zu verbinden und zu einem Ge-
sammtbilde abzurunden versteht, und dabei wird man dem Ver-
fasser nicht den Vorwurf machen können, dass er von der ge-
LVm. Jahrg. L Heft. 1
3 8tahr: ae^ptiffa.
schichtlichen Grandlage, wie sie die Quellen des Alterthums brin-
gen, sich zn 66hr entfernt, er hat sdoh vielmeht* ftberall an die-
sell»eii ang^sckloMeA, imd wenn er z. B. dem gewissenhafben Pln-
tarchus in dem, was derselbe berichtet, den Vorzug gibt vor dem,
was der ungleich spätere und unkritische Dio Cassius erzählt, so
wird man ihm nur Recht geben und der Kritik, welche in dieser
Beziehung geübt wird, beipflichten können. Und doch treten, wenn
es sich um das Gesammtergebniss handelt, um das Urtheil, das in
unbefangener und gerechter Weise von der Nachwelt gefällt werden
soll, manche Bedenken hervor, die durch den Versuch einer Ehren-
rettung, wie er hier in so glänzender Weise durchgeführt ist, nicht
völlig gehoben und beseitigt erscheinen; sie treten in noch höhe-
rem Grade vor bei der Schilderung des Mannes, dessen Schicksal
unzertrennbar mit dem der Cleopatra verknüpft ist, dessen Lebens-
bild daher kaum von dem der Cleopatra zu trennen war, bei An-
tonius. Wir werden weiter unten darauf zurückkommen. Was die
Benutzung neuerer Hülfsmittel betrifft, oder die Berücksichtigung der
Urtheile, welche in verschiedenen geschichtlichen Werken der neueren
Zeit Über die hier in Betracht kommenden Persönlichkeiten gegeben
sind, so konnte eine Darstellung, die unmittelbar aus den Quellen
schöpft und in der Behandlung des Stoffs ihren eigenen Gang nimmt
auf eine vollkommen selbständige Weise, darauf allerdings sich
weniger einlassen. Ueber die Cleopatra ist uns — aber auch nur
dem Titel nach — eine einzige Monographie bekannt von Landi
(Vita di Cleopatra, reina d'Egitta), welche (1808 zu Paris) von
Barr^re in's Französische tibersetzt worden ist; ob und was die-
selbe zur Würdigung und Auffassung der Aegyptischen Königin
enthält, ist uns daher nicht bekannt. In der allerneuesten Zeit
hat aber einem französischen Literaten (Arsfene Houssaye) der Name
der Aegyptischen Königin zu dem Titel eines Romans dienen müssen
(Mademoiselle Cleopätre, Paris 1864), in welchem einer Courtisane,
die als ein echtes Abbild des Demi-Monde erscheint, die Haupt-
rolle zugetheilt ist!
Eingeleitet ist das Ganze, wie es hier vorliegt, durch einen
guten Ueberblick über das Reich der Lagiden, dessen Gründung,
so wie dessen weitere Entwicklung bis in die Zeiten, wo dasselbe
zur römischen Politik in nähere Verhältnisse trat, insbesondere zu
der Zeit des Ptolemäus XI Auletes, des Vaters der Cleopatra, über
welchen das zweite Kapitel sich verbreitet. Mit dem vierten Kapitel
treten wir in die Kriegführung Cäsars ein, die Kämpfe, die er,
eingeschlossen in Alexandria zu bestehen hatte, und sein erstes,
erfolgreiches Zusammentreffen mit der damals siebzehnjährigen, zu
ihm sich flüchtenden Cleopatra. Den Zauber, den diese zweit«
Helena des Nil auf Cäsar ausübte, hat der Verfasser im fünften
Kapitel näher ausgeführt. »Der zwei und fünfzigjährige Held hatte
sein Herz verloren an die Aegyptische Zauberin , der keine , von
air den zahlreichen Frauen, deren Gunst er bisher genossen, auch
mir etitferat aioh an Geist imd Sebönheii vergtoieheii konntti.« IJmi.
naohdam der Yeif. die yieUeidit etwas ttbertnebene SohildertBg,
welche Plntarob im Leben G&aar'e von der Schönheit «nd von der
hohen geistigen Bildung Gleopatra*8 gibt^ angeführt, halt er es
doch ftlr ansgemacht, »dass der Verein von feinster Büdnng nd
Geifltesgew»ndtheit mit ßchönheit und Anmnth nnterstlltet dmreh
aik Künste rafiEuiirtester Koketterie Eigenschaften waren, welche
gerade auf einen Cäsar ihre Wirkung nicht verfehlen koantea. Br
hat bisher mit vielan Frauen ohne grosse Auswahl zu thun gehabt
denn er war ein grosser Verehrer des schönen Geschlechts tni
hatte in seinem langjährigen üjriegs« und Lagerleben, wie sieh ein
^ter Schriftsteller ausdruckt, genommen, was sich ihm darbot.
Jetst» dn or Alexandria betrat, stand die Knme dieses Geschleehts
vor ihm, ein Wesen, wie er es nie getr&umt, das wnnderbante
Weib ihrer Zeit vor dem wunderbarsten Manne, und dieses Weib
ia der ersten frischen Jugendblüthe ihrer Herrlichkeit wandte sich
Schutz und Hülfe suchend an sein Herz. War es ein Wunder, dass
d» Besieger der halben Welt ihr nicht widerstand, als sie in ihvem
Schmerze doppelt schön edelstolz xmd zugleich des höchsten Mit*
lade würdig, in allem Glänze ihrer Schönheit vor ihn hintrst,
sls er die liebliche Stimme vernahm, von deren süssem Wohllant
Boch mehr als zwei Jahrhunderte später ein Alter schrieb, dass tut
jeden durch ihren Zauber bestrickte und dass ihr Anblick wie ihre
Rede, jeden, auch den kältesten Mann und den ärgsten Weiber*
innd ttb^rwand. So reichte denn auch für sie die erste Begeg-
Bimg hin, Cäsar's Herz zu erobern und jeder Tag der leohs Mo«>
■ate, die er an ihrer Seite verlebte und in dem ihre Liebe and ■
die Beize ihres Umgangs der einzig helle Stern in dem IHbitar
Mier grimmen Eriegsnoth und (Gefahr bildeten, befestigte ihre fir*
obixung. Cäsar hatte zugleich während dieser Zeit auch ihren Geist
lud ihre Einsicht, ihre aushaltende Energie und ihren Muth in
Gefahren erprobt und achten gelernt. Sie hatte treu bei ihm au»-
gdialten, als alle übrigen Glieder der Königsfamilie ihn verliessen
sad vcErriehten, und bekannt mit allen Persönlichkeiten und Intriguen
des Hofes und mit allen Verhältnissen des Landes und der Haupt«»
Stadt hatte ihrEath ihm sicher bei mehr als einer Gelegenheit die
[ nrichtigsten Dienste geleistet. So knüpfte sich, von Sinnenleideu*
IjRhaft ausgehend, zwischen ihm und dem schönen Weibe ein Band,
jdas dem Ehrgeize des letztem die glänzendsten Aussichten eröffnete.
An der Seite des stolzen Siegers als Königin seine
Weltherrschaft zu theilen, — das ward und blieb von jetzt
das Ziel ihres Strebens. Dies Ziel hat sie ihr ganzes Leben
lang verfolgt und man darf sagen, dass sie ihm erst an der
fehwelle des Todes entsagtec (3. 45—46).
Wir haben diese längere Stelle wörtlich mitgetheilt als Probe
^ Darstellung, die dann im weitem Verfolg auch die politische
iSeite des Verhältnisses zwischen <Jäsar und Cleopatra in Betracht
hctes
stadi
l
4 BUhr: ClA^Irtt.
tind den EinflusB nachzawBlBen siichi, den diesee Verhftltniss anf Cftsar
und Beine auf die Weltherrschaft gerichteten Pläne ausübte. » Sein Auge,
sagt der Verf.» blieb yon nun an auf den Orient gerichtet, nicht ohne
Oleopatra's Znthun, die vielleicht daran denken mochte, den Site
der Weltherrschaft von Born nach ihrer geliebten Alexandersstadt
verlegt zu sehen. C&sar selbst war umfangen worden von dem
Zauber orientalisch-hellenischen Wesens und Lebens. Er war nicht
beraoscht worden von dem Becher des Lustgenusses, den ihm Oleo^
patra bis zum Bande gefOllt und den er in vollen Zügen geschlAfft
hatte, aber der Weihrauch des Ostens und sein eigenes, hier Kronen
aefamendes dort austheilendes Schalten und Walten hatte die Schlicht*
heit seines Wesens, die so lange Alles um ihn her entzückt und
gewonnen hatte, angetastet und den Hochmuth des Herrschers in
seinem Lanem Platz greifen lassen c (S. 48). Wir können, ohne den
uns gesteckten Baum zu überschreiten, dem Verfosser nicht weiter
in die nähere Darstellung dieser Verhältnisse folgen, die, zumal nach*
dem Cäsar die Cleopatra nach Bom hatte kommen lassen, wo sie
längere Zeit verweilte, einen nachtheiligen Einfluss auf die ganse
Stellung Cäsar's in Bom äusserten, und in so fem selbst beigetragen
haben, die Katastrophe herbeizuführen, die mit Cäsar* s Ermordung
endigte. Die Bückkehr der Cleopatra nach Aegypten, ihre Lage
und ihr Verhalten während des nach Cäsar*s Tod ausgebrochenen
Bürgerkriegs bis zur Schlacht bei Philippi bildet den Inhalt des
aeehsten Kapitels.
Hit dem nächsten Abschnitt treten wir in die andere Phase
im Leben der Cleopatra ein, in ihr Verhältniss zu Antonius, das
mit der im neunten Kapitel geschilderten Beise nach Tarsus uad
ihrem dortigen Auf zug beginnt: die beiden vorhergehenden Kapitel
sind einer Schilderung des Marcus Antonius gewidmet, bei weloher
noch weit grössere Bedenken uns entgegen treten, so anziehend wath
sonst diese Schilderung ausge&llen ist, so einnehmend und ge»
winnend für den Manu, welcher Gegenstand derselben ist, und bis-
her allgemein nur als ein roher, gemeiner und selbst grausamer
Wüstling angesehen ward, der durch keine der hervorragendeii
Eigenschaften, die wir bei Cäsar finden, den Mangel jeder hohem
sittlichen Biohtung ausgeglichen, und, ungeachtet aller persönlichan
Kühnheit und wilden Tapferkeit doch nicht als Feldherr seinein
Vorbilde Cäsar an die Seite zu stellen sei Gerade das GegentheiJ
von Allem dem sucht die hier gegebene Schilderung darzuthon, die
fast noch mehr, als diess bei Cleopatra der Fall ist, als eine Ehren-
rettung dieses so verrufenen Bömers anzusehen wäre, wenn andere
eine solche, wie wir es ansehen, überhaupt möglich wäre. Mil
grosser Vorliebe wird das Aeussere des Mannes gezeichnet » f|mi
auch schon im Alterthum sein Biograph Plutarch (Vit. Antonii 4'
hervorgehoben und mit Herkules in dieser Hinsicht verglichen hatte
dessen »persönliche Tapferkeit (insbesondere auch als Führer de
Beiterei) durch eine ungewöhnliche Körperkraft und Gewandthei
Sialir: Oleopftln. 5
mitersMtzt, Etwas Bitterlich-BomantisclieB hatte, was an den grossen
ReHerffthrer nnsernr Zeiten, an Mtbrat erinnert« (S. 72) ; dann geht
der Yerlasser auf den sittlichen Charakter über; am diesen su be*
srtheilen, sagt er, »mnss man von dem Zerrbilde absehen, welches
der beredteste nnd zugleich der leidenschaftlichste nnd gewissen-
lofleste seiner Feinde Cicero mit einer Bosheit nnd Gemeinheit ohne
Gleichen (?) von dem gehassten Todfeinde entworfen hat. In die*
Bern Spi^elbilde des Hasses erscheint er ohne alle und jede gate
Eigenschaft, als ein Ungehener, znsammengesetzt ans allen Lastern
und Yerbrech^a, die je einen Menschen geschändet haben. Aber
dien Zerrbild liegt weit ab von der Wahrheit; nnd obgleich es
seine Feinde gewesen sind, die zunächst seine Geschichte schrieben,
80 besitzen wir dennoch Zeugnisse genug, welche beweisen, dass
er Alles in Allem genommen, nater den Hauptaktenren der
grossen Geschiohtstragödie , welche nach Cäsar's Tod spielte, viel-
leicht die menschlich beste nnd edelherzigste Natur war (S. 78).
£« dürfte dem Verfasser schwer werden , auch Andere zu über-
zeugen, dass der Mann, auf dem so manche Blutschuld, so mancher
Mord testet, der sein unsittliches, gemeines Wesen selbst offdn-
knndig zur Schau trug, der über die heiligsten Bande der Natur
sieh wegsetzte, der in Grausamkeit und roher sinnlicher Lust ver-
.sonken jedem derartigen Genuas fröhnte, ein solches Ideal mensch-
lidier Natur gewesen, wie er in der hier gegebenen Darstellung
erscheint, die mit Allem, was wir von Antonius ans den Alten
^nssen, sich in Widerspruch setzt, und wenn wir gar weiter lesen,
^ Antonius ein Mann gewesen, der in seinem Verhältniss zu
OBear gezeigt, wie fähig er des Edelsten gewesen, was der Mensch
besitzen mag, der neidlosen Bewunderung und treuen Hingebung
sa überragende Grösse, vor dessen Energie und Thathraft alle
seine Gegner gezittert, der zugleich von Natur offen und gutmüthig,
aigloe, auMchtig und ohne falsch gewesen, wo er es sein zu dür-
fen glaubte, was aber später, einem Octavian, dem falschesten der
Menschen gegenüber, mit die Ursache seines Verderbens gewesen;
so sträubt sich unser sittliches Gefühl wider eine solche Annahme,
raid werden wir billig fragen , wie der Verfosser dazu kommen
konnte, einem Antonius Grrossmuth und leicht verzeihende Milde
wie Freigebigkeit beizulegen ; nie hat, wie Derselbe bemerkt, Hab-
sucht und Geldgier seine Seele befleckt, Bachsucht und Härte waren
ihm fremd, und nur in der Erregung der Leidenschaft liess
er sich zu einzelnen grausamen Handlungen hinreissen, die er meist
selbst bald genug bereute, und so wird denn auch das Meiste,
was von den Proscriptionen und Gewaltthaten auf seine Bechnung
kam, vielmehr der Wildheit seines Weibes beigelegt, von welchem
S* 76 ff. eine Schilderung entworfen wird , die zugleich dazu
dienen soll, die sinnlichen Ausschweifungen des Antonius und seine
Neigimg für die Cleopatra zu entschuldigen. Nur Eins fehlte nach
dem Verfasser einer solchen ausgezeichneten Natur: die unge-
&' BtAlir: Oleoinlm.
broohene Einheit des Wollens und zwischen zwei Polen, Ehrgeiz
nnd Genüsssucht schwankend, riss ihn die letztere endlich in denn
Abgrund (S. 74). Also der Verfasser über Antonius und dessen
Charakter. Wir sind wahrhaftig in der letzten Zeit an manche
aaSaUende mit der historischen Ueberlieferung im Wider-
spruch stehende Beurtheilung der MiLnner, welche in der lotsten
Periode der römischen Bepublik, in der Zeit ihres Uebergangs in
eine Alleinherrschaft; eine hervorragende Stelle gespielt haben, fast
gewöhnt worden: die hier gegebene Auffassung des Antonius dtkrfte
diess AUes fast ttberbieteu und darin uns den Beweis liefern, bb
welcher Yerkennung des Thatsächüehen ein anerkannt geistreicher
und gewandter Schriftsteller sich hat hinreissen lassen aus natür-
licher Vorliebe zu dem Bilde, das seine geschickte Hand zu zeich-
neu unternommen und mit t^era Farbenglanz auszustatten geMrusst
hut. Und eben darum musste auch der Schriftsteller, dessen Dar-
stellung des Antonius in dem schneidendsten Gegensatz zu der hier
gelieferten Schilderung steht, um so tiefer gestellt, als der ge-
wissenloseste und boshafteste der Gegner des Antonius bezeichnet
worden, dem jede Glaubwürdigkeit abgeht. Wenn wir auch bei
Cicero die Leidenschaftlichkeit und Heftigkeit nicht in Abrede
stellen wollen, mit welcher der alte Republikaner wider seinen
politisohen Gegner auftritt, den er als ein wahres Scheusal der
Menschheit darzustellen unternimmt, wenn wir darauf auch bei unserem
Gndurtheil gebührende Bücksicht nehmen, so wird man doch anf
der andern Seite die vielen thatsächlichen Angaben, wie sie den
Außftlhnmgen Cicero*s in dem von ihm in der zweiten philippischen
Bede gelieferten Lebensabriss des Antonius zu Grunde liegen, nicht
in Abrede zu stellen vermögen, selbst wenn man in Manchem
üebertreibung oder eine Zuthat des Bedners erkennen wollte, der
diese thatsächlichen Punkte aber gewiss nicht erfunden hat ttnd
nicht erfinden konnte, ohne sieh l&cherlich zu machen und gerade
den Zweck zu verfehlen, den er mit seiner Bede und mit dem darin
gelieferten Lebensabriss des Antonius beabsichtigt hatte. Ln Gegen«»
theil, Cicero konnte nur durch die Zusammenstellung der wirk-
liehen Thatsachen, wie sie in der römischen Welt bekannt waren,
seine Zwecke erreichen, und diese Thatsachen, an welchen zu
zweifeln kein Grund vorliegt, werden allerdings hinreichen, dem
nüchternen Forscher ein anderes Bild von Antonius zu geben, als
das, welches er hier in allem Glänze vorgezeichnet erblickt.
In panegyrischer, höchst anziehender Weise ist im neunten und
zehnten Kapitel der Aufzug der Cleopatra in Tarsus zu Antonius,
die Begegnung beider, und der Eindruck, den Cleopatra auf An-
tonius machte, so wie dessen Zusammenleben mit ihr zu Alexandria
geeohildert. »Die Aphrodite vom Nil, heisst es S. 82, war ge-
kommen, die alle Männer besiegende, um den grössten der Schiach-
tensieger (?) zu überwinden« ; dieser »bisher nur an die wtlste
Schlemmerei roher römischer Ausaohweitoig gewöhnt und noch nn-
SiAhr: CleopUm. T
bekannt mit dem Baffinement alexandrmischer Genussweise, empfiuicl
sieh in diesem Zanberkreise der königlichen Aegjpterin gleichsam
in eine andere, ihm neue Welt versetzt« (S. 85). Und eben so
heifist es bei den fortgesetzten Lustbarkeiten und Vergnügungen,
die Cleopatra zu Alexandria dem Antonius in unerschöpflicher Ab-
weehslung zu bereiten verstand : »Er hatte bisher nur wilde Orgien
und wahllose Sinnenbefriedigung gekannt, jetzt lernte er kennen,
was verfeinertes Genusaleben heisst«« — »In der That, sie ver-
edelte das Gemeine seiner frühem Ausschwei^mg, indem sie die
Lust der Vergnügungen mit dem Beize der Schönheit und des
Geistes würzte und Witz und geistreichen Scherz an die Stelle der
Lagerrohheit und brutalen Wüstheit setzte, in deren Umgebung er
sich früher gefallen hatte« (S. 95). Hier wird also doch einiger^
massen das Leben des Antonius zugestanden: an eine Yeredking
desselben duroh ein Weib zu glauben, das kurz zuvor den Antonina
Tomocht, ihre eigene Schwester, die im Heiligthume der Artemis
zu Milet Schutz gesucht, diesem Asyl gewaltsam zu entreissen und
zu morden, und das auch andere Gegner nicht besser behan«
dehe, wie wir S. 87. 88 lesen, — diese ist uns doch wahrhaftig
zn Viel zugemuthet. Und eben so wenig werden wir auch in dem
VeriiSltniss des Antonius zu Cleopatra, das schon Plutaroh als ^
ov£i4og — Schimpf und Schmach bezeichnet hat (Compar. Ant. c»
Demetr. 1), edle und höhere Motive finden wollen, welche bei einem
so gemeinen Wüstling und Ehebrecher, der hier nur an die Be*
firiedigung seiner Lust dachte, schwerlich anzunehmen sind, und
wenn es zur Erklärung der Leidenschaft, von welcher Antonius sich
ZOT Cleopatra hingerissen fühlte, heisst: »Der Dämon war die
Leidenschaft seiner Natur, der Zauber seiner Liebe zu dem schöf-
nen Weibe, eine Liebe, deren Abgrundtiefe ihres Gleichen nicht
hat in der Geschichte der alten Welt« (S. 92), so werden wir
dureh eine solche Uebertreibung uns eben so wenig irre machen
Isssen, als wenn wir an Cleopatra's Liebe zu Antonius glauben sollen.
»Die männliche Schönheit des Antonius und das Phantastisch^
Heroische seiner Erscheinimg hatte auf sie Eindruck gemacht und
wemi auch ihre Klugheit zunächst diesen Eindruck zu bemeistem
verstand, so werden wir doch weiterhin sehen, dass nicht allein
üire Sinnlichkeit und ihr Ehrgeiz, sondern auch ihr Herz bei
der Leidenschaft im Spiele war , welche fortan Antonius und sein
Schicksal mit unauflöslichen Banden an die Helena vom Nile
ketten sollte« (S. 90), Eher wollen wir glauben, dass »die alten
Tiftome von Herrschermacht und Grösse, die sie einst an Cäsar' s
^ite der Erfüllung so nahe geeehen — doch nur um aus ihnen
de^to furchtbarer bei seinem jähen Falle zu erwachen — sie traten
jetzt aufs Nene und in noch glänzenderem Lichte vor ihre Seele.'*
(S. 88) u. s. w. ,,Ihre Politik (so lesen wir S. 158) — und es
\8i unrichtig die hochbegabte Frau nur als eine wollüstige Ookette,
^ eine lediglich dem Genüsse des Moments und dem Strudel des
8 Stahr: ClaopatnL
Yergnttgens hingegebene Bahkrin anzusehen — ihre Politik und
ihr Ehrgeiz waren gleichmässig darauf gerichtet, dem Reiche ihrer
Ahnen die alte Grösse und Selbständigkeit wieder zu schaffen und
dasselbe zu einer zwischen Parthien und dem entfernteren Osten
auf der einen, und Rom auf der andern Seite stehenden, von beiden
unabhängiger Macht zu erheben." Allerdings war dies nur durch
Antonius zu erreichen möglich, während Octavian einer solchen
Politik entgegenarbeiten musste. „Selbständigkeit und Unabhän-
gigkeit des Ostens von dem Westen — das war das Ziel, das
beide jetzt ins Auge fassten, und wenn es sein musste, Kampf mit
Weltherrschaft, Kampf auf Leben und Tod*- (S. 158). — Wir
wollen diese Auszüge nicht weiter fortsetzen, und eben so die nicht
mifider interessante Schilderung des Hoflebens zu Alexandrien mit
all den Yergnilgungen, die es dem Antonius bot, und die von die*
sem theilweise erwiedert wurden, (Cap. X) nicht weiter vorfolgen,
wir eilen zu dem eilften Capitel^ welches eine Darstellung des durch
Fulvia's Intriguen herbeigefdhrten Perusinischen Krieges bringt, und
dann den Tod derPulvia so wie die Aussöhnung des Antonius mit
Octavianus. berichtet, dessen Schwester Octavia mit Antonius durch
eine Heirath verbunden ward. Der Verf. entwirft auch hier ein
schönes und wie wir glauben, auch durchaus wahres Bild der neuen
Gattin, die er mit Brecht als eine der edelsten und tugendhaftesten
Frauengestalten ihrer Zeit bezeichnet (S. 116 f. 125 ff.), die jeden
andern Mann glücklich gemacht hätte und doch keine Frau für
einen Antonius gewesen, deren Hauptfehler aber darin bestanden,
dass sie für Antonius zu tugendhaft war (!). So schreibt der
Verfasser, um die Wandelung zu erklären, die in dem Innern des
Antonius, nachdem er zwei Jahre mit Octavia zu Athen gelebt,
vor sich gieng und ihn unwillkührlich wieder und mit aller Ge-
walt der Leidenschaft zu Cleopatra hinzog. Der Verfasser will
auch nicht gerade den Antonius wegen seines (ehebrecherischen)
Verhaltens rechtfertigen, er will nur ein entschuldigendes Wort für
Antonius, den bestverleumdeten Mann des römischen Alterthums,
einlegen, und die Thatsache aus psychologischen Gründen erklären.
Wir verweisen die Leser auf die im dreizehnten Gapitel darüber
gegebene Auseinandersetzung : wie man auch darüber urtheilen mag,
so wird man doch der beredten Vertheidigung des Antonius gern
folgen, so wie dem schönen Bilde, das von der edlen Octavia ent-
worfen wird, man wird auch darin die grosse Kunst anerkennen,
mit welcher der Verfasser Charaktere zu schildern versteht. Von
dem Standpunkt der nüchternen Moral wird freilich das ürtheil
über Antonius anders ausfallen: es wird sich durch allen äussern
Schein nicht blenden lassen, um das Anstössige des Lasters und
Verbrechens zu verkennen oder zu bemänteln. Wenn Antonius
durch sein Verhalten sich selbst in Rom verhasst machte und da-
durch die Pläne seines Gegners Octavian förderte, so ist sein Be-
nehmen gegen Octavia, die Alles versuchte, den drohenden Sturm
Siakr: Oleepitrm. B
abzuwenden, um so mehr ein Gegenstand gerechter Rfige und
eehweren Tadels; yerfiJlen allen Bnhlerktlnsten der dnrcb sinn«
Hebe Reise ihn fesselnden Aegyptischen Helene/ stiess er die edle
Römerin von sich, die sich fllr diesen Schimpf dadurch r&chte,
daee sie den verlassenen 8ohn des Antonius von der Fnlvia zn
sieb nahm, nnd später nach dem Tode des Antonius und der Cleo-
patra, Ar die Kinder beider anf gleiche Weise sorgte. Wie es
nnter solchen Verhältnissen bald zn dem offenen Brache zwischen
den beiden Hänptem der römischen Welt kommen mijsste, was
diesem voransgieng und was ihn herbeiftlhrte, wird uns hier mit
aller Klarheit gezeigt und in gleicher Weise der grosse und letzte
enteeheidende Kampf des Ostens und Westens zwischen Antonius
und Octavian geschildert; und wenn die Fehler, die Antonius bei
diesem Kampfe beging und deren nachtheüige Folgen für den un-
gllleklieben Ausgang des Kampfes nicht verschwiegen werden, so
ist die Darsteüung nicht minder bemüht, unwahre Beschuldigungen,
wie eie wider Cleopatra erhoben worden sind, wie z. B. ihr
angeblicher Yerrath bei der Schlacht bei Aktium, zurückzuweisen,
und eben so ihre Thatkrafli, ihre Energie darzuthun, die sie naeh
der Schlacht durch die neuen Rüstungen bewährte, mit welchen
sie die Aegypten drohende Qefahr abzuwenden suchte (S. 220 ff).
Bieaem mnthvollen Verhalten entsprach freilich nicht der Abfall
aller Bandeegenossen und Generale des Antonius, und, wenn wir
dem Plutarchus folgen (Comp. Demetr. et Anton. 3)^ das Verhalten
des Antonius selbst, der statt kräftigen Handelns es vorzog, mit
Cleopatra zu schäkern (akv€iv xal naC^eiv fut' ttvtijg), wie Plut-
areh sich ausdrückt. So erfolgte dann, nach einem vergeblichen
Versuch einer Unterhandlung mit Octavian die Katastrophe, in
welcher beide, Antonius und Cleopatra ihrem Leben gewaltsam ein
Ende machten. Nur ungern versagen wir es uns, aus der mit aller
Kunst durchgeführten und ergreifenden Schilderung dieser Ereignisse
Einiges unsem Lesern vorzulegen, fOr welche die bereits vorgelegten
Proben genügend erscheinen mögen, um sie jaufdas Ganze aufmerksam
sa machen. Der Verf. hat seine Darstellung beschlossen mit näheren
Nachrichten über die noch vorhandenen Abbildungen der Cleopatra
(8. 289 ff.); und knüpft daran im letzten, neun und zwanzigsten
Capitel: Cleopatra und die römische Literatur S. 292 ff. eine üe-
berschau über die Aeusserungen und ürtheile römischer Schrift-
steller, zunächst der Dichter, in Betreff der Cleopatra, wobei Ho-
ratins tmd Lucanus insbesondere und mit Recht hervorgehoben
werden« Ein Rückblick auf die ganze Darstellung fasst das End-
urtheil über Cleopatra zusammen und schliesst mit den Worten:
»Dir Leben als Königin war ein fortgesetzter tapferer Kampf
für den Thron ihrer Väter, und noch ihre letzten Anstrengungen
waren darauf gerichtet, denselben wenigstens ihren Kindern zu er-
halten. Als Alles vergeblich war, blieb die Bettung ihrer könig-
liehen Ehre ihre letzte Aufgabe und sie löste dieselbe zur Bewun-
10 Pfitiner; Das BaUmMbe L«idg«t des Horalias.
denmg dar Mit* und Nachwelt. Der wilde Triumphgeflang ihrer
Feinde über ihren Fall, der Jnbel der Sieger über die gHlddiohd
Befreiung Borns von einer Gegnerin, vor der die Hierraoherstadt
der Welt gezittert hatte, sind und bleiben das beste £hrenseag-
niss ihrer politischen Grösse und ihre Grabschrift, welche dauern
wird, so lange es Geschichte giebt, ist enthalten in den Horaü«
sehen Worten: Non humilis mulier!« Chr. BAhr*
Ueber doB SabinUche Landet des Horaiüu. Festschrift sur dret-
htmdtrijährigm Jubelfeier des Qrossherzogl FriedfiekrFrau»^
Oyfnnasiums au Pardnm am 90. u. 21, Oetober 1864. Yan
Dr, W.P fitzner, Lehrer am Friedrieh-Franz'Oymnmsium.
Parehim 1864. H. Wehdemann's Buchhandlung. 90 8. in kL 4.
Bine in der neuesten Zeit vielbesprochene Frage wird in dieser
Gelegenheitsschrifk aufs Neue in Untersuchung genommen, wenn
auch nicht in ihrem Gesammtumfang, so doch »um einaelne Punkte
noch einmal zu erwägen, auch nicht in der Absicht, dieselben zum
Abschluss zu bringen, vielleicht aber, Andere zu tieferer Erfor-
schung anzuregen.« Hier sind es nun, neben der näheren Bestim-
mung der Lage des Landgutes, insbesondere die beiden damit zu-
sammenhängenden Fragen über die Beschaffenheit des dortigen
Landhauses und das Verhältniss desselben zu dem Landgut oder
Landsitz zu Tibur, und wird die Untersuchung in der Weise von
dem Verfasser geführt, dass er sich zunächst an das hält, was ans
den einzelnen Stellen, die in den Dichtungen des Horatius sich
darüber vorfinden, mit einiger Sicherheit sich ermitteln lässt, -wo«
bei denn auch die verschiedenen Ansichten neuerer Erklärer Be-
rücksichtigung finden. Was zuvörderst die Lage des Sabiniachen
Landgutes betrifit, so scheint es dem Verfasser als sicher featsu-
stehen (S. 6), dass dasselbe südöstlich vom Lucretilis in der Nähe
der Via Valeria, die bei Tibur und Varia vorbeiführt, gelegen, an
Seiten des von dem heutigen Bache Licenza durchflossenen Thaies ;
auch das Dorf Mandela sei in dem heutigen Bandela wohl wieder
zu erkennen; sonach habe die Entfernung von Tibur 14 lüUien
(2^/5 Meile) von Varia 5 Million (1 Meile) betragen, so dass man in
vier Stunden ganz gut von Tibur aus dahin habe gelangen können.
Wir übergehen, was der Verfasser weiter über die BeschaflTen-
heit dieses Gutes und dessen Ertrag bemerkt hat, und wenden uns
zu den beiden andern oben berührten Punkten. An ein grossartiges
Gebäude, das auf diesem Landgut gestanden, wäre, nach der An-
sicht des Verfassers, die sich auf des Dichteres Aeusserungen zu-
nächst stützt, in keinem Falle zu denken, ja er will es »überhaupt
auch dahin gestellt sein lassen, ob Horaz denn überhaupt auf und
in seinen Bergen eine von dem Wirthschaftshause (viUa mstica)
Ffttiner; Bm SiMaisclM Ludgttt deB Horfeihis. 11
abgesonderte Hervemrohxmng besessen habe« (8. 14), und anf diese
Villa rosüca möchte er die Baureste beziehen, die man dorten
nodi jetzt sehen soll. Die zn diesem Onte gehörige Herrenvilla
glaubt der Verfasser vielmehr in dem von Suetonins erwähnten
Hanse des Horatins beiTibur zu finden: »yixit plurimmn in secessu
mria sni 8abini aut Tiburtini domusque ejus ostenditar oiroa Ti-
bnmi hicolum.« Durch die Partikel aut wird allerdings eineVer-
sobiedenheit des Sabinum von dem Tiburtinum angedeutet, und
b&tte man hiemach an zwei verschiedene Landgüter zu denken,
was der Verfasser, der dieses aut auf einen Wechsel des Aufent-
balts besieht, nieht annimmt, weil der Singular ruris sui diess
verbiete: wovon wir uns nicht überzeugen können, da man zu
Tibartini eben so gut ruris herzunehmen kann, ohne dass fOr
den Singular ruris der Plural noth wendig gesetzt werden mttsste,
wie denn aneh der Verfasser S. 18 bestimmt, dass die Worte des
Diehters Sat. IT, 7, 28 (Eomae rus optas eto vgl. Ep. 1, 8, 12)
sein Haus beiTibur als rus bezeichnen. Eine nfthere Besehreibung
oder Beseiehnung dieses Hauses oder Landsitzes wird man übrigens
in betner der hier angeführten Stellen des Dichters selbst finden,
die alle nur im Allgemeinen einen Aufenthalt des Dichtere in dem
ihm so sehr zusagenden Tibur zu erkennen geben, und keineswegs
irgend eine Bestätigung oder Begründung der Annahme bringen,
dass die Herrenvilla bei Tibur gelegen und der dazu gehörige Aoker
im Sabinerlande (8. 18), es mithin also um Ein und dasselbe Be-
sitsthum oder Landgut sich handele, das in der Stelle der Oden
(in, 4, 21 Vester — in arduos toUor Sabines, seu mihi frigidum
Praenesie sen Tibur supinum, seu liquidae placuere Bajae) in
doppelter Bezeichnung erscheine ; aber, um von Anderem zu schwei-
gen, würde man dann mit gleichem Rechte auch auf ein Besitz-
thum KU Piilneste oder zu Bajft schliessen dürfen, was wohl noch
Niismanden eingefallen ist, da in jener Stelle doch überhaupt nur
die Orte genannt werden, die der Dichter als Lieblingsorte, wo er
sieh gerne aufhielt, bezeichnen will. Aus diesen Gründen können
wir die von dem Verfasser aufgestellte Behauptung noch nicht für
sicher gestellt und aus dem Dichter selbst hinreichend erwiesen
aasehen; will man, da ein Aufenthalt des Dichters zu Tibur un-
bestritten ist, ihm auch daselbst eine feste Wohnung, die sein
Bigenthnm gewesen, zuweisen nach der Angabe des Suetonius, so
wird dieses wohl eine blosse domus, ein Haus oder vielmehr Häus-
chen geringeren Umfange gewesen sein, das er zeitweise bewohnte,
naehdem es ihm von Maoenas dazu überlassen gewesen; denn auf
das Letztere weist eine Stelle in einer alten Vita bei Kirchner Nov.
Qoaest. p. 42: »incoluit Tibure dono Maeoenatis« , wenn man
nicht annehmen will, dass Horatius in dem Palaste des Mäcenas
selbst gewohnt. Aber von dem Sabinergut , das als des Dichters
einziges Besitzthum erscheint (Od. II, 18, 14 »satis beatis uni-
cis Sabinis«), wird diese Wohnung zu Tibur immerhin zu trennen
WO;
1$ Pfltsn«r: Dm SabialMb» Lnd««! Am Horsttns.
und nicht zu Einem gemeinsamen Sitse zn verbinden sein, was schon
die Qegensfttze, in welchen beide Punkte in den Horacischen Ge«
dichten zu einander gestellt werden , anzunehmen nicht erlauben;
und wie man auch über den umfang der Baulichkeiten des Sabi-
nischen Landgutes denken mag, jedenfalls wird doch dort eine
Wohnung gewesen sein, in welcher Horatius, wie diess gleichfalls
aus seinen eigenen Dichtungen zu entnehmen ist, einen ständigen,
wenn auch zeitweise unterbrochenen, Aufenthalt hatte. Und diess
scheint selbst durch die neuesten, an Ort und Stelle selbst Ton
dem gelehrten No6l des Vergers in Begleitung eines römischen
Architekten Pietro Rosa vorgenommenen Untersuchungen ausser
Zweifel gestellt, wenn gleich dieselben zu einem von der bisherigen
Annahme abweichenden Resultat geführt, haben. Wenn man nlbn-
lich auf eine Stelle, wo noch jetzt Mauerwerk sich findet, und zwar
im Thal nahe am Wege, rechts vom Flttsschen Digentia, vier
Millien oberhalb Mandela (Bardella) den Landsitz (d. h. die Bau-
lichkeiten, die Villa) des Horatius zu verlegen geneigt war, so
haben beide Gelehrte das Unrichtige dieser Annahme gezeigt, wekhe
mit den Aeusserungen des Dichters nicht in Einklang zu bringen
ist, zumal die Mauerreste von einer viel späteren Construction sind :
sie haben daher, mit Bezug auf die auch von unserm Verfasser
5. 13 angeführte und besprochene Stelle des Horatius (Sat. II,
6, 16: »Ergo ubi me inmonteset in arcem ex urbe re-
movi«), in Verbindung mit andern, gleichfalls auch von unserm
Verfasser S. 14 angeführten Stellen, welche auf eine Höhe oder einen
Bei^ uns hinweisen, wo die Wohngebäude, oder die Villa stand,
diese an einem höher gelegenen Orte suchen zu müssen geglaubt,
und jenseits Rocca Giovane (Fanum Vacunae) auf einem Hügel,
welcher noch jetzt den Namen führt Colle del Poetello, die
Spuren eines Unterbaues entdeckt, welcher in seinen Dimensionen
dem umfang ähnlicher Anlagen in der Nähe Rom's entspricht:
hier glauben sie mit Grund, die wahre Lage der Villa des Horatius
zu finden, dessen verschiedene Aeusserungen über die Lage seiner
Villa damit in Einklang stehen. Dieser Hügel ist südlich von
einem Berge gedeckt, welcher jetzt Monte del Oorgnaleto
heisst, und dem alten Li ucretilis entspricht, der unter dem Namen
Lucretius noch im beginnenden Mittelalter bei Anastasius bezeich-
net erscheint; an dessen Fusse eine noch vorhandene, zu einem
dortigen Grundstück gehörige Kirche (Madonna delle Gase) sich
befindet, bei welcher ein reichlicher Quell dem Flüsschen des Thaies
zu vorbeifliesst, (»fons etiam rivo dare nomen idoneus« stkgt Ho-
ratius Ep. I, 16, 12), welches Flüsschen von dem Punkte der Ver-
einigung an den Namen Licenza führt. Diese Annahme, auf
sorgfältige Untersuchung der Localitäten selbst begründet, erscheint
uns die vielbesprochene Frage nach der Localität des Sabinischen
Landsitzes zu einem sichern Ergebniss geführt zu haben. Wir ver-
isen auf die von No^l des Vergers selbst im Athenaeum francais
H**r: UrwtH d«r Bekwds. 18
1855. Nr. 4 gegebene Darst^ung, die auch in der dem DidoVecken
Hontiiis Toraageeielhe Etüde biographiqae aar Horaoe sieh befindet
aad mit den nöthigen Plänen auBgestattet ist , so wie auf die im
Bolletiiio deU' Institato di correspond. aroheolog. 1857. Nr. VII.
p. 105 ff.) Ton PietroRosa gegebene Erörtemng: wovon einekurse
Mittbeüiing auch in den Jahrbb. für Philologie Bd. 77. 8. 479 ff.
nch findet. Chr. BAlir.
DU UnteU der Schweiz v<m 0$tcald Heer. Er$U bie §eek$U
Lieferumg. Mü zaklreiehen HolnektMen, Tafein mud eimer
geoiogiachen Karte der Sehwei». Zürich, Druck und Verlag
van Friedrieh SehuUhen.
In der Gebirgswelt unseres Landes spiegelt sich die Oeschi^te
dnr Erde. In den himmelhohen Felswftnden nnd den tiefen Ab-
grOnden, in den wunderbar Yersohhmgenen Felalageni nnd den bnst
doieheinander gewirkten Oebirgsarten treten uns die gewaltigen
BeTolnüonen vor Augen, welche über die Erde ergangen sind, in
den zahllosen Pfianien und Thieren aber deren üeberreste in diese
Felsen eingebettet sind, die Zeiten ruhiger Entwickehug. Jene
zagen uns die Natur in wildem Aufruhr, Berge zerreissend und
Felsen zerschmetternd, diese wie sie in ihrem stillen Walten die
Eide mit Pflanzen bekleidet und mit thierischen Wesen belebt hat.
Es ftbt daher unsere Alpenwelt nicht allein durch ihre stille Er-
habenheit einen unnennbaren Zauber auf unser Gemttth anSi son-
dern bildet zugleich den grossartigsten Tempel der Natur, in
welidiem aus allen Weltaltem die wunderbarsten Bilder aufbewahrt
sind. Wir wollen den Versuch machen, in diesen Tempel einzu-
treten und die Bilder, welche ihn schmllcken, zu deuten, denn sie
werden uns die wichtigsten Momente aus der Geschichte der Erde
¥ar Aii^n ftlhren.
Mit diesen Worten eröffnet Oswald Heer das geologische
Gemftlde der Schweiz, in welchem er ein sehr reichhaltiges Mate-
rtal, die mannigfaltigsten, verschiedensten Einselnheiten zu einem
harmomschen Ganzen vereinigt hat. Neben der lebhaften Sekil-
derong seltsamer Wechsel, deren Schauplatz die Schweiz zu wie-
derholten Zeiten war, bei welchen ganze Generationen von Thieren
und Pflanzen untergingen um neuen Platz zu machen, finden wir
eine Menge in technischer und bergmännischer Beziehung wichti-
ger Datas, wie ttber Production von Erzen, Kohle und Steinsalz*
Wir wollen versuchen — soweit es der Baum gestattet — eine
gediftngte üebersicht des Inhaltes zu geben.
EratesKapiteL Das Steinkohlen-Land der Schweiz.
Ein breit» Streifen von Steinkohlen-Gebirg zieht sich vomünter-
wallis in südwestlicher Richtung durch Savoyen bis in die Dauphin^,
bestehend ausAnthracit fahrenden Schiefem und Sandsteinen. Die-
14 He«r: Urwelt d«r SAmk.
selben enthalten stellenweise reioblich organische Beste. Es sind
ausschliesslich Landpflanzen die einen gar eigenthümüchen Anblick
gewähren, weil sie sämmtlich durch Talk yersteinert. Fanrenkräuter,
härlappgew&chse und Schafthalme spielen die Hauptrolle. £in
Blick auf das schöne Bild »die Steinkohlen- Flora der Schweizc
zeigt uns eine sonderbare Landschaft : fast nur blüthenloae Bäume,
welche in ihrer Binden-Bildung einen eigenthümüchen Bohnmck
besassen. Sie waren keineswegs grösser, als die Bäume unserer
jetzigen Wälder; da sie aber Familien angehören, welche in der
gegenwärtigen Schöpfung nur niedere Kräuter bilden erhält diese
Flora eine höchst fremdartige Tracht. Die Vegetation war zwar
eine üppige, jedoch sehr einförmige. — Anthraoit wird hauptsäch-
lich an drei Orten: Grone, Chandoline, Aproz ausgebeutet, welche
zusammen ungefähr 60,000 Centner Anthracit jährlich liefern. Ueber
die Entstehung des Anthracit und der Kohlen überhaupt stellt der
YerL sehr lehrreiche, auf microscopische und chemische Unter-
suchung der Kohlen gegründete Betrachtungen an, aus welchen her-
vorgeht, dasa die Torfmoore die Heerde der Bildung der Kohlen-
massen aller Zeiten gewesen sind.
Zweites CapiteL Die Salzbildung der Schweiz.
Di« Trias-FomiAtion besitzt eine ansehnliche Verbreitung in der
Schweiz. Da« unterste Glied, der Buntsandstein, erscheint am
Nordrande des Jura, bei Bheinfelden u. a. 0. Auf ihn folgt an
Tielen Stellen längt des Jura der Muschelkalk und auf diesen der
KeupeiTt welcher im Ganton Basel eine Mächtigkeit von 400 F.
erreicht« Die Schweiz besitzt Salzlager zu Byburg, Bheiaüalden
und Schweizerhall, welche dem Muschelkalk angehören und zu*
fMunmen etwa 280,000 Centner Salz produciren; dazu kommen
noch 46,000 Centner Salz von den Salinen von Bex, deren Salz-
stock im Kenper liegt. Diese Produktion von Salz in der Schweiz
genügt dem Bedarf nicht, es werden daher noch 300,000 Oentner
aus Baden und Württemberg eingeführt. Der Keuper des Oantons
Basel ist durch seine Pflanzenreste ausgezeichnet; man kennt be-
reits 25 Arten, sämmtlich Landpflanzen — ein Beweis, dass z«r
Keuperzeit in dieser Gegend Festland gewesen ist. Die domini-
renden Bäume unseres Keuperwaldes — wie ihn das zweite Bild
der ersten Lieferung sehr anschaulich darstellt — bildeten die
Flügelzamien. Die jetzige Flora Europas hat keine Bäume, welche
mit diesen verglichen werden könnten, wohl aber finden sich solche
im südlichen Aftika. Es sind die zur Familie der Sago*Bäume
gehörenden Zamien und Dione- Arten, zwischen Palmen und Nadel-
hölzern stehende Pflanzen.
Drittes Capitel. Die Schambelen im Canton Aar-
gau und die Liasbildung der Schweiz, unter dem Namen
Schambelen sind die unfern Müllingen gelegenen Mergelgraben be-
kannt, welche dem Lias angehören und durch die Mannigfialtigkeit
ihrer organischen Beste paläontologisohe Bedeutung gewinnen. Die
II««r: Urwott itr BdiwiBl«. t9
Sehüdenmg der LeiUossilien d«B Lias, begleitet von zahlreichen
Abbtl«lttigeii, bildet den Hanptgegenstand des dritten Capitels.
Viertes Capitel. Das Jara-Meer. Bekanntlich am-
fiust die Jura-Periode einen grossen Zeitraum nnd es weist der
Ver&sser alle die Veränderungen nach, welche während derselben
in der Sohweis Tor sich gegangen sind. Was das Anftreten der
Formation betrifft^ so nnterscheidet er : a) Jnra der n5rdliohen
and westlichen Sohweis; die Niederschläge sind hier gross*
tentheils Seichtwafleer- Bildungen ; b) der alpine Jnra, durch
grosse Blaehtigkeit seiner Felslager und durch Armuth aa Ver-
fteinermigen oharacterisirt. Von vielem Interssse sind die Sohil-
denmgen der Thiere des Jurameeres, insbesondere die Mittheilun-
gen fiber Corallen und deren Bildungen. Unter den nutzbaren
Mineralien der Jura-Formation sind ausser den als treffliche Ban-
steine hochgeschätzten weissen Jurakalken (zumal des Cantons 8olo^
thum) Eisenerze hervorzuheben. Diese finden sich im Eisenoolith
des braanen Jura, namentlich am Gonzen, in einer Mächtigkeit von
4 bis 20 Fuss; es ist Botheisensiein begleitet von Schwarzmangatt-
erz. Gegenwärtig sollen zwischen 16,000 bis 20,000 Centner jähr»
lieh ausgebeutet werden.
Fünftes CapiteL Die Zeit der Kreide-Bildung.
Ein Blick auf das im Text befindliche Kärtchen zeigt die eigen-
thGmliche Vertheilung von Land nnd Meer zur Kreide-Zeit. Wir
lernen die verschiedene Beschaffenheit der aus den Meeres^Nieder-
seblftgen entstandenen Felsen der alpinen und jurassischen Zone
kennen, die Thier- und Pflanzenwelt und alle die wichtigen Ver-
änderungen, welche während der Kreide-Periode vor sich gegai^
gen sind.
Sechstes Capitel. Die Glarner Schieferbrtlohe
und die eocänen Gebilde der Schweiz. Die unterste oder
älteste Abtheilung der Tertiär-Formation, die eocäne, besitzt eine
grosse Verbreitung in der Schweiz. Ihr gehören zunächst die in
technischer wie in wissenschaffclicher Beziehung sehr bedeutenden
und längst bekannten Schiefer von Glarus an. Schon zur römisch-
helvettsehea Zeü wurden diese Schieferplatten gewonnen und zur
Bekleidung von Wänden oder Fussboden verwendet. Im Jahre
1862 wurden 697,771 Dachplatten, 29,500 Schreibtafeln, 85,438
Quadratfuss Boden-, Ofen- und Tischplatten producirt. In wissen-
schaftlichen Kreisen hat der Plattenberg bei Matt durch den ausser-
ordentlichen Beichthum an Fischen die Aufmerksamkeit auf sich
zogen. Von Pflanzen, von Weich- and Strahlthieren hat man da-
selbst noch keine Spur gefunden. Die Zahl der Fische belauft sich
auf 58 Arten, unter welchen die zu den Stachelflossem gehörige
Familie der Makrelen oder Thunfische verwalte/. Unter den übri-
gen Gebilden der Eocän-Formation spielen die verschiedenen Fljsch-
gesteine (Kalksteine, Schiefer und Sandsteine) eine wichtige Rolle,
denn sie nehmen ein ausgedehntes Alpenland ein, verbreiten sich
16 Heer: UrWelt te Schwelk.
ttber weit verzweigte Thäler, erheben sich von den ThalsoUen bis
zu den höchsten Berggipfeln eine scheinbare Mächtigkeit von einigea
tausend Metern erreichend. Unter den organischen Besten der-
selben sind von Pflanzen ausschliesslich Fucoiden zu nennen, von
Thierenaber die Nummuliten, jene denkwürdigen zu den Polj-
thalamien gehörigen Formen, deren zahllose, zierliche Schalen ganze
Gebirge zusammensetzen. — Von nutzbaren Mineralien enthalten
die ältesten Tertiftr-Schiohten hauptsächlich Bohnerze ; ihre Gewin-
nung und Verarbeitung bildet einen höchst wichtigen Erwerbszweig
ftlr die Bevölkerung am Jura, da sie die einzige Erzbildung der
Schweiz, welche seit längerer Zeit einen lohnenden Bergbau ge-
währt hat. Für den Paläontologen bieten die Bohnerz- Ablagerungen
noch ein interessantes Feld, da man in solchen zahlreiche Knochen
und Zähne von Wirbelthieren gefunden hat, nämlich 61 Thierarten
worunter 12 Reptilien und 49 Säugethiere.
SiebentesCapitel. DasMolasse-Land derSchweiz.
Dasselbe umfasst mit 152 geographischen Quadratmeilen etwa V^
des Flächenraumes der Schweiz; die Molassen-Bildungen gehören
der mitteltertiären oder miocänen Zeit an. Es lassen sich fünf
verschiedene Stufen unterscheiden. Die Gesteine sind die unter
.dem Namen Molasse bekannten Sandsteine (nach welchen später
die ganze Formation benannt wurde), ferner Mergel und Elalksteine,
insbesondere aber jene als Nagelflue bezeichneten Conglomerate,
aus welchen z. B. der Bigi besteht. Von nutzbaren Mineralien
verdient das mehrfach nachgewiesene Vorkommen von Braunkohle
im Molas8e*Gebiet Erwähnung, die namentlich bei Eäpfnach am
•Züricher See einen ergiebigen Bergbau bedingt.
Mit dem siebenten Capitei schliesst* die sechste Lieferung ab.
Die nächsten Oapitel werden die Pflanzen- und Thierwelt der Mo-
lasse besprechen, ein Gegenstand, mit welchem sich Oswald
Heer bekanntlich mit Vorliebe beschäftigt hat und worüber man
ihm sehr bedeutende Forschungen verdankt. Es ist zu hoffen, dass
das vorliegende Werk, welches eine reiche Quelle der Belehrung
bietet, zu Anfang des Jahres 1865 vollendet sein wird. Die Aus-
stattung ist ganz vorzüglich. G. Leonhard«
Ir.S2. HEIDELBER[6EE 1866.
JABRBÜCHER DER LITERATUE.
Siraf — geen ktoaad. Redevoering by de aanvaarding van hti hoog^
leeraar$ambi in dt regittgeleerdheid aan het Aihenaeum illuUrt
ie Amgterdam, den 24. Oct. 1864 uügetproken doar Mr. X E,
J. Modderman, Amsterd. Fred, MuUer, 1864, 68 8. gr. 8.
Mit aufrichtiger Freude begrttssen wir diese sehOne Abband-
lang, mit der Yor Eurzem Herr A.E.J. M od der man in noch jun-
gen Jahren das Lehramt des Strafrechts am Athenäum su Amster-
dam auf hoffnungsreiche Weise angetreten hat. Als wir vor 25
Jahren ganz denselben Satz in der Commentatio de quaestione : an
poena malum esse debeat, 1839 — verfochten hatten, war die Zeit
daf)tr noch nicht reif; unsre Zunftgelehrten konnten oder wollten
sie nicht verstehen, man schwieg sie also einfach todt. Erst nach
Jahrzehnten, als manche der gröbsten herrschenden Yorurtheile
gründlich erschüttert waren, sollte sie wieder erwachen und zwar
zuerst im Ausland; sie blieb nicht ohne Einfluss auf die Btrafge-
setzgebung in Portugal, sie fand in Spanien, nachdem sie in die
Landessprache übersetzt war, einige Anerkennimg ; sie gab endlich
auch in Holland einem strebsamen jungen Gelehrten den Anlass
sieh furchtlos an unsere Seite zu stellen, um rüstig mitzuarbeiten
am Brechen einer neuen Bahn für das Strafrecht der Zukunft. Es
ist Das für uns eine grosse Genugthuung und für die gute Sache
des Rechts und der Menschlichkeit ein um so grosserer Gewinn,
je seltener es leider ist, dass ein Mann des Rechtsfachs, und vollends
ein Glied der Lehrzunft, die Geistesfesseln der hergebrachten Leh-
ren der Schule abschüttle und durch den Nebel aller möglichen
seichten Redensarten bis zu den letzten Gründen alles Rechts
durchdringe, und hier, wo sie allein zu finden sind, die Mittel sich
hole um die eingelernten Wirrbegriffe von Verbrechen und Strafe
gänzlich los zu werden. Vollends in Deutschland, — wo überdiess
noch mehr als irgendwo in der Welt die Parteiwuth der philoso-
phischen Schulen das Aufkommen jeder Wahrheit erschwert, die sie
nicht entdeckt haben und die in ihren Kram nicht passt — ist
erst von dem jungen Geschlecht ein unbefangener Sinn ftlr den
wahrhaft gerechten Geist der Strafe und sein Durchdringen im
Leben zu hoffen.
Nachdem der Verf. an Beccaria's Verdienst um die Ver-
menschlichung des Strafrechts, durch dessen vor gerade 100 Jahren
erschienene berühmte Schrift, erinnert hat, hebt er hervor, wie
sehr Viel noch heute zu thun übrigbleibe, wo Becoaria's For-
derung: die Rechtsgesetzgebung in Harmonie mit der Sittenlehre
LVHL Jslirg. 1. Heft 2
zu bringen — Ton den Meisten vergessen sei, indem sie einseitig
entweder ii ganz abitrakten Bettachtnngen über eine Strafgerech-
tif^keit, dx« gkt Mohts nach defti Iweck der Btrafe frage, sich
hemmtrieben oder umgekehrt diese bloss auf den yermeinten Yor-
theil des Staats bezogen wissen wollten, ganz unbekümmert um
die ewigen Grundsätze des Rechts und der Sittlichkeit. Mit Aus-
nahme Weniger, die, frei von dieser Einseitigkeit, den Satz yer-
theidigten, dass die Strafe kein wahres üebel sei, arbeiteten sioh
die Bechtsgelehrten daran ab, einen Bechtsgrund zu entdecken,
' für die Vergeltung des Bösen durch Böses, d. h. durch ein wei-
tereg üebel, das man mit dem Wort »nothwendig« übergoldet
habe, — ein Verfahren, ganz ähnlich dem von Gelehrten, die von
dem Satz ausgingen: dass 2 mal 2 = 5 sei — und nun ihr
Leben der Entdeckung einer Multiplikationsmethode weihten, wo-
durch sich jener Satzbeweisenlasse(S.4). ünsre Strafgesetzgebui^en^
die im Ganzen dahin zielten (auch abgesehen von der Todesstrafe) den
tJebelthätem die Bückkehr zu einem ihrer Bestimmung entspie-
chenden Leben unmöglich zu machen, seien weit hinter dem Stand
der heutigen Bildung zurück. Dringend sei daher eine Prttfmig
des gangbaren Straf begriffs nöthig, damit jenes Straf recht ein Ende
nehme^ das von einem Gegensatz ausgehe zwischen dem Interesse
des Staats und des Sträflings, zwischen dem Bichter und dem Chri-
sten, der Sitten- und Bechtslehre etc., das sich nicht kümmere
um die laut gewordenen Zweifel an der Willensfreiheit (B. 5 — 7).
Bas Strafrecht könne nicht weiter reichen als sein Grund, der aus
dem Wesen des Bechts und Staats sich ergebe (S. 8 ff.), das der
Veif. nun Inirz und bündig und, wie er selbst sagt, in der Haupt-
sache übereinstimmend mit der Schule Erause's (S. 7 und 18),
aus dem Wesen und der Bestimmung des Menschen ableitet. Was
diese irgendwie fördere, Das achten, sagtM., die Menschen für gut
und nützlich und sich dazu befugt und verpflichtet und umgekehrt.
Die GeseUschaft habe so wenig als der Einzele sich selbst ihr«
Bestimmung und die Lebensregeln zu deren Erfüllung gegeben;
eben darin aber hatten AUe Einander — nothfalls, soweit möglich,
auch zwangweise — zu unterstützen. Dabei fUllt freilich der Verf
(S. ISfO in den Fehler: l)da8Becht aus den Pflichten abzuleitei
und 2) nur aus erzwingbaren Pflichten, als deren Ganzes er dai
feecht darsteUt, — wobei er dann wieder richtig Pflichten unter
scheidet, die auf ein Leisten entweder Aller an Alle oder Ein
zeler an Einzele, und Pflichten die auf ein Unterlassen alle
Dessen gehen, was Andere hindert in Erfüllung ihrer Bestimmung
Vorzüglich diese Unterlassungen sicher zu stellen, sei das Stral
recht da, während hauptsächlich die Erfüllung jener Leistunffei
den Bestand des Staats bedinge (S, 19 ff.). Wir zweifeln nichl
dass bei näherer Prüfung der Verf. selbst jene Fehler «Tcenne
werde, wodurch allein noch ein Misston in seine Daratellmiff sn
bracht wird. * ^
nxuBftgiidi Mi esftrdeitSteat, allem ünrdoht unmittelbar
▼onnbttiig«!! pder auch mir alles begangüie ünreoht wieder gat
sa laftfiben, am so weniger als oft genug 4fir Ti^ter niehi entdeekt
werd«; es mflsse dalier mittelbar (dureh Probang nnd ZaftLgnng
Ton Strien) anf Verhtttong des TJareebte gewirkt werden (S. 19 ff.).
Hiermit bat der Verf.iwar ohngeAÜir das Ziel, mobt ^ber aoob
dam Weg dazu (das Wie), keinesfalls also, wie ev dock glaubt,
bestimmt genug den näobst^n Beektagnind und dieBeckts«
grftaae der Skafebeoeicfanet; er leitet daraus n^n ab: 1) dassnur
ein aoldies Tbun oderliassen snm Yerbreohen erklärt werden dfirfis,
wodorcfe ein heatimmungstreues Leben gebiudcs^ werde (also nickt
Uoaee üngitilichkeiten) ; doeb könn^ nicbt sohaxf und allgemein,
aonism bloss naob Umständen der Zeit und des Orts entscbieden
werden, velcfae speoies des genns Unrecht nur Strafe su zieiian
e^n, wann man nicbt Uebel ärger mac^n wol]e; 2) dass der
Staat, bcni&n das Becbt, d. b. die Bedingungen der firfOlluag
thmr menseblioben QeetimmnDg, seinen Qliedem si^ gewBlirleieteni
dieselbe nie selbst abschneiden oder erschweren dlkfe durch seine
Stra&iittel; dass mithin die letzteren selbst reohtiieh mid sittlic]^
sein nAasten, also nie ein wahres Uebel sufdgen dürften. An*-
deinfieJls verkehre sich der Staub zum Zweck, da er .d,o«h nur
Mittel sein solle, und opfere den kleneoben eine^ fiälsoiieu abstrak*-
ten Begriff von BeehtspAege. STaekdem er alle diese unwidersprech*-
üoh wahm Bätftö ansgelUhrt bat, fährt M. (S.26) foiic allerdings
mflaae aber die gerechte Strafe, um von y^rbrechen dnrek den
Eiadraek, den sie mache, abhaJAen zn können, ein Uebei zn sein
seheinen; und in der That scheine sie De!^ so, okwofal sie
ein wnUiohee Gut für ihn ist, der in gleich £alscfaeu Wahn gbuk*
bea konnte durch seine Miasethat ein Gut fiU* sich zu erlangen.
Endliöb mflsse der Staat soviel möglidi £Br im^ner dmrch psjcdiU
aeke Mittel, vorttbergebend aber auch durch äussere Mittel {Ein»-
Bfiemmg), den Uebeltkibier unfiehäcttiok machen; und insoweit ent-
halte die streng gerechte Straüs ebenso fiär's Ganze wi^ ifäjt den
Uebelthäter selbst eine wahre Wohltbat, ein wesentidohes Gut.
Gbenau treffe auch diese Alles bei der Einzelhaft ku, das
gemde G^entheil aber bei der gemeinscbafUichen Haft; denn,
während diese ein weit geringeres Uebel als jene zu sein scheine,
lüge sie dem Staat wie dem Sträüng ein wftbi^aftes grosses Ue-
bel zu: sie ersticke be^ Diesem den letzten Keim des .Guten, sei
mitbin so unsittlich, unreohtlich und Bcbädtich wie möglich, weit
▼erabsiAeuenswerther noch als die Todesstrafe, die dock die Beer
Benag nur abechneide, während jene, indem sie vorspiegle zn
beeeem, sogar noob verschlechtere. Auch die Gkeldbusse, Eut^
fifllmng bestimmter Rechte, unter Umständen auch die Verbannung
und (?) Verbringnng, endUcb Yerfallensein und IJTicbtigerkiäinmg
eutbaeftten Wenfalls im Wesen ein Gut, nur scheinbar ein UebeL
Wenn übrigens der Verf. glaubt (3. 82), «e häufige Bitte um
so Koddermftii; Btnif -« gMo knmL
Zellenhaft von Seiten der zur Qesammthaft Yerartheilten erkUre
sich nur daraus, dass an die erstere eine Abkürzung in bestimm-
tem Yerhältniss geknüpfb sei, so widerspricht dieser Ansicht die
allgemeine Erfahrung, dass auch da, wo die Einzelhafb eine ge-
ringere Abkürzung als in Holland, oder auch gar keine (z. B. in
Oldenburg), nach sich zieht, dennoch die Besseren unter den Str&f-
Hngen, vollends wenn sie die Gesanmithaft kennen gelernt haben,
fast ausnahmlos um Versetzung in Zellenhaft bitten. Die Todes-
strafe, bemerkt M., sei in den wissenschaftlichen Kreisen Hollands
als todt zu betrachten, in dem Gewissen gebildeter Völker sei fttr
sie kein Baum. Dex Ausdruck »nothwendiges üebeU, womit man
ihr, wie so vielem Schlechten, eine Scheinrechtfertigung zu geben
suche, sollte ganz verbannt werden, da er ein Unding bezeichne;
wohl aber sei Manches, z. B. das Abschneiden eines Gliedes, ein
schmerzlich empfundenes Gut. Der Nutzen folge dem Becht von
selbst nach. Auch die Gesetzesdrohung, wodurch Feuerbach
psychisch zwingen wolle, habe ihren Nutzen, könne aber freilich
nicht den Bechtsgrund der Strafe ersetzen, dem gemäss der Geseti-
geber diese auszuw&hlen und zu bemessen habe (S. 84). Die Zn-
filgung der Strafe habe auch keinesfalls bloss die Best&rkung der
Drohung, sondern vorzüglich die Unschädlichmachung des Verbre-
chers für die Folge zimi Zweck, soweit dieselbe zu seinem und
des Staats Besten durch rechtliche Mittel möglich sei.
An die Wahrheit, dass nicht für Alle Einsperrung und ein
besonderes Besserungsverfahren nöthig sei, knüpft der Verf. die et-
was zu kurze Bemerkung : Bei Manchen genüge die gute Lehre durch
die Vemrtheilung. Wenn er aber der Besserungstrafe doch nicht
ganz zustimmen zu können meint, obgleich er selbst deren Geg-
nern ihre Hauptwafie: dass Strafe ein Uebel sein müsse — aas
der Hand geschlagen hat, so finden wir dafür nirgends einen Grand,
am Wenigsten darin, dass ja danach — die Unverbesserlichen un-
bestraft bleiben müssten. Denn, dass jedenfalls der Versnob der
Besserung mit allen rechtlichen Mitteln gemacht. Alles wodurch er
vereitelt werde, beseitigt werde müsse, fordert er ja selbst (S. 36 ff.)
mit vollem Becht, weil daraus, dass wir nicht Alles erreichen
können, doch Niemand folgern werde, dass wir lieber gar Nichts
thun sollten. Ueberdiess würde sonst vorher der unmögliche Be-
weis der behaupteten gänzlichen Unverbesserlichkeit geführt werden
müssen« In dieser ebenso wohlfeilen als bequemen Behauptung liegi
aber sichtlich ein frevelhaftes, auch vom Verf. (S. 4 f.) yerworfe-
nes, Verzweifeln an der Menschheit, deren Gepräge der SchOpfei
auch dem Verbrecher verliehen hat: ein Mensch, der gar nichti
Menschliches hätte, also in gar keiner Hinsicht verbesserlich wäre
ist ein Unding! Ist daher der Besserungsversucfi ebenso tmerläss
lieh für das unzertrennliche Beste des Staats und des Verbrechen
selbst, so kann doch zunächst (wie der Verf. S. 49 einsieht) nn
das letztere in's Auge gefasst werden, aus dem einfachen Grunde
Mo44«rBftat 8lnf-gMB kmmd. U
wA dem Yerbredier in der Strafe (wie jedem üaersogenen ib der
Enidniiig) nur sein Beebt su Theil wird, dM jedem Menschen
Bor derom in Theil werden soU, weil es sein Recht ist. Alle
hnakl an der Besserangstrafe mflssen schwinden, sobald man gans
idiarf ond bestimmt den nftchsten Reohtsgrond der Strafe in
dam bethfttigten, mit dem Lebensprinsip der Rechtsordnang imyer-
tiSf^lichen Rechtswiderwillen nnd ihren nftchsten Rechtszweck
in dessen grfindlieher Anfhebnng erkannt hat (worauf auch der
YeifL selbst mehrfach, z. B. S. 35 hinweist), demnach die Strafe
ttIM als das Ganze der hierzn dienlichen Yemeinenden nnd be*
jshenden Bedingungen oder Mittel.
Am Strafmass, dieser Klippe, woran die meisten Theorieen
Sdnffbjnaeh litten, zeige sieh allerdings die UnvoUkommenheit jedes
Menaehenwerks; geradesn undenkbar aber sei eine vemünftige Anf-
teng dieses Rftthsels solange man in der Strafe ein Leiden sehe.
Die Wiederrergelter suchten vergebens , wieviel Sinnenttbel erfor*
dnt sei zur Tilgung der sittlichen Schuld, m. a. W. wieviel Eisen
a einem Tuehrock, oder, in der Sprache der Hegel' sehen Dia-
lektik: wieviel Mal a (d. h. unrecht) n5thig sei, um o (d. h. Recht)
Wvorsubringen. Eher sei noch zu begreifen, wie man durch Dro*
bnig oder ZufÜgnng sinnlicher üebel sinnlichen Begierden ein
Gegengewicht za geben versucht habe, obwohl man dabei, in Er^
nanglung eines Rechtsgrundsatzes, der zeige, wie weit man gehen
Arfe, folgerecht, um ja sicher zu gehen, zur ftussersten Härte kom-
noi mfisse.
Fasse man hingegen die Strafe ihrem Wesen nach als Gut
ni, 80 habe ein kleiner Irrthum bei ihrer Zumessung nicht Viel
n sagen (zudem helfe die Zelle mittels des Gewissens ihn auszu-
^lien) und eine ftbr alles gerechte Strafen unttberschreitbare
QilBze sei gezogen. FUr die Wahl und das Mass der Strafe müsse
nobent die Art der verbrecherischen Neigung entscheiden, der sie
i]fl Annei entgegenzuwirken habe, also der sittliche Zustand des
ThiterB, der ans dem Verbrechen hervorleuchtet; danach habe der
^tzgeber im Allgemeinen,) der Richter im besondern
Fall — nach allen Umständen, binnen des ihm vorgezeichneten
Bftxinnmi und minimum — das Angemessene zu bestimmen. Dieser
«ttliehe Znstand, also Das was bei der Drohung und bei der VoU-
^oAang der Strafe in's Auge zu fassen, sei vor der That und
naeh ihr fast derselbe. Zufolge der einzig richtigen Auffassung
^ Strafe als Wohlthat, falle beim Stra&nass jeder Missklang weg
ivieehen den Forderungen des Rechts, der Sittenlehre, Religion,
P^chologie und Geschichte ; und ebenso bei der Zurechnungsfrage :
*ir werden dann, in Erwägung dass wir nicht unfehlbar sind, nur
10 strafen, dass kein unvergtttbarer Nachtheil entstehe, eingedenk
fe Wahrheit, dass, kennten wir alle Umstände der Lebensge-
^^Uehte des Thäters, wir darin vielleicht einen Grund finden wttr-
fco, ihm zu vergeboi. Sicher verdiene, solange Streit besteht über
n RSder: BwwwtnyfaafG mä BMMradgMHCulstalten.
di« Wülensfreikeit, ein Sträfbegriff den Vorzug, der nidii, im
der heute noch herfschönde, mit ibr steht und fMlt, der Tielmehr
el>€ta8o gilt mit dem DeterminismuB sich vertrage (B. 47), wi^ der
Fenerbabh'Dohe psychische Zwang dnttsh die Sti'afdrohnng. Det
Verf. stimmt uns darin bei, dass d«s Yetbrechen selbst den tiifttliohta
Beweis liefere voin Dhsein ethes solchen Ni<^t8 weniger alssittlioh^
fleien Zostamds, dasB d«r Thäter dhnfa Strafe unsohä^lich g^maeht
nnd zti eintoi besseteii sittliehen Znsfantid gebracht werden müsse,
üh Gegensatz zn dem Fall, wo G-eisteski-ankheit oder Geiralt ihm
die Selbetbeätimmung unmöglich gemacht habe. Auf dem Gtibe
des alten Strafrechts können sich, nach ihm, die Yeftheidig^r «M
Gegner das Determinismns die Hand reichen ! Bestimmte Hoffimng,
dass die richtige Strafaneicht ehdlich durchdringen Werde, iMsä
sieh säe didt Geschichte schöpfen« die da lehre, dass es eine Zeit
gegeben habe, wo die Kunst» die Nebenmenschen in der grausuii*
sten Weitö sn peiiügen, auf deib Gipfel war und jedes StAdichen
seinen Henker hatte; dass ab%r zuletzt doch die »sentimentäien
Filanthropefa^ Sofibtenj Bevolntiobäreetc.« den Sieg errungen h&tten
und diks G^lchrei verstummt sei, das »die Vorsichtigen« über die
gewigte Behauptung erhoben hätteh: dass die Gesellschaft kein
Recht habe zu allen diesen Grausamkeiten, und dass Bechtesioher^
heil auch dhhe Bädän^ Foltern uiid Vemtttmmeln sich erreichen
huNle. Auch das Brandmarkeh und Auspeittoheh sei endlich in
»das Gmb der allgemeinen Verachtung« gesunken, üiid dae 8chaf»i
und die hohen Schulen der Nichtswürdigkeit : die gemeinsehafttichMi
Gellli^fnissbi würden ihnen im Ende dahin folgen^ vermöge der
Meirbittlichen Logik der ThätslEiohen ! Becht Und eigner Vor*
Uieil sollten uns bestimmen > nicht fehier durch beide, jedenett
frachtloee, Mittel den Vbrbiechem die Erreichung ihiBr mensch-
lieiite Bbstibmimg unlnöglioh zu knachen. Entweder müssten aash
sie beide Mleb oder die ganze folgerechte Graueamkeit unserer
Vdrältem ihüsA wieder in's Lebeik gerufen weixien! —
Bmsßmmfttrafe tend Besserunpdr'afaTfstalim ah ReehUfmrkrHn«,
Eine Berufung aik ifen ffisunden Sinn des deifilufchtn VoftHi, ^in
K\&Yl D. Al Roden Ldpa. u. HeiddK C. F. Winta^m^
Vierlag. 1864. X w. 202. Ä gr. K
An die BiBsptechung der Modderman' sehen Abhandhmg
kuOpfen wir einige Worte, zur Erledigung der in uneem Ja&rbb.
herkömmlicheh Selbstanzeige, über vorstehende eigne Schrift. Diese
bezWeekt es, illen Gebildeteii die Vorbedingungen zu gewtiliren zu
einem tobefangenen ürtheil sowohl über den Geist des Unrechts,
der nodi immer in den Strafj^setzgebnngen und dem Strafvolisng
unsiiBr Zeit voriidrtsoht, als über die ri6fatigereii Bechts^Einsichtai
R9d«rt
md Afamngeii, «ntor dtfron Euiflvfls wt ainigOA Jatonhntai v^^it
Bedn des Lebens ans, und munemtlioli auf dem Felde des Q^
fitagiiHweseBS, ge^m die alieii zeitwidrigen Ueberliefemgan und
Yonirtheile ein lebhafter Eavpf sich erhoben» — ein Kampf» der üch
jtM seniohBt an die Einselhaft kattpft «nd mit ihr nad dnreb
sie oinM aiegreioheii Anegangs gewiee sein kann. Za jenem Zweek
kafaenwir — im «rtten Haaptetftck (8. l-*45) : »BeeaenmgaU Hanpi-
n%abe jeder gereehten Strafe« -- einte karse Da^retettavg der
Gnalbegriff» von Becht and Staat Yorangeechiekt und n seigevi
geoekt, daes, bei folgereehter AAWwidnng derselben aof die Stn^ei
kB Waten dieser letsterea nicht etwa in einer Leidenesnfttgaag
butehei kQnne, «o&dem awr in dem Gänsen deqenigen Bedingonr
gtt der DsnBtuamnng des reektsvidrigsn odcor verbreoheriadMn
WilkM» d. h. der Beeeenmg im ved^tbchen SianCi die aiek dn^ob
du Zntknn Anderer beedwien Urnen. Hieran reiben eich -*- im
2. Heoptetflek (S. 46-^^2): »Bttckbliek auf die Geftngniaee der
Toneit« — die adthigetea Bemerknngan über die idlmfthlicbe Ye]>
iedcmg der Anfliohten Ton den Freihmtetarafen und der Art ihrer
YoOfirBäiiag, aowie — im a.Haapt0taok(S. 63-188): »Beleuc^i*
tttg der Stra&astalten der neneren Zeit« — eij^e genaue &diUde*
rang der verechiedenen neueren VerBuehe, dem eigentUd»en Gnmdv'
Abel, das in den Strafanstalten alten Zusohnitte herrsdai und sie
» liödttt gemeinsdiftdKck gemacbt hat, aAmlich dem WeohselyAr-
M derOefiuigeneii, abinhelfen, -- Wae grttndUd» and «ans» wr
4vch die EiBselhall gesoheben kaaa. Auf die DarsteUoag dspr
Gnn^gedankea dieser neneren Versuche: des Anbi}raiani3mu% der
Qssaeubtbeibuigen «nd endlich der EiasMlhaft — folgt eine gpr
tegle ZnBamneasteUiag der gewichtigsten £rfabrangen» die bia-
inr im den ebengenannten Haaptriehtangen in aller Weh gsmaobt
vMdea sind. Den SeMnss des Ganzen — im 4« Ha^ptatftgk
(8. lM~a02): »die neneetea Forteebritte der Einsicht and der
6<»etigebuig im Geftngnisswesen« — bildet die i^rlbigte Sehä*
knmg jwd fmndsätzlidie Prttfnng Dessen« was bie heute in den
^«nchiedenen Staaten in der Sache geaohehen ist.
Wir bogleitea die Schrift mit der Hoffnong, dass si» e«ob
»merbalb des Kieises der Fachmänner «inige BeacUnu« finden
verde. Dnraof freilich haben wir nie geredmet., dass die elten
Zflnlüer auf dem Lehrstuhl oder hinter den grünen Tischen, deren
ganzes bisheriges Wirken sich wie im Kreise um die Afterlehre ge-
dreht hat, dass das Wesen der Strafe im üebel seinen Sitz habe,
^, WasModd«rman gleichbedeutend scheint, daBs2mal 2 = (
s«i, iuptotzlich den Zopf, den sie solange nut Anstand getragen,
Uten zu lassen und ihre Lebensarbeit als eine groesentheils yer-
feUie za betrachten gewillt sein eisten. Je wemger sich Der-
gieiehen billig verlangen l&sst, desto lieber bescheiden wir uns, nur
^ im Jugend, der die Zukmift gdiMn zu 'Crwafltsn, dass nicht
«dl sie voiichndl, aof Kosten der Wcduzbeilt und des Bepjit»« de^u
24 FrAttenitftdt: B^bopenhanef^« VmMaM.
siiinlosen alten Zopf nachzusehleppen sioh bereit lei^i^' «mdem die
flerale Fracht tmhaltbar und zeitwidrig gewordener Recbtsansehan-
ungen mit diesen selbst anfgebe. Wahrhaft drollig aber ist esaa-
znseheu, wie gar Manche yergeblich Yon der Leimrathe dieser alten
Yorstelhingen sich loszuarbeiten suchen, wie Andere zwar bald zu
merken anfteuigen, dass es Zeit dazu wäre, aber es noch nicht
»wagen«, bald sich mit der Wahrheit wohlfeil abgefimden zu haben
glauben durch das grosse Zugestttndniss : dass allerdings die Strafe
keine Peinigung sein solle — in demselben Athem aberYersichem:
dass sie ein empfindliches Uebel sein, und in dieser Abeicht su-
gefUgt werden mtlsee. Wie sich Beides unterscheiden und wie
dergleichen Absichten christlicher, eittlicher und rechtlicher Weise
denkbar sein sollen, bleibt dann, wieso yieles Andere, zu erklftren
dem Scharfsinn der Leser flberlassen. Auf Grflnde einzugehen i«t
überdiess unbequem, und so glaubt man mit der wiederholten Ver-
sicherung, dass man an dem alten abgedroschenen Grundsatz des
nothwendigen Vergeltens von üebel mit üebel festhalte, genug ge-
than zu haben ! Der Besserangstheorie aber glaubt man mit einigen
wirklichen Folgerungen aus ihr, die man durch die plumpsten
petitiones principii für unmöglich erklärt, noch mehr durch ihr
bloss untergeschobene Folgerungen und angeblich Yon
ihr nicht lOsbare und doch nothwendig von einer haltbaren Straf-
theorie zu lösende Aufgaben, den Hals gebrochen zu haben, mit
einem Mangel an Logik und einer Oberflächlichkeit, die ihres Glei-
chen suchen, obgleich sie gewöhnlich in einen ganzen Filz Ton
hohlen Worten und Floskeln eingewickelt und Tcrsteckt sind, wie
wir oft genug gezeigt haben, ohne dass Einer unsrer Gegner Diees
zu widerlegen oder auch nur zu leugnen unternommen hätte. Ueber
aUe böswilligen Verschweigungen, Entstellungen und Witzeleien
aber wird die Wissenschaft, die nur mit Gründen gefochten wissen
will, unerbittlich den Stab brechen. In dieser üeberzeugnng können
Angriffe mit jenen stumpfen Waffen den Verfasser nicht beirren,
wohl aber haben sie ihn bisweilen sehr erheitert. Belobungen einzeler
Anwendungen seiner Grundsätze können für ihn einen Wertb nur
dann haben, wenn sie als solche Anwendungen, nicht aber
wenn sie, folgewidriger Weise, trotz des Beibehaltens entgegenge-
setzter Grundsätze, Anerkennung finden. K« Rftder«
Atta Arthur Schopenhauer^ $ handschrifllichem Nachlass. Abhemd-
lungerij Anmerkungen, Aphorismen und Fragmente. BeroMpe-
geben von Julius Frauenatädt. Leiptig. F. A, Brockhavs.
1864. XXXn u. 419 8. gr.' 8.
Der gelehrte Herr Herausgeber hat schon in dem Werke:
»Arthur Schopenhauer; Von ihm, ttber ihn« (Berlin
1868, A« W. Hajn) aas den BammtlielMii aaobgalagBeoen Haad*
aohnften unsereB Pliilo8ophen diejenigen Stellen und Stücke mit»
getiieilty die ihmc besonders geeignet sehienen, zum Belege der dort
vm ihm gegebenen Charakteristik der Person nnd Lehre Sehopen*
haoers zu dienen« (S. YU). Hier legt der Herr Heransgeber nnr
diqeaigen Stücke nnd Stellen vor, die in dem angeftlhrten Werke
nadi dem ihm Yorgeseiehneten Plane keine Anfiiahme findsn konn-
ten. Es ist immer noch ein »ziemlich betr&ohtlicher Stoffe, der
ihm »werth schien, als ein Supplement sn Schopenhaners sftmmt-
liehen Werken besonders heransgegeben zn werden.« Der vorlie-
gende, bisher nngedrackte Stoff soll znm »tieferen nnd grOndlicheren
Ventftndniss« der Schopenhaner* sehen Philosophie, so wie »zur
richtigen Benrtheilung ihres Verhältnisses zu den andern nachkan*
tiedken Systemen Manches beitragen.« Nach allen Terßffentlichten
StSfiken des hier vorliegenden Buches soll man in Schopenhaner
»den originellen, nrtheilskräftigen, scharf- nnd tiefsinnigen Denker«,
den »gehalt- nnd gewichtrollen, immer entschieden nnd kr&fkig sieh
seedrSckenden Schriftsteller«, den »freimüthigen, die Wahrheit
ftber Alles liebenden und den herrschenden Vorurtheilen energisch
entgegentretenden Charakter« wiedererkennen, als den er sich in
»gedeckten Werken kundgegeben hat« (S. VIII).
Auswahl, Eintheilung und Anordnung des hier gebotenen Nach-
stammen vom Herrn Herausgeber. Mit Recht wurde nicht die
tonologische, sondern die sachliche Anordnung vthfmugen. Ob
die Stelle, die der Herr Heransgeber aus einem Briefe Schopen-
bnerB an ihn zum Belege der Zweckmässigkeit dieser Anordnung
uiftibri (S. IX), und in welcher Schopenhauer schreibt, »bei ihm
peese und ftlge Alles ganz zusammen und beweise die Einheit und
Peetigkeit seiner Lebens* und Weltansicht«, wie »anders sei das
bei Schelling, sogar bei Spinoza, auch Kant; — beiKei-
aem Hesse sich das so machen; sie Alle haben ge-
fsekelt«, wirklich dazu dienen kann, Schopenhauer als einen
»nrtheibkrftftigen,« als einen »dem Yorurtheile energisch entge-
gntretenden Charakter« darzustellen, überläast RefiMr. getrost dem
üribeile aller xmbefangeuen Leser.
Der hier vorliegende Nachlass wird unter drei Gesichtspunk-
'^ mitgetheilt. Er umfasst 1) Abhandlungen, 2) Anmer-
kungen, 3) Aphorismen und Fragmente Schopenhauers.
h den Abhandlungen (S. 3—102) gehören 1) die Eristik
(8.3-42), 2) ttber das Interessante (S. 43—52), 3) Ma-
terialien zu einer Abhandlung über den argen ün-
^^fSi der in jetziger Zeit mit der deutschen Sprache
getrieben wird (S. 53—102). Die Anmerkungen beziehen
«eh auf die Philosophie und die Schriften Kant's (S. 105— 160),
JG. Pichte's (S. 161-189), 3) Schelling's (S. 190— 263),
Jicobi'B (S. 264-271), Fries' (S. 272-292). Die Apho-
liimen und Fragmente werden unter folgenden, vom Herrn
HeilraAgdbei* g«^vihltMi üeberdokriften geg«b«ii: 1) Aber Philo-
Sophie im Allgemeinen und ihrVerhftltniBS snrTheo-
logie, Wiesenichaft, Knnst nnd Geschichte (8. 295"-
306), 2) eur Geschichte der Philosophie; Fragment
einer üebersicht des Entwicklungsganges der Ge-
schichte der Philosophie (8.807— 327), 8) lurErkennt-
nisslehre (8. 828—333), 4) über Metaphysik nnd den
Willen als Ding an sich (8. 384—844), 5) znr Philoso*
phie und Wissenschaft der Natur (8. 345—858), 6) zur
Aesthetik (8. 854-374), 7) anr Bechtslehre, Politik,
Geschichte und Völkercharakteristik (8. 375—388), 8)
2ur Ethik (& 389—404), 9) zur Methaphysik der Ge-
schle^htsliebe (8. 405—409), 10) ttber den Tod und die
ünierstOrbarkeit unseres Wesens(S. 410— 418), ll)aber
die Unrichtigkeit des Daseins, über die Endlichkeit
und Nichtigkeit der Erscheinungen (8. 414—420), 12)
ttber das Leiden des Lebens (8.421—423), 13) ttber die
Verneinung des Willens eum Leben (8. 424—425), 14)
ttber Religion und Theologie (Religion im Allgemeinen,
bes(mdere Religionen und Confessionen ; Theismns, Pantheismns,
Atheismus) (8.426—442), 15) zur Lebensweisheit, 8elbst-,
Welt- und Menechenkenntniss (8. 443—457), 16) ttber
Geist undBildung, ürtheil, Kritik, Beifall und Bukm
(8. 458—466), 17) ttber Gelehrsamkeit und Gelehrte
(8. 467—469), 18) ttber Schriftstellerei und 8tyl, ent-
hymematische Schriftsteller (8. 470—475), 19) ttber
sich selbst, sein Zeitalter und sein Publikum (8.476
bis 479).
Die Eristik oder Streitkonst, mit welcher die nachgelasse-
nen Abhandhingen S.'s beginnen, ist Anleitung oder Kunst zam
Disputiren. Nach einer allgemeinen Einleitung ttber die Be-
deutung und d«n Zweck der Eristik werden die Grandsfitse dar
letztem entwickelt. Die regelmässigen Modi und Wege, duveh
welche, und auf welchen eine aufgestellte These widerlegt wer-
den soll, bilden die Basis aller Dialektik und jene Modi werden
(8. 12—14) dargestellt. Sie sind das, was »in der Fecht-
kunst die regelmässigen StQsse, wie Terz, Quart« u. s. w. sind.
Dagegen stellt nun (8. 14, ff.) 8. die »Kunstgrifle oder ätratege-
mata« anf, die allenfalls den »Finten in der Fechtkunst zu ver-
gleichen sind«. Die dialektischen Kunstgriffe werden rabricirt und
mit passenden Beispielen belenselitet. Der Inhalt wiu*d8 schon frfiker
den Parerga II, g. 26 angedeutet. Es kann wohl kaum daran
die Bede sein, was 8. XIII vom Herrn Hemusgeber beftrohtet
wird, dass dieEricrtifk bei manchen Gefahr laufen könnte, als »eine
unmoralische, der unredlichen Rechthaberei in die Hände
arbeitende Disotplin« verschrieen su werden. Nor darf mfan die
Eristik gegen den Vorwurf -der ünmoralii^ nicht durch eine AensM-
Frait«tt8lft«t: MwMlitaMr/« VmiUläU*
ra^i tHdlblgond«, beseitigen wollen : SeliopenkanerKririlef solieiMt
«8.ItII, mit seiner Etistik niolit engen: »Bnobet beim Dispnüren
OB jeden Preis Reeht ta bnben nvd wendet biesn diese nnd 4iene
Koutgriffe an, sondern nnr: Wenn nnd wo es gilt Recht inbe«
yton — nnd es gibt solche Lagen, wo es bloss aufs Beelitbe«
hsHen nnd nicht anf die Wahrheit ankommt — dann nnd da
tmdei diese Kunstgriffe an!« Ist eine solche Anfforderang etwa
neraliseht Ist sie wohl irgendwie von der roransgehenden sunaier«
senden, nach welcher man >nm jeden Preis Recht su behaltea«
McU und dazn die Kunstgriffe anwendet? Heisstdas nicht: KnnsU
griffe Qtti jeden Preis anwenden, wenn man sie Überall da anwen^
d«s soll, wenn nnd wo es gilt — Recht sn behalten, ohnedass es
dibeianf die Wahrheit ankommt T Refer. kennt keinen wesentlichen
Uatenchied cwischen diesen beiden Anffordemngsweisen sa KnÜbn
aad Otiffim eristischer Knnet. Ein gewiss berechti^gter, nad Ref.
wtct dam : ein gans anderer, als der von S. nnd dem Herrn Her«
angeVer angefWnrte Weg macht die Eristik wichtig. Aach derjentgst
dttirar die Wahrheit nnd nie auf Kosten der letztem Recht behalten
viQ, wird diese Kunstgriffe der Eristik kennen lernen wollen, thetls
wsU sie dacn dienen, die moralische und intellectnelle Beschaffen«
Mi des meMchlichen Geistes zn erforschen, theils anoh, well man
mv dann Scheinbehanptnngen zetstl^ren und den Zweck der Wabr«
Initmblüistischen Gegnern gegenüber verwirklichen kann, wenn man
die knunmen Wege logischer Spiegelfechterei kennt. Wer im Kampfs
nsen Gegner überwftltigen wilK muss auch dessen mögliche Finten,
M gehörig abzusehlagen, erkennen. Es finden sich in den ange-
f^ttwaen 36 Knnstgriien gar treffliche Bemerkungen nnd Beispiele.
So itt der 28. Kunstgriff das so oft statt aller stichhaltigen Gründe
g^bmuchte »argumentum ad verecnndiam.« »Statt der Grttnde
btsache man Autoritftten nach Maassgabe der Kenntnisse des
^«giiers. ünusquisque mavult crsdere, quftm jndicare, sagt Seneka.
ün hat also leichtes Spiel, wenn man eine Autorität für sich hat^
^ der Gegner respektirt. Es wird aber fdr ihn desto melnr gttl-
ti^d Autoritäten geben, je beschränkter seine Kenntnisse sind. Sind
etwa diese vom ersten Rang, so wird es höchst wenige nnd fast
gtt keine Autoritäten für ihn geben. AUenfiills wird er die der
I^its vom Fadi in einer ihm wenig oder gar nicht bekannten
^ttscnsohaft, Kunst oder Handwerk gelten lassen, nnd Bxah dieae
»it Visstraaen. Hingegen haben die gewähnlichen Lente tiefen
Beepekt für die Leute vom Fach jeder Art« .... »Auch sind äll-
gtmeine Yorurtheile als Antoiitäten zu gebrauchen. Ja, es
fibt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht teftoht
iB dsr ihrigen machten, sobald man es dahin gebracht hat, sie zu
Ahmeden, ^ss solche allgemein angenommen sei« u. s. w.
»fitotum, denken künnen sehr Wenige, aber Meinungen wollen Alle
^>^Mn: was bleibt da Anderes übxig, als dass sie solche, i^tt «ie
><sh sriher zu machen, ganz fertig ron Andern sKiftiehBien« (B. 27
98 Fr*«eii8ilkdi: 8«liop«DhMier*8 Nadik^s.
*~80)? Kunstgriff 29: »Wo man gegen die dargelegten Gründe
des Gegners niehts Tomibringen weiss, erkläre man sich mit feiner
Ironie fUr inkompetent: »Was sie da s^en, übersteigt meine Fas-
sungskraft: es mag sehr richtig sein; allein ich kann es nicht yer-
stehen und begebe mich alles ürtheils.« »Dadurch insinuirt man den
ZnhOrem, bei denen man im Ansehen steht, daas es Unsinn ist.
So erklärten beim Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft oder
vielmehr beim Anfang ihres erregten Aufsehens viele Professoren
von der alten eklektischen Schule : »Wir verstehen das nicht« und
glaubten sie dadurch abgethan zu haben« (8. 30). — Macht es
Sehopenhauer nicht auch gerade so nach dem hier angedeuteten
Kunstgriff, wenn er der Hegerschen Philosophie »Unsinn« vor-
wirft und Hegel »einen Unsinnschmierer« nennt? Kunstgriff 80:
»Bine uns entgegenstehende Behauptung des Gegners kOnnen
wir auf eine kurze Weise dadurch beseitigen oder wenigstens
verdächtig machen, dass wir sie unter eine verhasste Kate-
gorie bringen, wenn sie auch nur durch eine Aehnlichkeit oder
sonst lose mit ihr zusammenhängt, z. B. : »Das ist Manichäismus ;
das ist Arianismus; das ist Pelagianismus ; das ist Idealismus;
das ist Spinozismus; das ist Pantheismus ; das ist Brownianismus ;
das ist Naturalismus; das ist Atheismus; das ist RationalismuB«
u. s. w. »Wir nehmen zweierlei an: 1) dass jene Behauptung
wirklich identisch oder wenigstens enthalten sei in jener Kategorie,
rafim also aus: »0, das kennen wir schon I«, — 2) Dass diese Ka-
tegorie schon ganz widerlegt sei und kein wahres Wort enthalten
kOnae« (8 31). — Macht es S. nicht gerade ebenso, wenn er seinen
Gegnern zuruft: »Das ist Theismus; das ist Judenthum ; das ist
CSiristenthum ; das ist Hegelthum« u. s. w.? Kunstgriff 34: »Den
(Gegner durch sinnlosen Wortschwall verdutzen, verblüffen. Wenn
er nun sich seiner eigenen Schwäche im Stillen bewusst ist, man-
cherlei zu hören, was er nicht versteht, und dabei zu thun, aU
verstiknde er es; so kann man ihm dadurch imponiren, dass man
ihm einen gelehrt oder tiefsinnig klingenden Unsinn, bei dem ihm
Hören, Sehen und Denken vergeht, mit ernsthafter Miene vor-
schwatzt, und solches für den unbestreitbarsten Beweis seiner eige-
nen Thesis ausgibt« (S. 33). — Dieser Kunstgriff enthält ein Becept,
das in der Philosophie und Theologie, besonders der dogmatischen
und speculativen Theologie, nur zu häufig angewendet worden ist.
Ein Anhang handelt vom Werth der Logik imd der Selten-
heit der Urtheilskraft (S. 36—42).
Die zweite Abhandlung imtersucht den Begriff des Interes-
santen. Während S. im dritten Buche der »Welt als Wille und
Vorstellung« das Interessante als das »die reine, willenlose
Comtemplation Störende aus dem Gebiete des Schönen und der
Kunst ausgeschlossen hat« (S. XTV), untersucht er in dieser Ab-
handlung, »inwieweit dennoch das Interessante in Werken der Dicht-
kunst zulässig sei.« Der Herr Herausgeber nennt die Abhandlung
I4«s 6«fc«pfiite«flr^8
>enie wieküge Sr^mang zur Weh als Witte und yanielkBg.9
Sdir gut ist die fiatwiekelung dos UnterBchiedes zwisoheii sohftti
md interessant und der Nachweis des Interesses in den diok*
ieriaehen Kunstwerken. Viel Zeitgem&sses nnd Lesenswerthes eni»
ksHan die »Materialien sn einer Abhandlung Aber den
argen Unfug, der in jetziger Zeit mit der deutschen
Sprache getrieben wird.c Der erste Grundsatz derSinaeli-
Teriranzung ist, »überall das kflrzere Wort dem gehörigen oder
pssBoidenTorzuai^en^c Dahingehört »das Ausmenen aller doppelt
ten Vokale und tonverl&ngemden h und das sehr ergiebige Weg-
knapsen der Prftfixa und Affixa der Worte und ttbexhanpt alter
8flben, deren Werth nnd Bedeutung der Schreiber unter seiner
2 Zoll dicken Hirnschale weder versteht noch ftthltc (8. 58). Br
ruft den neueren Schriftstellern , welche sich diesen »sehmungsten
Bnehstabengeiz angewöhnt haben«, zu: »Schreibt schlechtes und
dommes Zeug, so yiel ihr wollt: es wird mit euch zu Orabe ge*
tragen und schadet weiter nicht; aber die Sprache laset unaag»>
tastet: sie ist das Eigenthum der Nation und das Wericseng,
dessen kllnftig wirklich denkende Geister sich zu bedienen haben«
(8. 60). Die Abhandlung geht in Bemerkungen und Bmspielen
ia'8 Einzelne. Die Sprachverderbung wird in dem Qebranehe der
easQs, Pronomina, Auxiliarrerba, Tempora, AdTerbia, Präpositionen,
Conjunktionen, Präfixa und Affixa, Wortzusammenziehungen, Oallir
eismen, Fremdwörter, sinnlosen und abgeschmakten Worte , fshler-
Wft angewandter und verfehmter Worte, Kakophonien, so wie in der
Orthographie des Stils und Periodenbaus, nachgewiesen, unbegründet
ist, was S. tiber den selbst in Yolkszeitungen so ausserordentüefa zum
Naehtheile unserer Sprache überhandnehmenden Gebrauch der Fremct*
^rUst sagt: »Hit dem Aufnehmen fremder Ausdrücke hat es keine
Ncth, sie werden assimilirt. Aber gerade dagegen wenden sieh
die Juristen« (S. 86 u. 87). Das ist eben der Fehler, dass man
fremde Worte in der bildsamen Sprache assimilirt und dadurch die
guten deutschen, die den deutschen Begriff deutsch bezeichnen, aus
der Sprache merzt. Die ganze S.^sche Abhandlung über die Spracb-
Terderbung wimmelt von unnöthig gebrauchten Fremdwörtern, wie
Itompakt, koncis, Prttfixa, Affixa, Substantiva, Tempora, Adjectm,
casus, passiv, Jargon, Imperfekt, Studiren, floriren, Skribent, Oon-
bsion, Beparatur u. s. w.
In den Anmerkungen zu den Schriften der neuem Philo-
sophen ist es jedenfiEÜls zweckmässig, dass Ton dem Herrn Her-
nugeber die Stellen genau angegeben worden sind, auf welche sich
die 3.*schen Anmerkungen beziehen. Ref. möchte übrigens nicht
ait dem Herrn Herausgeber die von Foucher Oareil (Hegel et
Schopenhauer, ätudes sur la philosophie allemande moderne depuis
Kant jusqu'k nos jours, Paris, 1862) und Ton Professor Hoü^
naon in Frohschammers Athenäum, Band 11, Heft 1 ausgesprochene
Behauptung bekämpfen, dass Schopenhauer trotz seines Antago-
ai^mts gogin Fickte, Seh/dlUsg und Hegel dennocb Aie mmte
Verwandtaeliaf^ mit diBaen habe. Es yerh< üoh auch wirklich
ao. Das Objeet ist nach S. fftr das Subject Vorsteiluug und netter
niehta, und das Ding an sich ist in Allem und für Altes derWiUe.
Die ereU Behaaptung fttbrt mm sabjeoiiyen IdealismiiSi di» siroiie
sum Monismus. Die erste seigt mit Fichte Ver^andtediaft , dia
aW'Wite mit Schelling und HegeL Das Schimpfen gegen diese Philo-
sophen bew^st nichts, sowenig» als dassS. »streng amKant'schen
Ldea^ismiis festhielt.« Das that ja auch Fichte. Das »Ueberbieten«
dar Andern beweist nicht, dase sie nicht ursprüngllßh von d^U'^
seQuen Prittoipien, wie 8., ausgehen. Das ZurüAkfellen »in Dogm»*
tiamus« kann man auch bei derS.'sehen Philosophie wahrnehmen.
Man mnss eben glauben, dass es kein anderes Ding an sich, als
den abstcaeten Willen gebe, den S, noch zudem in dmi eigentlichen
Teufel yerwandelt, da dieser Wille nicht vernünftig ist, sondern
ein «mntisohes Chaos Yon Erscheinungen ohne Fortschritt herror*
mfiiy so reehcfc eigenfklich die ßrundlage des S.'schen PessimisniAS ist.
8.'e Anmerkungen beeiehen sich bei Kant auf die Pro<^
Ingomena, die metaphysischen Anfangsgrunde der
Naturwissenschaft, die Kritik der ürtheilskraft, die
Beohts«- und Tugeudlehre, bei Fichte auf die Kritik
aller Offenbarung, das Naturrecht, die Sittenlehre,
hei £(chelling auf das Werk über die Weltseele, das äj^
«tarn d«e8 transoendentalen Idealismus, Bruno, die
I4een zur Philosophie der Natur, Philosophie und
Beiigion, die Darlegung des wahren Verhältnisses
der Naturphilosophie zur rerbesserten Fichte'84}h6m
Lnhre, den ersten Band der philosophischen Schriften,
das Denkmal von Jacobi's Schrift, bei Jacobi auf die
Btakn&z David Hume über den Glauben und die Sebrilt
nm den göttlichen Dingen, bei Fries auf die drei Bände
aeiner Kritik der Vernunft. Von Schelling's ganaem Auf-*
stttz über die Freiheit sagt S. S. 201: »Er ist £Ebst nur eine
Unaiheitwig Ton Jakoi» Böhmens Mysterium magmun, in wc^he«
säeh fest jeder Satz und jeder Ausdruck nachweisen lässt. Wonun
aJber sind mir bei Schelling dieselben Bilder, Formen und An»-
drücke unertrftgUeh und lächerlich, die ich bei Jakob Böhme mit
Bewunderung und Rührung lese? Weil ich erkenne, dass in Jan
kob Böhme die Erkenntaiss der ewigen Wahrheit es ist, dde sich
in diesen Bildern ausspricht, obwohl sie auch mit ^eidiem Fug
in vielan andern sieh hätte aussprecdien könn^, wenn Jakob Böhme
■Mht gerade auf diese gemthen wäre, BoheUying aber nimmt von
äinif was er aüein von ihm nehmen kann, dieselbtti Bilder nnd
▲nsdrüekef hält die fiehaale für die Frucht, oder weiss sie weni^
«tens nidit von der Spracht bu lösen.« >£& ist hö^st spasa-
iuift, «ber nnlfliighar, wie in dieser ganzen saofaem Tlieorie der
^Qhemiker dncohUickt;. Aües, (krtt, dtie Wdt, der Men9eh, ist ein
Hestml-Sftfa. Dm Alkali htust: Der Onrnd» di« SekMühtp das
Cntnim n. s. w. Dia Säure Wistt: Das Lkkt, dtr Yaralaad« die
Liebt. Srtt, indeai lie sich mevtralisirea, ist Oott, Well, Ifoiseli
dt ond Alles gut. Das radikale Böse ist nichts aU eiae Zenets-
•sg: Das AJkali wird fttoend. Aber wie die Stare ftr siek aUsan
wirkt, wird nicht gemeldet. Als Grondkaes der gansen Abkaad-
hsg tSnt überall eine Polemik dnroh dee Inhatts: Bist du sieht
Boav Meinaag, so bist du ein Esel und ein Sohaxfce oheadiein:
dis merke dir und bedenke, was du spriahstf« Wie sieht es mit
der Sshopeahauer'sdiea Polemik aus? T(Snt da nieht auch dsr-
Mibe »Grondbass« durch 9 Manche geistvolle und seharfirinaige
Aiaicktea weiden in der dritten Abtheifamg: Aphorismen nad
Fragmente gegeben. Manehe Bemetkiagen sind schaif^ pole-
niieh, fOr 8. und dessen Ansehauungen ^larakteristiadh« Ueher
da Unterschied Ton Philosophie und Beligionheis0tes6.2M:
»Ate deufcschee Wovt fta Philosophie soheint mir passend Ue-
berseugungslehre, im Gegensats zur Glaubenslehre, wel-
eks die Beligion iet. Diese hat n&mlieh mit der Philoaophie das-
uX» Thema, nUnlifth die letste Rechensehaft zu gehen von der
Weit flberiiaupt. Das sie ünterseheidende ist hlos dieses, daes die
Phikwophie üeberseugung su wirken sucht, die Beligion hin§sgen
Ghnben fordert, welche Forderung sie dmnch Androhung ewiger
und bisweilen auch seitlicher üebel eu untsrsttttsen sucht, da^^en
du AeigSte, was die üülosophie thnt, wenn es ihr ndsstingt su
ftbsnsQgen, dasB sie eoüemt zu Terstehen giebt, es stünde bei den
n üsbeneugenden einige Dummheit im Wege. Darsmi sieht man,
diM die Pkilosophie sowohl in Hinsicht auf GutmAthigkeit, als auf
Birliehheit, einen Vergleich mit der Beligion nmht an scheuen haLc
Ueber Philosophie und Theologie 8. 297: Der Anfang der
Tbeoiogie ist die Furcht, wie Hnme richtig aeigt»' Daher
% wtaa die Menschen glflckiioh wttren, nie atiir Theologie kttme.
kher der Anfang der Philosophie ist ein ganz andmr, ntai-
bh ein reines zweckloses Besinnen, und sogar in einer Welt ahne
Leiden und ohne Tod würde es in einem genialen Kopf daaa koia-
aea. Aber etwas dem Intellect Natflrliches ist sie darum keines-
«•gs, sondern etwas^ dasu es nur durch ein mienstrum pex exces-
som, genannt Genie, kommt.« Ueber Metaphysik und Phile-
Boi^kiren 8.^22: »Das französische Wort : Metaphysiqne bedeutet
KUeehttän nur aU^^meines Baisonnement.« »Zu dem, was Kant
^ernllnfteln nennt, geben den schönsten und höchst interessant^
MegYoltaire's philosophische Schriften.« Zar Politik S.:388:
»Steige md Bediente werden nur beim Vornamen genannt — also
& beiden fixtreme der (^eseüschaft.!« »Eist Hanpthindemiss der
Fortschritte des Menschengeachlacbtes ist, dass die Leute nicht
^die hören, welche am gescheitesten, sondern auf die, welche
^ lautesten sind,« »Der Gegensatz des Alterthums und der
aeuen Zeit spricht sich yielleicht nirgends stärker aus, als darin.
'»2 Fva««n«ift4t: 8obopeii1uui6r*fl NtoUits.
dasSy{ wenn bei uns Einer auch nie sieh sonderlich um Oott ge-
kümmert hat, er doch bei Annäherung seines Todes an ihn denkt,
Jeder aber um die Sterbezeit seine Gedanken, womöglich, aufOott
richtet. Bei den Alten dagegen hatte ein Todter und auch Einer,
der im Begriff zu sterben ist, mit den Göttern gar nichts mehr
zu schaffen und ist gleichsam aus ihrem Gebiet herausgetreten.
(Man sehe Sophocl. Ajax, v. 584 und Yirgils AeneisXI, 51.)« üeber
den Menschen S. 406: »Homo est coitus aliquamdiu permanens
vestigiumc Schopenhauer' s eigener Gedanke in lateinischer Sprache,
wie der Herr Herausgeber beifügt. »Das fortwährende Daßein des
Menschengeschlechts ist blos ein Beweis der Geilheit des-
selben« (sie), üeber den Willen als Ding an sich S. 416:
»Denke zurück an traurige Perioden deines Lebens und bringe die
Scenen der Betrübniss, die vielen Stunden des einsamen Grams
dir wieder vor die Augen des Geistes Was siehst du? Blosse
Bilder, die gleichzeitig vor dir stehen. Die Qu&al, die sie belebte,
kannst du nicht mit zurückrufen. Die Bilder stehen jetzt entseelt
und gleichgültig da. Warum? Weil dies Alles die blosse Hülse
ohne den Kern ist, blos in der Vorstellung existirt ; weil das Sicht-
bare und Vorstellbare die blosse Hülle ist, welche die Bedeutung
allein Yon dem erhält, was darin steckt, vom Willen und seinen
Bewegungen. Die Welt der Vorstellung mit allen ihren Soenen,
traurigen und fröhlichen, ist nicht das Beale, sondern blos der
Spiegel des Realen; das Beale ist der Wille, dein Wille: nAch
BUler Trauer und Freude, die er durchgegangen, ist er nooh da
in unverminderter Bealität. Jene Scenen der Trauer und Freude,
stehen als blosse, todte, gleichgültige Bilder da, weil sie ursprüng-
lich und überhaupt nichts anderes waren.« Ueber sich selbst
S. 432: »Buddha, Eckhard und ich lehren im Wesentlichen das
Selbe, Eckhard in den Fesseln seiner christlichen Mythologie. Im
Bnddhaismus liegen dieselben Gedanken, unverkümmert dureh aolche
Mythologie, daher einfach und klar, so weit eine Religion klar sein
kann. Bei mir ist die volle Klarheit« (sie). Ueber Re-
ligion S. 434: »In deu protestantischen Kirchen ist der
augenfälligste Gegenstend die Kanzel, in den katholischen der
Altar. Dies symbolisirt, dass der Protestantismus sich zunftchst
an das Verständniss wendet, der Katholicismus an den Glauben.«
üeber Gott S. 435: »Man hat Gott nach und nach, besonders
in der scholastischen Periode und später, angekleidet mit allerlei
Qualitäten. Die Aufklärung aber hat genöthigt, ihn wieder aus-
zukleiden, ein Stück nach dem andern, und man zöge ihn gern
ganz aus, wenn nicht der Skrupel wäre, es möchte sich tlAnrx er»-
geben, dass blos Kleider wären und nichts darin« (sie).
(BehhiBe folgt)
I'- 3. HEIDEIBERGER 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Frauenstädt: Sehopenliaiier's NacMass.
(ßohlllBS.)
>Nim sind zwei unleugbare Gewänder d. h. nnzertrennliche Qualitä-
tenGottes, Personalität undEaasalität. Die»e müssen immer
im Begriff Gottes vorkommen, sind die noth wendigsten Merkmale ;
sobald man sie wegnimmt, kann man wohl noch von Gott reden,
ik aber nicht mehr denken. Ich aber sage : In dieser zeitlichen,
siimliclien, verständlichen Welt gibt es wohl Persönlichkeit und
Kaisalität, ja sie sind sogar nothwendig. Aber das bessere Be-
wiöstsein in mir erhebt mich in eine Welt, wo es weder Persön-
lichkeit und Kausalität, noch Subject und Object mehr gibt (sie).
Meine Hoffnung und mein Glaube ist, dass dieses bessere, über-
^iimliche, ausserzeitliche Bewusstsein mein einziges werden wird:
^arum hoffe ich, es ist kein Gott (sie). Will man aber den Aus-
toick Gott symbolisch gebrauchen für jenes Bewusstein selbst,
oder f&r Manches, das man nicht zu sondern und zu benennen
^i«s, 80 mag*8 sein, doch, dächt ich, nicht unter Philosophen. < Ist
•üe Negation der Persönlichkeit und Kausalität, des Subjectes und
öbjectes »Bewusstsein«? Ist sie nicht vielmehr Nichts, wie auch
3. anderwärts seinen Himmel das Nichts genannt hat? Ist das
Nichts Bewusstsein oder gar besseres Bewusstsein? Wenn Scho-
penkuer den Ausdruck Gott in der Philosophie tadelt, was soll
^t^ zn seinem Bewusstsein sagen, dessen Wesen darin besteht,
lein Bewusstsein zu sein ? In ähnlicher Excentrität kann darum S.
3. 440 sagoi: >Wer die Wahrheit liebt, hasst die Götter,
120 Singular, wie im Plural.« S. 441: »Gott ist in der neuen
PUbsophie, was die letzten fränkischen Könige unter den Majores
iomns, ein leerer Name, den man beibehält, um bequemer und
^angefochtener sein Wesen treiben zu können.« ... »Wenn ihr
weiter nichts wollt, als ein Wort, bei dem ihr euch enthusiasmirt
nad in Verzückung gerathet; so kann dazu das Wort Gott, so
gttt wie andere, als Schiboleth dienen.« ... »Gott und die Welt ist
Em< ist »bloss eine höfliche Wendung, dem Herrgott den Abschied
w geben ; denn die Welt versteht sich von selbst , und für die
*ifd Keiner dabei besorgt werden.« Heber die Beschaffenheit des
Willens als des Dinges an sich und den Pessimismus S. 441:
»Die Machti die uns in's Dasein rief, muss eine blinde sein,
^^ eine sehende, wenn eine äusserliche, hätte ein boshafter
LYm. Jfthrg. L Heft. 3
84 FrAuenst&dt: Schopeahaner^s KaehlASs«
Dämon sein müssen; und eine innerliche, also wir selbst, h&tten
sehend uns nie in eine so peinliche Lage begeben. Aber reiner
erkenntnissloser Wille zum Leben, blinder Drang, der sieh so ob-
jectivirt, ist der Kern des Lebens.« .... »Wenn ein Gott diese Welt
gemacht hat, so m5chte ich nicht der Gott sein : ihr Jammer wfirde
mir das Herz zerreissen.« .... »Denkt man sich einen schaffenden
Dämon, so wäre man doch berechtigt, anf seine Schöpfung weisend,
ihm zuzurufen: »Wie wagtest du die heilige Buhe des Nichts ab-
zubrechen, um eine solche Masse yon Weh und Jammer hervorza-
rufen?« Kann denn, fragen wir, ein »Nichts« in »heiliger Buhe« sein ?
ünserm Schopenhauer geht beim Anblick je des Thieres,
am meisten dem der Hunde, Vögel, Lisecten u. s. w. »das Herz«
auf. Der »Anblick des Menschen hingegen erregt fast immer«
seinen »entschiedenen Widerwillen« (S. 451). Zur Lebensweis-
heit (S. 454): »Ln Menschen ist auch eine verehrende Ader«,
hat »Göthe irgendwo gesagt. Um diesem Triebe zur Ver-
ehrung Genüge zu thnn, auch bei denjenigen, welche für das wirk-
lich Ehrwürdige keinen Sinn haben, giebt es, als Surrogat desselben,
Fürsten und fürstliche Familien, Adel, Titel, Orden und Qeld-
säcke.« .... »Stolz ist sehr nöthig gegenüber der Dummdreistig-
keit.« .... »Du sollst die Menschen ansehn, wie Wesen, die nicht
deines Gleichen sind, und demnach sie die Distanz bewahren heissen«
(S. 456). üeber Geist und Bildung S. 462: »Die Journal-
kritik hat nicht, wie sie wähnt, Macht über das ürtheil,
sondern bloss auf die Aufmerksamkeit des Publikums; daher
ihr einziger Gewaltstreich im Schweigen besteht. Hingegen mnss
jedem Schriftsteller yon Verdienst ihr Tadel eben so willkommen
sein, wie ihr Lob.« Ueber Gelehrsamkeit S. 467: »Wie tief
stellt es uns unter die Alten, dass das Hauptsächlichste unserer
Gelehrsamkeit darin besteht, die Sprache zu verstehen, die damals
jeder Lastträger sprach.« üeber sich selbst S. 476: »Dass ich
auf die völlige Neuheit meiner Lehren stolz bin, ist nur, weil ich
von ihrer Wahrheit die festeste üeberzeugung habe.« »Natura nihil
agit frustra. Warum denn gab sie mir so viele und tiefe Gedankeni
wenn solche keine Theilnahme unter den Menschen finden sollen?« ...«
»Das Publikum der Zeitgenossen ist mir zu gross, wenn ich
zu Allen, zu klein, wenn ich zu denen reden soll, die micli
fassen.« S. 478: »Das Schicksal meiner Philosophie und das dei
Göthe^ sehen Farbenlehre beweisen, was ftir ein schnöder und nichts^
würdiger Geist in der deutschen GelehrtenrepabliM
herrschend ist. « üeber andere Denker im Vergleiche mit sied
selbst S. 477: »Das deutsche Publikum hat eine Wahlverwandt-
schaft zum Geistlosen: darum hat es die Herren Fries, Hegel
Krug, Herbart, Salat u. s. w. fleissig gelesen, aber mic]
unberührt gelassen.« ungeachtet viel Wahres und manche
Neue in den Aphorismen und Fragmenten enthalten ist, a^
mögen doch viele von den hier mitgetheilten genügen, um dal
Sekopenliauer: Die Witfiel des BatMs tom cvreleliaiideii Qrtuide. 85
Mhge Licht auf das baroke, selbstgeföUige nnd Andern gegen-
flber mOglichsi geringschätzende Wesen Schopenhaner's und seiner
Mosophie zn werfen. v. Reichlin-Meldegg.
üiUr die vierfache Wurtd des Saizea v<m% zureichenden Grunde,
EmephUosophüeheAbhandlung von Arthur Schopenhauer.
Dritte, verbesserte und verwehrte Auflage* Herausgegeben von
Julius Frauensiädt Leipzig: F. A. Brockhaus. 1864.
XVI u. 160 8. 8.
Mit Tcnüegender Abhandhmg erwarb sich Arthur Schopenhauer
im Jahre 1813 die philsosophische Doctorwtlrde. Sie zeichnet sich,
wie alle Schriften dieses genialen Denkers, durch Kenntnisse und
phüoflophischen Forschungsgeist aus, wenn man auch dem Systeme
teselben weder beizupflichten, noch dessen' paradoxe und baroke
fixtravaganzen zu billigen im Stande ist. Man darf diesen Philo-
sophen weder ftber- noch unterschätzen. Man unterschätzt ihn,
irenn man ihn , wie Manche wegen seiner Excentritäten gethan
kaben, zu einem Narren machen ¥nll. Man überschätzt ihn, wenn
man entweder den Principien und dem Inhalte seines Sjstemes
hddigt und hierin das Heil der philosophischen Weltanschauung
eilennt, oder wenn man ihn überhaupt gleich Kant, J. G. Fichte,
8ebelling und Hegel in die Reihe Epoche machender Denker
stellt. Schopenhauer hat geniale EinfHUe, neue Gedanken, die zu
weiteren Forschungen anregen, überall aber, wo er eine abge-
lAloflsene Weltanschauung geben will, mischt sich seine eigene
Selbstüberschätzung und seine morose, krankhaft nervöse Verach-
tong alles dessen ein, was nicht seiner Meinung ist. Er gleicht
tei Theologen, die über den Papst schimpfen, und doch in ihrer
eigenen Lehrmeinung sich so geriren, als wenn das extra papam
mlla Salus in ihnen selbst verkörperlicht wäre.
Im Jahre 1847 erschien von Schopenhauer selbst die zweite
Ausgabe dieser Inaugnralabhandlung. Was der 26jährige Jüngling
1B13 geschrieben hatte, wollte der 66jährige Mann yerbessert und
erweitert erscheinen lassen. Von dieser zweiten Ausgabe besass
Schopenhauer ein mit Papier durchschossenes Exemplar. Dieses
entbielt für eine etwaige neue Auflage bestimmte Aimierkungen und
Zoä&tze. Aus diesem Exemplare entstand die dritte verbesserte
md Termehrte, von J. Frauenstädt, dem Erben des Schopen-
baoer'sehen Nachlasses, herausgegebene Auflage. Auch in ihr zeigen
sieb jene cbarakteristischen Merkmale der eigenen üeberschätzung
uid leidenschaftlicher, unbegründeter Herabwürdigung der be-
deutendsten Philosophen unserer Zeit, welchen man mehr oder
vüiider in allen seinen Schriften begegnet, und welche beimoresen,
Alf ihre Studirstube und einen kleinen Umgangskreis beschränkten
86 SehopeAhauer: Dit Warial dti Batiat vom nrekhoidea Grua«.
C^bat&ren sich nicht selten finden. Befer. will hier znm Belege
nur einige SteUen aus der vorliegenden Abhandlung anftüiren.
So sagt Schopenhauer yonHegel: »Ein so durchweg er-
bärmlicher Patron, wie Hegel, dessen ganze Philoso-
phasterei eigentlich eine monströse Amplifikation des onto-
logischen Beweises war« (S. 12). > Will dich Verzagtheit anwandehi,
so denke nur immer daran, dass wir in Deutschland sind, wo man
gekonnt hat, was nirgend anderswo möglich gewesen wäre, näm-
lich einengeistlosen (sie), unwissenden (I!), ünsinnschmie-
renden (H), die Köpfe durch beispiellos hohlenWort-
kram (I) von Grund aus und auf immer desorganisi-
renden Philosophaster (!!), ich meine unsem theuem Hegel,
als einen grossen Geist und tiefen Denker suszoschreien: und nicht
nur ungestraft und unverhöhnt hat man das gekonnt ; somdem wahr-
haftig, sie glauben es, glauben es seit 30 Jahren bis actf den heu-
tigen Tag.« Er will seine Forschungen nicht identifidren lassen
mit J. G. Fichte's algebraischen Gleichungen zwischen Ich und
Nichtich, mit dessen sophistischen Scheindemonstratio-
nen, die der Hülle der ünverständlichkeit, ja des Un-
sinns bedurften (!!!), um den Leser zu gewinnen, »mit sämmt*
liehen Possen der Wissenschaftslehre« (sie)* Er »protestirt gegen
alle Gemeinschaft mit diesem Fichte.« »Mögen immerhin
Hegelianer und ähnlichelgnoranten (sie) von einer Kant-
Fichte'schen Philosophie reden (!): es gibt eine Kantiiscbe Philo-'
Sophie und eine Fiehte'sche Windbeutelei (I!) — das ist
das wahre Sachrerhältniss« u. s. w.
Von Hegel heisst es S. 112: »Ein frecher ünsiiin-
schmierer, wie Hegel« (sie), üeber die neuere philosophische
L iter atur lesen wir S. 112 das Urtheil mit Bezug auf die Hegel'sefae
Philosophie : » Dergleichen Narrenspossen also sind es, welche seit
50 Jahren (sie), unter dem Namen von Vemunftevkexintnissen, bzeit
ausgesponnen. Hunderte sich philosophisch nennender Bttchw fallen
und, man sollte meinen, ironischer Weise Wissenschaft und wissae
schaftlich genannt werden, sogar mit bis zum Eckel getriebener
Wiederholung dieses Ausdrucks.« S. 113 sagt der Herr Veit:
»Der frechste von allen, der bekannte Gharlatan
HegeL« Er redet S. 117 spöttisch vom »Baesengeist Hegel«, dem
»grossen Schleiermacher« und dem »scharfsinnigen Herbart« und
klagt darüber, dass »der guten, gläubigen, urtheilslosen Jugend
mittelmässigeKöpfe, blosse J'abrikwaaren derNatur,
als grosse Geister, als Ausnahmen und Zierden der Menschheit a»*
gepriesen werden.« S. 124 wird von »Hegerschem Wi&chi-
Waschi« gesprochen. Zu diesen Belegendes ürtheils über ondeie
fügt Befer. Belege dafür bei, wie Schopenhauer über sieb
selbst urtheilt. S. 50: »In keinem der seit 1841 erschienenen
Producte ihrer unnützen Vielschreiberei ist meiner Ethik mitetaem
Worte erwähnt, obwohlsie unstreitig das Wichtigste (U) istj
8el«p6ahftvttrt Die Wvnel im flftiMs vom moMkndm Qrvmät, 87
wftf seit 60 Jahren in der Moral gesohehen: ja lo gross
ist ihre JLngst vor mir nnd meiner Wahrheit (sie), Abm inkei-
Mr der Yon üniTersitAten oder Akademien ausgehenden Literatnr-
nttmigen das Bneh auch ntir angezeigt worden ist.« 8. 51: »Sie
(die FhiloBophieprofesBoren) wollen von mir nichts lernen nnd sehen
sidit, wie sehr yiel sie von mir zu lernen hätten: alles das
Bimlieh, was ihre Kinder, Enkel nnd Urenkel (sie)
Ton mir lernen werden.« Er spricht 8. 88 ron seiner in
dieser Sdirifk »gegebenen ehrlichen nnd tief gründlichen
AnflOsong der empirischen Anschairang.« Ref. könnte noch eine
groeee Anzahl solcher Belege ans dieser Abhandlnng anfzfthlen. Er
begnügt sich mit den angefUirten.
Von den BabjecÜTen Ansohaunngen des Verfassers geht Bei znm
wiseensdiafUichen Inhalte der 8chiift, ihren objectiren Leistun-
gen Aber.
Der üntersnchnng über den 8atz vom zureichenden
firnnde geht eine Einleitung Toraus. Biese behandelt dieMeth ode,
ihre Anwendung, ihren Nutzen, die Wichtigkeit des
Sattes Tom Grunde und den 8atz selbst (8. 1— 5). Die
Methode alles Phüosophirens hat zwei Gtewize, das der Homo*
geneitftt und das der 8pecifikation. In der Lehre rom zu-
reiehenden Gnmde wird vom Verfasser als eine Hauptquelle des
brthams erkannt, dass man sich nur an die Homogeneität hielt,
ohne die Specifikation genau zu erkennen. Er sucht darum diesen
(inmdaatz nicht aus einer, sondern aus yerschiedenen Quellen
abzoleiten. Ifit Becht bezeichnet er den Satz vom zureichenden
Ottinde als die Grundlage aller Wissenschaft. Er erblickt in ihm
den »gemeinschaftlichen Ausdruck mehrerer a priori gegebener Er-
hnntnisse« und stellt für diesen 8atz die Wolfische Formel als
die allgemeinste auf: »Nihil est sine ratione, cur potius sit, quam
»n Sit. Nichts ist ohne Grund, warum es sei« (8. 5). Nach der
Einleitung im ersten Kapitel folgt im zweiten die Ueber-
sieht dessen, was ȟber den 8atz vom zureichenden Grunde bisher
gelehrt wurde.« (8.6—24). Es werden hier Andeutungen Plato's
ond Aristoteles' aus den Quellen, die Ansichten des Oarte-
sins und 8pinoza darüber gegeben. Leibnitz hat zuerst den
Satz Tom Chrunde als einen Hauptgrundsatz aller Erkenntniss und
Wifisensehaft aufgestellt. Die Hauptquelle ist in seinen principiis
philoeophiae g. 32 und »ein wenig besser in der französischen Be-
•iWtung derselben, überschrieben Monadologie« (8, 17). Dann
folgen Wolff, die Philosophen zwischen Wolff und Kant,
Kant und seine 8chule, die Ansichten G. E. 8chulze's, F. H.
Jacobi's, Sohellings und die Unmöglichkeit eines sogenann-
ten Beweises für den 8atz vom Grunde, da es zuletzt gewisse Be-
^isgongen alles Denkens und Erkennens gibt, »aus deren Anwen-
dong mithin alles Denken und Erkennen besteht, so dass Ge¥riss-
beit inohts weiter ist , als Uebereinstimmung mit ihnen , folglich
88 Schopenhauer: Die Wurzel des Satses vcm rarelehendcn Gnade.
ihre eigene Gewissheit nicht wieder ans andern Sätzen eriieUen
kann« (S. 23).
ünyerkennbar zeugt die Abhandlung von dem philosophischen
Tact des scharfsinnigen Herrn Verf., weil man, um die Wahrheit
nicht nur aller philosophischen Systeme , sondern aller und jeder
Erkenntniss und Wissenschaft zu prüfen, auf diesen Satz zurOck-
gehen muss und gerade diese Lehre noch immer ungenügend unter-
sucht worden ist. Im dritten Kapitel gibt der Herr Verf. die
»Unzulänglichkeit der bisherigen Darstellung und den Entwurf einer
neuen.« Zuerst werden Fälle aufgezählt, die unter den bisher auf»
gestellten Bedingungen des Satzes nicht begriffen sind ; dann wird
als die Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde S. 27 Folgendes
l)ezeiohnet: > unser erkennendes Bewusstsein als äussere und innere
Sinnlichkeit (Beceptivität), Verstand und Vernunft auftretend, zer-
fällt in Subject und Object und enthält nichts ausser dem Object
für das Subject. Sein und unsere Vorstellung sein ist das Selbe.
Alle unsere Vorstellungen sind Objecto des Subjects und alle Ob-
jecte des Subjects sind unsere Vorstellungen. Nun aber findet sich,
dass alle unsere Vorstellungen unter einander in einer gesetzmässigen
und der Form nach a priori bestimmbaren Verbindung stehen,
vermöge welcher nichts für sich Bestehendes und unabhängiges,
auch nichts Einzelnes und Abgerissenes Object für uns werden
kann.« »Diese Verbindung ist es, welche der Satz vom zureichen-
den Grunde in seiner Allgemeinheit ausdrückt.« Dieses ist »das
Gemeinsame« fttr diesen Satz, obgleich derselbe »je nach Ver-
schiedenheit der Art der Objecte« »verschiedene Gestalten« an-
nimmt. Die verschiedenen diesem Satze zu Grunde liegenden Ver^
hältnisse bilden seine »Wurzel.« Die Objecte in ihren verschiedenen
Verhältnissen, welche diesem Satze zu Grunde liegen, lassen sich
»auf vier Klassen zurückfahren; denn in diese vier Klassen
zerföllt Alles, was für uns Object werden kann, also alle unsere
Vorstellungen. In jeder dieser vier Klassen nimmt der Satz vom
zureichenden Grunde eine andere Gestalt an.«
Das vierte Kapitel enthält »die erste Klasse der mög-
lichen Gegenstände unseres Vorstellungsvermögens«, die »der an-
schaulichen, vollständigen, empirischen Vorstel-
lungen« (S. 28—96). Gegenüber dieser ersten Klasse der Vor-
stellungen, welche für uns die Sinnenwelt bilden, tritt der Satz
vom Grunde »als Gesetz der Causalität« auf und wird von Schopen-
hauer der »Satz vom zureichenden Grund des Werdens, prin-
cipium rationis sufficientis fiendi«, genannt. Der Charakter einer
einzelnen sinnlichen Erscheinung ist nämlich Veränderung. Die
Objecte sind hier in der »Zeit« mit einander verknüpft. Einem
neuen Zustand muss ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen
der neue regelmässig d. h. allemal, so oft der erste, andere Zu-
stand da ist, folgt. Ein solches Folgen ist ein Erfolgen, der
erste Zustand ist die Ursache (immer unpassend bei S. Urs ach
Sehopaihaiier: Dum WvimI das Satees vom fi»r«lch«iid«a Oinnde. M
genumt), der xweite die Wirkung. Der Eintritt eines Zustande»
in den neuen ist Verftnderung. Das Gksetz der Causalität ist daher
in >aaaBchlie8Blicher Beziehung auf Yeränderungenc und »hat
N stets nur mit diesen lu thun.« Jede Wirkung ist »Yerilnde-
nog«, ihre Ursache ist »Veränderung« und so fort »erscheint die
Katte der Causalitftt anfangslos.« Befer. ist mit dieser Anschan*
ong nicht einTerstanden. Wenn man nach den Ursachen der Er-
scheinungen, also der Veränderungen firagt , so kann man sich mit
denjenigen nicht begnügen, welche wieder den Charakter der Ver-
Inderong an sich tragen, also wieder eine Ursache yoraussetzen.
Die eigentliche Ursache dieser Wirkungen kann nur die letzte sein
ud die Kette der Ursachen und Wirkungen in der Natur nicht
in's Endlose gehen. Aus Nichts wird nichts. Nach dem Herrn
Ter&aser wird das Werdende aus dem Werdenden. Dieses selbst
aber kann nicht, wie der Herr Verf. meint, in Ewigkeit aus dem
Werden werden; denn nur, wo etwas ist, also ein Sein, ein Be-
kanendes, ein Unveränderliches, sich gleich Bleibendes ist, ist auch
dte, ans dem Alles wird, folglich die eigentliche Ursache der Wir-
kong, die man Werden oder Veränderung nennt. Kommt man
doch selbst auf diesem Wege auf den yerschiedentlich gestaltbaren
üntoff und auf die an sich gleiche , in unendlich yerschiedenen
Wirfcnngen oder Veränderungen sich offenbarende Naturkraft. Er-
bimt doch der Herr Verf. selbst die Materie und die Natur-
kr&fte als die »Träger aller Veränderungen«, als das, »woran
diese yorgehen«, an. Wenn der Herr Verf. nun in der Materie und
den Naturkräften keine Ursache für die Veränderungen erkennt,
list er solches erst zu beweisen. Denn das ist ja die Frage , ob,
wie er behauptet, die Ursache allemal, wie auch ihre Wirkung, ein
Etnzehes, eine einzelne Veränderung sei. Auch das »Allgemeine,
unveränderliche, zu aller Zeit und überall Vorhandene« ist eine
md zwar die letzte und eigentliche Ursache und ohne diese lässt
■ich ja kein Werden, keine Veränderung denken. Die Ursache des
Werdens lässt sich darum nicht als eine besondere von dem, was
mn Sein f&hrt, trennen ; denn es gibt kein Werden ohne Sein und
Sein ist die Ursache des Werdens, da ja Werden selbst gar nichts
«tderes, als eine Umgestaltung des Seins, ein Uebergehen aus einem
Zostande des Seins in den andern, ist. Allerdings sind alle diese
Zost&nde Veränderungen, aber sie sind alle so lange nur Wirkun-
gen, bis wir das Sein, an welchem und durch welches sie sich als
Veränderungen darstellen, gefunden haben.
Das Organ der Erkenntniss ist fUr die Erscheinungswelt der
»Verstand«, die Sirmlichkeit gibt nur die »unbedeutende Anregung.«
Nach des Refer. Dafürhalten lässt sich die Sirmlichkeit nicht so
▼om Verstände trennen, dass erstere die Nebensache ist. Der
Verstand ohne Sinnlichkeit weiss nichts von einer Erfahrungswelt.
Allerdings sind die sinnlichen Erkermtnisse des Menschen keine
40 SehopenkAner: Die Wund ^b Satsas ymn mreidkettdiMi Gniada.
Erkenntnisse ohne den Verstand; aber sie sind auch keine £r-
kenntnisee und können nie solche werden ohne die Sinne.
Das fünfte Kapitel behandelt den Satz vom Grande in
seiner zweiten Gestalt oder im Yerhihltnisse zudenObjecten
der zweiten Klasse (S. 99—129). Diese Objecte sind »die
Begriffe der Yemunfb«, die »abstracten Vor Stellungen im Gegensatz
der anfichaolichen.« Das Denken im eigentlichen Sinne besteht
nicht in der blossen Gegenwart von Begriffen im Bewnsstsein» son-
dern im Verbinden und Trennen derselben. Es wird ein Verhäli-
niss der Begriffe unter einander angefunden und ein solches ist
das Urtheil. Dem ürtheile steht der Satz Tom zureichenden Grande
gegenüber. Er ist hier Grund des Erkennens, principium rationis
sufiioientis cognoscendi. Man spricht hier, im Denken, im Ürtheile
nicht von Ursache und Wirkung, wie beim Werden oder der Ver-
änderung, sondern YOtL Grund und Folge. Die Gründe lassen
sich in vier Arten theilen und nach diesen ist die Wahrheit, die
sich auf sie stützt, eine andere. Es wird 1) die logische oder
formale, 2) die empirische, 3) die tr anscendentale, 4)di6
metalogische Wahrheit unterschieden. Die transcendentale Wahr-
heit ist zwar eine materiale; aber sie ist nicht empirisch, weil
sie sich auf die »im Verstände und der reinen Sinnlichkeit liegenden
Formen der anschauenden, empirischen Erkenntniss stützt« (S. 108).
Solche Formen sind nach dem Herrn Verf. »Baum und Zeit« ond
das »Gesetz der Causalität.« Diese Apriorität ist aber noch zn ei^
weisen, da Baum mid Zeit nur so lange etwas sind, als die Dinge,
mit denen sie als gegeben erscheinen. Baum und Zeit bleiben
nicht mehr übrig, wenn man die Dinge wegdenkt, so wenig, als
das Gesetz der Causalität. Ob solche ürtheile rein transoendental
Qind, wie die der reinen Mathematik, ist erst noch die Frage. Wenn
der Grund eines Urtheils die »in der Vernunft gelegenen formalen
Bedingungen alles Denkens sind«, so entsteht das, was »metalo-
gische Wahrheit« -genannt wird. Es sind vier ürtheile, weiche der
Herr Verf. anführt und die den so genannten 4 Denkprincipien ent-
sprechen: 1) »Ein Subject ist gleich der Sunune seiner Prftdicatei
2) einem Subject kann ein Prädicat nicht zugleich beigelegt und
abgesprochen werden, 3) von jeden zwei kontradiktorisch entgegen-
gesetzten Prädikaten muss jedem Subject eins zukonunen, 4) diö
Wahrheit ist die Beziehung eines urtheils auf etwas ausser ihm,
als seinen zureichenden Grund« (S. 109). Solche ürtheile sind
aber logische und ihre Wahrheit ist eine logische und zugleich
materiale Wahrheit, wie die empirische Wahrheit auch zugleich
eine materiale sein kann und soll. Der Hr. Verf. nennt jene 4 Ürtheile
metalogische und ihre Wahrheit eine metalogische Wahrheit,
weü es bei der logischen Wahrheit immer noch unentschieden
bleibt, ob das ürtheil, welches sich auf die so genannte logisohe
Wahrheit stützt, auch ein »ürtheil von materialer Wahrheit« sei
Deshalb ist aber kein Grund vorhanden, logische und metalogische
SekopeakAuer: Die Waiaal 4e8 SaIms rom nrcMmdoi Onad«. 41
Wahrimt za nnteracheiden. Man könnte nur fonnell und matoriell
wahre, logische ürthaile onterflcheiden. Soll die logische Wahrheit
«Be wirkliche sein, so mnss sie eine Wahrheit sein, welche den
Denkprinoipien entspricht. Sie ist erst dann wirkliche Wahrheit,
wenn sie es nicht nnr formal, sondern anch material ist. Der Herr
Yeif. eifert besonders gegen jene nnd spottet ftber die, welche die
Vernunft als das Vermögen der Ideen oder des UebersinnHchen
«Citren. Ihm ist die Yemunfl das Denkvermögen nnd der Ver-
stand in Verbindung mit der Sinnlichkeit das Vermögen der An-
sekniung oder sinnlichen Erkenntniss. Durch den Verstand er*
kennen wir die Sinnenwelt, durch die Vernunft die ron den Vor-
staUungen der einselnen Gegenstände der Sinnenwelt abstrahixten
allgemeinen Begriffe. Er spottet über die Ideen des Wahren,
ehrten und Schönen und meint, es kftmen solche Dinge ron den
nm ihm Terftchtlich also bezeichneten »Philosophieprofessoren, um
ai Gott zu kommen€, welchen Gedanken er in möglichst herab*
aeUender Weise behandelt. Soheisst es S. 112: »Die Vernunft,
der man so frech alle solche Weisheit anlflgt, wird erklärt als
ein Vermögen des üebersinnlichen, auch wohl der Ideen, kurz als
ein in uns liegendes, unmittelbar auf Metaphysik angelegtes,
erakalartiges Vermögen, üeber die Art ihrer Perception aller jener
Herrlichkeiten und übersinnlicher Wahrnehmungen herrscht jedoch
seit 50 Jahren grosse Verschiedenheit der Ansichten unter den
Adepten. Nach den dreistcHten hat sie eine unmittelbare Vemunft-
aDsehauimg des Absolutums, oder auch ad libitum des unendlichen
snd seiner Evolutionen zum Endlichen. Nach anderen etwas be-
ssheideneren verhalt sie sich nicht so wohl sehend, als hörend,
adeB sie nicht gerade anschaut, sondern blos vernimmt, was
in solchem Wolkenkukuksheim (i/£96iloxofext>^^fa) vorgeht und dann
dieses dem so genannten Verstände treulich wieder erzählt, der
darnach philosophische Compendien schreibt« Muss man desshalb
das Kind mit dem Bade ausschütten, weil die Thfttigkeit derVer-
Bunft gegenüber dem üebersinnlichen verschieden auf gefasst worden
ist nnd die Ideenlehre zu verschiedenen phantastischen und unbe-
gründeten Ansichten geführt hat? S. 113: »Dem Deutschen, wenn
man ihm von Ideen redet (zumal, wenn man üedähen ausspricht)
ftngt an der Kopf zu schwindeln, alle Besonnenheit verläset ihn,
ihm wird, als soUe er mit dem Luftballon aufsteigen. Da war
also etwas zu machen für unsere Adepten der Vemunftanschauung ;
daher auch der frechste von allen, der bekannte Charlatan Hegel (!),
sein Princip der Welt und aller Dinge ohne weiteres die Idee ge-
oaant hat, woran dann richtig Alle meinten etwas zu haben.« Auf
was kann man denn die Dinge, ihre Zustände, Veränderungen, Be-
üehnngen, ürsjwjhen und Wirkungen anders, als auf Ideen oder
Begriffe snrüekführen ?
Und ist nicht die Idee das Sein sollende oder die Vollkom-
mfloheitsYarsteUang gegenüber dem theilweise Unvollkommenen und
4) Schopenhauer: Die Wursel des 8*t0es vom rareiehenden Gnmde.
Beschiünkten der endlichen Erscheinungen? Sprechen nicht die
Thatsachen des Gewissens, der Ennst, der Beligion, der Wissen-
schaft ftlr die Idee des Gnten, Schönen nnd Wahren ? Kann man
die Welt ohne eine Idee der Welt erkennen? Ist also hier nicht
die Idee das Princip der Welt? Ideen liegen der Grestaltong der
Welt zu Grande nnd nur durch Ideen erkennen wir sie. Stehen
die Ideen des Rechtes, des Staates, der Freiheit, Religion, Wissen-
schaft nicht höher, als der Versuch der Einzelnen, sie ins Lehen
zu führen? Zu den »Lügen« (sie) der übersinnlichen Ideen findet
der HerrVerf. S. 119 die »nächste Veranlassung« in » Kant* s prak-
tischer Vernunft«, »im kategorischen Imperativ.« Er nennt die
Antinomien »ein gar yertraktes Ding«, »noch mehr aber die prak-
tische Vernunft mit ihrem kategorischen Imperativ und wohl gar
noch die darauf gesetzte Moraltheologie, mit der es jedoch Kanten
nie Ernst gewesen ist. Da ein theoretisches Dogma von ausschliess-
lich praktischer Geltung der hölzernen Flinte gleicht, die man ohne
Gefahr den Kindern geben kann, auch ganz eigentlich zum »wasch
mir den Pelz, aber mach ihn nur nicht nass« gehört.« »War es
überhaupt Kant darum zu thun, wie diese Herren meinen, die Ideen:
Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zuläugnen? Wollte er nicht viel-
mehr in seiner von ihnen so angepriesenen Kritik der reinen Ver-
nunft die Grenzen des menschlichen Wissens und Glaubens be-
stimmen? Hat er nicht selbst in der Kritik der reinen Ver-
nunft diese Ideen, wenn auch nicht als konstitutive, doch als
regulative Principien, die einen Werth für den Menschen haben,
wenn er sein Leben darnach einrichtet, bezeichnet? War es ihm
allein mit dem Heiligsten, was Kant kennt, mit dem »Sittengesetse«,
das Schopenhauer spöttisch Bürgers Mamsell Laregle nennt, nicht
Ernst? Nicht Ernst mit dem Höchsten, was Kant kennt, mit der
sittlichen Natur des Menschen und der Begründung eines sittlichen
Vemunftglaubens durch sie? Zieht sich nicht dieser Faden audi
durch seine Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft? Scho-
penhauer lobt es an dem Buddhaismns und in den beiden chine-
sischen Religionen der Taossee und des Confucins (S, 128), dass
sie nichts von Gott wissen und kein Wort dafür in ihrer Sprache
haben. »Wenn unsere Philosophieprofessoren, sagt er S. 129,
die Sache anders verstehen und vermoinen, ihr Brod nicht mit
Ehren essen zu können, so lange sie nicht Gott, den Herren, als ob
er ihrer bedürfte, auf den Thron gesetzt haben (sie) ; so ist schon
hieraus erklftrlich, warum sie an meinen Sachen keinen Geschmack
haben finden können und ich durchaus nicht ihr Mann bin; denn
freilich kann ich mit dergleichen nicht dienen und habe nicht, wie
sie, jede Messe die neuesten Berichte über den lieben Gott mitza-
theilen.« (1 !)
Das sechste Kapitel stellt die dritte Klasse der
Objecto für das Subject und die in ihr herrschende
Gestaltung des Satzes vom zureichendenGrnnde dar
Bek«pflm]i*nflr: Die Wnnel im Bmtam Tom jmntehMiitt Ommim. 4S
(& ISO— 139). Die Objeote der driUen KlMse sind nach dem
Herrn Vazf. »die a priori gegebenen Anechoanngen der Formen des
Inaern und innem Sinnes, des Baumes und der Zeit.c Baum und
Zeit werden yon dem Herrn Verf. ganz auf Kant*scher Gnmdlage
als reine Anschauungen a priori betrachtet. Sie sind >f11r sich
und abgesondert von den vollständigen Vorstellungen« d. h. Yon
des erscheinenden Dingen, da »sogar reine Punkte und Linien gar
nicht dargestellt, sondern nur a priori angeschaut werden können,
Yie aach die unendliche Ausdehnung und unendliche Theilbarkeit
des fiaumes und der Zeit allein Gegenstände der reinen Anschau-
nag md der empirischen fremd sind.« Er will darum die Anschau*
QBg des Baumes und der Zeit von der »Materie« trennen; denn
ent mit dieser kann von Dingen die Bede sein. Die Yerstandea*
focm der Causalität, welche sieh auf die erste Klasse der Objecto,
die »vollständigen Vorstellungen« oder sinnlichen Dinge besieht,
at hingegen »nicht fOr sich und abgesondert ein Gegenstand des
VorstellnngsvermOgens, sondern konunt erst mit und an dem Ma-
teriellen der Erkenntniss ins Bewusstsein« (S. 130 u. 131). Man
kum den Baum und die Zeit so wenig von den Dingen trennen,
^ die Dinge von Banm und Zeit, Es sind keine Dinge mehr
ohne Raum und Zeit. Aber der Baum und die Zeit sind eben so
nichte ohne die Dinge. Es ist ein vergeblicher Versuch, einen
Baom und eine Zeit ohne Dinge anzuschauen, von Punkten, Linien,
Theilen des Baumes, Lagen und Zeitepochen ohne Dinge ssu spre-
chen. Es sind nicht nur keine reinen, sondern überhaupt gar keine
Anschauungen. Wenn zur Anschauung des Baumes und der Zeit
Knge gehören, und die Dinge nur durch die Erfahrung erkannt
werden, so kann man nicht sagen, dass Baum und 2ieit Anschau-
ongen vor der Erfahrung in uns sind ; sie können in uns nie ohne
Er&hrung entstehen und sind von aller und jeder Erfahrung un*
lertrennlich. Wenn auch ein iimerer Factor, eine Entwicklungs-
Uigkeit räumlicher und zeitlicher Anschauung, in unserem Vor-
stellnngsvermögen, liegen muss, so folgt daraus noch nicht, dass
diese Fähigkeit schon die Anschauung des Baumes und der Zeit
i^> Sie entsteht erst durch die Dinge und ihre Einwirkung von
Aussen und ist nichts für sich oder von diesen gesondert. Es gibt
^vam weder einen leeren Baum, noch eine leere Zeit.
Der Satz vom zureichenden Grunde, der sich auf die Anschau-
ten von Banm und Zeit bezieht, wird »der Satz vom zurei-
chenden Grunde des Seins, principium rationis suf&cientis
cssendifC genannt (S. 131) Der Grund eines Baumtheils, einer Linie,
^he ist inuner wieder ein anderer Baumtheil. Der Seinsgrund in
der Zeit ist für einen nachfolgenden Zeittheil der vorausgegangene.
Hier ist also Succession, wahrend in den Baumtheilen Zusanunen-
•ein ist. Während der Unterschied von Ursache und Wirkung
fc die objectiven Dinge oder von Grund und Folge fttr das snb-
«ctiye Denken ein unbestreitbarer ist, sich also gegen die zwei
44 fichopenhmiier: Die Wunel des SaftMe vom sureioheiideB Gmnde.
ersten Gestalten des Satzes rom Grunde kein Bedenken eiheben
Iflssty TerfaBlt es sich schon ganz anders mit der dritten Gestalt
dieses Satzes. Baum und Zeit gehören, zu den Dingen oder Objec-
ten der ersten Klasse, den »yolLstftndigen Vorstellungen«, weil diese
ohne Baum und Zeit gar nicht sein können. Der Satz rom zu-
reichenden Grunde bezieht sich so wenig auf die Dinge ohne Baum
und Zeit, als auf den Baum und die Zeit ohne Dinge. Schon das
Gesetz der Gausalität oder der Satz vom zureichenden Grunde, be-
zogen auf die Dinge, muss auf die Zeit Bttcksicht nehmen, denn
die Ursache muse hier der Zeit nach früher sein, als die Wirkung;
die Zeit ist als ohier nichts Zufälliges, sondern wesentlich und noth-
wendig zur Ursache und Wirkung Gehöriges. So können wir aber
auch, wenn wir den Satz vom zureichenden Grunde auf die Zeit
anwenden, dieses nicht ohne die Dinge thun; denn was ist ein
Aufeinanderfolgen ohne Dinge? Ein Zeittheil an sich kann nie
die Ursache eines andern sein, weil Zeittheilung überhaupt nur
durch das Hintereinanderfolgen der Dinge möglich ist und die
Aufeinanderfolge ohne Dinge dem Messer ohne Heft und KUnge
gleicht. Dass auch die Baumtheile an sich ohne Dinge nicht Ur-
sache und Wirkung sein können, wird schon daraus erwiesen, dass
sie einander gegenüber ganz indifferent sind und jeder Theil, wenn
er die Bedingung eines Theiles ist, auch gerade eben so gut von
dem andern bedingt sein kann. Zudem können Baumtheile so we-
nig, als Zeittheile, ohne Dinge anschaulich werden und, da sie ohne
die letzteren nicht da sind, auch nicht ohne diese im YerbfiltnisBe
von Ursache und Wirkung stehen.
Das siebente Kapitel behandelt die vierte Klasse der
Objecte für das Subject und die in ihr herrschende
Gestaltung des Satzes vom zureichenden Grunde (S.
140—149). Diese letzte Klasse soll nur »ein Object« enthalten,
nämlich »das unmittelbare Object des innem Sinnes, das Sub-
ject des WoUens.« Das Selbstbewusstsein zerfilllt, wie das
Bewusstsein von andern Dingen, in ein »Erkanntes und Erkennen-
des.« »Das Erkannte ist nun, wie der Herr Verf. will, durchaus
und ausschliessend der Wille« (S. 140). So soll diese Schrift
ein Baustein für das System des Herrn Verf. sein, welches den
»Willen« in Allem und so auch im menschlichen Bewusstsein zum
»Dinge an sich« macht. »Das Subject, heisst es S. 141, erkennt
sich nur als ein Wollendes, nicht aber als ein Erkennendes.
Denn das vorstellende Ich, das Subject des Erkennens, kann, da
es als nothwendiges Correlat aller Vorstellungen, Bedingung der-
selben ist, nie selbst Vorstellung oder Object werden« »Da-
her also gibt es kein Erkennen des Erkennens, weil dazu erfordert
würde, dass das Subject sich vom Erkennen trennte und nun doch
das Erkennen erkennte, was unmöglich ist,« Qui dit trop, ne dit
rien. Indem der Herr Verf. selbst das Erkennen der Sinnlidikeit, des
Verstandes und der Vernunft imtersucht, erkennt er ihr Wesen und
Sehopenliaiier; Die Warael des BütKe« vom ntteichenden Qrtuide. 45
beweist dadjarohi das es ein Erkennen des Erkennens ist. Zum
Wesen des SelbstbewnäBtseinB geh&rt es ja, dass das Vorstellende
Sabject und Objeot sei und sich in seiner Identität als Subjeet*
Objeei erkenne. Jeder weiss, indem er sich erkennt, dass er kein
Anderes, sondexn sieh selbst erkennt. Ist das Object Vorstellung,
so haben wir eben eine Vorstellung Ton einer Bealität ausser uns,
einem Andern, als wir selbst, und von einer Realität, einem Ob-
jecto, das wir selbst sind. Allerdings erkennt das Erkennende sich
selbst und weiss sich selbst ; sonst gäbe es kein Selbstbewussteein,
welcher Satz durch die Realität aller Iche widerlegt wird« Wie
das Erkennende sein Erkennen erkennt, indem es von seiner Sinn*
lichkeit, seinem Verstände und seiner Vernunft weiss, so erkennt
nnd weiss es auch den Einbeitspunkt dereelben im Selbstbewusst-
eein. Der Wille steht hier, wie Ftthlen und Erkennen, nur als eine
besondere Biolitang, ein besonderes Vermögen des Geistes, nicht
als ein Ding an sich, ein passe par tout für alle Speculation da.
Allerdings nimmt Schopenhauer im Bewusstsein die Identität des
Objects als des Willens mit dem Subject des Erkennens an,
und muss dieses annehmen, weil er sonst alle Thatsachen des Be-
wusstseins »of den Kopf stellen müsste; nennt diese Identität aber
den > Weltknoten. und daher unerklärlich« (S. 143). Wir bedürfen
weder eines Weltknotens, noch einer ünerklärlichkeit, wenn wir
ein&ch, wofür das Selbstbewusstsein spricht, das erkennende Sub-
jeet sich selbst im Selbetbewosstsein erkennen lassen. Dann ist
das Erkannte nicht ein Anderes, als das Erkennende, etwa da:
Wille, der eben so mystisch, geheimnissvoll oder phantastiseh hin-
ter den Dingen steckt, als irgend ein anderes von Schopenhauer
perhorreaeirte Phantasma. Der Wille äussert sich als Handeln;
seine Ursache, sein Ghrund ist das »Motiv.« Die »Motivation
ist die Gansalität von Innen gesehen.« Hier ist also die »beson-
dere und eigenthümliche Gestalt des Satzes vom zureichenden Grunde
der Satz vom zureichenden Grunde des Handelns, principium ra^
tionia auf&cientis af^endi« (S. 145). Natürlich muss der Herr
Veif«, der eben einmal kein anderes Ding an sich, als den Willen
kennt, diese Wahrnehmung zum »Grundstein seiner ganzen Meta^
physik« machen. Ob aber seine Metaphysik damit wirklich be-
grttndet ist, erscheint mehr als zweifelhaft. Offenbar aber ist diese
vierte €kstalt. keine »besondere« und »eigenthümliche«, von den
andern Gestalten verschiedene. Sie gehört unter die Kategorie der
iweiten Gestalt, weldie den Grund des Erkennens von der Ursache
des Werdens unterscheidet. Denn das Erkennen stellt den Grund
fir das Wollen und Handeln auf. Das Motiv, ob es von Aussen
oder Innen, von uns oder einem Andern kommt, ist Erkenntnisse
grand Ar unsorn Willen.
Das aehte Kapitel enthält allgemeine Bemerkungen
nnd Sesnltate und zwar 1) die systematische Ordnung
dieaeT angeblichen vier Gestalten des Satzes vom
46 rrheoorlli IdyWa. Ed. Frit£Bohe.
zureichenden Grande, 2) Zeitverh<niss zwischen
Grund und Folge, 3) Beciprokation der Grflnde, 4)
die Nothwendigkeit, Beihen der Gründe und Folgen,
5) die yerschiedenen Gestaltungen des Satzes yom
Grunde gegenüber den verschiedenen Wissenschaf-
ten, 6) die Hauptresultate der ganzen Schrift (S. 150
hiB 160). Wenn der Hr. Verf. bis zu der Erkenntniss gelangt,
dass genau die vier Gestalten seines Satzes vom Grunde unter-
schieden werden müssen, so dürfte wohl füglicher die Unterschei-
dung in Ursache und Wirkung für die Objectirität der Dinge and
des Grundes und der Folge für die Subjectivitftt des Denkens an-
genommen werden. Wie dieser Satz für die Dinge lautet : Nichts
wird oder verändert sich, geschieht ohne Ursache ; so heisst er för
das Denken: Nichts wird ohne Grund gedacht.
V. Reiehlin-Meldegg.
Theoeriti Idyllia, Herum edidit et commentarUa erUicis atgue
exegeüeis instruxii Ad. Th. Arm, Fritteehe, Joannk Do-
roihei F. Prof. Ups. VoL I. P, L IdyUia sex pri&ra canHnem,
lApsiae. Sumpius fecU L. PemUssch. ClQ lO CCCLXV. 1948.
in gr. 8.
Der Herausgeber ist durch Mine verschiedenen , die bukoli-
schen Dichter des Alterthums betreffenden Forschungen, insbeson-
dere auch durch seine Bearbeitang der Idyllen Theocrits in einer
zunächst für Schulen (»in nsum scholarum«) wie für das Privat-
studinm eingerichteten, darum auch mit erklärenden Anmerkungen
in deutscher Sprache versehenen Ausgabe (s. Jahrg. 1858 S. 605 ff.)
rühmlichst in der gelehrten Welt bekannt; in den sieben Jahren,
welche seit dieser Ausgabe der Gedichte Theocrit's verflossen sind,
war seine Aufmerksamkeit fortwährend auf diesen Dichter ge-
richtet und so das Werk vorbereitet, das in seiner ersten Ab-
theilung hier in einer vorzüglichen typographischen Ausstattung
vor uns liegt. Es ist eine mehr gelehrte Bearbeitung (»in
usum eruditorum hominumc), welche dadurch schon von der
früheren, oben erwähnten sich unterscheidet, übrigens aber,
neben der nothwendigen Bücksicht auf die Kritik, insbesondere
auf die in so vielen Fällen davon unzertrennliche Erklärung in
sprachlich-grammatischer wie sachlicher Hinsicht gerichtet ist. In
Bezug auf die Kritik soll sie zugleich über Manches, was in dem
Texte der früheren Ausgaben beibehalten oder auch verändert wor-
den, die nähere Begründung, die dort wegfallen musste, geben, und
so die von dem Herausgeber früher in einer eigenen Schrift beab-
sichtigten V in diciae Theocriteae ersetzen oder vielmehr deren
Inhalt an den betreffenden Orten geben, dabei AUes das beachten,
was seitdem von einzelnen Gelehrten oder Herausgebern überhaupt für
TlMoeriU UyOk^ £d. Fritiiehe. 47
die Kritik geleistet oder was an einselnen Stellen in Vorschlag
gebraclit worden hsL Die gleiche BOcksicht mnsgte aber anch bei der
Erkli&ning stattfinden, die deshalb Alles beachten und mit einer
gewisaen Vollständigkeit aufnehmen mnsste, was von einzelnen Ge-
lehrten an einzelnen Orten oder in einzelnen Schriften, Abhand-
hmgeii IL dgl. für die Erklärung einzelner Stellen oder ganzer Oe-
dichte vorgebracht worden war, wobei dann freilich auch oben so
das Tom Herausgeber selbst in mehreren einzelnen Abhandlangen
GeleiBtete die gleiche Aufnahme finden musste. Nur eine eben so
omikssende wie vertraute Bekanntschaft mit dem Dichter selbst
wie mit der gesammten, in dieses Gebiet einschlägigen Literatur,
wie sie der Herausgeber besitzt, konnte die in dieser Weise ge-
stellte Au^abe einer so befriedigenden Lösung entgegen führen,
nimal wenn man erwägt, wie viele Gelehrte in den letzten Decen-
men mit Theocritus und allen den, zum Theil sehr schwierigen,
aof seine Gedichte bezüglichen Fragen sich beschäftigt haben. Da
mm in dieser Bearbeitung von Allem dem sorgfältig Notiz genom-
men worden ist, so wird man nicht leicht Etwas dahin Einschlä-
giges vermissen, was der Aufmerksamkeit des Herausgebers ent-
gangen wäre.
Zuerst kommt unter der Aufschrift: »Prolegomena veterum de
poesi bucolica et de Theocrito« ein Abdruck der aus demAlterthnm
noch erhaltenen Nachrichten über die Person des Theokrit und über
die bnkolische Poesie, welchen auch die betreffende Notiz aus Suidas
angereiht ist, sowie auch die beiden Epigramme auf die bukolische
Poesie und Theocritus, welche zuerst Warton seiner Ausgabe bei-
geftgt hat, Producte der byzantinischen Zeit, wie das, was vor-
hergeht. Unter dem berichtigten Text befinden sich Noten theils
kritischen Inhalts, theils Nachweisungen über die im Text berühr-
ten Gegenstäade aus der neueren Literatur. Darauf folgen Judicia
Veterum de Theocrito: ein Abdruck der Stellen aus Longi-
nos, Qointilianus, Gellius, Probus und Servius, in welchen von
Theociit und seiner Poesie die Bede ist. Daran schliesst sich un-
mittelbar der Text der in diesem Heft enthaltenen sechs ersten
%Uen, in der Weise, dass dem Texte einer jeden Idylle ein Ar-
gmnentum yorausgeechickt ist, in welchem der Herausgeber zuerst
eine üebersieht des Lihaltes und Ganges des Idylls gibt und daran
eine Beurtheihmg des Gedichts knüpft, in welcher auch die von
Andern ausgesprochenen Urtheile Berücksichtigung finden, und eben
80 auch andere auf das Gedicht bezügliche Notizen, literarhistori-
Kher Art mitgetheüt werden; wir finden hier eine genaue
ond vollständige Angabe aller Einzelbearbeitungen, aller einzelnen
Abhandlungen oder Erörterungen, welche auf das betreffende Idyll
»ch beziehen, mit Einschluss der Uebersetzungen in lateinischer
und deutscher Sprache, man wird also hier die ganze auf das Ge-
^t bezügliche Literatur verzeichnet finden. Auf dieses Argu-
m^itnm folgt ein Abdruck der griechischen *Ta6d'B6ig in kleinem
I'Cttem, und darauf der Text mit den darunter befindlichen An-
48 Theocriil TdyVk. Sd. «"rüsteh.
merkangen, in welchen der kritische wie exegetische Oonunentar
enthalten ist. Was den letzteren betrifft, so werden in demselben
alle einzelnen Ansdrttcke nnd Wendungen, Gedanken und Anschan-
nngen des Dichters erörtert, nnd da, wo es nOthig oder doch
wünscbenswerth erschien, ist die gegebene Erklämng mit den nöthi-
gen Belegstellen oder weitem Nachweisnngen begleitet, die nament-
lich, was den Sprachgebrauch betrifft^ viel Beachtenswerthes ent-
halten, und in bestrittenen Stellen die Erklärung auf den richtigen
Weg führen.
DasB auf die lateinischen Nachbildungen überall hingewiesen
ist, wird kaum besonders zu erwähnen nöthig sein, zumal da der
Herausgeber diesen Gegenstand schon früher in einer eigenen Schrift
behandelt hat« In allen diesen Belegen und Nachweisungen ist
übrigens ein lobenswerthes Maass eingehalten, und darum wunder-
ten wir uns einigemal, wie z. B. bei dem Gebrauch von xal zu I,
60 oder bei dem Gebrauch yon iv id (»atque in his«) zu n, 68,
oder über den Gebrauch von ifuiifaö^at (zu 11, 104) -Verweisungen
auf Abicht's Anmerkungen zum Herodot zu finden, wo dieselbe in
des That nicht nöthig waren, oder durch Besseres ersetzt werden
konnten in einer gelehrten Bearbeitung, die nicht nöthig hat, auf
solche ftkr träge Schüler bestimmte Arbeiten zu yerweisen.
Die kritischen Grundsätze des Herausgebers sind aus der frühe-
ren Ausgabe wie aus andern Schriften bekannt genug, in der An-
wendung derselben zeigt der Herausgeber sich frei ron der Will-
kür, welche hier vielfach hervorgetreten ist, daher auf manche
angebliche Yerbesserungevorschläge oder Oonjeoturen nicht einge-
gangen wird, gebotene und nothwendige Aendenmgen aber nicht
abgewiesen werden, wie denn der Herausgeber, um nur ein einzi-
ges Beispiel anzuführen, IV, 17 mit den neueren Herausgebern ov
^Slv gesetzt hat, und mit Meineke darin den Accusativ von ^i%
d. i. Z&i$ oder Z^i)^ erkennt; über Anderes der Art wird man
dann besser zu urtheilen im Stande sein, wenn die Beschreibung
der einzelnen Handschriften, welche in Aussicht gestellt wird, ge-
geben ist.
Wir können hier nicht weiter in die Einzelheiten eingehen, da
wir nur die Absicht haben, einen einfachen Bericht über diese neue
Erscheinung vorzulegen und die Freunde der bukolischen Poesie auf die
wohlgelungene Ausführung, die sich auch in der Bewältigung des
ausgedehnten Stoffe und MateriaVs, welches vorlag, kund gibt, auf-
merksam machen möchten. In drei Abtheilungen soll das Ganze dem-
nächst erscheinen. Die erste Abtheilung soll die bukolischen Gedichte,
die zweite die übrigen Gedichte bringen, in der dritten soll über
Leben und Schriften des Dichters, über den Dialekt, über die
Schicksale der bukolischen Gedichte, ihre Handschriften und Ans*
gaben verhandelt werden, und über alle diejenigen Dinge, »quibus
SQum locum commentariorum augustiae denegarunt.« Wir wünschen
die baldige Vollendung des mühevollen aber eben so verdienst-
lichen Unternehmens.
Ir. i HEIDEIBERGGS 186t.
JMBCCHER der LITERATUR.
Kirehenreeht von Georg Phillips, Fünf ier und 9€eh$ter Band*
Regensburg 1854. 1867. 1864.
Die im Detail kritisirende Darstellung einzelner, namentlich
grösserer Werke in den Zeitschriften, hat mit Recht keine Beden-
tong mehr; man mdsste nicht selten ein grösseres Bach über das
n recensirende Bach schreiben oder Nachträge machen, wenn man
dirlich and verständig sein wollte. Es gilt daher nur einer allge-
aainem Schilderung des Baches und seiner Bedeutung.
Pkillips hat in* den Yorliegenden zwei Bänden den Primat
der katholischen Kirche dargestellt. Allerdings mit Bücksicht dar-
aof^ was schon in den vorhergehenden drei Bänden darüber yorge-
kommen ist. Diese Beziehungen, worüber wir uns früher schon
erklärt haben, wollen wir nicht mehr hervorheben. Allerdings
denken wir uns die Lehrgewalt des Papstes so, wie sie Phillips
V. Bd. S. 16 dargestellt hat; allein sie unterscheidet sich von der
Uhrgewalt der Bischöfe und aller andern dadurch, dass das ma-
gistariom bei dem Papste in seine Jurisdictionsgewalt f^Ut. Lassen
wir übrigens diesen Punkt
Wenn aach alle Mheren Arbeiten des Verfassers von der
grSssten Gründlichkeit Zeugniss geben — namentlich in der ge-
oaaesten Darstellung der QuellenzeugnisLe , z. B. in dem Kirchen*
Staatsrecht des Mittelalters und aller päpstlichen Constitutionen im
ni. Bande, ebenso in den Constitutionen des Wahlrechts des Pap-
stes im Y. Band, und wenn auch in andern speciellen Lehren z. B.
^ der Translation im Y. Band nicht nur alle Decretalen auf das
geoaaeste entwickelt sind, mit den einschlagenden Stellen des
Deerets und andern historischen Nachweisungen, so hätten wir nur
gewünscht, dass die gesammte Decretalensammlung mit den Cle-
i&entmen und Extravaganten, was besonders im IV. Bande hätte
gwchehen können, in ihrer eigentlichen vollen Bedeutung hervor-
gehoben worden wäre: namentlich in Beziehung darauf, was wir
»Is privatrechtliche Erscheinung, als christliche Sittlichkeit im btlr-
gerUchen Leben erkennen konnten. Mit Becht hatte schon Walter
ia seinem neuesten Werke »Naturrecht und Politik« merken lassen,
dass der Staat nicht alles Becht geben und befriedigen soll —
namentlich nicht das Becht der Sittlichkeit im Yölkerrecht und das
Fundament in der Religion (er wirft eben den modernen Philo-
sophen z. B. Stahl vor, dase sie sich gerade auf Yölkerrecht und
&ehenrecht nicht eingelassen haben) — er hätte auch darstellen
tonnen, dass das Privatrecht durch das canonische Recht vielfach
L^UL j«]irg. L Heft ^ 4
BO PbiUlps: KMhtBTMht
tungestaltet sei. Phillips glaabt, dass die letztere Richtung so
za sagen antiqnirt sei: mit unrecht — so ist der Givilproaess
immer noch der, wie er im zweiten Buch der Deoretalen nieder-
gelegt ist, und was in der neuesten Zeit Wunderlich in seiner
Vorrede zu den anecdotis ausdrttcUich und genau herrorgehoben
hat. Solche und andere privatrechtliche Punkte werden nun frei-
lich in dem Systeme des Eirchenfechts von Philipps nicht registrirt ;
dennoch sind wir mit dem grossen Beichthum zufrieden, wel-
chen der grosse (belehrte in seinem Werke gibt. Es sei uns jetzt
nur erlaubt auf die grossartige Arbeit hinzuweisen, die der VI. Band
uns darstellt.
Der Verf. unter der tJebersehrift »die Oehilfen des Papstes«
bildet sein Buch so: A. die römische Kirche; B. die pftpstlichen
Legaten und apostolischen Vicare ; C. die pftpstlischen Delegaten ;
D. die Metropoliten. tJm diese Ordnung zu rechtfertigen gibt
Phillips in S. 261 eine allgemeine Uebersicht und Einleitung,
de)*6n Resultate wir kurz ^zeigen wollen. Er zeigt Tor Allem,
dass und warum die Episcopalgewalt als solche hier ausgeschlossen
bleiben muss, obgleich die Bischöfe auch Oehilfen des Papstes sind :
denn es handelt sich hier von der Weltkirche, nicht Territorial-
kirche, auf welche die Bischöfe angewiesen sind, und Ton der Juris-
diction, wo freilich auch die Bischöfe Oehilfen des Papstes sind,
theils wegen ihres territorium als ordinarii, theils weil der Papst
die Bischöfe als seine Delegaten ansieht, und ihnen auch pftpst*
liehe Besenratrechte abtreten kann, und wegen des Oesammt-
epicopats.
Allerdings geht die Gonstruction des Primats von Born ans:
Rom ist das Bild der Christenheit und mit Becht hebt Phillips
die römische Kirche, den römischen Olerus, das Presbyterinm vor
Allem hervor. Viele wollen nicht in diese Zeit zurttcksteigen z. B.
Oregoroyiüs — aber kirchenhistorisoh und kirchenrechtlich ist
diese Richtung das Fundament der Wissenschaft. Von Bom geht
der Blick in die Welt durch die Legat>en und päpstlichen Vicare
und durch die Metropoliten. Aber damit ist das System noch nicht ge-
schlossen, der Oentralpunkt bleibt Bom — oder wo der Pabst ist:
denn dieser Ort ist der Ort der Curie, und die Curie mit ihrem Be-
£*iffe, der sonst missverstanden ist, wird ein Hauptstandpunkt der
beitvon Phillips, wozu ihm Bangen gleichsam die Thttrege-^
öftiet hat, und weshalb M e j e r sein eigenes Buch discreditiren musste
(in der zweiten Auflage seines Kirchenrechts). Mit Becht werden
die Curialisten eingetheilt in die Cardinäle, Prälaten und übrigen
Oehilfen, die man in sensu speciali auch Curialisten nennt.
Hiernach sind wir mit dem Systeme Phillips yoUkommen
einverstanden, denn es lässt sich ein anderes gar nicht denken:
schwieriger ist es, die Verbindung der Oeschichte mit dem
Systeme zugleich aufzufassen. Der Verfasser lässt sieh wohl nur
auf das kirchliche Verhältniss in Bom ein: vielleicht hätte er gnt
Phillips: KtrcUnnclii U
gvthu, anch einen Bliek auf das ManioipalTerh&liniet la
ifobät freilich nur, um von Born in seiner GUflammteinricIitang
and namentlich in dem Verhältnisse der weltlichen Conunnne sua
Papet ni ^>rechen9 wo uns wirklich OregoroTius vielfache Anf-
sehlfisse gibt. Dass ans dem Palatinai-Clenis das gaase Beamten*
tJnim des Papstes hervorging — ist genau angezeigt unter dm
Namen der ans derselben hervorgegangenen einseinen Behörden.
Dozeh diese hat natürlich ein Theil des Palatinal*Cknis sein
Ende gefunden, namentlich die sieben Palati nalrioht er, die
in den Schriften des ersten Jahrtaosead eilte so grosse Bolle neben
den CardinalbischOfen, Priestern und Diaconeni^ielten , namentlieh
dordi iluren primiceriiis *) u. s. w. Vielleicht hfttte der Vex&sser
den Zostand der Dinge in unsem Tagen a. B. durch Hinwaisung
anfden Cracas noch Etwas besser andeuten kOanen, denn wir
wolka nicht Iftugnen, das gelehrte Buch ist doch nur fOrOelehrte
md flir keinen andern Zweck geschzieben» wovon wir freilich den
§. 338 ausnehmen dfirfea, der aber doch eine mehr popolAre Bnt-
wiekkmg in Anspruch nehmen konnte.
Wir müssen in dieser Beziehung jetzt drei Werke nebaaeia«
ander stellen.
1) Das hier beurtheilie Werk, welches in §. 8d3 ia der That
sehr grOndlich den gegenwärtigen Zustand der Verwattu^ des
Kirchenregiments in Born gibt, natürlich aber die Gegenwart mit
der Geschichte der Vorzeit in unmittelbare Verbindnng nicht brin»
gen wollte. • Vor Allem wird der Papst in seiner absoluten Unab-
bftsgigkeit dargestellt, und dann nachgewiesen, welchen Beamten
er flein grOestes Vertrauen schenkte* Jetzt dem Staatssecretttr, der
iieh der übrigen Secretäre bedient. Zur Berathung hat der Papst
das CoQsistorium und die einzelnen Congregationen der Cardinäle i
dann — ftbr die Qnadensaohe — die ausserordentlichen früher
die flignatura gxatiae, die ordentlichen jetzt überi^ die Datana —
nd f^ die reservirten Fälle und Dispositionen in foro iateno die
Poenitentiaria. Als Expeditionsbehörden dienen die apostolische
Kanzlei und die Secretariate desAeussem und derBreven. Sodann
httnmen die Justizbehörden, namentlich die Bota Bomana alsUkih-
ater Gerichtshof in Civilsachen , die Signatura Jnstitiae alsOassa-
tionahaf; die Camera Apostolica neben den Tribunalen dee Ouber-
netors, des Auditor Camerae und der Thesaurarius — und die Sagra
Consulta als der oberste Gerichtshof in Criminalsaehen*
Endlich bestehen in Begierungssachen ein coneiglio de* ministri,
•in consiglio di stato -^ eine consulta di stato per kFixianze^
dann einselae Ministerien, ein ministero dell Intemo mit unterge*
ordneten Behörden, eine direzione generale di Polizia, ein ministero
delle Finanze mit einer Menge untergeordneter Behörden, eine sacra
Budi über dtn iheeten iBstttuitonea^Oodex Hdddb. 1890.
6S Phillips: Kirohenreebt
oongregazione del Censo, ein Ministeriam del Commercio, delle Arti,
Indostria, Agricoltora, e Lavori Publici , endlich ein Ministerium
delle Armi.
2) Die aus reichen Erfahrungen hervorgegangene Schrift von
Bangen: die Kömische Curie, ihre gegenwärtige Znaammen-
setzung und ihr Geschäftsgang.
Von der Staatsverwaltung ist hier nicht die Bede, und das-
jenige, was oben von den Begierungssachen angeftlhrt ist, kommt
nicht in Betracht. Man muss diese Beziehungen vorausgehen lassen,
ehe man über die nicht wohl geordneten Notizen im Staatskalen-
der abartheilen kann.
Bangen spricht im ersten Theil von dem Personal der Curie
— den Cardinälen, Prälaten und dem übrigen Personal — Advo-
caten, Consistorialadvooaten, advocatus fisci und pauperum — der
Procuratoren, SoUicitatoren , Agenten und Notarien. Im zweiten
Theil spricht er von den Behörden selbst: I. Dem Consistorium
und den Cardinals-Congregationen ; 11. den Tribunalen oder Justiz-
behörden; in. den Gnadenbehörden der Curie ; IV. den Expeditions-
behörden der Curie.
In Hinsicht auf die Geschäfte der Cardinäle und die erst später
geschaffenen Congregationen können wir nns auf die bekannten
Bchriftstellerischen Arbeiten berufen *) : bei den Tribunalen werden
abgehandelt. A) Die sacra Bota Bomana — und hier theilt uns der
Verfasser sehr widitige, bei Phillips nicht vorgetragene Nach-
richten mit, namentlich über das Verfahren in den^§§. 91—95,
wovon wir an einem andern Orte reden werden. B) Die Beverenda
Camera Apostolica mit dem gubemator ürbis, dem thesaurarins
generalis, dem auditor generalis und dem tribunal plenae camerae.
C) Das tribunal der Signatura Justitiae und sein Verfahren.
Bei den Gnadenbehörden kommt die Signatura Gratiae vor,
die Dataria Apostolica und die Sacra Poenitentiaria.
Zn den Expeditionsbehörden werden gerechnet. A) Die aposto-
lischen Secretarien, die der Breven, der Memoralien und der Er-
lasse an die Fürsten — namentlich wird hier von dem Unter-
schiede der Bullen und Breven gehandelt. Zuletzt kommt B) die
apostolische Canzlei.
Phillips und Bangen haben auf das Genaueste nachge-
wiesen, dasB, was die kirchliche Ordnung betrifft, sie in die erste
Zeit des Christenthums zurückzuführen ist, und der historische Ver-
lauf ein so eigenthümlicher ist, dass trotz der Aufgeregtheit unse-
rer Zeit daran nichts geändert werden kann. Es ist dieses auch
ein grosses Verdienst der Canonisten, dass dies klar zu Tage liegt.
*) Phillips und Bangen wollten sich anf dentsche Schriften nicht
einlassen, s. B. anf die zwei Dissertationen von Kleiner de origlne etan-
tlqnttate Cerdlnalinm Heidelbeigae 1767. Bei Schnüdt theaaur. t. II.
PBiUlpt: KirOieiirttehi ftS
Snigeii derselben selbst Katholiken, z. B. Brendel, waren die
politiflchen Ansichten der Zeit za massgebend, als dase sie diesen
Standpunkt hfttten anfrecht erhalten kOnnen.
Was nnn in der neuesten Zeit, namentlich unter Pins YIL
nad ConsalTi vom Jahre 1816 her geschehen ist, bezweckte die
weltliche Ordnung des Kirchenstaats, der unter Napoleon rerolutio*
niit wurde, und wo man auch hier die alte Ordnung wieder her«
stellen wollte. Hier ist allerdings yiel Neues geschehen durch die
Ifinisterien und andern Staatshaushalt, was natürlich eine yorüber-
gebende Erscheinung darbietet. Das französische Kaiserreich hatte
die Statuten und Gewohnheiten der römischen Städte yemichtet,
w nach der französischen Codification geschehen konnte, keines-
wegs aber durchzufOhren war, wenn man in das römische und
eanonische Becht zurückkehren wollte, was sich dann auch prak«
üaeh bewiesen hat. Die Statuten und Gewohnheiten sind grossen*
äieils geltend geblieben.
8) Wir sind auf den Standpunkt gekommen, ein paar Worte
Aber die Ordnung in den notizie vorbringen zu können. Es ist
sehr augenscheinlich, dass die nicht katholischen Canonisten wenig
geneigt sind^ den innem Zusammenhang des Curialsystems zu yer^
^Ig^ ja dass man tagtftglich sieht z. B. in H e r z o g's BeaUezicon,
dass diese Schriftsteller sich immer nur auf protestantische Anim-
ieren und sehr selten auf katholische beziehen. Auch katho-
üsde Canonisten lassen sich auf die gedachten Notizie nicht ein.
Bekanntlich^ sind der Abschnitte folgende: A. Congregazioni. Es
nnd hier nicht nur die einzelnen Congregationen der Cardinftle zu
besondem Zwecken angegeben, sondern alle coUegialischen Institute
ftr Icirohiiche Zwecke z. 6. f&r die Wiederherstellung der Kirche
Ton Si Paul. B. Tribunali : Paenitenzieria Apostolica, Cancellaria
Apostolica, Dateria Apost. — Die Sacra Bota Bomana, die B.Ca*
aera Apost. femer die signatura digiustizia (die Signa-
tur a de grazia hat aufgehört und ihre Geschäfte an die Da-
tuie, den Secretär der Breyen oder den Staatssecretär ab-
gegeben) tribunali dell Em. Yicario und was damit in kirch-
lichen Gerichtsachen, namentlich für Geistliche zuammenshängt,
isebesondere die Conseryatoren für Klöster^ die Coneistorialad-
Toeatoren und Procnratoren. C. Nun kömmt die Capeila Pontificia
^gesammte Geistlichkeit, insbesondere die dadurch ausgezeich-
wten, dass sie als Assistenten des päpstlichen Thrones erklärt
sind, wofür ein eigenes Yerzeichniss beigefügt ist. D. Familia
Pontificia. Hier sind alle yorgetragen, welche zum päpstlichen
Hanse gehören. Natürlich nicht nach den Vorstellungen, die man
jetzt bei weltlichen Fürsten über das fürstliche Haus hat, sondern
Bach den unmittelbaren Beziehungen zum päpstlichen kirchlichen
Hefe. So sind angeftlhrt der Secretär der päpstlichen Breyen und
Memorialen — der Datarius, derPräfect des päpstlichen Pallastes,
to anch Staatssecretär ist, der Maggiordomo, der Maestro di Ca-
M Exindt du Cfttalog«« de te Blbltofb^u« du SenMeur Hube.
mera und del Saero Palaszo. Dann kommen die Kammeifiemii
geistlichen und weltlieben: insbesondere ancb die Titnlarkammer-
herm ; sodann die Gardia Nobili, die Scbweizergarde — die geist-
lieben Cappellane nnd Adjutanten. , Dies ist der Hofstaat. Ange-
hängt ist aber noch specieli der Kirchenstaat. Er besteht ans der
Segretaria di Stato — in welchem nnd durch welohea der Papst
repräsentirt wird — dann in den besonderen Expeditionseoretftren
der Breven, der Memorialen, der Schreiben an die Fttrsten und der
lateinischen Ausfertigungen. Zuletzt steht die Secretaria des MB.
üditore nnd des Substituten des Oonsistorium. Ganz davon ge-
trennt sind die schon oben angeführten Ministerien, *— die M9noha-
tmd andere Orden — und alle öffentlichen Anstalten, welche in
Born Ton Bedeutung sind.
Der Cracas würde als Hieroglyphe erscheinen, wenn man die
Oesehiohte des Papstthnms und die historische Bntwickehmg von
Phillips nicht gebrauchen würde. (Siehe auch Curie in Her^
sog's Beal-Encyclopadie). Es ist dieses also ein wahrer Fortschritt,
welchen die deutsche Wissenschafk bringt in einer Zeit, wo man
&8t AUes, was die katholische Kirche und das Papstthum betrifft
zur Seite zu stellen gewohnt ist. Man sieht jedoch, gehOre man
za dieser oder zu einer andern Partei, leicht ein, dass der Papst
in kirchlichen Dingen Nichts andern kann, ohne den KatholicismuB
zu ge&hrden. Von dem weltlichen Regiment wollen wir hier niobt
sprechen, weil auch das Buch Ton Phillips in dem sechsten Band
nicht darauf berechnet ist. Auch im fünften Band §. 244 hat
Phillips diesen Punkt nur berührt, von ihm aber als eine Wesen-
heit dee Primats angesehen, und nie hat es den römischen Munici-
pien an der Municipalfreiheit gefehlt. Rosshfrt.
Eaträit du Cataloguß di la BibliolMque du Smateur Hube, Csn«-
guUmt Partie, Halte. Varswie 1864. (Inprimerie de la QaaMe
de Pölogne).
Der Verfasser hat seinen Standpunkt natürlich in Beziehung
auf seine bibliographische Sammlung so weit gestellt, als dieWie-
senschafb Bedeutung hat, und zwar naeh 22 Ländern oder Bezir-
ken. Vor der Hand legt er uns die 5. Darstellung — Italien tot,
seit dem Einfalle der Barbaren.
uns kümmert bloa die Sammlung seiner italienischen Statu-
ten, über die wir uns kurz rerbreiten wollen. In diesem Jahr-
hundert ist auch hier viel geschehen, aber viel noch zu erwarten«
1) Savignj in seiner Bechtsgesoiohte IH. S. 518.514 will, daea
erst der AnJBEUig gemacht werde ron Gelehrten, welche ihr Leben
in Italien ffthren, und welche den ersten Apparat zu dieser Lite-
raturgeschichte herbeibringen, nnd schwerlich kann dieses ein Ein-
nlflsr tlmn. An einten Orten, s. B. in Piemont} kaben sioh Yiali
■H groMfln Krftften lasammengeiliAn nnd doeh ist Viel sa wtUi*
•ehfli; aber was Einselne gethan haben s. B. der VerfMser diesor
BeMBiion in seiner Dogmengeschiohte und in seinen nicht gedmok«'
ten Sftmmhuigen ist kaum aninschlagen« 2) Das yorliegende Werk
iit wichtig, weil der Ver&sBer bestrebt war, mit grossen Kosten
in nemlieher Ent&mnng Ton Italien diejenigen Arbeiten sa $tm^
■afai, ans welchen sich literarische and dogmengeechiehtliche CoBr
Hqiifluen siehoa lassen. Bs gilt daher snerst der Bibliothek des
Yeifiiisers. Dem Verfasser war es nicht darum sn tban, eine litor
nrgeschichtliche Darstellnng sn geben, er wollte nur eine
Uebenieht der Drucke nnd Handschriften bringen xnr Untsrlai^
ftr eine qiäteare Bearbeitung, die er selbst yomnehmen gedenkt.
Au wichtigsten wird hier sein, die neuesten Statuten in ihrer
Qiolle nachsuweisen , denn, wenn auch römisches, caaoaisehes
Becht und eonsuetndines generales manchen Einfluss auf die spft«
teren Statuten hatten, so wnneHen sie doch in der Vergangenheit»
Dtrin sind die refonniiten und neuesten Statuten wichtig» dass sie
nktm das moderne System haben: Staatsrecht und resp. Verwal<»
iangB- und Polizeirecht: Prosess*, Priyatrecht und Strafrecht: und
« iit kein Zufallf dass dieselbe Ordnung auch im canonischen Becht
TorköHimt. Za dem Zwecke des Studiums des canonischen Seohts
ktte der Becensent vor fast swansig Jahren in Italien sich dem
ttadimn der Statuten hingegeben, und Weniges davon in seiner
Dogmaagesehichte entwickelt. Später hat er erkannt, dass es %wekr
alMigSr ist, das historische Verhältniss einzelner Stttdte su
vBterBachen. Dazu sind die oberitalienischen St&dte Ton grosser
Bedeutung, denn sehr schwierig ist es, das Municipalrecht Toa
ftom SU behandeln. Zwar haben wir jetzt eine gute Vorarbeit von
Gregoroyius; allein sie fahrt (es ist nur der 4. Band yor mir)
Boeh nidit soweit. Offenbar stand Bom in einem andern Verhält-
nine m dem Papste: wie die oberitalienischen Städte an ihrem
Biiehof. Die Stadt Bom war unterworfen dem Papst und dem
KaiBer und hatte nur ein souyer&nes Verhältniss zu den Oonmm**
ttlbesiehnngen der Laien. Allerdings gab es einen StUdteadel -^
aid judiees de militia neben den judices de dero : allerdings hatte
& rtoisehe Commune germanische Anordnungen aufgenommen i
>Qeii es gestaltete sich im Conuannalrechte yieles EigoithOmlidbs
od zsm jus scriptum ist es erst spttt gekommen. Qregoroyins
bdet die Bepublik in Bom unter Eugen III. 1144, durch einen
^«gleich begrttndet, und wichtig ist ihm der Vorsteher der Com-*
Qnne Carnshomo im Jahre 1191. Er soll das erste Statut für
^ yezünrtigt haben. Wichtig ist fttr dasOommunalwesen in Bom
& Geschichte der rOmischen Senatoren des Mittelalters, wo dann
V^ter nur ein einziger oder summus Senator und zwar bis jetzt
Witaad. Hi^er gehflren die italienischen Schriften yon Vitale, Ve*
ndütoii und (Hiyiezi, und die deutsche yon Michael Eonrad Cur-
16 XäEMit da Cttalogae de te BOttoOi^se in BMSteur Hube
tius de Sonata Bomano (bei LipeniaB).Sayigny m. Band xweiie
Ausgabe 8. 821 spricht von einer nngednickten Statotensammhmg
des Jahres 1870 und bekannt sind die Sammlungen nnter Sktns IV.
1472, Hadrian VI., Gregor XHL und die neuesten Schriftsteller
sind Muratori tom 21. pag. 94 und die Oommentatoren Oonstan-
tinus und Fenzonius. Man hat behauptet die Statuten der päpst-
lichen Städte seien im Jahre 1816 unter Pius YII durch Gonsalyi
aufgehoben worden, Ranke historisch-politiBche Zeitschrift L Bd.
8* 624 ff. — allein es war dieses nicht möglich, weil man in das
r?(misohe und canonische Recht zurückkehren woUte (nicht den Code
Napoleon beibehalten) und weil man hier die Gewohnheiten lassen
mufiste, wie sie auch wirklich noch bestehen: (dall'Olio Elementi).
— Wenn nun eine einzige Stadt einem deutschen Gelehrten so
grosse Schwierigkeiten veranlasst, so ist es unmöglich zu einer ge-
schichtlichen üebersicht der italienischen Stadtrechte zu kommen.
Gewisse allgemeine Betrachtungen müssen uns genügen. So hat
z.B. durch Sayigny aufgemuntert B r i e g 1 e b ein Werk über den
Executiyprozess geschrieben, und nachgewiesen, dass er in den ita-
lienischen Statutarrechten wurzelt. Er hätte dabei Rücksicht darauf
nehmen können, warum im canonischeu Recht nichts vorkömmt,
denn italienische Statuten und das canonische Recht gehen überall
denselben Weg. Der Grund ist, weil im canonischen Recht die Exe*
eution bei der contumacia vorkömmt ; in der Regel nur canonisohe
Strafen verhängt werden, bis zu den Benefizialsachen, wo man das
römische Verfahren der missio — wohl auch der sequestratio fnio-
tnum anwendete. Die Sache war ftLr H. Briegleb bedeutend, denn
wenn er in seinem Werke über summarischen Prozess mit Recht
auf das canonische Recht hinsieht, so hätte er gerade hier und
aioht im römischen Rechte die Grundlage des summarischen Pro-
zesses selbst finden sollen. Davon an einem andern Orte.
Kehren wir nun zu unserm Verfasser zurück Das Buch ent-
hält nur 219 Seiten, und neben der Einleitung, monumens l^gis-
latifs unter den Ostgothen, Lombarden, den Carolingem, die Sta-
tuten des Mittelalters und die neueren Gesetze bis auf unsre Zeit.
Das üebrige ist Literatur. Wichtiger noch ist der zweite Anhang
•— table chronologique des Statuts mit der Verweisung auf die
einzelnen Schriften, aus welchen der Verfasser seine einzelnen For-
schungen gezogen hat. Dass Manches zu berichtigen sein würde,
sieht bei dieser grossen Unternehmung Jeder ein, auch der Ver-
fesser: allein wir sind seiner Bestrebung, seiner grossen Mühe, und
namentlich Demjenigen, was in der Sammlung der Schriften vor-
ausgegangen ist, zum grossen Danke verpflichtet. Wie viel noch
zu thun ist, mag er selbst ftüilen : denn so z. B. hat er das Stadt-
weht von Assisi nicht — eine sehr bedeutende Quelle : hat er die
Schriften von Vermiglioli über Perugia nicht angeführt, die be-
rühmten Buchdrucker jener Zeit, die Chartolari, welche alle jene
Statuten gedruckt haben und zuletzt ihre Wohnung in Rom auf-
Wvttk«! Sadtobveh 4m hmdm Pomb. W
sehhigen a 8, w. — Sein «rciter Anhang enth< einselne Iffi. —
tianieht gedmekt sind, aber mit den bereits gedrnoktenh&ttenxa-
nmmengehalten werden sollen. Z. B. S. 70 wird von der üeber^
lehrift der Statuten gesprochen bei Gnaldo von 6 Bfiehem offieio-
nmi, saper oiTÜibns, snper gabellis, maleficionun, extraordinariomm
dmni datonim* 8. 87 bei Viterbo de regimine civitatis, de eiTi*
bims, de extraordinariis, de malefitiis, de Gabellis, de danmis datis.
Ob unsere Tage den Italienern selbst die Kräfte geben wer-
den^ in ihrer Geschichte zu forschen, wird die Zukunft zeigen. Man
Bselit jetzt überall neue Gesetze z. B. in Turin über den Prosess,
obne den Grund der frühem Zeit die Vergangenheit zu erforBchen,
die Bo Tieles Gute hat, was man jetzt nicht mehr kennt.
RoMbiH.
iädte-Bvch des Landes Poeen von Heinrich Wuiike. Ldpsig
1864. Bei Hermann Fries, gr. 4. 8. 472.
Dies Yorliegende Werk ist wieder ein erfreulicher Beweis, was
deoiseher Fleiss und Gründlichkeit yermOgen. Herr Profeaeor Dr.
Wattke aus Schlesien, welcher auf der Universitttt zu Leipzig mit
nwrkanntem BeifftUe Geschichte Yortrftgt, und durch seine gelehr-
ten Werke, wie z. B. de Thuojdide, Breslau 1841, die Kosmo«
grapbie des Aethikon, Leipzig 1854, die Erdkunde des Mittelalters,
Upög 1853, bekannt ist, hat seine geschichtlichen Forschungen,
besonders dem Osten you Deutschland zugewandt, wie sein Werk :
»Die Entwickelung der öffentlichen Verhältnisse Schlesiens , vor-
oebmlich unter den Habsburgem, »Leipzig 1858, die Schleeischen
^nde älterer und neuerer Zeit, Leipzig 1847, die Gründung der
Unretsitftt zu Breslau, Breslau 1841, Polen und Deutsche, Leipzig
1848, Schafl^urik, slayii^che Alterthümer, Leipzig 1848 u. a m. be-
vnsen. Hier gibt Derselbe einen Codex diplomaticus über das
SUdtewesen in dem GroHBherzogthum Ponen mit einer Geschichte
isr dortigen Stftdte, mit durchgehender HinweiHung darauf, das»
die Gründung der StKdte von Deutschland aus in Polen Eingang
gsfonden hat. Dass dies Werk ganz in deutschem Sinne geschrie-
^ ist, war yon einem Manne zu erwarten, der als Abgeordneter
lun deutschen Parlament in Frankfurt gewählt, kräftig für di«
Bnbeit und Freiheit des deutschen Vaterlandes eingetreten, und
n diesem Geiste auch mehrfach als Schriftsteller aufgetreten ist,
vorüber wir nur folgende Werke anführen: »Deutschlands Einheit,
Refonn ond Reichstag, Leipzig 1848, Pro-Patria! Delegirte, Par-
tout, Reichs- Verfassung, Leipzig 1863, der Stand der deutschen
Veifiisenngsfrage, Leipzig 1860, Gedenkbuch an Schiller, Leipzig
iS55, Jahrbuch der deutschen Universitäten, Leipzig 1842 c ande-
"•» zu gesehweigen.
06 WvUk«: SlftdUbiMb tai Lnde» Poem.
Das Torliegende Werk ist die erste umfoasende Qesehiohte dos
Landes Posen, welches wie ein Keil zwischen Prenssen und SoUaaiea
hineingeschoben erscheint, nnd enthftlt zwei Abtheilungen, y«B«
denen die erste anf 164 Seiten den Abdmck von 253 Urkunden
von 1065 an bis 1775 mittheilt, welche die Grttndong derStUdte
nnd deren Verfassung in diesem Lande enthalten. Dieselben sind
chronologisch geordnet, aber eine genaue Inhalts- Anzeige weisat
zugleich nach, von welchen Jahren mehrere derselben zu finden
nnd wo sie erwfthnt werden. Die älteste derselben betriflt die
Stiftung des Klosters der Benedictiner zu Magilno durch Bolea*
laus n., den Kühnen, und die neueste enthält das Statut der Stadt
Sandberg von dem GasteUan Koszutskj. Ein sehr sorgfiUtiges
Orts- und Personen - Inhaltsverzeichniss erleichtert den Gebrauch
und ist demselben noch ein sehr verdienstliches Wörterbuch bei-
gefügt, welches die in diesen Urkunden vorkommenden fremdartigen
l^nennungen nachweist, deren Erklärung nothwendig schien, z. B,
cmetones, columbatio, Scoti, Ugelt u. s. w.
Die zweite Abtheilung dieses Werkes enthält die (beschichte
der in dem Orossherzogthum Posen befindlichen Städte alphabe-
tisch geordnet^ wobei zu bemerken ist, dass keine preussiscke Pro-
vinz so viele Städte besitzt, als diese , vielleicht auch kein anderes
Land, von denen freilich manche Stadt so klein ist, dass sie, wie
z. B. Radolin den Bang einer Stadt verloren hat, und jetzt nur
noch als Dorf angesehen wird, da sie bei der Zählung von 1858
nur 728 Einwohner in 81 Häusern hatte, von denen nur 117
der katholischen Religion, 11 der jüdischen angehörten, und die
übrigen evangelisch waren; so wie überhaupt die städtische Be-
völkerung sehr viele Evangelische zählt, da zur Zeit der Refor-
mation die Polen viel toleranter waren als die Deutschen, weil in
Polen die ersten Stände damals viel gebildeter waren, als das
deutsche Ritterthum verstattet hatte, Bildung aber stets andere
Meinung leichter duldet als Rohheit. Bei der allgemeinen Einlei*
tung zu dieser Abtheilung klagt der Herr Verfasser sehr über die
mangelhaften Geschichtsquellen, da dieses Land kein Provinzial-
arohiv besitzt, und wünscht, dass der preussische Staat die
Mittel bieten möge, um hier ein gehöriges Archiv herzustellen
(8. 178).
Ueber die Uranftoge der Geschichte dieses Landes klagt der
Herr Verfasser. »Ob Slaven oder Deutsche dieses Landstriohas
erste Bewohner gewesen, ob ihre Scheide der Oderstrom oder die
Weichsel ehedem gemacht hat, ist eine Streitfirage, auf welche hier
nicht einzugehen ist. Alles was wir für unsem Zweck aus den
ältesten Zeiten wiesen, beschränkt sich darauf, dass römische Kanf^
leute und wahrscheinlich vor ihnen die Griechen eine Handela-
straese bis zur Ostsee begingen, die durch das posener Land hin-
dorch fährte. Da in der Schnitsch, an Schlesiens nordÖstUohar
Grenze, zwei Wegstunden von Tschimau und ungefthr eben so
Wuitk«! 8üa««biMh ^^ LandM PMen. M
imii rom, Bojuiowe and Beisen, ein Lagerplatz rttmiscfaer Handels-
kote aoi^fmideB wurde — nämlieh neben Bpnren von Sobansen,
Dmeni zwei glftserne Tbrftnennäpfoben, eine dreischneidige Lanzen-
spitze Yon Stahl, zwei Stttcke Bernstein nnd zwei Münzen von den
Eisern Nerra Trajanns und Antoninns , die anf das zweite ohrist-
fiehe Jahrhnndert weisen — so ist allerdings die Annahme be-
rechtigt, dass Ton Sttd-Eoropa her einstmals ein Earawanenzng in
das poeener Land nnd weiter über dasselbe znr Ostseeküste ihin
ging. Durch die H&ndler wnssten die Gelehrten von vorhandenen
Ortsohaften und der alexandrinische Erdbeschreiber Ptolemftos stellte
un die IGtte des 11. Jahrhimderts die erhaltenen Angaben zn^
ausmen. Er nennt Ealisia, in dem ohne Bedenken Kalisoh zn er-
kfisnen ist, nnd dann, zehn Meilen nordöstlich davon nnter dem
Wh. 58«Bl'Br., wfthrend Ealisia 43H5'L. 520 50'Br. von ihm
angesetzt wird, einen Ort Setidava Er rechnet diese Oegend
noch zn Germanien, von welchem er auf dieser Seite keinen Ort
ttber Setidava hinaus erwfthnt.c Manche halten dieses Setidava für
das jetzige Zidowo, was dem Herr YerfiMser aber nicht für wahr-
scheinlich erscheint, da dieser Name »Jndenortc bedeutet, nnd erst
1762 zur Stadt erhoben wurde. Aus der Zeit der ersten prenssi-
sehen Verwaltung dieses Landes, aus der Franzosenzeit, und ans
der nenprenssisohen Zeit hat der Herr Verfasser wenig Quellen ge-
fbaden. Er sagt: »mehr Aufmerksamkeit wendeten der Vorzeit
einige gelehrte Polen zu. Eduard Baczjnski handelt in seinen
Wspomnienla Wielkopolski (Erinnerungen an Grosspolen) Posen
(1888) 1842. 4. von einer Anzahl Städte allerdings mehr in unter-
haltender als in gelehrter Form, BaUnski und Lipinski boten in
den Starozjtna Polska (Das alte Polen), Warschau 1848 — 1846
IV. geschichtliche Kunden von beinahe 70 Städten des posener
Landes, die sie hauptsächlich aus den umständlicheren Qeschichten
Polens ausgezogen hatten; von einigen derselben wnssten sie fk«i-
höh weiter nichts, als die dürre Angabe der Lage und des um-
&nges zn liefern, von einigen aber besassen sie auch urkundliche
Naehrichten. Sie benutzten namentlich mehrere in den letzten
Jahrhunderten von Commissionen fOr Steuerzwecke aufgenommene
Katastrinmgen (histracya), die Manches bieten, obschon dieselben,
naeUässig angefertigt, auch Fehler enthalten. Ihr Werk, obgleich
die Hälfte der Städte übergehend, ist doch das einzige, in dem
aian einige Auskunft suchen kann. Der rege Sinn für G^eschiobte,
den die P<den bethätigt haben, geht noch den deutschen Bewohnern
Peeens ab. Nach dem Erwerb steht ihr Trachten. MOgen, was
die Väter verwahrloerten , die S6hne desto eifriger pflegen.« Die
ittesten Städte, deren Erwähnung der Verfasser in der Geschichte
gsfimden, sind Knsohwitz und Gnesen im 10. Jahrhundert, die
Blaven liebten Städte nicht; als sich aber der Polen-Herzog Mesko
dem Kaiser Otto I. unterworfen hatte (986), wurde zn Posen ein
Bisthum errichtet, nnd von Otto UI. ein Erzbistfaum in Gnesen
60 Wnttke: Bttdtebnoh dM Lftndes Po0«a.
(999). Doch nacb mehreren Kriegen setste Boleslansl. durch den
Frieden von 1018 die Unabhängigkeit von Deutschland dnrch, und
nunmehr entstanden besonders an der Grenze mehrere Städte als
feste Plätze ; wogegen im Innern manche Städte zur ünbedeutend-
heit herabsanken, so wie Kruschwitz mit seinem Mänse-Thurm im
Qoplo«See, das jetzt nur 630 Seelen zählt, die bei der zweiten
preuBsiflchen Besitznahme bis auf 136 herabgesunken waren. Die
Städte, welche ursprünglich unmittelbar unter dem Staatsoberhaupt
standen, kamen zum Theil bald in den Privatbesitz, und ftihrt der
Herr Verfasser die Schenkung des Königs Wladislaus an, welcher
um das Jahr 1100 mehrere derselben seinem natürlichen Sohne
Sbignew schenkte. Man sieht , dass man ' auch dort zwar das
Christenthum angenommen hatte, aber wie Karl der Grosse und
andere Fürsten das sechste Gebot nicht beobachtete, so kamen, wie in
Deutschland, viele Städte in Privatbesitz , während in Italien sich
mehr freie Reichsstädte ausbildeten. Der Herr Verfasser findet be-
reits zuAnfiangdes 11. Jahrhunderts viele Juden in den polnischen
Städten, so dass dort damals schon mehr Duldung herrschte als in
Dentschland, und mit Recht bemerkt der Herr Verfasser, »dass in
dem deutschen Charakter eine gewisse Unduldsamkeit der Meinun-
gen besteht«; wir würden das mit Göthe daher leiten, dass der
Deu.8che sich weniger mit dem beschäftigt, was ihm am nächsten
jiegt, sondern mehr mit dem fremden. Daher tiefsinniges Grübeln
über das, was man nicht wissen kann, was sich aber der tiefe
Denker so sehr zum Eigenthume macht, dass er nicht leiden kann,
wenn ein anderer sich davon eine von der seinigen abweichende
Ansicht gebildet hat. Auch kennt der Herr Verfasser an, dass die
Juden früh zusammenhaltend geschlossene Gemeinden bildeten, und
kommt dann auf das Drängen der Deutschen nach dem Osten von
Europa, so nach Siebenbürgen und nach Polen, wo besonders das
Land zwischen der Oder und Weichsel noch spärlich bevölkert war,
und das in Deutschland wuchernde Lehnwesen den Aufenthalt auf
dem deutschen vaterländischen Boden eben nicht sehr angenehm
machte. Da die Geistlichen vielfach nach Polen aus Deutschland
kamen, und das Bisthum Posen bei seiner Errichtung unter dem
Erzbischofe von Magdeburg stand, trug dies auch dazu bei,
dass sie die ihnen geschenkten Güter mit deutschen Ansiedlem
fruchtbringender machten (S. 187); dazu trug die schreckliche
Hungersnoth von 1264 ebenfalls bei, worüber der Herr Verfasser
auf Sommersberg scrip. rer. Siles. verweist, und auf den Bischof
Bagufal von Posen, welcher damals sagte, dass keine andere Volker
so nahe befreundet sind, als Polen und Deutsche.
Seit jener Zeit erfolgten die Einwanderungen der Deutschen
in dem jetzigen Grossherzogthum Posen. Sorgfältig führt der Herr
Verf. die in diesem Lande damals bereits bestehenden Städte an,
und bemerkt diejenigen Städte, welche seit der Mitte des 13. Jahr-
hunderts das deutsche Recht erhielten, oder annahmen und anöh
Wuttke: Stildtebttch de» Landes PMen* 61
B0a darauf gegrttndet wurden (S. 200). Es herrschte nämlich da«
mala noch die orientalische Gastfreiheit in solchem Grade, dass die
Fremden ihr eigenthümliches Becht beibehalten konnten, wie noch
jetzt in der Türkei alle Fremde nach ihrem yaterländischen Beohte
leben können. (8. Beschreibung der Moldau und Walachei von dem
damaligen dortigen General-Consul Neigebaur. U. Vol. 2. Auflage.
Breslau bei ü. Kern. 1853.) Anfangs ging die Berufung von den
deutschen Stadtgerichten in Polen an den Sdiöffenstuhl nachMagde*
borg, König Kasimir liess aber von den dortigen Bechtsbücheru
eine Abschrift bei einem daftir besonders in Krakau niederge-
setzten höheren Gerichtshofe niederlegen (1347), um darnach für
die Deutschen in Polen Becht zu sprechen (S. 206) ; doch hörte
seitdem die massenhafte Einwanderung der Deutschen auf.
TrefElich beschreibt der Herr Verf. den in Polen beginnenden
fiflckschritt unter den Jagelionen seit dem Ende des 14. Jahr-
Inmdert. Wie in Deutschland erhob sich der Adel über die Andern,
doch erblühte der Handel, und bemerkt der Herr Verfasser mit
Becht, dass die christliche deutsche Unduldsamkeit es verhinderte,
die Juden in die städtische Verbindung mit aufzunehmen, »an denen
man Träger und Förderer aller Belange der Stadt gewonnen haben
wflrde« (S. 209), dennoch war der Handel nach Danzig und nach
Breslau sehr gewinureich, und die polnischen meist deutschen Städte
wurden noch bei wichtigen Staats -Verhandlungen und Könign-
Wahlen zugezogen: allein der HerrVerfL klagt, dass sie nicht ver-
standen, sich durch einmüthiges Auftreten, Geltung zu verschaffen
(S. 211); so dass die Edelleute allein die Gesetze machten. Wie
sehr dabei die Bürger, die Deutschen, selbst Schuld hatten, dar-
über ftüurt der Herr Verf. ein Gesetz von 1420 an, nach welchem
der Zunftzwang abgeschafft werden sollte. Allein es fand keinen
Gehorsam. Rief man doch noch im Jahr 1848 in Breslau, »Frei-
beit und Gleichheit, aber keine Gewerbfreiheit« ! Auf diese Weise
kam es bald dahin, dass die Landgüter nur von Edelleuten ge-
kauft werden konnten, wie es in Preussen noch bis in das 19. Jahr-
Inmdert hierin Rechtens war; so blieb auch das wiederholte Gesetz
von 1443 ohne Erfolg, welches den Zunftzwang aufhob, wogegen
der König Sigismund August dann dicr Anforderung des Adels, ein
bestehendes Vorrecht der Kaufmannschaft aufzuheben, auf dem
Beichstage von 1543 mit den Worten zurückwies: contra jus-
jorandum nostrum nullius privilegia frangere et mutare possumus.
Goldne Worte, welche man auch heute manchmal herbeiwünscht
(B. 213), besonders in den Ländern, wo wenigstens vor 1848
von städtischen Abgeordneten zu einer Landesvertretung durch-
aus nicht die Bede war; wogegen noch auf dem Beichstage
zu Peterkau 1544, als der Adel die städtischen Abgeordneten
Ton dem Beichstage ausschliessen wollte, der König dieselben
sofort auf ihre Sitze zurückfuhren liess. Die Klagen des Herrn
Verfassers über den damaligen Mangel an Gemein-Sinn, finden
91% Wnttke: SttdMbuoli 4m Uaies Foam.
ein betrübendes Eobo in den deutscben Verh<aioaen, niokt nur
der damaligen Zeit» sondern beinah bis znr Gegenwart. Leider
verloren die Deutsohea» wie der Herr Verf. bemerkt, die Ackiang
in der eie in Polen früher gestanden hatten, dnroh Mangel an Zu-
sammenhalten und durch Entsagung ihrer eigenen Nationalit&t,
worin die eingewanderten deutschen Edelleute mit schleoktem Be-
spiele vorausgingen; so nannte sieh ein Nachkomme der Familie
von Hütten polnisch »Czopskic (von Hut).
Dagegen hatte die höhere Bildung des polnischen Adels, wel-
cher damals häufig in Italien studirte, während der Deuisohe auf
seinen Burgen verbauerte, die Wirkung, dass in religiöser Betie-
hnng freisinnige Ansichten leichter Eingang fanden, wie die Auf-
nahme der in Deutschland verfolgten Hussitten und spater der
Evangelisohen in Polen beweist. Der Oewissensswang in Deutsch-
land führte daher wieder viele Leute nach Polen, so dass guue
neue Städte entstanden, wie z. B. Bawita 1682, Bojaaove 16S8,
Introsohin 1642 u. m. a. Mehrere bereits vorhandene Städte er-
hielten bedeutenden Zuwachs, wie z. B. Lissa, Fraustadt, Kobilk
u« a. m. (S. 217), obwohl es auch hier an geistlicher Yerfolguag
nicht fehlte.
Sehr richtig setzt der Herr Verf. auseinander, was den Ver-
fall von Polen und die Theilnng Polens herbeiführte, hier war dir
Adel Alles, einen Bttrgenstand gab es nicht, und der Bauer wer
weniger als Nichts, er war rechtlos und nnr mitunter von einem
Beate des alten patriarchalischen Sinnes gehaltwi; doch muss man
dabei sagen : mutato nomine de te fabula narratur ; denn in dem
benachbarten Schlesien, Pommern u. s. w. war es ungeachtet der
geprieeenen deutschen Cultur wenigstens in Ansehung des Bauern
nicht viel besser« So führt der Herr Verf. die Q^hichte des
Landes fort bis zn den neuesten Ereignissen von 1848.
Den hauptsächlichsten Theil dieses Werkes macht die Qe*
schichte aller posensch^ Städte aus, welche alphabetisch mit sei*
eher Gründlichkeit vorgeführt werden, dass man mit wahrer Be-
wunderung den Fleiss und die Sorg< anerkennen muss, mit
wdoher der Herr Verf. im Stande gewesen ist, bei den no sehr
mangelhaften Vorarbeiten etwas so Gediegenes zu leisten.
Neigebniir.
BUb«: Dl« gomioli« KüttOdie DmU^b. U
L 0. Bi^tncy die gÖUHehe K^mddU dei DanU Migkieri, ÜöeneUi
md erUad$rt HMe 1864.
Mit dieeem Werke ersoheiiit, wie aas der Vorrede herrorgebti
der AbaehhiSB der Arbeiten einee in diesem Fach hoehTerdienUn
mid eknrttrdigeii Veteraaen der Danteliteratar. Herr Blaue be-
gMin die Frfiehte seiner nxnfageeBdeD Stadien über Dante, wenn
wir nicht irren, im J. 1832 beranszugeben in dem wichtigen Werk-
ehen: »Die beiden ersten G^sftnge der göttlichen Komödie, mit
BSckrieht auf alle frühem Srkl&rangsrereaehe. Er hat darin eine
SiUftnmg des Sinnes der ganzen göttlichen Komödie anj^eetellt,
der er bis jetzt nach 30 Jafarm trea geblieben ist, ein Beweis
etiles Torhergegangenen tiefen Stndioms des GMichts, der Philo-
sophie, üiecäogie nnd Weltanschauungen jener Zeit, dem wir die
gebührende Anerkennung zoUen, wenn wir auch mit manchen Mei-
inmgen und Ansichten nicht ganz einverstanden sind. Im J. 1844
enehien seine Orammatik der italienischen Sprache, die gerade
nioht einem schnellftrtigen Italienreisenden passt, aber unendlich
wichtige Aufschlüsse für das Verstehen der Sprache Dante*s und
flberhsupt der italienischen Klassiker gibt. Darauf folgte 1862 eein
Yocabolario Dantesco, womit Blanc den Lesern der Göttlichen Ko-
aiBdie einen ausserordentiiehen Dienet erwiesen bat und das zum
Ventlndniss des Wortsinns unentbehrlich ist. Sehr schfttzens-
werth ist auch sein »Yersueh einer bloss philologischen Bridttrang
mehieiei dunklen und streitigen Stellen der götÜicben Komödie, €
irehher in den Jahren 1860 und 61 erschien. Die Erwartung der
Fortsetzong dieses Werks ist leider bis jetzt unbefriedigt geblie-
ben, mid wir hoffen selmliohät, dass dem betagten Yerfuser noch
Mose, Wille und Kraft übrig bleibe, so wie die Hölle, so auch die
beiden übrigen Cfresftnge des Dante*schen Gedichts kritisch su be-
ttbeiten« Vor Allem aber möchten wir nach dieser üebersioht
▼OB bedeutenden Werken dem Herrn Blanc den dringenden
Wunsch aussprechen, dass es ihm gefallen möchte, seine yieleii
▼ortreilichen, in den Zeitschriften besonders in Brsch und Gruber' s
B&eyclopKdie zerstreuten Aufsätze über Dante und die italienische
Uteratmr überhaupt in einem Band gesammelt dem Publikmm zu
ftbergeben. Wir würden aus einer solchen richtig geordneten Samm-
lung über die moderne Literatur der Italiener mehr Kenntnisse
^d eine bessere üebersicht ihres Verhältnisses zu anderen Lite-
ratoren erlangen, als aus den gespreizten Schriften des selbstzofrie-
donen, rielberäucherten, mit den Jahren immer ultramontaner wer-
denden Herrn Beumont, dessen häufige Seufzer über das Sinken
der Jesuiten und geistlichen Beaktionäre und so wohlthätigen
Klöster und dessen Anpreisungen aUer gut katholischen Tendenzen
)^er ein tiefes Studium der Geschichte verräth, noch Vertrauen
iii seine Ansichten über Mäzmer und deren Schriften erweckt« Was
e4 BUne: Die göttllclie Koiii5dle DanWs.
die vorliegende üebersetzung betrifft, so ist sie im Ganzen Yor-
trefflich, liest sieb, trotz dem, dass sie den Sinn Dante's genan
wiedergibt, für Deutsche sebr fliessend ohne die Eigentbttmlichkeit
der Ausdnicksweise des Dicbters zu verwiscben. üeber einige Un-
deutlicbkeiten, die wir beim Durchlesen des Paradieaes gefunden
haben, wollen wir mit dem Verfasser um so weniger rechten, als
die betreffenden Stellen im Urtext dem Yerständniss eine grosse
Schwierigkeit verursachen. Das Einzige, was wir allenfalls auszu-
setzen hätten, ist der Mangel an ausreichenden Erklärungen. Die
gegebenen sind zu dürftig für ein so äusserst schwer verständliches
Gedicht. Die göttliche Komödie wird allerdings, selbst mit An-
merkungen reich ausgestattet, nie ein populäres Gedicht werden,
das wird Herr Professor Braun trotz seiner Üebersetzung und sei-
ner-Versicherung erfahren. Sie bleibt immer ein Gegenstand des
Studiums für ein ausgewähltes Publikum, für welches aber auch oft
ganze einzelne Gesänge ohne Auseinandersetzung der in scholastische
Formen eingehüllten Meinung Dante's ihr Interesse verlieren. Und
selbst ein solches Publikum würde wohl eine reichere Zahl von
Erklärungen dankbar angenommen haben, weil ihm dann der Ge*
nuss nicht durch zu langes Besinnen und Grübeln über einzelne
Stellen vergällt worden wäre.
Biblioteca d'autori Ttaliani. Unter diesem Titel gibt
die thätige Brockhaus' sehe Verlagshandlung eine Beihe moderne
italienischer Schriftsteller, Dichter und Prosaisten heraus. Nach
dem bis jetzt Erschienenen scheint jedem Autoren ein Band ge-
widmet zu sein. Der erste Band enthält die berühmten Promessi
Sposi von Manzoni, der zweite die Gedichte und kleineren morali-
schen Werke von Giacomo Leopardi, der in den dreissiger Jahren
zu dem Verein von bedeutenden Männern beiVieusseux in Florenz
gehörte, nebst einem Abriss seines Lebens von Banieri ; der dritte
Band, der im vorigen Jahr erschien, die Novellen des Staatsmanns
und Historikers Oesäre Balbo, der sie am Ende der zwanziger
Jahre in seinen aufgezwungenen politischen Musetagen schrieb. Bei
der grossen Mühe, die man immer noch hat sich gute italienische
Werke zu verschaffen, wird diese Bibliothek, die mit Geschick und
Eenntniss geleitet wird, dem Publikum sehr willkommen sein, und
wir empfehlen das Unternehmen angelegentlich seiner Theilnahme.
It. i. HEISELBEBGER ' 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
KrüiKhe Beiträge 9ur iatemieehen Formerdehrt von W. Cor$$en.
Leipzig. Druck und Verlag von B. 0. Teubner 1863. XU und
608 S. in gr. 8,
EImh so bekannt wie auch anerkannt ist das vor einigen Jahren
«ichienene, ans einer gekrönten Preisschrift hervorgegangene Werk
der Yerfuser's über Aussprache, Vooalismns nnd Betonung der
Itteinischen Sprache: in vorliegendem Werke übergibt der Yer-
fusar die Ergebnisse seiner auf demselben Gebiete weiter fortge-
Ktxten Forschung, nnd verdient dasselbe gewiss die gleiche Be«
adkiong, wie sie jenem grösseren Werke zu Theil geworden ist,
schon darum, weil es sich in seinem Inhalt an jenes Werk ge-
lissermassen anschliesst und alles Einzelne mit gleicher Orttnd-
Udikeit und gleichem Scharfsinn behandelt ist. Es enthält näm«
fich das neue Werk »eine Beihe von Untersuchungen über die
Livtgestaltung , Wortbildung und Wortbiegung der lateinischen
Bpmdie, die der Form nach aufgereiht sind an dem Faden der
üatlehre, weil dieser in dem Labyrinth sprachlicher Forschungen
te sicherste Führer ist und bleibt ; Theils bezwecken dieselben die
htiaag und Sicherstellung bisher gewonnener Ergebnisse der neueren
Spracbforschung für die lateinische Formenlehre, indem sie das
Uidttlibare von dem Sicheren, die Spreu von den Eömem zu son-
hra Torsuchen, theils bieten sie den Ertrag meiner eigenen in den
btitai Jahren der lateinischen Sprache zugewandten Studien, die
ia immittelbarem und ununterbrochenem Zusammenhange mit frühe-
ton Aiheiten auf diesem Oebiete stehen, und legen sie in eingehen«
^ Begründung dem ürtheil der Mitforscher dar.« Mit diesen
Worten hat der Verfasser im Vorwort den Gegenstand wie den
Zteek seines Werkes bezeichnet, welches nur feste und gesicherte
I^tate auf diesem Gebiete vorzulegen bestimmt ist und damit
I «M sichere Grundlage dieser ganzen sprachlichen Forschxmg ver-
I Uien soll. Es ergibt sich aber eben daraus die Wichtigkeit und
1 & Bedeutung dieser Untersuchungen, die um so nOthiger hier ge*
^ erscheinen, wo in Manchem noch so grosse Unsicherheit und
1^>eewissheit herrscht, oder, wie der Verf. sich ausdrückt, neben
9iichen und guten Früchten >auch manches Unkraut, emporge-
«teheri ist. Insbesondere ist die lateinische Lautlehre aus 4lit
Mgen gerathen, indem ihr Lautwandelungen , namenMich ConSo^
Menwechsel zugeschrieben worden sind, die der lateinischen
Ipaeiie fremd waren und lediglich aus verwandten Sprachen,
ttnenUich aus dem Sanskrit und Griechischen auf dieselbe über-
LVm. Jahrg. 1. Heft 5
66 C«rs8en: Krttiiche Qetirlge.
tragen siadc (S. VI). Es mag daraas zugleich die Stellnng des Ver-
fassers erbellen gegenüber einem, auch nach unserer üeberzengung
in so Manchem tlbertri^beneii 8treben, andere Sprachen , nament-
lich das Sanskrit herbeizuziehen zur Erklärung lateinischer Worte
und Formen ; diesem Streben steht der Verfasser ferner, und wemi
er daher da, wo er nach einem sicheren Boden sich umsieht, den
et allerdings ofb näher in den alt-italischen Dialekten, die ihm,
wie Wenige bekennt sind, findet, seine Polemik gegen das Heran-
ziehen femer liegenden Wurzeln, namentlich aus dem Sanskrit er-
hebt, so ist diess doch stets nur mit Umsicht und Takt, wie in
einer würdigen, durchaus nicht verletzenden Weise geschehen.
Der Inhalt des Ganzen besteht aus drei Theilen, deren erster
die Oonsonanten, der zweite die Vokale behandelt, der dritte han-
delt : Zur Betonung. Im ersten Theile werden nach sechs Abthei-
hmgen unterschieden: Gutturale (k. c. qu. g.), Linguale (t. d.),
Labiale (p. b. f.)i Nasale (m. n.), Liquide (1. r.), Sibilanten (s.
j. V.); im aweiten: Lange Vokale (a. n. e. i,), Zur Wandelung
der Vokale, Zur Kürzung der Vokale in Endsilben, Zur Tilgung
der Vokale. Diesä ist das Schema, nach welchem die einzelnen
Wörter, wie ganze Bildungsformen und Wortbildungsklassen, wor-
unter namentlich die verschiedenen SuMxa als Gegenstand beson-
derer Aufmerksamkeit und Behandlung genannt zu werden verdienen,
in Untersuchung genommen werden. Welche Bedeutung und Wich-
tigkeit daher diese Untersuchungen für die Behandlung der latei-
nischen Grammatik, namentlich in ihrem etymologischen Theile,
ferner für die gesammte Lexicographie mit Einschluss der Syno-
nymik besitzen, welche Förderung sie für eine gründliche Erkennt-
nis« der lateinischen Sprache selbst bringen, wird kaum noch einer
besonderen Erwähnung bedürfen, und eben dämm wird es auch kaum
nöthig sein, hinzuweisen auf so manche andere Bemerkungen, welche
hfcer und dort eingestreut, für die Kritik wie die Exegese einzelner
Stellen lateinischer Schriftsteller, namentlich der Dichter nutz-
bringend sind, die richtige Erklärung und Auffassung einzelner,
meist mehr oder minder bestrittenen Ausdrücke angeben, oder auch
den Üntersehied in Formen und Ausdrücken der altem LatinitSt
von der späteren nachweisen, insbesondere auch manche Eigen-
namen, und selbst Göttemamen durch eine richtige Erklämng, die
aus dem hier nachgewiesenen Urspmng des Wortes hervorgeht, Ins
Lieht setzen. So findet, um ein kleines Beispiel der Art anzn-
iHtoen, 8. 425 JuvenaVs (VH, 134) so viel besprochene stlata-
ri» Purpura seine einfache Erklärung darin, dass stlat-a-rlnm
entstanden aus strat-arium, wie stlatus aus stratus, döm-
MMh ein Purpur gemeint istj der zum Teppich gehört, also von
einem gewirkten purpnrfiirbenen Teppich die Rede ist. So Hesse
^ch noch gar Manches ähnlicher Art anführen, sowohl was die
richtige Aufassung und Erklärung einzelner Worte und Stellen,
insbesondere aus der alteren lateinischen Literatur betrifft, als ancli
0«ifM«ti: Kvittnfte BeIMM» 69
in Beng 8iif die Kritik (vgl. e. B» & 6, 220); mr köaMn «Mi
Afl68 iiief nickt im EintciiieB anftthren, da der beaehrtUikte Bamn
fbaeer Bläser es nickt gestattet, wir mtUsen nni begattgen, auf
diese reicka Faiidgrabe iu Allgemeinea verwiesen und anfiaearksaai
funsoht LH kaben. Und wean Miau aaek in eiazekMn lUlen,
aeüoiiliok in solehea, wo es siok um die eiymologiseke Feststelltuig
der CkiimdwiMsel kand^, dem gelekrten Verfasser nidhi in AUem
m folgen geneigt sein sollte, in sofsm hier noek nickt die völlige
Sicheiäeit errei^t sdkeint, so wird man um so lieber dem Ver**
bsser flberall da folgen^ wo er den poeitiren önmd und Bedien g#4
fonden mid Ton hier aas Anwendmg tmd Qebranek des Wortes
wiiter T^eiolgt; mid darin liegt nack nnsexer üebteaengung ein
HsnptYomg dieser Foradmngen. Wir wollen nnr «n einigen Viihm^
die wir aas der Ffifle des kier äebotenen kemasnebmen» diesswMk
siher aackveisen.
in dem Absoknitt, der Ton den Gutturalen kaadeh, mOtkten
wb msbesoiidere anfmerksam macken auf die gleiek am AnÜMif
befindHeke Srdrismi^ über dasSekwind«i des k-I^uies, den An»*
bU des e n« s^ w. , was eu einer aosfikkrlickan Be^recknng der
Fnrmen sectinSy setins wie secins, ssqmins goftlkii bait
(8. 5-*-12), Ten wekken setins als die am besten vevbflDrgtft
ioam anezteüvt wird^ wftbrend die alte Form seetins siebt ab^
mkogaen ist, der Scbrabart seqn iu s dagsgen kein semlerliokes tik^
wislit beisakgen ist,, wenigstens niekt mekr sls dem zaklnMok voricom^
■enden s e o i u s* In wie weti die etymologisebe Unter sochong, weldie
»etins aof denselben Stamm wie segnis eurllokfUirt, nnd eben
dadorek anok sn dem Ergebniss gelangt, dass. sstius neben
wäinB den Wegfall eines mrsprOngkieken c nach Yokalen yor feft^
Igmkim i neckt erweisei, fttx sicker gestellt sabetsaokten ist^ W4gen.
vis niokt .sa entsekeiden, da hiev deek noek eiaogem Bedmiken
iaimi gebissen ist, aber anfmerksam sn maeken a«f die noek Manekes
Andsm in d«n Ereie der Srihrtenuig ziekende, gewies belehrend»
üfttevsaekimg dürfte wokl kier am Platze^ sein* Dagegen wixd man
uMingt dens Yee&sser beipfliekten in der Sk 12 £ geführten
^Mheidigüiig von oenviciiim (wie auek Y errins Flaoens sokrisb)
ftlr daa mdängst empfoklene convitimn, weleke Schre&bnng anok^
M ksinem vömisoken Gnunmatiker vorkommi; etymelogisck wird
die Brkkkrang Ulpiaifs (»qnun in nnom pkiree -voces oonlenuilnr^
«onTleiam appe^ator qfsaei oonTOcinn^ angenommen nnd ge«'
leigl^ wie der üekergang roa o (in vox) in. ein kmges i kefams
Bedenken nnterliegen kann. In üknlioher Weise wird «nek die
Sskrsibari snspicio für snspitio (wie in alten HJaadeohriaen voT'^
koMmt), als die riekiigere et7m<4ogifleh naehgewiesen (S. U. 16),
flbm m anok oiUm (8. 18). ^ In demselben Abeohnitt 8.48&
gabt dsr Yatfasses in eine nilkere Üntersneknag Über Qv mid Qr
on;. er gebmgt im der Frage naok der etymodegisehen Sboetstehisg
Öse. <|9^ j» ^em Ssfebnissy das» dasselbe naokweislioh in mehreren'
SttUen ftm kr entstanden ist, und daüdiess aacb in aadezn nooh
nioht sicker naehgewiesenen FfiJlen mö^eh ist, dass aber qv niebt
überall aus kr bervorgegangen sein rnnss, sondern im Bereiob der
lateinisoben Spraobe aucb aus c entstanden ist (8. 52)*
In dem Abecbnitt, der von den Lingualen t niid d bandelti
iet der y erfEiseer zu einer umfassenden üntersnobnng Aber das La»
teiniscbe öenindium (S. 120 ff.), geführt worden, auf weiebe wir
um so mehr aufmerksam machen müesen, als mit der etymologi-
schen Erörterung auch die des Sprachgebrauchs verbunden ist und
infibesondere nachgewiesen wird, aus Stellen der lUteien Dichter,
wie selbst der Prosa der Ciceronischen und Angusteischen Zeit,
dass hier das Neutrum streng in dem Sinne von Yerbalsubstanti*
ym auf ti~-on gebraucht wird und daher auch der Genitiv damit
Terbimden wird, mithin ein substantivischer Gebrauch des Gersur
diums klar vorliegt, während eben so auch der verbale Gebraoeh
des Gerundiums, wo es mit dem Acousativ verbunden wird, (gerade
wie auch Verbalsubstantive im Altlateinischen mit dem Aocosativ,
den dasVerbum, wovon sie gebildet sind, regiert, sich verbunden
finden) durch Beispiele näher erörtert wird und an dritter SteUe
nodb auf den adjectivischen Gebrauch in der Verbindung mit Sub*
stantiven in gleichem Numerus, Genus, Casus mit passiver Bedeur
tung (Gerundivum) hingewiesen wird* So hat »also das mit dem
Doppdsuffiz on-f'do gebildete Verbalnomen, das mit dem eigsnt^
lidi sinnlosen Namen Gterundium bezeichnet wird, im Sinraohg»-
bzauch eine substantivische, eine verbale und eine adjectiviselie
Verwendung erhalten und ^e Beziehungen des Aktiven und Passi-
ven, der Nothwendigkeit und der Zukunft wurden in dasselbe erst
durch den Wort- und Gedankenzusammenhang hineingetragen.«
(fi. 188) umfassende Erörterungen ähnlicher Art finden sich aook
in d«n folgenden Abschnitt über die Labialen, wie z. B«, über
famulus und familia, die auf einen Nominalstamna fia*
m& oder fa-mo zurückgeführt worden, welcher Haus bedeuten muse
(& 184), womaoh also in familia die Bedeutung Hausgenos-
aen 8 c h a f t hervortritt, und die verschiedene Anwendung im Sprach-
gebrauch hier weiter nachgewiesen wird. Wenn S« 197 fas, ne*
fas, fastus, nefastus auf fa-ri zurückgeführt wird, (mit Be*>
2Bg auf dies fastus, ein Tag, an welchem Becht »gesprodieii«
wird und nefastus, wo diess nicht geschieht), so wird man dieser
einÜEkchen Ableitung nicht entgegentreten können. >Wie f»>tii*ai,
hebet es dann weiter, eigentlich das »Gesprochene«, dann »Schioic-
salflspruch, Ausspruch des Gottes« wie loca ef-fa-ta »heiliggespro^
ebene, gottgeweihte Oerter« bedeutet und eben dasselbe audh.fa»
nu-m, eben so bat £a-s den Sinn »göttliches Wort, göttliches Gbboi«
erhalten.« Nicht minder beachtenswerth erscheint, um nooh em
anderes Beispiel anzuführen die S. 21 7. ff. eingeleitete Untersoohimg
über fostis, hostis. Wenn dieses Wort meist für dasselbe
Wort wie das Gothische gas-t-s und das Neuhochd. gas-t aii->
geaalMi loid daher die Bedentnng »GMtfkwmd« ftr die
Me aagMelieik wird, so ist der VerfiMser hier einer gsni
Amicbi Br ftllirt alle die Stellen der Alten an, in welohen irgend
dae taf dieaee Wort besttgliehe ErUttnmg sioli findet, wie t. &
diB Olorae peregrinne, nnd saolit dann inieigen, daee hostis
ii der iHeron Spraebe aJe das gebrftnehliohe Wort fGbr Kriege«-
feind erscheint, nnd Hbeiliaiipt immer den Gegner des civis B^
minis, sei es anf dem Schlachtfelde (also den Kriegsfeind), sei es
m Gsrieht (also den Ansiftnder, peregrinns), bedeute. So wird
aho jene Znsammenstellang mit dem Oothischen gasts yerworfen,
dM «ine gans andere Bedentnng hat, als das Lateinisohe boetiSy
wt8 Bsdi der richtigen Ansicht des Verfassers (in Besng auf die
Bekaopiong Ton Serrins zn Virgil Aeneis IV, 424) niemals hospes
iMdeotst hat. Wenn also hostis nrsprtlnglich weder die Beden*
tog eines Gkwtes, noch eines Fremdlings hatte, oder rielmehr ha-
ben konnte, so wird die nreprOngliche Bedentnng »Kriegsfeind«
{m welcher, beilinfig bemerkt, schon Baier in seinem Ezcnrs Xm
iber bostis in den Officien pag. 846 IT. eine Ahnnng hatte) noch
veitsr dnroh die Bedentnng einiger andern, davon abgeleiteten
Wörter, welche der SHeren Sprache eigen waren, sp&ter aber ab-
kttden gekommen sind, best&tigt, insofern denselben die Vorstel-
hag eines feindlichen, gegnerischen Handels sn Onmde liegt (ho*
■fe», hostimentnm, redhostire); dass aber ein Volk, welches in
iMe, ksam seitweise nnteri>rochene Kampfe mit seinen Nachbarn
vwviek^ war, sich gewöhnte, in jedem Ausländer oder Fremdling
iKh einen Feind zn sehen, nnd daher ihn anch mit demselben
Worte (hostis) beseichnete, erklftrt die Bedentnng peregrinns, wo*
■H slk Glossen das Wort hostis erUftren. Wie anch im (Me-
(^bea bei dem Worte iivog Etwas AehnUches vorkommt, in se
hn ee den Kriegsfeind, wie den AnslSnder beseichnet in der Sprache
te ^Nfftamschen Ephoren (Herod. IX, 11), ist bekannt.
Man wird das Ergebniss dieser gelehrten, noch Manches An-
^T was damit in Verbindung steht, heransiefaenden nnd ins Licht
"teden üntersnchnng gerne beachten, selbst wenn man der
^>na gekntlpften üntersnchnng über die Wnnel, die in diesen
Woribildingen enthalten ist, nicht die gleiche Sicherheit snerkennen
*^He. In dem Abschnitte, der von den Nasalen m nnd n han-
Wt, bietet insbesondere die nmfbssende üntersnchnng, welche dem
^^^^mianten n (8. 255 ff.) gewidmet ist, eine Beihe yon interes-
^ "ttten fiii^Tteningen, von welcher wir nnr anf Weniges hier anf-
?**k»m machen wollen: es wird nemlich hier mn&ohst von dem
J^Äkenden, dann von dem anelantenden n einer Anzahl vonWort-
^^"^ gehandelt, üeber den Lant dieses Gonsonanten selbst spricht
^ der Verf. 8. 270 in folgender Weise ans: »Das Lateinische
} Itttte einen scharfien, festen Znngenlant im Anlant der WOrter,
•* tlaöt xwischen Vokalen nnd mit Ansnahme der späteren Volks-
^'Wbe auch in der Begel vor dentalen Mnten; es hatte einen
99 GtTttvnc SiÜiRbt^ B^iMgia^
iiwwfelU- iWttw T<m im Iidant defc WörteiT Tor fiflgtaMfem «» ia
lli|MMNMat1lge06is(eii WOriem T<»r dw HalbyoMltiii j und ▼ yor dtom
BooUfti^ h roA Yor dem labiodemtalaa HaacUaut f ; es katie eiaoo
gfittipral«!! KlaAg vor den gojtttrmlen Lauten c, q, g, eh und tot
de«) guttejral anlautenden Doppelconflonanton k« (S. 270). Was
die eaiiseln^n bier behandelten Worte und Wortfonnen bttriffk» so
emm^oni wir aoeh Vw nur, Beispieldialber» an die ErOrtorUng
Aber taxn and tarnen (S. 272 ff.) so wie an die üntersoolinng
tV<ar dieAdTerbien auf im, namentUoh auf tim(8. 2790; der
YerftMeer giebt eine ZnnammentteUung aammtUeher hierher ein-
9fiU^gen Adverbien nach den Zeitaltem, in welchen sie im Ge*
braupb waren und den Auslauten der Wortatämme, von denen sie
abgelötet sind; merst werden die ans der älteren LateiniBchea
%Krae)ie vor Aogustus «usammengestellt, dann die bei Sohtiftatellam
der besten Zeit oder allgemein und häufig su allen Zeiten ge*
brttuebliohen, welchen eine AnzaHl solcher Adverbien angereiht werden,
gleiche dem alten Spracbgebranoh angehören, und, währand sie bei
den Schriftstellern der besten Zeit nicht vorkommen, oder viel-
Hiehr aus den uns. zugänglichen SehriAd^ikmalen sich nicht aaeh-
weisen lassen, in spaterer Zeit wiederkehren. Dann wird «ait«r
noch unterschieden swisohen den bei Schriftstellern der altoren
Kaiserzeit nach Augustus vorkommenden, welche ebenfalls imsam-*
mengestellt sind, und zwischen denjenigen, welche dem Oebrauehe
der spl^ten Kaiserseit, zum Theil schon ehrisülohen Sohriftstellem
aw^l^dren und noch ziemlich zahlreich sind. Es ergiAbi sich
aas dieser ganzen Zusammenstellung der häufige Gebrauch der ao
gebildeten Adverbisn» so wie aueh, was der Verftsser weiter mit
Grund darww folgert, dass diese Bildungen der Volkssprache ei-
genthümlicb waren; eben so lehrt diese Zusammenstellung» tdam
die Adverbien auf tim von Yerbalst&nunen sowohl mit vokaliacheai
als mit conaonantiachem Auslaut gebildet sind, dass sie sriten ane»
g(^n vo^ Yerbalstämmen, die auf e, i, u auslauten, ganz aberaas
hilufig aber von denominativen Verben der A - Conji^^ion, na*
türlich« da diese im Lateinisohen die bei weitem Überwiegeade
Klasae von Senominativea bilden« (S. 285). Aueh die Erörtema-
gen über nnm, nempe, enim (3. 291 ff.) werden gleiche Be*
achtung verdienen ^ und zugleich auf den Gebrauch und die
Anwendung dieser Partikeln Licht werfen. Wie umfitflSiwiA
die Untereuobung über L in d^n den Liquiden gewidme-
tfn Abschnitt ausgefallen iet» mag schcm daraus erhellen, dasa
4ar«elbe gegen hundert Seiten einnimmt (S. 294— SdO); elwae
kürzer ist die Untersachnng Über B (S. 390—408). Daas wir es
iMis nur ungern versagen» aus diesem wichtigen Absohaitte, wie
aus dem nicht minder wichtigen» darauf folgenden über Sibilantea
(9» i) ▼)> der ebenfeUs an hundert Seiten einnimmt (S. 408--507>
und des Wichtigen und Interessanten so Viel Mithftlt» Binaelnea
anzuführen, bedarf wohl kaum einer Erinnerung» nacbd^a wir nur
u mjuguk Beispielen ftus den vorherg6lMade& Absehnftieii gaaeigi»
wai dar Leeer hier zu erwarten hat. und damelbe giU aoeii TM
der sweiien Abtheilitng des Oanaen, welche, wie irir sokoft oban
beoMrkt haben, die YokaAt behandett (8. 608 — 667). Die driti«
Abtheihug, »zur Betonung« (S. 568—586) eehlieset eioh aa da«
iD, WM der Verfasser in seinem frtthem Werke (Ansftpr. n, 8ftl
bis 838) bemerkt hatte; dort nemlich hatte er die AnBkht be«
grfindet, dass das uns überlieferte BetonittigsgeMts 4er LatMai«
sdien Sprache nicht von jeher in demBelben herraehend gew^saeA
msL kOnne, dass demselben vielmehr eine fireiere BetomngvweM
Torhargegangen, naoh wekher in der älteren Sprache der Hoeäton
sieht dorch die Tondaaer^ der drei letzten BUben nnd imcA dis
Tonlftnge der letzten Silbe gebunden war. Der aunftohit ton &»
Cortins dagegen erhobene Widerspruch hat den YeefMeer T«nui«
bsst, hier nochmals in diese Frage einzutreten ubd seine Anslehi
wider die gemachten Einwürfe zu rertheidigett uttd aufrecht lu
erUlien. Wir glauben auch, dass es dem Yeriasser gehitigeü ist^
seias Ansieht wider die Terschiedenen, hieif sorgfUtig borflDksieb*
tigt«n Einwände gerechtfertigt zu haben« Auf einige Naohtrttge
ond Berichtigungen (S. 587 ff.) folgt ein seht branchbaret Indei
(S. 590 — 608 in doppelten Golunmen) über alle die in diesem WeAtf
behandelten Worte und Wortformen.
Rtptrtorium typographicum. Die d4fsU6k€ LUeruiur im
traten Viertel des eechzehnien Jahrhunderte, in AneeUkee «•
Haim Repertarium undPanger» detäeehe Anneäen, V&n Emii
Weller. (Auch mit dem beeandem Tüei: Georg Wolf^
gang Panzer'e Annalen der äüeren deuteeken LUirethnr
MD'-MDXXVl Dritter Theii. l^aeh den Quettm bearbeim
v(m Emil Well er). Nördlingen. Druck und VeHag der
C. B. BecVechm Buchhandlung. 1804. XVIIJ und 60$ &
in gr. 8.
Dieses neue bibliographische Werk reiht sich den ahnliclieti
Leistimgen des Verfassers, von welchem bereits mehr^Aeh in diesen
Buttern die Sede war, würdig an. Die Mängel des Panser'seheii
Werkes, welche eben so so sehr in der ünvoUständigkeit der ge«
machten Angaben, wie in der Ungenauigkeit derselben Hegen, Ter-
änlassten den Verfasser, das Ganze einer neuen und sorgfiütigen
Kevigion zu unterziehen : die Ergebnisse derselben liegeti in dieeem
Werke Tor, dass darum nicht blos als eine Umarbeitung, sondeta
^Imehr als ein neues und selbständiges Werk erscheiiit. Dicf
Aufgabe, welche der Verf. dabei sich gestellt hatte, ytBx keine ge-
nüge, und eben so wenig leichte: denn ee galt, AUee das, und zwar
Büt aller möglichen Genauigkeit zu verzeichnen, was die deutoehe
78 Weiler: Bepertorlum tjpograplilemii.
Piresfle innerlialb des ersten Yierteb des seehsehnteii Jahrhmiderte
hervorgebracht hatte, den Dracker wie den Dnickort anzugeben
imd eben 80 diejenigen Samminngen, Öffentliche wie Prirat-Biblio-
theken zn bezeichnen, in welchen noch heat zn Tage diese einzel-
nen Drucke sich vorfinden, wie sie hier genan bibliographisch be-
schrieben sind: auf diese Weise erscheint Alles gehörig constattrt
nnd wird über das Einzelne, das hier verzeichnet ist, kein weiterer
Zweifel mehr statt finden können. Dass anch sonstige literftrische
Nachweisangen, Angabe der Abdrücke, der Auszüge n. dgl. m. mit
der genauen Beschreibung verbunden sind und in kleinerem Droeke
nachfolgen, mag den Werth dieser Angaben erhöhen. Die Durch-
forschung der verschiedenen Bibliotheken in Deutschland wie in der
Schweiz war daher geboten: sie brachte auch Manches Nene, was
bisher Unbekannt geblieben war und fllhrte eben so auch zur Be-
urtbeiHmg mancher im Einzelnen verbreiteten, irrthümlichen An-
gaben. Der Verfasser hat die Unterstützung, die ihm dabei von
verschiedenen Seiten zu Theil ward, dankbar anerkannt, nnd es
wird dämm auch wohl an dieser Stelle erwähnt werden dürfen,.,
wie demselben auch aus der Heidelberger UniversiiAts-Bibliothek
von Seiten des Bibliothekars Dr. Bender eine Reihe von Mitthei-
longen über eine Anzahl von höchst seltenen Drucken zugekom-
men sind, von welcher noch in der Nachschrift des Vorwortes
8. Xn dankbarer Gebrauch gemacht worden ist. Erwägt man,
wie es bei so vielen aus der Druckerpresse des sechzehnten Jahr-
hunderts hervorgegangenen Producten sich nicht um grössere, um-
ftingreichere Werke handelt, sondern vielmehr um kleine, oft nur
ans einem oder mehreren Bogen oder Blättern bestehende Publi-
kationen, Flugschriften u. dgl., so mag daraus die Schwierigkeit
nnd Mühe, über Alles derartige genaue Notizen zu erhalten, eben
so erkannt werden, wie der Werth und die Bedeutung einer sol-
chen bibliographischen Arbeit. Und wird dieses Verdienst nicht
geschmälert werden, auch wenn, wie diess in der Natur der Sache
liegt, später noch Einzelnes aufgefunden werden sollte, was noch nicht
dem Verfasser, ungeachtet aller Nachforschungen bekanntgeworden ist
und darum auch nicht hier verzeichnet werden konnte. Es ist wahrhaf-
tig genng des Neuen, was hier zum erstenmal sich verzeichnet findet.
Wir bemerken in dieser Beziehung, dass der Verfasser von Ein-
blattdrucken nur die von Text begleiteten au&ehmen zu müssen
glaubte, nnd dass auch lateinische grammatikalische Werke mit
deutschen Worterklärungm, eben um ihrer Bedeutung ftLr das deut-
sche Sprachstudium willen, aufgenommen wurden, auch wenn Pan-
zerte lateinische Annalen ihrer schon gedachten; was man nicht
missbilligen wird. Ebenso ist der Inhalt werthvoUer Lieder-Samm-
lungen in den Bibliotheken zu Augsburg, München, Erlangen, eben
so einer Reihe Folioblätter in der Münchner Hofbibliothek, ferner
einer grossen Anzahl in Berlin, Wien und München befindlichen
historischen Lieder und Gedichte hier zum erstenmal angezeigt
W«ller: ><pcrtoritt« typogmpiieim. 18
ß. H); mir bei dem Xttneluier BeichsarehiT, wo lieh neben den
iikriftlidie& ürkonden noob Maacbee Oednickte ans der hier m
Betndit kommenden Zeit finden mag, waren die Bemflbongen dee
TflrfMsen TorgebUeb, da der betreffende Arebiybeamte im Yerlanf
Ton Wodien keine Zeit fand, dae Material aofsmmcben nnd rar
wtiteren Benntinng Tonralegen!
Die ganze Suimlnng verzeichnet in doppelten Golnmnen auf
jadflr Seite (mit den Nachträgen) 4096 Nnmmem, rechnet man
ftber dara die noch spftter nea hinzugekommenen nnd nicht mit
Hummern bezeichneten, welche in der Vorrede Terzeichnet find,
so steigt die Zahl über viertansend einhundert Nnmmem,
wenmter allein von Lutherischen Dmcken 560 mehr als bei Paa-
m gieh finden« Denn das erste Viertel des sechzehnten Jahr*
hnderts brachte in Folge der Reformation, nnd der nnn anoh
mmw weiter yerbreiteten Bnchdmckerkonflt eine Masse von solehon
Ueinen Drucken und Flugschriften herror, und wir haben alle
ünadie, die Behauptung des Verfassers fllr sicher zu halten^ dass
«M ziemliche . Menge alter Drucke und Ausgaben im Laufe der
Zeit, in Folge der später eingetretenen kirchlichen und politisdien
Efaipfe, zu Chrunde gegangen und Tcrschwunden ist.
Die Anordnung des Oanzen ist, wie diess die Natur der Sache
mit sich bringt, die chronologische. Zuerst werden die Drucke
ohne Jahreszahl aufgeftlhrt, in Allem 130 Nummern; Tielleicht
gdisgt es der fortgesetzten Forschung des Verfassers, bei Einzel«
m auch das Jahr der Erscheinung noch zu ermitteln ; dann folgt
dM Jahr 1500 mit 50, das Jahr 1501 mit 30, das Jahr 1502 mit
40 Nummern und so fort. Die grosse Genauigkeit und Sorgfialt, mit
«ekher Alles Einzelne verzeichnet und mit allen weiteren literftr*
gMchichtliclien wie bibliographischen Notizen begleitet ist, haben
wir scbon oben erwähnt, und ftlgen in Bezug auf das Verhaltniss
«I dem Werke von Panzer nur die Worte dee Verf. aus dem Vor-
w(nrt 8. X bei.: »Alle M&ngel Puizer^s zu berichtigen, unterliess ich
imBesondem desshalb, weil ich dann fast jeden seiner Titel hätte
conrigiren mUssen, es aber vor Allem darauf ankam, wesentlich
Abweichendes zu berichtigen oder vielmehr neu aufzuführen,
Kese Kategorie ist mit einem f bezeichnet. Panzer kann bei einer
^einstigen, Alles begreifenden Bibliographie nie abgeschrieben,
toekstens verglichen werden. €
Als nützliche Zugaben eu diesem Bepertorium betrachten wir
& Begister, nnd zwar erstens das Typographen-Begister, ein in
^^ten Golnmnen gefesstes, alphabetisch geordnetes Verzeiohniss
d«r der Dmoker, deren Erzeugnisse in dieses erste Viertel des
^eehselmten Jahrhunderts fallen und in diesem Werke aufgefdhrt
^ beschrieben sind, und werden bei jedem Drucker der Wohn-
<^ desselben so wie die einzelnen bei ihm erscheinenden Drucke
oster Beifligang der Nummer, nach der sie in diesem Werke auf-
gBfiÜtrt sindy angegeben (S. 461—476); wir finden in Allem 174
NaaaQ«a lurfgefObrt» die aidk auf 51 Orto yertbeUen, daoniatar allein
20 aa£ Augsboi^, 11 auf Basel und eben bo riele auf Wittienberg»
jlS auf Nürnberg u. s. w. Das andere BegiBter ist ein »Anioren-
und Sacbenregister« (S. 477—506), welche«, ebenfiftUe mit doppelt
ten Colonmen auf jeder Seite, und mit kleinem Druck, sehr um-
fassend ausgefallen ist, da es alle Namen von Verfassern eipiwln*Mr
Drucke, so wie, da wo keine Verfasser genannt sind, der Titel (nach
dem Anfangs- und Hauptwort) in alphabetischer Reihenfolge eot^
hält und, wie bei dem Typographenregister, bei jedem Nam^n die
betreffende Nummer beifügt. Auf diese Weise ist der Gebrauefa
dieses Bepertoriums sehr erleichtert.
Man wird nach Allem dem, waa hier geleistet ist, ürsaohe
haben, dem Verfasser ftlr ein höchst mühevolles und in der Aus-
fühxnng so schwieriges Unternehmen, die wohlverdiente AnexkAn-
nuttg zu zollen ; dass dasselbe, auch abgesehen von seinem nächsten
bibliographischen Werthe, nicht minder wichtig auch fttr andeM
Zweige der Wissenschaft ist, namentlich fUr die Behandlung dar
deutsohen Literaturgeschichte, für welche ein reiches, zum Tbeil
neues aber doch minder bekanntes und benutztes Afaterial hier yer^
zeichnet ist, bedarf wohl kaum noch einer besonderen Erwähnung.
Pü $iädU$ehe und bürgerliche Verf<u9ung des römiBchen Reieha M
auf die Zeiten JusHnian'e. Von Dr. Emil Kuhn, EreUr
TheU. Ldping, Druck und Verlag von B. G. Teubner^ 1864.
XU und 292 8. gr. S.
Diese Schrift enthält die Fortsetzung und den Abschluss der-
jenigen Forschungen, welche der Verfasser bereits im Jahr 1S49
in einer eigenen Schrift (Beiträge zur Verfassung des xGmischen
Beichs, mit besonderer Bücksicht auf die Periode von Constantia
bis auf Justinian) veröffentlicht hatte, von welcher in diesrai Jahr*
büchmi Jahigg. 1850, S. 636 ff. Bericht erstattet worden ist. »Was
in den Beiträgen Fragment war, ist in der vorliegenden Schrift zu
einem geordneten und abgerundeten Ganzen erwachsen: die Ver-
fassung des römischen Beichs an die 'Verfassung der Städte ge*
knüpft. Der Inhalt jener Beiträge ist darin angenommen. Aber
obwohl überarbeitet, und durch 14 Jahre fortgesetztes Stadinm
auf demselben Gebiete bereichert, bildet derselbe nur einen ver-
hältnissmässig kleinen Theil des neuen Werkes. Das Meiste ia
diesem ist neu, auch insofern als die darin behandelten Gegen-
stände in neuerer Zeit zum Theil weniger beachtet worden sincL«
In dieser Weise hat sidi der Verfasser über das Verhältnins des
neuen Werkes zu der frühem Schrift ausgesprochen; und daraioa
erheUt auch die Fassung des Titels^ welcher dem neuen Werke
gegeben ist; e« befasst zunächst die spätere Periode Bom's^ in.
iraUilr Em «ti Stodt nidit mehf dit friÜMtf» B^dBoliiiig h^um,
•b MüUlpukt deslMelm, tondem dieMs selbst «1» Qnues steM
MBor henroririü (8. VI) and darin liegt der UttiersoUed iwiiebili
fiesem Wert» und andern, wekhe, wie die gewOhnUelien Hmi^
bflehor der rOmiechen Antiqaitftten, die irlUiere Zeit behandeln, iä
wriekor Born allerdings den Miite^rankt des Oanam bildeie nnd
dsa flbiige Beiob daran geknUpft ersobeini. Die DarsMfamg defe
Ver&ssers bat demnaeb die spfttere Zeit des rOmisobeii BeiolMS
nd dessen Ver&sBnng snm Qegenstand» nnd da in diesem spile»
lea Seiebe nur von einer stftdtiseben nnd bftrgerliehan
Vedissang die Bede sein kann, insofern was ansserbalb denettMn
Uegt, der Yerwattnng des Beidis nnd den damit beanftragten Ba^
hMeb angebßrt, so ist beides aneb in den Titel der Bobiift a«f^
gemmmen worden. Die Yeorfiißsnng des rOmischen Beiebe in dienst
ipiteren Periode, wie sie in dieser Sehrift dargestellt wird, ist gas«
as die Yer&ammg der Stftdte geknüpft ; »das rönueohe Beleb ist
n denken, als ans Städten bestebend, welcbe der Kaiser beberrsehd*
Biese Städte babM nngeftbr die iUiseere Gestalt eines sottTerfbMB
S^Aweizereantons (?). Der Form naeb stellt daher das vttmisehe
Beteh gleicbsam eine F6deratiTTepnblik iFon souTorftnen Sehwesaer*-
«■tonen dar (?), obgleieb vom I^ser despotiscb befaeirsebtc (S. DL).
Hsck dem Vearf. kann daber nur ron einer stKdtiscben und bürgir»
Heben YorfiMsnng die Bede sein, und flür diese bieten alWdfaigi
die Beehtsbfteber, Digesten und Codices mu Sobema, welclMs sUe
Uerfaer einsoblagenden Punkte umfeuEWt (8. IK). Bs ist aber diese
Diotelfamg Tom YerfiEisser darum bis auf die Zeiten Justimai's
WEahgeftlbrt worden, weil mit Jnstinian die Naehriebten aufhdcen
od ^ antike Welt abstirbt, wftbrend noob unter Constantin and
Jnstinian das rOmiscbe Staatswesen im Ganaen das nämliche wie
Mher war.
In ftnf Abschnitte serfilllt der Inhalt dieses ersten Tbeilea;
tor erste geht von der GMueindeangebOrigkeit bei den Bönterb nnd
im Altsrtbum überhaupt aus, gibt den allgemeinen Begrif und die
Bedingungen derselben an, rerforeitet sieh dann über Abstammung
uid Wohnsits, über Gives und Inoolae, über die Pfliebtigkeit an
SiBiänen Lasten u. dgl. m. und scbliesst mit einer Betraohtong
ftber das YerbAltniss der Land- su den Stadtbewobnem. »Die
VeririOtnisee in dem rümisoben Belobe, bemerkt der Yerf S. 82,
>üid im Gänsen ungefHhr so m denken, wie in dem neueren Italien,
wo der Stand der Possedenti, d. b. der Besitser der Ländefeien,
Wien wesentlichen Aufenthalt in den Städten bat und diese nur
verlftsst, um auf jenen seine Yillegiatura au halten, wie in dem
späteren Born die römischen Grossen die ihrige an der oampani»
sehen Küste hielten. Dauernd finden wir in dem rümisdben Beieh
^ platte Land bewohnt nur von deesen Bebaoem, theils den
8ela?eni wekhe zu diesem Zwecke bestimmt waren, theils freien
ICethem oder Pächtern, Lohnarbeitern und kleinen Eigenthümem,
76 Kvkit: DI«
an deren SteOe bekanntlich in dem spateren iiymifohen Beidie
littrige Bauern getreten sind. Das Wahre mOchte nnn eein, die
Besitier der Landereien, possessores, domini praedioram hatten
Biekt nnr ihren weeentlichen Wohnsitz in den Städten, sondem
bildeten anch die eigentliche Substanz der Gemeinden. — Die Be-
ntaer der Landereien bildeten hiemach den Kern der städtischen
Bevlilkening, nnter denjenigen, welche ihren bleibenden Wohnsits
■nf dem Lande hatten, ist die ackerbauende, an den Boden ge-
fesselte Glasse der BcTOlkerung zu rerstehen : bei üebertragung der
Mnnera mnsste auf die Ersteren die meiste Rücksicht genommen
werden.« Eine pnncipielle Trennung der Oemeindeglieder in Stadt und
Landbewohner findet daher der Verf. unstatthaft, beides, Stadt vnd
Land bildete mit seinen Bewohnern ein Oanzes. Und wenn in der
Mheren Zeit die Verbindlichkeit zurüebemahme der Lasten (Mn-
nem und Honores) alle Oemeindeglieder umfasste und insofern das
eigeatliohe Merkmal eines Oemeindemitgliedes darstellte, so ward
diese Verbindlichkeit in der spateren Zeit auf die MitgKeder des
stadtisehen Senates (Ordo Decurionum) beschrankt, eben weil in
der Stadt die Vermöglichen wohnten, und den Kern der städti-
schen Bevölkerung bildeten. Auf diese Lasten geht darum der
naohefce Abschnitt S. 85 ff. naher ^n, indem er zuerst den ünter-
sehied zwiechen Honores und Munera auseinandersetzt , obwohl im
weiteren Sinne das Wort Munus auch die Honores in sich ein-
seUiesrt, dann ttber die Munera Personamm und Patrimonii, so
wie Aber die Beallasten sich naher Terbreitet. Der dritte Ab-
schnitt S. 69 ff. ist der genauen Auseinandersetzung der Befreiungs-
grOnde von diesen Lasten gewidmet: als solche Ghrttnde werden
anfgefOhrt: das niedere und das höhere Alter, die Anzahl der
Kinder, der Betrieb Ton Handel und Oewerbe, was der VerÜEtsser
mit Orund aus der allgemeinen Anschauung des Alterthums ab-
leitet, womaoh die Richtung auf Gelderwerb blos um dee Lebens
Noihdnrit zu fristen, Oeist und Körper verunzieren und so die-
jenige Wflrde entziehn, die zur üebemahme eines Amtes, das als
eine Ehre in der Gemeinde betrachtet ward, nöthig sei. Es finden
steh daher auch noch spftter Befreiungen von solchen Lasten ffir
Handelsleute und Schiffsftlhrer (navicularii), welche die Versorgung
des Marktes mit Korn und Oel zum Geschäft hatten, für andere
Gewerbtreibende , die irgendwie dem öffentlichen Nutzen dienten,
die Collegiati, Corporati, oder welche ftlr die Bedflrfhisse des
Heeres sorgten u. dgl. m. Insbesondere aber kommen bei diesen
Befreiungen in Betracht Alle diejenigen, welche ein öffentliches
Lehramt bekleideten oder dem &rtzlichen Beruf oblagen, oder ge-
wisse priesterliohe Aemter bekleideten : der Verf. hat hier eine sehr
sorgftltige und genaue Zusammenstellung gegeben S. 88 — 122,
welche zur Kenntniss des gesammten Schul- und ünterricbtswesens,
namentlich des höheren, von Belang ist, und Alles das herange-
K«ka: IM» T«ifrMniBt 4» illBiiilMi RMcte.
Mgon hftt, WM ans dam Beehtsqiidleii » laMbrifttn und •oMÜgm
Sokrififitteken der aUan Literatur darftber in gewionen ist, weet-
klb wir daranf inabesondere anfmwkaam madieB mOekten. Als
mä wäterar Befirehmgsgnmd kommt daim die Abweeettheit am dee
StmtefwiUen (8. 128 ff.), wöbet aber woU la antencheideii ist, fai
130 weit die Abweseaheit in Angelegenheiten der Beqmblioa Ko-
BHtt statt&ad» aber nicht in den beeoadem Angelegenheiten der
Stftdty wttl in dieemn Fall eigentlich keine Befreinng ttait hmd*
Wie siok dann aber in der PraziB diese YerhftHnicee gestalteten,
wild mit Soigfalt nachgewiesen. Endlich werden noch ab Be«
IhimigQgrttnde der Yeteranenstand (S. 129 ff.) and der Offidan«
tflBstsnd (8. 149 ff.) angeführt, so wie der Stand der Beieheseaa»
toiea (8. 174 ff.). Auch diese Abschnitte sind mit der gleichen
SorgfiUt behandelt, und wirft diese ganze ErOrterong ein näheres
Lieht aaf die bllrgerlichen und sittlichen Zustftnde des römischen
BeifihB, wie sie in den Stftdten nnd (Gemeinden sich in der Kaiser«
leil gwiaitet hatten , indem zugleich der gaase (ieschftfta- nnd
Bani&kreis, überiiaapt die gesammte Thätigkeit aller der hier im
SimfaMn Anfgcfikhrten aasftlhrlich ans den Qoelien selbst darge-
kdt wird : daher orklttrt sieh anch der Terfaältaissmlsttg grössere
Uinfiuig dieses dritten Abschnittes (8. 69—226), der mehi minder
onaere volle Anfinerksamkeit verdient. Gegenstand des vierten Ab«
nbittes (8. 227 ff.) ist der städtische 8enat in der frttheren Zeit
ad dessen verttndorte SteUnng zu der Gemeinde in der spiteren
Zeit; Abschnitt Y (8. 257 ffl) be&sst die ttbrigen Stände (GoIobt
PoflNSBores, Negotiatores) in gleicher Darstelhmg. Auf diese Weise
Bsd die verschiedenen Bestandtheile der Bevölkerang des spätem-
iMflchen Beichs in ihren rechtlichen and politischen Besielimigen
^«gwtellt, nnd damit ein Oesammtbild, wie es der Yerf. zu geben
boabflächtigt hat, möglich geworden.
Wemi also in diesem ersten Theile eine Darstellnng der städti*
tthea ond bflrgerliohen Yerfossnng des römischen Beiches gegeben
i>t, flo BoU der zweite bald nachfolgende Theil von den einsK^en
liadem handeln, besonders den im Ofsien, gelegenen, anf welche
tater öztlichen Modificationen die vorher — in diesem ersten Theil
;^ entwidLelte Yer&ssnng Anwendung leidet. Weil mir dort Städte
in dsm angedeuteten Sinne seit alter Zeit v(»^anden waren, (be-
nurkt der Yerfssser 8. IX), habe ich mich in meiner Schrifl in
^ Hauptsache ani die im Osten des Beiches gelegenen Länder
WJirftiikt. In den westlichen nnd Donau-Ländern ist die städtische
Verfittsong erst durch die Bömer eingeführte u. s« w. — Wir
Uien imYorhergehenden versucht, unseren Lesern eine gediltogte
ZnaunmensteUung der in diesem Theile behandelten Gegenstände,
oder viehnehr eine Andeutung dessen zu geben, was hier mit aller
AaifthTÜchkeit behandelt ist, ohne weiter in die Einzelheiten der
'ooebang und die mancherlei daran sich knüpfenden Detailfragen
1$ B«m»«s
uns eiasnlasaeii, weil dan hier der Ort iiioht ki; wir bftben hier
wxr nook die 8olK>a oben gemaehte Bemerkung zn wiederkden, wie
AUes, was in dieser Schrift besprochen and erörtert ist, auf dem
naifassendsten Stadium der Qaellen beroht, die ILberall anf jeder
Seite in dea Aamerkongen *- es sind in Allem zweiians^ad
einhundert neun und dreissig — sieh angegeben finden,
als die natttrlieheai Belege der Darstellung und unter steter Ba-
rHaksiokiigung auch der hier in Betracht kommeaden neasrea Li-
testttar. Die gaane ämaeeie Ausstattung ist sehr begnadigend, ja
voTBügüch; auoh ist der Druck des Gansea, namoitEoh in den
vialen Anftthrungen , welche in den Anmerkungen enthalten siadi
ooneot anegefiülen.
Patüteke Penmmifteatkm in prUckuehm Diehtumgem mU Bgrürkrigk
Ügumg lateiniaeker Diehierund Shaktper^», Bnte Mihmitmg.
Fe8l$ekriß stur Fder de$ dreihunderijU^m Beäehmi de»
Oro»$hmrg0güehen Friedrieh-Frau»» gywttiff sswan aa PasviVa»«
Fm Dr. C. 0. Hen8€, Direetcr. Purehim 18&4. O. WeM»-
rnam^M BmhhoBdUmg. 5i S. in gr. 8.
Der VaifjBflser dieser Festschrift hat es untemommea, daria
iaft Einaelaea aachmnreiaeay welchen ümfimg and welche Bedautaag
dia Persomfloation auf dem öebiete der antiken, zun&ohst grieehi-
»chea Poesie einnimmt: wobei er mit Beeht von der grösseren
Neigoag sur Persoaifioation bei dem gnacMsohen Volke aosgeht,
uad diesa ans dem plastischen Sinne der Griechen ableitet» In der
Pereoiiififiatioa erkoint er ein Mittel der Yeranschaulichnng, uod
da die Poesie überhaupt den Beruf hat, das Schöne zur Ansehaa»
uag SU bringen, so Mh mit diesem Bemfe der Poesie auoh die
besondere Thtttigkest der Persoaification susammen* Man wird dem
VerfcflSflr darin nicht unrecht geben können, eben so wenig auek
dana» wemi er den Ursprung der Personification in der Phaataeia
sacht, oad dermi Thtttigkeit in der peraonificirendan Beseelung der
Natur bei deai Qrieehen weiter im Einzdben yerfolgt, dabei aber
auf die Art der Personüication aufinerksam macht, welche in der
atoderaen Poene sieh kund giebt, zum unterschiede tou der aa»
titan* WUT Tcrweisen desshalb auf die Yorbemerkungen, in wair
oben diese Punkte des Nfiiheren besprochen sind. Im weitem Ver-
folg sucht der Verlasaer im Einzelnen die sprachHchan Wen*
dangen der Beiha nach anfiEafOhien, welche insbesondere bei den
Qmohen personiftoivend gebraucht werden, und werden bei jader
dMirtigML Wendimg oder AusdrucksweiBe die betreffiaden Belage
ane dea. g}!ieehiscbea &hriftstellaza, jsanMAhst Dichtesn^ reidilidi
gegeben» denselben anoh die entsprecheadea Stetlea latoiaieahen
SMtor teig«f&gi «nd, oben um dea ÜntenDbied antiker nsd mo*
dsner Poesie au kennzeiehneii, auch ams 81uikespe«re. »ESr ist,
ngt der Verfiiaeer 8» XIII mit Beoht der nmlerische IndiTidttaliftt
ia der Poesie genmuit worden, er iet ee auch in der PeraonMca-
tion. Die neiiere Zeit mit der grt^gaem IfttAnigfaltigkeit tmd Ver*
tiflfkkeil ihrer LebeBererhaltnisae tritt auch in Shakeepeares Per^
soaification l^nror; wie seine Dramen poljniythiBoh, und im Ge^-
gmnts n der Monom jtkie in den antiken Dramen, so kaben riele
aeiner Perfornifioatioaen eine FdUe, eine indhddnelle Yeitiefimg und
«eiie AnsfUmuig, wie sie die Alten in ihrer einlachen PlasticftSt
aidti kannten««
Li drei Grapptta theilt derVeifaseer diese in der Sprache der
Dichter TOifcommenden Personifteationen : die erste Omppe nmfksst
lUs Wörter, welche Theile des menschlichen KOrpers bezeichnen nnd
durch AnAÜonmg eines solchen Theilee die Yorstelhmg der mensch-
lichen Gostalt llberhanpt erwecken ; die iweite Gmppe nmfasst die
Wörter, weleha LebensverhüHnisee bezeichnen, die der Mensch noch
mt den Thieren theilt (z. B. Zengnng, Qebnii n. dgl., Leben nnd
Sterbel^ Wachen nnd Schlafen) ; die dritte Omppe befiaset die
Wörtar, welche OeistesverhftHnisse bezeichnen, die dem Menschen
ib psyehisehem Wesen allein angehören, also alle die Wendnngen,
weldia eine Ckeinnnng beaeiohnen nnd personlficirend anf Natnr*
whiltnisae, abstrakte Begriffe und meehanieohe Gegenetttnde über-
tiagea werdan. Von diesen drei Gmppen wird in YOTHegender
Bcbift die erste Omppe behandelt, wenn auch nicht, wie der Ver-
hnar amsdracklich heaMrkt, in ihrem yollen ümfhng.
Die ZnsamMTWgtelhmg der einselnen AnsdrOcke, w^ehe in diese
•nie Omppe der Persoaifioation fiallen, bietet znr Brkenntniee nnd
Wttrdignng des dichterischen Sprachgebranchs der Griechen, wie
wtt>8t der BömeTy namentlioh aneh in Bezug anf die Anwendnng
4r Metapher, nicht Wenig des Intereesanten , und zeigt zugleich
die grosse Belesenheit des Verfassers anf dem Gebiete der aMen
Poecie. Neben Homer nnd Heeiodus sind es besonders Aeschjlns
ond Pindar, so wie die Dichter der griechischen Anthologie, welche
ein reiches Material geliefert haben, das hier wohl benutzt und
gesichtet vor uns liegt. In AUem sind es sechs und dreissig
Nmmnem, welche diese erste Gruppe bilden, Ausdrücke, die zur
Bezeichnung der yerschiedenen Theile des menschlichen Körpers
OTBprOnglich und zunächst dienen, dann aber von den Dichtem auch
nnpeiBCnlichen leblosen Gegenstanden, Naturgegenstanden wie Ge-
genständen mechanischer Art oder Werken der mechanischen Thft-
tigkeit beigelegt werden. An erster Stelle erscheinen die Ausdrucke,
welche E opf, bezeichnen (»o^, xofmov^ K^^pcdi^^caput), dann die
eiiuefaien Theile, wie Haar («ofii;, 9>o/^9 xofutv, Aoaiog, fiwftfvjißgj
Wjfmf^ ooma, crinis) Stirne (fihaxw frons), ScUäfe (9UfAt€Mpog)j
Augenbrauen (6q>QVs)^ Gesicht {nfOffanov)^ Auge (ofifio, ßXdq>afOP,
10 H«B«6: PpiMtBliP Fiff*#yiQMIoB.
ein ftnsserst reiohhaliiger Absohnitt, wie man wohl denken kaan),
Ohr^ (matoag^ watpog)^ Wange {«tcf€ia\ Nase QiVMrqo)^ Mnnd
(tfvqfMc), Zange (y3ißi60a)^ Zahn, (odwg)^ SUnnbacken (yiifvg^ yvi-
9og)j Lippe {x^loß)^ Hals und Nacken (istfiiy ^XV^)» Busen (xoiU
ffOfi, 0ri(fvav)y Herz (»a(^^)i BUoken (tHvrot', ^ZHih ^^^^^ (^*
^coJl^, ixyxo^i/^), Hand (x/^)^ Finger (bloss aus ShakM^re naoh-
gewiesen), Htäbe (Per na, nach einer Stelle des Gatullus), Seite
(xlsvif6v)y Bippe (co 8 ta, ebenfalls yonugsweise aus Shakespere),
Nabel (df^paiog), Bauch (ycufrfj^ vijivg^ %wmv^ kafyw)y Ein-
geweide (Yisoera nach lateinischen Dichtem), Qalle (joAif),
Ader (jpUif\ Nerve {vBVifOv\ Knochen {66tiov\ Schenkel {dhcÜo^)^
Knie {yiw), Knöchel {pffvqMf^ ^^M^ if^^W^)^ ^^^'^ i^oavg)^ ein
äusserst reichhaltiger Abschnitt, indem auch die sahlieichen Co»*
posita von novg, so wie die Ausdrücke und Worte, welche eine
Bewegung bezeichnen, herangezogen werden, und insbesondere (8. 50)
auf die Neigung der Alten, der Griechen wie der Lateiner, hin-
gewiesen wird, ein Verbum, welches eine Bewegung, ein Kommen,
Gehen u« s. w. bezeichnet, mit einem sachlichen Subjeot, namentlioh
mit einem Abstractum zu verbinden, was in ähnlicher Weise auch
bei den Verbis, welche stehen und sitzen bedeuten, der Fall ist;
eine Fülle von Belegen aus den verschiedensten griechischen und
auch lateinischen Dichtem dient zum Beweise dieses Satzes.
Wir haben damit den Inhalt der Schrift angegeben und un-
terlassen es, weiter in das Einzelne dieses Inhalts einzugehen, Be-
merkungen beizufügen, zu welchen hier wohl manche Veranlassong
gegeben ist, oder Nachträge zu liefern, auf welche den Ver^Mser
sein fortgesetztes Studium von selbst führen ¥drd: unsere Au^be,
die wir hier damit erfdUt zu haben glauben, war blos dahin ge-
richtet, durch nähere Darlegung des Inhalts hinzuweisen auf eine
Schrift, die gewiss auch weiteren Kreisen, als dem nächsten, flir
den sie bestimmt war, bekannt zu werden verdient und damit
zugleich den Wunsch einer baldigen Fortsetzung und Vollendung
dieser znr Erkenntniss und Würdigung des dichterischen Sprach*
gelnranchs der Alten, wichtigen Forschung zu verbinden.
Ii. «. flEII)ELB£B,GEK 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Praktisehe Antüendungen für die InUgratum der totalen und partia
}en Differentialgleichungen. Von Dr. 0. M. Strauch, Rector
der höheren ünterrichtaanBtaH m Muri im Kanton Aargau.
Enter Band. Braunaehweig, Druck und Verlag von Friedrich
Vieteeg und Sohn. 1865. (XXXUI u. 644 S. in 8.)
Wenn wir ein Wmrk des hier genannten Verfassers zn Hand
nehmen, so wissen wir davon sofort zweierlei: einmal dass wir es
mit einer sorgfUtigen und erschöpfenden Behandlung der einzelnen
Ao^ben zn thun haben; dass aber auch zweitens diese Behand*
hmg bftofig fast übermässig ausführlich ist, so dass in Folge dieser
io^Uirlicbkeit das Werk einen umfang erhalten hat, der Studium
und Anschaffung erschwert. Beides gilt wieder in hervor-
tagender Weise von dem uns vorliegenden Buche, wie denn das-
selbe aach für die »Variationsrechnung c gegolten. Will man den
zweiten der oben angefllhrten Punkte als einen Nachtheil ansehen,
% leidet das Buch daran ; wer aber darüber wegsehen kann und
will, wird durch diesen — doch nicht eigentlich im Wesen der
Stehe begründeten — Nachtheil sich nicht abhalten lassen, zu
aemer eigenen üebung und zu grossem Nutzen sich mit dem Werke
Tertraat zu machen. Auf die Hälfte des TJmfangs zusammengezogen,
wu nicht nur füglich hätte geschehen kOnnen, sondern noch weiten
Spielraum zn Ausführlichkeiten gelassen hätte, wäre durch weitere
Verbreitung wohl noch grösserer Nutzen gestiftet worden.
Damit aber kein Missverständniss eintreten kann hinsichtlich
des Inhaltes des uns vorliegenden Bandes, müssen wir zum Voraus
ioi^ren, dass die »praktischen Anwendungen € ganz ausschliesslich
3ieh auf analytische Geometrie beziehen, während nach unserer
Meinung die eigentlichen praktischen Anwendungen für die Inte-
gration der vollständigen Differentialgleichungen -- um die es sich
in diesem Bande allein handelt — in der analytischen Me-
chanik liegen. In diesem Gebiete, das ein so unendlich wichti-
ges imd weites ist , hat man den grossen Vortheil, sich nicht die
Aufgaben erst künstlich zurecht legen zu müssen, wie dies doch
bei den Anwendungen für die analytische Geometrie mehr oder
ounder geschieht ; namentlich sind aber dort die »Nebenbedingungen«
(Beitinmiung der Eonstanten) so in der Natur des Problems ge-
legen, dass gerade dieser Theil nur erst recht klar wird, wenn man
Mechanik treibt. Daher mag es wohl rühren, dass das Bedttrfhiss
^r Aufgabensammlung fClr analytische Geometrie, in so ferne die
Aufgaben zur Integration von DifferentialgUeichungen führen, keines-
LYOL Jilirg. 3. Heft 6
89 BifAveli: Anw«idttii|«i f, 4- I«le|p«U<m 4. Ollto«itüaglfll«liinifpa«
wegs in so gebieterischer Weise angetreten ist, als etwa eine
Sammlung ähnlicher Art für Mechanik.
Dagegen haben nnn aber die Aufgaben fOr anal jttsche Gteome-
trie^in Bezug auf ihre Auflösungen eine Eigenthümlichkeit , die
denen fOr Mechanik gänzlich mangelt; ich meine die besondern
Auflösungen der Differentialgleichungen, zu denen jene Auf-
gaben führen. In der Mechanik muss jede Auflösung die Diffe-
rentialgleichung vollständig ersetzen und dies erreicht man nur
durch die eigentliche Integralgleichung, die fttr jede Differential-
gleichung eine einzige ist. In der analTtischen Geometrie tritt da-
gegen sehr häufig der Fall ein, dass den Bedingungen der Aufgabe
genQgt wird durch eine Gleichung , welche der gefundenen Diffe-
rentialgleichung zwar genügt, sie aber keineswegs ersetzt, wenn
gleich die eigentliche Integralgleichung auch nicht im Wider-
spruche zu der Au%abe steht. Diesen Punkt hat das vorliegende
Buch in ganz entschiedener Weise hervorgehoben und wir rechnen
dies zu einem wesentlichen Verdienste desselben*
D^r Vorrede gemäss hat der Verfasser sein Buch so einge-
richtet, dass der Leser sich selten anderswo Bath zu holen hat.
Es sind sonach eine Reihe Untersuchungen theoretischer Natur mit
aufgenommen worden, die im Grunde hätten vorausgesetzt werden
aolien, dies aber häufig nicht durften, weil die betreffenden Lehren
in den Lehrbüchern gar nicht oder zu kurz enthalten waren. Wie
dies geschehen, wird aus der nachfolgenden Besprechxmg der ein-
zetnei; Theile des Buches hervorgehen, bei der wir selbstverständ-
lich abweichende Anschaunngen geltend machen werden.
Zuerst bringt das Buch die »Erklärung einiger Bezeichnungen«,
was wohl auch noch heissen dürfte: Feststellung einiger Begriffe.
Es handelt sich hier nämlich um die Vieldeutigkeit gewisser Zei-
cheUi beziehimgsweise die vielfachen Werthe gewisser Funktionen.
Dass diese Vieldeutigkeit nur bei ümkehrungen auftritt, ist be-
kannt. Sie betrifft zimächst die Wurzelgrössen, deren verschiedene
Werthe bezeichnet werden; sodann die natürlichen Logarithmen,
die umgekehrten trigonometrischen Funktionen (»kyklometrische
Ausdrücke« nennt sie der Verfasser), und endlich die drei ellipti-
d(D
scheu Integrale. Ist drss r^ -■ ■■ , so folgt danuui ^ sagt dag
V I— c*Bla««>
Buch — r=A + F(c,<D), und es sei F(o, (d) ein vieldeutiger Aua-
druok« Indem der Verf. durch F ((c, o)) alle mögUohen Werthe die«
aer Grösse bezeichnet, und feststellt : F((o,«)))=2nF(c)-f-F(e»CD),
wo n eine ganze Zahl, zieht er ans obiger Gleichung: r = A4-
F ((c, ca)). wir gestehen offen, bereits mit ihm in Widerspruch zu
gerathen, was sich bei diesen % vieldeutigen «Ausdrücken nochmelu>-
fach wiederholen wird. Wir müssen ganz entschieden in Abrede
stellen, dass man das Becht habe, solche vieldeutige Grössen ohne
Weiteres in die Integralrechnung herein zu ziehen, es sei denn«
dass die Vieldeutigkeit mit der willkürlichen Konstanten zueanunefi-
hängt, wie im vorliegenden Falle. Dann ist es aber sicher klarer.
Bir««»li« AKWiitei|;eM f. d. latcfsMIoB d. DiiTeNDtlalglslolMifltlM« S8
die QiOsM F (c, lo) herkömmlich eindeutig (aia bestimmtes lategral)
za fassen, den Best aber mit der Eonstanten zusammen zu ziehen.
Mftn Meibt dabei mit sieh selbst im Reinen.
Im weitem Verlaufe erörtert der Verf. seine ihm eigene Art
der Bezeichnung partieller und vollständiger Differentialquotienten,
wie dieselbe ans der »Variationsrechnung« bereits bekannt ist.
Diese Bezeichnung ist allerdings deutlich, aber gar zu schleppend ;
wanun bequemt sich der Verf. nicht zu der Annahme der ent-
fldUedeti beesam Jaeobischen BezeichlroiLg?
Nach dieser »Einleitung« beginnt nun die erste Abtheilung
des Werkes, die Yon der Integration vollständiger BiffereifttiaL*'
gleichungen (mit zwei Veränderliehen) handelt. Nach einer deut-
Ikhen Uebersicht der allgemeinen Sätze für BifferentialgleichungeA
erster Ordnung wird die Aufäuchong der besonderen Auf-
lösung (»singuläres Integral« sagt das Buch) atisfahrUch erörtert.
Ist V (it, y, a) tn 0 die allgemeine Integralgleichung von f (X)
j,y') = 0, wo y' der Differentialquotient von y nach x, und es
Uiist sieh eine Fonktion von x finden, die an die Stelle von a ge-
setzt, immer noch die erste Gleichung als Auflösung der sweiten
erscheinen Iftsst, so heisst diese so umgeänderte erste Gleidiung die
besondere Auflösung. Der Verf. zeigt nun, dass diese Auflösung
dF dF
durdi Verbindong der Oleiohung -x— : ^r^ ts±± 0 mit der allgemeinen
da dy
IstegmlglsiehnAg erhalten wird# Da dies Alles bekannte Dinge sind,
woDen wir uns dabei nicht weiter aufhalten« Nur bei dem Bei-
spiele des g. 14 müssen wir anmerken, dass die Gleichung yy' + ^
=y ' v^x«4-y»— k» nicht durch y = a ± y^x»+y»— k» genügt wird,
sondern nur das obere Zeichen gelten darf.
Soll nun aber die besondere Auflösung aus der Differential-
gleichung selbst hergestellt werden, so geht der Verf. — wie dies
so gebräuchlich ist — von der Unterstellung aus, dass die be-
sondere Auflösung die Differentialgleichung nicht ersetze, dass also
die hohem Differentialquotienten nicht in derselben Form auftreten,
wenn man einmal das allgemeine Integral, ein andermal die be-
sondere Auflösung anwendet. Bef« hat kein Becht^ diesen Weg
korz hierzu verwerfen, da er im Gründe denselben in seinem eigenen
Buche auch gegangen ist. Trotzdem hält er es für besser, wenn
gezeigt wird, wie cUeser Fall aus dem vorigen hervorgeht. Ist y^«»
9 (x', y) die Differentialgleichung, deren Integralgleichung F (x, y, a)
= 0 sei, so zeigt man, dass die besondere Auflösungen alle aus
den Gleichungen •— = 0 oder -r— «= 0 , in Verbindung mit der
Integralgleichung, folgen (a. a 0.). Betrachten wir bloss den einen
Fan, denken uns also die Integralgleichung nach y aufgelöst, wo
sie dann hiesse : y = ^ (x» a) , so wird die DifferentialgleicJiiung
durch Elimination von a aus y*=*V (x» a), yi= — ^-j—- erhalte»
84 Sirmnch: Anwondiiiiceii L d. IntegtAllou d. Dilf«r«itlalgletohiiiig6ii.
werden. Dies ist dann die Gleichung 7>«»9> (x, y), so dass f>
nichts Anderes ist als der Werth von r — , wenn man hierin a ans
dz
y=s^ ersetzt hat. Hält man dies fest, bezeichnet zur Abkttrznng
v^ durch yS so wird der partielle Differentialquotient Ton (p nach
dz
X erhalten werden, wenn man y^ nach dem entwickelten x, und
da
dann nach a differenzirt, wobeie— aus y = ^ zu ziehen ist. So
' dx
^ ^. d© dy* , dy^da. d^ , d^ da ...
findet man t^ = -z^ 4- -f^ — , 0 —^ 4- -^ — worausfolgt,
dx dx ' da dx dx ' da dx ^
dop dtb -, dy^ di& dy'
dass -T-^ unter der Form M : ^ erschemt, wo M = -~- -z -z —
dx da dz da da
di& d^ . da>
-—-. Für die besondere Auflösung ist -j- = 0, also wird-r^
dx ^ da dx
unendlich. Dasselbe gilt für -r^, und nur dies ist man be-
dy
rechtigt, anzusetzen. Desshalb sind die Annahmen des
Buches(§. 18, 1,n, HI, IV) nicht zulassig, wenn sie auch keine
falschen Resultate geben. Sie gehen zu weit. In §. 18, I genügt
die Oleichung (185) für sich; in II die (138) für sich, und in III
und rV muss-T- auf oo oder 0 führen. So wird in dem Beispiele
des §. 21, in der »ersten Auflösung c px — y = 0 völlig hinrei-
chen u. s. w.
Nach Erledigung der Differentialgleichungen erster Ordnung
werden die der zweiten in derselben Weise behandelt. Hierinteres-
sirt uns nun ganz besonders das »singulare Integral«, da in der
Regel dieser Gegenstand in den Lehrbüchern nur kurz oder gar
nicht berührt wird. Vom Standpunkte der Mechanik aus, und der
schwebt sicher den meisten Verfassern vor, haben diese besondem
Auflösungen keineswegs einen gar zu hohen Werth. Anders ist es
freilich hier.
Ist y = F(x, a, b) die allgemeine Integralrechnung von f(z,y,
p, q) = 0, wo p, q die zwei Differentialquotienten von y , so ist
zunächst festzustellen, dass p, q der Form noch dieselben Grössen
sein müssen, wenn man die Integralgleichung zweimal nacheinander
differenzirt und zwar erstlich unter der Annahme konstanter a, b,
und dann unter der Annahme veränderlicher Grössen a, b. Dies
Ä.1.-X rdF da . dF db ^ dF d^F dF d^F
fUlirt auf — H = 0 . =S5 — . woraus a
da d7^ db dx 'da dbdx db dadx' ^^^'^^
und b bestimmt werden sollen. So liegt die Sache wohl zunächst,
obgleich der Verfasser es nicht so hält, was wir ungern vermisst
haben. Es lässt sich daraus allerdings folgern, dass wenn man
dF
a, b eliminirt aus y=F, p = 3 — und der letzten obiger zwei
dx
Sleiefaimgeii, man eine Difbreiitialgleichimg erhalte, die integrirt,
die besondere AnflOeong gibt; aber es scheint uns die Nothwendig-
keit dieses Weges, der hier allein betretreten wird, keineswegs ge-
rechtfertigt. Die Oleichnng (240) bleibt im Gmnde ansser aller
fieachtnng, denn (248) ersetzt doch nicht die beiden: (240) und
(242) ? So ist die allgemeine Integralgleichung von q' + (p — xq)*
— { x*q-}-px — y = 0: y=4*^**+^^ + ** 4" ^'' ^^^ obigen
Gleichungen sind nun (4x3+ 2a) J?.+ (x4.2b)^=0, lx*4-2a
— X (x + 2b) = 0. Aus der letzten folgt 2a = 2bx+|x), und
wenn man diesen Werth in die erste einsetzt, soerh<man (x^ + l)
j^ + bx4-4x«=0, woraus bVT+? = o--lx\/'rfi«+|l(x+
/i +X-) , a v^i4.x< = cx+}xl(x4- V^l+x*); Bö*35t man diese
Werthe in die allgemeine Integralgleichung ein, so ergiebt sich
7=- ,', x»-| x»4- /, [X v/TT? 4- l(x + \^m^^)+ 4c]^ welche
Gleichung der Differentialgleichung genügt und unzweifelhaft nicht
im allgemeinen Integral enthalten ist.
Hat die gefandene besondere Auflösung (bezüglich deren
Differentialgleichung) selbst wieder eine besondere Auflösung, so ist
letztere — wenn sie zugleich der vorgelegten Differentialgleichung
genügt — eine zweifach besondere Auflösung letzterer.
Die Herstellung derselben ist durch die Erkl&rung selbst gegeben.
Einer jeden Differentialgleichung zweiter Ordnung gehören zwei
Integralgleichungen erster Ordnung (in x, y, p) zu mit je einer
willkürlichen Konstanten. Es musa also gezeigt werden, wie aus
letztem die besondere Auflösung gefunden werden kann. Auch hier
(so wie im nächsten Falle) halten wir es fDLr jedenfalls besser, zu
zeigen, wie aus der früheren Theorie das neue Besultat «ich ab-
leiten l&sst, da wohl erst dann volle Klarheit erhalten wird, sicher-
lich aber erst dann der innere Zusammenhang gewahrt ist : da hier
doch einmal die Theorie vorgetragen wird, so dürfte die Hinweisung
auf >das Lehrbuch« nicht ganz gerechtfertigt sein. Oegen die ge-
fondenen Formeln haben wir Nichts einzuwenden, während dies für
den dritten Fall nicht gilt, da man nämlich aus der Differential-
gleichung zweiter Ordnung selbst die besondere Auflösung sucht.
Igt q = f(x, y, p) diese Differentialgleichung, so gilt eine Theorie,
die nach der von uns geforderten Weise verfilhrt, d. h. die an die
mrsprüngliche (erste) Untersuchung sich anschliesst, dass durch die
besondere Auflösung die Grössen -— , -z—, t- tiöde für sich) un-
dx dy dp
endlich werden. Das stimmt nicht ganz mit den Ergebnissen unseres
Buches, wenn es ihnen auch nicht widerspricht
Nach der Untersuchung über die besondem Auflösungen der
Differentialgleichungen erster und zweiter Ordnung wird nun die
Bedeutung der Differentialgleichungen überhaupt in der analytischen
Geometrie untersucht. Besonders hervorheben wollen wir die Be-
M S^vikuroh: Amveiidiiag«» f. d. lrta|ralioft 4.
deutaiig der besondeni AnflösioigeQ. Ftbr die erste Ordoimg ist be«*
kaimtlich die einbttlleiide Kurve dadurch festgestellt. Neu ist die
Erläuterung der geometrischen Bedeutung der besondem Anfl^^sim«
gen für Differentialgleiehungen zweiter Ordnung. Ist yssxf(x,ayb)
die Integralgleichung einer Differentialgleiobung zweiter Ordnung,
so stellt dieselbe unendlich viele Kurven^^haaren vor, die man
erhält, wenn man a und b, unabhängig von einander, stetig sieh
ändern lässt* Genügt nun der Differentialgleichung eine besondere
(einfache) AuflSsung, also mit einer willkürlichen Eonstanten, so
sind die Werthe von y, p, q wie sie für ein bestimmtes x aus einer
(oder mehreren) Kurven der vorhin angeführten Sohaaren folgen, die-
selben wie die von 7, p, q für die durch die besondere Auflösung
dargestellten Knrve. Letztere hat also mit erstem Berübnmgslinie
und Krümmungshalbmesser gemein. Fanden wir in unserer frühern
Darstellung a = 9) (z, c), b =? ^ (x, c) ist also y = f(x, q>, ^) die
besondere Auflösung, so wird aus aUen den vielen Kurven man
diejenigen jetzt auswählen, für die bei einem bestimmten x die
Gleichungen a = 9)(x, c), b=;^ (x, c) bestehen könneui woa, bdie
frühere Konstanten sind. Für diese fallen y,p, q mit den aus der
besondem Auflösung gezogenen gleichnamigen Grössen zusammen.
Die ebengenannten beiden Gleichungen ergeben durch Elimination
von z die Gleichung Ff a, b, c) -= 0, welche also zwischen a, b, q be-
stehen muss. Folgt daraus \)=(i (a, c) , so wird die durch 7 =
f(x, 9>, tlf)j för ein bestimmtes c, festgestellte Kurve mit allen jenen
Kurven eine Oskulation (Berührung zweiter Ordnung) eingehen,
deren Gleichung 7 =f(x,a,|iA) ist. Die eigentlichen Berührungspunkte
(x, 7) ergeben sich aus der Verbindung der Gleichung mit a= 9)(x, c).
Wegen dieser Eigenschaft nennt unser Buch nun jede einzelne
durch die besondere Auflösung dargestellte Kurve eine osculi-
rende Zwischenkurve.
Das zweifach singulare Integral stellt eine einzige Kurve dar,
die wieder einzelne der ursprünglichen Kurven oscullrt. Ist c seibat
= % (x) , wo man in der bekannten Weise diese Funktion findet,
so ist zugleich a==9) (x, c), h^=tlf (x, c), c = jr(x), woraus durch
Elimination von x und c folge 4> (a, b) -==. 0. Di^enigen Kurven
der ursprünglichen Scbaaren, welche a und b durch diese Glei-
chung an einander binden, werden von der Kurve der doppelt be-
sondem Auflösung 0 (x, 7) == 0 osculirt. Die Berührungspunkte
ergeben sich aus der Verbindung dieser Gleichung mit a^=9>(x, 2)-
Jetzt wendet sich das Werk zu seinem eigentlichen Gegen-
stande — den Aufgaben über die Anwendungen der Differential-
gleichungen in der anal7ti8cben Geometrie. Diese Abtheilung ist
selbst in zwei Haupttheile geschieden: da Differentialgleichungen
erster, oder da solche zweiter Ordnung vorkommen.
Zuerst erseheinen eine Reihe Aufgaben ziemlich einfacher Art,
wenn es näa^oh darum sich handelt, dass Tangoiten oder Nor*
malen gewissen Bedini^ungen genügen soUra. Was wir schon m
Eingang gesagt: die Grftnoßichkeit sdieint uns numohoMl
«Q0fc n waü m gakeii« ud naniMiUeh hAÜM wir di« »ekMvM
Aafltamgon eimcrimd denalben An^be (wie dies im guzeti BmIm
mfcosuBi), um gcme ontbelirt B» wSre wohl kttner nttd iMh
ftr daft Siodhitt «nfoiddiehar gowo— n, wem num Ar jede Art der
AafttaBiig je eise beamiders Airfgmbe gewählt hatte, statt wie hier
dbe ganie Beihe AaligaheB alle aaeh drei bi« rier venchiedeaea
Methoden geMst sind. Das wird Tom Leeer doch flbersohlagen oder
annadei ihn ^ nnd macht das Bneh theaer, ein Pmikt, der ia
vuever materiaüatieeheaZeit (wie wenigstens behaaptet wird) doeh
•adi xa baaditen ist. Wir haben an dieeem ersten Abeehnitt mar
Wenigaa sa bemerken. Die Differentialgleichnng 2 des |. 62 ist
homogen» kana also aaoh dareh die Anaahme ys»nr integrtrt
wardem n. s. w. Wiohtigar als diee sefaeint ans aber die Frage
aeah den TieUMhen Werthea der iWktionea, rm der wir bereite
m BiBgang spraehen. Wir haben etwa den %. 74 im Ange. Dovt
handelt ee sich nm das Integral I -^^ — r dz» dem der Var&sser
den Werth ^^^** | are TsinB^j beilegt* ^^^^^ ^^^ ^>*^
der letzten OrOsse eine unendlich vieldentige GrSsse versteht« Er
heMchnet also aieht bloss die zwischen -;r nnd -« -^Uegandefdofdi
das eben angeführte Zeichen dargestellte Grösse damit» sondern
aaeh sr — arol ein sr^ 1 n. s. w,, so dass ftlr ihn I ^ • ^- eine
OrOeee ist, die zwischen — -s-nnd+-^der-|--« ^^^ "S"^* *• ^*
li^gtt wann man von der willkttrlichen Konstanten gaaa abeiekt.
Er setzt demgemäss 1— ==5=n3r-{-(— 1)" arc (sins^x), wo jetet
er y 1 ^-^X^
are (ftin = i) zwischen — -^nnd^--^ liegt» n aber eine gaaie Zahl
ist. Wir mllssen dem «^ nicht widersprechen, aber entgegensetzen,
daea dadurch einer heilloeen Verwirrung Thftr und Thor ge(5ffhet
ist. Es ist nun einmal, wenn man arc (aln^x) als unendlich
rieldaatig aaaiefat» ^^y^^)^^. J^^ ^o das obem
dx - Vi— X»
Zeichen gilt, wenn der cosinus des Bogens positiv, das untere da«
gegen, wenn jener cosinus negativ ist. Es ist desshalb wohl nöthig,
wenn man zur vollen Klarheit kommen will, sich über eines der
beiden zu entscheiden, und wenn man dies in unserm Sinn thut»
90 ist dann — I— r=r?nsarc (eoss»x). Wir geben gerne zu, dass
t/Yl— x^
man des YerL Ansrhanung rechtfertigen kami, und wir wider^
^»rechen ihm auch keineswegs vom Standpunkte der Bichtin^eit
oder Unrichtigkeit aus, sondern von dem der Klarheit und Ver-
M Stf Auch: AttwwduQgoft f. d. Intei^ioii d. Ptflwrtfaiglctolwiagia.
atftndlichkeit. Wir sind nun einmal der entsohiedenen AnBiokty dass
man alle anzuwendenden Funktionen nur eindeutig zu nebmen
habe, wenn nicht der minder Geübte in ein Labyrinth Ton unent-
wirrbaren Bäthseln hineingerathen soll. Hilft sich doch auch unser
Buch damit, dass es bei Bestimmung der willkürlichen Konstanten
anräth, die fraglichen vieldeutigen Ausdrücke in Oottes Namen
»mit ihrem einfachsten Werthe« zu nehmen (S. 150 u. s. w.).
Wenn nun aber gar die vieldeutigen Ausdrücke in einer Gleichung
sich häufen, wie dies vielfach in unserm Buche stattfindet , so —
fürchten wir — hört alle klare Einsicht in die Bedeutung einer
solchen Formel gänzlich auf. Und dies ist ganz gewiss kein Ge-
winn. — Von Interesse ist besonders auch, dass die elliptischen In*
tegrale der beiden ersten Arten vielfach zur Verwendung kommen,
was unseres Wissens sehr selten bis jetzt geschehen ist. Die sind
freilich abermals »vieldeutige, worüber wir unsere obige Klage nur
wiederholen müssen.
Sollen Kurven bestimmt werden, denen gewisse Eigenschaften
des Flächeninhalts oder des Bogens entsprechen, so enthalten die
Gleichungen, welche eine Folge der Aufgabe sind, jeweils Integrale,
die durch Differenzirung erst zu entfernen sind, um dann eine
DiffeTOutialgleichung zu erhalten. Dass die eintretenden Konstan-
ten dann nicht immer willkürlich bleiben, ist bekannt. Die Auf-
gaben sind zahlreich, und natürlich häufig etwas künstlich gewählt,
zur Uebung aber sicher geeignet. Schliesslich werden die Ver-
fahren von Euler und Monge mitgetheilt, rectificirbare Kurven
zu finden. Die Darstellung des letztem (§. 112) halten wir für
unverständlich. Denn es ist uns durchaus nicht klar, wie aus sina>
dy-f-cosa)dx = 0 folgt: y sin © -j- cos o =^ V' (o) > wenn man be-
aditet, »dass cd nicht konstant, sondern eine Funktion von x und
yist.« Ebenso wissen wir nicht, wie aus ds = cosc}dy — sinodx
folgen soll: s = y cos o — x sin o -j- 9 (cd).
Trejectorien sind krumme Linien, welche eine Reihe an-
derer krummer Linien so durchschneiden, dass bei allen Dorch-
schnittspunkten eine vorgeschriebene Bedingung erfüllt ist. Diese
Kurven werden nur im weitem Verlaufe des Werkes betrachtet.
Die allgemeine Aufgabe ist die, eine Kurve (d.h. deren Gleichung)
zu suchen so, dass bei den Durcbschnittspunkten mit einer Beihe
gleichartiger Kurven eine bestimmte Differentialgleichung erfüllt
ist. Auch hier sind wieder mehrere Formen der Auflösung gegeben,
von denen uns denn doch nur die eine (Elimination von a) der
Natur der Seche zu entsprechen scheint. So wird man auch bei
der dortigen Differenzirung der X einige Unklarheit nicht ver-
meiden können, da doch a zuerst (bei der Integration) konstant
war. Wir denken uns hieb^i immer Zuhörer, denen das hier Ge-
sagte vorzutragen wäre, und — gelegentlich gesagt — wir sind
überzeugt, dass der Verf. Manches ändern würde, wenn er in die-
ser Lage wäre.
Als besondere (jedoch immerhin noch allgemeine) Fälle wer-
mana
airttieli: Anwen^iingeii f. d. litegraäon d. DUTereiitfadgleldiiiBgeB. M
dm die Kurven gasncht, die andere unter demselben gegebenen
Winkel (der auch ein rechter sein kann) schneiden; dann der Fall
betrachtet, da in den Durchschnittspunkten eine Gleichung erfüllt
ist, welche Integrale enthält, und die allgemeinen Formeln auf
eine Reihe einzelner Beispiele angewendet Eine Bemerkung haben
wir zu §. 181 zu machen. Es handelt sich dort um die Kurve,
welche eine stetige Folge von Parabeln, die dieselbe HauptAxe und
denselben Scheitel haben, so schneidet, dass die Flächen, die von
den Koordinaten der Durchschnittspunkte und den Parabelbögen
gebildet werden, denselben Werth V haben* Ist y' = 2ax die all-
gememe Gleichung aller Parabeln ; x die Abszisse eines der Durch-
echnittspunkte, so wird die Aufgabe einfach dadurch gelöst, dass
zwischen der vorigen Gleichung und I y^Sax d x = k' eliminirt.
Ü
Mit dieser Auflösung begnügt sich unser Buch jedoch nicht, uud
es ist gerade die »zweite« Auflösung, wegen der wir die Bemerkung
zu machen haben. — Da a eliminirt werden soll, so kann mau
a als Funktion von x und y betrachten, gegeben durch die erste
Gleichung. Unter dieser Annahme — sagt das Buch — können
wir die zweite Gleichung differenziren und erhalten y^j^dx-f-da
I -y=^ d X = 0, oder wegen der zweiten Gleichung : \/2iix d x -j-k'-' - -
2 k^
= 0, woraus dann folgt: 5-(C-|-xv^x)=r— , »Wenn man C==0
aaninunt, so reduzirt sich diese Auflösung auf die vorige.« Warum
aber muss C '=^ 0 sein, oder genauer gesagt, wenn man die vorige
Anflösong nicht kennt, wie findet man, dass C = 0 sein soll ? Die^
selbe Frage hätten wir später noch mehrfach zu stellen; es mag
an dem einen Mal genügen, üebrigens ist die Einführung von k*
eine ganz überflüssige Sache, und die Rechnung würde sich that-
Biehlich besser ohne dieselbe gestalten.
Eine Tractorie ist eine Kurve, bei welcher der zwischen
dem Berührungspunkte und irgend einer andern Kurve liegende
Theil der Tangente immer gleich lang ist. Diese Kurve wird nun
bestimmt. Dabei nimmt der Verfasser auch die fragliehe Länge
möglicher Weise als negativ an, was uns nicht ganz passend er-
scheinen will. Wir hätten übrigens dieselbe Bemerkung mehrfach
wi machen. In einem der besondem Beispiele (§. 137) tritt die
bereits oben berührte Häufung vieldeutiger Grössen in wenig ein-
ladender Gestalt uns entgegen, und wir wären etwas verlegen, wenn
man von uns in kurzen Worten die Bedeutung der Gleichung (13)
abverlangen würde.
Wälzt sich auf einer festen Kurve eine bewegliche so, dass
letztere nicht verschoben wird, so beschreibt ein Punkt, der in der
Bbene beider Kurven fest mit der beweglichen verbunden ist, eine
M Sit ft««^; AiiMB4ameii f. dL Ia«icr»Mioft d. IWnwnntl«%1iiiQlniHiw.
Troohoide. Magnus in dem bekannten Werke (S» 6d6) nenni
dieselbe Bonletten. Bei der Ableitung der Gleichmig derTroekeidb
ist eine Unklarheit mit unterlaufen. Die Behauptung (8. 290), daM
je zwei auf einander folgende der Kreislinien X sich in einem
Punkte ecfaneideni der der Trochoide angehört, ist nicht
als erwiesen anzusehen; die Folgerung, dass die Normale der Tro-
choide mit dem Leitstrahl zusammenfalle, ist also auch nicht ge->
stattet; im Oegentheil diese Folgerung ist im Ghrunde als richtig
Torauflgesetzt. Magnus a. a. 0. hat die Sache ^tscfaieden deutlicher
behandelt, und er selbst gibt — gegen seine sonstige öewohnheit
•— eine zweite Auflösung, indem die erste »noch einige Dunkelheit
zurficklassen könnte« (S. 605). Besondere Beispiele sind die Ky*
kleiden — wir gebrauchen die Schreibart des Buches, sowie einige
andere BoUkurven. Dann wird auch die umgekehrte Au%abe, die
feste Kurve aus der wälzenden und der Bollkurre zu suchen, an
Beispielen erörtert.
Die Bestimmung der Evolventen ebener Kurven schliesst sich
diesen Untersuchungen an. Eün auf elliptische Funktionen führen-
des Beispiel ist u. a. in S* 1^6 enthalten, wo die Evolvente der
Ellipse gesucht vnrd. Die »Vieldeutigkeiten € machen aber das
Endresultat wieder verwirrt, während sie gerade hier überflüssig
sind. In Bezug auf die Konstante vrird man fragen müssen, ob sie
disselbe bleibt für beide Zeichen, und wie überhaupt die Vorseichem
zu wählen sind.
Endlich werden ebene Kurven bestimmt, denen eine vorge«
schriebene Fusspunktkurve zukommt, womit die erste Hauptab-
theilung schliesst. Wo es zulässig war, ist hier — • wie auch in der
folgenden Abthelluag -* auf das Bestehen besonderer Auflösungen
und ihrer Bedeutung ftlr die betreffende Au%abe soigfUtig auf«
merksam gemacht.
Der Krümmungshalbmesser einer Kurve verlangt die KeimtttiBa
des Bweiten Diffisrentiolquotienten; wo derselbe somit in eine Auf-
gabe verflochten ist, werden wir zu Differentialgleiehangen zweiter
Ordnung gelangen. So betrachtet denn auch unser Buch zunächst Auf-
gaben, bei denen es sich um Länge oder Lage des Krünunungs-
hallHnesser (Krümmungsmittelpunktes) handelt. Diese Anfgaboi sind
zahlreich und mit fast mehr als Wünschenswerther AuslÜhrlichlffeit
vorhanden; einzelne derselben näher zu bezeichnen, kann hiMrnioht
verlangt werden. Wir bemerken nur, dass hier sehr viele Fälle
vorkommen, da namentlich eine einfache besondere Auflösung der
betreffenden Differentialgleichung zweiter Ordnung vorhanden ist.
Die zweite ünterabtheihing bdiandelt Kurven, denen gewisse
Eigenschaften des Flächeninhalts oder der Bogenlänge zukommen,
natürlich im Gegensätze zu dem Frühem so gewählt, dass man sa
einer Differentialgleichung zweiter Ordnung geführt wird.
Ist die Evolvente einer Kurve gegeben, so ist letztere bekannt-
tieh die Kurve der Krümmnngsmittelpunkte ersterer, und die Auf*
Buchimg dieser Kurve verlangt keine Integration. Kehit man aber
BIrMek: AmwmämiBm f. i. IMsMihm d. IMftrMlMcliktaaMB. 91
dM Fnibtem um, so «rhSlt man eiae weitere Methode zur Bestim-
BOig Ton Ehrolrenteii, die mm an Beispielen, leider mehrfiich den-
niben wie ftnher, geftbt wird.
Oergonne hat Tor langer Zeit die Anfgabe behandelt, eine
Okiofaiiiig zwisehen dem Krtlmmungshalbmeeser einer Knrre nnd
dtn ikrer ETolraie im entsprechenden Punkte tu finden, eine Auf-
gabe, die auch Magm», a. a. 0. 8. 648 I5st. Diese Aufgabe wird
dann imigeicehrt, d. h ans dem Verh&Hniss der Krttmmnngshalb-
aesaer die beiden Kurven gesucht, wovon die eine natttrlich Evohite
d« andern ist, w^ehe letztere Aufgabe an mehrem eintelnen Bei-
ipieleB erlButort wird.
Endlich behandelt der Yerf. noch die Aufgabe, eine ebene
Kunra sa suchen, der eine Toigeschriebene Brennlinie zugehOrt.
Diese An^be hat er ttbrigeas Yor nicht langer Zeit besonders be«
tnchtttt msd es ist die betreffende Abhandlung auch als besondere
Schrill aus den Abhandlungen der Wiener Akademie ausgegeben
worden. E#ine Beihe lehrreich gewählter Beispiele erlSutert die Theorie.
Wenn wir auch in einem oder dem andern Punkte nicht mit
dem Verf. einverstanden sind, so geht doch aus vorstehender üeber-
sidit hervor, und ist es unsere Pflicht, sum Schlüsse unserer Be-
ipvechoag nochmals besonders hervorsuheben, dass wir es hier mit
•iaem grflndlich bearbeiteten, anr üebung ganz vorzttglich geeigne-
ten Bnehe zu thun haben. Wer das vorliegende Buch gehörig
daroharbeitet, hat sich mit der Integration der Differentialgleichun-
gen, 80 wie mit einer Menge anderer wichtiger Punkte der Analjns,
in hervorragender Weise vertraut gemacht. Wir kOnnen also das
Werk nur entschieden empfehlen nnd erwarten eine ebenso grflnd-
hehe Bearbeitung des Inhalts des zweiten Bandes. Vielleicht findet
derVert eine oder die andere unserer Bemerkungen der Beachtung
wertk, nnd wir wflnschen, dass dieselben von dem Standpunkte
denen, der durch Vortrag ShnHcher Gegenstände vor jftngem Stu-
diionden au einer möglichst voQstSndigMi Klarheit gezwungen ist»
heartheilt werden mögen.
DfUmnmaHane analyüea ddla Rotaaimte di Ooryyi Uhtri Beoondoi
coneetH dd 8. Pohuot Memoria M Prof. Dotnenieo Che-
Hui, (EdroUa ddk VoL X äeüe Mm. 4df Ae. deUe Soieme
ddt läiiuU di Baloffna). Bologna, Tip. Qambermi s Pn»**
meggianL (40 8. in 8.
Die vorragende Abhandlung, fUr deren freundliche üebersen*
fang wir dem geehrten Herrn Verfiu ser unsem Dank aussprecheUt
ist schon vor einiger Zeit (1860) erschienen» auch 8cb<m seit
lingerer 2Seit in unserer Hand; wir halten dieselbe von wesent-
lichem Interesse ftkt die Wissenschaft und erlauben uns daher, sie
hier sn besprechen, te wir — vielfEteher andeier Ctesohäfte we«
gen — in den letzten Zeiten nicht dazu gelangen konnten«
92 Chellai: DetermliMtfloiie ftoalylkMi «le.
Poinsot hat vor längerer Zeit in seiner klassisclien Abhand-
lung: »Theorie uouvelle de la Rotation des Corps«, auch übersetat
von Schellbach (1851) die Frage nach der Bewegung eines um
einen festen Punkt sich drehenden, von äusseren Kräften nicht an-
gegriffenen (starren) Körpers erläutert. Die von Poinsot erhalte-
nen anlalytischen Resultate stellt der Verf. der vorliegenden Schrift
nun in neuer, sehr klarer und einfacher Weise auf.
Dreht sich ein starrer Körper um einen festen Punkf 0, bo
kann seine Bewegung in jedem Augenblicke angesehen werden als
eine Drehung um eine (allerdings fortwährend wechselnde) Axe-
die augenblickliche Rotationsaxe. Ist 9 die Winkelgescwindigkeit
dieser Drehung, so nehme man auf der fraglichen Axe einen
Strahl von 0 aus, so dass wenn man sich in denselben stellt, die
Füsse in 0, die Drehung von rechts nach links vor sich gehe, und
trage auf diesen Strahl die Lauge 0 6 auf, so stellt dieselbe die
Rotation klar vor. Sind p, q, r die nach drei rechtwinkligen Axen
der V, y, z zerlegten Seitengeschwindigkeiten von S, die positiv
oder negativ sein können (@ ist nur positiv) und wo z. B. ein
negatives p bedeutet, man müsse sich in die negative x Axe stellen,
um die Drehung p von rechts nach links vor sich gehen zu sehen :
so sind die Geschwindigkeiten eines Punktes (x, y, z), zeriegt nach
denselben drei Axen: v^ «= qz—ry, v, = rx— pz, Vg = py— qx
(wie dies z.B. sich aus des Ref. »Studien zur analytischen Mecha-
nikc S. 50 sofort ergiebt). Die Bewegungsgrössen (S. 15 a.a.O.)
aller Moleküle des Körpers sind also £mv^, Zmvj, 27mv3 und
setzen sich in eine einzige Kraft zusammen. Die Momente der-
selben sind £m (yvs-zvj), Sm (zv^-xzg), £m fxv^-y.v,),
die sich in ein einziges Kräftepaar G zusammensetzen. Ziehen
wir eine Gerade 0 G, die in Länge und Richtung die Stärke und
Axe jenes Paares vorstelle, und sind L, M, N die drei Seitenpaare
(Momente), so sind eben diese Grössen die Abszissen des End-
punktes G, so dass die Geschwindigkeit dieses Endpunktes durch
dL y, / dv3 dvo\
^ — ^mly— — z -rr-i I u. 8. w. gegeben ist. Für den Fall
eines Körpers, auf den keine äussere Kräfte wirken, ist aber be-
kanntlich 27m (y -^ - z ^ ) = 0 u. s. w., so dass also L, M, N
konstant sind, und der Punkt G, d. h. die Gerade 0 G sich nicht
bewegt. Diese unbeweglich bleibende Gerade ist also durch die
Gleichung G = const. charakterisirt.
Fallen im Augenblicke t die drei Axen der x, y, z mit den
Hauptaxen des Körpers zus., so ist dann Z'm xy= 0, Zmyz = 0,
£m z X = 0, so dass L = Ap, M = B q, N = C r, wo A, B, C
die Hanptträgheitsmomente des Körpers (fllr die Hauptaxen) sind.
Natürlich sind jetzt p, q, r die Drehungen um die Hauptaxen und
Fegen 27 m (y -^ — z -^j = 0 ergeben sich die bekannten
Eulerschen Gleichungen der drehenden Bewegung (a. a. 0. S. 47),
C h e 1 i B i : IMenuiiiuione analytleA etc. 93
Da O konstant ist, und die Seitenmomente dieser OrOsse A p,
Bq, Cr sind, so ist auch A^ p* -f B^ q^ -+- C r* = Ö» = const.,
wie sieh aus den Bewegungsgleichnngen sofort auch ergiebt.
Dies ist ungefilhr die Ableitungsweise des Verf. Wir würden
tach sagen können, die Gerade 0 G sei die auf der »unveränder-
lichen Ebene« des Systems senkrecht stehende Gerade (a, a. 0.
S. 20) und wenn die Coordinaten des Endpunktes G sind X|, j|,
1,, so sind diese Grössen gleich den Grössen L, M, N, wie sie
oben angegeben wurden, wenn 6'=*L'-|-M'-|-N*. Bind die Ko-
ordinatanaxen die Hauptaxen, (also beweglich mit dem Körper), so
findet man als Projectionen von 0 G auf dieselben : A p, 6 q, Cr.
Aus den Euler*schen Bewegungsgleichungen folgt, neben obiger
Gleiehnng: Ap' -|- Bq^^-j-Cr^ = const. Sei nun das S das Träg-
heitsmoment des Körpers ftlr die augenblickliche Drehaxe (0 B nennt
sie der Verf.), 0 h =7 h die Projection von 0 9 auf die Axe 0 G,
mithin h = © cos (h ©), so ist S ©* = A p» + Bq« -4- C r^,
G ^co8(h ») = (A p) p -f (B q) q + (C r) r. Da S 9* die leben-
dige Sjraft (nach unserer^Anschauung das Doppelte derselben) ist,
80 sagt also die obige Gleichung aus, dass die lebendige Kraft des
Körpers, so wie die Winkelgeschwindigkeit der Drehung um die
Gerade O G unveränderlich seien. Die obige Grösse h ist unver-
Snderlich. Die Gleichung Aj^^ -{-Bq^ -^ G t'^ s= Gh stellt, wenn
wir p, q, r als Koordinaten (bezogen auf die Hauptaxen) ansehen,
ein Ellipeoid war, dessen Halbaxen a, b, c (a'^ = — u. s. w.
Dieses Ellipeoid wollen wir uns um den festen Punkt gezekdmet
denken, so bewegt es sich mit dem Körper und wenn seine Bewe-
gung bekannt ist, ist es auch die des Körpers selbst. Auf der
Oberfläche dieses Ellipsoides liegt der Endpunkt der augenbliok-
liefaen Drehaxe 0 G. Die Ebene, welche im Punkte (p, q, r) das
Eliipsoid berührt hat zur Gleichung App^-f-Bqq'-|-Crr' = Gh,
wenn p', q', r^ die laufenden Koordinaten derselben sind; sie ist
folglich immer parallel der unveränderlichen Ebene,
in einer Entfernung h vom festen Punkte. Mithin bleibt diese
Tangentialebene im Baume selbst unveränderlich und das Eliipsoid
rollt auf derselben fort, ohne zu gleiten. Der Fahrstrahl nach dem
BerOlirungspunkte ist die augenblickliche Drehaxe und seine Länge
stellt S vor. Verfolgt man die Reihe der Berührungspunkte auf
der Oberfläche des EUipsoids, so erhält man eine Kurve, die Poinsot
die Poloide hiess; vorfolgt man aber die Berühmngspxmkte auf
der festen Ebene, so ergibt sich die Serpoloide. 0 0^=^0 ist
der Fahrstrahl, von 0 aus, für die Poloide, und wenn v die Pro-
jektion von 00 auf die feste Ebene ist, so ist diese Grösse der
Fafarstrahl für die Serpoloide (vom Punkte aus, den wir durch
Projektion von 0 auf die feste Ebene erhalten, und den wir H
nennen wollen). Zwischen diesen Grössen besteht die Gleichung
9»s=v« + h^.
Wegen der bereits früher aufgestellten Integralgleichungen kann
M Cbeliai: DeterminMioBe Mudytit« etc.
man sagen, dasa dcor Endpunkt 0 von 00 maun aof dan zwei
EUipaoidenA«pa + B»q«+C*r«=G2, Ap* + Bq^ + Cr'— Ohüege;
er liegt alao auch in der Flftohe : A(a— Ah)p'-)-B(0— Bh)qH-<^
(G— Ch)r'^=:Oy welche durch Verbindung obiger Oleiohungen ent-
steht. Setzen wir A<1B<CC9 so folgt daraus» dass 6 zwischen
Ah und Ch liegen mosSy damit nicht alle drei Koeffizienten daa«
selbe Zeichen haben (da sonst p «b q ss r »» o wftven) ; 0 kann
Übrigens grösser oder kleiner, oder gleich Bh sein« Die ttnsserstea
FftUe (GB=Ah, Ch^Bh) lassen sich leicht auslegen.
Zur Bestimmung von p, q, r hat man ausser obigen zwei Glei*
chungen noch: p'' + q*4-r*s=63j woraus der Verf. folgert: p*«»
(a-bkI-c)'**-^' ■•'=(5=^=1) («'-'^' ''-(mm
^ .^ . Zwischen h, «*, /}^, y' bestehen sehr einfacbd
algebraische Beziehimgeu, die aufgestellt werden ; und femer finden
sich, wenn man obige Werthe von p-', q*, r* in die drei Gleichun-
gen einsetzt, Identitäten, die in späterer Rechnung Yon Nutzen
sind, deren Abschreiben man uns aber füglich erlassen wird. Man
findet leicht, dBBS ß^'^afl^ ß^'^y\ und es folgt aus obigen Werthen,
dass 9* nie grösser als fl^ sein kann ; eben so kann 0^ nie kleiner
werden als die grössere der swei: a', y^^ wobei «'^>^^ wenn
G>hB; a»<y* wenn G<Bh; für G = Bh ist a«=y«=hi.
Dabei ist übrigens auch o^-f 9^ — /|3>-0.
Setzen wir z. A. p*=d(ö*— «), so erhalten wir p~=*®
d» , , dp B-C .d» (C-A)(B-A)(C-B)
^,d.h.wogegen^=-_qr:«— =^.^ 11^^ 1
p q r, so dass , wenn man obige Werthe einsetzt : 0 -*-- =. 4-
dt
VX0^^u^){ßl^'-0*) (©»— y»), wo das Zeichen sich aus der Zu- oder
Abnahme von 0 entnehmen Iftsst (0 ist nur positiv gedacht). Diese
Gleichnng hat 0 zh liefenL
Der Vert bestimmt nun die Geschwindigkeit des »augenblick-
lichen Pols« (pi q, r) in so ferne er die Poloide oder Serpoloide
beschreibt ; sodann die G^chwindigkeüen» mit denen sich die bei-
den Fahrstrahlan 00 und v am 0 oder H bewegen, womof er die
Glaidiungen der Poloide oder Serpokide ao&tellt. Die erstere ist
die Dotchschaittskurve der beiden früher genannten EUipsoide,
oder anah des »Zentralellipeoids« Ap*-f-Bq'<<-f>Cr^3aB£0h und dee
Kegels: B(Bh-G)q*+0(€9i-G)r'i<»A(G-Ah)p'^. Hier setaeA
•) Da A+B>C, so iat (A+B) h>Ch, also da Ch>0: CA+^
h>0, sodass y* positiv aasfilk. Für «V^ bedarf es dtaesBewüawnioht.
OliellBl: PetermlMMlifn Mal^rttaft «!«• M
wir hB^Q Yorsos, so dass die Poloide sjmmetriflch in Bezug «rf
die Aze Op liegt. Die Projektion derselben auf die Ebene der rq
ist eine Ellipse, deren Gleichung --^-^ — ^ = 1, wo q|^ =^ (v-n a /
ri'ass \'^ — -~, nnd qi^>ri*. Nehmen wir an, dase die Be-
wignng des Poles 9, in dieser Ellipse betrachtet, im Punkte (q sr 0|
r=r|) beginne, und der CmÜEUig der Ellipse in dem Sinne: posi-»
tiTe Axe der q gegen positite Axe der r durchlaufen werde. Danu
ist es immer möglich, einen Winkel q> ta bestimmen so, dass
q=s — (ii sin9>| r=r| cos fp und es ist im Anfting f^asO; fthr
f^^TTf s« -^ ist der Pd (seine Projektion) in den Scheitelnder
MgatiTBu grossen, negaÜTon kleinen, positiyen grossen Halbaxe.
Jetzt folgt leicht e<<=(/l^— ^s)sin> 9), und da wir Bh>a
renBBsetzen. wo also )^^a% so geht ^ von einem ftusserstem
Werthe «im andern, wenn 9 je um 4 ^ wftchst* Setzt man p, ==
Ba mm letztere Ghr&sse ihr Zeichen nie wechseln kann, so hat p
kuner nnr daaasibe Zeichen, was wir positiv Yoraassetzen wollen,
SD daas pxsp^ V'l--l;*sia<9' Ferner Ad^ac — (J'--7<<)sin^ao8f»
d^ (»«—««) Oi^-e«) (»»-y»)= Ol«-y*)»sin^f>cos<f>(/l»-c')
(I--k«sin'9>), also exi^==(/J««yVßin'yco8>i5j==öJ-.yO«
90J«-aO(l-k«sin»yx(^)=0J*-«*)a--k*8in«y).
Ba nun auch hier wieder die zweite Seite nicht Null werden kann,
deo
90 bl0ibt-r[~- immer Ton demselben Zeidien, das positiv sein muss,
at
weil anfänglich 9> wächst. Man erhKlt so, wenn v^^i^^tsssn : nt =?
F(9P, h), also 9ss8iiiam(nt), wobei wir jedoch bemerken, dass der
Verf. die Bezeichnung der elliptischen Funktionen (und selbst In-
tegrale) nicht anwendet, was die Endlösung unbequemer erscheinen
l&Bsi. Es ist demnach 4 = sin am (ut) , p es p^ y^i— k*ain*Ainiiif
q== — q|Sinamnt, r = r|Cosamnt, wodurch die Aufgabe, die Ge*
flehwindigkeit zu bestimmen, erledigt ist. Für y findet man v^^»-h»
(ÄS y« \|
^ ~^ Äi — k7 ^^J y ^<>^^A^ ^^ ^^ €toetatt der Serpoloide ergibt.
Die Falle Bh<CO, Bh=a lassen sich nnn kiobt eijedigen.
Wir haben voriiin die Länge von ▼ an^Bgeben ; die Lage die-
let FaluratraUa zur Zeit t Iftust sich ebenfiaUs bestimmna.
Diane Bestimmung wird mittelst des Prindps der Flächen ans»
geftUiTt. Der FahxntnU ▼ beschreibt in der Ebene, dis nuTcv
ImUiiliiiii iÜMteiifcieUlene bleibt, bis zum Ende der Zeit t eine
sib'^oos*
96 ChelinivDetenniiwzioBe anilyttc« elc
I du
Fläche, deren Differential quotient irV^-jT-ist, wennu der Winkel
A dt
ist, den der Fahrstrabi v mit seiner anfänglichen Lage macht. Da
diese Fläche Projektion der vom Fahrstrahl B durchlaufenen Fläche
ist, und p, q, r die Koordinaten des Endpunktes des letzteren Fahr.
Strahls sind, so ist (z.B. a. a. 0. S. 18) Iv^^^^q^-r-^^
cos (ph) -f- (r j^ - P^ j cos (q^) + (p j|— q jf j cos (rh), wo cos
(ph)=-j^, cosqh?=-j=-, co8(rh)=-^. Setzt man dies ein, be-
dp (B— CJ*
achtet, dasB (B— C)qr-rj-= — j-— q« r* u. s. w.; benutzt die
Werthe von p*, q*, r*, so wie dass Ö*=v>4-li*> so findet sich
$=h — 4-» wo ^ABC = (G— Ah) (ö~Bh) (G-Ch). So findet
dt V» ^
sich nun leicht jii = h t — iTI[tp^ - g«, k), wenn f = ^^^=r.
ij«_yj| (p*-h»)v^-a«)
g*=^5 — eii« Danii* ist diese Aufgabe erledigt,
p« — ji«
Man ist also im Stande zur Zeit t (als Funktionen von t) die
drei Grössen p, q, r, sowie die Werthe von v und \k (d« h. die
Lage des Fahrstrahles der Serpoloide) anzugeben, so dass nur noch
erübrigt, durch diese Grössen die Lage des Körpers selbst zu be*
stimmen. Zu dem Ende denken wir uns ein rechtwinkliges Koordi-
natensystem, in dem OH die Axe der x (also fest) ist ; die Axe 0 y
parallel dem Fahrstrahl v (mithin beweglich, aber ihrer Richtung
nach bekannt), und die Axe Oz senkrecht auf beiden ist, und
suchen nun die Cosinus der Winkel, welche die drei Hauptaxen
(Op, Oq, Or) mit diesen Axen machen.
Nach dem Früheren ist zunächst: Gcos(xp) = Ap, G cos(xq>
= Bq, Gcos(xr) = Cr, so dass bereits drei dieser Cosinus bekannt
sind. Projizirt man die gebrochene Linie H 0 6^ auf die Axe Op,
so ist die Projektion = p hcostxp)=vcos(yp), woraus G v cos
(ypjt=(G — ^Ali)p und eben so: G v cos (y q) =:((}— Bhjq, Gvcoa
(zq) = (^G— Ch)r. Die Axe Oz steht senkrecht auf der Ebene der
zwei Geraden OG, 0®, deren Längen G, ö sind; schliessen wir
das Dreieck, dessen Seiten diese Geraden sind, und projiziren das-
selbe auf die Ebene derOpq, so ist die Projektion =} (Ap.q — Bq.q)
== ( (A— B) pq, und da das Dreieck selbst ss 4 ^ &sin(x®)=s 4 ^^
ist, so folgt G V cos (z r) = (A — B) p q, und ebenso : G v cos (z q) ==
(C -• A) r p, G V cos (z p) = (B— 0) qr.
Hiedurch ist die gestellte Aufgabe vollständig erledigt, und es
mag aus dieser Uebersicht unsere anftlnglich aufgesprochene An-
sieht von der Wichtigkeit der Lösung für die Darstellung der
Wissenschaft genügend gerechtfertigt erscheinen.
^t. i. IMengfr«
Ii, 7. HEIDELBEEGES 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERiTDB.
Die Reehiferiigung der SüdstaaUn Nordamerikas, Van Hon. James
William, ehemaligen Qeeandten der Vereinigien Staaten bei
der hohen Pforte, mit einem Vortcori von E, M, Hudeon,
Doctor beider Rechte, themaligem LegaHons^Secretär der Ver-
einigten Staaten in Birlin. Berlin, C. 0. Läderitg'eehe Vef^
lagaöuehhandlung. A. Chanieiua. 1863. 336 8. in 8.
So eben kommt mis das vorgenamite Buob su, welches , ob*
schon es der Angabe auf dem Titelblatte zufolge, schon vor einem
Jahre erschienen ist, doch nicht in der Art Yerbreitet und be-
achtet worden zu sein scheint, als es verdient. Es besteht ans
einer Reihe Yon Briefen, welche von dem Verfasser in Constan-
tinopel im Jahr 1860 während des Wahlkampfes um die Präsident*
ichaft der Vereinigten Staaten ftLr amerikanische Leser geschrieben
and einer amerikanischen politischen Zeitung zur Veröffentlichung
übergeben wurden, nunmehr aber gesammelt, dem deutschen Lese-
poblikom Yorgelegt werden, wovon der Verf. bei ihrer Abfassung nicht
im Entferntesten eine Ahnung hatte, dass dies je geschehen werde.
Dass der Verfasser ein mit tiefer Einsicht und reicher Erfahrung
aasgestatteter Mann und gründlicher Kenner der amerikanischen
Zustände ist, würde aus dem Inhalte dieser Briefe hervorgehen,
wenn dies nicht schon seine damalige Stellung als Gesandter der
Yereinigten Staaten bei der Pforte verbürgte. Deutschland befindet
sich zwar nicht in der Lage, von den Vorgängen, welche dermal
die Vereinigten Staaten von Nordamerika erschüttern und im Izmer-
sten aufwühlen, unmittelbar oder doch so nahe, wie England und
Fruikreieh berührt zu werden, oder in dem Kampfe, welcher zwi-
schen den Nord- und Südstaaten der Union entbrannt ist, für den
maea oder den anderen Theil thätig Partei zu ergreifen, oder in
izgend einer Weise sich einzumischen. Nichts desto weniger wird
aiaelt Deutschland von dem Ausgange dieses Kampfes, der, welcher
er suMch sein mag, unverkennbar eine weltgeschichtliche Bedeutung,
and namentlich einen gewaltigen Eiufluss auf den Welthandel haben
wird, nicht unberührt bleiben. Wäre es aber auch nur das allge-
seine weltgeschichtliche Literesse, welches für Deutschland hier in
Betracht käme, so wäre es doch immerhin von gr5sster Wichtig-
Wit, eine klare Einsicht in die wahren Gründe und die wirkenden
üraaclien des Kampfes zu gewinnen, welchen der amerikanische
Sardea nnter dem Aushäugeschilde rein philanthropischer Interessen
an der Abschaffung der Sklaverei gegen die Südstaaten der Union
begonnen hat. Zur Erlangung eines richtigen Blickes ist es aber
LVHL Jahrg. SL Heft. 7
9$ Williamt R^ditforttgiii« d«r fiUdstuteiL
darchans ootbwendig, auch Stimmen der Südstaaten zn yemehmen,
und xwar uin bo mehr» je seltener diese nach Deutschland zn drin-
gen TermBgan, deaseti vorwiegende Veikehrsbeziehmngen ihm haiapt-
sächlich nur Nachrichten aus dem Norden der Union zuzuAlhren
pfiegen. Einen ttlchtigeren Mann, die im Süden der Union herr-
schenden Ansichten zu vertreten, als wie sich der Verf. ausweist,
möchten die Sttdstaaten schwerlich sich zu wflnschen Veranlassung
haben. Gründliche Kenntniss der Verhältnisse, verbunden mit aus-
gezeichneter Eleganz der Darstellung, dabei eine grosse Mässigung
bei Bekämpfung der gegentheiligen Ansichten des Nordens, sind
Vorzüge, wie wir dieselben selten in einer Parteischrift in so hohem
Maasse vereinigt gefunden haben. Der Verfasser bekennt offen und
wiederholt, dass er als Südländer, als Cicero pro domo spricht. Er
Ist bescheiden und billig genug, diesen Standpunkt, der ihm als
Bttdlftnder von Geburt angewiesen ist, als denjenigen zu bezeichnen,
welchem bei Beurtheilung seiner Briefe Rechnung getragen werden
muss, wenn er pro aris et focis ficht ; aber er ist auch dabei durch-
aus Amerikaner, der die Erhaltung der Union auf der Basis der
VerAissmig, auf welcher sie gross geworden ist, als das höchste Ghit
betrachtet, und eben daher an den Norden die eindringlichsten
Vorstellungen richtete, den Gefühlen und Interessen des Südens,
namentlich diesen letzteren, welche für die Südstaaten eine Frage
um Sein oder Nichtsein sind, eine billige Rechnung zu tragen. Die
TorsteUungen , welche der Verfasser in seinen Briefen an die Be-
Tf^Heerung des Nordens richtete, haben bei dieser keine Beachtung
gefanden; die aufgeregten Leidenschaften haben einen Bürgerkrieg
kerattfbeschworen, der bereits Opfer an Menschenleben in so unge-
heurer Anzahl gekoetet hat, wie die GFeschichte noch kein Beispiel
auftuweisen hatte. Die Vorhersagung des Verfassers, dass der
Bttden einen Verzweiflungskampf beginnen und sich nicht anders
als nach vollständigster Erschöpftmg dem Norden unterwerflBU würde,
ist bereits in Erfüllung gegangen ; ob eine Trennung der Südstaaten
von der Union, eine Ausstossung derselben, welche noch 1860 von
den heftigsten Republikanern des Nordens als das Ziel ihrer Be-
strebungen verkündigt wurde, das Ergebniss des Krieges sein wird,
oder ob der Norden in seiner Uebermacht nunmehr das blutige
Drama nicht anders als mit einer völligen Unterjochung der Süd-
Staaten für abgeschlossen betrachten wird, muss die nächste Zn-
kunfb lehren. Der Verfasser ist kein blinder und prinzipieller Ver-
theidiger der Sklaverei in abstracto; er ist aber Realpolitiker, der
ihren historischen dermaligen Fortbestand in den Südstaaten ala
eine Existenzfrage für die nur acht Millionen betragende weiaso
BevÖlkonmg gegenüber von vier Millionen seit Generationen ein-
geborener Schwarzen in*8 Auge fiisst. Die Hauptau^abe, welche,
sich der Verfasser gesetzt hat, besteht darin, nachzuweisen, dass
es nicht sowohl die von der sogenannten AntisUaverei-Partei inj
Norden der Union und in En^nd mit so grosser Ostentation tot^
WJUUmi BMlitiBrtitiii« im
kttndttoB plnlanthropisdMn Ideon lind, ans welchen die Aiiflielmiig
dermJaveiei im den Sttdstaaten gefordert wird, sondern das mat«»
oeUe iBteresBe» und dase ein Zwang zn dieser Aufhebung der Ver*
luBimg der Union, auf deren Omndlage der Eintritt der Sttd*
«twrtew in dieselbe geschah, widerspricht. In diesen beiden Be-
Asfanngen mnas die AnsfOhning des Yerfiissers wohl als voUkoaunen
griugesi nnd sohlagend anericannt werden. Von grossem Interesse
sisd die Kaekweisongen des YerfiEMsers, wie England, so lange es
die dermaligen Vereinigten Staaten Ton Nordamerika als seine
Colonien beherrschte, die Sklayerei dort einführte, ja denOolonien
derea Einführung an&iöthigte, nnd den Sklainsnhandel als Monopol
beanqiraehte , so lange er eine Qnelle seines eigenen Seichthnme
war, nnd dass der Korden der Union die Sklaverei bei sich nicht
eher «nflMb, als bis sie ihm von keinem Yortheile mehr war, nnd
Beine Beyölkemng Zeit und Gelegenheit genug gehabt hatte, die
ihr nutzlos gewordenen Sktsren in die Südstaaten der Union zu
▼erkaufen, so dass die Aufhebung der Sklaverei im Norden ohne
YermGgensbeeinträehtigung seiner Bürger geschehen keaate« Bs
wird aach als richtig zugegeben werden müssen, dass keine weisse
BevQilkeruBg in den tropischen Ländern die Fähigkeit besHzt, die
Arbeiten zu leisten, welche dermal von den Schwarzen geleistet
werden, und dass der materielle Zustand dieser schwarzen Sklaven
b den Sttdataaten ein besserer ist, als in manchen, selbst e«uropäi-
selien Staaten der Zustand der freien arbeitenden Klasse, inshe*
sondere aber besser als jener der Coolis, (Chinesen u« dgL), doreh
deven Einführung als angeblich freie Arbeiter man in einigen
Staaten die Arbeit ^er Schwarzen zu ersetzen sucht. Ebeis so un*
wideriegbar dürfte die Ausführung des Yer&ssers sein, dass aller
Yortheil, welcher aus der Aufhebung der unfreien Arbeit in den
Sttd Staaten der Union entspringen kann, nnr England nnd seinem
W^haittdel za Gute kommen, eben hiermit aber der Norden der
Union sieh in seinen Erwartungen von jener Aufhebung getftusoht
athan wird« Man mag aber dies Alles, und noch viel Mehrsres, was
der YerfMser in hftohst geistreicher Weise nnd grossentheüs mit
nnwiderleglichen Argumenten ausgeführt hat, zugeben, ja man mag
gearadesn anericennen, dass das historische od^r positive Beoht auf
den Bestand der Sklaverei für die Sttdstaaten spreche <^ (und in
wdehena Lande der Erde hätte nicht von AnÜEMg der Geschichte
an das historische oder positive Becht für Sklaverei, Leibeigen"
sehnfk oder HArig^it gesprochen!)— so seheint sich doch eben in
deot Kampfe, welcher dermal zwischen dem Norden und demSttden
der Uaioa geführt wird, ein grosses und unerbittliches Weltgesetz
sn ToUzieken, wonach die Menschheit im Ganzen zum Fottsehritt
in der Anerkennung der individuellen Freiheit berufmti ist, und die
Mebumg, nie wäre eine oder die andere Ba^e von Natur aus zur
Theünahane hieran nicht befähigt, aufgegeben werden muss.
Aneh der Terfasser hat die Anerkennung eines solchen Weltge»
100 OralUBABAs Ab«^iilNli fai Btthtnoi «nd
seties oiöht absolut yon sioh aasgeBcUoBsen und gewiss wird buul
ihm darin beipflichteni wenn er eine weniger gewaltsame, weniger
opferschwere nnd allmählige Lösung des nun einmal weltgeschioht*
lioh gewordenen Conflictes zwischen dem historischen Rechte und
der fortschrittUchen Entwickelnng der Freiheit ftlr wflnschens-
werther erklärt. Die redliche und yon der Liebe zur Wohlfahrt,
Grösse und Einigkeit seines Vaterlandes eingegebene Bestrebung
des Verfassers, eine solche friedliche Lösung herbeiasuftlhren , wird
darum nicht weniger alle Anerkennung verdienen, dass seine sur
Mftssigung rathende Stimme in bewegter Zeit kein Gehör gefänden
hat. Vom Standpunkte der Geschichtsforschung aus betrachtet,
werden aber diese Briefe unbestreitbar als ein höchst BohAtzbarer
Beitrag zur Erklärung der dermaligen Vorgänge in den Vereinigten
Staaten anerkannt werden müssen. Zoepfl*
Abergimube tmd Gebraucht au» Böhmen und Mähren. QeeammeU und
heramgegeben van Dr. Joseph Virgil Orohmann, L Bd.
(Auf Kaden den Vereines für Oesehichie der Deuiacken m
Böhmen). Prag und Leipzig 1864, X und 247 8.
Der Verfasser des vorliegenden Buches, von welchem Ret. be*
reite früher Arbeiten an dieser Stelle beifällig zu besprechen Qe*
fegeaheit hatte (s. 1862 Nr. 59 »Apollo Smintheusc und 1863
Nr. 37 »Sagenbuch von Böhmen€) bietet hier wiederum einen sehr
schätzbaren Beitrag zur Mythologie, wie sie sich jetzt noch im
böhmischen, d. h. also theils deutschen, theils slavisohen Volka*
glaubfiin darstellt. Grohmann bemerkt in dieser Beziehung (S.VI):
»Eine Sammlung deutscher Aberglauben, Gebräuche und Sagen aus
Böhmen wird stets unvoUständig sein und ihren Zweck nur halb
erfüllen, wenn sie nicht Hand in Hand geht mit einer gründüchea
Erforschung der slavischen VolkstLberlieferungen in diesem Laade.
Seit so vielen Jahrhunderten wohnen beide Volksstämme in B5li-
men neben einander im lebhaften Austausche ihrer Sitten, Ge-
bräuche und volksthümlichen Erinnerungen. So ist es denn ge-
kommen, dass viele Gebräuche der Deutschen, wie das Todaua-
treiben, das Schmeckostem, slavischer Sitte entstammen und durch
die slavische Mythologie ihre Erklärung finden; anderseits ist der
slavische Volksglaube in Böhmen so vielfach mit deutschem ver-
mengt, dass er ebenfalls als eine Quelle für deutsche Sage und
Sitte angesehen werden kann.€ — Es erhellt hieraus zurGentlgey
wie willkommen die vorliegende Arbeit sein muss und wie mannig-
fach sie sich verwerthen lässt, wobei auch nicht zu übersehen ist»
dass selbst die historische Eorsehung nicht leer ausgeht, wie dies
der Verein, auf dessen Kosten sie herausgegeben worden, mit rich-
tigem Blick erkannt hat, indem sich unter anderm als Besaltat
dnrselben ergibt (8. YII): »Dass schon in den ersten Jalirkiinder*
ien böhmiadier GhMcbichte ein reger nnd lebhafter geistiger V«r^
kehr zwischen Slaven und Deutschen bestanden habe, wie er nieht
denkbar gewesen idbre, wenn noch im 11. Jahrhundert die deutsehe
BerSlkernng in BiShmen nur ans einigen Prager Kanflenten und
Juden bestanden bitte (Palacky Gesch. 1, 888, 390).c
Ghx>hmann hat es unterlassen die Sammlung durchgehende mit
Anmerkungen zu begleiten, was nm so mehr zu bedauern ist, da,
wo er in einzelnen Fftllen dergleichen gibt, diese meist sehr an»
liehende Nachweise enthalten. Jedoch wollen wir mit ihm wegen
dieser Sp&rlichkeit, nicht rechten, indem er sich yoraos mit seinen
»wechselnden Schicksalen c entschuldigt^ »wenn das Buch nicht
allerwftrts jenen Anforderungen entsprechen sollte, welche diedevt-
sehe Wissenschaft an eine derartige Sammlung zu stellen beieoh-
tigt ist.« — Bef. kann natürlich das Mangelnde hier nicht eigftnsen
wollen, sondeni muss sich darauf beschrftnken ebenso wie Groh«
mann selbst an einzelnen Beispielen zu zeigen, wie reicher und
wertliToller Stoff sich hier yereint findet. So z« B. begegnen wir
gleich 8. 1 Nr. 4 den Goldferch der Paruchta (Perahta, Berchta)
worüber ygl. A. Kuhn, Westphftl. Sagen 1, 881 f. — Bald darauf
8. 2 Nr. 9 wird folgendes angeführt: »Zur Beruhigung der Mehi-
sina legt man auch Mehl auf einen Pflaumenbaum und lAsst
es yom Winde zerstreuen u. s. w.« Hieraas geht also heryor, dass
die Windsbraut, die in BOhmen Melusina heisst, bei ihrer Sturmes-
fiihrt, auf Bftumen ausruhend, gedacht wird, gleich der ähnlich
dahinbransenden Pharaildis, ygl. Gott. Gel. Anz. 1864, S. 1424 ff.,
woselbst Bef. die weite Verbreitung der Vorstellung yon dem Auf-
enthalt geisterhafter Wesen auf Biumen und Dornbüschen bespro*
eben bat. Dieselbe mag wohl ursprünglich aus dem gleichfalls sich
tet nnter allen VGlkeru wiederfindenden Glauben entsprungen sein,
dass die Seelen der Verstorbenen gern ihre irdischen Wohnstfttten
wieder besuchen. Diese aber waren ohne Zweifel in urftltester Zeit
Blame tmd Gebüsche, auf und in denen auch jetzt noch mehr oder
minder rohe Naturvölker ihre Wohnplätze haben, wie in Afrika,
Süd-Amerika, Neu-HoUand u. s. w., in welchem letztem ausser
den BAnmen ein paar in einander geflochtene G^strftuche häufig
das einzige Obdach der Eingeborenen bilden. Gleiches berichtet
man aneh yon den Miao-tse, den merkwürdigen theilweise febst noch
wilden Ureinwohnern einiger Südproyinzen Ohina^s, yon denen ei-
nige Stämme gleichfalls noch auf Bäumen wohnen; (Viyien de St.
Martin Ann^ göograpbique I, 302 f.). Dies erklärt es denn auch,
warum in einigen Gegenden Böhmens die Kinder die erste Hand*
▼oll Erdbeeren, die sie pflücken, für die armen Seelen, auf einen
Bäumst runk legen (Grohmann S. 98, Nr. 653) und warum fer-
ner in einem mährischen Liede die aus dem Körper fliegende Seele
aeih anf einem Hain niedersetzt, sowie nach der Königinhofer Hand-
sefanft die Seele Vlaslay's auf die Bäume fliegt und dann darauf
loa atokfela'fta: AMfi^ubea In BSknidh und
hin- und herflattert; 6beiida8.'8. 194, Amn. 211 Nr* 1S69 faenMite
mm. diese Yorstellimg in Betreff der Seelen Hingeschiedenet, so
ging sie leicht auf geisterhafte Wesen über , welche (kbrigesiB
gprGsstentheils jne die Penaten nnd Laren die Pitris nnd Gandhar*
ten und ähnliche Schntzgeister ja eben nur die Seelen der gÖitUoh
verehrten Ahnen vorstellten. Wenn endlich unter den Gebüschen,
zUunenüich Dornbüsche, als Anfenthaltsorte jener Wesen ge-
nannt werden, so mag daza namentlich die Todesbedeatnng der^
selben beigetragen haben; vgl. Gott. Gel. Ans. a. a. 0., so dase
also Honorat'is Ableitong des occit. roümeoo Popanz aus ron-
mec Domstraach gar nicht übel ist, vgL Dietz Etymol. Wßrterb.
3. Anfl. 1,268 s. v. Mäschera« — Das in Böhmen übliche Ver->
fiafaren, nm den Körper eines Ertrunkenen wieder auffinden zu
können (Grohmann 8. 50, Nr« 319. 820) wird in ähnlicher Weise
auch anderwärts in Anwendung gebracht, so in England, Mand,
bei den nordameirikanlschen Indianern und wohl auch sonst noob
d« Ohoice-Notes from Notes andQueries. Lond. 1859. p. 40ff. StaU
der böhmischen geweihten Wachskerze steckt man in England
Queeksilber in das dabei gebrauchte Brod , welche^ Verfahren isin
mehr rationalistisches, ketaerisches Aussehen hat, dedshalb aber
anch nicht immer von £rfi>lg begleitet ist (1. c. p. 164), während
wiedei^iim der katholische Priester mit seinen kabaüstisohen Oharak^
teren nnd Strohwisch seinen Zweck desto sicherer erreicht (1. o.
p. 42). -- üeber das in Böhmen und Mähren in Quellen geworfene
Qeldopfer (Grohmann S. 50 zu Nr. 321. S. 115 zu Nr. 858) vgL
den Bef. zu Gervasins von Tilbury B. 101. Füge hinzu Pausan. 1,
34, 3 in Betreff der AmphiaraosqueUe in Oropns; vgl. auch Soei*
Octav. c« 57« — Dass die aus Schmerz über Dahingeschiedene
vergossenen Thränen denselben wehe thun (Grohmann 8. llft
Nr. 845. S. 190 zu Nr. 1345) ist gleichfells ein weitverbreiteter
Volksglaube, vgl. disn Ref. zu Gervas. S. 197, sowie in den Gott.
Gel.-Anz. 1861. S. 437. Er findet sich auch in Italien, s. Ida von
Düringsfeld, das Sprichwort als Kosmopolit 1, 148 : »Das Weinen
ist dem Todten zuwider und schadet den Lebenden.« (Aus Bergamo).
— In Betreff dos Wiederkehrens verstorbener Mütter
zu ihren Kindern um sie zu pflegen (Grohm. S. 116. Nr. 870—872),
s. den Bef. zu Gervas. S. 66. nnd Heidelbt Jahrb. 1864. 8. 218
(zu Hahn's Nr. 83). — Ueber das Hervorwaohsen von Pflanzen
aus Gr&bern als Symbol des Fortlebens der Seelen (Grohmlinn
S. 193 zu Nr. 1361), s. den Bef. in den Gott. Gel.-Anz. 1861.
S. 575, — • sowie über Seelen die in Vogelgestalt ersdiei*-
nen (Grohm. S. 194. Nr. 1369) denselben zu Gervas. B. 115; W.
Müller in Pfeiffer's German. 1, 421 (dazu Paulus Gassei, Der
Schwan. Berl. 1861. S. XZIV. Anm. 112); Wackersagel "Biu^
üzafosvta. Besel 1860« S. 39 ff. u. a. m. — Jedodi dies genüge
um auf die Beichhaltigkeit det vorliegenden Sammlung und den
tiel&chen Nutzen, der daraus zu ziehen idt, hingewiesen zu häbea
ttd will Bef. wUiNsliiih nitr ttooli swei dtdtoii'dwd^llM iMflK»«*
MwD» BStnUoh B. 89. Nr. 148, wo eine Btropb« dM Aftidlbdt ütt^
gefithrian rnftbriadien Volksliedes in der Üebeiiaetfiiiig so Uniieti
>]>ie armen Seelohen fingen sie auf -^ Und Hessen ^e iiieht itus
dar Helle gehen — Oleioh wettete er mit dem Tetif^ ^ W«r ron
ihnen besser spiele — David spielte besser — Spielte seine Mnttet
SOS dar Hölle heraus.« Dies erinnert d«ran, dass aitsh in der
mUnsteriadhen Version Tom Bpielhansel (s. Öritnin, Kindermftrcfaen
3>, idl f. sn Nr. 82) dem Tenfel Seelen im Spiel a^gewötknen
werdsii, womit anoh sa vergleichen das t^bliM (bei Le Orand)
da Jonglenr qni alla en enferc; w. endKeh dl* OeMhiehle
▼on dem Zauberer, der dem Volke einen Hahn seigte, der einen
BalkBn sog (Grohm. S. M m Nr. 640). Dies ist dM llftrc^en tom
Hafaaienbalken (K.-M. Kr. 140) woi«ber vd^Bef. in Benfey's Orient
end Oecident 1, 181. Zn den dortigen AnftthrnHgett fttge man kioeh
a^aöer Altengl. Mirehen. Brannsohw. 1880. L S. XKm. -^ Hier-
mit achUessen wir in der Höffanug den 2« Band def vorliegMden
aammlimg so wie des böhmischen Sagenbuches in nicht ttt fsmer
Zeit zn besitzen, wobei wir zagleich den Wünsch atiBSpx«<^en, die»*
selben mit ebenso sorgfUtigen Sachregistem ansgestattet zn sehen,
wie es der gegenwärtige Band ist.
Lüttich. rtiti LfebrMM«
üsr Krieg, seine Mütd und Wt^e, so uie nein Verhäätnm tum Frie-
den, M den ErlAnüeen knee Veteranen, fieieh wU in ihren
PHneipien öetraehiet. Von C. F. a Pfnor, froeehene^hh
beMed^em ObtreUieutenant de$ Armeeeorpe. Md einem Jn^
hange nebet Steiniaftl, die Coneiruetiön eines FiOdiagem eni»
hottend. Tübingen, bei Ludwig Friedrich FUee^ 1864, XX und
361 8. 8.
Beftrent hat obiges Bach mit dem grtfssten Interesse gelesen.
Hat der hochverdiente greise Herr Verfasser desselben, der ftHeste
Veteran des badisohen Armeecorps, sich in einer Beihe von Sohriften
von der idealen Seite als denkender Philosoph tmd vielseitig ge^
bildeter Kenner der geistigen Seite menschlicher Forsohmigen be«
wfthrt, so lernen wir ihn in der voiliegenden Schrift von der realen
oder praktischen Seite als Denker im Gebiete der Kriegskunst nod
KriflgsvrisBenschaft kennen. (Gewiss hat der Herr Verf. in allseitiger
Beziefanng nicht nnr seine Berechtigong, sondern seine vollste Be-
fUdgimg, seine Ansicht ttber das Wesen des Krieges, seine Wege
and Mittel, das Kriegsheer, das Kriegswesen, die Kriegsknnst
imd Kriegswissenschaft einem saehknndigen nnd denkenden Ptlbli-»
knm mitzatheilen , vielfach und in rühmlichster Weise bewährt.
Aneh die Kriegswissenschaft und die Kriegskunst hängt mit den
}f4 VtMVTi Der Kriigi
aUgemeineii Principien der Natur, des Lebend und derWisaenscliaft
aufs Innigste zusammen und durch seine philosophischen üntersuolmii-
gen hat der Hr. Verf. bereits in vielfiEkch befriedigender Weise seine
tiefer eingehenden Anschauungen in diesem Gebiete entwickelt,
ßef. macht hier besonders auf die zweite Auflage des in diesen
Bläittem angezeigten Werkes des Herrn Verf. »das Leben, die
Natur und die Wissenschaften« aufmerksam. Aber auch
alfi iNTaktischer militärischer Schriftsteller hat sich der Herr Verf.
schon in früherer Zeit ausgewiesen und die Aufnahme seiner Schrif-
ten hat gezeigt, wie sehr er dem praktischen Bedürfnisse entgegen*
zukommen und mit welchem Ernst und Erfolg er seinen Gegen-
stand KU behandeln verstand. Im Jahre 1816 yerfasste er eine
»DieuBtanleitung für die Landwehr«, welche als Manuscript 1817
der Generalinspection der Landwehr übergeben wurde. Im Jahre
1831 erschien die Yon ihm yerfftsste und durch höchste Best&ti-
gung in Anwendung. gebrachte militärische Schrift : »Der innere
Pienst für das grossherzoglich badische Armee-
corps.« Im Jahre 1882 wurde seine Schrift: »Der äussere
und bewaffnete Dienst in den Garnisonen und Fest-
ungen«, dem badischen Armeecorps-Commando übergeben und nach
der Prüfung von einer Commisaion genehmigt. Allein nicht nnr
durch seine schriftstellerischen Werke als gebildeter Theoretiker und
philosophischer Forscher, sondern auch durch sein ernstes, vielfach
bewegtes, mit einer merkwürdigen, tfaätigen Zeit innig verbunde-
nes Leben, durch seine Thaten und Erlebnisse auf dem Felde des
Krieges hat der Herr Verf. zu Schriften, wie die vorliegende, seine
volkte Berechtigung und Befähigung dargethan. In einer fünfzehn-
jährigen Eriegsperiode und einem zwanzigjährigen Friedensstand
war er activer Militär, in dem mühseligen und inhaltsschweren
spanischen und russischen Feldzuge hatte er Gelegenheit, den Krieg
und alles, was darum und daran hängt, durch eigene Anschauung
und denkende Beobachtung kennen zu lernen.
Zur Bezeichnung der »wesentlichsten Tendenz« seines Buches
bemerkt der Herr Verf. S. X u. XI, dass »das auf dem Titelblatte
stehende Motto den eigentlichen Angelpunkt bezeichnen solle, um
welchen sich der Inhalt desselben bewegt, indem es in den Wor-
ten des Textes« noch eine nähere Erklärung erhält. So werden
wir auf das Motto als den Text hingewiesen, zu welchem eigent-
lich die vorliegende Schrift der Commentar ist. Der Herr Verf.
nennt darum auch sein Motto »Worte des Textes.« Diese lauten:
»Krieg und Friede sind die unzertrennlichen negativen und posi-
tiven Seiten, oder die Nacht- und Tagphasen des menschlichen mid
Yölkerlebens, die sich nach dem Zeugnisse der Geschichte in be-
ständigem Wechsel stets gegenseitig begründen mussten und noch
lange werden begründen müssen.«
Das ganze Werk zerfällt in vier Abschnitte. Die beiden
ersten liefern den subjectiven, die beiden letzten dea
objeetiTon Theü deiMllMa. Die ersten beiden AbeeInMe
gekes nlmtinb nmiehsi T<m den eigenen Erlebnieeen dee Herrn
YerL aas. CfowiBs sind wir dem Herrn Verf. fUr die Müibeilnttg
seiner eigenen ESrlahningen in der eo tbatenreioben Knegtperiode
Ten 1800, wo er als Freiwilliger in die Dienate der bataTiaolien
Bepnblik irai» bis 1815 und in dem Friedenaieitranme bis m aeifeer
Pensionirang (1850) zu beaonderem Danke yerpflicbiet. Bie erOüiien
ima anziebende nnd belehrende Gemefatspnnkte Ton der Lieht- md
Sehaitenaeite, and, wenn es wahr ist, daee man nnr dvrob Schaden
klag wird, so hat es gewiss der allgemeinen Zeit, in welcher der
verdiente Herr Veteran wirkte, nach diesem selbst an jenen Inttem
aber lehrreichen Mitteln nur Bereicherung menschlicher Erfiüunmg
in keiner Hinsicht gefehlt.
Der erste Abschnitt (8. l->22) behandelt die »Yorbe*
dingnngen» Gesichtspunkte nnd Thatsaehen, welche
dens Buche sn Grunde liegen und damit in nächster
Besiehung stehen, der sweite (8.28—162) des Herrn Yer£
Erlebnisse und persönliche Theilnahme an einer
fünf sehnjfthrigen Kriegsperiode nebst ein om zw ansig»
jAbrigen Friedens-Kriegsdienste Yon 1800 bis 1815,
besiehuiigsweise 1850.
Wenden wir uns nun vorerst den beiden ersten Theilen
dieaee Werkes, w^'lehe die subjective Seite desselben bUden, zu«
Was der Herr Verf. ans seinen Erinnerungen hier »m liefern
im Stande ist, ist eine wahrheitsgetreue Zmückftthmng der wich*
tigeten Begebenheiten einer grossen Zeit auf ihre thatsichlichen
Gesichtapunkte , die bisher Ton der Parieisucht oft entstellt und
selbst yerftlscht worden sind.« Zugleich wird mit dem »allgemeinen
Anfirisse dieser Begebenheiten« der »Lebenslauf eines seinem selbst-
gewählten Berufe stets treu gebliebenen Soldaten« yerbunden, »der
sieh nnr dadurch von den meisten seiner Standesgenossen jener
Zeit unterscheiden darfte, dass er diesen Beruf nicht ohne Vwbe-
nitoBg und Bewuastsein gewählt hatte, dass ihm oft schon anfden
mAem und mittlem Sprossen der militärischen Stufenleiter die
Leistungen höherer Grade snfi^en und es ihm endlieh vergönnt
war, ans einem lange dauernden Eriegsgetümmel und stets emeuer*
ten seliweren Kämpfen selbst unverletat und ungebrochen zurttck-
nkehren und ganze Generationen seiner Waffengefiüirten zu Aber*
dauern« (8. 25 u. 26). Der Herr Verf. betrachtet seine »Perso-
nalien« »lediglich als den Rahmen« au der Darstellung der Zeit,
in weleher er wirkte. Den Krieg lernte der Herr Veif. zuerst von
der »finstersten Nachtseite € im spanischen Feldzuge kennen Er
findet in der bekannten Katastrophe der Dupont'schen Armee »den
eigentlichen Ghnnd zu dem nachfolgenden unmenschlichen Charakter
dieses Krieges und zu seinem spätem unheilyoUen Ausgange.« Er
bezeiclioet es als den ersten Fehler Napoleons in dieser Hinsicht,
dass er .einem PioMg^f der ihm wahrscheinlich als Diplomat , be»
10$ PiDiir) Her JUig»
BiMidtar» lA HoUand, abet nicht als Otneral gate Dienst« ^eisiefc
haue» die Odagenhelt geben wollte, sieh den ICarBohallrtab zuTir^
dienen« »und von dieser nnglückliehen Wahl datiite dann die erste
Niederlage nnd in Folge derselben die Steigening des SelbstgefUüe
und der Feindseli^eit von beiden Seiten; ja man darf wohl an^
neluaen, daes der spätere Sohicksalsweohsel Napoleons nnd semee
Reiches yon hier seinen Ausgang genommen hat.« Er sehrsibt den
entwürdigenden Charakter » den der Krieg gleich anfangs seigte^
weder »den Absichten des Beherrschers der Franzosen«! noch
»seinen Heeren«, aber anoh eben so wenig dem »Charakter des
spanischen Volkes« sn. Er betrachtet die tranrigen firsoheinnngeii
als »ein unseliges Znsammentreffen, als ein nnrermeidliches Reenl**-
tat vieler •— sowohl von Auswärts durch die englische Politik, als
in dem eigenen Herten Spaniens «-^ seit lange vorbereiteter und
angefaänfter sdilechter Elemente; besonders in einer entarteten
K5tiig8fomilie und ihrem Hofe und in einem finstem Oeisle 'seiner
Kirehe, wodurch eine Ausgleichung auf dem gewf^hnlichen Wege des
menschlichen Entwickelungsprocesses ssur völligen Unmöglichkeit ge»
worden war.« Der Herr Yeirf« glaubt darum, dass es nur möglieh
war, »ans der Nacht des Krieges« nach der »langen spaniachea
Finstemiss selbst während ihrer Tagseite des Friedens einkOmmer»
liches Licht hervorgehen zu lassen« (8« 48). Nach dem Schlüsse
des spanischen FeldEuges trat der Herr Verf. in badisohe Dienste«
Er machte den russischen Feldtng in allen seinen Mühsalen und
Schrecknissen von Anfang bis eu Ende mit. Als das »Einige«,
sur »Erklärung«, »nicht zur Rechtfertigung« jenes unklc^eu An-
griffs Busslands durch einen so ausgeEcichneten Feldherm, wie
Napoleon, fährt der Herr Verf. an, dass der Kaiser der Fransoeen
»nnter den gegebenen Verhältnissen nicht nur den Glauben hegen
konnte, sich auf seine beiden AUiirten, Preussen und Oesterreioh,
verlassen zu dürfen, sondern dass er auch die ihm bekannten Oe*
sinnungen des Kaisers Alezander als eine Bfirgichaft für die Er*
reichung seines Zweckes betrachten zu dürfen glaubte, indem ihm
nur die alte russische Adelspartei, in Verbindung mit der engli-
schen Politik, als die eigentlichen zu bekämpfenden Otegflev er-
schienen« (S. 67 u. 68). Der Herr Verf. erhielt den Orden der
Ehrenlegion, ehrend wurde sein Name im Moniteur genannt. In
der Schlacht von Leipzig (1818) war der Boden vor den Fftssen
des Herrn Verf. »von den Kanonenkugeln förmlich gepflügt« und
sein »Oberrock vom Blute und dem Hirn zunächst Zerschmetterter
vollständig überzogen« (S. 85). Als Fehler Napoleons, der den fUr
ihn so verhängnissvollen Ausgang der Schlacht von Leipzig xur
Folge hatte, wird hervorgehoben, dass jener die ganze Elbe be-
haupten wollte, den Marschall Davoust mit seinem Corps in Ham-
burg, den Marschall St. Cyr mit wenigetens 10,000 Mann in Dresdea
zurflckliess. Napoleon hätte nicht nur beide Marschälle, sondern
anch die Beaatsungen an der Weichsel und Oder bei Zeiten an siok
mlAmi, dSa Troppöi seiner AQiirtsn in swviler Liiiie Terwenden
soUflD. Sr komite in diesem Falle, »naelidem die 08termdiiB<dM
Ajrmee sohoii am 16. Ootober' eine Kiederläge eiütten faatte» maA
die aadern Theüe der Ck)alitioii am 18. total sohiageiuc Fx^ioh
bitle siefa an^ dam Napoleon an den Rhein znrÜokzMen mflneti;
der BtIckzQg würde jedoch »einen ganz andern und aeSbit drohe«
dia Charakter erhalten haben nnd Napoleon hatte, von seiner Rhein-
bans ausgehend« gans andere Bedingungen voreehreiben k5onen<
(8. 88). BltU^r verdankte nach des Herrn Verf: Dafilzhaltm
'den Erfolg seines gewagten Marsches« gegen Paris »ledig^h«
der »Uaentschlossenheit des Kommandanten«, Marsehall^s Mannont
(8. 92). In »aOen, nicht österreichischen Theilen der alüirten
Aittee« herrschte die »grösste Missstimmmig« gegen den Oenera-
lisBiiiiiis, Fürsten Schwarsenberg, den man bald der »ünUlhigkeit«,
Md der »Verrätherei« beschuldigte (8. 98). Bef: llbergdit dio
weiteren Erlebnisse des Herrn Yerf. wfthrend seines swanaigjttlirigen
Itililirdienstefl ün Frieden^ nngeaehtet sie yiclerlei Anaiehendee nnd
Wiehtiges, grOsstentheils aber nnr atis dem Gebiete des Kriegs-
wesens, der Kriegszneht nnd Kriegsbrnst des badischen HJeerköipers,
6Dthalten. Er begnügt sich, die Darstelhmg, welche mancfaeriei
oft nnerqniokliche Streiflichter auf Zostftnde nnd Personen der ¥er-
gasgenheit wirft (B. 86—160), dem Leser einfhoh anandevten.
Die iwei lotsten Abschnitte behandeln den objeotiven
TUl das Torliegenden Bnehes. Der dritte Abschnitt namli^
BlelH»KriegnndFrieden in ihren gegenseitigen gleich»
wie in ihren eigenthümliehen Beziehnngen nnd Ver-
kftltnissen (S. 168 — 224), der Tierte »die Mittel nnA
Wege, oder die vier Factoren des Kriegs, nämlich
leineMittel in denKriegsheeren nnii imKriegswecen,
und seine Wege in der Kriegskunst nnd Kriegs*
Wissenschaft, sowohl in der Wirklichkeit, als In
ihren Principien betrachtet«, (8. 225—352) dar.
Der dritte Abschnitt nmfosst 4 Kapitd, 1) Krieg und
Frieden, als Natnrprincipien in ihren gegenseitigen
Verhältnissen betrachtet, 2) näheroBetrachtung der
allgemeinsten Natnrprincipien nnd ihre Verwirk-
liohnng in dem Völkerleben, als Krieg oder als
friede, 8) den Krieg in seinem Verhältnisse snm
Frieden in der Wirklichkeit nnd in der nenen Aera,
Krieg nndFrieden in ihren gemeinschaftlichen, gleielw
wie in ihren eigenthllmlichen Mitteln nnd Wegen,
d. h. in ihren Factoren übersichtlich dargestellt.
Der Herr Verf., schon im actiyen Militärdienste vielfach mit
philosophischen Forschnngen beschäftigt, gibt nas, indem er das
begebene auf seine obersten Gmndsätze zurückführt, auch yon der»
JMgan Beite des Lebens, die er durch seinen piaktisdien Beruf
vorsngsweiseaäheir kennen lernte, in den beiden lotsten Absohnibtea
109 Ff*«rrDfBrfUe^i
eine pkflosopliisohe Untersnobimg. Sein Werk i«t eine Fhiloeopkie
dee Krieges^ indem er, was die detaillirten theoretisoben und prak»
tiselien Leistungen betrült, anf andere Bttcber verweist. Der Krieg
ist das »Nein« Eom »Ja« des Friedens. Als reine Prinoipien anf-
gefaest, stellen beide den »allgemeinen Dualismns« dar, »in wel-
okem alles Leben bestebt.« Das Negative stellt si^ im Kriege,
das Positive im Frieden dar. In der Anwendung »auf eine selbst-
bewnsste That« erbalten wir die Begrifib »des Widerspmobs« und
der »Einigkeit«, symbolisch als »Freiheit und Liebe« ausgedruckt.
Zwischen diesen beiden Begriffen des Positiven und Negativen steht
sin Indifferenspunkt nach der Formel — 0 -f- (S. 166). Der In-
düferenzpunkt erscheint im Leben der Völker und Staaten real oder
ideal, real z. B. in irgend einem streitigen Objeote eines Landes,
ideal in moralischen, intellectuellen , oder auch nur eingebildeten
Interessen, Neigungen u. s. w. Der menschliche Bntwickelungs-
prozess zeigt sich im beständigen Wechsel des Positiven und Ne-
gativen. Dieser Wechsel dreht sich um den Indifferenz- oder Angel-
pukt gegenseitiger, wohl oder übel verstandener Interessen. Der
Krieg ist die Nacht-, der Friede die Tagseite der Entwickelung und
der Wechsel beider so nothwendig, als der Wechsel von Nacht und
Tag. Die Völker und Staaten sind Verbindungen von Individuen,
Famiben und einzelnen Stämmen. Sie enthalten nothwendig in sich
ein Prinoip der Ausschliesslichkeit oder Negation, welches bei jeder
gegenseitigen Berührung zu eigener Behauptung hervortritt. Der
erste Vermittlungsprocess in diesen Qliedem des Volkes oder Staa-
tes muss schon als in ihnen vollzogen angenommen werden und
tritt dann in den gegenseitigen Beziehungen der Völker und Staaten
als Krieg oder Friede hervor. Der allgemeine Dualismus der Natur,
der sich im Leben der Völker als Krieg und Friede offenbart, ist
nadi dem Herrn Verf , wie er dieses ausführlich in seinem Werke :
»das Leben, die Natur und ihre Wissenschaften« be-
gründet hat, das Negative und Positive, das Absolute und Bela-
tive, das in sich Bestimmte und das aus ihm Folgende oder Her-
vorg^ende, das Ideale und Reale, Freiheit und Liebe, die ab-
stossende und anziehende Kraft. Die Gegensätze werden auf ihren
Indifferenzpnnkt zurttckgefOhrt. Physisch oder körperlich zeigt sieh
dieser Dualismus »zunächst in der Hebelkrafb« (S. 182) als das
»erste und einfachste Bewegungsprincip.« Die Hebelkrafk ist »ur-
sprflnglich schon in dem ürstoffe eine ideale, in sich selbst be-
stimmte und daher negative, widerstehende oder abstossende, die
mit jeder andern gegebenen d. h. positiven oder hingebenden, leben-
digen Kraft auf einen gemeinschaffclichen Indifferenzpunkt (Hypo-
moehlion) ss 0 in Beziehung treten oder gravitiren muss« (8. 182
und 188). Auch im menschlichen BoMrusstsein zeigt sieh ein »gegen-
seitiges Gravitiren beider Principien auf einem gemeinschaftlichen
Indifferenzpunkt. Das eine Princip ist die selbstbestimmende ideale
Kraft, der Geist, die Freiheit, das andere die ideale Kraft im sinn-
9imbtt Dm Uteg. MI
lielioa Oiguuaauifl.« Dto Yi^lker vad StaaUm mfteaiit nin äHm
GraTitatioiiaAet sa YoUbnagon, sich entweder %v£ der ■egstirem
(Kiieg) oder positiTea Seite (Friede) begegnen. Der Zwieeheo*-
swtand swieolMn Krieg and Friede, der InditiiwnMi ipnnki beider
sssOf >ist nur swieehea Völkern und Staaten, wekbe eioh aaMer
aller BertUimng findenc, oder die >lebk>Bc aar »Tegetireac, deakr
bar (S. 186). Beide, Krieg und Friede, erkattea aUein dea Ver^
kehr der Völker and Staaten naoh dem Gesetie eines ewigen, aotk»
weadigen Weoheels in ihrem aatttrliehen üntwinkelnngiyroeeeee^
Das »absolute Prineip eines Staates, seine Selbetbeatiaamag
oder Freiheit« kann »gegeaflber der Freiheit eines andern Staates«
ent auf »dem Hypomochlion ihrer gegenseitigen Interessen« tsi^
wirkUoht werden. Diese »Belation« oder »Gravitation« der beiden
Staaten ist der »Krieg« oder der »Friede.« Ein »Zwisohenrastaad«
ist »im Princip undenkbar.« Der nattlxliohe Zweck des Krieges ist
in der fortsehreitenden llensohheit, wie in den einzelnen Gultor-
Tölkem, der Friede, ein Friede, der zor Herrsehaft der Vemnafty
mm Siege der Freiheit, des Beehtes über das Uareelit AÜurt. Das
ssUechte Prineip, das die Kriege rergangener Zeiten beben' sehie»
waren »der monarchische Absolutismus«, der aristokratisebe Fea*
daUamae«, die »geistliche Finsteiaiss« und »Hierarcbie« (8. 195)*
Der Friede, der auf den Sieg solcher Prinoipien folgt, ist der
Friede »der Todesfaift und des stillen Ghrabes«, »Papsttham und
Hieraxehie«. Eine Ausnahme machten wenigstens von einer Seite
die Befreiungskriege »der vereinigten Staaten der Niederiande, die
Bevolationsftariege Frankreichs und des deutschen ProtestantisaMs
mit Hfilfe Oustar Adolphs« (S. 196). Alle andern Kriege der Ver»
gangenbeit »seit der Tramung eines römischen deatsdien Beioliee
von dem Frankenreiche durch den Vertrag vonVerdon« habenden
Oiarakter »der Verfolgung einseitiger Nebenzwecke« »zur Verltta*
genmg der Barbarei und Anarchie«, sind aber dennoch »natar*
geaiftBse Erscheinungen in dem. langsamen Entwiokelungsprosese
barbiurischer Zustände« (S. 197). Der Herr Verf. unterscheidet roa
diesem Kriegen die Kriege der neuen Aera, welche aus der ersten
fiasaaösisdien Bevolution hervorgingen und durch Napole<m geltthrt
wurden, so wie in neuester Zeit die durch Louis Napoleon ge«
flihrtfln. Er betrachtet diese Kriege als zum Ziele »eines aU^
meinen Friedens« geführt (S. 197). Es soll dieses unter Anfttk*
rang der Thatsachen (S. 197 ff.) begrOndet werden. Es wird^ her*
voi^ehoben, dass Napoleon I* die eroberten Theile Italiens nach
dem Master der französischen Bepublik in selbstständige Freistaatea
und Bondesgenoesen umwandelte, ebenso an der Stelle des erober*
tcm HoUands die batavische Bepublik errichtete, dass »Fra^oreich
Bidi nur diejenigen Länder jenseits des Bheins einverleibte, die ihm
darch den Vertrag von Verdun angehört hatten und die sich beim
Ausbruche des Krieges als herrenlose Parcellen von zwanzigerlei
HeizBciiaften dee deutschen Beiches in seine Arme geworfen hatten<i
UD Pteois Der Erfa«.
dan in Ahnlaeluir W«ige die wok ilim gehörigen TlMüeSttroyeBdviid
dar Sohweis mit Frankreidi verbunden wurden. Es wird »diegrose-
artige Verwstidlung Denischlande nach dem FriedeneeckluBee v^n
linnerille nnd Aniens« hervoi^ehoben. Sie »übeniteigi aUe frUhem
Tcaditionffli ttber die Boliioksale des gemeinsamen Vaterlandes« tmd
ist »denno^ bis jetst so wenig gewürdigt.« Dmin »anstatt diese
littnder des nuttkni. vnd sttdliohen Dentsehlands , die sieh alle in
«einen. 8chnta begeben hatten, nach &ttheni Beispielen nnr anssa*
beuian nnd in ihren ohaotischen Znatänden zu belassen, bildete
Jisfpeison mit Znzishong eines Beiohsdepatationfr-Ansschnsses aus
den Trümmem des alten Chaos eine dentsehe Qenossensehalt dnreh
dia Bmehtnng selbstst&ndiger d. h« souTerttner Königreiche, Qross-
hanogthümer und Hersogthttmer, nämlich den rheinischen Bond nnd
eeklttrte sich ammPiotectar desselben*« Ein »heterogenes Element«
kam in diese das »ailgemeine Friedensziel Terfdgenden Kriege« durch
^a Yerhindung Napoleons »mit Oest^rreich« nnd dordi den rassi-
jMhen Krieg» der »mehr den Gharaktw der He^ressttge eines Attila
aderesaes Timur*Laik, als unserer Aera m tragen schien«, ob-
^Weh. »iB der aiidi selbst bewnssten Absieht Napoleona noch imaser
das näasliohe -^ aber missTerstandene Ziel -— vorgaechrwebt haben
düefitec (? S. 200). ReL hat hieraber eine andere Ansieht* Der
{Unins oiaes grossen Feldherm, der seine Bedeutung nieht dorek
den Frieden, sondern dnroh den Krieg, also nicht durch die Lieht»
een4em dnroh die Nachtseite der Völker gewonnen hat, hat aaoh
etaras Ton dieser Smte an eich. Die Verbindung mit Oestenreieh
Mid der rassische Feldxug lassen sich mit dem Charakter, den der
Hexr Veri in Na{M>leon8 Wesen erkennen will, nicht vereinigen,
sie sind nicht aus »einem missyerstandenMi« edlen Ziele, dem »ailge^
meinen Friedensside« mit »selbstbewusster Absicht« hervorgegangen»
Bher möchte nian sa^Mi, dass das früher manchen noch rerborg^e
Ziel durch die nothwendxgen Consequenzen seines Charaktsra xn
Tage brach« Man konnte damals die Herrschaft in fremden Ländem
nur dadaroh Ton Seite Frankreichs sichern, dass man dem skk in
jenen regenden Geiste der Freiheit entgegen kam. War es aber
wiiUieh die Freiheit, welche diese für Frankreich fremden YlSÜDat
und Staaten gewannen,, war es wirklich ein Friedensoiel, das &kr sie
eneicht wurde? Wurde durch den Rheinbund nicht der Gnxad zu
einer knotigeren und dauernden Zersplitterong Deutschlands, zu
den Kriegen desselben im eigenen deutschen Yaterlande durch die
Trennwig yon Preussen und Oesterreich gelegt? War die Schmach
PreosseM und Oesterreichs nickt auch eiua Schmach unseres ge-
meinaamen Vaterlandes? Machte man nicht schon damals jenen
auch in neuerer Zeit Ton Seite Frankreichs laut gewordenen Ghrund-
Sttks gellend, die Freiheit iür das Land nicht als einen Ein-, son-
dern als einen AnsAihrartikel zu betrachten? Wie verhielt es sich
dfflui mit der Freiheit und mit dem Bechte unter Hs^poleons L
Penaohaft in Frankreich», und blieb es denn bei diesen freäMittidien
BeBtnummgoB^ die im ÄBfaa^ rom. des Franzoseiikaiiers kriege»-
riaehea Giossihi^ii den YOUccm gegeben worden^ Zeigto eio&
aieht» je mehr Napoleon an Macht gewann, um eo unverbolenelr
das Streben, nicht Fiankreieii nnd Europa die Freilieii und den
Frieden, sandem dnreh den Krieg sieh nad seiner Famüie die nn-
bagrBnste Herrschaft über Fiankreieh und Europa zu sidhem? Ist
«n soMiee Ziel das Ziel eines allgemeinen yemttnftigem Friedenef
War ein saleher Friede^ nenn er jemals hätte zn Stande komonen
kfinnen, nicht Tiefanehr ein dnroh doi Kampf des Absohitisnnis ge-
wonnener^ entweder sur moralischen nnd intellectnellen Versampfong
oder dnrch ein Beagens zn neuen nnheÜToUen Kriegen führender
iMkr Friede? Der fiheinbnnd, mit Klugheit angelegt, scdlte die
Qnmdlage zur Herrschaft Frankreichs, insbesondere seinee Herrschers
and der dazu gehörigen Familie ttber Deutschland sein, man dihrte
mit dentsoham Blute deutschen Interessen £9me liegende Kriege, man
machte deutsche Fürsten za franzOsischea YasaUsn, deutsche Heere
n finsBzOsischen Sfildlingen, nuun ftthrte deuteche Spionerie auf
deatsehe Koeten zmr Zersplitterung Deutschlands, also zum Naohr
theile Dentachlands und zum Yortheile Frankreichs ein, man erlaubte
tioh die eobreiendsien Oewaltthaten zu diesem Zwecke. Der Bhein^
band sollte das feindliche Agens in Deutschland selbst sem, um
den bede«tendst€ffli deutschen Mächten, Preussen und Oeeteneich,
entgegenzuwirken und ihren Sturz durdk das Ifitwirken deutscher
Braderstttmme Torzubereiten. Die Völker mnd die Dorchgangso*, und
Sntwickeluxigsmoniente im geschichtlichen Proceese der MensdbheÜy
Ein Yolk ohne Freiheit und ohne Einheit ist, zum Ziele der Hu-
manität za wirken, nicht im Stande. Nicht durch einen 'vagen
KosmopolitiBmua, der wohl der Schlussstein, aber nicht der An*
fimg in der Yolksentwickelung sein darf, sondern durch den Pcitric^
tianus wird und bewährt sich die Qr5sse eines Tolkes. Nt^oleons
Protektion des Bheinbundes, sein iänmischen in deutsche Ange^
bgeaheiteii zerstörte überall, wo es ihm gelang, die deutsche Vater»
landsliebe» ohne welche Deutschland seknen Beruf zu erfüllen ausser
Stande ist. Freilich rief ein Gegensatz den andern hervor, Napo«-
kons L Despotismus in Deutschland die patriotischen Gegenbe»
stvebimgen. Der Mann, der durch einen grossen seltenen Geist und
eiae geniale Thatkraft in den französischen Freiheitskriegen stieg,
wurde Tom Sausehe der eigenen Bedeutang geblendet, ein über
ÜEMt alle Völker Europas unbedingt gebietender Knecht der eigenen
Leidenscnafb, der Selbstsucht und ihres nothwendigen Ausflusses, der
Herrschsucht, Indem Ref. diese Bemerkungen macht, hat er nicht
nöthig, sie mit Thatsachen zu belegen, da dieses von Seite unse-
rer unbefangensten und gründlichsten deutschen Geschichtschreiber
zur Genüge geschehen ist. Ob in dieser neuen Napoleonischen Aera
der Grundsatz des zweiten französischen Kaiserreichs : L'empire c'est
la paix, wie der Hr. Verf. meint, »nicht eine leere Phrase«, sondern
in »der ursprünglichen Idee und dem Berufe der neuen Aera gegrfln-
llt PfB^rs D«r Krieg.
det istc (S. 205)| überlassen wir einer sorgfiütigen Erwflgoag der
in nenesier Zeit geftthrtoa Kriege Frankreichs ^ ilirer Motive und
Besttltate« Sie haben auch in dieser Hinsicht manche Aebn*
liohkeit mit den früher von Frankreich für die Freiheit geftlhrten.
Der vierte Abschnitt zer&llt in drei Kapitel und be-
handelt in denselben den ersten, zweiten, dritten und
vierten Factor des Krieges. Diese Faotoren wenden schon
sa Ende des dritten Abschnitts näher entwid^t.
Ans dem Dualismus des Absoluten und Belativen oder des
Negativen und Positiven, des Idealen und Bealen geht auf allen
weitem Stufen des Erdelebens der »zweifache Dualismus des Qua-
litativen und Quantitativen, d. h. des Bestimmenden und Bestimmten
und des Materialen und Formalen d.h. des Innerlichen und Auesser-
liehen hervor c (S. 213). In der Wirklichkeit ist das »Aeusserlichey
das Beaie, das Formale und Bestimmte zuerst« und dann erst »das
Innerliche, Hateriale und Bestimmende.«
Im Kriege ergeben sich nach diesem zweifachen Dualismus
vier Faetoren I) »als das real oder äusserlich Bestimmte« die
Eriegsheere, 2) »als das real oder äusserlich Bestimmende«
-das Kriegswesen, 8) »als das ideal oder innerlich Bestimmte«
die Kriegskunst, 4) »als das ideal oder innerlich Bestimmende«
.die Kriegswissenschaft (S. 214 u. 215). Es stellen demnadi
Kriegsheere und Kriegswesen die reale, Kriegskunst
und Kriegswissenschaft die ideale Seite des Krieges dar.
JCriegsheere und Kriegswesen verhalten sich, wie bestimmend zu
bestimmt. Das Kriegsheer wird durch das Kriegswesen bestimmt.
Gleiches weiss man von der Kriegskunst und Kriegswissenschaft.
Sie stehen im Verhältnisse des Bestimmten zu dem Bestimmenden.
Die Kriegskunst wird durch die Kriegswisssenschafb bestimmt. Wie
sich darum die Kriegsheere zum Ejriegswesen verhalten, so veriilllt
«ich die Kriegskunst zur Kriegswissenschaft. Wie der Krieg die
Nachtseite im Yölkerleben darstellt, so der Friede die Tagseite
desselben. Im Frieden ist nach der äusserlichen oder realen
•Seite das Bestimmte der Factor der Volker, das Bestimmende
sind die durch Klima, Lage, Beschaffenheit auf die Völker wirkenden
Länder. Nach der innerlichen oder idealen Seite ist der
bestimmte Factor im Frieden die Kunst und der diese und alle
Faetoren bestimmende Factor die Wissenschaft (S.219u.220).
(Bcfaluss folgt.)
tr. 8. HErDELBERGER 18«6'.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Pfaor: Der Krieg.
(BcUuM.)
Das erste Kapitel des vierten AbschnittesbehandeH
den ersten Factor des Krieges oder die Kriegsheere. Sie
sind »die Repräsentanten derK^ftnnd der Ehre ihres Volkes oder
Staates in seinen Conflicten mit andern VSikem und Staaten €
(S. 227). Hier werden interessante Aufgaben zum Gegenstände
der Untersuchung gemacht, wie die Frage über stehendes Heer
oder Yolkswehr, die Heeresfolge, Kriegspflicht, Heereserg&nzung und
Conscription, sowohl in der Geschichte als in ihren Prindpien und
in dem Begriffe »der Solidarität« (daher »Soldaten«), Bestimmung
und Verpflichtung des Heeres im Geiste unserer jetzigen Aera,
Formation und Organisation desselben nebst den Principien der
Disciplin und des Avancements (S. 227—801). Das zweite Ka-
pitel nmfasst das Kriegswesen in der Üebersicht als zwei-
ten Factor des Krieges. In grossen Hilitärstaaten wird das
Kriegswesen, von der Kriegsmarine und ihren Erfordernissen abge«
sehen, in vier Hauptzweige eingetheilt 1) die geographischen,
topographischen und statistischen Bureaus nebst den Plänen des
In- und Auslandes, die militärischen ünterrichtsanstalten unter
der Oberleitung eines Generalstabschefs oder Generalquartiermeisters,
2) Festnngs- und Fortificationswesen nebst Arsenalen und Ateliers,
Erfordernisse des Pontoniers- Brücken wesens, des Mineurs- und
Pionierseorps unter der Oberleitung eines Chefs des Geniecorps,
3) Artillerie- oder Geschützwesen nebst den Ateliers, Laboratorien
unter der Oberleitung eines Chefs der Artillerie, 4) Ausrüstung,
Bekleidting, Verpflegung, Transportwesen unter der Leitung eines
Obeikriegs-Gommissariats. Das Personelle des Heeres wird wieder
auf 4 Hauptgesichtspunkte zurückgeführt, 1) Heeres-Organisation,
&mscription und Ergänzung nebst dem Avancement der Offleiere
iQer Grade, 2) Disciplin, Gerichts- und Medicinalwesen, 8) Be-
eidungen und Bechnungswesen aller HeerkSrper und Armeetheile,
4) Monvement oder Verfügang und Bewegung aller Truppentheile
im Frieden, wie ihre üebersicht im Kriege (S. 806 u. 807). Das
dritte Kapitel stellt die Kriegskunst und Wissenschaft
in ihrer aDgemeinen Verbindung und den wesentlichsten Bestand-
theileii in üeberncht und in specieller Betrachtung dar. Der erste
Theil der Kriegskunst bezieht sich auf den ersten Factor
LVHL Jahfi. S. Haft. 8
114 Plaov: D« Kffltg.
des Krieges, das Eriegsheer. Er umfasst Natur, Charakter, Be-
stizmsiiitg and Verpflichtung, Ponnation ntid Orgamsation, Dtsci-
plin ttnd GericMsureften, innere Verwaltimg, Bechnmigs- und Sani-
tätswesen des Heeres. Der zweite Theil der Kriegskunst geht
ans dem zweiten Kriegsfactor, dem Kriegswesen, hervor nnd ent-
halt militärische Geographie, Topographie, Statistik, Plan- und
Terrain-Zeichnngslehre, Befbstigtmgsknnst, Lehre vom Angriff nnd
der Vertheidigong fester Plätze, Tcm Pontonier-, lünenr- nnd Pio-
nierarbeiten, Artilleriewissenschaft nebst Geschütz- nnd Waffenkonde,
Lehre von der Ausrüstung, Bekleidung, Verpflegung, Transport-
nnd allgemeinem Kriegswesen. Der dritte Theil der Kriegs-
kunst ent^richt dem dritten Kriegsfactor, der Kriegskunst seibat
und ist Taktik oder Kriegskunst im engern Sinne. Diese behandrit
die reine oder Elemeatar-Taktik, die Terrainlehre, die angewandte
Taktik oder Gefechtslehrei Vorposten, Becognoscirungen u. s. w.
nebst Märschen und Feldlagern in Verbindung mit dem kleinen
Kriege. Der vierte Theil der Kriegskunst, als dem vier-
ten Kriegsfactor entsprechend, ist die Strategie als Kriegswissea-
Schaft im engem Sinne. Sie hat zum Gegenstande Zweck und
Ziel eines Krieges zum Angriff oder zur Vertheidigung, Bestimmung
der Operatioiis-Basen , der Operations-Objecte und ihrer Linien,
den Bewegungskrieg im Grossen mit allen Mitteln der Länder-
und Terramkunde (S* 312—314). Die Prinoipien der Elementar-
taktik werden mit der umfassenden und tief eingebenden Sachkunde
eines in so rielen Feldzügen er&hrenen Militärs auch in detaillir-
ter Weise mitgetheUt (S. 325 ff.). Zugleich spricht sich der Herr
Verfasser über die bis jetzt bestehende Kriegswissenschafk nnd das
Verhältniss der Elementar-Taktik zur angewandten Taktik und
Strategie aus. Eine »nur einigermaassen genügende Darstellung
der angewandten Taktik c existirt nicht. Die Kriegswissensohaft
oder Strategie ist am meisten bearbeitet worden, ohne dass jedook
der Herr Verf. aus den ihm »bekannt gewordenen Darstellungen
und Versnchenc irgend einen »haltbaren theoretischen Grund und
Bodeui noeh viel weniger einige praktisch-anwenbare Segeln darin
zu finden im Stande gewesen wäre.« Als »das beste ihxa jemalB
bekannt gewordene Werk« wird das Werk des Erzherzogs Karl:
»Grundsätze der Strategie, erläutert durch den Feldzug von 1796
in Deutschland,« erschienen 1814, angefahrt. Es ist das »einzigOi
das von bestimmbaren Gesichtspunkten ausgeht und für jeden
wissenschaftlich gebildeten Militär nicht nur von Inferesse, sondern
a«ch belehrend sein dürfte« (S. 843). Warnend fügt der Herr
Verf. am Schlüsse seines Werkes bei, dass, wenn auch der letzte
nnd eigentliche Entwickelungsprocesa nur auf den beiden Phasen
des Völkerlebens, d. h. im Kriege und im Frieden dorchgefiilirt
werde, »unser Yereinzeltes oder abgesondertes staatliches Leben
am Ende in seinen nothwendigen Folgen weder Krieg noch Friede«
sondern nur die Krankheit des letztem sein dürfte«. Als solche be-
m BrilMt 116
Micktti or EntgMbtigimg, Otanaasocfat, Apathie und ThationgMi
der oberen, ZncMlosigls^ der nntem Xlusen der btrgerliiihen Cb-
Mlkehnflw Es kSmte aeklien StMutai enktsi »an den erftwdee-
li^n Mittefai«« so wie »an dtf innem Kraft «nd Eneirgie« gtorr
lieh fehlen, »den so natflrlichen Anmaassongen, Leidensehafiken und
üeberschreitangen von allen Seiten zu widerstehen und sie zu zü-
geln« (8. 358). Als Anbang theilt der Herr Verf. mit einer Karte
den Ton ihm in den deutschen Befreiungskriegen in Anwendung
gibraekifln Plao der eiafaehsten und schnellaten Eniobtong eines
Fddkgers dudi Stangen «nd Stroh mit. Br hat diaeem Haae
das bezeichnende Motto vorausgesetzt: »Die früheren Zettlagar he«-
nihten auf der Ansicht, dass die Eriegsheere gleich der Schnecke
ihre Wohnungen immer mit sich führen müssten; w&hrend die
Feldlager auf der Erfahrung beruhen, dass die Heere zu ihrer noth-
wendi^BB Beweglichkeit die Mittel für ihre BuSgUflhit ein&chen
Wohanngen überall finden könnten« (8.854). So hat der denkende
Herr Verl seinen phikfioiibiachen, Alles auf die letzten Prinoi{iien
zurückführenden Qeisi auch in dem Torliegonden Bnehe id>ennals he»'
wahrt; denn dasselbe enthalt eine Philosophie des Krieges und
seiner Elemente im Gegensatze zum Frieden und seinen letzten
Beetandtheilen. Er findet in dem Bestände und Wechsel bei-
der wofA Jena letzten Ekoente, die er in oeiBen IriheiHi philo-
iftyhiMh'ff" Fonitengen ale Elemente der Nataar, des Lebens
nad der WissedMchafl beieiohnete. Anch in dieeem Buohe (qnrioht
aiok jeae edle ▼onortheilsfreie ideale Biektung ans, wabhe in der
Wirlomg die üraache, in der Ersoheinung daa Geaetz^ im Dkg
dae Weemii mit ehrüohem» wahrheüliebendem Sireben und murem
droeseaeni Si&r aufsafinden bemüht iek Ein aolohet StEehen
irt in eeiaan wiawnschaftlichen Früchten um so anerkenaeaa»
«ertlnr, weaa ihn, wie im Toriiegeaden Falle, ein thatentauthiget,
aafopfemdes Handeln auf dem Felde der Ehre in gleich ithnip
liclier Weise entspricht. v. Reiehlhi-Heldegf •
Literatnri>erlchle aas IteKen.
Die Wissenschaften haben ihren Fortgang, da sie die Lieb-
HngB-Beschäftigung der ersten Stände sind, wenigstens von diesen
sehr geaehtet werden, als in andern Ländern, daLer die Menge der
italienischen Akademien, wenn auch die deutschen Oelehrien selbst
hier für gelehrter gehalten werden. Zu den in Italien erscheinen-
den I>mckschriften dieser Akademien gehören anch folgende:
Memarie ddla regia aeademia di $eiemn, l€Uere ed nrti in Btodetm.
Tom. V. Modma 1863. Tip. aoliank gr. 4. fnÜviOenKupfirtL
Ausser den yerschiedenen Denkschriften aus den Abtheilnngen
der Wissenschaften und Künste machen wir besonders auf einen
IIB Ltteratnrbeiklito aus IteUei.
Aü&atz der pbilologisohen Abtheilmig atifinerksaiii, in welcher der
Frofeesor Yeratti eine amÜEtssende Abhandlung über die von den
römiaehen Schriftstellern gebraoofaten maihematiBchen Terminologien
geliefert hat, womit ein Vooabolariiim von 36 Qaartseiten Tei>
banden ist*
Storia naturale e coltivaticne delf ape del Marchese M. B. CrivdH,
Milano 1864. Tip. SehiepaUi 8. p. 272.
Hier giebt der Markgraf OriTcUi eine Naturgeschichte der
Bienen nebst Anleitung zur Bienenzucht, nebst 74 eingedruckten
Abbildungen.
Aiti detta sodeta di accHtnazione e di agricoUura in Sidlia* Tom.
IV. Palermo.
Seit der neuen Ordnung der Dinge in Italien ist auch in Palermo
«ine neue Ackerbau-Oesellschaft, besonders für Acclimatisimng, ge-
atiftet worden^ und finden sich hier unter andern die Berichte tlber
den Bau der Banmw<^ in Italien.
11 nuovo cimenio, giamale di fidca, ehimica e storia naturale. Tom.,
JIX. Torino 1864. Tip. Paravia.
Diese den Naturwissenschaften gewidmete Zeitschrift von den
bdcannten Gelehrten Matteucci, Piria und Meneghini herausgegeben,
beschäftigt sich auch mit den diessfiedlsigen Arbeiten deutscher Che-
lehrten, und in dem neuesten Hefte finden sich Abhandlungen Über
die Werke von Feddersen, Neumann, Magnus, Oettinger, Paalzcw,
Jaohmann, Kahl u. a. m. Unter den Mitarbeitern an dieser Zeit-
schrift finden sich die bekannten Namen von Pacinotti, Savi, Gan-
nizzaro, de Filippi (ein Anhänger yon MoUeschott) und Q. SeUa,
der deutsch ttber Cristallisation geschrieben hat, und einige Zeit
Minister war.
Säggio atatistico della mortalüä di Oenova nelV anno 1860. per (?.
du Jardin. Anno Y. Qenova 1864. Tip. de Sardo-muH^
Hier gibt der Pro£sssor der Naturgeschichte eine üebersicht
der Sterblichkeit der Stadt Genua, mit einem Berichte ttber die
meteorologischen Beobachtungen auf dem Observatorium der Univer-
sität zu Genua.
Atti delV istitido Veneto di seienze letttre ed artu Venetda 186d.
Edä. Antoneüi.
In dem letzten vorliegenden Hefte der Verhandlungen des
venetianischen Instituts findet sich unter andern ein Bericht über
die Flora im Trevisanischen.
Osservasioni di notomia patologia, del Doli. Namias. Vene%ial8e4.
Diese Beobachtungen über die Anatomie in ihrer Anwendung
anf du BUlTw&hfen ha4 den gdlahrteii Becr0liftr dM TeiMÜaiii«ekeft
gdehiten Institats sam Verfasser.
unwenaH di metUeima, däU DMort ML Grifßm. MUanö
1864.
Von dieser durch Omodei und Calderini gestifteten medizini-
Zeitacbrift liegt Tom 189 Bande bereits das Joli-Heft vor,
worin unter andern Abhandinngen Aber die Werke von Virchow
and Ober das in Deutschland befolgte Heilverfahren durch Electri»
eitftt Torkommen ; so wie über die Werke des gelehrten yenetiani-
sehen Arztes Namias, ron dem yorstehend die Bede war.
Ddia diaied 9crofolo$a, da DM. Eaio Ca$ioldL Mümö 1864. Tip.
SavaOo. 8. p. S4L
Der Verfasser, bei den Marien-Hospitälern für Serofel-Kranke
angestellt, gibt hier seine Forschungen Aber das Heürerfahren in
Seebftdem, und ist dies Werk als Preisschrift anerkannt worden.
Lueomagno o OoUardo? dd Prof. 0. Boccardo. Otmpa 1864. Tip.
PeHas.
Ob die Verbindung des Mittel-Meeres mit der Nord- und Ost-
see mittelst einer Eisenbahn über den Gotthard oder den Luk-
manier ausgeftlhrt werden soll, wird hier sehr sorgfilltig erörtert,
and auf Beschleunigung der Entscheidung gedrungen, da sich Oester-
reieh xmd Frankreich über die bisherige ünentschiedenheit freuen,
indem das erstere bereits die Verbindung Aber den Sömmering be-
sitzt, und das letztere den Fortschritt des grossen Tunnels durch
den Moni-Cenis bereits zu sehen die Freude hat. Diese umfassende
Arbeit wird durch eine Eisenbahnkarte yon dem Mittel-Meere bis
durch Deutschland erlAutert.
Ata da coTuigUo provinciale di Müano. Anno 1868. Müano 1863.
Stamperia reale. 8. p, 463.
Aus diesem starken Bande kann man entnehmen, wie die
Proyinzial-Ver^EkBSung und Verwaltung in dem Königreiche Italien
eingerichtet ist. So wie die Gemeinde- Verwaltung durch gewählte
Mitbürger geschieht; so ist es auch in der Provinz und von Standes^
Verschied^heit ist hier nicht die Bede*
Cemd starico-commerdiOi iniomo äUe varie fuuiafd e laro rapporti
eol regno ^Jtälia, dd Conte Sugana. Tarino 1864.
Der Graf Sugana hat hier die Verkehrs- Verhältnisse des König-
reichs Italien seit seiner Neugestaltung zusammengestellt, woraus
sich unter andern ergibt, dass im Jahr 1862 Franloreich hier 2193
Schiffe beschäftigte, England 1175, Oesterreich 1020, die Türkei
113, Preussen 4, Tunis und TripoHs 274, Nord- Amerika 48 und
die Sud-Amerikanischen Bepubliken 140.
110 LtttttttlulNtlflMd ndi
1864. Presso Le Monnier.
PVtccinotti wird jetzt fttr einen der ersten Philoeoplien in Italien
gehalten, nnd wnrde ihm zu Ehren auf dem Congresse der Ge-
lehiiea zu Siena im Jahr 1862 eine Deakmüiixe g^irttgt, welche
der gelehrte Dootoo: Trompeo, Frftsident der medioiniecdieii Akademie
ia Turin förderte. Daselbst wurde damals Born zum Yersaam-
longsorte des nilohsten Congresses bestimmt; allein da unter den
damaligen Umständen ein soloher Gongress der italienis<dien Ge-
lehrten unter dem Schatze der franzl^sischen Bi^'onette nicht rftth-
lieh erschien, haben die vorbereitenden Mitglieder unter dem Vor-
sitze des Grafen Uamiani delle Borere beschlossen, Aber die Wahl
eines andern Ortes übereinzukommen. Dieser Gelehrte gilt für den
bedeutendstaa Gelahrten fOr praktische Philosophie in Italien, wäh-
rend die i^cnlative Philosophie besonders in Neapel ihre An-
iMUiger hat,
Lu SaUi^a umana, dai Prof. Oehl, Pavia 1S64. Mit ö Tafeln.
Dieser als Gelehrte sehr geachtete Professor in Pavia» ein An-
hänger von MoUeschott, hat in dieser Preiss-Schrift, zur Erlangung
des Lehrstuhls der Physiologie» nachgewiesen, wie die Entwicke-
Itmg des Speichels vermehrt werden kann, welcher das beste Mittel
zur Verdauung ist.
V uomo acitnia^ dal Cav, Bianeoni, Bologna 1864. Tip. GatnberinL
Der Professor de Filippi zu Turin , auch ein Anhänger Molle-
sdiotts hatte nachgewiesen, dass der Mensch im Laufe von Jahr-
tausenden sich aus dem Affen-Geschlecht herausgebildet habe ; da-
gegen tritt hier der gelehrte Biancoui auf, Director des natar-
historischen Museums zu Bologna, der neben seinem wissenschaft-
lichen Rufe in seinem Pallaste zu Bologna eine so reiche Gemälde-
Sammkcng besiM, dass davon ein gedruckter Katalog bekannt ist,
dergleichen Fälle in Deutschland wenig vorkommen dürften.
La nemesi, rtvUta periodiea dd dirUto pencUe^ di Errieo Psssina,
e P. Süvestri 1864. Siamperia deil üniversUa.
Diese dem Oruminalreeht bekannte Zeitschrift hat den besten
Fortgang, wie das neueste Heft zeigt. Gründer derselben ist der
mit der deutschen Literatur sehr vertraute Professor Pessina, so
wie überhaupt auf der Universität Neapel sich 14 Professoren be-
iden, welche die deutsche Literatur verstehen und achten» weaa-
halb «ich der sehr thätige Buchhändler Dettken aus Bremen hier
nicht unbedeutende Geschäfte macht.
IM
Cav. O. Ragqi at Qm. Pammim. Miiam 1964.
Die Stadt Bareua hBi beecUossen, cum Aadeiiken an Dante,
wMbK in dieser Stadt begraben liegt» ein beeondeiee Denkmal i«
errichten, obwohl aeiaen Gkbeiiien daeelbet eine eigeae antttodige
Giab-Gapelle gewidmet ist. Dem ans Bavenna gebürtigen, in Floren«
lebenden Bildhauer E. Pozzi war der Auftrag geworden, ein kolos-
sales Standbild des Dichters zu arbeiten; darüber entstand diese
Torttageade Polemik.
Libtr Mmxkiane r9tim$, po€ma ftorieo M $eeoUJUV^ p^bUcah da
Oesari Cofihi* Tprmo 1864. Stamptria rtaU^
Dies Gedicht beschreibt den Krieg, welchen die ScaHger von
Yeroiia gegen Venedig in der Trerisfunaohea Mark fittntea, det
durch den Frieden von 1889 beeatdet ward. Die HandaAriA, nach
welcher der unermüdliche Cantu diese Ausgabe besorgte, findet Bi<^
in der Bibliothek zu Belluno und ist in dem gezierten Latein ver*
&88t, in welchem man zur Zeit Petrarca*8 versuchte die classische
Latinitat wiederherzustellen, und sie von den Schlacken des Mittel-
alters sn leinigen, welche dem eogewannten Kireheastyle eig^n ge^
wesen war.
Sloria dOta Idieratura laÜna^ cK Ce$are Cantu. FirmMt 1864.
Pre»ao Le Motmier.
Der unermüdliche Cantu gibt hier eine Qeschiohte der latei*
nischen Literatur. Sein Name genügt bei dieser Anzeige.
0& opmceii praprü d^JppocraU, volgarigtaie da ßUfano BÜBoiatL
Cremima 1864. VoL U.
Der gelehrte Arzt Bissolati in Oremona gibt hier eineUebei^
Setzung der Werke von Hippocrates, deren Beurtheilung den Philo-
logen Überlassen werden muss. Doch ist Herr Bissolati auch ander-
weit als sehr fleissiger Literat bekannt.
Pavole dfEBopo volgarinate. Firenze 1864. PresiO Le Mannier.
Diese üebersetzung ist nach einer Handschrift abgedruckt,
die sich in der Bibliotheca Laurentiana zu Florenz befindet, und
zur Zeit der Wiederherstellung der Wissenschaften zu Siena ge-
fertigt wurde; sie ist mit allen denen in Florenz und Siena be-
findlichen diessfaüsigen Handschriften verglichen worden.
FavoU in vol^aire ^E$&pOj te9to di Ungua. Lucea 1864. Tip. WutÜL
Diese üebersetzimg erscheint hier zum erstenmale nach einem
naedirten Codex Palatinus*
La dkfina e^mtdia di Danlt MUfkUri wpöskt in pr9sa, <M Omi^
Trisnno. Milanö 1864. Tip, Schiepatti.
Bei der Sohwierigkeit die göttüche Com^die Ton Daote zu
yerBtehen« hat der Graf Trissino diese Dichtung in Prosa geCehSst
und dem Originaltext gegenüber abdrucken lassen.
D«* romansi, delle eomedie e delle tra^edie, ragionamenii di Qeräldi
Cintio. Müano 1864. Tip, Daelli.
Zu der Sammlung der seltenen Werke, um deren Herausgabe
sich der Secretär der wissenschaftlichen Akademie zu Mailand Herr
Camerini sehr verdient macht, gehört auch dies Werk, welches nach
nach einem in der Bibliothek zu Ferrara befindlichen Exemplar
herausgegeben worden ist.
is cowfmtioni di Sani AgosUno volgarisfgate dal Canonieo E. Bi»di.
Firense 1664, Tip. Barbera,
Man sieht aus dieser Uebersetzung des heiligen Augustinus,
dass die Theologie bei dem jetzigen politischen regen Leben in
Italien nicht vergessen wird.
idUli di 8, Qewner e Canti arientaH di F, Moore, tradolie da An^
drea Maffei, Firense 1864. THp. Le Monnier.
Der fleissige Uebersetzer aus dem Deutschen hat hier wieder
einmal ein Lebenszeichen von sich gegeben«
La giustisia e le leggi univern di natura, per Fr. PoletU, Cremona
1864,
Der Advocat Poletti zu Cremona gibt hier in einem über 300
Seiten umfassenden Werke ein System der positiven Philosophie
in seiner Anwendung auf das Criminalrecht.
Tecdro ddl adoleseensa, dd Dotf. Albino BozsanL Bologna 1864.
Von dieser Sammlung von kleinen Lustspielen für die Jugend
liegt hier bereits das dritte Heft vor.
Revista ItcUiana di scienze, lettere ed arii, coüe effemeridi della
pubbliea istrusione. Torino 1864 4 Presso Löscher.
Von dieser amtlichen Wochenschrift des italienischen Ministe-
riums des öffentlichen Unterrichts ist bereits der fünfte Jahrgang
im besten Qange, und erscheint dieselbe jetzt bei dem in Turin
sehr wohl angesehenen deutschen Buchhändler Hermann Löscher,
welcher hier sehr gute Geschäfte macht, da die Vornehmen hier
im Ganzen mehr Bücher kaufen als in Deutschland, wo man sidi
mehr mit Leihbibliotheken begnügt, die Gelehrten aber gewöhnlich
nicht so bemittelt sind. Die allwöchentlich erscheinenden zwei
grossen dreispaltigen Quart-Bogen enthalten Aufsätze über Kunst und
wiMonMiiaMielie Oegensiliide und Benrüieiiaiigsii toa in imd (
Italien eraebeinenden Werken; so findet sioii i. B. in dem Blfttie
Tom 7. Angast 1864 eine Beartheilong von Schäfers Yersach ttbcr
das Ayarische yon Folari; femer Nachrichten Aber die Yerhaad-
hmgen bei den in Italien befindlichen bedeutendsten Academien der
Wissenschaften; femer Anzeigen nea erschienener Werke, nnd an-
dere wiasenschafkliche Nachrichten; s. B. über den diesijtthrigea
wissenschaftlichen Gongress zu Troyes in Frankreich, bei welchem
der Professor Bamffi ans Turin einer der Pi^sidenten war, ein bei
dem wissenschaftlichen Congresse des In- und Auslands unermlld»
Uph ih&tiger Gelehrter und ttlchtiger Naturforscher, von dem yiele
Beisebescbreibungen, auch durch Deutschland, bekannt sind. Hier
findet man anch die Inhalts- Anzeige der von Hajn herausgegebcBen
prenssischen Jahrbücher. DenBeschluss macht der amtliche Tfaml,
woraus wir eine königliche Verfügung vom 20. Juli 1864 nwfBkbr»
nen, nach welcher für alle italienischen üniversitttien 3 Preise be»
stehend in einer goldenen und 2 silbernen Denkmünzen mit deu
Bildnisse Dante^s für die besten Arbeiten an Studenten Tertheüt
werden sollen, welche für Aufgaben von den Tier verschiedenen
Facalt4ten eingehen werden. Die üniTersitöten bestimmea den
Gegenstand der Aufgaben, welche bei verschlossenen ThürcK aw»
gearbeitet werden müssen. Die Preise werden zu Florenz am
600. Oeburtstage von Dante vertheilt, und die Namen der Sm<-
piknger in der Staats-Zeitung bekannt gemacht. Noch ist hier
eine Bekanntmachung des Ministers des öffentlichen ünterrichta^
des gelehrten Amari aus Palermo zu erwähnen, nach welchen die
Summe von 458,000 Franken fRr die bedürftigsten Biementar*
Sehollehrer von den Provinzial-Räthen vertheilt werden soll; von
denen die geringste Summe mit 2750 Franken ftbr die kleiast«
Provmz Livomo, die grOsste Summe aber 17,880 Franken für die
Provinz Principato mit der Hauptstadt AveUino bestimmt ward.
Endlich werden hier noch die erfolgten Anstellungen im LehrÜMshe
und die Ernennung zu Mitgliedern der verschiedenen wissenschaft-
lichen Gesellschaften bekannt gemacht.
Ltgge solle lasse universiiarie, du 31 Luglio 1862. Napoli 1864.
Btamperia ddla üniversita.
Unter dem Minister des öffentlichen Unterrichts, dem im Faehe
der Naturwissenschaften rühmlichst bekannten Professor Matteucei
MS Pisa wurde ein Reglement für die Universitäten des EOnig-
reiehs Italien gegeben, welches hier für die Universität zn Neapel
abgedruckt ist, wo an 10,000 Studenten sich befinden, da hier
nnter der früheren Regierung die einzige Universität ftlr gegen
7,000,000 Einwohner vorhanden war. Nach diesem Reglement ist
die Dauer des Universitäts-Lehrjahres vom 1. November bis zum
30. August bestimmt, und der Monat August fttr die Früfiugen,
mn den Dootorgrad zu erlangen. Um als Student angelassen sn
ist
weidtn, ist aseh %iam Prttfbng noüiweiidig, und mliMiL
ooktiioiflMieMhreii benhlt werden, welohe Air die Jiirii4eB*FyniUat
■nf 400 Franken, fftr die theologisofae auf 846, fttr die medickiiBche
anf 280, fto die maihematisohen and Natnrwiftsensehaften «nf 240
nnd für die PhiloBophie und Literatur auf 155 Franken festgeeeiat
Bind, aber bei Armuthe-Zeugniflsen erlassen werden können. Z«
dem akademisehen Kitrper gehören die ordentliohen, emeritirten und
die Bkren-Professoren, die Verwaltung aber ist dem akademisekea
B«the anvertraat, welcher aus dem Bector und den Prftsidenten
oder Deeanen der üniTeraität besteht, die eine jfthrliche Repräseo«
taüons-Znlage erhalten, und wenigstens monatlich eine Sitzung
hatten. Die Strafen, welohe der akademische Bath ttber die Studen*
ten verhttngt, sind: 1) Ermahnung, 2) Ausschliessung von eiatm
oder dem andern Cursus, 3) Auesdüiessung ron den PrOfimgeii,
4) Mitwtdrige Verweisung von der Universität. Ausser den hiar
Tergeeofariebenen PrUfongen, um die akademischen Grade lu er*
langen, ist den Unirersitftten auch das Recht gegeben, den Dootor-
grad für bedeutende Werke und Erfindungen zu eriheilen. Zur
Anfittuntenmg der Studirenden sind Preise auf den verschiedenea
UniverBitftten Ton 1000 bis 2000 Franken ausgesetst, und fttr solche,
die die Doetoren^Prflfdng mit besonderem Lobe bestanden haben,
werden Medaillen ausgetheill Fttr das Studium in den einielnen
FakultlUen sind besondere Itoglements beigefügt, woraus wir nur
fOr die Fakultät der Literatur oder Philologie bemerken, dass die
▼ierjfthrige Stiidienneit für alle Jahre die griechische, lateinische
und italienische Literatur vorschreibt, auseerdem im ersten Jahre
die alte tmd neue Geographie und alte Geschichte, im zweiten Jahre
diesdben nebst der neuen Geschichte, im dritten Jahre dieselbe
nebst der Anthropologie und Pädagogik, endlich im vierten Jahre
6 Archäologie, vergleichende Sprachkunde und die Philosophie der
Gheohiohte* Jede Universität gibt einen üniver8itäts<^Kalender her*
ans; der von Neapel erschien unter folgendem Titel:
Rfgia Univernia degli »ludii di NapoH. Anno aeoIasHco 1863 — 1864*
NapoU 1864, Stamperia ddla Vnivernta.
Hier erscheint als Bector der Komthur Imbriani, Professor der
Philosophie des Bechts, ein sehr geachteter Gelehrter und Staats-
mann; unter ihm st^t das Secretariat, bestehend aus zwei wirk-
lichen Secretären, einem Oassier und 12 Applicanten, einem Gustos,
7 Pedellen und 6 Dienern. Präses oder Decan der philosophischen
imd Literatnr-Fakultät (Philologie) ist der Professor der Moral*
Philosophie Falelli, die Professoren Spaventa, de Luca, Lignano,
Sanguinetti und de Sanctis sind mit der deutschen Literatur ver-*
traut, und war der letstere Pro&ssor in Ztüich, und dann Minister
in Turin. Ausser 9 ordentlichen Professoren hat diese Fakultät
jwch 9 ausserordentliche Pro£dssoren und Privat-Bocenten. Deoaa
der juriÜMhen Fabdtät ist der Profisssor Pepere fttr Beohtsge*>
MhMUe» nlic «m 1 ordtnüidbem PioftMOMt befindet rieft Ar
4m 8tr»fxeokt 4er Bitter Pmüm» in der denieehen Liiemtv mkl
ei&kien; £5r die BeehtspUleeophie der Beoter Imbrieai» tU die
SteatflOeononiie der Oommftadeiir Manna, epttter Minister deeHan*
dela imd Ackerbaues, nnd der spätere Jnstia-Minister Commandeer
Pisanelli; unter den 4 aoseenffdeatliohen Professoren ist Ftorsaee
fir adaunifltratiYee Beoht, ebenfalls mit der dentaehen Literatar
bekannt; ansserdem sind noch 7 PriTat-Dooenten angestellt« In der
Fakultät der Mathematik, Fhjsik nnd Nator-Wissensehafteai ist der
Ph>fes8or der analytischen Oeometrie Anton Caa, Decan oderPri-
ndent, Ar die matiliematische Abtheilimg ; fUr die der Natnrwissen»
Schäften aber Palmieri, Professor der Phjsik. unter den 19 ordent-
Uehen Professoren beider Abtheilungen sind die Herren de Luoa,
Seaeehi, Gniseardi nnd OnsiMMTini mit der denteften Literatur
dwBfiüls ▼ertrant, nnd noch 6 PriTat*I>oeeBt6K u. a. m. dabei a»-
geetoUt. Priaident der medieinisehen Faknltftt ist der €k>mttnr
de Benxi, Pvobsscr der <}eseidcbte der Medicin, ansser IftevdentF*
liehen ProfMSoren sind hierbei noch 9 ansserordentliehe n. s. w.
ai«erteUt. Jede Faknltftt hat ausser dem Präsidenten oderDeean
neck einen Kansler, ans der Zahl der Pro&asovMi. Zu dieser ünt-
Tersitftt gehCren noch 5 emeritirte Professoren und 18 Bhian«
Profeesoren, worunter der berOhmte Bechtsgelehrte Mancini, der
SDcih einst Minister war, femer der Uebersetzer griechischer Tra-
giker, Bonghi, der berühmte Linguist Tommaseo, der Bomantiker
Mauoni, der Antiquiur Minenrini, der bertkhmte Staatsmann Mark-
graf Oino C^^poni in Fkrenz, der Senatenr 8ciak(ja, de Meisr
Piria n. s. w. Von den zahlreichen wissenschafklseken Inititaten,
weiche zu dieser üniyersit&t gehören, erw&hnen wir yoruftmlich die
ffibliothek, welche unter dem rühmlichst bekannten Professor Gar
aus Trient ein neues Leben erhalten hat, welcher erst ein Paar
Jahre hier angestellt, als Freund der deutschen Literatur für die An-
schaffung der deutschen Klassiker und der bedeutendsten deutschen
Werke geeorgt hat. In dem von ihm auf der Bibliothek angelegten
SaaJa für wissensehaftliche Zeitschriften, finden sich allein deren 19
ans Denteehland. Ausser einem Yice-Bibliothekar und 2 Assistciitenf
Ton denen sich Herr Prudenzano als Literar-Hiatoriker ansHiohBst,
Bind dabei noch 10 Oehülfen und 7 Aufseher, Pedelle und Diener
angestellt. Director des botanischen Gartens ist der auch in Deutsch-
land bekannte Professor Gasparini, und Director des meteorologi-
Obeerratorium's auf dem TesuT der Prof. Palmieri.
&9ria del reame di NapoK dal 1414 al 1443 narr ata dal Conie
A. di Platen, tradolta da Tom. Qar, NapoK Ji864. Presso
Ddtktn.
Der gelehrte Bibliothekar Tommaso Gar, aus Trient gebürtig,
der sicdi aehon früh als Bibliothekar zu Padna einen guten Hamen
machte, ward bei der Bewegang ron 1848 nach seiner Vatecttadi
194 UtorattiilMridito «u IüIImi.
yerwtesen, wo er steh um die dortige Oraneinde-BibKothek grosse
Verdienste erwarb. (8. deren Beschreibung in Petzholdt's Anzeiger
für Bibliotheks- Wissenschaft von Neigebanr.) Seit ein Paar Jahren
wirkt er, wie eben bemerkt ward, als Bibliothekar anf der UniTer-
sitftt sn Neapel. Er hat hier diesen Abschnitt der neapolitanischen
Geschichte, welchen nnser Platen behandelte, ins italienische über-
seist, nnd ist einer der thätigsten Beförderer der Eenntnies der
deatschen Literatur in Italien; wozu auch der Verleger, der sehr
strebsame Buchhändler Dettken ans Bremen tllchtig beiträgt.
Descrisione geologica dei dinlorni du Golfo deüa Spezia, e Val di
Magra inferiore del Cav. 0, Capeüini. Bologna 1S64. Tip.
Oamberini.
Der Ver&sser ist der sehr geachtete Professor der Geologie
an der Universität zn Bologna, bekannt durch mehrere geologische
Werke und seine geologische Karte yon dem Meerbusen vonSpesia
und dessen Umgebungen. Das yorliegende Werk gibt die geolo^
gische Besehreibung jener Gegend, mit mehreren Abbildungen, be-
sonders von der Höhle zu Cassana,. wo der Verfasser merkwfirdige
Hmfen Ton Knochen iand^ welche ihm Gelegenheit zu folgendem
Werke gaben:
ßtudii stratigraflci e pcUeoniologici sidl infralias neue Montage del
Oolfo della Spezi<i, Bologna lö62.
Seit seiner Anstellung in Bologna hat er bereits Gelegenheit
gehabt auch jene Umgegend kennen zu lernen, wie aus folgendem
Werke hervorgeht:
Oeologia e paleontologia del Bolognese, cenno siorico^ Bologna 1863,
Seine
Carta geologica dei dintomi del Golfo della Spesia. Bologna 1863.
machte gewissennassen den Vorläufer zu dem vorstehend zuerst
erwähnten Werke des Verfassers, welcher vor Kurzem von einer
wissenschaftlichen Beise nach Nord- America zurückgekommen iet.
Sein letztes Werk ist:
Deiflni fossUi del Bologneae, memoria del Prof. Cav. Oiovamd Ca--
pellinL Bologna 1864. Tip. Oamberinu Mit 3 Tafeln.
Seit der Verfasser bei der Universität zu Bologna angestellt
ist, ward ihm besonders der paleontologische Theil des naturhisto-
rischen Museums anvertraut ; er wusste, dass sich auf den benach-
barten Bergen, besonders bei S. Lorenzo Wirbel von Fischen ge-
funden hatten, worüber Monti, de monumento diluviano nuper in
agro Bononiensi detecto, Bononiae 1719 Nachricht gegeben hatte;
me gehörten zum Gesdilecht der Wallfische. Er ging daher mit
einigen seiner Zuhörer dorthin auf. nähere Forschungen aus xmd
LttinftnffberMte mm Hältei. ttf
fimd Black bald eim Bniolistüok eines Wirbei-KaocheiiB Ton einem
Delphin, worauf er weitere Nachgrabungen anf einem der Gräfin
Manigli gehörigen Grondstüoke unterneWen Hess. Es war ein
eigener Zufall, dass ein Yorfi&hr der Besitzerin der Stifter dos
UiiiTersitftts^ nnd Bibliothek-Qebändes in Bologna und selbst ein
bedeutender Gelehrter war. S. Marsigli del fooforo miaerale bo-
lognese, Lipsia 1698. Die Anstrengungen unseres unermUdUoben
Naturforschers wurden belohnt, denn er fimd bedeutende Beste yon
dem Kopfe, Zähne und mehrere Wirbel-Knochen eines Delphin, Yon
denen hier auf 8 Tafeln in Steindruck Abbildungen gegeben sind ;
10 wie Y<m dem Bergabhange von yerschiedenen blauen und andern
Ton-Arten I in welchen diese fossilen üeberreste dieses Fisehee
mehrere hundert Fnss über dem adriatisohen Meeres-Spiegel ge-
fanden wurden.
EtieUea, o dtUa mpreme noziont del öello e deüe arte di Frmn^mto
PruAtmano. JNapM 18ßB. U Vol.
Yon diesem Lehrbuche der Aesthetik des Herrn Pmdenzano,
Vioe-BibHoihekar an der Uniyersität zu Neapel, ist bereits die
sweite Auflage ersohienen, da man sidi in Neapel Tiel imi pUk^
sophisohen Studien beschäftigt. Auch dw gelehrte Pnidensano bat
lieh auf demselben Felde der Wissenschait vortheilhaft auageaeiek-
iiet, indem sein Kunstsinn durch folgendes Werk desselben be-
famdet ist:
hulÜu%Mfd di arte poeiicOj di Fr, Prudensano. Napoli 1863.
welches schon die fünfte Auflage erlebt hat. Ders^be ist bereits
Aber 20 Jahre an der Uniyersitäts-Bibliothek angestellt, welche
jetzt an dem gelehrten Professor Ghur, wie schon bemerkt worden,
einen würdigen Ober-Bibliothekar erhalten hat. Herr PtudeBzano
ist selbst dramatischer Dichter, wie seine Imelda de* Lombeatazzi,
il poeta ed U patrizio, Dante Alleghieri, und la Gontessa d*Andria
darthun. Bein neuestes Werk ist folgendes:
Storia deüa tdteratura üaliana dd seeolo XIX, di Fr. Prudentano.
Napoli 1864. Tip. Vüale. 8, p. 301.
Bei dieser sehr yerdienstlichen Geschichte der Literatur Italiens
im 19. Jahrhundert zeigt der Verfasser, dass dieselbe in zwei yer«'
echiedenen Zeiträumen und Gestalten erscheint. Zuerst herrschte
die antike Weltanschauung im materiellen Heidenthum vor» die
Neuzeit ist m^ir dem Ofaristenthum, dem Idealen zugewandt. Die
Uassische Kunst, eine Tochter der Sinnlichkeit^ hat sich mehr der
Fonn als der Idee zugewendet; die Literatur aber ist stets der
Ausdruck des btbrgerlichen, politischen und religiösen Zustandes des
betreffenden Volkes. Demzufolge hat der Verfasser die Literatur
der Neuzeit in folgenden Abhandlungen vorgetragen: Geschichte»
Archäologie, Kritik und Speculation, Religion, Dichtiranst, Moral
und Em«hug, w«nMf di« ü«beraetser angeftLhrt w«rdem, imd die
BohriftsteUemden Fmuen den Besohluss bilden. So knrz der Ver-
fasser diese leiste Abtheiltmg behandelt hat, so hat er dooh seiner
aasgeseicfaneten Landsmftnniii, der Frau Mancini^OliTa mit gebttb-
render Anerkennimg gedacht, und wird Oberhanpt dies grflndHcbe
Werk TOtt Allen benntat werden müssen, welebe sieh Hber die
jBokriftstallMr der Neozett Italiens nuterriehten wollen. Dazu mOaeen
wir aneh noch empfehlen die
Anioloßia d^ ülusiri scritiori modemü NapoH 1863, Von D«m$eWfn.
■nfi den nütdiohsten Anmerkangen versehen. Andi hat derfleissige
Bearbeiter der Halienisehen Literatur mehrere der sogenannten testi
di lingtia snm erateamale heninsgegeben, und sie mit phüologischan
Anmerkungen begleitet.
ߧ9ria Romana di Teodoro Momnuen di Giu$eppe Sandrimi am noie
e düearn ülualrativi di insigni aeriüori iUtUam ParU seeunda.
MÜOMO 1863. Tip. M. Quigani. 8. p, 443.
Haehdem wir sehen yon dem ersten Bande Haehrioht gegeben
hab«n, nnd nnr wiederholem kOnnen, dass die Gewiseenhafligteett
dee Uebereetairs überall sidi tren bleibt, bemeri^en wir ttber die bei-
fsftkgten Amnerknngen, dasa dieselben sorgfl^hig von dem ge^
•Ishrtsn Btaateratbe lütter Correnti herrtthven, welcher tot Eursam
die rühmlichst bekannte Statistik des Königreichs Italien heraas-
gab, und welcher auch von der italienischen Begierung mit dor
Theilnahme an dem internationalen statistischen Congresse zu Berlin
beavftragt war. Yon diesen Anmerkungen machen wir unter andern
«or anfmerkBam auf den Aitar, welchen die BOmer nach dem BOek-
jnge Hannibals, bei dem zweiten Meilensteine an der Via Appi«
(Bamibal ante portas) errichteten; in Ansehoag dessen die bei-
gefügte Anmerkung saigt : der Qott Tnianns soll derselbe sein, wie
Hercales, welcher diesen Namen von dem Sohntse (tatela) erhielt^
den er dem römischen Volke damals angedeihen liees, als er den
Hannibal zu dem unverhofften Bückzuge veranlasste, nachdem er
schon nahe an das capenische Thor vorgedrungen war. Nun glaubt
der Uebersetzer seine Landsletite vertheidigen zu müssen, als von
der Stinunnng der Bömer nach dem Siege Seipios über Hannibal
bei Zama die Bede ist, welche ihrem Eeldherm den Vorwurf maoh«>
. ten, dass er an milde Friedensbedingungen gestellt hätte, wobei
4m Italiener der Bachsncht beschuldigt werden. Hier sagt der
üel)ersetBer in der Anmerimng (8. 174): »Bachsncht konnte wohl
bei denBümem stattfinden, welche Garthago aerstOrten; allein mi->
gerecht ist es, wenn man dies von den Italienern im Allgemeinem
behaupten woUie.c Diese trefDiohe üebersetnong, welche dar Qrttnd^
Uduceit des Herrn Sandrini alle Ehre macht, zeigt zogleidk, in
wekher Achtung in Italien die gelehrten Werke stehen, und dass
im nicht Uoa ^esent sondern auch gekauft werden«
miüiiirtiiiiyi ai ihüti^ m
Noch Mbaob wir hitr Mgend« BtQMt» FiüilMiaimg aafibrrai
welcke uns eben zaging:
Lmau, per 8. 8. p. 70.
Yon dieser unter Ereoiband eingegangenen Sokrift kOnnenwir
keinen ToUst&ndigen Titel angeben. Slui kones Vorwort sagt nur,
dass Anastasina Grflm, der geistreiche Dichter des Pfarrers Ton
Kaienberg (Graf y. Anersberg) ein Freund von Lenan» dessen Leben
bescfarieben habe, nnd dass diese sehr zn achtende Arbeit benutzt
worden, nm die Italiener mit diesem liebenswürdigen deutschen
Dieliter bekannt tn rnaohen, nnd ne an Teranlaaaen, deeaen Fanal,
Sayanarola nnd Dante- Alleghieri zn lesen. Wir Ternnthen, dass
der Yer£s0ser dieser h&chst anziehenden Arbeit, der gründliche
Kenner der deutschen Literatur, der gelehrte Herr Straforello ist,
einer der Hauptbearbeiter der grossen italienischen Encjclopädie,
weldie XU Turin in der grossen Bachhandlung des Ritter Pomba
erscheint. Schon früher gab er eine üebersetzung deutscher Dich-
tungen Ton nnsem neuesten Dichtem heraus, die sich mit Italien
beachftiiigen, und zwar geographisch geordnet, daher der yon ihm
gewählte Titel »Italien im Munde fremder Dichtere sehr passend
war. Wahrhaft erfreulich ist die Begeisterung des Verfassers übet
unaecn Lenau, mit welcher dessen Werke yorgeführt werden, und
die Benrtheilnng derselben mit Bezug auf die Lebens-Stimmung des
Diektera, bei dem er den Ausdruck der drei yersohiedenen Volks-
eigenthümlichkeiten aufweist, denen er angehörte. Lenau war näm«
lidi nach seinem Vater Franz y. Himptsch yon Strehlenau nach
Name und Ursprung Slaye, nach seinem Geburtsorte, Chatad im
Bannt, nnd nach seinem ersten Unterricht Ungar, aber nach seiner
Gesiannag und wissenschaftlichen Erziehung Deutscher. Seine An-
lage flbr Musik, seine Neigung zu einfacher Volksthümlichkeit, seine
sanfte Schwermnth und Hingebimg an das Unyermeidliche , mit
einer gewissen Scdilauheit yerbunden, yerrieth bei ihm das Vor-
handannein yon Tropfen slayischen Blutes, sein feuriges Gemüth«
seine lebendige Einbildungskraft mit stolzem Unabhttngigkeitasinn,
nnd seine krftftige oft überschw&ngliche Sprachweise Hessen seine
imgarische Herkunft erkennen. Die Aufzählung der Eigenschaften
aber, nach welchen ihn der Verfasser als einen Deutschen erkennen
laset, Torpflichtet seine Landsleute zu grossem Danke gegen den
Verfiaeaer, welcher yon dem yerstorbenen Dichter sagt, dass man
ihn ala Deutschen erkannte an seinem ernsten Gerechtigkeitssinn,
an seiner unerschütterlichen Treue und seinem Wohlwollen, an der
Tiefe und Mannig<igkeit seines Wissens und Forschens; freilich
yerbonden mit emsigem Grübeln über Religion und Philosophie, so
wie mit Hinneigung zum phantastischen und contemplatiyen weniger
praktisch.
ItS lilttrtiiftMicidt Am BälUtt.
J>r. Vineento 8euwa tiaria cnmografica di TriuU, Triesle 1863. 4,
Diese Geschichte von Triest umfasst die Entstehung dieser Stadt
bis zum Jahre 1695 ; von da an ist dieselbe durch den gelehrten
Doctor Kandier fortgesetzt worden, dessen Annalen bis zum Jahre
1848 gehen. Dieser ausgezeichnete Mann hat sich dadurch ein
neues Verdienst um diese Stadt erworben, in deren Verwaltung er
vielfach thätig war; auch die ganze Provinz Istrien ist ihm dank-
bar ftlr die seit vielen Jahren von ihm bekannt gemachten For-
schungen über die Vergangenheit und Gegenwart dieses Landes.
YUa e viaggi di Crisloforo Colombo, per & Canale. Firenze 1863^
PrtBao BeUinL
Der gelehrte Advocat Canale, ein Landsmann des Entdeckers
der neuen Welt, jetzt Archivar seiner Vaterstadt Genua , welchem
dieselbe bereits mehrere sehr geachtete Werk über die glorreiche
Vorzeit dieses Freistaates verdankt, gibt hier urkundliche Nach-
richt über die Schicksale und die Reisen des Columbus, eben zu
rechter Zeit, da demselben jetzt in Genua ein würdiges Denkmal
errichtet worden ist. Für dasselbe musste erst ein würdiger I^atz
geschaffen werden, welcher zugleich einen neuen Beweis von dem
Geschick der Baukünstler in Italien ist, da Genua zwischen dem
Meere und steil aufsteigenden Bergen eingeengt, meist Strassen be-
sitzt, so enge wie die meisten Gässchen in Venedig, wo kein Wagen
gebraucht werden kann. Dennoch haben die dortigen Bau-
künstler verstanden die Eisenbahn, nachdem sie durch den läng-
sten Tunnel auf dem festen Lande Europas, die Apeninnen durch-
brochen, mitten in die Stadt an den Seehafen Genuas selbst zn
führen, und einen grossartigen Bahnhof zu errichten, mit dem sich
wenige vergleichen können. Vor demselben ist das prakt volle Denk-
mal des Columbus aufgestellt, der von Oanale hier auf würdige
Weise geschildert wird. Der Herr Verfasser hat die Fahrten dieses
grossen Seemanns dadurch eingeleitet, dass er die Geschichte der
Colonien der alten Welt vorausgeschickt hat, worauf die Colonien
der Italiener im Mittelalter in Asien und Afrika vorgeführt werden,
wozu dieser fleissige Geschichtschreiber um so mehr befähigt war,
da von ihm eine sehr geschätzte Arbeit über die genuesischen
Niederlassungen in der &im in der Zeit erschien, als der dortige
Erieg die allgemeine Aufmerksamkeit dorthin lenkte.
Neigebaar.
Ir. 9. HEIDELBEB6EE 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Zur nationalen Aussprache des GriecMsclien.
Gustave d'Eichthal de Pusage praUgue de la langue grecque.
Paris. HacheUe 1864.
Neuerdings hat man in England nnd in Frankreich begonnen
der Frage Aber die richtige AoBsprache des Griechischen ^ einer
Frage, welche bei nns in Deutschland von Seiten der Erasmianer
beharrlich todt geschwiegen wird, wieder eine lebhafte Anütnerk-
samkeit za schenken. Man könnte aber yersncht sein zu bezwei-
feln, ob die Agitation ftir die nationale Aussprache bisher in der
richtigen Weise betrieben worden ist. Wenigstens wird die Art,
wie der geistreiche Verfasser der Eyangiles, Hr. Gostav y« Eichthal
in seiner neuesten Schrift eine Lanze fttr die Lehre Beuchlin's
bricht, an manchen Orten Verwunderung erregen. Er geht nämlich
Ton der Ansicht aus, dass heutzutage alle Völker auf eine gemein-
same Organisation, auf eine üniversalgesellschaft hinschreiten.
Religion, Politik, Philosophie, Kunst und Wissenschaft, Industrie
und Handel führten diesem gemeinsamen Ziele zu. Die erste »Folge
dieses bevorstehenden grossen Ereignisses« müsse die Einführung
einer gemeinsamen Sprache sein, welche zwar die Nationalidiome
bestehen liesse, die die Bürgschaft einer jeden Volkseigenthümlich-
keit seien, jedoch das Medium der internationalen Beziehungen
zwiaehen den Völkern und zwischen den Lidiyiduen bilde, und zu-
gleich als Ausdruck der höchsten Wahrheiten diene, welche das
Prinzip und das gemeinsame Band der Gesellschaft ausmachton.
Der Gredanke, für den der Verfasser in die Schranke tritt, ist, so
überraschend er auch klingen mag, nicht neu; er ist, seit der
giösseren Annäherung der europäischen Völker, seit den Biesen-
fortsckritten welche unsere Kultur gemacht, in verschiedenen Ländern
und in verschiedenen Köpfen aufgetaucht; erst vor Kurzem hat
DL Pat^ versucht, das System einer üniversalsprache, sowohl durch
die Schrift (Pasigraphie) als auch durch die Laute (Pasilogie) durch
Begrifßsfixirung mittelst arabischer Zahlzeichen und deren Laut-
fixiruBg für den internationalen Verkehr aufzustellen; allein bisher
hatte man all' dergleichen Versuche als müssige Spielereien ange-
sehn, als einen wissenschaftlichen Humbug, deren Erfinder keinen
Begriff von den Schwierigkeiten, ja von den Unmöglichkeiten ihres
Beginnens hätten. Mit ganz anderem Ernst greift Hr. v. Eichthal
die Sache an, und wenn man auch seinen Vorschlägen nicht durch
Dick und Dünn zu folgen geneigt ist, so wird man es ihm doch
LVnL Jahrg. % Heft 9
^80 Zur nationalen AnsBptailie des GHechlBclien.
immer danken müssen, dass er den schwebenden Streit aus den
luftigen Spekulationen neu zu erfindender Worte und Schriftzeiehen
auf ein praktisches Gebiet übertragen, und an das Gegebene in
einsichtsvoller Weise angeknüpft hat. Er weist darauf hin, dass
die künftige Weltsprache keine andere sein könne, als — die
Griechische. Seit dem 16. Jahrhundert ist das Griechische ein
nothwendiges Erziehüngselement für jeden Gebildeten; der Ursprung
der Sprache Mit mit dem Ursprung der Civilisation zusammen,
cjbenso wie sie durch ihre neuesten Erzeugnisse im Mittelpunkte
des modernen geistigen Lebens steht; einer jeden bedeutenden
Manifestation des Menschengeists in Religion, Politik, Kunst und
Wissenschaft hat sie nahe gestanden, sie hat der Litterator, der
Theologie und der Jurisprudenz der Byzantiner als Mittel gedient
und bei dieser Arbeit von beinah dreissig Jahrhunderten in Nichts
Ton ihrer ursprünglichen Liebenskraft verloren, hat ihren Wörter-
schatz und ihre plastische Kraft vollständig beibehalten und in
unseren Tagen mehr als irgend Etwas Anderes zur Bettung und zur
Wiederbelebung der griechischen Nationalität beigetragen. Wenn
ihah von einigen Koncessionen, die dem Geist der modernen Spraoh-
1)ildung gemacht worden sind, wenn man von einigen Bereiche-
tolngeü des Sprachschatzes, die durch die Ideen der Neuzeit noth-
wendig geworden sind, absieht, und — gestehen wir es offen ein
— voii einigen Verkümmerungen und Verschleifungen, von einigen
Latinismen und Turkismen; deren Ausmerzung gerade darum eine
bedeutsame Aufgabe der neuhellenischen Grammatiker wftre: so
haben wir vollkommen die alte Sprache, wie wir sie auf den Schul-
bänken gelernt , wie sie uns aber jetzt im Munde einer leb^iden
Nation lebendig entgegentritt. Diesen Vortheil der Verbindung des
Alten und Neuen gilt es zu nützen. Ein wahrhaft rationelles System
des 15ifentlichen Unterrichts müsste sich vor Allem in dieser Sich-
tung o£Penbaren. Die Zahl der Sprachen die man, des praktiscben
Lebens wegen, auf den öffentlichen Bildungsanstalten, zu lernen ge-
Hbthigt ist, hat sich schon beträchtlich vermehrt, und droht sich
mit jedem Jahrzehnt zu vermehren. Zudem besteht kein Band
zwischen diesem praktischen und zwischen dem übrigen Unterricht,
der runter den Auspicien des Ohristenthumsc die Basis unsrer'
Civilisation sein soll. AU* diese üebelstände würden mit der An-
nahme des Griechischen als internationaler üniversalsprache ver-
schwinden. Ausser der Nationalsprache würde sich der Sprach-
unterricht überall auf eine einzige Sprache zurückführen lassen;
und diese Sprache ist es , die zugleich den Schlüssel jedes klassi-
schen Unterrichts bildet. »Racine, Göthe, Andrö, Chenierc, so f&hrt
der Verf. in einer etwas eigeuthümlichen Zusammenstellung fort,
»sind da, um uns zu beweisen was die moderne Poesie der griechi-
schen Sprache verdankt««
Ueber die Schwierigkeiten, die der Ausführung seiner Idee
entgegenstehen, macht der Verf. sich durchaus keine Hhision'en ; er
omni aber, sie 'wtrden geriager sein, als diejenigen , welche sicli
ekemalfl der Einftdmmg des Lateinisdien als Universalspracfae im
Okkidenil und des Orieolnechen im Orient mr Zeit des Aristophmes
von BTtans entgegengesetzt hfttten. Da das Orieehische als klas-
nsehe Sprache nniTersell angenommen sei , so sei Alles lange im
y«i«Bfi Ar seine EinfÜhrong nnd Weitetpflanmng voi^ereitet. Man
kasehe nnr zn entwickeln , was schon bestehe , und entschieden
«Ben praktischen Weg sn betreten« Der Terf. beroft sich auf das
Seogniss der Oriechen selbst, nm den lebendigen Eifer zu veran-
9(dun£dien, mit dem die nenhellenische Nation sich der hohen
Aufgabe, die ihr nach seinem Plan zufallen soll, wllrdig erweisen
irorde. Br erinnert an einen im Spectateor de l'Orient vor 10 Jah-
ren endiienenen Artikel: De Tayenir du peuple grec et de la
langoe grecqne, worin einer der ausgezeichnetsten Pubficiaten des
jugeii Oriechenlands Renieris bereits die hohe Mission für sein
Volk in Anspruch genommen habe, die mit dessen Oeschiehte nnd
Bedevtimg vortrefflich ttbereinstimme. Herr Senierie bewegt sieh
niBklich in einer fthnlichen Oeistessphftre, wie der um dieWieder-
bdekmg des griechischen Nationalgeistes hochverdiente Eora^ts in
wber Yonrede zum Isokrates; er yersidiert uns, dass wenn ein
>it«r Grieche aus Plato's oder Demosthenes^ Zeit wieder auf Erden
«nddene, dass derselbe nur in (hiechenland eine seinem Ohr ver-
tnnte Sprache yeniehmen, und darin die Trflmmer aller Dialekte
to alten Griechisch wieder erkennen würde. Mit einet Hebens-
vfirdigen Selbstgeltllligkeit, die uns als charakteristisch für die an-
geblichen direkten Nachkommen des Ferikles und Epaminondas er-
Mhdinen muBs, versichert Herr Benieris : es sei ein Axiom der ge-
ttBunien gelehrten Welt, dass die moderne griechische Sprache
nieU die Tochter der alten griechischen sei, wie man dies Mater-
nit&tsYerhältniss von den neueren romanischen bezüglich der latei-
iMben Sprache statoiren müsse, sondern sie sei ganz dieselbe wie
& alte Sprache, nm: unter einer andern Form. Die griechische
Binaohe habe geringere Wandlungen durchgemacht, als irgend eine
ißt modwnen ; die Beligion habe vor allem Andern dazu beige-
tragen ihr diesen Charakter der Stabilit&t aufzudrücken. Bei der
Jfe^, bei den Tauf- und Heirathsceremonieen sei kein Jota seit
^ Zdten des Ohrysostomus und des heiligen Basilius yeründert,
selbst an dem sacerdotalen Kostüme und an dem Eirchengesang
»i die Wirkung von fünfeehn Jahrhunderten spurlos vorüber ge-
gangen. Das griechische Yolk fühle sich durch diesen stabilen
Charakter seiner Oeschiehte, durch die grössere IN'ähe des klassi-
B(^ Alterthums, die es sich vor anderen Nationen gewahrt habe,
gekoben. Die Manem und Hindemisse, die es von dem klassischen
Alterihume trennten, seien gering. Würde es nicht ein hoher Ge-
^nnn sein, wenn das griechische Volk, dieser letzte Ankömmling
imter den civilisirten Nationen, dieser vom öffentlichen Mitleid be-
neidete Bettler, oder wie Chateaubriand glänzender gesagt hat,
ill2 Zof mitoiialen AuMfptMbe d« CMmUmImb.
diese blatende Waise der Civilisatioiii ihre ersten Oedanken, ihre
Glückes- uBd Dankesworte in einer Sprache ausdrücken könnte, die
von einem Ende der Welt zum Andern verstanden werden würde?
Gewöhnlich nenne man die französische Sprache als die, welche am
Weitesten über die Erdoberfläche verbreitet sei. Sie griechische
sei es aber in einem gewissen Sinne noch mehr, da man sie von
Kindheit an auf allen Schulen der Erde lerne. Man würde sie
nicht mehr so schnell wie bisher vergessen, sobald man wüsste,
dass es nicht die Sprache einer todten Nation, dass ihre Litteratur
nicht geschlossen sei, sondern fortfahre dasOi^n des griechischen
Gedankens zu sein»
Mit diesen Bemerkungen Eenieris*, so schön sie auch im Sinn
des jungen Griechenlands gefärbt zu sein scheinen, wird gewiss ein
Jeder gern übereinstimmen, der sich ein tieferes Studium der neu-
griechischen Nationalität und Litteratur zur Aufgabe gesteckt hat.
Die griechische Sprache geht unleugbar darauf aus sich ihrem hohen
klassischen Vorbild, soweit es nur irgend mit den modernen For-
men vereinbar ist, zu nähern. Die Sprache des Volkes, die xoiv^
ykn66a ist allerdings noch nicht fixirt, aber ihr Streben nach Ver-
vollkommnung ist nicht wegzuleugnen, und dies Streben ist mit
der Bückkehr zu den unvergänglichen Mustern des Alterthnms
identisch* Wenn die Gebildeten der jetzigen griechischen Nation,
wenn Männer, wie Earatheodoris, Maurogenis, Basiadis und Makra-
kis sich bemühen das Altgriechische für die wichtigsten Gegen-
stände der modernen Wissenschaffc anzuwenden, so ist das keine
kalte und pedantische Nachahmung des Alterthnms. Es ist kein
Fremder der sich belästigt und gleichsam als ein Gefangener in
dem Pallaste vorkommt, wo er wohnen woUte, es ist der legitime
Erbe, der als Herr über die Domäne verfügt, in deren Besitz er
sich wieder gesetzt hat.
So würden also die Hindemisse, die aus dem Unfertigen,
schwankenden Zustand der jetzigen Sprache hervorgehn, durch d^n
guten Willen und den Lerneifer der Neu*HeUenen wohl beseitigt
worden; aber die Ausführung der EichthaV sehen Ideen hängt nicht
allein von der lebendigen, heissblütigen und liebenswürdigen Nation
ab, die sich gegenwärtig als die Erbin der klassischen Herrlichkeit
ansieht, sondern von der ganzen Masse der civilisirten Menschheit;
neben der jenes Häuflein im rothen Fes und mit der wallenden,
malerischen Fustanelle, neben der jenes modern zugestutzte König-
reich am Dyssus nur wie ein verschwindender Bruchtheil oder wie
ein Schattenbild erscheint. Und die betrübende Wahrheit lässt sioh
nicht verkennen, dass während jener verschwindende Bruchtheil
treu und zäh an der überlieferten Form festhält, die grosse Menge
der Gebildeten denirrthum, oder wenn man besser will, die Laune
des Erasmus festzuhalten und zu vertheidigen sucht. Dies ist der
Kern der von Eichthal angeregten interessanten Frage; dies ist
auch der praktische Punkt der uns in Deutschland näher liegen
Hut nMauün Aunvprm^ des ChrlMUMlML 188
nniss, als die Idee der üniTersalspracbe , so dankenswerth und
geistyoll sie vertreten werden mag. Der historische Zasammenhang
der ganzen Streitfrage kann nie oft genug ergründet und klar ge-
nug beieachtet werden, wenn man zwischen der herrsehenden natio-
nalen nnd der Erasnuanischen Aassprache des Griechischen zn
wfthlen hat. Meinen doch Viele, wenn sie anch von einem gelin-
den Zweifel beschliohen werden, ob sie die viya yox des alten
Griechenlands repräsentiren : Erasmns habe nicht ohne guten Onmd
g^andelt, als er die Aussprache in dem heutigen Sinne zu fixiren
sodite! So wohlwollend diese Meinung jedoch sein mag, so wenig
kann sie zu Gunsten des alten ehrwürdigen Gelehrten aus den
Qoeüen begrttndet werden« Erasmus Iftsst in seinem Diskurse De
rseta graecae linguae pronimciatione den Bären die bahnbrechende
Aeossernng thun; Frustra sunt distinctae litterae si sono nihil
dillerant. Damit wttre denn nicht vielmehr gewonnen, als die
Wahrscheinlichkeit, dass die Vokale und Diphthongen, welche
naeh der neuhellenischen Aussprache wie t lauten, ehemals einen
andern Lautwerth besessen haben. Aber bei dieser Wahrschein-
Hehkeit bleibt es. Der Bftr wird zwar ausführlicher; er berichtet
was er im akademischen Senat vernommen habe. Auf die moder-
nen Sprachen, auf die französische, holländische, deutsche müsse
man zurfickgehn, um auch in Bezug auf die Aussprache den rich-
tigen 3faassstab für die Griechische zu finden, so sehr dieselben
aueh verderbt seien, utcunque corruptis, so hätten sich in ihnen
doch die Spuren der alten Aussprache des Griechischen erhalten.
Krasmns beruft sich wohl auch noch auf das Zeugniss einiger »her-
vorragender griechischer Gelehrten«, die erst jüngst von Eonstan-
tinopel nach Paris gekommen seien, und die das Griechisch ganz
anders aussprächen, in einer den modernen Zungen weit ange-
messeneren Weise mit einander verkehrten, als man es bisher zu
thun gewohnt sei. Bedenken wir aber nun, dass die hier ange-
fahrten Stellen die einzigen in den Werken des Erasmus sind, die
den Anhaltepunkt für eine wissenschaftliche Begründung des Eras-
mianischen Systems abgeben können, so müssen wir über die
Sehw&chen dieser Beweisführung staunen, die so sehr in die Augen
springen, dass eifrige Erasmianer sogar glauben konnten, der Meister
liabe sich einen Scherz erlauben und habe seine ernste neuentdeokte
Wahrheit in ein leichtes Gewand kleiden wollen. Wenn es ge-
golten hätte, die eigene Ansicht zu diskreditiren, weil man von ihrer
ünhaHbarkeit überzeugt war, so würden wir diese Erklärung mild-
denkender Epigonen über eine wissenschaftliche Stümperei des
Altmeisters allenfalls akkeptiren können, und so mag denn auch
die Verantwortlichkeit des ganzen Streits, den er selbst herzlich
gern verurtheilt und verwünscht haben würde, von dem Lehrer auf
die Schüler abgewälzt werden. Hat der Vertheidiger der über-
lieferten Aussprache doch die glänzende Genugthuung, dass Eras-
mus selbst auf sein eigenes System keineswegs mit Freude herab-
mZnr mMoBilin AumiiimIm des QdiudAicbaK'
Miekte. Ss bleibt eine merkwürdige Thatsaobe, dass er desiselben
BiezuaU in praxi gehuldigt, sondern sieb stets der damals allge-
mein gebräuchlieben historischen Aussprache befieissigt hat^ Ob er
dabei den Vorurtheilen des Pöbels ein Opfer brachte, und wie sich
Ger^diuB Yossius mit komischer Entrüstung ausdrückt : cum meliora
videret probaretque deteriora secutos sit, oder ob ihn die Erfah-
ifungi dass er allzu leichtgläubig gewesen, und von deqi Gelehrten
Henrikud Glareanus mit jener Pariser Geschichte mjstifizirt worden
sei« aai der Unfehlbarkeit des eigenen Systems irre gemacht habe:
dairttber Hesse sich viel streiten, und auch wenn wir Selbstbekennt-
nisee des berühmten Gelehrten über diesen wichtigen Punkt be-
sässen, würde das innerste Motiv, das ihn zur Aufstellung seinee
sogenannten Systems bewogen hat, wohlweislich verschwiegen wor«*
den sein: aber so viel ist gewiss, dass die Schüler die bescheidene
Meinung di^Erasmus über den Werth seiner eigenen Ideen gehegt
und bethät^^ hat, nicht theilten, sondern, wie es zu gesohehn pflegt«
sich mit Freuden des hingewoifenen Zankapfels bemächtigten, und
den Streit, so viel es an Urnen lag, vergrösserten. Nun erst ver«
m^mx die Welt, die wie aus den urkundlichen Denkmälern des
Mittelalters bis zur Evid^iz hervorgeht, wie es aus den angelsäch^
sisohen Manuskripten, wo immer Transkriptionen vorkommen, aus
der griechischen Sprachlehre B. Bakon's, aus andern Dokumenten
leicht bewiesen werden kann, bisher der überlieferten Aussprache,
dew Itacismus gehuldigt hatte, dass sie in einem kläglichen Irrthum
befangi^n gewesen sei, und dass man das Griechische so spreohen
müsse^ wie Einem der Mund gewachfl^i sei. l^n erst griff die
beqname Methode um sich, dass jede Nation, wo mi&glich jede
Provinzial- u?id Dorfbevölkerung sich einbildete wie Perikles und
Demosthenes au reden, wenn sie nur den heimathUchen Dialekt
recht grob und altvaterisch handhaben und darin die vestigia ut-
cunque corrüpta des Altgrieohischen entdecken durfbcw Gerade in
dieser wohlfeilen und einschmeichelnden Moral liegt die Lösung des
BäthsdLs, weshalb die Erasmianische Lehre sich überall so rasch
einbürgerte und überall begeisterte Anhänger fand. Die YerbreltoAg
der griechischen Sprache war damals noch eine so geringe, das:
Graeca sunt^ non leguntur hatte noch eine solche Kraft: dass es
begreiflieh erscheint, wie die richtige Aussprache
des Griechischen der civilisirten Welt durch eine
Handvoll Gelehrter wegeskamotirt ward xmd wie in
üiberrascbend kurzer Zeit und leicht genug wk Umschwung ^iblgte,
der jet»t mit ganz anderem Aufwand von Zeit und Mühe verknüpft
sein würde. Eine Wahrheit lässt sich wohl ersticken, wenn nox
eine geringe Menschenzahl die Tragweite des Gegrastandes ahnt,
auf den sie sich erstreckt, aber ein Irrthum, der sieh Jahrhunderte
lang festgesetzt imd in den Massen Wurzel geschlagen hat, kann
nur allmälig und mit äusserster Aufbietung aller Kräfte ausgerottet
werden« Somit handelt es sich bei diesem ganzen heiklen Sl^i^
Zur mHoiiileii A^uMpOMlie Am GrleoUsoIiflB- iM
niehi «nroU um Widersprach mit der Schreibart^ um ündeEtlichr
keit oder gar um den üebellaat der einen oder der andern Methode
- denn über Wohlklang oder Eakophonie zu entscheiden, hängt
obenein von dem Subjektivesten in der Welt, von dem mnsikali«
gehen Gehör der Einzelnen ab — sondern es handelt sich in erster
Linie ma den Zusammenhang der sprachlichen mit den nationsJen
Verhältnissen. Zunächst gut es zu konstatiren, dass zur Zeit der
Humanisten sich zwei Systeme gegenüberstanden von denen das
Eine sich auf unmittelbare Verbindung mit dem Byzantinerthum
imd auf den fortdauernden Gebrauch einer noch lebenden Sprache
stützte, das Andere ohne weiteren positiven Anhaltepunkt aus dem
Gehirn eines gelehrten Professors entsprungen und a priori kon-
stroirt war. Indem man den Gegensatz dahin bestimmt, dass auf
der einen Seite geschichtliche Erfahrung und Tradition , auf der
anderen die reinste Gelehrtenwillkür waltet, brauoht man darum
aoch immer nicht nothwendiger Weise zum Nachtheil der Letzte-
len zu präjudiziren, denn es ist ja immer möglich, dass ein Ein-
leber mit einem kecken Wurfe Ausserordentliches leistet, oder dass,
wie das Volk sich prosaischer ausdrückt: eine blinde Henne auch
ein Eom finde. Allein die Streitfrage resolvirt sich damit doch in
einem für die Beuchlinianer günstigen Sinne. Anstatt den Gegnern
aof das dürre Gebiet der einzelnen Buchstaben- und Lautstreiti^
keiten zu folgen, gilt es vor Allem den historischen Hergang der
Sache zu betonen, den kein Meckern der Yavrianischen Ziege, und
bin Bähen der Eratinos' sehen Schaafe umzuwerfen vermag, gilt es
aol die bedenklichen Gestirne der Willkür und Laune hinzuweisen,
snter denen die gepriesene Lehre der Erasmianer zur Welt kam,
n&d gilt ea denen, die noch jetzt auf die Fahne des Erasmus
schwören, die Frage vorzulegen: ob sie zu beweisen, oder nur an*
idiaalich za machen vermögen, dass die Erasmianische Aussprache
& des Perikleischen Zeitalters war, und dass Erasmus jene nur
dnreh seinen kühnen Griff restituirt habe ? Die Unmöglichkeit eine
so soharf gestellte Frage zu bejahen, hat den Yertheidigem des
äaeisaBOis verschiedene Ausflüchte eingegeben; sie haben versucht
^ Kampf auf ein anderes Gebiet zu spielen , und , da sie das
Eioeptionelle und Kühne ihrer eigenen Hypothese niemals abzu*
leognen im Stande sind, wenigstens nachzuweisen, wie so der
>Irrthnm« der Gegner entatanden sei, auf dessen Trümmern sie
^ Herrschaft gründen wollen. Da hat es denn niemals an Schil-
daiongea der politischen Misäre gefehlt, in welche Griechenland
versanken sei, man hat die WechselfUlle der Geschichte, den Yer-
to der politischen Unabhängigkeit durch die Römer, die Einfälle
<ier Vandalen, Avaren, Slawen und Bulgaren, selbst den Einfluss
^r Lateiner gebührend hervorgehoben, um daraus eine Entartung
^ griechischen Sprache, einen Uebergang vom alleinseligmaohen-
^ Etacismus zum Itacismus herzuleiten. Die Lehren, welche ein
^'«'^ter und geietreicher Misshellene, welche FaUmerayer in den
18d Zxa nationalen Ansapraohe des Griecbiaolien.
dreissiger Jabren über das Aufsaugen der heüeniscben Lebensele-
inente durch die Slawen, über die Slawisirung Griecbenlands ge-
predigt, und setzt den eingehendsten Widerlegungen des yerdienten
Boss gegenüber bis an sein Lebensende zäh und konsequent fest-
gehalten, diese Lehre, die in dem paradoxen Satze gipfelt: Es
fliesst kein Tropfen althellenischen Blutes ungemischt in den Adern
der jetzigen Griechen, sondern sie sind die Abkömmlinge jener
slawischen Unholde, die im 5. und 6. Jahrhundert über das byzan-
tinische Beich hereinbrachen und die hellenische Nationalit&t mit
Stumpf und Stiel ausrotteten ; diese von politischer Parteileiden-
schaft und Lust am Paradoxen getrübte, aber durch ihre Keckheit
und durch die geschichtlichen Erfahrungen, die man bisher mit
den Neuhellenen gemacht hat, sich leicht einschmeichelnde Lehre,
sie musste den Erasmianern sehr gelegen kommen, um ihr schon
wankendes System, und ihre matte Beweisführung neu zu stützen
und zu beleben. Denn wenn das griechische Volk ein todtes war,
so durfte sich Niemand verwundern, dass man das Fortleben der
griechischen Sprache läugnete. Dann erschien die Sprache, die
man gegenwärtig an den Ufern des Ilyssus redet, als ein wilder,
halb türkischer, halb slawischer Jargon, und erst in dem Gehirn
des Erasmus leuchtete der Funke Perikleischer Reinheit und Kraft
durch die Nacht eines barbarischen Itacismus hindurch. Nur Schade,
dass die Erasmianer sich mit einigen leicht hingeworfenen histori-
schen Brocken, mit jener von Fallmerayer hochgepriesenen Urkunde
des Kaisers Nioephorus, mit dem 49. Kapitel des Konstantin Pro-
phyrogenetes begnügen müssen, aus denen nicht etwa die Slawisi-
rung Morea's, sondern nur die »Avarisirung« folgen könnte; dass
sie die von Boss undPittakis in ihrer ganzen Nichtigkeit enthüllte
Mythe über die Anargyrenser Mönchschronik als baare Münze an-
nehmen müssen, aus der ebenfalls keine Slawisirung, sondern höch-
stens eine »Albanisirung« Attikas folgen könnte; kurz dass sie
einige geistvoll zusammengestellte urkundliche Fragmente für einen
urkundlichen Beweis ansehn, und dabei für den eigentlichen histo-
rischen Zusammenhang erblindei;i müssen. Würde es nicht Ver-
wunderung und Staunen erregen, wenn man mit ähnlichen Hülfs-
mitteln wie Fallmerayer die Hebräisirung der Griechen bewiese ?
Wir haben einen merkwürdigen Beisebericht des Dr. Bei^amin aus
Tndela, der um die Mitte des 12. Jahrhunderts Griechenland be-
suchte. Er war in Anatolicon, Patras, Lepanto, Crissa, Oorinth
und Theben: überall fand er zahlreiche Juden, die in hohem An-
sehen standen. In Theben belief sich die Zahl derselben auf nahe
an 2000. Hie bis mille oiroiter degnnt Judaei, eorum qui inGrae-
oia habitant peritissimi sericarii purpuraeque artifices. Inter illos
etiam quidam doctissimi, oonstitutionum et gemarae peritissimi,
seculi h\\jus maximi. (Itinerarium D. Bei^jaminis Lugd. Batavornm
1683). Mit einiger Subtilität und Fallmerayer' scher Kühnheit
liesse sich. durch derartige Urkunden zum Entsetzen der jetzigen
SSor Bfttiindeii AnMprMlie des GtImAImIicb. W9
Nenheüenen nachweisen, dass kein Tropfe althellenischen BhitB in
ihren Adern fiiesst, dass die hellenischen Ton den jüdischen Enltar-
elementen aufgesogen worden sind. Doch genng der leeren Worte
fiber Urkunden und Pergamente, der wahre historische Verlauf ist
ein ganz anderer. Denn ftlr den ernsten Forscher der mittelalter^
Heben griechischen Geschichte hietet sich gerade in jenen angeh-
lichen Zeiten der Entartung nur Gelegenheit zum Staunen über die
anrerwftstliche Kraft und Zähigkeit jenes so oft todt gesagten,
doch nie erstorbenen Yolksstammes. Ellissen hat in der glänzen-
den Yertheidigungsrede der nationalgriechischen Aussprache, die er
1851 auf der Göttinger Philologen- Versammlung hielt mit über*
zeogender Kraft und einem seltenen Aufwand yon Gelehrsamkeit
diesen stabilen Charakter des griechischen Volks hervorgehoben,
diesen eigensinnigen Trotz, mit dem es an der üeberliefemng in
Gutem und Schlechtem festhielt. Das attische Volk selbst war der
eifersQchtigste und schärfste Wächter, wo es galt den Purismus
des Dialekts aufrecht zu erhalten. Der Lesbier Theophrast hatte
sieh dreissig Jahre in Athen aufgehalten, und musste zu seinem
Aerger erfahrer, dass ihn trotz alledem ein attisches Obstweib an
seiner Aussprache als Fremden erkannte. Die Athener mögen zwar
befürchtet haben, dass sich die Beinheit ihres Dialekts nicht für
alle Zukunft wahren Hesse. Dem Bestreben allen Unsicherheiten in
dieser Beziehung yorzubeugen, ist die Einführung der Akkentzeichen
zoznschreiben, welche um das zweite Jahrhundert vor Christo durch
Simonides erfolgte. Heutzutage setzt man im Neugriechischenden
Akkent genau nach den alten Regeln, und die unveränderte Bei-
liehallfäng eines so feinen und schwierigen Theils der Grammatik
dürfte wohl eine nicht zu unterschätzende Bürgschaft für die Echt*
heit der Buchstaben-Üeberlieferung abgeben. Von einem Einfluss
der Fremdherrschaft kann gerade in diesen Dingen schwerlich die
Bede sein. Zweihundert Jahre lang herrschen die Franzosen im
^laass und doch hat sich in der Aussprache des Allemannischen
Dentsch nichts geändert. Es sind noch immer die alten Kehllaute,
die fftr den Franzosen ganz unaussprechlich sind. Dazu kommt fdr
miseren konkreten Fall der alte hellenische Dünkel gegen Alles
Barbarische, die bis in^s ünmaass gesteigerte Eitelkeit, die un-
^^ge Unterwerfung unter fremde Waffengewalt, für die man sich
dorch geistigen Hochmuth doppelt schadlos hielt. Graecia capta
fenun victorem cepit: es ist eher das Gegentheil anzunehmen, dass
«ich die Herrschaft der Besiegten in der Aussprache des Lateini-
seken bemerkbar gemacht hat. Wie wir die Griechen kennen
erscheint es undenkbar, dass sie sich eine Veränderung ikrer Sprache
ohne lebhaften Widerstand hätten gefallen lassen. Von einem sol-
chen Widerstand hören wir aber Nirgends. Dass die Kirche einen
grossen Einfluss auf die Formen der griechischen Sprache ausgeübt
habe, soll gewiss nicht geleugnet werden Aber es war das mehr
eine Bereicherung in lexikologischer Beziehung, wie sich aus den
HBbraismea der Septuaginta ergibt, als eine Aenderong des Laat-
wertfas der Baehstaben. Je strenger und fronuner sich der orthodoxe
griechiBche Klerus geberdete, je genauer hielt er sich auch in die*
ser Beziehung an die Tradition, und das religiöse Entsetzen , das
die griechischen Kirchenväter über die Lehre des Erasmus zur
Behau tragen, weil dieselbe den Namen des Erlösers und andere
heilige Worte verketzere, beweist wenigstens soviel, daas diese
Leute einen üebergang zum Reuchlinianismus nicht ruhig mit an-
gesehn haben würder — wenn eben ein solcher üebergang je Statt
gefwden hätte. Nennt doch Qeorgiades in der TLf^yyuxxala tuqI
x^S v$^ iUnp^iTcäv 0tOi%süap iTupcnn^tSsrng gerade darum die Kirche
eine ^soxrtAStog Mal lUoöxucii xov ikkrjfviMOv yivovg oußaxog weil
sie den Purismus der Aussprache treu gewahrt habe.
Aehnlioh verhält es sich mit der üebertragung des griechischen
Leben« nach der Hauptstadt Byzanz, die, wie der Erasmianer
Kreuser meint, gleichsam die Seele Griechealands aus seinem Leib
gezogen habe. Denn auch zugestauden, dass die Entartung, die
Kon^ption der Byzantiner eine furchtbare gewesen sei •— > und ehe
wir mit Ausdrücken, wie Entartung und Korruption um uns wer-
fen, sollten wir uns durch ein gründliches und ernstes Studium der
byzantinischen Geschichte legitimiren, wir sollten den Bahnen fol-
gen, die Hopf uns mit divinatorischem Scharfsinn eröffnet hat —
zugestanden, dass Byzanz ein wahrer Sündenpfuhl gewesen sei, so
fehlt der Nachweis, dass diese sittliche Gesunkeiüieit auch einen
entnervenden Einfluss auf den feinen Theil der Grammatik geübt
habe, um den es sich hier handelt. Eine genaue Würdigung dar
Eigenschaften, die man gewöhnlich als charakteristisch für das
Byzantinerthum hinstellt, jener grauen und todten Formgerechtig^
keit, jenes erlogenen Gelehrtendünkels und jener sophistischen Buch-
stabenkrämerei müsste, sollte man denken, ergeben, dass die Byzan-
tiner auch bezüglich der Sprache an den kleinsten Förmlichkeiten
um so zäher hingen, je mehr ihnen der echte Geist entschwunden
war. Und so spricht denn die höchste Wahrscheinlichkeit dafür,
dass der Lautwerth der Buchstaben ohne irgend eine Veränderung
aus den ieittischen Schulen in das alexandrinische Museum undvcMi
dort in das Tetradision von Byzanz verpflanzt wurde, und dass
von den Zeiten Dionysius des Thrakers bis zu den Dukas und
Chrysoloras eine ununterbrochene Beihe von Lehrern über die Rein-
heit des Dialekts Wache hielt. Die Analogieen anderer Sprachen,
die Analogie des Sanskrit, dessen Pronunciation von den heutigen
Brahmanen in Indien nach den modernen indischen Sprachen um-
geformt wurde, die Analogie des Lateinischen, dessen Pronunciation.
im Munde der heutigen Italiener anerkanntermaassen von der alt-
klassischen der Römer abweicht, hat für den ersten Augßnblidc
Etwas Schlagendes Allein was für die eine Nation gilt, braucht
darum bei der andern nicht die Regel zu sein. Zwischen den Schick-
•aten des Lateinischen und des Griechischen waltet ein grosser
biaiüriBcher Fntersobied» der jede Analogie yoq yornbereia nmoög-
lich macht. Denn es lässt sich sel^r gut eine Grenzlinie zieheni
die das Lateinische von dem Italienischen trennt, es lässt sich der
Moment zn Ende des fünften Jahrhunderts bestimmen, wo das
Latein eine todte Sprache ward, oder höchstens als Küchenlatein
fortTBgetirte ; wie soll man aber zwischen dem Griechischen und
Nengriechischen eine Grenzlinie ziehn? Die Zeitbestimmung, wo
das Altgriechische aufhörte und das Neugriechische begann, wird
immer von den subtilsten Hypothesen, und von der grösseren oder
geringeren Autorität des Erasmus abhängen« Man wird wie Kren-
ser mit der üebersiedelung der Kaiser nach Byzanz, mit dem Be-
ginn der byzantinischen Aera das Grabkreuz über die Asche der
yerstorbenen althellenischen Sprache aufpflanzen; aber wer ver-
kennt, wie willkürliGh und unsicher eine solche Todesanzeige ist?
Hier behält in der That Renieris Becht, wenn er behai^)tet, das
Neugriechische sei dieselbe Sprache, wie die Altgriechische, nur
unter einer anderen Form. Das Neugriechische ist nicht durch
Umwandlung, sondern nur durch Abschleifong und Verkümmerung
aus der altgriechischen Sprache hervoi^egangen, und es wäre yer-
lorene Mühe, wollte man einzelne Stadien dieses allmäligen Ab-
sehleifimgs- und Verkümmerungsprocesses bis auf die Zeit hin ver-
folgen, wo die Annahme der Hülfsverba bei den Präteritis und
Fuiuris, die Bildung des Liflnitiv dm'ch vä an den modernen
Sprachgenius erinnert. Leicht, ohne der Sprache irgend eine Ge-
walt ansathun, wird man eine ungriechische Bedeweise, eine un-
klaasisdie Wendung, die sich in neugriechischen Werken fiiidet»
in'a AJthelleaische übertragen; während, wie EUissen treffend be-
merkt, ein ähnlicher Versuch mit der Uebertragung der Ten^inen
Dante's in's Lateinische kaum gelingen dürfte. Das Gewicht all'
dieser Gründe hat denn auch den historischen Theil der Eraamia«
niadiea Frage stets zu einer geftJirlichen Gegend für die Erasr
mianer gemacht, und es hat ihnen nicht an Berufungen auf die
Zeugnisse der alten Grammatiker und der Klassiker selbst gefehlt,
um den Streit auf ein anderes »positiveres« Gebiet zu spielen. So
muflste der alte Schwätzer Dionys von Halikamass (ftegl 0v%^i-^
0&OS ovofuiz&v) herhalten, um für den Etacismus zu zeugen, und
das Zeugniss des viel älteren Sextus Empirikus ward für Nichts
geachtet, obwohl derselbe die Diphthonge at, £6, ot in seiner Schrift
n^fog yQaii(iatixovs als reine Vokale bezeichnet. Zur Zeit des
Sextus konnte somit die Aussprache wohl verdorben sein, aber es
ist wenigstens soviel klar, dass damals Niemand daran dachte, die
Alten hätten einige Jahrhunderte früher eine andere Aussprache
gehabt. Die wenigen Stellen der Alten selbst, die für oder gegen
die herrschende Aussprache beweisen können, sind allzu bekannt,
und allzu oft angefCLhrt, als dass man sie eingehend besprechen,
oder gar den Erasmianern in die Menagerie von Schafen, Ziegen,
Schweinen und anderen Bestien folgen sollte, die sie meckern und
140 Zur nationalen Anaspraebe dea GrleebfacliaL
gninzen lassen, mn die Kakophonie des Itacismns auf die grellste
Weise zu veranschaulichen. Die Neugriechen selbst berufen sich
fllr den J-Laut des oi mit Vorliebe auf das 54. Kapitel im IT. Buch
des Thukydides, und die Bedeutung dieser Stelle lässt sich auch
durch keine Verdrehung und Missdeutung der Erasmianer ab-
schwächen. Die Stelle ist um so interessanter, als sie dazu dienen
kann, die freisinnigen Ansichten des berühmten alten Historikers
auf religiösem Gebiete zu erklären. Den Spuren seines Bationalis-
mus begegnen wir schon im 38. Kapitel desselben Buchs, wo er
die Feste und Opfer als Erholungen als avanavXag bezeichnet, und
sich dadurch charakteristisch von den Späteren, z. B. von einem Iso-
krates unterscheidet der gern mit seiner Frömmigkeit paradirte
imd wohlgefällig den Athenern nachrühmte , sie hätten nicht,
wenn es ihnen einfiel dreihundert Rinder auf einmal geopfert und
ein anderesmal gar nicht, sondern sie hätten stets fromm und
regelmässig ihre Pflichten gegen die Götter erftlllt. In der Be-
sprechung des bekannten Orakels : rj^st ^ciQUcxog noXsiiog xal Xoi^
(log 5f*' ccvtä tritt uns nun Etwas von jener vornehmen TJeber-
legenheit des Weltmanns entgegen, der den Aberglauben des Volks
belächelt. Das Volk, so meint Thukydides, habe den Vers anders
verstanden und ihm Beziehung auf die Gegenwart untergelegt. Es
habe ihn auf die Pest gedeutet. Sollte jemals ein anderer dorischer
Krieg hereinbrechen, der eine Hungersnoth in seinem Gefolge habe,
so würde, urtheilt der Historiker — und das ist eine der Stellen,
wo der Löve schalkhaft; gelacht hat — natürlich jenes Orakel auf
die Hungersnoth bezogen werden. Es handelt sich also in dem
54. Kapitel offenbar um den Wortlaut von Xo^^og und hfiog, und
die Schlussfolgerung, die wir daraus für unseren Streit gewinnen,
wird keinen Augenblick zweifelhaft sein. Konnte, so muss man
fragen, in dem athenischen Volk eine Unsicherheit vorwalten, ob
die Pest oder ob die Hungersnoth gemeint sei, wenn diese beiden
Worte durch die Aussprache von einander geschieden waren ? wenn
die Athener damals den allerdings für eine südliche Zunge kaum
möglichen Au oder Eu-Laut hatten, den ihnen Erasmus oktroyiren
will ? Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass das ol der Alten wie
i lautete, wenn auch Bursian die Analogie des Lateinischen her-
beizuziehen, und aus alten Inschriften und Vasen für den Ö-Laut
des OL zu plädiren versucht hat. Der Bemerkung des Hieronymus,
dass Xwonvia in der Septuaginta nicht mit j, sondern mit oe
zu schreiben sei, steht die von Bursian selbst hierhergezogene Ge-
schichte von Nero entgegen, der zwei Sulpicier, welche den Bei-
namen xoirjTixot führten wegen des Gleichglangs dieses Namens
mit xvd-txoi hinrichten Hess. Aber wie lange wird es noch dauern,
ehe man aufhört in diesem Streite Anekdote wider Anekdote zu
stellen, und seiner Beweisführung den Charakter eines Witzmosaik
zu geben? Soll man für den t-Laut des £t, sowie für den Ae-
AmtTttm das OiiMhitelMa. 141
Laut des m daa 30 Epigramm des Eallimach anftüiien^); die
Worte vtuxl mid ix^i die aufeinander gereimt and als Echo be-
leiclmet werden, während offenbar nur die Beuchlinianische Aus-
sprache den Beim und das Echo wiedergibt? Besser scheint die
Analogie des Lateinischen, die Verwandlung der zahlreichen grie-
ehiflchen Eigen- und Städtenamen von oi in ae für den Itacismos
zu sprechen, und das Zeugniss eines GegnerSi eines eifrigen Eraa-
suaners, des berühmten G. Hermann, der den ae-Laut des ai yoU-
kommen adoptirt hatte, darf gewiss nicht unterschätzt werden.
Soll man für die nationale Ansprache des av die Autorität der
alijonischen Inschrift anführen, wo das Wort avtov AFTTO ge-
schrieben wird; oder soll man das Bedenken, dass die Aussprache
Yon ot; als av durchaus keinen Diphthongen gäbe, sondern viel-
mehr eine Verbindung von einem Vokal und einem Halbkonsonan-
ten, soll man dies Bedenken durch die Uiceronianische Anekdote
Hberwinden, wonach ein Ausrufer bei der Einschiffung desEraaeus
in Brindisium mit dem Buf cauneas die Furcht eines bösen Omens
weckte? während entschieden nur die Aussprache cavneas, die mit
dem caye ne eas zusammenfiel, das richtige Verständniss einer sol-
chen Furcht ermöglicht ? Am ärgsten ist die Anekdotei\jägerei be-
kanntlich bei der Hauptfrage über den Lautwerth des q getrieben
worden ; hier hat der Bock des Kratinos einen unyerhältnissmässi-
g!en Aufwand von Scharfsinn und Haarspalterei in's Leben gerufen,
und Lichtenberg zu der bekannten Pan^hrase des to be or not to
be begeistert. Es wäre eitle Mühe , wollte man sich noch einmal
in dies Wirrsal hineinstürzen, oder gar die nationalgriechische Aus-
q[»Tache gegen die »yemichtenden Stösse« jenes Bocks zu schützen
BQchen, indem man etwa darauf hinweisen würde, dass die Nach-
ahmimg der Naturlaute in den yerschiedenen Ländern yerschieden
sein, und sich nach der jeweiligen Organisation des Menschen rich-
ten muss. Beide Parteien haben sich übiigens mit gleicher Heftig-
keit auf das Zeugniss jenes Bockes berufen ; was schon an und für
sieh die ausschliessliche Competenz desselben in dieser ganzen Streit-
frage als zweifelhaft erscheinen lässt. Dass das ij stets wie & aus-
gesprochen ward, dürfte auch von den Heissspomen des Beuchli-
nianismus kaum noch behauptet werden. Bekanntlich gehörte das
*) Für den i-Laut dea et könnte man einen Fnnd des neueaten Datoms
ttfOhten. Am 80. Oktober 1864 wurden nahe von Lariasa, bei einer Ueber-
Mhwanmniig des Peneus, in einer Gruft am Ufer swei Mannorblöcke ent-
de^t, deren Inschriften zugleich einen intereBsanten Beleg für die religiöse
Btrenge bieten, mit der man die Oelhimig^fremder Gr&ber v^pOnte. Die erste
IttcMt lautet: Kttl xw difj XoyitVy og av ntctttlvaji, %ai Bxt(fOV ^^, Smasi
h txadiotg 9$i%og uiQJicäfisvop, noXlovg o* iv atudioig coicagy Srs d^ ^iXe
poiQu Iva xov (xoSv) fMvondi<ov' to nen{(fmfii)vov aÖs dm (tid^) Z^^9^
«Kpodftror TnoMxdsvg fltivJ&Ca *OlvfLnq> & xav IdCmv lAVBiag %difiif. Der
Meiere Block trigt die Inaehrift: K^^m^ii AxiUia xbv n^^lv Sr^ckt xw
wvTi}6 iifd^ in xtSv i%Bivav i/kpeiag xdQiv X^9^ noifodtixa.
143 SEtiir iwtlo'iUnflft AuMyvMM dofl ChiB^ldsditt*
Tf moht S9Ü den 16 primitiYen Kadmeiachen Bnchstaben. Es wurde
erst spttter dardt Simonides in das attische Alphabet eingeführt,
trnd durch Yolksbeschlass anerkannt, nachdem es früher als Aspi-
rationszeichrai g^ent hatte. Anteqnam so heisst es bei Havereamp
(Sylloge p. 236) a Simonide Yocalis longe h introduceretor atqiie
intet alphabeti Utteras ooimninii consensn reciperetnr littera h sibi
proprinza sonnm habebat. Es seheint somit, dass man sich von
Staatswegen veranlasst sah, das Zeichen für den Bnchstaben ri zu
Ter&ndem, weil seine Aussprache sich schon vorher geändert, und
dem i zugewandt hatte. Was dieser proprius sonus des tj gewesen,
Ittsst sieh jetzt freilich nicht mit Gewissheit bestimmen; so viel
aber steht jedenlalls fest, dass ein Schwanken zwischen dem «und
dem e, meht aber ein Schwanken zwischen b und a Statt fand.
Auf ^e spitzfindige Herleitnng des Wort '^fUffa von tftSQog die
Sehnsucht, weil die im Dunkel Befindlichen das Licht ersehnen,
(Plato, Era^los) ist gewiss weniger zu geben, als auf den deutlich
beabsichtigten Qleichklang in ^ij(ii^riif fpcUvexm mg didcvtHx. Wie
aber eoH man sieh die heutzutage in Deutschland übliche Aus-
i^pfraohe des ^ aus den Quellen erklären? wie war es möglich, dass
aus diesem limgen 7 im Munde der Griechen ein icurses i wurde?
Die XTnwahrschemlichkeit der letzteren Annahme spricht, wenn auch
nicht für die nationi^iechische , so doch jedenfalls gegen die in
Deutsethland herrschende Aussprache des 17. Wenn man aber daran
verzweifeln muss, das Richtige mit absoluter Gewissheit aufzufinden,
so wird man stets am besten daran thun, das weniger Falsche dem
total Falschen vorzuziehn. Nichts hat den ganzen Erasmianischen
Streit in Ärgeren Verruf gebracht, als der Streit, den man über
jeden einzelnen Buchstaben erhoben, und der subjective Scharfsinn,
den man in der Eonjektural-Diskussion über seinen Lautwerth ent-
ftiltet hat. Wenn jeder Philologe das Mehr oder Minder seines
Glaubens an die Richtigkeit der Erasmianischen Aussprache zur
Anwendung bringen und seiner wissenschafblichen üeberzeugung
gemäss lehren wollte, so hätten wir eine vollkommen autorisirte
Anatchie zu befllrehten. Wie viele Schattirungen wären da durch-
zumachen, von den unbedingten Anhängern des Brasmus, die dabei
doch, wie G. Hermann, der Billigkeit wegen, den Ae-Laut des «i
zugeben, von Anderen die sich durch die Autorität des Thukydidea
för den i-Laut des Oi gewinnen lassen, oder denen die Anekdote
des Cicero den av^Laut einleuchtend macht, bis zu denen die un-
beirrt und konsequent die Fahne der nationalen Aussprache auf-
rochthaltenl Der Egoismus der Massenwillkür ist es, an dem 1851
das entschiedene und feste Auftreten EUissens zu Schanden wurde.
Seine beredte Apologie der nationalgrieohischen Aussprache ver-
hallte nutzlos ; obwohl Niemand mit Erfolg zu widersprechen oder
das Gewicht der vorgebrachten Gründe zu verkennen wusste. Man
begnügte sieh damit, dass di( praktis<die Ausführung der Sache
ihre Schwierigkeiten habe, und bald triumphirte die Macht derGe-
ÜBT msMBBiBD Aimpiwira u/cB jjmcnmcutn» TVD
wolmiieit Tind der TrKglieii über die Zweifel «a der ünfeUbar^
keit des Baetebenden , die EUiseen geweckt hatte. Dieses erete
offieielle Missiingen der Reaehlinianer war um eo bedaaerlielier,
ah dadoreh ihren ferneren Bestrebmigen eine schiefe Bicbtnng anf-
gedrttekt wnrde. Beinah sehn Jahre lang hatte die Angelegenheit
geseUmnmert, da trat Borsian anf der Frankfurter PfailologenTer^
sammlxmg mit nenen Antr&gen hervor, die sehen als eine bedenk-
Kdn Verrtleknng des Standpunktes und nur als eine matte Kopie
d«r frfiheren erschienen. Er trat mit einer gewissen Yersöhnlieh-
lidikeit anf, so tossert die Klio vom 18. November 1864, die um
so bemeikenswerther war, als dadurch die nnablftssige Wuth des
germanischen Oeists gegen das ursprüngliche System erhellte ; M«s
htBv&Bv fpaviffovtab i} xg^ xa XQmtotvita ßvatruuxta axA&extog
fueifk rov ysfffuxvixov urtufunog. Bursian versuchte es nftmlioh
eine Vermitthing herbeizuftthren. Er wollte das, was sieh bei der
modernen Aussprache als unrichtig erweise, fallen lassen, und nur
das Festhalten, was sich nicht als falsch erweisen liess; also den
Ae-Laut des ca, und den t-Laut des st. Fthr die Konsonanten woUte
er die neugriechische Aussprache, für das oi den Oe-Lant, den er
SOS Inschriften und alten Yasen unumstösslicb festgestellt zu haben
glaubte, im üebrigen gab er der Macht des Bestehenden nach. Die
Sache war damit vollkommen auf den status quo zurttckgeführt.
Der Hittelweg war, wie es zu geschehen pflegt, ein halber Rück-
weg, und mit Recht machte Vischer darauf aufmerksam, dass man
nnr dk eine Wahl habe : entweder das Neue ganz zu nehmen, oder
bei dem Alten mit dem Bewusstsein zu bleiben, dass es f^ch sei.
Es konnte sich nur darum handeln, ob das Griechische eine lebende
Sprache ist, nnd dann musste man den Irrthum des Erasmus ganz
fter Bord werfen, oder ob es eine todte Sprache ist , und dann
war die Einftlhrung eines neuen noch so rationeUen Systems
vollkommen nutzlos. Bursian war um der SkyUa des Alt-Eras«-
nuanismus zu entfliehn der Gharybdis eines Neu^Erasmianismus vei>
Wien, der jenen um Nichts überbot. Die geschichtliche Entwicklung
fo ganzen Streitfrage hat dies Eine klar an's Licht gelegt , dass
^ Erasmianismus diejenige Lehre ist, die das subjective ürthefl
«n Stelle der ITeberlieferung setzt. Der Ausbreitung eines solchen
WiUtatrsjstems, das an der angeborenen vis inertiae der Massen
Beine Unterstützung findet, gilt es jetzt kr&fbigst entgegenzuwirken.
Sebwerlich wird noch Jemand glauben, dass der Geist desPerikles
oder des Demosthenes den Erasmus angewandelt und seine Zunge
gelöst habe, während er nur der traurigen Mystifikation des Hen^
nkos Glareanns nnterlag. Man kann aber ein ei&iger Anhftnger
der bei nns in Deutschland heimischen Methode , und doch dabei
der Ansicht sein, dass das €hriechische in Griechenland selbst anders
geklimgen hat, und dass es in der attischen Lichtsphäre anders
klingen muss, als unter unserem nordischen grauen Werkeltags-
bumnel. An die leichte, flüsternde und selbst zischelnde Bede, an
i4A ' Zur naÜMUikii Attaspr^eha det flricclitoebcn.
die häufige Wiederkehr des <f und des & gewöhnen wir uns im Lande
selbst sehr rasch, wenn es uns auch zuvor schien als sei es eine
Frofanation den Homerischen Vers nach der Art der Neuhellenen
zu lesen. Gewiss ist es ein nicht zu unterschätzendes Zeichen der
Besserung, dass die Männer, die das griechische Leben und die
griechische Sprache mit eigenen Augen und Ohren kennen lernten,
dass Thiersch, !Bo8s, Ellissen und Yischer sich für die nationale
Aussprache entschieden haben. Freudig erkennt man Im Lande
selbst, wie das, was auf der Schulbank gelernt wurde, Leben und
Bewegung wird; wie das Griechische nicht todt ist, sondern wie
die alte Zeit, wie manche homerische Erinnerung sich im moder-
nen Gewände auf rothen, frischen Lippen täglich schön erneut. Man
bedauert nur, dass man in der Jugend ein rauhklingendes, bar-
barisches Griechisch gelernt hat, und nun für die Gegenwart ge-
nöthigt wird umzulernen. Der Vortheil einer praktischen Verstän-
digung mit den Neugriechen wird zwar von den gelehrten Eras-
mianem als ganz unbedeutend hingestellt. Die Bekanntschaft mit
der neugriechischen Litteratur, so fügt man naserümpfend hinzu,
sei der Mühe nicht werth. Aber in dieser Verachtung gibt sich
nur die ünkenntniss des Verächters kund. Das Griechische ist
weder todt gewesen, noch ist es todt, imd das Leben der Sprache
und des Volkes lohnt reichlich, den der daran glauben will. Wenn
die richtige nationale Aussprache des Griechischen in ganz Europa
angenommen ist, und wenn die Griechen selbst sich entschlossen
haben ihre alte Syntax und Grammatik wieder anzunehmen, wenn
hier wie dort der eigentliche ünfag moderner Neuerung beseitigt
ist, dann kann man für eine weitere Zukunft, dann kann man mit
Herrn v. Eichthal für den Weltberuf der griechischen Sprache
arbeiten. Vorderhand aber thut es Noth, sich auf das Erreichbare
zu beschränken, um später vielleicht unerreichbar Scheinendes zu
erreichen. Der alte Irrthum des Erasmus darf in Deutschland nicht
länger geduldet werden. In Frankreich hat die Akademie sich gün-
stig für die Vorschläge des Herrn v. Eichthal ausgesprochen. Dort
im Lande der Centralisation kann rascher, als es bei unseren zer-
fahrenen Zuständen möglich ist, eine Beform der Schulen in*s Leben
treten. Sollte Deutschland in dieser Sache hinter England und
Frankreich zurückbleiben ? Die Schwierigkeiten sind nicht so gross,
wie sie sich die Trägheit ausmalt, die auch auf diesem Gebiete mit
den fälschlich konservativen Interessen Hand in Hand geht. Niemand
muthet den Lehrern zu, dass sie umlernen sollen, und die Schüler
werden sich rasch genug an die neue Form gewöhnen. Hat man
nur einmal in irgend einem deutschen Staat den ersten Versuch
gemacht, so wird der Erfolg für eine weitere Verbreitung des Systems
bürgen. C. Mendelssohn Barthold]^.
Vr. 10. HEIDEIB^EGGB 18<6.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Sjftiem des ErbreehU nach heutigem rötnieehen Recht. Von Dr. A,
Tettes, a. ö. Professor des römischen Rechts in Grats (Steier^
mark). 2 Bände. X, 310, Ylll und 612 Seiten. Läjmig. Breite
köpf u. Härid. 1864.
Der Herr Yerfasser beliandelt das römische Erbrecht in fol-
genden Abschnitten. L Erbrechtliche Omndbegriffe , II. Intestat-
erbfolge, XU. Testamentarische Erbfolge, IV. Erwerb der Erbschaft,
y. BechtsTerhältnisse , die durch den Erwerb begründet werden,
and Kechtsmittel, VI. Vermächtnisse, VIL. Mortis causa donatio und
capio, VIIL Notherbenrecht.
Die einzelnen Unterabschnitte beginnen meist mit einer histori-
schen Einleitung. Jeder von ihnen trftgt an der Spitze eine Mit-
theilnng der entsprechenden Titel des corpus juris und eine sehr
YoUständige Uebersicht der betreffenden Literatur, auch der neue-
steuL Den untern Theil fast ausnahmslos jeder Pagina bedeckt ein
reicher Abdruck von Quellenbelcgen für die oben auf der Seite vor-
getragenen Lehren. Durchschnittlich ein Drittel aller Seiten ftlllen
sie an. So wird dem Studium des Lesers Forschung wie Hand-
^branch wesentlich erleichtert. Aber auch der praktische Jurist
findet seinem Bedürfoiss streng Rechnung getragen. Jede Materie
ist sorgfältig bis auf den Stand des heute geltenden Rechts herab-
genllirt.
Den Inhalt betreffend, so musste, bei einem an schwierigen
Materien so reichen Gegenstande, wie das Erbrecht, die Angabe
des Verfassers in die beiden Unteraufgaben zerfaUen:
a) den vorhandenen Stoff, wie ihn nicht nur die Quellen Ue-
&m, sondern wie ihn auch die Männer der Wissenschaft durch den
Pleise von Jahrhunderten bisher zusammengetragen haben, soweit
er in fertigen Resultaten besteht, möglichst vollständig zu durch-
dringen, zu sichten und in geniessbarer Form wiederzugeben,
b) den noch unfertigen Stoff, namentlich die Materie der Con-
troversen, durch neue Ergebnisse eigener Forschung zu bereichem,
auch noch unbetretene Provinzen des zu durchwandernden Reiches
zn entdecken, zu betreten und vorzuführen.
Liest man das Vorwort, so drückt sich Verfasser fast so aus,
als wolle er sich ganz auf die erstere geringere Aufgabe beschrän-
ken, und auf den zweiten Ruhm ganz verzichten. Indess redet ex
hier offenbar in grosser Bescheidenheit. Denn in zahlreichen Ein-
zehnaterien betreffen wir ihn in derThat, wie ertheils die schwie-
rigeren Oebiete in neuer Richtung durchschneidet und seine ^ätze
LV1IL Jaln«. 2. Heft 10
mit neuen Ghründen nntersttttzty theils auch Wege betritt, die unares
Wififteift tor ibtn nöok Aiolit berülirt waren. Bei denControvereen glaubte
ev mit Beebt went^f^r «nf EUze, als auf OrfindliehlDeit der LOsnng
sehen zu sollen. Seine Art, eben die ControYersen und die sonsti-
gen schwierigen Materien zn bebandölii, verdient besonders Brwib-
nnng. Mit grosser Leichtigkeit und Uebersichtlichkeit der Dar-
stellung legt er dem Leser zun&chst die Yerschiedenen Ansichten
vor. Hierauf entwickelt er in gleich fasslicher Form und mit rieler
tTnparteiüchkeit die Gründe, welche fttr oder gegen die ehie oder
die andere dieser Ansichten sprechen. SchHesslicb gibt er kurz,
oorrect und klar, meist auch überzeugend, seine Entscheidung.
Beine Böbandltmg der Contröversen ist wirklich musterhaft zu nennen.
fti gesbhildertet Weise sind sie auch Bfimmtlich behandelt, wie
wit Überhaupt an keinem Tfaeile des Werkes Partien entdeckt haben,
die utis als matt, schwach oder an Flüchtigkeit oder Gteifftiosigkeit
kt^nketnd erschienen wUt^n. Ah Beispiele seiner Oontrotersen-
Behandlung nennen wir in §. 188 u. 139 seine ErOrtenmgen Aber
die Ibfekann'ten Streitfragen, welche Nov. 115 in Sirem dunklen
Böhoostie birgt t und ftirner in §. 19 b. Band L (S. 129—139) die
li9sung jener Frage, welche bei der 2. und 3. Classe der lortestai-
etbfolge auftaucht : > Wirkt das Wegfallen eines Delaten abündemd
laine auf den Maassstab der Vertheilung der Delation unter ^e
Dbrig bleibenden Mitdelaten? (in capita oder in lineas^ in capita
oder in stirpes? Z. B. bei Goncurrenz von Ascendenten mehreivr
liinito mit einem Bruder des Erblassers, wenn nämlich in der einen
Linie der Ascendenten mehr Delaten vorhanden sind, als in der
andern, und nun der Bruder ausschl>).
Die minder schwierige Aufgabe a. hat der Verf. in praktischer
Weise gelöst. Er ward ihr gerecht durch zweckmässige Kürzung
werthlos gewordener Materien, durch übersichtliche Anordnung des
behandelten Stoffes überhaupt, und durch leicht verständlichen Stil.
Im Einzelnen finden wir gleichwohl manches zu tadeln. Im
Ifot herbenrecht wüssten wir zwar nichts Wesentliches zu
nennen, was wir vermissen. Doch hätte dieses wichtige Gebiet im
Verhältniss zur Behandlung der übrigen Gebiete v^ohl eine noch
etwas ausführlichere Erörterung verdient. Erfreut hat es uns, zu
sehen, dass der Hr. Yerf. der ausgezeichneten neuesten Monographie
— Stihmidt^s >formalem Notherbenrecht c, 1862 — wenigstens einige
^vti»dibnte, besondere Berücksichtigung gewSlirt hat. Dies hUtte
jödbiA In noch weit höherem Grade der Fall sein sollen, wenn er
auch Schmidts Oorrections-System bek&mpft. Verftwsor vertheidigt
nÄmKch, beüäufijg gestogt, das volbtandige Derogationssystem, gibt
\ Übet danel)ön auch Söhmidf^B Endeigebniss, welcher seinerBeftsnur
^ für das römische Beich des 6. Jahrhunderts den Tortbestand dBs
Ifclten formalen Bechts der sui, postumi et emanoipati veri^eidi)gty
Bidht ittr das Deutschland des 19. Jahrhunderts. Hinsidrtlich der
fiec&tsmittd ans der Novelte vertheidigt der Verf., mit Schnaftt,
Agniil Apd^o^ BL KrM««r. 147
dia IfaUüfttsBysiiiDW dednoiri aW eiaa gwu oiiiBiürl devHioUig-
hat, ab dia SohnidA'aclw ist.
Nanh der AnBiahi dea Yesfiusfli» iai nKmltoh idM fipogaa die
HoftnefefalMde Tettonient an siisb gültig (ß. 477). BinfrtllitnB
IMantot irird dvrob daiSfleU)« an^ehofaMu 8tirb4 dar vanlatete
KotlttEbe vor dam SrblaaBer, ao bkibt as gttltig. Ueberlobt dkaar
du. ihMasaar, so tritt nun Ytm aelbfit die Nichtigkait der firbe-
tiBBfltnng- eia aad ae kommt sax latealateTfalölga.«
Mitaator batritt der YerfMeer diaA das Gabiet dar legialata-
mohea Prttfimg ttbar ZwookndMigkait der iGmisolien Bvbieahta-
Giflelsa, Basiantlioh Jnstimiait's« Hiaz eracfannfc uns dar Yarf.
aaiMkmsl als mgvaakt gegaa dieaaa fleisaigalaa and sagiaiok that-
kciftigstaB aller öeasiogeber, aach welahem mir Na{iQlaea ^^"fr'^^
Etfolga ammgen hat. Das Oralfideiaommiss a. B. neuit der
¥0i£ eiii»miasratfaeiie&Pnodakt« Jaatiiuaa's; mis dagageaarschaiiit
18 yiehariiir ala eia äasaecst zwedkmäasiges InafaitBt* Wie laioht
koBunt dev Fall vor: ein Kmaker hat aainaii irifcohata» Brban. am
■cb, seiofiiL Soha, aeineiii Bradar, aaine Matter; das äaricht ist
Ibqi, ei ist Tiellaiobt MitterBacht; 5 Zaugoa aiitdideht aofiratrelbeiL
Nor eine EroiikeiLw&rtenB YieHeioht ist da, die den sa Hom>vi-
nadanNadiiieht bringaa kami, er sei bedacht. Wir soUtaa meinen,
da sei es doch im hSehsten Grade zareekanäaeigi daas dar StaBbende
Boek in den Stand gesetzt ist, seinem anwesenden Brben als seinen
in Wahrheit letzten Willen nooh kars Tor dem letzten Aiheai-
age ein YezmaeUaüss anfzoerlagen an diejenigen, dia seinem Her»
na heb and theaer sind. In Ländecn, welche, wie Preaseen^ das
Ondfideioommiss abgeschafft haben, mßohten wir unarevseit gesade
wme WiedarauKtthrang wünsehett^ Sind wir sonach in manchen
Sisaehiheiten anderer Ansieht als der Bidrr Yerfasser, so mttsoon
vir dodi unser Urtheil über das Oanza darin sosaaunen fiassen,
daas wir dieses Werk der besonderen Beachtong sowohl der !n»aer»-
tiker ab Praktiker würdig erklttren.
K. VltMl^s, Assessor a. D.
L, Apulei MmdawtMiM Jpolofia doe de moßia Uh§r. EdidU Gutlu-
vtta Krueger. jBsrdim apttd WiUmatmoB, MDCOOLXIV
JXVJI und 124 B. m gr. 8.
Diese Ansgaibe ist eine rein kfitäsehe, insofam sie esaan anf
die ittteste handachriflliche Uebo^liefemng aar&kkgefidu^taa wad be*-
niMgfcen Text der barühimten Yertheidigongsreda des Appole^
gefaen soM, eines in mehr ala einer Hinsicht mtevesssoiten Dank*
aales dar itaischen Literatur, das salbst Yon Sesben der Sprache
«nd Diation vor den übrigen Schriften dmsaa Afiowaaera, snnttchst
der MatamoiphoBeBi sich Tortbeilhaft empfiehlt Za dieaemZiaeek
^U» ApaM Apdogla» Ed. Kruege».
war es vor Allem nOthig, die älteste handsohrifbliche üeberlieferang
zu ermitteln, welche mkch dem Yorgang von Keil in der auch doroh
die darin enthaltene zweite Hälfte der Annalen des Taoitos be-
kannten Florentiner Handschrift (Codex Lanrentianns Ll^YHI, 2)
ans dem elften Jahrhundert in longobardischer Schrift, und in der
anderen, daraus copirten Handschrift des zwölften Jahrhunderts
(Codex Laurentianus XXIX, 2) gefunden wird. Und da auf einem
jetzt in der MUnchener Bibliothek vorhandenen Exemplar derEditio
Yicentina von 1488 Petrus Yictorius die Yarianten einer von ihm
zu Florenz 1522 eingesehenen, ebenfalls in longobardischer Schrift
geschriebenen Handschrift bemerkt hatte, so war das Augenmerk
des Yer&ssers um so mehr auf diese Ausgabe gerichtet, als die
beigeschriebenen Yarianten eben der vorhin bemerkten ältesten
Handschrift entnommen zu sein schienen. Allein es zeigte sich
bald, bei näherer Einsicht, wie nothwendig es sei, auf jene Hand-
schrift selbst zurückzugehen, und nachdem der Herausgeber eine
CoUation derselben durch Prof. Joseph Müller zu Padua erhalten
hatte, fand sich zwischen dieser CoUation und den Angaben des
Yictorius, bei theilweiser Uebereinstimmung , doch eine so bedeu-
tende Yerschiedenheit , dass der Herausgeber zu der Ansicht ge-
führt wurde, Yictorius habe keine der beiden eben genannten Hand-
schriften, sondern eine andere, allerdings diesen sehr ähnliche, die
aber jetzt nicht mehr vorhanden oder irgend wo anders hinge-
kommen sei, vor sich gehabt (S. IX. X). Will man dieser Ausloht
nicht beipflichten, so wird kaum Etwas Anderes anzunehmen sein,
als dass die Yergleichung des Yictorius ungenau gewesen, was mit
dessen eigenen Worten in der Subscriptio (»recognovi — non sine
summa diligentia observavique quod soleo ut nihil in coUatione
praetermitterem, ne ea quidem, quae corrupta prima facie videban-
tur, ne emendaturo locus conjecturae deesset«) wenig übereinstimmt.
Sonach wird immerhin, wenn man die älteste Ueberlieferung er-
mitteln will, neben jener ältesten Handschrift und der Copie der^
selben auch diese CoUation des Yictorius zu beachten sein, wie
diess daher auch von dem Herausgeber geschehen ist, der in der dem
Texte untergesetzten Yarietas lectioms genau die Lesarten dieser
dreifachen Ueberlieferung mittheüt, und damit verbindet die Yarie-
tas der Editio Yicentina vom Jahre 1488 und der mit Einem
Zeichen zusammengefassten lectio vulgata; die Masse der übrigen
Yarianten fiel weg: denn der Herausgeber glaubte das, was H.EeiI
hinsichtUch der Metamorphosen bemerkt, eben so auch auf die
Apologia beziehen und anwenden zu können : »abjicienda jam reli-
quorom Ubromm discrepantia, qua inutiUter inventio veri impedi-
tnr et genuina scriptura obruitnr, abjicienda inquam ista variarum
scripturanun moles per tot annorum spatia ab editoribus coacta,
quam rudi et taedii plena fiirragine composuit Hildebrandius.« So
ist also diese ganze »furago«, wie sie in HUdebrand*s Ausgabe sich
snsammgesteUt findet, in Wegfall gekommen, worüber sich unser
A]mM Ap^logli. Ea. Kmeger. im
Eemuigeber folgendermasBen ftossert: »apparatnin mmm criticum
schreibt er S. XV, onerare nolvi mole illa Hildebrandiana leetioniiiii
deteriomm, qnae qnidem hodie stemmate Apnlei libroniin manii«
seriptorom cognito non niri pro erroribn^ habendaa sont Tri pro
interpolatioiiibas ex librarii arbitrio scriptoris yerbie immiztis yel
pro eonjecioris: satis igitur habni baue qnam volgatam diemit
leetionem non nimqiiam in anzilinm Tooare, contra nibil antiqnins
dsxi, qnam nt apparatn meo imaginem oodioam Florentinorani a
DM adhibitomm repraesentarem qnam accnratissimam.« Es ist
aoeh 90 wabrfaaftig nocb genug ttbrig geblieben; denn es finden
sich in der vom Herausgeber nnter dem Text sorgfältig zn*
sammengestellten Varietes lectionis alle Abweiohnngen jener ftlte»
sken Florentiner Handscbrift, welcbe die eigentliche Ghrondlage des
Textes bildet, so wie der andern Florentiner, und der Collation des
Vietoriiis, selbst bis anf Kleinigkeiten angegeben; wo nichts b^
neikt ist, ist damit die üebereinstimmnng des Textes mit diesen
nrkimdlichen Qaellen angedeutet. Aber auch weiter wurden bei der
Behandlung des Textes ausser den Terschiedenen bekannten Ans-
gibeii der Werke des Appulejus, insbesondere die Yerbesserangen
TOB Is. Oasaubonus^ von welchen nicht wenige durch die Floren-
tiner Handschrift sich jetzt bestätigt fanden, beachtet und sogar,
wegen der Bedeutung der Leistungen dieses Gelehrten um die Kritik
^ Appulejus, dessen Vorwort von Jos. Scaliger, so wie der An-
&Bg der Castigationes aus dessen Ausgabe hier S. XXIIff. wieder
ftbgedmckt, endlich auch eben dieses 3caliger*s Emendationen
au der zweiten Ausgabe des Yulcanins (von 1600). Eigene Ver-
^Meeenmgen oder Gonjectnren haben nur wenige eine Stelle gefun-
den: darüber, wie über Anderes, namentlich ttber die Handschrift,
ns welcher Yictorius CoUation genommen ist , will der Heraus-
geber in einem besonderem Programm sich des Näheren aussprechen.
Endlieh ist noch zu erwähnen, dass die SteUen der alten Schrift-
BieOer, der Griechischen wie der Lateinischen, auf welche in dem
Texte des Appulejus Bezug genommen ist, unter dem Texte, zwi*
Khen diesem und der Yarietas Lectionis stehen.
Man mag hiemach bemessen, was man von dem hier auf
^^dlage der ältesten handschriftlichen Urkunde, gelieferten Texte
m erwarten hat, der mit aller auch typographischen Sorgfalt und
(Weetheit yeranstaltet sogar auf dem einen Band jeder Seite die
entsprechenden Seitenzahlen der Oudendorp'schen Ausgabe bemerkt,
^Sbrend am andern Bande die Blätter der beiden Florentiner Codd.
>vgegeben sind. Li eine Theüung des (ranzen in zwei Bücher (nach
^. 65 bei Oudendorp Yol. 11. p. 588) hat sich der Herausgeber
^1^ eingelassen, sondern nur durch einen grösseren freigelassenen
8«im im Druck des Textes eine derartige Andeutung gegeben, ob-
woU die beiden Florentiner Handschriften diese Theilung sowohl
^ wo sie eintritt, also am Schlüsse des angeblich ersten Buches,
^ auch am Schlüsse des Ganzen, also des zweiten Buches durch
IM Apvkl Apdo^ JQft. Kttig9t4
dm ge^l^hslMM Esplioit und Incaipii ftuf das bestiimnieste angeben
und diese Angalbe »nf das : »Ego Oriepos Salnstius emeudftyi Borne
feHx« folgen iMses: es n^hte daiSfiiiS dodk so viel herrorgehen,
dftse iua Bade des yierten christlichen Jahrhimderis, in welche Zeit
das Lehen und die Beeensicm dieses Ghrammatikers flült» diese
Theikug schon bestanden, nnd dieser Grammatiker sie entweder
selbst eiagefUfart, oder^ was uns glaablicher erseheint, bereits tot*
gefondeu nnd beibehalten: was allerdmgs ftlr Beibehaltung dieser
ofienbar zur Beqnemliehkeit der Leser, aber jedenfalls sohon sehr
firttike gemachten Abtheihmg auch in «nserm Texte sprechen
dürften nur darf man daran nieht die Ansicht knüpfen, dass
es zwei Beden gewesen, und ist die in der Yicentina editio
V0n ItöS befindliche Aufschrift >Apologiae oratio ftecunda«
in so fem eine iurthümliche , nieht aber die der beiden Floren-
tiner Handschrifben: liber primns nnd liber secnndns.
Denn dass dae Gänse nnr Eine Bede war, zeigt der Inhalt
zu deutlich f als dass darüber ein Zweifel obwalten könnte!
Darin dagegen folgt der Heransgeber seinen beiden Handsdirifboi,
dass er den Kamen des Verfassers nicht mit dem doppelten p, son-
dern mit dem einfachen pTgibt, also > Apnlei Madaurensis Apo-
logia«, während er das in diesen Handschriften nach Apulei
folgende Flatonioi im Titel weggelassen hat. Im üebrigen wird
man baid finden, dass der Herausgeber mit aller Umsicht bei der
Behandlung des Textes in schwierigen und verdorbenen Stellen ver-
fahren ist: wir verweisen, zur Probe, nur auf die Behandlung der
Stelle, in welcher die aus Ennius (in ihrem Titel noch nicht völlig
sioher gestellten) Sohriffc genommenen Verse stehen (cp. 89« p. 484
bei Oodendorp), welche vielfach von den neueren Kritikern b«-
handelt worden, und ist daher auch auf dieselben durchweg Bück-
siehi genommen; den Titel der Schrift des Ennius g^ibt derHeraus'-
geber mit »hedjphageticac und nähert sich damit dem Vorschlag
von Vahlen, welcher Heduphagetioa emendirte: wir halten
dies unter den verst^edenea Titeln, die man in Vorschlag ge<^
bracht hat, für den wahrscheinlichsten, wenn auch gleich die beiden
Florentiner Ebindschriften, welche hedesphagitioa bringen, nicht
ga&£ damit übereinstimmen.
Dem ürtheil, das der Herausgeber tlber die in dieser Schrift
des AppulejoA herrschende Sprache gefWt hat, so wie der weiteren
Folgerung, die er daraus in Bezug auf die Zeit der Abfassung der^
selben zieht, wird man unhedenklich beipflichten können. Was
Bnhnken seiner Zeit über die Sprache, deren sich Appulejus in der
Apologia bedient, urtheilte: »tam vacuus est his ineptiis scholasti-
eis, nt eins orationi nihil, aut certe non multum ad summant
Sanitätern deesse videaturc wird Jeder, der die Apologie auch nnr
mit eiuiger Aufmerksamkeit durchlesen hat, wahr und begründet
finden, Ja es zeigt die ganze Sprache und Darstellung eine Ein«
&ohheit, und auch mit ganz wenigen Ausnahmen eine Beinheit dea
Behillings! OnrndriM der MtugMchlehia. IM
StyiB, wie mtm mt in d«n ZeHftlier , in welehds diese Sede ftUi^
knan mehr eh erwarten gewohnt ist, nunal wenn man an Sohrtft-
steDer, wie anSeneca nnd Fronte, tun mar dieee m nennen^ denkt;
imd wenn Bnlinken dm oben angefOhrten Worten noch hinaR^llgti
>ad qnem modom si ceteros libros sonpeieeet, sine nl)a «icepttone
emn Mnreto Yar. Leet. XVII, 19 eraditom inprimis et yenustom
Bdiptorem yocaremc, so nimmt onser Heraasgeber darans Yeran-
hesong, auf den Unterschied aufmerksam za machen, der in dieser
Hinsidht xwisohen der Apologia, und den ttbrigen Sehriften dee
i^ppolejns, nm&chst den Metamorphosen stattfindet, nnd hinsichtlich
6ex Apologia anf eine frtlhere Abfassnngszeit hinweist, in welcher
der airikanische Schwnlst nnd Bombast noch nicht den jnngen Mann,
der eben von seinen Reisen nach seiner Heimath mrückgekommen
war, in dem Orade ergriffen hatte, in welchem wir diese bei den
Metamorphosen finden, die sich eben dadoreh als ein Weik der
schon Torgerliekteren Lebenszeit sn erkennen geben. — Am BchhiBBe
dee Clansen 8. 145 fil sind noch abgedmckt: Josephi Jnsti
Sealigeri Emendationes ex editione qnam diemitValcani secnn»
dam exoeptae, woranf S. 119ff. ein Index Nominnm folgt.
Samuel SehillinffB Ortmdri$$ der Naiurgachiehie de» Tkier-,
Pßanaen' und Mneräireieh». Dritter Theü. Das Minerdtreieh.
OrykiognoeU und Otognerie. Achte, vermehrte und verbeeeerle
Außei^, Mit 629 in den Text tfedruekten Ähbüdungen, BretHttu,
Vetleiff wm Ferdinand Hirt. 1864. 8. 8. 181.
Ißt vieler Bachkenntniss nnd sehr geeigneter Answahl hat der
Yerfl in der vorliegenden achten Anfiage seines Werkes auf dem
Umfang von eilf Druckbogen das für den Schüler Wissenswertheste
znsammMigestellt .
Die erste Abtheihmg (S. 1^69) umfosst die Mineralogie. Nach
einer allgemeinen Einleitung werden die krjstallographischen Yer-
hSltnisee der Mineralien, von zahlreichen Abbildnngen begleitet,
erldart; daran reiht sich die Lehre von den physischen nnd chem!«
sehen Eigenschaften der Mineralien; alsdann werden die wichtig-
sten Substanzen beschrieben imd insbesondere anf deren Yerwen-
dmig die gehörige BfiLcksicht genommen. Bei sehr vielen Speeies
die krjstallisirt vorkommen sind kleine, gut ansgefOhrte Kr^staU«
büder be^iefUgt.
Der zweite Abschnitt (S. 69— 115) enthalt die Qeognosie. Der
Verfiisser hat sehr recht gethan, dass er sich an den praktischeren
Theü dieser Wissenschc^, an die eigentliche Geognosie h< nnd
dim mehr theoretischen Theil, die Geologie, weniger berücksichtigt.
Es sind daher im zweiten Abschnitt gerade diejenigen Zweige der
Qeognosie, deren Eenntniss für den AnfUnger am nothwendigsten,
1$Z Piderii: Gelüni und Geist.
am «asführlichgten behandelt, nämUoh die Fetrographie tmd die
Lehre von den Gebirgs-Formationen. Die vielen in den Text ge-
druckten Abbildungen von Petrefacten, von Profilen lassen was
Ausfiüirang betrifft nichts zu wünschen übrig und tragen wesent-
lich zur sdmelleren Auffassung bei« G. Leonhard«
2kir Vergtändigung über dta Herrn Prof, v. Rächlin-Meldegg KriUk
der Schrifl: Gehirn und Geist von Dr. Th. Pider it (C. F.
Winterte Verlagahandlung) in Nr. 1 der Heidelberger Jahr--
bucher 1864.
Der Verfasser der recensirten Schrift; ist, nach langjähriger
Abwesenheit, vor Kurzem in die Heimath zurückgekehrt, und ver-
spätet kommt ihm jetzt die Kritik des Herrn Prof. v. Beichlin-
Meldegg zu Händen. Erfreut durch das eingehende Interesse, wel-
ches der Herr Ref., wenn auch als Gegner, der Schrift widmet,
fühlt. sich der Verfasser zu nachstehenden Zeilen angeregt, und
hofft, dass sie im Stande sein werden, einige Missverständnisse
aufzuklären, widerstreitende Ansichtenrzu versöhnen und dem Gegen-
stande nachträglich noch einige Beachtung zuzuwenden.
Die Menschen sind so stolz auf ihre geistigen Vorzüge, und
doch hat sich, seltsamer Weise, für psychologische Fragen immer
nur ein kleines Publikum gefunden. Diese Klage ist so alt wie
die Psychologie selber. Die Schwierigkeit des Gegenstandes kann
kaum der Grund sein ; Pascal klagt, dass er bei den Menschen noch
viel weuiger Interesse für Psychologie als für die Probleme der
Mathematik gefunden habe. Der Grund wird vielmehr vorzugsweise
in der resignirten Ueberzeugung der Menschen zu suchen sein, dass
wir über die letzten Gründe des Denkens nichts wissen können, —
>thut ihnen aber nicht das Herz verbrennen!« — Wie dem auch
sei, Hegel leugnet nicht, dass die Psychologie seit Aristoteles keine
Fortschritte gemacht habe.
Verf. hat den Versuch gewagt, der Psychologie eine entwick-
lungsfähige Grundlage zu geben, indem er psychologische That-
sachen aus physiologischen Gründen zu erklären sucht. Verf. geht
von der Ueberzeugung aus, dass die Gesetze der Geistesthätigkeit
eben so gewiss unklar bleiben müssen ohne Kenntniss der Gesetze
des Geistesorgans — des Gehirns, wie die Gesetze des Sehens un-
klar sein würden ohne eine genaue Kenntniss des Gesichtsorgans
— des Auges. Dem Menschen würden ebenso gewiss die Gesetze
der Optik unbekannt geblieben sein^ wenn er sie, ohne physikalische
Untersuchung des Auges, nur aus den von ihm wahrgenommenen Ge-
sichtseindrücken hätte abstrahiren und construiren wollen, wie ihm
die Gesetze derGeistesthätigkeit unverständlich bleiben müssen, solange
er nur von Innen heraus, aus den Producten seiner Geistesthätig-
Pl4erit: QMn laA Galtt IW
bit, ans de& innem Tliatsaehen des Bewasstseins auf die Qmnd-
machflii der (^eisieBth&tigkeit znrflckzaschliessen sucht.
Aber die Physiologie des Oehims ist ans leider bis heute noch
eis Baeh mit sieben Siegeln.
Die gleiche Entstehung und Zusammensetzung der beiden innig
Torbimdenen Nervenoentra — des Rückenmarks und des Gehirns
reruilasst nun den Verf. su dem Versuche, die Oehimth&tigkeit lu
erkl&ren, indem er die bekannten Gesetze der Bückenmarksthtttig-
kait auf das unbekannte Feld der Gehimthfttigkeit übertragt. Der
Harr Bef. wirfk ein, dass sich auf Wahrscheinlichkeiten keine
Wissenschaft erbauen lasse, aber stets hat doch die Wissenschaft
lieh so lange mit dem Wahrscheinlichsten begnügen müssen, bis die
Wahrheit gefunden war, sie wird stets zu Hypothesen ihre Zuflucht
nahmen müssen, wo ihr exacte Thatsachen fehlen, und auf dem
dorahaus hypothetischen Felde der Psychologie wird die Wissen-
lebaft, unter den gebotenen Hypothesen, sich für die wahrschein-
lichste entscheiden müssen. Der vom Verf. eingeschUgene Weg
bietet den Yortheil, dass er sich der exacten Naturforschung mSg-
fifihst nähert, dass er zu einfachen, physiologischen Gesetzen führt
uid es fragt sich nun, ob, mit Hülfe dieser einfachen Gesetze, das
eomplicirte Getriebe der menschlichen Geistesthatigkeit erklärt
▼erden kann. Ist dieses müglich, so werden jene Gesetze gültig
sein dürfen, so lange sie nicht durch neue physiologische That-
Bschen widerlegt werden.
Bekanntlich besteht das Bückenmark aus einer empfindenden
nnd aus einer bewegenden Hälfte; dem analog supponirt der Verf.
im Geistesorgan ein Vorstellungsorgan und ein Willensorgan. Das
Vonrtellungsorgan ist anzusehn als das Centralorgan sämmtlicher
Sinnesorgane. Die vom Vorstellungsorgane aufgenommenen und
festgehaltenen Sinneseindrücke werden zu (concreten) Vorstellungen.
Wie femer durch eine Erregung der empfindenden Bückenmarks-
Qer?en eine Erregung der bewegenden veranlasst wird, so soll durch
eine Erregung des Vorstellungsorgans eine Erregung des Willens-
organs verursacht werden. (Die Bezeichnung Wille hat der Verf.
Ar das, von ihm definirte psychische Beflexvermögen gewählt, weil
sich eben keine bessere finden lassen woUte, und wo von Willen die
Bede ist, darf nicht vergessen werden , dass damit durchaus nicht
ein selbstbewuBstes, seine Thätigkeit selbst bestimmendes Geistes-
vennOgen bezeichnet wird.) Die Erregung des Willensorgans geht
^bdann entweder centrifugal weiter auf die bewegenden Bücken-
oiarksnerven, (und dann entstehn Muskelbewegungen) oder sie geht
zentripetal zurück auf ihre Erregungsursache d. h. auf das Vor-
stelhngsorgan. Die auf Vorstellungen einwirkende Willensthätig-
bit aber ist Denkthätigkeit.
Eine genauere Ausführung der vom Verf. aufgestellten Gründ-
et» würde natürlich hier zu weit führen Es sei nur noch er-
w&hat, dass der auf Vorstellungen wirkende Willenseinfluss zunächst
Yortletlniigsassociaitioiien reranlasst, imd dass atis BökAien Voiv
BteUnngskreifMm die am nmsten prSponderirenden VorsteBangefi
(Tirgl. d»rfll>er den Text) immer wieder am kiohtesten anregend auf
das WillensyermOgen zurückwirken. Die Prodnote and Beeoltate
der atif Yorffielkmgen geriebteien Willensth&tigkeit werden wiederum
zu Vorsteltongen , und so erlernt der kindücbe Geist allnüllilig,
dttrdi ErttAtnmg und üebong, die F&bigkeit, Vorsteilnngen zweek-
mftflsig zusammenzuBtellen und zu vergleioben , geordnet und
logisch zu denken, ftbnlicli wie das Kind allmSblig, dureh ErÜEih-
rung und üebung, aus den Wirkungen absicbtsloser Muskelbe-
wegungen die F&bigkeit erlernt, zweckmassige Muskelbewegungen
auszuftlbren. Somit w&re der Geist die Einbeit dualistisober l[rftfbe,
welobe, durob fortwftbrende Wecbselwirkung, sieb gegenseitig wecken,
anregen und rervollkommnen. In dieser Weise Iftsst sich das ganze
compHcirte Getriebe der G^istestbätigkeit auf das einfache Gesete
der Beflexwirknng zurOokfÜbren, und wir braueben, zur Erkl&mng
der Geistestbatigkeit, nicht Zuflucht zu nebmidn zu Ursachen, welche
in der Naturwissenschaft; ohne Analogie sind. 8elbstbewus8tsein
ist nicht angeboren, sondern es entwickelt sich allm&hlig, alsPro-
duct der sich entwickelnden und gegenseitig beeinfluss^iden Geistee-
vermQgen. Verf. yergleieht die Geistestbatigkeit mit dem Zeugunge-
processe, das VorstellungsyermOgen mit dem weiblichen, das Willens-
vermögen mit dem männlichen Principe, und wird vom Herrn Bef.
getadelt, weil die Willenstbätigkeit (nach des Verf. Theorie) immer
nur als Reflex yon (angeregten) Vorstellungen ersobmne, weil das
WiliensYermögen also vom VorstellungsyermOgen abh&ngig sei, weil
dessbalb das Willensvermögen unmöglich das Zeugende sein könne
(S. 11). Aber besteht doch das männliche Zeugungsrermögen als
solches auch nur durch seinen Gegensatz zum weiblichen; das
männliche Princip bedarf der Anregung von Seiten des weiblichen,
um sich zu bethfttigen, und wie das Weibliche gegenüber dem Männ-
lichen, so ist auch die Vorstellung gegenüber dem Willen — Ur-
sache einer Wirkung, deren Ziel wiederum die Ursache ist — . Dass
übrigens dieser Vergleich nicht in jeder Beziehung zutreffend ist»
und (seiner Natur nach) hinkt, giebt der Verf. gern zu.
Nachdem er auf diese Weise versucht hat die Elementarkräfte
des menschlichen Geistes festzustellen, und den Mechanismus ihrer
Thätigkeit zu erklären, zeigt der Verf. dann weiter, wie der Mensch
vorzugsweise durch seine Sprache, durch das Denken mit Worten,
befähigt werde zu der ihn vor allen andern Geschöpfen auszeich«
nenden Fertigkeit im Erzeugen und Denken abstracter Vorstellun-
gen. Der Herr Bef. bemerkt dagegen, dass die Sprache nicht die
Ursache, sondern die Wirkung des Abstractionsvermögens sei. —
Ganz gewiss! Es wird auch nur behauptet, dass die Fähigkeit
abstraete Vorstellungen zu bilden, sehr enge Gränzen haben würde»
wenn der Mensch die ihrer Natur nach unbestimmten, abstracten
Voirrtellnngen nicht fassbarer, gegenständlicher, für die geistige
Ptderllt CMta ta« CW»t 106
Vemteitang geeigneter maoben ktante, indem er sie an efln Wort
faiflpft. Das Wort ist gleichsam das ooncrete Symbol der abstraetea
Vorstelhmg, nnd indem sich der Mensch ge'^öhnt, seine abstra^Aen
VontellvAgen als Werte su denken, erlangt er aUmllilig die Per-
tigknt ebenso leicht ans abstraoten YorsteUtingen eine abstraetere
KU hilden, wie er ans conoreten Vorstellungen eine oonerete bUdet.
Da« aber das Bilden abstraoter Yorstellnngen anoh ohne Sprache
mSglieh sei, erwilhnt der Verf. ansdrackHoh, indem er das Geistes-
leben der Tanbstnmmen schildert.
Was den Vonmrf anbetrifft, dass Verf. den Sats anlMellt:
»Wellen sei im Orande ein Mflssenl« tmd doch bald darauf Ton
einer besohiftnkten Willensfreiheit redet, so ist der Widersprach
in diesen Sfttsen wohl nnr ein scheinbarer. Verf. constatirt nur
einestheils die bekannte Thatsache, dass man sich nnter Terschie*
denen Wegen für einen entscheiden kann, nnd sacht andemthefls
naefazttweisen, dass, wenn esmOglich w&re, die MotiTe ansresfini-'
sdihisfles immer bis zn den letzten Ursachen sa Terfolgen, alsdann
angsbome Neignngen, Beispiel, Emehong, körperliches Befinden
ü. 8. w., dem Indiyidnam meistens nnbewnsst, eine Yorstellang so
prtpenderirend macht, dass sie bestimmend, zwingend aaf den
WiDen einwirkt.
Der Herr Bef« ist nicht befriedigt von der physiologischen
Einleitang tmd meint, wenn beim verlängerten Hark das Athmen
Q&d Schlacken erklärt werde, so gebe das wenig Anfschlnss fOr
peyehologisGlie Fragen. Verf. hat aber geglaabt, aof dem von ihm
eingesch^enen Wege am leichtesten nnd sichersten vom Yerstand-
nin der nnwiUkOrlichen Bewegungen zum Yerst&ndnisB der will-
bbliofaen and bewassten Bewegongen vorzadringen. Er erklärt za-
Blchst die einfache und anwillkttrHche Reflexbewegung, welche durch
das Bückensnark, unabhängig vom Oeistesorgan , vermittelt wird ;
aisdinn die complicirten , unwillkürlichen Athem- und Schluckbe-
wegangen, welche durch das verlängerte Mark, ebenfalls unab-
^^^ vom Geistesorgan, veranlasst werden ; von diesen Bewegun-
gen kommt er auf die absichtslos gewollten (noch einmal sei wieder-
holt, dass hier der Wille nicht als ein selbstbewusstes Geistes-
▼ennQgen za verstehn ist) und endlich auf die absichtlichen Be-
wegmigen.
Der Yerütsser hat als nächstes und hauptsächlichstes Ziel
»iner Arbeit die Aufgabe verfolgt, die Denkthätigkeit physiologisch
ni erklären, und damit die örundsfttr.e einer physiologischen Psy-
chologie festzustellen. Haben sich diese einmal als haltbar er-
wiesen, so liesse sich darauf ein vollständiges System physiologi-
scher Psychologie ohne grosse Schwierigkeit errichten. Solches lag
al>er einstweilen nicht in der Absicht des Yerf«, und was er ttber
die Aifecte und aber das Gemttth sagt, sind nur Andeutungen. Die
bitischen B^nerkungen, welche der HerrBef. an diese Andeutun-
gea knftpft (8« 10), beziehen sich im Wesentlichen darauf, dass der
156 Pl4erils Gehini und Geist
YerfieuBset sich erlaubt hat, jenen Begriffen eine andere nnd allge-
meinere Bedeutung zu geben, als sie im gewöhnlichen Sprachge*
brauch haben.
Wichtig und sehr richtig aber ist die Bemerkung des Herrn
Bef. (S. 5 und 6), dass des Verf. Definition der: »Begriffe, Seele
und Geist sich schwerlich mit einer rein materialistischen An-
schauungsweise vereinigen lasse.« Diese zu vertreten lag auch nicht
in des Verf. Absicht, im Gegentheil glaubt er, dass er sich mit
seiner Definition auf einen Standpunkt gestellt hat, wo eine Ver-
söhnung und Verständigung der materialistischen und der spiritua-
listischen Anschauungsweise möglich ist, wenn er auch absichtlich
vermieden hat, auf diese Fragen einzugehn. Zunächst sucht er das
Feld seiner Untersuchung genau zu umgränzen, indem er die Be-
griffe Seele und Geist definirt und von einander trennt. G^ist ist
ihm etwas Erklärbares, Seele etwas ünerklärbares» Geistesthätig-
keit ist dem Verf. gleichbedeutend mit Gehimthätigkeit , das Ge-
hirn aber ist, wie jedes Organ des Körpers, der physiologischen
Untersuchung zugänglich, und die Functionen des Gehirns mit dem
vorhandenen physiologischen Material zu erklären, ist der Zweck
seiner Arbeit. Seele hingegen ist dem Verf. die organische Kraft,
vermöge welcher ein Organismus sich aus seinem Keime entwickelt
und, während der Lebensdauer, besteht. Offenbar können wir jede
Einzelseele ansehen als Theil einer allgemeinen Kraft — einer ür-
seele, deren Wirkungen in den zahllosen Pflanzen und Thierformen
unsrer Erde zur Erscheinung kommen. Der Herr Bef. meint, dass,
wenn (nach der Erklärong des Verf.) das Wesentliche der Seelen-
kraft in einer: »planmässigen Entwicklung und zweckmässigen Ein-
richtung« sich kund gebe, ebensowohl auch die unorganische Natur
unter dem Einflüsse der Urseele stehn könne. Verf. hat aber, um nicht
zu vage zu werden, geglaubt, nur das als Wirkungen derselben
Kraft zusammenfassen zu dürfen, was der Mensch allenfalls noch
als zusammengehörig übersehn kann — das Beich der oi*ganischen
Wesen. Jenseits dieses Begriffes liegt das gränzenlose Feld der
Ahnungen und des Glaubens. Allerdings wäre es möglich, dass
unsere Erde, mit all ihren organischen und unorganischen Existen-
zen, wiederum nur einem gewaltigen siderischen Organismus ange-
hört, und möglich wäre es auch, dass die (vom Verf. definirte)
ürseele nnr eine der Kräfte ist, vermöge welcher ein persönlicher
Gott »die Welt im Innersten zusammenhält.« Dann wäre die ür-
seele eine Wirkung Gottes, die Einzelseele eine Wirkung der Ur-
seele, das Gehirn (als Theil des Organismus) eine Wirkung der
Einzelseele, das Denken eine Wirkung des Gehirns und also schliess-
lich, auf die letzte Ursache zurückgehend, das Denken eine Wirkung
Gottes. — —
Diese Abschweifung möge nur zeigen, dass sich mit der Theorie
des Verf. eine deistische oder spiritualistische Anschauungsweise
wqU in Einklang bringen lassen könnte, und dass der Verf. den
• IPidarll: GMbim «ad 0«iai 157
lelsien SeUüsaen der materialiBtischen Sobule keineswegs beixn-
treten braucht, wenn er yersuchii den Mechanismus der Denkthätig-
keit physiologisch zu erklttren.
Der Verf. wfirde sich glücklich schätzen, wenn es ihm gelänge,
des Herrn Bef. zn einer wiederholten Prflfong der Ton ihm ent-
wickelten Ansichten anzoregen. Dr« Th« PMerit*
Erwiedernng.
Der Herr Yerf. will der Psychologie eine »entwickelnngsfthige
Gnmdlage« geben, indem er »psychologische Thatsachen ans physio-
k)gi8chen Gründen« zn erklären versucht. Er überträgt die (besetze
der Bfickemnarksthätigkeit auf das »unbekannte Feld der <}ehim-
ihstigkeit.« Weil das Bückenmark aus einer »empfindenden« und
einer »bewegenden Hälfte« besteht, so soll auch das Gehirn oder
Geistesorgan aus einem Yorstellungs^ und WiUensorgan bestehen.
Wie die empfindenden Bückenmarksnerven eine Erregung der be-
wegenden veranlassen, so soll durch eine Erregung des Vorstellnngs-
organs eine Erregung des Willensorgans verursacht werden. Die
Erregung des Willensorgans veranlasst in centrifugaler Bichtung
doreh Einwirkung auf die bewegenden Bückenmarksnerven die
Mnakelbewegungen oder in centripetaler Bichtung durch Bückwir-
bmg auf das Yorstellungsorgan die Gedanken, indem die »auf
die Vorstellungen einwirkende Willensthätigkeit die Denkthätig-
keit« ist.
So soll die Physiologie des Gehirns in der angedeuteten Art
»die entwiekelungsföhige Grundlage« der Psychologie werden. Der
Herr Verf. sagt aber in obiger Erwiederung, dass »die Physiologie
des Gehirns uns leider bis heute noch ein Buch mit sieben Siegeln
seu« Ist dieses verschlossene apokalyptische Buch durch die Schrift :
Gehirn und Geist geöffnet, oder hat man den Schlüssel zurOeffaung
deaselben durch die sonst verdienstlichen Bemühungen des Herrn
VeifEvssers gefunden?
Bef. hat in seiner Becension der Schrift (Heidelberger Jahrbücher,
1864,8.4 — 11) Zweifel dagegen erhoben und er gesteht, dass diese
daieh obige Erwiederung ihm nicht gelöst erscheinen. Der Herr
^erf. gesteht selbst in seiner Erwiederung ein« dass seine Ansicht
nur eine Hypothese sei, nennt aber zugleich das Gebiet der Psy-
chologie ein »durchaus hypothetisches Feld«, und bemerkt, dass hier
»die exacten Thatsachen fehlen«, und dass das Feld der Gehim-
th&tigkeit »ein unbekanntes« seL
Durch die Physiologie des Gehirns, dessen Thätigkeit ein
»unbekanntes Feld« genannt wird, sollen die Gesetze der Geistes*
thätigkeit verständlich werden. Denn sie müssen nach des Herrn
Veit in obiger Erwiederung ausgesprochener Ansicht »so lange un-
verBtändliidi bleiben , so lange der Mensch nnr ¥0«i Iimefi betwos,
ans den Produkten seiner Oeistesthätigkeit , aus den ionem Tbat-
sachen des Bewnsstseins auf die Grvmdursaobe der Geistestbfttigkeit
za schliessen versucht, c
Der Herr Yer£, wiU in seiner Gehimlehre znr »Hypetheae«
die »2ufl|icbt nehmen«, weil »die exacten Thatsa<^n« Cshleo,. Qiebt
es aber gewissere, exactere Thatsachen, als die unseres Bewnsstseins ?
Giebt es überhaupt eine andere G^ewissheit, als die uns dadurch
wird, dass das Gewisse Thatsache des Bewnsstseins ist? Die Welt
und die Wissenschaft ist Thatsache unseres Bewnsstseins. Es ist
daher immer noch zuverlässiger, eine Wissenschaft der Seele auf
absohlt gewisse Thatsachen, anf das unmittelbar Vorhandene zu
bauen und von diesem Gewissen als Wirkung auf die Besohaffen?^
heit der Ursache zu schliessen, als mit dem Herrn Verf. zu einem
uns leider bis heute »mit sieben Siegeln yerschlosseiien Budie«
oder zu Hypothese in Beziehung auf ein Organ die Zuflucht zu
nahmen, dessen Thtttigkeit ein »unbekanntes Feld« ist.
So würde also der Wille das Prineip der GeistestiiMiigkeit.
Seine Wirkung auf die VorsteUnngen ist die Denkthtttigkeit, seine
Wirknng auf die Bückenmarksnerven bedingt die Bewegung, Der
Herr Verf. versteht aber unter Willen das nicht, was die Spraohe
darunter versteht. Ihm ist der Wille das »psychische Beflexver-
mögen«« £r hat den Namen nur deshalb gewählt, »weil sich eben
kein besserer finden lassen wollte. € »Wo von Willen die Bedj» ist,
beisst es in obiger Srwiederung, darf nicht vergessen werden, dass
damit durchaus nicht ein selbstbewusstes, seine Thtttigkeit selbst
bestimmendes Geistesvermögen bezeichnet wird.€
Wie können aber die Gedanken, Begriffe, ürtheile, Schlüsse,
Ideen und Ideale des Geistes durch ein Geistesorgan erklftrt wer-
den» dflfS weder selbstbewusst ist, noch sich selbst bestimmt? Doreh
Sinwirkung auf die Vorstelluj»gcai? Ist und bleibt dieses nicht ein
blosses Wort? Eine Einwirkung der Beflexnerven auf die Neriven des
VofsteUttngSQrgans soU, wie der Herr Verf. meint, dieses hervor-
rufen ? Seiches ist und bleibt unerklärlich. Man kann aJiier überall nioht
das Unerklärliche durch das Unerklärliche erklären. Müsste nioht
qu allereirst das Selbstbewuastsein Torhanden sein und läset sich
seine Entstehung ans der Einwirkung reflexiver Nerventhätigkeit
auf sensitive Nerven erklären? Wie kommt der »WiUanseinflusa« zu
»VorsteUungsassociationen«, wenn er weder selbstbewusst ist, nodi
sich salbst bestimmen, kann?
Der Geist wird demnach von dem Hm. Verfl »die Einheit dualisti-
scher Kräfte« genannt, »welche durch fortwährende WeohseiwirkQng
sich gegenseitig wecken, anregen und vervoUkommneoi. < Das Selbstbe'-
wnsstsein i^t ein »Frodu^ der sich entwickelnden und gegenseitig
teeinflnssenden Geistesvermögen.« Die Geisteethäti^keit ist aber
tdie Function des Gehim&« Es müsste also der Geist die Einheit
dar HiiafimetioBeQ seiii^ rmi es wäre dadurch isa Wosen das Qm-
Btes nickt im Miadesten beg^ea oder klar gemacht. Das Wesen
des Geistes ist das Selbstbewnsstsein; hier aber wird das Wesen
m eiäiem Prodnete zweier verschiedener Hirnfdnctionan gemacht,
deren mrsprüsf^Uche Versehiedeiaheit nur eine > Hypothese c ist und
«noh «icl^t das QeriAgste zur Be^^ifliohkeit dcpr Entstebang des
Bewnsstseins beiträgt* Die zwei Organe des Hirns, das der Vor-
dMkmgs^ nnd dasder WiUeasthtttigkeit, werden in deer Schrift des
Hensn Ver£ mtt den Oirganen des ZeagimgEfprooesses ¥eirgUieben,
deasen SesnUat das Selbstbewnsstsein ist» Das Yorstellwigsver-
saögem soU das weibticbe, das WillenfiTcnnögen das männliche Princip
sein. fieC hat dagegen in seiner Becension 8. 11 das Bedenken
aiosge^rochan , dass ja nach dem Herrn Verf. selbst »der WiUe
imaMr nur der Beflex der Yorstellnng und darch diese bestimmet,
das Yon dem Yorstellangsprincip abhängige Princip sei| also nn-
magfaA das zeugende, männliche, beCmohtende Princip aein Könne.«
Dm Ermadarong des Uexxn Vart hat die Zweifel des Bet Jiicht
l»6S0itigt. Der Herr Ver&aser kann das Unpassende seiner Yer-
^eiofaaag «idit durch die Benierkuig beseitigen, dass ^das mttnn-
lisha Z0ngang8¥enn(^en als solches nur durch scEinen öegeasatz
wmm weiblichen bestehe«, dass das »männUohe der Anregung vqn
Seite des weiblichen bedürfe, um sich zubethätigen.« Das wincende,
thfttige Priac^ bei der Zeugung ist das nUUmlichfe, das emf^a-
gende, von ihm abhängige das w^bliche Zeugui^princip. Dar Ver-
gleich des männlichen Princips passt daher auf den von dem Yor-
BteUnngsorgan abhängigen Willen, die Beflexrichtnng, nicht* Gesteht
doch der Herr Verf. selbst in seiner Erwiederung zUt dass »dieser
Yaxgleioh nicht in jeder Beziehung zutreffend ist und seiner STatur
naeh hinkt.«
Der Herr Vasf. ist alao nicht im Stande, durch den »Meehams-
mnsc der Himthätigkeit das »Denken abstracter VorsteQqngein« zu
«rldftren.
Auch ist denelbe mit d^s Sefer. Bemerku«g eiavexatanden,
>da8s die Sprache niobt dvs Ursache, sondern die Wirkung des Ab-
BtractionsyermOgens sei.«
Bef. hat femer in seiner Becension auf den Widerspruch hin-
gewiesen, dass der Herr Verf. auf der einen Seite die Freiheit des
Willens als eine sehr bedingungsweise zugibt und den »denkenden
Mensohengeist in seiner Freiheit in gewisse Grenzen bannt« und auf
der andern Seite den Willen »nicht als ein Vermögen anerkennt,
welches seine Thätigkeit selbst bestimmt«, das Wollen bestimmt
sein lässt »durch Ursachen, welche ausser ihm liegen«, so dass
»das Wollen im Grunde ein Müssen ist« (S. 11). Dieser dem Herrn
Verf. vorgeworfene Widerspruch wird durch die Erwiederung nicht
beseitigt, »dass man sich unter verschiedenen Wegen ftlr einen
entscheiden könne« und dass, »wenn es möglich wäre, die Motive
160 Fiderit: Geblrn nna Öeist
unseres Entschlasses immer bis zu den letzten Ursachen zu yer-
folgen, alsdann angeborene Neigungen, Beispiel, Erziehung, körper-
liches Befinden u. 8. w. dem Individuum meistens eine Vorstellung
so präponderirend macht, dass sie bestimmend, zwingend auf
den Willen wirkt, < Das heisst wohl den Widerspruch durch die
Negation der Freiheit aufheben. Ein Wille, der gezwungen wird,
ist nicht frei.
Dass durch die Erklärung des Athmens und Schluckens beim
verlängerten Mark die psychologischen Fragen nicht erklärt werden,
wird wohl nicht geläugnet werden können, die in der Erwiederung
angedeutete Stufenfolge von diesen mechanischen Thätigkeiten bis
zu den absichtlichen Bewegungen des Willens wäre erst noch zu
erweisen und wird auf dem von dem Herrn Verf. betretenen Wege
der blossen Reflexbewegung als des eigentlichen Princips nie erwie-
sen werden können.
Die Bedenken, welche der ünterzeichnet>e in seiner Becension
geltend gemacht hat, sind durch obige Erwiederung nicht beseitigt.
Allerdings lassen sich die Begriffe Seele und Geist, wie sie
der Herr Verf. giebt und noch weiter in seiner Erwiederung er-
klärt , schwerlich mit einer materialistischen Anschauungsweise ver-
einigen, aber in welchem Zusammenhange stehen solche Ansichten,
mit der durchaus materialistischen Erklärungsweise der Geistes-
thätigkeit in der Schrift des Hm. Verf. und mit dessen Ansicht vom
Geiste als »einer Function des Gehirns« ? Wenn »Geistesthätigkeit mit
G^himthätigkeit gleich bedeutend ist«, wie abermals in der Erwiede-
rung wiederholt wird, so ist nicht abzusehen, wie eine materiali-
stische Ansicht vom Geiste umgangen, und durch den Materialis-
mus selbst dieser mit dem Idealismus »versöhnt« werden könnte.
Die weiteren, am Schlüsse der Erwiederung stehenden Bemerkungen
stehen mit dem Inhalte der Schrift: Gehirn und Geist in keinem
folgerichtigen Zusammenhange.
Bef. muss daher bei der in seiner Becension ausgesprochenen
Ansicht beharren. Amicus Socrates, amicus Plato, sed magis amica
Teritas. V. Reichlin-Meldegg.
Ii. 11. UEIDEL6ER6EK 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Diu Leben und die Lehre des Mohammed nach bisher grösaientheOs
unbenütsten Quellen bearbeitet von A. Sprenger. Band UL
Berlin, Nicolai 1865. CLXXX und 654 8. gr. 8.
In der 180 Seiten starken Vorrede oder eigentlich Einleitung
m diesem 3. und letzten Bande, beantwortet der gelehrte Verf.
zaerst die Frage: wie es Mohammed gelungen, seiner Lehre Ein-
gang zu verschaffen? Die Moslimen antworten auf diese Frage:
durch die Macht seines Wortes, durch sein Qenie und seine Offen-
barung; seine nichtmoslimischen Bewxmderer glauben diess, und
fELhren als Beweis dafür die raschen Siege, die weite Verbreitung
and die lange Dauer der von ihm gegründeten Religion an. Man
vergisst aber hierbei, dass bald nach seinem Tode der grössere
Theil der Halbinsel wieder abtrünnig wurde, weil ein Theil der
Araber nur gezwungen, ein anderer nur bestochen dem neuen
Glanben huldigte, und dass eigentlich erst Abu Bekr und Omar die
Stifter der islamitischen Macht waren. Letzterer ganz besonders,
welcher nicht nur unter Abu Bekr, sondern schon unter Mohammed,
vom Tage seiner Bekehrung an, den grössten Einfluss auf die Begie-
ning übte. Omar, der weder Furcht noch Halbheit kannte, hat,
wie Bef. schon in seiner Chalifengeschichte dargethan*), dem Islam
erst Leben und Kraft eingehaucht. Erst nach seinem üebertritt
wagte es der schwache und wanckelmüthige Prophet mit seiner
Religion an das Tageslicht zu treten. Er war der Einzige, welcher
den Muth hatte, aus seiner Auswanderung nach Medina kein Ge-
heimnisB zu machen, er scheute den Krieg von Bedr nicht, trotz
der üeberlegenheit des Feindes, und nicht seine Schuld war es,
dass Mohammed von Hudeibijeh heimkehrte, ohne die Pilger-
fahrt vollzogen zu haben. Mohammed selbst war weder ein genia-
ler Mann, noch ein reiner Charakter, er hat sich unverzeihlicher
Missgriffe schuldig gemacht, die uns nicht nur, wie der Verfasser
bemerkt, an seiner Kühnheit, sondern auch an seinem Muthe, sei-
ner Entschlossenheit und seiner Aufrichtigkeit zweifeln lassen Er
erkannte, in der Hofinung die Mekkaner dadurch zu gewinnen, die
Götzen als Fürsprecher bei Gott an, und erklärte bald darauf
weü er in seiner Hoffhxmg sich getäuscht sah, diese Anerkennung
als eine Eingebung des Satans. Er befahl, um sich die Juden
Medina*s geneigt zu machen, dass man beim Gebete sich nach
Jerusalem wende, und das Versöhnungsfest feiere, als sie aber den-
*) 8. Bind L 8. 181ff.
LVm. Jahrg. 8. Heft 11
' JUS Bpreftger: Lebfn Mi>kain«d*8.
noch ihn verspotteten, mnsste man sich nach Mekka wenden nnd
im Bamadhan fasten. Der Koran selbst ist so reich an Wider-
sprteben nnd widemifefien und modificirten Gesetsen und Lehren,
das9 wir dem Verf. beistimmen, wenn er behauptet, es wäre ein Glück
ftLr die Beligion Mohammed*8 gewesen, wenn er seine firttheren
Offenbarungen mit wenigen Ausnahmen hätte unterdrücken können.
Der Erfolg des Islams lag einerseits in dem nach der Einwande-
rung vieler Juden und Christen mehr und mehr erwachenden Be-
dürfnisse nach einer neuen geoffenbarten Religion, denn das Christen-
thum mit seinen Dogmen war zu mysteriös fUr den schlichten
Araber und das Judenthum mit seinen (re- und Verboten zu lästig
für den Bewohner der Wüste. Man fing aber an den Götzendienst
^ü verwerfen und an ein Jenseits zu glauben mit seiner Vergeltung,
man bedurfte nur noch einer göttlichen Autorität, eines Propheten,
der es verstand, Judenthum und Christenthum den Arabern mund-
gerecht zu machen. Mohammed war, mit allen seinen physischen,
moralischen und geistigen Gebrechen und Schwächen, zum Theil
gerade durch dieselben, zum Propheten gestempelt. Ohne klare und
scharf bestimmte Begriffe war er doch von einer Idee behemcht,
die er mit Zähigkeit festhielt und mit grosser Gewandtheit aus-
sprach. Dabei war er in der ersten Zeit ein Selbstgetäuschter und
besass später die Verstellxmgsgabe in so hohem Grade, dass seine
innere üeberzeugung sowohl als seine erheuchelte Wärme wahr-
haft hinreissend war. Diese Gaben und Eigenschaften reichten je-
doch nur bei Einzelnen aus, die grosse Masse der indifferenten
Araber wurde von dieser rein geistigen Bewegung kaum berührt.
Aeussere umstände, die Verfolgungssucht der Mekkauer, nöthigten
ihn kriegerischem Unternehmungsgeist und Todesverachtung die
Härtyrerkrone und den schönsten Lohn im Paradiese zuzusprechen«
Die Erfolge, welche er thatkräftigen Männern wie Omar, Hamza
und Anderen verdankte, Erfolge, welche neben der Aussicht auf
Cdensfreuden auch zeitliche Vortheile, Beute und Herrschaft ein-
brachten, fahrten nach und nach die nomadischen Völker Arabiens
unter die Fahne des Islams. Schon zu andern Zeiten hatten die
Araber als Eroberer die benachbarten Provinzen überschwemmt,
diessmal aber drangen sie weiter, weil eine einheitliche Führung
ihre Schritte lenkte und weil Persien sowohl als Egypten und
Syrien so schlecht regiert und so in sich selbst zerfallen war, dass
ed nur eines kräftigen Anstosses bedurfte, um das morsche Ge-
bäude Über den Haufen zu werfen.
Aber nur der nüchterne Europäer fasst die Entstehungsge*
Schichte des Islams b solcher Weise auf, der Moslim bewundert
seinen Propheten auch wo wir ihn belächeln oder verdammen, nuA
sieht nur die göttliche Thätigkeit zur Verherrlichung des Istama
in Dingen, die wir uns in ganz natürlicher Weise erklären. Die
moslimischen Quellen haben daher eine dogmatische Färbung, aach
die ältesten Biographen, die auf uns gekoauaen *iad, enthalten
6]>vtBf«r: UbM MobMune^V AM
adi€o tmI Sagenhaftes imd würden weiursehftinVioh noefa Tiel weiter
lünter dem kisiorieeiieii Mohammed snrtiokbkibcn , oder Itber ihn
hinansgehen, wenn nicht der Koran, der schon iukUv Mohammed
verbreitet war, nnd bald naeh seinem Tode gesammelt wordSi
ihren Phantasi^ebilden eine Schranke gesetxt hätte« Damm ist
such der Islam, abgesehen von seiner eigenen Bedeutung, eine fir
jeäB Seügionsgeschiehte hdehst beachtenswerthe firseheinang, weU
SBine £ntstehnng gewissermassen docomentarisoh , wenigstens in
seinen Hanptsfigen, yor uns liegt, während die Anfinge anderer
Weltnriigionen in Dunkel gehüllt sind nnd ohne sohrifüicbe Ooor
tole längere Zeit riel mehr als der Islam durch mündliche Tr»-
diliion entstellt werden konnten.
Der Verf. bespricht in der Einleitung die Tevschiedenen Quellen
der Propbetengeschiehte , die er in Biographie, Buan^, Ooraucom-
meBiaje nnd Qenealogien eintheiH, wir üolgen ihm hi4M: nicht, da
sdion bei Besprechung des ersten Bandes dieser Gegsnatand er^
Ürtert worden ist.
Bas Werk selbst zerfällt in acht Kapitel, (Kap. 17 »-24) neh^
einem Anhang zu Kap. 17 und 18. Im ersten ist von den i«b»
gissen und politisdien Einrichtungen Mohammed'p in Medina die
BiBdmj yon seiner Ankunft daselbst, bis cum Treffen von Badr.
Dahin gehört zunächst die Erbauung einer Moschee in sehr be-
scheidenen Dimensionen, deren Bauart jedodi als Mnstw für spätere
Tempel galt, die Verbrüderung zwischen den Ausgewanderten und
den Glänbigen Msdina's, welche so weit ging, daas sie einander,
mit Ausschluss der Blutverwandten, beerbten. In seiner Lehre iat
Mohammed in der ersten Z^t seines Aufenthalts in Medina sehr
tolerant und spricht nahezu die Gleichberecbtigung der yerschie-
denan Beligionen aus. Er neigt sich mehr zu Juden und Christen
Mn, weil ihm die heidnischen Araber den Bücken zukehren, als er
eher auch hier keinen Anklang fand, stieg er vom juden-christlichen
Mktirer zxmi selbständigen Propheten empor. Diese neneWendnng
trat, wie schon erwähnt, mit der Aenderung der Gesichtsriohtung
benn Oebete ein. Dass aber auch diess von Omar herrühre, ist
jshwer sn beweisen, da die darauf bezügliche Tradition anders gep
deutet wind (B. Beidhawi zu dieser Stelle) und mussala doch
flieht gleichbedeutend mit kiblah ist^ was gewöhnlich ftir die
fiiektung beim Gebete gebraucht wird. Nicht ganz genau ist auch
Iblgender Zusatz des Verf. »Omar bestimmte die Grenzen der Hallv>
insel und verfUgte dass alle Einwohne sich bekehren mussten.
Die wiederstrebenden Heiden sollen hingerichtet werden, die SchriAr
heeÜEer des Landes rerwiesen werden«, da nur die Verbannung der
indcB imd Ghristen tou Omar, die Ausrottung der Heiden aber
von Mohammed selbst herrührt, und yon AU bei dem Pilgerfeste
des Jahres 631 -verkündigt wurde. ' unwahrscheinlich ist auch die
Behttuptnn^, dass Mohamnied nach Abschaffung des yon den Jndea
istoiiftirten Jom Eipur die Quadragerima der Cbxisten. eingefiährt
164 Sprenger: Leben Mohemmed^s.
liabey denn abgesehen dayon, dass er in Medina gar keinen Qmnd
hatte, eich christlichen Gebräuchen anzubequemen, ist auch in keiner
Traditiondie Bede davon, sondern nur von drei Festtagen in jedem
Monate. Der Eoransvers 11. 179 kann übrigens auch einfach be-
deuten, »Oott hat euch eine Anzahl Tage zu Fasttagen bestimmt,
wie er es bei den Völkern vor euch gehalten«, ohne dass daraas
gefolgert werden könne, die moslimischen Fasten müssten an Zahl
und in der Zeit mit den Frühem übereingestimmt haben. Dieser
Vers steht femer ohne Zweifel in Verbindung mit den beiden fol-
genden, wo der Bamadhan ausdrücklich genannt wird. Vers 181
kommt das Wort furkan vor, und kann hier sich nur auf den
Koran beziehen, welcher so genannt wird, weil er Becht von Un-
recht, Wahrheit von Lüge scheidet. Dasselbe Wort kommt Sur.
YiU, 42 vor, wo Gott, wie Beidhawi bemerkt, die Kämpfer für die
Wahrheit von den Götzendienern unterschied. Nach Hm. Sprenger
8oU aber der Tag des Furkan der Ostersonntag bedeuten, was
allerdings auch sonderbar in dem Munde Mohammed*s klingt, der
gar nicht an eine Auferstehung Christi glaubt, weil er ja die Kreuzi-
gung Christi läugnet.
Der Anhang zum 17. Kapitel ist überschrieben: »Die Frauen
des Propheten € und enthält wenig Neues, das der Erwähnung werth
wäre. Mit dem 18. Kapitel beginnt die Erzählung der Baubzüge
Mohammed*s bis zur Schlacht von Badr (623 — 624). Da diese
Baubzüge zunächst gegen die Mekkanischen Karawanen gerichtet
waren, so schickt der Verf. schätzbare Mittheilungen über den
Handel Arabiens und besonders der Stadt Mekka voraus. Die
Schlacht von Bedr setzt der Verf. mit Becht auf Freitag den 19.
Bamadhan (16. März) und wir können für seine Vermuthung, dass
19 mit 17 verwechselt worden ist, als Beweis anführen, dass manche
Traditionen Mohammed Montag den 8. Bamadhan von Medina auf-
brechen lassen, woraus sich doch ergibt, dass wenn der Schlachttag,
wie ziemlich allgemein behauptet wird, ein Freitag war, er am 19.
sein musste. Zu den Einzelnheiten der Züge selbst, welche sich
mit unwesentlichen Abweichungen auch bei Ihn Hischam finden,
ist wenig zu bemerken. S. 114 irrt der Verf., wenn er behauptet,
Ibn Ishak berichte, Mohammed habe erst von Dzafiran aus
Kundschafter geschickt, da dieser Biograph (S. 434) doch erzählt,
Mohammed habe diess schon vor seinem Eintritt in den Engpass
von Safra gethan. Ebenso irrig ist die Behauptung, Mohammed
habe verlangt, dass statt der Medinenser seine nächsten Verwandten
die Herausforderung der Mekkaner annähmen, da im Gegentheil
Jhn Ishak (p. 448) berichtet, die Mekkaner haben, als ihnen
Medinenser zum Zweikampfe entgegentraten, gesagt : mit euch haben
wir nichts zu thun, Mohammed lasse Männer von unserm Geschlechte
hervortreten, die uns ebenbürtig sind »und erst hierauf forderte
Mohammed Hamza, AU und übeida auf, sich mit den Gegnern zu
messen. Viel neues Thatsächliohes ist auch hier nicht zu erwähnen
Sprenger: Leben MohMunedV 169
oad sehr hftafig wo der Verf. Issaba nnd andere von ihm soargi
benntzten Quellen ciiirt, könnte er eben so gnt den Bltem Ibn
Isbak anfUiren. Wir wollen diess nnr an einem Beispiele «eigen.
S. 125 lieast man im Texte: »Nach der Schlacht warfen die Sieger
die Todten der Feinde in einen Brunnen. Mohammed rief ihnen
zu: ihr habt meine Weissagungen für Lügen gehalten, jetzt aber
hat euch das Stra^richt erreicht.« Hiezu liesst man in einer Note :
» Abd Allah Ibn Saydan erzählt von seinem Vater (bei I^aba) : Der
Prophet stand vor dem Brunnen, in welchen [nach der Schlacht
Yon Badr?] die Todten geworfen wurden, und sagte: ist in Er-
flülung gegangen was euer Herr euch yerheissen hattet Die
Anwesenden fragten: wie, hören die Todten? er erwiederte:
Allerdings, aber sie antworten nicht.« Dafür liesst man bei n>n
Ishak (S. 254): »Humeid Attawil hat mir yon Anas Ibn Kalik
berichtet: die Gefährten Mohammed's haben gehört, wie Mohammed
mitten in der Nacht rief: o ihr Männer der Oisteme I o Otba Ibn
Babia, o Scheiba, o Omejja, o Abu Djahl und Andere, die noch in
d^ Cisteme waren, habt ihr die Yerheissung eures Herrn wahr
gelunden? ich habe die meines Herrn wahr gefunden. Die Mos*
limen sagten ihm: rufst du Leuten zu, die schon Leichen sind?
er erwiederte: ihr höret nicht besser was ich sage, als sie, aber
sie können mir nicht antworten.« (YergL auch Sprenger Note 1.
3. 194, u. Ibn Ishak S. 747. Spr. Note 1 zu S. 217 u. Ibnlshak
p. 685. Spr. S. 307 u. Ibn Ishak p. 964^-965. Spr. S. 384. Note 2»
u. Ibn Ishak p. 885. Spr. S, 367. Note 1, u Ibn Ishak p. 986)
Viel wissenswerthes findet sich in dem ersten Anhang su Kap. 18,
über die Tauschmittel der Araber, weniger in dem zweiten An*
hang, welcher einen Brief Orwa's über die Schlacht von Badr
enthalt.
Das 19. Kapitel lumdelt yon dem Meuchelmorde Mohammed*8|
yon der Vertreibung jüdischer Stämme, yon andern kleinen Kriegen,
yon der Ohodschlacht und der Belagerung yon Medina (März 624
bis April 627). S. 158 ist die Veranlassung zum Kriege gegen
die Benu Nadhir in einer Weise dargestellt, dass es eigentlich gar
keine war und Mohammed müsste demnach in wohlüberdachterweise
Freund und Feind belogen haben, um einen abscheulichen Treu*
bmch zu üben — aber dessen bedurfte doch gewiss Mohammed um
diese Zeit nicht, denn die geringste Bauferei zwischen einem Mos-
lim und Juden hätte ihm einen Vorwand zum Kriege geben können,
einen bessern als den eines erdichteten Mordplans yon Seiten der
Juden. Wir glauben daher, dass nur das erdichtet ist, dassMoh.
yom Engel Gabriel gewarnt worden sei, nehmen aber an, dass
irgend ein Feind der Juden ihm hinterbrachte, sie gingen damit
um,' ihn zu ermorden, dass er es in seiner Angst glaubte und
dayonlief, dann aber, um yor den Moslimen nicht zu Schanden zu
werden, den Engel Gabriel als Hinterbringer fingirte. Die übrigen
Erzählungen stimmen mit den bekannten Traditionen ttberein, ent-
ttO S^rvng e^r: LeMb Mohftinaied*8i
buHen j«döch muiohe riohtige kritische Bem^rkong tind Tf^rir^fi^
liobe geo^apfaisohe Erläatelningen.
Im 20. Kapitel wird d«r Krieg geg^n die Benu Kureiea dmt*
geteilt« hebst einigen BbubzOgen und der Pilgerfahrt bis Hndeibijah
(iA|»ril 627 bia62d). 6. 219 heiadt es: »Sie (die Juden) sahen eln^r
ICftlh^Ina [Yertilgnng] entgegen« dazu in einer Kote: »es ist
diees ein hebräischee Wort^ weloheft in Weissagungen oder» wena
Ten AtLÜofai^st die Bede ist, gebracht wird«, es ist Aber einfaoh
dalB hebräische Wott Milhamah, welches »Krieg« bedeutet« Bei
dei: Erzählung des keldenmttthigen Todes des Zubeir Iba Bata,
wbibhem Mohammed^ in Folge der Fürbitte eines Freundee, Lebdli»
Fatniüe und Qut Schetken wollte » nennt der Verf. seine Quell«
nioht« sie weicht in niehreren Paukten von der Ibn Hischams ab.
BM Dieseti (pag. 691---692) fehlen die Worte: »ich bitte dich
bei dem filnduss, dbn ich auf dich habe, mich tiicht zil jenem
blütdttrtrtiigen Manne, welcher die Häuptlinge der Kureiaiten hat
ttfdten lassen» sondert auf deb Bichtplatz zu führen.« Aucheinigeft
Teb dem Felgenden fehlt» ist aber unweeentlich, auch der Schluss,
bei ßpreäiger, demzufolge der Jude den Freund ertuoht^ Mohalnmed
4i bitten, seiAer Fo^aa und seinen Kindenl di^ Freiheit bu sohenkea,
fehlt bei Ibn Ishttk tutd wohl mit Biecht, deiib es harmonirt nicht
gans Biit dem üebrigen. Auch ist kaum denkbar, dass Modime
Wt)H& eihes Juden teferiten, der Mohataimed eihen BlutdtMtigen
ntaa^ dah^t der Yerfv jedeiifeills in einer Note eeitie Quelle h&tte
aitf&bren sblM. Br fügt ttbrigens eelbst, atn Schlüsse stiuer Er-
a^HlluBg^ hinzuc »Ich be^ftnmdere den H«ldetam«th des greisen Juden^
welcher dae Schicksal seiner Freunde thetkn WoUte; abet ich be-
wundere no^ inehr die Berichteretlatter. Diese Darstellung ist
allmälig von den Traditionisten erweitert worden, und sie ist t^U*-
erdeter in Höuem als in alten Yersionen. Sie ist daher niöht Elgen-
ijum ein«s MIanneB, seodem mehterel: Generationen von grao«
b9(ttigeii T\raditionisteB4 Der Soldat hftlt es fAr Ehr^nsathe» dem
Vw^de Q^reoMigkeit wider&hren tu, lassen^ voh Verbrecherii wenden
oft ZU^ von Grossmuth «rzählt, und es hat Bftuber gegeben,
welche ihrer Mildthätigkelt wUiehi berOhmt gewotden sind, selbet
Fürsten uhd ihte Schergen haben in seltenen Fällen Achtung fdlr
die Grnmdsättse ihrer poUtibchen Gegner mi den Tag gelegt; bher
d^es ist der einsige mir bektnnte Fall, daes Theologen BeWunde-
rwm für den Heldenmuth eines Andersgläubigen aufagesprocben
liaben^ Und tch zweifle^ Ob in allen sechzig Foliobänden der Bo^
labdlsten auch nur ein Oharakterzug votkomäit, welel^r dem mensCb»
Uehto HerzMi so vifd Ehre macht, als diese moslinkische Schilde^
rung des Todes eines heldetamüthigen Juden.«
Seht Versehieden von Ibn Hischam lautet auch die Darstellung
des Zuges u4ch Hildeibijah, bei Spi^nger, der aber hier Buchaci
als »eitoea Gewührsmann anführt* Nach Erstereüi Ichlug Mohamitiedy
sobald er temahm, dasä die Reiter der Kureischiten ihm ent-
8prtBt«r: Uk4m Uotmoauti^w. Iti
gegemOgea, emtn beiehwerlichen steinigten üafweg nach Mekka
ein, worauf jene, ans Furcht, Mohammed möchte die Stadt Aber*
fiükn, eich anoh wieder snrQckzogen und in der Nähe der Stadt
eampirien. Nach Sprenger sagt Mohammed, als ihm die Nachriebt
Tcm den Bewegungen der Mekkaner hinterbracht wurde, n den
Tsraammelten Gl&nbigen: »Qebet mir euren Bath, soUen wir sie
nielit umgehen und nneem Marsch gegen die Familien der FreWer
wanden, welche uns den Zutritt zu den Heiligthttmem wehren?
Wtmm ihre Armee dazwischen kommt und uns in der AusAUumog
hind«riv eo ist es gerade so, als hätten wir die von Boar über«
brachte Kunde nicht benutzt. Gelingt es uns aber die Stadt unr
entdeckt zu tberÜEÜlen, so k9nnen wir sie ausrauben and ihnm
Sehaden zufttgen. Abu Bekr erhob sich gegen die unehrliche Art
dar KriegfOhrung und sagte: Du bist gekommen um zum heiligen
Tempel zu wallfahrten. Wenn sie dir den Zutritt verwehren, dann
wollen wir ihnen im offenen Kampfe begegnen.« Hierauf wird dann
berichtet, daas die mohammedanischen Beiter auf die feindliche
Beiterei stiess, und Mohammed ihnen befahl vonurücken und (trotz
ihrer geringen Zahl) den ersten Anprall aoszuhalten, bis er seine
Lenia in Schlachtordnung aufgestellt haben wtürde, dass aber Chalid
es nicht wagte, sich mit den Moslimen zu messen. Schliesslich
wird aber doch auch erzählt, dass die Moslimen dann ttber Felsen
und Schluchten, auf denen ihnen die Beiterei nicht folgen konnte,
vorwärts zogen. Hier war doch offenbar die Tradition Ibn Ishaks
der Baoharis vorzuziehen, denn erstens klingen die Worte Abu
Bekr's gar nicht abereinstimmend mit dem ganzen damaligen Krieg»-
geeetze der Mohammedaner, das zu jeder Zeit und in jeder Weise
den Feind des Glanbens zu überlisten gestattet, ja sogar befiehlt,
dann ist der BUcksug Chalid*s nuY^ahrsoheinlich, und wenn dieser
wiridich statthatte, Mohammed*s Abweichen von dem bessern Wegs
schwer zu erklären. - Eben so wenig Glauben verdient der Bericht
nach Taimi (p. 245), demzufolge ein moslimisches Corps in die
Stadt gedrsagen wäre, und bei der Kaaba mehrere Kureisehit^
an^egriflen und gebunden nach Hudeibijah geschleppt hätte. Aneh
ist die Tradition Ibn Ishak's glaubwürdiger, der nichts davon er*
wähnt, dass Mohammedaner in die Stadt gedrungen, was jft
fS&geti den Be£shl Mohammed's hätte geschehen müssen, sondern
unr, dass ein Btreifoorps der Mekkaaer von 40^^50 Mann, welches
das mohammedanische Lager umkreiste, aufgefangen und vorMtdi»
geführt wurde, der die Gefangenen begnadi|^, obgleich sie geigen
die Moüimen Steine und Pfeile geschleudert hatten.
Seite 247 sagt der Verf.: ^Nach der Erzählung des Ibnlshak
war die Oährung (Über den Waffenstillstand) so gross, dass dW
MoBÜmen daraof und daran waren, sich ins Yerderben zu stürzent
d. h. den Propheten zu verlassen.« Diess ist aber doch nicht mit
den Warten hata kädu jahlakuna gemeint, sondexm einlMh
vor Aerger und Schmerz vergingen.
JM BprtDger: lieben Hobammad's.
Die Ueberschrift des 21. Kapitels lautet: »Gesandschafben.
Eroberung Ton Chaybar. Abfinden mit einem Nebenpropheten.
(April 628 bis Ende 629.)« Bei den Gesandtschaften erwähnt der
Verf., ausser den schon bekannten, an die Fürsten von Persien
und Byzanz, an den Mukaukas von Egypten, den Ref. auch für
den Häuptling der Kopten hält, und an mehrere persische oder
byzantinische Präfekten, noch einige Andere an verschiedene ara*
bische Häuptlinge. Bei der Yertheilung der Beute von Chaybar
(S. 274) findet sich ein kleines Versehen. Der Verf. schreibt:
»Es stellte sich heraus, dass 1600 yon ihnen Anspruch auf die
Beute hatten, davon waren 200 zu Pferde und erhielten also doppel-
ten Antheil.€ Dann weiter unten: > Nachdem er (Mohammed) sein
Fünfkel genommen hatte, theilte der Kommissarius den Rest in
achtzehn Haufen, je einen für hundert Mann (mit Einschluss der
Pferde) und dann wurden die Haufen unter denen, welche Antheil
daran hatten, versteigert. € Nach dem mohammedanischen Gesetze
hatten aber die Reiter nicht einen doppelten, sondern einen
dreifachen Antheil an der Beute anzusprechen, einen für die
Person und zwei für das Pferd, es mussten demnach 2000 Haufen
gemacht werden, nämlich 1400 für das Fussvolk und 600 für die
Reiter. Bei Ibn Ishak (p. 774) ist auch von 18 Haufen die Rede,
aber die Zahl der Theilhaber wird nur auf 1400 angegeben, wor-
unter 200 Reiter.
Die Betrachtung des Verf. über die Polgen der Siege Moham-
med's über die Juden wollen wir, da wir ihm vollkommen bei-
stimmen, hier vollständig mittheilen. Nach seiner Berechnung
waren seine Revenuen nach der Eroberung von Ohaybar stark ge-
nug um 4 — 6000 Mann davon zu unterhalten. »Es unterliegt kei-
nem Zweifel, dass er die ersten drei Jahre diese Mittel dazu ver-
wendete, seine Militärmacht zu vergrössem. Er nährte Hunderte
von Abenteuerer, welche nach Medina strömten und erkaufte die
Huldigung einfiussreicher Schaiche durch glänzende Geschenke und
erbliche Lehen. Durch solche Mittel gelang es ihm weit mehr, als
durch seine Inspiration, in wenigen Jahren den Islam über ganz
Arabien zu verbreiten Wenn seine Wünsche (von den Juden
als Propheten anerkannt zu werden) inErftiUimg gegangen wären,
so würde der Islam nie siegreich geworden sein, denn die Steppen
von Arabien sind der unfruchtbarste Boden für eine theologische
Theorie ohne materielle Macht. Seine Absichten sind an dem Wider-
stände der Juden gescheitert, und die Umstände haben ihn zum
Eroberer gemacht. Durch die materiellen Mittel hat der Islam
Kräfte gewonnen, die auf keine andere Weise erreichbar waren.
Wenn die jüdische Lehre der Embryo des Islams war und durch
sie die Ideen des Stifters desselben angeregt wurden, so können
wir die Palmenhaine imd die Frohnarbeit der Israeliten den Dotter
nennen, welcher dem jungen Geier die erste Nahrung bot.«
Sprenger: LebMi Mebmmad't. It9
üeber den Ausgang der ScUaoht bei Muta können wir der
Ansieht des Herrn Sprenger nicht zustimmen, noch weniger seiner
EiU&mng der Entstehung der entgegengesetzten Ansicht. Es liegen
nSmlich zwei Berichte über den Ausgang dieser Schlacht Tor, nach
dem Einen, den uns Ibn Ishak überliefert, gelang es dem Chalid
blos die Moslimen aus der Patsche zu ziehen und ohne weitere
Verlaste nach Medina zurückzuführen. Nach dem Andern hatte Chalid
sogar den Feind in die Flucht geschlagen. An und für sichmuss
man schon geneigt sein Ibn Ishak zu folgen, denn wir wissen, dass
die Araber so gut wie die Russen und Franzosen, wenn nur mög-
lich, lieber Niederlagen als Siege verschweigen, und wir nehmen
dalier an, dass yielleicht später ein Freund Chalid*s oder seiner
Familie sich nicht damit begnügte, dass man ihm den Bückzug
der geschlagenen Armee yerdankte, sondern er musste auch den
Feind besiegt haben. Herr Sprenger verwirft aber diese Ansicht,
indem er bemerkt: »Die Moslimen befanden sich in Feindesland,
einer geübten Gayallerie gegenüber, ein sicherer Büokzug ohne Sieg
ist also kaum denkbar. Ibn Ishak mag den yielleicht unentschie»
denen Sieg versch wiegen haben, um die düstere Prophezeihung des
Mohammed, welche er, ehe eine bestimmte Nachricht in Medina
eintraf, aussagte, und mit der sich die Tradition viel besch&fkigt,
nicht Lüge zu strafen.« Herr Sprenger glaubt doch wohl selbst
nicht an die moslimischen Berichte, welche, um ihre Niederlage zu
entschuldigen, 200,000 Griechen und verbündete Araber den 6000
Moslinen entgegen treten lassen; war aber die Fcberlegenheit des
Feindes an Zahl und Kriegstaktik wirklich so gross, so musste es
ftir Chalid eben so unmöglich sein ihn zu schlagen, als schwierig,
sich zurückzuziehen. Chalid mochte — das Terrain des Schlacht-
feldes kennen wir ja nicht näher — eine Stellung eingenommen
haben, in welcher er unangreifbar war, oder einen Weg einge«
schlagen haben, auf welchem ihm die feindliche Beiterei nicht
folgffli konnte, auch dürfen wir selbst nach Ibn Ishaks Bericht an*
nehmen, dass, wenn er auch einen Theil des Heeres rettete, doch
noch mancher vom nachsetzenden Feinde znsammengehauen wurde.
Dass aber Ibn Ishak Chalids Sieg verschwiegen habe, um Mohammed
nicht Lüge zu strafen, kann nicht wohl zugegeben werden. Herr
Sprenger glaubt doch auch nicht, dass Mohammed wunderbarerweise
von Medina aus das Schlachtfeld sah, und den Moslimen alsbald
den nnglücklidien Ausgang der Schlacht verkündete. Das einzige
Wahre an dieser Sage mag sein, dass Chalid einen Schlachtbericht
durch einen Boten dem Propheten sandte, so dass er mehrere Tage
TOT der Bückkehr der Armee den Ausgang der Schlacht kannte
und den Inhalt dieser geheimen Botschaft als eine Offenbarung
mittheilen konnte. Er hütete sich aber gewiss die Sache düsterer
auszumalen, als sie in Wirklichkeit war.
Dass die Moslimen dem falschen Propheten Museilama allerlei
AbsdienUchkeiten andichteten, glaubt auch Bef. und hat diese An*
170 Spr«Bg«r: Ltken MobnDoned'B.
sieht sohon in seiner Chalifengesehiohte (I, 22) ansgesprooken nnd
bewiesen, dass aber Mohammed demselben Zugeständnisse gemacht
habe, bleibt nnr eine Vermnthnng Hm. ßprenger's. Gewiss ist nnr»
daes Mohammed ihn nicht bekriegte, er mochte aber seine gnten
GMlnde gehabt haben, den mächtigen Benn Hanifs, welche Aber ein
stärkeres Heer als er selbst zu gebieten hatten, nicht den Krieg zu
erklären.
Das 22. £[apitel handelt von der Eroberung von Mekka, Yon
der Besiegong der Hawazinstämme und von der Grundlage der
innem Organisation des neuen Btcuttes. (Januar bis März (S30.)
Die Darstellung der beiden ersten Begebenheiten enthält wenig
Neues, ttber die neue sehr einfache Organisation stellt der Verf.
das Wichtigste zusammen. Er erläutert zunächst das Steuergesetz
und macht auf manches ünbiUige und Unpraktische dabei aufmerk-
sam, was übrigens auch bei der Besteuerung in manchen hochge-
priesenen Ländern Europas noch TorkOmmt, er spricht dann Yon
der Verwendung derselben, die auch nicht immer in gottgefälliger
Weise stattfand, denn sie wanderten zum Theii in die Koffer der
Bächen, welche für den Islam gewonnen werden sollten, zum Theii
wurde sie fOr die Bildung und Unterhaltung der Armee gebraucht.
Was die administrativen Maassregeln Mohammed*s angeht, so mischte
er sich selten in die innem Angelegenheiten der Städte und Stämme,
höchstens dass er einen Yorbeter bestellte, wenn die Gemeinde
keinen Passenden hatte. Begelmässige Besoldungen wurden erst von
Omar eingeführt. Auch die Gerichtspflege wurde noch den Ge*
meinden überlassen und erst später finden sich Kadhi's in allen
bedeutenden Orten. Unter Polizei verstand man zu jener Zeit das
Ueberwachen der Beobachtung der kirchlichen Vorschriften nnddia
Beaufeiehtigung der Märkte. Eigentliche Polizeibeamten gab es
auch noch nicht zu Mohammed^s Zeit.
Das 28. Kapitel bandet von der Huldigung vieler Stämme
nnd von dem Feldzug an die byzantinische Grenze. (April 630 bis
Februar 681.)
Der Hauptgrund der Unterwerfung vieler arabischen Stamm«
war die steigende Macht der Moslimen, hiezu kam noch, wie der
Veif. richtig bemerkt, eine durch den Islam hervorgerufene Lodce-
rung aller Verwandts<diaftsbande, ein gegenseitiges Misstranen, wel-
ches eine vollständige Demoralisation zur Folge hatte. Einzeine
Fanatiker oder einzelne Glücksritter warfen sich in Mohammed's
Arme, und nun war der ganze Stamm verrathen, denn der Islam
löste jedes bestehende Yerhältniss und heiligte jedes schlechte Mittel,
wenn es nur dem Glauben und den Gläubigen Yortheile brachte.
Die G^chiohte dieser Deputationen, deren Beden, Gedichte uad
Vorträge mitgetheilt werden, flOllen bei Ibn Ishak über dreisag
Seiten aus, und werden auch vom Verf. ausführlich mit den nöthi*
gen geographisohen, genealogischen und historischen Ecläutemngen
geschildert, nur Ton den Gedichten werden hier nnr ein pear kx»6
Antellge Bitgvttieili. Za dem von Zibrikan (S. 867) bemerkfln wir»
dMft wir in der Deatnng der Worte (Ibn Ishak p. 985) »wafiii4
ta]issabii*l«bijaa€ nicht mit ihm übereinstimmen. Er ttbersetsi:
»im unflerm Lande erheben sieh (christliche) Kirchen.« H. Sprenger
selbst schreibt Aber die Tamimiten, deren Dichter hier auftritt:
»Die Meisten waren Heiden. Unter den in Dörfern am Tigris leben-
den Tamimiten gab es Christen nnd Magier, nnd selbst in der
Wüste finden wir einen Häuptling (Akra Ibn Habis), welcher das
Feuer anbetete.« Wir sehen also, dass die Zahl der Christen sehr
gering war, dass sie eigentlich gar nicht unter dem Stamme selbst in
der Wüste lebten, sondern in Dörfern am Tigris. Der Stamm der
Ben« Tamim wird auch sonst nirgends als ein sum Christenthum
bekehrter genannt, und wenn einzelne Tamimiten in Dörfern am
Tigns Christen waren, so haben sie doch schwerlich Kirchen ge«
hnaty auf welche der Stamm stolz sein konnte. Ausserdem glaabt
Bef., dass das Wort nassaba zwar heben, aufrichten, aber nieht
baoMif im eigentlichen Sinne des Wortes, bedeutet, femer mttsste
ancb, nach H. Sprenger*s Uebersetznng , der Artikel fehlen, und
nur wena von bestimmten berühmten Kirchen die Rede wäre, stände
der Artikel an seinem Platze. Darum hat Bef. vorgezogen, diese
Stelle mit »unter uns blüht (wörtlich wird gehoben, besteht) der
Handel« zu übersetzen. Dass das Wort biau plur. von biatnn, diese
Bedentang hat, findet man im Kamuss, und wenn die Tamimiten,
wie H. Sptmger berichtet, sich vom Tigris und dorn persischen
Meerbusen bis einige Tagereisen östlich von Mokka ausdehnten, so
mochten sie wohl bedeutenden Handel treiben, oder auoh durch
ihren Söhntz den Handel durchziehender Karawanen möglioh machen.
Den Feldzug nach Tabuk, an die byzantinische Grenze, will
der YerfL in den Spätsommer 630 setzen, obgleich sämmtliche
Quellen den Monat Badjab, der mit dem 14. Oktober anfing, als
Zeit des Aufbruchs und den Bamadhan, der am 12. Dezember an«
fing, ak die der BUckkehr nach Medina angeben. Er behauptet,
es mitese ein Irrthnm im Datum sein, weil bei diesem Feldzage
von grosser Hitze die Bede ist, was auf den Oktober nicht passt.
Aber abgesehen davon, dass, wenn auch in der Begel im Oktober
sehen ^e kühle Witterung beginnt, doch ausnahmsweise in jenem
JaluB die Hitse andauernder gewesen sein mochte, was ja selbst
m onserm Clima schon vorgekommen ist, so steht auch bei den
Biographen nicht, dass die Hitze zur Zeit des Marsches on-
ertrllglich war, sondern zur Zeit als der Befehl zur Aus*
rtlstnng f&r diesen Feldzug ertheilt wurde, was, wie aus dem
ganaen Znsammenhange hervorgeht, mehrere Wochen vorher geschah.
Es beisst wörtlich bei Ibn Ishak (S. 894): »Als Mohammed den
Befehl zur Ausrtlstung gab, waren die Leute in Noth, sie litten
viel von der Hitze, und hatten Mangel an Lebensmitteln, es war
zur Zeit der B^fe dm- Früchte, so dass sie gern zu Hause blieben»
bei ihrin Frttditta und in ihrem Schatten und utttar >Bolohen Um*
172 Sprenger: Leben MobAmmed't.
ständen nicht gern in*s Feld zogen.« Mohammed hatte, als er den
Befehl zur Ausrüstung ertheilte, keine Zeit zum Abmärsche be-
stimmt, so dass die Heuchler, welche gern jeden Vorwand er-
griffen, um Mohammed's Pläne zu durchkreuzen, sagen mochten:
»ziehet nicht in der Hitze aus!« man traf keine Anstalten zum
Feldzuge und Mohammed, der ursprünglich yielleicht schon im
September aufbrechen wollte, um vor der Regenzeit wieder heim-
zukehren, musste den Abmarsch verschieben und wiederholte Be-
fehle zur Beschleunigung ertheilen, so dass er erst im Oktober
Medina verlassen konnte. Dass das Heer auf dem Feldzuge selbst
an Hitze gelitten habe, wird nirgends gesagt.
Im Vertrage mit dem Fürsten von Ajla (S. 423) übersetzt
H. Sprenger die Worte >la jahulu nafsuhu duna mälihi« durch »so
ist nicht nur sein Vermögen, sondern auch die Sicherheit seiner
Person verwirkt«, während sie nach Befer. bedeuten, »dessen Out
kann sein Leben nicht schützen.« Der Sinn ist freilich nach Spr.
besser, ob sich aber diese Deutung dem Wortlaute nach rechtfer-
tigen lässt, ist eine andere Frage.
Das 24. und letzte Kapitel hat die üeberschrift : »Kündigung
der Verträge. Disputation mit Christen. Pilgerfest. Tod. (März 631
bis 8. Juni 632.)
Der Feldzug nach Tabuk war erfolglos abgelaufen > weil die
heidnischen Araber sich in geringer Zahl dabei betheiligt hatten,
denn das Zurückbleiben einer Anzahl Heuchler von Medina allein
konnte nichts entscheiden. Mohammed fühlte, dass er nur auf die
Gläubigen zählen durfte, denen er nöthigenfalls seine Wünsche in Form
göttlicher Befehle vortragen konnte, und dass, * so lange als Arabien
von Heiden bewohnt sein würde, seine Macht unvollständig bleiben
müsste. Er beschloss daher, keine Heiden mehr zu dulden und
einen wahren Vertilgungskrieg gegen sie zu verkünden. Da aber
zwischen ihm und vielen heidnischen Stämmen Verträge bestanden,
so musste er Gründe anfahren, die ihn berechtigten, sie zu brechen,
und man sieht, wie er sich bemüht diesen Wortbruch zu verhüllen
und zu rechtfertigen. Er nennt, weil er gnädig genug ist, die
Heiden nicht sogleich niedermetzeln zu lassen, sondern ihnen eine
Bedenkzeit von 'vier Monaten gönnt, seine Kriegserklärung ein
Sicherheitsgelöbniss, und gebraucht überhaupt allerlei verwirrende
Umschweife und Sophismen, die seiner Bedekunst Bewunderung zu-
ziehen, auf seine Treue und Redlichkeit aber ein schlechtes Licht
werfen. Diese neue Lehre wagte Mohammed wahrscheinlich nicht
selbst zu proclamiren^ darum blieb er in Medina und sandte Abu
Bekr nach Mekka als Führer der Filgerkarawane und Ali musste
ihm folgen, um den versammelten Pilgern die Kriegserklärung zu
überbringen. Erst im folgendem Jahre, als kein ungläubiger mehr
in Mekka erschien, pilgerte Mohanmied selbst dahin und hielt
mehrere Predigten, in welchen er der versammelten Menge die
wichtigsten Gesetze und Dogmen des Islams vortrug. Unter den
8pT«Bg«r: Leben Mehaauned'ft. 178
neaen Verordnniigen Mohammed's befindet sich eine, welche schon
den alten Moslimen , bis auf Ibn Ishak zurück , nicht mehr recht
klar war, nnd die in neuerer Zeit von de Sacy, Caussin dePerce-
Tal, Mahmud Efendi , Sprenger, Beinaud und Bef. in verschiedener
Weise besprochen worden ist. Es handelt sich besonders um die
Deutung des 87. Verses der 9. Sura, welcher das nasi als eine
Verimmg des Unglaubens erklärt und desshalb abschafft, weil es
von den Heiden bald zugelassen, bald verboten wurde, indem sie
mit der Zahl der heiligen Monate in Einklang zu bleiben suchten,
aber einen Monat für unheilig erklärten, welchen Gott zu heiligen
befohlen hatte. Manche glauben, und berufen sich auf arabische
Autoren, die Araber haben bis zur letzten Pilgerfahrt Mohammed's,
wie die Juden, Schaltjahre gehabt, und nach je zwei oder drei
Jahren einen Monat eingeschoben, um das Mondjahr mit dem
Sonnenjahre in Einklang zu bringen und das Pilgerfest wie die
jlldischen Ostern stets im FrOhling feiern zu können, Mohammed
liabe aber das reine Mondjahr ohne Intercalation eingeführt, so dass
fortan das Pilgerfest in allen Monaten des Jahres gefeiert wurde.
Bef. hat schon in seiner Einleitung zum »Mohammed« seine Be-
denken gegen diese Ansicht geäussert und H. Sprenger findet auch,
daes es schwer sei, diese Aenderung in den genannten Vers hinein-
zadeuten, denn nasi bedeutet nicht einschalten oder ver-
mehren, sondern vergessen, übergehen. Der Wortlaut des
Verses spricht entschieden für die Ansicht de Sacy's, welcher, auf
Ibn Ishak und andere gestützt, glaubt, die Araber haben zuweilen
aas politischen Gründen einen der heiligen Monate als unheilig
erklärt, dafür aber, um doch dem alten Gebrauche gemäss vier
Monate im Jahre heilig zu halten, einen Andern geheiligt, und
Mohammed habe hiermit dieser willkürlichen Aenderung der Ord-
nung der heiligen Monate ein Ende gesetzt. Herr Sprenger und
Beinaud nehmen an , die Araber haben Sonnen- und Mondjahre
zugleich gehabt, sie haben das Pilgerfest stets nach dem Bonnen-
jahre im Frühling gefeiert, daneben aber zur Bequemlichkeit der
Araber fOr das Geschäftsleben das reine Mondjahr beibehalten. Das
nasi bestand nach Ersterem darin, dass man die eingeschalteten
Monate vom folgenden Jahre abzog, so dass dieses mit dem zwei-
ten Monate begann und dann einen Monat vom dritten Jahre
entlehnte, bis wieder ein neuer Schaltmonat hinzukam und die alte
Ordnung hergesteUt wurde. Nach H, Sprenger wäre der Sinn des
nasij einfach übergehen. Vor Mohammed's Aenderung wurde
nämlich das Pilgerfest, das immer im Frühling gefeiert werden
sollte, in einem Monate zwei oder drei Jahre hinter einander ge-
feiert, dann wieder auf einen folgenden verschoben, um nicht über
den März hinauszugekommen und so der Monat der ersten zwei
Jahre übergangen und als unheilig erklärt. Da die arabischen
Quellen sich theils widersprechen, theils unklar sind, auch die Be-
weise der Europäischen Gelehrten für die eine wie für die andere
114 IteinlkArd: AÄm orMs ttttquL
Aneichi nichts UeberzettgeiideB babea, so AlUt es sohwer hieir
•ine bedtimmt« EntBcfaeidutig abztigebexi. Herr Sprenger ter-
siiithet unter Anderm auch, der arabische Badjabmonat entspreche
dem Jüdischen Nisan, er setst dann weiter hinsn: »Das Wort
Atirah bedeutet Opferlamixi. .. Bei Ibn Ishak S. 659 ist ein Ge-
dicht, welches, wenn es auch ron einem Moslim ver^st wurde,
doeh einem Juden zugeschrieben wird und voraussichtlich in jlidi-
Bcher Phraseologie ist. Es werden darin, die Israeliten von Medina
mit »den Atjrren des Tdtages« verglichen; wir hbnnteu es also
mit Osterlämmem übersetzen, denn das Yd ist Ostern.« Diese
Hypothese zerflUlt aber in nichts, da in dem angeftlhrten Gedichte
nicht die Israeliten Hedinas, sondern die einst geschlachtet werden
sollenden Mohammedaner den Opferthieren an ihrem (dem arabi-
schen) PilgeifBSte yerglichen werden. Der Dichter Sammak be-
weint nSmlich die gefallenen Juden der Benu Nadhir und sagt
dann: »Wenn wir aber dereinst heimbezahlen, so werden wir ftr
(den erschlagenen) Eaab Männer hingestreckt liegen lassen, als
w&ren me gesohlachtete Opferthiere des Pilgerfestes, BaubvOgel
worden sie mnkreisen, ohne dass sie jemand yerschenche u.s. w.«
Wir schliessen diese Anzeige, indem wir unser ürtheil
über das vorliegende nun vollendete Werk — das Register soll
«bald nachgeliefert werden — schon bei Besprechung der ersten
Bttnde geföllt haben, und bemerken nur, dass dieser letzte Band
weniger gewagte Hypothesen und weniger Anszttge aus dem Koran
als die beiden ersten enth<. Manche Leser dürften bedauern^
dass der Verf. statt der ausfOhrlishen Erzählung aller Raubzüge
»nd kleinen Scharmützel, sowie der zahlreichen Deputationen, ihnen
nicht mehr über die Gesetzgebung Mohammed's mitgetheilt habe.
In der Hauptsache hat aber der gelehrte Yerf seine Aufgabe g^üek-
lioh gelöst, er hat ohne Yorurtheii den Cäiarakter Mohammed's
nach allen Seiten beleuchtet und in der Darstellung seines Lebens^
das der Araber seinerzeit eingefloohten, er hat die Entstehung dee
Islams und dessen Entwicklung richtig aufge£asst und vortrefflich
dargestellt, und hat er auch wenig neues Thatsilchliches geboten,
so sind doch seine Erläuterungen und Bemerkungen so anziehend,
so anregend und mitunter auch so belehrend, dass die YorMjge
dieser Arbeit ihre Mängel weit überwiegen. Weil«
AUtu orbia antiquu In usum seholarum edidU Hermann Rtin^
hard, Gftnn. 8Uiüg. Prof. EdiHo aUera. Sitdigart. Krms 4t
Hoff^mun. IßSö.
Dieser Atlas der alten Welt, der bereits in seiner zweiten Auf-
lage vorliegt, dürfte für den Gebraueh auf Schulen insbesondere
sn «apfehlen sein, da er auf seinen zehn Xafidn Alks das bistet.
R»l*li«rd: AllM oiMi irtliiiL «T5
dir BAUkit bei der Leotfin der alten SebriftefeeUer» wie bei
ten geechiAtiiclwa Unterricht ftlr sein Bedllxfiiiss nOtlng hat« und
die Ansftlhning des Ganzen, anch in artistischer Hinsieht, eine sehr
aergfUtige nnd befriedigende ist, während die Anschaifang durch
den billigen Preis dem Schfiler so sehr erleichtert ist. Von den
eOf Tafeln des (Ganzen enthält die erste eine C^sammtübersicht der
elien Welt, die zweite Aegjpten nnd Palästina, mit genaner An-
gabe des Zngs der Israeliten ans Aeg3rptein dnrch die Wttste nach
Palästina; anf derselben Taüsl findet sieh noch ein kleinerse Kart-
dtöa mit Palästina nach den zwölf Stämmen vor der Zeit des Exils
nod aewei sorgfältig gezeichnete Pläne von Jerusalem und Alezandria«
An dritter Stelle folgt Asien, d. h. soweit das alte Persische
Beich und die Monarchie Alexanders des Chroseen reicht. Alexan-
dere Eroberungszug ist genau durch einen rothen Strich bezeichnet,
eben to die Fahrt des Nearehns, die yon Alexander neu gegründe-
ten Städte sind dnrch einen rothen Strich henrorgehoben , a«f
zwei besmidereD Kärtchen ist die LandscbafI zwischen dem Paro-
pamiaas und Indus, so wie das Beich der Lyder, Meder, Babyloaier
und Juden abersichtlich dargestellt« Das vierte Blatt enthält Kleia-
■slim mit Syrien und Armenien; der Zug des Xerxes aus dem
Innen Asiens gegen HeUas, der Marsch des jangeren Cyrus und
Xcsophofi nebst dem Bttcksug des letztem, endlich der Zug Ale-
nuBdars dee Oroesea ist eingezeichnet. Die ftefte Tafel bringt
Griedenland mit Einsehluss T0<n Macedonien und Thracien, so ^
der Weetküste Kleinasiens, besonders angebrachte Oarton's ent-
halten die Umgebungen von Athen (auch mit Bezog aaf dieSehlaclit
bei Salamis), Sparta, Oorinth und Troja, dessen vielbestritteBe Lage
hier richtig nach den neuesten Forschungen angegeben ist. Dnräi
tersehiedette Farben sind die Staaten und Völker Doriechen, Joni-
sehettt Aeolischen Stammes, so wie Macedonien von einander unter-
■ehieden, und eben so wie auf den oben bemerkten Tafeln, ist Oäsar's
Zag inon Dyrhachium ans nach Pharsalus eingezeichnet. Tafel VI
bfiiigt Spanien, den sttdHchen Theil Galliens, und die denCartha-
gem unterworfene Nordküste Afrikas, ebenfalls noch mit einem be-
soadem Kärtchen Aber die den Oarthage'rn unterworfenen Länder.
Hannibids Zage dur<^ Spanien sind eingeseicbnet, die Griechischen
KMonien in £^>anien und im sttdlichen Gallien roth unterstrichen.
Gallien, Germanien und Britannien sind auf Tafel Vn dargestellt:
auf TaM Vm das römische Beich in seinem Gesammtumfeng im
vierten cluristlichen Jahrhundert; Tafel IX bringt Italien, an den
Seiten ein besonderes Kärtchen von Latium, Pläne von Oartiuigo
und Syracus so wie von der Bucht von Neapel. Die beiden letzten
Tafeln bringen einen sehr genauen, nach den neuesten Forschungen
revidirten Plan von dem alten Born, wie von Athen: beides ge-
wiss recht nfitzlich und förderlich, beides auch über den Gebrauch
der Schule hinausreichend. Wir können daher die Verbreitung die-
116 Lntberi Cdloqui« ed. Bin da e IL
868 nützlichen, Ar den Unterricht in den classifichen Sprachen und
die Stadien des classischen Altei*thiun8 unentbehrlichen Atlas nur
sehnlichst wünschen.
D, Martini LiUheri CoUoquia, Meditatianes, Consolationes , Jttdicia,
Senieniiae, Narraiiones, Responsa^ Faeetiae e codiee M8. hihUo-
ikeeae Orphanotrophei HcUensis cum ptrptiua coUatiout fdituh-
nia Rebensloekianae ediia et proUgomtnis indicibuttgite iuMrada
ab Hfnrico Erneato Bindseil, phiL doct. Profeasore etc.
eic, Tomua IL Ltmgoviae et Detmoldiae, typis sumtifnisque
Miyeriani bibliopolei auliei, 1864. X und 3S9 8, in gr, 8.
üeber den ersten Band dieser neuen Ausgabe der lateini-
schen Tischreden Luther*s s. diese Jahrbb. Jhrgg. 1868. S. 736
Alles y was dort bemerkt worden ist über die kritische Sorgfalt,
mit welcher der Herausgeber in diesem erneuerten Abdruck rer-
fahren ist , der sich an die zu Halle befindliche Handschrift des
Jahres 1560 getreu anschliesst, kann eben so auch von diesem
zweiten Bande gelten, bei welchem eben so unter dem Text alle
Abweichungen der Handschrift wie der gedruckten (Bebenstock'schen)
Ausgabe aufgeführt, und hier und dort auch noch mit weiteren
Nachweisungen versehen worden sind, wie diess auch bei dem
ersten Bande geschehen ist. Wenn der Herausgeber anfangs die
Absicht hatte, in zwei Bänden Alles zu geben, wie diess in der
Bebenstock'schen Ausgabe der Fall ist, so ist er davon, in Be-
tracht des allzugrossen ümfangs, welcher dann diesem zweiten
Bande hätte gegeben werden müssen, zurückgekommen und hat
jetzt das Oanze in drei Bände abgetheilt, was gewiss bequemer
für den Gebrauch des Lesers ist, indem auf diese Weise Alles
gleichmässiger vertheilt ist und die Bände nicht zu stark werden.
Sonach enthält der erste Band, das was in der Handsbhrift auf
fol. 1— 216b steht, der zweite fol. 218b— 455b, der dritte von
da bis 654 b; diesem dritten Bande sollen dann auch umfassende
Indices beigegeben werden; Inhaltsübersichten (Conspectus capitum
etc.) zu dem ersten, wie zu dem vorliegenden zweiten Bande sind
diesem selber beigefügt. In der äusseren Ausstattung nach Druck
und Papier ist Nichts verändert. Möge es den Bemühungen des
Herausgeber*s gelingen, die Vollendung des Ganzen in Bälde aeu
erzielen.
b. 12. BEIDEIBERGER IM».
JAHRBÜCHER DER LnERATüR.
Lamarre Ck Dr, i^L Prof. De la Miüee romcdne, d^ptdi la
fondalum de Rame juagi^ä CofutanHn. Pori$ 1868. 406 8.
Ein Werk ans dem Gkbiete der rOmisohen Alterthlliiier, und
Sber einen wichtigen Theil derselben ! Man kann wirkHck sagen,
dass die Erkenntniss des rOmiscben Alteitbmns nnr snr H&lfte er-
bagt ist, wenn man seiner Oesobichte Walten erst aas dem Heilig-
tlnun der Becbtsaltertbflmer dargestellt bat, nnd nicbt anoh nocb
^ Bedfirfniss f&blty dem kriegeriscben Geiste Roms eine metho-
diache Berücksicbtigong zn Tbeü werden zu lassen, indem man der
DarsteUnng der Kriegsalterthflmer den Anspmcb eines Pendants
eifliftmnt. Sebr ricbtig äussert sieb ein französisober Jnrist neue-
sten Datums, Dübois-Oflcbon, in seinem Bucbe : Taeite ei eon eUele
Bsnd I. S. 25 , unter Widerlegung der Ansiebt , dass die BOmer
QA Angriffsrerfiftbren befolgt hätten, folgendermassen : j,Lei Romaine
oirent ä ee pre'eerver dee Sabine, de Etrueguee, de» LaUne, dee 8am^
"i(tt; t2s flnirent par lee abeorber. L'Eiruegue etait myeHgiu et eag$;
fe Sabin avaU un grand fonde d^iquiU; le Latin etaii rüde ei avare;
k Sammle y eneore plue fter qt/ambitieux. Ce eont lä de fermee
^menU de rSeietanee, ee ne eont pae dee germee agreeeife, ei je
ptex le dire.^' Die Römer selbst waren so sehr überzeugt, dass
die Anlage zum Kriegsbandwerk einen Antbeil an ihrem Wesen
ittbe, dass sie die Meimmg hatten, die Legion sei, durch was immer
ftr menschliche Anlässe ausgebildet, eigentlich dtovnUaHe ineiinetu
iurrorgerufen und angestellt worden. Vgl. Veget. ü, 21. ImHin-
bliek auf diese Bedeutxmg der römischen Eriegsalterthttmer fllr die
Sikenntniss der römischen Geschichte haben wir das obige Werk
mit Freuden begrttsst, und uns seiner Prüfung mit ebenso grosser
Bereitwilligkeit beflissen.
Die Vorzüge eines Buches der yorliegenden Art ergeben sich
ttis der Darstellung oder wenigstens Hervorhebung seines Details.
I^mgemäss werden wir nicht umhin können, Ton dem letzteren
Kfi&ntniss zu nehmen.
Das Buch zerf&llt in vier »Partieen«, wovon die erste die
Bestandtheile des Heeres aufzählt (8. 81—122), die zweite eine
Beechreibung der Feldübungen, Angriffs- und Yertheidigungsweisen
gibt (8. 122--208), die dritte von der Marine und ihrer Taktik
^delt (S. 209—305), und die vierte von der Verwaltung der
sof das Heer bezüglichen Besserte (3. 306 u. ff)
Hiemach bilden Truppengattungen, Waffen, Zahlenverhältnisse,
I^gionseintheilung, Officiere, Insknmente und Standarten, den In-
fc»tt der ersten Partie:
liVm. Mvi^ 8. Heft 12
178 Lamarre; D(« la MOiee romain«.
a. Was die Truppengatttiiigen betriflFfc, so beschreibt der Verf.
zuerst die schwer^ Infanterie, nach ihren Bestandtheilen (prineipes
-j- hastati K=s cmtepUani und püani oder iriarii), leitet den Namen
tHarii von ihrer Aufstellung in dritter Linie ab, unter Berufung
aüTLivius, und unter Ablehnung einer weniger wahrscheinlichen
neueren Ansicht, und schliesst, nachdem er S. 83 noch über die
Anzahl dieser drei Corps gesprochen, diese Beschreibimg mit der
Bemerkung, dass ihre Namen gegen Ende der Republik in der
uixiformirenden Bezeichnung legionarii unterging.
Im Felde befand sich auf den Flanken noch leichte Infanterie,
velitea, yom Verf. mit den Tirailleurs verglichen, und nicht streng
genommen zur Legion gerechnet, weil sie nicht corpsweise, sondern
nur gruppe;i^weise , zwischen Legionscohorten und Beiterturmen
kämpften, und überdies nur, um zu kämpfen. Dem Nameii nach
verschieden^ waren im Wesen, d. h. nach Ajifstellung und Bestim-
mung epi un4 dasselbe die ferentatii, oder jaculaiores, Nnr im
Bücken der l(egionätruppen kamen RoraHi zu stehen, deren Namen
die Granunatiker von Rores ableiten, im Sinne der Zahl der Ge-
schosse, und wjleder hinter diesen die Aceensi, bestimmt, die durch
Niederfallen der Rorarii entstandenen Lücken auszufüllen, und wegen
ihres Mangels von Büstung und Offensivwaffen auch vdati (Bekleidete)
geheissen. Hierunter rangirt der Verf. noch die fundüores {öq^ev-
dov^a) und sagütarü (arguiies),
N^n kommt die Beiterei! Aus den ursprünglich patricischen
celeres hervorgegangen, wurden sie bald eine Waffe für reiche
Patricier*). Den zahlreichsten Bestandtheil haben von Jeher die Ver-
bündeten gebildet. Ihre Stellung war auf den Flügeln (equüe9 alarii),
im Gegensatze zu den eguües legionarii oder der auserlesenen Bei-
terei, in der man unterschied equites sagütarii und coTüariL Die
tquiitß eztraordinarü, gleichfalls verbündeten Ursprungs, bildeten
ein besonderes Corps für den Dienst der Consuln. Erst sehr spät,
in der Zeit 4^3 Julianus kommen cataphraoU eguües vor laut
einem Citat bei Ammianus Marcellinus.
Soweit von Fussvolk und Beiterei! Für Bel^ger^gszwecke
erwähnt der Verf. noch iragulariij eine Art von Artillerie, welche
die Projektilen (Iragtdae) in den Platz zu werfen hatten, und die
cunicularii, die ^r den Sapeurs oder Mineurs vergleicht.
Fast in Versuchung, auch die Nachtwächter-Cohorten der Stadt
.Born in seine Aufzählung hereinzuziehen, d. h. die sergents de ville
und die pompiers, fühlt er sich doch bei Zeiten gewarnt, die Deu-
tung zu verschulden, dass diese eigentlich zum Ueere zu gehören.
So bleibt ihm der Name vigües im militärischen Sinne auf die
nächtlichen Wachtposten an den Lagerthoren beschränkt.
Im Schluss dieses ersten Capitels bringt er, etwas ohne Ord-
*) Wir vttPWfifaen hier attf L. Ifarquardi: Historiae E^üum Eamm*
norum libri IV. Berolini 1840, Dr. H. D.
Lsmsrr«: 1>« ^ MUloe reaikt. IDO
mmg, hiniereinamdBr die Namen und ErUftmngen für gr^garU,
giarUf coadon», animgnam, podsi^ntmi, emtnli, evocati^ cfptymm,
femrarü und spectdaiores, Bezeichnungen, welche etwas gründlicher
Uttea firU&rt werden sollen. *)
üebergangen haben wir die Erwähnung der Pri^torianer , die
ilirYorbild an der alten cohars praäpriana hatten, und unter denen
nsA pedUet pradoriam und tquiU$ pradaricmi unterschied.
b. Im zweiten Capitel S. iS— -61 werden die Waffen aufge-
dJilt and beschrieben, die Angriffswafiien sowohl, wie die Ver^
tbädigoagswaffen , worunter das Pilum, Lanzen, Qeeohoese und
Sebwert, wobei auffällt, dass hier der Verf. sich das Wort ^e
Wdient, nicht glaive, ferner: Keime, Schilde, Panzer und Beiii-
Mkienen. Kan wird dem Verf. daa Lob einer ffeissig^n Bemfimg
aof die klassisohen Schriftsteller Bom's niebt versagßn kX^nnen.
e. Erst das dritt« Capitel 8.62—74, wo d/srVerf. den Stand-
{wikt der Aufsihlung und Beschreibung yerllUlst, q^d den dar
Durstelhyoig einnimmt, beginnt unsere Combii^ation 9U b^^sioha^^ :
J>u nombre de $oldaU qui eompoBoi^nt un4 orta/«/' Indem hier
der Yeri mit VegetiuA dies Heer definirt, als »eine bestimmt
f e Bt g e 8 e t z t e A n z a h 1 von Legionen und HtOfstruppen**), FnssYolk
nad Beiterei zum Behufe militärischer Unternehmungen,« unter-
ndit er den Ursprung und Bestand der Legion nach ihren beiden
WaflEmgattungen, Wir erfahren, dass die regelmässige Zahl dar
römischen Legionäre 5000 Mann betrug, selbst ui^r Cäsar in
(Uüsn, und im Bürgerkrieg (Bell, civil. /, 7)^ selten, wie in Ma-
kedonien (LiT. 42, 31) und nntsr Marias (nach Sa^u8t Ji^.) 6000.
Die Reiterei verhielt sich zum Fussvoik wie 1 : 10 ursprttn^üch;
tteh Liyius und Dionysius zählte sie 300 M&^p. per Legion , ui^d
beisst bei Jenem danun iusiuB equüaiup. Anfangs auch römisch,
'Bcrotiite sie ßich später dennoch vorzugsweise anß ßundesgenossan
^d betrug zwischen ^00 und 1000 üann. Unter Justinian war
^ l4egion vorzugsweise beritten. Es wird dann noch mitgetheilt,
^8 man unter der Bepublik nnr Böiger U9,4 Nichtr5mer im Lagf r
onteraehied, aber seit den Kaisern diesen Unterschied nicht mehr
betonte.
d. Beim Manövriren galt die Vertbeilung nach Divisionen und
Sobdivisionen S. 75, worfllber der Verf. im vierten Capitel seine
ioaeinandersetzungen macht. Hier ist is.unächst von den Cohorten
^ Bede, Manipeln, Centurien, Decurien , deren Verhältniss gleich
var dem Verhältniss von 1 : 8 : 6 : 60. Die Cohorte vergleicht ^r
But dem firam&ösischen Bataillon, zu 30O Mann, wenn die Legion
*) Vgl. BIiiMr. Wörterbuch der römiBchen AUerthümer von Anth. RiG)i.
London. Dentoch vonC. MUlIer. Paris n. Leipzig. Fran£. von Ghemel Paris.
**) Eine bestimmt festgesetste Anzahl, die aber nicht Immer dieselbe
wtr. ISne ZnaammeBetellnng fflr die J. 216—300, auf Omnd von Uvloa,
Kibt Nafokn^sm. Hi9Mfe in JW. Qis. do^ 1. 1». ^^.
IM tiftniArre: t)e la ]tflUee tomAin^.
gleich 8000 (wie es ror Servias der FaU war) betrag, oder za
400, wie nach Servias, oder za 500 , wie nach der Schlacht bei
Cannä a. s. w.
Die Eintheilang der Legion in Cohorten soll in der Zeit vor
Marias angeordnet worden sein, in derselben Zeit, wo anch der
Adler nicht mehr bei den Triariem war, sondern bei der ersten
Gehörte, S. 78. Diese Bevorzagang der ersten Gehörte galt auch
nnter den Kaisern, and bekam besonders hier einen Einfloss aof
den Effektivbestand, wie der Verf. aas Hjgin darthat, wo die Za-
sammensetzang der Legion unter Hadrian beschrieben wird, der-
zofolge die erste Gehörte 960 Mann, die nenn übrigen Gohorten
je 180 Mann enthielten. Ergänzende Details aas Yegetias (II, 9)
ans der Zeit nach Hadrian schliesst der Yerf. hieran an, sowie eine
Bemerkong über die anabh&ngigen Gohorten in der Legion.
Dann geht er zor Eintheilang der Gehörte in Manipeln über
(S. 82), bei welcher Gelegenheit wir erfahren, dass der Gedanke
an die alten Manipeln noch bis aaf Hadrian fortbestand. Hier
sind die Worte des Verf. S. 84: ^^On jappelU juaqu'ä cette ipoqite
iriarius prior et triariua posterior de commetndatiU des deuz pre-
mi^es centuries (nämlich in jeder Manipel)^ prineeps prior etprin-
dpa posterior ceux des deux centuries suivantes (in derselben M.),
heiUatus prior et hastatas posterior ceux des deux demiires.^ Aber
nach Hadrian, so heisst es gleich weiter^ nahm Manipolas die Be-
deutong: »eine HendyoU« an.
Nan folgt die Erörterang der Eintheilang der Manipeln in
Gentarien and Decarien: die Decarie hiess aach Contubermum '^
mithin waren je zehn Mann auf ein Zelt berechnet. Im Texte des
Verf. kommt die in etymologischer Beziehang interessante üeber-
setzang chamhrie vor. Er gibt noch karze Bemerkangen über
Signum, ordo and vexiUarii^ and karz vorSchlass des Gapitels eine
üebersioht über die Eintheilang der Reiterei in Thirmae and De-
euriae, parallel mit den Gohorten and Manipeln des FassYolks ein
Parallelismas , der mit dem Aufhören römischer Beiterei in der
Legion sich rerlor, and gemischten Gohorten Platz machte , die
Hygin Milliarii and quingerarii nennt.
e. Das fünfte Gapitel handelt Ton den Of&cieren im Heere
8. 90— 108, Der Verf. spricht der Beihe naah zaerst von dem
Oberanführer (Höchstcommandirendea), den OberofQciren and Sub-
altemof&ciren des Fassvolks and der Beiterei. unter demErsteren
versteht er den Gonsal als Prätor d. h. den commandirenden Gon-
sal, and allenfalls, in Vertretang die sogen, legati, deren Zahl sicli
nach «der Grösse der Provinz richtete^ die der Gonsal oder Pro-
consnl za regieren hatte, and die den Titel führten: legati eonsu^
laresl Unter derBepnblik eine aasserordentliche militärische Magi-
stratar, waren sie anter den Kaisern abhängige Beamte, üeber die
Zahl war Nichts festgestellt; Cicero hatte ihrer ki Gicilien vier
gehabt, Gäsar in Gallien zehn, Pompeias in Asien fünfzehn.
Lftmarre: De la Ifiliee ronudae. 181
Unmittelbar nach den Consuln resp. Legaten folgten im Bange
die Oberof&ciere oder Tribnnen, deren Anzahl anfangs drei war,
ond bis anf sechs stieg, da, wie der Verf. mit Poljbins yermutbet,
sie hintereinander, je zwei Monate die Legion befehligten. Ihre
Ernennung erfolgte durch das Volk, dann hiessen sie iribufd eonri'
HaUf oder durch die Prätoren (laut dem Gesetze des Bnfns: Sali«
Jvg. 68): tribuni rufuli. Später seit der Zeit des Tiberins und
unter seinen Nachfolgern unterschied man Obertribunen (maiores)
und üntertribunen (minorea); jener ward vom Kaiser ernennt, die-
NT stieg durch Bravour. Ihre Aufgabe war die AufrechterhaJtung
der Disciplin, und in dieser Beziehung waren sie das Factotum für
alle Kleinigkeiten im Lagerleben. Der Yerf. spricht dann noch von
den trihuni vaeantea, die den Sold auszuzahlen hatten, und ihrem
Stellrertreter (vicarim), so wie Ton den ApparUore$, die ihnen
▼orauszugehen hatten. Später, als die Zahl der Tribunen vermehrt
wurde, erhielten die Cohorten Tribunen, und die Afdegignani xl s. w»
Diese Gohortentribunen sahen sich untergeben dem Ugatua legioma
imd sogar dem praefeetwf leqionia oder seinem Stellvertreter (prae*
pmbis). Diese Letzteren hingen wieder ab von dem legatm legionu
der, in unsere Sprache übersetzt, s. ▼. ist wie kaiserlichen General«
lieotenant!
Die Subaltemofficiere waren ursprünglich die Hauptlente (Oen-
torionen) der einzelnen Centurien, wobei aber jedesmal (seitMarius)
die erste Gentmie ihrem Hauptmann dem nächst höheren Bang
▼erlieh, so dass der sogen. Primipihn den Bang eines Tribuns
hatte. Die übrigen Hauptleute, darum nicht weniger angesehen,
waren die Assessoren des Tribuns beim Militärgerichte. Es gab
60 Centurien, mithin 60 Centurionen oder Hauptlente. Ihre Er-
nennung lag in den Händen der Tribunen, und waren sie einmal
ernannt, so leiteten die Ugati das Avancement bis zum Primipilus,
welcher in der Begel sich nach der dienstlichen Anoiennetät rieh«
tete. Niemals wurde dann aber Jemand, der in eine höhere Bang*
stufe aufgerückt war, wieder hernach mit einer untergeordneten
Anlgabe betraut, weil man das Verdienst immer ehrte, das die
Bewossten dem Yaterlande erwiesen hatten, es sei denn in den
Zeiten des Verfeüls, wo das Einzelinteresse oft das allgemeine zer-
störte ; da kam es vor, dass Jemand nicht avancirte, mithin zurück-
bUeb, weil Kauf, Intrigue und Bestechung Anderen schon hinauf-
geholfen hatten.
ZurVersebung ihres Dienstes, der die kleinsten Einzelheiten in
der Disciplin umfasste, und viel Aufsicht forderte, waren ihnen
ünterhauptleate beigegeben, die optiones centurioma, oder in
tinUirid (nach Liv. VHI, 8) hiessen, und (nach Varro) eben von
dem Umstand ihren Namen hatten, dass sie als AdminieM adop-
tirt waren.
Nach diesen Unterhanptlenten kamen in der hierarchischen
Ordnung noch die Zeltaufseher (dectmi, deeurumea oder capUa efm-
tubernii genadiit) , womit die ganze Reihe der OfSciete in der
Ii6gioji8infanterie schloss.
Der Verf. spricht dann kurz von den Decmionen in der römi«
soben Cavallerie, nnd ihren ünterdecurionen (oder opiwtes), sowie
von den praefeeti der verbttndeten Reiterei, und schliesst das Capi-
tal mit einer synoptischen Uebersicht ttber die Zahl der Officiere
in der römischen Legion, nach dem Yerzeichniss ans der Zeit der
Republik.
f. Ein besonderes sechstes Capitel, welches von den Iilstru-
menten und Standarien handelt, macht des Beschluss dieser ersten
Partie. Der Verf. ergeht sich in der Beschreibung der tüba, bueinn
nnd des lüuu$i in ersterer Beziehung, nnd nooh ausffihrlicher über
den Adler, das ngnutn, vtxiUum nnd dragon, wobei wir erfahren,
dass die Periode yor Marius bis Trajan sich gleich blieb, und dass
erst Trajan eine wiehtige Veränderung Tor sich ging, indem die
Centurie das Vexillum der Cohorte übernahm, und für dieCohorte
ein neues in dem draco erfanden wurde, den auch die Turme an-
nahm*). yyMaUy ou Yiit^u dt ces ehangemtnU, bemerkt schliesslich
der Verf. S. 119, Vaiqle resta ioujaura f enteigne generale dt la
Ugion: die lui mrv^cut mime, et ae catuetva du temp$ de la dieon
denee de Varm^e, comme le titre de son aneienne valeur ei de aa
nobleaae primitive/^
aSwelte Pirtic. „De V Armee manoeut>raiü mt ietr^ lautet
ihre Ueberschrifb. War bisher Alles vorwiegelid kurze Herleitung,
Zergliederung, Beschreibung, Erklärung, nach dem Satze:
»Wer was Lebendiges will erkennen,
Sticht erst den Geist davon zu trennen,
Dann hat er die Tbeile in der Hand« —
so folgt jetzt, unter Wiedervereinigung des Getrennten, eine Dar-
stellang des Zusammenwirkens dieser Einzelkräfte im Kriege, beim
Lagern, auf dem Marsche, im Kampfe, beim Angreifen und Ver-
theidigen.
a. Das erste Oapitel, der Beschreibung des römischen Lagers
gewidmet, ist eines der interessantesten und gelungensten im Buche
des Verfassers. Den Beschluss macht auf S. 137 eine Zeichnung,
den Plan eines Lagers enthaltend, die einzige Illustration im gan-
zen Buche.
b. Das zweite Capitel gibt das Signal zum Aufbruch, das
Lager wird geräumt, die Bagage zusammengepackt (coUigere txwa
ist die Phrase daför), und leichte, wie schwere, gleichmässig und
des leichteren Transports wegen auf Saumthiere (iumenia sarcinariaj
gelegt. Der Soldat macht, seine Ration ftlr 14 Tage, u. s. w.
Alles in Allem 60 Pfiind, die Waffen nicht inbegriffen, auf dem
*) Vgl. JZ^, Ueber ein In der fl«ntiilwBg u. s. Hr. «nfbewahrtei römi-
sches FeldxeScbea. Karhruhe 1856.
SickMi, itt wörtlichsten Siime impedUus^ seiae iwaasig Meika
per Tag.
Geht der Marsch durch Feindealaiid , so hat Allee aeme vor-
geachriebene Ordanng, von der nicht abgewiechen wird, sollte man
aiA auch nur in der Nähe eines Feindes befinden. 8. 140.
Besonders schwierig mnsste der Marsch dnrch Gebirgsgegenden
sein, wof&r der Verf. das Beispiel der Schlacht am See Trasimenus
citirt, oder Aber Flttsse, wenn der Feind nahe war. Die Passage
richtete sich in der Begel dann nach der Beschaffenheit des Flnsses,
greeee wurden anf Fahrzeugen passirt, kleine seu Pubs. Er erwähnt
sogar der Brücken znm Zwecke von Flusspassagen, z. B. der Sehiff-
hrflcken anf den Padns (im Kriege zwischen Otho und Vitellios bei
Taciias) S. 145; der Brücke über die Elaveris (Allier) im Kriege
zwiaeh«! Cäsar und Yereingetorix : C<us. de beiL Oaä, VJL 34.
Der Pfahlbrttcken Cäsar*s aus dem Jahr 55 (bei Neuwied) und
den Jahr 53 (bei Engers), vgL Com« de öell QaU. IV, 17, hat der
VerL nicht mit einer Silbe erwähnt, geschweige sie durch eine Ab-*
bttdang Yeranschaulicht. *)
e. Das dritte Capitel hoU anf ein Gefecht vorbereiten; De$
mmthmes de jet €t de quelques pr/ecMtione prisee par Ue generaux
iwoni la haMüe. Hier haben wir es wieder mit Andeutungen und
zwar über die gefürchteten Wurfinaschiuen (Katapulten tmd Balietea),
äowie die Seorpioue zu thun, die beiVegetius wanu^aJMa beissen,
woianf
d. das vierte Capitel, betitelt : De Vordre de boiaiUe, mit den
verschiedenen Aufstellungen bekannt macht, denen sich die Legion
unterziehen konnte, den linearen (nach Htutati, Prineipee, TriarU),
die das Centrum bildeten. Wichtig sind die Distanzen-Angaben
zwischen je zwei Soldaten, zwischen je zwei Corps, femer die Beihen*
folge der Angriffe, Richtung des Centrums und der FlügeL Eine
Beecfareibang der Angriffsordnung gibt der Vetf. 8. 161 ff. Einige
wählend der Schlacht vorkommende Manöver z. B. Keil, Klammer,
Sige, schlössen sich leicht an das allgemeine Vorgehen an, und
legten Beweise iUr die Fähigkeit der Legion ab zu jcänlpfen und
zu öegen. — Nach Vegeüus zählt der Verf. S. 170 sieben sogen.
Ordree de baiaille auf. Auf der Hdhe ihrer Bedeutung befand sieb
die militärische Taktik der Bömer gegen Ende der punisohen Kriege
und von da bis Cäsar. In dieser Periode ist auch Gelegenheit, das
Verdienst ihrer commandirenden Befehlshaber zu schätzen. Der
VerfL schliesst das Capitel mit einer Darstellung der Niederlage
bei Cannä (S. 172) und des Sieges bei Zama (S. 176 ff.)
Noch zwei Capitel sind übrig, bevor der Verf. diese Partie
seines Buches verläset, aber zwei sich ergänzende, das fünfte näm-
*) Vergl. Caesaris Comm. de heÜ. GäUic , tu s. w. berauBg^geben von
8t«ber und Reliihafd 1660. 8. 101, ilnd Sueten's Lebeli Cäser'su. b.w, von
DocrgsBSy s. die TslU.
1(U L»ii«rre: De U MÜloe roiMüne.
lieh, welches ydn der Belagerungsweise handelt, und das seohste
ttber die Vertheidigung einer Stadt gegen Belagerer.
e. Das erstere dieser beiden, und längere, S. 181, sucht dar-
znthon, dass die Römer ihre Tüchtigkeit nicht weniger bei dem
Angriffe anf mobile feindliche Colonnen, und zwar, wo es nicht
dnrch einen Handstreich gelang, selbst in regelrechter Belagenmg
mit allem Aufwand von Parallelen, Laufgraben und Approchen,
Minen u. s. w. Bis zu welchem Grade die Römer es in dieser Kunst
gebracht haben, zeigen die Beispiele von Numantia (Liy. Epit. LY.
App. Hisp. 76) und Alösia (Dt h. G, VIJ, 68)^ besonders das letztere,
weil Cttsar's Lage schwieriger war, als die Lage Scipio^s gewesen.
S. 188 ff. üeber den Zweck der Laufgräben beruffc er sich speciell
auf Josephus und Polybius, wo zwar die Worte angefahrt, aber
nicht die Stellen citirt werden: Zum Ghraben gelangt, fQllte man
ihn aus, wenn er trocken war, und begann die Arbeit der Appro-
chen und Minen. Hierttber muss man speciell Yitruyius befh^n,
der die Beschreibung von vinea, pltäeu»^ tnuseulua u« s. w. enthält«
Alle einzelnen und kleineren Schutz- und Sturmdächer übertraf der
Belagerungsthurm, in dessen Beschreibung der Verf. sich genau an
Vegetius hält. Es wird dann noch einiger kleiner Maschinen ge-
dacht, auch des cuniculus des Camillus bei der Belagerung von
Veii S. 198.
Setzen wir den Fall, man hatte eine Bresche! Dann stürmte
man und rückte in geschlossenen Reihen, mit vorgehaltenen Schil-
den, Arm in Arm, die Beli^erten vor sich hertreibend. War die
Mauer zu hoch, so gab es eine besondere Art Maschinen, genannt
ieUenon: Vegtt IV, 2L Bisweilen verstand man sich auch zur Auf-
fllhmng eines Walles vor der Mauer, in einer Länge von mehreren
hundert Füssen, und von verhältnissmässiger Breite.
f Wie sich nun die Belagerten gegen die Belagerer wehrten,
durch Terrassirung der Mauern von Innen, AusHllle auf die Schanz-
arbeiten, zur Verhütung der Anlegung von Laufgräben, Schleuder-
sohllsse zur Zerstörung von Maschinen^ Gegenminen , Ausbesserung
der Breschen, Alles das ist der, leider etwas mager gehaltene In-
halt des sechsten Capitels. Bemerkenswerth ist die Erwähnung
des Verf., dass Belagerte zuweilen eine zweite Mauer innerhalb der
eigentlichen aufrichteten, was die Saguntiner durch ihre Verthei-
digung- bestätigen. Zuweilen schlug eine Stadt die Stürme des
Feindes ab, wie Athen Sulla^s, und konnte erst durch Hunger be-
zwungen werden.
■ritte Nrlie. Wir sind bei der dritten Partie des Buches an-
gelangt: „De la Marine et de farmSe manoeuvrant iur tnerJ*
a. Die verschiedenen Arten von Schiffen (Lastschiffen, Ruder-
sohiflen, Kriegsschiffen) sind Gegenstand des Einleitungskapitels.
In Bezug auf den eigentlichen, die Kriegsschiffe, unterscheidet
b« Das zweite Kapitel S. 215 ff., gestützt auf die Ergebnisse
von A. Jal, Einruderer u, s. w. bis Fünfruderer. Beispiele von
LaniArret De \m MOIc» loonlM. 186
EimndereTn emlhiit der Verf. nach Münzen, Zweirnderer sind die
bekumten Liborner (Veget. lY, 34). Die Stellung der Buderbftnke
ZQ Teranschaalicen, ist der wichtigste Punkt. Der Verf. entscheidet
sieh ftr die Lage übereinander, eine Lösung, die M. Jal fond, und
worauf die Beconstmction der berühmten Trireme in St. Clond
bemht. Die Frage nach den Hexeren, Hepteren n. s. w. erklärt
der Verf. nach allen angeblichen Untersuchungen gelehrter Vor-
gftager für ein sohwerlßsbares Problem, unter Berufung auf die
Worte M. Jars: „N'y a^til pas lä qudqttt ehose dPauagi compHqui
qme saus Us dhwmina(ion$ corvettes^ fregtUes ei iroU ptmU? Pro^
hoMemeni; mms gwn? Je tax bemtcoup ehereh^, »ans favoir inntv/,
ä je fn'aeeuseraia de ee manq'ie ^intelligence ^ n de grande espriU,
det kommee vrcAment su^Srieurs par leur nngacU^, de» prineee de
la eeience, r^avaieni 4U eonirainie d^avouer, moins heureux qii Oedipe,
q9^U§ ^laient vaineus par le Sphinx, ei que Vtnigme restaü inexpli-
ctMe pour eux.^ S. 225
c. Das dritt-e Kapitel, der Beschreibung und Erklärung ver*
sehiedener Theile und Bewaffnung eines Kriegsschiffs gewidmet,
S. 226, ist ein Repositorium der einschlägigen und zwar haupt*
Bächlicheren Artikel, unter Vermeidung der dunkleren. Am längsten
hält er sich bei dem »Schnabel« (rosira) auf, wofür er sich auf
die Erklärung desPlinius ( VTI, 5 7) stützt, ausserdem es noch eine
andere Schiffswaüe von ähnlicher Bestimmung gab, den Asser, nach
Vegei. rv, 44. üebrigens galt dieses Angriffsmittel auch der
Abwehr.
d. Wir folgen auf zehn weiteren Seiten, S. 236, im vierten
Kapitel, der Darstellung des Verf. über den Bau und die Aus-
rflslang der Flotten. In Anbetracht des Holzes, citirt er einen
Brief Caesiodor^s, im Auftrage Theodorichs, wonach zumeist Cypressen-
holz oder Fichte, aber auch Weide und Lerchenbaum, dieses be-
sonders für Masten und Raven, weil es nicht zersplittirt (Plin.
XVI, 10), gebraucht wurde.
Der Verf. bringt Beispiele von Baschheit im Bau von Schiffen
bei, die heute nicht mehr bekannt ist. Der Grund davon ist leicht
za erkennen. Was die Bemannung betrifft, so wurden Sclaven und
Freigelassene dazu genommen, auch genannt fioeü navales. Für Segel
und Steuer hatten nautae zu sorgen, für Buder die retnigee, die
ifarerseite wieder in drei ünterabtheilungen zerfielen, je nachdem
sie die unterste Bank fthalamus) zu (Ürigiren hatten, oder die
oberste (ihranus) oder die mittlere resp. mittleren, in welchem
Falle sie gygUae hiessen. Zur Seite dieser befanden sich die Marine-
soldaten (elaedarn ixißarat). Der Name dux praefedusque elaeeis,
der in Bang und Beftignissen dem Consul gleichstand, und die
Ehre eines besonderen Schiffes hatte, der navU praetoria, tritt erst
zur Zeit des Augustus auf, als in Misenum und Bavenna Flotten-
Stationen errichtet waren« Unter ihm standen ünterbefehlshaber
(navarchi, frier archi, magistri navium).
186 Lftmftrre: D« la MQIce romalne.
Die Ruderer hatten ihren besonderen ftoria^or {i^6Xev&tiig)f der
im Bange unter dem guhemator und prorda stamd. Bisweilen
hatte der horiator noch einen Flötisten bei sich (sympköniaeus).
e. Das fünfte Kapitel S. 247 ist speciell der Beschreibung
der nach M. JaPs Angabe und unter den Anspielen des Kaisers
von Dttpüz de Lome, Director der Schiffsbauten, wiederhergestellten
Trireme von St. Cloud gewidmet. Bis S. 252 ergeht sich der Verf.
in Nachweisen über die Massverhältnisse fUr das Innere ; dann folgt
eine Beschreibung der Zierrathen an den Aussenwänden , und den
Schluss des Kapitels machen einige Ausstellungen des Verfassers
S. 255, nämlich die Abwesenheit von ipotides amVordertheil die-
ser Trireme, und der Anachronismus, der in der doppelten Be-
legung des Kiels mit Kupfer besteht, zum Zweck, dem Laufe eine
grössere Schnelligkeit zu geben, während bei einer einfachen Kupfer-
belegung schon das, was Virgil uneta earina nennt, erreicht sei.
g. Die Art und Weise, y,de laneer lis vaisseaux ä la mer'^
ferner „h mouUlage des floHts^^ sowie die Beschreibung von Häfen,
besonders des von Ostia, wofür er sich ausgesprochenermassen an
Anthony Rieh ansohliesst, enthält das sechste Kapitel S. 257.*)
h. Das siebente, S. 272, sucht Aufschlüsse über die Massge-
schwindigkeit der Schiffscourse zu geben, und hält dafür, dass der
Lauf der antiken Triremen dieselbe Schnelligkeit gehabt habe, wie
der Lauf der Galeren im 16. und 17. Jahrhundert, gestützt auf
den Calcül M. Jal's. Den Schluss macht der Truppentransport;
er ist zugleich eine technische Beleuchtung des Uebergangs Soipio'9
nach Africa (Liv XXIX, 26), und Cäsar's nach Britannien S. 280
bis 284.
i. Das Hauptkapitel in dieser Partie ist das achte: „TaifUfue
navale^', S. 285. Obzwar, so beginnt derVerf, die Römer vor den
Punierkriegen Sehiffe hatten, so datirt das Dasein von Kriegsflotten
bei ihnen doch erst seitdem, und zwar seit dem Seesiege des
Duillius. Ihre Kampfesweise war mehrfach, und zwar so, dass der
Kampf in gradliniger Reihe, oder mondsichelförmig (ordine lunato)
gekämpft wurde, oder umgekehrt (incurvo ordine), oder in Form
eines Keils, oder einer Scheere. Vor dem Angriffe wurde diese
Scblachtordre angesagt; der Feldherr selbst, auf raschem Rüderer
ermunterte noch besonders zur Pflicht (Antonius bei Aktium, Nikias
bei Syrakus). Dann wurden die Segel beigesetzt, Schaluppen hinab-
gelassen, und Pfeile, Steine und Bränder auf den Feind gerichtet.
Das Signal hiezu gab die Aufhissung einer rothen Flagge auf der
nanU pradoria, worauf die Flotteniinien auf Sohiffslänge an ein-
ander heranruderten. Zuerst suchten sie einander zu durchbohren
mit den Schnäbeln oder den Kiel einzurennen. War die ursprüng-
•) VennlBst werden Wer Angaben Ober die Zahl der Schiffe. Vergl.
ffir die J. 218—1^08 die Znaammenstelliiiig In Napoleon s Ilt. Hist. de Jul.
des. L p, 162.
hrnmuffi D« ]« IfOlM romftfaM. 1S7
lidie Ordmuig lerstöii, und konnte man eindringen, &o mandTrirte
man, nm die Ruderbänke ausser Wirkung zu setzen, entweder durch
achrflgen AngrilT (obliquem tnt) oder mittelst kleiner Schaluppen, die
einige Verwegene bestiegen, um am Hintertheil dati Tauwerk durch»
zuschneiden, woran das Steuer befestigt war. Da aber der Feind diesem
Ausgange auf alle Weise Torzubeugen bemüht war, so war das ge-
wöhnliche Mittel das Entern. War geentert, so entschied das
Schwert.
k. Wir stehen beim Schlusskapitel dieser Partie, dem neunten,
S. 295: yySieiK des villes fnaritimea'^, welches an ein Kapitel der
vorigen Partie anknüpft, wo von dem Angriffe auf Städte, und von
ihrer Yertheidigung überhaupt die Rede war. Ganz anders geht es
jedoch bei dem Angriffe auf Seestädte vor sich, wovon die Be-
lagerung von Rhodus durch Demetrius Poliorcetes ein Beispiel ist.
Den Belagerungsarbeiten , die hier aufgeftlhrt wurden, sind keine
mehr gleichgekommen im Alterthum, die Belagerung Carthago's
durch Scipio ausgenommen. Der Verf. verweilt bei der letzteren
S. 297 ff. Zuletzt erwähnt er der nicht minder interessanten Be*
lagerung Alexandria*s während Cäsar's Aufenthalt in Aegypten,
ebenso ausftlhrlich 8. 300 bis zu Ende.
Vierte Partie. Die vierte Partie, Admviüdration de Varm^e be-
titelt, S. 305 ff., zerfallt in acht Kapitel, welche von verschiedenen
Arten der Aushebung (erstes Kapitel), von den Eintrittsbedingungen
und Fahneneid (zweites Kapitel), von Einübung und üebungen
(drittes Kapitel), von Zucht und peinlichen Strafen (viertes Kapitel),
von Verpflegung und Bekleidung (fünftes Kapitel), vom Solde (sechstes
Kapitel), vom Lazaretwesen und Traindienst (siebentes Kapitel),
und endlich von der Lage des Soldaten und Pensionen handelt
(achtes Kapitel). Darunter ist das vierte mit dem meisten Erfolge
bebandelt. Doch wir wollen nicht vorgreifen.
a. Die Aushebungen unter Servius, denn von früher stattge-
habten, deren der Verf. gedenkt, dürfen wir absehen, geschahen
nach Massgabe des Classenunterschiedes, so dass wer mehr intere»-
sirt bei dem Staatswohl war durch sein eigenes Hab und Gut, bei
diesem auch mehr Eifer und Muth vorausgesetzt wurde (Gell. XVI,
10). Bis auf Marina war dieser Gesichtspunkt massgebend. Dann
ordnete dieser, sobald er Consul geworden, eine Aushebung in allen
Klaaton ohne Unterschied an, und nahm jeden Bürger, der sich
ste^te (Flut. Mar. 9). Wir übergehen die Formalitäten, die bei
ddr Aushebung stattfanden. Dieser Akt selbst durchlief gewisse
Stadien: 1) poniis aellU deleetum habebant (nämlich die Consuln)^
2) eüabant nominatim iuniores, 3) ad nowen respondebant, 4) aeri"
htbaniur miliUs. Diese Rolle, griechisch xccraXoyog fUya^ genannt,
enthielt die Namen aller Soldaten nebst ihren Dienstjahren. Die
erste Aenderung, welche vor sich ging, bestand darin, dass nicht
mehr die Consuln, sondern die Tribunen die Einschreibung vor-
nahmen, und zwar seit 582 (Liv. XLU. 33).
18$ LftmArre: De I« MÜioe romaloe.
Die Aushebtmg geschah auf dem Capitol bisweflen auch auf
dem Marsfeld. Wenn die Consuln begannen, sorgten sie für eine
gnte Vorbedeutung, welche darin bestand, dass der Name des ersten
Soldaten, der gerufen wurde, Glück bedeutete z. B. Salviusj Vale-
rhu. S. de. de Divin, /, 102.
Nach diesem Akte marsohirten die Ausgehobenen zu dem ihnen
vom dtix bestimmten Orte ab, entweder am Thore der Stadt oder
in einiger Entfernung von der Stadt, ohne Waffen, Bagage, Ord-
nung u. 8. w. Das Alles erhielten sie erst draussen, wo ihnen die
Reihen und die Feldzeichen angewiesen, und sie centurienweise ab-
getheilt, d. h. centuriirt wurden (ceniuriare militea ist die Phrase
hiefür).
Der Consul erschien auf dem Sammelplatze im Feldhermkleide
(paludatv^), yerrichtete ein Opfer, merkte sich die Abwesenden,
die später (perinde ae H deseruissent) bestraft wurden, reinigte sein
Herr, und begann die Feindseligkeiten.
Nach diesen Angaben über die legUima müüia erklärt der
Verf. noch die ausserordentliche Aushebung in der Form der eon-
iuratio, welche man: > Landsturm« übersetzen kann, französisch
Jev^e en masne, von der nur Priester und Qreise ausgenommen
waren, und die dritte Art der Aushebung, evocatio, welche durch
vom Senat ernannte Commissare (conquisitores) ausser Rom geschah.
Mit Augustus kam es zu regelmässigen und beständigen Legions-
körpern, je nach Provinzen, so dass ein mit Kriegführung beauf-
tragter Führer disponible Truppen vorfand. Seit Caracalla, vordem
schon alle Einwohner des Reichs Bürger geworden waren, musste
jede Provinz eine bestimmte Anzahl Soldaten stellen, oder ihr
Gontingent in Geld zahlen. Der Willkür, wozu diese Gewohnheit
führte, misst Vegetius (I, 7) das Unglück der Römer bei.
b. Bis zum 46sten Lebensjahre hiessen die Militärs iumare.t,
später seniore». Die Tauglichkeit zum Eintritt, worüber sich das
zweite Kapitel verbreitet, hing davon ab, dass die jungen Römer
1) 17 Jahre alt waren, 2) die sogen, media militaris «tnttira hatten,
um mit Livius zu reden, (Liv. VII, 10) d. h. 5' 10" = 1», 727,
und 8) vigumr physique besassen, nämlich lebhaftes Auge, aufge-
richteten Kopf, breite Brust, feste Schultern, kräftige Faust, lange
Arme, kleinen Bauch, dünne Taille, nervige Beine und Füsse.
Soldat sein war ein Vorrecht. Auf dieses Vorrecht Anspruch
machen, wenn man es nicht durfte, galt für ein Verbrechen. Scla-
ven wurden nicht zugelassen, und Freigelassene dienten nur in den
Reihen der aoeii navales. Daher ist es erklärlich, wie zur Zeit der
Triumvim ein Sdave, der unter den Soldaten erkannt wurde, den
Tarpeiischen Felsen hinabgeschleudert wurde. Von der Exclusion
wurden aber noch betroffen : Gladiatoren, Schauspieler, und solche,
die ein Luxusgewerbe trieben.
Wohl zu unterscheiden von ihr ist die Exemtion (varaiio).
Während jene eine Schande, ist diese ein Vortheil. Es gab deren
L«in«rre: De U MUlee romabd. 189
dreiarlei, nämlich eine Juäta; diese war den PrieBtem und (seit
Hadrian) ancb den Aerzien eingeräumt; die neceäsaria (oder eau-
Baria) genossen die Kranken; die honararia war eine Belohnong
für einen dem Staate erwiesenen grossen Dienst, und wurde vom
Senat oder vom Volke Terliehen.
Der Eid, den die Soldaten zu leisten hatten, bestand in zwei
sehr Terschiedenen Formehi. Die erste wurde unmittelbar nach der
Anahebong noch aU Bürger gesprochen, und bestand darin, Qe-
horaam und Treue gegen die Befehle der Consuln zu schwOren.
Einer trat Tor, sprach die Formel, wie sie ihm vorgesagt wurde,
und darauf die Uebrigen vor den Tribunen defilirende, aecunditm
ardinem, indem sie einfach zu erklären hatten: Ich auch, Mai de
meme sssJn ft demceps guisque iurat, lautet der Bericht bei Livius
(11, 45). — Die zweite Formel wurde von den Eingeschriebenen
erst nach ihrer Unterbringung bei den verschiedenen Corps ge-
sprochen, und um£EiS8t das Versprechen der Anhänglichkeit an sein
Corps, der Rechtlichkeit und der Treue. — Unter den Kaisem gab
es nur noch eine Formel, die aber alle Jahre am ersten Januar
erneuert wurde, was bei Tacitus heisst (Hist. I, 55): „^olemnt
calendartum ianuarium.^ Vgl. Plin. Epist. X, 30.
Durch diesen Eid wurde der Bürger Soldat und zwar fttr —
immer, nicht blos, wie es in modernen Staaten der Fall ist, für
acht Jahre oder gar nur für drei resp. zwei Jahre.
c. Die Erziehung der Soldaten, der Inhalt des dritten Kapitels,
fiel ursprünglich mit der Erziehung des Bürgers zusammen, und
wurde erst später, seit 648 durch den Consul P. ButUius geson-
dert geleitet, und zu einem Unterrichtsfach, für dessen Behandlung
besondere Lehrer nöthig wurden (dociore$ armarum)' Entweder
waren diese dodcres Soldaten oder lanistae. Einige Inschriften
ans der ersten Kaiserzeit lehren, dass jede Cohorte ihre besonde-
ren Exercitienmeister hatte : doclor cohorlUy campi doctor. Bei den
üeboBgen, die von den Tribunen überwacht wurden, ging es bald
mit Oepäck, bald ohne, in forcirten und gewöhnlichen Schritt-
flbungen. Man unterschied ^adus fnüiiarU, plenus graduB und
curtus» Bei dem ersten gingen 4000 Passus auf die Stunde im
Sommer, bei dem pienus grcuka aber 24000 auf fünf Stunden« Der
curms hatte keine bestimmten Segeln. Der Verf. vergleicht diese
Punkte mit französischen Bestimmungen S. 838. Soweit das erste
Stadium!
Dazu kamen Springübungen, Uebungen im Tanzen, auf dem
Marsfelde, und Schwimmen im Tiber, was Alle lernen mussteo.
Der Sprung wird als ein wichtiges Exercitium von Vegetius be-
handelt. Das Tanzen war darauf berechnet, ihre Glieder zugleich
gewandt zu machen« Bei den Griechen war das Tanzen nvi^^lpi^
von Festus mit »äliaiio beUicrepa übersetzt, aber echt römisch
armatura genannt.
190 Lamarre: Tii' k Mllioe- romaina.
Nun kam das dritte Stadium : Die Führang der Waffen I Man
lehrte zuerst den Gebrauch des Pilum, Schildes und Stossschwerts.
Tttglich gab es Fechtstanden, zweimal für die neuen, einmal für
die Alten. Dann bildeten Schilde von Weiden doppelt so schwer als
ihre gewöhnlichen, Stöcke anstatt der Schwerter, und sehr schwere
pannoniscbe Sturmhauben, damit ihr gewöhnlicher Helm ihnen her-
nach leichter erschien, ihre Ausrüstung. So Hess man sie fechten
gegen im Boden befestigte 6 Fuss hohe hölzerne Gestelle. Die
Fechtlehrer zeigten ihnen, wie man den Stoss zu führen, das Ge-
sicht zu treffen, die Seiten anzugreifen, und sich zu ducken hätte,
um die Kniekehlen zu treffen; wie man vorrücken und weichen
müsse, ohne dem Feinde eine Blosse zu geben. Stechen geht über
Schlagen, sagt Yegetius I, 11 u. 12. üngelehrigkeit in derLection
ward mit Verabreichung von Gerste als Nahrung bestraft.
Diese methodischen üebungen wurden auch den leiditen Truppen
gelehrt.
Je nach den Waffen hatte der üebungsplatz seinen besonderen
Nam^i. Verwechselung dieser Plätze ward streng bestraft.
Hatte 80 der Krieger seine Separatvorbereitung erhalten, kamen
die gemeinsamen Üebungen an die Beihen, als viertes Stadium —
in dem Karrä (quadraium a.gmen), in der Keilordnung (cunet/a),
und in dem, was der Verf. pdoton rond nennt (orbü: Caea. de
bdU 6 all. IV, 87.).
Später vereinigte man die Legion, sogar mehrere, rangirte sie
als Schlacht, und Hess sie handeln, wie am Tage einer Schlacht
gegen einander, wo dann alle üebungen Angriff, Verfolgung, und
Bückzug aus einem wirklichen Gefechte durchexercirlj wurden.
Die Beiterei nahm, vorher Mann für Mann wie die Fuss-
Soldaten eingeübt, an diesen allgemeinen üebungen Theil. Ausser
dem, dass sie gelehrt wurden, zu Fuss zu fechten, lernten sie noch
die Kunst zu Pferde zu kämpfen. Ganz genau beschreibt dies Ve-
getiuB I, 18, 27. UI, 2 , wie sie es zuerst mit hölzernen Pferden,
dann mit den wirklichen Pferden ausführten.
Das fünfte Stadium war, dass alle Legionäre ohne unterschied
noch unterrichtet wurden, ein Lager zu befestigen.
Nichts ward der Laune des Kriegers überlassen. Der Schrei
sogar, welcher das Signal gab, hatte seine Gesetze. Was für einen
Werth er für Freund und wider Feind hatte, wusste besonders
Cäsar zu schätzen: Bell. Civil. IE, 92.
Diese üebungen, welche im Frieden stattfanden, waren nicht
die einzige Aufgabe, die selbst gutexercirte Legionen ?u erfUlen
hatten ; man verwandte sie auch zu öffentlichen Arbeiten, und man-
ches kostbare öffentliche Denkmal, das in unseren Tagen wieder
an's Licht gefördert wird, verdankte einst den firiedlichen Arbeiten
der Legionen sein £9tatehen, Brücken, Tempel, Säulenhallen, Canal-
reinigung, Strassenbau, Erweiterung von Fluasbetten , Trocken-
legung von Sümpfen u. s. w.
Lftmftrre: De k MOlee ranaine. 101
4. Dem ▼ierten Kapitel hat der Verf. die Disciplin im Heere
xiigewie80a, die Strafen nnd Belohnungen. Strenge Strafen gegen
Vergehen, rohmvolle Belohnungen für den Muth unterhielten unter
Allen eine heilsame Furcht neben edlen Wetteifer, und ist der
Gnmdy warum Yalerins Maximus die genaue und strenge Disciplin
der Legion die treueate Hüterin des Reiches nennt (VI, 1, §. 11
ed. Knapf): ,^ancii$gima Romani imperii custos severa easirarum
Die richtende und Strafgewalt lag in der Hand der Comman-
direnden. Sie hatten ausser Born eine absolute Macht und waren
ia^pellabel (Cic. de legg. HI, 6). Wie gross aber anch dieses An-
sehen war, so waren sie selbst gleichermassen der Disciplin unter-
worfen, und waren verpflichtet, ihre Gesetze zu befolgen : Von dem
Juristen Macer giebt es eine klassische Stelle in den Digesten
(L XTiTX. tit. 16. leg. 12): „OfficiMun regmtU txereitumnon tardum
im dandäy ud eliam in ob$ervandä ditciplinä eantiitit^ Die Bande
der Freaadsohafi und Verwandtschaft waren gelöst: denn, heisst
es weiter: „DUciplina casirorum antiguior fuü parentibt4$ Roma'-
nü, quam Caritas liberorum/' Beispiel davon ist Manlius bei Liv.
vni, 7.
Vor einer solchen Anctorität, wie sie in dem objectiven Ge-
setze sich aussprach, musste sich der Oberofficier ebensowohl, wie
dn: einÜEUähe Soldat widerstandslos beugen. Der passive Gehorsam
war die erste Regel der Disciplin, und als solche absolut, der sich
Niemand entziehen konnte. Man denke an Fabius unter dem Dicta-
tor PapiriuB Cursor (Liv. VIII. 30). Die Unterordnung und der
Gehorsam, weit entfernt, den Math zu schwächen, hob ihn nur,
weil sngleich das Vertrauen da war, dass anch der Commandirende
an diesem Gehorsam Theil hatte.
Es gab eine grosse Anzahl von Strafen wider Vergehen, theils
Ehrenstrafen, theils Leibesstrafen, bis zur Todesstrafe S« 344.
Jede dieser Gategorien begriff eine Stufenfolge in sich, die
Ehrenstrafen, einem Paragraphen in den Digesten zufolge (1. XLIX.
tit. 16. leg. 3 8. 1) die Aufeinanderfolge von cadigatio, peemniaria
fnületa, munerum indiclio^ militiae mutaiiOj gradus deiectiOj uftuwii-
mo$a miasio, Ausdrücke, die je ihre besondere Bedeutung hatten.
CaMgaiio war eine leichte Strafe und bestand in schlechterer
Bation, Aderlaas oder öffentlicher Nennung als feig, im ersten
Falle wegen Trägheit auf dem Exercirplatze zuerkannt, im zweiten
Falle wegen Poltronnerie, im letzten Falle wegen schlechten Be-
tragens. Die Ptaifdaria mulcia war Soldentziehung, in welchem
Falle bei dem Kamen in der Bolle bemerkt stand : rmgnatum ae«,
und der jäoldat, der sie zu tragen hatte, hiess aere dirtdug. Die
mdicüa munerum war eine Vermehrung der Arbeit, und traf De^
seiteuie. Die mutaUo miHUae war die Degradation z. B. des Beitere
in den Rang des Fusssoldaten , des Fusssoldaten aus der Legion
in den Bang der leichten Truppen« Die eigentliche Degradation
192 Lsmftrre: De la llUlee roomlne.
innerhalb derselben Waffe, wenn der Oflficier zu einem Subaltern-
grade nnd sogar znm einfochen L^onarius redncirt wurde, war
die deie^io gradua^ wofür der Verf. als Beispiel den Consiü Mi-
nntius (nach Liv. in, 29) citirt, der zum Optio eines Tribun, also
zum Lieutenant degradirt wurde. Die schlimmste Ehrenstrafe nnd
als solche die vollständige Degradation war die beschimpfende Ent-
lassung (iffnominio$a misHo) in Oegenwart der ganzen Besatzung,
durch den Höchstcommandirenden, der die Degradation des Schul-
digen verlas. Sie hub mit der stereotypen Formel an : Tuä operä
tarn non uiar. Dazu trat erst in späterer Zeit die Nennung der
Gründe dieses Verfahrens wie dies an dem Verfahren Gäsar*s gegen
seinen Kriegstribunen C. Avienus bekannt ist (De bell. Afrie, 54).
Die zweite Categorie waren die Leibesstrafen und zwar 1) die
Stäupung (fuaiuariutn) , 2) die Buthe (virgae), die erstere wegen
Diebstahl, Verläumdung, Büokfall in Ehrenstrafen, und wegen Be-
nommistenthum ertheilt, d. h. wegen Erschleichung einer Belohnung
durch Vorbringung einer nicht geleisteten Heldenthat. DieRuthmi-
strafe war die demüthigendste.
Todesstrafe war a^ alle Handlungen der Insubordination ge-
setzt, z. B. gewaltthätigen Widerstand eines Subordinirten gegen
einen Oberen, oder auf einen Ungehorsam, selbst wenn dieser aus
den lobenswerthesten Beweggründen herrührte. Desertion aus Bück-
fall, Wafifenverkauf, üeberkletterung der Lagermauem, um in's
Lager zu kommen, waren todeswürdige Verbrechen (Liv. TV, 29.
50. Vffl, 7. XXVin, 29). Der Verf. zeigt auch, wie die Todes-
strafe auf verschiedene Weise vollzogen wurde, durch Reinigung
(Inpidibus cooperiri hiess dies), durch Enthauptung (securi percuti),
Kreuzigung und im Falle der Desertion oder Emeute, wo der
Schuldigen viele waren, je nach Befund der Schwere, durch Vige-
simirung oder Decimirung u. s. w., selbst unter Martern.
Wenden wir uns zum üegentheil, den Belobnungen! Für die
Tapferen und die Patrioten gab es mehr als eine Belohnung, die
geeignet war, sie gegen alle Gefahren in den Kampf zu treiben:
Bom's Freigebigkeit im Belohnen überwog die Strenge im Be-
strafen !
War ein Treffen geliefert worden, und hatten einige Soldaten
sich besonders hervorgethan , so versammelte der Oommandirende
die Legion, und, indem er die Bewussten vor sich berief, beglück-
wünschte er sie wegen ihrer Tapferkeit u. s. w. Dann verÜieilte
er Belohnungen unter sie: Halsketten (torques), Medaillenketten
(phalerae), Lanzenschaffce {hadae purae), Flaggen, Armbänder, Helm-
hömer, ofb noch unter Begleitung von Geldbelohnungen und Zuer-
kennnung dienstlicher Erleichterungen, wovon die Betreffenden den
auszeichnenden Namen benefteiarii führten, und theils duplares
waren, theils simplare$. Daneben erwähnt Vegetius noch einer
Mittelstufe, der aesquiplares.
(ScUuat folgt)
Ii. 13. UEIDELBEBGEK 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Lamarre: De la Milice romaine.
(SohlnM.)
Eine nicht weniger beneidenswerthe Belohnung war die Be-
förderung zu einem höheren Dienste oder Qrade, , welche durch den
Conunandirenden verfügt wurde« Auf dieser Grundlage ruhte die
Eigenschaft der Optiones und SigfdferL Aber von Allen Beloh-
nungen, welche derMuth erwerben konnte, waren die ehrenvollsten
die Kronen! Man unterschied eine c. casirensis oder vallari», eine
e. tnurcUis, elassica, navallis oder rosirata. Die Bettung eines Bür-
gers vor feindlichem Ueberfall erwarb die e. civiea (unter der
Devise: j^ob eivem strvatum^'), deren Yortheile, moralische und
juristische, beim Verf. namhaft gemacht werden. Im eminenten
Sinne: „ob cives Mrvatos^ erhielt auf Veranstaltung des Senats
Augustns die Bürgerkrone 1 — Hatte der römische Feldherr selbst
den feindlichen Feldherm getödtet, im offenen Gefecht, so hiess
die Beute, die dem Erschlagenen abgenommen wurde, spolia opima.
Um diesen Preis focht Bomulus wider Acren von Cänina (Liv. I,
10), Cornelius Cossus wider Tolumnius von Veii (Liv. IV, 20) und
Claud. MarceUus über den Gallier Viridomar. — Die eorana obn^
dionalisy für die Bettung eines ganzen Heeres ertheilt, war eine
seltene Auszeichnung.
Daheim erwartete den siegreichen Feldherru der iriumphua.
Die Bedingungen der Erlangung (ein iustum et hoüilt bellum und
die Niederlage von 5000 Feinden in einer und derselben Aktion)
werden vom Verf. erörtert und ebenso der Triumphzug beschrieben.
e. Im fUnften Kapitel, S. 359, erfahren wir noch Details,
deren Erwähnung wir, im Interesse des Verf., nicht glauben um-
gehen zu dürfen, über Verpflegung imd Equipirung, im sechsten,
S. 371, über Löhnung, im siebenten, S. 381, über Feldchirurgie
ond Train, im achten, S. 201, über die sociale Stellung des Solda-
teuy seine Verabschiedung, und seinen Buhestand.
Die Hauptnahrung des Soldaten war Waizen, der in natura
verabreicht, auf einem Steine gerieben, und über einem Kohlen-
feuer geröstet wurde, und eine Art von bouillie gab. Erst später,
unter den Kaisem, erhielt sie eine Art Biscuit (buccellatumj.
Ausserdem wurde noch Salz verabfolgt, femer Schweinefleisch, das
mit Brod zusammen, annona civiea hiess, Oel, Käse, Gemüse und
sogar Hammelfleisch, dies aber nur bei besonderen Anlässen, also
LYm. Jahrg. 8. Heft 13
im Ganzen genommen ^ sehr frugal und sehr entfernt yon den
Bea&teal^ und den Truthähnen, die jener Zkiave in Nizza bekam.
A480 fnei^q n^Hifar\a ^onnt^, da die Bationen eich iwf daf Noth-
wendigste beschränken, recht wohl sprüchwörtlich werden.
Der Verf. spricht dann noch von dem Getränk (posca, aeehümj,
welches anfangs eine Mischung von Wasser und Essig war, und
hauptsächliot^ gegf^JS den Pi^TSt i^ heisscA TageQ gebraucht wurde,
später in Wein bestand, S. 861^ von dem Mass der Bation für
Truppen und OfElciere, von den Tagesmahlzeiten, S. 863, von dem
leinenen Soldatenkleide (sagum sayon), einer Art von Draperie, die
den Panzer bedeckte, und bei den Truppen roth war (daher diese
ruasM genannt), bei den Oenturionen und Tribunen Scharlach. Das
Sagum des Feldherm hiess paludamentum. Daneben gab es noch
eine leinene Tnnioa, die unter dem Panzer getragen wurde, und
ausserdem verschiedene Gewandungen mit verschiedenen Namen fCbr
besondere Zeiten und umstände.
Fussvolk und Beiterei waren nicht verschieden in Bekleidung,
nur dasB das Pferdegeschirr hier ausserdem zu besorgen war.
Nickt unwichtig sind die vom Verf. beigebrachten Mittheilungen
über die Lieferung der Bekleidungsstücke, welches Sache besonde-
rer Leute beim Heere war, die sie entweder selbst verfertigteH
oder von Bom bezogen; über die Besichtigung der frisch Euige-
fertigten Stücke durch besonders beauftragte Offioiere (procuratoresj,
die sie auch verabfolgten, unterstützt von einem Quaestor, der die
Nummern und ihre EmpfUnger notirte; und endlich die Mitthei-
kmgen über die Arbeiter (aagarii), denen die Sorge ablag, sie in
gutem Zustande zu erhalten.
Der gedachte Quaesior hatte alle Ausgaben zu besorgen
(rationee ad aerarium referre) ^ unter seiner Verantwortlichkeit
kauften Lieutenants (optiones frumeniarii) das Getraide auf, oder
vertheihen es, so lang es noch keine Magazine (mansiones) dafUr
gab. Später war der Praefeetu$ praäorio der berufene 0beraii5*
seher (Generalintendant) der Verpflegung der eine Menge von Be-
lunten aus allen Klassen unter sich hatte. Jede Provinz, bekam,
ihren praefeetiu annonae vorgesetzt, jede denr^e ihren praepositus,
ebenso viele Blutsauger, die sich an den Staat anklammerten, tun
ihn auszusaugen.
f. Als Anhang zu diesem Kapitel, aber doch in Form eines
eigenen Kapitels gibt der Verf. S. 871 ff. Mittheilungen über Be-
soldung, „De la Paye^ heisst die Ueberschrift. Ursprünglich ver-
trat der Sieg selbst den Sold; erst seit dem J. 849 (dem Kriege
gegen die Volsker) wurde er in Geld gezahlt, womit das Verblei-
ben der Soldaten beim Heere zugleich zugestanden war. Wir ent-
halten uns hier auf die Verrechnung der Soldtaxen einzugehen,
auch der Anlässe zur Erhöhung, die nur zu Gäsar^s Zeit ein Ge-
winn war (zufolge Suet. Caes. 26), für die späteren Zeiten, da^^^
gegen als Zeichen der Entwerthung dienen kann. Der Sold der
Offioierd Wftir h^her und wttchd mit den Gnlden, sb däSd di^ Ceü-
tiiri(Mie& das Doppelte von deni erhielten; was der Legional* er-
h]6lt> ulid die Tribunefl dae Doppelte der Centariengage.
Der Sold ward anfangs vom Volk bestritten, spater, nach dem
Kriege gegen Macedonien n. a., ans dei* Beate. Die BthrgMtriege
nonirtett den ^entlicheii Beiiatz; Met die FarteiUän|)ter ^ssten
ihr« Quellen^ xakä «nletzt Selbst noch AngnstnS dnrch Mne tiir^imu
kertdäalum et legcOorum^ So wie dnrch eine cMe^rha venditörufh
(Tte. Abu. I, 78) mit nngesohwäcbteii Fonds die BiMnng einet niili-
tftrischen Repräsentation zn unterhalten; ntrd ani denl ko gebilde-
ten Aer&tium milUitre) dessen Verwaltung sechs Oberdfficiören über-
tragen war, quartalweise die Gagen zu bestreiten, nicht mehr wie
frfüier holbjAhrlicb. Esyerstefat sich, dass diese OberöfÜciere durch-
attl mit dem Yerfiahren des Rechnens vertraute Lernte wateh
{UttermH müitei^ Ytg. II, 19). Der Verf. beschreibt den kadtis ihret
Verrechnungen, und die Theilung in dieses Geschäft nach dän
Graden ihres Ranges, er&rt^ die Möglichkeit von Missbräuchen an der
Untrere zweier Offioiere des J. Cäsar, die, als sie des tlaubes tlber-
f&hrt waren, zu Pompeius desertirten, um in seinem Lager ihre
Belwtide zti verbergen (Caes. de bell, ciril. m, 59). Er schliesst
mit der Bemerkung, dass, wie sehr auch gute Kaiser bestrebt
warea, die Missbräuche abzuschaffen, die letzteren doch iminät
wieder man Vorschein kamen.
g. Ein nicht unmchtiger Gesichtspunkt in diesem Buche ist
der G^esundheitszustand des römischen Kriegers, dem das siebente
Kapitel S. 881 gewidmet ist : „Des m^dicim d cMHtrgieiu tnili-
Udru; des hommea aUaeh^ au eenoiee de farm^e.^ Der Gesund-
faeitesnstand ist aber nicht das Einzige, sondern eingangs ist, ab*
geeeken ron einer Reoapitulation, auch noch von reügiösen Dingen,
AngatienTomahme die Bede. Was die Aerzte betrifft, die Militär-
trste nSmlieh, von denen dann im AnschluSs die Rede ist, sö
stützt sich der Verf., in Ermangelung näherer 'Einzelheiten in
Desobry-'s Aonte cm eieelt d! Auguste, wo nur von römischen Aerzten
lAerkaapt gesprochen wird, vorzugsweise auf eine Arbeit eines
Herr Anbertin, im Journal de VJnsiruetioh publique. Er analysirt
diese auf die Militäi'medioin des Alterthüms bezügliche Arbeit.
Wahrend der ersten sechs Jahrhunderte hatten die Römer keinö
Aerste, und koiinten niithin auch ihren Heeren keine mitgaben.
Die reiohen Bflrger behalfen sich mit Arzneibüchern, Wie heutzu-
tage die Hausfrauen mit den Kochbüchern. Aber draussen atif dei^
Felde, verpflegten die CaiHaraden einandei^, odei- in den öchKmm-
sten FftDen musste die benachbarte Stadt die Sorge ftlr die Schwer-
verwundeten übernehmen. Die erste chirurgische Schule gründete
in. Rom eto gewisser Archagatas aus dem Pelopottües. Der Anfang
wstf gemacht. Die Armee hatte jetzt wenigstens Ohimrgen« Wie
sehr das BedürfiilSB daMach und nach Aerzten empfimdeh wurde,
bezeugt Cäsar durch seinen Erlass, der das Bürgerrecht denselben
106 liftmarre: De U Millioa roBMÜne.
verlieh (Suet. Caes. 42) und Augustus durch den seinigen, der
sie von den Abgaben befreite. Alle Aerzte, welche bei der Legion
dienteui wurden mtdici legianis titulirt, die Aerzte in den Gehörten
medici eohorUsI Es gab auch Yeterinärärzte : medici iumentarii
(zufolge einer Inschrift bei Orelli).
Der Verfasser lässt es unentschieden, ob es Ambulancen und
Spitäler gab, weil es wenigstens nicht aus Cftsar*8 Schriften nach-
weisbar, und dass eine Stelle aus dem Leben des Alex. Severus
auf die Annahme ftlhren könne. Zuletzt i^t noch von den kctiearn
und den Trossbuben die Bede.
h. So stehen wir denn, S. 391, bei dem Schlusskapitel des
ganzen Lamarre* sehen Werkes: „Condition du Boldat; cang^ ei
retraite,^ Wir erfahren hier, dass der Soldat seit der Zeit, dass
der Dienst einen besonderen Stand begünstigte, keine legitime Ehe
eingehen konnte. So war es von Augustus bis Septim. Severus.
Die Folge davon war, dass sie im Concubioat lebteo. Femer wird,
S. 394, als einer Entschädigung, der Länderanweisungen gedacht,
bestimmte Territorien, welche Anlass zu späteren Städten geworden
sind. Den Schluss macht dann die Missio,
Mit dieser Geduld und Zeit bedingenden, aber nicht unirucht-
baren Arbeit, hat der Verf. zwar bewiesen, dass er das Material
bewältigt-, aber auch nicht undeutlich verrathen, wie hindernd die
historischen Bücksichten sind. Durch die Hinzufügung von „depuis
la fondation de Rome jusqu'ä Consiantin^ hat er sich vor dem Vor-
wurf bewahrt, dass sie nur eine üebersichtsarbeit sei. Wenn wir
bedenken, dass die Gründlichkeit unserer Forscher uns selten den
Genuss einer Üebersicht verstattet, so muss des Verf. gegenwärtige
Arbeit gerade als Üebersichtsarbeit unser Interesse fesseln gegen-
über den Detailstudien der ünsrigen. Es wäre nur zu wünschen,
dass die Franzosen bei ihrer Gewandtheit in der Zusammenfassung^
mehr die Arbeiten ihrer deutschen Fachgenossen zu Bathe zögen.
Das Beispiel der Histoire de Jules Cesar kann sie hier belehren. Die-
ser umstand ist uns bei der Lektüre des Lamarre' sehen Buches
besonders aufgefallen. Von einer Berücksichtigung und Namhaft-
machung von Bähr's Artikeln*), von Büstow*8 Commentaren, A. v«
Göler's Darstellungen, Eramer's Einleitungen und Anmerkungen za
C. Marquardt*s Abhandlungen {Hidoriae Equit Roman, u. s. w.) u. A.,
die es sich gelohnt hätte, kennen zu lernen, ist keine Spur za
finden. Selbst französische Vorai*beiten sind nur selten genannt,
z. B. die ausgezeichneten Arbeiten des Historiographen der kaiser-
lichen Marine, Herrn Aug. Jal (laut den Schlussworten des ersten
Gapitels, Partie m. , femer Dezobry's Rome au siiele d' Auguste,
Adam, DiscipL milü. des Romains, und Montesquieu*s Grandeur et
D^eadence etc. Zwei Verfasser, Saumaise und Folard, werden zwar
S. 1 vollständiger, aber im Texte nur auf ihren Namen citirt,
o)me Bezugnahme auf ihre Schriftentitel und Seite.
*) In Pauly*! Enoyolop.
Lamsrni: De la Mfllee romaine. 10t
Tor allem wftre eine Kriiak der Darstellimg des Vegetius nSthig
gewesen, sn der er nur ein einziges Mal, nftmlick S. 169, den An-
lauf genommen hat, indem er dort über seine Confasion klagt.
Nichtsdestoweniger hat uns ein gewisses Vorurtheil för die-
selbe eingenommen, woran die Thatsache den Hanptantheil hat,
dass die Franzosen selbst geborene Soldaten sind, nnd die fernere
Hiatsaefae, dass nnter den Anspicien des Kaisers dieser Theil der
T&miBchen Alterthttmer mit besonderer Vorliebe erforscht wird.
Damm sachten wir uns in jene Lage zu schicken, und mit dem
Ver&sser ron seinem Standpunkte ans die Fragen für gewisse
Ptile bis zum Schlüsse zn snspendiren.
Für die LOsung dieser Fragen war nunmehr die Gelegenheit
gekommen, und der Hauptsache nach ist sie in den yorerwähnten
Mängeln gegeben. Was wir nun noch zu beklagen haben, sind klei-
nere Ponkte, nämlich, wie schon im Laufe der Zergliederung ge-
seliehen ist, den Mangel an Illustrationen, weshalb wir das Buch
nur dem empfehlen würden, der die resp. bildlichen Darstellungen
sdion gesehen hat, oder doch leicht bekommen kann. Vielleicht
setzt der Verf. voraus, die Leser seines Buches seien im Besitze
des ühistrirten Wörterbuchs römischer AlterthtLmer von Anthony
Bißh, aber ausgesprochen hat er es nicht. Zu Seite 109 hätte er
ein Inventar über die bis jetzt bekannt gewordenen Standarten
geben sollen, wie solches Zell gethan hat. Vgl. über ein etc. römi-
sches Feldzeichen (Garlsruhe 1855) S. 15. Auf S. 42 werden die
Expiitratores vermisst, worüber sich v. Göler gründlich ausgespro-
chen hat, in : die Kämpfe bei Dyrrhachium und Pharsalus S. 107.
Durch das ganze Buch schleicht noch der Qlaube an mili-
tärische Einrichtungen durch Romulus.
Wir sind dem Verf. hingegen das Lob einer fleissigen Lektüre
der Olassiker schuldig, sowie einer Benutzung der systematischen
Taktiker, daneben auch das Lob eines klaren Blicks in die ge-
sdiichtliche Entwicklung der römischen Legion, wovon die einlei-
tende, einige zwanzig Seiten zählende Abhandlung: „Du R3le
kialöripse de la miliee romaine^ Zeugniss ablegt. In fönf aufein-
anderfolgenden üeberblicken sind die Perioden der Eroberungen
und der Bürgerkriege, des Eaiserthums, die Bolle der prätorianischen
Leibwache und die Umwandlungen im römischen Heerwesen seit
Garacalla kurz und treffend erwogen, und wieder einmal die Leist-
Qugen Cäsar^s und des Augnstus in diesem Punkte in ein effekt-
volles Licht gerückt worden.*)
Wir wollen diese Prüfung nicht beschliessen, ohne, an unsere
Eingangsbetrachtung anknüpfend, dem Werke die Stelle anzuweisen,
die ihm gebührt. Die Betrachtung des römischen Heerwesens hat
ihre zwei Seiten; sie kann darauf ausgehen, seine wundervolle
Organisation zu ergründen, oder seine militärischen Eigenschaffcen,
^ VgL Lange, BistoHa mutationum rei müüaris Bomanorum inde ab
wUrUu rei pMicae usque ad Constantinum Magnum. Götting. 1846.
198 Reinisoh: ^1» Igyp4ifb«i Dei|kii|lkv m WnaxuLt,
ader di^ OrüxKde seisar üebdr)eg«Bhdit ttber die Heere ihrer Zeit.
Allefi dieses, wenigstens das Brstere iind Zweite hat der Yerfassev,
Herr Prof. Lamarre mit seinem Bache sni erreichen gesuehi. Ba
gibt aber noch eine andere Seite der Betrachtung, jene nämlich,
welche Bechnenschafb von dem moralischen Charakter im römischen
Heere ablegt, von seiner politischen BoUe, von seinem fiinflass aof
die römische Qesellschafb, yon seinen Mängeln nnd Vorzügen ; Ton
dem Gebrauche endlich, welche man machte, von den letzteren, nm
diese Gesellschaft zu leiten nnd zu regieren. — Zur VerwirUichmi^
dies^ Seite der Betrachtung hat einen sehjr bemerkanswerthen
Schritt ein französischer Jurist, Herr Dübois^Gttchan, in seinem
Werke; „TaciU et son siedle'' (Paris, 1861, zw« Btode) gethan,
auf das wir demnächst zurückkommen werden. Hier sei nur der
zweiten Abhandlung: „VAxm/^ romcMiA** (Bond I. EL 24) Erwäh-
nung gethan, worin der Genannte, zwar etwas kaleidoskoi^soli,
aber mit Glück und Wahl die bewussten Gesichtspunkte zum Ver-
ständnisse bringt, und mit der, Cäsar's Entwürfen entspruagenen,
üeberzexignng scfaliesst, dasa die römische Armee und das Volk
Bom's sich nicht trenneipi lassen.
Von diesem Standpunkte aus hat das Studium des römisoh^i
Kriegswesens und der römischen Kriegsalt^rthümer nicht bloseij^a
culturhistorischen, sondern zugleich einen ethischen Werth.
Heidelberg. Dr* H* DMrgM».
/. 8, Reinischj Die ägypUichm ^QemhmäUr in Minotmflrj ^^
schrieb4in und erlmUeri mii, 4S lithographirtm Tafein, 29 in den
Text eingedruckten HolsackniUe^ und einer TiiielvigneUe. Wien
1866^ W. €h. Braumfilfer, Hef- und ünivereUätebufihhändler.
XU. 330 S. gr. 8.
II 8. Ueinisch,^ Di^ &de de$ Bamiieogrammaien Seha^ ian
ägypUechen Cabinet ttp Wien mit ItUerlu^fiarverman und (hm^
mentar nebst, l Tafel. Wien 1864. 38 8. 8^ k. k. Hof u^kd
8taatsdruqkereL
JJl. 8. Reinisch, l>iß> OrabUde d^ PtiegUra Ptah em taa muß
Inte9!Unearverrion und Commentar nebt 1 Tafel. Wien 186S^
Hof- und 8taat8d9;i4ckerei,
IV. Ohaöa^s^ Observation» mr U Chapitre VI du Riluel SgypOen^
€xf,r,aU desMäf^rea de la 8oeUt€ Met. de Langree 1868* 4, 12^
Diebe! Diebel war das allgemeine Geschrei, als nach mehr-
tansendjähriger Nacht der erste Lichtstrahl in die ägyptische Finster-
niss fiel. Bei dem ungewissen Dämmerschein bemerkte man nur
ein wirres Getümmel. Etwas Kostbares musste gefcmden sein*),
das einer dem andern zu entreissen suchte. Champollion, hiess
es, hat Young bestohlen, Salvolini den Champollion, Seyffiirth wollte
von allen und jeden bestohlen sein, Lepsius klag;te bittej-lich über
*) Die EaUifferuüg der Eigennamen.
B«11I«^li? Ute m^f^eh^ DMtanllcsr sd ttlitimtr. iM
Brügmsh, ü&!6iiiaiui Über tiepsins — doeb : de titIs nil nisi bene !
90ttBt mtlflste man ja noch melden, das« Herr Fran9oi8 Lenbrinant
1857 >flKt8 dem Naohlaas seines Vater^a*) xmd ohne de Rong^ kü
nettfien anftischte, was Jahre lang rorher de Bongö wohl mit meht
Beekt als s e i n Üi^enthmn TeröffentHcht hatte*'^). So fingirte Anionitis
alle möglichen Oesetze ans dem nnbekannteh Testament des Cttsar.
Für die gemSehHcben Zuschaner war dies Bchanspiel nicht tlnan-
genehm: ftr die philologische Orthodoxie, welche seit Pythagoras
über den Fnnd jeder netten Wahrheit eine tOdtliche Angst . enipfin-
dety für die Orientalisten en titre, welche dnrch die Ausbreitung
met jungen Schule ihre guten Plfttze bedroht glaübteh und wie
KhkpToth »Terlllumdeten, rerfluehten,
die junge grüne Baaf .
Man kann es jetzt getrost sagen, es war YerTftumdung, wenn
Küaproth den Champoüion als Fälscher anklagte***), weil di6 voü
letzterem und Gaillaud veröffentlichte Tafel Ton Abjdos in drei
NanenBBchildem nicht mit der Zeichnung von Bänkes uäd Wil-
kinaon stimmte, VerlSumdung oder Unwissenheit, denn dem Sinne
na^ stin^nen sie allerdings vollkommeii. Dennoeh war das allge-
meine llisstrauen nicht ganz ungerechtfertigt und erhielt neäe Nah-
Tung durch die üeberstürzungen der jungen Schule selbst, #o sie
fiüseh interpretirte und durch das geringe ^aass voiit ägyptischer
Weisheit das zu Tage kam, wo man richtig las. Wahre QrOise ist
besd^ei^n ; wer hätte geraubt, dass die Erbauer der Pyramiden
es fSr n5thig hielten sich zu rflhmen? und daS statt im stolzen
Lapidarstil im wohlgeset^en KanzleistO; statt in gedrungenen Epi-
grammett in langfädigen Litaneien!
PBniuB xmd Ammian meinten, auf deii Obelisken habe ihan
die Ortandgesetife der Natur eingegraben und die Geheimnisse der
Ffaüoeophie. In der That enthalten sie aber nichtsr ah die Dedl-
catio des Gebäudes vor dem sie stehen, weitläufigst aber nicht be-
scheidener als die famose Inschrift auf der Hauskapelle des Schlosses
zu Femex: Deo eröxit Voltaire.
Der Obelisk- von Longsor heute vor den Tuilerien, stand einst
vor dem sUdiichenPalbBt in Theben, dessen Erbauer er nach jedem
der vier Winde viermal namhaft macht: Ramses der Geliöbte des
Ammoii, der Erzeugte des Ba, errichtet einen Tempel des Animon
wie den himmlischen Sonnenberg zu einem mäc^igen Bau der
Ewigkeit. Hathor jubelt und ihr Götterchör lobsingt: Ed ist der
Himmely es ist dein Bau; dJevo. Name besteht so wie der Himmel
0 Bamses. So die Seite gegen die Tuilerien. Aehnlich ruft es gegen
Neuillj hinaoB : Bamses der Fürst des Südens ; der Mund des Feuers
ist mit seiaem' Schwert, er führt alle Ländelr gefangen, er der Sohn
de« Marfl u. s. w. baute diesen Tempel des Anünon;
*) Lea livres ehei les Egyptiens im Correspondant.
**\ Stades snr le Rituel fundraire. .
««*) ELumen critique de travaux da ChampoUion p. lo6. Paris 1883.
30O Relnifloh: Die SgyptiBeben DenkniSlMr cu Minunar.
Wir keimen andere unsterbliche Werke, allein damnter heisst
es nur Baphael pingebat, doch greifen wir nicht vor. Hatte man
die Aegypter selbst für weiser gehalten, so ermangelten auch die
Aegyptologen nicht, den schlimmen Eindruck noch zu vermehren.
Man glaubt jetzt seinen Augen kaum, wenn man liest, wie Uhle-
mann noch 1855 in jenen von Lepsius ganz richtig als Todten-
buch betitelten Sammlungen von Leichengebeten »Anweisungen zur
Tischlerei« finden konnte*).
Dasselbe Cap. VI jener Sammlung, worin die Herrn Verfasser
von Nr. IV und I der in Rede stehenden Werke mit vollem Becht
eine Bitte umErlaubniss erblicken zur Bearbeitung der elysäischen
Felder, dasselbe übersetzte Parrat**) als die »Geschichte der
Sündfluth«, Uhlemann***) nach SeyfFarthf) als die »Bede von der
Erschaf^g der vierfüssigen Thiere.« Gewiss diese Zwietracht war,
wenn nicht jämmerlich, doch lächerlich. Es ist ein angenehmer
geselliger Zeitvertreib auf einem weissen Papier durch drei oder
vier gegebene Punkte irgend eine Gestalt zu zeichnen, wobei mit
ebensoviel Becht ein X für ü, eine Heilige oder eine Hetäre ge-
zeichnet werden kann. In der That wussten wir bisher ausser
den Eigennamen nur sehr wenig Worte und Anhaltspunkte. Daher
das freie Spiel der Phantasie, daher die Freude des Publikums an
den Aegyptologen. Allein je mehr Punkte fixirt werden, desto
präciser wird die Figur, desto schärfer tritt sie aus dem Edelrost
heraus und jetzt gerade ist durch die Entzifferung der hieratischen
Litteratur (de Bong^, Chabas, Goodwin) das Aufblitzen neuer Licht-
punkte und Besultate auf allen Seiten ein so reiches, dass selbst
die Neider ausimfen müssen : ^sl (pdQHvdov ti Aifivr^ xaxovl
Das vorstehende, auf Kosten des Kaisers von Mexico gedruckte
Werk (oben Nr. I) steht in dieser Beziehung auf der Höhe der
Zeit, es übersetzt in einer Art Vulgata ganze Gapitel des Todten-
buches, von welchem Lepsius keinen Text zu geben wagte, und
*) Es werden im Turiner Hymnologinm folgende Arten von Hand-
werkern besonders behandelt: Der Tischler cap. i4; der Mnmienmacher
c. 46; der Zimmermann c. 47; TJUemann Thot oder die Wissenschaft der
alten Aegypter pag. 101 (1856). In der That steht Ober c. 46 eine Vignette,
worin Annbis e&e Mnmie anf stellt, und eine banansische Phantasie kann
auch das cap. 44 in der Vignette abgebildete Grab fUr einen Kleiderkasten
ansehen, allein in Wahrheit nnd so viel ich Obersetsen kann, enth&It c 44
einen Jub'elgesang über das ^ Anf gehen des Grabes' nnd o 46 ein Trostwort
fftr die, welche ^stille, stille in Osiris nnd doch nicht stille (todt) sind und
nicht verwesen im Hades.*^ Ich bin geheiligt, heisst es cap, 44, dnroh das
wegeleitende Auge, ich bin nmhQllt (geschntst) auf den Strassen des Fir-
mamentes, mein Haupt ist "v/ie die Sonne; mein Hers ist sich selbst bewusst
und mein Eingeweide [das bei der Einbalsamirung herausgenommen wurde}
wieder an seinem Ort; ich bin der Gott Ra der sieh selbst beblltet .. . ich
throne wie ein König, nicht sterbe ich wieder in der Unterwelt. Das w&re
also die Abhandlung über die Tischler.
••) Im Journal Le Jura Porrentruly 8. MÄrz 1860.
•••) Thot p. 190.
f) Granmiatica aegypüaca (1866). Ego sum cuntla quattuor pedibuat!
R« lata eh: Die IgypHseben Denkmller ra MiraiDM. 201
Bansen gestand, keiner seiner Zeitgenossen vermöge nnr eine Seite
zo flbersetzen. Dass ich seine üebersetznng eine Ynlgata nenne,
wird der Herr Verfasser nicht ttbel nehmen, dann was er bietet,
gewinnt eben dadurch an Autorität, dass es nicht nur seine indi-
ridnelle, sondern die üebersetzung aller derer ist, welche vor Extra-
vaganzen sich hütend, eben darum in einer Gruppe beisammen
geblieben und jeder ftlr sich, wie einst jene Siebenzig, auf dasselbe
Resultat gekommen sind. Von Einzelnheiten abgesehen, glaube ich
Tsrsiehem zu kOnnen, dass die Herrn de Rong^, Birch, Brugsch,
CSiaUas, Goodwin, P. le Page, Renouf, Lauth, Scheuchzer so gut
ab der Unterzeichnete die durch Herrn Reinisch gebotenen Üeber*
setnmgen als richtig anerkennen werden. Insofern ist der Tit^l:
Die Ägyptischen Denkroftler zu Miramar fast zu eng, es
ist das Buch selbst das Denkmal eines edlen Wettstreites der oC
Erstens hat der Kaiser noch als Erzherzog die Sammlung ge-
gritndet, theils durch Ankauf von dem ehemaligen Osterreichischen
Generalconsul in Aegypten v. Laurin, theils durch persönliche Aus-
wahl (1855) aus dem ägyptischen Museum in KaYro, wo er statt
der üblichen Geschenke an edlen Pferden und kostbaren Waffen
lieh vom VicekOnig diese Erlaubniss ausbat ; er hat auch die Her-
insgabe dieses prachtvollen Druckes bestritten mit einem eigens
in der Hof- und Staatsdruckerei angefertigten Hieroglyphenalpha-
bet, mit Holzschnitten, Lithographien und einem Stahlstich von
Miramar, anderseits hat der Verfasser die Monotonie eines Cata-
loges und obendrein eines ägyptischen aufgewogen, gutgemacht
durch eine gehaltvolle Abhandlung über die ägyptische Lehre von
der Unsterblichkeit (eben nach jenen üebersetzungen aus dem
Todtenbuch) und durch einen Anhang über das hieroglyphische
Alphabet, zwei Gaben für die Kenner, zwischen welche er,
vie in einem goldenen Rahmen den Gatalogue raisonn^ für die
Dilettanten einschob, nicht ohne in diesem auch eigenthümliche
Beiträge, namentlich zur Mythologie und Heortologie (7 pag. 226
Note 3) zu liefern, und sich als befähigt auszuweisen für das
grössere Werk, welches er jetzt unternimmt, und welches auf 200
Tafeln alle ägyptischen Monumente darstellen soll, die in der öster-
reichischen Monarchie vorhanden sind.
Soll ich es nun nach alledem doch gestehen, dass unser Wissens-
durst, der beim Bauschen solch* neuer Quellen nur reger wird, auch
^Schlüsse dieser 314 Seiten sich nicht wesentlich gestillt findet?
Nicht etwa darum, weil ausnahmsweise die Stelen Taf. XXXVITl
^d XLni nicht übersetzt sind, sondern weil jene schon ange-
deutete Ideenarmuth der Aegypter leider noch dreifach ttbertroflfen
^d von ihrer Wuth, dieselbe Idee immer wieder zu sagen Das
obenangefQhrte VL Capitel des Todtenbuchs ist hier mit wenigen
uur sprachlich merkwürdigen Varianten ein Dutzendmal hierogly-
phisch zu lesen auf Tafel XTV bis XXV; es ist auch 3mal (wieder
mit Varianten) gedruckt im Gatalogue of the Hartwell House (1859),
30S R^inlaob: Die ftgypttnhen DenkinUar bei
dreimal in der Abhandlung von Chabas oben Nr. IV, mehrfiaoli bei
Sbarpe*), mehrfach in Lepdius Denkmälern**), ja die Stataetten,
welche theils mit diesem, theils mit einem kürzeren Gebet beeohrie-
ben sind, fanden sich schefifelweise (several bushels) im sogenannten
Grab desBelzonr, so dass man znrZeit der Yermnthnngen meinte,
sie hätten den Zweck gehabt, die im Leben nnterklssenen Gebete
nachzuholen***), ähnlich jenen sinnreichen Mfihlen an den Thoren
budischtischer Klöster, wo durch Wasserkraft oder Wind immer
dasselbe Gebet gedreht wird. Auch innerhalb der oben als einig
dargestellten Gruppe, ist man es doch nicht in Bezug auf den
Sinn der Wasabti, welche in diesem Text angerufen werden. Nach
de ßong^ und Chabas wären es die Statuetten selbst ; naeh Beimsch
der das Wort vom oopt. schobt mntare ableitet, wären es die be-
reits verwandelten und verklärten Seelen, welche gleichsam als
neuer College der mit Karst und Getreidesack im Eljsium an-
kommende anredet: 0 Ihr Verklärten, wenn befähigt ist der zum
Osiris gewordene N. N. der Sohn der N. N. der Gerechtfertigten,
zu verrichten die Arbeiten, welche verrichtet werden im Hades
und zu überwinden die Hindemisse, so sprecht es aus und erklärt
ihn für befllhigt für alle Zeit zu bearbeiten dort, zu bebauen die
Felder, mit Wasser zu füllen die Canäle des Westens und Ostens
[oder zu schaffen den Sand von Westen nach Osten]. Diese lieber^
Setzung des Herrn Beinisch (I. p. 151) ist dieselbe, welche Chabas
schon 1868 gegeben und in IV begründet hat. Derselbe erläutert
daselbst auch die andere auf diesen Todtenstatuetten vorkommende
Iqschrifb: »Es strahlt Lieht aus der zum Osiris gewordene N. N.
(Miramar Taf. X, 1, 2, 3. XI, 1, 2, 8. XH, 1,2,8. Xm, 1,2,8.)
durch Heranziehung eines Berichtes bei Suidasf), dass der Lefb
des ägyptischen Philosophen Heratscus, nachdem er einbalsamirt
und mit dem Gewand des Osiris angethan war, plötzlich aus seinen
Hüllen eine hehre Klarheit verbreitet habe sds Zeichen der Ven-
einigung der abgeschiedenen Seele mit den Göttern, üebergehend
zu beschriebenen Särgen und Leichensteinen, so heisst es auch
hier vor der strengem Kritik: Ex uno disce omnes. (I. pag. 88.
Ta£ IHa) »Königliche (?) Bitte (?) an Seb den Fürsten der Götter
[folgt gewöhnlich noch eine Beihe anderer Götter] auf dass er ge-
währe Todtenopfer, bestehend in Tausenden von Krügen Bier, Wein,
Oehl, Milch, Tausenden von Stieren, Gänsen, Linnenbändem, Weih-
ranchkömem, Tausenden von Opferkuchen, Taiusenden von Kyphi,
Tausenden von allen guten, reinen und süssen Dingen, von denen
die Götter leben. Der Haushrau, der Gerechtfertigten des NN. Von
der Art sind auch Taf. IV. E. HI, A. I, 8. 11, A. HI, C. lU, B.,
*) Eg. inscript. 1 Serriee 102 A a a. O. 2 Serriee 66.
'•) Abth. m. 276: 278, d. bis.
On les appelait figures d'omlsBlon^ CorroBpondant 1857: les Uvres
^iens.
I len Effypti<
t) ». y.%
R«ftil«eli: Dto HnFpfttoeb«! Doricmllflr bei Mlrtmar. 306
1-MY, A. n, B. XJtVUl, XXX, C. XXXHI, XXXIX. Sehen sind
imk einige Personalien beigefügt, wie XXXIII, er war ein Genosae
da GroflBM , der Frennd dea Königs, zn welchem er Zutritt hatte
oach seineiB Verlangen, cHler Trostworte , dass er jetst fahre in der
Simnenbarke XXXVIII, oder in dem Festsehiff des Ptah (Stele des
Schay oben Nr. ü. und Stele des Ptah em wa Nr. III.), oder
stehe auf den Stufen [des Thrones] des Herrn der Ewigkeit (Nr. III
mit den Bemerkungen des Herrn Beinisch darttber pag 6). Von
Traaer und Thrftnen ist nie die Bede, auch nie vom Alter des Ab-
geeehiedenea, sondern der Blick sehweift mit Jubel hinftber in die
Dwigkeit, wo der Selige vor den GOttem lobsingt: »Preis dem
Hemi ¥on Abydoa, wie Isis sieh freute am Tag der Rechtfertigung,
die Thot, der Herr der Bücherei, erwirkte im Saale des Seb vor
dem ewigen Herrn , Preis dem Herrn von Abydos , wie Isis sich
freute am Tage da Horus den Thron bestieg [so ändere ich
mit Beistimmnng des Herrn Verfassers] und Pacht ihn krönte mit
dem doppelten Diadem [motiyirte Uebersetssung des Hrn. Beinisch
im n. p. 11.].
Die Aegypter hatten für ihre G^bschriften keinen SinM)nide8
ond h&tten sie auch eisen Meleager oder einen Planndcs besessen,
eine Anthologie ^be es doch nicht trotz der hund^rten von Grab-
rteiaen, die uns erhalten sind. Aber wenn ihnen die Grazie der
(xheohen abging und die Concision der Bömer, so hatten sie da-
gegen eine tiefere Lebenaansehauung : »Mögen im (jerichte gehört,
▼erden meine gnten Werke gegen die Stadt Theben« heisst es IV
Taf. XXXI; er hat die Hungrigen gespeist, die Nakten gekleidet,
war seinen Sclaven mild, seineu Verwandten lieb, das liest man
schon in d^r ältesten Zeit, während erst imter dem Eaiserthum auf
eisern r9mischen Grab das
AMATOB PAÜPEBUM
«ncheint.
Doch um wieder von uns und unserer Wissenschaft zu sprechen,
80 babeiL für sie gerade jene Tautologieeu einen unschätzbaren
^erth, ja es ist eine ganz proyidentielle Fügung, dass gerade in
QQserem Jahrhundert, wo auf dem indogermanischen Gebiet die
Bpcaehwissenschaft zur Würde der Physiologie gelangt und zu einem
Zweig der Naturwissenschaft geworden ist, dass gerade jetzt auch
fb das Aegjptisciie an hunderten von Documenten derselben Formel
aber aoa verschiedener Zeit, das Werden, Wachsen und Welken
desselben Wortes und Lautes studirt werden kann
ÜJ; silyae fdiis pronos mutantur in annos
Prima cadunt: ita yerborum vetus interit aetas
Et juvenum ritu florent modo nata yigentque.
Man hat förmlich die Biographie des b, d und g gesohrieben,
n^sn weiss, wie sie im Lauf der Jahrhunderte sich zu p, t und k
anschwellen und später zu ch, f, z und ss. Mau kennt nicht nur
diese Lautverschiebung innerhalb derselben Sprache, sondern auch
204 Relnlseh: Die Igyptlsehra Denkmäler ra Hirftmsr.
die TJmprftgungen , welche jedes Wort erfuhr, wenn es aas dem
allgemeinen Sprachschatz herausgenommen und zum Eigenthum einer
einzelnen Sippe des grossen indogermanischen Yolksstammes ge-
stempelt wurde. Alles das ist uns fllr Aegypten noch unbekannt.
Wer sich erinnert, dass dort bisher immer drei Faktoren zur Ueber-
sotzung jedes Wortes gewirkt haben : das hinter ihm stehende Bild,
das entsprechende koptische Wort und der gewöhnlich symmetrische
Zusammenhang und Parallel ismus der Texte, der wird es erklärlich
finden, dass der Sinn der Worte uns früher gewiss wurde als ihr
Laut. Jetzt aber ist es die specielle Aufgabe der Zeit und ein
individueller Zug in den Arbeiten des Verfassers von 11 und IV
dem Laut der Worte nachzuspüren, sowohl durch strengere Her-
anziehung des Koptischen und schärfere Ausprägung des hierogly-
phischen Alphabets, worin er im Widerspruch mit Lepsius und
Ohabas aber im Einverständniss mit Brugsch gewisse Nuancen in
der Aussprache der p, k und t-Laute glaubt erkennen zu können.
Nichts kann verdienstlicher sein; denn erst nach Feststellung des
Wortlautes wird es möglich werden, die ägyptische Sprache einzu-
reihen in das System der übrigen Sprachen und ihr den gebüh-
V'inden Rang anzuweisen unter ihren Schwestern.
Lessing bemerkte von einem Buche, das Neue darin sei nicht
wahr und das Wahre nicht neu. Neu und wahr scheint mir, was
Herr Reinisch über die Yocalzeichen für a, i, u vorträgt; zweifel-
haft was er für die Bezeichnung des t^ durch den ausgestreckten
Arm sagt, denn von den fünf dafür vorgebrachten hebräischen
Parallelen : Ebräer, Acco, Astarte, Emek, Anukis ist die letzte sehr
unsicher (Anukis = pjn und zwei Beispiele des Gegentheils sind
das von ihm selbst angeführte i*)X der Löwe wo X und nicht y
jenem ausgestreckten Arm entspricht, nnd ebenso in ar die Gazelle,
hebräisch ^"iff.
Gewiss mit Recht hat er im letzten Excurs der als Bergland
bekannten ' Hieroglyphe die Phonetik s. t. vindicirt ; allein jene
Schleife, welche er p. 314 ebenfalls so ausspricht, lautet wenigstens
im Decan Qoöokx umgekehrt t s (Rundbild von Denderah), In
den Texten entspricht in dem Koptischen rag adjungere, figere
z. B. vom Aufsetzen von Kränzen (Todtenbuch 19, 1) und Kronen
(ibid. 149, 12) ja des abgeschlagenen Kopfes, also keineswegs dem
<^^S^ o (frjfiaCpsi ro Xay,ßav(0 xat' AlyvmCovg. Ein Beispiel gibt das
meines Wissens noch unübersetzte cap. 43 des Todtenbuchs, von
welchem unsere 1 Tf. VH, 1— 3 eine Variante ist: Ich bin ein Aeltester,
der älteste Sohn der (Flammen) Krone, der Sohn der Krone, welcher
sein Haupt wieder aufsetzt, nachdem es abgeschnitten ist: Nicht
wurde sein Haupt dem Osiris von ihm genommen, nicht wird von
mir genommen mein Haupt: ich bin behauptet {rcog) gerecht-
fertigt, bewahrt [durch ihn] verschönt, verjüngt, ich bin Osiris.
Bern. J. Zflndel.
Wittknm*» BoUwagMibflelikIa von H. Kurs. M6
Jörg Wickram^s liollwagtnbüehltin. Herausgegeben und
mit Erläuterungen versehen von Heinrich Kurz. IMptig.
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber. 1Ö64. L und 252 S,
in a. Auch mii dem besonderen Titel:
Deutsehe Bibliothek, Sammlung seltener Schriften der älteren
deutschen Natumatliteraiur, Herausgegeben und mit Erläute-
rungen versehen von Heinrieh Kurt. Siebenter Band,
Jörg Wickram's Rollwagenbüehlein. Leipzig u. s. ir.
Auf den Esopus des Burcard Waldis und die Simplicianischen
Schriften Ghristofifels von GrimmelBhaoBen, welche in diesen Jahr-
bficheni nfther besprochen worden sind, (Jahrgg. 1862, 8. 501 ff.
1864. S. 283 ff. 940 ff.) l&sst der ebenso th&tige wie umsichtige
Herausgeber dieser deutschen Bibliothek jetzt die Schrift eines der
nahmhaftesten Prosaisten des sechzehnten Jahrhunderts folgen, des
Georg Wickram, eined Schriftstellers, der allerdings in unsem Tagen
vielfach in Vergessenheit gerathen ist, aber aus mehr als einem
Grande es wohl verdient hatte, derselben durch die hier vorliegende
neue Bearbeitung entrückt zu werden. Denn, selbst abgesehen von
der Darstellung, tritt bei diesem Manne eine mehr praktische Bich-
timg Bichtung hervor, in so fem er auf das Volk einzuwirken
ond die damals vielfach verbreiteten, dem Auslande entlehnten Volks-
bücher durch Etwas Besseres zu ersetzen bemüht war.
Es gilt diesB namentlich von der hier wieder abgedruckten
Schrift, welche eine Sammlung von mehr als hundert — mit den
Anhängen an hundert eilf Erzählungen, grösseren wie kleineren ent-
hält, welche zur Unterhaltung dienen, aber auch Belehrung er-
wirken sollen, und durch Einfachheit und Natürlichkeit sich empfeh-
len, auch da, wo fremde Stoffe benatzt sind, während die Mehr-
zahl als ächte, im Volke wurzelnde, nach mündlichen Mittheilungen
erzählte Geschiohta erscheint. Der uns auffallende Titel Boll-
wagenbUchlein bezieht sich auf die sogenannten Bollwagen,
langsame, zum Verkehr dienende Fuhrwerke, gleich unsem Post-
wagen oder Omnibus, auf welchen man damals zu reisen pflegte:
^n Beisenden die Langeweile der Fahrt zu vertreiben durch die
Leetüre solcher (beschichten, wie sie hier sich zusammengestellt
finden, sollte die Bestimmung des Ganzen sein, dessen vollständi-
ger Titel, wie er in der ersten gedruckten Ausgabe von 1555 sich
findet, also lautet: »Das BoUwagenbüchlein. Ein neüws, vor
unerhörtes Büchlein, darinn vil guter schwank vnd Historien be-
griffen werden, so man in schiffen vnd auff den roUwagen, dess-
gleichen in scherheuseren vnnd badstuben, zu langweiligen züten
erzellen mag, die schweren Melancolischen gemüter damit zu er-
münderen, vor -aller manigklich Jungen vnd Alten Sünder allen an-
.Btoss zu lesen vnd zu hören. Allen Kauffleuten so die Messen hin
^d wider brauchen, zu einer kurzweil an tag bracht vnd zesamen
gelesen duroh Jörg Wickrammen , Stattschreiber tu Bnrckhaim,
Anno 1555.
Der Abdruck dieses »Bollwagenbüchleins«i8t in derselben vor-
ztlglichen typographischen Ansführong gehalten, die mx aach an
den vorhergehenden B&nden dieser dammlnng hervorzuheben hatten,
aber er ist aaoh mit derselben kritischen Sorgfalt veranstaltet,
und durch die unter dem Text gegebenen Erklttrungen einzelner,
jetzt ungebräuchlicher and uns fremden Ausdraoke Jedermann zu-
gänglich und lesbar gemacht. Aber dabei ist der Herausgeber nicht
stehen geblieben; er hat, wie diess auch bei den votausgebenden
B&nden der Fall ist, hinter dem Texte folgen lassen: zuerst eifte
Zusammenstellung der abweioheaden Lesarten, dann Anmerkungen,
in welchen die in den einzelnen Geschichten vorkommenden, einer
näheren Erörterung zu ihrem voUen Verständniss bedürftigen Gegen-
stände ihre Erklärung finden: denn Jörg Wiokram ist ein keines-
wegs ungebildeter Stadtachreiber, sondern ein Mann von angemei-
ner Bildung, der in den verschiedenen Zweigen menschlichen Wiesens
wohl bewandert ist, und überdem auch Manches auf die Verhältnisse
seiner Zeit Bezügliches erwähnt, was eine kurze Erklärung erheischte.
Und diese wird uns von dem Herausgeber, der auf dieeem Gebiete
der Literatur so bewandert ist, reichlich geboten ; aaeh Benützung
dieser Geschichten in späteren ähnlichen Schriften werden vielfaoh
nachgewiesen. An dritter Stelle folgt auf diese Anmerkungen eiA
Wörterverzeichniss, in welchem die einzelnen, in dem Werke vor-
kommenden Worte und Ausdrücke, die uns minder geläufig und
bekannt sind, zusammengestellt und erklärt werden, von S. 219 —
246 mit doppelten Columnen, bei engem aber doch sehr dentliehem
Druck. Eine literarhistorische Einleitung ist eben so dem Texte
vorangestellt; sie behandelt in erster Stelle die spärlichen Naoh-
richten, die ums über das Leben Wickram's zugekommen sind, und
nicht einmal Tag und Jahr seiner Geburt uns aufbewahrt haben.
Eben so wenig wissen wir Etwas von seinen Eltem und von seinen
Jugendjahren; unser Herausgeber vermuthet, dass er in Colmar
geboren, und weist aus einer handschriftlichen Notiz nach, dass er
die Meistersinger-Schule zu Golmar gegründet hat. Er selbst unter«
schreibt sich, wie wir oben gesehen haben, als Stadtschreiber zn
Burkheim oder Burgheim; und diess hat den Herausgeber veran-
lasst, nähere Nachforschungen einzuziehen, ob das Nieder-Elsassische,
bei Barr gelegene Burgheim oder das Badische Burgheim gemeint
sei, um an einem dieser Orten sich dann weiter zu erkundigen.
Wir begreifen in der That nicht, wie ihm von dem Badischea
Landesarchiv zu Carlsruhe, an welches er sich desshalb wendete,
die Antwort zukommen konnte, es sei ein filsäasischer Ort ge-
meint, der Badische sei zu klein; weit besser fiel die Antwort
eines Elsassischen Gelehrten aue (August Stöber), welcher mit Recht
bezweifelte, dass Burgheim im Elsass, ein kleiner Ort von 280
Seelen gemeint sein könne, und lieber auf das Badische Städtchen
VfiektmBOL^ RolhmgMlyMüflte tob H. Kuri. 907
diesM Namena kinwies. Und in diesem, und keinem andern Borg-
keim (denn auoh bei Lahr konunt ein kleines Oericken dieses Namens
?ar) war Wickram Stadtsohreiber. Dieses Borgheim oder Barkheim
liegt etwas xmterhalb Breisach in der Nähe des Rheins, nnd z&hlt
noeh jetzt 900 -- 1000 Se^n, war aber einst vielbedentender als Sitz
aiisr eigenen Henschaft , zn wel^ier mindestens fUnf DOrfer der
Umgegend gehörten, hatte einen eigenen Magistrat u. dgl. m. nnd
geh&rte damals sn den Besitzungen des Hanses Österreich, obwohl
M seine Besitzer mehrmals weohseHe, wie man diese schon ans
Kolb's badiaehem Lexicon oder aus Bader^s Reiseftihrten er-
sehen kann. Anch das Todeqahr dieses Wickram ist nicht näher
bekannt; da keine seiner Schriften in erster Ausgabe nach 1557
«scheint, so rermuthet der Heransgeber, dass er nm diese Zeit
gestorben, Ende 1556 oder 1557, indem seine Hanptthätigkeit gerade
im die fünfziger Jahre fkllt. Der Heraosgeber ftlhrt daranf die ein-
lihien Bchriften Wickram's an mit den Ausgaben, welohe von den-
selben existiren nnd wendet sich dann zur genauen Beschreibung
der yerschiedoien Ausgaben des Bollwagenbüchleins — in Allem
lekn — so wie zur Erörterung des Verhältnisses, in welchem die-
selben zu einander stehen: die älteste, höchst seltene, von dem
Verfasser selbst besorgte Ausgabe von dem Jahr 1555 ward dem
waen Abdruck zu Ghrunde gelegt, und zwar nach einem Exemplar,
welches anf der Basler Uniyersitätd[>ibliothek sich betindet, und
froher im Besitze des Professor Götsinger zu Schaffhausen war.
Weitere Erörterungen über Sprache und Orthographie be-
icUiessen die Terdienstliche Einleitung. »Die Sprache des Boll-
wagenbtLdüeins , schreibt der Herr Verf. S. XXXYI, ist die neu-
hochdeutsche mit vorwiegender elsässischer Färbung, die sich theils
in den Lauten, theils in den Wörtern und Redensarten kundgibt.
Keser Eigenthümlichkeit gegenttber tritt, wenn anch nur selten,
das Bestreben hervor, die mundartlichen Formen zu verhochdeut-
aehen; aber, was auch jetzt bei weniger gebildeten Personen be-
g^piet, hält Wickram hie und da die hochdeutsche Form für die
der Mundart, und verändert sie daher, was zu nicht wenig komi-
schen Bildungen Veranlassung gibt.« Diese Eigenthttmlichkeiten in
Bildung von Worten, in Deklination wie in Gonjugation und Syn-
tax u. dgL werden dann im Einzelnen nachgewiesen. Was dann
noch weiter über Styl und Darstellung im Allgemeinen bemerkt
wird, empfehlen wir der sorgfUtigen Beachtung der Leser, die das
Mer gestellte ürtheil, wenn sie die Schrift selbst durchlesen haben,
gewiss ein wohlbegröndetes und richtiges nennen werden.
Odu ^AntKT^t^ Asoec 54 eomposüioni par QirodeL Traduetian
tPAmbroüe Finnin DidoL Paris 1864. 8. Firmin Didoi Frh'ta.
Auch die deutschen FfeunJe der Muse Anakreons werden den
Prachtband, in welchem Firmin Didot, der feine Kenner des
SOS Ödes d'AnacröoD par Didot.
klassischen Alterthums, die Anakreontika vereinigt hat, freudig
begrüssen. Den Kennern und Nichtkennem der griechischen Sprache
ist mit dieser schönen und sorgfältig angelegten Ausgabe ein grosser
Genuss geboten.
Die Begeisterung f(ir die Kunst, Wissenschaft und Dichtung
der alten Griechen, welche Didot in seinen jungen Jahren nicht
ruhen liess, bis er die klassischen Orte alle selbst besucht hatte,
und welche ihn antrieb, der neuhellenischen Sache durch Jahre seine
Kräfte zu weihen, erfüllt auch noch den Greis und verleiht seiner
Sprache in der Einleitung zu Anakreons Oden jugendlichen, fast
dichterischen Schwung. Hier ist ein Alter, durch die Pflege der
Kunst ebenso verschönt, wie das des Sängers von Teos selbst.
Nur mit einer solchen warmen Hingebung an den Gegenstand kann
man trockene Dinge, wie die Geschichte des Textes, die Geschichte
der Auffassung und Würdigung eines Schriftstellers so anziehend
erzählen wie der Herausgeber, und, was nicht ausser Acht zu lassen
ist, der gelehrte Kenner wird dabei auf keine irgend wesentliche
Lücke stossen, der Deutsche namentlich mit Befriedigung wahr-
nehmen, dass die Ergebnisse der vaterländischen Gelehrsamkeit ihre
verdiente Berücksichtigung gefunden haben.
unter dem griechischen Texte jedes einzelnen Gedichtes gibt
Didot eine etwas freiere, doch immer sinngetreue französische
Uebersetzung in tmgebundener Bede. Eine gereimte Nachdichtung
der Oden von Girodet ist am Schlüsse angehängt. Man kann in
Wahrheit zweifeln, welcher von beiden üebersetzungen man den
Vorzug geben soll; gewiss verrrathen beide dieselbe Fähigkeit
dichterischen Nachempfindens, und das Geschick, mit welchem Girodet
seiner Aufgabe gerecht geworden ist, müssen wir um so höher an-
schlagen, wenn wir bedenken, wie viel die französische Sprache in
ihrer neuem Entwicklung an acht dichterischen Worten und Wen-
dungen eingebüsst hat.
Ein Hauptschmuk des Wernes besteht in den mehr als fünfzig
Bildern zu einzelnen Oden. Schon das Titelblatt mit den Bandzeich-
nungen ist ein wahres Kleinod von Geschmack und Zierlichkeit.
Hier wie in den grösseren Abbildungen, die nach Entwürfen von
Girodet bis auf den kleinsten Strich sorgsam ausgeführt sind, tritt
uns eine acht künstlerische Auffassung entgegen; auch in den un-
bedeutendsten Kleinigkeiten erkennen wir ausser der Meisterschaft
in der Zeichnung die umfassende Kenntniss der Sitten und Ein-
richtungen des griechischen Alterthums und, was noch höher zu
schätzen ist, eine so innige Geistesverwandtschaft mit dem Sänger,
dass wir mehr als einmal uns zu fragen versucht sind, ob das Bild
mehr zur Erklärung des Gedichtes, oder das Gedicht mehr zur Er-
klärung des Bildes beitrage. Dr. W« Lauser,
Ir.14. HEIDELBERGEK 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Idkrbuek der höhertn Mathemaiih von Dr. J. Herr, o. ^. Prof,
der prakHeehen QtometrU am Ar. Ar. polyUehniseheM InHüut in
Wien. Zu^eUer Band. Die anaiylisehe Geometrie im Räume,
die Differeniial" und Integralrechnung enthaltend. Wien, Fer-
lag van L. W. Seidel und Sohn. 1864. (XVJ u. 614 8. in 8.
mü drei Figurentafeln.)
Der erste Band dieses Lehrbuchs ist vor längerer Zeit er-
aehienen and von dem Unterzeichneten im Jahrgange 1858 dieser
Bl&tter besprochen worden. Nachdem nnn auch der zweite Band
vorliegt, ertlbrigt noch die Besprechung dieses Theiles des Werkes,
die — wenn einmal der erste Theil angexeigt worden, sich von
selbst rerstebt.
Wie daa Titelblatt aussagt, enthält der zweite Band zunächst
die analytische Geometrie des Baumes , auf die wir also auch zu-
eist näher eingehen wollen. Nach den herkömmlichen Gründer^
U&nmgen werden die Eigenschaften der Projektionen näher unter-
ncht, bezüglich der Satz von der Projektion eines gebrochenen
Linienzugs, der Projektion ebener Flächen u. a. aufgestellt, worauf
dann die »Polarkoordinaten« betrachtet und daraus der Satz von
der Summe der Quadrate der Cosinus der »Winkel einer Geraden
flnt (den rechtwinkeligen) Eoordinatenazen, so wie die Bestimnumg
des Winkele zweier Fahrstrahlen zweckmässig abgeleitet wird. Etwas
genauer hätten wir den Satz von der Projektion eines Dreiecks im
Saume auf die Koordinatenebenen gefasst gewünscht, da von dem-
selben vielfach Gebrauch gemacht werden kann, und es also wich-
tig ist, die Bestimmung der Vorzeichen genau zu kennen.
Auch bei der darauf folgenden Verwandlung der Koordinaten
scheint uns die strenge Bestimmung nicht gehörig gewahrt. Wenn
ein gebrochenes Liniensjstem (x -f- 7 4~ ') ^^ ®^^ Gerade projizirt
vird, 80 ist seine Projektion allerdings gleich der Projektion der
der den Anfangs - mit dem Endpunkte verbindenden Geraden.
Wie sind nun aber die Winkel zu rechnen? Einfach sagen: die
zwei Geraden A, B machen mit einander den Winkel a, genügt
üeht, da man jedenfalls zwei Winkel, die sich zu 180^ ergänzen,
&l8 >Winkel der Geraden« angeben kann. Es muss also hier völlig
deutlich gesprochen werden. Dies gilt für die gesammte Darstel-
hng der so wichtigen Koordinatenverwandlungen.
Nach einigen allgemeinen, klaren Betrachtungen über die geome-
trische Bedeutung von Gleichungen zwischen drei Vei^nderlichen
wird die Ebene näher untersucht. Die Ableitung der Gleichung
LYUL Jahif. 8. Heft 14
dlO Herr; Lehrbnob d«r böhoren Kftthematlk«
ist hier in — wie uns scheint — von den gewöhnlichen etwas
verschiedener Weise gegeben. Von dem Eoordinatenurspraag wird
ai)f die Ebene die Senkrechte p geälilt, deren Fasspunkt P sein
soll, während 0 der Ursprung ist. Ist nun ein Punkt M in der
fngüchmi Bbene, so ist OPM ein in P rechtwinkUges Dreieck,
welcher Satz auch umgekehrt gilt. Demnach wenn a, b, c die Koordi-
naten Yon P ; X, y, z von M (laufende Koordinaten der Ebene) sind,
so ist p'^'^-t- (x — a)'H- (y— 1>}^4- (z— c)*^=x*+y*-f-2''*, woraus ax-f-
by-f-cz>to=p^ Sind «, /J, y die Neigungswinkel der Senkrechten
gegen die Ebene, so ist pcosae=a, u. s. w., so dass x cos a -[-
y oos ß-^z cos y =3 p. Daraus ergeben sich alle weitem Fundamental-
beziehungen. Wir vermissen hier nur wieder die genauere Bestim-
mung. Wie sind die Neigungswinkel zu zählen? Ist p absolut ssu
nehmen, oder gehört dieser Grösse ein Vorzeichen zu?
Ist Ax-f-By + Cz-f-D = 0, so folgert das Buch : pv^AH*B«-|-C»
3C& -f- D) und thut dann die Sache einfoch damit ab , dass »man
dttB untere Zeichen beibehält.« Warum? Kann also p auch negativ
sein? Wir müssen immer wieder auf die mustergiltige Darstellung
des grossen Meisters Cauchy verweisen (»Vorlesungen über die
Anwetidungen der Infinitesimalrechnung auf die Geometrie«) von
der uns die Sohnusesche üebersetzung (1840) vorliegt. Dort ist
8» 16 die fragliche Untersuchung mit voller Klarheit geftthrt, und
es handelt sich damsrch durchaus nicht um ein beliebiges Anneh-
meUi Die Gleichungen (6) unseres Buches (S 19) gelten nur, wenn
D<;Oj für D>0 sind sie unrichtig. Natürlich sind damit alle
daraus gezogenen Folgerungen zweifelhaft geworden. So wenn S. 22
der Abstand zweier parallelen Ebenen gesucht wird, fragt es sich
abermals, welche Bedeutung der gefundenen Grösse beizulegen ist,
wenn sie negativ wird. Dergleichen Dinge sind freilich gar
»elementar«, aber für den Unterricht sind sie eben sehr wichtig,
und die jungen Studirenden werden nie zur vollen EQarheit kommen.
Wenn nicht in den ersten Schritten Deutlichkeit und Bestimmtheit
das oberste Gesetz bilden. Schwindel bleibt Schwindel, auch wexm
er sich in gelehrte Formen hüllt — eine Bemerkung, die freilich
das vorli(9gende Buch nicht angeht, wenn wir auch häufig schärfere
Begrifibbestimmung bei demselben zu fordern haben.
Die Theorie der Geraden, und die Verbindung letzterer mit
der Ebene folgt natürlich auf die Untersuchung der Ebene. Was
Wir oben gerügt, findet sich hier als ganz nothwendig zu tadeln«
So heilst es (S. 33), es sei »bekanntlich p = und D
gleich dem sechsfachen Körperinhalt einer Pyramide.« Wenn nun
abe^ D negativ ist, was bedeutet der negative Werth eines solchen
Inhalts? Sonst sind die Hauptaufgaben, aber auch nur diese, ge-
hörig durchgeführt.
Die Untersuchung über die »krummen Flächen im Allgemeinen ;
die zylindrischen, konischen, Rotations- uild windschiefen Flächen«
ist digegeft Biit labewweitiier Klarbctt gtfQhrt» wit dawi ttbo^
baapt allgem^ioere Darstellungen des Buches gut sind. Die allge-
meinen Gleichungen dieser verschiedenen Fl&chen werden abgeieitet
md je auch an einzelnen Fällen erläutert, wobei anoh die Auf-
nbe, die Gleichung eines ebenen ßohrittes einer Fläche (in seber
mm) ailrasiellen, mefarfetch gelöst wird.
Einer ausführlichen Untersuchung werden die Flächen zweiter
Olrdnusg unterzogen. Die Darstellung, wenn sie auch mehr&ch von
der sonst gebräuchlichen abweicht , ist doch im Wesentliehen di0
bekannte; die Abweichungen haben zur Klarheit beigetragen. Nicht
gani zuMssig ist die Aufstellung der Bedingung für gleiche Wurzeln
(ier bekannten kubischen Gleichung in S. 63. Denn wenn auch ftlr
LacMasN srwei Wtffs^n gleich werden, so ist damit dooh dev
nugekehrte Satz nicht erwiesen ; noch vie) weniger kann man kurz-
hin iag«ii, bb mtlsien aile drei Wnniehi «> L sein, wenn sie gleich
vaL Darin war» als» zu ändern. Etwas näher hätte in den Bei-
ipiefen auf die eigentlicbe Beetimmung der Haupttheile (Mittelpunkt,
iien «ad Axeniichtting) eingegangen werden dflrfen, da es doch
wohl nicht genügt, bloss zu wissen, dass maa es mit einem Elllp«
nide i. K la tl»m habe, sondern man wissen will, wie dasselbe
n eigentlidi besckafltsn sei
Dies ist der Inhalt der analytiBchen Geometrie des Baumesi
«of welche die Differential- und Integralrechnung folgt.
Das >er8te K^teU, das wieder die Fundameuie zu legen hat«
bändelt die Diffdrensirnng der Funktionen einer und mehreiet
▼«ränderli^en Gröeaen. Ist 7 eine Fnnkti<Hi von x, ^j die Aein-
demng jener für die Aenderung ^fx, so gibt das Verhältnise— ^
& »Geechwindigkeit des Wachsthums der Funktion j an.« Davon
msgahend wird die Wichtigkeit des Gränzwerthes dieeee Ter«
btiinisBee betont , «nd also die (nach unserer Anschauimg) allein
Uore Griaznietkede als Grund der Differentiaigleiehung aufgestellt.
Dm >DiflBfreiitiiale« kann das Buc^, so solrnnt es, nicht entbehren
oad bringt sie gleich su Anfang herein. Was sich Jemand unter
einer unendlich kleinen Grösse zu denken habe, werde — mit Er-
hnhniss gewiseer Herren Kritiker — doch so eigentlich noch nie
racht geeovgt, und wenn eich cmch die grossen Männer, die sich
des Ausdruckes bedienten, sicher »Etwas dabei gedacht haben«, so
ist es fUr dien Anfänger ziemlicb umständlich, einem so leeren
Worte einen Gedanken unterzuschreiben.
Es ist wohl ganz zweckmässig, wenn man das Ding nur »bisto-.
risch« anfahrt Dans der Verf. aus ^j = V(:s)^x^sjJx sofaliesst:
d7=f'(x)dx ist gerade ebenso zulässig, als wenn er daraus ge-
flcUossen hätte, dass Null == Null seil Man sieht eben uomer wie-
der, was die liebe Gewohnheit wirkt.
Die Ableitung der » Differentialquotienten« der einfachen Funktio-
lien geschieht in klarer Weise, was sich ebenso ¥on dem Beweise
Sit fi«rr: Ldirbiieli der kdherea ttaiheBittilk.
des wichtigen Satzes der Differenzirang yon einer Funktion aus-
sagen lässt Bei dem Beweise des Satzes für — ~-^ — aber haben
wir einen Anstand. Wenn der Verf. sagt, dass der Oränzwerth yon
f (n+zfu, v) — f (n, v) , . , d (f u, v) .
— ^^ — ! —^ ^ gleich — ~ sei, so zweifelt wohl Niemand
jdxi du
daran; aber es ist nicht »aus demselben Grunde« auch der Gr&nz-
f(u + ^u,v + -^v)-f(u + ^u,v) ,._dfCu, v). .
werth von -^ — ^ — ' ~ ^^ — ■ ^—^ gleich — ^ '- da ja
zjv dv
+ ,.«.« .1.1^ df(u-]-2/u, v)
^u an die Stelle von u getreten ist, also ^ — ^ an-
dv
gegeben werden sollte. Die partielle Differenzirung nach v setzt
doch wohl wesentlich u als unverändert voraus, so dass also hier
Unklarheit herrscht. Darum muss der Beweis geändert werden«
Geht man in der Gleichung ^^j = 3,^x1 >zur Gränze tlber«
(8. 108), so folgt 0 = 0^ sonst rein gar Nichts, denn dj ist keine
Gränze. Das also ist abermals nicht klar; hängt aber mit den
Diflerentialen zusammen.
Dass wir bei den Funktionen mehrerer Veränderlichen den-
selben Anstand erheben, ist nach dem Obigen selbstverständlich.
Wird aus z = f(x, y) gefolgert: dz=— dx-j— ^dy, so ist diese
Gleichung, und wenn sie in jedem Lehrbuche abgedruckt wird,
doch durchaus bedeutungslos, und etwaige Bedeutung wird
nur hineingeredet, abgesehen davon, dass man bei der Darstellung
des Buches gar nicht einsieht, warum denn ^x und ^y beide
unendlich klein sein müssen'.
Der Verf. will die hier nothwendige Bezeichnung der »partiel-
len« Dififerentialquotienten nicht kennen; er setzt sie zuerst in
Klammem, und da er diese Klammem wohl unbequem findet, lässt
er sie wieder weg, und wamt nur, dass man nicht etwa dz und
dx als 2^hler und Nummer eines Bmches ansehen dürfe. Ganz
recht; aber wamm sieht man sie früher denn so an, wenn man
von »Differentialen« handelt?
Die Begründung der Ermittlung des Differentialquotienten einer
»unentwickelt gegebenen Funktionen« halten wir entschieden für
verfehlt. Aus u = f (x, y) folgt du=r— dx4- j— dy, also wenn
dx dy
u = 0 ist, aus 0 = f(x,y): 0=— dx-|-— dy. Das mag wahr
sein, etwas schwer zu begreifen aber scheint es. Fertig ist man in
dieser Weise allerdings schnell mit den Elementen, und wenn man
vom klaren Verständniss absieht, ist die Sache auch ganz leicht, ftef.
ist etwas schwerfWigerer Natur und hält nicht viel auf das
»elegante« Glattablaufen. Das Verstehen, meint er, sei eben
doch die Hauptsache.
H«rr: Ld^VMb te Üben« Ihtlwiintlk, Sli
Wir gelangen nonmehr zu den hohem »DüTerensialan« ond
DifferentialqQoiienten. Ans dem ersten Differensiale dy = f'(x)dx
bim das zweite abgeleitet werden. Dabei »wird man in dem Pro-
dukte f<(z)dz den Faktor dz als konstant ansehen, indem der an
axk willktlrliche Werth des Inkrementes dx von x nnabhAngig
üt« Das ist sicher unzweifelhaft klar! Dann aber mnss bei einer
weiteren Aenderong von x die neue Aenderang der firfihem gleich
Bein, »weil sonst das zweite Differenziale keinen bestimmten Sinn
bben würde und mit dem ersten Differenziale dj nicht rergleich-
kr wftre.c Warum? Dass die »Inkremente« von x nicht immer
gleich sein mfissen, lehrt die Theorie der bestimmten Integrale;
weshalb mttssen sie es hier sein? Und wenn spiter die »Yertaa-
iclmngc der unabhängig Veränderlichen vorgenommen wird, so er-
scbeint ja dx nicht mehr als konstant^ und ist also die ganze Theorie auf
d'u d'u
den Kopf gestellt. Der Beweis, dass i— ^-^= ;r— ^-S.127ist unzulässig.
djdx dxdy
Denn es ist nicht p=tiL:t^ JO — f (^> j) gondemder Gränz-
dx ^
werth dieser Grösse, und es steht also in Frage, ob man in jener
die Substitution y -f- z/y remehmen dfirfe, die in letzterm vor sich
n gehen hat ; ja selbst, wenn dies als zulässig erkannt wird , ob
der neue Grti,nzwerth dann der durch jene Substitution erhaltene
sei. In allen Fällen erhellt nicht klar, dass es gleichgiltig sei, ob
nin zuerst ^x und dann zfy gegen Null gehen lasse, oder umge-
kehrt. Nur aber wenn dies erwiesen ist, kann, man aus der Gleich-
kit der dortigen Ausdrücke (m) und (n) einen Schluss ziehen.
Wir haben oben schon Anstand erhoben wegen des »konstan-
ten Werthes« von dx; in dem Abschnitte über die Yertauschung
der nnabhängig Veränderlichen (S. 135) ¥nrd dies wiederholt, dann
fther X als Funktion von t angesehen. Beibt jetzt dx auch kon-
itant? Die Ableitung geschieht nach den richtigen Begeht, hätte
dy dx
W80 jene nur verwirrende Einleitung nicht verlangt. Dass t— t-
^ 1 folgt allerdings aus den allgemeinen Formeln, doch dürfte
ein besonderer Beweis nicht unzweckmässig sein. Wie dieser Ab-
tthnitt wohl deutlich zeigt, wird man eben nur klar, wenn man
die Differentiale abseits lässt, was der Verf., zum Frommen der in
seinem Buche studirenden Jugend, trotz seiner sonstigen Anhäng-
Hchkeit an alte Bekannte, denn auch hier gethan«
Zum Schlüsse dieses Abschnittes wird die Cauchy'sche Unter-
BQchnng über die Beziehungen, welche zwischen den Fimktionen
einer Veränderlichen und ihren Differentialquotienten der ver-
schiedenen Ordnungen stattfinden, mitgetheilt. (»Vorlesungen über
die Differentialrechnung«, vierte Vorlesung.) Dies ist natürlich recht
schön und gut; es fragt sich nur, ob die Zwecke, die damit er-
ficht werden sollen, sich nicht leichter erreichen lassen? Bef. ist
^4 Herr: Lf^lirlmeb dor Mherea llkihettHtfic.
B. Z. deBBelben Weg gewandelt, hal ihn aber etwas unbequem ge-
Innden, nioht gerade Ar sieh, aber fUr s^ne jnngen Freonde.
Hieran sohliesst sich natürlicti die Entwicklung einer FmiUion
nach der Taylor'scfaen Reihe. Etwas einfacher wäre diese Eni-
wiekhing geworden, wenn man von der Kac^Lanrinschen Beihe
iMtte ausgehen woUen; doch unterliegt auch die aufgeführte Ab-
leitung — abgesehen von der bereits berührten Schwierigkeit —
keinerlei Beanstandung. Dagegen müssen wir in Erinnerung brin-
gen, dass aus der erwiesenen Konvergenz der Beihe f(x) -f- hf *(x) -f —
doch nicht kurzweg folgt, dass die Summe dieser Beihe aucli
f(x-)-h) sei, was der Verf. voraussetzt. Es lÄsst sich die Unter-
Focbmig des Ergftnzungsgliedes nicht vermeiden, und die Unter-
Buchung auf Konvergenz oder Divergenz liefeit immer nur negative
Ergebnisse. Die Ausdehnuog auf Funktionen mehrerer Veränder-
lichen wird sofort beigefUgt. Bei dem Beispiele des g. 344, gegen
das wir Nichts einzuwenden haben, muss es dem jungen Mathema-
tiker, der seine Kenntnisse nur aus dem vorliegenden Buche ge-
schöpft hat, doch sonderbar vorkommen, dass jetzt plötzlich zweite
Potenzen der »Differentiale« d/3, dA vorkommen, wilhrend sonst
doch nur die ersten beibehalten wurden. Oder — wird er fragen
— wenn das keine Differentiale sind, warum braucht man denn
die Bezeichnung derselben?
Die Umkehningsformel von Lagrange wird in herkömmlicher
Weise erwiesen; wir haben dagegen nur einzuwenden, dass man
dabei ganz ausser aller Beachtung lässt, welche der Wurzeln von
y=isz4*zf(y) denn durch die fragliche Beihe ausgedruckt ist, was
eben doch von Wichtigkeit ist.
Der Taylor'sche Satz wird nunmehr zu Hülfe gezogen, um die
Bestimmung der wahren Werthe scheinbar unbestimmter Formen
durchzuführen, so wie zur Herstellung der Maxima und Minima
für Funktionen einer und mehrerer Veränderlichen« Bedenklich
mOchte es im letzten Falle doch sein, die von einander ganz un-
abhängigen Grossen x, y, ... als Funktionen einer und derselben
GrOsse a anzusehen. Jedenfalls verstOsst dies stark gegen den Be-
griff der gegenseitigen Unabhängigkeit. Dass in §. 347 kurzweg
wieder die Differentiale auftauchen, ist bestimmt nicht zu recht-
fertigen. Warum verfuhr man nicht auch gleich so in §. 855 ? Das
läuft wieder etwas gar zu glatt ab.
Die nunmehr dargestellte Differentialgleichung wird jetzt auf
die analytische Geometrie angewendet. Wir begegnen da zuerst
den Tangenten, Normalen u. s. w. ebener Kurven« und weiter dem
Ausdruck des Bogen-Differentialquotienten, so wie dem der Fläche.
Wir haben dabei nur — wie bereits oben bei der analytischen
Geometrie — die genaue Beachtung der Vorzeichen, also die scharfe
Unterscheidung vermisst. Die Ordnungen der Berührungen werden
in der bekannten, dem Taylor'schen Satze entnommenen Weise er-
läutert, und daraus die Theorie des Krümmungskreises abgeleitet.
H«ft! Xi«U4>iftdh 4tt bsiielreii Mathematik. 2t ft
di« jedoch darauf auch in einer zweiteif Form aufgestellt wird. Ob
es niolit zweckmässig wäre, den t^rOmmungskreis als GrSnsikiieis
aller der Kreise aufzufassen, die durch drei auf einander folgende
Punkte der Kurre gehen? Doch soll damit dem B*che kein Vor-
wurf gemacht werden. Die Untersuchung der Evoluten schHesst
sich dieser Theorie naturgemftss an und ist durch Beispiele er-
läutert, worauf di0 einhüllenden Kurven betrachtet, und endlich die
beeondem Punkte der Kurven an Bespielen zur Anschautmg ge-
bracht werden. Ob dabei in einem vielfachen Punkte auch noth-
dv
wendig -— unbestimmt werden muss? In der Erklärung des Be-
griffs liegt diese Nothwendigkeit nicht.
In analoger Weise, wie für ebene Kurven, werden die doppelt
gekrümmten behandelt. Bei der »Krümmung« begegnen wir dem
oben gewünschten Begriffe der Kreise durch drei (unendlich nahe)
Punkte; als Beispiel wird die Schraubenlinie aufgeführt.
Bei der Theorie der krummen Flächen wird zuerst die Tan-
gentialebene betrachtet. Wir halten es nicht ftlr erschöpfend, wenn
dieselbe bloss als Ebene durch drei Punkte der Fläche angesehen
wird (§. 394), sondern müssen sie ansehen als die Ebene, welche
durch alle Tangenten geht, die man an die auf der Fläche liegen-
den, durch den betreffenden Punkt gehenden Kurven ziehen kann.
Erst dann erhält diese Ebene ihre volle Wichtigkeit und Bedeutung.
Dia Untersuchung der Flächenkrümmung; die Aufstellung der par-
tiellen Differentialgleichungen der einzelnen Flächenfamilien; die
Theorie der einhüllenden und abwickelbaren Flächen sehliesst die-
sen Abschnitt, auf den nun die Integralrechnung folgt.
Die Erklärung des Integrals ist die des umgekehrten Diffe-
rentials, worauf auch sofort das bestimmte Integral erörtert wird.
Bei dieser letztem Untersuchung haben wir die Voraussetzung,
f(x) sei stetig innerhalb der Integrationsgränzen nicht betont ge-
funden, denn hintennach diese Bedingung aufführen, ist nicht zu-
lässig: dergleichen muss immer im Beweise selbst mit Nothwen-
digkeit auftreten. Die Integration mittelst unendlicher Reihen wird
einfach dadurch ausgeführt, dass man in der Reihe Glied für Grlied
integrirt. Ist das so ohne Weiteres zulässig? Dass wenn R zu
Nun wird mit unendlich wachsenden n (von dem R abhänge), auch
I Bdx in derselben Lage sei, dürfte doch wohl zu erweisen sein*
Wir übergehen die weiteren Darstellungen der verschiedenen
Methoden der Integration, nur anführend, dass dieselben sehr aus-
ftlhrlich behandelt sind, um uns zu den bestimmten Integralen zu
wenden.
Die Erklärung des bestimmten Integrals wurde bereits zu Ein-
gang der Integralrechnung gegeben, brauchte also hier bloss wieder-
holt zu werden, worauf dann die wesentliohen Sätze der Theorie
316 Herr: Lefarlmeb dar bftheren MathemMik.
aufgeführt werden. Bei der ümformmigsformel wäre zuzuseiEen,
dass wenn a, ß die (neuen) Gränzen von z; a, b die (alten) von
s sind, z stetig von a bis ß verlaufen müsse, wenn x stetig von
a bis b gebt; in dem Beispiele der S. 356 müssen a und b als posi-
tiv bezeichnet sein. Dass ein bestimmtes Integral noch zulässig
sein könne, wenn die Grösse unter dem Integralzeichen inner-
halb der Integrationsgr&nzen unendlich ist, geht aus den Unter-
suchungen des vorliegenden Buches nirgends hervor; demnach ist
der §. 444 durchaus überflüssig, und ein solches Integral eben ein-
fach zu verwerfen. Der Fall unendlicher Gränzen wird stillschwei-
gend erledigt, und doch ist es nothwendig, darauf auch bei der
»Differentiation unter dem Integralzeichen« (S. 866) zu achten,
da man gar oft in diesem Falle eine solche nicht eintreten las-
sen darf.
Dass wir auch bei doppelten Integralen den Fall verwerfen
müssen, da die Funktion unter den Integralzeichen innerhalb der
Integrationsgränzen »diskontinuirlich« wird (S. 374), ist selbst-
verständlich. Einer eingehenden Untersuchung wird das Integral
s
e dx unterzogen und daraus eine Reihe Folgerungen gezogen.
"0
Wenn die Formel (8) in S. 363 nach b differenzirt wurde (das
/"cosbxdxX
Integral l-^fj—^T"}» ^ö-ru"^ geschieht dies nicht auch mit der
daraus abgeleiteten? Bekanntlich ist dies unzulässig; darüber aber
enthält das Buch keine Weisung.
Die Taylor'sche Reihe wird mittelst der Theorie der bestimm-
ten Integrale (nochmals) gefunden, und dann zur näherungsweisen
Berechnung eines solchen Integrals übergegangen. Dass wenn f(x)
von a bis b beständig wächst oder abnimmt, der Werth von
b
r f(x)dx zwischen h [f (a) + f (a + h) 4. .. + f(b _ h)] und
h[f(a + h)4-.. +f(b)] liegt, ist für positive f(x) aus der Lehre
von der Quadratur der Flächen klar, aber für negative f(x)?
Schliesslich wird die Malm sten* sehe Untersuchung, jedoch auf den
Fall n = 2 eingeschränkt, angegeben.
Zu den Anwendungen auf Geometrie übergehend, werden die
bekannten Formeln nach einander aufgestellt xmd auf Beispiele
vielfach angewendet. Die Berechnung des Inhalts beliebiger krum-
mer Flächen (S.417) wird nach der beliebten Methode, die Fläche
mit ihrer Tangentialebene zusammenfallen zu lassen, ausgeführt.
Dabei wird dann auch die Umformung doppelter Integrale behan-
delt, und zwar unbestimmter. Man drückt in I 1 üdxdy zuerst IT
Harr: Lchibiieh 4«r htteren VitWmiftft. 217
in den neaen Ver&nderlicheiiy dann dx, dy ans nnd die Sache ist
erledigt. Ob sich wohl 1 I 1 üdx* dy auch so umformen Hesse?
Dwselbe haben wir bei der Ableitung der ümformnngsfonnel illr
drei imabhängig Veränderliche (8. 430) in fragen. Von Beetim-
mimg der Grftnsen ist dabei nicht im Entferntesten die Bede, da
ja geradem unbestimmte Integrale umgeformt werden. So leicht
IIIII88 man denn die Sache doch nicht machen.
Die Fourier'schen Reihen und Integrale werden in gebriooh-
liclier Weise behandelt, wogegen wir Nichts zu erinnern haben;
dasselbe gilt Ton den Euler'sohen Integralen, und den FnnktioiieB,
die mui als Integrallogarithmus, Integralsinus, Integralconnas in
die Analysis eingeftlhrt hat.
Bei der Theorie der elliptischen Integrale haben wir gegen den
Beweis des »Additionstheorems« zu erinnern, dass die Annahme,
m der Gleichung cos fi = cos 9 cos V^ — sin 9 V^v^c^nhk^n sei ff kon«
stant, uns nicht in der Natur der Sache gegrttndet erscheint; denn
die Gleichung F (fi, c) = F (9, c)4- F(^, c) setzt eben /i als durch
9 imd if gegeben voraus, so dass es angemessener erscheint, dies
anch beim Beweise selbst zu beachten. So wie der Beweis nun
einmal geführt ist , erscheint (p als Funktion von ^, was doch im
ogentlichen Theoreme nicht gemeint ist. Man kann allerdings
durch gehörige Ausdeutung dem üebel stände abhelfen (was übrigens
im Buche gar nicht berührt ist) , aber wozu solche «Umwege ? Da
in obiger Formel nur cos und sin Torkommen, so wird man ohne-
hin ^, ^ nicht in weiten Or&nzen sich bewegen lassen können ;
aneh mfisste bestimmter ausgesprochen sein, in welchen Grftnzen
die Winkel bei der »Multiplikation« der elliptischen Intrgrale erster
Art zu nehmen sind.
Mittelst der Landen*schen Substitution wird die Berechnung
des Integrals der ersten Art erläutert und dann die Theorie des-
jenigen der zweiten Art in ähnlicher Weise yorgetragen; waschen
80 Yon dem der dritten Art gilt, wo denn Legendre (»Traitö des
Fonotions elliptiques« Chap. XXII) zur reichlichen Benutzung sich
darbot. Auch die Aufgabe der Integration von irrationalen Aus-
drücken, die unter der Quadratwurzel ein Polynom des vierten
Orades haben, wird im Wesentlichen nach Legendre (Chap. III)
dorchgefOhrt. Abgeschlossen ist die Untersuchung aber nicht. Aller-
dings reduzirt das Buch die Aufgabe auf die der Integration von
JPE dx, wo R=r a-|-/}x2-|.yx* und P eine (im allgemeinsten
PaUe gebrochene) Funktion von x ist, die nur gerade Potenzen von
X enthält. Diese zerfällt das Buch in Theilbrüche und kommt so
aof das Integral I B (x^— a) dx. Dabei scheint stillschweigend a
aU reell vorausgesetzt, da die letzte Reduktion (S. 502) Nichts
müssen wir davor warnen, -z — 1 P dx= l-r— dx zu setzen« Tu
3lS Herr: Lelirbneli der LOberäi Hktilemlilfk.
darüber aussagt, vielmehr Alles so bebandelt, als wenn a wirUich
reell wftre. Leider ist dies aber nicht immer der Fall, und es ent-
steht so die hier ungelöste Frage, welche Bedeutung dem ellipti-
schen Integrale dritter Art zukomme, wenn sein Parameter ima-
ginär ist. Das ist genauer beachtet bei Legendre (Chap. IV), wo
ganz besonders bemerkt ist , dass n (der Parameter) konstant ist,
aber reell oder imagin&r sein kann. Wird aber eine Auf-
gabe dieser Art einmal in Angriff genommen, so muss sie auch
vollständig erledigt werden.
Hiemit sohUesst die eigentliche Integralrechnung und der Rest
des Werkes (S. 503—614) wendet sich der Integration der DiffSe-
renttalgleiohungen zu. Natürlich begegnen wir hier zunächst der
Differentialgleichung erster Ordnung. Wenn (§. 508) der Fall un-
mittelbar integrirbarer Differentialgleichungen behandelt wird, so
dieser Weise findet der Verfasser als Integralgleichung von P dx -|-
Qdy=0: j Pdx+ HQ-- r^— dx]dy =C, was unter Um-
ständen ein falsches Resultat liefern kann. Wäre nämlich bei der
Bestimmung von I P dx ein Glied erhalten worden, dass thatsäch-
lich bloss j enthielte, was immerhin möglich ist, so würde dies in
d P PdV
•=— I Pdx nicht ausfallen, aber in I -r — dx würde dieses Glied nicht
dyj J dy
erscheinen, und also auch das anfilnglich zu viel erhaltene sidi
nicht aufheben. Die ursprüngliche Form ist jedenfalls sicherer.
Im Ganzen wird die Theorie der Integration der Differential-
gleichnngon auf das Wesentlichste reduzirt. Für höhere Ord-
nnngen werden so ziemlich allein die linearen Differentialglei-
chungen betrachtet und hiebei (3. 544—566) die S p i t z e r' sehen
Untersuchungen über die Gleichung (a-^+b^x) y'' -f- (»i + ^i x)
y'-f (ao-fbox) y = 0 vollständig mitgetheilt. Gegentiber der son-
stigen Einschränkung erscheint dies fElr ein Lehrbuch zu viel.
Bei den besonderen Auflösungen, die übrigens auf drei Seiten
abgethan werden, ist die Darstellung des §. 529 eine unvollkom-
mene, da die »Gleichheit der Wurzeln« von dei; dort die Rede ist,
nicht viel mit den besondem Auflösungen zu thun hat. Nicht weil
df dy* dy*
-r-T-aaOsind ,-— und ^^^ unendlich, sondern eigentlich um-
dy' dx dy
gekehrt.
Von den gleichzeitigen Differentialgleichungen (S. 578—585)
werden im Gmnde auch nur die linearen betrachtet; von dem so
wichtigen Principe des letzten Multiplikators ist keine Bede.
Das^ bei der Gleichung Pdx-^Qdy+Bdz^O, in so ferne
sie der v» Bedingung der Integrirbarkeit« nicht genügt, keine Bede
li. A« BohneUt flunmtog ^i«li AvfgaMn v«i Heii. tit
davon sein kann» zwischen x und j eine Beziebnng anzuneh-
men, sollte sich doch wohl von selbst verstehen.
Bei der Integration »partieller Differentialgieiohungen« wird
die Lagrangesche Methode aufgeführt, die doch nur auf lineare
Formen gut anwendbar ist, über die das Bach auch nicht hinaus-
geht, oder sich — Lagrange folgend — auf drei Yeränderlichs
eimobrUnken muss. Einige besondere Fälle zweiter Ordnung be-
schliessen diese kurze Untersuchung.
Haben wir bei unserer übersichtlichen Darlegung des Inhaltes
des uns vorliegend^i Buches auch vielfach abweichende Meinungen
aussprechen müssen — wie natürlich, da eben gerade verschiedMie
Anschauung besonders betont werden muss, wählend Zustimmung
sioh eher stillschweigend verstehen lässt — , so ist es unsere Pflicht»
znm Schlüsse auszusprechen, dass wir auch diesen zweiten Band
als ein gutes Buch ansehen, das zwar seinen G^enstand nicht
erschöpft, im Allgemeinen aber für die studirende Jugend, für die
es geschrieben ist, von Nutzen sein wird. Es ist dies um so er-
freulicher anzuerkennen, als der Verf. in seinem neuen Wirkungs-
kreise der Methodik der Wissenschaft femer getreten ist, ihr aber
doch noch immer mit Liebe anzuhängen scheint. Was wir getadielt
haben, hat das Buch mit vielen andern gemein, und wir haben
also nicht ein Becht, es demselben zur Last zu l^;en; wir spre-
chen dementgegen nur wiederholt unsere begründete Ueberzeugung
und die Zweifel an der Richtigkeit der anderseitigen Darstellung
entschieden aus.
L. A^ 8ohnck€s Sammlung von Aufgaben aus der Differential' und
Megrälreehnung. DriUe vtrbesserU und durch viele ZusäUe
vermehrte Auflage, herauegegehen van Dr. E. Hei 8^ Prof der
Mathematik und Astronomie an der kgl, Akademie »u Mänsier^
Haue. Druck und Verlag von H. W. Schmidt. 1865. (Zwei
TheHe von 362 8. in 8)
Die erste Auflage dieser vortrefflichen Aufgabensammlung er-
schien 1850 ; sie liegt uns zur Vergleichung mit der neuen dritten
vor. Die zweite Auflage, die nach dem bereits 1853 erfolgten Ab-
leben des Verfassers von Dr. Schnitzler besorgt wurde, enthält
wenig Änderungen, gegenüber der ersten; sie liegt uns aber im
AugenblicKe nicht zur Vergleichung vor, was nach dem eben Be-
rührten auch nicht nothwendig ist
Wie die erste Auflage beginnt auch die neue mit der Bildung
von DiiFerentialquotienten erster Ordnung entwickelter Funktionen
einer Veränderlichen. Wesentlich einverstanden sind wir mit dem
Buche darin, dass Aberall die Differentialquotienten und
nicht die Differentiale betrachtet werden ; ob die (ursprünglich
t90 L. A. S^hodket Staunkiiig von Autgßh^ von Heil.
du
schon) gewählte Bezeichnung (d Ux ftlr-^ — ) zweckmässig sei , mag
dx
dahingestellt bleiben. Die Beispiele sind zahlreich und gut gewählt.
Die Bezeichnung der natürlichen Logarithmen durch das einfache
1 ist in der neuen Auflage (S. 6) eingef&hrt. Auch sind, wie etwa
S. 10, mehrfach weitere Beispiele eingeschoben.
Die »independente Darstellung der Differentialquotienten höhe-
rer Ordnung von Funktionen einer Veränderlichen« , die ohnehin
sehr ausftlhrlich bereits war, hat keine Veränderung erfahren, was
auch von dem nächsten Abschnitte: Differentiation unentwickelter
Funktionen zweier und mehrerer Veränderlichen, gilt. Bereits in
der zweiten Auflage waren hier zwei Paragraphe: »Vertauschung
der Veränderlichen« und »homogene Funktionen« überschrieben,
eingeftlgt. Neu ist der vierte Abschnitt: »Die Taylor*sche (der
Herausgeber schreibt: Tailor) und Maclaurinsche Formel. Entwicklung
der Funktionen in Reihen.« Für eine und mehrere Veränderliche
werden die allgemeinen Formeln aufgeführt und dann auf Beispiele
angewendet, wobei die Behandlung wenigstens angedeutet ist. Die
Untersuchung des Restgliedes ist übrigens nicht yollständig durch-
geführt, so dass die Bedingungen der Giltigkeit nicht immer in er-
schupfender Weise aufgefunden sind, wie z. B. beim Binom der Fall,
da h'=x', fehlt u. s. w. Auch der fünfte Abschnitt: »Die hyper-
bolischen Funktionen« ist neu eingeführt. Es mag bestritten wer-
den, ob es zweckmässig sei, für die beiden durchaus reellen Formen
\ (e* + e^), ^ (e* — e*) neue Zeichen einzuführen, und da dies —
nach unserer Meinung — mit Recht bestritten wird, so erklärt sich
daraus leicht die »immer noch geringe Berücksichtigung der hyper-
bolischen Funktionen in der Analysis.« Natürlich haben wir Nichts
dagegen einzuwenden, dass in einer Aufgabensammlung derartige
Dinge erscheinen ; sonst aber halten wir daftlr, dass man mit Ein-
führung neuer Bezeichnungen für Formen, die sonst schon durch-
sichtig genug bezeichnet sind, sehr vorsichtig sein muss.
Jetzt stimmen wieder frühere und neue Auflage zusammen in
»Anwendung der Differentialrechnung auf die Bestimmung des wah-
ren Werthes einer Funktion, die für einen speziellen Werth der
Veränderlichen in unbestimmter Form erscheint.« Ob nicht S. 92
eine Aenderung hätte vorgenommen werden sollen: »Sei — heisst
es dort — u =^., ^? und zugleich f(x, y) = 0 ; femer ^^*'J= -
V'Cx, y) ^ *(a,b) 0
dann hat man u ^ (x, y) = 9? (x, y) ; mithin durch Differentiation :
t (x, y) d Ux 4- u ( j^H- ^[— d Jx j = jp+ T^dyx- Setzt man hier
x = a, y = b, so verschwindet das erste Glied der linken Seite,
und man erhält eine Bestimmungsgleichung für u. « Wir halten das
für unkliir. Wo sind denn die Gleichungen f(x,y)=:0, 9(a,b)=0
benützt, und wo die allgemeine Regel? Es ist viel besser, einüäch
L. A. MnekM SmaidIuik tm AmigßUm too Heia. 9tl
VI sagen: Man difierenzire Zähler nnd Nenner n. a. w., was ja
thatsächlich auf dasselbe Ergebniss ftthrt. In einzelnen Beispielen
wurden ErlAuierongen und weitere Anwendungen eingeaehoben , so
«X— 1 1
etwa (S. 97) wurde beibemerkt, dasa -y^- -j- "^^——r die Summe
der Beihe r-f — =4-.—; — t + -.. «ei u. s. w.
l-|-x 44- x^ '
Die »Anwendung der DifiTerenüalrechnung auf die Bestimmung
der Maxima und Minima der Funktionen c war bereits früher sohon
einer der vollständigsten und besten Abschnitte der Sanunlung und
ist dies auch geblieben. Vielfach ist die Lösung weiter ausgeführt
worden, so dass die Sammlung bedeutend brauchbarer wurde;
einige Au%aben sind auch neu hinzugefügt. Diesem Abschnitte
folgt ein noch ausführlicherer: »Anwendung der Differentiabrech-
nnng auf die Untersuchung der Kurven und Oberflächen.« In den
Bezeichnungen ist, gegenüber der frühem Auflage, die Jacobische
Bezeichnung der partiellen Differentialquotienten durchweg einge-
führt, was selbstverständlich nur gebilligt werden kann. Grosse
Aenderungen sind sonst hier nicht vorgenommen worden, was auch
nicht nöthig schien, da bereits in der ersten Auflage dieser Ab*
aehnitt reichlich bedacht wurde. Damit schliesst der erste TheiL
Der zweite (kleinere) behandelt die Integralrechnung und zwar
in seinem ersten Abschnitte: »Unbestimmte Integrale von Funk-
tionen einer einzigen Veränderlichen.« Nach einigen einleitenden
Bemerkungen in Bezug auf die willkürliche Konstante wird die
Integration algebraischer rationaler Funktionen allgemein behandelt
und dann an zahlreichen Beispielen geübt. Neu sind mehrfach
eingestreute Andeutungen der Behandlung und die Zugabe einiger
aof hyperbolische Funktionen führender Formeln. So ziemlich das-
selbe gilt von der »Integration algebraischer irrationaler Funktio-
nen.« Den Integralen transzendenter Funktionen sind hier noch
Integrale hyperbolischer Funktionen neu beigegeben.
Für die »Integrale zwischen bestimmten Oränzen« ist die
frohere und die neue Sammlung nicht übermässig reichhaltig, was
eben auch daher rührte dass überhaupt im Buche nirgends über
einfache Integrale hinausgegangen ist. Desshalb sind denn auch
die »Anwendungen der Integralrechnung auf Geometrie« mit denen
^r zweite Theil schliesst, eingeschränkt auf Flächenberechnung in
^r Ebene, Bestimmung der Bogenlänge, Schwerpunkts-Ermittlungen,
Beiechnung von Rotationskörpern und solchen Flächen. Wenn wir
>o eben sagten, es sei nirgends über einfache Integrale hinausge-
gMigen, so darf man uns nicht die wenigen allgemeinen Betrach-
tungen auf S. 96 und 98—99 entgegenhalten; denn eine Anwen-
dung davon haben wir nicht gefunden, ausser im letzten Beiq>iele^
das aber nur den Baum einer Seite, und zwar mit verschwende-
nechem Drucke, einnimmt. Elliptische Integrale kommen einmal^
imdzwar das der ersten Art, eben£Bdls am Schlüsse , vor. In Be-
SM Dnksfliah Dm M^Chodhw du» Wi teUnee». •
ing auf IitegrahreahaiiBg ist somit die Min disg' seile gammlnag
weit reiehhaltiger.
Ein ttbeiwiegendes YerdieDst hat die vorliegi^de Sammlumg
für die Differeatialgleiahnog , für die eine solche ganz besonders
nothwendig ist. Soweit sie die Integralrechnung behandelt, wird
sie auch für diese von entschiedenem Nutzen sein, und wirkOnnati
nur wünschen, dass recht Viele sich mit ihrer Hilfe in Anwendung
der Grondlehren der hSheren Mathematik üben.
Dm MfÜf&de$ dam It» SeieneeB dt Raistmnement, par J. M. C. Du-
hamel, Memhrt de nmtUui (AtadSmxe des Science») etc, Paris,
OatdMir^Vüiars^ IS66. Premiire Partie, Des MModes cömmu-
nes ä Undes les Seienees de Rais&nnemeni. (X u, 94 8. in 8.)
Der Bntwarf des yorliegenden Buches (des ersten Theils eines
grüssem Werkes) geht bis auf die erste Jugend des berühmten Yer-
ÜMsers (geb. 1797) zurück, wie er in >Origine et Objet de cet
OuVrage« si<^ ausspricht. Vielfach unterbrochen ward die Arbeit,
SU der Neigung und Lebensaui^be ihn zogen, immer wieder auf-
genommen und liegt nun im Anfang der Veröffentlichungen vor.
Dunkelheiten, wekhe bei dem anftlnglich erhaltenen äffsnt-
Uchen unterrichte dem jungen Studirenden geblieben waren, wor-
d€aL durch die hohem Studien der polytechnischen Stdrate nicht
erfaelH, viefanehr neue zugebracht. In die Laufbahn eines unter-*
richtenden eingetreten, machte er sieh zur Pflicht, nie Dinge für
wakr auezugeben, die in seinem Geiste irgend einen Zweifsl ge«
lassen. Nicht aber der junge Professor allein salHe von der G^e«
nauigkeit überzeugt sein : auch die ScbftlBr mussten dieselbe üeber-
Beugung theilen, und er konnte den Rath d'Alembert*8 ihnen nitfat
ertheilen: »Arancez, et la foi vous viendra.«
Desshaib hat er in sich selbst zuerst die Schwierigkeiten zu
lösen gesucht und seine Vorträge dann so klar und streng einge^
rieMet, dass Zweifel in den Zuhörern nicht entstehen konnten. In
dem angefangenen Werke setzt sich der Verf. nun vor, »de pr6*
se&ter, ayec le developpement qu'elles comportent, les th^ori^s
g^n^rales sur lesquelies il est k craindrc que les ^l^yes ne prennentt
des id^s fansses, oa au moins obscnres.c Der Theil des Werkes,
der veröffentlicht ist, »traite du raisonnement et des M^thodes
g^n^rales ä solvre pour la r^solution des questions qui peurent se
prösenter dans tootes les seienees oü Ton part de notions admtses
oomme övidentes, et de principes regard^s conime certains.« Wir
faaben die eigenen Werte des Buches gewfthlt, um damit den Gegen*
stand desselben am sichersten bezeichnen zu können. Eine »Logik«
in gewöhaüekem Sinne wollte der Verf. nicht schreiben; für einen
durch tiefc m«tiiematisohe Stützen gebildeten G^ist ist eine andere
l)nh«jiial:])«illiUi«dc9dM» ktstfiOMt. i|S
Aufgabe %u iGsen, tmd in anderer Weise die Gesetze den Denkens,
die Gesetze des Erkennens aufzustellen.
Den Baonit die Zeit» Sein und Nichtsein, u. a. w. so erklären,
hfltet sich das Bach: das Alles ist unerklftrbar, und Jeder, den
wir imterrichtea wollen , muss den Begriff dieser Dinge besitzen.
Yersachte Erklärungen werfen nnr Dunkelheit anf solche Grund-
gehaoongan. So wUl das Buch auch noch andere Begriffe ak be-
reits erlangt annehmen, mit den Worten, die sie beaeichnen. Doch
II1188 der Sinn, den man damit verbindet, genau verstanden sein,
dsmit man nicht nöthig habe, bei jeder Gelegenheit su fragen,
WS8 man eigentlich damit meine. Dies betrifft vorzugsweise das
Wort »Ding« oder Sache (chose). Darunter versteht der Vexf.
»Alles, was Gegenstand einer materiellen oder unmateriellen Hand-
lung sein kann.« Also die Natnrkörper, die Zeit, die Ffthigkeitan
des Geistes, die Ideen selbst sind »Dinge.« So versteht Jedermann
das Wort, so soll es gebraucht werden.
Nach diesen Einleitungen wenden wir uns zu der aus vier-
xehn Abschnitten bestehenden Schrift, von deren Inhalt wir eine
fibersichtliche Darstellung zu geben versuchen wollen, da uns —
abgesehen von allem Andern — der auf den Grund aller Erkenntnisse
und der Art, sie zu erwerben, gewandte Rückblick eines am Abende
seines Lebens stehenden, um die Wissenschaft hoch verdienten
Mannes, von grossem Werthe erscheint.
Die nothwendigen Wahrheiten bestehen durch sich selber; der
Schluss (le raisonnement) und die Methode sind nur Mittel,
welche der Mensch anwendet, um sie zu erkennen, und sind also
auch nur im Yerhältniss zum menschlichen Geiste zu betraohtett;
ibr einziger Zweck ist, in ihm die Kenntniss und die Gewiaa-
beit (certitude) hervorzubringen. Dieser Zustand der Gewissheit
wird in dem Menschen durch ein klares Gefühl der Wahrheit, d. i.
dorch die Evidenz hervorgerufen. (Wir brauchen das fremde
Wort, das der Verf. anwendet : ävidence, da die » Augenscheinlich-
^it« uns die Sache nicht ganz klar auszudrücken scheint.) Dieses
&ef&bl ist aber nicht unfehlbar, und man darf sich demselben nur
mit Susserster Zurückhaltung überlassen. Gewisse Wahrheiten heben
sieb durch ihre unmittelbare Evidenz vor allen andern hervor:
diese wählt man zu Ausgangspunkten, um andere zu entdecken, die
dasselbe Gefühl erwecken und so von den Menschen mit derselben
(lewissheit angenommen werden.
Satz (proposition) ist der Ausdruck irgend einer Wahrheit;
gehört zum Begriffe desselben die Betrachtung eines gewissen Din-
ges, so ist er eine Eigenschaft desselben; im Falle m^ireier
Dinge, ein Yerhältniss (rapport); die nothwendigen Terhält-
niase, die der Natur der Dinge entstammen, bilden die Gesetze
dieser Dinge. Die Definition eines Dinges ist der Ausdruck
seiner Verhältnisse zu andern Dingen. Darum können auch nicht
alle Dinge definirt werden, weil dazu immer schon bekannte gehören.
IM Bulilimal: Bee MModes Aads les setenew.
Folgt aus mehreren Yerhftltnissen, deren Existenz gewiss ist,
mit Evidenz ein neues, so ist dieses eine Folge (consäquence)
jener; die geistige Thätigkeit, welche erfordert wird, um zu der
Folgerung zu gelangen, heisst Deduktion oder S c h 1 u s s (Schluss-
folgemng, raisonnement). Die Deduktion geschieht einfach durch
das Gefühl der Evidenz, das keine Begel kennt, und durch keine
ersetzt werden kann. Ein falscher Schluss wird gemacht,
wenn entweder der abgeleitete Satz an und ftlr sich falsch ist,
oder — wenn er wahr ist — doch keine nothwendige Folge der
vorangehenden Sätze ist.
Die meisten IrrthiUner im Ziehen von Schlussfolgernngen kom-
men weniger von einer falschen Deduktion, als von der üngenauig-
keit der angenommenen Sätze her. Die gefährlichsten sind die, da
man Wahrheiten, die man in einer grossen Anzahl von Fällen als
richtig erkannt hat, zu weit ausdehnt. Ein falscher Schluss ist
bald entdeckt; ein Grundsatz, der wegen zu gross angenommener
Allgemeinheit falsch ist, hat eine Art Unverletzbarkeit durch die
grosse Zahl von einzelnen Fällen, in denen er richtig ist, und durch
das zustimmende Vertrauen derer, die unterrichten. Daraus folgt
aUerdings, dass der Mensch nur darin sich nicht täuschen kann,
dass er denkt und fühlt; in allem Andern ist er dem möglichen
Irrthum ausgesetzt. Aber es liegt im innem Wesen und Bedtirf-
niss des Menschen, an Dinge zu glauben, die wir ganz wohl-
muthmassliche (conjecturales) nennen können. So glaubt er an die
Existenz des Stoffes u. s. w.
SteUt man sich die Aufgabe, aufzufinden, aus welchen Be-
ziehungen eine bestimmt bezeichnete sich folgern liesse, so heisst
die geistige Thätigkeit, die zu deren Lösung nöthig ist, die Re-
duktion, im Gegensatze zur Deduktion. Sie ist also das Zurück-
führen der Eenntniss eines Dinges auf die anderer Dinge. Sind
zwei Sätze gegenseitig Folgerungen auseinander, so heissen sie
reziprok; sind sie so beschaffen, dass sie nicht zugleich wahr
sein können, unverträglich; ist einer das Verneinende des
andern, so sind sie widersprechend. Aus falschen Sätzen lässt
sich ein richtiger Satz folgern So folgt aus A = B, C — B ganz
richtig A = 0, und es kann dieser Satz wahr sein, trotzdem dass
thatsächlich nicht A = B und nicht C -= B. Daraus folgt, wie schon
Aristoteles gezeigt, dass die Wahrheit einer Folgerung noch keines-
wegs die Wahrheit der Vordersätze beweist. Dagegen wird die
Unrichtigkeit einer (nach richtiger Weise gemachten) Folgerung
nothwendig die Unrichtigkeit der Vordersätze, oder doch eines der-
selben, beweisen.
(Schlusi folgt)
Ii, 15. HEIDELBER6EB 186S.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Duhamel: DesM^thodes dans les Sciences.
j
(BehluM.)
Die Wissenschaft eines Dinges ist der Inbegriff seiner
Gesetze. Ist dieselbe eine Vereinigung der Folgerungen, die mit
Nothwendigkeit aus angenommenen Sätzen sich ergeben, so ist sie
eiae Wissenschaft durch Schlnssfolgerung (science de
nisottnement)« Dazu gehört, dass die Natur des Dinges in aller
teuHiigkeit bekannt sei.
Sind einmal bestimmte Wahrheiten bekannt, so kann man
neue daraus zu folgern suchen, wobei man freilich nicht weiss,
ZQ welchem Ziele man gelangt. Will man dann eine so gefundene
Wabheit Andern mittheilen, so spricht man zun&chst den Satz
MB, der diese Wahrheit ausdrückt, um so ihre Aufmerksamkeit auf
den einen Punkt zu lenken, und zeigt dann, wie sie aus den be-
bumten Wahrheiten abzuleiten ist. Dies heisst man den ausge-
sprochenen Satz beweisen; undmanheisst Lehrsatz (th6or^me)
J6den Satz, der eines Beweises bedarf, um evident zu werden. Bei
einem Probleme stellt sich man sich zimi Ziele, aus gegebenen
IHngen, die mit einem gesuchten in bestimmten Verhältnissen
sieben, andere Dingen abzuleiten, mit denen das gesuchte in Yer»
bUtnissen stehe, die seine Detinition bilden. So z. B. wenn der
Vorwurf eines Problems ist, einen Kreis nach gewissen Bedingungen
ra bestimmen, so hat man aus den gegebenen Dingen den Mittel-
punkt und Halbmesser des Kreises abzuleiten, deren Yerhältniss
za ihm seine Definition bildet.
Zur Auflösung der als Lehrsätze und Probleme bezeichneten
Prägen dienen zwei Methoden, die unter den allgemeinen Namen
^er Analyse und der Synthese aufgeftlhrt werden kOnnen,
deren genaue Darstellung sich der Verf. sehr angelegen sein Iftsst,
^on so mehr als namentlich die erste >ne semble pas tr^s-connue
de la plupart des logiciens.« Soll man den Beweis eines ausge-
sprochenen Satzes finden, so kann man suchen, aus welchem (nicht
bewiesenen) Satze derselbe gefolgert werden konnte; dadurch ist
die Aufgabe die geworden, den letztem Satz zu beweisen. Hiebei
kann man nun wieder denselben Weg einschlagen u. s. f., bis man
tXL einem Satze gelangt, der als wahr erkannt, oder aus wahren
^ittelbar gefolgert werden kann. Damit ist der Satz auf analy-
tiechem Wege erwiesen. Die Analyse ist somit eine Methode der
hyUL Jahrg. 8. Heft. 15
SM Duhamel: DeuMdUia^ 4$m les ideiioei.
Beduktion. Sind je zwei auf einander folgenden Sätze reziprok, so
kann man das Verfahren umkehren, indem man es ansieht, als eine
Folge von Sätzen, Ton denen der erste der zu beweisende, der
letzte der bereits als wahr erkannte ist. Doch ist dieser Beweis
nur unter der eben gemachten Bedingung der Gegenseitigkeit zu-
lässig, andernfalls ist er trügerisch, da aus dem Falschen zuweilen
das Wahre geschlossen werden kann.
In ähnlicher Weise wird die analytische Methode für Auf-
lösung Ton Problemen zu erklären sein: Auffinden Ton Problemen,
aus deren Lösung die des yorgelegten hervorgeht u. s. w. Doch
muBS hier eine wesentliche Banerkung gemacht werden» 8i|id die
Yerhältnisse, die man denen, welche das zu lösende Problem bil-
den, substitnirt hat, nicht reziprok zu denselben (also entspricht
nicht jede Lösung des ein^n einer des andern Problems) , so wird
^reüich jede Lösuj«g des substituirten Problems eine Lösung di»
gestellten sein (denn das hat man sich yorgesetzt); aberLöeuogm
iies letztem könnten ganz wohl nicht solche des neuen sein, so
dass also durcb die geführte Auflösung dies gestellte Problem nicht
yoUständig gelöst ist. Somit würde man Auflösungen des
Ift^era verlieren, wenn man sich mit denen des substitiurteift
begntVgti». Nur daim, wenn beide Probleme reziprok sind, siud andi
ihre Anflöaungj^n identisch»
Sind die Bedingungen eines neuen Problems Folgen derer eine^
firflli^m» so wird aUerdings eine Auflösung des letztern auch eine
dep neuen sein, weil Alles, was den Bedingungen des frühem ge-
äugt, auch d^nen des neuen Genüge leistet; aber die sämmtlicbtn
Aoflösungen des neuen Problems müssen nicht auch solche d^e
^hern sein, wenn die beiden nicht reziprok sind« Wenn man also
auf dem Wege der Zurüokführung (in allerdings dem eigentUch
fmaljtisohen umgekehrten Sinne) aus dem yorgelegten Probleme naoh
einander andere folgert, so sind aUe Lösungen des erstem in den»i
eines spätem enthalten, und überdies kann das letztere auch nach
dem ersten fremde Lösungen haben« Das ist bei solchen Qeiftes*
«^ratiooen wesentlicii zu beachten. Verloren gehen können Auf-
Umngen auf dem Wege des Aofsteigens, da man ein Problem svuMi
yon dessen Lösung das Vorgelegte abhängt; fremde Auflösungen
könneu hinzukommen, weipi man aus dem yorgelegten Probleme
andere (zu lösende) folgert. Sux bei reziprokem Verhalten tritt
Jc^ioer der beiden (natürlich sehr unbequemen) Fälle ein.
Die Sjuthese unterscheidet sich you der Analyae »par le
renyersement de Tordre des th^or^mes ou probl^mes, tepninös d'usa
part au propos^ et de Tautre h quelque chose de connu.« Selbet
für den TJntenicht ist dieselbe nicht immer geeignet, da der su
Uwleirichtende dadurch gewissermassen im Blinden geführt wird«
WiU nwui aber beweisen, dass ein ausgesprochener Satz wahr ist»
60 mnss man ihn (eynthetisoh) aus wahren ablöten könneUi and
nur f(ann ist er erwiesen; die Unrichtigkeit ergibt eich da-
Dvlianelf Dm M&fkoAm 4um Im idmieM. H7
gegen, weaii man ans ihm, ab liolitig aagenommen, eiiieii Satx
fo^em kaaiii der Mmh ist. Zuweilen kann man Ate WahrMt
«988 8aties erweisen dadaroh, daes man «eigi, es sei seine Tev-
seiBimg falsoh. Dies gibt diejenige Form des Beweises, die man
^6 Reduktion auf das Ahsnrde nennt, die Ton den alten
Mstkematikem viel angewendet wvrde.
Wir hahen im Vorstehenden natürlich nnr die Hauptsatce a«f-
gefllhrt, deren weitere Entwicklnng im Bache selbst nachzasehen
ist Den geschichtlichen Theil: über die Analyse and Synthese der
Alten, die Logik der Neuem (Bacon und Descartes), die Logik
von Port-Boyal (Amaud) und die Logik Ton OondiUac müssen wir
Uer übergehen und auf die Schrift selbst verweisen. Nur auf Eines
oder das Andere mag eine Hindeutung gestattet sein. Buclid
ertiftrt: die Analyse ist die Annahme, die gesuchte Sache sei zu-
gegeben, um daraus Folgerungen zu ziehen, dio zu einer zugegebe-
oen Wahrheit führen. Diese Methode ist nicht ganz in Ordnung,
d«nn ans der Wahrheit des geMgerten Satzes ergibt slich nicht
ksrsweg die des Vordersatzes. Pappus sdireibi anerdings tot,
die Ba^ nunmehr synthetisch zu erweisen ; damit freifich iet Alles
tu Ordnung gebracht. Dalllr aber haben die alten Oeometer 4n
4peii andern Punkte zu Tiel gethan. Haben sie aus einem Piroblem,
das als geKM angesehen wurde, ein anderes gefolgert, das lAe
Ksenkennten, so begnügen eie eich nicht syntiietisch am «eigen,
dasB die AufiOewigen de« letzten denen des ersten genügen, soodem
ne zeigen mo€lh, daes es keine andern geben kann. Das ist «nnüthig.
Dm Üa Verfahren kann wohl fremde AufMsungen eii^Ühren, und
N nmss also (synthetisch) untersucht werden , ob eine der Aa£*
lOamgea 4m letzten Problems auch eine solche des ersten iet;
fBrleren aber geht keine Auflösung. Deseartes hat all' den Begeln,
Wahriieit oder Falschheit einer Deduction zu erkennen, die einzige
«tgegengesetet, die darin besteht, nur das ak wahr anzunehmen,
du «eh dran Geiste mit dem Charakter der Byidenz darstettt. Br
hd also die Freiheit dem menschlichen Geiste wiedergegeben, da
ff lehrte, es habe Jeder in sich die Ffthigkeit, die Wahrheit zu
«fkeuien« »Denn, sagt er, Qott hat nidit gewollt, dass der Mensch
^ Spielball sei ewiger fniusohungen, sondern er hat ihm die
VitUl gegeben, die Dinge zu erkennen, wie sie sind.c
Dm Buch wird in den Hunden eiees jeden denkenden An-
legers der exakten Wissenschaften Früchte tragen : »Neos croyens
^eir ajoiM quelque dbosc auz m^tbodes ezposöes dans les ouvra^
ISH 4es aneiens g^m^tres, et leur aToir donn^ f^us de rigneur et
^ prMsion: o'eet aux logieiens-g^m^tres h juger si nous nous
bisoas iUusion h cet 6gard. Quant k ceux q« ötndient les gfotra-
Kt^s k priori, et ne songent mCme pas ensnite k en faire TappM-
^sttoa k la r4solation de questions qui deuMudent ei compertevt
^«lactitade et la rigueur ; quant aux philosophes habitute k traiter
te questions ▼agues, sane dounäes positires, et par enite, sans
M8 SidluBi^i CfttiUn* erkl&rt von Dietseb.
conclusion n^cessaire et Evidente, nous n^ayons aacone raison d^es-
p^rer les conyamcre; nous ne pensons mdme pas qa'ils apportent
h Texamen de nos id^es tonte Tattention nöcessaire ponr les bien
comprendre; aussi ne les oombattront-ils pas, mais ils les repons-
seront. Et ils le feront de bonne foi; car n^ayant Jamals fait an
nsage s^rieux de lenrs m^tfaodes, ils n'ont pn en reconnaltre la
tanitö«. Dr. J. IHenger.
0« SalluBti Cri$pi De CatUinat ConjuratUme, Bellum Juqwr^
thinumt Oratianes et Epiatulae ex Hiatoriis excerptae* Erklärt
wm Rudolf DieiseK Erster Theü: De Catüinae Cdi^ra-
turne» Läpzig* Druck und Verlag van B. 0. Teubner. 1864.
XJ und 212 8. in gr. 8.
Es ist, wenn wir nicht irren, jetzt das dritte Mal, dass der
Verfasser znr Heransgabe der Schriften des Sallnstins schreitet»
mit welchen er jedenfalls, wie Wenige, vertraut und bekannt iBt*
Auf die mit einem reichhaltigen, erklärenden Commentar in latei-
nischer Sprache ausgestattete Ausgabe des Jahres 1848 £f. erfolgte
die grössere kritische Ausgabe im Jahr 1858, von welcher auch in
diesen Blättern seiner Zeit berichtet worden ist, und jetzt 'haben
vielfache Aufforderungen von Freunden den Verfasser veranlasst,
die frühere Ausgabe des Jahres 1843 durch eine andere, mit ei^
klärenden Anmerkungen in deutscher Sprache versehene Ausgabe
zu ersetzen, von welcher jetzt der erste Theil, der den Catiliaa
enthält, vorliegt. Ausgestattet ist diese neue Bearbeitung mit einer
um&ssenden Einleitung, welche über das Leben des SaUustius und
die Abfassung des Catilina sich verbreitet, auf welche auch der
gelehrte Forscher schon aus dem önmde aufinerksam zu machen
ist, weil hier das Ergebniss der Forschungen und üeberzeugungen
des Verfassers über einen schon in der alten Welt und noch mehr
in der neuesten Zeit bestrittenen Gegenstand vorliegt und auf das
wohlbegründete Urtheil eines mit seinem Schriftsteller, mit der
Sprache desselben, mit dessen Anschauungen, Gesinnungen und
Tendenzen durch vieljährige Studien so vertrauten Gelehrten wohl
ein besonderes Gewicht gelegt werden dürfte. Namentlich ist es
das Verhältniss zu Cäsar, wie dann auch zu Cicero, das hier einer
näheren Untersuchung unterzogen wird, desgleichen die Frage nach
der Sittlichkeit des Schriftsteller's, seineu politischen Ansichten,
wie seinen Leistungen auf dem Gebiete der Literatur, zunächst
der Geschichtschreibung. Was die Theilnahme des Sidlustius an
dem öffentlichen Leben Bom's betrifft, so hält es derVerüasser für
am wahrscheinlichsten, dass der Bücktritt davon erfolgt sei nach
der Bückkehr von Afrika, insofern er damals sich nach Buhe sehnte,
und durch den bald darauf erfolgten Tod Cäsar's in dem Ent-
BtStuff» CMtaM erUtrt Tim Dletieli. IM
BcliliisM best&rkt ward, dem Staatsleben yon nim an fern zn blei-
ben und den Wissenschaften zn leben: in diese Zeit, yon dem
Jabre 44 v. Gbr. an bis zum Jahre 85, in welchem Sidlnst starb,
wtbrde also die literftrische Th&tigkeit desselben, und die Abfassung
seiner Oeschichtswerke ftiUen (S. 18). Was den Vorwurf hinsicht-
lich der Sittlichkeit betrifft — den angeblichen Ehebruch mit der
Gattin des Milo — so macht der Verf. nicht ohne Grund auf das
ünLuitere der Quellen aufmerksam und findet in dem Verfahren
des Censor Appius Claudius, der selbst ein ganz sittenloser Mensch
war, and bei seiner Ausweisung des Sallustius aus dem Senat durch
andere, politische Motive geleitet war, keinen hinreichenden Grund
an eine besondere TJnsittlichkeit oder Gemeinheit des Sallustius zu
^anben (S. 8. 9.). und was den andern ihm gemachten Vorwurf
betrifft, wegen seines Verhaltens in der Verwaltung der Provinz
Afrika, so glaubt der Verf. auch hier nur so viel als gewiss an-
sehen zu können, >da8s Sallustius die ihm vomGlfick gebotene und
Ton ihm selbst erworbene Gelegenheit sich Reichthum zu yerschaffen,
gesehickt und mit bestem Erfolg benutzt hat ; dass er dabei Thaten,
welche im Sinne der damaligen R5mer für Verbrechen hätten gelten
können, begangen habe, muss als unerwiesen gelten. Die Avaritia
an Andern konnte er mit gutem Bewusstsein tadeln, da er ja durch
sein Zurückziehen aus dem Öffentlichen Leben bewiesen hatte, dass
er sich genügen lasse, nicht stets auf neuen Erwerb denke«
(8. 12). Also der VerfEisser. Wenn sich auch bei dem hier über-
haupt in Frage stehenden Punkte die Gr&nze zwischen dem, was
einem römischen Statthalter in der Provinz erlaubt gewesen und
was nicht, kaum ziehen Iftsst, und alle die vornehmen Römer, die
nach der kostspieligen, nichts eintragenden Verwaltung der höheren
Aemter zu Rom auf die Verwaltung einer Provinz angewiesen
waren, um hier einen Ersatz für ihre enormen Ausgaben und die
dadurch oft zerrütteten VermOgensverhältnisse zu finden, oder sich
ein Vermögen zu sammeln für die in Rom zu machenden Aus-
gaben, diess benutzten, so mag auch Sallustius nicht mehr und
nicht weniger in dieser Beziehung gethan haben, als Andere, und
insofern selbst Anerkennung verdienen, dass er mit dem durch eine
einmalige Verwaltung einer freilich ausgedehnten und reichen Pro-
vinz erworbenen Gute sich begnügte, und nicht, gleich Andern,
von der Gier weiteren Erwerbes sich fortreissen Hess.
Auch der Beruf des Sallustius zum Geschichtschreiber, inso-
weit er die Darstellung der Hauptmomente der innem Bewegung,
welche zu den Bürgerkriegen geführt hatten, als das Ziel seines
Strebens in's Auge fasste (S. 13), wird in Betracht gezogen, seine
philosophische, auf Psychologie und Ethik gegründete AufiÖässung
der Geschichte, die Nachweisxmg des inneren Zusammenhangs der
Begebenheiten, die unparteiische -Würdigung der handelnden Per-
sonen, diese und andere Vorzüge, so wie auch die der Sprache
werden in beredter Weise auseinandergesetzt (S. ISff.}, bei letzterer
ü^ BOk^» ORtiUsAr oridSri von D Uivek,
vi»]iUiobt s« wenig beaohtet das g«6tiohie und manirirtei naeh
Efiect haschende Wesen des SaUastins, das ihn nicht za seinem
Vortheil von dem Griechen Thncjdides anierscheidet , so sehr wir
aoAh auf der andern Seite glaDbea, dass gerade eine solche, rheto-
risoh-'se&tentiöse Darstellung den Römern gefallen nnd den SaUustios
bei der Nachwelt , die einer solchen Darstellmngsweise noch mehr
3itohgiag, so beliebt nnd nacfaahnrangswürdig gemacht hat, wie
diess schon die BemUhnuigen der spätem Grammatiker und die aus
Sallnst zahlreicher, wie ans andern Schriftstellern genommenen Bei-'
spiele erweisen. So mag man wohl mit dem Verfasser, wie diesa
aaoh unlängst' Nandet aosprochen hat, in Sallusthis den ersten Ge-
sohichtschreiber Bom's (d. h. unter den «nf uns gekommenen) er-
kennen, wacher die Ereignisse in ihrem innem, sowohl thatsäch*
lioben wie psychologischen Zusammenhang erfetöst und sie mit einer
ernsten politischen und moralischen Absicht dargestellt hat (S. 22).
Ob aber, wie hier weiter behauptet wird, in der That Sallust »einen
stsengea historischen Styl begründet, durch die SkuückfÜhrung
manche» mit Unrecht als veraltet bei Seite geschobenen dem Sprach*
schätz GoldkOrner erhalten und ein Muster eindrucksvoller schrifi-
lipher Gesdnchtseraählung aufgestellte, (S. 22) möchten wir doch
nach bezweifeln, wenn wir auch den Einfluss anerkennen, den
SaUnstiue auf die spätere Geschichtschreibung geäussert haben mag.
In Bezug auf Sprache und Darstellung war Seneca weit einflusa-
reiober.
In dem andern TheUe der Einleitung beschäftigt sich, der Verf.
zunächst mit der Schrift des SaUustins: Über de Catilinae
conjuratione *- deim diesem Titel scheint der VerfL jetzt den
Vorzug zugeben, während er früher den kflrzeren : Catilina vor-
gezogen hatte. Die AbÜMSung dieser Schrift geht jedenfalls der
andern Über den Jugurthinisdien Krieg voraus, und wird daher
SaUustins schon in der ersten Zeit, als er sich vom öffentlichen
Leben zurückgezogen und geschichtlichen Studien sich gewidmet
hatte, diesem Gegenstand seine Aufinerksamkeit zugewendet haben,
aber die Veröffentlichung fällt erst nach Cäsar's Tod, weshalb der
Verf. die Abfassung des Catilina zwischen den März 44 v. Chr.
(71.0), wo Cäsar ermordet wurde, und zwischen den December 4S
(711), wo Cicero fiel, setzen möchte ( und wenn der Verf. einen
speoiellen Grund für die Ab&ssung in der nach Cäsar's Tod ins-
besondere durch Cicero wieder aufgetauchten Erinnerung an die
Gatilinarische Verschwörung und die wider Cäsar und seine Partei
erhobenen Ansdiuldigungen einer Theilnahme an derselben findet,
welche Sallust mit dieser Darstellung abzuweisen versucht haben
soll, so scheinen uns doch die Anhaltspunkte für eine solche Ver-
muthung nicht so sicher, um nicht auch allgemeineren Rücksichten
über die Motive des SchriftsteUnrs bei Abfassung dieser Schrift
Baum za gestatten. Was das Verhältniss zu Cicero betrifft, so ist
der Verf« der j^isicht, dass bei einer näheren und unbefangenen
B$ame» onaiw «um von puutk m
PrOfimg deh dordiaog keina Anfemdnng CiMro*8 bei SaUuik hu^
aiMtiiky wohl aber eine ZortlokfUinmg seines Verdienstes auf eis
gslidnges Maass nnd diese nioht dorcb directe Anseinandersetsong
8sd Negation, als rielmehr durch Schweigen (8. 26). Allerdings
ist diaees Schweigen oft etwas auffallend, wohl aber erklftrbar ans
dem YerhaltnisSy in welchem Sallustius zu Cäsar stand, so dass er
«gibtlieh des Cicero nur erwähnt, wo er ihn durchaus erwähnen
»SB, und Ton den Verdiensten, die Cicero sich unleugbar erwor«
btt, lieber schweigt, als sie ausführt. Unser Verf. spricht sieh
8. 31 darOLber noch weiter in folgender Weise ans: »Dass dieiLr«
ognisse eine andere AufBusung der OatiHnarischen Verschwörung
bigrfinden, als die war, welche nach Cäsar's Tod gepredigt worde«
din man die Catilinarier milder zu beurtheilen ein Beeht gehabt
Iwbe, dass man ohne ihr Vorhaben su theilen oder zu begttnstigeut
ja mit voller Verurtheihing ihrer Ruchlosigkeit gleichwohl das Vep-
Utea derNobilität nicht gutheissen und mindestens mit ihrer Be«
«ttügong nicht die Ursachen zum Bürgerkrieg entfernt und die
Heflnag des Staats vollendet glauben durfte, diese durch seine Dar»
sUhmg zu zeigen, war SaUust's Absicht, und dass man dennodi
dieselbe eins Apologie ftkr Cäsar und ft^ alle, welche zu seiner
Partei gehört haben, nennen kann und musa, ist offenbar« (1)^
Sollie nicht mit der zuletzt ausgesprochenen Behauptung au Viel
gBMgt und dem Oeschichtschreiber ein gar zu speoieUsr Zweck
untergelegt sein ? sollte er nicht einen allgemeineren Zweck vor Aug«i
glhabt haben? Wir wollen diese Frage über die eigentliche Ten-
dnu des Sallustius bei der Abfassung dieser in sich so vollkommen
ftbgesdlosseaen historischen Monographie nicht weiter verfolgeni
und mir die Schlussworte der Einleitung noch anführen , mit wel-
dum man sich eher einverstanden wissen wird. »Dass SallustiuSi
sokreibt der Verf. S. 86, mit seiner Schrift uns ftir eine historisch
vabie Auffassung der Catilinarischen Verschwörung und der römi*-
^en Geschichte flberhaupt ungemein genützt hat, das wird be«
Snifen, wer sich diese Frage vorlegt, was wir davon wissen wür<*
^1 wenn wir auf Cicero, Plutarchus und Appianus beschilüikt
vtteB.c
Was nun die Bearbeitung selbst betrifft, zunächst die deut-
leiiea Anmerkungen, mit welchen der hier gelieferte Text ausge«
stattet ist, so ist allerdings zu bemerken, dass sie auf die Kritik
nch Budit einlassen, ausgenommen in den Fällen, wo die Wahl der
^Sanommenen Lesart mit der Erklärung selbst in innigem Zu^
ttauaeubaiig steht, sondern ausschliesslich der Erklärung, der gram«
Otttiaehen und sprachlichen, wie der sachlichen gewidmet sind, und
i^Kmeatlich, was die grammatisch-sprachliche ErUärung betrifft, in
naem Umfang und in einer Ausdehnung sich bewegen, welche dur(A
^ Zweck, welchen der Verf. bei dieser Ausgabe vor Augen hatte«
gaieohtfertigt wird. Der Verf. wollte nämUcb durchaus keine Sehol-
^^^S^ im gewöhnlichtti Sinne dee Wortes lie£mi| d. b. wie fiU?
«M BtlhisVs CatiliDA erUIrt ▼<»& Dletsoli.
den Sobfller bestimmte Ausgabe, die ihm seine Prftparation zu er-
leiobtem, ihn der Mühe der eigenen Arbeit und des eigenen Nach*
denkens zu überheben, seiner Bequemlichkeit Vorschub zu leisten
vermag. Eine solche Tendenz lag dem erfahrenen Schulmanne
fem. Ich habe, schreibt er S. VI ^ und diess ist auch immer
unsere Ansicht gewesen, die wir in diesen Bl&ttem bei mehr als
einer (Gelegenheit ausgesprochen haben — in meiner langjährigen
Praxis stets als das zweckmässigste gefunden, wenn der Lehrer
zwar alles brauchbare und gute aller Ausgaben, die ihm zu Oe*
böte stehen, benützt, auch den Schülern die zweckmftssigsten zur
eigenen Benützung empfiehlt, aber bei seinem Unterricht keine
andere als die eingeführte Textesausgabe in den Händen der Schüler
Toraussetzt, ihnen die Anleitung zur Präparation selbst gibt und
die Bedürfnisse zum Yerständniss nach bestem praktischem Er-
messen und den gemachten Betrachtungen selbst beledigt. € Für
den Gebrauch in der Schule und für die Leetüre der Schüler in
der Schule hat also der Verf. seine Ausgabe keineswegs bestimmt,
er hat vielmehr an die Privatlectüre gedacht, auf welche er mit
Recht grossen Werth legt, und diese Bücksicht hat ihn insbeson*
dere bei Abfassung der Anmerkungen geleitet. Wir glauben auch
nach der ganzen Anlage und Fassung dieser Anmerkungen, dass
nicht bloB für Schüler der obersten Classe, welche den Sallust zu
ihrer Privatlectüre wählen, sondern auch eben so für das Privat-
studium angehender Philologen auf der Universität in dieser Aus-
gabe trefflich gesorgt ist, um dieselben nicht blos mit der Sprache
und allen Eigenthümlichkeiten derselben, mit der ganzen Darstel*
lungsweise, dem Bau der Perioden u. s. w. bekajint zu machen
und auf gründliche Weise das Yerständniss der einzelnen Stellen
wie die Eenntniss der lateinischen Sprache überhaupt zu fordern .
und zu erweitem, sondern auch um eine Einsicht in die Tendenzen
der ganzen Darstellung und in die Persönlichkeit des G-eschicht-
sohreibers zu geben; wir glauben aber auch weiter, dass ein
sorgsamer und tüchtiger Lehrer mit grossem Yortheil diese Aus-
gabe benützen wird, um das in derselben Enthaltene in dem frischen
lebendigen Yortrage seinen Schülern mitzutheilen und sie auf die-
sem Wege weiter zu führen. Wir könnten diess durch eine Menge
von Fällen bewegen, wenn es die Absicht dieser Anzeige ^^re, in
das Detail der Erklärung weiter einzugehen, oder auch eine ab-
weichende Meinung an solchen St-ellen zu begründen, wo man mit
demYerfasser nicht einverstanden sein mag, wie z. 6. in der Um-
stellung die ercap. 26 — 31 nach Lincker und Ottema vorgenommen
und in einem eigenen Excurs auch näher zu begründen versucht
hat, so dass die im 27. Capitel stehenden Worte: >Postremo ubi
multa agitanti — tantum facinus frustra susceperatc nun im 30.
Capitel nach den Worten: »At Catilinae cmdelis animus — inter-
rogatus erat ab L. Paulo € ihre Stelle erhalten haben. Bekanntlich
ist diese Umstellung durch keine Handschrift bestätigt und .von
HeroBlB ReliqnlM. Kd. Hultiek »S
dem Verf. selbst früher bestritten worden mit Grttnden, denen wir
noch jetzt ihre Gfilt^keit zuerkennen, obwohl der Verf. selbst jetzt
anderer Ansicht geworden ist. Anderes der Art, wo wir abweichen-
der Ansicht sind, übergehen wir, nm nicht den Banm, den diese
Besprechong eingenommen, noch weiter auszudehnen, zumal als in
dem, was wir über diese neue Bearbeitung des Gatilina im Allge-
meinen bemerkt haben, dadurch Nichts geändert würde. Die yer-
traute Bekanntschaft des Verfassers mit dem Autor, dessen Sprache
and Ausdrucksweise im Einzelnen wie der Darstellungsweise im
Gänsen, wird keiner weiteren Anerkennung bedürfen und wir
sehliessen daher unsem Bericht über diese neue Erscheinung mit der
Versicherung, dass diejenigen, für welche diese Ausgabe bestimmt
ist. Viel daraus lernen und mit sicherem Erfolg dieselbe ge-
brauchen werden. Und darauf hinzuweisen, war der Zweck dieser
Anzeige.
Heran 18 Alexandrini Oeomdricorutn et Stereomdrieonim ReJiquiae,
Aecedunt Didymi Alexandrini Mensur ae Marmorum d Ano-
nymi Variae Collectione» ex Herone Euelide Oemino Proelo
AnatoHo aUisque. E libris manu scripiis edidU Friderieus
Hultaeh. Berolini ajmd WHdmannnos. MDCCCLXIV. XXIV
und 338 8, in gr. 8,
Nachdem vor Kurzem eine Sammlung der auf uns gekomme-
nen Beste der metrologischen Literatur der Griechen von demselben
Gelehrten erschienen war (s. diese Bl&tter Jhrgg. 1864. S. 789 ff.),
tritt in dem Torstehenden Werke eine ähnliche, auch mit gleicher
8org< Tcranstaltete Publication vor uns, die in denselben Kreis
der mathematischen Literatur des griechischen Alterthums f^Ut,
welche der Verf. zum besondem Gegenstand seiner Studien ge-
macht hat: sie wird daher auch die gleiche Auiinerksamkeit und
Beachtung finden. Wenn in der neuesten Zeit zunächst zwei
französische Gelehrte, Letronne und Martin die Untersuchung über
den griechischen Mathematiker Hero und über die unter seinem
Namen yerschiedentlich auf uns gekommenen, zum Theil erst in
der allemeuesten Zeit aus Handschriften an den Tag gezogenen
Beste wieder aufgenommen haben, so hat unser Herausgeber gleich-
fiiUs diesem Gegenstande in den Prolegomenen der eben erwähnten
Sammlung der metrologischen Reste eine eingehende Untersuchung
gewidmet, deren sichere (wie wir es wenigstens ansehen) Ergeb-
nisse in diesen Blättern (Jahrgg. 1864. S. 790 ff.) sich angegeben
finden. In dem vorliegenden Bande hat er es nun übernommen,
die irgendwie noch erhaltenen Reste der geometrischen und stereo-
metrischen Schriften des berühmten Alexandrinischen Gelehrten,
der noch in das erste Jahrhundert vor Ohr. hinaufreicht, in eine
Sammlung zu yereinigen, die Alles bisher bekannt gewordene, wie
M4 HwoBis ReUqnlA«. Ed. HuUs«1i.
AnderoBy noah sieht verOfioAtUohieB eniliätt, um lo einaa YoHstftu«-
digen üeberbliok über das von diesem gelehrten Mathematiker,
dem Schüler des GteBibins, Geleistete sm gewimien, den Einfluas za
bestimmen, welche diese Schriften auf die Behandlung der Mathe*-
matik in den folgenden Zeiten, so vne auch in der praktischen
Anwendung gehabt haben, und aus so manchen Yerftnderungen und
Umwandlungen, welchen diese Schriften im Laufe der Zeit unter-
legen sind, ihre ursprüngliche Form wieder zu ermitteln.
Dass nun auch diese Sammlung mit aller der kritischen Ge-
nauigkeit und Sorgfalt veranstaltet ist, die der Herausgeber in der
andern oben erwähnten Sammlung bekundet hat, wird kaum be-
sonderer Erwähnung bedürfen; die dabei von ihm benutaten kriti-
schen Hülfsmittel, zunächst neun Pariser Handschriften und eine
Münchner, werden genau in der Praefatio p. YIsqq« beschrieben
und wird eben so auch über die übrigen gedruckten, hier benutzten
Schriften das Nöthige bemerkt; die von dem Texte abweichenden
Lesarten der Handschriften sind unter dem Texte selbst aufge-
führt.
An erster Stelle erscheinen in dieser Sammlung "Hqg^pos 0(KM
täv ysaiistQÜis Qvofiat(ov^ die freilich hier in einer Gestalt ei^
scheinen, welche yiel&ch abweicht von derjenigen, in welcher sie
erstmals yon Daejpodins im Jahre 1571 und in dem darnach yon
Hasenbalg zu Stralsund 1826 veranstalteten Wiederabdruck sich-
finden, indem der Herausgeber zunächst an die handschriftliche
Autorität sich hielt und hiernach einen Text liefert, der sich auf
drei Pariser Handschriften stützt: nr. 2475 (B.) die nicht vor das
sechzehnte Jahrhundert fällt, dann Suppl. nr. 387 (G.) und nr. 2385
(F.); vorzugsweise folgt der Herausgeber der an erster Stelle ge-
nannten Handschrift, weil sie die beste ist; Stellen, die in allen
Handschriften verderbt vorkommen, hat er selbst zu bessern ver*-
sucht, in manchen Fällen aber auch den Text lieber so, wie er
überliefert ist, belassen, um jede Willkür^ die hier allerdings einen
weiten Spielraum findet, ferne zu halten. Was fremdartiges im
Laufe der Zeit in den Text eingeschoben erschien, wurde im Druck
durch besondere Schrift kenntlich gemacht ; was erweislich neueren
Ursprunges ist, in eckige Klammem eingeschlossen.
An zweiter SteUe folgt S. 41 ff. Hero*s Geometrie auf
Grundlage der vorzüglichen Pariser Pergament -Handschrift des
dreizehnten Jahrhunderts nr. 1670 (A.); die Abweichungen einer
jüngeren, minder guten Pariser Handschrift nr. 2012 (D.), sind
unter dem Texte angegeben ; aus dem andern Theile derselben Hand-
schrift, der jedoch als ein ursprünglich davon gesondertes Ganxe
erscheint, und darum auch mit einer besondem Signatar (E.) ver-
sehen ist, ist an dritter Stelle die Geodäsie gegeben (S. 141 ff.)
mit Weglassung der Stellen, die schon in der G^metrie gegeben
waren, ^dann folgen 8* 152 ff. die Eiöteymywi %äv CtafWfkevQOv^
fUvmv ''Hffiovog nach drei Handschriften, den eben erwähnten b#i-
H«r»iiis lUUqDiM. Ed. Hmlistk IS^
daa Pariiar, B. 0. vad einer Mflnchner Papier-Handsekrift des
Baehseiuitea Jahrhunderts nr. 165 (M.)f welcher mit gutem Onmde
hier deo Vorzug gegeben wird. Aua denselben Handschriften, der
VmuT B and der Münchner folgt dann noch eine andere Stereo-
aetrisohe Sammlung Hero*8 8. 172 ff. Die sechste Btelle S. 188 ff.
oahmes die in zwei Pariser Handschriften (2438 und 2861) unter
der Aufschrift "Hgmvag xb^ ptdtQmp^ in einer dritten Pariser
(nr. 1642) mit der Aufschrift "HQmvog ^te^aoiutf^uca yersehenen
St&cke ein; da die einzelnen Probleme mit der Aufschrift fiirfi7<yi^
TirMken sind, zog es der Herausgeber vor, für dasQanze die Auf*
9fknSt''Hp€9vog ftszQi^sig zu nehmen; die Abweichungen der drei
Hindsohriften werden unter dem Text angeführt. An siebenter
Steüe 8. 208 ff. folgt nun aus der oben erwähnten Pariser Hand-
adurift 2488 "Hgen/og ytr^oviMOv fiißXiov. Angehängt ist 8. 235 ff.
tts der Schrift xsqI diaxt^ag^ die Mensura Trianguli aus einer
Pariser Papierhandflchrift des sechzehnten Jahrhunderts nr. 2430;
fk macht den Beschluss der Schriften Hero*B und es folgen nun
die weiter auf dem Titel angegebenen Stücke anderer Yerüaiflser,
nent 8. 228 ff. ^idvfiiov ^AXs^vÖQ^ng fiitQa fui^(»a(fGnf nal nai/-»
xolav ^Itovy die von A. Mai erstmals 1819 aus einer Ambrosia-
aüehen Handschrift an's Tageslicht gezogen worden sind, hier aber
in einer vielfach verbesserten und berichtigten Gestalt erscheinen,
iasbesondere nach der schon oben erwähnten Pariser Handschrift
2475 (B.), nach der Münchner (M.) und einer Leidner; dannkom-
meii 8. 245 ff. verschiedene einzelne hier zusammengestellte Stücke
nehrsrer Verfasser unter der Aufschrift: Anonymi YariaeGollectiones
61 Herone, EucUde, Gemino, Proclo , Anatolio in codicibus oonti-
miae adscriptae ad Heronis definitiones, hauptsächlich nach der
eben genannten Pariser Handschrift B.
Noch haben wir in unserm Berieht der vorzüglichen Indiees
ZQ erwähnen, mit welchen diese Ausgabe ausgestattet ist , zuerst
ea Index zu den Stücken des Hero und Didjmus, in der Art ge*
fertigt» dass jedes in denselben vorkommende Wort mit genauer
Aagikbe der Stelle, in der es vorkommt, darin enthalten ist ; dann
ein zweiter ähnlicher Index zu der obenerwähnten» am Schlüsse des
Bsodes abgedruckten Sammlung : Anonymi Yariae Collectiones. Ein
Cosspectus Auetomm, oder ein Yerzeichniss der in diesen beiden
Abtheilangen genannten Autoren, kann als dritter Index gelten.
^iugeipähUe Komödien du Aristophanea. Erklärt von Theodor
Koek. Viertes Bändchen, Die VögeL Berlin, Weidmann^sehe
Buchhandlung 1864. 260 8. in gr, 8. (Sammlung Grieehieeher
und Laieimgeher Schriftsteller mit deutschen Anmerkungen,
herausgegeben von M. Haupt und H. Sauppe).
Dieses vierte Bäadchen hat ganz die gleiche Einrichtung,
wie dae vorättigegangMke dritte, ton welcher seiner Tirii in di^
986 Die VOgel des Aristopluinee von Kock.
Ben Jahrbb. 1857. S. 757 £f. nähere Nachricht gegeben wurde;
weshalb wir uns hier kürzer fassen können, um so mehr, als die
ganze Behandlung derjenigen gleich ist, welche in dem zunftchst Tor-
hergehenden dritten Bändchen die FrOsche, wie in den beiden früheren
Bändchen die Wolken nnd die Bitter erhalten haben, weshalb auch
diese Bearbeitung eines der mit Recht gefeiertsten Stücke des
Aristophanes insbesondere jungen Philologen, welche den Aristo-
phanes näher und gründlich kennen lernen wollen, zu empfehlen
ist. Eine umfassende Einleitung (S. 1—47) geht voran: im ersten
Theile derselben werden die historischen Ereignisse geschildert,
welche der AufPÜhrung der Vögel vorausgingen, und hier wird natür-
lich näher eingegangen auf die Sicilische Expedition, den Hermo-
kopidenprocess , das Verhalten des Alcibiades u. s. w. Die Auf-
führung der Vögel erfolgte im März des Jahres 414 v. Chr. und
erhielten dieselben den zweiten Preis; die Komasten des Amipsias
errangen den Vorzug. Darüber, wie über den Inhalt des Stückes
und den Gang desselben im Einzelnen verbreitet sich der zweite
Abschnitt der Einleitung, indem er eine gute üebersicht des In-
halts bringt und die ganze Oekonomie des Stückes darlegt. Indem
dritten Abschnitt betrachtet der Verfasser die Zeitlage, unter wel-
cher diese Dichtung zu Stande kam, so wie die Stimmung des
Dichters. »Aus der Schwüle der Gegenwart hat er sich in eine
reine und gesundere Luft, in eine freie Höhe über die Wirren
des Tages geflüchtet, in die ätherischen Regionen der reinen Poesie.
Nicht die Geschichte des Jahres 415 hat seiner Dichtung ihre
olympische Heiterkeit gegeben, sondern seine Phantasie verklärt und
vergoldet die trübe und düstere Färbung dieser wahrhaft bleiernen
Zeit« (S 34). Dass der Dichter in diesem Stücke seine Gesinnung,
wie sie in den früheren Stücken stets zum Frieden sich neigte,
und diesen herbeizufUhren selbst zur besondem Aufgabe sich ge-
stellt hat, nicht geändert, dass er derselben auch hier treu ge-
blieben, ist eine gewiss richtige Ansicht, und wenn der Dichter
auch nicht eine so unmittelbar praktische Tendenz verfolgt, so
weisen doch nicht wenige Stellen des Stückes auf die Vorgänge
der Wirklichkeit, während das Ganze allgemeiner gehalten ist, und
daher auch auf andere Zeiten sich anpassen Hesse. Der Verf. geht
prüfend in das phantastische Bild ein, welches der Dichter in die-
ser Komödie seinen Athenern vorgef%Qirt hat, um auf diese Weise
eine richtige Würdigung derselben zu veranlassen, wobei er ver-
schiedene Einwendungen, welche in Bezug auf die Gesammtauf-
fassung, wie auf einzelne Theile und Seiten gemacht worden sind,
zu widerlegen bemüht ist. Die erklärenden Anmerkungen, welche
unter dem Text sich befinden, verbreiten sich über granmiatisoh-
sprachliche Schwierigkeiten eben so wie sie die sachlichen Punkte
erörtern, ganz wie diess auch in dem vorausgehenden Bändchen
der Fall ist; die Angabe der Metra, die in diesem Stücke ange-
wendet sind, Vers um Vers, folgt am Ende S. 248 ff. und dann
Orcforii KyMMl Opera. £s ne«iis. OeblerL S87
8. 255 ff. das Yerzeiohniss der Abweioknngen yon der handsehrift-
lielieii Ynlgata. Dieses Yerzeiolmiss ist, wenn man will, bedonten-
der, da dieses Stock des Aristophanes bekanntlioh zu demjenigen
gehört, welehe mehrfiftcbe Verderbnisse des Textes in der band-
sduiftHchen üeberliefening enthalten, und dämm die Tbätigkeit
der Herausgeber insbesondere in Ansprach genommen bat, während
nach der Bestimmung der Aasgabe die Kritik in den Anmerkungen
mr da, wo es unumgftnglicb nothwendig ist und mit der Erklärung
and Auffassung innig zusammenhängt, berllhrt werden konnte. Dafür
kat der Herausgeber in dem, in demselben Jahre zu Memel er-
sfilijanenen Gymnasialprogramm ; »Exercitationes criticae.c 24 S. 4,
eine Beihe von Stellen dieses Stückes in kritischer Hinsicht be-
handelt, worauf fttglich Tcrwiesen werden kann.
& Oregorii EpUeopi Nyueni Opera. Ex reeenrione Francisci
Othler» Tomta/ c^nUuun» lUMras dogmaHco$, HaUi Saxonum,
ifpis fi MimpMtia QrpkomioiTiyphn MDCCCLXV. Xllu.iS73S.
ia gr* o«
Dass eine neue Ausgabe der Werke des Gregorius yon
Nisaa nicht blos wttnschenswerth , sondern selbst ein Bedürfniss
ist, durfte wohl nicht in Zweifel gezogen werden, am wenigsten
▼«m deigenigen, die durch ihre Studien zu diesem Kirchenvater ge-
fbhrt, die Mtthe und Schwierigkeit empfunden haben, durch die
Üttten, mangelhaften Texte der beiden Pariser Ausgaben sich durch-
narbeiten, da bekanntlich die gelehrten Benedictiner , deren Be-
mühungen wir die besseren Texte so mancher KirchenTäter ver-
daakoi, zu der Herausgabe der Werke dieses Kirchenvaters nicht
gelangen konnten, in Folge der einbrechenden Stürme der Bevo-
hition, und die verdienstlichen Bemühungen Krabinger*8 in der
Herausgabe einiger der kleineren Schriften des Gregorius das Ver-
langen nach einer befriedigenden Ausgabe des Ganzen nur vormeh-
ren konnten. Diesem fühlbaren Bedürfniss soll dureh die vorlie-
gende Ausgabe entsprochen werden, die auch im Aeussem durch
ein bequemes Format, guten, lesbaren und correcten Druck und
billigen Preis einem grösseren Leserkreise sich empfiehlt, abgesehen
von dem, was sie in Bezug auf die Gestaltung des Textes leistet.
Denn dieser erscheint hier in einer ganz andern Gestalt, als in der
zweiten Pariser Ausgabe des Aegidius Morellus vom Jahr 1688,
die sich vor der ersten Pariser vom Jahr 1615 allerdings noch
durch manche Verbesserungen empfiehlt; aber auch so noch so
viele fehlerhafte und lückenhafte Stellen enthält, die einer Berich-
tigung wie einer Ausfüllung dringend bedürftig waren. Diess ist
nun in der vorliegenden Ausgabe geschehen, zu welcher dem Her-
ausgeber kritische Hülfsmittel zu Gebote standen, die vor denjeui-
m RelBt ThuriiiglA ßaera It.
gen HaBdschriften, naoh welchen die frOh^en Ausgaben gemacht
worden waren, bei weitem den Vorzug verdienten. Dahin gehört
eine Münchner Papierhandsohrift dee 16. Jahrhunderts, drei Baum-
woUenpapierhandechriften aus Venedig, Mailand, Turin, die beiden
ersten aus dem dreisebixten , die letzte aus dem 14. JaAirhu&dert,
und eine Florentiner Pergamenthandscbrift des eilften Jahrhunderts.
Alle diese Handschriften gehören einer und derselben Familie an,
sind Tollständiger als die, aus welcher die zweite Pariser Ausübe
stammt, so dass an fünfzig Lücken daraus ergänzt werden konnten.
Bei dieser Ghleiohheit der Handschriften schien es nicht nothwen-
dig, die ganze Masse der daraus hervorgehenden Abweichungen anen-
geben, der Herausgeber beschränkte sieh daher in der am Sehlnese
beigefügten Adnotatio oritica S. 597-*<678 a»tf einzelne Theile,
wie z. B. auf das ganze erste Buch , auf das zwölfte Buch , und
Theile des zweiten wie des zehnten Buches. Vielf&che Verbesse-
rungsvorschläge, die in dem Text selbst noch keine Aufnahme fan-
den, sind in dieser Adnotatio niedergelegt, die zugleich ein günsti-
ges Zeugniss ablegt für die mannichfeohen Verbesserungen, welche
der Text selbst erkennen lässt. Enthalten sind in diesem ersten
Bande die zwölf Bücher gegen Eunomins (S. 1—454) und die
Widerlegung des andern Theils der Schrift des Eunomins (jivtiQ^
gfjtis^ Xf^ tiv Evvop/ßv SevtBQfnf kiy&v 8. 46Ö— 69B), Die
Seitenzahlen der zweiten Pariser Ausgabe sind am Bande bemerkt,
mit Recht, da naoh dieser meistens citirt zu werden pflegt, eben
so werden am Bande auch die Bibelstellen citirt, auf welche im
Texte des Gregoriue Rücksicht genommen ist. Auf diese Weise
ist für die Bequemlichkeit des Lesers gesorgt, dw jetzt einmal
einen in der That lesbaren und verständlichen Text dieses wich-
tigen Kirchenvaters gewinnen kann. Wir wünschen daher dem
unternehmen eine günstige Aufnahme und einen guten Fortgang.
Thurin^ia Sacra. Urkundenbueh, Gesefnehh und B€»eirMung
der Thürin^iaehm Kiäiter. Begründei von Dr. Wilhtlnt
Rein, H, EUereburg^ Heu9dorf und Heyda. Weimwr. Hermegnn
Böhlau. 1866. ViU und 277 8. in gr. 8. Auch mU dem ««-
Bindern Titel:
Eitersburgf Heusdorf und Heyda. Urkundenbueh^ Oeeekiehie
tmd bauli^e Seeehreibung mU geneaiegiaehen und herakksehen
Anmerkungen und SiegdabbUdungf herauegegeben vcn Dr. Wil^
heim Rein.
Von dem ersten 9^^^ d^^ses A<)bönen vaterländischen Unter-
nehmens iflt in diesen Jahrbüchern Jahrgg. 16dS. S. 862 ff. nftber
berichtet, und auf das Zweckmässige dieses Unternehmens, wie auf
die wohlgelnngene Ausführung hingewiesen worden. So wenig för-
derlich, wie wir aus dem Vorwort ersehen, auch die äusseren Ver-
ItelB: ThnrlBglR Baerm IL IM
liSUmsse dem unternehmen waren, defisen Absatz selbet in dem
Lande, ftr das es bestimmt ist, doch leider ein sehr geringer war,
«o iat doch dasselbe nicht in Stocken gerathen, sondern mit dem yor»
liegenden Bande fortgesetzt worden, »weil Verfasser und Verleger so
Tiel Opferfieudigkeit nnd Interesse für die raterlandische (beschichte
besitzen, dass sie gern noch einen zweiten Versuch machen, c Anch
limben mehrere thflringische Begierongen die Bedeutong dieses unter-
BiriimenB anerkannt, nnd dasselbe der allgemeinen Beachtung empfeh-
len: sie konnten es am so mehr, als die Öffentliche Kritik in den
▼enefaiedensten Zeitschriften sich nnr beifÜUig über dasselbe, so-
wohl was die Anlage, als was die Ansftlhmng betrifft, ansgespro-
dieii hatte, und es ist anch dieser zweite Band hinter dem
ersten in keiner Weise zurückgeblieben. Die Genauigkeit und Sorg-
faK, mit welcher auch hier die betreffenden Urkunden nach den
Originalen yorgelegt werden, die Erörterungen und Nachweisungen,
wdclw zu dem Ganzen sowohl, wie zu den einzelnen Urkunden ge-
lben sind, liefern fiberall ein erfreuliches Zeugniss Ton dem
Bfereben des Verf. auch diesem zweiten Bande die wohlverdiente
Aneikennung zuzuwenden. Selbst die Ausbeute, welche die hier yer-
eimgien Urkunden in reehtshistorischer Beziehung bieten, wird nicht
geiiager sein, als die, welche fttr die Landesgeschichte der dort
angesessenen Geschlechter, die Oulturrerhaltnisse froherer Zeit und
Anderes der Art aus demselben zu gewinnen steht. Und da sich
ea&ter den hier mitgetheilten Urkunden solche befinden, die von
deotaehen Kaisem und Königen, von Pftpsten, von ErebisohOfbn und
BiadiSlen, wie von weltlichen Fürsten stammen, so wird auch in
dieaer Brai^rang das Interesse nicht geringer, welches wir an die-
ser neuen Sammlung zu nehmen haben. Sie ist aus den in ver-
fldiiedenen Archiven jetzt zerstreuten Urkunden eines Stiftes und
zweier KlOeter gebildet, welchen der Verf. eine äusserst genaue Be-
sdireibang gewidmet hat, die den Eingang der Sammlung bildet
und ihr fds Einleitung gewissermassen dient, in einem Um&ng
<S. 1 — 70), welcher allein schon die Genauigkeit und Sorgfalt be-
naessen filsst, mit welcher alles Einzelne behandelt und damit
m der gesammten Gulturgeschichte des Mittelalters ein schöner
Beitrag geliefert ist. EHne umfassende Kenntniss der gesammten
darauf bezügHdum Literatur tritt bei dem gelehrten Verfasser überall
hervor, die rem. ihm gegebenen umüftugreichen Kachweisungwi er-
höhen den Werth seiner Erörterungen. Ausführlich verbreitet sich
der Verfasser Ober Ettersburg, ein jetzt g&nzlich verschwunde-
nes ChoriiermBtift, an dem nördlichen Abhänge des waldigen Etters-
bex^ges gelegen, da wo jetzt das Grossherzo^ohe Jagd- und 8<Hnmer>
seUkws Bttersbnrg mit seinen schönen Umgebungen und Parkan-
lagen sieh erhebt; seine erste Erwähnung fsMt in das Jahr 1095
oder 1089, seine Gründung, über welche keine sicheren Data »ehr
voriiegeB, smg kurz zuvor stattgeftmden haben. Der Verf. führt
ime die Verfimung des Stiftes und seine innere Geschichte, seine
840 Rein: Thnringk B«ora IL
Gerechtsame, seine Finanzen, seine baulichen Einrichtungen u. s. w.
vor bis zur Zeit seiner Aufhebung im Jahre 1526. Von demeinst
reichen ürkundenschatze dieses Klosters hat sich indess nur wenig,
erhalten : es sind in Allem 86 Urkunden, welche, aus den Archiven
zu Weimar und Dresden, wo sie sich befinden, meistens in den
Originalen, theils auch in Copien, hier mitgetheilt werden, und in
ihrem Inhalt sehr mannigfach sind, Schenkungsbriefe, Kaufurkunden,
Lehnbriefe, Schuldbriefe, Zinsbriefe, Zinsverkaufe und Zinsverwand-
lungen, auch eine Pfairerinvestirung (Nr. 41) und eine gerichtliche
Vorladung (Nr. 43) kommt vor und Anderes der Art. Dann folgen
die Urkunden von Heusdorf, einem Benedictiner Nonnenkloster
in der Nfthe der Stadt Apolda, das ebenfalls in der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhimderts sein Ende fand, und ein Weimarisches
Kammergut geworden ist; es sind 423 Urkunden ähnlicher Art,
welche von einem grösseren, früher noch vorhandenen Urkunden-
vorrath übrig sind; über das Kloster selbst, seine Gründung und
Geschichte, seine inneren Verhältnisse, seine Besitzungen u s. w.
hat sich der Verfasser mit Ausführlichkeit in der Einleitung 8. 35
bis 67 verbreitet. Den Beschluss macht Hey da, ein jetzt gänz-
lich verschwundenes Cisterzienser-Kloster, von welchem nur 12 auf
dessen Besitzthum bezügliche Urkunden mitgetheilt werden konnten.
In Bezug auf die Urkunden selbst und deren Herausgabe ist
der Verf. denselben Grundsätzen gefolgt, die ihn auch bei dem
ersten Bande geleitet hatten; wenn diplomatische Genauigkeit in
Wiedergabe der Originale ihm mit Recht als die Hauptsache er-
schien, und daher auch sorgfältige Beobachtung der Orthographie
nothwendig war , so schloss diese doch nicht aus , dass auf Unter-
schiede zwischen v und u, oder j und i keine Bücksicht genommen
ward, dass die Abkürzungen aufgelöst wurden, mit Ausnahme der
wenigen Fälle, wo eine völlig sichere Auflösung der Signatur sich
nicht darbot, und dass in der Interpunktion die jetzt allgemein
angenommene, das Verständniss erleichternde Weise beobachtet wurde.
Wir glauben, dass die Bekanntmachung dadurch nur gewonnen hat.
Und wenn die Urkunden da, wo sie nicht ganz besondere Wichtig-
keit besassen, abgekürzt wiedergegeben, und das weggelassen ist,
was, da es doch nur das aus andern Urkimden sattsam bekannte
wiederholt, und daher gar kein besonderesinteresse gewährt, wohl aber
den Baum unnöthigerweise anschwillt, fOglich weggelassen werden
konnte, übrigens durch Striche (•— — — ) stets bemerkt ist, so
wird man wahrhaftig auch darin keinen Nachtheil finden können.
Dasselbe gilt ebenfialls von den in gangbaren Büchern bereits ab-
gedruckten Urkunden, von welchen kurze deutsche Auszüge gegeben
sind, in welchen die Orts- und Personennamen die ursprüngliche
Fassung bewahren. •— Wir können nach Allem dem Verfasser nur
dankbar sein für die viele Mühe nnd Sorgfalt, die er auch auf die-
sen Band verwendet hat, welchem ebenfalls, wie dem ersten Bande
ausführliche Begister über Orts- und Saohennamen wie über Personen-
namen beigefügt sind.
Ir. 16. HEIDELBERGER 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlungen des natnrhistorisclL- medizinischen
Vereins zn Heidelbei^.
T^rlrigc ia Wfaitcr 1814— 18M.
1. Vortrag des Herrn Prof. Kopp ȟeber die speci-
fisclie Wftrme starrer Körper und die Beziehungen
dieser Eigenschaft zu dem Atomgewicht und der Zu-
sammensetzung«, am 11. November 1864.
(Dm Maanscript wurde eingereicht am lt. Wkn 1866.)
Nach dem Dulong-Peti tischen Gesetz ist bei allen Elemen-
ten die Atomwänne — d. i. das Produkt aus der specifischen Wärme
in das Atomgewicht — ftir den starren Zustand annähernd gleich.
Der Yortragende besprach, dass ausser dem Kohlenstoff und dem
Silieium, für welche man schon früher das Zutreffen dieses Ge-
setzes bezweifelte oder dahingestellt sein liess, noch andere Ele-
mente sich demselben bestimmt nicht unterordnen; von solchen,
deren specifische Wärme für den starren Zustand direct ermittelt
werden kann, namentlich noch Schwefel und Phosphor, deren Atom-
wänne bestimmt und erheblich kleiner ist, als die der meisten
anderen Elemente.
Nach dem Neumann 'sehen Gesetz ist bei chemisch ähnlich
zusammengesetzten Verbindimgen die Atomwärme annähernd gleich.
Das Zutreffen dieses Gesetzes war bisher namentlich für solche Ver-
bindungen nachgewiesen und angenommen worden, welche analoge
atomistische Zusammensetzung und ähnliches chemisches Verhalten
besitzen, und selbst ftlr solche Verbindungen waren bereits Aus-
nahmen von jenem Gesetz bekannt. Der Vortragende besprach, dass
nach seinen Untersuchungen einerseits dieses Gesetz sich in viel
weiterem umfange zeigt, als dies bisher angenommen wurde : näm-
lidi anch für atomistisch analog constituirte Verbindungen von
ganz unähnlichem chemischem Charakter ; dass aber dann anderer-
seits anch die Ausnahmen von diesem Gesetz um so auffallender
sich herrorheben.
Der Vortragende erörterte, dass in den Fällen, wo das Neu-
mann'sehe Gesetz in der firüheren beschränkteren und in der
neueren allgemeineren Auffassung desselben nicht zutrifft, häufig
etwas Gonstantes sich zeigt: alle Schwefelmetalle haben z. B. eine
erheblich geringere Atomwärme als die Jod-, Chlor- oder Brom-
LYHL Jalvi. 4. Heft 16
342 Verhandinngen ^ea natnrlüstoriBeb-^niedudnlBclien Vereins.
metalle von analoger atomistischer Constitution*), nnd eine noch
kleinere kommt den analog constituirten Metalloxyden zu; alle
kohlensauren Salze (kohlensaures Eisenoxydul Fe C O3 z. B.) haben
eine viel kleinere Atomwärme als die atomistisch analog con-
stituirten Metalloxyde (Eisenoxyd Fcj O3 z. B.). Eine Erklärung
hierfür gibt die Wahrnehmung, dass die Differenz der Atomwärmen
der Sehwefelmetalle Me S und der Jodmetalle Me J , oder die der
kohlensauren Salze Me C O3 und der Oxyde Me^ O3, nahezu eben so
gross ist wie die Differenz der Atomwärmen von S und J, oder von C
(als Diamant) und Me, für den freien Zustand dieser Elemente ; und
die hierdurch nahe gelegte Annahme, dass diese Elemente in starren
Verbindungen dieselbe Atomwärme besitzen, wie im starren freien
Zustand. Die Annahme, dass die Atomwärme jedes Elementes nicht
wesentlich wechsele, und im freien Zustand und in Verbindungen
gleich gross sei, ermöglicht, die Atomwärme auch solcher Elemente
zu bestimmen, fUr welche diese Eigenschaft nicht direct durch die
Ermittlung der specifischen Wärme für den starren freien Zustand
festzustellen ist. Die Durchführung des Versuches, die Atomwärme
solcher Elemente zu ermitteln, führt zu einer grösseren Zahl yon
Ausnahmen vom Dulong-Peti t ^ sehen Gesetz ; wenn die Atomwärme
der meisten Elemente, im Einklang mit diesem Gesetz, annähernd = 6,4
gesetzt werden kann, ist sie für P und S — 5,4, für Fl = 5, für
0 = 4, für Si = 3,7, für B= 2,7, für H = 2,3, für C = 1,8 etwa
zu setzen. Der Vortragende hob hervor, dasss die Beilegung die-
ser Atomwärmen an die genannte Elemente und die Annahme, dass
die Elemente mit unveränderter Atomwärme in ihre starren Ver-
bindungen eingehen, die specifische Wärme der letzteren in be-
friedigender Uebereinstimmung mit den Versuchsresultaten zu be-
rechnen gestattet, und dass dies namentlich auch für die erst in
neuerer Zeit von ihm in etwas grösserer Anzahl untersuchten orga-
nischen Verbindungen der Fall ist, in deren Zusammensetzung
Elemente eingehen, deren Atomwärme sich am Meisten von der
dem Dulong-Peti tischen Gesetz entsprechenden entfernt.
Der Vortragende besprach noch, was hiemach das Dulong-
Peti tische Gesetz an Allgemeinheit verliert und was als das
Neu mann 'sehe Gesetz einerseits erweiternd, andrerseits beschrän-
kend zu betrachten ist; und dass nach diesen Untersuchungen die
Bestimmung der specifischen Wärme eines Elementes oder einer
starren Verbindung nicht so, wie dies bisher angenommen wurde,
zur Feststellung des Atomgewichtes des Elementes oder der Zahl
der in 1 Atom der Verbindung enthaltenen elementaren Atome als
Anhaltspunkt dienen kann.
*) Den Betrachtungen sind die neueren Annahmen für die Atomgewichte
der Elemente sn Grund gelegt: H = 1, Cl = 85,5, O = 16, S = 32, C = 12,
F6=:56, 81 = 38 u B. w.
Verliaiidliingen des naturlilBtoriscli-inedlsinisclien Vereins. 218
•2. Vortrag des HerrnProf. Kirchhoff: >XIel)er die Be-
obachtungen von Miller nnd Hnggins Über die
Spektra der Gestirne«, am 11. Nov. 1864.
Der Vortragende machte Mittheilmig Ton dem Verfahren, wel-
ches Miller und Huggins in England anwandten um die Spektral-
Untersuchungen der Fixsterne zu einem bessern Resultate zuführen
ab das bisher möglich gewesen war, sowie von den Erfolgen, welche
die ausgezeichneten Untersuchungen dieser Forscher an einigen Fix-
sternen und besonders auch an planetarischen Nebelflecken ge-
habt haben.
S. Vortrag des Herrn Professor Friedreich: »lieber
multilokularen ulcerirenden Leberechinokokkus«,
am 25. Nov. 1864.
(Dae IfaniiBcripi wude am 9. April 1866 eingerelohi')
Prof. Friedreich macht Mittheilungen über einen Fall von
multilokularem Leberechinokokkus, und schildert in ausführlicher
Weise die in demselben vorgefundenen anatomischen und histologi-
schen Verhältnisse. Bezüglich der Eutwicklungsweise schien kein
Zweifel zu bestehen, dass das Wachsthum der Echinokokkenbrut
durch fortschreitende Aussendung immer neuer Sprossen und Aus-
stülpungen der grösseren Blasen nach Aussen vor sich ging, und
dass durch Abschnürung zahlreicher Knospen und Kolben sich ge^en
die Peripherie hin immer neue Blasen von dem mütterlichen Stocke
isolirten, und so immer neue Heerde fortschreitender Prolifi-
kation sich heranbildeten. Die anatomischen Verbältnisse des mit-
getheilten Falles drängten zu dem Schlüsse, dass die Entwickelung
der Echinokokken innerhalb der Gallengefösse der Leber vor sich
gegangen sein musste, und selbst die grossen GallenausfUhrungs-
gänge, der Ductus hepaticus und choledochus bis herab zur Ein-
münduDgsstelle in das Duodenum waren mit traubigen Echino«-
kokkusblasen dicht erfüllt. Besonders bemerkenswerth aber erschien
die Betheiligung des in der Fossa transversa hepatis gelegenen,
in dem Gewebe der Glisson*schen Kapsel sich ausbreitenden Netzes
feiner Gallenkanäle (Vasa aberrantia E. H. W^ber) an der Er-
krankung, indem auch diese zarten und dünnen Kanäle hier mehr,
dort weniger erweitert, in ihren Wandungen verdickt, stellenweise
sackartig ausgebuchtet, und mit wuchernden Echinokokkusblasen
dicht erfüllt waren. Es war somit in diesem Falle die Betheili«
gung dieses, bisher von den '^Pathologen unberücksichtigt gebliebe-
nen Gallengangnetzes an den Erkrankungen der Leber und der
grossen Gallengefässe zum ersten Male durch direkte Beobachtung
nachgewiesen.
Die ausführliche, durch Abbildungen erläuterte Arbeit über
diesen Gegenstand findet sich in Virchow*s Archiv für patholo-
M4 Verhandlungen des natnrhifltorisch-medlsiniBclien Vereins.
gische Anatomie und Physiologie und fQr klinische Medizin. 33.
Band. 1865.
4. Vortrag des Herrn Hofrath H. Helmholtz: »lieber
den Einfluss der Baddrehung der Augen auf die Pro-
tection der Betinalbilder nach Aussen«,
am 25. November 1864.
(Das Manuscrlpt wurde am 10. Mftrz 1865 eingereicht)
Die Begel, dass die gesehenen Objecto in Richtung der Visir-
linien des Auges nach Aussen projicirt werden, erleidet gewisse
Ausnahmen. Wenn man bei parallel gestellten Oesichtslinien ein
nicht unendlich weit entferntes Object betrachtet, so siebt man
dieses in Doppelbildern, und doch, wie namentlich Hr. E.Hering
neuerlich mit Recht hervorgehoben hat, in natürlicher Grösse und
Entfernung vom Auge, woraus nothwendig folgt, dass diese Doppel-
bilder in üJscher Riditung projicirt werden. Wenn man ein ent-
ferntes Object mit einem Auge fixirt, während das andere ge-
schlossen ist, und man dann ohne die Fixationsrichtung des o£fenen
Auges zu verändern, die Convergenz beider Augen vermehrt, so
tritt eine Scheinbewegung der fixirten Objecto nach der Seite des
offenen Auges hin ein. Herr E. Hering hat den hierher gehöri-
gen Erscheinungen den empirischen Ausdruck gegeben, dass wir
die Objecto so projiciren, als wenn die Netzhautbilder sich in einem
in der Mitte zwischen beiden wirklichen Augen gelegenen ideellea
Auge befunden, dessen Gesichtslinie nach dem Gonvergenzpunkt der
beiden wirklichen Gesichtslinien gerichtet wäre.
Der Vortragende glaubt, dass diese Erscheinungen zu erklären
sind daraus, dass wir beim gewöhnlichen Sehen keine bewusste
Trennung der Eindrücke beider Augen vollziehen, und die Richtung
der Gegenstände daher auch nicht auf je ein oder das andere
Auge, sondern auf den Eopf und dessen Mittelebene beziehen lernen.
In Beziehung dagegen auf die Baddrehungen der Augen geht
Herr E. Hering von der Annahme aus, dass die Projection der
Objecto immer so vollführt wird, als ob gar keine Baddrehung da
wäre. In dieser Beziehung verhält es sich indessen ganz ähnlich,
wie bei den Seite^^bewegungen der Augen. Der Vortragende hat
gefunden, dass wenn er mit parallelen Gesichtslinien durch schwarze
Bohren sieht, und einen bezeichneten Durchmesser derselben ver-
tical zu stellen sucht, er ihn auch bei secundären und tertiären
Stellungen der Gesichtslinien so stellt, dass er einen verticalen
Faden deckt; nicht aber, wenn er dasselbe mit convergenten Ote-
sichtslinien thut. Auch hier tritt eine auffallende scheinbare Lagen-
änderung eines solchen Durchmessers ein , wenn man mit einem
Auge durch die Bohre bei parallelen Gesichtslinien blickt, und den
Durchmesser horizontal oder vertical stellt, dann die Augen bei
ungeänderter Bichtung des fixirenden Auges zur Convergenz bringt.
Yerhandliuigen des lUkturhistorisch-teediziiiiflolien Yereins. S46
Eb lassen sich anch bier die Erscheinungen im Ganzen so be-
schreiben, dass man die Objecte so sieht, wie das Hering* sehe
ideelle Gyclopenauge sie sehen würde, wenn es die normalen Dre-
Inmgen eines Auges mitmachte, welches auf den Convergenzpunkt
der beiden Gesichtslinien gerichtet ist, und dessen Drehung also
immer nahehin dem Mittel aus den Raddrehungen beider Aogen
znsanmien genommen entsprechen würde.
Der Vortragende hatte früher diesen Einfluss der Conyergenz
nicht bemerkt. Der Versuch über die scheinbare Concavität von
geraden Linien die mit stark seitlich gewendeten oder stark ge-
hobenem oder gesenktem Blicke durchlaufen werden, gelingt desto
besser, je naher sie dem Beobachter sind, je grössere Conyergeni
sie also fordern, w&hrend bei sehr weit entfernten geraden Linien
die T&uschung schwindet.
5- Vortrag des Herrn Dr. C. W. C. Fuchs: »Ueber die
Entstehung derWestküste vonNeapel«, am 9. Dez. 1864.
(Dm Ifanuseript wurde am 37. Januar 1866 elogereiebt.)
Längs der Westseite der ganzen Halbinsel von Italien, etwa
▼om Gebiete des Arno im Norden bis zum südlichen Ende des
Golfes Ton Neapel, zieht sich eine Vulkanreihe hin. Weiter im
Süden schliessen sich dann ungefUhr in derselben Bichtung die
Vulkane der liparischen Inseln an und schliesslich der Aetna. Die
Bichtung dieser Vulkanreihe, sowohl der ganzen, als auch derjeni-
gen des Pestlandes, stimmt nicht ganz mit dem Verlaufe und der
Bichtang der Apenninenkette überein, sondern erweist sich yielmehr
daron unabhängig. Die Vulkanreihe der Halbinsel bezeichnet die
Lage und die Form der alten Westküste und besitzt aus diesem
Grunde die Gestalt einer Reihe auf der ganzen, oben näher bezeich-
neten Ausdehnung. Nur an einer Stelle ist dieselbe unterbrochen,
allerdings nur durch eine Strecke Ton geringer Breite, nämlich
durcb die pontinischen Sümpfe. Durch die niedrige Fläche der
pontinischen Sümpfe wird darum die Vulkanmasse des Festlandes
in zwei Gruppen oder in zwei Einzel-Beihen, die von Mittelitalien
und die von Süditalien getrennt. Beide sind durchaus ähnlich und
bieten selbst in Einzelheiten auffallende Analogien dar.
Die Vulkane Mittelitaliens waren ursprünglich submarine. Die
ganze Landstrecke, welche sich vom Westabfall der Apenninen bis
zum Meere ausdehnt, war ursprünglich nicht vorhanden, soadem
an dem Fusse der Apenninen brach sich die Brandung des Meeres.
Da entstanden auf dem Boden des Meeres, in der Nähe der Küste
zahlreiche Vulkane, welche mit ihren Eruptionsprodukten durch
häufige Eruptionen den Meeresgrund bedeckten und aUmählig so-
weit erhöhten, dass er nicht mehr von Wasser bedeckt wurde. Es
entstand dadurch ein schmaler, von Nord nach Süd sich erstrecken-
246 Verbandljaiigen des natnrliiBtorisoh-inediriiiiflchen Yereiiu.
der Landstricb , der sich an den Westabhang des Gebirges an*
scblose und somit die Halbinsel nach Westen hin in die Breite
ausdehnte. Die allmählige Ausfüllung des Meeres ward aber noch
beschleunigt durch die Anschwemmung der daselbst mündenden
Flüsse, insbesondere durch den Tiber und Treverone. Die Schutt-
und Schlammmassen, welche diese Flüsse mit sich führten, bedeck-
ten theilweise die vulkanischen Ablagerungen früherer Eruptionen,
wurden aber selbst wieder von späteren Ausbrüchen mit vulkani-
schem Material überschüttet, so dass sie gleichsam Zwischenlager
eines thonigen Kalkschlammes und eines' eigenthümlichen Ealktuffes,
den man Travertin genannt hat, bildeten. Bom ist der geeignetste
Punkt, um sich von dieser Lagerungsweise zu überzeugen. Die sieben
Hügel, auf denen die alte Stadt erbaut war, bestehen wesentlich aus
vulkanischem Tuff, ihr Gipfel dagegen aus Süsswasser-Niederschlftgen.
Spätere Eruptionen vermochten nicht mehr den Gipfel dieser Hügel
mit ihren Produkten zu erreichen, allein nahe dabei, in der Ebene
der Campagna, sind dieselben Süsswasser-Produkte sowohl mit
Rapilli, als mit Lava bedeckt. — Nachdem die Vulkane in Mittel-
italien erloschen waren , brachten die Flüsse noch immer dieselben
Mengen von Schlamm und Schutt mit und führten dieselben dem
Meere zu, so dass sich dadurch seitdem das Land noch immer
weiter nach Westen hinausdehnte, besonders stark an der Mündung
der Flüsse, aber in geringerem Maasse an der ganzen Küste. Es
hat sich also nnterdess ein Vorland gebildet, welches nur aus
Fluss-Niederschlägen besteht, so dass dadurch die Vulkane von der
Küste entfernt wurden und die Entfernung des Meeres von den-
selben noch stets zunimmt.
Die Vulkane Mittelitaliens müssen eine ungeheure Menge von
Eruptionsmaterial geliefert haben, denn die ganze Gegend von
Viterbo bis zu den pontinischen Sümpfen, welche also die ganze
römische Campagna einschliesst , ist damit bedeckt. Grössere
Eruptionsprodukte, die sich weniger leicht weithin zerstreuen konn-
ten, sondern hauptsächlich um die Eruptionsöffnung herum sich an-
häufen mussten und so im Laufe der Zeit zu Hügeln und Bergen
sich ansammeln konnten, wurden nur wenig ausgeworfen. Mit Aus-
nahmen eines der nördlichsten Kratere, des Cimiuigebirges, das aus
800—1000 Fuss hohen Hügeln besteht, liegen die übrigen Kratere
nur auf flachen Hügeln, oder sind gar nur als Einsenkungen in der
Ebene der Campagna zu erkennen, höchstens von einem niedrigen
Tuffwall oder schmalen Schlackenkranz umgeben. Nur ein Krater
war lange Zeit in Thätigkeit und hat sich zu einem vollkommenen
Vulkane ausgebildet und das ist gerade der äusserste und südlichste
von Allen, das heutige Albanergebirge. Nachdem eben die nörd-
licheren Kratere erloschen waren, zog sich die vulkanische Thätig-
keit von Nord nach Süd zurück und concentrirte sich gleichsam an
diesem Punkte, so dass nun zahlreiche Eruptionen hier erfolgten.
Li Folge davon häuften sich die Produkte derselben zu einem an-
YflriHoidliaigeii dm natnrhlrtoriseh-inft^liitBlifthnn VenkM*' 9i7
sebnlichen Berge an, dem Monte cavo, auf dessen Gipfel der grosse
Krater lag. Während der Zeit der Thätigheit dieses Vulkans er-
folgten nicht alle Emptionen ans dem grossen centralen Krater,
der dem alten Krater in der Campagna entspricht, sondern es er-
eigneten sich seitliche Emptionen, in Folge deren sich der Berg
in die Breite ausdehnte, zu einem kleinen Gebirge erweiterte.
Dieselben Erscheinungen wiederholen sich bei den Vulkanen Süd-
iigJiens ; nur ein durchgreifender unterschied ist zu bemerken.
Während im nördlichen vulkanischen Gebiete zahlreiche Flüsse vor-
handen sind, fehlen dieselben im Süden ; nur der Voltumo strömt
daselbst dem Meere zu. Dadurch modifiziren sich etwas die Er-
scheinungen von Mittelitalien. Während dort die Vulkane nicht
mehr genau den Verlauf der Küste bezeichnen und mehr und mehr
▼on dem Meere entfernt werden, finden sich in Süditalien keine
FloBsniederschläge zwischen den Ablagerungen vulkanischer Produkte,
ixnd, mit Ausnahme etwa der Mündung des Voltumo, ist kein aus
SUsswassergebilden bestehendes Vorland vorhanden, die Vulkane
liegen noch dicht an der Küste und bilden dieselben grossentheils,
wie es einst in Mittelitalien der Fall war.
Ein grosser flacher Meerbusen nahm ursprünglich die Stelle
der jetzigen reich gesegneten Ebene Neapels ein. Dieser Meerbusen
war durch zwei Auslaufe der Apenninenkette gebildet, wie dieser
ans Kalkstein bestehend. Der nördliche, weniger weit vorspringende
trägt gegenwärtig Ga6ta, das südliche grössere Vorgebirge be-
grenzt jetzt im Süden den Golf von Neapel und trennt denselben
vom Busen von Salemo, es ist das Vorgebirge vonSorrent, dessen
äusserste Spitze vom Meere abgeschnitten, die Insel Capri bildet.
Der ganze Baum zwischen dem Vorgebirge von Ga6ta im Norden
und dem von Sorrent im Süden, begrenzt durch die Apenninen im
Osten, war mit Meer erftült. Da ereignete es sich, dass hier, ge-
rade wie in Mittelitalien, submarine Vulkane in der Nähe der Küste
mistanden, welche durch ihre Eruptionsprodukte den Meeresgrund
erhöhten. Es bildete sich dadurch ein ebener Landstrich aus, der
den Golf his zur heutigen Stadt Neapel ausfüllte.
Der nördlichste Krater dieser Vulkanreihe war nicht gleich-
zeitig thätig mit den weiter südlich gelegenen der phlegräischen
Felder. Pilla und Abich glauben zwar, dass derselbe, der jetzt
Bocca monfina genannt wird, jünger sei, wie die Kratere der
phlegräischen Felder, allein Scachi hat überzeugend nachgewiesen,
dass die Bocca monfina der ältere Vulkan ist. Alle diese Kratere
bildeten durch die von ihnen erzeugten Tuffe die Ebene Neapels
und bedeckten selbst den Boden hochgelegener Apenninenthäler
damit , indem der Wind die feinen Aschentheile bis an jene Orte
während der Eruption verbreitete. Also auch in Süditalien war es
hauptsächlich fein zertheiltes Gesteinsmaterial , das von den Vul-
kanen erzeugt, Tuff bildete und nicht dazu beitragen konnte be-
dettkende Berge um den Krater herum anzuhäufen« Es tritt darum die
246 Verhandlungen de& natorhifitorisch-medisinlselien Vereins.
grösste Aehnliohkeit in der Ausbildnng der Vulkane SüditaUene mit
denen Mittelitaliens hervor. Dort hat nur der nördlichste Krater
seine Produkte zu bedeutenden Erhebungen angesammelt, das Cimini-
gebirge, in Süditalien hat ebenfalls der nördlichste Krater, die Bocca
monfina, einen wirklichen Berg hervorgebracht. In Mittelitalien
liegen die übrigen so zahlreichen Kratere nur auf flachen, wenig
bedeutenden Hügeln und allein der südlichste, das Albamergebirge,
hat sich zu einem vollkommenen Vulkane ausgebildet. Damit über-
einstimmend finden wir ii^ Süditalien die Kratere südlich von der
Bocca monfina nur auf unbedeutenden Erhöhungen ; die phlegräischea
Felder sind ganz analog den Krateren der römischen Campagna;
der südlichste Punkt hat aber auch hier sich zum ausgebüdetsten
Vulkane entwickelt; es ist der Vesuv.
Der Vesuv war ursprünglich ein Krater gleich denen der
phlegräischen Felder, der aber durch zahlreiche Eruptionen vor
denselben sich auszeichnete. Im Gegensatz zum Albanergebirge»
zersplitterte der Vesuv nicht, wie dort der Monte cavo, seine Thätig-
keit durch seitliche Eruptionen, spndem selbst nach einer langen
Periode der Bube, die solange andauerte, wie die ganze altrömiscbe
Geschichte, erfolgte im Jahre 79 n. Ohr. die erste neue Eruption
wieder im grossen Hauptkrater auf dem Gipfel des Berges. Der
Ausbruch fand nicht genau im Centrum dieses Kraters statt, son-
dern gegen den westlichen Band hin. Die der Eniption den Weg
bahnende Dämpfe mussten daher den westlichen Th^il des Krater-
waUes zersprengen; er ward in die Höhe geschlendert und be-
deckte dann im Niederfallen die Stadt Pompeji Es ist sehr wahr-
scheinlich, dass diese Stadt nicht durch die Eruptionsprodukte des
Jahres 79 verschüttet wurde, sondern durch die Massen des zer-
sprengten Kraterwalles. Die eigentlichen Eruptionsprodukte da-
gegen häuften sich vorzugsweise um die neu entstandene Ausbrucbs-
öfhung an unb bildeten einen selbstständigen Kegel, der seitdem
vorzugsweise thätig war und jetzt als eigentlicher Vesuvkegel von
dem alten Berge, der den Namen Somma erhalten hat, unter-
schieden wird. In dem Krater dieses thätigen Vesuvkegels haben
sich im Laufe der Zeit wiederholt kleinere Kegel mit Krateren
gebildet, die aber bisher stets durch spätere Ausbrüche wieder zer-
stört wurden.
Auch unter den Produkten der vulkanischen Thätigkeit findet
eine gewisse Analogie zwischen Mittel- und Süditalien statt. Die-
selben sind in der ganzen römischen Campagna sehr einförmig,
überall derselbe Tuff, die gleichen Schlacken und BapiUi. Der süd-
lichste Punkt dagegen, das Albanergebirge, bietet grössere Ab-
wechslung dar. Es sind hauptsächlich Leuzitlaven, die sich dort
ergossen, ausserdem aber noch Nephelinlaven, Hauynlaven und ver-
schiedene andere Species. In Süditalien ist die ganze Ebene höchst
gleichmässig von ein und derselben Tuffart bedeckt, die von den
phlegräischen Feldepi erzeugt wurde. Aber der Vesuv, als der
VcrbHidliiiigM des natiirlilstortoeh-iBedWiiitcliai Yerdni. SI9
slldlichste Pankt, hat Laven Ton Tenchiedenariiger Znsamniea-
setsong berrorgebraoht. Aach hier sind es banptsftoUich LenritlaTen«
aasaerdem finden sich aber anch Nepbelinlaven, SodaliihlaYeii, Do-
leritlaTen n. a.
Der Tuff der phlegrftiscben Felder ist weich» zerreiblioh und
leidft zerstörbar, nnd er mnss daher leicht durch den Andrang
des Meeres yemichtet werden. Wirklich hat das Meer, da wo der
Toff am weitesten vorragt, also am meisten seiner Einwirkung ans-
gesetzt ist, ein grosses Stflck weggespült, eine kleine Bncht ge-
bildet, den Golf von Bigae , dessen eine Seite vom Cap Misenmn,
dessen andere Seite vom Vorgebirge des Posilippo gebildet wird.
Die ftusserste Spitze des Posilipp wurde von einer besondem StrOm^
nng abgeschnitten nnd dadurch zur Insel, jetzt unter dem Namen
Nisita bekannt. Offenbar hätte aber dort die Wirkung des Meeres
noch grösser sein müssen, ja es hätte sich unter dem Andrang der
Wogen vielleicht das ganze Land nicht bilden können, wenn nicht
ein anderer submariner Vulkan weiter westlich durch zahlreiche
Eraptionen eine Insel mit einem beträchtlichen Berge gebildet und
durch grosse Lavaströme die losen Eruptionsprodukte fest gebunden
hfttte, so dass daran sich die grOsste Gewalt der Wogen bricht.
80 ist die Insel Ischia mit dem seit 500 Jahren erloschenen
Epomeo aufnifossen; sie schützt die dahinter gelegene Küste vor
dem heftigstem Andrang des sturmbewegten Meeres.
Die vulkanische Thätigkeit scheint in Italien im Norden be-
gonnen und sich allmählig immer weiter nach Süden zurückgezogen
sa haben. Die Vulkane Mittelitaliens sind in vorhistorischer Zeit
erloschen, die phlegräischen Felder haben in historischer Zeit noch
einzelne Zeichen ihrer Thätigkeit gegeben und gegenwärtig ist nur
der südlichste Punkt des Festlandes, der Vesuv in wirklicher
Thätigkeit. All die Eratere, vom Ciminigebirge an, bis nach Born
hin, haben, soweit die Geschichte zurückreicht, nicht das geringste
Zeichen einer Thätigkeit zu erkennen gegeben. Dagegen scheint es,
dass der südlichste Punkt Mittelitaliens in historischer Zeit noch
in einem Zustande sich befand, etwa gleich dem, in welchem sich
gegenwärtig die phlegräischen Felder befinden. Ich habe schon
froher darauf hingewiesen, dass, wenn man auch die Wunder, von
denen Livius berichtet, wie Steinregen und dergleichen, die in jenen
Gegenden stattgefunden haben sollen, nicht als vulkanische Er-
scheinungen deuten will, doch nach dem Berichte von Plinius der
Band des Albanersees eine aufbllend hohe Temperatur in jener Zeit
besass. — In den phlegräischen Feldern haben aber wirklich in
historischer Zeit noch Eruptionen stattgefunden. Die Solfatara hatte
im Jahre 1198 ihren letzten Ausbruch; vom Epomeo sind Eruptionen
ans den Jahren 36 und 45 v. Chr. bekannt. Dann erfolgte da-
selbst, nach langer Buhe, im Jahre 1302 die letzte Eruption. Noch
einmal sammelte sich in dieser Gegend die vulkanische Thätigkeit
zu solcher Kraft, dass ein Ausbruch im Jahre 1538 erfolgte, durch
96(V Yerbandlniigeii des luitinrhistOTiMhrmedisiiiiBdieii Vereiii«.
den d«r Monte nnoTO gebildet wurde. Seitdem aber strömen dort
nnr noch Gkkse und Dämpfe ans, so in der Solfatara, den Bädern
des Nero, am Serapistempel, am See Agnano.
Gegenwärtig ist es also allein der Vesuv, der sich in Thätig-
keit befindet. Seit dem Beginne seiner neuen Thätigkeit im Jabre
79 unserer Zeitrechnung hatte derselbe nur noch eine lange Buhe-
periode, welche dem grossen Ausbruch von 1631 vorausging, deren
Zeitdauer sich aber nicbt genau feststellen lässt. In dieser Buhe-
zeit nahm der Berg vollkommen das Aussehen eines erloschenen
Vulkans an, die Abhänge bedeckten sich mit Bäumen und selbst
im Krater begann die Vegetation sich zu entwickeln, nur drei kleine
Pfützen, die mit heissem Wasser erftlUt waren, erinnerten an die
Natur des Berges. Gerade in diese Zeit fällt der letzte Auebruch
der phlegräisohen Felder und die Entstehung des Monte nuovo.
Wenn eine Eruption des Vesuv im Jahre 1500, die sich historisch
nicht feststellen lässt, wirklich statt fand, dann war es immer noch
ein Zeitraum von 130 Jahren, der zwischen beiden Vesuvausbrüchen
lag. Seit dieser Zeit aber haben sich die Eruptionen des Vesuv
immer häufiger, in kürzeren Zwischenräumen wiederholt, aber nie
mehr solche Heftigkeit erreicht. Die letzte Eruption fand 1861
statt und zeichnete sich dadurch aus, dass dieselbe hauptsächlich
am Fusse des Berges ausbrach und die Erscheinimgen im Krater
nur sehr unbedeutend waren.
Der Ansicht entsprechend, dass die vulkanische Thätigkeit in
Italien im Norden begonnen und sich allmählig nach Süden zurück-
zieht, dürfen wir annehmen, dass auch der Vesuv den Höhepunkt
seiner Thätigkeit überschritten hat und seine Eruptionen mehr und
mehr an Kraft abnehmen. Wirklich finden wir auch weiter süd-
lich den thätigsten aller Vulkane dieser Beihe. Unter den lipari-
sohen Inseln ist der Stromboli seit den ältesten Zeiten in bestän-
diger Eruption begriffen; soweit die Geschichte zurückreicht warf
er beständig Schlacken und Lava aus. Allerdings liegt der Aetna
noch weiter südlich und hat seltener Eruptionen; nach Satorins
von Waltershausen kann man etwa alle sieben Jahre einen grösse-
ren Ausbruch erwarten. Allein trotzdem kann dies kaum gegen
unsere Ansicht sprechen, denn die Höhe und Masse des Berges ist
so gross, dass die vulkanische Thätigkeit sich viel mehr sammeln,
einen viel höheren Grad von Spannung erreichen muss, ehe es ihr
gelingt eine Eruption zu Stande zu bringen. Darum erscheint die
Annahme, dass die vulkanische Thätigkeit in Italien sich von Norden
nach Süden mehr und mehr zurückziehe, durch nichts widerlegt,
durch vielfache Analogie aber sehr wahrscheinlich gemacht«
VTWTMttrnigcn des oafcorhistoriscb-medJsliiiseh» V«MiM«' M '
6. Yorirag des Herrn Prot W. Hofmeister; >üöber
die Mechanik der Protoplasmabewegnngency
am 9« Dezember 1864.
(Dm Huineeript wurde am 18. Jinuar 1865 eingereicht.)
Jeder Versuch, eine Vorstellang Ton dem Hergange der Ort-
nnd Gestaltändening beweglichen Protoplasmas zu gewinnen, bat
ZOT nothwendigen« stillschweigenden oder ausgesprochenen Voraas-
setzang die Annahme einer Organisation des Protoplasma, eines
eigenartigen Banes desselben, welcher von dem Aggregatzutand
zäher fiflssiger EOrper dadurch wesentlich abweicht, dass die Mo-
leknle des Protoplasma nach verschiedenen Richtungen hin ungleich
leicht yerschiebbar sind. Die Bezeichnung des Protoplasma als
einer contractilen Substanz führt dem Verst&ndniss des Vorganges
nicht nfther. Soll sie ausdrücken, dass die Bewegungen des Pro-
toplasma darauf beruhen, dass Zusammenziehungen peripherisdier
Theile die iimere Masse nach den Orten geringsten Widerstandes
der peripherischen Schichten eines Körpers aus Protoplasma hin-
treiben, so steht sie im Widerspruche mit den Thatsachen. Fixirt
man den Ort, an welchem im leichtbeweglichen Plasmodium eines
Mypomyces, innerhalb bis dahin vorübergehend ruhenden Proto-
plasmas eine neue Strömung auftritt, so erkennt man mit Leichtig-
keit, dass die Bewegung rückwärts um sich greift. Theile des
ruhenden Protoplasma, die von dem Ziele der Strömung weiter und
weiter rückwärts liegen, treten successiv in dieselbe ein (beständig
und sehr oft wiederholt beobachtet an Plasmodien eines Physamm,
mnthmaasslich Ph. albipes im Sommer 1864, auch an Plasmodien
des Aethalium septicum ; dieselbe Erscheinung lässt sich auch, ob-
wohl mit grosser Mühe, an den Strömungsfftden des Protoplasma
in Haaren von Cucurbita, Ecbalium, Tradescantia constatiren). Nicht
minder unhaltbar wäre die Annahme einer, auf Expansion vonbe«
stimmten Stellen der peripherischen Schicht beruhenden , von den
sich blähenden Stellen ausgehenden saugenden Wirkung. Denn Ström-
ungen, die innerhalb der im üebrigen ruhenden Masse des Proto-
plasmas verliefen, und die ebenso energisch, ja schneller und von
grösserem Querschnitt der Strombahn wai^n, als in den ihre Ge-
stalt verändernden Plasmodien, beobachtete ich in zu sphäroidischen
Klumpen geballten Massen, in welche das Plasmodium des oben
erwähnten Phjsarum nach mehrtägiger Cultur auf dem Objectträger
zerfallen war, ohne dass die geringste wahrnehmbare Aenderung
des Umrisses dieser Klumpen sich zeigte. Will aber die Bezeich-
nung »constractil« etwa besagen^ dass bewegende Contractionen,
rhjrthmisch fortschreitend, in äusserst kleinen Theilchen des Pro-
toplasma stattfanden, in Theilchen, deren sehr geringes Volumen
sie jenseits der Gränzen des mikroskopischen Sehens rückt, so
wird die Erscheinung nur umschrieben, nicht in Einzelnvorgänge
zerlegt«
S69 Veiliaii^niigen des naturhistorisch-medisiolBclen TerelnB.
Aas dem Verhalten des Protoplasma gegen Beize lässt sich
eine üebereinstimmang mit dem der Muskeln gegen dieselben Reize
nicht folgern. Die Wirkungen Ton Verletzung, Erschütterung, elek-
trischen Schl&gen, plötzlichem Wechsel weit auseinander liegender
Temperaturen, schädlicher Temperaturgrade, die von Giften stimmen
alle darin überein, das» sie die eigenthümliche , nach bestimmten
Richtungen des Raumes vorwiegend entwickelte Gestaltung des
Protoplasma der Eugelform annähern und die Bewegungen dessel-
ben unterbrechen; bei stärkerer Einwirkung dauernd aufheben. Mit
der Ann&hemng der Protoplasma-Massen an die Eugelform ist eine
Verminderung ihrer bevorzugten Dimensionen, eine Zunahme der
kleinsten Durchmesser, sowie Ortsverftnderung (Bewegung) der Sub-
stanz nothwendig gegeben; äusserlich hat der Vorgang Aehnlich-
keit mit der Aenderung der Form eines sich contrahirenden Muskels.
Aber die Kugelgestalt ist überhaupt die Form jeder Masse von
Flüssigkeit, welche, den Contactwirkungen fester Körper entzogen
ist; welche z. B. innerhalb einer ihr nicht mischbaren Flüssigkeit
gleicher oder annähernd gleicher Dichte sich befindet; Voraus-
setzungen die für in Wasser oder wässeriger Flüssigkeit schweben-
des Protoplasma zutre£fen.
Nur eine bekannte Thatsache fällt nicht unter den Gesichts-
punkt, dass derartige Einflüsse, die auf Organisation beruhende Ge-
staltung des Protoplasma theilweise oder gänzlich aufhebend, das-
selbe zur sphäroidalen Form hinstreben machen: die sehr rasche
Steigerung der Auszweigung einer verästelten, beweglichen Proto-
plasma-Masse, welche in den Haaren von Nesseln bei Durchgang
elektrischer Schläge bestimmter Intensität (Brücke), oder bei Ein-
tritt höherer Temperaturen (Max Schnitze) und in den Haaren von
Cucurbita (Sachs) und von Ecbalium (eigene Beobachtung) bei
längerem Verweilen desselben in einem auf etwa-f-^^^C erwärm-
ten Räume beobachtet ist. Mit allem Anderen aber ist diese eher
vergleichbar, als mit Muskelcontractionen.
Eine berechtigtere Au£fassung der Mechanik der Protoplasma-
bewegungen dürfte sich aus der Veränderlichkeit des Lnbibitions-
vermögens desselben herleiten lassen. Das Protoplasma, in hervor-
ragender Weise die bezeichnenden Eigenschaften einer GoUoidsub-
stanz zeigend, besitzt in hohem Grade auch die, auf geringfügige
Einwirkungen hin seine Fähigkeit zur Aufnahme und zum Zurück-
halten von Wasser zu ändern. Die Gerinnbarkeit des Protoplasma
lebendiger Zellen bei unbedeutender Aenderung des sie umgeben-
den Medium ist seit lange für eine grosse Reihe von Fällen fest-
gestellt. Eine periodische Abnahme und Wiederzunahmo der Imbi-
bitionsfähigkeit für Wasser, und damit zugleich des Volumens, tritt
bei allem demjenigen Protoplasma hervor, welches sogen, contractile
Vacuolen einschliesst ; mögen dieselben im Zustande geringster
Ausdehnung ganz verschwinden, wie die der Volvocinen, Myxomjce-
ten, Apiocjsten, oder nur ihren Durchmesser beträchtlich Terkleinern,
y«rlMMidliiiigen das MturhlstorlMb-iiiedltbaielMB VteolH. SM
nie die toh Closterium n. A. Bei der Abnahme der ImbibitionafiLhigkeit
des Protoplasma wird ein Tbeil der in ihm enthaltenen wftsseri-
gen Flüssigkeit als kngeliger Tropfen innerhalb seiner Masse aas-
geschieden« Dauert jene Abnahme fort , so vergrössert sieh der
Tropfen; wird die ImbibitionsfHhigkeit gesteigert, so schluckt das
Protoplasma ihn zum Theil oder völlig wieder ein. Der Wechsel
der Ab- und Zunahme der ImbibitionsfUiigkeit erfolgt in regel-
m&aaigen Perioden. Die Abnahme ist in allen beobachteten Fällen
allmfthlig, die Zunahme reissend schnelL Die Yacuole wächst lang-
sam, aber sie verschwindet (oder verkleinert sich) plötzlich. Kom-
men mehrerer solcher Yacuolen innerhalb derselben Protoplasma-
Masse (Zelle) vor, so halten ihre Pulsationen eine bestimmte Reihen-
folge ein (Cohn).
Nehmen wir an, bewegliches Protoplasma sei aus (mikrosko-
piseb nicht wahrnehmbaren) Partikeln verschiedener und veränder-
liclier Imbibitionsfähigkeit für Wasser zusammengesetzt, welche von
WasserhtQlen umgeben sind , so wird, wenn in Beihen solcher Par-
tikel die Zu- und Abnahme der Imbibitionsfilhigkeit nach bestimmter
Bicfatung hin stetig fortschreitet, das von den an Imbibitionsfähig-
keit abnehmenden Theilchen ausgestossene Wasser von den an Im-
bibitionsfilhigkeit zunehmenden an sich gerissen, somit fortbewegt
werden. Da femer das Eindringen des Wassers in diese letzteren Par-
tikel von der einen Seite her vorwiegend begünstigt ist, können
bei gleicher Bichtung dieser Seiten die Bewegungen, auf weite
Strecken hin, ja durch eine ganze Protoplasma-Masse hindurch,
parallel laufende werden und bleiben. ~ Eine einseitige Be-
gfinstigung der Wasseraufhahme, mit andern Worten die nach be-
stimmten Bichtungen hin stattfindende Erschwerung des Eintritts
von Wasser ist aber eine selbstverständliche Voraussetzung, wenn
die gleichbleibende Art der Abgränzung lebendigen Protoplasmas
gegen wässerige Lösungen von den verschiedenartigen Goncentra-
tionen, wie sie bei Zusammenziebung protoplasmatischen ZeUen-
inhalts durch wasserentziehendes Mittel gegen die in Yacuolen
enthaltenen oder die freies Protoplasm a umgebenden Flttssigkeiten sich
zeigt, nicht ftlr unbegreiflich gelten soll. Für Protoplasma mit ver-
änderlichen Strombabnen und wechselnden Formen würde ein
Wechsel in den Bichtungen des Fortschreitens der Zu- und Abnahme
des Imbibitionsvermögens anzunehmen sein. Die Stellen des ümÜEUigs,
deren Fähigkeit zur Wasseraufhahme am Höchsten gesteigert ist,
werden auch die an Volumen zunehmenden, wachsenden sein. In den
Plasmodien der Myzomyceten würde das zeitweilige Buhen der den
Strömen angränzenden , durch keinerlei wahrnehmbare Schranken
von ihren getrennten Protoplasma-Massen sich unschwer durch das
Unterbleiben der Schwankungen der Imbibitionsfähigkeit in den
ruhenden Massen erklären. Das Verständniss des Vorkommens
zweier oder mehrerer, einander gegenläufiger Strömungen in dem
nämlichen Protoplasmastrange hat unter den gegebenen Voraus-
' SM Verliaiidfaiiigeii d«e natnililstorieeli-iiiedkiiiiselieii V«rebiB.
eetznngen keine Schwierigkeit. Auch die Schwingungen der be-
wegenden Wimpern, der Schwärmsporen und Spermatozo^den lassen
sich unter den gleichen Gesichtspunkt bringen : sie würden als Be-
wegungen von Protoplasmasträngen aufzufassen sein, deren Aende-
rangen der Imbibitionsffthigkeit, folglich der Volumens bestimmten
Stellen, und somit der Richtung und Gestalt, äusserst rasch und
energisch Tor sich gehen.
7. Vortrag des Herrn Dr. Julius Arnold: »Ueber die
Ganglienzellen des Nervus sjmpathicusc,
am 13. Januar 1865.
Der Inhalt dieses Vortrages ist abgedruckt in Virchows Archiy
Band XXXI. Heft 1.
-8. Vortrag des Herrn Dr. J. H. Knapp: >IJeber die
Diagnose irregulärer Asymmetrie des Augesc,
am 13. Januar 1865.
(Das Mannscript wurde sofort eingereicht.)
Die irreguläre Asymmetrie des Auges oder der irreguläre
Astigmatismus ist bedingt entweder durch beschränkte Erüm-
•mungsänderungen der Trennungsflächen der durchsichtigen
Medien (Hornhaut, Linsenoberfläche und Netzhaut), oder be-
echränkte Dichtigkeitsänderungen der brechenden Me-
dien selbst.
A« Funktionelle Symptome.
1) Blendung. Sie ist abhängig von: a) halbdurchsich-
tiger Substanz, Trübungen in Hornhaut und Linse; b) um-
schriebenen Krümmungsverschiedenheiten der Tren-
nungsflächen, Erhabenheiten sowohl als Vertiefungen.
2) Amblyopie. Findet sich bald im direkten, bald im in-
direkten Sehen, bald gleichzeitig in beiden. Prüfung mit steno-
päischem Apparate.
Sie ist abhängig yon: a) der unregelmässigen Zeichnung des
Netzhautbildes, b) der Verminderung seiner Lichtstärke, c) der
Blendung, d) ungenügender Accommodation.-
3) Metamorphopsie, Verzerrtsehen. Zwei Arten fiallen auf :
a) Krumm sehen gerader Linien bei Netzhautschrumpfdng
(Förster), Netzhauteinziehung und Netzhautfaltung (A. Weber).
b) Aas- und Einbuchtungen an Kreisförmigen Figuren, Geldstücken
und dergleichen.
4) Diplopie und Polyopie; bei beginnender Catarakt und
Homhautflecken. Sie ist gleichseitig bei zugleich bestehender Myopie,
nngleidiaeitig bei Hyperopie.
B. Physikalische Symptome.
VeritMidlnngeti des nattirldstorisoh-nediftliiisQbui VcMAI. tt5
1) Die Spiegelung gibt ans Aufschluss über die öl&tte und
Formverändenuig der Trennnngsflachen.
2) Die Irisfläche erscheint wellig bei nuischriebenen
Erümmnngsändenmgen, z« B. beim Keratoconus.
3) Mit Eokalbeleuchtung sieht man: a) die Flecken,
Erhabenheiten und Vertiefungen direkt, b) Vertiefungen werfen
emen dunklen ponkt- oder fleckförmigen Schatten auf die Iris,
e) Erhabenheiten dagegen erzengen darauf einen lichten Punkt
omgeben Ton einem dunkeln Bing.
4} Mit dem Gornealmikroskop, namentlich dem stereos-
kopischen, erhielt ich von Homhautunebenheiten und Linsen-
Schrumpfung sehr anschauliche Eeliefbilder.
5) Das Ophthalmometer lässt uns in manchen Fällen^
2. B. dem Keratoconus, die Form der abnormen Krümmung be-
stimmen.
6) Der Augenspiegel ist das wichtigste diagno-
stische Hilfsmittel. Dem üntersucher erscheinen dabei die
Gegenstände im Auge des Beobachteten unter ganz ähnlichen Form-
yeränderungen, wie dem beobachteten Auge die Dinge der Aussen-
welt; z. 6. Netzhautgef^sse erscheinen uns doppelt bei Patienten
mit Diplopie u. dgl.
Von den Augenspiegelergebnissen nenne ich folgende: a) das
Hornhantreflexbild erscheint verkleinert bei Erhabenheiten,
Torgrössert bei Abflachung, als heller Lichtpunkt mit dem Beob-
achter entgegengesetzten Bewegungen bei Vertiefungen, b) Bing-
oder sicbelformlige Schatten im gewöhnlich beleuchteten
Papillarfelde bei Keratectasie , was theils yon Lichtzerstreuung,
theils Ton totaler Beflezion an der üebergangsstelle des normal g^
krümmten Hornhaut in den Kegel herrühren mag. c) Ophthal-
moskopische Metamorph opsie. Die Papille erscheint unregel-
mässig. Glerade Linien im Auge erscheinen krunmi. d) Ophthal-
moskopische Parallaxe. Hin- und Herspringen der GtofUsse
bei Bewegungen des Kopfes oder der Gonvexlinse, herrührend von
der Terschiedenen Vergrösserung, unter welcher die einzelnen Theile
des Augengrundes erscheinen, e) Ophthalmoskopische Di-
plopie und Polyopie; sie zeigt sich in paralleler oder
gabelförmiger Verdoppelung der Netzhautgefäsae.
9. Vortrag von Herrn Hofrath Helmholtz: >Ueber
die Augenbewegungen«, am 18. Januar 1865.
(Das BCanusorlpt wurde sofort eingereicht.)
Unter gewöhnlichen Verhältnissen können normale Augen sich
nor so bewegen, wie sie sich bewegen müssen, um beide einen und
denselben Punkt zu fixiren und deutlich zu sehen. Sie können also
ntu: gleichzeitig gehoben und gesenkt werden, je nachdem der
206 Verhaadlviigeii des iifttiirIil8toriBoli-inedliliii8öhen Yereliis.
Fixationspimct hoch oder tief liegt, aber es kann nicht ein Auge
nach oben, das andere nach unten blicken. Beide Angen können
gleichzeitig nach rechts, oder gleichzeitig nach links bewegt wer-
den, je nachdem der Fixationspunkt rechts oder links liegt, auch
können sie conyergent gestellt werden, um einen nahen Punct zu
fiziren, so dass das rechte Auge nach links, das linke nach rechts
gewendet ist, aber sie können im AUgemeinen nicht divergent ge-
stellt werden. Endlich ist der Grad der Aocommodation auch immer
Ton dem Grade der Convergenz abhängig; normale Augen sind
fortdauernd aocommodirt für den Convergenzpunkt ihrer Gesichts-
Unien.
Da nun die Bewegungen jedes Auges und ebenso die Accom-
modaüonsftnderungen jedes Auges durch Muskelgmppen ausgeführt
werden, welche Ton einander ganz unabhängig sind, so glaubte man
den Zwang, welcher sich bei der Combination der genannten Be-
wegungsweisen geltend macht, auf das Princip der Mitbewegungen
zurückfahren zu dürfen, das heisst, man nahm an, dass die Wege
der Nervenleitung zu den Muskeln in der Weise verbunden seien,
dass nur die genannten bestimmten Bewegungsgruppen entstehen
könnten.
Eine Beihe neuerer Erfahrungen widerspricht dieser Annahme.
Erstens wenn man eine Brille vor die Augen setzt, ist man ge-
zwungen, um deutlich und einfach zu sehen, die frühere Conver-
genz ftbr ein Object in gewisser Entfernung beizubehalten, aber
einen anderen Acoommodationsgrad damit zu verbinden Aehn-
liches geschieht oft bei der Betrachtung stereoskopischer Bilder.
Anfangs ist eine solche neue Combination von Convergenz und Aocom-
modation sehr unbequem, aber bald gewöhnt man sich an die-
selbe, und fühlt im Gegentheil Unbequemlichkeiten, wenn man den
natürlichen Znstand wiederherstellt.
Ebenso ist es verhältnissmässig leicht mittels stereoskopischer
Bilder, die man allmälig von einander entfernt, während man sie
fizirt, Divergenz zu erreichen. Dasselbe erreicht man auch leicht»
wenn man ein schwach brechendes Prisma, die brechende Braute
nach der Schläfenseite gewendet, vor das Auge bringt, und erst
nahe, dann immer fernere und fernere Gegenstände betrachtet.
Sehr entfernte Gegenstände können unter diesen Umständen nur
einfach erscheinen, wenn die Gesichtslinien divergiren.
(Fortoetiung folgt.)
it. 17. HEIDELBERGER 1865,
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandinngen des natnrhistoriseh- medizinischen
Vereins zn Heidelberg.
(ForUetEung.)
Endlich hat Donders gefunden, und habe ich selbst diese
Versuche bestätigt , dass man auch lernen kann , das eine Auge
nach oben, das andere nach unten zu richten, wenn man ein
äehw&ch brechendes Prisma vor ein Auge nimmt, zuerst mit der
brechenden Kaute nach innen, und dann sehr langsam diese all-
mälig nach unten oder oben dreht. Man muss mit der Drehung
aofhGren, so bald man anfangt Doppelbilder zu sehen, und nicht
eher fortfahren, als bis diese wieder vollständig verschwunden sind.
Nimmt man das Prisma dann vom Auge fort, so sieht man nun
mit freien Augen über einander stehende Doppelbilder, die sich
aber nach wenigen Sekunden wieder vereinigen, zum Zeichen, dass
die Augen in ihre alte normale Stellung zurückgekehrt sind.
Diese Versuche lassen schliessen, dass der Zwang in derCom-
bination der verschiedenen Augenbewegungen nur davon herrührt, dass
wir die Intention unseres Willens auf keinen anderen Zweck rich-
ten können als den, ein bestimmtes Object einfach und deutlich zu
%hen, und dass wir desshalb abnorme Augenbewegungen ausführen
lernen, sobald wir die Augen unter abnormen Bedingungen sehen
Nun besteht noch ein anderes zwingendes Gesetz bei den
Aogenbewegungen. Nämlich bei parallelen Gesichtslinien ist auch
die Baddrehung jedes Auges (Drehung um die Gesichtslinie) in
bestimmter Weise abhängig von der flichtung der Gesichtslinien.
^ sich hierauf beziehende Gesetz von Listing habe ich selbst
durch eine einfache Form der Beobachtung zu bestätigen gesucht, und
darüber früher in unserm Verein gesprochen. Sobald unsere Augen
eine bestimmte Richtung ihres Blickes angenommen haben, ist da-
durch eine bestimmte Stellung derselben gegeben, und wir können
dann nicht willkührlich eine Raddrehung derselben um die Ge-
sichtslinie ausführen.
Man konnte nun schon früher als sehr wahrscheinlich anneh-
men, dass der Zwang in diesem Falle, wie in den früheren nur
berrührt von der mangelnden Fähigkeit, die entsprechende Willens-
intention zu bilden, und in diesem Sinne habe ich selbst eine
'Theorie für den Ursprung des L i s t i n g * sehen Gesetzes aufgestellt,
LVm. Jahrg. 4. Heft. 17
258 Verbandltingen des natnrhtstoriseh-^edidnisclien VereinB.
in der es als Resultat der Einübung betrachtet und hergeleitet
wird aus dem Bedttrfhiss einer möglichst sicheren Orientirung
über die Lage der gesehenen Objecte. Ich habe jetzt einen Ver-
such geiunden, durch welchen man dies direct erweisen kann.
Wenn man dmxh ein rechtwinkeliges Glasprisma parallel
seiner Hypotenusenfläche blickt, welche wir als horizontal gerich-
tet annehmen woUen, so sieht man die jenseits gelegenen Objecte
in natürlicher Grösse und ohne farbige Bänder, aber Oben in Unten
verkehrt. In der That wirkt das Prisma hiebei wie ein Spiegel,
indem die Lichtstrahlen an seiner Hypotenusenfläche totale Reflexion
erleiden. Stellt man hinter das erste Prisma ein zweites ebenfalls
mit horizontaler Hypotenusenfläche, und blickt durch beide hinter-
einander, so wird die ümkehrung von Oben und Unten, die das
erste Prisma gibt, durch das zweite wieder aufgehoben, und maa
sieht die Objecte in natürlicher Stellung. Richtet man aber die
beiden Hypotenusenflächen nicht ganz genau parallel, sondern dreht
das eine Prisma ein wenig um die Richtung der Gesichtslinie als
Axe, so sieht man das ganze Gesichtsfeld durch das Prisma ein
wenig gedreht, um einen Winkel der doppelt so gross ist, als der
Winkel, um den die Hypotenusenflächen vom Parallelismus abwei-
chen. Um diese Stellung der Prismen zu erhalten, kann man ganz
einfach zwei Kathetenflächen der Prismen auf einander kitten, so
dass die Hypotenusenflächen nahehin parallel sind.
Nimmt man nun ein solches Doppelprisma vor ein Auge und
blickt mit beiden Augen nach entfernten Gegenständen, so erblickt man
zuerst gekreuzte Doppelbilder des Gesichtsfeldes. Wenn man aber
den Blick eine Weile über die verschiedenen Objecte, welche man
übersieht, wandern lässt, wobei man jeden einzelnen Punkt einfach
sehen kann, so schwindet die Kreuzung und die Doppelbilder ver-
einigen sich wieder zu einem einfachen Bilde, was ganz ebenso
deutlich und klar ist, wie beim Sehen mit unbewafibeten Augen.
Jetzt treten aber gekreuzte Doppelbilder fQr einige Augenblicke
hervor, ao bald man das Doppelprisma entfernt, doch vereinigen
sie sich nach einigen Sekunden zu dem gewöhnlichen einfachen
Bilde des normalen Sehens.
Ich habe ausserdem, während ich durch die Prismen sah, will-
kührlich Doppelbilder passender Objecte erzeugt, und diese in ihrer
gewöhnlichen normalen Stellung zu einander gefunden, wie sie ohne
Prismen beim normalen Sehen erscheinen müssten. Ich habe wäh-
rend des Sehens durch die Prismen einen weissen Streifen auf
dunklem Grunde fixirt, bis Nachbilder desselben in beiden Augen
entwickelt waren, und diese Nachbilder nach Entfernung der Pris-
men einzeln betrachtet. Es zeigte sich, dass sie dann verglichen
mit entfernten objectiven Linien des Gesichtsfeldes in den ersten
Augenblicken vorschieden gerichtet erschienen, so lange die normale
Stellung der Augen noch nicht hergestellt war, dass sie aber nach-
her, wenn das geschehen war, gleich gerichtet erschienen, wie sie
r
Vcrbcndlmigeii des iiAiurfaiBtoritehrtnedlsiiiiBehcn Vereint. S59
es hätten sein müssen (and in der Tbat auch waren), wenn sie
ohne alle Anwendung der Prismen entwickelt worden wären.
Daraus folgt, dass das durch die rotirenden Prismen blickende
Ange sieh allmälig so gedreht hat, dass gleiche Bilder wieder auf
identische Puncte beider Netzhäute fielen, und dass diese abnorme
Botation des Auges nach Entfernung der Prismen bald wieder ver*
schwand. Die Orösse der abnormen Baddrehung betrug in meinen
Versuchen 5 Grad.
Daraus folgt weiter, dass auch die Baddrehung der Augen dem
Willen unterworfen ist, und vollzogen werden kann, sobald sie
s&thig ist, um der einzig möglichen Willensintention , welche für
die Augenbewegungen gebildet werden kann, nämlich die: einfach
imd deutlich zu sehen, zu dienen.
10. Vortrag des Herrn Prof. Carius: »lieber die Syn-
these zackerähnlicher Körper«, am 27. Januar 1865.
(Das Muniserlpt wurde am 30. Januar 1866 elDgerelcbi)
Die folgende Mittheilung enthält die Besultate des ersten Thei-
les einer Untersuchung, welche ich besonders unternahm, um einen
eixifEiehen Znsammenhang der Alkohole Cn H, n -|- 3 0 mit den bis
jetzt gewöhnlich als Zucker oder zucherähnliche Körper be-
zeichneten Verbindungen aufzusuchen. Von letztem Verbindungen
i<^ bis jetzt festgestellt, dass sie in Bezug auf die Bildung inter-
mediärer Aether sich den Alkoholen ähnlich verhalten; so ver-
halten sich z. B. Aethylalkohol und Mannit gegen Salpetersäure
oaeh den Gleichungen:
0.j«.H.(o|«0').=0.!^»»^ + (OH,,3.
Viel weniger ähnlich den Alkoholen sind die Zuckerarten in
zwei andern neben der eben genannten für die Alkohole besonders
charakteristischen Beactionen, nämlich dem Verhalten gegen Metalle
nad dem gegen Oxydationsmittel. Die Alkohole Cn H2 n + 2 0
l&Bsen sehr leicht ihr vertretbares Wasserstofifatom durch Natrium
ersetzen, nicht aber durch Blei oder ähnliche Metalle ; die Zucker-
Arten können dagegen ihren vertretbaren Wasserstoff zum Theil
wenigstens durch Blei ersetzen. — Besonders charakteristisch für
die Alkohole GnH^n + aO ist bekanntlich die Bildung eines Alde-
hydes und darauf einer Säure; die Bildung eines Aldehydes fehlt
schon bei den den genannten Alkoholen nächststehenden zwei- und
dreisäurigen Alkoholen, den sogenannten Glyoolen, CnH2n4-202,
imd Glycerinen, CnH3n + 20^; die Zuckerarten endlich hat man
his jetzt noch in keinem Falle durch po einfache Oxydationen in
eine Säure verwandeln können.
S60 VerfaA&dliiJigeD des natnrhlstoritch-inediziniscbeii Vereins.
Besonders geeignet zu Entscheidung dieser Frage über die
Constitution der Zuckerarten ist ohne Zweifel die Synthese der-
selben und wenn möglich auch ihnen homologer Körper. Von sol-
chen Homologen der Zuckerarten würden die mit niedrigerem Kohlen-
sto%ehalt höchst wahrscheinlich leichter einfache Reactionen geben,
und daher für die Vergleichung mit den Alkoholen Cn H^ n + 2 O
vorzüglich geeignet sein. Ich muss in dieser Beziehung noch an-
führen, dass sehr wahrscheinlich die Synthese nur Verbindungen
liefern wird, die in physikalischen Eigenschaften von den natür-
lich vorkommenden abweichen ; wenn indessen die chemischen Eigen-
schaften gleich denen der letztern sind, so würde darin kein Nach-
theil liegen.
Da das Material für die Synthese der beiden wichtigsten
zuckerähnlichen Körper, Mannit und Fhycit, schwer zu beschafifen
ist, so habe ich damit begonnen, die Synthese eines dem Phycit
homologen Körper, aus der heterologen Beihe des Propylalkohols,
zu versuchen. Letztere ist völlig gelungen, und hat eine dem
Phycit , O4 I TT , homologe den Zuckerarten sehr ähnliche Ver-
bindung geliefert von der Zusammensetzung O4 j ^^ *. — Nachdem
durch diese erste Untersuchung nun der Weg zu derartigen Syn-
thesen im Wesentlichen gegeben ist, wird es leicht sein, auch mit
dem sparsameren Materiale natürlich vorkommende Körper darza-
stellen.
Die Untersuchung zeigt ferner, dass eine Beihe dem Phycit
homologer, den Zuckerarten sehr ähnlicher Körper existirt. Zu der
dadurch nothwendig gewordenen Benennung dieser Körper schlage
ich den allgemeinen Namen P h y c i t e vor, da der Phycit, O4 1 tt* ^'
das bisher bekannte Glied dieser Beihe ist; 'die von mir darge-
stellte Verbindung würde dann als Propyl-Phycit zu bezeich-
nen sein.
Als Material für die Darstellung des Propylphycites habe ich
zwei noch Sauerstoff ausserhalb des Badicales enthaltende Chloride,
sogen. Chlorhydrine, benutzt. Die erste, wichtigste dieser beiden
Körper, das Dichlorhydrin des Propylphycites entsteht aus deta
Epichlorhydrin nach der von mir aufgefundenen Beaction der
Addition von Unterchlorigsäurehydrat. Das Epichlorhydrin qi | ^ ^
selbst verhält sich bei dieser Beaction, als sei schon das Badical
C3 H4 darin anzunehmen :
0 IC3H4 , Q iCl_ O2IC3H4
CIJH ^ ^ JH ^CLJHj •
Die zweite Verbindung habe ich erhalten durch Substitution
an Stelle von Wasserstoff im Dichlorhydrin des ölycerin*s:
Verii*odhiB|;eii des oatvrliifttorUcli-mtdljdBlscIiai VerelBt. 261
sie ist das Dichlorbromhydrin des Propylphyoites.
Ans diesen beiden K(}rpem, nicht nnsersetzt destülirbaren
Flflssigkeiten, Iflsst sich der Propjlpbjcit nun leicht obwohl etwas
ümstäadlich darstellen Sie zersetzen sich leicht mit Alkalien in
wftssriger Lösung; wendet man Barythjdrat an, so sind die
Reactionen :
Cl, JH *-!-( 0 )H*)3=(ClBa), + BrBa+0,)^^^».
Aas der bei diesen Reactionen erhaltenen Flüssigkeit wird das
Chlor oder dieses nnd Brom nnd Barium entfernt durch Fällung
mit Schwefelsäure, Behandlung mit kohlensaurem Blei, Filtriren,
Ausfällen des gelösten Bleies durch Schwefelwasserstoff, und Be-
handeln der Losung mit wenig kohlensaurem Silber. Die völlige
Reinigung des nach dem Verdampfen des Filtrates zurückbleibenden
Propylphjcit erfordert aber noch weitere Operationen, auf welche
ieh hier nicht eingehen kann.
Der YöUig reine Propjlphycit ist eine feste, amorphe und
farUose Substanz von rein süssem Geschmack. Er rerdampft bei
Tonichtigem Erhitzen fast ohne Yerkohlung ; an feuchter Luft zer-
fliesst er.
Von dem chemischen Verhalten des Propylphjcites ist zunächst
^ gegen Metalle interessant, da es dem der Znckerarten ganz
gleich ist. Eine LOsung des Propjlphjcites löst sehr reichlich Kalk-
TOd Barythydrat, ebenso etwas kohlensaures Blei oder Silber. Aus
(Kesen Losungen ft.llt Alkohol Metallverbindungen. Eine Bleiver-
bindong OO ^^ ^ erhält man sehr leicht durch Fällung der Lösung
des Propylphycites mit basisch essigsaurem Blei.
Durch Kochen dieser Metallverbindungen mit Wasser oder
wich der mit wenig Kalihydrat versetzten Lösung des Propyl-
phjcites, wird derselbe rasch in humusartige Substanzen verwandelt.
1)aB9elbe geschieht durch Kochen des Propylphycites mit verdünn-
ten Säuren.
Durch Einwirkung von Natriumalkohol auf die beiden oben
genannten Chloride erhält man den Di- und Tri-Aethyläther
^«8 Propylphycites:
20) Verhandlungen des natuThistoriscli-mediziBiBcbB Vereins.
Beide Körper sind unzersetzt destillirbare Plüssigkeiten von
eigenthümlichem Gerüche. Die erste derselben enthält noch 2 At.
.die zweite nach 1 At. vertretbaren WasserstoflPs ; die Ersetzung des-
selben durch Natrium erfolgt leicht und in derselben Weise, wie bei
den Alkoholen CnH2 n + 2 0, indem die beiden Natriumverbindungen
Ol i /^ tJ X XT und Oä\,i A- N XT entstehen. Letztere sind weisse
* / (C2 ^5)2 Na2 * ) (Oj H5)3Na
feste Massen, die in Berührung mit Jodäthyl sich sehr leicht unter
Bildung des Teträthylpropylphyoitäthers zersetzen, z.B.:
<>»|fdfi)3Na + J0,H,-=0,igfj|^)^ + JNa.
Der Teträthylpropylphycitäther enthält also die 4 At. im Mol.
des Propylphycites überhaupt vertretbaren Wasserstoffs durch (O^HOj
ersetzt.
Ueber den Triäthylpropylphycitäther führe ich noch an, dass
seine Zusammensetzung nur sehr wenig (um 0.57 p. c. Kohlenstoff
und 0.39 Wasserstoff) von der des ihm chemisch vergleichbaren
Diäthylglycerinäthers, O3 L^ tt \ tt , abweicht. Kopp hat nun ge-
fanden, dass chemisch ähnliche Körper von gleicher Zusammen*
Setzung (metamere) gleiche specifisehe Volume haben. Auf die
Thatsache gestützt, dass die beiden genannten Körper nahe gleiche
Siedepunkte, 190^undl92^ 8, zeigen, vermuthe ich, dass auch ihi-
speo. Vol. nahe gleich sein wird, und werde diess einer genauen
Prüfung unterwerfen Sollte sich diese Vermuthung bestätigen, so
würde dann wahrscheinlich allgemein bei chemisch ähnlichen Kör-
pern das spec. Vol. (vielleicht die phys. Eigenschafben überhaupt)
bei ähnlicher Zusammensetzung nahe gleich sein, und als
weitere Folge, das spec. Vol. allein von der procentischen Zusam-
mensetzung abhängig sein.
Der Propylphycit löst sich in Schwefelsäurehydrat ohne Fär-
bung und unter Bildung eines sauren Aethers, sehr ähnlich der
Zuckerschwefelsäure .
In Salpetersäurehydrat löst er sich unter Bildung des ein-
!G H
H CNO "1
einer bei raschem Erhitzen explosiven zähflüssigen Substanz. Mischt
man die Lösung mit Sohwefelaäurehydrat und lässt sie mehrere
Tage stehen, so bilden sich stickstoflFreichere Verbindungen.
Von intermediären Aethern des Propylphycites habe ich nur
noch die der Essigsäure untersucht, besonders um zu sehen, ob der
Propylphycit wirklich sich als viersäuriger Alkohol verhielte, und
also alle vier Atome vertretbaren Wasserstoffes durch Säureradieale
n Hesse. — Der zweifach und der dreifach essig-
DYropylphycitäther lassen sich durch Erhitzen des Al-
an Stella Essigsäurehydrat erhalten, werden aber leichter rein
VerhiadluQgen dw nAlnrhiBtoriBoh-medüdniBolMn Ver«ias. 368
dugesteUi ans dem Dichlorhjdrin pi^lt? ^ durch Erhitzen mit
esaigganrem Natron und £s8ig8äarehyd»t, wobei folgende Beactionen
eintreten :
nnd bei st&rkerm Erhitzen :
^ jCaHi , ^iC2H30_ ^ iCgHi j_OH.
W(C,H30),H, + ^IH - ^*|(CaH30)3H+^^^-
Beide Aether sind farblose zähe Flüssigkeiten, in Wasserlös-
lich und von bitterm Geschmack. Der zweifiach essigsaure Äther
ist nicht ohne Zersetzung destillirbar.
Durch Erhitzen des Triäthjlpropylphycitäthers,
tCoH
rn TT V Tj ™^t Essigsäurehydrat wird erst das noch ersetzbare
At. Wasserstoff als Wasser und darauf einmal oder bei längerm
und stärkerm Erhitzen auch zwei- oder dreimal die Aethylgruppe
als essigsaures Aethyl fortgenommen und durch die Gruppe Acetyl,
C^H3 0, ersetzt. Bei 150^ bildet sich fast allein der zweiCach
essigsaure Diäthylpropylphycitäther:
* J (C, H5)3 H + V ^ I H P -^* j (Ca H,), (C, H3 0)„
welcher eine bei 210^ siedende Flüssigkeit ist.
Die essigsauren Aether werden durch Alkalien leicht unter
Bildung von essigsaurem Salz und Propylphycit zerlegt.
Der Propylphycit verhindert, wie die Zuckerarten, die Fällung
des Kupferoxydes durch Kalihydrat ; es entsteht eine blaue Lösung
aus der durch Kochen, wie bei den zuckerähnlichen Körpern sich
kein Kupferoxydul abscheidet. Durch Silberverbindungen wird er,
besonders in ammoniakalischer Lösung leicht oxydirt, unter Ab-
scheidung von metallischem Silber.
Mftssigt man die sehr heftige Einwirkung Terdttnnter Salpeter-
säure passend, so erleidet der Propylphycit folgende einfache
Oxydation :
welche yölüg analog der Oxydation der Alkohole CaHan-j-^O ist,
nur dass hier, wie bei den Glycolen, kein Aldehyd auftritt.
SC H. 0
^ ^ , bil-
det sehr gut characterisirte Salze, welche vorzugsweise nur 1 At. H
!C H 0
H Oft • ^^®
verh&H sich hierbei also völlig wie die durch Oxydation der Glycole
und Glycerine entstehenden zwei- und dreibasischen Säuren, welche
ebenfalls fCUr gewöhnlich nur 1 At. H durch Metalle ersetzen lassen,
und wie die Propylphycitsäure nur 1 At. Sauerstoff im Badical
264 Verhandlungen des natnrhlstoriBch-mediziniBchen Vereins.
enthalten. Ich habe mich indessen überzeugt, dass die Propyl-
phycitsäure wirklich vierbasisch ist. T*ällt man die Lösung eines
Salzes derselben mit basisch essigsaurem Blei, so ist des entstehende
Niederschlag das neutrale Bleisalz ^4)pl ^ •
Im Anschluss an diese Untersuchung habe ich nun begonnen
Versuche zur Synthese natürlich vorkommender Zuckerarten und
zuckerähnlicher Körper anzustellen. Ich erwähne hierüber z. B.,
dass aus Benzol, Cg H^, durch Addition von ünterchlorigsäurehydrat
das Trichlorhydrin eines wie es scheint sechssäurigen Alkohols
entsteht :
'^H.+(o|g> = ci:ir-
Durch Zersetzung dieser Verbindung mit Alkalien entsteht in der
That, obgleich nicht als einziges Produkt eine zuckerähnliche Sub-
stanz, CßHj.^Oß, welche entweder der gewöhnliche Traubenzucker
oder doch eine damit isomerische, zuckerähnliche Verbindung ist. —
üeber die weiteren Erfolge dieser Untersuchung kann ich, da die-
selbe noch unvollendet ist, erst später Mittheilung machen.
11. Vortrag des Herrn Dr. F.Eisenlohr: »Zur Theorie
der Aberration«, am 10. Februar 1865.
(Das ManuBcript wurde am 27. Februar eingereicht.)
Es ist bekannt, dass die Aberration der Fixsterne, da sie von
dem Verhältnisse der Lichtgeschwindigkeit und der Geschwindig-
keit der Erde abhängt, ein Mittel abgibt, wenn die letztere ge-
geben ist, die erstere, oder umgekehrt, aus der erstem die letztere
abzuleiten. Da jedoch der absolute Ort der Fixsterne nicht be-
kannt ist, so lässt sich aus der Aberration nicht die absolute Ge-
schwindigkeit der Erde, d. h. die Summe ihrer eignen um die
Sonne, und der des Sonnensystems, sondern nur der Unterschied
ihrer Geschwindigkeit zu verschiedenen Zeiten des Jahres berech-
nen. Ebenso ergibt auch die Aberration der Sonne und der Pla-
neten nicht die gemeinschaftliche Bewegung des Sonnensystems,
sondern nur den Unterschied der Geschwindigkeit der Erde und
z. B. eines Planeten ; weil der Antheil der Aberration, welcher von
der Geschwindigkeit des ganzen Sonnensystems herrührt, an wel-
cher auch jener Planet Theil nimmt, wieder genau durch den Ein-
fluss der Zeit aufgehoben wird, die das Licht braucht, um vom
Planeten zur Erde zu gelangen.
Dagegen glaubt Angström *) in der Beugung des Lichtes durch
ein Gitter ein Mittel gefunden zu haben, die absolute Geschwindig-
•) Pogg. Ann. CXXTIL 8. 489.
Yerhuidliuigen des iiAtirliistorisch-iiiedisUiiBelieii Vereins. 260
keit der Erde, also auch des Sonnensystems im Welträume zu be«*
stimmen, wenigstens insoweit der Aether als ruhend angesehen wird.
Fällt nämlich Sonnenlicht senkrecht auf ein Gitter, welches die
Fraaenhofer'schen Linien im Beugungsspektrum zeigt, und z. B. in
einer Richtung ein, welche der absoluten Geschwindigkeit der Erde
im Räume entgegengesetzt ist, so muss der Beugungswinkel der
Frauenhofer*8r}en Linie D durch die Aben-ation um eine Grösse
verkleinert werden, welche jener Geschwindigkeit und dem Sinus
des Bengungs *. inkels proportional ist. Ausserdem hat Babinet dar-
auf aufmerksam gemacht , dass , weil die durch die Spalten des
Gitters gehenden Strahlen, durch deren Interferenz das Bengungs-
spektmm entsteht, vom Gitter an verschiedene Wege zu durch-
laufen haben, sie auch das Gitter, welches sich mit der Erde be-
wegt, bei verschiedenen Lagen desselben verlassen haben, dass also,
wenn ihr Gangunterschied derselbe bleiben soll, der Bengungswinkel
ein anderer sein muss ; und zwar würde hieraus folgen , dass die
Yerkleinerung des Beugungswinkels nicht dem Sinus, sondern der
Tangente desselben proportional sei. Indem nun Angström diese
Berichtigung anerkannte, suchte er durch Versuche nachzuweisen,
dass in der That, wenn die Geschwindigkeit der Erde, in Bezug
aof das einfallende Licht verschiedene oder entgegengesetzte Rich-
tung hat, die Grösse des Beugungwinkels verändert werde; insbe-
sondere hoffte er diejenige Geschwindigkeit, welche die Erde mit
dem ganzen Sonnensysteme geroein hat, zu bestimmen, sagt aber
selbst, dass die Versuche darüber noch nicht entscheidend seien.
Doch es lässt sich leicht zeigen, dass wenn die Beobachtungen
zu den verschiedenen Zeiten des Jahres angestellt werden, in wel-
chen die einfallenden Sonnenstrahlen dieselbe oder die entgegen-
gesetzte Richtung haben, als die fortschreitende Bewegung des
Sonnensystems, der Einflnss der Bewegung der Erde vollkommen
aufgehoben wird durch den der Bewegung der Sonne, wenn diese
out gleicher Geschwindigkeit erfolgt. Es ist nämlich, wie Doppler
zuerst bemerkte, die Wellenlänge der Linie D, wenn dieselbe in
einer mit der Sonnenbewegung gleichen oder entgegengesetzten
Bichtung fortgepflanzt wird, kleiner oder grösser, so dass desswegen
der Beugungswinkel verkleinert bezüglich vergrössert wird.
Wenn hiemach die Methode von Angström nicht zur Bestim-
mung der absoluten Geschwindigkeit der Erde führen kann, so gibt
sie doch den unterschied dieser Geschwindigkeit und der der Licht-
quelle; es müssten desshalb, um die Fortbewegung des Sonnen-
systems im Baum zu bestimmen, Beugungsspektra der Fixsterne
untersucht werden. Dasselbe Ziel würde sich indessen auch er-
reichen lassen durch die Aenderung der Breohbarkeit des Fixstern-
lichts, weil nach der Theorie von Doppler bei verschiedener Ge-
schwindigkeit der Lichtquelle und des Prisma, die Intervalle, in
welchen die Schwingungen eines Theils des Spektrums auf das Prisma
treffen, von der Schwingungsdauer desselben bei ruhender Licht-
266 Verhandlungen des DAiurbistoriBoh-medlslnischen Vereins.
quelle und Prisma verschieden sind ; freilich ist diese Aenderung so
klein, dass wohl bei keiner Geschwindigkeit eines Fixsterns die
beiden Bestandtheile der Linie D um ihren Zwischenraum ver-
Bchoben würden, und sie würde sich desshalb kaum nachweisen
lassen. Eher noch würde eine dritte Methode zum Ziele führen,
welche sich darauf stützt, dass die Linie D bei veränderter Brech-
barkeit auch nicht mehr einfach durch die Natriumflamme, wie in
KirchhofTs Versuchen, verdunkelt würde, dass vielmehr das Fix-
stemspektmm falls es die Linie D enthielte durch eine Natrium-
flamme gesehen, ausser der ihm zukommenden eine zweite sehr
wenig davon entfenite Doppellinie D zeigen würde.
12. Vortrag des Herrn Professor Friedreich: ȟeber,
multiple knotige Hyperplasie der Leber und Milz«
am 10. Februar 1865.
(Das ManuBcript wurde am 9. AprU 1866 eingereicht.)
Prof. Friod reich beschreibt eigenthümliche Befunde an der
Leber und Milz eines an Eucephalohaemorhagie verstorbenen 56j&hri-
gen Mannes. Sowohl die Milz, wie die Leber waren durchsetzt
von zahllosen grösseren und kleineren Geschwülsten, welche sich
bei mikroskopischer Untersuchung als hyperplastische Gewebs-
wucherungen herausstellten , und für deren Entstehung aus mehr-
fachen Gründen entzündliche Vorgänge innerhalb des Parenchyms
der genannten Organe angenommen werden mussten. Nach er-
folgter Darlegung der an dieser seltsamen Veränderung beobachte-
ten Eigenthümlichkeiten, erinnert Redner an einige, in der neueren
Literatur beschriebene Beobachtungen analoger Art; so an die
Rokitansky 'sehen Fälle von Tumoren, bestehend aus »Leber-
gewebe neuer Bildung« innerhalb der Leber, fei*ner an die Beob-
achtungen von Grie Singer und Rokitansky über das Vor-
kommen hyperplastischer Milzgeschwülste, endlich an die neuerlichst
durch Griesinger und Rindfleisch bekannt gewordene, als
»Leberadenoid« bezeichnete Erkrankungsform. Doch bestanden in
diesen Fällen entweder nur vereinzelte Tumoren, oder es zeigte
sich bloss eines oder das andere der genannten Organe ergriffen.
Dagegen findet sich in der Literatur kein Beispiel, wie das Mit-
getheilte, in welchem Milz und Leber gleichzeitig der Sitz zahl-
loser hyperplastischer Geschwulstbildungen gewesen wäre. Ueber
die Aetiologie des Leidens, welchesbeiLebzeiten vollkommen latent
bestand, Hessen sich keine Anhaltspunkte gewinnen.
Die ausführliche Abhandlung über den mitgetheilten Gegen-
stand vgl. in Virchow's Arohiv für pathologische Anatomie und
Physiologie und für klinische Medizin. 33. Band. 1865.
VerhMidhiAg^ dw DiiturliiBtoriscli-inedixinliGheB Veraltt». 267
13. Vortrag des Herrn Dr. Ladenburg: ȟeber eine
nenne Methode der Elementaranalyse«*),
am 24. Februar 1865.
(Du MantiBcrlpt wurde am 8. M&rz eingereicht.)
Es ist dieselbe einstweilen nur für Körper angewendet, welche
ans Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen. Sie nnter-
sdieidet sich von der ält-ern allgemein angewandten Methode schon
dadurch, dass hier die Menge von Kohlensäure, welche bei der
Oxydation der organischen Substanz gebildet wird und die Menge
Ton Sauerstoff, welche zu dieser Oxydation dient, bestimmt wird,
während früher die Gewichte der gebildeten Kohlensäure und des
Wassers ermittelt wurden. Auch ist die Art der Oxydation ganz
verschieden, da dieselbe hier iu einem zugeachmolzenen Rohr aus-
geführt wird. Als Oxydationsmittel dient ein Gemisch von jod-
saorem Silber und Schweft^lsäurehydrat. Die Menge des ersteren
ist abgewogen und ist wenigstens um \'5 grösser als zur Oxydation
der Substanz erforderlich wäre. Der zu analysirende Körper be-
findet sich in einem Glaskügelcheu, welches nebst dem Oxydations-
gemisch in ein Bohr gebracht wird; nach dem Zuschmelzen des
letztem wird das Kügelchen zertrümmert, wodurch die organische
Verbindung mit dem Oxydationsgemisch in Berührung kömmt ; doch
erfolgt eine vollständige Verbrennung der Substanz erst bei einer
heberen Temperatur, wesshalb das Rohr bis gegen 200^ erhitzt
werden muss. Es wird nach dem Erkalten gewogen und die Kohlen-
säure durch Gewichtsverlust bestimmt, indem naeh dem Aufblasen
die in der Schwefelsäure absorbirte Kohlensäure durch Erhitzen und
Anspompen entfernt wird. Das zurückgebliebene jodsaure Silber
wird nach der Bunsen' sehen Methode**) bestimmt, indem der In-
halt des Rohrs herausgebracht, mit Jodkalium versetzt und das
freigemachte Jod volumetrisch bestimmt wird. Ans der Menge des
letztem lässt sich sehr einfach die zur Oxydation verbrauchte Menge
Ton Sauerstoff berechnen, welche ihrerseits den Wasserstoffgehalt
der Substanz mit Hülfe der gefondenen Kohlensäure bestimmt, da
ja die Summe der Gewichte von angewandter Substanz und ver-
brauchtem Sauerstoff gleich ist den Mengen von Kohlensäure und
Die Resultate, welche diese Methode liefert, sinl sehr genau
^d ist dieselbe, meiner Ansicht nach, der Liebig' sehen Methode
besonders da vorzuziehen, wo es sich um die Analyse schwer ver-
breunlicher und flüchtiger Körper handelt. Ausserdem kann sie
in Verbindung mit der altern Methode zur Bestimmung des Sauer-
stoffgehalts orgamscher Substanzen benutzt ^rden.
*) Dia avsfnbrllche Beschreibung der Methode wird in den Annalen für
Ckemia und Pbarmacie erscheinen.
**) Bnnsen: ^Ueber eine volumetTiscbe Methode von allgemeiner An-
wendbarkett*. Ann. Chem. Pharm. LXXXWL 206.
268 VerhandlnTipren des naturhifttorlsch-medteiDlscheii Vereins.
14. Vortrag des Herrn Prof. H. Alex. Pagenstechor:
»Ueber Trichinen«, am 24. Februar 1865.
Der Vortragende sprach über die hauptsächlichsten Ergebnisse
der seit beinah einem Jahre am zoologischen Institute gemachten
Ffltteruiigsversuche mit Trichinen, welche ausführlich in seiner
Schrift: Die Trichinen, Leipzig 1865 bei Engelmann, niedergelegt
sind. Er erläuterte seine Mittheilungen durch Demonstration leben-
der Darmtrichinen und Muskel trieb inen. Er fügte den in der Druck-
schrift gegebenen Thatsachen die hinzii, dass ihm auch ein weiterer
Versuch einen jungen Himd, welcher übrigens nur Brod und Milch
erhielt, trichinig zu machen, nicht gelungen sei. Auch in diesem
Falle fanden sich bei der Sektion einige Wochen nach der letzten
Fütterung mit trichinigem Fleische nicht einmal Darmtrichinen.
Von welchen besonderen Umständen das seltene Zustandekommen
der Muskeltrichinen bei Hunden oder auch die bisher, wie er scheint,
nur einmal Leuckart gelungene Uebertragung von Darm trieb inen
mit Darminhalt abhängen möge, ist bisher noch ganz unklar.
15. Vortrag des Herrn Hofrath H. Helmholtz: »Ueber
Eigenschaften des Eises«, am 24. Februar 1865.
(Das ManuBcript wurde am 10. M&rx eingereicht)
Das Phänomen der Regelation des Eises von Null Grad, wo-
nach zwei Eisstücke beim Aneinanderpressen zusammenfrieren und
sich fest vereinigen, ist von Faraday entdeckt worden, und von
James Thomson erklärt worden, aus der Erniedrigung des Ge-
frierpunkts, die bei gesteigertem Drucke eintritt. Dagegen waren
von Faraday Versuche angeführt worden bei denen der Druck
sehr klein ist, und doch die Eisstücke im Laufe einiger Stunden zu-
sämmenfroren.
Der Vortragende hat einige Versuche angestellt, welche dazu
dienen können, die gegen J. Thomson's Theorie gemachten Ein-
wände zu heben. Man muss hierbei wesentlich die Zeit berück-
sichtigen. Unter starkem Drucke haften zwei Eisstücke angen-
blicklich zusammen, unter Umständen so stark, dass man sie nicht
wieder von einander lösen kann. Je schwächer der Druck ist,
desto länger muss man warten, und desto leichter sind die Stücke
nachher wieder von einander zu lösen.
Presst man zwei Eisstücke an einander, so nehmen sie eine
Temperatur niedriger als der Gefrierpunkt an, fUr je eine Atmos-
phäre Druck 0,0075 «ines Centesimalgrades. Die zwischen ihnen
zurückbleibende Wasserschicht aber kann entweichen und wird nicht
gepresst, deren Gefrierpunkt wird also auch nicht vermindert, und
sie wird gefrieren müssen, da sie mit Eis von weniger als 0^ in
Berührung ist. Je kleiner der Druck, desto kleiner die Temperatur-
Varbuidliuigea das DAtnrhUtoritcb-medlaiiüaclMni Vareias. 269
diffezenz, desto langsamer die Ableitung der Wärme vom Wasser
zum Eise, desto langsamer das Gefrieren.
Der Vortragende erhielt einen durch Auskochen luftleer ge-
machten und zugeschmolzenen Glaskolben, der Wasser und Eis ent-
hielt, in einem Gemi:Msh von Eis und Wasser. Im Innern des Kol-
bens mnsste der Gefrierpunkt hoher sein als ausserhalb. Deshalb
gefror langsam das innere Wasser. Im Lauf einiger Stunden haf-
tete das innen schwimmende Eis immer wieder an der Glaswand
des Kolbens, und im Laufe einiger Tage entstanden gut ausge-
bildete Eiskrystalle über den ganzen Boden des Kolbens. Durch
die Glaswand des Kolbens musste natürlich der Prooess sehr viel
langsamer vor sich gehen, als in einer mikroskopisch dünnen Was-
serschicht zwischen zwei Eisflächen.
Durch Berücksichtigung dieser Umstände scheinen die gegen
die Theorie von Thomson aufgestellten Bedenken beseitigt zu
werden. F a r a d a y ninunt an, dass Wassertheilchen in enger Nach-
barschaft von Eis durch eine Art von Contactwirkung leichter
gefrieren. Dabei wird aber dem Wasser latente Wärme entzogen,
ond es ist nicht abzusehen, wo die hin kommen soll, oder welche
Arbeit sie leisten soll. J. Thomson hat dagegen wohl mitBecht
eingewendet, dass Gontractwirkungen in solchen Fällen wohl Hinder-
nisse wegräumen können, welche der Wirksamkeit derjenigen Kräfte
entgegenstehen, die Veränderung hervorzubringen streben, aber sie
nicht selbst hervorbringen können. Es würde dies ein Wieder-
spmch gegen das Gesetz von der Erhaltung der Kraft sein.
Die Plasticität des Eises zeigt sich nach den Versuchen des
Vortragenden am ausgezeichnetsten in Eis, welches durch hohen
Druck (50 Atmosphären) aus Schnee zusammengepresst ist. Ojlin-
der aus solchem Eise konnten zwischen zwei Platten in Richtung
ihrer Axe zusammengedrückt werden, so dass sie platte Scheiben
worden, ond erst gegen das Ende der Pressung bildeten sich offene
Spalten an einzelnen Stellen der cylindrischen Oberfläche.
Begelmässig krystallinisches Eis dagegen von der Oberfläche
eines ge&orenen Flusses, spaltet beim Druck zwischen zwei Platten
in grosse Bruchstücke aus einander, die zwar durch Begelation
wieder vereinigt werden , aber dann doch deutlich ein- Haufwerk
nnregelmässiger Stücke bilden.
Kömiges Eis dagegen, sei es nun feinkörnig, wie das aus
Schnee gepresste Eis, oder grobkörnig, wie krystallinisches Eis,
welches in einer geschlossenen eisernen Form zerbrochen und in
eine neue Gestalt gepresst worden ist, bildet beim Druck nur kleine
Usse, welche den Zusammenhang der Eismasse nicht vollständig
trennen.
Ein Oylinder solchen körnigen Eises konnte selbst durch eine
Oeffhung, deren Durchmesser nur halb so gross war als der des
Oylinders, hindurohgepresst werden, ohne seinen Zusammenhang zu
verlieren. Doch spaltet der engere ausgepresste Cylinder gewöhn«
270 Verhandlungen übb nafurhisloriBcb-tnodislDltelien Vereins.
lieh der Länge nach auf, ahnlich einem Gletscher, der durch ein^
enge Felsschlucht in ein weites Thal hinein bricht. Es erklärt sich
dieses Aufspalten dadurch, dass das Eis durch die Mitte der Oeff-
nung schneller vordringt, als an deren Rändern.
Bei diesen Versuchen, wobei das Bis einem bis zu 50 Atmos-
phären gesteigerten Drucke ausgesetzt wird, und seine Temperatur
deshalb auf etwa — 0^, 5 fällt, gefriert oft das Wasser, welches
sich in den Spalten der aus mehreren Stücken zusammengesetzten
eisernen Form ansammelt.
Das Eis, welches m^'U künstlieh aus Schnee zusammenpresst,
ist Yon weisslichem Aussehen und undurchsichtig wegen der Menge
kleiner Luftblasen, die es einschliesst. Wenn man es mit der Presse
umknetet, wird es immer klarer, indem die Luftblasen durch die
sich bildenden kleinen Sprünge ausgetrieben werden. Fresst man
einen Cy linder solchen Eises zwischen ebenen Platten, so sieht man
fortwährend eine Menge kleiner Luftbläschen durch seine nasse
Oberfläche entweichen. Dass das Gletschereis schliesslich ganz klar
wird, erklärt sich also wohl durch das fortdauernde ümkneten
desselben, welches in den Gletschern stattfindet.
Aber auch klares krystallinisches Eis wird trübe, wenn es
unter der Presse in eine andere Form gebracht wird. Ich habe
eine geschlossene cylindrische Form aus Gusseisen, in die ein Stempel
eingetrieben werden konnte, mit klaren Eisstücken und Wasser ge-
füllt, so dass alle Luft, ausgeschlossen war, und dann das Eis zu-
sammengepresst, während das Wasser durch die Spalten der Form
entwich. Der dadurch erzeugte Eisblock war weisslich durch-
scheinend. Mit der Lupe erkannte man eine grosse Menge sehr
feiner und dicht aneinander stehender, das Licht schwach reflecti-
render Flächen in seinem Innern ; wahrscheinlich Spalten von einer
Weite, die kleiner als Viertellichtwellenlängen war, die ein Vacuum
enthielten. Dass solche spaltfbrmige unvollständig mit Wasser ge-
füllte Vacua im Gletschereise vorkommen, hat Tyndall gezeigt.
Solche können beim Pressen entstehen, wenn sich die Wände der
gebildeten Sprünge mit einer kleiner Verschiebung wieder anein-
ander legen, wo sie dann nicht genau aufeinander passen.
Wenn ein solcher weisslicher Block gepressten Eises einige
Stunden im Eiswasser lag, so wurde er ganz durchsichtig, wie
Gletschereis. Mit der Lupe aber erkannte man in seinem Lmeni
eine grosse Zahl von Linien, welche sich durch andere Lichtbrech-
ung auszeichneten, und wie die aneinanderstossenden Kanten einer
grossen Zahl kleiner Zellen erschienen. Brach man mit dem Daumen-
nagel einige Thcile von der Kante des Blockes los, so erschienen
diese als ein Haufwerk kleiner polyedrischer Kömer von Steck-
nadelkopf- bis Erbsengrösse. Jenes zellige Ansehn des Blocks rührte
offenbar dnvon her, dass er durch und durch aus solchen polye-
drischen Körnern bestand, zwischen denen sich Wasserschichten
befanden. Mittels ))olari8irten Lichtes Uess sich an gepressten Eis-
Verbiuidliiiigon df« naturhlstnrtscIi-flnedlciBiBohan Yereias. S71
platten von etwa 4 Millimeter Dicke dieselbe Zosammenset^mng aus
einem Haufwerk von J[5mem ebenfalls leicht erkennen, auch sogar
nmnittelbar nach der Pressung, ehe noch das Schmelzen angefangen
hatte. Genau dieselbe Zusammensetzung zeigt bekanntlich schmel-
zendes Gletschereis, nnr dass dieses meist grössere, und mehr in
einander verschränkte Kömer zeigt.
Die Entstehung dieser Körner scheint äich dadurch zu er-
klären, dass die unregelmässigen Bruchstücke, aus denen der zu-
nammengepresste Block besteht und welche durch Begelation ver-
einigt sind, bei der alimäligen Erwärmung des Blocks auf Null
Grad gerade an den Stellen abschmelzen, die noch gepresst sind,
dass die luftleeren Spalten sich mit diesem Wasser fallen, und so
schliesslich eine Masse von aneinder liegenden Körnern entstehen,
die durch ihre gegenseitige Verschränkung noch aneinander haften.
16. Vortrag des Herrn Professor Erlenmeyer: »Ueber
einige Eigenthümlichkeiten in dem Verhalten
des Amylens«, am 10. März 1865.
(Das Manoscript wurde am 23. März 1865 eingereicht)
Kurze Zeit nachdem Wurtz aus Amyleu und Jodwasserstoff
sein Amylenjodhydrat und aus diesem durch Silberoxyd und Wasser
das Amylenhydrat resp. den Pseudoamylalkohol dargestellt hatte,
versuchte ich diesen Körper in analoger Weise zu erzeugen, wie
Berthelot den Pseudoalkohol Vom Propylen und ich mit Wank-
lyn deiigenigen von Hexylen gewonnen hatte. Ich brachte Amyleu
mit Schwefelsäurehydrat und später auch mit Gemischen dieses mit
Wasser nach verschiedenen Verhältnissen zusammen, aber in kei-
nem Falle erhielt ich das gewünschte Besultat ; das Amylen hatte
sich, wenn die Schwefelsäure nicht zu sehr verdünnt war zwar ver-
ändert nnd einen weit über 100^ steigenden Siedepunkt bekommen,
aber es konnte keine Spur Pseudoalkohol aufgefunden werden. Ich
war damals genöthigt, meine Versuche zu unterbrechen.
Mittlerweile hat nun Berthelot in einer Abhandlung unter
dem Titel, Untersuchungen über die Amylalkohole, folgende Aeusse-
ronggethan: »Fast die ganze Menge des Carbürs (Amylens) bildet
beim Zusammenbringen mit Schwefelsäure entweder polymere Körper
oder eine der Isäthionsäure analoge complicirt zusammengesetzte
und beständige Säure, und ich erhielt eine so geringe Menge von
Amylenhydrat, dass mir ein genaueres Studium desselben nicht
möglich war.« Diess veranlasste mich meine Versuche wieder auf-
zunehmen, einerseits weil ich früher zum Zwecke der Darstellung
eines Homologen des Taurins die Darstellung der Isamthionsäure
durch Herrn Dr. Ernst ohne Erfolg hatte versuchen lassen und
nun dachte nach der Bemerkxmg von Berthelot eine Methode
zu deren Darstellung zu gewinnen; andrerseits aber weil ich mir
272 Verhandlmigeii des naturhlsforifich-niediziiiiscben Vereins.
vorstellte, dass wenn eine kleine Quantität von Amylen in Psendo-
alkohol übergeführt werden könne, sich auch die Bedingungen finden
lassen müssten, unter denen sich grössere Quantitäten oder alles
Amylen in diesen Körper umwandele.
Ich will die Versuche, welche ich anstellte; nicht alle einzeln
beschreiben, sondern nur allgemein Folgendos anführen: Ich ver-
wendete ausser a) Schwefelsäurehydrat folgende Verdünnungen
b) 5 Vol. 80^ Ha : 1 Vol. H^ 0; c) 4 Vol. SO^Hj : 1 Vol. H^O;
d) 3 Vol. SO4H2 : 1 Vol. H., 0; e) 2 Vol. SO4 Hj : 1 Vol HjO;
f) Vit Vol. SO^ H2 : 1 Vol. H, 0 ; g) 1 Vol. SO4 K^ : 1 Vol. H^ O.
Sowohl die Säure, als auch das Amylen*) war vorher in Eis
abgekühlt, um gelbe bis braune Färbung und Bildung von Schwef-
ligsäure zu vermeiden; das Amylen wurde nach und nach unter
heftigem Schütteln und steter Abkühlung in die Satire eingetragen,
und dann entweder sogleich nach dem Eintragen oder nach ein-
bis mehrstündigem Schütteln oder nach ein- bis zweitägiger Be-
rührung die schwerere Flüssigkeit von der aufschwimmenden durch
die Glashahnbürette getrennt. Die saure Flüssigkeit wurde ver-
dünnt und zum Theil destillirt, zum Theil mit kohlensaurem Baryt
gesättigt, das Filtrat vom schwefelsauren Baryt auf dem Wasser-
bad erwärmt, um den kohlensauren Baryt abzuscheiden und dann
über Schwefelsäure vollständig verdampft.
Die leichtere Flüssigkeit wurde mit Wasser gewaschen, bis
dieser keine saure Beaction mehr annahm, von dem Wasser ge-
trennt, mit geschmolzenem Chlorcalium getrocknet und der fractio-
nirten Destillation unterworfen.
Ich habe so dreissig bis vierzig Versuche mit verschiedenen
Abänderungen angestellt, indem ich von einer Säure das gleiche,
das doppelte, 4 fache, ja oft 10 fache Volum von dem des Amy-
lens anwendete. Bei einigen Versuchen wurde auch gleich nach der
Mischung die ganze Flüssigkeit sofort in mit Wasser angerührten
kohlensauren Baryt gegossen. Aber in allen Fällen konnte
weder dieBildung einer derlsäthionsäure ähnlichen
Säure noch die vonAmylenhydrat beobachtet werden.**)
*) Das zu meinen Versuchen verwendete Amylen war mit Chlorsink
aus Amylalkohol bereitet und zuerst durch fraetionirte Destillation und Chlor-
calcium, dann durch Destillation über Natrium, so lange bis dieses niclitmehr
anfregriffen wurde, gereinigt worden.
***) Wurti bat früher bei der Behandlung seines Amyienhydrats mit
Schwefelsäure die Beobachtung gemacht, dass sich keine Spur einer gepaar-
ten Schwefelsäure bUdete, und das Amylenhydrat in Polyamylen übergeführt
wurde.
(Bchlnss folgt.)
r
Ir. 18. [BEIDEIBEBGEE 1805.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Yerhandlimgeii des natnrhistoriscli-mediziiiischen
Vereins zu Heidelberg.
(ScUoflS.)
Anfangs glaubte ich eine geringe Menge eines Barytsalzes ans
der Mischung von Amylen mit Schwefelsäure bekommen zu haben,
denn es blieb ein Abdampfungsrttckstand von gelber Farbe, welcher
der Hauptmasse nach ein gummiartiges Aussehen zeigte und an der
Loft feucht wurde. Bei näherer Untersuchung desselben ergab sich
jedoch, dasa er salpetersauren Baryt und Ohlorbaryum enthielt und
aosaerdem noch eine barythaltige organische Masse, die in schwa-
chem Weingeist löslich war. Von 15 CC. Amylen» welches mit
15 CG. Schwefelsäure geschüttelt worden war, wurden so beispiels-
weise 0,1817 Grm. Bückstanderhalten. Als nun eine entsprechende
Menge Schwefelsäure ohne vorherige Vermischung mit
Amjlen direct verdünnt und hierauf mit kohlensaurem Baryt ge-
sättigt wurde, so blieb nach dem Abdampfen der vorher von noch
ausgeschiedenem kohlensauren Baryt abfiltrirten Flüssigkeit ein
Bückstand von ganz gleichem Aussehen und Oehalt zurück, der
sogar noch eine Kleinigkeit mehr wog als im vorigen Falle. Der
angewendete kohlensaure Baryt war aus einer chemischen Fabrik
als chemisch rein bezeichnet bezogen worden.*) Die verwendete
Schwefelsäure war frei von Stickstoffverbindungen, aber sie war,
obwohl als chemisch reine Säure frisch bezogen, nicht ganz voll-
kommen farblos. Ich vermuthe, dass die Schwefelsäure selbst irgend
welche hineingefallene organische Substanzen schon vorher in irgend
eine gepaarte Säure umgewandelt, oder irgendwie befähigt
l^tte eine lösliche Barytverbindung zu bilden.
Wenn man den in Weingeist gelösten Yerdampfungsrückstand
wieder zur Trockne brachte und mit einer Säure übergoss, so zeigte
sich ein unangenehmer Schweissgeruch , der demjenigen sehr ähn-
lich ist, welcher sich bei der Destillation von Bunkelrübenmelasse
mit Wasser entwickelt.
Was nun die Natur der über der Schwefelsäure schwimmen-
den Flüssigkeit betrifft, so war dieselbe unlöslich in Wasser selbst-
*) Ich habe mich öfter Überzeugt, duss es ungemein schwer hält, voll*
kommen reinen kohlensauren Baxyt in einlgermassen erheblieheii
Qttsatiateii damstellen.
LVXIL Jshrg. i. Heft 18
d74 Verhandlungen des naivbistorlflch^mediBinischen Vereins.
verständlicli auch in Schwefelsäure, and zeigte bei der Destillation
je nach der Coneentration der mit ihr in BerUhning gewesenen Säure
yersohiedene Siedepunkte.
Bei .Anwendung der Säure (a) fing die Flüssigkeit bei 150<^
an zu sieden, der grösste Theil ging bei 200—2400 tLber, bei 260^
war das Gefäss trocken und etwas kohlige Masse im Bückstand.
Die Flüssigkeit von Säure (b) kam bei 150^ in'f Sieden, der
grösste Theil ging um 200^ über, bei 2300 ^ar das Ge^ss trocken.
Von Säure (c) gingen wenige Tropfen vor 100® über, die
Hauptmasse bei 150—1800 noch wenig bis2200, wobei das Gefäss
trocken.
Von Säure (d) bei 140^ anfangendes Sieden, die Hauptmasse
bei 167—170», bei 220« das Gefäss trocken.
Von Säure (e) fast Alles bei 150 — 1600.
Von Säore (f) ungefähr die Hälfte bis 400 die andere Hälfte
bei 1480.
Von Säure (g) waren nur Spuren umgewandelt, der grQsste
Theil zeigte den Siedepunkt von unverändertem Amylen.
Von den Fractionen 150 — 1600 war eine grössere Menge bei
1550 gesammelt und eine Analyse davon gemacht worden.
Dieselbe gab Zahlen, welche genau mit der Zusammensetzung eines
Olefins stimmen. Diese Flüssigkeit, welche einen kampferähnlichen
Genich zeigte, war wahrsoheiiüich der von Bauer Diamylen*) ge-
nannte Kohlenwasserstoff, welcher sich fast vollständig frei von
höheren Polymeren durch Einwirkung der Säure (e) auf Amylen
darstellen lässt. (Ich behalte mir vor, diesen EGrper nach der an-
gegebenen Methode in grösserer Menge darzustellen und einem ge-
naueren Studium zu unterwerfen.)
Aus den hier mitgetheilten Beobachtungen geht hervor, dasa
das Amylen schon von einer ziemlieh verdünnten Schwefelsäure bei
0^ polymerisirt wird, also nicht wie manche Chemiker ausgespro-
chen haben, höherer Temperaturen dazu bedarf, es geht weiter her-
vor, dass das Amylen nicht wie Propylen und Hexylen mit Schwefel-
säure eine Verbindimg eingeht, aus welcher es als Amylenhydrat
abgeschieden werden kann.
Man kann hiemach wohl der Annahme nicht ausweichen, dasa
das Amylen auch eine von der von Propylen und Hexylen abwei-
chende relative, d.h. eine nicht homologe Constitution besitze, und
es wirft sich die Frage auf, ob es nicht möglich sei, auf dem Wege
des Experimentes der Brkenntniss dieser Constitotion näher ra
kommen.
*) Nach dem Entdecker des Dismylens: Gsnltier de CUubry
rleeht dasselbe wie faule Aepfel, nach Baiard kampferartig, nach Bauer
angenehm obstartig. Ich habe bei meinen Versnoben öfter einen cardamomen-
ftholicbeii Qemeb bemerkt, wenn die Mischling mit Wasser verdttnnt wnrde^
aber dieser verschwand bei der Destillation voüständig.
TerliftBdlungeii des BAtnrhlstoriMli-medtriiilBcheii YereliiB. 376
Sehen wir uns zniiftchst nm, ob nicht schon Thatsachen vor-
handen sind, welche zur Aufhelhing dieser Frage beitragen können,
80 scheinen hauptsächlich drei Experimente der Berücksichtigung
werth sa sein, und zwar: 1) die Oxydation des Amylenglycols
(Wuriz), 2) die Oxydation des Amylenhydrats (Wurtz, Kolbe),
3) die Oxydation des Amylens selbst (Wurtz).
Ziehen wir vor der Hand nur die beiden letzteren Experi-
mente in Betrachtung.
Wurtz hat bei der Behandlung des Amylenhydrats mit chrom-
aaorem Kali und Schwefelsäure folgende Zersetzungsprodukte be-
obaohtet.
1) Amylen, 2) Essigsäure, 3) Kohlensäure 4) »eine in der Reihe
höher stehende Säure wahrscheinlich Propionsäure«, 5) Butylen-
hydrat, 6) ein wenig beträchtliches Gemisch von Ketonen, das von
60* bis gegen 100* siedete und in welchem mit Sicherheit nur ge-
wöhnliches, zwischen 57® und 59® siedendes Aceton (C3H^0) er-
kannt wurde, während aus dem über 60® siedenden Theil ein an-
deres Eeton im Zustande der Reinheit abzuscheiden nicht gelun-
gen ist.
Eolbe hat dagegen bei derselben Einwirkung hauptsächlich
nur Essigtöure und Kohlensäure beobachtet. Ausserdem theilt er
aber mit, dass er eine ölige Flüssigkeit von anderem Geruch wie
derjenige des Amylenhydrats erhalten habe, deren Analyse die Zu-
sammensetzung eines Gemisches aus gleichen Molekülen Amylen-
hydrat und eines Dehydrogenats desselben (C^HioO) ergeben hat;
der letztere Körper konnte aber durch eine Lösung von saurem
schwefiigsauren Natron nicht ausgezogen werden.
Wurtz sagt am Schluss der Beschreibung seines Oxydations-
versuchs von Amylenhydrat t »Wenn wir die Kohlensäure und das
Batylenhydrat bei Seite lassen, so sind also die hauptsächlichsten
Ozydationsproducte : zuerst Essigsäure, sodann eine kleine Menge
Aceton und höherer Acetone.« Er setzt dann hinzu: »Ich habe
fesrtgestellt, dass das Amylen selbst dieselben Produkte liefert.«
Während nun bei der Beurtheilung dieser Oxydationsweise
Wurtz sich einfach dahin ausspricht, »dass eine solche Spaltung
eines eompHcirt zusammengesetzten Moleküls unter Verlust von
Kohlenstoff bei der Einwirkung eines kräftigen Oxydationsmittels
in keiner Weise etwas Ausserordentliches ist«, geht Kolbe in sei-
ner Ansicht Über die Zersetzungsweise des Amylenhydrats durch
Oxydation etwas weiter. Er schliesst aus seinen Beobachtungen,
dass das Amylenhydrat die Constitution
^H^JCH(OH)
habe, dass das primäre Oxydationsproduct desselben Propyl*
M ethylaceton C H3 i ^ q
O3 H7 1
trad dass das aus dem Amylalkohol durch Erhitzen mit Ghlorzink
d?6 Verhandlungen des natvrhistorisch-medizlnlscben Vereins.
entstehende sog. Amjlen nicht das eigentliche Amjlen, sondern
Propyl-Aethylen CH3 J^
OaHrr
sei. Er stellt sich femer vor, dass als weitere Oxydationsprodukte
des Propyl-Methylacetons nach folgender Gleichung Essigsäure und
Kohlensäure auftreten müssten:
^^JcO + Oe = 2(CaH,02) + H,0 + COa
Kolbe hat noch weitere Gründe für seine Annahme ange-
führt, dass das Amylenhydrat vonWurtz der Alkohol des Propyl-
Methylacetons sei, die ich aber hier für jetzt unberücksichtigt
lassen will. Ich bemerke nur, dass ich vor jetzt anderthalb
Jahren schon die Ansicht aussprach, dass das Amylenhydrat ein
Eetonalkohol sei und in neuerer Zeit fast gleichzeitig mit Kolbe
es als wahrscheinlich hinstellte, dass das Amylen sozusagen ein
deoxydirtes Keton sei, ähnlich wie ich das Propylen aus Allyl-
jodür oder aus Pseudopropyljodür für desoxydirtes Aceton
erklärt habe.
Da die beiden genannten Forscher Wurtz und Kolbe bei
der Oxydation des Amylenhydrats nicht ganz gleiche Resultate er-
halten haben, so hielt ich es zum Zweck der Entscheidung der
Frage wie das Amylen constituirt sei für wünschenswerth, das
von diesen Chemikern ausgeführte Experiment zu wiederholen.
Es erschien mir aber zweckentsprechender mit der Oxydation
des Amylens selbst zu beginnen, zumal da Wurtz angibt, da-
bei dieselben Resultate wie bei der Oxydation des Amylen-
hydrats erhalten zu haben, und es, weil Wurtz Amylen unter
den Zersetzungsprodukten des Amylenhydrats nachgewiesen hat,
nicht unmöglich ist, dass das Amylenhydrat zuerst in Amylen
verwandelt und dieses erst oxydirt wurde.
Ich wollte hauptsächlich wissen, 1) ob das gewöhnliche Aceton,
welches Kolbe nicht beobachtet, und Wurtz nur in geringer
Menge erhalten hatte, Hauptproduct oder ein untergeordnetes Neben-
produkt sei, 2) ob, wie Wurtz meint annehmen zu sollen, neben
Essigsäure auch Propionsäure entstehe.
Ich brachte zu dem Ende 21,5 Amylen ganz in derselben
Weise wie es Wurtz angibt mit saurem chromsaurem Kali und
verdünnter Schwefelsäure in Reaction. Nach 6 stündigem Kochen,
wobei sich Kohlensäure entwickelte, wurde die Flüssigkeit aus dem
Wasserbade destillirt. Bis 65^ gingen 8 CG. über. Diese gaben
an Baures sohwefligsaures Natron eine kaum bemerkbare Menge
Flüssiglceit ab und bei nachheriger Zersetzung konnte auch keine sicht-^
bare Spur von Aceton gewonnen werden^ wohl aber liess sich dessen
Geruch sehr deutlich wahrnehmen. Bei der Destillation der Oxy-
dationsflü0sigkeit aus dem Asbestbad bis das Destillat nicht mehr
Yerhandliingen des nAtar1)l8toriscb-medliiiil8chen Vereins. 277
sauer reagirte wurde eine stark nach Essigsäure riechesde saure
Flüssigkeit erhalten, welche in Silbersalz umgewandelt wurde. Es
zeigte sieh hierbei keine Reduction, also war keine Ameisensäure
zugegen, auch ergab sich aus mehreren Silberbestimmungen der
ersten, mittlem und letzten Krjstallisation , dass nur Essigsäure
und keine höhere Säure vorhanden war.
Da bei diesem Versuch das Aceton nur durch den Geruch
hatte nachgewiesen werden können, trotzdem, dass noch yiel unzer-
setztes Amylen vorhanden war, so wurde das Verfahren in folgen-
der Weise abgeändert. 80 CG. Amylen wurden bei einer Tempera-
tar, die nicht über 20^ stieg mit dem Oxjdationsgemisch 3 Tage
lang unter sehr häufigem und heftigem Schütteln in Berührung
gelassen. Es entwickelte sich viel Kohlensäure, welche in einem
Gemisch yon Ammoniak und Chlorbaryum aufgefangen wurde. Die
Oijdationsflüssigkeit, welche eine gp:tlnbraune Farbe angenommen
hatte, vnirde nun aus dem Wasserbad destiUirt. Es gingen zuerst
24 CO. un2ersetztes Amylen bis 40^ über, daim folgte beim Er-
hitzen im Kochsalzbad eine Flüssigkeit in der Menge von 16 OC.
die stark nach Aceton roch, und sich, indem 1 1 CC. verschwanden,
mit saurem schwefligsauren Natron so stark erhitzte, dass das bei-
gemischte Amylen in heftiges Sieden gerieth. Bei der Zersetzung
dieser Lösung mit kohlensaurem Natron destillirte eine wie reines
Aceton riechende Flüssigkeit über, welche nach dem Trocknen mit koh-
lensaurem Kali und nachher mit entwässertem Kupfervitriol zwischen
56mid58^ destillirte, bei 60^ war das Gefllss trocken. Die Menge
derselben betrug 8 CC. , die Analysen, sowie die übrigen Eigen-
schaften Hessen keinen Zweifel, dass die erhaltene Flüssigkeit reines
gewöhnliches Aceton CsHgO war.
Das noch unzersetzte Amylen wurde von Neuem mit der Oxy-
dationsflüssigkeit zusammengebracht und wie früher behandelt. Es
wurden so noch nahezu 2 CC. Aceton erhalten.*)
Die Oxydationsflüssigkeit wurde jetzt aus dem Asbestbad unter
Einleiten von Wasserdampf der Destillation unterworfen bis das
Destillat nicht mehr sauer reagirte. Dieses wurde dann mit kohlen-
saurem Natron neutralisirt , die Lösung zur Trockene verdampft.
Der bei 100® getrocknete 41 Grm. betragende Salzrückstand wurde
mit Schwefelsäure (2 Vol. Hydrat : 1 Vol. Wasser) im Ueberschuss
destiUirt. Es wurde eine Säure erhalten, die nach dem Schütteln
*) B«l dieser Oxydation Behwammen auf dem no^h wässrigen Destillat
einige weiseUche Flocken, die sieh unter derLoupe als Oeltröpfchen in er-
kftinai gaben, sie Belgien einen kräftigen KransemtlnsOlgenieh. Gans der-
•elbe G«neh wurde bemerkt, als Amylen mit trockenem SUberoxyd in einem
^J^eiclimolsenen Rohr «Inifce Stunden bis an IWfi erhitat worden war. Das
eflberoxyd war dabei vollkommen au weissem metalliMhen Silber reducirt
^i^den, aber die Menge des KOrpers, weleber den genannten Genioh seigte
^*sr so gering^ dass er nicht isolirt werden konnte.
378 VerbaDdlungen dea naturhiBtoxiscb-medixIiilachen VereinB,
mit Bleibyperoxjd den charakteristischen Essigsäuregeracb ohnejeg«
liehen Beigeruoh zeigte.
Sie wurde aus einem Fractionirkölbchen mit in gewöhnlicher
Weise eingesetztem Thermometer, (so dass dessen Kugel nur bis
an das Dampfableitungsrohr reichte) der Destillation unterworfen.
Es ereignete sich dabei, dass das Thermometer gegen das Ende bis
135^ hinaufging, und als das Geföss trocken war auf 136^ stand.
Man hätte danach annehmen können, dass wirklich eine der Essig*
säure höhere Säure, vielleicht Propionsäure zugegen wäre. Als aber
die sämmtlichen Fraktionen gemischt und einer zweiten Destillation
aus dem Asbestbad unterworfen wurden, gingen zwei Drittheile -bei
100—1100 über, das letzte Drittel destillirte bei 110— 118» und
bei 120^, während bei 122^ das Qeßiss trockpn war.
Die erste und letzte Fraction wurde jede für sich mit kohlen-
saurem Silber gesättigt. Die in den erhaltenen Salzen vorgenom-
menen Silberbestimmungen stellen die vollkommene Beinheit der
erhaltenen Essigsäure unzweifelhaft fest.*)
Nachdem ich so mit Bestimmtheit nachgewiesen zu haben
glaube, dass bei der Oxydation des Amylens das ge-
wöhnliche Aceton wesentliches Zersetzungsprodukt
ist und dass keine Propionsäure und keine andere
der Essigsäure höhere Säure gebildet wird, will ich es
versuchen, die angefilhrteu Beobachtungen zur Aufstellung einer
Hypothese über die relative Constitution des Amylens zu verwenden.
Ehe ich dazu übergehe, glaube ich bemerken zu sollen, dass
ich mich hier nicht auf die Erörterung der Frage, ob die bisher
näher untersuchten Oleüne im freien Zustand vollkommen geschlos-
sene Verbindungen sind, oder ob sie zwei freie KohlenstoffUquiva-
lente besitzen, einlassen werde« Ich will diese Frage nicht zur
Discussion bringen, 1) weil ich den letzteren Fall ebensogut für
möglich halte wie den ersteren, nachdem eine, wenn auch nur
eine Verbindung des Kohlenstoffs im freien Zustand existirt, welcher
zwei freie Aequivalente nun einmal nicht weggeleugnet werden
können, ich meine das Eohlenoxyd ; 2) weil ich für jetzt kein Mittel
*) Von der be! der Oxydation gebüdeten Kohlens&nre wurde derjenige
Thell als kohlensaurer Baryt gewo|i;eB, welcher sich in der KKlte entwickelt
halte. Er betrug 0,8 CO«. Der Theil aber, welcher sieh während derDeBtU«-
lation entwickelte, wurde leider durch ein Versehen nicht bestimmt. Dada«
Aceton in der wässerigen Oxydationsflüssigkeit weit leiohter löslich ist, als
das Amylen und erhöhte Temperatur, wie der frühere Versuch gezeigt hat
die weitere Oxydation des Aoetons sehr begOnstigt, so ist es sehr wahr*
seheinlieh, dass sieh während der Destillation «Ine grössere Menge von
Kohlensäure bildete, als während der Einwirkung in der Kälte loh halte es
aaeh diesen Erwägungen fttr unzweifelhaft, dass bei der Oxydation des Amy
lens die Kohlensäure ein Hanptprodukt (von der Oxdatton des Aoetons) und
nicht ein Nebenprodukt oder letstes Oxydationsprodukt ausmaohft, als wel-
ehee sie bei der Behandlung aller kohlenstoffhaltigen Substansen mit obrom-
saurem Kali und Schwefelsäare aufsutreten pflegt.
Terfnn^ngea dM Bitnrldstof iMdi-medlitnlMlMi VeNlu. UV
selM die Frage zu entsobeiden. Dagegen mOehie ich aber die Be-
hanptang ftofttellen, dass nun Mindeeten die di«i Olefine, das
Aethjlen, daePropyton nnd dae Hexylen (in der Form, in welcher
sie flieh bisher der tTnierenohongdaigeboten haben) in dem Augen-
blicke, in welchem sie als zweiaqniTalentigeBadioale
wirken, so ccnstitnirt sind, dass ihre beiden freien Aeqnivalente
Qiehi zwei yerschiedenen Atomen, sondern einem einzigen Atom
EoUenstofF angehören.
Schon in firttheren Zeiten haben manche Chemiker dasAethylen
nit dem Ammoniak rerglichen , nnd dae Jod&thyl mit dem Jod-
ammoninm. Indem ich diesen Vergleich ftlr ganz saohgemftss er-
achte, möchte ich denselben noch bestimmter dahin pritoisiren, dass
ich das Badical Aethylen mit dem Dimethylamin in Parallele
stelle. Das letztere ist eine Verbindung des 5 äqnivalentigen Stick-
itoiB, von dessen 5 Aeqoiiralenten zwei nnverbunden nnd
Eins mit Wasserstoff Tcrbtinden gedacht werden moss,
wfthrend die beiden ttbrigen mit Methyl vereinigt sind Dae Ba-
dical Aethylen denke ich mir als eine Verbindung des 4 &qniTa-
lentigen Kohlenstoffs, in welchem 2 Aequivalente nnrerbun-
den und Bins mit Wasserstoff yereinigt, das eine noch
flbrige Aeqxiiyalent aber mit Methyl in Verbindung angenommen
werden kann.
Der ersten Verbindung, dem Dimethylamin, entspiechen zwei
«Bpirisch-homolog zusammengesetzte Verbiniungen von ganz ver-
schiedenen Eigenschaften. Die eine ist Dimethylamin, in welchem
a& die Stelle von 1 Methyl , 1 Aethyl eingetreten ist (Methyl-
Mthjlamin), die zweite ist Dimethylamin, in welchem an die Stelle
des einzelnstehenden Wasserstoffs 1 Methyl eingetreten ist (Trime-
thylamin).
Dem Badical Aethylen entsprechend denke ich mir in analoger
Weise zwei verschiedene neue mit ihm empirisch-homologe Badicale
als möglich, je nachdem in ihm das Badical Methyl durch Aethyl
oder der einzelnstehende Wasserstoff durch Methyl substituirt ist.
h der letztem Weise denke ich mir dasjenige Badical Propylen
<»n8titairt, welches bisher den Chemikern bei den Untersuchungen
der Propylenverbindungen zu Gebot gestanden hat.
Man kann auch diese Beziehung des in Bede stehenden Ba-
diealg Propylen zu dem Badical Aethylen mit der Belation in Pa-
rallele stellen, in welcher das gewöhnliche Aceton nach einer jetzt
wohl ziemlich allgemein adoptirten Annahme z^ dem gewöhnlichen
Aethylaldehyd steht.
Aldehyd Aceto«
CHg ^ CH3 n
Badical Aethylen Badical Propylen.
S80 Yerhaadlnngen des naturhiBtorisch-medizbiiBcbeii Vereins.
Wenn sich Jodwasserstoff oder iibez'hanpt ein Halogenwasser-
stoff mit den Radicalen Aetbjlen, Propylen (oder Hexylen) ver-
einigt, so geschieht dies meiner Meinong nach so, dass sich die
beiden freien Aequiyalente des einen Atoms Kohlenstoff mit dem
Wasserstoff nnd dem Halogen sättigen. Wenn ich dagegen in Be-
tracht ziehe, dass Aldehyd und Aethylenoxyd , andrerseits Aethy-
liden- und Aethylenehlorär verschiedene Körper sind, und wenn
ich deren Entstehnngsweise berücksichtige, so komme ich zu der
Annahme, dass die freien Halogene in der Art auf die oben ge-
nannten Olefine einwirken, dass zunächst 1 Atom Wasserstoff, das
mit einem andern Kohlenstoffatom verbunden ist, durch 1 Atom
Halogen substituirt wird, und dass dann erst der erzeugte Halogen-
wasserstoff in der oben gedachten Weise sein Wasserstoff- und sein
Halogenatom an die beiden freien Aequivalente des einen Atoms
Kohlenstoff in den Olefinradicalen absetzt.
Wenn ich mir nun auch das Hexylen aus dem Mannit nach
meinen mit W a n k 1 y n ausgeführten Experimenten als ein Keton-
olefin (im Gegensatz zu dem Aethylen, welches ich Aldehydolefin
nennen möchte) denke, so komme ich damit zu der Frage, in wel-
cher Relation das Amylen als Badical zu den genannten OleEn-
radicalen steht.
Das Amylen ist eigentlich das einzige *) von den bisher näher
untersuchten Oleffnen, das in analoger Weise aus dem Amylalkohol
dargestellt ist, wie da# Aethylen aus dem Aethylalkohol, und man
hätte erwarten sollen, dass es sich analog diesem mit Jodwasser-
stoff zu Amyljodür und mit Schwefelsäure zu Amylschwefe 1-
säure verbände.
Es verhält sich aber nach den Untersuchungen von Wurtz
und von mir in beiden Beziehungen ganz anders. Wenn man auch
die Ansicht von Wurtz, das Amyljodür unterscheide sich von
dem Amylenjodhydrat nur dadurch, dass in dem letzteren Jod und
Wasserstoff bei der Vereinigung mit Amylen nicht in so feste Ver-
bindung mit C5 trete, als diese beiden Elemente mit dieser Kohlen-
stoffgruppe in dem Amyljodür verbunden sind, als Erklärung des
verschiedenen Verhaltens des Amylenjodhydrats gelten lassen wollte,
so würde man aber doch nicht verstehen, warum das Aethyle^jod-
hydrat nicht in analoger Weise verschiedenes Verhalten von dem
Aethyljodür zeigt. Man wird vielmehr zu dem Gedanken geleitet,
dass die Constitution des Amylenjodhydrats eine von der des
Amyljodürs nicht bloss physikalisch, sondern wirklich chemisch
verschiedene ist.
*) Der Bntylen Ist swar von Wurtz aus dem Batylalkohol ebenfaUs
in aniäoger Weise wie Aethylen dargestellt, aber es ist meines Wissens nicht
näher stndirt in seinem Verhalten zn Schwefelsäure nnd Halogensäuren.
Wurtz gibt blos an, dass es aus dem Gemisch mit Butylwasserstoff durch
eine mit Schwefelsäure hefeuchtete Gokekugel entfernt werden könne, daaa
es sich also mit Schwefelsäure verbindet.
Yerlnodliingen des DAtnrhistoritoh-niedlsliiiacben Yereiiis* 981
Vergleicht man andreneits das Verhalten des Amylei^od-
hydrats mit denjenigen von Propjlei^jodhydrat und Hexylenjod-
hjdrat, so findet man in mancher Beziehung eine so überraschende
Analogie, dass sich schon manche Chemiker veranlasst gesehen
haben, die drei genannten Körper für Glieder einer homologen Beihe
ni halten und man hätte danach erwarten sollen , das Amylen-
oxyhydrat liefere bei der Oxydation analog dem Propylen- und Hexy-
knoxyhydrat ein Eeton von der Zusammensetzung C^ H|o 0, welches
Bieh weiter zersetze in Essigsäure und Propionsäure. Wenn man
die Homologie dieser Hydrate annehmen wollte, so könnte man
lieh ihre Zusammensetzung durch folgende Formeln ausgedrückt
denken«
Propylenhydrat ^^ CH, OH
(Butylenhydrat ^^ CH,OH)
Amylenhydrat ^^» CH, OH
U3H7
Hexylenhydrat ^^^ cH, OH
Aus den bis jetzt in dieser Beziehung •vorliegenden Beobach-
tungen geht jedenfalls das Eine hervor, dass der Körper CsHjoO,
wenn er sich überhaupt als erstes Oxydationsprodukt des Amylen-
Mrats, beziehungsweise des Amylens bildet sehr leicht weiter zer-
setzt wird in Essigsäure. und gewöhnliches Aceton und dieses wie-
der in Essigsäure und Kohlensäure.
Gerade die Bildung von gewöhnlichem Aceton, statt der Bil-
dung von Propylaldehyd resp. Propionsäure, welche man bei An-
nahme der Homologie von Propylen-, Amylen- und Hexylenhydrat
tatte erwarten sollen, veranlasst mich zu der Hypothese, dass
zwar das Amylenhydrat nach der oben angegebenen
Pormel zusammengesetzt ist, dass aber das darin
enthaltene Eadical C3 H7 nicht das des gewöhnlichen
Gibrungspropylalkohols, sondern dasjenige des Pro-
Pylenhydrats oder Pseudopropylalkohols ist, dessen
relative Constitution durch folgendes Schema versimüicht wird:
MeH^Me (^ = ^ ö«^- '^^' Kohlenstoff Me = Methyl)
Mit dieser Annahme ist es leicht verständlich wie das Amylen-
hydrat resp. Amylen die beobachteten Oxydationsprodukte liefern
■onnte. Die folgenden Gleichungen werden die verschiedenen Phasen
welche die Oxydation des Amylens nach meiner Hypothese durch-
lÄQft Übersehen lassen:
282 Verhftndliingen des natnrbistoriscli-medldniseben VereüiB.
Badical Amylen Acetylpsendopropylür*)
Essigsänre Aceton
4) CH,0 + 0,= C0, + H20.
Jedenfalls scheint mir diese Hypothese mehr im Einklang m
stehen mit den bisherigen Beobachtungen, als die Anschanungs-
weise von Wurtz, nach welcher man weit eher erwarten sollte,
dass das Amylenhydrat resp. Amylen ebenso wie Amylalkohol bei
der Oxydation Amylaldehyd und Baldriansäure lieferten, da ja nach
Wur t z die Gruppe C^ H|o in dem Amylenhydrat ebenso constituirt ist
wie in dem Amylalkohol. Mit der Anschauungsweise von Wurtz
muss man es allerdings als etwas Ausserordentliches
betrachten, dass diese Gruppe unter denselben Bedingungen unter
welchen sie in dem Amylalkohol nicht oder doch nur zum aller-
geringsten Theil zerfä.llt, in dem Amylenhydrat in einfachere ge-
spalten wird und keine Spur Ton Baldriansäure liefert.
Aber doch bin ich weit entfernt behaupten zu wollen, dass ich
mit meiner Hypothese alle beobachteten Eigenthttmlichkeiten in
dem Verhalten des Amylens zu erklären im Stande sei. Warum
das Amylen nicht mit Schwefelsäure in Verbindung tritt und weit
]eiohter als das Propylen und Hexylen in polymere Körper ver-
wandelt wird, das wird auch mit der Annahme der Gruppe C Me^ H
vor der Hand nicht verständlich gemacht. Dies liegt freilich im
Wesentlichen daran, dass wir ftlr jetzt kaum eine Ahnung haben^
in welcher Eichtang und in welchem Grade die Eigenschaften ana-
lytisch-gleich und analytisch-homolog zusammengesetzter Körper
durch die Veränderung der Verbindungsweise ihrer Elementarbe-
standtheile zu verschiedenen Badicalen verändert werden.
Dieser Mangel in unserem Wissen macht sich ganz besonders
fühlbar bei dem Studium der Verbindungen, welche nur Kohlenstoff
und Wasserstoff enthalten. Die neueren Untersuchungen der Kohlen-
wasserstoffe Gn Hj n + 2 durch Schorlemmer und derjenigen von
der Formel Cn H211--6 durch Fittig und seine Schüler haben so
*) Ich glaube hier nleht uDerwälmt lassen su sollen, dass iQh ee unter
verschiedenen Bedingungen versucht habe, dieses Keton durch Einwirkung
Bowobl von Natrium als Kalium auf ein Gemisch von i^eicben MolektUen
AeelylehlorOr und Paendopropy^odOr kllnstlich sn eraeugen. Meine Ver^
snahe sehaitertoB aber an der aehoa von Freund beobaohtetea Reaistenc
dfts Aoetylchlorürs gegen die Alkalimetalle bei gemässigten Temperaturen,
w&brend höhere Temperaturen unter explosionsartiger Erscheinung tiefere
^ersetsungen herbeiführten.
VcriMadliuigeB dcB DAtarfaiatoriflcb-Biedisüiisohen V«niBS. ttt
übenMohende Besultate geliefert, dass von einem Versoeh dieselben
zu erklftren erst dann einiger Nutzen sn erwarten ist, wenn die
verschiedenen anderen Reihen von Kohlenwasseretoffen nnd deren
ümwandlimgsprodnkte noch besser untersnoht sind. Es ist desshalb
wohl aoeh an der Zeit, die Oiefine einem genaueren Stadium su unter*
werfen, zumal da die bis jetzt einigermassen untersachten Olieder
dieser Körperklasse, welche man als Glieder einer homologen
Reihe anzusehen gewohnt ist, ein den bisherigen Dogmen der
Chemie TielAÜtig widersprechendes Verhalten gezeigt haben. Ich
erinnere in dieser Beziehung ausser dem oben angedeuteten noch
an die Siedepunktsyerhältnisse der bis jetzt dargestellten Glycole.
Wahrend von dem Amylenglycol herab bis zu dem Aethylenglycol
der Siedepunkt für einen Mindergehalt yonjeCH^um etwa 6
bis 8^ höher wird, erleidet derselbe in dem Hezylenglyool bei
einem Mehrgehalt von einmal CH2 gegen den Amylenglycol eine
Erhöhung um 80^.
Diese bei homologen Verbindungen bis jetzt einzeln stehende
Ausnahme von der Regel l&sst sich nicht wohl anders verstehen,
als indem man annimmt, die bisher dargestellten Glycole sind ni^ht
Glieder einer homologen Reihe, sondern sie gehören verschiedenen
solchen Reihen an, deren übrige Glieder noch unbekannt sind.
Wenigstens wird der Aussprach von Wurtz, dass die plötzliche
Umkehr der Siedepunktsdifferenz bei dem Hexylenglycol »eine leicht
begreifliche Thatsache sei, da der Siedepunkt dieser Ver-
bindungen mit der Zunahme des Molekulargewichts
nicht bis ins Unendliche abnehmen könne«, nicht von
allen Chemikern als eine befriedigende Erklärung dieser Anomalie
angenommen werden.
Bei Gelegenheit meines Vortrags machte Herr Prof. Carius
unier andern die Bemerkung, dass in seinem Laboratorium Herr
Dr. Ladenburg die Beobachtung gemacht habe, dass sich das
Amylen mit Acetylchlortir zu einer leicht wieder in die Bestand-
theile zerfallenden Verbindung vereinige. Ich erwiederte damals
schon, dass auch in meinem Laboratorium Herr Dr. Ernst vor
anderthalb Jahren Amylen auf Acetylchlorür habe einwirken lassen.
Da ich mich der Einzelnheiten nicht mehr zu erinnern wusste,
so will ich jetzt aus dem Notizbuch des Dr. Ernst folgendes
nachtragen.
Acetylchlorar zeigt in der Kälte keine Einwirkung auf Amylen
auch nicht beim Kochen mit aufsteigendem Kühlrohr.
Gleiche Gewichte Amylen und Acetylchlorür in zugeschmolze«
nem Bohr 30 Stuuden lang bei 100^ erhitzt, lieferten, ohne dass
in dem Rohr Druck vorhanden war, eine Flüssigkeit, welche durch
fractionirte Destillation in eine Portion die bei 55^ und eine solche
964 Verhandlungen des natnrhistorisch-medizinlscben Vereins.
die böber siedete geschieden wurde. Die letztere hatte keinen be«
stimmten Siedepunkt, sondern das Thermometer stieg ununter-
brochen bis zu 1600, wobei das Geßlss trocken war Beim Ver-
setzen desselben mit Wasser schied sich unter Bildung von Salz-
säure und Essigsäure eine aromatisch riechende Flüssigkeit ab,
welche nach dem Trocknen mit geschmolzenem Chlorcalcium destil-
lirt wurde. Sie fing bei 50^ an zu sieden, das Thermometer stieg
aber unaufhörlich bis 140^. Derselbe Versuch wurde noch mehr-
mals wiederholt, eine Portion wurde auch bei 120^ längere Zeit
erhitzt, aber in keinem Fall konnte eine Flüssigkeit von constan-
tem Siedepunkt erhalten werden.
Gleichzeitig wurden ähnliche Versuche mit Amylen und Aethyl-
jodür vorgenommen, die aber zeigten, dass sich bie beiden Körper
wenigstens nicht bei der Temperatur des Wasserbades mitein-
ander verbinden.
Herr Dr. Ernst wurde in diesen Versuchen unterbrochen,
weil er eine Stelle in einer chemischen Fabrik annahm und ich habe
auch bis jetzt diese Versuche nicht von einem Anderen weiter fort-
setzen lassen.
Geschäftliche MUlheilungeD«
Laut Vereinbeschluss vom 28. October 1864 ist die 1862 ein-
geführte Sonderuug der Sitzungen in naturhistorische und medizi-
nische wieder aufgehoben worden, und fanden von da anfangend
die gemeinsamen Sitzungen wieder alle 14 Tage statt. In der-
selben Sitzung wurden gewählt:
Zum ersten Vorsitzenden: Herr Hofrath Helmboltz.
Zum zweiten Vorsitzenden: Herr Professor Kirchhoff.
Zum ersten Schriftführer : Herr Professor H. A. Pagenstecher.
Zum zweiten Schriftführer: Herr Dr. F. Eisenlohr.
Zum Rechner: Herr Professor Nuhn.
In den Verein wurden während des Winters 1864—1865 neu
aufgenommen als ordentliche Mitglieder die Herren:
Dr. Peltzer.
Dr. Alb. Ladenburg.
Werner, pract. Arzt.
A. V. UexküU.
Dr. Erb.
Gorrespondenzen und andere Zusendimgen bittet man nach wie
vor an den ersten 8chriftsteller des Vereins Professor Dr. H. A.
Pagenstecher in Heidelberg zu richten. Für die nachstehend ver^
zeichneten dem Verein übersandten Schriften wird hiermit der beste
Dank gesagt.
Verluuidlii]ige& de« iiatiirhistorisohMnediriniBelien Veraiiii. SM
Yerzeielmiss
der Tom 15. October 1864 bis 1. Mai 1865 an den Verein einge-
gangenen Dmokschriften.
Berichte über die Verbandl. d. König. Sachs. Qesellschaft d. Wi88*
z. Leipzig. Math. phys. Classe. 1863. H. 1 o. 2.
Abhandl. d. Naturforsch. Gesellschaft zu HaUe 1864. YIII, 2.
Lucien Gorvisart : Collection de m^moires sor nne fonction m^connue
dn pancreas.
Bulletin de la soci^tö Impör. des Naturalistes de Moscou 1863, 3
und 4. 1864. 1.
Bericht über die 6te Jahresversamnünng des Centralyereins deut-
scher Zahnärzte zu München 1864.
Jahresbericht der Wetterauischen Gesellsch. f. d. gesammte Natur-
kunde zu Hanau 1861—63.
Vom Wemerverein in Brunn: Statuten
Jahresbericht 1852—63.
Hypsometrie Mährens u. Schlesiens t. C. Koristka. 1863.
Bericht über einige Höhenmessungen von demselben.
Y. d. Kais. Aead. d. Wiss. zu Wien: Sitzungsberichte 1864. 1 — 22.
24-28 Reg. 1865. 1. 3. 4. 6-10.
Neues Jahrbuch für Pharmacie XXTT 4—6. XXTTT 1—4.
Berichte über die Verhandl. d. naturf. Gesellsch. zu Freiburg i. B.
m. Heft. 2.
y. d. physik. medizin. Gesellschaft; zuWttrzburg;
Naturw. Zeitschrift IV 2 u. 3. V 1—4.
Medizin. Zeitschrift Y 2 — 6.
Yom Centralobseryatorium in St. Petersburg :
Annales de robservatoire physique central de Bussie publikes
par A. T. Kupfer. 1860 1 u. 2. 1861 1 u. 2.
Gompte rendu annuel 1861—63 par A. T. Kupfer.
üeber die Yorbestimmung der Stürme t. F. Müller.
Jenaische Zeitschr. f. Medizin u. Naturwiss. 1864. Bd. I. H, 1.
Y. d. K. Bayer. Akademie d. Wiss.: Sitzungsberichte 1864. I H.
4-5. n. H. 1-4.
J. T. Döllinger: König Maximilian 11.
L. Buhl: Stellung der pathol. Anatomie.
Bulletin de l'acad^mie Impör. de sciences de S. Petersburg Y Nr. 3
—8. YI. YH Nr. 1-2.
YerhandL des naturf. Yereins in Brunn. 1863. ü. Bd.
Lotes, y. naturhist. Yerein Lotos in Prag, IX 1859. JUll 1863.
XIY 1864.
Schriften d. K. Physik. Oekon. Gesellsch. zu Königsberg 1864. Y.
1. Abtheilung.
Yerhandl. d. Naturw.. Yereins in Carlsruhe.
SM Verfaftodliuig«!! de« sathirliiBtOTiteli-inediBliiiselMii Ver«iii8.
Rendi conti del reale istituto lombardo di scienze e lettere. Class.
mat. e nat., edannuario 1864.
Jahresber. des Natorh. Vereins in Zweibrücken 1863 — 64, nebst
Satzungen.
Fünfter Bericht des Offenbacber Vereins für Naturkunde 1864.
XXX. Jahresbericht des Mannheimer Vereins für Naturkunde
1864.
Von d. Acad^mie Bojale des sciences, des lettres et des beaux arts
de Belgique:
Bulletins pour 1863. Annuaire 1864.
Archiv des Vereins d. Freunde d. Naturgeschichte in Mecklenburg.
XVU. Jahrgang.
Atti del Beale Istituto Lombardo DI Fase. XK u. XX.
Mittheilungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Steiermark zu
Graz I u. ü.
Zoologisoher Garten. Jahi^. V. 1864. H. 7—12.
XIV. Bericht des Vereins für Naturkunde zu Cassel 1864.
Nachrichten y. d. E. Gesellschaft der Wissensch. und der Georg-
Augusts-Üniversität zu Göttingen 1864.
V. d. K. ünirersitttt zu Ghristiania:
L. Bidenkap: Om det syphilitiske Virus
Forhandlinger i Videnskabs Selskabet i Christiania aar 1863.
M. Irgens og Th. Hiortdahl: Om de geologiske Forhold paa
Ejstetr&kningen of Nordre Bergenhus Amt.
8. A. Sexe: Om SneebrSen Folgefon.
Generalberetning fra gaustad Sindsygeasjl for aaret 1863.
Tabeller over de Bpedalske i Norge i aaret 1863*
Beretning om Sundhedstilstanden og Medicinalforholdene i Norge
i aaret 1860 dito, i aaret 1861.
üllersperger : Memoria sobre la influencia del cultira del arroz.
E. H. Kiseh: Marienbad 1864.
Ktthlenwein: Vorschläge zum Pflanzentausoh, in duplo.
Petri: Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft der Wasserkur.
Verhandlungen der Naturforschenden GeseUsehaft; zu Basel. FV.
Heftl.
Verhandfamgen des Naturhistorischen Vereins der preussisohen Bhein-
lande und Westphalens. XXI. Jahrgang. lU. Folge. Band I.
1 und 2.
Erster Jahresbericht des Vereins deutscher Zahn&rzte zu Frank-
furt a. M»
Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft sn Hallo. IX. 1.
Grawnuillk von SehmItt-BUnk ru A. Sebmldi. SS?
D€uUek$ Orammaäk für QdthrimaekuU. Der deiUBck^laUimtch'
grieehiscken Paralldgrammaiik erster Theü, von J.C.BchfniiU
Blank ttnd August Schmidt. Mannheim 1865^ Verlag
von IL Segnit». In Commission öei Tobias Löffler (ö. i—XJV
und 140 8.)
Es ist in der Natnx der Saohe begründet, dass der Unterricht
in einem Lehrgegenstande yon grösserem Erfolge sein mnss, wenn
anf allen seinen yerschiedenen Stufen eine einheitliche Methode,
ein gleichartiges System herrscht, als wenn bald dieser, bald janer
Weg gegangen, jetzt diese, dann wieder eine andere Form im
Unterrichte beobachtet wird. Wie nnn diese Einheit der Methode
des IJnterrichtens sowohl, als auch die der sprachliehen Fonn des
Lehrstoffes (Terminologie) und der logischen Gliederong desselben
bei jedem einzelnen ünterrichtszweige auf seinen yerschiedenen
Stufen zu einem erspriesslichen fiesoltate erforderlich ist, fUr ebenso
nothwendig muss dieselbe Gleichförmigkeit bei mehreren gleich-
artigen ünterrichtsgegenständen, wie z. B. den sprachlichen erach-
tet werden, wenn der Schüler mit einer gewissen Leichtigkeit zur
klaren Erkenntniss und Sicherheit in seinen sprachlichen Aufgaben
gelangen soll. Denn wie verwirrend ist es nicht für die lernende
Jugend, wenn in jeder seiner Grammatiken sowohl die Anordnung
des Stoffes als auch die Terminologie sich verschieden ze^en. Von
den Nachtheilen, welche eine solche Verschiedenheit der Gliede-
rung des Stoffes und der Terminologie in den neben einander ge*
brauchten Schulgrammatiken mit sich führt, kann sich der Lehrer
jeden Tag überzeugen, und es scheint im Ltteresse des sprach-
lichen Unterrichts, namentlich an den Gelehrtenschulen, an denen
als humanistischen Lehranstalten das granmiatische Studium eine
Hanptstelle einnehmen muss, eine grössere Conformität in den
sprachlichen Lehrbüchern dringend geboten. Dieses Bedürfniss er-
kennend, hat auch der Erstunterzeichnete der beiden Verfasser
oben angezeigter deutscher Grammatik bereits in der Beilage zom
Mannheimer Lyceumsprogramm vom Jahre 1862 in einer Beihevon
Thesen zur Beform der badischen Gelehrtenschulen die Forderung
aufgestellt, »dass der Sprachunterricht unserer Gelehrtenschulen auf
eine deutsch-lateinisch-griechische Parallelgrammatik zu gründen
sei, der Art, dass die Grammatiken der drei gedachten Sprachen
sowohl nach der Anordnung des Stoffes, als nach der Terminologie
streng conform und mit stetem Bezug ai^einander eingerichtet
w&ren.c Derselbe liess es aber nicht bei der blossen Forderung
bewandt sein, sondern hat selbst es unternommen, in Verbindung
mit noch anderen Collegen, nämlich den Herrn Aug. Schmidt und
Dr. G. Deimüng, ebenfalls Professoren am Lyceum in Mannheim,
eine solche Parallelgrammatik nebst einem lateinischen und grie-
chischen Vokabel- und Uebungsbuche für die Anfangskurse auszu-
2S8 QrammAtik von Bdunitt-Blank u. A. Sebmidt.
arbeiten, wovon nun die deutsche Ghrammatik als erster Tbeil er-
schienen ist.
In der Vorrede zu derselben sprechen sich die Herausgeber
über die leitenden Grundsätze, welche sie sich fUr die Abfassung
ihrer Lehrbücher festgesetzt hatten, in ausftlhrlicher Weise aus;
es sind folgende: a) den grammatischen Lehrstoff zu vereinfiachen
und auf das Nothwendige und Wesentliche zu beschränken, da-
gegen alles Seltenere, Ungebräuchlichere und Absonderliche der
freien Lectttre zu überlassen, wo alsdann alles Lidiyiduelle auf
Grund des Generellen leicht erkannt und gewürdigt werden könne ;
b) das so auf das Wesentliche reducirte grammatische Material
im Einzelnen mit Bestimmtheit und Kürze zu behandeln, namentlich
auf logische Richtigkeit der Definitionen und Eintheilungen, sowie
auf treffende Benennungen Bedacht zu haben ; c) das also verein-
fachte und im Einzelnen richtig gefasste Material in einen syste-
matischen Zusammenhang zu' bringen.
Diese in pädagogischer wie wissenschaftlicher Beziehung als
richtig anzuerkennenden Grundsätze sind nun auch in der vorlie-
genden deutschen Grammatik aufs Genaueste beobachtet : sie bietet
das Wesentlichste des grammatischen Stoffes in vollständiger Weise mit
Weglassung des Unwesentlichen, eine Eigenschaft, die jedes gute
Schulbuch vor Allem haben soll ; denn es gibt nichts Verwirrenderes
und Hentmenderers für den Schüler, als ein Lehrbuch, in dem das
Allgemeingültige und Wesentliche von dem Seltenen und Unge-
bräuchlichen überwuchert ist. Femer herrscht darin Kürze und
Bestimmtheit im Ausdruck, sowie logische Ordnung in Anordnung
und Vertheilung des Stoffes, so dass das Ganze durch leichte Ueber-
sichtlichkeit und Klarheit sich vortheilhafb auszeichnet. Es kann
daher dieses Lehrbuch mit bestem Grunde für den Gebrauch,
namentlich in Gelehrtenschulen empfohlen werden, selbst auch in
solchen, wo andere lateinische und griechische Grammatiken ein-
geführt sind, da Terminologie wie Anordnung des Stoffes in dem*
selben den neueren griechischen und lateinischen Grammatiken im
Ganzen analog sind. Auch ist die äussere Ausstattung in Bezug
auf Papier, Druck und Correctheit durchaus lobenswerth zu nennen.
Rivola.
Ir. U. HEIDGIBEEGGR 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Reinisch: Denkm&ler zn Miramar.*)
Zum Hausgerftth der ewigen Wohnangeii, wie die Aegypter die
Orftber nannten (Diod. I, 51), gehören auch die früher irrig als
Wassergefässe bezeichneten Eanopen» eine Art von Krttgen, deren
Deckel einen Thier- oder Menschenkopf vorstellt nnd deren in der
Begel je vier sich in jedem Grabe finden, die Eingeweide der Mumie
enUialtend nnd jenen vier Genien geweiht, von welchen Eabasanuf
Leber nnd Galle, Daumutnf Herz und Lunge, Amsath den Bauch
u. s. t beschützen. »In den meisten Inschriften, sagt Hr. Beinisch,
der nns erhaltenen Kanopen werden die in diesen Vasen aufbe-
wahrten Eingeweide mit den Todtengenien selbst identificirt und
die Göttinnen Isis, Nephthjs, Neith und Selk als Beschützerinnen
derselben dargestellt, c Als Beispiel übersetzt er die Aufschriften
solcher Alabastervasen aus dem Museum zu Triest. Spricht Neith :
ich wache früh und spät alle Tage, indem ich Sorge trage für den
Daumntuf der Frau Sanahub. Spricht Isis: ich überwältige den
Feind, ich spende Schutz dem Amsath, welcher in mir ist. Ich
bin ein Schutz der Frau Sanahab. Aehnlich spricht Nephtys über
Hnphy in Selk über Kabasanuf. Da diese vier Todtengenien
an den vier Seiten des Sarkophages ihre Stellung als Wachposten
einnahmen, da wo auch die vier nach ihnen benannten Kanopen
anfgestellt waren, so betrachtete man sie auch als Vorsteher der
vier Weltregionen (Todtenbuch 112, 8. 113, 8). In der Bichtung,
in welcher sie dem Sarg aus den vier Himmelsgegenden zuflogen,
entfernten sie sich auch, um den Göttern ihre Botschaften zu ver-
künden. So befiehlt Ba in der DarsteUimg zu Medinet Habu dem
Amsath: »Gehe nach Süden und melde den Göttern des Südens;
dem Huphj: gehe nach dem Norden u. s. w.c
Als ein guter Perieget knüpft so Hr. Beinisch an die Erklä-
rung der einzelnen Anticaglien von Miramar allgemeine Bemerkun-
gen über ägyptische Philosophie und Theologie (z. E. pag. 178—
200 über den Apis und Serapis). Wir können die funeräre Gruppe
nicht verlassen, ohne wenigstens den Kern jener allgemeinen Ab-
handlung darzulegen, worin er von einer Stelle des Stobaeus (Ed.
phys. pag. 950. 1000) ausgehend und dieselbe durch eine lange
Reihe von hieroglyphischen Citaten mit vollster Sachkenntniss er-
*) Nachtrag su der Im M&rsbeft S. 198—204 abgedruckten Amselge und
nnäcliat an deren Sehlutt sich anreihend.
LYm. Jahrg. 4. Heft. 19
390 Reinlsch: Denkmtier wpl Mkraauur.
läuternd sich also vernehmen lässt: »die Aegypter betrachteten die
Unaterbliehkeit, welche eins ist mit ihrer ewigen Glückseligkeit in
der Gesellschaft der Götter als letztes Ziel, das die Seele nach
einer langen Wanderang zu erstreben im Stande ist; die Seelen-
wanderong ist demnach nicht identisch mit der Unsterblichkeit,
dem Endziel des Menschen, sondern nnr der Weg zur Unsterblich-
keit, sie ist nur Mittel znm Zwecke. Diese Trennung der beidea
Begriffe Unsterblichkeit und Seelenwanderung, wie sie aus der Nach-
richt bei Stobäus zu folgern ist, wird in den religiösen Schriften
der Aegypter strenge eingehalten, indem darin die Unsterblichkeit
der Seele als ein Zustand derselben dargestellt wird, in welchem
sie Tereinigt mit ihrem verklärten Leibe ein ewiges glückseliges Da-
sein geniesst, befreit von allen Leiden und Widerwärtigkeiten,
denen die irdischen Wesen unterworfen sind, während die Seelen-
wandenmg, welche auf dieser Erde vollzogen wird, in einem steten
Wechsel zwischen Tod und Wiederaufleben in einem neuen Körper
besteht, in Folge dessen die Seele eine Reihe von Leiden und Er-
duldungen in den verschiedenen irdischen Körpern und namentlich
den Schmerz der jedesmaligen Trennung vom Körper durch den
Tod zu ertragen hat.
Die Reihe der historischen Personen, deren die Inschriften
von Miramar theilweise zum erstenmal Erwähnung thun, eröffnen
die Söhne des Ramses 11, welche, »um das Lob ihres Vaters sprossen
zu machen ihm eine Statue errichten, c Am meisten tritt unter
ihnen Sä-m6-zana hervor als der, »welcher die Geremonien aller
Tempel und Städte kennt t, ein Zug der sehr gut zu dem fiist
theologischen Bilde passt, das uns die Apisstelen von diesem Für-
sten hinterlassen haben, der im Ptahtempel zu Memphis eine hohe
Priesterwürde bekleidete und sich im Gewölbe der heiligen Stiere
beisetzen Hess mit goldener Maske; beruht aber die Erwähnung^
seines Bruders Ptahmi, zu Miramar nur auf einer ansprechenden
Coigectur des &n. Reinisch, so sei es dagegen erlaubt, einer
Schwester dieser Prinzen zu gedenken, deren Existenz bisher über-
sehen wurde, deren Name im Yerzeichniss der königlichen Kinder
bei Lepstus und Brugsch fehlt, während er zu ihren Lebzeiten auch
unter den Landesfeinden gefeiert und als der Hort aller Elenden be-
kannt war.c Ihre Fürsten, ihre Kinder, heisst es von den unter-
worfenen Hethitern auf der Stele zu Abusimble*), versuchen den
König zu besänftigen durch Vermittlung seiner Tochter Hel-Ari,
und dass sie das wirklich that, sagt eine andere gleichzeitige Säule
ebendaselbst. •♦)
Gleichfalls einen forstlichen Namen : Hophra ftlhrt Taf. XI, 3
der Befehlshaber der Schützen Ba-wa-huti-mer-Nutmas, d« h. Sohn
der Neit, geliebt von Ba dem Herzerfreuer. Sowohl Neit, die
») Lepo. Denkatim, AbÜi. m, 196, a Un. VI.
••) A. a. O. 198 a lin. 26.
GöttiB von 8«Xfl, ah d«r tfarnft Hofhra YorbiiKUa dieeen Maim dar
26. (saitiscilen) Dynastie. Möglich, dass ebenfalls nach Sals (Dyn.
XXIV) jene Mntiritis Taf. X. 3 gehört wegen Lepsios Egsboh. 620.
Ein besonderes Augenmerk hat Hr. Reinisch gerichtet auf die
UebersetKung der gewöhnlich sprechenden Eigennamen (pag. 114
p. 147 ^oU, p. 148 Note, p. 149 Note), unter welchen Xm» 3
Pa-muneh wegen der vorkommenden griecluschen Gleichung IfyMpi^
imtereseant iBt» und ebenso der Amtsnamen wie der fiechnar (Taf.
XI, 2), der vortragende Rath (XXXj^ ligne 1\ der Leichenbesorger
(Garhub p. 38 Note), der Aapreiser (eigentlich der Anhörer), der
Favorit» des Ananon (p. 113). Nur noch ein Wort tiber Letzte-
Fen* Weil er wiörilioh der Anhöxer (Sotern) und oft mit dwi Z^r
s^ n oseh der Anhörer des Geschreies heisst, so deukt Hr., Cbabas
d^bei an eine richterliche Funl^ion, und sieht in dfm yiiweilea ga-
naimien ^Obersten« dieser Beamten ein Mitglied des Appellhofe^«
Können wir in der That uns nicht befreunden mit einem >£i]]^
hider zum Betreten des Hauses in welchem die Favoritin des
AmnM>n sich den Besuchern preisgäbe, so scheint dagegen richtig,
dase der betreffende Beamte eine Beziehung zu dem Cult des Ammon
und seines Eebsweibes {IlaXXaTtlQ tpi; ^i,6q Herodot. II, 54. 59.
Diodox. I, 47) hatte. Denn zu Miramar (Taf. 7) ist genannt ein
Hörer des Ammon^ welcher auf demselben Monument auch Hörer
des Hauses der Favoritin des Ammon heiset.. Letzterer Titel wie-
derholt sich auf einem Sarg zu Triest, und nur mit dem Zusatz
Oberster bei Green. Zu diesen drei Beispielen des Herrn Verf.,
w^he alle sich auf Ammon beziehen, füge ich noch drei weitere
hinzu, in denen das ebenso der Fall ist. In Memphis*) ein oberster
Hör^ des Geschrei'e Namens Her-Ammon; im Museum zu Neu-
chatel**) ein oberster Hörer des Geschreies, erster Priester des
Amxpon, ebendaselbst auf einem Ziegel die Darstellung einer Spende
der Pall^ü^ des Ammon dargebracht durch einen Hörer des Ge-
sehrei's. Pennoch ist die Sache nicht spruchreif denn die genaiMiite
Beziehimg besteht nicht bei Leps. Denkmaler Abth^HL 199 D und
173 B.
Wir bedauern hier nicht genaper eintreten zu können auf die
Verdienste des Verfassers um die neae Phonetik (wie p. 151 Note
der Name ftlr Menschen Sa) oder Entzifferung so mancher Gruppen
und alle Gelegenheiten, wo er (z. B. fUr wastan eintreten) die Funde
früherer Forscher bestätigt. Wir scheiden von ihm dankbar fUr
die mannigfache Belehrung und von dem Kaiser dankbar dafür,
dass er sein kostbares Eigenthum zum Gemeingut der Gelehrten
gemacht hat.
Bern. ZftndeL
*) Denen voyage en Eg. PI. 124, i— 7.
**) ZBndel, un grand-prdtre d'Ammon-Re Im Mus^e htotorlque de KeuN
ymkmA ULmmm 4AAft
ehmel. Mtts IMÖ.
t§3 Lovelle: Deatselie GeseUehta,
O. Lortnt, DeuUche OesehieMe im 13. und 14. JahrfumderL
Von oben genanntem Werke ist bis jetzt der erste Band er-
schienen; derselbe behandelt die Zeit des grossen Interregnums,
tmd zwar mit besonderer Rücksicht anf Oesterreich. Der Verfasser,
von dem verschiedene Einzelarbeiten über diesen Zeitraum bekannt
sind, bietet in seinem Buche eine Gesammtdarstellung eines Ab-
schnittes, der in unserer deutschen Geschichte schon dadurch einen
hervorragenden Bang einnimmt, dass in demselben die Grundlagen
zur ganzen spfttem Yerfiissung Deutschlands gelegt worden sind.
Freilich fehlt hier der Glanz des Mittelalters, und der Beiz, den
das nationale und geistige Bingen des 15. und 16. Jahrhunderts
auf uns ausübt , und dass das allgemeine , allerdings auch durch
treffliche Werke fort und fort wach erhaltene Interesse sich eher
diesen beiden Zeiträumen zuwendet, als dem 18. und 14. Jahrb.,
leuchtet von selbst ein. Wer aber unsere ganze staatliche Ent-
wicklung begreifen will, der darf es nicht verschmähen, seine Auf-
merksamkeit dieser Zeit zu widmen, in welcher unter schweren Gte-
burtswehen die neue Beichsordnung sich ausbildet, in gewaltigem
Kampfe mit der unter dem päpstlichen Schutz zum Schaden des
Beichs herangewachsenen südöstlichen Macht, der böhmisch-Öster^
Teichischen Monarchie, sich behauptet, und der Streit zwischen den
allgemeinen Beichsinteressen und den territorialen Mächten endlich
in den Eurvereinen und dem Beichsgesetz der goldenen Bulle sei-
nen Abschluss findet.
In dieser Epoche gerade die Geschichte der österreichischen
Länder besonders zu behandeln, empfiehlt sich einestheils dadurch,
dass in ihnen die Anfänge zur Entwicklung einer grossen Macht
gegeben sind, andrerseits durch die höchst bedeutende Bückwirkung
dieser Länder auf die ganze Gestaltung Deutschlands seit dem 13.
Jahrhundert. Das Bestreben des Verfassers richtete sich nun dar-
auf, seiner Specialgeschichte stets die grossen und aUgemeinen, für
die deutsche Beichsgeschichte überhaupt massgebenden Gesichts-
punkte festzuhalten. So orientirt er uns in der Einleitung durch
eine kurze Schilderung des Zeitraums, welcher unmittelbar der
Epoche der territorialen Machtentfaltungen in Deutschland vorher-
ging, indem er die Bedeutung des Eaiserthums, sein Verhältniss
zur Kirche, die kirchenrechtlichen Doktrinen, die ultramontanen
Behauptungen, die Persönlichkeiten Friedrich's 11. und Innocenz IV.
und die Mittel der päpstlichen Politik in Deutschland entwickelt.
Indem der Ver&sser im ersten Buche seines Werks die Grün-
dung einer österreichisch-böhmischen Macht erzählt, geht er aus
von einer Schilderung jener südöstlichen Territorien, wo schon seit
längerer Zeit durch die Babenberger Vereinigungen einzelner einst
selbständiger Beichsländer in dauernder Form zu Stande gebracht
worden waren. Es wird sodann ausgeführt, dass der von Ottokar
von Böhmen begründete Staat sich allerdings ganz auf dem Grunde
Loreai: Dentocbe G^toUehte. IM
seiner deatschen Binriohtangen erhob, mit der Mehrzahl seiner Be-
▼öJkenmgen in den dentsohen Yerh<nissen wurzelte und in den
Zostanden des Reichs seinen Schwerpunkt hatte, dass aber doch
daneben ein anderer Theil der BeYÖlkening sich des yoUen natio-
nalen Gregensatzes wohl bewnsst war. Diese Erscheinung ist dem
Yerfiwser ein Beispiel dafttr, dass Nationalitftten an sich kein Hin-
demiss staatlichen Lebens und einheitlicher Qewalt geworden sind.
Als Ottokar nach dem Tode seines filtern Bruders Wladislaos den
Gedanken der Erwerbung aufs Neue aufiiahm, geschah diess unter
Verlialtnissen, welche mit den staufischen und pftpsUichen K&mpfen
eng zusammenhingen« Indem die päpstliche Politik, welche haupt-
sachlieh durch die babenbergischen Frauen wirkte, im Erbfolge-
streit nach dem Tode Herzog Friedrich*s Entscheidungen bean-
fruchte, die nur dem Lehnsherrn desselben zukamen, und indem
sie schliesslich nur entschied nach den Ghründen der unbedingtesten
Abhängigkeit und tiefsten Ergebenheit gegenflber der Kirche, offen-
barte sich unzweideutig ihr Endziel, n&mlich jeden Funken selb-
ständiger politischer Beguug in Deutschland zu ersticken, und
wenn ihr Kandidat trotz aller Gtmst der Verhältnisse in Oester-
reieh doch nicht Herr wurde, so zeigt diess am Besten fltar die
noch immer nicht zu yerachtende l^ht der staufischen Partei,
deren Qegenaustalten nur nicht energisch genug durchgeführt wur-
den, um zu yerhindem, dass der spätere Träger der päpstlichen
P(ditik das mit allen Mitteln und Bänken angestrebte Ziel er-
reichte. — Die Episode der kirchlichen Kämpfe in Salzburg ist
zwar, da Lorenz diesen GK)genstand schon früher in seiner bekann-
ten Abhandlung »Ottokar 11. von Böhmen und das Erzbisthum
Salzburg »eingehend und grflndlich behandelt hat, nur in allge-
meinen Grundzflgen und gedrängtester Kttrze dargestellt; sie ist
aber trotzdem ein sehr merkwürdiges und unterrichtendes Zeitbild.
In dem allgemeinen Kriege des weltlichen Landadels, in der syste-
matischen Aneignung der kirchlichen Besitzungen sehen wir im
Kleinen am Ende nur eine Wiederholung der Tendenzen, welche im
Grossen Friedrich 11. der Kirche gegenüber verfolgte, und die Er-
scheinung des Erzbischoffs Philipp (von Kärnten), der seine bischöf-
liche Würde durchaus nur als Einnahmsquelle ansah, aber vom
Papste wegen seiner Feindschaft gegen die Hohenstaufen und ihre
Landeshauptleute bestätigt wurde, ist nicht minder bezeichnend,
als die Art, wie das tragische Geschick des Kaiserhauses auch auf
diesem Gebiete so rasch seine yerhängnissTollen Folgen äusserte.
Nach dem Tode des für das Herzogthum Gestenreich bestunmten
Enkels Friedrich's und nach dem Zuge Konrad*s IV. nach Italien
iSste auch die Partei der Osterreichischen Ghibellinen sich auf, und
Erzbischof Philipp fand in Böhmen einen hinreichend starken Bun-
desgenossen zur Wiederherstellung der geistlichen Fürstenthümer
und zur Begründung des üebergewichts der geistlichen Politik. —
Die Erhebu:^ der päpstlichen Partei in Böhmen und Oesterreich
ist der GegOnstftnd des folgenden Abfidmities. )7aclidem Ottokttre
Empömng gegen seinen Vater Wenzel gescheitert war , blieb ihm
Nichts übrig, als diesem sich zu unterwerfen nnd im Bande tait
ihm mid mit der kirchlichen 'Partei die Erwerbung Oesterreiehs
anzubahnen. Warum hätte er sich auch in jener Zeit der berech-
nendsten Selbstsucht, wo die Stellung zur Partei nur als Mittel
zum Zwecke galt, bedenken sollen, die Staufer und ihre Anh&nger
am yerliüssen, denen die Zukunffc olSbnbar nicht mehr gehörte.
SauTär mag ihm der inreite Schritt geworden sein, den er aus den-
selben poetischen Granden that, die Yerm&hlmig mit Margareth,
det iilten Wittwe König Kcdnrioh's Vü. ; sehr bezeichnend fir di^
ses Missverhttltniss ist der in einer Anmerkung angeführte Bericht
de^ Beimchronik hierüber. Der Vater macht seinen etwa zwei und
zwanrig Jahre alten Sohn auf alle Tortheile dieser Verbindung
aüfhierksam uüd führt ihm wegen Beiner mehr ehr- als liebens-
wfbrdigen Braut den unmoralischen Trost zu Gemüthe: Ir rindet
ze Wienn schone Weib, Der Mine so süsset, Daz ir euch so sanfte
pttesset Wez ir habt gepressten dort. Uebrigens mag angeführt
werden, dass die nicht bekannter gewordene Abhandlung G. Bier-
mann*s »Ottokar's n. Stellung zur römischen Curie uüd zum Reiche c
die Ausführung unseres Verfossers in seiner Abhandlung: »Erwer-
bung Oesterreichs« berichtigt. — In dem Abschnitt »Ungarn und
die st'Cirisehenci Handel«, welcher sich hauptsächlich auf die Quellen
bei Fejör und Theiner, sowie auf die Beimcfaronik stützt , in die
nur grossere Ordnung gebracht werden musste, ist entwickelt, wie
Ottokar in Ungarn eine rivale Macht fand, die ihm nicht nur in
Steie^rmark, sondern auch bei der römischen Curie den Ba«ig ab-
lauft konnte. Das mit grosser Geschicklichkeit ron Innocenz IV.
den VasaßenkOttigen von BOhlnen und Ungarn gegenüber einge-
haltene Schaukelsygtem ist bis in die Einzelheiten gesdrildert, und
wir konnten jedeb Wort der hieran geknüpften OhaTakfcerisirtmg dieses
Papstes und seiner Politik untersdnreiben. Als einer der merk-
würdiggten Sohachzüge des Papstes ist anzuführen sein aus nicht
genug aufgehellten Gründen nicht zur Ausführung gekommener
Ilan, das, wie er sich ausdrückte, eines Königs ermangelnde, grosse
Lehen in Sioilien der ungarischen Dynastie zuzuwenden. Fireilioh
war dabei keine Rücksicht darauf genommen, dass die Ungarn nie-
mals ein Beetüchtiges Volk waren, und dass in den Beziehufagen
Venedigs zu dieser Frage unübenrindliche Hindernisse lagen ; alleih
grossartig und bezeichnend genug ist immerhin der zu Grunde
Hegende Gedanke, auf diesis Weise den Schauplatz des Haupt-
kampfbs der Hohenstaufen aus Italien nach den Donauländem zu
terlegen, um die ungestörte Rückkehr nach Born und die Unter-
werfang der italienischen GhibelHnen zu 'bewerkstelligen. — Eine
nkr diostoenswerthe Leistung haben wir anzuerkennen in den Aus-
f%&roiigen unseres Verfaseers Über die beiden .^eussiseiAn Kreuz-
lüget welehe Ottokar alä gehorsamer Sohn der Kirche wa^&mAmHä
Lorens: De«CMk« OmüMA/b. 195
mvBstd. IMe orianialimhe Politik der Fllpste koiuite es seit Fried*
rieli n. m keinem rechten AnÜBohwnng mehr bringen. Man verlor
aber mit den Kreoz&hrten den PrOfiBtein des Gehorsams der welt-
liehen Mftchte gegenflber der geistlichen Gewalt; einen mn so ge-
sckiokteni Ghriff that non Inaocenz IV. , indem er denselben mit
aeioer Vorliebe flür den dentachen Orden eine praktischere Seite
abgewann. Lorens stellt die sehr einlenohtende Vermnthnng anf,
daM Otlokar yon dem Orden, der in allen Osterreichischen Lftn-
den groeae Verbindungen und Besitsnngen hatte ^ und gewisder^
maaaen die Erftfte der KlGster und diejenigen des Adels in sich
Ttveinigte, und flberdiees seit 1252 Freiheit von allen Landesab«
gaben und eigene Gerichtsbarkeit genoss» schon ftüh zur Hilfe«
leiatong aufgefordert worden sei. Diueu kam wohl auch persönliche
Theilnahme, die er den Arbeiten und grossen Angaben des Ordens
in P^reuseen schenkte. Mit grossem Scharfsinn hat Lorenz die ün-
haltbarkeit der bekannten Berichte über den Kreuzzug selbst nach-
gewiesen. Das Bichtige, das stehen bleibt, mag sich nach ihm
ungefthr auf Folgendes beschrftnken. Nach einer Nachricht hielten
sieh die Osterreichischen Kreuzfahrer ein ganzes Jahr in Preussen
auf. Ottokar nahm an der Unterwerfung Samlauds keinen unmittel-
baren Antheil, er mag wfthrend seines kurzen Aufenthalts von eini-
gen Hftuptlingen Geiseln erhalten, den deutschen Ordensbrüdern
zum Bau einer Burg am Ausfluss des Pregel gerathen haben ; aber
fiber seine strategischen Leistungen dürfen wir uns von den über
ein Jahrhundert spätem Berichten nicht täuschen lassen. Dafür
sprudit, dass der schon im Anfang des Jahres 1255 zum Bischof
von Samland designirte Heinrich von Strittberg noch im Februar
naeh der Rückkehr Ottokars in Thom ist und Verfügungen über
seia Vermögen trifft, wie wenn der Feldzng erst im Beginn wäre.
Aueh der Papst sah den Ereuzzug nach der Bückkehr Ottokars
nieht als vollendet an, sondern Hess durch den Bruder Bartholo-
mSufl SU neuer Kreuz&hrt auffordern, und aus einem Breve des
Papstes geht hervor, dass kurz darauf Ottokar noch einmal das
Kreuz nahm; er mochte diess auch bei seiner frühem Abreise den
Ordensbrüdern versprochen haben. Vielleicht hat er im Herbst 1255
noch eine Kreuzfahrt nach Preussen unternommen, da sich durch
drei Monate keine Spur von seiner Anwesenheit in seinen Ländern
tindei. So wurde auf seinen Namen geschrieben, was sich im Laufe
eines Jahies dort zugetragen; vielleicht ist auch ein Tbeil seines
Heeres inzwischen im Dienste des Ordens gewesen. Ottokar hielt
sieh für lange Zeit von ähnlichen Unternehmungen fem und liess
sieh erst 12 Jahre später zu einem neuen, ganz unglücklichen Kreuz-
zuge bestimmen, und zwar nicht durch die frommen Redensarten
von Olaubensvertheidung und kirchlichem Gehorsam, sondern durch
sehr weltliche und wichtige Bücksichten. Diese bestanden viel
weniger in der Einverleibung Galindiens, des Jaczwingerlandes und
Littluniens, als in seinem Verlangen, die neue Monarchie in der
296 LoreDi: Devtoolio Getchlohte.
kiroUicken Yerwaltong nnabhängig zn maches Yon ati8w&rtig«ii
Metropolen. Als ihm freilich Clemens IV. in »yäterlioh abspre-
chender Weise« seinen Lieblingswansch , Olmtttz znm Erzbisthom
erhoben zn sehen, abschlng, da war es sehr begreiflich, dass Otto-
kars Eifer fttr die Angelegenheiten des deutschen Ordens rasch er-
kaltete. — • Um so mehr war er darauf angewiesen, die Ordnung
in den innem Verhältnissen, besonders Steiermarks, herzustellen.
Hatte er durch seine völlige Unterwerfung unter die Kirche nicht
mit deijenigen Macht zu kämpfen, welche sonst im mittelalter-
lichen Staate das Hindemiss der Selbständigkeit und innem Frei-
heit bildete, so blieb ihm die andere schwere Aufgabe nicht er-
spart, die landesflirstlichen Rechte gegenüber der ünbotmässigkeit
des Landadels zu wahren. Denn auch hier ergab sich unmittel-
bar dieser Streit mit der Beschaffenheit des mittelalterlichen Staats-
wesens überhaupt. Ottokars Stand war um so schwieriger, als er
dem Adel verpflichtet war, dessen Empörung gegen die ungarische
Herrschaft er selbst seiner Zeit unterstützt hatte. Vermöge seiner
genauen Kenntniss des immer noch viel zu wenig beachteten öster-
reichischen Landrechts hat unser Verfasser überzeugend dargethan,
dass der Kern des ganzen Streites der Burgenbau war, in dessen
übermässiger Ausdehnung der räuberische Adel den besten Schutz
gegen die landesfürstliche Gewalt fand. Wenn Ottokar zuerst in
Böhmen und Oesterreich und später auch in Steiermark viele Bur-
gen brach, die Unbotmässigen vor Gericht zog und Einzelne am
Leben strafte, so war diess entschieden eine dringend gebotene
Massregel, und wir pflichten dem Verfasser ganz bei, wenn er es
kindisch nennt, zu untersuchen, ob diess ein grausames Verfahren
gewesen sei oder nicht. Ohnediess beweist wohl die dreimal an
die betreffenden steirischen Herrn ergangene Ladung, dass die ganze
Sache so ziemlich in den gehörigen Bechtsformeln vor sich gegan-
gen ist; die meisten der in Bede stehenden Persönlichheiten sind
nicht der Art, dass man sich zu sonderlichem Mitleide mit der
rauhen Behandlung, die sie erfuhren, gedrungen fQhlen könnte. —
Die Vorgänge in der allgemeinen Geschichte des deutschen Reichs
sind, wie es in der Aufgabe des Werkes begründet ist, namentlich
nach der Seite klar und eingehender geschildert, nach welcher sich
die Umtriebe einerseits der römischen Kurie, andrerseits selbst-
süchtiger und vergrösserungssüchtiger Fürsten, wie vor Allem
Ottokars, geltend machen. Wir sehen zunächst, wie die Macht-
losigkeit König Wilhelms nicht zum geringsten Theil auf den Um-
stand zurückzuführen ist, dass Alexander IV., nach der öffentlichen
Meinung Deutschlands überhaupt mehr ein Politiker des Geldes als
der Kirchenstrafen, zufrieden ist mit einem Strohmann auf dem
deutschen Thron, wie ferner bei der Leitung der auf Wilhelms
Tod folgenden Wahlen ein so unglückliches Ergebniss dadurch
nothwendig herbeigeführt werden musste, dass die geistlichen Für-
sten, an der Spitze der Papst, sich dem Beize der Bestechung wo
Lorea ■: DeatMh« Cl«ielilelit«. 291
möglioh mit noeh grosserer Sehamlosigkeit hingaben, ab die weit«
liehen Ffirsien der damaligen Zeit, nnter welchen «eh doch immer
noch einige üeuiden, denen das Wohl des Allgemeinen am Henen
lag. In Beziehung auf die Thronbewerbnng des Grafen Richard
Ton Komwall schliesst sich Lorenz mit Recht der Ansicht an, dast
die tiefem politischen Beweggründe dabei nicht auf Deatsohland,
aondem anf StLditalien gerichtet waren. Die nngehenem Snmmen,
die dem Papst yon England theils bezahlt, theils Tersprochen wnr-
dea, hatten hanptsftchlich den Zweck, zu yerhindem, dass die Rechte
des deutschen Reichs in Italien dnrch eine deutsche Dynastie aas*
gebeutet wttrden« Es mochte viel englischer Spleen beim Verlan*
gen Richard*8 nach der deutschen Kaiserkrone mit unterlaufettt
ans seinen Briefen und Urkunden geht keine Leichtfertigkeit her*
TOT ; und wenn er später nicht, wie er wollte, seinen Widersachern
entgegentreten konnte, so rtthrte diess theils you einer Wendung
in den innem Verhältnissen Englands her, auf welche hier nicht
naher eingegangen werden kann, theils yon dem Widerstand ein-
zelner zu machtiger Fürsten, wie Ottokar, der AUes darauf an-
legte, durch den Kampf zweier Könige und Parteien die Verkom-
menheit der Reichsgewalt zu fordern. Wenn Ottokar sich eben
hierdurch den Besitz der böhmischen Krone und seiner neu erwor-
benen Länder zu sichern strebt, statt durch einen mächtigen Kaiser
Frieden mit dem Reiche zu machen und die Losreissung Steier-
marks yon Ungarn zu bewirken, so erwies die nächste Zeit wenig-
stens seine Berechnung als richtig. (Oegenflber dem traurigen Bilde,
das eine solche Zerreissung des Reiches durch die Territorialfürsten
bietet, hat der Verfasser nicht unterlassen, auf die erfreulichere
Erscheinung der Orfindung des rheinischen Städtebnndes hinzu-
weisen, welcher von frühern Anhängern der Staufer ausgehend nicht
bloss anf die Wahrung der Interessen der einzelnen Mitglieder,
sondern auch auf die Förderung der Reichseinheit und der Rechte
des deutschen Königs angelegt war). Zunächst siegte Ottokars
Interesse im Reiche dadurch yollständig, dass sein päpstlicher
Odnner den yom Erzbischof von Mainz festgesetzten Wahltag zu
yerhindem wusste, und dass Ottokar, als Richard in seiner yoU-
stftndigen üngefährüchkeit sich gezeigt hatte, demselben sich mehr
in dem Verhältnisse eines Bündnisses, als der Vasallität anschlies-
sen konnte. ürbanIV. hielt wie Alexander IV. seine Entscheidung
hauptsächlich nur aus politischen Oründen zurück, weil er eben
auch in der Erhebung jedes aufstrebenden Herrscherhauses eine
Geübr für den römischen Stuhl sah. Dadurch dass er in unerhörter
Weise nur sieben Wablfürsten als stimmberechtigt zählte, durch
seine Erklärungen yom 31. August 1268 wurden jene kurfürstlichen
Vorrechte begründet, welche mehr und mehr die Grundlagen des
Reichs erschütterten. Zunächst ergab sich durch die schlaue Bo-
sehrftnknng auf 7 Stimmen die glückliche Berechnung, dass eigent-
lich keiner yon beiden Königen wirklich gewählt sei, da einmal
9i06 LorBbis Deuteehe GebcUebt«.
Alfons tier, Richard drei, ein anderes Mal Bicbard vier, Alfons
drei Stimmen auf sich vereinigt habe. Alles ist unter dem tftn-
sehenden Schimmer dargestellt, als hätte schon 1257 das Sieben-
KurfÜrstenreoht unzweifelhaft bestanden. Wir müssen nach dieser
Ausftlhrung Herrn Lorenz beipflichten, wenn er die Papstgeschichte
des dreizehnten Jahrhunderts die Geschichte einer europäischen Ver-
schwärung gegen Deutschlands Machtstellung nennt. Im weitem
Verlauf der deutschen Beichsgeschichte unterlässt der Verfasser
nicht, daran zu erinnern, wie sich später diese kurzsichtige päpst*
liehe Politik gestraft hat, wie man in Rom desswegen, weil man
den Sachsen, Franken und Schwaben den Gehorsam yerweigert
hatte, später den Bänken der Engländer, Franzosen und Spanier
preisgegeben wurde. Schon in den Wahlvorgängen von 1271 musste
Gregor X., um den Franzosen ein Gegengewicht zu sch'afPen, das
neue Königthum Rudolfs von Habsburg eifrig unterstützen. Das
böhmisch-österreichische Reich wurde plötzlich preisgegeben; denn
jetzt bedurfte es ja keines Gegengewichtes gegen die Staufer in
Deutschland mehr. Ottokar freilich begann, als er die Kurfürsten
ernstlich auf eine Wiederbesetzuug und Erneuerung des Reiches
denken sah, das alte Spiel der Entzweiung. Aber wie das Papst-
thum aus Furcht vor Frankreich gewissermassen reichsfreundlioher
wurde, so begann auch das westliche Deutschland, als das Streben
der französischen Nachbarn nach der Herrschaft Deutschlands immer
offenkundiger wurde, mächtig den östlichen, besonders böhmischen
Zerstörungsplänen des Reiches entgegen zu wirken. Mit der Schil*
derung der Streitigkeiten bei der Eaiserwahl, aus der Rudolf von
Habsburg später als Sieger hervorging, mit der Charakteristik
Budolfs und einem Rückblick auf seine Vorgeschichte wie auf die
des Habsburgischen Hauses schliesst der Verfasser den Theil seiner
allgemeinem deutschen Reichsgeschichte ab. Da der Raum zu be-
schränkt ist, um in die Einzelheiten seiner Darstellung der Otto-
kar'schen Unterwerfungen, Verwicklungen und Erfolge im Salz-
burgischen, inBaiem, Kärnten, Görz, Kiain, Ungarn u. s. w. ein«
zugehen , so woUen wir nur noch kurz Rücksicht nehmen auf das
Bild, das er uns von dem böhmischen König entwirft, als sich der-
selbe auf der Höhe seiner Macht befand. In dieses Charakterbild
sind bekanntlich nicht bloss durch die Dichter, sondern nament-
lich in neuerer Zeit durch Parteischriftsteller fremde Züge hinein-
getragen worden, so dass es sich wohl verlohnte, die ursprüng-
lichen Umrisse wiederherzustellen. Dem Mittelalter galt Ottokar
als Urbild eines grossartigen und glücklichen Eroberers, zu Grunde
gegangen durch das Unmass seiner Herrschaft und die Grenzen-
losigkeit seiner Absichten, als ein zweiter Alexander. Kein Wunder,
war doch eine so grosse Vereinigung von Ländern, wie sie durch
ihn stattfand, beispieUos. Ist er am meisten Heinrich dem Löwen
vergleichbar, so ist dieser doch zu sehr durch Kaiser Friedrich in
den Schatten gestellt, während Ottokar in Mitteleuropa ohne Glei*
Lorenk: DeatMbb OtekttMe. 191
cfaen dastand. Die hohe Vorstellnng, die man von ihm iLatte,
grtLndete sich aber weniger anf genaue Eenntniss der YerhaHniBse,
als auf den Eindruck des blossen Erfolgs. Trotz einiger grossen
und bedentenden Zftge in seiner Persönlichkeit, steht er in der Äiplo-
maüschen Geschichte seiner Politik mehr anf dem Standpunkt der
kleinen Gestalten, die aus den umgebenden Verhältnissen reieh-
li^tsten Nutzen ziehen, die aus der Auflösung gegebener Zustände
Tortheile erringen, (kurch Httufiing rieler kleinen Verdienste zu
grasaer Macht gelangen, defaen aber der Leitstern eines tiefcm
Qedankens, die bewusste Initiative des eigenen Handelns fehlt.
Nirgend ist in seinen Planen ein sachliches Interesse zu bemerken;
er ordnet sich weder der päpstlichen Weltherrschaft unter, noch
den allgemein deutschen Reidisinteressen ; Alles wird ihm zum
Mittel eigennittziger VergrOsseruugspolitik ; er lässt sich nie von
nationalen oder grossen staatlichen Grundsätzen leiten. Von seiner
Mutter, der edeln Tochter Philipp*s ron Hohenstaufen hatte er den
hohen Flug seines Ehrgeizes; eine grosse Verständigkeit vereinigte
sich in ihm mit einer gewissen Kurzsichtigkeit. Wie er alsBtaats-
mann das Ende der Dinge schwerlich genug vorhersah, so war er
soeh als Feldherr zwar muthig und entschieden in der offenen
Msimesschlacht, aber nicht fllhig, einen Feldzug mit weitschauen-
der Berechnung anzulegen. Ais fromm wurde Ottokar wohl dess-
wegen in Böhmen gepriesen, weil er stets sehr freigebig geg^ndie
GeisUiohkeit war; er liebte den Prunk an seinem Hofe zu Prag,
wo das deutsche Wesen unter ihm so sehr überwog, dass damals
der vornehmste bOhraisobe Adel deutsche Namen anuahiü. Dem
Bttrgettlmm gab er eine dem Adel zwar nicht ebenbürtige, doch
als Stand berechtigte Stellung. Ueber das letzte Kiel seines Ehr-
geizes hat man viel gestritten ; dasselbe war wohl nicht die deutsche
Kaiserkrone, sondern die Bildung eines Staates, der ün Gegensatz
zu den Ueberlieferungen des Reichs die Österreichischen und hfSh"
misdien Länder zu einer selbstilndigen Macht umfassen und auf
den Trtkmmem der deutschen Einheit begründet werden sollte. Zu
zeigen, wie Ottokar mit dieser selbstsüchtigen VergrOsserungspolitik
sdilie^ich natnrgemäss zu Schanden werden musste an den ewigen
imd wahren Bedürfnissen eines grossen und lebensfUhigen Volkes,
diess seheint der leitende Grundgedanke des Werkes von Lorenz
zu sein. — Eine für den Geschichtsforscher sehr werthvoUe Bei*
gäbe des Buchs sind die Abschnitte über das Finanz- und Kanzlei-
Ottokars, so wie über die kirchlichen Zustände jener Zeit.
Dt. W. Laüwr.
MO ROdinger: Die Qesetse der Bewegang*
Fr. Rödinger, Die Oesetse der Bewegung im SiaaUleben und der
Kreislauf der Idee. 1864. 8. Stuttgart bei dMa.
Die vorliegende Sohrift nimmt etwas mehr als das blose Tages-
Interesse in Ansprach, indem sie die wissenschaftliohe BegrOndong
der demokratischen Idee vom Staat enthält. Ihre Prinoipien sind:
Der Staat ist die Wirkung natürlicher and sittlicher Gesetsse, welche
mit dem Dasein des Menschen gegeben sind. Nichts anderes soll
und kann im Staat sich entfalten and yerwirklichen als was im
einzelnen Menschen liegt. Er ist aber nicht blos die Samme der
in ihm yereinigten Individuen, sondern — wie jede Vereinigung vieler
Einzelner nicht blos eine Zahl, sondern eine neue Kraft wird —
so stellt der Staat das Wesen der einzelnen Personen in erhöhter
Potenz dar, er ist selbst eine Persönlichkeit. Da nun die Persön-
lichkeit des Einzelnen auf seiner freien Selbstbestimmung beruht,
so muss dieses Princip auch im Staate herrschend werden, der
Staat muss als Einheit der freien EinzelwiUen nicht nur selbst frei
sein nach aussen, sondern auch nach innen die freie Entwicklung
aller seiner Angehörigen wahren. Durch die Freiheit des Willens
erhebt der Mensch im Staate die natürlichen Gesetze des Zusam-
menlebens, welche sich in dem gegenseitigen Bedürfhiss aussprechen,
zu sittlichen; und die Einheit des Willens der Gesammtheit stellt
sich mittelst des Organismus dar, welchen derselbe zum Behuf sei-
nes Ausdrucks sich schafPfc. Da nun in der sittlichen Natur des
Menschen als eines zu freier Selbstbestimmung geschaffenen Wesens
kein Unterschied zwischen den Einzelpersonen ist, so gebührt auch
jedem freien Individuum der gleiche Antheü an der Thtttigkeit,
welche den Gesammtwillen zum Ausdruck bringt. Das heisst: jedes
selbstständige Individuum im Staate soll unmittelbar bei der Wahl
der gesetzgebenden Körperschaft sowohl, als bei der Wahl der Ver-
treter seiner Gemeinde und seines Bezirkes mitwirken. Der Verf.
würde davon sogar die Frauen nicht ausschliessen, wenn nicht die
wohlbegründete Sitte sie als den Mittelpunkt des geweihten Kreises
der Familie von den Parteikämpfen des öffentlichen Lebens fem
hielte, wo zu fürchten wäre, dass das Gemeinwesen durch ihre
Theilnahme auf dem Boden der Familie mehr verlieren als auf dem
der Gesetzgebung gewinnen würde (S. 121). Mit dem Grundsatz
der aUgemeinen Theilnahme am Staatsleben, sowohl in seiner Con-
stituirung als in seiner Fortentwicklung, ergibt sich femer die Noth-
wendigkeit, dass die Majorität entscheide, was nicht nur das ein-
zige Mittel, eine Vielheit zur Einheit zusammenzufassen, sondern
auch der zuverlässigste Gradmesser für den Bildungsstand und
die Bedürfhisse der Gesammtheit ist. Als die natürlichen Bedin-
gungen der freien Individualität stellt sich thatsächlich das Eigen-
thum und die Familie dar, ersteres theils als Stoff der freien Thätig-
keit theils als Festigung und Hebung des Individuums; letztere
als Ergänzung seiner Einseitigkeit und als Fortsetzung seines Da-
&0dliig6rt Die OeseUe der Bewegung. Wi
Beins in der Gattung, welche wiedemm das Eigentbnm znrOnind*
läge nöthig hat. So betrachtet, ist der Staat ein bleibendes In«
stitnty in welchem nur die Individuen wechseln, nnd seine Ent-
wicklung hat keine natürliche Qrense ; Untergang eines Staates ist
nichts anderes als eine Folge der felderhaften Einrichtung. Der
yemünftige Staat stirbt nicht.
Die Formen des Staates theilt der Verf. nach diesem Princip
in zwei Hauptklassen: 1) den Beherrschungsstaat, in welchem ein
Sonderwille (eines Einzigen oder Vieler) gebietet, und 2) den Ent-
wicklnngsstaat , in welchem der Oesammtwille herrscht und die
freie Entwicklung aller Krftfte gesichert ist. Die constitutionelle
Monarchie nach dem Grundsatz des juste milieu betrachtet er als
ein Zwitterwesen, welches die beiden einander entgegengesetzten
Elemente, Gewalt und Entwicklung, in gleichem Maasse zu ver-
knflpfen suche, bei der beständigen Reibung aber neben der Ge-
radheit auch die Klugheit und Schlauheit herausfordere und bei
dem üebergewicht des einen Elements nothwendig zum offenen
Kampfe führe. Gleichwohl erkennt der Verü auch in der monar-
chischen Form die Möglichkeit freier Entwicklung an und weist in
dieser Beziehung auf England als Musterstaat hin, in welchem das
»Staatsoberhaupt das höchste ist, was ein Sterblicher sein kann,
der lebendige Ausdruck seines Volks. € Wir erblicken in seiner
Schilderung den Musterstaat wie er sein sollte, wenn auch in der
Wirklichkeit die ungenügende Zusammensetzung des Parlaments
(zumal mit Ober- und Unterhaus in einem Einheitsstaat !) mit den
Hindernissen, welche der Wahlreform von Seiten der herrschenden
Partei fortwährend entgegengesetzt werden, seinen idealen Forde-
rungen weniger entsprechen dürfte. Die Richtung nach diesem
Ziele aber findet der Verf. in der geschichtlichen Entwicklung der
modernen Staaten vorherrschend. »Wo es nicht der Beseitigung
der Alleinherrschaft gilt (in welchem Falle nach dem — schon von
Aristoteles aufstellten — durch die Geschichte bestätigten und
auch von unserm Verfasser aus seinen Principien deducirten Gesetz
das Streben auf den Freistaat geht), wird es sich im künftigen
Weltprocess um die Vollendung der constitutionellen Monarchie
handeln und je nachdem dieselbe ihre Weisheit oder ihre Macht
in die Wagschale wirft, wird die Geschichte das Schauspiel der
Reform oder der Revolution geben, aus deren einer der monar-
chische, aus der andern der republikanische Entwicklungsstaat her-
gehen muss.c Weil der Gegensatz der beiden Elemente in der
constitutionellen Monarchie weniger stark sei als in der absoluten,
sieht der Verfasser voraus, dass, »wenn die Herrscher nicht mit
Blindheit geschlagen sind«, die künftige Geschichte unsers Welt-
theils nicht in der republikanischen Staatsform, also nicht mittelst
Revolution, sondern in der Form des monarchischen Entwicklungs-
staates sich darstellen werde. Indessen erklärt er auch diese Form,
die sich blos durch die Erblichkeit der Macht vom Freistaat unter-
ffH^ R5diRf er. Dl^ Oe«etE« der Bemgavi^
so^i4e» für einen Best a^s der ps^triarchalischea Zeit und zweiMt
se)Lr, ob ein Volk, welches nicht geschichtlich mit derselben ver-
wachsen wäre, in völlig freier Wahl eine solche Macht jemails
einem Einzelnen erblich übertragen würde. >Die sittliche Per-
sönlichkeit des Staats verbleibt ihm, die Ansfühmng seines
Willens einem Nachfolger in der Familie, Jessen er sich hin-
sichtlich des Charakters nnd der Befähigung gar nicht ver-
sichern kann, zu überlassen, um so mehr als die Erblichkeit, weU
sie traditionelle nnd sich verhüllende Flaue der Macht begün-
stigt, die Machtfülle so steigert, dass es keine volle Garantie
gegen il^en Missbrauch mehr gibt.« Aber nicht die aicl\tbare Fom^
des Staates allein, sondern yor allem der Begiriif der stai^tUchen
Gemeinschaft macht den, Entwicklungsstaat aus. Ist diesei^ ^b
rec^itUch gleiche Geltung süler (versteht sic^ vol^ährigen) Indivi-
duen, so gehört die Gleiohheit der politischen Rechte und damijt
die allgemeine Wahlfreiheit zu den wesentlichen Einrichtungen die-
ser Staatsform, und der geringste Unterschied im politischen Rechte
der Einzelnen ist die Sdaverei im Keim. Die nach der Norm der
inneren Gesetze gebildeten Elemente und Organe des Staats aber
enthalten schon in ihrer blossen Existenz eine der werthvollsten
Garantien der Freiheit; da jedoch die Freiheit nichts anderes ist
als Selbstbestimmung, so ist klar, dass man den Weg der Freiheit
nicht getragen werden kann, sondern ihn selber gehen muss.
Diess ungef^r ein schwacher ümriss der allgemeinen in dßv
Schrift enthaltenen Ideen, soweit sie die Genesis und die Form
des Staates betreffen. Der zweite Abschnitt des 11. Buchs be-
spricht das Leben des Staates, wie es sich darstellt: 1) in der
Bepr&sentation, und zwar a) durch die äussern Grundlagen (Schutz
und Regelung des Verkehrs, des Geldes als Tausohmittels , Schutz
der Einzelwirthschaften und der freien Arbeit, Pflege der geistigen
Interessen etcO» b) durcli den YolkswUlen (die Wahl nebst ihren
Hilfsmitteln, d,er Presse, 4en Vereinen etc.): die Landesvertretung
soll der unmittelbare und volle Ausdruck des Volkswillens sein, da-
her allgemeine und directe Wahlen; der Wähler muss selbständig
auftrete^ daher a^ls Regel offene Abstimmung (geheime Abstimmung
lässt der Verf. nur als zweifelhaftes Palliativ in dem unvollkom-
menen Staate zu, in welchem Corruption und Furcht das üeber-
gewicht hat; und wer bedenkt, was schon mit den verschlossenen
Wahlurnen geschehen ist, wird ihm beistimmen); die Einheit des
Willens muss sich darstellen im Einkammersystem (der Verfasser
widerlegt die Gründe für zwei Kammern auf überzeugende Weise),
dieses erfordert aber als Garantie vor übereilten Beschlüssen, wie-
derholte Berathung in bestimmten Zeitabschnitten und das Sus-
pen^iweto des. Staa^tsoberhaupts. Besondere Vertretung gewisser
Körperschaften ist durch den Grundsatz der unbedingte!;! Recbts-
gleiel^it der Eii^elnen n^<]l die Universalität des Staates ausge-
echlossen und der Verfasser widmet den Ansprüchen des Adels und
Bddiagev: Di« OmoIi« der BcwegmiC- MI
der Kirchen sowie des grossen Qrandbesitzes nnd des Capitais anf
eigene Vertretung eine eingehende üntersnobnng und ErOrtemngi
deren Besoltat freilich fQr die Privilegirten nicht sehr befriedigend
ausfällt. 2) In der Gesetzgebung; der Verf. entwickelt in diesem
Abschnitt über die Entstehung der Gesetze und des Rechts und
den Inhalt des Bechts auf der Grundlage des natürlichen Gemein-
schaftgesetzes der menschlichen Gesellsi^aft die mit dem Prineip
des Entwioklungsstaats übereinstimmenden Grundsätze der Bechts*
bildung und Bechtsfindung durch das Volk in so lichtvoller Weise,
dass sie auch dem Laien klar werden, und insbesondere beleuch-
tet er den Begriff, die Arten und die Wirkungen der Strafe eben-
sosehr vom Gesichtspunkt des Staatszweckes als mit der Leuchte
der Hnnoanitttt. Eine neue Forderung, die er hier stellt^ so richtig
sie auch aus seinen Prämissen gefolgert sein mag, wird lange Zeit
bedürfen um sich Bahn zu bredien. Zwischen den äussersten Gren-
zen, der Ehre und dem Tode, müssen sich, sagt Bddiqiger, die
Mittel finden, die verletzte Gleichheit wiederherzustellen, auch den
verstocktesten Verbrecher für das Licht der Wahrheit empfänglich
SU machen und dem menschlichen Vorkehr zurückzugeben; ja es
mnss in gewissen Fällen dem Bichter erlaubt sein, den Verbrecher
auch ohne Strafe, mit Belehrung und Ermahnung, zu entlassen
oder mit dem Eintritt der innem Sühne, derBeinigung und Besse-
rung des Menschen, die Strafe aufzuheben. 8) Aus dem Kapitel
vom Oberhaupt und der vollziehenden Gewalt, bemerken wir nur
den Bath, welchen hier die Staatsphilosophie ertheilt, den Ober-
befehl über die bewa&ete Macht immer vom Staatsoberhaupt zu
trennen und einer andern verantwortlichen Persönlichkeit zu über-
tragen, was jedoch nur auf Freistaaten anwendbar sein wird, und
die Hüiweisong auf den Brauch des Alterthums un4 Mittelalters,
Gesandtschaften nur für besondere Fälle auszusenden, anstatt die
loieiress^n derVdlker und Staaten durch eine eigene Beamteaklias^y
die Diplomatie leiten und bestimmen zu lassen«
Dass zwischen der Idee des Staates, wie aller menschlichen
Dinge, nnd der Wirklichkeit eine weite Kluft besteht und dass die
unendliche Angabe des Menschengeschlechts, Freiheit uuid Npth-
- wendigkeit in Einklang zu bringen, von allen Seiten mit unend-
lichen Schwierigkeiten umgeben ist, diese Wahrheit war dem Verf.
des v(»rliegenden Werkes wohl bekannt. Er haj^ desshalb nicht nur
im Verlauf der wissenschaftlichen DarsteUung seiner Ideen aqf die
realen Verhältnisse gebührende Bücksicht genommen, sondern Sioch
specieU einen durch den Gang der Weltereignisse von dem Ideal
des Entwicklungsstaats ebensosehr als von ^ei^er porsprünglich.en
EinheiMorm ahgplmnmenen Staatencomplex im dritten Abschnitt
des n. Buchs zum Gegenstand näherer Betrachtung gemacht. Es
konnte diess leider nur Deutschland sein, in welchem der Verf.
ein schlagendes Beispiel des »missbildeten Staates t erblickt, das
Land, dessen Volk vorzugsweise zum Träger der Humanität be-
804 R^dlnfl^er; Die Gesetse der Bewegung.
stimmt ZQ sein scheint und dem ebendarum der Beruf, den yoU-
kommenen Staat herzustellen, von selbst zufallen sollte. In der
historischen Zergliederung des gegenwärtigen Zustandes yon Deutsch-
land hebt der Verf. besonders die StUrke des föderativen Elements
der Nation hervor, das in Folge dieses hergebrachten üeberge-
wichts auch bei jeder Neugestaltung seine Geltung behaupten werde
und die Form einer starren Centralisation, sei es in der Monarchie
oder Bepublik aus der Entwicklung Deutschlands ausschliesse. Seine
Hoffnungen für die endliche »Bettung Deutschlands c legt der Verf.
in dem letzten Kapitel nieder, das mit den Worten beginnt: »Dass'
die Hilfe nur in der nationalen Gonstituirung Deutschlands liegt,
ist gezeigt worden, und dass sie nahe bevorsteht, verbürgt der ein-
stimmige Wille der Nation und die immer dringender hervortre-
tende äussere Nothwendigkeit«€ >Wenn auch der innere Drang,
heisst es weiterhin — der von dem Widerspruch in der Bundes-
verfassung ausgeht, und die materiellen Interessen nicht immer die
gleiche Spannung in der Nation erhalten sollten, so werden doch
die Gefahren an den offenen Grenzen und die europäischen Ver-
wicklungen jeder Zeit die Lösung wieder zur brennendsten Tages-
frage machen. € Da es nun blos zwei Wege der Lösung gibt, Ver-
ständigung und Gewalt, zur Verständigung aber die Lihaber der
Macht, zumal die beiden Grossmächte, nicht geneigt sind und eine
einseitige Verständigung im besten Fall nur eine vorübergehende
Einigkeit, eine taube Frucht zu Stande brächte, so bleibt nur das
Mittel der Gewalt. Gewalt auf Seite des Volks — da >müsste die
Nation das unmögliche thun und nicht nur ohne Gewalt die Ge-
walt überwinden, sondern auch ohne selbst constituirt zu sein die
entgegenstehende Gewalt (die Militärmacht) zum Werkzeug ihres
Willens machen, c Dazu wird das deutsche Volk, ohnehin aller (Ge-
waltsamkeit abhold, ausser dem Fall äusserster Verzweiflung sich
niemals hinreissen lassen. Aber es wird* sich vorbereiten, um mit
Benützung der Ereignisse sein Becht zur Zeit geltend zu machen
und es besitzt dafür eine Grundlage in der Beichsverfassung von
1849 , und im Beichswahlgesetz ein formelles Mittel zur
Einigung im Parlament. Kehrt man nicht dahin zurück, so steht
nur die Gewalt von oben in Aussicht und für diesen mehr als
• wahrscheinlichen Fall erblickt der Verfasser in der Stellung und
in den Tendenzen Preussens allein den künftigen Gang der Dinge
in Deutschland vorgezeichnet. Welche Macht aber auch die Ein-
heit der Nation herbeiführe, der Verf. ist überzeugt, dass auch
aus dieser von aussen erzwungenen Einheit die Freiheit und Selb-
ständigkeit der Nation folgen müsse. .
Dr. Sehnitier.
Ir. 20. iHEIDEIBEBlGEE 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
O. Flügel, Der Materiaiimnia vom Standpunkte der a(omiffifdb-
mechanisehen NtUurforschung bdeuehieL Leiptig, Lauü Per-
nUz$eh. 1866. XII u. 100 8. in 8.
Wieviel Getöse auch der materialistische Streit seit ein paar
Dezennien bei uns gemacht hat, er ist meistens in andern als den
streng philosophischen Kreisen geführt worden. Die in der philo-
sophischen Literatur besonders angesehenen Schriftsteller haben es
fiatst alle yorgezogen, schweigend sich dayon fem zn halten. Die
Zahl der über das Thema yeröffentlichten Schriften hat darunter
wahrüch nicht gelitten, um so weniger ist man geneigt, von einer
neuen noch etwas Neues und Besonderes zu erwarten. Die yor-
liegende hat wenigstens etwas Apartes, nämlich dass sie sich selbst
auf den Standpunkt der atomistisch-mechanischen Naturforschung
stellt, und von da aus den Materialismus beleuchtet. Sie ist so in
der günstigsten Position, um dem Materialismus alle nur gestattete
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In der That hebt sie das
Bichtige in seinen Aussagen überall hervor. Doch ist sie weit ent-
fernt, ihm übrigens durch die Finger zu sehen : sie stellt auch seine
vornehmsten Irrthümer in scharfe Beleuchtung, und sucht ihren
Grund aufzudecken. Dabei wird dem Materialismus, der es so sehr
liebt, sich als Erfahrungsthatsache hinzustellen oder wenigstens als
diejenige Ansicht, die allein ein Bekenner der exakten Wissen-
schaften hegen könne und dürfe, zu Gemüthe geführt, wie wenig
er selbst eine Thatsache ist, wie wenig er es mit den Thatsachen
genau nimmt, und wie wenig die Hypothese, die er ist, mit dem
ganzen Umkreise und der Eigenthümlichkeit der natürlichen und
der geistigen Thatsachen zusammenstimmt. Bei ihrer allseitigen
und genauen Erfassung und Erwägung zeigt sich vielmehr, dass
für die atomistische Hypothese, wenn sie auch innerhalb gewisser
Gränzen genügt, doch noch eine um- und Weiterbildung erforder-
lich ist.
Der ganzen Abhandlung wird eine Erinnerung an die Grund-
begriffe vorausgeschickt, von welchen die diametral einander ent-
gegenstehenden Naturansichten abhängig sind, deren eine das Sein
'als das Ursprüngliche der Natur ansieht, während nach der andern
/das Werden an der Spitze steht. Ist das Beharrende in seinem
^ Wesen sich gleichbleibende Seiende das Erste, so setzt man^ der
Manchialtigkeit der Dinge wegen, von vornherein vieles oder vieler-
lei Seiendes voraus, die gegebenen Veränderungen sind dann als
das Sekundäre Hauptgegenstand der Erklärung : man sucht Ursachen
LVUL Jahis. i. Heft 20
WM FlIgeirDcr Mtt«l»UBaiu«.
für sie, Veränderungen ohne Ursachen werden gar nicht statnirt.
Dias ist di# Naturaniicht , die Empedokles und die Atomisten in
Gaag liracktea; unter den Fliilosc^haii der jüngsten Vergangenheit
huldigt ihr Herbart. Man sieht leicht, dass die empirischen Natur-
-wissenschafken derselben Fahne folgen. Wo hingegen das Werden,
die Veränderung als das Primäre und Ursprüngliche angesehen wird,
da setzt man in der Begel auch nur Einen Quell- und Anfangs-
punkt des Werdens, der schon allein zur ManchfaJtigkeit, zum Vielen
führen wird. Nach dieser Ansicht bedarf die Veränderung keiner
Ursache: das Sichändem ist das wahre Wesen, die Natur der
Dinge, die Veränderung geschieht absolut d. h. ohne Ursache und
Bedingung. Jetzt erscheint das beharrende Sein als das Sekundäre
und Abzuleitende; das Eintreten und Vorhandensein des Sichgleich-
bleibens und der Bube muss erklärt werden, aber, wenn man con-
sequent sein will, nicht ans Ursachen : keine^ Veränderung, welche
es auch sei, bedarf oder gestattet eine Ursache, die Veränderungen
sind ja das Primäre, sie treten von selbst ein. Hegel schildert das
Bachyetliältniss richtig, wenn er sagt: >das Sich-selbst-aufheben,
das Uebergehen in entgegengesetzte Bestimmungen ist die eigene
wahrliafte Natur der Dinge; Etwas ist durch seine Qualität
veränderlich, so dass die Veränderlichkeit seinem Sein ange-
hört ; was in der That vorhanden ist, ist, dass Etwas zu Anderem
und das Andere überhaupt zu Anderm wird.€ Innerhalb eines
solchen Fksses des Anderswerdens, in einem so »bacchantischen
Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist c, gibt es keine Hoffnung,
keine Aussicht auf das Hervortreten einer Buhe, eines wenn auch
nur zeitweise beharrenden Seienden. Daher ist es nicht zu ver-
wundem, wenn die Vertreter des absoluten Werdens vor derEin-
Üabrung sich beugend inkonsequent werden, und die durch ihren
QtundbegriiTausgestossenen Ursachen wieder herbeirufen, oder stellen-
weise auch sich mit blossen Behauptungen und Worten begnügen,
iTie wenn es heisst: das Dasein ist das Besultat des Werdens,
oder es ist das Werden in der Form des einen seiner Momente,
des Seins, gesetzt Im Alterthum ist diese Naturansicht durch
Herakllt repräsentirt, in der neuem Zeit durch Spinoza, Pichte,
SohelUng, HegeL Die empirische Naturforschung hat sich mit die-
ffen Denkern theils gar nicht berührt , theils , wo es geschehen,
zwar manchfache Anregung von ihnen erhalten, aber keine durch-
streifende und haltbare Umgestaltung erfahren. Jene vorgeblichen
^itwicklungen der Sinnendinge aus dem Ureinen, die sogenannten
g^struktionen der Welt oder des Einzelnen und Besondem aire
> Allgemeinen sind in der That der Methode der Naturforschung,
"om Einzelnen ausgeht und dieses genau zu erkennen sucht,
^ entgegenlaufend. Der Verf. der vorliegenden Schrift hat
mügt, den Gegensatz der Lehren von dem urspcünglicheu
^em absoluten Werden nur in der Vorrede zu skizziren,
> kommt er nur wenig darauf zurück. Dem eingenom-
*Fl«g€ft Der Matttkltaiii. 807
Staadpankte gemäBS erörtert auch er Boccessir das Einsebie
aü Gkaaivigkeit ; auf allgemeinere voeauiBienfaeBeitde AAsiehten
if«wt er mehr kisi als daee er sie aiufQhiie.
Die ganae Abluuidkmg Eerftllt itaoli den Angelponkten , tun
wekhe eick die Materialieten mit ihren Ghegnem bewegen, in zwei
AbBchaDitte: die Se^enfrage nnd die Sohöpfongefrage; diesen beiden
Titeln wird dae Einzelne «mtergeordnet«
Im ersten Abschnitte wird onnaohst der Hanptirrthmn des
Ifateni^smns, wonach die psyehisohen Ersoheinnngen lediglich in
Bewegoagsinstanden bestehen soUra, belenchtet. Der empirische
NatnHorseher der heutigen Zeit kann zwar leicht daranf TMrf&llen,
iaeofcm er überhaupt mit Massen und Bewegungen zu thun» und
«Qoli den Organismus nur als einen unendlich feinen und compli-
zirten MeehaniMnuB aazasehn gelecathat. Auch wenn er die Sinnes»
wahjmehmu&g «ntersucht, forscht er nach den dabei stattfindenden
iBat«rielieB Veränderungen des Organismus. Aber wenn er nun die
(«Miem mehr afngeinommenen als beobachteten) Bewegungen des
Qehims oder einiger Theile desselben Air die Empfindungen selbst
«Mgibt, so ist dies nichts mehr und nichts weniger, als ein Quid
proqnOy eine Verm^ohselung der körperlichen Bedingungen mit dem
pvf ehisohen Pldtaiomen selbst. Man sollte denken, dass Jeder, der
in innerer BrÜEdirung der Eigenthttmliehkeit einer bewussten Empfin-
dung oder sonst eines geistigen Zustandes inne geworden ist,
nimmermehr es über die Zunge bringen könnte zu sagen: rSumr
liehe Bewegung ist bewusste Empfindung: so sehr sind beide Tcn
einander TerB<diiedenl Was müsste alles Empfindung sein oder
Empfindung haben, wenn der Satz wahr wKrel Man flüchtet zur
Bigenthlimliehkeit der Gehimmasse« Enthalt sie andere chemische
Ekunente, ab soldie, die andi sonst in der materiellen Natur be*
wngt Torkommenf Man laset sick vielleicht noch weiter drangen,
SU den Ertften der Atome. Wie man diese gewöhnlich nur in
ihrer Wirksunkeit nach aussen, nach ihren räumlichen Erfolgen
der Anziehung «nd der Abstossung betrachtet, so heffcet man sie
jMOh den Atomen selbst gewissermassen ansserlich Mi, und tritt
eo ans dem Kreise der räumlichen Yeifbiderang gar nicht henms»
2^ Losung des psydiologisdien Problems hat man so lange keinen
MmShemden Schritt gethaa, als man nicht die Kräfte als innere
Thfttigiceiten oder Ibtttande fasst Nur wolle man sie nicht ffir
sreprtngliohe oder spontane erklären : fanit der Erfi^urung entstehen
die Bn^p£ndungen zuerst nur beim Eintritt äusserer Bedingungen.
Man muBS danach jene innem Thätigkeiten als Bückwixkungen aitf
äussere Beize ansehen, eine YorsteUungsweise , die ja dem Naimr-
forscher längst geläufig ist, und nur weiterer Ausbildung und Anwen«
dnng hedatC Solche Thätigkeiten mtlssen nun einerseits von der
Qnalitai ifcnr Titger, d. i. der Substanzen, deren innere Zustände
sie sind, abh&ngen, andrerseits werden sie bestimmt durch die Be-
■^*^*^HbftH der Beize, gegen welche sie als Beadäonen «uftireten.
806 Flügel: D0r MAtorialisimti»
So bekommen sie selbst etwas Qualitatives, und zwar je nach jenen
umständen eine versohiedene Färbung. Auch werden sie naoh
aussen wirksam werden: die reizenden, wie die reagirenden Sub-
stanzen werden je nach ihren inneren Zuständen ihre äussere Lage
verändern, sich anziehend oder abstossend erweisen, und man kann
die Bezeichnung Kräfte für sie recht gut beibehalten, üeberträgt
man nun diese Vorstellungen auf die Atome des Gehirns, so lässt
sich wohl das organische Leben desselben dadurch begreifen, fUr
das eigentlich geistige zeigen sie sich aber noch immer nicht
passend. Denn wenn man die eigenthümUche Natur eines bewussten
geistigen Zustandes scharf erfasst hat und festhält , wenn man die
Zusammenfassung aller gleichzeitigen Zustände in Einem Bewusst-
sein, die Wechselwirkung der Vorstellungen, den Zusammenhang
des Vorstellens, Fühlensund Begehrens, die Continuität des geisti-
gen Lebens und noch manche andere psychische Thatsaohen genau
betrachtet und erwogen hat, so muss man es aufgeben, das geistige
Leben in irgend eine Parthie des Gehirns auseinander zu streuen,
ja selbst an die wenn auch unzertrennlichen und minimalen doch
immerhin verschiedenen Theilchen eines einzigen körperlichen Atoms
zu zertheilen; man ist genöthigt, eine theillose, einfache und
überdies im Flusse des Stoffwechsels im Organismus permanente
Substanz als Träger der geistigen Zustände anzunehmen. Darin
liegt eine Hauptschuld des Materialismus, dass man sich in den
psychischen Thatbestand nicht vertieft hat , dass man ihn weder
vollständig kennt, noch genau analysirt. Daher die unzulässige
Gleichsetzung von Bewegung und Empfindung und eine Anzahl vor-
eiliger unlogischer Schlüsse. Zudem wirkt die Furcht vor dem
Dualismus der immateriellen Seele und des materiellen Leibes zurüok-
scheuchend. Diese E[luft hat Gartesius und seine Schule nicht
überbrücken können, und sie war es vor Allem, die schon im vori-'
gen Jahrhundert einige starke Geister wieder zum Materialismus
zurücktrieb. Dass der Cartesische und der gewöhnliche Begriff
der Materie einer Korrektion bedürfe, das liess man sich damals
nicht beigehen, und bedenkt es auch heute noch viel zu selten.
Die Kräfte, die man der Materie und somit auch dem Leibe zu-
schreibt, sind selbst gewiss nichts Materielles und Ausgedehntes.
Damit will Bef. nicht etwa den movistischen Idealismus z. B. von
Hegel in verdeckter Weise empfehlen. Da schlägt die Idee von
selbst, in absoluter Veränderung, allerdings immer in Materie um,
für die Seelenfrage xmd die Psychologie trägt aber diese grundlose
ewige Metamorphose ebensowenig, als die verwandte Lehre Spino-
za*s, gute Früchte; worüber auf die betreffenden Erörterungen in
der vorliegenden Schrift verwiesen werden kann.
Der zweite Abschnitt bringt in Bezug auf das Beich der Or«
ganismen und der Zwecke überhaupt ähnliche Nachweisungen, wie
der erste über die Thatsachen des menschlichen Geistes. Zu der
inechanisch-atomistischen Grundlage der Naturbotrachtung d. h. zu
Flllgel: Der MstorlalteiiraB. tOT
den VoTsielliuigeii von den Bewegungen der Massen, die von Em-
pedokles nnd den Atomisten ausgingen, braehten Piaton und Aristo-
teles nach des Anaxagoras* Vorgang eine teleologisohe ErgSniung
hinxa, d. k. die Vorstellung von der Wirksamkeit der Zwecke oder
Begriffe in der materiellen Welt. Nach Piaton bleiben jedoch die
Begriffe, die sog. Ideen den'Dlngen Ausserlich, Aristoteles dagegen
verlegt sie in die Dinge hinein: die ihnen innewohnenden Begriffe,
ihre sBhf sind die die Dinge schaffenden und gestaltenden Krftfte.
Daran lehnt sich in Bezug auf das materielle Weltg^nze die Yor-
steDung eines der Welt ftusserliohen oder ihr innewohnenden Gottes,
die sog. Transcendenz oder Immanenz. Dem Verf. unsrer Schrift kommt
es vor Allem darauf an, Zweokverhältnisse in der Welt als etwas That-
sachliches, Oegebenes nachzuweisen. In der Anerkennung des Zweck-
mässigen in der Natur hat er wenigstens nicht alle sog. Materia-
listen gegen sich: gerade einem Naturforscher muss es schwer &llen,
die Angen davor g&nzlich zu verschliessen. Lassen sich nun einige
von ihnen dadurch zu der Annahme der Ewigkeit der Organismen
treiben, so mOgen sie es selbst verantworten, wenn diese Annahme
sehr metaphysisch und unanschaulich gefunden wird. Diejenigen
Naturforscher, welche die Zwecke in der Natur überhaupt l&ugnen
oder ignoriren, schiessen wohl über die Bakonische Methodologie
hinaus. Bakon hat nicht aufgefordert die Zweckverhftltnisse in
der Natur zu Iftugnen, überhaupt nicht zu statuiren : er wollte nur
die mechanische Erklftrungsweise nicht durch die begriffsmftssigo
Wirksamkeit alterirt oder eludirt wissen, jene sollte in Bezug auf die
materielle Natur in der Physik wirklich durchgeftkhrt werden. Seine
Vorschriften sind zunächst gegen die von Aristoteles sich herschrei-
bende &lsche Gleichstellung der bewegenden und der Zweckursachen
und gegen eine verkehrte Ueberordnung der letztem über die
ersteren gerichtet, unser Verfasser bemerkt in dieser Beziehung,
dass auch eine allmächtige Intelligenz das an sich (mechanisch)
unmögliche nicht möglich machen kann, und Herbart sagt: »Keine
Endursache vermag irgend etwas, das nicht im Gebiete der Mittel-
ursachen (causa efficiens) liegt, c Mit Becht legt nun unser Verf.
Gewicht darauf, dass die begriffliche, blinde, zufällige Bewegung
von Atomen und Massen wohl einmal zu etwas Organischem und
Zweckmässigen führen könne, aber es sei höchst unwahrscheinlich,
dass auf diese Weise eine ineinander eingreifende Beihe, ein System
von Organismen und Zwecken, kurzum die Welt, wie sie ist, ent-
stehe. »Die Unmöglichkeit eines so zweckmässigen Zusammen-
treffens kann freilich nicht dargethan werden, wohl aber liegt die
höchste UnWahrscheinlichkeit jedem vor Augen dergestalt, dass,
sobald man versucht, der Teleologie zu widersprechen und einen
andern nur leidlichen Gedanken an die Stelle zu setzen, man auf
eine so ungeheure ünwahrscheinlichkeit stösst oder auf ein so
tbörichtes Hypothesenspiel, dass selbst der kälteste Verstand sich
dagegen erklären muss.€ Dabei wird auch der Darwinschen Hypothese
8Q8r Frikart: LabrbMli der A^Miaietik mid Algebra.
Erwähauag gethan. Kämmt mm. der Verf. von dieeeii Grittndlag«ii
ans auf einen persönlichen substantiell you der Welt vOrBchiedeiMB
Gott, 80 hütet er sich doch vor Hypothesen über seine Wirfaungt-
weise; er entscheidet nicht emmal, ob er nur als Schöpfer deft
zwecks und ordnungsvoUen Weltganxen, oder aaeh als ScbOpfor dar
isolirt gedachten Weltsubstansen su denken s^i. Zuletzt wird ein^s
Betrachtung über das Sittliche aagesehloaBen, da die UateirialiateB
auch davon handekk
Wir haben nur den Hauptgedankenzug signalisirt und empfth«
len das Einzelne dem eigenen Stadium. Der Yerl. zeigt sieh überall
als klarer, vorsichtiger Denker, und hat eine durchsiehtige Dar-
steUnng. Wer imnier sich für die jetzt so vielfaeh veiitilirten
Fra£^ interessirt, wird bei ihm Belehrung, mindestens Anregimg
finden kl^nnen. Man sage uns nicht, dass die materialistische Ten-
denz bereits in starkem Bückgang begrifien ist, and dass man
kritische Untersuchungen darüber entbehren kihme. Wenn selbst
die Sprachforschung fUr eine physische Wissenschi^ erkl&rt Wird,
(von M. Müller) und die Sprache für eine nur materielle Existenz
(von A. Schleicher), als ob die Sprache im tönenden Worte auf-
ginge, und ein Leib ohne Geist wäre, muss man diesen jüngstwi
Kundgebungen gegenüber wohl srogeben, dass der MateriaUsmUfi
noch in Bdütbe steht.
Giessen. fikhilliiig.
K. 8. FrikarU Lehrbuch der AriihnuUk und Algebra. FürMiMl^
achtden und Lehrer$0minarej und %um Selbetunierriehie, EreUr
Tluii» ufdcher den ersten Cure der ArUhm^l^ mdhäti. Aarmi töSfi.
Dieses Buch ist von einem auf drei Bände berechneten Werke
der erste Band, welcher den ersten Cnrs der Arithmetik enthält,
und in drei Hauptabschnitte zerfallt« Der erste Hauptabschnitt
beschäftigt sich mit den ganzen Zahlen, der zweite mit den ge^
meinen Brüchen, und der dritte mit den Decimalbrüchen« Mit der
Theorie sind zugleich die für das Berufsleben wichtigen Anwea^
düngen verbunden. Dieser erste Ours enthält also den Lehrstoff
für die zwei untersten Klassen einer gut organisirten Mittelachnle.
Der zweite Band, welcher noch nicht erschienen ist, aber mit
dem ersten ein abgoschlossenes Ganzes bilden soll, wird als zweiter
Curs der Arithmetik die höheren Partien dieser Wissenschaft ent-^
halten (Vorrede S. V).
Der Verfasser, welcher bei seiner langjährigen Lehrtfaätigknii
sich als einen ausgezeichneten Lehrer geltend gemacht hat, und als
solcher auch allgemein anerkannt ist» liefert mit seinem Buche eiiM
systematische Darstellung seines ünterriohts, wie er ihn sowohl
dcff Methode nach ala auch dem Stoffe nach ertheilt. Br geht aus
von d^r einfachsten Anschauung^ und von ihr schreitet er fort zum
Frikartx UUbaA ier Ariümellk «ad Algebn. BM
BegniüB. Er b«obaolit«t eme liehtroDe Ordmmg, tutd kllt aif
OiftndHohMt und Consequeni , sowie wa£ Strenge in DenkMi nad
Beireiien. Auch die Begeln sind kltr abgefuet, so das» d«r ScMler
sie mit BewusstMin gebrauchen kann, and niemale meebaaleeh
arbehei. Beeonders bei den praktischen Anwendungen i deren in
dieeem ersten Coree eine ttberaoe zahbreiehe Menge TorlBoaiiiity M
zn bemerken, dast ele alle dnreb Bednetiea auf die Biakeii getoit
Bind« Die AnflOeong der Sreisati« nnd Vieleatfreohnangen i^telfl
der Proportionen, eowie die Behandlung dee Kettensatfes als einer
Verbindung Ton Oleiehungen aind mit Recht dem zweiten Oars der
Arithmetik Torbehalten.
Vorzüglich mag herrorgehoben werden, daee die BehanAong
der Brüche, sowohl der gemeinen als auch der Deelmalbraohe, eine
sehr gelungene und dem Verfasser elgenthfimHche ist. Und gerade
das Bmehimhnen bietet dem ersten Anlteger jedesmal die gitSseten
Schwierigkeiten dar. Hier nun hat der Verfasser sich bemüht, der
Individualit&t der verschiedenen Schüler möglichst Becbnung zu
tragen. Für einen solchen, dem die wissenschaftliche Aufibssung
Schwierigkeiten macht, ist gezeigt, wie man ihm auf dem Wege
der Anschauung die n(5thigen Kenntnisse beibringe; und zugleich
findet sich für den Schüler, der besser begabt ist, eine gründliche
und wissenschaftliche Behandlung.
Weil es, wie ja der Verfasser selbst gleich im Anfange der
Vorrede zu bemerken nicht yergisst, in den verschiedenen Sprachen
sehr viele gute Bücher über Arithmetik gibt, so wftre es mit den
grl^eeten Weitläufigkeiten verbunden, speciell anzugeben, welche
Vorzüge das Friksit^sche Buch vor diesem oder jenem der früher
ersehienenen Bücher über Arithmetik hat. Wegen seines weitaus^
sehenden Zweckes und wegen seines reichen Inhalts musste das
Bueh ein compendioses werden; und so kann es einem Schüler
nicht wohl als Schulbuch, zum Gebrauche beim Unterrichte gegeben
werden, es ist vielmehr als Handbuch für den Lehrer bestimmt.
Nun ist es sehr oft der Fall, dass mancher Schüler einer Mittel-
sdiule nur etwa die beiden ersten Klassen durchmacht, und von
da hinweg sic^ einem Lebensberufe widmet; und fOr so einen
Schüler ist es ganz zweckmässig, wenn er in seinem Lebensbemfo
ein Handbuch besitzt, das auf die Grundlage des früheren Ünter^
riehtes gebaut ist. Ein solches Handbuch kann er dann gebrauchen
theils zur Wiederholung und Befestigung dessen^ was er iVüher in
der Sehuk gidemt hat, theils zu seiner weiteren Ausbildung. Kament*
lieh ist zu beachten, dass gerade dieser erste Ours fttr das gewühn*
Uohe Berufsleben ein abgeschlossenes Ganzes bildet und vonkottur
ausreicht. Es ist aber auch ftir solche Schüler, welche die m
Mittelsohule durchmachen, gut, wenn sie nach ihrem Austri^or
der Schule im Berufiileben ein solches Handbuch besitzen.'» so
Besonders empfehlenswerth ist das Buch ftlr aaigef>^> wo
meindeschullehrer. Diese künnen es in seinen elemdstp^^'^^ni
. Baum-
810 Brande 8: Amflug bmIi Bpanton.
als metikodisohes Handbuch bei ihrem unterrichte verwerthen, und
dessen höhere Partien zu ihrer weiteren Fortbildung benützen. In
letzterer Beziehung wäre es freilich erwünscht, dass auch der
zweite Oors der Arithmetik erscheinen möge. Belbstycrständlich
kann man ein Buch, das den angestellten Gemeindeschullehrem
empfohlen zu werden yerdient, auch den Zöglingen des Lehrer-
seminars empfehlen , denn diesen bleibt immerhin noch soviel Zeit
und Mühe übrig, dass sie neben ihrem obligatorischen Tagespenqum
auch noch in irgend einem Fache Selbststudium treiben können.
Auch die an höheren Schulen angestellten Mathematiklehrer,
namentlich die angehenden, können in dem Buche in methodischer
Beziehung gar manches Neue finden; und keiner, auch der er-
fahrenste, wird dasselbe ohne wahre Befriedigung aus der Hand
legen, er wird vielmehr eingestehen, dass man aus diesem Buche
etwas Tüchtiges lernen könne. Dr. Strauch.
Autflug naeh Spanien im Sammer 1864 von Dr. H. K. Brandet,
ProfesBor und Reeior des Oymncuiuma »u Lemgo. I^emgo und
Detmold. Meyer^sehe Hofbuehhandlung 1865. 96 S. in 8.
Es ist diess das eilfte Mal, dass wir mit dem Verfasser
zusammentreffen, der in dieser Schrift seinen eilften Ferienausflng
auf dieselbe eingehende Weise beschrieben hat, die wir aus der
Darstellung seiner frühern Ausflüge nach Süden wie nach Norden,
zuletzt noch aus dem Ausflug nach Portugal bereits kennen; siehe
diese Jahrbb. 1864. S. 551. Das gleiche Interesse wird auch der
Leser bald diesem, wenn auch kürzeren Ausflug nach Spanien ab-
gewinnen; und mit gleicher Theilnahme wird er der natürlichen
und lebendigen Schilderung dessen folgen, was der Verf. auf diesem
Ausfluge erlebt und gesehen hat. üeber Marseille, und von da zur
See ward die Reise angetreten, ünwillkührlich trat bei dem Be-
suche dieser Stadt dem Verf. die Erinnerung an die Gründung
derselben durch die Phocäer, an ihre Schicksale und ihre Bedeu-
tung im Alterthum vor die Seele: aber er yergisst darüber auch
nicht die Oegenwari um die Stadt mit Einem Blick zu über-
schauen, bestieg er die weithin in die See einlaufende Felshöhe,
welche auf ihrer Spitze die Kirche Notre Dame de la Garde trägt :
▼or seinen Blicken lag die Stadt mit ihren Tausenden von Häusern
ausgebreitet; »der Hafen, so schreibt der Verfasser, erscheint fast
v^u^ein Landsee. Gewiss der Anblick ist prächtig und grossartig,
ungeheuere Masse yon grossen hellstrahlenden Häusern, die
sich ^ Thaltiefe bergen steigen, die unzähligen weissen Bastiden
solcher. dhäuser), das blaue Meer und der Hafen mit dem Wald
syatema^, allein ich muss hier sagen, was ich jüngst von der
der Meth<Portugal's sagte: Eins fehlt, was dem Gemälde Leben
YOÄ Ä«r eÜ
BraadeB: Ausflug nmth Spuioi. Sit
und Frische ertheilt, es fehlt das Grttn des Waldes ; und die weiss«
lieh-graae Farbe der Oliyenb&ume , fem dayon jenes va ersetsen,
stimmt mit dem Oran der Felsen and yermehrt nnr den einiftnni-
gen nad melancholischen Ton der Landschaft, der man aber den
Charakter des Grossen nnd Erhabenen nicht absprechen kann. Leb-
haft stellen sich hier unsere grünen, frischen, lebendigen Buchen-
gehfilze yor meine Augen, und ich freue mich auch in der Feme
der W&lder unsers deutschen Vaterlandes c (S. 8). Von Marseille
ging, wie bemerkt, die Reise weiter zur See, auf dem Dampfer,
welcher direkt nach Gadix steuerte^ und unterwegs nach kurzem
Aulenthalt zu Barcelona, etwas länger zu Alicante und lu Malaga
anhielt, daher yon beiden Städten eine Beschreibung gegeben wird«
Die Weinberge, nach denen der Verfasser sich an beiden Orten
erkondigt, lagen hinter den Bergen, und konnten nicht gesehen
werden; am besten mundete indess der Wein yon Alicante. Von
Cadix eilte der Verf., der zunächst Andalusien kennen lernen wollte,
nach Seyilla, das auf ihn einen heitern Eindruck machte, und durch
die grossartige Kathedrale, wie durch den Alkassar, den ehemaligen
maurischen Eönigspalast, nicht minder anzog, yon da nach Cordoya,
wo der erste Gang ebenfalls nach der riesigen und berflhmten
Kathedrale gerichtet war, welche aus einer Moschee in eine christ-
liche Kirche um geschaffen, ungeachtet aller ihier Ausdehnung und
des kolossalen Baues doch »nicht den tiefen, erhabenen, andächti-
gen, feierlichen, heiligen, zum Himmel ftlhrenden Eindmck macht,
welchen das Innere des im gothischen Styl erbauten Doms mit den
felsenstarken Pfeilern und Spitzbogen der Seele einprägt, wie
man ihn in dem Münster zu Strassburg, in dem Dom zu Cöln, in
der Marienkirche zu Danzig oder im Münster zu Freiburg, oder in
der Lorenzkirche zu Nürnberg empfindet u. s. w.c (S. 81). Von
Cordoya ging es mit der DiUgence nach Granada: hier war die
Alhambra Hauptgegenstand der Betrachtung, und sie hinterliess
auch, zumal durch die ganze Umgebung und den Blick auf die
ganze herrliche Gegend, auf die nahen Felsen, die Wald- und Schnee-
bex^e den tiefsten Eindruck in der Seele des Beisenden. Von Granada
ans wendete die Beise sich nach Madrid, theils auf der Diligence,
theils auf der Eisenbahn; yon der behaupteten Unsicherheit der
Gegenden, durch welche die Diligence in raschem Lauf ihren Weg
nahm, fand der Verfasser durchaus keine Spur. Ausflüge nach dem
Eskorial, nach Toledo und nach Arai^juez wurden yon Madrid aus
auf der Eisenbahn entnommen: der Eindmck, den diese Orte auf
den Verfuser machten, spiegelt sich in der Schilderang derselben
ab, namentlich war es das freundliche Aranjuez, das auf ihn einen
ganz andern Eindruk machte, als das finstere Toledo, und daher
aach mit sichtbarer Vorliebe geschildert wird. >In Wahrheit, so
schliesst seine Beschreibung S. 74, es ist schün in Arai\juez, wo
überall die frischen grünen Farben der Natur yor uns schimmern
und spielen , wo auf Baumgruppen und Wald , Wald und Baum-
Sit BrätLdtni AiiBflni uicli Spudaa.
gmppea folgen, wo die Wasser lanfen, pl&tschern und springen,
wo die Kunst so manches liebliche nnd anlockende Plfttzchen fein
zureohi gemacht; und es war mir wohl zu Mathe, als mich nach
der sengenden Hitze auf der Hochebene Madrid*s and an Toledo's
nakten Felsen die ktthle Waldang ron Araojoez empfinge (S, 74).
Die Bfickreise erfolgte Yon Madrid anf der Eisenbahn nach Bar^
celona, das nnn näher besehen nnd anch geschildert wird. Am
Freitag den 5. Angast, am 4 ühr Nachmittags fahr der Yerfasser
auf dem Dampfer nach Marseille, das am folgenden Tage Mittags
erreicht ward ; am 1 ühr desselben Tages fahr er mit der Eisen-
bahn weiter in einem Zag über Lyon, Dijon nach Mühlhaasen, wo
Übernachtet werden mnsste. Am Sonntag ging es dann über Strass»
borg, Frankfurt, Kassel nach Paderbora, wo der YerÜASser Montag
Morgens am 9 Uhr eintraf, and von da die noch übrigen acht
Standen zn Foss, »darch die prächtigen Bachen wftlder des Saltos
Teatoborgiensis, die doch zwanzigmal schöner sind als alle Oliyen*
haine Spaniensc, nach der Heimath wanderte, am des andern Tages
den Primanern seiner Anstalt Ton 8-^12 nnd toü 1-^2 fünf Stao«
den Unterricht za ertheilen t Wir wünschen dem Verf. von Herzen
die gleiche Bttstigkeit nnd Aosdaaer aach für noch lange Zeit. Sr
sehliesst seine Schüderang dieser Beise nach Spanien mit der Be-
merkang, dass ihn diese Beise mehr ai^griffen, ak die io Griechen-
land, haaptsftohlich darom, wtil er sich hier eines ongestürten
rahigen Schlafes erfrente, was in Spanien nicht der Fall war, wo
Mücken and andere Unthiere ihn peinigten xmd zn einet erf^nlichen
Bohe nicht kommen liessen. Indess — so sehliesst er sein anzie-
hendes Beisebüohlein — das Ungemach ist rergessen and wo ich
gehe nnd stehe, zieht nnn das schöne Land Tor meinen Augen her
nnd zeigt ihnen die altberfihmten Städte Malaga, Gadix, Sevilla,
Oordova, Qranada, Toledo, Saragossa, Barcelona, das moderne
Madrid nnd das reizende Araojnez mit den prftchtigen Wäldern,
sodann die himmelhohe, schneebedeckte Sierra Nevada, das grosse
wohlbebante Thal des Qnadalqnivir , die Felsen and Kappen der
Sierra Morena mit ihren arabischen Defileen, das zackige wilde
Gnadarrama-Gebirge mit dem Escorial, die endlosen Waizenfelder
mit ihren Olivenhainen in den Ebenen der Mancha and mit jeder
Stadt eine schöne Alameda (Promenade), anf welcher ich michonter
dem spanischen Volke freadig einherbewegte. Die luftigste Stadt
schien mir Sevilla, die glänzendste Madrid, die gewdrbreichste Bar*
celona, jedoch in keiner weilte ich so gern, and in keiner gefiel
es mir so wohl als in Granada and Arai^aez. Was mir aber am
merkwürdigsten bleibt von Allem, was ich anf der Halbinsel ge^
sehen, das ist die Kathedrale von Cordova nnd die Alhambm voii
Granada. € Eine schöne poetische Zagabe ist die Elegie des Bpsbm-
sehen Diehters Bioja (f 1659) aaf die jetzt gänzlich verschwondene
Bömisohe Stadt Italica: Oancion« Las ruinas de Itdlica, welche im
spMUidieii Original abgednuskt, vom einer getohmaekroUeai dent-
0ofao(D üebersebsong des YerÜMaerB begleitet ist*
Dms fMim ä Nieotaa de Flu$. ROaUam de Jmn d$ WoftMeJm d
^Mderi de BmmUttm, iraduUee par Eduard Fiek, doeUu^
en, droü ei tn phüotopkU, Oen^e, Imprimerie de J. Q. Fiek
1864. 10 8. 8.
Wir haben sekon mehrfach Gelegenheit gehabt, in diesen BlAUem
der von der Fick*8ehen Bnehhandliing an Genf ausgegangenen Droeke
zn gedenken, in welchen yersohiedene anf die Voraelt Genüi, int*
beaoadere aof dessen BeformationsgesckiQhte besttgliche ttltere Dmok-
Befarüien in einer Form und in einem Aeossem, welches gans der
alten nnd nrsprflnglichen gleicht, nnd diese in täaschendünr Weise
nachzubilden verstanden hat, erneuert worden sind. Die grossen
Schwierigkeiten, mit welchen diese Terknüpft ist, und die ausser-
(nrdeniliche Genauigkeit und Sorgfalt, welche dabei beobachtet wor-
den, sind Hberall und mit Becht der Gegenstand der vollsten
Anerkennung nnd wohlverdienten Beifalls geworden. Auch die vor-
liegende Publikation kann darauf mit allem Grand Anspruch machen :
sie ist, was die äussere Form betrifft, in derselben antiken Weise,
gleich den früheren Drucken gehalten; und in ihrem Inhalt eben-
falls auf das fünfiehnte Jahrhundert beztlgKch: der Gegenstand
derselben betrifft auch diesamal die ältere Gesehiehte der Schweis,
es ist der in seiner Zeit so gefeierte Einsiedler Nicolans von der
Flüfi, dessen Leben und Wirken noeh in neuester Zeit durch eine
unsÜEkssende Darstellung in das Gedächtniss der Zeitgenossen znrftek-
gerafen worden ist. Die Erxählung von swsi dem Einsiedler ge^
machten Besuchen wird uns hier in einer, von Hm. Dr. Eduard
Fiek veranstalteten frsAzösischen üeberseisnng, die sich durch ihre
fliefisende, anziehende Bprache empfiehlt, vorgelegt, die eine dieser
Emfthlungen ist aueh mit dem lateinischen Original begleitet, ans
deren Yergleichang wir wohl ersehen können, mit welcher Ge*
wandkeit und mit welchem Geschicke der üebersetzer sich seiner
An%abe entledigt hat. Die erste Errähhmg ist der Bericht von
einer Beise, welche einEdelmann zu Halle, Johann von Wald-
heim im Jahre 1474 in die Schweiz unternommen, welcher, da
er von dem Bufe des Einsiedlers gehört, auch den merkwürdigen
Mann selbst besnehen und kennen lernen wollte ; dieser Bericht, der
in der Bibliothek zu Wolfenbüttel sieh befindet, wurde zuerst im
Jahre 1826 in Ebert*s üeberlieferungen und dann im zweiten Bande
v<»i Balthafiar's Helvetia abgedruckt: er ist in der That so in^
teressaat, dass man zumal in der geftUigen Form, in welcher der-
selbe hier vorliegt, gern dabei verweilen wird. Aber auch v(m dam
andern Beriobt mag das Gleiche gelten; sein Verfasser ist eine he»
814 V. Malortie: Bettr&ge nir GeMhichie n. 8. w.
kannte Persönlichkeit, Albert yon Bonstetten; sein Beriebt,
den er ttber den BeBucb bei dem Eremiten abgestattet nnd im Mai
1485 an den Magistrat zn Nürnberg in zwei Gopien, einer Latei-
nischen nnd einer Deutschen, abgesendet hatte, war lange vermisst,
erst im Jahre 1861 in dem Nürnberger Archiv durch Hm. Baader
aufgefonden, und durch denselben an Pater Gall Morel zu Ein-
siedlen abgeschickt worden, der im Geschiohtsfreund Band 18 im
Jahre 1862 den lateinischen wie den deutschen Text veröffentlichte.
Nach dem ersten ist die hier gegebene üeberseteung veranstaltet,
welcher der lateinische Text selbst nachfolgt, mit aller kritischen
Sorgfalt abgedruckt. Beide Reiseberichte, wie sie hier vereinigt
sind, wenn sie auch keine neuen historischen Aufschlüsse ttber eine
seinerzeit so bedeutende Persönlichkeit wie die des Nicolaus von
derFlue bringen, sind doch ungemein anziehend geschrieben und
verdienten daher wohl die Erneuerung, die ihnen durch diese
Schrift zu Theil geworden ist.
BeUräge %ur Oeschiehte des Braunsehtüeuj-Läneburfrischen Hauses und
Hofes. Von C. E, von Maloriiey Dr. phü. kdnigl Hanno^
vef^sehen OberhofmarsehaU de. Hannover. Hahfi^scke Hofbueh^
Handlung 186^—1864. Drittes Heft. 215 8. Viertes Heft
188 8. in gr. 8.
Beide Hefte werden nicht minder Beachtung verdienen, als
ihre beiden Vorgänger, denen sie, was Wesen und Charakter der
hier gelieferten, archivalisohen und urkundlichen, daher auch offi-
oiellen Mitthoilungen betrifft, gleich stehen und des Interessanten
nicht Weniges in dieser Hinsicht bringen, was zur Charakteristik
des Hof- und Militftrlebens , wie auch der Civilverwaltung dient,
meist aus einer früheren Zeit, noch ehe die Stürme hereinbrachen,
welche mit dem neunzehnten Jahrhundert eine Umgestaltung aller
Verhältnisse in Deutschland herbeigeführt haben. So enthält das
dritte Heft einen merkwürdigen, in französischer Sprache abge-
fassten Brief eines Beisenden über die Haltung Hannovers in den
zunächst verflossenen Jahren, vom 1. Juni 1698, dann eine Ge-
schichte des Hannoverischen Militärs von 1692—1762 mit genauen
Angaben über den Bestand in den einzelnen Jahren, dann folgen
Aufsätze über das diplomatische Corps, die Bangverhältnisse und
die Hoffllhigkeit in den Hannoverischen Landen, so wie merkwür-
dige Beiträge zur Geschichte des Küchen- und Tafelwesens bei den
deutschen Höfen. Die Beschreibungen des königl. Besidenzschlosses
zn Hannover und des Schlosses zu Celle machen den Beschluss.
Das vierte Heft wird eröfinet mit einer genauen, für die Cultur-
geschichte interessanten Darstellung derBraunschweig-Lüneburgischen
Eleiderordnungen(S. 1— 56), an welche sich passend dasSparsam-
keitsi-Besoript des Kurfürst Ernst August vom September 1691
Fieklcr: nHutt dvNli KooatanL ttS
ttaohliesst, in welchem Massregeln angeordnet werden , damit ein
eingetretenes Defioit von 24,000 Thlr. ttber die fOr Tafel, Ettche
nnd Keller aasgesetzten 84,000 Thaler nicht wiederkehre. Weitere
kllrsere Mittheihmgen betreffen die Feierlichkeiten wegen Erlangung
der Knrwflrde im Jahr 1692 und den Fürstenhof 1609. Dann folgt
die Beschreibong der Schlösser Gifhom and Osnabrück 1675,
ein (französischer) Bapport über die Schlösser anter der West-
phftlischen Begierong vom Jahr 1810, an welche eine Darstellung
des Theater's zu Hannover vom Jahre 1680 sich anschliesst, die
in ihren mannig£EM)hen Details auch jetzt noch die Aufmerksamkeit
aaf sich ziehen wird. Die übrigen Aufsätze dieses Heftes schlagen
in die Landesverwaltung ein. Zuerst wird mitgetheilt die Organi-
sation der Oberharzischen Bergwerksverwaltung durch Herzog Julius
y(m 1568—1577, worauf Nachrichten über die ältesten Berghaupt-
kate vom Oberharze 1524—1570 folgen; den Beschluss macht der
Staatshaushalt des Fürstenthums Grubenhagen in den Jahren 1622
—23 und 1623—24.
Wir haben damit den Inhalt dieser beiden Hefte näher be-
zeichnet: der Werth dieser Mittheihmgen in geschichtlicher, wie
insbesondere in culturhistorischer Hinsicht bedarf keines weiteren
Nachweises: wir erinnern nur an den erwähnten Aufsatz über die
Kleiderordnungen, welche mit den Tcrschiedenen Luxusgesetzen,
wie man sie in älterer und neuerer Zeit Torgeschlagen hat, in
n&herer Verbindung steht und zu mancher interessanten Yerglei-
dnmg Anlass bietet. In historisch-dynastischer Beziehung werden
die yersohiedenen Aufsätze über die Schlösser auch manches Neue
bringen. Dabei ist die Darstellung rein objectiv gehalten, auf das
Thatsächliche beschränkt, oder eben dadurch um so werthyollen
Wir glauben darauf um so mehr hinweisen zu dürfen, als man so
oft heatigen Tags bei ähnlichen Mittheilungen auf das Qegentheil
stoBst. Die weitere Fortsetzung derartiger Mittheilungen wird da-
her erwünscht sein«
Führer durch du Stadt Kondan» und du JUerthumshaiU im Kauf'
hause. Kanstam 1864. J. Stadhr^iehe BuehdfiiekereL 78 8.
fff» 8.
Schon der Name des Verfassers (Professor Fickler) kann
dafttr bürgen, dass wir in diesem Führer durch Konstanz keines
der gewöhnlichen Produkte Tor uns haben, wie sie von der ge-
sehftftigen Speculation aller Orten im Umlauf gesetzt werden, son-
dern Etwas Anderes und Besseres zu erwarten haben« Und in die-
ser Erwartung wird man sich bei näherem Einblick in diesen
Führer nicht getäuscht finden. Er bringt zwar auch alle diejenigen
Notizen, welche dei^enigen yon Nutzen sind, welche in der denk-
zw Heta«BB; "Bmäm^nttmmmg tet9ckwe!s.
wüpdigett Stiidt sich «tther amseh«!! «md das, wae sie Merkwfir^ges
bieUt, koimeQ Idrnea wollen ; allein er verbindet damit aaoh weiter
eine Oesobiohte der Stadt in einer gedrängten, sehr befriedigenden
Weise, »as der bald ersiehtlioh wird, wie der Yerf. eeines Stoffes
Ydllig Herr und Meist«* ist, und darum es wobl versteht, mit
Uebergehung minder wichtiger Ereignisse denBliek des Lesers auf
das zu leiten, was unwillkürlich in der Stadt Oonstanz seine Auf-
meiksaiiikeit erregt. So ist ee begreiflich, dass dem berühmten,
in dieser Stadt von 1414—1418 abgehaltenen Ooncil besondere
Beachtung gesollt und die fiauptmomente , die hier in Betracht
kommen, dargestellt werden, stets im Hinblick auf die einselnen
LokaKtärten, an welche diese Ereignisse sich knüpfen. Daher wird
«ach der Gonciliensaal (im EaufhauB) mit den jetzt dort befind-
tiehen Sammlungen S. 34 ff. näher beschrieben und der Bestand
dieser Sammlungen im Einzelnen aufjgeführt; ni^ minder das
Münster mit den übrigen Kirchen, so wie das t. Wessenberg'eohe
Haus mit den darin jetzt befindlichen Eunstsoh&tzen und der Hblio-
thek (S. 70 f.). Auf diese Weise wird dieser Führer auch ausser-
halb der fitadt Oonstanz und abgesehen Ton dem nächsten Zweoke,
fltr den er bestimmt ist, Beachtung und Anerkennung finden«
Die Bwndesoerfammg der eehwehferiicken Bidgtnouemtkaft und die
StaaU^erfoßsungen der Kantone. OesammeU und herausgegeben
ven Füreprecher Heimann, e^ Z. 8iaat$anMUt dei deekmdm.
Ifidem 1864. Jm ßtlbitveruige dee Herauegebere. /F %u 624 S.
tu gr, o«
Da seit dem Jahre 1856, in welchem eine Sammloag der
Verfassang der Sohw«izerkantone 2U Freiburg erschien, mekxeite
Oantone theils neue Verfassungen sich gegeben, theils die bis da^
hin bestandenen revidirt und mehr oder minder erhebliche Aende-
rungen gemacht haben, so war schon aus diesem Grunde eine
Sammlung, welche die Verfassungen aller Cantone, so wie sie jetzt
beetehen und in Wirksamkeit Bind, enthält, wünachenewertk und
.selbst neihwendig; ale Ausgangspunkt ist der 1. April 1864 an-
genommen, seit welcher Zeit auch keine erhebliche Aenderungen
in dem Ver&ssungsleben des Ganzen wie der einzelnen Gantone
«iaigetretein sind. Wir finden mm in dem Toriiegendea Werke einen
fpananen Abdruck sämmtlioher Ton dem bemerkten Zeitpunkt aa
in Erafb getretenen Btaatsveifassongen der einaelnea Oaatoaa
-der Schweiz, wekhen ein eben eo genauer Abdruck der Bundes-
^aifassung der «diweizerisehen Eidgenossenschaft Toraageht. Da es
hei einem solchen unternehmen hauptsäefalich auf die Autfaentia
des Gkmzen wie des Einaelnen ankommt, so mag hier nnr bemerkt
weiden, elase der Heransgeber bemüht war, den in dieser Hinsielit
sa «UDeAden A&forddnmgeii ta «nttpreoheiiy dass er dessbalb ttberall
den «otlieiitiBokeii devtsolieiiTezt gegeben hat, und bei demjenigen
Oantoaen, von welehen kein eolcbw Originnltezt vorliegt -^ Teeein,
Wandt, Kenenborg nnd Genf — die üebereetsnng der amtlichen
AiOigabe nnfgenommen and darüber selbst eine offioieUe Beglan-
bignng gegeben hat» Demnach erscheint die ganze Sammlung gleieh-
mieeig in deutsoher Sprache. In Anmerlnuigen unter im Text
änd die nOthigen Verweisungen auf die Artikel der Bundeever-
fiwsong und Aehnliehes beigefügt Auf diese Weise hat der Heraus-
geber ein, auoh ausserhalb seines Heimathlandes brauchbares Werk
geliefert, welches in einem massigen Band die Verfiassnngen aUer
sdiweiierischen Oantone enthalt, und auch dem femer Stdheaden
SU manchen interessanten Yergleiohungen über den jetxigen Stand
des sohweiserischen Verfassungslebens Gelegenheit gibt. Auf die
Yerfisssung der sehweiserischen Bidgenossenschaft folgen die Ter-
fiMSongen der einzelnen Cantone in folgender Beihe : Zftrich, Bern,
Lnaem, üri, Sehwys, ünterwalden ob dem Wald, Unterwnlden nid
dem Wald, Glarus, Zug, Freiburg, Solothnzn, Basel-Stadt, Basel-
landechaft, Sehafhsusen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Inner-
rhoden, St. Gallen, Graubttnden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt,
Wallis, Neuenbürg, Genf. — Druck tmd Papier sind gut ausgebUen,
das Ganze correct gehalten.
P§yeh$. Em da$gari9dka Märeken. Nuek dem Laieinieehen dee
ÄppuUjus vom Friedrieh Preaeeh Vhn. Kridfeehe Bueh*
umd Kumthamdlung. 1864. 68 8. in 19.
Wir erhalten in dieser Schrift eine Bearbeitung oder Tielmehr
eine &eie üebersetsung der schOnen Mythe Ton Psyche und Onpido
(Snw), wtiche Appulejus im vierten Buche seiner Metemerphosen
bis zum sechsten erzKliU ; der Verfasser hat, wie er sich ansdrtLekt,
nicht an den Text rieh angeklammert, sondern es für widitiger
eraehtet, an den Genius der deutschen Sprache und Dichtung üdk
zu halten. Daher liest sieh auch das Ganae in der üeseenden
Darstellung ganz angenehm und lässt eben darum kaum merken,
dass wir hier ein fremdes Original, das mit aller Gewandheit in
deutscher Sprache wiedergegeben ist, vor uns haben. In den am
Schlüsse beigefügten >Erläaterangen€ macht der Verf., in Bezug auf
die Verschiedenheit des antiken Geistes von dem modernen, dar-
auf aufmerksam, dass dem klassischen Alterthum das Märchen als
eigene Kunstgattung fremd geblieben sei, und dass wir in der Mythe
von Psyche und Eros eigentlich das einzige antike Märchen be-
sitzen, das er eben darum versucht habe, in der ihm angemessenen
Kunstform auch weiteren Kreisen, als den blos gelehrten, zu-
gänglich zu machen.
8t0 Psyelie. VonPr^steL
Der Yer£iasser stellt nicht in Abrede, dass allerdings Märchen-
haftes in Hülle und Fülle im Alterthum yorkomme, von der Ho-
merischen Circe an bis anf den Bing des Gjges bei Plato, allein
das Märchen selbst, als eine von Mythus und Sage unabhängige
Knnstgattung besitzt nach seiner üeberzeugong das Alterthum nicht :
den Grrund dieser Erscheinung findet er darin, dass das Märchen
ein Kind der Romantik ist, eine Art Fluchtversuch aus der Wirk-
lichkeit. Seine Voraussetzung ist die Scheidung des Natürlichen
und Göttlichen im Bewusstsein, und, was die Folge daron ist, das
Hinausstreben aus der Öden armen Welt in die Einbildungskraft,
die gleichsam eine Vergütung dafür verlangt, dass der Verstand die
Welt entgöttert, entseelt hat ; dem von der Gegenwart seiner Götter
gesättigten Griechen lag daher das Märchen ferner, und noch mehr
dem von dem Idol der Macht beherrschten nüchternen Bömer;
»allein, setzt der Verfasser S. 56 hinzu, es kam eine Zeit, da das
antike Bewusstsein an sich selbst inne wurde, da ihm die schöne
Sinnlichkeit, die machterfüllte Gegenwart schwanden und der Glaube
an eine unsichtbare Macht BedüiMss wurde. Der Vertreter dieser
Richtung, die sich als ein üebergang zur Romantik darstellt, wurde
derNeuplatonismu8.€ Appulejus gehört zu dessen hervorragendsten
Anhängern; er hat in dieser Episode, die jedenfalls einen tieferen
Hintergrund hat , es versucht , die Platonische Lehre von der Seele,
deren Präexistenz, ihrem Fall, ihren Leiden im Zustand des Suchens
und ihre Wiederkehr darzustellen und in dem Bilde von Psyche
deutlich genug gezeichnet (S. 57). Wir theilen diese Anschauung,
so sehr man auch in neuer, ja neuester Zeit es versucht hat, dem
schönen Bilde diese tiefere Bedeutung zu entziehen ^ es aller alle-
gorischen Beziehung zu entkleiden, und auf die den indogermani-
schen Völkern gemeinsamen Märchen zurückführen, dem Appulejus
aber nur den Ruhm zuzuweisen, das, was er als Volksmärchen
kennen gelernt, mehrfach durch Zusätze, Weglassungen, Aenderon-
gen entstellt zu haben. Wir können uns dieser Auffassnngsweise
nicht anschliessen und verweisen darum lieber auf den Verfisbsser
und seine, wie es uns erscheint, richtige Auffassung der ganzen
Mythe, die von ihm, in einer, wie schon bemerkt worden, so wohl-
gelungenen Weise deutschen Lesern hier vorgeführt wird.
Ii. 21. HEIDELBEB6EB 18115.
JAflilBÜCBER DER LITERATUR.
Blauer für Oefängtmskunde. Organ da Vereins der deutschen Straf
€auiaUbeamien, herausgegeben von dessen Ausschuss. 1-^3 Hrft.
Heideiberg. In Kommission bei O. Weiss. 1H65.
Wem an der FOrdening des Ge&ngnisswesens liegt, Der kann
sich nur freuen, dass der fraohtbringende Qedanke des Zosammen-
wirkens neuerlich auch auf diesem Gebiet sich wieder bethatigt
hat dnrch Stiftmig eines Vereins deutscher Strafanstaltbeamten und
Ghündung eines besondem Blatts für denselben, wovon die drei
ersten Hefte vorliegen« Für sich klar ist, dass ein so loser Ver*
ein sich kaum von einer freien Zusammenkunft (Eongress) unter-
scheidet; und darum liegt die Frage nahe, ob für die Sache, d.h.
für die gegenseitige Förderung in Erreichung des gemeinsamen
Zwecks, dadurch Etwas gewonnen sein werde, dass man nur die
ganz haltlose und unverständliche (I, 19) Beschränkung auf süd-
deutsche Straf&nstaltbeamte alsbald angegeben, dagegen an der
Beschränkung auf Strafanstaltbeamte, und zwar auf deutsche,
festgehalten hat. Politisch sind für uns z« B. die Ost- und
Westpreussen ebensogut Ausländer als die deutschen Schweizer,
während national sie Alle zu uns gehOren und obendrein Alle
von Einander ohne Frage lernen können. Aber ein Orund des Aus-
schhiBses auch anderer nicht deutsch er Mitglieder — so dass
Diese nur als G^ste »eingeladen werden könnenc — lässt sich
schwerlich entdecken; vielmehr würde durch deren Zulassung, da
die weit überwiegende Mehrheit doch immer aus Deutschen be-
stehen wfrd, ohne alle Qefahr eine wohlthätige Bürgschaft grösse-
rer Vielseitigkeit gegeben sein; denn, so wünschenswerth und natür-
lich es auch ist, dass wir Deutschen lieber z. B. in Bruchsal als
in Irland oder England uns über die sachdienlichste Einrichtung
der Einzelhaft belehren, so ist doch noch zur Zeit bei uns kein
solcher Ueberfluss an Zellengefängnissen und völlig genügenden Er-
&hnmgen vorhanden, dass es nicht gerathen wäre, einen verglei-
chenden Blick auch auf die Leistungen andrer Völker und nament-
lich nnsrer nächsten stammverwandten Nachbarn, der Belgier und
Holländer, zu werfen.
Koch weniger zweckentsprechend ist die Beschränkung auf
»Stra&nstaltbeamte«, woraufhin man das Betheiligungsrecht sogar
den Gtefängnissbaumeistem hatte abschneiden wollen (I) •— und
wovon man sofort schon zu Gunsten der » Aufsichtbehördenc wieder
abgehen musste. üeberhaupt wird jeder Versuch, einen zünfti-
gen Abschluss festzuhalten -^ zum unterschied von früheren
IiVHL Jatirg. 6. Heft. 21
dA2 Blltlef fOr GeJUngnitBirnacie.
Versammlungen — sicher nicht, wie Mittermaier meint | zmn
Yortheil eines solchen Vereins ausschlagen, soivlern nur schlechte
Frflchte tragen. Eitle Schwstzer und Schonredner fehlen nie in
einigermassen zahlreichen Versammlungen. Ein Praktiker aber,
der — vollends in einer Zeit des Fortschritts und der unleugbaren
tiefen Erschütterung und stetigen ' Umgestaltung der bisher herr-
schenden Strafrechtsbegriffe — dessenungeachtet mit Bewusstsein
der Theorie, also der Wissenschaft, den Bücken kehren wollte,
würde sich lediglich als einen gemeinen Handwerker biosssteilen,
als ein blindes Werkzeug höherer Befehle. Oder — wäre zum
Mindesten die Eigenschaft des Staatsdieners nothwendig? Sollte
eine völlig unabhängige Stellung, ein völlig uneigennütziges In-
teresse für die Sache, für Becht und Menschlichkeit, wie z. B.
Howard, Elisab. Ery, Suringar u. A. ihr ganzes Leben
hindurch es so erfolgreich bethätigt haben, wirklich nicht genügend
sein um Theil zu nehmen am lebendigen Meinungsaustausch in die-
sen Dingen, um dessen willen einst sogar Amerikaner nach Europa
kamen und die Kongresse zu Frankfurt und Brüssel besuchten,
und wahrlich nicht, \im »schöne Beden zu halten. € Ohne Frage
war daher der Kongress zu Frankfurt 1846 der bedeutendste und
lehiTcichste Kongress, der je gehalten worden ist.
Es ist leider nicht zu leugnen, Was ich bereits 1857 zu Frank-
furt, mit Zustinunung aller anwesenden Strafvollzugbeamten, aus-
geführt hatte, dass, zufolge der heute noch geltenden Strafgesetze,
den Leitern und Angestellten der Strafanstalten noch vielfach von
Oben wahrhaft unwürdiges zugemuthet wird, z.B. die Vollstreckung
vom Bichter verhängter s. g. Strafschärfungen der Hungerkost,
Dunkelhaft etc. Ist ihr Beruf ohnehin ein dorniger, so wird er
durch Dergleichen ohne Noth noch erschwert und noch weniger
beneideuBwerth. Und wenn auch Böckel*) im Allgemeinen
sich zu hart über die Beurtheilung dieser ihrer, mitunter geradezu
drückenden, Stellung von Seiten des Volks ausgedrückt haben mag,
so kann wenigstens Niemand, der Jahrzehnte hindurch Alles, was
den Strafvollzug angeht, aufinerksam beachtet hat, ihm Unrecht
geben, wenn er (S. 246) »die üeberzeugung ausspricht, dass von
Seiten der Leiter und Beamten unsrer Strafanstalten nie eine der
vorgeschrittenen Bildung und Humanität entspreohende Beform der-
selben ausgehen werde. Li diese Finstemiss muss das Licht von
Aussen hineingetragen wordene und (S. 266): »Aus sich selbsft
werden diese Anstalten sich nie reformiren ; ebensowenig von Oben
zum Besseren geführt werden, solange unsere staatlichen Zustände
dieselben bleiben; nur der Aufschrei und die nachhaltige Forde-
rung der öffentlichen Stimme kann eine durchgreifsnde Umgestal-
tung derselben erzwingen etc.« Der Kern von Wahrheit, der hierin
liegt, wird keinesfEÜls durch alle die vorgebliche Entrüstung wider-
*) Sftchsena Erhebung und das Zuchthaus su WMdheim. 1466. ^ 808.
ttitttf fthr QMngtüaAxmAe. 838
legt wetden, mit der Jene ihn Lügen zu strafen versnchen werden,
die es flfcr die erste Bürger- und Stsatsdienerpflicht halten, Alles
höchst vortrefflich nnd weise zn finden, was ihre eigne ^hohe
Staatsregierang€ thut oder lässt.
Wie immer aber die Gesetze nnd die Einrichtung der Straf-
anstalten mitunter noch tranrig- beschaffen sein mögen nnd so ge-
wiss es aueh ist, dass ebendadurch der Berof vieler der achtbarsten
Beamten im Ganzen zn einer trostlosen Sisyfiisarbeit gemacht wird,
wofthr einzeles Böse, was sie zn verhindern, einzeles Gute , was
sie zn fbrdem im Stande sind, nie entschädigen kann, so ist es
doch für den Fortschritt zum Besseren gewiss, trotz R 6 c k e 1, Nichts
weniger als gleichgültig, wenn sie sich wenigstens über Das, was
sie bei der dermaligen Sachlage erreichen und nicht erreichen kOn*^
nen, allgemein verständigen und ihre Ueberzeugungen über Das,
was anders und besser werden müsste, laut werden lassen (I, 18 f.).
Wir betrachten es in dieser Hinsicht als ein gutes Vorzeichen,
dass zunächst in Bruchsal die Versammlung getagt hat, da sicher-
lieh mit der Zeit kein Beamter alter oder auch Aubum* scher
Btralanstalten, zum Mindesten kein Vorstand, Geistlicher oder Lehrer
einer solchen, sich der Einsicht wird verschliessen können, dass mit
durchgehender Absonderung der Sträflinge von Einander
mit einem Mal das bisherige Haupthindemiss ihres gedeihlichen
Wirkens aus dem Wege geräumt sein würde.
Sehr überraschend nnd unzweckmässig war es, dass der ein-
leitende Vortrag über die Zellenhaft, ihre Licht-* nnd Schatten-
seiten, von dem Beamten einer Gesammthaftanstait gehalten wurde,
an der sich zugleich eine Anzahl Zellen befindet, ohne dass uns
aber gesagt wird, wie viele oder wenige; Ebendaher ist man ganz
ausser Stande über die Weite oder Enge des eigenen Beobachtungs-
kreises desBedners, Curaten Dorfner, sich ein Urtheil zu bilden,
der obendrein versichert, dass er es absichtlich unterlassen habe,
wenigstens von den dmckschriftlich mitgetheilten Erfahrungen
Anderer Über den Gegenstand Nutzen zu ziehen, um •— sich seine
Unbeftuigenheit zn bewEkhren! Ein solches Verfahren, wobei man
naeh AUem, was vor uns da gewesen, beobachtet und erfahren
worden ist, gar Nichts fragt, ist, vollends bei so hochwichtigen
Angelegenheiten, jedenfalls mehr als naiv 1 Wohin sollte es führen,
wenn ein Jeder so die Welt mit sich gewissermassen wieder von
Vom an&ngen lassen wollte, obwohl Diess gerade in dieser Sache,
die dock das Stadium des Versuchmachens längst hinter sich hat,
sogar von manchen Regierungen geschehen ist. Merkwürdig und
gewiss den Meisten nen sind besonders die (I, 32) mitgetheilten
Feinheiten Über die geschlechtlichen Verirrungen weiblicher und
mftnnücher Gefangenen, üeber die sehr eigenthümliche Theorie der
Seelenkräfbe, wovon der Redner ausging und worin die Einbildungs-
kraft eine hervorragende Bolle spielt, sowie über dessen höchst
angewtOmliche Art des Ausdrucks nnd des Gebrauehs der ^remd-
824 IBl&tier Ar Gef&iigiiiMkund«^
Wörter soll hier^nioht mit ihm gerechtet werden. Beachtenswerth
ist Was auch er über die Unmöglichkeit sagt, mit allgemeinen
Mitteln, wie Predigten und Dergleichen, vras kein Einziger anf sich
beziehe, Viel auszurichten (I, 25), über die während aller Haft,
trotz musterhaften Verhaltens, nie unbedingte Zuverlässigkeit prob-
haltiger Besserung und über die Arbeit, »die vielfach ein Spiegel-
bild vom ganzen Geisteszustand des Grefangenen gebet ; er betont
den Werth der Zelle, als Bettungsmittels für die Besseren, aber
auch bei den Verkommensten und Unzugänglichsten, sowie bei den
durch Streitsucht, Hetzerei und Widerspänstigkeit Gefährlichen,
endlich bei den Leichtfertigen und nur auf Geschlechtverkehr Be-
dachten — wenigstens als Mittels ihrer Unschädlichmachung. Für
Letztere, und nicht bloss für Trübsinnige, sei aber auch die Zelle
bedenklich, weil sie darin über ihren verhängnissvollen Neigungen
brüteten und ihnen unbemerkt nachhängen könnten. Um Diess —
was er offenbar zu hoch anschlägt — zu hindern und doch auch
die Verführung Anderer zu erschweren, will er solche Sträflinge in
einem abgescUossenen Baum des Arbeitsais zunächst den Aufsehern
unterbringen, wogegen — da wo nun einmal Gesammthafb alsBegel,
unter demselben Dach mit Einzelhaft, besteht — Nichts einzuwen-
den ist. Er führt aus. Was er in seinem ersten Schlusssatz zu-
sammenfasst, dass die Zellenhaft die unbestreitbar beste Strafhaft,
daher ganz oder wenigstens theilweise einzuführen sei. Der zweite
Schlusssatz scheint die Anstellung besonderer Haus-Geistlichen
und Haus-Lehrer zu fordern, leidet aber ebenso an unverständlicher
Fassung wie vieles Andere in dem ganzen Vortrag, in welchem
z. B. mehrfach die Bede ist von »abnormer Melancholie« oder von
»abnormem Gemüthieben, wodurch das Geistesleben krankhaft affizirt
werde« etc. Niemand wird sich wundem, dass der Bedner, als
katholischer Geistlicher, für Einführung geistlicher Bruder- und
Schwesterschaften in die Gefängnisse ist, folglich für Eonfessions-
gefängnisse, wobei er natürlich die Juden und die Angehörigen
besondrer christlichen Sekten ganz unberücksichtigt lässt und —
selbstverständlich mit Zustimmung des jetzigen Direktors von Moabit
— für Protestanten dieBauhhäusler, bezieh. Diakonissinen, empfiehlt,
obwohl nur unter der Bedingung ihres (jedenfalls höchst seltnen)
gebührenden, nicht unbotmässigen Verhaltens (I, 88).
Eine wesentliche Ergänzung fand dieser Vortrag durch eine
Ausführung Mi ttermaier's über den Werth der Einzelhaft und
die Bedingungen ihrer erfolgreichen Durchführung. Er zeigt, dass,
trotz der sichtlich steigenden Anerkennung der Einzelhaft, doch
noch allerlei Vorurtheile, auch der Gesetzgeber, zu folgewidrigen
Beschränkungen derselben führten, dass man z. B. wähne, schon
nach kurzer Einzelhaft in Gemeinschaft versetzen zu dürfen, so
aber die in jener entwickelten guten Keime bald wieder zerstöre;
er hebt hervor, dass im Grundsatz auch die englischen Parlament-
ausschüsse 1863 die Einzelhaft anerkennten und für nothwendig
Bllfttar fttr Oeflagnlwkmide. 826
erklftrien ; dass Hannover, und noch folgerichtiger, Braunschweig in
eben diesen Weg eingelenkt seien; dass die meisten Oegner der
Einzelhaft (auch in England und in der ^ Strafrechtzeitung«, ebenso
wie Yidal und Gosse) nicht vertraut seien mit dem Wesen der
Einzelhaft und sich einbildeten, dass diese »absolute Einsamkeit c
zur Verzweiflung und Abstumpfong bringen müsse. Hiergegen ver-
weist er auf Bruchsal und auf die Thatsache, dass Seelenstörungen
in Gesammthaft sogar häufiger vorgekommen seien (z. B. nach den
Berichten der rheinisch-westüllischen Gesellschaft und an den fran-
zösischen Minister, wonach 1863 die Zentralh&user 62 Seelenstörun-
gen aufwiesen) ; er erinnert daran , dass zwar bei gttnstigen Yer-
h<nissen in kleinen Strafanstalten, trotz der Gesammthaft, Man-
ches sich erreichen lasse, dass aber alle Mittel ihre Nachtheile ab-
zuwenden, die man im EQassifiziren , Spioniren und Schweiggebot
gesncht habe. Nichts gefruchtet hätten; individualisirende
Erziehung, Besserung, Seelsorge und Beschäftigung sei nur bei Ein-
zelhaft möglich, ebenso alsbaldiges Erkennen der Anfänge einer
Geistesstörung, endlich Hinderung des verderblichen Einflusses der
YerfUhrung und Einschüchterung, sowie der Meuterei. In England
hätten die erfEÜurensten Männer auch ihre abschreckende Kraft und
die Erleichterung des Unterkommens der ans ihr Entlassenen be-
tont. Vorausgesetzt sei jedoch, dass man die geistig und leiblich
fllr die ZeUe Ungeeigneten ausscheide, dass alle Angestellten im
rechten erziehlichen Geiste wohlwollend wirkten, dass der Unter-
richt geistanregend, die Seelsorge echt menschlich, nicht pietistisch,
geübt werde, dass nicht zu wenige und nur tüchtige, also gut be-
zahlte, Aufseher da seien, dass es nicht bei der Arbeit bloss auf
Gewinn, Verwandlung des Hauses in eine Fabrik, der Sträflinge
in Maschinen, oder auf Härte und Abschreckung abgesehen sein
dürfe. Als nothwendige Ergänzung der Einzelhaft fordert Mi tter-
maier, in voller Uebereinstimmung mit dem Unterzeichneten*):
1) Umgestaltung unsrer Strafgesetzbücher im Geist der Einzelhaft
d. h. der Besserung, 2) Vermittlung des Uebergangs zur Freiheit,
und zwar durch Einrichtung einer Gesammthaft, wenn auch nicht
in irländischer, doch in oldenburgischer Weise, wogegen Ref. sich
(bei Prüfung des Für und Wider der Schriften von Grevelink
und Cool in diesen Jahrbb. 1868. Nr. 54) bereits näher ausge-
sprochen hat, 8) Bedingte Beurlaubung, mit Bücksicht auf die Er-
fahrungen in Sachsen, 4) Vereine zur Fürsorge für die Entlassenen,
5) Belehrung des Volks über die bessernde Wirkung der Einzel-
haft, statt der bisher — auch in Baden — herkömmlichen »Ge-
heimnisskrämerei. €
*) YiJL beeonders Röder, BttsfvoQsug. lAbh.: «»Ueber die nothwen-
dige Rftekwiikiuig der EinfAhmiig der Einielhsft auf die Gesetsgebong'
8. 83 ff.
929 BMUer Ar Omm^^min.
MwsterialdireVtor Junghamis bemerkt , dass^ aiiob wenn
die Zellenlmft in einem Masse Gefahren der Seeleustörang mit sich
brächte, wie es nicht der Fall sei, dennodi solchd Gefahren weni-
ger Gewicht haben würden als die Nacbtheile der Gesammthaft
(wie Pas mit Recht schon Füesslin hervorgehoben hatte). Das
hjsoiptsächliche Gegenmittel ist aber nicht, mit ihm, in der Ver-
set;9ung in Gesammthaft, sondern in der Entfernung ans der Zelle
zn anchen, der man jene voreilig unterzuacbieben pflegt*), Ss
scheint I dj^ss er nur im Fall einer gemischten Hausbevölkemng
gegen die Znlassung geistlicher Genossenschaften in den Gefäng-
nissen ist, wie Dij»ktor Wilke bloss gegen die eigentlichen geist-
lichen Orden (H, 80), anstatt nnbedingt. Wie schlecht übrigans
die 3elobnng^i der IBrüder des ranhen Hauses durch den Letzte-
ren mit den Urthjöilen seines Vorgängers Schuck und den noch
lauter sprechenden Thatsachen stimmen, ist anderswo ♦*) des Nähe-
ren zu ersehen. In Köln hat Direktor v. Götzen allen entlasse-
nen Zellengefangenen (ähnlich wie einst W. Bus seil in PentonviUe)
passende Fragen ^u schriftlicher Beantwortung vorgelegt, und alle
72 erhaltenen Antworten lauteten zu Gunsten der Einzelhaft. Dar-
aus wird vielleicht Einer oder der Andere von Denen, die, wie
Direktor Ekert, daran festhalten, dass die Strafe ihrem Wesen
naeh ein Uebel sei und. zugleich die Einzelhaft für härter, für ein
schwereres üebel, erklären als die Gesammthaft, leman, dass ent-
weder die letztere oder die erstere Behauptung falsch sein muss,
wenn es nicht beide sein soUten, wie es nach der Ansicht des
Ref. der Fall ist.
Weiterhin wird sieh Gelegenheit finden, einige Bemerkungen
9U machen über die bei der Versamnalung zu Bruchsal von Bauer
aufgestellten Streitsätze« Auf eine vollständige Mittheilung der be-
merkenswerthen Thatsachen aus den Jahresberichten des Vorstandes,
Hansarztee und Verwalters des ZeUenge&ngnisses zu Bruchsal muss
hier ebenfalls verziehtet werden, obwohl im Folgenden das Eine
und Andere daraus besprochen werden wird. Hier sei nur soviel
gesagt, dass man sich nur freuen kann aus Ekert' s Bericht zu
ersehen (II, 8), dass seit 5 Jahren kein Selbstmord, seit fast 2 Jah-
ren keine Seelenstörung v(^kam, seit geraumer Zeit der Kranken»-
stand 80 niedrig war wie nie zuvor und die Ergebnisse des Ge-
werbbetriebs beispiellos günstig sind; dass 1863 auf nur 49 von
überhaupt 897 Sträflingen 67 Ordnungsstrafen fallen, darunter nur
28 fftr verschiedene Verkehrversuche, nur eine fllr Arbeitweigerung ;
dass nach pechsjähriger Einzelhaffc fast alle, nämlich 13, Sträf-
linge (von wie Vielen?) freiwillig femer in der Zelle blieben, und
zwar ohne dass diese Wahl ihren Grund gehabt hätte entweder in
ünkenntniss der Gesammthaffc, oder in der (bei den fraglichen auf
**) Ebenda B. 280 ff.
BUttar Or Otfftiisnittkviida M?
Lebengzeit Yerartheilten natürlich undenkbaren) Absiebt dadurch
ihre Strafe zu kürzen (11, 17 f.). Es würde lehrreich gewesen sein
fiberall auch die Gründe der Bitten umBückvcrsctzung in die
Zelle, ihres Abschlagens oder des Abrathens davon zu erfahren,
dessgleichen von der einige Male yorgekommonen Weigerung, sich
dem Schntzrerein zn unterwerfen, — Was in der Regel von ihrem
Willen gar nicht abhängen dürfte. Wir begegnen (ü, 11 ff.) guten
Bemerkungen über das oft genug gerügte unrecht, entlassene Diebe
etc. unmittelbar nach der Entlassung in die polizeiliche Be-
wahranstalt zu stecken (IT, 16), über die ungünstigen Einwirkun-
gen sehr langer Strafzeiten auf die Gesundheit und die sittlichen
Belange, während der Gewerbbetrieb dabei gewinne. Wir erfahren
ferner, dass zu Anfang 1863 die Hausbevölkerung nur 215 K5p£8
stark war, dass 1863 der Zugang an unehelichen Züchtungen 86 ^/o
betrug, dass der Nichtbadener etwa V^ waren etc., dass nach Amerika
ebenso Viele begnadigt wurden, als in dio Heimat, nämlich 15.
Da schon seit Jahren nicht viel über die Hälfte der Zellen mit
Züchtungen besetzt war, so ward endlich 1868 durch Gesetz be-
stimmt (Was 1862 in meinem Vorwort zur neuen Ausgabe von
Hägele's »Erfahrungenc als höchst dringlich bezeichnet war), dass
künftig auch die Strafe des s. g. Arbeithauses im Zellengefingniss
Tcrbüsst werden solle.
Fast das ganze dritte Heft der »Blätter für GefUngnisskundet
und ein Theil des zweiten Hefts enthält lediglich Ausfälle gegen
mich und gegen Füesslin. Damit diese Ausfälle sammt ihren
Beweggründen ins rechte Licht treten und zugleich die Sache selbst,
um die es sich dabei dreht, kann ich nicht umhin, wenigstens das
Nöthigste darüber hier zu sagen. Selbstverständlich halten mich
dabei nicht, wie meine Gegner, nahe liegende Bücksichten auf hohe
und einflussreiche Vorgesetzte vom Aussprechen der vollen Wahr-
heit ab. Ich hatte und habe keinerlei Ursache, Missgriffe und
Fehlrichtungen zu beschönigen und fühlte ohnehin nie den Beruf,
Alles höchst weise zu finden, was unsere oder irgend eine andere
»hohe Staatsregierunge gethan oder nicht gethan hat. üeberhaupt
nicht um irgend Jemandes Dank zu verdienen, sondern nur um
einer Sache zu dienen, die mir heilig ist, habe ich Jahrzehnte hin-
durch im Vaterlande und ausserhalb Beisen gemacht, Zeit und Geld
und meine beste Lebenskraft freudig geopfert; nur um ihretwillen
habe ich — auch heute — die Feder ergriffen, da hierzu blosse
Venmgiimpfungen meiner Person mich viel zu wenig anfechten.
Jeder unbefangene Leser, der sine ira et studio meine Darstellung
(zumal in den Schriften »der Strafvollzug im Geist des Bechtsc
1863 und »Bessenmgstrafe und Besserungstrafanstalten alsBechts-
forderung€ 1864) gelesen und sie mit der meiner Gegner ver-
glichen hat, wird sicherlich in deren Auslassungen fast nur die
Bestätigung der alten Begel finden, dass »der Getroffene zu schreien
pflegt.« Die Tonart, in der Diese geschiehti ist hier überdiess be»
898 Blfttter fttr GefSagniflskande.
zeichnend genug. Nicht wenige ihrer (offenbar verabredeten) drei-
sten Erfindungen, deren Absicht mit Händen zu greifen ist, z. B.
dass ich nur einmal in Bruchsal gewesen sei (IE, 48 ; 84) — sind
geradezu lächerlich. Anderes, was sie auftischen in Bezug auf das
Zellengeföngniss zu Bruchsal, zu Amsterdam etc., wird ohne Zweifel
demnächst von Denen, die es noch näher angeht als mich, ins Licht
gestellt werden. Meine Bekanntschaft mit dem Gef^ngnisswesen
stammt übrigens ebensowenig bloss von Bruchsal her als meine
Nachrichten über das dortige ZellengefUngniss bloss von dessen
früherem Vorstand stammen, wie meine Gegner willkürlich vor-
aussetzen, weil Das eben in ihren Kram passt. Lange ehe
diess Gefängniss gebaut war hatte ich Zellengefängnisse gesehen,
Zellengefiangene besucht und zwei Gefängnisskongressen beigewohnt,
war ich mit einer Reihe der anerkanntesten Sachkenner genau be-
kannt geworden und hatte mich der Benützung des reichen Schatzes
ihrer Erfahrungen zu erfreuen. Auch seit Eröffnung der Bruchsaler
Anstalt war ich nicht nur durch möglichst häufige Besuche der-
selben, sondern vor Allem durch stete Mittheilungen von dort —
auch, aber lange nicht bloss, von Seiten Angestellter des Hauses
— genau unterrichtet von aÜen Zuständen und bemerkenswerthen
Vorgängen.
Ohne Zweifel würden auch der Hausarzt Gutsch und der
Verwalter Bauer, die ich meines Wissens nur ein oder zwei Mal
in meinem Leben gesehen und nie aufgesucht habe, nicht verfehlt
haben mich sogar für sehr gut unterrichtet zu erklären, falls ich
es nicht verschmäht hätte in ihrHom zu blasen, d. h. mit ihnen
gegen ihren ehemaligen Direktor Partei zu ergreifen. Da mir aber
ihr ganzes Auftreten gegen Diesen, aufs Aeusserste missfiel, so
habe ich auf den persönlichen Verkehr mit ihnen verzichtet und
in Hinsicht Dessen, was in ihren Geschäftkreis einschlug, auf die
Belehrung durch ihre (mir bekannt gewordenen) Jahresberichte
mich beschränkt ; im üebrigen zog ich es vor, mich nur an solche
Hausbeamten zu halten, die unzweifelhaft ihre Stelle im rechten
Geist ausfüllten, vor Allen an den damaligen Vorstand, Dr. F ü e s s-
lin, selbst, sowie an den verstorbenen Hausgeistliohen Weite
und den früheren Oberlehrer Müller, — drei Männer, denen ich
bleibenden Dank schuldig bin und über die es unter allen Unbe-
fangenen nur eine Stimme gibt. Von ihnen liess ich mich in alle
Einzelheiten des Zellengefängnisses einführen und machte, so oft ich
nach Bruchsal kam, wo möglich in Begleitung des Einen oder
Andern von ihnen Zellenbesuche.
Lebhaft habe ich bedauert, seit dem Amtsantritt des jetzigen
Vorstands unser Zellengefängniss mit einer einzigen Ausnahme
nicht mehr gesehen zu haben; und auch diese eine Ausnahme
machte ich nur auf den Wunsch des Grafen v. Görtz: dass ich
ihn und den hessischen Justizminister nebst einem Mitgliede der
zweiten hessischen Kammer dorthin begleiten möge. Mein Grund
Bluter fOr Oefftngntekiude. 899
war eiii&cb der, dass die offenkundige, von Karlsruhe aus vor-
geschriebene, von Hittermaier wie von mir jederzeit gerügte,
>Geheimni8skränierei« damals auf dem Gipfel war; dass kurz vor*
her sogar die von Füe sslin ausgegangenen hOohst zweckmässigen
Einladungen zu den Schulprüfungen der Str&flinge ihm für die Zu-
kunft untersagt worden waren; ja dass er einen scharfen Verweis
erhalten hatte wegen Mittheilung eines Jahresberichts an — Hitter-
maier (!), dem man doch wohl zutrauen durfte, dass er — ftlr
den man doch sonst auch von dieser Seite schöne Worte hat —
davon keinen Missbrauch machen werde; dass forthin regelmässig
der Zutritt zum Zellengefllngniss einer höheren Bewilligung be-
durfte, so dass ich vielleicht selbst, ohne solche, einer Zurückwei-
sung ausgesetzt gewesen wäre, die ich allerdings in Gesellschaft
des Ministers und zweier Landstände eines Nachbarstaats (denen
ein- für allemal der Zutritt bewilligt war) nicht zu besorgen hatte ;
dass endlich mehre von mir an den neuen Direktor empfohlene
Ausländer mir bitter klagten, dass sie dort nur mit Mühe und
unter vielen Klauseln Einlass gefunden hätten. Diess Alles sind
unleugbare Thatsachen, wodurch wohl zur Genüge be-
wiesen sein wird, wie schwach der Versuch des Herrn Ekert
ist, sogar den Vorwurf der >Geheimnis8krämerei< als »ganz unbe-
gründete darzustellen, und wonach mir wohl Niemand ein unbe-
hagliches Gefühl bei dem Gedanken, Bruchsal femer zu besuchen,
verdenken wird! — Von selbst versteht sich danach, dass ich in
den letzten Jahren, nachdem auch fast alle meine dortigen sach-
kundigen Freunde entweder gestorben oder versetzt waren, nur
noch sehr mittelbar und weniger genau über dortige Zustände
unterrichtet sein konnte, um so weniger als bis vor Kurzem nur
sehr Vereinzeltes seinen Weg in die Oeffentlichkeit gefunden hatte,
überhaupt, der neuen Aera ungeachtet, noch immer sehr viel alter
Unfug unberührt geblieben ist. So war mir denn z. B. die 1863
geschehene Einführung der auch von mir — zuerst von Diez —
gewünschten Sonntagkleider der Sträflinge entgangen. Die end-
liche Erfüllung einer andern, wichtigeren, stets von mir wieder-
holten Forderung, mit der alle Welt einverstanden war, hatte ich
dessenungeachtet kaum zu erleben gehofft, nämlich die Veröffent-
lichung der •— während vieler Jahre so sorgfältig verheimlichten
— Jahresberichte. Ich begrüsse in ihr zugleich, und um so mehr
wenn ich aus Ekert* s Aesserungen schliessen darf, dass seit
einiger Zeit auch die andern vorerwähnten Beschränkungen weg-
gefallen seien, ein erfreuliches Zeichen, dass man in keiner Hin-
sicht mehr das Licht scheuen zu dürfen glaubt, vielleicht sogar
einige Hofinung da ist, der unablässige stille Krieg eini-
ger badischen Abschreckungsmänner gegen die Ein-
zelhaft werde allmählich aufhören, — ein Krieg, dessen
Spuren und Nachklänge auch in den vorliegenden Ausführungen dreier
930 Bl&tter fttr GeftugntoBlnincle«
badischen ZellengefUngnissbeamten noch deutlich genug wahrzu-
nehmen sind.
Wenn Beamte alter Strafanstalten mit Gesammthaft entweder
die ünhaltbarkeit dieser Haftweise noch immer leugnen oder sich
doßh nicht überwinden können, gleich ehrlich wie es kürzlich von
E. McBS*) geschehen ist, sie einzugestehen, wenn Dieselben daher
in jedem Gegner der Einzelhaft einen Bundesgenossen begrüssen,
in jedem Vertreter der Einzelhaft einen Eeind sehen, so lässt sich
Das noch allenfalls begreifen. Geradezu unnatürlich und nur aus
einer aller Gesetze des Denkens vergessenden Leidenschaftlichkeit
zu erklären ist es aber, wenn Beamte eines ZellengefUngnisses, in
welchem die ZeUenhaft wenigstens im Ganzen folgerichtig und zweck-
entsprechend durchgeführt wird, mir, der ich für diese folgerechte
Durchführung — wie sie längst ausser mir Diez, Füesslin,
Y^rrentrapp, Ducpötiaux, Suringarund David, also die
ersten Sachkenner, gefordert haben und wie sie, nach langem Be-
denken, endlich auch Mittermaier als die richtige anerkannt
hat — soviel ich vermochte und immerhin nicht ganz ohne Erfolg
gewirkt habe, ebendaraus einen Vorwurf machen und auf die ge-
suchteste Weise möglichst augenfällig entgegentreten, ja — damit
nicht genug — sogar keinen Anstand nehmen, dem entschiedensten
Gegner ebendieser Durchführung, Holtzendorff, laut beizupflich-
ten, — einem Manne, der für diese »echte, reine, unverfälschte,
von ihm sogenannte Bö der 'sehe Einzelhaft« nur sinnlosen Spott
und wegwerfende Ausdrücke hat, der darin nur eine »lächerliche
Künstelei, kleinliche Auswüchse, einen Mumifikationsprozess« sieht,
der die Anhänger einer solchen folgerechten Durchführung
— also vermuthlich (?) doch wohl auch die Herrn Be-
amten des Bruchsaler Zellengefängnisses selbst —
sammt und sonders für »Einzelhaftfanatiker« erklärt, einem Manne
endlich, der den Hochpunkt und Abschluss des Gefängnisswesens in
der Rückkehrzur — Gemeinschaft der Arbeiten imFreien
nach irländischem Muster erblickt! !( Fast könnte man
versucht sein gewisse Hintergedanken bei den Herrn vorauszusetzen,
worauf hin sie sich bevmsst wären von diesem Schimpfwort nicht
mitgetroffen zu werden, ohne doch den Muth zu haben völlig Farbe
zu zeigen! —
Wenn in ihrem Zorn über mich und in ihrer Freude, in
Holtzendorff einen Gegner ihres Gegners entdeckt zu haben,
die Herren G u t s c h und Bauer sich in so grober Weise mit allem
gesunden Menschenverstand überwerfen und zu allen Berliner Witzen
die, in Ermanglung von Gründen, jener Herr auf mich loslässt,
lauten Beifall klatschen, so lässt sich Das einigermassen verstehen;
nicht so wenn auch Ekert in diesen Ton offen einstimmt, ja
*) Die öffentliche M^iing gegenüber den Gefflngnlwen. 1666. 6. 4f.
26; 36.
BWtDf nur OaflbigiiliBbttAi. m
keinen AiKstand nimmt, sogar die gemeinen Ausdrucke, wooüt
Boltzendorff mich und alle der Sache, d. h. dem »Himge-
spinnst« der unrerfiLlschten Einzelhaft, Ergebenen bedient hat, ge-
wissenhaft wiederabdrucken zu lassen! Oder gehört das sudiUiche
Wohlgefallen an Dergleichem etwa auch zur Sache?! — Schade
nur, dass nicht, zur Yervollständigung dieser schönen Blumenlese,
auch noch^ die neuesten Witzfunken und Zornesausbrüche des Herrn
▼ on Holtsendorff hatten benutzt werden können! Doch findet
sieh Tielleicht in einem Nachtrag hierzu Gelegenheit, wenn anders
das AnfitandgefÜhl der übrigen Mitglieder des Vereins deutscher
StrafauBtaltbeamten Nichts gegen eine solche Benützung ihres
Organs yon Seiten ihres Ausschusses einzuwenden haben sollte.
Nicht weniger musste mich das Auftreten des Herrn Ekert
in einer andern Beziehung aufs Aeusserste befremden. Da ich
Demselben nie Etwas zu Leide gethan, nie, auch nur im Entfern-
testen ihm Anlass gegeben habe zu glauben, dass ich ihn auf
eine Linie mit seinen vorgenannten Untergebenen stelle, so
traute ich kaum meinen Augen, als ich sah, dass er Diess nun selbst
tbut, ja sich im Grunde guiz mit Denselben identifizirt. Meine
Ansichten über die einzige eines Direktors würdige Stellung hatte ich
ihm bereits mündlich mitgetheilt, als er nicht lange nach Antritt
seines jetzigen Amts mich besuchte. Seitdem habe ich druck-
schriftlieh meine ohne Frage gerechte Entrüstung darüber ausge-
sprochen*), dass Verwalter Bauer es wagen konnte, den Direktor
des Zellengefängnisses zur »blossen Fahne auf dem Tharm« herab-
zusetzen, »die man abnehmen könne, ohne dass der Thurm selbst
zusammenfalle«; denn ich fand eine solche unziemliche Ausdruck-
weise nicht nur geradezu ehrenrührig, dem eigenen früheren ebenso
wie dem jetzigen Direktor gegenüber, sondern auch mit den
einfachsten Bücksichten des Staatsdienstes so völlig unverein-
bar, dass gewiss Niemand, der nicht die Dergleichen hier zu
Lande erklärenden persönlichen Verhältnisse genau kennt, begrei-
fen wird, dass nicht von Amtswegen gegen diese Ungebühr einge-
schritten worden ist, während wenige Jahre vorher sogar ein
durchaus wahrbeitgemässer freimüthiger Tadel des
Einen und Andern, was von Karlsruhe aus gutgeheissen ward, in
der dankenswerthen Schrift**) eines überaus verdienten und sach-
kundigen Beamten, D i e z -^ des vormaligen Vorstehers des Zellen-
gelängnisses zu Bruchsal — Diesem einen scharfen Verweis (einen
8. g. »Dienergrad«) zuzog! Ekert aber lässt sich sogar angelegen
sein auszuführen, dass er an jener unwürdigen Aeusserung über
die SteUxmg des Direktors (also wohl auch an dem danach be-
messenen SeQehmen der Herr Gutsch und Bauer gegen ihren
*) Der Btafvollsug im Oelst des Rechts 6. S9e Anmerk.
**) Ueher VflfWAltung und Eiartehtnng der Str^l^uuttalten mit Einsel-
bell etc. 1657.
883 Bl&Uer ftir Gef&ngnlisktinde.
früheren Direktor?) gar keinen Anstoss nimmt, indem er diess
Alles, obwohl die fragliche Aenssenmg ganz allgemein gehalten
war, ^auf sich nie bezogen hat« (m, 11; 8), mithin seine
Ehre dadurch nicht nur nicht berührt findet, sondern umgekehrt
in meiner ernsten Rüge dieser Auslassung, sowie des ihr entspre-
chenden Benehmens jener Beamten, »Ehrenrühriges« zu entdecken
verstanden hat. Oewiss ist wenigstens soviel, dass bis dahin
ausser den betheiligten Beamten selber und der leitenden Oberbe-
hörde mir keine Menschenseele begegnet ist, die jene ungebührliche
Selbstüberhebung in der Ordnimg gefunden hätte, dass hingegen
alle mir bekannten Autoritäten in Gefllngnisssachen nebst zahl-
reichen Beauftragten auswärtiger Begierungen, die, nachdem sie
unser Zellengefängniss gesehen, mich mit ihrem Besuche beehrt
hatten, schon lange vor dem Erscheinen des Bäuerischen Buchs
laut ihr Erstaunen über die fortwährende sichtliche Parteinahme
gegen den damaligen Vorsteher Füesslin ausgesprochen haben,
zum Theil sogar durch den Druck. Dass irgend ein unparteiischer
Strafanstaltbeamter der Welt mit meiner Rüge dieser Vorgänge
nicht einverstanden sein sollte, muss ich bis auf Weiteres bezwei-
feln. TJeberdiess drückt sich Ekert (III, 11), gewiss unabsichtlich,
so schlecht aus, dass ein Jeder, der meine Worte nicht vor Augen
hat, sogar geradezu glauben muss, ich, und nicht Bauer — dem
ich Diess als schnöden Hohn vorwarf — habe gesagt : dem Direktor
stehe nur das Recht zu, Wünsche auszusprechen, dem Verwalter
aber das Recht, diesen Wünschen ein Veto entgegenzusetzen. Deut-
lich genug verlangt übrigens auch Ekert nicht weniger als ich ver-
langt habe, nämlich natürlich keinen »unbedingten Gehorsam«, (den
ich^ beihin gesagt, von keinem Menschen, auch nicht vom Solda-
ten, fordere,) wohl aber, dass im Zweifel überall der Direktor
entscheide (auch über die Zutheilung der Sträflinge zu der einen
oder andern Beschäftigung) — selbstverständlich mit Ausnahme
solcher Fragen, worüber ausdrücklich der Gesammtvorstand durch
Beschluss zu entscheiden berufen sein sollte. Wozu also jenes,
ohnehin auf Kosten seiner eigenen Stellung betriebenes. Beschönigen
der von mir gerügten Unwürdigkeiten ? und wozu auf Den, der
diese rügt, den Schein werfen, als ob er damit dem Direktor noch
»die ganze Last des materiellen Theils der Verwaltung aufladen
wolle«?! — Nach dem Allen wird Ekert es sich nur selbst zu-
zuschreiben haben wenn Dritte sein ganzes überaus befremdendes
Auftreten in dieser Sache, die unbedingte Gesammtbürgschaft mit
seinen Amtsgenossen und seinem hohen Vorgesetzten, die er zur
Schau trägt, sein unbedingtes Gutheissen alles Dessen, was ich und
sein Amtsvorgänger (mit Zustimmung übrigens einiger der höchst-
stehenden Männer des Landes) missbilligt haben — nur daraus
zu erklären wissen werden, dass die Übeln bispirationen , die zum
Erstaunen so vieler von ihren Regierungen nach Bruchsal und
Karlsruhe gesandten Ausländer Jahre lang von letzterem Orte ans-
BUlUr fBr GcOnsBlnkiuia«. M)
gegangen sind, noch immer nicht ganz fortzuwirken aufge-
hört haben.
Die überaus glänzenden, früher nie erreichten Zustände und Er-
gebnisse des Bruchsaler ZeÜengefilngnisses schreibt Ekert (ü, 8)
»entschieden allein zweien Faktoren zu: der weisen Sorgsamkeit
unsrer Grossh. Staatsregierung und dem einmüthigen Zusammen-
wirken der Haasbeamten. € Da indess der honoris causa an die
Spitze gestellte erste Faktor doch wohl nicht erst seit dem Dienst-
antritt des jetzigen Direktors des ZellengefUngnisses, auch nicht des
jetzigen Justizministers (also seit der »neuen Aera«), sondern
jedenfalls schon des jetzigen Bespizienten des Gefängnisswesens
wirksam ist, da überdiess auch die Herrn Gutsch und Bauer
schon lange vorher am Hause angesteUt waren ^ so folgt unwider-
sprechlich, dass das ganze Verdienst doch, nach EkerVs Meinung,
im Grunde nur dem zweiten Faktor beizumessen ist: »dem ein-
müthigen Zusammenwirken der Hausbeamtenc, und zwar, wie bei-
gefügt hatte werden sollen: im Sinn des Bespizienten.
Dass die vormaligen steten Kämpfe der Hausbeamten unter
sich und des Vorstandes mit dem Bespizienten für das Gedeihen
der Anstalt nicht erspriesslich sein konnten, versteht sich von selbst.
Mit Füesslin's Abgang sollen namentlich die früheren unauf-
hfirlichen, ebenso kleinlichen als hemmenden büreaukratischen Ein-
mischungen von Oben aufgehört haben. Sogar halbamtlich ist in
der »allgemeinen Zeitung« versichert worden: »Vieles, was seiner
Zeit Füesslin erstrebt, sei nun erreicht worden. € Unstreitig ist
Vieles, vollends seit 1860, wie überhaupt im Lande, so auch im
Geflüignisswesen besser geworden; und man hat darin ohne Frage
ein unabweislich gewordenes nicht zu verachtendes Zuge-
standniss des hier wie überall engherzigen Büreaukratismus an den
Geist der Zeit und die Wahrheit anzuerkennen; denn, dass echte
Büreaukraten nie Etwas danach fragen: ob die öffentliche Meinung
für oder gegen sie ist, daran werden wir rechtzeitig von Ekert
erinnert (11,8). Der nicht von ihm erwähnte Hauptfaktor aller
der von ihm gerühmten Fortschritte lag aber doch, beim Licht
betrachtet, nur in der lauten Missbilligung mancher offenkundigen
Missstände durch die öffentliche Stimme *), nächstdem in dem Auf-
hören der alten Gemeinschaftzuchthäuser und mit ihm der höchst
unverständigen früheren Versetzung der Züchtlinge bald hierhin
bald dorthin, femer in der seltner gewordenen Zuerkennung oder
*) Deren Einfluss wird nur von Bauer (II, Ö8) gelegentlich efamisl
•UigMliunt, indem er In Bezug sof die allgemeine MiasbÜllgung seiner Drileh«-
hoftenfsbrlkatlon bemerkt: die ElnfOhmog feinerer Arbeiten wfirde er i«iir
bcArwortea „dem vielfaoh sosgeeprochenen Verlangen entsprechend und um
den In der Prcsae hartnäckig fortgesetsten Vorwürfen su entgehen.** Sollte
es dam kommen, so wird vlelleioht auch su hoffen sein, dass nicht dieFa-
biik^km der PackUsten und Paekfässer die der geliebten DrfloUioeen zu
894 BiSKtttr flif GefSD^faudmidtf.
doth Volhiehimg von richierKchen Strafschfirftingen, wenigstens Ton
empörend hohen, obwohl die »weise Sorgsamkei« unsrerBegienmg
noch immer nicht darauf Bedacht genommen hat, dass man nicht
femer im Aaslande die Achseln zucke ttber den Fortbestand dieser zeit-
widriges Quälereien, die auch £k er t als »ausgemacht schädlich und
der Einzelhaft geradezu widersprechend« betrachtet und wozu bisher
noch immer etwa ein Viertheil aller Eingelieferten rerurtheilt war,
und demnächst, wie es nach Ekert die »Natur der Sache« mit siah
bringt (IE, 20), seitdem auch die Arbeithaussträflinge in*s Zelleti^
gefängniss übergezogen sind, noch häufiger yerurtheilt und durch
»öfteres und strengeres Einschreiten« yon Seiten der HausrerwaN
tung redlich nachgeholfen werden wird, — eine jedenfalls för den
guten Erfolg der Zellenhaffc höchst erbauliche Aussicht! —
Nimmermehr kann es genttgen, dass man diese Schärfongen einst-
weilen, bis zu 30 Tagen im Jahr, beschränkt, überhaupt ein Wenig
gemildert hat durch Aufbesserung auch der Hungerkost und Be-
seitigung der alten Thurmkerker flir die Dunkelhaffc. Sicher wird
eine neue Aera für die Einzelhaft in Baden — wo noch keines-
wegs allerseits soviel Licht herrscht wie manche Wohldiener es
behaupten — erst dann anbrechen, wenn alle, auch die letzten
Spuren des alten schmählichen Abschreckungsgeistes dem Licht der
Zeit gewichen sein werden, wenn also das tresetz nicht ferner
den Bichtern erlaubt^ durch die Zuerkennung zu bestimmten
Zeiten wiederkehrender Misshandlungen durch Hunger und Finster-
niss die gute sittliche Wirkung der Freiheitstrafe auf die wider-
sinnigste und dabei gesundheitwidrigste Weise zu kreuzen, erst damx,
wenn auch keine Bede mehr sein wird Ton Ketten und dem Marter-
werkzeug des Strafstuhls, das Ekert freilich noch, aus ähnlichen
s. g. »praktischen« Gründen*^), in Schutz nimmt, wie Andere das
Prügeln, die Lattenkammer oder das ErummschUessen, wenn end-
lich alle diese höchst absonderlichen Ausgeburten der »Gereohtig-
keit«! wie Modderman**) es ausdrückt, »in's Grab der allge-
meinen Verachtung gesunken« sein werden.
Man kann sehr weit entfernt sein zu erwarten oder gar zu
verlangen, dase von heute auf morgen Gesetzgeber, Biehter oder
Strafanstaltbeamte sich von allen altgewöhnten Vorstellungen,
allen üblichen hohlen, aber tönenden, unbestimmten Worten und
Bedensarten lossagen sollten; denn der Lauf der Welt bringt es
mit sich, dass der Wahrheit und dem Becht im Leben nur sehr
allmählich in Gestalt kleiner Abschlagzahlungen die Ehre gegeben
wird» weil entweder die volle Einsicht und Folgerichtigkeit des
*) Der alte Krlmlnalpraktiker Klein war bektfmtilch überhaupt der
Meimmg, daee man dem inneren Meneeben nur dnroh dne medium der Haut
beBcommen könne, und Siinlicher Meinung sind die Junker noch beute, vor-
amgesettt natllrlieb^ dass nur von einem plebejisehen Fell die Rede ist, dae
man* selBetvervtandHch ed libiifinn gerben oder über die Obren tfeben darf.
••) 8. Heidelb. Jabrbb. 1866. Nr. 2.
Blttter fOr GeflngniBakimde. 886
Denkens noch felilen oder andre inneren nnd ftnsseren Hindemisse
noch zur Zeit nicht überwanden werden kOnnen ; man kann dämm
zwar dem redlichen Willen aller Derer alle Anerkennung zollen, die
zur Zeit noch auf dem Standpunkt der Grundsatz- und Ueber-
zeugungslosigkeit, und demzufolge der Halbheit und des Schwankens
stehen, auch wenn man selbst, wie der Unterzeichnete, zu tiefen
üeberzeugungen Ober Recht, Staat und Strafe gelangt ist, und wenn
man die Yolle und ganze Einzelhaft ebendesshalb fordert, weil man
die Verderblichkeit aller Gesammthafb erkannt hat. unmöglich
kann man aber, wenn man das Recht und die Einzelhaft will, zu-
gleich das unrecht und die Gesammthafb wollen und dulden
wollen — d. h. auch sie vortrefflich finden und den Kampf gegen
sie aufgeben — es sei denn, dass man im Grunde selbst nicht
weiss Was man will, so aber in der glttcklichen Lage ist, auch
das Entgegengesetzteste preisen und es Allen recht machen zu
kSnnen« Der Unterzeichnete wird seinen Grunds&tzen und Üeber-
zeugungen und ihrer Geltendmachung im Leben, nach wie vor, nie
auch nur eines Haares Breite vergeben — unter keinen UmstSnden
und aus keinerlei Rücksichten, so gut er auch begreift, dass es
Leute gibt, die eine solche »Intoleranz« nicht begreifen.
Nach £kert*s Ansicht ist jede Strafe, auch die Einzelhaft,
und muss sie immer sein, ein äusseres Uebel, das wir zuer-
mitteln haben auf dem Wege der Gerechtigkeitstheorie (obwohl
weder er noch irgend Jemand sonst bis jetzt uns über das Wie
den erforderlichen Aufschluss hat geben können*). Die Grundlosig-
keit jener Behauptung glaube ich längst bewiesen zu haben auf eine
Weise, die jedenfalls, wie aus Nr. 2 dieser Jahrbücher erhellt, sich
der Anerkennung in immer weiteren Kreisen zu erfreuen hat, und
die ich, wie auch Ekert einsehen wird, durch blosse Wieder-
holungen der entgegenstehenden Behauptung, die auf meine Gründe
gar nicht eingehen, natürlich ebensowenig für widerlegt halten
kann wie durch Berufung auf ein Juristentagsheer von dritthalb-
tausend Mann, das nach Ekert 's Meinung noch, wie er es von
sich selbst sagt, ganz >in den Ansichten der Schule befangen ist«,
oder aber durch Berufung auf Hye, der, offenbar in Erwägung
ebendieser Ansichten der Menge, den Ton auf das Uebel in der
Strafe legt, obendrein nur insofern als es ihm nöthig scheint,
uih einem aus übel angebrachter Empfindsamkeit stammenden
(übrigens in der Wirklichkeit doch wohl verzweifelt seltnen)
»Hätscheln« der Sträflinge entgegenzutreten, aber gewiss nicht um
die wesentliche Beziehung aller rechtlichen Straf mittel auf einen
vernünftigen sittlichen Zweck auszuschliessen und das Zwin-
gen als Selbstzweck hinzustellen, wo nicht gar die Leidenszu-
fügung! —
*) Sogar CbrlBtiansen („über Qnalität und Quanttat der Strafe''
1865) geBtoht DIms unumwunden sn«
886 Bl&tter ffir Gef&ngnlsakiinde.
Dass^aber Ekert*s Praxis doch besser sein mag als^seine
Theorie, wird schon dadurch wahrscheinlich, dass er, obgleich die
badischen Gesetzgeber — schwerlich wiederum aus »Weisheit« —
einige Bohheiten aus der Abschreckungszeit noch immer nicht aus-
gemärzt haben, sich doch schon erlaubt, wenigstens an der Zweck-
mässigkeit der Strafschärfungen zu zweifeln (II, 20). Je weniger
ich ihn und seine Mitbeamten tadle, wenn sie das bestehende Ge-
setz als ihre höchste und einzige Richtschnur betrachten, oder gar
sie zu dem Gegentheil verleiten will, desto nothwendiger war es
für mich, die Mangelhaftigkeit des Gesetzes selbst und dessen Mit-
schuld an so manchen Misserfolgen der Einzelhaft in Baden her-
vorzuheben. Doch glaube ich gezeigt zu haben und zweifle, dass
es Ekert wirklich entgangen sein sollte, dass eine weit richtigere
und würdigere Auffassung der Strafe als wie sie noch in nnserm
Strafgesetzbuch waltet, bereits in dem Gesetz über die Einzelhaft
vorherrscht, üebrigens hatte Jagemann, mit dem ich manch-
fach verkehrt und zwei Ge&ngnisskongresse besucht habe, die Ein-
zelhaft ganz ebenso wie ich überwiegend als Vehikel der Besserung
aufgefasst — obwohl ihm damals der Muth noch fehlte sich druck-
schriftlich offen dazu zu bekennen — und er wollte sie in diesem
Sinn vollzogen wissen, wie auch Füesslin es bestätigen wird.
Für etwas »Nothwendiges« halte auch ich eine G^sammtbe-
hörde an der Spitze des Gef^ngnisswesens und aller übrigen Wohl-
thätigkeitanstalten des Staats keineswegs, da ich an D u c p ö t i a u x'
Beispiel gesehen habe, Was auch ein einziger inspecteur gön^ral
des prisons et des Etablissements de bienfaisance leisten kann.
Immerhin wird aber durch eine solche Behörde und ihre selbst-
verständliche Stellung unter dem Ministerium des Innern derzeit
weit eher einer verhängnissvoUen Einseitigkeit vorgebeugt werden
als wenn die Oberleitung des Gefängnisswesens für sich allein
— wie Diess idealiter freilich das Bichtigere wäre — unter dem
Justizministerium steht.
Ekert selbst musste zwar einräumen. Was ich getadelt: dass
im Yerordnungswege die durch das Gesetz von 1845 vorge-
schriebene Zahl der jedem Zellengefangenen zu machenden Besuche
beschnitten worden sei ; dennoch gibt er sich die Miene mich wider-
legt zu haben, weil — • dieses Beschneiden schon 1857 geschehen
sei, und nicht, wie ich »glauben machen wolle c (I) »neuerlich.«
Mir ist es jedoch nie eingefallen, den Ton auf die Zeit desEr-
lassens jener willkürlichen Verordnxmg zu legen, obwohl es, je
länger diese bereits ihre üble Wirkung übt, um so schlimmer ist.
(Bchluss folgt)
Ir. 22. UEIDELBEKGEE 1865.
JAMBÜCIIER DER LITERATUR.
Blätter für öefängnissknnde.
(SchloBs.)
Das geringste Nachdenken lehrt aber, dass diese Verordnung
einen schweren Missgriff nnd zugleich Eingriff in das Gesetz ent-
hAlt; denn dieses wollte jedem Zellengefangenen möglichst viele
Besuche sichern; seit jener Verordnung aber brauchen Dieselben,
selbst wenn — wie es während Jahren der Fall war — das
Haus kaum halb besetzt ist, doch immer nur gleich selten, z. 6.
vom Verwalter nur einmal monatlich, besucht zu werden! — Die
jetzige Beseitigung der gemeinschaftlichen Säle und Errichtung einer
Halfstrafanstalt enthält jedenfalls einen Schritt der thätlichen An-
erkennung, dass »unsre Befürchtungen in Betreff der gemeinschaft-
lichen Säle« keineswegs »unnütz« (111,13) waren; räthselhafb aber
ist es, wie Ekert als Zeugniss hierfür und zu Gunsten des
Gesetzes, das den Zellensträilingen nach 6 Jahren unverstän-
diger Weise die Wahl gelassen hatte zwischen fernerer Zellen-
oder Gesammthaft, auch den Umstand geltend machen will, dass die
Mehrzahl dieser Sträflinge verständiger Weise sich für das
Bleiben auf der Zelle entscheidet und dadurch den Fehler des Ge-
setzes unschädlich macht. Dass auch Ekert für die späteren Jahre
eine Abkürzung in stärkerem Verhältniss für nöthig hält — obwohl
nur wegen der dann vermeintlich grösseren Härte — kann mir
nur lieb sein; ebenso, dass auch meine Bemerkungen über die
Polizeiaufsicht und die polizeiliche Bewahranstalt bei ihm nur eine
in der Hauptsache zustimmende Entgegnung gefunden haben. Auch
in Hinsicht der gewerblichen Ausbildung der Sträflinge, ihres An-
theils am Arbeitlohn und ihrer Nebenarbeitien weicht er im Wesent-
lichen nicht von mir ab (III, 18 ff.); es ist daher nicht abzusehen,
wie er dazu kömmt — Was ich nur von Seiten Bauer* s ganz
natürlich gefunden haben würde — mir den Vorschlag unterzu-
schieben (in, 20): »dass man der finanziellen Seite des Gewerb-
betriebs gar keine Aufmerksamkeit schenken solle« etc. und
darauf hin mir die Verantwortung zuzuschieben wenn etwa den
Begierungen die Einzelhaft gründlich verleidet werde! — Wenn
er hingegen für sich und die Hausgeistlichen die Verantwortung
für das Zurückhalten Geisteskranker in der Strafanstalt durch
den Hausarzt mit übernimmt, so ist Das seine Sache; mir
war demnach (obwohl von glaubwürdiger Seite) mit Unrecht
das Gegentheil hiervon, sowie überhaupt von der vollständigen
Vm. Jahrg. 5. HefL 22
888 Blätter fttr G^fftngnitBlniBde.
preiswürdigen üebereinstimmang sämmtlicher Beamten des Hanges,
yersichert worden. War der anf die Zelle gebrachte Fallsftchtige
in der That »nur anf der Zelle zu bemeistem« und zugleich &ir
genügende Aufsicht gesorgt, so verschwindet das Auffallende,
was ich, sowie der zur Prüfung der Gesundheitverhftltnisse der An-
stalt beauftragte Arzt, darin gefunden. Anerkennung verdient die
Verbesserung der Kost, die Einführung von Sonntagkleidem , die
beabsichtigte Verbesserung der Badeinrichtung — deren Werth nicht
zu unterschätzen ist. Als Grund dafür, dass es für das Badwesen
eines besondem sachkundigen Aufsehers bedürfe, ist mir z. B. in
Halle (wo ich eine verhftltnissmässig gute Badanstalt &nd) die
Erfahrung angegeben worden, dass sonst leicht durch Unverstand
gelUhrlicher Missbrandi vorkomme, üeber die frühere mehr wie
planlose Art deac Bevölkerung des Zellengefängnisees und die dar-
aus so klar hervorgehende völlige Misskennuug des Wesens und
Unterschieds der Einzelhaft und der Oesammthaft ist nach den
vorliegenden unbestreitbaren Thatsachen*) jedes weitere Wort unnütz,
und Ekert hatte am Besten gethan darüber ebenso zu schweigen,
wie er über die Späherei mittels der den Hausbeamten vorge-
schriebenen Tagebücher u. A. m. weislich geschwiegen hat. Es
würde übrigens gewiss leicht, wo nicht gar durch die schuldigen
Bücksichten für einen hohen Vorgesetzten oder vielmehr fOr die
»Weisheit der hohen Qrossh. Staatsrogierung«, der wir ohne Frage
auch diese Einrichtung verdanken, geboten gewesen sein die Preis-
würdigkeit derselben schlagend darzuthun — etwa durch Bezugs
nähme auf die Thatsache des dadordi in keiner Weise gestör-
ten besten Einvernehmens sämmtlicher Hausbeamten I Der Unter-
zeichnete glaubte darin, gleich den holländischen Begierungskom-
missaren u. A., etwas Unwürdiges, gegenseitiges Misstrauen Näh-
^^endes imd vollends das Ansehen des Vorstands, sofern diese Ti^-
bücher hinter seinem Bücken an die Begierung eingesandt werden
dürfen, Untergrabendes zu erblicken. Bauer, der durch pflicht-
schuldige Belobung der Einrichtung das von Ekert Versäumte
nach Kräften gutgemadit hat (HI, 48 f.) wusste natürlich hier-
gegen Nichts vorzubringen.
In Betiieff des Hausarzts , Dr. Gut seh, darf idi nicht nntei^
lassen Folgendes zu bemerken. Derselbe machte auf mich einen
ähnlichen Eincbmck wie auf viele Andere, auch unter den nach
Bruchsal gesandten Beanfbragten fremder Regierungen**). Es war
mir daher sehr lieb, dass ich durch das Nichteintreten in nähere
persönlichen Beziehungen £u ihm um so weniger ssu verlieren
fürchten dusfke «Is ja sein frftiierer Direktor ebenfalls Arzt, ja sogar
einige Jahre lang Arzt an demselben ZeUengefilngniss war. Dass
*) Vgl. FUeBslln'B Kachweifungen in seiner Schrift: Die neuesten
Vemnglimpfüngeii der Einselhafi, 8. 67—72.
**) Vgl X. B. Zsbn's Reisebericht.
Btttter für GeAngnlBaknnde. 889
ich mich nielit in jenem Mann geirrt hatte, ward mir vollends
klar, als ich die ftlr einen Arzt gewiss beispiellose, gewisserraassen
burschikos-terroristische, Sprache in seinen Berichten über einzele
Fälle geistiger Störung Gefangener kennen gelernt hatte, — eine
Sprache, zu deren Würdigung man weder, wie Bauer will (IT, 48),
selbst Arzt zu sein, auch nicht, wie ich, seit Jahrzehnten mit
psychologischen Studien sich befasst, sondern nur einiges mensch-
liehe G^e^hl zu haben braucht, — als ich endlich bekannt ward
mit den ürtheilen der Illenauer Irrenärzte über ebendiese Fälle,
(worüber seitdem Boller*) sein Gutachten in einer Weise abge-
geben hat, die mit meiner Ueberzeugung vollständig übereinstimmt,)
sowie über den »psychiatrischen Standpunkt« des Herrn Gutsch,
und ab mir unter den unheilbaren Geisteskranken in Pforzheim
Einige gezeigt wurden, die — vielleicht nicht dort gewesen sein
würden, wenn sie rechtzeitig aus der Straf- in die Irrenanstalt
versetzt, somit seinen Experimenten — oder, wie er sagt, seiner
»ezspektativen Methode« — entzogen worden wären. Die Ober-
beh5rde hatte freilich auch in dieser Frage — ob aus Gründen des
Rechts und Strafrechts oder der Heilkunde t bleibt dem Scharfsinn
des Lesers zu errathen — für den Hausarzt gegen die Ansicht
des damaligen Direktors und der Irrenärzte des Landes entschie-
den; ebenso der vor anderthalb Jahren nach Bruchsal gesandte
ärztliche üntersuchnngsbevoUmächtigte , dessen amtlichen Bericht
das badische Zentralblatt wiedergegeben hat und dessen Mitthei-
hmgen in unsrer Schrift »Besserungstrafe etc.« benützt worden
sind.**)
Dass das Versäumen rechtzeitiger Verbringung Irrgewordener
in die Irrenanstalt, was man bei St. Jakob und Dreibergen als
einen schweren Fehler getadelt hat, für Bruchsal das Richtige ge-
wesen sein sollte, davon hat nicht bloss mich weder Gutsch
noch der erwähnte, lediglich seinen Angaben folgende, ärztliche
Untersuchungsbericht überzeugt. Niemand zweifelt zwar an der
grossen Gefährlichkeit mancher Irren; dass Dieselben aber »nicht
nur obgleich, sondern weil sie irre geworden sind, nach wie
vor gefährliche Verbrecher bleiben«, ist eine jedenfalls ungereimte
•) In Lähr's Zeitschrift für Psychiatrie, 20. Bd. 8. 195£P.
**) leb ergreife diese Gelegenheit, um eines VerseheiiB xn gedenken, das
bei den fOr mieh gefertigten Aussügen aus dem ZentralbUtt untergelaufen
ist und das von Gutsch in hohem Ton gerügt, aber ebensowenig wie von
Ekert — durch Mittheüung der Gesammtiahl der binnen 16 Jahren in das
Brachsaler ZellengefAngniss Aufgenommenen — verbessert, mithin als weni-
ger bedeutend behandelt wird als es mir selbst erscheint. Jene Gesammt-
aahl konnte Ireüloh durch Zasammenzfthlung der GesammtbevOlkerung des
Hauses während jedes der 15 Jahre seines Bestandes nur durch eine von
mir übersehene grobe Missdeutung heraussubringen versucht werden. Dass
Indess die so herausgebrachte irrige Zahl 7196 von mir irgend welchen ^Be-
hauptungen tarn Grunde gelegt worden eel^, ist eine müssige Erfindung
840 Blätter fQr Gef&ngnbskunde.
Behauptung (ü, 89), abgesehen davon, dass dadurch die ganze
heutige, allerdings mehr wie schwache, Zurechnungslehre *) geradezu
auf den Kopf gestellt wird. Kann man auch zugeben, dass be-
sondere Einrichtungen getroffen werden sollten, die die Mitte halten
zwischen Straf- und Irrenanstalten, so muss man doch dann und
überhaupt auf alle Fälle einen psychiatrisch tüchtig gebildeten
Arzt als erstwichtiges der »Hülfmittel zur Pflege geistig Er-
krankter« verlangen, wie ich bereits früher**) bemerkt habe. Ich
fühle mich nicht berufen, Boller in Beantwortung der psychia-
trischen Ausführungen Qutsch*s vorzugreifen; nur kann ich nicht
umhin, wenn Letzterer erklärt, »dass er wahrlich nicht wüsste,
welches Verbrechen er nicht als verabscheuenswürdig zu bezeich-
nen hätte«, die damit zur Schau getragene sittliche Feinfühligkeit
und UDvergleichliche Loyalität eines Mannes zu bewundem, der
noch kurz vorher (II, 87) ganz denselben höhnischen Ton einer
rohen Abschreckerei anstimmt, der uns in seinen erwähnten Be-
richten über einzele geistig gestörten Sträflinge so überaus widrig
berührt hat, eines Mannes, der ohne Zweifel, neben weniger acht-
baren, doch auch einen oder den andern achtbaren politischen Ver-
brecher kennen gelernt hat! — Dass übrigens auf die lange Fest-
haltung politischer Verbrecher, ungeachtet sie geisteskrank gewor-
den sind, in Strafanstalten nicht immer der Geist der Rache ohne
Einfluss geblieben ist, davon habe ich unter andern auch aus einer
pi'eussischen Strafanstalt 1856 die üeberzeugung mitgenommen.
Die Veröffentlichung der fraglichen Berichte des Hausarzts würde
wohl das einfachste und sicherste Mittel sein, um unbefangenen
Dritten ein eignes ürtheil über dessen inneren Beruf zur Psychia-
trie möglich und jeden ferneren Streit darüber unmöglich zu machen,
zugleich aber klar darzuthun, ob hier ein »quousque tandem« ge-
rechtfertigt oder »lächerlich« ist. Nicht Wenige halten es für ein
schweres Unrecht ♦♦♦), wenn in solchen Dingen die Staatsregierung
nicht durchgreift, und zwar auf eine Weise, die auch den entfern-
testen Verdacht büreaukratisch-nepotistischer Parteilichkeit aus-
schliesst.
Sehr auffallend ist es, dass (ü, 83 u. 100) nur bis 1857 auch
die nach der Entlassung erfolgten Todesfälle in Rechnung ge-
bracht sind, während für die ganze Zeit seit 1857 »die nöthigen
Erkundigungen noch nicht eingezogen waren.« Daraus folgt, dass
jeder Vergleich der vor und nach 1857 eingetretenen SterbfUlle
völlig unstatthaft ist, indem jeder Vergleichungspunkt fehlt.
Das Prunken des Hausarzts mit der späteren geringen »auf so
*) Vgl. meine „Grundzüge des NAturrechts.'^ 2. Auflage, n, 8. U8ff.
**) „BeBBemngstnife und BeasernngstrafansUlten als Rechts forderuDg"
8. 185.
*«*) Zum Beleg sei hier nur auf die Tübinger „Zeitschrift fUr die ge-
sammte StaatBWiBsenschaft" 1865. Heft 1 u. 2. 8. 126 verwiesen.
Blfttter nsr Crr&Dgnisskunde. 841
ab^ieuerlicher Gnindlage gewonnenon« Zahl lässt sich mm zwar
begreifen, da es ihm galt um jeden Preis alle »günstigeren Ge-
sammtverhältnisse der Anstalt, auch in der MortalitAt« dreist an
den Dienstwechsel in der Direktion zu knüpfen; dass aber sogar
der jetzige Direktor selbst (II, 8) in einen ähnlichen Ton fKllt,
muss ohne Frage gerechtes Erstaunen hervorrufen. Wo die wahre
Ursache davon zu suchen sei, dass in der That Manches — trotz
Alledem — im Zellengeföngniss zu Bruchsal, wie überhaupt im
Geülngnisswesen des Landes, besser geworden ist, darüber finden
sich bereits oben die nOthigsten Andentungen, woraus sich zugleich
zur Genüge die in ganz verschiedenem Sinn und Zusammenhang
gethanen Aeusserungen erklären, aus denen Gut seh den mir
(IT, 84) untergeschobenen Satz zusammengeschweisst hat.
Was den Verwalter Bauer angeht^ so habe ich dessen Ge-
schick in Leitung des Arbeitbetriebs im Zellongeßlngniss in ge-
werblicher und kaufmännischer Hinsicht jederzeit, auch in meinen
Schriften*), ausdrücklich anerkannt, wie ich dazu durch die Er-
folge und meine eignen Wahrnehmungen ein Recht zu haben glaubte,
obgleich ich in jenen beiden Hinsichten besondere Studien nie ge-
macht habe. Da Dasselbe indess von Bauer gilt, der meines
Wissens weder als Weber, noch als Schneider, Schuster, Schreiner
etc. oder als Kaufmann je auch nur in der Lehre gewesen, ge-
schweige es zur Meisterschaft gebracht hat, so kannte ich ihn ohn-
gefähr mit gleich viel oder gleich wenig Fug des Nichtverständ-
nisses und der Anmassung des ürtheils in diesen Dingen zeihen
wie er mich. Es ist mir Diess aber ebensowenig je eingefallen
als dass ich einen solchen, sehr brauchbaren, Autodidakten vom
Zellengefängniss »weggejagt« wissen wollte; wohl aber halte ich
es für dringend nöthig, dass ein solcher, ohnehin wissenschaftlicher
Bildung sowie des Urthe]ls in Fragen der Gesetzgebung und des
Rechts, der Psychologie und Pädagogik entbehrender Mann einfach
bei seinem Leisten bleibe, und dass seine Vorgesetzten ihn vor
Selbstüberhebung und jenen einseitigen Fehlrichtungen bewahren,
deren höchstes Ziel das Sparen und die Steigerung der Einnahmen
um jeden Preis ist, weit entfernt ihn gar noch dazu anzuspornen.
Allein während Jahren ist hier unstreitig Vieles versäumt worden,
was die höheren, einzig massgebenden, Zwecke der Strafe schlechter-
dings fordern. Dass ich mit diesem Manne mich femer einlasse
auf die Erörterung dahin einschlagender und ähnlicher tieferen
Fragen, wird wohl Niemand erwarten. Auch verlange ich ebenso-
wenig ihn zu bekehren als irgend einen Andern, dem alle wissen-
schaftlichen Voraussetzungen fehlen, ohne die man hier nie ein
selbständiges ürtheil zu gewinnen, sondern höchstens Andern nach-
zusprechen im Stande, also genöthigt ist, sich an die herkömm-
*) Z. B. Btrafvollziig 8. 278 u. 806.
843 Blätter f!kr Gefftngniaskiuide»
lieben hohlen Redensarten von »Gerechtigkeit« und »Sühne«, ao-
wie an das in's Uebel verlegte Wesen der Strafe zu halten, —
Redensarten, die, wie ich hinreichend nachgewiesen zu haben glaube,
keinen festem Halt gewähren als der Strohhalm, nach dem ein
Ertrinkender greift, um sich z\i retten.
Schon die von Bauer auf der Versammlung zu Bruchsal auf-
gestellten Streitsätze*), sowie seine späteren Erörterungen über die
Gefängnissarbeiten, sind sichtlich grossentheils zunächst gegen
meine Ausführungen über dieselbe Frage ♦♦) gerichtet, und inso-
weit ist für Den, der diese — sei es auch nur die §§.3—5 meiner
einschlagenden Abhandlung — gelesen hat, kaum ein Wort weiter
nöthig. Namentlich der erste jener Sätze: »Die Beschäftigung der
Gefangenen ist zunächst als ein Bestandtheil der Strafe zu be-
trachten« — sagt entweder nur gerade so viel oder so wenig
als etwa der Satz sagen würde : Die Kost und Kleidung der Ge-
fangnen, oder auch die Seelsorge, der (allgemeine, religiöse und
gewerbliche) Unterricht etc. ist bei ihnen zunächst als ein Be-
standtheil der Strafe zu betrachten — oder er mü8st.e (wenn
anders Bauer den Muth der Folgerichtigkeit hätte) im Namen der
Abschreckung oder doch der Sühne, auf die dabei Bezug
genommen wird, soviel sagen sollen, dass noch immer, wie vor
Zeiten, die Arten der Arbeit nach ihrer Härte, Gesundheitwidrig-
keit, Widerwärtigkeit, also z. B. öffentliche Arbeiten im Galeeren-
hof oder in der Karre (s. g. Kettenarbeiten) oder aber Baspel-
und Spinnhausarbeiten, das Wesen der Strafe ausmachen. Da je-
doch Bauer selbst diese Bohheiten nicht mehr will, so sagt in
der That sein Satz gar Nichts und würde sicher keine Zustimmung
gefunden haben, wenn die Zustimmenden Zeit gehabt hätten sich
Diess klar zu machen. Wir wollen hier über diese Frage nur noch
Folgendes bemerken. Gewiss können Strafanstaltbeamte, die sich
nicht auf ganz äusserliche Weise mit ihrem Beruf abfinden, ihr
volles Genüge nicht darin finden, dass sie an den Sträflingen mittels
der durch das Strafdrtheil vorgeschriebenen Einsperrung, Arbeit
u. s. f. in allen Stücken lediglich auf rein mechanische
Weise verfahren, d. h. bloss einen äusseren Zwang oder Dnick
auf sie üben, ganz unbekümmert um alle höheren Zwecke und
darum, wie dieses Verfahren auf deren Geist und Körper wirken
werde. Sie werden vielmehr, weit entfernt durch solche Aeusser-
lichkeiten das Wesen der Strafe erschöpft zu halten, eingedenk
sein, dass äussere Freiheitbeschränkungen, Gewalt und Zwang bloss
als solche ebensowohl rechtmässig als unrechtmässig sein können
und dass, ob sie Dieses (d. h. wie v. d. Brugghen sagt: ein
blosses Beoht des Stärkeren) oder Jenes seien, sich nur danach
*) Im 1. Heft der Blätter fOr Gefängnisslnuide.
**) In der Schrift: Der Strafvollsog im GeiBt des Rechts. 9. Ahhandl.
S. 277-561.
BI&M«r fOT GiOogBlMkiiBd«. ftia
beartheilea UUsi, ob sie als Mittel zar ErreicbuBg des imBecht
begrCbideteii ianeren (psyehisch-pftdagogischen) nächsten Zwecks
der Strafe gelten können oder nicht. Kein vernünftiger Mensch
hat swar je daran gezweifelt, dass Alles, was an sich Recht ist,
geschehen, dass also anch in der Strafe dem Strilfling unbedingt
sein Becht widerfahren mnss, er mag Diess wollen und wttnschen
oder nicht. Aber ebensowenig ist ein Zweifel daran möglich, dass
es höchst wllnschenswerth ist, wenn der Sträfling diese Nothwen-
digkeit selbst einsieht, sich freiwillig darein ergibt, also anch von
selbst, gern nnd mit Lust seine Arbeit thnt, anstatt in fortge-
setzter Widerspänstigkeit immer nur dem Zwang zu weichen. Was
soll nun, fragt man mit Fng, wenn Dem so ist, das nnanfhOr*
liehe Pochen auf den Zwang nnd das Geftlhl des Mfissens als das
Wesentliche, Charakteristische der Strafe bedeuten? Wie kann das
Wesen einer Sache in Dem bestehen, von welchem alle Welt,
Yor Allen- der StrafroUzugbeamte selbst , lebhaft wünschen muss
und wünscht, dass es fehle! Wer auch nur ein Fünkchen Logik
im Kopf hat, muss begreifen, dass andern Falls die Strafe sofort
aufhören würde Strafe zu sein, mithin verändert werden müsste,
sobald der Sträfling sich bereitwillig in seine Lage fügt, also
nngetrieben und ungezwungen, ja freudig sein Tagwerk verrichtet,
überhaupt mit Dank Alles erkennt was der Staat mittels der Strafe
an ihm selbst für sein eignes Bestes, für seine ganze Zukunft thut
und gethan hat, wenn der Sträfling somit in dem Alien den
Schein — worauf hin er darin, solange ihn sein verkehrter Wahn
bethört, nur ein Uebel empfindet -* von der Wahrheit scheiden
gelernt hat, wonach es für ihn, wie für die Qesellschaft, eine
Wohlthat ist*
In demselben Sinn hat sich denn anch der Vorstand eines
Gesammthafthauses, Elvers*) -— der mithin nach Bauer auch
zu den »Schwärmern« und »Fantasten« (II, 47 etc.) gehört —
sehr treffend ausgesprochen über »die verhängnissvollen Folgen des
unseligen Gedankens der Zwangarbeit (wie der frühere englische
Generalinspektor Hill sich ausdrückt : der Verwandlung in » Sklaven-
arbeit«), der aus der alten rohen Abschreckungstheorie stamme
u. s. f.«, und man darf wohl überzeugt sein, dass bei näherer Er-
wägung aller der widerrechtlichen und, wie vorhin gezeigt worden,
sogar geradezu widersinnigen Folgerungen, zu denen man sich ge-
drängt sieht, sobald man den anscheinend harmlosen Bäuerischen
Satz gntheisst und festhalten will, nur eine verschwindend geringe
Minderzahl sich für denselben erklären würde.
üeber die andern Bäuerischen Streitsätze (I, 86), und Das
was daran wahr und falsch ist, findet sich alles Nöthige bereits
*) In Holteendorffs Strsf^eebtszeitung. 1861. S. 806 u. 806. Schon
1b meiner Schrift: „Der Strafvollzug'^ 8. 805. Anm. hebe ich Diess henror-
gehebca.
844 Bl&tter fOr OefAngDiaBkiinde.
in meiner vorerwähnten Abhandlung. Hier sei nnr bemerkt, wie
aus dem Satz: dass alle Gefangenarbeit wesentlich Sklayenarbeit
sei, weiter folgerichtig (lit. d und e) abgeleitet wird, dass auch
in Bezug darauf, d. h. auf gewerbliche Ausbildung und Arbeitlohn,
die Sklaven rechtlos, d. h. bloss vom Belieben der Verwaltung und
der Gnade des Staats abhängig seien. Völlig folgewidrig hat
sich aber Bauer durch eine richtige Ahnung zu dem Satz c , der
Zutheilung zur Arbeit nur nach Massgabe der Individualität und
der Gesundheit will, verleiten lassen, sowie zu dem Satz b, wo-
nach, wie alle Einrichtungen der Strafanstalt, so auch die Arbeit,
möglichst auf Besserung berechnet sein soll (für die
ihm sogar. Was freilich ein Irrthum ist, die richtig gewählte Arbeit
das geeignetste Mittel zu sein scheint), und doch — kann sich
derselbe Mann nicht denken (1,53), dass jemals in der Absicht,
ihn zu bessern, ein Verbrecher in die Strafanstalt werde geschickt
werden! — Derselbe Mann, der es für »gleichgültig« erklärt hatte,
ob der Sträfling (in der Zelle) gern arbeite oder nicht, sieht sich
hintennach doch genöthigt zu gestehen (I, 56), wieviel gewonnen
ist, wenn der Sträfling die Arbeitscheu überwinden, die Selbstbe-
friedigung durch die Arbeit kennen lernt u. s. f. Weil femer »an
dem Mangel an Widerstandskraft oft die besten Vorsätze scheitern«
— »desshalb ist es lächerlich, wenn man — eine Strafanstalt zu
einer Besserungsfabrik stempelt« ! Also ist es wohl auch lächerlich,
ein Krankenhaus zu einer Heil-Anstalt oder Fabrik zu stempeln,
weil — nicht Alle, die daraus hervorgehen, demnächst Alles zu
vermeiden wissen, was einen Bückfall nach sich ziehen kann! —
Man sollte denken^ der Arzt, wie der Strafanstaltbeamte, könne
und solle für die Zweckerreichung das Seinige thun und sei eben
nur dafür verantwortlich, nicht aber dafür, dass seine Bemühungen
oft genug durch den Entlassenen selbst oder durch widrige Um-
stände vereitelt werden! Auch Bauer scheint nicht zu ahnen
(11,57), dass es keine Praxis geben kann ohne eine entsprechende
— - gute oder schlechte, bewusste oder unbewusste — Theorie,
die man ausübt, und dass eine Praxis der letzteren Art nur ein
blinder tappender Schlendrian ist. Seine selbstbelobte »Besse-
rungspraxis« ist jedenfalls ein sehr zweideutiges Zwitterding, wenn
er sie (H, 58) als eine mit »Abschreckung \md Härte« sehr wohl
verträgliche aufliässt, da — ja auch das badische Strafgesetz Zucht-
linge zu »harten Arbeiten« angehalten wissen wolle! Diese höchst
verkehrte Bestimmung, deren Unanwendbarkeit in der Zelle, und
wenn man bessern wolle, er übrigens selbst (H, 58) zugibt, hat
jedoch, wie er, gleich Ekert, verschweigt, bereits der §. 2 des
spätem Gesetzes über den Vollzug der Zuchthausstrafen im Zellen-
gefängniss, der nur »Beschäftigung der Zellensträflinge« will, in
Uebereinstimmung mit dem Wesen der Zellenhaft beseitigt — Was
jetzt also allen männlichen Züchtlingen Badens zu Statten kömmt.
Von dieser Seite trifft also der Vorwurf des »Ignorirens der posi-
r
mucr ffir OcfloginlMkniide. 84$
ÜTen Geseizgebang BadeDSc nicht mich, sondern nur Diejenigen,
die ihn erheben; vollends tragikomisch nimmt er sich aber ans
dnrch die nicht zn missverstehende Erläntemng Baner*s (II, 4v):
»ich verfolge das bei uns herrschende Strafprinzip in der Per-
son zweier Beamtencl
Welcher Mittel sich Baner bei seinen Beweisftthmngen be-
dient, wird ans folgenden Proben hinreichend ersichtlich sein. Mir,
der ich — im Gegensatz zn ihm — bei der gesammten Behand-
lung der Sträflinge, anch bei dem ihnen zn gewährenden Antheil
am Arbeitiohn, die Nothwendigkeit betont hatte, ihr gntes oder
schlechtes Verhallen mit zu berücksichtigen*), schiebt er dreist
die Behanptnng nnter (in, 32), dass ich »Nebenarbeiten dem Ge-
fangenen unbedingt freigegeben wissen wolle, anch wenn er
darüber Kirche nnd Schnle versäume, Krankheit vorspiegle etc.«;
ebenso verschweigt er weislich, dass ich ausdrücklich Elvers
zQgestimmt hatte**), der es für eine Unmenschlichkeit und Un-
khgfaeit zugleich erklärte, wenn man Gefangenen Nebenarbeiten
anch für den Fall verbieten wollte, dass sie allen Anforderungen
des Hauses in Hinsicht der gewerblichen und Schularbeiten ge-
ofigt haben. Mit derselben Dreistigkeit schiebt er mir unter, dass
ich auf Kosten der Wahrheit die > Arbeitzweige c in la Hoquette,
Amsterdam und Löwen »angepriesen« habe und zieht daraus
wider besseres Wissen den Schluss, dass ich keine dieser Anstalten
besucht habe. Von Amsterdam wenigstens musste er das (jegeu-
tbeil bereits aus meinem »Strafvpllzng« (S. 116) wissen, auch
wenn er es nicht von dem Direktor des dortigen ZellengefängniBses
erfahren hätte. Wenn wirklich neuerdings in la Roqnette ein
ganz einseitiger fabrikmässiger Betrieb herrschen sollte, so wäre
Bas ein weiterer Beweis, wie sehr seit dem Staatstreich des
2. Dez. die Gefllngnisssache in Frankreich zurückgegangen ist, wie
der Vergleich mit dem früheren Zustand lehrt, dessen Surin-
gar (der, wie ich, Paris seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen
hat) Erwähnung thut***). Ebenso ist es rein erfunden (III, 34),
dass »ich es ganz in der Ordnung finde, dass Männer und Frauen
in derselben Anstalt verwahrt werden« ; vielmehr habe ich an der-
selben Stelle, worauf Bauer zum Beleg verweist f), nnd ander-
wärts, aufs Bestimmteste das gerade Gegentheil gesagt; ich
habe überhaupt 1858 in einer Sitzung des Verwaltungsraths im
Zellengefitogniss zu Amsterdam, zw der ich eingeladen war, ganz
*) BirafvoUzug 8. 808.
**) Ehend* 8. 812.
***) Ebenda S. 209. — In meiner „Besserungs träfe" S. 155 hahe ich auf
das Beiapiel von U Roquette jedoch nur insofern verwiesen , als ich daran
den WuiBch knftpfte, dass man, statt der Gemoinsohaft, bei den Jugend-
lichen Verhrechem in Rotterdam ebenso wie dort ZelU uhaft einfahren möge
— ein Wunsch, dessen ErfOUung bevorsteht,
tj Strafvollzug S. 816 zu E.
' S46 Bl&tter IQr Geflagnisskniide.
offen meine Missbilligung mancher dortigen Einrichtnngen — andh,
aber lange nicht bloss, des düstem Theeranstrichs der unteren
Hälfte der Zellen*) und der schlechten Beschaffenheit der Fenster,
vollends in Vergleich zu denen von Bruchsal — ausgesprochen, imd
man hat dort nicht nur von Seiten des Verwaltungsraths, son-
dern auch der Regierung, meinen Tadel, sowie meine Berichtigun-
gen einiger irrigen Auffassungen und Yorschl&ge des General-
inspektor Qrevelink, freundlich und dankbar angenommen, weil
man die Wahrheit höher anschlug als die Bücksichten auf yer-
kehrte Meinungen und Bestrebungen hoher Beamten. Ich darf wohl
mit einiger Befriedigung sagen, dass die drei auf f an der Brug-
g h e n gefolgten Justizminister, der frühere Kultusminister J o 1 1 e s *"*")
und der jetzige Ministerpräsident Thorbecke sämmtlich mit mir
nicht auf Seiten des Herrn Grevelink, sondern auf Seiten der
öffentlichen Meinung des ganzen Landes standen^ deren ünzweifel-
haftigkeit selbst van der Brugghen offen anerkannt hat, und
die Suringar***) mit den Worten bezeugt; »c^est la couTiction
pre8qu*unanime qu*au Systeme cellulaire pur (mit Holtzendorff
zu sprechen: der »Bö der 'sehen Einzelhaft«) doit döcidöment etre
accordöe la pr^f^rence«. Mit diesen Anerkennungen werde ich mich
denn wohl über die Anfechtungen von Seiten der Herrn Bauer
und Genossen trösten müssen.
Wer diesen Herrn mit dem zuversichtlichen Ton genauesten
Wissens über das Zellengef^ngniss zu Amsterdam so plump hinters
Licht geführt hatte, findet er für gut nicht zu sagen. Dass er
aber dergleichen falsche Berichte, und zwar mit der Miene
des Selbstgesehenhabens und sichtlichem Wohlge-
fallen nacherzählt hatte, kömmt lediglich auf seine Beohnung,
obwohl er nun vergeblich versucht es durch Ungezogenheiten gegen
mich von sich abzuschieben. Es gehört zu diesem Versuch eine
um so grössere Dreistigkeit, als er keinesfalls seine Mitschuld
leugnen kann, sei es nun, dass er den, wie ich gezeigt habe, von
ihm selbst angeführten Bericht von J olles über das Amster-
damer Zellengefängniss wirklich gelesen hatte, wie es jedenfiaUs
seine Schuldigkeit gewesen wftre, oder nicht. Im erst.en Fall hat
er bewusst, im zweiten unbewusst, aber mit unverantwortlicher
Leichtfertigkeit, Unwahrheiten verbreiten helfen« Ebendiess gilt von
der jetzt (III, 34), von ihm aufgetischten Albernheit : dass die Ge-
fangenen dort nur mit bedecktem Gesicht zu den Besuchern spre-
chen dürften.
*) S. meine ^Bessemngstrafe etc." 8. 174 Anm.
j Von ihm. der »uf dem Frankfurter Eongress von 1867 anwesend
war, rührt die Anzeige meiner Schrift über den StrafvoUsug im Weekblad
van het regt vom 18. Jan. 1864.
***) VlDgt-cinqni&me annlversaire de Texistence de la sociM^ K4erlan-
daise poor lam^Uoration morale des prlsonniers, avant-propos.
BlÜUr für GeflDgninkiuide. 847
Er selbst hat ferner oft genug gepredigt, dass» anf je kürzere
Zeit Strtflinge vemrtheilt sind, desto mehr die Schwierigkeiten
eines wohlgeordneten Gewerbbetriebs steigen, und er wird Dies»,
seitdem das Bmchsaler Zellengef&ngniss auch die Arbeithausstrftf-
Imge anfninunt, noch mehr gewahr geworden sein, gans abgesehen
von der durch »sftmmtliche Beamten als nachtheilig erkannten«
(m, 53) weiteren kllnstlich geschaffenen Schwierigkeiten dnrch das
Getrennthalten der Arbeit- von den ZnchthansstrSflingen *). Um so
anfallender und ein nm so sprechenderes Zengniss für den Wahr-
heit- und Bechtsinn Baner*s ist es, wenn er für gut findet, die
eigenen weisen Lehren plötzlich zn vergessen (III, 85 f.) > sobald
?on dem Zellengeftngniss zn Amsterdam die Rede ist, wo doch
jene Schwierigkeiten noch unvergleichbar grosser sind, weil dort
gar Keiner über ein Jahr bleibt, sehr Viele weit kürzer, wo
also ein ungleich stärkerer Wechsel der Hausbevölkemng statt
findet. Jedenfalls sind die Nothbehelfe, nach denen man dort ge-
griffen hat, wenn auch minder einträglich, doch weniger gesund-
beitwidrig als die Weberei, nach der e r in solchen Fällen wo immer
mOglich greift, üebrigens ist es mir nie eingefallen, »mit beson-
derer Befriedigung« in Hinsicht des Arbeitbetriebs anf Amsterdam
za verweisen.
Da die Gefahr fabrikmässigen Arbeitbetriebs, sowie über-
haupt mechanischer Behandlung der Sträflinge, bc<p:eif-
licb um so mehr steigt, Individuali sirung um so weniger mOglich
wird, je überfüUter ein Zellengefängniss ist, so hatte ich seiner
Zeit nach Kräften gewarnt vor dem Bau eines solchen für 600
Sträflinge, wie das zu Löwen, um so mehr als Ducp^tiaux selbst
und 1847 der Brüsseler Kongress 300 KOpfe für die höchste wün-
sehenswerthe Bevölkerungszahl eines ZeUengeiHngnisses erklärten,
die Holländer sogar nur 250 Köpfe. Für jenen schweren Missstand,
den Bauer ohne Weiteres Ducpötiaux in die Schuhe schiebt,
anstatt dass man dadurch nur einen doppelten ötat-major ersparen
wollte, kann freilich keine Schönheit des Baues entschädigen. Sollte
es also wahr sein, dass dermalen der dortige Arbeitbetrieb Bauer's
Ideal einer Fabrik von Soldatenkleidem ziemlich nahe käme
(HI, 86 f.) — Was ich einstweilen bezweifle — so wäre Das traurig
gemig; und wenn es in Bruchsal nicht ganz so schlimm geworden
*) Am a. O. wird auch der Kaohthefl der Trennung in besondemFlü-
gdn ftir die gewerbliche AusbilduDg und die Unmöglichkeit, lie in der Kirche,
Bchule und bei ErkrankiiDgen aufrechUuhalten, betont Wie lange wird ee
doch noch dauern bis man diese und ähnliche Unterschiede, wie in der Be-
BchlftigQDg und Wohnung, so auch in der Kleidung, Koat (m, 64} etc. bei
to IQ Frdheitotrafen Yemrtheilien endlich aufgibt, statt sich mit klein-
lieker AengstiicUelt krampfhaft an sie zu klammem, da sie doch in keiner
Weise als durch den Strafzweck geboten erscheinen und lediglich auf eine
Verschiedenheit in Bttckeicht der Schädigung der Geeundbeit oder dea Ehr-
gefühls hinauslaufen!
348 BlJlttcr fQr GefängnisskuDde.
ist oder wenigstens jetzt nicht mehr sein sollte*), so ist Das doch
gewiss nicht sein Verdienst! Wie mag er sich daher Dessen
rühmen? Wie er aber keine Gelegenheit vorübergehen lässt, die
sich zu seiner Selbstverherrlichung ausnützen lässt, so berühmt er
sich auch damit, dass die in Bruchsal versammelten Beamten (von
fast lauter Strafanstalten auf Gremeinschaftfuss) gefunden hätten —
Was von ihrem Standpunkt sehr natürlich genannt werden muss
— dass e r sogar bei Weitem zuviel für die gewerbliche Ausbildung
der Sträflinge gethan wissen wolle. Nur da, wo die Zellenhaft be-
reits den Weg gebahnt hat zur vollen und richtigen Würdigung
Dessen, was die Strafe von Gott- und Bechtswegen leisten sollte,
nur da lässt sich mit Fug erwarten, dass man die alte Denkweise
fahren lasse, wonach man nicht nöthig fand viel Federlesens mit
Sträflingen zu machen, die ja nur dazu da waren geduldig Alles
über sich ergehen zu lassen, was man mit ihnen vorzunehmen für
gut fand. Immerhin ist es bemerkenswerth, dass auch der Beamte
eines Zellengefängnisses eine Verpflichtung zu gewerblicher
Ausbildung bei BückfUUigen und bei Ausländem in Abrede stellt
(III, 39f.), freilich in demselben Athem »dieNothwendigkeit«
(d.h. doch wohl die Verpflichtung ?) anerkennt, »welche die Zellen-
haft in dieser Eücksicht auferlegt«, da die Bohheit der Voraus-
setzung doch gar zu grell ist: jeder Bückfall bezeuge, dass man
sich mit solchen Menschen bisher nur unnütze Mühe gegeben habe
und ferner geben würde. Ueber Diess und Anderes mehr ist für
Den, der meine Ausführungen mit Bauer' s Gründen vergleicht,
jedes weitere Wort überflüssig. Wer, gleich ihm, selbst nicht
zu behaupten wagt, dass die Einträglichkeit der höchste Entschei-
dungsgrund für die Auswahl der Gefangenarbeiten sei. Der wird b e i
folgerichtigem Denken**) zugeben müssen, dass solche
Arbeiten unbedingt vorzuziehen sind, die am Meisten den hohem
Zwecken aller Strafarbeit entsprechen, und dass davon weder die
Schwierigkeit des Absatzes abhalten darf, noch das Unangenehme
der Mitwerbung für die freien Arbeiter, so gewiss auch im Uebri-
gen Beides alle nur mögliche Bücksicht erfordert. Es mag sein,
dass ich in dieser letzten Bücksich t« nämlich auf Nichtbeeinträcb-
tigung der »freien ehrbaren Arbeiter«, vielleicht sogar etwas zu
weit gegangen bin und mir dadurch den Vorwurf jenes grossen
Logikers zugezogen habe, dass sie »nach meiner aschgrauen Theorie
*) Noch immer herrschen zwar die dahin ilelenden Gewerbe vor und
namentlich die Weberei, die als das einträglichste von allen von Bauer be-
seiehnet wird; aber es konnte das Zeichen einer Wendung zum Besseren
sein, dass (II, 51) von 182 Eingelieferten 40 den Holaarbeiten sngetheilt
wurden, und diese Überhaupt 287o aller Gewerbarheiten ausmachen — falls
es nicht dabei bloss auf fabrikmässiges Fertigen von Packkisten und Paek-
fässem abgesehen ist.
**) Wie es in dieser Hinsicht mit Bauer aussieht zeigt schon die
Reibe von Beispielen, die wir oben aufgeführt haben, sowie das logische
euriosum des Gegensatzes (II, Öl) : „Kranke'^ und „vorübergehend Kranke."^
Butter für Gef&DgaiMkunde« 849
zn Grunde gerichtet werden dürfen c (III, 37 f.). Aber sein Eifer
reisst ihn sogar za dem Triumfgeschrei hin, dass, indem ich, anter
andern auf deren Schonung zielenden Vorschlägen, auch auf die
Möglichkeit einiger Arbeiten fttr die Trappen (natürlich nnr so-
weit nicht Wichtigeres darnntcr leidet) hingewiesen, ich eben-
damit meine ganze eigne Lehre über den Hänfen geworfen und
selber das Lob der Baner' sehen Soldatenkleiderfabrik gesangen
habe, — dieses lange genng getriebenen nnverantwortlichen Fa-
brizirens von vielen Tausenden grober Kleidungsstücke, ohne alle
Bücksicht auf. die dadurch gedrückte Stimmung, vemachlftssigte
Fortbildung und trübe Zukunft zahlreicher Sträflinge!
Ich glaube im Bisherigen mehr als genug gesagt zu haben,
nm die steten abgeschmackten Verdrehungen und die Schwäche der
Grtlnde des Mannes aufzudecken und für das Üebrige auf mein
Buch »der Strafvollzüge verweisen zu dürfen. Nur zur Kennzeich-
nung des Werths seiner ürtheile über Personen bleibt mir noch
beizufügen übrig, dass er sich nicht scheut zu verstehen zu geben,
dass ich bei Suringar und Füesslin in bOser Oesellsohafb sei
(II, 48 f.)! — Was Letzteren betrifft, so erinnere ich bei diesem
Anlass, dass seine redlichen und erspriessliohen Bemühungen um
eine wahrhaft bessernde Gestaltung der Einzelhaft allgemeine Aner-
kennung fanden, auch von Seiten mehrer badischen Minister, und zwar
im ausgesprochenen Gegensatz zu der blossen Abschreckerei und
Geldmaoherei Anderer, die Nichts nach der Übeln oder hoffnungs-
reichen Stimmung der Gefangenen fragten, deren Besuche möglichst
kärglich zumessen wollten und Nichts versäumten um den Gegnern
der Zellenhaft Waffen in die Hand zu geben. Bekanntlich ist es
noch gar nicht lange her, dass man, wie es die Nichtken ner noch
heute thun, ohne Weiteres alle BückfUlle den Strafanstalten zur
Last legte und aus der grossen Zahl der EückfUUe zuiUckschloss
auf die Schlechtigkeit dieser Anstalten. Dieser Schluss ist indess
nur bei gemeinschaftlicher Haft einigermassen zulässig, da
diese selbst unleugbar die Quelle zahlreicher Bückfälle ist, niemals
aber die Zellenhaft als solche. Trotzdem suchte man damals das
Brachsaler Zellengefängniss planmässig in Misskredit zu bringen
und bediente sich dazu der selbstredend aller Beweiskraft erman-
gelnden Zahlen, die Bauer nun gesteht der Oberbehörde hinter
dem Rücken des Direktors mitgetheilt zu haben, die halbamtlich
durch alle Zeitungen liefen und mehrfach in deutschen Kammern
gegen die Einzelhaft geltend gemacht wurden. ' Was den Einfluss
der Zellenhaft auf die Besserung betrifft, so hatte seiner Zeit
Füesslin seine auf zehnjährige Erfahrungen gestützte (von mir,
wegen ihrer wesentlichen üeberein Stimmung mit allen anderwärts
gemachten Wahrnehmungen, getheilte) Ueberzeugung ausgesprochen
in Hinsicht der wahrscheinlicher Weise — also in der
Begel, die natürlich ihre Ausnahmen hat — zur Bewirkung einer
Sinnesänderung der Gefangenen genügenden und ungenügenden
850 Claiidil AeUani e rec. HercberL
Zeit*), und diesen Erfahrungen seines ehemaligen Vorgesetzten
erdreistet sich nun ein Bauer vom hoben Pferde herab, im Namen
sämmtlicher Beamten des Hauses, alle Glaubwürdigkeit abzusprechen
und sie als rein aus der Luft gegriffen zu bezeichnen (III, 49)!
— Mir aber, der ich doch wohl etwas mehr für die Anerkennung
der Individualität und ihres Rechts, auch beim Sträfling, gethan
habe als er, schiebt er den Unsinn in den Mund (IQ, 50 f.), dass
ausnahmlos binnen einer bestimmten längeren Zeit Besserung
erreidiit, binnen einer bestimmten kürzeren Zeit nicht erreicht
werde! — Wenn er gar endlich, um den Bohluss zu ziehen, dass
— die Einzelhaft nicht untrüglich wirke, für nöthig gehalten
hat, auf einige Sträflinge zu verweisen, die »schon über 12 Jahre
in der Zelle sitzen und ihre klar örwiesene Schuld leugnen«, so
hätte er diese Mühe sparen können. Uebrigens hat wahrscheinlich
in Bezug auf Einen dieser unverbesserlich hariaiäckigen Sträflinge
der verstorbene Hausgeistliche Weite mir seine volle Ueberzeu-
gung ausgesprochen, dass Derselbe ganz unschuldig auf Lebens-
zeit vemrtheilt sei!
Nach diesen nothgedrungenen Erklärungen schliesse ich —
Anderes Andern**) überlassend — mit der bestimmten Erwartung,
dass Badens neue Aera endlich auch darin sich bewähren möge,
dass sie den Übeln Lispirationen ein Ziel setze, durch welche das
Treiben der im Vorstehenden gezeichneten Leute bedingt istl —
Heidelberg im Mai 1865. K. Röder.
BibUotheea Scripiorum Oraecorwn et Romanorum Teuhneriana,
Claudii Aeliani De natura animalium libri XVII Varia JERsUh-
ria Epi$iolae Fragmenta. Ex recognUione Rudolphi Her-
eheri. Accedunt rei accipürariae scriptorea Vemetrii Pepa-
gomeni Cynosophium Georgii Püidae Hezaemeron Herctäanense.
Vol l Lipdae in aedibua B, 0. Teubneri MDCCCLXIV. LXJ
und 488 8. 8, Auch mit dem besonderen Tuet:
Ciaudii Aeliani De natura animalium libri XV JL Ex recog-
nüione Rudolphi Hercheri. Lipsiae etc.
Die Herausgabe der Thiergesohichte des Aeliaims, sammt den
weiter in dieser Ausgabe daran geknüpften Schriftstellern, ist einem
Gelehrten anvertraut worden, der insbesondere dazu berufen war,
eben so sehr durch seine vertraute Bekanntschafb mit den Schrift-
steilem dieses Kreises, wiediess die noch unlängst in diesen Blättern
(Jahrgg. 1864. S. 785 ff.) besprochene Ausgabe des Artemidorus
*) leh habe mleh hierüber In einer PrOfung des hMmover'sohen und des
bimvnachweiglsdMn Entwurfs eines Qesetees über die Einzelhaft in der
^H. Tierteljahrechrift" 6. Bsnd. S. 252 bereits näher ausgeaprooben.
**) FUeBslin wird im 4. Heft «der Blätter für Gefängnisslainde'^ sich
■iiS8|>reehen.
Dionyti HaUcMViBeMls Opp. ree. Klessling. ft51
bewaifit, als aiieh durch seine im Jahr 1858 in Awr Pariser
Didot'sdieii Sammlmig erschienene grössere Bearbeitimg desselben
Schriftstellers, dessen Text darin in einer neaen, anf bisher nnbe-
nntzte handschrifUidhe Quellen gestütsten Berision gegeben war,
Terbnnden ndt einer sorgfitltigen ZnsammensteUnng des kritischen
Apparates, zur Gontrole dee gelieferten Textes in seinen zahlreichen
Abweichungen Ton den fraheren Ausgaben. Der hier gegebene Text
ist aber keineswegs ein blosser Abdruck dieser Pariser Ausgabe;
er enthält vielmehr eine genaue Bevision, oder, wie der Heraus-
geber auf dem Titel es nennt, fieoognition des Textes, in Folge
deren mehrfikche Veränderungen oder, wie wir wohl sagen dürfen,
Verbessennigen stattgefunden haben, durch welche manche fehler-
hafte Leearten durch bessere ersetzt worden sind. Man wird diess
bald im Einzelnen wahrnehmen, wenn man einen vergleichenden
Blick in die, dem griechis<^en Texte unter der Aufschrift: »Index
Kotaiicnam im Aeliani verbis praeter Codices foctanunc voraus-
gehende Zusammenstellung wirft, in welcher auch manche andere
Winke und Vorschläge zur Besserung des Textes gegeben sind.
Ansaerdem ist am Schlüsse ein Index animalium plantarum lapidnm
metaUorum, femer ein Index hominum, locorum et renim memo-
rabilium, und ein dritter Index scriptorum quos Aelianus nomine
landavit hinzugekommen, lauter sehr brauchbare Zugaben, welche
der Benutzung des Ganzen nur förderlich sein können.
Dionyii Hatiearnaieniie AniiguUatumBommnarumquatttiper-'
nmt, reeenmdi Adolpkui KiesBling. YM. II. Lipaiae in
aedüm B. Q. Teubnen. MDCCCLXIV. XLV und 82S8. in 8.
Nach längerem Zwischenraum folgt auf den ersten 1860 er-
sdhienenea Band hier der zweite, welcher gleich dem ersten,
auch drei Btlcher enthält (IV. V. V), deren Text hier mit der-
selben kritischen Sorgfalt und Genauigkeit, die wir an dem «raten
Bsnde anzuerkennen hatten, geliefert wird, und zwar hauptsächlich
auf Grundlage des Codex ürbinas, in welchem der Herausgeber
die Alteste und sicherste üeberlieferung erkennt und dem er selbeft
Tor dem Oodex Ohisianus den Vorzag gibt. Wie viele Stellen nach
dieser Handschrift gebessert und berichtigt erscheinen, kann Jeder
bald ersehen, wenn .er in die dem Texte vorausgehende Adnotatio
critica nur einen Blick werfen will. Denn diese gibt eine genaue
Bechenschaftsablage des ganzen kritischen Verfahrens, in dem Nach-
weis Dessen, was aus dieser Quelle in Verbindung mit der andern,
oben genannten, und theilweise auch ans dem Cod. Coislinianus
und Begius entnommen ist, enthält aber überdem auch zahlreiche
Verbesserungsvorschläge zu einzelnen Stellen, welche noch nicht in
den Text ai^genommen wurden, von Stephanus, Portus, Casaubonus
852 Phaedri Fabb. von Eicheri
Sylburg an bis anf Beiske, Sintenis, Pflaglr, Krüger, Cobet, Büche-
ier n. A. , welchen die eigenen des Herausgebers sich anreihen.
Auf diese Weise lässt sich leicht übersehen, was in dieser neuen
Ausgabe oder Becension, wie sich dieselbe füglich nennen kann, ge-
leistet worden ist. Und darum wird wohl der Wunsch einer baldi-
gen Fortsetzung dieses Unternehmens gestattet sein.
Phaedri Augusti liberli Fabularum Aesapiarum libri guinque cum
iripHei appendice fabtdarum novarum. Für den Sckulgebrauch
ausgewählt und mit einem Wörierbuehe versehen von Dr.
Otto Eich er t Hannover IS65. Höhnische Hofbttchhand-
lung, VIII und 80 S. in gr. 8.
Wir stehen nicht an, diese Ausgabe der Fabeln des Fhädms
für eine brauchbare und zweckmässig für den Schulgebrauch ein-
gerichtete zu bezeichnen. Denn erstens gibt sie eine gute Aus-
wahl, wie diess schon ein Blick in das vorgesetzte Verzeicbniss
lehren kann, dem die Nummern der Dressler'schen Ausgal>e
beigesetzt sind, an welche auch, was den Text betrifft, mit nur
wenigen Ausnahmen diese Auswahl sich anschliesst ; dann aber hat
sie keine deutschen erklärenden Anmerkungen unter dem Text bei-
gegeben, sondern dafür ein passend für die Schüler bearbeite-
tes und eingerichtetes Wörterbuch beigefügt, das auch noch weitere
Erklärungen und Winke enthält, welche jedenfalls vor den deut-
schen, erklärenden Anmerkungen, wie sie jetzt so beliebt sind, den
Vorzug verdienen, da auf diese Weise die Kraft und die Selbst-
thätigkeit des Schülers mehr angeregt wird. Wenn bei diesem Wörter-
buch kleinere, aber sehr deutliche Lettern angewendet sind, so ist
dagegen der lateinische Text der Fabeln mit grösseren , und recht
in die Augen fallenden Lettern gedruckt, auch sind dabei die ein-
zelnen Worte mit Accenten bezeichnet. So wird unter der Leitung
eines tüchtigen Lehres diese Ausgabe mit gutem Erfolg bei dem
Unterricht in der Schule gebraucht werden können, für welche die Fabeln
des Phädrus immerhin eine für die Bedürfnisse des Schülers geeignete
LecttLre bilden, die wir nicht gern aus dem Bereich der Schule
verbannen möchten, wie diess wohl hier und dort verlangt worden
ist, wo man freilich das, was der Schule wahrhaft frommt und
dient, nicht gehörig beachtet zu haben scheint. Das Ganze ist
durchaus correct gehalten.
It. 23. HEIDELBERGER 1866.
JAHEBÜCHER DER LITERATUR.
Neuesie Sammlung ausgewählter griechischer und römischer Klassiker
verdeutscht von den berufensten Uebersetzem. Lieferung 159
bis 188. Stuttgart. Krais ^ Hoffmann, 1864 u. 1865 in 8.
Seit der letzten Besprechung dieser Sammlung von üeber-
setzungen der classischen Schriftsteller des Alterthums in diesen
Jahrbb« 1864. S. 423 ff. ist eine Beihe Ton Fortsetzungen erschie-
nen, über welche wir einen kurzen Bericht hier vorzulegen geden-
ken, unter Bezugnahme auf das, was in der oben angeführten
Anzeige wie in den früheren Anzeigen über den ganzen Charakter
dieser Sammlung und deren einzelne Bestandtheile bemerkt worden
ist. Durch die hier anzuzeigenden Fortsetzungen werden einige der
früher angefangenen Schriftsteller vollendet, andere weiter fortge-
führt: mehrere, und zwar wichtige, sind neu hinzugekommen, auf
welche wir darum insbesondere die Aufmerksamkeit lenken mOchten.
Wir beginnen mit den griechischen Schriftstellern, und
zwar zuvörderst mit den Dichtem. Von Aristophanes erschien
ein viertes Bändchen mit der Ljsistrata*), und von Euri-
pides ein achtes Bändchen mit dem rasendenHerakles*'*),
beide von demselben Gelehrten bearbeitet, dessen Leistungen aus
den vorausgegangenen Bändchen, wie aus andern ähnlichen Versuchen
auf demselben Gebiete sattsam bekannt sind, um hier nicht noch-
mals näher besprochen zu werden. Ueberdem hat Derselbe in bei-
den Bändchen sich nicht blos auf eine Uebersetzung beschränkt,
sondern durch erklärende Anmerkungen, wie durch eine umfassende
literarhistorische Einleitung für das Verständniss des Einzelnen,
wie die richtige Auffassung und Würdigung des Ganzen gut gesorgt.
Diese gilt nicht minder von der Ljsistrata des Aristophanes, als
von dem Euripideischen Drama. Das erst^re Stück ist eines der
verrufensten des Dichters wegen so mancher darin vorkommenden,
nach unseren Begriffen, obscönen Stellen, während es in andern Be-
ziehungen als eines der reizendsten und anmuthigsten erscheint : eben
deshalb hat der Verfasser es fUr nöthig erachtet, seine Einleitung
mit einer Erörterung über den Werth des Stückes und mit einer
*) Aristophanes* Lustspiele verdeutscht von Johannes Minek-
witi. Vierter Band. LysistraU. Stuttgart. Krais <& Hoffknann 1864. 134 8. 8.
(Clasaiker nr. 177.)
**) DieDramendes Euripidea. Verdeutscht von Johannes Minck-
witz. Achtes B&ndoben. Der rasende Herakles. Stuttgart u. b. w. 1864.
188 S. 8. (Classiker nr. 188.)
LVm. Jahrg. 6. Heft. 23
864 Neueste BammliiDg von UeberBetziir4geA grieoh. u. rSm. Klassiker.
Rechtfertigung des Dichters zu beginnen, in welcher mit Becfhi das
edle Motiv, das den Dichter bei diesem wie bei dem zehn Jahre
zuvor aufgeführten Stücke (den Frieden) leitete, und das auch in
andern Stücken als Hauptaufgabe und Ziel des Dichters erscheint,
hervorgehoben wird, nemlich der Wunsch die Beendigung des Pe-
loponnesischen Krieges herbeizuführen, und zwar durch ein Mittel,
das wohl kaum ein Dichter je für solche Zwecke aufgeboten hatte,
durch die Frauen, welche den Männern die eheliche Pflicht verweigern,
um sie auf diese Weise zum Absohluss eines Friedens zu zwingen. Die
Durchführung dieses Gedankens musste unwillkürlich Dinge zur
Sprache kommen lassen, die das Anstandsgefühl nach unsem Be-
griffen verletzen, während diess in dem Alterthum, dessen An-
schauimgBwei«e in dieser Beziehung eine andere war, und das hier
eine derbere Sprache ertragen konnte, minder der Fall war : hätte
doch sonst Aristophanes gar nicht zu einem solchen Mittel greifen
dürfen, ohne Anstoss zu erregen, den er in keiner Weise bei sei-
nen Zeitgenossen damit erregt hat. Von diesem Standpunkt ans
wird daher das Stück zu würdigen und der Dichter zu entschul-
digen sein: nur wird man diesen Standpunkt nicht auf andere
Zeiten und Verhältnisse, am wenigsten auf unsere Zeit, die in
dieser Hinsicht ganz andere Forderungen stellt, anwenden dürfen:
hier scheint er verwerflich. Aus der üebersetzung selbst können
wir uns, nach manchen schon früher gegebenen Proben, auf eine
einzige beschränken, entnommen Vs. 507, wo Ljsistrata in trochai-
schen Tetrameterm also spricht:
Ich gehorche!
In dem Kriege bislang, in der vorigen Zeit, da trugen wir Alles
geduldig,
Mit bescheidenem Sinn, nach Frauennatur, was ihr Männer nur
immer vollbrachtet.
Auch durften wir, traun, nicht mucksen. Indess nicht konnten von
euch wir entzückt sein.
Wir belauschten vielmehr in der Stille des Heerds euch draussen
mit sorglichen Blicken.
Und so hörten wir oft, welch' schiefsn Beschluss ihr gefasst in
den wichtigsten Dingen :
Da pflegten wir euch, in der Seele betrübt, doch lächelnden Mundes
zu fhkgen:
Was habt ihr wohl heut im versammelten Volk anlangend den
Frieden beschlossen
Und zum Schriftanschlag für die Säule bestimmt? »Ficht dich*s an?«
brummte der Mann dann,
»Gleich sohliesse den Mundl« Und ich schloss ihn sofort.
Bei dem rasenden Herakles d^ Euripides war die Auf-
gabe des Verfassers in der Einleitung eine ähnliche: bei der Ver-
schiedenheit der Ansichten, welche in neuerer Zeit über dieses
K««aite Samiifeliuig von UeberaetiimgeD grieob. n. rtau KkMsiker. BW
Stfick herrorgetreten sind, und dasselbe bald lelir boch, bald aehr
nieder gestellt baben, war eine genaue PrUfang, durch wekiie der
Werth des Stückes festgestellt werden mosste, kaum erlässlioh ; der
Yer&sser hat daher zuerst durch eine genaue üebersioht des In-
halts und Ganges eine riehtige AufEutung des Oanzen herbei xn
f&hren gesucht und ist dann in eine Prttfting der abweichenden, nach
seiner üeberzeugung nicht gehörig begründeten ürtheile einge»
gangen. Der Yer&sser kann sich nemlich dem von mehreren Kri*
tikem ausgesprochenen Tadel über dieses Stttek nicht anschlietseB,
er findet yielmehr, dass diese Tragödie nicht allein von erheblichen
Fehlem frei ist, sondern überhaupt für eine regelrecht gearbeitete
treffliche Dichtang sn gelten hat (8.21); der Stoff ist nicht allein
mit geschickter Hand künstlerisch angeordnet und ausgeführt,
sondern auch durch und dun^ tragisch (S. 12); »die Vorzüge des
Stückes beruhen in der künstlerischen Begrenzung der Handlung-,
in der richtigen Geschlossenheit ihrsr Theiie, in der durchgreifen-
den Entfaltung des tragischen Elements, in der überall gelungenen
Aasmalung desselben, und in der Angemessenheit der an der Hand-
lung bethätigten Charaktere € (S. 28): sonMih ist der Verfasser ge-
neigt, in diesem Stücke eine der tadellosesten und eindrucksvollsten
Tragödien zu erkennen, die aus dem Alterthum uns vorliegt, und
obwohl sie zu der Gattung der verwickelten gehört, behaupte sie
doch eine ausserordentliche Einfachheit, indem der Dichter j^B
Motiv verschmäht habe, das ihm entbehrlich ge^icuen. Wir
haben damit das Endurtheil des Verfassers im wesentlichen mit-
getheilt, die nähere Begründung mag man bei ihm selbst nach*
lesen. Sollten wir auch hier eine Probe unsem Lesern vorlegen,
so würden wir dazu aus dem letzten, fünften Akt die von Herakles
an Theseus gesprochenen Worte wählen Vs. 1255:
So höre denn und lass mich dein ermahnend Wort
Mit Gründen niederwerfen: klar entfalt ich dir,
Dass mir ein Fluch das Leben jetzt wie immer war.
(Auf den greisen Amphitfyon hiiiEelgend:)
Entsprossen erstlich bin ich diesem Aermsten hier,
Der seinen eigenen greisen Schwäher t()dtete.
Und diese Blutschuld tragend, mit Alkmene sich
Vermählte, meiner Mutter. Ward der Grund indess
Des Stammgeschlechtes falsch gelegt, so pflanzt sich auch
Auf seine Sprossen unbedingt ünsegen fort.
Zeus selber, — waches Wesen Zeus auch immer sei, —
Er hat erzeugt mi<^, ach, zum Hass der Hera nur!
(Zu Amphiiryon gewendet:)
(Trotz dieses Punkts erzürne dich mit nichten, Greis:
Du bist und bleibst mein theurer Vater, statt des Zeus!)
Und noch ein Milchling war ich, als des Kronossohns
866 Kevesto Bammlimg von Uebeneinmgoii grieeb. u. rSin. Kksstker.
Qemalilin mir in meine Wiege Schlangen schob,
Gorgonenängige Bestien, die mir Untergang
Bereiten sollten. Als der JngendfÜlle Pracht
Mich dann omblühte, welche Müh^n ich da bestand,
Was soll ich dieses schildern? Welche Löwenbmt
Erlegen mnsst' ich, welche Brot dreileibiger
Typhonen, sammt Giganten, sammt yierfGlssigem
Eentan'rgewimmel, ach, im Eriegsgewitterbrans !
Nachdem ich femer jene ringsgehänptete
und immerwachsende Hjdrahttndin umgebracht,
Dnrchschritt ich tausend anderer Abenteurer Schwärm
und stieg in's Beich der Todten, um der Unterwelt
Dreihäuptigen Pfortenwächter, ihn, den Hadeshund,
An's Licht hervorzuholen, wie Eurjsth gebot
Das letzte Wehsal endlich litt ich Armer nun.
Den Schlag des Kindermordes: ach, er setzt dem Haus
Des Leides Schlussstein I
(Eine kurse Pause.)
Und so gross ist meine Noth:
Zuerst im theuem Theben ist^s mir nicht erlaubt
Hinfort zu wohnen; denn gesetzt, ich bliebe doch.
In welchen Tempel soll ich, welchen Preundeskreis
Des Puss noch setzen? Jeden Lippengruss verscheucht
Das Wermi i^eines PluchesI Soll ich also mich
Nach Argos wenden? Bin ich nicht von dort verbannt?
Wohl, rieht' ich denn nach einer andern Stadt den Schritt?
Allein, erkannt als Prevler, werd* ich sicherlich
Auf finstere Blicke stossen dort und dergestalt
Mit bitterer Stachelrede zum Empfang begrüsst:
»Ist dieses nicht der Zeusentstammte, welcher einst
»Die Kinder hingemordet hat sammt seinem Weib?
»Ei, weicht er nicht aus diesem Land zum Henker fort?«
Weiter haben wir zu nennen die üebersetzung des Ana*
kreon*), die allerdings in dieser Sammlung nicht fehlen durfte.
Sie erscheint als Revision wie als Vervollständigung einer froheren
üebersetzung, hat aber die Ergebnisse der neuem Forschung in
Bezug auf das, was dem alten Sänger von Teos wirklich zukommt
oder doch ihm nahe steht, wie in Bezug auf das, was in der Weise
des alten Sängers in späteren Jahrhunderten nachgedichtet worden
ist, sorgfoltig benutzt und durch die Unterscheidung dieser Theile
eine Erkenntniss der alten und ächten Beste möglich gemacht. Es
*) AnakreoB und die sogenannten Anakreontisohen Lieder.
Revision und Ergänsnog der J. Fr. Degen'schen Üebersetzung mit Erklär*
nngen von Eduard Mörike. Stuttgart u. s. w. 1864. 164 8. 8. (Classiker
nr. 170.)
NMi€«t« SttiiBliiBg von UelMraeUungen geMh. v. r5m. Klassiker. 867
nnd dabei insbeflondere B. Stark's Untersachnngen, die im Jahre
1846 %VL Leipzig enchienen sind, BuGhninde gelegt und seinen Er-
örtemngen ist der Verftwser mit Recht gefolgt eben so wohl in
der Toransgeschickten Einleitung wie in den aof die Ueber-
setxnng folgenden Anmerkungen. So ist das Game nnn in zwei
Theile geschieden, Ton welchen der erste, unter der Aufschrift
Anakreon, die dem alten Dichter von Teos selbst zuge-
schriebenen Beste von Liedern, wie die Epigramme — unter
denen aber immerhin mehrere schwerlich für ein Produkt des alten
Anakreon gelten kOnnen, befasst, deranderedie Anahreonteen,
oder die Anakreon*s Namen tragenden, aber mit Ausnahme Ton
einigen wenigen Liedern, in eine sptttere Zeit eilenden Dichtungen
enthält, in fthnlicher Weise, wie auch in Bergk*8 Lyrici poetae
beides unterschieden ist. Wir lassen als Probe der Uebersetzung
ans diesem zweiten Theile zwei kleine Lieder folgen, welche ihrem
Inhalte nach dem Anakreon zufallen dürften, wenn auch in der
Form Yerftndert oder aus Theilen ächter Lieder zusammengesetzt,
und zwar Nr. 1. Die Leier.
Ich will des Atreus Söhne,
Ich will den Eadmos singen:
Doch meiner Laute Saiten^
Sie tönen nur ron Liebe.
Jttngst nahm ich andre Saiten, --^
Ich wechselte die Leier,
Herakles' hohe Thaten
Zu singen : doch die Laute,
Sie tönte nur yon Liebe.
Lebt wohl denn, ihr Heroen!
Weil meiner Laute Saiten
Yon Liebe nur ertönen.
und Nr. 55: Naturgaben.
Es gab Natur die Homer
Dem Stier, dem Boss die Hufe;
SchneUfUssigkeit dem Hasen,
Dem Löwen Bachenzähne,
Den Eischen ihre Flossen,
Den Vögeln ihre Schwingen;
und den Verstand dem Manne.
— So bliebe nichts den Frauen?
Was gab sie diesen? -' Schönheit:
Statt aller unsrer Schilde,
Statt aller unsrer Lanzen!
Ja über Stahl und Feuer
Siegt Jede, wenn sie schön ist.
808 Neueste ßammloiig von Ufbmetcimgen grieeh. «. rdiiL Kkaeikec
* Von griecbisdieii Prosaikem erseheint Herodotns'^) mit drei
Bände hen, welche die drei letsten BtLeh^r enthalten, und damit das
Ganze Tollenden, desgleichen Thucydides*'*') in sechs Bändohen,
welche die Bücher 4— Sinei, enthalten, und im letzten, nennten
Bändehen auch eine Uebersetznng der unter Marcellinns Namen
auf uns gekommenen, aus ▼ersohiedenartigenBestandthailen zusammen-
gesetzten, daher mit Vorsicht zu benutzenden Biographie des
Thneydides, so wie ein gutes Begister der Namen und Sachen
bringen, welches für den Gebranoh des Ganzen recht förderlich ist.
Von Plutaroh^s Biographien '*''*'*) ist eine Fortsetzung in drei
Bändchen erschienen, welche die Lebensbeschreibungen des Pom-
pejus des Grossen, des Agesilaus und des Lncullus enthalten. End-
lich ift noch der Schluss der Aristotelischen Ehetorikf)
in einem dritten, das dritte Buch und damit den Schluss des Gan-
zen enthaltenden Bändchen zu nennen.
Neu erscheint der Anfang der Xenophonteischen Oyro-
pädieft) ^^^ d^Q 2W6^ ersten Büchern, welche mit kurzen, meist
geographischen Erklärungen versehen sind, und Epiktet*s En-
chiridion nebst Gebes, in einem Bändchen vereinigt. ftt) I^er
ersteren Schrift geht eine Einleitung voraus, in welcher das Wenige,
was wir über Epiktet^s Leben wissen, sich zusammengestellt findet,
und eine kurze Erörterung über Epiktet's Philosophie wie über
rtcine Schriften gegeben wird. Der philosophische Standpunkt Epik-
tet's wird Im Wesentlichen als der stoische bezeichnet, aber es
werden auch die Abweichungen seiner Anschauungen von den Tra-
*) Die Musen des Herodoins von HalikfunoBSua übersetzt vob J. Chr.
B&hr. Stuttgart n. s.w. 1864. SiebeDtes BSn^chen. Polymnia. 176 S. Achtes
Händchen. Urania. 101 8. Neuntes B&ndchen. Kalllope. 87 S. 8. (aassiker
nr. 171. 178. 179).
**) Thukydides GescbioMe des peleponnealeobe« Krieges von Adolf
Wahrmnnd. Stuttgart u. s. w. 1864. 8. Viertes Bändchen. 4. Buch. XII n.
8. 261—868. Fünftes Bftndchen. 6. Buch. IV u. 78 S. Sechstes Bänd-
chen. 6. Buch. IV bis 166 8. Siebentes Bändeben. 7. Buch. IV n. 6. 167
—222. Achtes Bftndchen. 8. Buch. IV u. S. 2S8— 800. Neuntes Bänd-
chen 8. 301-861 (Classiker nr. 181. 182. 184. 186. 186. 187).
•••) Plntareh's anßgewählte Biographien. Deutsch v. Ed. Eyth, Pro-
fessor am theol Seminar in Schfintbal, Stuttgart u. s. w. 1864. 8. Dreizehn-
sehntes Bändchen. Pompejus der Ormse. IV n. 110 8. Vienehntes Bänd-
chen. Agesllaos. 60 S. FUnfzehiilea Bändchan. Luonllus. 76 8. 8. (Classiker
nr. 169. 160. 161.)
t) Aristoteles Rhetorik. lieber setzt und erklärt von Adolf Stahr.
Drittes Bändchen. Stuttgart n, s. w. 1864. 8, 226 bis 816. 8. (Classiker
nr. 172.)
ff) Xenophon's Gyropädie amfb neue übersetit und durch Anmer-
kungen erläutert von Christian Heinrich Dörner, Dekan und Pfarrer
in Plochingen. Erstes Bändchen. Bach 1 u. 2. Stuttgart 1866 u. s. w. 86 S.
8 (Classiker nr. 188.)
ttt) E pikt et' 8 Handbflcblein der stoischen Moral und das Gemälde des
Cebes von Theben. Uebersetsl und erklärt von Carl Conz. Stuttgart
1864 8 n. s. w. 85 8 (Classiker nr. 176).
Nwarta 8aiiiinl«sg toh UcberBetnuigcii grieeh. a« röok K]aMik«r. 8M
ditionen der iUteren sioisehen Sohule angegeben: sie werden mit
Reelit aas dem Sireben dieeer spftteren Stoiker in der römischen
Kaiaenseit abgeleitet» welches mehr aof die Anwendnng der Philo-
sophie im Leben, als änf die Theorie gerichtet war, nnd nament-
lich ist Epiktet so sehr Praktiker, dass Logik nnd Physik bei ihm
in den Hintergrund treten nnd in Folge dessen manchmal selbst
ein Mangel an Schftife der Gonseqnenz snm Vorschein kommt.
»Glttcklicher Weise — so schreibt der Verfasser und wir stehen
nicht an, seine Worte za nnterschrelben — ist Epiktet eine so
edle nnd liebenswürdige Natur, dass seine Moral durch die wissen-
schaftliche Inkonsequenz materiell hftufig nur gewinnt. Er httlt sich
fem von der abstossenden Härte, durch welche die stoische Moral
in ihrer Unerbittlichkeit so ofk das sittliche QefQhl empört. Er
bemllht sich, in den Schranken &cht sokratischer Milde, MUssigung
und Nüchternheit zu bleibenc (8. 14). Auch darin müssen wir
dem Verfasser vollkommen Recht geben, wenn er einen Einfltkss
des Christenthums auf Epiktet und seine Lehre entschieden in Ab-
rede stellt; es ist diess bei diesem Stoiker ebMi so wenig der Fall
wie bei Seneca.
In der Uebersetsung selbst ist der üebersetzer zun&chst dem
in Schweighauser*8 Ausgabe gelieferten Texte gefolgt, er hat zur
Bequemlichkeit des Lesers die einzelnen Abschnitte mit Ueber-
fichriften versehen und in den unter der Uebersetzung auf
Seite befindlichen Anmerkungen die nöthigen Erlftuterungen und
Nachweisungen zum bessern Verständuiss der Uebersetzung ge-
geben, insbesondere auch es sich angelegen sein lassen, die tech-
nischen Ausdrücke, wie sie in der stoischen Schulphilosophie vor-
kommen, näher zu erläutern, was wir für Etwas ganz dankens-
werthes ansehen. In ähnlicher Weise ist auch die Uebersetzung
von dem Gemälde des Cebes gehalten, das der Verfasser in der
kurzen, vorausgeschickten Einleitung immerhin für acht, d. h. für
ein Werk des Cebes, des Schülers des Sokrates hält. Wenn die
Anmerkungen hier minder umfangreich ausgefallen sind, so liegt
diese in der Natur der Bache, da dieselben hier auch minder nöthig
waren.
Von römischen Scbriftstellem haben wir zuerst die Fort-
setzungen von Plautus*) und Livius anzuführen. Die beiden
hier gelieferten Stücke des Plautus gehören bekanntlich zu den ge-
feiertsten Stücken des Dichters, das letztere ist auch mehrfach
für die neuere Bühne bearbeitet worden, daher die Uebertragung
um so Wünschenswerther, zumal da sie durch dieselben Eigen-
schaften sich empfiehlt, die wir in der Anzeige des ersten Bänd-
obens hervorgehoben haben. Es wird daher auch kaum der Vor-
*) Tltns M a ec ins Plaut ns Lustspiele. Deutsch v. Dr. Wilbelm
Binder Stuttgart 1864 u s.w. Zweites Bandcben Der Bramarbas. (MUes
gloriosn?) 150 8. Drittes Bandchen. Der Schatz. (Trlnummus) 110 S. 8.
(Claseiker nr. 168. 169.)
360 Neueste Sammlung von UeberaetniDgen grieeh. n. r5m. Klassiker.
läge besonderer Proben bedürfen, und wird nnr diese zu bemerken
sein, dass einem jeden dieser beiden Stücke eine Einleitung Yor-
ausgescbickt ist, welche über Anlage des Stückes, die Tendenzen
desselben, die handelnden Personen u. dgl. m. sich verbreitet und
damit eine richtige Würdigung vermittelt, femer, dass am Schlüsse
gleichfalls erklärende Anmerkungen hinzugekommen sind.
Auch von den beiden Bftndchen des Livius*), welche die
vier ersten Bücher der vierten Dekade enthalten, gilt dasselbe, was
wir von den vorausgehenden Bändchen mehrfach bemerkt haben,
und es wird hier eben so wenig der Vorlage besonderer Proben
bedürfen, um zu zeigen, mit welchem Geschick die oft verschlungene
Darstellung des Livius und ihr verwickelter Periodenbau hier wieder-
gegeben ist in einer fliessenden, und dabei die Treue nie verletzen-
den deutschen Sprache. In den Anmerkungen, welche jedem ein-
zelnen Buche in kleinerer Schrift nachfolgen, und meist sachliche,
auf den Inhalt der Erzählung des Livius bezügliche Gegenstände
betreffen, zeigt sich die gleiche apologetische Tendenz gegen die
Willkühr, womit in der römischen Geschichtschreibung neuester
Aera wider die historisch-beglaubigte üeberlieferung verfahren wird,
die man da, wo sie modernen Parteizwecken dienlich erscheint,
benutzt, und da, wo eine solche Benützung nicht möglich ist, weg-
wirft und verachtet. Von solcher Aechtung ist auch Livius mehr-
fMJi betroffen worden, da man jetzt sich einbildet, von der römischen
Geschichte mt^br zu wissen und sie besser zu verstehen, als es zu
Livius Zeiten möglich war. Einer solchen ungerechten Behandlung
des Livius tritt der Verfasser mehrfach entgegen, während er da,
wo ein wirkliches sprachliches Missverständniss bei Livius obzu-
walten scheint, auch nicht ansteht, diess offen anzuerkennen, wie
z. B. XXXin, 8, wo in den Anmerkungen S. 288 nachgewiesen
wird, wie Livius wohl das Griechische missverstanden haben mag.
Von den Epigrammen des Martialis**) worden in den vier
Bändchen das Buch von den Schauspielen und die neun ersten
Bücher mit einem Theile des zehnten geliefert, übersetzt von der
Hand desselben Gelehrten, dem es schon früher gelungen war, eine
so befriedigende üebersetzung des in dieser Hinsicht so schwierigen
Juvenalis zu liefern, und dem es auch hier wieder gelungen ist,
die schon durch die verschiedentlich angewendeten Metra nicht
minder schwierigen Epigramme des Martialis in einer metrischen,
wohl verständlichen und fliessenden deutschen üebersetzung wieder-
*) Tltus Livius Römische Geschichte. Deutsch von FraniDorotheua
O erlach, Professor an der Universität ku Basel. Eilftes Bändchen. 80. u
81. Buch. Zwölftes Bändoben. 83. n. 88. Buch. 267 8. 8. Stuttgart 1864
(GlasBiker nr. 174. 175).
^) Die Epigramme des Marcus Valerlus Martialis in den Vers-
massen des Originals Obersetst von Dr. Alexander Berg. Stuttgart 1864
u. 8. w. Freies, zweites, drittes, viertes B&ndchen 868 8. 8. tClassiker nr.
166. 167. 178. HO.)
NeiMiU BMMilwng von UebertetaaBg«B grlMh. u. rOn« KlMtikcf. 861
zugeben, und durch die beigefügten Anmerkungen, welche Uber die
in diesen Epigrammen vorkonunenden Personen nnd Sachen sich
Terbreiten, aaoh dem, mit der 2Seit des Martialis minder bekann-
ten Leser yerstftndlich za machen. Denn dass hier dem üebersetser,
wenn er seine Aufgabe in einigermassen befriedigender Weise lOsen
will, nicht geringere Schwierigkeiten entgegenstehen, kann schon
die ungemeine Mannichfaltigkeit der in diesen Epigrammen be-
bandelten Oegenstftnde, und die Gedrängtheit der Sprache, die in
wenig Worten möglichst Viel zusammenzufassen sucht, lehren;
Niemand, der das Original auch nur Etwas kennt, wird diess in
Abrede stellen können. Wir glauben daher unsere Leser nicht
besser Ton dem, was hier wirklich geleistet worden ist, überzeugen
ZQ können, als wenn wir zur Probe einige aufs Qeradewohl aus-
gewählte Epigramme hier Yorlegen. Aus dem ersten Buche das
Tierte Epigramm:
Wenn, o Kaiser, yielleicht du meine Bücher berührtest,
Lege die Hoheit ab eines Oebieters der Welt.
Eure Triumphe sogar sind Scherz gewohnt zu ertragen,
und auch der Feldherr dient willig als Stoff für den Witz.
Lies mit der nämlichen Stirn, mit der duThymele schauest,
Oder den Spötter Latin, unsere Dichtungen auch.
Harmlos scherzendes Spiel kann wohl der Ceusor erlauben:
Ist leichtfertig mein Blatt, bin ich im Leben doch keusch.
Oder aus dem zweiten Buch das siebente Qedicht :
Du sprichst, Atticus, schön, du führest schön die Prozesse,
Schreibest Oeschiohte schön, machest ein schönes Gedicht,
Schön verfassest du auch Lustspiele, schön Epigramme,
Bist als Grammatiker schön, schön in der Astrologie,
Nicht nur singest du schön, du tanzest, Atticus, schön auch.
Spielest die Lyra schön, spielest auch schön mit dem Ball.
Willst du, da Jegliches schön, da gar nichts aber du gut machst.
Wissen von mir, was du bist? Nur ein geschäftiger Narr.
Aus dem vierten Buche Nr. 27 :
Meine Gedichtlein pflegst, Augustus, oft du zu loben.
Sieh, es bestreitet^s der Neid: pflegst du es minder darum?
Hast du nicht den Geehrten mit mehr, als Worten, beschenket.
So wie ein Anderer nicht hätte zu geben vermocht?
Wiederum, siehe, zernagt sich der Neid die schmutzigen Nägel.
Gib du um desto mehr, Kaiser, damit es ihn schmerzt.
Womit wir verbinden das zehnte Epigramm des fünften
Buches :
Sagen soll ich, warum man den Buhm den Lebenden weigert,
und der eigenen Zeit selten ein Leser sich freut?
des KienMfe Samtnhmg ▼«« UeberaMgUTif^Ti griech. «. rdn Klanlker«
Wundra dich, RegcQiu, nicht, das ist die Sitte des Neides,
Das8 er das Aeltere stets über das Nettere setzt.
So Bucht undankbar man den alten Schatten Pompejis anf,
So lobt, kärglich gebaut, Catulas' Tempel der Greis.
So las Ennins Rom, als du noch lebetest, Marc,
Dein Jahrhundert auch hat dich, Mftoaide verlacht:
Selten hat dir die Bflhne geklatscht, gekrGnter Menander,
Ihres Naso Verdienst war nur Corinnen bekannt.
Ihr, 0 unsere Bttoher, jedoch, nicht braucht ihr zu eilen:
Wenn nach dem Tode mir Ruhm kommet, so lass' ich mir Zeit.
Wir schHessen mit dem 88. Epigramm des siebenten Buches,
in welchem der Dichter selbst über seine Lieder sich ausspricht:
Meine Büchelchen zählt, so heisst's, das schöne Yienna,
Wenn nicht lüget der Ruf, unter die Lieblinge mit.
Dort liest jeglicher Qreis und der Jüngling mich und der Knabe
Und vor des grämlichen Manns Augen die züchtige Frau.
Das erfreuet mich mehr, als sängen meine Gedichte,
Die aus den Quellen selbst trinken das Wasser des NiVs,
Als wenn mein Tagns mich reich mit Hispanischem Golde beschenkte,
Bienen der Hybla mir speist* und der Hymettische Berg.
Etwas gelt* ich denn doch, und die artig schmeichelnde Zunge
Täuschet mich nicht: ich will, Lausus, dir glauben hinfort.
Von Cicero* 8 ausgewählten Reden ist das zweite Bändchen *)
zu nennen, welches die Rede über den Oberbefehl des Cnejus Pom-
pejus enthält, versehen mit einer umfassenden historischen Einlei-
tung, wie sie zum Verständniss der Rede allerdings nothwendig
ist, und einer genauen Disposition derselben, so wie mit kurzen
erklärenden Anmerkungen sachlicher Art unter dem Texte der
üebersetzung, die mit aller Genauigkeit an das Original sich an-
schliesst. Weiter sind aber auch die drei Bändchen anzuführen,
welehe den Cato**), den Lälius***) und die Paradoxenf)
enthalten. Wir verdanken diese kleinere Schrifken demselben Ge-
lehrten, der auch die üebersetzung mehrerer der grösseren, in die-
*)H. Tulliu0 Cicero's ausgewählte Reden, verdeutscht vod Dr.
Johannes Slebelis. Zweites Bändchen. Bede über Onäus Pompejue'
ObiTbefehl oder fftr den maniliseben Gesetivorseblftg. Stuttgart 1864 u. s. w.
66 8. In 8. (GUasIkor Nr. 163).
**) Marevs Tulliua Cloero'e Cato oder von dem Greiseoalier an
Tltüs Pomponins Attlous. Ueberaetzt und erklärt von Dr. Rapbael Küh-
ner. Stuttgart 1864 u. b. w. 69 S in 8. (Classlker Kr. 168).
***) Marcus Tullins Cicero^s L&lins oder Ton der Frenndsebaft
an Titns Pomponins Attlcus. Üebersetat und erklBrt Ton Dr. Kaphael
Kühner. Stuttgart 1864 n. s. w. 75 8 8. (Claasiker Nr. 164).
+) Marcus Tullius Cicero'a Paradoxen der Stoiker von Mar-
cus Brutus. Uebersetxt und erkl&rt von Dr. Raphael Knbror. Stuttgart
1864 u. B. w. 48 8. 8. (Claasiker Nr. 165).
K«a«t« CftBidiiiig von Ue)>or««tgwic«s grieeh. v. HtaiL Kkariktr. ttt
ser Bmnmhmg enihaltenra Schriften Oicero's, der Btteher vom
Redner, von den Pflichten, den Tnsculanen geliefert hat, worflber
schon frflher ansftlhrlicher in diesen Blättern gesprochen worden
ist. Man wird daher mit den gleichen Erwartungen anch an diese
Schriften gdien nnd sich anch eben so befriedigt finden: die-
selbe Sorgfalt in der ganzen Behandlnng tritt auch hier heryor
und zeigt sich eben so sehr in der genauen und getrenen, aber
dämm doch fliessenden deutschen üebersetznng , wie in den unter
derselben beigefügten Anmerkungen, welche die Erhlftmng einselner
Stellen, den Nachweis der Quellen, die von Cicero benutzt worden,
und Anderes der Art betreffen, insbesondere aber auch in den aus-
fUhrlidien Einleitungen, welche einer jeden dieser Schriften vor-
ansgehen. So wird in der Einleitung zum Cato die Beziehung und
das Yerhftltniss dieser Schrift zu den andern Schriften moralischen
Inhalts angegeben, die dialogische Form wie die Zeit der Abfassung
besprochen und die in dieser Schrift von Cicero redend eingeführ-
ten Personen nach ihren historischen Beziehungen geschildert, end-
lich eine äusserst genaue Uebersicht des Inhaltes und des Ganges
der Darstellung, wie des innem Zusammenhangs der einzelnen Theile
geliefert. In ähnlicher Weise sind auch die Einleitungen zu dem
Lälius und zu den Paradoxen gehalten. Man sieht, wie der Verfasser
durch yie^iährige Studien mit diesen von ihm hier übersetzten und
erklärten Schriften des Cicero innig vertraut, die Resultate der
eigenen, wie fremder Forschung, hier in einer Weise yerarbeitet
hat, welche sich Jedem Gebildeten empfiehlt, welcher eine nähere
Bekanntschaft mit diesen schönen, und von Cicero schon ftlr ein
grösseres gebildetes Publikum bestimmten moralischen Abhand-
lungen, in dieser ihrer populären Fassung gewinnen will. Wir
wttssten keinen besseren Führer zu empfehlen. In der Üebersetznng
hat sich der Verfasser an den Text von Halm, in der zweiten Aus-
gabe des Orelli'schen Cicero, gehalten, da wo er davon abweicht,
oder, bei der Unsicherheit der schrifUichen üeberliefemng seiner
eigenen Wahl folgen musste, ist diess in den Anmerkungen unter
dem Text jedesmal bemerkt. Zum Schluss fügen wir noch wenig-
stens Eine Probe an aus dem fünften Paradoxon, welches den
stoischen Satz erhärten soll, dass der Weise allein frei sei und
jeder Thor ein Sklave; hier heisst es (§ 34) : »Was ist Freiheit?
Die Macht so zu leben, wie man will. Wer lebt nun so, wie er
will, ausser denjenigen, welcher zu jeder Zeit dem Sittlichrechten
folgt, welcher seine Pflichten freudig erfüllt, welcher sich einen
wohl überlegten und bedachten Lebenswandel gesetzt hat, welcher
den Gesetzen zwar nicht aus Furcht gehorcht, aber sie befolgt
und ehrt, weil er diess für das Heilsamste erkennt, welcher Nichts
sagt. Nichts thut. Nichts endlich denkt als gern und frei, dessen
sämmtliche Entschliessnngen und sämmtliche Handlungen aus ihm
selbst hervorgehen und auf ihn selbst wieder zurückgehen, und bei
welchem Nichts mehr gilt, als sein eigener Wille und sein eigenes
864 Neneete Samnünng von UebeneisuTifrn griecb, u. röm. KlMSlker.
ürtbeily welchem sogar die SchicksalsgOttin , der man doch die
grOsste Gewalt zuertheilt, weichen muss ? sowie ein weiser Dichter
gesagt hat: Jedem gestaltet sich sein Schicksal nach
seinem eigenen Charakter.
Dem Weisen allein wird also das zn Theil, dass er Nichts
gegen seinen Willen thnt, Nichts mit Betrübniss, Nichts ans Zwang.
Wenn nun auch der Beweis für diese Behauptung mit mehreren
Worten zu erörtern ist, so ist es doch ein kurzer und einzuräumen-
der Satz, dass, wer sich nicht in einer solchen Qemüthsstimmung
befinde, auch nicht frei sein könne. Sclaven sind also alle Sohlechten.
Und diese Behauptung ist weniger der Sache als den Worten
nach befremdend und seltsam. Denn nicht in dem Sinne sagt
man, solche Menschen seien Sklaven wie die Leibeigenen, die durch
Schuldhörigkeit oder auf eine andere Weise nach dem bürgerlichen
Rechte Eigenthum ihrer Herren geworden sind, sondern wenn
Sklayerei, wie sie es denn auch wirklich ist, darin besteht, dass
man einem kraftlosen und kleinmüthigen Geiste, der keinen freien
Willen hat, Gehör gibt : wer sollte da noch leugnen, dass alle Leicht-
fertigen, aUe Leidenschaftlichen, kurz alle Schlechten Sklaven
seien ?«
Endlich freuen wir uns noch, von einer schon frOher erschie-
nenen Uebersetzung eine erneuerte und auch verbesserte Auflage
anzeigen zu können:
Des Cajus Sallusiius Crispus Werke, tiberselsi und erläuiert
von Dr. C. Clese, Oberstudienrathj J?. d. O. d. W, Krone.
Er et e 8 Bandchen. Der Krieg gegen Jugurtha. Zweite
verbesserte Auflage. Stuttgart. Krais ^ Hoffmann 1866. IV
und 195 S. 8. (Classiker Nr. 17).
In der neuen Auflage dieser meisterhaften Arbeit, die unter
den verschiedenen Uebersetzungen , die wir von den Werken des
Sallustius besitzen, eine ausgezeichnete Stelle einnimmt, hat der
Verfasser seine Hauptsorge der Uebersetzung selbst zugewendet,
und hier das Ganze einer nochmaligen, genauen Bevision unter-
worfen, welche, wie er versichert, zwischen zu enger Treue und zu
freier Wiedergabe die rechte Mitte zu halten suche. Wir haben
die neue Uebersetzung mit der früheren verglichen und diese Be-
hauptung in Allem bewährt getunden : schärfere Fassung des Aus-
drucks, grössere Bestimmtheit und Klarheit, ohne Aufgeben der
Treue in dem genauen Anschluss an das Lateinische Original, tritt
in der neuen Uebersetzung auf eine Weise hervor, welche das beste
Zeugniss ablegen kann für die SorgfoJt, mit welcher der gewissen-
hafte Verfasser sein Werk behandelt hat. Wir hatten in der An-
zeige der ersten Auflage in diesen Jahrbüchern (J. 1855 8.518) als
probe der Uebersetzung das zweite Capitel mitgetheilt, wir wollen
KMflsto S>niin1iittg toh UeberteCnuseft grlecb. «. rte. KlaMikar. 86&
hier den Au&ng wenigstens ans beiden Auflagen mittheilen und die
Aenderongen in der zweiten durch besonderen Draok hervorheben :
es wird sich daraus ergeben, dass die Aenderongen, welche ge-
macht worden, auch als Verbessenmgen anzusehen sind.
In der ersten Auflage hiess es:
Denn wie das Geschlecht der Menschen zusammengesetzt ist
ans Seele und Leib, so richtet sich Alles in den Dingen und Alles
in unsem Bestrebungen theils nach des Leibes, theils nach der Seele
Natur. Daher ein glänzendes Aeussere, grosser Beichthum, zudem
Körperkraft, Anderes der Art : Alles in kurzem zerstäubt, dagegen
ausgezeichnete Werke des Geistes, wie die Seele, unsterblich sind,
u. 8. w.
In der neuen Auflage lauten diese Worte also:
Denn wie das Wesen des Menschen zusammengesetzt ist aus
Leib und Seele : so richtet sich Alles in den Dingen und Alles in
unseren Bestrebungen theils nach der leiblichen theils nach der
geistigen Natur. Daher ein glänzendes Aeussere, grosser Beich*
thum, zudem Körperkraft und Anderes der Art : Alles in Kurzem
zerfällt; dagegen ausgezeichnete Werke des Geistes, wie die Seele
selbst, unsterblich sind, u. s. w.
Oder wir wenden uns zu dem vierten Capitel, in welchem die
am Anfang stehenden Worte: »simul ne per insolentiam quis
existumet memet Studium meum landando extollere« in der ersten
Auflage übersetzt worden waren: »zugleich auch darum, dass Nie-
mand wähne, ich erhebe ans Anmassung durch Lobsprtlche meine
Lieblingsarbeiten.« In der neuen Auflage heisst es »mein Lieb-
lingsfach« und gewiss mehr dem lateinischen Ausdruck Studium
meum, entsprechend, da Sallustius damit seine persönliche Nei-
gung, die ihn gerade zu diesem Gegenstand und zu dieser Thätig-
keit Älhre, bezeichnen, aber keineswegs von seinen Lieblingsarbeiten
reden will. In demselben Capitel lauten die Worte: »profecto
existumabunt me magis merito quam ignavia iudicium animi mei
mutavisse maiusque commodum ex otio meo quam ex aliorum ne-
gotiis reipublicae venturum« in der früheren Ausgabe: »wahr-
lich sie würden alsdann ermessen können, dass ich vielmehr mit
Fug und Becht, als aus Trägheit meine Ansicht geändert habe,
und dass von meiner Muse dem Staat ein grösserer Gewinn zu-
fliesseu werde, als von der Geschäftigkeit Anderer.«
In der neuen Auflage ist an die Stelle des Wortes Trägheit
gesetzt: Arbeitsscheu, was wohl richtiger den hier von Sal-
Instius-mit dem Worte ignavia gemeinten Begriff ausdrückt;
an die Stelle des Wortes Muse (ex otio meo) ist gekommen
Geschäf tslo si gkei t , als Gegensatz zu dem nachfolgenden Worte
Geschäftigkeit. In demselben Kapitel, wird in den Worten:
»scilicet non oeram illam neque figuram tantam vim in se habere«
figura jetzt gewiss richtiger durch Gestalt, als durch Bild,
wie ee in der ersten Auflage hiess, wiedergegeben, tmd wenn am
S66 KeiMtie SAiniiluag von Uabenafratigen ^keb. «. rOft. Klttfilker.
Schlüsse dieses selben Capitels >civitatis mores« jetzt dtDroh
»die sittlichen Zustände in unserem Staate« übersetzt werden, so
halten wir auch diess für besser, als die frühere Uebersetzung :
>der Geist in unserm Staate.«
Wenden wir uns zu einem andern Abschnitt, zu der Bede des
Memmiusim 31. Kapitel, so tritt uns auch hier die gleiche Wahr-
nehmung entgegen, die wir durch einige aus diesem Oapitel ent-
nommene Proben belegen wollen. Wenn im An&ng der Bede in den
Worten: »denn davon mag ich gar nicht sprechen, wie sehr Ihr
in den letzten zwanzig Jahren dem üebermuthe Weniger zum Spiele
ball (ludibrio) dienen musstet« der Ausdruck Spielball an die
Stelle des früher gebrauchten Spielzeug getreten ist, seiet diess
nach der deutschen Ausdruoksweise gewiss besser; eben so wenn
gleich darauf die Worte: »ut vobis animus ab ignavia atque so-
oordia corruptus sit«, welche in der ersten Auflage lauten: »wie
Euch in Folge von Lässigkeit und G-leichgültigkeit der Sinn ent-
nervt worden ist«, nun also wiedergegeben sind: »wie Ihr in Folge
von Feigheit und Stummsinn ganz herabgekommen seid«, was wir
jedenüalls vorziehen. In den bald darauf folgenden Worten: »uti
contra injurias armati eatis« war injurias das erstemal durch
Beeinträchtigungen wiedergegeben, was uns ebenfalls doch
Etwas zu schwach vorkommt; in der neuen Auflage erscheint da-
für der auch dem Sinn nach passendere Ausdruck: Bechtsver-
letzungen; bei den Worten: »in plebem Bomanam quaestioncs
habitae sunt« war zuerst übersetzt worden: »über das römische
Volk [man denkt hier unwillkührlich an populus Bomanus,
was Sallustius absichtlich nicht angewendet hat oder vielmehr nach
dem von ihm beabsichtigten Sinne nicht anwenden konnte] wurden
peinliche Untersuchungen verhängt«; jetzt heisst es dafür: »über
die römischen Bürger« was wir wohl vorziehen. Gewiss rich-
tiger aber sind die Worte: »Sed sane fnerit regni paratio plebi
8ua restituero ; quicquid sine sanguine civium ulcisci nequitur, jure
factum sit« in der neuen Ausgabe also übersetzt: »Doch es heisse
das immerhin ein Trachten nach der Krone, wenn man die Volks-
reohte wieder herstellt ; was Allee ohne Bürgerblut nicht geahndet
werden kann, heisse mit Becht gethan« ; während sie in der früheren
Aasgabe lauteten: »Doch es heisse das immerhin ein Trachten nach
der Krone, wenn man dem Volke wieder zu seinen Gerechtsamen vcr-
hilffe; die Strafe (?), welche ohne Bürgerblut nicht vollzogen werden
kann, sei mit Becht vollstreckt.« Wenn, um Anderes zu übergehen^ die
bezeichnende lateinische Wendung »divina et hnmanaomnia hosti*
bus tradita sunt« jetzt durch: »alle götUichen und menschliehen
Ordnungen (wurden) an die Feinde verkaufb« übersetzt ist, so
halten wir diees für richtiger als das frühere; »Alles Göttliche
und Menschliche (wurde) an die Feinde verrathen«; eben so anch
wenn kurz zuvor »gloria« durch »Buhmes^^anz« statt des früheren
»Glanz« gegeben ist. Eher könnte man bedenklich sein, wenn in
KeuesU SaBunlnng toü r*bersMi«iig«i gvteeh. «. rtai. Kkssiker. 867
folgendsr Stelle: >At qai sunt ü, qui rem pablieam oocapavere?
Homines soeleratissimiy cnientis manibos, immani ayaritia, nooen-
tiaaimi iidemqae tmperbissiini« die beiden letzten Worte, die in
der enten Ausgabe übersetzt waren: »die schnldbekdeiisten und
lagleich übermftthigsten Menschen« nun Ubersetsi werden: »die
ärgsten Misaetliftter nnd zugleich yoU Uebermuth«, während der
Anfang dieser Stelle gewiss besser gegeben ist dnrch: »Aber was
sind denn das für Leute, (statt: aber wer sind denn diejenigen)
welche sich des Staatsruders bemächtigt haben?« Besser werden
auch die Worte: »Ita quam quisque pessume fecit, tarn maxume
tutns est« nun gegeben durch: »So je ärger es Einer getrieben
hat, desto gesicherter ist er«; früher lautete die Uebersetzung :
»So je schlechter £iner gehandelt hat u. s. w.« Gleich darauf
werden die Worte: profecto neque respublica sicuti nunc yastare-
tor, et beneficia yosira penes optumos non audacissimos forent«
nun in folgender Weise wieder gegeben: »Fttrwahr unser Gemein-
wesen läge nicht nur, wie es jetzt der Fall, im Argen, und die
Aemter Eurer Huld wären in den Händen der Biedei'sten, nieht der
Verwegensten«; die frühere uebersetzung lautete: »Fttrwahr das
Gemeinwesen würde nicht nur wie jetzt nicht zerrüttet, sondern
Enre Ghinstbezeugungen wären auch in den Händen der Biedersten,
nicht der Kecksten« ; man wird auch hier der neuen uebersetzung
wohl den Vorzug geben, selbst wenn man an dem Ausdruck : läge
im Argen« (für yastaretur) einen Anstoss nehmen wollte, der
aber noch weit mehr das frühere »zerrüttet« treffen würde.
Wir wollen indess nicht weiter diese Proben, die sich aas
demselben Kapitel noch weiter fortsetzen Hessen, fortführen, ua die
Geduld unsrer Leser nicht zu ermüden: jeden&Ua wird das hier
aus wenigen Kapiteln Angeführte ein hinreichender Beweis unserer
Behauptung sein, daas in Allem ein sorgfiLltige Beyision derUeber-
setzong statt gejfnnden und zu deren Veryollkonunnung beigetragen
habe. Die gleiche Sorgfalt erstreckt sich auch über die auf die
Uebersetzung folgenden Anmerkungen, und wenn die hier getroffia-
nen Aendenmgen nicht yon dem Umfang waren, so liegt diess in
der Natur der Sache. Indessen fehlt es im Einzelnen anch hier
nieht an neu hinzugekommenen Belegen und Beweisstellen oder ge-
lehrten Nachweiaungen aus der neuesten Literatur über die Iner
berührten, namentlich geographischen oder antiqnarischen Punkte,
oder an yeränderter Fassimg einzelner Anmerkungen, wie z. B.,
um nnr zwei Punkte der Art zu berühren, die Anmerkung Nr. 6
zu ca^ 28, welche die interessante Betrachtung über Jugnrtlui's
Kriegführung zur Erhaltung der Selbständigkeit Afrika's enÜiäH
mit Hinweis auf den neuesten Vertbeidiger derselben Abdel Kader,
oder die mehrHach umgestaltete Anmerkung über die oap. 79 ge-
gebene 1g««ftlilTiTig yon der That der Philänmi und den über die
Glaubwürdigkeit dieser Sage in neuester Zeit erhobenen Streit. So
Hesse sich noch Manches der Art anführen, was im Einzelnen ge-
368 Fu^hs: Die wlkanteehon li^raoiteliitittgen der iSrde.
schehen ist, wenn auch im Ganzen keine so grossen Veränderungen
stattgefdnden haben : von welcher Bedentang aber diese Anmerkun-
gen sind, in Bezug auf das Verständniss und die Erklänmg des Sal-
lustius ist schon in der früheren Anzeige a. a. 0. S. 519 hervor-
gehoben worden und wird es darum auch jetzt nicht nSthig sein,
darauf insbesondere zu verweisen, namentlich auch, was die ge-
nauen, zum Verständniss oft so nothwendigen Erörterungen geogra-
phischer Punkte betrifft. Chr. BAbr.
Die vülkanisehen Erscheinungen der Erde von Dr. C, W, C, Fuchs.
Leiptig bei C. F. Winter 1865.
Im verflossenen Jahrzehnte, und schon etwas länger, wurden
die vulkanischen Erscheinungen verhältnissmässig weniger berück-
sichtigt und waren weniger häufig Gegenstand wissenschaftlicher
Untersuchung, wie andere Zweige der Geologie. Wir haben aus
dieser Zeit zahlreiche Werke, die speciell der Petrographie , der
Paläontologie u. s. w. gewidmet sind, aber fäst keines, das die
zahlreichen Beobachtungen an einzelnen Vulkanen und die Residtate
neuerer Reisen zusammenfasste. Das vorliegende Buch soll nun eine
Darstellung Alles dessen geben, was der Wissenschaft bis jetzt über
die vulkanischen Erscheinungen bekannt ist; es soll dadurch auch
zugleich der Unterschied hervortreten zwischen dem, was hypothe-
tisch ist, und dem, was auf zuverlässiger Beachtung beruht oder
experimentell erwiesen ist. Es lässt sich nicht läugnen, dass die
genaue Kenntniss der vulkanischen Erscheinungen einen grossen Ein-
fluss auf die Geologie ausüben muss und es kann daher derselben
eine solche Darstellung, in der jene Erscheinungen eine ihrem hohen
Interesse entsprechende Würdigung erfahren, und in der zugleich
ihrer geognostischen und geogenetischen Bedeutung Rechnung ge-*
tragen werden soll, erwünscht sein.
Solange die Ursache, welche den vulkanischen Erscheinungen
zu Grunde liegt, nicht bekannt ist, wird es nicht möglich sein
ihren Begriff genau zu definiren, alle verwandten derartigen Er-
scheinungen zusammenzustellen, die andern aber davon zu sondern.
Man bleibt darum vorerst durch das Herkömmliche gebunden,
welche Naturerscheinungen unter dem Namen » vulkanische < zu-
sammengefasst werden sollen. Dem entsprechend haben im vorlie-
genden Werke die Vulkane selbst, dann die Erdbeben, die Schlamm-
vulkane und die heissen QueUen ihre Stelle gefunden, obgleich
manche derselben durch ganz verschiedene Ursachen, die uft nichts
mit dem gewöhnlichen Begriffe von vulkanisch gemein haben, ver-
anlasst werden dürften. Fuchs«
It. 24. HEIDEIBER6ER 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Le Poeme de Ja craisade eontre les Albigeois par O. Ouibal. ParU»
Durand 1863.
Fauriel, der im Jahr 1824 die Chants populaires de laGröce
moderne herausgab, ist auch einer der gründlichsten Kenner der
proyencalischen Poesie gewesen. Er yeröffentliohte im Jahr 1837
die Reimchronik über den Kreuzziig gegen die Albigenser, das sttd-
firanzösische Nationalepos aus dem dreizehnten Jahrhundert. Die
neuesten Untersuchungen über dieses in literarischer wie in histo«
rischer Beziehung gleich bedoutungsYolle Dokument verdanken wir
einem Provencalen, dem Dr. G. Ouibal, der wohl eine allzu be-
scheidene Meinung von sich haben dürfte, wenn er sich dahin
äussert, das8 er die Faurierschen Arbeiten nur fortgesetzt habe.
Er hat uns vielmehr ein klares Bild von der Entstehung und dem
Wesen des nationalen Epos gegeben, und ein Jeder der seinen
lichtvollen üiftersuchungen auf diesem Gebiete gefolgt ist, wird
denselben, auch wo sie von Fauriel, abweichen beizupflichten ge-
neigt sein. Zunächst taucht uümlich hier die Hauptfrage über die
Abschaffung auf : wie kommt es, dass der Autor des ersten Theils
vor Allem Franzose und eifriger Anhänger des Kreuzzugs ist, wfth«
rend er sich im zweiten Theil in's Lager der Gegner schlägt, den
Kreuzzug als ein Werk der Lust und der Gewalt darstellt, Tou-
louse als die ruhmvolle Vertreterin des Rechts und des Bitterthums
anpreist? Sollte er, wie Fauriel meint, eine innere Umwälzung
durchgemacht haben? Sollten ihm die Schuppen von den Augen
gefallen sein, als die Schrecken des Krieges an ihn selbst heran-
traten, als die geheimen Absichten der geistlichen und weltlichen
Eroberer an' s Licht kamen? In der That ist Alles verändert, wenn
wir das Auge von dem ersten auf den zweiten Theil des Gedichts
wenden. Wir haben den Dichter im Lager der Kreuzfahrer ver-
lassen, wir finden ihn unter den Männern des Südens wieder. Er
ist voller Sympathie für die Albigenser und Waldenser, wenn er
sich auch hütet seine Gefühle gar zu offen zur Schau zu tragen.
Cruibal weist auf eine dunkle Stelle der Epopöe, worin es Montfort
zum Vorwurf gemacht wird, dass er Bemis zerstört, und daselbst
manche »gute Leute voller Milde, die Almosen austheilten und Ge*
traide säten und manche gute Ritter die noch nicht verdammt
w&renc getödtet habe, unter diesen »guten Leuten« sind offenbar
Albigenser zu verstehn, oder wie sollte man sich anders jenen Zug
erklären, dass sie im Lande umher streiften und Wohlthaten ver-
richteten? Dass die Ketzer gleichsam hinter Thurm und Riegel,
VIIL Jahrg. 6. Heft 24
S70 Onibal: Le Potaft d« 1» erotaftAs eontre 1« Albigeois.
dasB sie hinter den Mauern der feudalen Schlösser predigten, ist
eine bekannte geschichtliche Thatsache; in den Schlössern von
Bochefort und Vilamnr scheinen gewissermassen die Sicherheits-
burgen anticipirt, welche der Protestantismus in späteren Jahr-
hunderten gegen das königliche Frankreich behauptete. So sind
also jene Verse, welche uns das Leben der »guten Leute € schil-
dern, ein getreues Bild der Beziehungen, unter welchen eine solche
proscribirte Gesellschaft ezistirte; und auch die Bewunderung,
welche der Dichter für die Yertheidiger von Toulouse an den Tag
legt, yerrilth seine Gesinnung den Ketzern gegenüber deutlich ge-
nug. Allein bei der blossen Bewunderung bleibt es; der Dichter
hält an dem überlieferten Christenthum fest, und legt uns sogar
ein feierliches Glaubensbekenntniss ab an Gott, »der Alles ge-
schaffen habe, und in den Busen der Jungfrau herabgestiegen sei,
um das Gesetz zu erftillen, der im Fleisch das Märtjrerthum ge-
litten habe um die Sünder zu heilen, und sein kostbares Blut hin-
gegeben, um die Dunkel zu erhellen. € Es sind das die Funda-
mentalartikel des orthodoxen Glaubens; nur hat diese Orthodoxie
Nichts Enges, Exklusives, Intolerantes. Der Gedankenkreis des
Dichters scheint offen und weit zu sein, wie das einer Gesellschaft
entspricht, die in ihrem Schooss die yerschiedensteii Menschen und
Interessen yereinigte.
Denn wo Ketzer neben Katholiken kämpften, wo die südlichen
Bitter mit den strenggläubigsten Bürgern an Heldeamuth rivali-
sirten, da lernten die Meinungen selbst sich gegenseitig achten.
Lothar TonKonti erwehrte sich nur mühsam einiss Gefühls der An-
erkennung vor jenen Männern, die Innocens m. mit seinen Bann-
strahlen traf. Ganz anders hatte der Dichter in dem ersten Theil
geurtheilt, wo er kalt und erbarmungslos den Qualen der Schlacht-
opfer zusah, und mit einer Buhe die an Cynismus grenzt, berich-
tete: »Sie verbrennen manchen schurkischen Ketzer und manche
tolle Ketzerin, die im Feuer schreit : man liess ihr nicht den Werth
einer Kastanie, dann warf man die Körper weg, begrub sie im
Schmutz, damit diese bösartigen Gegenstände unser fremdes Krieg-
volk nicht ansteckten.« Fauriel hat Becht, wenn er den Verfasser
solcher Stellen kalt und gefühllos nennt; Bationalismus ist sein
Fehler, nicht etwa Fanatismus, wie er bei dem gleichzeitigen Peter
von Vaux-Cemay hervortritt.
Einen deutlichen Beweis dieses Unterschiedes finden wir in
dem Bericht über die Belagerung von Carcassonne. Vaux-Oemay
ist geneigt in dem üeberfluss an Lebensmitteln der unter den
Kreuzfiahrem herrscht, eine wunderbare Aeusserung der göttlichen
Ghiade, eine Erneuerung der Speisung der Fünftausend durch Christus
zu sehn. Ganz anders, und weit nüchterner der Dichter, der Alles
auf die glücklichen Ernten und die Fruchtbarkeit des Bodens
schiebt »es herrschte üeberüuss an Lebensmitteln, man gab dreissig
Brote für einen Pfennig, die Kreuzfahrer nahmen das Salz der
ttatVal: Le Pota« de 1» erolMd« eoatre Im Alblgaois. 871
SttliiMB und luden es anf ihre Wagen, c Es kann wohl geschehn,
das« ein sehsamea Ereigniss der Vorsehong in die Schnhe geschoben
wird, dass Qott oder die beilige Jangfran als Tnterventionsmftcbte
•rwfthnt werden, doch gewöhnlich erholt sich der Dichter davon
sehr rasch and ffthrt einen natürlichen Brklftmngsgmnd an, der
das Oeprftge jenes kritischen, skeptieeben Oeists trägt, welcher den
Provencalen eigenthOmlieh ist. Die Ketzerei erscheint dem Dichter
■ieht in dem satanischen Licht, wie dem weniger historischen
Tanx-Cema j , sie gilt ihm nnr als eine Thorheit, weil sie etwas
Neues, WiderspruchBTolles bedeutet. Er ftrgert sich weit weniger
fliber die hftretischen Ideen als nber die Impertinenz der Ketzer
die den Predigten des Abt von Clteaux hartnäckig ihr Ohr ver*
sehlieasen. »Sie achten die Predigt nicht (für einen faulen Apfel.
Ptlnf Jahr, oder ich weiss nicht wie lange fuhron unsre Prediger
so fort Doch dies verblendete Volk will sieb nicht bekehren ; so
sind denn auch Manche davon drauf gegangen und werden noch
dranfgehn bis zum Ende dieses Kriegs, denn so musste es kommen.«
DiMe kalte, verstandesmftssige Anschauung gewinnt nun noch ein
eigenthflmliches Belief durch den Hass des Mächtigen gegen- den
Schwachen, des (Crossen gegen den Kleinen, der oberen socialen
Klassen gegen die auf niederer Stufe Befindlichen. Erbarmungslos
gegen das gemeine Volk, wird der Dichter sofort von Respekt
dniohdrungen und die Stärke seines Urtheils mildert sich, sobald
er einem Adligen oder Baron gegenttber tritt. Ein echt feudaler
Qeiflt weht durch den ersten Theil dieses Kreuzzugsgedichts ; überall
jsignet dem Dichter ein vorsichtiger, enger und kalter Sinn.
Im zweiten Theil jedoch verläset der Troubadour die engen
Grenzen einer vorsichtigen Mittelmässigkeit. Wenn er auch den
groesen Eigenschaften des Pabstes Innocens III. alle Gerechtigkeit
wider&hren lässt, und mehr als ein anderer Historiker ihn von der
sehlimmen Verantwortlichkeit der Gewaltthaten freispricht, die in
den Albigenser Kriegen begangen wurden, so ist er doch darum
Biohts weniger als bUnd für seine Fehler ; und deutet klar an, dass
laaccens zwar das Schlechte nicht will, aber duldet; und, einmal
verübt, sanktionirt.
In den Auftritten des Concils zeigt er den gleichen Freimuth,
oad wagt es gegen die Beschlüsse der Kirche die Schrift und das
Gesetz anzurufen. Im Namen des Rechts protestirt er gegen die Miss-
brauche der Gewalt und der Unterdrückung. Das Gefühl aber welches
all* diesen verschiedenen Aeussorungen einheitlich zu Grunde liegt ist
der BnthumaemusfÜr die feudale und ritterliche GiviHsation des Südens,
flir die Sitten und den Glanz der provencalischen Gesellschaft, für die
vaterUndisohen Ideen in denen er aufgewachsen ist. Nicht die Ereig-
nisse haben eine neue Wendung genommen, als vielmehr in demGk^
■ekioltteohreiber selbst ist eine so totale Umänderung vorgegangen, dass
et auf der Hand liegt in dem Autor dee zweiten Theils eine neue Per-
sö^chkeit zu erblicken, die an Stelle jenes ersten nüchternen und
872 Gnibal: Le Pofime de 1* eroiaade oontre Üb Alblgeoif •
gleichgültigen Chronisten getreten ist. Wo Jener schflchtem znrtlck-
hielt, tritt nns dieser mit völliger Oeistes-Ünabhängigkeit und dichte-
rischer Freiheit gegenüber, nnd doch yerräth seine Darstellung nirgends
die Aufregung und Unruhe, welche nach einer inneren Bevolution, wie
sie Fauriel annimmt, sich nothwendiger Weise Kund geben wOrden*
Die Klarheit und Sicherheit, die in diesem zweiten Theil des
Gedichts hervortreten, würde der Dichter, der eben erst ^ine
Meinung abgeschworen und seine Partei gewechselt, im Angesicht
seiner früheren Freunde und jetzigen Gegner nicht beibehalten
haben. »Der ebenbekehrte heidnische Priester pflegt nicht gern
die plastischen Schönheiten des Idols zu bewundem, vor dem er
kurz zuvor Weihrauch gestreut hat.« Auch in der äusseren Form
der Darstellung macht sich mit dem zweiten Theil des Gedichts
ein Unterschied geltend, der auf eine andere, grundverschiedene
Persönlichkeit zurückschliessen lässt. Der erste Theil des Gedichts
ist nur eine gereimte Chronik, der zweite ist ein Gedicht, das oft
die Gestalt eines Heldengesangs annimmt. Eine unwülkührliche
Gewandtheit, die nur aus wahrer Empfindung entspringen kann,
eine dichterische Kunst die sich vielleicht selbst nicht kennt und
gerade darum den Stempel echter Dichtung an der Stirn trägt,
macht sich geltend; die Darstellung wird belebter, und die That-
Sachen selbst gewinnen eine dramatische, fast leidenschafbliohe
Färbung. Die literarische und dichterische Einheit ¥rird nun durch
die Einheit des moralischen und providentiellen Gedankens ergänzt,
den der Dichter im Grunde alles Geschehenen erblickt; er sieht
die Hand der Vorsehung, welche Alles auf ein vorher bestimmtes
Ziel hinleitet, üeber den gewöhnlichen, nnzusammenhängenden
Thatsachen, über dem wirklich Todten und Vergangenen in der
Vergangenheit, erscheint derjenige höhere Bestandtheil der Ge-
schichte, der nicht mit dem Augenblick stirbt, wo er geboren wird ;
das Ewig Bleibende, die höheren moralischen Ideen; und wenn
irgend Etwas für die Verschiedenheit der beiden Gedichteshälfben
spricht, so ist es der Umstand, dass der Dichter der zweiten Hälfte
sich weniger mit den Thatsachen, als mit den Eindrücken und
Empfindungen beschäftigt, die sie in der Seele hervorrufen, und
dass er sich somit für die feinere psychologische Art der Ge-
schichtsbetrachtung befUhigt erweist, die man nicht an einem Tage
zu erlernen vermag. Diese Ueberlegenheit und Feinheit der Dar-
stellung bewundem wir vor Allem bei dem Bericht über das Latera-
nensische Koncil ; welches gleichsam eine grosse Einleitung des nun
an den Ufern der Bhone beginnenden und an der Garonne endi-
genden Dramas bildet. Nun folgt der glänzende Einzug Baymund
des Sechsten und seiner Söhne inAvignon, der Einzug in Beaucaire,
die Schlacht bei Baziöge. Ueberall fühlen wir, dass der Dichter
den Ereignissen nahe steht und tief von ihnen durchdrungen ist,
seine Sprache erhebt sich zu dramatischer Lebhaftigkeit ; der Dia-
log zwischen Montfort und dem Boten der Gräfin, welcher ihm
Oiilbal: L« Potae de 1» orototd« oonlre Im Alblgeois. 978
die ganie OrOsse seines ünglflcks sehildert, könnte an Shakespeare,
oder — eine Parallele die wir YorzieHn möchten — an Corneille
erinnern. VergeLens lehnt sich der Stolz des Grafen wider den
unabftnderliehen Willen der Vorsehung auf. Vergebens spannt er
alle seine Krftfte zum letzten Entscheidungskampf an. E veno tot
dreit la peira lai on era mestiers, mit diesen scheinbar kalten
Worten bereitet uns der Dichter auf die Wirkung des Geschosses
TOT, das von Frauen und jungen Mädchen gegen den wilden Kriegs-
mann gerichtet wird; Montfort fUllt in demselben Augenblick wo
ihn weiche Regungen zu beschleichen und gleichsam sich selbst
untreu zu machen scheinen. Wenn wir uns die Einzelnheiten der
Schilderung seines Trotzes und seines Falls vergegenwftrtigen , so
muss sich die üeberzeugung , dass hier der Dichter nicht so«
wohl das Echo der im Volke lebenden Sagen und Anschauungen
war, sondern dass er es an subjectiyer Zuthat nicht hat fehlen
lassen, immer tiefer in uns befestigen. Auch in den rein ftusser-
Hchen Formen des Stjls offenbart sich die grösste Verschiedenheit ;
der Autor des ersten Theils erscheint als kalter, nüchterner Chronist,
ohne Bilder und Metaphern und ohne jede Fantasie. Der Styl des
zweiten Theils fKrbt und belebt sich, er schimmert in den duftig*
sten Blüthen der Einbildungskraft und in jugendliche üeppigkeit der
Formen. Ergiebt sich nun aus air diesen Prämissen, dass die
beiden Hälften des Gedichts von verschiedenen Verfassern her«
rflhren? Herr Guibal bejaht die Frage, indem er bemerkt, dass
ein solches Gedicht niemals gesungen ward, da Franzosen und
Frovencalen keine Zeit hatten den Gesängen des Troubadours zu
lauschen Das Gedicht konnte nur als Manuskript und als Chronik
veröffiBntlicht sein; und es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass
der Dichter, nach der völligen Geistesumwandlung , die mit ihm
vorgegangen sein musste, das Gedicht wieder vornahm und voll-
endete, ohne die Ausdrücke zu bessern und zu modifiziren, die mit
seiner neuen üeberzeugung in Widerspruch stehen mussten. Wenn,
wie es durch die gewichtigsten Zeugnisse festgestellt ist, das Ge-
dicht erst 1212 begonnen ward, wie sollte dann der Dichter drei
lange Jahre hindurch Vertheidiger und Sänger des Ereuzzugs ge-
blieben sein und dann plötzlich vor dessen Gewaltthätigkeiten, von
Unwillen erfasst und innerlich umgewandelt zu werden? Die dürf*-
tigen Notizen, die uns über seine Persönlichkeit erhalten sind, er-
geben, dass der Dichter ein Schützling Boger Bernhards, eines der
unerschrockensten Vorkämpfer der südlichen Sache war. Gewiss:
das stimmt wenig mit dem Charakter eines Lobredners auf Mont-
fort und auf den Kreuzzug zusammen. Die Troubadours die zu der
Kirche und zu den Franzosen übergingen, wurden von der proven-
calischen Gesellschaft in die Acht gethan ; und die Unzufriedenheit,
der schlecht verhehlte Aerger über die Barone, der aus dem ersten
Theil des Gedichts hervorblickt, lässt wohl darauf schliessen, dass
dieser Dichter in die Klasse der Benegaten gehörte, die wie Per-
374 Gulb«l: Le PoQme d« U oroiMide ooatnt U^IMigaoi»,
cUgoQ gegen den Grafen Baymund wirkten. Die Angabe, die sieh
im ersten Theil findet, dase Wilhelm von Tndela der Verfasser «ei
unterliegt den ernstesten Bedenken, ttber die sich Fanriel selbst
keinen Augenblick im unklaren war. Zu einer Zeit, wo die Schreokea
der Inquisition über dem Lande achwebten, musste es als ein Wa^-
nisß erscheinen, wollte der Troubadour seinen Namen nennen. Von
dem Koncil von Avignon (1219) an, nicht wie man gewöhnlich
annimmt, von dem Jahre 1229 suchte man den gegen die Ketser
ausgesprochenen Bann in's Werk zu setzen , schon damals ward
eine stehende Inquisition organisirt, zwei oder drei Laien wurden
in jeder Diöcese bezeichnet, die verpHichtet waren, vor den Herrn
und Obrigkeiten die Ketzer zu dennnciren. Leicht begreift sioh
nun die Haltung, die einem Troubadour durch eine solche Con-
stellation der Verhältnisse vorgezeichnet war. Er mnsste seinen
Namen verschweigen, nm das Misstrauen der Kirche nicht zu
wecken; ja noch mehr: er musste dieSp&her, die ihn zu errathen
suchten, irre führen, der Name Wilhelm von Tudela ist ein reines
Kunststück, das durch die Klugheit des Dichters erfonden ist. Die
Berge von Navarra, die merkwürdigen Bezeichnungen eines »Klerk«
und eines »Zauberers«, die Vision, die er berichtet: Alles deutet
auf die Furcht entdeckt zu werden. Der sociale Znst«nd des Südens
im 13. Jahrhundert muss uns dies ganze Geheimniss lOsen, wie er
uns den Schlüssel liefert zu dem seltsamen Schwanken zwischen
Kirche und Bitterthum, zwischen Tonsur und feudaler Lebensart.
Der Dichter ist in Spanien geboren, worauf seine genaue Eennt-
niss des Landes, der Verwaltung vonKastilien und Leon schliesaen
lässt; er ist in Navarra erzogen, wo er die Tonsur erhalten hat;
siedelte dann nach Frankreich über, lebte in Montauban und später
beim Grafen Balduin, dessen Wohlwollen ihm eine ZuflnofatsstStie
unter den Geistlichen von St. Antonin sicherte. Alle diese biogra-
phischen Notizen können sich aber blos auf den Autor des erstea
Theils beziehn. Der zweite ist von einem Augenzeugen der ge-
schilderten Begebenheiten, von einem Troubadour, einem Bitter,
einem Bürger von Toulouse, einem ünterthan der Bajmunds ge-
schrieben. Wenn der Autor des ersten Theils Wilhelm von Tudala
war, so ist der zweite das Werk eines ganzen Volks das seine
Regungen in die Seele eines inspirirten Sängers übertrug: »Jener
hat sich genannt. Sein Name, seine vorsichtige Orthodoxie, seine
Eigenschaft als Geistlicher decken, wie mit einem Schild, die Kühn-
heit und den ritterlichen Enthusiasmus des anonymen Troubadours
der sein Werk fortgesetzt hat. Die Chronik hat das Gedicht be-
schützt, c — Die Prüfung des Textes hat somit ein fUr die Ein-
heit der Abfassung entschieden abgünstiges Resultat ergeben. Der
Gewinn den uns das Gedicht in historischer Beziehung liefert wird
jedoch dadurch nicht geschmälert. Klarer als in den Chroniken
von Peter von Vaux-Cernay und von Wilhelm PuylaurenB tritt uns
der Entschluss des Grafen von Toulouse vor die Angen sich vom
G«ltel: La P#Im ds k «nlMd« oMire IctAIHgBofti. an
Kreasng absawendta; mit Hontfort mid den Legaten an brechin.
Ein haUeres Lieht fiUlt anf die ganze grosse Protestation des Südens
gegen die Herrschaft Montforts und der Kirche; die Bewegnng
eneheint in ihrem feudalen und ritterlichen Charakter. Von Per^
sOnlichbeiten nimmt Tor Allem Lmooens m. eine merkwürdig ge-
Beicfanete Stellung ein. Er erscheint nicht als der Mann nnbeng*
samer Willenskn^ wie man ans seiner Eröffnungsrede Tor dem
Tiateranensischen Ooncil zu eohliessen ersucht ist Hurter, der
das Oedicht gekannt, aber nicht ersdi(}pfend benutzt hat, l&sst
seiaen Helden, den Pabst in den Hintergrund treten, und erqmrt
ihm wohlweislich die Demftthigung, die er, dem Bericht des Qe«
diehta zur Folge, erlitten hat. Zu Beginn des Concils nahmen
nftmlidi die Angelegenheiten eine f&r die Südlinder scheinbar gOn*
stige Wendung« Man beschwerte sich ttber Simon Ton Mcmtfori,
»mehrere Barone stellten ihn eher als einen Räuber dar, wie als
einen Bitter, der Ehre und Recht achtete (Schmidt, Histoire et
doetrine de la secte des cathares ou Albigeois I. p. 268). Diese
Berichte yerfehlten nicht Eindruck auf Innocens zu machen. Den
Grafen Ton Toulouse und seinen Sohn, den Qrafen von Foix nahm
er freundlich und wohlwollend auf; nichts scheint nach Ghaibal zu
der Annahme zu berechtigen, dass er ein falsches Spiel spielen und
die sfldlichen Barone in eine Falle locken wollte. So konnte es
einen Augenblick scheinen als werde die auf soTiel Oewaltthaten
gegründete Macht Simons gestürzt werden; aber nun erhoben der
Bisehof Foulques und die andern Prälaten des Südens ihre Stimme
und bemühten sich ihren alten Satz zu erweisen, dass wenn der
Pabet den Grafen ihre Länder zurückgäbe, die Kirche die schreck*
liehsten Ge^EÜiren laufen würde. Papa comitem so faeisst es bei
Alberieus IL p. 489 videbatur velle restituere ad terrae suas quod
ne fierit unirersum fere concilium redamabat. Auch nach der Dar-
atdlung unsres Gedichts war der Pabst von den besten Gesinnun-
gen beseelt, bis ihn seine Legaten und der Lärm des Klerus von
der richtigen Bahn abbrachten, und Guibal bemüht sich nachzu-
weiasn, dass eine solche Sinnesänderung des Pabstes und Nach«
giabigfceit gegen seine Umgebung in den Umständen begründet ge*
waaen eeL Er meint; die Sympathie die Linocens fttr die Grafen
ea^rfnnden, sei eine jener geraden, legalen Inspirationen geweeeui
die sidh wie ein Lrrlicht aus dem Grund der Seele zu erheben
pflegten; das Gewissoi habe sich in ihm geregt, und wenn er je
einen Moment des Zaudems und schweren Zweifels gehabt habe,
so sei es damals gewesen. Das Hin- und Herschwanken zwischen
den Parteien, das Bild yoll Leben und Bewegung, das uns der
Dichter entwirft, entspricht nach Guibal dem historischen Verlauf
der Begebenheiten. Wenn wir uns erlauben in dieser wichtigen
Frage eine andere Ansicht zu vertreten, so geschieht dies nur weil
eiB so jäher Wechsel, ?rie er hier auf Seiten des Pabstes voraus-
gesetzt wird, der Persönlichkeit und dem Charakter von Innocens HL
476 Gaibal: Le Potoe de U croiMde contte let Alblgeois.
durchaus widerspricht. Guibal glaubt zwar nicht an eine List, an
eine Falle die der grosse römische Politikus seinen bisherigen Geg-
nern legen wollte^ aber der einzige Grund, den er für seine An-
sicht andeutet, fällt in sich selbst zusammen ; die Bemerkung, dass
der Zorn von Innocens Zeit gehabt habe um zu verrauchen, lässt
sich mit dem zähen und nachhaltenden Sinn des Pabstes schwer
vereinigen, und jene Instruktion, die Guibal selbst anführt, jene
Instruktion Innocens III. vom Februar 1209 an den Abt Arnold
den Bischof vonOonserans und Raymund von Biez, sie spricht klar
genug aus, wieviel von den plötzlichen edelmüthigen Aufwallungen
und Gewissensbissen dieses Pabstes zu halten ist. Innocens befahl
ihnen nämlich, mit einer sophistischen Verdrehung der biblischen
Worte im Eorintherbnef (XII. 16) an, sie sollten dem Grafen von
Toulouse gegenüber das Beispiel des Apostels befolgen der gesagt
habe, »da ich ein listiger Mann bin, habe ich Euch durch List
gefangen.« Eine solche List sei vielmehr Klugheit zu nennen, man
solle die Gegner der Kirche einzeln fassen, den Grafen von Tou'
louse hinhalten und durch die Kunst einer schlauen Verstellung
täuschen (sed eo primitus arte prudentis dissimulationis eluso, ad
exstirpandos alios haereticos transeatis). Das ist jenes Programm
hierarchischer Politik, dem Innocens HI., unwandelbar gefolgt ist
und darin gerade bestand, so wenig auch Hurter und Guibal über-
einstimmen mögen — seine welthistorische Grösse. — Wenn er
deshalb auf dem Concil zuerst die Miene annahm, als sympathisire
er mit der Sache des Südens, so galt es ihm nur darum, seine
Gegner sicher zu machen und völlig in seine Netzen zu umstricken.
Die Legaten und der übrige Klerus übernahmen die Bolle der
Opposition, auf die Gefahr hin momentan für die Augen Kurzsich-
tiger mit ihrem Gebieter als entzweit zu erscheinen ; und Innocenz m.
Hess sich schliesslich, dem Vorgeben nach wider Willen, dazu be*
wegen das zu thun, was von Anbeginn an seine Absicht war. —
Wenn es uns nicht möglich war, die Guibarsche Ansicht über die
Vorgänge während des Lateranensischen Concils zu adoptiren, so
können wir ihm um so freudiger in seiner Schilderung der aus-
wärtigen Verhältnisse des Südens folgen. Es gab kein Land in
Europa, das mit den benachbarten Ländern in regerem Verkehr
gestanden hätte, wie damals Südfrankreich. Das Gedicht richtet
unsere Aufinerksamkeit besonders auf die Beziehungen mit Italien,
Spanien und Nordfrankreich. Es schildert den Einfluss der lern-
bardischen Städte, auf die mächtigen Schwestergemeinden in Süden.
Wir sehen wie Italien das Beispiel municipaler Unabhängigkeit und
echt bürgerlicher Verwaltung bot. Die Constitutionsurkunde der
Universität weist entschieden auf italienischen Ursprung hin.
Das Gedicht liefert die besten Zeugnisse für die Verbeitung der
Beohtsideen, und für das Ansehn^ in dem die Juristen standen. In
politischer Beziehung noch bedeutungsvoller und für die französische
Selbstständigkeit bedenklicher war der Einfluss Aragons. Der dem.
.^ b.
Ovibal: h% P«ISnio d« la eroisade eontr« iMAlUgeolt. 877
Pabflt OTgebene Peier n. spielte damaUi die BoUe, welche das Pabst*
iham dem gescbickteren Philipp Angnst auferlegen wollte. In Kar-
kasaonne verwarf Peter ü. 1203 feierlich die ketxerischen Lehren;
und trat Oberhaupt als getreuer Diener der Kirche auf. Spftter
tauscht er die Bollen, und nimmt für die Baymond^s Partei, die seine
Vassalen werden; stets aber sacht er sich in die Angelegenheiten
des Südens gebieterisch einzumischen. Das Eindringen des spani-
schen Klerus, das Auftreten von Dominikus yerrathen dieselbe
Tendens. Und im Sfiden nimmt man an den spanischen Dingen
den lebhaftesten Antheil, man folgt den Kämpfen mit den Arabern,
als sei man selbst dabei betheiligt. Diese Beziehungen von Sfld-
Frankreich zu Spanien konnten um so wichtiger werden, als die
beiden Hftllten Frankreichs, das Land des geschriebenen und Ge-
wohnheitsrechts damals noch scharf von einander geschieden waren.
Die Vereinigung der heterogenen Elemente ist bekanntlich nicht
durch einen friedlichen Assimilationsprocess, sondern durch Gewalt
erfolgt. Herr Guibal scheint geneigt diese letztere Wendung zu be-
dauern. >Man darf sich fragen, ob die Einheit Frankreichs nur
aus der furchtbaren Umwälzung hervorgehen konnte, welche jenen
südlichen Gegenden einen Schlag versetzte, von dem sie zu erholen
sich so lange Zeit gebraucht haben. Eine Heirath, oder eine andere
politische Kombination hätte den Thron der Kapetinger mit dem
südiiehen Frankreich verbinden kennen, das den Kapetinger ent-
gegenkam; es hätte französisch werden können, ohne sein persön-
liches, originelles Leben zu verlieren, wie die Bretagne würde es
lokale Vorrechten behalten haben und jener excessiven Centrali-
isatian entgangen sein, die selbst unter dem ancien regime eine der
Plagen unseres Landes war.« Dies ist ein Geständniss aus dem
Munde eines Franzosen, das gerade bei dem gegenwärtigen Stand
der deutschen Dinge beherzigenswerth und geeignet ist den Boms-
somanen, den Anhängern des Einheitsprinzips um jeden Preis die
Angen zu öffnen. Und wie man im Süden Frankreichs den Ver-
lust der Freiheit schwer verschmerzte, und sich gegen das centra-
liairende System der Begierung sogar einen Schutz jenseits der
Berge, in Spanien zu gewinnen bemühte, so wird man auch bei
ans genöthigt sei, auf die Gefahr hin des Vaterlandsverraths be-
züchtigt zu werden, stets dann einen Halt bei dem Ausland zu
suchen, wenn die innere ruhige Entwicklung, wenn die schöne
Mannigfaltigkeit unsres Kulturlebens durch die Nivellirungsgelüste
der Einheitspartei bedroht sind Erst mit dem Albigenserkrieg,
der die künstliche Einheit des Südens und des Nordens herstellte
ist ein Gefühl der Abneigung und des Hasses unter den Südländern
eatflianden, da sie durch alle Schönplästerohen der Einheit und der
gloire ihr altes reichgegliedertes freies Leben nicht ersetzt sehen.
Das Gedicht über den Krenzzug gewährt uns bedeutende Aufhel-
lungen über die Lehensverhältnisse im Süden Frankreichs. Wir
finden den Mangel an fester Lehensorganisatioui der hier im Gegen*
876 Ovib^l: Le P^dme d» 1« crotaftd« eontrft ItsAOilgeoifl.
eatz gegen den Norden hervortritt. Die LeheAflherm stehen in
keinem sonderlichen Ansehen. Während der Norden sidi schon
unter einer einheitlichen Disziplin beugte, herrschte im südlichen
Lehenswesen vollkommene Anarchie. Die persönlichen Gefühle und
Leidenschaften herrschten in dem Verhftltniss zwischen Vasall und
Sdzerlln vor. Der niedere Adel gehörte grossentheils der gallo-
romanisohen Eace an, während der hohe Adel von germanischem
Ursprung war. Jener schloss sich in seinen Schlössern zu aristokrati-
schen Gemeinwesen ab, die einen harten Druck auf die armen Land-
gemeinden ausübten. Sie organisirten sich nach dem Vorbild der
grossen Städtegemeinden; die in ihrem Inneren die Vereinigung
der Bitterschaft und des Bttrgerthums darstellten. In der Lom-
bardei war diese Vereinigung der Capitanei und der Bürger das
Resultat der Gewalt, eines Zwangs gewesen, den die mächtigen
Städte auf die Lehensbarone der Nachbarschaft ausübten. Die
Kapitäne! verpflichteten sich durch förmliche Charten Bürger und
Vasallen der Städte zu werden. Wir können aus den Beispielen
von Avignon und Toulouse auf analoge Entwicklung diesseits der
Alpen schliessen ; auch hier beruht die Grösse und Unabhängigkeit
der Stadtgemeinden auf der engen Verschmelzung der büi^erlichen
und feudalen Elemente. Die Vorurtheile die anderswo den Eintritt
in den Bitterstand erschwerten, fielen hier hinweg. So bieten diese
Städte denn auch in den Augenblicken der Gefahr ein erhebendes
Schauspiel: in Toulouse finden ruhig Volksversammlungen Statt,
während der Feind vor den Mauern steht, und diese Freiheit äussert
während der ganzen Belagerung ihre segensreichen Wirkungen.
Zwei Klassen, die im übrigen Europa streng geschieden erscheinen,
sind in Süd-Frankreich zu Anfang des 13. Jahrhunderts vereinigt.
Das Gedicht zeigt uns in den Umgebungen von Toulouse eine Ge-
sellschaft, die an Jene erinnert, deren Held Richard Löwenherz,
deren Sänger Bertran de Born war. Die feudale Giviiisation , die
auf den Bergen von Limousin entstanden ist, hat an den Uten
der Garonne eine andere Giviiisation getroffen, die ihren Glanz
nicht sowohl den Waffen, als dem Handel, dem Gewerbe und der
Wissenschaft verdankt. Der dorische Genius, der sich auf die
Waffen stützt, und der jonische Genius, der sich im gdstigen
Kampf und im Völkerverkehr entwickelt, sie finden hier ihre har-
monische Verschmelzung. Aber »gegen die glänzende, stolze doch
Arivole und kormmpirte Gesellschaft, des Südens erfolgte eine ener-
gische Protestation von Seiten der Kirche, und von Seiten des
Volks. Das Volk protestirte durch die Ketzerei, die Kirche dnroh
den fij^uzzug.« IHe Kirche war im Süden weder gegenüber dem
Adel noch gegenüber dem Bürgerthum zu einer würdigen, stellen
und unabhängigen Stellung gelangt. Der Adel handelte schon da-
mals nach der Maxime, dass man den Klerus seiner weltlichen
Güter berauben müsse, damit derselbe desto ungestörter seinem
geistlichen Beruf leben könne. Das Wenige was der Klerus be-
0«lbal: Le Potae 4« U «wtMdt oobIm IwAlblgeok. 179
hielt, ainMie er sieh dwrdi unwürdige Trauaktioiieii erkaulBii.
Auch flbte dasriiterliohe und weit! iehe Treiben Beiner Umgebungen
einen BiitenYerderbliehen Einflues auf ihn selber ans: Yerechiedene
Mönebe and Ordenaglieder verliessen ihr geietliobes Gewand, ver-
bargen ihre Ineignien, gaben sich dem Spiel und der Jagd hin«
So TerBohwand die (JeisUichkeit im Schoosa der fendalen Gesell-
flcbaft; Innocene HI. konnte mit Schmers den traurigen Abüall
konstatiren, der unter seinen Getreuen Statt gefunden. Von der
KirekenverliuaBang in Süden war nur der Rahmen geblieben. Aber
der Pabet hatte ein mftohtigee Mittel in Händen um eine Reaktion
herrorrarufen; w brauchte nur den Gegensatz swisohen der welt-
liehen und dM regulären Geistlichkeit zur tiefen, unvers^^hnlichen
Kluft tu erweitem. So Hess er durch die MOnohe jenen grossen
geietlichen Feldsug beginnen, der zum Unglück des Sttdens mit dem
Schwerdt beendet werden sollte. Die Kirche dachte nicht daran
sieh der Halfemittel zu bedienen, welche ihr der unruhige, fieberisch
erregte Znstand der Landbevölkerung zu gewähren versprach. Vom
Feudaladal unterdrückt hätte sie sich dem Volke nähern sollen um
sein Elend zn erleichtem Das war der Weg die verlorene Macht
wiederzuerlangen, und dem Scharfblick eines Innocens konnte es
nicht entgehn, welche Gefahren der blinde Egoismus des Klerus
über die Kirche heraufbeschwor. Der Klerus wandte sich vom
Volk ab, und das Volk ergab sich der Ketzerei. Die Lehre der
Waldeneer und der Albigenser erscheint so als nofchwendiges R^
suttai der kirchlichen Verweltlichung. Wenn die Prediger der neuen
Lehre Sindmok auf das Volk machten, so geschah das weil sie ein
populäres und praktisches Christenthum vertraten, weil ihr Leben
und ihr Wort im Einklang standen. Erst als der orthodoxe Klerus
seine Gegner mit gleichen Waffen zu bekämpfen suchte, als die
BettelmOnche und Franciskaner dem Volk die Hand reichten, erst
da hatte die Kirche Aussicht über eine ebenso religiöse wie demo-
kratiBche Bewegung sn siegen. Die Ketzerei gewann wohl auch
unter dem Adel Adiiäager ; hier waren es vor Allem der Reiz der
Nenen, und der Einfluss der Frauen die die Propaganda der Albi-
geneer und Waldenser begünstigten; doch nur unter dem niederen
Adel brach sie sich Bahn, die Lehre schien an Kraft zu verlieren,
je weiter sie sieh von ihrer ursprflnglichan Quelle entfernte; und
wenn auch &8t die ganze Ritterschaft des Südens in dem Kreuz-
zng auf Seiten der Ketzer stand, so geschah dies mehr aus Hase
gegen den Klerus und aus Lust an dem alten glänzenden und fri-
volen Leben der südlichen Ctosellschaft. als aus Ueberzeugnng. Der
Dichter des zweiten Theils stellt uns daher den Kreuzcug als den
Kampf der Kirche gegen die Ideen und Gefühle des Adels dar;
und ist geneigt Alles schwarz zu sehen, wenn der Adel unterliegt.
Der Krieg nahm einen nationalen Anstrich an, er gestaltete sich
zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen der Kirche und der
Civilisation des Südens. Um einem gemeinsamen Gegner zu wider^
380 Weber: WeltgeBcMchte, Bd. V.
stehen schlössen sich Bitterthnm und Ketzerei enger an einander.
Allein der Ausgang des Kampfes gestaltete sich anders, als es der
Patriotismus und der Stolz der Südländer erwarteten. Das Ende
der Eegierung von Raymund VTI. war das traurigen Gegenstück
seiner Anfänge, die Kraft yerliess ihn, von dem Helden, den der
Troubadour besungen blieb fast Nichts mehr in ihm übrig. Er
demüthigte sich, Königthum und Kirche theilten sich in seine L&n-
der. Er gab die Ketzer preis, während zweier Jahre bezahlte er
zwei, später eine Mark Silber an Jeden der einen Ketzer verrieth.
Seine Finanznoth trieb ihn dann immer sicherer in die Arme der
strenggläubigen Partei. Wenn sich auch seine äussere Lage besserte,
so blieb seine Politik seit dem Vertrag von Meaux doch stets
eine unzuverlässige und falsche. Und wie der ehemalige Führer
seine Kräfte rasch verbraucht, und Alles in sich selbst zum grellen
Umschlag gezeitigt hat, so ist auch unter den Vertretern jener
einst so glänzenden südlichen Gesellschaft nach den ersten Jahren
des Aufschwungs und der Begeisterung ein rascher Verfall nicht
zu verkennen: der Fanatismus verdrängt das frühere ritterliche
Ideal, die Tugenden und Charaktere der alten Zeit verschwinden
und ein grober Egoismus brüstet sich an Stelle der einstigen raf-
ünirten Sinnlichkeit. Das Volk verliert unter den Leidenschaften
des religiösen Kampfes, unter den Schrecken der Inquisition jene
ersten frischen, ungetheilten Empfindungen, aus denen, wie wir
gesehen haben, die Epopöe hervorging; die Satire allein entspricht
noch dem Geist der Zeit, und an Stelle des Epos tritt das Sirventes.
C. Mendelssohn Bartholdy.
Allgemeine Weltgesehichte mit besonderer Berueksiehiigung des Geistes--
und Ciüiurlehens der Völker und mit ßenutsung der neueren
geschichtlichen Forschungen für die gebildeten Stände bearbeitet
von Dr. Georg Web er , Professor uud Schuldirector in Hei-
delberg. Fünfter Band. Leipzig, Verlag von WUhdm Engel-
mann. 1864. XV und 765 8. qr. 8,
Mit dem vierten Bande des obigen wichtigen Werkes, wel-
cher die Geschichte des Komischen Kaiserreiches, der
Völkerwanderung und der neuen Staatenbildungen
enthält, schliesst die Geschichte des Alterthums. Mit dem
vorliegenden fünften Bande beginnt ein neuer Hauptzeitramn,
die Geschichte des Mittelalters.
Der gelehrte Herr Verf, schickt diesem Bande, der auch unter
der Aufschrift : Geschichte desMittelalters, ersterTheil,
erscheint, eine Vorrede voraus. In dieser bezeichnet er die Mittel
und Wege, welche er zur Lösung seiner beim Beginne seines Unter-
nehmens angedeuteten Aufgabe einschlug, und beleuchtet die bis-
We^or: WcMgraohtclite, Bd. V. 081
her angestrebten und noch feiner za yerfolgenden Zwecke nnd Ziele.
Gewiss ist das Pablikom demselben zum besten Danke fOr die
treffliche Arbeit verpfliobtet, die immer mehr ihrem Ziele entgegen-
geht und« je mehr sievorrttokt, desto mehr die YoUste Theilnahme
des gebildeten denkenden Lesers in Anspruch nimmt.
Das Bnch ist für alle gebildeten Stftnde bestimmt nnd es erfüllt
diese Bestimmung in hohem Maasse nicht nnr durch die anziehende
Daratellimg, sondern auch durch die geistvolle Zusammenstellung
der geschichtlichen Forschungen Anderer, durch die eigene, auf der
Grundlage eines sorgfältigen Quellenstudiums entstandene, in allen
Beziehungen der vernünftigen Freiheit und dem Fortschritt zuge-
wendete Ansicht, durch die jedem gebildeten Leser willkommene
Aufnahme einer in*8 Einzelne gehenden lebenvollen Schilderung des
Geistes- und Culturlebens der Völker.
Was der Herr Verf. in der Vorrede zum ersten Bande ver-
sprach, er hat es treulich gehalten, ja die von seinem Buche nach
seinen frühem, für die Jugend berechneten Arbeiten gehegte Er-
wartong mit dem glücklichsten, allgemein anerkannten Erfolge über-
troffen. In rein historischer Auffassung, ohne Nebenzwecke und
Parteitendenzen, stellt er alle Bestrebungen und Errungenschafbeu
der Gnlturv5lker dar, nnd behandelt diejenigen Völker und Staaten
mit allem Bechte umfassender, welche auf den Entwicklungsgang
und die Anschttuungsweise der späteren einen besondem und nach-
haltigen Einffuss äusserten. Mit Becht wurden in dem nun zum
Abschluss gekommenen Alterthum die Hellenen als ein sol-
ches Volk hervorgehoben. Im Mittelalter und in der neueren
Geschichte wird der »Ehrenplätze dem »deutschen Volke ein-
geräumt.« Seine »Thaten und Schicksale« sollen »eingehender und
umfassender« behandelt werden, ohne dabei die andern Völker nach
der ihnen gebührenden welthistorischen Stellung und Bedeutung
irgendwie zu vernachlässigen. Gewiss stimmt jeder vorurtheilslose
Leser der Anschauung des Herrn Verf. bei: »Gerecht sein gegen
jede aufrichtige Bestrebung ist wahre Humanität.« Gewiss ist er
mit ihm einverstanden, wenn er S. X. vom Alterthum sagt,
dass es vom »Hellenischen Geiste und Wesen« »vorzugs-
weise getragen war« und vom deutschen Volke, dass es, »so-
bald es sich einmal als Ganzes fühlen gelernt und zu Einem Beiche
geeinigt hatte, den Kern und Mittelpunkt bildete, an den sich
die übrigen Nationen anlehnten, das Centrum, um das sich das
gesehichtliche Leben im Mittelalter und in der Beformationszeit
bewegte.« Die objective Behandlung der Geschichte ist das Ziel
jedes unbefangenen Geschichtschreibers. Aber diese Objectivität
darf keine »ablöse« sein, und jeder Gelehrte und Gebildete, der
ein Herz für sein Volk, für das Ziel der Menschheit: Humanität,
für die höchsten und edelsten Güter der Völker, vernünftige Frei-
heit und Gesittung in Staat, Kirche, Beligion, Wissenschaft tmd
Kunst, hat, wird dem verdienten Herrn Verf. Dank dafür wissen,
S8i Weber: Wel«sMc1ilelrte, BdL Y.
dass er in allen seinen geschiehtHolien Forschungen nnd Darstri-
longen jene fiftlsche »&rblo8e« Objectiyitftt za vermeiden traobtet,
dasB er »allem Kämpfen und Ringenc um »wttrdige Zweckec seine
»tiefsten Sympathien« anwendet, dass er »frei von konfessioneOer
oder politischer Orthodoxie das welthistorische Leben ans einem
h5heren menschlichen oder philosophischen Qesiohtspnnkte zu er-
fassen strebt.« Denn dies ist, was die Gesinnung des Gkscfaicht-
schreibers betriffi; , gewiss die seinen wahren Beruf bezeiolmende
Anschauung, »mit unbeüangenem Sinn ohne vorge&sste Meinung
an die Erscheinungen heranzutreten.« Man nimmt jetzt yielerlei
»Bettungen« vor. Alba, Philipp ü. , Tilty u. A. sollen treffliche
Leute gewesen sein. Man nennt das objectiv, wenn man die Be*
strebungen der Jesuiten dem Protestantismus gegenttber als die
edelsten Anstrengungen für wahre Humanität, ftlr sitlüch religiöse
Veredlung des Menschengeschlechtes bezeichnet. In solchen Zeiten
thut es noth, gegenttber einer solchen Objectiyitftt, die uns die
finstersten Zeiten des Mittelalters als Ideale für Religion, Kirche
und Staat aufstellt, Geschichte nicht nach einseitigen »Zeitström-
ungen« oder nach »den Lehrsätzen eines kirchlichen oder politi*
sehen Katechismus« aufzufassen und darzustellen.
Der Standpunkt des Geschichtschreibers muss von politischen,
religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen und sittlichen Vomr-
theilen frei sein. Eines solchen Standpunktes hftlt der Herr Verf.
am meisten das deutsche Volk für fUhig, und eignet ihm darum
vorzugsweise den Beruf der unparteiischen Gosdiichtsschreibung
zu. »Keinem Volke, sagt er, dürfte ein so tmbeflEtngener und vor-
urtheilsfreier Sinn, eine so gerechte Anerkennung und Würdigung
fremder Natur und Eigentiiümlichkeiten innewohnen, als dem Deut-
schen. Ich bin daher der Ansicht, dass das deutsche Volk vor
allen andern berufen sei, der Weltgeschichte ihre echte Gestalt und
Ausbildung zu geben. Seine Stellung in der Mitte von Europa,
sein Streben nach universaler Bildung, sein angebomer kosmopoli-
tischer Hang, der auch an das Fremde und Feindliche den Maaes-
stab der Humanitftt, der Gerechtigkeit, der Menschenliebe anlegt,
seheinen es besonders zum Hüter und Verwalter der historischen
Sch&tze zu befähigen. Hat das deutsche Volk in ftüheren Jahr-
hunderten das geschichtliche Leben bestimmt, beherrscht und in
FluBS gesetzt, so ist ihm jetzt der, wenn auch unscheinbare, doch
immerhin ehrenvolle Beruf zugefallen, dasselbe zu beobachten und
die eigenen wie die fremden Errungenschaften genau und gewissen^
haft im grossen Grundbuch zu verzeichnen« (S. XI).
Immerhin wftre es besser, wenn das deutsche Volk nicht nur
den Beruf hätte, das geschichtliche Leben zu beobachten und die
eigenen und fronden ErrungenschaOen in das Grundbuch zu regi»
sMren, sondern^ wwm es auch, wie einst in alter Zeit, im Mlttei-
altor und im Bef oimationszeifsalter , zu den mitwirkenden anstatt
nur zu den schreibenden, redenden und registrirenden VMkem der
W«b«rt WiMgmIMi««, Bd. V. M
QaganwMi g«li5rie, immerhia wftre es b6Mer, wenn es niebt nur
der BMa nad Verwalter der hietoriechen Sohfttze , sondern ancli
der nachhaltig wirkende Behanpter und Yertheidiger seiner eige-
nen Selbflietftndigkeit nnd einheitlichen Volksthflmliohkeit nach
Innen nnd nach Anesen wftre. Daes das dentsche Volk eine be»
dootendere nnd einflnssreichere Stellung unter den Völkern Europas»
als dem bescheidenen Beruf der Lehre und SiAriftstellerei haben
konnte, daflir sind seine Kraft und sein Sinn ftlr alles Orosse und
Bdls^ sein Math, seine Tapferkeit und Freibeitsliebe die suver-
lIssigatMi Bttrgen. Ein kräftiger, nachhaltiger Wille flberwindet
soletit die Sonderinteressen der Parteileidenschaft und Stammes-
tfBnanag.
Eine ftbersichtliche Darstellung des yoriiegenden fflnften
Bandes gibt uns das treuste Bild der iweekmässigen Anordnung
und in allen Theilen gleichen Beichhaltigkeit seines Inhaltes.
Das Ganze serflült in zwei Hauptabschnitte, 1) die
mohammedanische Welt (8. 1--226), 2) das Zeitalter
der Karolinger (S. 227 — 765). Im ersten Hauptab-
schnitte wurden ausser Abulfedas Quellenschriften dieHtÜft-
werke Yon Gibbon, Gust. Weil, A. Sprenger, K. E. Oels-
ner, Oaussin de Perceval, y.Hammer-Purgstall, Gust.
Flügel, Jos. Ant. Oonde, Jos. Aschbach, Fr. Wilh.
Lembke, H. Schftfer, R. Doiy, Amari, Gregororius
und Schlosser benutzt.
Die hier mit m&glicher Sorgfalt behandelten Gesichtspunkte
sind 1) Land und Volk der Araber, 2) Mohammed und
der Islam (Mohammed in Mekka, Mohammed in Medina, Moham-
med*8 Bttckkehr nach Mekka, Tod und Charakter, Ergänzungen, der
Islam), 8) das Chalifat bis auf den Tod Alis (Abu Bekr
und Omar, Siegeszug des Islam, Eroberung von Syrien, ünterwer*
fimg dee Perserreiches , die Moslemin in Aegypten und Afrika), 4)
dasGhalifenreich unter d e n 0 m e j j a d e n (Huseins Mftrtyrer-
thmn nnd die religiöse Spaltung im Islam, die Herrschaft der
Omejjaden im Innern, Kriege und Eroberungen, Unterwerfung Ton
Nordafrika, die Kftmpfe mit den Byzantinern, die Vorgftnge in
Spanien und Gallien), 5) dieAbbasiden inBagdad und die
Auflösung der Beichseinheit (das Chalifat bis zum Sturz
der Barmakiden, Harun Alraschid bis auf Muttawwakils Tod, die
Kriege mit den Byzantinern, Verfall des Chalifenreiches in Bagdad),
6) die Staaten des Westens unter dem Einflüsse der
Moslemin (die Omejjaden in Spanien, Entstehung und Ausbil-
dung der christlichen Staaten im nördlichen Spanien, das König-
reich Aaturien, die spanische Mark unter den Franken, die Sara-
cenen in Sicilien und Italien, die Beiche von Cordoya und Oviedo),
7) Gultnr- undGeistesleben der Mohammedaner. Tref-
fend ist die Kennzeichnung der mohammedanischen Welt; doch
möchte Bei die yorherrschend lyrische Poösie der Araber nicht
Bfi4 Weber: WeltgMoliiohte, Bd. Y.
auf die »selbstsüchtige, auf die eigene Person gekehrte Natur der
Araber € zurückfuhren. Der Araber zeichnet sich nicht nur in der
lyrischen, sondern auch in der epischen Po6sie aus. In jener herrscht
die Empfindung, in dieser die Anschauung vor. Beide aber be-
ziehen sich zunächst auf das Einzelne. Zum eigentlichen Epos ist
der Sagenkreis nicht bedeutend genug ; er bezieht sich zu sehr auf
Einzelnes. Ueberall aber zeigt sich bei Völkern auf der An&ngs-
stufe der Cultur zuerst die lyrische und epische Poesie. Die Helden
des Epos müssen einer mythischen Welt angehören. Bei den Arabern
aber schwindet der Einfluss des Mythos, da sie erst in der spfttem Ge-
schichte im siebenten christlichen Jahrhundert ihre Bedeutung er^
halten und ihre Heldenthaten aus jener Zeit keinem Sagenkreise ange-
hören. Ein Volk, das immer ein Buch der Bücher hat und seine Lehre
mit Feuer und Schwert verbreitet, ist zu einer langsamen, natnr-
gemässen Entwickelung des poetischen Geistes wenig aufgelegt und
hat in seinen eigenen Lehren ein Culturhindemdes Element. Es
war eine Zeit lang, als wäre der Geist der Araber ganz und gar
im Koran aufgegangen, der die ganze Literatur ersetzen sollte.
Jenes, die freiere Geistesentwicklung lähmende Princip der mittel-
alterlichen Scholastik, es hat seine Wurzel vorzugsweise im Moham-
medanismus, welcher den grössten Einüuss auf die Entwickelung
der christlichen Scholastik äusserte. Von einer Einheit in der
Empfindung und Anschauung, wie sie sich in der schwierigsten und
höchsten dichterischen Entwickelung, im Drama, darstellt, kann
daher bei einem Volke, wie die Araber, keine Bede sein. Die vor-
herrschende Sinnlichkeit und Einbildungskraft, das mehr verständige,
als vernünftige Element, die unstete Beweglichkeit des Lebens und
Charakters hindern die das Einzelne zum grossen Ganzen zusam-
menfassende Entwickelung des Epos und Dramas.
In dem Cultur- und Geistesleben der Mohamme-
daner werden nach einer allgemeinen Charakteristik. Astronomie
und Mathematik, Naturwissenschaften, Philosophie, Poesie, Ge-
schichte und Theologie im Allgemeinen und Einzelnen dargestellt.
Was die Philosophie der Araber betrifPt, so macht hier Bef. aaf
die in gelungenster Weise zusammenfassende und zugleich gründlich
eingehende Darstellung derselben in der Geschichte der Philosophie von
Ueberweg (1864, Thl. IL, Abthl. H, S. 49-62) aufmerksam.
(Schlass folgt.)
It. 21). ' HEIDEIBEK6EB IseS.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Weber: Weltgeschiclite, Bd. Y.
(Bebfam)
ümfuigreieher ist das nns näher stehende Zeitalter der
Karolinger im zweiten Hauptabschnitte dargestellt. Es
werden hier drei Hanptabtheilangen, 1) das bysanti-
nisohe Kaiserreich wfthrend des Bilderstreites, 2)
das Frankenreioh unter den Karolingerni 8) Nor-
mannen und D&nen unterschieden.
Fflr die erste Hauptabtheilung wurden ausser den
Quellen, den bedeutenderen Historikern und Chronisten im corpus
historiae Bjsantinae und den Werken von duFresne und
Le Beau die Httl&schriften von Gibbon, F. Oh« Schlosser,
0. Finlay, Zinkeisen, Behm, SchOU, Bernhardy und die
Kirehengeschichten von SohrOckh, Oieseler, Neander, Hase
U.A. benutzt. Fflr die zweiteHauptabtheilung werdenausser
der Quellensammlnng von H.Pertz (Monumenta Germaniae
historica), den mit Einleitungen und Erklärungen versehenen
üebersetzungen der einzelnen Quellenschrifksteller durch Pertz,
J. Orimm, K. Lachmann, L.Ranke, K. Ritter, dem Werke
-Wattenbachs: »Deutschlands GeschichtsqueUen im Hittelalter«
und den Materialien in den yon der historischen Oommission bei
derkgL baierischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen
Jahrbüchern der deutschenGeschichte, insbesondere den
Jahrbflohern des fränkischen Reichs von H. Hahn und
der Geschichte des ostfränkischen Beichs von Ernst
Dümmler die Forschungen von G. Waitz, H. Pabst, Bigurd
Abel, Karl Hegel, L. A. WarnkOnig, W. Giesebrecht,
C.F. Souchay, Ed. Jacobs, Heeren, Ukert, Schäfer, Alex.
Schmidt, Lappenberg, Pfister, Dahlmann, Leo, IL
Ign. Schmidt, H. Luden, H. Bückert, Philipps, Max
Wirth, Ad. Pfaff, J. Yenedey, Daniel, Telly, Meze-
ray, Michelet, Sismondi, Hume, Lingard, Turner,
PalgraTe, Kemble, Rehm, Rühs, Schlosser, Mannert,
LehuGron, Guizot, E. Arnd, J.Ellendorf, Ferd. Heinr.
MflUer, G.H. Pertz, Hegewisch, Dippold, Fr. Lorentz,
Fr. Funk, Schaumann, Gaupp, Ledebur, JustusMOser,
Stalin, Buchner, IL Bfldiger, die kirchengeschichtlichen
Werke von Hagenbach, F. Oh. Baur, Bettberg ausser
den oben genannten, für Literatur J. Oh.F.Bähr, fttr Philo-
LVnL Jehr» ft. Heft. 26
Sophie H. Bitter, für Kunst Lübke, Kagler, Sohnaasey
für den juristischen Theil Werke Ton Biehhorn, Hllll-
mann,.Both, G« L. y. Matifer n« s. w., fikf iie dritte
Hauptabtheilnng ausser dem Quellenschriftsteller Sazo Gram-
maticus, den verschiedenen Quellensammlungen yon Matth.
Parker, Gamden, Saville u. s. w. und Nestors Chronik
von Schl5z«r die geschichtlichen Darstellungen von E. G. G e i j e r,
F. 0. Dahlmann, A. M. SU^nnholm, P. A. Munch, E.
Wilhelmi, Eonrad Maurer^ Max Büdinger, Eemble,
Palgrave, Lappenberg, BeinholdSchmid, Bud.Gneist
und Aug. Thierry angeftlhrt und mehr oder minder in dem vor-
liegenden Bande verwerthet.
Die erste Hauptabtheilung (das byzantinische Eaiseir-
reich während des Bilderstreites) um£ew8t 1) Leo IIL und Eon-
stantin Eopronymos, 2) die Kaiserin Irene^ 8) Er-
neuerung und Ausgang desBilderstreites, 4) Michael
HL und das Emporkommen des macedonisohen Herr-
scherhauses! 5) Oultur und Literatur im bytantini-
schen Beich. Die zweite Hauptabtheilung (das Franken-
reich unter den Earolingem) enthält 1) Ear 1 Martell und Pipp in,
2) das Langobardenreich in Italien, 8) Wachsthum
der Eirche im Frankenreiche, 4) Earl den Grossen
(Pippins Ausgang, Earl und Earlmann, Earls Alleinherrschaft, An-
fang der Saohsenkriege, Untergang des Langobardenreiohs, Unter-
weidinng der Sachsen und Baiem, Herstellung des römischen Eaiaer-
thums, die Zustände im Linem des Beiohs nach Bechtspflege,
Kriegswesen und Verwaltung, Hofleben und Beichsversammlungen,
Onlturleben, Earls letzte Lebenszeit, Ausgang und Persönlioh-
keit), 5) Auflösung des Frankenreiohes (Ludwig denFrom-
men und zwar Begierungszeit bis zur zweiten Beiohstheilung, die
Kriege zwischen Vater und Söhnen und Ludwigs Ausgang, Erieg
der Brüder und Theilungsvertrag vonVerdun), 6) die Franken-
reiche nach demVertrag von Verdun (dieTheilk(^ugreiche
bis zu Lothars L Tod, die kirchlichen und politischen Verhältnisse
unter Lothar EL. und Papst Nicolaus L, insbesondere die Lage der
drei Beiche und Lothars H. Ehestreit » die MachtsteUnng des
Papstes und Lothars n. Ausgang, femer die letzten Begiemngs-
jahre Ludwigs des Deutschen und Earls des ElahLen» den raschen
Thronwechsel ! Earls des Dicken Alleinherrschaft und Ende» die
letzten Zeiten des Earolingischen Herrseherstammes, insbesondere
König Arnulfs Politik und Feldaüge, Arnulfe Ende und Ludwig das
Eind, Ausgang des Earolingischen Hauses im westfränkischen B^ehe,
Italien in der kaiserlosen Zeit), 7) den Entwick&lungsgang
in Staat, Eirche und Literatur (Ausbildung des Feodal-
ttaateS) Entwiokelung und Thätigkeit der Eirohe hinsichtlich der
päpetlichen Monarchie, die üeberreste des Heidenthuiu und die
Seli<|uienverehrung> Ausbildung der Hierarchie, das Eloiterweeen^ die
W.»%«ti WnHgütltoliiiii, M. V. 887
MRwifamwtmigliit, die Maohtcfeallmig desKlenis und die gektlidie
Liteniv). Die dritte Hanptabtheilang (Normennfln und
Dftaen) beheadelt 1) Land nnd ¥olk der Skandinavier,
2) die Zeit der Wikingeriflge (die Urzeit Skandinaviens,
die Wikingerfahrten), 3) England während der däniacken
msd norxnanniaehen Invasion (von Egbert bis Alfired, den
Oreeeen, Alfreds Haehfolger und Ennd, den Orossen, Wilhehn den
Sioberer nnd die Normaanenherrsekaft in Bnghuid, die inneren
Zmtinde dieses Landes in der üebergaagszeit), 4) Normannen
in Unteritalien nnd Bicilien, 5)Ba8sland nndlsland
(Taringer nnd Bussen nnd die Nonnannen in Island). Als Beispiel
gelnngener, abgerondeter Darstellung fahren wir 6it Schildenmg
desb jiantinis oben Kais er reiehes w&hrend des Bilder-
streites an. »Die hnndert nnd ftln&ig Jahre» heisst es 8. 262,
die wir so eben dnrehlanfen haben, stellen ein dunkles Gemftlde
in der Oeaohiekte der Mensohheit dar. Wir sehen den byzantini-
sehett Hof und Staat den letzten Best von altrOmisoher Kraft und
Mfliieatftt dnroh Lasterhaftigkeit und sittliche Entartung verzetteln
und wihrend noch ftusserlioh die alten Formen fortdauern, mehr
und mehr das Wesen und den Oherakter orientalisoher Despotien
annehmen. Mit Widerwillen erblicken wir ein Hof leben, wo Treu-
losigkeit und Yerrath, Leidensohaften und Kabalen, Binnenlust und
seUwtsIlQktiges Trachten, Bosheit und Herzenshärtigkeit unter einer
leiohten Decke Kuaeerer Politur, unter dem heucUeriscben Schein
chrittlieher Bildung und Sitte, unter einem schimmernden Oehfinse
pnakender Formen und Oereraonien lauem, stets bereit mit gifti-
gem Zahn ihre OpÜBr anzufallen ; mit Verachtung und Widerwillen
gewahren wir eine Nation, welche sich fisig unter das unwürdige
Joch eines gesetzlosen Despotismus beugt, welche den frivolen GhB-
nftssen der Bennbahn im mfissigen Nichtstbun naclgagt, mit bla-
sirter Olelcbgttltigkeit den blutigen Auftritten und grausamen
WeohselfUlen in den höchsten Hof- und Beamtenkreisen znsohaut
und von dem Baume der ckristlioben Religion nicht die Frttehte,
sondern nnr die vertrockneten Zweige und Blätter mit emsigem
Fleisse pflegt und einthut ; mit Widerwillen schauen wir auf ein
Heer 9 das seltener den kriegerisehan Geist und die überlieferte
Waffenkonde der- altrftmischen Legionen in siegreichen Kftmpfen
widor Barbaren und Moslim zeigt, als den unbotmttssigen Sinn und
die trotzige Insubordination der Priltorianer in Abfall und Bm-
pGrungi ein Heer, das nur durch die Aufoahme barbarischer Söldner-
scfaaaren in seine Beihen wieder einige -frische Kr&fte erbalten
konnte. Aber trotz aller Laster und Gebrechen in Hof und Staat,
trotz der EnteittUcbung und Yerweicblicbung des Volkes in den
h&heven wie in den niederon StHodeUi trotz der Verarmung der Vto*
vinzen durch drückende Besteuerung und hohe Z5Ue, durch Beamten-
erpressungen und Kriegsnotb, trotz der Ausartung der Beligion in
todie Werkheiligkeiti kirchliche C^emonien und th#ologi9(dic Strei-
888 W«ber: WdlgMeUolito, Bd. V.
tigkeiteiii gentthrt durch die wadhBeade Menge mUflsiger Ifönche,
war dennoch das byzantinische Beioh fOr die Gnltarentwiokehing
der Menschheit in dieser Zeit des 'Sinkens nnd VerfiEdles eine un-
schätzbare Wohlthat. Noch immer war Eonstantinopel die reichste
nnd glänzendste Stadt der Welt, die durch die Pracht nndOrOsse
ihrer Kirchen nnd Paläste, durch die Menge herrlicher Kunstwerke
nnd Monumente, durch die Zahl ihrer Bewohner und dnroh ihr
reges Handels- und Industrieleben die Fremden mit staunender
Bewunderung erftlllte. Noch immer waren die byzantinischen Städte
der Markt der Nationen, wo man neben den Pelzwerken des Nor-
dens die edeln Produkte des SüdenS| die Seidengewebe des Ostens,
die Kunsterzeugnisse Ghriechenlands zum Verkaufe ausgestellt sah.
Noch inuner waren die herrlichen Teppiche mit feinen Stickereien,
die Purpurgewänder, die Schmucksachen von Oold, Elfenbein nnd
Juwelen das Eigenthum und der geheime Schatz der morgenl&ndi-
schen Menschheit. Noch immer war Konstantinopel der Sitz der
Bildung, die Trägerin der Wissenschaften nnd Gelehrsamkeit, die
Hüterin des heiligen Feuers, das von edlem (jesohlechtem entsfin-
det durch sie der Nachwelt überliefert ward. Die byzantinische
Hauptstadt war das nothwendige Mittelglied in der Kette der Tra-
dition, wodurch die Errungenschaft des Alterthums den späteren
Qeschlechtem zugeführt wurde. Während das übrige Europa sich
langsam aus dem Dunkel der Unwissenheit und der Barbarei empor-
arbeitete, bewahrten die byzantinischen Schriftsteller
mittelgriechischer Zunge, wenn auch grösstentheils dem geistlichen
Stande angehörig und unter dem Nebel theologischer Streitigkeiten
getrübt tmd in der Freiheit des Schaffens gehemmt, noch wissen-
schaftlichem Sinn, Kenntniss der menscdlichen Dinge und Achtung
Tor den literarischen Schätzen des Alterthums« u. s. w.
Die Oeschiohte der christlichen Tonkunst (Ent-
wickelung der christlichen Musik bis auf Gnido yon Arezzo 1000
n. Chr. S. 410 — 413) hat Herrn Dr.Friedr. Ohrysander, die
»bewährteste Autorität in diesem Fache«, zum Verfasser. Die
Hoffiiung, welche der rühmlichst bekannte Heir Verf. amSchfaisse
seines Vorwortes ausspricht, hat sich vollkommen bewahrheitet.
Auch der vorliegende Band giebt ein rühmliches Zeugniss von dem
freudigen Muthe und der ungebrochenen Kraft seines Urhebers, von
welchen er beseelt seinem schönen Ziele rastlos immer näher ent-
gegenrükt. Sein Buch ist nicht nur für ihn, wie er S. XI sagt,
als »Beschäftigung mit einem liebgewonnenen Gegenstände«, son-
dern auch für jeden -nach wahrer Aufklärung über die wichtig-
sten Fragen des Lebens und Wissens strebenden Leser »eine
Quelle freudiger und erhebender Empfindungen.« Möge ihm auch
fernerhin die ungesch?rächte Kraft des Körpers und Geistes
zur Vollendung seines edeln, gemeinnützigen Unternehmens, das
sich vor Werken ähnlicher Art durch Aufbau und Anordnung, Fonn
nnd Inhalt gleichmässig auszeichnet, in vollstem Maasse zu Gebote
irtehenl v. ReieUin-Mddegg.
Rwr md HaUmJMmd$r ftr da$ Jakr 1886. SMnUr Jahrfanf.
Drmek umd Yerlag wm G. D. Bädeker. 8. 8. 77.
Olnoh d«ii früheren Jalurgftiigen feiohnet 8ich der Torliegende
lefarte des Beriet und Hütten-Kalenden dnroh Maanichfaitigkeit
und selir prakiiaelie Einrichtong ans. Die erste Abtheihing bringt
«asfUuiiehe ICttheihingen Aber die preoesisohe berg- und hütten-
minnieche Geeetigebong ; in der zweiten wurden dnrch Hinznftlgong
grBeeerer TabeUen zur Yergleiohung des Metermasses nnd des preossi-
eehen, dnroh neue Tabelloi zur Verwandlung der Stunden-Einthei-
hog des beigmännisdhen Compass in die gewöhnlichen Graden. s.w*
dem wirkliehen Bedtlrfhiss zu entsprechen gesucht. An die in den
firfüieren Jahrgingen enthaltenen Zusammenstellungen sich aaschlies-
sead bilden die neuesten Notizen über die Production der Berg-
werke nnd Salinen in den verschiedensten Lftndem einen interes-
santen nnd gewiss Vielen sehr willkommenen Theil des nützlichen
Sehriflchens. Die Ausstattung ist wie dies gewöhnlich bei den
Verlagsartikeln des Herrn Bädeker ein geschmackvolle«
O. Leonhard«
Dm Berg- und HüUmwmm im EtnogÜium Namau» 8Uaiäi$ehe
Nmekriddm^ geogruHÜBeke, mingraiogi$^ und Uehm$^ Be-
$du^mbungen du Yorkommem nutabarer MinträHm, dmBwrg^
und HttUmMrubB. Jn Ermäddiqung der HenogUchen Landm^
Begitrung nach amüickm QuitUn und unier Mitwirkung van
HtTMogHßken und PriotU'^ Berg- und HuUenbeamien und wm
Werkeeigenikämem kerauegegehen von F. Odernkeimer,
fferzogUek NaeeauUekem Öberbergratk. ZweUee Heft. MU neke
Plänen. Wie$baden. C. W. KreideU Verlag. 1864. gr. 8.
& m—804.
In dem Jahrgang 1863 dieser Blätter haben wir bereits das
erste Heft der Odernheimer* sehen Zeitschrift sowie die Ten-
dens des ganzen Unternehmens besprochen. Wir haben damals dem-
selben ein günstiges Prognostikon gestellt; solches ist auch einge-
troffen, denn bereits lie^^ das zweite Heft vor, dem in kurzer Zeit
das dritte folgen wird, womit der erste Band der Zeitschrift ab-
Bchfiesst.
Der Inhalt des zweiten Heftes ist folgender. I. Üebersichts-
Tabellen über die Production der Bergwerke und
Hütten von den Jahren 1861 bis 1868. IL Oeognostische
und technische, allgemeine und specielle Beschrei-
bungen der Mineral-Vorkommen und der Bergwerke,
so wie technische Mittheilungen über den Hütten-
betrieb. 1) Der technische Betrieb der Blei- nnd
Bilberhütten des unteren Lahnthaies von E. Herget*
Der Vet&sso'» dttrch MiAe trefflicfa» 8ölirift ftbcr ddü sS^Msifefen-
Sandsteine bekannt) gibt. eind aiufllliztit^heSehiMoning des (äkikmels-
Prozesses der auf den drei Metall-Hütten der unteren Lahn-Gegend
za Ems, Branbaoh und Hölsappel zur Yetrarb^itüng kommenden
Erze ; diese sind bauptsäohlich eübeibaltigir Blet^anz, et?WBEii!^ftdn«
kies und Falilerz.i 2) Beschreibung des Brannstein'^yoT^
kommens und Berigbaues in der Lahn^Oegend vom.
Kays 8 er. Bekanntlich isi die QeWinnnng TOn Braunstein fb
Nassau von besonderer Bedeutung. Ein ergiebiger Betrieb findet
nameaitlioh im Lahnthale iwischeu Biez und Weilbnirg statt. Der
Braunstein ist Torzugswoise an die kalkigen nnd dolomitisoheh Sehieh^
ten der mittlem Abtiieilung der devonisohen Formation, an den
8« g. Btringooephaien-Ealk geb«nden, welcher bald von Thonsohiefilr
bedeckt mrd, bald mit solchem wechsellagert. Die Braüiisteiii«-
Lager nehmen entweder unmittelbar auf Dolomit ihre Stelle ein
oder, und häufiger, werden sie davon durch ein kaum Fiiss*mftolrttgea
Besteg Ton sandigem Thon oder Mulm getrennt. Die dio^Atofanitt-
liehe Mächtigkeit der Braunstein-Lager beträgt Vs h&s l^t Fnss.
Fast aSenthalben sind solche bedeckt von einer Schicht eisen-
haltigen Braunsteins, manganhidtigen Brauneisensteins, Thoneisen-
steins auch von reinem Branneisenstein. Die Schichten, welche die
Stz-Yorkommnisse ttberlagem bestehen meist ans plastiscÄien Thonen,
deten Mächtigkeit YOn V> bis 15 LsDhter wechselt. ünieV den
vecBChiedenen Arten ron Braunstein sind zu nennen: Pyrolusit,
krjstaUiniscfae Massen yon kömiger oder &s6riger Zusammen-
setzung bildend ; Psilomelan in traubigen, nierenförmigen Gestalten ;
Manganit, nadelfönnige Erystalle, aech derb. Diese Manganerze
werden, wie schön bemerkt, von Brauneisenstein begleitet, von
Gko^arten exBcheinen Ealkspath, Braunspath und Qnars. An die
Schilderung der BratLnstein-Verkommnisse reiht sich noch eine
Beschreibung des Braunstein-Grubenbetriebs so wie det Aufberei-
tung. — 3) Eisenstein-Vorkommen und Eisenstuin-
Bergban in demBergmeisterei-BezirkDies, vonSiein.
Nassau besitzt sowohl Botheisenstein- als auch Braaneisenstetai-
Gruben* Der Rotheisenstein findet sich lagerartig theiis zwiselMn
Sohalstein nnd Schiefer, theiis zwisdien Schalstein allein, während
der Broonstein namentlich nesterweise in Mulden des Stringo-
eephalen- Kalksteins auftritt, oder auch im Tfaon über der xlieiiii-
schen Qrauwacke. — HI. Mittheilungen über das Berg«
und Hüttenwesen deutscher Nachbarstaaten und des
Auslandes, in Beziehung auf Nassauische Verhält*
nisse. üeber das Braunstein-Vorkommen in den Pro-
vinzen Hnelvannd Almeria inSpanien, vcnBellinger«
An zahlreichen Orten sind in letzter Zeit in Spanien Lagei'stätten
aufgeechloesen worden. Unter diesen gewinnen zumal die Gmben
in der Provinz Hnelva besondere Bedeutung«. Der Braunstein tritt
lagsr^ vokäi neeterartig mit QoaE&it und Eisenkiesel in sUnrisohcim
BeJk taiij Ftor» disfe Snq^dni. 891
ThtaBcUflfinr ailf; die bat ffioasclilieesHoh ToAonmiflDden Ezkb
siad F^roltlAit tuid Peilomelan, seltener erBcheinen Manganit und
WaAi Im Jabr 1859 ist ia der Froiinz Hoelra nngefiflir eina
Villiaa Ocfatnet BEaimeteiii gefördert worden. Weniger dnrch aiuk
gedekiite Ablag^onuigen als in geognostisoher Besiabaiig interesiant
iat daa Braunstein*- Yorbommen am Oapo de Gata in der ProTins
Ahneria. Hier, an der eüdöstlichen Spitze Spaniens werden Por-
phyre «sd Traobjtä von vielen Q^&ngen dorohsetzt, welche ans
ManganfiTEen, ans Enp&rkies, Weisbleierz nnd ans Galmei bestehen.
Die Mächtigkeit der Bratmstem^-äänge ist eine so geringe, das«
kaom .eine lohnende Oewimmng zu hoffen.
Die seehs Plane, welche dem zweiten Hefb von O d er nheimer s
Zeitsohrift beigegeben« enthalten nnter andern sehr lehrreiche Profile
dorefa verschiedene ßrannstein- nnd Branneisenstein-Ornben, eine
geognostisoihe üebersichtskarte des geschilderten Eisensteint-Vor**
kommens, so wie eine topographische Skizze über den Brannstein'-
Bergban in der Provinz Hnelva. G« Leenhard.
Bmirä^ mar Flwra de$ Keuper$ und der rhäUsdkem Formatim von
Frofmar Dr. Schenk. Mit emer Tabelle wd Till Tafdn.
& 9L (ßeparat^Abdruek aus dem VIJ, Beriehl des mxiur^
foreehenden OeseUeehefft «u Bamberg.)
Wfthvend die fossile Flora verschiedener, tbeUa ttUerer» theüs
jttngeiBr Oebirgs-Formaüonen eine lunfassende Schilderang erfah)?en
hat, wie die trefflichen Arbeiten von O e in i t z , Göppert, Heer,
Unger, Ettingshansen n. A. beweisen, ist Über die Pflanzen-
Beste das Eeopers nnd der rhätischen PormatioA (Bonebed), einige
ältere BchriAen von Sternberg nnd Presl aasgenommen nnr
wenig bekannt Um so dankbarer ist ee daher anzuerkennen, dass
fdn so bewährter Kenner fossiler Pflanzen, wie Schenk inWürs-
boig, esübemomnen hat diese Lücke anszofOllen and das bereits
Vorhandene kritisch zn prüfen, vielfach zn berichtigen nnd dnroh
gar manche neue interessante Entdecknngen zu bereichenoL Die
Unterencihnngen desselben beziehen sich hauptsächlich aaf die Pflaar
zen des fränkischen Eenpers nnd jene der rhätischen Formation von
Bamberg, wofür ein reichliches Material in verschiedenen Samm-
lungen zu München, Wflrzbnrg und Bamberg zu Gebot stand.
Ans dem Eeuper sind gegenwärtig 52 Arten von Pflanzen be-
kannt; 25 derselben gehören den sogenannten Gto&sskryptogamen.
an, 26 veiüheüen neh auf die Gräften der Monokotyledonen (8),
der Oynunospeimen <22) und der AngiospenneA (2). Die Arten
gahöEsn 22 «Gattungen an.
Die Mehrzahl der Gattungen erscheint überhaupt erst In der
IkiaB-FiOxmaüon, die MinderzaU reieht aas älteren Pexioden her-
SM Schenk: Flor» iet Kenpot.
über. Za diesen gehören Cälamitea, NeuropUri», BphmopUri», AcM-
»opterü, CyatheiU$t Aldhapteris^ PeeopUris, TaemopUriSj Nöffgeraikia^
ÄrauearüeB. Es feUen dem Eenper die für die Slteren Formatio-
nen 80 sehr bezeichnenden Arten von Sigiüairia und Ltpidodendrcn,
Ausser den G'attongen Yoltsia und 8chi9(meura sind mit Sicherheit
dem Eenper 'nnd Bnntsandstein gemeinsam : Egui$eUie8, Neurapteru,
AleOiopitris , Chelopieria und Pterophyüutn ; es fehlen aber dem
Eenper die für den Buntsandsiein charakteristischen: Creniaiof4eri$^
Änomcpieris^ Albertia, Füehselia, Eehinostachys^ während im Bnnt-
sandstein die im Eenper vorhandenen Gattungen: Calamiie$, Sphe^
nopieria, Cyatheitesj SchiaapieriSj AraucarUta yermisst werden. Zum
erstenmale erscheinen im Eenper: Danaeopsis, Chiropterüß CMaeoj
Camptopterisj ChlaihrophyUum^ SclerophylHntZf SehistosUiehyum, Oy^
cadcphyltuntf Widdringtonites, BcyiophyUum. Ein Theil dieser Gattun-
gen geht Tom Eenper bis zum Schluss der "WUlder-Periode durch
alle Formationen.
In dem Hervortreten der Gymnospermen im Eenper liegt wohl
der bedeutendste unterschied für die Flora dieser Periode gegen-
über jener des Buntsandsteind. Mit d€^ Bonebed hat weder Bunt-
sandstein noch Eenper eine Art gemeinsam.
Im Eenper Frankens, Württembergs, Badens und des Oantons
Basel sind bisher mit Sicherheit noch keine Meerespflanzen nach-
gewiesen worden. Die Gesammt- Vegetation besteht nur aus Pflanzen
des Festlandes; unter ihnen yorherrschend Equüäiie» arenaeau.
Diese wahre Leitpflanze kommt allenthalben in grösster Individuen-
zahl vor. An sie reiht sich Pterophyüum Jaegerij dann folgen die
übrigen Cycadeen, unter welchen bei weitem Danaeapaü (früher
TaeniopierU) marantaeta am häufigsten.
Wenn man die sog. Baibler-Schichten, wie solches von Güm-
bel geschehen, dem mittlen Eenper zuzählt, so ist die Flora dieser
Gebilde eine ganz ungewöhnliche, da sie ausser TaemopteriB und
VoUsia kaum eine gemeinsame Gattung besitzt, während doch die
Partnach-Schichten eine mit dem deutschen Eenper übereinstimmende
Flora zeigen. Im Hauptdolomit der Alpen (mittler Eenper) er-
scheint nur eine Landpflanze, Arauearües paehyphyUua, Mit Beeht
betrachtet Schenk dieses als einen Beweis, dass die Entwicklung
des festen Landes zur Bildung des Alpenkeupers verglichen mit
jener des Eeupers der Ebene von geringer Ausdehnung war.
Im Allgemeinen deuten die vielen Equisetiten auf sumpfige
Niederungen des Eeuper-Landes , in welchem diese baumartigen
Gewächse gediehen. Ihnen waren wohl noch CälamiUa Meriam
und SchieAostachyum beigesellt. In den höher gelegenen Landstrichen
wurden Waldgruppen von Cycadeen, Ooniferen und Baumfarren
gebildet, deren Schatten kleinere Farren beherbergte. Die Niede-
rungen wurden von Zeit zu Zeit vom Meere überfluthet; hiednrch
enstand die Bildung der Lettenkohle.
Jedenfalls erlangt im Eenper die Entwickelung des Pflanxen-
Bebernk: Hot» d«t Kenpcn« BIS
rttdis ohui Sinfe auf wdohor zaorst Formen enolidineiii deron W6i*
t«ie Entwiokelmig in jüngeren Fonaationen exfolgt.
Und dennoch ist die Flora des S[enper8 von jener des darauf
folgenden firänldsehen Bonebed (rhätische Formation) ganz yer-
sehieden; sie stellt sieh in Fnuiken als eine Landflora dar, im
Bonebed der Alpen erscheinen Meerespflansen» Im Bonebed Frankens
ist insbesondere das Auftreten yieler Cjcadeen henrorznbebeni femer
die Httofigkeit von PäHsiya Braunii, Zamüe» diitans, EgtoMiUm
MünaUri, JeanpaüHa diehotoma. Ans dem Bonebed der Umgegend
^n Bamberg sind allein schon 24 Oattungen mit 89 Arten be-
kannt, die fast alle auch an andern Orten im Bonebed Frankens
Torkommen. Bezeichnend fELr Bamberg ist namentlich der Beich-
thnm an Arten (7) Ton Sphenopteris.
Fflr das Bonebed ist insbesondere das Auftreten Yon Pflanzen»
Qattongen bezeichnend, die älteren Formationen fehlen, in jünge-
ren wieder erscheinen bis zum Beginn der Kreide-Periode. Aber
eben in dem Anftanchen so zahlreicher neuer Formen liegt — wie
Schenk sehr richtig bemerkt — der Beweis für eine mit dem
Bonebed beginnende Entwickelungs-Stufe der Pflanzenwelt, welche
erst mit der W&lder-Oruppe abschliesst, bis zu welcher Periode
der nftmliche Oharakter mit denselben oder doch mit analogen
G^ttongen unverändert bleibt. Mit der Kreide-Formation stellt
sich eine neue Entwickelungsstufe ein, jener der Tertiärzeit sehr
nahestehend.
Die Flora des Bonebed reiht sich demnach an die des unteren
Lias an, sie trägt unverkennbar einen liasischen Oharakter; sie
erlangt ihre allgemeine Bedeutung durch die weitere Entfaltung der
Fk>ra, welcher sich in ihr kund gibt. Wenn die Thierwelt des
Bonebed noch den triasisohen, die Pflanzenwalt aber den liasischen
hat, spricht solches eben für die Thatsache : dass die Entwickelung
des einen Reiches jener des andern um eine Stufe yoraneilen kann.
Und sehen wir nicht wie bereits in der ältesten, Versteinerungen
führenden, in der silurischen Formation Pflanzen vor den Thieren
den Schauplatz betreten, wie mit Seepflanzen und zwar Algen die
Beihe der organischen Wesen beginnt?
Die wichtige Schrift Schenke wird von acht Tafeln beglei-
tet, auf welchen 80 Pflanzen abgebildet sind, fiBmer von einer
Tabelle, die Zahl und Verbreitung der Pflanzen des Buntsandsteins,
Keupers und Bonebeds angibt. Leider haben sich auf dieser TabeUe
ein paar Unrichtigkeiten eingeschlichen, auf welche der Verfasser
erst nach Vollendung des Drucks seiner Arbeit aufinerksam ge-
macht wurde. Da Prof. Schenk so freundlich war, dem Referenten
diese Berichtigungen brieflich mitzutheilen , fQgen wir solche hier
bri: 1) Als Fundort von Schisapteria paehyrachü und Danaecpsis
maranUuea ist der mittlere Keuper von Thumau in Franken an-
geführt. Nach Gümbel liegen aber sämmtliche Steinbrüche um
Thumau im Oebiete des Bonebed. Die genannten Pflanzen können
H«7«a«B:
Schilftandstein TorkommL 2)PUraphyUumJaegariititiMimLM&t'
knUoi-SttiidfltaiB aich findend aagefUnt, wird sImt, nfteh Sftnd-
berger nnr im BehUbandstein getrofiai» 8) E^miaUa pkOifodfim
(Equigdmmplabfodon Brongniarts) ist dem Sehilfauidsieim Fxaft-
kens eigimthflmlicfa nnd kommt md&t bei BetenttH iinfan Wttn*
boig Tor. 4) Ob sich Cotemte Meriam Heer im Sehitfwmdrteia
bei Stuttgart finde, dllifte zu besweifeln sein, da dieee Pflaaie in
Franken auf die LettenkoUe beiehztnkt ist. Die nnriektigen An-
gaben ¥on Fundorten sind wokl dnrob Yerwecheelmig der Etiqnettei^
in den Sammlnngen sn Wfknbnzg nnd Mfineben Taranlasii, iraa
beeonderB bei letsterer nm so walirtcheinliober da tie £ut limmt-
liehe fossile Pflanzen der Sammlung des Grafen Münster fer-
daakt, die wiederiiolt Torpackt mirde. Cu lif— hard.
D%$ aUgemeinm TerhaUmsm des PraimBdkm BergweaemB^ mU R9ek^
dcki auf Are EfOmekdmng, darfeddU wm Dr. A.Huy$$en^
ItömgL prtmm. Berghauptmann. MU nkr KarUn. Enm. In
Oommi$8um bei D. Q. Baedeker. 1864, gr. 8. & M.
DerVeifaeser entwirft in sehaHlan Umrissen ein sehri
Kches Bild ron der histoiiBcben Sntwiekrinng nnd der gegenwir*
tigen Lage der prenssischen Berggesetzgebnng und BeTgrerwaltang,
Br seigt, wie die preoesiselie Begiervng bestrebt war — «nter
Sdhonnng vorgefundener YerfaältnisBe nnd der Anhiaglichkeit Begg-
be« treibender an die alten Oesetse — ^ii^^aMig die so aotitwcn-
dige Einheit in den meisten IMngon herbeiznülhren, Terattete ¥or-
sehriften nnd Einrichtnagen zn beseitigen nnd den Beigben wo
md^ch Ton alien Lasten z« befreien. Er hebt aber anoh das Br^
gehniss dieses Strebens: den raschen Anfsehwnng des Berg-
banes in Prenssen herror und nm sein Bild zn Terv^dleyLndi-
gen nnd dnrch Zahlen den Beweis für die Biohtigkeit der anfjgo-
steliten Behanptnngen zn tiefem gibt er eine sehr interessante 2n»
sammenstelhmg der frOheren und neneren BergweKks-Prodnetaon
in ganz Prenssen, ans weleher wir nnr einige der wichtigsten Be-
snUate hier mittheilen.
Steinkohle ist in jeder Beziehnng das wichtigste Bergwerks-
Pkodnkt; fiist ''In der Bergleute Preossens sind mit deren Gewin-
noBg beschäftigt nnd der Werth der jfthilidi davon geltederten
Mengen beträgt 70 Proc. des Werthes aller prenssichen Beigwerks-
PktMhkte. Die Bteinkohlen-FOrdenmg betrog:
Tonnen
Im Jahre
1827
6,816,704
»
1887
10,398,479
»
1847
19,145,461
>
1857
47,868,716
»
1862
65,894,470
(Bm Tounass 7^9 pteaM. CMikftm; 1 Ibm» fiteinkokkii witf|t
im DmhMhnitt 8,8 CtetiMr),
Ab der FtMmwmg Ton 1862, irekke 22,565,058 Thaler Wefth
baUe, nahmen 434 Bergleute mit 69,468: Axbeiten Theil. Mil Am
nidisten Angehörigen ^r letztem betrog die unmittelbar Yom
Steinkohlen-Bergban emihrte BevOIkenmg 196,785 Seelen, ein
starkes Hnndertstel der ganxen YolktzahL
Brannkohlen werden gleiohfallB in Menge gewonnen, anch
ist die grosse Ausdehnung des Braunkohlen-Bergbaues durch den
AnÜMÜiwnng der Bübenzucker^Fabrikation mO^ch geworden« Die
FSiderang betrag:
Im Jahre 1825 1,842,449 Tannen
> 1837 2,612,630 >
> 1847 7,283,195 »
> 1857 18,244,428 >
> 1862 24,545,975 >
Die POrderung des ktxten Jahres stammt von 443 Ortben,
mit 11,534 Arbeitern und hatte an den ürsprungsorten einen Werth
Ton 3,382,400 Tfaaler.
Dia gance Frodaction von Stein* und Braankohlan betrag zu«
Bammen im J. 1862: 89,940,445 Tonnen oder 337,900,00 Centner.
Vergleicht man die Eohlen-Production Fteussens mit deijenigen
anderer Linder, eo nimmt solches den dritten Platz ein, nach
Orossbritaanien und den Vereinigten Staaten Ton Nordamerika.
Bisen ist nflehat JUtilB das wichtigste Prodoct fttrPreossen,
da seine £rae eine grosee und msnaig£aoha Yerbreitaiig besitsen ;
SB der %ntze steht hier das Siegeiner Land. Im ganesn Staate
erzeugten die Hohöfen an Boheisen in Massebi, an fertigen Guss-
flMflksn und am BohstaUeisen:
b Jah» 1883 919,486 Otr.
> 1837 1,989,999 » bei 47,600 Ctr. Eisen-Binälhr
» 1847 2,757,951 > > 3,287,826 > »
> 1852 3,344,227 > » 2,313,961 > >
> 1857 7,945,489 > » 5,466,005 » »
> 1862 10,521,532 > » 3,484,180 » »
Im Jahre 1862 erzeugte man: 2,502,952 Centner an Ouss-
waaie» ; ferner 1,017,869 Oentner an Eisenblsoh und 523,470 Ctr.
au Eisendi-ahtk Es beschttftigte das prsnssische Eisen- und Stahl*
HiMenwesen im Jahre 1S62 auf 929 Hfttten 55,441 Arbeiter.
In Betreff der Bisen^Production ist Prenssen das yierte Land
der Erde ; es erzeugt I ^/e so viel Boheisen als Oesterreich, welches
hierin mit Belgien ungefähr auf gleicher Stufe steht, hingegen pro-
dueiren Prankreich und die Vereinigten Staaten, welche sich eben-
falls fast gleichstehen l^/smal so viel als Preussen, wogegen Qross-
brittannien das 7facbe der Eisenprodnction besitzt.
Zink ist reieUioh Tertreten und bekanntiieh eine Specialität
AttfireussiBofasQ and belgisehen Htttenwesens, da die ZinippradaotiM
810 Hiiyf««Bs
aiiddxer Lftnder gering ist. Eanm ein Montan-Prodoet sohwaaU
80 sehr im PreiBse, wie das Zink, womit auch der Ertrag steigt
nnd fiiUt. Die Plroduction ist hingegen fortdauernd im Waohscm.
Es betrag die Production:
Im Jahie 1816 2058 Gentner
1828 154,989
1887 221,707
1847 455,027
1857 897,484
1862 1,195,257
Der Bergbau und der auf die Darstellmig Yon Bohxink ge-
richtete Hfittenbetrieb besoh&ftigte im letzten Jahre nicht weniger
als 14,900 Arbeiter.
Blei. Wie der Bergbau auf Zink der jflngste, so ist der auf
Blei wohl der älteste, denn in der Eifel wurde er sogar schon in
Yorrömischer Zeit betrieben. Auch in anderen rheinischen Gegenden,
so wie in Schlesien ist Blei*Bergbau in Umgang. Die Prodnetion
an Blei beträgt:
GlasBorens Blei
Glfttte
Im Jahn 1828
88,886 28,987
18,822 Oantner
» 1887
50,000 24,497
11,161 >
1857
81,831 25,288
16,214 »
» 1867
48,104 252,424
20,948 >
> 1862
30,887 416,122
41,809 >
Preossens Blei-Prodnction ist doppelt so gross wie die der
übrigen ZoUyereins-Staaten znsammen und dreimal so gross wie
die Oesterreiohs, beträgt hingegen nur die Hälfte der franiOsisohea
und ein Viertel der englischen.
Knpfer wird namentlich ans dem Kupferschiefer des Mans-
feldischen nnd ans den Enpfererz-Oängen des Siegenschea gewon-
nen. Die Prodnetion betrag:
Im Jahn 1823
19,159 Geutner
. 1887
19,907 *
> 1847
25,809 >
» 1857
32,872 »
» 1862
51,640 »
Sie steht demnach der Osterreichischen fast gleich, betiägt
aber nur */? der französischen nnd V« der englischen«
Silber, welches gediegen nnr selten in Preossen Torkommt,
wird ^t ans Kupfererzen, V' *^ Bleierzen gewonnen, nämlich:
Im Jahr 1823 7925 Pfund
> 1837 11,243 »
> 1847 13,020 »
» 1857 27,613 »
» 1862 46,157 »
Schwefelkies bildet in neuester Zeit einen äusserst wich-
tigen Qegenstand bergmännischer Gewinnung. Froher nur zur Vitriot*
«ad Bokwdel-Sneiiguig benntit, hat er gBgenwttrüg fttr di« Dar-
fteDoBg Yon SehweMiiuia in den öhemiMhen Fabriken einen hohen
Werih erlangt, so daas in Oegenden, wo man Tormals den Eisen-
kies nnbenntit stehen Hess oder Terftchtlioh bei Seite warf, solcher
nm ein geeaohtee Mineral geworden ist. Drei Qmben bei Meggen
UefBrten allein fast 300,000 Otr.; den Best der 854,221 Ctr. be-
iiageiiden FOrdemng Ton oompaktem Eisenkies lieferten die tlbri-
gm Omben.
Sali wurde bekanntlioh bis Yor wenigen Jahren nur (Eoeh-
nls) ans Boole gewonnen; eine nene Aera begann fOr Prenssen
mit dem 1857 bei Stassfart nnweit Magdeburg im Zeohstexn er-
tanftea Steinsalzlager, dem sich bald swei andere Steinsals-Beig-
weriw, das in Stetten in HohenzoUem und das Erfurter beige-
MUtea. Der preossische Steinsak-Bergban lieferte im Jahre 1862
doroh 536 Arbeiter 1,395,757 Gtr. Hienmter befinden sich 892,190
Otr. Kalisalze, die snStassfiirt tlber dem Ohlomatriom Yorkommen
uid in zahlreichen daselbst angelegten chemischen Fabriken so wie
in aaswtrtigen Werken Yerarbeitet werden« Bei ihrer sonstigen
Silteiiheit bilden sie einen Schatz der noch werthYoller ist, als das
ngenthehe Steinsalz. Bechnet man die Kalisalze ein, so hat Prenssen
im Jahr 1862 8,524,955 Otr. Salz zum Yerbraach erzeugt, fut
eben so Tiel wie die flbrigen ZollYcreins-Staaten zusammen, aber
kran halb so Yiel als Oesterreich, etwa ^/s Yon dem was Frank-
nieh, mir V* ▼on dem was England erzeugt, wo kein Salz-Monopol
ian<j|^ftl> gibt der Yerfiisser noch ZnsammensteUnngen der Arbei-
teitthl und des Oesammtwerthes der Prodncte. Yerglichen mit
•adem Staaten nimmt Prenssen die Yierte Steüe ein. An der
Spitie steht England, dann folgen die Vereinigten Staaten, Frank-
leieh, hierauf Prenssen, sodann Belgien, Oesterreich und die llbri-
gen ZolWereins-Staaten.
Am Schlüsse seiner werthYoUen Schrift gedenkt Berghanptmann
Hnyssen noch aller der Mittel, durchweiche der Bergbau in dem
Orade sich emporgeschwungen hat. Diese sind namentlich : Dampf-
maschinen, die Anwendung Yon Schienenwegen fDr die Strecken-
flrderung, Yerkehrsstrassen fttr das Berg- und Hflttenwesen«
Die geschilderten YerhAltnisse werden noch weiter erltatert
dnroh Tier Karten in Farbendruck, n&mlich: 1) üebersicht der
Bergreohts^Oebiete Preussens; 2) Üebersicht der Bergbaupunkte;
B) relatiYe Verbreitung des Bergbaus und 4) relatiYC Verbreitung
des Hflttenbetriebs.
Es wftre zu wünschen, dass wir auch Yon andern deutschen
Staaten fthnliche gediegene Darstellungen des Bergwesens hfttten«
G. LeoDluurd.
8ft8 aiSkrt Rte Kit^feMfM.
JH$ KMpfaitnte mn der BtätiKkeaaip und «ler aiff Umm fftfttiitte
BergboMi. Vm EmilStöhr. 3iU 4Tafan. Zürich. 4, Druok
van Zürcher und Furnr. 1868. S. 86.
In der NUte der im Kanton ölftma gelegenen Mttrtsohenalp,
1611 Meter über dem Meere, befinden sich die Qebände des im
Jahre 1862 eingegangenen Enpfer-Bergwerka. Es wurden diese
Qmben, welche schon im Jahre 1680 betrieben worden sein sotteiiy
im Jahre 1849 aufs Nene in Angriff genommen, aber obaohon sie
in den letsien Jahren unter trefflicher Leitung standen, wieder rer-
lassen, weil die beträchtlichen Kosten des Abbaues in einer hoch-
gelegenen, unwirthsamen Alpengegend durch den Ertrag der Erze
nicht gedeckt werden konnten.
Das herrschende Gestein in den Umgebungen der Mürtsohenalp
ist das Sernfgestein (so genannt wegen seiner grossen Ver-
breitung- im Semfthal) oder der Sernifit, ein Oonglomerat,
welches in einer kieseligen Grundmasse Brocken yon Granit, Thon-
schiefer, PxiKphyr, Homstein und anderen Gesteinen umsoUiesat.
Da man bis jetzt noch keine organischen Beste in dem Semifit
angetroffen kann auch dessen Alter nicht mit Sicherheit bestimmt
werden; wahrscheinlich gehört er der Dyas-Formation an. üeber-
lagert wird der Semifit von nur wenige Meter mächtigen Schichten
Yon Kalk, Dolomit und Quandt die nach ihrem Vorkommen an der
Vansalpe oberhalb Flums als Vansschichten bezeichnet wurden
und vielleicht als Vertreter des Zechsteins zu betrachten sind. Die
Kupfererze brechen theils im Semifit selbst, theils in den Vans-
schichten und zwar sind die Erzyorkommnisse dreierlei Art : Lage r
und Gänge nnr im Semifit, sporadische Vorkommnisse
in den Vansschichten.
Das Kupfererz-Lager findet sich 2060 Meter über dem Meere,
also noch 600 Meter über der Sohle der Mürtsohenalp. Es ist
etwa 2 bis 20 Fnss mächtig, besteht aus vorwaltendem Quarz mit
Dolomit und Talk ; in dem Quarz sind die Erze — Buntkupferen,
Fahlerz und Kupferglanz fein eingesprengt. Wegen seiner grossen
Höhe wurde das Lager in neuerer Zeit gar nicht angegriffen. Ebenso
hatten keine bergmännischen Arbeiten auf die nur sporadisch
auftretenden Erze in den Vansschichten statt, sondern aus-
schliesslich auf die auf Gängen, oder vielmehr anf einem und
demselben Gange brechenden. Das Verhalten des Ganges ist ein
ungewöhnliches, denn nnr selten zeigt sich eine von diem Neben-
gestein geschiedene Gangmasse, vielmehr eine feste Verwachsung
beider, SaUbänder fehlen ganz. Die Mächtigkeit des Ganges ist
sehr weohsehid von 1 Fuss bis 4 Meter. Die Gangart bestdit
hauztaäoUiah ans krystaUinischem Dolomit, femer aus dem so-
genannten grauen Gebirge, d. h. einem Conglomerat von grauem
Quarz mit Felsit, Talk und Dolomit. In diesen beiden (Gangarten
4n6k0m0a die Eise itnd swtr irmiugt weite aa den Dolomit ge-
bunden der als eigentlicher Erzbringer :oder Gkttigveredlar sn be-
trachten ist.
Was nnn die Ertfthmng betrifft, so wird solche im Allge-
meinen dnrch ihre Einü&chheit characterisirt — eine Eigenschaft,
welche sie mit den meisten Erzgängen in den Alpen gemein hat.
Als eigentliche Erze kommen vor: silberhaltiges Bnnt-
knpfererz, Knpferkies, Kupferglanz, Fahlerz, Eisen-
kies, Eisenglimmer, Eisenrahm, dann noch Molybdän-
glanz nnd gediegenes Silber. Von wesentlichem Einflnss anf
den Gking nnd seine Erzftlhrang ist die Festigkeit des Nebenge-
steins; denn das Anfreissen der €hingspalte hat im festen Gestein
mehr Wideretand gefhnden als im zerklüfteten, welches die Trümmer-
bildnng begünstigte.
An die Schilderung des Vorkommens der Erze reiht St Ohr
nnn eine nähere Betrachtniig der Bergbau- Arbeiten nnd deren
Beenltate. Den Schluss bilden einige Mittheilungen über Aufbe-
reitung, Verhüttung und Transport der Erze.
Die Terschiedenen , trefflich ausgeführten Tafeln enthalten:
eine geologische und topographische Karte von der Mürtschenalp ;
Längen- und Quer-Profile derselben und endlich einen Plan der
Kupfererz-Omben. G. Leonliard.
8ion$grü$$e, Eine Auntahl äUchri$tl%eher Hymnen und lAedtr
au$ dem Lateiniichen übernixi von Heinrieh Stadelmann.
Haue, Verlag der Buchhandlung de$ Wamenhauees 1864. VI
und 74 8. in 13.
Mit grosser (Gewandtheit und sicherem Takte hat der üeber-
setzer sich seiner Aufgabe entledigt. Die von ihm getroffene Aus-
wahl befasst an dreissig der gefeiersten und berühmtesten christ-
lichen Lieder, welche mit zwei Morgenliedem und einem Abend-
lied beginnen, dann aber das Kireheigahr und dessen Feste von
Weihnachten an durchlaufen. Unter Nr. 28 wird das bekannte
Sicilianische Schifferlied (0 sanctissima) gegeben, unter Nr. 30 das
G^bet der Künigin Maria Stuart (O Domine speravi in te). Dem
Genius der deutschen Spraohe ist keine Gewalt angethan, nnd doch
die Treue der Uebersetzung stets gewahrt. Als eine Probe setzen
wir die erste Strophe des Morgenliedes (»Aurora jam spargit polum«)
hierher:
Ln Himmel glüht das Morgenlicht,
Der Tag mit seinem Schimmer bricht
Herein in uns'rer Erde Gau^n:
Von dannen weichci Angst und Grau'n !
400 Biftdelmanat
Wir iMten die beiden letzten Strophen des Abendliedes (Ohrisfco
qoi Inx es et dies) folgen:
0 steh uns gnftdiglich znr Seit',
Daes nicht der Feind uns thn* ein Leid!
Die du erkauft mit deinem Blut
Nimm uns in Deine treae Hut!
Beschirm, Herr und bewahr' uns Du
In dieses trägen Leibes Buh!
Du unserer Seelen Schutz und Hort,
Behfit uns Herr nach Deinem Wort.
und den Anfang des Hymnus: Adyersa mundi tolera:
Ertrag die Leiden dieser Zeit
Ffir Christi Namen gem\
Oft bringet dir viel grosser Leid
Des Glückes heller Stern.
Zum Schluss theilen wir noch die üebertragung des oben er-
wähnten, auch Yon Andern übersetzten (Gebetes der EOnigin Maria
Stuart (0 Domine, speravi in te) mit:
Herr Gott, auf Dich hab* ich
Mein Ho£fen gesetzt :
Mein Jesu, Herzliebster,
Befreie mich jetzt!
In Kummer und Bangen
Die bleichenden Wangen
Yon Thr&nen genetzt:
Herr, hOr' im Geflüigniss
Mein schweres Bedrftngniss,
Mein Sühnen, mein Stöhnen!
Befreie mich jetzt!
Eine nette äussere Ausstattung empfiehlt diese wohlgelnngenan
Uebertragongen.
Ir. 28. HEIDELBEBGEfi ISet.
JAHBBÜCHER DER LITERATUR
Orundrisa der QeschiehU der Philosophie von Thaies Ms auf die
Gegenwart Zioeiier TheÜ. ErsU Abtheilung. Die ptUrisHsehe
Periode. Von Dr. Friedrieh Ueberweg, ausserordeniL
Professor der Philosophie an der Universität m Königsberg.
BerHn 1864. Druck und Verlag von E. 8. MUtUr und Sohn.
Vi und 101 8. Zweite Abtheilung. Die seholastisehe Periode.
112 8. gr. 8.
Die Yorliegenden beiden Abtheilnngen des zweitenTheiles
des oben genannten- Buches sind mit demselben Fleisse, mit der^
selben Gründlichkeit und mit derselben zweckmässigen Anordnnngs-
nnd Darstellnngsgabe yerfosst, welche Bef. an dem erstenTheile
hervorhob. Kein Werk ähnlicher Art verbindet mit dieser Kürze
diese Beichhaltigkeit des Inhaltes nnd der einschlägigen Literatnr
nnd eine überall auf der Autopsie der Quellen entstandene richtige
Anschauung des Entwickelungsganges der Philosophie. Die beiden
vorliegenden Abtheilungen enthalten die Geschichte der Philosophie
des Mittelalters, die erste Abtheilung die patristisohe,
die zweite die scholastische Zeit. Es ist ein Hauptfehler
der meisten Darsteller einer allgemeinen Geschichte der Philosophie,
dass sie auf der einen Seite von der Eintheilung der Philosophie
in vorchristliche und christliche ausgehen und von der andern Seite
über das Christenthum selbst, welches im Mittelalter der Philo«
Sophie, zumal in der patristischen Auffassung, den Denkstoff ge-
boten hat, ohne jenes kaum auch nur mit einigen Worten zu kenn-
zeichnen, noch viel weniger in das Wesen der Patristik einzu-
dringen, flüchtig hinweggehen und höchstens die Hauptrepräsen-
tanten der theologischen und philosophischen Scholastik und der
christlichen Mystik mit Angabe der philosophisch -theologischen
Hauptparteien des Mittelalters erwähnen. Die bei der Abfassung
leitenden Grundsätze sind dieselben, welche der um die Wissen-
schaft sehr verdiente Herr Verf. im ersten Theile zur Anwendung
brachte. Ihm war die »oberste Normt, »nicht späterer Zeit ent-
stammte Reflexion oder Speculation über die Geschichte, son-
dern die Geschichte selbst darzustellen.« Diese Norm ist ge-
wiss auch die allein richtige jeder wahren Gesohichtschreibung.
Wenn ein »treues Miniaturbild der Geschichte« gegeben werden
soll, so ist dieser Zweck bei einem Grundriss gewiss der natür-
liche. Allerdings lag bei der Darstellung der patristischen Periode
eine grosse Schwierigkeit in der Abgrenzung des philosophi-
schen und des theologischen Stoffes vor. Von der Dogmenge-
VUL Jahrg. 6. Heft 26
atA Ueberwer Oei^hkl«« d« 3»lifl0i#ililt, I. TU. 1.«. 1 Ab«K . ^
sohichto und positiven Theologie mnsBten Elemente in der Dar-
steUnnf aitf^enommeii werden, weil ohne jene dai Wesen des
Christenfhums und seine Ghtwickelnng durch die Eirohenlehreri
also der Denkstoff der christlichen Philosophie unverständlich bleibt.
Gewiss ist der Freund der Wissenschaft dem Herrn Yerf. zum
besten Danke dafilr verpflichtet, dass sich von religiösen und theo-
logisefaen Dii^en in den beiden Abtheihmgen des zweiten Theiles
der vorliegenden Geschichte der Philosophie mehr vorfindet, als
man dieses selbst in den umfangreichsten Werken dieser Art wahr-
zunehmen gewohnt ist* Es bt dieses gewiss kein Fehler, sondern
ein Vonug des Werkes; denn man muss bei der Darstellung der
mittelalterlichen Philosophie bis auf den Ursprung der philosophi-
schen Gedanken zurückgehen, welcher eben im ürohristenthum und
der «pstea .patristisohen Zeit vorliegti wenn man zum rechten Yer-
stindniss des Gegenstandes durchdringen will. Hier war in den
literarischen Aagi^Mn, was die .patristisohe Zeit betrifft, keine
VoUetand^keit nothwendig, weil der Beziehung zur Theologie wegen
eine AnswBhl ftyr den .philosophischen Zweck geboten erschien. Reü
bogiaat mit der üebersicht der ersten Abtheilung oder der'
patri'Stis'elien Periode. Sie umfasst 1) die Philosophie
der ohristliehen Zeit überhaupt (S. 3), 2) die Perio-
den d^r Philosophie der christlichen Zeit (S. 3-^4),
8) die pathetische Periode in ihren beiden H^uptab-
sohnitten (S. 4 — 5), 4) die christliche ßeligion, Jesus
und die A^oeteL, die neutestamentlichen Schriften
(8. ft-^lK), 5) das Judenohristenthum, den Paulinis-
mus und di^ altkatholisohe Eirohe (S. 15-^17), 6) die
apostolischen Vftter (S. 17— 22X 7) dieönostiker (S.22
—32), S) Justinus, den Märtyrer und Philosophen
(S. 82— 86), 9) Tatianus, Athenagoras, Theophilus und
Hermias (S. 36 — il), 10) Irenäus und Hippel jtus (S. 41
—45), 11) Tertullianus (S. 45—48), 12) Monarchianis-
ttiuB, Subordiaatianismus und das Dogma der äomou-
-sie (S. 48-^52), 13) Clemens von Alezandrien und Ori-
genes <S. ^2—60), 14) Minutius Felix, Arnobius und
Lactautius(S.6iO— 66), 15) Gregor vonNyssa (S,6e— 74),
16) Augustinus (8, 74—87), 17) lateinische Kirchen-
lehrer nach Augustinus. 87—90), 18) griechieche Kit-
cbenlel^rer <8. 90—95). Ein Anhang enthalt einige Zu-
e&tse aom ersten Theile (S. 96—99) und zur ersten Ab-
th^iluflig delB zweiten Theiles (S. 99—100). Dabei lag in
der Abflseht dieser Zusfttse nicht eine vollständige Fortftihruug der
Literatur bis 1-864^ sondern nur »eine nachtirftgliche Erwähnung
einiges Wichtigeren« (S. 96).
Der Uaftersoh&ed 4er vorchristlichen und christlichen
Phüeeopbie^ »wie er in diesem Weifce und vielen andern gewöhn-
lich gMnacht wird, kann sich, wenn er richtig au%e£Etsst wird, nur
w
TT^V^rwvg! OMoMte» 4m rMeet^Ali, t. V^ \.^%MA. 4M
Mf 41m Hiaoflopiii« des AltertlitiMi« wd dM Mitt^Ulto^s
b«^«beB. DsBft nur ^H« ttikMalterliolM ffHäoMphie kMii) IIa t<e
ihnm ^mmitBcbtB CbaimbUr dvroh das OhriBteathun erWi, 4riiie
^bmiÜiA« iPliil0S0phw geaMiit iwerdaiu ^at der H«t Vetf. €L ,8
«a|ft; »»Dm i^giOMii TkatMielMii) tAjiwlilNiattgett wid lAwa ^es
OknitattlNRU gebe» «wh der pl^ikMophitQhemi^oittoliVDg tiaiie Im*
'pite. Dm pläosophimhe ^SkmSkMk richtet Mh ia der o4Ti#t-
li'ckea 2ei4 Temgemiee auf d&e 4lie<el<egiia4i«a, ikosai^-
Wgi4«Lea «nd «niiiTop^ologlsch^a Y^ra^eae^iatif »n
d«T 4Dribii«o4ia« fleil«le^re^ d«reA 'Ftindaiiieat i« idi8«n
Baw'a>aBteeiii Aar Stünde «ad dte^rSorlOvang ii^gt« edüAt
eania AnaMndxiiig m darPairdatik «adiader ac'lm»la#ti«€.1i%n
Pliido«ippiiie^ teineevage »ber «n dar 4ia««rajti ^PhiloJMqiiilef
'mm lee sioh aaafirtUoh jaet Fjraaa ,B»oaa Y'Oti T^ev^aiaia,
Meaüt^iwoh mbi «CarUiiu« «aWp4ekelt IV^fthveaidieaderjMioiacMk
ima Myitik des MüteliOtan .eigaothüadieh ist» «iek «of dieeto Hdk-
lehsa, attf idla ^Stade nad BrtOeang aa ettttoea^ «vi ee ^mde Aaf-
g^ba idar paaaiii Fbttosopbie, «loh .vom fiaai Aindp jeder 4aelo-
lifeSi Tomd :2irar beeonders der dnästlMlieii ea befceieti« Se istdleee
<ia«iid|Miifcieii, tKeeee Bn^egeatralea gegen «den ehxialliflheii 4&og-
natüaBu der iveeentüdie Ofaarabter «der iMen flttkMfihie. Sdbit,
weaa >awa ia^erBeligiaiiepbiknoplne daa CftrietaathiaiiL eamC^gan-
itanda madU> aa atettt laaa sioh dbeeem frei «nd anabhlagig, aeie
jedeat aadeta <3egaiutaiida» von ^incM briideoben43taadpimkbe aat-
vgegaa« edbit aaf die tteftdir Im, aiäl ilutt an »biaehaa «der aorit
edmr gfinsliobea Ifogation am «cUieeeea. d)ie Termittkiag oder
YetaMiaiiag 4er Gtegeosätze das ^inseitigeii Seatiaauis .and IdeaUs-
>mna, wie sie in der -aeaBevea Pbik)8oplEie /etatrebt wild , flfielet &n
intner Hiawiciit «ine Beziabosig aar Yeiaöhnnngalabra «dee COirieieto-
liü Baoht wird &4 die •»jp»trii#tiaih<e Pierj^oda« ^g
»dia Eeü der Oeaaeis der obnailichen iiehve« beaaiebnet. iBie
■patneüaohe Periode wird bis anenfaiiaedioh «nf flcottKS firi^eaa
iwrabgeftSari» fiäe wird in zwei Abea^bniiifte gatfaeüU DieAb-
gye«aang beider bildet dasiOonoil ai Niotta. i)er ara-te labachsitt
der patmtieeben Bmode bis S25 ol €hr. >eatfaftlt »dia JSeit der
(htoem dar Fnndamenrtaldoffttien, in welefaer die phtloio-
fibiaebB fipeanlstaon mit der 'tiieelogisd^ in untteandMarer Yar-
fleefttong «itelii« , dar aweita Abee-hnitt »die fiMt der S'ori-
bildnn^g der kiroUioban Leb» «uf <tihraad denbereits fesMeben-
den Fnndamantaildogman , in nakher die 'Phihiaoplne'abi.ein bei
der Dagmenbildnng mitwirkender Factor avA von der dogmatiaten
Leitfa «ribat abanzimgen ibegiaat.« JBEiaraäü wird dar ikani mun
Hebetgnge in den aweilen AiAraom der auitelattedi<dNn >BiBk>-
aofhee, in die ae^ola^itiaerb'e Pexitodet gekgt. Aef. .weist basr
auf das UaterseMdsnde dee in dm Broogelien, dar .Apaetelge-
«ebiohta nad den Briete der Apoatel niedergelegtentChMeoibiuns
404 Uelerweg: OMehiahte d« PUlosqpIdfl, 8. TU. l.ii.9;AUli.
bin. Dieses ist niofat sohleohtweg mit der Genesis der Pfttiistik
bis nur EirohenTersaminliuig Yon Nicäa ziiBammensawerfe& nnd bil-
det einen mit den beiden übrigen angedeuteten Zeiträumen der
patristischen Periode nioht sn yermisohenden besondem Absobnitt.
Ja, in diesem ürohristentbnme selbst ist wieder genau der ünter-
sobied zwiscben den Sprücben, Gleiobnissen und Lebren Jesu, dem
eigentlioben Kern des ürcbristentbums und zwiscben den subjecti-
▼en Auffassungen durch die Apostel herrorzubeben. 8cb5n und
treffend wird dieser Kern S. 5 gescbildert. Der Gkist, die Ent-
stehung und die Stellung der Evangelien zu diesem wird ausführ-
lich entwickelt. Die Lehre der apostolischen Väter oder
dexjenigen Kirchenlehrer, welche unmittelbare Schüler der Apbstel
waren, geht auf »die Ausbildung der theoretischen und praktischen
Orundlehren im Kampfe gegen Judenthum und Heidenthum unter
allmfthliger Aufhebung des Gegensatzes zwischen Judenchristenthum
und Heidenchristenthum und unter fortschreitender Ausscheidung
der beiderseitigen Extreme auf Grund der Zusammenfekssung der
immer mehr zur allgemeinen Anerkennung gelangenden Autorität
aller Apostel« (8. 18). Das Bestreben der Gnostiker ist der
erste Versuch zur christlichen Beligionspbilosophie. Die Form ist
»die phantastische Vorstellung, welche die einzelnen Momente des
religiösen Processes zu fingirten Persönlichkeiten hypostasirfc, so
dass eine christliche oder vielmehr halb christliche Mythologie sich
ausbildetei unter deren Hülle die Keime eines geschichtsphiloso-
phisohen Verständnisses des Christenthums verborgen lagen« (S. 23).
Cerinthi Nikolaiten, Menander, Saturnin, Cerdo,
Marcion, Karpokrates, die Naassener oder Ophiten,
Basilides, Valentinus, Bardesanes, Mani werden im
Einzelnen behandelt. Sehr richtig wurd S. 49 bemerkt, dass »bei
den älteren Kirchenvätern das Trinitätsdogma noch nicht die ToUe
Bestimmtheit hat, zu der später die Kirche es fortbildete« nnd
dass jene Lehren der ersten christlichen Zeiten »fest durchweg sieh
einem gewissen Subordinatianismus zuneigen«, welcher »später im
Arianismus seinen bestimmtesten Ausdruck fond« (S. 49). Zn-
gleich darf nicht übersehen werden, dass die Urkunden des Ur-
christenthums in Gott Wesen und Person nicht unterscheiden, ja
diese Ausdrücke nicht einmal mit Namen anftlbren, dass mit Aus-
nahme des Johannesevangeliums, welches, unter Einfluss der jüdisch-
alezandrinisehen Beligionspbilosophie entstanden, das Göttliche in
Christus oder den Logos von Gott unterscheidet, überall nur von
einem Gotte die Bede und sich nirgends eine Spur von einer
göttlichen unterschiedenen Dreipersönlichkeit in einem
Wesen findet. So hat in der That der von der spätem Kirche
verfluchte Ar ins die Anschauungen der ersten christlichen Zeit
mehr für sich, alsAthanasius, dessen Lehrbegriff der orthodoxe
wurde. Eingehend werden die freieren Lehren des Clemens von
Alezandria und Origenes entwickelt. Die hellenistischen
U«b«rw0g: OeMUehte der PhfloaopUe, 1 ThL tiklAbtiu 406
Theologen maohten haxqyis&cUicb »die diristologitche Speonlatioii«,
die laieiniBcheii Kirchenlehrer, >die aUgemeinCi in dem Glauben an
Ooit nnd üneierblichbeit liegende Basis, wie anoh die anthropo*
logischen nnd ethischen Momente der cbristlichen Lehre« zum Gegen-
stand der üntersnohnng (8. 60). Nachdem die Fnndamentaldogmen
dnrcb das Concil von Niofta (825 n. Chr.) gelegt waren, wandte
sieh »das christliche Denkentbeils der subtileren Dnrcb bildung,
tbeils der podtiy-tbeologiscben nnd der pbilosopbiscb-tbeologischen
Begründung der nunmehr in den Grandzttgen feststehenden Lehre
zu« (8. 66). Die »Eftmpfe gegen häretische Richtungen weckten
die productiye Kraft des Gedankens.« Darin, dass sich das Nicae-
num der unbegreiflichsten aller Anschauungen von der Natur Christi
zuwendete, und daftLr das Parteiscblagwort derHomousie brauchte,
dass diese Anschauung später zur Persönlichkeit des beil. Geistes,
zur Lehre von einem Wesen und drei Personen, von zwei Willen
und zwei Naturen in einer Person Christi führte, gewann gewiss
die philosophische Entwickelung nach des Bef. Dafürhalten nichts,
da gerade meist auf Seite der Häretiker die gegen die blosse
Glaubensauctoriät sich geltend machende Yemunft als Repräsen-
tantin freieren Denkens, also das eigentliche philosophische Element
sich geltend machte, jedenfalls derlei Kämpfe wohl zu spitzfindigen
Distinctionen, zu neuen Worten und Mysterien, keineswegs aber zur
> Weckung der productiven Kraft der Gedanken« ftlbren konnten.
Gregor, Bischof von Nyssa, (331—894 n. Chr.) war
der erste, der den »ganzen Complez der orthodoxen Lehren aus
der Yemunft, wiewohl unter durchgängiger Mitberttcksicbtigung
der biblischen Sätze, zu begründen sucht« (8. 67). Der Versuch
war, was sowohl die Bibel, als die Yemunft betrifft, nach des
Bef. Dafürhalten ein yergeblicber, weil er bei der einmaligen An-
nahme der orthodoxen Mysterien bei jedem, der nicht yom Dogma
abwich, yergeblich bleiben musste. Die schiefe Stellung, in welche
die Philosophie durch Annahme des theologischen Denkstoffes nach-
male in der scholastischen Zeit geräth, zeigt sich darum schon in
der patristischen Periode. Die Saat der Patristik ging in der
Scholastik auf, und ohne eine yoUständige Emancipation yon dem,
was man Christentbum und christliche Theologie im patristischen
und scholastischen Zeiträume nannte, konnte die Philosophie keinen
kräftigen Keim der Entwickelung fOr die Zukimft gewinnen. Die
>Kulmination der kirchlichen Lehrbildung« zeigt sich in Augu-
stinus (8. 74). Treffend sind seine Lehren (8. 75—87) ent-
wickelt. Auch die Augustinische Anthropologie, welche wohl das
meiste dem berühmten Kirchenlehrer Eigenthümliche enthält, wird
nach des Bef. Dafürhalten nur dadurch zur Entvrickelung philoso-
phischer Gedanken beitragen, dass sie das Denken zur Bekämpfung,
zmn Widerspruche herau^ordert, und dass eben gerade in diesem
der Augustinus'scben Auctorität entgegentretenden Speculiren die
Bechte der Yemunft und der Philosophie sich geltend machen. Die
4M U 6if Ar W eg): ffieibllfebtii) dv PUloMfpUB, 1. TU. 1. «. t. Al^tb^
uMnerbin^ Wie Bef. meint» def philocopkieeUeB GbdaibcttiiirulieftiBg
yeitheiUwftev, aI»diieail9Fhftl88dpki»l»eBeiobMki iiii%ia)«, tÜMvoite
Wider die Vemnüft' geHeiiie BeseUttee toh Kir^eifteifeaaBimliiligeB,
wddie af»tO<moeeaiofeieiiaBheidiiufche'Zeitdn8ohaimi^ totetood^av
a«is^ der Vesmuift iMlgründeit zu ^^V^eii.
Bk aweite AVtlieilnibg eüXkfSli die) aUf der Gmkdlal^e
der pätribtiiklkte Pertodei enlstandeiie »oki^lattiaelire Fhilo-
&er]^liio; Sie' bebandelt in 17 Paaragrapftea 1) Begriff und
Bilttbeilirng ddr Selolastik (8. l-^S), 2) JeiBannes
S-ocrftr» Srigen» (8.3~10), S^>BefrIi»nias nnd Keime de«
Neminallidrmirfs van» nenttlenr Iris' gegd» d»s Ende de»
eil'ften- Jikhrkntddrte (& W-^l7)f 4> &<>*6oelli]i, d»n
NexBfittalksteil, WilÜeli» toin Oktfvpeanx, dAn BA^ali"
sicfn (8. 17—22), 5) Aftdel^m ras G»ntevb«ry (8. 22—81),
6) AbKla^rd nnd ahndete SekalaetikeT de'S s'w'5llteB;
Ja-kikundlettay BertbardTenOLairvanl nild dieVierto-*
rinei' (Si. 31— 4r7), 7> g^rieeliscke n»d »yrieeke Pbilo-
sophen im Hittelalter (fl. 47— 4^)^ &) äi'abiftcke Pkllo*
sapbeiii im ICittelftiter' {B. 4^—62), 6) die Pkileeopbke
der Juden tjh HitteUlter (8. &2-'75>, 10) de'il U*^
8'Okwitfng der sekelaetiifolken Pkilcrserpkie om 12(^G
(8. 7&— 78)v lI)Alex;aBlde»r iren HAlee und gleiebseitige^
Bckolaitiket, BontfVeninis^, den Myfttiker (ß. 7a— 81),
12>Aib^rtnftMagnn8 ^8. 81--88), ia)TboniafrTen Aquitte*
n>n<d düe Tb^vfidten (&d5-— 97), 14) Jo<bftn*e8 I^nn» 9ce-^
t«ft »iVd die Bdotiste* (8. 97—1021)^ 1&> ^eitgeH ehedem
deaTbomafnnd des Dtfnf Scdtne^ (8. 199— 104)^, IS^Wil-
beim Tdn Oecatn, den Brneirereir des N^ntitfaittf mlie
(8.194— 108X 17) »pätef e 8ebola8tiket bis s^tun Wildes-
BfOifk&mAie» de^ft Plirttonifimn^» (8. 198^119). AngeMngt
siild Beiridhtignngeft ted Zns&tze sn der Da#0M]ttig[ der
paltiiltieebem Pbiloeepkie (8.111) nitd amf DarsteHnng der
8ebolaetik (S. 112).
Eben so gmm und grtfidlieb^ ale die erste^ ist aiMb dieee
Abtheihft^ aasg^ftliurt. Man iMtt ans der Ueberstebt, daee kek»
Hwij^i^inikt ttbi$]««k4n Wwde, ud daas in d^ DävsttikiBg adeb
di^ christHehen Mystiker an^eneiBünen worden siad^
TrAffmid Irird (8. 1) ditf Sebcflaetik ak« die »Phüeeo^ie
in» DieüEfte dfi: bereit» beat^iendeii Kirdhenlebife nnd inabeeoad^^
die Aeoomodaiion der telibeb Phildsopbi» an dieselbe« bezekfbneL
Sbbon kl dieser Definitikm bidgt das ünpbilösepbiacdae einer soiebe»
PkUofiJo^ie. Bs wetden iii ibv 8 Hanptperloden onteraeUedtoi^
1) »die bfl^gitutende Seb^laetik oder die noeb nnvoUkoianiene AeeKh-
modation de^ (aristotelisi^logieehan nad nenplatönisobMf) Philo*
sot^hie an die Eirebenlekre toü Jobailnee 8eotii8 Erigena bie aal
di« Ainahrioante oder tom üeiiateA bis gegen Ende des awfilAeii
II«V0rw««: QMcbichi» der PWl<Viopbliw 2. TH tu,.! A]bK 407
Jahrhvnderts«^ 2) mdie BlfitbozeU de? SoholAstik ode? die Yollei)r
deta Aocomodatioa der (nniunehr yollfitttudig bekannt gewordenen,
amtotelifioken) Philosophie an daa Pegma der Kirche , van Alez^
x(m Haies bis auf Dans Scotna nnd die Scotisten oder von Beginn
dea dieizehnten bi^ gegen die Mitte des yieniebnien Jahrhunderte <»,
3) »die Auflösung der Scholastik oder d^ beginne9de Widerstreit
zwischen Yemnnft und Qlanben, von der Mitte des yierzebnten bia
xor Mitte nnd nach der Mitte des ftUifzdmteA Jah;rh]a|i.derts oder
Yon Ocoam bis zum Ausgange dea Mittelalters«, welcher dureh
daa »Wiederanfbltthea der klassischen Studien«, das »Aufkonunen
der Katarforschung« und den »Eintritt der Kirchenspaltung« be-
zeichnet wird (S. 1). Die üebertragung dea Namens »Sohplastiker«
auf >alle, die sich schulmässig mit den Wissenschaften, insbesondere
mit der Philosophie beesch&ftigten« mag es rechtfertigen,, daßs unter
den Begriff der Scholastik auch die mittelalterliche Mystik ge-
stellt wird, wie wohl diese, wenn sie auch ihren Denkstoff aus dem
Christenthum nimmt, ein anderes religiösea Elements t^9 die Scho-
lastik hak Jede Religion, am meisten die am hOdhsten ausgebildete
Baligion des Ghriatenthums, hat auf einer gewissen. Entwickelungs-
stufe zwei Elemente, ein Element dea denken und begreifen wollen-
den Verstandes und ein Element des sieh an die Offenbarung hin*
gebenden gl&ubigen Herzens oder Gemüthes. Jenen^ e^tspriqht die
Scholastik, diesem die Mystik. Mit der Scholastik geht auf
dar realen Seite dae Bitterthum, mit der Mystik auf der idealen Seite
die Minne des Mittelalters in Parallele. In Joha^nne^Sdott^sEri-
gena sind noch beide Elemente ungetrennt vertrete«^ u^dii^^^^Ad-
lichar Yerwandtsohafb yerbunden. Wem» auch unmittelbair nach ihm
keine bedeutenden Mystiker auftraten und daa aehiolaßtisohe Element
im engem Sinne Torherrscht, so wurde doch der Gegensatz di^rch
den Angustinianismus undPelagianismuSt. durchPlator
niker und Aristoteliker, durch BeaUsten und Nomina-
listen erhalten. Das mystische Element zeigte sich im Au-
gustinianismus, Platonismus und Bealismus^ wS^hrend
das scholastische durch den Pelagianismu,s, Aristote-
lismus und Naminalismus vertreten war. Aber schon in
Bernhard yon Clairvauz nnd den Bernhardinern trennen sich
die beiden Elemente zu einem feindlichen» sieh bekSimpfeade^ Gegen-
satze, um gegenüber blossen GefUhlsergQasen durch die Victor
riner eine wissenschaftliche Grundlage zu erhalten. At^9 dem
Emse Einzelner tritt daa mystische dement in die Volkskreise
und zwar in speculatiyer Farm durch die Keumanichäer,
in reformatorisch-praktischar, antikatholisqher Form in
dea Waldensern, Wioleffiten und Hussiten, Luther
war ein entsehiedener Gegner der Scholastik, welche ^r als eine
Stutze des Bomanismua ansah, so daas er den nur aas der Schor
lasidk gekannten Aristoteles falsch und ungerecht beurtheilte. Da-
gegen &nd in ihm dai9 die Scholastik b^käQiplendei zur J^geiw^^pl^t
408 TJoberweg: GetoMohte der PhfloBophie, 2. Tbl. l.ii.2.Abl]L
und eigenen üeberzeugnng führende mystische Element auf dem
Boden des evangelischen Christenthnms seinen Vertreter. Was er
noch auf der Omndlage der Yerjährang von der scholastischen Tra*
dition behielt, er gab ihm seine mystische AafPassnng und Deutung
und machte es dadurch zum Oegenstande eines überzeugungstreuen
Glaubens. Es entsteht darum die Frage, ob man nicht fQglich
die Geschichte der Mystik, wie Viele gethan haben, you der
Geschichte der Scholastik abgesondert, am zweckmässigsten
behandelt. Zum Mindesten geht nach des Befer. Dafürhalten die
Mystik im Mittelalter ihren eigenen stillen Gang, bis ihre feind-
liche Stellung zur Scholastik und Kirche, der sie anfangs ebenfalls,
nur in anderer Weise, diente, in^s klare Licht kommt. Ausser dem
neu platonischen Element wird bei Scotus Erigena auch auf die
platonischen und aristotelischen Einflüsse hingewiesen. Seine Lehr-
formen sind > realistische, da die »üniversalien Yor den Dingen« sind ;
aber sie sind auch in den »Einzelobjecten«, oder »vielmehr die
Einzelobjecte in den üniversalien.« Daher hat sich der unter-
schied in seinem Realismus noch nicht vollständig entfaltet. Po-
sitiv enthält sein System keine »Keime des Nominalismus«; doch
konnte es negativ dadurch dahin führen, dass es »die Pole-
mik gegen Voraussetzung der substantiellen Existenz der Univer-
salien« und »die Auffassung derselben als bloss subjectiver Formen
veranlassen mochte.« Ob der bei Bulaeus histor. univ. Pans. I,
p. 443 erwähnte Joannes, wie Haureau und Prantl vermuthen,
wirklich Johannes Scotus Erigena ist , lässt sich nach des Refer.
Dafürhalten mit Recht bezweifeln und darum kann man auch die-
sen nicht als den Vorläufer des Roscellinus, des Nominalisten, an-
sehen, da die eigentlichen nominalistischen Lehren der ganzen Welt-
anschauung des Erigena widersprechen, und die Auslegung von
Stellen aus seinen Schriften zu diesem Zwecke, wie S. 9 nachge-
wiesen wird, auf einem Missverständnisse beruht. Die Entwioke-
lung der sich auf die Realität der Gattungs- oder allgemeinen Be-
griffe beziehenden Lehren knüpfte an Porphyrius* Einleitung zu
den logischen Schriften des Aristoteles an. Der »extreme Rea-
lismus« hatte später die Formel : üniversalia sunt ante rem, der
gemässigte: üniversalia sunt in re. Die Gattungen sind, da
nur die Individuen reale Existenz haben, dem Nominalismus
blos subjective Zusammenfassungen des Aehnlichen mittelst des
gleichen Begriffes oder mittelst des gleichen Wortes. Der sich an
den gleichen Begriff haltende Nominalismus ist der gemäs-
sigte oder der »Conceptualismus «, der sich an das gleiche
Wort anschliessende der extreme oder der Nominalismus
im engem Sinne. Theils im Keime, theils in gewissen Entwicke-
lungen finden sich alle diese Modifikationen der Lehre von den
allgemeinen Begriffen schon im neunten und zehnten Jahrhundert
vor (8. 11—17). Die entgegengesetzten Ansichten des Nominalis-
mUB und Realismus erhielten in der Zeit des Mittelalters ihre
Ueberweg: Geselchte der Ffaflosophie, 2. ThL l.n.t.Abfli. 400
Hanptbedeatung dtiroh die Anwendung anf tbeologische Fragen, wie
die Trinitftt, die Menschwerdung Chrieti und die Abendmahlslehre.
Nach Ansebne Schrift: Cur dens homo? wird dessen »kirchlich
gewordene Sattsfactionstheorie« , welche »wesentlich eine An wen«
dnng jnridischer Analogien anf ethisch-religiSse VerhSltnisse ist«,
in Kttrze also bezeichnet (S, 28): »Die Schnld des Menschen, weil
gegen Oott begangen, ist nnendlich schwer, mnss daher nach Gottes
Gerechtigkeit durch eine nnendlich schwere Strafe gestthnt werden ;
sollte diese das Menschengeschlecht selbst treffen, so verfielen alle
der ewigen Verdammniss , was der göttlichen Gttte widerstreiten
würde, eine Vergebung ohne Sühne aber würde der g((ttlichen Ge-
rechtigkeit widerstreiten, also blieb, damit sowohl der Güte, als
der Gerechtigkeit genügt werde, nur die stellvertretende Genug-
thuung übrig, die bei der Unendlichkeit der Schuld nar von Seiten
Gottes als des allein unendlichen Wesens geleistet werden konnte:
nur als ein von Adam stammender (jedoch sündlos von der Jung-
frau empfangener) Mensch aber konnte er das Menschengeschlecht
vertreten; also musste die zweite Person der Gottheit Mensch
werden, um die Gott gebührende Genugthuung anstatt der Mensch-
heit zu leisten und dadurch den gläubigen Theil derselben zur Selig-
keit zu führen.« Trefflich ist, was der Herr Yerf. über diesen
Theil der Anselm*schen Lehre S. 80 und 81 sagt : »Das Verdienst
An sei ms liegt in der Ueberwindung der bis dahin vielverbreite-
ten Annahmen eines Loskaufs von dem Teufel, welche bei mehreren
Kirchenlehrern (z. 6. Origenes und anderen Griechen, auch bei
Ambrosius, Leo d. Gr. u. s. w.) in das Eingestftndniss einer üeber-
listung des Teufels durch Gott auslief. Ansei m setzt an die
Stelle des Gonflicts der Gnade Gottes mit dem (auch von Augustiu
de lib. arbitr. III, 10 behaupteten) Bechte des Teufels den Gonflict
zwischen der Güte und Gerechtigkeit Gottes, der in der Mensch-
werdung seine LOsung fand. Der Mangel seiner Theorie ist die
(dem mittelalterlichen Prftvaliren der Seite des Gegensatzes
zwischen Gott und Welt gemftsse) Transcendenz , in welcher der
Act der Versöhnung Gottes, obschon vermittelst der Menschheit
Jesu, ausserhalb des Bewusstseins und der Gesinnung der zu er-
lösenden Menschheit vollzogen wird, so dass vielmehr die juridische
Forderung einer Abtragung der Schuld, als die ethische einer Läu-
terung der Gesinnung zur Erfüllung gelangt. Das »pauliniscbe
Sterben und Auferstehen mit Christo« wird nicht mit durchdacht,
die subjectiven Bedingungen der Aneignung des Heiles bleiben
unerörtert, eine gleichmässige Bettung aller Menschen möchte in
der Consequenz liegen, und die Beschränkung der Frucht des frem-
den Verdienstes Christi auf den Theil der Menschen, der gläjahig
die Gnade annimmt, muss als eine willkürliche erscheinen^*, so
dass diese Aneignung kirchlicher Seits auch an andere, bewemere
Bedingungen, schliesslich an das Ablassgeld, geknüpft werden Iconnte.c
Das ünphilosophische in der dem Wesen nach in die «orthodoze^
4iar Uebtrwtg:: €l«Mliie]ibft te PliBoMpUa, IThL I.11.I AkUk
CS^stanikvaialefase tkbergegaageiMo. JUaelm'schen Qeniigthimii0deIixe
ut richtig; beaeiohnet und btmeriity unter welolier Anfbamug die
Lehrt den Anfbrdenn^en der Yernnnft entsprechender wird, wie-
denn auch diese Lehre gerade die reformatorische BeweganK her-
vorrief, die »gegen die ftossearsten Consequenzen der Ablasetheorie
geriehtet«, in »einer ethisch-religiösen Umbildung der Fundaraea-
talanaohaonng selbst sich Yollendete.« Allein philosophisch wird
die Gewigthnuiigslriire auch bei dem Au%eben der juridischem An-
aehaunng und dem Festhalten der aubjectiven Bedingungen einer
eihischnreligiÖBen Oesinnung dennoch nicht. Lnmer bleibt stehen,
dass ein Anderer und nieht wir uns gerecht machen; denn alle
Sinnes&ndeniag ist nach der Orthodoxie unmOglish fruchtbringend
ohne den Tod des Anderen« Wir haben nichts gethan, der andere
hat ee geihaa; ja wir thun nur in so ferne etwas, als es der Andere
in une tkut ; alle snl^iectiven Bedingungen helfen ja nach dem Dogma
nichte ohne den objectzren Thatbestand einer Transcendenz, ia welcher
auch ausserhalb des Bewusstseins und der Qesinnung der zu er-
lösenden Menschheit der Erldsungsact YoUzogen wird. Denn, ohne
diese Ttanscendenz führt die religiös-sittlidie Grundlage zu keinem
Ziele, wfthrend die Philosophie die Versöhnung des sündigen Men-
schen axif den Willen des Menschen, seine Freiheit und ihre Frucht»
die wahre Sinnesänderung, zurückfClhrt. Keiner unter den Scholz*-
stikem hai übrigens den in der Scholastik verborgen liegendea
Eetm dea theologischen Rationalismus ausgeprägter, als Abälard,
weehalb auch Bernhard von Olairyaux, daa GtofährUche scd^
eher YemunftbegründungeB für den Glauben fühlend, ihn ammeistent
und leideiischaftlichsten bekämpfbe. Sehr kurz ist Peter, der
Lombarder, behandelt (S* 44), dessen Sentenzen Jahrhunderta
lang die Haiqitgnurdlage des theologischen Unterrichts waren und
zu einer Reihe von Oommentaaren berühmter mittelalterlioher Philo-
sophen Veranlassung gaben. Sehr eingehend und genau ist die
arabische Philoaophie dargestellt; einzeln werden Alke ndi,
Alfarabi, Avicenna, Algazel, Avempace, IbnTopkail„
AverroiTf entwickelt (S. 49—62). Dire Philosophie ist »duroh^
gängig ein mehr oder minder mit neiq>latoni8chen Anschauungen,
versetzte Ari&totelismus.«
Die Philosophie der Juden im Mittelalter ist die Kabbala
und die umgeformte platonisoh«aristotelisohe Lehre. Die
schwärmerischen Ideen der ersten oder der emanatistiflchen Ge-
heimlehre sind in den Büchern lezirah (Schöpfung) und Sohar
((^lanz) niedergelegt, deren Entstehung, Inhalt und Charakter nach-
gewiesen wird. Die verstandesmässig reflectirende Philosophie der
eigentlich jüdischen Philosophen bildete den Gegensatz gegen die
schwärmerische Eabbala. Die Earaiten waren die ersten
systematischen Gegner der thalmudisrtisdien Tradition; dann folg«
tendie rabbinisehen Theologen (Rabbaniten), wie Saadja,
Bea Gebire^l oder Avioebron, Bahja ben Joaeph, Je*
Heber w^: OeMhkhto dm PhÜDsaphl«,. ^ Tbl 1. ir.2. Abth. 4U
hutda ben Samuel ba^Levi, Abraka^m b^en David, Koaea
Maimonidaa odflr Maimani imd die jü^oben üebersetser und
Ckmuiieiitaiareii des Aristotelea und dor arabisobeii Ari-
stotalikeif (Sv62-*75>. DieErweitdrung und Umbildung
der Scbolaatik,. mü weleker ein neuer Zeitraum derselben um
1200 n« Ckr. begingt , ginf^ Ton dem Bekanntwerden der Meiar
phyeik, Physik^ Psyebologie und Etbik des Axistotelee, tobl dem
Binftneee der tbeils neuplatoniscben, tkeüs arietotelieoben Scbriften
der arabiseben und jUdiecben Pbilosopben, so wie Yon dem Er-
wirke» der byaantiniflcben Logik ans (S. 75). Tbeologia natoralis
und reyelata werden gescbieden, in der Philosophie der aristote-
lisebe, M^abisohe und jüdisebe Monotbeismüs festgehalten und der
Dteieinigkeatsglaube »als tbeologisebee Mysterium dem pbilosophi-
sehen Denken entzogene, dagegen der Glaube an das Dasein Gottes
mit arieteleliscihen Beweisen Terseken. Mirt der »Erneuerung' ches
Nominalismus wmrde die Voraussetzung der Harmonie de» Glaubene-
inkalts mü der Vernunft ersokttttertc (8. 76), vcm welefaer ZeH
(Wilhelm Gceam) die Abnahme der Seholastik beginnt.
Neek win Bei darauf aufmerksam machen, dase der Sinfluss
des beinahe ganz dogmenfreien Islams und der pantheistischen
Lehren der araVtschen Philosophen sich in Paris unter philosophischen
lidirem durch die Unterseheidusg der theologischen und philoso-
plaschen Wahrheit besonders bemerkbar machte. MauTertheidigteTom
herrschenden Lehrbegriffe der Kirche abweichende Ansichten damit,
dass man die ankikirclttcdie Behauptung zwar als theologisch
falsch (theologice falsum), aber als philosophisch wahr
(philosophice verum) bezeichnete. Schon 1247 sprach sich Odo,
Bischof von Tuskulum , päpstlicher Legat , gegen Lrthtlmer eines
Klerikers, Jobdlnnes de Brescain, aue, welcher seine Behauptungen
durch diese Unterscheidung aufrecht erhalten wollte. Im Jahre 1276
sendete Papst Johann XXI. einen Erlas» an den Erzbischof von
Paris, Etienne Tempier, in Betreff dieser dem pftpstiichen Stuhle
höchst verdammenswerth erscheinenden Unterscheidung. Der Erz-
bischof machte die päpstliche Verfluchung des Unterschiedes zwi-
seimn phüotophiseher und theologischer Wahrheit bekannt. Dem
erzbieekOflichen Bundscbreiben war ein Anhang beigefügt, welcher
ein Ver^icfanias der unter dem Schutze dieser Vertheidigung in
Paris von Philosophen vorgetragenen >Irrthttmer« enth<. Merkwürdig
ist £eees Verzeichniss dnrdi die Sätze, welche darin vorkommen, wie :
»Gott ist nicht dreieinig und einer, weil die Dreieinigkeit mit der
reinen Einfachheit sich nicht vereinigen läset; Gott kann nicht seines
gleichen zeugen; denn, was von irgend einem gezeugt wird, hat
irgend einen Anfang, von dem es abhängt und das Zeugen ist in Gott
'kein Zeichen der höchsten Vollkommenheit; alles Einzelne ist mit
dem böehstenPrincip gleich ewig; es war nie ein erster und wird
nie ein letzter Mensch sein, sondern immer ist und wird sein die
Zeugnilg des Menschen vom Menschen; eine kttnftige Aniarstehung
4ii J.F.A. van Galker: QnaeBtiones nomrallM ete.
miiss Ton Philosophen nicht zugegeben werden, weil es nnm5glich
ist, durch die Vernunft zu dieser Ansicht zu kommen; die vom
KOrper getrennte Seele leidet in keiner Weise vom Feuer; Ent-
ztLckungen und Visionen finden nur auf natflrlichem Wege statt;
man muss nichts glauben, ausser^ was an sich bekannt ist, oder
aus durch sich Bekanntem dargethan werden kann; die Welt ist
ewig ; der Naturphilosoph muss den Anfang der Welt läugnen, weil
er sich auf natürliche Ursachen und Gründe stützt, der Gläubige
läugnet die Ewigkeit der Welt aus übernatürlichen Ursachen; die
Welt ist ewig, weil dasjenige, welches eine Natur hat, durch die
es für alle Ziikunft sein kann, auch eine Natur haben muss, durch
die es in der ganzen Vergangenheit sein konnte ; der Mensch darf
nicht mit der Auctorität zufrieden sein, um in irgend einer Frage
Gewissheit zu erlangen; die theologischen Reden stützen sich auf
Fabeln; wogen des theologischen Wissens weiss man nichts mehr, c
»Ein Mensch, mit sittlichen und intellectuellen Tugenden ausge-
rüstet, hat an sich die genügende Befähigung zur Glückseligkeit;
es gibt Fabeln und Falsches im Christengesetze, wie in den andern
Gesetzen; eine Schöpiung ist nicht möglich, obgleich man das
Gegentheil nach dem Glauben festhalten muss; es ist nicht wahr,
dass etwas aus Nichts wird und in der ersten Schöpfung geworden
ist« u. s. w. Man sehe die Urkunden bei Charles du Plessis
d'Argentrö, coUectio judiciorum de novis erroribus. Lutet. Paris.
1724, fol. tom. I, p. 158,C p. 175-177.
V« Reichlin-Meldegg.
Quaestiones nonnuUae de nexu ae necessüuUne phüoMphiae et seieniiae
naturalis ei Uaihematicae. Scripsil Joan. Frider. Aug.
van Calker, phüas. doetor et professor puhh ord^ ordinis
phüosophorum h. a. decanus. Bonnae. Formis CaroH Qeorgu
MDOCCLXIV. 22 8. 4.
Zu den geachtetsten Namen im Kreise der Bepräsentanten der
Philosophie gehört der Name des Verfassers des obigen zur Jahres-
feier der Gründung der rheinischen Universität Bonn durch Fried-
rich Wilhelm III geschriebenen akademischen Programmes. Die
riesigen Fortschritte der Naturwissenschaften und der Mathematik
in Theorie und Anwendung auf die Erkenntniss des Wesens der
Natur und die Bedürfnisse des Lebens müssen aufs Neue das^ Auge
des Denkers auf den Zusammenhang hinweisen, der zwischen die-
sen Wissenschaften und der Philosophie besteht, der wohl bisweilen
nach Maassgabe der Zeitströmung zu phantastischen oder formali-
stischen Auffassungen der Natur führte, wohl auch manchmal auf
kurze Zeit ganz unterbrochen wurde, entschieden aber, wenn die
Bestrebungen der Philosophen zu einem befriedigenden Ergebnisse
J.F.A. TAB Calk^r: QuamHomi bohohIIm ale. 4^8
fthren BoUen, wieder nea belebt und daaernd festgehalten werden
muBS. Eine durchaus richtige, auf genauester Saohkenntniss fussende,
scharfsinnige Untersuchung über den Zusammenhang und das
Yerhaltniss der sogenannten exacten Wissenschaf-
ten und der Philosophie, wird in diesem Programme ge-
geben.
Das genaue Eingehen selbst in die kleinsten Einzelnheiten des
Stoffes xmd die Yerwerthung der Entdeckungen und Erfindungen
nnseres Jahrhunderts für die Erkenntniss der Natur und die Be-
dürfhisse des Lebens zeigen den mächtigen Fortschritt desQeistes
im Ereile der zur philosophischen Facultät gehörenden Wissen-
schaften, besonders der Naturwissenschaften und der Mathematik.
Doch stört auch dieses Eingehen in*s Einzelne den Blick in den
Zusammenhang, in welchem die Wissenschaften zu einander stehen,
da doch zuletzt durch die Verbindung mit der Philosophie alle Wissen-
schaften, zumal die zur philosophischen Facultät gehörigen, als ein
grosser Organismus der Erkenntniss erscheinen. Streitigkeiten der
Materialisten mit genauer eindringenden Erforschem der Natur
ttber die Stellung der Natur- und ethischen Wissenschafben zu
einander, ttber das Wesen des Menschen und das Yerhaltniss der
Geschichte unserer Erde und des Menschengeschlechtes, ttber Phre-
nologie xmd Schädellehre, ttber die mechanische, dynamische und
teleologische Naturforschungsmethode, ttber das Wesen und die
Natur der Induction, ttber das Yerhaltniss der Natur und des öei-
stes, die Auffindungen neuer Stoffe auf unserm Erdkörper, wie des
Bubidiums und Cäsiums und der Stoffe in den Atmosphären der
Himmelskörper, besonders der Sonne, durch die neuesten Entdeckun-
gen der Spectralanalyse, die Untersuchung ttber Licht und Schall
in der Physik, ttber die sinnlichen Wahrnehmungen und Sinnes-
organe in Zoologie, Anatomie, Physiologie und Pathologie bilden
vielfache Bertthmngs- und Beziehungspunkte zur Untersuchung und
Erkenntniss des Verhältnisses des philosophischen und naturwissen-
schaftlichen Forschens.
Es wird, was die streitigen Punkte betrifft, auf die materiali-
stischen Anschauungen Carl Yogts, Moleschotts, Czolbe^s^
Bttchner*s, sodann auf die Untersuchungen von Boucher de
Perthes, Dr. Mayer, Charles Darwin, E. F. Apelt,
Justus von Liebig, E. Fischer, C. Siegwart, Hans
Christian Oersted, Carl Gustav Carus, Ulrici, Fres-
nel, Frauenhofer, Esselbach hingewiesen.
Die Naturforscher gehen bei allen ihren Untersuchungen von
dem Haupt- und Grundsätze aus, »dass sowohl die Sinnes-
organe und ihre verschiedenen Zustände im Schlafen und Wachen,
in Gesundheit und. Krankheit, in d^n verschiedenen Lebens- oder
Altersperioden, als auch die äusseren Gegenstände und die durch
die Erregung des Sinneswerkzeuge entstandenen Thätigkeiten und
Wirkungen sosind, »dass ihre Existenz nicht bezweifelt
414 1. F. ÜL. Tsm Üml^« t: OoMtÜMiM
werden ItVk&n« (B. 8). Dieser Satz M tiber ein fhSoBopliiiBelier
Stftz; denn «r Ist «m Act unseres Brtoimens. MH diesem Satte
wird SQsgesproohen, dass die »Kussere sinnlvofae Wahtncffaimittg die
Ormd- und HampteriEennimissArt der Natarwissenschaft, tue richtige
Arty das Wahre zn erkennen, ist, dass ^o ^e Oeg an-
stände der sinnlichen Wahrnehmung so sind, wie sie
dnroli die Sinne wahrgefiommen werden.^
So wird die äussere Wahrnehmang, ohne die Qualität
ganz Yon der Quantität zu trennen, znm Princip aller Notitf-
wissenschaft; gemocht. Allein aaoh hier trilTt die Philosophie der
Natorwissenschtifb gegenüber anf b Neue in ihi-e Bechte. Jene w^ist
nadi, dass anf diesem Wege ohne genaue philosoptoscke TJntar-
suchnng bei der Annahme dieses alleinigen Ei^enntnissprmcipes
Yier Arten von Irrthflmern sich in der Natarfenchimg ein-
schleichen.
Der erste Irrthum liegt in der Sfeinimg, dass die äussere
sinnliche Wahmehnnmg und Beobachtung die alleinige und die ge-
wisse Art der Erkefuntniss des Wahren sei. Der zweite Irrthnm
besteht darin, dass man eine firkenntniss fUr das Ergebniss der
sinnlichen Wahmehnnmg und Beobaditung hält, welche nieaials
BUS ihr entstand, noch aus ihr entstamden <sein fceniite. Es ist
di»ser Irtthum die Verwechslung der Wahrnehmung imd Be-
obachtung mit -der Befl«:Kion oder dem Denken "^Uber den
wahrgenommenen O^genstand. Der dritte Irrth'um
entsteht dadurch, dass man die Thätigkeit des Wahmehmens der
äussern Gegenstände yennittelst der Sinne fttr nichts anderes hält,
als fOr die Functionen oder Yerrichtungen der Sinnesorgane oder
des Hirnes selbst. Dieser Irrthum entstand durch -den neueren
Materialismus und die Anwendung desselben €Mrf die neueren
Forschungen über Elektricität , Licht, Schall u. s. w. Eine
feinere Art dieses Irrthums glaubt, tlass die Arton der Be-
wegung, auf wehdie man die Erscheinungen des Lichtes, der
Farben und Töne zurückfuhrt, die Qualitäten des 'Lichtes, der
Farben und T6ne selbst seien. Immer tritt aber «ur äiussem sinn-
lichen Wahrnehmung eine Erkonntniss anderer Art, ohne welche
die Mathematik mit ihrer AUgeraeingültigkeit und Nothwendigkeit
als Wissenschaft nicht existiren könnte, hinzu. Fenier ist mit jeder
auf sem Wahrnehmung auch ^ine innere, d. h. das Bewusstseln des
Wahrnehmenden selbst verbunden. Denn man sieht nicht nur den
Gegenstand, man weiss «och, dass man ihn sieht. Man muss also eine
andere Quelle der'Erkenntniss ausser der äussern -sinnliehen Wahr-
nehmungannehmen, das Bewusatsein des Wahrnehmenden, die innere
Wahrnehmung.
Damit ist auch jener 'erste Irrthum, nach welchem *die
äussere Wahmehonmg die einzige Srkenirtnxssart sein soll, «ir Ge-
linge widerleg. Der zweite Irrthum, die Verwedislaig der
sinnlichen Wahrnehmung mit dem Denken über den wahigenem-
7.T.A. TU Cftlktr: QvMftHMiei lMfeidUe*«le. 416
menen'OegenBtaBS, Iftsst Bicfti aus j^nen an sidh fidsohen Tfaaiflachen
erweisen, welche man Jahitausetide nur wegen dieser VerweobshEng
ftr walir kielt, wie die angeblicke Bewegung der Sonne «m die
Erde (S. 10 n, 11).
Der dritte Irrtfanm, der die BeelenthStigkeiten als blosse
Yenricbtimgen der Sinnesorgane und des Hirnes bezeiohnet, ist der
Irrthnin des Haterialismus. Oegen diesen Intiram spredben
darum alle von bedeutenden Denkern in froherer tmd nenester Zelt
gegem die Materialisten erhobenen Orttnde.
Der gelehrte Herr Verf. will diese lilngst bekannten Qrttade *
nicht wiederholen, fdgt aber 2a denselben einen neoen hinzu. Er
h< sich mit diesem Ghxmde an die folgericfatig zu Werke gdien-
den Materialisten, welöhe behaupten, dass AHes, was ist, nichts
als Stoff, dass also die hbchste Kraft des Seins die oiganisehe
tmd die höchsten Yerrichtungen des Organismus die der Nerren
and des Oehimes seien, dass man alle seeUschen ThStigkeiten, Be-
dingfangen, KrSfte, Vermögen auf die nach den organischen, ptvjsio-
logischen, chemischen und physikalischen besetzen thätigen Nenrea-
nnd Himfonctionen zurückfahren mttsse; dass also die Seele nur
als die £iaheit and Substsms dieser Funktionen eine Bedeutung
habe. Damit, dass man das Bewusstsein nur für eine Vemohtung
des Hirnes hält, gei^th mau in einen »Ungeheuern Widerspru<AHc
(monstrosam et ineptam contradictionem, S. 12). DasHim mllssle
sichnSmlich, wenn dieses so wäre, >at^ das Yollkomttienste wissen
und erkennen.« »Niemand erhält aber durch das Hirn das Be-
WQdfiitsein seines Hirnes selbst.« Auch bekennen ja die neuesten
Phyisiologen selbst, dass der von den Functionen des Hirnes nnd
der Nerven handelnde Theil ihrer Wissenschaft »noch ganz dnakel
und unbekannt (adhuc plane obscuram atque incognitam partem)
sei.« Der Herr Yerf. hält diesen Beweisgrund fttr klarer, als das
Licht und hält es fOr tiberflüssig, weitere Oründe gegen jene vor-
zubringen, weldie es wagen, auch die Kraft dieses Beweises nicht
anzunehmen.
Heoi muss sich hier auf den Standpunkt des Materialismus
stellen. Dieser aber wird den Beweisgrund deshalb nicht gehen
lassen, weil ihm Alles Stoff, also auch die Seele ein sieh denken-
der Stoff iät. Nun aber findet man, dass in dem Theile des Stoffes,
welchen man den Kopf nennt, gedacht wird, und kommft so auf
die Annahme, dass irgend ein uns unbekannter Stoff in uns die
Thätigkeit des Denkens zeigt. Die Oeflhung des Schädels zeigt uns
nun, dass dieses nur in der Funktion, nicht als Stoff Bekannte das
Gtehim ist, und so sagt nun der Materialist, nachdem er anfangs
nur einen sich selbst denkenden Stoff im Körper angenommen hat,
?ras dieser Stoff ist. Zunächst erkennt sich der Mensch als Orga-
nismus, als eine Einheit aller seiner geistigen Functionen; den ein-
zelnen Denkstoff betrachtet er als den im Schädel Torhandeneui
welcher ihm sodann bei näherer Untersuchung als Hirn erscheint.
416 J.F. A. VAn Calker: QnMstiouM nonniillM 0le.
Befer. ist ferne davon, den Materialismus , da diese ganze
Theorie zur Erklärung der Lebensanschanungen, besonders der see-
lischen, in keiner Weise genügt, irgendwie zu yertheidigen ; er wiU
hier nur auf die etwaige Auffassung dieses Beweisgrundes durch den
Materialismus hinweisen. Qeme gibt er dabei zu, dass ein solcher
Materialismus kein folgerichtiger ist und gerne erkennt er dabei
auch den Scharfsinn in dem vom Herrn Verf. yorgebrachten Wider-
legungsgrunde an.
Die vierte Art des Irrthums, welche sich auf die neuesten
Entdeckungen der Physik und Chemie stützen will, zeigt sich als
die Behauptung, dass alle sinnlichen Qualitäten auf Arten der Be-
wegung zurückzuführen, ja nichts Anderes, als verschiedene Arten
der Bewegung seien. Gewiss ist dieses ein Irrthum. Er wird aus
zwei Gründen widerlegt. Wären einmal die sinnlichen Qualitäten
nur verschiedene Arten der Bewegung, so müsste der Blind- und
Taubgeborene mit dem mathematischen Denken oder Oonatruiren.
dieser Bewegungen sehen und hören können, was unmöglich ist.
Dann würde es aber auch keine aprioristische Erkenntniss der
Mathematik geben. Was das erste betrifft, so ist doch immer
zwischen gedachter und zwischen wirklicher Bewegung zu unter-
scheiden, und man könnte zu Gunsten der Bewegungstheorie an-
führen, dass der Blind- und Taubgeborene durch mathematische
Constructionen nicht zur wirklichen Bewegung kommt, dass ihm
diejenige wirkliche Bewegungsfä^higkeit abgeht, die zu den Er-
scheinungen des Lichtes, der Farben und Töne nothwendig ist.
Nach der Philosophie ist die Wahrnehmung der Sinne an Be-
dingungen so gebunden, dass, wenn irgend ein Sinneswerkzeng
fehlt oder zur Ausübung seiner Thätigkeit nicht fähig ist, auch die
diesem Sinneswerkzeug entsprechende Wahrnehmung nicht vorhan-
den sein kann ; dann hängt die Wahrnehmung von der wahren und
wirklichen Erregung ab. Aber nicht aus dieser allein stammen die
Wahrnehmungen. Dieses erhellt aus genügend bekannten That-
sachen. Man kann nämlich am hellen Tage mit offenen Augen
Gegenstände nicht sehen, wenn die Seele in dem gleichen Augen-
blicke durch andere Dinge zerstreut oder mit andern Gedanken
beschäftigt ist. Ebenso geht es mit dem Hören zu. Schon damit
wird die materialistische Behauptung, dass die Wahrnehmungen
allein durch die Erregung der Sinneswerkzeuge entstehen, widerlegt.
(Schlnsa folgt.)
Ii. 27. HEIDELBEBGER 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
J. F. A. Tan Galker: Qnaestioiies nonnnllae ete.
(BcUoaaO
So entsteht die Frage, was und wie beschaffen die Seelenverrich«
tnngen seien, ohne welche die sinnliche Wahrnehmung unmöglich ist*
Dann folgt die zweite Frage, ob die sinnliche Wahrnehmung wahr
sei. Hier musste der idealistische Irrthum widerlegt werden,
dass die äusseren, mittelst der Sinne wahrgenommenen Qegenstände
nicht ezistiren; dann der empirische Irrthum, welcher daran
zweifelt, dass durch die sinnliche Wahrnehmung die qualitative
Wahrheit erkannt werde und erkannt werden könne, wobei man
sich auf die Sinnestäuschungen beruft, wie bei den Gelbsüchtigen,
die Alles gelb sehen, während dieses doch nicht objectiv oder an
sich selbst der Fall ist. Mit Scharfsinn wird gezeigt, dass die
Qualität in der sinnlichen Wahrnehmung von der Quantität
zu unterscheiden ist, und dass die Wahrnehmung der Qualität als
solcher nicht die Erkenntniss der Quantität ist (S. 15). Mit Becht
folgt aus allen diesen angegebenen Andeutungen der enge und
innige Zusammenhang zwischen Philosophie und der neueren
Naturwissenschaft und Mathematik (S. 16).
So entsteht, um die hier in Anregung gebrachten Fragen richtig
zu beurtheilen und zu lösen, die Berechtigung und zugleich die
Wichtigkeit jener besondem, von diesem Zusammenhange ausgehen-
den Wissenschaft, welche wir Philosophie der Natur oder
Naturphilosophie nennen, weder im phantastischen Sinne
Schellings, noch im formalistischen Hegels, sondern im eigent-
lich philosophischen und wahrhaft naturwissenschaftlichen Sinne.
Treffende Worte aus Alexander von Humboldts Kosmos wei-
sen auf die Stellung und den Werth der Naturphilosophie gegen-
über der Philosophie einerseits und den Naturwissenschaften und
der Mathematik andererseits hin. Es wird mit Berufung auf den
berühmtesten Naturforscher unserer Zeit auf die Scheingründe auf-
merksam gemacht, welche man so häufig gegen das Studium der Phi-
losophie vorbnngen hört. So werden als Scheingründe, die man häufig
aus dem Munde oberflächlich oder halb gebildeter Männer vom
Fache vernimmt, angeführt das argumentum ignaviae (der
Orund der Faulheit) : >Man habe heutzutage zu den philosophischen
Studien keine Zeit mehr« ; >es sei schwer, die richtige philosophische
Methode zu finden; die philosophischen Wissenschaften seien zu
abstract, sie böten zu wenig Beiz« u. s, w., das argumentum
LVm. Jahrg. 6. Heft. 27
416 J. F. A. vaA Otlkef: QiiAMiotiei ttonnTdlaa eto.
ignorantiae (der Omnd der Unwissenheit), »man kOnne an die
Stelle der I)enk- und Schlnsskonst die Ennst des Messens und
Bechnens setzen«, »die Behauptungen der Philosophie seien nicht
Buverlässig genug« , »es sei ein unbedeutender Zusammenhang zwi*
sehen der Philosophie und den andern Wissenschaften«, »statt der
Philosophie lasse sich besser die Methode des gesunden Menschen-
verstandes anwenden« ; das argumentum falsae suspicionis
(der Qrund des falschen Verdachtes), »die Philosophie bringe dem
Staat, der Religion und der ganzen Menschheit Gefahr«; das ar-
gumentum ostentationis (der Grund der Prahlerei): »Es existire
in den philosophischen Fragen keine Einigkeit unter den Gelehrten,
inan müsse darum das philosophische Studium so lange aufschieben,
bis diese zu Stande gekommen sei«; das argumentum quaestus
(der Grund des Gewinnes): »Die philosophischen Studien seien zur
Erwerbung yon Vermögen, zu gemeinnützigen Zwecken, für das
öffentliche Wohl weniger tauglich, mau dürfe daher auf sie nicht
die Sorgfalt, wie auf andere Wissenschaften verwenden« (S. 19
und 20). Gegen den Verdachtsgrund bemerkt der Herr Verf., man
dürfe wohl mit Eecht fragen, ob die philosophische Widerlegung
der Materialisten nicht zur Erhaltung der Güter des Staates und der
iSeÜRion beitrüge, ob man nicht dadurch einen tüchtigen Grund für
Staat und Religion lege und die Menschen zu einem besseren Zu-
stande erhebe, gegen das argumentum ostentationis, dassman mit
Füg entgegnen könne, ob denn nicht auch in den Übrigen Wissen-
schaften in vielerlei Fragen Uneinigkeit herrsche, ob die Gelehrten
nicht auch iii geschichtlichen, politischen, juristischen, theologischen,
philologischen' und physiologischen Dingen verschiedener Ansicht
seien, ob nicht gerade Solches Begegnen verschiedener Meinungen
als das beste ^ttel zur Auffindung uhd Befestigung der Wahrheit
gelten müsse.
linmer wird von gleichexn l^utzeh ftlr die Naturwissenschaften
uhd die Mathematik, wie für die Philosophie die genaue Keiiht-
niss ihres Zusammenhanges, die philosophische Auffassung und Durch-
führung der in das Wesen der Dinge und des Menschen tiefer ein-
dringen wollenden Naturwissenschaft, die wahre, aus den Quellen
der sinnlichen Wahrnehmung und den Thatsachen des menschlichen
Bewusstseins schöpfende Naturphilosophie sein und für alle Zeiten
bleiben. Die genauere uhd befriedigende Erkenntniss der Natur
ist hur auf diesem Wege möglich. In keiner Zeit,.wie in der unsrigen,
hat man sich mit so vereinten Kräften, mit so trefflichen Hülfsmitteln
und so glücklichem Erfolge dem auf Erfahrung und Mathematik ge-
gründeten Studium der Naturwissenschaft zugewendet, wie in der
unsrigen. Darum ist eine in so gelungener Weise den Zusammenhang
der Naturwissenschaft und Mathematik mit der Philosophie ent-
wickelnde Untersuchung gäwiss eben so willkommen, als zeitgemäss«
Sie ist gegen die Auswüchse des einseitigen Bealismus und Spiritualis-
mus gerichtet, gegen eine Philosophie ohne den Boden der EiTahrung,
Km gegen «iae &&liituig8wiB86ii8oiiiift ohne philosophisclieii daist und
philosophische Methode. Aach in dieser Schrift wird von ien Herrn
Verfiisser jenes Ziel Yomrtheilaloser, über den einseitigen Parteien
des Tages stehenden Wissenschaft verfolgt, welches er sich in seinen
übrigen Schriften in so rühmlicher und erfolgreicher Weise gesetzt
hat. In der Betrachtung der Naturwissenschaft und ihrer Stellung
Eor Philosophie bestätigt sich auch hier wieder der Ausspruch des be-
rOhoiten englischen Naturforschers: »Die Natur, oberflächlich ge-
kostet» führt YonOott ab; tiefer erfassi, leitet sie zu ihm zurück. <
V. ReicUm-HdUlegg*
Literalurberichte am UaUen.
I^ amtliche Zeitung des Königreich Italien ist wegen der
darin mitunter Yorkommenden literarischen Berichte nicht zu über-
sehen, unter andern enthält Nr. 44 Tom 28. Februar d. J. Nach-
richt über die letzte Sitzung der Deputation für die vaterländische
Oeschichtekunde, welche in dem königlichen Staatsarchive zu Turin
ihve Sitzungen hält, deren Ergebnisse die Bekanntmachung der Mo*
nomenia historiae patriae, in Folio, und der Miscellanea, in Octav,
sind» von denen zu seiner Zeit Nachricht gegeben wird. Diese
letzte Sitzung beschäftigt sich unter andern mit einem sehr wich*
tigen Codex von 281 Pergamentblättem aus dem IS. Jahrhundert,
welchen der Podesta oder Ober-Bürgermeister der piemontesischen
Stadt Alba, Wilhelm Bucco durch die Notare der damaligen Beichs-
stadt sammeln liese. Diese für die Geschichte sehr wichtige XTr-
kundensammlung, von welcher schon 1589 der Qeschiohtsforsoher
Serralonga in Alba Erwähnung thut, war jener Stadt entfremdet
worden, bis sie sich jetzt in Mailand wieder aufgefunden hat; sie
wird jetzt von dem gelehrten Professor xmd Commandeur Adriani
zu Turin, bekannt durch seine gründliche Arbeiten über die Stadt
Cheraseo u. a. m. als Liber jurium communis Albas nächstens
herausgegeben werden. Da die hier gesammelten Urkunden nicht
blos die Stadt Alba, sondern auch die Provinz betreffen, und mit
dem Jahre 1026 anfangen, kann man ermessen, wie wichtig sie
für die Geschichte jener Zeit sind, wo die deutschen Kaiser nooh
in Italien Einfluss hatten.
Eetritia di iciense mediehe. Torino 1864. -Prmo Mmm.
Bat TorUegend» neueste 4* Heft daeser medioinisohen Zeit-
schrift enthält unter andern. eisen widitigen Anfcatz vonJfatteucci
über den Erd-Magnetismus, über den Zudcerstoff Yon Debou<^ über
die Nahrungsmittel von Moleschott u. 'S. w«
ItO (t^tttatorberiehie a«B ttalleiu
Le ehiae di 8. Andrea preaao Rimini dd Dollar L. T<minL Bindni
1864. 4.
Bei einem im yergangenen Jahre vor dem St. Andreas-Thore
zu Bimini Torgenommenen Bau stiess man auf altes Gemäuer und
entdeckte die Gnmdmauer einer alten kleinen Kirche in der Form
eines griechischen Ejreozes mit einem bei den ältesten Kirchen ge-
wöhnlichen Yorsaale, Narthex genannt. Die Stadtgemeinde von
Bimini, wo sich ein Trimnphbogen des Kaisers August, eineBrdcke
über die Marecchia von Tiberius, xmd Beste eines Amphitheaters
befinden, ernannte eine Gommission, um die Ausgrabungen dieses
ganz mit Erde bedeckten alten Bauwerkes zu leiten, wozu auch
der gelehrte Tonini gehörte, welcher sich um die dortige Bibliothek
sehr verdient gemacht hat (s. die Stadt-Bibliothek von Bimini von
dem G^heimenrath Neigebaur im Serapeum zu Leipzig). Dieser
gibt hier die Beschreibung dieses Fundes, imd beweisst, dass diese
Kirche schon zu Anfang des 6. Jahrhunderts gestanden hat, und
1469 abgebrochen worden ist, als Bobert Malatesta, Herr von
Bimini, die Vorstädte abbrechen Hess, damit sich nicht darin seine
Gegner festsetzen sollten. Man fand hier ausser mehreren Beliquien,
einen Denkstein eines gewissen Leo, welcher Domänen-Pächter,
Conductor Domini nostri unter dem Consul Maximus gewesen war,
welches in das Jahr 523 fällt. Herr Tonini weisst nach, dass in
ein^m Brief von Yalentinian von 370 diese Conductores rei privatae
nostrae erwähnt werden, cf. Codex Theodosianus Lib. X. Tit. IV,
und dass diess Amt im 11. Jahre derBegierung des Königs Theo-
dorich angetreten worden. Noch einige andere hier mitgetheilte
Inschriften gehn bis zum 12. Jahrh. Der Verfasser ist um so mehr
im Stande über diesen Fund ein sachverständiges ürtheil abzu-
geben, da er zugleich der Verfasser des von den Geschichtsforschern
sehr geachteten Werkes ist, welches er unter dem Titel der bürger-
lichen und kirchlichen Geschichte von Bimini herausgegeben hat.
Besonders ist der dritte Band unter dem Titel > Bimini nel secolo
Xm del Dottor L. Tonini. Bimini 1862. Tip. Malvotti für die
deutsche Geschichte sehr wichtig, da er unter andern die Theil-
nahme der Malatesta von Bimini an den Kämpfen zwischen dem
Kaiser Friedrich II. und dem Papste, so wie zwischen Conradin
und Carl von Anjou urkundlich darlegt. Auf diese Weise hat sich
Herr Tonini den Dank der deutschen Geschichtsforscher erworben.
Die Ausbildung des Gemeinde wesens in Italien, ein Erbtheil
der frühem Selbstverwaltung in den klassischen Municipien, zeigt
sich auch in den Berathungen der Provinzial- Angelegenheiten. Dies
beweist folgendes Werk:
Aüi dd Consiglio pnndneiale di Müano. Anno 1864. Milano 1864.
Stamperia reale, gr. 8. p. 433.
Diesen Verhandlungen der Abgeordneten der Provinz Mailand
ist das Verzeichniss der Abgeordneten vorausgeschickt^ welche aus
Lttenlur1>erie]iie ans RaUen. 4SI
der freien Wahl ohne allen unterschied des Standes hervorgehen,
daher hier Markgrafen und Aerzte, Grafen und Eanflente, Barone
nnd Advokaten erscheinen, welche an den Angelegenheiten der
Provinz Theil nahmen. Die hier mitgetheilten Sitznngs Protokolle
nnd die dazn gehörigen Denkschriften betreffen hauptsächlich die
Fühmng eines Canals von Oomo nach Mezzola, einer Eisenbahn von
Lecco nach Como, die Anlage nener Schulen u. s. w., selbst Samm-
lungen für die polnischen und ungarischen Ausgewanderten.
ScriiH tdUi e inedUi dt Oiuaeppe MattinL Vol. Vü. Müano 1864.
Presso DadL 8. p. 869.
Von den Schriften des Agitators Mazzini liegt hier der 7. Band
Tor, welcher das merkwürdige Jahr 1849 umfasst, die Zeit der
rQmischen Republik, die nach dem Abgange des Papstes nach Gaeta
ansgerofen ward, die Yertheidigung der eigentlich unbefestigten Stadt
durch ebenfalls eigentlich unbewaffnete Bürger gegen ein französi-
sches Heer, die Besitznahme Roms durch die Franzosen, deren da-
durch erlangten so grossen Einfiuss die europäischen Grossmftchte
sich so lange haben gefallen lassen. Am 9. Februar 1849 war in
Bom die Republik ausgerufen worden, dazu wünschte die Berg-
Partei der Pariser constituirenden Versammlung am 21. Februar
den Römern Glück ; das hierauf von Mazzini erlassene Danksagungs-
Bchreiben macht den Anfang dieses Bandes. Am 29. M&rz wurde
ein Triumvirat gewählt, und Mazzini ward einer der Triumvim^
hier folgt sein am 5. April erlassenes Programm. Auf einige die
innere Verwaltung betreffende Verfügungen folgt ein Aufruf vom 25.
April wegen der Annäherung der Franzosen bei Oivitavecchia , so
wie ein ähnlicher vom 2. Mai als die Neapolitaner sich ebeitfalls
Rom näherten. Eine Proklamation vom 10. Mai an das franzö-
sische Heer nennt diesen Krieg brudermörderisch. Auf mehrere
an den französischen Geschäftsträger Lesseps gerichtete Noten folgt
eine Proklamation an die Römer nach dem Einrücken der Oester-
reicher in Bologna vom 21. Mai. Während die Franzosen Rom
belagerten und bereits die Bresche an dem Pancratius-Thore ge-
stürmt hatten, erliess Mazzini noch fortwährend hier mitgetheilte
Verfügungen.
Armaii dfltalia dal 1760, di A. Coppu Firenze 186S. Tip. Gälli-
leiana. Tom. XIL p. 168.
Die berühmte Urkunden - Sammlung von Muratori über die
italienische Geschichte hat in Herrn Coppi einen Forscher gefunden,
indem derselbe die Quellen der Geschichte der verschiedenen Staaten
Italiens seit dem Jahre 1750 herauszugeben angefangen hat. Der
vorliegende 12. Band enthält vom Jahre 1850, eine kurze Erzäh-
lung der seitdem erfolgten Begebenheiten, indem in den Anmer-
kungen angegeben wird, wo sich die diessfallsigen Urkunden abge-
druckt finden, mit dem Piemontesischen anfangend. Zuerst wird
499 l4itoiiiiiir1wri«M« im Xtallm.
dor Friede mit Oestorreich yon dem Furlamente genehmigt, tiad
den Bescbloss m«cht der Handelsvertrag mit Portugal im Jahr
1854, InAnsehnug des Eirohenataates macht ia diesem Absdiiiitta
den Anfang, die Bttokkehr des Papstes nach Bom, nnd den Be^
sehlnes machen die Maassregeln gegen die Bftuber im Kirchenstaate»
In Neapel undSiciHen machen die dortigen Bäuberbanden den Ast-
fang» «nd den Beschlnss die YerschwGrongen in Palermo.
Rendieonti ddla elasse di teuere e aeienge fnoräli e polüiehe dd Idi-
Mo Lombardo. Müano 1864. TVp. Bemardani.
Alle Monate erscheinen die Sitzungsberichte des lombardischen
Institniis; diese betreffen die Abtheilnng der politisch-moralischen
Wissenschafken«
V^Unga iüUa priMrüa dd eampleaao di mecaniemo dd iroMf^mmenU
del Mtmeenido per PiatiL Müano 186L
lieber den eigentlichen Erfinder des Mechanismus mit com^
primirter Lnfb den Tonnel durch den Mont Cenis zu ermfiglichen,
war Streit zwischen dem Verfasser und andern Ingenieuren ent*
standen^diese Schrift; gibt darüber^ und wie dieser Streit beigelegt
worden, Auskunfk.
Memorie storieo politiehe eugli anUchi Oreei e Romardf di Chr.
Negru Torino 1864. Tip. Paravia. 8. p. 232.
Den Anfang dieser Abhandlungen macht eine üebersicht der
Politik des alten Borns, darauf folgt eine Darstellung der Schick-
sale des öffimtliohen Beohts im antiken Bom, und den Sehhiw
macht die Verlegung der Hauptstadt Ton Bom nach Bjzimz.
Rivida ammimdraUva dd regno^ da Vintenxo AUberU. Torino
1864. &
Diese der Verwaltung des Innern gewidmete Monatschrifb be-
steht bereits 15 Jahre und enthält nicht nur die Verordnungen
der Behörden in Ansehung der Central-, Provinzial- und Gemeinde-
Verwaltung, sondern auch theoretisch-praktische Aufsätze, alle Zweige
der Verwaltung umfassend. Auch werden hier statistische Nach-
richten gefunden, von denen wir aus dem letzten Oktoberheffae nur
mittheilen, dass das Vermögen der Wohlthätigkeits- Anstalten der
einzigen Provinz Novara sich auf 42,643,000 Franken, mit einer
Einnahme von 2,477,000 Frauken im Jahr 1864 belieb Dazu waren
während des letzten Jahres noch 466,500 Franken an Geschenken
und Vermächtnissen gekommen. Diese Provinz ist nehmlich sehr
wohlthätig, daher auch vom Volke geliebt; so wie überhaupt in
Italien die höheren Stände vom VoÜe geliebt und geachtet wer-
den , wen flie meist gebildet sind und den Fortschritt befördern.
Iii«nitBrb«ic|i^ m ItalleiL 4^
Della ririecUura (n ordine all igiene ed äff economia, sa^io deU
DotL 0. Btsozsi. Oenova 1863, Tip. SamboUnoi,
Der BeUbaa, welcher für miuicbe Gegenden Italiens von bo
grosser Wichtigkeit ist, fahrt aber grosse Gefahr filt die Gesund-
lieit herbei, da der Reis stets in mit stehendem Wasser bedeckten
Feldern gebant werden muss. Es ist derselbe daher auch schon
hie und da bereits gans aufgegeben worden, wie % .B. in der Um-
gebung Ton Pisa viele noch vor ein paar Jahren sehr ergiebige
Beisfelder. Es sind bereits vielfach über diesen Gegenstand Oon-
gresse Ton sachverständigen Aerzten abgehalten worden ; em solcher
gibt hiear sein Gutachten sowohl in Beziehung auf die Gesundheit»
als auf den Yortheil der Landwirthschaft
La Roma 9oiieranea Chridiana^ dal Cßu. de BoaiL Soma 1S64.
Es wird jetst dem christlichen alten Bom sehr viele Aufinerk-
samkeit geschenkt, daher ist dieses Werk, von welchem eben der
erste Band erschienen ist, von nicht geringer Bedeutung, um so
mehr da es den berühmten Antiquar Herr B. de Bossi zum Ver-
fitfser hat. Der Verf. filngt mit einer Untersuchung ttber die Ge-
schichte der christlichen Kirchhofe in Bom an und ver^eicht be-
sonders die unterirdischen Begräbnissplfttze mit den Gräbern der
Btrusker, PhOnicier, Hebräer, und anderer heidnischen Volker. Der
Verfasser geht von den ersten Anfängen der christlichen Zeit, bis
xa dem Einfalle der Gothen, und den Verwüstungen durch die
Jiongobarden, bis man anfing die Märtyrer nach den Kirchen zu
bringen.
La tperimenUde, giomäU di Medioina e OMrurgia, Firente 1864,
Tip, MarUmi. 8,
Diese Zeitschrift für ausübende Aerzte, welche bereits seit 16
Jahren besteht, wird von den Herren Oommeno, Bufalini und Pacci-
notti herausgegeben, und enthält das vorliegende ll.Heffc des 14.
Bandes eine Abhandlung über Dermatologie von Michelacci, eine
über Gehirnerschütterung von Gallignani, eine andere über Ver-
giftung mit Phosphor von Bellini, und über den Typhus von
Poggoschi.
BiviUa liaHana di eeienae lettere ed arU. Torino 1864. Anno quario.
Ubreria H. Löscher. 4.
Dies literarische Wochenblatt ist für Deutschland um so merk-
würdiger, da dasselbe von dem in Turin seit ein paajr Jahnen
etabliriien deutschen Buchhändler Löscher herausgegeben wird, und
zwar durch Unterstützung des Ministeriums des öffentlichen Unter-
richts, indem es zugleich zur Bekanntmachung der amtlichen Ver-
fügungen dieses Ministeriums bestimmt ist. Die hier aufgenomme-
nen Aufsätze rühren von nahmhaften ftalienischen Gelehrten her.
424 Lüeraturberlcbte ans ItaUen.
und dürfen wir zum Beweise nur eines der letzten Blätter zur
Hand nehmen. Hier finden wir einen durch mehrere Nummern fort-
gehenden Aufsatz über Plautus und das italienische Lustspiel, worin
aus den angeführten Stellen der Classiker eine sehr befriedigende
Geschichte und Beschreibung des Lustspiels bei den Römern von
dem Professor Pasquale mitgetheilt wird. Von dem geachteten
Dichter und Beisenden Begaldi, dem jetzigen Professor der Ge-
schichte zu Cagliari, findet sich hier ein Aufsatz über das Mittel-
alter, womach Bitter und Burgen mit der Unterdrückung der Menge
ein fremdes Element in Italien war, welches aber durch das in
Italien heimische Gemeindewesen beseitigt worden» Von dem italie-
nischen Consul E. Degubematis in Susa ist eine Beschreibung der
Provinz Sähel. Darauf folgen Berichte über neue Werke, und von
dem Professor A. Degubematis in Florenz, merkwürdige Mitthei-
lungen über die bekannten Pergamente von Arborea, über welche
die Gelehrten noch nicht einig sind, obgleich deren Werth für die
Geschichte der Insel Sardinien sehr bedeutend ist, auf welche zu*
erst der gelehrte Bibliothekar Martini in Cagliari aufinerksam ge»
macht hat. Der amtliche Theil enthält Verordnungen des Unter«
richts-Ministeriums und Anstellungen. Den Beschluss machen An-
zeigen neuer Bücher und zwar hauptsächlich deutscher wissen-
schaftlicher Werke, da diese jetzt in Italien sehr benutzt werden,
und auf der Universität zu Turin die meisten Professoren der
deutschen Sprache mächtig sind, welche auch besonders auf der
zu Neapel, seit der gelehrte F. Gar aus Trient dort angestellt ist,
eifrig betrieben wird.
Le Legqi Vacca e un sacerdote, di E. TommoAto. Firmutt 1864.
Tip. Beneinü
Hier belehrt der gelehrte Tommaseo einen Geistlichen über
die Gesetze wegen Aufhebung der Klöster und die bürgerliche Ehe,
die in Italien wie in Frankreich vorgeschlagen werden.
Saggio c^osservasioni dd eireondario Bieihse, dd commendatore Dr.
B. Trompeo. Biella 1864. Tip. Atnosso.
In der trefflich gelegenen reichen Fabrikstadt Biella wurde
am 8. September 1864 ein Congress der italienischen Naturforscher
eröfinet, bei welchem der auf der Berg- Akademie zu Freiberg in
Sachsen gebildete gelehrte jetzige Finanzminister Sella den Vor-
sitz führte, und zwar mit um so grösserem Rechte, da er der
eigentliche Beförderer dieses Congresses war. Bei dieser Gelegen-
heit hielt der Präsident der medizinischen Akademie zu Turin, der
durch mehrere gelehrte Schriften wohl bekannte köuigl. Leibarzt,
Dr. Trompeo, welcher in Biella geboren ist, einen Vortrag über
die natürliche und industrielle Beschaffenheit des Kreises Biella,
welcher hier gedruckt vorliegt. Der Herr Verfasser macht dabei
auf die gesunde Luft dieser Gegend aufmerksam, welche die Anlage
Lttonturberlolita ans Italien. 425
mehrerer Wasserheilanstalten veranlasst hat, von denen die zu
Oropa, Gassila nnd Andomo vielfach besucht werden.
Alcuni depintij disegni oggetti aniiechi et caäografi poBseduii dal CanU
L. Cibrario, Torino 1864. Tip. Boüa.
Der bestens bekannte Oesohichtsforsoher, der italienische Staats-
minister Graf Cibrario, hat in seinem bewegten Leben Oelegenheit
gehabt so viele literarische and artistische Seltenheiten zu sammeln,
dasB er sich veranlasst gesehen hat, darüber das vorliegende Ter-
zeichniss herauszugeben, unter den Gemälden finden wir zahlreiche
Arbeiten bedeutender Meister verschiedener Schulen und Länder,
als Battoni, Breughel, Garavaggio, Carlo Dolce, Guercino, Honthorst,
Parmeggianino u. s. w. unter den Autographen, die in manchen
Buchstaben nach dem alphabetischen Terzeiohnisse zu Hunderten
zählen, wollen wir nur erwähnen, Arago, Balbo, Beccaria, Euler,
Pouche, Göthe, beinahe alle Napoleoniden u. s w.
La YaeeinaxUme € le sue leggi in Italia dd DotL OxaneUL Milano
1864. Tip. BemardonL gr. 4, p. 70.
Der Protomedicus der Lombardei, vormals Professor der ge-
richtlichen Medicin zu Padua, gibt hier die Geschichte der Ein-
führung der Kuhpocken in Italien und der darüber bestehenden Ge-
setzgebung ; es ist ein Werk, welches von den Sachverständigen sehr
geachtet wird, so wie der Verfasser überhaupt für eines der be-
deutendsten Mitglieder des lombardischen gelehrten Instituts zu
Mailand geachtet wird.
Lß marinerie militari Italiane nei tempi modemi, da C. Bandaccio.
Torino 1864. Tip. Artero. gr. 8. p. 160.
Diese Geschichte des Seewesens Italiens föngt mit dem Jahr
1750 an, als zu welcher Zeit Piemont die Insel Sardinien erhielt,
nachdem es kurze Zeit vorher Sicilien gehabt hatte, und geht bis 1850,
bis dahin, ehe das Königreich Italien gebildet ward. Der Ver-
fasser ist ein wohl unterrichteter Ministerial-Beamter. Die erste
Veranlassung zu einer piemontesischen Marine gaben die Raubzüge
der Barbaresken ; indem zum Schutze gegen dieselben ein paar
kleine Schiffe zu Villafranca und an der Küste zu Sardinien ge-
halten wurden, von deren Heldenthaten zuerst die Eroberung eines
türkischen Gorsaren im Jahr 1757 erwähnt wird. Endlich wurden
2 englische Fregatten gekauft, welche im Jahr 1 772 ähnliche Dienste
leisteten. Nachdem der Hof vor den Franzosen das feste Land
hatte verlassen müssen und Napoleon I. von Corsica aus am 22.
Februar 1793 mit einem Bataillon Freiwilliger auf der Insel St.
Magdalena landete, und die Veste St. Stefano beschoss, wurde er
von einer kleinen in seinem Rücken gelandeten sardinischen Macht
vertrieben, und während der Üniversal-Monarchie Napoleons sind nur
unbedeutende VorfiLlle gegen die Franzosen und Barbaresken zu
4^ yj^epfi^inxlmicbt» «w ItaUm.
^Khlen gewosen, bis nftoh deaaen Falle Sardmien durph den Zu-
wachs mit Genua, eine Seemacht wurde, welche 1816 die jetzige
Kriegsflagge erhielt, und sich zuerst 1825 bei dem Unternehmen
gegen Tripolis auszeichnete, so wie 1884 gegen Tunis, bis sie
zum Schutze des Handels mit Brasilien und La Plata seit 1834
yerwandelt werden mnsate. Dies waren nur geringe Vorbereitun-
gen zu den hier stündlich erzählten Thaten seit dem Kriege von
1848 an. In derselben Art wie die sardinischen wird auch die be-
schichte der neapolitanischeil und yenetianisohen Marine behandelt.
Ausserdem ist ein besonderer Abschnitt den andern untergegange-
nen italienischen Staaten gewidmet, als der Marine der Cisalpini-
Bchen Bepublik von 1797-*1802, der italienischen Bepublik von
:^802— 1805, des Königreichs Italien von 1805—1814, und der
Maarine Italiens unter der Herrschaft der Franzosen von 1803
bis 1814.
Sguardo poliiieo dd Conie 8o7aro della MargarUa Bulla eonomuume
dd 15. SeUembre 1864. Torino. Tip. Spärani 1864.
Der ehemalige Minister von Carlo Alberto, ehe dieser den
constitutionellen Weg einschlug, ist der eifrigste Tertheidiger der
vergangenen Zeit, und tritt stets heftig gegen jede Neuerung auf,
daher er auch gegen die bekannte italienisch-französische Oonvention
wegen Bom mit der Behauptung auftritt, dass sich jetzt Italien in
demselben Zustand befinde, wie Griechenland zur Zeit Philipps
von Macedonien: ohne FreUieit, Ehre und Macht.
CdHisthems MieheUidoB Ubri IlL Jugtutae Taurinartim 1864.
Hier tritt ein Dichter in Turin mit einem italienischen Helden-
gedicht auf, welches die Erscheinung des Engels Michael auf dem
Berge Gargano besingt, welches im Jahre 492 geschah, weshi^b
dieser Ort so besucht wird wie Kevelaer bei Cleve, und der Anna-
berg in Schlesien.
Ddla vUa t degli dudü dd Prof. M. A. Parenti. Modena 1864.
Diese Lebensbeschreibung des Verfassers des Strafrechts su
Bologna hat den dortigen gelehrten Professor Bitter Yerrati zum
Verfasser, welcher von seinen Schriften besonders dessen Dichtun-
gen rühmt.
8ui fftaeimenti mdäUiftri e hUuminMi nd (erreni di Besano di O.
Curund. Müano 1864.
Der gelehrte Secretär des lombardischen Instituts gibt hier
eine Monographie der metallischen und bituminösen Flötzlager zu
Besano bei Varese.
litaMtaibttlelito hm Uähmu W
^Omnd admmnte da iaÜMo Lombardä ii idmu < UUere. MUaw
1864. Tip. BemardanL
Pm wissenschaftliche Institut za Mailand gibt hier dei^ Be-
richt über die Preisrertheilangen für die wissenschaftlichen Auf?
gaben f&r dieses Jahr mit einer Einleitongsrede des hochverdienten
Frftsidenten dieser Akademie, des berühmten Dr. Veiiga, Oberarzt
des grossen Hospitals an Mailand. Beigefügt ist ein Yerzeiohniss
▼on 96 Qegenständen , welche die von Yolta zu seiner berühmten
Erfindung gemachten Tersuche betreffen.
Bendi eonU du reale istüuto Lomhardo, dosM di Beienge maiemor
Uehe e naiurälu Müano 1864.
Ausser den obigen Sitzungsberichten der moralisch politischen
Abtheilung des lombardischen ^stituts gibt auch die mathematisch
xmd naturwissenschaftliche Abtheilung ihre Sitzungsberichte in
monatlichen Heften heraus. Bei der grossen Wichtigkeit für den
Seidenbau der Lombardei, welcher durch die seit einigen Jahren
sieh entwickelnde Krankheit der Seidenwürmer, Bombix mori, sehr
gelitten hat, wird versucht andere Spinnraupen aufzufinden, nach-
dem der Professor Comalia, der Vorstand des städtischen Museums
En Mailand, den für Ermittelung der Abhülfe dieser Landplage
aasgeseteten Preis erhalten hat. Derselbe hat hier wieder aufs
Neae Vorträge darüber gehalten, diese Thiere durch andere zu er-
setzen, und Seidengewebe vorgezeigt, welche von Baupen herrühren,
die sich in Japan von Eiohenblättem nähren und andere, Lasio-
campo otus, welchen die Pistacia lentiscus zur Nahrung dient. Bis-
her hatte man versucht, Eier der gewöhnlichen Seidenwürmer aus
der Feme zu beziehen, als aus Albanien, selbst aus der Moldau
und Walachei, doch alle unterlagen bald derselben Krankheit, welche
wie die der Weintrauben eine wahre Landplage für Italien ward;
so wie die Kartoffel-Krankheit für manche Oegenden Deutschlands.
Borna nel regno e deppo il regno ^liaiia iemäa dei Ertäi, dagli
OürogoÜd e dai Langobardi, dal aw. A. Ambrosia, Borna
1864. Tip. Ändll
Hier wird m beweisen gesucht, dass Born stets die Hanpt-
sladi der Kirche sein wird, da die nordischen Barbaren während
äurer Herrschaft in Bom vergeblich darnach getrachtet haben, da-
selbst ein italienisches Beich zu bilden. Aber auch selbst dieVer-
sadbe des Papstes Plus EL ein^ italienischen Staatenbund mit
der Hauptstadt Bom zu bilden, sind missglttdit. Vergl. den italieni-
seben Bund und Aea deutschen Fürstentag von J. F. Neigebaur.
Leipzig 1864. bei Bergson.
Jpfo^ dd Cardinäle Bedinl dal Canonico Arlemi. Vüerbo 1864.
Tip, Sperandio,
'Bioß Lebensbeschreibung des Cardinais Bedini*
498 Litenituri>erlelit6 mnn ItaHeB.
Memorie di un angelo eustode dal 80C. Bu92äti. Modena 1864. Tip.
Maria.
Diese Denkwürdigkeiten eines Schutzengels sind zur Erbauung
der Jugend verfasst.
La cottura degli api, del Fr. Berra, Novara 1864. Tip. Miglio.
Diese Schrift über die Bienenzucht enthält nützliche Belehrung
und unterhaltende Beobachtungen.
YÜa dd P. Canisio Vapo$lolo ddla Qermafna dd P. Boero. Roma
1864. 8. p. 618.
Dieses Leben des Jesuiten CanisiuSi welcher hier Apostel der
Deutschen genannt wird, ist auch von einem Jesuiten verfasst.
La polüica Itäliana dal secolo XV cH XIX. per O. Carignani.
NapoH 1864. 8. p. 29^.
Diese Geschichte der italienischen Politik vom 15. Jahrh. bis zum
Falle Napoleon I. ist nach den Forschungen unserer Ranke und Leo
hauptsächlich bearbeitet; das Bedeutendste aber sind 103 Ur-
kunden, welche dem Staats-Archive zu Neapel entnommen sind,
und die Zeit der österreichischen Successionskriege von 1742 um-
fassen, sowie den Briefwechsel des Königs Carl HL. mit Bene-
dikt XIV.
/ 23 Franciseani eroeiflsd nd Oiapone. dal P. äIAqui. MÜano 1864.
Hier werden die Schicksale der in Japan gekreuzigten Märtyrer
erzählt.
Annuario del reale istUuio Lombarde di scienae e lettere. Milano
1864. Tip. Bemardoni.
Dies Jahrbuch des Instituts, oder der Akademie ftlr die Lom-
bardei enthält zuförderst die Oeschichte dieser wissenschaftlichen
Gesellschaft, welche 1776 unter der Regierung der Kaiserin Maria
Theresia gestiftet worden, einer Zeit, welche in Mailand stets in
gutem Andenken geblieben ist, da jene Kaiserin dort nicht als
eine fremde, sondern als italienische Herzogin angesehen ward.
Damals konnte ein Beccaiia mit seinen freisinnigen Ansichten hier
auftrot-en. Seit dem 5. September 1863 hat dies Institut seine
letzte gesetzliche Verfassung erhalten. Ehren-Präsident ist der auch
in Deutschland wohlbekannte Schriftsteller Manzoni, wirklicher
Präsident der gelehrte Arzt Verga, Vice-Piüsident ein ebenfalls
bekannter Literat Carcano. Von deutschen korrespondirenden Mit-
gliedern sind hier aufgeftlhrt, Bergbaus, Bunsen, Qöppert, Hei-
dinger, Hyrtl, KöUiker, Liebig, Czömig, Neigebaur, Raumer und
Witte. Diese, Akademie ist besonders durch mehrere Privatstifkun-
gen so reich ausgestattet, dass sie jährlich viele Preise vertheilen
4
LttarMurbertokte asis lUlien. 490
kann. Dieselbe besitzt sehr bedeutende Bäumlichkeiten in dem
Pallaste der Brera, nebst einer Bibliothek von mehr als 17,000
B&nden. (S. Beschreibung derselben in dem Serapeum you dem
Oeheimenrathe Neigebaur.)
Sakutzo-Mania'VerMuola ndl Ottohre 1863 di O. F. BaruffL Tarino
1S64. Tip. Favale.
Der Professer Baru£fi in Turin, ein unermüdlicher Beisender,
welchem wir viele sehr geistreich verfasste Berichte über seine
Beobachtungen in Deutschland, Frankreich, Bussland, Griechenland
und EgTpten verdanken, gibt hier die Beschreibung einer kleinen
Umschau in der Oegend von Saluzzo unfern Turin, nachdem der-
selbe früher höchst anziehende Berichte über seine Spaziergänge
in den Umgebungen von Turin bekannt gemacht hat. Auch hier
werden wir auf viele von ihm auf seine geistreiche Weise beschrie-
bene Gegenstände aufmerksam gemacht, wovon wir nur erwähnen,
dass der damals noch unabhängige Markgraf Ludwig ü. von Saluzzo
keiner der gewöhnlichen Fürsten war, sondern nach dem Beispiele
der italienischen gebildeten Höfe von Ferrara, Mantua, Urbino
n. s. w. eine Akademie der Wiäsenschaften errichtete, und bereits
im Jahr 1475 die Buchdruckerkunst einführte; hier wurde Bodani
später als Buchdrucker berühmt, von welchem der Verfasser er-
zählt, dass er kurz vor der französischen Revolution den damaligen
KQnig von Sardinien ersuchte, ihm die Staats-Buchdruckerei zu
übertragen. Dieser aber war so viel mit andern Angelegen-
heiten beschäftigt, dass er ihm zwei Goldstücke schenkte, weil er
mit einem Fremden nichts zu thun haben wollte ; Bodani schenkte
das Geld dem Kammerdiener, und errichtete die bekannte Druckerei
in Parma. Als der Nachfolger jenes Königs auf der Flucht vor
den Franzosen dort sich anfielt, lud ihn Bodani zum Essen, was
auch allerhuldreich angenommen wurde.
Favole cPEsopo volgarützaU per uno da Siena. Firense 1864. Tip.
he Monnier,
Diese üebersetzung desEsop aus der Zeit des Wiederauflebens
der Wissenschaft in Italien ist zwar schon früher bekannt gemacht
worden, allein diese Ausgabe ist nach der neuen Handschrift her-
ausgegeben worden, welche sich in der Laurentianischen Bibliothek
zu Florenz befindet.
Storia delle due Sicüie dal 1846 al 1861 da 0. di 8ivo. Vol 111.
Roma 1864. Tip. SalviuccL
Diese Geschichte des Königreichs Neapel aus der merkwürdi-
gen Zeit der Bewegung bis zum Untergang dieses Beiches sucht
die Yorkommenheiten der dortigen Missregiemng mit dem Mantel
der christlichen Liebe zu bedecken«
B na»UMM8mö d la rOk/imij $tfggto do§mM€0 maräk M P.Sfido
Fmrara. CajfliAru Tip. Timtm 1864.
Auch Cagliari liefert hier einen Beitrag zu den Schriftei!,
welche die geoffenbarte Religion jetzt gegen viele Keaeret ver-
ifaeidigen; besoiiders ist dieses Werk gegen den Professor Baoa-
vino in Mailand gerichtet, welcher nnter dem Namen Ausonio
Franchi mehrere philosophische Werke herausgegeben hat. Er war
Priester in Genua und legte seine geistliche Würde nieder , wie
dies jetzt in Italien nicht selten der Fall ist, z. B. in Neapel sind
an der Universität 7 Professoren, welche aufgehört haben Geistliche
zn sein; eben so sind inCremona mehx^re derselben in demselben
Falle.
Corso iff miethaniea daU FtofMort G. FügKnL Roma 1864. T^.
ddU belU AHL 8. p. 688.
Dies Lehrbuch der Mechanik enthält ein umfassendes Vorwort
über die analytische Geometrie und über den Calculo infinitesimale,
and sohliesst mit einer Abhandlung über die Acustik und Optik.
La civilla presso % Franchi di iempi Merovingij t sul Carlo Magno^
dl Ozanatn, tradotto dal A. CarraretL 186i. Firenat prti$o
Le Mannier. 8. p. 486.
Dies iii die erste üebersetkung des bekannten Werkes von
Osanan über die Gesehiohte der Franken.
Cajo Crispo SaÜusUo, vo2garig»ato da C. CasUilanL Mäano 1864.
Tip. Agndlu 8. p. 295.
Dieser üebersetznng des Sallnst ist der lateinische Text giigen-
ftber gedruckt.
Sioria di Ortcia, dai iempi pritniUvi fino alla canquiäa nmiana
di 0. Smtih. Firenge 1864. 8. p. 6ä7. Tip. Barbara.
Dies ist die erste italienische üebersetzung der griechischen
Geschichte von Smith. Bs ist eine Karte des alten Griechttilands
beigefügt.
Ia oper€ di VirgiUo Manmey iradoUe da 0. Tomidli. Navara 1864.
Tip. Miglio.
Diese Üebersetzung der sämmtlichen Dichtungen Yirgils in
Versen kommt aus der reichen Provinzialstadt Novara zwischen
Mailand und Turin, wo auch wissenschaftlicher Sinn herscht , auch
ist eine Karte zu» ESfUatenmg beigsAgt.
ChMo e Oväietla, racconto ddf täiimo secolo per C. Zamhwd.
Bologna 1864, 16. p. 148.
Eine fUr die Jugend bestimmte Erzählung.
ßii^ftxicM per rispondere ad tüeuni iof^mii eonirä lü podestä dd
iommo P&nieflee, da F. de Zmf/i TreviM 1868.
Hier tritt der Bischof von Treviso in W&lsch-Tirol als Yer-
thaidiger der weltlichen Herrschaft des Papstes anf.
Vüa dd Cav. JP. DerosH di Santa Rosa, dal eanU FiUppo Saraceno.
Tarino 1664. Tip. Pcmba. 8. p. 260.
Diese Lebensbeeehreibting des Ministers von Santa Bosa ist zu-
gleich ein trefflicher Commentar zu der NeagestaHnng Italiens nnd
den dieselbe veranlassenden Ereignissen, nm so mehr da dieselbe
mit bisher noch nicht bekannten Urbinden begleitet ist; anch ist
der Yerfiasseri Graf Saraceno durch seine verwandtschaftlichen und
amtlichen Verhältnisse, da er ein sehr geachteter Beamter des
italienischen Staats- Archivs ist, allerdings in dem Falle gewesen^
die diessfallsigen Verhältnisse genau zu kennen. Der am S. April
1850 zu Turin verstorbene Minister der öffentlichen Arbeiten, im
Jahr 1805 sn Turin geboren, war der Sohn des Qeneral de Bossi
di Santa Bosa und Pomarolo, welcher auf der dortigen üniver^
sitftt sehr gute Studien machte, indem es in Italien besonders dem
Einflnsse d^ Mfttter zu danken ist, dass die jungen Leute der
ersten Familien sich dtoroh Kenntnisse auszeichnen mtssen. Bs ist
in der That merkwürdig, wie sehr eben die Mütter darauf halten,
und darin eine besondere Eitelkeit setzen; auch studiren solche
junge Leute nicht, um sich dadurch ein Amt zu erwerben, sondern
um sich darin auszuzeichnen, daher hier mehrere für die Wissen-
sehaft, 1^ ton der Wissenschaft leben. Aueh unser Santa Bosa
machte Beisen durch Fnmkreich, England und Deutschland, indem
er dabei seiner Neigung für GFesehiohtsforschung folgte. Besonders
war es die Qeschichte Italiens nach dem Untergänge destOmisdi^
Bmehes, w^che ihn hauptsächlich beschäftigte. Am meisten ge^
schätzt wurden seine Arbeiten über die C^schichte der Longobar-
den in Italien, über die Geschichte des Krieges von Friedrich
Barbarossa gegen den lombardischen Städtebund, bis zum Frieden
von Gonstanz und von da an, bis zum Verfalle der deutschen
Kaiser-Hemehaft in Italien durch die Berufung des Franzosen
Oari V. Anjou durch den Papst. Natürlich kam ^n solcher Mann
wie Santa Bosa bald in Verbindung mit solchen Landsleuten,
welche an dem Wiederaufleben Italiens arbeiteten, wie die Grafen
Balbo, Maseimo d*Azeglio und der gelehrte Priester Gioberti, be-
sonders aber aueh mit Oavour. Als daher Oario Alberto dtitoh
solche Umgebungen bestimmt Ward, schon vor der fraiizösischen
Februar-Bevolution seinem Lande die Constitution zu geben, welche
die Neugestaltung Italiens herbeiführte, war es nicht zu verwun-
dem, dass ein solcher Mann wie Santa Bosa am 7. August 1848
Minister wurde, aber auch, dass ein solcher Mann des Fortschritt
einen schweren Stand gegen die Bückschritts-Partei hatte« Der
M Llteratnrberiehtelftiis Italien.
Herr Verfasser hat sieh durch seine klare nnd gründliche Dar-
stellung dieses wichtigen Abschnittes der Zeitgeschichte ein wahres
Verdienst erworben.
Wie Italien seine bedeutenden Mitbürger zu achten versteht,
zeigt unter andern folgendes glänzend ausgestattete Buch:
Prose e rime in onore di 0. EomnL Peaaro 1864. gr. 8.
Am Geburtstage des bekannten Gomponisten Bossini wurde
in seinem Geburtsorte Pesaro an seinem Geburtstage den 29. Febr.
1864 in dem dortigen nach seinem Namen genannten Theater eine
grosse Festlichkeit ihm zu Ehren, während er in Paris lebt, ver-
anstaltet. Die dabei gehaltenen Beden und vorgetragenen Gedichte
füllen dieses Bändchen.
Rdasione suUa pianta maralt e eeonomica dd musto civico e stä
istüuto iecnico. MUano 1861.
Dies ist der amtliche Bericht über die neue Einrichtung des
städtischen Museums zu Mailand, auf welches diese reiche Stadt
so bedeutende Summen verwendet, dass dafür ein grosser Pallast
gekauft worden, der jetzt dazu ausgebaut wurde ; der gelehrte Natur-
forscher Comalia macht sich dafür besonders verdient.
Bivendieasione di una glorla Jtaliana^ Oiovanni Branco, inventore
ddla Machina a Vapore, per C Qallarolu Müano 1864. 8.
Tip. Albertoru
Der Verfasser, aus Oonobbio gebürtig, führt hier aus, dass
seinem eben daselbst zu Anfang des 17. Jahrhunderts geborenen
Landsmann G. Branco die Ehre gebührt, als Erfinder der Dampf-
maschinen gefeiert zu werden, und beruft sich darüber hauptsäch-
lich auf die von Bobert Stuart in englischer Sprache herausge-
gebene Geschichte der Damp&iaschinen.
Atti ddf Academia ddle scienze Mche e maUmatiehe. Napoli 7Hp.
dd Fibreno. 1863. gr. 4.
Seit der Neugestaltung Italiens ist in Neapel eine Akademie
der physischen und mathematischen Wissenschaften errichtet, und
deren Statuten sind von dem Könige am 17. April 1862 genehmigt
worden. Der vorliegende Band enthält 12 Abhandlungen der Mit-
glieder dieser Akademie mit trefflichen Abbildungen ausgestattet;
Von dem Präsidenten Gasparini findet sich hier eiue Abhandlung
über Krankheiten der Agrunen, und eine andere über die Zellen
der Pflanzen, und eine dritte über die Natur des Hanfes ; von dem
Secretär der Akademie Scaachi über Stranzian und Baryt, so wie
über Gristallisationen ; von Guiscardi über das geologische Ver-
lusten der phlegräischen Felder u. s. w. Neigebaur.
Hl. 28. HKIDELBERGEB 18t6.
JAHBBÜCHER DER LITERATUR.
Janin, Jules, La PoMe et tüoqueneeä Rome au tempa des C/sars,
PariSf Didier et Comp. 1864. 8. 49L
Der Terfasser liefert in dem yorstehenden Buche eine Reihe
▼on anf das römische Alterthnm, insbesondere anf seine Literatur
bezüglichen Abhandinngen, denen die dritte schon in einer Separat-
ansgabe im Jahr 1846 voranging. Damals aber war diese letzt-
genannte ihrerseits wieder ein Separatabdmck gewesen,
um aber nicht nnnOthig vorzugreifen, will ich die üebersioht
Aber das G^nze geben, um erst der Reihe nach auf die beregte
Abhandlung, und auf ihren Zusammenhang zu kommen. Die erste
Abhandlung heisst: „Horaee ei son iemps^ (S. 1 — 182), die zweite
„Ovid^ (8. 188—240), die dritte „PUne U Jeune et Quintilien''
(8. 241—400), die Yierie „Patrone et U datyrican'' (8.401—433)
und die letzte „Les M^moires de MarHal*' (8. 431—488).
Eine „IfAroducHon^ erOfihet dieses Gkinze, und den 8chlu8s
bildet eine, in französischen Werken dieser Art sonst seltene, TahU
des nama ciUs dans touvraqe.
Die Einleitung theüt mit, dass es eine Arbeit aus jünge-
ren Jahren ist, die der Verfasser hier dem Publikum übergiebt.
Er dnrchmisst 8. n n. f. in fesselnder Rede die Entwickelungs-
perioden der lateinischen Sprache, ange&ngen von dem Arvaien-
liede, unter besonderem Lobe auf Plantus, dem er das Privilegium
nachrühmt, „de n'Hre pas mime soumis ä la Chronologie*^ , dann
mit einer Rücksicht auf die sich ausbildende Beredsamkeit unter
den BOmem. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir, dass er die
letztere monographisch zu behandeln gedachte, und haben nun einen
Anhaltspunkt für das Vorkommen von Plinius und Quintilian in
der obgenannten Dichtergesellschaft. Sueton's »Berühmte Bömerc
d. h. zunächst die (Grammatiker oder das erste Buch scheinen ihm
anch bekannt zu sein, die Zeugen des Sinkens dieser Literatur, wie
er meint, 8. VIII, ohne an die Schriftsteller zu denken , die ihre
Zeitgenossen waren, und doch kein Sinken in der Entwicklung ver-
rathen. Die Litroduotion ist stellenweise nicht mit Vorsicht ge-
schrieben, sondern übereilt. Nicht ohne Vorrecht vergleicht er sich
mit Robinson Cmso6, der sein Boot bereit hat^ nnd nun bemerkt,
dass es nicht ansreicht, ihn über Meer zu tragen. Ich will ihn
übrigens über sein Vorbild selbst reden lassen, ^e eherchais er-
klärt er 8, XI u. f., le moytn d^employer utilement qtielgues-uns des
matMause gue favais fagonn&t avee le plus de 9Üe et d'ardeur,
loraqi^en reHeant le grand livre <f Institution oratoire -— er meint
YUL Jelof. e. Heft 28
M X Jan In: Ia tH>M« el Moiiaence k ftome.
das sehnte — »2 me Mm5Za (jt«« Ot<^*>^tM Ita-in^m« ifinquUtaü de
mon iravaü, et me venaü en aide^ , wozu ich seine Sohlussworte
8. XIV noch hinzufdge: „De cäte ma^mfique expontion des leürrs
romainee faiU pw QmnUUm, fai compoei, diaciple obäaaanl, U
präsent livre.^
Nun wissen wir, woran wir sind, und können uns in Betrach-
tungen über sein Buch einlassen und auslassen.
Die Beihe der hier vereinigten Zeitbilder eröffiiet, wie bemerkt.
Die ersten vier Seiten davon sind eine französische üeber-
eetznng von Sneton's »Berühmte Römer c Bach IV. Gap. 27. ed.
D. d. h. von Sueton^s Leben des Horaz. Der ganze erste Abschnitt
dieses Zeitbildes überhaupt aber ist ein Protest gegen die kargen
Details bei Sueton, dictirt natürlich durch Janin's Eingenommen-
heit für des Horaz wundersame literarische Grrösse, und eine Lob-
rede auf den Letzteren, sowie auf seinen erhabenen Patron, den
glüeUiehen Srb^i des grossen Cäsar.
Diesem Abschnitt folgen noch eilf andere auf einen und den-
selben Horaz oder wenigstens seine Zeit und Zeitgenossen bezüg-
liche. Doram wollen wir aber nicht eilfertig über den vorMegen-
den ersten Abschnitt hinwegeiien, da einzelne Punkte darin wohl
geeignet sind, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln.
Auf die Moquerie des Verfassers, die bekannte Stelle in der
Suetonieehen Biographie, wo das eidatum cubictUum gedacht wird*),
betreffend, wollen wir dee lieben Friedens wegen nicht tiefer ein-
dringen. Desto mehr muss uns die Parallele beftfemden, die der
VeifAsser S. 8 zwischen Snetcm Aex Quelle dei: Horaz-Biogra^hie,
und zwischen Sueton der Quelle ftkr das Leben des Tiberins zi^t.
f,U fi^^pKgi Horace sagt er 1. 1., «< va i^appeeanlir sur Tibirel 11
ne comprend pae que le eiiele ^AugusU e$t reeU iout ühimm€ des
Bpiendeun d^Hwraee ei de Virpüe.^ Hau fühlt, der Verf. kennt die
Biographie des Horaz nur aus der Diaspora» Dass Sueton so kurz
darin ist, hat derselbe gut und leicht eine Blastrtheit nennen. Ver^
zeihlichl Er hatte den methodischen Zusammenhang, worin diese
Biographie steht, noch nicht erkannt, und dürfte sich wundem,
ans Demtsohland herüber zu hören, dass sie Bestandtheil einer
grösseren Sammlung von Biographien gewesen und wieder gewor^
den ist, einer Sammlung von Dichterbiographien, die, ein Buch fUr
sich bildend, ein einzriner Bestandtheil eines weitläufigeren Werkes
de Virie Romanorum ühtskibus ist.**) Nach dieser Begründung
wird es nicht verwundern, die bekannte Biographie des H^raz nicht
unter eioMu andern Oesichtspunkte auffassen zu hören, als die
Biographie Onipho's, worans H. Janin S. 12 Mittheilungen maeht,
*} Siehe meine Schrift Über 8neton*8 de virü Bomanorum iUHstrüme.
iMMAg 1857.
**> Sneton's Bertthmte Römer in Tier Büchern. Leips. Ei^ehnne» 1868.
J. jAnln: La PoAiie ei VSi^qjwäea k B«Dif. 48^
die BiG^rai^hie Hygiii*8 (ß. 13), u. 8. w. die der YeifikSfler aeinem
Zweol^ Horas und seine Zeit za beschreiben, dienstbar naoli^
Grammatiker und ILhetoren durcheinander, wovon er in seiner
Snetoa-Ausgabe die bekannten zwei Bttoher de ühtstfibw ^ammor
üds ttt de clavei» rketaribua vorfand.
Wir verlassen mit dieser Berichtigong den ersten Abschnitt«
der Eweite S. 20, im Wesentlichen eine Verherrlichung Athens, aus
Pindar's und 8{iäteren Tagen, weil es als eine Bildungsstätte iftir
eine lernbegierige und lembedürftige Jugend Bom's erseheint, dient
als ein 'Abschnitt im Leben des Horaz, indem auch er dort seine
Studien machte. Dieser Abschnitt ist ein Gorollar zu der bewuss-
ten Notiz im Leben des Horaz vx>n Bueton. Es wird im Verlauf
gezeigt, was Born trotz seiner Grammatiker und Bhetoren und
ihrer Schulen nicht hatte, und was Athen hatte. Auch nach sei-
nem politischen Fall, will der Verf. bezeugen, hatte das letztere
noch eine Macht. Aber Born, von seiiien Triumviren durchwühlt,
was hatte es übrig? „La vüle, heisst es S. 28: 0«i proie aux 9oU
daU, le maüre oceuparU le chatnp de Mars, VliaUe au pauvair de»
UgfßnSf Jupiter ehasei de eeg autels/^
Kein Wunder, dass der Verfl hier Stoff zu einem dritten Ab-
schnitt findet, um Sprache und Leben in Athen in seinem Ein-
flüsse anf fleraz einer näheren Betrachtung zu unterziehen S. 23 ff.
Pen Gewinn, den Horaz ans dem Umgang mit den Schriften
dar alten Philosophex^ z. B. Aristipps n. A. zog, finden wir mit
Iskrreicher und unterhaltender Ausführlichkeit im vierten Abschnitt
aasgesogen S. 34 — 50. Auffallen wird hier die Parallele zwischen
Harae und Pindar, zum Nachtheile des Letzteren, wenn man seine
Heftigkeit und seinen ungestüm nicht für eine Vollkommenheit
ansieht S. 47 — 49. Echo und Blumenflor liegen fioraz mehr im
Sinne, als die Wolkenhöhen, worin Pindar mit seiner Phantasie
verweilt. Beispielsweise besieht sich der Verf. auf die Ode an den
Föns Bandusiae, die er zu vergleichen bittet mit Pindar's Anrufung
an die Stadt Theben. Wir wollen Herr J. selbst hören, weil er
hierüber, als psychologischer Kunde dem Bildungsgange des Dichters
nachspürt, j^ll ^mspiraU, ssigt er von Horaz S. 50, ehaque jour,
de cm eplendeure ineffabUa, gt^il devaü transporter dam tode ro-
maine^ Aoee Pindare^ ü ^^criait: *Le eoleüj le plus brillant dea
oMlree qui parcoureni le» plaina de Vairl ..•«.' ll mivaü, de taute»
MS force»f dam »e» eharU» (ü ifarrUaii au nuage) : le pilote auda-
€ieiux md livre aux vent» Uutee »e» votie»; ü adoraü cd homme
€m»r€ ä eeüe cattpe d'or^ beidllonante du ju» de la treHlel .....* et
quanä ü wntlut itre un poeie, ü ae trouva, par aon admiration
fnSme, un porie-foudre, ä aon teur.^
Pindar sei nicht der einzige Hellene gewesen, der um des
Horaz dichterische Bildung Verdienst habe, will der fUnfte Ab-
schnitt beweisen, der Plato und Platonische Einfluss auf ihn ge-
recht zu werden sucht S. 50 ff.
itb J. Jftnlns Lft PoMe et Mo^utece k tlom^
Unter den Lehrern des Horaz auch den Cicero zn nennen, gilt
dem Ver£ft8ser selbst, S. 57, wo der sechste Abschnitt beginnt, für
ein kühnes Unterfangen, und doch hat er nicht beanstandet dem
Einflüsse Ciceronische Lektüre anf den Dichter einen besonderen
Abschnitt zu widmen. So ist es erklärlich, dass Cicero*s Schrift
de officiis so eingehend ge¥rürdigt wird, wie es hier geschieht, und
80, dass selbst eine Fortsetzung davon, dei: siebente Abschnitt,
noch die Schrift de senectute in die Darstellung hereinzieht. Die
angebliche Beschäftigung des Horaz mit Cicero, die eine H^^pothese
Janin*s ist, aber eine glückliche, mochte an den Gedanken ihre
Stütze haben, dass auch Cicero in seiner Weise aus Athen seine
Bildung sich geholt hatte. Uebrigens befinden wir uns in der Zeit
der Alleinherrschaft Cäsar's, worüber der Verfasser S. 68 sich
so äussert: „Le monde, ä cette heure, appartenaü au gAne, ä l^in-
teUigenee, au courage, ä la foree, ä la gloire, ä toutea les grandes
passions du coeur deVKomme, Hvousenotea la lü>eri€ ^..^ il appar-
tenaü ä Jules Chart
Ce mattre avaü, par son ginie ä par $a volonte, domin^ la
guerre civile et les ambUiona de aon entourage, On eÜJt dii que la
paix univeradle aceomplissaU aon ehef-c^oeuvre .... 0 paix univer-
teile .... une halte d^un jourt"
Sich für die Bildung an die hellenische Art und Weise, kurz
an dieses Torbild zu halten, konnte natürlich nur der Mangel
einer eigenen gestatten. So war es auch, wie der achte Abschnitt
darzuthun sucht. Ein grosser Unterschied herrschte zwischen römi-
scher und athenischer Erziehungsweise, und es schien der letzteren
gegenüber in Rom — Sparta sich verjüngt zu haben. Das bringt
der Verfasser unter individualisirender Betrachtung und durch Ver-
gleichung des Pomponius Atticus mit Cato d. A. zum massgeben-
den Yerständniss S. 68—75. Man hat Alles von seinem Uriheile,
wenn man die Schlussbemerkung des Verf. liest, S. 75: „TeUe fut
la Vit ei teile fut la mort dt eet ÄthMen de Rome; ü fut ineon-
iettablement .....j Veselave le plus heureux qui ait v4cu dam Vempirt
ramain.^
Die verhängnissvollste Zeit im Leben des Horaz kommt erst.
Die Schreckensnachricht von dem Tode Cäsar's unterbrach den
Gang seiner Studien zu Athen und wohl die Studien Vieler. Mit
dem neunten Abschnitt S. 75 sehen wir Horaz die Erbschaft seiner
politischen Ueberzeugung antreten: die Theilnahme an dem Feld-
zuge unter Brutus und Cassius, zugleich aber sich auch dieser Ueber-
zeugung entäussem, um den Preis seiner militärischen Ehre, indem
er bekanntermassen seinen Schild wegwarf, und floh. Dass er
nachmals von dieser Feigheit Aufhebens gemacht hat (Od. 11, 7),
wirft ein schlechtes Licht auf seine Begriffe von Charakter und
Ehre. Politisch genommen, war derUebergang des Horaz, das ist
unsere Meinung, keine Acquisition für die Cäsarische Partei und eine
Genugthuung für die letztere, dass er Dichter, und nicht Soldat, war.
J. JAnin: La PoMo et ffloqueBoe kRovie. 487
Noch drei Abschnitte restiren an dieser onlinrhistorischen
Stndie Aber Horaz, welche von der Wiederanfrichtnng des C&sari-
Bchen Imperiums im Occident datirend 8. 81 , und die flbrigen
Lebensschicksale des Dichters mit eingehender Gründlichkeit er-
örtern. — Der zehnte, der drittletzte dieser Abschnitte , hat zum
Thema das, was die Worte des Yer£ftssers 8. 82 besagen, die ich
hier folgen lasse : „Notre envie est de U mivre^ juagt^ä la fln, dam
§a cofutanee ei dam belle hummr,^
Natnrgemäss beginnt der Yerfiisser mit dem Tage nach der
Schlacht bei Philippi, wo er allein auf sich angewiesen war. In-
teressant ist hier bei ihm die Fertigkeit im Auffinden der Bich-
inng, die Horaz, damals ohne väterliche ünterstfltzung, einschlug:
„Comme on faü Umjaurs quand on est jeune, iqnorant, mperhe et
d^daigneux: ü se manifefia par la saUrt.^ Die Satire ist nach
dem Dafürhalten des Terf. (8. 84) HograpMe infamante. Hiermit
ist der Inhalt dieses Buches signalisirt, und es kommt nur noch
darauf an, das Yerhältniss des Dichters zu dieser Gattung der
Poesie zu fixiren. HOren wir den Verf. selbst 8. 86: „Au faU^
ne disofu pas que Vexenvple de la saUre dere^ odieme, personnelU
aU mangu^ au saHrigue Horaee .... 11 eavaia trie-bien eomtnent an
faU d^une plume tm poignard, «nois ü aavaU ausai gu'ü y a de$
KmUee qt^un galant komme, honnüement, ne saurait franchir; qt^ü
faut lai$8er au furieux les colh'ts^ aux foreen^s tindignation f/roee,
enfln, ü savaU que ifü faul reeonnattre, en effet, le vifpenehant des
plus hann^ee gern ä tfamuser de$ ehosee malhonnStee (Cieiron parle
ainH au ehapiire de fOrateur)^ le poete et ticrivain qui a^honorent
eux^mSmes ftmi leur pr emier devmr d^eppaeer wie digue ä ee$ mau-
vaie penchania de fesprü humainJ* Diesen Gedankengang zu yer-
▼ollständigen , bitte ich noch folgendes Wort des Verf. hinzuzu-
nehmen: „Poete acUirique, heisst es 8. 87, tZ fie voulait aaaaaainer
peraonne. H diaait: ^Ma muae et moil' (Rome et moil diaaü Auguale)
noua aommea eontenta; pour peu que^ parket par-läy noua eorrigiona
un peUt viee /' Dergleichen Aeussemngen Tersteht man unter Be-
zugnahme auf das Yerh<niss des Dichters zu Mikcenas und ande-
ren einflussreichen Freunden Roms. Die Summe seiner Ansichten
Aber Horaz poetische Grundsätze gibt der Verfasser 8. 91 : „Comme
ü n'eet paa komme ä beaueoup ae contraindre, il n^eat paa komme
ä peaer Irap lourdement aur lea vieea d^alentouri t^egt- le aatirique
indulgeni et de bonne foi^ Atk^nien ä la romaine, et ifü adopte
Auguate, oubliant irop vUe qt/il fut un aoldat de Brutua, <^eat beau-
eoup paree qt^il ne aaü comment rMater ä la ioute — ptdaaance^
et beaueoup auaai paree qt^ü eomprend que le ginie italien vient
^iehapper ä Vinvaaion du gSnie orientäl. En aa double qualüi de
Romain et d^AtkSnien, Horaee a r^eii avee le plua profond mipri»
lea arte, lea paaaiona, lea poemesy lea mytkea et lea roia de f Orient.^
So kann jene douee gaiet^, jene innocenie ironie in seine Satiren,
woTon der Verf. 8. 92 spricht: „Auguate avaU, eertea, de bonnee
49§ X JftntB! Xa PoMe et fffloqmaee l RooMi
rai^5 pm»r approuver ce Um mmveau de la 8aUr$/' Denn man
weiss, dass der Imperator die famota epi§ramm4Ua hasste, wie
perpdua digmisiü nach dem SoetoniBchen Anedmcke. Beispiels-
weise, d. b. um von der Milde imd der Süsse , welchen maA ans
seinen Batiren kennen )emt, eine Probe en geben, beruft sich der
Yerf. 8. 9S anf die dritte Satire des zweiten Bnohes, neben der
zweiten ebendaselbst, die mit der Geschichte eines Ofellns Ter-
bunden ist, und die er scheint nnter dem (}eschichtspnnkte der
Comodie zu verstehen. S. 94. Im Terkrafe hat der Verf. noch einen
Gnmd fttr den Entschlnss des Dichters zur Satire gefunden: die
Indolenz der Gesellschaft, den alten Sitten gegenüber. „C^ait dijä,
heisst es S. 97, beaueoup dfav&ir re<fr€tU ä hoMde 9üix le$ aneknt
roiSf les vieilles moeuTB^ kt vie ä foMtü dofne$Hgue ei les anciens
dkux de kt paMe ..o Va plue Unn, tu fexpoeet ä vt^re pa$ euitfi.
Parle pltu longiempe la lanptte auslere de la Sabine au» Rome^inM
de fempire aoeomjfli, pae un qui if/e&ute,^ Diese eben berührte
Indolenz war, nach des Yerfassers Meinung eine Folge des wach*
senden und imi sich greifenden Einflusses der Oonrtisanen , mit
denen das damalige Rom sich ebenso gern beschäftigte, wie die
heutige GeseQschaft mit den Figuren des Ballets und ihren Dar*
stellerinnen. S. 100. Für die Grenzen der Herrschaft und der An*
Sprüche dieser Damen citirt der Verf. die Art d^aimer von Ovid,
die hierüber freilich einen mehr als blos lehrreichen Anfschhtss
geben, und ihrem Terfosser, dessen Begabung sich mit erhabenen
Stoffen hatte berühren sollen, mit vielen Feinen nachmals in Tomi
aufgewogen wurden. Wir übergehen die Seiten, welche Herr J. der
Betrachtung über den Einfluss widmet, welche dieses Treiben anf
des Horaz Denkungs- und Dichtungsart hatte, und wollen uns nur
^i'g^enwftrtigen, wie Horaz, ein Vierziger, seinen Launen Yalet
gesagt hat und sich über dieses Entrinnen vergangener Genüsse
tröstet in Gesellschaft einer jungen und schönen Sclavin, Xanthia.
auch hierin ein gewöhnlicher Mensch, der solide wird aus üeber-
dmss. Kein Wunder, wenn er darüber ein Vierziger geworden
war! „AmH bitn, heisst es S. 107, ü rede en da^ä des paeaUme
de Tibuüe et de» feux de Properee; ü n'eät jamaü eeneenii, eömme
Ovide^ ä ne aon^er ^ä see amoure. Nim, eertee; ii afmge ä sen
itat dam U monde^ ä sa f&rtune, ä pteMre au C^ear, ä dSnentir
ie eatirique Labt^ue; ü a eompri» qti Auguste — empereur *ne
eauraU ee paseer des poHes, et surtaut €pun poHe id que hd, d
pendant que Virgüe enseume aux Rmiaine fagricMure ouhH^
Horaceenseigneaux esprüs turbulents la prudenee, aux dmes r&yeh
Ms la biefweUlanee et la rSsignaUon. R enseigne ä tom ^^Hseaneey
et eette gloire exeeiHente gm vimt de la prcbitS, de fexaetitude, et de
la rMtarÜi dans le eommeree de la vie.^
Der vorletzte Abschnitt S. 108 ff. will verhüten, die Herrschaft
des Angustns einseitig aus den Gedichten der Dichter seiner Zeit
zu studirea, ist aber nichtsdestoweniger ein Oommentar zu den
J. Janln: Ia PoM« et Tdloque^oe k B^m«. 490
Thema: ^ n'dU pos v<ndu du pardon^ tont ü eompiaii mr la
reeofmaisaanee .... et mr la eomplaUanee de Thistoirel 11 a donc
eommand^ meme ä i'histoire,^ Und dieser Conuaentar ist auf dem
Grande der Biographie des Angustus von Sueton angelegt, und yon
Details über Yirgil begleitet, zum Behuf der Lösung der Frage,
ob Horaz wirklich ebenso innerlich, wieVirgil, fUr die Poösie aus
Glauben berufen war.
An diese Lobrede auf Augustus und Yirgil schliesst sich zu-
gleich der Schlussabschnitt des Ganzen, der zwölfte Abschnitt
8. 117 ff. die Verherrlichung Agrippa's Mäcen's u. A. enthaltend.
Eine besondere Eücksicht wird dem Verhältnisse des Horaz und
Mäcen's geschenkt, S. 121, und weitl&ufig (nach Bat. I, 9) die Ein-
leitung dieser Freundschaft zergliedert. Nicht so mit Selbstgefühl
ftihrte sich zu seiner Zeit Balzac beiBichelieu ein, wie Horaz bei
Mäcen I S. 124. „II y a des imtanU, sagt der Verf. t 1. , aü tel
hontme^ gut voue d^laüaü hier^ voua platt et voua chartne aujourd^huL
Le grand secrei, e^eet cParriver ä Vheure oü Von platte ä theure o^
f(m veui plaire^ d vraiment, erdre Horace et M^eine, Tun de Vautre
ä tont de didanee, ü y eut une exp^ de Convention taeiie, qt^ils ae
eonvenaient ä merveille.^^ So glaubt der Verf. die Annäherung von
Dichter und Minister entwickeln zu können. Besser aber mag
sich*s noch aus folgenden Worten ebendesselben Herrn J. ergeben :
„Horace avait peu tPambüion, liest man S« 121; Michne, prefet
de Borne et tPItaHe, itaü revenu de taute ezpice d^ambUion! Vun
et fautre, ile faisaient le mime reve : un grand repoB ...« Mais, le
mimetre est mort ä la tdche\ au eontraire, Horace eutbienidt r^a-
liai toue eee reves: un loirir honorable^ une fortune 4gale aues plus
fnodeetee dMrs, un beau petü eoin de terre entre le sUence et Tombre!
Jl eut done ea maieon de plaieance ä Tibur, entre lee murmures du
fleures et lea pamprea de la colline; il eut un domaine utile et de
hon rapport dam lea terrea de la Sabine, 4 Tibur, il äaü le
voisin de Miehu^ ....• und weiter: „En txwn Michie le rappdle,
fn vain ü promet ä Miehua de revenir,^ ...«. Endlich, wie er das
Beaeichnendste sagen wollte, heisst esa „Horace a mia en actum
eeUe parole de la Bruyire: La cour ne rend paa content, die em-
pSeke qtion le aoitf^^ Um die Zeit, als Mäcen beauttragt war,
Aogustus mit Marc Anton zu versöhnen, war die Freundschaft
zwischen Horaz und Mäcen schon gesichert» und Jener zählt da-
mals erst fünf und zwanzig Jahre.
Mit richtigem Blicke hebt der Verf. S. 127 die angeblichen
Motive bei Augustus hervor, den Dichter in seine Umgebung zu
ziehen, der in seinen Versen die Feinde seines werdenden Thrones
gefeiert hatte. Er misstraute ihm, und doch hatte er Gefallen an
ihm, und verlangt ihn wenigstens zu sehen. — Und vom ersten
Zusammentreffen an gehört ihm der Dichter, dem nur noch Virgil
im Wege stand, um ganz die Gunst des Imperator 9U besitzen«
4i0 J. Jan ins La PoMe et rfloquenea k Boue.
Es müssen also Beide eine Zeit sich dieser Gnnst nebenander ge-
freut haben.
Im Cabinete seines erhabenen Gönners zu arbeiten, hat Horaz
vermuthlich ftlr zu langweilig befanden. Desto mehr hat er sich
angelegen sein lassen, ihn in seinen Gedichten zu Terherrlichen,
nachdem er einmal die Neigung des Imperators für diese Gaben
erkannt hatte. S. 129. und seinem eigenen Andenken hat er in
seinen Episteln, welche der Verf. die Summe der antiken Moral
und Philosophie nennt, die Dichterkrone aufgesetzt. Er sieht in
ihm, nach dieser Seite das Vorbild Voltaire's, und, in Ansehung
der Ars poeticaj den Vorläufer Boileau*s, und endigt seine Kritik
mit dem Ausspruche 8. 181: „II unit ainn, par un lien inde»
stmctible, U Mele cTAugusie et dt L<nm U Qrand.^
Noch eine Seite, eine Mittheilung über des Horaz undMftcen's
Tod, und zu Ende ist diese Studie über Horaz, welche das Zeug-
niss einer gelungenen Arbeit verdient, bis auf einige historische
Unrichtigkeiten , die , um vielleicht deutscherseits verbessert zu
werden, sich in die Darstellung eingeschlichen haben.
Die erste ist die, dass Melissus, zu seiner Zeit Bibliothekar
in der Porticus Octavia, dem Tiberius jene famose Antwort ge-
geben haben soll: „Certes, vous pouvez danner au premier venu It
droit de eii^, maia non pa$ ä un seul mot eonlraire au gAne et ä
la volonU de notre langue I (S. 14). Leider war dieser aber nicht
Melissus, sondern Pomponius Marcellus, wie Sueton's Berühmte
Römer I, cap. 22 ed. D. zu lesen ist („Tu enim, Caesar, civitaiem
dare potes Jwtninibus, verbo non potes,^)
Die zweite Unrichtigkeit, die zu constatiren ist, gehört dem
eilften Abschnitte an. S. 110. Dort werden zwei Suetonische Stellen
nftmlich, der Einsturz des Amphitheaters im Fidenä im J. 27 n. Chr.
(S. Suet. Tib. 40) und einen Beweis von Furchtlosigkeit aus dem
Leben des Augustus bei einem befürchteten Einsturz (S. Suet.
Aug. 43 ex.) confundirt.
Und zuletzt möchte noch zu S. 125 eine Bemerkung zu machen
sein, aber in Form einer Frage, ob nicht Horaz von Mäoen selbst
sein praedium Sabinum erhalten hatte, statt dass man ihn, wie
Herr J. 1. 1. thut, flugsweg den Nachbar Mäcen's nennt ?
Auf Horaz folgt in der Reihe seiner biographischen Studien —
tfM, als Studie ein Commentar zu einer der Tristien (IV, 10),
worin Ovid selbst über seinen Lebensgang referirt, mit Herein-
ziehung des auf die Zeitgenossen Bezüglichen und Verflechtung von
Anspielungen auf die moderne Dichtung Frankreichs.
Auch diese Studie zerfällt in mehrere Abschnitte, ftlnf nilm-
lich, wovon die ersten beiden und der fünfte ganz kurz sind, und
der dritte der um&ngreichste.
Für die Darstellung des Lebens Ovid's knüpft Herr J. an
Horaz Tod an: „Horaee ä peine a disparu dans le tombeau, qtiun
nouveau venu, plein de gräee et de jeunesse, itaii d^ä la vie et la
J. Janin: La Poetle et TfioqueBee k Rome. 441
f^ des Mpanee$ rtunaines.^ Stellen ans Velleras Patercnlns, Benecfti
bez. Quintilian, maoben auf des Dicbters beirorragende Bedentang,
beTor sie detaillirt zur Erörtemng kommt, scbon Eingangs snm-
mariseb anhnerksam. Der Verf. selbst scbliesst dieses B^süm4
mit seinem eigenen ürtheil 8. 137 ab: „11 ^taü vif ei gen, bien
portant, bim faU, aimahle et partout bim venu. Füs de la mode
et dee bdles ammtrs, ü ne prenaii puh'e au sMeux que Patnmir'^,
Worte worin eine Anknüpfung an Das liegt, was er oben von den
Conrtisanen gesagt batte. Füblend, dass er eigentlicb ein Sobnl-
tbema bebandelt, sncbt er fOr die Vertbeidignng Orids naeb Mo-
ÜTen nnd findet sie in des Letzteren Appel an die angeblicbe
ewige Jngend des Menseben nnd den fortdanemden Anfentbalt der
Nereiden anf den üfem EnbOa^sl
In dem zweiten Abscbnitt, 8. 188, wo wir Mittbeünngen
ttber Ovid erwarten, erzftblt Herr J. den Tod Cicero*?, aber gleiob
darauf beziebt er sieb anf den Dicbter, nnd rnfb den Verstand der
Oescbicke an, die einen Ovid nnd Tibnll erweckte, unter dem Zu-
sammentreffen so gransenerregender umstände.
Die n&heren Mittbeünngen über Orid's Lebensscbicksale wer-
den im dritten Abschnitte 8. 141 ff. gegeben. Mit den Inspi-
rationen eipes Bomanscbriftstellers von leidlicbem Talent verbreitet
er sieb über den Antbeil der Heimatb (Sulmo), der öffentlichen
Scbnlen dort und inBom 8.121 — 145 an der Bildung des jungen
Dicbters, die persönliche Anleitung, die er von dem berühmten
Anwalt und nacbmaligen Consul Messala empfing, 8. 145. Erkennt
verzeiblicberweise sogar den Wortlaut des Briefes Ovid's an seinen
Vater, von dem die Welt bisher nur das Faktum kannte, 8. 145,
worin er bittet, dem juristischen Beruf entsagen zu dürfen. Wir
lesen zwei und drei Seiten xmd staunen, wie viel Motive Ovid ftir
die Vorzüge der Poösie anzubäufen versteht, um seinem Vater die
Nützlichkeit dieses Berufs einleuchtend zu machen. Ovid war ein
enfant, vielleicbt: terrible? Nein! wenigstens jetzt noch nicht,
sondern einstweilen nur inewrigible „ei doni le$ d^fauts tnSme ont
nne <irdee inflnie.^ Nebenbei studirte er wohl noch, seiner besorg-
ten Familie zu Gefallen, in den Bechtsquellen herum, aber nicht
mit Ernst, und unter den Eindrücken des müssigen Lebens lag er,
erst zwanzig Jahre alt, plötzlich in den Fesseln einer Frau, selbst
ohne gesellscbaftlicbe Bildung, in den Fesseln einer ebenso wenig
gebildeten, ganz ordinären. Der Verf. hierbei idealistiscb einge-
nommen für Ovid, beurtheilt dieses Verbftltniss etwas zu sehr
nach Pariser Begriffen, als eine Heiratb, oü Ton h prmaU ä
fessoL 8. 148. Daher sieht man keinen Grund ein, anzunehmen,
dass sie von ,vomeberein das Gegentheil von ihm war, wie der
Verf. meint. 8.150. Ovid war noch ein unfertiger Mensch gewesen,
nnd das Missverbftltniss entstand erst mit der Zeit, indem er sieb
aasbildete, sie dieselbe blieb. Der Hauptpunkt ist wohl der, dass
diese Ehe verfrüht war, und dieses gilt selbst von seiner zweiteUi
MS l Jai^iB; U PpMe ei l^oquence i^ Btmf,
alsbald nach der Verab8ckiedimg der ersten Fraa, eingegangenen
Ehe, und es bedarf durohans nicht der HereinziehoDg der Conrti«-
sanen, worauf der Verf. sein geschichtliches Wissen verwendet.
8. 151. Die Namen dieser beiden Frauen kennt der Verf. nicht,
indem der Dichter selbst es fUr gat befanden hat, sie der Nach-
welt Yorznenthalten. 8. 152. Dann heirathete Ovid noch eine
dritte, aus der Fabischen Familie, von besserer, oder achtbarer
8ituation, die er, wie glaubhaft ist, aufrichtig geliebt und geehrt
bat, und die nachmals mit ihm auch sein Exil getheilt hat 8. 15ä.
An dieser Verbindung kann man die 8cala der zunehmenden Soli-
dität in dem Charakter Ovid'B studiren. Der Verf. zieht noch die
beherzigenswerthe Parallele, zwischen der ftmmt dt fortunt und
der femmt de joQ, und widmet dem Begriffe ipoust ein weihe-
volles Lob, das uns staunen macht, als wäre in seiner Umgebung
die Wirklichkeit davon abhanden gekommen 8. 154. Eine Wen-
dung im Leben Ovid's war der Tod seines Bruders > der ihn in
den Besitz eines Vermögens noch zu dem seinigen brachte. 8« 155.
j^Et eomme ü ne pauvaü pas, hannStefnerU, rester un oinf, tot rS-
veur, un AthMen, un UUtur d^ Homere ei cPAnaor^n, ü accepta
Ua maffistraturea gui hd furent offertte, düona miwa-, imposüs^,
d. h. um deutsch fortzufahren, zuerst das Amt eines Gentumvim
8. 156 oder Richters in Civilsachen, dann das Amt eines Decem-
vim 8. 158, oder Mitglied eines hohen, von Senatoren (aenatarü)
und Rittern besetzten OoUegium. Im Anschluss hieran muss man
wieder den Verfasser selbst hören 8. 159: „11 est facüe de ctm-
prendre qu'Ovide un poete^ tm amoureux, f^att pae rivS lee honneure
du se'nat, dans un s^nat ^esolaf>e$. II itcni irop habüe et trap heu-
reux pour se Ia%8$er prendre ä ee$ vaine Honneurs^ dont ü preeeen-
fait lea humüiations et les dangere.^ Alsbald hören wir, Ovid ver-
zichtet auf sein Amt 8. 159: „Ovide äaU un ÄiMnien, so lautet
die Besch¥dchtigung unserer Verwunderung^ ü en avßU la parate
ei taecent, Ttmio »ermo Qraecusl disaii QuintUien, ptmr expUquer
Vexcälenee et Vauiarii^ de la lanoue gue parlaient Aristopham,
Thticydide et Demaethene.^' 8. 162 heisst es dann weiter: y^De ces
maUres divins, la jeuneaee romaine allaü chercher la iraee €loqueinte
dam he ieoles d'AihineB et dans lea ilea de VJtmie." Denn von CBsar,
PomponiuB u. s. w* und v. A. gilt ganz dasselbe: j,Aind C^sar
et Pomp/e, Craasua, Antome, Octave^ et le premier de Ums cea heaux
esprita, CieSron (il n'eai paa de Twtre livrej et nous y revenona iou-
joura), daieni purement et aimplement des Ath^rUenSk II enirait un
certain mepria pour lea eaprita inculiea dans la haine gue eea deli^
€ais porkBient d Marius et ä ioua eea ruatrea aana lettres, gut ne
cavaieni mime paa la muaique. Ainai, de la aoeUti poUe an p4Ut
dire gu^elle prend aea originea auz aeureea mSmea de la poüie, Eüe
a r^gn^ auriout dans la maiaon de Perieliat dana le pälaia dPAth-
guate,'' Sehr vortrefflich hat Herr Janiu, hier anknüpfend, seine
P^(aUele zwisck^n dem Zeitalter des Augustus und Louis XIV.
X JAiila: U PoMo ei l'floqwiee k Bon«. 441
gezogra. 8. 162 fr. Mit cierlieker Pointinmg weiss der Verf., das
muss man anerkennen, seine Analogien zu betonen. Man lese
8. 165 ff. Was ihm an Ovid eigentlich gefüllt, ist die Tfaateaehej
daes er ganz Dichter ist S. 167: „11 eut bienioi eonguü la ripu^
iation dSm bd etprü qui miHtaü U» faveur da wnnakseuri m
beanx ouvrages. Bimidt^ grdee ä la nouvtatä^ piquant€ de 8€$
poimeM, ü vü ventr ä lui Us jeunet gens ä peins imancipA H
diKvr^ d€ la bulle dar, et le$ aneiem jeunes gene qui avaieni
aeeittS au rSveü de la poesie: Meeeäba, Varran^ Variue, dmU U
Thyetie a rwoHeS avec la Mid^e dOvide^ Pomponkm Setundue^ Oor-
vinuf, et ee ComSlim Gälhis^ gouvemeur de fEgypte,^ Zu diesen
trat dann Albins, Moenins, Barms, Noraentanns : Elegants, Ton ge*
ringhaltiger Oesprttchsgabe. Wirkliche Acqnisitionen waren da-
gegen ftlr Orid die Freundschaften mit Macer, Battos, Ponticos»
Seyems. 8. 167. Den ersten Rang nnter allen nahm aber der
Bibliothekar Hyginns ein 8. 168, femer Albinovanns, M&oen*s
Freund, und, aus der Comelisohen Familie, Gelsus, der Arzt, der
Verfasser zählt noch viele Andere auf. Sein eigentlicher Freund
und Oönner war Maximus 8. 170, selbst Centurio und eines Centurio
Sohn. Das waren, so resumirt 8. 171 der Verf., „TtU fnrent,
datu lee ränge des hommee choisin (hominum venueHorum), Us ichos
ffOvide^ et des Amours^y d. h. der „Atnores^^y eines Gedichtes von
ihm, zu dem freilich auch die Bekanntschaft mit vielen jener oben
beschriebenen Gourtisanen Stoff gegeben hatte. Denn z. B. im
ersten Oesang ist eine Corinne der gefeierte Gegenstand 8. 178.
Der Verf. müht sich vieles Lobenswerthe von ihr zu wissen 8.174,
und ohne Ahnung von den gelehrten Commentaren der Nachwelt,
die mit mehr Erfolg die Frage I5sen würden, ob vielleicht eine
Princessin vom Hofe dahinter stecke. 8. 174. Wir befinden uns
mitten in der Analyse dieser Amores, ohne dass die Darstellung
sich als eine solche verrathen möchte 8. 175 ff. Grelungen zu nennen
ist die Parallele zwischen Horaz und Ovid im Punkte der Liebe,
die der Brstere tändelnd, Dieser ernsthaft besungen habe 8. 178.
Das Besnltat ist, dass Ovid bei seiner wichtigthuenden und pro*
nonoirten Behandlung dieses Themas aus der Kunst in die Theorie
veriHllt 8. 180. Das Thema von der Corinne erweist sich als sehr
elastisch. Denn erst 8. 185 verschwindet dieser Name* aus der
Darstellung Eine kurze Vergleichung zwischen Ovid, Tibull und
Oatnll 8. 185 bricht die Untersuchung über die Amores ab.
Hiervon zu der Ars amandi ist kein gefllhrlicher Schritt 8. 187 :
„Rome entihre applauäit ä la seule annonee VArt daimer. U avaü
mm prix et. son knportanee, le doux poeme, iout frivole qu^il dttt
poreMre aux sSvh'es parHsans de vieux usagesi ü attestait gueüe
rSwdutimi t^apSraU dans les moeurs. La gnlanterie naissait Ch^de
fkU 9om po^y eomme Virgile avail 4U le poete de famour eSricua.^
In der Ars amandi findnt der Verf. die Typen für den geprellten
Ehemann vor, wie ihn die französische Comödie hniiit Ö« 188*
444 J. Jan in: La Po4aie et l'ttoqnenoe JiRoma.
Mit Entzücken feiert er dämm dieses zuerst von Ovid angebaute
Oenre S. 189: „Ce poeme cUi l'Art d'aimer est une merveilU
äineelanie des pUa rare» beautü^ et qui seraü l'honneur cTun H^le
mime pha avanei en galanterie que le tileU d^Auguste,^^ Das Ver-
weilen bei den praktischen Folgerungen, die er aus Oyid^s Bath-
schlagen zieht, lässt die Pariser Pendants herausfühlen, 8. 190 —
192, ohne dass der Verfasser sich des Vermögens der Unterschei-
dung ent&ussert S. 192, deren Resultat darin besteht, dass der
Vorzug der Römischen Courtisane gespendet wird, der nicht mehr
sichtbaren, und nie gesehenen! Natürlich 1 Was sollte sonst aus
dem Roman werden? Wieder einmal, auf 8. 194, gönnt sich der
Verf. Ruhe: y^Ovidc eaeceUe ä raconter les tempSf^s^ Ua hourrcu^
ques et Üb naufragei de Vamour; ü est kabile ä naus montrer les
Cent miUe peHts drames de la vingtihiie anrUe\ semblable au
chasseur^ ü est ä Vaffüt du sourire, agiiant Veventail^ et, ^un daigt
empressi, Stant le grain de poussihre.^ Zum Beispiel muss ihm eine
8cene aus Comeille*s Menteur dienen, wovon er behauptet, sie
sei : yfdle est prise au beau miUeu de V Art d'aimer, eetU
f^e du jeune Dorante ä Clarisse.^ 8. 195 ff. Wer sollte es be-
zweifeln können? — y,Ce grand Corneille, un vrai Romain de Rome,
ü savaU Hre aussi un bei csprit de Versailles. 11 ä fait une eomSdie
intituUe sa Suivante, et dans eette eoniSdie il obiissaif ä ee conseü de
l' Art d'aimer/* Nun ist natürlich Nichts mehr zu machen : 8. 198:
„11 est bien aviri que dans V Art d'aimer, le charmant poeme,
Ovide ensdgnait aux Romains un art taut nouveau, qui leur etaü
parfaitement inconnu, et dont le poeme ipique ne t^äait pas doyJU^,
und zwar trotz Mad. Dacier, die schon von der Qias und Odyssee
dergleichen behauptet hatte. Aber Mad. D. hatte Unrecht! Der
Dichter weiss, heisst es 8. 203, sein Wort in hoc puncto zu machen :
y^Le po^ sait parier avx jeunes femmes; il les ealme et les eon^
solCj il les gmde dans touies sortes de petiies trahisons^ qt^eUes eus~
sent bien devinies sans Uä^^; z. B. was die Wahl der Farben u. s. w.
betriflPt. „Ainsij sagt der Verf. 8. 205, dans ees trois Uvres, de
V Art d'aimer, l'ingenua manus, la main, le soufße et
Vesprit cPun komme bien ilevi sc fönt seniir/^ und damit es an
Nichts gebräche, um den Comfort zu vervollständigen, hatte der
Dichter lieh auch bewogen gefunden^ ein Gedicht de medicamine
faciei zu schreiben 8. 207. ^Parmi ces enseignements chers ä la
jetinessCj et dont eUe a gardi le Souvenir, ü faut placer le char^
mant traiti des Parfüms, dans lequd itait eontenu le secretdes
toileUes, ee grand art des fiosmiHques pricieux que les andens
nvaient poussi si loin , et dont nous ne sommes que Us plagiaires^
dt^e nos essences au benjoin, nos eaux virginaüs ä la Dubarry^
noKpommades ä la moelU de boeuf Sehr schmackhaft modemi-
sirtt^Der Verf. hat sich ziemlich, wie man sieht, in die Materia-
lien säten und neuen Datums über Toilette, Kleidung und Bedien-
ung u^esehen 8. 208. Nur noch der Heroiden 8. 210 wird
J. Janin: La PdMe et l^dloqueiice k Rom«. 445
gedacht, die gleichfalls eine Erfindang Orid's waren. Dann nimmt
die Darstellung des Verf. eine ernstere Wendung 8. 213. Wir
ahnen, dass er den Weg nimmt, in der Vereinsamung und den
persönlichen Bekümmernissen des Augustus wenigstens den Grund
SU der Ungnade zu finden, worein Ovid hernach fiel. 8. 217. Vgl.
S. 238. „Auguste, devenu vUux, itait redevenu le iimide Oetave.
11 eonsuüaü les devins, il conntUais des oracles.^ S. 214. und so
stehen wir in der Betrachtung des Lebens Ovid^s vor dem be-
kannten Exil im Jahr 8 p. Chr. Vgl. S. 225. Er musste Abschied
nehmen, ohne erst noch ein bereits Torbereitetes grösseres Gedicht,
Zeuge seiner Hinneigung zu tieferen Anschauungen, zu veröffent-
lichen, jfll avaü ierit V Art d'aimer; en revanche, il venait
d*a€hever un poSme admirable que renfermait Vhistoire etUiere de
ces dieux, de ces hSros, de ees croyanceSj que les premkrs ligis^
lateurs de Borne avaient empnmtis, avee Uurs Uns primüiveSj ä la
Oreee.^' Dies waren die Metamorphosen, die er erst yon Tomi aus
veröffentlichte, in deren Verherrlichung der Verf. mit des Dichters
Verirrungen versöhnt. S. 217—223. Er hat die Ausdauer, die-
selben zu zergliedern, bis zur Apotheose Cäsar^s und Augustes hin-
aus. S. 223. „Malheurettx I ruft er zuletzt aus, Le vieux des/poU,
Sans aucun motif qu^ü püt avouer, condamnaü le po^ ä tous les
disespairs, aux IdeheUs humüiantes d'un exil sans eonsolation et
Sans dignit^.^ Diese Verbannung Ovid's steht als eine Ausnahme
von der Regel unter Augustus da, und, wie wir dem Verf. ein-
räumen, als ein Vorspiel zu den nachmaligen grundlosen und namen-
losen Verbannungen.
„Exiler Ovides, so sagt der Verf. im vierten Abschnitte
S. 225, et jeter ses fondres s<ntdaines sur eette tite innocente, ü y
avaü lä tout un mysthre, et ee mysth'e est resU ä la Charge de
Vempereur Auguste; ü est rest^ une aceusatUm, sans r^lique, ä
cette renomtnee extraordinaire en Umtes sartes d'excht Vexeis du
fiui/, Vexe^ du bien; exch dans ia honte, exehs dans la gloire .....
et finir, en se vantatU soi-mime „d'avoir M un hon eotn^dien!"
Es ist eine bekannte Sache, dass die Verbannung den Bürger elen-
der machte, als den Sclaven, weil selbst das Asjlrecht, das der
Letztere besass, ihn nicht schützte. 8. 226. Nun begreift man den
Ton in den Elegieen , die Ovid schrieb S. 225 : „Dans, ces Um-
ehant4:S e'Ugies qui eonsaerent les mish^es, les ehagrins et VahjeetUm
de son exil, que d^angoisses, douleurs raeontSts par Ovide; douleurs
dont V^eho est venu jtaqu'ä nous, des conßns du monde, en tra-^
versant la Borne imperiale, abjecte et prostem^I Sieben Seiten
eingehender Erörterungen über diese traurige Katastrophe in seinem
Leben und, wie sehr sich der Verf. wundem muss über den ängst-
lichen Freund, der anonym seinen Briefwechsel vermittelte, ebenso
sieht er sich genöthigt, den Muth und die Ausdauer derer zu be-
wundem, die, gegen die Verworfenheit der Spione, den Verbannten
in Schutz nahmen: Maximus Cotta^ Bufinus undGräcinus, ein alter
44ft ^. Jüiiia: La B^to et P^tMftoe k &6mft.
Freoad Mttcen*8« 8. 244. Alle An8trengong«n , die gemaclLi war*
den, um OYid's Bttckkehr zu erzielen, sind Tergeblich geweseiL
8. 235« Er hat sogar Tiberius geschmeichelt, was dem Verf. unbe»
greiflieh vorkommt. S. 236 ff. Es hat Ovid an Etwas gefshlt, aa
4er Grösse im Unglttok. S. 287. Er ist in seinem Yerbaammgsorte
gestorben, und ein Gete hat es sein sollen, der ihm eine Qrab*-
Bchrift setzte. 8. 287.
Wir wftr^ hier zu Ende, insofern mit dem Tod die Wirk-
samkeit des Dichters aufhört. Aber der Verf. glanbt sich yeran»
lasst, noch ein besonderes Faktum nachzutragen, ohne das viel-
leicht die VerbaanuBg Ovid*s lebenslänglich gewesen wäre. Näm-
lich ein Individuum von der Sorte, woraus später die Spione ge-
nommen wurden, wagte es, auf den Umstand hin, dass Ovid exul
war, seine Frau zu insultiren. Diesem hatte der Dichter diese
Schande angeheftet, und durch die Benennung Ibis füx immer ge-
ächtet. Wäre Ovid zurückgekehrt, so wäre es um diesen Elen-
den gesehehen gewesen. Daher zettelte dieser dooi Dichter
die fortgesetzte Verbannung aiL 8. 288. Einem solchen Elenden
gegenüber hätte Ovid nun erst recht Muth behalten sollen. Es
ist glaublich, dass, wenn er gewusst hätte, dass die VerzQgenmg
seiner Erlösung durch jenen Unseligen bewirkt wurde, er doch zu-
letzt den Hof und seinen ganzen Anhang verachtet haben würde,
weil derselbe den Angaben eines Verworfenen gefolgt war. S. 289.
Im Ganzen genommen hat der Herr Verf. stellenweise mehr
in diesen Studien über Ovid gesagt, als er verantworden kann.
Doch wie vollkommen wieder Manches darin befriedigt, so ist am
besten der Schluss ab schnitt, als solcher bestimmt, die Neu-
gierde der Nachwelt in Betreff des ewig Weiblichen in dieser
Sache zu befriedigen, indem er eine Kaiserin an das Grab des Ver-
bannten führt, die Zarin Katharina, und sie Thränen an seinem
Grabe weinen lässt. Diese Thränen scheinen beetimmt gewesen za
sein, die Sühne nachzuholen, im Namen der Geschichte, da das
Staatsoberhaupt Bom's kein Ohr dafür gehabt hättet
Hätte sich der Veil für seine Abbandlungen und ihren Gegen-
stand an die Zeitfolge gebunden, so müsste jetzt Petroixus an die
Beihe kommen. Aber er hat zuvor behandelt: iffPUfu le Jeune tt
QuintUieH'^^ und wollen wir denn nun zur Besprechung dieser Ab-
handlung als der dritten übergehen: PUnias der Jaageic lad ^ninll-
lianl 8. 248 ff.
Er beginnt mit Lobsprüchen auf Bom*s Mission für die Bil-
dtmg, niehit ohne den Wunsch, seine Nation als die Erbin der-
selben zu betrachten, und zwar auf seine Mission fClr die gramma-
tische Wissenschaft, von der QuintUian sagte (I, 4) sie aci ^iucunda
amäms, dttUis woretorwn eomes^, und die in der That eine Vor-
schule für die Bedekusst war, dieses stolzeste Nationalgut der
alten Römer* Unter den ersten Berühmtheiten in dieser letzten
Beziehung rangirt PUnina der Jttngeie, der beste Freund des Tacitns
3. Janlas Im FoMe et t^^oquone« li]i«m«. M
und der befite Schüler Qtuntiliaiis. 8. 276. Dmr V«rfa8se^ fasst auf
einigen Seiten das Bild von dem dttsteren Zustande der Literatur
unter Domitian. 8. 247 ff. Mit diesen Betrachtungen bereitet et
auf das Auftreten des Plinius als auf einen wohlthätigen Umschwung
▼or 8. 249. Ich brauche nicht zu Tersichem, dass er dieGeburts^
statte des Flinius, die Gegend des 0omer-8ee*B, mit allen einem
Roman gebührenden Farben yeransohaulicht 8. 250, ebenso die
Landhäuser daselbst 8. 253 ihre innere Einrichtung 8. 255 u. s. w.
Mit der Person des Plinius fängt er an erst 8. 257 sich zu be^
schaffcigen.
Von Comum nach Bom gebracht, lernte er dort in der Schule
des berühmtnn Quintilian die Redekunst. 8. 257. Er schildert was
es mit diesem Meister auf sich hatte, und mit seinem berühmten
Werke, der Instütitio oraUnia^ von dem er eine flüchtige Vor**
Stellung gibt S. 259—265, und die er die Ausgangsst&tte der
üniTersitftten nennt. y^Et voilä^ so urth^lt der Yerftisser 8. 266,
conrment Vesprit, la probü/j la scimce <iu Uvre de QuintiUen an
vdtU sur len ghUraÜon» pasaies, qui mrveitteni ä cette heure Um
ghUratUms pr^entes; fUimbtau du goüt que parierant en avant Üb
ginSraUans ä venir.^ Drum, meint er, dürfe man den Lehrer vom
Schüler, Plinius von Quintilian nicht trennen d. h. also, wie der
Verf. es hier thut. Einige beigebrachten Briefstellen geben Zeug"-
niss von der Hingebung des Schülers. Quintilian selbst muss im
Leben die Eigenschaft besessen haben, welche fesselt, der milde
Ernst (Za douce gravit^J! Der Verf. erwähnt dann noch anderer
Lehrer des Plinius, des Eukrates z. B. 8. 268, des Spurinna 8. 269
n. m. A. Besonders gern hat Plinius nachmals des Philosophen Arte^
midorus sich erinnert, eines Jugendfreundes, den das bekannte Edikt
Domitian aus Rom verbannte. 8. 274. Er ist nachmals auch dem
Dichter Martial zum Wohlthäter geworden, indem er ihm behülf-
Hch war, wieder nach Spanien snrückzukefaren. 8. 275. So erwähnt
er noch des Senator Licinius und des Geschichtschreibers Famiius
S. 275. 276 und zuletzt seines Oheimes Plinius des AeHeren 8. 278 ff,,
bei dessen Todesscene er selbstredend verweilt. Er würdigt ebenso
seine Bedeutung als Schriftsteller (Biograph xmd Naturforscher)
S. 284 und lenkt dann wieder in den Weg ein, um Plinius zu
verfolgen. j^Tel Aait, so resumirt von 8. 285: le maüieur des
temps; ees rares et g^n&eux eourages h'navaient guhre que des tyran-
nies ä atiendre^ et, pour le soülagement passnger de ees tyrannies
pesarUes, deux au trais bans princes qui^ dans les mtervdUes Clements,
venaieut ealmer ees irrUaüans et ees rmshres. TrtnU-neuf meurires
seulement jusqu^ä Taeüe, dans la maisan des Cisars! Oest rare et
beau cependant de voir^ dans le courani de ees misires, VieoU de
QuintiUen s^aüacher, sans reläche, aux sinehres et dangereuses
majestA de la parahJ^ 8. 285. Dieser Verf. zeigt, wie die Römer
das Verlangen hatten, zu Allem Fähigkeit zu erwerben, voraus-
gesetzt, dass es gut ist, z. B. durch die Rede zu gefallen. Dies
446 J« Jaiiin: L» PoMt «t l^^oqnenee JtBomei
erwirbt man dttroh die Beredsamkeit ; ihre Erlangnng ist aber an ein
ganzes Bepertoire von rhetorischen Gemeinplätzen gebunden, und
dann kommt es zuletzt auf das genu8 eloquendi an, ob demondra-
tivnmj oder deliberaüvum oder ütdiciariutn, S. 289. Dieses Thema
verfolg der Verf. mehrere Seiten hindurch, und schliesst es mit
einem Bericht über die Plaidojers yon Plinius und Tacitus in
Sachen des Proconsul Marius Priscus, S. 299 £ Immer nahm
Plinius Bezug auf die Aussprüche seines Lehrers, und er that wie
dieser lehrte. „U^loquencej düaü Quintüian (X, IJ, se compose de
irois eho8e$, : lire^ ^crire ei parier; trois choses ins^arabU» ä ce
p4nnt qu€, ceUerd n^giig^e, le3 deux autres vont manquer par ce
faif,^ Auch Plinius las, sprach, studirtel Er kam zum Studium der
Geschichte, und wusste nicht wie, und folgte den grossen Vor-
gängern, „qtdj les premiersy avaient dibrouHle les origmes üaligues
ei Venfanee des premiera peuphs latins. San amili^j um mit dem
Verf. S. 303 ^fortzufahren , pour ee grand tragSdien qt^on appeüe
Tacüe, 968 liaisons avee Suäone, le Dangeau funibre du paiais des
C^aarsy J^inUrit immeme des ^vh:emenU ei des komme» , seulemeni
deptds AcHum, le conseil de ses amis^ ei eette admirable fa^on de
proionger son nom dansVavtnir, toutleporiaii ä ceUe üude severe:
ffJe n'ai jamais mieux senii que ees jours passis la farce^ la hatdeurj
la majeste, la divinüe de Vhistoire.^ Die folgenden Seiten enthalten
eine üebersicht über die Erfordernisse zu einem guten Plaidoyer.
„Taus ces beaux düaü», heisst es dann S. 311 , vous mctdreni ä
qttels serupiUes t^abandannaieni ces ezcellenis arUsans de la parole^
quelU iiaU Uur crainte, leur retenue, leur aiientiansur eux-mimee;
de guels p&ils üaii eniouri le maindre ouvrage offert au public,
ei commeni iU s^essayaieni ä plaire ioujours, ei ä toui le monde/^
Worin sind die Perioden Oicero's und des Plinius verschieden?
„Respeci ä la plume! disaii Cic^ron. — Respect au public i disaU
Pline/^ Woher diese Umwandlung? j^Le public I fährt der Verf.
S. 312 fort, ^SlaU un roi »ans appeL ün ^crivain de iragidies
(er meint Pomponius Seeundus), quand ses amis disapprouvaiefU
guelque schie qu'il leur Ikait en peiU comU^t — Ten appeüe au
peupUj s^Scriait ü. Popülum provoco. Le peuple des oeuvres chaisiee
de Pline Üaü une assembUe de gens hcmorables, honoris, qu^ü esiin
maii siparimentj äutani qu'ü les redouiaü quand ils üaieni riunia
— - C^eei Pline ou c^est Moniesquieu qui appeüe les plaisirs de
Vesprü: des biem sodaux.^
(BcUiiSB folgt)
Tl. 29. HEIDELBERGER 1806.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
J. Janin: La Poesie et Moquence h Borne.
(BoUiiM.)
Nach dieser Vorf&hnmg des Wirkens des PUnias als Bedner
kommt der Verfasser S. 314 auf seinen Aniheil an der Poesie zn
reden: „Quatd ä la partU poiUque de cetU vie labtnieuu, ü m€
sembUj M nmt» en jugeam par quelque$ Schaniiüona peu remarquablei,
gt/ü ne faul gtUre rtgreUer le$ vera de Pline; üa vaUnt, ioui au
pius. Je» ver$ de Cidrcn Im-mimeJ' In dieser Beziebmig, wo der
Beruf fehlte» machte ein guter Bath entschuldigen, ^om avfme
vu que Quisaüien eoneeüie la po^eie, comme un d^Uueement exeeUenl
dPaü fw$ poetes ani eancluj par une fletion peu poeUque^ qi^ü tly
aiümt pae de plus eür moyen de fr^quenUr les poetee que de h faire
poele ä $an Umr. De lä tont de petUe vers, ^ehappü ä faieiveU de
tont de grande hommes.^ Bekannt ist die Thatsache dichte-
rischer Erzeugnisse des C&sar, Augustus, Mäcen» Nero selbst. Nun
folgt wirklich eine Besprechung der Plinischen Hendecasjllaben.
8. 317. Das erste Capitel war Studium und Praxis in der Bede*
knnst als Yertheidiger gewesen, das zweite die Poesie. »Das dritte,
gegenwärtige, handelt von seiner Thätigkeit als Ankläger, Staats-
anwalt würden wir sagen. S. 322. Das Lob, was Plinius hier
verdient, hat er von dem Yerfuser gespendet erhalten. S. 328.
Was Plinius hier leistete, übertraf den Freimuth des Tacitus und
JuTcnal, insbesondere den Spionen gegenüber, die bis dahin Niemand
gewagt hatte anzugreifen. S. 330. Eühu trat er auf, und nannte
selbst Helyidius seinen besten Freund ! Zum ersten Mal lernte Bom
aufiathmen, und sich im lauten Yerurtheilen des hassenswttrdigen
Gewerbes üben, unter dem Fluche und den Verwünschungen seiner
Zeitgenossen vegetirte und verwendete z. B. der Spion Begulus.
8. 331. Mit dieser Erinnerung wagte Phnius seinen Panegyricus
auf Trajan einzuleiten. S. 331. Beim Grabmal des Pallas hören
wir Plinius in Entrüstung gerathen über eine unverdiente Grab-
schrift S. 332 fr. Hierin zeigte sich Plinius ab Bömer, S. 337,
depn er liebt den ächten Biäm, nicht den geschminkten. j^A ioui
prapoe, ä ehaque imtatU de 9a vie, ü vom dira qu'ü aime la gUnre
avee paeeion, avee füreur! La gloire, ä eon eompte, eet voiiine de
fmnmorkUiU de tdme^ ü ne eaü pae dfautre fa^on dtHre immortel^
que SHre un homme glorieux.^ S. 341.
Der Verf. kommt auf seine Freunde zu reden ; das würde das
vierte Kapitel sein, wenn er es für gut befunden hätte, es in Kapitel
LYm» Jahif. 6. Hefl. 29
460 J. Janln: t* Po^l« et l^U0qtl««^e IkRom«.
einzatheilen. unter allen Frenndschaften nehmen diejenigen die
erst« Stelle ein, wdohe der Glanz des G^nie^s xmd des Hutlies
knüpft. Did Freundschaft zwischen Plinius und Tacitns datirt seit
ihrem Zusammentreffen im Schulsaale des Quintilian, der die
Freundschaft unter seinen Schülern gelehrt hatte, „eomme une
garatdU de ^qivenirj* S. S4&. Es gibt Briffe zwischen Beiden,
die hierauf l^^tag habön, und &ls Muster ihrör Gattung yerdienen
angesehen zu werden« S. 848. Auffallend ist, dass, während Pli-
nius den Tacitus bittet, ihm eine Stelle in seinen Annalen zu geben,
der Historiker diese Bitte zu erfüllen versäumt zu haben scheint.
8. B47. Eine einzige Erinnerung an Plinius aus der Fdder des
Tacitus enthält ein Brief des Letzteren unter der Flinischeü 8amm<^
lung. S. 848. Ein Pendant hiezu ist die Oitirbettelei an Lucceius.
der eine Geschichte der Verschwörung des Gatilina schreiben wollte.
8. 849 ff.
In detn Kreise der Freunde tritt auch Sueton S. 851 auf, „ee
tedmOable $SerSMr6 de Tefnpereur Jdrien, qui deottU ScHre, etvee
wie fuaoeU iangfanU, fhigMte den plus ctudlts tyrann(e$ de Rome.^
Durch einen seiner Briefe hat Plinius diesen in den Augen der
Nachwelt zu einem Traumdeuter gemacht. Wie sollen wir uns der-
gleichen kleinliche Wünsche erklären? Der Verf. gibt S. 858 den
AulsChluss mit den Worten : „Dana eee IMree, oü brÜU le eoin
tf ttn ptäHd iefhain gut ae eöinpläU out gräets de la parole, prdce»
^Meu^ee, grätee li^^rte.^ In der Folge wird uns noch das Ver«
httltftiss dee FHnius t&, seiner Familie, insbesondere zu seinen
Frtmen (Gratia, Qaadrantilla) beschrieben 8. 854 ff., sowie die
Schicksale, die seine Erinnerung bei der Nachwelt erlitten 8. 868.
Schliesslich ermahnt der Verf. seine Leser B. 878: ^^J^tonnez-tTotis
ttusH que le phts grdnd prateur du rigne de Trajan^ iblotci de tont
d)$ Hd&iree ä de hiefweiHanU gnmdeur raeonte ä f€Kvemr les m er-
i^eühs de te r^t dMn! tl fand dire eda ä la louange dt f&o^
quenee tomaine: eHe ^aü rtsüe la plus digne r/eompen»e gut $e piä
aeeördet A ht gMre, ä la vertu.'' Es gab schon eine panegyrische
Literatur 8. 880, und jetzt wartet ein Gegenstand des Enthusiast
mus auf seine Yerherrlichung. S. 880. Wie jener, so muss auch
diese ein Ereigniss sein 8. 888. Man wird beim Lesen des Pane-
gyrions mit Achtung für den Yerfesser (Plinius) erfüllt. Er ist
das Vonendetste, nach der Meinung des Herrn J., was aus dem
Kopf6 dee Plinius hervorging. 8. 885. Herr J. spendet Pliniua
Wehes Lob. 8. 886. Sehr einleuehtend ist das Argument, dass
jedes Lob in dem Pftnegytieus eine Ankhige gegen die Vorgänger
Träfan*s Ist, vcn mef angefangen bis auf Nero. 8. 889. Abo hat
es doch eine Revanche gegeben!! Denn nicht sowohl das Glttck,
ah die Persönlichkeit (äme) Trajan*s ist die Voraussetzung der
Lobrede. „Catmd, et rieUement eonsul par la bienveülance de 7Va-
pm, PH^e poutrait dire ä son tottr, comme Virgüej dann Vighgue ä
potftün: Non iniussa cano; lui^mhneü t^hen&re m ed doge gut hd
J. Jaiiift; hk Po^eto «I fH^qMiiM H Soale. 411
demMOaÜ M mmid« «nji^,'' B^ 390. DAher nfthm Tri^ttfi 4lai4n
PüttegyriM« mit Huld «ntg^fi. 8. 891. j,Dmn$ $a $agem^ ü fr^UM
^e M €0iina rat^o« OMMr dtgtiimml t^ui pwit qu*a m fit Hm em-
90a et pour ^'a rsMt iön ämt^ Didde Sokrift mwi» deit lidMs
sn eiMt Ctfn^Bpond^m «wis^bett d«iii K^iMV »d flittiUB dar ^
IMto Mit dor Y«r#iatiiilg Bithylil#ng lad do» P^tttllB bMiAtMt
Wtird«. D^ VMf. t«tW0ili b«i dieMtt ftttfUli AbMlddM« 8. 8il,
verweist auf die Briefe, welche die Aufmerksamkeit des P^Bttliers
verdient, indem sie glelohsam «ine Oeeekichte der kais^rliehen Cen-
tnülsatioti büdett 6. S94. MerktrOtdig IM die Bewoadenuig, die
der Verf. der PerMm trajan^cf tollt. 8« 995i Br enrahnt dam,
wie Plinitis ^etfct ans Bitbyniett naob Bom sMtttokkebrte, kSer dar
Wissensobaft imd den Kttnsten lebte, und andlieh eeine Hebnath
Cömum wieder aofimcbte. 8. 896« Plinius starb sieben Jaltt« vor
seinem kaiserlichen Freunde. 8. 898: j^au tnoment oä fSvttkgvU
$uH8€(Hd t>&HaU dTaee&mplir, däm l€$ öataeombeä tt däm Üb mtppHr
eev, le premier iUeU de ces dMn$ eombaig döfU ta paime OmU tfu
OapUöle^ ^Mmd h tt3n9 de saM PUrre $eru ditmi mtr VMM «*avi-
i^sfs^ d» JupHer Cap^iölin,^ leb mute diese Stelk dattun, waü sie
noch kam voy dem Sobluss niebt blos einen sedistea odef ietaten
Abeohttlttbeginttt> sondern auch dia Methode des VeiftMiet« dnr A-
Mieksn l&sst, aneinftudersureiben» Denn jetat wird die AniMit
aittg^söhobent welche Plinins von den Christen gdkabt bat^ nnd die
bekannte CorrespondenK swisohen ihm und Trajan (X, 97« 9Ö).
Wobltbnsnd iert das Oeftihl, dem der Ver& gebebt wird^ tind
das anch wir haben, dass Rom durch seintn f aÜ gelehrt Wötden
lel, Btt begreifen: j^que ee n'eetpüe la fertune qid feuveme lem9nde,
med» la Preptdmee*^ 8» 899.
Wir sind beim Bnde dieser Abbftndlnng adgakommMi: Lee
dienen eeni parHa! 8eUl eH dieu le Dieu fui ttäüblUnuMre et Mth
imit mr lee nnnee dt eee iyramdee H de em tffraneF
£s ist ftlr den Leser su bedauern, dass der Verfasser nicht
auch hier, wie in den vorangegangenen Abhandinngen aber HorAs
und Ovid) Abtheilungen angebracht hat.
üeber Quintilian, dessen Iftelüuiiö otal&fia tfwar hinreichend
gewürdigt ist, sind doch mehr Materialien vorhanden, als wir bai
unserer gewies nicht fittebtigen Lektüre vorgdb&den haben«*)
Und dann beklagt der Verf« gegen den 8chlnes hin (S# 89&)
däi fi!r Bom's Mission so Mhe Vordringe der Barbaren $ ieh
giaabe» dass er, bei seiner Entrostung ftber die Btugnation und,
die dadurch bedingte Abnahme der Kraft im B&mieehen Natlcmat'-
geieie, nnd bei seinem Glauben M die Ifission des Christenthunie,
jsMs Tordaringen en so lirtiier Zeit iü«sht bednnem kntttt# Dieees
Eindringen hatte zweierlei zur Eolge; erstens war ee bestimmt,
der Bevorzugung Bom's, aa der Spitae der Völker zu stehen y die
•) 8. Sueton's BcMtfttta Remer ü, 1^ ed. D,
1
4M J. JftBia: La Potek et f Adqnsnca k Brnna.
Bedeutung eines Privilegiums zu nehmen: Dieses hat Thierry in
seinem TäbUau de t Empire yom Standpunkte der socialen Ideen
und des Fortsohrittes der Civilisation yortrefPUch verstttndlioh ge-
macht.*) Zweitens aber sollte jener Bttoktritt Bom's von seiner
Mission das Emeuemngsbedttrfdiss zum Bewusstsein bringen, dem
dann die chxistliohe Religion mit ihrem Geiste sittlicher Origina-
lität abzuhelfen bestimmt war, das alte Rom in ein neues um-
wandelnd.
Jetzt kommt die yierte Abhandlung — : Petraae et leSaljii-
rea* Sie beginnt mit der Erinnerung an die Einäscherung Bom's
durch Nero, wobei fOnf Quartiere im Süden der Stadt zu Schaden
gingen« und die einer Art Hinmorden gleichkam, als sollte Oaligula's
Wunsch in EifCQlung gehen. S. 404. üeber diese Zeit, wo Solches
geschehen konnte, ist das beredteste Document das Satyrieon
Petron*s S. 405**), wovon der Verf. behauptet, dass es Alles in
Allem ist, Roman, Geschichte, Satire, Comödie und Tragödie, wo-
mit er, malgri lui, vielleicht die Geschichte jener Zeit sich durch
sich selbst vemrtheilen lässt S. 406, indem er von der bekannten
Stelle bei Tacitus (XYI, 17 ff.) prädicirt, dass sie auf den Petro-
nius .des Satyricon gehe S. 408, und dass darunter ein junger Römer
zu verstehen, der die Schulen von Grammatikern und Rhetoren
passirt habe, und nach Rom kommt, „pour y eherch^ forUuu. Ce
jeune komme a comprii de bonne heure, et meme mr les batnee
de fieoUf que la rkdorigue eet une prande vanMI^^ Die Proben^
die der Verfasser gibt, zeigen die Folgen der üeberkultur, die da«- *
mals herrschte S. 409 ff., den Hang zum Müssiggang! Auf das
Beispiel, das Petron von Jung^Rom gibt, folgt ein Beispiel ans
der Sphäre der vorgertlckteren Altersstufe (an Trimalchio) S. 412 ff.
Und was hierauf bezügliches bei Petron zu lesen, ist dictirt von
der Einsicht in die Verzweiflung aller Edlen: ^jP^irane, heisst es
S. 418, est un aeeptique: ü ne enrii plus ä rien depuis qt/^ü ne
eroü plus ä la UbtrU romaine. Que Rame meure aujimrd'hui ou
demain, qt^elle expire som N6r(m ou qu'elle eoit morte eous Tibire,
qufimporie ä Pürwie.^ So haben die gnädigen Herrn in Florenz
sich ausgedrückt, unter dem Einflüsse der entnervenden Muse
Boccaccio'sl Wir können, an unsere Schlussworte zur dritten Ab-
handlung anknüpfend, sagen, dass solche gesellschaftliche Physiog-
nomie regelmässig eine Zersetzung ankündigt. Mehr als bisher,
trägt die Sprache des Ver£ den Charakter der Emotion. S. 414.
Er entsetzt sich über die Auftritte beim (Jastmahl Trimalchio's
8. 415, und es hat den Anschein, als ob er für seine Vorstellung
die Parallele vom Jahr 1789 anrufen wollte. Dann wäre Petro-
nius* Darstellung das Vorbild La Mettrie*s. Die beredte Schilde-
*) B. unsere Anielge von Thlerry's TabL in den Hddelberffer Jahrbb.
1864. No. 67. *
**) 8. unsere Ansetge von Chauvin's Romanciers.
J. JabIb: Im Potete el fAoqveBae I Brnne. 4M
mng des CkustmahlB bei ihm nennt der Veif . eine Leiehenrede auf die
rOmisehe OeBellsehafk. 8. 416. Er yerweilt bei den Details 8. 417
n. 8. w. Wftre Trimalchio nicht das» was er ist, so müsse er Don
Jnan sein : h pauvre. (8. Moli^re*8 D. J.) Mit Becht hat der Ver£
es als ein Kaleidoskop Ton allen literarisohen Ckittongen bezeich-
net; denn er bedauert, dass Petron Torgessen hat, die Akte nnd
Scenen absntheilen, was aber nicht schwer sein dürfte nachzuholen.
S. 422: „Aifui PHrone, en sa eomidie au pur $el, vfoübUe pa$^
dam tautes ee$ dieadenca et dans iouies eea tnMres, de ngnaier la
tnU^e des arte, la d^eadenee du goüty earrupHons de Ve^nit, ^
iiennefit ä iautee le$ carrupiions du eoeur.^ Die Parallele zwischen
Petronius und Juvenal, wozu er sich yeranlasst sieht, ist interes-
sant. 8. 428: Juvenal nmis raeonte un de ces hcrriblee fesUns aü
U iride cHeni d'un sinaUurj placi au hae html de la tabU, manpe
en soupiratd un pain dur, a^ahreuve avec dauleur d^un vin frdaU; ü
nebüU paa la mimeeau que lemaitre. PHrone td phte ierribU que
JuvSnäl: ä wn ewwive tneulU, Pänmne difend mime la plainie.
En vom ce pauvre diable t^^erieraU qu^ü e$t himime Hbre ei gu'ü
a poff/ mUle deniers la Kberi/ de sa femme, pewr qt^dle ne servU
d^eseuie^main ä aon maUre (ne gme einu ÜHue memua tergeret). A
porte le müerable qui ee planäl ä la porte! Un Mte ei ginirmui!
Que Wed ü aueei paHent que favoeat Agamemnon!^ Wie sehr das
Satyricon seinen Namen rechtfertigt, bestätigt die ganze Darstellung
des Gastmahls bis auf das Schlussgebet, welches noch 8pott und
Ironie ist. 8. 424. und das Dessert krOnt erst recht würdig die-
ses in gastronomischer und philosophischer Beziehung so interes-
sante Werk. 8. 425. Würdig solcher Gastmahls&euden ist das
Bekenntniss einer fingirten Grabschrift Trimalchio's, »niemals Philo-
sophie gehört zu haben. € 8. 426. üebrigens: j^A la voix plainHve
de leur hdte oeeup4 de ces euprSmee dHaüe, lee eonvivee ne lamenieni,
ile vereent dee lärmte et jurent de ne pae lui eurvivre.^ Ich denke,
das reicht aus. Denn jetzt heisst es, Ue uns tombent »ou9 la table
u. s. w. Der Yerf. ruft zuletzt ans: „MtMis, je voueprie, Wen de-
fnandet pae davaniage:, powr euffire ä eee hänleux rieite, ü faudraU
awnr VatHeieme, Til^anee^ la poliiesse, fe/frtmterie de Patrone; ü
faut iire ^neurien eommt hd, et eomme lui un ipicurien qui n*a
phie rien ä mAuiger, ear taut ä fheure ü va mourir,^ und hier-
auf folgt das Endresultat des Verf., welches Bom*s Fall und Unter-
gang als die göttliche Nemesis bezeichnet. Wie einBefrain, ver-
glichen mit dem Schlüsse der Torigen Abhandlung, erscheinen die
Worte: „Heureusement qWä fheure eü s'aeeamplisaait la demUre
argie romaine, Dieuj dans sa juetice, remuaU, du fand dt leur bar^
barie, lee Hüne d lee Vandalee ü rSveiHait^ dans leur misirt d leur
aeeujdtisstment, quelques pauvres peekturs de J^rusaltm/*
Was wir gegen den Verfasser hierbei geltend zu machen, ist,
dass er mit seiner Zeitbestimmung noch immer auf einem aufge-
gebenen Standpunkte steht. Was er 8. 417 bemerkt, htttte ihn
466 T. WursbAoh: OUmpf imd Bdilmpt
ein Dilettantismus entgegen, wie man ihn bei einem Bibliothekar nidit
ftlr möglich halten sollte.
So sehr sich nnser Verfasser über die »näselnde Philologen-
stimme« eines Berliner Professors Instig macht, w&re ihm bei sei-
ner Snoht, dnrch Anftlhmng fremder Wörter nnd Phrasen zn glftn-
zen, doch dringend anznrathen gewesen, seinen Aufenthalt in Ber-
lin dazu anzuwenden, um bei einem der von ihm so geringge-
schfttzten »sprachkundigen Spreephilosophen« einige Collegien über
die ersten Regeln der Orthographie der germanischen und roma-
nischen Volker zu hOren. Er würde dann doch yielleicht gelernt
haben ^ dass es nicht hautgout und hautvol^e (S. 189), sondern
haut goüt und haute Toläe; nicht tont come chez nous (S. 130),
sondern tont c o m m e chez nous , und nicht c* j entendre
(S. 145), sondern s* j entendre heisst; dass femer das französische
Zahlwort quatre nie ein s als Zeichen der Mehrheit erhalt, wie
auf S. VI und 145 geschehen, das engliche Tory aber — nicht
Terry, wie S. 168 steht — sich in der Mehrzahl in Tones ver-
wandelt, und dass man endlich im Englischen Whigs, nicht
Wlghs (S. 168); im Holländischen Eeyzer, nicht Kayser
(S. 178), Eabeljaauw, nicht Eaabeljauw oder Eabeljauw
(S. 168—169) und voorst, nicht voerst (S. 179); im Spani-
schen cuatro, nicht quatro (S. 130); im Italienischen bacio,
nicht baccio (S. 60) und im Französischen pr^cieux, nicht
precieux (S. 103); ehr 6m e (altfiranzösisch cresme, Chrysam) nicht
cröme, was Sahne bedeuten würde (S. 104); Cröpin (altfran-
zösich Crespin), nicht Cr ispin (S. 108); m^decin (Arzt), nicht
medecine, was in der richtigen Schreibart mödecine lauten und
Arznei heissen würde (S. 129); öpingle, nicht epingle
(S. 130); app^tit, nicht appetit (S. 142); s^nevö, nicht se-
nev^ (S. 143); maröchal, nicht marsch al (S. 184) u. s. w.
schreibt.
Nach diesen Proben Ton Sprachenkunde können wir uns natür-
lich nicht wundem, dass Dr. Wurzbach tou Tannenberg auf S. 60
die Perser ihre Bezeichnimg des Eusses bus — nicht buss, wie dort
steht — vom basium der Römer bilden, und auf S. 169 den Pto-
veuQalen beharrlich hoi statt oc oder o für ja sagen lässt, obwohl
es allbekannt ist, dass gerade die verschiedene Ausdrucksweise
des »Ja« den Namen der beiden Hauptsprachen Frankreichs zn
Orunde liegt.
Da indessen bereits einer unserer competentesten Richter auf
dem Gebiete der Linguistik und Sprachforschung, Prof. Ai Euhn,
in Nr. 2 des »Centralblattes« sein ürtheil über den Werth oder
Niohtwerth der etymologischen Erklärungen in »Glimpf und Schimpf«
abgegeben hat, können wir uns ohne Weiteres zu dem Thatsftch-
Hchen in den geschichtlichen und culturhistorischen Erklftrungen
wenden.
Wir wollen nicht mit dem Verf. über die merkwürdige Logik
▼. WvrsbAeli: Glimiif imd Behtmpf. 461
rechten, welche er in der Wahl seiner Sprichwörter nnd sprich-
wörtlichen Bedensarten bekundet hat. Er selbst gesteht zn wieder-
holten Malen ein, dass er dieselben »ohne eine bestimmte Bioh
tong« ans seinem fertigen Material herrorgesncht habe, nnd so
finden wir denn unter den » Tafelfreuden « das Henker mahl; unter
den »Titeln und Werden« den Knecht und Lakai, und unter
»Kalender-Schimpf und Olimpfc die Bedensarten: das heilige
Grab hüten und kostbar wie das heilige Chrysam, und
sehen den ganzen Inhalt in acht Kapitel vertheilt, deren üeber-
schriften abwechselnd »Olimpfund Schimpfe oder »Schimpf und
Glimpf < lauten.
Dass aber Dr. Wurzbach von Tannenberg seine Erklärungen
vorzugsweise aus belletristischen Zeitschriften entnommen, ist jeden-
falls neu, und um so auffallender, als er an mehreren Stellen sei-
nes Buches mit rührendem Eigenlob von seinen unendlich mühsamen
» Quellenforschungen c spricht.
Noch neuer jedoch ist es, dass ein solcher Forscher, welcher
»das culturhistorische Gebiet«, wie er sich ausdrückt, »in einem
fost eolossalen umfang durchgearbeitet« und sein Buch naiy »ein
Oommentar« nennt, indem er mit stolzem Selbstbewusstsein hin-
zufügt: »Das ist ja der heilige Beruf der Gelehrten, Oommenta-
toren zu sein«, bei seinen Erklärungen alle chronologische Genauig-
keit ausser Acht Iftsst.
So heisst es z. B. auf S. 16:
»Der Spitzname Meissner Kothurn ist im J. 1536 bei
Ctelegenheit des Lftrms über die Annahme des bekannten Interims
in der Beligion entstanden.«
Nun hat es zwar seine Bichtigkeit, dass die Meissner diesen
Spitznamen den religiösen Zänkereien in Folge des Interim ver-
danken, nur war durch Zufall kein einziges Interim im Jahr 1536,
und wenn wir auch annehmen müssen, dass unser Verf., welcher
1851 seine » Sprich wOrter der Polen« dem damaligen Minister Bach
widmete, sich wenig mit protestantischer Kirchengeschichte
beschäftigt hat, so würde er doch aus jeder Geschichtstabelle für
Schulen augenblicklich ersehen haben, dass das erste oderBegens-
burger Interim 1541, das zweite oder Augsburger 1548 erlassen
wurde.
Dieser allzu geringen Vertrautheit mit jener Epoche der Be-
formationszeit wollen wir es auch zuschreiben, dass Herr Wurz-
bach von Tannenberg die historisch begründete Erklärung des
Spottreimes :
Meissner,
Gleissner !
»zum mindesten abgeschmackt findet.« Er weiss nämlich nicht,
dass dieser Beim eines Ursprungs mit dem »Meissner Gothum«
ist. und dass Luther selbst in seinen Briefen aus den Jahren 1542,
1548 und 1546 die Meissner wiederholt der »Gleissnerei« beschul-
4M ▼• WnribAok: Gilvipl «ml SdtepC
digta. (S, Xiiitbers BrUfe von de Wetto, fortgesetst von Sdi^J
(Bwliu 1828. 1856) V, 774. V, 591, VI, 314 u 9. £)
Ebenso yarteizt Dr. Wur^baeh von Tannenbarg auf & 168
die Entstehiuig der Parteinamen Hoeks u. Eabe^aauwa wiUkürlidi
ia*8 17« Jabrhandert, und verweobselt noch überdies beide Namen,
indem er sagt: »und zwar waren die Hoeks die Anhänger der
Städte mit rothen Eftppcben, die Kaabeljanws der Adel mit grauen.«
EEätte er nur einen Blick in Franz Löher*B vortrefflicbe äesohichto
der Jakobfta von Baiern geworfen, oder, bei seiner entschie-
denen Scheu vor ernsten Quellenwerken, wenigstens das ganz an-
spruchslose für junge Mädchen geschriebene »Buch denkwürdiger
Frauen« (Leipzig 1863) durchblättert, so würde er wissen, dass
die beiden Spitznamen Hoeks und Eabeljaauws schon seit der Mitte
des vierzehnten Jahrhunderts vorkommen, dass das erste Wort
»Haken« oder »Angelhakan« (nicht »Fischhaken« wie S. 168 steht),
das zweite »Kabeljau« bedeutet (nicht »Stockfisch«, da blos der
getrocknete Kabeljau »Stockfisch« genannt wird), und dass endlich
die Kabeljaus die reichen Bürger in den grossen und blühenden
Handelsstädten waren, die Hoeks aber aus Bittem und Bauern
bestanden. Nur einige missvergnügte Adelsgesohlechter hielten es
mit den Städten, während wiederum die mehr oder minder von
alten Familien abhängigen kleineren Städte auf Seiten das Adels
standen. Als Unterscheidung trugen die Hoeks rothe Hüte, (nicht
Kappen), die Kabeljaus graue, üeber den Ursprung der beiden
Benexmungen lauten die Erzählungen widersprechend. Nach der
einen sollen zwei Edelleute an einer Hoftafel sich gegenseitig diese
Namen zugerufen haben, nach einer anderen antwortete ein Schiff
der städtischen Partei auf den fragenden Anruf eines feindlichen;
»Kabeljaus haben wir geladen«, und die Antwort: »Jawohl, Kabel-
jau*s, wir wollen euch Kabe^jau's schon haken«, verhalf beiden
Parteien zugleich zu Namen.
Auch über den Ausdruck Maria di legno (S. 115) hätte sich
der Dr. Wurzbaeh von Tannenberg in einem ziemlich bekannten,
von einer Frau geschriebenen ünterhaltungsbuohe : Origine delle
feste veneziane di Oiustina Benier Michiel (Milano 1829) etwas
genauer unterrichten können, um den Irrthum zu vermeiden, das
Fest delle Marie statt am 2. Februar am 5. März feiern zu lassen.
Denn nicht am Festtag Maria Verkündigung, wie auf
S. 115 angegeben ist, sondern an Maria Lichtmesa fa«d in
ältester Zeit in Venedig der Brauch Statt, alle Brautpaare naoh«-
einander in der Kirche S. Pietro diCastello (damals Olivolo) vom
Bischof einsegnen zu lassen. Die Oeremonie, ursprünglich sehr
einfach, ward nach der Einsetzung des Dogen immer prunkvoller,
indem jedes Jahr 12 arme Mädchen, welche sich durch Schünbeit
und Tugenden auszeichneten, vom Staat ausgestattet wurden. Das
Volk nannte sie »le Marie« und das Fest nach ihnen »la feata
delle Marie.« In Folge des Sieges über die Triestiner Seeräuber,
bei wil^lMm sich die Eistenmaolier sehr berrorgethaii bitten, ward
auf deren Bitim beMblosMii , das« di« BriimeniDg an den glor-
Tüdm Kampf aUjahrliob dnrcb einea feieriiehen Zug den Dogen
in die Kirobe 6. Maria Forndoea begangen werden aoltte. Das Fest
Beibat dauerte acbt Tage. Die 12 Mftdcben, von denen jeder der
6 Stadttbeile oder Sestieri zwei sa w&hlen and xu sobmüoken
hatte» fobren an dem ersten Tage reicb geputat in offenen Barken
xnm Dogenpalast» wo der Doge» der die Wablen xa bestätigen batte,
siesdur würdeyoU empfing nnd siob mit ibnen in die Eirobe San
Pietro di Castello begab» nm einer Dankmesse beizuwobnen» Naob
derselben kehrten sie nacb San Maria Borüok» wo der Doge sie
feierliob entUess, nnd fahren mit Masik dorch den Canal grande,
de«een PaUste festlich gesebmüokt waren. Wechselweise eine der
edelsten nnd wohlhabendsten Familien der Stadt bewirthete die
Marien mit ihrem gansen Oefolge» and beschenkte sie so reichlich,
daes die Begierang die Aasgaben gesetzlich beschränken masste and
die ^hl der Marien im Jahre 1272 anf yier, später aof nnr drei
festoetste« Die nächsten Tage waren Öffentlichen Vergnftgongen
geweiht» bis am achten eine praohtYolle Prozession nach S. Maria
Formosa das Fest beschloss.
Da aber bei dieser die Bränte» welche mitsogen» dem religiö-
m Eindmck der Cermonie vielfach Abbruch tbaten» warden sie
durch Bolzpnppen ersetzt» and als das niedere Yolk seinen Un*
willen über diese Yeränderong an den Figuren aasliess, indem es
dieselben unter Pfeifen and Schreien mit Buben bewarf ward 1349
^n besonderes Dekret gegeben» am die hölzernen Pappen tot jeder
Miaehandlnng an schützen.
Dies nan gab die Veranlassang, den verhaltenen Qrimm» ohne
Wlß^ das Verbot an stossen» dadarch za äasseren» dass man jede
ii^i^^ere, kalte and alberne Fraa eine »hölzerne Marie« nannte.
Das Fest selbst ward 1379 während des Krieges TonCbioggia
Abgeschafft, nnd nor der jährliche Besach des Dogen an Maria
Lichtmess in der Kirche Santa Maria Formosa erhielt sich bis zam
Me der Bepablik,
Dass Dr. Wa;rsbach von Tannenberg anf 8, 30 den französi-
sehen Ansdrock »<^äteaax en Espagne« für analog dem Dentacben
^böhmische Dörfer« hält, ist am ao wanderbarer» da er selbst eine
Stdle von Montaigne im Originaltert mittheilt, aas wehsher deatr
hob hervorgeht» dass diese »Schlösser in Spanien« eins mi^ nnsem
^I^aftseblösaem*) sind» and Pasqnier» den er ebenfalls citirt» ans-
^^ktioh sagt: »C'est poorqooy on a dit qoe celoj fait en eon
^^t das dhaateaax en Bspagne» qaant il s'amose de penser ^ p^^
8oy ^ ohoae q^^ n*estoit faisable«« Mahn,
_ _•) Italleiilach: csstalU ta sria, spaotech; cordss de area (B ^„^™'
Lttft^; portnjIeBlBch: projectos no sr (Pläne ip die Luft): englk^ mamns
oi ihe 8ir;/honftndl8eh: kssteelen hi SpsDJe oder LnchtksstA^ma^apao» in
^«ftesstdpiMr a. s. w, 4>am (altfranzösiseh
/
f
MO y. Wvrsbfteli: Gfimpf und Seliimpf.
Nioht minder seltsam ist es, auf S. 19 zn lesen : »Jan Hagel
— John Bull ist der Ansdrack fUr den pGpelhaftesten P5bel<,
da man unter John BuU bekanntlich die ganze englische Nation
Tersteht, Janhagel aber nur dem englischen mob entspricht.
Auch das holländisch sein sollende »duysche muff (8. 36)
beruht wohl auf einem Hissverständniss , indem mof allein schon
der Spottname für die aus Westphalen kommenden Mäher ist, und
zfthbeiche Sprichwörter in Harrelom^'s Spreekwoordenboek der
nederlandsche Taal (Utrecht 1858^61 beweisen, dass der Holländer
nie de dnitsche mof sagt.
üeber das, was namentlich nach englischen Ideen einen gentle-
man ausmacht, scheint der Verfasser von »Glimpf und Schimpf«
zum Mindesten noch nicht ganz klar zu sein. Denn ein echter
englischer gentleman macht z. B. keine »losen« und »ungentilen
Streiche«, wie ihm auf S. 185 zugemuthet wird. Er überliess das
früher dem rake, später dem young man about town, und wer den
Typus des echten englischen gentleman in seiner höchsten Voll-
kommenheit kennen lernen will, den Terweisen wir auf Thackeray's
meisterhafte Gestalten Dobbin in Vanity fair, und colonel Newcome
in den Newcomes.
Indessen gehört allerdings gentlemanlike zu den Begriffen,
welche man nicht kaufen kann, wie einen Titel, und welche man
durch und durch fühlen muss, um sie nur einigermassen richtig
erklären zu können. Vor Allem sind Wahrheitsliebe und
Höflichkeit zwei Eigenschaften, welche man besitzen muss, um
Anspruch auf die Bezeichnung gentleman zu haben.
Mit besonderer Vorliebe hat unser Verf. die Artikel Bönhase
(für Pfuscher) (S. 158->160), Klopffechter (S. 166) und Schimmel-
reiter (S. 5—7) behandelt. Dagegen hätte er S. 191 zu dem
Sprichwort :
Gewiss kein Messer besser schirt.
Als wann der Knecht zum Herren wird,
nicht die bekanntere Variante desselben auslassen sollen:
Kein Messer ist, das schärfer schiert,
Als so der Bauer ein Edelmann wird,
üeber den Ausdruck »Quatre mendiants« (nicht »les quatres
mendians«, wie S. 145 steht) hätte Dr. Wurzbach von Tannenberg
in jedem grösseren französischen Wörterbuch die ihm nöthige Be-
^ lehrung linden können.
Unter quatre mendiants yerstehen nämlich die Franzosen ge-
???*^öhnlich nicht »vier Bettler«, sondern die vier sogenannten
.!^^tt clor den, und wie man in NorddeuteohiKnd ein Oemisdi
eintach, rändeln und Rosinen — ob anderswo auch Vei^^^ xmd Nüsae
*"^* tJ* ^^ ören, wie der Verf. sagt, weiss ich nicht — »Studenten-
™7^^8®^f ®Snt, so bezeichnet man in Frankreich eine Schüssel mit
I n Sr*^ %ubenrosinen , Mandeln und Haselnüssen aU fr^it de
aeUe Mane.« In i:.-^en scherzhaften Namen: »vier Bettl^yordea«,
T. WvrsbAeh: Olimpf imd SeUnpf. 461
weil, wie BeschereUe (Diotionnaire National ou Diotionnaire üni-
▼ersel de la langae fran^aise. Paris 1858) angibt, jede dieser
Frflchte einen dieser Orden gewissennassen zum Patron haben soll«
Wenigstens kömmt diese Erkltlrang schon in einer Predigt vor,
welche P. Andrä vor Lndwig XIIL hielt.
Die geniale Deutung, welche unser Verfasser auf S. 121 den
Martinshörnern gibt, indem er sie ernsthaft für »eine Nachahmung
der Heiligenstrahlen« auf allen Bildern des hl. Martin h<, Iftsst
beinah glauben, dass fOr ihn die zahlreichen Forschungen auf dem
Gebiete der Sagen und Sitten, die wir einem Grimm, Kuhn, Lieb-
re<%ht, Bochholz, Simrock, Wolf, Zingerle u. vielen A« verdanken, völlig
vergebens gewesen sind. Und doch hätte er in Simrock*s treff-
lichem Werkchen: Martinslieder (Bonn 1847) nicht nur die beste
Auskunft über den Ursprung des Martinsfestes und der an ihm
flblichen BrtLuche, sondern auch den richtigen Text des S. 119
mitgetheilten Beimes gefunden, welcher:
Stoockt vyer, maeckt vyer:
Sinte Märten komt hier
Met syne bloote armen,
Hy soude geeme warmen
ond nicht: Stockt Yyer an, makt Vyer
Sinte Martin kommt hier
Met syne bieten Armen
Hy soude gerne warmen,
lautet, und nicht von der jetzigen Jugend in Holland, sondern
ehemals von den vlaemischen Kindern gesungen wurde.
Denn das jetzige Martinsfest ist nichts, als der Best eines
altbeidnischen Wuotansfestes, welches der Legende des hl. Martin
die ihm nöthigen Anhaltspunkte entlehnt hat, um sich in ein christ-
liches Fest zu verwandeln.
Bezeichnend für das hohe Selbstbewusstsein unseres Verfassers
ist es, dass er S. 126, wo er den Ursprung des Marzipanes von
den Brödchen herleitet, die man in Sachsen zur Erinnerung an eine
Hungersnoth im Jahre 1407 oder 1480 jährlich am Markustage
gebacken und desshalb Marci panes genannt haben soll, die Worte
hmznfügt:
»Nach anderer Deutung soll der Erfinder dieser Leckerei
ein Italiener, Namens Marzo, gewesen sein und von diesem
der Name herrühren« Die erstereDeutung ist aber die
richtige.«
Sind wir nun auch nicht anmassend genug, eine Frage ent-
soheiden zu wollen, welche selbst Sprachforscher, wie Diez, Mahn,
Scheler u. A. ungewiss lassen, so wollen wir doch daran erinnern,
daaa das Marzipan schon vor dem 15. Jahrh. als panis martius
vorkömmt, dass es in Spanien ma^apana, in Portugal ma^pao, in
der Provence massapan, in Frankreich massepain (alt&unzösisch
46S Behoeiie: QttäHt ffleronymkAae.
aianrcdi^fiüi), in ItaUen manapäne, in deü Nieddrlanddn marMpefaiy
i& Englaikd marebpane heisfft, und das« tis jeden&lls voii dttt Bo-
maneti zn tttis gfekommen ist, indem es nicht nur in Spanien und
der Provence seit alter Zeit im den flbliehen Weihnachtegebttcken
gebort, sondern aucb dort den Kamen ^^gestampftes Brot«
(portngieslBCb und spanisch ma9ar, proTencaHscb mass^, ^tfranzö-
siseb masser, stampfen) trttgt, der seiner Znbereitting atis gestampf-
ten Mandehi mit Zncker nnd Mehl entspricht.
Einige Latinistefl schreiben Übrigens die Brfindtmg des Mar-
xipans dem B5mer Marens Apicins zn nnd geben somit der Be-
nennung des Gebftckes eine Shnlicbe Ableitung, wie den bekannten
pralines, welche vom Koch des Marschall Da Plessis-Piulln ber-
rttbren sollen.
Doch wir glauben, dass die hier mitgetheilten Proben genügen
werden, um zu zeigen, was ron den unter dem Titel > Glimpf und
Schimpf« veröffentlichten Erklärungen von 8priehw5rtem ta halten
sei, und brauchen wohl nicht erst binsuzuftlgen, dass ein solches
Buch weder Concurrenz, noch irgeadwelche Benutzung zu fOrch-
ten hat. Frb. v. ReiBsberg-DfiringsfeM.
Quaedhnum Bienrnymidnamm capUa 9ehcta 9cripdt Alfred
Sehoene, pkU. Dr. BenMM apud WMmamioB. MDCCCLXIV.
59 S. gr. 8.
Diese Sehrift loU als YorlaaÜBar einer von dem YetÜMSor be*
absiolitigten seuMi Ausgabe der von dem H, Hieronymus veran-
stalteten lateinischen Bearbeitung der leider grossentheih verlore-
nen Chronik des Ekasebins gelten, die uns nur in dieser ^ wie In
einer armenischen üebertragung noch bekannt ist: es sali eine
handUehe^ zum bequemen Gebrauch der Gelehrlen eingerichtete
Ausgabe werden (vgL p. 5)^ die vor allem einen urknndlieh treuen,
attf die illtesten und siehersten Quellen der handsehrifkliehen Ueber-
liefenmg zurttckgeftthrten TeKt bietet. Dass diess aber^ auch ab-
gesehen von Andeonn, eine Nothwendigkeit ist, hat Jeder eifoliren,
der in der Lage war, bei seinen Studien auf diese Chronik dM
Hisiwjmus, die für uns jetzt bei dem Untergang so vieler andern
chrottologisclMn Sohriften dn AltertbuniB^ so wichtig ist» lurück-
gdken au mOBSsn: die BesclMfifenkeit des Textee in den Ansgaben
von Pontacus und Scaliger, welche der Verf. richtig abarakteriairt
(S* 5)t irt von der Art^ dais eine Abbftlfis dtnageod evsoheint,
namentHeh aenli in Besag ani die Skihlen, nd die YeiiebiedaBtaelt
derAngabeny welohe hier obwaltet Bewar daher vor Allem attiUg,
naeb den ältesten Haadachriften^ welohe die Onmdlage deeTeKtes
bildett mttssent sixab umzueehen und so ein sinberee iVindament m
gewinnen« Und dieaa liat der Yerf* in sehr befinadigender Weise
Sebo^ne: QriMSt HterouyitJiiliAö« Ä6t
gethan: der gtössere Theil der Schrifb ist diesem Gdgenetande in
einer nftheren ünterstichtuig dieser kandscliriftlielieii Qoelleii ge^^
widmet, welche in dem ersten Capitel aafgezfthlt und beschrieben
werden, in der Weise, dass an erster Beihe die ton dem Verf.
selbst eingesehenen nnd rergKchenen, in zweiter Beihe die übrigen,
ihm Irgendwie bekannt gewordenen Handschriften verzeiehnet sind s
dast die erste Beihe die bedeutenderen enthftlt, nach welchen ror«
sngsweise der Text zn gestalten ist, wird kaum zu bemerken nOthig
sein. An erster SteUe erscheint die Handschrift ron 8t. Amand,
Jetzt m Yalenciennes, wohl erhalten und ans dem siebenten Jahr^
hnndert, an der zweiten der Bemensis oder Bongarsianns , ans
Orleans oder yielmehr ans der Abtei Flenry in dessen Nfthe stammend,
auch ans dem siebenten Jahrhundert (zwischen 627-^699), an
dritter der Leidensis, früher Freherianus (weil im Besitze von
Freher) aus dem Anfang des neunten Jahrhunderts: beide schon
von 8caliger benutzt ; an vierter ein anderer Leidensis, früher Fe*
tavianus, weil in dem Besitze von Petan, aus dem Ende des neun«
ten oder An&ng des zehnten Jahihunderts imd von Fontacus bei
seiner Ausgabe benutzt! dieser Handschrift angebunden auf sechs
Fergamentblättem in Unzialschrift des siebenten Jahrhunderts:
Fragmenta Petaviana; dann folgen drei andere Leidner Hand*
Schriften, die eine aus Oorvie stammend, aus dem Jahr 1153, die
zweite aus dem Ende des zwölften oder Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts, die dritte aus dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahr-
hundert, unter den vom Verf. selbst nicht eingesehenen, aber zu
seiner Kenntniss gelangten Handschriften, namentlich den zwanzig
in Bom befindlichen, über welche dem Yerf. eine Mittheihng von
Mommsen zukam, nach welcher dieselben, vielleicht mit Ausnahme
einer einzigen, mit den älteren, vom Yerf. selbst eingesehenen Hand*
Schriften nicht in Yergleich kommen, dürfte nur das Ms. Fuxense,
(aus Toulouse) in Betracht kommen, weil darnach Fontacus haupt^*
sächlich seine Ausgabe veranstaltete, und aus seinen Mittheilungen
die GKlte und der Werth der Handschrift, welche der Yerf. dem
Cod. Amandinus und Petavianus fast gleichstellt, erhellt, wenn auch
gleich diese Handschrift etwas jünger, aus dem zehnten oder eilften
Jahrhundert zu sein scheint. Die verschwundene Handschrift scheint
nach einer Mittheilung, jetzt zu Bom in der Yaticana sich zu be*
finden: indessen dürfte eine nähere Untersuchung wttnscfaenswerth
sein, um darüber volle Sicherheit zu gewinnen.
Das andere Capitel sucht nun die Yerhältnisse dieser Hand-
schriften, zunächst der ältesten, in erster Beihe aufgeführten, unter
und zu einander zu bestimmen, um darnach auch weiter den Werth
derselben festzustellen, in Bezug auf die Gestaltung des Textes.
Es werden zwei Classen oder Familien unterschieden, deren erste
durch den Bongarsianns repräsentirt ist, die andere durch den
Amandinus, die Fragmenta Petaviana und den daraus wahrschein-
lich geflossenen Petavianus und den Leidensis oder Freherianus;
464 Sehoene; Qnaest HlerooymUiue.
diese ältesten Handschriften müssen nach dem üriheil des Verf.
die Grundlage des Textes bilden (S. 37), und zwar glaubt er unter
diesen dem Bongarsianus die erste Stelle in so weit zuerkennen
zu mflssen, als er allein keine Spuren irgend eine Diorthose oder
Nachbesserung enthält, und auch in der Form, namentlich in der
Orthographie der Urschrift des Hieronjmus am nächsten zu stehen
scheint (S. 49). Darum gedenkt auch der Verf. die Orthographie
dieser SÜEUidschrift in dem yon ihm zu liefernden Texte möglichst
beizuhalten, namentlich auch da, wo dieselbe mit der des Aman-
dinus übereinstimmt, in abweichenden Fällen wird dem Bongarsi-
anus der Vorzug gegeben, wenn nicht ein offenes Yerderbniss der
Schrift vorliegt.
Wir haben im Vorstehenden uns auf die Angabe der Resul-
tate beschränkt, zu welchen die Untersuchung des Verfassers ge-
langt ist, wir haben aus diesem Orunde Manches übergangen, was
zur Begründung dieses Resultates angeführt ist, das auch uns ziem-
lich sicher gestellt zu sein scheint. Denn es mag zweifelhaft er-
scheinen, ob je ältere handschriftliche Quellen, als die, welche in
dem Amandinus und Bongarsianus Yorliegen, aufgefunden werden,
und wenn jenes Fuxense Mss. wirklich in Rom sich befindet, als
Cod. Regius 560, so muss der Zusatz: »saec. Allil Tel fort.
Xni, »schon einiges Bedenkengegen seinen Werth, im Vergleich zu
jenen älteren Quellen erregen. Wir bemerken weiter, dass der
Verf. die Mühe nicht gescheut hat, an Ort und Stelle, zu Bern,
wie zu Valenciennes, die beiden genannten Handschriften zu ver-
gleichen, während die Leidner Handschriften ihm zugeschickt wur-
den Behufs der Vergleichung. Wir können also mit vollem Ver-
trauen dem gewiss wünschenswerthen , baldigen Erscheinen der
neuen Ausgabe der Chronik des Hieronjmus entgegensehen.
Als Appendix ist S. 51 ff. eine Anzahl von Versen, welche in
dem Cod. Freherianus, der auch das sogenannte Chronicon consu-
lare des Prosper enthält, auf dieses folgen, beigefügt; ihr Verf.
unterschreibt sich Bonifatius crucicola: aus der Anrede an
Marinus, glaubt Mommsen in dem letzten den Praef. praet. unter
Anastasius im Jahr 515 zu erkennen, woraus allerdings ein Schluss
auf die Zeit der Abfassung dieser Verse gemacht werden könnte,
wenn diese Vermuthung anders Grund hat. Auch ist jener Boni-
fiatius, der in keinem Fall mit dem berühmten Mainzer Bischof zu
identificiren ist, völlig unbekannt.
Ir. 30. BEIDELBEBGEfi 18M.
JAHBBÜCHER DER LITERATUR.
Aeaehyloa Agamemnon. Oriechüch und Deui$eh, mit Einle^
tungj einer Abhandlung zur Aeschylischen Kritik und Com^
meniar. Von Karl Heinrieh Keck, Leipzig, Druck und
Verlag von B. Q. Teubner. 1863. XIV und 480 8. in gr. 8.
Wenn eine Anzeige dieser schon vor bald zwei Jahren erschienenen
Schrift yerspfttet erscheinen solltei nachdem auch schon andere kri-
tische Blätter dieselbe znm Gegenstand der Besprechung gemacht haben,
80 wird vor Allem darauf verwiesen werden dürfen, dass es sich hier
nciht um eine ephemere Erscheinung handelt, sondern um eine Arbeit,
die in dem einen Theile derselben schon vor siebzehn Jahren be-
gonnen, dann ununterbrochen fortgesetzt ward, und in den letzten
beiden Jahren fast jede freie Stunde in Anspruch nahm. Der in
jener ersten Zeit nämlich gemachte Versuch einer üebersetzung des
Agamemnon führte unwillkührlich zu einem weiteren Versuch der
Wiederherstellung des theilweise in einer so yerdorbenen Gestalt
auf uns gekommenen Textes, und dieses Streben musste, bei dem
innigen Zusammenhang der Kritik und Erklärtmg, ebenso unwill-
kührlich auch dahin führen, die letztere in den Bereich der
zu lösenden Aufgabe zu ziehen. Indessen war es hier keineswegs
die Absicht, einen erschöpfenden. Alles Einzelne berücksichtigen-
den, Wort um Wort erläuternden Gommentar zu geben, wie ihn
%, B. die Ausgabe von Klausen, zumal in der neuen Bearbeitung
von Enger liefert, auf welche daher auch ausdrücklich verwiesen
wird, sondern insofern an die Stelle eines solchen Commentars die
üebersetzung mit der vorausgehenden ausführlichen Einleitung treten
soll, nehmen die dem Texte und der üebersetzung nachfolgenden
Anmerkungen nur Bezug auf einzelne Stellen, und zwar auf solche,
wo eine kritische Erörterung nöthig war, oder das richtige Ver-
ständniss noch nicht gegeben, durch eine weitere Erklärung ange*
bahnt und auf diese Weise die Gesammtaufbssung gefördert wor-
den sollte: und dass hier insbesondere die schwierigen Stellen, an
denen es in dieser Tragödie keinen Mangel hat, so wie die ver-
dorbenen näher besprochen werden, bedarf wohl kaum besonderer
Erwähnung: der Verf. war dabei auch von dem weitem Wunsche
geleitet, Studirenden der Philologie, welche das Buch gebrauchen,
in diesen Erörterungen, in welchen Kritik und Erklärung mit ein-
ander verbunden ist, eine praktische Anleitung zu geben, wie bei-
des in Verbindung mit einander zu behandeln sei (S. XU).
Wir haben es also mit dem Texte, wie mit der üebersetzung
sammt der ihr vorausgehenden Einleitung und mit den nachfolgen-
ym. Jahfg. 6. Heft 80
den Aomerkongen zu thun, und wollen über diese drei Funkte zür
näekflt unseren Lesern berichten.
Wir beginnen .mit der üebersetznng, welche, wie der
Verfasser ausdrücklich bemerkt S. VIII, nach dem ersten Entwurf
nicht weniger als viermal eine völlig neue Form gewonnen hat
^nd »jetzt als künstlerisches Ergebniss sorgfältigster und eindring-
lichster Studien« voigelegt wird. Der Yeif, wünscht als würdiger
Nachfolger W. von Humboldt's und Droysens zu erscheinen: (wir
werden wohl diesen beiden Namen den Namen Donner*s bei-
zufügen haben, der seine Meisterschaft der deutschen üebersetzungs-
JbEmst i^ucl^ am AescbjloB bewährt hat), er g^ubt indessen, dass
eeine Uebersetzung »in Erfassung und Wiedergebung ftschjUacher
SigepheiteUj vor Allem seines plastischen imd trotz aller Erhaben-
b^t nie schwülstigen imd unklaren Stils«, über die Leistungen
beider hinausgehe (was wir auch im Einzelnen bestätigt gefonden
Jkaben)) den Forderungen des Genius der deutschen Sprache glaubt
er stets gerecht geworden zu sein, aber eben so auch die ächte
tJebersetzertreue gewahrt zu haben, und wenn er im Einzelnen
griechische, sprichwörtliche Bedensarten freier ins Deutsche über-
vagen, ohne Verletzung des in ihnen liegenden Sinnes, so war er
dagegen bemüht, »Alles, was dem grossen Dichter auf dem Boden
seiner Nationalität individuell und eigenthümlich zu sein schien,
fißstznhalten und wort- und stilgetreu wiederzugeben« (S. IX). Auch
was das Metrische betrifft, war sein Bestreben dahin gerichtet, die
äschvlischen Bhjthmen möglichst nachzubilden; zu einzelnen Ab-
weichungen nöthigte Natur und Charakter der deutschen Sprache,
ivie diess wohl bei jeder üebersetzung poetischer Stücke des Altei^
thun^ der Fc41 sein wird. Wir wollen als Probe der üebersetzung
die Ansp^c^cd^ des Agamemnon an den Chor Vs. 799 folgen lassen :
Nnr seltnen Menschen ist die Sinnesart verliehn,
Nei4)os ZfX ehren einen hochbeglückten Freund.
Penn Qi& der Mi^ssunft frisst sich leicht ins Herz hinein
Vi^i w^t die Q];alen doppelt schwer dem krankenden:
Oe^iile]^ yen seinen eignen Leiden ächzet er,
JJni Bf^^n mnss er, wenn er schaut aofs fremde Olück.
Aohl aus Erfahrung — denn die Probe kenn' ich wohl
Des langem Umgangs — nenn* ich manchen, welcher n^ir
Viel triebe 3eigte, Schatten eines Schattens nnr.
J^, blpps Odjsseus« folgt' er auch ungern dem Zug,
7r^ nnve^rdrossen, wann es galt, das Joch mit mir ^
Ob nun er todt ist oder noch im Leben weilt.
Pas andre, was die Oötteri was den Staat betrifft»
Pas soll gemeinsan^ vor berufnem Volkesthing
Beriten werden: und wie dann das tüchtige
kmtikfiim AgtaAemrktm von &e6k. 4BT
Auch danernd sieh erhalte, das erwftgen wir;
Wenn aber notton [?] Arzenein heilsamer Art —
Nnn wohl! so brancht man Feuer auch nnd MesBerschnitt
und suchet schonsam abzuton den schlimmen Krebs.
Doch non hinein an meines Herdes Heiligtum,
um allererst den Oöttem meinen Süss zu weihn,
Die, einst Oeleiter, jetzo mich zurückgeftLhrt !
Mein ist der Sieg bis heute, bleib* er*s wandellos 1
nnd fügen zur Yergiaichung die üebersetzung derselben MeUe dureh
Donner bei:
Nur wenig Menschen eigen ist die Sizmesart,
Neidlos den Freund zu ehren, der im Glücke wohnt.
Denn wo der Abgunst feindlich äift am Herzen sitrt,
Da schafft es zwiefach herbe Qual dem Krankenden:
Er fClhlt vom eignen Ungemach sich schwer gedruckt,
Und jammert, dass er sehen muss das fremde GltLck.
Aus eigner Kunde red' ich, denn ich kenne wohl
Der Menschenfreundschaft Spiegel: bloss des Schatten» Bild
War alle Neigung, die mir höchste Liebe schien.
Und nur Odyseeus» ging er auch ungern zu Schiff,
Zog stets am gleichen Joche treuverbündet mir:
So sag' ich, sei er lebend oder todt bereits.
Das Andre, was die Götter und die Stadt betrifft,
Das soll im allgemeinen Bath yereint Ton uns
Erwogen werden. Was sich als gesund erprobt,
Für dessen Dauer sorgen wir mit treuem Bath:
Doch wo*s der Heilkrafb edler Arzenei'n bedarf,
Da laset mit Feuer oder Schnitt uns wohlbedacht
Versuchen, wie wir solches Weh bewftltigen.
Nun geh* ich ein zum Hause, grüss* am Vaterherd
Zuerst mit adjgehobner Hand die Himmlischen,
Die fem hinaus mich sandten, die mich heimgeführt.
Wie Nike nun mir folgte, sei sie ewig meini
Eine weitere Probe mag der Bede der SHytamnestra nach
ToUbrachtem Morde des Agamemnon entnommen sein: Vs« 1882 ff.
Von vielem früher zeitgemttAs gesprochenen
Das Gegentheil nun sag' ich, ohne Sdham und Sehen.
Wie könnte sonst man Feinden, welche Freunden gleioh
Erscheinen, Feindschaft bieten und ein Jammemetz
Aufzäunen, höher aU der kühnste Sprung sie trftgt?
Bei diesem Kample war ich lange echoa bedacht
Auf Siegsgewissheit: endliohi endlich kam der Slegl
Hier steh' am Ziel ich, stehe bei vollbrachter Tat.
M Aesdiylofl Agamettuioii von iCttclc.
So war der Anschlag — und ich rühm* os öffentlich —
Dass keine Flacht ihm, keine (xegenwehr yerblieb«
Ein weites Fanggam, ähnlich einem Fischernetz,
Ward rings genestelt, faltenreiches Tmggewand:
Zwei schwere Hiebe! mit dem zweiten Weheruf
Streckt schlotternd er die Glieder« und dem liegenden
Versetzt* ich noch den dritten — diesen Segensgrass
Hatt* ich dem Heiland dort im Schattenreich gelobt.
So schwillt er, jenem auszuspein die Lebenskraft:
Da schnaubt er jfthlings seines Bluts Sprühregen aus
und trifft mit dunklem Tropfen mich des roten Tau*8.
Das war ein Labsal, wie der niederträufelnde
Demant dem Saatfeld, wenn -die Knospe kreisend schwillt.
(Zorn Clior.)
So steht's I bedenkt es, graue Häupter dieser Stadt,
und freuet nun euch, wenn's beliebt: ich juble drob.
Ja, ziemten Dankesspenden über Leichen sich,
Hier wären recht sie, oder nein! mehr als gerecht.
Solch einen Kelch voll Fluches, den er uns im Haus
Bis oben ftQlte, trinkt er selber heimgekehrt.
worauf wir gleichfalls die üebersetzung derselben Stelle von Donner
nachfolgen lassen?
Kühn, ohn* Erröthen, sag* ich nun das (xegentheil
Von Vielem, was ich früher sprach der Zeit gemäss.
Wie könnte sonst dem Feinde, der als Freund erscheint,
Der Feind mit Hass entgegnen, wie des Jammers Netz
Ulm stellen, das unüberspringbar hoch sieh schlingt ?
Mir kam er endlich, lange schon Yorausbedacht,
Der Kampf des alten Grolles, ob mit Zögern auch.
Da steh' ich jetzt am Ziele, wo mein Opfer fiel.
und 8 0 YoUzog ich's und yerläugn* es nimmermehr^
Dass weder Flacht ihm übrig war noch Widerstand.
Ein endlos lang Gewebe, gleich dem Fischemetz,
Schlang ich um ihn, ein reiches Frunkgewand des Leids.
Ich traf ihn zweimal; zweimal stöhnt er auf und lässt
Sofort die Glieder sinken: als er niederlag.
Versetz^ ich ihm den dritten Schlag, willkommnen Dank
Dem Todtenretter Hades dort im Schattenland.
und also haucht er sinkend aus des Lebens Geist;
und wie des Blutes jäher Strahl aussprudelte,
Bespritzt er mich mit dunkeln Tropfen rothen Thau's,
Die mich erfreuten, wie Kronions feuchter Süd
Die Saaten, wenn's im Mutterschooss der Knospen schwillt.
Ob scAphen Glttok's, ihr grauen Häupter dieser Stadt,
\
\
AeBcbylos Agamemnon von Keck. 460
Prent euch, wofern ihr Freude fWilt ; ich juble laut !
Ja, ziemte sich*s, Trankopfer über Leichname
Zn sprengen, wttr' es hier gerecht, ja voUgerecht.
Er, der so rielen Wehes fluchbeladenen Eeloh
Im Hause ftlllte, leert ihn nun heimkehrend selbst.
Wenn diese TTebersetzung, welche dem griechischen Texte
gegenüber auf jeder Seite ihre Stelle erhalten hat, als eine Art
Yon Commentar angesehen werden soll, welcher die richtige Einsicht
in das Einzelne vermittelt, so bezweckt die um&ssende, vorausge-
schickte Einleitung das richtige Yerstanduiss des Ganzen und der
diesem Drama zu Omnde liegenden Idee, so wie der Art und
Weise der Durchführung S. 1—43. Der Verf. nimmt hier seinen
Ausgangspunkt von. der dem Stück zu Orunde gelegten Orestes-
sage, deren Homerische Gestaltung er zuerst angibt, sowie die
Nachhomeriscbe Umbildung derselben, um daran eine nShere Dar-
stellung der aeschjlischen Fassung derselben zu knüpfen, wie sie
in dieser Trilogie, deren erstes Glied der Agamemnon bildet, durch-
geführt ist. Wenn hier, namentlich was den Schluss der Trilogie
betrifft, die Anknüpfung und Beziehung auf politische Institutionen,
die gerade damals in Athen Gegenstand so lebhafter Erörterung
und selbst des Streites unter den beiden politischen, sich entgegen-
stehenden Parteien Athens geworden waren, hervorgehoben wird,
so ist der Verf. doch weit entfernt, in derartigen und auch noch
andern politischen Motiven, wie z. B. in dem Bunde von Athen
und Argos, den Grundgedanken des Gkinzen zu finden, er ist viel-
mehr der Ansicht, dass Aeschylus »nie seine Poesie zur Dienerin
einer politischen Tendenz herabgewürdigt, sondern hier wie ander-
wärts die Begebenheiten und die Stimmung seiner Zeit nur inso-
fern verklärt, als es unbeschadet der sittlich religiösen Idee, die
sich ihm in seiner Schöpfung verkörpert, geschehen kann« (S. 12).
Auch wir sind der üeberzeugung, dass die Grundlage eines jeden
aeschylischen Stücks in einer höheren religiösen Idee zu suchen
ist, an welche zwar oftmals auch politische Beziehungen sich an-
knüpfen^ da in der Anschauungsweise des Dichters sich beides an
einander anknüpft und mit einander verbindet, und erkennen da-
her selbst in den Persern, diesem scheinbar am meisten auf die
äusseren Yerbältnisse, die unmittelbar vorausgegangenen Befreiungs-
kämpfe, bezüglichen Stück, auch nur die Darstellung einer höheren
Idee, die Vorstellung jener hohem, im Hintergrunde aller irdischen
Dinge und der gesammten Natur und W^lt stehenden, göttlichen
Macht, welche vor Allem menschlichen üebermuth, menschliche Er-
hebung straft und in die dem Menschen nach der ewigen Welt-
ordnung gesetzte Schranken zurückweist: eine Lehre, die eben so
sehr im Leben der Völker wie in dem Leben jedes Einzelnen Geltung
hat und uns desshalb zur Unterwerfung unter den göttlichen Willeui
zur Demuth und zu einem in Allem Mass haltenden Handeln südinen
4tQ A#9ohgrlQ6 Aymmpnftn tos K^elu
soll, die insofersL mit der g&ttUeheii Gereoktigkeitsidee zagammen-'
fMlt. Es ersclieint daher auch richtig, wenn der Yert weiter in
Bezug auf die hier vorliegende Oresteische Trilogie daran erinnert»
dasB wir hier vor Allem der Yorstellung von einem blind walten-
den Schioksal, das den Mensclien wider Willen in Schnld nnd Ver-
derben stürze, nns zu entschlagen haben, dass Aeschylus von der
YorsteUnjpig eines unbeugsamen alle individuelle Freiheit zermalmen-
den Fatum's himmelweit entfernt gewesen ist. Ihm ist vielmehr (so
flQurt derYerf« weiter fort) die Moira gleichsam als der seelische Ge-
halt des materiellen üi^rundes, aus dem Alles hervorgegangen ist,
der AUmutter Erde, das vor allen Göttern dagewesene ewig unwan-
delbare Weltgesetz oder Weltgeschiokt daa, obgleich ohne Bewusstsein
und Persönlichkeit mit eiserner Notwendigkeit auf dem physischen
wie auf dem ethischen Gebiete an bestimmte Ursachen bestimmte
Wirkungen kettet und so dem göttlichen und menschlischen Indi-
vidunm daa Bereich und die Bedingungen seines Handelns und
seiner Freiheit von Ewigkeit gesetzt hat (S. IS). Das Yerhältnisa
dea Zeus zu dieser Moira, nach deren ewigen und unveränderlichen
Satzungen er das Weltregiment fUhrt, wird dann weiter er^&rtert»
und eben so diesem gegenüber das Yerhältniss der Menschen, welche
einer vernünftigen Freiheit und Selbstbestimmung theilhaftig sind
innerhalb dieser Schranken, welche die ewige Ordnung der Welt
und Natur, die Zeus aufrecht zu erbalten hat, ihn^ gesetzt
hat; sa wie sie aber thörigten Sinnes und verblendet von der
Leidenschaft, diese Schranken übersehreiten» gerathen sie in Sünde
und lallen der daftkr eintretenden Strafe anheim» deren YoUziehung
Zeus zu leiten bestimmt ist. Und wenn selbst die Nachkommen»
Söhne und Enkel, ja ganze Generationen in diese Sünde und damit
auch in die Folgen derselben, in die Strafe hereingezogen und ver-
strix^kt werden, wenn Sünden und deren Strafen auf einander sich
folgen und jieder Mord neuen Mord nach sich zieht, bis endlich
eine höhere Macht einschreitet, Sühnnng und Beinigung bringt,
und dadurch die moralische Weltordnung erhält, so haben wir damit
das grosse Problem» das Aeschylua in dieser Trilogie zu lösen
unternommen hat (S. 1&). Der Yerf. sucht diess nun im Einzel-
nen an den in dieser Trilogie auftretenden Personen, ihrem Thuiv
und Leiden,, nachzuweisen und geht hier näher auf die Art und
Weise ein» in welcher der Dichter sie zu diesem Zwecke gemäss
dargestellt hat, wobei unter Andern auch dem Alastor oder Bache^
dämon,: der hier in besonderer Weise hervortritt, eine nähere Aus-
eüiandersetzung (S. 17) gewidmet ist. Eine genaue und ausfdhr-
lich« Erörterung über die einzeln^i Theile des Agamemnon, über
den Gang des Ganzen und den inneren Zusammenhang der ein-
zelnen Theile« also die Darlegung der ganzen Oekonomie des Stückes»
verbunden mit andern auf die Aufführung und den Yortrag des^
selben bezügUchen Bemerkungen bildet den Schluss der Ein-
leitung.
AMdiyloe Agimwnwoii ▼on Keolu 4f|
Wir haben mm noch dea grieohisohen Textes nnd dee ani deop
selben folgenden kritisoh-*ezegetiB6hen Commentar*8 zu gedenken, wel-
chem unter der Aufschrift : »Zur Aeschjlisohen Kritik c 8. 195~207
ein Vorwort Yoraosgesohiokt ist, welches über die kritischen Grund«'
s&tie des Herausgebers und über die Aufgabe, die er sieh gestellt»
80 wie* über die Handschriften dea Agamemnon und deren Ver-»
hältniss zu einander wie zum Texte selbst sich verbreitet, Sebon
das Motto, welehes auf dem Titel dieser Ausgabe sich findet^^ent»
nommen dem Stücke selbst rVs, 813 ff.)) TOfih/ xaXäg ipw wmff
XfiOv^Spv^ ^ fut^^r ßmXavziov' ot^ d\ xal dst ^pagfuoumr nam^
yUom^ nxoi xdavti^ ^ riiUvr$g BVfpgovmq xsi4^60(u6^a jp^*
cacQ0tQiiHxi voöoVf mag eine Andeutung geben über das, waa in
Bezug auf die Kritik der Herausgeber beabsichtigt hat, da wir
bekanntlich in dem Agamemnon wegen mannichfitcher Verderbnisae
eines der in kritischer Hinsicht am meisten schwierigen Stücke
des Aeschylus tobt uns haben, das in der jüngsten Zeit Tieliaeh
behandelt und auch mit manchen schätzbaren Verbesserungen be^
dacht worden ist, auf der andern Seite aber auch die ungemesseaste
und rücksichtsloseste Kritik an sich hat erfahren müssen und mit
kühnen Aenderungen, Coi^ieciuren jeder Art heimgesucht worden
ist, da die handschriftliche üeberlieferung vielfach uns im Stidi
Iftsst, und damit der Coojecturalkritik einen weiten Spielraum bie*
tet. Die Aufgabe des Verfassers war es, »den AgamemnoA in
seinem ursprünglichen Olanz so wiederzugeben, dass eiA uavec*
kttmmerter und reiner Qeoiuss dieses Kunatwerkea mögUcb werde« i
eben der Hinblick auf den Zusammenhang des Ganzen und auf daa
ganze Kunstwerk muss nach des Verf. Ansicht aosh die Kritik im
Einzelnen leiten. Die handschriftliche üeberliefenmg ist von ihca
mit mehr Büeksicht anerkannt und daher auch mit mehr Schonung
behandelt worden als von Manchen seiner Vorgtager, «ad masi
wird diass gewiss nur zu billigen haben; namentlich finden bei
ihm die yiel£ftch in neuerer Zeit behaupteten Interpolationen odev
absiehtlicben Fälschungen der Alexandriner und Byzantiner keine»
Eingang : »die Alexandriner wie die Byzantiner behandelten den.
ihnen übermittelten Text mit viel zu grosser Ehrfurcht und bd
den letzteren kam dazu noch die absolute ünproductivität« (S. 197)«
Dieser mehr consenrativen Bichtung ist es daher auch zuzuachrei*
ben, dass aus der ganzen üeberlieferung des Agamemnon nur ein
einziger Vers (49B ed. Hermann, nach welcher Ausgabe die Vers*
abtheilnng hier gemacht ist und überhaupt citirt wird) als un&cht
anegesohieden wird, und auch hier keine absiohtlicbe Ftisohung dttr
Abschreiber angenommen,, sondern das fremdartige EinsehiebseL
ana andern, mehr zufällig zusammen treffenden Gründen arUttri
wkd. »Statt also über die Interpolatioossucht des Byzaotiitev uM
za ereifern, tun wir wohl« wenn wijt die seibstTerleugnendc Aas»"'
danex bewundarui womit sie unverstandeae Worte miWisam abge«
malt nnd ao diei M5|^iehkeit eaoer WiederhMsteMMg dflt T<St€ft
4ti' Aescbyloe Agamemnon nm Keek.
gerettet haben« (S. 197). Dass in Bezng anf die Handscbriften
dem Medicens die erste Stelle zuerkannt wird, war zu erwarten:
nnr darin ist der Verfasser anderer Ansicht , als z. B. Dindorf,
dass er, während dieser alle übrigen noch Torhandenen Hand-
schriften ans dem Medicens abstammen lässt, diess insofern be-
streitet, als er diesen Handschriften eine gemeinsame Qnelle zu-
weist, deren trenester nnd lanterster Abflnss allerdings im Medicens
enthalten sei. Ihm ist daher der Heransgeber bei der Bildung des
Textes vorzugsweise gefolgt nnd dessen Lesarten sind, wenn sie
spraehlich nnd sachlich haltbar waren, Yon ihm allen andern un-
bedingt vorgezogen worden: wo jedoch der Medicens abgeht, trat
an dessen Stelle der Venetus und Florentinus, welche vor dem Par-
hesianns, der aus keiner dieser beiden Handschriften abgeschrieben
ist, den Vorzug verdienten. Indessen grosse Verschiedenheit der
Lesarten bietet im Ganzen dieser Farnesianus von den beiden andern
nicht dar, er stimmt vielmehr meist mit ihnen überein: die An-
nahme aber, welche diese Handschriften nicht unmittelbar aus dem
Medicens stammen lässt, sondern vielmehr auf eine andere, mit
diesem gemeinsame Quelle zurückführt, gibt denselben allerdings
einen höheren und gewissermassen selbständigen Werth, wenn die-
sto'auch im Verhaltniss zu dem Medicens , dessen Vorzug unbe-
stritten ist, zurücktreten muss. Die Verderbnisse dieser Hand-
sehrift, wie auch der übrigen ftlhren den Verfasser auf die An-
mihme eines schon äusserst beschädigten, zerfressenen und theil-
Tteise ganz unleserlichen ürcodex, welchen er, da er von Alexandria
yeainuthlich nach Byzanz gebracht worden, als Codex Alexandrinns
biSteichnet; die davon zu Byzanz, wie der Verfasser weiter an-
nimmt, genommene Copie, Codex Bjzantinus, welche im Wesent-
liehen schon dieselben Corruptelen und Lücken entbleit, die in den
j6ts^ noch existirenden Handschaften sich finden, bildete dann die
Quelle, aus weicher der Medicens im zehnten Jahrhundert floss,
'«(Fllhrend Cod. Venetus und Florentinus aus einer andern Abschrift
des Bjzantinus stammen, auf welche dann zugleich durch ein ver-
loren gegangenes Mittelglied der Farnesianus zurückzuführen sei
(6. 204). In dieser Weise denkt sich der Verf. das Verhaltniss
der Handschriften und er hat daraus eine Anzahl von Regeln ab-
geleitet, welche als feste Grundsätze fUr die kritische Behandlung
dids Textes gelten sollen, ftlr welche weiter noch das in Betracht
kommt, was aus den Schollen und aus den alten Lexicographen
für die Herstellung mancher äschyleischen Formen und Wortbil-
dttn§^en zu gewinnen ist. Indess werden immer noch genug Stellen
übrig bleiben, in welchen aus diesen Quellen keine Heilung oder
Wiederherstellung zu gewinnen ist ; hier hat der Verf. die eigenen
Vermuthungen, die ihin selbst nicht zweifellos erscheinen, in den
Text gesetzt, um in denselben einen Sinn und Zusammenhang zu
bringen, da die Restauration des Ganzen, so weit wie nur immer
niOglich, Min Ziel wttv« In wie weit hier das nöthige Maass ein-
Aeseb^oe AgamenuKm tob Keel:. iM-
gehalten worden, kOnnen wir dem nnbefangenen ürtbeil dessen,
der das aeschjleische Stück in dieser Ausgabe darcbsttidirt , füg-
lich anheimgeben, da diess ein Gegenstand ist, worüber bei der
Verschiedenheit der kritischen Anschauungen schwerlich die ür-
theile sich yereinigen werden; aber — so schliesst der YerfiEisser
dieses Vorwort — der Geist des grossen Aeschjlos wird gnftdig
und freundlich auf meine einfältigen Versuche, sein Werk ganz und
unverstümmelt zum Genüsse zu bringen, herabblicken und darin
mehr Pietät gegen seine SchOpfung sehen, als in dem Wirken jener
Kritiker, die zwar kein Bedenken tragen, den überlieferten Text
dreist und rücksichtslos zu ändern oder ganze Partien als seiner
unwürdig zu yerdammen, aber vor der Ausfüllung einer Lücke wie
Tor einem Sacrilegium zurückbeben« (S. 207).
Wir haben im Vorstehenden die kritischen und exegetischen
Grundsätze des Verfassers angegeben , ohne uns in eine weitere
Prüfung derselben einzulassen, welche die Grenze des uns über-
lassenen Baumes eben so sehr überschreiten, als sie dem Zweck
und der Absicht dieses einfachen Berichts fem liegen würde. Aus
diesem Grunde wollen wir auch nicht näher in den »Commentar«
(8. 298—472) uns einlassen, in welchem einzelne Stellen kritisch
und exegetisch besprochen und erläutert werden, zumal solche
Stellen, in welchen die Lesart verdorben auf uns gekommen oder
sonst schwankend ist. Dass nun hier neben manchem Treffenden,
WM zur richtigen Erklärung und Auffassung mancher einzelnen
Partien, wie einzelner Stellen und Worte beigebracht ist,
auch Anderes vorkommt, was Zweifel und Bedenken hervorzurufen
geeignet ist, namentlich in Bezug auf manche zur Wiederherstellung
des Textes eingeführte Oonjecturen, wird dem aufmerksamen Leser
meht entgehen, und kann auch bei einer derartigen Arbeit, wo
snbjective Ansichten und Anschauungen einen weiten Spielraum
haben, nicht befremden. Wir kOnnen die Erörterung dieses Punktes
und die Besprechung einer Beihe solcher bestrittenen Stellen füg-
lich den speciell philologischen Zeitschriften überlassen, zumal wir
nicht die Absicht haben, mit dieser Anzeige in der Besprechung
einzelner Stellen des aeschyleischen Agamemnon einen Beitrag zur
richtigen Auffassung und Erklärung desselben zu liefern, was wohl
einer andern Gelegenheit vorbehalten sein dürfte, unsere Aufgabe
war hier blos dahin gerichtet, die Freunde der aeschyleischen Poesie
auf diese Leistung aufmerksam zu machen und deren Charakter mög-
lichst treu darzulegen. Ein Wort- und Sachregister über die in dem
Commentar besprochenen Worte und Gegenstände fehlt nicht S. 478
bis 480. Die ganze äussere Ausstattung in Druck und Papier ist
in jeder Beziehung eine vorzügliche zu nennen.
Ait' AtBchyloB Agamemnon Ton Keek.
gerettet habent (S. 197). Dass in Bezng auf die Handsclrnften
dem Medioeus die erste Stelle zuerkannt wird, war zu erwarten:
nur darin ist der Verfasser anderer Ansicht, als z. B. Dindorf,
dass er, wbbrend dieser alle übrigen noch yorbandenen Hand-
soliriflen aus dem Mediceus abstammen lässt, diess insofern be-
streitet, als er diesen Handschriften eine gemeinsame Quelle zu-
weist, deren treuester und lauterster Abfluss allerdings im Mediceus
enthalten sei. Ihm ist daher der Herausgeber bei der Bildung des
Textes vorzugsweise gefolgt und dessen Lesarten sind, wenn sie
sprachlich und sachlich haltbar waren, Yon ihm allen andern un-
bedingt Torgezogen worden: wo jedoch der Mediceus abgeht, trat
an dessen Stelle der Yenetus und Florentinus, welche ror dem Par-
nesianus, der aus keiner dieser beiden Handschrifben abgeschrieben
idt, den Vorzug verdienten. Indessen grosse Verschiedenheit der
Lesarten bietet im Ganzen dieser Farnesianus von den beiden andern
nicht dar, er stimmt vielmehr meist mit ihnen ttberein: die An-
nahme aber, welche diese Handschriften nicht unmittelbar aus dem
Mediceus stammen lässt, sondern vielmehr auf eine andere, mit
diesem gemeinsame Quelle zurückfahrt, gibt denselben allerdings
einen h(5heren und gewissermassen selbständigen Werth, wenn die-
sto^auch im Verhftltniss zu dem Mediceus, dessen Vorzug unbe-
stritten ist, zurücktreten muss. Die Verderbnisse dieser Hand-
sehrift, wie auch der übrigen ftihren den Verfasser auf die An-
nähme eines schon äusserst beschädigten, zerfressenen und theil-
Tteise ganz unleserlichen ürcodex, welchen er, da er von Alexandria
ymnuthlich nach Byzanz gebracht worden, als Codex Alexandrinus
iMteiehnet; die davon zu Byzanz, wie der Verfasser weiter an-
nimmt, genommene Copie, Codex Bjzantinus, welche im Wesent-
Ueliisn schon dieselben Oormptelen und Lücken enthielt, die in den
j^zt noch existirenden Handschaften sich finden, bildete dann die
Quelle, aus welcher der Mediceus im zehnten Jahrhundert floss,
'«(FShrend Cod. Venetus und Florentinus aus einer andern Abschrift
des Bjzantinus stammen, auf welche dann zugleich durch ein ver-
loren gegangenes Mittelglied der Farnesianus zurückzuführen sei
(6. 204). In dieser Weise denkt sich der Verf. das Verhältnisa
der Handschriften und er hat daraus eine Anzahl von Regeln ab-
geleitet, welche als feste Grundsätze für die kritische Behandlung
dids Textes gelten sollen, für welche weiter noch das in Betracht
kommt, was aus den Schollen und aus den alten Lexicographen
fttr die Herstelimig mancher äschyleischen Formen und Wortbil-
dungen zu gewinnen ist. Indess werden immer noch genug Stellen
übrig bleiben, in welchen aus diesen Quellen keine Heilung oder
Wiederherstellung zu gewinnen ist ; hier hat der Verf. die eigenen
Vermuthungen^ die ihm selbst nicht zweifellos erscheinen, in den
Text gesetet, um in denselben einen Sinn und Zusammenhang asn
bringen, da die Restauration des Ganzen, so weit wie nur immer
iMgUch, ^8«in Ziel war. In wie weit hier das nöthige Maass din-
AescIi^M AgamemnoB tob KeelL iM-
gebalten worden, können wir dem unbefangenen ürtbeil dessen,
der das aescbjleiscbe Stück in dieser Ausgabe durcbstudirt , ftlg«
lieb anbeimgeben, da diess ein Gegenstand ist, worüber bei der
Verscbiedenbeit der kritiscben Anschauungen scbwerliob die ür-
tbeile sieb yereinigen werden; aber — so scbliesst der Verfesser
dieses Vorwort — der Geist des grossen Aesobjlos wird gnftdig
und freundlicb auf meine einfältigen Versucbe, sein Werk ganz und
unyerstümmelt zum Genüsse zu bringen, berabblioken und darin
mebr Pietät gegen seine ScbOpfung seben, als in dem Wirken jener
Kritiker, die zwar kein Bedenken tragen, den überlieferten Te3ct
dreist und rücksichtslos zu ändern oder ganze Partien als seiner
unwürdig zu yerdammen, aber vor der Ausfüllung einer Lücke wie
vor einem Sacrilegium zurückbeben c (S. 207).
Wir baben im Vorstehenden die kritischen und exegetischen
Grundsätze des Verfassers angegeben , ohne uns in eine weitere
Prüfung derselben einzulassen, welche die Grenze des uns über-
lassenen Baumes eben so sehr überschreiten, als sie dem Zweck
und der Absicht dieses einfachen Berichts fem liegen würde. Aus
diesem Grunde wollen wir auch nicht näher in den »Commentar«
(8. 298—472) uns einlassen, in welchem einzelne Stellen kritisch
und exegetisch besprochen und erläutert werden, zumal solche
Stellen, in welchen die Lesart verdorben auf uns gekommen oder
sonst schwankend ist. Dass nun hier neben manchem Treffenden,
was zur richtigen Erklärung und Auffassung mancher einzelnen
Partien, wie einzelner Stellen und Worte beigebracht ist,
auch Anderes vorkommt, was Zweifel und Bedenken hervorzurufen
geeignet ist, namentlich in Bezug auf manche zur Wiederherstellung
des Textes eingeführte Oonjecturen, wird dem aufmerksamen Leser
nicht entgehen, und kann auch bei einer derartigen Arbeit, wo
subjective Ansichten und Anschauungen einen weiten Spielraum
haben, nicht befremden. Wir kOnnen die Erörterung dieses Punktes
und die Besprechung einer Beihe solcher bestrittenen Stellen füg-
lich den speciell philologischen Zeitschriften überlassen, zumal wir
nicht die Absicht haben, mit dieser Anzeige in der Besprechung
einzelner Stellen des aeschyleischen Agamemnon einen Beitrag zur
richtigen Auffassung und Erklärung desselben zu liefern, was wohl
einer andern Gelegenheit vorbehalten sein dürfte. Unsere Aufgabe
war hier blos dahin gerichtet, die Freunde der aeschyleischen Poesie
auf diese Leistung aufmerksam zu machen und deren Charakter mög-
lichst treu darzulegen. Ein Wort- und Sachregister über die in dem
Commentar besprochenen Worte und Gegenstände fehlt nicht S. 478
bis 480. Die ganze äussere Ausstattimg in Druck und Papier ist
in jeder Beziehung eine vorzügliche zu nennen.
m Prellec: ROnüMhe Hytlioloita.
Rämiache MfOtoio^ von L. Prell er. Zweite Jußage, revidiri und
mit liUrariUhm Zueälgen versehen von Reink.old Köhler.
Berlin. Weidmännische Buchhandlung 1866. 820 S, in 8.
Bei eixiem Werke, wie das yorliegende, das in einer neaen
Avflage Baeh dem Tode des Yerfeisaers erscheint und bereits hin-
rsifibend der gelehrten Welt bekannt geworden ist, wird von einer
eingebenden ijoseige ttber Inhalt nnd Gegenstand, über die Be-
handhing deeselben^ ttber Methode nnd Ziel des Verfassers föglicli
Umgang genommen werden ktonen. Denn es darf diess wohl ala
bekwnnt Toraosgesetzt werden. Wir haben hier nnr ansngeben, was
die erneuerte Ausgabe im Verhältniss au der frttheren bietet. Die
Besorgung ward demselben Gelehrten anvertraut, welcher schon
frtther» nach Preller*s Tod, eine Sammkag der in verschiedenen
Zeitschriften, Gelegenheitsschriften, wie sdbst grösseren Sammel-
werken zerstreuten Aufsätze und Abhandlungen Prellers veran-
staltet hatte, von welcher auch in diesen Bl&ttem seiner Zeit die
Bede war (s. Jahrgg. 1868. S. 956 fF.); mit gleicher Sorgfalt hat
er sich auch der Herausgabe dieses Werkes unterzogen, aber auch
mit lieber Gewissenhaftigkeit. Wir erhalten in der neuen Au»»
gäbe Preller*s Werk im Ganzen unverändert» insofern nur die Be-
richtigungen und Zusätze, welche am Schlüsse der ersten Auflage
vom Yerfiajsser selbst noch bemerkt worden waren, an den betref-
fenden Orten angebracht, auch manche Schreib- oder Druckfehl«:
von dem neuen Herausgcäier berichtigt worden sind« Wenn also in
dem Texte selbst keine iiigendwie belangreiche Yer&ndemng statt-
gefunden, vielmehr derselbe fast ganz unverändert geblieben ist —
was bei dem Werke ebes Hingeschiedenen gewiss das rätUiohsta
war --- so hat dagegen der Herausgeber es sich angelegen sein
lassen, in den Anmerkungen unter dem Texte, welche die Belege»
so wie die Anfllhmng der Literatur enthalten. Alles das sorgfältig
nachzutragen, was inzwischen d. h. seit 1858 auf diesem Gebiete
erschienen ist. Diesem Umstände verdanken wir zahlreiche Zur
Sätze, welche auf das, was über jeden einzelnen Gegenstand ixt-
zwischen in einzelnen Aufsätzen, in gelehrten Zeitschriften, oder in
gr(toseren, seitdem erschienenen Werken bemerkt worden, verwei-
sen und so eine schätzbare Ergänzung des Werkes bringen, das
damit bis auf die neueste Zeit geführt ist; ist doch z. B. Alles
das, was in den Annalen des archäologischen Instituts über ein-
zelxie Punkte der römischen Gotterlehre vorkommt, hier eben so
got verzeichnet, als andererseits bei den Inschriften, von denen
Gebrauch gemacht wird, auf das neue Berliner Corpus Inschptio^
num Latinn. allerwärts verwiesen wird. Im üebrigen ist die ganze
äussere Einrichtung der ersten Auflage beibehalten, der Druck selbst
mit gleicher Correctheit besorgt, und so mag das verdienstliche
Werk auch in dieser erneuerten Gestalt Allen denen empfohlen
werden, welchen es um eine gründliche Erkenntniss der gesanunten
470 ICommten: BOmiMb« GMdUabl«.
römischen OOtterwdt uzkd «m eine richtige Ei&siobt in den rnligiS-
Ben Glauben der alten BOxner zu thnn ist : wie man auch über ein-
zelne Ponkte des schwierigen Gegenstandes» der in diesem Werke mit
solcher umfassenden Gelehrsamkeit und Gründlichkeit behandelt ist,
denken mag: reichliche Belehnmg wie vielfache Anregung wird man
gewiss darans gewinnen können. Ein ausfQhrliches , com Nach-
schlagen dienendes Begister erleichtert sehr den Gebrauch.
Wir reihen daran die Anzeige einer neuen Auflage eines andern
Wwkes, das ebenfalls^ wie das eben besprochene, in die Beihe der
Handbücher gehOrt, welche in derselben Buchhandlung erschienen
sind, mit dem Zwecke, das lebendige Yerständniss des dassischen
Alterthums in immer weitere Kreise wbl bringen:
Römiieh€ Otsehiehie ren Theodor Mommsen^ Ertier Band. Biß
zur SeMueht von Pydna* \\ertt Auflage^ Berlin j^ Wädr
mann'eche Buchhandlung. ISßh. XU und 956 & in &
Auoh bei diesem Werke, das, wie wenige der Art, in wenigen
Jahren eine so ungemeine Verbreitung unter uns gefunden hat,
wird ein eingehender Berieht über Inhalt und Gegenstand desselben,
Anlage und Ausführung, Methode und Behandlung eben so wenig
hier erwartet werden, wenn wir nicht sattsam Bekanntes wieder-
holen wollten. Noch weniger wird man hier erwarten, dass wir
uns in die mannichfacken Controversen einlassen, zu welchen so
manche kühne Behauptung, so manches auffallende Urtheil, und
eine yielfach von dem Herkömmlichen abweichende Behandlung des
Gegenstandes Veranlassung gegeben hat: es noag diese andern
Orten oder andern der Erörterung dieser Gegenstände eigens ge^
widmeten Schriften zu näherer Besprechung überlassen bleibeOb Wir
haben hier »ur, indem wir das Erscheinen einer neuen Ausgabe
anseigen, deren VerhäUniss zu den yorausgegangenen, insbesondere
der nächflten, dritten, in der EürsM anzugeben. Und in dieser Be-
ziehung wird ein Jeder, der sich näher in dieser vierten Auf-
lage umsehen will, bald die Ueberaeugung gewinnen, dass keine
wesentliche Aenderung oder Umarbeitung, es sei des Ganzen j wie
etwa einzelner Abschnitte, stattgefunden, vielmehr das Werk sich
ziemlich gleich geblieben und am wenigsten seinen ganzen
Charakter, Ton und Färbung verändert hat; wohl aber sind im
Einzelnen manche Zusätze gemacht, auch manche Berichtigungen
oder Verbesserungen angebracht worden, welche der neuen Auf-
lage zum Vortheil gereichen, die in Allem gegen die dritte eine
Vermehrung von etwa einem Bogen aufweist. Auch in der äusse-
ren Einrichtung ist Nichts verändert» der Druck selbst mit glei-
cher Correctheit veranstaltet worden« Das in der Vorrede sage-
sagte Begister ist inzwischen auch in einem eigenen Hefte von
55 Seiten mit doppdtexk Columneu mcbgeliafert worden: es mag.
i
470 Vering: OeBoliicbto nnd Insttitioneii des rOm. Privtlre^to.
hiernach sein Umfang und seine Ausföhrlichkeit wie auch seine
Brauchbarkeit bemessen werden, zumal sogar die Seitenzahlen der
dritten Auflage in Klammem beigesetzt sind.
Oesehichte und Ingtitutianen des römUehen Privafrechts von Df.
Friedrich Vering, Professor der Rechte an derUniver-
ßUät zu Heiddberg, Mains, Verlag von Franz Kirehheim 1865,
XI und 454 8. gr. 8. (2 Thlr.)
Zur Abfassung des im Vorstehenden genannten Buches wurde
ich hauptsächlich durch das Bedürfniss einer eingehenden «um
akademischen Gebrauche dienlichen inneren Geschichte des römi-
schen Rechtes veranlasst. Von der Äusseren Rechtsgeschichte habe
ich nur eine gedrängte Geschichte der Quellen und Aufzählung der
Bechtsquellen aufgenommen, und ausserdem diejenigen Vorgänge
und Verhältnisse aus dem öffentlichen Rechte der Römer, welche
und wo sie von besonderem näheren Einfluss auf die Bildung
und Entwickelung des römischen Privatrechts waren, oder deren
Angabe oder Erläuterung zum Verständniss dieser oder jener
Bestimmungen oder Grundsätze des Privatrechts nöthig erschien.
Dagegen die innere Rechtsgeschichte bestrebte ich mich so voll-
ständig darzustellen, als ich es ftlr das Bedürfniss der Studirenden
nöthig und nützlich hielt. Ich habe alle Rechtsinstitute von ihrem
Ursprung an, soweit dieses bei dem Stande der Quellen möglich ist,
ohne sich in blosse Hypothesen zu verlieren, und in ihrer ganzen
weiteren Entwickelung und Ausbildung, und soweit dieselben nicht
schon früher untergegangen sind, bis zu ihrer Gestaltung im Justi-
nianischen und heutigen gemeinen Rechte verfolgt, und die
dogmatische Darstellung des heutigen Rechts so ausführlich ge-
halten, dass mein Werk, wenn es auch zunächst zur Einleitung fttr
Anftlnger bestimmt ist, doch auch durch die Reichhaltigkeit seines
Inhalts sich überhaupt als Lehrbuch des römischen Rechts und
zur Repetition und zum Nachschlagen eignet, zu welchem letzteren
Zwecke ich auch ein ausführliches Sachrögister beigefügt habe.
Ich will durch mein Buch natürlich nicht das Studium der
Pandekten entbehrlich oder überflüssig machen; auch ich halte das
Studium des Details des römischen Privatrechts in möglichst wei-
tem Umfange und das Studium der wichtigeren Cohtroversen für
ein nothwendiges unumgängliches Mittel zur Bildung und Schärfung
des juristischen Verstandes. Aber ich halte es nicht für noth-
wendig, dass ein junger Jurist am Ende seiner Universitätsstudien
und für die Examina gerade auch alles und jedes Detail und eine
gar grosse Zahl von Controversen in ihrem ganzen Inhalt und
Umfang vollständig fttr jeden Augenblick bei sich imKopf^^tr^go«
Soviel, als aber, wie ich glaube jeder angehende Jurist vom römi-
V«ring: Geachlelite imd iMitationeii d«s röm. Prhnlreebtt. -iSl
sehen Bechte zum Wenigsten an Kenntnissen jeder Zeit bereit
haben mnss, soviel wollte ich überhaupt vom römischen Bechte
zusammenstellen und zwar in möglichst einfacher und fasslicher
Darstellung. Von der römischen Bechtsgeschichte musste ich mit-
unter wohl noch mehr geben, wenn ich dieselbe einiger Massen
erschöpfend vorlegen wollte. Jedoch habe ich auch hier, wie über-
haupt in meinem Buche den blossen sogen, gelehrten Apparat und
ein Eingehen auf Controversen und untergeordnete Detailfragen ver-
mieden. Ich habe von Literatur nur einige besonders hervorragende
Werke, soviel als zur weiteren Orientirung in derselben , und als
in allgemeiner, namentlich auch unter den Studirenden vielver-
breiteten Werken zur weiteren Detailbelehmng und Auflassung der
eingehenderen Begründung leicht nachgeschlagen werden konnte,
verzeichnet. In derselben Weise habe ich in der Aufzeichnung der
einzelnen QueUenbelege ein gewisses Mass eingebalten. Vielleicht
habe ich aber in dieser oder jener Sichtung dem Einen oder dem
Andern bald zu viel, bald zu wenig gethan. Jede Belehrung in
dieser, wie in anderer Beziehung werde ich mit Dank entgegen-
nehmen und alle desfallsigen Wünsche sorgfältig prüfen und dem-
gemäss berücksichtigen.
Ich gebe zum Schlüsse zur besseren üebersicht des Inhalts des
Werkes ein kurzes Yerzeichniss des Inhalts der 18 Bücher, in
welche dasselbe zerföllt.
Die Einleitung handelt von der Bedeutung des römischen
Rechts, der Aufgabe und Methode des vorliegenden Werkes, und
von den. Quellen der röm. Bechtsgeschichte.
Buch I behandelt die Arten und Formen des Beohts und die
Geschichte der Quellen und der wissenschaftlichen Behandlung des
römischen Bechts.
Buch n handelt von den Voraussetzungen und Wirkungen
der Persönlichkeit, wobei auch die Lehre von der Solaverei ein-
geschlossen ist.
Buch m handelt vom Begriff und den Arten der Sachen.
Bach IV von den Handinngen und Becbtsgeschäften.
Buch V von dem Bechte im subjectiven Sinne.
Buch VI von der Berechnung der Zeit.
Buch Vn von der Sicherung und Vertheidignng der Bechte,
wobei der ganze römische Oivilprooess und der Einfluss der ein-
zelnen Frozesstadien auf das materielle Becht sehr ausführlich ge*
schildert sind.
Buch Vm bespricht den Besitz.
Buch IX behandelt das Eigenthum.
Buch X die Servituten.
Buch XI die Emphyteusis.
Buch Xn die Superficies.
Buch yiTT das Pfandrecht.
Buch XIV das Obligationenrecht.
4^8 BÜttar fttr OeftagBlMkinide.
Bach XT das Eherecht.
Bach XVI die yttterliche Gewalt.
Bach XVn die Yormondschaft.
Bach JLVIU das Erbrecht.
Ich habe bei der Darstellang des Eibrechts zwar Öfter auf
die detaillirten Nachweisangen meines grosseren »BOmischen
Erbrechts in historischer and dogmatischer Entwickehing« (Heidel-
berg bei Mohr. 1861) hingewiesen; jedoch ist die zwar gedrftngte,
aber wie ich meine dennoch ziemlich reichhaltige Darstelinng des
Erbrechts am Schlnsse meiner Torliegenden Geschichte and Listi-
tntionen wieder nach einem ganz anderen Plane and ganz nea and
selbstst&ndig aasgearbeitet anter möglichster Berttcksichtigang and
Herrorhebnng der gerade in den Darstellangen des Erbrechts
meistens so wenig hervortretenden eigenthtlmlich rOmisohen inneren
Gliederangtmd Entwickelang.
Es erübrigt mir zam Schiasse noch , dem Verleger des yor-
Uegenden Baches für die gate Aasstattang bei dem massigen
Preise desselben meinen Dank aaszaspreehen. Verfug.
Erklärung.
IKe Heidelberger Jahrbücher fOr Litei*atar haben in Nr. 21
and 22 anter dem Titel »Blfttter für Gefilngnisskande« einen Auf-
satz Ton Professor BOder in Heidelberg gebracht, welcher die Diensi-
fOhzong and die Person der nnterzeiclmeten Beamten des Brach-
saler Zellengeftngnisses zam Gegenstand heftiger AasfiLUe macht.
Wir behalten one vor, diesen Aofsatz an anderem Orte ein-
gehender za besprechen. Vieles darin ist indess dem aafinerksamen
Leser für sich, and nicht za anseren üngansten klar. Hier müssen
wir erklftren:
1) Wir haben nur zor Abwehr die Feder ergriHbn, wir
haben ans nar Tertheidigt gegen die TielfUtigen Angriffe auf
die Zustande and Beamten des Zellengefftngnisses, welche Professor
- BMer seit dem Abgang des früheren Zellengeft-ngnissdirektors Füeeslin
tmermüdet in zweien seiner Werke, in der Vorrede za Hftgele^s
~ »Erfahrangen«, in Zeitangen, Zeitschriften and bei anderen G^
legenheiten gemacht hat.
2) Wie der Zastand des Zellengefängnisses, der Geist seiner
Leitang und die Wirksamkeit seiner Beamten beschaffen ist, da-
von kann sich jeder unbefangene darch eigfene Anschaaang über-
zeagen, oder wenigstens dadarch, dass er sich die Mühe nimmt,
die Blatter für Geftognisskunde, insbesondere das 11. Heft, welches
die Jahresberichte ftlr 1863 enthält, za darchlesen.
Btt^bBT flhr €kff&ii|;iii8nciiiid6* 4^
8) Die Grossh. Btaatsregiemng hat im Lsofe des Jahres 1868
durch einen Hinisterialcommissäry und durch ein Mitglied der
obersten MedicinalbehSrde gründliche Visitationen des Zellenge-
f&ngnisses in Betreff der allgemeinen und insbesondere anch der
sanit&tiichen Zustände sowie der Wirksamkeit der Hansbeamten
Tomehmen lassen nnd darauf bin den Beamten die Zufriedenheit
mit deren Leistungen ausdrücklich ausgesprochen. Der Erfundbe-
rieht des Chr. Obermedicinalraths ist in Kr. 5 u. 6 des badischen
Centralblatts für Staats- und Gemeinde-Interessen Ton 1864 wört-
lich abgedruckt.
4) Die Oommission für das (besetz über den Vollzug der
Arbeitshausstrafe in Einzelhaft bei der hohen ü. Kammer, deren
Pitsident lange Jahre hindurch Inspector des Zellengefilngnisses
war, nnd viele andere Kammermitglieder haben im Jahre 186S das
ZellengefUngniss besucht und nur Worte der Anerkennung, nameirt-
fich auch für die Wirksamkeit seiner Beamten gefunden, denen der
Berichterstatter in der 105. Öffentlichen Sitzung in der schmeichel-
haftesten Weise Ausdruck yerlieh.
Hiemach können wir es getrost der »unverfiUschten« Öffent-
lichen Meinung überlassen, welches Recht ein ICann hat, uns den
Stab zu brechen, der uns nicht kennt, der seit yielen Jahren das
Zellengefitogniss nicht gesehen hat, und der trotzdem sich nicht
entblödet, unsere treueste Pflichterfüllung ein »Treiben der
von ihm gezeichneten Leute € zu nennen und dagegen die
neue Aera Badens zu Hilfe zu rufen.
Bruchsal im Juni 1865.
Ekert, Director des Zellengefilngnisses.
Ad. Bauer, Verwalter des Zellengefibignisses.
Dr. Gutsehy Hausarzt des Zellengeflbignisses.
Was Yon den Auslassungen der vorstehenden Herrn zu halten
sei, werden auch Diejenigen leicht einsehen, die keine Gelegenheit
hatten hinter den Vorhang zu blicken, die aber wenigstens unsere
Kittheilungen in Nr. 21 und 22 dieser Jahrbücher aufmerksam
gelesen und mit jenen Auslassungen yerglichen haben« Doch wollen
wir hier noch Folgendes bemerken: Wenn wir in Tollem Einver^
ständniss mit zahlreichen deutschen und nichtdeutschen Sachkun-
digen, einige entschiedenen Missstftnde und Fehlrichtungen in
der Oberleitung des Zellengefilngnisses zu Bruchsal, sowie in der
Dienstführung einzeler Beamten desselben, wiederholt zur Sprache
gebracht haben — Fehlrichtungen, die bereits unter dem yorigen
Direktor die Oberhand gewannen und ihn zuletzt zum Dienstaus-
tritt drftngten — f so geschah Diess doch keineswegs, wie uns jetzt
untergeschoben wird, erst seit dessen Austritt und noch weniger
wegen dieses Austritts, so sehr wir denselben natürlich auch
400 Batto Or 0eAii|9iüMkmiA0.
badaaerthabeoa; es geschah lediglicfa, weil wir es um der guten
Sache willen ftlr unsere Pflicht hielten nicht zu schweigen,
während alles rein Persönliche selbstverständlich nns, den
ganz ünbetheiligten , gar nicht berührte. Erst seit der unerhört
ungebührlichen, unsers Wissens von Oben nie missbilligten, Herab-
setzung der Direktion der Anstalt durch den Verwalter Bauer
(in seiner Schrift »der Gewerbbetrieb«) fühlten wir uns gedrungen
(im Vorwort zu »Hägele's Erfahrungenc sowie in unsem Schriften
»Der Strafv^oUzug« und »Besserungstrafe etc.«) schärfer und ein-
gehender über diesen und andern Unfug uns auszusprechen. Die
»Dienstführung« des jetzigen Vorstands haben wir mit keiner Silbe
angefochten, wohl aber die unbegreifliche Art, in der er sich herbei-
liess. Alles nur zu loben oder doch zu beschönigen, sogar jenes
beispiellose Auftreten des Verwalters Bauer, anstatt sich zu er-
innern, dass ein Lob von Seiten Dessen wenig Werth hat, der
nicht auch den Mnth zeigt offen zu tadeln. Wenn er daher im
Obigen abermals sich als mitgetroffen und sammtverbindlich mit
seinen Amtsgenossei^, hinstellt , so muss er freilich besser wissen
als wir, ob und wieweit er dazu Grund hat. Was endlich die
oben beigebrachten unmittelbaren und mittelbaren Belobungen der
eigenen »treuesten Pflichterfüllung c gegen xmsere Vorwürfe be-
weisen sollen, ist nicht abzusehen. Oder wird dadurch yielleicht
unser Tadel des vorbemerkten unwürdigen Verhaltens entkräftet?
Oder weiss nicht etwa Jedermann, dass es Männern, die sich allen
hohem Weisungen gegenüber stets als gehorsame Diener erweisen,
an Zufriedenheitbeweisen aller Art — auch bei Dienstvisitationen
von derselben Seite — nicht fehlen kann? UebrigeDS haben wir
selbst mehrfach ausdrücklich anerkannt, dass »trotz Alledem« Vieles
im Zellengefängniss zu Bruchsal und in seiner Verwaltung heute
besser geworden sei als früher. Die Wahrheit wird sich unerbitt-
lich auch in dieser Sache Bahn brechen!
K. Röder.
Ii. a HEIDEIBEBOES 18M.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
ProeapiuB v<m Caesarea von Dr. Felix Dahn. ProfeMor an der
Hochsehule zu Würtburg, Berlin. Mittler 1865,
Prokopins von C&saria war unter' seinen Zeitgenossen ein
Gegenstand nngetheilter Bewunderang. Der Nachwelt würde er zum
Mindesten im Lichte eines harmlosen Historiographen erschienen
sein, wenn nicht Nikolaus Alemannus im Jahre 1628 die Oeheim-
geschichte herausgegeben, und damit einen Zankapfel unter die ge-
lehrte Welt geworfen hätte. Die Geheimgeschiohte trftgt so deut-
lich den Stempel eines Libells, sie athmet einen so glühenden per-
sönlichen Hass gegen Kaiser Justinian und dessen Oattin Theodora,
dass sich für die späteren Kritiker die Alternative herausstellte
entweder jene Schrift als unächt zu erklaren, oder Prokop's Cha-
rakter aufs Schärfste anzugreifen. Vor Allem waren die Juristen
mit einem wegwerfenden ürtheil bei der Hand ; da Justinian ihnen
der grSsste Wohlthäter der Menschheit zu sein schien, und da sein
Name ihrer dankbaren Begeisterung mit allen Herrlichkeiten des
Corpus juris in eine verklärte Qlorie zusammenfloss. Die Einen nannten
Prokop einen falschen Ankläger, die Anderen nannten den Ankläger
einen falschen Prokop; insgesammt verwarfen sie den Inhalt der
Schrift, und wenn sie sich ftLr den ofQciellen Prokop überhaupt
noch interessirten , der doch immer ein Beamter ihres grossen
Kaisers gewesen ist, so erwiesen sie ihm die Ehre auseinanderzu-
setzen, dass er die Geheimgeschichte nicht geschrieben habe. Der
Helmstädter Professor Eichel glaubte »die Sache aller Fürsten €
zu vertheidigen , indem er die Invektiven der Geheimgeschichte
zurückwies und schliesslich an der Yerfasserschaft Prokop*8 zwei-
felte. Man merkt es aber seinen wortreichen Erörterungen, in denen
die ganze Leidenschaftlichkeit der jüngst vergangenen Religions-
kriege nachzittert , sofort an , dass es mehr auf die »Bettungc
Jnstinian*8 und Theodora*s, auf die Rechtfertigung des aufgeklärten
Absolutismus und der Staatsraison des 17. Jahrhunderts ankommt,
als auf die Bettung Prokop^s. Sed esto, heisst es in der Praefatio,
Procopii Caesariensis, quamvis id nullo certo argumento ostendi
possit ; muito minus metus ille removeri, Avixdota non esse inter-
polata: fama tarnen Justiniani, quam eversam hoc Scripte ivit,
nullo modo ne in minime quidem re periditatur. Der politische
Zweck der EichePschen Schrift liegt damit klar am Tage ; Prokop*s
literarischer Ruhm wird der Idee des landeshoheitlichen Despotis-
mus zum Opfer gebracht, die durch die kleindeutschen Potentaten
Yon Braunschweig und Lüneburg ebenso vertreten war, wie durch
LVnL Jahrg. 7. Heft. 3X
^1
.4MP DMi«: V»%afßm vtm ClMrei.
Jnfltiniaiu Neben dieser politischen versohwindei die kritische Be-
deutung def Bicherschen Schrift. Sein Miseiaraten gegen dLs Bcht-
hdt der Qeheimgeschichte grtlndet sich auf den Itfo^ngel gleich-
zeitiger bestätigender Zeugen; das Zeogniss des Snidas wird, da
er remotior ab aevo Jostinianeo gewesen sei, ebenso entschieden
bem&ngelt» wia daa des Nicephoms Oallistas, der die Geheimge-
schichte niemals gesehen habe. Dabei wird jedoch die Aehnlich-
keit der Sprachweise, die Conformitas stjli keineswegs in Abrede
gestellt^ wenn anch Eichel dies als ein argumentum infinnioa be-
zeichnet, und der Ansicht lebt» dass man sich durch fleissige Lek-
türe in den Stjl und den Charakter eines Anderen vollkommen
einbürgern könne. £!b liess sich nun erwarten, dass die Zweifel,
welohe der Helmstädter Professor angeregt hatte im Stillen fort-
wirken, und an der Parteileidensehaft , mit der die ganze Sache
xum einmal verwachsen war, neue Nahrang gewinnen würden. Auf
der einen Seite blieben die Juristen, wie Fabricius und der preus-
sieche Kanzler Ludwig in dem Glauben an die Yortrefflichkeit
Justiman's,. an die Schmähsucht Frokop*s oder an die Interpolation
der Geheimgeachichte unerschütterlich stehn. Auf der andern Seite
etand die römisch-katholische Kirche, die als Gegnerin Justinian*s
die Anklage für begründet hielt, und die Yerfassersohaft eines so
aiigj99elienen« wohlunterrichteten, glaubwürdigen Gewährsmanns, wie
Pcokop,, gern akkeptirte. Dazwischen trat^ Franzosen wie Bava-
li^Cf la Mothe le Vayer, Marmontel auf, um über den ganzen
Streit xüii der Miene der Unfehlbarkeit abzuurtheilen und die Oe-
heinagesehichte für ein ebenso werthloses wie unächtes Machwerk
zu erklären. Es erheischte Strafe, dass Frokop die Franken das
treuloseste Volk der £2rde genannt hat, G. 11, 25. p. 217 i^xiyaQ
l8i/og xocüxo xo i^ jcüsxiv öq^cdsfmxaxQv avd^fmnfnv axdvxGW und
^a Moijhe le Yayer äussert ganz mit Beoht: Un auteur plus seaeö
n'etti pas paorM de la aorte ni offensö temerairement tont une
afttion* Erst in neuerer Zeit hat sich das Dunkel gelichtet, in
welehei unsere Frage durch den professionellen und politischen Hader
der Kritiker gehüllt war. Seit der geistvollen Abhandlung Teuffols
im achten Bande der A. Schmidt*schen Zeitschrift für Geschichte
Vonnta »an die Akten als zu Gunsten Prokop's geschlossen ansehn.
Qeiber die Echtheit der Geheimgesehichte hätte nach Teuffeh An-
sichiti, wenn« man immer der Gesetze der Kritik bewuset gewesen
Waffe, nie der leiseste Zweifel entstehen können. »Wer anders als
Pj(ak<^ wäore im Stande gewesen, die Schrift so in*s Einzelne hin-
eilt iam grösseren Werke anzupassen, zu sagen : hier habe ich dies
anc^gelASsen,. dort war jenes anders und dies Ereigniss hatte diede
Gründe? Ausserdem ist in beiden Werken ganz dieselbe Weltaa-
iH^haanpg^ derselbe religiös^fatalistische Pragmatismus, die nämliclie
VecknUpfimg von Schuld und Strafe, derselbe Aberglauben ; sodann
ganz dieselbe Darstellung« die nämlichen Wendungen, dieselbe Jagd
nach Gemeinplätzen, dieselben Lieblingsausdrücke, derselbe Stil nur
«tiwa» MoUAafiger, Qfapehm h$Mw wir j% 4»» ToUwicktJigff mt
drüokUche Zeugnis» des Suidi^a. Nn^ g^nz fmlpritiacbe» Bb^^tusti?^,
ibffe» SAbjet^tiy^ Veiaung oder Noigwg all^p olpjel^tiTe^ ^^wgi^mm
QH^agensetzeiidQ Kritiker , wie Qi^jet kQü^te« d^r diß Bphtt^it
betreuen. B^sop^ers hlu^t^lLekig upMi eig^nsmug a^igteit ai^h n^^
h^r die Jl^riBten. Ibx tbeiu?er J^^iinian, deiv Yat^ d^p tiaxylicdMP^
Corp^ juris iw4 damit indirekt a^ol» ^ TMller «peb h«n5Ui*«:ep
Canm^ntare imd Abbaadlongepj mu^siet Kfi^ii tif^^m md ?rq^ii>
Wl^r ^ Lflgiv^r und Yerläqmder. I)en g^^dUchßtcm 4^iM|{)^^l^WgfiP
AltmauA^B 9u Gunsten Prpkop^s setzte a^^Superi d^;^ M^t^pppMb
MVieß Juristeziti^rsens entgegen: ProcopU aiictpvitas ej^d f^^ (wi-
deu proreu^ eyUuit qnidqoid tandem mp^i^tiu: er^ditifl^iif^W inj^s-
pr^i Wer aber nocb heutzutage die Ikdi^eit \>wf^ii^ W^i^^f
der BifiefE^ «ntved^r die Bella oder die A^^dotn ^K bei4# m^
if^ geleeea haben.«
I^ iex Tl|<ft nnterlipigt ea kemm Zweifel i d^sa 4i^ ft^jfp^
litfsatur init der Abbandtong Te^ff^ra einen b€^digWi)it9< M-
aciUng« gewonnen bat. Gerade ^ber weiU in 4er hi§r v^ftt^iürtfi^
Er^gpbiaher nur einaeitige befangene Urt^eile :fxm ^QV^ok^ßs^ topof^
Qj^d wei} Teufiers Urtheil aelbat^ wie der Pi^ßsua 4^r di^ «Ifijria^
\>eweisti nicht f^ei yon einer gewissen wQnig a!W(nutJ^9|4§9 9ittf^-
keit iptf g^rif^ darum xnnaete ea erwtUiB^ht er«^b^9^ vQg. iRm^im'
tar Seitß 2>9 erfs^ren, wiQ mw di^ Angelegfii^^it j^t^t ^n Laggr
dar Ji^iaten (MUiieht; und wir Sfdbm in ^W^ Yo^c^^^fim We^Se
deß Veifasaera der »Könige dei: äe^^ia^ef^c ^j^m ^H9» ^ Yf^^^A^^
volleren Beitr«^ ^nr Sist(Q)ripgraphie def Yi^U^^rw^^dmiW ¥»^4 4f ^
aink^ndepiL Bönj^rthu«?, aja Pi^bn aU^ Vgrurt^^äe d^r ?r^MAf ^
gelegt wvc nxit klarem objektiven Blick zwißcii^ Frok^ und «f^-
n#n juristischen Gegnern en^ckiedj^i^ hat« K%g|^ dieser. n/B9^a^
Pti^rstellung, die vor Allen frOber^n den Vora^ i^i^^ i^ 4^ fHi^t
bewnpdernswerthei^ ]ß:Qnntnis8 dei; Schri%A P^^qp'f, yprf^nsi feft^
mpaf di^ ^hJtheit dev Geheiingpi«hipb<# f^ ni)nnik#i#Ad^oh^ fe^
9t^h^d ap>gw>mj?aen werden,. Mit hifk^PAdia«^. S9l»rfWi^J5 IF-
]B9mt# DaJw^ 4W8 we V^riedigende I^^ßwg dft% langen Sjif^iJa
nickt d^^kbaf sei ohne die grtlndtiehate Sf^cgUedi^fuag de^M.%^;i^#a
Prokop, und er hat una in a«pineni i^nf^aa^ndeffk Werk e^b^n^wQl^
ein Chfkrakterbild deflißelben, wie ^ine Sohilderung dea g^tig^^i
aittliohan nnd politischen Zniatan^^s »einer Ze^t^ ^9 Si^hild^F^i^^ 4ipB
gwuen Bjzantinerthnm« gegeben«
Die Weltgesohiebte iat ein ffMrtlaulen^fyB fingen ^w^i^r V^-
^ipi^; Qewegungi Lebeuapr^aeee aqf d^r einen, atar^ In ipi^h
Yerbarren und StiUatand auf der %nder9n Seite. Unp^ d^ <WM-
inigalen Kritften dfi^ Abendländer ein Gegengewicht g^S^^l^W^-
atellett^ um die äts&ende Wirknng der okkiäwMis^^n Gi|iateji\k^
w^liabkeit m attnfiig^n h^ dieN^tni: d%a b jzMtinjii^«! ^o^^l^
Pin Blpi99wiAht m 4ie SohUm Sn^oipipi gel|(^. Jn im^ '^n»-
ttn^klW tritt das ei^AsiAnigp V^atbaUien fpi ^t«n Up]^f |:;Upfpi:^eni
1
MA DftkB: PifokopiM VAU Cttsar«*«
gleichsam die Apotheose der Beharrung und des Süllstands her-
Tor. Hier herrscht allein die Anktorität, nnd die Aufgabe des
Individmuns löst sich in vollkonunener Resignation nnd Yemich-
tnng aller individuellen Selbstständigkeit. Jedoch ein so nnnatttr-
Uches System bestraft sich selbst, und gerade an Prokop können
wir ersehen, wie sich der Gewinn über die Yerderbniss der be-
stehenden Zustände auf die Dauer nicht im Geheimen bergen lässt,
wie das Individuum durch die erbittertste Auflehnung gegen den
Zwang protestirte, der ihm von Oben angethan ward. In einer
Brust, die von den Erinnerungen an die Herrlichkeit des alten
BSmerthums geschwellt war, musste sich Verzweiflung regen, dass
der Sohwerpunkt des Reichs nach dem Osten verlegt war, und dass an
Stelle einer reichen fortschreitenden Geisteskultur die Erstarrung
und der wechsellose Despotismus des Orients immer ho&ungsloser
hereinbrachen. Wen aber sollte man anklagen? Sollte manEin-
aelne für das verantwortlich machen, was das Werk einer unwider-
stehlichen weltgeschichtlichen Entwicklung, die nothwendige Folge
des Scheidungsprozesses der antiken von der modernen Welt ge^
wesen ist? Nur der Blick eines vollkommen freien und klaren
historischen Auges wird in solchen Momenten der Gährung und
des üebeigangs das Zufällige von dem Nothwendigen zu unter-
scheiden im Stande se]^. Prokop war kein Historiker ersten Ran-
ges. Sein Geist verfing sich in Einzelnheiten, er vermochte nicht
das Wesen aller geschichtlichen Entwicklung zu erfassen, und da-
durch ttber die Misere der Gegenwart hinauszuragen. Es fehlte
ihm die Ejraft zu erkennen, dass das, was ein Werk des Menschen-
geistes und der Zeit sei, ein Einzelner nicht verschuldet haben
kOnne. Und so unterlag er der Versuchung seine persönlichen
Schicksale und Erfahrungen durch ein allgemeines historisches
ürtheil zu verklären, und Justinian zum Sttndenbock zu machen,
• dem er fremde und eigene Schuld bequem aufbürden konnte. —
Es ist immerhin anerkennenswerth , dass Prokop dem Verfall des
Bömerthums, dem Schwinden der äusseren Ehre und dem Zuneh-
men der inneren ünfireiheit, nicht gleichgültig zuzusehn vermochte.
Vielen ist es gegeben die Schande der Nation und den Verlust des
inneren politischen Lebens im egoistischen Genuss, in der Pflege
von Wissenschaft und Kunst zu vergessen. So gab es zu Prokop's
Zeit unzählige, denen der Staat nicht im Mindesten am Herzen
lag, die über dem Wettkampf der (Grünen und Blauen im Girkus,
oder über einer neuen Interpretation des orthodoxen Lehrbegriffs,
ttber einer theologischen Haarspaltung der beiden Naturen in
Ohristus Ehre und Freiheit der Römer vergassen. Aber in Prokop's
enger und von kleinlicher Selbstsucht angekränkelter Seele ist das
ein erfreulicher Schimmer von Gesundheit, dass er das Unglück
seines Vaterlandes tief empfand. Weder Wissenschaft noch Reli-
gion vermochten ihm Beruhigung zu gewähren. Wohl bot das
Christenthum Trost für die Qualen des Augenblicks ; indem es die
D»bii: Profcoplm tm CiatrM. 4M
GUltibigeii auf das Jenseits yerwies, wo die Oednld belohnt und
das irdiselie Leiden mit Wncber vergelten werden sollen. Doch
das sind Lehren wogegen sich eine grobsinnliohe Natnr stets em-
pören wird. Wer viel gelebt hat, wird sich zn klng denken, nm
einem »Wahne zn hnldigen, >den nnr Yerzfthmng weihen kann.«
Li Byzans schüttelte man voll weltmännischer Erfahrung den Kopf
über dergleichen unreife Trftumereien, gerade so wie auch heut zu
Tage der g^sse gesellschaftliche Pöbel den einsamen Schwärmer
Tcrlaoht der für Hoffnungen gewisse OUter hingibt. »Sechstausend
Jahre hat der Tod geschwiegen ; kam je ein Leichnam aus der Gruft
gestiegen, der Meldung that von der Yergelterin?« — Gewiss; der
Spott hat in dieser Frage ein weites Spiel, und er hat auch inso-
fern Recht, als sich Niemand ohne Seufzen durch die Aussicht auf
ein kummerloses Dasein jenseits der Sterne ftber die Vernichtung
irdischen Glücks trOsten kann. Prokop war am AUerwenigsteii
dasu angethan sich mit einem idealen Trost zu beruhigen. Dem
Christenthum stand er kühl und skeptisch gegenüber; es gelang
ihm nicht sich widerspruchsfreie, zusammenhängende Ansichten über
Gott und Schicksal, Welt und Menschenleben zu bilden, und er
rerstrickte sich nur immermehr in dem Labyrinth qualroller Zwei-
fel, zu dem die ruhelose Skepsis führen muss. Das ist die ein-
fachste Losung eines anscheinend unerklärlichen psychologischen
Bäthselfl. Prokop war kein Idealist; seinem Wollen war es nicht
gegeben den Schmerz im religiüsen Glauben zu überwinden, sein
Erkennen reichte nicht aus eine philosophische Lüsung zu finden,
da seine Empfindungen nur momentane und schwache waren, so
musste eine haltlose Skepsis, ein Yollkommener Selbstwiderspmch,
ein geistiger und moralischer Banquerott das Resultat jener intel-
lektuellen Verkümmerung, und die nothwendige Folge jener Nicht*
Übereinstimmung der drei menschlichen Geistesfaktoren sein. Wo
es an einem im Innern freien, nach Aussen kräftigen Staatsleben
mangelt, da werden auch geistig freie, sittlich ehrenhafte, kräftige
Charaktere selten sein, und die Verkümmerung des Geisteslebens,
die wir an Prokop ron Cäsaria gekennzeichnet haben, erscheint
nur als ein Symptom in Mitten eines allgemeinen Verfalls. Der
Staat sinkt mit der Abnahme der geistigen und sittlichen Kräfte
seiner Bürger, aber es ist dem Einzelnen daium nicht gestattet
sich ans dem allgemeinen Banquerotte zu retten ; sich seines geistig-
sittlichen Eigenthums ungestört und ungestraft zu erfreuen. Denn
ein im Inneren unfreies, nach Aussen ehrloses Staatsleben erzieht
feige, schwache Seelen , und erstickt selbst bedeutendere Anlagen
des Geistes und des Charakters, als wie sie Prokop ron Oäsarea
besass; und wir haben dies unerbittliche Gesetz der Wechsel-
wirkung zwischen dem Staat und seinen einzelnen Bürgern in
Deutschland selbst zur Genüge erfahren. — So tritt uns Prokop*s
ganze Indiridualität als das Produkt des Byzäntinerfhums ent*
gegen, und wir künnen Dahn nur Dank wissen, daes er, entfernt
im &9t ^WAmBoIi^n BiographtMUDaanier^ es yerihiMen hat tte
¥*^^r Büiiito Hel&«& zu btmifttttelii, tmd ilm zn V«rttieidigen, m^
gturlA ile^ birttfrisolien Wahrlieit tten zu bleiben. So wAnig Slyn*
]iaMiie0ii tunto aticli %in Oliatali»rv ine 3er Ptdkop'B, einflOsst; wir
hab€»lin'dil^8«Di Ohsralrter 4ieifögiioU:eit gefonden, jeneii Streit> €er
Mt !mkolMn AleiKibinittB Sie geiefarte Welt bewegt bat, e&dgifRig
im eM»bbieden> tmd sobalrd tun <di6 Sieit, in 'der Frokop leMe mril
der Name seibsiAter vol* det Beele eteht> IkaHn «acfa dt« fiat^
A»b«ng und Beiteotniig >d«r GebeimgesoMcfate kein BStHeel mMir
Mn. lAe Metorisblie 'Methode Bäein bttrgt fttr die Sicb^sMit d«f
g9kaammtL ErgebtilBse. Bnber hat mim Qevieht auf die tasee«
r€A 'Girttivfe gelegt, doch imt di^ inneren Ortlnde kOnnen für ^K6
tMithbi); «ohlaj^nd wkd «ntsebeidend iBein. ^e Temfbl, so gelangt
auoh IMm ans einMÜ sorgfUItigefn Tergleich der QebeimigeBeiufcMiB
mAi idm unliMweiiflblten Werken zu dem SeBüUat , djasii Sptwolie,
Sijl» Wottänflcbäuung, Oestinnang, TJrtlwikaTt voHkornmen bieriri^
dort llbet^iiistiiii/men, wShi^trd die WiderBprttche «kd ünters^lnede
nnr ecMüibttr odbr docb leiofat sn iftseki «ind. Mit wei&f^ B»-
iv«ififen kann iiikn ^en B^wsede anB dbr Sphtcbe nidit füllten , iak
diSB ffaeUnillafte kton hiei: entsobetdto; tmd -es nt "sIb eib bcton»
deree VerdienBi des Bwbn'Bofaete BeMn m nebifon, dasB ^ dnrbii
ein lEidJpbäfbbtTBdieB ftegisftefr 'die identttftt «der Bfnraobe libcbMM,
#Uehe 4ie IfQgH^kkeii der Fftlecfanng svsBcblieBst^ "nn^ die NMb*
ireudigkeft ^der Mentitllft "des Antorä ImpMcirt. Eine geWiBse Mo**
neibnib "des Frok6^* Beben Bt]^^ imiBste bier ble'Bidttodhnnr diei^i^
Prokop büt rfiob an bMimmte, stebende LiebKngbwÖrtet, nnd 7ei^
BclbmiAtt, snoli Hv<ö ob osur Aibt^ebeeking tmd znr l^RyshdigeQ Bmt"-
bMt 'der*8prabfab beitragen ktante, die n&ebtt biegenden fly ikonyiuen
frii gebnmebien* Wenn «r einen 'Satz ^anflhigt, bo tMbb man «ebön
t>0^an8, in weiefaehr VMse er hüö Mitte ¥oiftftlbfc«n md Sae Ende
«biMdeii Mrird. Disiiiit ist Abet iceizte9vre|[B geeagt, dass «ine ao
monätohe fllmiobe ieicbt tiacbgeabmt ^nrerden ktene. Bbnn 'gerade
in dta Uea^ iriederkebrenden Liebüngswendnngen Prokop*B zeigt
dicih eine bo völlige üebereinetinmaBg zwischen d6r 'Oebeimge-
seblcbte nbrd den tfbrigen Werken, dass eine Fftltebnng derglbicken
ni^ bewxxkt %iAen würde« So wttve dmih dtärck <deib Vetr^eick difr
SlAtedbe aücfin der Beweis ToUkommenerbtiaeiit, dbes dersc^e-ülaim
die fiiBlxaveft, «die Bauwerke utd die ^eleingescbiöbte ^ohrieUen.
Wie aber (die «Spnidie tax der Ausdniek <deB innelren 'SeeleiacfbbliB
fit, ^o kcMDliaut es Vor Alletm darmif an , dass die <>e8inriuBg und
BoBkvtfgsBrt Iner Wie dotHi dih gleiche iei. 9eb<m in der Benutzuiii^
der Q^Uen, der Bchrtfldichen wie "der 'mttndliehta , tritt ime d«
B]gctatU(imlii{he tntd Widet^mebsvoMe des SeiofriftBtelldrB pra^gnuit
entgegen. Aneh faiermgt eiob der WldeMpraob, weiober sieh «därok
Bbin ga^ee 'gdtBtigee und BtttAibbeB Wee^n bindi^bziebt : abb^k
dbr bHndcttften lieMttfelttilÄgkeit naSt wAcbit et Wnnderfi^eetbieiiten
tmid Mythen ««hinntft, ignriit mm kiitfiBeberfioharfmn^ 'der
bloe Am glttohtn ICrak«! aUelmi, die er ionrt wniinmt, ^ondoo^
saoh an eoloheb Eraahlnngen, welche an aieh Nicbts üawaliaraotmH
liolie» etttfaattea, mäkelt. £r yerwakri aioh «af da« Entachiedenata
gßgUA 4ie VaniiiaehRing der reinea Gesohidhie umd der Mytbplogiyi^
imd deniM>eh bericUet er xa» glttabig auob aplabe ZUge der IiaUai*
BiMben Qttd römiaekan Götter- imdHeldenaagB, weleba dieibiateii^
aller ä5ti»r •ari6<^ii}aiid'6 oad Boin*B voranssataea« Daaa ler vcgi
dea AtentlMaem der Odjaeee ala geeolüehtlkbeQ Tbaiaaaha« »ediA
lat fireiUcb eine Eraeheiftaiig» die keineii Keaaier dea /griacbiffoliaii
▲Uertfamns Ubermacbt wkd. Wir wisseot daaa der fUanba .an düa
hiatoriaehe Bealität dar in den Hameriachen GtoaftngB gafaieortavi 'E^
«igniaae aelbet tob dea FreigeisUm dar cqp&iereB Z^% via TJmpyr
didea, niaht angeiaatet worden ist« die daoli aonat geiai jade •^n-*
legaidbeit ergDiffan u» ifarar iSk^eie in Benig a«f die Bconarifoto
OKtter^ und MUir«faenwelft fraiea Lauf au lasaen* Im V<dk uliar
w«r man aa weit atftfenKt davon mcb jenen GlaHrban f^orprmohBr
Vetgangenbait dnrdi ainaatna S|)ö4t^ Ferkümmem an laffen« daaa
aueb in den bietorisob aiokaoen 2jeiteii Beefctotitel ana dam fiamar
aar SeUiofatang Intemationalar Streitigkeitan Mgero&n wncdan»
wie wir ans dem Streit dar Atbaner mit Megaia nnd mit Mitylene
(Hetodot. y, 94) dentUcb areelm. Wann daabalb Prafassor Dato
Proko^^a Festtudten an dar Homeriaohen Tcipograidde ainaig wd
aUein ana daeaen Mangel an kritiBober Methode be)lai(fcei» lio diHiAa
er Anf Beebmmg das SUnoielnra aotoaiban, waa in dar ganaeii Walt-
anaehannng jener Nation begründet und mirt ihrem (SHattben bip
hantcntaga anf daa Sngato yerwacdiaaa iat. Ss ist Pvohop an ^«^
aeibot daaa er Oon^ym dse Inael derPhttaJcen neimt, w^m die^GoKr-
Selten aiafa in ibren Lokaidiranikan «*- wie in Daodela'a 'Oesohiabba
^^ noflh bantsatage ala die dirdcian Nacbkoaunan der PbttakM
baaaiobaan, wenn aie dem Fveaiden den Flnas S^atamo «aaigeiif W0
Nanaifcaa gawaaehen bat, nnd von dar Höbe das San Pantaleotia
jenen merkwürdigen Falsbloek im Meer, dar die Geatalt mMa fiebiffiia
b«t, ala daa Sabiff des Odyeaeoa weiaen j ^ dh pdi» axBÖw likv^fi 4
Sa«viel; um den Vorwarf dea >gröbaten AbMrglaabanaii den IMm
gagan Prokop aobleadert, aa modifiaicen. Anob die »bödiiat w^
wiaaenaidiaftliobe AaSassang der t^eacbiabte«, die siab der flistoriker
Jnatiaian'B sa Scbalden kommen l&ast, daxfte ttoa dam Geist adioer
Zeit heczaleiten adin aüad ^es aradieint gerade de« geaaidMUaa
GrSasan dea ByaantuierUmma gegenüber als ein ebenso naOmmnr
digea wie verdienatycdles Eorrektiy, daaa snan den Wavth a»d 4eii
Zfwaok der Gesobiobte saf das {trAktieabe lieben beacbrKnMe and
aia Glaabanabekenntnisa aafatellte, wie Janaa im tBinpwg -dar
Hiatoiäen: ^üi» Senntniea des Yej?g«kngeAen bat dnn W^ertbi» 49m
9» die liaobwelt in lAnüeben £itaa(tiotian a» B. im lEj^ega;, ^a-
j4«i0en Maameein arcpei&n hhxt, mleb^ firttbar M0fa (dar SMAr
488' D*lli: PMkOidvt yob CIütc«.
rnng genützt nnd diejenigen yermeiden, welche früher naeh der
Erfohnrng geschadet haben. € Die Fälschung der geeohichtliohen
Wahrheit zn praktischen Zwecken, das Abweichen von dem zwei-
ten Princip des Giceronianischen Qesetzes: Eam esse historiae
legem, ne quid falsi dicere andeat, deinde ne qnid verinon andeat,
rte sind nns nie entschnldbarer nnd sogar in einem gewissen Sinne
achtbarer erschienen, als bei Prokop, wenn er im dritten Bofih
des Oothenkriegs berichtet: >Die Gothen tOdteten den Priester
tmd die Einwohner des eroberten Tibnr anf eine Weise» die ich
sehr wohl kenne, aber nicht mittheilen werde, anf dass ich nicht
der Nachwelt ein Vorbild der Grausamkeit ttbermittle.€ So fastt
er sein Wirken als ein anf die Zukunft gerichtetes, von dem das
Thnn und ürtheilen der Nachwelt abhängen wird, und wenn wir
ehrlich sein wollen, mttssen wir gestehn, dass der Geschichtsfor-
scher sich kein höheres Ziel stecken kann (Anecdota 15. p. 94).
Wir haben damit die patriotische Gesinnung berührt, die für Pro-
kop im Gegensatz zu der kosmopolitischen Verworrenheit mancher
Zeitgenossen ehrenvoU und charakterisch ist. Wohl begannen die
Einzelnen, die sich über dem Allgemeinen erhaben dünkt<en, die
Pflichten gegen das Allgemeine wegzudemonstriren, und sich grol-
lend YOn dem Staat abzuwenden. Die Epikurfter und Stoiker lehr-
ten, dass der Weise sich gegen den Staat ziemlich gleichgültig
▼erhalten werde, da die politischen Gesch&fbe Ton der philosophi-
schen Müsse der Betrachtung abzögen. Dazu kam die Macht der
im Ohristenthum enthaltenen demokratischen Tdeen, die die Grund-
lage des antiken Staats untergruben. Die Zeit des begonnenen
üebergangs aus der Antike in das Mittelalter spiegelt sich nun in
Prokop dergestalt wieder, dass er in dem Edelsten und Beeten des
geistigen Lebens der alten, überwundenen Welt angehört. Spurlos
konnten die neuen Ideen nicht an ihm vorübergehn ; aber ihre Ein-
wirkung ist fast durchgehend eine ungünstige. Sie stören ihm nur
die Sicherheit der alten ererbten Ueberlieferung, ohne ihm dafür
den ideellen Ersatz zu geben, für den er nun einmal nicht ange-
legt ist. So wirken denn die Begeisterung für die Tergangene
Herrlichkeit des Bümerreichs, und der Sclmierz über das gegen-
wärtige Unglück seines Vaterlandes zusammen um die historisdie
Anschauung unseres Autors zu bestimmen. Gegenüber der rohen
physischen Macht auf Seiten der Barbaren erscheint die römisofae
Tapferkeit und Selbstbeherrschung im hellsten Licht. Für den
politischen und socialen Gegensatz des Bümerthums und des Bar-
barenthums hat Prokop einen klareren Blick als fast alle Kaiser,
Staatsmanner und Historiker des Imperiums. Er fühlt sich be-
rufen daran zu erinnern, dass Bom den Anspruch auf die WeU-
herrsohaft nicht angegeben hat unerachtet seiner zeitweisen ün-
fthigkeit denselben zu yerfolgen, er achtet es für den Beruf jedes
kräftigen Kaisers jenen Gedanken wieder aufisunehmen. Wenn man
fMifich dem Andrangen der Barbaren durch Vertrige und Jahr-
gelcler, dwoh Aufnahme in rOmische Provinsen und r5nu8obea
Kriegsdienst steuern wollte, so kiese das nur einüebel, das man su
heilen wtlnscbte» verewigen. Wenn man Persem und Hunnen,
Gothen und Slaven den Frieden um Ländereien, um Gold abkaufte,
so setzte man damit nur eine Prämie auf ihre Angriffe* Prokop
dnrohschaute diesen Fehler des Systems, und sprach es darum auch
in den Historien ganz offen aus: 9 es gebe kein anderes Mittel,
irgend welche Barbaren den BOmem in Treue zu erhalten, als die
Furcht Yor den T<)mischen Waffen«, Dieselbe Anklage, die er ia
den Historien gleichsam unbefangen gegen den Kaiser Justiniaii
unterfliessen läset, er wiederholt sie mit. zermalmender Schwere in
der Qeheimgeschiohte. Dass ihm die militärische Ehre des Bfimer-
Teichs vor Allem am Herzen liegt, dass er die Siege der BOmer
mit sichtbarem Wohlgefiedlen berichtet, kOnnen wir nur als eine
neue Bestätigung seines Patriotismus ansehn, und gewiss ist eine
Wendung wie die >bei gleicher Anzahl gab die ihnen eigene Tiefer-
keit den Bömem ohne Mähe den Sieg« entschuldbarer wie das
Stereotype : D ne fallait pas dix mille Fran^ais ponr battre ringt
mille Autrichiens, welches uns bei dem modernen Vertreter der
Oloire und des Heroenthums in der Geschichte begegnet. Aller*
dings mischt sich auch in Prokop*s ürtheil über die Barbaren ein
gutes Theil Willkflhr und Selbstoberschätzung. Sie stehen ihm
geistig und sittlich, ja zum Theil auch physisch tief unter den
BOmem« Bohheit, Zügellosigkeit und leeres Prahlen aXa^orsm
Unstätigkeit des Willens und Treulosigkeit gelten ihm als charak-
teristisch für jene niedere Menschenrace. Der leichtsinnige Dtinkel
ttber einen Sonnenblick des Glücks, welcher regelmässig durch desto
tieferen Fall gebüsst wird, erscheint als echt barbarisch; und im
Gegensatz zu diesem üebermuth der Gothen spiegelt sich antike
Buhe und Ueberlegenheit in dem Gedanken des Narses: >die aus
dem Unglück sich wieder emporgearbeitet, sind muthiger als die
nie in*s Unglück gerathen« (G. IE, 16. p. 211). So sehr jedoch
Ftokop*s Sinnesweise alle Züge des altrOmischen Patriotismus trägt,
80 entschieden er die Erweiterung des Beichs, die Unterwerfung der
Barbarm als eines niederstehenden Geschlechts zu seinem politi-
schen Programm macht, so ist er doch weit entfernt davon sieh
rosigen Hofinungen über die Bealisirung desselben hinzugeben. Er
ist sich klar darüber, dass es im Orient und Okkident gleich trau-
risch aussieht, dass Born auf die Dauer den Stürmen der Barbaren
nicht widerstehen kann. Er widerspricht in den Historien mit
dürren Worten dem officieUen Phrasengeklingel, welches Justinian
den Wiederhersteller des Beichs nennt. Adtius und Bonifadus,
zwei Feldherm die seit hundert Jahren begraben liegen, nennt er
>die letzten BGmer, in diese beiden Männer hat sich die ganze
Bümertugend abgeschlossen.« Mit dieser Tradition von der guten
alten Zeit stimmt vollkommen überein, dass Prokop am Ausgang
des Ctothenkriegs »von einem hoch denkwürdigen Kampf und der
4KQ Diftika) Vwfküflm voa CMmtm.
TafttsArft Aa» MaunMi« spridil;, »dk hinter Koinetti ^erer» di*
mas iBferoto (Dcmne nrttekstehec und wenm dieser Tapfere «eh iiieht
als ain BOmar^ eoadem ala Teja, der letzte iJömg der Goihen her-
anSBtelli. Auch in den mannigfoehen Beziehumea des inneren
Stotttdtobene xeigt eioh Prokop als Eoneenrativer yom rdastan
Wasser. Die Nenenmgen Jnsiki's nnd Jastinian's waren ihm in
tiefeier Seele yerhasst. Mechte aneh die Freiheit dea Staatalebene
fveachwanden sein, Prokop hing an der herkömmlichen Ordnung an
den Hbeiüeferien Formen des Siaatslehena , die ein Angnstae ge-
iobont hatte. Diese Institationen waxen doch inuneriiin nooh iaa
Ctogensatz amn Anidand griechisoh-rOmiseh» diese Fonaaen iraiaA
die kftstea Beste des altem römieehen Staatswesens ; sie waven daas
Pairiel^n heilig wie todfce Reliquien und wer sie yerletzte, exregte
•sine Traaer nnd seinen Zorn. Die höheren Staatettaiter mit ihren
•ocgflütig abgertoAen Ehremreohtsn nnd Attributen hatten nooh
Moen gewissen Nämbtts in den Angen des Konservativen; dem des-
halb aoch der rOmiache Adel, weU er mit den Aeuteni wid der
ganzen hergebrachten Verfassung enge zusammenhing, als ein
ehrwttidiger Best glorreioher Yei^gangenheit erschien« Das bloeso
Weort der Neuerung wlemt^^f^lv wird so bei Prokop su eiaemAna-
druck herben Tadels, und wenn er den Quätftor Proklus als »recht-
liebend« nnd H^im höchsten ärade uid)e8tech]ich lebt« , so fOgt «r
cbarakteristiseh hinzu, '»deshalb etliess er nicht leichthin 'dtn
acnes Clesetz und 'war nicht geneigt an dem Bestehenden in iijgend
EKwaa zu rttMela»« Wenn die iEtegierung selbst es ist, w^ho
Neuerungen einnifiihren eucht, so siegt sogar der Konflermfeisasus Pro*
kep's tlber seine Loyalität; er billigt die b^vratbete Abwehr sot«
eher Neuerungen darch das »Übeneinstimmende« Volk, und man
kann auch hier seine Polemik gegon Justinian schon in den Histo-
rien heraus lesen. Wie es b^ 'einem Oharakter dieses SoUagen an
erwarten, ruht die ganze ethmche Anschauung auf der des klaeai*
riehen Afterthums. Maanestugend ägaetj ist ihm die Gnadlaga
aftler geistigen load sittlichem Vorzttge. AUean gerade bei dem
tapferen und mdkhvollen Entgegentreten gegen die Auesenwelt wal-
teti das echt antike Maass und die antike Buhe vor« Man danfaia
in fieUas nicht darati mit dem Heroismus zu kokettiren und um
zum bewussten C^ensatz gegen das Natürliche und Mensehliobo
zu -steigern. Unter dem Biss der Nattern lachend zu «terbeut den
Sriunerz trotz der farohtharsten Folter zu Terbeiseen, das ist alter
aovdiaclier HeldeamuAh. .AUein der Grieche war Ton jeder aata-
loam, ostmsibeln Aufopferung weit entfiemt, der Beiz das Daasans
foaselte ihn zu tief, als dass er, ausser wo zwingende Nothwendig*
ksit jede Wahl versagte, sein Leben in die Sohanze geschlagen
hiAte.
Der Heroismos ist bei den Griechen der verborgene Fuidcoa
im Joesel, der rdiig sdilftft, so lange heine Amasre Gewalt ihn
weett. a» steht denn nach das ideal dm: ßrokep'^ifdien Zsjp&fkait»
die sMb sweokbewtisfit «nd gBbaltoi, bn Hsndgettieng batonam
bleibt and nur die Blasse des Oegnert Bcbltrf enpftbi» itü sehroffan
OegemaiE zu der feurigen bliaden Kampfmitli der Bailiaren. Bei
den Barbaren ist der Heroismas eine helle, fretoendä Flamme. ^
SMtiffkeit, feilastäge OleiolimaflSigkeit der Btimmnag Te ßifimow
v^ yvAfiMiQ die Anlage dem Unglück dnroh FeitiiEfkerfc seinen Sta-
ebel M nolunen: das eind dieFrttehte der antiken ^lipapif, üeberaU
Ingt di^mt agstii eine starke Betonimg der IntolMgenis sn Oraode,
wib denn schon Sokraies aHe, itt^msfi %vi imon^fni znrttckgefl&kft
katbe. Thoirkeit und Vettehrtheit das Willens ersebemAn ah nn«
trennbar Terbünden. Anoh der konservatiTe Zug Prokop find«t
Seme Brklarang in der aftheUenisohen Etblk, weiche Ton jeher '
ünAerordniftig des Einzelnen nnterdas sobstanzidle Bthos forddiie
und im Bmch der Sitte, hn Tenrooh dee EinzetaeA lienemageB
ennnfdfaren Etwas sittlieh AnstQssiges erblickte.
Ke drei Hamptfkktoren nnsres eeeliaohten Daeeins: Brissntien»
Em|y6nden nnd Wdlcn sollen in der antiken Ethik zu Tfichtigani
Znsammenwirken Terbnnd^i werden. Axä den grieehisdien l^d*
wirken entsptridht die Stirn dem tnyög^ die Nase dem ^viMg und
der Mond der ini^viUa\ das Merkmal des antiken Profils be^ht
auf dem Uebergewioht der gesstigen S^tim über dem Bin»lidMto
Monde ; die fortltnifende gerade Linie, Affe Mangel eines EKnsotasitb
Bwlsolwn Stirn nnd Nase drfteki die totsehlossene Yeibhiftnng des
Brkennctos nnd des Wolltos, des n^oüs und #1;^$ ans: lindww in
der Eilnst» so iik es anek im helknisofaen ILebcni : eine hsnnonitete
Anrioüdmig des ganzen Metaschen mit stets wacher SeH»8tbeterrBcfating^
weldie in allto Dingen das heiUge Ton derdotthait gereiste Maass
einfaälts ibit stetigem uebergewioht "des geistigem Elements t darin
besteh das erttüohe Ideal des Altertirame. Wer kennen mit Dafan
ndclit i^^mpathisiren. Wenn <er sich Über die Marmorkalte nnd den
Prost bekkigt, der uns ans der avtiken Ethik entgegeniBchisge. W^
ni9olito befaai^^ten, dass die Glnth der Leädensdiaft, dara die Ant*
regnng der Oegenwatrt jener Nation nnbekannt geblid>enf Dass
die Griechen die Lnft des Frtkhlings gleichgültiger geathmet nnd
doss %ie deim Nachtignlleogesang seltener gelansebfc hatten als nnser
fnederhes rtthrseliiges GeSoldeoht? Die Denkmale ihrer Enndt sind
ans das sprechendste Zengnies daltbr, dass die Begeistemng für
allee ScibOne in d«r Natnr tmd «das Terstandniss Air die Beize flnet
Utngebnngen in den Alten nicht minder lebendig war wie in nns,
wenn anch die Ausdmcksweise TCrstdiieden war , in der eich da-
mbls wie jetzt der Eindruck der AnssenWelt reprodncii^. Es Wat
keüiB zittelmde nnklaiiB Möndsofaeinsstimmnng, keine ftlsche Senti'-
meivfaalitat; es Hi^ar aber dae Beste jener tiefbn eratftesi Einpfindmq^
miA der wir in dnnkleir Naebt zum geetitnten Himmel anlUkkea»
nnd nns «as der 'GrOeee nnd Ewi^it der W<eft ddrt ;dvo2ben Trost
Ar mssclm irdieehen Kummer holen. »In Einsamkeit nm wenigrten
sdlen, t^üiUt dann die^Seele «mmUcIi Lebensstilen Wicnine Wnlipi'
IM Dftkn; Prökopini vob CImtm.
lirii die dann Eaer Bein BeingllÜit Yom Ich: es ist ab wftr ein
Ton, Die Seele der Musik zn Enck entflohn, Damit Dir ewige Har-
monie empfindet, Ein Zanber welcher Erd' und Himmelsthron
Gyteren's Gürtel gleich in Schönheit bindet nnd dem Qespenste
Tod die stumpfe WafT entwindet.« Nicht weil diese weicheren
Regungen der Antike abgehn, sondern weil sie nur idealen Na-
turen eignen und weil Prokop seinem ganzen Wesen nach Realist
war, deshalb weht es uns aus seinen Schriften mitunter an,
ab habe die Rhetorik den Menschen erstickt; und ab habe der
Triumph des Schlechten, dessen Zeuge er war, ihm aUen Glauben
und alles ürtheil geraubt. Prokop zweifelte am Dasein Gottes,
weil er sich die Existenz des Hebels, das häufige Leiden des Ge-
rechten und die Straflosigkeit des Bossen auf Erden mit einer ihm
erreichbaren Auffiissung tou Gott nicht vereinen konnte. Sein Skepti-
cismuB ist die Resignation eines Geistes, der sich nicht über den
Widerspruch erheben kann, weil er allzusehr an den irdischen
Dingen haftet. Aus dieser Unfähigkeit einen idealen Aufschwung
zu nehmen erklärt sich sein krasser Aberglaube; denn wer nicht
an die Unsterblichkeit der Seele und nicht an ein Leben nach dem
Tode glaubt, der wird sich in diesem Leben vor den Ammenm&hr-
chen der Kinder, yor Zauberern und Hexen ftlrchten. Damit ist
denn auch der religiöse Standpunkt Prokop's aufs Schärfste ge-
kennzeichnet. Ueber das Schwanken zwischen Theismus oder Fa-
talismus kam er nicht hinaus. Dahn ist nun der Ansicht, dass
durch den von Jugend an auf ihn einwirkenden christlichen
Einfluss ein grösseres Hinneigen auf die Seite des Theismus her-
Yorgerufen worden sei. . Wenn aber auch Prokop dem Ohnsten-
thum Yor andern Religionen den Vorzug eingeiUumt haben mag,
sehr tief konnten seine religiösen Ueberzeugungen nicht wurzeln.
So hat sich denn schon Eichel über die kühle Indifiierenz empört,
die in dem Prokop'schen Glaubensbekenntniss liegt: iyo yoQ ovx
av ovSh aXlo jcsqI ^sov ort av Imoifu rj vci äya^og ts xavta-
itaffiv bI^ xal 0v[inatn:a iv t^ i^ovöia x^ ccvrov i%H. Jisyhm dh
äansQ yivdöxHv exaötog vjtIq avvtov otstcci xal Uqbvs xal Idm^
rrig. Der entscheidende Eindruck solcher Stellen wird durch die
torcirte Ohristlichkeit die in den Bauwerken Yorherrscht, keines-
wegs abgeschwächt. Der Wunsch Justinian bei seinen Kirchen*
bauten als unmittelbar you Gott unterstützt darzustellen, schimmert
gar zu deutlich durch, und die geheimen Rücksichten, die bei der
Abfassung dieser Schrift Yorwalteten werfen ein yerdächtiges Streif-
licht auf ihre Religiosität. — Wenn nun Dahn die Lösung aller
dieser Wiedersprüche in der antiken Anschauung findet, welche
die religiösen Vorstellungen Prokop's bestimmt habe, so übersieht
er, dass auch auf Grundlage der antiken Bildung eine reine thei-
stische Fortentwicklung tbr den Idealismus möglich war. Wir
müssen uns eine eingehende Begründung dieser Ansicht hier Yer-
eagen. Sie würde eine eigene Monographie erfordern. So mnss es
]>aliB: pMkaplnM Ten CUmu. *48l
▼or der Hand genllgen, darauf hinzuweiBen , dass wenn der Zeus
des polytheistisohen HeidenthamB nicht das Ideal eines immer bei-
ligen Willens zu gewähren scheint, Yon der Entartung nicht anf
das ursprüngliche Wesen der hellenischen Gotteslehre zorflekge-
schlössen werden darf. Zeus war diesem Yolksstamm yon AnÜEUig
an als der ewige Himmelsgott im Gegensate Alles Gewordenen
Sichtbaren hewusst. Wir erkennen schon zu Beginn der grie-
chischen Geschichte die höchste Ahnung, die dem Menschen
gegönnt ist, und verwahren uns gegen die Macht der nach und
nach abgeleiteten Vorstellungen , die* uns zu leicht mit Scheu und
falscher Skepsis bef&ngt. Das ist der Gedanke eines unyordenk-
iichen ewigen Gottes, der nicht ein Gewordener war, wie Apollo,
Ton dem Pindar singt, er sei in der Zeit geboren; sondern ein
llbeneitliches, übersinnliches Wesen, der geheimnissvolle Grund
alles Daseins, oder wie Maximus Tyrius gesagt hat: ocQimüOv
jffivw) xal oUävoq xal naötig (^towftig qrvösiog. Neben dieser
Tolksthümlichen und idealistischen Auf&ssung des G^ttesbegriffes
konnte die Idee eines unpersönlichen Schicksals niemals zu hoher
Bedeutung gelangen. In der Philosophie schrumpfte allerdings der
höchste persönliche Gott immer mehr zu einem Vollstrecker der
dunkelen Schicksalsmacht zusammen, aber im hellenischen Volks-
geftihl ist die Suprematie des Vaters der Götter und Menschen
stets ungebrochen anerkannt und er tritt als Schicksalslenker
Moi4fayitris erhaben ttber den beschiUnkenden Gewalten der Natur
hervor, wie es der höchste Triumph der Persönlichkeit ist, die
Tmpersönlichen Naturkr&fte zu überwinden. Damit ist denn zu-
gleich die Aufgabe des irdischen Daseins klar bestimmt ; denn der
Sieg über die Natur kann nur durch die Entäusserung des Ich
und durch freudige Hingabe an Andre, durch die Liebe errungen
werden. In der Selbstlosigkeit ist die Einheit des Persönlichen
mit dem unpersönlichen gewährleistet, in der Idee des Opfers löst
sich der Widerspruch der neuen und der alten Zeit. So konnte
der Idealismus an die in der antiken Bildung gegebenen Elemente
- anknüpfen. Eine solche idealistische Lösung lag aber Prokop ferne.
Die grossen Katastrophen in Natur und Geschichte, deren Zeuge
er gewesen, die schrankenlose Willkühr des Despotismus, worunter
er hatte leiden müssen : das Alles rief ein Gefühl furchtsamer Un-
sicherheit hervor; und beim Anblick der Vergänglichkeit aller
menschlichen Grösse, der Unbeständigkeit des Glücks und der ün-
erklärlichkeit der Gegenwart gewann der Fatalismus, die Idee des
unpersönlichen Schicksals von Neuem die Oberhand über die von
ELindheit ihm eingeimpften Vorstellungen vom persönlichen Gott.
Dazwischen fehlt es nicht an Versuchen, die beiden Principien in
Einklang zn bringen. Prokop versucht bald den persönlichen Gott
wegzuschaffen, dadurch dass, er ihn dem Schicksal unterordnet, bald
umgekehrt das Schicksal, indem er es Gott unterordnet« . Dies fOhrt, da
die einzige Möglichkeit der Lösung versagt ist, zu einer rathlosen
Tttwimmg^ die VantaUnngw geken churchmuafeter vi« dit WoiAe
«ad 6B toh^int reii^blidi, einfin konaequeBtea Gedfuikoii iu Stellen
m aachen» wie bei dem Fall vou AntiochiAy wo GK)tt i»n SoUftg
¥0iT«rkttnd6t und beBchloBsen» da aeijie Wege oiievfoniefalidi, das
Dänoninm Qhosiofis auf dea Thron gebradit , uAd das Sohidkaal
BfliBeoi Plan Gelingen gegeben bat«. DMviecben dtaiinevt freilifih
die Erkenntniaa anf » dfyia die Uenaehen ntur den Begriff dee Sohiok-
eals aebaffen, weil sie den Z^nsammenbang der Ereig&ieee m^t be-
greifen, dase aber in Wahrheit Allee dnrcb den Wülen äottee
gelenkt wird, den wir nur eben Sohieksal nennen^ weil er uns n»-
eKforachlicfa iet» Trots der fataliatisohen Neigungen und der aben-
glänbisohen Geisterforebt , die sich in den b&ufig wiedeAehreiadeii
YoreteUnngen vom Dttmonimn als einer finsteren» meneebenfeindlielian
Maeht abspiegelt, trotz AUeden überwiegt gerade bei dar Kefle»»
ttber den Fall von Antiochia im Onmde die tbeifltiaehe Idee.
»Indem ieb ein so nngebenree Unheil beschreibe und dem Andaaban
der Naehwelt ttberlie&re, beföllt es mich wie Schwindel» und ieb
kann mir nioht denken , was Qott dabei will, dase er das OMeik
einee Mannes jetzt erhöht und dann wieder rtürst, ohne eiaa ^^
uns erkennbare Ursache« leb sage uns erkennbare — denn ee ist
nicht erlaubt su sa^n, dass er nicht immer Allee ans eiAam vev^
nttnffcigen Qvnnde thne.« — Das Bild, das wir nunmehr von Pro-
kop'a Charakter und Weltaoschauang gewonnen haben, passt m
atten Zttgen anf den Verfasser der GeheimgeBehichte« Diee^ba po*
litiscbe Gesinnung, die sich bie zwax patriotisoihen Zorne ßteigürt.
Derselbe KonaerYatismus , der dem Kaiser jede Neuerung aia Yep-
bseohen TorhftU. In der Ethik der alte Tadel über dsn Mangal au
frommer Scheu vor dem Göttlichen und Tor dem menaehliidien
UrthfiiL Eine Misckung Yon Aberglauben und Skepsis» yom Ra-
tionaliamua und Mjratik, wie sie dein Prokop der Historien gMs
enthebt Degp gjleieke kühle, objektiTe Ton über im Cblästm-
tiram; in den gaiegentUch der Ketoerverfolgungen eina f^iadsaU^e
Bitterkeit aütaater Iftuft, »d^na daa sehien dem KeMor nio^t
Mensehen umbringen, wenn die Getödteten nicht seiaer GlaabMJh
partei waven,« Ein Schwanken aiwisahea der AnnahnKB des pter-
aönltfihen Gottes und des Schicksals als weltregierender Mi&cb|ie,
velebee das Mitwalten von bösen, dftmeaiscben Gewalten aiebt
ansechUasst. Eine Nei^pnng, an der Existenz des pevateUiebKi
Gottes zu sweifeln, da ihr das unyerscbuldete Jjeidan der Guten md
das unverdiente Glück der Bösen widerspricht, und sohUnasUeh
doch dia Ansicht, daes die Menschen nur deshalb vi der Vor-
stellung eines blindsn Schicksals kommen, weil sie die Ursaoban
der gSIttUchen Sathscblüsse nieht kennen. Auch das VrtlieU ab«r
die innere und Nassere Politik Justinian's bleibt das GleiAbe; es
wird nur in dar Gefaeimgesebichte durch eine Menge von kleiaeam
BescbuldigungMi peorfönlicher Oahftssigkeit yerbittert. I>ie Fiktiv
dee bQraantinischen Despotiemue, wonach Alles and Jedes imSta«^
d4li«7 fkolMpto Iran Cämam. 4M
«gestKoh niur durob den Kaiaw gesohieht, wonadi Jvsimiaii «t ist,
äw das Verdienst der Thaten seiner rhnteiffebenen tfVgt: diese
Fiktion wird in der Gebetmgesohichte omgekehrt verwandt und
sor Veranglimpfimg des Kaisers bis in die absurdesten Koneequenzen
rerfolgt. Die Klagen der Historien werden zn Anklagen, sie werden
nicht mehr geflüstert, sondern mit der ganzen Kraft des Zorns
sosgeschneen und von der Leidensehafk ine Bieeenhatte gemalt.
So eveckeint Jos^ian als ein vemchtlioher Despot, der im Frieden
kme Trene, im Kriege keine Kraft besass. Vergleieht man n«n
mit diesem abgtestigen ürtheil, wevin die Historien nnd die Ge«
keimgesebichte übereinstimmen, die maassloee Lobbodelei deeaelhen
jQ8tinian*B in den Bauwerken, so konnten in der That eher Zweifel
an der Bohtheit der letsteren Sohrift entstehen, wie an der fieht-
keit der Oeheimgeeehiehte. Wie wir Prok<^ kennen, nniaBte ein
Idbell eher von ihm erwartet werden denn ein Panegjrikns. Da
Bon seine Stellang ra nnabhängig war, als daee er sieh dnroh die
Aussieht auf &assere Vortheile zom Lobrednor Justinians hätte kO-
den lassen, so bleibt nnr die andere HTpothese, die Dahn soharf*
ramig ausgeführt hat, dass ee nioht Hoffanng, sondern Fnrdht
gewesen ist, welche Frokop veranlasste, seine Uebeneogung in den
Bauwerken so yerl&ngnen. Jostinian, dessen Lieblingsbeeohttftignng
neben den theologischen Streitigkeiten im Banen bestand^ wavf
seine Augen anf Prokop, nnd es kitzelte seine Eitelkeit, einen
Kann zozn officiellen Lobredner an machen, der sich, wie wir ge-
flshn, in den Historien keineswegs serril erwiesen hatte. Prokop
wagte es nicht, dem Unwillen des Machthabers Trete in b&elan,
Atif höheren B^ehl schrieb er jenes Lobgedioht in Proea, dessen
Qesohnrairtheit und Leere überall den ttnsseren Zwang snklagti
unter dem es entstanden ist. Allein während er mit der einen
Hand die Eitelkeit des Kaisers streicheln mnsste, baUte er die
FWnst in der Tasche. Die Oeheimgeschichte ist die Fraoht dieses
Yerhaltenen Ingrimms, Der ünmnth, den Prokop über seine eigene
Feigheit empfand, dass er die Bauwerke geschrieben, steigerte sei-
nen Zom gegen Jttstinian, nnd jedes Wort des Lobes ward nmn
tarn herlraten TadeL Zn der persönlichen Leidenschaft gesellte
sieh der patriotische Schmerz über den VerMl des Beielia, nnd
ans der Feder, die noch feucht war yen der Tinte des PanegTrikiM,
floss die Schmähschrift, in der es heisst: 9Denn Justinian war
übermässig dumm und ganz wie ein stumpf- fauler Esel, der dem
folgt, der ihm am Zügel führt, indem er oft dazu mit den CMiren
wackelt.« C^ Mendelseohii BartfeMildy.
496 PMOil't Qtäaakm tmi UertekiüAiiii.
,BkUH PaaeaVs Gedanken über die ReH^hn, ntbd Btiefm u$^
Fragmenten verteandien JnhaUs. Für die QtbüdeUn fßnmrer
Zeit bearbeitet van Dr. Friedrieh Mersehmann. Haue.
Verlag der Buchhandlung de» WaieenkoMues 1866. X u. 494 8.
gr. 8.
Bei den yiel^Achen Angriffen^ welche jetzt wider das Ohristen-
thun sieh erheben und aus den wisseneohaftUchen Kreisen auch in
weitere Kreise der öebildeten, wie selbst des Volkes sich einen
Weg zu bahnen snchen, kann es nur als ein ntttzliohes und zeit-
gemässes Unternehmen erscheinen, die »Pensöes« des geistreichen
und frommen Pascal, der damit eigentlich eine Apologie der christ-
lichen Religion zu geben beabsichtigte, in einer angemessenen Form
auch dem weiten Kreise der (Gebildeten zugänglich zu machen, nnd
damit sie zu stiurken und zu kräftigen wider alle Versuche, die
unter oft so trügerischen und in schmeichelnden Formen sich ihnen
nähern. »Pascal*s Pens^es, schreibt der Verfasser S. VU und wir
theilen Yollkommen seine Ansicht, sind wohl geeignet, bei Vielen,
so yerschiedeu auch ihre Stellung zum Ghristenthum sein mag,
durch die ürsprünglichkeit, Ghrossartigkeit und Tiefe des (jeistes,
wie durch die Wärme und innere Wahrheit der Gedanken einen
ttberzeugenden Einfluas auszuüben. Auf dem Wege der Selbster-*
henntniss fährt er den Zweifelnden zur Gotteserkenntniss. An allen
Quellen der .Wahrheit lässt er ihn die Lösung des Bäthsels seines
Daseins suchen, aber stets unbefriedigt steigert sich die Sehnsucht
. nach der Heilung seines innem Zwiespaltes. Nachdem unter diesem
Suchen die Morgenröthe der Wahrheit das Herz des Zweiflers mit
, Sehnsucht erfüllt hat, lässt Pascal die Sonne der vollen christlichen
Wahrheit aui^ehen.«
Der Uebersetzer hat sich bei seinem Werke an die nach dem
in der Kaiserlichen Bibliothek zu Paris befindlichen Autographum
Teranstaltete Ausgabe von Faug^ve (Paris 1842) gehalten und die
freiere, oft aphoristische Form der Darstellung, in welcher sich
. Pascal gefiel, auch in der üebertragung wiederzugeben verstanden:
und gewiss hat dadurch das Interesse, das der Leser an dem Ge-
genstände nimmt, nicht verloren, sondern mehr gewonnen, als durch
einen trocknen, systematischen Lehrvortrag. Die deutsche üeber-
setznng ist durchaus fliessend, und in der dem Gegenstande ange-
messenen Würde gehalten, sie liesst sich sehr gut. Die von dem
Verfiftsser versprodiene Abhandlung über Pascals Leben und Denken
wird am so erwünschter sein, als selbst die neueste Darstellung
darüber von F. Höfer in der Nouvelle Biographie üniverseUe
T. XXXIX, so verdienstlich sie auch in jeder Hinsicht ist, doch
in Manchem sich hat kürzer fassen müssen, wie dies die Natur
des Werkes, in welchem dieser Artikel steht, mit sich brachte. —
Druck und Papier, wie überhaupt die äussere Ausstattung ist recht
gefällig.
Ii. 32. HGID£LBEB,6ER t8«ti
JAMBÜCHER DER UTERATÜR
Pindari carmina ad fldem opUmorum codicum reeemuU inUgratn
seripturae diversitatem ntbiecU annoiaHonem erUieam etddidü
Car. JoK Tyeho Motnmsen Qytnfu Moenofrancof, direeior^
BeroHni apud Weidmannoa MDCCCLXIV. LI, 491; Hvo.
Asmotationis eritieae $upplementufn ad Pindari Olympias BcripsU
Car. Joh. Tyeho Momm$en de. 206; 8vo.
Die langerwarteto Ausgabe Pindar's, auf deren Erscheinen wir
durch manche sch&tzbare Vorarbeiten begierig wurden, ist endlich
in unsem Händen, n^d man muss gestehen, dass ein doppeltet
nonum prematur ihr sehr zu Gute gekommen: nach und nach hat
sich ein so reicher Apparat angesammelt^ dass die Vorstellung, es
sei damit ein Abschluss erreicht, ftlr so sicher gelten kann als es
in solchen Dingen möglich ist ; nur ganz überraschende Entdeckun**
gen könnten den Stoff der diplomatischen Kritik auf diesem Ge*
biete noch bereichern; was aber irgendwo in deutschen, italieni*
sehen, firanzOsischen, spanischen, holl&ndischen, englischen, d&ni*
sehen und russischen Bibliotheken zu finden war, hat Mommsen
entweder selbst eingesehen und benutzt, oder doch von Freunden
untersuchen lassen ; dadurch sind die Leser des Dichters in Stand
gesetzt, über den Werth von etwa 80 Handschriften, die BoecUi
nicht benutzt hat, sich ein klares ürtheil zu bilden ; aber auch die
uns aus Boeckh*s Notae eritieae geläufigen Hfilfsmittel sind durch
genauere Vergleichungen als die von den damaligen Collatoren auf-
gestellten ergiebiger geworden. Merkwürdig war dabei das Mis*
geschick, das B's gelehrte Freunde treffen sollte: weder in Paris,
noch in Leiden, noch in Wien, noch in Bom fanden sie die Tor--
zttglichsten Teztesquellen oder erkannten diese als solche, sie büe*
ben am Hittelgut hängen. So Yortrefflioh nun auch Boeckh's Be^
handlung der Epinikien ist, hat doch öfter die echte Lesart bei
ihm nicht den Vorzug erhalten, der ihr nach Gebühr zu Theil
werden musste und geworden wäre, hätte sie eine so bedeutende
Ifojorität gestützt, wie sie jetzt in unseres Herausgebers Varianten*
sammhmg oft yorliegt. Die Anzahl der ungefHlschten codd. ist
nämlich, wenn man die mitrechnet, welche nur wenige Oden ent-
halten, nicht geringer als sechzig; wenn auch nicht von gleicher
Güte, stimmen sie doch bisweilen alle, oder wenigstens in grosser
Anzahl zusammen. Bei näherer Untersuchung zeigen sich aller-'
dings unterschiede, wie denn die »vetusti codd.« Ton Mommsen in
5 genera zerfällt werden : 1) Ambrosiano-Vratislaviensis ; 2) Vati-
oani proprii; 8) Parisino-Leidensis ; 4) Medioei, (das wieder eine
yUL Jahff. 7. Heft. 82
4t$ PhlAaiAfli^tsm^AUomvUeiL
Theilnng in fEunilia Medieea, familia Vaticano-Gottingensis, ÜEumHa
incertBi \A Aiüta tmd fi^nilte I*dl^in60Mi«'ei Mkidel; kt^tere
be#teÜ weitet aus einet prfot (äa^is, det aticb unser PaL 40 an-
gehört, und einer altera cL); 5 Parisino Yeneta. Diesen Bchliessen
sich an Werth unmittelbar die theils dem 14. theils den 15. saec.
augebörigen Thomani an, welche M. naoh zwei Familien nnter-
eoh^idet; sie haben mit wenigen Ausnahmen nur die Olympisehen
Öden. Des Thomas Magister Einfluss auf die Kritik war ein sehr
i)e8cheidenar, um so ktthner verfuhr Manuel Moschopulus und der
tU)er ihn noch hinausgehende, wenig später lebende Demetrius Tri-
klinius. Das Verdienst, ihre Becensionen scharf unterschieden und
die diesen beiden zuzuweisenden codd. getrennt aufgeführt zu haben,
ist kein Ueines, wenn auch die 8ahl der Entstellungen bei Mo-
sobopol die der Verbesserungen weit tiberwiegt und von Triklinins
gar wenige eigentliche Oorrecturen namhaft gemacht werden kön-
iieo. I)ie Arbeit des Moschopul fällt in dastünde des dreizehnten,
die des Triklinins in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts. Von
di^n 41 Moschopulischen Handsdiriffcen, die tiieistens sich auf die
Oljmpien beschränken, verglich lil. die Wiener 198 ganz; W den
tlbiigen begnügte er sich mit Pro{>en oder älteren Collationen;
unter den 24 Trikliniscben verglich er die ehedem der Benedikti-
nerabtei in Florenz angebörende, wovon Par. 2882 eine Oopie ist»
^ Wiener 219, und grossentheils Med. 32, 41, Vat. d85.
Sehr praktisch bezeichnet M. die besten codd* mit lateinischen
gfQSfen Buchstaben, y die l!homani mit grossen griechischen, die
Keschppulisohen init kleinen Intemischen und die des l!nkliniua mit
kleinen griechischen.
Esf ist häufig der Fall, dass die besten ärundkgen derTeztes-
kritik zulei»t zum Vorschein kommen. Dies gilt aueh bei Pindar,
desReu vorzüglichste Handschriften erst Mommsen aufgefunden hat,
xß^ tintep: diesen wieider die bedeuteiEdste, Ambr. C. 122 später
al^ die; übzigi^n^ Vorher hatte er Vai. 1311/ (B) und Par. 2774
(C> entdeckt; deun selbst dieser ist von Bergk in der zweiten
Anfg^lbe der Poetae Ijrioi necb nicht zugezogen, vom Ambr. aber
[|pj;ickt Memmsen erst 186^1, also nach Erscheinen der »Scholia
ftenyaiMw EiUae 1861« mit Vorrede (^ Form dreier Briefe, as
Boeekb« Bergk, Sauppe) vom October 1860. Den Gewinn, der sich
daraus, ergibt, machte er bereits im > Sendschreiben'*') an Herrn
Fxpf^Sffor Friederichs in Berlin« bekannt, weshalb Be£. nickt allen
Beißen Lesern viel neues aus diesem vortrefElichen cod. mitzn-
thmlea im Stande ist, sondern nur denen, welche das Programm
i^ch nicht zu Gesicht bekommen haben. Diesen führen wir 0« IE,;
62 an ÜMWtoL ßiotov^ worauf schon Wttstemann vexfiftllen war,
Wd. wi^ iür B^gks zweiter Ausgabe Au&ahme gefonden hat;
V 8i 2W»asii(iM Vtofgßtaikk d^ TeMi^hAl^ und' Mhitfto fi»rgei«efttt&i
sn OldsQJ^urg etc. Oldenburg 1808.
fihHbM hifadtMeth WioHtt^f tetr noA 0; HI, Sf6 Sf^fJA äib
Rechtes Ate Ters^,- ji d^ SirdpHe,- Bie ^M AB tM Sffäitih
&^l8ttiir gäBH MiiioM eiid^M. I>^ tiU tfbri{(eä Mitihiscfin(6 Ih
«eii^t üii^te^lih&Bidgkeit tib^eiiifftiinmton , Ihtt lc«n HMtb^^
4te Mütb gelttbt, 2a &riaehi, nüd ^^ding» ^trtogto ätiöfi dd^ I^-
MHiit Mi^«i^ (diiffit hat A ik^ptds't') Ikfd^kett. El^ M^i^ jcim
^(tetemt sefitt,' ftti M n^tralttol ^ii^^ m hläkklni irtnd^ hmt^tie
d#^ Bst^ f Mii^ CMMkth dü^nitt ihn in^il Iiitn!i6ii/6 liflttid änl bclfofd^irdy
m!t ^\VMä. 0: VI; 40 #itd mit /fcoj[fti^ {^ ^äi^ddig hikift äh
A6&la9,iAi§ AiM paäs^Mere SitoMitm ^6büdiv hid^ixt di^ OhbJ^äte
Mreii; m «HrthAeä iM gle!^ linchher gi^^ot^ i^tf jäel, (Ys: m)
MMt M m(te fioi^imi xnt. 0. TH, 89 h&b^ sotist tiU* tA^^^
«Md. eMei^ FifanHi« d}^^^ --^ jfbiix»«;^, dto* iiif^lirt«^ BSm^
M^ §6 |[MtiIirtBb^ik &tt1f(6i ^ohl iibt^ AntRtC tidlt dUr EAtift^Üi^
Mt tmraMHsdilML B6miA^ k&t höuktCdÜ^i i^L tti dM dtebttfd^li dfr
^«MHed A^^tiVe a» ättbstitiHifte P; I,- 18. im Mtiis di^ ä(JHfe
iMtt BtLiSbeä tofi6iiM:trt fbtneif dett ZtuUfttif idA liäkfh Üiis^MiÄ' €^
ftt» imeüfbekdicttiM t^öisbittü^ iii 0. Xtt, 24 IMMd^ ^ äj^l^
4^1^^ #M slöhoti Jacob« t^rldiigU littd Betp aiifiMUt. ^
«ei^r Od^ MatosM' leidM^ d«r död. YdtWr ibM^ litt niMh 0. SB^
82 8Mi(tä 9ii^4U^k 1^ btia»61itefl, ibtitit Meä^ eä #; tM^fUä^e;
nt, 88 A^o4i^ «^ ^ jld^^iiy «^dt^A^, fb. 1^ l^iöVäty üil
^fm&ikMt iSk iH^i (Mbr^ dstfr d^ Vetlf iHd«x«tf«btöd« iti d4fa
ibüiJMit iödd. «M^ (Aai^ stMilhid« h^iJU&Ottvi yUHüi biM ^HM
Mm Göt^fMHhii^ b^M&ti^, iüd^efnif Befugt a«)i ÄHstide« ll, 8$ / Wi
aiatf <k((AMto#ttl lj^«ffe, die i4(^lfti^ä Fofttf defai 7^it Witkl«%0|^b6iL
BM^ 0; H; 25 di» Wegfhi^ättii^ ioü 'HifdkUiii; wMS aWöV VAli
BtocMiistehi itüdB^i^ alä-OloiMfi^ bliiMt« b<^i6&ne« #ofdM{ iMi
D«^ is« fMbü IHM UflbB6&« äü^iMil iMi ym^BmUÄgäi / «b
äöA Irtit^ixMmk VtttntolM' #($ied^ ktttiüf^, iMtii^ ^)rir dMti^ Um"«!!
#8 üdbM^ bM^dlMteü' V^titbdBteifar; AbUf a^ I^ 9^ däflbi
W^^lk&e^ dli)^ Yiä^äh^ ate^ «dA,- imiii' atlidh' iltiMIt %c^ dr dAr
d«f TbytMaüA^Ai Ank^« d<^ EpocM. Die' BMfä1fiän| Vött e^»4^
jM^ für nf»yfUiiä^ 0. TZt, 15 aOBii^ da« GHctd 'P^fM/ ti^^i^
W itt^ i»8£Mh, Was' 8»,' 55 uiMt 95 I^ih«' S^b^^ti^Heii' VidMH^
MO Piiidad Oifmiii. ed. ItomtttM.
fodsiofJvovg luttdag za einer Brechnng ftthrt; um sie sa t«-
meideu, mufiste M. eine wunderliche Transposition YomehiiMB:
Ip9w 6<Hpmaxa (ux^^k xixiv ixta 'Podp itotk voijpnr* ixi f.
«. jir. %^ bei der es noch dazu den Anschein hat als w&ien au
dem Beilager sehr weise Gedanken entsprossen. Freilich hAli bm
ihr Urheber ftLr facilis, nam öoipmccza Bi^Podp X(ni altemmnb
altero exarata sunt, ut locum permutare potuerint, und scheint jeom
üebelstand nicht bemerkt zu haben ; wir werden aber gewias gut
thun^ die von den Scholien und sämmtlichen übrigen Handschriften
beglaubigte Form beizubehalten. Weshalb in derselben Ode 90
(sonst 86) wx ki(fOV h^Cva il;ä^pog i%Bi Xoyovj wie A gibt, besser
.sein soll als ovx hafov xti ist schwer einzuseheui da gewiss noeli
viele andere Sieger auf der steinernen Tafel in Megara eingegrab«
wareui und es ist nichts damit bewiesen, wenn M. yersichert: hsbe-
.bat Toz lapidea loyov ^utyoffay ut Homeri yolumina oonti-
,nent koyov Odvffisdog, Dass aber Diagoras auch in Megara, vie
auf Aegina so yielmal den Sieg davon getragen habe, scheint die ans-
drttokliche Phrase ovx ^"^^((ov Sxh lAyov bedeuten zu sollen. Pindar
konnte in vollständiger Fassung sagen: AlyCva t€ vimAv%^ S^/m
ifi^pog Miva ix^i und dann hinzufügen ovx stSQOv ijjBi iiyw hf
.AT. (so. ifag>og A.). Um blos zu erwähnen, D. habe auch in M. gesiegt,
bedurfte es der langen Phrase nicht. Der Einwand M^s, dass von se(äiB
Megarischen Siegen des D. sonst nichts überliefert sei, macht ksise
Schmerigkeit : wer, ausser Pindar, könnte uns über dergleichen be-
lehren? Zu Anfang des Gedichtes Vs. 5 wird man den Dativ tfvfi^
0ip schwerlich der natürlicheren und ungezwungeneren Constroctios
vorziehen. In der vielbesprochenen Stelle 0. IX, 16 scheint jetst
A, indem er 6oeckh*s Ip xb KaötaXia bestätigt, einen Abschloss
bewirkt zu haben, könnte man nur über die Anwendung derPrSr
Position sich beruhigen, gegen die sich nach unserer Erklärung is
p. P. 24 neuerdings 0. Bossler in seiner Dissertation de praepo-
sitionum usu apud Pindarum Darmstadt 1862, p. 81 sqq. auage-
.sproohen hat; ja Mommsen selbst verurtheilt eigentlich die tob
'ihm im Sendschreiben (7) und der Annotatio critica(120) gepriesene
Emendation durch das, was er 123 ib. vorbringt. 0« XI, 25 leitet
das jetzt von den Scholien bestätigte ßafiäv auf die schon oben
berührte Stelle zurück. Es ist ein Fortschritt, dfass ^Hgasdini
in dem Verse keinen Platz mehr hat, ob aber Pin4ar von einem
iyiovßioiuov iiuQi^lJtog gesprochen habe, d. h. den EsigapfphUf wel-
cher sechs Altäre zählte, wagt Bef. trotz der entschiedenen Sprache H'b
Ä. er. p. 146 immer noch zu bezweifeln, da ihm dj^ sehr gezwnsr
gene Ausdruck nicht genügend durch Beispiele w>de XP<^^S ^*^
Qi&l»og i^iis(f<ov gesichert scheint; dann will P. nion^t sowol von
dem Kampfplatz als den darauf gefeierten Spielen reden. Von dam
jnühsam erlangten Siege des jungen Fanstkämpfers Agesidamns ist
der üebergang auf den Olympischen Agon natürlicher als auf dbuen
IiocaUtät, xmd |iicht umsonst hat weiterhin der Dichter die seob
Ffaidttl Oimni« ed* MonntsiL 6M
ersten Sieger, welche sein Preis zierte, namentlioli anfgefillirt. Die
Möglichkeit dsss in den Text der Handschriften P*8 ror Abfassung
der Scholien Olosseme gerathen nnd diese selbst wieder unrichtig
fortgepflanzt worden sind, wird man nicht Iftngnen kOnnen, und so
mag auch ans ßcnfipj zur Erklärung yon öofuxti beigefügt, ficipuSv
entstanden sein, was dann die weitere EzpHcation der Scholien
veranlasste, die durchaus nicht mit der Torausgehenden x6 avto
iott x6 xB (ivrifistov t6 rot; lUXoxog xal 6 ßmitog stimmt;
den GknetiT aber musste ein gelehrter Leser nothwendig auf die
sechs Doppelaltäre deuten und darüber den wahren Sinn Ton aytov
^OQiS'iiog^ dessen anderes Pr&dicat i^aigBrog auch viel besser auf
das Institut der ludi als die Wahl ihres Spielraumes passt, aus
den Augen yerlieren. Am liebsten wflrden wir nun Bauchenstein^s
Torschlag benutzend ta XQm^' i^ecQiS'iiov hxiö^axo lesen, und
damit uns wol Tom Oedanken des Dichters nicht zu weit ent-
fernen. Hit der 0. XU, 13 aus A recipirten Lesart xal 9ihc IIv*
dmvog^ fSr xal ix IT. ist nur eine Sonderbarkeit aufgenommen,
welche denn auch eine sehr auffJEillende Erklärung in den Worten
significat yictorem per Delphos Corona redimitum incessisse eamqne
ex illa urbe domum reportasse erhalten hat. Statt dies 8ihc für
egregie cum scholiastarum silentio consentiens zu erklären, hätte
M. eher dadurch an der Form irre werden mflssen, dass sie Ton
den Scholien nicht berührt wird, obgleich sie als sonst bei Pindar
unerhört (denn N. ÜI, 28 ist Üflif r' ig&ivaös überlieferter Text)
eine Erörterung nOthig gemacht hätte.
Die übrigen Handschriften erster Familie zeigen weniger Eigen-
tfaümlichkeit als A; ohne genauere Angaben Torbringenzu könneui
bemerkt Bef. nur, dass Yat. 1812 (B) o(f<fo tixog hat für op<yo
tixvov^ und mit zweien der besten anderen Par. 2774 (0), Med,
32 (E) in 0. VII, 72 tBlEvrae^sv, wo nebst A alle übrigen das
sonst bei P. nicht nachweisliche Neutrum tBlBvrMav bieten. 0,
IX, 45 gibt A mit wenigen andern Tctiötfatf^ccv^ passender zu Xf^i'
vov yovov als xti]6a6d'avj und 84 TcoiXav ig ayvupv^ hier hat auch
das Lemma der Breslauer Scholien nicht die Yulgate x. %lfog a.
G mit A und einigen andern liest 0. 11, 10 atwv 8* ifpsnB^ für
das weniger passende zb. P. I, 78 hat M. das richtige MtfiBWi^
was Beck und Boeckh nur aus der Aldina und interpolirten Hand-
schriften belegen konnten, jetzt in zweien, Med. 82, 87 und 88
(E, F) gefunden. P. IV, 228 steht ava ßalaxiag nur in unserem
Pal, C, Guelf. (J), Med. 82, 83 (F), in den übrigen avaßaXaxüzg^
die richtige Schreibung ipxBdcxav gibt ib. 110 nur B, nur dieser
auch 129 nSöccv ivtpQ06wav^ wo man sich bisher mit Eiuschie-
bung Ton ig zu helfen suchte. Die Dialektform des Part. aor. act«
auf aig haben die codd. selten; mehreremale aber B. z.B. P. IHi
57, EX, 88.
Dass der Text durch riele grosse und kleine Berichtigun-
gen bedeutend gewonnen hat, geht schon aus den bis jetzt'
^9 uiitp;^^ folgeij ^oiU^f ^re^ftpn.
?fiJWi<Wf »9)*«»t ]if • freUi<* pei^cnft App«F?it W gpW» ^-^
Q, J, $2f, v^mi 1^(0^ B;iit ^(ftfk^ic^f ^ A, P, (? ^ff ag< W ftr 4i^
^Whf ^i?W i|^iip4 fpan pi<ä> eij^9|ai^8^n Q. Y, I4 vf ' W^V^^
^? «ffi* «1 *w 4m iii*erp9iirtsv^ ?wn|W^^ w4 weijige <iq44, 4^
l^fi^l^en ^9lj yoft ^^ei^f PWfl Ij^^Wn «i biHig^i, 8« eifrig ß^pli
1^ J((.. ^v Ypn i^un pmg^fthHj^ Lü^ j^^^iij>mt: f|^qnißit4u8 pi
I^fjriui} 1^ Qf^9 |i^ K>eili^ fliyWitie« Sepa^Y^^. P^n4wi»§ 4ipit
D^unge?^h^^t i^t y^' (k^ ^pr eiin gphjwbfphler, d^i be^d^ P?:»PO-
Bff^^v A^, T^^4 a VI, gs ^wi^ aUf j>o44, im pmmw ^b«?:
j\^^ 4a9 (»' e^ri^lft^ 8ip)| ai^Q d^v 48|iwil^tipx| T(W K — <TW«WfJft»
^Wf f^aW ^W P<lftkk^^^r ?«^T g^wfilii^pljefl, Fprg^ ^ur F()Jgj^ Mfte;
ßi» }fom^ 99 we^ w^l4i«lm a^s P' vf Q. ^Pffi J8, W\4 wie ]^^
efjüw?i*s, ia ?T Wj 8q V91: p, Q, ]^, Ip f^%g ft^ de?» prägen Bl^*
^^ki^p. Afflbr, E IQ^ (U) ivi4 M4- 4 ^(P) »IIJW g«W».*f«W
OfiSs aw passend erscbeinen, \^ü ^^hfiX^j; Ip^ti^^lf^ng )4^^ ^^ ^^^F
"öff «W^, %wViWi P^ttfröJig' ?ii 4w^ ^^ Tcor^^r iw AAßw?f inen
9f«Wff^% 8*«-) gepp^qq^iw w^? Wd P, wb %iif ^c^ ^^^^^4^^
¥* \^ Jff^<;fröP^V9 ^«*i W W^ nop^ vonpyiiejiiw, soU^ er 9^ ai^o^ l^iff
au figQB^ Qpne^y^t V^igfiftgt i)^bp?i. .[e^^^ Ij^g^^pi« k^u ^
Op ^f ^ö?I ^1^ Sl a(^aT;\ ijin;^ j^^ft Ijf.. fV^, B allein ed^i* ^
i^fAiief %^ftbteii9 ein (folclf^; ^{^1)6» yUcjl^ii^wk, ^rjob^^ftUqh g%-
W}|[*f 1W 4iö li^^ke. im ÄrP^P^Jpo^. W ye^Tix^ohen,; W^ hier qw
b^exii^ 27^$7 »SVaH*ieii ßiege 4^3, ^ei^pphjo;^ gopj^ ejiflffi^. njit
my^en W^eb|± bi^T^ngepi Vpr4^a k;9ini^ (11^4 ff(KfT9 i^t ^iiyr ^uf
c^fi;; finit ^\^i 4e| pligaet^ai^Btapiiies zn l;>^.zieibqn}^ b^ßi£^;ti
wff i^c^^t j flftpl^ flfw^V IQX mi^Bfii P.' 4a8 {[ft^z^ C^^schl^cbt \m Siipi^
¥l^^^ °»Ph* h]tpB 4ffl» «W TP? })pntbe»ang^^i9j^ Q^yi^piijpfrl^ii ß^egec,
?f. 93t 4^ 18* ff*^«^? (if?V % 4ie I^a ^1 ni, 20.) wl I^QSMr
^ 4^ ^W«;^94, WW m}t nw| W. C. (ftöc ipei.) D (AJä4, ?2, 5?),
1§WW W^h ^ (Crotit?|ig^). I)4ft So^r^qlien. ^4m^«^ ^ ?^r E^U^Lnw«
*^5 StfiUß \d9ft 4e^ Aww^t P*|e^wt ^fuppjtpc. ?. Jv, 147 ^ird ^
v^ uuferpß P l^i^Wt^, jq^^ to]; Q. ÜJ^% Vijnft ^h 5, Q.
vtiüv und E, G vwv oder i/coi/ lesen. P. YIU soll cr^dp^t wi^
^WnV*W »^ W% 1?«te Y9^;»ohiKijp4qii «1i. iPf fj^i ift dfif
me7UgitQm)g d«r SoboKen euien Beivms für die 90119 l^es^t g%?
fanden za )iftbeo; doch möchte das nur scheinbar für atpdwov
^sfngei^ da e» gewöhnlich »nnbescholtep«, alsp »tadellos, yoUI^oj^?
iprac bedeutet mi dann eher dem ^(p^Lrov entsprioht« D^en
wir onsy d^^s in 0 der Si^eiber eigentlich ivBZÜp^QVQf» luein^
aad in der Eile ^ Wort yersttlmineUe, dann ftUt jede diplQm^
tische Stütp^e fbr die Aenderong wfg. Schwerlich woUte d^r frotPWif
I>ichter hi^r Besoi^ias vor dem JTeid der Gottheit ansdrfLcWf
aber dauernde Qnnet derselben den» Zenokrates nnd seiner bß«
drftngten Heimat wünschen. Die vorhergehenden Worte, in wel?
eben yL Bef. bestimmt, wenn er xonra nv' oQfiovfav^ die Lesart
der Handschriften festhielt and a^iiwüfv im Sinn von fWr(K>v odc):
Mtui^og fasste (L. F. 58 sqq.)} verlangen keineswegs, dass eini^ Au^
dentong de« göttlichen Neidas folge; Mt sagt swar »haep verb»
(67 — 72) snbito interieata, nt in tot aliis capninib^s niet^ti« f^f
admonitionis fmnt, ne certonun qoorandam finiom moa^i^ hpoio
ezeedat, neve deomm invidiam ezeitare videatnr; ideo ßq>ftwQv
repoeoi pro S^p^^tov.^ Doch spricht P. vorher nur von seinen^
eigenen Ma^sshalten; iv^o^t ist nicht precor, sondern Ikf&rmo,
was M. vor 20 Jahren ons^rogab, vgl. Bb. M. IV, 547, |n F.^ 1^
103 ist die Frage ifik ^ ov ziQ do^pcv diifov oauuSfi^vov ^gaß^t^
fjl^iog amiq ^^«üpaf (^i); ans B, B (IJrb. 144), ad. Bqpiu nicht
fortior et ad n^znm verbprani acoominodatior, sondern vor bQchtt
«ii£Eallend. Jfin| wonigen codd* ieiden \\wp blos^i^n dem Schreib«
fehler ov für otn/, wie die andern codd. statt 9fv babeu, F, ^ h%
eteht iiflun 9war in B, V, X, fmcb den Mose bep^liscben c» f, je-
de^ in der grösseren Anzahl der Handschriften aixiv^ Jopes &|t
det in den Schoben keine Btt^tsEe, wir dürfen e« uns einer Ho29a^
risoben Bemiqifoen^ von D. 9 644, l 823 erkläreni denn ?in49i¥
brttocht sonst imin«r ikm^ d h. noch i^n 12 Stellen.
Wir wollen nnn mclmro F9.Ue anführen, an welchen si^ ^
mit Be^bt eon^ewfitiv »eigt nnd die Lesart allor 9a9d8cbrift9ii(
restitoirt. Daz^ gob^ F. ][« 6^ i ^t^f*^ oder j4c9Q^9 ^ nacki»
drücklicbß Zusammenft^song d^f vorhergehenden {i^iiovzk ßl Ih^^
ffvXov — Mfi^mv^ ; dies nicht gewahrend schrieb Henqann ^oir
^ib<^ worin ihm alle Späteren gefolgt sind. 0. H, 99 bat X9^ x^
voq swar einf» minder fliessende Constraction, als hMvüQ^ irelobes
Mo9Ghopal xpi^ Bo^qkb*» oad anderer Zastimmong hereingebriicbt
bat, in der Mnabm^ wo), da* Metmm erlanb^ hier keine li(ingf;
ab«r nian d^rf darin pichtp anderes aU Ex^tiker sehen, denen iqinf
Apii^knpsa, k^ lapibns vorhergeht, dab^r die s. SAOßp^ \im ^h^
zallMig ist. 0, Vn, ^1 gaK bisher MingareUi's Qorieciinr nßüfQ»^
o ^v für w^weifejhaft, dn »an sich nicht» erinnertf 1 wie in ^n
ersten GUedf der Aof^blnng oft die n^her^ B^cbnnng wegb2(dilri^
▼gl* P, ro, 91, wö 0 jtiiv vor Uf(¥i^ißP feWt; e«| ge^qbieM d^^
wwn in andern Wo^n ^^ S^l^t^pn denilicb »nagedrüakt ieti wi9
im i^^ Jjm^iv ciycBjKoir v^^ow. 0, tS3^i Q l^mi wk jttffb
iU Fliidaf! CttnuB. ed. Mommistt.
wie Bef. einst verlangte (L. P. 83) : xaöijnnjta n, /IciApov TeoXüWy
aöfpalrjg ^ixa xal oiiotgoipos El^a freilich mit starker Oppo-
sition Bchneidewins (Jen Litt. Ztg. 1848, p. 1214), wo es heisst:
»lächerlich ist der gegen äötpccXkg gemachte Einwand, ein /Scr^por
Bei an sich schon MfpaXigl Allerdings; auch yala ist ja in der
Begel Isvxov^ eine Bnrg fest. Böckh hatte gute Grttnde, den Plnral
xaüiyvriTcu der Dentlichkeit halber yorznsiehen, gnten Orond, das
prosaische oiiotQOfpog zn yerschmUhen, gnten Grund, die Hören bis
anf Eirana, die nur ofiozifonog heisst, ohne Epitheton zn lassen,
wie Hesiod gethan: Evvo^rp; xb Jixfrpf rs xal Elqrpniu xB%tt>^
lv^av.€ Und doch gewinnt das bildliche /Sa^pov itoXUov an Kraft,
wenn ihm aiS^al^g nicht nachhinkt und die Idee der Gerechtig-
keit wird bedentender durch den Znsatz atf^oAifg, der Plural wäre
eine nicht geschickte Prolepsis von natdsg^ endilich ist ofiit^nog
eher prosaisch als das Ton den besten Bttchem gebotene 6(t6vQoq>og.
ICan sehe die Annot. er. bei M. welchem wir aber weiterhin nicht
zustimmen, wo er (10) der Hjbris das Epitheton ^Qa&viiv&fnf
nimmt, um ein minder geeignetes, d'Q€c6vdviioVj wie ausser G, D, H,
N, 0 die meisten Thomani haben, ihr beizulegen. P. I, 89 wird der
in allen oodd. festgehaltene Datir Üccifvaüp wol seine Stelle als
Locatiy behaupten können, obgleich ihn die neuem Herau^eber
alle entfernt haben; den filteren schien IlttQvaCm als dorischer
Genetiv bei Pindar möglich. P. lY, 105 mag ivxQixeXov das
richtige sein = quod quem pudore afficiat, wofOr man svtifijteXap
oder ixTQOTCslov bisher las.
Auch die Scholien gaben einigentale schöne Ausbeute, wie
0. n, 52. Hier wird man zugeben müssen, dass die alten Er-
U&rer nicht das noch dazu unmetrische 8v6ipQ0<SVvccv^ wie die nicht
interpolirten codd. (auch unser Pal.) haben, in ihren Bttchem lasen,
auch nicht dvtfipQOvaw ^ was erst MoBchopul*s um so gewagtere
Aenderung ist als er xccQaXvei umstellen musste, sondern aqppo-
ffvväv* Mit Dindorfs dvfStpffOvav^ wenn es auch Schneidewin's und
Bergk*s Beifall erhielt, *war also nichts gewonnen; Hesiod Theog.
102 konnte nur die Existenz des Wortes, aber nicht die Zweck*
mässigkeit seines Gebrauchs bei P. darthun. Passender citirt M.
P. Vni, 74: bI ydg tig iüka niTcatai — nolkolCg 60fp6g iox^
ned' ifpQOvav ßiov xoQV06i(isv. Den klaren Sinn der Scholien
wollten diejenigen nicht begreifen, die nun einmal in der Yor-
etellung befangen waren, es könne hier nur von der Sorge um
Gelingen des Sieges die Bede sein. P. m, 81 lesen wir jetzt
tatovxi aus Schol. A zu 0. 1, 97 (p. 88, 1. 15 ed. B) wo die Am-
brosianische Handschrift dioptt hat, nicht daCovtca^ wie die übri-
gen. P. X, 71 steht aus derselben Quelle und mit Zustimmung yoü
M, ü jetzt A/O** dya^oMi &ii iv S* ayaOiMi ; so rerliert das ▼on
Boeckh eingeftlhrte iiBXtp&yvg fgkv seine Beziehung. Zu Anfang
der Ode gibt M. nach einem Pariser Scholion ötgtctä & aiupix-
#^o»#) indem die oontinuatiye Partikel, wie so häufig' bei Pindar»
Pteittl Ounniii. •<. M otnlit^flL M
Itr fop eintritt ; die Ynlg&te ist iftgcn^ x a, Bedentender ist dit
Verbesserang , auf welcbe M. nnabhRngig von Bergk dnrch die
Scholien und die wenn anch leieht yerdorbene Lesart der besten
eodd. gefübrt wnrde in P. IX, 62 : 9wj6i(i€vac ergab sieh beiden
Kritikern ans ^axafievcu B, ^6a[i€vai E, F, 0, H, P, Q, B> ü»
und der Erlftntemng ^av(ia6a6ai to ßgifpog*, vgl. Sebol. öerm*
V. Das ist gewiss weit dem xcctd7ixa(i€vat vorznzieben, wie man
sonst nach der Gorreotur Ton Mosobopnl za lesen genOtbigt war«
Aof den ersten Blick wird man ib. 19 anch die starke ümstellang
nnd tbeUweise Aendemng ovte deinvan/ tipifucg wd itaQav oixov*
piäv billigen, doch stOrt die rerschiedene Belation der GenetiTe
nnd die Verbindung hapav oixovQtav^ wo xoqSv olx, zu erwarten
war. Dies liesse sich indessen leicbt machen ; aber allem Ansohein
nach lag dem Scholiasten die Yerschreibnng ov^* für {U^ vor;
wenn dem so war, wird man sich damit begnftgen, Mosohopnrs
oixoQiav gelten zn lassen. Bergk ist auch fUr die evidente Correctur
ioxkoxov statt lonlixafiov M*b Yorgftnger; hier durfte man dem
ebengenannten Byzantiner nicht folgen, wenn et natlf loß66ti^v%ov
snbstitnirte, nicht eingedenk der nXoxoi (fsUvcov in 0. XDI, 8S,
Dagegen wird an folgenden Stellen die Auffassung der alten
Ezegeten mehr unsere Yorsicht als unsem Dank in Anspruch neh-
men mttssen. Wenn 0. YIH, 23 von der richtigen, mit Erwägung
aller ümstftnde geschehenden Beurtheilung die Worte o^a iut-
nptvai ipQßvl fei7 napä Tcaigov zu verstehen sind, kann auch das
mnftobst vorhergehende nicht auf ein üeberwiegen der plebeischen
dem Fremden abgeneigten Masse die Bede sein, sondern von einem
schwierigen Gegenstand, der sich viel und nach vielen Seiten hin
neigt. M. ISsst sich nun von den Schollen, die leolv^ auf das
nlri^g der Bewohner Aegina's beziehen und darum o n local
lassen, was ^chon grammatisch unmöglich ist, bestimmen, o^i yoif
%oXv zu corrigiren; ausserdem nahm er den Schreibfehler mehre*
Iner codd. ^inov auf, wo nur ^iiCBt angemessen ist. P. H, 88 ver»
mnthete schon Bergk OvgavÜta^ und zwar wegen der Interpre-
tation Tp vnBffs%(yv6ri rov ovgavCov Kqovcv dn^tctpl^ welche in-
dess auf eine prosaische Deutung zurückgeführt werden kann ; ge-
nauer wÄre trj vnsQBX^^V ^^ ovQavCayv rov Kqovcv ^vyatiQC9v*
P. IV, 26 ist ipi^fwv in den Scholien und wenigen codd. blos eine
Erleichterung des Lesers, der an vmra ig^fia^ welche aber den
€VQda vwta J&aXa(S6i]g nachgebildet sind, Anstoss nehmen mochte.
ib. 284 hat ein Erklftrer avayxa in seiner Handschrift gefunden,
ein anderer avayxcrg^ wieder ein anderer avayTCCug^ an welchen
sich M. hält, indem er ßodovg dr^üaig avayxaig lvxB6iv (xv^ivag
construirt und übersetzt loris bovinis alligavit cervices ad aratrum
{SvtB6iV sc. apotgov). Das ist gezwungener als wenn wir ßoioig
mit Svrsifiv rerbmden und cn/a;/xa$ mit mehreren guten codd. lesen.
Die ivrea avayxag gehören zusammen; aväyxatg scheint nur
dnrch den Gleichklang in di^aig veranlasst zu sein. ib. 255 ver^
106 Mi4«A jOmufu a«, M#miii«a»
wirft ILHwrinwoii^sCQiijeotiur tfs/^fr, 4i0 doch 8o nah« U^» iftdf«i
iAlodanafs dem 9r^^ yorbergebt, und ersetst dies doreb %qÄ^\
pif]iü)h 4w«i£elt er fiiebt Mi dem ba^dflcbriftliobea w^va^^ wd?
fibea slltrding» die SohoUan mit hp^imidovag gloeeiveii^ und mtüa^
pMigfUK diene dort |i«r snr Erklftnug de« Bildes. Wabmobeiaüdier
ist «B, dass man, war einmal die Stelle yerdorben, axtthm^ nioU
mit der l^iobiea G^rrector äicwtvog beriobtigte, und nur den ß^tiB
^obl oder ftbel sn dentei^ sacbte. Zn weit gebt das Yertmien
pni di^ ScboUen aimb Vs. 260 in d^ Anfo^bm^ von avv ^^
obgleifib alle Manoscripte öw ^säv t. bieten, ygL Vs. 51, dba^r
die« sonderbarerweise so Apollon mit Zeos als ^s6g nsammengor
stellt wird. P. Vm, 89 bat B aßgatmog ano und einige Seholien
erkiftreo das ; dennocb wird a. Ign bleiben mUssen vor ii iMd^
pnd dem ilbnliches bezeichnenden AblaUv avoQda$g. F. IV, 258 aber
kst M. Becbt gehabt, die alte Corrector deß Chaeris ans iem
Beholien anfEnnehmen, wo weder das Überlieferte ap ^uns KjoülUt
tttWy nocb Bo6ckb*9 xav xots K. reobt passen wilL Dass die dor
visdia Harmonie eine dialektisofae Eigenthttmliobkeit, wie iv mmdg
nicht snlasse, werden wir mit ibm als ein Vornrtheil betraehittt
dfli&n. P. V, 28 ist cum erstenmal q^voop in den Text gebracht,
«ras Beo. einst empiahl, und Bergk in seiiier Note (fortasse raote).
Sin Yersehen M's ist es aber, wenn er scdirieb oimfoov P, Q, B, Sa4»
(enrnScb. 1) Ky, (Bg), qi^)d reposm fMKsentu mntato, deafiPwenicv
stons hat den Ac^entfebler nicht, so wenig als imsere Angab« L,
P. 58. D\ß Lesart astSofkfyni (Yß. 22) ans demselben eodd. mUsaen
wir jetat nachtragen, nm sngleich ihre Annahme gijit ^u beiseea«
da sieh sonst die ßonstmotion nicht reditfertigen läset, die aooh
den hishevigen Text lathm mit vjt^fti^diisv in nnerhOrter Weiae
POL Yerbinde9 aMhigi P< VI, 4 war es auch das sicherste ig n&ov
belsnbehaUcoi, weil anch dip SohoUen darauf hinweisen, nnd wedar
ii9tpai9v noch is XaMw ^xl die Stelle zu setzen} ebenso Vs. 12
wtfffMH; nmr wird man einen medialen (Hbrauch von tpm909m
niel|t aimehmen d^en, wenn es aach die alten Brk^&rer geghmhi
haben, die anf den Schreibfehler ztmtofuvoi ihre Explication wt
ntinft^g wd ö^oAp^Wig gründeten; yielleioht abar ist das niebt
einmal nothwendig ans ihrer Paraphrase an schliessen, die sieh aooh
mit dem richtigen %wn^i/k^ov yerträgt.
Nicht befolgt sind die Scholien nnr an wenigen Stellen, wi0
0« ZI, 83; hier spricht fKr ^fuvov auch die bandsehriitUqhe Tra«
ditiim, nnd M. selbst gibt in der Annot. er. dem Acensattv de«
Vorzug Tor f^fuvot,, P. IQ, 86 ist nicht klar, warum d" naidi
9iAim wegfaJQen mnsste; da es alle eodd. habe^i, die SchcK«
we^ in einigen ^benfialls di mit dar Bemerkung sra^tcfvfv^ 6 %i
(ödes d^>, ist an d^ Bchtheit der Partikel nicht zweifeln. BÜMifiger
baban sie zt| k4h^n (kMueetnren yerleitet, die m» lieber in Aen
Xfiri^A if9i|^chlagen, als im Te^t au^^ommen sllhe^ So 0. VQ,
SÄf 4«es P^«^ (odfi^ i^m) ursprünglich da gelesen wurde» wd
B^ßs^^m 4aT0^ di« CQoMe g«wQW», ig^ sfhr nnwabreciheiiliclf ; fikw?
llR^a man diepe« darch jene Wörter zu deuten getnoht, Sq be^
^mi((UM^ 4fv Aiiedmck «2^^ x^looy lantep mag» spricht doeb Q-
Yl,109 ftp *v|hw. O.Xm, HO ist ^^A€<rTuca?r«T^9 woftbrBo^pkb
ly^tfOf^Koiniff # T^riimtbet^, ii^ den Schollen eW f^u§ 7erefBhe4 4^
C|(0|43ten sipi ^kULrep, da Tqv folgt, i^e da^ xilsi^' al^r eoddr fUr
^fqnipiecenz ans {^, I, ß7 «n halten. Jetst giht %iU«if ^nr 9M><^
^^^»«tiig^^ Pr&dioifnnf zu a^^^ ^b. P. J, 5^ Yeret^nd ein ßol^ol^t
^ ^Vm y^ d^ j^rankheit piero^s, welcher den Kri^ Tpn
fljnner SM^ ^8 dirigir^. Schwerlich wird di^p die w^^ Aitf-
%W(uig faeieeen hi^nnen; die Noth ist Yiehnebr anf die tob Hierq
ttl^nenn4eiieii Feinde m denten, die ihm. mochte ^ nnx^ hr^olF ^^^
gmud aein* zn huldigen eich gezwungen sahen. Für K, wi^ abpi:
je^ Yor^Mlung 90 ftbfmzeiigend, dass er voCQV für qiÜDy in den
T^ setzte^ Wir yerbindei^ ^Ck^fii aviywtx deip anfgenQ^iigtea
Ywbflndet^ §chi)iieiohe)t selbst ^in Hbennüthiger. Bo be4%n ef|
meh de^ j^^^^'^S W ^ V^'^ nicht, wdche von Bf^ndhe^otei^
9fr|^ iMWS^tix^ h^J. Pae ane einem Scjiplipn zu 0. HI, 4 h«?:
pei^iist^ ovrip fixu qf^^KfufrcpFOft wird nicht npthwendi^ enM^^eineA
V YftTghaioh n^it dofu^ sqn^ g^le^en^ü owo» toi. po^Bfiw ff^ die
l|]llfi^ h^^ ibiP bereits Q^iM^ai^d gleistet, wie d^ sogleich fotg9nd^
iWOfor» r^iparof^ ^i zeigt,
]E!^e gpte Sii^riph^ng hat ^. getroffen, die Yerpgliedc^r, urele^a
ohne W()rlbvechnng yqm Yqrheygpb^den i^tnennt werden btt^uiAn^
^\i wt\p Tertifjsl^ I^ii^e ^b^oi^d^rn; da^ i^ geachehfin O.I ^^
6, O.n, »tr. 6, O.m, ep. 4, P. I,ep. 7, N. VI, stf, J, 4, 6,^p.$*
N. Y^p, fitr. l. ^. I, ptr. 9, J, lY, ^- 3, &, Jr T. ep. 4, ^F. VI,
8j^. 5, J« yiX, ptr. ß. Die vieist^ dieser fidzfflchnnggffi ^ind fltf
4iil EritilF irr(^eTa,nt, an letzter @^e mi^ss ina« es ale reinesi 2iU^
^ hetira^hten, di^ss ^n i^inzeUier A^apaest an) EJ^de 4ci<3 V^rsefl
4^ ^Wört; ^W 0. I, ep, 6 ergibt sich ^ V^. «6 di^ Entb^l^
4^^ i^p^ qw wplf;h^? m^ bieher von Mo^ohepulne di^ih^ 9^1
Jil(^ ijx^d fortpfl^nzfli^: W»t M. Hsst d;^ Pf^rtikel wg. Zugfeich
gf^^ifp^)! wir Va..57 mi^ ;ieuen Beleg vq» dw TyeniAv^^pit 4er
Qqipppi^i^, i^mi^^lich 4^1" mit Pr^ipoaitioi^efi zusanunengßtietMw
Yi^^^ i94em sich jetzt VMfifXQ^(Mc06 auf zwei Glieds vertheilt;
^kfn 4wi bietet J, V, U, ,(vgl. Jj. P. 93,) i^nd jetzt auch a VI,
6Xt ipc^nn ^ch di^ ^li^ip?^ in pivz^fp^4yifieK>. 'Bß^eukß^ erregen mag)
W^ ist dapn nipht pe|ir g^öthig^li 1^6 ^^ 4ie nip: duJi^pK Arsie
l^nr^g^r^cht^Produption ¥Qm Uoiif^^ov zu gler^besu, welc^^ S^^lf
: Wt^ ?. nj, 6, IY', 184, I?» 114, ?I. Sa tind N. L 69 zu jener
8teUi^ b^gt. ^fttfi^ difl^enn^ftcht^P.^X, J14 die geriB«rte Soh wier
ngl^^t, i^4^ pftQlm iftit ZQffW eiii V^fs ei^d^i^ miw; P- Xt
^erledigt ^ ifeffpjji die Schreibung (niqb^ Qqpjecti^) ^(»loM«;
* 58 z^ ^ii^i: 8tftrkere?i Awd^in:^ng yv«^*? 3P^ <^;9i;art' nww ^f^fi^-
I ^Pf> pn^^W. ?iji dprYersptwig wdpw k mf(m W»i Iwi^im.
Sbi Pfaidarl Cannm. ed. MommBeii.
nOthigte. P. IV, 184 wird man sieb tnn eine leichtere Bessenmg
als Hermann's h^ nod'ov d(tCs<Jx8v''HQa nmtbnn, und nm eine wabr-
Bcheinlicbere als 6oeckb*8 ngo^dauv. In N. I, 69 endlich scheint
iv ffxsgS als eine anmetrische Variante ro tov anavta JP^^^'ov
beigescbrieben worden zn sein, was die Folge hatte, dass das nr-
sprüngliche Wort verloren ging. Es bildete keinen Kretiker^ son-
dern einen Anapaest, wie die Gomposition der ganzen Epode
erweist^ Tgl. Bossbach nnd Westpbal Metrik m, 426. Man darf
übrigens nicht glanben, dass M. überall jenen Strich , wo er hin-
gehOrte, angebracht habe. Er fehlt 0. VI, ep. 5 ; 0. Vm, ep. 6,
denn mit naXa — rigm^ — [likXovta — (lolQa beginnt eine nene
Periode ; P. 11, ep. 8, P.' III , str. 4, nnd wie bemerkt , 6, P. V,
str. 7 wo atävog — 6(pd'aX(i6g — SfictTlfBV — [ivafi^ov — KaQ^
vste — ^ccv^ftöav — yXäMciv te — eine Dipodie fÄr sich bilden ;
so braucht man 65 nicht xai vor jlaxsdaiiwvi wegzulassen, und
eben so wenig 94 V(ivg>v statt des angeblich ans einem Glossem
in den Text gerathenen xdfUDV zu schreiben ; P. IX, str. 6 nimmt
wieder mit difpgm eine Periode ihren Anfkng ; N. IV ist str. 3 in
zwei Kola zu zerlegen, wodurch freilich die Doppelbasis wegfWlt;
(eine richtige Abtheilung muss sie auch P. Vlll, 5 entfernen, 0.
TV, ep. 9, wo sie erst M. eingeführt hat, ist seine Versgliederang
der Symmetrie zuwider.) N. V, ep. 3 muss mit xai ng eine ftisebe
Zeile anheben, welche bis xfpdtW reicht, also das Versende nach aÄx(^
[lovg nicht zulftsst. J. 11, ep. 1. fWlt nach itrqQ — 6q>stiQCcv —
fpdx>vsQql ein Abschnitt, der das Proodikon von der folgenden
Periode scheidet.
Wie in den angegebenen Fällen die Trennung geboten ist,
wird man auch einigemale eine Verbindung Tomehmen müssen, um
die Eurhjthmie der Strophen darzulegen. Ausser dem eben be-
rührten Verse in N. V, ep. 3 ist eine andere Verbindung als die
bisherige noch J. 11, str. 4, 5, welche Verse zu einem zu verbin-
den sind, nOthig; dasselbe gilt yon den beiden letzten Versen der
Epode. P. Vn müssen str. 5, 6 sich ebenfalls in einen grdssem
aus zwei Tetrapodieen bestehenden zusammenziehen, was nur durch
eine nach olxov eintretende Position möglich wird. Das wird er-
reicht mit Bergk's t(va olxov r', der nur nicht vaCcyv und f^&coc
tilgen durfte, sondern jenes in angemessener Weise emendiren,
dieses aber einfach beibehalten musste. Die Zuversicht mit welcher
M. von seiner Constitution des Textes xlva z olxov oftEv öwftago-
fua spricht, soll uns nicht irre machen, wenn wir gegründete
Zweifel an der dialektischen wie syntaktischen Berechtigung seines
tXxßv alav hegen, welches am meisten auf Schneidewin*s olx€yv
lawv herauskommt ; nur dass dieses wenigstens der Symmetrie der
Strophe nicht widerstreitet. In dieser muss ausserdem Vs. 2, um
den in der Antistrophe unversehrten Ithyphallikus zu gewinnen,
ipMy^av^f gelesen werden, wieBoeckh in der ersten Ausgabe Trikli-
nios iölgend schrieb; dann str. 8, 4 abermals vereinigt werden.
PladMi Cirmm. «d. Mom]D»#|u MM
Was )L mit Aii&ahine toh »ofLßou für «hofux xal 0. IV, 27 be-
sweokt«» sagt er nicht in der Annot. er. Die Scholien, welche dort
eitirt werden y wieherholen xai ausdrücklich vor TUtQa xov t^
^küUag iouma j^oi/ov, was zugleich fUr Beibehaltung von aJiixüis
spricht. Jedenfalls muss mit avdQOöi (so alle gute codd.» die ttbri-
gen iofdQaöifiß) der Vers 26 schliessen, der folgende nohal d'OfM
ml ist der Mittelpunkt der zweiten Periode dieser Strophe. 0. XIV
hat M. die Tripodie zu Anfang stehen lassen, ohne vor dem Hiatus
imx^MM iuzs zurückzuschrecken. Natürlich berücksichtigt er dabei
nicht die so entstehende Ungleichkeit Ton Ys. 2 und 3. Das Par-
ticipium beraufzunehmen würde freilich die Ton Boeckh verpönte
Brecbui^ in q>üafiC^iju Ys. 14 zur Folge haben; doch kann nach
Analogie der oben besprochenen Brechungen bei Präpositionen eine
in commissura membrorum zugelassene immer noch eher gültig sein,
«b ein Hiatus nach der trochaeischen Thesis, welcher auch P. YHI,
96 mit Recht von allen Herausgebern vor M. ungeachtet der über-
einstimmenden handschriftlichen Tradition vermieden worden ist.
Weiterhin ist nichts gewonnen mit Weglassung von yiiQ in Ys. 5
mid 17y wol aber die Symmetrie der mesodischen Periode zer-
stört. Bergk hat 6vv yoQ Vfi^v und Avd^ yoQ jäöcix^r/ov mit
der kleinen von Hermann herrührenden Oorrectur von AvoCp bei-
behalten; die von demselben und Schneidewin aufgenommene Be-
richtigung ta ylvxd* ivstai mochte M. nicht benutzen, indem er der
Meinung war, Pindar habe hier zwei Kretiker (d. hi mit Auflösung der
zweiten L&nge im ersten) eingemischt; er folgt also der von Her-
mann und Boeckh vertretenen Aenderung iv za luXhatg asiämv^
aber deon rhythmischen Charakter der Strophe ist nur die logao^
dische, von allen Handschriften bewahrte Form iv iiskitcug %
iudmv angemessen. Bec« hat schon 1844 in den Wiener Jahr-
büchern CY, 108 die Stelle behandelt, wo aber »den fünften
Schritt des Bhythmusc ein lacherlicher Druckfehler ist statt »den
sanften Schritt des Bhythmus.c Nur auf die angegebene Weiae
entsprechen sich die Yerse 6, 7. Bs ist noch zu bemerken, dass
M. Jvda ^AöMi^XQv so misst; — s.-^— , — ww, indem er eine ganz
unstatthafte Yerkürzung hier, wie P. YIH» 96 in av9(fantot vor*
aassetzt.
Für einige andere das Metrische betreffenden Bemerkungen
wollen wir die Folge der Oden einhalten« 0, I, 28 wird es er-
laubt sein an der Correption von dem acc. pL q>atig und hiemit
an dfft Richtigkeit dieser Lesart zu zweifeln. 0. XI, IS, wo die
Hehrzahl übrigens keinen sachlichen Grund hat, kann für die Yer-
kürzung nichts beweisen, noch weniger P. HI, 112. 0, I, 80
nennt M. die in Q, Z. dann Ay 11 und den jüngeren oodd. vorkomr
mende Lesart i(fmvzas matt (Sendschreiben p. 13); sie ist das
eben so wenig als i^vaöx^QixSy wodurch allein an dieser Stelle
ein Spondeus für Jambus eintritt; freilich kann für die Licenz
0. XJy 48, 90 in zwei sonst mit einem lambus beginnanden Gl;-
Diu ^TIwMbi Giniun* ML flIölB'BvvB«
]ton60U &Agidfbhrt W^i'den. 0; I^ lO« h^A^n «UÜge Md4^ MÜi
taxier VttL ßtf^3 Buden» in ((r6s8<»tQi' AitzAil da# Hier «IrilfS-
Mömmene ß(fotiSp; dies sclidilt jMoöb ein« GorreMttr «m ih
ft1irig#iid erbnibtidii Hiftt to «uifftmöii. üiti((^Mtart M dto Fitt &
P. il, Wo ^fötü^ weit nätftrlush^ itfli 4hr diis voll H^rkd^M im-
gedöhla^e, tdä Boetikh tuid Bcbneid^Win , ni<At aMt fAi
Bm-gk adoptirte /fpot^. W^diAldiir 0. n, &0 M. die UmiklM^
)r^^ m) itdtifCttU für tixifvttu Mmpte^ o^ tor&dkM, wM f£
ätiddm Fretmde de« P. keinett hiitireidieiideii GtrvaA sbgel^M; B^
ÄOhim tnsK. lediianetof ^^i^^ servAt dl (nosti^ tratibue, 4labo0 f%
lühtQCtai dempM offbnetfoni ftdt) meliti» tonat. Da aonsl btf F.
trat- ^^t(kx^ Yorkltintnt, di^ alt« SebreibweM tbwi^iils ddi XH^ää-
MbiM Yoü ^ tuid tu nicJM ka^te, WiM üml (M» B^^deifceA tte
0i1lM{{ iüpfaie d^ MosiSbcf()fü!iM befol|f6)i vmd dMk indltidMUttü Oi^
k^inatk dM Ktitik6r8 tticbt isü g^emuM T^tinMtdft sdbMlkeKi Cl^
wagt idt M üiit H. 0. V. 16 tiff^ ^httä !Maft>t/, tflei^di«^ Hb
ttaditioti der öodd. stebe^ ztx laMen, ided diie Con^e^tM Mr
erdtön Syibe ded BigeiHiafiiebs mt etaftttiren,- ntA iiioM fi^fc» «äle
tadtridebe fr^beit, deä Bpe>tlde)ltt ftü* Daktylus^ Wie OL d^ii IIA
yt. äKfrtt^t dtbrt^ii Bei^iel O; XI, 99. Bioe «[attii ni^tli^rte- Atf-
ttcfüfr^ flfidMT wit a Vm, le, ihM Z^Mitigkeift Wb^d WM*
^ttie!^ aüribnd» efnteebiedMk, obwd M. W^s^ daM «s etwM aiaiM
brt, dtiHr^obef Afsen ab ttodbaeiildbe äefetiftML DM Wdlte
ftfgt bibzui ib MqnMiti terBü äi cttm OpüiMe ^u^fk pMy ^ Mt^
tf^tiff, ^aafdeu stdationöäi babebie, 9ec(ttettte btevi. Badeila \mi\A M
y«. £0f 42. Omniitd baec ödA letiox^s Austtevoe babet^ Daüiit JK
biobte bewi^n; jekies^ i^ffä wäfe iior difl SitteMoüb^encr «Wh
Bobi^ibftbiets. tm Scbenna tu 0. Xi (bier X> «nMtd' tiiit BM^
mcbt wä^7 iä(f€»i¥ä8§e1^ dieBetetobniü^de» feWeisUbi^i^i*-
KMse^ hat ^^. 8 abgebl^klbt ifMiitt, WeM ntab bi^bl vonHeli, MtS
iMMt Skiftt tu les^ Afidet^r Ansl^bt i^Ü BM'gk, WiSeS^ibA»
0d# kt^iif6b^ Be^tandtiirile findet n^ «ei^ T^*i^bendeb Bpo*-
"detls {d^ db^ bbfigett Ei^ic^enr blef mH d^M "AMAÜQt yerteüMB
glaubt: wir mOgen lieber auf die lange Anakruse eine troetMAMItt
YMMf^MHefbl^ lass^fü. O. Xn, 18 Wid«Mtidbt ijf^ Ik^fpivf
nbr £^ tfiii» in A nikfat de^' MtfttfitHAöti' AüffiMStttitg frb Mob, itbelff Wv
bSef baebtkrftgUeb erinnert Wef deifr ^oU, d«^ Butl^jiibittfe il^ dMÜr
Ikteibte bÜ Mlccdiiöcaf ftßtH^ä^n PM6d6. O. inTT, lli, IM H
"JaiXct feättituiM'y in afleb bb!i§f6tf I^^diBb ist' «e AifidKiMüg' geffWM
Ba duck btet eiiftf Yetl&bg^i^tr^ der kürten Bube db)r(« di<^ ÜMl
iW MÜj^ entflftebt, und die Adi^ede M eicb ibi€ detti tniHM^
iKi/cMo^ eebr aufikUeM ist, rietfaeb Wiif seieivr ZeH ttt A^ aMr
diM ni(M biif Patiw und Bbeekii (w^beit beueie^iilge L. MbifM^
FitfdAr*B Lebeb tkM DMbfftbng p. 809 bel|yäMMiet) ab" VMMf^ ^
lMttf6llMb^ deMieif ^bbub|r ^^^ 2e^ ^^le" ddröH Iftin' tbey^eUk
BdBpidi Ml xMktfertigeiid« Härte «mmgl, M)iid«ni 6l« ImpMitin
n» ftaUende Sttbe kOteie tii^* naoh M^^v, oder 4i MMh «m a)M
f»ben 9 totaeres wttvde aber treges der aa groesen Aehi^ehkeii Mixt
€5 SfB ih mi weniger bii empfebleii eeis. Hennami sclilftgt in
euem aemer letitem Progrimime üi) f&va Yor, ebne ei6b Obet die
Bedenrtoag dieser Stdile ansBiurpteebeii ; Bftob Sobuidt wttte dieeert
«o König, laee sie (die OligaeUdden) mit ibreft leiobteift Ftteeen
beraaaMbwünifteii.« Dm wttaseMeft wir aber gfaiHDHiiisiAi •t'^
wievn «ad mit eichem ParalMeB belegt, wie eia bo pfttgnaate»
Bion im liifinitiv liegea kana. P. IV, 31 wird die AnflOstfftg de#
tfoohaeiechen Arsie Termiset, denn irar aweimal nnd zwar nh nerni
fttpT. M oAd IM tmterbleibi sie ; man ai^Mte daroM M *9. Mmg
UlUlieKi, wenn ee eben bo ttbücb war, tiuag als dOhnm {eriMMg
im^iyÜMHv^ P. XI, 4, 9, 41, M, 57 sebeint anob «le die tett
Dialiter beabtiebtigte Form entweder fstrerindert erbaHeft dde*
mit geringen Aendenmgen, wie sie bereits Hermann ftngabi berge«
eldlt wer^n in können, wie «opa Miüetv ^ ii^ m3Up\ ma in
drei Strophen 20, 25, 86 masste sn Mrkefen Mitt^ gegttfeii
mid die Hypotbeee gewagt Werden, daes KM&nA^^if^P nnd i7a^
wmöoi gloesematiscbe- LesaHen seieil; htuvjfi& napefOP mHm
alMf bat mit itn^iiji^ nigayev H(HftrjfJ$id^ o. v. ft. eine an itark4
Aeftdenmg eiMtten, welche leichter mit i¥Pv%09 ifMäyuyöv n, at
bewarksteIHgen war. Znr Atinabsae aber, P. kabe 80 tind S6 da»
tiigvnnamen gesetit, sonst iiber die eftte AMie dea iMctjlen se)^
Tfttty kOnaea wit nm nieht entecbüessen. YgL Wiener JeMh
0?, 108.
Stt den gnten metriaebeD Abftndentngen im Texte H*i^ gib5fl
fia dtoob mebrere Strophen dnrefagekende von 0. Uf tf* 1, wikbi
•toigens sobon vor längeres* Zeit von ihn» hi der Zeitschiüt fitf
AliegtimmgwiSBensehaft 1847, p. 909 elbpfebM Ttnd diAe» tmlli
ten Beifgk nnd tksbneidewin in ihren nenösten Ansgaben PindiM^
lenutat worden isii nemliek vs. 55 testttüM er iopfbdw}^ Statt
iea im» am Bande der ed« Renk. t^eMMm Mjftvfiöi^. Bodekb'«
VorUelM' filr diese Yafiante ist taflbileiid; ihr Mehi der OettseuA
MMr gAted Qdelleii gegenüber ^ welehe MosebofMd terarttwiftef
Hv^Mty Wie* das nMbriHohe Seliolion an 100 Uirtt AJM^irinf f^i^^
Ir o*i£fo# g «D fiit^ Mi ^ hvpM klinti Jedtor tMM TfiUiin«»
gar adekt geineint faAben, wton sie den Yers fti^ einett ekoldateb;
Mtt^ kraohjröB«. (w— %-/— , ^.*-^*^, ny-^) eifMarten, nnr M^
•apedativ, ^elehet elfiein in den noeh ftiekt iaterpolfarteü AandM
Mhriften steht; dnreh die Yerse, weldbe eine ifWisoheK kretutotoo^
mA logtkoediscbem OeS(^leAt dchWttnkeüde MedeäMg iMVen, nM
M, 88 wAfdM sie aH der fäbniien Anftisftuüg, ifltf iH die sw«ii#
Syzjgie choriambisch, verleitet. Jetzt ist der reitt ptteoUieeM
Chamkter der Epode YoUkeaMen geWbhrt; in der vierten nnd
fiinften Wiederhohmg derselben war der Yers leicht dnrcb of^M^
nnd Ißa zn verderbt, wie dnrcb o^f^HM^ nnd i%ißa zn berioh«
IIS fiaiari CmnoL «d. Itommftett.
ÜgßXL Was TS.. 61, sq. betrifft, so bemerkt IL ganz wahr» daflS
in Anwendimg des Eretikers und seiner Solutionen P. eine ^öaeeoce
Freiheit als bei andern Bhythmen sieh nehme; ohne Bedenken
durfte er also C0iug 8h vvxzsööip aeiy Cöcag 9" i^ffcu^ lesen, wo-
bei nur iv Tor aft^ipai^ getilgt, sonst die Lesart der yorsttgliohstai
Handsohriften erhalten wird. Die viel gewähltere Ausdrackaweiee
muBste einem metrischen Vorurtheii weichen: die Bysaaüner
hielten das zweite Kolon der Strophe xCva d'sivj %iv* ^^ohx fikr
einen katalektischen lonicus a maiore mit Ditrochaeus in der ersten
Byzygie und geboten dann Afoi/ und l6a zu schreiben. Der grund-
lose Wechsel der Form missfiel Boeckh, (N. cn 357), wenn er
gerne t6Qv Sk v. a. Iksov iv a. an die Stelle jener Interpolation
gesetzt hätte; sed, fQgt er hinzu: acquiescendum putari in leetlone
vecepta, praesertim quum äh melius repetatur quam omittatnr;
licet haec scriptura profeota videatur ab recentioribus. Hier sagt
▼ideatur zu wenig. Einen bedeutenden Schritt n&her that Bergk
mit seiner Yermuthung t&a dh — tö^ ^, und ist so auch Bchoii
in der Ausslassnng von iv vorangegangen.
Sprechen wir nun noch von einigen Oonjecturen, die M. in
seinem Diorthose angebracht hat. 0. I, 60 erscheint ^^t^ w#
(sonst 9^Kav) seltsam, wenn auch die Analogie von inav daAlr
jieugen mag; man wünschte das irgendwo yorgeschlagene ^ijattv in
der Bedeutung von id'Q&ljav als sichere Lesart au&ehmen za
können. Viel grössere Bedenken erregt gleich nachher ei dh deoy
ftt^ ttg ikjuvm IsXa^ifiev iQÖoVf ainxQzwei durch die syn-
taktische wie prosodische Schwierigkeit des Infinitivs. 0. II, 16 isl
mit x^ovog nichts gewonnen, wenn nattiif i%si, stehen bleibt ; mit dem
Aofigeben von ov y€ muss doch Ejronos als Sohn der Erde bezeichnet
werden. Ist weiterhin vs. 86 der Dual yctQvstov uns auch sohwv
lu deuten, wird man doch noch weniger ein Schema Pindarieum
hier anwenden können, was mit yaqvstm geschieht. 0. VIII, 52
ginge invpviü^jxav eher als iaixaiikvzav^ da indess der Gott nicht
sowol den .Ort, als das ihm geweihte Festmahl zu besuchen im
B^priffe steht, (vgl. 0. HI, 34, auch H. Od. a 25,) möchte das
sicherste sein, mit Beibehaltung des Dativs 'l6d'(ip Ttovtia und
zugleich des Accusativs deiQada ein Zeugma gelten zu lassen, so
dass dixtza xXvtäv nur von ino^yi^avoQ abhinge. 0. IX, 76 ist
9hi/og Fiwosj worauf auch Ahrens verfiel, in diesem Zusammen-
hang anstössig, wenn Achilles als ein junges Maulthier neben seiner
göttlichen Mutter erscheint ; dabei fragt es sich, ob das Digamma
Fositionskraft habe. Ein y^ einzuschieben und o^ßg folgen zu
lassen, wie Bergk, würde dem yovog der codd. am nächsten
kommen, wäre nur die Partikel besser am Platze. Wir vermuthen
9itu>g HQVQog*
(Sohluss folgt.)
St. 33. HEIDIIBERÖER 1865.
JAHEBÜCHER DER LITERATUR.
Pindari Gannm. ed. Mommsen.
(8chlu»8.)
0. XI, 11 wird man dem toxog oitadimv^ wie M. jetzt
liest, Hermami's TOXO9 ovazmQ immer noch vorziehen , obgleich
auch damit nicht das rechte getroffen sein dürfte. 0. XHI,
107 finden wir M's. ^AQxaöiv aöiSov weder in dem Sinne von
apud Arcades (womit N. IX, 40, XI, 4 nicht verglichen werden
kann), noch in dem von Arcadibus coram passend. P. I, 75
können weder i^da noch igdofmif^ wie M. versichert, die Bedeutung
von interrogo haben. Wenn auch agdo^Lai nicht einmal im Leid,
6., einem moschopulischen cod. oder der Aldina vorkömmt, da
beide a^ioyML haben, wird es doch festzuhalten sein, da igiio P.
nur im Sinn von dicam kennt, von igdoiua aber keine Spur bei
ihm zu finden ist. P. m, 11 sagt M. non movi 'AtSao^ sed de-
levi iv. Beides mit Unrecht. Jenen Genitiv hat P. sonst nicht,
aber 'Atda an einem Halbdutzend von Stellen und iv d'aka(ic) ist
grade sehr bezeichnend : im ^dXa(iogj wo sie vorher der Liebe mit
Ischjs gepflogen hatte, starb sie und ging von da in den Hades
hinab. 0. VI, 58 ist die Construction nicht dieselbe, auch nicht
0. I, 89, auf welche beide Stellen sich M. beruft. P. Vm, 77
wird VTtoxstQOv (lizQa xataßaCvat.: ad modum oppressorum
hominum deprimit schwerlich grösseren Beifall finden als wto
XetQCov (i. Die Gottheit drückt, wen sie grade will, unter das
Maass der Hände hinab. P. X, 69 macht M. ein neues Wort
jtoTaiVTjöo^v, was heissen soll insuper laudabimus. Allerdings
kann weder ad€Xq>€ovg (ihv ijtaLvriöO(iev noch «. i7t£ t' cdvrfio^BV^
noch xa9sXq>eovg fihv iitaLViqöoiuv^ wie Boeckh, Hermann, ^ Bergk
lesen wollten, gefallen. Wir dachten von aä. tot ijc<uvii0oiisVj
was wenigstens die leichteste Aenderung wäre.
Gelegentlich mag P, I, 85 die Erhaltung des handschriftlichen
xal zeXevza (pegtiga gegen M's. x. t. fpsqiti(fOV und Bosslers
xoX relsvrag (pagrigag gehalten, ib. 74 Heokers^ ßakav für ßaXed'\
und unmassgeblich auch ib. 26 TtOQ' idovxmv axoviSav empfohlen
werden. Noch eine andere Vermuthung P. HI, 106 ^svjAogog,
Bvt^ av iTttßQLöcug BJtrixav glauben wir gegen M's. ofe, nokvg avz'
av inißgiüri^ SiCYitm vertreten zu können. ^
Die palmaria unter M's. Emendationen ist 0. I, 104 afi^u
xalj wo man sich seit Moschopul fruchtlos abgemüht hat; das er-
liYUL Jahrg. 7. Heft. 83
5U Berts: IleD«iBaA&6# und Ho^oeo lii der rSm. Literatur«
träglichete war noch das aUov Tcal von Triklinins, wodurch frei-
lich d^r in diesem Gliede sonst nirgend zugelassene also fehler-
hafte Spondens entsteht. Der Vorzag liegt hier in der Leichtig-
keit der Besserung aus a(ia xal und in Uebereinstimmung mit den
Seholien, welche in der Paraphrase (is oder ifuxvtov das richtige
nahe legen imd nichts von dem aklov ri (Moschopul's), akka wä
(Hermann's) od^r fi^iUov tdQW ^ (Bergk's) wissen, durch welche
Aenderongen das vorhergehende itakmv ta xal keine richtige Ent-
sprechung erhält« Kayser.
Renaissanee und Rocoeo in der rätnisehen Literatur. Ein Vor-
trag v(m Martin Hert». Berlin. Verlag von WilKdm
Hertz (Bessersehe Buehhandhing) 1865. 50 8. in gr. 8»
unter diesem Namen gibt der Yerfosser eine Darstellung des
Charakters der rSmischen Literatur in der späteren Zeit, insbe-
eondere in der Zeit des Hadrianus und der beiden Antonine. Es
ist ein Vortrag, der allerdings für ein grösseres gebildetes Publi-
kum bestimmt, und in einer äusserst anziehenden und lebendigen
Form gehalten, doch den mit der Sache selbst einigermassen Ver-
trauten bald erkennen lässt, wie diese ganze Schilderung auf den
gründlichsten und ebenso umfassendsten Studien beroht und dämm auch
das Literesse der Männer des Fachs in gleicher Weise anzusprechen
vermag, zumal der Verf. es nicht verschmäht hat, in einem An-
hang die nöthigen Beweisstellen und Belege, auf welche seine Dar-
stellnng sich hauptsächlich stützt, zu geben und daran selbst einige
andere weiter gehende Bemerkungen zu knüpfen, um aber eine
richtige Einsicht der von ihm darzustellenden Periode der rSmi^
sehen Literatur herbeizuführen, war der Verf. nicht sowohl ge-
nöthigt, zurückzugehen bis auf die Glanzperiode dieser Literatur
unter Aügustus, als vielmehr einen Blick zu werfen auf die nach
Augustus unmittelbar folgende, bis zu Hadrian reichende Zeit, weil
sie gleichsam das Mittelglied bildet, durch welches die Entwick-
lung der folgenden Zeit bedingt und diese selbst dann richtig er-
ftfcsst und gewürdigt werden kann.
W^nn in den auf August folgenden Zeiten und unter dessen
nächsten Nachfolgern in der Literatur, wie überhaupt auf dem Gre-
biete der geistigen Thätigkeit kein frisches Leben, keine frische Trieb-
kraft sich zeigt, und bei dem äusseren Drange, wie ihn die Des-
potie jener Kaiser hervorrief, das geistige Leben versumpfte , in
der Wissenschaft wie in der Poesie eine rhetorisch-declamatorisohe
Bichtung Alles erftQlte und durchdrang, so beginnt, als man nach
Domitian's Tod wieder aufzuathmen wagte, als die Freiheit des
Wortes und der Schrift gewissermassen wieder erstand und auch
formal, man von der geistlosen Schulrhetorik der vorausgegangenen
Berti: RennUsftX)^ tm4 Rocoeo Iq der r5m« t4t^tur. 915
Zeit wieder za 'der classiscben Form der ciaeroniscbeQ Proaa
3;arackzukehren strebte, also mit dem Zeitalter des Trajan, in den
Augen des Verfassers die Zeit der Renaissance, der Wieder-
geburt, in welcber Quintilian, und der unter seiner Lebre gebildete
Plinius der Jüngere bervortreten, so wie auf dem Gebiete derGe-
scbichtscbreibung die letzte grossartige Erscbeinung ia Tc^citus,
der in seinem Dialogus de oratoribus^ welchen der Yerf^ia^er in
Uebereinstimmuug mit der neuesten Forschung aufTacitus zurück-
führen zu können glaubt, diesen Standpunkt der ciceronischen
Form der Rede festzuhalten sucht : in der Poesie steht der kräftige
JuYenal ihm zur Seite, >der einzige nahmhafte Dichter, den die
Eegierungszeit des Trajan aufzuweisen hat« (S. 14),
Weit bedeutender erscheint indessen in den Au^en des Ver-
fassers der Einfluss seines Nachfolgers, des Hadrianus, auf die
Literatur, welche bei dem Mangel an eigener Production, in der
Rückkehr zu jenen besseren Principien nicht auf die Dauer zu
bleiben und in der weiteren Fortbildung auf der wieder gewonne-
nen Grundlage Nichts Neues zu schaffen vermochte, sondern in eine
neue Bahn getrieben ward, auf welche die persönlichen Neigungen
und Richtungen des Kaisers ihren Einfluss übten. Er selbst war
Yon Jugend auf in griechischer Literatur wohl gebildet und er-
zogen worden, und hatte dann mit gleichem Eifer den Studien der
lateinischen Literatur sich zugewendet: bemüht in seiner hohen
und einflussreichen Stellung die Wissenschaft und Literatur zu
fördern, selbst durch Anlage einer eigenen höheren Bildungsanstalt
in Rom (Athenäum), war und blieb er doch mehr ein Dilettant,
der mit der Wissenschaft kokettirte, und durch Rücksichten per-
sonlicher Eitelkeit vielleicht selbst der Politik bestimmt ward, in
der heimischen Literatur aber eine Vorliebe für das Alterthüm-
liche zeigte, die ihn die Bahn eines Cicero verlassen Hess und zu
einem Cato, Sallust und andern Vertretern dieser alterthümelnden
Richtung eben so zurückführte, als er in der Poesie dem Anti-
machus den Vorzug vor Homer gab und ihn an Homers Stelle ein-
zusetzen versuchte. Und so »beginnt nach jenen ohne nachhaltigen
Erfolg gebliebenen Versuchen der Renaissance für die römische
Literatur das tragikomische Zeitalter des Rocoeo, das die Re-
gierungsperiode des Hadrian und der Antonine beherrscht« (S. 25).
— >Aus dem Staube der Bibliotheken zog man die alten Autoren
hervor, mit ihnen nährte man die Jugend; legte Auszüge und
Wörtersammlungen aus ihnen an und liess sie von seinen Schülern
anlegen. War man mit diesen sorglich eingeheimsten Schätzen
ausgerüstet, hatte man sich dazu einige Kenntniss der schemati-
scben und äusserlichen Regeln der Rhetorik und einige üebung in
ihren geschnörkelten und gewundenen Formen verschafft, so b^-
sass man die nothwendigen Requisiten zur Schriftstellerei. Auf
selbständiges Denken kam es dabei am wenigsten an, man um-
hüllte die eigene Trivialität mit erborgtem Putz, man flickte sein
516 Herts: RenAitsAnee nnd Rocoeo la der r5m. Literatur«
ärmliches Gewand mit den aufgefärbten Prachtlappen aus den
Rumpelkammern der Literatur; hatte man Glück und eine hin-
reichende Portion Dreistigkeit^ verstand man sich in dem altfrän-
kischen, zopfigen Aufputz, in dem man gravitätisch einherschritt,
ein rechtes air zu geben, so konnte man ohne grosse Anstrengung
der höheren Geisteskräfte ein hochberühmter Mann werden.« Als
der vollendetste Vertreter der so gezeichneten Richtung, oder des
Rocoeo, erscheint dem Verfasser der von seiner und der nach-
folgenden Zeit so hochgepriesene Fronte, »decus eloquentiae Ro-
manae«, wie ihn sein kaiserlicher Zögling Marcus Aurelius begrüsst,
um von andern ähnlichen Lobeserhebungen, die wir bei Gellius,
Eumenius, Ausonius und Andern finden, nicht zu reden. Das Ur-
theil, das hier über diesen Hauptvertreter der Rococozeit gefällt
wird, ist, namentlich auch in Bezug auf die erst in neuerer Zeit
durch Angelo Mai wieder ans Tageslicht hervorgezogenen Schriften,
ein höchst ungünstiges, das wir in dieser Härte kaum zu unter-
schreiben vermöchten : »Fast nirgends, heisst es S. 28, ein einiger-
massen bedeutender Lihalt dieser Briefe, dieser Stylübungen, die
bis zum Lobe der Faulheit, des Rauches und des Staubes hinab-
steigen; eben so selten ein über die Trivialität sich erhebender
Gedanke, die Darstellung ein gelehrtes und buntes Mosaik; nicht
einmal ganz an Reminiscenzen aus Horaz und Virgil fehlt es darin ;
aber neben Lucrez und Sallust sind es wesentlich die recht eigent-
lich rostigen und veralteten Schriftsteller der frühesten Literatur-
periode, welche die Stifte dazu hergegeben haben ; auf nüchternem
und farblosem Grunde liefern sie ein darum nur um so barocker
und buntscheckiger erscheinendes Bild. « und wenn es weiter heisst :
»der Verfasser dieser Nichtigkeiten freilich fordert nicht ohne
SelbstgefUUigkeit den Vergleich mit Cicero heraus«, so möchten
wir doch aus der angeführten Stelle Fronto's, in welcher Derselbe
seine Bithynische Rede mit Aehnlichem, was in Cicero' s Rede pro
Sulla vorkommt, vergleicht, eine solche Folgerung kaum ziehen:
denn Fronto setzt ausdrücklich hinzu »non ut par pari compares,
sed ut aestimes, nostrum mediocre Ingenium quantum ab illo exi-
miae eloquentiae viro abludat« , wie er denn auch in einem
Briefe an Verus von Cicero schreibt: »summum supremumque os
romanae linguae fuit.« und daher können wir auch in einer andern
Stelle, in dem Briefe an Marcus Aurelius, keinen Tadel des Cicero
finden, wenn es hier heist: »Epistulae tuae — mihi satis osten-
dunt, quid etiam in istis remissioribus et Tullianis facere possis«,
da der Ausdruck remissioribus uns keineswegs einen solchen
zu enthalten scheint, vielmehr eher ein Lob, das in der nach-
ahmungswürdigen Fassung dieser Briefe, der natürlichen Leichtig-
keit und üngenirtheit liegt.
Nicht minder günstig ist das Urtheil über Appulejus aus-
gefallen (S. 32 ff.), es mag erlaubt sein, auch Einiges davon den
Lesern, als Probe, mitzutheilen. »In wunderbarer Weise, heisst es
Herts: Renaissanoe und Rococo in der r5m. Liteiatnr. 517
8. 33, Tereinigen sich hier wissenschaftlicher Sinn mit phantasti-
scher Wnndersucht, originelle, selbständig durchgebildete Anlagen
mit Anlehnnng an den Zeitgeschmack; hier der Modeeinrichtung
entsprechend, die ans den Büstkammem des Archaismns entlehn-
ten, ans dem Stanhe hervorgezogenen Worte und Wendungen, dort
neue wunderliche Bildungen individuellster Art, dort wieder pro-
vincielle Eigenthümlichkeiten mit all* dem ungezügelt und üppig
wuchernden Schwulst, der die aufgeblähte Latinität der Söhne
Airika's schlingpflanzenartig zu umranken pflegt. Hat man mit
Recht von Fronto gesagt, dass sich in ihm nicht die Gluth« nur
der Sand Africa*s finde [?] — bei Appulejus sind beide neben-
und durcheinander vorhanden. In ihm stellt sich eine ganz ab-
sonderliche und zwar die barockste, mit wunderlichen Arabesken
verquickte Species unseres Rococo dar« u. s. w. Wir wollen hier
nicht gerade eine Lanze für Appulejus und seine Redeweise ein-
legen, aber doch bemerken, wie die Sprache, deren er sich in der
Apologie bedient — allerdings sehr verschieden von der blumen-
reichen und alterthümelnden Sprache in den Metamorphosen —
eine Einfachheit und selbst Reinheit erkennen lässt, welche den
Appulejus weit über Fronto stellt und Ruhnken's Urtheil bestäti-
gen kann : tam vacuus est his ineptiis scholasticis, ut ejus orationi
nihil aut certe non multum ad summam sanitatem de-
esse videatur: ein ürtheil, das auch der neueste Herausgeber
dieser Rede bestätigt hat. In äusserst anziehender Weise wird
8. 35 ff, Aulus Gellius geschildert: und gewiss war auch Nie-
mand mehr zu einer solchen Schilderung berufen als der Verfasser,
der uns zuerst den Text dieses Schriftstellers in einer auf die ur-
sprüngliche Form möglichst zurückgeführten Gestalt gebracht und
viele Jahre seines Lebens dem Studium dieses Schriftstellers ge-
widmet hat.
Mit Gellius, den uns der Verfasser als einen jener treufleissi-
gen und bescheidenen Gelehrten vorführt, an welchen es auch in
jener Zeit nicht fehlte, schliesst in so weit die Betrachtung ein-
zelner hervorragenden literarischen Grössen der von dem Verfasser
als Rococozeit bezeichneten Periode, als der Verfasser daran noch
eine weitere allgemeinere Schilderung oder Charakteristik der vor-
herrschenden Richtung jener Zeit knüpft, welche eben so anziehend
ausgefallen ist. »Es galt, wie richtig hier bemerkt wird, noch
immer in den Kreisen der Vornehmen und Reichen fUr standes-
und anstandsgemäss, äusserlich ein gewisses Interesse für Literatur
und Wissenschaft zur Schau zu tragen. Bei dem geschilderten
Mangel an Productivität und Originalität auf dem Gebiete der
römischen Literatur darf es uns nicht wundem, wenn man dabei
die Grriechen bevorzugte. Es gehörte zum guten Ton, einen grie-
chischen Philosophen, Philologen, Rhetor oder Musiker als Haus-
freund und je nach Bedürfniss zugleich als Hauslehrer in seine
Kähe zu ziehen; gern zeigte man sich mit einem solchen Leibge-
618 Hertz: Kenaisdance und Rococo in der röm. Literatur.
lehrten, man drückte ihm auf der Strasse die Hand und scbwaÄte
ihm das Ejrste, Beste vor, um das Publikum glauben zu macben,
man könne nicht einmal auf der Gasse seine gelehrten Studien
vergessen« u. s. w. (39). Wie es aber in Wirklichkeit mit dieser
zur Schau . getragenen Theilnahme für Gelehrte und gelehrte Bil-
dung aussah, wird im Verfolg, zunächst an der Hand des Lucian,
der in einigen seiner kleinern Schriften ein treffendes Bild davon
entworfen hat, gezeigt, und hier eben so sehr das niedrige Treiben
der Vornehmen, als die Gemeinheit Derjenigen, die als Gelehrte
und Erzieher in deren Häuser sich aufnehmen Hessen, geschildert.
>Wie ursprünglichö, schöpferische Kraft bei den Gebenden, so fehlt
die wahre, achte Theilnahnae bei Empfangenden.« Mit diesen tref-
fenden Worten beschliesst der Verfasser seinen Vortrag, dessen
Hauptpunkte wir im Vorhergehenden darzulegen bemüht waren.
Wer aber den Vortrag selbst in die Hand nehmen will — und
wir können dem in der Form wie im Inhalt gleich ansprechenden
Vortrag nur recht viele Leser wünschen — wird darin noch gar
Manches Andere berührt finden, was Alles hier anzuführön nicht
möglich ist: ja er wird selbst in den Anmerkungen, die am Schluss
beigegeben sind und, wie schon bemerkt, zunächst die Bestimmung
haben, die Belege des in dem Vortrag Enthaltenen durch Anfüh-
rung der betreffenden Beweisstellen zu geben, manche Bemerkung
finden, die der Mann des Fach's, der Philolog, nicht wohl über-
sehen darf. Um nun wenigstens Etwas der Art zu berühren, er-
innern wir an die zum Beleg der anerkennenswerthen Bestrebungen
des Trajanus um die Förderung der Literatur mit Recht Not. 24
und 25 angebrachte Verweisung auf JuveuaPs siebente Satire, wo
auch wir (mit C. Hermann) nur an Trajan denken können bei
dem im ersten Verse angeredeten CRsar; wenn aber die Worte,
mit welchen Juvenal die traurige Lage der Dichter, und ihre j>er-
sÖfiHöhe Misäftßhtutig oder Geringschätzung, vermöge deren sie, um
zu leben, genöthigt sind, in den Sälen der Reichen ta antiehan^-
briren, die Sportula zu erbetteln u. dgl. bezeichnend darstellt i —
»quum desertis Aganippefi vallibud esuriens migraret in atriaClio«
übersetzt werden : ^
>Wo aus des Quelles der Musen verlassenen Thälern sich Clio
Hungernd schleicht, sich als Wirthrschaftsmamsell zu ver-
miethen« \^
so nehmen wir doch in äo fern dardru Anstand, als wir niis nicht
überzeugen können, dass in die Worte »migtaret in atri^« ein
solöhdr Begriff gelegt werden kann.
Getn aber Stimmen ivir dem Verfasder bei, wenn er den wtin-
derliehen Titel, welchen Hadrian einem seiner, dem Antimachus
naehgebildeten Gedichte gab, als Cataohannae festätellt
(d. i. Bäume, die attd verschiedenen Propfreisem verschiedene
Fmehte hervorbringen), dd» dieeeö Wort in zwei vom Verf. not. 48
Mornttteat Zwei 6epiileralredttu M
nachgewieflenen Stellen des Fronto vorkommt. Dies liegt der hand-
schrifklichen Lesart (in der betreffenden Stelle der Vit. Hadriani
16 Tön Spartianus) Catacannas allerdings näher , als das von
Andern vorgeschlagene Catachenas, nach KcezaxTjvrj^ einem angeb-
lichen (Gedichte des Antimachns. Chr. B&lir«
Mommsen^ Theodor. Zwei Sepülerairedei^ aus der ZeU Augiati
und Hadriam. Aua den Abhandlungen der königU Akademü
der Wissenechaflen 9U Berlin 18S3. Berlin 1864. 8. 85. 4.
Eine der wichtigsten Arbeiten^ welche voriges Jähr Über Ih*
teinische Epigraphik vorbrachte, ist vorliegende Abhandlung; sie
zeiftlllt in zwei ungleiche Theile, die erste (von 28 S.) gibt >di0
Grabrede anf die Turia» Gemahlin des Q. Lncretins Yespillo, Gon-
suis 785, gestorben zwischen 746 n. 752 der Stadt.« Diese Grab-
rede ist in fdnf Brachstücken übrig, von denen drei nicht mehr
vorhanden aber schon früher edirt sind ; auch die andern zwei noch
in Born be^ndlich sind schon bekannt gemacht ; auch sind einzelne
Theile von Deutschen, Italienern u. a. zu erklären versucht Worden,
doch eine genügende Bearbeittmg fehlt. Daher verdient der be-
rfthmte Inschriften-Erklärer wiederholt hohes Lob, dass er uüs eine
sehr gelehrte Erklärung hiermit vorlegte. Diese besteht nicht ntir
in Ergänzung einzelner Worte und Buchstaben, in Bestimmung der
Personen, die auf den Inschriften nicht genannt sind und der Zeit
(was theilweise schon Andere erkannten), sondern hauptsächlich in
der klaren und scharfsinnigen Erläuterung des juristischen Theiles
der Inschrift ; so dass hier die Juristen einen nicht geringen Zu-
wachs über Erbschaft nnd was damit verbunden. ist, finden, zu-
gleich wirdBudorff, welcher hie und da anderer Ansicht ist, mit
Crltlck widerlegt. Auf die näheren Punkte können wir nicht ein-
gehen.
ßo wie diese erste Grabrede keine laudatio funebris war, son-
dern von dem Gatten an die Verstorbene gerichtet wurde, so ist
das zweite Fragment, das nicht mehr vorhanden ist, dagegen eine
Grabrede und zwar des Kaisers Hadrian auf die ältere Matidia,
die Mutter der Kaiserin Sabina, der Gemahlin des Kaiserö. Die
loflehrift enthält nur 37 Zeilen, von den meisten fehlt der Anfang.
Jedoch hat der Herausgeber manches glücklich reStituirt, so dass
fibsr die Bestimmung dss Fragmentes kein Zweifel weiter obwal-
ten kann.
530 Kenner: Chronik der «rch&oloitiBelien Funde.
Kenner, Friedr., Custos des k. k. Mups- utid JntUcen^Cabitiets,
Beiträge au einer Chronik der archäologischen Funde in der
österreichischen Monarchie (1862-^1863). Wien. 8. 162. 8.
(eigentlich Abdruck aus dem 'X'XXIIL Bande des von der k. k.
Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Archivs für Kunde
österreichischer Geschichtsquellen).
Der Nachfolger des vor zwei Jahren verstorbenen Ameth, dem
die Alterthumsknnde Oesterreichs viel verdankt hat -— wie auch
in diesen Jahrbüchern öfters anerkannt wnrde — der Cnstos Dr.
Kenner legt in dieser fleissigen Arbeit zum drittenmal — wie
früher Seidl eine Sammlung der in einem oder mehreren Jahren
in ganz Oesterreich stattgehabten Funde vor: hier sind nun für
weniger als zwei Jahre an hundert Orte verzeichnet, bei welchen
die verschiedensten Alterthümer, Münzen u. a. m. aus vorrömischer,
römischer und mittelalterlicher Zeit entdeckt wurden. Die Orte
sind nach den einzelnen Provinzen Oesterreichs geordnet; 108 Holz-
schnitte geben die bedeutenderen Alterthümer so wie auch selte-
neren Münzen ; die Inschriften sind meist ohne Erklärung gegeben,
manche auch aus früherer Zeit; so werden namentlich in Sieben-
bürgen die > schlechten Abschriften Neigebaur's« , von denen auch
in diesen Blättern seiner Zeit die Bede war, S. 119 verbessert.
üeberhaupt gibt Siebenbürgen auch hier die meisten Inschriften,
jedoch nicht gerade von besonderer Bedeutung; Eine christliche,
die wir wegen der Seltenheit hier mittheilen :
M M
Q. MiEC . DONATI . PAVSAVIT
ANN . XVI . FILIO . PIENTI
SSIMO . FECIT
ARETHVSA
MATER (S. 129)
wird aus Titel in der Militärgrenze mitgetheilt ; ob der Sarkophag
auf dem die Inschrift steht, sonst ein christliches Zeichen hat, wird
nicht beigefügt. Bei einer anderen Inschrift aus Mitrovic eben-
daselbst (S. 180) erkennt der Verf. Verse meist Hexameter, doch
nicht überall, auch wenn man >accentativ< lesen will, kann dies
Mass erkannt werden. Sonst enthalten die Inschriften wenig Merk-
würdiges; auf den Altären erscheinen die gewöhnlichen Götter:
I.O.M, SILVAN. AVG., ISIDI. AVG., GENIO LOCI, OELEIA
SANGT , LVNAE.
Eine bis jetzt unbekannte Lokalgottheit, wie es scheint, finde
ich auf folgendem Stein aus Eämthen S. 49:
BELESTI. AVG
T. TAPPONIVS
MACRINVS
IVLIA. SEXTI
CARA. CVM. SV
V. S. L. M.
Scbeerer: Dolomlt-BUdiiDg. 521
Einige wollten CELESTI lesen, aber die Inschrift gibt B. —
Wir müssen nns nicht gerade wundem, dass im österreichischen
Oebiete so wenig Töplemamen vorkommen — denn manche Gegen-
den waren von den Römern gar nicht berührt, wie denn die hier
ans Böhmen verzeichneten Fnndstücke alle nicht römisch zn sein
scheinen — doch erstaunten wir, dass in diesem ganzen Buche,
wenn wir recht sahen, nur ein Töpfername ARTILIVS S. 65 in
Aqnileja verzeichnet ist. Wir wünschen, dass der gelehrte Verf.
bald Gelegenheit haben werde, dies Werkchen fortzusetzen.
Klein.
Beiirage »ur Erklärung der Dolomit Bildung von Dr, Th, Sehte-
rer. Mit in den Text eingedruckten Holsschniifen. Dresden,
Druck und Verlag von E, Blochmann und Sohn. 1865. 4.
8. 36.
Die Bildung von Dolomiten und von dolomitischen Kalk-
steinen fand bekanntlich in allen geologischen Perioden statt, von
der ältesten oder Urperiode bis zur Tertiärzeit. Entstanden die-
selben aber auch in allen Perioden unter gleichen Bedingungen?
Während der ältesten, durch hohe Temperatur und bedeutenden
Atmosphären-Druck charakterisirten Gneiss-Periode, in welcher or-
ganisches Leben nicht gedeihen konnte, wurden dolomitische Kalke
und Dolomite als rein chemische Niederschläge abgelagert. In
allen späteren Perioden mengten sich Kalksteine und Dolomite
mehr und mehr mit den kalkigen Resten organischer Geschöpfe;
da letztere nur geringe Mengen kohlensaurer Magnesia enthalten,
so liegt der Schluss nahe, dass je jünger Kalksteine sie um so
weniger magnesiahaltig sein müssen, und dennoch tri£Pt man in
nicht sehr alten Formationen an Magnesia reiche Kalksteine, so-
gar typische Dolomite. Die räth seihaften Dolomit-Kolosse Süd-
tyrols bieten ein bekanntes Beispiel. Sie sind es ja, welche
manchen geistvollen Forscher beschäftigten. Besonders einen,
dessen Name mit dem Dolomit so innig verknüpft ist, dass der
Geolog keinen von beiden nennt, ohne an den anderen zu denken.
Sein scharf blickender Geist erkannte die Thatsache, dass die
Dolomite Südtyrols aus einer chemischen Umwandelung von Kalk-
steinen hervorgegangen seien; nur beging der grosse Gebirgs-
forscher in der Art und Weise wie er die Metamorphose erklärte —
durch Insublimation aus dem schwarzen Porphyr in den Kalkstein
— einen Irrthum. Seitdem sind verschiedene Erklärungsweisen
über die Dolomitisation gegeben worden; namentlich folgende:
Einwirkung einer Solution von schwefelsaurer Magnesia auf Kalk-
stein; Einwirkung einer Solution von Chlormagnesium oder auch
von Chlormagnesium-Dämpfen auf Kalkstein ; Einwirkung von koh-
lensäurehaltigem Wasser auf magnesiahaltigen Kalk und endlich
((2i Sc beeret: Dolomit-BUdung.
EmWirbing einer Solution von kohlensaurer Magnesia in koUen-
öäutehaltigem Wasser auf gewöhnlichen oder anf bereits magnesia^
haltigen Kalkstein. Es nnterliegt wohl keinem Zweifel, dass für
die Bildung Von Dolomiten einzelner Gegenden bald die eine bald
die andere der genannten Theorien anzuwenden sein dürfte ; jedoch
im Allgemeinen und im Besondern auf die Dolomite Tyrols dürfte
die letzte Erklftrungsart als die ungezwungenste den Vorzug ver-
dienen« Dieselbe setzt aber voraus: dass Ealk-Carbonat in Koh-
lensäure enthaltendem Wasser erheblich löslicher ist, als ein Kalk-
Magnesia-Carbonat. Solches hat Scheerer durch verschiedene
Versuche bestätigt; die durch letztere erworbenen Erfahrungen
setzen uns in den Stand, die chemische Einwirkung eines magne-
siahaltigen Kohlensäurelings auf einen magnesiahaltigen Kalk fol-
gendermassen zu erklären: im Anfang nimmt eine derartige Solu-
tion aus einem solchem Kalkstein, unter Ver Schonung seines Mag-
nesia-Oehaltes, kohlensaure Kalkerde auf, bis sie so damit gesät-
tigt ist, dass sie krystallini sehen Dolomit abscheidet. In dem
Maasse aber, als dieser aus ihr abgesetzt wird, wirkt sie — da
ihr Gehalt an lösender Kohlensäure unverändert bleibt — von
Neuem lösend auf den Kalkstein und fährt fort, Dolomit auszu-
scheiden, bis sie ihren gesammten Gehalt an kohlensaurer Mag-
nesia eingebüsst hat und eine gesättigte Auflösung von Kalkbicar-
bonat bildet. Aus letzter wird sich dann an Orten, wo Gelegenheit
zum Entweichen der Kohlensäure vorhanden, schliesslich auch noch
krystallinischer kohlensaurer Kalk absetzen. Ein solcher Process
der Dolomitisation zeigt sich demnach als ein langsam und ruhig
wirkender, aber von Grund aus zerstörender und wieder aufbauen-
der; er erklärt uns die Vermischung der Schichtung, der Ver-
steinerungen, die theils drusige, theils dichte Beschaffenheit der
Dolomite. Sind aber auch alle Erscheinungen, welche wir an Do-
miten wahrnehmen, durch diese Theorie erklärbar? Die Frage
sucht Scheerer sehr umfassend zu beantworten, ii^em er eine
Anzahl von Beispielen anfuhrt und hiebei von den einfachsten, den
Pseudomorphosen von Bitterspath nach Kalkspath ausgeht und sieh
zuletzt zu dem Tyroler Dolomit-Gebiet wendet. Hier fesselt nament-
lich die Aufmerksamkeit die gewaltige, inselförmig bis zu 3000 F.
emporragende Masse des Schiern. Bekanntlich hat Bichthofen
in seinem trefflichen Werke den Schiern und andere benachbarte
Dolomit-Berge für ursprüngliche Korallenbauten, fttr Korallenbftnke
erklärt: in einer Meeresbucht befindlich, deren Boden in fortw^-
r^ndem, allmähligen Sinken begriffen war; während dieses Sinkend
Übten die in die Bucht einmündenden Magnesia und Kohlensäure
enthaltenden Quellwasser ihren dolomitisirenden Einfiuss ans.
Bichthofen hat desshalb die gewaltigen Dolomit-Kolosse für
einstige Korallenriffe angesehen, weil er glaubt, dass die Bildung
flölch isolirter Massen nicht durch Wirkung des Wassers gedeutet
werden könne, wie z. B, bei den kleineren Felsgebilden der sftch-
Bclieerer: Dolomit-BÜdung. 538
sischen Schweiz, und dennoch mnss eine derartige Wirkung an-
genommen werden. Hiervon überzeugt man sich, wenn man die
Liaskalke Südtjrols betrachtet, die ganz ähnliehe, schroffe Ge«
birgsmassen bilden, wie der Dolomit des Schiern, dem sie auch an
M&chtigkeit nicht nachstehen. Alle die Sedimentär-Gesteine Sttd-
tyrols werden von gewaltigen, einige tausend Fuss tief eindringen-
den Thalfurchen durchzogen. Warum sollte der zur Trias gehörige
Scblem-Dolomit nicht einer gleichen thalbildenden Kraft unter-
worfen gewesen sein. Rührten die Gebirgsstöcke des Schiern,
Langkofel u. a. von isolirten Korallenriffen her, so wäre es unbe-
greiflich, dass die auf den Korallenriffenbau folgende m&chtige
Lias-Eormation sich nur auf den Bif^lateaus und nicht auch zwi-
schen solchen abgesetzt hätte. Nach Allem lässt sich die Theorie
der Dolomitisation auch auf weniger poröse Massen, wie Korallen-
Bauten in Anwendung bringen. In der Muschelkalk-Periode ging
in der damaligen Meeresbucht des jetzigen Tyrols eine abnorme
Bildung vor sich. Während der Ablagerung der Kalksteine mischte
sich hier eine wechselnde, aber meist beträchtliche Menge von
kohlensaurer Magnesia in den Kalkstein ein. Gewaltsam drangen
an vielen Stellen des Meeres-Bodens Magnesia und Kohlensäure
enthaltende Quellwasser empor und mischten sich dem kalkigen
Meerwasser bei. Die Ausdehnung derartiger Quellwasser im Be-
reich des Südtyroler Meerbusens muss eine bedeutende gewesen
sein, da sie — wie Scheerer nachweist — sich auch auf die
krystallinischen Silicat - Gesteine erstreckt. Der un geschichtete,
drüsige Habitus der Dolomite ist wohl dem Umstände zuzuschrei-
ben, dass jene Quellen, da wo sie am mächtigsten empordrangen,
keinen schichtenförmigen Absatz des Niederschlags zuliessen, theils
ihn, wo er vorhanden war, wieder zerstörten. Fortwährend fand
auch reichliche Entwickelung gasförmiger Kohlensäure statt. Alle
diese Agentien waren im Stande einen von vielen Hohlräumen
durchzogenen, drusigen, krystallinischen Dolomit zu bilden. Aber
wie gelangte der so auf dem Boden des Meeres entstandene Do-
lomit zu Tage, wie gewann er seine jetzige, vereinzelte Gestalt?
Durch gewaltige Hebungen des Meeresbodens, welche statt xmd viel-
&che Zerreissungen und Zerklüftungen der dolomitischen Massen
zu Folge hatten. Alsdann begannen die Wasser ihr andauerndesi
mechanisches Werk der Zerstörung — hier wie anderwärts spielten
sie eine Hauptrolle bei der Thalbildung. Endlich setzten die zer-
störenden und umbildenden Atmosphärilien ihre Thätigkeit fort bis
die gewaltigen Naturbauten einer unabsehbaren Beihe von Jahren
ihre gegenwärtige Gestalt erhielten. G. Leoüliard«
524 Llierftiurbericbte aTis Italien.
Literatnrbericlite ans ItalieiL
AUi deUla societa Lombarda di tconomia poHtica in Müano. Müano
1864. Tip. Bosza. 8.
In Mailand, wo sieb ohnehin so viele wissenschaftliclie Ge-
sellschaften befinden, ist eine nene dergleichen für Staatswirth-
schaft am 17. April 1864 gestiftet worden, wofür besonders der
Professor Rossi thätig war. Hier liegt das erste Heft ihrer Ver-
handlungen vor, worunter besonders Vorschlage über bessere Ein-
richtung der Findelhäuser zu beachten sein dürften.
Annuario ufficiale della Marina, anno III. Torino 1864. p. 176 tu
CLXXIII.
Dies ist eine amtliche Statistik der Kriegs- und Handels-
Marine des Königreichs Italien, wornach dasselbe eine Kriegs-Flotte
von 99 Schiffen besitzt.
Le Satire e le epistole di Boileau tradoite da N. Continu Firenze
1863. per Le Monnier. 8. p. 30^.
Diese üebersetzung von Boileau ist mit Anmerkungen ver-
sehen.
Prospdto cKnieo della scuola di osfeiricia in Müano. dal Doü. Ca-
sati. Milano 1864. gr. 8. p. 181.
Bericht über die Hebammen-Schule in Mailand vom Jahr 1862.
Della afftniia del Tubereolo e canero dd Profess. Cancato. Bologna
1864. gr. 8. p. 120. Tip. Fava.
Der Verfasser hat zugleich die Erblichkeit dieser Krankheit
behandelt.
Delle imperfesdoni alle ferife ed nitre malatie contraiie in campagna
di F. Cortese. Torino 1864. Tip. Marino, gr. 8. p, 184.
Der Verf. ist Oberarzt in dem Heere des Königreichs Italien
und behandelt hier die Folgen der im Kriege erhaltenen Verwun-
dimgen und anderer Krankheiten.
La saliva umana^ colla siringasione dei condofti ghiandolari di E.
Oehl Pavia. Tip. Fad. 1864. qr. 8. p. 188.
Diese mit fünf Steindruck-Tafeln ausgestattete Monographie
über den menschlichen Speichel rührt von dem Professor Oehl in
Pavia her.
Ordine e Liberia del Dottore P. Mantegazsa, Milano 1864. Presso
Bemardonu
Der Professor Mantegazza in Pavia gibt hier Betrachtungen
Literatnrberiebt« aus lüdletu t1t6
über die yolksthümliche Politik, welche der Freiheit die Ordnung
zn Grande legen muss.
Le armueiaUyre di ealiedre vacanti aüa pubölica ülruaione. Per
MctsHmo Fabi, Fano 1864, Tip. Lana.
In der sonst zum Kirchenstaat gehörigen Stadt Fano kommt
jetzt schon seit 2 Jahren ein Wochenblatt heraus, worin angezeigt
wird, welche Lehrerstellen zu besetzen sind, bis herab zu den Dorf-
Schulmeistern. Man sieht, dass jetzt der öffentliche Unterricht in
Italien grossen Aufschwung genommen hat.
RendiconU deüa aecademia di archeologia letUre e belle arti, Na^
poli lö64, Stamperia ddl universita, gr, 4. p, 142»
Dies sind die Verhandlungen der Neapolitanischen Akademie
von <^r ersten Hälfte des Jahres 1864. Die beigefügten Abhand-
lungen betreffen das Leben und die Schriften unsers Grafen Platen,
Ton dem Mitgliede Eanieri, die Benutzung des Galvanismus zu
topographischen Kupferstichen, von Yuvara, ein lateinisches Ge-
dicht von Pepe beurtheilt von Guanciani, über den Pytagorismus
des Numa durch Corcia; den Schluss macht ein griechisches
Gedicht auf den Tod Gavours, welche Elegie folgendermassen an-
fangt:
^ev! (pevl ItaUtig TcimmxBv ä(f€L6(uc ßeßcuovl
KafuUog Bivaog äkat(o injöi ßlp' tCg ^Qiva Ka^Uklip xal vovv
ivaUyjuog risv.
11 Diavolo rosso, romanso atorico per Cleto Arrichi. L IL UL Voh
Milano 1864, 8. Libreria della politica.
Dies ist der neuste Boman aus der Feder eines sehr beliebten
Mailändischen Schriftstellers, des Doctor Carl Bighetti, von welchem
»der lombardische Freiwillige« besonders gefallen hat, und dessen
»graue Chronik« eine Monatschrifb, die Tagesfrage scharf behandelt,
auch seine »heilige Woche« verdient erwähnt zu werden. Der vor-
liegende rothe Teufel ist aber nicht etwa ein blosses Phantasie-
Gemälde, sondern ist so wie dieser ganze Boman auf geschichtliche
Thatsachen gegründet, welche den für die Weltgeschichte so wich-
tigen Fall der kaiserlichen Macht in Italien umfassen, namentlich
die Zeit zwischen der Schlacht von Benevent, wo König Manfred
dem von dem Papste herbeigerufenen Anjou, dem Bruder des heili*
gen Ludwig unterlag, bis zur Schlacht von Tagliacozzo, wodurch
der letzte Hohenstaufe Conradin, auf das Blutgerüst gerieth. Einer
der Hauptanfänger der schwäbischen Dynastie war ein mächtiger
Vasall in den Abruzzen, welcher unter dem Namen der rothe
Teufel als einer der bedeutendsten Feinde der Franzosen und
Guelfen heldenmüthig auftrat und endete. Sein Yerhältniss zu der
Tochter eines Provencalischen Anhängers der Franzosen bildet zwar
596 Llterttvrberidlit« ans ttaUen.
den rochen Ffbden, 4eT durch diesen EomaQ geht ; allein is^ (hißie
ist eine so treue Barstellung der damaligen Verbältnisse, dasa sehr
viele Urkunden und Hinweisungen mitgetheilt werden. Welch ein
Unterschied zwischen diesem Roman und denen der jetzigen fran-
zösischen Literatur, wo man sich gewöhnlich nur in schlechter
Gesellschaft, selbst in der von Verbrechern bewegt. Hier wird
Theünahme an der Geschichte befördert.
La ConUsse ddla Ouastalla^ per Cleto Arrichi, Milano 1868. 8.
Liöreria deüa poliHca.
Dieser Boman spielt mit derselben Virtuosität desselben Ver-
fassers in der Gegenwart und auch hier muss man demselben
Herrn das Zeugniss geben, dass er es vorsteht, das Leben in
der höheren Gesellschaft treu darzustellen. Dieser Boman spielt
in Mailand und führt uns in die Zirkel ein, welche die politische
Bewegung der Neugestaltung Italiens bewirkt haben« Es ist dies
aber kein politisches oder leidenschaftliches Treiben, sondern das
Leben in der vornehmen Welt, wo endlich der Anstand und die
Vernunft die Leidenschaft besiegt, ohne dass der Verfasser dazu
besonders auffallende Begebenheiten zu erfinden brauchte.
Diseorso del Smatore Conte Selopis del 30. Novembre, Torino 1864.
Tip. FavaU.
Diess ist die Bede, worin der würdige Präsident des Senats
des Königreichs Italien sich gegen die bekannte September-Con-
vention erklärt, wodurdi Turin aufhört die Hauptstadt Italiens zu
sein, ohnerachtet man nicht traut, dass die Franzosen Bom
räumen werden , da sie als die Erstgeborenen der Kirche dem Papste
mehr ergeben sind als die Italiener; Graf Sclopis ist übrigens der
bekannte Geschichtschreiber der Gesetzgebung in Italien und war
der erste konstitutionelle Justiz-Minister. Er hat seine Stelle als
Präsident des Senats niedergelegt, weil er die Massregel der Be-
gierung nicht theilt. Er ist eine der bedeutendsten Persönlich-
keiten des italienischen Herrenhauses, welches aus den verdienst-
vollsten Männern Italiens besteht, obwohl es von dem Könige er-
nannt wird, djcr aber kein Vorrecht der Geburt anerkennt.
Lß rtggenza di Maria Cristina duchessa di Savoia, per A. Basvionu
Torino 1866. Tip. Franco. 8. p. 406.
Die Tochter Heinrichs IV. von Frankreich und der Maria von
Mcdici, M^ria Cristina, heirathete den Herzog Victor Am^deus L
Herzog von Savoien, welcher 1637 nicht ohne Verdacht der Ver-
giftung starb, woraiiif sie durch eine Art verdächtigen Testaments
zur ßeg^ti^ während der Afünderjährigkeit des Nachfolgers er-
nazmt wurde, und unter 4cn^ Namen Madame Bojale bekannt ge-
worden ist. Ihr^ Erzieherin, die Markgräfin MonglaiS kam mit ihr
nach Turin und wurde ihre Obeihofmeisterin. Ein damals erschie-
litterfttnrberldkte m» ItAÜey. 6^7
901168 franzöelsehe« Werk erzählt ihre vielfache^ Liebschaften;
allein nnser Verfasser gibt nur ihr inniges Yerhältniss mit dem
Grafen d*Aglie zu, wobei sie mit Kirchenbesuchen und Geschenken
an Kloster beschäftigt war, aber den Kron-Prinzen Carl Emanuel II.
dergestalt erzog, dass er wenig Neigung zqr Begierung hatte, so
dass sie stets Einfluss behielt, welcher sich besonders Frankreich
zuwandte, Sie war sehr schön und sehr geistreich, auch besonders
die schonen Künste liebend« Für die Geschichte der Zeit des
80jährigen Krieges sind die hier stattgefundenen Verhandlungen
mit Frankreich und dem Cardinal Moritz von Savoien, dem Prinzen
Tommaso von Savoien Carignän und dem Jesuiten Monod, die
diplomatischen Umtriebe und die kriegerischen Ereignisse im Pie-
montesischen von besonderer Bedeutung. Als im Jahr 1648 der
Herzog grossjährig wurde, übernahm er eigentlich nur dem Namen
nach die Herrschaft, welche noch femer in der That durch Madame
Bojale ausgeübt wurde, so dass er auch sehr spät im Jahr 1668 sich
Yorheirathete, in welchem Jahr auch diese Begentin starb, welche
im Ganzen beliebt war. Doch fällt in diese Zeit die heftige Ver-
folgung der Waldenser, bis endlich die Vorstellungen von Holland,
England, Schweden und der Schweiz diesem Blutyergiesen ein
Ende machten. Die als Anhang mitgetheilten ungedruckten Ur-
kunden werden dem Geschichtsforscher willkommen sein.
SonnetH scelii e la Rondinüla dd OrosH, tradotti in disHci Latini
da P. Ranäti. Torino 1864. 8. p. 184,
Dass die klassische Literatur in Italien noch als geistreicher
Zeitvertreib betrieben wird, zeigt diese Uebersetzung der Gedichte
Ton Grossi in lateinische Distichen durch einen Leibarzt am Hofe
des Königs von Italien, wo die Artillerie-Offiziere am meisten ger
achtet werden, weil sie die meisten Kenntnisse sieh erwerben
müssen.
DineoTBO del DeputcUo Mancini ml contermoso amministrativo, Torino
1864. 4. Tip. Botia.
In dem Parlamente des Königreichs Italien wurde ein Ge-
setzesvorschlag beratheu; um die Streitigkeiten, welche sich in Ver-
waltungs-Angelegenheiten ergeben, den diessfi^s bestehenden ge-
mischten Behörden abzunehmen, und an die allgemeinen Gerichte
zu verweisen. Dieser berühmte Rechtsgelehrte und zugleich einer
der bedeutendsten Parlamentsredner erklärt sich bestimmt gegen
solche Ausnahme-Gerichte, und zeigt er bei seiner grossen Kennt-
niss der auswärtigen Gesetzgebungen die Vorzüge der Länder, wo
solche Ausnahme-Gerichte bestehen, gegen die Länder des Rück-
schrittes, wie Oesterreich und Preussen, wo in solchen Angelegen-
heiten die Entscheidung dem gewöhnlichen Richter entzogen ist.
528 Lltetatnrberlclite Uns Italien.
AfPrancamento del TavoUere di Puglia. Relasione dd Deputaio Man--
cini, Torino 1864. Tip. Reale. 4.
Die Apidische Ebene, Tavoliere genannt, welche Theile der
Provinzen Capitanata, Bari, Otranto und Basilicata mnfasst, war
schon In der klassischen Zeit zur Viehweide bestimmt, wohin auch
Yarro seine Heerden treiben liess. »Mihi greges in Apulia hibemabant,
qui in ßeatinis montibus aestivabant.« Der noch jetzt in Italien
hochverehrte Hohenstaufe, Friedrich 11. versuchte diese fruchtbaren
Gefilde dem Ackerbau zugänglich zu machen; doch seine Consti-
tution de animalibus in pascuis affidandis, hatte keinen Erfolg,
vielmehr wurden diese Hindernisse, welche auch König Joseph Bo-
naparte vergeblich beseitigen wollte, durch ein bourbonisches Ge-
setz von 1817 vermehrt. Vergeblich versuchte eine Privat-Gesell-
Bchaft eine Bank' zu gründen, um dieses Land dem Ackerbau zu
gewinnen, und ein Amsterdamer Haus verbreitete viele Actien
derselben Gesellschaft in Deutschland; allein diese Gesellschaft
machte Bankerott und so ging selbst in Deutschland viel Geld
verloren. Endlich hat das italienische Parlament sich dieser An-
gelegenheit angenommen, und der auch in Deutschland wohlbe-
kannte ehemalige Minister Mancini hat den vorliegenden Bericht
als Mitglied des Abgeordnetenhauses erstattet, wornach die bis-
herigen Servituten und emphyteutischen Gerechtsamen mit dem
22. Betrage des Canons abgelöst werden, wodurch dem Ackerbau
ein fruchtbares Feld eröffnet wird.
Oraecarum litterarum noiüia. Seripsit H. OUintis. Auguüat Tauri-'
norum 1864, Ex officina regia.
Diese üebersicht der griechischen Sprache von dem Anfange
der verschiedenen Dialekte bis zur alexandrinischen Zeit, in latei-
nischer Sprache zeigt, dass die Italiener Erben des alten Borns
sind. Allein nicht blos Fachgelehrte, sondern viele Kaufleute und
Offiziere lesen hier zu ihrer Erbauung ihren Tacitus u. a. m.
La banca familiaria italiana di C. Ferraguii, Torino 1864. Tip.
Vercellino.
Hier werden wieder Vorschläge zur Errichtung einer National-
Bank zu Gunsten des Grundbesitzes gemacht; doch alle solche
Versuche müssen scheitern, so lange nicht eine vollständige Beform
des Hypothekenwesens erfolgt, das hier noch ganz französich ist.
Keigebaur.
Si. 34. HEIDELBEBGES 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die nenestea Leistungen in Italien anf dem Gebiete
der EechtswiBBenschaft
Wir haben seit einer Reihe von Jahren in diesen Jahrbüchern
den deutsohen Lesern Bericht erstattet ron den Leistungen der
Italiener anf dem Gebiete der Bechtswissensehaft. Wir verweisen
in dieser Beziehung auf unsere Anzeigen in diesen Jahrbüchern
1861, Nr. 46. 1863, Nr. 26. 42. 56. 1864. Nr. 15. unsere Les«
werden sich überzeugt haben, dass in Italien ungeachtet
mancher ungünstigen Verhältnisse, da fortdauernd unter den auf-
geregten politischen Zuständen die Geister zuviel durch politische
Diseussionen in Anspruch genommen sind, und ungeachtet der Hin-
denuBse, welche der mangelhafte Zustand des Buchhandels in Italien
den Gelehrten in Bezug auf Herausgabe ihrer Schriften entgegen«
setzt, dennoch der wissenschaftliche Sinn nicht in Italien erstorben
ist und auch auf dem Gebiete der Bechtswissensehaft fortdauernd
Werke erscheinen, die der allgemeinen Aufinerksamkeit würdig sind.
Nicht unbemerkt darf noch bleiben, dass immer mehr in Italien
die Blicke der Gelehrten auf deutsche Arbeiten gerichtet sind, im^
besondere philosophische deutsche Schriften in Neapel bekannt sind
und selbst übersetzt werden. Z. B. die Werke von Hegel und
Abrens. Auch ist es beachtenswerth, dass in italienischen Städten,
z. B. in Bom, Neapel, Turin (wo Löscher mit Eifer thätig ist)
immer mehr deutsche Buchhändler sich niederlassen, und rechter
wissenschaftliche Aufsätze deutscher Zeitschriften durch Ueber*
Setzung in italienischen Journalen in Italien verbreitet werden.
Einen beachtenswerthen Mittelpunkt für wissenschaftliche For-
schungen» insbesondere auch rechtswissenschaftliche, bietet die seit
1861 in Neapel gegründete Akademie der Wissenschaften, in wel*
eher eine eigene Abtheilung unter dem Namen: Academia di so&ense
morali e politiche mit rechtswissenschaftUchen Arbeiten sich be«-
sch&ftigt, und wo über die in den Versammlungen vorgetragenen
Abhandlungen ein monatlich veröffentlichter rendiconto im Ausr
zuge Nachricht gibt und die ausführlichen Denkschriften in den
Atti deU Academia veröffentlicht. Die Akademie hat auch auswär-
tige Mitglieder aufgenommen (von England Stuart MiU, von Amerika
Carley, von Frankreich Chevalier, Helie, Cousin, von Deutschland
BobertMohl, Brandis und den Verfasser der vorliegenden Anzeige).
Wir wollen, um unsere Leser mit dem Charakter der Wirk«
samkeit dieser Akademie bekannt zu machen, aus den Monatsbe»
LVnL J9hrg, 7. Heft 84
n^ Lcistnagoi in Xtatta M dem OelMe toReolitswiaMiiMliAft.
richten einige Mittheilongen hervorheben« Im Jahre 1862 trog
BoQQO (der Verfasser eines in drei Bänden 1860 ersehienenem be-
aöfatottgswlirdigen Wei^s: dintta ciTÜe intemasdonale) einen Be-
richt über das der Akademie eingesendete Werk von Bravard-
Te jri^res droit commercial mit den Noten von Demangeat vor. 6e-
dsntend ist in seinem Vortrage die Erörterung (mit der nachfol-
genden Biseuifsion Ton Seite der Mitglieder) der Frage: welche
Onmdsätze über Anwendung der Gesetze auf ansl&ndische Handels-
gesellschaften entscheiden (Bendiconto 1862. p. 12). Pessina, einer der
geistreichsten und gründlichsten Lehrer des Criminalrechts in Italien,
trog eine llx<(viemng über die neuesten Fortschritte der Criminal-
p^litlk in Franknioh Tor (Bendieonto 1862. p. 25—58). Der Bedaer,
nachdem er die neuen französischen Arbeiten von Berenger, Bone-
Villei BlosseyiUe aergUedert hat, spricht sich für die Kothwendig-
keit der Einführung des Zellensystems und der DurehfQhrung des
wt>h]!Ter8tandenen Penitentiarsystems aus; ans der stattgefan-
-denen Disoossion ergibt sich, dass unter den Mitgliedern «jm
grotee Venchiedenheit der Ansichten darüber herrscht, ob die
-Bessenrng Zweck der Strafe sein solL Geietreieh ist die Arbeit
ffm Trinchera über politische Oekonomie bei den Griechen (Beadi-
'nottto 1862. p« 60). Im Bendieonto von 1868 terdient der Vor-
frag (p. Id) Yon Pessina über den Zustand der criminalistisoheii
Ponolrangen in Italien Beachtung ; schfttsbar auch, weil man dai>
4iBB auch Keiminiss von neuen in ItiUien erschienenen joristisohen
Schriften eihftlt. Bine gute Arbeit findet sich (Bendiconto p. 187)
yum. Lamonaco über den Geist des Municipabrechts in dem rönü-
«<)hen Bechte im Mittdalter und in neuerer Zeit. Bocoo liefert
«inen Vortrag (Bendiconto p. 91) über internationales Seereoht unter
•kriegführaiden Nationen. Auf Veranlassung eines Vortrages von Ar»-
bia (Bendiconto p. 98 n. 111) über Mängel des Stra^esetxbuehes
Ar Italien kommen in der Discussion feine Bemerkungen vor, über
"die Gefahren der ro grossen den Bichtern eingerilumten Freiheit
in ^er Stn^ausmeesung; ferner über Entschuldigung des Vaters und
-ISiemanns bei Ausschweifungen der Tochter und Ehefrau, über Ab-
fiftifcmgen der Theilnahme am Verbrechen und über BttokfUle. Pessina
BeMldert (Bendiconto p. 126) den Zustand der Philosophie des
tHMfreohts in Frankreich, vxNrsügUoh mit gerechter Anerkennung
-der neuesten Arbeit von Frank und mit Nadiweisung, dass immer
6iefar Irancüsisehe Schriftsteller über dem Strafrecht von einem
wfssenechallliohen Geiste geleitet aber nicht mit dem Ptincip einer
Hbsokiten Strafgerechtigkeit zufrieden sind, sondern den socialen
Nutzen beachten. Bine ausführliche BriMemng über die in^ der
Logik von Hegdi aufgestellten Kategorien liefert Spaventa (p. ISl.
142) Die neueste Be^sphilosophio von de Luca ist von Lomonaoe
(Bendieonto p. 178) zergliedert, und das Werk von Crisaffali über
"die Veifdieikste der Italiener für Bechtswissenschaft von Arabia
^. 194) angezeigt. Erfreulich ist der wissenschaftliche Au&ohwung
tAMfngm iB iMBeB axtf tan CMiete der BeditfwImBMlisfi HBl
der Bicli in den jorisüsolieii Z«it0ohriltoii ItftHen» ansspriekt. WirlhaW
bereits in diesen Jahrb. 1868. Nr. 56 über die ersten bis 1868 ew
sobienenen Hefte der durch einen würdigsn wiseenschafiliohen Oeist
sieh MDpiehlender, in Neapel erscheinenden Zeitschrift: La Nemesi
Nachrieht gegeben. Im Hefte 8 o. 4 findet sieh ein Aufsatz Ton
dem geistyoUen Gairara (Professor in Pisa) Ober den Terdaoh des
Yerbreohens nnd swar über die in neuerer Zeit darch einen Bechts«>
tijpmth des Toskanisohen Oassationshoft bedeutend gewordene Frage :
ob ein Versach da angenommen werden kann, wenn dieHandlmig
in impetns yerübt ist. Die maisten tüchtigen italienischen Crimi*
oalisten yemeinten die Frage, weil in einem solchen anstände gei*
stiger Verwirmng nicht die sur üeberlegtmg nOthige Oemüthsmhe
mid Zeit Yorhanden ist, nnd so kein bestimmter Dolus angenommen
werden kann. Die von CarTara zur Erlftutenmg der Frage ange«
führten Falle, so wie seine ZergUederong des Wesens des Dolus
sind sehr beachtungswerth. üeber den Charakter des neuen fran«^
zMsehen Gesetzes von 1868, wodurch wesentHehe Aenderungen im
franaösischen Ooda penal gemacht wurden, erklärt sich pag. 154
Belüte. Er gibt mit ünparteilichkevt zu, daes in dem neuen Ge-
setze viele Verbesserungen vorkommen, tadelt aber auch manehe
Versebriften , wobei seine Bemerkungen um so werthvoller sind,
da er überaÜ mit der französischen Gesetzgebung die italienische
vergleicht« Auch über das neue Gesetz von 1868 über flagrant
delit spricht sich Selitto mit Secht nicht günstig aus« Ein merk-
würdiges ümlanfschreiben, worin der Gteneralproknrator (jetzt Justiz-^
minister) Vacea eingeschlichene fehlerhafte Verfahrungsarten im
BIrafjprozesse mit guten Bemerkungen rügt, ist Heft S. 4 p. 216.
bis 223 abgedruckt. Das 5. u. 6. Heft 1864 enthalt p. 248 einen
wohl zu beachtenden Aufsatz von filier in Bologna über Besserung
als Zweck der Strafe. Der geistreiche Verfasser kommt zum Er->^
gebniss , dass Besserung ein accessorisoher Zweck ist, welcher dem
Hauptzweck, dass gestraft wird, untergeordnet sein muss, und zeigt
durch welche Mittel (die Ausfahnmg des Verf. ist in praktischer
B&ehttmg mit Eingehen in alle Einzelnheiten wichtig) die Besserong
bewirkt werden kann. Von p. 298 ist die in Belgien erschienene
Abhandlung von Thonissen über die angebliche Ncthwendigkeit der
Todesstrafe mitgetheüt. Im zweiten Bande der Zeitschrift findet
sich ein bedeutender Aufsatz von Pessina über die Lehre von der
Scpiation als Prinzip des 6trafrechts (Bendiconto 1864. p. 1. n. 65).
Der Verfasser zeigt, dass er mit der Literatur des Strafrechts ge^
nan vertraut ist, und ebenso die Forschungen der griechischen
Philosophen und der Ansichten des Ohristenthums und der im
Mittelalter verbreiteten L^ren (insbesondere auch Thomas d^Aeptin
und Dante) als die Entwickelungen spüterer Juristen, z. B. Hugo
Ototius, aber auch die neuesten Schriftsteller, z. B. Hegel, Abegg
genan kennt. Seine Bemerkungen sind sehr geistreich; nur scheint
eS| daes der Verf. xdAi scharf genug die verschiedenen Biolbtungen
M LdrtnagflB In IteUn auf ans GeUteto der RtebtowtoMMMiMilt
und Anlhssungen der Ezpiationstheorie nnterseheidet , und nicht
^entig beachtet, dass man darunter entweder die mystische Anf-
fassnng von der Versöhnung der beleidigten Gk>ttheit oder die
Wiederrergeltung oder die Sahne yersteht, welche durch Strafe die
beleidigte bürgerliche Gesellschaft; erh<. Was neuerlich Helie du
principe du droit penal p. 75. Trebutien cours du droit penal p. 81
gegen dies Prinzip bemerken, ist wohl gegründet. Ein richtig dies
Wesen der Schwurgerichte erörterndes und die Einführung dieser
Gerichte auch für correctioneUe Fälle »nachweisender Aufsats von
Impriani findet sich im Bande TL. pag. 24 und 91. Wie sehr in
Italien die deutscheu juristischen Forschungen gewürdigt werden,
lehrt der Aufsatz p. 34 u. 105 der eine üebersetzung des im Ge*
richtssaal abgedruckten Aufsatzes von Mittermaier über das eng-
liche Schwurgericht enthält.
Zur richtigen Würdigung des Zustandes rechtswissenschaft-
licher Forschungen in Italien dient rorzüglich noch die Beachtung
der rechtswissenschaftlichen Zeitschriften Italiens. Erfreuliche Er-
scheinungen sind in dieser Hinsicht, dass ungeachtet so Tieler
Hindemisse, die in Italien dem literarischen Verkehre sich ent-
gegenstellen, wo nicht die von Verlegern bezahlten Honorare die
Schriftsteller aufmuntern, doch viele Zeitschriften oft mit grossen
Opfern der Herausgeber veröffentlicht werden und das entschiedene
Streben bewähren, wissenschaftliche Arbeiten zu liefern und zur
Verbesserung der Gesetze beizutragen, zugleich der BUck inuner
mehr auch auf die Leistungen der deutschen Schriftsteller gerich-
tet ist, und die Aufsätze darauf Bücksicht nehmen. Von der in
Neapel erscheinenden juristischen Zeitschrift: La Nemesi ist be-
reits oben gesprochen worden.
In Toskana erscheint seit einer Beihe von Jahren (es sind
jetzt acht Bände in 94 Heften) unter dem Titel: LaTemi. Bivista
italiana di legislazione e di giurisprudenza herausgegeben von zwei
sehr tüchtigen Juristen Panattoni. Der achte Band enthält viele
beachtnngswürdige Aufsätze und zwar in der Bichtung, wichtige
Fragen der Bechtswissenschaft und Gesetzgebung zu erörtern (da-
hin gehören voL Vm. p. 198. IX. p. 298. 480. von Tironi über
Schwurgericht, wobei die Unbestimmtheit der Aufgabe der Ge-
schworenen, welche an coscienza o opinione publica gewiesen wer-
den, getadelt wird, pag. 137 über Beweise im Strafprozesse von
EUer), insbesondere neue Leistungen der italienischen Gesetzgebung
einer wissenschaftlichen Kritik zu unterwerfen (z. B. p. 201. 265
von Scovazzo über das System der Oassation, p. 853 über die
Beform der Hjpothekengesetzgebung von Panatoni, p. 414 und 583
über Umgestaltung des Notariats in Italien von Spagna). Beachtunga-
werth ist die Bichtung von neueren wissenschaftlichen Arbeiten des
Auslandes, insbesondere von Frankreich und Deutschland Nachrieht
zu geben, hauptsächlich mit Mittheilungen aus dem Werke von Bone-
yille und den Aufsätzen des Unterzeichneten. In jedem Hefte werden
LiMaageD ia Italtai maf ätm 0«bi«la dar ReohtswitseMdiali 068
die neuen joristisohen in Italien erschienenen Weike angezeigt, nnd die
^ Sechtssprftche der italieniscben nnd anslftndiBcbenOericlitshÖfe mitge-
theilt. Die in Turin seit fünf Jahren erscheinende Zeitschrift : La
Legge Monitore gindiziario e amministrativo del regno d'Italia
(heransgegehen Yon dem Advokaten Berettaist werthroll, weil sie
die nenen Gesetzesentwürfe für Italien, die Motive, die Berichte der
Kammern nnd oft Anszttge ans den Yerhandlnngen, femer die TTmlanf-
sohreiben der Ministerien, die wichtigen Jahresberichte der Oeneral-
proknratoren, die Entscheidungen der Cassations- nnd AppellationshSfe
mittheilt. Die Zeitschrift enth< aber anch viele bedentende Ab-
hand]nngen Aber wichtige Fragen mid Zweifel in Bezug auf ein«
zebie Bestimmungen der Gesetzbücher nod nicht selten scharfe
Kritiken über nene Gesetzesvorschlftge mid ergangene Rechtssprüche
(besonders bedeutend um die Art der Darstellung in den Schwur-
gerichten kennen zu lernen), so dass man mit Hülfe dieser Zeit-
schrift mit dem Gange der Gesetzgebung und der Rechtsprechung
Italiens vertraut wird, aber auch die öffentliche Stimme über beide
kennen lernt.
In einem höheren Grade tiftgt die in Mailand seit 6 Jah-
ren erscheinende Zeitschrift: Monitore dei tribunali giomale dl
legidazione den wissenschaftlichen Charakter an sich und hat ein
besonderes Interesse ftlr Deutschland, da die Herausgeber Porro
und Gabelli (der letzte ist Verfasser eines sehr guten Werkes über
das Schwurgericht, wir haben es in den Jahrbüchern 1861 Nr. 19
angezeigt) mit den Arbeiten der Gesetzgebung und Wissenschaft
in Deutschland genau vertraut sind, den Werth derselben unpar^
teiisch würdigen, und sich das Verdienst erwerben, in der Zeit-
schrift deutsche rechtswissenschaftliche Aufs&tze übersetzt mitzu-
theilen, aber auch in der Lage sind, unter ihre Mitarbeiter viele
Mftnner zu zahlen, welche der deutschen Sprache ganz mttchtig,
in ihren Aufsätzen die Forschungen der deutschen Juristen und
die Leistungen der deutschen Gesetzgebung benützen. Die Zeitschrift
enthält ausser interessanten Rechtssprüchen die oft einer strengen
Kritik unterliegen und prüf enden Anzeigen neuer juristischer Schriften,
vorzüglich Prüfdng der neuen Gesetzesentwürfe und Rechtseinrich-^
tungen. Sehr beachtungswerthe Aufsätze in dieser Beziehung sind
die Arbeiten des mit allen deutschen Leistungen vertrauten Maltini
über Beform des Civilprozesses (dessen Werk wir unten anzeigen
werden), der gute Bericht der Advokaten der Lombardei und Tos*
kana's gegen die Einrichtung der Trennung der avouös und avocats
(vol. VI. Nr. 6 und der damit zusammenhängende Aufsatz von Costi
in voL VI. Nr. 15 u. 17), der Aufsatz über die Grundzüge einer ge-
rechten Prozessgesetzgebung (1865. Nr. 6), über die beabsichtigte
Einführung der Rechtseinheit in allen italienischen Provinzen (1865.
Nr. 9). Vorzüglich werthvoU sind die Aufsätze von Ambrosoli (Staats«
anwalt und seit 1864 am italienischen Justizministerium) Verfasser
bedeutender Werke, z. B. über das italienische Strafgesetzbuch von
fSM Uttugtt «flf d«iB G«biti« dn lUohto^viMMMhafl ia Itelto.
1369 («ngesMigt m dieien JahrbHoham 1861. Nr. 47). Ihm ▼•r*
dankt man 4iii» grQudlichHten MittheilaB^e& ttbar ne«6 logialotiTe
Leistoagan ul Deutediland^ and tief eingehend« Kritiken acRMV
italienischer GeaetKesentwttrfe (e. B. über den 1864 vorgelegten
Entwurf der AtrafgeBetihOoher vol. 1864 yom 21—29 Ootob^).
Ein guter Aufsatz über Notbwendigkeit der Bevisioa der Oeaetse,
über Besetsoag der Jury findet sich voL VL p. 28.
Die in Venedig seit 15 Jahren erscheinende Zeitsohrift : L'Eco
dei iribmali (herausgegeben von Zajotti) hat ebenÜEkllB für Deuisoh-
land einen besonderen Werth, da sie die Fortschritte der
Qesetsgebung «nd Eechtswissenschaft in Oesterreich beachtend, diese
Arbeiten ebenso wie die von dem Cassationshofe in Wien er-
gangenen Beohtssprüche mit kritischen Bemerkungen mittheilt,
femer die strafgerichtlichen Verhandlungen in den unter Oester-
r^hs Herrschaft befindlichen Provinzen vollständig liefert, vor-
züglich die häufig sehr gut abgefassten Outachten der gerichta-
irztlichen Fakultäten abdrucken lässt Die Zeitschrift enthält aber
auch Mittheilungen von neuen Gesetzen und Verhandlungen des
Anslandesj insbesondere auch von dem Gange der Gesetzgebung im
EjQnigreich Italien (z. B» dio vollstän^gen Verhandlungen des Par-
laments in Turin über Aufhebimg der Todesstrafe), und der deut-
schen Staaten. Es finden sich aber auch häufig gute selbstständige
Abhandlungen über wichtige Lehren (z. B. vol. XV. Nr. 1492—93
ttber Versuch der Verbrechen, über dolus indireotus vol. XV» Nr.
U52); ferner: Erörterung^i über medizinisch-gerichtliche Fragen
(z. B. voL XV. Nr. 1502 über Vergiftung),
Die in Genua seit 16 Jahren erscheinende Zeitschrift : Gaaetta
dei iribunaU hat besonderen Werth für das Studium des Handels-
rechts, da sie aHe merkwürdigen UrUieile der italienischen Handels«
und anderer Gerichte in Handelssachen vollständig oft mit prakt^
sehen Bemerkungen, aber auch die wichtigsten italienischen fiechts-
mrüche in -Gävü- und Strafsachen mittheilt | häufig enthält dio
Zeitschrift auch AbhandlungMi über wichtigOi insbesondere handels-
äeriohtliohe Fragen (z. B. Jahrgang XVn. Nr. 21, über Verp&n«
ung von Schifilen)*
Noch sind drei italienische Zeitschriften zu erwähnen, welche
nur 'einzelne Zweige der Aechtswissenschaft; au beleuchten sich sur
Aufgabe machen. Dahin gehört die in Verona seit 1860 erscher-
i^enike Zeitschrift; II oonsnitore aministrativoi Gtomale di lagis-
laeione, giuri^rudanza dottrina ed interesse «ministrativo redatto
4al Dottore Oar« Bosio. Der Herausgeber hat sich bereits durch
liiehrere Schriften Zi B. dei^ionfliti di competenza, darch die Schrift:
dell eq^ropriazione, und besonders -durch seine Schrift: dei c«n-
ccffsi d'aque dei regno lombardo veneto. Verona 1855 rühmiidi
bekannt gemacht. Wir haben über diese Schriften in den HeideK
Wrger Jahrbüchern 1858 Nr. 47 umständliche Nachricht gegeban.
Wer es waiss» wie in der Lombardei mehr als in jedem andncn
IiaiMb leife langer Zeit die b«Bte WatserceoIitigCdieitsgelnuig gitt mA
die dort bettdienden WaieerreohtBgenoaaeiischaften wioUthätig wir^
km» BUMS den Wexth genaner Mittheilimgtn boch toMteaa» die er
dnroh die Schriften Yon Bosio nnd seiner Zextaohrift enth<. Diäte
mk dem YerwmltimgBreeht gewidmet, nnd Ue&rt ein eeltenes vficbei
Mittexial, indem kier alle Arbeiten der Oeeetsgebnog Itaäene n»t
des Anslandee» ttber OegesetHnde des Yerwaltw^^ereehta» daberanck
tüber die TielbestriUene AdministratiT-Jnftiz , ferner die cSt wiohf*
tigen Verbandhingen nnd^ Beschlüsse der Oongregazione centrale
der Lombardei, nnd die EntsebeidnngMi der Behörden und Qe*
riokte über Fragen des Yerwaltnngsreehts nnd wissensob^fcliohe Ab-
bandlnngen darüber mitgetheilt werden, insbesondere bedeutende
Aofafttie ttber Waaserrecht, Aber OemeindcTerbÜtnisse, Eisenbahnen-
Begleaients (die man sonst schwer sich Terschaffen kann). Niemand
der mit Verwaltmigsreoht sich beschäftigt, sollte diese ZeUschKia
nnbenfttzt lassen. Eine erfreuliche Erscheinung ist das wou Fred
EUer in Bologna herausgegebene Oiomale per raboüzione deUn
pena di morte. Sie bildet einen Mittelpunkt für die Sawiirinng
dar Forsokongen und Erfakrungen in Bezug auf die grosse Frage*
Es gersiekt Italien sur Ehre, dass in diesem Lande das Interesse
ilbr würdige Lösung der Frage sich so l^haft ausq>richt| dass-
eiiiB eigene Zeitschrift dsfür gegründet werden und sieh so erbat*
teo kau, dass bereits 12 Hefte daTon yorlSegen« Ezfreidkh ist
in dieser Zeitsohrift Stimmen aehtungswttrdiger Juristen Bu findent
weleke durch Gründe der Wissenschaft, wie durch praktische Nack*
weiflungen 2u dem Ergebniss gelangen, dass die Todesstrafe weder
nach BeohtsgrOnden gerechtfertigt, noch als nothwendig oder zweck-
mftesig erkannt i^rerden kann. Die Zeitschrift enthilt aber auch ausser.
vielen Abhandlungen über die Itodesstrafs noch anders. Erörtenuir
gen über (Mttngnisseinriohtung , über Schwurgericht, tlber I>adl,
und Ejitiken der neuen Gesetzesentwürfe über Strafireekk
Eine besondere Zeitschrift unter dem Titel: Effemeride ear«
oecario ossia ramministrasione deUe caroeri giudisaarie diretta 4x1
Gav. Yasio. Torino 1865, bisher 5 Hefte, hat die Aufgabe für die
Yarbessemng des GefängnisBwesens zu wirken, und Alles darauf
besttgliche mitsutheilen. Da der Herausgeber selbst Inspektor der
Gefil^nisse des Königmchs ist und die Zeitschrift untsr Anten-
satikon des Ministeriums des Innern ersckeint, so kann sie ein rei-
ches ICalierial lie£sm. Der Geist, in welehem die Zeitsekrift t^äir
girt wird, ist ein edler; entschieden wird die hoke Bedeulbung des
leoUimngssjsfoms heorvorgehoben, aber der praktische Sinn» der de»
Heransgeber leitet, führt in einer unparteiischen Prüteg dmr verr
sekiedensn Sjvteme nnd Yorschläge. Die Leser finden in derZett"
sehrift eine belehrende Sammlung Ton statistischen Naohriohten
fibsr die iialienisehen Geffaignisse (p. 77 u. 188)» gute AUtMd^
hmgen llber die GefiLugnisssystome 2. B. tLber Anwendtttg dflt
Zellenhaft auf Lefaenssaeit und tber DeportatiDn p. 129 n» U4&4j
0B6 LsMaaMi im Itetten auf dem Gebtote der Re^InviamBelMfft
Berichte ttber den Znstand der Strafanstalten p. 277, eine wichtige
Abhandlnng des verdienstycllen Generalinspehtors Peri über Befonn
der Stra&nstalten p. 219, und die miniBteriellen ümlanftobreibea
und Beglements ^ttber Qe&ngnisse.
Wenden wir nns an die neuesten rechtswissensohaftlioben
Werke Itaüens, so yerdienen yorsüglich zwei neue oriminalistiBohe
Werke die Aufmerksamkeit aller Juristen des Auslandes, da sie
auf die ErOrterong des besonderen Theils des Strafreohts, nftmli^h
auf die Lehre ron den einzelnen Verbrechen und Strafen sich be-
ziehen. Bs ist dies die ausftthrliche Bearbeitung unter dem Titel:
Exposizione dei delitti in specie, parte speciale del programma del
oorso de diritto oriminale dettato del Professore Carrara. Lueca
1864. Vol. I., und das Werk yon Mangano diritto penale seccmdo
il Oodice penale italiano con confronto del Oodice penale napole-
tano abrogato. Catanea 1864. Garrara ist neben Pessina in Neapel
der ausgezeichnetste Criminalist Italiens. Wir haben in diesen Jahrb.
1863. Nr. 42 seine früheren Werke, die auf den allgemeinen Theil
des Criminalrechts mit den geistreichen Erörterungen über die allge-
meinen Grundsfttze und Beohtsbegriffe sich beziehen, angezeigt. Das
TOiüegende Werk beschäftigt sich nun mit dem besondem Theüeund der
vorliegende Band behandelt die Verbrechen gegen das Leboi der
Menschen. Der Verf. hat dabei denVortheil, dass er die reiche ita-
lienische, von französischen und deutschen Criminalisten sparsam
beachtete Literatur vollständig benützt, aber auch überall die For-
schungen deutscher und französischer Schriftsteller (man bemerkt
freilich, dass ihm die deutschen Arbeiten nicht genugsam bekannt
waren), ebenso wie die ausländischen Stra^esetzbücher beachtet,
vorzüglich die Bechtsprechungen der italienischen Gerichtshöfe, ina-
besondere der toskanischen anführt und prüft, die einen besonde-
ren Werth haben, da in Toskana früh die Gerichte schon ror dem
Gesetzbuche Ton 1853 einen seltenen wissenschaftlichen Geist, feine
Zergliederungskunst und AufGeissang der Principien des Strafirechts be-
wHhrten, und unter der Herrschaft des neuen Gesetzbuches von 1853
die toskanische Bechtsprechung (auf welche der ausgezeichnete Com-
mentar von Puccioni grossen Einfluss hatte) auf gleiche Art sich
aaszeichnete. Auf diese Art findet man in dem Werke von Garrara
eine in aUe Einzelheiten eingehende scharfsinnige Behandlung der
wichtigsten Streitfragen in der Lehre von der Tödtung. Garrara
theät p. 44 alle Verbrechen in natürliche (solche die ein Becht
angreifen, welches schon nach dem Naturgesetz jedem Menschen
Msteht) und sociale ein. Wir können mit dieser Olassifikation
uns nidit befreunden, theils weil nicht klar ist, was unter Natur-
gesetz zu verstehen ist, theils weil bei jedem Verbrechen in Be-
sag auf die Anwendung des Strafgesetzes es darauf ankommt, in
miUAßm Umfang das positive Gesetz ein Becht (z. B. auf Eigen-
tfanm, Ehre) dnxcb Strafdrohungen schützen wilL Wir wollen, um
dan- Werth des ßucbea vo|i Oarrara zu zeigen, vorzüglich auf einige
te Iteltan auf 4« GebMe d«r
seiner wiebtigsten Aiufhbnmgea aofinerksam maoheii. Der Verf.
hmdelt p. 55 Ton der Wichtigkeit dee Thatbestandee mit An-
ffthrang merkwllrdiger Fftlle p. 57 tmd Ton den versohiedenen
Theorien über Tödlichkeit der Verletzungen p. 60, insbesondere mit
Benehnng anf die toekanische fiechtsprechnng p. 68 — 75. In Be-
eng anf die anch in Dentsohland so viel bestrittene Lehre bei
Fttllen, wo ohne Absieht zn t5dten dnrch Beschädigung der
Tod yemrsaoht wird, wo die italienische Praxis von omicidio preter-
intensionale spricht, zergliedert der Verf. p. 92. 100 scharfsinnig das
Wesen dieses Znstandes im Gegensatze des in Italien mit Ferimento
snssegnito da morte bezeichneten. Sehr gut ist die ErOrt-ernng p. 100
Aber die Arten des dolus nnd die Merkmale der praemeditatio im
Gegensatze des impetns mit Btteksicht anf das schon im oanonischen
Beehte in den Glementinen p. 119 aufgestellte Merkmal, dass eine
Zwischenzeit zwischen Eutschluss und Ausführung verflossen sein
mnss, nnd mit Zergliederung des bedingten Vorsatzes p. 121. Der
Unterzeichnete bedauert, dass der Verf. die Ausführung über Mord
und Todschlag in Goltdammer*s Archiy Band 11. S. 181 und die
neuen deutschen Forschungen Aber Error in persona (wo der Verf.
p. 138 nicht genug die Fftlle unterscheidet) nicht kannte. Der
Verf. kommt zwar p. 498 noch einmal auf die Frage zurtLck, auch
mit Berufting auf deutsche Oriminalisten z. B. Gesterding und Geib.
Ghit ist auch die Nachweisung p. 152, dass das französische Recht
mit unrecht bei dem parricidium den Einfluss der Nothwehr und
der proYOcatio nicht anerkennen will. Bei der Frage: ob Bei-
hülfe zum Selbstmord strafbar ist, prüft der Verf. p. 108. die ver-
sohiedenen Theorien, kommt dazu, diese Beihülfe nicht als strafbar zu
erklftren, wohl aber als delictum sui generis mit Strafe zu bedrohen.
Bei der Erörterung des Giftmords p. 196 bedauert man, dass der
Verf. die deutschen Forschungen und die wichtigen Arbeiten Yon
Tardieu in den Annales d^Hygi^ne legale 1865 p. 103 nicht kannte.
Gut sind seine Ausführungen, um die irrige Annahme gewisser
Merkmale zum Begriffe des Gifts zu zeigen p. 197 und über die Frage,
in wie fern die Quantität des beigebrachten StoffiB Einfluss hat. Die Be-
nützung neuer toxikologischer Forschungen würde den Verf. zu
mancher Modifikation seiner Ansichten bewogen haben. Was er über
Versuchdes Verbrechens sagt p. 204. 217 verdient Beachtung; p 226
zergliedert der Verf. die doppelte Bedeutung des Wortes : assassini.
Beachtungswerth ist die Erörterung des Kindesmords p. 249, ins-
besondere über den Ursprung dieses Ausdrucks p.257. p. 277 über
Bedeutung: neugebornes Kind p. 261, über die irrige AuffiMSung
des Kindesmords im französischen Oode. Das Verbrechen des aber-
tns ist ausftlhrlich von p. 310 erörtert. Zu bedauern ist, dass der
Verf. über die bedeutende Frage des erlaubten vom Arzt zur
Bettung der Mutter vorgenommenen abortus p. 825 die neuen For-
schungen nicht benutzt, und über die neue pftpstliche Entscheidung
der Frage (abgedruckt in der Gazette medicale 1860. Nr. 41.
im liilta Auf 4Mft OaUrta dar
p. 687) rieh niflht erUftrten. Chxt ist die AvifiLhniig, ob Temidi
d«B abortas strafbar iat p. 839. Den Soblnsa des Bandes maoht
die Uniersachnng der Natur der TQdtong in impeia mit ünter-
soheiduig der TOdtung: a) ans gerechtem Zorn, b) ans Schmers,
c) ans Fnreht, s, B. bei Ezzess der Notiiwehr p. 844—407. Hier
finden rieh ton»: praktische Bemerkungen, z. B. über Binflnss der
Provokation p. 867, aber Tödtnng im Banfhandel. Dies Verbrechen
der Todtang ist anch Qegenstand der iweiten oben genannten Schrift
von Mangano, dessen Schrift ftber die Verbrechen gegen Ordnung
dar Familie von nns früher in diesen Jahrbüchern 1868 Nr. 42.
p. 450 angeseigt wurde. Die Schrift von Hm. Mangano (der Verf.
ist Qeneralproknrator in Oalabrien) unterscheidet sich von der des
Oarrara dadurch, dass der letzte die einzelnen Fragen mehr nach
den Prinsipien des Strafreohts, Hr. Mangano mehr praktisch mit
Besiehung auf die positiven Gkisetze behandelt. In der letzten Be-
ziehung ist sein Buch besonders beachtungswerth , weil der Verf.
ausser dem Strafgesetzbuch für Piemont immer auf das neapolita»
nischs Gesetzbuch von 1810, das Decret vom 17. Februar 1861
und die Rechtsprechung der neapolitanischen Gerichte Bückstoht
nimmt. Während Carrara auch auf die deutschen Forschungen und
Leistungen der deutschen Gesetsgebung Rfldteicht nimmt, beachtet
Mangano nur die italienischen und friinzOsischen Gesetze. Herr
Mangano verweilt viel bei dem rSmisdhen Bechte , liebt es aber
sueii viele (oft für die richtige Erkenntniss wenig bedeutende)
Stellen aus alten Klassikern und selbst aus Dichtem unnütiiiger
Weise anzuführen. Auch kann man bei Vergleichung der Ansichten
von Carrara mit denen von Mangano in Bezug auf Bntsoheidnng
einzelner Streitfragen nicht verkennen, dass der Lotste weit stren-
ger als 'der Erste urtheilt. Es ist jedoch Pflicht zu bemerken, dass
Herr Mangano sich p. 74 für die Aufhebung der Todesstrafe ans-
spricht, p. 83 in Note bemerkt der Verf., dass der Ausspruch der
Geschwomen in einem Falle der Anklage wegen Mords, wo sie
das Dasein der Praemeditation verneinten, als Vorläufer der Auf-
hebung der Todesstrafe anzusehen ist. Sehr ausführlich handelt
Mangano (mit vielen geschichtlichen Nachrichten) von parrictdimn
immer abgesondert p. 77 vom filicidio p. 91 vom fratiddio «ad
p. 91 vom conjugioidio. Von Ausfdhmngen des Verf. sind be-
achtungswerth p. 18. 88 die über F&Ue wo der Tod praeter in-
tenttonem, wo die Absicht niicht auf Tödtung, sondern nur auf Be-
sdi&digung gerichtet war, erfdgte, p 300 über Beihülfe zum Seihet-
mord. Auch verdienen viele Bemerkungen des Verf. über Sielhmg
der Fragen an Geschworene Beaditung.
Eine erfreuliche Erscheinung ist die juristische Enojklop&die
unter dem Titel: Tniitato di Enciclopedia giuridica per L.Pepere
(Professor in Neapel) Napoli. Es liegt uns zwar nur die erste Ab-
theüung des eririien Bandes vor; allein sie genügt, um den Geist
dar Arbeit nn zeigen. Wir finden hier einen BchriftsteUer, der mit
lo naUn Mf dem CMUato d«r BMÜtiwiMitaMlMft IV
der gauMn Likeisttir desAvekades rwtrwA isti und iütbMondere
die deatschen juristiBcben Arbeiten wttrdigt. Der Verf. entwickelt
cap. 1 die Idee nnd die Entstehung der Ansicht yon der Aufgabe
einer juristischen Encyklopftdie, in cap. 2 das Wesen nnd den
Qrganisnns einer aolehen Arbeit, cap. 8 die Nator in Entwiek^
lang des Seohts» caap. 4 das Yerhältniss Yon Moral nnd Recht mit
Beziehung auf die Torstehenden Auffassungen im Alterthnni (z. B«
bei Plato) jond in der modemea Welt, cap. 5 entwickelt dasVer«
hftltniss der Yeninnft und des positiven Rechts, cap. 6 das Wesen
der Bechtswissenschaft und cap. 7 das Yerhältniss der Oesetz-
gebung. Ueberall durchdringt ein philosophischer Geist und eine
würdige Benutzung der Geschichte die Forschungen des Yerfaeeer^
Der durch mehrere Schriiten, insbescmdere sein 1858 in Turin
eiBchienenes Werk : n diritto de punire e la tutela pönale bekannte
Schriftsteller Poletti erGrtert die Idee des Rechts in seinem neuen
Werke : la Giustizia e le leggi universi di natura, principi di filo«»
Sofia positira applioati al diritto criminale. Cremona 186.4. YoL I.
Wir finden in dem uns vorliegenden ersten Band beaohtungswerth
die Forschungen über ZurechnungsfUhigkeit p. 148 und Yerantwort-
lichkeit, wobei man nur bedauert, dass der YerfL zu sehr bei all-*
gemeinen i^ilosophisohen Bntwickelnngen ohne Benützung der hier
so wichtigen psychologischen, physiologischen und psychiatrischen
iPorschungen stehen bleibt, was insbesondere bei seiner Prüüang
dea Wesens des Willens cap. XY als naohtheilig sich zeigt. Manche
beaohtuagswerihe Bemerkungen finden sich in den Erörterungen
über die Einflüsse, durch welche die Yerantwortlichkeit modificirt
wird, nnd zwar im cap. XYI. p. 220 durch das Gesetz der ripro-
duzione, cap. 17 durch die Erziehung, cap. 18 durch die Religion,
cap. 19 durch die Legislations- und Yerwaltungsth&tigkeit, cap. 20
duroh die ökonomischen Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft.
Im cap. XI versteht der Yerf. unter Gesetz der riproduzione, die
Gesetze, welche die originelle Thätigkeit des Menschen bestimmen,
wobei der Yerf. neue physiologische Forschungen benutzt ; man be-
dauert nur, dass der Yerf. statt eines gründlichen Eingehens mit
allgemeinen Andeutungen sich begnügt.
Wir werden im folgenden Aufsatze von den neuesten juri-
stiaoheii Arbeiten der Italiener die Schrift von Bemmola delle
obiigazioni naturalis Napoli 1864 die Schrift von Gianelli föndamenti
e piani di legislazione ed amministtasione della igiene poblica nel
regno dltalia , die neue Ausgabe von Gandolfi medicina forenee
uad das Werk von Borsari Giurispmdenza ipotecaria dei vari steii
d'Italia» Ferri^a 1859. Bosio prcgramma über Rechtsnntemioht und
Maltüii^s Schrift: riforma deUa procedura oivile anzeigen.
MitteriMtter
UO Gfledi, uad laftete. Belurtftotoner von Haupt n. Sanppc
ftrieehisehe und lateinische SchriJMeller yon Hanpt
und Sanppe.
Homer' $ Iliade. Erklärt von J. ü. Fae$i. Erster Band.
Vierte beriehtiate Auflage. BerHn, Weidmann'eehe Buehhand-
lung. 1864 US 8. 8.
Sophokles. Erklärt von F. W. Sehneidewin. Erstes Bändr-
ehen. Allgemeine EifOeOung. Aias. Philoktetes. Fünfte Auf*
läge besorgt von A, Nauek. Berlin u. s. to. 1865. XU und
348 8. 8,
Ausgewählte Reden des Demosthenes. Erklärt von A. Wester^^
mann. III Bändehen. (XXIII.) Rede gegen Aristokrates. (UV.)
Rede gegen Konon. (LVII.) Rede gegen Eubülidea. Zweite
verbesserte Auflage. BerHn u. s. w. 1865. 175 8. 8.
Ausgewählte Biographien des Plutareh. Erklärt von C. 8inte^
nis. Zweites Bändelten. Agis und Cleomenes. Tiberius und
Cajus Qraeehus. Dritte verbesserte Auflage. Berlin u. s. w.
1865. 178 8. 8.
VirgiVs Oediehts. Erklärt von Th. Ladewig. Erstes Bänd-
chen. Bueoliea und Oeorgica. Vierte vidfaeh berichtigte und
vermehrte Auflage. Berlin u. s. w. 186h. VI und 197 8. 8.
Cieero's ausgewählte Reden, Erklärt von Karl Halm. V.
Bändchm. Die Rede für T. Annius Müo^ für Q. Ligarius
und für den König Deiotarus. Fünfte vielfach verbesserU
Auflage. BerUn u. s. w. 186h. VI u. 158 8. 8.
Cieero's Brutus De elaris oratoribus. Erklärt von Otto Jahn.
Dritte Auflage. Berlin u. s. w. 1865. 189 8. 8.
M. Tullii Cieeronis De natura deorum libri tres. Erklärt von
Q. F. 8ehoemann. Dritte, verbesserte Auflage. BerUn
u. s. w. 1865. IV u. 268 8. 8.
Cornelius Taeitus. Erklärt von K.Nipperdey. Erster Band i
ab exeesso divi Augusti. I — VI. Mit den VariarUen der Floren-
tiner Handschrift. Vierte, verbesserte Auflage. Berlin u. s.w.
1864. XXXVI und 870 S. 8.
Die hier aufgeftlhrten Ausgaben, sftmmtlicb Theile der Ton
Haupt und Sanppe herausgegebenen Sammlnng olassischer Schrift-
steller, griechischer wie lateinischer, sind in ihren früheren Auf-
lagen bereits hinreichend bekannt geworden, und haben bereits eine
solche Verbreitung erlangt, dass ein näheres Beferat darüber in
der That überflüssig erscheinen kann. Es wird daher hier nur das
Verhältniss anzugeben sein, in welchem diese neuen Auflagen zu den
früheren und Torausgegangenen stehen, und hier zeigt es sich dann
bald, dass bei den meisten mehr oder minder beträchtliche Ver-
änderungen stattgefunden haben, ohne dass jedoch Plan und An-
lage des Ganzen dadurch einer Veränderung oder Umgestaltung
OrlMh. und latebk SeldrIIMtItar tM Haupt nid Sanpp^ 541
iint«il6gen wftre. Im Gegentheil, man miutte wohl um so mehr
darauf denken, bei dem dem ganzen unternehmen zn Ghmnde ge-
legten Plan nnd einer daran sich getren ansohliessenden Ans-
fühmng stehen zn bleiben , als Beidem eben der Beifall, welcher
diesen Ausgaben zn Theil geworden, nnd die Verbreitung^ die sie
namentlioh auf Schulen erlangt haben, zuzuschreiben ist« Es haben
daher auch bei den in Folge dessen nothwendig gewordenen neuen
Auflagen die Herausgeber dieser gflnstigen Aufnahme dadurch zu
entsprechen gesucht, dass sie bemttht waren, ihr Werk jedesmal
einer genauen und wiederholten Durchsicht zu unterwerfen, dabei
Ton Allem, was für die Gestaltung des Textes, wie für die Er-
klArung ihres Autors inzwischen irgendwo geleistet worden ?rar,
Notiz zu nehmen, und ftir die neue Auflage zu verwerthen, Ein-
zelnes, was ihnen minder richtig erschien, zu berichtigen, um so den
neuen Ausgaben immer grossere Vollkommenheit und Brauchbar-
keit, namentlich für die Schule zuzuwenden. Es gilt diess Ton
der an erster Stelle oben angeflihrten yierten Aiäage der Ho-
merischen Ilias, deren erster Band mit der Einleitung und
den zwOlf ersten Oesftngen hier vorliegt, insbesondere aber gilt
diess Yon der in fünfter Auflage hier vorliegenden Bearbeitung
des Sophokles durch Schneidewin, welche nach dessen 1856 er-
folgtem Hinscheiden in theilweise dritter und vierter Auflage
von demselben Gelehrten besorgt ward, der nun auch die Besor-
gung dieser neuen fünften Auflage übernommen hat* Da er mit
dem Erscheinen dieses Bftnddiens den Kreislauf der sieben Sopho-
deischen Stücke abermals durchmessen hat, so glaubt er diese (Ge-
legenheit zn einem Bückblick auf das von ihm Geleistete benutzen
und über das sich ntther aussprechen zu müssen, was er als seine
nftohste Aufgabe bei der ihm, nach dem Wunsche des ersten Be-
arbeiters, von dem Verleger übertragenen Arbeit betrachtete. Wenn
eine völlige Umgestaltung derselben anf&nglich keineswegs in seinen
Absichten lag, wenn die eigenthümlichen Vorzüge der überkomme-
nen Arbeit gewahrt und nur einzelne Mängel, die als solche aner-
kannt waren, beseitigt werden sollten, so überzeugte er sich doch
bald, dass er bei dieser blossen Beseitigung einzelner Mftngel oder
fishlerhafter Oitate u. dgl. nicht stehen bleiben konnte, sondern
vielüeudi in der Fassung des Textes wie in der Erklärung den eige-
nen Weg zu gehen genöthigt war, wenn der Zweck des Ganzen
erreicht und ein den Bedürfhissen des Schülers, sowohl was den
Text als was die Anmerkungen betrifft, völlig entsprechendes Werk
geliefert werden sollte. Wenn daher auch von dem neuen Heraus-
geber Manches, was der frühere behauptete, geändert worden, und
wir glauben auch, nicht ohne Grund, so ist diess doch geschehen»
ohne dass darum eine Polemik gegen den ersten Herausgeber ge-
führt, oder eine Art von Discussion in Besprechung der verscMe-
denen Meinungen oder Erklärungs- und Bessemngsversnche ein-,
geleitet worden, da Beides hier nicht am Platze gewesen wäre. In
m .tifMk tmd liNo. 8eMitetan«r von S*iipt ü. Sav^^^«.
dtr Bohandliiiig des Tozles hat siob cUr nave HenuMgeber atfwggr
«n den Oodex LaiuraituuraB gelialten, so daes er in dem kritiae^Ni
Anhang ba erster Stelle sogar eine AnflfÜhning aller der weieni*
liehen Abweichungen seines Textes von dem Text dieser Hand*
s^rift gibt, nnd dadnroh einem Jeden die Mittel, eine Prflfting
seines ganzen Yerfobrens anzustellen, an die Hand gegeben hat.
Dazu dient aber auch noch weiter die in dem kritischen Anhang
an zweiter Stelle folgende Besprechung einzelner Stellen, in welchen
das, was rom Vorgänger stammt, durch Beifügung der Namens-
chiffire Ton dem, was dem neuen Bearbeiter zuäut, sorgfiUtig ge-
schieden ist: »dieser Thttl des Anhangs, bemerkt der Herausgeber
a. VII, bietet einerseits eine gedrängte Bechenschaft über dia
wichtigeren gegen die handschriftliche Autorität Torgenommenen
Neuerungen, andrerseits eine Anzahl eigener oder feemder
VerbessanmgSTorschläge, die in den Text zu setzen ich Bedenken
trug. Nicht selten habe ich die interpolirte Vulgata in Eraaage-
lung eines Besseren oder aus Scheu yor gewaltsamen Aendenmgen
gedbiüdei, nur an sehr wenigen Stellen sind dagegen zu Ghinsten
der Lesbarkeit solche Vermuthungen zuerst eingefnhrt worden, an
deren Bichtigkeit ich selbst zweifelte.« In dieser Beeprediung haben
auch die inzwischen von andern Gelehrten bis in die neueste Zeii
gemachten Vorschläge Erwähnung und Beachtung gefunden; das
ßkiohe ist durchweg bei der Erklärung geschehen, wie diess
bei einer näheren Vergleiehung bald wahrzunehmen ist, auch ohne
dass wir diess im Einzelnen nachzuweisen yersuchten. Was die
lyrischen Abschnitte betrifft, so ist am Schluss, hinter dem kriti-
schen Anhang eine üebersioht der Metra derselben beigefügt. End-
lich ist auch in der allgemeinen Einleitung^ welohe über das Leben
Sophodes und über seine Dramen und dramatische Kunst in zwei
Abschnitten sich Tcrbreitet, so wie in der besondem Einleitung zu
den beiden in diesem Bande enthaltenen Stücken (Ajas und Phi-
kotet) mit gleicher Sorgfalt verfahren worden.
Die beiden neuen Auflagen der Demostheniechen Beden
wie der Biographien Plutarch's lassen in ähnlicher Weise eine
sorgfältige Durchsicht erkennen , namentlich in Bezug auf die
Anmerkungen, die sich mit weiser Auswahl nur auf soldie Punkte
besshränikeny in welchen wirklich dem Schüler eine Nachhülfe er-
wünscht sein mag: im Uebrigen ist in der Anlage des Oansen
keine Aendemng eingetreten.
Die Bearbeitung des Virgilius, die hier in vierter Auf-
lage nach nur kurzen ZwischemUnnien, in denen die einzelnen Auf«
lagen, aufeinandergefolgt sind, erschabit, kann in jeder dieser Auf-
lagen zeigen, mit welehem Eifer der Heransgeber bemüht war,
sein Werk flttr den Zweck der Sehnle immer nützlicher zu gestal-
ten; alle die in^wisohen erschienenen Arbeiten, kritischer wie eoro-
geäscher Art über Vir^ns hat er zu Batha zu ziehen nnd ar-
fiif deriichen Falls zu benutzen gesucht. Und so sind es bei dieser
OrMhi tmi UMxu SihHftelclkr tm Bm]^! «• 6atipp#. 048
irtffrtaii Auflage insbesoiklere Pe6(ri)cMip>*8 Btttovkungiii la daa
Biogen «nd so den Gkorgiois im zelnteii Bude der Mnanotjne
geweseDy welche sn einzelnen Aendemngen, so wie insbeeondere xa
einebnen nenen Bemeikimgen YeronlaesiiBf^ gegeben haben, wtth^
read Binigee von den früheren Bemerkongen hier nnd dort durch
die Beseeretellnng dee Textes wegfallen konnte: und hat dieser
umstand den Heransgeber yeranlasst, in dem Anbang S. 187 ff.
ein Yeneicbniss aller der in jenem Iftngem Aufsätze zn diesen Oe»
diofaten Yirgil's Torgebraohten Co^jectoren Peerlkamp's sn geben,
womit die Angabe der Abweichnngen seiner Ausgabe Ton dem Texte
Bibbeek*s wie von der dritten Auflage der kleineren Wagner'schen
Ausgabe und die Besprechung einzelner, mehr oder minder in ihrer
Fassung bestrittenen Stellen verbunden ist. Das kritische Ver-
fahren des Herausgeber's liegt offen vor und kann von Jedem hiernach
geprOfb und gewürdigt werden : auch der Tielfach von der neuesten
Kritik angefochtenen nnd als unttcht ausgestossenen Verse wird
am beireffenden Orte stets gedacht: aber der Torsiditige uad mit
seinem Dichter und dessen Oedanken und Ausdmdksweise wohl
vertraute Herausgeber ist fem davon, solcher Hyperkritik sofort
Folge SU gebwi und haltloser Schwindelei die wohl beglaubigt
handschriftliche üeberlieferung preiszugeben.
Wir können hier nicht weiter in das Einzelne eingehen, und
eine Reihe von Stellen einer näheren Besprechung unterziehen, weil
diese dieser Anzeige fem liegt, zweifeln aber nicht, dass Jeder,
welcher sich näher umneht, bald die gleiche Wahrnehmung machen
wird. Auch Aber die Brklärang, d. h. über die unter dem Text
befindlichen, erklärenden Anmerkungen, so wie über die vorgesetzte
Einleitung, die in kurzer Zusammendrängung das WesentlielMte von
dem bietet, was wir aus VirgiVs Leben wissen und damit eine
eine kurze, aber gute Charakteristik seiner Schriften verbind^,
können wir uns kurz fassen: denn was durch drei Auflagen be**
kannt ist, bedarf keiner weiteren Darlegung. Nur so viel können
wir versichern, dass auch das Neueste, was für diese Gedichte
Virgil's vorgebracht worden, Beachtung gefunden, wie z. B. um
doch wenigstens Einen Fall der Art anzuführen, die Ergebnisee
einer über die Abfossungszeit der Eklogen gelieferten, ausführlichen
Untersuchung von Schaper, die mit den Annahmen dee Herausp
gd^ers mcht in üebereinstimmimg steht, auch, wie wir gknben,
kaum ihn veranlassen werden, seine Ansicht zu ändern, namentUeh
was die drei letzten Eklogen betrifft, deren Abfassung nach Schaper
in die Jahre 727—729 u. c. fallen soll, während nach Ladewig
die Abfassung der letzten zehnten Ekloge in das Jahr 37 v. Ohr.
(d. i. 717 u. c.) fällt, und in das unmittelbar vorhergehende die
siebente, was auch ims richtiger zu sein scheint.
Bei der dritten Auflage des Ciceronischen B r u t u s ist gleich*
falls in Bezug auf Kritik und Erklärung vor Allem dem, was seit
der zweiten Bearbeitung über diese Schrift irgend wie zu Tage
6U CMeoK und lAtaiii. fiMutfMelkr tm Htnpt «i. 6a«pp«L
getreten war, ein erBprieslicher Oebraneh gemaoht worden i und
rechnet der Herausgeber dahin insbesondere die Anagabe YonKayser
nnd Fiderit, und anderweitige Arbeiten dieser Gelehrten Uber Äeie
Schrift, dann die Bemerkungen von Bake, Koch nnd Campe. Aach die
fttnfte Auflage der drei Giceronischen Beden von Halm kann
sich mit Becht eine vielfach verbesserte nennen, indem eben so
.wohl in den jeder Bede vorgesetzten Einleitungen, wie in den
deutschen Anmerkungen Manches anders nnd schärfer gefasst, Ein-
seines auch berichtigt oder ergänzt worden, ohne dass der ümiang
des Ganzen dadurch wesentlich verändert und die fiLr die Schule
zunächst bestimmte Ausgabe ihrem Zwecke entfremdet worden wftre,
was durchaus nicht der Fall ist. Dass für die Bede für Milo die
inzwischen erschienenen Ausgaben von Wagner und Bichter nieht
unbenutzt blieben, konnte man bei der Sorgfalt und Umsicht des Her-
ausgebers erwarten. Die in dieser Bede wie in den beiden andern
aufgenommenen Ooigecturen sind auf einem Schlussblatt S. 158 zu
bequemerer üebersicht zusammengestellt : sonst ist im Wesentlichen
der Text gegeben, der in der grosseren kritischen (Züricher) Aus-
gabe des Verfassers vorliegt, und jedenfalls derjenige ist, welcher
nach den vorhandenen Mitteln der Urschrift nach am nächsten
kommt.
Dass der Text derselben erneuerten (Züricher) Ausgabe des
Oicero auch deijenige ist, an welche die dritte Berarbeitong der
Giceronischen Schrift De natura deorum sich im Ganzen an-
schliesst, wird kein Befremden erregen. Erstmals im Jahre 1850
erschienen, hat sie eines nicht geringen Beifalls sich er&eut, anf
den man wohl um so mehr Werth legen kann, als es sich hier ja
nicht um eine Schrift handelt, die in Schulen gelesen wird — wozu
sie nach unserer Ueberzeugung sich minder eignet, wie denn auch
der Herausgeber selbst schon bei der ersten Ausgabe sich dahin
aussprach, dass diese Schrift auf Gymnasien nur von gereiften Jüng-
lingen gelesen werden dürfte — wohl aber in diesem OiceroniBchen
Werk eine Schrift vorliegt, deren Studium einem Jeden, der mit
alter Fhilosophie und Beligion sich beschäftigt und in diese eine
richtige Einsicht gewinnen will, unerlässlich ist, zumal dieselbe uns
jetzt eine ganze untergegangene Literatur ersetzen muss, dadurch
zu einer unserer wichtigsten Erkenntnissquellen der alten Philo-
sophie geworden ist, und desshalb nicht hoch genug angeschlagen
werden kann.
(Schluss folgt.)
It. 36. HEIDELBEBGER 1865.
JABRBÜCHER DER UTERATÜR.
Grieclilsche und lateimsclie Scliriftsteller toh Haupt
und Sanppe.
(SohlvBS.)
Man ist freilich gewohnt, die Missachtimg des Cicero , in der
sich die neueste Zeit gefällt , auch auf seine philosophische Schrif-
ten ausgedehnt zu sehen: wir freuen uns, solcher Auffassung das
ürtheil eines Veteranen unserer Literatur, wie der Herausgeber
dieser Schrift es ist, entgegen halten zu können, zumal dasselbe
in der neuesten dritten Ausgabe noch verstärkt und erweitert
worden ist. £r überschätzt den Werth der philosophischen Schrif-
ten des Cicero keineswegs, er erkennt ihre Mängel und die man-
cherlei Missverständnisse an, auf welche wir hier und dort, auch in
der Schrift De natura deorum stossen, und hat in seinen Anmerkun-
gen selbst darauf hingewiesen (wir erinnern z. B. an die Bemerkung
ZUI9I9 S. 87, wornach Cicero selbst nicht recht verstanden, was er
schrieb), aber er will nur den richtigen Maassstab an diese Schrifb-
ten gelegt wissen, nach dem, was Cicero selbst beabsichtigte und nach
der Art und Weise, wie er arbeitete. Indessen, so schliesst der
Verf. seine Erörterung S. 23, »dergleichen Mängel dürfen uns nicht
hindern, Cicero*s Verdienste auch als philosophischen Schriftsteller*s
dankbar anzuerkennen. Er vor Allen hat die lateinische Sprache
zur Behandlung philosophischer Gegenstände ausgebildet: er hat
mehr als Andere die Beschäftigung mit der Philosophie unter sei-
nen Landsleuten befördert und erleichtert: ihm endlich verdanken
wir die Eenntniss vieler Partien der antiken Philosophie, die uns
ohne ihn gänzlich unbekannt sein würden und so geringschätzig
auch Dieser oder Jener heutzutage über Cicero's philosophische
Schriften zu urtheilen sich beeifert, ihre bedeutende und für die
Geschichte der Philosophie einflussreiche Wirksamkeit wird sich
doch nicht in Abrede stellen lassen.«
Weil demnach die Leetüre dieser Schrift über den engeren
Kreis der Schule reicht, und der Inhalt insbesondere es ist, der
uns zu derselben führt, so hatte der Herausgeber gewiss Becht, in
seinen Anmerkungen vorzugsweise die sachliche Erklärung ins Auge
zu fassen, weniger in grammatische oder sprachliche Erörterungen
sich einzulassen, als vielmehr den richtigen Sinn der einzelnen
schwierigeren SteUen anzugeben und hier insbesondere die philoso-
phischen, von Cicero vorgetragenen Lehren, unter Hinweis auf die
LVm. Jahrg. 7. Heft 85
IM Orieelu und Uteiik Sokriftiteller tob Haupt m 6»nppd.
griechische Quelle, in's Licht za setzen. Das letztere ist nament-
lich auch in der jedem der drei Bücher Yorgeaetsten Angabe des
Inhalts geschehen, auf die Weise, dass an die genaos Angabe des
Inhalts sich eine weitere Betrachtang über denselben und über die
Qnellen desselben im Aligemeinen knüpft, da Cicero auch in dieser
Schrift wie in andern sich vorzugsweise an diese griechischen
Quellea hält, so dass , wie es S. 23 der Einleitung heisst , seine
philosophischen Schriften in der Tbat wenig anders sind als Ueber-
setzungen oder Auszüge aus griechischen Vorgängern, woraus sich
eben manche Missverständnisse, auf die wir hier und dort stossen,
und selbst einzelne Spuren Ton Flüchtigkeit sattsam erklären.
Eben darum glaubte der Herausgeber diesem Gegenstande, und mit
vollem Recht, alle Anfhierksamkeit zuwenden zu müssen; auch die
Torliegende dritte Auflage zeigt diess, insofern z. B. die Einleitung
zum ersten Buche auf fast zehn Seiten statt der früheren sieben
angewachsen ist, eine fast gleiche Erweiterung zeigt die Einleitung
au Buch n wie au Buch m. und so wird man durchgehende in
der neuen dritten Auflage einzelne Zusätze und Erweiterungen neben
manchen Aenderungen und selbst Weglassungen angebracht finden,
so dass die Seitenzahl des Ganzen, die in der ersten Auflage 235
betrag, jetzt auf 268 gestiegen ist, und zwar mit Einschluss des
Anhangs und Registers (S. 252^ — 268), was beides früher fehlte.
Wenn z. B. bei I, 2 zu der Erklärung des Wortes religio , jetzt
noch die von Cicero selbst De Inyent. IT, 53 gegebene Erklärung
hinzugekommen ist, ebenso wie in der Anmerkung zu 11, 28 über
die Ableitung Ton religare, die der Verf. mit Grund festhält,
zumal wenn man neben 1 i g a r e noch eine ältere Form 1 i g e r e an-
nimmt, so wird man diess nur billigen können. In der Stelle I, 8
(ünde vero ortae illae quinque formae — apte cadentes ad animum
afficiendum pariendosque sensus?) bleibt der Herausgeber bei
dem schon früher von ihm gesetzten afficiendum, was auch
Baiter jetzt aufgenommen und Kühner in seiner deutschen üeber-
setzung befolgt, gegen die handschriftliche Lesart efficiendum,
welche verworfen wird, indem es sich hier um Darstellung der
Platonischen Lehre handele, womach die verschiedenen Mischungen
der Elemente geeignet seien, die Sinnesorgane und mittelst dieser
die Seele zu afßciren und Empflndungen (denn dies sollen sen-
sus hier sein) dadurch hervorzubringen. Wir haben poch immer
einiges Bedenken, indem gerade die Anwendung des pariendos
im Folgenden eher ein efficiendum als afficiendum
erwarten liess, und am Ende sich es noch fragen lässt, ob der
Epikureer, der in seiner übersichtlichen Darstellung der verschie-
deaen Lehren griechischer Philosophie sich so manchen Missgriff zu
dehalden kommen lässt, nicht auch hier ein Aehnliches gethan,
und dem Plato Etwas Anderes zugelegt, als das, was Plato wirk-
lich lehriie. Dagegen in der gleich darauf folgenden Stelle wird
>Sed illa palmaris« beibehalten, was Lesart der Handschriften
Oriedu uad ktdik BchrlftsleUer v<m Haupt m Banppe. 9i^
ist, md dam von ABdem yefmatheten palmaria woU i^^onr»-
zkhen ist. Eben so ist eap. 9 in den Worten: »spatio tamett
qnalis ea fuerit, intelligi non potest, qnod ne in oogitationem
quidem cadit etc.« die Partikel nan, die hier nothwendig, bei-
behalten, ungeachtet sie in den Handschriften vermisst wird. In
der vielbesprochenen Stelle oap* 10: »Atque faaec qnidem restra
Lueili: qnalia vero [cetera] sint, ab nltimo repetam superiorom«
ist der Verfasser dieser schon in der ersten Ausgabe Yon ihm ge-
gebenen Lesart aneh jetzt noeh treu geblieben: wir würden jetzt
statt cetera, was in keiner Handschrift steht, Torzieben alia,
was bei Baiter aus zwei freilich jüngeren Handschrifteit, derLeid-
ner und Brianger, aufgenommen ist, Aueh in der 8telle 11, 41.
§. 104: »quarum (stellarum) ita descripta distinctio est, ut ex
not ata figurarum similitudine nomen invenerint« hat der Ver-
&S8er das von ihm früher aufgenommene not ata beibehalten und
jetzt aoek näher vertkeidigt, iasofom not ata so tiel bedeuten
sqQ als asimadversa et consignata. Wird aber diese Aefl-
denmg notkwendig erscheinen, wenn wür an die kandsehriftlielte
Lesart iiatarum uns halten und ex notarum figurarum si^
Militudine mit Klotz erklären in dem Sinn ron propter si*
Militudinem eum notis figurist Wir wollen diese Naeb*
lese, zu der noch manche andere Stellen Gelegenheit bieten
tonnen, nicht weiter fortsetzen, und kdnnen nooh weniger uns ein*-
lassen auf Anführung aller der im Einzelnen gemachten zwecfc-
m&ssigen Zusätze oder Aenderungen, indem uns der Raum abgeM,
das Alles anzuführen , was fast auf jeder Seite wahrnehmbar Ist.
Nur an den Anhang möchten wir noch erinnern, in welchem eine Beihe
Ton Stellen, die in kritischer wie exegetischer Hineieht Schwierig«-
ketten enthalten, näher und zum Theil auslQhrlicher beeprochen
wird. ^
In der vierten Auflage der Annalen des Taeitus wird
man eben so wenig im Einzelnen die Sorgfalt des Herausgel^ers
rermissen, als selbst einzelne in der Einleitung wie in den
Anmerkungen gemachte Zusätze, zu welchen letztem wir insbe-
sondere die Hinzu^gung von Beleg- und Parallelstellen aus Ta-
eitus, wie aus andern Schriftstellern, bei grammatischen oder
spraohHchen Bemerkungen (wiB b. B. über den Gebrauch Tun apud
I, 6) oder die über yorkommende Personen gegebenen Nachweise
aas den noch vorhandenen Denkmalen (z. B. über die Livta zu
I, 8) rechnen; wir unterlassen weitere Anführungen, die Jeder
leidit bei einer auch nur oberflächlichen Einsichtsnahme maehen
kann, und bemerken nur, wie diese vierte Auflage ebenfalls eine Er-
weiterung zeigt, indem die Seitenzahl, die in der eweiten Auflage
sich noch auf 888 belief, jetzt zu 370 gestiegen ist, ohne die be^
sonders paginirte Einleitung, die ebenfeUs um einigt» Seiten zug^
nommen hat. Und so ist allerdings die Brauchbarkeit der neuen
Auflage erhöht werden: hoffen wir, dass es auch ihr nicht au
6Aft fiomar'ft Odywite von Amels, ft. AdL
LeBom fehlen werde, die zu einem gründlichen Studium des Ta-
citus und zu einer richtigen Erkenntniss seiner Werke eingeführt
werden wollen.
Homer* B Ody$$ee. Für den Sckulgeöraueh erklärt van Dr. Karl
Friedrich Ameie, ProfenorundFroreeUn'amOymnctmum
gu Mühihaueen in Thüringen. Ereter Band. Eretee HefL
Oeeang 1 — YL Dritte vieLfaeh berichtigte Auflage. Leipaig.
Druck und Verlag v<m B. Q. Tetdmer 1866. XXJV u. 176 8.
gr. 8.
Anhang bu Homer* b Odyssee, Schulausgabe von K. F. Am eis,
I. Heft ErlcnUerungen su Gesang J — Vi. Leipzig u.s.v>. 1866.
73 8. gr. 8.
Kaum war im yerflossenen Jahre die zweite Auflage i Ton
welcher wie früher yon der ersten ein eingehender Bericht in die«
sen Blättern (Jahrg. 1861. S. 824 ff. 1862. S. 661 ff. 1863. B. 145 ff.
1864. S. 50) erstattet worden ist, Tollendet, so tritt schon in die-
sem Jahre wieder eine neue Auflage uns entgegen, die in
gleicher Weise, wie die zunächst vorausgegangene zweite, in Allem
die rastlos und unermttdet an dem Werke nachbessernde Hand des
Herausgebers erkennen lässt, der seine wohlgelungene und aner-
kannte Leistung immer mehr zu vervollkommnen und ihrem Zwecke
entsprechender zu gestalten bemüht ist. »In der dritten Auflage,
sagt der Herausgeber, ist wieder vieles geändert tmd hoffentlich
verbessert. Die wesentlichste Aenderung betrifft den Anhang, der
jetzt vom Schulcommentar getrennt worden ist. Diess konnte um
so leichter geschehen, da der Inhalt desselben gleich an&ngs über
den Gesichtskreis der Jugend hinausging. Bei der vorgenommenen
Einrichtung nun war es möglich, vieles zu erweitem, anderes ge-
nauer zu begründen, manches neue hinzuzufügen, je nachdem diess
in den einzelnen Fällen bei der gegenwärtigen Lebhaftigkeit der
verschiedensten homerischen Forschungen rathsam und zweckmässig
schien. Daraus sind einige, wie ich hoffe, nicht verächtliche Bei-
träge zu einem gründlichen Verständniss der homerischen Lieder
hervorgegangen. Wenigstens bin ich* nach Kräften bemüht gewesen,
sicheres übersichtlich zusammenzustellen, schwankendes möglichst zu
befestigen, streitiges einer Entscheidung näher zu bringen. €
Was der Verfasser hier ausgesprochen hat, wird Jeder, der
einen näheren Blick in diese neue Auflage geworfen, bestätigen
können. Wenn in den unter dem Texte befindlichen, zunächst für
den Schüler und den Gebrauch in der Schule bestimmten Anmer-
kungen mehrfach nachgebessert, im Ausdruck Einzelnes schärfer
gefust. Einzelnes auch in der Kürze hinzugefügt, Anderes in
den Anhang verwiesen worden ist, so hat doch dadurch der Charak-
ter des Giuizeni wie es nun einmal in dieser Fassung sich bewährt
Hoiiier's Odyaaee tob Anelt, 8. Aufl. 549
hat, keine Aendernng oder ümgestaltang erlitten: wohl aber kann
diese y wie auch in der eben mitgetheilten Stelle ansgesprochen
worden ist, von dem Anhang gelten, der allerdings eine wesent-
liche Aendernng erfahren hat und von circa 38 Seiten, die er in
der zweiten Anflage einnahm, jetzt anf 72 Seiten gestiegen ist.
Dieser Anhang, welcher in den beiden frtlhem Auflagen den Schlass
eines jeden sechs Oesftnge umfassenden Heftes bildete, nnd, nicht
sowohl für den Schüler, als vielmehr ftlr den Lehrer, welcher diese
Ausgabe gebraucht, bestimmt, Bemerkungen des Herausgebers Aber
einzelne von ihm aufgenommene oder abgewiesene Lesarten, Er-
örterungen über einzelne bestrittene Stellen oder Ausdrücke, nament-
lich in sprachlicher Hinsicht enthält und auf diese Weise zugleich
eine Art Ton Rechenschaftsbericht über das von dem Verfasser
eingehaltene kritisch-exegetische Verfahren bringt, ist jetzt Ton
der Ausgabe selbst getrennt, zu einem eigenen, dieser Ausgabe bei-
gegebenen, sonst aber selbständigen, auch besonders ausgegebenen
Hefte erwachsen, wie solches oben aufgeführt worden ist. Hier sind
nnn nicht blos einzelne Zusätze zu den früheren Bemerkungen hin-
zugekommen, hier und dort Aenderungen in der Fassung der
Erklärung gemacht, auch Alles berücksichtigt was seit dem Er-
scheinen der letzten Auflage über solche Stellen und deren Er-
klärung Yon andern Gelehrten irgendwie bemerkt worden, sondern
es sind auch zahlreiche neue Erörterungen über einzelne Verse, Worte,
Ausdrücke u. dgl., selbst in sachlichen Gegenständen, aufgenom«
men worden, um das m der für die Schule bestimmten Ausgabe
eingehaltene Verfahren und die darin gegebenen meist kurzen Er-
klärungen weiter zu begründen oder zu rechtfertigen und damit
überhaupt die richtige Auffassung und Erklärung der homerischen
Gedichte zu fördern: daher auch die namhafte Erweiterung dieses
früheren Anhangs zu einem fast doppelt so grossen umfang. Es
würde uns zu weit führen, Alles im Einzelnen anzuführen, was in
dieser Umgestaltung oder Erweiterung des Anhangs hinzugekommen,
oder geändert worden ist ; es »wird für Alle, welche das erneuerte
Buch einer näheren Einsicht würdigen wollen, sehr leicht erkenn-
bar seine können wir wohl mit. dem Verfasser ausrufen (S. XXlll.) ;
um jedoch nicht ganz leer auszugehen und unsere Behauptung
wenigstens einigermassen zu belegen, wollen wir nur auf
Einiges der Art hinweisen, was in den Bemerkungen zum ersten
Gesang hinzugekommen ist. Gleich zu den ersten Versen finden
sich neue Bemerkungen über noXvtQOTCog wie Insgösv^ namentlich
auch zum dritten Vers noXXmv d'avd'Qcinan/ tdsv aörsa xal voov
iyvw) ; in der Ausgabe selbst ist die frühere Bemerkung zu noXlSv
Av^gmtmv atfxBa (»nemlich bei nichtgriechischen Völkerschafben,
die fem von einander entlegen und in Sitten unter einander ver-
schieden sind«) jetzt, was wir vollkommen billigen, ganz weg-
gefallen und kurch eine kürzere Erklärung {^noXlAv bis amsa
führt den Relativsatz weiter aus. Sinn: er ist weit herum-
HO Homers OdyBae» v^n AaiAia, 8. Avfl.
gdsomoaen«) ergetzt irordeiu Yers 8 ist die schon früher gegebene
Srkl&rong über ^TstsQÜnf ganz beibehalten worden: es kg wohl
awsh kacuoa ein Grand einer Aenderung vor: desgleichen Ys. 10
zal ^(UVj aU Lesart des Aristarchos für das gewöhnliche wAri^/lv,
Biae neue Bemerkung ist zu Ye. 11 über die Bedeweise ivd*' aklot
fliv ixavz^s hinzagekonunen , eben so zu Ys. 44 über die y2MV^
nfÜTtig ^^dTjvi^y zu Ys. 50 über od'v xs zunächst über die Bedeu-
tung von %£ in dieser und in ähnlichen Yerbindungen, zu Ys. 64,
über dessen Wiederholung un Ganzen, wie zum Theil, zu Ys. 83
über 9olvg)QOvay was wohl mit Recht beibehalten worden statt
d^dqi^Qva. Eine ausführliche Erörterung ist Ys. 92 über alXixoäag
S^4!?üK£ ßovg gegeben, und in dieselbe auch die früher in die An-
merkungen anfgenommene Erklärung des ApoUonius eingebracht
worden. Erweitert ist die Bemerkung über die substantivirten
Feminina der Adjective zu Ys. 97; neu die über iXxa und hxC
oder vielmehr die darüber gegebenen Naoh Weisungen zu Ys. 130;
Zusätze ähnlicher Art sind zu Ys. 149. 151. 152 (über ya^ xs)
gegeben, üeber ^ und 17 ist zu der kürzeren Bemerkung in den
Anmerkungen (zu Ys. 175) jetzt in diesem Anhang eine nähere
Erörterung über den Gebrauch gegeben. Ys. 199, den Bekker
athetirt hatte, wird gut vertheidigt. Ys. 225 hat der Yerf. jetzt
in den Text angenommen: xiq daCq^ xig dal o^ukog oS" inksxo^
als Lesart des Aristarchus, statt xig dh Ofiü/yg^ was in der zwei-
ten Auflage noeh beibehalten war: in einer ausfUfarlicheren Er-
örterung wird nun dai (was denn) statt des einfach anknüpfen-
den 9^ (und was) zu rechtfertigen gesucht, und die Aufnahme von
8cU auch an zwei andern Stellen (ei 299 und x 408) verlangt.
Zur sachlichen Erklärung dienen die Yerweisungen über die a^^nai
Ys. 241, die Zusätze über Dulichion zu Ys. 246, die Bemerkung
über Ephyra, unter welchem das Eleische verstanden wird, bu
Ys. 259, die Zusätze über die sdva zu Ys. 277. Zu dem seltsamen
vr^awa Ys. 297 (vfjTCidag 6%iBLv) ist jetzt eine von dem Sohn des
Herausgebers (Theodor Ameis) stammende Bemerkung hinzuge-
k<Mnmen, zu Ys. 324 über den Gebrauch von l(s6^£og^ zu Ys. 848
über den Gebrauch von fiafivtjfidvos \ über Sinn und Bedeutung
der in der Anmerkung kurz erklärten ^iyoQa fSMOBvxa Ys. 865
wird eben so eine nähere Erörterung gegeben, desgleichen Ys. 881
über oda|; zu Ys« 394 wird die gewöhnliche Lesart («2^ xi oC
ä& oatpvaihv iti^etai x. r. l.) beibehalten und die Gonjectur Sm^a
(für ol Sa) zurückgewiesen , eben so zu Ys. 426 eine gute Be-
merkuilg über die Lage des Pallastee des Odysseus gegeb^. Wir
könnten diese Angaben noch weiter fortsetzen auch über die andern
fünf Gesänge, welche in diesem ersten Hefte behandelt sind, wenn
wir glauben könnt^i, dase diess nothwendig wäre, um zu zeigen,
in welcher Weise der Yerfasser gleichmässig auch in den übrigen
Theüen verfahren ist, da Jeder davon sich leicht überzeugen kann.
Keine der zahlreichen Monographien, meist Programme, in welchen
Homer^t OtfysBee von AmelB, 8. Aiifl« 561
einzelne auf Homer, homerische Sprache nnd Anschammgen he«
zngMche Gegenetftnde verhandelt worden sind, ist dem Verfasset
nnbekannt geblieben und aller Orten ist von dem, was sie Air diese
Bearbeitung Nützliches bringen, entsprechender Oebranch gemacht
worden. Anch davon wird man sieh bei näherer Einsichtsnahmö
bald tlberzengen kOnnen. Wir wollen daher nicht weiter in die-
sen Gegenstand nns einlassen nnd nnr noch eines Ponktes gedenken,
dessen der Yerfiässer selbst in dem Vorwort der neuen Ausgabe
erwähnt hat, wir meinen die homerische Frage ttbeihaupt, insbe-
sondere die Frage nach der Odyssee, ihrer Entstehung und Ab-
&9snng, ein bekanntlich in neuerer und neuester Zeit so vielfach
besprochener und bestrittener Gegenstand, worüber sich der Y&t*'
fasser folgendermassen auslässt: »Da diese Frage in ihren Ziel-
punkten über das Gebiet der Gymnasien hinausgreifk, so ist sie
in vorliegender Ausgabe nicht eingehend behandelt, sondern nur
an einzelnen charakteristischen Stellen berücksichtigt worden.
Manche haben freilich diese Frage gleichsam als Grundfrage be-
trachtet, von der auch die Schulerklärung des Dichters ausgehen
müsse. Aber ein solches Verfahren gilt mir theils als voreilig,
theils als unpädagogisch. Denn man kann die homerische Burg
nicht eher erobern, als bis man die sprachlichen Propyläen er-
stiegen hat. Hierin liegt für's Gymnasium bei der Leetüre Homer*s
die pädagogische Propädeutik. Daher halte ich es mit Nägels-
bach Gymnasialpädagogik, herausgegeben von Autenrieth 8. 145.
Und dabei gestehe ich ganz offen, dass mich die Verhandlungen
der Lachmannianer nicht selten entzückt und vielfach gefördert,
aber von ihrer inneren Wahrheit in Hinsicht auf Grundlage und
Ausführung noch nicht überzeugt haben« (S. XXIII). Man wird
dieser Ansicht eines erfahrenen Schulmannes ihre Geltung nicht
bestreiten können: so wenig gesichert die von der Kritik oder
Hyperkritik unserer Tage über die Entstehung und Bildung der
Odyssee aufgestellten Behauptungen sind, so sicher dürfte es auf
der andern Seite anzusehen sein, dass Nichts dem Schüler den
Genuss der homerischen Gedichte mehr verkümmern, und Lust und
Liebe zu deren Studium entziehen wird, als das Hereinziehen einer
solchen Kritik in die Behandlung der homerischen Gedichte, und
können wir daher es nur vollkommen billigen, dass der Verfasser
in seinen Anmerkungen Alles darauf bezügliche fern gehalten hat
— denn die Erwähnung einzelner, eingeschobener oder verdächti-
ger Verse, die mit der Erklärung und richtigen Auffassung zu-
sammenhängt, kann dahin nicht gerechnet werden, zumal Niemand
daran denkt, das spätere Einschieben einzelner Verse in die home*
rischen Gedichte in Abrede stellen zu wollen — , er hat vielmehr
alles Augenmerk auf die sprachlich-grammatische Erklärung neben
der nöthigen sachlichen gerichtet, und ist in diese Erörterungen
über die angebliche Bildung einzelner Gesänge, über die Zusam»
menwürfelung derselben zu dem vorhandenen (Ganzen nirgends
552 Tanbert: Paul Schede.
eingegangen. Der SohtQer und Leser, welcher die Odyssee mit
diesem Commentar durchgangen und so das Einzelne richtig er^
fasst hat, wird sich dann selbst weit eher ein ürtheil zu bilden
vermögen über diese Frage, als wenn sie ihm von vorneherein,
noch ehe er das Ganze richtig erkannt hat, aofgediUngt wird. Ob
indessen es nicht räthlich wäre, bei einer erneuerten Auflage eine
kurze Einleitung vorauszuschicken, in welcher, ohne Eingehen auf
diese Fragen der höheren Kritik, das Ganze als Gedicht nach sei-
nen einzelnen Theilen zergliedert, dem Schüler vorgeführt und so
Derselbe auf entsprechende Weise in die Leetüre des Gedichts ein-
geführt würde, wollen wir der Erwägung des Verfassers anheim-
geben, Chr. B&hr.
Dn Otto Taubert^ Paul Schede (Mdisnis). Leben und Schraten,
Torgau. Friedr. Jacobs Buchhandlung. 1864. 18 8. 4,
Der Verf. legt uns hier eine Bearbeitung seiner Promotions-
schrift de vita et scriptis Pauli Schedii Melissi vom Jahre 1859
vor. Dankenswerthe bio- und bibliographische Notizen, welche
seine Erstlingsschrifb uns bot, sind hier weiter ausgeführt, die
Verdienste des Dichters nach Gebühr gewürdigt. Zu einer völlig
erschöpfenden Darstellung aber hat dem Verf. ein Zeitraum von
5 Jahren nicht genügt. Auffallend wenig weiss er über die letzten
Lebensjahre des Dichters zu berichten. Und doch geben gerade
hierüber nicht beachtete lateinische Gedichte, welche in den Jahren
1590—1601 Paulus Melissus mit dem Schlesier Mel. Laubanus und
beider Gemahlinnen unter einander wechselten (gedruckt in M.
Laubani musa lyrica, Dantisci Boruss. 1607), interessante Auf*
Schlüsse. Minder werthvoU, aber belehrend über die Beziehungen
zu den Gelehrten Marquard Freher und Hans Lewenklav, welche
dem Verf. unbekannt geblieben, sind mehrere an dieselben gerich-
tete Gedichte in antiquen Metren (gedruckt bei Jo. Leunclavins.
Dionis Cassii histor. Eom. libri 46. Freft. 1592. p. 1 u. 2 und
paratitlonim libri tres antiqui ibid. 1593. p. 14. — M. Freher
rerum germanic. scriptores I und origines palatinae im Eingange).
Auch eines schwungvollen Gedichtes an Kaiser Budolf sei hier ge-
dacht (gedruckt bei Jo. Leunclavius juris Graeco-Bom. tom. duo
Frcft 1596). Keine Ausbeute gewährt ein Gedicht des poeta lau-
reatus M. Gothus Secundus Cheruscus de obitu P. Melissi Schedii
in der Pphandschr. nr. 1912 der Heidelb. Universitätsbibliothek.
Es rechtfertigt unter Anderem die Enthaltsamkeit unseres Dichters,
welcher ja den sonderbaren, von Fi schart verspotteten Poetenein-
fiall hatte, in seinem geliebten Myrtilletnm — denn so latinisirt
er Heidelberg (cfr. P. Melissi Commentatiuncula de etymo Heidel-
bergae et monte Myrtillifero v. Jahr 1598, welche Freher als cap. 9
liobeek'a Akftdamiftelie Reden, tob Lebierdl 56S
in seine oiigines palatinae auftialim) — - mit Posthine einen Mäseig-
keitsverein sn gründen, in den Versen:
Non haorientem pocla Tocayeris
Beete PoCtam. rectins oecnpat
nomen Po^tae, qui liqnore
Pierio sapienter nti
Mnsasque callet yisere sobrins.
Nicht nnerwünscht wäre es, wenn der Verf. aach die nbrigen
Heidelberger Dichter einer eingehenden Betrachtung nnterzOge^
wobei ihm das reiche Material der hiesigen Universitätsbibliothek
sehr zu Statten käme, W.
Äumoahl am Lobeek's Akademischen Bfderu Heraua^egebm von
Albert Lehnerdt, Direetor des kömgl. Oymmuiums 9U
Thom. Berlin. Wtidmanvfsche Buchhandlung. 1866. YIU u.
230 8. in gr. 8.
Lobeck's gesammter litei^rischer Nachlass ist bekanntlich nach
dessen Tod in der königlichen Bibliothek zq Königsberg angestellt
worden: er besteht, wie wir ans der in der Einleitung darttber
gegebenen, ans einem Programme des Jahres 1863 hier wieder-
holten Nachricht ersehen, aus mehr als 130 zum Theil sehr starken
Qnartbänden und zusammengeschnürten Faskikeln, was allerdings
einen Begriff zu geben vermag von der unermüdlichen Thätigkeit
und dem Staunen erregenden Fleisse eines Gelehrten, der »solange
er war, lebte und webte im olassischen Alterthum« (S. 31). Es
umfasst aber dieser Nachlass eben so wohl die verschiedenen von
Lobeck angelegten Collectaneen , in Bezug auf grammatische oder
mythologisch-antiquarische Oegenstände, als die unvollendeten Manii-
scripte der Schematologie, eben so Anderes über die griechischen
Adverbien und über die Composition griechischer Nomina und
Verba u. dgl. m. dann die Collegienhefte und die akademischen
Beden: aus den letzten ist die Auswahl entnommen, welche hier
im Druck vorliegt. Der Herausgeber hat dieselbe eingeleitet durch
eine die akademische Thätigkeit Lobeck*s, wie sie zunächst in die-
sen Beden sich kund gab, darstellende Erörterung (S. 29—70),
welche alle diese Beden, wie sie theils in lateinischer, theils in
deutscher Sprache gehalten worden sind, in chronologischer Beihen-
folge während der langen akademischen Wirksamkeit des Mannes,
von dem Jahre 1814 an bis gegen Ende von 1856 verzeichnet,
nnd dann über Inhalt und Charakter derselben sich weiter ver-
breitet. »Die Oegenwart im Lichte des Alterthums oder das Alter-
thum im Lichte der Gegenwart zu betrachten, das ist im Wesent-
lichen Zweck dieser akademischen Beden. Bei weitem der grosseste
Theil derselben berührt den eigentlichen Anlass des Festes nur
3[urz und geht dann auf einen demselben näher oder femer liegen-
554 Ii6^«eV^ Ak«d«nfBelM Reden, von Lehn er dl
den Gegenstand Über. Solche AbBohweifnng wird entschuldigt
mit der so häufig wiederkehrenden Yerpflichtnng zn reden, die
nm den üeberdrass zn yerhttten, nur Abwechslang nöthigte, oder
mit dem über allen Zweifel erhobenen Werth der zn feiernden
Person, welche eines besondem Lobes nicht bedürfe. Einige
Beden schliessen sich wenigstens in so fem enger an die Yer-
anlassnng des Festes an, dass sie über ähnliche Festlichkeiten
bei den Alten sich verbreiten, n. s. w.« (S. 48). Diesen Charakter
der Reden, wie er in vorstehenden Worten von dem Herausgeber
ganz richtig gezeichnet ist, wird man anch in der Auswahl, welche
hier vorliegt, überall erkennen: nnr kurz wird am Eingang die
festliche Veranlassung der Rede berührt, und dann geht der Red-
ner auf irgend einen andern Gegenstand antiquarisch-historischer
oder literarischer Art über, und fallen hier, vom Standpunkte des
Alterthums aus auch manche Streifen auf die neueste Zeit, und auf
einzelne Richtungen derselben, yn politischer wie in religiöser Be-
ziehung: es fehlen darin selbst nicht Anspielungen auf manche
politische Ereignisse der unmittelbaren Gegenwart; indessen sind
es doch im Ganzen »weniger die äusseren historischen Ereignisse
als die Erscheinungen des inneren politischen, religiösen und wissen-
schaftlichen Lebens, welche das Interesse des Redners in Anspruch
nehmen« und von ihm in irgend eine Beziehung zum Alterthum
gebracht werden« Und da Lobeck in allen diesen Dingen seinen
festen Standpunkt eingenommen hatte, so finden wir überall seine
persönlichen üeberzeugungen, in Sympathien wie in Antipathien,
ausgesprochen, und erscheinen so seine Reden allerdings als »ein
klarer Spiegel seines Innern« (S. 51). Der Herausgeber lässt als
Beleg seiner Behauptung einige grössere Auszüge aus LobecVs
Habilitationsrede und einigen andern Reden folgen, die das nur
bestätigen, was auch aus andern bereits gedruckten und von Lobeck
selbst herausgegebenen Schriften ersichtlich ist und den fest aus-
geprägten Charakter dieses Mannes zeichnet, namentlich auch in
seiner Auffassung der Theologie, die eine streng rationalistische
war, wie wir sie bei dem ihm geistesverwandten, aber an gründ-
licher und umfassender Gelehrsamkeit weit nachstehenden G. J.
Voss antreffen, mit welchem Lobeck vielfach in Beziehungen stand,
die auch in dem früher publicirten Briefwechsel hervortreten: da-
her anch seine Auflassung der religiösen Anschauungen des Alter-
thums, wie sie in dem Aglaophamus eben so wie bei mehr als einer
Gelegenheit sich kund gibt, nicht befremden kann.
Die von S. 71 an gegebene Auswahl aus Lobeck's akademi-
schen Reden enthält vierzig Nummern vom 3. August 1814 an
bis zu dem 15. Octob. 1855, und schliesst somit einen Zeitraum
von ein und vierzig Jahren in sich: dazu kommt noch S. 227
die Gedächtnissrede auf Herbart, welche zwar bereits abgedruckt
ist (in ^er Vorrede zu Herbart's kleineren Schriften von Harten-
stein), aber hier nochmals wiederholt und passend an den Schluss
L^bMVfl Akadcmlaclie Reden, tob L ebb et dt. ftB5
der ganzen AnswaU gofliellt ist. Ungeachtet des l&ngeren Zett-
lanuis, in weloben diese Beden fallen, wird man doch, was deren
Charakter, Fassung nnd Haltung betrifft, eine gewisse Gleiofafaeit
erkennen, die auch in der classisohen Sprache nnd in dem ge*
w&hlten Ausdrack, im Deutschen wie im Lateinischen gleichmässig
zu erkennen ist« Wir wollen diess nur an ein paar Beispielen, die
als Belege unserer B^auptnng dienen sollen, zeigen. Wir wählen
dazu ans der am S. August 1815, also nach dem letzten, glüok-
lichen Ausgang der deutschen Befreiungskriege gehaltenen Rede
»üeber den Glauben des Alterthums an eine über den Geschicken
der Volker waltende Nemesis« , die folgende Stelle. Der Redner,
nachdem er den Charakter der Oesehichtschreibung der ciassiechen
Vorseit hervorgehoben und den zarten, menschlich frommen Sinn,
mit welchem sie die wunderähnlichen Begebenheiten ihrer Tage,
den Wechsel ihrer Reiche, den Fall ihrer Throne aoffassten, f&hrt
dann (S. 84) also fort:
»Umgeben you solchen Bildern der Vergänglichkeit, Ton den
Zeugen der Zerstörung erhob sich das Alterthum zu jener grossen
Ansicht der Weltbegebeuheiten, die unserem im engen Spielraum
alltäglicher Erfahrung befangenen Eleinmuth so räthselhaft erseheiutf
zu dem Glauben an ein imendliohes Schicksal, an ein Gericht,
weiches nicht Einzelne nach Einzelnen richtet, das die Sttnden der
Väter heimsucht an Kindern und Enkeln, das Völker und Jahr-
hunderte in seine Schalen legt und die Gesammtheit ihrer Thaten
abwägt. Denn jedes Volk ist nach dem Glauben des Alterthums
ein ideales (ranze, eine mystische Einheit, deren Theile wie in
einem otganischen Körper sich wechselseitig bedingen und ver-
treten.
Die Geschichte der Völker ist der Spiegel ihres inneren Lebens,
die Tugenden und Laster der Einzelnen gehen aus dem Geiste der
Gesammtheit hervor. Darum, was der Einzelne verbrach, fällt auf
das Ganze zurück, und was die Mehrzahl aussprach, gilt fUr den
einstimmigen Beschluss Aller. Welchen Einfluss dieser Glaube auf
das Leben und Handeln der Besseren gehabt, welchen kühnen
Widerstand gegen jede Entweihung des Volksnamens, welche Auf-
opferungen für das allgemeine Beste er hervorgebracht habe, kann
hier nicht entwickelt werden.
Wie tief er aber in den Herzen jener Völker gewurzelt , da-
von zeugen die Bilder, Sinnsprüche und Sagen, in denen er sich
vielfach ausprägt.
unabwendbar ist, so verkünden sie uns, das Gericht der ewi-
gen Nemesis, und wird es an dem Verbrecher nicht vollzogen, so
rächt es sich au seinem Geschlecbte, es ergreift den Schuldlosen
mit dem Schuldigen, es verwickelt Freunde und Nachbarn in sei-
nen Fall, und wird nicht versöhnt, bis es die letzt» Spur des
Frevels getilgt hat. Welche Vergleichungen bietet uns in diesem
Augenblicke ein benachbartes stammverwandtes Volk dar, dessen
566 Lo1>Mk*8 AkftdemlBclie Reden, yob Lelmerdi
letzte Katastrophe nur als ein Ring in der grossen Kette seiner
Verimingen, seiner Meineide nnd Blntschnlden erscheint, ein war-
nendes Beispiel, wie der einmal ausgestreute Same des Unheils tief
nnd nnvertilgbar in dem Boden wurzelt und ein Geschlecht nach
dem andern überwuchert.
In diesem Geiste feisste Herodot die yerhftugnissyollen Ereig^
nisse der gpriechischen Vorzeit auf als ein grosses Epos, als eine
Reihe zusammenhängender Handlungen, deren eine die andere vor-
bereitet, bedingt, bestraft und belohnt. Und diese Ansicht ist es,
die der ganzen alterthümlichen Geschichtsschreibung den eigen-
thttmlichen Charakter einer fast dichterischen Erhebung giebt, in-
dem sie die Begebenheiten nicht bloss durch das Gesetz der Zeit-
folge, sondern durch eine innere Noth wendigkeit mit einander ver-
bunden betrachtet und sie nicht abgesondert und einzeln, wie sie
sich der sinnlichen Wahrnehmung darbieten, hervortreten Iftsst,
sondern als Bedingungen und Folgen darstellt. Sofort erscheint
ihr nichts mehr als zufä.llig; oft in dem Unbedeutenden, in dem
überraschenden Zusammentreffen von Tagen und Namen erkennt
sie die höhere Leitung. Vielleicht dass Thukydides der einzige
war unter den griechischen Geschichtsschreibern, der, geblendet
von dem Glänze eines hellen sich selbst vertrauenden Zeitalters,
jenes alten Glaubens sich entäusserte und die letzten Ursachen der
Ereignisse in dem Umtriebe menschlicher Leidenschaften und in
unberechneten ZuÜllligkeiten suchte.«
Solche Schilderungen werden auch heute noch wie damals —
im Jahr 1815, also vor fünfzig Jahren, gleiche Beachtung finden.
Von den andern deutschen Reden bemerken wir noch die Bede
über den Glauben der alten Volker an Palladien (S. 94 ff.), über
den Hang der Völker des Alterthums zu religiöser Mystik (S. 102 ff.),
über die Besteuerung der Literaten im Alterthum (S. 182 ff.), über
den Glauben der Alten in Bezug auf Fortschritt und Rückschritt
der Welt TS. 185 ff.), über politische und kirchliche Restaurations-
versuche (S. 196 ff.), über die Aehnlichkeit der königlichen und
priesterlichen Gewalt in Titel und Insignien (S. 216 ff.) u. dgl. m.
Eine ähnliche Mannigfaltigkeit des Inhalts zeigen auch die Latei-
nischen Reden, welche als Muster einer classischen Ausdrucksweise,
die auch moderne Begriffe und Anschauungen in das Gewand des
alten Rom's geschickt zu kleiden versteht, gelten können. Einige
derselben beziehen sich auf Gegenstände des Alterthums, wie
z. B. die Rede De amnestiae apud veteres usu (S. 122 ff.), oder
De politia secreta veterum (S. 125 ff.), De Proteo deorum versu-
tissimo (S. 169 ff.), Caerimoniae quibus Graeci Romanique virorum
principum ingressum celebrarunt (S. 209 ff.), oder sie knüpfen
Neueres daran an, wie z. B. die R>ede: Comparatio fabularum et
superstitionum, quae Graecis communes sunt cum priscis Bomssis
(8. 118 ff) oder: De mira recentiorum Graecorumin superstitionibus
majorum constantia (S. 132 ff), oder sie behandeln Gegenstände allge-
Lobeok*a AkAdemisehe Reden, von Lehnerdi M7
meiner Art^ wie z. B. die Bede : De yitae literariae intenrallis (S. 1 29ff.),
De yetere yitae et scholae dissidio (S. 136 ff.)» oder die Bede:
Quid sit homo« (S. 154 fl.) in welcher sogar die Frage nach der
ursprünglichen Einheit des Menschengeschlechts, in Bezug anf Ab-
stammong nnd Yerbreitnng behandelt wird, oder die Vertheidignngs-
rede: »Philologi maxime Wolfios apostasiae ethnicae et idololatriae
rei fikcti« (S. 161 ff.). Die, wenn auch nicht in ihrem UmÜEUig aus-
gedehnte (wie denn die meisten dieser .Beden einen kurzen Umfang
haben) aber nach Inhalt und Fassung vorzügliche Trauerrede auf
Friedrich Wilhelm m. im Jahr 1840 gehalten: »In memoriam
Friderici Wilh. III. modo mortuic (S. 139 ff.), würden wir, wenn es die
Gr&nzen dieser Anzeige gestatteten, gern hier vollständig mitthei-
len. Um indessen doch eine Probe aus einer Lateinischen Bede
mitzntheilen, greifen wir zu der Bede: De Utopiis veterum ao re-
centiorum (S. 172 ff.) gehalten am 18. October 1845, welche mit
den Worten beginnt: »Quoniam hisce diebus haud paucos tantum
cepit BoH patrii taedium, ut regiones disjunctissimas et inoultas
emigrare parent, haud importunum videtur quaerere, quidnam iis
faeiendum sit, qui neque domesticarum rerum statu delectentur,
neque sperent, se alibi beatius victuros esse. Etenim emigrantium
pars maxima nihil aliud quaerit quam solum fertilius et liberatio-
nem a vectigalibus, servitiis aliisque commode vivendi impedimen-
tis, quibus novi orbis coloni carere dicuntur. Alii enimvero non
haec Bolum expetunt, sed multo magis depulsionem eorum malorum,
quibus libertas animorum opprimitur, hoc est inscientiae, supersti*
tionis, nequitiae, vanitatis.
Hi desiderant ejusmodi civitatis constitutionem , in qua non
solum aequae omnibus leges, aequa jura, sed etiam eadem omnibus
detur mentis excolendae facultas atque Über ad omnem perfectio-
nem oorsus.
Sed nimirum ejusmodi civitatem reperimus nusquam nisi forte
in orbe picto poetarum atque philosophorum , qui quae de hujus-
modi secessibus prodiderunt, hie breviter referam, ut quisque oom-
periat, quo emigrare possit, si rerum praesentium obortum fuerit
taedium neque tamen regionem Texianam vel Mosquitensem adire
meditetur.«
Hierauf folgt die Erwähnung der Wolkenknkuksstadt des Ari-
stophanes, der Platonischen Atlantis, mit Bezng auf die in der
Politeia vorgetragenen Lehren, undPlotin's nicht ausgeführter Ver-
such zur Gründung eines Platonischen Staates; der Bedner geht
dann auf die neuere Zeit über, auf Thomas Morus und dessen
Utopia, auf ähnliche Versuche Anderer, zunächst Engländer, und
schliesst dann mit den Worten: »Verum etiam ex his quae dicta
sunt jam satis apparet, quam multa nobis parata sint effngia et
receptacula, si quando rerum quotidianarum taedium obrepserit*
Etenim solet hoc probissimo et intelligentissimo ouique acoidere,
quum animadverterit, quantum sit ubique fraudis et erroris, quanta
66i Peter: Geeehiefate VLom\ L Bd.
potentium inaolentui, quanta ambientimn vilitaB, qwxa muHa sa-
perbe, perfide, sinistre gerantur. Tone igitur mente et cogitatione
emigrat in illam amoenissimam regionem, in qna tbeoria habitat,
t'onnarmn aetemarum, quas Flato ideas appellat, speenlatriz. Hie
aoinram xeoreat miseriarum, qmbns Tita hnmaiw laborat, oblitm
indeqne Tevereas omnea vitae actiones ad illa natorae et Teritatis
exempla, quonun spectaculo perfructu» est, dirigere gestit et qae
ploa ad id effioiendnm potestatis habet, eo magia.c
So mag dieee Auswahl akademischer Beden eben so sehr den
dchtkleni, den Freundea und Verehrern Lobeck* s wie selbst weite-
ren Kreisen bestens empfohlen sein. Die in den Beden berührten
Btellen der alten Schriftsteller sind von dem Herausgeber sorgsam
in den Noten nachgewiesen worden.
Quehichte Rom'a in drei Bänden von Carl Feier. Ersier Band,
die fünf ersten Bücher von den ältesten Zeüen bis auf die
GraocJien enÜuUtend. Zweite grösstentheüs völlig umgemröei^
iete Auflage. Haue, Verlag der Bucfikandiung de$ Waieen-
hause» 1866. XXIV und 661 ß. gr. 8.
Der Verfasser dieser Geschichte Bom's hatte bei der Bearbei*
inng dieses Werkes zunächst die Absicht »der studirenden Jagend
und angehenden Lehrern ein geeignetes Hülfsmittel zur Orientirong
auf diesem Gebiete der Wissenschaft darzubieten« und dabei aaok
zugleich das Interesse des gebildeten Publikums in weiteren Kreisen
durch eine Darstellung zu befriedigen, welche dem jetzigen Stand-
punkt der Forschung entsprechend, leicht verständlich und geniessbar
sei. Diesem Zweck entspricht eine einfache, \^enn man will
selbst schmucklose, an die historische Ueberlieferung sich im Gan-
zen haltende Darstellung, und eine Behandlung, die, ohne damit
alle Vermuthungen Niebuhrs aufzunehmen oder blindlings denselben
zu folgen, doch im Ganzen auf der Grundlage der Niebuhr'schen
beruht, daher auch nicht in eine Eeihe von Einzelforschungen über
einzelne Punkte der römischen Geschichte oder des römischen
Staatslebens sich einl&sst, sondern nur die Ergebnisse der bisheri-
gen Forschung, so weit sie nemlich sicher gestellt sind, darlegt
und zwar ohne gelehrten Apparat, oder Belegstellen, die sich
leicht ans andern Schriften über die römische Geschichte werden
herübemehmen lassrai. Das in diesem Sinne bearbeitete Werk hat
eine günstige Aufiiahme gefunden und dadurch eine erneuerte Auf-
lage hervorgen^en, in welcher, und mit Grund, derselbe Stand-
punkt beibehalten worden, wohl aber im Einzelnen mehrfache
Aenderong und selbst Umarbeitung einzelner Theile stattgefunden
hat. Auchf f^lt in die Zwischenzeit das Erscheinen zweier Werke,
deren Bedeotang für den hier zu bearbeitenden Gegenstand Nie*
P«ter: QM^fiblA EomVI' Bd. M^
mani reithnoKaa oder in Abrede giallen wird, wir meinen die Werke
Yon Scbwegler undMommsen. Wenn dem ersten die verdiente An-
orkennnng gesollt wird, wenn in seinem Werke »gründliohe nnd
uAifa^aende Gelehrsamkeit, Strenge und Sicherheit der methodiechen
F(»8ohnng, klare nnd liohtTolle Darstellung nnd Besonnenheit nnd
Seife des Urtheüs in seltenem Maasse yereinigt« gefunden wird,
so wird diesa gern Jeder, der dieses Werk kennte unterschreiben
nnd ee begreiflich finden, wie die Studien unseres Verfassers, bei
ailer Unabhängigkeit und Selbständigkeit seiner Forschung, doch
dureh ein solches Werk ylelfaeh gefördert worden sind: und was
Mommsen betrifft, so spricht der Ver£ gleichfeüls seinen Dank ans
fUr die mannichfache Anregung und selbst Belehrung, die er
dem Werke dieses Gelehrten verdankt, von dem er sonst in der
Behandlung des Stoffs völlig abweicht, wie diess noch unlängst in
den von dem Verfasser herausgegebenen, auch in diesen Blättern
(Jahrg. 1863, S. 945) besprochenen »Studien zur römischen Qe^
schichte. Halle 186S« des Näheren entwickelt ist.
Inabesondere tritt die Verschiedenheit der beiden Standpunkte
in der Behandlung der älteren Geschichte Bom's hervor: von der
in der neuesten Zeit eingerissenen Willkühr, welche an die Stellar
deeeen, was die Quellen des Alterthums, römische wie griechische
berichten, die eigenen Fhantasiegebilde zu setaen und diese fttr
wahre Geschichte auszugeben bemüht ist, hat sich der Verf. aach
in dieser zweiten Auflage durchaus fem gehalten, und so gibt er
uns, namentlich in dem ersten Buch, welches die Gründung Bom'a
imd dessen Geschichte unter den Königen (TöS^-ölO v.Chr.) ent*
hält, das, was die geschichtliche Ueberliefernng des Altecthnma^
mag man es jetzt auch als Sage bezeichnen,' darüber berichtet,
nicht ohne eine gewisse kritische Sichtung, wie diess ja auch bei
Niebuhr und Schwegler der Fall ist: in weitere Deutung dieser
angeblichen Sage und eine darauf begründete Darstellung der älte-
ren römischen Geschichte hat er sich nicht eingelassen. An Nie*
bnhr schliesst er sich auch namentlich in der Aufiassang des Ver-
hältnisses zwischen Fatriciem und Plebejeni an, so wie der Bil-
dung des letzteren Standes (vgl. p. VII) : anderen der mannigfachen
Vermuthungen oder Gombinationen aui diesem Gebiete der älteren
römischen Geschichte hat der Verf., dem Zwecke seiner Arbeit ge-
mftas, keinen Eingang verstattet, und eben dadurch seinem Werke
den CharaktM einer treuen, an die alte Ueberliefernng sich an«-
sohUessanden, und insofern auch wahren Geschichte Bom's verliehen,
wie sie der Schüler und die Jugend zunächst kennen lemeui
soll» welcher mit solchen Phantasiegebilden eben so wenig gedient ist
als mit dem räsonnirenden. Alles in dem Alterthum bemtogehidon^
und Alles besser wissen wollenden Tone , der auch in die römische
Geschichtschreibung eingedrungen ist, und nur zu leicht in jungen
Gemüthem Hochmuth, üeberschätzung und Oberflächlichkeit erregt,
statt eine Anregung zu gründlichem Studium zu geben. Auf der
660 Peter; Oeeelüchte l3iom\ I Bd.
andern Seite aber hat der Verf. es doch nicht ganz unterlassen, anf den
mythischen Charakter, namentlich bei Manchem, was die König^-
geschichte bietet, hinzuweisen: es war diess zwar auch schon in
der ersten Auflage geschehen, aber der betreflPende Abschnitt, der
die Aufschrift: »Werth und geschichtlicher Chankter der KOnigs-
geschichtec führt, und um den Zusammenhang der zunächst nach
Livius gegebenen Erzählung der Königsgeschichte nicht zu untere
brechen, dieser in einem besondem Abschnitt nachfolgt, hat in der
neuen Auflage eine YÖllige Umarbeitung erlitten, aus der wir nur
die Schlussworte beifügen wollen (S. 57): »Oleichwohl ist diese
ganze üeberlieferung , so wenig sie uns auch eine sichere glaub*
hafte Geschichte Bom*s für die Zeit bis zur Vertreibung der Könige
bietet, für uns nicht ohne historischen Werth, weil sie bis auf die
wenigen, in unserer obigen Darstellung bereits hervorgehobenen ein-
zelnen Punkte durchaus echt römisch und ein Erzeugniss des eige-
nen nationalen Geistes der Bömer ist und demnach, wenn nicht
ein Mittel, so doch selbst ein nicht unwichtiges Object der histo-
rischen Erkenntniss bildet. Wenn in Widerspruch hiermit be-
hauptet worden ist, dass sie der Phantasie der Griechen und deren
Wünsche, sich die Gunst der mächtigen Römer zu erwerben, ihren
Ursprung verdanke : so widerlegt sich diess dadurch, dass sie ihren
Hauptbestandtheilen nach älter ist, als diese Bemühungen der Grie-
chen, und dass sie überall mit römischen Einrichtungen und Ge-
bräuchen und Oertlichkeiten aufs Engste verflossen ist; die den
Griechen unmöglich so genau bekannt sein konnten. Wir erinnern
in dieser Beziehung nur an den Yestacult, an das Fetialenrecht,
an die Auspicien, von denen namentlich die letzteren eine so grosse
Bolle spielen, und an das Capitol, an den Buminalischen Feigen-
baum, an den Lacus Ourtius u. A.c
Auch der nun folgende Abschnitt über die Verfassung S. 58 ff.
hat manche Veränderungen und Zusätze erlitten; dass der Ab-
schnitt: »die Anfänge der römischen Weltherrschaft;« nun dafür
die Aufschrift erhalten hat: »die ersten Fortschritte der Bömer in
Ausbreitung ihrer Herrschaft«, wird wohl zu billigen sein.
In ähnlicher Weise sind auch die nachfolgenden Abschnitte,
das zweite, dritte, vierte und fünfte Buch — denn die frühere Ab-
theilung nach Büchern, deren jedes eine bestimmte Periode behan-
delt, ist auch in der neuen Auflage geblieben — behandelt worden,
und so tritt das Werk in dieser zweiten Auflage als ein durchweg
mit aller Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit revidirtes uns entgegen,
das auch ein angenehmeres Aeussere in Druck und Papier erhalten
hat. Möge es daher einer günstigen Aufnahme empfohlen sein.
Der zweite Band, der alsbald folgen soll, wird die Darstellung von
den Gracchisohen Unruhen bis zum Sturze der Bepublik enthalten.
>i. 38. HKIDELBEB6ES 18«5:
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Qalliae Narbonenaia provineiae romanae hisloria deseripUo
imtüutarum expontio BeripHi Erneatua Herzog. Tübingen^
aü. AccedU appendiz epigraphiect. Lipsiae in cudibm TeuB-
MDCCCLX2V.
Auf keinem Gebiete der klassischen Altertbamswissenschaft hat
in den letzten Jahrzehnten eine so fruchtbare Thätigkeit geherrscht,
als anf dem der Inschriftenkunde. Ganz grosse neue Gebiete der
alten Culturwelt sind in ihren Monumenten und vorzugsweise in
ihren Inschriften geradezu eröffnet worden, ich erinnere nur an
Algerien, an die transjordanischen Länder, an das Innere Elein-
asienSy an Ljkien, an die Donauländer. Andere längst bekannte,
yielfachst bereiste, von mannigfachsten Lokalstudien seit Jahr-
hunderten gleichsam übersponnene Fundstätten haben erst jetzt
ihre methodische, auf Autopsie gegründete, alte Fälschung abwei-
sende Bearbeitung gefunden, wie das Neapolitanische Gebiet. Und
so reift, nachdem das Corpus inscriptionum graecarum seinen vor-
läufigen Abschluss erhalten, auch das grosse in Deutschland unter-
nommene lateinische Inschriftenwerk, von dem in Bitschis Priscae
latinitatis monumenta epigraphica und in Mommsens erstem Band
ein so bedeutsamer Anfang vorliegt, seiner Vollendung entgegen,
und die Inschriften werden nicht allein gesammelt, kritisch ge-
prüft, ergänzend gelesen, sie werden vor allem auch benutzt und
verarbeitet und dadurch für die Erkenntniss des antiken Lebens
in rechtlicher, socialer, religiöser Beziehung eine urkundliche
Grondlage gewonnen, die man früher kaum ahnte. Es ist ganz
natürlich, dass das Bedürfniss der Theilung der Arbeiten wie des
Stoffes sich dabei geltend macht, aber ebenso wichtig, dass diese
Theilung eine wirkliche Gliederung ist, nicht nur auf subjectiven Ver-
hältnissen beruhende Zersplitterung, eine von beschränktem Lokal-
patriotismus allein getragene Thätigkeit wird. Man hat mitBeoht
eine geographische Eintheilung nach Grundlage der antiken Länder-
gliederung als die erste und nothwendigste bezeichnet, wenn auch
die älteren, verhältnissmässig seltenen aber um so wichtigeren der
römischen Bepublick, wie dann die wichtige Klasse der altohrist-
lichen Inschriften aus der Hauptmasse ausgeschieden und für sich
getrennt behandelt werden. Die gegenseitige Beziehung der an
demselben Orte sich findenden oder auf dieselben Personen sich
beziehenden griechischen und lateinischen Inschriften wird nach
gründlicher Feststellung des Textes beider Gattungen sich weiter
als fruchtbar erweisen.
LVIIL Jahrg, 8. Hea 86
Vorliegende Sohrift eines jnngen schwäbischen Philologen, der
als tViT|ti<dodent an der TJniTersität Tübingen wirkt, wtlchir be-
reits friüier eine Schrift de qnibnsdem praetomm OaUiae Karbo-
nensis manicipalinm inscriptionibus (Lipsiae 1862) als Yorlftnfer
dazu yerSfienuicht hat, ist eine sehr dankenswerthe Fracht dieser
Bewe^pong auf dem Gebiete der Inschriftenknnde nnd in diesem
Sinne den drei hochverdienten Männern, Henzen, Mommsen nnd
ftenier gewidmet. Das Ziel des Verfassers war: eine Provinoial-
geschichte auf der Grandlage der Inschriften abzufassen, in der
sich in besonders günstiger Weise der aUgemeine Zustand des römi-
icben Beiches abspiegele und er wählte dazu die Provinz der Gallia
ISTarbonensis als besonders geeignet durch den hohen Grad ihrer
rl5mischen Durchbildung, so dass sie als ein zweites Italien im An-
&ng der Kaiserzeit bereits erscheinen konnte, durch ihre friedliche,
zur Entwickelung bürgerlicher Zustände besonders günstige Lage,
wäbr^d die Grenzprorinzen des römischen Beiches uns vielmehr
das so verschiedene Bild einer reich entwickelten Militärverhssung
Vor Augen fUhren. Der Verf. hat selbst das südliche Frankreich
dujrQbreist, und selbst möglich viel gesehen, verglichen und neue
Inachiiftea abgeschrieben, er hat mit grossem Fleiss das reiche,
yiellftcb zeratreute literarische Material benutzt, er hat dann mit
llaass und Umsicht den Stoff verarbeitet, übersichtlich in einem
fliessenden» eehr lesbaren Latein ihn dargestellt und das ürkunden-
buch c^iner Insohriftensammhing seiner Arbeit beigefügt. Der unter-
^ichnete darf umsomehr dieses günstige ürtheil über die vor-
liegende Arbeit und sein freudiges grosses Interesse an derselben
ausspjfechen» ala er selbst einst diese Gegenden und ihrer £Sr-
i^rfiichnng aucb vom Standpunkte des Alterthums aus eingehende
Aufinerksamkeit geschenkt und durch sein Buch über »Städteleben,
JECnnst und Altorthum in Frankreich« nachfolgenden j^^u^ei^ ?or-
eohem^ wie auch Dr. Herzog dankbar anerkennt, vielfach Weg-
weiser geworden ist, auch die Lücken anderer Arbeiten, sowie die
9einer eigenen XTntersuchung hervorgehoben hat. Der Gesichtspunkt
äe» Verf« war ein mehr begränzter^ aber um so intensiver konnte
dh AufgOibe gelöst werden.
Das Buch zerfallt in zwei Haupttheile (p. 1<^262) und eine
selbständig paginirte (p. 1 — ^158) Appendix epigraphica. Jene be-
oteben in einer geschichtlichen Uebersicht der Entwickelung
nnd Scbic^seJce der Provinz von Beginn der römischen Herrschaft
bis mx Zeit des Diokletian, und zweitens in der systematischen
DarsteUuBg der Insitutionen der Provinz aber nur von der Neu-
ordnung unter Augustus bis Diokletian ; die Schilderung der frühe-
isen Institutionen ist in die geschichtliche Erzählung verwebt. So
wenig diese Abeondemng rein logisch begründet ist, so ist sie es
in -der Natur der Quellen vollständig. Wir bedauern nur Eines,
dass es dem Verf. nicht ge^EkUen hat, auch die in vieler Beziehung
80 inbaJtreiche Zeit der Provincialgesohichte von Diokletian bis
Hert«gf OiBlairMtflNiMBftU IttNUMi Ml
KUH AiitehtB der Promeia Natbmensis oder der Bepteiii JMr^^tt^
•iae in Im Weetgolbon- and BurgcmdenMieli wefligetene lA g»*
Bobialitlieber Uebmiolit Toraoftüuieii. Es wOrdea bierbei neeb Mse
Reibe von wiebtigen Ergtaznngen des a«8 frtlberer Zeit STaebfi*-
ireiee&dea und aene CregensUnde der ünterguebang berrotfgetwMi
ami« MOge dieses Bedauern niebt als Yorwiurfi w^ aber ale
Aallbrderong dem Verf. gelten diesen Absebnitt aneb aoeb iia Ea^
■anueaenbang nas eiamal TorxnftLbren.
Das Prooemioin p. 1^3$ orieatiri uns ttber die QriABe der
nachbexigen Oallia Karbooeosis swisohea Alpen nad Oeveaaea» Bioa*
and Oenünrsee, Mittelmeer nnd P jrenaea mit dem oberea PltMlaitf
der öaronne and ttber die etbnogn^bisoben VerbftltalSBe ottf tt^
■em Gebiet. Wirsebenzaerst Ligarer, deren Stellang imMaaiai^
baom der eoropftisebea Völker noeb niebt fixirt iet aad Ibere^r
eieb tbeilen in die KtUtealaader GaUieae am Mittehneer. Ati fliMA
Saame bin nnd Bbone anfwärts siebt sieb bereits em Haodelsireg der
Pböaikier bin, in der Sago des wandernden Herakiee wie in pbOai^
kieebea Mftaalanden beeeogt. Biae böobst merkwtttdige Steile nl d^r
peeado-aristetelisoben Scbrift de mirabilibae aueeoltatievibtta e. M
leigt, welcbe auf Vertrag woblmbende Sioberbeit die auf dieser Itoaese
(der 2f(MfixJU^ odog) äebenden Handelsbmte tob Seiten dee Bia^
geborenen genossen. Das Vordringen der Gelten fui die Bidkäete
Galliea» and »war die Stämme der AllobrogeSi Trieastiai, Voe^tlii>
Oarares, Triomi and des mäebtigsten, aber getlieÜten Siataiae*
der Voloae (Teetosages nnd Areoomici) sebeint sieailieb fflelobfteiUg
mit ibrem Vordringen naob Spanien stattgefunden ea babea afld
zwar in der Zeit, als die tjrisebe Macbt dort, wie tberall gtbiMH
eben ward, niebt sebr lange vor dem Auftreten der HdUeaea fas
diesen Westländem, d. b. im 8. mid 7. Jabirbaadert. Die Llonrer
worden nie ganz ans den Ettsteogebirgen der Frereaee TeftnebeA
and aaob bei Karboane bielten sieh noob lange SSleqrket nfld Be«
brykflv niobtoeltiscber Abkonft.
Zn diesen Volkseiementea treten naa seit <00 als wiobtimi
Bildongsferment die Hellenen binza und zwar rott mail^salktet
Cleinaeiens ausgehend, doeb so, dass der eiae dann den gßAt über-
wiegenden Eiaflnss gewiuit, tob Pbok&a and von Bb^do«
IMMr Sioilien and die tiparisoben Inseln kamen diese mit Enidierii
ta dem Abfall der Pyren&en in das Mittelmeer aad gründetet
Bbode, das jetzige Boeas, was Ton dem Verf. mit Beebt rwi4ff^
maesüisohen Colonie am Bbodanas, Bbodanwiia ganz gedebiedear
wird. Die Aaswanderong nnd Toraosgeheade Ooloaieseiidang de«
Pbokier, ibre Ansbreitong m den Efleten Galüens, Spanleas attd-
Italiens bildet e^ der interessantesten Absebnitte in der grieebi«
Beben Golonialgesobiobte. Die äwsiserBten Ponkte wie MaJnate btt der
Baetica (Almoneoar bei Malaga) nnd Monoikos (Monaeo) bk lUdieii
eebemea mit um Mbesten beeetzt zn eeta« dann aber ieteidttlMi
mAi »89, seit den Uotigen (fcUaehtea miiTynbeneB aad HMta«
MI Berf og: GiOISm NaiboMniU hlttoriä.
KOm ein Zasammeiizioheii des Oolonialkreises und intoaiiffr Ooloni-
4Mtioii zwisoben Alpen und Pyrenäen erfolgt, wobei Massilia, das ja
seit Harpagos Krieg gegen die grieohisohen Kttstenstädte zar eigent-
liehen Phofcto geworden war, dorchans als Metropolis auftritt. Nor
Emporiaehat auch im Mttnzsystem eine selbständige Stellang län-
gere Zeit eingenommen« Da begegnen uns die wohl bekannten
ÜTamen, wie ^oizen, Olbia, Nikaia, Antipolis, Athenopolis, Taoro-
eis, Eithariste, Heraklea, auch selbst Kyrene und Agathe, von denen
die letzten nnd auch Heraklea und Troizen anf peloponnesische
Betheilignng, anf die in Bhodos nnd Enidos einst wirksamen Ele-
ment der Bevölkerung hinweisen. Weiter im Innern des Landes
werden allein Avenio undOabellio als Colonien Massilias bezeichnet, ihre
Lage an der Mündung der Dnrance in den Bhonefluss maohen es
dem Yerf, (p. 25) mit Beoht wahrscheinlich, dass diese Städte zur
Sicherung der FlussschifiOfahrt im Interesse Massilias, als Stapelplatz
sogleich der Waaren griechische Eaufleute und eine griechische Be-
satzung zum Schutz besassen. Der Einfluss der Griechen auf die
gallischen und ligurischen Völkerschaften war überwiegend einer
der äusseren Cultur: Ackerbau, Wein- und Oliyenanpflanzungen,
BefBStigung der Städte, auch Schlagen der Münzen an einzelnen
Punkten, so in Baeterra bei den Yolcae, sowie manche handwerkliche
Thätigkeit; dagegen wurde Verfassung und der gesellschaftliche
Zustand, das. Königthum, die Macht des Adels, die strenge Ab-
hängigkeit schwächerer Volksstämme als Olienten von Herrschen-
den nicht geändert* Da der Verf. dieser Schrift den politischen
nnd rechtlichen Gesichtspunkt in yorderster Linie stellt, bat er
jenen Cnltuseinfluss nur kurz berührt und warnt vor einer üeber-
Schätzung desselben.
Der erste Theil (p. 87—117) behandelt die Geschichte der
Provinz GkiUia Narbonensis von ihrer Bildung bis Diokletian und zer-
iäUt in drei Kapitel: Anfänge und erste Constitution der Proyini,
dann die entscheidende Zeit unter Oaesar und Augustus, welche
der Provinz ihre bleibende Gestalt und ihre innere Bomanisirung
gab und drittens die Zeit von Augustus bis Diokletian.
Wohl mag es befremdend erscheinen, dass die Bömer so spät
erst dazu gelsngt sind das südliche Gallien zu einem Bestandtheik
ihres Staatswesens umzugestalten, zu einer Zeit, wo bereits nicht
allein Oberitalien, Sicilien, Sardinien, Afrika, sondern auch schon
längere Zeit ein grosser Theil Spaniens römische Provinz geworden
war. Das Bestimmende war zunächst das alte Freundschaftsver-
hältniss mit Massilia und wir dürfen sagen, die Bequemlichkeit
sichern Verkehrs an und durch die gallische Küste nach Spanien
vermöge dieser Kette griechischer Golonisation , die Sicherung des
Meeres durch die Flotte Massilias und im Gegensatz dazu die un-
absehbare Kette von Kämpfen und Verwickelungen, die das Auf-
suchen und die Unterwerfung der Gallier in ihrer eigenen Heimath
erregen musste, vor denen man sich in Italien selbst noch nicht
Heriog: Galliae KarboncDSis Ustorlaa 560
ganz sicher ftUilte. Dazu kam die Politik der Nobilitllt bis zu den
Oracchen und im Gegensatz zu diesen, die entschieden nenen unter*
nehmnngen abhold war.
Diese alte Verbindung Massilias mit Bom ist eine interessante,
meist noch unterschätzte Thatsache, deren Anknüpfung unter Ser-
yius TuUius, d. h. in die Zeit grosser Kftmpfe zwischen den
Phok&em mit Tyrrhenen und Karthagern kaum zu bestreiten sein
wird. Wenn der Ver&sser p. 38 bei dieser Gelegenheit sagt : neque
majorem fidem tribuas Straboni, si Dianae in Aventino simulaomm
a Massiliensibus receptum esse refert, so muss ich erstens bemerken,
dass dieser Ausdmck dem Texte nicht genau entspricht, denn Strabo
(IV. p. 180) sagt nur, dass das auf dem Aventin Ton deuBSmem
gestiftete ^oavov der Artemis dieselbe dia^etfig hat, wie das
Artemisbild der Massalioten, ein aus Eleinasien mit herüberge»
brachtes Götterbild, das nachweisbar weithin in diesen westlichen
Gegenden, z. B. in dem sog. Dianium Hispaniens zum Vorbild ge*
dient hat und als Münztjpus auf den altgallischen Münzen fort«
wirkt. An dieser Bemerkung der TJebereinstimmung der Ersohei«
nung des Dianabildes auf dem Aventin mit dem der Artemis von
Massilia zu zweifeln sehe ich femer durchaus keinen Grund bei der
Thatsache, dass die BCmer selbst die menschliche, statuarische Bil*
düng ihrer Götter erst von andern, vor allem von den südetruri-
schen und griechischen Städten entlehnt haben und femer der That»
Sache, dass die Diana in Aventino ja ausserhalb des Pomoe-
riums der Stadt ausdrücklich ftlr die Latiner und ihren Bund mit
Bom, nicht ftlr Bom specifisch in ihrem Cult eingesetzt ward,
also um so eher fremden, hier griechischen Einfluss zeigen konnte.
Die BOmer kamen aber, nach dem Ende des zweiten pnnischen
Krieges vielfach in die Lage die Massilioten zunächst gegen die
räuberischen, unruhigen ligurischen Völkerschaften wie Salyes, De«
ciaten zu unterstützen. Auch hier wie in Hellas selbst mag die
kriegerische Tüchtigkeit der Bürger der hellenischen Städte erlahmt
sein und wie man dort auf Soldtruppen sich stützte, auf dietapfem
Arkader, Thessaler, Karer und andere die unter ihren Condottieri
zur Ausfechtung der Kämpfe bereit waren, so war es hier nun be«
quemer, römisches Militär, das ja bereits rechts und links Gallier,
Oeltiberer, wie Ligurer im Zaume hielt, das zu Land und zu Schiff
über Massilia die Strasse zog, zur Hülfe zu beanspruchen. Mit dem
Jahre 125 beginnen die ernsten und grossen Kämpfe der Bömer
in Südgallien im Bücken der griechischen Küste, die blutigen
Sohlachten am Bhodanus, an derlsara, am Sulgas die der Macht der
Allobroges und der Volcae Arecomici einen schweren Stoss versetzten
und durch die Volkspartei Boms wird die Gründung von Narbo,
einem alten Emporium des griechisch-gallischen Handels als römisch«
Oolonie, als eine dem Mars geweihte, von Mars genannte Bömer-
stadt durchgesetzt. Ich freue mich, dass der Verf. p. 50 diese Ab-
leitung von Martins, die ich in Städteleben Kunst und AlterUnan
(IUI; Humoge OaWM NnboBoiilf bUtoria.
i« Fraskr^fcli p. 598. 599 eingehend begründet hatte d«r meist
ikDfik herr^ohenden Ableitung von Qn. Maroius Bex gegenüber, auch
seinerseits durchaas als richtig anerkannte, ebenso dase er Aqnae
Se^^tiaa niobt aU römische CSolomo mit latinisohem Bürgerrecht,
was Zwnpt behanptete, sondern als römische Besatzung dort wie
i^ TolosAy «Is eine ^pov^ mit Strabo anerkennt; das latinisohe
I^wbt hei Aqnae Sextiae erst viel später erhalten. Dass die GaUis
Ifarboneneis Ton 124-^100 v.Chr. noch gar nicht als selbständige
Pfovina betrachtet wnrde, sondern ein Appendix von Italien war,
diese Ansicht von ^nmpt wie von dem Verf. p. 63 ansfÜhrKch be-
lAmpftt die ansserordentlichen Gefahren, welche in dieser Zeit in
cl,e^ Jahren 109-^102 nicht nur diese Provinz, sondern in ihr auch
gan^ Born durch die Cimbem- und Teutonenzüge bedrohten, musa-
tea die römischen Gonsoln selbst dauernd in dieser Gegend fett-
halten und eine geregelte Provimrialverwaltung unter eigenen Pro-
CQi^suln oder Proprätoren hindern. Aber auch die folgenden Jahr-*
zehnten sind weder ruhig noch für das materielle Gedeihen der
Provinz besonders erspriesalich gewesen. Ein oft unerhörter Druck
d^r römischen Verwaltung, ist unter U, Pontejus, unter 0. Calpn-
niufl Piso, unter Murena trieben die gallischen Völkerschaften wie«-
deorbolt zur Skapörung und zu blutigen Kämpfen, deren letzten wir
von Seiten der Allobrogen unter G. Pomptinms im Jahr 62 geführt
sehen» Damit scheint Kraft und Hoffnung dieser Stämme gebro-
chen zu sein (p. 69). Inzwischen hatte Massilia durch Pompejus
die grösste Ausdehnung seines Stadtgebietes, das es je besessen,
erhalten, mämlich das grosse Gebiet der Volcae Arecomioi und Hei«*
vü an;f dem rechten Bhoneufer, ihre Besitzung war bis zu den Ce«-
vennen auf diese Weise aasgedehnt worden, nur um so raedier dann
zua^mmenzuschmelzen.
D^ Verf, stellt auf S. 72 ff. die Frage hin, welchen Zustand
Cl^r im Jahr 59 voorgefunden habe. Noch stehen unvermittelt neben
einander die Griechen des Freistaates Massilia, die oives Bomani
i^ Narbonne» die über das Land zerstreuten römischen Zollpächter,
Haufleute, die Aratores und Peouarii, d. h. die meist für ganze
(Gesellschaftern thätigen Güterwirthschafter und Viehzüchter, diesen
gegenüber eine feindselige oft hartgedrückte, gallische Landbevölke-
rung« in oonventus (Oaes. b. gall. Vm. 46) nach den einzelnen
Stämmen gegliedert.
Von entscheidender Wichtigkeit für die ganze Zukunft der
Gallia Karbenenais, für den auf einmal wunderbar durchgreifenden
italischen Charakter» für die Culturstellung der Provinz ist die
Zeit.Cäsars und des Augustus. Der Verf. hat dieselbe mit
Beobt auch in einem besondem Abschnitt (P. I. Cap. 2. p. 74—^106)
behandelt uiid sieh bemüht aus den oft nur sehr fi*agmentarisohen An^
d^utui^n die Tbätigke&t der beiden Männer von einander zu schei-»
d^» Alt äussere hervortretende Ereignisse haben wir, natttilioh
a]^^lie)iai^ vfn d^r wai d^e Narbeaensis' gewältig siu^rückwirkendfa
Ktriogs CUIM KkrMMiit Urtorik IM
Dntarwvrfimg des Hlnrigim OalliniB (58—50 t. (Ar.)» in i^iA j^Hi
Bewegung das Sfldens immer neue Qaelien imd fasten Anfialt gth
fcmden, erstens die Erobemng Massilifts durch Oftsat im Bttt|(er»
^'ieg gegen Pompejns, fttr den es Partei ergriffen« im Jnhr 40 di%
dnianf folgende Sendang des Tiberios Olnndios Nero, des Vnters
dee Kaisers nnd Quftstor Cäsars im Jahr 47 ad eolokiiafe dednoefr-
das nach der Narbonensis, dann die Vollettdimg der Beidiatif«'
mestang im Westen unter Agrippas Obexleitnag und den hnrfllMn»
ten oonventos für gans Gallien in Narbonne tunter Aagoslift itt
J. 27 T. Chr.*), endlich die Uebergabe der Narboneneia 9A dte
Senat im Jahr 22 ▼. Chr. m betrachten.
Schwierigkeiten erhebe sich oft über die ntthere Bestimknnfeig
dee Antheils beider Imperatoren» indem der alleinige Beinalne einar
Stadt als Julia allerdings allein auf Cäsar» der i^einige Angusttk
anf Augustus, und zwar nach dem Jahr 27 t. Chr., dagegen db
so hftufige Verbindung von Julia Augusta sowohl allein auf dei
letzteren aber auch auf doppelte Verleihungen und Anonhiuiii^
erst des Cftsar, dann des Augustus gehen kann. Die bisher s6 ga»
schonte, hoch angesehene Stellung Massilias und sein weit auflge*
dehnter Landbesitz schwindet nun sehr, Massilia behalt nur Nicaea»
Athenopolis und die StOchadischen Inseln mit Selbst&ndiger Vet«'
waltung, natürlich aber doch als ein kleines Qlied nnn in der glh
sammten Provinciahrerwaltung. Es ist eine hierbei noeh nieht A
beantwortende Streitfrage, ob das Mflnzreoht der griediisdUen Btftdk^
auch in der Eaiserzeit fortgedauert ; aus der Anakgie anctereor a«t<»-
n<Mner griechischer Stttdte wenigstens im Osten des IMches snfteUe
man das sehliessen, ebenso aus dem immer sohlechter wtodendaii
Gepräge der massilisohen Mflnsen, za deren Venohleokte^mig ia
Caears und Augustus Zeit durchaus kein Grund vorliegt» andexor»
seits iet es aufbUend, dass auf massilisohen Münzen bishsfc hAtüb
Andeutung kaiserlicher Namen sich findet. Herzog leognst mit
Mommsen die Fortdauer massiÜsoher Münzpxftgung über 28 t. Oh^.
hinaus, w&hrend de la Saussaye sie bis in das dritte Jahrhundert
fottsetst. Die Bache selbst ist noch nSher su untersuchen uadvnr
allem nachzuweisen, wie die Münzprägung griechischer atttonomtt
Städte in den senatorischen Pix>Tinzen sich gestaltete. Die übrigen
Stftdte^ und Stammmünzen der Narbonensis, die vor allsm seit
Cäsar von Stftdten latinischen Rechts fleissig geübt ward, endet
mit der Uebergabe der Provinz an den Staat.
Die Romanisirung der Provinz ruhte vor allem auf einem gros^
artig durchgeführten Militftrcolonialsystem, ebensosehr aber aaf dam
von Jul. Cäsar so ausserordentlich einsichtigea Hexanzielien der
gallischen Orte durch Verleihung des jus Latii au rt^miechem Erieg»-
*) Die Unterwerfung der Alpenrelker md die Ausfahnüg un
TQBg der aswel AlpenstrAssca. Über die oottlscliea uat g^jUdraa JÜ^nft
welche, wenigstens was die Salssser betrifft, im J- 26 v, übt. erfo%t wai^
kenmit dabei auch sehr in Betieeht
lii Heriog: QtOUm KarboneAftlB htttorl^
«fiensty rötnisclier Spraohe, rSmischem Beeilt nnd dem mittelbar
damit znsammenhängenden Aufsteigen der einseinen Glieder dnreh
muLicfpale Aemter wie römiBchen Kriegsdienst zum römischen
Bürgerrecht. Neben den itinf grossen nach cäsarisohen Legionen
genannten Colonien Narbo Martins, Baeterrae» Arelas, Arausio und
Forum Julii kennen wir eine überraschend grosse Reihe Ton SlAdten
launischen Rechtes, so Ruscino, Caroaso, Nemausus, eine der be-
deutendsten mit dem grossen Landbesitz der Yolcae Arecomici,
Oabellio» Avenio, Aquae, Sextiae, Yienna, Antipolis u. s. w. die alle
als Julia sich kundgeben ; andere besonders Städte an den Alpen-
strassen haben ihre Constituirung erst durch Augustus erhalten,
wie Lucus Augusti, Dea Augusta, Alba Augusta, Augusta Tricasti-
norum. Zugleich geschah unter Augustus der weitergehende Schritt,
der dann auch von folgenden Kaisem, besonders von Claudius ge-
than wurde, besonders ergebene, in einzelnen Mitbürgern bereits
hochgeehrte Städte dieser Art zu römischen Colonien zu erheben,
ohne dass eine Neucolonisation irgend nachzuweisen wäre, so ge-
schah es mit Yalentia im Gebiet der Cavares, so mit Yienna, so
mit Aquae Sextiae.
Die weitere äussere Geschichte der Narbonensis bis Diocletian
<P. L Cap. 3. p. 107—117) bietet wenig hervorragende Thatsacben
dar. Agrippas Thätigkeit in den Jahren 16—18 y. Chr. in der
Proyini, in welcher er bereits zwanzig Jahre früher so bedeutsam
gfewirkt für Anlegung der Strassen, für Bauten, so der Mauer um
Nemausus ist aus einzelnen inschriftlichen Zeugnissen kaum ge-
nügend zu entnehmen. Yen besonderer Fürsorge hat Kaiser Clau-
dius sich der Provinz gegenüber gezeigt. Narbonne ftlgte zu sei-
nem Ehrennamen auch den der Claudia hinzu, Yienna empfing das
jus Italicum, das bald darauf im Kampf zwischen Yitellius und
Otho durch die Eifersucht des benachbarten Lugdunum der Plün-
derung durch die germanischen Legionen nur mit Mühe entging.
<Hadrian und Antoninus Pins, welche seibat aus einer Nemausensi-
Bchen Familie stammten, haben ihr Wohlwollen, ihre Baulust reich
in der Narbonensis bewährt. Da es dem Yerf. zunächst nur um
d&e Darlegung der rechtlichen und gesellschafblichen Yerhältnisse
SU thun war, hat er von dem reichen Culturleben der Provinz ge-
rade in den ersten Jahren des Kaiserreichs kein eingehendes Bild
uns gezeichnet; aber schon die nackte Reihe für Rom, für Staat
und Literatur bedeutsamer Männer aus dieser Provinz, die er p. 114
•vorführt und die leicht zu^ vermehren wäre, zeugt daMr. Eine
Charakteristik der architektonischen und plastischen üeberreste,
ttiioh nur von Seite ihres Zweckes nicht in erster Linie ihres Kunst-
jwertfaes, eitie Behandlung der durch Inschriften und die Monumente
uns bezeugten theatralischen und sonstigen Spiele , Stiftungen pri-
irater Art> die aus den Inschriften zu entnehmenden Zeugnisse der
handwerklichen Thätigkeit wie des Handels würden sich dann an-
zuschtiesseii haben. Der letzte uns bis jetzt bekannte Proconsul
Reriog: GaBiM KtfboaaBsto Mstorla. SM
der FroTiiUE ist CIodinB Papienns Maximas vor 288 p. Ohv. Die
in den Inschriften erwfthnten Kaiser gehen weit ttber Diocletian
noch hinans, reich ist Gonstantinns yertreten durch sieben Inschri-
ten ; ein Meilenstein zwischen Massilia and Arelate weist noch ans
in das Jahr 485 p. Chr., in die Begiemng von Theodosins ü. nnd
Yalentinianas m. (Append. epigr. Nr. 625).
Der zweite Theil (p.' 118—262) behandelt die Verwaltung
der Provinz in der kaiserlichen Zeit nnd zerfHUt wieder in drei
grössere Abschnitte, in einen topographischen, die üebersicht der
ein gewisses Mass der selbständigen Verwaltung geniessenden Terri-
torien (p. 118 — 148), dann den Abschnitt de institutis municipa-
libns (p. 148 — 236) und den letzten Abschnitt de institutis provin-
eialibus (p. 286—262), indem der Verf. zu dem Beweis von den
Elementen des socialen Lebens, von der Einzelperson zu dem nahem
Kreise der Funktionen des municipalen Selfgovemments und zu
dem weitesten und obersten Kreise der von Born, Yom Staat und
Tom Kaiser ausgehenden Regierung aufsteigt. Der Verf. hat sich
Tiel Mflhe gegeben im ersten Abschnitt den umfang der Stadtge-
biete wesentlich auf Grundlage des Abschnittes in Plinius, der
hierin den Angaben der Beichsyermessung des Agrippa folgte, Strabo,
Mola, Ptolemaeus, seine auf Omndlage von Ortsnamen der Strassen-
stationeu näher zu bestimmen; wir bedauern nur, dass ihm oder
der Verlagshandlung nicht gefallen hat eine Karte der Narbonen-
sifl mit Angabe der modernen Namen und der gesicherten alten,
sowie der Strassenzttge und der Fundst&tten Ton Monumenten bei-
zufügen. Es wflrde dies das Bild der Provinz erst zur Anschauung
gebracht haben. Zweitens ist hier wenigstens zu fragen, ob der
Veif. sich gar nicht nach der ältesten kirchlichen Eintheilung des
Landes umgesehen hat, die ja hier, wie überall im römischen Beich
auf der alten politischen beruht. Die grosse Zahl alter Bischof^-
Sprengel würden feste Anhaltspunkte für frühere Zeit gegeben haben.
Einige Städtebezeichnungen bleiben auch bei dem Verf. unerklärt,
so p. 138 das Glanum Liyii, womit die Station Liviana p. 128
wohl zunächst zusammen zu stellen ist. Sollten die Namen Calum
und Megalone (pag. 126. 127) nicht griechischen Ursprungs sein,
jenes im xaXov sc. aTtQcati^Qiav^ 6t6ita oder ähnliches bezeichnen,
dieses den alten Namen einer Colonie Massilias !^Aon^, die Insel
ausdrücklich genannt wird, in sich enthalten?
Mit vorzüglicher Sorgfalt ist das zweite Capitel gearbeitet und
wahrhaft geeignet nicht blos für diese Provinz, sondern überhaupt einen
Einblick in die reiche und interessante Gliederung des römischen Mu-
nicipallebens zu gewähren. Der Verf. verbindet hier auf sehr geschickte
und einsichtige Weise die in der lex Bubria vom J. 49, in der lex
Julia municipalis vom J. 45 und der lex Salpensana und Malpensi-
tana von den Jahren 82. 84 p. Chr. in neuer Zeit besonders durch
Mommsens Scharfsinn gewonnenen Bestiltate mit den inschriftlichen
Zeugnissen der Provinz. Es werden uns zuerst die Gattungen der
ifO Heriogt ChDte Mrbonaitit
du 0«biet der Provinz bfldenden Gemeinden, 44 an Zaid, skea«-
loniae oirinm Romanonun, als oppida oivinm Latinornm, eivitas
foederata jure Latii donata , oiyitaa foederata libera immmiiB und
endlich afa oivitates stipendiariae vorgefGllirt, praefeetmrae gab es
nicht. Die Eintheünng der römisohen Colonien in die iaribns läart
sich feststellen, so gehören zur Volünia die Yiennensis und ttber-
hmspt alle mit dem Bürgerreohi begabten AUobroger. Wenn der
Yerf. p. 165. 166 bohamptet» dasa die eives der römischen Oolo*
nien nicht als solche das jus hononun in Rom hatten» aondem erst
durch besondere Verleihung an die dnzelnen Personen oder dnrdi
Ertheilnng des jns Italicnm erhielten, so kann er doch wohl nickt
meinen, dass z. B. jene ftlnf clUiarischen grossen Colonien römischer
Bürger diesen das jus bonorum entzogen, — natürlich mnsste ee
in Rom selbst gesucht und ausgeübt werden — sondern wohl nur,
dasB bei der ohne Oolonisation stattfindenden Verleihung des Ehren-
namens einer römischen Colonie, wie in Vienna nicht unmittelbar
das jus bonorum mitgegeben war. Die Verwaltung der dieeen
etTitates oder oppida untergebenen Ortschaften, Flecken, der fora,
Tiei, pagi, deren Nemausus z. B. allein 24 besaes, deren einzelne
wie Oularo, spftter Oratianopoiis genannt auch zur Selbstftndigkeit
gelangten, war eine verschiedene; die eigentlich entscheidenden
Behörden werden doch Ton den heiTSohenden civitates gesetzt.
Wir kommen weiter p. 174ff. zu der Oliederung der Be-
wohner, zunächst zu dem wichtigen Unterschied der munioipes
und inoolae, der allerdings sich wesentlich ausglich, seitdem
die honores der einzelnen Städte als Last geflohen wurden und
man zu ihnen auch die reichen incolae heranzog. Dann behandelt
der Verf. die Frage nach Nationalität und nach Beschäfti-
gung, womit die Frage des statns: seryi, liberti, libertini, liberi
eng yerkntlpft ist. Sehr wichtig sind die Bemerkungen über das
Verschwinden der gallischen Namen, während das Oriechische iBn-
ger widerstanden habe. Ref. hätte gewünscht, dass er diesen letzten
Punkt auch statistich möglichst genau rerfolgt hätte, wenigetens
uns eine üebersicht der so überaus zahlreichen griechischen Namen
der Inschrifben nach bestimmten Vergleichungspunkten z. B. mit
Unteritalien, wo das Verhältniss ein sehr ähnliches wohl war, ge^
geben hätte. Das Berufsleben müssen wir uns in der Narbö-
nensis sehr entwickelt denken. Wie Massilia notorisch ein west-
liches, TOn jungen Römern vielfach besuchtes Athen war, so fehlte
es an Lehrern, Musikers, öffentlich angestellten Aerzten in den ein-
zelnen Städten nicht. Die coUegia opiflcum können wir uns un-
möglich als blosse Leiehenkassen denken, wenn auch dieser Qe-
sichti^unkt, gemeinsame BegiUbnissstätten, Kosten, religiöse Form
-ein sehr wichtiger war; Herzog wirft mit Recht die Frage anf,
warum gerade die inschriftlich bezeugten, wie die fobri tignarii und
Bubaediani, utricularH, nautae, centonarii, dendrophori und dagegen
M viele andere nioht in eollegia verbunden waren. Br meint, ea Bmütt
Harsor OaBk# MarbiNMUto UrtMte. Ml
wiflontliah soklie Oesohttfte, bei denen wegen der groaseo dam
nStkigen Capitalien Geselkchaften sich empfiahlen (p. 189). Sollten
ee niokt eher eolohe Oeschäfte sein, welohe eine gewisse milit&risohe
Bedeutung hatten nnd als solche mit dem Staate dnrob Bauten,
durch Beziehungen lu Land«- und Waseerstrassen in Verbindung
standen? Bei den dendrophori wird man zugleich immer an gewisse
gemeinsame religiöse Functionen denken. Auch diese coUegia hatten
im FesUeben eine Art Öffentliche Anerkennung durch Brtheilong
besonderer Sitse im Theater.
Aus dem Kreise der Ubertini geht seit Augnstus göttlicher
Verehrung in den ProTinzen eine Art höherer gesellschafUicher Stufe
hervor, die man wohl mit dem Bitterstande in Bom yerglichen hat»
obgleich er zunächst nichts damit zu thun hat, die seviri Au-
gustales (p. 196—199). Für die Oallia Narbonensis knttpftsich
diese durch alle Stftdte sich yerbreitende, von den Öffentlichen Or-
ganen gewählte, lebenslängliche Ehrenstellung der Verehrer des
numen Augusti im Namen des Volkes an die Stiftung des Altares
durch die plebs Narbonensium auf dem forum von Norbonne im
Jahr 11 V. Ohr. der uns mit seinen Weihinschriften noch erhalten
und von Herzog nach neuer Vergleichung in Append. Nr. 1 her-
ausgegeben ist. Hier werden in der That seviri und zwar trea
equites Bomani a plebe und tres libertini gewählt, um an dem
Tage, wo den Augustns saeculi felicitas orbi terrarum reotorem
edidit, also an seinem Geburtstage wie an dem Tage, wo er zu«
erst imperium orbis terrarum auguratus est, sowie au einem dritten
Tage zu opfern und Wein und Weihrauch colonis et incolis zu ge-
währen und zwar solchen, qui se nomini ejus in perpetuum eolendo
obligaverunt. Wir haben hier zugleich einen interessanten Akt,
der von dem Volke und zwar der plebs in geordneter Versamm-
lung ausgeht, zugleich aber noch die wichtige Nachricht, dass im
Jal^ 11 n. Ohr. Augustus judicia plebis deourionibus eoigunxit,
was ich mit Keller nur davon verstehen kann, dass in diesem Jahre
die bisher von den Decurionen allein besetzten Bichterstellen nun
auch EU einem Theil aus der plebs hervorgingen, wie in Bom selbst
zwischen Senatoren, Bittem und tribuni aerarii die Decurien der
Richter vertheilt waren. Herzog (p. 206. 207) versucht einen gans
andern Weg, indem er von einer Stelle des codex Theodosianus
(12, 1, 171) Oebrauch macht, wo es heisst: oonsensu onriae eli-
gendos esse censemus qui contemplatione actuum omnium possint
respoiidere judicio ; aber dies respondere judicio d. h. der gehegten
Erwartung entsprechen kann doch unmöglich mit dem Ausdruck:
judicia (nicht Judicium) plebis, die durch einen Akt denen
der decuriones verbunden werden, verglichen werden»
Der erste und wichtigste ordo in den Städten der Provinz ist
natürlich der ordo decurionum, über deesen Album und die Auf-
i^alime U bestimmtem Alter nach Abkunft, ünbesoholtenheit, Oeo-
stts von 100|000 Sesterseni zufolge beUeideter stldtiaeher .Ateiitcrj xaiii».
^71 Hertog: OalUae Karbonensis Idstorie«
tftriBoher Chargen, aus dem Bereiche der vom Kaiser anerkannien
eqnites, über deren lectio durch die obersten städtischen Magistrate
über deren fUnQährige Amtsdauer, über deren acta et decreta der
Verf. S. 190 ff. und S. 209 ff. handelt.
Von dem in späterer Eaiserzeit sich bildenden Zwischenstand
zwischen ordo und populus oder plebs, nämlich den possessores
kennt der Verf. in der Narbonensis nur ein Beispiel und zwar ans
Aquae Allobrogum (Aix-en Savoie) Append. Nr. 574. Er versteht
darunter mit Eudorff die Grundbesitzer, deren Census zwischen
10,000 und 100,000 Sesterzen war und die ohne alle Rücksicht
auf Abstammimg und sonstige Bedingungen in Folge elues Qrund-
hesitzes zu den öffentlichen Lasten hinzugezogen wurden.
In den städtischen Beamten (p. 2 1 5 ff. 220 ff.) spiegelten sich
im Kleinen die honores Roms selbst ab, als quaestura, aedilitas,
duumyiratus oder quatuorviratus. Die aediles munerarii (p. 222.
Nr. 330. 368) behalten die Ehrenseite der Aedilität, die Feier
der Spiele, während die geschäftliche Seite ihres Amtes in manchen
Städten, so in Vienna an triumviri locorum pubUcorum perse-
quendorum übergegangen zu sein scheint. Der älteste Name ftir
die oberste Behörde ist entschieden praetores^ dann praetores duum-
viri, dann duumviri, woraus durch Verdoppelung quattuorviri wor-
den, indem man die dnumviri juri dicundo , und die aediles oder
duumviri ab aerario zusammen begriff. In Nemausus aber werden
von quattuorviri ausdrücklich noch quattuorviri ab aerario geschiee
den. Der Name quinquennales tritt in Narbo und Arelate zu dem
der duumviri hinzu, wenn die duumviri jedes fünfte Jahr den Cen-
sus halten und die lectio decurionum ausftlhren.
Auch in den priesterlichen Functionen sinddieprie-
sterlichen Aemter Rom*s auf interessante Weise in der Provinz
wiederholt. Da kennen wir pontifices, da flamines mit der flami-
nioa, da augures und haruspices (p. 232—236). Wir erkennen aber
auch, wie hier der Cult der Roma, des Augustus und der kaiser-
lichen Familie den Mittelpunkt der Verehrung der flamines bildet.
Nur in Vienna kennen wir einen flamen Martis Juventutis und eine
flaminica Herae (nr. 504. 591. 549); in Bezug auf den letzten
Namen mache ich aufmerksam auf die aus Rom alt bezeugte Hera
Martea (Preller, röm. Mythologie S. 304. Note 1). Warum verweist
der Verf. bei dem XV^vir Arausensis (Append. nr. 450) nicht ebenso
gut auf die so wichtigen und hochangesehenen XVviri sacris faci-
undis Roms? Der Jupiter Anxur, dem die Cadienses ein Gelübde
lösen, (Append. nr. 446) nach Millins Vorgang ohne Weiteres für
einen gallischen in lateinisches Gewand gesteckten Gott zu halten
(p. 202) scheint mir gewagt ; alle andern von ihm angeführten Bei-
spiele bezeugen in Namen oder Beinamen ausdrücklich oder in den
mitgenannten Gottheiten die gallische Lokalität und Ursprung.
Warum kann der Cult des Jupiter Anxur, den die gens Vibia z. B«
zu ihrem Hauptkulte hatte, nicht durch solche Privatbeziehungen
B«rBOg;^€tenui« KwboMnsli lüstofüL 978
eines öliedes einer römischen öens nach der Provinoia versetst
sein? Warum ist femer die Dea Aogosia Andarte (Append. nn465)
unter die orientalischen Gottheiten gekommen? Sie ist auf einer
Reihe von Altftren aas dem Ort Dea Aognsta (Die) bezeugt; sie
ist schon länger inschriftlioh bekannt als eine von den Britannen
verehrte Gottheit (Grater p. 88, 9. 10). Ich glaube im Gegen-
theil» sie ist eine ächte lokale und swar grosse Gottheit, die nur
durch den Beinamen Augusta anerkannt im ofEciellen römischen
Colt der Stadt schliesslich den Namen gab.
Eine wichtige Zwischenstelle zwischen den ciyitates der Pro-
vinz und dem römischen Staatsmittelpunkt nehmen die patroni
ein, die gewählt auf Lebenszeit , ja in manchen Familien erblich
werden (p. 206—229), natürlich einflussreiche, hochstehende Per-
sonen sind, die sich um die Proyincialstadt besonders verdient
gemacht, ihr besonderes Wohlwollen bewiesen haben. So ward 0.
Cäsar, Sohn des Agrippa, Patronus von Nemausus. Eine grössere
und seltenere Specialisirung dieser Würde ist es, wenn ein patro-
nus urbanae plebis in Beii Apollinares (Biez) und sogar ein patro-
nus pagi uns genannt ¥rird (Append. nr. 388. 423). Dir reines
Gegentheil bilden die curatores oppidorum, welche seit Trajan
häufig werden, und als ausserordentliche Oommissäre zur Herstel-
lung der Ordnung, zur üeberwachung der Städte gerade die muni*
cipalen Bechte nicht schützen, sondern mehr und mehr illusorisch
machen (p. 252 ff.).
Wir treten hiermit bereits in das Gebiet der das römische
Imperium vertretenden Gewalten ein, in die von Bom ausgehende
oberste Verwaltung und Leitung der Provinz. Li dem
dritten Capitel des zweiten Theiles hat der Verf. de institutis pro-
vincialibus gehandelt und zwar nach den zwei Hauptgesichtspunkten
de officiis magistratum (p. 239 — 241) und de partibus administra-
tionis (p. 241—262). Da die Narbonensis seit 22 v. Ohr. sena-
torische Provinz war, so sind die obersten Behörden der propraetor
oder proconsttl dem Titel nach, dessen legatus und quaestor. Da
der proconsul keine Militärmacht zur Seite hat, zieht er togatus
in die Provinz. Von in der Provinz stehenden Legionen ist daher
auch nichts zu suchen; nur eine cohors provinciae Narbonensis
(Append. nr. 676) wird uns einmal genannt, welche allerdings in
der Umgebung des proconsul ezistiren mochte. Der delectus, die
Aushebung zum Legioneudienst fand im Namen des Kaisers durch
dessen legati Statt, ihm untergeben waren die viae publicae, die
grossen Heerstrassen, an ihn konnte schliesslich appellirt werden;
ein kaiserlicher procurator hatte die an den kaiserlichen fiscus
fiiessenden Einkünfte zu besorgen. Die Fiuanzverwaltung hatte
überhaupt es mit den Einkünften dreier Kassen zu thun, dem aera-
rium publicum, aerarium militare uud dem fiscus Oaesaris; fielen
in die erste und wichtigste die tributa soli und capitis, in die
zweite die annona, die NaturalUeferungen für die durchziehenden
5fi S«rs#gs (MBm Ni
Truppen, so die Tio«ilina Hbertatis hereditt^tam, wi# di«länkftiift«
ttiM dem patrimoniimi Caeearis z. B. den wichtigsten Siseiibev^wef k«ii
bei Karbonne in die dritte Kasse. Die Reobtspflege mit Ausnokme
des kleinen den Munieipiem vorbehaltenen Kreises, die Oberanfsiekt
der Offdntlioben Arbeiten, die oberste Yerwaltamg der Staatsetn*
kflnfte, die religiösen Functionen, die im Namen der ganzen Pro-
vinz regelmässig wiederkehren oder besonders angesetzt werdm,
s. B. (jhelübde iür das kaiserliche Haas, alle dieee OegensUnde
fallen den obersten senatoriscken Beamten zu. Oerade der leirte,
der reUgiSse Oesicktspnnkt war es, an den die Entseheidimg regel-
massig zusammentretender ProTinoiallandtage sieh anknüpft (eon-
¥entas, eondlia quinqaennalia), welohe dann sMieh eine weitere Be*
denttmg in Bezog auf Anerkenmmg oder Büge über die VerwaHvag
der Proconanlee erhielten. Gerade hierAlr ist jenes wiehtige Beeoitpt
•des Honorios imd Tkeodosins 11. ans dem J. 418 so entseheidend»
dessen Betrachtoag aber bereits die Gränzen, die der Verf. sieh
gesteckt, überschritt (p. 258).
Der wichtige Anhang der hier in mögliehst gedrängter üeber^
sieht dargelegten schätzbaren Arbeit von Herzog bildet, wie Bdktm
erwähnt, die Appendix epigraphica Ton 174 Seiten. Wir mftaaeo
tms versagen hier aof vielfach lockende Einzelheiten einzugehen,
bemerken aber nmr zur Orientinmg, dass wir in den hier vereiiitmi
670 Inschriften allerdings kein volles Corpus inscriptionnm latina-
mm provinciae Narbonensis besitzen, dass der Verf. ganz unbe-
deutende, nur Namen enthaltende oder verdächtige Inschriften aus-
gelassen, dass er dagegen zuletzt auch andere, auf die Narbonen-
sis bezügliche Inschriften, lateinische und griechische angeftkgt hat,
dasB auch ihm ein guter Theil von Inschriften z. B. von den Mauern
Narbennes unzugänglich blieb, dass er darauf verzichtete die In-
schriften in ihrer Form zu reproduoiren, aber Aocente und lange
J aatgegebenhat; eine grosse Zahl verdankt ihm eine genaue Lesung.
In der Anordnung folgt er der geographischen, innerhalb derselben dami
der realen der Abstuflmg von kaiserlichen bis zu rein privaten In-
schriften. Die Inschriften der Strassen (»lapides miliarii«) bilden
einen Abschnitt tta sich. Gute Register unterstützen endlich wesenl-
Kcfa den GebnMich dieses so werthvoUen Urktmdenbnches.
Heidelberg, im JuU 1866. K* IL Stark.
Jf oaf ueltjr, Ehtdw jmt la eastramOaäon dm Romaim -ä mtr imntg
inMudom müUaire». Paria 1864.
Der Verfasser langweilt sich an den Irrthttmem eines gelelir-
ien OoBunentators Plntaroh's ane yergangMen Zeiten, F^lard's nftm-
liob, und hat sich die Aufgabe gestellt seinerseits eine neoe grOnd*
li^he Studie ttber Lagerbefestignng n. s. w. bei den BCmem zu
lieten, was ihm ans awei Chrflnden leichter werde« wird, ein«
mal weil inzwischen Plntarch und Polybias besser tlberwtst
worden sind, als es z* B. ThaiUier zo seiner Zeit (1727) yet^
standen hatte, nnd dann weil der Verf., Herr Masqnelez, selbst
MiHtir war.
Indras er den Vorzug der Orttndlichkeit mit dem der VoIU
sttndigkeit zn Tsrbinden strebt, spricht «r sieh nicbt blos ttber
die Ihigenttgendheit seiner gelehrten Verginger auf diesem Oebieta
ans (Just. Lipsins, Saumaise, Schelius, Casauboms), sondern er
yerspricht die Berichtigung der bertthmten Stelle bei Peljbtns
(VI, 26), nnd in Verbindnng damit eine Prttfting und Benrtheilung
des eiasohlftgigen mibtärischen QueUenschriffesteUers Hjginns Ore-
maticufl n. a.
So weit die erste Abhandlung! Er erörtert hierauf den Grad
der Ghündlichkeit in des Polybius Angaben (8. 10 ff.)» Tecfatfertigt
das Bedftrfoiss der Vereinigung mid Uebersetzung der auf die
Lagerbauten bezüglichen Stellen aus Polybifos undHygin (8. 24 ff«).
Darauf unternimmt der dritte Abschnitt die erwähnte Vereini«
gung u. s. w., woran sich reichhaltige, und dmrch Hinweisong auf
die Griechen, sowie durch veranschaulichendo Figuren erweitevie
firkllrungen sieh als vierter Abschnitt ansohliessen & 4Sfr«
Dieser ist sehr ausgedehnt und grttndHcb; den Besehhtss macht
ein alphabetisch geordnetes VerzeichniBS ron hsnfig bei Schrift*
st^em wiederkeharenden Ausdrücken ftLr Belagerung, MssohineUi
nebst zugehörigen Erklftrongen (8. 177 ff.). Da sher dieser dem«
mentar noch nicht zu Ende sein soll, feigen nun Erldlimngen wich«
tiger militftrischer Aemter (legati, tribuni S. 196, nnd militärischer
cattungen, yelites, rorarii, accensi, 6. 20i2, Lagerinstrumente)
comu, tuba, bucina, lituus, S. 219, Lagersignale, classicum 8.228,
Poetenablösung, Tag- und Nachtdimist, 8. 289, Lagerdisciplin,
8. 250, Belohnungen, 8. 267, Ernährung, 8 298, Verwaltung und
Verantwortlichkeit, S. 298, Marschregel, 8. 828, üntersohied zwi*
sehen acies und agraen, 8. 282. Der hier verwerthete Apparat
militftrisohen Wissens ist unter zwei und yierzig Fragmente ver*
theilt, womit zugleich der methodische Standpunkt der Schrift an-
gedeutet ist, die kein neues System geben will, 8. 1.
8o sind wir endlich auf S.^337 angelangt, wo eine neue Ab-
handlung, die fünfte beginnt, die TTebungen, Zeltaufrichtungi
weise u. s. w. betreffend.
Die sechste Abhandlung giebt speciell eine XJebersetzucg ^^^
^'
fM llAtqu^l«*: Im
Hjginos, 8. 344, nebst den zagehOrigen ErUttnuigen unter LTUI
Absatzen, S. 844—449.
Die siebente Abhandlnng ist ein Abschnitt ans dem Cestea
des Jnlins Airicanns, der den Lagerdienst besohreibt 8. 450 ff.
Der achte ist eine dankenswerthe Uebersicht der Darstellnng
des Vegetins über Lagerbefestigong, 8. 455.
Die nennte führt die Institntiones militares des Kaisers Leo
Philosophns anf Excerpte ans Onosander nnd E. Manricins znrü.ck.
8. 465 nnd citirt speciell daraus Institutionen (die 9., 11«, 14.,
16., 17., 29.) an, welche die Einrichtung des Lagers leiten.
Etwas genauer, weil wir selbst doch anderw&rts schon daa
Bedürfniss einer Kritik des Yegetius nahe gelegt haben*), wollen wir
noch auf die achte Partie des Werkes eingehen. Die Stellen, welche
sich auf die Befestigung eines Lagers beziehen, sind, wie gesagt,
hier übersichtlich vereinigt; theils gehören sie dem ersten Buche
des Yegetius an, theils dem zweiten, theils dem dritten, und sind
übersetzt.
In den Stellen »us dem ersten Buche wird die Lokalität und
die Orösse des Lagers besprochen; femer die Gestalt, dann der
Hergang, wie es ausgeworfen wurde ; endlich wird der Fall gesetzt,
dass ein Kampf engagirt ist, und es nun rasch von der halben In-
fanterie aufgeschlagen wird. Diesen Stellen geht ein Oapitel voran,
das historischen Werth hat. Yegetius klagt, dass zu seiner (also
zu Yalentinian's 11.) Zeit diese Kunst verloren sei, und findet den
Grund darin, dass die alten Lager immer wieder bezogen, und mit
Gr&ben und Palissaden versehen vorgefunden werden. Er versichert,
dass die Soldaten, welche in einem Gefecht nicht in ein befestig*
tes Lager sich zurückziehen können, sich tödten lassen wie wehr-
los, und dass man keine dem Tode entrinnen sehe, als nur die-
jenigen, welche der Feind nicht hat verfolgen wollen.
Die Stellen aus dem dritten Buche sind Wiederholungen und
Erweiterungen. Die Stellen aus dem zweiten beschäftigen sich mit
dem praefectus castrensis der die Arbeiten leitete.
Die Einleitung des Yerfassers zu dieser Abhandlung resumirt
die Aeusserungen seiner Yorgftnger (Maizeroy, Guischard und Sohe-
lius) über die ünkritik des Yegetius!
Im Ganzen und Einzelnen ist die Absicht des Yerfassers ge-
wesen, einen Gommentar zu den bereits genannten Schriftstellern
SU liefern. Gründliche Forschung, wie der reichhaltige Citaten-
apparat beweist, paart sich bei ihm mit dem Beruf für diese Arbeit.
Illustrationen sind stellenweise angebracht, doch spftrlich.
Heidelberg, im JuU. Dr. H. Doergeiifl«
*) Eine solehe wird noch bei Lfmarre TennUai
"*Mdelb. Jahrb. 1865. No. 18. 8. 197. -
S. unsere Anselge
Ii. 37. HEIDELBEBGEB 1866.
JAHBBÜCHBR DER LITERATUR
Die Lustspiele des Plautus^ DeuUch in den VeretnoBsen der ür-
eehrift van J. J. C Donner, Leipzig und Heidelberg, 0, F.
Wintereiche Verlägshandlung. Erster Band. 1864. 846 8. Zwei-
ter Band. 1865. 298 8. in 8.
Es ist noch nicht lange, seit wir in diesen Jahrbüchern (Jahrg.
1864* S. 744 ff.) die von dem Verf. gelieferte üebersetznng des
Terentias besprochen haben: im Vorstehenden haben wir den
Lesern eine neue üebersetznng vorznftlhren, welche der nnermüdet
thfttige Yer£Eisser von dem andern komischen Dichter der römischen
Welty Ton Plantns geliefert hat. Dass bei Plantus die Schwie-
rigkeiten einer gnten nnd lesbaren dentsohen üebersetznng nngleioh
grösser sind, als bei Terentins, wird Jeder, der nnr einigermassen
in den lateinischen Originalen sich nmgesehen hat, gerne einge-
stehen: er wird eben so aber anch, wenn er in die hier gelieferte
deutsche üebersetznng einen Blick wirffc, sich bald überzengen, wie
glücklich der Meister deutscher Uebersetznngskunst auch diese
Schwierigkeiten zu überwinden gewnsst hat, nm auf diese Weise
den gefeiertsten komischen Dichter der römischen Welt auch wei-
teren gebildeten Kreisen unserer Zeit zugänglich zu machen. Die
richtige Erkenntniss dessen, was von einem üebertrager classischer
Werke des Alterthums verlangt werden kann, die sichere Oewand-
heit in der Anwendung der deutschen Sprache hat sich auch in
dieser üebersetznng bewährt : die reiche Erfahrung und üebung, wie
sie dem Verf. auf diesem Gebiete zu Gebote steht, hat ihren Charakter
auch diesem neuen Werke eingeprägt, und wird auch nicht verfehlen,
einen günstigen Eindruck überall bei dem Leser zu hinterlassen.
In der äusseren Einrichtung ist diese üebersetznng des Plan-
tus der des Terentius ganz gleich gehalten. Der reine correcte
Druck und das gute Papier verdienen gewiss alle Anerkennung;
auf die üebersetznng eines jeden Stücks folgt eine üebersicht der
darin vorkommenden, vom Verf. in der deutschen Sprache mit
möglichster Treue nachgebildeten Yersmaasse, und dann die An-
merkungen, in welchen einzelne, einer Erklärung bedürftigen Punkte
des Textes, erörtert werden. Ein jeder der beiden Bände enthält
drei Stücke, im ersten ist der Grosssprecher (Miles gloriosus),
der Schatz (Trinummus) und der Schiffbruch (Budens), im
zweiten sind die Kriegsgefangenen (Captivi), die Zwillinge
(Menächmi) und der Hausgeist (Mostellaria) enthalten. Wir
haben schon früher darauf hingewiesen, mit welchem Geschick der
VerjEEisser insbesondere die sechsfüssigen Jamben in imserer Sprache
LYm. Jahrg. & Heft 87
BTd Vliiitftft VMi Dotilior.
wiederzngeben weiss: reiohliche Belege aller Orten bieten daza
aaoh diese tJebersetetoigen des Pla^tus. So z. B. bei dem aa «rster
Stolle genannten BtUok greifen wir naeb dem Anftmg des zweiten
Acts, wo Palästrio, der Diener des Hauptmanns, an die Znscbauer
mit der folgenden Ansprache sieb richtet :
Den Inhalt darznlegen, bin ich gern bereit.
Habt ihr, mich anzuhören, die Gewogenheit.
Wer nicht verlangt zn hören, hebe sich hinaus,
Auf dass ein Andrer sizen kann, der hören will.
Nun, weil ihr euch an diesem lustigen Ort gesezt.
Will ich des Lustspiels, das vor euch jezt spielen soll,
Inhalt sowohl als Namen euch verkündigen.
Alazon ist der griechische Name dieses Stücks,
Das, was in unsrer Sprache jezt >Orosssprecher€ heisst.
Die Stadt ist Ephesus, und der Soldat mein Herr,
Der jezt zum Markte ging, ein frecher Lügenbold,
Ein rechter Schweinkerl, voll Betrug und Ehebruch;
Sagt, alle Weiber laufen ihm freiwillig nach.
Wohin er geh*n mag, ist er aller Leute Spott.
Drum auch die Mädchen^ die nach ihm den Mund verziehen,
Die siehst du meist mit schiefen Mäulern hinter ihm.
Dagg ich in seinen Diensten, ist nicht lange her.
Doch wie^s gekommen, dass ich an den Herrn gerieth
Von meinem andern, frühem Herrn, erfahrt ihr jezt.
Merkt auf; denn nun beginn^ ich die Historia.
In Athen bedient' ich einen wackem jungen Herrn.
Der war verliebt in ein athenisch Mädchen, und,
Wie*s ächte, wahre Liebe pflegt, sie liebt' auch Qm.
Der ward einmal von hoher Bepublik Athen
In Statsgeschäfben nach Naupactus abgesandt.
Indessen kommt auch mein Soldat zur Stadt Athen,
Schleicht bei der Freundin meines Herrn sofort sich ein,
Und fängt mit Wein, Puzwaaren, leckem Gasterei'n
Sich bei des Mädchens Mutter einzuschmeicheln an.
So wird er bei der Kupplerin bald ganz vertraut.
Kaum dass dem Söldner die öelegeiiheit sich bot,
So wird des Mädchens Mutter, das mein Herr geliebt,
Der Kupplerin, das Maul geschmiert; die Tochter wird
Von ihm^ der Mutter unbewusst, in ein Schiff gelockt,
Und wider Willen hergeschleppt nach Ephesus.
Doch ich, sobald ich hörte, dass sie von Athen
Hinweggeschleppt sei, sehe möglichst schnell mich um
Nach einem Schiffe, meinem Herrn es kundzuthun.
Als wir, an Bord gestiegen, kaum die hohe See
Gewonnen, nahm ein Kaper unser Schiff hinweg.
So war ich Sklave noch bevor ich meinen Herrn
Erreicht; ^ Kiwer nobfDikt» «Mk 4eiii SöUmt kiet.
Naohdem mich 4^^ m 9»mm H»nghi4t fling»ftfcyt>
Seh' ich die Fieimdi4 i^mes Hßmi» ii^ Aikew$M^
Sie, mich gewahro^d» wiffkte mit 4^ii Ang^li mir
Za schweigen; d(wi», ßobftU fliob ihr 0#kge»hftH
Darbot, beklagt sie gegPü wich ihr IßsgeMhiök.
Sie sagt, sie wolla «ach Athf a mm ämem Ifona
Entfliehen, eatflieh'a za meioom B^fr»* de^ lieb^ m$
Und hasse keinen Menseben wift 4e» ^öidiwr hier»
Ich aber, als ich ihrf i^ ^tnm Sim ejrkwmt,
Schrieb gleich ein BriefchWi und Tfrsi^V M mg^m 0« s. w«
Oder wir lassen auf diese Iftqg^re gteUf im AtJmg Mß depi
Schatz folgaii, wo Ibigaroiiidiß mi fplgaade« WortM M(t|#|:
Fürwahr, den Frenjid zu schelten um rerdiente Schuld,
Belohnt sidi niemals, aber mag zu Zeiten doch
Erspriesslich sein. So mnss ich heute meinen Fretmd
Für seine wohlverdiente Schuld aussöhmah'ü : ich tha*d
Ungeme, doch mich treibt daen die Frenndespflicht.
Die Seuche griff hier ohne Mass die Sitten an,
Dass wir dem Tode grössten Theils verfiftlleTi sind,
lodess die Sitten kranken, schiesst voll TJeppfgkeit,
Wie geiles Unkraut, wild empor die schlechte Zucht,
mchts ist bei uns wohlfeiler, als die Schurkerei;
Da kann die reichsten Garben mäh'n; wer ernten will.
Denn Viele buhlen um die Gun^t yon Wei^gen,
Und achten die weit hoher als gemeines Wohl.
So muss der Wohlstand weichen vor der Schmeichelei^
Die manches Unheils Mutter ist, Unfrieden s&t.
Und alles wahrhaft Edle hemmt in Haa3 imd Sta^t«
Nicht minder gelungen erscheuit der Prolog des Schiff«-
bruchs, aus welchem wir wenigstens dcA Anfang mittheilen wol-
len, wo der Dichter den Arcturus also redend einftlhrt:
Der alle Völker, aUee Meer und Land bewegt.
Des Gottfif LandsmuHi bin ich in des HüttttcJls Land.
Ich bin ein cflättZAnd heiler 9tem, vie iixx sueh eeht;
Ein Zeichen, das ni seinsr Zeit Ak stet» ecbebt
Hier und am Himmel, «ftd ijwtnr werd' ioh geianoi.
Naehfa g^laf ioh faoU am Himnud bei der G0tter OchMr;
Ta^ irandl' ich «m M9i Erdan wter Sterblidtan.
Auch andre Sterne senken sich zur Erd* herab.
Der Gi5tter und der Mensdwr Herrscher, Jupiter,
Schickt durah die Welt uns, diesou hiei;, den andern dort,
Dass ¥rir der MeDecheu Werke, SHiev, FrOmnugkAit
U«d Txw erepäb'm und wi^ der WohletoAd ihnw bommU
810 Pktilii TOB D#iifl6r;
Wer Yor dem Biohter seine Solmld absohwOrt, ond wer
Durch falsches Zengniss fidsches Eigenthtim erstrebt,
Die Namen Soloher bringen wir yor Jupiter.
Tagtäglich wird ihm Kunde, wer auf fibses sinnt.
Wer hier mit Heineid den Process gewinnen will,
Wer vor (Bericht böswillig fremdes Gut erwirbt,
Die Sache dessen richtet er nochmals und straft
Mit grosseren Bussen, als Qewinn der Trug gebracht.
Der Guten Namen kündet ihm ein andres Buch.
Die Bösen aber wähnen oft, Zeus lasse wohl
Durch Opfer und Geschenke sich begtttigen;
Doch sie yerlieren Htth* und Geld; denn kein Gebet
Von eidvorgessenen Freylem ist ihm angenehm.
Ykl leichter wird der Fromme, der die Himmlischen
Anfleht, Gewährung finden, als der Bösewicht.
Euch, die ihr hier seid, mahn* ich denn, ihr Bedlichen,
Die treu ihr Leben führen und mit Frömmigkeit:
So bleibt hinfort auch, die ihr einst euch dessen freut«
Doch nun, warum ich hier erschien, erklär* ich euch:
Vernehmt den Inhalt unsres Stücks aus meinem Mund.
Um indessen auch eine Probe der achtfüssigen Trochäen zu
geben, setzen wir den Anfang der ersten Scene im dritten Act der
Eriegsgeüangenen hierher, wo der Parasit Ergasilus, in folgender
Weise sich yemehmen lässt:
Schlimm hat*s der, der sich sein Essen sucht, imd kaum es finden
kann.
Schlimmer noch, wer sich's mit Mühe sucht, und gar nichts finden
kann,
und am schlimmsten, wer zu essen wünscht, und nichts zu essen hat.
Ging' es nur, dem heut'gen Tage krazt* ich gern die Augen aus:
So mit Bosheit hat er alle Menschen wider mich erfüllt.
Ja, so nüchtern, so gestopft mit Hunger, sah ich keinen Tag,
Keinen noch, wo mir so wenig glückte, was ich unternahm.
Also feiern Mund und Magen heute Hungerferien.
Fort mit ihr, an*s höchste Kreuz fort mit der Parasitenkunst 1
Einen armen Lustigmaoher meidet jezt das junge Volk.
Man yerachtet uns Lakonen, die*s am Tafelrande sich
Gnfigen lassen, Prttgelleider, Schwäzer ohne Gut und Geld.
Solche sucht man, die*s erwiedem, wenn man sie gefüttert hat*
Auf dem Markte kauft man selbst ein, — sonst der Parasiten Amt.
Oder aus demselben Stück den Epilog der Schauspieler:
Werthe Bürger, dieses Stück ist züchtig und yon keuscher Art
Keine Buhlschafb, keine Liebeleien finden sich darin,
Nichts yon untersohobnen Kindern, nichts yon abgelocktem Geld;
PkvftBS ^n Donaer. ati
Kein VerUebier kauft ein Mädchen hinter eeinam Tater los.
Selten nnr erfinden Dichter solcher Art Oom5dieB9
Wo die Guten besser werden. Aber nun, wenn^s euch gefiütt,
Wenn wir euch gefielen, nieht langweilten, gebt ein Zeichen uns:
Ist die Sittsamkeit noch eines Kranzes werth, so klatschet brar!
Eine weitere Probe mag den Zwillingen entnommen sein,
wo am Anfange des dritten Acts der Parasit Kehrwisch (so
wird Peniculns Übersetzt) folgende Worte spricht:
üober dreissig Jahre bin ich jezt hinaus; doch macht* ich nie.
Seit ich lebe, solchen dummen, solch yermchten Streich, wie heut.
Wo ich in die Yolksrersammlung (o der Schmach I) mich einge-
drängt.
Während ich das Maul daselbst aufsperre, macht Menächmus sich
Weg Ton mir, läuft wohl zu seinem Liebchen hin, und läset mich
stehen.
Straften ihn doch alle 05tter, der die Yolksrersammlungen
Einst erfand und schon beladne Leute so noch mehr belud!
Sollte man nicht Hüssiggänger auserseh*n zu dem Geschäft?
Kämen die nicht zur gebotnen Zeit, so strafte man sie gleich.
Viele gibt's, die Ein Gericht nur täglich essen, nichts zu thun
Haben, und zu keinem Mahle laden noch geladen sind.
Wären die nicht gut genug zu Volks- und Wahlyersammlungen?
Gälte das, dann hätt' ich heute nicht die Mahlzeit eingebüsst,
Die so sicher, als ich lebe, mir die Götter zugedacht.
Aber geh' ich : auch die Hoffnung auf die Brocken reizt mich noch.
Doch Menächmus seh' ich dort; er kommt bekränzt heraus. Das
Mahl
Ist Tortlber; ihn zu holen, komm* ich eben recht daher.
Oder was in der zweiten Sceue des yiertenAkts dem Menäch-
mus in den Mund gelegt ist, in Bakchischen und Kretischen
Versen :
Wie herrscht doch so gar allgemein, uns zur Last nur,
Der unsinn'ge Brauch! Wenn im Staat Einer Einfluss
Und Macht hat und hoch steht, so hat er die Grille:
Er wünscht eine recht grosse Zahl von Clienten.
Ob sie gut oder sohlecht sind, nach dem fragt kein Mensch.
Ob sie reich oder arm, das allein wird gefhtgt,
Sei der Buf, wie er will.
und ist Einer arm, aber ehrlich, er gilt doch
Fttr mmüz ; ein Schelm, ist er reich, steht in Anseh'n.
Wer nach Becht, Billigkeit und G«sez nirgend fragt.
Der ist seinem Schuzherm zur Qual nur,
Lftugnet ab, was man ihm anvertrant;
Stets nach Baub und Streit verlangend,
snr piMCitt t4D i>oiit«v.
Ist Trag beia^ Lofug«
Durch Meineid oad VTwlier
Erwatb er sidi BekUhani; auf Zank steht sein Sma tmr.
Belangt Inau ihn, 00 mnei sii(^ai4h mit ihai der Behoaherr rot
Ctorioht^
Mu88 seinen Sohüzling, was er anch verbroohen, selbst yertheidigen^
Es sei TOT ten Ydk, yof dem Piftfor, dem Eiohter«
Wir Algen cum Schlnea dieser Proben nooh die vierte Soene
des sechsten Aktes bei, welche einen Monolog des Bedienten Mes-
seni» anfiillt «nd atls Bakdieen» Kretikern» TroohAen nad Jamben
ist:
Döf Knecht, wld er sein doli« der nur seines Herrn Wohl
Bedenkt und besorgt, der bewacht, was des Herrn ist,
Ancid wenn er entfernt ist, mit Sorgfalt und Umsicht,
iln wir* er wgegcn, ja, wahrt es noch treuer.
Die Haut muss ihm mehr, als der Schlund, und die Beine
Ihm meht als ddr JSatich sein, wess Herz nicht verkehrt ist.
Denk' et doch, welcher Lobn von dem Herrn denen wird.
Welche nichts taugen, die trag und unnüze sind:
Schläge, Ketten, Mtlhle, Mattheit, grösser Hunger, bittre Küte,
Das ist der Tr&gheit hetber Lohn.
Vor solchen Üebebi sehen* ich nüch| dnim bin ich lieber gnt alft
schlecht.
Denn lieber duld* ich Mahnungen, als Ahndungen, da graut mir vor.
Und esse so ^el lieber auch Gemahlenes, als icli mahle selbst.
Vttm itaht^ Ich, was mein Hert befiehlt, wohl aus, bedien' ihn
amsig, und
Das frommt mir auch. Die Andern mögen sein, wie's ihnen nflz-
lich dünkt;
loh aber will mich halten^ wie's die Pflicht gebeut, will stets in
J'urcht
▼ot Strafe selii, damit ich stets mich rein erhalte ton derÖchuli?,
So dass ich stets und überall dem Herrn zum Dienst gewärtig bitt.
Die Knechte, die itoh kein Yergeh'n za Schnlden b6mtneti lasMil and
Die Strafe sdiei*'a^ sind ihrem Herrn ntur nüdiok. Jetfe^ dat siek
sonst
Nicht fürchten, fünditen Sich, s6bald sie einsStrafb sich vsrtient.
Ich fürdhte keine Sttafet neita, die Ztit ist nsbe» wo mein Harr
Für meine treuen DtLsoste n^ioh belohnmi wirdi loh diMs so^
Wie's meinem Bücken dienlich ist.
Nun ich im Gasthof louäi Befehl OepHck mid Sklaven abgeSezt,
So komm' ick 1ms, ihn selbto abzuholen. An df« Tüttre Usr
Klopf ich sofoity dtuftiii es merkt, inh wlott seili, und dbss ioh mir
Aus der Verderbensgrube da ubit heötor Host ikn zisksn kann.
Doch komm' ioh^ furcht' ich^ wM n epttt^ nachdem dii StddacAt
gelMhbkgen ist
Aus diMOB wenugdiiy mehr naeh Zufall als mit boBtimmier Ab-
sicht ansgewtthlteii Proben mag jeder Leser selbst bemessen, was
Ton dem Yerüasser aach ia dieser Deberaetznng geleistet worden
ist, die sieh den ähnlichen Meisterwerken, welche wir seiner Hand
▼erdanken» nioht minder würdig angibt.
Chr. Bfthr.
Jl. T&rtnH Varratds S^Bbtrarum Menippearum rdiquiae. BecemuU,
proleffornma 9erip$it, apptnäieem adkcit Ahofandir BitB4*
Lipeiae tn asdibuB B. Q. Teuinun. MDCCCLXV. XVI und
dlO 8. gr. 8.
Na^Adem in der letzten Zeit von yersohiedenen Seiten vialee
für diese früher sehr Temaekl&sstgten Beste römisoher Litterator
im Einzelnen geschehen war, ersehien es als Möglichkeit wie als
Bedürfnisse eine neue dem Stande der Wissenschaft möglichst «at-
spreehende Ausgabe derselben zu veranstalten. Die Prolegomena
musst^i theüs eine genaue PrOfong der alten Nachrichten über die
Varronische Satirengattung und eine nach Möglichkeit anschauliche
Schilderung derselben enthalten, wobei zugleich auf die Scheidung
der Satiren tou Pseudotragödien und Logistorici Bücksicht zu neh«
men war; theils war insbesondere .eine eingehende Untersuchung
über die seit Böper's erstem Auftreten viel besprochene Frage nach
dem Vorhandensein und der Ausdehnung prosaischer Theile in den
Satiren nöthig. Diese Untersuchungi welche mich zu dem Betul*
täte führte, dass grössere prosaische Bestandtheile als selbst Büehe*
1er annahm, darin vorhanden sind, führte ich hauptsächlich auf
der Baeis der als nothwendig erkannten stilistischen Verschiedem«
hait zwiaohen prosaischem und poetischem Ausdrucke. Bndlioh
musste die Yanonische Metrik im Zusammenhange dargestellt
werden.
In der Anordnung der Textesrecension selbst nahm ioh mir
Bibbeck's Fragmentsammlungen zuhi Vorbilde. Ausser der Angabe
der Fundstellen yetrsuchte ich mich auch auf dem schlüp£rigen 0-»'
biete der Beeonstruction einzelner Satiren. Den handschriftlichen
Apparat hoffe ich, Dank vielfacher gütiger Unterstützung, voll-
ständig gegeben und von Conjecturen nichts im Qeringsten Wush-*
tigee l&argangen zu haben ; wie weit ich in eigenen Yermuthungen
das richtige Maas gehalten, wird die unbefangene Kritik beup*
theilen.
Im Anhange findet man verschiedene für die Eenntniss der
VarroBiaehen Satire in der einen oder andern Weise widitige Beste
des AlterÜiuns zusammengeetellt. A« Biese*
584 Weloker: T^pebQch einer OrleeUwdieB Reise.
Tagebuch einer Grieehisehen Rei$$ von F. O. Weleker. BorMn,
Verlag wm Wilhelm Herl» (Beea&f'eehe Buehhandhmg) ISSö.
ErHer Band. X und B44 B. Ztoeiier Band. 8S8 8. in 8.
Das Tagebuch einer im Jahr 1842 von Born atis nadh Grieohen-
land unternommenen Reise, welches hier nach den an jedem Tage
gemachten Aufzeichnungen yeröffentlicht wird, soll nach der aus-
drücklichen Erklärung des Verfassers von dem Gesichtspunkte eines
ffir Freunde gedruckten Manusoriptes betrachtet werden; es soll
nicht die Ergebnisse gelehrter Forschungen über einselne Theile
der griechischen Welt, zunitohst des Alterthums enthalten, da solche
bestimmte Zwecke mit der Reise des Verfassers nicht in Verbin-
dung standen, diese vielmehr dazu dienen sollte, »Anschauung zu
gewinnen von dem Boden und Himmel und Erfahrung Ton dem
Klima des Landes, das mich so viel und so befriedigend beschäf-
tigt hatte, und die merkwürdigsten üeberbleibsel aus dem Alter-
thum auch mit eigenen Augen zu sehen« (S. VII). Indessen wird
es doch immer einen Unterschied ausmachen, den Reisebericht
eines gewöhnlichen Touristen und die Schilderung einer Reise nach
Griechenland, die eia anerkannter Kenner des hellenischen Alter-
thums unternommen hat, vor sich zu haben, und der Leser, auch
wenn er nicht gerade gelehrte Untersuchungen in einer solchen
Schilderung erwartet, wird doch selbst die einfache Erzfthlung des
tftglich Erlebten oder Gesehenen mit ganz anderm Sinne betrach-
ten, eben weil er Ton dem Blick eines solchen Mannes Etwas ganz
Anderes erwarten zu können glaubt. Und so wird man gern nach
diesem Tagebuch greifen, zumal es auch so Manches Persönliche
bringt , dass es, wie der Verfasser sich ausdrückt, (S. IX) » Aehn-
lichkeit mit einem Stückchen Selbstbiographie enthält«, indem der
Ver&sser sich ganz so gibt, wie er ist und in allen seinen per-
sönlichen Mittheilungen doch wieder Manches von allgemeinerem
Interesse einmischt. Die einfache tägliche Aufzeichnung hat ffkr
den Leser, der nicht nach gelehrter Forschung lüstern ist. Etwas
unterhaltendes: die Aufzeichnungen tragen auch jetzt noch, nach
mehr als zwanzig Jahren, eine gewisse Frische des Geistes an sich,
und gewähren dem Leser, der mit Interesse folgt, eine eben so
angenehme Unterhaltung als selbst Belehrung: wir rechnen dahin
audi manche Naturschilderungen, welche der Verfosser in eben so
freier ungezwungener Weise gibt, als er seinen Verkehr mit Ge-
lehrten, Diplomaten u. s. w. erzählt. Nie wird man, ungeachtet
jeder Besuch und jede Unterhaltung verzeichnet ist, auf irgend
etwas Verletzendes, in den darauf bezüglichen Mittheilnngen stossen :
das Pikante, oder richtiger das Widerwärtige, das uns solche Auf-
zeichnungen des täglich Erlebten in Deutschland geboten haben,
wird man hier gänzlich Tcrmissen: aber desto lieber dem Ver^Eksser
auf seinen täglichen Wanderungen und Wahrnehmungen folgen,
mögen nie die neuere Zeit von Hellas oder die alte Zeit, einzelne
W«Ieker: Ta^elmdi einer GMeoUsch» R«Im. 666
herrorragende Paukte des Atterthtuns, Kunstwerke u. dgL betref-
£bii. Dabei ist kaum ein Gegenstand, welcher der Anfinerksamkeit
des Verfassers entgeht. Der YerfiMser yerliess Born am 12. Janoar
1842 nm Ankona zu erreichen, Ton wo die Reise znr See fortge-
setst und Athen am 26. Jannar erreicht ward. Ein l&ngerer Auf-
enthalt ward dieser Stadt und dem Besuche ihrer Umgebungen
gewidmet, mehrfach aUe Hauptpunkte des Alterthums, vor Allem
die AkropoUs, der Parthenon, das sogenannte Theseion (worüber
jedoch keine Entscheidung gewagt wird S. 124) besucht: und diese
Besuche wechseln mit den Besuchen deutscher wie inländischer
Qelehrten, bei den Diplomaten, bei Hof u. s. w. Am 15. März
ward Ton Athen ein Ausflug nach der Marathonischen Ebene unter»
nommen und von da nach dem Vorgebirge Sunium an der süd-
lichen Spitze Attika's mit seinem berühmten, durch ein Erdbeben,
wie auch hier angenommen wird, zerstörten TempeL Es ist zu be-
dauern, dass der VerÜEtsser sich nicht länger auf der Marathoni*
sehen Ebene yerweilt hat, um so manche der hier sich bietenden
Zweifel zu lösen: dass das alte Marathon an dem jetzigen Vrana
zu suchen sei (wie Leake insbesondere, dem Viele folgen, darzu-
thnn gesucht hat) oder doch ein wenig weiter seewärts, scheint
ihm annehmbar (S. 181): nach Bangabe*s Ausführung wird man
dies kaum behaupten können. Der Weg Ton da nach Thoriko bot
wenig Anziehendes : die Gegend Öde und ohne Anbau : bei Thoriko
entschädigte die Höhe der Lage und der weite Femblick von da«
Eine nähere und anziehende Beschreibung wird dem von hier nur
zwei Stunden entfernten Sunium zu Theil: der Weg dahin, die
herrlichste Aussicht bietend, war im Ganzen noch der alte, wenn
auch theilweise jetzt kaum zugänglich und von dem Zahn der Zeit
zerstört. >An einer Stelle, so meldet das Tagebuch S. 141, eine
halbe Stunde von Sunium war ein reiches Grabmal mit der abge-
schlossenen Aussicht aus einer Bergecke auf den Canal und Mak-
ronisi, dessen Stelen und Bruchstücke lebensgrosser Figuren you
Mann und Frau umherliegen. Mehrere andere Gräber folgen nach,
ehe die Säulen des Tempels, wie ein Drahtgitter sich in den blauen
Himmel zeichnen. Den Berg hinabgestiegen kommt man über einen
kleinen Damm, über welchen die Bucht eine kleine Strecke hin
ausgetreten ist und erklettert dann das Vorgebirge, das sich mehr
gegen die nördliche Seite wölbt und ausbreitet. Auf dem Plateau
des Tempels bleibt ein Vorplatz nach dem Meer von 24 Schritten
Tiefe, die Längenseite des Tempels, und geringerer Breite nach
den Seiten hin. Hinunter starrt und klüpftet sich ein braunes
GMdipp, das man hie und da hinabklettem kann, doch nicht weit
-— ostwärts erhebt sich von der Tiefe des Vorgebirge aus noch
ein anderer ähnlich brauner Felsen, fast in der Gestalt eines
Löwennackens mit aufgesperrtem Bachen. Schaut man sich um,
so geht der Blick von den schneeigen Höhen Euböa*s über auf die
in der Nähe nicht minder lang gestreckte Insel Makronisi. Dann
sidit man die lange Zea» Thermia, Seripho, Bt Qioi^Oi Hydsa»
Aeginai das Featland, eine Solmeekoppel und weiteren schneebe-
deckten Bergzug von Arkadien and am andern Ende zwificben
nahen grauen H&hen durchblickend SaLamie« Noch schöner nadi
diesem Blick auf die Weite, die gegen Kreta hin eine grosse im-
unterbrochene Meerlinie darbietet, ist das Meer in der Nfthe, wenn
man gerade hinab durch die braunen Klippen auf seine Bläue sehaut
oder in die kleinen Buchten y die es rechts von der nach Sunium
bildet; auch die nahe Felseninsel Gaidaronisi trägt sur Terschdne-
rung des Seegemäldes nicht wenig bei. Wie prächtig aber und
rührend ist die schneeweisse Tempelruine. Die aus den Spitsen
gewichenen Säulenstücke, viel stärker als die des Theseion ver-
rttekt, und die auf der östlichen Ecke gehäuften Marmormassen —
wohl Über 50 Trommeln, Oapitäle und grosse Qebälkstttcke, sowie
die auf der Seite nach der Stadt zum Theil weit hinabgerollten
zeigra auf den ersten Blick die Ursache der Zerstörung in einem
Erdbeben. Darum wäre hier zu graben.« Es folgt nun eine ge*
naue Beschreibung der noch Torhandenen Beste« Von Sunium ward
die Bückreise auf der andern Seite Attikas über Vari (Anagyms) nadt
Athen unternommen : zahlreiche Gräber zu beiden Seiten des Weges
erinnerten an die Appische Strasse, sonst war der Boden Öde, und
>der Anbau beginnt erst etwa eine Stunde von Athen. Je mehr
man diesem sich nähert, um so mehr spannt die Aussicht, die
schon Yorher durch die immer wechselnden Ansichten der Inseln,
jetzt durch eine Bucht, vor der Aegina sich lagert, jetzt durch
längere Bergzüge stets unterhält. Besonders majestätisch hebt sich
von dieser Hochebene in der Feme der Kithäron hervor, Salamis sieht
man nun noch von dieser Seite in seiner gegen die Mitte einge-
kerbten Ausdehnung •— den Hymettus und Pames wird man nicht
müde zu betrachten — und tritt endlich auch der Pentelikon wie-
der hervor und studirt man im Einzelnen die Berge, so glaubt
man nun erst, wenn man Attika umkreist ist, und von dieser Seite
her ihre ganze Bedeutendheit und Herrlichkeit zu verstehen. Selten
war ich in Betrachtung feierlicher gestimmt ; es wurde eben Nacht
und alle Umrisse zeichneten sich schärfer. Der Eindruck der
Wüstenei Attika's im Ganzen und das Alterthum, durch dieAkro-
polis repräsentirt, müssen zusammenwirken. Die Anschaunng die-
ses Landes vor Andern lässt sich durch keine Beschreibung er-
setaen« (S. 149).
An diesen Ausflug schloss sich Ende März eine weitere Beiae
nach dem Feloponnes über Megara, dessen Lage als vorzüglich
schön bezeichnet wird, und über den Isthmus nach Kozinth» von
da über das alte Kleonä tmd Nemea nach Mykenä, von wo aus
das Löwenthor, und das alte Heräum besucht und nach ihrem
gegenwärtigen Stande beschrieben werden, dann über Ohonika nach
Arges, das jetet (d. k im Jahre 1842) wieder 600 Häuser und
12000 Elawofafiier d&hUe; von hier ward die Beise in daslnnera.
WiBlelccr: THiAnich einer CWIechlköhen ReM^ MY
dm P^o)K)dne8 aaoh Tripplitei nnd von da nadi dem alten Sparia
und Amjklft fortgesetzt. In gleicihdr Weise wie die eben als Pro-
ben mitgoftlieüteti Scbüderangeii von Snniom und von Attika« wech-
seln anoh hier angenehme Landsohaftsbilder mit antiqnariseheo
BrOrtenmgen, zn denen die an den genannten Orten besachten
Beete altfaelhinisdier Zeit mebr£EM)he Veranlaasong boten; die nti-'
geofwnngene Weise, in der diess geechieht, Iftsst uns gern bei allen
derartigen Sdiüdemngen oder Beechreibangen verweilen. Diese
angenehmen Landseheitsbilder treten anoh weiter entgegen in der
von da fortgesetzten Reise dnrch das alte Messenien, dessen im Alter-
thnm hervorragende Orte besnoht wurden, dann 4ber ein Theil
Aritadiens naeh Olympia nnd von da wieder znrtlek ttber das alte
Psephis, Pheaens, Phlins nach Argos, Hjkenä nnd Epidamnns,
von da Aber das Meer nach Aegina, womit der erste Band
seidiesst*
Der aweite Band beginnt wieder mit Athen, wohin der Ver-
faeasr am 5i. Mai von dieser Beise nach dem Peloponnes mrtlck-
katt, und nai^ einiger Hast ward am 15. Mai die Reise nach dem
nOrdliehen Grieohenland angetreten über Eieosis, Eleutbertt nach
¥MU, (KoklaX Olisas, Theben nnd dem Helikon» von da nach
Lebadea und der H5hle des Trophonius, naeh Orohomenos, Cb&ronea
n. 8. Wh nach Delphi nnd dessen ümgebnngen: wir können deoi
YerlAsser nicht in allen diesen, meist auf das Alterthnkn Rftekeicht
nehmenden Sohildenmgen folgen, nnr, was er ttber Delphi S» 74v 75*
sehreibt, mag hier eine Stelle finden:
»Wekh* ein Ort schon dtiroh die Natur I Zogeeohlöseen dnrch
die hofae Eirphis nnd den Pamaes nach der Meeraeite» eingeengt
dnrch die Phftdriaden hinter dem Tempel her nnd geschlossen
nach der andern Seite gegen Arachova, etwas weniger eng, dumh
die tich hembziehende, unebene aber huchtbare, echtnale Thalfläche,
wnkhe die höhe, mächtige Kirphis abschneidet* In tiefem Bett»
Ükli an dieeer der Pleistos hinab, in den die Eastldia unter der
Stadt, auch in tiefer Schineht sieh ergiesst und die Oliven neben
detn weissen, trockenen Flussbett bezeichnen den Lauf des Flusses
sehr stark. Der Tempel muss dor^ seine Grösse in dieser Enge
und mit der nmsehliessenden Felsenwand einen eigenthttmlichen
Eindruck gemacht haben — imposant und den Apollo als Herren
erhebend, wenn nicht verhältnissmftssig in stttdtiecher Hinsicht (?)•
Dass ein Tempel der Pronäa hier nicht Platz hatte, ist klar (?).
Theater und Stadium über dem Tempel, zur höchsten Stelle das
Gymnasium gerade unter dem Tempel auf einem besondem, durch
die Eastalia abgesonderten, jetzt auch mit Oelbäumen bepflanzten
Yorsprung; für die Städter ist auf dieser Seite so wenig Raum.
Diess zusammen gibt dem Ort im Mittelpunkt seiner Bedeutung,
von dem Winkel der Eastalia in geringem Raum umher eine eben
so starke Eigenthümlichkeit, als er in dem weiteren umfang des
Bergkessels hat. und bei dieser Begrenzung, bei der Starrheit
58S Welek«r: Tigebneli «liier Oiieehtoehw IUIm.
der Phftdriadeiii der Strenge der Eirphie tL 8. w. ist doeh das
GhkDze nicht schanerlich noch dflster.c
DasB im weiteren Fortgang der Reise anoh die Thexmopjlen,
Tanagra, Anlis, Ohalois n. s. w. besacht werden, brauchen wir
wohl kanm zu bemerken: Ende Mai erfolgte die Büekkehr nach
Athen^ und Ton da nach einem etwa zehntägigen Aufenthalt die
Abreise zur See über Syra, Delos u. s. w. nach Smjma, das am
11. Jnni erreicht ward: diese Stadt, ihre Umgebungen, dann wei-
ter Ephesus, Magnesia werden beschrieben, eben so ward das an-
gebliche Monument des Sesostris besucht, dann Sardes und das
Grabmal des Alyattes, Pergamos, Assos u. s. w. zuletzt auch noch
die Gegenden des alten Troja — was 8. 215 ff. bemerkt wird, mag
allerdings die Schwierigkeiten dieser ganzen Streitfrage über die
Lage des Homerischen Troja erkennen lassen, wenn es auch gleich
kaum zweifelhaft sein kann, dass zunächst an Bunarbaschi, wie
der Ort jetzt heisst, dabei zu denken ist. Die weitere Reise über
Eonstantinopel , Smyma zurück nach Athen, und von da nach
Eorinth mag man in dem Tagebuch selbst lesen: nur noch eines
Ton Eorinth aus unternommenen Ausfluges zur Styx haben wir
zu gedenken, um so mehr als die Schilderung, die uns von dieser
wilden Gebirgsgegend entworfen wird, ganz übereinstimmt mit dem,
was Schwab und Andere über die grossartige Natur dieser Gegend
berichtet haben: es ist eine nicht ohne Beschwerden und selbst
Gefahren zu erreichende Gebirgswelt, die auch den Verfasser mit
Staunen erfüllte, als er in der engen Felsschlucht immer weiter
vorwärts dringend das yon einer Felswand herabstürzende Wasser,
das schon die Alten schrecklich und schauerlich nannten, aus der
Feme erblickte. Von da eilte der Verfosser nach dem auf einem
Felsenvorsprung gelegenen Eloster Megaspiläon und Ton da über
Vostizza nach Patras, wo er sich einschiffte und über Eorfn nach
Ankona zurückkehrte. Hiermit schliesst das Tagebueh, Ton dem
wir hier nur eine dürftige Skizze gegeben haben, die auch Andere,
als den blossen Forscher des Alterthums yeranlassen mag, sich
näher mit diesem Tagebuch zu beschäftigen, eben weil es nicht
blos das Alterthum, sondern auch die neuen Zustände und Vor*
hältnisse berührt, und hier nicht Weniges von Interesse selbst für
weitere Ereise, mittheilt. — Die äussere Ausstattung in Druck und
Papier ist ganz angenehm.
' Kvha: Suattoelie Yerftmiu« im RtalMbiii Bcloka» tL StO
DU iMWMA« und bürgerUae Verfaanmg dm EamUdkm Bekhg bi$
--^4M^iJM ZeUen JtuHmam. Yon Dr. Emil Kuhn. Zimter
TheO. Leipzig. Druck und Verlag wm B. G. TetOmer. 2865.
JV umd 611 S. gr. 8.
Auf den enten, im vorigtti Jahre enchienenen und in dieeen
Jahrbb. (Jhrg. 1865, S* 74 ff.) nach seinem Inhalt nnd (Gegenstand
näher besprochenen Theil, ist alsbald der iweite Theil, mit dei^enigen
Forschungen gefolgt, die in dem Sohlusswort des ersten S. 289 ff. ge-
wissermassen angekündigt worden waren. Der Y er£ hatte in dem ersten
Theü nachzuweisen versacht, »dass der Begriff der rOmischen Ge-
meindeverfiMsang anf dem Grandsatze der Abgeschlossenheit, ja
Selbständigkeit der Oommnnalitäten berohtec, und »eine jede Stadt
des Römischen Beiehs der andern gegenüber ein sich abgeschlosse*
nes Gemeinwesen darstellte, c Daher die Au^be des ersten Theils
eben dahin ging, die Beschaffenheit dieses Gemeinwesens darzu-
stellen, er sollte zu der Erkenntniss führen, wie jeder Stadt, jeder
Gemeinde des rOmischen Beiehs eine Gewalt in Bezug auf die Per-
sonen ihrer Abkömmlinge beiwohnte, welche den freien und unab-
hftngigen Gemeindewesen des dassischen Alterthnms zustand, die
Autonomie, die ihnen zustand, mithin nicht als die Eigenthümlich«
keit weniger bevorzugten Gemeinden, sondern als ein, unter Be-
schränkung auf die innem Angelegenheiten ihrer Stadt, allen ge-
meinsam zuzustehendes Becht erscheint. Diess nun bei den ein-
zelnen Ländern, welche als Theile des römischen Beiehs erscheinen,
nachzuweisen in der Art und Weise, wie die Bömer ihre Herr-
schaft ausübten, in den Verfügungen, welche sie in Bezug auf die
ihrer Herrschaft unterworfenen Völker trafen, ist die nächste Be*
Stimmung des zweiten Theiles, der in der Fülle und in dem Beich-
thum des Details, bei der umiiebssenden Belesenheit und Gelehr-
samkeit des Verf. wie sie sich insbesondere in den 4380 Noten,
welche die Beweisstellen enthalten, unter dem Texte selbst, kund
gibt, wahrhaftig dem ersten nicht nachsteht, und in der ganzen
Behandlung des Gegenstandes eben so wenig wie in der äusseren vor*
zflglichen Ausstattung sich davon entfernt. Der Verf. geht in der allge- ^
meinen Betrachtung, die er der Erörterung des Verhältnisses der
Bömer gegenüber den unterworfenen vorausschickt, von dem, nicht
genug audi für unsere Zeit zu beachtenden Grundsätze aus, »dass
das Verhalten der römischen Begierung den Gemeinwesen der
unterjochten Völker gegenüber ein wesentlich conservatives (Ge-
präge an sich trug. Zwar waren die Kittel, deren sich die Bömer
zu der Befestigung ihrer Herrschaft im Grossen bedienten , durch
den erfolgreichsten Nachdruck be^ichnet. Die zusammenhaltenden,
beherrschenden Institutionen dieses Staates bethätigten zu allen
Zeiten eine wahrhaft unwiderstehliche Gk)walt. Diess hinderte je-
doch nicht, dass der römische Staat, seinem inneren Wesen nach
unberührt von dem Streben, welches die Verschmelzung der ein*
M) Kuhn: Stidttoelw TeiiMBWg iM MmMbm Bel^» IL
Minen Thtile dM Staatskörpars eq eisern Garoen hemnM», fM
mehr den yorgefdndeiien, gesohichtlieh begriindetwi. B^|t£|^d dinr
einaelDOB Theile dea Btaatskörpera mit Ansnalusa wenigar FftUe
Ton freien Stücken anerkannte.« Nicht da«, naoh aM>denier An-
Bchanung, die Welt beglückende Centralisationssystem war es also,
was die Onindla^a der rfimiaofaan Hemehaft biM#tai dk fliek doch
80 lange, länger alt äluüicl&e Weltberrichaftea , die wir kaaaaa»
erhahen hat, sookLem Tielmehr daa entgegengeaattte Synten, das
-dar Absonderong der einzelnen , fttr sieh beateh^ndeiii in allen
inneven Angeleganheiten oistanomen Gemeinwaeeiu Welohe Fol-
-garongen daraus eioh weiter, auch auf nneere ZeityarhiUiiiißaQ aa-
gewendeti ergebaa, wollen wir hier nicht berühren; wir haben U^fi
Bericht sn erstatten über ein Werk, das durch die geoaueite Er-
lirterang und DarsMlnng dieeer YarhiltBiase im Alterthum aa der«*
artigen Betraefatungan imd Yerglaiehangen reichliohan Stoff bi^ei
Geben wir näher anf den Inhalt dieses aweitea Theilies exai
ao aerfiült derselbe in drei grosse Abgohnitte; in dam erat^ der**
aeMien werden zsmäehst die Anordnungen der S&m&c betzaehtet in
Bazäehnng auf die überwundenen Völker Italiens, Sipiliena, Ckie^
ohenlanda u« b.w. Oonoilia, Oonnabia, Oommerci& g. 7£, dann die
Yeriiältnisse der Terbündeten fosien und unterthtaigen Gemeinden
•8. 14 ff., die OebietsForleihungen derSömer an einzelne Gemeindea,
4ie Unterordnung einzelner Gemeinden unter andere, die Betheili*'
•gung der rOmiaehen Untergebenen an den inaeneii Bewegungen d^r
jümiachen Bepnblik S. 41 ff. Dann ioJigen noch baaendare Ab^chnitta,
welche die Gemeinden 8ioillen'a (S. &8ff.), die Gemeinden und
v51kerBchafUichan Vereine Acbej^'s (8* 64 ff.) und die Aaordnxingea
des Augnatus in Bezug auf Aegypten (S. 80 ff.) enthalten« In diep
aen Anordnungen findet der Verl Berechnungen monarobieohar
Vorsicht mit den Beweggründen, welche das Vesühalten der
Bümer, gageniüber den unterworfenen Völkern schon Ton jeher aJe
maasgebend bestimmten, yereinigt. 8o wenig wie Oäsar, wollt(B
August eine so wichtige Proyina in die Hände irgend einea aage**
aehenen Gonsularcn gelegt sahen, er zog es daher ¥or, die oberste
Leitung eines so bedeutenden, durch seine eigenthümliche Lege,
durch den Beiohthum des Bodena, dessen Produkte Italien »ge^
fthrt wnrden, wichtigen Landes in die Hände eines blos yoü Um
abhängigen Beamten, und zwar eines römischen Bitters zu l^fS^
nach daa Land gewiaeermaesen zu eineor Privatdomäne zu machen,
und zttgifiioh es völlig abzusehliessen. Die weiteren Massnahmen dee
Augustus zur Durohführung dieser Absieht werden dargelegt, aber
auch zugleich darauf hingewiesen, wie durch alle diese Ver&Jsgqup
gen die Verwaltung einheimiscfaar, örtlicher Magbtraturen diutA
die Aegyptier nicht ausgesohlosaen war.
Der Eweite Abschnitt fUhart die eigeatliohe Fr<>¥inzialvarwaV*
Anng in ansgedebniter und umfassender Weiae yoa:, wo^ei neben dar
genauen Benutzung Alles dessen, was dafür in grieohiacbeo
1
LHiVAtQiforliBlite ms lisltoii. tÜ
und r5miMkeii Bobnftftelloni mit BingehliMB d«r eplteMi BeehAa-
quellen sich irgendwie findet, »ncli die zahlreichen bischiriften, wie
sie in neuerer Zeit in grosser Zahl an^s Tageslicht getreten sind,
als eine ergiebige Fundgrube gerade für diesen Zweig der Alter-
thumsforschung benutzt worden sind. Zunächst sind es in diesem
Abeohnitt die Asiatie^ien Lttnder, Macedoniea und Afrioa, über
weiche die Darstellung sich Terbreitet, und ewar in der Art, daes
bei Asien der Verf. lurüokgeht bis auf die Zeiten der Penisehen
und der darauf folgenden ICacedonisehen Herrschalt, weil am den
damals bestandenen Verhttltnissen sieh Manches erkUirt, was wir
auch spftter, in der rom Verfasser zunächst ins Auge gonommeBen
Zeit, nooh Torfinden, und so selbst ein gewisser innerer Znsammea-
hang in diesen Verhttltnissen erkennbar ist, welcher durch diese
ausfthrliche historische Darstellung erst reaki klarwird. Auf diese,
keineswegs überflüssige Erörterung iblgt dann eine üebersieht der
Prorinzen des rOmisohen Asiens, zuerst in Kleinasien und dann in
Syrien (8. 144 ff.), begleitet von einer weiteren Erörterung (8.201)
über die successiven Aenderungen in der Eintheüung der übrigen
Provinzen. Nun erst wendet sich die Darstellung den Städten des
römischen Asiens zu (S. 230 ff,), und zwar zuerst in der Pontischen,
dann in der Asiatischen Diöeese und dann in der Diöcese des
Orients. Darauf folgen Macedonien und Afrika (S. 888 ff.).
Der dritte Abschnitt (8. 454 ff.) gibt ein um&ssendes Bild d«r
Verwaltung und der gesammten Lage Aegypten's in der Zeit der
römischen Herrschaft;^ mit gprosser Sorgfalt aus den zagängliehen
Quellen, Schriftstellem wie Inschriften, zusammengestellt, und in
alles Detail der Verwaltung eingdiend. Die religiösen, wie die
politischen Verhältnisse, in letzter BeziehuBg die Behörden des
Kaisers wie des Landes, werden näher besprochen, die gesammte
Gintheilung des Landes wird yorgeftlhrt, es folgen dann die ein-
zelnen Nomen mit ihren Behörden, den Nomarchen und Strategen,
darauf die Eomen, ebenfedls mit ihren Vorstehern und Allem dar-
auf Bezüglichen, was erschöpfend hier behandelt wird, so dass
damit zugleidi ein weiterer Beitrag fär die EenntBiss dieses Lan-
des in der späteren Periode des Altexthuus geliefert wird.
LiteiatorbericlLte ms Italiei.
PraposU e diseorgi dd deptäaio Maneini std imposto dd repistro
e ddla ricckisxa mobüe. Torino 1860. 7\p» Comagrcu
Der bekannte Professor Manoini macht hier die Vorschläge be-
kannt, welche er in der Kammer der Abgeordneten filier die Sin-
kommen-Steuer gemacht hat, nebst den von ihm desshalb gelMlte-
nen Beden, Es ist derselbe nämlich ein eben so erfahrener Ver-
M LltarttvrberMito fttts liilfefi.
waltungsbeamter als Lehrer des Yölkerreohts, jetst auf der Uni-
versität za Turin, früher in NeapeL
DüeorH dd depuiaio Mancim nd impodo sui reddiU ddla rieeheste
mobüe. Tarino 1863. Tip. Botta.
Die in dem weiteren Verfolge der diessCallsigen Verhandfamgen
im Parlamente yon demselben Abgeordneten gehaltenen Beden wer-
den hier mitgetheilt. Jetzt ist derselbe hauptsftchlich im Parla-
mente mit seinem Vorschlage beschäftigt» die Todesstrafe absa-
schaffen, wofür jetzt in Italien sich überall Stimmen erheben ; aneh
hat ein anderer Bechtsgelehrter Ellero bereits eine Zeitschrifb ge-
gründet, welche nur diesen Zweck hat. Ein eifriger Verfechter der
Abschafiimg dieser Strafe ist ein sehr fähiger Zögling Hancinis,
der Advokat Pierantoni ans den Abmzzeni welcher diesem Gegen-
stände bereits viele Spalten in der Toriner Zeitong >I1 Diritto«
gewidmet hat, wodurch er eine Menge Anhänger dieser Ansicht
gewinnt.
La Conoentiane e ü voto dd 19. OUobre per D, Levi depuiaio.
Torino 1861. Tip. Franco.
Der sehr geachtete Abgeordnete, Doctor Levi ans Turin, rich-
tet hier an seine Wähler seine Ansichten über die bekannte Pari-
ser Convention wegen Born, worin er die früheren Minister Perruzzi
und Mignetti scharf angreift, indem er die Art, wie diese Ver-
handlungen geführt wurden, einen Staatsstreich nennt, welcher zwar
durch die Abstimmung in der Kammer am 19. Oktober genehmigt
worden, den er aber für Italien sehr gefährlich hält, so dass er
nur Heil in einem National-Gonvent findet«
11 Secolo XVlj dal Conte Ttdlio Dandolo. Müano 1864. Presse Saft-
vüo. IV. Vol in 12.
Der unermüdliche Qraf Dandolo gibt hier eine Geschichte des
17. Jahrhunderts mit besonderer Beziehung auf Italien, ein Werk,
welches gewissermassen einen Theü eines Ojclus seiner Arbeiten bil-
det, weljshe die Qeschichte des Bewusstsehis der Neu-Zeit (stoiia
del pensiero nei tempi modemi) umfassen. Dazu gehört als Vor-
läufer und Einleitung U Pensiere pagano ai giomi dell Impero,
II Oristianesimo crescente und I secoli Barbari, I secoli di Leone X.,
di Dante e di Oolombo. ID. VoU. Auch gehört dazu Italien im
verflossenen Jahrhundert, femer: der Norden von Europa und
Amerika in jener Zeit, Frankreich im vergangenen Jahrhundert,
n. Voll., so wie Born und die Päpste. V. Voll. Früher erschien
von demselben Verf. das Jahrhundert desPerikles mit einer Ueber-
setzung der Charaktere des Theophrast u. s. w. Man muss daher
gestehen, dass Dandolo nebst dem bekannten Cantu die beiden
fleissigsten Schriftsteller Mailands sind.
Neigebaur.
Ii. SS. HEIDELBEKGEa IStS.
JAHRBÜCHER DER UTERATÜR.
Literatarberichte ans ItalieiL
DUUmario dx geograßa univer$aie modema da F. Predaru Müano
1864.
Dies geographische allgemeine Wörterbuch empfiehlt sieh schon
durch den Namen des Verfassers, des bekannten Herausgebers
mehrerer Encjclopttdien , welche in Turin und Mailand seit dem
Jahre 1842 erschienen sind. Er war der, welcher zuerst die be«
rfihmte Encjclopädie zu bearbeiten anfing, welche die Buchhaud*
lung von Pomba in Turin haupsftchlich ehrenvoll bekannt gemacht
hat, und welche jetzt in einer sehr vermehrten Auflage von dem
Bitter di Mauro aus Neapel bearbeitet wird. Herr Predari ist
bereits seit vielen Jahren als ein sehr thätiger Gelehrter bekannt,
seit er seine schriftstellerische Thfttigkeit mit der Herausgabe der
Werke von Yico mit deren Uebersetzung begann, worauf er ge-
schichtliche Untersuchungen über die Amazonen herausgab, denen
dergleichen Aber die Zigeuner folgten. Auch war er, neben vielen
andern von ihm verfiässten Werken, Begründer der in Turin er-
schienenen Antologia Italiana, und der Bevista Italiana, welche
noch jetzt in Turin mit vielem Beifalle erscheint, da nach ihm der
bekannte Staatsmann Lafarina, der gelehrte di Mauro und der
Linguist Yeggezzi Buscalla diese wissenschaftliche Zeitschrift zu
leiten fortgesetzt haben. Predari ist jetzt wieder mit einer grosse-
ren literarischen üntemehung beschäftigt ; man will nftmlich , da
Turin durch die Verlegung der Besidenz nach Florenz viel verliert^
eine grosse Verlags-Gesellschaft in Turin stiften, um den vielen
hier lebenden Buchdruckern und den andern dazu gehörigen Hilfs-
arbeitern ihr Auskommen zu sichern, wozu Actien bis zum Be-
trage von 250,000 Franken gesammelt werden.
AJbum deüa publica espomiofi« dd 1864, da L. Boeco. Tormo. 4.
Dies ist der amtliche Bericht, welchen die Turiner Gesellschaft
zur Beförderung der schönen Künste über die letzte von derselben
veranstaltete Kunstausstellung herausgegeben hat. Diese Aus-
stellung umfasst 467 Kunstwerke, worunter 349 Oelgemälde, 89
Sculpturen, femer andere Miniaturen, Aquarellen und Pastellge-
mälde u. s. w. Der Besuch dieser Ausstellung hatte über 5000 Fr.
eingebracht, und der Verkauf der Kunstwerke 60,000 Fr., wovon
diese Gesellschaft selbst für 25,000 Fr. zur Verloosimg an die
LYIIL Jahrg. 8. Heft. 88
SM UtmtaUrüfihiM sat ttallan.
Mitglieder angekauft hatte. Von rielen der besten Ennsiwerke
sind hier Abbildmngen in sehr gelungenen Kupferstichen nnd
auek ven noch andern Besohreibcingen mitgeiheilt* Das Titel-
Enpfer gibt das ausgezeichnete G^emäide von Oilardi in Turin,
irelches den jungem Brutus darstellte, wie er die Stunde er-
wartet, um sein Vaterland zu befreien; der Kupferstich ist yon
SaWioni, die Beschreibung yon Pagoni. Eine treffliche Landschaft,
einen Bergstrom in den Alpen Yorstellend yon Castan in Genf ist
yon einem Kunstfreunde, dem Grafen Sambuj beschrieben. Eine
sokke geistreiche kunstsinnige Beschreibung gibt auch der Herzog
yon Castromediano yon Caballini bei Lecce yon der trefflichen
Landschaft von Smargiassi aus Neapel, die Quelle des Flusses Melfi
in den Apenninen zwischen den Abruzzen und Terra di Layoro,
welcher yon Strabo erwähnte Fluss dem Liri zuströmt. Von dem-
selben Herzoge, dessen Famlie unter dem Namen Limburg aus
Deutschland schon unter den Hohenstaufen in dem damaligen Nor-
mannischen Süd-Italien belehnet ward, ist auch die treffliche dich-
terische Beschreibung des schönen yon Argenti in Mailand in Mar-
mor ausgeführten Bildwerkes eines schlafenden M&dchens, einen
Traum im fünfzehnten Jahre darstellend. Ein brayes Viehstück
ist Yon dem Maler Pittora in Turin, und Faust mit Gretchen yon
dem ausgezeichneten Maler Giuliani in Mailand, dessen Gemahlin,
eine geborene Geryasoni, ebenfalls eine sehr geachtete Künstlerin ist,
Torio e airilio dell ingerensa dello Btaio nelle proprieia della ehiese
dl Stuart Müly iradoiio da Bon- Compagni, Torino 1864. Tip,
Cavour.
Der jetzt beantragte Gesetzes- Vorschlag wegen Aufhebung der
Klöster hat dieses Werk yeranlasst, in welchem der ehemalige
Minister Bon Compagni neben der üebersetzung der angeblichen
Abhandlung die Rechte der freien Kirche in dem freien Staate
ausfuhrt. Beigefügt ist ein umfassendes Sendschreiben des Abge-
erdnetea Bonghi, welcher sich durch seine üebersetzungea grieefai-
sehet Tragiker und mehrere philosophisohe Werke als Schüler des
QeütUohen JBosmini bereits einen Namen gemacht hat«
Mediiasioni per gli Ecclesiastici in tuiii giorni dd anno, dd P. Stub,
Jorvio 1864. Tip. Mariettu 2 Bände zu 500 Seiten.
Diese fietmchtungen auf alle Tage im Jahn sind fiür & Er-
bauung der GeistUohen bestimmt.
Dd Papa, del Conte Q. de Maisire, iradoUo da B. Oerini. Torino
1864. Tip. MarieUu gr. 8. p. 390.
Der Professor der Rhetorik, Gerini gibt hier eine Üebersetzung
des bekannten Werkes des Orafen de Maistre über den Papst aus
dem Französischen«
IdteMtQfflKTlehfte «M Itelitt. «MB
Xtf üarie ^AfftO^ di Torino, Gtnöv^, Caeale 6 Cafium, ed % loro
eapi, di C. DumisoUi, BiMa 18B4. Tip. Arnes».
Diese Gescbicbte der vier Appell-Hö£e der alten Provinzen de?
jetzigen Königreichs Italien ist nicht nur an sich sehr nützliob flir
die letzten Jahrhunderte, sondern auch durch die beigefügten Bio-
l^raphien der Präsidenten dieser Glerichtshöfe beachtenswerth. Pie-
mont war über 100 Jahoe von Saroien getrennt gewesen, bo lange
die Seitenlinie der Fürsten von Achaja im Piemontesischen herrsch-
ten; Amadeus VTII. vereinte 1418 diese Länder wieder, und nahm
den Herzogs-Titpl an, beseitigte auch die durch das germanische
Lehnwesen eingeführten Sonderrechte der verschiedenen Herrlich-
Iceiten, so dass 1477 eine allgemeine Gesetzsammlung erscheinen
konnte, die 1477 per Joannem Fabri Lingonensem zu Turin ge-
druckt, zu den ersten Incunabeln dieses Landes gehört. Auch
wurde damals der oberste Gerichtshof zu Turin angeordnet, dessen
erster Präsident der Doctor der Rechte, Delpozzo Cassiano, Mark-
graf diBomagnano 1560 wurde; der jetzige Präsident ist der aus-
gezeichnete Bechtsgulehrte Stora Malin verni, welcher in ganz vor-
züglichen Rufe als Richter steht, und deshalb mit Recht zum Se-
nator des Reiches und zum Grafen ernannt worden ist. In Genua
war die Aristokraten-Herrschaft, welche bald die Franzosen, l)ald
die Gestenreicher herbeigerufen hatte, durch die französische Revo-
lution beseitigt, und 1805 als erster Appellations-Präsident der
Advokat Carbonara angestellt worden. Der jetzige ist der Graf
Pinelli, ebenfalls Senator, und ausser seiner bedeutenden Gesetzes-
Kenntniss geachtet als Verfasser eines gründlichen Werkes über
die Verwaltung Piemonts im 13. Jahrhundert.
Osservazioni intomo ai pensieri di Oiaeomo Leopardij per P, €a-
slagnola, Torino 1864, gr. 8, p. 138.
Die Werke des bekannten italienischen Philosophen Leopardi
geben hier dem Ver&sser Veranlassung dessen den Nihilisflons as-
etrebenden Ansichten zu beurtheilen.
TJunUa ddla Vita, dell Professore J. MoUeschott. Torino 1864.
Presso Löscher.
Dies ist bereits dia dritte Eröfißaaagsrede detr Vorksnoge«,
wskhe dw hier sehr geachtete Ptofassor MoUeeohott auf der Toxiner
Universität hält, welohe mit mikroskopischen Beobachtungen er-
läutert selrr besucht worden, tmd nicht allein von Studenten^ son-
-dem anch von älteren GelehrteiL Es ist zugleich £Ur Deotseblaad
beachtenswerth, dass er ausser den dentschea Gelehrten, die er in
seinen Ansichten Aber die Eudbieit des Lebens anführt, mit einem
Mbtto aus Göthe's Faust schliesst, und zwar naoli der ü^bersetzni^g
desselben, die 1862 von Gaerrien in Mail^d herausgegeben wor-
den ist; auch ist der Verleger ein deutscher hier sehr geachteter
SN Ltteraiufberldite rä« ttaU«il.
BacbhUndler, Hr. Löscher, welcher sehr bedeutende Qeschäfte sutcht,
da die reichen Italiener mehr Bücher kanfen, als in Deutschland,
wo man sich mehr mit Leihbibliotheken behilft. Uebrigens ist der
Professor Moleschott auch von dem Könige Yon Italien zum Bitter
des Moritz- und Lazarusordens ernannt worden.
Ccdendario pener <Ü€ del regno cPllaUa, del Ministero ddV inUmo.
Anno in. Torino 1864. gr. 8. p. 1298.
Dieser amtliche von dem Ministerium des Innern herausge-
gebene Allgemeine Kalender für das Jahr 1864 enthalt höchst wich-
tige Zusammenstellungen über das Königreich Itatien. Bei der Qe-
nealogie des königlichen Hauses wurde gewöhnlich sonst Wittekind
als der erste Begründer dieser Familie aufgeführt; die neueren
Entwickelungen, besonders durch den Geschichtsforscher Cibrario
haben herausgestellt, dass der eigentliche Stammvater der Mark-
graf von Ivrea war, welchen die italienischen Lehnsherrn der deut-
schen Kaiser unter dem Namen Berengar IL zum Könige yon Italien
gewählt hatten, welcher 966 starb. Sein Sohn Adalbert IL ver-
lor dies Reich schon 968, und seine Wittwe Gerberga heirathete
den deutschen Kaiser, hier Heinrich der Grosse genannt, und adop-
tirte ihren Sohn erster Ehe, den Grafen Otto Wilhelm von Hoch-
Burgund und der Franche - Comt^ , gewöhnlich Berold genannt,
welcher von seiner Gemahlin Ermentraut, Humbert I. mit der
weissen Hand, zum Nachfolger in Savoien und Aosta hatte Sein
Enkel Otto erhielt durch die Heirath mit Adelheid von Susa, die
Grafschaft Turin. Yon da an ist die Geschichte des Piemontesi-
schen Hauses bekannt. Unter den fremden souveränen Familien
sind bei Spanien auch die andern bourbonischen Abkömmlinge mit
aufgenommen, wie der Graf Ohambord bei den älteren Linien,
worauf die Neapolitanische und die Linie Orleans folgt. Der Auf-
führung der Beamten geht der Wiederabdruck der Constitution vor,
welche Carlo Alberto schon vor der Febraar-Bevolution 1848 gab,
als Pins IX. seine Reformen begann, und an welcher bisher noch
nichts geändert worden ist. Auf die zehn verantwortlichen
Minister ohne Portefeuille, unter denen ausser ein paar Ministem
aus der alten Zeit sich die Gelehrten Sclopis, Mano, Cibrario und
Azeglio befinden, so wie der verdienstvolle Paleocopa, welcher die
ersten Eisenbahnen im Lande erbaute folgt die erste Kammer des Par-
laments, welche aus den ausgezeichnetsten Männern Italiens, welche
den Grundbesitz, das Vermögen, die Gelehrsamkeit und Lidustrie
repräsentiren, besteht: noch nie hat der Einsender hier gehört, dass die
Wahl des Königs auf einen Unwürdigen gefallen, da es kein ge-
borenes Herrenhaus ist. Die Abgeordneten sind nach dem Namen
ihrer Wahl-CoUegien aufgeAihrt, und noch hat man hier nichts
von Wahlumtrieben gehört, für den Dienst bei den Sitzungen sind
18 Stenographen angestellt. Unter den Mitgliedern des Staatsraths
ist unter andern der geachtete Statistiker Correnti angestellt.
LItentariMrielkte a«t ItallMi. MI
welcher Ton seiner Regiemng za dem statistisebea CongreBse za
Berlin geschickt ward. Hier sind nur 4 Bitter>Orden. Dentsohland
ist unter den fremden Gesandten nnr durch Preossen vertreten,
dessen Gesandter Graf Usedom, ans dem gebildeten schwedisch
Pommern, wegen seiner klassischen Kenntnisse sehr geachtet wird ;
vor Allen wird der amerikanische Gesandte, Perkins-Marsch f&r
den gelehrtesten im hiesigen diplomatischen Corps gehalten, obwohl
man in Deutschland in massgebenden Kreisen die Amerikaner ver-
ächtlich wie Kr&mervolk nennen hört. — Ausser 6 Generalen der
Armee befinden sich 73 General-Lieutenants und 81 General-Majore
im Dienste, wobei von Beförderung nach dem Vorzüge der Geburt
nicht die Bede ist ; alle haben die Feuertaufe erhalten ; die Artillerie
wird am meisten geschätzt, weil sie zu den gelehrten Waffen ge-
hört. Das Heer ist in 7 General-Commandos vertheilt, zu Turin,
Mailand, Parma, Bologna, Florenz, Neapel und Palermo. Beachtens-
werth ist besonders die Statistik der den Öffentlichen Unterricht
betreffenden Abtheilung, und die Aufzählung der zahlreichen in
Italien befindlichen Akademien und gelehrten Vereine , da hier die
ersten Klassen der Gesellschaft schon seit den gebildeten Höfen
der Medicis, Malatesta, Este, Gonzaga, Bovere u. s. w. eine Ehre
darin suchten, sich durch Bildung auszuzeichnen.
// Minütero dclP Aisaasinio e U noUe di Torino dd 2L e 22. Sä--
iembre 1864 di Marco Venesiano. Lugano 1864. 8.
Dieser Bericht über die blutigen September-Ereignisse in Turin
rührt von einem der ausgezeichneten Ausgewanderten aus Venedig,
Herrn Garini, her, welcher die damaligen Minister des Königreichs
Italien Verraths beschuldigt. Da er diese blutige That mit vielem
Eifer und sehr geistreich beschreibt, muss man abwarten , welche
Ergebnisse sich durch die desshalb niedergesetzte Commission her-
aussteilen werden. Jedenfalls ist es ein trauriges Ereigniss, dass
von Soldaten auf unbewaffiiete Bürger, Frauen und Kinder ge-
schossen worden, statt mit gefälltem Gewehr vorzugehen, und die
öffentlichen Plätze zu räumen. Den hier angegriffenen Herrn Mig-
netti, Peruzzi, Pepoli, Spaventa u. m. u. wird als Verrath ange-
rechnet, dass durch die September-Convention mit Napoleon III.
alle Ansprüche Italiens auf Bom aufgegeben worden sind.
Primo a Venesia, poi a Rome. Doeumenti e fcdiu Torino 1864,
Von demselben Professor Carini ist auch diese Denkschrift,
welche zum Zweck hatte, die Unternehmung der Venetianischen
Ausgewanderten im November 1864 zu befördern; sie ist mit der
feurigsten Vaterlandsliebe verfasst, und dringt darauf erst Venedig
zu erobern, ehe man an Bom denken kann. Allein es ist zu be-
dauern, dass alle solche Versuche mit der Begeisterung Garibaldis
anfangen, daher ohne Hoffnung des Erfolgs ; auch sagen jetzt schon
Manche: »Garibaldi hat ein grosses Herz, aber einen kleinen Kopflc
In dinem constitutionellen Staate hat die Mehrheit des Parlameiita
ta entscheiden, «nd dies hält selche Bewegungen für yerfirtdU.
Dabei behalten aber die begeisternden Werte des Verfassers, als
Volksredners ihren Werth.
Drami storici e memorie concemenii la sioria segreta del itairo per
0. Sabbaiinu Vol. IL Torino 1864. Tip. Caffareiti. 8. p. 343.
Der erste Band der geschichtlichen Schanspiele von dem be>
liebten Schriftsteller Sabbatini enthielt Alessandro Tassoni und
Bianca Capello; der yorliegende Piccarda Donati und Masaniello.
Beide Stücke sind mit vielem Beifall anf den italienischen Theatera
anfgenommen worden, und zeichnet sich das erste besonders durch
ergreifende Darstellung weiblicher Charaktere aus. Auch dieser Gegen-
stand gehört der Geschichte an, und wird von Dante in seiner
göttlichen Comödie erwähnt. Einer der Partei-Häupter in Florenz,
Corso Donati hatte 1395 seine Schwester Piccarda einem seiner
Yerbüttdeten zu ehelichen versprochen, sie hatte sich aber gegen
seinen Willen in dem Kloster S. Chiara als Nonne einkleiden lassen,
bei den damaligen Unruhen zwischen Guelfen und Ghibellinen liess
aber Corso Donati dies Kloster durch seine Bewafiheten erbrechea
und diese Nonne rauben, welche mit Gewalt mit Bosellino della
Torre vermählt ward; sie konnte, da sie einen andern geliebt
hatte, dies nicht ttberleben, sie starb an gebrochenem Herzen. Der
geistreiche Herr Verfasser giebt nicht nur Eechenscbafb von den
Gründen des von ihm verfolgten Fadens der Darstellung, sondern
auch Urtheile anderer Gelehrten darüber, und haben wir mitVei^
gnügen ein solches auch von dem bekannten Dali üngaro gelesen.
Jedenfalls gehört Herr Sabbatini jetzt zu den geachtetsten drama-
tischen Schriftstellern in Italien.
Jnsignamento professionale e indusiricHey dal Ministero di AgriaiUura
e commercio. Torino 1864. Tip. Dalmasssio. 8, p, 393.
Hier erscheinen 81 verschiedene Arten von Gewerbe- und
technischen Schulen, deren Programme hier gesetzlich durch ein
Gesetz vom 14. Aug. 1860 festgestellt sind ; so hat z. B. jede Special-
sehule fCLr die Handels-Scfaifffahrt 10 Lehrer für die versehiedensn
Fächer. Eine Commission von 5 Mitgliedern in dem betrefienden
Ministerium hat die Oberleitung derselben, und ist ihr Präsident
der sehr geachtete Gelehrte und Staatsmann Boncompagni.
Annäli della 9piriiismo in Italia da T. Coreni. Torino 1864. Tip»
De Oeorgis, Fascicolo XIL
Dies isi bereits das 12. Heft der Jahrbücher der Oeister-
seherei, wozu sich in Turin eine kleine Gesellschaft gebildet hak*
ha dem verliegenden Befke ist besonders die Frage behandelt, cb
die Seele schon vorhei|f bestanden hat, oder erst in dem Angen*
büelpe der Empfängnies durch die Mutter geachaffen wird. IMe
IMMtat^aMiUi mu ItiOieii. OM
Haaptqiielleii für mid wieder werden in dem alten und nenen Teeta-
mente, besonders aber in den Kirehenvfitem AugnBtinas, Bierenjmns
Tertullian n. a. m. gefanden.
Porti e vie düf cmUca lAguria, per B. (klewi. Qmova 186S, ^. 8w
Der gelehrte Genuese Professor Herr Celesia giebt bier den
Archäologen gewiss sehr willkommene Zusammenstellungen über die
Seehäfen und Herrstrassen in dem antiken Ligurien^ mit dem Hafen
von Luni anfangend, wo die Etrusker ihre Seemacht unterbrachten,
bis sie den B5mem unterlagen, welche weniger auf die Schifffahrt
achteten. Der Verfasser führt die Stellen aus Strabo, Persius,
Silius Italiens und andern Classikem an, welche diesen Hafen er-
wähnen, der erst wieder in Aufnahme kam, als die freie !Reichs-
stadt Pisa gewissermassen als Erbe der Herrschaft der Etrusker
als Seemacht auftrat, die aber den Genuesern weichen musste. In
Genua hatten die Römer unter Publius Scipio eine grosse Plotte,
und noch vor Kurzem wurde hier ein tüchtiger Schiffs-Schnabel
einer Trireme gefunden. Die Yada Sabatia bilden den gegen-
wärtigen Hafen von Savona, wie aus Plinius hervorgeht; nach
Strabo hatten die Massaboti einen Hafen in dem jetzigen Monaco.
In Ansehung der Strassen in Ligurien geht der Verfasser in die
Zeit zurück, wo die Römer für nöthig fanden, ihre Legionen durch
Ligurien gegen die ungezähmten Apuani zu führen. Das seefahrende
Genua hatte aber alle Landstrassen dergestalt eingehen lassen,
dass schon Petrarca über terrestrem duritiem intra Ligusticos sco-
pulos klagt.
Von demselben Gelehrten iet auch aeiae Untersbehuig über
<Lie älteste Spraohe in Ligurien:
Süll antichissima idioTna dei Liguri per E. Celesia. Oenova 1863,
Tip, gordo mutu
Der Verfasser hält die Ligurer für Stammgenossen derOseer,
der sogenannten italienischen Aborigines, und die vergleiehende
Sprachknnde ist von ihm zu vielen etymologischen üntersnehnngen
benntzt worden, die seine Bekanntschaft mit unsermBopp, Grimm^
Humboldt, Eichbof u. a. m. bekunden« Nach ihm erfolgte diese
Etnwandemng über das Azowisohe Meer die Donau aufwärts üb»
die Alpen ; ausser vielen Orts*Namea führt er auch viele Vergleiche
zwisoben dem Sansorit und andern Sprachen an, z. B. Dina^ Dies,
Dags im Ootbisobeii, Tag, Dag im Holländischen, Daeg imAsgelr
sftohsisehen n. s. w. Macrobins sagt: Oscis verbis uaii sant vete»
IM. üeber den Einfluss der Sprache der Etrosker und deren lUgeibr
ibftmliebkeit, so wie über den Einfluss der semitischen und der
odtisehen Sprache so wie anderer, bringt der Verfasser eben&Us
vielüaehe vergleddiende Worte bei, welohe ven dem aussei?ordeni^
liehen Fleisse des Verfassers Zeugsiss geben^
aOO Thierry: HMolre d'Aiilk.
Teo$&fta di AnUmio Ro$mini-8erbali^ preU R&verdano, &pera poäuma.
m VoL Tfmnc 1864. Tip. Franeo.
Dies ist das letzte Werk des flbr einen sehr bedenienden Phi-
losophen gehaltenen Bosmini, welchem er noch ein Capitel bei-
fügen wollte, worüber ihn aber der Tod zu Stresa am Lago
Maggiore überraschte, wo er einen neuen Mönchsorden, die B<^
minianer gestiftet hatte, wozu ihm von dem Papste ein Leichnam
aus den römischen Catacomben mit einer Inschrift übersandt wor-
den, welche der gelehrte Abbate Gazzera in seinem Werke über
die im Piemontesischen befindlichen classi sehen Insohriften, benr-
theilt hat. Die Freunde der abstracten Philosophie werden hier
viel über Ontologie, Ideologie, Objectivität, Abstraction n. s. w.
zu lesen finden, aber auch viele Hinweisungen auf die philoso-
phische Literatur von Aristoteles bis zum heiligen Thomas, bis zu
Wolf u« 8. w., denn Bosmini war ein gründlicher Gelehrter.
Neigebaur«
Thkrry, ÄnUd^e^ Histoirt dPAUUa d de aes sueeesseurs jusgu'ä Täab-
l%8i€meni des Hongroü en Europe sttivie des legendes et iradir
UofUf Tomes premier et eecond. Paris 1864.
Ein neues Werk von dem Verfasser des TMeau de VEmpire
ramain, das wir im vorigen Jahre hier anzeigten ! Wer möchte von
einem Geschichtschreiber wie Amedee Thierry Anderes als Tüchti-
ges erwarten!
Aeusserlich betrachtet, zerf&Ut die Eintheilung des ersten Ban-
des in die Geschichte Attila's als erster Partie, S. 1 fp. und in di«
Geschichte seiner Söhne und Nachfolger, S. 229 ff. Zehn Seiten mit
Noten bilden eine Art Anhang dazu S. 427 ff. Wie der erste Band,
hat auch der zweite seine zwei Theile, wir unten des Näheren be-
sprechen werden.
Yornftchst soll uns der erste Band beschäftigen. Ans dem
Hunnenkönige Attila ist im Laufe der Zeiten eine mehr legenden-
mftssige, als historische Persönlichkeit geworden. Der Ver&sser
stellt sich die Aufgabe, den historischen Inhalt festzustellen, nnd
uns den wahren Attila vorzuftlhren. Dazu war ein ernstes Stadium
der Fragmente des Priscus, der Chroniken des Prosper von Aqni-
tanien, und des Idatius, besonders aber des für die Geschichte der
Völkerwanderung so wichtigen Jomandes, endlich drittens der teu-
tonischen Dichtungen sowie der lateinischen Legenden nebst des
aus dem Orient gekommenen Traditionen nöthig. Aus diesen Quellen
suchte der Verfasser sich jedesmal das besondere Bild hersass^'
lesen, und durch Vergleichung dieser einzelneu Bilder zu dem wah-
ren Bilde zu gelangen. Der Hauptzweck des ersten Bandes i^i
dieses wahre Bild von Attila zn gewinnen.
Tblerry: BUtdn d'Attflt. 001
80 stehen wir denn bei seiner Geschichte Attila's. Wenn
andere Männer, so beginnt er nngeftLhr, sich dnrch Be^nndemng
die Unsterblichkeit erwarben, so hat bei Attila die Fnrcht dies
erzielt. Er schliesst darans, dass diese Fnrcht noch heute in der
Menschheit nachrittert, anf das Fnrchtbare in dem Erscheinen die-
ses Barbaren anf der Wahlstatt der Oeschichte zurfick, anf dem
der Finch der Jahrhunderte lastete. Er hat einen Namen hinter^
lassen, der popnlttr ist, aber im Sinne des Schreckens, nnd gleieh-
bedentend mit Zerstörung 1 Man bemerkt, dass der Attila der Oe-
schichte nicht ganz derselbe ist, wie der Attila der Tradition.
Ueberdies gibt es, je nach verschiedenen Ausgangspunkten ver*
schiedene Traditionen, (eine rOmische, germanische und natio-
nale. Aber sie haben nichtsdestoweniger eine Stelle in einer ge-
lehrten Arbeit über Attila, und kOnnen erst in Verbindung
mit der nachfolgenden Geschichte nach ihrem wahren Werthe
beurtheilt werden. Das Leben Attila*s selbst ist nur ein Drama,
das plötzlich endet, dessen Abwicklung Persönlichkeiten zweiten
Banges anheimfWt, die yQUige Zertrümmerung des römischen
Beiches.
An die Spitze dieser Darstellung gehOrt die Geschichte der
Herkunft der Hunnen, wenn ihre Vergangenheit bis zu dem Jahre,
da sie in das Reich einbrachen (375), geschichtlichen Werth be-
anspruchen kann. Zudem fliessen, wie das die ersten fünfzehn
Seiten des VerÜEissers beweisen, die einschlftgigen Nachrichten sehr
spärlich, eingeschrtokt auf einzelne Ausdrücke und Ausspüche bei
Procopius, Ammianus Marcellinus und Jemandes, Einzelheiten, deren
Verwendung zu einem lesbaren Zusammenhange eine Aufgabe für
die Feder unseres Verfassers war. Mit der Nachricht von dem
üebergang der Hunnen über die Wolga (874) ändert sich die Sache.
Zu Jemandes gesellen sich nun noch kirchenhistorische Quellen
(Sokrates, Sozomenus, Epiphanius, Philostorgius) u. s. w. Natura
Üch, da sind ja die Oothen, die sich yor den Hunnen zurückzogen,
und deren Ohristenthum nicht das beste war, weil sie Hftresiarchen
unter ihre Apostel rechneten S. 28. Seitdem unter den Letzteren
Theophüus, und sein Nachfolger Ulfilas als BischOfe genannt wer-
den, beginnt die Vergangenheit der Hunnen deutlicher sich mit
der Geschichte der ciyilisirten Menschheit, auf deren Schwelle die
Gothen stehen, zu begegnen. Die Berührung, in welche die Gothen
mit dem Kaiser Valens traten, wurde eine Katastrophe für den
Letzteren, der, indem er von der Bolle eines Konstantin träumte,
und die Politik mit der Beligion yerband, für die Vergehen seiner
Offiziere einstehen musste, und die Beleidigungen eines yerzweifelten
Volkes mit seinem Leben sühnen musste S. 82. Mit lebhaften
Farben beschreibt der Verfasser die Vorgeschichte der Schlacht yon
Adrianopel yom 9. August des Jahres 878, einem Tage, der in
doppelter Beziehung heiss war, durch Sonnenschein und Kampfes-
wttth, und den die Zeitgenossen (Amm. Marcell. 81, 14) mit
MS TkUrryi Hlitolr« d^AUIlA.
Beeht dem Tiage von Catmft aa Söhreoken gfeiehsMleii konnten
S. &6ff.
Knn und bündig yerfolgt der Yeiimtser die fernere Ghesohicbie
der Westgothen, die sich suletzt in Oallien niedergelaseen, am im
aweiten Kapitel S. 38 mit der Ankunft der Hunnen an der Donan
die Qeschichte der Letzteren zn beginnen. Sie bebauten nioht da«
Feld und hatten bald das Wenige von Cnltnr, welches sich vorge*
fanden, zerstört, so dass Bom sie in Sold nehmen mosete, nm
einem Kriege zuvorzukommen, wozu die Barbaren sie gezwangen
haben würden. Theodoeius, der die Gothen fOrchtete, braachte
gegen sie die Hannen; eine Politik, die aueh seine Säine befolg-
ten. So dient ein Hunnenkönig, üldinus mit Namen, 405, anter
Honorias gegen die Schaaren des Badagaisus, und entscheidet durch
seine Cavalerie die Schlacht bei Florenz (Orosius VH, 80). Sie
wussten schon was sie für das alte Beich bedeuteten, als sie ihre
Zelte an der mittleren Donau aufschlugen. Im Norden hiervon
wohnten Burgunder^ die durch einen Bischof von Trier getanfl
wurden. Die gallischen Burgunder waren schon Christen S. 45.
Es sollte abgemacht werden, dass Alles, was nördlich der Donau
wohnte, den Hunnen gehöre, und Alles, was südlich, den Römern.
Dieses üebereinkommen , von dem Hnnnenkönige Bona eingeleitet,
wurde, da Bona zwischen 434 und 435 starb, von den königlichen
Brüdern Attila und Bleda mit den Bömem auf einer Ebene an der
Donau, da wo die Morara hineinmündet, verabredet, und als Ver-
trag festgestellt S. 47. Die römische Gesandtschaft wurde durch
die Drohung mit Krieg in Furcht gehalten. Bei dieser Oelegesr
heit entwirft der Verf. ein Bild von Attila, 8. 48, das in seinen
Umrissen uugef&hr auf einen Kalmuken hinausläuft. In ihm» der
den Krieg wie eine Oarotte ausübte, entwickelte sidi der Gedanke
Booa's zu einem STstem „qni ne tmdaU pw ä moins qiiä er^er,
au moyen du Huns rhtms «otis \t mtmt gouvememeiü ei ob^ütd
ä la mimt volonte, un empire des naiiona barbttrea en oppositum ä
Vempire rotnain, qt^ä faire, en un mot^ pour le nord de VEurope
ce gue Rome avait fatU pour le midi^^ S. 52. Um diese Idee eines
nordischen Beiches in's Werk zu führen bedurfte es vor AJÜeoi d«r
Vereinigung aller hunnischen St&mme und dies war das erste IJntw
nehmen, wozu er überging S. 33. Dann, um das Angefangene sn
vollenden, tödtete er, man weiss nicht wodurch veranlaset, seinen
Mitregenten Bleda 8. 55. Von da ab agirte und parlirte er als Herr
und Meister über die ganze Barbarensohaft S. 56. Konstuttinopel
und sein Hof, von Weibern und Eunuchen regiert, nnd von Th«^
dosins nur piHsidirt, liessen alles geschehen, und fluchten nur dem
Barbaren!
Attila schickte eine Gesandtschaft dorthin ab ; hiemit beginnt
das dritte Kapitel^ S. 60. Dieser Theodosius, der zweite diesM
Namens und dem ersten sehr un&hnlieh, machte sich zwar dtsrob
die Oodifikation der Gesetze der duristUchen Kaiser verdient, sckrieh,
TkUrry: Hiitoira a'Afttilfl. 60t
wie berichtet wird, eine nnüberireffliob schöne HandBohrifk, war aber
kein Kaiser fOr eine Zeit wie die seinige. Der Verfasser nennt ihn
ein altes Kind, das seine Freiheit haben moss 8. 61. Die Gesandt-
schaft Attila's wird von ihm mit einer Gesandtschaft erwiedert, die
ans Maximin, Priscns und Vigilas besteht. Das Cai»tel besteht nun
ans einer Darstellung der Erlebnisse dieser Gesandten, bis sie im
Lager vor Attila erschienen. Hier traf den Dollmetseher Vigilas
der Zorn dieses Königs und er mosste nach Gonstantinopel zurück*
reisen. Die beiden anderen Gesandten reisen weiter bis sur Haupt-
stadt Attila's. Auch was hier erlebt wurde, kommt im Schluss
des Kapitels zur Sprache.
Das vierte, S. 90, beginnt mit der Beschreibung yon Attila's
Pallaste in der Hauptstadt, deren Namen der Verfasser in einer
Anmerkung erörtert S. 89, und wobei er, ohne für einen Namen
sich zu entscheiden, auf den Anhang zum ersten Bande yerweist
S. 427. Dort meint er, sie sei in der Umgebung von Taszberönj in
in der Nähe der Wälder von Matra und des Gomitats Ton Pesth
zu suchen. Kehren wir zurück zum Haupttexte.
Für das vierte Kapitel sind wir auf den Aufenthalt in der
Hauptstadt angewiesen. Eine Unterredung zwischen Priscns und
einem angeblichen Hunnen, der eigentlich ein Grieche war, wird einge-
flochten; es ist auf eine Vergleichung zwischen dem barbarischen
und eiviüsirten Leben abgesehen. Eine andere Unterredung be-
trifft die Macht und die Entwürfe Attila's. Attila ist der oberste
Richter. Die römischen Gesandten, werden zu Tisch geladen. Die
Mahlzeit und ihr Ceremoniell wird besehrieben. Auch bei der
Königin Kerka wird gespeist. Dann nimmt Maximin Abschied.
Vigilas kehrt zurück, aber fäst zu seinem Unglück, weil er des
Complotts überführt wird; doch Attila hielt ihn seiner Bache für
unwürdig, aber er verlangte den Kopf des Eunuchen Chrysaphins.
Das Jahr 450 begann unter diesen Auspieien. Massenhait trafen
die Contingente der hunnischen Stämme an den Ufern der Donau
ein, und Bewaffnungen wurden ins Werk gesetzt bei allen abhän-
gigen Völkern (Ostgothen, Gepiden, Heruler, Bugiem u. s. w.)*
Aufregung bemächtigten sich des Occidents nicht weniger als des
Orients. Die Conjuncturen waren drohender Natur« Und nicht
geringer muss der Schrecken gewesen sein, den die Sprache der
Gesandten Attila*s, zweier Gothen in GonsWtinopel erregte, von
denen Jeder zu erklären den Auftrag hatte: »Attila, mein Herr,
und der deinige, befiehlt dir ihm einen Palast zu bauen; denn er
wird kommenc S. 120.
Das fünfte Gapitel leitet die Kriegssüge AttUa's nach dem
Westen mit der Bemerkung ein, dass das Jahr 451 für denOooi-
dent eine der unheilvollen Epochen war, welche die ganze Geeell-
sohaft zitternd erwartet, und die ihr Unglück so zu sagen an einem
feetbestimmten Tage herbeiführen 8. 122. Weissagungen, Ptodig*
ien, aussergewöhnliche Zeichen, ein unausbleibliches Gefolge allge*
S04 Tlilerry: Blsiolre d'Attila.
meiner Vornrtbeile, fehlten diesem ünglttoksjahre nicht. Die O^e-
schichte spricht von Erdbeben, welche im Jahr 450 Gallien und
einen Theil von Spanien erschütterten (Tdat. Chron. ann. 450);
der Mond verfinsterte sich bei seinem Aufgange, was fttr ein an-
glückliches Vorzeichen galt; ein Komet von erschreckender Grösse
nnd Gestalt erschien am Horizont bei Sonnenuntergang n. s. w.
Das waren Prophetien für das aberglänbige Volk, sagt der Ver-
fasser; fromme Seelen suchten deren noch andere. Er entwirft ein
Tableau der Zerstückelung Galliens unter fünf Völkerschaften,
Spaniens, das halb für Rom verloren war, Afrika's, das ganz ver-
loren war, und des insularischen Britanniens, aller im Jahr 430.
Zwei Ereignisse vermehrten, sagt er, die ünbehaglichkeit der Geister,
weil sie der Verwirrung durch vorhergesehene üebel die unvorher-
gesehenen Chancen einer Palastrevolution hinzufügten, n&mlich der
Tod des Kaisers Theodosius, am 28. Jnli 450, der, sowie die Hin-
richtung des Chr jsaphius, ein grosser Vortheil für den Orient war,
und zweitens die Wendung bei Placidia, welche die Zügel der
Regierung in der Hand behalten hatte Dir Tod brachte heilloses
Unglück über den Occident. Attila, welcher vor dem neuen Kaiser
Marcian Respect bekommen hatte, warf sich auf den Occident, ver-
langte eine Princessin zur Gemahlin, die bereits in der Ehe war,
und liess schon einen Ring machen, den er bald nachher, wie wenn
eine f&rmliche Verlobung stattgefunden hätte, nach Ravenna zurück-
schickte. Er verband sich mit Genserich, bewegt sich nach dem
Westen, S. ISO, zahlreich sind seine Heerschaaren , wie die des
Xerzes, S. 133, er passirt den Rhein, S. 135 ff. in verschiedenen
Haufen, die südlichste Abtheilung, welche bei Äugst hinüberging,
schlug den Burgunder Gondicar, S. 139. Attila selbst hatte die
Richtung auf Trier und von da nach Metz genommen und kam so vor
Reims an, eine zwar grosse Stadt, die aber keine Vertheidiger ihm
entgegenstellte, und so eine leichte Eroberung war. S. 242. Die
Parisier wollen ihre Stadt (Lutetia) verlassen, werden aber von
einer Frau zum Bleiben vermocht ; Genovefa hiess diese, ihr Leben
wird mit Benutzung der Bollandisten (zum 8. Januar) erzählt S. 145 ff,
Sie lebte damals auf einer Insel in der Seine, besass die Prophetie
lind Wundergabe S. 148. Zu einer Vorgängerin der Johanna von
Orleans in dem Kriege gegen Attila ausersehen, S. 149, bewahrte
sie Lutetia vor Ver5dung und rettete durch ihren Muth und ihre
Festigkeit^ welche sich den Frauen mitgetheilt hatte, die Richtig-
keit ihrer Vision, vermöge welcher Paris nicht verwüstet werden
würde S. 151. Inzwischen ging der Marsch Attila*s auf Orleans.
S. 153. Geplündert wurde jetzt nicht mehr, seit die Städte Metz,
Toni und Reims dieses Schicksal erlitten hatten. Der Marschroute
lagen wohl die officiellen Wegekarten (Itinerarien) zum Grunde. In
einer Anmerkung S. 154 gibt der Verfasser sich die Mühe, allen
Spuren dieses Aurohtbaren Eroberers auf dem Boden Frakikreich*8 zu
folgen.
Tblftirry: Hiatoira d^Attllä. IM
Das sechste Kapitel, S. 155 beschäftigt sich mit den Ereig-
nissen des Jahies 451, deren Interesse in dem Siege der West-
gothen über Attila auf den Oatalaonischen Feldern sich vereinigt.
Orleans, das am Ende des vorigen Buchs belagert wurde, hätte
von den Westgothen entsetzt werden können. Der Bischof der
Stadt hatte sich nach Arles zu Aetins begeben; dieser Patrioier
konnte aber den Beistand der Westgothen nicht erlangen* Dann
musste derselbe Priester zuletzt in das Lager Attila's gehen und
die Bedingungen der üebergabe vermitteln. Aber Attila verlangte
und erzwang unbedingte Unterwerfung. Inzwischen zogen die
Schaaren des Astius heran: ein allgemeiner Zusammenstoss schien
xmvermeidlich.
Zwischen Beims und Ch&lons war das Lager Attila*s gelegen,
S. 178, wo dieser erfolgen sollte. Die Nacht zuvor brachte Attila
in einer unbeschreiblichen Unruhe zu. Seine Armee war nicht im
besten Zustande. Ein Eremit, den er zu befragen den Ein&ll
hatte, redete ihn als Geissei Gottes an, und wies ihn auf die Un«
beständigkeit irdischer Macht hin. Dann wurden die hunnischen
Zauberer gefragt; die Auftritte erzählt der Verf. nach Jemandes.
Alle Yerkttndigungeu Hessen ihn eine Niederlage befürchten; des-
halb dachte er die Schlacht nicht zu früh am Tage anzufangen.
Sie kostete den König der Westgothen das Leben. Attila untere
lag, die kriegführenden Mächte zogen sich zurück, Attila nach dem
Bheine, die Westgothen nach Toulouse. S. 187.
Die Ereignisse des folgenden Jahres (452), welches zunächst
die Folgen für das Hunnenreich der Niederlage bei Ohalons
enthalten, sind der Gegenstand des siebenten Buchs. Attila wendet
sich, da seine Projekte in Gallien fehlgeschlagen sind, nach Italien,
geht über die Julichen Alpen, S. 193, und belagert Aquileia S. 199.
(Beschreibung seiner militärischen Bedeutung, S. 194 ff.) In der
Tradition über die Belagerung sucht der Verf. genau Geschichte
und Ausschmückung zu unterscheiden. Attila nahm an Aquileia für
seinen Widerstand furchtbare Bache, so dass man an Earthago*s
letztwillige Zerstörung denkt, wobei auch die Einwohner sich
anderswo ansiedeln mussten. Die Folge war, dass alle Städte Ober-
italiens ihm ihre Thore öffneten. Die geflüchteten Bewohner von
Aquileia liessen sich in Grado nieder, spätere gleichfalls ; so erhob
sich aus den Lagunen eine Stadt (Venedig). Dann durchzog Attila
Ligurien (Milanum und Ticinum werden geplündert, S. 203), und
stand nun, Anfangs Juli, im Begriff, einen Plan zu fassen. Attila
wollte gegen Rom ziehen; seine Krieger sehnten sich nach Buhe
für dieses Jahr. Bei Mantua zog er seine Truppen zusammen;
Kaiser, Senat und Volk fürchteten für Bom, und hielten es für das
Heilsamste, um Frieden den wilden König zu bitten. Indess A^tius
nur darauf dachte, Bom zu retten. S. 209, machte sich eine Ge-
sandschaft, deren vornehmstes Glied der Papst Leo war, auf den
Weg, und erlangte von Attila den Frieden gegen Tribut, S. 211,
«6 Tki^rry: Htetoirt d'Attillu
Nooh einmal Terlaagte er die Princdssin Honoria zam Weibe. Dann
entweicht er über den Lech (Lyons), wo ihm beim Uebergange
(snb trajectam Ljci amais) ein Weib von der Art der Oalliachen
Draidumen ihr »Büokwärtelc zniief, wie wenn dem Könige ein
Unglüök bevorstände 8. 212. Anf 9 Nene war es aof Mareiaa in
Oonstantinopel abgesehen, den Attila im nächsten Frühjahr in
seinem Palais zn finden drohte, wenn der ihm yon Theodosins mt-
gestandene Tribut nicht unmittelbar bezahlt würde. Aber eine
Campagne und einige Schlachten cegen die mit Attila yerbundenen
Alanen im Kaukasus waren das Einzige, was noch in diesem Jahre
(452) Torfiel. Und das folgende Jahr gehörte Attila schon nicht mehr.
Im Eingange des achten Buches finden wir Attila wieder in
seiner Königsbarg. Ein grosses Fest wird yorbereitet 6.215. Attila
vermählt ^ch mit lldico (nach dem Verf. = Hildegonde) von nicht
ermittelter Abstammung, überlebte aber die Brautnacht nicht. In
Bhzt gebadet wurde er am Morgen darnach gefunden — er war
^ahial S. 216. Man hat nichts Genaues über die Todesuraaehe
feststelien können ; doch scheint es Hämorragie und Erstickung ge-
wesen SU sein S. 219. Der Tod Attila's war das Signal zur Be-
freiung der Yasallenvölker. Bald fieuid A^tius seinen Tod von der
Hand des Yalentinian's der letzte der Bömer, gegen den Gleieh-
^Itigkeit und Kabale sich verbunden hatten. S. 227. AuchYalen-
ünian starb, das Opfer seiner Treulosigkeit und seiner Ausschwei-
fungen, und drei Monate später gab Genserich Rom der Plünde-
rung Preis. Der Tod des A^üus war das Ende der occidentalischen
Kaiser: „Les C^$ars ^phimeres, sagt der Verf. S. 225: qui ^ndos-
ürttä meore la paurpre ne furtnt que des HeutenanU de patHfies
barb€wei, qui lea ilevaient, les d^oeaient, les tuaient auivant leur
eapHee* Les Barbares itaient partout en Oeddent^ individudlement
ou en masse; üs avaient le gouvemement, ü leur faUut bientdt la
terre.""
Mit diesem Kapitel hat der Verf. die eigentliche Geschichte
Attila'B beendet, und wir die üebersicht über die erste Partie die-
ses Buches. Wie sich im Alterthum um Alexander und Cäsar ein
Sagenkreis bildete, so bildete in der nachchristlichen Zeit sich ein
solcher um Attila und Karl d. Gr«
Den Vergleich dieser Traditionen über Attila, je nachdem sie
römischen ürspmngs sind, oder germanischen, oder endlieh ogri-
sehen» stelU der Verfksser in einem besonderen Theila des ^wedtan
Bandes an.
Deber die iwelte laMe des ersten, welche die Geschichte der
: Söhne und Haehfolger Attila'e enthält, S. 228, können irir kürzer
sein, obwohl idiese aweihundert Seiten genug neue, dem Var&sser
eigenthfimliohe Auifassimgen enthalten^ die verdienen unsere Auf-
merksamkeit zn fdsseln.
Mit dam Leben Atiila*s waar der äseme Wille dahin, der Alle
. disparaten Elemente unter den Hunnen wie ein höheres Gesetz f&r
Thttrryc BMoii« d^AttOa. MI
•in VierteUahrlrnndert zusammeugelialteii hatte« Dan kam aooh
die ünainigkeit unter den Söhnen AttUa's. Die dentsohen Vassallett
reyoitirten zuerst. Beim Netad, einem jetzt unbekaasten Neben*
flueae der Donau kam es zur Entseheidungseohlaohty infolge wovon
die Hunjien über die Donau zurückgingen. Ardario bem&ohtigte eioh
der Ebenen an der Theiss und schlug sein Zelt wieder da auf»
wo Attüa das seinige hatte, bevor er nach dem Westen aufbrach.
Uebrigens umfasst dae erste Capitel dieser zweiten Hälfte die Er-
eignisse von neun Jahren (453—462). Verf» widmet einige Seiten
dem Zustande dieses Landes und dem Schicksale eeiner Bewohner,
den natürlichen Yertheidigungsplätzen an der Donau S. 284—240.
Attila war, so schliesst er, der Zerstörer dieser früher blühenden
Oegenden« j,AUila fttl le grand destrueieur de em contr^eSy au ion
nom, triUemeni popidaire, reda atiachi ä Undes les ruineij eamme
eeUd de Trojan d toutes les ftmdcUiana. Jvstinien mü $a gltnre ä
r^parer le» dSstuiree cfua pays gtd 6taü le sien, maia au momeni
QÜ commtneeni mos ricUa, les villes de fint^rieur ti^iaitfA pour la
plupari que des fnoneeaux de dicombres, et lee plaees de Danuöe,
presgue iouies demanteUes, n'oppoeaieat qt^une barriire itnpuissaTiie
Ott passage des Barbares." Nach der blutigen Schlacht am Netad,
waren die Sieger fiftst ebenso rathlos wie die Besiegten. Ohne
Heimath, da sie die ihrige verlaasen, theüten sich die Gepiden und
Oetgothen in die Länder von der Mündung der Donau bis Wien.
Die Ostgothen, welche sich von Sirmium bis Wien ansiedelten^
standen unter drei Königen (Theodemir, Yalemir, Widemir).
Marcian gab zu dieser Besitzergreifioiig seine Einwilligung. Vor
den so nach dem Süden vordringenden Germanen ?richen die Hunnen
abermals nach den Ste^^en am Digepr und Don zurück, ihrem
eigentlichen Patrimonium oder Heimathsbeeitz , nicht entmuthigt
durch ihre Niederlage, sondern voll Zuversicht! Sie wollten die
Projekte Attila's erneuern. S. 343. Wir übergehen die Beiträge
zu dem Charakter der Söhne Attila's S. 245. Wichtiger ist zu
wissen, dass die Vorbereitungen zu dem neuen Feldzuge wahr-
scheinlich (probablement) das ganze Jahr 455 ausfüllten. S. 277.
Ihre neuen Angriffe auf die Ostgothen missglücken, S. 252,
wie der Eingang des zweiten Capitels darthut (Zeit von 462—535);
dann machen sie einen Einfall in Mösien, aber belagert in Sardica,
ziehen sie sich wieder zurück, nachdem sie diese Stadt vergeblich zu
halten gesucht hatten. S. 256. Ueber diesen kurzen Peldzug der
Hunnen hat der Schwiegersohn des E. Avitus und spätere Bischof
von Clermont, nämlich Sidonius Apollinaris, Details in Versen
hinterlassen (Panegyricus auf Anthemius S, 257 ff.). Nun ersuchen
die Söhne Attila's den E. Leo um Gewährtmg des Rechts, Handel
mit Mösien zu treiben. Der Eaiser weigert sich. Die Söhne Attila's
zürnen. Der Eine will den Erieg, der Andere den Frieden. Der
Erstere betritt das römische Oebiet, aber mit den Oothen die sich
an ihn angeschlossen haben, geräth er in einen Engpass und be-
aOI Thi^tty: Bkioire d^AiUk.
kommt HäadeL Die yerbttndeten Hunnen and (rothen ecUngen
sich untereinander. Auf einem neuen Eeldzug nach Mdsien wird
dieser gefangen and getOdtet. Jetzt trat eine Wendong ein, die
ebenso merkwürdig fdr Politik wie für die Oultar ist : Die Hunnen
nehmen Oultar an: „Ced en effd, so sagt der Verfasser, de ee
momtnt que les coloniea hunniquea de Pannonie ei de MMe, Ubra
de tout empiehemeni exUrUur, marehent d^une allure plu$
franche ven la civilisationj ou du moine vere eeUe imi-
talion de$ hctbitudes romaines qtti eonstUuaii U premier dtgr/ de la
romamJUJ'^) Die Folgen des Todes dieses löriegerischen Sohnes
Attila's (Denghizikh) werden erst im dritten Oapitel erzählt S. 281.
Zunächst sehen wir die Hunnen infolge ihres Anschlusses an die
Cultur, Aemter annehmen im römischen Reiche. 8. 271. Zahllos
ist die Menge der aus den hunnischen Golonien an der Donau
hervorgegangenen Häuptlinge, die zugleich im rOmischen Heere hohe
Grade erlangten. Der Verf. verweilt nur bei einem derselben, einem
Enkel Attila's und Statthalter Belisar^s, nämlich Mundo, etwas
länger. S. 272 ff. Dieser, Anführer seines Stammes, riss sich von
dem Qepiden Thras^ric los xmd trat auf römisches Gebiet hinflber.
Er führt das Leben eines Bäubers (Scamar, iUjr. Wort), wovon
die Seinigen als Seaman in der Geschichte figuriren. S. 274. Er
wird bald ihr König, Vassall Theodorichs, dessen Leute ihn ans
einer Belagerung befreiten, und zuletzt tritt er in die Dienste
Justinian*s, dem er vortrefiPliche Dienste bei der Unterdrückung des
Aufstandes im Oircus leistete. Dafür wurde er Gommandant von
nijrien; jetzt hatte er den Ehrgeiz, für einen Römer gelten n
wollen. S. 277. Alsbald brach zwischen Justinian und denGothen
ein Krieg aus. Mundo vertrieb die Gothen und nahm ihnen Sa-
loua; sie kamen aber wieder. Mundo sandte seinen Sohn wider
sie ab, welcher fiel; dann zog er selbst, und hatte schon wieder
den Sieg errungen, als ein Gothe, der über das Schlachtfeld eilte,
ihn erkannte, und niederstiessi den letzten Abkömmling Attila's.
•) Um diese Zeit, bemerkt der Verf., bedeutete RomanitM die Eigen-
schaft eines römischen Bürgers, und im Gegensatisum Barbarenthum: Civl-
Ueationl
(Bchluss folgt.)
Ii. 39. HEQ)EIBKB6£B 1886.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Thierry: Histoire d'Attila.
(SohlnssO
Das dritte Kapitel, dessen Eingang die Anflösnng des Reiches
Ton Denghizikh erzählt, S. 280, beschäftigt sich mit dem Erschei-
nen der Slaven (Antes^ Vendes und Slovenen) auf dem Wege der
Geschichte, ihren Beziehongen zu den ansässigen Qepiden, nnd mit
der Lage des römischen Reichs in den ersten Jahrzehnten des
VI. Jahrhunderts, mit Nestorianismns nnd Entjchianismns, die die
Kirche des Orients entzweiten, mit den theologischen Kaisern, (Zeno,
Anastasius und seinen Massregeln zum Schutze der Hauptstadt),
die, nach die Tode des Anastasius, Justin noch vermehrte, wie denn
dieser auch die Donau in Yertheidigung setzte. Dieses Werk, wel-
ches die Wiederherstellung aller festen Plätze miteinbegriff, wurde
Ton Justinian fortgesetzt und vollendet. S. 313. unter Justin, der
neun Jahre regierte, hatte das Reich vollständig Ruhe. So sehr
waren die Barbaren überzeugt, dass man sie nicht schonen würde,
wenn sie wieder zu erscheinen wagten. Justin starb im Jahr 527.
Sein Neffe wurde sein Nachfolger, Justinian, der schon vorher
designirt war.
Mit ihm beschäftigen sich, unter dem weiten Gesichtspunkte
der Beziehungen des Reiches zu den bekannten, und inzwischen
neu auftauchenden Völkern, das vierte und fünfte Oapitel. Erst im
sechsten stirbt dieser Kaiser. Für seine Regierung so wie ftlr sein
Leben ist eine der Hauptquellen Procopius von Cäsarea*), dessen
*) Eine Quelle fUr die Regierung JusUniAn's sind die Historien und die
,iB«iwerke** von Procopius, eine Quelle fUr dAS Privatleben dieses Kaisers
und seliieB Hofes ein kleines Werkchen, betitelt f,Gehelmge8ehiclite (blttorla
areana).* Hlemit verhUt ea sich so. Der Inhalt ist eine für Justinlan'a An-
denken nloht rtthmliche Geaehichte seiner Behw&ehen, sowie deren seiner
Gemahlin Theodora. Daher hat Procopius selbst bei seinen Lebzeiten sie
nicht herausgegeben. So gehörte sie in die Kategorie der 'Avsndota, was
lateinisch ungeschickt mit areana flbersetat wurde. Dass Procopius der Verf.
dieses postumen Werkes ist, hat Jüngst, mit philologisolier Ausdauer und
historischer GrOndllohkeit, aus Spraohe und Inhalt, Prof. Dabn bewiesen.
8. sein Werk: «Procopius von Cftsarea. Ein Beitrag zur Historiographie
der Völkerwanderung und des sinkenden Römerthums. Berlin 1865.^ —
Die Hauptpartie dieses Werkes ist die Kritik der GeheimgeBobichte von
ihm, und ihre Verglelchung mit den Historien desselben Schriftstellers, da-
neben das Resultat aus Procop für die Geschichten der Gothen (Ostgotben)
und der Franken. Sehr des Dankes würdig ist der letzte Tbell des An-
hangs, fiberschrieben: „Zur Literaturgeschichte Procop's.'' In sebior ersten
LVHL Jahrg. 8. Heft 89
eiÖ Thierrye BXsioIr« d'iitf«.
Werke von dem Verf. demgemäss auch frachtbar angezogen sind.
Doeh reieht ikre Competenz ntcr bis nun Jahr 548, was also ge-
rade zusammenftllt mit dem Zeiträume , dem da« yierte Capitel
gewidmet ist (von 527— 548), 8.315 ff. Justinian regierte im Gun-
sen acht xmd dreissig Jahre (527—565).
Das vierte Capitelj welches die ersten ein und zwanzig Jahre
erzählt, beginnt imt einer Gontroverse Iber selae Bedeutung in der
Geschichte, die rückwärts sich mit Theodosius, Constantinns and
Septimius Severus, ja Hadrian berührte, und abwärts mit der gan*
zen geistigen Cultur sich berührt, welche durch Gesetze und Ge-
setzgebungen vertroten wurde. Wir lesen, er wanderte aus Bede-
riana mach Constantinopel ein, unter Kaiser Justin,' seinem Onkel,
der ihn nebst seiner Mutter gerufen hatte. Justin war 474 von
ebendaher emgewandert, und hatte die bekannte Caxriöre gemacht
S» 81 &. Er heirathete eine Tänzerin, gegen Herkommen, Gesetz,
und Gutheissung seines Onkels. S. 320. Kaum auf dem Throne,
begann er die Codification sämmtlicher von jeher erlassenen Ge-
setze, womit er die Absicht verband, die römische Welt wieder-
herzusteUeUf deren Gesetze er sammelte, erläuterte und vereinÜEu^hte,
indem er sieaufdie Verbesserung der Sitten anwendete. Aber schon
Tacitus hatte gesagt, dass Gesetze keine guten Sitten machen.
Aber nichtsdestowemger war der Gedanke gross, und die AnsfÜh-
mng noch grösser, und würdig dem bekannten Gedanken Cttsars*)
an die Seite gesetzt zu werd^i« Darauf beschränkten sich die
Entwürfe Justinian's nicht. Was er nicht gegen Hunnen nnd Sl»-
ven nöthig hatte, dazu wurde er von den treulosen Gefuden ge-
zwungen. S. 327. Es gelang ihm die Gepiden durch die I^ongo-
barden im Schach zu halten, S« 329, die sich dann an Jostinian
als Schiedsrichter wandten, S. 830—336. Jede Partei hielt ihre
Ansprache, Lange wurde deliberirt. Man wies die Gepiden ab,
und versiprach den zweiten ein Hfilfsheer. Zum Schlnss machte die
Audienz eines Gothenstammes aus Tauris, der ehristlich war, nnd
einen Bischof von Justinian verlangte, eine Unterbrechung im Gange
der Darstellung, doch nicht ohne einigen Zusammenhang, indem er
die tV)litik der Oströmer beleuchtet, die mit Minen und Gegen-
minen an der Unterwerfung der Stimme am scbvaraen Meer
iubeiiietA. S. 342.
Der Bruch des Walfenstülstandes zwischen Gepiden und Lom-
barden liess nicht lange auf sich warten, S. 343, und bald ist,
wie wir im filnften £apitel 8. 351 lesen, aooh der Krieg da, den
die (Gepiden gern Tenndedeii hätten. Der Lombardenkönig ^Aldcfln)
hatte «uf die ihm von Jostinian versprochene Hülfe gehofft, welche
Bftlfte eine Ueberalcht über die Aueg aben und Uebersetmqgea Procopfl| Ist
dieser Theil in seiner zweiten Hälfte sn einer sohätzbaren Fundgrube und
Kachsohli^eqQeUe Itr JQrUUiteruDgen nnd BeurtheÜUQgen erweitert!
*J Bneton. Caee. L (4&).
«bor nicM emtrikf , sq 4aß0 «r auf MiqeA Degen «ioti veäattMn
xoneate. Die LaiAbfiar4e9 w^rea abev Sieger, »ber ohae 4a9e Büke
folgte« In Itelieo« dgA €|i»rcb Nimes erobert war, trote &]|i&ieQb«r
Goalitiooeu, folgte tiefe Buhe aaf die iSeiten der YeTwimmgeii. Da
auch in Persieo der Kfi«iig »it ei«em nenen Frieden einrerstanden
war» so konnte sioh Jnetiniftn rübwen, der Wiederberateller der vQmi-
aoben, Geeellsehaft wn eein ^ im Jahr 658» mdi einer S2jfthiigeu
Eegierung, und im siebeq^igaten J^hre aeineB Alters I Die Fol^n
dea Altere stellten sieh ein» Bebnsnielit naehBohe, Fnrebt vor^m
Kriege, überwiegendes I^aobdenken ttber die Mittel. »^ ce cov^le ^
dM gloire^ sagt der Verfasser, ü $emMa tlaffmwx mr Mr^miine. Les
MMaiwm a Iq U^rpenr mceid^nni ä VaMoiU üvwrawU et 4 ^a
fd m wUnühnt, o« d^uhU ft imifkcUU insirummi de sa grßndmr*
ü $ß mit ä erqindre Ja umrrt, pareeqm Za guirr^ cnirt^ ftpriß
tue dea eh€mem de fortu^ e^ h mouvwimi; ü la em^>itt üum
pßtpt gu'eUe cr{e d€B gin^mm, el qu^ dam «n Üoi iUfitif un g4n4-
tqI glarist4^ e< jpapwtotrf ß$t um menacä venafife j^eur un prmce
vieilli: ce trdne oü ü üaü asm ne le tut enseignaU que irop, Coft
Ja la vraie raison qt$i Ui rtnäU ißtgna ptmr BäUaire et U laissa
jmU pour Narsisj en gui ü hd ^taU d^fmidu de voir un rioai*^
An der SteUe der LeideoeabaA fttr den Krieg trat bei Juetinian
die Vorliebe fUr 3anten» die meistens zwar nütsHob waren, aber
zugleich 9a präehtig im VerhUtniss zn den Torhandenen Geldmitteln,
dj^a man sogar den Notsen derselbMi verkannte* So hatte er noob
an seinem I^bemiabende» als die gefUrchtete Theodora üia in den
Tod ßcbon Toi^pgegMogen war, den Aerger zn erfahren, dass man
die WoUtbaten vexgass, die er dem Beißh dnreh daa Qaeetabneh
erwiesen hatte. Jetzt fehlte noch, dass er Unglück haUe. Aneb
das k^ml 3r 31^6. Die Jabise 557 nnd 558 wechselten ab mit
Pest, Erdbeben n. s. w. nnd um daa Masa der Leid^ voll za
ma^bePt br^h eip wilder Krieg mit den Knirignri im Winter von
559 i^nf ^h^ am, Der K^aig dieser Vfilkerschaft, Zabergte, dnwg
bis \n die Qegend vou Gonatantinopel vor. 8. 856 ff. AUes war
trostlos. Pa mniste der Kaiser seinen General Belisar angehen.
Dieser eetzte alle disponiblen« verfaültnissmässig s^r geringen Vesi*
tbeidigongsmittei zu Fnas und zu Pferd in Bewegung S. 368 ff. nnd
rettete die Hauptstadt» deren Untergang schon gewiss war. S. 367.
DieWT Triumph Belisara, der Better des Baiohea zu beiesen, wurde
eine Ursacbe des Neides, dem Juatinian wieder sehr zugajiglidi
w«r, und BeUear aelbat, der seinen geschlagenen Gegner verfol^^
welUe, 9lirückber«feii. Da soll auch Zabevgin wieder gekehrt aein.
8, 869. Die Hwmen wurden aber auf dem Oheraonnea TiCmiehMi
S. 878 und Zabergto blieb nichts ülwrig, als abzureisen. 8. 874.
Was die Hunnen nicht unter den Söhnen Attila's zu wiederholen
vermocht hatten, das schienen die Avv^en, 4ie die Reste der ersten
Hunnen mit sich verbanden, und den Thron Attila'ß ai^ den Ufen^
der Donau wieder errichtete» 2T3i wollen, S. 87*. Hiemitbegi»* dw
Wl f hlerry: Atetoife d'AtlilA.
sechste oder letzte Kapitel dieses Baches, welches die Schicksale der
Avären*) erzählt, bis zu dem Zeitpunkte, wo Tiberios ihnen 8ir^
nimn llberiässt. Jostinian an den die Avaren noch eine öesandt-
sohafl schickten, war schon 565 gestorben. Sein Nachfolger war
Jnstin U», der eine avarische Gesandtschaft ungnädig entliess. Im
Heere Albo1tn*s helfen die Avaren Qepidien erobern, das seinen
Namen Hunnien wieder annimmt. Dann verlangt der Avaren Khan
die Stadt Sirmium« Justin II., in Wahnsinn verfallen, stirbt dar-
über* Der Khan (Baian) baut eine Flotte, und schliesst die Stadt
ein. Tiberius überlässt endlich Sirmium an die Avaren.
Der erste Band ist hiermit zu Ende. Ein Anhang, der ihm
beigefügt ist, g^ebt noch Belehrung ausser ttber den Namen der
hunnischen Königsstadt, besonders über das Schlachtfeld von Gha-
lons; diese Belehrung ist eine Art Memoire, S. 427—487, wozu
Niemand Geringeres flds der Kaiser Napoleon selbst den Verfasser
vor acht Jahren veranlasste, der hier zugleich eine Kritik einer
früher 1833 von Toumeuz veröffentlichten Beschreibung der Schlacht
liefert.
Der zweite Baad enthält die Fortsetzung des letzterwähnten
Kapitels aus dem vorerwähnten Bande, mithin eine Geschichte der
Begebenheiten, welche das Beich der Avaren begleitet haben, und
die bis auf den deutschen König Heinrich L herabreichen.
Das erste Kapitel dieser Geschichte umfasst die Jahre 582
bis 602 und schliesst mit dem Tode des obengenannten Khan*8
Baian und zugleich des byzantinischen Kaisers Mauricius.
Das zweite Kapitel, eben so viele Jahre (602 — 622) um-
fiftssend, beginnt mit dem Begierungsantritte desHeraklius inCon-
stantinopeL
Das dritte behandelt die Unternehmungen dieses Ejiisers
gegen die Perser vom Jahre 622 bis 639.
Im vierten erhalten wir Belehrung über Politik des Kaisers
gegen die Avaren und Slaven, über die Gründung zweier König-
reiche in den Donaugegenden (Groatien und Serbien), sowie über
das Abblühen des zweiten hunnischen Reiches, Alles die Ereignisse
vom Jahr 639—662. Die nächsten hundert und fünfzig Jahre sind
im fünften Kapitel erzählt, während dessen wir über die christ-
lichen Missionen unter den Hunnen, ihr Erscheinen auf dem Beichs-
tage in Paderborn, Niederlage der Franken am Süntel und Bache
dafür, Wittekind*s ünterwei^mg und Taufe, Bündniss Tassilo's mit
den Hunnen, Niederlage der Hunnen und Griechen in Italien, und
noch einmal der ersteren in Baiem, Angriff KarPs d. Gb:. auf ihr
Lager an dem rechten Ufer der Donau, ihre Vertreibung nachBaab
u. s. w. Aufschlüsse erhalten (v. J. 649— 791): die Hunnen waren
•) Das cweite a iat kura. Vgl den Hexameter b. d. Verf. (Theoduph.
."^.-•«•P* ^- ^®^- ^ "^•)- ^* venlunt Avarea. Arabes, Nemadesque, ve-
Bite, I Regia et ante pedea fleotite corda, genu.
Tbierry: W»toltte d'Attfla. 618
diejenigen gewesen» welohe KarVs d. Gr. Rnf nnd Name nach Eon-
stantinopel yerbreiteten. Dort herrschte eine förmliche Panik bei
seinem Namen, weil man ihn anf den Fersen hatte nnd im Geiste
das Erbe des weströmischen Eaiserthnms ihn antreten sah. Karl
zieht gegen die Avaren, wie das sechste Kapitel fortführt, zn
ers&hlen (yom J. 792—826), 8. 178, welohe von den Sachsen anf*
gewiegelt waren, nnd besiegt sie: dieBente schenkte er dem Papste
nnd den Kirchen. Der Khan Tndnn liess sich in Aachen tanfen,
anneetirte das Land Baiem somit dem fränkischen Gebiete 8.185.
Diese Tentonisirang brachte die Hnnnen in Zorn. 8. 186. Tndnn
wnrde rfickftllig, sammelte ein Heer nnd flberfiel den Statthalter
Gerold. Karl hörte dayon als er in Paderborn sich anfhielt (899),
knrz nachdem er den Besnch Leo*B erhalten hatte. Er sammelte
Tmppen, kam nach Begensbnrg leitete yon hier ans den Feldzng
gegen die Ayaren der sich bis znm Jahre 803 hinzog. Der Nach»
folger Tndnn's, Zodan, unterwarf sich KarVs Oberherrschaft. Fr&n»
kiscbe Verwaltnng pacificirte das Land nnd die christliche Reli-
gion ciyilisirte das Volk. Die Folgerungen des Krieges in Hnnnien
hat Einhard in seiner yita Caroli M. 13 gezogen. Die Ayaren be-
kamen nun yergolten, was sie ihren Nachbaren zugefügt hatten,
und entschlossen sich zuletzt ihre Wohnsitze zu yerändem, nnd
Karl ttberliess ihnen die Gegend zwischen Oamnntum nnd Sabaria
S. 194. Doch nur ein Theil fUhrte den Entschluss aus; die, welche
im alten Dacien blieben, yerschanzten sich in den Thälem der
Kaxpathen.
Nach dem Tode Karls nahmen die Unordnungen im 8ttden der
Karpathen zu. In der Gebirgsgruppe , wo die Moraya entspringt,
liess sich eine slayische Macht nieder, und machte sich dem Fran-
kenreich furchtbar. Dieses war Mfthren, ein Serzogthum, das eine
Zeitlang blühte, um endlich in einem dritten hunnischen Reiche,
dem Reiche der Ungarn, der Rächer der Ayaren, unterzugehen.
8. 195. Der Entstehung dieses Reiches, nämlich dem Eintreffen
der üngem in Europa, und ihrer Niederlassung an der Donau nnd
später, unter Arpad, in Transsylyanien, ihrer Vwstärkung durch
den Magyarenstamm , der Schwäche der Nachfolger Karl's d. Gr.
im Regieren, den Fortschritten der Morayen, und den Auftritten
zwischen ihrem Könige 8watepolc und dem deutschen Könige Ar-
nulf u. B. w. ist das 8chlus8capitel gewidmet, welches die Zeit yom
Jahr 888—927 behandelt. Das Ergebniss ist, die Ungarn machen
immer mehr Fortschritte, Swatepolc unterliegt, seine Söhne gleich-
falls, das Reich der Morayen selbst, und zuletzt sind die Hnngam
Herrn auf beiden Ufern der Donau. Dies ist der Anfang eines
dritten hunnischen Reiches.
Das Verdienst der Darstellung des Verfassers, die hiemit die
Geschichte Attila*s schliesst, liegt in der scharfen Unterscheidung
der Succession der hunnischen Reiche, welche auf einem sprach-
lichen und geschichtlichen Grunde zugleich basirt sind» Diese
614 Thierryt Hfaldn d'Attlla.
üntorBefaeidung eines ersten hunnischen Reichs (doroh Attila 436),
ednes Eweiten (durch Baian, den Efaan der Ayarer, 582). und eines
dritten (duroh Arpad, 924) ist jedenfsdls eine willkommene Be-
grftOEung beim Nachforschen in diesen sonst nodi dunkeln Partien
an der Schwelle der nachdhristliehen Geschichte. Im Einzelnen
theilt sich unser ürtheil nach der geschichtlichen Seite, dem wir
durch die Torangeschrittene Zergliederung entsprochen haben, and
nach der sagenhaften Seite.
Far diese hat der Verfasser selbst, indem er den Sagenfcids
AMih's gesondert behandelt, den Gedankengang und die Grenzen
yorgezeiohnet. Diese Sagengeschichte bildet den vierten Theil des
ganzen Werkes (Band IL S. 221). In der Vorrede hierzn 8a<^t er
die Gründe auf, welche die Entstehung eines Sagenkreises nm eine
historische Person erklären. Er findet sie in dem Ueberachnes ron
Schrecken bei den Einen und Bevrunderung bei den Anderen. Diese
Eindrücke abertreffen weit die Wichtigkeit der Thaten, "vrelehe ein
frühzeitiges Tod ihm dia Zeit lies auszuführen. In dem Dorch-
einander (amas oonfus) von Erinnerungen, die sich erhaiien, moss
man sich gefasst machen Widersprüche zu finden, daher nicht mit
naserümpfenden Vorartheilen daran vorbeigehen. Diese allgemeine
Ben»erkung wendet er speciell auf Attila an. Geschichtlich fasst
er die Stellung Attila*8 so auf, Worte, welche zugleich praeter
propter sein Gkube sind: ^lace ä la limüe de deux dges^ enk-e
V^poque romaine qu^il emevdU 80U8 des d^bris et V^poque des grand»
äablüsements barbarea dont il pripare Vavinemeni. Attila apparait
dam VhiUoirt aoue deum powi9 de wie taut dliffirent»: ä la fois
devtrueieur et fondaieur, ü ferme Vire de la dominaUon rümaine
m Ooeidenl, ü y moKre Vire vir&abU des dominations gemnarnquee^
il initie la öarbane ä aa vis nouveUe^^ Dann führt er, zur Er-
klttrung der Ssgen übergehend, so fort: ^CPest par aüe double
aciion qu'ü domime, dans Us detuo mondss cwiHs^ et barbar^ le V*
siMe^ qui est le sUOe de trcmsüion. De lä auui deux oouraaUs de
satwemre, dfimprtssions, dt jugeimenU aüachis ä »a m^mvire, Vun
qui pari du monde romain, Vauire qmi prmd sa «mree dem» le
monde ^etmanigue: dütinctSß oppos^ meme ä leur orifine, üa restent
aSparh (out en eheminant Vun pres de Vdu/brey tt troüeraatU U m^en
dge scms $e reneontrer ni se eänfondre.^
Gemäss dieser Eintheihing behandelt er nun den Sagenstoff in
geeonderten Kapiteln: Legendes et tradUiona latmes, S. 224 ff.. Le^
gemäss ei iraditima germanipies, S. 260 ff., Ligendee et iradUuma
hmgroim, ä. 342 ff. ^
In «rstecer Beziehung wird die Sage betraohtei, wd's^itUa als .
Zerstörer und als Gründer erscheint, vor den Bisehölan ui4>^*' i
Papste und als Geisel Gottes. Ferner was den Mythus Ton^l^^|J
Geisel Gottes betrifft, so forscht der Verlasser seinem Ursprung im^^
fünften Jahrhmdeart und seiner teneren Enimeklung in einem be«
Thlerry: HIMolre d'yHIbt 616
sonderen Alradmitte naoh. Wir müinen nns hier auf Andenttmgen
beschränken«
In zweiter Beziehung, wo die Sage uns n&her tritt, wird der
Nachweis geliefert, dass die germanische Tradition bei den orien-
talischen Germanen entstanden ist, und dass die occidentaUschen
sie annahmen und modificirten. So entstand eine besondere Tra-
dition bei den Franken, bei den Angelsachsen, bei den Scandina-
yiem, bei den Rheinländern. An diese Untersuchung schliesst sich
S. 28S eine andere über den Charakter Attila's in den verschie-
denen deutschen Gedichten und über sein tragisches Ende von der
Hand eines Weibes. Die Sage hatte noch ein drittes Stadium»
wie die Abhandlung über das Nibelungenlied 8. 522 zeigt. Hier
erscheint Attila als Freund der Christen.
Eine besonders schwierige Untersuchung ist die dritte 8. 340 ff.
Hier werden drei Gesichtspunkte unterschieden, zuerst nachdem
der Verfasser die Möglichkeit einer hunnischen Tradition bei den
Ungarn, und die Echtheit ihrer traditionellen Denkmale erörtert
hat, die Volksgesänge und Chroniken, zweitens, die Magyarische
Epopöe (Attila, Aipad, der heil« Stephan), S. 361, und drittens
die Sagen, welche sich an den Degen Attila*s knüpften. Doch sind
eigentlich die beiden ersten wichtig, weil sie zugleich die Bedeu-
tung von Epochen haben. Der heil. Stephan ist gewissennassen
die erhabene Sühne für die Tergangenheit. ,fia tomhe, der Verf.
spricht von Stephan's Grabe, acMoe la com^craUon dupdU terri-
toire oä tont d^SvSnements se Bont accomplU. üne grande rieoncir
liatian tfoph't et emhrasse tout It pcuts^, 8i Us m&iU$ d^AUüa ont
prSpari la puiaaance d'Arpad et la $aintel^ d'EHerme, la saintäi
d'EHenne rejaillü mr aes deuz glorimx antttrea^ La eroix qui
domine PEgUse-Blanche Maire au loin de ae^ rayona la aSpüUure
du duc magyar et le cippe fun£raire de Kewe-Haaa,^ S. 406.
Schliessen wir nach dem Bisherigen mit des Verf. Worten:
„Id ae termine Vtpopie traditionelle dea Hongroia avee V^poque
hSrctgue de leur hiatoircj et (^eai iei gue noua noua arreterona. Lea
iradUiona gue lea tempa poslMeura voient naitre rCont plm ni la
mime poAie, ni U aena profond et mysHque gut donne ä cdle-ci un
caracth'e ä mon avia ai admirable. On riy rencontre plua die lora
gue dea versUma plua ou moina aXtireee de la rdäliU/^
Auch dem zweiten Bande ist ein Anhang mit Noten beige-
geben.
Heidelberg» im August« Dr. H«Doergeil8.
616 Hansen: ReUttenen u. 6. w.
RelaUonm einedheils aufUelien Summen und Differenzen und andern-
theils stüischen Integralen und DiffereniicUen, Von P. X
Hansen, Des VJL Bandes der Abhandlungen der mathema"
tüch-^hysischen Glosse der k. Sachs. Qesellsehafl der Wüsen-
Schäften Nr. JJI. Leipzig bei S. Hirzd. 1865 (79 Seiten).
»Das Thema, welches ich hier behandele, ist in frühem Zeiiea
schon mehrmals bearbeitet worden, allein es fand sich demonge-
achtet, dass manches nicht unwesentliche hinzugefügt werden konnte.«
Mit diesen Worten beginnt die uns vorliegende, aus den Abhand-
lungen der Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften besonders abge-
druckte Schrift des um die mathematischen und astronomischen
Wissenschaften hochverdienten Verfassers. Ist aber der Gegenstand
auch nicht neu, so ist es doch sicher von grossem Interesse, ihn
von einem so erfahrenen Manne der Wissenschaft neu behandelt zu
sehen und wir woUen desshalb versuchen, den Lesern dieser Blfttter
die Behandlungsweise Übersichtlich darzustellen, wobei wir be-
merken, dass wir von den Bezeichnungen der Schrift in so ferne
abweichen wollen , als wir die durch jx bezeichnete Funktion von
X durch f(x) bezeichnen wollen, was uns hier für den Druck be-
quemer erscheint. Diese Aenderung beachtet, werden sich die
Zeichen des Verfassers leicht aus den folgenden herauslesen lassen.
Sind X, x-f-h, x + 2h, ..., x— h, x— 2h, ... die um das In-
tervall h von einander abstehenden Werthe von x, so ist der Unter-
schied f[x + (n4-l)h]— f(x-f-nh) die erste Differenz, die mit
-^ f [x -f- (n -{- 1 ) h] bezeichnet wird ; der Unterschied ^ i\x^
(n-f-jjhj — ^f[x + (n — 4)h] bildet die zweite Differenz, die
durch ^^f(x4-tth) bezeichnet werden soll, u. s. w. Allgemein ist
.:/°»f(x.f nh)=.^-i f[x-[.(n-f i)h] — ,J«-i f [x+(n— 4)h}, welche
Gleichung von m=l bis m=oo gilt, wo n nicht gerade eine ganze
Zahl sein muss. Ebenso ist -2>f(x-|-nh) = 2;»^+iftx+(n-f |)h]
— 2>+if[x4-(n— 4)h], welche Gleichung ebenfalls von m = 1
m = 00 gilt. Schreibt man für 27-"» : J^ tmd für z^-"* : 2>, so kann
man eine der beiden obigen Gleichungen allein beibehalten und sie
von m = — 00 bis m=a.-}-oo gelten lassen. Dabei ist freilich zu
beachten, dass die erste Gleichung für alle positiven Werthe von
m bestimmte Werthe liefert, für negative m aber unbestimmte,
weil in. der Beihe der Summenglieder einer jeden Ordnung ein
Glied willkürlich angenommen werden kann. Es enthält also (för
ein negatives ganzes m) die erste Gleichung so viele willkürliche
Glieder als die Zahl m Einheiten hat. Dasselbe gilt natürlich, in
umgekehrter Ordnung freilich, von der zweiten Gleichung.
Aus der Erklärung werden nun die Ausdrücke von i^f(x),
/ßi{j)y ... abgeleitet, und gefonden: z/"f(x) = f (x-|— ^-h)
HAnsen: BdattooiB v. t. w. ^^^
[f (x^J^Iüib) — f (x — 5^|i)] — .... Entwickelt man alle diese
2 2
Grössen nach dem Taylor*schen Satze, wobei man h klein genng
Toraussetzt, damit die entstehende unendliche Reihe noch konver-
gent sei, so erh< man den Ansdruck von -^f(x), den jedoch die
Schrift nur für die besondern Fälle m=l, ..., 7 und zwar nur
in den ersten Gliedern giebt.
Es Iftsst sich ganz leicht auch der Ausdruck fttr z/™f(x+|h)
4--^f(x— ih) auffinden, der übrigens aus dem Yorigen abgeleitet
werden kann. Daraus findet man idr*f(x + Jh), was Alles nun an
dem besondem Beispiele f(x)=x* erörtert wird.
Eb ist ^f(x)=f(x + 4h)-f(x + 4h)=hf«(x) + J^p-2-3-
f'W+i'il — r^W+ •••; iatogrirt man diese Gleichung ein-
1 • • 5
mal nach x ; differentirt sie dann ein, drei, . . . Mal, so erhftlt man
Beihe Gleichungen, die nun mit den Koeffizienten 1, aj h^ b| h^,
Cj h*, ... muitiplicirt werden, worauf die Addition liefert: hf(x) =
/l p(x)dx+a,h»z/-^^4-b,h4z^^^^+...,wenn a„bj,..
stimmt werden. Daraus folgt dann 27f (x) = -r- 1 f W d 3l + *i ^
in£L+b,h3^?i^ + ... . So kann man eine Formel finden för
dx ' ' dx3 '
2;2f(x), u. s. w.; eben so für Zf (x+ 4 h)+ 27f (x — Jh),
2r'f(x+4h) + 2;»f(x-4h),..., 2;f(x±jh), 2;»f(x + 4h) ,
was wieder fttr den besondem Fall f(x) := x« durchgeführt wird.
Aus diesen Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass man
aUgemein 2;-f(x)=-lTV)dx-+^^J""^^^^^
Jii-4 p-r d'f(x)
f (x) d X«-* -f- . . . . setzen dürfe, wo I f (x) d x-' = — ^-^^
zu setzen ist, und wo a^, bn> . • • gewisse, von der Form der Funk-
tion f (x) ganz unabhängige Grössen sind. Weil dem so ist, kann
man sie dadurch bestimmen, dass man für f (x) eine Form wählt,
bei der die Bechnung sich durchführen lässt: diese ist e*. Man
e'
findet, dass 2>e^=-^r— = _ > , welcher Ausdruck (für positive und
(e-e )
negativem) den obigen Erklärungs - Gleichungen genügt. Hiedurch
h^
wird obige Gleichung zu / ih-ih\n "=14"*» t^ + l^n h*4- •••••
(e-?)
Ci6 Hcnsenr RdattoiMi m. 8. tr.
so dass maa sagen kann, es sei »-2>f(x) = (e*— e*^)^*» ^^*^
man nack der Entwicklang der rechten Seite in eine nach stei-
genden Potenzen von h fortschreitende Reihe allenthalben h-"»+P
mit I f(r)dx^'*v moltiplizirt , nnd wo ^ nnd | mit negatiTen
Indices behaftet vorkommen , dafür bez. ^ nnd d mit denselben
positiven Indices versahen» ansetzt.«
Die Bestimnmng von a^t ba, ... ist ans der obigen Oleichnng
klar und die Schrift führt dieselbe zunächst ftlr negative n voll-
ständig durch xmd zeigt dann auch, dass wenn man diese GrGssen
für n£= — 1 kennt, man sie leicht für alle negativen, und eben
so wenn man sie fttr n=r=4-l kennt, ftlr alle positiven n erhalten
kann. Beides ist aber leicht durchzuführen.
Füri [27»f(x4-4h) + 2;«»f(x-4h)J erhält man ^ ^f (x)
^^'+hSj""fW^""'+^/"~*fWd^""*+ •••» ^^ ^^^
abermals «n) ßm ••• sich als die Koeffizienten der Entwicklung
von - ^^(eii;*^)""+' herausstellen.
Die ümkehmng der bereits gelösten Aufgaben, nämlich die
Differentialquotienten durch die Differenzen auszudrücken, lässt sich
nun ebenfalls bequem durchführen, wobei zunächst die sogenannte
Gaussische Interpolationsformel, »die schon vor Gauss vorhanden
wäre, aufgefunden wurde. Dergleichen lassen sich jedoch allgemeinere
bUden. Es ist f(x-f kh) = f(x)+khf'(x)-f -^^^ f» (x) + . . .,
1 • 2
vorausgesetzt allerdings kh sei klein genug, damit die Beihe kon-
vergire. Setzt man hier die Werthe der Differentialquotienten, in
Differenzen ausgedrückt, ein, so ergibt sich f (x-f- kh) = 4 [f (x -|- J h)
+ f(x~|h)] + A, ^f(x) + AaH-^^f(i + il^)+^'f(x— tt)]
+ A3^»f(x) + A4i [z^»f (x + 4 h)-f^4f(x-ih)] + ...., woraus
auch folgt, f(x + kh)=Hf(x + l^) + f«] + Bi^f(x-f4h>4-B2i
[z^»f(x-fh) + ^2f(x)]^...., undfemerf(x + kh) = f(x)4-0,i
[z/f(x4.th)+^f(x-4h)] + 02i^^f(x)-f In diesen For-
meln sind die A, B, C Eoefizienten, die sich allerdings durch die
Ableitung ergeben, die aber auch dadurch gefunden werden ken-
nen, dass man f(x)=e' setzt. Es ergibt sich daraus dann, dass
diese Bestimmung mit der Entwicklung von (u+yT+n*)^^ ^^^
steigenden Potenzen von u zusammenhängt. Diese Entwicklung
wird hier dadurch gefunden, dass gezeigt wird, es folge aus A=
(u+V^i-j-u*)** die Differenzialgleichung: (1 -}-n*) -r— y + u -^ —
— 4k)A=0, die dann durch die Reibe l-f-MiU+M^u^-j-... in
Baltx«r: Theoito wU ADwendvag 4«r DeiennSnaDteiL 619
gewOhnlidwr WaÜM Uiegrirt wird. Didfie Beihe ist die £n«liolie
Entwicklung.
In tiinlicher Weise wird die Barstellang der (wiederholtem)
Integrala durch Smamea und Differeneea durchgeführt. 80 findet
sich, dass man setzen kann ^| f(x)dx" = 2;"f(x)-}-An2>~»f(x)
+ Bn 2;»-^ f (x) + ... und es steUt sich heraus, dass j f (x) d x» gleich
ist h«u»P(u+VTT?)]^*i wenn man hier statt n* setzt^ 2?»-» f (x).
Diese Eoei&ueaten werden dann auch durch bestimmte Integra
ausgedrltokt, was wir hier übergehen mflssan.
Die Anwendung auf Berechnung der bestimmten Integrale liegt
unmittelbar zur Hand, und wird durch das Beispiel f(x)=ztinx
für ein-, zwei- und dreifache Integration zwischen 45 ^ und 95^
erl&utert.
Die Koeffizienten, die in den frühem Entwickhingen vorkom-
men, hängen mit den Bemoullischen Zahlen zusammen. Dies gibt
dam Verf. Tenmlassuag, zwei verschiedene Ausdrücke zur Berechnung
der Bemoullischen Zahlen abzuleiten« wegen deren wir ebenfalls auf
die Schrift selbst verweisen müssen. Einen Naohtheil haben alle
hier gefiondenen Formeln, den nämlich > dass man di« Grenze des
begangenen Fehlers nicht kennt. Davon muss man dlerdings ab-
seben, wenn man die Form der Funktion f (x) nicht kennt ; andern-
falls aber lassen sicdi für die nähemngsweise Berechnung bestimm-
ter Integrale bekanntlich Formeln aufstellen, die von diesem üebel-
stande frei sind.
Theorie und Anwendung der Determinanten vtm Dr. Richard
Baltzer, Oberlehrer um etädtiaehen öymncu^um »u Dresden,
Mitglied der k, säche, OeseUsehaft der Wissenschaften zu Leipzig,
Zweiie vermehrte Auflage, Leipzig. Verlag von 8. Hirzd 1S64.
(VUJ u. 224 S. in 8.).
Wir haben im Jahrgange 1858 dieser Bltttter die 1857 er-
schienene erste Auflage dieses vortreSHchen Buches angezeigt und
wir können also bei der zweiten Auflage auf das bereits dort Ge-
sagte hinweisen. Die Eintheilung des Buches ist dieselbe geblie-
ben, nur ist Einiges neu hinzugekommen, oder Früheres geändert
worden. So sind zunächst mehrfache Zusätze zu §. 8: »Entwiefc»-
lung einer Determinante nach den in einer Beihe stehenden Ele-
menten« hinzi^ekommen ) vielfach geändert ist ebenso der g. 4:
»Zerlegung einer Determinante nach parti^ea Determinanten<i mit
dem der frühere §. 5 vereinigt wurde; in g. 5: »Produkte der
DeterzniuMifasn« wnrd^ wa d^ Hanptaatz über die Zerlegung einer ^
690 Oiornale dl Matoiiuitleh&
Determinante anf denLaplaceschenDeterminantenBats zarftckgefUirt,
auch der letzte Lehrsatz des betreffenden §. geändert; der §. 6:
»Determinanten Yon adjnngirten Systemen« hat ans Arbeiten von
Franke, Brioschi u. a. ebenfalls mehrere Erweiterungen erhalten,
während der §. 7 : »Determinante eines Systems, dessen correspon-
dirende Elemente entgegengesetzt gleich sind«, im Wesentlichen
derselben geblieben ist.
Damit schliesst in beiden Auflagen die Theorie, nnd es ent-
hält der zweite (weitaus grössere) Abschnitt die »Anwendungen der
Determinanten.« Auch hier ist gleich der §. 8: »Auflösung eines
Systems yon linearen Gleichungen« yerändert dargestellt; der
nächste aber: »Lehrsätze über die linearen Differentialgleichungen«
ziemlich unverändert geblieben. Sehr bereichert dagegen wurde
§. 10: »Produkte aller Differenzen yon gegebenen Qrössen«; der
nächste: »Resultante von zwei ganzen Funktionen« wurde YöUig
umgearbeitet, wie er denn auch in der ersten Auflage unter ande-
rer Ueberschrifb und in anderer Ordnung erschien. »Die Funktio-
naldeterminanten« sind dieselben geblieben wie in der froheren
Ausgabe, und auch die »Lehrsätze yon den homogenen Funktionen«
haben sich in den sieben Jahren nicht geändert, während §.14:
»Die linearen, insbesondere die orthogonalen Substitutionen« eine
Beihe wichtiger Zusätze erhalten hat. Die letzten drei Abtheilun-
gen: »Die Dreiecksfläche und das Tetraedervolum ; Produkte von
Dreiecksflächen und Tetraedervolumen ; polygonometrische und polye-
drometrische Relationen« sind nicht bedeutend anders geworden,
da nur einige kleinere Zusätze neu erseheinen.
Wir können nur wünschen, dass das Buch, das in bequemerem
(kleinerem) Format erscheint, als die erste Auflage, sich auch in
der neuen Auflage viele Freunde erwerben möge, die es ganz ent-
schieden verdient.
Oiornale di MaUmcAiche ad uso degli Oudenti ddle univerdtä tto-
Hane pubbliccUo per eura dn professt^ri O. Battaglini,
V, Janni e N. Trudi. Napoli, Benedetto Pdlerano^ Ediimrt.
unter diesem Titel erscheint seit Januar 1863 in Neapel eine
mathematische Zeitschrift »zum Gebrauch für die Studirenden an
den italienischen Universitäten«, und zwar in monatlichen Heften.
Neben selbstständigen Abhandlungen enthält sie Aufgaben und Auf-
lösungen derselben.
um den Geist der Zeitschrift zu charakterisiren mag es ge-
nügen, eines der Monatshefte des Jahres 1864 willkürlich heraus-
zuheben, um seinen Inhalt zu betrachten. So wählen wir etwa das
Juliheft. Es enthält zunächst die Fortsetzung einer Abhandlung
von Bf^ttfiglini; »SuUe Forme binarie dei primi quattro gradi«,
Bseher? Thebrle iad BUreteamL 691
also üntersnchimgeii, die dem Qebiete der Zahlenlehre und der
Determinanten zogebören, wobei selbstverständliob auch mit die
Absicht nnterlAufty schon Bekanntes dem Kreise der Leser zugäng-
lich zu machen. Die zweite Abhandlung ist entnommen demTheil
m der Memorie delP Accademia delle scienze di Bologna und
enth<: »Nuoye Bicerche di geometria pura suUe cubiche gobbe
ed in specie sulla parabola gobba« per L. Crem ona, somit Unter-
suchungen über die hohem Theile der neuem Geometrie. Die dritte
Abhandlung ist die Fortsetzung einer »Teorica dei contravarianti,
de ooyariantii e degli invariantic per G. Janni, ist also mitten*
in der neuem Algebra, und hat zum Zwecke, die fraglichen Theo-
rieen möglichst elementar darzustellen. Endlich erscheint eine
»Dimostrazione della Questio ne N. 36c per M. Ferrari Luogo-
tenente nel Genio militare, und eine >Que8tione«, die heisst: >De-
terminare un triangolo, conoscendo le lunghezze delle bisettrici dei
suoi angolicy die in das Gebiet der elementaren Geometrie eingreift.
Es ist hieraus wohl schon zu ersehen, in welchem Sinne die
hier genannte Zeitschrift ihre Aufjgabe zu Usen sucht. Sie ist —
wenn auch nicht vollständig — entsprechend den weit verbreiteten
»Nouvelles Annales des Math^matiquesc, die von Görono (und dem
verstorbenen Terquem) begründet sind, die jedoch einen grösseren
Theil ihres Baumes den Aufgaben widmen. Wir hielten es fUr
Pflicht, die Leser dieser Blätter auf die besprochene Zeitschrift
aufmerksam zu machen.
Elementare Theorie der Differensen briggieeher und trUianofnetriaeher
Logarithmen. Von Dr.Paul Es eher, Wien 1864. Verlag
des Verfassere (M 8, in 4.).
Für die Anwendung der Logarithmen ist es von Wichtigkeit,
entscheiden zu können, in wie weit die gewöhnliche Art der Inter-
polation zulässig ist oder nicht. Diese Entscheidung lässt sich
n^ittelst des Taylor' sehen Satzes bekanntlich leicht fällen; dieser
Satz selbst aber liegt ausser dem Kreise der Elemente. Der Verf.
der vorliegenden Abhandlung, der auch sonst schon durch gute
mathematische Arbeiten bekannt ist, hat nun die nöthige Unter-
suchung auf sehr elementarem Wege geführt, so dass die Schrift
der Berücksichtigung von Seiten der Lehrer der Elemente der
Mathematik würdig ist.
Zunächst zeigt der Verf., dass wenn a — /}, a, a -f- /3 (a grös-
ser als ß) drei positive, in arithmetischer Progression stehende
Zahlen sind, immer log a — log (a— /J) > log (a -f- /5) — log a, wel-
cher Satz noch allgemeiner sich dahin aussprechen lässt, dass wenn
in den zwei Zahlen a, tt-f-/3 die eine, a, sich ändert (wächst),
während die andere, fi, ungeändert bleibt, die Grösse log (et -}-/!)
•*«-log« abmmmt. Di* Biehtigkeit dieses AusqHraöhs eigibt n4di
9ofoirt daraus, dass die fragliche Differeiut gleich log( 14--^) ist-
Durch eine Reihe hierauf gesttttzter Betraehtungen, die wir
nicht wiederholen wollen, gelangt die Schrift zu dem Schhissei dass
wenn x, x-f-^» ••••! x^nd eine Anzahl in arithmetischer Pro-
gression stehende Zahlen sind (x und d positiv) und wenn log x = s,
log (x -|- d) — log X = w, log (x« 4- d»)— log X* = z, immer log (x-f rd)
I 11 r(r— 1) ,.
zwisohan u-f-tw wds + rw -5 — z hege, wo r «wisfiben 0
TT 1 r(r— 1 j n(n— 1) ^, .
und B. Kann man ako — 5— z, oder gar. > ■ . b TemacUaMi-
gent so ist log(x4-rd)=;s-|-rw, und es bilden somit die Loga-
rithmen der vorhin genannten Zahlen ebenfalls eine arithmetisohe
Progression, was bekanntlich bei der gewöhnlich benützten Inter-
polations-Fonnel vorausgesetzt ist. Für x» 10,000, d=^0'001und
n = 1,000 findet der Verf.-^-^^^ z = 0-000000002 , so dass also
für siebenstellige Logarithmen die Literpolation, wi9 die TaMn sie
vorschreiben, als gerechtfertigt anzusehen ist.
Für die trigonometrischen Funktionen beweist der Vert in
ganz sinnreicher Weise, dass die GrCsse — —^ wenn g) in Sekunden
ausgedrückt ist, abnimmt mit wechselndem 9), wobei 9X^324000
(=90^) gedacht ist; dass dagegen-^^ wachse mit wachsendem 97.
Dasselbe gilt natürlich auch von den Logarithmen dieser Brüche.
Hieraus, in Verbindung mit dem Satze, dass cos 9^1 — {arc'9),
erläutert er das von Bremiker angewandte Ter&hren, um fOr
Winkel unter 0® 85' mittetet des log -^ u. a. Wp dw Jpg sin od
zu ermitteln — ein Verfahren, bemerken wir gelegentlich, das auch
in den Schr5nschen Tafeln aufgeführt und benützt ist«
Für die Dififerenzen der log sin zeigt die Schrift zuerst \?ie-
der, dass \ogsixi(cC'\- ß) — lo^^^na abnimmt, wenn a wächst und
ß unverändert bleibt. Daraus folgert er dann abermaljs, dass wenn
h)g sin X =^ 8, log sin (x -|- d) — log sin x = w, lo^ sin^ x — log (sin*x
— sin'd)=^z, man log sin (x -j- r d) als zwischen s-^-rw und
8 -|.- rw ^-5 — ^z' liegend ansehen könne. Dsorf man alaon-^^ — ^
oder allgemeiner (höchstens) — ^ — ^ z vernachlässigen, eo bilden
die log sin der Winkel x» x-^^d, ... , x-j-nd« wo x und d positiv
und x*f-nd<C900, eine aritbmetifcbe Progression 9 wa» ebenfalls
diegeiröhnliehe Interpolation voraoAsetzt. Für xs;:^«^', d;=;:Q'0ai'^^
n=1000 findet sieb ^ ~ ^ z = 0-00000005, so dass ftlr Win-
k«l über 0^85' dUset Yerfobren zv EinsobalUnig binmoliend ge-
recbtfertigt erscbeint. Fürx = 5^ d = 0-01'', n=1000 (weil ln«r
die Winkel von 10 m 10 Sekunden gehen), findet sich ^~^ — -z
s:0*0000<M)07. (Dabei hat der Verf. die Tafeln von Bremiker-
Yega im Auge , bei denen anfänglich die log sin Yon Sekunde zu
Seknnde, spttter von 10 zm 10 Sekunden gegeben sind). Fflr log
eos lassen sieh die Oesetze at» logsi» folgern.
Fflr logtg ist obige örOsse z gleieh der Torigem, s^slogtgx,
w = logtg(x-f>d) — logtgx und man erhftlt dieselben Ergebnisse,
logcotg ist =*- logtg, so dass für diese GrOsse keine besondero
▲nfstellnng neihwendig wird.
Du magneUBche Drehung der Polariaatiomeikme de$LiMe$, Ver$ueh
Hner malhematifcken Theorie von Carl Neummnn. Haäe.
Verlag der JBtteKbandkmg dee Waieenhaum. 1863. (VUl und
82 8. in 8.).
Die durch Erfiährung nachgewiesene Drehung der Polarlsations-*
ebene des (linear polarisirten) Lichtes, das einen Körper durch-
läuft, der magnetisch erregt ist, soll in der vorliegendea Schrift
durch die mathematische Theorie als aus dem gegenseitigen Eiur
wirken der Aetheitheile und der magnetischen Molekularströme ab-
geleitet werden. Bei der Widitigkeit des Gegenstandes and den fielen
neuen Annahmen über diese Innern Zustände werden wir uns ein
etwas ausführliches Eingehen auf den Inhalt der Schrift erlauben
dürfen, wobei yon einer »Kritik c der gemachten Annahme, so wio
der Sirgebnisse saLbBtyerständlich keine Bede sein kaoA, da jeder
Versuch, diese so schwierig zu behandelnden Gegenstände der
mathematischen üntersuchungsweise zu unterwerfen, wenn er über-
dies in gewissem Maasse gelingt, von ^ossein Werthe ist.
Der (para- oder dia-)magneti3che Zustand , in den ein Körper
von aussen her durch eine auf ihn wirkende magnetische Kraft B
yersetzt wird, beruht auf gewissen elektrischen Vorgängen^ die
doppelter Art sind. Einerseits nämlich werden die im Körper be-
reits vorhandenen Molekularströme regulirt, anderseits werden solche
Strömungen durch die induzirende Wirkung von B hervorgerufen.
Die ersteren heissen natürliche, letztere induzirte Molekular-
ströme. Für jetzt wird vorausgesetzt, dass die Kraft B innerhalb des
von dem Körper eingenommenenen Baumes allenthalben konstant sei.
Zudem soll es sich um durchsichtige Körper handeln, die also nur
eines geringen Grades von Para- und Diamagnetismus fähig sind,
woraus folgt, dass auch der durch die Kraft B herbeigeführte Zustand
>
'6i4 IffeumAan: ÜAgnetladi« Drehmag iL •. w.
des Körpers ein gleichförmiger ist. Diese OleiohfÖrmigkeit wird sich
jedoch nur dann herausstellen, wenn man nicht die einzelnen Mo-
lekalarströme I sondern Gruppen von solchen unter einander yer-
gleicht.
Enthält ein Volumenelement n einzelne Molekularströme, und
sind «j, /J|, y^; ..., a^, ^, y^ die (Seiten-) Momente derselben,
80 werden die Grössen '^+" + ''\ A+U±^, ?H:il±^
n n n
als konstant anzusehen sein, also im ganzen Körper dieselben
Werthe haben. Dabei ist a = AjcosU| /SstAjcosYi ^=Ajco8w,
wenn X die Yon dem Strome umflossene Fläche, j die Stärke des
Stromes, u, t, w die Winkel, welche die Normale an die Flftcfae
(A) mit den Azen macht, wo die Normale so gerichtet ist, daas
der in ihr Stehende (mit dem Fuss auf der Fläche) den Strom
von rechts nach links sich bewegen sieht. Mit Sl mag das Vo-
lumen bezeichnet werden, das ein Element des Körpers mindestens
besitzen muss, damit die mittlem Monumente, die er, /}, yhm-
sen, (wie sie so eben erklärt wurden) noch fftr dieses Element
konstant, also Yon der Lage desselben unabhängig seien. Sind a,
b, c die Winkel, welche die Richtung von B mit den (Koordinaten-)
Axen macht, so ist a = kBcosa, /} = kBcosb, ^=kBcosc, wo
k eine von der Natur des Körpers abhängende Konstante ist
Die Thatsache, dass die Folarisationsebene abgelenkt wird,
beweist, dass auf den Lichtäther eine Wirkung durch die magne-
tische Kraft ausgeübt wird, die in der Einwirkung der elektrischen
Ströme auf den Aether zu suchen sein wird. Für das Gesetz die-
[dO d*/dr\*
— ~5 h G "ja — {'TTJ 42^*
^^7^ I angenommen, wo (i die Masse des elektrischen, m des Aethe^
theilchens, r der Abstand beider zur Zeit t, und O eine nur Ton
r abhängende Funktion ist. Die Formel entspricht dem Weber-
Bchen Gesetze für die Einvdrkung zweier elektrischer Theilchen auf-
einander (wobei 4^ s= — ist, welches Letztere hier nicht angenom-
men wird).
(Bchluss folgt.)
Hr. 40. HEIDEIBERGER 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Neu mann: Magnetische Drehnng n* s. w.
(8c1i1ii0bO
Ist d<T die LlUige eines Stromelements , -{-tjäCf —tide die
darin enthaltenen Mengen positiver nnd negativer Elektrizität , so
ist oben (i=^fid6 (wenn wir fUr den Augenblick nur die positive
Elektrizität beachten), r ist als abhängig von 6 und s anzusehen,
wo 8 der vom Aethertheilchen zurückgelegte Weg ist, so dass
dr^^dr d£ , dr ds^ d2r_ dh- /d_^a d^r /dsy d>r
dt dtf dt"'" dsdt' dta~dtf*\dt/ "• ds< Vdtj"^ d<yds
dsddf , drd»tf . dr d^s . , , , . . V * .
■TT -rr + T3^T7 + T" "JTT» wo jedoch, da wir einen konstanten
atdt aoat* dsat^
elektrischen Strom, d. h. einen solchen dessen Oeschwindigkeit
d^ d^6
-TT- konstant ist, annehmen, nothwendig-rT) = 0 ist. Führen wir
diese WerthB in ,d.m [-^^ + Gi^(l^) + 2 G«^]
und setzen dann auch noch — 17 für -}- Vi ^^n auch den negativen
Strom zu berücksichtigen, so gibt die Summirung beider Grössen,
d. h. die ganze Wirkung: 4Qmrjdal-z — -z—-^ h 2 9- — 5-I
° ° '. \dr dtfds da d%)
-TT *Tr = P- Hier ist ri -r-r- die Elektrizit&tsmasse, die auf einer
dt dt 'dt
Strecke von der Länge -jr- vorhanden ist, also auch (da -77- die
Geschwindigkeit) diejenige Masse, welche in der Zeiteinheit durch
einen Querschnitt der Strombahn hindurchgeht. Setzen wir sie j,
so ist diese Grösse das Maass für die Intensität des Stromes. Da-
durch wird P = 4Gm -rrjdtf 2 v^*-5~(\/'d> t-^.
dt dO\ dsj
Nach der xAxe zerlegt liefert dies, wenn x^, Ji, Zi die Koor-
dinaten von dtf, X, y, z die von m sind: P cos (P, x) = 4 Gm
ds. , « X— Xi ^ . d / ^^dr\ . ^ d8.,^rd/x — xj
sener, wie hier vorausgesetzt wird, so wird bei der auf alle Ele-
LVUL Jahrg. 8. Heft. 40
ein.
Vi— xj ds^
mente i6 ausgedehnten Snmmation das erste Glied der eingeklammer-
ten Qröise weg&Uen (indem die Integration liefert ■ ■ ■ 9-^-^ und
r dB
Anfangs- und Endpunkt zusammenfallen), so dass man auch so-
gleich jenen Theil weglassen darf.
_ dr X— Xi dx , y— Ji dy , z— Z| dz «vx - i. ^
Da T^==»' — ^ , ■ - — ii-ji-J — i. -=-, so ergibt sich ^-
ds r ds "^ r ds ~ r ds' *^ d<y
^ , (^ -^) dzt -(z^ -z) dx^ JjrJ) ^1 -(^i-^J^Ji
(xi— x)»d8dtf ^ (x,-x)2dsda
Legen wir yon m nach A6 ein (£lementar-)Dreieck und sind z/,,
^2» ^a dossoA Projektionen auf die drei Koordinaten-Ebenen, so ist
d / r dr\ 2^^ j 2^3 ^^
di^Vx-Xids/'^ (xi-x)»d8dtf ^(xi-x)2dsdtf' '^
Pcos(P,x) = 4a?5^('2^3 1|-.2^3^'| u. s. w.
r2 \ dt ut J
Sind also 7|| Vj, y3 die Seitengeschwindigkeiten von m« so ist
Pcos (P,x) = Bv3— Cva, Pcos(P,y) = CYi— AV3, Pcos(P, «) =
AV3--BV1, wo A=4ami«^, B=4Gmja>?^, 0=:4Qmj*
— K Summirt man in Bezug auf alle Elemente, so hat man die
Wirkung, die der geschlossene Strom auf m ausübt. Diese (Seiten-)
Wirkungen sind: X=^r^ SB— v^ SO, u. a. w. Seien nun |, ij, f
die relativen Koordinaten des Strommittelpunkts in Bezug auf m,
die des Elementes da aber fi+|^ 1^4"^^ 6+6^ ^^^ ßöi V'\'V^
+ P = r2, (5+g»)3 + (ij + ,i)«+(f+g')2=r« woridasfrühei«
r ist; so hat man, wenn der Strom sehr klein: ri'=r'-(-2 (|£^
+ W*+K0 + 6** + ^*'+£", also r>=r-f ^^^±53!±^,wenn
r
man die h&hem Potenzen von |*, 17^, i^ yemachläSBigt, was man unter
der gemachteu Annalune darf. Al8o^=^+(li^^?l
2*(r)\ 6£*4-iw*4-£t*
—^ I s2 — l-^li — L-S- woraus nach einer Beihe von XJmform-
r3 / r
ungen sich endlich ergibt : X 5= BV3 — Cvj^, T = Gv^ — Avg> Z =Avj
-Bv„ wenn jetzt A^4Bm[{^^^Y
"^ dr rJ' l\ dr r / r^
dr rj' L\ dr r / r^
J^ h ^^ "' A y die Momente Ajcosu, Ajcosv, Ajeosw
sind^ die bereits oben aufgeführt wurden.
Der Verf. zeigt nan^ daas <&(r) xxicht — sein kann, da liier«
tLUB folgen würde, es hänge die Wirknng der Molekülflt'strHme von
der Gestalt des Körpers ab, was den Thatsacben widerspricht.
Ans den aufgestellten Formeln folgt, dass die Wirlning eines
Molekalarstromes Nnll ist, wenn der Aether in Ruhe iöt (v^, V2, Vg
Nnll sind). Es können also die Molekularströme keine Bewegung
in dem Aether hervorrufen , sondern nur vorhandene ändern. Ss
geht weiter aus den Untersuchungen hervor, dass die Einwirkung,
welche die Molekularströme auf den Lichtäther (wenn er schon iü
Bewegung ist) ausüben, verschieden sein wird ftlr die verschiede-
nen Theile des Aethers. Doch ist es für die Zwecke der vorlie-
genden Untersuchung nicht nothwendig^ auf diese Vetechiedenheiten
einzugehen, da es genügt, gewisse Mittel werthe zu erhalten«
Ist ß, das bereits oben definirte Yokunen, n die Anzahl der
darin enthaltenen Aethertheilchen, so soll der mittlere Werth der
n Wirkungen gefunden werden, welche jedes einzelne dieser Aether-
theilchen von den Molekolarströmen erfährt. Durch ein sehr scharf-
sinniges Verfahren, dae wir hier selbstverständlich ohne zu grosse
Weitläufigkeit nicht anführen können, findet der Verf. als solche
mittlere Werthe der (Seiten-) Wirkungen : mE|=mLS (V|C08C
— V3C0sb), mE3=mLB (vgcosa— Vj cos c), m Eg^amLS (v^ cosb
— v^cosa), wo a, b, c die bereits früher angegebene Bedeutoag
haben, L aber=^?^M t ist, wenn T t^ U fi-^ +
0(r)\ J» » Vr dt ^
— j— I, wo 8 ein Summationszeidian ; k, Q die schon beoeiohnete
Bedeutung haben ; N die Anzahl der Moleküle in der Volunteinheit
des Körpers; m die Anzahl der Aethertheilchen in derselben ist.
L hängt also von äet Natur desEörpertf ab und iat konstant« Da
aus obigen Werthen folgt: EiCoea-f-Ejöoeb-f-Eacosc^AO, E^vj
-|- Ej V2 -J- E3 V3=0 , so steht also die eigentliche Wirbtmg senk^
recht auf der Bichtung der Kraft B und auf der Richtung der l^e-
wegung von m.
Nach einer Untersuchung über die Frage, ob zWimheB dem
magnetischen Znstande (N&tur) des Körpers und der Drehung der
Polarisationsebene des Lichtes ein ZusAmmenhaag bestehe^ was
verneint werden muss, wird dmr Yerf« zu einer thereotisoken Untexf^
SBchnng über die Undolationstheorid detf Lichtes iok AUgemetMB
genöthigt.
Bei den seitherigen Untersuchungen wurde der Aeiber ^& frM
beweglich angesehen, und es ergeben sich dann bekanntlich zwei trans«
versale und eine longitudinale Wellen, für welch' letztere sich in
den Erscheinungen nichts Entsprechendes findet« Der tTutersuchung
Lam^*s (»Lebens sur la th^orie mathömatique de Tölasticitö des
Corps soMdesc, Le^ons JLYU) hält der Verl ^nlgeges, daes die fireie
Beweglichkeit ausigeschlössen sei. Er hält dafür, dass man wie
026 .Menmannt Magnetlsdie Drtlniiig «• u. w.
in der Hydrodynamik, die Incompressibilität des Aethers anzu-
nehmen habe , in dem Sinne, dass derselbe Bewegongen , die mit
Aendenmgen der Dichtigkeit verbanden sind, sehr grossen Wider-
stand leiste, und dieselbe also nur als yeränderlich anzosehen sei,
wenn sehr starke Kräfte auf ihn einwirken. Nachdem er die etwa
dagegen zu erhebenden Einwände zu widerlegen gesacht, stellt er
die Gleichungen der Aetherbewegung unter dieser Annahme auf und
findet, dass wenn u, v, w die Zuwächse bedeuten, welche die Qleich-
gewichtskoordinaten eines Aethertheilchens im Bewegungszustande
erhalten, q die Dichtigkeit des Aethers, m die Masse des Theü-
d*u
chens, mX, mY, mZ die auf dasselbe wirkenden E[räfte : tti =^
dt'
+ qdx' dt»~ "^qdy' dt^ ""'"'' q dz' dx^^dy'^di
= 0 ist, wo »A eine unbekannte Funktion, die jedoch bloss eine
auxiliäre Bolle spielt, c
Sollen nun die »Differentialgleichungen für die Bewegung des
Aethers in einem gleichförmig magnetisirten homogenen onkrystal-
linischen Eörperc aufgestellt werden, sn müssen dreierlei WirkuB-
gen auf die Aethertheilchen in Betracht gezogen werden: die von
den umgebenden Aethertheilchen auf jenes ausgeübte, die von den
umgebenden Eörpermolskulen und endlich die von den Molekular-
strömen herrührende. Dabei setzt der Verf. voraus , der durcli-
sichtige Körper sei auf gegenüberliegenden Seiten von zwei paral-
lelen Ebenen begränzt und es seien die in ihn eintretenden Licht-
wellen eben und den bezeichneten Ebenen paralleL Wird die Ebene
der X y als die eine der beiden begränzenden Ebenen angenommen,
so ist w Null und u, y hängen nur von z ab. Alsdann findet der
TT «f *'^ n in ^'^ I n ^^^ f i tu ^^ d*V
^^^••dt? = ^^+^^dS + °*d^ + - + ^^'"''dt^ dT^
d' V d^ Y du
CY-f-CiT-s+Cj^— J + -« ""^^®°s® TT zur Bestimmung der Be-
wegung des Lichtäthers im Körper, wo C, 0^,02, . • • gewisse Kon-
stanten sind.
Nimmt man nun an, die einfallenden Lichtwellen seien linear
polarisirt, und es laufe die x*Axe parallel der Polarisationsebene
des Lichtes; sei femer ^ die Dicke des Körpers, also z:=:0 die
eine, z = ^ die andere Begränznngsebene, so hat man für das ein-
fallende Licht: XJ=acos (i j — , V = 0, wo a die Amplitude,
t die Schwingungsdauer, m die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in
der Luft ist. Die Orössen u, y müssen nun so bestimmt werden,
dass sie obigen Differentialgleichungen genügen und für z=0:
sind.
pr^TJ, Y=ssO sei. Setzt man u = ccos (t 1 — , v=Ä sin
id, d \ fLj T ' ^
Kenmann; Magnetisobe Drehung u. 8. w. 639
t I — ,80 mnsB wegen der DifiFerentialgleichimgen ; « I — I
-f-C— 0, I — I+Cjl — I — .. l + a — L B cos c=0 sein, wor-
ans /J»=«..(^)'+C-C,(^)'+Ca (I) - .. ±^LEcosc=0.
Es gibt also zwei Werthe Ton ß zu jedem a (+ a) und folglich
... /^ z\2« , /^ zi2«
ist zu setzen n=acoslt 1 |-aco8 I t 1 — , y = asm
I t 1 asinft I — , wo (i^f fc^ die Werthe Yon (i
sind, wie sie dem oberen oder unteren Zeichen entsprechen« Da
für z = 0 noch u=XJ, y = 0 sein soll, so ist a={B, zu setzen.
Für die aus dem Körper austretende Liohtbewegung ist zu
setzen: Ui = Acos To + t- -')— , Vi=BcosrD4-t~^')^
und es muss fttr z=^ der Werth von ü^ und der Yon u» sowie
Yon Vj und V zusammenfallen, ih. es muss A cos ( C-f-t 1
— =— I Bini t I sml t I — I sein. Dies ist, da
(^ ^ \ JC
I —
— , der Fall, wenn A=acosr ^^-, B = a8in| |
-, 0 = D = ( 1 ^^, so dass Ui = aco8r ^^-
Das austretende Licht ist also geradlinig polarisirt; die Rich-
tung seiner Polarisationsebene macht mit der x-Axe den Winkel
"\-. Das das eintretende Licht parallel der x-Axe pola-
risirt war, soistalso dieDrehung der Polarisationsebene
W^ 8oliw%^9; T^Q?i# dar gßn^v^ Unie mi 4ar Ebene.
W|re keine Dispersion vorhanden, so müssten C« C^f «• NnU
84in ; iß aUen F&Uen sind sie aber klein« Daraus ergibt sieb, dass
wenn r^w t— ^acb Potenzen von B entwickelt, nnd [Iq den Werth
f* 1
ft fftr R=:0 nennt, man annehmen k%nn —=«-{" /'ß 4"" •» ^'^
man — wie aus den Betrachtungen des Yerf. hervorgeht — sich
d^r ersten Potenz von R begnügqn darf, Kan findet a =^ 1
ß xm -7 — ' — r- — r,.»,; — , wo das obere Zeichen Ar ii«,
und das untere Zeichen für fi2 ^^t Demnach ist die Ablenkung
L ^ R cos C - j XT X j rr«
, WO L, ffQ von der Natur des K5r-
^[°-"^D"+-]
pors (wiq 0^1 C,, ,,) ahbängcn. Dieser Ableukungswinkel ist also
proportional der Dicke jd , dor magnetischen Kraft R, nnd dem
Ge4uus des Winkels unter dem die magnetische Erafk gegen die
Richtung der Lichtstrahlen geneigt ist.
Die so erhaltenen theoretischen Gesetze vergleicht der Yerf.
vunmehir mit deu Thatsacheu, namentlich mit den von Verdet
sorgfältig studirten Gesetzen der Ablenkung der Polarisationsebene
^nd findet, dass Theoria und Erfahrung genau zusam-
qpianstimmen. Ein ^Anhange enthält die Ableitung der von
Mac-Cullagh fCLr den Fall dexjenigen Körper, welche die Pola«
nsationsebene bereits im natürlichen Zustande drehen, empirisch
aufgestellten Differentialgleichungen der Aetherbewegung. Sie er-
gab^ sich aui der Anuahm^: »dass die relative Verrückung eines
Aethertheilebens in Bezug auf ein anderes auf dieses letztere eben
^ einwirkt, wie das Element ejLues elektrischen Stromes auf einen
jlaguetpol einwirkt. €
Au9 vorstehender Ueharsicht ergibt sich wohl unzweifelhaft|
4asa die vorliegende S(Ärift für die Theorie des Lichtes von grosser
Bedeutung ist, was hervorzuheben d^r Zweck der Anzeige war.
Die Theorie der geraden Linie und der Ebene, ein Versuch sur
strengen Begr&ndtmg der ersten geometrischen GrundanschoH-
ungen ven Dr. Hermann Sehwaratj Oberiehrer em der
höheren Bürgerschule zu Düren, Mit einer 8 Figuren enthalt
tenden lUhographirten Tafel Halle, Eduard Anton, 1865. (VUi
^^ » ^ 'fasser der vorliegenden Schrift ist der ma^^atischen
^ nsgebcr nnd Fortsetzer der Schriften von Sohncke
Bdhwari: Tliaort« der geraden Linie und der Ebene» MI
bekannt, bo wie er bereits ftnoh auf dem philoBophiaohen Gebiete
der mathematiechen Wissensobaften sich versaoht hat — wenn wir
uns nicht irren. Im Ghnmde in das letztere Gebiet gehört aach
die Yorliegende, sehr beachtenswerthe Schrift. Sie behandelt eine,
seit Ehiolides viel besprochene Frage, bei der »noch jeder Yersaeh
missglückte, die Theorie gemäss den Anfordernngen strenger Wis-
senschaft sca Yer7ollkommnen«€ Die Auflösung dieser sehr schwieri-
gen Aufgabe, welche der Verf. gibt, ruht auf einem Grunde, der
Ton dem des alten griechischen Geometers yerschieden ist. Der
Letztere schloss mit Yollem Bewusstsein und in aller Strenge die
Idee der Bewegung von seinen Grundideen der Geometrie aus, w&h*
rend der Verf. diese Anschauung wesentlich festhftlt und wohl mit
Recht sich auf die Analogie mit der Darstellung der höheren
Mathematik stützt. Doch dürfte dabei nur zu bedenken sein, dass
seine »unendlich Kleinen c, wenn er ihnen auch nicht diesen
Namen gibt, eben etwas um&ssbare Dinge sind, und auch die
Differential- und Integralrechnung doch nur erst zu voller Klarheit
kömmt, wenn sie den Gränzbegriff in die Darlegung ihrer Elemente
einführt. Etwas Aehnliches hätte yielleicht auch hier geschehen
sollen. Wir wollen nachstehend einige der Grundanschaunngen des
Verf. darzulegen versuchen, müssen aber zum Toraus unsere Mein»
ung dahin aussprechen, dass für den Unterricht die Dinge von ihm
nicht zureeht gelegt sind, so dass die Schrift vorerst nur der Be-
achtung der Lehrer und zur Benützung der Ideen, die in derselben
niedergelegt sind, in so weit eine solche thunUoh ist, zu empfehlen
ist. Das hat aber der Verf. wohl auch nur bezweckt, da, wenn er
das erste Kapitel eines (ganz streng wissenschaftlichen) Lehrbuches
der Geometrie hätte schreiben wollen, Anordnung und Form wohl
eine andere geworden wären«
»Der allgemeine Baum ist ein durchweg auf dieselbe Art
Ausgedehntes; das völlig Ausdehnungslose im Baume heisst Funkt. c
Das ist die erste Erklärung, mit der die Schrift beginnt. Sie
definirt selbstverständlich den Baum nicht -*- das ist unerklärbar
— , sondern gibt seine wesentlichste Eigenschaft an. Aus dieser
Angabe folgert die Schrift die Continnität oder Stetigkeit des Baumes.
»Unter der Bewegung eines Baumgebildes versteht man jede Orts-
veiAnderung desselben, c Ein Baumgebild ist »Alles, was im allge»
meinen Banme existirt, ohne mit ihm völlig einerlei zu sein.c »Ein
bewegtes Baumgebild gelangt aus einer bestimmten Aufisngslage in
eine bestimmte Endlage entweder ohne Durchlaufnng irgend wel-
cher Z?ri8chenlage, oder nach Durchlaufung einer begrenzten Menge
von Zwischenlagen, oder nach Durchlaufung einer unbegrenzten
Menge von Zwischenlagen. Im ersten Falle heissen die betrach-
teten Lagen einander benachbart oder angrenzend; im zwei-
ten nnd dritten Falle können sie in eine zusammenfallen oder ver-
schieden sein» ohne dass die Nothwendigkeit einer besonderen Be-
zeichnung für jetzt hervorträte.« Wir haben die eigenen Worte
6B9 Sebwarx: Theorie der geraden Lliile uid der Ebene.
des Verf. aufgeführt, weil die in denselben ausgesprochene Idee ge-
wissermassen die ganze Schrift beherrscht. Dass hier ein nnend«
lieh Kleines Yoxliegt, ist unmittelbar ersichtlich; es ist die an-
grenzende Lage, die ohne Durchlaufen you Zwischenlagen erreicht
wird. Streng genommen ist ein Giilnzverhalten hier vorhanden,
denn fassbar ist die Sache sonst nicht.
Auf Ghrund der seitherigen Erklärungen werden nun drei Grund-
sätze aufgestellt, die als solche eines Beweises natürlich nicht
bedürfen sollen. Sie heissen: »Jede spezielle Lage eines in einer
bestimmten Bewegung begriffenen Baumgebildes ist auf eindeutige
Art bestimmt.« »Die Bewegung, vermöge welcher ein Raumgebild
aus seiner primitiven Lage unmittelbar in eine bestimmte angren-
zende Lage übertritt, ist nur auf eine Art möglich.« Endlich »die
beiden Bewegungen, welche einem Eaumgebilde dieselbe nur ent-
gegengesetzt geordnete Folge von Lagen geben, erzeugen ein und
dasselbe Raumgebild.« Abgesehen von der bereits oben berührten
Schwierigkeit lässt sich gegen diese Sätze, als Grundlagen, wohl
kein gegründeter Einwurf erheben.
»Linie heisst jedes Raumgebild, welches sich als der Inbegriff
von Lagen eines bewegten Punktes ansehen lässt; Linienele-
ment heisst specieU dasjenige Raumgebild, welches entsteht, indem
ein Funkt aus seiner primitiven Lage unmittelbar in eine angren-
zende Lage überitt« (ohne Zwisohenpunkte zu durchlaufen). Wir
sind also zum Differential der Länge, dem Linienelement, gelangt.
Durch zwei angrenzende Punkte kann selbstverständlich nur ein
Linienelement gelegt werden und alle solche Elemente sind con-
gruent (wobei zwei Raumgebilde als oongruent erklärt werden,
wenn sie sich nur durch ihre Lage im Räume unterscheiden).
»Gerade heisst der Inbegriff von Lagen eines Linienelements,
dessen Anfangspunkt^ mit dem Endpunkt in fester Verbindung ge-
dacht zuerst die primitive und darauf der Reihe nach jede neu
entstehende Lage dieses Linienelements beschreibt, während der
Endpunkt allein vermöge der Bewegung des Anfangspunktes seinen
Ort im Baume ändert.« Diese Definition wird nun ausftihrlich er-
örtert, was wohl auch sehr nothwendig ist, da sie allerdings rich-
tig ist, aber trotz alledem eben vorauszusetzen scheint, man wisse
schon, was eine »Gerade« sei. Wir übergehen die hieraus gezoge*
nen Folgerungen und daran geknüpften Erweiterungen und heben
nur Weniges heraus: »unter der Richtung einer Geraden im engem
Sinne des Wortes versteht man den Verlauf der Geraden in iht
selber«, woraus folgt, da gezeigt wurde, dass jede Gerade in sich-
selber denselben Verlauf habe, dass »jede Gerade in jedem Punkte
ihres Verlaufes dieselbe Richtung hat.« Was ist Verlauf einer Ge-
raden? und denkt man sich nicht dieses wieder durch die Rich-
tung erklärt? Eine etwas eigenthümliche Verdeutlichung finden wir
bei dem Satze: »Jede Gerade befasst (enthält?) nirgends mehr als
zwei von einem Punkte aus gezogene Linienelemente.« Denken wir
Behwari: Theorie der geraden Lliüe und der Ebene. 68S
uns einen »Strahl« , d. h. eine in einem Pnnkt begrenzte Gerade,
80 wird entweder keiner der folgenden Punkte mit einem früheren
zasammentreffen^ wo dann der Satz sofort klar ist, oder es wird
ein solches Znsammentreffen stattfinden. Nun wird gezeigt, dass
in diesem Falle die Gerade ein mit jedem Punkte in sieh selber
zurücklaufendes Baumgebild wäre. »Dass es nicht so sein
kann^ wird erst sp&ter bewiesen.«
»Fläche heisst jedes Baumgebild, welches sich als der Inbe-
griff Yon Lagen einer bewegten Linie, die nicht sämmtlich in ein
und dieselbe Linie fallen, ansehen lässt. Körperlicher Baum
heisst jedes Baumgebild, welches sich als der Inbegriff Yon Lagen
einer bewegten Fläche, die nicht sämmtlich in dieselbe Fläche
fallen, ansehen lässt. Ein Baumgebild heisst um einen fest mit ihm
yerbundenen Punkt gedreht, wenn es unter Festhaltung dieses
Punktes aus einer bestimmten Anfangelage allmälig in eine be-
stimmte Endlage übergeht. Wir haben diese Erklärungen hier zu-
sammengestellt, da man gegen dieselben wohl Nichts einwenden
kann. Als Grundsatz wird dazu gefügt: »Die Lage eines
Punktes im Baume kann immer durch Drehung geändert werden«,
woraus sofort folgt, dass man eben die Lage eines jeden Baum-
gebildes durch Drehung ändern kann, da dazu die Aenderung der
Lage eines Punktes desselben genügt.
»Ein ebenes Winkelelement oder auch Winkelelement
schlechthin heisst dasjenige Baumgebild, welches entsteht, indem
ein Strahl unter Festhaltung seines Ausgangspunktes aus einer be-
stimmten Anfangslage unmittelbar (d. h. ohne Durchlaufung irgend
welcher Zwischenlage) in eine bestimmte angrenzende Lage über-
tritt.« Das ist ersichtlich dieselbe Erklärung, wie für das Linien-
element, auch entsteht aus dem Winkelelement durchaus in der-
selben Weise die Ebene, wie die Gerade aus dem Linienelement.
Man braucht oben (in der betreffenden Erklärung) nur für Linien-
element: Winkelelement, für Anfangs- und Endpunkt: Anfangs-
und Endschenkel zu setzen. Gelegentlich gefragt, wäre es nicht
zweckmässiger, statt »Schenkel« eines Winkels »Seiten« zu setzen?
Natürlich wiederholen sich die frühem Sätze auch hier wieder.
»Unter Winkel versteht man die Grösse der Bewegung, ver-
möge welcher der eine Ebene beschreibende Strahl aus einer be-
stimmten Anfangslage allmälig in eine bestimmte Endlage über-
geht.« Was ist aber »die Grösse der Bewegung«? »Jedes Wiukel-
element lässt sich unter Festhaltung eines befassten Strahles aus
einer bestimmten Anfangslage unmittelbar in eine angrenzende
Lage überführen.« Aus diesem Grundsätze, d. h. dem der Dreh-
ung um eine Axe wird die Erklärung des räumlichen Win-
kelelements gefolgert, »welches cntstoht, wenn ein ebenes Win-
kelelement unter Festhaltung eines Sckenkelstrahls unmittelbar in
eine angrenzende Lage übertritt.« Aus dem räumlichen Winkel-
elomeat entsteht der »Ebenenbüschel« gerade so, wie dieGe*
634 Sehwarg: Tbeorit der geraden Linie vnd der Ebene.
rade ans dem Linienelement und die Ebene ans demWinkelelemont.
Dabei ergeben sich dann die Erklärongen der Flftcbenwinkel u. s. w.
Neben der Congruenz, die bei den frühem Gebilden allein er*
sohien, tritt jetzt noch die Symmetrie auf. Jeder YoUatändige
Ebenenbüschel fällt mit dem allgemeinen Baum zusammen, so dass
man von dem Punkte bis zum allgemeinen Baume aufgestiegen ist,
und es ist unmöglich, durch Bewegung eines Ebenenbüschels eine
Lage des bewegten Baumgebildes zu erhalten, die sich Ton der
anfänglichen unterscheidet.
Die obigen Sätze enthalten die Qrunderklärungen und An-
schauungen; die weitem, die wir natürlich nicht alle anfllhran
können, da unsere Anzeige nicht ein Abdruck der Schrift seinsoU,
befassen sich nun mit den Eigenschaften der erklärten Gebilde.
Ein Strahl geht ins Unendliche, ohne je in einen frühem Punkt
zurückzukehren; zwei von demselben Punkte ausgehende Strahlen
haben keinen weitem Punkt gemeinschaftlich ; zwischen zwei Punk-
ten kann eine Gerade gezogen werden, aber auch nur eine u. s. w.
Aehnliche Sätze werden für die Ebene aufgestellt und erwiesen.
»Kreislinie heisst diejenige Linie, welche während der Erzeu-
gung einer Ebene ein bestimmter Punkt des bewegten Strahles
beschreibt. Eugelfläche heisst diejenige Fläche, welche die
Peripherie eines Halbkreises yermöge einer vollständigen Umdrehung
um den begrenzenden Durchmesser als Axe beschreibt.« Sodann
folgen Sätze über die Yerbindimg von Ebenen und Geraden, unter
denen natürlich die in den Elementen der Stereometrie her-
kömmlich aufgeführten, so weit sie sich hieher eigneten, auch ent-
halten sind, wie Senkrechte auf Ebenen, senkrechte Lage der Ebe-
nen gegen einander u. s. w.
»^enn irgend eine Ebene und eine darauf Senkrechte in fester
Verbindung mit einander gedacht und letztere in sich selber yer-
schoben j^rird, so erlangt die Ebene eine unendliche Folge Yon ein-
ander verschiedener Lagen, deren keine mit den übrigen einen
Punkt gemeinsam haben kann.« Dies wird aus dem Satze erwiesen,
dass auf dieselbe Gerade nicht zwei Senkrechte von demselben
Punkte des Baumes aus gezogen werden können. Solche Ebenen
heissen parallel. Eine Gerade ist einer Ebene parallel > wenn
sie in einer Parallelebene zu letzterer enthalten ist, sie ^so nie
treffen kann. »Zwei Gerade heissen einander parallel, wenn sie in
einer Ebene liegen und, soweit man sie auch verlängern mag,
keinen gemeinsamen Punkt haben.« Daraus folgt sofort, dass die
Durchsehnittslinien zweier paralleler Ebenen mit einer dritten Ebene
parallel sind. »Durch einen Punkt ausserhalb einer gegebenen Ge-
raden lässt sich zu dieser immer eine parallele Gerade, aber auch
nur diese eine legen.« Dieser Fundamenialsatz der Theorie der
Parallelen wird in strenger, natürlich auf eine Beihe Vordersätze
beruhenden Weise erwiesen nnd dann die Theorie der Parallden
kurz angeführt.
MArtus: Mnihainfttinclw Aiafjgft1»en. Wft
Was der Verf. hinsichtlich des B er tr and 'sehen Beweises
sagt, hätte — unserer Meinung nach — wegbleiben können. Denn
dass »YöUige Gleichheit zwischen zwei Grössen stattfinden kann,
auch wenn dieselben sich nm eine Grösse niederer Ordnung von
einander unterscheiden« verwirrt ganz unnöthiger Weise die Be*
griffe, die die Schrift aufzuklären bemüht gewesen ist«
Dem denkenden Lehrer der Mathematik ist, wie wohl aus
unsem Andeutungen hervorgeht, die vorliegende Arbeit eines Mannes
der Wissenschaft und die Verbreitung derselben auf dem Wege
des Unterrichtes, recht sehr zu empfehlen, da sie ihm, wie wir
bereits Eingangs unserer Anzeige bemerkt, lehrreiche Winke und
Andeutungen für die Art der Darstellung geben wird, wenn er
auch nicht geneigt sein sollte, ihr ohne Weiteres in Allem und
Jedem zu folgen. Bei der durchaus veränderten Gestaltung der
übrigen Theile der WissenschaE seit den Tagen der alten griechi-
schen Mathematiker ist es, trotz der mit Recht hoch geachteten
und als mustergiltig aufgestellten Weise jener Männer, wohl am
Platze, auch in der Geometrie den neuen Anschauungen Baum zu
geben«
Maihematüeke Aufgaben sum Gebrauche in den obersten Claeeen
höherer Lehranstalten. Aits den bei Abiturienten' Prüfungen an
preussiscJun Gymnasien und Realschulen gestelUen Aufgaben
atsegewähü und mit Hinzufügung der Resultate au einem Uebunge^
buche vereint von H. C. E. Marius^ Oberlehrer an der
KönigstädtUchen Realschule in Berlin. I, Aufgaben. QreifS"
loald, 1865. C. A. Koche Verlagsbuchhandlung. (XII u. IS7 S.
in 8.J.
Wie der etwas weitläufige Titel der vorliegenden Schrift aus-
sagt, sind die Aufgaben, welche dieselbe enthält, dem grössten
Thoile nach, bei Abiturieuten-Prüfiingen an preussischen Mittel-
schulen gestellt worden. Sie sind gesammelt aus den durch die
Schulprogramme von 1857 — 1862 veröffentlichten derartigen Auf-
gaben, nebst den frühern Prüfungsarbeiten der altern Berliner
Gymnasien bis 1832 zurück. Da nicht alle preussisehen Mittel-
schulen Programme veröffentlichen, welche die fraglichen Aufgaben
enthalten, so sind auch die Provinzen des Staates ungleich in der
vorliegenden Sammlung vertreten. Zwei Drittheile der benutzt<en
Aufgaben stammen aus der Provinz Brandenburg, und von diesen
wieder zwei Drittel aus Berlin selbst. Neben diesen thatsächUch
gestellten Au%aben hat übrigens der Verf. selbst viele neu gebil-
det. Wo sieh in dem gesammelten Material Lücken zeigen, indem
ontwedar einzelne Abtheilungen schwach oder gar nicht vertreten
waren, bat er diese Lücken durch eigene Arbeit aasgefallt; eben
^ hat «r die Zablenbeisjpiele vielfach geändert,
68& Marina: MatiiematlBclie Anfgaban.
Immerhin aber stellt, wie der Verf. mit Becht sagt, diese
Sammlang ein Stück Geschiebte des prenssischen Schulwesens dar,
das nur zu Gunsten desselben spricht, da die hier aufgeführten
Aufgaben so vielseitig und zum Theil weitgehend sind, dass da-
durch das beste Zeugniss fCbr die grosse Beachtung ausgestellt ist,
die den mathematischen Wissenschaften geschenkt wird. Die » Auf-
lösungen € zu den einstweilen yeröfifentlichten Aufgaben werden in
kurzer Zeit nachfolgen.
Die Eintheilung der ganzen Sammlung geschah nach der all-
gemeinen Eintheilungsweise der Elementar-Mathematik : Geometrie
und zwar: Planimetrie, Trigonometrie, Stereometrie, analytische
Geometrie; Arithmetik und zwar: Algebra, niedere Analysis und
endlich Aufgaben aus der Physik.
Die Aufgaben aus der Planimetrie sind zunächt einige
(18) Lehrsätze aus allen Theilen; dann Gonstruktions- Aufgaben,
welche das Dreieck, Viereck, den Kreis in allen Richtungen be-
treffen. Femer Aufgaben aus der rechnenden Geometrie, welche
wieder Dreieck und Kreis, so wie auch Stereometrie behandeln,
denen dann Zahlenbeispiele zugegeben sind. Die ebene Trigo-
nometrie bringt zuerst einige Aufgaben der Goniometrie, dann
Auflösung trigonometrischer Gleichungen; Berechnung der Dreiecke
(Seiten, Winkel, Höhen, Inhalt, Transversalen), der ein- und um-
schriebenen Kreise, der Vierecke, Vielecke und des Kreises je mit
Zahlenbeispielen; angewendet wird die Trigonometrie auf Berech-
nung von Längen und Entfernungen. Die sphärische Trigo-
nometrie enthält theoretische Aufgaben und dann Anwendungen
in der mathematischen Geographie; doch sind diese Aufgaben als
ttber das »Pensum der Gymnasien hinausgehend« bezeichnet. Die
Stereometrie ist reichlicher bedacht; die Aufgaben betreffen
die Tetraeder; Pyramiden überhaupt; Prismen aller Art; Kegel
allein oder in Verbindung mit der Kugel, vollständig oder abge-
stumpft; zusammengesetzte Körper; Zylinder; Kugel (voUe, Ab-
schnitt, Zone, Ausschnitt); Kugel in Verbindung mit einem Kegel;
die regelmässigen Körper. Maxima und Minima aus der Stereo-
metrie, Planimetrie, Kurvenlehre, Physik werden diesen Aufgaben
angefügt. Die Coordinaten-Geometrie enthält Aufgaben
aber gerade Linie; Kreis; Parabel (Parabelsegment, Paraboloid) ;
Ellipse (EUipsoid) ; Hyperbel.
Die Arithmetik führt zuerst aus der Algebra eine Beihe
von Gleichungen aller Art auf; dann »Gleichungen, in Worten ge-
geben«, mit allgemeinen oder besondem Zahlzeichen, in arithmeti-
scher oder geometrischer Einkleidung; diophantische Gleishungen;
höhere algebraische Gleichungen; transzendente Gleichungen.
Aus der niederen Analysis sind die arithmetischen Pro-
gressionen erster und höherer Ordnung, dann die geometrischem.
Progressionen reichlich bedacht ; Zinseszinsrechnung mit allen ihren
ünterabtheilungen, nebst Bentenrechnung liefern die nächsten Auf»
Föaiix: ElemoDtare Plaiümetrie. 6S7
gaben ; eben so über Eettenbrüche, Gombinationslehre, Wahrscbein-
licbkeitsrecbnnng und Anwendung des binomisehen Satzes (selbst
für gebrochene Exponenten, was doch zu weit geht); den Schluss
bilden einige Aufgaben über unendliche Reihen.
Der Natur der Sache nach sind die Aufgaben aus der
Physik am wenigsten zahlreich, Sie yertheilen sich auf Mechanik
(Hebel, Schwerpunkt, freier Fall, Gravitation, senkrechter Wurf,
schiefe Ebene, schiefer Wurf, Schwungkraft, Pendel, specifisches
Gewicht, Luftdruck) ; Wärmelehre (Strahlung, Ausdehnung, Wärme-
capazit&t, Dampfmaschine) ; Optik (Beflexion, Hohlspiegel, Prismen,
Linsen, Begenbogen).
Abgesehen davon, dass diese Aufgabensammlung zur Beurthei-
lung des wissenschaftlichen Gehaltes der preussischen Mittelschulen
von grossem Werth ist, empfiehlt sie sich, neben den sonst schon
bestehenden vortrefFlichen solchen Sammlungen, immerhin durch die
Beichhaltigkeit ihres über alle Theile der elementaren
Mathematik sich erstreckenden Inhalts. Mit den »Auflösimgenc,
^ die wir erwarten, bilden sie für die Hand des Lehrers, so wie des
Schülers, der sich selbst üben will, ein hoch zu schätzendes Material.
Tjehrbueh der demeniaren Planimürie van Dr. B. F4auz, Ohtr^
lihrer am Gymnasium zu Paderborn. Dritte verbesserte Auf"
läge. Paderborn^ Yerlag vtm Ferd. Schömngh. 1866. (1928. 6.)
Die hier bezeichnete Schrift behandelt die elementare Plani-
metrie in demjenigen Umfange, der dem Studienplan der preussi*
sehen Gymnasien entspricht. Nach den vom Verf. gemachten An-
gaben ist in der zweiten und dritten Auflage der Umfang des
Buches selbst jeweils etwas verringert worden, da derselbe jenem
ersten wohl nicht ganz entsprach; immerhin haben wir aber eine
vollständige, für die hier verfolgten Zwecke durchaus genügende
Darstellung vor uns. Wenn der Verf. (im Vorwort zur ersten Auf-
lage, die aber natürlich hier noch immer Geltung haben soll) sagt,
dass »in der Verschmelzung der strengen synthetischen Form der
alten Geometer mit der elastischen Anschauung der neuem die
Geometrie zu einem Bildungsmittel werde, das die Geister der
studirenden Jugend für ein scharfes und rasches Auffassen des ein-
zelnen Gedankens und ganzer Gedankenreihen zubereiten hilft«, so
darf ein Freund der »Alten«, nicht vor dem Buche gleich von vom
herein erschrecken: der Veif. hat von der synthetischen strengen^
Methode noch genug beibehalten, und — wie wir meinen — mit
Becht. Eines oder das Andere der »elastischen Anschauungen« haben
wir vielleicht zu tadeln ; es gibt nun einmal keinen besondem Weg
zur Geometrie für die Könige, und die unerbittlich strenge Form
der alten Griechen ist immer ein nachzuahmendes Muster, auf das
6dS FAanx: ElementAre Plaatnetrie.
man, wenn man auch einmal davon abirrte, stets wieder KnrtLck-
kommt.
Von der geraden Linie sagt das Bnch aus, dass sie »offenbar€
der kürzeste Weg von einem Punkte zum andern (den sie mit jenem
verbindet) sei. Wir halten diesen Ausspruch nicht für geeignet,
abgesehen davon, dass er gar nicht nothwendig ist. Allerdings be»
weist der Verf. (S. 14) den Satz, dass zwei Seiten eines Dreiecks
zusammen grösser sind als die dritte, mittelst dieser »offenbaren«
Wahrheit ; man kann das aber bekanntlich streng erweisen und von
da aus den ausgesprochenen Satz. Wenn, sagt der Verf., ein Punkt
sich so bewegt, dass er die einmal angenommene Richtung immer
beibehält, so beschreibt er eine gerade Linie. Das genügt, und mehr
muss man nicht annehmen.
Unter »Grad« versteht das Buch den 360. JTheil des Ereia-
umfangs (S. 9), und unterscheidet zwischen Länge und Orösse
eines Kreisbogens. Offen gestanden ist das etwas spitzfindig. »Das
Maass der Drehung (bei einem Winkel) ist gegeben durch die Grösse
desjenigen Kreisbogens, der um den Scheitel als Centmm mit einem
beliebigen Halbmesser zwischen den Schenkeln beschrieben ist.«
Wozu braucht man sich jetzt noch (S. 73) »durch das Mittel der
Deckung zu überzeugen, dass gleichen Centriwinkeln eines Kreises
gleiche Bogen entsprechen«? Das ist doch wohl in obiger Erklärung
angenommen, trotz der Unterscheidung zwischen Länge und G^r5sse?
Die Lehre von den ebenen Figuren beginnt, wie natürlich, mit
dem Dreieck. Der Satz von der Summe der drei Winkel wird in
der sehr anschaulichen Weise von Thibaut dargestellt, darauf das
Verhalten von Seiten und Winkeln, sowie die Kongruenzsätze nach-
gewiesen. Parallele Linien wurden (S. 7) als solche erklärt, die
sich nicht schneiden; nunmehr (S. 24) sind es Gerade, die einen
Winkel Null machen. Das ist nicht ganz dasselbe.
Die hier nun vorkommende Unterscheidung von zweierlei NuDen,
einer absoluten und einer relativen muss den jmigen Schülern
höchst absonderlich erscheinen, zumal diese Unterscheidung »nicht
sowohl objectiv, als subjectiv« ist. Relative Nulle heisst der Verf.
den Werth von- fUr ein unendlich grosses a« Man sieht, er verhüllt
oder verwechselt den Gränzbegriff in einer dem klaren Verständniss
Eintrag thuenden Weise. Was die »Maurer und Zimmerleute« in
der Praxis thun, hat die grieschischen Geometer in ihren Schriften
nicht berührt. Den Beweis, dass parallele Gerade überall gleich
weit entfernt sind (S. 28) führt das Buch als »leicht« nicht.
Das Yiereck mit seinen einzelnen Arten, die Mittellinie mit
einer Reihe wichtiger Sätze werden untersucht und dann die be-
kannten Konstruktions-Aufgaben gelöst. Alles in klarer, deutlicher
Weise. Die vier »merkwürdigen Punkte« des Dreiecks (Durch-
schnittspunkte der drei Höhen, Mittellinien, Winkelhalbirungslinien,
Senkrechten in den Mitten der Seiten) werden gleichfalls nachge-
wiesen, und dann die Hauptsätze der Yieleckslehre behandelt«
Kag«l: Sben« Geometrie. ttf
Hieran sohliesst sich der Kreis; die GleicUieit und Ansmessimg
der Figuren» wobei z. B. auch die Formel für die Berechnung eines
Dreiecks ans seinen drei Seiten yorkommt ; die Proportionalität der
Linien; die Aehnlichkeit derFignren mit Anflösong von Aufgaben,
Bereohnnngsanfgaben (namentlich ein- und nmgesehriebene Kreise) ;
die Flftohenränme ähnlicher Figuren; Yerwandlong und Theilnng
der Figuren; die harmonische Theilung.
Die Beweise sind durchweg klar geführt und überall ist auf
die Umkehruug der Sätze die gebührende Rücksicht genommen
worden. Wenn (S. 67) die krumme Linie »als aus zahllosen un-
endlich kleinen geraden Linien bestehende angesehen wird, so ge-
hört das wieder zu den glücklicher Weise nur selten im Buche
Yorkommenden »elastischen Anschauungen«.
Auch Yon der »algebraischen Geometrie € d. h. also von der
Konstruktion algebraischer Ausdrücke gibt das Buch eine kurze
durch Beispiele erläuterte Darstellung; betrachtet dann die regu-
lären Figuren mit Rücksicht auf den Kreis und sucht die Berech-
nxmg des Kreisumfenges mittelst der »Exhaustionsmethodet, d. h,
mit unserer heutigen' Gränzmethode. Einen Anhang bilden die
geometrischen Oerter, durch Begriff und Beispiele dargestellt.
Wenn wir auch einigen Besonderheiten widersprachen, so geht
schon aus dem Gesagten heryor, und wir wiederholen es schliesslich
ausdrücklich, dass wir das vorliegende Buch für ein zweckmässig
eingerichtetes, mit der gehörigen Klarheit und Schärfe in den Be-
weisen durchgeführtes ansehen, und überzeugt sind, dass junge
Studirende dasselbe mit entschiedenem Nutzen für ihre mathema*
tische Ausbildung gebrauchen werden. Durchdrungen ron der Wich-
tigkeit der »Gränzmethode« für die höhere Mathematik wünschen
wir auch nirgends in den Elementen Begriffe eingeführt oder Sätze
ausgesprochen, die der Zukunft verwirrend vorgreifen. Das der Grund
unserer oben gelegentlich ausgesprochenen gegentheiligen Meinung.
Lehrbuch der ebenen Oe&meirie »um Oebrauehe bei dem Unterricht
in Real- und GymnasialrAfuiaUen vcn Dr. Chr. H^ Naget
Eeehr der Reed-Amtaä in Ulm. Elfte vermehrte Auflag MU
200 in den Text eingedruckten HolxsehniUen. Ulm 7865. Ferw
leuf der Wähler^ sehen Buchhandlung (X u. 148 8. in 8}. Dasut
Ereter Anhangt Lehrsätze und Aufgaben sti Uebungen im
Selbstaufßnden von Beweisen und ConetrukUonen (70 8,).
Zweiter Anhang: Aufgaben au Uebungen in geometrieehen Bt-
reehnungen (öl 8,).
Hat eine Schriffc über elementare Mathematik bei der Masse
von Werken dieser Art einmal elf Auflagen erlebt, so hat sie da-
durch eine Art Freischein gegen die Kritik sich erworben, der von
640 K«gel: Ebene Geometrie.
letzterer auch zu acliteu ist. Derselbe kann sich freilich manchmal
auf Gründe stützen, die nicht gerade besonders zu loben sind; in
der Eegel ist aber doch eine so bedeutende Verbreitung eines Lehr-
buchs ein Beweis seines innem Werthes. Das ist denn auch bei
dem vorliegenden Buche der Fall, das seinen Gegenstand klar und
deutlich, dabei auch mit angemessener Yollsülndigkeit behandelt.
Wir rechten nicht mit einem Verfasser über die Anordnung ein-
zelner Sätze, denn wir halten dafür, dass eine solche sehr mannig-
faltig sein und doch den Endzweck mathematischer Bildung er-
reichen kann. Nur Eines ist natürlich immer zu fordern: strenge
Folgerichtigkeit. Wenn wir gegenüber dem Buche, das wir be-
sprechen, AussteUungeu machen wollten, so würden wir thatsäcbi-
lieh nur Weniges der Art finden, das wir theilweise andeuten wollen.
Bei »Parallellinienc, die als solche erklärt werden, die sich
nicht schneiden, wird als geradezu aus der Definition folgend an-
genommen, dass sie gleiche Richtung haben, also eine dritte Gre-
rade unter denselben Winkeln schneiden. Das lässt sich bestreiten.
Bei der Theorie der Parallelogramme namentlich haben wir die Um-
kehrungeu der einzelnen Sätze ungern vermisst, da sie einer einiger^
massen erschöpfenden Darstellung nothwendig einzureihen sind. Die
geometrischen Beweise für die Ausdrücke, die sich durch Entwick-
lung von (a + b)*, (a — bP, (a-[-b)(a — b) ergeben (S. 45) halten
wir für überflüssig.
Dass der Verf. gezwungen war, ein Buch »Proportionenlehre«
einzufügen, rührt von seiner (altherkömmlichen) Bezeichnung der
Proportionen (a: b = c:d) her. Warum zieht er nicht vor, die
Form der Brüche (und deren Gleichsetzung) anzuwenden, die durch-
weg die Betrachtung und die Beweise vereinfacht.
Das sind einige Punkte, die der Verf. vielleicht hätte ändern
können, und über die er unsere Bemerkungen nicht ungerechtfertigt
finden wird. Sonst aber^ wiederholen wir, ist die Schrift ein durch-
aus zweckmässiges Lehrbuch, das mit der Anleitung eines tüchti-
gen Lehrers für die Schülerkreise, denen es bestimmt ist, von ent-
schieden guter Wirkung sein muss.
Der »erste Anhang« ist dem Buche selbst beigeheftet. Er zer-
fällt in fünf Abtheilungen, die Lehrsätze und Aufgaben zu den ein-
zelnen Abtheilungen (Büchern) des Werkes selbst enthalten. Der
»zweite Anhang« ist als besondere Schrift ausgegeben und enthält
eine grosse Anzahl Uebungsaufgaben zu numerischen Berechnungen.-
Dieser Anhang erscheint zur elften Auflage des Buches zum ersten
Male und wird auch in Kreisen, die das Buch selbst nicht an-
schaffen wollen, von Werth sein.
Dr. J. Dienger.
Sx. 41. HEIDElBEßGEK 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Grenzen utuL der Ursprung der mensehiiehen Erkenniniee im
Qegensatst »u Kant und Hegd. NcUunütstiaeh^teleologiseke
Durchführung des meehanisehen Principe van Dr. Hein rieh
Czolbe, Arzt in Königsberg. Jena und Leipzig. Hermann
Costenoble. 1866. VUI und 282 8. gr. 8.
Man hat den durch eine Reihe von Schriften bekanntan Herrm
Verf. einen Materialisten genannt. Noch im Jahre 1862 zählt ihn
Friedrich van Calker in seinem Programm über den Za-
sammenhang der Philosophie und der NatorwissentSehaften nnd
Mathematik zu den Materialisten nnd gewiss mit Beoht. öiebt der
Herr Verf. doch in seiner »Entstehung des Selbstbewusstseias«
(1856) folgende Definition vom Menschen: »Der Mensch ist nichts
weiter, als ein aus den yerschiedenartigsten Atomen in künstlori-
scher Form mechanisch zusammengefügtes Mosaikbild, c In der
vorliegenden Schrift nun sagt er sich vom Materialismus los«
»Ich bin, heisst es S. VI, von dem Irrthum zurückgekommen, dass
sich aus der Materie Empfindungen und Gefühle ableiten lassen. <
^.... »Wenn ich auch mit dem sittlichen. Princip des Materialismus,
der Zufriedenheit mit der einen, alles Wahre, Schiene und Gute
umfassenden Welt übereinstimme, so doch nimmermehr mit seinem
ganz unfruchtbaren Erklärungsprincipe : der Ableitung der Orga*
nismen und des Geistes aus der einen Materie. Diess Princip ist
ein Irrthum, der unbedingt aufgegeben werden muss.« S. VII:
»Meine durch und durch mechanische Auffassung der Welt ist keine
materialistische. Es ist im Gegentheiie keine gründlichere Widern
legung des Materialismus denkbar, als die von mir gegebene. €
S^hen wir zu, ob imd in wie fem dem Herrn Verf. diese Wider-
legung des Materialismus gelungen ist.
Das ganze Buch zerfUlt in fünf Kapitel.
Im ersten Kapitel (S. 1—58) wird das »durch die m^g«
liohste Vollkommenheit bedingte Glück jedes fühlenden
Wesens« als letzter Zweck der Welt oder als »ideale Grenze
der Erkenntnisse bezeichnet. Zum Grundprincip der Moral und des
Rechtes wird das Streben nach solchem Glücke gemacht und die-
ses wesentlich von dem einseitigen Streben nach sinnlichem Glücke
und von dem einseitigen Egoismus unterschieden. Das Gefühl des
Glückes ist entweder ein sinnliches oder materielles des normalen, ge-
sunden Organismus bei der Befriedigung seiner sinnlichen Bedürf-
nisse oder ein geistiges, das drei verschiedene Gesichtspunkte hat.
Das geistige Glück geht nämlich aus der Be^edigung enjtweder
liVm. Jahrg. 9. Heft 41
644 Ofolbat Qmawk und Ursprung der mensoUicli«n Srktnntiiiaa.
ein künftiges Leben zu erwarten haben.« Die Zahl der Armen,
der nnverschnldet körperlich nnd geistig Leidenden , der Gebredb-
liohen nnd von Missgeschicken Veriolgten ist gewiss nicht gering
nnd darf entschieden als grösser angeschlagen werden, als die Zahl
der GlüCKÜchen. Was soll dem Menschen, der sich nicht helfen
kann nnd dem andere nicht helfen wollen, die Oewissheit, dass es
keine göttliche Hülfe für ihn giebt? Weckt eine solche Oewissheit
das Selbstvertranen? Führt sie nicht eher zum Selbstmorde, wenn
er weiss^ dass das Jammerleben für ihn damit für immer ein Ende
nimmt? Weckt diese Gewissheit die Menschenliebe? Wer weiss,
dass es nach diesem Leben zu Ende geht, der wird es so lange and
so viel als möglich zu geniessen suchen, der sucht Alles für si^h
und nichts für den Andern zu verwenden, da er ja kein Leben
mehr hinter sich annimmt. Die Armen werden, weil sie nur den
diesseitigen Genuss haben, sich ihn überall möglichst mit allen Mit-
teln zu rerschaffen suchen. Der dem Menschen angeborene Grand-
trieb der Selbsterhaltung wird auch der Grandtrieb der Leiden-
schaften als Selbstsucht werden. Die Selbstsucht aber, die nur für
Oenuss und Glück dieser Welt zu arbeiten hat, ist der Menschen-
liebe diametral entgegengesetzt. Wer wird sich für einen Andern
aufopfern wollen, der mit diesem Leben sein ganzes Leben verUert?
Der Wegfall des übernatürlichen Himmels soll der »kräftigste
Sporn« zur Verwirklichung des Himmels auf der Erde sein. Wir
zweifeln sehr daran. Wenn die Ueberzeugung des Herrn Y^. die
allgemeine w&re^ so würden sich die Menschen, da weitaus die
wenigsten sind, was sie sein soUen, statt des Himmels eine uner-
trägliohe Hölle auf der Erde bereiten. Das Hobbes'sche bellum
omnium contra omnes würde entstehen, da Jeder nur einen Himmel,
den diesseitigen Himmel und ohne Angriff auf den andern auch
diesen nicht haben könnte. Wir glauben allerdings, dass Natura-
listen, die, wie der Herr Verf., eine reine Sittenlehre aufstellen,
»besser sind, als die Gonsequenzen ihrer Lehre«, und dass nicht,
wie der Herr Verf. bescheiden beifügt, das »Umgekehrte der Fall«
ist. Aber die Consequenzen eines solchen Naturalismus sind ge-
wiss bei der Mehrzahl der Menschen die allerschlimmsten.
Doch man soll eine Lehre nicht nach ihren Folgen, sondern
nach der Folgerichtigkeit ihrer Sätze beurtheilen. Sehen wir also
zu, wie es mit dieser beschaffen ist.
Der Herr Verf. halt vom Standpunkt des Naturalismus »unsere
Handlungen« für »durchaus naturnothwendig«, »nicht für ein Pro-
dukt der vermeintlichen (sie) absoluten WiUensfreiheit oder Wahl-
freiheit zwischen Gut und Böse« (S. 30). Damit soll nicht geaagt
werden, dass wir »ein ohnmächtiger Spielball äusserer Einflüsse
tmd zuftlliger Zustände unseres Körpers sind.« Der Naturalismus
»behauptet vielmehr, dass die dem Menschen theUs angeborene^
theils anerzogene, zum festen Abschluss gekommene Bichtung. sei-
nes Streben^ naob dem Guten oder nach dem ScUeohten d«h«i
Csolbe: Gfeiuwn und XJnpnnig dor menicliHöhen ErkMuttalfli. 645
allmttiig mit Nothwendigkeit entstandener Oharahter oder Wille
sein Handeln in der Regel bestimmt, nicht die ftossern Ißindrttckec
n. 8. w. Die »Beactionenc gegen die Eindrücke -sind durch die
»verschiedenen Charaktere c bestimmt. Wenn die Handlungsweise
des Menschen, wie die Wirkung aus der Ursache , von dem mit
»Nothwendigkeit entstandenen , angeborenen und anerzogenen
Charaktere abhängt, so kann nicht nur von keiner »absoluten«, son-
dern nicht einmal von einer relativen sittlieben Freiheit die Rede
sein. Der Charakter müsste im letzteren Falle wenigstens theil-
weise mein eigenes Werk sein; das ist er aber nicht, wenn er
nichts als die Frucht meiner Geburt und Erziehung ist. Der Herr
Verf. kann demnach auch nicht von Tugend reden und von sitt-
lichem Glück, wie er thut, weil das, was nicht von mir, sondern
vom Werke eines Andern, der Zeuger und Erzieher, kommt, keine
Tugend und Sittlichkeit ist. Seine Tugendlehre ist darum im
Widerspruch mit seiner mechanischen Ansicht von der Freiheit.
Folgerichtiger, als Schopenhauer, zeigt sich der Herr Verf. darin,
dass er vom »rein theoretischen oder absoluten Standpunkte« weder
»eine Zureohnungsülhigkeit«, noch eine »Verantwortlichkeit« ftlr's
BOse annimmt. Er vertheidigt diese nur »relativ« oder »praktische
d. h. »in Bezug auf das Bestehen des Staates oder im socialen
Leben« (S. 87). Der Herr Verf. kann darum von keiner »sittlichen
Freiheit« sprechen; denn einmal hilft alle Erziehung nicht, den
angeborenen Charakter ganz zu beseitigen, sie kann ihn vieUeicht
zum Bessern lenken; allein auch das hilft nichts, wenn man den
Einfluss der Erziehung nicht mit Freiheit annehmen oder zurück-
weisen kann; darum ist ja auch der anerzogene Charakter, wie
ausdrücklich behauptet wird, »nothwendig.« Ein nothwendiger
Charakter ist aber niemals »sittlich frei.« Es klingt fast komisch,
wenn der Herr Verf., der den Gott- und ünsterblichkeitsglauben
bekämpft, sich auf die Theologen beruft, welche »die Gnade Gkttes
allen zu Theil werden lassen« und damit seinen Satz vertheidigt:
»Alles ist Nothwendigkeit oder Bestimmung.«
Er entwickelt ein »zweifach sittliches Yerhältniss des Men-
schen zur natürlichen Welt« und findet darin den »tiefsten Grund
einerseits der Theologie, andererseits des Naturalismus « Von einem
sittlichen Verhältniss des Naturalismus kann, wenn er die Hand-
lungen der Menschen als »natumoth wendige Producte« nach dem
mechanischen Princip erklärt, eigentlich keine Rede sein. Das sitt-
liche Verhältniss des Menschen zur natürlichen Welt soll nach der
Theologie nicht so rein sein, als nach dem Naturalismus. Die An-
nahme einer zweiten Welt nach dieser im Sinne der Theologie
vermehrt die Unzufriedenheit mit dieser Welt, während der Natura-
lismus mit der wirklichen Welt und ihrer Ordnung zufrieden ist,
weil er weiss, dass es keine andere Welt giebt, als eben diese. Ob
hiedurch die Zufriedenheit erzielt wird, ist eine grosse Frage. Wie
verhält es sich mit den vielen arbeitsunfähigen , kranken , axme9|
94^. C»^l^«s 0ra»Mii v&d Urspnjig der mensoblidiMi Srkoixitniuk
uagÜtcWcb«!! M^Btehen ? Werden sie aa Zufriedenheit gewinnaiit
weim «ie keinen Tröste keine Hoffnung durch den Glanben an ein
glücklioheres Jenseits haben, wenn sie wissen, dass dieser ihr
Jammer im Diesseits auch zugleich ihr einziger Hinunel ist? Es
sind die wenigsten Menschen , die sich den Himmel auf der Erda
bereiten können«
Der Herr Vert spricht sich gegen die materialistische Be-
hauptung selbst aus (S. 49) i dass »die Macht der naturwissan*
sohafUicben Thatsaohen es sei, die beim Denken zum Principe der
Ausschliessung alles üebematürlichen nOthige.« »Ich war immer»
heiast es weiteri überzeugt, dass die Thatsachen der äussern und
iimern firfahrung sehr vieldeutig sind und auch durch Annahme
einer zweiten Welt theologisch oder spiritualistisoh mit yollkomme*
nem Bechte, oder ohne irgend einen logischen Fehler gedeutet
werden können.« Doch will er, weil es der Zweck der Philosophie
ist, die »Principien der Welt zu begreifen oder zu erklären«, »aUee
unbegreifliche oder Unerklärliche« , wohin er »alles zur Annahme
einer zweiten Welt Führende oder das Uebematürliche, z. £. die
Unsterblichkeit der Seele, einen persönlichen oder unpersönlichen
Gott« rechnet, »ausschiiessen.«
Zur »Ausschliessung des üebematürlichen« berechtigen ihn
nicht die »naturwissenschaftlichen Thatsachen«, »auch nicht die
AUes begreifen wollende Philosophie«, sondern »im tiefsten Grunde
die Moral (sie), nämlich dasjenige Yerbältniss des Menschen zur
Weltordnung, was ich Zufriedenheit mit der natürlichen Welt ge-
nannt habe.< Das »moraliche Pflichtgefühl gegen die natürliche
Weltordnungi die Zufriedenheit mit derselben« nöthigt den Herrn
Verf« »zur Lttugnung einer übernatürlichen 8eele.« Die »chemische
und physikalische Beschaffenheit der Hinunaterie« ist bald »dem
religiösen Bedür&isse«, bald »dem atheistischen« angemessen. Das
ist die »Triebkraft« bei »allen Yertretern des Naturalismus«, der
»desshalb entschieden Gefühlssache ist.« Bei »allen Naturalisten
ist es sicher der Fall«, dass sie ihre Lehre aus »dem Glauben und
Gemüth« nicht aus Wissen und Verstand« haben. »Der Anfang der
Metaphy^ ist die Ethik« (S. 50 u. 51). Da hört freilich aUer
Streit auf, wenn man sich auf die subjective chemische und physi*
kaiische Organisation seiner Himmasse, auf sein Gefühl, seinen
Glauben und das Gemütb, also auf rein subjective Bedingungen
beruft. Wenn der Naturalismus keine andere Stütze hat, so kann
er auch auf keine objective Wahrheit Anspruch machen. Er kann
mit deinjenigen nicht rechten, der nach einer andern Zusammen-
setzung des Birns eine andere Triebkraft, einen andern Glauben,
ein anderes Gefühl und Gemüth besitzt. Aber es ist ja haupt«
sächlich die ethische 8eite , auf welche sich dieser Naturalismus
beruft. Diese ethische Seite ist die Zufriedenheit mit der Welt*
Ordnung. Auch bei der grösstmöglichsten ethischen Vollkommen-
hi^it. l^st sich wohl mit ßecht zweifeln, ob man zufrieden a^m,
V
Cflolbet Ornown und TJrspnag der meiiMbBolie& BrkelioliilBft. M
kann, warn mit diestm Dasein alles aufhört. Wie wenige Onte
sind glttoklicb! Man gebe mit dem NataraliBmns dem Menscben
die (}ewi88heit einer Nichtigkeit seiner Fortdauer und er wird mit
dieser allein wirMiohen Welt so wenig snfrieden sein, dass er,
wenn er Math genug besitzt, das Leben wie eine ekle Bürde, je
eher, je lieber abschüttelt. Dass selbst die denkendsten und edel«
sten Menschen mit einer Welt, die nichts, als das kurze Mensches»
dasein bietet, nicht zufirieden sind, sehen wir aus einer Aeussemng
des grössten Mathematikers unserer Zeit, des hochberühmten Gauss,
der »schlicht und ein&ch, wie ein Stoiker lebte und an eine zweite
Welt glaubte.« Nach seiner Lebensbeschreibung von Sartorius von
Waltershausen (1856) sagte er einst: »Wenn auf verschiedenen
Weltkugeln Geschöpfe, die zu solchem Genüsse (dem Creuusse des
Verstandes und des Herzens) vorbereitet sind, nur entst&nden, um
achtzig bis neunzig Jahre zu leben, so wäre das ein erbärmlieher
Plan und das Problem schofel gelöst. Ob die Seele achtzig Jahre
oder achtzig Millionen Jahre lebt, wenn sie irgend einmal unter-
gehen soll, so ist der Zeitraum doch nur eine Galgenfrist ; endlich
würde es doch vorbei sein müssen. Man wird daher zu der An-
sicht gedrängt, für die auch ohne eine streng wissenschaftliche Be-
gründung vieles Andere spricht, dass neben dieser materiellen Welt
noch eine andere, rein geistige Weltordnung ezistirt mit ebenso-
viel Manniohfaltigkeiten als die, in der wir leben und ihrer
sollen wir theilhaffcig werden.« In ähnlicher Weise dachten auch
Newton, Euler, Johann Müller u. s. w. (S. 261). Wenn
die intelligentesten und besten des Volkes mit der alleinigen Rea-
lität dieser Welt die von dem Herrn Verf. als ethische Ginmdlage
des Naturalismus verlangte Zufriedenheit nicht verbinden, was soll
dann von dem Volke selbrt erwartet werden? und wie sieht es
dann, da nicht die uaturwissenBchaftliohe Thatsaohe, auch nicht
Philosophie, sondern allein diese Zufriedenheit als ethisches Element
die Grundlage bilden soll, mit dieser Grundlage aus?
Das zweite Kapitel (S. 69— 107) handelt von der Materie
und dem Baume als den ersten fundamentalen Grenzen
der Erkenntnis 8. Die sinnlichen Wahrnehmungen sollen zer-
legt werden. Der Herr Verf. geht hier, wie überall, von der An-
wendung des mechanischen Principe zur Erklärung derThat-
sachen aus. Er spricht sich für dieses Princip aus, weil die EiT-
klämng desselben zu einem »absolut klaren Denken« führt. Darum
soll es auf alle Verhältnisse, auch die »psychischen«, angewendet
werden. Doch gesteht er, indem er den Mechanismus auf Alles
anwendet, dass sich »eben so wenig beweisen lasse, dass die Mecha-
nik das Prototyp aller Erkenntniss sei, als das Gegentheü« (S. 69).
Es lässt sich nur »durch den Erfolg der Anwendung« beweisen.
Die Aufgabe seiner Schrift ist, »Alles mechanisch zu erklären.«
Seine »mechanische Weltanschauung« will er wiederholt nicht mit
dem »Materialismus« verwechselt haben. Br ist dagegen» daaa
646 C.gol^ec Cfcmuea imd Unpnmg d«r mensehlidittii Brkeniilrikt,
»allein ans der einen in der Physik nnd Chemie so genannten Ma«-
teri^'yicht nnr die nnorganische Natur, sondern anch die Organis-
men nnd die geistigen Vorgänge entstehen.« Die meohanisohe An-
sicht behauptet nnr, dass alle Thätigkeiten in der Welt »Bewegun-
gen« sind. Man mnss aber anch noch Dinge annehmen» die sioh
bewegen. Neben der Materie werden »zweckmftssige (oiganischa)
Formen mid eine den leeren Banm continnirlich erfilllende, die
Eörperwelt durchdringende, aus sich durchdringenden Empfindungen
und Gefühlen bestehende Weltseele« als das sich Bewegende unter-
schieden (S. 70). »Materie, zweckmässige Formen und Geiste sollen
also die wesentlich Yerschiedenen, nur mechanisch nisammenhängenden
Bestandtheile der einen ohne AniPang bestehenden oder ewigen natür^
liehen Welt« sein (S. 71).
Es wird aus gewissen speciellen Wahrnehmungen und Vor-
stellungen per analogiam geschlossen , dass die »subjectiren sinn-
lichen Wahrnehmungen im Allgemeinen durch eine aus Atomen
zusammengefOLgte Eörperwelt und deren physikalische und ohemisefae
Bewegungen zwar keineswegs allein bewirkt, wohl aber objectiv be-
dingt sind.« Die Betrachtungen über die Principien der Atomistik
fuhren den Herrn Verf. zu folgenden Ergebnissen (S. .98) : 1) »Nnr
der mathematische Punkt ist absolut untheilbar. Keine Thatsache
fordert aber eine absolute Untheilbarkeit und Undurchdringlichkeit
der AtomCj sie müssen nur als gegenseitig untheilbar und un-
durchdringlich angenommen werden.« 2) »Die Ausdehnung der
Atome ist nicht nur ihre Eigenschaft, sondern auch ihr Subject
(Substrat oder Materie). Es giebt kein anderes unbekanntes Substrat
der Eigenschaften der Atome.« 3) »Gegenseitige Anziehung und
Abstoisnng der Atome sind selbst elementare Eigenschaften der-
selben und nicht Wirkungen unbekannter Ursachen oder Krftfte.«
4) »Eben so wenig, als es Kräfte als Ursachen der Bewegungen
giebt, giebt es eine Kryställisationskraft. Die Krystallfbrm der Atome
ist sowohl der Grund der Krystalle der Mineralien, als auch der
chemischen Verwandtschaft.« 5) »Die Atome sowohl als der sie
durchdringende Baum sind ohne zeitlichen Anfang und ewig.«
Ref. hat sowohl gegen diese Ergebnisse, als gegen die Art,
wie sie gewonnen werden, mancherlei Bedenken.
Es handelt sich vorerst bei der Bestimmung des Atombegri£Pes
nicht darum, wie der Herr Verf. Fechner, Lotze und andern
▼erdienten Psychologen vorwirft;, die Atome »als eine Brücke zur
Welt des Unbegreiflichen, zur Theologie zu benutzen«, sondern jenen
Begriff nach s^nem Wesen zu bestimmen. Wenn aber dem Zu-
sammengesetzten ein Einfaches zu Grunde liegen soll, so kann die-
ses Einfache unmöglich wieder theilbar sein; denn es ist eben als
theilbar nicht einfach. Man kann sich mit der Auskunft nicht
helfen, dass »keine factische Ungetheiltheit «, sondern
»nur eine gegenseitige Untheilbarkeit der letzten Theilchen«
a^genoipmen wird. Solche üactisch nicht ungetheilte Atome sind
Caolb«! Grenien und Ihvpnmg d«r mtmöMfabgii BfteBiitoite. 040
eben znaammengeBetite KOrper tmd keine Atome. Die Ftthigkeit
der Atome, »sich gegenseitig nicht Eertrflmmem zu können < is^
eine nnerweisbare Hypothese, wenn die Atome Theile haben. Die
»Sabstanz oder das Wesen« dieser Atome nnd zugleich des Banmes,
in welchem sie sieh befinden, ist »die Ausdehnnngc (8. 78). Ganz
richtig wirft Lotze die Frage auf, was an den Atomen ausge-
dehnt sei, da eine Qualität etwas haben müsse, dessen Qualität sie
sei. Der HerrYerf. will diese richtige Frage damit zurückweisen,
dass er die Ausdehnung »nicht nur eine nach allen Dimensionen
stattfindende Eigenschaft, sondern auch Subject, Substanz sowohl
der Atome als des sie durchdringenden Baumes« nennt. Ausdeh-
nung ist aber nur eine Bichtung nach der Länge, Breite und Tiefe ;
sie ist ein Attribut, welches man dem Körper beilegt, wenn auch
ein Grundattribut, weil man den Körper ohne sie nicht denken
kann. Immer aber bleibt die Frage: Was ist das, welches diese
Ausdehnung hat? Solange wir nichts als Ausdehnung haben, haben
wir Baum, aber keinen Körper.
Dem Baume, wie den Atomen, wird dieselbe Eigenschaft, die
»Ausdehnung« beigelegt; aber zugleich behauptet, dass sie auch
die Substanz oder das Wesen nicht nur der Atome, sondern auch
des Baumes sei. Allein, wenn dasselbe Wesen das Wesen der die
Körper durch ihre Zusammensetzung bildenden Atome und des
Baumes ist, wie kann man dann Atome und Baum von einander
unterscheiden? Auch auf diese Frage findet sich eine Antwort.
Die Ausdehnung des Baumes ist die »durchdringliche oder leere«,
die der Atome »die undurchdringliche oder YoUe« Materie (S. 79).
Gegen Lotze's Einwendung, dass Letzteres eine contradictio in
adjeoto sei, wird bemerkt, dass das »Leere keine nothwendige d. h.
allein mögliche Eigenschaft der Ausdehnung sei« ; man »könne sie
leer, man könne sie aber auch undurchdringlich oder voll denken.«
Allein es handelt sich hier nicht darum, dass man die Ausdehnung
bald Yoll, bald leer denkt, sondern darum, dass sie zugleich voll
und leer gedacht wird. Hierin liegt der Widerspruch. Auch zeigt
uns diese Unterscheidung deutlich, dass des Herrn Verf. so ge-
nannte Substanz keine Substanz ist. Denn es muss doch noch zur
Ausdehnung etwas kommen, dass sie eine nicht leere oder volle
wird. So lange sie leer ist, ist sie kein Körper, sondern Baum.
Folglich macht, da das Wesen des Baumes Ausdehnung ist, diese
das Wesen des Atoms nicht. Wodurch unterscheidet sich nun das
angebliche »Wesen der Ausdehnung« im Baume und in den Atomen?
Der leere Baum hat die ihn von den Atomen unterscheidenden
Eigenschaften »der Unendlichkeit und Durchdringlichkeit.« Die
Atome dagegen sind »begrenzt, gegenseitig untheübar und undtfroh-
dringlich.« Der Baum ist also blosse Ausdehnung. Wie kann aber
dieser, wie der Herr Verf. will, eine »Substanz« sein? Die Bich-
tung nach der Länge, Breite und Tiefe, unausgefüllt gedacht, in
alle Unendlichkeit, ist, so lange der Baum nicht ausgeftllt wiM, kein
MO Osolb«: Qfemii imd Uf»|ff«ng der nenaoUiofaaft lUki
Weeen, Bondeni ein Verkältnies, wekheaerBtinimdinit denK&rpwii
erkannt wird, das Nebeneinander der ErBohoinnngen. Eine »elemen-
tare Eigensohaft« der Atome ist die »gegenseitige Anziehnng und
Abstoasnng.« Die Atome zeigen sich in »Bewegung.« Dieae Atome
und dieser Aamup wie sie der Herr Yert anfTasst, sind ihm die
ersten fundamentalen Qrensen der Erkenntaiss. Er nimmt einmal
an: Es ist so und weiter kann nnd darf man nioht fragen. Ebenao
macht er es mit der Bewegung. »Es ist ein prinoipieller Inthmui
heisst es 8. 80, die Bewegung für eine Wirkung ansoaeheny sie ist
eine ursprüngliche Th&tigkeit. Es giebt keinen Omnd, daas eine
Thfttigkeit .nicht ursprünglich aein könnte.« Allein die Erfiahrung
zeigt uns, dass Bewegungen anfangen und aufhören, dass sie tlberali
als Wirkungen einer Ursache erscheinen, von welcher zunächst die
Bewegung yeranlasst wird, dass die Bewegung ein Bewegendes
voraussetzt, und es liegt daher im Wesen des Oeistes, bei einer
erscheinenden Wirkung nach der Ursache zu fragen. Der grösste
Philosoph des Alterthums, Aristoteles, kam zu seinem Gotte
durch das Forschen nach dem letzten Orunde der Bewegung. Der
Herr Verf. hat darum gewiss nicht Recht, wenn er Virohow's
Meinung (Vier Beden über Leben und Kranksein» 1862, S. 69)
entgegentritt, es genüge nicht, jene Bewegungen der Atome als
ihre ursprünglichen oder elementaren, durch das Gontinnnm des
leeren Baumes in die Feme wirkenden Eigenschaften zu betrach-;
ten, sondern wir müasten zeigen, wie sie es machen, eich gegen-
seitig anzuziehen und abaustossen, oder für diese Wirkungen die
davon verschiedenen Ursachen finden, die man Kräfte nennt.« Die
Bewegung ist Th&tlgkeit, und das Ursprüngliche der Thätigkeit ist
die Kraft. Man wird sich nie damit begnügen können, wenn man
die Wirkung, als welche die Bewegung erscheint, zum Ursprünge
liehen machen will« Mit Unrecht wird darum in der Ansicht
Virchow*8 »nur ein Seh ein (sie) von Gründlichkeit und Tiefe«
gefunden, mit Unrecht wird derselben vorgeworfen, dass sie »iB
Wahrheit einen innem Widerspruch enthalte«, weil sie »nach dem
Ursprünge von Ursprünglichem oder nach der Ursache oder Entr
stehung von Unentstandenem oder Elementarem frage.« Vir oho w
fragt nicht nach dem Ursprünge des Ursprünglichen, auch nicht
nach dem Entstehen des Unentstandenen ; sondern er forscht nach
dem Grunde der Anziehung und Abstossung. Ihm ist das Ur-
sprüngliche und Unentstandene der letzte Grund, nicht aber das»
nach dessen Grunde er forscht. Bewegungen ohne Krfifte heisst so viel
als Wirkungen ohne Ursache annehmen. So wenig man im Lebm
denken kann ohne Denkkraft, so wenig giebt es ein Bewegen ohne bei-
wegende Kraft. Der Herr Verf. nennt die Kräfte »unbekannt« und
»undenkbar.« Der Begriff »Kräfte« werde, sagt er S. 82, »aus
BequemlichkeitsrUcksichten für die unsichtbaren elementaren Be«
wi^ngen der Atome« gebraucht. Sind uns aber diese »unsicht^
\>§itw, elementaren Bewegungen! »bekannt'^ sind nicht vielmehr
0«»lb«: OreMMD imi ütspraiig der mewoliUoliM Brtamtatot« Mi
Bewegungen ohne bewegende Kräfte , Wirkungen ohne ürBaehea
„undenkbar''? Er leitet die Kräfte, wie „die ünrämnlichkeit der
Atome'' und das „mysteriöse Substrat ihrer Eigenschaften" yon
der „theologischen Neigung des unbegreiflichen" her, welches letztere
er ans seinem Naturalismus ausschüesst. Das Einfache ist
untheilbar, und, da Alles Körperliche theilbar ist , kam die Philo*
Sophie auf das Geistige, die Kraft, die Monas, ohne dass sie dabei
eine theologische Neigung befriedigen wollte. Es ist uns eben so
unbegreiflich, wie der im Baume befindliche auch noch so kleine
Körper nicht noch wenigstens in Gedanken getbeilt werden, als er
ein untheilbarer Körper, das dem Zusammengesetzten su Grunde lie-
gende Einfache sein kann. Wenn die Ausdehnung Wesen und nicht
Eigenschaft sein soll, so ist dieses Wesen viel „mysteriöser", als
irgend ein anderes „Substrat" yon Eigenschaften« Denn es ist ja
klar, dass, wenn die Ausdehnung Substanz ist, es auch eine leere
Substanz geben muss, da ja der Herr Verf. selbst den Baum „als
leere Ausdehnung" betrachtet. In ähnlicher Weise, wie oben bei
der Bewegung angedeutet wurde, dürfen wir wohl auch yon der
Krystallisation der Mineralien auf eine „Krystallisationskraft" schlies»
gen, ungeachtet der Herr Verf. erklärt, dass es „keine solche giebt,"
Es ist eine unerweisbare Hypothese, anzunehmen, dass die „Krystall-
form der Atome sowohl der Grund der Kiystalle der Mineralien,
als auch der chemischen Verwandtschaft sei." Ist diese Annahme
„begreiflicher" imd weniger „mysteriös", als die Annahme einer
Krystallisationskraft ?
Die Vorstellungen des Baumes, der Zeit« des Seins nebst den
nothwendigen und allgemeinen Wahrheiten Kants (den syntheti-
schen ürtheilen a priori) werden als j,subjeatiye Abbilder objectiyer
Dinge" dargestellt (S. 95).
Das dritte Kapitel (S. 109— 190) handelt von den „zweck-
mässigen Formen der Welt" als der „zweiten fundamentalen
Grenze der Erkenntniss."
Hier soll zuerst gezeigt werden, „wie die Beizbarkeit oder
das Leben der Organismen allein durch die eigenthümliche Form
der Zusammenfügung ihrer sichtbaren und unsichtbaren Theile be-
dingt ist, welche Form wegen der Unbegreiflichkeit ihrer ursprung-
lichen Entstehung zur Annahme der Ewigkeit der ganzen Welt«
Ordnung zwingt" (S. 109 — 128). Sodann werden „die Einwendun-
gen der Astronomie und Geologie" gegen die Annahme der Ewig-
keit der Weltordnung als „unzureichend" bezeichnet und behauptet,
dass „keine einzige positive Thatsache mit dieser Annahme im
Widerspruch stehe." Hieran reiht sich der Abschnitt „von den
ewigen Naturgesetzen", von denen als das „umfassendste" die
„zweckmässige Weltordnung" hervorgehoben wird, welche „wegen
jener Anfangslosigkeit kein Subject zu seiner Entstehung bedaarf"
(S. 169—181). Der „objective Grund des Verstandes" sind dem
Herrn Verf. „die Aohnlichk^itan in der Natur'^i Aiß „Zw^ekipAs^^
BSi Cstflbes'Otasen «ad Unpnuig der m^möbiüfaaA ISAmaMm,
keit" derselben „der objeotive Gnmd der Vemanft/* Das ^yNatcur^
schöne" fABst er anf „als diejenigen speciellen rahenden und be-
wegten Formen der Id^rperlichen nnd der geistigen Welt, so wie
diejenigen Farben- und Tonyerbindnngen , welche, in sich harmo-
nisch und unserer (Organisation angemessen, in der Seele eine be-
sondere Gtattung von angenehmem QeftLhl erregen" (9. 182—190).
Das vierte Kapitel (S. 262) umfasst „die im Baume yer-
borgenen Empfindungen undOefnhle" und nennt diese die „Welt-
seele." Diese so genannte Weltseele wird die „dritte fnn«
damentale Grenze der Erkenntniss" und ist zugleich
„nebst der davon durchdrungenen Eörperwelt ihr Ursprung " Das
Kapitel beginnt mit der „Analyse der Empfindungen, ihrem Glei^-
gewicht oder Verschwinden im Raum und Störung dieses Gleich-
gewichts oder ihrem Wiederauftreten durch Bewegungen des Ge-
hirns von bestimmter Geschwindigkeit und Intensitftt'^ (S. IM —
209). Sodann wird die Seele der Menschen als „die Summe der
durch Gehimthätigkeit bedingten, aus Empfindungen und GeftLhleii
der Weltseele sich zusammenfügenden und in derselben wieder ver-
schwindenden Mosaikbilder" (sie) bestimmt (S. 210—246). Hier-
auf wird auf den Gegensatz der Erkenntnisstbeorie Kants tmd
Hegels zu der bisher entwickelten Erkenntnisstheorie anfinerk-
sam gemacht und an Sokrates, Plato und Aristoteles er-
innert.
Das fünfte Kapitel enthält die „Schlussbetrachtung" über
den „wissenschaftlichen, sittlichen und ästhetischen
Werth" des vom Herrn Verf. entwickelten „Naturalismuss" (S. 263
—282).
Auch mit der weitem vom dritten Kapitel an durchgeftlhrten
Entwickelung ist Bef. nicht einverstanden.
üeberall, wo nach einem Grunde geforscht werden soll, muss
das Wort „elementar oder ursprünglich" aushelfen. Das wendet
det Herr Verf. nicht nur auf die Materie und den Baum, sondern
auch auf Zeit und Sein an. Es klingt sonderbar, dass er die Aus-
dehnung und damit den Raum zu einer Substanz macht, während
die Zeit nur eine Eigenschaffc und zwar, um nicht weiter nachzu-
forschen, eine „elementare" Eigenscbafb des Baumes und der Materie
sein soll. Es ist überhaupt verkehrt, den Begriff der Substanz und
Eigenschaft auf Baum und Zeit anzuwenden. Baum und Zeit müssen
unter dieselbe Kategorie gefasst werden, diese ist aber weder die
Substanz, noch die Eigenschaft, sondern das Verhältniss, welches
mit den Dingen gegeben und ohne diese an und für sich nicht ist.
üeber das Wesen der Zeit wird dadurch hinweggegangen, dass man
diese „Eigenschaft" (?) zu einer „nicht weiter definirbaren" macht.
Niemand wird das Sein zu einer Eigenschaft der Dinge, wie grün,
gelb u. s. w. machen wollen. Das, ohne welches nichts ist, ist
gewiss mehr, als eine Eigenschaft und mit Unrecht wird dieses
den Eleaten und Hegel vorgeworfen.
Cisolbei OrenBen «nd Uftprimg der mewieiaSehMi JSrkentaU«. 6W
Gewiss kann man den Satz: Alles muss eine Ursache haben
nicht als „Vomrtheil'' bezeichnen und sich deshalb gegen die An-
nahme einer Kosmogonie erkl&ren (S. 159). Der Herr Verf. will
ein Cansalyerh<niss „nnr innerhalb der Weltordnnng'' zulassen;
die Weltordnung selbst aber soll keine Ursache haben , weil sie
yyunentstanden oder elementar" ist. Die Betrachtung der Erde aber
zeigt, dass sie Stadien der Entwickelung durchgelaufen hat, dass
sie sich allmälig zu andern Gestalten und Geschlechtern heran-
bildete, dass viele derselben untergegangen sind, zeigt überhaupt
nicht eine stabile, sondern eine sich entwickelnde Ordnung. Ordnung
ist aber überall eine Wirkung und setzt ein ordnendes Element,
eine Ursache voraus. Wenn dieses nun bei allem Einzelnen der
Welt der Fall ist, so muss es wohl auch bei der Summe alles Ein-
zelnen, der Welt selbst, so sein, und man darf dem Materialisten
Carl Vogt deshalb keinen Vorwurf machen, was S. 159 gesohiehti
dass er, „weil Alles eine Ursache haben muss, eine Kosmogonie
annimmt.'^ Man kann die Ewigkeit der Welt mit dem Herrn Verf.
und dennoch eine allm&lige Entwickelung derselben zu den ein«
zelnen Sonnen, Planeten, Kometen und den zu ihnen gehörigen In-
dividuen annehmen und er hat deshalb Unrecht, wenn er die Kos*
mogonie unserer Naturforscher gänzlich verwirft und derselben die
mosaischeSchöpfungsgeschichte als eine „reine, aber für dieMeieten
zugängliche und ansprechende kurze, durch ihr Alter ehrwürdige
Phantasie" (S. 165) vorzieht. Die durch geologische und paleon-
tologische Forschungen der Naturwissenschaft aufgefundenen Tbat-
bachen sprechen für eine allmälige Entwickelung unserers Erd-
körpers und seiner verschiedenartigen Organismen und, was von
diesem gilt, muss wohl von den andern Himmelskörpern gelten« da
sie unter gleichen Bedingungen und Verhältnissen eidstiren, und die
Wissenschaft an ihnen gleiche mathematische Verhältnisse nnd gleiche
physikalische und durch die neuesten Entdeckungen der Speotral*>
analyse in ihren Atmosphären auch gleiche chemisehe Bestand-
theile aufgefunden hat. Das sind keine Phantasien. Auch zeigt uns
die tägliche Erfahrung, dass Alles in der Zeit ist, also nach ein-
ander kommt und wird. Das Werden ist ein Charakteir nicht nur
des Einzelnen, sondern auch des Ganzen« Wenn auch das Werden
ein Sein ist, so ist es kein starres, sondern ein fliessendes, sich
immer anders gestaltendes Bein. Dieses führt aber nothwendig vat
Annahme einer Kosmogonie.
Der Herr Verf. lehrt eine „Zweckmässigkeit'' der Welt und
betrachtet diese als ein „Princip oder Naturgesetz von objectiver
Gültigkeit, auf das ihn die Analyse der £r£ahrung leitet' ' (3.179).
Wir wollen diese Ansicht nicht bestreiten, aber fingen müssen wir:
Wie lässt sich die Anwendung „des mechanischen Princips'' auf
Alles, „der allgemeine Welt-Geist* und Naturmechanismuss'S wie er
in der vorliegenden Schrift vorgetragen, wird, mit einer teleolot-
gischen NaturbetracUiung ui^d Natüi^atiffassungj vereinigen ? ..Deir
666 Ctolbe: Oraasea «ad Ursprung dier iMKknMkikMt Erfcrtntnttt,
rialkt galt, folgende Bebauptung zu yemehmen: „Es ist ein yer^
geblicbes Bemüben, ans dem frttber genau festgestellten Begriffe
der Materie und den Bewegungen^' „Empfindungen und QdüUe
ableiten zu wollen, selbst wenn man nur die Bewegungen des Oe-
bims oder seine materielle Zusammensetzung im Auge hat.'* ....
i,Das8 die Nerrenmaterie wegen ibrer äusserst complicirten cbemi-
scben und pbysikalisoben Structur wenn aucb nur zum Tbeil empfinde
oder fable, dafür ist durchaus kein Qmnd zu finden oder diess ist
ganz undenkbar.'' • • « i,Der Alles aus der Materie ableitende
Materialismus, an den ich selbst früher zum Tbeil glaubte, ist
eine durchaus falsche Auffassung, ich bin aufs Qrttnd*
liebste davon zurückgekommen." „Nicht nur die organischen
Formen, auch die Empfindungen und QefÜhle stehen selbständig
oder unabhängig neben der Materie, können nicht von ihr abge-
leitet werden" (S. 198). Es werden darum „drei letzte Bestand-
theile der Welt" unterschieden, „die Materie, die durch die^
selbe realiflirten, wenn auch keineswegs davon abgeleiteten zweck-
mässigen Formen unddieEmpfindungen undGefüble"
aus welchen letzteren „sämmtliche Seelenvorgänge zusammengefügt
sind" (sie). Die Empfindungen und Gefühle treten in „Folge
von Beizen oder Bewegungen in Menschen und Thieren" aa(
während sie vorher nicht da ?raren. Sie müssen also irgendwo
„verborgen" sein. Wenn sich „ausscbliessende Bewegungen d. h.
gleich intensive in entgegengesetzter Richtung zusammentreffeo
so entsteht Gleichgewicht oder Buhe d. h. die Bewegungen
verschwinden vollständig, bleiben aber in ihrer Wirkung, z.B.
dem Zusammenhaften von Körpern, unsichtbar vorhanden, welche
Wirkung indess unter umständen durch Störung des Gleichgewichte
mittelst einer, andern Bewegung wieder so zerlegt werden kann,
dass eine jener früher dagewesenen Bewegungen hervortritt" (S. 199).
Die Körperwelt „durchdringt der unbegrenzte Baum" (sie), eben so
durchdringt er also auch das „Gehirn der Menschen und Thiere."
In diesem unbegrenzten Baume sind „die Empfindungen und Ge*
fühle" als „sein ruhender Inhalt", als „todte, unsichtbare Spann*
kraft" (sie) „überall verborgen." Durch ,^anz bestimmte Gehim-
bewegungen" werden sie nun „als lebendige, zum Bewusstsein
kommende Kräfte f^i gemacht oder ausgelöst" (S. 200). Mit allen
Empfindungen und Ge^blen iflt zwar elementar oder ur^rünglioh
Bewusetsein verbunden; aber die Gefühle und Empfindungen
„sohliessen sich als Ganzes entschieden oder absolut aus."
(Bchluss folgt)
Ir. 42. HKISEIBEEGEB 186a.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Gzolbe: Grenzen nnd ürsprang der menschlichen
Erkenntniss.
(BcbluBsO
y,Niinint man nun an, dass die sänuntlichen denkbaren Empfin-
dungen und Gefühle überall oder in demselben einen Eaum gleich-
massig vorhanden sind oder sich durchdringen, so müssen nach
Analogie der obigen mechanischen Thatsachen, nach der sich aus-
schliessende Bewegungen zusammentreffend als solche gänzlich
verschwinden und nur in ihrer Wirkung unsichtbar fortbestehen,
auch die Empfindungen und Gefühle als solche verschwinden, wenn
sie auch in der unendlichen, durchdringlichen Ausdehnung, dem
Baume, durchaus unverändert in ihrer ganzen zahllosen Verschie-
denheit oder Mannigfaltigkeit, deren Eihheit oder Harmonie nur
die allen gemeinsame Qualität des Bewusstseins bildet, — fortbe-
stehen werden. Diesen geistigen Inhalt des Baumes darf man wohl
Welt seele nennen^' (sie, S. 201). Die „Empfindungen und Ge-
ftthle" können „nicht in die Materie verlegt werden." Es bleibt
also für „den naturalistischen Standpunkt, der zunächst nur
Materie, Bewegungen und Baum kennt, kaum etwas Anderes übrig,
als sie in den Baum zu verlegen" (S. 208). Aus den Empfin-
dungen und Gefühlen „fügen sich zunächst die sinnlichen Wahr-
nehmungen und dann sämmtliche andere psychische Processe mosaik-
artig zusammen" (S. 214). Das „Selbstbewusstsein ist nicht als
eine zweite besondere höhere Art von Bewasstsein zu betrachten",
sondern soll sich „sehr einfach" erklären lassen, „wenn man als
seine nothwendigen Bedingungen zunächst die Erkenntniss auf der
Basis der äussern Erfahrung ansieht und es zweitens als Thatsache
anerkennt, dass diese verschiedenen speciellen geistigen Processe in
uns gleichzeitig stattfinden" (S. 240). Die psychischen Pro-
cesse entstehen durch „das Zusammenwirken des von der Körper-
welt erregten Gehirns mit der dasselbe durchdringenden Weltseele"
(S. 243). Das „so genannte Ich als unräumliche oder als räum-
liche, ausgedehnte, einheitliche Ursache aller psychischen Vor-
gänge" ist „nicht eine ursprüngliche und unmittelbare Thatsache
des Selbstbewusstseins"^ sondern „nur eine spiritualistische An-
nahme, die unwillkürlich in den Menschen entstehende Hypothese,
dasB die psychischen Processe nicht von Aussen veranlasst werden,
sondern dass sie auch eine im Gehirn befindliche übernatürliche
Ursache haben." Diese „spiritualistische Hypothese ist natürlich
LVIU. Jahif. 9. Heft 42
668 Czolbe: Gfrenzen nnd Ursprung der menflehlielien Erkenntnlsft«
von dem hier festgehaltenen Standpunkte prinzipiell abzuweisen"
(S. 242 u. 248).
Sicher ist diese Theorie des so genannten Naturalismus
viel complicirter , enthält viel mehr Unerklärliches und ist selbst
nicht so folgerichtig, als der Materialismus, mit welchem
übrigens Ref. so wenig, als mit dieser naturalistischen Lehre, ein-
verstanden ist. Die Gründe, welche in vorliegender Schrift gegen
den Materialismus angeführt werden, sind durchaus befriedigend,
nicht so die für den Naturalismus vorgebrachten Gründe.
Offenbar ist, wenn man, wie der Herr Verf., Alles, auch alle
geistigen Vorgänge, aus dem Wcltmechanismus, aus der Anwendung
des mechanischen Princips der Bewegung, erklären will, die Behaup-
tung folgerichtiger, dass Alles Stoff sei. £s ist die in der vorliegenden
Schrift enthaltene naturalistische Anschauungsweise um so
weniger haltbar, als sie zu weit mehr hypothetischen und nner-
weisbaren Behauptungen ihre Zuflucht nehmen muss, und dabei
dennoch in allen negativen Resultaten, der Negation Gottes, der
Freiheit und Unsterblichkeit, ganz mit dem Materialismus über-
einstimmt.
Die Sinneswahrnehmung soll „mosaikartig' ' aus „Empfindungen
und Gefühlen zusammengesetzt sein**? Wer eine Sinneswahrnehmung
hat, nimmt etwas durch die Sinne wahr; die Sinneswahrnehmung
ist die Vorstellung eines Gegenstandes. Diese ist eine Art des
Erkennens ; man erkennt etwas, das man wahrnimmt, in bestimm-
ter Weise. Die sinnliche Wahrnehmung setzt allerdings Empfindung
und Gefühl voraus, sie ist ohne diese Voraussetzimg nicht möglich ;
aber sie ist deshalb nicht Empfindung und nicht Gefühl und am
allerwenigsten aus beiden mosaikartig zusammengesetzt d. h. so,
dass beide, Empfindung und Gefühl, verschieden und nur, gleich
zwei verschiedenen Steiuclien, zu einem Mosaikbilde sich verbinden.
Das Empfinden ist das in sich Finden des Eindrucks eines Objects,
welcher die Thiitigkeit unseres Lebens durch Vermehrung oder
Verminderung derselben eigenthümlich stimmt. Empfindung und
Gefühl lassen sich also nicht trennen, wenn wir auch im Denken
die das Gefühl veranlassende Qualität des Objects und die durch
letztere entstehende angenehme oder unangenehme Stimmung unter-
scheiden. Beide sind zumal in und mit einander thätig. Rich-
tiger wird das Bewusstsein als etwas Anderes von beiden unter-
schieden, da das Wissen meines und eines fremden Daseins vom
blossen Fühlen und Empfinden sehr verschieden ist. Das Bewusst-
sein soll etwas sein, das im Menschen und Thiere gleich ist, wäh-
rend doch die Selbstempfindung des Thieres sich nie zum Selbst-
bewusstsein erheben kann, da dem Thiere die Freiheit oder innere
Selbstbestimmungsfähigkeit des Denkens, also die klare und deut-
liche Unterscheidung des Sub- und Objectes fehlt. In der
Empfindung soll „die Sinnesqualitüt** , im Gefühl „die Gefühls-
qualität" liegen? Zu der Sinnesqualität gehört aber eben so
Ciolbe: Greifen iw4 IIr8{kn^iig der m^nneliUAeA fUkßMatm. MO
wenig allein die Empfindong, als zn der GefÜhleqnaUt&t das
Fühlen. Es ist dazu ein Erkennen nöthig. Sonst können wir
beide nicht unterscheiden. Der Herr Yerf, hilft sich damit» dass
er sagt, mit beiden ist „Bewusstsein'' Terknüpft, das von Empfin*
düng und Gefühl nicht getrennt werden kann. Was ist aber Be^
wusstsein, wenn es nicht ein bestimmtes, einzelnes Bewusstsein ist t
Denn auch das Bewusstsein des Objects geht ja vom Subjeote ond
von der Unterscheidung von diesem aus. Nicht durch die Empfin-
dung wird die Qualität der Sinne gefunden, nicht durch das Ge-
fühl die Qualität des Gefühls, sondern erst durch die Aufmerksam-
keit und das Unterscheiden des Bewusstseins im Denken. Aach
empfindet die Empfindung nicht, sondern das Empfindende, filhlt
das Gefühl nicht, sondern das Fühlende, und dieses Empfindende
und Fühlende ist immer und muss immer im Einzelwesen sein.
Indem ich empfinde, iühle ich. Wo ist hier ein Mosaikbild zweier
„ursprünglich oder elementar sein sollender Erkenntnissgrenzen*',
der Empfindung und des Gefühls? Zu den Gefühl^ualitäten wer-
den drei Arten, das angenehme und das unangenehme (beide
„ruhende oder passive Gefühle**) und das „active Gefühl des Bedürf*
nißses oder Triebes*' gezählt. Ist denn der Trieb ein GefUhl? Ist
er nicht vielmehr ein Streben von Innen nach Aussen, während das
Gefühl, die Vermittlung der Eichtung von Aussen nach Innen und
von Innen nach Aussen, also des Erkennens und Begehrens, voa
den beiden letzteren wohl zu unterscheiden ist?
Wie Baum und Atome, sind auch Empfindungen und Gefühle
dem Herrn Verf. etwas „Ursprüngliches", „Elementares'^ „nicht
Entstandenes.*' Es ist aber eine unläugbare Thatsache, dass die
Empfindung eine Wirkung ist und also eine Ursache voraussetzt«
Diese Ursache liegt nicht nur im äussern Beize, sondern auch in
einem innem Factor des Organismus, in der in den Empfindungs-
werkzeugen vorhandenen Empfindungs^higkeit^ welche durch den
Beiz Empfindungswirklichkeit oder Empfindungsthätigkeit wird. Die
Empfindung entsteht; es ist anfangs keine da; nun wirkt der Reiz
und die Empfindungskraft wird Empfindung. Wie kann man etwas,
das erst durch das Zusammenwirken von zwei Factoren zum Vor-
schein kommt oder entsteht, ein „Elementares**, „Unentstandenes"
nennen? Unser Bewusstsein spricht dagegen, dass die Empfindung
etwas Allgemeines ist, eben so aber auch dagegen, dass sie an-»
fangslos ist. Freilich wäre die Behauptung ein „Widerspruch**,
dass die Empfindung „elementar** und doch „entstanden** sei. Das
Werden oder Entstehen gehört aber zum Wesen der Empfindung,
das Elementare ist aus ihr zu entfernen und dann hört der Wider-
spruch von selbst auf. Denn das erst Entstehende oder Werdende
ist nicht elementar. Allerdings existirt die von dem Herrn Verf.
bestrittene Veranlassung zur Empfindung durch die Eörperwett»
Denn ohne diese Veranlassung ist ja keine Empfindung möglich,
da die Empfindung veranlassenden Beize von der Körperwelt ane*
•60 Oiolbe: Örenioa und Vnpnuig der menaehüchen &keiiiitiü«.
gehen und ohne diese gar nicht denkbar sind. Wir wollen damit
die Empfindungen nicht allein ans der Materie und ihren Bewegun-
gen ableiten; eben so wenig sind wir der Meinung, dass die
Empfindungen nichts als Bewegungen des Hirns sind, oder dass
die Empfindung nur in der Neryenmaterie besteht. Wir stimmen,
wie die Torliegende Schrift, keiner Theorie bei, weiche Alles nur aus
dem Stoffe erklären will. Wir sind in gleicher Weise auch nicht
der Ansicht, dass die organische Entwickelung allein durch den
Stoff erklärt werden kann. Allein so wenig „zweckmässige" oder
„organische Formen" dadurch in ihrem Entstehen erklärt werden,
dass man sie als ursprünglich oder unentstanden annimmt, so wenig
wird durch die Annahme dieser ürsprünglichkeit oder Anfangs-
losigkeit das Entstehen der Empfindungen klar. Wenn man nach
dem Warum fragt, folgt die Antwort: Es ist einmal so, weil es
immer so ist und immer so war und so sein wird. Wird die
Sache dadurch klar, wenn uns unser Bewusstsein und die Erfahrung
jeden Tag zeigeui dass zweckmässige Formen, ebenso wie die Empfin-
dungen, entstehen, dass solche Formen und Empfindungen zu Tage
kommen, die noch nicht da waren? Es wird hervorgehoben, dass,
„wenn sich ausschliessende Bewegungen d. h. gleich intensive in
entgegengesetzter Richtung zusammentreffen, Gleichgewicht oder
Buhe entstehe, d. h. die Bewegungen vollständig verschwinden,
aber in ihrer Wirkung, z. B. dem Zusammenhalten von Körpern
unsichtbar vorhanden bleiben." Lässt sich dieses mechanische Ge-
setz auf die Empfindungen und Gefühle anwenden? Gewiss nicht.
Diese sind einmal nicht blosse Bewegungen. Beize können wohl Be-
wegungen sein ; aber die Empfindung ist der Eindruck, der aus der
Bewegung hervorgeht. Dann schliessen sich die Empfindungen nicht
aus und sind am allerwenigsten intensiv gleich. Sie sind ja nicht
nur vom äussern Beiz, sondern von der innem Kraft bedingt,
welche sich mechanisch nicht berechnen lässt. Endlich bleibt bei
diesen Bewegungen der Körperwelt, wenn die sich neutralisirenden
Bewegungen aufhören oder verschwinden, doch noch etwas übrig,
nämlich die Körperwelt. Wenn aber die Empfindungen nichts als
sinnliche oder Empfindungsqualitäten und keine Körper sind, bleibt
bei diesem Neutralisiren Nichts mehr ttbrig. Auch wird man nicht
behaupten wollen, dass die sich neutralisirende Bewegung, wenn sie
Buhe geworden ist, noch Bewegung sein soll. Was berechtigt
femer zu der Hypothese, dass die Empfindungen und Gefühle überall
in demselben Baum gleichmässig vorhanden sind? Was aber im
Baum ist, sollte wohl ausgedehnt sein. Kann man das von Qua-
litäten sagen, die sich neutralisiren, verschwunden sind und nicht
zum Vorschein kommen? Kann man überhaupt verschwundene und
nicht zum Vorschein kommende Qualitäten, z. B. verschwundene, nicht
zum Vorschein kommende Farben, Töne, Geschmacks-, Geruchs- und
Tastempfindungen noch Empfindungen nennen ? Erst, wenn sie in uns
9um Vorschein kommen, sind sie Empfindungen. Freude oder Lust,
Ol olbe: Qnamn und XTriprang der meDBöUloliai ErlmmtBiM. Ml
Sclmierz oder Trauer, Bedürfhiss oder Trieb kQnnen nicht atisserhalb
der K(5rperwelt im leeren Banm an sich, vom KOrper getrennt sein.
Sie sind ja nnr OefUhle im Subjecte» im Körper, nicht ansserbalb
des Körpers. Sie könnten wohl im Körper, aber nicht ansserhalb
des Körpers im Banm latent sein. Die nicht znm Vorschein kom«
menden, einander nentralisirenden Empfindungen nnd OefUhle bil-
den »den rahenden Inhalt des Baumes«, seine »todte, nnsichtbaro
Spannkraft.« Auch hier geht man wieder von jener yerkehrten An«
sieht ans, dass der Banm »Substanz« sei. DerBatmi kann keine Spann«
kraft haben, weil er kein Wesen, die Spannkraft kann nicht latent
sein, weil eine todte Spannkraft keine Spannkraft ist. Wie können
wir von einer Spannkraft von Qualitäten sprechen, die wir erst
dann erkennen, wenn sie aus der Buhe zur Bewegung kommen,
die wir aber ruhend durch keinen Sinn auffassen können? Es ist
eine willkürliche und unerweisbare Annahme, dass sich Empfin*
düngen und Gefahle als Ganzes absolut oder entschieden ans-
schliessen. Absolut schliessen sich nur solche Dinge aus, die in
keinem Merkmale, in keiner Hinsicht übereinstimmen. Das wird
man aber doch wahrlich nicht von den Empfindungen und Gefühlen
sagen, die zusammengehören und nicht anders als zusammengehörig
gedacht werden können. Auch ist zwischen absolut und ent-
schieden zu unterscheiden. Wenn die Empfindungen und Ge«
fühle sich auch neutralisiren, so sind sie doch als »yerschwunden
im Baum vorhanden«, weil dieser »durchdringlich« ist. Dire »Ein-
heit oder Harmonie« ist die den Empfindungen und Gefühlen
»gemeinsame Qualität des Bewusstseins«« Natürlich muss also
auch diese Qualität »im Baume« und wie die Empfindungen und
Gefühle, wenn sich diese neutralisiren, ebenfalls unsichtbar als
»todte Spannkraft« im Baum sein. Giebt es aber ein Bewusstsein,
ein schlafendes oder wachendes wo anders, als innerhalb der Sphäre
der bewussten oder des Bewusstseins fähigen Individualität? Ein
in allen Bäumen vorhandenes Bewusstsein , das mit allen latenten
Empfindungen und Gefühlen verbunden ist, soll »die Weltseele«
sein ? Hat aber das ein Bewusstsein, was ausserhalb der bewussten
Sphäre liegt; kann Bewusstsein aus Elementen kommen, die gar
nicht in der Bewusstseinsfähigkeit liegen? So sehr wir an der
»todten Spannkraft« der Empfindungen und Gefühle im Raum
zweifeln, so wenig dürfen und können wir das Bewusstsein ausser-
halb der Körperwelt als Inhalt des Baumes betrachten. Das Ge-
hirn wird nun »durch die Körperwolt erregt« und von »der Welt-
seele durchdrungen.« So entstehen die »psychischen Processe.« Wir
wissen aber nur etwas von einer Erregung durch Stoffe und Kräfte,
niemals aber von einer Weltseele oder von Elementen, die uns die
Empfindungen und Gefähle aus unsichtbaren Elementen des Baumes
und nicht aus der uns umgebenden Welt der Stoffe und Kräfte
zufiiessen lassen. So wird unser Ich die »Weltseele«^ die sich im
Gehirne ihrer bewusst ist. Wir sind xms aber der einheitlichen
J
M Otolbei OrflBsen imd Ursprung der mentiiUichen SrkeimtniBB.
Cöncentratioiieii aller unserer SeelenkrKfte im Geiste bewnsst, mid
die individuelle Seele ist etwas ganz anderes, als diese so genannte
Weltseele. Wenn diese Weltseele znm Bewnsstsein kommt, ist sie
ja nur eine selbstbewnsste einzelne nnd keine allgemeine Seele.
Das Ich ist keine »Hypothese«; es ist wirklich vorhanden; denn
ed ist das sich selbst Wissende nnd von allem, was es nicht ist,
Unterscheidende.
So werden demnach vier Grenzen der ßrkenntniss
unterschieden, eine ideale »das darch möglichste Yollkommen-
heit bedingte Qlüok jedes fühlenden Wesens« und drei
fundamentale, 1) Materie und Baum, 2) die zweck-
mässigen Formen der Welt und 3) »die im Baum verborgenen
Empfindungen und Gefühle« oder die »Weltseele.«
Sie werden Grenzen der Erkenntniss genannt, weil bei ihnen
nach keinem weiteren Warum oder Ursprung gefragt werden soll
Im Baume sind aber keine Empfindungen und Gefdhle verborgen
und diese können keine Grenze bilden, weil man nach ihren Factu-
ren forschen mass und sie auf dem Wege der Beobachtung findet.
Dasselbe ist mit der Zweckmässigkeit der Fall, die nicht der letzte
Grund, sondern nur die Folge eines höheren Grundes sein kann.
Auch ist der Baum eben so wenig eine Substanz, als theilbaxe
Körper Atome sind.
Der Herr Verf. hat mit vorliegender Schrift nicht »zum abso-
luten Begreifen der Welt« geführt. Das sittliche Grundprincip des
Naturalismus ist ihm die »Zufriedenheit mit der natürlichen Welt«,
welche der ethischen Forderung genügt.
Ungeachtet seines Gott, Unsterblichkeit und Freiheit aus-
sehliessenden Naturalismus äussert er sich sehr duldsam über
die christliche Kirche, indem er sie »im Vergleiche zu sämmtliohen
phildsophischen Systemen« (er nimmt auch, wie er bescheiden von
seiner Schrift sagt, »die mangelhafte dilettantische Darstellung«
seines Systemes nicht aus) »und zu andern Kirchen und sittlichen
Verbrüderangen heute und noch für lange Zeit theoretisch nnd
praktisch« »das Beste« nennt. Er erklärt, dass diese seine »Ueber-
zeogung« mit seinem »Atheismus« »eben so wenig im Widerspruch
stehe« und erklärt den ihm in Bom von Pius IX. zu Theil gewor-
deaeü »wohlwollenden Empfang und Segen« als eine »unverges?-
liche Erinnerung.« Ja, er geht in der Duldsamkeit, während er
sich gegen die »freien Gemeinden« ausspricht, soweit, zu erklären,
dass die Encyclica, welche »die naturalistische Philosophie« des
Härm Verf. verdammt, dessen »Sympathie für die erhabene Orga-
nisation der katholischen Kirche (sie) nicht verlöscht habe« (S. 27f ).
Dabei wird der Glaube an »einen Vater im Himmel« ein »Phan-
tasiegebilde« genannt, das »allmälig erblassend dahin sterben wird.«
So berühren sich auch hier in gewisser Beziehung die Extreme. Ob
die Zufriedenheit mit dieser Welt durch die Annahme der Nichtig-
Taeiü Opp. ed. Fr. Ritter. 663
keit aller ttbersinnlichen Ideen verwirklicht wird, muss, wie vie-
les Andere, ans dem theoretischen Lehrgebände des Herrn Verf.
mit Becht bessweifelt werden.
V. Reichlin-Meldegg.
P, Cornelii Taeiii opera, ex vetustissimis codidbttB a st dermo eolla^
Us, glossis seclusis, laciinis releclis, wendis correctü recensuÜ
Fr. Ritter. Lipsiae 1864. S. XXXVIII u. 799 S.
Der bekannte Erklärer des Horatins, Prof. Ritter in Bonn
bat wiederum durch die Bearbeitung eines andern Klassikers sich
ansem Dank erworben; doch ist die Behandlung beider Schrift-
steller nicht dieselbe. Während z. B. um nur eines anzuführen,
der Dichter mit verschiedenen Anmerkungen bekleidet ist, und der
Gedankengang jedes Gedichtes ausführlich entwickelt wird : ist da-
gegen der vorliegende Prosaiker ohne alle Anmerkungen und Er-
klämngen edirt; nur sind die Varianten der einzelnen Mss. und
manche Conjecturen von früheren Herausgebern verzeichnet; auch
ist besonders angegeben, welche Veränderungen der Verfasser im
Text selber macht, meist jedoch ohne die Gründe anzuführen. Der-
selbe bat nun zwar in der langen Vorrede (von 88 Seiten), wo er
nicht nur von den Mss. ausführlich spricht, sondern auch die
Fehler, welche nach und nach sich in den Tacitus eingeschli-
chen haben, in drei Klassen theilt und diese Eintheilung immer
durch eine Anzahl von Beispielen belegt, hierbei viele seiner Ver-
mnthungen, Aenderungen und Verbessei ungen aufgeführt und auch
meist kurz erhärtet oder vertheidigt; aber wenn man auch in der
Vorrede dem Verfasser meist Recht geben möchte; wenn man im
Text an seine Aenderung kommt, gefällt sie nicht immer ebenso;
man zweifelt oder hält sie für unnöthig ; z. B. ann. I. 65 hat der
cod. Medic. en Varus et eodemque iterum fato vinctae legiones ; da
die doppelte Verbimdung et und -que nicht stehen kann, hat Lipsius
*que, andere wie auch Ritter in der ersten Ausgabe et gestrichen,
nun fügt er nach et das Wort fuga ein, indem er meint, ein Ab-
schreiber sei von G in FVGA auf E in EODEMQVE übersprun-
gen und habe so fuga ausgelassen ; diese Conjectur wird schwerlich
gefallen, indem sie auch matt ist. Ueberhaupt setzt der Verfasser
gern ein Wort ein: z. B. ann. I, 8 sestertium, da im Mss. die
Zahl mit Ziffern steht, ist jedenfalls annehmbar, besonders da bei
den gleich folgenden Zahlen nummum etc. dabei steht. Ob im
nämlichen Kapitel per vor improspera zu setzen sei, bleibt zweifel-
hafter, ist aber fast annehmbarer, als die bisherige Correctur im-
pTOspere, da dies mit dem folgenden repetite eine Kacophonie bil-
det. Während wir in cap. 27 cum nach eum zugesetzt und im 30.
fion vor comgregari wiederholt billigen mögen, ünden wir cap. 28
664 Gaisberger: ArohHologisdie Nachlese.
annOthig impetrare yor pergerent einzuschieben. Im csp» 82 wird
sogar durch ein wiederholtes neque eine Lücke eingebracht, die
gar nicht existirt ; wie wir auch cap. 35, 41, 69 etc. keine Uüek«
für nöthig halten, indem die breviloquentia des Tacitus den Sinn
ganz leicht errathen lässt. Eine andere Art von Conjecturen be-
trifft weniger den Sinn als die Sprache oder Schreibart des Schrift-
stellers : so schreibt der Verfasser überall unaetvicesimani und ähn-
liches statt unetvicesimani , so corrigirt er faciat in faciant (ann«
I, 42), weil zwei nominativi vorausgehen, so cap. 56 cumque qni-
dam statt cum, da que leicht wegen qui verloren ging; cap. 63
wird in eingesetzt leicht erklärlich, weil equitum vorausgeht (cap.
60 ist das eingeschobene in nicht so leicht zu erklären, da prae-
fectus vorausgeht; vielleicht ist zu schreiben inducit, statt dncii,
indem in wegen Frisiorum abhanden kam).
Aus diesen wenigen Conjekturen und Verbesserungen des ersten
Buches sehen wir hinlänglich, mit welcher Aufmerksamkeit und
mit welchem Scharfsinne der Verfasser seinen Autor behandelt
hat; es ist daher nicht nothwendig noch weitere Stellen, wo eine
bessernde Hand eintrat, auszuheben; nur bemerken wir, wie auch
aus obigen Beispielen erhellt, dass der Verfasser sich oft zu sehr
gehen lässt, d. h. dass er zu schnell bessern will, wo eigentlich
kein Fehler ist, zu oft ändert, wo nicht nothwendig ist ; denn wir
sind von jeher der Ansicht, dass in den alten Klassikern die über-
lieferte Lesart wo möglich zu behalten, höchst selten etwas herans-
zuwerfen oder einzusetzen ist; denn wenn wir diese Erlaubniss jed-
wedem, auch scharfsinnigen Herausgeber gestatten wollten, würde
bald der Text nicht mehr der alte überlieferte sein. Noch merken
wir, dass vorliegender Ausgabe ein sehr sorgföltiger index histori-
cus beigefügt ist ; wir hätten gewünscht, dass auch ein index ver-
borum beigegeben wäre, wie der oben erwähnte Horatius einen
sehr genauen aufweist.
Joseph Gaisberger. Archäologische Nachlese; mü einem Kmi*
chen und zwei Tafeln in Steindruck. Lint 1864. 76 8. 8.
Der regulirte Chorherr Gaisberger, dem wir schon schöne
Arbeiten über die römischen Inschriften Eämthens verdanken, hat
sich ein neues Verdienst durch vorliegende Schrift erworben, in
welcher er au die früheren Funde aus Eömer Zeit diejenigen, welche
seit dem bei der Kaiserin Elisabeth- Westbahn und durch andere
Bauten entdeckt werden, am*eiht, so dass wir eine Uebersicht von
dem gewinnen, was immer, so viel bekannt ist, in jenem Lande
aus der alten Zeit aufgefunden wurde. Der Verfasser führt so
58 Orte in dem nicht grossen Landstrich an, und verzeichnet bei
jedem die kleinern Alterthümer, die Münzen, die Lischriften u. s. w«.
Die Aadri* des Terentivt von Klot«. 665
und da das Werkcben nur eine Nachlese ist, so werden die In«
Schriften n. 8. w. nicht wörtlich aufgeführt , sondern immer nnr
angegehen. wo jede veröffentlicht ist; wir würden dem Verfasser
grösseren Dank schulden, wenn er sie, was freilich das Büchlein
bedeutend vermehrt hätte, aufgeführt hätte. Nur die neu entdeck-
ten inschriftlichen Steine werden mitgetheilt; dies sind fast nur
Legionsziegel meistens der 11 Italica, oder Töpfemaraen wie FORTIS
VRSINVS u s. w. auch seltene wie CENNO ; und folgende Votiv-
tafel:
I 0 M
M. RVSTIVS. P f.
VNIANVS. BF Consulis
LEG n ITAL. PF
seVeriana
pRO SALute sVA
sVORuMQVE
V. L. M
AGRICOLAET cleMENT . p. Ch. 230
P. ID. MAIS 15. Mai.
Wir möchten Zeile 8 lieber Junianns als ünianus lesen, be-
sonders da auch Zeile 4 vom ein Buchstabe fehlt. Dem Werkchen
sind beigefügt ausser den Abbildangen neugefundener Alterthümer
auch eine Karte über Kämthen mit den Orten, wo solche jemals
gefunden wurden, und der betreffende Abschnitt der tab. Penting.
Möge der gelehrte Verfaeser bald die Inschriften Kärhtheus u. s. w.
vollständig veröffentlichen. Klein.
Andria P, Terenti, Mit krüiwhen und exegetischen Anmerhin*
gen von Reinhold Klotz, Beigegeben ist ein Exeursus über
die unlaieinische Wortform Sublimen. Leipzig, Verlag von
VeU et Comp. 1665. XII und 220 8. in gr. 8.
Auch mit dem weiteren Titel:
Biblioiheea Latina minor. Herausgegeben von Reinhold
Klotz. Zweites Bändchen. Andria P. Terenti. Leipzig
u. s. w.
Das Unternehmen, von dem hier ein erstes Band eben — in
der Reihenfolge des Ganzen das zweite, insofern das erste, welches
die Bearbeitung des Miles gloriosus enthalten soll, demnächst erst
erscheinen wird — verdient gewiss die Beachtung aller Freunde
der Literatur. Es ist hervorgegangen aus dem von früheren Zu-
hörern wie jüngeren Gelehrten an den Herausgeber gerichteten
Wunsche, einen Theil der Vorlesungen, welche von ihm verschie-
660 Die Andrla des TerentitiB von Kloti,
dentliob Aber lateinische Schriftsteller gehalten worden waren, im
Druck erscheinen zu lassen, nnd so den Inhalt dieser VortrSge m
einem Gemeingut auch Rir Andere zu machen, welche daraus die
Art und Weise der Behandlung eines alten Schriftstellers, sowohl
in Bezug auf die Kritik des Textes, als namentlich dessen Er-
klärung ersehen, und dadurch lernen sollen, selbst den richtigen
Weg in der kritischen wie exegetischen Behandlung der Alten ein-
zuschlagen. So wird das , was yon einem der erfahrensten und
gründlichsten Kenner der lateinischen Sprache und Literatur hier
geboten wird, auch als eine Anleitung dienen kCnnen, welche vor
jedem einseitigen wie ungründlichen Verfahren in der Behandlang
der Alten abhalten soll, während sie insbesondere auch auf das-
jenige hinweist, was von einer genauen, die Sache wie die Sprache
berücksichtigenden Exegese verlangt werden kann.
Das unternehmen beginnt mit einem der gelesensten Stücke
des Terentius und mit einen der gefeiertsten Dramen des Piautas.
Wenn in den letzten Zeiten für die Texteskritik der lateinischen
Dichter Vieles geleistet worden ist, wenn man insbesondere be-
müht war, den Text derselben auf die älteste handschriftliche Ueber-
lieferung möglichst zurückzuführen, die älteren Formen der Sprache,
wie die ältere Schreibung wiederherzustellen und ebenso auch die
metrischen Verhältnisse, die früher weniger beachtet worden waren,
ins Licht zu setzen, so hat die eigentliche Wort- und Sacherkl&rung
kaum gleichen Schritt mit diesen kritischen Bemühungen gehalten,
mit denen sie so oft zusammenhängt, während sie andererseits darch
diese selbst wieder vielfach bedingt ist. Um so mehr wird es da-
her jetzt an der Zeit sein, diese Lücke auszufüllen und wenn diess
durchgehends in solcher Weise geschieht, wie es in dieser Be-
arbeitung der Andria geschehen ist, so würden wir uns daza in
der That Glück zu wünschen haben. Wir werden freilich dabei
nicht übersehen dürfen , dass die Ergebnisse vieljähriger Studien
eines Veteranen, und, wie schon oben bemerkt, eines der gründ-
lichsten Kenner der gesammten lateinischen Literatur, welcher über
den Terentius mehrmals Vorlesungen gehalten hat, in dieser Aus-
gabe niedergelegt sind, die darum keineswegs in Eine Reihe mit
denjenigen Ausgaben gestellt werden darf, wie sie, zum Schulge-
brauch bestimmt und mit deutschen , darauf eingerichteten An-
merkungen versehen, jetzt vielfach uns entgegentreten. Es ist viel-
mehr diese Ausgabe nach einem ganz andern Massstabe angelegt,
und in Plan wie in Ausführung von derartigen Fabrikaten ver-
schieden: sie ist vielmehr, wie wir schon angedeutet haben, für
jüngere Gelehrte, wie für den weiteren Kreis gebildeter Kenner
(des Alterthums bestimmt und wird in der umfassenden und allsei-
a-igen, gelehrten Auslegung des Terentius auch die Aufmerksamkeit
der Männer des Faches eben so sehr anzusprechen haben,
je. Das Ganze beginnt mit einer Einleitung, welche über die
*«on des Terentius sich verbreiteti und das, was aus den Nach*
Die Andrl« cUe Terentias von Kloti. 66t
nebten der Alten in Verbindnng mit den Porschnngen der Neueren
«ich mit Sicherheit ergibt, znsammengefasst hat. Das Geburtsjahr
des Dichters wird 570 u. o. (die Zahl 756 beruht wohl auf einem
Druckfehler) angesetzt, als das Todesjahr wird das Jahr nach der
nach Oriechenland unternommenen Reise (594 u. o.) angenommen:
beides auf Grund der Stelle im Leben des Terentius von Suetonius,
womach Terentius nach Herausgabe seiner Komödien, »nondum
quintum et yicesimum annum egressus (so haben die Handschriften,
und an dieser Lesart hält auch unser Verfasser, gegen Ritschi,
welcher ingressus schreibt) — egressus urbe est (nemlich zur
Reise nach Griechenland) neque amplius rediit.c Es ist diess aller-
dings das einzige sichere Zengniss und darum wird man auch daran
sich zu halten haben, um so mehr, als dann das vielbesprochene
Verhaltniss, in welchem Terentius zu Scipio Africanus dem Jüngern und
zu Lälius stand, als ein ganz natürliches erscheint, indem Scipio
(geboren 569 n. c.) zu einem Altersgenossen wird, an welchen sich
der gebildete Terentius anschloss» Was die verschiedentlich von
Suetonius und Andern berichteten Angaben über dieses Verhaltniss
betrifft, so hat sich der Verf. darüber in folgender, nach unserer
üeberzeugung durchaus richtigen Weise ausgesprochen 8. 4. 5.:
»Mögen immerhin a]le diese verschiedenen Annahmen auf blossen
Muthmassungen , zum Theil auch gehässigen Darstellungen von
Neidern und Gegnern beruht haben, so ist doch das engere An-
schliessen unseres Dichters an die jüngere, geistvoll zu höherer
Bildung zu seiner Zeit aufstrebende Generation Rom's dadurch
ausser Zweifel gesetzt und erklärt es uns genugsam, wie es dem
jungem Manne, der nicht geborener Römer war, vielleicht ursprüng-
lich einer ganz fremden Nationalität angehört hatte, so schnell und
so ganz vorzüglich gelang, in seinen den Bühnenstücken der neue-
ren attischen Komödie nachgedichteten Lustspielen die Sprache des
höheren Umgangstones in Rom in einer so vollkommenen Weise
wiederzugeben, indem er einerseits alles Missfällige und in's Ge-
meine Streifende im Ausdruck, andererseits alles Ausschweifende
in Possen und Witzen fem hielt, dass er zu allen Zeiten als Muster-
schriftsteller in dieser Beziehung dastände u. s. w. In dem, was
dann weiter S. 5 und 6 so wie 8. 9 ff. über des Terentius Lei-
stungen bemerkt wird, wird man eine durchaus richtige Charakte-
ristik, bei welcher auch die Urtheile der Alten in Betracht gezogen
sind, finden.
Auf die Einleitung folgt der Text der Andria, mit dem in
doppelten Oolumnen in kleinerer Schriit darunter abgedruckten
deutschen Commentar, dessen Fülle allerdings die Beifügung eines
Index über die darin erklärten Ausdrücke, so wie über alle sach-
lichen Bemerkungen (S. 208—218) und eines weiteren Index Über
die in diesem Commentar behandelten zahlreichen Stellen anderer
lateinischer Autoren, namentlich des Plautus und des Cicero, ver-
anlasst hat. Am Schlüsse des Textes folgt eine genaue Angabe der
968 Die Andrla des Terentiiis Ton Klots.
▼on Terentius in den einzelnen Abschnitten angewendeten Metren,
und zwar Vera nm Vers, so wie als weitere Zngabe 8. 195 ein
eigener Excurs (zn V, 2, 20 oder Vers 861 des Ganzen) über die
unlateinische Wortform Sublimen.
Was nun zuvörderst den Text betrifft, so erkl&rt der Verf.
yorzugsweise demselben die Ausgabe von A. Fleckeisen zu Omnde
gelegt zu haben, und diesem Heransgeber auch in der älteren Ortho-
graphie gefolgt zu sein, eben weil er bei seiner Ausgabe yorzugs-
weise den exegetischen Theil in's Auge gefasst hatte. »Allein, wie
nur erst nach einer umsichtigen Kritik eines Textes die gehörige
Ausdeutung desselben möglich zu werden pflegt, so meint der Ver-
fasser aber auch durch eine gründliche Auslegung und Worterklft-
rung die endgültige kritische Feststellung des Textes selbst, ohne
den Schein der Anmassung auf sich zu laden, nicht unerheblich
gefördert und Mancherlei in seine Anmerkungen mit eingeflochten
zu haben, was auch für weitere und höhere Kreise nicht aller Be-
achtung unwerth erscheinen möchte« (S. XI). Von der Wahrheit
dieser Behauptung wird man sich bald überzeugt finden, da fast
jede Seite dazu irgend einen Beleg liefern kann. Die Erklärung,
wie sie nun eben Hauptaufgabe geworden ist, befasst sich nicht nnr
mit Allem dem, was zur Oekonomie des Stückes, Anlage und Durch-
führung durch die einzelnen Akte und Scenen gehört, von welchen
jede mit einer darauf bezüglichen kurzen Einleitung oder Erörte-
rung begleitet ist, oder was zur sachlichen Erklärung gehört, son-
dern sie ist insbesondere auch auf das Sprachliche, und auf das, was
in grammatischer Hinsicht eigenthümlich erscheint, gerichtet, nm
80 mehr, als bei all* den umfassenden Bemühungen der neuesten
Zeit um die Texteskritik der lateinischen Komiker, doch für die
sprachliche Erklärung nicht in dem Grade das geleistet worden ist,
was man wünschen mochte Man hat daher schon ans diesem
Grunde alle Ursache, dem Verfasser dankbar zu sein, dass er diese
Lücke in so befriedigender Weise auszufüllen unternommen hat,
zumal bei seiner umfassenden Kenntniss des Sprachgebrauchs der
classischen römischen Zeit ; man sieht bald, wie durch diese sprach-
lichen Erörterungen nicht blos das Verständniss des Terentius und
die richtige Erkenntniss seiner Bede- und Ausdrucksweise wesent*
lieh gefördert wird, sondern auch für die Erkenntniss des Sprach-
gebrauches der klassischen Schriftsteller Bornas überhaupt mancher
Gewinn hervorgeht.
Wir haben oben bemerkt, dass der Verfasser, wie er selbst
in der Vorrede erklärt, Fleckeisen's Ausgabe dem Text der seinigen
zu Grunde gelegt hat. Indessen zeigen sich doch bei näherer Be-
trachtung bald grosse Verschiedenheiten, wie sie bei der Selbstän-
digkeit der Forschung, die sich in der ganzen Bearbeitung kund
gibt, auch kaum ausbleiben konnten. Man wird die Abweichungen
des hier gelieferten Textes weit zahlreicher und bedeutender, aber,
setaen wir hinzu, auch meist wohl begründet finden. Der Verf.
Die Andria des ffereiitttiB von Klots» 669
nemlich hat im Ganzen auch hier den conseryativen Standpunkt
eingehalten, den er in andern der von ihm veranstalteten Aus-
gaben lateinischer Olassiker beobachtet hat : das heisst, er hat die
handschriftlich überlieferte Lesart, zumal wenn die üeberliefei'ung
eine alte und wohlbeglaubigte ist, nicht fallen lassen, um unsiehem
und willkührlichen Einföllen, die man Verbesserungen nennt, Baum
zu geben, er ist vielmehr bedacht, die handschriftliche Lesart zu
erklären, was ihm auch in den meisten Fällen gelungen ist« Manche
unnöthige Verbesserungen Bentlej*s, die selbst Fleckeisen aufge-
nommen hatte, sind daher in Wegfall gekommen, und ist das
kühne Verfahren des Letztem in so manchen durchaus unnöthigen
Aenderungen in die gehörige Gränze gewiesen, und zwar ohne wei-
tere Polemik, durch einfache Darlegung des richtigen Sinnes oder
des Sprachgebrauchs : und es wird nicht zu Viel gesagt 'sein, wenn
wir erklären, dass auch dazu fast jede Seite des Buches die Belege
bietet. Wir wollen nur an wenigen Beispielen, dem ersten Acte ent*
nommen, diess Nachweisen. In der ersten Scene des ersten Akts
Vs. 25 hält Fleckeisen die Worte: »Sosia, liberius vivendi fuit
potestasc die in allen Handschriften und bei Donatus stehen, für
eingeschoben und hat sie deshalb in eckige Klammern eingeschlos-
sen; unser Herausgeber hat sie davon mit Becht wieder befreit;
wer die von ihm gegebene umfassende Erörterung der ganzen Stelle
mit unbefangenem Sinne durchgeht, wird sich um so mehr von der
Grundlosigkeit eines jeden Verdachts überzeugen, als der proso-
dische Anstoss, der in liberius gefanden ward, gleichfalls be-
seitigt wird, so dass die Scansion: liberius oder librius vi-
vendi fuit potestas nicht mehr befremden darf, und daraus selbst
das unnöthige einer andern in einem Epigramm des Ennius vor-
geschlagenen Aenderung (opis für operae d.i. op'rae) erkannt
wird« Mit gleichem Erfolg werden Vs. 37 u. 38 die nach Bent-
ley's Vorgang gleichfalls von Fleckeisen mit eckigen Klammem ein-
geschlossenen und damit als imächt bezeichneten Worte: »adver-
sus nemini: nunquam praeponens se illis« von dieser gmndlosen
Verdächtigung befreit, eben so Vs. 43 die Lesart aller Hand-
schriften: »ex Andre commigravit huic viciniae in Schutz genom-
men und durch eine richtige Auffassung gesichert, damit auch die
Unhaltbarkeit de» Lesart huc viciniae (einer grammatischen
Verbindung, welche sonst nicht nachzuweisen ist), welche Bentley
und nach ihm Fleckeisen in den Text gesetzt hat, nachgewiesen«
Aber Vs. 47 (»primo haec pudice vitam parce ac duriter agebat«)
hat der Herausgeber mit Fleckeisen unbedenklich primo gesetzt
(statt primum), gestützt auf die Anfahrungen dieser Stelle bei
Nonius und Priscian, und auf die richtige Erkenntniss, dass in
prim o die Beziehung auf die Zeit besser und schärfer hervortritt.
Dagegen ist Vs. 77 fere, für welches die handschriftliche Autori-
tät spricht, beibehalten und nicht durch das jedenfalls unsichere
fermei das Fleciceisen aufgenommen, ersetzt; eben so im vorher«
678 Die Andri* des Ttoentliift von "Bülöit.
zelnen Stellen, oder den Nachweis des inneren Zusammenhangs nnd
des Oedankenganges zu geben bat, sondern auch der Erörtomng
des Sprachgebrauches in Verbindung mit grammatischen Erörte-
rungen und selbst den metrischen Beziehungen, so wie der Ortho-
graphie, der Alliteration und dergleichen Gegenständen alle Sorge
nnd Aufmerksamkeit zugewendet ist. Wenn nun, um auch hier
einige Beispiele wenigstens anzuführen, in den Worten des Prologs
Vs. 15 und 16: »id isti uituperant factum atque in eo dispntant
oontaminari non decere fabulas«, das nach disputant gewöhnlich
gesetzte Gomma, durch welches in e o mit diesem Yerbum in nfthere
Verbindung gesetzt werden soll, weggelassen und in eo mit den
folgenden Worten »oontaminari non decere fabulas« verbunden wird,
als bezüglich »auf das von Terentius eingehaltene Verfahren, wo-
bei die Stücke durch einander geworfen worden sein sollten c, so
sind ?nr in so fern anderer Ansicht, als wir lieber in eo mit
disputant verbinden, und auf das vorhergehende id factum
beziehen in dem Sinne: und dabei d. i. bei dieser Gelegenheit,
bei diesem Tadel, den sie über die von mir vorgenommene Ver-
bindung der Andria und Perinthia zu Einem Stück aussprechen,
indem sie jede derartige Verbindung oder Verschmelzung von zwei
Griechischen Stücken zu Einem Bömischen, für unpassend und un-
geeignet halten« In der Andria selbst 1, 1, 17 (>nam istaec com*
memoratio quasi exprobratiost inmemori beneficii«) wird man
auch wohl die Aufnahme des Dativs inmemori statt des Grene-
tivs inmemoris zu billigen haben, zumal die Verbindung von
exprobratio mit einem Dativ auch durch eine ähnliche Stelle des Liviaa
(XXin, 35) bestätigt wird und überhaupt hier von der Art ist,
dass sie nicht wohl Anstand erregen kann. Eigenthümlichkeiten in
einzelnen Formen u. dgl. sind mit besonderer Genauigkeit behan-
delt, so z.B. die Zusammenziehung servibam (I, 1, 11), die mit
zahlreichen, ähnlichen Zusammenziehungen belegt wird, was in noch
umfassenderer Weise, in einer fast drei Seiten mit doppelten Go-
lumnen fortlaufenden Anmerkung zu der Form praescripsti (I, 1,
124) geschieht, in welcher noch eine Reihe von ähnlichen Zusam-
menziehungen, wie sie in der römischen Dichtersprache, zumal der
älteren vorkommen, besprochen werden. Eben so wird zu I, 1, 58
die richtige Erklärung von so des (si audes) gegeben, die Be-
ziehung auf sodalis als unstatthaft mit Becht verworfen, üeber
die Schreibung non pedisequa (zu I, 1, 96) mit einfachem s, und
eben so zu Vs. 38 über ilico mit einfachem 1 statt des gewöhn-
lichen doppelten, oder über die Form obstipui (für obstupui) zu
Vs. 21 werden eben so befriedigende Nachweise gegeben, desglei-
chen zu Vs. 31 eine gute Erörterung über den Infinitivus historicns
nnd dessen Gebrauch. Wir übergehen Anderes : was wir angeftlhrt,
kann genügen zum Beleg unseres üriheils wie zur Empfehlung des
ganzen Unternehmens, dem wir den besten Fortgang wünschen.
Eben so befriedigend ist die äussere Ausstattung.
Chr. BAhr.
Ii. 43. EEIDEIBGSGEB 1868.
JAHBBÜCHER DER LITERATUR.
Literatnrberichte ans ItalieiL
La ean^ura dd eotde Oianluigi Fiesehif per E. Cdtsicu Omota IS^>L
Tip. aardo tnuü. gr, 8. p, 328»
Der Genuesische Geschichtsforscher Celesia gibt hier nach bis-
her unbekannten Urkunden die Geschichte der bekannten Verschwö-
rung des Fiesohi , wornach manche frühere Ansichten tlber dieses
Ereigniss bedeutend berichtigt werden. Der Verfasser zeigt^ dass
schon seit der Zeit von Otto dem Grossen an der Küste Liguriens
vier grosse Familien bekannt waren, die Markgrafen Savona und
Malaspina, so wie die Grafen Lavagna und Ventimiglia, von deneB
der Verf. glaubt, dass sie longobardischen Ursprunges waren, so
wie die Este und Pallavicini. Die Grafen von Lavagna führten meist
deutsche Namen, als Sinibald, Valpert, Aripert, Obert, Tebald
n. 8. w. ; ein Tedisio wird zuerst 992 als Graf von Lavagna er-
wähnt, welcher dem EOnig Arduin von Italien Hülfe leistete und
1177 kommt in dieser Familie zuerst der Name Fieschi vor, ein
Sohn von ihm wurde Papst als Innocenz IV. Allein schon seit
1008 hatte die Stadtgemeinde von Genua bereits angefangen, sich
als freie Reichsstadt von dem germanischen Lehnwesen zu befreien,
und gerieth bald mit diesem benachbarten Feinde Fieschi in
blutige Fehde seit 1110. Kaiser Friedrich L begünstigte zwar die
Grafen von Lavagna Fieschi, allein die tapfern Bürger Genuas
.vertheidigten sich so wirksam, dass 1198 die Fieschi den Bürgereid
schwören mussten, auch theilte sich diese Familie in mehrere
Stämme, von denen wir nur die noch bekannten Familien Casanova,
Pinelli nnd della Torre erwähnen. Bei den Kämpfen zwischen den
Ghibellinen und Guelfen hielten es die Fieschi mit der Bürger-
schaft, mussten aber auswandern und kamen erst 1476 von Born
zurück, besiegten die Gegenpartei, benutzten dies aber nioht für
sich selbst , sondern beriefen eine Volksversammlung und so wurde
die Verwaltung acht Freiheits-Capitänen übergeben, von denen nur
2wei dem Patriziat angehorten. Zur Zeit Carl V. war Simibald
Haupt der Familie Fieschi, welche durch kaiserliche Belehnungen
und Anhäufung vieler Herrschaften sehr reich geworden war. Un-
geachtet damals das Zeitalter Leo's X. Italien durch Kunst und
Wissenschaft berühmt gemacht hatte, zeigt der Verfasser, dass
Italien dabei politisch sich in der elendesten Verfassung befand, die
Franzosen und Schweizer verheerten die Lombardei, die Franzosen
liVTOL Jahrg. 9. Heft. 48
/
Mi tdMtaMAmkix^ aus ttallefL
tind Spanier das Neapolitamsche , die Franzosen nnd Denisclieii
Venedig n. fe. w.; besondere wird über das Heet yon FraiidBl)6ig
geklagti Welcher mit den Golonnas gegen die p&pstliofaen Sdiaaren
focht nnd darin selbst von dem Cardinal Pompeo unterstützt wurde,
der den Papst einen Sultan der Christenheit nannte, weil er
es mit den Franzosen hielt. Dieser Krieg zwischen Carl V. tmd
Franz I. hatte in Italien über 200,000 Menschen gekostet, über
100 Städte waren verwüstet worden, und Tausende yon Menschen
Tor Hunger und Elend umgekommen , so dass viele Italiener die
Herrsohafb der Türken vorgezogen hfttten, da sie wüssten, dass
Solimann nie sein Wort brach , während dies die Franzosen stets
thaten. In Genua hatte sich eine oligarchisohe Adelsherrschaft aa»-
gebildet, und Andreas Doria herrschte unumschränkt, indem er erst
den Schutz dei^ Franzosen, dann den des Kaisers benutzt hatte.
Mit dem Volke hielten es die Fieschi, denen sich die Orimaldi ai-
schlössen, während die Spinola es mit Doria hielten. Damals war
Sinibald Fieschi gestorben, der von seiner Gemahlin , Tochter des
Betzogs Bovere von ürbino, den Gianluigi Fieschi hinterlassen
hatte, welchem sie eine ausgezeichnete Erziehung gab. Im Jahr
1539 zeichnete et sich in der Seeschlacht gegen den gefürohteten
Cotsaten Totghud aus, den er gefangen nahm, worauf er die Prin-
zessin Oybo, Herzogin von Oamerino heirathete, wodurch er mit
dem franzödischön Kbnigshause durch Catharina von Medici ver-
wandt ward. Damais I zur Zeit Carl V. stand Italien unter der
Doppel-Herrschaft der Gestenreicher und Spanier ; es war stets der
Wunsch der Italiener gewesen, sich vom fremden Einflüsse zn be-
freien. Dies War auch der Zweck des Grafen Fieschi, welcher
sich der Franzoden nur als Mittel zu diesem Zwecke bedienen
wollte. Dazu kam, dass damals Paul m. die Hausmacht der
Farnese vergröäsem wollte, was ebenfalls Fieschi für Genua's Un-
abhängigkeit benutzen wollte. Die zu diesem Behuf geleitete Ve^
bindung wird nun von dem Verfasser genau erzählt, wornach der
Zweck durchaus rein patriotisch war, welchem edlen Streben Fieschi
ttuterlag; mit den nächsten Folgen für Genua schliesst dies Werk,
Welches nach der Vorrede an Catilina erinnert, welcher ebenfalls
besser gewesen sein soU, als sein Ruf.
Ctotnwdl e ia r^ublioa di Venesia. Per 0. Berehet. Veneria I89i
Tip. NarcdoPieh. gr. 8. p. 128.
Dies mit 41 Urkunden aus dem geheimen>>.,^taatS' Archiv der
alten Venetianischen Bepublik ausgestattete Werl^iMPWj^JfTJ
Herrn Berehet in Venedig, dem wir auch ein treffliches WeMH
die Verhältnisse dieses Freistaates, mit Persien verdanken, gib^l
Etmde von den Verhältnissen Venedigs zu Cromwell, indem a
Verfasser vorausschickt, dass die früheren Handelsverbindun
durch die erste Gesandtschaft Venedigs nach England im Jahr 1 31
näher befertigt wurden, bis die regelmässigen Gesandtschaften m
litentnzlwrictite ans ttaüeo« «76
TreTiflani im J. 1396 anfingen, bis sie dnrch die Beligionsrerhält-
niBse unter Heinrich Yin. und Elisabeth nnterbrochen wurden.
Doeh da Venedig auch mit dem Papste in Streit gerietfa, wurde
bald wieder unter dem Stuart Wilhelm I. der diplomatische Ver*
kehr wieder hergestellt. Unter Oarl I. fanden stehende Gesandt-
schaften statt, und war es Oontarini, welcher den Frieden zwischen
Frankreich und England vermittelte. Als Gromwell Protector wurde,
war Paulnzzi Venetianischer Gesandter in London, und das frühere
gute Vernehmen blieb ungetrttbt. Der Verfasser fuhrt diese ge-
schichtliche Darstellung fort bis zur Wiederherstellung derKOnigs-
würde.
DoeumenU diplömoHd dagH archivi Milanen , di L. Orio, Vol L
Müano 1864. Tip. Bemardini. gr. 4. p. 244.
Das grosse Archiv zn Mailand wird durch die jetzt verstattete
Oeffentliohkeit bald Gemeingut fitlr die Wissenschaft werden. Un-
geheuer sind die urknndlichen Schätze, welche hier stets sehr sorg*
faltig in 15 verschiedenen Abtheilungen aufbewahrt wurden; die
erste derselben, die diplomatische Abtheiluug, meist aus aufgehobe-
nen Klöstern stammend, besitzt allein über 100,000 Pergament-
Urkunden, von denen 29 aus dem 8. Jahrhundert stammen, 123
aus dem 9., 225 aus dem 10., 785 aus dem 11. und einige Tausend
aus dem 12. Jabrhimdert; die älteste ist von 714, die Stiftung
eines Klosters in Pavia betreffend. Diese älteren Urkunden gibt
jetzt die lombardisohe Abtheilung für die Gesehichtsquellen heraus,
welche unter dem Cassationsgeriehts-Präsidenten Manne steht. Von
den spfiiteren bat der Director der Mailändisehen Archive, der be-
reits bestens bekannte L. Osio die ^erausgabe insoweit übemom-
mien, als sie von geschichtlichem Werthe sind, und liegt hier der
erste Band vor, welcher mit der Zeit der Herrschaft der Visconti
den Anfang macht. Die erste Urkunde von 1265 betriffb einen Be-
8chlu3S der Stadt-^Gemeinde von Mailand, womit sie das Veriangen
zojückweist, einen Theil des Schlosses abzubrechen; die letzte ist
vom Jahr 1381, und umfasst dieser Band 182 Urkunden. Mithin
ist dies Werk für den Geschichtsforscher sehr wichtig und wird
nächstens fortgesetzt werden.
OUo antd ß Jtrt/uakme dal dott. PieroUL Tormo 186h. Cßsa Pomba.
Der Verjbsser, früher Hauptmann im sardinischen Genie-Corps,
ist jetzt als Architect für Palästina bei Sorraja Pascha, dem Gou-
verneur EU Jerusalem angestellt; er gibt hier seine seit 8 Ji^ren
kdaaelbst unternommenen Forschungen über das gegenwärtige und
mas alte Jerusalem heraus, wo er vielfache Ausgrabungen vornahm,
ribt |A sowohl die alten Tempel-Mauern der verschiedenen Bauten
[Qfn oeelben, als auch die verschiedenen Stadtmauern klar zu machen
j^^jigeij^ndem bat, wodurch er in den Stand gesetzt w^den, unter
L iSlS ni auch die wahre Lage von Golgata und des heiligen Grabes
<t)d lilMr«tiirbeHciite>u ttalkd«
festzustellen« Er bat überall die betreffenden Bibelstellen mit der
Oertlichkeit in Verbindung gebracht, und wenn man in Frankreich
dem Qrafen Melchiorre de Yoga^ das diessfallsige Verdienst bei-
gemessen hat, so hat er hauptsächlich die Arbeit dieses gründlichen
Pierotti benützt. Man sieht dabei zugleich, welche Toleranz bei
den Türken herrscht, bei denen dieser eifrige Christ eine gute An-
stellung fand, auch ist der Gouverneur der Provinz Libanon ein in
Venedig erzogener katholischer Armenier, Davoud Oglou Pascha,
welcher seine diplomatische Laufbahn in Berlin anfing, und sein
gelehrtes Werk über die altdeutschen (Gesetzbücher aus lateinischen
Quellen französisch herausgab.
VAÜtgoria ddla divina Comedia di Dante tsposta da N. Bareüi,
Firenxt 1864. Tip. dUim. 12. p. XXIV. 372.
Dies ist eine der vielen Erklttrungen, welche das berühmte
Gedicht von Dante erfahren hat, um die darin vorkommenden Alle-
gorien zu erläutern. Besonders stellt nach dem VerfMser das Fege-
feuer die katholische Kirche dar, und der Fluss Lethe ist die Abso-
lution von allen Sünden.
II domino vero, romansi, nouveüe, Varidä Uatri di P« Sabarim.
Tarino 1865, Tip. Ortero. 4.
Dies ist eine neue humoristische Wochenschrift, welche zu-
gleich einen geistigen Mittelpunkt der grösseren italienischen St&dte
bilden soll, und wozu sich bedeutende Kräfte vereinigt haben. Den
Anfang macht ein ausgezeichneter Schriftsteller von Oeist, Heir
Straffiftrello, Mitredacteur der grossen italienischen Encyolopädie,
von welcher bereits 450 Lieferungen erschienen sind. Von ihm ist
eine sehr gelungene Erzählung: die Frau mit dem Todtenkopfe in
Turin. Der Herr Verfasser, der in der deutschen Literatur sehr
bewandert ist, hat sich unsem Hoffmann, Heine u. s. w. zum Vor»
bilde genommen, und ist er vielleicht derjenige italienische Schrift*
steiler, welcher am meisten für das Bekanntwerden der deutschen
Belletristik in Italien thätig ist.
Memorie atorico-polüiclie $ugH antiehi Ored e Romani di Chr. NegrL
Torino 1864. Tip. Paravia. 8. p. 332.
Ein erfahrener Mann, der in der grossen Welt lebt und über
der Forstgesetzgebung und über das Wasserrecht geschätzte Werke
herausgegeben hat, ist im Stande die Welt*Ereignisse anderweit zu
beurtheilen, wie der, welcher die Welt nur aus Büchern kennt;
darum haben seine geschichtlich-politischen Abhandlungen in dem
vorliegenden Werke einen nicht unbedeutenden Werth. Zuerst gibt
er hier eine politische üebersicht der alten (beschichte, mit den
Griechen anfangend, weichein drei verschiedenen Oruppen erscbei«
nen, in Asien, in dem eigentlichen Ghrieohenland und in dem Grie*
ohenlaode des Westens, inltalim, Gallien '4md Spanien. Die sweite
LltorAtiirberldife Evtl ItellML'- 677
Abhandlung über die Sobicksale des öffentlichen innemfiechts des
alten Roms geht genau ein in den Streit ttber den Einfinss der
Hetmsker anf die Einrichtnngen Borns. Der Verfasser will zwar
diesen Einflnss nioht wie Nicbuhr für so ganz unbedingt anerken-
nen ; allein er findet unverkennbare Spuren hetruskischer und grie-
chischer Kenntnisse bei den Patriziern, wie auch schon die zwölf
Tafeln beweisen. Die letzte Abhandlung erklärt die Verlegung der
Hauptstadt nach Byzanz, und den Verfall des abendländischen
Reiches. Der Verfasser findet die Veranlassung, mit unserm Botteck,
in der Ausbreitung des Christenthums in jenen morgenländischen
Gegenden. Er zeigt, wie der Ausbreitung des Christenthums die
Aufklärung der klassischen Zeit vorgearbeitet hatte, wie das von
dem Christenthum gelehrte Sitteogesetz bei den Menschen Eingang
finden musste, welche von ihren Dichtem ein reines Gewissen als das
höchste Out gerühmt fanden. In Bom erinnerte aber Alles an
sinnliclies Heidenthum und an politische Freiheit; gegen Morgen
fand mehr stille Betrachtung statt, und daneben nur Denkmäler
der kaiserlichen Autorität. Auf diese Weise geht der Verfasser in
sorgfältige Erwägung der Beweggründe ein, welche diese Verlegung
der Hauptstadt veranlassten, die mannigfaltigen darüber sonst ge-
äusserten Ursachen beurtheilend.
La grandexza Italiana, studi, eonfnmdi e denderU di Negru Torino
1864, Tip. Paravia. 8. p. 4h4.
Hier hat derselbe Verfasser mehrere Aufsätze vereinigt, zum
Zwecke statistische Nachrichten über Italien zu geben, und zu
praktischer Anwendung der Kräfte des Landes zu ermuntern. Ein
Aufsatz handelt unter andern von dem Seidenbau in Pommern, in
welchem er erzählt, dass die preussische Gesandtschaft nach China
von dort Eier von Seidenwürmem mitgebracht, welche mit Vor-
theil fortgepflanzt würden, indem er darauf aufmerksam macht,
dass solchem Beispiele zu folgen sei. Derselbe ist auch bereits zum
Gesandten Italiens nach China bestimmt; er war Professor der
Bechtsfakultät zu Padua, ging von dort aus politischen Verhält-
nissen ab, und wurde in dem Ministerium der auswärtigen Ange-
legenheiten zu Tarin angestellt, in welchem er jetzt der Abthei-
lang über die Consulate vorsteht. Hier werden Professoren zu Ge-
sandten ernannt, während nach der Geschichte der Griechischen
Begentschaft, während der Minderjährigkeit des Könige Otto , die
Gräfin Arma^berg von den dabei angestellten Professoren sagte:
G'est de remplissagel So dumm ist man in Italien nicht!
VindiffereniiBfno rdigioso smcuteherato per E. M, RavioUh Trino
1H64. Tip. Borla. 8. p. 208.
Der Verfasser, Canonicus zu Trino, in der piemontesischen
Provinz Montferrat, tritt hier gegen den Indifi^erentismus auf, wel«
eher meint, dass jede Beligion gut ist, wenn sie das Sittengesetz
&7a LUeratorberiolite au* IlaUüi.
befördert ; er nennt dies den positiven IndifferentismoB, den n e g i^
tiyen dagegen, wenn man keine Beligion für gut hält, unge-
achtet der Klagen über den Indifferentismus bemerkt derVerfiuaer
doch, dass die katholische Kirche in stetem Wachsthnm begriften
ist. England hatte vor 70 Jahren nur 60,000 Katholiken, jetzt
zählt London allein deren 300,000. Nord-Amerika hatte za An-
fang dieses Jahrhunderts nur 25,000 Katholiken, mit einem Bischöfe,
jetzt beinahe 5 Millionen unter 7 Erzbischöfen und 47 Bischöfen.
Dieses Buch ist insofern eine typographische Merkwürdigkeit, da es
zur Einweihung der neuen Buchdmckerei in Trino geschrieben ward.
Denina in seiner Geschichte der italienischen Bevolution sagt, „daas
die Stadt Trino die Mutter vieler berühmten Buchdrucker ist; so
dass man diese Stadt das italienische Leipzig nennen könne, c Der
Verfasser bemerkt in der Vorrede, dass schon 1483 Bemardino
Giolito de Ferraris Stagnino in Trino eine Oiesserei fOr Lettern
anlegte, welchem Wilhelm Animamia und Johann de Cerretta Tacnino
oder di Tridino folgten, worauf Johann Oiolito und Gerhard de Zejis
die CoUectio Consiliorum Andreae Barbatiae in 4 grossen Folio-
Bänden herausgab. Später sank Trino zu einer kleinen nnbeden-
tenden Stadt herab, so dass lange keine Buchdmckerei dort be*
stand. Endlich wurde eine neue von S. Borla angelegt, welchem
der Verf. das erste Werk zum Drucke lieferte.
RaceoUa di alcune proposte di Ugffi e di varii aeritU müa puöblica
üirtunone, dd Senatore Matteucci. Torino 1865, Tip. Franco.
8. p. 283.
Der Verfasser war einige Zeit Minister des öffentlichen Unter-
richts des Königreichs Italien, nachdem er sich als Professor der
Naturwissenschaften in Pisa ausgezeichnet hatte. Er gibt hier
zuerst seine Ansichten über die von ihm erstrebten Verbesseraagra
in der Verwaltung des ünterrichtswesens, die er in seinen Briefen
naher ausführt, so wie in einer Denkschrift bei dem vor 2 Jahren
in Florenz abgehaltenen Congresse der Italienischen Pädagogen. Am
wichtigsten sind seine Gesetzentwürfe für die Neugestaltung des
ünterrichtswesens in Italien, woraus wir nur in Ansehung des
höheren Unterrichts erwähnen « dass die Universitäten, die ganz
ToUständig besetzt sind, folgende 6 Fakultäten haben, 1) Theologie,
2) Jnrispi^enz, 3) Medicin, 4) die mathematischen Wissenschaften,
5) Physik und Naturwissensehait, 6) Philosophie und Philologie,
zu dar letzteren gehören folgende Haupt-Professuren^ Logik und
Methaphysiky Moral-Philosophie, allgemeine Geschichte, italienische
Literatur, lateinische Literatur, griechische Literatur, Archäologie
und Palaeographie , italienische Geschichte. Ausserdem bestehen
complementar - Course für Pädagogik, morgenländische Sprachen,
arabische Literatur, Sanscrit, yergleicb^de Grammatik, Geschichte
der Philosophie, Geschichte der alten und neuen Literatur, allge-
mßw& und T^rgleichende Erdbeschreibung, Statistijc. Ueberoli seigi
literatvrberichta Ans IUHml tn
der Yer&Bser Bekanntsohaft änoh mit der Emrichiimg des öffent-
lichen Unterrichts des Auslandes.
Teatro di ^iavimäH, dei R. AHaviUa, L. BodioH, ea. Torino 1866.
Tip. Franeo. 8. p. 77.
Eine Gesellschaft von Schriftstellern giebt Schauspiele für
Familien-Theater für die Jugend heraus. Der vorliegende Band
enthält: Die Zigeunerin, von Altavilla, und hundert BUnkei von
Demselben.
Rappofio 9ul eanpresso da nakiriOitU Itäliani In BieUa, dal Com^
mendaiore Trompeo. Torino 1866.
Im Anfange des Septbr. 1864 wurde ein Congress der italieni^
sehen Naturforscher zu Biella, einer kleinen Stadt am Fusse der
Alpen im Piemontesischen abgehalten, worüber hier der bekannte
fleissige Theilnehmer an allen wissenschaftlichen Vereinen, der ehe-
malige kOnigl. Leibarzt Trompeo, Bericht erstattet. Präsident war
der gelehrte Minister Sella, welcher in Freiberg in Sachsen das
Bergwesen studirte und über Erjstallisation in der dort heraus-
kommenden Zeitschrift einen geachteten Aufsatz yerOfflBntlicbt hat.
Derselbe legt eine treffliche Karte über das geologische Verhalten
der Umgegend von Biella vor, womit dieser Oongress eröffnet ward,
welcher in folgenden Abtheilungen arbeitete : 1) Geologie tmd Mi-
neralogie unter dem Vorsitze des gelehrten Prof. Ourioni, Secretär des
lombardischen Instituts. 2) Botanik, Professor Bertoloni aus Bo-
logna. 3) Zoologie, Professor Balsomo-Orivelli. Es wurde bestimmt,
dass der nächste diessfallsige Congress zu Spezia abgehalten wer-
den sollte, zu dessen Vorsitzender der gelehiie Markgraf Doria aus
Genoa gewählt ward, welcher Mitglied der diplomatisch wissen-
sohaftliohen Gesandtschaft nach Persien war, welche das Königreich
Italien vor 8 Jahren nach Persien geschickt hatte, unter den hier
gehaltenen Vorträgen wird besonders hervorgehoben, die Vorlegung
der geologisch-topographischen Karte vom Etna, durch unsem be-
rühmten Waltershausen in GCttingen, mehrere Vorträge von dem
gelehrten Professor Comalia in Mailand, femer über in Italien seit
Kurzem aufgefundene Waffen aus der vorgeschiehtlichen Zeit durch
den gelehrten Gastaldi, über die Knoohenhöhlen von Mandaria in
Sicilien von dem Herzoge von Brolo u. s. w.
Origiate e progresao deVt igime navale^ dal Comfnendatort Trompeo.
Torifio 1866. Tip^ Favalc
Der Doetor Bruzza hat über den Ursprung und den Fort-
gang des Medicinalwesens bei der Marine ein bedeutendes Werk
henuisgegeben, worüber der gelehrte Doktor Trompeo diesen Be-
richt an die medioinische Akademie in Turin erstattete. Man
findet hier die Geschichte des Seewesens von der Lex Decia an
(im Jfthr 448 nach Borns Erbauung), bis in die neueste Zeit erwähnt«
6M IJ««mt«r^Ielite ttiii IMmL
Düear9o dal Senators RkoM tuUa legge pü irasferimetäo äeOa
Capitale. Tarino 1865.
Der Vertrag des Königreichs Italien mit Frankreidk wegen
Verlegung der Hauptstadt von Turin nach Florenz war dem Par-
lamente vorgelegt worden; im Senat sprach sich der Professor Bi-
ootti dagegen aus, seine diessfalsige Bede ist ein Meisterstück der
Beredsamkeit, obwohl er überstimmt ward. Der Bedner ist der
rühmlichst bekannte Professor der Geschichte an der Universität
zu Turin, welcher vorher zugleich Major im General-Stabe war.
Seine Geschichte Italiens und besonders seine Geschichte von Pie-
mont waren Veranlassung, dass er von der Begierung zum Bector
der Universität ernannt wurde, worauf auch seine Ernennung zum
Senator des Beiches folgte, und zwar mit allgemeinem Beifall ; denn
hier ist die erste Kammer kein geborenes Herren-Haus, sondern
die Auswahl der bedeutendsten Männer des Landes.
Storia ddla Valsolda, eon doeumenU e «MiOL C. Barrera. Italia.
1864. Tip. Chiantore. gr. 8. p. 404.
Diese Monographie betrifft ein schönes aber unbedeatendes
Thal am See von Lugano oder Oeresio unfern Lugano, zwischen
dieser Stadt und Porlezza, mit Namen Valsolda, in den alten Ur-
kunden Vallis Solida, oder auch Vallis-Solda genannt, reioh an
Weinreben« Oelbäumen und Seidenzucht, da dieses Thal, obwohl
unter dem 46. -Grade der nördlichen Breite, und an dem See ge-
legen, welcher 716 Fuss über dem Meere sich erhebt, der Sonne
ausgesetzt und durch die Berge vor kalten Winden geschützt ist.
Der Verfasser gibt sich viele Mühe die Etymologie dieses Namens
zu erforschen,, muss aber zugeben, dass dieses Thal zum erstenmale
durch das Er^bisthum Mailand bekannt geworden ist, welches sich
schon seit dem 5. Jahrhundert über die Bisthümer Vercelli, Novara,
bis Brescia, Db^i , Pavia, Turin, Genua, Gomo und andere bis naeh
Chur erstreckte, wie auch in den Briefen von Gregor dem Grossen
anerkannt ward. Die Frömmigkeit der Deutschen beförderte die
Macht dieses Ambrosianischen Erzbischofs, worin er durch den
Kaiser Lothar 835 bestätigt ward, so dass schon im Jahr 1065
die weltliche Herrschaft desselben begründet war; er wurde darin
durch eine Bulle von Alexander IIL unterstützt, welcher sich mit
Frankreich gegen die römisch-deutschen Kaiser verband, worauf
die Verwüstung Mailands durch Friedrich den Bothbart erfolgte,
ünterdess war auch ein Krieg zwischen den Städten Mailand und
Gomo ausgebrochen, wobei diese Gegend viel zu leiden hatte, indem
das feste Schloss S. Michele in diesem Thale belagert wurde, in
welchem sich 11 Ortschaften befinden, dessen Hauptstadt Castnim
Sancti Michaelis oder Castello Valsolda ist, von dem sich noch
Beste vorfinden. Als Landesherm sahen sich die Bischöfe von Mai*
l^nd an, sich auf die Stiftung von Carl dem Grossen benifendi
cloeh hatten die Bewohner dieses Thaies so Tollst&ndige Seihst*
Verwaltung, dass sie sich ihre eigene Statuten schon im Jahr 1246
yer&ssten, und zwar unter ausdraoklicher Berufung auf den Erz-
bischof, als Yicecomes, und bemerkt der Verfasser dabei, dass die
Statuten yon Bresoia erst im Jahr 1200, tmd die von Gomo 129d
abgefasst wurden, wogegen die Mailftndischen schon vom Jahr 1216|
die von Susa von 1148, die der Stadt Pistoja von 1117, die der
Stadt Mantua von 1116 und die von Verona vom Jahr 1100 sind.
Die alten Statuten dieses Tbales wurden 1888 unter dem kaiser-
Hehen Vicar Galeazzo Visconti reformirt, und bei jedem neuen
Bischöfe bestätigt. Auch hier wählten sich die Einwohner dieses
Thaies für jede Ortschaft 2 gute Männer, welche sich am Sylvester-
tage in der Kirche von Mamette yersammelten , und einen
Podesta als Oberhaupt wählten, auch bemerkt der Verfasser, dass
die freie Gemeinde- Verfassung des Landes bereits auf einer Synode
zu Pavia im Jahr 809 festgestellt worden: plebeji omnes et uni-
yersi ecclesiae filii liberi suis utantur legibus, üebrigens war es
noch erlaubt, von der Entscheidung des Podesta eine ander-
weite Berufung zu versuchen. Der Verfasser verfolgt die Oeschichte
dieses Thaies und erzählt, wie sich hier der heilige Carl Borromeo
hat huldigen lassen, wie die Verhältnisse unter der Herrschaft der
Spanier waren, bis Eugen von Savoien die Lombardei von den
Spaniern befreite. Doch hörte endlich die Souveränität des Erz-
bischofs von Mailand über dies Thal auf; Kaiser OarlVL, und be-
sonders Kaiser Joseph wurden dergestalt von den Päpsten Clemens
XIU. u. XIV. begünstigt, dass der Verf. sagt : dieselben bewilligten
jenem Kaiser mehr, als was jetzt Italien von dem Papste fordert.
Die Minister Firmian nnd Kaunitz wussten, dass man in Italien
nicht so fromm war, als in Deutschland, wo es erst der französi-
schen Bevolutionskriege bedurfte, um die weltliche Herrschaft der
reiohsunmittelbaren Bischöfe, Aebte und Aebtissinnen aufzuheben.
Schon am 13. August 1720 war ein kaiserliches . Decret erlassen
worden, nach welchem hier die geistlichen Besitzer von Lehngütern
dem Kaiser den Vasallen-Eid schwören mussten, so dass endlich am
15. Mai 1788 Begierungs-Commissare in dem Prätoriats-PaUaste
zu Mamette sich einfanden, welche im Namen des Kaisers von dem
Thale Valsolda Besitz nahmen, am 12. Sept. 1784 befahl der Kai-
ser, dass daselbst alle Oesetze des Staats fortan gelten sollten,
nnd dass der Erzbischof den Eid der Treue als Privatbesitzer von
Valsolda zu leisten habe. Seit jener Zeit folgte dieses Thal dem
Schicksale der Lombardei. Seine Bewohner, ausgezeichnet durch
ihre Geschicklichkeit in Erbauung der sogenannten trocknen Mauern
ziehen vielfach nach Deutschland, um sich dadurch Geld zu er-
werben, und wohlhabend zurückzukehren. Eine wichtige Zugabe sind
14 Urkunden ans alten Archiven, darunter von dem Kaiser Fried-
rich n. zu Capna 1240 ausgestellt, die Verhältnisse dies^w* tiales
zu Como betreffend. Ausserdem aber wer^n.«bipr die .die sehriUm-
im Sfa^toien mitgetiieilt, mit dem Bemerken, das« sie den fie«
schichtsolireibeni Gantu, de Bossi» dem deutsohen Saiigny, dem
Gibrario und Bonaini Bioht bekannt geweeoi.
BluBtrcuione «torjea, artUHea e epigraftca deU antiehmUna ekuta
di 8. Maria di Caäeüo in Otnova, dal R. A. Vigna, Omopa
1864. gr. 8. p. 604. Tip. Lanaia.
Ein Dominicaner in Genua, welcher Yice-Pr&sident der Ligo-
riscben GeeeUsobaft für yaterländiscbe Geschichte iät, gibt hier die
Beschreibung der genuesischen Kirche, welche seit dem 14. Jahr-
hundert dem Dominicaner-Orden gehört. Er ftngt mit der Ein-
f&hrung des Cfaristenthums in Genua an, welches durch die heiligen
Nazarini und Oelsus geschehen sein soll, welche vor] den Verfol-
gungen durch Nero aus Bom flohen, in Genua tauften und predig-
ten, und nachher iu Mailand von dem Präfecten Annalinus den
Mftrtyrer-Tod erlitten. Genua war schon nach Strabo der Hanpi-
stappelplatz von Lignrien, man hatte daher andere Beschäftigung,
als sich um das zu bekümmern, was die Leute glaubten; es hat
daher dort nie eine Christen- Verfolgung stattgefimden, sowie auoh
Sektenstiftung dort nicht vorkam. Ungeachtet es an genauen Nach-
richten fiber die Gründung der ersten Kirchen in Genua fehlt;
so wird doch die Kirche dalCastello für die älteste gehalten. Man
hat lauge darüber gestritten, ob sie ihren Namen von den alten
Herren di Castello erhalten hat, oder ob sie — wie jetzt ange-
nommen wird, in der Nllhe des alten Schlosses gelegen. Die älteste
Nachricht ist von 1049 nach einer Urkunde, in welcher ein ge-
wisser Rainald dieser Kirche ein Grundstück schenkt. Eine andere
Urkunde von 1064 enthält die Schenkung aller Besitzungen der
Tochter eines Arduino zu Montesignano. Diese Kirche hat stets
den Vorrang vor den andern Kirchen in Genua behauptet, und
wird besonders Werth darauf gelegt, dass der Papst Innocenz IE.
durch ein«) Bulle von 1187 dem Erzbischof von Genua befahl, nach
al^er Gewohnheit in Procession sich an einem bestimmten Tage
nach jener Kircbe zu begeben, und das Taufbecken einzusegnen;
dieser Befehl ward von Alexander HC. 1160 vriederholt. Diese
Kirche soll vor Erbauung der Kirche S. Siro die Gathedralkirche
des dortigen Bisthums gewesen sein, worüber ein ganzes Ki^>itel
handelt, dagegen wird die Erbauung dieser Castell-Kirche nur an-
nähernd um das Jahr 660 angegeben, und zwar durch den Longo-
bardenkünig Aripert L, nachdem Botaris die frühere Kirche mit
^der Stadt zerstört hatte, die jetzige Gestalt hat sie erst später
^^rhalten, und ward sie 1237 eingeweiht, im Jahr 1290 erhielt sie
g^jjge Binge von ißt Kette, weldie die Pisaner gebraucht hatten,
j^g^^'hren Hafen zu sperren, die aber von der genuesischen Flotte
land an '^ef^'^^* °^^ wurden 1860 auf Anordnung der Stadtgemeinde
' '^ rt, nm die Einheit Italiens m feiern.
LüeraliiiteUiU ma Biltoo. Ml
Dat6 memarabiU ddla $i&ria modema dfliaKa 1M0— IM<. Torina
1866. Tip. CeruUi. gr. 8. p. 117.
Dies kleine Werk ist von grossem Werthe, denn es enthttlt
in knx^n Andentangen alle Ar die Nengestaltang Italiens wichti-
gen Tage, mit dem 16. Jnni 1846 anfangend, an welehem Tage
Pins IX. znm Nachfolger des am 1. Jnni Terstorbenen Gregor AVI.
gewllhlt ward. Am 15. Juli erliess Pins IX. die berühmte Amnestie
für alle politischen Verbrecher, worauf Festlichkeiten und Anträge
der ProYincialstände folgten, bis der Papst am 17. April 1847 eine
constitnirende Yersammlnng berief, am -16. Juli wurde aber eine
Verschwörung entdeckt, welche gegen die freisinnigen Ansichten
des Papstes einschreiten wollte; am 17. Juli schritten die Oester-
reicher dagegen durch die Besetzung von Ferrara ein, und am 19.
erklärte sich Oesterreieh gegen die Errichtung von National-Qarden
in Italien. Am 19. August erklärte der König von Sardinien, dass
er keiner fremden Macht eine solche Einmischung erlauben würde.
Am 6. September wurden Lobgesänge auf den Papst in Mailand
durch bewafihetes Einschreiten verhindert. Am 16. Oktober ward
in Born die Consnlta als repräsentatiye Behörde eröffnet. Am 29.
machte Carlo Alberto seine Beformen bekannt. Am 8. November
erfolgte schon eine Zollvereins* Verbindung zwischen Rom, Floren«
und Turin, wogegen am 24. das Standreeht in der Lombardei
und Venedig verkündet wird. Am 7. Desbr. wurden die Lobgesänge
auf Pius IX. zu Verona verhindert, und am 81. die Oesterreicher
nach Modena berufen. Am 8. Januar 1848 folgten blutige Auf-
tritte wegen des Tabackrauchens in Mailand, am 12. der Aufstand
in Palermo, doch am 28. erliess der König von Neapel eine Amne-
stie. Am 26. schenkte die Stadt Genua dem Papst 2 Kanonen, weil
er einen italieniiihen Bund zur Aufrecfathaltung der Unabhängig
keit Italiens wollte, auch versprach der König von Neapel am 2S.
Januar eine Constitution, ebenso am 31. der Grossherzog von Tös-
cana; am 8. Februar auch der König von Sardinien. Am 11. be-
schwört der König von Neapel die Constitution. Am 21. März er-
klärt sich der Groesherzog von Toscana für einen italienischen Bund
(S. der italienisehe Bund und der deutsche Fürstentag, von J. F.
Neigebaur, Leipzig 1863, bei Bergson). Am 22. März wurde Ba-
detzki von den bewaffneten Bürgern Mailands vertrieben, ebenso
in Venedig. Am 25. rückte das sardinische Heer in Folge des
Bandes in Mailand ein. Am 8. April erklärt der König vonNeapely
dass er dem Bunde mit seiner bewaineten Macht beitrete. Am 6.
Mai ermahnt der Papst den Kaiser von Oesterreieh den Krieg ein-
zustellen, da er doch die Gemüther der Lombarden und Venetianer
nicht wieder erobern könne. Wir haben nur die wichtigsten Daten
aus dieser Sammlung hervorgehoben , welche die darauf fo^nden
Schlachte, Siege, Niederlagen und die Beaction u. s. w/ois zur
ünification in so kurzer Weise berichtet| dass hier eine/sehr nütz-
tS4 Hiwgfurfarlriite ane ItalfMi:
Kdie Chronik Italiens die letzten 19 Jahre darstellt. DenBescUiu»
macht nach der p&pstlichen Encyclica vom 8. Dezember 1864, die
Bekanntmachung der Genehmigung der Convention mit Frankreich
vom 15. September 1864, wodurch alle Hoffnung auf einen ita-
lienischen Bund nach den Worten des Friedens von Zflrioh abge*
schnitten worden ist. Auf diese Chronik folgt eine üebersicht der
Ministerien zu Turin seit der constitntionellen Zeit, nachdem das
Ministerium Solar della Margarita abgetreten war, als der KOnig
Carlo Alberto sich den Beformen zuwandte und vom 9. Oktober
1847 an unter dem Grafen St. Marzano die Constitution vorbereitete.
Das erste Constitutionen^ Ministerium ward von dem berühmten
Geschichtschreiber Graf Balbo geleitet, wobei der gelehrte Graf
Sclopis der erste constitutionelle Justiz-Minister ward. Das Mini-
sterium des mailändischen Grafen Casati war nicht von langer
Dauer, dabei trat zum ersteumale der noch junge Advokat Batazzi
als Minister des öffentlichen Unterrichts auf. Dann folgte das
Ministeritmi des Markgrafen Alfieri, dann das Ministerium, vrelches
den zweiten Krieg gegen Oesterreich Torbereitete, unter dem Geist-
lichen Gioberti, worauf bei der Thronbesteigung von Viktor Bma-
nuel General Delaunay Minister-Präsident ward, auf welches bald
das Ministerium des geistreichen Schriftstellers, Landschaftsmalers,
tapfom Generals, th&tigen und gewandten Staatsmannes, Massimo
V. Azeglio folgrte, seit dem 4. Nov. 1862 trat zuerst Oavour als
Minister-Präsident auf, nachdem er vorher schon Finanzminister
gewesen war; er blieb in dieser Stellung bis nach dem Kriege
1859, und folgte ihm der General La Marmora, doch trat 1860
Cavour wieder auf, bis er am 6. Juni starb, worauf ihm der Baron
Bicasoli folgte, und auf ihn wieder Batazzi; dann der berühmte
Geschichtschreiber Farini, nach dessen Tode der Bolognesische
Staatsmann Minghetti folgte, den schon Pius IX. <n seiner consti-
tntionellen Zeit gebraucht hatte, der aber nach der September-Conven-
tion abtreten musste, worauf ihm wieder der General La Marmora
folgte. Es sind daher seit dem constitutionellen Leben vielfache
Ministerwechsel eingetreten, und folgen darauf die einzelnen Mini-
sterien, wobei der jetzige Minister der auswärtigen Angelegenheiten
der 21. ist, welches Ministerium den meisten Wechsel erfahren hat.
Hierauf folgt das Verzeichniss der diplomatisch wichtigsten Ur-
kunden mit einem Edict des Papstes Pius ES. vom 15. Juli und
seine Encyclica vom 8« Nov. 1846 anfangend, bis zu seiner En-
cyclica vom 8. Dez., femer ein Verzeichniss von Schreiben ver-
schiedener Monarchen, der Tagesbefehle, Thronreden, Schlachteu,
Staatsvertt^ge, und macht den Beschluss eine üebersicht derjenigen
Mächte, welche das Königreich Italien anerkannt haben, die erste
war England am 80. März 1861, die letzte das Kaiserthum Mexiko
am 28. August 1864, Preussen erst nach Bussland am 21. Juli
1862, und von den deutschen Bundesstaaten nur allein Baden am
2^ April 18^8.
titeralutlMritflito aus ItaUaü M
LuciHna. Strenna in pro$a ed in vertL Tonne 186^4 Tip. BMa^
8. p. 800.
Der Titel dieses Taschenbuches als Neigahrsgeschenk ist von
dem Namen des Petroleums entnommen , welches jetzt zur Er-
leuchtung gebraucht wird, und der liebliche Inhalt entspricht
dieser Bezeichnung. Hier findet sich ein schönes Gedicht der
Dichterin Laura Mancini-Oliva aus Neapel, enthaltend die Gedanken
einer Venetianerin an ihren Bräutigam, der in dem italienischen
Heere als Scharfschütze kämpfte, ein anderes von der Dichterin
Qiulia Molino-Colombini, worin sie im Jahr 1842 Turin als Helden-
stadt der Vergangenheit und der Zukunft darstellt. Beide geist-
reichen Frauen sind jetzt Zierden Turins; von einer dritten wird
hier von G. Valerie Erwähnung gethan, der Markgräfin Caraglio,
welche in ihrem Schlosse Boffie eine Bachdruckerei anlegte« und
ihre geistreichen Gedanken selbst setzte. S. Pensöes dötachäes
par C. de C. Boffie chez Christin Carail typographe editeur. Von
Valerio sind hier unter andern mehrere deutsche Gedichte in
guter üebersetzung mitgetheilt.
Aneora sul disseeeamenio dd lago Tradmeno, di CatnUlo BonflgK
Tarino 1865. Casa Pomba. 4.
Eine Gesellschaft beabsichtigt den Trasimener-See trocken sa
legen; die Vorbereitungsarbeiten haben ergeben, dass durch einett
Emissar nach der Tiber und einen andern nach dem Arno dieser See so
weit abgelassen werden kann, dass mehrere Tausend Morgen jetzt
mit Sumpfwasser bedeckten Landes f&r den Ackerbau gewonnen
werden können, und dass dann auch die benachbarten Ortschaften
von den schädlichen Ausdünstungen befreit sein werden, welche
jetzt so viele Krankheiten erzeugen. Die benachbarte aiuf hohem
Berge gelegene Stadt Perugia, welche davon nicht zu leiden hat,
fürchtet die schöne Aussicht über den See und dessen schmack-
hafte Fische zu verlieren; so dass von dorther Einspruch geschehen
ist. Dies nüt einer Specialkarte versehene Werk ist nun dazu be-
stimmt, solchen engherzigen Ansichten entgegenzutreten.
Almanaeo tnilüare illudrato 1865, Torino, 7Hp. Ceusone, 8. p. 229.
Dieser für das italienische Heer bestehende Kalender filngt
mit der Lebensgeschichte der bedeutendsten kommandirenden Ge-
nerale an, deren Bildnisse beigefügt sind, mit dem Kriegsminister
Grafen Boglioni-Petitti anfangend. General Durando war Student
der Rechte in Turin, als die Revolution von 1830 aasbrach, an der
die vornehmsten Familien Theil nahmen, auch der junge Doraadö
musste als verdächtig auswandern, er zeichnete sich bald als pop«
tugisischer Offizier aus und trat nach der Neugestaltung ItalienB
in den vaterländischen Dienst. General Graf Gianotti trat bei der
sardinischen Artillerie ein, da dieselbe von den ernten ' FamiUea
eM LitemtorWriöhto Mt ttaU«A.
TorgdzQgon wird, weil sie die meisten Mittel haben, sieh za unter-
richten, und die gelehrten Waffen am meisten geachtet werden.
Qeneral Cucchiari war Advokat in Modena, als er wegen der Re-
volution vom Jahr 1880 auswandern musste, und im portugiesischen
Heere den Krieg lernte. General Bixio ging als Knabe Ton 13
Jahren aus seiner Vaterstadt Oenua auf ein Handelsschiff, trat aber
später in die Kriegs-Marine ein, und machte alle Prüfungen durch,
nahm aber seinen Abschied und befehligte Handelsschiffe in den
Meeren aller Welttheile ; einst ward an der Küste von Sumatra sein
Schiff vom Sturme yernichtet, er rettete sich zwar durch Schwim-
men, wurde aber als Sklave verkauft, glücklicherweise an einen
amerikanischen Schiffskapitän, welcher ihn gut brauchen konnte,
auch erhielt er nach der Ankunft in Nord- Amerika seine Freiheit.
Bei der Neugestaltung Italiens im 1848 trat er in das Heer ein,
welches aus Freiwilligen bestehend im Yenetianischen bis Treriso
vordrang und wurde Lieutenant, dann unter Garibaldi in Born
gegen die Franzosen Hauptmann, schrieb dann über die Kriegs-
Marine ; als aber Garibaldi an dem Kriege gegen Oesterreich Theil
nahm, drang er bis an das Stilfser Joch vor, studierte dann anf
der trefflichen Militär-Bibliothek zu Turin (S. Beschreibung der-
selben im Serapeum von J. F. Neigebaur, Leipz. 1862) die Kriegs-
kunst theoretisch, bis Garibaldi mit seinen 1000 Mann die Landung
in Marsala bewirkte, und mit Becbt Bixio schnell beförderte, denn
vielfach war er schwer verwundet worden. Er wurde von Genna
zum Abgeordneten gewählt, und zeichnete sich auch als Politiker
aus, da er sich von allem Uebermaass frei hält. Er ist jetzt schon
geachteter General^Lieutenant, und man h5rt nicht, dass er des-
halb angefeindet wird. Dieser Soldaten-Kalender enthält sodann
eine Beschreibung des Krieges gegen Dänemark, aus dem die Italiener
nicht recht klar werden können, da man den am meisten bethei«*
ligten Sohleswig-Holsteinem nicht erlaubte, an dem Kampfe Theil
zu nehmen. Hier sind die Abbildungen von dem dänischen General
La Mesa, von Wrangel und dem Prinzen Friedrich Carl nebst
mehreren Schlachten-Bcenen beigefOgt, dergleichen auch aus den
Kämpfen des italienischen Heeres und sind besonders die mit den
neapolitanischen Strasseni^ubem sehr gut in Holzschnitten ausge-
ftlhrt. Auch finden sich hier die Denkwürdigkeiten eines Tambours
nnd zweckmässig ausgewählte Müitär-Yerordnungen.
Histoire de Saint Ouiüaume par fäbbi CroacU^MoucheU Turin 1863.
Tip. Marzoraii. 8. p. 348.
Dies Werk ist zwar fianzösiscli geschrieben, allein da es die
italienieche Geschichte betrifft, durfte es um so mehr, da es auch
in Italien erschien, hier erwähnt werden, da es die Zeit betrifit,
wo nooh Otto der Grosse das römisch-deutsche Beich in Italien in
Ehren halten konAte* Der heilige Wilhelm ist es, dessen G^sobichte
bier gegeben wird. Damals war Otto der Grosse von der Wittwe
ttt«nititttiMo1iie Mfl tuXML MY
Lothan, Adelheid» um Httlfe gegen Betengat n. König von Italien
ersacht worden, welche aof dem Bchlosse Oanossa lebte, welches
später anf so traurige Weise ftb: Deutschland berühmt ward. Be*
rengar masste sich unterwerfen und behielt Italien nur als kaiser-
liches Lehn. Doch das germanische Lehnwesen hatte die Ungarn
nicht abgehalten, nach Westen vorzudringen ; Berengar besiegte sie
in Italien, machte sich aber so verhasst, dass die Grossen den Kai-
ser herbeiriefen, welcher 962 mit einem Heere ttber die Alpen kam
nnd sich in Mailand 2nm Könige von Italien krönen Hess, nach-
dem der nnznfriedene Adel anf dem dortigen Landtage ansgespro^
chen hatte, dass Berengar aufgehört habe zu regieren, unter den
demselben und seiner Gemahlin Willa treu gebliebenen Grundbe«
sitzern war ein Graf von Yolpian tou dem Wibo aus Schwaben
abstammend, welcher Perinzia die Tochter Dadons, Grafen von
Turin geheirathet hatte, die Schwester des Markgrafen Arduin Ton
lyrea. Ein Sohn aus dieser Ehe war der heilige Wilhelm, ünter^
dess war Berengar mit der Willa nach Bamberg in die Gefangen*
Schaft abgeführt worden, wo er 966 starb, Otto aber von Johann
Xn. in Rom als Kaiser gekrönt wurde. Das deutsche Reich war
zwar ein Wahlreich geworden; allein die deutsche Frömmigkeit
musste abwarten« bis die Kaiserkrone von dem Altare durch
den Papst ertheilt ward. Allein der Sohn Berengars, Adalbert^
trat mit vielen Italienern und dem Papst gegen den Kaiser auf;
dieser aber siegte, setzte den Papst ab und setzte Leo VIII. an
seine Stelle, Adalbert starb bald darauf und seine Wittwe Herberga
floh zu ihrem Vater Heinrich Herzog von Burgund, mit ihrem Sohne,
wacher der Stammvater des savoischen Hauses wurde. Der oben-
erwähnte Vater des heiligen Wilhelm war durch seine Unterhand-
lungen mit dem Kaiser dergestalt in seiner Gunst gestiegen, dass
Otto mit seiner Gemahlin Adelaide Taufpathen waren, auch war
er wegen einer Erscheinung von Engeln schon vor der Geburt dem
geistlichen Stand geweiht ; sowie auch der Sohn der ersten Ehe dee
Kaisers schon Erzbischof von Mainz war. Auch der Bruder der
Mutter Wilhelms erfreute sich der Gnade des Kaisers; es ist dies
derselbe Arduin, welcher später König von Italien wurde. Der
heilige Wilhelm studierte in Vercelli, wo auch Petrarca und der
heilige Antonius von Padua erzogen worden waren, wurde Mönch
und Einsiedler, dessen Frömmigkeit und seine Reise hier erz&hlt
werden, während sein Oheim Arduin mit der Markgrafschaft Ivrea
belehnt wurde, welche von Aosta bis Paiia reichte. Arduin unter-
warf sich das Bistham Vercelli mit Gewalt, wofUr er von Otto m.
im Jahr 1000 in die Acht erklärt wurde; doch dieser Kaiser, rer
wickelt in die Bewegung der Römer unter Orescenz hatte ir^
ganz geistlichen Bussübungen hingegeben, und starb 1002 b^ ^
Umgebung von Rom. Schon 24 Tage nachher hatten dieB^^^^,
nnd die Grossen des Reichs eine Versammlung zu Pavia '^ ^
nnd Arduin zum Könige von Italien gewählt, während die 7;^' ®^
44
literarischen Mitte seiner Zeit, c Er will hiermit za verstehen geben,
es gebe ein politisohes Mittel a. s. w., wie es ein arithmeüaches
gibt, oder aber sein Ansdrack ist der F&role nachgebildet, iu$U
tnüieu. üebrigens versteht man, was der Verfasser damit meint,
nnd seine Vorrede gibt in seinem weiteren Verlaufe ebenso wohl
erklärende Anfschlttsse, wie die Abhandinngen seiner Bande die
Verwirklichnng eines Gemäldes des Jahrhunderts, worin Taoiins
lebte.
In der politischen Sphäre dieser Zeit findet er vier EJAnpt-
titger wirksam, Senat, Heer, Fttrst, Volksmasse, nnd diesen Ele-
menten sor Seite als sehr wichtige Triebfedern, die Erinnemng an
die alten Freiheiten, und die öffentliche Meinung. In ebenso vielen
Abhandlungen hat er diese als Bestandtheile seiner Darsteünng
behandelt, nämlich 8. 5 U 8imat rQtnain, S. 24 tArmie romaüu^
S» 45 le Pmplc romain, 8. 61 du Bisaauvemr de la liberU^ 8. 85
De VOpinion fmbligtu.
Vom Fürsten bat er sich vorbehalten erst dann zu reden,
uchdem er noch das Gebiet tder socialen Mitte c sowohl nach der
speciellen Seite (des Moeun socialem S. 162 ff.) i als unter den veor-
wandten Gesichtspunkten (PkUoBophie, Droit, Paganisme^ JudoiBnuj
ChriMiaxdsme) behandelt hat, und zwar dann unter der CoUektiv-
überschrift: jJLe» Cüar$.^ S. 425 ff. bis 597. Der Grund dieaer
Hinausschiebung ist leicht zu vermuthen,*auch wenn der VerCasaer
unterlassen hätte, ihn besonders auszusprechen.
Wie diese Abhandlung das natürliche B6sum6 und gleichsam
die Vervollständigung der politischen und socialen Prüfung des
kaiserlichen Boms ist, denn man begegnet den Cäsaren überall in
dieser Sphäre, ebenso fasst, im zweiten Bande, die Abhandlung,
welche speciell von Tacitus handelt, die Prüfung seines Jahrhnxi-
derts nnter dem politischen, gesellschaftlichen und litterarischen
zusammen, da das Genie des Tacitus sich beständig auf diesen drei
Seiten mit seiner Zeit berührt. Diese Abhandlung lautet vollstäji-
dig: „StiT la vie — la phüosophie — la rdigion — h eharaetire
— et tesprit de Tacüe. Sa personncdüi.^ S. 323 ff. Diese sowie
die folgenden: ^TaeUe hifitorien^^ S. 354 ffL y,De tHidoire dana ea
forme'' nebst ihren Fortsetzungen S. 406 ff., 456 ff;, 498 ff. bilden
den Schwerpunkt des ganzen Werkes unseres Verfassers. Aehnlioh
wie im ersten Bande, hat er sich auch hier vorbehalten, von Ta-
citus namentlich erst zu reden,, nachdem er zuvor über die „Moeure
UU&aifres^ (S. Iff.}, j»Pe la Corrupium des leUres romaine»^ (S.
aiff.>, von dem y^Mouotmerd HJUdrairt"^ (S. 89— -240) und »De
fMidoire dam. $en enaeignemerUf' (S. 240 ff.) weitläufiger gehan-
delt bat..
Wir mAsaen darauf verzichten^ einen Auszug aus diesen AB-
handlnngen der Beihe nach zu geben ; sowohl dÜ Methode, des Ver-
ÜMsers hindert uns hieran, wie ^e OriÄnalität des Verfassers. In
methodischer Beziehung gleicht seiner Darstellnng einem Mosaik;
denn sie besteht fast ans eiser gesebiekt flnigelegten.Aneiimnder<»
reihung dtirter Stellen, und macht nach dieser Seite wahr, wai
der Verfasser yorgibti de parier tfaprh les ancitns. In Hinsiedit
der Originalität kann seine Darstellung französischerseits für das
gelten, was wir deutscherseits in der Sittengeschichte Bom's ans
der Feder Friedlftnder's besitzen, das wir unangetastet lassen, es
mtlsste denn sein, dass wir an besonderen Anssügen Stil und
Charakter der Darstellnng dartbon wollen. Ans diesen Ortinden
asüssen wir uns daher bescheiden, die fleissigen nnd grttadliahen
Stadien des Verfassers xa sex^liedem« Nur xwei Abhandlnngen
durften uns hier n&her beschäftigen, die Cäsaren, nnd das Leben
ttnd die geistigen Fähigkeiten des Tacitos, namentlich diese letzte.
Zunächst will ich die erstere zergliedern. Die Cäsaren, be*
ginnt er, waren Gegenstand des Hasses bei den republikanisch ge*
sinnten Bömern, woran besonders Soeton und Taeitns Antheil habeoy
während die Sache sich anders herausstellt ^ wenn man nicht die
Urtheile der letzteren gelten lässt, nnd die Cäsaren darstellt als
solche. I>er Verf. erinnert, dass Claudius das Muster der Trare-^
stimng der Cäsaren geworden, nnd zeigt an, dass er sich an die
Thatsachen aus dem Leben der Letzteren mehr halten werde, als
an ihre Widersprüche« S. 425 ff. Man geisselt politisch die Cäsa*'
ren, indem man der kaiserlichen Dienstbarkeit das öemälde der
republikanischen Freiheit entgegenstellte Unter der Bepublik
vernichtete Born die Provinzen, unter den Kaisern wurden die
Provinzen mehr protegirt als die Hauptstadt. Der Verfasser findet
in den Kaisern die Abbilder der Originale aus der Zeit des besten
BepublikanismuB. S. 428 ff« Oleich darauf begegnete der Verf. dem
Sinwande, dass das römische Volk seine Freiheit verkaufte, um
ernährt zu werden, womit eigentlich eine Satire auf die Bepublik
gemacht sei. Er sagt, dass die Cäsaren nicht blos nützlich, son-
dern auch nothwendig waren, und erörtert zuletzt die Ursachen,
warum die Cäsaren so angeschwärzt wurden. S. 431. Er unter**
sucht dann das Wesen ihrer Macht als römischer Kaiser S. 435,
weist nach , dass Bom*s Institutionen nicht theoretisch sich ent^
wickelte, sondern unter der Herrschaft des Usus standen, der das
Princip war S. 440 ; handelt von der (wie er es nennt) infatuaUon
der Kaiser nnd von dem Ueberwiegen ihres pert^mnalitnu Hber
Politik S. 452 ; protestirt gegen das Travistiren der Cäsaren mittels
sogenannter Epitheta oder Schlagwörter« Er vemrtheilt das ak
Declamation, und unwürdig des Öeschiohtsehreibers. Die Begierung
derCSseren verdient ein apartes Studium, um, jenem sammarischen
Verfahren gegenüber, zu tieferen Besultaten zu gelangen S. 468.
Bas WEnen Alles erst allgemeine Betrachtungen. Der Verf. prtlft
jetzt die Tragweite der öffentlichen Qereohtigkeit (Lynch) gegen
die Cäsaren seit Ifero, und bis t^ den Antoninen herab, kurz,
aber binreiehend S. 466. Als Fortsetzung hiesu dient No. IX: Die
patricisobett Stoiker rivalisiren gegen die Kaiser i wie sieh Imht
Ton diasoB Ergdirmge« profitirte imw, di4i«r feine normflle
Begierung, als deren Beqmelte der Verf. betraclitet: 1) AnfreoU-
erbaltnng der Disciplin üb -Heere, and Verwendung der letasieren
gegen das Ausland, 2) gute Verwaltung, nm niobt die MaJison sn
reiten, 8) Gewftbnmg eines reioblicben Hasses ron Haebt nnd
Freiheit an die Grossen nnd Vomebmen, nm ibrem fein^ehen Anf-
treten yorznbengent Man sollte meinen, der Verf. habe das Ge-
beimniss in Hftnden, wie man das Kaiserreich anfreebt halte I Nadi-
dem der Verf. die Anstrenguogen gezeigt bat^ welche die Freiheit
gemuht hatte, um sieb mit der Macht zu organisiren, nnd wie
die Begiemng, welche einen Augnstns, Tiberius, Ciaodinsund Vee-
pasian zu Trägem hatte, mit den Antonimen hinstarb, wie der
Oivismus nnd der römische Qeist, und femer die Anstrengung,
welche die orientalisohe Macht aufgeboten hatte, nm dk rSmisobe
Freiheit zu ersetzen, geht er zu dem Nachweise über, wie niebt
allein der Athem Borns ausgeht, sondern wie auch seine Herrschaft
ein Stück nach dem anderen auseinanderf&Ut. Demnach nennt er
das Buch Procop's, welches über diese finstere Epoche bandelt,
eine Nekrologie, ein Buineninyentar. S. 574. Er bat Procop ge-
lesen, und kennt den bTzantinischen Hof. Procop ist fäv seine Zeit
dasselbe was Sueton ftir die seinige. Für welche der letstere ein
Orakel ist, die dürfen Procop nicht Tersobm&ben. Der Verf. streift
biemit hart an der Grenze der Schlagwörter yorbei, wovor esc {rüber
gewarnt hatte, indem er Trajan den Bepr&sentanten desrömiseben
Geistes nennt, Julian den Beprftsentanten des griechischen, und
Jußtinian den Beprüsentanten des orieotaliscben. 8.578. Srsobliesst
diesen Abschnitt mit einer Lobrede auf den christlichen Geist,
dessen Zweck erhabener sei als der Socialismus, indem er die Erde
regiert, nur nm sie zum Himmel zu lenken. Der Scblussabsebnitt
des ganzen Bandes (XV: S. 579—598) behandelt die Begier^ngt-
maxime der Kaiser» und die Stelle, sowie die Persönlichkeit der
Cäsaren.
Völlig in Paarallele zu dem ersten Bande, behandelt der Veifl
in dem zweiten : Taoitus und sein Jahrhundert unter dem literari-
soben Gesiehti punkte , um die Berührungspunkte ^wischen diesem
und ersterem 9n finden nnd m erUutem. Aus der hier yerwertlie-
ten, sehr breit angelegten Darstellung wollen wir uns ynnftchainur
mit seiner Bedeutung als Gescbicbtsobreiber befassen, und seben»
wie Herr Dübois ihn auffasst (Bd. ü. S. 354-^.40$). Die Naeb-
richten über sein Leben sind hier Nebensache S. 884; weniger
Würde es freilich die Frage nach seinem philosophischen Stund-
punkt seiA S. 880, nach seinem religiösen S. 384, endliob nafch
seinem moT^Useben und inteUectuellen Wesen. S. 837 ff.
Die Methode unseres Monographen besteht nun darin, d&ss er
die Geschichte der Literatur seit Augustus nach Gkkttungen oder
9ch]»)4^ «Is S^nlctituDg m seinen Disouraen über Twitus betraohtet
und behandelt bat. So begegnet er sich hier aalt Tbieray'i TaUemu
df f Empire romain*), xnit der EinHohrtalnmg, dass er eben nur
die Litoiutarheroen bis auf Tacitas in seine Betrachtang über die
»literarische Bewegung«, wie er die Entwicklungsgeschichte der
Literatur nennt, hereinzieht. Zuerst behandelt er Sehnlen (Gattun-
gen) und Schultraditiott S. 59ff.| deren Ergebnis« darin besteht»
dass er der kaiserlichen Literatur die Yolle Ebenbürtigkeit mit der
republikanischen einräumt, soweit sie sich des Unterschiedee der
Schulen nach Massgabe der Dichtungsgattung bewusst war« Nun
kam aber der Begrifi des Handwerks auf; man qu<e sich akBe«
ruf an^ was nicht angeboren war. Als Dichter sind Brutus, Oioeron,
Julius Cäsar niemals bekannt gewesen, oder aber sie mussten wtLn«
sehen es nicht zu sein. Wo sind Mäcena, Gallien, GaUus selbst»
den Yirgil verherrlicht? Wo sind Bassus, Terentius, Secundus
u. B. w. Solche Fragen legt sich der Verf. Yor, ohne zu ahnen«
das» wenigstens die philologische Jugend Deutschlands sich mit
ihren soi-disant dichterischen Fragmenten befasst Das beweist
nichts für ihren dichterischen Werth, und meistens sind auch die
Fragmenteiijäger im Stande, den letzteren zu beurtheilen. Wir
wollten mit dieser Episode nur andeuten, dass dem Yerf« bei seinem
Streben, dichterische ^Tradition (Schule) und dichterische Nach-»
abmung (Handwerk) wesentlich auseinander liegen. Diese letztere
lehnte sich zonächst an die stoische Schule an, mit der die virgi-
Uscbe Schule die Beinheit ihrer Bichtung, bei Übrigens Yersohie-
denen Materien, gemein hatte« Aus der Schule, welche sich um
die Stoa hemmdrängte, si c'tn est une^ leitet der Verfasser die
Gorruption in der Literatur ab ! S. 85. Hier lebten, wie in ihrem
Heiligthum, und mit Buhmredigkeit, die Oesuchtheit, der Bealis«
mus, d. h. der gewöhnliche Sensualismus und das System derwdd^
klingenden Kleinigkeiten, ein Ausdruck des Horaz (Ars poäita)^
dem somit der Verf. seinen Standpunkt entlehnt, ungeachtet der
fehlenden Docimiente, da in diesem Sinne damals Literaturgeschichte
nicht geschrieben wurde, wie heute, unter dem Gesichtspunkte des
Naturgesetzes von Werden, Blüthezeit und Yerderbniss, hat der
Verf., begünstigt von den Früchten seiner Nachforschungen in Se«
neca, Quintilian und Lucian, doch das Thema vom Oonterfei des
Genialen, das nur seine eigene Bewunderung für sich reden lassen
kann, zum Yerständniss gebracht Das konnte in der Liierator
einer Zeit, wo die subalterne Coterie bestimmend war, und an die
Stelle des wahren Schönen, dessen sie un&hig war, das poetisch
gemachte Hässliche trat, nicht anders sein. Die virgilische Schule
und die stoische vergleicht er, für den, der Personification liebt,
mit den beiden grossen Schauspielern Demetrins und Stratokles
(Namen bei Quintüian). Für die Schule der Gorruption erb<H;gt
er von Lucian die Bolle des Tragikers, der den rasenden Ajax dar*
•) Siehe unsere Anietge, Heidelberger Mirbfteiier ISM« Vm. ft
606 Dubois: Tftcite et Bon sUde.
znsteilen hatte, nnd das znsclianende Pnbliknm in seine Baserei mit
fortriss.
Als Ausgangspunkt fUr die Verschlechterung des Q^sohmaclcs
bezeichnet der Verf., S. 93, das Auseinandergehen der Meinungen
über das, was literarische Yollkommenheit ist, bei den Meistern.
Er beruft sich hiefür auf eine Stelle bei Seneca (Epist. 114). Diese
bringt ihn zu der Querelle des anciens ei des modernes, die schon
das alte Born aufgeregt habe, und Ton der der Dialog des Tacitus
De oratoribus ein Beweis sei. Er gibt dem jüngeren Plinius Becht,
zu denken, dass man die Alten zu schätzen verstehen müsse, ohne
die Modernen zu verachten (Epist. VI, 21). Er beschliesst diese
Erörterungen mit deraUrtheil: > Manches Jahrhundert ist Erfinder,
manches andere Nachahmer und üebersetzer; aber jedes Jahrhun-
dert hat seinen Qrund zu sein, und das Einzelschöne jeder Epoche
bildet ein Totalschönes für das menschliche Geschlecht Ebenso
wie ein Volk Vorgänger hat, eine Sprache und einen Charakter die
ihm eigenthümlich sind, hat es auch eine Literatur gemäss seinen
Vorgängern, seiner Sprache, seinem Charakter. Ans den nämlichen
Gründen hat jedes Volk ein ihm eigenes Ideal, denn es fügt sein
Ideal seiner Persönlichkeit hinzu, und wie «ein Volk sich dauernd
verändert, so verändert sich sein Ideal selbst mit seiner Alters*
stufe. Ich nenne dieses Ideal relativ, weil es einem einzigen Volk
angehörig ist ; combinirt man aber die Principien, welche als Ideal
mit Bezug auf jedes Volk gedient haben, so wird man daraus ver-
möge einer mit der Geschichte verbundenen Prüfung Etwas ge-
winnen, was über allem partiell Idealen ist. Dieses Etwas wird das
absolut Ideale sein.« Soweit der Verf., S. 97, der hieran nun
(«inige Beflexionen über das absolut Ideale anknüpft, und zuletzt
noch in Erwägung nimmt, in welchem Grade sich das römische
Ideal demselben angenähert hat. Diesem Zwecke dienen dann die
nächsten Seiten, femer die fünfte Abhandlung, welche sich specieü
mit Schriftstellern befasst S. 107 ff. Hier bietet sich dem Leser
eine Würdigung der Philosophie des Seneca nach Inhalt und Form,
und zum Schluss eine Parallele zwischen diesem Spanier und den
Franzosen Voltaire und Bousseau, sowie, S. 120 ff., eine Zergliede-
rung und Untersuchung der Pharsalia von Lucanus, dem Sänger
des Unglücks gegen den Erfolg, wie HerrDübois ihn nennt. Für
ihn ist das seine gefährliche Partie ; aber er hat die Vorsicht, die
hinreicht, um sich aus den Netzen zu retten, die der Dichter ihm
stellt. Die Hauptsache ist, er will nachweisen, dass Lucanus, ob-
gleich er seinen Beruf als Epiker verfehlt hat, ebenso die patri-
cische Opposition vertrat, welche sich unter der Form des Stoicis-
mus darstellte, wie Seneca und wie nachmals Tacitus. Zu diesem
Zwecke macht er sich eine Beihe von Stellen aus der Pharsalia
dienstbar. S. 134 ff. Uebrigens machten sich drei Faktoren den
Dkhter streitig, die patrieische Gesinnung, der stoische Standpunkt
und der Berof als Bömer. Als Stoiker besingt er in edler W<
ei8ۀ
Dnbois: Taolte etsMi tlAole. 90T
die Sacke des Hecbtes und des TJnglflcks; als Patricier feiert er
eine nnmögliche Sache, und eine verfehlte Grösse ; er verkennt nicht
die Katastrophe (les neeemt^s) von Pharsalus; er vermengt — sehr
bezeichnend fttr den Standpunkt von Herrn D. I — O&sar mit ge-
meinen Ehrgeizigen; als ROmer erforscht und erklärt er anf be-
wnndemswerthe Art die Quellen des republikanischen Untergangs;
er geisselt die socialen Verderbnisse, welche die Völker vernichten;
er brandmarkt die Friedensstörer Rom's. Indem der Verfasser so
raisonnirt, zeigt er, dass er diesem Thema interessante Seiten ab-
zugewinnen gewusst hat. Die allgemeine Erörterung über Lucan
schliesst er mit dem Ausspruch: So war Lucan in dem Beiche der
Idee ! Dann, S. 140, kommt er zu den Einzelheiten der Pharsalia,
ihren Fehlem (Monotonie, Mangel an Begrenzungen und an Colo-
rit) u. s. w.
Der nächste Schriftsteller, und Oegenstand einer eigenen Ab-
handlung, S. 146, ist Juvenal! Der Verf. nimmt den traditionellen
Juvenal für complett, ohne Frage nach den kritischen Arbeiten,
welche anderswo, in Deutschland zumal, doch nicht so geradezu
alle sechszehn Satiren für baare Arbeiten Juvenals gelten lassen.
Man kann freilich nicht wissen, ob nicht die Kritik, die sich aus-
toben muss, wie jedes böse Fieber, wieder einmal glRubig wird.
Für diesen Fall hätte der Verf. Recht gehabt, sich ruhig an den
hergebrachten Text zu halten, und Alles herauszulesen als ge-
eignet, JuvenaPs Hass und Liebe zu erklären. Die Zergliederung
der verschiedenen Eigenschaften dieses Dichters, von der wir un-
vermerkt gefesselt werden, erweitert sich bald zu einer Darstellung
aller möglichen D^sordres im damaligen Rom, wozu die Trägheit
des Armen und die Schlechtigkeit des Reichen contribuirten. S. 159.
Dem Charakter JuvenaVs lässt er Gerechtigkeit widerfahren^ indem
er weder misanthropisch sei, noch ausgelassen, S 161, zu welchem
Ende er es unternimmt ihn mit den Schöngeistern zu vergleichen I
Er kommt zu dem Ergebniss, S. 170, dass Juvenal mit der stoi-
schen Strenge den gesunden Menschenverstand des Epioureismus
nebst Anklängen an das Ohristenthum verbunden habe.
Die noch übrigen Seiten dieser Abhandlung sind der Form
gewidmet, in Bezug worauf der JuvenaPschen Satire epischer und
Genie athmender Charakter zuerkannt wird. Dabei fehlt es nicht
an herbeigezogenen Parallelen aus alten und neuen Dichtem.
Die nächste Abhandlung ist der Erörterung über das römische
Ideal gewidmet, also eine Art ethnologischer Studie unter dem
literarischen Gesichtspunkte. S. 178 ff. Manches wird aus früheren
Abhandlungen noch einmal wieder zusammengefasst, Vergleiche mit
Griechenland gezogen, die spontane Literatur als der einzige par-
tielle Ausdmok der Gesellschaft festgestellt, und der römischen
Literatur die Individualität abgesprochen, insofern Rom seine Per-
sönlichkeit dem griechischen Genius unterordnete. Hiemach be-
tu. Pubolai TMltoMtoB dtek.
Btirnni« sioli dar salbstBttodige Werth der y^radUedaii«!! Yoa Bom*s
S(dirifl»t6Ueni angebauten Oattongen.
Noch eine Betrachtung wird, S. 204» dem jttdiaohen Element
gewidmet, was ein sehr richtiger Gedanke yon dem Ver& war. Di«
geographieohe Läge Jadfta*8 hatte diesem Volke eine weltgeschicht-
liche Aufgabe smgewiesen. Sein Geist war bestimmt sich in der
römischen WeU anszubreiten, und breitete sich auch ans, und zwar
vermittelst der Bibel! Der Verf. erörtert die Frage, was die Bibel
ist, formell und materiell, und findet dort, dass sie weder ein Ge-
dicht noch ein Drama sei, hier, dass sie weder eine (jeschiohta,
noch ein politischer, richterlicher oder moralischer Codex seL £r
nennt sie eine — Enojolopädie ! Die Bibel, sagt er, enthalt Oott,
das Weltall, die menschlichen Gesellschaften, den ganzen Menschern
in der umfassenden Weite dieses Wortes 1 S. 217. Er glanbt an
die Inspiration auf jeder SMte dieses Buches. Formell ist sie ihm
fortwährender Dialog eines Volkes und Gottes 1 S.219. Er kommt
u. A. dann auf die Schrift yon Bossuet zu reden: La PclUiqui
ür/4 de l'Eeriiure sainle, und liefert dann einige Beitrage im Sinne
einer biblischen Philosophie. Zuletzt betrachtet er das Verhältnin
der Darstellung des Taoitus zur Geschichte der Juden. 8.281. Das
Erbleichen des Glanzes der römischen Literatur, der in Tacitns
seine intensivste Macht äusserte begegnete sich mit der Ausbrei-
tung der christlichen Idee. 3. 282 ff. Man hat hin und wieder
einen Uebergang aus dem Heidenthum behaupten wollen. Der
Verfasser erinnert daran, wohin die rein literarische und philoso-
phische Bewegung des heidnischen Geistes geführt habe, zu —
Apuleius I Dann fragt er, S. 236, wie weit es sei von Apideius zu
dem heiligen Augustinus, dem grossen Christen yon Carthago?
8. 286. Aus der Civücu Dei entnimmt er die Beweise, wie wesent-
lich erhaben die fromme Sammlung über die glftnzende Geschwätzig-
keit des Apuleius ist? Die heidnische Literatur hat durch ihre
blosse Fortentwicklung nicht zur christlichen geführt. Dazu hat
es eines übernatürlichen Elements bedurft, welches eben das jüdische
gewesen ist. »Ich habe, so schliesst er, mit der allgemeinen Be-
wegung der römischen Literatur bis zum Eintritt des christlichen
Geistes geendigt. Ich kann nicht in meinen Bahmen die Geschichte
begreifen; sie ist ein zu weitschichtiger Gegenstand, um nicht ge-
sondert behandelt zu werden, wenn es sich darum handelt, über
das Alterthxmi, besonders über Bom, zu urtheilen.€
Jetzt wäre Tacitus und seine Beurtheilung an der Beihe ; aber
er lässt dieser Aufgabe noch eine Abhandlung vorher gehen« eise
Beurtheilung der alten Geschichte im Hinblick auf ihren moraü-
sehen Gdialt, wovon er sich den Erfolg verspricht, alsdann TacitoB
im Geiste Bom*s und in seinem« d. h. des Tacitus, eigenen zu be-
uvtheilen: »De VHuMre dane 9on enseignemenl, c^eai'ä^ire dans iea
prineifiee qui comtiUfieni sa moralM,'^ S. 241 ff. In dieser Ahhaiod*
hm«, welche aobtssig Seite» filUt, ^Mmn die groMen Tinrgftnger,
Herodot, Tbnejdides nnd Xeaophon eine eingehende, geeobiobÜich
erUnterte, yon Lektüre nnd Veniftadies «engenda Prttfiing; eie ist
insofern von Wiohügkeit, als sie zeigt, welchen Stadien der Ter»
feaier eich nnierziebt, nm das ürtheil ttber Tacitne mDgliohetgrOnd-
lieh nnd nmsichtig Torsubereiten. Anf s Nene wird ferner anoh
hierans wieder die Belebnmg gexogen, dase die Griechen nnsere
Lehrer, wie im Verbrechen , so in allen Künsten sind, nnd mit
Becht Klage darüber geführt, dass die griechischen Oeschicht-
schreiber so wenig die schlechten Lehren Ciurrigieren, welche die
Thatsachen liefern, dass, wenn sie dieselben nicht fi^mlich gnt«
heissen; was ihnen bisweilen begegnet, man fast niemals weiss, ob
sie dieselben missbilligen ; nnd dass im besten Falle der Oeschicht-
tohreiber, der sich enthftlt die Förmlichkeiten, welche er erzahlt,
ea prüfen, Ihnen erlaubt daran zu zweifeln, dass er damit einyer-
standen ist.« 8. 271. Man Tersteht, woranf der Verf. die Frage
hinbringen wird. In Thucydides behauptet er den Artisten zu be-
wundern, nicht den Moralisten, was zur Folge hat, dass der histo-
rische Unterricht, das Emeignemtnt hisUmgiu, daronter leidet.
Mit Thncjdides berührt sich Tacitns in formeller Beziehung,
wie das der Verf. im Verlaufe seiner Darstellung, 8. 456 ff., 498 ff.
einrünmt.
Nach diesen dem Verf. abgelauschteu Gesichtspunkten wollen
wir zu der Bekanntschaft mit seinem Kapitel über Tacitus als
Oeschiehtschreiber zurückkehren. 8, 854 ff.» dem Hauptkapitel die-
ses Bandes uud seines Werkes überhaupt. In dem Kapitel, wel-
ches vorhergeht, nnd wo er die Persönlichkeit des Tacitus nach
seinen Werken schildert, aber im Unterschiede davon, und wo er
den gansen sittlichen Charakter dieses hervorragenden Mannes nach
Möglichkeit aufgestellt hat, hat er ihn nicht ohne Schwächen ge-^
innden, wie er sagt, aber als Oeschiehtschreiber ist Tacitus, wie
er nunmehr dieser (ZIU.) Abhandlxing vorausschickt, eine äusserst
sittliche Strenge ! Auf sechs Unterabtheilungen vertheilt, betrachtet
die Abhandlung zuerst das Verhältniss der Tacitus'sohen Ge-
sohiohtsohreibung zu der 8uetoniscfaen, vgl. S. 863, das er dahin
bestimmt: »Sueton ist eine gewöhnliehe Schlechtigkeit (m/ehatä);
•r ist es aus Charakter; Tacitus ist es nur aus Geist, Suek>n er-
dichtet Facta, Tacitus Absichten; der Erstere ist mehr Lügner,
der Andere mehr Schwarzseher.« S. 880. Hiergegen liesse sich
Viel einwenden; aber -^ Esfempla trahunti Möge der Tiberins des
Buetonius gegen den Tiberins des Tacitus zeugen! Der Ver& unter-
sucht auf üehn und mehr Seiten die Geschichte Tiber's unter Be-
zugnahme auf Beide und kommt zu dem Besultate, dass der Tibe-
rins des Tacitus nicht der Tiberins Bom*s ist, oder dass vielmehr
zwei Tiberil es bei Taoitus geb«, wovoos der eine falseh ist, wenn
dieT »ndere wahr ist Der Verf. neigt in einer Anmwkwig, 8. $90,
YOO H nbois: TVielie et Bon eltela.
der Barstelhmg des Yelleius Paterculue (ü, 129) sn; sie entspreche
mehr seinem Leben. Anf den Tacitns wendet er das Wort des-
selben über Tiberins an, »dass er zu viel Geist hatte, um sich in
'seinen ürtheilen conseqnent zu bleiben c (ut eällidufn ingeniunt üa
anxium iudiciufn: I, 81). Er beschliesst seine Untersuchung Aber
Tacitus mit der Bemerkung, dass man mit Yortheil die Begienng
Nero^s gerade wie die Tiberische untersuchen wlirde, und ohne den
Einen mehr als den Andern von den gerechten Anklagen loszu-
sprechen, welche sie herausfordern, erinnern wir uns^ dass Agrippina,
Tigellinus und Seneca die Sejane Nero's waren! — Zweitens
überzeugt er, dass man mehr, als anders wo, in der historiechen
Schule Bom*s lernt, wie die römischen Geschichtschreiber eine Lektüre
bieten, die ihres Gegenstandes würdig ist; die Beschreibung der
Kriege an den Ostgrenzen (Ann. XY, 10), den Fall von Jerusalem
(Hist. Y, 10), die gefährlichen Grenzen in Britannien (Annal. XU,
39. XIY, 29 etc. Agricol.), die in grossartigem Massstabe ange»
legten Expeditionen in Germanien, angefangen mit der Niederlage
'des Yarus, kurz, alle Auftritte zwischen Bom und dem Auslande,
bei Tacitus erzählt, grosse und kleine, erinnern an die Darsiellnn-
gen bei Livius und Sallustius. Dadurch hielt sich aber auch das
alte Bom unter dem Kaiserreich. S. 881 ff. — Indem so Tacitns
seine Yorgänger fortsetzt, nur unter der Einschränkung, dass mit
dem Gegenstande (d. h. den Zeitumständen) sich auch der Geist
des Historikers ändern dürfe, gesteht der Yerf. selbst den Tacitus
sich zumYorbilde genommen zu haben, und darum sogar als Titel
diesen grossen Namen gewählt zu haben. S. 888 ff. — Die vierte
ünterabtheilung beschäftigt sich mit den Yeränderungen , welche
Bom und Bom's Zeitgeist erfahren hatte. S. 891 ff« Er yergegen-
wärtigt sich, wie Bom^s Herrschaft nach Unterwerfung der damals
bekannten Yölker solide begründet schien, so dass Jeden konnte
nach diesem Machtzuwachs gelüsten, womit die Eintracht zwischen
Yolk und Grossen schwand und an die Stelle der Freiheit die Macht
eines Einzigen trat. Der Kampf galt ferner nur noch der Wahl
eines Herrn ! Mit dieser Auseinandersetzung sehen wir den Yer£
für die Darstellung des Tacitus die Anlässe zu dem Interregnum
von Nero bis Yespasian auffinden, und die Wandelungen in den
Begriffen von Monarchie und Bepublik. Bom ist das Schlachtfeld
(Histor. n, 82. vgl. I, 87, wo der Ausbruch Otho's), und das
Kaiserreich ist der Imperator! An der Stelle des Yaterlandes mid
der Bürger, gibt es nur noch Mannschaften. Was Ton dem alten
Bom noch überlebend geblieben, beschränkt sich auf einen Rest
von jenen Sitten, welche die Freiheit gründeten und ihre Stellver-
treterin sind. Es sind die alten Grundsätze. Tiberius sagt von
einer grossen Persönlichkeit, von Bufus, er sei der Sohn seiner
Werke, und verkündet hiemit den Grundsatz der Gleichheit (AnnaL
•XI, 21), er stellt so zu sagen das Theater des Pompeius wieder
D tt b 0 1*8 ; Taciie «t son «i^cd«. 701
her, ohne die Namen zu ändern, (Annal. in, 72), hiemit verkün«
digt er die politische Dnldongl Dergleichen Züge gibt es noch
9cbiedene; auch der Senat liefert Beispiele dafOr. Kurz, länger
als die alten Einrichtungen lebten Sitten fort, Grandsätze, welche
den alten römischen Geist wach erhielten, freilich nicht ohne Misch«
nng, und auch der neue Geist war nicht ohne Einfluss. Das Wohl-
gefallen an ungebundenem Leben war etwas Neues« So konnte
man Drusus seinem strengen Vater vorziehen (Annal. HI, 37),
entnervende Spiele auf der Bühne den blutigen Spielen im Girkus
(XrV, 14. XV, 20); dass mehrere Mitglieder des Senats ansge-
stossen wurden als Fälcher (XI, 14.); dass man den Tod eines
Kaisers verhehlte, bis der Astrologe die Anzeige davon gestattete
(Annal. XII, 68); dass ein Kaiser wagte sich in einer heiligen
Quelle zu baden und sie durch solchen Schmutz zu entweihen
u. s. w. Der alte Geist und der neue Geist, sagt der Verfasser,
scheinen sich zu vermischen, oftmals in einem und demselben Men-
schen z. B. in Asiaticus, der lieber sein Leben als die Schatten
seines Gartens opfert; oder in Fetronius, der so weichlich lebt,
obwohl kräftiger Gonsul und Proconsul ; oder inOtho, der, alsPro-
consul oder Kaiser, seine Privatschwelgerei wieder erlangt, und
bei so vielen Anderen, ungerechnet die Vertrauten des Augustus •—
Mäcenas und Sallustius — , welche mit so viel Seelenkraft so viel
Hinfälligkeit verbanden! Wer denkt nicht, unter dem Gewichte
dieses Zusammenhanges, jener starken Seelen, die noch ganz jenes
alte Gepräge verriethen, die auch Hr. Dübois namhaft macht, oder
auf die er anspielt. Doch der neue Geist macht die neue Zeit, und
das Privilegium, was dem alten bleibt, ist sein — Tod I Mit dieser
altrömischen Todesverachtung hatten die Kaiser vielfach zu rech-
nen, besonders bei denen die besser zu sterben, als zu leben ver-
standen! — In der fünften ünterabtheilung hebt der Verf. an
Tacitus das allgemein menschliche Interesse hervor, welches seine
Darstellung hervorruft. Doch stossen wir auf einen Widerspruch,
dass er nämlich, der die Lehre vom Fatalismus bekennt , sich in
die Inconsequenz bringt, die menschliche Verantwortlichkeit zu ver-
kündigen, und ihren Standpunkt zu üben. Darum scheint es, dass
er besser gethan hätte, die aus der Jugend herübergenommene
stoische Moral u. s. w. verständig zu sichten, da doch die sittliche
Natur mit Ueberlegenheit das Bichteramt in der Geschichte zu
hiuidhaben berufen war. Aus diesem Widerspruch entspringen viele
logische Ungereimtheiten in seiner Darstellung, der Verf. bemerkt,
S« 398: »Tacitus schloss nach meiner Meinung nicht richtig aus
sem Gesammtvorrath der Thatsachen, welche er constatirt. Handelt
es sich um die Kaiser, so lässt er sie viel besser handeln, als er
die malt oder beurtheilt. Handelt es sich um die Stoiker^ um den
Adel, um diejenigen zumal, welche den Zorn der Kaiser verdient
habeui so malt xmd beurtheilt er sie besser, als er sie handeln
tDi Oiiboiffs TKdie et sbii üM«.
tll88t. Die von ihm entworfenett Mder seiner Per«8nIMikeitea
entspi^hen nicht dem Leben, welehee er ihnen beilegt Der Artist
überwiegt hier den Historiker ; dasistfnndamentall« So nrtheiltHn
DUboisl Er kommt wieder anf Nero zn reden, nnd macht sm
Taeitns wahrscheinlich, dass der Kaiser sich nicht für verbredbe«
tisch hielt, nnd dass der Mensch oder der Sohn mehr gefehlt hatte
als der Fftrst, nSmlich anlässlich des Brandes oder des Matter«
mords. Hieratrf wird ans Taeitns Aehnliches fUr Tiberins ermittelt^
welches amfii Kene darthnt, wie schwierig es ist, diese probiema*
tische Hatnr zn zergliedern, wenn, nm sie sn erkoinen, es der Zer-
legung in verschiedene Willensrichtnngen bedarf. Taeitns hat sieh
in dieser Schwierigkeit verfangen, indem er Tiberms schildert, wie
er zerrissen wird von Glewissensbissen, eis Kaiser« Hier bringt der
Artist in ihm den Staatsmann ztEm Falle! -^ Die letzte Unterab*
theihmg besoiiftfligt sich mit Taeitns als Moralisten. S* 400'. Der
Terf. Iflsst merken, dase er fast mehr noch Prediger ist, aber nur
insofern er den Versuch dazn mache. Wirklieh Pre^ger zn seäi,
dazu gehöre ein flbematürlicher Zweek, der erlaube, in dem Fllrsien
einen Mensehen zn sehen, und jenen diesem unterzuerdnen , ak»
das Christenthum. Der Yerf. findet also fehlerhaft, dase er einen
Ton anschlugt, wie die christlichen Prediger, ohne doeh weder
noch Christ zu sein, und erkennt hierin mehr einen Miesbranii
seines grossen Geistes als einen Fehler seines Herzens 1 Niehta-
destoweniger rftumt er ihm das Verdienst ein^ den Menschen
in die Geschichte eingeführt zu haben. S. 402. j^TaeiU
a irdroduU f komme dans VMstoirej c^est f komme, tf^t tkumcanU
qi/Ü raeonie en raeotüant Rome d les Romain»» ffü fausse akm
la partie poHtique de Vhistoire en eubordonani iout ä la mor^tU
priv^e, et f komme public ä Fkomme, ü n'en ^tend pae moine ftortL
gon kigtori^e de tous he aspeets qtu fournii eetU tnisle äude^ tkomme/'
Zu diesem so eben anerkannten Verdienst, tritt in Taeitns' Oe-
schidttschreibung noch ein zweites, welches, nach des Ver&seers
Vrtheil, weder die Griechen gehabt haben, noch die flbrigen SOmer,
das ist das Gefühl (h eentiment), ^Les Grees rciieennen^ sagt er,
les tmtref Romcrim raisonnent et moräHseni; Taeiie eeni, Ü &eml
vivemeni; ü impreedonne commt & sent. Dem» se» tabUaux le» pto
terribhsy ^est hx pHie qui domine, Phts la iyrann^ ffexaUe eipunä,
plus la p&U de Vkishrien s^aecroit ä eonsale. Ce n's9< pc» ea phune
qtti eM ierU ee bktepkeme „que la pÜU n^est pa» poHtique^, eetfmMt
»i les iyrans mSme- n^a^aitTÜ pas heeoin de piiUj etue qm, »i »ouveM,
foni pV^l Ott, eommt ri les phts crud» des tyrun», It» tyran» popu-
hrires, ita^nA smU dignes de pUi^F Diese EigenschafI bei Tacit«
nennt der Verfasser Vimpressionnab&iU oder die i^igteeit, Em-
drücken zu folgen. Als drittes Verdienst rühmt der Verftuner an
Tadtus, dasff er das öffe-ntliche Gewissen geschaffen harbe.
;i,B a eQn8aer€ eomme mveni^, ce grani mott la eonscknee du j^ettre
Ihi^dli! «Mite et Mi tlM«. «OB
hmmain/^ Hi6rcitiiierAgiiool. 2: Mmdeniam fmeris kumanL Dum
fthrfc er Ibrt: „Au nom de ceUe canacienee, ü rmd de$ arr9$ que
la poMriU peut dUeuier, sans douUj mai» qi^ette honorem mSme m
Im discutüffU, ä eatae de tUüention gAUreuse gui Ue dkie.'' Nim
imiefrflcheidet der Yeif. freilich seine arrSts polUig[ue$ Ton seinen
arräe moraux. Der Gtrand davon ist, dass bei Taoitns die Al>-
siolvien die Urtiieile überwiegen. Weshalb sehr schwer seine poii-
tische Schnle zu zergliedern wäre. Denn fiist fiberalt ist sie Ton
der Moral absorbirt. Da das historische Lehrfach des Tacitas mehr
BHoke (ifUmihn$) als Beweise hat, so kann man es nicht im Ans*
znge Tsrarbeiten, man durchdringt sich damit. Es macht sich
fahlbar in dreifacher Bexiehong durch sein tteht r5mi8ches Schick sn
schelten ; dnreh seine Hinneigung, sich in Etwas hiseinsBTsrsetzen,
und endlich durch seinen Geschmack für die Kunst d. i. ftlr sein
Temperament als Artist. Das Alles macht Tacitns zu einem Tiel-
heitliohen Geiste, der nur von sehr gereiften Geistern gelesen wer-
den kann. Der Geist der (beschichte (des affßiree) ist nii^t allein
nOthig, um die ganze Tragweite des Tacitns zu begreifen; er ist
noch n^hig, um ihre falsche Tragweite zu berichtigen. Anlässlich
des Justus tiipsius, der Tielleicht der berufenste Leser des Tacitus
war, drückt sich der Verf. in Worten aus, welche beweisen, wie
hoch er yon Tacitus hält: ^Quand JusUrLipBe, sagt er, dii que ntU
auietir ne Va plus iclairi que Taeite, je le crois sans peine, 8i
e'^etit Jueie-lApee qui proftttxU de eet aukur, a^iMi JueU-^Lipse qui
ie HeaU; ii aoaä ee Bemexquie, ee' sixiStne sene qtiüfüki, eeten
/«t, poHv lire TaeUe.^ Der Verfasser oitirt dazu die Worte des
Lipsins (aus der Vorrede zur Elzevir'schen Ausgabe aus dem Jahr
1634}: „Acute arquteque scrijmsee faieor, H iaiUg eate debere qui
eum Ugurd.^
Nun folgt bei dem Verfasser eine besondere Abhandlung über
die Geschichte in formeller Beziehung, oder über das acntike Ideal
in der Kunst der historischen Composilion — eine Abhandlang,
welche von den Vorgängern des Tacitus untev dem fermeUen Ge-
sichtspunkt hat. S. 406 ff. üeber Tacitus als Schriftsteller verbrei»
tet sich die Fortsetzung derselben. S. 498 ff. Hier werden, unter
fünf Gesichtspunkten, zuerst die Schriften beleuchtet, dann Tacitus
mit Sneton und Seneca Tcrglichen, drittens seine Vorzüge hervor-
gehoben, viertens seine Beredtsamkeit speciell rühmend entfaltet,
und fünftens ürtheile Anderer über Tacitus beleuchtet.
Dann folgt, S. 549, die sehr umfangreiche, mit vielem Auf-
wand von Lektüre zusammengetragene Vergleichung zwischen
der historischen Schule Griechenlands und Boms, eine Abhandlung,
in die Machiavell und Bossuet, sowie die moderne Schule der Ge-
Bchichtschreibung hereingezogen wird.
Den Abschluss des Werkes bildet eine allgemeine Paral-
lele oder Berührungsfragen zwischen der alten Civilisation und
704 Ol^tBsebmABns Di« Aiifb«reitimg.
den modernen Zeiten seit 1789, 8. 600 ff., diese Abhandlung iat
das Feld, wo Yico und Herder, Montesquien und Boasnet zu reden
haben. Sie wird das Priyatleben (Vordre privi)^ das öffentliche,
das wissenschaftliche und philosophische, sowie die Meinungen, das
literarische Leben und die Sitten der beiden zusammengestellten
Zeiträume umfassen.
Was sollen wir, unsere üebersicht beschliessend , über dieses
eigenthümliche Werk sagen? „Um vciste iiudeF ist der erste Aus-
ruf, der uns entschlüpft. In der Ableitung der literarischen und
psychologischen Wahrheiten durch breite Ghründlichkeit gekenn-
zeichnet, yerdient es wegen der Originalität in den Ansichten, und
wegen der fesselnden Reflexionen grosse Anerkennung.
Heidelberg. Dr. H. Doergens.
Die Aufbereitung. Von M. F* Oäizschmann, Bergralh und
Professor der Bergbaukunst an der K, 8. Bergakademie in
Freiberg. Vierte Lieferung. fSchluss des ersten Bandes.) MU
10 lithographirten Tafeln und vielen in den Text eingedruckt
, ten Holasehnüten* Leipzig. Verlag von Arthur Felix. 1865. 8.
8. 545--'720.
Von den Mheren Lieferungen dieses gründlichen Werkes haben
wir bereits Bericht erstattet. Mit der vorliegenden vierten schliesst
der vierte Band. Es werden in derselben die verschiedenen Arten
von Mühleu beschrieben, so wie die Abläuter- und Sortir- Vorrich-
tungen. Die eingedruckten Holzschnitte sind vorzüglich, wie denn
überhaupt die Ausstattung des Buches nichts zu wünschen übrig
lässt.
Ein zweiter Band, der ebenfalls in Lieferungen erscheint,
schliesst das ganze Werk. In demselben sollen die Schlämen- und
Setzarbeiten abgehandelt werden.
G. Leonhard.
Ii. 46. HEIDELBERGER ISOS.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Eralagerstätten im Banal und in Serbien, Beschrieben von BernK
von Cotta, Professor der Oeognosie an der k, Bergakademie
SU Freiberg. Mit 26 Holzschnitten und einer ehromo-lithogr.
Tafel. Wien 1866. W, Braumüller, k. k. Hofbuchhänditr.
8. 108.
Seit einer Reihe von Jahren beschäftigt sich B. y. Cotta
hauptsächlich mit der üntersuchnng und Vergleichnng der Erzlager-
stätten verschiedener Länder und hat zu diesem Zweck nicht wenige
Erzreviere besucht, um durch Selbstanschauung sich noch näher zu
belehren. Im Sommer 1863 unternahm v. Cotta eine Reise in
das Banat, welche wegen der Fortsetzung der Erzlagerstätten-
Zone noch nach Serbien ausgedehnt wurde. Die Forschungen von
C o 1 1 a ' 8 haben aber nicht allein in Bezug auf die Erzlagerstätten
des Banats interessante Resultate geliefert, sondern auch hinsicht-
lich der mit denselben verbundenen Eruptivgesteine.
Eslässt sich durch das ganze Banat und von da nach Ungarn
und Serbien, eine, von Süd nach Nord laufende, 30 bis 40 Meilen
lange Zone von Eruptivgesteinen verfolgen, welche von jüngerem
Alter sind, als die Schichten der Jura- und wohl auch der Kreide-
Formation, da sie solche mehrfach durchbrochen und stark ver-
ändert haben. Die petrographische Beschaffenheit dieser Eruptiv-
gesteine, ihre Zusammensetzung und Structur ist sehr verschieden ;
sie wurden zeither bald als Syenite, bald als Granite bezeichnet,
obwohl sie keines von beiden. Sie nähern sich am meisten der-
jenigen Abänderung des Diorit. welche Breithaupt als Timazit
bezeichnet hat (nach dem Vorkommen an den Gehängen desTimaz
im östlichen Serbien). Sie bestehen nämlich aus einem klinokla-
klastischen Feldspath (wohl meist Oligoklas), aus Hornblende, Glim-
mer und zuweilen noch Quarz. Von unwesentlichen Gemengtheilen
enthalten sie besonders Magjieteisen , Titanit und Epidot. Die
Grundmasse ist bald dicht, bald feinkörnig. Der Kieselsäure-Gehalt
der Masse schwankt zwischen 67,4 und 54,8 mit verschiedenen
mittleren Werthen, so dass also ein üebergang von sauren zu ba-
sischen Gebilden statt findet. Cotta fasst alle diese Gesteine,
weil sie geologisch zusammengehören und nur Modificationen einer
Eraptivmasse sind, unter dem Namen Banatit zusammen. Geolo-
gisch stehen wohl die Banatite dem Timazit am nächsten, der in
Serbien, Ungarn und Siebenbürgen sehr verbreitet, häufig von Erz-
lagerstätten begleitet ist und wo er mit älteren Tertiärbildungen
in Berührung tritt, solche durchsetzt.
XjVIIL Jalu& 9. Heft. 45
706 V. Cötta: KraligerBtllttefl.
Die Banatite werden an ihren Grenzen, znmal gegen die you
ihnen durchbrochenen Kalksteine, von auffallenden Contact-Eracki-
' uungen begleitet, welche sowohl rein mechanischer Natur sind^ als
auch von solchen, die auf gewissen Aenderungeu, auf der Nda-
bildung mancher Mineralien beruhen. Wenn schon der Gharacter
der Erzlagerstätten im Allgemeinen ein übereinstimmender, zeigen
sich doch an einzelnen Orten verschiedene Mineralien. Die Gontact-
Bildungen müssen von den eigentlichen Erzlagerstätten getrennt
werden; letztere zerfallen aber wieder in ursprüngliche (Schwefel-
metalle) und in Ümwandelungs-Produkte (wie z. B. Brauneisenen).
Diese drei Arten von Lagerstätten sind von ungleicher und nn-
gleichzeitiger Entstehung; dennoch verlaufen sie in einander. Die
ursprünglichen Erze sind in die ächten Gontact-Bildungen verzweigt.
Die Zone von Erzlagerstätten lässt sich von Petris bei Lippa über
Moravicza, Dognacska, Oravicza, Cziklova, Szaska und Neu-Moldawa
im Banat bis Kuczaina in Serbien verfolgen; es reihen sich aber
daran noch Milova und Eezbanja in Ungarn und Radnik in Serbien.
Den ächten Contact-Lagerstätten gehören als ursprüngliche,
d. h. wahrscheinlich durch den Contact der Banatite mit dem Kalk-
stein ausgebildete Mineralien an; Granat, WoUastonit, Malakolith,
Grammatit, Asbest, Strahlstein, Vesuvian, Glimmer und Ealkspath.
Diese Mineralien bilden unregelmässige, krystalllnische Gemenge,
welche Gotta als Granatfels bezeichnet hat; sie sind wab^
scheinlich meist Producte der Verbindung von Ealkerde des Kalk-
steins mit den Silicaten der Banatite, durch Schmelzung unter hohem
Druck und hierauf folgender sehr langsamer Abkühlung im g^
schbssenen Baum. Mit den genannten Mineralien als secundftn
Eindringlinge oder als Ümwandelungs-Producte kommen in den
ächten Gontact- Bildungen noch vor: Epidot, Quarz, Bildsteioi
Steatity Serpentin, Chlorit, Magneteisen, Bleiglanz, Blende, ye^
achiedene Kiese,
Die Erzlagerstätten, welche erst nach der Erstarrung der Ba-
natite durch Ablagerung aus Solutionen in zufällig vorhandenen
oder durch die Solutionen neugeschaffenen Bäumen abgelagert wür-
den, enthalten als Haupterze : Eisenkies, Kupferkies, Fahlerz, Blei-
glanz, Blende, Magneteisen, begleitet von verschiedenen Zersetzung'
Producten, unter welchen Brauneisenerz am häufigsten.
Alle diese Erzablagerungen erscheine^ unregelmässige an
der Grenze von Eruptivgesteinen meist im Kalkstein, auch an der
Grenze zwischen Kalkstein und Glimmerschiefer. Nicht selten stellea
sich Imprägnationen damit verbunden ein, während regelmäas^
Lager oder Gänge gänzlich vermisst werden. Die unregelm^ssiv
Form war aber sicher durch besondere Umstände bedingt; als ä'd^
sind zu betrachten: 1) unregelmässige Höhlungen und ZorklüftiK
gen durch mechanische Kräfte beim Empordringen der^Banati
gebildet; 2) lokale Auflösung und Auswaschung des Kai^stein
durch die nämlichen Solutionen, aus welchen sich die £Ir^
Albertl: Die THa». TOT
lagerten und 3) nachtrttgliche EinstttrzTingen, Hebungen tind Senk**
nngen. Die Solutionen — anf ihrem nnterirdisolien Wege wohl
warme Mineralquellen — sind wahrscheinlich Nachwirkungen der«
selben plutonisohen Th&tigkeit durch welche die Banatite emporge-
trieben wurden.
Die Bildung der Erzablagerungen hat mit der Kreide-Periode
ihren Anfang genommen und durch einen langen Zeitraum hin-
durch fortgedauert, während dessen aber bereits auch die Umbil-
dung und Zersetzung statt fand.
Der geologische Zusammenhang aller dieser Erzlagerstätten
in einer über 30 Meilen langen Zone ist nicht ohne Bedeutung.
Er gibt dem Gedanken Baum: dass auch die Zwischenräume zwi**
scheu den bis jetzt im Banat bekannten Erzgebieten in der Tiefe
noch Erzlagerstätten enthalten, vielleicht weniger veränderte, vor-*
zugsweise aus Schwefelmetallen bestehend. Ob sie aber für den
Bergmann erreichbar ist eine Frage, welche sich immer nur für
den einzelnen Fall mit Sicherheit entscheiden lässt«
Die Erzlagerstätten des Banats stimmen nach ihrer Zusammen-
setzung, ihrer Form und geologischem Vorkommen am meisten
überein mit denen von Bogoslowsk im Ural, etwas weniger mit
denen von Schwarzenberg in Sachsen, Bochlitz in Böhmen, OfiFen-
banya in Siebenbürgen, Chessy bei Ljon, Bio Tinto in Spanien,
Christiania in Norwegen und Tunaberg in Schweden. Sämmtliche
lassen sich einer Olasse von Contact-Lagerstätten zurechnen.
G« Leottbard*
Ueberblick über die Tria$y mit Berücksichtigung ihres Vorkommens
in den Alpen von Dr, Friedrich v, Alberti. Mit 7 Stein-
druektafeln, Stuttgart. Verlag der /• (7. Cottaschen Buchhand^
Jung. 8. 1864. 8. XX. u. 863.
Ueber dreissig Jahre sind verflossen seit der Verfasser vor-
liegender Schrift durch sein treffliches Werk 9Beitrag zu einer
Monographie des bunten Sandsteins, Muschelkalks
und Keupers und die Verbindung dieser Gebilde zu
einer Formation« gleichsam den Grund zu unserer Eenntniss
dieser im südwestlichen Deutschland so sehr verbreiteten Gebirgs-
Formation legte. Seitdem sind in Geologie und Paläontologie so
bedeutende Fortschritte gemacht worden, dass es in hohem Grade
wünsohenswerth erschien, die Arbeit über die Trias-Formation
vom Jahre 1884 in kurzer Uebersicht zu vervollständigen und zu
Jbericbtigen ; mit grossem Dank aber ist es zu erkennen , dass der
^/^liverdiente Verfasser selkst die Aufgabe übernommen.
'^ Pie vorliegende Schrift zerfällt in drei Abtheilungen. Die erste
^^ildert die verschiedenen Glieder der Trias in ansteigender Ord-
V
708 Albertl: Die TrUka.
nong nach ihrer Reihenfolge und ihrer petrographischen Beschaffen-
heit. Es sind dies folgende: L der bunte Sandstein. Der
Verfasser unterscheidet a) Vogesensandstein (unteren bunten
Sandstein) und b) bunter (oberer) Sandstein. Diese Tren-
nung des bunten Sandsteines in zwei Gruppen ist aber nur lokal,
für den Schwarzwald und ftlr Vogesen, hingegen nicht fflr das
nordwestliche Deutschland oder die Alpen anwendbar. IL Muschel-
kalk zer^Qlt in: c) Wellenkalk, d) Anhydrit-Gruppe und
e) Kalkstein von Friedrichshall (eigentlicher Muschelkalk).
ni. Eeuper. In dieser Gruppe finden wir, verglichen mit der
früheren Schrift y. Albertis, eine mehr detaillirte und compU-
cirte Gliederung. A. Der untere Keuper oder di« Letten-
kohlen-Formation, vorzugsweise aus unterem dolomitischem
Kalkstein, aus Sandstein mit Lettenkohle und oberem Dolomit be-
stehend. Der Verf. hat früher die untersten Schichten dieser Gruppe
zum Muschelkalk gestellt, jedoch aus petrographischen und paläon-
tologischen Gründen seine Ansicht geändert. B. Der mittle
Eeuper, hauptsächlich aus bunten Mergeln mit Gyps, aus fein-
und grobkörnigem Sandstein zusammengesetzt. C. Der obere
Eeuper umfasst jenen Complex von Schichten, welche in letzter
Zeit so vielfach beschrieben und unter zahlreichen Namen (Täbin-
ger Sandstein v. Albertis, Bonebed der Engländer, Eössener
Schichten, rhätische Formation u. s. w. aufgeführt wurde). Es
schliesst sich also v. Alberti der Ansicht derjenigen Geologen
an, welche die »Eössener Schichten« als oberste Glieder der
Trias, nicht als unterste des Lias ansehen.
Die zweite und umfangreichste (S. 27—242) Abtheilung vor-
liegender Schrift betrifft die organischen Beste. Der Verf., früher
im Besitz einer ausgezeichneten Sammlung, die jetzt dem Naturalien-
Cabinet in Stuttgart angehörig, hat in der langen Zeit, welche er
der Erforschung der Trias widmete, ein sehr reichhaltiges Material i
zusammen gebracht,^ eine nicht geringe Anzahl neuer YersteineroB-
gen aufgefunden und zugleich die bedeutende Literatur über die
Paläontologie der Trias mit Sorgfalt benutzt, so dass die von ihzs
zusammengestellte üebersicht der organischen Beste der Trias ein^
sehr vollständige zu nennen ist. Wir müssen uns darauf beschic-
ken, nur einige der wichtigeren neueren Entdeckungen und Be-
richtigungen hervorzuheben.
Von Pflanzen in der Trias sind bekanntlich die Hauptlager-
stätten : der bunte Sandstein, der Lettenkohlen-Sandstein, der untere
Eeuper-Sandstein und das Bonebed. Die Pflanzen des bunten Sand-
steins — zur Zeit als v. Alberti sein erstes Werk veröffentlichte noch
wenig gekannt, haben seitdem durch Schimper und Monge ot
eine vortreffliche Bearbeitung gefunden. Es sind besonders von
Farnkräutern Anomopteris und Crematopteris, welche als
leitend zu betrachten. In Bezug auf die von dem Verfiasser al3
Strangerites marantaceus aufgeftthrte Fam-Species, w^elche
Alberti: Die THm. 700
im Lettenkohlen-Sandatein so wie im Sohilfsandstein eine Leit-
pflanze, ist zn bemerken, dass sie neuerdings von Heer — da die
Nervatur der Blätter wie ihr ganzer Habitus der Gattung Danaea
sehr nahe stehen, als Danaeopsis marantacea bezeichnet
worden ist. — Was die Equisetaceen der Trias betrifft, so müssen
gegenwärtig alle dem bunten Sandstein angehörigen
Formen desCalamites arenaceus zu Equisetites Mon-
ge o t i i gestellt, die Hauptleitpflanze des Lettenkohlen- und Schilf-
sandsteines alsEquisetites arenaceus aufgeführt werden. Das
Geschlecht Calamites ist im Keuper durch die Art C. Meriani
vertreten.
Die thierischen Beste der Trias sind im südwestlichen Deutsch-
land bekanntlich hauptsächlich im Muschelkalk zu Hause, unter
den wichtigeren Leitfossilien aus der Classe der Orinoideen führt
der Verfasser zunächst den Encrinus liliiformis nebst den
neu aufgestellten Arten von Encrinus, welche in Norddeutsch-
land sich finden, auf, wobei er auch des Vorkommens des Encri-
nus liliiformis im Wellenkalk bei Böthenberg gedenkt, was je-
doch zu bezweifeln sein dürfte, da — wie Sandberger neuer-
dings gezeigt hat — alle bis jetzt aus dem Niveau des Wellen-
kalkes bekannt gewordenen Encrinus-Eronen auf andere Arten, als
E. liliiformis hindeuten, nach Säulen-Gliedern allein aber die
Art nur schwer ermittelt werden kann. — Zahlreiche Berichtigun- ,
gen, auch neue Geschlechter und Arten, bietet die üebersicht der
Mollasken. So zunächst in der Abtheilung der Conchiferen zwei
Arten von Avicula, nämlich die zierliche Avicula pulohella
V. Alb. im Muschelkalk und die Avicula Gansingensis v.
Alb., in den Schichten von Gansingeu im Cauton Aargau in Menge
vorkommend. (Beide sind, wie überhaupt die in vorliegender
Schrift vom Verf. neu aufgestellte Arten, auf den letztere beglei-
tenden Tafeln abgebildet). Femer die neue Art Modiola gibba
V. Alb. Wichtige Bemerkungen theilt der Verf. über das in der
Trias durch verschiedene Arten vertretene Geschlecht Myophoria
mit und stellt einige neue Arten desselben auf, Myophoria cor-
nata, alata, vestita, rotunda v. Alb. Als ein neues Ge-
schlecht nach Sandbergers Mittheilung ist Trigonodus zu
betrachten, im Zahnbau Unio ähnlich; die Art T. Sandberger!
im unteren Dolomit der Lettenkohle häufig. Das von Sandber^
ger aufgestellte Geschlecht Anoplophora umfasst alleMyaciten
die am Ende nicht klaffen, keine Zähne, aber einen geraden Schloss-
rand, einen ganzrandigen Manteleindruck, einen schmalkeilförmigen
Muskel-Eindruck und das Band äusserlich haben ; es gehören dahin
Anoplophora musculoides (früher Myacites musculoides und
elongatus) femer A. Fassaensis, lettica, Münsteri, so wie
die neuen Arten A. dubia und A. impressa v. Alb«, welche
auch abgebildet. — Aus der Abtheilung der Brachiopoden bildet
bekanntlich Terebratula vulgaris die wichtigste Leitmuschel
710 Alberli: Die TriM.
für den Muschelkalk. Alberti bringt dieselbe zu dem von King
gegründeten snbgenns Waldheimia, weil solche sich in ihrem
inneren Bau wesentlich von Terebratnla unterscheidet. Das Aens-
sere der Waldbeimia vulgaris ist sehr veränderlich nndgibt
Veranlassung zu einer Menge mit verschiedenen Namen belegten
Varietäten.
Für einen Theil der Qasteropoden der Trias bleibt es jetzt
noch eine schwierige Aufgabe, sie in Geschlechter und Arten zn
bringen bei der schlechten Erhaltung derselben. Dies gilt unter
andern von den Geschlechtern Pleurotomaria, Turbonilla,
Chemnitzia, Natica. Zu letzter, der Species N. gregaria,
welche iu ihrem Aeussem sehrvariirt, stellt v. Alberti die unter
den Namen Buccinites gregarius, Trochus gregarins
aufgeführten, in manchen Gegenden so häufig vorkommenden kleinen
Schnecken. In der Abtheilung der Cephalopoden finden sich nur
wenige Berichtigungen; der kloine, scharfgekielte Ceratites Bu-
chii wird von dem Verf. als Goniatites Buchii aufgeftlhrt.
Was die Olasse der Crustaceen betrifft, so verdienen hier zu-
nächst die kleinen Ostracoden Erwähnung, welche Seebach in der
Lettenkohle bei Weimar entdeckt hat, verschiedene Arten des Ge-
schlechtes B a i r d i a , welche bis jetzt in Schwaben noch nicht auf-
gefunden, hingegen neuerdings durch Sandberger in der Letten-
kohlen-Gruppe bei Würzburg nachgewiesen worden. — Dass die io
den Dolomiten der Lettenkohle so sehr verbreiteten, gewöhnlich in
Gesellschaft von Lingula tenuissima vorkommenden, früher alsPo-
sidonomya minuta aufgeführten Beste keine Mollusken, son-
dern Schalenkrebse sind (Estheria minuta) hat bereits im J.
1856 Jones gezeigt.
Ueber die Saurier der Trias haben namentlich die trefflichen
Forschungen von H. v. Meyer bedeutende Beiträge und Berich-
tigungen geliefert. Zu letztem ist insbesondere die Bestätigung
der Ansicht Owens zu zählen ; dass Placodus — bisher zu den
tischen gestellt — zu einer eigenen Familie triasischer Saurier der
Placodonten zu erhel^n ist, wie solches der genaue Kenner fosailer
Wierbelthiere durch eme Monographie in seinen »Paiaeontographicac
zeigte.
Die dritte Abtheilung von Alberti's Schrift bespricht die
Vertheilung und Verbreitung der Versteinerungen in und ausser
Schwaben, und versucht eine Classification der einzelnen Gruppen
in und ausser den Alpen. Eine Parallelisirung der Trias des süd-
westlichen Deutschlands mit jener der Alpen bietet bekanntlich
grosse Schwierigkeiten, da die Verhältnisse, unter welchen hier die
Schichten abgesetzt wurden, ganz andere, wie dort ; denn die Trias
ist in den Alpen in einem mehr als dreifach so tiefen Meere ab-
gelagert, wie in Deutschland. Aber die umfassenden Forschungen
zahlreicher verdienter Geologen haben gezeigt, dass trotz aller petro-
graphischen und paläontologischen Verschiedenheiten in den Alpen
Platonls Protagoras. Ree. KrosobeL 711
dennoeh eine Trias sich naohweisen Iftsst, wenn auch einzelne Glie-*
der derselben — Tergliohen mit den typischen Sobichten in Deutsch*
land — in ihrer Oesteins-Bescbaffenbeit nnd namentlich in ihren
organischen Besten ganzlich verschieden sich darstellen, wie z. B.
die viel beschriebenen Ablagerungen bei St. Gassian in Tyrol. —
Als Resultat seiner Vergleichungen gibt der Verf. eine parallelisirende
Tabelle der Trias ausser und in den Alpen» woraus namentlich die
beträchtliche Verbreitung und Mächtigkeit des Eeupers in den letz-
teren hervorgeht. Zum Bchluss stellt endlich v. Alberti noch
eine sehr sorgfältig ausgearbeitete tabellarische üebersicht über die
Vertheilung der Versteinerungen in den Gruppen der Trias zusam-
men ; dieselbe gewährt ein besonderes Interesse, wenn wir die ähn-
liche Zusammenstellung des Verf. aus dem J. 1884 daneben legen.
Sie zeigt uns, welche bedeutende Fortschritte in der Kenntniss der
Trias-Formation gemacht wurden ; und zu diesen Fortschritten haben
die Forschungen v. Alberti's nicht wenig beigetragen.
G. Leonbard*
Ptaton%8 Opera omnia. Reeensuitj proUgomenis ei eommetUarÜB
insiruxU Oodofredus Stallbaum. \ol, IL 8eeL U, coft^
iinens Protagoram. Edüio tertia, multi$ partibua atieta
et emendaia, Lipdae, In aedibtia B. 0. Teubneri. MDCCLXV,
VI und 196 8. in gr. 8.
Auch mit dem weiteren besonderen Titel:
Platonie Protagorae. ReeognovU et cum Oodofrtdi Stall--
baumi suisgue annotalionibus edidit Dr, J. S. Krosehel, in
gymnano Siargardienai superiorum ordinutn praeceptor. Lip*
siae etc.
Die Bearbeitung dieser neuen, dritten Auflage eines der von
Stallbaum bearbeiteten Platonischen Dialoge ist, nach dem Tode
dieses um Plato und dessen Studium so hochverdienten Mannes,
einem Gelehrten anvertraut worden, der schon im Jahre 1859
seine Bekanntschaft mit diesem Dialoge, wie mit Plato' s Schriften
überhaupt, in einer die Zeitverhältnisse dieses Dialogs betreffenden
Abhandlung bewährt hatte, und in der neuen Auflage eine theil-
weise Umarbeitung der früheren gegeben hat. Es gilt diess zu-
nächst von der Einleitung, in welcher zwar Stallbaum's Erörterung
über Inhalt und Gang des Dialoges beibehalten, dagegen Zweck
and Ziel des Ganzen, so wie die Zeit der Abfassung anders be-
stimmt worden ist. Denn während Stallbaum die letztere in das
dritte oder vierte Jahr der 94. Olympiade (also 402 oder 401 v.
Chr.) verlegt hatte, glaubt der neue Herausgeber, gestützt auf die
p. 350 A vorkommende Erwähnung der Peltasten, einer im Jahr
712 Platonts Protagoras. Kee. Krosehel.
392 vor Chr. gemachten Neuerong des Iphikrates, die Abfassung
dieser Schrift auf die bald darauf folgende Zeit, etwa das Jahr 388
vor Chr. vorlegen zu können, während er in Bestimmung der Zeit,
in welche das in dieser Schrift abgehaltene Gespräch zu setzen ist,
— nach Stallbanm etwa das erste Jahr der 90. Olympiade (420
vor Chr.) — lieber zu dem Frühling des vierten Jahres der 86.
Olympiade (431 vor Chr.) greifen zu müssen glaubt. Am Schlüsse
der Praefatio wird noch die von G. Hermann versuchte Wieder-
herstellung des Simonideischen Gedichtes, das in diesem Dialog
p. 339 vorkommt, beigefügt, so wie die Angabe der betreffenden
Handschriften und der Literatur des Protagoras. Im üebrigen ist
die Einrichtung der Stallbaum^schen Ausgabe beibehalten: unter
dem Texte unmittelbar steht die Varia Lectio und darunter die
erklärenden Anmerkungen« Dass bei der Gestaltung des Tertes,
der in Manchem von dem früheren abweicht, auch Alles, was seit
dem Jahre 1840 dafür irgend wie geschehen war, berücksichtigt
worden, bedarf kaum ausdrücklicher Erwähnung : dasselbe gilt auch
von der Erklärung, d. h. von den unter den Text gestellten An-
merkungen, in welchen die Selbständigkeit des neuen Heraus-
gebers in anerkennenswerther Weise hervortritt. Was aus der
früheren Ausgabe herübergenommen ward, ist mit Stallbaum^s
Namen bezeichnet : aber man wird auf jeder Seite den Beweis der
eigenen Thätigkeit des neuen Herausgebers finden in manchen, die
sachliche, wie die sprachliche Erklärung betreffenden Bemerkungen,
welche sich übrigens an die Art und Weise der Behandlung an-
schliessen, welche Stallbaum in seinen Anmerkungen nach dem
Zwecke des ganzen Unternehmens eingehalten hatte: dass auch
Manches in diesen Anmerkungen Stallbaum*s weggefallen ist, eben
weil 08 minder richtig erschien, und durch Besseres ersetzt ist,
wird und kann nicht befremden. Im Ganzen aber wird man die
von Stallbaum durchgeführte und von dem Herausgeber dieses Dia-
logs beibehaltene Art der Behandlung zn billigen haben, weil, wie
wir wenigstens glauben, das gründliche Studium der Platonischen
Schriften und die richtige Erkenntniss seiner Sprache (die Jeder,
der mit griechischer Philosophie sich beschäftigt, kennen muss),
wie seiner Lehre, namentlich für junge Philologen wie Philosophen,
mehr gefördert wird durch eine solche Behandlungsweise , welche
das Nöthige zum richtigen Yerständniss der Sprache wie der Sache
in Lateinischer Sprache bietet, hier das gehörige Mass einzu-
halten und auf diesem Wege in das tiefere Studium einzuführen
versteht, welches Ziel und Aufgabe insbesondere jugendlicher Be-
strebungen sein soll. — In der äusseren Ausstattung zeichnet sich
diese dritte Auflage vortheilhaft vor den beiden vorausgegange-
nen aus.
Pal Im Ann: Der Stvri des Wesirnmisebcn ReldM* 71^'
Der Stur» des Wedrömüehen Reiek» durch die deidaehen Söldner.
Nach den Quellen dargesteUli von Reinhold Pallmann,
Dr. phU, und Cusios su Oreifiwald. Weimar. Hermann
Böhlau 1864. XVI und 619 8, 8.
Aach mit dem weiteren Titel:
Die Geschichte der Völkencanderung nach den Quellen dargesUGt
von Reinhold Pallmann, Dr, phil. und CusLoe zuQreif^
v*ald. Zweiter Theil. Der Sturs des WeMrömieehen Reichs
durch die deutschen Söldner.
Das vorliegende Werk, von dem wir hier einen Bericht
zn erstatten haben, behandelt einen der wichtigsten Theile der
alten Geschichte, den Sturz des römischen Reichs im Abend-
lande, und damit den grossen Wendepunkt, welcher die alte rO-
mische Zeit in eine neue Gestaltung hinüber führte; und hat der
Verfasser diesen Gegenstand nicht in allgemeinen umrissen, für
ein grösseres gebildetes Publikum, wie es jetzt Mode ist, behan«
delt, sondern er hat ihn ans den Quellen unmittelbar darzustellen
gesncht und diese selbst einer sorgfltltigen Kritik unterworfen, wo-
durch sein Werk den Charakter einer gelehrten nnd kritischen
Forschung einnimmt. Wer je einmal in jenen Quellen sich umge-
sehen hat, wird die Nothwendigkeit bald erkannt haben, diese selbst
vor ihrer Benutzung einer kritischen Untersuchung zu unterwerfen,
um dann auch sichere Ergebnisse daraus ableiten zu können, und
diess hat der Verf. vor Allem getban: ein Hauptverdienst seiner
Arbeit liegt mit in diesem Streben der kritischen Sichtung der
Quellen, welche die Grundlage der Darstellung bilden, die sich füg-
lich als zweiter Theil an die im ersten Theile behandelte Wan-
derung der Gothen bis zu ihrer festen und bleibenden Niederlas-
sung in den einzelnen Theilen des römischen Reiches anschliesst.
Von den zwei Büchern, in welche das Ganze zerf&Ut, beschäf-
tigt sich das erste mit den Wanderungen der Hernien, Rügen, Tnrci-
lingen und Sciren, so wie mit der Person des Odovakar, seiner Her-
kunft und seinem Leben bis zu seiner Erhebung durch die Söld-
ner ; lauter Gegenstände, die nicht ohne die sorgsamste Kritik der
aus dem Alterthum uns überlieferten, oftmals nicht miteinander
übereinstimmenden oder sich widersprechenden Nachrichten darüber,
behandelt werden konnten. Dass bei Odovakar die mgische Ab-
kunft als die wahrscheinliche dargestellt wird, findet in den Quellen
seine Bestätigung; eben so richtig wird nachgewiesen (S. 171),
dass Odovakar kein Fürstensohn, auch nicht aus einer Adelsfamilie,
sondern von gewöhnlichem Herkommen, ein Gemeinfreier gewesen,
der als Jüngling, wie so Manche Andere damals nach Italien ge-
zogen und im Heere Dienst genommen, wo ihn, ohne dass er eine
höhere Stelle bekleidete, der Aufstand vom Jahr 476 zum Befehls-
haber und König (rex) der Söldner erhob, und es wird gezeigt.
j
tu PAllmanii: Der 8tan des Weetrömiseben Relohs.
wie dieses Emporsteigen eines gewöhnlichen Freien bei einem tein
germanischen Volke durchaus Nichts unmögliches gewesen (S. 179).
Odoyakar's Gestalt wird als eine hohe, imponirende bezeichnet;
sein Gesicht — nach den Münzen — hat einen kräftigen, entschie-
denen Ausdruck und soll sogar »eine auffallende Aehnlichkeit mit
dem grössten neueren deutschen Helden, Blücher«, zeigen; weiter
wird auf den Schnurbart, welchen er trägt, hingewiesen, und fftr
nicht unwahrscheinlich gehalten, dass der Schnurbart, den die rö-
mischen Kaiser nicht trugen, durch Odovakar und die Deutschen
Mode geworden (S. 175).
Des zweiten Buches Gegenstand ist »der Sturz Westrom' s und
die Geschichte des ersten deutschen Reiches in Italien« 8. 183 ff.,
in sieben Abschnitten, von welchen der erste eine Untersuchung
über die Quellen dieser Darstellung enthält, der zweite die Ent-
wicklung des Söldneraufstandes im Jahr 476 und der dritte die
Begründung der neuen Herrschaft bringt; im vierten werden Odo-
yakar's Hoheitsrechte, im fünften der dalmatische und der rugische
Krieg, im sechsten der Zug der Ostgothen nach Italien und im
siebenten der ostgothische Krieg in Italien und der Ausgang Odo-
vakar's geschildert.
Wir können hier begreiflicherweise nicht näher eingehen in
die umfossende Untersuchung, welche im ersten Abschnitt enthal-
ten ist, in Betreff der Quellen, aus welchen die ganze Darstellung
über Odoyakar jetzt entnommen ist; sie ist wichtig genug, um auch
in andern Beziehungen die volle Beachtung anzusprechen. Eben
so wenig können wir auch in das Detail der Gesohichtserasählung,
wie sie in den folgenden Abschnitten enthalten und auf die kri-
tisch gesichteten Quellen möglichst zurückgeführt wird, uns ein-
lassen, wir wollen diese Abschnitte vielmehr dem sorgfältigen Sta-
dium Aller derer, welche sich für diesen wichtigen Gegenstand
interessiren, empfohlen haben. Worauf wir zunächst hier aufmerk-
sam machen zu müssen glauben, ist die in dem Ganzen, wie in
allen Einzelnheiten hervorragende Tendenz, den Odovakar und seine
Söldner in ein besseres Licht zu setzen und auf diese Weise eine
Ehrenrettung, wenn man es so nennen will, des Odovakar, zumal
im Gegensatz zu dem meist hochgepriosenen Theoderich, zu liefern.
Wir wollen daraus nur Einiges darauf Bezügliche hier anführen.
Als Odovakar zur Herrschaft gelangt war, musste sein Augenmerk,
so argumentirt der Verf. S. 317 ff., hauptsächlich auf Herstellung
eines guten Einvernehmens mit den Italienern gerichtet sein, er
durfte sich nicht als Eroberer und seine Herrschaft als eine ge-
waltsame einführen, sondern seine Aufgabe war es, die neuen Zu-
stände in den alten zu begründen und als Vertreter, wo möglich
als berechtigter Träger der Kaisergewalt zu erscheinen. Von diesem
Standpunkte aus suchte er auch die schwierigste innerei^rage
zu lösen, die sich alsbald darbot, die Vertheilung des Landes,
Drittel seine Söldner ftir sich in Anspruch nahmen, die,
ereiPrage
les, ai^J
e, wieifl
PAllmann: Der 8ivn des Weetrömiaehen Reiehs. 716
der Verf. ansieht, durch das Erlangen Ton Gnmdeigenthnm erst
ein wahres Volk werden sollten, eben darum aber einen Yergleioh
mit den Ansiedlungen der Westgothen und anderer Völker gar nicht
zulassen. »Dass die Tbeilung schwierig war, und dass sie zugleich
gerecht, ohne Gewaltthätigkeiten gegen die Römer ausgeführt wurde,
ist anzunehmen; wie sie im Einzelnen geschah, schlechterdings nicht
anzugeben. Dem Söldner wurde, wenn es anging, wohl gewiss der
seinem Quartier am nächsten liegende Boden zugewiesen, überhaupt
wird die Vertheilung des Landes im Anschluss an die als zweck-
mässig erwiesene Vertheilung der Söldner über Italien hin geschehen
sein (S. 324). c Es fUllt uns schwer, eine solche gewaltsame Thei-
lung oder yielmehr Wegnahme des Drittels alles Grundeigenthums
in einem so günstigen Lichte zu erblicken, mag man über das
Becht oder vielmehr über die Gewalt des Eroberers auch denken,
wie man will. Ob die Söldner als Grundeigenthümer sich viel
besser benommen , als die Veteranen , welche zur alten Bömerzeit
von dem siegreichen Feldherrn in Italien mit dem Besitzthum der
Stadt- und Landbevölkerung belohnt wurden, bezweifeln wir ; auch
unser Verf. will, aus Mangel an Nachrichten, die Frage, ob sie das
erhaltene Land selbst bebaut oder in Pachtung den Römern über-
lassen, weder entschieden verneinen noch bejahen; doch neigt er
sich der Annahme zu, dass Letzteres in vielen Fällen stattgefun-
den, namentlich von Seiten der in grossen Städten liegenden Krie-
ger. Eben so schwer will es uns fallen, zu glauben, dass in volks^
wirthschaftlicher Beziehung Italien durch die gewaltsame Land-
theilung unendlich, wie es hier S. 825 vgl. 845 heisst, gewonnen,
insofern aus den grossen als Capital oft ganz todt liegenden Gü-
tern nun verhältnissmässig viel mehr kleinere geworden, überdem
augenblicklich für den Landbau viele kräftige deutsche Hände ge-
wonnen worden, die Bewirthschaftung des Landes lebhafter betrie-
ben und mancher Öde Strich Landes dem Ackerbau wieder gegeben,
so dass die Theilung ein Schritt zum wahren Heile Italiens gewesen ;
das moderne Italien ruhte thatsächlich (so lesen wir S. 845) auf
den Schultern der Söldnerzeit. Erst jetzt (?) erhielt die Halbinsel
gesundere volkswirthschaftliche Grundlagen, theils in der Zerlegung
der grossen, zum Theil unbewirschafteten Güter, theils durch die
vielen rüstigen Ackerbauer und Städter, welche er jetzt theils zur
Arbeit anregte, theils für später gewann. Es sind dies Folgerun-
gen, die nicht einmal aus der eigenen Annahme des Verfassers sich
genügend werden ableiten lassen. »Die Söldner, lesen wir S. 326,
sahen sich ihrerseits im Besitze des Landes jedenfalls als berech-
tigt an. Freilich nahmen sie sich selbst, was man ihnen nicht
gab(!); wir heben es aber nochmals hervor, wie deutlich ihr ehr-
licher Sinn daraus hervortritt, dass sie nach dem
Siege mit dem ursprünglich verlangten Drittel zu-
frieden waren, durch das Beispiel der Westj?othen und Bur-
gunder sich nicht zu Weiterem reizen liessen.€ Wirgesteheui dass
716 P all mann: Der Sinn des WestrOmtsclieii Reloht.
wir uns über solche^ Bebauptangen und ürtbeile nur wnndom kön-
nen, und dass wir es eben so befremdlicb finden, wenn in einer
Noie bebanptet wird: »Die Landtbeilnng der Söldner war, wenn
wir die notbwendigen, woblthätigen (?) Wirkungen ins Auge fassen,
nicbt ungerecbter, als eine scbroffe Begulirung der Grundsteuer-
verbältnisse bei uns es sein würde (?). In staatsökonomiscber Hin-
sicbt war sie damals in Italien wünsobenswertb.« Aucb wird weiter
angenommen, »dass die Italiener der Nothwendigkeit sieb fügten
und gutwillig die Lose abtraten. Das Verfabren der Söldner trug
sonst den Obarakter von Eroberung und Gewalttbat nicbt an sieb,
tim wenigsten gerade den Italienern gegenüber« ; eben so gilt die
Annabme für berecbtigt, »dass die Römer in privatrecbtlicher Be-
ziehung nicbt gefllbrdet wurden, nacbdem die Abtretung des Lan-
des Tollendet war, dass Barbaren und Römer yielmebr nacb einem
Punkte des Privatrecbts hin eine friüdlicbe Vereinigung geschlossen,
und Unterschiede, die früher nur mit grosser Strenge des Gesetzes
aufrecht erhalten werden konnten, aufgehoben haben«, womit
zunächst die Ebeverbindungen von Römern und Barbaren, wie sie
nun vorkommen, bezeichnet werden. In staatsrechtlicher Beziehung, in
dem Verbältniss der Obrigkeiten und der Bürger als Glieder des Staates
zu einander, blieb nach des Verfassers Annabme, Alles bei dem
Alten. Auch in der Stellung Odovakar^s zur römischen Kirche zeigt
sich derselbe »als ein ruhiger, kluger und durchgreifender Regent
in dem günstigsten Lichte.« (S. 887.) »Obgleich Arianer trat er
der orthodoxen Kirche nicht schroff in den Weg.« — »Der Kirche
als solcher gegenüber scheint Odovakar die Rechte des weltlichen
Herrschers jedoch mit Festigkeit, wenn auch mit Mftssigung gewahrt
zu haben. Leider ist nicht genau festzustellen, ob Odovakar nnr
im Interesse seiner Herrschergewalt oder durch wirklich eingeris-
senes Unwesen zum Vorgehen vermocht wurde. Das letztere ist
auf den ersten Blick das Wahrscheinlichere. Odovakar's Verfiahren
verdient aber in allen Fällen Lob.« (S. 338.) Indem der Verf.
den Vorgang, worauf dieses ürtheil sich stützt, näher betrachtet,
knüpft er daran noch weitere Bemerkungen, unter welchen wir nnr
auf das aufmerkfiam machen wollen, was S. 840 bemerkt wird.
Der Verf. meint nämlich, dass trotz der Stellung, welche Odovakar
zur Kirche einnahm, indem er sie als Staatseinricbtung betrachtete,
die Herrschaft der arianischen Söldner auf das Hervortreten des
katholischen Bischofs zu Rom, wenn auch nicht gerade den andern
hoben Bischöfen, so doch dem Kaiser im Osten gegenüber, einen wesent-
lichen Einfluss übte. Für die streng legitim denkenden Italiener war
eigentlich jetzt nur noch der Papst die einzige sichtbare, legitime, höchste
Gewalt. So beginnt das Papsttbum mit dem FalleRom' 8.
Die Aussonderung der Kirche aus dem Bereiche der weltlichen
Macht konnte auch nur unter Verhältnissen^ wie sie zu den Zeiten
der Söldner und Ostgothen in Italien obwalteten, in Zeiten man-
gelnder, sichtbarer »legitimer« Regierung vor sich gehen. Daher
J^ikllmanD. Der äton dies Wefltrömischen tUiuhfl. 111
das ungewohnte Gefahl der Beschränkung zu Rom, als mit der
Sanctio pragmatica nach 554 die legitime weltliche Macht in Ita-
lien wieder eingesetzt war, daher von da an jenes selbständige,
fast feindselige Auftreten der Päpste dem byzantischen Kaiser gegen-
über für Interessen, die bis 476 nicht gekannt waren oder doch
mit der Offenheit nicht ausgesprochen wurden, an die man sich
aber seit 476 gewöhnt hatte.«
Wir haben diese wichtige Stelle um so mehr mittheilen zu
müssen geglaubt, als man bisher mehrfach die wachsende Macht
und das steigende Ansehen des römischen Bischofs aus andern Ur-
sachen abzuleiten gewohnt war, und darin namentlich die natür-
liche Folge der zerrütteten, zum Theil anarchischen Zustände Som's
und des grössern Theiles von Italien erkannte, welche unwiUkühr-
lich auf diesen einzigen, festen Haltpunkt hinführten, und dadurch
dessen Bedeutung so sehr hoben und steigerten.
Auch das Yerhältniss Odovakar's zu seinen Söldnern, und der
Charakter tmd das Wesen seiner Herrschergewalt wird, so weit es
die Quellen möglich machen, einer Betrachtung unterzogen. (S. 358 ff.)
Der Verf. betrachtet den Odovakar von dem Augenblick an, wo er
erhoben wurde, als einen germanischen König im vollen Sinne des
Wortes und mit allen Befugnissen, welche andern Königen zustan-
den, ausgestattet, und eben so erscheint ihm der Söldnerstaat von
dem Moment an, wo die Landtheilimg stattgefunden hatte, als ein
germanischer Staat innerhalb des römischen; mit der Erwerbung
des Landes zu Eigenthum waren alle Grundlagen für einen ger-
manischen Staat gegeben, freie germanische Grundeigenthümer unter
einem Könige. Der Verf. knüpft daran noch weitere Bemerkungen
über die Fähigkeit und das Bestreben der Vereinigung, was man
mit Unrecht bisher der deutschen Bace abgesprochen. > Die deutsche
Bace ist aber, so wird S. 359 behauptet, von Hause aus universell
der T h a t nach und doch zugleich fähig zur Centralisation gewesen,
während es die römische nur in den Formen und durch dieselben
war Der Act der Erhebung Odovakar*s zum Könige und der Söld-
ner zu einem Volke ist daher besonders hervorzuheben. Er beweist,
wie tief befähigt die germanische Race zur Staatenbildung war. Es
erscheint als Phantasie und schwächliche Sentimentalität, an den
Deutschen gar das Oegentheil loben zu wollen. Die Deutschen
haben jene Fähigkeit bis heute nicht verloren, sie haben es nur
verlernt gehabt, sie zu üben und anzuwenden. Heute ist die ger-
manische Bace zu ein^m besonnenen constitutionellen Staatsleben
befähigter als die rein romanischen Völker, die von einem Extrem
zum andern springend seltsamerweise beide zu ertragen verstehen.«
Dass die Kämpfe Odovakar*s mit den andringenden Ostgothen
mit aller der Genauigkeit, die auch in den andern Theilen des
Werkes herrscht, dargestellt werden, wird nach dem Gesagten nicht
befremden, und was den für Odovakar unglücklichen Ausgang, ins-
besondere dessen Ermordung, nach abgeschlossenem Friedensvertrag
718 ^allmann: Der 6tun dea WMrOmfscbeii lUlcbk
zu Ravenna, durch Theoderich betrifft, so trägt der Yerf. kein Be-
denken, nach genauer Prüfung der ttber dieses Ereigniss yorliegen-
den Angaben, den Theoderich der Wortbrüchigkeit und des ver-
rätherischen Mordes für schuldig zu erklären (8.473); »Theoderich
hatte in der oströmischen Erziehung wahrscheinlich die Theorie der
Nothwendigkeiten kennen gelernt und glaubte mit jenem Morde
allen Gefahren vorbeugen zu müssen.« (S. 470.) Wie der Yerf.
Oberhaupt das Yerhältniss beider Herrscher zu einander aufjgefaset,
zeigt am besten das Schlusswort, das wir hier noch, um zugleich
eine grössere Probe der Darstellung des Verfassers zu geben, wört-
lich beiflLgen wollen (S. 476 ff.).
»So fiel Odoyakar und mit ihm das Reich, welches er unter
schwierigen Verhältnissen dreizehn Jahre lang bis zum Ausbruche
des ostgothischen Krieges glücklich und segensreich regiert hatte.
Die Geschichte hat, obgleich er von allen deutschen Helden der
Völkerwanderung der erste gewesen ist, dem es in einem der Brenn-
punkte der alten Bildung ein Beich zu gründen und zu eriialten
gelang, sein Andenken doch wenig treu bewahrt, ja geflissentlich
verdunkelt oder entstellt. Sein Bild wie das seiner Völker ist yer»
blasst und fast geschwunden, kaum sind für den ersten Blick un-
deutliche Züge nachweisbar; Theoderich dagegen strahlt hell und
klar, wie die Morgensonne. Das ist aber ein erborgtes Licht, wenn
Odoyakar darunter leidet.
Alle die Formen, in denen das Germanenthum zum römischen
Wesen in Italien eine schonende Stellimg einzunehmen suchte, hat
Odoyakar yorgezeichnet , Theoderich sie nicht erst gefunden. Odo-
yakar hat femer mit Festigkeit regiert. Die Söldner wurden streng
behandelt, das zeigt die Bestrafung des Brachila. Aufsteigenden
Gelüsten eingebomer italischer Elemente wurde ebenso wenig Spiel<-
raum gegeben. Die Waffen, mit denen der SöldnerKönig die An-
massung des Bischofs zu Born bekämpfte, waren geschickt gewählt;
nur scheinen sie nicht mit der rechten Consequenz gebraucht wor-
den zu sein: die Aufstellung eines Papstes zu Bayenna, welche
einen Theil der italischen Geistlichkeit an ihn fesseln musste, wäre
dann unausbleiblich gewesen. Dem Lande die Buhe und Erholung,
welche so nöthig war, zu wahren, war Odoyakars augenscheinliches
Streben. Deshalb yermied er Kriege ; nur die Nothwendigkeit zwang
ihn, endlich gegen die Bugen das Schwert zu ziehen, er hätte denn
yor dem Schwächeren zurückweichen, seine kriegerische Ehre preis-
geben wollen. Die Unternehmungen gegen .Dalmatien und in Sici-
lien, wenn wir die letzten wahrscheinlich zu machen yermochten,
haben kaum auf den Namen oines Angriffskrieges Anspruch. In
Dalmatien kämpften die Söldner gegen Mörder und gewissermassen
für die Legitimität ; in Sicilien handelte es sich um die Besetzung
esnes Stücks Landes, welches die Vandalen in ihrer Verlegenheit
nicht gut zu yertheidigen yermochten.
Theoderioh steht in keiner Hinsicht grösser da als Odoyakar.
PaUmena: Der Bkan df« Westrtelsohen Riiebt. tl9
Dieselbe Klippe, welche dieser nicht zu umflchiffen vermochte, die
byzantinische Politik, liess auch ihn Schiffbruch leiden. In mancher
Besiehnng war Odovakar noch gewandter, als jener. Theoderich,
so geistvoll er auch war, verdient das ihm gespendete Lob nicht
im ganzen Umfange. Die innere Politik — die wichtigste Aufgabe
der germanischen Herrscher in den römischen Provinzen und zumal
in Italien — war ungewandt und schwankend, zum ünheile far
seine Nachfolger und zum ünheile ftLr die Italiener selbst. Es wird
anch nicht umsonst erzählt, dass die Köpfe des Sjmmachus und
Boethius noch in der Todesstunde vor seinen Augen erschienen:
Theoderich starb eben mit dem Fluche eines Theiles der Italiener
beladen. Odovakar hat bessere Denksteine hinterlassen. Wir brau-
chen nur auf die Treue des Liberius hinzuweisen. Dieser wackere
Körner rühmte sich Odovakars als seines Herrn noch zu Theodorichs
Zeiten, wo die Meisten den gefallenen, ermordeten Helden des neuen
Herrschers wegen verunglimpften ; und blieb doch im höchsten An-
sehen bei den Ostgothen. Auch im Kriege war Odovakar dem
Amaler ein ebenbürtiger Gegner; kein oströmischer Feldherr hat
diesen in so grosse Verlegenheiten zu bringen gewusst wie er, kei-
ner ihm zäher widerstanden. Wenn er unterlag, so ¥rar es Schuld
des Glückes und des Yerrathes eines Theiles der Italiener: daran
ging später ja auch die Ostgothenherrsehaft unter.
Wenn die deutsche Heldensage den Söldnerkönig nach und nach
zu einer wahren Jammergestalt, zu einem elenden Feiglinge er-
niedrigte^ so hat sie einen Gang genommen, auf dem ihr leider
aach die Forschung lange gefolgt ist« Odovakar ist es aber wertb,
in die Beihe der anerkannten deutschen Helden aus der Zeit der
Völkerwanderung aufgenommen zu werden. Er steht ebenso gross
da wie Theoderich, nur war er nicht wie dieser so glücklich, glän-
zende Erfolge zu erringen und lobpreisende Federn in Bewegung
zu setzen. Der Mann, welcher in Italien das erste germanische
Reich begründet hat, welcher die alte mit der neuen Cultur in einem
Brennpunkte der classischen Welt friedlich zu vermitteln versuchte,
kann nicht unbedeutend gewesen sein, auch in dem Falle nicht,
wenn im Einzelnen kein Wort über seine vermittelnde Thätigkeit
berichtet wäre.«
Die am Schlüsse des Ganzen folgenden Beilagen betreffen ein-
zelne, im Werke selbst berührte Gegenstände, und erscheinen als
eigene Excurse, die, um die Darstellung nicht zu unterbrechen,
hier als Beilagen hinzugefügt wurden. Die erste Beilage enthält
eine topographische Darstellung von Bavenna und seinen Um-
gebungen, begleitet von einer lithographirten Tafel; die zweite
bringt eine Zusammenstellung der Angaben der Jahre 489 bis 493
in den ravennatischen Fasten und im Anonymus Valesii: die dritte
betrifft die Beichsannalen und die Schlacht bei Follentia vom Jahr
402 ; die vierte enthält einen Abdruck des Abrisses der Weltge-
schichte vom Jahre 452, wie er sich in der Berner Handschrift
720 Beck: Lehrbueh der altgemoinea Öeeoliiobt«.
Nr. 128 findet. Die fünfte Beilage gibt eine Zeittafel zu dem zweiten
Buobe, die secbste ein Verzeichoiss der in dem Werke benatzieo,
oft nur kurz angeführten Quellen und Hülfsmittel. — Die äussere
Ausstattung des Ganzen ist sehr befriedigend.
lA'hrbuch der allgemeinen Geeehiehte für Schule und Haw. Von Dr.
Jos. Beck, Qrossh. Bad, Geh. HofratK Erster Theü (Cursus),
Achte vermehrte und verbesserte Auflage. Hannover 18S4,
Hahn'sche Hoßuchhandlung. XVI und 301 8. in gr, 8.
Auch mit dem weiteren Titel:
Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für die unteren und mittleren
Klassen höherer Unterrichtsanstalten. Von Dr. Jos. Beck etc.
Das Lehrbuch, das hier in seiner achten Auflage vor]
hat sich in seinem Gebrauch »für Schule und Haus« auf eine solche
Weise bewährt, dasd wir in der That nicht nöthig haben, ein
empfehlendes Wort zur weiteren Verbreitung dieses trefflichen Schul-
buches einzulegen, sondern nur wünschen können, dass an den
Orten, wo dasselbe noch keine Au&ahme gefunden hat, auch ihm,
im wahren Interesse des Unterrichts und der Bildung, der Ein-
tritt geöffnet werde, und dazu kann die neue Auflage um so
mehr dienen, als der Verfasser das ganze einer nochmaligen stren-
gen Durchsicht unterworfen, und da, wo es nötbig schien, die oacb-
bessemde Hand angelegt hat. Er war dabei, wie er ausdrücklich
versichert, von der Absicht geleitet, »einerseits die Geschichte der
einzelnen Staaten stets soweit zu verfolgen, dass jeder einzelne
Abschnitt ein möglichst geschlossenes Gaoze darstelle ; andererseits
aber auch den' engen Zusammenhang und die thatsächliche Wech-
selwirkung in der Entwickclung der historischen Kulturvölker in
einer für diese ünterrichtsstufe angemessenen Weise anzudeuten.«
und diese Absicht ist in der That erreicht: Nichts ist ausser Acht
gelassen, was zu diesem Ziele führen kann, unter anderm ein eige-
ner Abschnitt (§. 6) über die historischen Kulturvölker einge-
schoben. Auf neue Forschungen, deren Ergebnisse sicher gestellt
sind, ist stete Bücksicht genommen, so weit es mit dem Zwecke
und der Bestimmung des Lehrbuches sich vertrug; wir erinnern
nur an die orientalische Geschichte, welche hiemach neu bearbeitet
ward. Und wenn auf diese Weise der Gehalt des Ganzen wesent-
lich gefördert worden ist, so wird flic kltuc, fassliche, fttreinLehr-
und Schulbuch so geeignete Darstellung nicht minder dem Werke
zur Empfehlung gereichen*, auch von dieser Seite aus können ^
nur demselben weitere Verbreitung wünschen.
Ji. 46. HEIDELBEBGEK im-
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlungen des natnrhistoriscli-medizinißclien
Vereins zn Heidelberg.
1. Vortrag des Herrn Hofratb H. Helmholtz: >üeber
* den Ursprung der Eenntniss des Sehfeldes«,
am 5. Mai 1865.
2. Mittheilung des Herrn Prof, 0, Weber: »Ueber
einen Fall von Gefahr des Ohloroformtodes«,
am 5. Mai 1865.
(Das Mannscrlpt ^^urde eingereicht am 17« Mai 1865.)
Prof. O. Weber berichtet über einen Fall von sehr bedenk*
lieber Asphyxie durch Chloroformnarkose, in welchem sich die
Marsball -HalV sehe Methode der künstlichen Bespiration ausser-
ordentlich nützlich und einfach erwies. Ein sonst kräftiger imd
gesunder Bauer hatte sich beim Herabspringen von einem Leiter-
wagen dadurch eine Verrenkung beider Oberarme nach vorn zu-
gezogeoi dass er mit dem Haken seines Stiefels hängen blieb, auf
die vorgestreckten Arme stürzte und sich dabei überschlug. Beide
Schalterköpfe standen unter den Schüsselbeinen und trotz eilfmal wie-
derholter auswärts vorgenommener Versuche die Verrenkung zu heben,
war ihre Stellung u averändert geblieben. Als der Kranke in die
Klinik aufgenommen w urde, waren bereits 8 Wochen seit dem Vor-
falle verflossen und die Arme fast gar nicht beweglich, daher so
gat wie unbrauchbar. Bei dem ersten Einrenkungsversuche lag der
Kranke auf einer Matraze an der Erde, der Stamm war durch
Leintücher fixirt und der Arm sollte elevirt werden. In dem
Augenblicke wo die Elevation begann wurde der bis dahin noch
nicht völlig betäubte Mann, der gar nicht an geistige Getränke
gewöhnt war, und eine ganz ruhig verlaufende Narkose hatte,
nachdem er ungeföhr eine Drachme Chloroform bekommen, blauroth
im Gesichte, athmete nicht mehr und drohte zu ersticken. Der
Puls war sehr schwach, doch noch flihlbar. Durch zahlreiche
Versuche an Thieren belehrt, die der Vortragende in seinen »chirur-
gischen Erfahrungen« mitgetheilt hat, schien es ihm am nothwen-
digsten, vor allem die Respiration wieder in regelrechten Gang zu
bringen. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Kranke war
cranz kalt und blau und von einer spontanen Inspiration war nicht
die Bede wiewohl der Mund weit offen stand und die Zunge auch
j^Vin* Jahig. 10. Heft. 46
n% Yttimdlniigeii des iiatiirhistoriflcli-inedisiniBelieB Verdiifl.
nicht auf den Laryni drückte. Hätte man andere Versaehe be-
nutzen wollen, so wäre das Leben sicher erloschen gewesen. Es
wurde daher mit vollkommener Buhe und sorgfältiger Nachahmung
des Typus der normalen Bespiration ohne Zögern zur AnsteUung
einer künstlichen Athemung nach dem M.-Hall'schen Verfahren als
dem einfachsten geschritten. Der Kranke wird zu dem Ende ab-
wechselnd auf den Bauch und den Bücken gew&lzt , was dnroh 3
G^hülfen auf jeder Seite sehr bequem und sicher geschieht. Dabei
wird der eine Arm so gelagert, dass, sobald der Körper auf dsn
Bauch zu liegen kommt, der querüberliegende Arm den Brustkasten
mit zusanMnendrückt« Sowie dies geschieht hört man ein lautes
EzspiratioDSgerftusch« Wird der Kranke dann auf den Bücken ge*
walzt, so erweitert sich die Thorax yermöge seiner natürlichen
Elasticität und die Luft stürzt nach, man hört sie deutlich ein-
ptreichea. Dies Verfahren wurde fast 10 Minuten lang nnaosg^
setzt angewendet, da erst erfolgte die erste spontane Inspiration und nun
war das Leben des Patienten gesichert. Der Puls erholte sich, die
Wangen wurden gefärbt und der Kranke erwachte, ohne eine Ahn-
ung zu haben, dass sein Leben in der ernstesten Gefahr geschwebt
hatte. Für diesmal wurde von weitem Bepositionsyersuchen abge-
sehen. Als dieselben am folgenden Tage wieder angestellt worden,
Yerlief die Narkose ganz normal, und es gelang vollständig die
beiden Arme einzurenken, wobei der Kapselriss zunächst durch
Botation nach aussen, klaffend gemacht und erweitert wurde, und
sodann der Arm durch Botation nach einwärts eingerenkt ward.
Der im rechten Winkel gehaltene Vorderarm wurde dabei als pas-
sender Hebel benutzt.
Es kann nach dieser Erfahrung das Hall'sche Verfahren seiner
grossen Einfachheit wegen bei der Ohloroformasphyxie sehr empfoh-
len werden* Nur kommt es darauf an, das man die künstliehe
Bespiration sofort beginnt und nicht mit andern Versuchen die
Zeit verliert. Nichts ist unter solchen Umständen schlimmer und
gefährlicher als ein kopfloses ümhertappen nach allen mögUcheo
kleineren aber nicht ausreichenden Hülfsmitteln — worüber der
kostbare Moment verstreicht, in welchem das einzig sichere, die
künstliche Bespiration noch zu helfen vermag. Es mag hinzugefügt
werden, dass Herr Dr. Knapp mündlichen Mittheilungen zufolge
einige Tage nach der Sitzung das Verfahren in einem ähnlichen
Falle gleichfalls mit Erfolg anwandte, und dass einige Zeit dar-
nach in der Klinik auch ein dritter eben&lls durch die Hall*8che
Methode glücklich gerettet wurde. Das Verfahren hat sich in Eng-
land auch bei andern Formen der Asphyxie namentlich durch
Kohlenoxjdgas und bei Ertrunkenen bewährt.
Verhandlungen des n&tnrhlBtorisohMnedijEiniselien Verefna. 7l3
8. Vortrag des Herrn Prof. v. Dusch: >Üeber das
Emphysem nach Tracheotomie«, am 19. Mai 1865.
(Das Manuscript wurde eingereicht am 28. 8ept. 1865 )
Der Vortragende macht auf das zuweilen vor Eröffnung der
Luftröhre bei Vornahme der Tracheotomie plötzlich eintretende
Emphysem der Haut am Halse und Gesicht aufmerksam, und er-
wähnt, dass ihm selbst ein solcher exquisiter Fall vorgekommen
ist. Die Ursache dieser Erscheinung sucht derselbe in der Opera-
tionsstelle (subthyrioideale Operation) wobei das hintere Blatt der
oberflächlichen Halsfescie leicht verletzt wird, sowie in dem eigen-
thümlichen Athmungsmechanismus bei Verengerungen im Kehlkopfe,
wodurch Luft in den vordem Mediastinalraum eingepumpt werden
kann. Die sofortige Erö&ung der Luftröhre ist das beste Mittel
diesem Vorgange eine Gränze zu setzen, sowie denn überhaupt die
subthyrioideale Operation als die gefthrlichere Methode möglichst zu
vermeiden sei«
4. Vortrag des Herrn Professor Erlenmeyer: ȟeber
Distyrol, ein neues Polymere des Styrols«,
am 2. Juni 1865.
Als ich Zimmtsäure mit wässeriger Bromwasserstoffsäure von
1,35 spec. Gewicht im zugeschmolzenen Bohre mehrere Stunden
bei 150 bis 240^ erhitzt hatte, war dieselbe der Hauptsache nach
in Kohlensäureanhydrid und in ein dickes, in Wasser untersinken-
des Oel von der Zusammensetzung CnHn zerfallen*). Chlorwasser-
stoffsäure von 1,12 spec. Gewicht, und Schwefelsäure, aus 1 Theil
Hydrat und 2 Theilen Wasser bestehend, lieferten dasselbe Besultat.
Beim vorsichtigen Zusammenbringen des Oeles mit Brom bil-
dete sich unter Wärme-Entwickelung ein krystallinisches Bromür
von der Zusammensetzung Cie Hie Brs, woraus man wohl schliessen
darf, dass das Oel selbst Distyrol, CieHie, gewesen ist.
Dieses geht bei längerem Erhitzen f&r sich auf 200^ nicht in
Metastyrol über. Aber gewöhnliches Styrol, das durch Destillation
von flüssigem Storax mit Wasser erhalten war, hatte sich nach
mehrstündigem Erhitzen mit Salzsäure von 1,12 spec. Gewicht auf
170^ zum grossen Theil in Distyrol verwandelt, während Meta-
styrol in dem erhaltenen Product nicht nachzuweisen war.
Diess berechtigt wohl zu dem Schlüsse, dass die Zimmtsäure
bei den angegebenen Bedingungen in Kohlensäureanhydrid und
Styrol zerfällt, und dass dieses dann weiter in Distyrol verwan-
delt wird.
*) Ans IC Grm. Zlmmtdfture waren 10,86 Grm. Gel erhalten wordeoi
die Reehnung setit 11,26 Grm« voraus.
73i Verbindlnniceii des natarhlBiorisoh-mediilnisoheii Vereios.
Die Zimmtsftnre wird, wenn man sie mit Wasser allein er-
hitrti selbst bei 230^ nicht bemerkbar zersetzt. Erhitzt man die-
selbe im trockenen Znstand im zugeschmolzenen Rohr, so gibt sie
(langsam bei 240 0, rascher bei 270^) ebenfalls Eohlensänreanhjdiid
ans. Ob dabei anch Distyrol, oder obMetastyrol (TristTTol?) ge-
bildet wird, werde ich später mittheilen.
6. Mittheilnng des Herrn Prof. H. Alez.Fagen8tdcher
»üeber junge Fische in den Kiemen von ünio
pictorum«, am 2. Juni 1865.
Als Uteste Mittheilung über das Vorkommen von Fischbnt
in Muscheln haben Anbert und nach ihm Maslowskj eine Bemeik-
nngen vonCaTolini aus seinem berühmten Werke: sulla generazione
dei pesci e dei granchi (Napoli 1787; deutsch von Zimmermaim
1792) im Vergleiche mit ihren eigenen Beobachtungen angeführt
Aus dem Texte jenes Werkes (in der Uebersetzung p« 41, 42 o. 78)
scheint mir jedoch nicht sicher hervorzugehen, dass die Wahrneh-
mungen Yon Oavolini wirklich mit denen yon Aubert, Maslowsky
und den weiter zu erwähnenden verglichen werden können. Gavo-
lini, welcher die Brut von Seefischen einmal in Venus, das andere
Mal in Spondylus (gaederopus ?) fand, spricht in jenem Falle von
angetriebnen Schalen und in diesem gibt er an, dass er die Muschel
zwar von einer Klippe genommen, dass aber das Thier darin todt
gewesen sei. Diese Beobachtungen sind also bis auf Weiteres nicht
sicher als solche anzusehen, in denen junge Fische in den Organen
lebender Muscheln und unter Begünstigung durch deren Funktion,
parasitisch, gefunden wurden; es scheint vielmehr möglich, dass
die Fische ihre Eier nur in die klaffenden Schalen abgestorbener
Thiere gelegt hatten und davon dass die Kiemen die Brutstätte ge-
bildet hätten, ist gar keine Bede.
Die erste entsprechende gedruckte Mittheilung würde dann
wohl die von Küster sein (Artuntersuchung der Najaden, Okena
Isis 1843. p. 584). Derselbe entdeckte in Unio pictorum im Juli
1889 junge Fische, fand sie dann auch in Anodonta coUensis und
auch die zugehörigen Eier. Letztere seien nicht Hirsekomgross
gewesen ; Fische kamen bis siebzehn in einer Muschel vor. Er hielt
sie für Junge von Cyprinus oder Cobitis. Oken setzte jedoch als
Redakteur hinzu, DöUinger habe schon entdeckt, dass sie Stichlinge
seien. Der Fundort in der Muschel wurde nicht genau beschrieben*
Damach fand O.Vogt (Ann. des sciences nat. IILXn. p. 201;
1849) gleichfalls junge Fische in Süsswasser-Muscheln, die er nur
moules nennt, die aber nach den aus ihnen erhaltenen Helminthen
wohl Anodonten gewesen sein müssen. Die Zahl der Fischchen aas
einer Muschel erreichte vierzig, einige waron bis zehn Millimeter
lang ; die Grösse der Eier wurde fUr den langen Durchmesser mit
Vtthandlttiigen des natnrhiBtorisch-mecIlslDiflolien Yerahii. 7S5
1,6 xnm. angegeben. Nach der Zeichnung steckten die Fischchen
senkrecht in den Bogen der Kiemen der Muscheln. Vogt meinte,
die Eier, die er fGLr die von Cottas gobio hielt, seien mit dem
Wasser eingesogen.
Anbert erwähnte nnr beiläufig (Zeitschnftlrwissensch. Zoolog.
Vn. p. 868) einen gleichen Befand ans den Kiemen der Flnss*
mnscheln nnd vermochte (Amnerk.) die Art nicht zn bestimmen.
Maslowskj (Bullet, de la Sociöt^ Impör. des Nat. de Moscon.
87. 1865. I. p. 269) fand die jungen Fische in Anodonta cellensis
in den Kanälchen der innem und äussern Kiemen mit dem Kopfe
nach dem freien Bande, also wohl in derselben Lage wie Yogt,
vom 12. Mai an. Alle hatten das Ei schon yerlassen. Ein Fisch-
chen wurde drei Wochen im Wasser frei lebend erhalten und seine
Entwicklung aufmerksam yerfolgt, wobei es die Länge von 1,5 cm.
erreichte. Die Bildung eines innem, nicht äussern Dottersackes
und die Gegenwart einer Schwimmblase schloss die Annahme Vogts,
dass die Fischchen Gottus gobio seien, ftir diese Beobachtung durch-
aus aus. Er glaubt, dass die Thiere erst im August die Kiemen yer«
lassen und hält sie wegen des frühen Ausschlüpfens aus dem Ei,
wegen der Schwimmblase und der Uebereinstimmung der Zeit des
Fundes mit der Laichzeit der Cjprinoiden, für letzterer Fisch-
gruppe angehörig. Nach privaten Mittheilungen sollen noch nicht
yeröffentlichte Untersuchungen Maslowsky's ergeben haben, dass es
sich um den Bitterling handle, dessen Legeröhre Krauss 1858 be-
schrieb.
Ich selbst fand nun junge Fischchen in den Saemen von ünio
pictorum am 21. Mai d.J., nachdem ich durch die dunklen Augen,
welche ich auf den ersten Schein für versteckt liegende Hjdraclmen
hielt, auf die Gegenwart eines fremden Körpers aufmerksam ge-
worden war. In untermischten Anodonten fehlten diese Bewohner,
auch habe ich sie früher weder in diesen Muscheln noch in Mar-
garitina margaritifera unserer Gegend gesehn. Eier fanden sich
durhaus nicht vor und es war der Entwicklungszustand der sämmt-
lichen gefundenen Fische nicht sehr verschieden. Die Lage der
Fische in den Kiemen war in durchgehender Weise abweichend
von der, welche von den angeführten Autoren angegeben worden
ist. Die Thierchen befanden sich beständig in dem oben an dem
Anheftungsrande in den Kiemen befindlichen in der Längsaxe der
Muschel sich erstreckenden gemeinsamen Binnenraum, auf welchem
die Böhrensjsteme der Kiemen senkrecht aufstehn. In diesem
Baume waren die Fischchen stets mit dem Kopfe nach dem Vorder-
rande der Muschel gewandt, öfters dicht an einander und über
einander gedrängt, fast wie zusammen gepackt, als wenn sie von
hinten her, soweit es eben anging, nach vom zu eingewandert
wären. Ich fand bis sieben Fische in einer Muschel. Sie massen
etwa ein Gentimeter in Länge. Einzelne wanderten freiwillig aus
der Muschel aus in das Aquarium, andere herausgenommen sohle«
7M VerbfUEidhiBgen des natnrhlBtoriseli-iiiedijdiiiBeheii VereinB.
nen vergeblich den Bückweg in die klaffende Muschel zu saohen.
um die Fischchen zu weiterer Entwicklung zu bringen, wurde ein
Theil der Muscheln in die Becken zu künstlicher Fischzucht auf
dem Wolfsbrunnen gebracht, es fand sich jedoch später in keiner
dieser Muscheln oder in den Gef&ssen ein junger Fisch vor. Abge-
sehen von der Lage in der Muschel haben wir an unsem Fiach-
chen gegen Maslowsky's Angaben nichts Besonderes hervorzuheben,
ich zweifle nicht, dass auch wir Oyprinoiden vor uns hatten. Im
Qanzen aber scheinen die verschiedenen Beobachtungen darauf zu
deuten, dass die Jungen verschiedener Arten von Süsswasserfigchen
auf diese Weise in Muscheln schmarotzen. Bekanntlich schmarotzoi
umgekehrt junge Anodonten an Kiemen und Haut von Oyprinoiden,
wie wir das hier öfters zu beobachten Gelegenheit hatten. In der
gestreckten Gestalt glichen unsere Fischchen mehr den Elritzen.
6. Vortrag des Herrn Prof. Friedreich: ȟeber einen
Kranken, welcher brennbare Gase ausathmet«,
am 16. Juni 1865.
7. Vortrag des Herrn Prof. Carius: »Ueber Butter-
säuregährung im Magen eines Erankenc,
am 16. Juni 1865.
(Das Manuscrlpt wurde elDgerefcht am 19. Sept 1865.)
Die Untersuchung, welche ich auf den Wunsch des Herrn Prof.
Friedreich über den von ihm mitgetheilten Krankheitsfall ausführte,
habe ich mit der Analyse der von dem Kranken durch den Mund
ausgestossenen brennbaren Gase begonnen. Sie wurden 3 bis 4
Stunden nach dem Mittagessen aufgefangen, zu welcher Zeit die
Gasentwicklung nach Aussage des Kranken am reichlichsten war,
in der Weise, dass der Kranke ein Glasrohr in den Mund
nahm, welches durch ein Kautschuckrohr mit einem unter Wasser
mündenden Gasleitungsrohr verbunden war. Dieses ganze Gas-
leitungsrohr war vorher mit Wasser gefüllt, und durch einen
Quetschhahn gesperrt. Wenn der Kranke das Ankommen des
Gases bemerkte, wurde demselben die Nase zugehalten, und der
Quetschhahn geöffnet, worauf das Gas ruhig ausströmte. Die Menge
des so erhaltenen Gases war sehr bedeutend ; der Kranke stiess auf
einmal gegen 200 und wenige Minuten später sogar 800 Cbc.
Gas aus.
Die Analyse wurde nach der Methode vonBunsen ausgeführt,
wobei zur sicherem Prüfung auf Sumpfgas bei der zweiten mit
einer neu aufgefangenen Gasprobe angestellten Analyse auch die
Menge des durch Explosion mit überschüssigem Sauerstoff gebil-
deten Wasserdampfes beobachtet wurde.
Die Rechnung ergab aus den ^haltenen Beobachtungen:
Verliandlimgen des utnrUatorlaeh-medldiiif eben Verdiu. IST
1. 2.
Eohlens&are 26.56
Waaserstoff 32.30
Sumpfgas 0.84
Sauerstoff 7.36
Stickstoff 33.44
— 28.45 Vol.
— 81.55 „
— 0.24 „
— 6.82 „
— 82.94 „
100.00
100.00 Vol.
Schwefelwasserstoff und Phosphorwasserstoff konnten nicht auf-
gefunden werden.
Stickstoff und Sauerstoff sind in dem Gasgemenge nahezu in
dem Yerhältniss wie in der atmosphärischen Luft vorhanden , so
dass man sicher annehmen darf, dass dieselben nur aus der von
dem Kranken miteingeschluckten oder bei ihm noch in der Mund-
höhle befindlich gewesenen Luft stammen» besonders da der kleine
Verlust an Sauerstoff sich aus der leichtern Absorbirbarkeit des-
selben im Wasser erklärt. Die Gegenwart des Sumpfgases erklärt
sich leicht aus der Entstehung des Cktsgemenges ; von Bedeutung
ist sein Vorkommen in so kleinen Mengen nicht. Die wichtigen
Bestandtheile des Gasgemenges sind daher nur Kohlensäure und
Wasserstoff. Es fiel mir sofort auf, dass dieselben zu annähernd
gleichen Volumen vorkommen, und wenn man sich erinnert, dass
Kohlensäure weit stärker vom Wasser absorbirt wird, als Wasser-
stoff, so lässt sich die verhältnissmässig geringere Menge der er-
steren daraus erklären. Bei der Bildung von Butter säure durch
Gährung entstehen Kohlensäure und Wasserstoff ebenfalls zu glei-
chen Volumen, wodurch es wahrscheinlich schien, dass im Magen
des Kranken wirklich eine gewöhnliche Buttersäuregährung statt-
finde. Um Dieses einer weitem Prüfung zu unterwerfen, habe ich
den flüssigen Theil des frisch Erbrochenen des Kranken, welches
stark sauer reagirte, der Destillation unterworfen. In dem stark
sauren Destillate fanden sich sehr reichliche Mengen von Butter-
säure; aus dem auf einmal Erbrochenen wurden nahe 5 Gramm
reine Buttersäure gewonnen. Neben Buttersäure enthielt das De-
stillat noch Spuren der höheren Homologen derselben, Capronsäure
u. s. w., aber keine Essigsäure. Die Identität der erhaltenen Säure
mit Buttersäure wurde durch die Analyse und Eigenschaften ihres
Bariumsalzes sicher gestellt.
Dem Mitgetheilten zufolge ist kein Zweifel vorhanden, dass im
Magen des Kranken wirklich Buttersäure durch Gährung gebildet
wird. Ganz ähnlich scheint dies in einem zweiten von Herrn Prof.
Friedreich beobachteten Falle zu sein, wenigstens fand ich in dem
Erbrochenen dieser Kranken, die ebenfalls viel Gas ausstiess, fast
ebenso bedeutende Mengen von Buttersäure.
Die Buttersäure entsteht durch Gährung aus Zucker, Stärke und
ähnlichen Stoffen, indem dabei zunächst wahrscheinlich immer Milch«
728 Verhandlnngen deB naturMBtorlsch-medlziniscben Yerdiu.
säure gebildet wird, und diese dann bei Gegenwart in Zersetzung (Fäul-
niss) befindlicher Proteinkörper nach folgender Gleichung zerföllt:
(Cs Hg 03)9 = 04 Hs O2 + (COOt + H4.
Es ist daher wahrscheinlich, dass auch in dem Magen des
Kranken die Milchsäure in derselben Weise zersetzt wird. Eine
Verschiedenheit dieses Processes und des bekannten, kann möglicher-
weise nur darin vorhanden sein, dass bei der bekannten Buttersänre-
gährung, wenigstens in den gut untersuchten Beispielen nicht freie
Milchsäure sondern milchsaures Salz der Zersetzung unter Bildung
von Buttersäure unterliegt, während hier in dem Magen des Kran-
ken ohne Frage freie Milchsäure zersetzt wird.
8. Vortrag des Herrn Hofrath H. Helmholtz: »Ueber
stereoskopisches Sehen«, am 30. Juni 1865.
(Das Manuficrlpt wurde eingereicht am U. Juli 1865 )
Der Vortragende zeigte zunächst ein nach seinen Angaben con-
struirtes Stereoskop vor, welches etwa doppelt so starke Vergrös-
serung hervorbringt als die gewöhnlichen Stereoskope, nur Linsen,
keine Prismen enthält, und mit den nöthigen Einrichtungen ver-
sehen ist, um eine genaue Einstellung der Linsen für den richtigen
Grad der Convergenz hervorzubringen. Photographien auf Glas
machen darin einen viel mehr der Wirklichkeit entsprechenden
Effect, als in den gew{)hnlichen Stereoskopen.
Der Vortragende berichtete darauf über Versuche, die er theils
früher, theils neuerlich über die binoculare Raumprojection ange-
stellt hatte, mit Beziehung auf die denselben Gegenstand betreffen^
den Arbeiten von Herrn E. Hering.
Es kommen bei diesen Raumprojectionen gewisse Täuschungen
vor. Erstens hat Hr. Hering gezeigt, dass eine in der Median-
ebene befindliche Normale zur Visirebene nicht immer normal er-
scheint. Dass man vielmehr, wenn die Augen gegen das Gesicht
nach unten gewendet sind, einen Faden oder Drath, den man senk-
recht zur Visirebene zu stellen sucht, mit dem oberen Ende gegen
den Beobachter neigt, wenn die Augen dagegen nach oben gewen-
det sind, mit dem untern Ende nähert, Herr Hering schliesst
daraus, der Faden müsse im Horopter liegen, um senkrecht zur
Visirebene zu erscheinen. Die Regel mag für Herrn Hering's
Augen, welche die Abweichung zwischen den scheinbar verticalen
und wirklich verticalen Meridianen nur in sehr geringem Grade
zeigen, und für die Medianebene thatsächlich zutreffen. Der Vor-
tragende, für dessen Augen jene gewöhnlich vorhandene Abwei-
chung sehr merklich ist, findet für seine Augen jene Regel nicht
richtig. Die Linien, welche ihm vertical zur Visirebene erscheinen,
liegen niemals im Horopter, sondern erscheinen immer in deutlich
n^ch unten convergirenden Doppelbildern, wenn man einen nahe
Verhandlnngen des nattulüfitoriflch-inediEtiÜBcben Verefn«. 730
hinter ihnen liegenden Punkt fixirt. Die Linien dagegen, welche
im Horopter liegen, erscheinen mit ihrem oberen Ende stets vom
Beobachter entfernter.
Der Vortragende hat schon bei einer früheren Gelegenheit dar-
auf aufmerksam gemacht, dass wir die Lage der Objecto immer so
beurtheilen, sowohl in Beziehung auf Bichtung (wie Herr Hering
richtig bemerkt hat) als auf Baddrehung, wie wenn jedes Auge der
mittleren Sehrichtung parallel gestellt wäre. Unter mittlerer
Sehrichtung verstehe ich nach Hering eine Linie, die den
Fixationspunkt mit einem mitten zwischen den Mittelpunkten bei-
der Augen gelegenen Punkt verbindet. Die Baddrehungen, welche
in jedem Auge beim üebergange aus der zeitigen mittleren in seine
actuelle Stellung eintreten, werden nicht bertlcksichtigt. Daraus
ergibt sich nun auch für die hier besprochenen Projectionen fol-
gende Begel, welche auch durch die Versuche sowohl für die
Medianebene des Kopfes, als auch fUr seitlich gelegene Punkte be-
stätigt wird, dass senkrecht zur Visirebene solche ge-
rade Linien erscheinen, die sich abbilden auf den-
jenigen Meridianen beider Augen, welche bei Stel-
lung der Augen parallel der zeitigen mittleren Seh-
richtung senkrecht zur Visirebene sein würden. Diese
Meridiane sind aber bei Augen, welche die Abweichung der schein-
bar verticalen Meridiane zeigen, und dem Listing' sehen Gesetze
der Baddrehungen folgen niemals identische Meridiane.
Auf eine zweite Täuschung hat der Vortragende zuerst in
seinem Aufsatz über den Horopter aufmerksam gemacht. Drei
Nadelköpfe, welche in einiger Entfernung von einander vor dem Be-
obachter in einer von rechts nach links laufenden geraden Linie
sich befinden, scheinen bei der Betrachtung mit zwei Augen in
einem gegen den Beobachter convexen Bogen zu stehen. Damit sie
in gerader Linie erscheinen sollen, müssen sie in einem gegen den
Beobachter etwas concaven Bogen stehen, Herr Hering hat die
entsprechende Beobachtung an senkrecht aufgehängten Fäden ge-
macht, und auch hier behauptet, die Fäden erschienen in einer
Ebene, wenn sie im Längshoropter lägen, also bei horizontal ge-
richteter Visirebene durch den Müller 'sehen Kreis gingen. Der Vor-
tragende hat nun Messungen der Krümmung angestellt, und für
seine eigenen Augen und für Begel Beobachter die allergrössesten
Abweichungen von dieser H e r i n g ' sehen gefunden. Wenn die drei
Fäden in einer schwach gekrümmten Cylinderfläche hängen, so
müsste man sie nach Hering in einer Ebene sehen, wenn die
Augen des Beobachters um den Durchmesser des Cylinders von
ihnen entfernt wären. Statt dessen mussten alle drei Beobachter
in oft wiederholten Versuchen auf ^js bis ^je dieses Durchmessers,
der Vortragende auf '/lo desselben sich nähern, um die Fäden
scheinbar in einer Ebene zu sehen, wobei die Fäden also nicht
im Horopter lagen, und zum Theil Doppelbilder der seitlichen
7tO Verhandinngen des naturhistoriseli-mediffailseheii Vereins.
F&den dentlicb erkannt werden konnten. Bei Herrn Hering ist
also die optische Täuschung in diesem Versuch sehr viel grOsier,
als bei andern Beobachtern, was damit zusammenzuhängen scheint,
dass nach häufig sich wiederholenden Aeusserungen in seinen Schrif-
ten das Urtheil über Entfernung nach Convergenz der Gesichts-
linien bei ihm besonders unvollkommen zu sein scheint, üebrigens
zeigen sich bei diesem Versuche sehr grosse individuelle Verschie-
denheiten, die wahrscheinlich von der Uebung der Augen nach der
Convergenz die Entfernung zu beurtheilen abhängen.
Dass die letztgenannte Fähigkeit keine grosse (renauigkeit er-
reicht, zeigen die Versuche von Wundt. Aber auch bei diesen
Versuchen zeigte sie sich durchaus nicht als gänzlich mangelnd.
Der Vortragende hat Versuche nach einem etwas modificirten Ver-
fahren angestellt, und bei sich und einem andern Beobachter eine
grössere Sicherheit in der Beurtheilung gefunden, als Wundt er-
reicht hatte. Aber allerdings zeigen bekannte Versuche, dass wenn
bei irgend welchen binocularen Erscheinungen andere Urtheilsmotive
für eine andere Entfernung sprechen, oft nach denen geurtheilt,
und die Convergenz nicht berücksichtigt wird.
Man hat nun bisher bei den stereoskopischen Bildern nur zn
berücksichtigen gepflegt, dass die horizontalen Abstände der ein-
zelnen Objektpunkte beiden Augen verschieden erscheinen, aber
nicht dass auch die verticalen Abstände nach rechts gelegener
senkrecht über einander befindlicher Funkte dem rechten Ange
grosser als dem linken erscheinen müssen. Auch das hat Einflnss
auf die stereoskopische Projection. Der Vortragende legte zwei
stereoskopische Zeichnungen vor, die eine darstellend die Projectio-
nen einer ziemlich nah vor den Augen befindlichen ebenen schach-
brettartig gemusterten Fläche, die zweite darstellend die Projectio-
nen eines entfernten schachbrettartig gemusterten senkrechten Cjlin-
ders. In beiden waren die horizontalen Abstände der verticalen
Linien genau dieselben, und nur die oberen und unteren Begren-
zungslinien der Felder waren verschieden gezogen, und doch gaben
sie ein vollkommen verschiedenes Relief. Das eine erschien als
Ebene, das andere als Cjlinder. Dadurch wird nachgewiesen (in
Widerspruch mit den Voraussetzungen der He ring 'sehen Theorie),
dass nicht blos die Differenzen der horizontalen Entfernungen, son-
dern auch die der verticalen die stereoskopische Wirkung bestim-
men. Die Convergenz der Sehaxen war beim Anblick beider Zeich-
nungen mit unbewaffneten Augen gleich Null, entsprach also nicht
dem Anblick eines nahen, sondern nur dem eines fernen Objekts.
Dennoch wurde, da die beiden Netzhautbilder des oberen Schach-
bretts in dieser Form nur durch ein ebenes Object geliefert we^
den konnten, das Object als eben angeschaut.
Aus diesem Versuche geht also hervor, dass auch die Differen-
zen in den verticalen Distanzen mitwirken, um den Eindruck eines
nahen Objects hervorzubringen. Bei dem Hering 'sehen Versnobe
Verlumdlnngen des natnrblBtoriBch-medlilnisolieB VerelBs. 7B1
mit den drei Fäden fehlen nun erkennbare Differenzen der yerti-
calen Distanzen, weil an den Fäden kein Punkt einen deutlich her*
vortretenden Eindruck macht. Es fehlt also eines der Zeichen,
an denen wir ein nahes Object erkennen, und wir halten deshalb
das Object für femer, und da dann die Unterschiede der horizon-
talen Distanzen in den beiderseitigen Netzhautbildern fUr Theile
einer Ebene zu gross sind, so halten wir die Fläche fllr convex
gegen uns.
Werden an den Fäden Gpldperlen in kleinen Zwischenräumen
befestigt, um Merkpunkte für das Auge zu geben, so schwindet die
beschriebene Täuschung über ihre Lage fast ganz; wodurch die
gegebene Erklärung bestätigt wird.
Die beschriebenen Erscheinungen sind also neue Beispiele für
den Satz, dass die Abweichung der Augen von der mittleren Seh-
richtimg^ sowohl der Richtung als der Baddrehung nach theils gar
nicht, theils nur unsicher beurtheilt und berücksichtigt wird, wäh-
rend sie den angeblichen Thatsachen, auf welche Herr Hering
seine Theorie der stereoskopischen Baumprojection gegründet hat,
vollständig widersprechen«
9. Mittheilungen des Herrn Prof. H.A. Pagenstecher:
ȟeber das Vorkommen von Trichina spiralis
beim Igel«, am 80. Juni 1865.
Der Vortragende hat zwei Fütterungsversuche mit trichinigem
Kaninchenfleische an Erinaceus europaeus angestellt. Der erste
Igel erhielt am 9. Mai 1865 stark trichiniges Kaninchenfleisch mit
Kartoffeln gemischt vorgesetzt und frass dasselbe in der folgenden
Nacht. Er bekam am 11. Mai eine zweite tüchtige Portion. Nach
sechs bis acht Tagen wurde er träge, die Glieder steif und kühl,
das Auge sehr matt, er frass jedoch noch am 20. Mai. Am 21.
fand man das Thier todt und es ergab die am 22. angestellte
Section eine sehr grosse Menge von Trichinen im Magen, auch
ziemlich viele im Darme. Die Würmer waren geschlechtsreif, die
Weibchen mit Eiern gefüllt. Embryonen wurden noch nicht vor-
gefunden.
In einem zweiten Versuche gelang es zu vollkommeneren Ergeb-
nissen zu gelangen. Der Igel, welcher am 6. Juni zuerst und dann
wiederholt mit trichinigem Kaninchenfleische gefüttert worden war,
lebte diesmal nach Beginn des Versuches vierzehn Tage. Am 20.
Juni gestorben kam er leider erst am 22. zur Sektion. Bei der
sehr grossen Hitze war der Darm so faul geworden, dass man die
Untersuchung desselben unterliess. Im Muskelfleische fand sich eine
ziemliche Anzahl von jungen Trichinen, deren Grösse von 0,11 bis
0,14 mm. gemessen wurde. Da wir bisher noch keinen Fall ken-
ncBi in welchem die jungen Trichinen wohl zur Einwanderung in
T8d YerLaiidluDgeii des naturhistoriscb-mediiinlsdien Verdns.
die Muskeln aber doch nicbt zu Toller Yollendung des in diesen za
durchlaufenden Lebensstadiums gelangen, so ist durch diese Versuche
wohl der Beweis gegeben, dass der Igel vollkommen fftr die Tri-
chineninfektion geeignet sei. Durch den Gknuss seines Fleisches
kann demnach auch wieder eine Infektion mit Triebinen herbeige-
führt werden.
10. Vorstellung zweier Kranke durch Herrn Prof.
O.Weber »Heilung einer perforirenden Tibiafraktur
und einer Verkrümmung der Hand durch Brand-
wunden«, am 14. Juli 1865.
(Das ManuBcrlpt wurde eingereicht am 17. August 1865.)
Prof. 0. Weber stellt einen Kranken vor, welchem er wegen
einer consecutiven complicirten Luxation des Unterschenkels mit
Splitterbruch der Tibia und Fibula das untere Ende der Tibia mit
dem einen Knöchel in der Höhe von ^j^ Zoll subperiostal resecirt
hatte. Der 46jahrige Mann, ein starker Trinker, hatte seiner An-
gabe nach, Mitte März durch einen Fall auf ebener Erde im Felde
das Bein gebrochen und war auf allen Vieren nach seiner eine
viertel Stunde entfernten Wohnung hingekrochen, wo ihm der hin-
zugerufene Arzt einen Schienenverband anlegte. Indess wurde der-
selbe nicht gut ertragen. Es stellten sich furchtbare Muskelzuck-
ungen ein, durch welche der Fuss sich fortwährend dislocirte; die
Haut über dem einen Knöchel wurde brandig und schliesslich per-
forirte die Tibia hier die Haut, und drang, indem der Fuss durch
den Muskelzug immer weiter nach aussen und in die Höhe gezogen
wurde, an der Innenseite desselben zollweit hervor. In diesem Zu-
stande wurde der Kranke am 18. April in das akademische Kran-
kenhaus aufgenommen, weil man die Amputation ftir unvermeid-
lich hielt. Dort wurden wiederholte Bopositionsversuche gemacht,
auch ein Gypsverband angelegt, der aber schon am folgenden Tage
wieder abgenommen werden musste, und endlich der Fuss in der
dislocirten Stellung in das warme Wasserbad gelegt. In diesem
Zustande fand der Vortragende den Kranken, entschlossen sich das
Bein abnehmen zu lassen, bei Uebernahme der Klinik am 20. April
vor. Die Tibia ragte mit dem inneren Knöchel in der Länge von
1^1% Zoll zur Seite des Fussgelenkes , ihres Periosts ganz beraubt,
hervor. Der innere Knöchel war erhalten, die Bänder von ihm mit
dem Perioste abgerissen. An ihrer Aussenseite gegen die Fibula
war ein schräges Fragment losgetrennt und mit dem Fusse in die
Höhe gezogen, der Fuss selbst durch eine mehrfache Fractur der
Fibula in der von Dupuytren zuerst beschriebenen Weise dislocirt:
er lag zur Seite der Tibia, sein äusserer Band war steil nach auf-
wärt gewendet, die Fusssohle sah ganz nach aussen, der innere
Band nach abwärts. Die Hauptfractur der Fibula lag dicht über
Terhandliuigen des naturliistoiisch-medlziiiischen Vereins. 7dS
dem Knöchel: eine zweite mehr in der Mitte. Die Wadenmuskeln
waren stark contrahirt.
Es wurde ein Versuch gemacht, den Fuss in der Chloroform-
narkose und bei rechtwinckliger Beugung des Unterschenkels zu
reponiren. Indess war dies völlig yergeblich, da die schon länger
bestehende Muskelcontraktur sich in keiner Weise überwinden
liess. Es blieb nichts übrig, als den Innern Knöchel mit der unteren
Gelenkfläche der Tibia zu reseciren, was in Rücksicht auf die gün-
stigen Resultate welche B. y. Langenbeok neuerlichst durch die
Besection am Fussgelenke erreicht hat, um so eher geschehen durffce,
als das Periost YoUkommen znrückgestreift war und man also eine
Begeneration erwarten durfte. Die Operation wurde am 23. April
vorgenommen und ein ^ji Zoll hohes Stück mittelst der Stichsäge
entfernt. Die Reposition des Fusses gelang jetzt mit Leichtigkeit.
Der Fuss wurde von langen Spreukissen unterstützt und mit einer
SculteVschen Binde umgeben in einen Heister'schen Kasten ge-
lagert. (Nach neuen Erfahrungen würde der Vortragende einem
gefensterten Gypsverbande den Vorzug geben.) Die Heilung er-
folgte ohne Schwierigkeit, wiewohl noch einige dünne Splitterchen
die Fibula später ausgezogen werden mussten. Die Beweglichkeit
des Fassgelenks ist durch passive und aktive Bewegungen ziemlich
gut erhalten, die Form sehr befriedigend, die geringe Verkürzung
beim Gange nicht bemerkbar. Bei der Vorstellung des Patienten
überzeugte sich die Gesellschaft, dass der innere Knöchel sich voll-
kommen regenerirt hatte imd dass der E^ranke bereits recht gut
auch ohne Stock zu gehen vermochte.
Prof. 0. Weber stellte femer ein 17jähriges Mädchen vor, bei
welchem eine starke Contraktur der Finger in Folge einer Ver-
brennung durch Excision der Narbe und permanente Dehnung der
Granulationen vollkommen geheilt hatte. Die Kranke war als Kind
mit der Hand gegen den glühenden Ofen gefallen. In Folge der
Vemarbung war der fünfte Finger bis in die Vola, der vierte
Finger etwas weniger, Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger bis zu
starker Beugung nach einwärts gezogen, wie der vorgelegte Gyps-
abguss zeigte. Die Nachbehandlung nach der Excision muss mit
grosser Sorgfalt geleitet werden, indem die Granulationen täglich
durch starke Dorselflexion getrennt werden müssen. Ausserdem
muss die Hand fortwährend bis die Narbe ganz weich und nach-
giebig ist in der stärksten Streckung befestigt bleiben. Die von
vielen noch bezweifelte Wirksamkeit dieses Verfahrens, welches man
auch bei frischen Verbrennungen und bei traumatischen Defecten
der Haut mit grossem Vortheile anwendet, hatte in diesem wie in
andern von Busch und 0. Weber behandelten Fällen eine sehr gute
Herstellung der Form und Brauchbarkeit der Hand ergeben.
784 Verbaadlungen des natürbistorisch-mediiiiiiBcliein VctcIbb.
11. Vortrag des Herrn Dr. J. H.Enapp: ȟeber die bei
der epidemischen Cerebr ospinalmeningitis vor-
kommende Erkrankung des Angapfels«,
am 14. Juli 1365.
(Das Mannscript ^vrde eingereicht am 17. Juli 1866.)
Bei der in den letzten Jahren in der Gegend von BastaU
epidemisch und in Heidelberg sporadisch auftretenden Meningitis
cerebrospinalis wird eine so eigenthümliche und in ihrem Verlaofe
sich so gleichbleibende innere Augenentzündung beobachtet, dass
mich der erste mir davon zu Oesicht gekommene Fall lebhaft an
zwei unter denselben Erscheinungen erblindete Augen erinnerte,
deren Augenkrankheit angeblich im Verlaufe des Typhus aufgetre-
ten war. In Ereitmair*s vor Kurzem erschienenen Bericht*]
über seine Augenheilanstalt zu Nürnberg finde ich darüber eine
kurze Notiz. Er hält die Erkrankung für eine Iridochoroiditis, be-
obachtete davon einen Fall auf der Höhe der Hornhautentzündung
und mehr als ein Dutzend nach Ablauf derselben. Ich selbst habe
bis jetzt 10 Fälle der Art, sämmtlich nach Heilung der Meningitis,
beobachtet. Nach statistischen Erkundigungen, die ich belBastatter
Aerzten: Hang, Oster, Bopp einzog, werden etwa 4 bis 5^/o der
an Meningitis cerebrospinalis Erkrankten von Augenentzündnng
befallen.
Symptome. Die fragliche Augenerkrankung tritt gewöhn-
lich während der 2. und 3. Woche der Hirnhautentzündung ein nnd
zwar unter dem Bilde einer mehr oder weniger heftigen Iridocho-
roiditis exsudativa, welche in den allermeisten Fällen schon binnen
2 bis 4 Tagen zu völliger, unheilbarer Erblindung führt. In der
Mehrzahl der Fälle, 7 unter den 10 von mir beobachteten, waren
die Beizerscheinungen gering: leichter Augen- und Stimschmers,
der oft durch das Hirnleiden völlig verdeckt wird, massige sab-
conjunktivale Injektion um die Hornhaut mit dicken, bläulichen,
geschlängelten,, episkleralen GefUssstämmen ; dabei die Iris ver-
erbt, der Pupillarrand mit isolirten kleinen, meist braunen Syne-
chien besetzt, Pupille ziemlich eng, leicht getrübt; durch dieselbe
sieht man, nach Aussage der Bastatter Aerzte, schon in den ersten
Tagen der Augenerkrankung das Innere des Auges weisslicfa
grau. In andern, weniger zahlreichen Fällen sind aber auch die
Beizerscheinungen heftig: starke Böthe und seröse Anschwellung
der Bulbusbindehaut, röthliche, ödematöse Lidschwellung, gelbröth-
liche Verfärbung der Iris, rauchig trübe Pupille, Hypopyon, welches
den grössten Theil der vorderen Kammern, ja einmaJ diese ganz
füllte.
Der Verlauf schwankt zwischen einer und mehreren Wochen.
Die starken Beizerscheinungen, wenn sie vorhanden sind, schwinden
Wb*
BandT
AersÜ. InieUigeiucblaH fUr Bayern 1866. Nr. 21. u. 22.
Verbandliingeii des naturHsioriseli-inedleiniBcben Vereins. 7M
immer in der ersten Woche. Die Iris bleibt verfärbt und wird immer
atrophisch, die kleinen zarten Synechien verlötheten nur in
einem Falle die verengte Papille ganz, so dass der Einblick in*s
Innere verhindert war. Die Hornhaut bleibt klar und empfindlich,
die episkleralen Gefässe sind oft noch nach Monaten stärker ii^i-
zirt, länger als 6 Wochen aber sind selten mehr als einzelne Stämme
derselben hjperämisch, die vordere Kammer hat normalen Inhalt,
ist aber immer seicht durch Yorwärtsdrängung der Iris und Linse.
Diese Yorbauchung der Iris ist in der Regel einfach kugelförmig,
manchmal aber auch konisch, so dass im äussern peripherischen
DrittheU die Irisebene in normaler Lage ist, die übrigen zwei
Drittheile aber als ein schroff ansteigender Kegel vorspringen. Die
Linse fand ich nur in einem Fall in den ersten Monaten getrübt,
in den andern blieb sie hinreichend klar, um eine Einsicht in*s
Innere des Auges zu gestatteü. Dieses ist nun charakteristisch:
der Augengmnd ist mit blosem Auge, ohne Augenspiegel, immer
zu sehen. Er erscheint beträchtlich, oft bis dicht an die Linse,
vorgerückt. Seine Färbung ist weissgrau oder weissgelb, immer
matt, niemals schillernd, wie beim Fungus retinae. Die Oberfläche
ist ziemlich eben und zuweilen von einigen rothen Streifen durch-
zogen. Die Mitte des Augengrundes liegt am tiefsten und entzieht
sich zuweilen dem Blick. Der Bulbus ist immer kleiner und
weicher. Seine Bewegungen fand ich ungestört*}, unter den
10 Fällen war 9 Mal das andere Auge vollkommen gesund ge-
blieben, 1 Mal waren beide Augen unter den erwähnten Er-
scheinungen erblindet. Einmal war die einseitige Erblindung com-
binirt mit doppelseitiger Taubheit, in den übrigen 9 Fällen war
das Auge, nach geheilter Krankheit, das einzige nicht vollkommen
wieder funktionsfähig gewordene Organ. In den 10 von mir be-
obachteten Fällen war die Erblindung eine vollständige,
nur in einem zeigte sich, bei fast gänzlichem Pupillarverschluss, noch
quantitative Lichtempfindung ohne Sehfeldbeschränkung. Ich machte
Iridektomie, die schnell heilte. Die Patientin konnte am sechsten
Tage Finger in der Nähe zählen. Die Untersuchung ergab gelb-
weisse Trübungen in der Gegend des hinteren Linsenpols, die sonst
immer veränderten Seitentheile des inneren Auges, soweit ein Ein-
blick möglich war, nicht abnorm. Kreitmair gibt an, dass
das Knäblein, welches er auf der Höhe der Entzündung beobachtet,
mit theilweiser Synechie und leichtem Strabismus, jedoch sehend
(wieviel?) davon kam. Zwei andere Kinder hätten sich, trotz fort-
geschrittener Aderhautexsudation, bedeutend gebessert, die übrigen
seien unheilbar erblindet. — Die Augapfelaffektion bei der
*) Auch den inNlemeyer's Brochfire über die epldanlsche Cerebrospinal-
menlngiiis als Keratomalacie (?) angefahrten Fall sah ich in Rastatt. £r bot
die gewöbnliehen Erscheinungen: vordere Kammer seicht, Iris atrophischi
weissgraue Massen im Glaskörper, Auge klein und weiobf Hornhaut klar«
786 Verliandlüngexi des natttrhUtorlBch-anedizintschen Vereint.
epidemischen Meningitis cerebrospinalis gehört demnach zn den ge-
fährlichsten, welche es gibt.
Was ist nun die anatomische Grandlage dieses merkwürdigen
Krankheitsbildes? Ist es eine Fortpflanzung der cerebrospinalen
Veränderungen durch den Stamm des Sehnerven, also eine eitrige
Retinitis? Dieses würde das Bild der cerespinalen Meningitis ein-
heitlich ergänzen. Ich glaube es nicht, denn eitrige Entzündungen
sind der Netzhaut fremd, wiewohl sie nicht geläugnet werden kön-
nen. Das Ganze liefert in seinem Symptomencomplex ein trenes
Bild einer Choroiditis hyperplastioa mit consecutiver Betheilignng
der Iris. Nur ist der Verlauf ein rascher. Das Stadium der Drnck-
steigerung während der massenhaften Zellenwucherung wUide
dann rasch vorüber und in die dem Schwunde zukommende Dmck-
verminderung übergegangen sein. Das, was man als weissgrane
Decke des vorwärts gerückten Augengrundes sieht, halte ich für
die Netzhaut. Ob die massenhaften Produkte, welche die Netz-
haut mit mehr minder subretinalem serösem Erguss abheben
und nach vom drängen, mehr faserstofßger , oder eitriger, oder
sarkomatöser Natur sind, müssen Sectionen lehren. Zorn Schlosse
noch meine Diagnose : Ich halte die hier skizzirte, bei Cerebrospi-
nalmeningitis vorkommende Augapfelerkrankung für eine aknte
sarcomatöse (sive hyperplastische) Choroiditis mit
consecutiver Netzhautablösung und consekutiver
Iritis.
12. Vortrag des Herrn Prof. Oppenheimer: >Ueber
die Wirkungen des Morphium c, am 28. Juli 1865.
13. Mittheilungen des Herrn Prof. Dr. C.W. 0. Fuchs:
»üeber die Entstehung einiger Mineralien.«
am 28. Juli 1865.
(Das ManuBcrlpt wurde eingereicht am 12. Aug 1865.)
Da die Mineralien das gesammte Material der festen Erdmasse
bilden, so darf man nicht allein die Gesteine im Grossen und Gan-
zen betrachten, wenn man die geologischen Hypothesen auf einer
etwas sicheren und wissenschaftlichen Grundlage erbauen will, son-
dern muss auch auf ihre einzelnen Bestandtheile , eben die Mine-
ralien und ihr Verhalten eingehen und wo möglich ihre Entstehung
zu ergründen suchen. Die Mineralogie ist keine rein beschreibende
Wissenschaft, sondern enthält, wie die Geologie in den empirischen
Theil oder die Geognosie, und in den theoretischen Theil oder die
Geogenie zerfällt, gleichfalls ein theoretisches Gebiet.
(6ehlu8B folgt.)
Bi. 47. HEID£LB£E6£It 1866.
JAHEBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlnngen des natnrhistorisch-nLedizinisclieii
Vereins zu Heidelberg.
(Sehlnaa.)
Wenn dieses durch EinfUhmng gründlicher chemischer Kennt-
nisse fruchtbar gemacht und die Entstehung der einzelnen Mine-
ralien dadurch nach den bekannten chemischen und physikalischen
Gesetzen erklärt wird, dann wird die Mineralogie, die jetzt schon
die Grundlage der Geognosie ist, indem sie die Mineralien be-
schreibt und in den Gesteinen wieder erkennen lehrt, auch zur
Grundlage der Geogenie werden.
Es gibt vorzugsweise zwei Wege, auf denen man mit einiger
Sicherheit zur Bestimmung der Entstehungsweise von Mineralien
gelangen kann. Der eine Weg ist die Beobachtung der schaffen-
den Natur, der Veränderungen und Neubildungen, die sich gegen-
wärtig ereignen. Es ist dies offenbar der sicherste Weg, weil er
unmittelbar den Vorgang in der Natur bei der Entstehung des
Minerals zeigt. Der andere Weg ist der der künstlichen Mineralbildung.
Dieser Weg ist natürlich weniger sicher, weil derjenige Prozess,
welcher bei der künstlichen Darstellung eines Minerals eingeleitet
wurde, nicht immer derselbe ist, welcher in der Natur stattfand.
Aber beide Wege führen bei den meisten Silikaten nicht zum
Ziele. Ihre Bildung in der Natur erfolgt so langsam, dass wir
dieselbe nicht unmittelbar beobachten können und auch auf chemi-
schem Wege lassen sie sich nur selten und unvollkommen dar-
stellen. Gerade diese Silikate sind es aber, die das Material fast
aller krjstallinisch massigen .Gesteine — der plutonischen Gesteine,
nach den altem Geologen — bilden ; sie setzen also diejenigen Ge-
steine zusammen, deren Entstehungsweise für die Geologie von der
höchsten Bedeutung ist. Darum ist gerade ein eingehendes Studium
der Silikate, ihrer Eigenschaften und ihres gesammten Verhaltens
nothwendig um wenigstens einen Beitrag für die Kenntnisse ihrer
Entstehung zu erhalten.
«^Zu diesen Mineralien gehört in erster Reihe die reine Kiesel-
säure, der Bergkrystall. Gerade dieser kann aber zum Ausgangs-
punkt für Untersuchungen der Silikate dienen.
Die natürlich vorkommende Kieselsäure, sowohl als Bergkrystall,
wie als Quarz, als Gemengtheil der wichtigsten krystallinisch massi-
gen Gesteine, hat stets das specifische Gewicht 2,651. Wird die-
I,VIIL Jahrg. 10. Heft. 47
788 Verbandlungen des naturhistoiisch-medliinlBchm Vereins.
selbe bis nahe zu ihrem Schmelzpunkte erhitzt, so ändert dieselbe
das für sie so charakteristisohe spezifische Gewicht, wie St. Gl&ir
Deville 1855 gezeigt bat, und nimmt das spezifische Gewicht 2,2
an, welches für die amorphen Quarzarten charakteristisch ist. Durch
Einwirkung hoher Temperatur vergrSssert also der Quarz sein Volum
so sehr, dass dadurch sein spezifisches Gewicht um 0,451 abnimmt,
und er behält dies niedrigere spezifische Gewicht dann auch später
bei. %chon früher (1831) hatte Brewster die Beobachtung gemacht,
dass durch eine solche Einwirkung der Quarz auch seine charakte-
ristischen optischen Eigenschaften verliert. Dies gab H. Rose die
Veranlassung zu der Behauptung , dass der Quarz , in Form des
Bergkrystalles sowohl, wie als Gemengtheil des Granites, Porpbym
u. s. w. nicht aus feurigem Flusse erstarrt sein könne, wie es m
vielen andern Gründen eine grosse Zahl Geognosten schon ISngst
mit Recht behauptet.
Daran schliessen sich nun einige Verbindungen der Kiesel-
säure, einige Silikate an. Der Granat ist ein solches Silikat, dem
man gewöhnlich die Formel 2R«, 2SiO«4-B20^SiO« gibt. Er ist
so, wie er in der Natur gefunden wird, unlöslich in Säuren, be-
sitzt eine sehr grosse Härte 7 — 7,5 und ein spezifisches Gewicht,
das zwischen 3,5 und 4,2 schwankt, je nachdem die Varietät Kalk-,
Eisen-, Mangan-Granat ist. Eobell zeigte nun, dass der Granat,
wenn er geschmolzen wird und wieder erkaltet, alle diese Eigen-
schaften geändert hat. Er ist dann in Säuren löslich, besitzt eine
geringere Härte und ein geringeres spezifisches Gewicht. Church
hat neuerdings diese Versuche wiederholt und erhielt dieselben
Resultate.
Er fand bei braunem Eisengranat von Arendal das spezifisch«
Gewicht :
I. n. in. IV.
Vor dem Erhitzen: 4,058 4,059 4,059 4,059
Nach dem Erhitzen : 3,596 3,401 3,3095 3,204
Ein weiteres Schmelzen verringerte das spezifische Gewicht nicht
mehr. Ealkgranat hatte dagegen:
Vor dem Erhitzen: 3,666
Nach dem Erhitzen : 3,682.
Der Idokras, welcher mit Granat isomer ist und sich n^
durch abweichende physikalische Eigenschaften von demselben unter-
scheidet, stimmt mit ihm doch darin überein, dass er durch Ein-
wirkung einer hohen Temperatur weicher wird und ein geringeres
spezifisches Gewicht annimmt.
Der Zirkon verhält sich abweichend davon, indem er das
spezifische Gewicht, welches ihm in der Natur eigenthümlich ist,
durch Erhitzen vermehrt. Damour hat zuerst diese Eigenschaft
hervorgehoben. Ein Zirkonkrystall von Zeylon hatte das spezifiscb^
Gewicht 4,183 nach dem Erhitzen dagegen von 4,534. Gleich«
zeitig wurde der Zirkon glänzender und durchsichtiger, verlor aber
VerhaD^nngen des natiirbistoriscb-medifllniBcben-Yerelas. 789
seine Farbe. Ohnrch nntersuchte einen Zirkon dessen spez. Oew.
sogar auf 4,696 stieg nnd der später sein arsprüngliches spez. Gew«
nicht mehr annahm. Schon Tor Damour hatte Henneberg Aehn-
liches beobachtet und auch Svanberg kam zu denselben Resultaten.
Kürzlich hat dann noch Mohr die Versuche über die Yerände-
nmg des spez. Gew. der Silikate an andern Silikaten for^esetzt.
Angitkrjstalle aus den Laven des Laacher See-Gebietes hatten ein
spez. Gew. von 3,267 und nach dem Glühen von 3,272, so dass
sich dasselbe nur um 0,005 änderte, eine Differenz, die noch innere
halb der nicht zu vermeidenden Beobachtungsfehler liegt, so dass
man in Wahrheit sagen kann, dass jener Augit seine Eigenschaften
nicht änderte. Ebenso hatte Hornblende von demselben Fundorte
ein spez. Gew* von 3,131 und bewahrte dasselbe auch bei höherer
Temperatur, denn nach dem Glühen wurde dasselbe zu 3,146 ge-
funden. — Merkwürdig ist es, dass dagegen Hornblende, die nicht
aus Lava stammte, sondern aus dem Trachyt des Siebengebirges,
sich jenen Silikaten anschloss, die durch Einwirkung einer höheren
Temparatur ihre Eigenschaften verändern. Dieselbe hatte nämlich
ein spez. Gew. von 3,194, nach dem Glühen aber von 3,156. Das
spez. Gew. hatte somit um 0,038 abgenommen. Ebenso betrug das
spez. Gew. des Sanidins aus dem Siebengebirge 2,514, nach dem
Glühen aber nur noch 2,379, also um 0,135 weniger.
In Bezug auf die Entstehung der Silikate scheint der Schluss
gerechtfertigt: dass alle diejenigen Silikate, welche durch Glühen
einmal ihre Eigenschaften ändern (also der Regel nach ein gerin-
geres spez. Gew. annehmen), die durch weiteres Glühen ihre physi-
kalischen Eigenschaften nicht weiter ändern und nach dem Glühen
in längerer Zeit ihre ursprünglichen Eigenschaften nicht wieder
annehmen, nie einer so hohen Temperatur können ausgesetzt ge-
w^esen sein. Es ist ein ähnlicher Schluss, wie derjenige, welcher
H. Böse veranlasste dem Quarz eine Entstehung auf wässrigem
Wege zuzuschreiben. Der Granat, der Idokras, die Hornblende des
Tracbytes, der Sanidin, vermehren ihr Volumen durch Glühen, er-
halten dadurch ein geringeres spez. Gew. und eine geringere Härte,
so dass dieselben nur bei niederer Temperatur entstanden sein
können.
Da ich gerade im Besitze von solchem Materiale war, welches
dazu dienen konnte die vorliegende Frage noch mehr zur Entschei-
dung zu bringen, so stellte ich ähnliche Versuche damit an, wie
Deville, Church, Eobell, Mohr u. A. Wenn nämlich die oben an-
gegebenen Schlüsse sich bestätigen, so darf ein Mineral, das vul-
kanische Einwirkung erlitten und in dem Vulkane einer hohen
Temperatur ausgesetzt war, durch Glühen keine solche Veränderung
seiner Eigenschaften zeigen , wie die vorhergehenden Mineralien«
Die in den Laven eingeschlossenen Krystalle waren einer solchen
Einwirkung preisgegeben und sie können daher durch weitere Ein-
740 yerhAndluiigeii des DAturlitstoriflcb-inedfEinischen Vereins.
wirbing hoher Temperatar ihr spez. Gew. and ihre Härte nicbt
mehr ändern.
Ich nahm Lenzitkrystalle, welche 1845 vom Vesnv ausgewo^
fen worden waren und fand ihr spec. Gewicht zu 2,484, nach dem
Glühen zn 2,486. Die äusserst kleine Differenz von 0,002 nrnn
als Beobachtnngsfehler angesehen werden.
Darauf nahm ich Leuzit, der in der Lava der Eocca monfini
eingeschlossen vorkommt und bestimmte sein spez. Gew. zn 2,497
Durch Glühen verminderte sich das absolute Gewicht um 0,69
Prozent und das spez. Gew. erhöhte sich auf 2,510. Die kleine
Zunahme des spez. Gew. um 0,018 erklärt sich daraus, dass dss
Gestein eine vorhistorische Lava ist, die nicht mehr gaai
frisch sein kann. — Dieselben Resultate erlangte ich mit Augitkrystal-
len, die vom Aetna ausgeworfen wurden. Diese Krjstalle hatta
von dem Glühen ein spez. Gew. von 3,445, nachher von 3,453.
Die Differenz von 0,008 liegt ebenfalls noch in den Grenzen der
Beobachtungsfehler.
Der Wollastonit, in seiner ehemaligen Zusammensetzung dem
Augit so ähnlich, verhält sich anders. Wollastonit aus dem k9^
nigen Kalke von Auerbach hatte ein spez. Gew. von 2,892, das
aber nach dem Glühen auf 2,798 sank.
Da bei den Silikaten so wenig Gelegenheit sich bietet fiber
ihre Entstehung Aufklärung zu erhalten, so sind auch solche ye^
suche und deren Resultate wohl zu beachten und für die Geogenie
von Werth.
14. Vortrag des Herrn Professor Friedreioh: »Ueber
progressive Muskelatrophie mit Muskel-
hypertrophie«, am 4. Aug. 1865.
15, Mittheilungen des Herrn Professor H. A. Pagen-
stecher: >üeber Trichinen und Psorospermien beim
Maskenschweine«, am 27. October 1865.
(Das Maniueript wurde sofort eingereicht)
Ein Zufall hat in den letzten Wochen Gelegenheit geboten,
Fütterungsversuche mit trichinigem Fleische an einem Masken*
Schweine, Sus larvatus, vorzunehmen. In der Menagerie des Hem
Kreutzberg war ein erwachsenes, verschnittenes Männchen dieser
Species angeblich durch einen Schlag mit dem Rüssel des Elepban*
ten im Hintertheile gelähmt worden und wurde deshalb und yrä
es am ganzen Körper Geschwülste, vermeintliche Eiterbeulen, be'
sass, dem Zoologischen Institute überlassen. Man gab diesem Thieie
am 26. September ein halbes trichiniges Kaninchen, dessen Fleisch
es sehr begierig frass. Am 24. Oktober, also acht und zwaniig
Tage nach Einleitung des Versuches wurde das Thier getödteti
nachdem es in der ersten Zeit sich recht wohl befunden und g^
VerhADdlnogen des naturhistorisch-mediziiiiichen Vereiiis. 7il
fressen hatte, dann aber seit 8—10 Tagen abgemagert war und
zuletzt kaum noch eich zubewegen und das in den Mund gebrachte
Futter zu kauen vermochte.
Die Untersuchung erwies zunächst, dass jene Oesohwülste
Atherome waren, welche sich an den verschiedensten Stellen in der
Haut entwickelt hatten, von Nadelknopf- bis zu Faustgrösse be-
sassen und am gewaltigsten auf den Hinterschenkeln auftraten. Sie
verunstalteten das faltige sonderbare Aussehn der Haut desThiers
noch erheblich. Häufig sah man im Innern der Atherome die
Wurzelenden der Borsten nach Zerstörung der Wurzel selbst frei
und lose vorstehn, auch fand man im Inhalte abgebrochene Borsten-
stüokchen.
Die Trichinenftltterung hatte vollständigen Erfolg gehabt* Es
fanden sich in dem sehr leeren Darmkanal im Dünndarm männ-
liche und weibliche Darmtrichinen vor. Die Muskeln waren in der
vordem Körperhälffce reichlich in der hintern weniger infizirt« Ein
Theil der Muskeltrichinen war schon spiralig im Muskelschlanche
gerollt, wenn auch noch nicht solide abgekapselt. Die Injektion
der Capillargefässe der Muskeln und der Zerfall der kranken Bün-
del waren wie sonst nachzuweisen. Das Maskenschwein, welches
vielleicht eine besondere von dem gewöhnlichen Hausschweine und
dessen nähern Verwandten zu trennende Gattung bilden sollte, ist
also so gut wie unser Schwein der Trichinenerkrankung unter-
worfen. Um so weniger ist daran zu denken, dass etwa das unga-
rische Schwein von solcher eximirt sei, wie man das aus dem
Mangel an Beobachtungen von dort hat schliessen wollen.
In demselben Schweine wurden nun endlich Fsorospermien-
schlänche entdeckt, wie sie ja auch, ausser von vielen andern
Thieren, vom gemeinen Schweine reichlichst bekannt sind. In der
ersten untersuchten Portion vom Hinterschinken mehrfach gefanden,
wurden sie nachher nur wenig wieder gesehn. Die Psorospermien-
schläuche waren in diesem Falle erheblich kleiner als wir sie bei
der Batte und bei der Maus gemessen haben, kaum über 1 mm.
lang. Die hyaline Umhüllung war durch schräg überlaufende Linien
sehr deutlich gerippt und erschien am Bande ganz gezähnt; die
Spitze eines theilweise entleerten Schlauches erhielt durch die nun
noch tiefer einsinkenden Fältchen nahezu ein federbuschartiges An-
sehen. Die in den Schläuchen enthaltene Masse wurde im Allge-
meinen durch PseudonavizeUen gebildet. Die Pseudonavizellen waren
selten elliptisch, meist nierenartig oder selbst halbmondförmig und
oft dabei in sich verdreht oder windschief gebogen. Meist war der
eine Pol deutlich spitzer. Die Contonren der Hülle waren meist
nicht von ausgezeichneter Schärfe, vielmehr weich, blass, oft un-
gleich und höckrig. Einzelne dieser Körper waren sehr blass und
besonders solche waren gerne mehr hoinartig in die Länge ge-
streckt und dabei abwechselnd gebläht und eingeschnürt, fast perl-
schnurartig» Der Inhalt der PseudonavizeUen war theils klar und
742 Verhandlungen des natnrhistorlsch-medizlnisclten VereisB.
an solchen Stellen zeigte er eine oder mehrere Hohlblasen, theils
sah man kleine kömige Moleküle. Die Form der weichem ym
veränderlich, jedoch in träger und wenig ausgiebiger Weise. Die
Durchschnittslänge betrug etwa 0,015 mm. Zwischen den Pseudo-
navizellen fanden sich zahlreich Spermatozoiden ähnliche KQrp6^
eben, deren Köpfe nicht den zehnten Theil der kleinem festen
Pseudonavizellen massen, deren Schwanzfäden aber deutlich be-
merkt werden konnten und die sich bei Entleerung der Sohlänclie
iu wenig Wasser lebhaft und anhaltend bewegten. Die KOpfe
waren nicht einfach rund, sondern etwas länglich und in der Mitte
eingeschnürt, die vordere Ansdhwellung stärker lichtbrechend, &
Einknickungen der Schwänze in der Bewegung scharf. Zuweilen
fand man ein Paar, mehrmals einen ganzen Haufen solcher Sper«
matozoiden ähnlicher Körperchen mit den Köpfen noch an einander
klebend. Es schien, dass sie in kleineren runden zwischen den
Pseudonavizellen zerstreuten Zellen Ursprung nahmen, mit Gewiss-
heit war das aber nicht herauszustellen. In allen beobachteten
Erscheinungen scheint dem Vortragenden nichts zu liegen, was der
Annahme, dass diese Geschöpfe den Pflanzen zuzuzählen seien, ent-
(reschäftllche Mittheilungen.
In den Verein wurden während des Sommers 1865 neu auf-
genommen als ordentliche Mitglieder die Herren:
Dr. Otto Pröls.
Professor Dr. Weber.
Dr. Bernstein.
Hofapotheker Leimbach.
Dr. Heine.
Der Verein verlor dagegen durch Verzug die Herren :
Baron Alex, von üexkül.
Dr. Erb.
Dr. Weller.
Dr. Ladenburg.
Professor Dr. Meidinger.
Professor Fuchs.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder des Vereins beträgt nun-
mehr 68.
In der Sitzung vom 27. Oktober 1865 wurden den bisherigen
Vorstandsmitgliedern die Aemter, welche sie bis dahin bekleidet
hatten, wieder übertragen. Es fungiren also als
Erster Vorsitzender: Herr Hoirath H. Helmholtz.
Zweiter Vorsitzender: Herr Professor G. Kirchhoff.
Erster Sohrütführer : Herr Professor H. Alex. Pagenstecher.
Zweitev Schriftfabrer ; Herr Professor F. Bisenlohr..
Bechner; Herr Professor Nuhn.
Yerhandlvsgea des lUktiirliiBtoriMh-mediziiilaeheii Vereins. f48
(Jorrespondeuzen und Zusendungen bittet man nach wie vor
an den ersten Schriftführer des Vereins Professor Dr. H. A. Fagen-
stecher in Heidelberg zu richten. Für die nachstehend verzeich-
neten dem Verein übersandten Schriften wird hiermit der beste
Dank gesagt.
Verzeiclinisß
der vom 1. Mai bis zum letzten Oktober 1865 an den Verein ein-
gangenen Druckschriften.
Anzeiger der kaiserl. Academie der Wissenschafben zu Wien 1866.
11—20. 22. 23.
Jahresbericht des phjsikal. Vereins zu Frankfurt a. M. 1863—64.
Jahresbericht der Oesellsehaffc für Natur und Heilkunde in Dresden
1863-64.
Mämoires de la Sooi^tö Imperiale des sciencee naturelles de Cher-
bourg. IX et X. 1863 et 64.
Vierzehnter Jahresbericht der naturhist. Oesellsehaffc zu Hannover
1863-64.
Jahrbuch des naturhistorischen Landesmuseums zu Eärnthen. 6. H.
1863.
XrV. Jahresbericht und Jubelschriffc der Philomathie in Neisse*
Vom Istituto Beale Lombarde di scienze e lettere:
Solenne adunanza del 7 Agosto 1864«
Bendi conti: Olasse di 1. e. s. morali e politiche, Volume I
f. 8—10, Volume H f. 1.
Classe di soienze matematiche e naturali, Volume I f. 7
—10. Volume 11 f. 1—2.
Jenaische Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaft. I. H. 4.
n. H. 1.
Würzburger medizinische Zeitschrift. VL H. 1 — 4.
Neues Jahrbuch f. Pharmaoie. XXm. H. 5—6. XXIV. Heft 1—3.
Correspondenzblatt des Vereins für Naturkunde zu Pressburg. 11«
1862. •
Der zoologische Oarten: VE. Jahrg. H. 1—6.
G. L. Gianelli: La vaccinazione e le sue leggi in Italia.
Sitzungsberichte d. k. bajer. Academie d. Wissensch. 1865. I — IV*
Bnlletin de la Sooiötö Palöontologique de Belgique h Anvers. I.
Oemmellaro: La creazione, quadro filosofico.
Das 50jährige Doctor- Jubiläum des Geheimraths 0. E. v. Baer.
Beoueil des Travaux de la Sociötö m^dicale allemande de Paris.
Wiggers : Chemische Untersuchung der Pyrmonter Eochsalzquellen ;
in duplo.
Fresenius : Analyse der Trinkquelle, Badcquelle u. Helenenquelle zu
Pyrmont; in duplo.
Prooeedings of the natural history society of Dublin.
744 Sftpfle: Anleitung snm LftteinscbrefbcB.
Von der Acadömie Royale des sciences, des lettres et des beanx arti
de Belgique, Classe des sciences:
Annuaire 1865.
Bulletins 1864, 1865 T. XIX.
Mus^e Vrolik. Oatalogne par J. L. Dnsseau; de la part de la
famiUe.
Yerslagen en Mededeelingen der koninklijke Akademie von Weten-
schappen, Afdeeling Naturkunde XVII; Amsterdam.
Elfter Bericht der Oberhessisohen Gesellschaft für Natur und
Heilkunde.
Xqtjöto^vov ävalvTLXot nivaxsg. ^1865.
Schlesische Gesellschaft ftir vaterländische Cultur : 42. Jahresberiebt
Abhandlungen: Naturw. und Medizin 1864. Philos. histor.
Abhandl. 1864. H. 2.
Jahresbericht der Naturf. Gesellschaft Graubündens. X. 1864.
Durch die Smithsonian Institution in Washington:
Transactions of the New -York State Homöopathie Society
I u. II.
Smithsonian Beport 1868.
Besults of the Moteorological obseryations 1854—59. toLII.
part I.
Boston Society of natural history: Journal vol. "VH, Procee
dings vol. IX.
Jahresbericht über die Verwaltung des Medizinalwesens der freies
Stadt Frankfiirt. VI. Jahrg. 1862.
Giomale di scienze naturali ed economichi del consiglio di perfe-
zionamento al B. istituto tecnico di Palermo.
Goeteborgs k. Vetenskaps och Vitterhets Samhäles Handlingar Vm.
u. IX. H.
Praktüehe Anleitung »um Lateinsehreiben in Verbindung mit üebungt
bfispiden und zusammenhängenden Aufgaben in swti AbÜhor
Jungen bearbeitd van Karl Friedrieh Süpfltj Grwk
• Bad. Hofralh Karlsruhe, Druck und Verlag van ChriMfH^
Theodor Oroos. ErsU Abthdlung 1862. VIIl u. 406 8. ZwtiU
AbtheÜung. 1865. XVIII und 492 8. gr. 8.
Wenn Jemand zur Abfassung eines Werkes, wie das hier an-
gezeigte, berufen war, so war es gewiss der Verfasser, dessen Auf-
gaben zu lateinischen Stylübungen bereits die dreizehnte Auf-
lage, und damit eine Verbreitung erreicht haben, wie sie kaum
einem ähnlichen Werke je zu Theil geworden ist. Was der woU
erfahrene Verfasser damit zu erreichen suchte, das wird durch die
vorliegende Anleitung, die Frucht eines diesem Gegenstand gewid-
meten vieljährigen, unablässigen Studiums und einer reichen, in
vieljähriger X^ehrthätigkeit gewonnenen Erfahrung, noch ungleich
Sftpfle: AnlHtnng srnn Latelnscfareibeii. 746
mehr gefördert werden, und dämm glauben wir um so mehr in
diesen Blättern darauf aufmerksam machen zu mttssen, als uns in
der ziemlich umfangreichen Literatur, welche unser Vaterland über
Lateinische Grammatik und Stjlistik aufzuweisen hat, doch kaum
ein Werk bekannt ist, welches wir in Bezug auf Inhalt und Fassung
und die daraus hervorgehende praktische Nützlichkeit mit dem vor-
stehenden zusammenstellen möchten. Es konnte dem Verfasser bei
seiner vteljährigen üebung nicht entgehen, dass in den Büchern
der bemerkten Art doch dem Schüler nicht immer gerade das ge-
boten wird, was seinem Bedürfhiss angemessen erscheint und das-
selbe wahrhaft zu befriedigen vermag, wenn auch im Einzelnen
Manches Oute darin sich finden mag; um so mehr ward in ihm
der Wunsch rege, »dass das Zerstreute gesammelt, das gelegen-
heitlich gegebene in einen geordneten Lehrgang aufgenommen und
in einen bestimmten Zusammenhang den Schülern näher gelegt
werden möge« (8. IV.). In vorliegendem Werke ist dieser Wunsch
in ErftÜlung gebracht worden; man würde sich jedoch sehr irren,
wenn man nach vorstehenden Worten hier eine blosse trockene Zu-
sammenstellung von Regeln und Vorschriften» wie sie die Grammatik
bietet, erwarten würde : es beziehen sich diese Worte vielmehr dar-
auf, dass der Verf. bemüht war, nicht gerade nur Neues in seiner
Anleitung zu geben, sondern »das durch langjährige Beobachtung
und Erfahrung als bewährt Erfundene«, um dadurch aller Unsicher-
heit, wie aller Willkühr im Gebrauch der Sprache entgegen zu
wirken. Es ist die hier gegebene Anleitung ein innerlich zusammen-
hängendes, wohl geordnetes und gegliedertes Ganze, das in der An-
lage wie in der Ausführung seinem Zwecke durchaus entspricht,
durch die grosseste Klarheit und Bestimmtheit, wie durch eine
streng logische Ordnung sich ausgezeichnet, und, da zugleich nichts
Wesentliches, was die Grammatik enthält, übergangen ist, wohl
geeignet wird, zugleich die Stelle einer Grammatik zu vertreten,
umsomehr als an die Theorie sich hier überall die Praxis anknüpft
durch die, jedem Abschnitt nachfolgenden zum üebersetzen be-
stimmten üebungen. Und wenn bei dieser Anleitung auf dereinen
Seite stets Bücksicht genommen ward auf die mustergültige Prosa
der Bömer und diese als Norm betrachtet ward, so ist auf der
andern Seite ebenso stets die Vergleichung mit der deutschen Sprache
herangezogen und auf das Gemeinsame beider Sprachen, wie auf
das sie Unterscheidende hingewiesen worden, um auf diesem Wege
auch die deutsche Stilistik zu fördern, und ein ebenso genaues als
richtiges Verständniss beider Sprachen zu erzielen. So schwierig
diese auch im Einzelnen ist, so legen wir doch darauf um so mehr
besonderen Werth, als dieser Punkt in ähnlichen Uebuugs- und
Anleitungsbüchem minder beachtet oder berücksichtigt worden ist,
und Niebuhr^s Behauptung, dass das Lateinschreiben eine gute
Schule und Uebung für jeden Styl sei, in Manchem noch nicht die
Beachtung gefunden hat, die sie unleugbar verdient. Gerade durch
T46 Sfipfle: AiMtiiBg zum Latelnsefcratben.
diese Rücksichi, welche durchweg auf die dentsohe Sprache und
deren Anedmcksweise, Satzbildung u.dgl. genommen ist, hat der
Verf. die Nützlichkeit und Brauchbarkeit seines Werkes nicht wenig
erhöht. Kurz man sieht es dieser Anleitung bald an, dass sie du
gereifte Werk eines Mannes ist, der das Bedttrfniss der Schule erkannt,
aber auch durch Studien wie durch Erfahrung die Mittel und Wege
gefunden hat, dieses Bedür&iss zu befriedigen und damit einen
gründlichen Unterricht in der lateinischen wie in der deutschen
Sprache wahrhaft zu fördern.
Versuchen wir nun in der Kürze einen Ueberbliok des Wertes
zu geben, wie es in den beiden Abtheilungen jetzt vorliegt. Inder
ersten finden wir in einem ersten Abschnitt zuerst die Lehre m
der Oongruenz oder Uebereinstimmung der Satztheile : es wird hier
die Verbindung des Subjects mit dem Prädicat und die des Attri-
buts mit dem Substantiv erörtert, dann von der Uebereinstinixnnng
(Gongmenz) des Pronomen Belativum mit dem Nomen, auf welches
es sich bezieht, und vom Genus und Numerus des Pronomen Belir
tivum, auf mehrere Nomina bezogen, gehandelt, woran sich noch
die Lehre von der Apposition , und von der Oongruenz der Fnge
mit der Antwort anschliesst. Es bedarf kaum eines Hinweises vd
den Innern Zusammenhang dieser Abschnitte und ihre Stellung am
Anfang des Ganzen: mit aller Klarheit, Schftrfe und Bestimmtheit
werden die betreffenden Regeln und Vorschriften aufgestellt, dnreh
Beispiele, die mit der grössten Sorgfalt, aus Cicero haaptsftcUich,
und einigen andern Schriftstellern der classisohen Latinitat aoege-
wählt, die- Begel nachweisen, unterstützt, und am Schlüsse eines
jeden der fünf Hauptkapitel, die wir eben angegeben haben, ixir
gen die deutschen üebungsbeispiele , zu welchen die lateinischen
Worte, da wo es nöthig erschien, oder der Ausdruck schwieriger
erschien, unter dem Texte beigeftlgt sind, so dass der Schüler eigentr
lieh keines weiteren Wörterbuches zum üebersetzen dieser üebungB'
stücke ins Lateinische bedarf. So ist Theorie und Praxis vereinigt»
die richtige Auffassung einer jeden Begel durch Beispiele wie durch
Uebersetzung sicher gestellt. Wie klar ist z. B. in diesem ersten
Abschnitt die an dritter Stelle S. 42 ff. gebrachte Lehre von dem
Pronomen Belativum in seiner Beziehung auf das Nomen des vor-
hergehenden Satztheiles, wie auf das nachfolgende Prädioatsnomen
vermöge der Attraction dargestellt: es mag darauf xun so eher
hingewiesen werden, als hier so leicht Schwierigkeiten in der Debei*'
Setzung oder vielmehr in der Auffassung sich bieten, wodurch die
Uebersetzung dem Schüler, der leicht in ein Schwanken gerftth,
erschwert wird. Auf die deutschen üebungsbeispiele ist hier sowohl,
wie in den übrigen Theilen des Werkes grosse Sorgfalt verwendet
worden, wie man bald wahrnimmt; vielfach ist der Lihalt ge-
schichtlicher Art, alles Triviale und Ordinäre ist fem gehalten,
und was die Form betrifft, so sind dieselben in einer einflMhen,
reinen deutschen Sprache gehalten, was wir für unumgänglich noth-
SUpfle: Aaleltmig sum LttefaiBchreiben. TU
wendig halten, wenn anders der oben bemerkte Zweck erreicht xmA
die Anleitung znm lateinischen Styl zngleich eine Anleitung m
einem jeden gnten Styl, namentlich auch einem deutschen werden
soll. Die Nachbildung antiker Formen oder eine Annäherung an
dieselben im deutschen Ausdruck, zum Nachtheil des letztem, um
damit dem Schüler sein Werk des üebersetzens zu erleichtern,
haben wir stets als Etwas Verderbliches und Verkehrtes betrachtet,
welches nur die Folge hat, dass der Schüler weder richtig latein
noch richtig deutsch schreiben lernt. Auch ist man jetzt von den
in dieser Beziehung früher gemachten Versuchen mit Becht zurück-
gekommen, der Forderung eines gnten deutschen Styls in derarti-
gen üebungen wird sich jetzt kaum Jemand entziehen wollen: von
dem einsiohtyollen und erfohrenen Verfasser dieses Werkes war
diesB von romeherein nicht anders zu erwarten.
Der zweite Abschnitt behandelt die wichtige Lehre von den
Casus (S. 58 ff.), mit Uebergehuug des Nominativs, über welchen,
als Subjects wie als Prädicatsnominativ, in dem ersten Abschnitt
das Nöthige erörtert worden war. Auf den zuerst behandelton
Nominativ folgt dann in grösserem Umfang die Lehre vom Accu-
sativ (S. 60 ff.) in seinen verschiedenen Beziehungen nach transi-
tiven wie intransitiven Verbis, zur Bezeichnung des Maasses, des üm-
fangs, des Baumes und der Zeit, bei Ausrufungen u. dgl. ; dann
die Lehre vom Dutiv (S. 98 ff.), vom Ablativ (S. 118 ff.) und vom
Genitiv (8. 150 ff.). Die Einrichtung ist auch hier dieselbe, an die
Begeln schliessen sich, zur Verdeutlichung und zur richtigen Auf-
fassung derselben, Beispiele an, und zu jedem Casus sind zur Ein-
übung deutsche Beispiele gegeben, zuletzt noch zusammenhangende
Aufgaben über sämmtliche Casus (S. 203 ff.). Es wird kaum nöthig
sein, * auf die Wichtigkeit der in diesem Abschnitt enthaltenen Lehre
aufmerksam zu machen : wohl aber dürfen wir aufmerksam machen
auf den innem, logischen Znsammenhang, in welchen hier Alles
das, was auf den Gebrauch und die Anwendung der Casus im Ein-
zelnen sich bezieht, miteinander gebracht ist. Als ein Anhang dazu
erscheint S. 217 die Constniction der Orts und Zeitbestimmungen,
in welchem namentlich das Verhältniss der Präpositionen und deren
ausdrückliche Stellung gegenüber der Anwendung des einfachen
Casus auf vorzügliche Weise im Einzelnen erörtert ist, zumal hier
gerade so wesentliche Verschiedenheiten in der lateinischen wie
deutsehen Sprache hervortreten; die betreffenden Beispiele, so wie
die deutschen Uebungsstücke fehlen auch hier nicht.
Der dritte Abschnitt behandelt die Lehre von dem Verbum
und seinen Theilen (8. 271 ff.), zuerst Numerus und Genus, worauf
die Modi folgen ; dass bei dem Indicativ insbesondere auf die Falle
hingewiesen wird, in welchen der Deutsche den Conjunctiv anzu-
wenden pflegt, wahrend im Lateinischen der Indicativ gebraucht
wird (S. 286 ff.), bedarf kaum näherer Ausführung. Im Gegensatz
zum Indicativ, der Etwas als wirklich behauptet | ste&t der Con-
748 Sflpfle: Anleitung mm Lateinschreibeii.
jonctiv (8. 290) den Gedanken als Annahme, als Vorstellung hm,
und steht dann entweder unabhängig, als selbständiger Satz oder
abhängig von einer Partikel oder von einem andern Satze, der ihn
gleichsam regiert. Da der letzte Fall bei der Satzlehre näher er-
örtert wird, so ist hier blos von den Fällen die Bede, wo der Con-
junctiy unabhängig steht, als Potentialis oder Dubitativus, als Opift-
tiyns, als Suasorins oder Jussiyus (in Yoi*schriften , Vorschlägen,
Ermahnungen) und als Goncessivus oder Permissivus. Darauf folgt
der Imperativus, dessen Anwendung in der milderen und strengeren
Befehlsform (als Jussiyus und Imperativus) , namentlich auch als
verneinender Jussivus hier sehr gut nachgewiesen wird (S. SOOff.))
so wie auch sein Verhältniss zu dem Futurum ; daran schliesst siek
der Gebrauch des Infinitivs, des Gerundiums und GerundiviuD's,
namentlich in der Verbindung mit Casus, so wie des Supinnms
(S. 356 ff.). Den Rest dieses Abschnittes füllt die Lehre von dem
Gebrauch der Tempora, und zwar in erster Reihe Tempora abso-
luta (Präsens, Perfect, Futurum), in zweiter Tempora relativa (Im-
perfect mit einem Anhang, der den Infinitivus historicns betrifil,
Plusquamperfect und Futurum exactum), darauf folgt die Lehre
von dem Gebrauche der Tempora in der Gonjugatio periphrastica
(hier wird wohl S, 379 statt D ein C zu setzen sein, und dann
auch S. 382 D statt E und so fort), und vom Gebrauch der Tem-
pora im Briefstyl, nebst der Consecutio Temporum, die den Schlnss
bildet. Alle diese Punkte, die so leicht dem Schüler Anstoss geben,
werden hier mit einer Klarheit und Bestimmtheit, so wie Einfach-
heit behandelt, dass wir überzeugt sind, der Lehrer, der diese nun
Theil schwierigen Lehren nach der hier gegebenen Anleitung mit
seinen Schülern behandelt, werde sie dahin bringen, dass sie überall
das Richtige leicht finden und anwenden, ohne irgend wie in Ve^
legenheit zu gerathen.
Die zweite Abtheilung des Ganzen, die auch besonders pagi-
nirt ist, hat es bloss mit der Satzlehre zu thun, die freilich um-
fangreich und schwierig genug ist, um in dieser Ausdehnung be-
handelt zu werden. Und diess ist hier allerdings in erschöpfender
Weise geschehen : man wird nicht leicht Etwas finden, sowohl in
Bezug auf die verschiedenen Arten der Sätze und deren Verbindung,
als in Bezug auf den Gebrauch der einzelnen Redetheile ausserhalb
der Satzverbindung, was hier nicht in eben so anschaulicher wie
befriedigender Weise behandelt worden wäre« In dem ersten Gapi-
tel dieser Lehre von der Satzverbindung werden die coordinirten
Sätze behandelt, und zwar die copulativen, wie die adversativen,
disjunctiven, die Gausalsätze wie die Gonsecutivsätze : man wird
demnach hier eine gute Anleitung über die Anwendung der hier
einschlägigen Partikeln finden, wie et, que, atque, neque, cum, tum)
autem, sed, vero, at, aut, vel, sive, nam, itaque, igitur u* s. w.
mit sorgfältiger Angabe der Unterschiede, wie sie im Gebrauch,
namentlich auch bei negativen Verbindungen, sich herausstellen.
Büpfle: Aii]6lttiiig xum LatelDflCTireibeil. 74d
Eine grössere Ansdehnnng, wie indess kaum befremden kann,
bat das zweite Capitel erhalten, welches subordinirte Sätze behan-
delt : zuerst die Relativsätze (Attributivsätze), wobei anch die Fälle,
in welchen das Relativ mit dem Conjnnctiv verbanden wird, also
die Relativsätze des Grundes, der Absicht, der Folge, der Ein-
räumung, der Bedingung u. s. w. vorkommen. An zweiter Stelle
erscheinen die Yergleichungssätze (Comparativ, Superlativ, Ver-
gleichungssätze, mit ut — ita u. s. w.), an dritter die Fragesätze,
die directen wie die indirecten (hier auch von: haud scio an und
Aehnlichem), an vierter die Zeit oder Temporalsätze (von quum,
dum, donec, postquam, ubi u. s. w.), an fünfter die Causalsätze,
an sechster die Bedingungssätze, an siebenter die Concessiv oder
Einräumungssätze (hier von quamquam, etsi und etiamsi, tametsi,
quamvis, licet, ut, quum und deren Anwendung); nun folgen die
Objectiv oder Gegenstandssätze, d. h. die Sätze mit der Conjunction
dass, und zwar als Absichts- oder Finalsätze, als Folge- oder
Consecutivsätze, und dann in der Stmctur des Accusativs mit dem
Infinitiv, so wie mit der Conjunction quod: es ist diess einer der
wichtigsten, mit aller Schärfe und Genauigkeit behandelter Abschnitt,
auf den besonders hingewiesen werden mag ; es schliesst sich daran
noch ein Abschnitt über die Oratio obliqua, und dann folgt in um-
fassender Darstellung die Lehre von dem Gebrauch der Participien,
insbesondere der Ablativi absoluti (S. 844 — 369): ebenfalls einer
der gewichtigsten und bedeutendsten Abschnitte dieser zweiten Ab-
theiiung.
Das dritte Capitel handelt von dem Gebrauche der einzelnen
Bedetheile ausserhalb der Satzverbindung, also zuerst vom Sub-
stantiv, dann folgen das Adjectiv und adjectivische Participien, die
Pronomina (Seite 417—466, ein eben so wichtiger, mit aller
Sorgfalt durchweg bearbeiteter Abschnitt, wie z. B. insbesondere
in den Regeln über die Interrogativa und Indefinita, also über
aliquis, quis, quispiam, quisquam, ullus, quidam u. s. w.), die Zahl-
wörter, das Adverbium, die syntaktische Anwendung der Präposi-
tionen (z. B. über ihren Wegfall oder Wiederholung bei zwei da-
von abhängigen Substantiven, über die Verbindung von zwei Prä-
positionen mit Einem Substantiv u. dgl. m. ; die specielle Anwen-
dung und den Gebrauch der einzelnen Präpositionen s. oben bei
der Lehre von den Casus) und zuletzt von den Vemeinungswörtem
und verneinenden Satzformen.
Wir haben im Vorstehenden einen Abriss des Ganzen, in der
Angabe des Inhaltes der einzelnen Theile und deren Anordnung zu
geben versucht : man wird daraus entnehmen, dass in diesem Werke
ungleich mehr geleistet ist, als der Titel erwarten lässt, insofern
in der hier gegebenen Anleitung nicht blos Alles enthalten ist,
was zur eigentlichen Grammatik gehört, sondern auch so Manches
Andere, was sprachlicher Art ist und daher oft dem Wörterbuch
überlassen bleibt, hier mitbehandelt ist, weil es eben so unentbehr-
760 Sftpfle« Anleltiiiig ram LateliisclmibaL
lieh erscheint für die richtige ErkenntniM der lateiniadhea Spiacbe
und die za erzielende Sicherheit eines richtigen Ansdmcks, der an
die besten Master der dassischen Latinität sich anschliesst. Daher
ist überall, im Allgemeinen wie im Einzelnen, anf die Yerscfaie-
denheit der lateinischen und der deutschen Sprache hingewiesen,
um ein sicheres Yerständniss beider herbeizuführen, wodurch allein
eine richtige Anwendung möglich wird: und wenn der Yer&uer
in dieser Beziehung versichert (S. IV) , wie es überall sein Be-
mühen gewesen, »die lateinische Sprache bei aller ihrer Eigen-
thümlichkeit unmittelbar mit der deutschen zusanunenzuhalten und
sogleich in praktischer Weise, nämlich in Beispielen, die eine dorck
die andere zu verdeutlichen und das Maass ihrer gegenseitigen An-
wendbarkeit zu bestimmen €, so kann jede Seite seines Werkes dnn
den Beleg liefern. Keine Erscheinung in dem Sprachgebrauch wird
man hier übergangen finden, und da eine jede Spracherscheinnng
»am geeigneten Orte, d. h. in ihrem naturgemftssen Zusammenhaag
mit den Sprachgesetzen besprochen und dadurch zu einer möglichst
lebendigen Anschauung gebracht ist« (S. 10), wird man auch leieht
in Allem sich zureoht finden, abgesehen davon, dass durch die ge-
naue, der zweiten Abtheilung vorgesetzte Inhaltsangabe, so wie
durch die jeder der beiden Abtheilungen beigefügten Register du
Suchen des Einzelnen möglichst erleichtert ist. Was wir aber am
Schlüsse unseres Berichtes nochmals hervorheben zu müssen gloabesi
ist die Klarheit und Bestimmtheit, die Präcision und die SchiLifei
welche in der Darlegung der einzelnen Lehren, Begeln und Vor*
Schriften statt findet, namentlich aufs genaueste auf alle die feine-
ren Nuancen und Unterschiede im Sprachgebrauch scheinbar syno-
nymer Wörter und Ausdrücke hinweist, und auch darin uns ^igti
wie wir in dem Ganzen kein ephemeres Werk vor uns haben,
sondern die Früchte eines lebenslänglichen, diesem Gegenstand ge
widmeten Studium' s und einer auf auf diesem Felde gewonnenen
reichen Erfahrung, die sich vollkommen klar ist über das, was
wahres Bedür&iss des Schülers ist , so wie über die Mittel and
Wege, dieses Bedürfniss zu befriedigen. Eben darum wird es nicht
nöthig sein. Etwas Weiteres zur Empfehlung eines Buches beim*
fügen, dem wir, im Interesse eines gründlichen Unterrichts in
Lateinischen und der Förderung eines guten lateinischen Styk»
wie er leider immer seltener wird, nur recht grosse Verbreitong
wünschen können. Chr. BdUir»
Dio CamIhb Vol. V. cum aai^ L. DiBdorf. 761
Dionii Casaii Coeceiani hiaioria Romana* Cum attnotaUombus
Ludoviei Dindorfiu VoL V. Lipsiae in aedibus B. O.
Teuöneri MDCCCLXV. LXXVJII und 286 8. in 8.
Von den vier vorausgehenden Bändchen ist in diesen Jahr-
büchern (Jahrgg. 1864. S. 289. 787) bereits die Rede gewesen;
mit dem dritten Bande war Dio's Werk bis zum sechzigsten Buch
inoL geführt, im vierten die Fortsetzung in dem Auszug deeXiphi-
linus von Buch LI bis zu Buch LXXX incl. geliefert worden. Der
fünfte hier vorliegende Band enthält in seinem grösseren Theil
S. 1—181 einem Abdruck des von Bobert Stephanus 1551 erst-
mals edirten Auszugs des Xiphilinus (EjuzofLtl rot; ^üovog xov
Nixaiix>S PafUJcVK^ foro^o^, rjv ewitsiuv '/oai/njg 6 XLg)Mvog^
^UQi4%ovCa nLovoQxCaq xcuaoQOv sixoöiTcavts j im Ilo^ntjltov
Miyvov [idjfii IdXs^avdifov xov Ma(iaiag)f in theil weise berich-
tigter Grestalt und mit steten Verweisungen auf die betreffenden
Stellen des Dio, am Bande jeder Seite, versehen. Nach der Wahr*
nehmung des Herausgebers hat dieser Byzantiner, der im eilfben
Jahrhundert unserer Zeitrechnung diesen Auszug fertigte, nicht
eüunal die besseren und reineren Formen des Dio beibehalten, son-
dern durch die minder guten der späteren Zeit ersetzt, und über-
haupt manche Aenderungen oder vielmehr Entstellungen sich erlaubt,
die von seinem ganzen Verfahren kein besonders günstiges Urtheil
erwecken. Indessen, wie nun einmal die Sachep jetzt stehen, wer-
den wir noch immer froh sein müssen, von so Manchem, was da-
mals noch vorhanden war und später verloren ging, doch wenig-
stens Auszüge zu besitzen, ohne welche unsere Lücken in der alten
Geschichte, zumal in der Geschichte Bom's und zwar in der spä-
teren Zeit, noch viel grösser und empfindlicher sein würden. Auf
die Form darf man freilich dann weniger sehen ; auch jene byzan-
tinischen Ezcerptoren hatten nur die Sache vor Augen, wenn auch
nicht immer in der von uns gewünschten Art und Weise der Be-
handlung,
Auf Xiphilinus folgen andere Excerpte aus Dio, von Angelo
Mai aus Vaticanischen Handschriften im zweiten Bande der Scriptt.
Vatt. nova CoUectio veröffentlicht S. 181—217 und S. 234—236,
dazwischen S. 218—233. die aus denselben Handschriften zu Tage
geförderten Excerpte eines unbekannten Fortsetzers der Geschichte
des Dio, welche bis auf Constantin herabreichen ; bei den Excerpten
aus Dio ist ebenfalls am Bande der betreffende Nachweis aus den
Büchern Dio's angegeben. Den Beschluss machen S. 234 Excerpta
Planudea, ebenfalls nach Angelo Mai, jedoch nur das enthaltend,
was bei Dio und Xiphilinus nicht vorkommt, und S. 237 und 238
Excerpta sedis incertae, nach H. Valois und ürsinus, deren ur-
sprüngliche Stellung sich nicht sicher nachweisen lässt.
Auf diese Weise findet man hier Alles zusammengestellt, was
auf Dio sich bezieht, und dienen oftmals diese Excerpte auch da,
76S DIo Cässins. VoL V. enm anii. L. DlDdort
wo das Original noch vorliegt , zur richtigen Aaffii88iuig nnd zan
besseren Verständniss desselben, so wie selbst nir Verbessenmg des
fehlerhaften Textes, für welchen noch gar Manches zu thun flbiig
gelassen ist, namentlich auch in Zurückführung der richtigen, tob
Dio angewendeten, Formen, die sich so oft verwischt finden, wlii-
rend es keineswegs glaublich erscheint, dass der sonst so genaue
Schriftsteller in diesem Pankte nachlässiger verfahren. Der Heniu-
geber hat in der Praefatio S. IX ff. Einiges der Art bertthrt o&d
damit allerdings gezeigt, was hier noch weiter zn thun ist, und
worauf zur Feststellung der richtigen Formen überhaupt, bei den
mancherlei Verderbnissen , welche Dio*s Handschriften auch dirb
bieten, das Augenmerk insbesondere zu richten sejn wird. Eine
genaue Erkenntniss dieser Formen und damit weiter auch des ge
sammten Sprachgebrauchs , der bisher noch wenig beachtet oder
zum Gegenstand besonderer Forschung gemacht worden ist, wird
auf die Besserstellung des Textes nur vortheilhaften Einfluss änseen
können.
Noch haben wir einiger weiteren Zugaben zu gedenken. Auf
die Praefatio nämlich folgen S. XIV ff. die griechischen Argumente
oder Inhaltsangaben der einzelnen Bttcher Dio's vom sieben ood
dreissigsten Buche an, was davon noch erhalten ist, und dano
schliessen sich die lateinischen Argumente vom 36. Buch an bis
zum 80. Buch. Dann folgt ein Abdruck des den Dio betreffenden
Artikels in des Photius Bibliothek Cod. LXXI, und darauf ein Ans*
zug (Excerpta) aus Beimarus Abhandlung über Leben und Schrif-
ten Dio*s aus dessen Ausgabe entnommen. Man wird für diesen
Wiederabdruck dankbar sein, da die Abhandlung des Beimans
noch immer ihren Werth über den betreffenden Gegenstand behlH,
ohne darum auf den Wunsch zu verzichten , dass bei diesem Ab-
druck aus Beimarus Abhandlung auch die neuere Literatur einign^
massen wenigstens , sei es in einigen Zusätzen , Nachträgen oder
Nachweisungen berücksichtigt worden wäre, was nicht geschehen
ist, obwohl in den seit Beimarus verschiedentlich über Dio in
neuerer Zeit angestellten Forschungen Manches enthalten ist, das
eine solche Beachtung wohl verdienen kann. Ein Index, d. h. ein
alphabetisches, sachliches Begister in lateinischer Sprache flberdw
in Dio*s Büchern vorkommenden Gegenstände ist am Schloß
S. 289—286 in doppelten Golumnen beigefügt.
Br. 48. HKIUELBEKGEIl 18(6.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
1) Simson. Ein Bühnenstück in fünf Handlungen von Albert
Benno Dulk. ManuscripL Eigenihum des Verfassers. 1859.
88 8 8.;
2) Der Tod des Beitusstseins und die ünsterblichkeiU Von A. B,
Dulk. Leipgig, Verlag von Otto Wigand, 1863. 191 S. 8.;
3) JesuSj der Christ. Ein Stück für die Volksbühne in neun
Handlungen mit einem Nachspiel von A. B. Dulk. Stuttgart,
Verlag von Emü Ebner, 1865, VJ. u. 280 S. 8.
Zu den begabtesten belletristischen Schriftstellern unserer Zeit
gehört unzweifelhaft Albert Benno Dulk. Seine Arbeiten sind geist-
voll, genial, die Darstellung ist leicht, fliessend, gefällig und viel-
fach bekundet sich in ihnen eine umfossende und tief eingehende
Sachkenntniss. Referent hat zur kritischen Beurtheilung vonDulks
Schriften, dessen Leben auch vielfach bewegte^ interessante Mo-
mente bietet, zwei dramatische Dichtungen und eine populär philo-
sophische Schrift desselben zusammengestellt.
Wir beginnen mit dem 1859 erschienenen Simson. Die
Tüchtigkeit des dramatischen Genius zeigt sich darin, wenn man
einem an sich wenig bedeutenden Stoffe nicht nur eine dramatische
Seite abgewinnen, sondern diese auch zu einem abgerundeten Gan-
zen dramatischer Handlungen und Charaktere gestalten kann; noch
mehr aber, wenn dem Ganzen eine philosophische Idee zu Grunde
gelegt wird, deren Wahrheit durch die ganze Dichtung hindurch-
geht und welche mit der Lösung des dramatischen Knotens ihren
würdigen Abschluss findet. Was Bef. hier als Charakter ächter
dramatischer Begabung bezeichnet, zeigt sich in vollem Maasse in
Dulks Simson«
Eine einfache Handlung, welche im 16. Kapitel des Buches der
Richter von Vs. 4 — SO enthalten ist, gibt den Stoff zu dieser Dichtung.
Simson, der israelitische Held der Kraft, gewinnt Delilah, ein
Weib am Bache Sorek, lieb. Die Philisterftlrsten bereden sie, dem
Simson das Geheimniss seiner Kraft abzulauschen und versprechen
ihr eine Summe Geldes dafür. Dreimal richtet Delilah die aus-
forschende Frage über das Kraftgeheimniss an Simson und wird
von diesem dreimal getäuscht, bis er endlich den wahren Grund
seiner Kraft dem Weibe offenbart und von diesem den Philistern
überantwortet wird. Simson wird geblendet und muss Sklaven-
dienste verrichten. Die Haare, in welchen seine Kraft liegt, sind
wieder gewachsen. Die Philisterfürsten sind im Tempel ihres
Gottes Dagou versammelt, um ihm für den Sieg über Simson za
LVUI- Jahrg. 10. Halt ig
1U Dvlks ßehrtfM.
danken. SimBon soll vor den PhiliBtem im Tempel spielen. Ein
Knabe filhrt den Blindes aas dem Geftngniss. Er steht zwiadieo
zwei Sttnlen, welche des Haases Dach irag«i. DreiianseBd, Muin
und Weib, sind auf dem Dache, die PhilisterfÜrsten alle im Tempel
yersammelt. Simson betet zn Jehova, ergreift die beiden SSolen
nnd das Hans begräbt ihn, die Fürsten und das Volk. Was nodi
über Simson im 13. 14. und 15. Kapitel des Baches der Bichter
enthalten ist, bezieht sich anf Simsons Eltern, dessen Gebort,
Kraftthaten, Hochzeit nnd Bäthsel imd steht mit der im 16. Ka-
pitel erzählten Bachethat des Kraftmannes in keiner näheren Ye^
bindnng. Die genannten Kapitel konnten also unserem Herrn Vezl
nnr einzelne Züge zn dem Bilde des Simson liefern, seinen draau-
tischen Stoff, in welchem Simson nnd Delilah sich als Heldei
gegenüber stehen, mnsste «r allein aus den genannten Versen da
16. Kapitels nehmen, die nichts als die Qeschichte vom Falle Sim-
sons durch Delilah und yon dessen Bache an den Philistern ent-
halten.
Aus diesem Stoffe nun entstand das Bühnenstück : Simson io
fünf Handlungen (Akten). Vorerst werden sich Philister als Ve^
ehrer des Fischgötzen Dagon und Israeliten als Verehrer des im-
sichtbaren, Alles schaffenden und regierenden Jehoragottes ent-
gegengestellt. Aus dem Philisterstamme ist es die Heldin Delikb,
welche den festen Glauben an den Philistergötzen, Simson, weleher
den Jehovaglauben seines Volkes darstellt. Simsons KraftthateB
sind Ausflüsse seines Gottvertrauens. Delilah im Gefühle desGlaa-
bens an die Macht ihrer Schönheit und ihres Gt)tte8, in dessen
Heiligthum zu Ghiza ihr Vater (Seboa) selbst Oberpriester ist, hdt
sich und ihr Volk ftLr unüberwindlich. Die Grundbedingung eines
Heldencharakters ist die Kraft und diese zeigt sich in Delilah nnd
zwar Kraft, wie sie der schönen Tochter des Philisterpriesters ziemt
üebermuth aus dem GeftLhle ihrer Abstammung, der Macht ikrei
Gottes und Volkes. Sie verachtet die Philister und hasst ihrea
Gottgesandten, Simson. Siehe da, sieht sie Simson und die Liebe
keimt in ihrem Herzen. Trefflich wird der Kampf zwischen des
menschlichen Gefühle und dem eingewurzelten Beligionshasse ge-
schildert. Aber immer noch ist der alte Glaube in Delilahs Henen.
Sie will das Geheimniss Simsons erfahren, um ihn zu einem An-
hänger ihres Gottes und Volkes zu machen. Ihr schönes Geges-
bild ist ihre israelitische Dienerin Achsa, die mitten unter den
Philistern ihrem Gotte treu bleibt und an Simsons Gotteskraft
glaubt. Auch in Simson, dem gewaltigen Helden, keimt die Liebe
zur schönen Priestertochter. Im Glauben an seinen Gott und seine
Kraft vertraut er ihr; in einer schwachen Stunde, in welcher die
Liebe über den Glauben des Nasiräers siegt« verräth er das Oe-
heimniss seiner Kraft. Delilah hofft, indem sie ihn in die H&nde
ihres Volkes bringt, den Versprechungen der Philisterfttrsten trauend,
ihren Geliebten zu einem Manne ihres Volkes zu machen. Aber
J)iilk8 8ohifft«iL 16p
Simsou, der ewine Kraft dnxch DelUah yerloren, wird von den
Pbiliat^rn geblendet und ge&ngen gehalten. Jetzt erst IftQtert sieb
der Kern der reinen Liebe von den Schlacken des Uebern^uthes
und Stolzes. Die Liebe führt Delilah znm wahren Glauben; denn
in ihrer Sklavin Aohsa Leben ütlr Simson sieht sie, was wahres
Gottesvertranen und wahre Liebe können. Da der Knabe, der deii
blinden Simson führt, ihn verlassen, ist es Delilah, die sich demüthi*-
gend nnd arbeitend für die einst verachtete Adisa, im Gewände
eines Knaben (Parah) den geblendeten Helden leitet. Die £r-
kennimgsaoene ist wahrhaft ergreifend (S. 82—84), in welcher Sim-
son von Aohsa erfllhrt, dass der Sjiabe Purah, der für ihn lebte
nnd das frühere Vergehen an ihm durch ein nenes Leben büsste,
Delilah ist. Israel soll vernichtet werden durch die Philister, welche
mit Jnbelgesohrei zu Tausenden in der Hoflnung des Sieges im
Dagontempel versammelt sind. Der blinde Simson, dessen Haare wieder
gew^bchseu sind, wird von dem Knaben Purah (Delilah) in den
Tempel geführt. Delilah wird erkannt und getödtet. Das Geheim^
niss der Süulen, welche den Tempel des alten Gottes tragen, wird
von der mit Jehova versöhnten Delilah an Simson verrathen, Sim-
ßon ergreift die Säulen und Dagons Volk wird begraben.
Man sagt mit Recht von einem Bomane, einer Erzählung oder
eineni Drama, sie seien in der Wahl und Ent Wickelung ihres Stoffes
gelungen, wenn sie den Leser mit solcher Macht schon im An«
laDg0 ergreifen, dass er sie bis zum Abschlüsse unausgesetzt fort-
zalesen wie durch eine unsichtbare Macht gezwungen wird. Man
iat, wie man sich ausdrückt, durch die dichterische Schöpfung ge-
fesselt* Dieses muss man im vollsten Maasse von Dulks Simson
sagen. Der Kraftmann zwingt uns, noch ehe er im Stücke auf«
tritt» schon, wie wir ihn aus Achsas Erz&hlung kennen lernen, und
ihm gegenüber die schöne ttbermüthige Dagonitin, in einem Zuge
die lebenvoll entwickelte Handlung fortzuleseuj bis sie mit dem
Sturze des Dagontempels endiget, und uns in der Form einer alt-
teetamentliohen Geschichte verkündet, dass die Liebe mächtiger,
als das VprurtheU des Glaubens, dass mit ihr der Sieg des wah-
ren iGottes ist. Immer aber ist dieser Jebpvagott ein Gott der
Itocbe« durch dessen Mund der geweihte Simson spricht. Wenn ein
PhiUsterfürst eine Streitaxt nach Simson wirft, ergreift dieser die
YOD Delilah bezeichnete Säule und nift:
»Du kannst nicht treffen ... ob du Dagon wärst!
Denn sieh! Hier ist der Herr und spricht: Nicht einer
Geht lebend von mir! — Wehe Euch! Dies ist
Die Bache Simsons und Delilahs I Amen ! c
So ist Simson eine Vorbereitung zum Volksstücke: Jesus
der Christ. In jenem ist der alttestamentliche Gott des aus-
erwSlhlten Volkes der Gott der iBache, in diesem der Gott der
2fan8chheit, der Gott der Liebe geschildert. Treffend ist in3imson
1U Dnlks gchrlltoH.
der Glaube an Astaroth, die Göttin der Liebe, in deren Teapel
Delilah Priesterin ist, als Waffe gegen Simson benntit. Va lA-
testamentlichen Mythen von Simson werden mit idelem GeaohidR
yerwendet nnd in der Sohildemng des Ganzen nnd Einzelnen die
genaueste Bekanntschafl mit den Sitten und Einrichtimgen d«
Orients, welchen der Herr Verf. aus eigener Ansohammg kent,
bekundet.
Die Verstösse eines Stttckes gegen seine Darstelibarkeit uf
der Bühne sind nicht im Stande, ttber seinen dramatischen W«rtk
den Stab zu brechen. Dieses zeigt sich am deutlichsten in der
grössten dramatischen Dichtung unserer Zeit, in Qöthe's Fust,
welcher nicht nur im zweiten , sondern auch im ersten , jetit nf
allen Bühnen dargestellten Theile bedeutende Btthnenmftngel bl
Entschieden liest sich Faust besser, als er sich darstellen iSasi
Dasselbe müssen wir auch von Dulks Simson sagen.
Es wird in unserm Bühnenstücke Allerlei zur Schau gebmkt,
was auch bei der besten Darstellung kaum dem Schein des L&olM^
liehen entgeht und gerade in der Darstellung des Dramas ist der
Schritt Tom Ernsten zum liächerlichen oft sehr klein. Wir neh-
neu dahin, wenn Simsons Haare im eilften Auftritte der sweiia
Handlung, in sieben Locken geflochten, mit einem Fieehtbaod tob
Delilah an dem Haken eines Pfahles befestiget werden (6. 42),
wenn im neunzehnten Auftritt der dritten Handlung (S* 68) en
Sklave aufDelilahs Bef^ dem schlafenden Simson mit einer SchBen
die Haare abschneidet und sie auf einer Schüssel Delilah fibv"
geben will, wenn Haare, Schüssel und Scheere bei einer Aimbe
wegung der Delilah auf die Erde fallen (S. 64), wenn Sims«
kurz darauf mit abgeschnittenen Haaren auftritt, wenn Delilah da*
durch getödtet wird, dass ein Philister eine Lanze nach ihr wM
(S. 87). Das Alles stört den mächtig ergreifenden Eindruck is
Lesen nicht, wohl aber in dem Darstellen. Solche Dinge gehör«
wenn die Dichtung Bühnenstück werden soll, nicht auf dieBduK.
sie müssen erzählt, nicht aber vor den Zuschauem gethan weido*
Dichtkunst und Philosophie sind vielfach verwandt. Der G^g«*
stand beider ist die Idee, nur bei letzterer , wie sie an sich iski
bei ersterer in der Form begränzter Erscheinung. Es ist dis
Farbenspiel der Sinnenwelt, in welchem sie uns in der Künstelt
gegentritt. Bei keinem Philosophen des Alterthums zeigt tiA
dieses innige Kunst und Wissenschaft zusammenhaltende Band mdir,
als bei Plato.
Auch in der zweiten Schrift unseres Herrn Verf. erscheint
sein dichterisches Element, wenn es auch philosophische Tnff^
die hier zur Sprache kommen , behandelt und die Arbeit nicht in
gebundener Bede durchgeführt ist. Diese zweite Schrift führt den
Titel: Der Tod des Bewusstseins und die Unsterblich-
keit. Es ist in ihr die Unsterblichkeitsfrage behandelt, undiwtf
weniger in streng wissenschaftlicher dialektischer Gestalt, als tod
Dulks Scbriften* 757
der ästhetisohen und religiösen Seite, welche ja auch in
den beiden andern Werken: Simsen nnd Jesus der Christ
die YOrherrschenden sind. Die Sprache ist nicht nur durchweg
oorrect, sondern edel und schön und gebraucht häufig passende,
nicht selten dichterisch^schöne Bilder zur Bezeichnung der Begriffe.
Schon die Aufschrift zeigt, was der Herr Verf. will, im Tode des
Bewusstseins die Unsterblichkeit ; er spricht sich darum gegen die
Fortdauer des individuellen Selbstbewusstseins nach dem Tode aus
nach der durch den Materialismus und 'die Jimghegerscbe Philo-
sophie, noch mehr durch letztere yertretenen Ansicht; nicht der
einzelne Geist, die einzelne Seele, das einzelne Bewusstsein, son-
dern Geist, Seele, Bewusstsein an sich sind ihm das Wesen und
die' Unsterblichkeit ftir den Einzelnen.
Von S. 1 — 38 behandelt er die Anfänge des Jenseits.
Er bestimmt hier das natürliche Verhftltniss des Lebens
zum Tode, die geschichtliche üebersicht der Todes-
empfindung und das Wesen der Ohristuslehre. Von da
geht er zur Täuschung des Jenseits über (S. 38 — 86) und
stellt das natürliche Leben des Geistes, die Forde-
rung des Volks- undKirchenglaubens, die Forderung
der Sebstsucht und die Entdeckung eines Samm(Gesammt-)
Ichs im Menschen dar. Indem der Herr Verf. zor Mensch-
heit (S. 86—124) gelangt, werden^ da das G^sammtich, wie er
sagt, > Anfang wie Ende des Menschen umfasst«, Geburt und
Leben desIchs, der unbewussteGeist und dieMensoh-
heit als Momente aufgezählt. Zum Schlüsse wird auf die Wahr-
heit des Jenseits (S. 124—189), den Tod des Bewusst-
seins, das Sterbliche und das unsterbliche hingewiesen.
Es verknüpft sich ein unwillkürliches Grauen mit dem Ge-
danken einer gänzlichen Zemichtung des Selbstbewusstseins und
man hält die Anschauung von einem gänzlichen Aufhören des Ein*
zelichs nicht nur f(lr unserer Natur widerstrebend, sondern für
irreligiös. Es ist nun yorzugsweise des Herrn Verf. Streben, im
Yolksthümlichen, jedem Gebildeten verständlichen Tone das Aesthe-
tische und das Religiöse seiner Negation des individuellen ün-
sterblichkeitsglaubens darzuthun. Ref. kann dem Herrn Verfasser
hierin nicht beistimmen. Es handelt sich bei der individuellen
Unsterblichkeit nicht um das Wissen, sondern um das Glauben,
und Jeder wird eine schönere Seite in der Hoffnung des Wieder-
fiodens seiner Lieben, in dem Bleiben des Schönsten und Edelsten,
was er in seinem eigenen Selbstbewustsein hat, als in der Zer-
nichtung des ganzen Inhaltes seines Bewusstseins finden. Die
Frucht wahrer Religion ist die Sittlichkeit und, wenn auch eine
sinnliche, vorurtheilsvoUe Anschauung von Himmel und Hölle in
uns eine Tugend des Eigennutzes und der Furcht schafft, so ist
doch der Gedanke einer weitem, höher» Entwickelung des persön-
lichen Geistes nach dem Tode dem Edeln ein Sporu, da ihm daa
TM Dulki BehrtflMi.
Ringeii nach einem beim Tode in Hiohts Mirinnettden IM ih
nnnfli» ersoheinen nmee, dem BDsen ein Schrecken. Wie tkl
Schlechtes wird ans Furcht Tor dem Jenseite nnterlassen, wie tid
Ontes in Hoffhnng auf das Jenseits gethan I Die Wissensdiaft km
dem Denker nicht dieselbe Oewissheit der Nichtfortdaner seines seftst*
bewnssten Oeistes geben, welche die Beügion dem glSobigen Chri-
sten Ton der Gewissheit seiner indiyidnellen geistigen Fortdiwi
giebt. Freilich handelt es sich nicht darmn in wissenschaMieha
Fragen, was schOner und fClr das Volk besser ist, sondern ledig-
lich dartun, was wahrer ist. Es wird sich also vorzugsweise tm
die Begrtkndong der Ansicht vom Tode des Bewnsstseins hsadch.
ZweiS&tM werden 8.42 anfgestellt: l)Der »Geist danert
nicht fort, wie er in mir lebt« nnd 2) »Er kann nidtt
in Nichts dahin schwinden.« Man kann die hier ausge-
gpyochenen 8&tze adoptiren, ohne deshalb die von dem Hm. Yeif.
daraus gezogenen Folgerungen ftLr den Tod des Bewnsstseins xnIm
am müsben. Man kann n&mlich ans diesen S&tzen folgern: Das in
Geiste Dauernde allein lebt fort und diese» kann nicht in Niebit
dahin schwinden. Es wird sich also um die Frage handeln. Wts
ist denn im Geiste dieses Dauernde? Das »persönliche Ich« W>
auf und wird statt dessen »ein unpersönliches allgemeines leb«.
Dieses »unpersönliche allgemeine Ich« soll das »Dauernde«, wll
imsere wahre und eigentliche Unsterblichkeit sein. Wir können ii
diesem Gebiete, Wenn Wir wissen und nicht glauben wollen, liebt
weiter gehen, als die Erfahrung geht und als unsere mit Netli-
wendigkeit auf die Ei-fahmng gebauten Schlüsse reichen. Nun aber
zeigt uns die Erfahrung, dass alle Dinge, welche ezistiren, so tsxk
die Geister, indiriduell sind. Wenn man das Wesen eines Dinges
erfassen will , muss man diejenigen wesentlichen Merkmale heran»-
fluchen, welche allen Dingen, also hier allen Geistern zukonoiffL
Nun aber kommt dem Geiste das individuelle Denken zu und olne
ein solches lernen wir keinen Geist kennen. Was wir Mesflob-
heitsgeist nennen, ist nur die Summe aller menschlichen ^va^
geister. Man sagt aber, dass »dieses Einzelbewusstsein im Kiirft
und in der Zeit bis zur Pubertät fehle.« Die Grenze, wo dasSelbft*
bewusstseitt als eigentliches Wissen des Selbst von seinem Sein
beginnt, Iftsst sich freilich nicht genau bestimmen. Aber es i^
doch Selbstbewusstseinsfthigkeit da und wenn man uns einwendet,
dass das Können noch kein Sein, die Möglichkeit noch keine Wiit-
lichkeit ist, so entgegnen wir, dass immer eioe individuelle OH^*
barung der individuellen Selbstentwickelungsfthigkeit vorhanden
ist, so lange von einem individuellen Menschenleben gesprodiea
wird, und ein anderes kennen wir nicht, weil das sogenannte all-
gemeine Menschenleben nur die Summe aller menschlichen Biniei-
leben nach den Modifikationen der Basse, des Volks, Temperuttents,
Talents, Gteohlechts u. s. w. ist. Auch hier sind Basse, Volk,
Tempieretml^t, Talent, GetfchleehC u. s.w. immet wieder nurdnrcb
Ihilki SckrlfteB. TM
Individuen Terireten. üeber das Individuelle kommen wir durch-
aas moht hinaas. Zam Wesen des Geistes gehört die Indiyidaali-
tttt. Die Offenbaning des Selbstbewusstseins nach der Geburt zeigt
sich schon als Empfindang, als Belbstgeffthl und kommt in immer
engerem Kreise znm Wissen des Ichs. Das Einzelich kaan also
kein Gesammtioh werden, weil zum Wesen jedes Ichs die Inditi-
dnalität, die Persönlichkeit gehört. Das Ich ist ein sich selbst
wissender Geist. Der Geist weiss sich aber dadnroh als selbst^
dass er sich von dem trennt oder unterscheidet, was er nicht selbst
ist. Das Ich denkt sich dem Nichtich entgegen, und wenn es auch
im Andern etwas erkennt, das durch seine Händlungen sich als
Ich offenbart, so ist doch dem Ich auch dieses andere von ihm
unterschiedene Ich wieder ein Nichtioh. Ein sich selbst wissender,
dem Andern seiner selbst entgegensetzender Geist ist Persönlidi-
keit. Diese Persönlichkeit «ist nothwendig individuell, weil nur das
Ich Person sein kann und der Begriff der Ichheit = dem Begriffs
einer sich selbst wissenden Individualität ist. Das allgemeine loh,
das allgemeine Bewusstsein ist ein von den Ichen, den bewussten
Einzelgeistem abgezogener Begriff. Dies gilt auch gegen die He-
gel'sohe Anschauung, welche in den allgemeinen Begriffen das
Wesenhafle sucht und dabei den concreten Boden der Wirklichkeit
verliert. Als Grundtrieb unseres ganzen Seins wird S. 66 die
»Selbstsucht« bezeichnet, und in ihr die gute und schleohte Seite
dargestellt, um zu zeigen, dass gerade das Edle in der Selbstsucht,
wie in der Liebe, in der Ehe, im Streben für die Wissenschaft, auf
das Gemeinwohl, auf das Allgemeine geht. Man kann aber ein
solches Streben für das Ganze, das Allgemeine, oder wie in der
Liebe für ein Anderes, in welchem das eigene Dasein aufzugehen
scheint oder wirklich flir einige Zeit aufgeht, weder edle noch
unedle Selbstsucht nennen. Ein solches Streben wirkt gerade der
Selbstsucht entgegen, üeberhaupt müsste man, wenn man von
»einem Gmndtrieb unseres ganzen Seins« spricht, diesen Selbst-
erhaltungstrieb und nicht Selbstsucht nennen* Die Selbst-
sucht wird S. 66 als der »Trieb« bezeichnet, »Alles, wonach ich
Sucht habe, mir anzueignen, es zu meinem Selbst zu machen.«
Einmal ist Selbstsucht nach des Herrn Verf. eigener Bezeichnung
»Suoht« und »Sucht« bezeichnet eine Leidenschaft, so in Ehrsucht,
Geldsucht, Habsucht, Bohmsucht, Verschwendungssucht, Mord- und
Stehlsucht u« s. w. Sie ist also sdion an und für sich ein Hindere
niss des (juten, ein Anderes ist der Selbsterhaltungstrieb, welcher
in einer höhern, das vemttnftige Erkennen überwältigenden Steige-
rung des Gefühls und der Begierde Selbstsucht genannt wird. Dass
die Selbstsucht nicht dahin fährt, wohin der Herr Verf. will, zum
allgemeinen Selbst, das nur in abstracto, nie aber in concreto vor-
handen ist, also nur gedacht wird und nicht existirt, zeigt schon
seine eigene Definition der Selbstsucht, die ja die »Sucht« ist.
Alles zu »meinem Selbst« su auwhen. Nach der Selbstsucht und,
MO Dnlk« Bchriflen.
wenn diese hemoht, mufls also immer and Tor klißm »mein SdlNt«
bleiben nnd alles »andere Selbste in diesem anf- nnd nnteigsb«,
oder anr ein Mittel für dieses »mein Selbste werden. Anf dieata
Wege kommt kein Allselbst nnd keine Allperson zu Stande. Du
»Allgemeinwesen, die Menscbheitsseelec kann nicht als unser Wem
allein bezeichnet werden, da jedes Einzelwesen nothwendig nieht
nur die mit den übrigen Einzelwesen seiner Klasse gemeinBoluBr
liehen, sondeni anoh die besondem es zn diesem nnd keiBem ai-
dem Einzelwesen machenden Eigenschaften besitzen mnss xmd ge-
rade hierin das Weseli des Einzelwesens besteht. Das »Allgemdn«
wesen, die Menschheitsseele« ist nicht, wie es S. 89 heisst, >tqd
Anfang her nnser Selbst , ans welchem das persönliche Ich gleiek
einem nnterirdischen Keime emporwuchs«, nnd welches wieder n
einem »unpersönlichen Wesen des Qeistes« zurttckkehrt. üms
Leben ist yon AnÜEuig an, vom ersten durch den Befruchtoagttct
im Mutterleibe gesetzten Keime an kein allgemeines, sondern«!
indiyiduelles. Das Individuelle wird aus Individuellem und selbst,
was wir nach dem Tode vom Körper sehen, ist und bleibt, wk
alles Werdende und Existirende, individuell. »Seele der Mensd-
heit, sagt der Herr Verf. S. 89, sind wir, soviel wir nicht das
Fühlen der Persönlichkeit haben, Oeist der Menschheit werden wir,
soviel wir das Wissen der Persönlichkeit verlieren.« Wir sind aW
im ersten Falle nicht Menschheitsseele, sondern individuelle Seele,
wir können durch den Verlust unseres persönlichen BewusstwBi
nicht Gteist der Menschheit werden , da ein solcher Geist nur als
das den Einzelichen gemeinschaftlich Zukommende, nicht aber u
und für sich als Wesen existirt. Die Seele ist erst dann Qeist,
wenn das Denkende derselben sich selbst zum Objecto macht &
gehört demnach zum Wesen des Geistes, persönlich zn sein. So iasgi
der Geist nur die EntwickelungsfUhigkeit zur Person hat, ist er
Seele. Man kann also nicht mit dem Herrn Verf. S. 169 von
»unpersönliehen Geiste« als unserm eigentlichen Wesen spreche«*
Vortrefflich ist, was der Herr Verf. S. 28 über die Entwirft
lung des Christenthums sagt. »Der Geist Gottes, sagt .der Hfl?
Verf daselbst, oder der Geist Christi, das ist der selbstwisaeiJ«
Geist der Wahrheit, der Liebe und des höchsten Gerichts war swv
allen Menschen versprochen worden — allen Gläubigen is
neuen Bunde, allen Menschen der Erde im alten Bunde: — ^
Kirche aber sprach denselben, um ihn regieren, regeln und hwi-
sichtigen zu können, als einen ursprünglichen und gewissen, ^
Priestern der Kirche mit seltenen Ausnahmen allein zu, undnster
den Priestern eigentlich allein und unumschr&nkt wiedenim v«
einem Menschen, dem Haupte der Kirche, dem »Stellvertreter
Gottes. So musste sie denn dem Evangelium, der Verkündigung
Christi von vornherein widersprechen und mit der Christusleht»
selbst zugleich jenen Samen innem Krieges und wachsender Ze^
Störung säen, welcher seit Jahrhunderten aufgegangen und beste
Dtilkt Scbriften W
zn einer allgemeinen Fracht nnd Emdte gereift ist. Das Ünatie«
blei bliebe mneete also geschehen. Denn der Erkenntnissgeist wnehs
in der ganzen Menschheit, in allen Kindern Qottes, die Kirohe aber
wollte yon einem Wacbsthnme des Erkenntnissgeistes ttberhanpt
nichts hOren, nicht einmal im eigenen Schoosse; sie hatte ihre
ewigen Wahrheiten in Worte aasgeprägt nnd anf Wort nnd Bnch-
Stäben derselben, das ist des Dogmas, verpflichtete sie die eigenen
OHeder. und obwohl im Laafe der Jahrhunderte die Kirche in der
That neue Dogmen nnd widersprechende Erkenntnisse anfstellte
— wie denn auch wir erlebt haben, dass die Tom heiligen Bern«
hard noch so krttftig geläagnete unbefleckte Empfllngniss der Jung-
fran Maria neuerdings za den Nothwendigkeiten des seeligmachen-
den Glaubens erhoben wurde — so hielt sie doch die häretische
nicht minder als die orthodoxe — so starr wie immer möglich an
Veraltetem fest, läugnete, Melanchthon der Protestant, voran, auch
die Bewegung der Erde Jahrhunderte lang und hatte mit Ver-
werfung, Ausstossung und Vernichtung solcher Christen, in denen
der Nachfolgergeist jenes selbstwissenden Oeistes der Ge*
rechtigkeit und Wahrheit besonders mächtig auftrat, so viel und
nbel zu thun, dass sie mit der Arbeit niemalen fertig geworden
ist. Darüber ist denn das kirchliche Wesen, zumal in den ur-
ohristlichen Kirchen, der griechisch-katholischen und der römisch-
katholischen, vielfach zu Aeusserlichkeit, zu Wort- und Werkheilig-
keit geworden, und ein unbefangener Fremdling, welcher der christ-
lichen Anbetung geschnitzter Amulette im stillen Kämmerlein oder
der geräuschvollen Verehrung der mannigfachen Statuen, Bilder
und Sjmbole in ofi«ner voller Christengemeinde anwohnte, wttsste
wahrlich die Religion des Geistes nicht mehr zu unterscheiden
von dem Fetischdienste der heidnischen Abgötter, welche zu be-
kämpfen und aaszurotten jene sich vorsetzte. €
Wir kommen endlich zu Dulk*8 dichterischem Hauptwerke,
das den Gott der Liebe dem in Simsen dargestellten Gotte der
Bache, den neutestamentlichen Gott dem alttestamentlichen ent-
gegensetzt. Wir meinen »Jesus, den Christ.«
Die dramatische Dichtung wurde 1855 im Manuscripte voll-
endet. Der Herr Verf. wollte dieselbe, da sie ein deutsches Volks-
bühnenstück werden sollte, dem Publikum im mündlichen Vortrage
sugänglich machen. Seine in dieser Dichtung ausgesprochenen Ge-
danken sollten zuerst auf dem Wege dramatischer Vorlesungen mit
dem Zeitbewusstsein vermittelt werden, ehe das sie enthaltende Stück
durch den Druck im weitem Kreise bekannt gemacht oder Gegen-
stand der Bübnendarstellung wurde. In vielen bedeutenderen Städten
Deutschlands und der stamm- nnd sprachverwandten Schweiz wur-
den solche Vorlesungen seines Jesus von dem Hm. Vert gehalten,
znerst 1855 in Zürich, zuletzt 1864 in Heidelberg. Trotz mancher
Missvemtändnisse und beschränkter oder böswilliger Verketzemngen
fanden diese Vorträge über den neuen, dramatisch nur in Volks-
tM Dfilki SckrtflML
spielen bekandelten Gegenstand, die lebendigste nnd anerkenaMidsie
Tbeilnahme Yon Seite eines gebildeten nnd denkenden Fablünuni.
Dieses Drnmn, dne Ref. sehen dnreb Vortrage des Hm« YerL tos
der Tortheilbafteeten Seite kannte, ist nnn so eben (1865) im Dracb
erschienen. Die günstige Meinung, die Bef. bei der Yorlesang dm
Stockes gewann, hat sich durch das Lesen desselben nicht nur be-
stätigt, sondern im hohen Grade Terst&rkt. Das Bneh istalsYolb-
drama ein BOhnenstttck der Zukunft; denn noch sind wir siokt
so weit, dass im natürlichen und rationellen Sinne geeehrkbemt
den religiösen Wunderglauben vom historischen Kern sondernde
Volksstttcke vom Volke selbst dargestellt werden könnten. Die
Paesionsspiele , wie sie noch jettt in einigen Orten DentscUasds
üblich sind, üeberUeibsel der ihre Geheimnisse dramatisch dnnk
das Volk darstellenden mittelalterlichen Kirche, gehen tob to
unbefangenen, sich kindlich ohne weitere Prüfung an die geheish
nissYollen Wunder der Kirche hingebenden Glauben ans. DasStfi^
hat mit den Epoche machenden Werken über die QieUen und die
Geschichte des Christenthums von St ranss und Baur dieTenden
gemein. Es stellt ein menschliches, auf natürlichem Boden er-
wachsenes Bild eines grossen Menschen und seines Kampfes für
die Menschheit gegen die Dummheit und Bosheit, von allem Wun-
derglauben befreit, in der lebendigen Handlungs- und Bedewe»
des Volkes dar. üeberaU xeigt sich die sorgfältigste Benutfing
des geschichtlichen Bodens der Evangelien, und in dieser Hinskht
nähert sich die Dichtung mehr den Paulus'sohen Forsohunga,
welche mit vielem Scharfsinn im Nebel der Wunder den geschicbir
liehen Kern der Thatsachen aufgefunden haben. Der historische
Kern ist es ja auch, aber ein wahrhaft historischer, vernünftiger
Kern, von welchem ein historisches Drama aussngehen hat. Du
Drama, welches menschliche Handlungen darzustellen hat, darf knn
anderes Wunder, Bäthsel und Geheimniss keinen, ab den Menschen
und seine ThatkrafL
ImUebrigen ist das Werk von den rationalistisch hiatorisdieB
Auffassungen der Theologen so verschieden, als die Wissenschaft
von der Kunst. Die Ausgangspunkte in der Anschannng vonJew
Persönlichkeit sind dieselben, die Ausführung und Darstellung mse«
eine andere sein und ist auch eine andere. Hier sind bei der
natürlichen Auffiassung und Darstellung Jesu nicht die Gründe, wie
in der Wissenschaft, sondern die aus der evangelischen Gesdiidite
in der Form eines Kunstwerkes gesammelten Züge die Hauptsache.
Die Offenbarung erscheint hier in Einheit mit der Natur, »nicht in
dem gebrochenen unlebendigen Liebte de« Buchstabens und der
Bucbstabenlehrec (S. VI). Der Herr Verf. ist in den Geist der
Bibel gedrungen. Seine Sprache ist eine biblische. Ja er brancht,
wo er bedeutende Charaktere der Bibel darstellt, selbst die eigenes
Worte der Bibel. Die Worte werden überall an der rechten Stelle
eingesKßhaJtea und dienen noch mehr dazu uns gan» in die Zeit
I>till8 Bobriften. t6l
diar Tölker, der Charalctere, der Handlungen der Bibel zn ter-
setzen. Die Obarakteristik iet eine lebenvoll und naturgetreu
individualisirende. Die Volkscharaktere und Volksparteien sind
treffend einander gegenüber gestellt, das Bömertbum dem Juden-
tbum, in dem ersteren wieder der eigentliche Besieger der Welt,
der B5mer, ihm gegenüber der Grieche und der Germane. Im
Jadentbnm sind die handelnden Hauptparteien die eifernden Juden
oder Zeloten mit ihrem Streben, die BCmer zu bekriegen, sich die
weltliche Herrschaft anzueignen und ein weltliches neues Messias-
reiob zu grflnden und die Essfter, unter denen Jesus erzogen wurde,
die auf eine geistige Beform dringen, auf Erkenntniss des Geistes
und darum die Messiasidee in einer hohem und gelSluterteren Form
aufnehmen. Die Hauptrertreter des BOmertbums im engeren Sinne
sind der römische Procnrator Pontius Pilatus und dessen Neffe
der Eriegstribun Flavius Dentatus. In diesem Römerthum
zeigen sich die Elemente der besiegten Nationalitftten ; der Germane
in Astolfus wird dem Griechen in PSstus gegenüber gestellt. Die
Hauptvertreter des jüdischen Zelotenthums sind der Saductter und
Priester JudaBenTabai und der in die Handlung tief eingreifende
Schüler und Freund Jesu, Judas Ben Simon, genannt Ischarioth.
Auf der Seite der Essfter stehen Joseph von Arimathia, der essttisobe
Erzieher Jesu, der den gekreuzigten Scheintodten durch Anwendung
seiner medicinischen Kenntnisse ins Leben zurückrufb, und Johannes,
genannt der Täufer, Sohn Zaoharift, der Vorläufer Jesu. Der Mittel-
und Glanzpunkt des Ess&erthums und der ganzen Handlung al^r
ist Jesus, Sohn Josephs von Nbzareth. Auf seiner Seite stehen die
edeln Frauen, seine Mutter in hoher religiöser Begeisterung, den
Glauben an die göttliche Abkunft ihres Sohnes, an seine Messias-
würde und an seine Wundertbaten festhaltend, Maria, genannt
Magdalena, früher des Ischarioth Geliebte, spftter die treueste und
edelste Anb&ngerin des Herrn, das Vergangene durch die reinste,
gottinnigste Hingabe sühnend, endlich Elisabeth, die Freundin der
Mutter des Herren, die Mutter Johannes des Tftufers. Von den Zeloten
werden wieder die pharisäische und sadncftische Partei geschildert,
jene von der edleren Seite in Gamaliel Ben Simon und Nikodemus,
diese in dem Anführer des zelotischen Volkes, Juda Bett Tabai.
Das jüdische Pfaffenthum hat seinen Hauptvertreter in Caiphas,
dem hohen Priester des jüdischen Volkes. Der Stoff, die Grund-
legung des Gbristenthums und di« grösste That desselben in der
Hingabe des Messias, den Gläubigen die Quelle der Erlösung und
Beselignng, den objectiven Betrachtern die grossartigste, erhabenste
und folgenreichste That der Weltgeschichte, WBlobe aus den unbe-
dentendsten Anfängen eines verachteten und unterdrückten, viel-
fach in Vorurtheilen befangenen Völkleins die Quelle aller civilisa-'
toriseben Entwickelung der Menschheit in Staat, Kunst, Betigion
and Wissensohaffc für alle Zeiten hervorruft, der Kampf, Tod und
Sieg des Erlösers und Heilandes der Welt ist schon an und für
764 DolkB 9e1irlfM« |
Bidi ein in seiner Art einziger dramatisoher Stoff tmd im &
religiöse Sehen konnte die dichterische Behandlung des 8toiB8 &
die Bühne verhindern. Doch rief diese Begeistemng imlCtteiilbi
jenes heilige, von der Kirche zunächst ausgebende und ulnp
selbst in der Kirche stattfindende dramatische Spiel herrorj du
uns die Qeburt, das Leben, den Tod und die Auferstehang ^
Heilandes durch handelnde Personen in Dialogen, Kostümen ai
Soenerien vor die Augen stellt. Von der Kirche kam das koüp
Spiel in die Hände des Volkes; es war die heilige Qeschidiiefli
dem Volke verwachsen und das Volk stellte die in seinem Inifli
lebenden Oeheimnisse seines Glaubens im Volksstücke äussott
dar. Spiele, wie im Oberammergau, sind die üeberbleibsel dioB
dramatischen Volkspo^sie und darstellenden dramatischen Yotb-
knnst. Aber das Wunder vertritt hier die Stelle der psychohf"
sehen Oründe. Das Volksstück, das ein wahrhaftes Drama iverdfi
soll, muss vom Himmel zur Erde herab ; denn dort beg^nen n
keinen menschlichen Figuren und Handlungen. Die Charakters m^
Handlungen müssen menschliche sein, denn das eigentlich ni
wahrhaft Menschliche ist auch das Göttliche. Der Mensebei^
handelt und stellt die Handlung dar; vor dem Geiste aber sckviB-
det der Nimbus des Wunders und an seine Stelle tritt die xaßDS^ ,
liehe Thatsache, die allein Stoff des Dramas werden kann.
Der Herr Verf. nennt die Acte Handlungen , die Scenen Aa
Darstellungen. Das ganze Stück zerfällt in neun Handlungen ^
kann zur Darstellung, wie dieses der Herr Verf. anoh bei saa»
Vorträgen desselben gethan hat, fElglich in zwei Tbeile ge^
werden.
Die erste Handlung stellt uns Rom und JudaimO^
satzedar, die zweite die Versuchung Jesu, die dritte^
Messias, die vierte die Tempelreinigung, die fttn^^'
das Abendmahl, diesechste Gabbata, die siebente Gol-
gatha^ die achte die Auferstehung, die neunte &
Himmelfahrt.
Es ist in neuerer Zeit vielfach seit den Wundererklftraogs
und dem Leben Jesu von Paulus theils auf der Grundlage sirsji^
historisch kritischer Forschungen, theils auch in philosophiacbeBi
speciell psychologischen Darstellungen der Versuch gemacht trD^
den, das Leben Jesu und alle in ihm vorkommenden Wunder IiatB^
lieh zu erklären und in natürlichem, rein menschlichem Sinne dar
zustellen.
Dulk aber ist der ersfe, welcher einen rationalistiscli 9Xar
gefassten und in einem natürlichen Leben dargestellten Hessii^
auf die Bühne bringt und die menschlich begründete Grafldli|p
der Christenthumsentwicklung in philosophisch*dichteriacher W^
verherrlicht. Es wehet durch diese natürliche Darstellung ein tie-
fer religiöser Sinn, eine genaue und tief eingehende Besohäftiga>V
Dulks SohrihMi. W
mit der heiligen Oeschichte, eine nmfiMeende Ewntnifls der Volker
nnd Sitten jener Zeit.
Das Stück ist reich an schönen dichterischen Stellen nnd die
Anordnung des Ganzen durchaus gelungen.
Wir geben keine Auszüge. Es genügt uns auf den Inhalt und
Werth des Buches aufmerksam gemacht zu haben, das zu den
merkwürdigsten literarischen Erscheinungen der Oegenwiuii gehOrt.
Man muBS es lesen, wenn man sich mit seinem philosophischen
und dichterischen Geiste vertraut machen will, und, was wir von
Simsonunddem Tode des Bewusstseins sagten, müssen wir
auch hier wiederholen. Wer angefangen hat, wird fortlesen, bis
er den ganzen Geist des Werkes in sich aufgenommen hat und
dieses Fesseln ist die schönste und beste Beurtheilung des Buches,
es ist die Selbstrecension desselben durch die That. Die Essäer
legen den Grund zu Jesu Bildung. Joseph Y(m Arimathia, der
Arzt und Denker, ist sein Lehrer; er führt Jesus in seine Heimat h
zurück aus dem fernen Lande, wo er erzogen wurde. Der Bsstter-
geist spricht sich in den Lehren des Joseph von Arimathia aue;
Er ruft Jesu zu:
»So trag' denn unsere Lehren in die Welt
Ins yielgestalte Leben, üV sie aus! ....
So kehre nun zurück in Galiläa
Zum Hause deines Vaters ... unterwirf dich ^
In Allem ihm, dass lang du lebst auf Erden
Und alle Tugend, die du hier geübt
Und hier geschaut ^ mag dir lebendig bleiben,
Vor Allem doch, dass Glück und Freiheit nur
Hier in der innem Welt — nicht aussen liegen —
und dass unsterblich, unvergänglich in uns
Die Seele wohnt! Auch mag dich tftglich mahnen
Jeglich Gebot rechten Essäergeistes ;
Kein Schwur; doch strenge Wahrheit! Bechtlichkeit
Und Brudersinn I Und Liebe, Liebe, Wohlthun«
Ein religiöser Volksauflauf imponirt dem Landpfleger Pilatus.
Jesus, aus seiner l&ndlichen Gemeinschaft des Essfterordens ent-
lassen, zu den Eltern und in das öffentliche Leben zurückkehrend,
ist Zeuge der öffentlichen Begeisterung für Jehovah. Die dabei
gezeigte Erwartung des Messias erschüttert ihn auf das Tiefste
und regt ihn zum eigenen Handeln in Jehovahs Namen auf. Jesus
kämpft in der Wüste bei Jericho den innem Seelenkampf, seine
Versuchung durch, und es zeigt sich, dass es überall der Geist ist,
der sich sammelt und zum Bewusstsein der Wahrheit kommt. In
der Wüste trifft er Johannes den Täufer, auf welchen er mächtig
erregend wirkt. Johannes wird mit der Predigt des Messias und
der Taule zum nahen Himmelreiche beauftragt. Jesu Mutter und
7<8 Dulkt BchrUten.
acht Jahre za. Dort eehrieb er seine in der arabiaoken WOike
unter den Beduinen begonnene »Stimme der Menscbheii«,
ein bis jetzt ungedrucktes Werk. Es sollte eine alle Beligionm
in sich aufnehmende neue Religion, die naturreife Entwickelong
und Frucht des Christenthums enthalten. Hier wurde aach 1855
sein Jesus, der Christ geschrieben, dessen Soenerie er sohoi
1849 aui' einer Fuss Wanderung von Born nach Neapel in den pw-
tinisohen Sümpfen entworfen hatte. Hier, auf den Bergen im
Genfersee, entstand auch 1858 sein Simson. Seiner Familie
wegen kehrte Dulk (1859) nach Deutschland zurück, wo er noek
jetzt in Stuttgart lebt. In diesem neuen Aufenthaltsorte wnidea
sein deutscher Kaiser, Konrad II., der Text zor Oper:
König Enzio und seine in Stuttgart zur Aufführung gekommeDe
Umarbeitung eines Kleist*sohen Bühnenstückes geschnoben. So kil
er mitten in den Stürmen seines vielbewegten Lebens die alte migi-
schwftchte Kraft des Geistes bewahrt. Aber auch seine in der
arabischen Wüste, in der SinaihOhle unter den Beduinen nnd u
den Katarakten des Nils, durch eine Beihe yon K&mpfen, Hflb-
salen und Entbehrungen in fernen Landen hart geprüfte Knft das
Körpers ist noch jetzt im 45. Jahre seines Lebens die gleiche ut-
v6rtlnderte. Wir haben kürzlich in öffentlichen Blättern gelaaem
dass Dulk die grösste Breite des Bodensees von Bomanshom \m
Friedrichshafen in dem kleinen Zeiträume von kaum 6 Stunden doich-
schwamm, ohne auch nur ein einzigesmal den neben ihm berbk-
renden Nachen zu besteigen. Alle Blätter, welche diese gewiss
merkwürdige Thatsache erwähnten, fügten die Bemerkung bei, da«
er eine noch grössere körperliche Kraft, als der von ihm bemn-
gene Simson, besitze. Möge ihm ungesohwächt diese geistige und
körperliche Kraft zur Erreichung der weiteren künstlerisehen Ziele
bleiben, mit welchen sich sein anstrebender Genius beschäftigt I
V. Ileiclilfai.Melflcgg.
Ii. 49. UEIDELB££6£ll 186S.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Beiträge 9ur geognoslisehen Kenntnisa des Ersgebirgee. Auf Anord-
nung des KönigL Sachs. Oberbergamtes aus dem Oangunier"
suchungs-Archiv herausgegeben durch die hiergu besiellte Com"
mission, 1. Heft, Die Oranite von Geyer und Ehrenfrieders^
dorf sowie die Zinnerz- Lagerstätten von Geyer, Von Alfred
Wilhelm Steigner. Mit 3 Tafeln und 2 Holzschnitten.
Freiberg, In Commission bei Gros und Gerlach (R. Mänmeh)
8. S. 58.
Schon seit einer Reihe von Jahren sind anf Anordnung des
Oberbergamtes zu Freiberg unter der Leitung einer besonderen
Commission — zur Zeit aus den Herren Reich, Breithaupt,
y. Cotta, Scheerer und Müller bestehend — durch geeignete
Bergbeamte geognostische Special-Untersuchungen einzelner Gegen-
den ausgeführt worden. Auf diese Weise hat sich ein reichhaltiges
Material gesammelt, das auf Kosten des Freiberger Gangunter-
suchungs-Fonds in zwanglosen Heften nach und nach veröfifentlicht
werden solL
Das erste Heft liegt nun vor uns und bringt eine yortreffliche
Arbeit des Herrn Alfred Stelzner ttber die Granite und Zinnerz-
Lagerstätten von Geyer.
Das geschilderte Gebiet wird vorwaltend durch einen feld-
spathhaltigen Glimmerschiefer zusammengesetzt. Unter-
geordnet treten einige inselförmige Partien von rothem Gneiss
anf; sie zeigen gleiches Fallen und Streichen der Schichtungs-
Structur, wie der sie umgrenzende Glimmerschiefer. Wenn nun die
neuesten Untersuchungen, besonders von Scheerer, dargethan
haben, dass dem rothen Gneiss eine eruptive Bildung einzuräumen
sei, so folgt hieraus ^ wie Stelzner treffend hervorhebt — - dass
die Schichtung der krjstallinischen Schiefer nur eine Schicht-
oder Parallel-Structur ist, die wahrscheinlich nicht durch
innere, d. h. ursprüngliche Ablagerungs - Verhältnisse begründet,
sondern als die Folge der Einwirkung fremder EiUfte anzu-
sehen ist.
Das interessanteste Gestein der ganzen Gegend, Granit, er-
scheint in drei Stöcken: am Greifenstein, am Zinnberge und am
Geyersberge. Diese drei Stöcke hängen aber wohl in der Tiefe
zusammen. Die Granite von den genannten Orten werden in petro-
graphischer Beziehung besonders durch Armuth an Glimmer
oharacterisirt. Von Feldspath lassen sich zwei Species unterschei-
den, deren eine Mikroklin, der andere Albit sein dürfte. Unter
LVUL Jahrg. 10. Heft 49
770 Stellner: Beitrüge mr Kenntnise dee Erigebbges.
den mazmigfaohen Oranit- Abänderungen verdient der Greisen
Erwfthnang, bestehend ans einem grobkörnigen Gemenge Ton grüs-
licbgrauem Glimmer mit Quarz. Er findet sich bei Geyer und moss
als ein umgewandelter Granit betrachtet werden, in welchem
durch die Einwirkung von Chlor- und Fluor-Verbindungen der Feld-
spath zerstört und eine Neubildung von Quarz und Glimmer ?er-
anlasst wurde. DafOr liefern zunächst die im Granit der Gegend tob
Geyer vorkommenden Mineralien einige Beweise. Sehr häufig, n-
mal bei Greifenstein, ist Topas, in bläulich weissen Krystallen;
er dürfte gleichzeitiger Entstehung mit den wesentlichen Gemeng-
theilen des Granits sein. Dafür spricht folgender Umstand: in der
Nähe der grossen Schollen von Glimmerschiefer, welche derGraoH
umschliesst, sind Quarz und Feldspath des Granits sehr grm-
kömig krystallinisch ausgebildet. Von diesen für die krystal^
nische Entwickelung günstigen Bedingungen , welche zur Zeit der
Erstarrung des Granits an solchen Contact-Stellen stattgefunden
haben müssen hat auch der Topas Gebrauch gemacht, denn ytür
rend er im normalen Granit nur in bis zu zwei Linien grossen
Körnern eingesprengt ist, erscheint er in den erwähnten Contact-
Regionen in erbsengrossen Erystallen. Demnach steht die
Grösse der Topase im Yerhäitniss zu der krystalli-
nischen Entwickelung des Granits, in dem sie eingewacb-
Ron sind — eine Thatsache, die nur in der gleichzeitigen
Bildung der Topase mit dem Granit ihre Erklärung findet.
Turmalin stellt sich gleichfalls häufig ein in^prismatischen Erystal'
len und zwar ähnlich wie der Orthit, denn seine Krystalle sind
von einer rothen, quarzfreien Zone von Feldspath umgeben, die
nach Aussen allmählig verläuft — ein Umstand, der für pri-
märe Bildung des Turmalins spricht.
Der Granit der Gegend von Geyer ist so ausgezeichnet platten-
fbrmig zerklüftet, dass man ihn früher für ein geschichtetes 6^
stein hielt. Die ganze Erscheinung, obschon durch ursprünglicbe
Structnr- Verhältnisse begründet, hat durch langdauernde Verwitte
rungs-Processe erst ihre vollständige Entwicklung erlangt. Der
Granit nimmt dem Glimmerschiefer gegenüber eine durchgrei-
fende Lagerung ein. Eine auffallende Störung des Schichten-
baues hat nirgends stat gefunden. Hingegen gewinnen die Gon-
tact-Verhältnisse zwischen Granit und Schiefer ein
ganz besonderes Interesse ; sie sind es, welche schon seit geraumer
Zeit die Aufmerksamkeit der Geologen auf sich zogen und die v^
schiedensten Theorien veranlassten. Es lassen sich mechanisclfk*
und chemisch-physikalische Contact-Wirkungen xintefl
scheiden. Die ersteren, die mechanischen, sind einfacher Qi(atu
Der Granit hat bei seinem Empordringen Schollen des GUfaime
Schiefers losgerissen, mit sich emporgeftlhrt und umschlossen. \ Ab
nur in der Schiefer- Grenze finden sich diese zahlreichen Schlafe
Schollen; sie dienen uns als vollgültige Beweise für^
Stelcner: fieitfftg« rar Keimitiifla des £!rifebtrges. ?71
eruptive Natur des Granits. Unter den chemiscb^phjsika'*
lischen Contact-Wirkungen ist zunächst zu bemerken, dass die
derben Quarzlagen des normalen Glimmerschiefers sind körnig ge^
worden, die anfangs zusammenhängenden hellen Membranen yon
Glimmer haben sich in ein feinschuppiges Haufwerk kleiner, schwar-
zer Glimmer-^Blattchen aufgelöst ; es ist eine festere Verbindung der
beiden Gemengtheiie eingetreten, in Folge^ deren das Gestein seine
Tollkommene Spaltbarkeit eingebttsst hat. — In hohem Grade merk*
w'Qrdig ist aber die Bückwirkung des Schiefers auf den
erstarrenden Granit. Bingsum den Granit-Kegel des Stock-
werkes von Geyer zieht zwischen dem feinkörnigen Granit des
Centrums und dem anliegenden Glimmerschiefer eine eigenthüm-
liehe Masse hin, V» his 2 Lachter mächtig, der Stockscheid er.
Es besteht dieselbe aus den drei Gemengtheilen des Granits, welche
aber eine ganz grobkrystallinisohe Textur zeigen. Obwohl mit dem
Glimmerschiefer fest rerwachsen scheidet der Stockscheider dennoch
scharf von ihm ab. Anders rerhält er sich aber zum Granit des
Gentrums. Aus letzterem entwickelt er sich allmählig, obwohl auf
kurze Strecke. Es darf der Stockscheider als kein selbstständigeg
Gebilde, sondern nur als eine unter besondern Umständen hervor-
gegangene Granit-Abänderung betrachtet werden. Man findet in
diesem Biesengranit die nämlichen Schiefer-Fragmente, wie in dem
normalen, jedoch mit dem Unterschiede, dass sie in ihm nie un-
mittelbar inne liegen, sondern stets von einem sehr fein-
körnigen Gemenge vonQuarz undFeldspath umgeben
werden. Mit Beoht bemerkt Stelzner: während also der Stock-
scheider im Allgemeinen eine eigenthamliche Ausnahme von dem
Gesetz macht, nach welchem erstarrende Gesteine sich an der ab-
kühlenden Oontact-Fläche dicht oder feinkörnig, im Centrum aber
grobkörnig krystallinisch entwickeln, kommt das über Bord ge-
worfene Gesetz inmitten der eigenthttmlichen Masse und im Con-
tact mit den von ihr umschlossenen Fragmenten plötzlich wieder
zur Geltung. ^ Die beiden anderen Granitmassen, vom Ziegels-
berge und vom Greifenstein, zeigen an ihren Contact-Stellen mit
Schiefer nichts Eigenthümliches. Auffallend ist aber der Umstand:
dass neben den vom Granit des Greifensteins um-
schlossenen Schiefer-Fragmenten die grosskörnige
Structur uuvermuthet sich einstellt. Also am Stock*
werke Biesengranit an der Schiefer-Grenze , in der Umgebung der
Schollen feinkörniger; am Greifenstein normale Textur an der
Hauptgrenze« grobkrystallinische an den Fragmenten. — Die Unter-
suchung der in dem Granit vom Greifenstein eingeschlossenen
* Schiefer-Fragmente bietet viel Belehrung, weil hier die in der fein-
[ kömigen Masse liegenden Schollen scharf zu beobachten; sie fuhrt
aber zu dem wichtigen Besultat: dass die Contact-Wirkungen
stets im Yerhältniss zu der Grösse der umschlösse-
li^en Fragmente ist und dass die grobkrystallinisohe
773 Steliner: Beiträge lur KenninSM dm En^ebirges.
Aasbildnng die Folge einer durch Contact mit frem-
den Massen bedingten Temperatur-Erniedrigang ist
Der Verfasser macht darauf aufmerksam, dass sonst gewöhnlich da
entgegengesetzte Fall wahrzunehmen ist. Eine zur Eruption ge-
langte geschmolzene Gesteinsmasse besitzt meist nur hinreichend«
Wärme, um sich im geschmolzenen Znstande zu erhalten. Die fio-
rührung mit einer fremden, erkaltenden Masse wird an den Contaet-
Fl&chen eine rasche Erkaltung herbeifQhren ; während die Hanpi-
masse langsamer erkaltet und eine mehr kömige Textur annimmt,
entsteht an den Salbändern eine dichte. »Anders aber werden dii
Verhältnisse sein« — so erklärt der Verfasser den yorliegendeo
Fall — >wenn eine Masse mit grösserem Wärme-Üeberschuse,
vielleicht unter starkem Druck hervorbricht, wenn nachquellend»
Material neue Wärme zuführt, wenn sich in Folge dessen Eroptin
und Erstarren nicht plötzlich folgen können, sondern zunächst eii
Stagniren des geschmolzenen Plutonits im mächtigen Spalten-Bann
ermöglicht wird. Die Folge davon muss sein, dass die erkaltefide
Einwirkung der durchbrochenen Masse spurlos vorüber geht; ja in
Oegentheil wird das feste Gestein, die Geftss- Wandung selbst e^
wärmt werden und dabei möglich eine Metamorphose erleiden. In-
dessen tritt hier mit der Zeit, wenn auch allmählig, eine Abküh-
lung und mit ihr zugleich die erste Tendenz zur Erystailisatios
ein. Erystalle scheiden sich porphyrartig aus und die festen G^
Steins- Wandungen, die nach unten gerichteten Seiten losgerisseDV
und im geschmolzenen Brei inne liegender Fragmente bieten ande-
ren Krystallen eine willkommene Gelegenheit zum Anschiessen dar:
es bilden sich grobkrjstaliinische Salbänder (Stockscheider) iib4
weil der Schwerkraft folgend, nach unten gerichtete, also einseitig!!
Contaot-Binden an Schollen ; der Quarz, als strengflüssigster KCrpOf
scheidet sich aus der Umgebung zuerst aus, ihm folgt der Fellu
Späth. Mehr oder weniger plötzlich tritt später eine wesentüeb
Aenderung des Zustandes ein; sei es, dass sich die Drackverhitt
nisse durch Entweichen von Gasen und Dämpfen ändern, sei
dass die erwärmenden neuen Zuflüsse versiegen. Die Gesamml
masse beginnt zu erkalten und kömig zu erstarren. Merkwttrdij^
Weise scheidet sich jetzt der Feldspath vor dem Quarz aus. DM
die rein plutoischen Bildungs- Verhältnisse granitischer und and<
Gesteine.
Der Granit des Stockwerkes von Geyer hat die Gestalt
abgestumpften Kegels. Das ganze Stockwerk wird von unzäl
Vi bis 4 Zoll mächtigen Gängen durchzogen, deren Streichen
Stunde 8, 4—4, 4 bei 70 bis 80^ nordwestlichem Einfallen
Je 3 bis zu 12 solcher Gänge (in Geyer Klüfte genannt) bil(
zusammen einen Zug in der Art, dass die Gänge eines jeden Zi
3 bis 10 Zoll von einander entfernt sind. Man kennt 19 Zi
Die Gänge setzen aber nicht allein im Granit, sondern auch
Glimmerschiefer und im rothen Gneiss auf und behaupten in
Stelzner: Beiträge sar KenntnitB des Engeblrgee. 778
drei Gesteinen das nämliche Streichen und Fallen bei. Die Be-
nennung Stockwerk im streng geognostischen Sinne ist für die
Erzlagerstätte von Geyer nicht anwendbar. Es liegt vielmehr ein
vielgliedriger Gangzng vor, dessen einzelne Indiyiduen
von Imprägnationen begleitet werden. Ziehen letztere
weit genng fort, nm mit denen des nächsten Zuges zusammen zu
treffen, dann kann allerdings eine Bauwürdigkeit der Gesteinsmasse
in ihrer Gesammtheit, also eine stockwerksartige Gewinnung ver-
anlasst werden. — Die Erze sind hauptsächlich Zinnerz und
Arsenikkies, femer Wo 1fr amit; seltener finden sich Molyb-
dänglanz, Eisenkies, Eisenglanz. Diese Erze erscheinen
entweder in der Mitte der Gänge, oder durch den Gang zerstreut
und überall eingesprengt. Der Gang selbst wird fast stets zu bei-
den Seiten von Imprägnationen von Quarz begleitet.
Der Verfasser schliesst seine werthvollen Mittheilungen mit
einigen Bemerkungen über die Paragenesis auf Zinnerz-
gängen. Bekannt ist der scharf ausgesprochene mineralogische
wie geologische Charakter derselben. Allenthalben findet man eine
Gruppe von Mineralien, welche für die Zinnerz-Lagerstätten so
charakteristisch, dass man aus dem Vorhandensein einiger, auch
auf die Gegenwart anderer mit Sicherheit schliessen kann, und
nicht allein in ihrer Vergesellschaftung, sondern auch in
ihrer zeitlichen und reihenweisen Entwickelung lassen
die Mineralien der Zinnerz-Lagerstätten eine merkwürdig Be-
ständigkeit erkennen. Diese Mineralien sind in nachstehender
Aafeinandei*f olge : Quarz, Zinnerz, Arsenikkies, Beryll,
Ferro wolframit, Topas, Phengit, Molybdänglanz,
Herderit, Apatit, Flussspath. Bei dem Entwickelungs-
Processe der Zinnerz-Lagerstätten fanden in der Regel keine Wie-
derholungen statt, jedes Mineral tritt nur einmal auf. Quarz
eröffnet stets die Reihe ihm unmittelbar folgt das
Zinnerz.
Die Ausstattung des vorliegenden ersten Heftes der »Beiträge
zur geognostischen Kenntniss des Erzgebirges« ist sehr geschmack-
voll. Hoffentlich wird demselben bald ein zweites folgen mit
eben so gründlichen Schilderungen, wie jene im ersten durch
Alfred Stelzner.
G. Leonhard.
774 liieraturWichte Mi lUllea.
Literatnrbericlite ans ItaUen.
La d(mna in faeeia al progelto del nuovo eodice eivile Haliano, di
Maria Mozaoni. Milano 1866,
Dor Minister PisanelU hatte einen Vorschlag gemacht, die rer-
schiedenen in Italien bestehenden Gesetzgebungen znr Einheit n
verschmelzen ; die Verfasserin beurtheilt hier die bei dieser neuea
Bedaction das weibliche Geschlecht betreffenden gesetzlichen Be-
stimmungen, wobei hauptsächlich auf die täglichen wirtbscbafl-
liehen Beschäftigungen der Frauen Bücksicht genommen wird. Na«l
der Verfasserin zeigen die Verhältnisse der untern Klassen, diä
die Frau oft eben so viel und dasselbe arbeitet, wie die MSnoer,
und dass sie dabei doch noch Zeit hat, für die täglichen Bedürf-
nisse zu soi'gen. Waimm soll dies Verhältniss nicht auch in des |
höheren Klassen stattfinden? Der Einsender hat in Italien Fniue&
gefunden, welche ihren Männern bei ihren gelehrten Werken inso-
fern halfen, dass sie Oorrecturen besorgten , dass sie statistisch
Zahlen nachrechneten, und dass sie die Tage und Abende gemeinschaft-
lich verlebten ; daher die Verfasserin auf solche Verhältnisse Acbt
haben konnte, die Wirthschaft geht dabei sehr ordentlich, m«
lebt im Ganzen in Italien mehr mitBechnung, und wenn eine Frau
nicht nothwendig hat, Arbeiten zu machen, welche ihre KammeT-
frauen eben so gut machen, so glauben sie in Italien nicht a
arbeiten, wenn sie mit solchen Kleinigkeiten die Zeit tödten ; &ud
glauben sie nicht recht häuslich zu wirthschaften , wenn sie ilu«
Leute an selbstständigen Arbeiten dadurch hindern, dass sieihoci
Nichts allein überlassen ; denn nur dann können diese Freude »
der Arbeit haben, wenn es ihr eigenes Werk ist. Dabei kann doc:
die grösste Aufsicht stattfinden, und Vertrauen erwirkt Vertmä
auch bei der Dienerschaft.
La Sahhia caduta in Roma nel 21 e 23. Febrajo 1864 cortfrcnl^^^
con la sabbia del deserlo di Sahara, lioina 1865, Tip, ^^
belle artL
Als im Februar dieses Jahres bei einem heftigen Südwind
auster notus meridiei, in Bom grosse Massen Sand die Str&sses
bedeckten, wurde von mehreren Gelehrten bewiesen, dass der Stum
diesen Sand aus der Wüste Sahara über das Mittelmeer geflilö^
habe ; allein eine in der Meteorologie sehr erfahrene Frau, Cateriiä
Scarpellini wollte diese Sache näher untersuchen, sie wusstc dahs
durch den Ingenieur der Algerischen Eisenbahnen, Herrn Fonn
sich Sand aus der Wüste Sahara auf der Caravanen-Strasse nad
Tambuctu 75 Meilen von Constantine zu verschaffen, und unter
warf ihn einer genauen Vergleicbung mit dem nach jenem Sturmi
in Bom gesammelten Saude, und fand durch das Mikroskop, dnrci
LKeraturberlclxte aus Italien. 776
chemische Auflösungen nnd alle andern wissenschaftlichen Mittel,
dass Seneca recht hat, wenn er sagt: Sapiens divitiarum natura-
lium est quaestor acerrimus, und dass der Sand der Sahara an
Farbe, Eisen und anderem metallischen Gehalte, so wie an gänz-
lichem Mangel an magnetischem Salze von dem in Rom gefallenen
Sande verschieden ist. Diese für die Wissenschaft lebende Frau
richtete ihren diessfallsigen Bericht an den Gommandeur Trompeo
zu Turin, einen bei den meisten naturwissenschaftlichen Congressen
betheiligten Gelehrten, der auch zum Präsidenten der meteorologi-
schen Observatorien in Italien ernannt worden ist. Die gelehrte
Verfasserin zeigt, dass das, was in den vorstehenden beiden Schrif-
ten behauptet worden, sich bewährt, was überhaupt in Italien nicht
selten vorgekommen ist. Auf der Universität Bologna lehrte einst
eine Frau mit Ehren die Rechtswissenschaft, eine andere die Ana-
tomie; aber auch gegenwärtig fehlt es in Italien nicht an ausge-
zeichneten Schriftstellerinnen, von denen wir nur die Frau Colom-
bini-Molino erwähnen, deren Bildniss Dr. Dietzmann in der Leip-
ziger Mode-Zeitung vor Kurzem mit ihrer Lebensgeschichte von
J. F. Neigebaur mitgetheilt hat; ferner die Frau Mancini-Oliva,
eine ausgezeichnete Dichterin, welche zehn Kinder trefflich erzogen
hat ; die Frau Savio-Rossi eben so geachtet als Schriftstellerin wie
als Hausfrau, wobei auch die improvisirende Dichterin Milli nicht
zu vergessen ist.
Atti del consiglio provinciale di Torino, Sessione atraordinaria di 1864,
Torino 1864. Tip. Favale. 4.
Dies ist der Bericht, welcher über die ausserordentliche Ver-
sammlung der Provincialstände zu Turin im Herbst 1864 abge-
halten worden, um über die Vertheilung der Mobiliarsteuer zu ent-
scheiden. Die Sitzungen fanden in dem Gebäude der Provincial-
Präfectur statt, und wurden von dem Präfecten der Provinz als
königlichen Gommissar eröffnet, worauf der gewählte Präsident der
Provinzial-Abgeordneten den Vorsitz führte. Dies sind aber hier
keine geborenen Provinzial-Stände ; sondern durch das Vertrauen
der Einwohner der Provinz frei gewählte unabhängige Männer. Die
Provinz aus 5 Kreisen bestehend hat 950,000 Einwohner, gibt an
Grundsteuer 4,840,000 Franken und an Mobiliarsteuer 1,495,000
Franken. Hier werden genaue statistische Nachrichten nnd die
Verhandlungen in den Sitzungen mitgetheilt.
Qntts eon impronta di Eqtdseto del Commendaiore A. Si9m<md€^
Torino 1865.
Eine der wichtigsten Entdeckungen in der Geologie, welche
in der Neuzeit stattgefunden, ist die Umgestaltung der Felsen, nnd
hat besonders Hutton nachgewiesen, dass die Mehrzahl des Ge-
steins durch Niederschläge im Wasser entstanden ist, welche
durch das Feuer Veränderungen erlitten haben. Hier wird gezeigt,
77« Utentnrberlehta ans lulkn,
dass auch der Oneiss ein solches metamorpbisohes Gestein ist,
worüber unter andern die Meinung von nnserm Mitscberlich ango-
ftlhrt wird. Darnach hat der Herr Verfasser Gneisa gefanden, in
welchem Yegetabilien enthalten waren , welche für eine Art Ton
Asterafite (annnlaria) erkannt wurden, bis endlich für dasMoseoiB
zu Trient ein Stück Gneiss mit einem Abdrucke einer neuen Axt
Ton Eqniseto erworben ward, von dem hier eine trefiFliche photo-
graphische Abbildung gegeben wird, welche für die Geologen you
grossem Werth sein muss. Verfasser dieser Beschreibung ist der
Professor der Geologie an der Universität zu Turin und Director
des Naturalien-Cabinets, Herr Angelo Sismonda, der gelehrten Welt
durch mehrere sehr geachtete Werke bekannt, der gewöhnliche Be-
gleiter des Kronprinzen auf seinen Reisen.
Sülle tnoneie di Sardegna, dal Cavah D. Muonu MUano 1865. Tif,
Bona.
Der Verfasser, welchem wir auch eine Geschichte des Mfinz-
wesens in Italien seit dem Mittelalter verdanken, gibt hier eine
Geschichte der Münzen der Insel Sardinien, anfangend von Marens
Oppius, welcher 61 Jahre vor unsrer Zeitrechnung in Cagliari
Münzen schlagen Hess, mit der Umschrift: Sardus Pater, welche
zuerst von Gronovius beschrieben wurden. Seitdem wurde eine xn
Iglesias geprägte Münze von Viani beschrieben, mit der Umschrift:
Fridericus Imperator, und auf der Rückseite : Facta in villa ec-
desiae pro communi Pisano, worauf die Münzen unter spanischer
Herrschaft folgen, nachdem die 4 Ricbtep-Herrschaften dieser Insel
beseitigt worden waren.
La »eienza della legislasione di Oaetano FUangeri^ preceduta da
un discorao di P. Villari, Firense IH64. Tip, Le Monnifr, ö.
p. 375 u. LX.
Die Einleitung zu dem Jahr 1780 zuerst erschienenen Werk«
von dem grossen Staatsmanne Filangeri macht uns mit dessen Le-
ben bekannt, indem zugleich die Einwirkung seiner Zeit und seiner
Umgebungen trefflich gezeichnet wird. Filangeri war 1752 gebo-
ren worden, und zwar zu Neapel, wo seit der Zeit der Normannen
das Feudalwesen sich so ausgebildet hatte; von den 2765 Städtea
des Landes waren nur 50 sogenannte Immediat-Städte, das Eigen-
thum war so wenig getheilt, dass auf dem Lehen von S.'Gennaro
di Palma an 200,000 Unterthanen lebten. Nachdem der Streit
zwischen Oesterreich und Spanien über Neapel zu Gunsten d^
letzteren entschieden war, führte Carl III. viele Verbesserungen ein,
und 1752 wurde Filangeri zu Neapel geboren. Schon mit 5 Jah-
ren wurde er nach dem göttlichen Rechte der Geburt als Fähndrieli
zu einem Regimente eingeschrieben, in das er mit 14 Jahren ein-
trat; doch er zog die klassische Bildung vor, und schrieb schon
mit 19 Jahren über Erziehung und die Moral der Fürsten; Neapel
Ltterahirbericlite ans ItalieiL 777
hatte damals einen tüchtigen Minister, Tanncci, nndFilangeri gab
ungehindert 1780 sein berühmtes Werk über die Wissenschaft der
Gesetzgebung heraus. Es ist daher nicht zu verwundern, dass auch
jetzt unter den Neapolitanern sehr tüchtige Männer erscheinen,
welche mehr den deutschen als den französischen Wissenschaften
angehören. Der gelehrte Herausgeber dieser neuen Auflage hat
derselben eine sehr beacbtenswerthe Einleitung vorausgesohickt.
Sioria d^ Europa dal 1789 al 1865 di Wolfgango Menzd, iradusione
del Tedesco. Milano 1864. Tip. Guigoni. gr. 8.
Von dieser recht tüchtigen Uebersetzung der Geschichte Eu-
ropa*s von unserm Wolfgang Menzel ist bereits der zweite Band
erschienen.
Slorie minori di Cesare Caniü* Torino 1864. Casa Pomba. gr. 8.
JJl Vol.
Der unermüdliche Geschichtschreiber Cantü gibt hier Episoden
aus seiner allgemeinen Weltgeschichte, welche Italien betreffen.
Mit seiner bekannten Gewandtheit gibt er in dem ersten Bande
die Geschichte von Ezelino, die Brianza, Como, Veltlin, Venedig;
im zweiten Bande die Geschichte von Mailand, die Lombardei im
17. Jahrhundert, und Anderes.
Oj^erazioni ddV antiglieria negli assedi di Gaeta e Messina. 1860 e
1861. ToHno 1865. Tip. Boita. gr. 8. p. 460.
Mit Genehmigung des Eriegs-Ministeriums ist hier die Be-
schreibung der Belagerung von Gaeta und von Messina in den
Jahren 1860 und 1861 besonders fOr Militairs herausgegeben wor-
den, wobei hauptsächlich die Artillerie betheiligt war, welche be-
kanntlich in Italien vorzüglich ist. Für die Umgegend von Gaeta
ist eine Karte beigefügt, welche die verschiedenen Stellungen der
Soldaten und der Batterien darstellt. Bei der Belagerung von Messina
ergab sich eine Schwierigkeit durch neutrale Schiffe, und erhielt dort
ein kleines Schiff, die Lorley, den Namen Buffiano der Kuppler.
Auch wird hier kurz die Belagerung von Aucona beschrieben,
welche bald nach der Schlacht von Castelfidardo erfolgte.
Della edueazione popolana e del paironato civüe delle moliitudini,
di G. A. Franceschi Firenze J864. Tip. Bencini 8. p. 332.
Die Florentiner gelehrte alte Gesellschaft der Georgofili wen-
dete in neuerer Zeit ihre Aufmerksamkeit vorzüglich auf die Er-
ziehung des Volkes, durch Stiftung von Erziehungshäusem (Asyle)
für arme Kinder, wobei sich besonders der Graf Guicciardini zu
Florenz auszeichnete« Es wurde dazu eine besondere Gesellschaft
im Jahre 1833 gebildet; auch wurde für dieMaremmen besonders
eine solche Anstalt 1850 gegründet, nachdem Fürst Demidoff zu
Florenz ebenfalls eine solche wohlthätige Anstalt errichtet hatte,
77S litentnrberiehte au« Italien.
und der Markgraf Torregiani und der Adyocat Andmcci ebenfallg
ihätig gewesen waren. Das vorliegende Werk enthält die Grond-
Bfttze, die dabei befolgt wurden, die betreffenden Stataten n. s. w.
11 medaglione Arabo-Sieulo ^ ülusirato dal Marchese F. Marliliaro.
Palermo 1863. 8. p. 146.
In der Bibliothek der Stadt Palermo befindet sieb eine Samm-
lung von Münzen aus der Zeit der Herrschaft der Araber. Die
Älteste dieser Münzen ist von Mohammed Zeiadath, welcher von
827 an regierte. Die normannischen Eroberer vmssten die h5here
Bildang der Araber zu achten, sie behielten das Münzwesen mit
den früheren Lettern bei, und es ist auffallend, dast sich weder in
Sicilien noch im Neapolitanischen Spuren von ihrer Sprache und
Schrift; erhalten haben. Als durch Heirath der letzten Erbtochter
der Normannen-Könige die Hohenstaufen Herren jener Länder wur-
den, setzte hier auch Kaiser Friedrich H. die Münzen mit ara-
bischen Lettern fort. Der gelehrte Markgraf Mortillaro bat in
diesen und in seinen anderweiten sehr zahlreichen Werken sehr
viel für die Numismatik Siciliens geleistet.
Revista numUmatiea antica e modema da A. Olivieri. Asti 1864.
Tip, Rnspi. 4, p. 103. Fascicolo /.
Der Professor Olivieri, Bibliothekar der Universität zu Genua,
gibt hier das erste Heft einer für die Münz- und Siegelkunde be-
stimmten Zeitschrift heraus, welche jährlich auf einen Band von
400 Seiten berechnet ist. Der erste Aufsatz ist von. dem bekann-
ten Archäologen, dem Bibliothekar Cavedoni in Modena, welcher
eine Münze aus Apulien griechischen Stjls beschreibt, welche den
Sieg des Pjrrhus bei Ascoli betrifft, die man sonst für eine Münze
aus Campanien hielt. Von Fabretti wird über eine Münze des
Gordianus Pius mit der Inschrift AK Jj^l2J2JESlNherichiet, dass,
nach dem Grammatiker Hierocles, ein solcher Ort in Lycien sich
befunden habe. Von Promis ist eine Münze von dem Markgrafen
Hugo I. von Toscana von 1356 beschrieben, u. s. w. von dem Heraus-
geber selbst sind neu aufgefundene Münzen der Genuesischen Fa-
milien Doria, Spinola und Centurioni beschrieben. In dem Ab-
schnitte über Sphragistik sind die alten Siegel der freien Stadt
Genua beschrieben, ein anderer gibt Nachricht über die numisma-
tische Bibliographie und den Beschluss macht eine Necrologie,
diesmal den Lazari aus Venedig enthaltend, den Verfasser der
Moneta Veneziana. Zur Erläuterung sind brave Eupfertafeln bei-
gefügt.
Discorsi parlamentari del Conie C. Cavour. Torino 1864. gr. 8.
p. 459.
Eben ist bereits der S.Band der auf Veranlassung des Hauses
der Abgeordneten des Königreiches Italien bekannt gemachten Par-
LHeraturberlchie ttis Italiea 7^
lamentsreden Cavonr^s erschienen, mit dem 9. Mai 1851 anfangend
und mit dem 14. Juli desselben Jahres endigend.
Storia Romana flno alla caduta della republica. da Fr. Bertolini,
Firense 1864. Tip. Le Monnier. 8. p, 422.
Diese Geschichte ßoms von den ältesten Zeiten bis zur Zeit
Cäsars ist für die italienische Jugend bestimmt.
Di un frammtnlo di Falconeito di Pico Signore di Mirandola, di
A, Angelncci. Torino 1864, Tip. Cassone,
Der Hauptmann der italienischen Artillerie und Vorstand des
reichhaltigen Militair-Museums im Arsenal zu Turin, welcher sich
vorzugsweise mit Ermittlung der Schuss- Waffen im Mittelalter be-
schäftigt, brachte in Erfahrung, dass auf dem Schlosse Musso un-
fern des Comer-See's ein Stück von einem alten Geschütze gefun-
den worden, welches sich im Besitze des Herzogs Melzi in Mailand
befand, welcher die geschichtlichen Forschungen des aus Rom ge*
hurtigen Oapitains Angelucci zu würdigen versteht, und dieses Bruch-
stück dem Turiner Arsenal schenkte. Der Herr Verfasser gibt hier
eine getreue Abbildimg dieses üeberrestes, welcher unter dem
Wappen der Pico einen Theil der Inschrift dieser Kanone enthält,
welche der gelehrte Verfasser dahin ergänzt hat, dass sie auf Be-
fehl des Joh. Fr. Pico von Mirandola im Jahre 1500 gegosssen
worden. Als Sachverständiger gibt er genau die Masse an, welche
dieses Geschütz (Falconet) gehabt, und theilt die Geschichte dieser
Familie seit dem Jahre 1212 mit, um genau zu ermitteln, welcher
aus dieser bekannten Familie dieses Falconet hat giessen lassen,
wobei er darthut, wie dieser Franz Pico von dem Kaiser Maximi-
lian 1499 mit Mirandola belehnt worden, wie sein Bruder von dem
Herzoge Hercules von Ferrara unterstützt, ihn 1502 in Mirandola
belagerte und dass daraus ein langjähriger Krieg entstand, an dem
auch Julius ü. Theil nahm. Mit gleicher Sorgfalt führt der Ver-
fasser auch aus, wie dieses Geschütz nach dem Schlosse Musso ge-
kommen sein muss. Auch über das Schloss gibt der Verfasser
nähere Nachricht, da es dem berühmten Johann Jacob vonMedioi
gehörte, der unter dem Namen des Markgrafen von Marignano,
der Henker von Siena, bekannt geworden ist.
Libro di Letture Italiane per A. FaaHni. Torino 1865. Tip. Para-
vio. 8. p. 602.
Dies in der dritten Auflage bereits erschienene Lehrbuch zu
Styl-Uebungen ist für die Militair-Erziehungs-Anstalten bestimmt,
und enthält ausser allgemeinen Anweisungen eine Sammlung von
Briefen bekannter Personen, Berichte, Beden u. s. w,, selbst Ge-
dichte.
780 LlUntnrlierielite ams Itallai.
IJinduäria seriea in Italia, del Dofiore L. Fedi. Torino 18S5.
Hier werden Yorscbläge zur Verbesserung des Seidenbaues ge-
macht, wobei ersichtlich ist, dass vor der eingetretenen Krankheit
der Seidenraupen die Ausfuhr der Seide aus Piemont an 83,000,000
Franken und aus der Lombardei über 88,000,000 Franken betrog.
Italien ist also kein armes Land.
J^iscorso in oecasione del nuovo anno giudisiario da G, Vignali
Torino 1865. Tip. leütraria.
Im Jahre 1847 hielt der Verfasser, als Qeneral-Procurator des
Ober-Gerichts-Hofes zu Messina eine EröflFnungs-Rede, wegen deren
Freimuth er bei der damaligen Missregierung verfolgt ward; jetzt
da constitutionelle Freiheit herrscht, hat er sie drucken lassen, da
sich die Verhältnisse geändert haben.
Della pena di mortt, di N, Tommaseo, Firense 1865, Presso Lt
Monnier, 8. p. 494.
Der bekannte aus Dalmatien gebürtige Gelehrte Tommaseo,
welcher jetzt in Florenz lebt, spricht sich hier gegen die Todes-
strafe ans; ein Gegenstand, welcher jetzt Italien in bedeutende
Bewegung gesetzt hat, da das Parlament in Turin im März d. J.
in der Depntirten-Kammer ebenfalls für die Abschaffung derselben
sich ausgesprochen hat.
Raccolia di dialeiii Jtaliani eon illusirasioni etnoloqiche, di Ä.
Zuccangni- Orlandini, Firense 1864, Tip. Tofani. gr, 8,
p. 483.
Diese Sammlung der verschiedenen in Italien gesprochenen
Volks-Mundarten ist für die Sprachforschung von grosser Wichtig-
keit. Der Prinz Ludwig Lucian Bonaparte, der Bruder der Dich-
terin Prinzessin Valentino, und des verstorbenen Omithologen Ci-
nino hat zu einer ähnlichen Sammlung die verschiedenen Ueber-
setzungen des Vater unser benutzt; allein Orlandini bemerkt mit
Becht, dass man ans einer Uebersetzung den wahren Sprachgebrauch
nicht kennen lernen kSnne; er hat daher wirkliche nationeile Pro-
ben mitgetheilt, von denen man manche wenig versteht, wenn man
auch die italienische Sprache gründlich gelernt hat. Z. B. in den
Abruzzen sagt man ; Plu tavele ch* aveme da da, accunce tutt* s
la cambra cohinbel. D. h. bereite alles in dem Zimmer zu dem
Mittagsmahle vor. In Sassari auf der Insel Sardinien sagt man:
Pa la pranzu chi debimu fra, prepara tuttu in la sola. In Pa-
lermo sagt man: Pr' u pranzu prpara tuttu uto salottu. In Malta:
Ghae pranza li ghan dua naghenlu lesti colla fissola. In Corsica:
Pe' la pranza ch' avemu da fa prepara tuttu in lu salottu. In
Calabrien : Ppe la pranzu chi si deve fare, prepara tuttu alla came-
rlna. In Turin: Pr' 1 disnö ch' i \ cuma da de' prounta tuttant
litetatnrWiobie maa ttalieli. IBi
la salotta. In S. Marino: Per e pranz ca am da fe manissi qui
cosa a la sola. Am wenigsten italienisch klingt der piemontesische
Dialect, welcher an die französischen Nasalen erinnert.
Relasione ddla eommissione intomo dl riordinamento e ampHatione
ddle reit ferroviarie dd regno. Torino 1866. 4. p. 385,
Dies Werk des berühmten Statistikers, Staatsrath Correnti,
enthält den Bericht desselben, welchen er als Mitglied des Haases
der Abgeordneten über den Gesetzes-Entwnrf erstattete, welcher
den Zweck hatte die Eisenbahnen mehr von Privat-Gesellschaften
rerwalten zu lassen, nnd das italienische Eisenbahn-Netz zu er-
weitern. Hier findet sich die Geschichte aller seit 1836 in Italien
erbauten Eisenbahnen, Yon denen jetzt schon 3330 Kilometer im
Gebrauche sind; mehr als noch einmal so viel sind aber bereits
in Arbeit.
DUcarsi dd Senatore Corde Sdopis ndla diaeusBione ml mairimomo
civile. Torino 1865. Tip. Favale.
Das Parlament des Königreichs Italien war in der letzten Zeit
sehr ernstlich mit der Bewirknng der Einförmigkeit der Gesetz-
gebung für das ganze Land, statt der früheren yerschiedenen Ge-
setzgebungen beschäftigt. Ein wichtiger Gegenstand war die Ehe,
welche unter der früheren Franzosen-Herrschaft vor den bürger-
lichen Behörden geschlossen wurde, was aber nach der Restauration
wieder abgeschafft worden war; nur im Neapolitanischen wurde
die Civilehe neben der kirchlichen beibehalten, wobei aber die kirch-
liche Ehe darauf noth wendig folgen musste. Die Kammer der Ab-
geordneten entschied sich ohne bedeutenden Widerspruch für die
bürgerliche Ehe ; im Senat dagegen trat ein sehr bedeutender Geg-
ner derselben auf, das ist der berühmte Bechtsgelehrte, Graf Sclopis,
der erste constitutionelle Justiz -Minister in Turin, dann langjäh-
riger Präsident des Senats oder der ersten Kammer, ein compe*
tenter Richter, denn von ist die treffliche Geschichte der Gesetz-
gebung u. a. m. Ohnerachtet er den Grundsatz von Oavour »die
freie Kirche im freien Staate € in Nord- Amerika in Ausübung findet,
ist dies in Europa doch noch nicht der Fall, und als praktischer
Jurist hält er die Ausführung dieses Grundsatzes in Italien noch
nicht angemessen. Er beruft sich auf das Beispiel der protestan-
tischen Staaten, wo die kirchliche Ehe die Regel bildet, und führt
unsern würdigen Mittermaier an, welcher sich ausdrücklich für die
kirchliche Ehe ausgesprochen hat, so wie ein an ihn, den Redner,
gerichtetes Schreiben unsers Savigny yom 19. December 1851.
Mag man auch anderer Meinung sein, so wird man doch die Treff'-
lichkeit und Gründlichkeit der Ausführung anerkennen müssen.
Vor mehr als 30 Jahren gab der Mailändische Gelehrte Franz
Ambrosoli ein Handbuch der italienischen Literatur heraus, welches
783 Llt«r»tiirbflriohfta aus ttaUett.
allgemeinea Beifall £and| jetzt erscheint dayon die zweite Auflage
unter dem Titel:
Manuale della lelteratura llaliana, da F. ÄmbraolL III YoL in 8,
Firenne 1864. Presse Darbera.
Der Herr Verfasser, ein sehr bedeutender Philologe, welcher
von der österreichischen Regierung vielfach zu wissenschaftlichen
Arbeiten benutzt worden ist, auch die deutsche Literatur kennt,
und besonders durch ein griechisches Schulwörterbuch bekannt ist,
hat die seit der ersten Auflage dieses Werkes gemachten Erfah-
rungen auf dem Felde der Geschichtsforschung treulich benutzt und
dasjenige nachgetragen, was seit jenem ersten Anfange geschehen
ist. Er ist nicht in den Fehler so mancher Geschichtschreiber der
Literatur yerfallen, welche es für leichter halten scharfe Kritik zu
üben, als thatsächlich zu berichten, was von den betreffenden
Schriftstellern hervorgebracht worden ist. Dem Philologen wird
von dem Herrn Verfasser dessen üebersetzung der (Geographie von
Strabo und von Ammianus MarcellLnus bekannt sein.
Progeili per la ferravia dt Varchi dello Spluga e del Sepiimer,
siudiati a cura della Soeiefä Vanoüi e FinardL Müano
1864. Fol.
Diese Studien für die Anlage einer Eisenbahn vom ComarSee
über den Splügen oder den Septimer zum Anschlüsse nach Cfaur,
und zur Verbindung zwischen dem mittelländischen Meere und der
Nord- und Ostsee, sind auf Kosten der Mailändischen Provinz her-
ausgegeben worden; da hier keine solche Centralisation herrscht,
welche die Privat-Theilnahme verhindert. Dieser Atlass mit den
genauesten Details der Vermessungen u. s. w. ist allein schon ein
sehr kostspieliges Unternehmen.
Dass in Italien Bücher gekauft werden, kann man daraus ent-
nehmen, dass von der
Storia universale di Cesare Cantu, Torino 1664. 8,
bereits das 167. Heft der 9. Turiner Auflage erschienen ist. Jedes
Heft von 4 Bogen, sehr enge gedruckt, und in grossem Formaty
wird von der rühmlichst bekannten Buchhandlung Pomba für acht
Sübergroschen oder einen Franken geliefert. Cantu ist vielleicht der
fruchtbarste der jetzt lebenden italienischen Schriftsteller, seine
Werke bilden allein eine nicht kleine Bibliothek, obwohl er erst
1805 zu Brivio bei Lecco geboren ward, Die letzte seiner Arbei-
ten ist die Geschichte der lateinischen Literatur :
Sioria della leiteratura Latina^ da Cesare Cantu. Firense 1864,
Fresso F. le Monnier. 8. p. 568,
Der Verfasser fUngt mit der Aufzählung der ältesten Sprache
t^teratnrbericliie ans ttaUen« 783
in Italien an, geht dann zu den archaischen Schriftstellern überi
bis zu dem griechischen Einflasse, worauf die Eintheilang nach der
Geschichte und nach den Materien folgt; von dem Einflasse des
Christenthams geht der Verfasser auf den Verfall der Sprache und
den Einfluss der Barbaren über, bis zu den gereimten Versen. Der
Verfasser schliesst mit den letzten lateinischen Schriftstellern.
Ein 'anderes noch im Fortgange begriffenes grossartiges unter-
nehmen von Cesare Cantu ist eine Sammlung von Geschichten und
Denkwürdigkeiten der Gegenwart, welche auf 50 Bände berechnet
ist, von denen bereits seit dem vergangenen Jahre 10 Bände er-
schienen sind. Den Anfang macht Polen nach Boman Soltyk, unter
dem Haupttitel:
„Collana di siorie e memorie coniemporanetj^ La Polonia e sua
revolusdone nel 1830 per R, Soliyk, con proemio generale di
C. Caniu. Müano 1863, Fresso Corona e Caimi, 8. p. 435.
Cantu hat diesem Werke eine allgemeine Vorrede auf 79 Seiten
vorausgeschickt, worin er das Becht der Geschichte behandelt,
das sich auf Wahrheit gründen muss. Er zeigt, wie aus dem
Naturzustande sich das Becht Aller gegen Alle entwickelt hat;
dann den Einfluss, den das Christenthum und dann bald die Kirche
auf die Geschichte gehabt hat ; worauf er zum Natur- und Völker-
rechte übergeht. Nach Betrachtungen über Staatsverträge und die
heilige Allianz schliesst er mit Hinweisung auf die Liebe für eine
vernünftige Freiheit. Dem Werke von Soltyk über Polen folgt ein
Nachtrag von Cantu über die Folgen der Bevolution von 1830 bis
zu den letzten Ereignissen.
Der zweite Band dieser Sammlung (Collana) enthält:
OH staii uniti d* America, nel 1863 per 0. Bigelow, Milano 1863,
Presso Corona e Caimi, 8. p, 470.
Bei den jetzigen Verhältnissen Nord-Amerikas ist dies Werk
von um so grösserem Werthe, da sein Verfasser General-Consul der
vereinigten Staaten in Paris ist.
Drei Bände dieser Sammlung betreff'en Griechenland unter dem
Titel:
Risorgimenio della Qrecia per 0, 0, GervinuSj hadumone del Te-
desco, Milano 1862. Presso Corona e CaimL lU VoL 8,
Cesare Cantu hat diese Geschichte des Wiederauflebens Grie-
chenlands bis auf die neueste Zeit, bis zur Yeroinigung der Re-
publik der 7 Inseln fortgesetzt. (S. die Verfassung der Joaischeit
Inseln, und die Versuche dieselbe abzuändern, von J. F. I^eigobaur,
Leipzig 1840. bei Focke). In diesem Anhange bat Cautti Veriin*
lassung genommen, den gegenwärtigen Zustand OriechenlELnda und
seine Vergangeaheit herzuleiten, und über die Ausbildung diäs Valk»«
\
784 Lit«imtiitb€rlelite^QS tUlleiL
Charakters n. s. w. Mittheilangen zo^ machen. Von der neagriechi-
sehen Sprache sagt er, dass sie sich zu dem klassischen Griechi-
schen verhalte, wie das Italienische za der lateinischen Sprache.
Auch hat er schAtzbare Nachrichten über die giiechischen Colonien
der Neuzeit beigefügt, die sich in Ünter-Italien und Sicilien noch
im Besitze der Sprache befinden.
// Messico per Michade Chevalier, Milano 1864. Pres$a Corona e
Caimi.
Diese Uebersetzung der Beschreibung Ton Mexiko macht den
6. Band der yon Cantu herausgegebenen Collana aus, wozu er eine
Vorrede gegeben hat.
La Resiauraaione e ü Trattaio di Viennaj per Qiorgio Goffrede
Oervinus. Milano 1864,
Hier gibt Cantu als den 7. Band seiner Collana die Ueber-
setzung der Geschichte des Wiener Vertrages Ton Gervinus.
Quglielmo Pitt e ü euo iempo^ per Lord Statihope. U VoL
Diese Lebensbeschreibung des Minister Pitt gibt hier Cantu
als den 8. bis 10. Band dieses geschichtlichen Sammelwerkes der
Neuzeit.
indueiria del ferro in Itälia, dal Jngeniero Feliee Oiordano. Torino
1864. Tip. Coita. 4, p. 437.
Dieses mit sieben Karten ausgestattete Werk über die Eisen-
Industrie Italiens ist eine von dem Ingenieur Giordano redigirte Arbeit,
welche einer Commission^ durch den Marine-Minister aufgetragen
worden war. Die Alpen- Abhänge der Lombardei, das Thal von
Aosta, die Maremmen und Calabrien bei Pizzo sind am reichsten
mit Eisenwerken versehen.
MoUusquee terresires vivanU du Piemont^ per J. Stabile. Milano
1864. p. 143. gr. 8.
Dies mit 2 Kupfern ausgestattete Werk gibt Nachricht von
den im Piemontesischen lebenden Mollusken.
Atti deir Academia Qioenia di seienze naiurdli di Caiania. Tom.
XIX. Calania 1864. 4. p. 264.
Hier erhalten wir aus dem verschrienen Sicilien die Arbeiten
der naturforschenden Gesellschafb in Catania, deren Vorstand der
gelehrte Gemmellaro ist. Den Anfang macht eine Uebersicbt des
von dieser Academie seit den 38 Jahren ihres Bestehens Geleiste-
ten. Von dem Vorstande ist eine Anweisung fdr Reisende, welche
den Etna besteigen wollen. Die andern AufBätze betreffen Ichtho-
logie, Entomologie, und Nachrichten über die Vergrösserung des
Hafens von Catania. Keigebaiir«
V
It. eo. HEIDELBERGEfi 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Literaturberielite ans Italien.
La prosaima communicasione di itä^ i populi della terra, dal Cav.
Ferdin, de Luca, NapoH 1864. 4
Dies mit einer Weltkarte ausgestattete Werk zeigt, welche
Fortschritte die Yerbindang zwischen deu Völkern in neuester Zeit
'gemacht hat, und was in dieser Beziehung noch nächstens zu er-
warten ist.
La medicina communalej dal DoUore L. Ripa, Monza 1864. Tip.
Beretta. gr. 8. p. 192,
Dies ist eine populärer Leitfaden für praktische Anwendung
der Heilkunde in wöchentlichen Lieferungen Yon 1863 an.
AUi deila socUta Italiana di sciense naturalis fascieolo 20. Milane
1864. 8.
Die seit längerer Zeit in Mailand bestandene geologische Ge-
sellschaft hat sich seit ein paar Jahren in eine Gesellschaft für
Naturkunde umgestaltet und ist der gelehrte Naturforscher Oomalia
Präsident und eigentlich die Seele derselben, wofür er hier einen
günstigen Boden findet ; denn in der reichen Stadt Mailand finden
sich mehr Menschen, welche für die Wissenschaften leben, als
von denselben. Die Verdienste des gelehrten Herrn Gornalia sind
auch ausser Italien bekannt; er isi Mitglied der Leopoldino Caro-
linischen deutschen Akademie der Naturforscher. Ausser den
Sitzungsberichten enthält das vorliegende letzte Heft Nachrichten
über die Geologie in der Umgebung von Born, über die Vögel auf
der Insel Sardinien u. s. w., auch sind sauber ausgeführte Abbil-
dungen von Crustaceen beigefügt.
Mti della R. Academia di belle arti in Müano. Müano 1864. 8.
Presso Pirola.
Die Verhandlungen der Akademie der schönen Künste in Mai-
land für das Jahr 1864, enthalten einen sehr eingehenden Aufsatz
tLber den Fortgang der schönen Künste in Italien ron dem ge-
schätzten Herrn Boito, Professor der höheren Baukunst bei dieser
Akademie, ausserdem Berichte über die Vertheilung der ausge-
setzten Preise mit den darüber abgegebenen Beurtheilungen. Vor-
stand dieser Akademie ist der Graf Barbiano di Belgiojoso, auch einer
liVIIL Jahrg. 10. Heft 50
A
786 Litentnrberichte Mt ItalleB.
der reichen Mailänder, welche für die Wissenschaften leben. Bei
dieser Akademie ist für die Geschichte der gelehrte Doetor Hal-
fatti angestellt, für Malerei die berühmten Hayez nnd Bertini, fftr
die Sculptur Strozza undMagni, für Architectnr Pestagalli n. s.w.
Dizionario ddle aniichiia greche e romane, di A. Rieh, tradoäo dd
inglese per Bonghi e del Be, eon supplenurdo di O, FiortBL
Torino 1864, Tip. Cavour.
Dieses grossartige antiquarische Werk ist zwar nur eine üebei^
setznng aus dem englischen; allein Tervollständigt durch einen
Sachkenner, den gelehrten Fiorelli, welcher die Ausgrabungen in
Pompeji leitet. Die üebersetznng ist Ton zwei gelehrten Neapo-
litanern, dem Philologen Bonghi, welcher griechische Tragiker über-
setzt hat und sich viel mit Philosophie als Freund Rosmini's be-
schäftigt hat, auch jetzt thätig als Abgeordneter ist. Sein Grehülle
ist der in der klassischen Literatur wohl erfahrene del Be^ der zu-
erst mit einer antiquarischen Reise Ton Neapel nach Constantinopd
auftrat, wo er Schritt vor Schritt die antiken Lokalitäten mit
Stellen aus den Klassikern nachwies. Das TorHegende Werk mit
2000 in den Text eingedruckten Abbildungen der antiken hier be-
schriebenen Gegenstände ist dabei trefflich und doch nicht kost-
bar ausgestattet.
Republieam e Sforzesehi (IUI— 1455). Vol. L II. Müano 1864.
Pre880 Brigola. 8. p. 414. 420.
Dieser geschichtliche Roman ist aus der Zeit der Parteinngen
in Mailand zwischen den Feudal- Ghibellinischen Anhängern des
Sforza und den Freisinnigen, welche die städtische Gemeindevei^
"'"'^ Tfessung der freien Reichsstädte aufrecht erhalten wollten, nnd in
dem Papste ihren Schutz suchten. Der Verfasser ist der geistreicks
Graf Barbiano di Belgiojoso, Präsident der Kunst- Akademie zu
Mailand, nicht weil seine Familie yon dem berühmten Capitano di
Ventura, Barbiano, herstammt, sondern weil er ein hochgebildeter
Mitbürger der reicher. Stadt Mailand und grosser Kunstfrennd niä
Kunstkenner ist.
8tU credito fondiario in Italia, per Dottore NapoUone PerelU. Mi-
lane 1864. PrcBso Brenna.
Hier tritt wieder ein Rechtsgelehrter mit Vorschlägen zur
Hebung des Realkredits in Italien auf; allein auch er suoht alles
Heil nur in einer dazu geeigneten Bank, ohne zu berücksichtigen,
dass nur ein geordnetes Hypothekenwesen dazu führen kann , wie
in folgendem Werke längst nachgewiesen ist: Oenno critioo sulla
riforma del sistema ipotecario francese proposta dal Cav, Neige-
baur, per il Professore Sciascia, Palermo 1847, was auch von dem
berühmten Rechtsgelehrten Mancini in seiner Vorrede zur zweiten
Auflage in Turin 1853 anerkannt worden ist.
LHeraturberichte aus Italien. 737
Ännuario bihliografico lialiano per cura ddla istrutione pubblica.
Torino 1864. Tip. Cerutli, S. p. 884.
Endlich ist der Wunsch aller Freunde der italienischen Li-
teratur, einen Katalog aller neuen in Italien erscheinenden Bücher
zu besitzen, erfüllt worden, wie wir denselben lange für Deutsch-
land hatten* Das Ministerium des öffentlichen Unterrichts deh
Königreichs Italien hat sich dieser wichtigen Aufgabe unterzogen,
und alle Verleger veranlasst, die betreffenden Titel ihrer Bücher
einzusenden, welches mit den Berichten der General-Procuratoren
zugleich durch das Justiz-Ministerium geschehen ist. Damach sagt
die Vorrede, dass diese Arbeit, welche das Jahr 1863 umfasst,
grosse Schwierigkeiten gemacht hat, und ersucht alle Verleger für
die Folge thätig zu diesem wichtigen Zwecke mitzuwirken. Dieser
erste Jahrgang ist sehr zweckmässig systematisch geordnet , so dass
nebst dem alphabetischen Verzeichnisse der Aiitoren das Auffinden
sehr erleichtert ist. Die systematische Eintheilung erscheint in
19 Abtheilungen, von denen die des öffentlichen Unterrichts die
stärkste ist, mit 608 Nummern. Zeitschriften erschienen 581,
über Staatswirthschaffc 286, über Rechtswissenschaft; 239, über
Theologie 460, über Geschichte 251 u. s. w. Im ganzen König-
reiche erschienen nebst 531 Zeitschriften 4735 Bücher. Von den
nicht zum Königreiche Italien gehörigen italienischen Provinzen
enthält ein Nachtrag 570 Schriften, worunter 123 theologische,
6 philosophische, 4 philologische und 12 Zeitschriften.
Raceolia delU opere idrauliche e iecnologiche dt Qiuseppt Bruscheiti.
Torino. Prmo BoUa. 4. Vol. I. p. 383. Vol. II. p. 652.
Bekanntlich sind die Lombarden durch ihre Wasserbauten be-
rühmt, und darf man nur an den schiffbaren Kanal erinnern, welcher
Mailand mit dem Tessin und dem Po in Verbindung setzt, und die
vielen Kanäle, welche die lombardischen Wiesen bewässern. Der
Verfasser, ein sehr geachteter Ingenieur, worunter in Italien ein
Baukünstler und Feldmesser verstanden wird, gibt hier eine Ueber-
sicbt der Kanal- und Wasser- Verbindung in der Ebene des Po,
von dem Lago Maggiore an bis zu den Lagunen von Venedig, aus-
gestattet mit 18 grossen Karten und Plänen. Doch auch für den
Nicht-Sachverständigen hat dieses bedeutende Werk grossen Werth
durch die geschichtlichen Nachrichten über die diessfallsigen Arbeitun.
Di una mcUatia ddla glandtda mammuria eon la sifilide cQsiitusio~
näle, del C. AmbrosolL Müano 1864.
Dies ist die neueste Schrift des sehr geachteten Arztes Carlo
Ambrosoli zu Mailand, der sich durch mehrere Schriften über
syphilitische und andere Krankheiten ausgezeichnet hat, von denen
wir nur die Cura della Blennorragia (1868), die Sifilide coiiJftitaxio-
nale (1863), die Cura dei bubboni (1863), della giuntivite aifili-
tica (1863) erwähnen, viele andere früheren übergehend,
788 Llteratnrberlchte aus Ittllen.
Saggio di una storia naturale dei pdroHL per A, Sioppanu MÜano
1864.
Diese Untersuchungen über die Natur, die Fundorte und den
Gebrauch des jetzt vielfach erwähnten Petroleums haben den ge-
lehrten Professor Stoppani zum Verfasser, welcher an dem rühm-
lichst bekannten technischen Institut zu Mailand angestellt ist,
über welches folgende Schrift Auskunft gibt:
Propramma del Istüuio iecnico superiore di Müano, per Vanno 1864
—1865. Milano 1865. Tip. VallardL
Die höhere technische Lehranstalt in Mailand ist hauptsäch-
lich zur Ausbildung der für die Lombardei höchst wichtigen Givil-
Ingenieure bestimmt und hat ihre jetzige Einrichtung durch ein
königliches Decret vom 13. Novbr. 1862 erhalten. Dieselbe steht
aber auch zugleich mit den Abgeordneten der Provinz in Verbin-
dung, so dass diese thätigen Antheil nehmen, und dies gern thun,
da zu der Verwaltung neben dem Director Brioschi, auch unab-
hängige Männer gehören, wie der von den Provinzial- Vertretern
dazu abgeordnete Ritter Lombardini, Senator des Reiches, der von
der Stadtgemeinde von Mailand ernannte Gemeinderath Graf Paul
Betgiojoso und der Graf von Taverna. Zu den dabei angestellten
Lehrern gehört der Professor Stoppani, Verfasser des erwähnten
Werkes, für Geognosie und angewandte Mineralogie, der Director
^Brioschi lehrt Mechanik. Der Unterricht in der Geognosie und
Mineralogie wird in dem städtischen Museum ertheilt, um welches
der gelehrte, auch in Deutschland wohl bekannte Ritter Comalia
sich so grosse Verdienste erworben hat. Der erwähnte Brioschi
ist zugleich Präsident der in Mailand neu errichteten philosophi-
schen Fakultät unter dem Namen Academia scientifica-letteraria,
deren Sekretär der in der deutschen Literatur wohl bewanderte
gelehrte Camerini ist; dieselbe hat folgendes Programm heraus^
gegeben :
Programma della academia scientifieo lelieraria di Müano, doli
Consiglio diriitivo. Milano 1865.
Nach demselben sind hier 11 Professoren angestellt, Picchioni,
Professor der griechischen Sprache, Verfasser eines Wörterbuches
und mehrerer Uebersetzungen, ist Präsident dieser Akademie, Bion-
delli, der bekannte Linguist, ist Professor der Archäologie, Mal-
fatti der alten Geschichte, Ferrari der neueren, Bonavino der CTe-
schichte der Philosophie, der unter dem Namen Ausonio Franchi
sich durch philosophische Schriften ausgezeichnet hat u. s. w.
üterostenomatOy dal A, Ricardi. Milano 1864.
Der für die Syphilis bei dem grossen Hospital zu Mailand an-
Scriptoree HUitoJiae August Reo. H. Peter. 789
•gestellte Arzt Ricardi gibt hier die Abbildung seines Instruments,
um im Uterus Operationen vorzunehmen.
La sociela inglese d'Assecurazione suUa vüa, Gresham^ di Pieiro
Addone, Napoli 2864,
Betrachtungen über Lebensversicherungs-Anstalten.
Rivisla dei eomuni ItalianL per G, Masari, Torino 1864, 8.
Von diesen Verhandlungen über Gemeinde- Angelegenheiten liegt
bereits das 11. Heft des 4. Jahrgangs vor, zum Beweise, dass das
Gcmeindeleben, das sich in Italien aus der klassischen Zeit leben-
dig erhalten hat, und seit der erlangten italienischen Einheit er-
freulichen Fortgang gewinnt. Hier wird Nachricht gegeben von
der Thätigkeit aus allen Theilen Italiens in Gemeinde-Angelegen-
heiten, z. B. über eine Verhandlung der Provinzialstände zu Bo-
logna, über die Armen- Anstalten zu Pinerolo u. s. w. ; es werden
Vorschläge gemacht, wie die Gemeinde- und Provinzial-Berathungen
zu vervollkommnen; auch von den diessfallsigen Verhältnissen
anderer Länder wird Nachricht gegeben, z. B. über die Aufhebung
der Verbrauchssteuer in Belgien. Ein besonderer Abschnitt ist der
einschlagenden Bibliographie gewidmet, und ein anderer den betref-
fenden amtlichen Verordnungen, welche sich weniger in die Ver-
waltung der Gemeindeangelegenheiten mischen, als in den Ländern,
wo zu viel regiert wird. Neigebaur.
Scriptores Hisioriae Augti9iae. Recensuit Herrn annu 8 Peter, Volu"
menprius, Lipsiae in aedibus B, 0, Teuhneri, MDCCCLXV,
XXXJJ und 276 S, Volumen alterum 362 S. in 8,
Auf die vor nicht langer Zeit zu Berlin erschienene neue Textes-
ausgabe der Scriptoros historiae Augustae, über welche in diesen
Blättern (s. Jbrg. 1864 S. 950 fiF.) berichtet worden ist, folgt als-
bald eine andere, völlig unabhängig von der oben genannten unter-
nommene Ausgabe, die sich das gleiche Ziel gesteckt hat, indem
sie einen auf die ältesten Quellen zurückgeführten, mithin urkund-
lich getreuen und auch lesbaren Text dieser für die spätere römische
Kaisergeschichte so wichtigen Schriftsteller zu liefern niitoniimmt.
Der Herausgeber, der schon in zwei, in den Jahren 1860 u. 1S63
orschienenen Abhandlungen über die kritische Behandlang der in
dieser Sammlung vereinigten Schriftsteller sich näher verberettet
hatte, glaubte daher vor Allem auf diesen Punkt in der Vorrede
näher eingehen zu müssen, und wenn er hier unter ^Mvr Bezug-
nahme auf diese früheren Forschungen und die dadurch für die
Texteskritik gewonnenen Ergebnisse, hinsichtlich der Handschriften,
welche zunächst die Grundlage der Textes bilden sollen, zu einsui^
790 Serlptores HlatorUie Aagnsi Ree. H. Peter.
fthnlichen Besnltat, wie die Berliner Herausgeber, gelangt, eo wird
doch die nähere Begründung, wie sie in dieser Vorrede enthalten
ist, abgesehen selbst yon so Manchem Neuen, was sie bringt, dazu
dienen, jenes Ergebniss noch mehr zu sichern, und die Doreh-
führung, welche daraufhin im Einzelnen stattgefunden hat, zu recht-
fertigen. Der Herausgeber war aber um so mehr dazu befähigt,
als er die beiden, auch nach seiner üeberzeugung, und wohl zwei-
fellos ältesten Quellen der handschriftlichen üeberliefemng« die
ehedem Pfälzische (jetzt Yaticanische) und die Bamberger Hand-
schrift selbst näher untersucht und yerglichen bat, die erste in Bom
selbst, wohin er zu diesem Zweck wanderte, die andere zweimal
sogar, zu Breslau im Jahre 1857 und später zu Posen, wohin ihn
die Handschrift geschickt worden war, und kann die 8. XXX tob
ihm aus der einen Vita Hadriani gelieferte Probe zeigen, dass seine
zweimalige Vergleichung vor derjenigen, welcher die Berliner Heraat-
geber folgten, den Vorzug grösserer Genauigkeit und Sorgfalt anzu-
sprechen hat, und schon aus diesem Grunde das ganze Unterneh-
men mit nichten als ein übeiflüssiges erscheinen kann, da es -viel-
mehr als ein durchaus selbständiges sich darstellt, welches die ur-
sprüngliche Fassung des Textes möglichst wiederzugeben sucht,
üeber das Verhältniss jener beiden ältes^ten Quellen des Textee zu
einander war aber der Herausgeber wohl berechtigt, ein ürtbeil
abzugeben, weil er ja selbst beide eingesehen hat, und in solchen
Fällen, wo auch die äussere Beschaffenheit der Handschriften in
Betracht zu ziehen ist, ohne Autopsie ein sicheres Besultat kaum
zu gewinnen steht. Wenn nun auch nach seiner Ansicht, nnter
jenen beiden ältesten Quellen schon um der Form der Buchstaben
willen die Bamberger Handschrift um ein Jahrhundert alter zu
setzen ist (in das neunte Jahrhundert) als die Pfälzer, welche in
das zehnte oder eilfte fällt, so kann schon darum nicht die Bede
sein, die erstere als eine Abschrift der letztern zu betrachten, irie
unlängst zu behaupten unternommen ward, aber es kann auch eben
so wenig, wie hier S. X nachgewiesen wird, die Pfälzer Hand-
schrift als eine aus der Bamberger genommene Copie angesehen
werden , sondern beide sind zu betrachten als Handschriften , die
einer und derselben Quelle entstammen, in welcher diese Sammlung
die Aufschrift führte, welche nach den beiden Handschriften nun
auch von dem Herausgeber dem Texte vorangestellt ist: Vitae
diversorum principum et tyrannorum a Divo Hadri-
ano usque ad Numerianum a diversis compositae; denn
die gewöhnliche Aufschrift, die von dem Herausgeber aus begreif-
lichem Grunde, schon um Missverständnisse zu verhUten, auf dem
allgemeinen Titel des Ganzen beibehalten worden ist: Scripto-
res historiae Augustae ist bekanntlich neueren Ursprungs.
Auch das in beiden Handschriften befindliche Verzeichniss der ein-
zelnen Vitae, welche die Bestandtheile der Sammlung bildeten, be-
trachtet der Herausgeber diesem Codex Archetypus entnommen.
Scrlptores Hlstoriae August Reo. H. Peter. 701
in welchem dieselben auch wohl in der Ordnung, in welcher sie
in diesem Verzeichniss aufgeführt sind, auf einander folgten; und
zwar nach der Folge der Zeit, vor der nur einige Ausnahmen jetzt
sich vorfinden, worüber S. XIQ eine befriedigende Auskunft er-
theilt wird.
Der Herausgeber hat sich in seinen kritischen Forschungen,
so sicher und fest auch das aus der Yergleichung der beiden ge-
nannten Handschriften gewonnene Resultat steht, doch nicht dabei
beruhigt, sondern seine Forschung noch weiterausgedehnt, und wenn
dieselbe auch nur dazu gedient hat, dieses Resultat noch mehr zu
begründen und ausser Zweifel zu stellen, so werden wir dem Heraus-
geber um so dankbarer dafür sein müssen. Er hat zuvörderst die
ebenfalls in der Yaticana zu Rom jetzt befindlichen Ezcerpta
Palatina, wie die gewöhnliche Bezeichnung dieser Verschiedenes
enthaltenden Handschnft des eilften Jahrhunderts lautet, selbst ein-
gesehen und verglichen, ohne jedoch bei der offenbaren Nachlässig-
keit, mit welcher die in dieser Handschrift befindlichen Stücke ab-
geschrieben sind, wesentlichen Gewinn daraus für die Gestaltung
des Textes ziehen zu können : es entstammen diese Excerpta Pala-
tina nach der Ansicht des Herausgebers, der früher eine Abschrift
ans der vorher erwähnten Pfälzischen Handschrift darin zu erkennen
glaubte, vielmehr der gleichen Quelle, aus der die Pfälzische und
Bambergische Handschrift stammen, nur dass diese beiden mit
grösserer Sorgfalt daraus abgeschrieben, und nicht mit der Nach-
lässigkeit, durch welche der Werth dieser Excerpta in Vergleich zu
jenen beiden Handschriften sehr herabsinkt. Und diese Ansicht scheint
auch uns die richtigere zu sein. Der gleichen Quelle entstammt weiter
eiae Vatikanische Handschrift (Nr. 5801 aus dem 15. Jahrb.), deren
nähere Yergleichung aber schon aus dem Grunde der Herausgeber sich
ersparen zu können glaubte, als Accursius in der Editio Princeps
(Mailand 1475) diese Handschrift benutzt und nach ihr den Text
gegeben hat, die Editio Princeps aber schon früher von dem Heraus-
geber auf das genaueste verglichen worden war. — Eine ähnliche
Beschaffenheit zeigt eine ebenfalls vom Herausgeber eingesehene
Ambrosianische Handschrift (zu Mailand) aus dem fänfzehnten Jahr-
hundert und eine aus dem Kloster Murbach (im Elsass) stammende^
durch Froben's Ausgabe zu Basel 1518 bekannt gewordene Hand-
schrift, die jetzt veiloren scheint, da es dem Herausgeber nicht
golang, eine Spur derselben aufzufinden: bei der üebereinstimmung
mit der Bamberger und Pfälzer Handschrift dürfte sie übrigens
kaum Neues von einigem Belang bieten.
An diese ältesten Quellen der üeberliefemng reiht sich eine
Reihe von jüngeren Handschriften, die indessen, welches auch ihr
Ursprung sein mag, für die Besserstellung des Textes wenig nützen
und insofern, gegenüber jener ersten Classe von Handschrifteui
kaum in Betracht kommen werden; der Herausgeber verfehlt in«
dessen nicht, auch mit diesen Handschriften, die zum Theil selbst
1
799 Beriptores Htstoriie Avgott Keo. H. Peter«
von ihm eingeseben wnrden, uns bekannt zu machen : es ist danmter
eigentlich kanm Eine, welche eine grossere Beachtung ansprechen
kann, insofern sie wenn auch nicht aus derselben Quelle, ans wel-
cher die Pßllzer und Bamberger stammen, geflossen, doch auf eine
ihr Ähnliche oder verwandte zurückzuführen scheint, n&mlich
eine Yaticaner Handschrift Nr. 1899 aus dem vierzehnten Jahr-
hundert, und eine andere, aus dieser hinwiederum stammende Ta-
tikanische Handschrift Nr. 1901, welche das Datum des Jahres
1470 trägt, mithin ganz neueren Ursprungs ist
Diese Angaben mCgen genügen, um zu zeigen, wie der Herans-
geber sich allerwftrts umgesehen, um einen handschriftlichen Ap-
parat zu gewinnen, nach welchem die neue Ausgabe zu gestalten
wäre: die Vergleichung dieser verschiedenen Handschriften mit
einander konnte freilich nur zu dem oben bemerkten Resultat füh-
ren, womach die Pfälzer und Bamberger Handschrift vorzugsweise
die Grundlage des Textes bilden müssen, weil sie verhältnissmftssig
noch am reinsten die Urschrift erhalten haben. Daher der Herans-
geber sich vorzugsweise an diese beiden Handschriften hält und
einen meist hiemach gestalteten Text liefert, ohne jedoch auch
einzelne Verbesserungen einzelner Gelehrten, insofern ihre Aufnahme
geboten schien, zu übersehen. Selbst in der Orthographie folgt
derselbe diesen beiden ältesten Quellen, und wo sie von einander
darin abweichen, ward diejenige Schreibung vorgezogen, welche mit
der an andern Stellen vorkommenden übereinstimmend war oder
durch Inschriften u. dgl. mehr empfohlen ward. Unter dem Text
ist die Adnotatio critica zusammengestellt, sie enthält die yom
Texte abweichenden Lesarten jener beiden Handschriften, verban-
den mit der Angabe einzelner mehr oder minder beachtenswerther
Abweichungen der Excerpta Palatina, der Editio Princeps, und der
eben erwähnten Vatikanischen Handschrift Nr. 1899; auch einzelne
Oonjecturen, von neueren Gelehrten gemacht, werden^ hier und dort
angeftlhrt. Bequemer ist diese Einrichtung, den kritischen Appa-
rat unter den Text unmittelbar unter die Augen des Lesers zu
rücken, jedenfalls, und wir würden dieselben, zumal bei solchen
Autoren, die keinen Gegenstand der Schullectüre bilden, sondern
nur dem gelehrten Gebrauch dienen, unbedingt der bei andern
Autoren dieser Sammlung befolgten Einrichtung vorziehen, wo die
Adnotatio critica entweder unmittelbar auf die Praefatio folgte
oder wo sie am Schlüsse des Textes gegeben ist. In diese kri-
tische Zusammenstellung hier näher einzugehen, und hiemach etwa
einzelne Stellen einer weiteren Betrachtung in kritischer Hinsicht
zu unterwerfen, liegt nicht im Zweck und in der Bestimmung dieser An-
zeige: es genügt zu bemerken, dass durch die hier gelieferte Zu-
sammenstellung des kritischen Apparats, zumal derselbe mit eben
so grosser Sorgfalt als Genauigkeit gemacht ist, nun eine sichere
Grundlage des Textes gewonnen, auf welcher dann auch bei sol-
chen Stellen, in welchen jene ältesten Quellen uns nicht beMedi-
L
6cr!ptore8 Historlae Aug'-si Rec. H. Peter. 79S
gen können, weitere Versnobe der Besserung gemacht werden kön-
nen. Eben so wird auf dieser Basis die üntersncbung über Bil-
dung und Entstehung dieser ganzen Sammlung von Kaiserbiogra-
phien, sowie die Frage nach den einzelnen Verfassern der einzelnen
Vitae zu führen sein, und hiemach auch die Würdigung des Gan-
zen in geschichtlicher wie in andern Beziehungen geschehen können ;
von der vorliegenden Ausgabe sind natürlich alle derartigen Un-
tersuchungen ausgeschlossen, da sie einzig und allein den Zweck
hat, einen, möglichst der Urschrift sich annähernden, sicheren und
verlässigen Text zu geben, so weit dies nur immer nach den uns
noch zugänglichen Mitteln möglich ist. Eben deshalb sind auch
der einzelnen Lebensgeschichte diejenigen Verfasser beigesetzt,
welche in den beiden oben genannten Handschriften ihnen zugetheilt
werden, wie z. B. die Vitae des Antoninus Pins, Marcus Antoninus
und Verus unter dem Namen des Julius Capitolinus, dem sie aus-
drücklich in diesen Handschriften zugewiesen werden ; aus gleichem
Grunde trägt die Vita des Avidius Cassius den Namen des Vul-
catius Gallicanus; dem Aelius Spartianus bleiben alle diejenigen
Vitae, die ihm auch bisher in den Ausgaben beigelegt waren und
so fort. Ohne den über die Autorschaft der einzelnen Vitae weiter
noch anzustellenden- Untersuchungen vorgreifen zu wollen, müssen
wir es doch immerhin für eine sehr bedenkliche Sache ansehen,
die Autorität der ältesten Handschriften hier zu verlassen: ohne
die wichtigsten Gründe wird dies nicht geschehen dürfen. Vielleicht
haben wir Hoffnung, auch über diese Fragen dereinst von dem
Herausgeber noch sichern Aufschluss zu erhalten.
Die äussere Einrichtung, die deutlichen Lettern, das gute Pa-
pier und der correcte Druck werden alle Anerkennung verdienen.
In der gewöhnlichen Reihenfolge der Zeit erscheinen im ersten
Bande die Vitae von Hadrianus bis Alexander Severus incl. ; der
zweite Band enthält die übrigen, von den beiden Maximianen an
bis auf Carinus, mit dem bekanntlich die Sammlung schliesst. Der
diesem Bande beigegebene, umfassende »Index nominum et rerum
momorabilium « S. 228—360 mit doppelten Columnen auf jeder
Seite ist eine sehr dankenswerthe und nützliche Zugabe, um so
mehr als er nicht blos auf Eigennamen sich beschränkt, sontlern
auch Alles in sachlicher Beziehung, wie auch in sprachliclior Bo-
merken swerthe, in letzterer Beziehung sogar einzelne Än^tlrüclt''^,
wie admissionales, adytum, actuarius, callistruthiae, frigidarifi, iu*
cantare, podagrosi, podium, und hundert ähnliche der Art enthnlt.
TN Vilorlw Muimiis. Reo. C. Halm.
y alert Maximi Faetorum d Dieiorum memorabüium Ubri navem,
JtilU Paridis et JanuarU Nepotiani ejntomie adjedis reeennäi
Caroius Halm. Lip$iae in aedibue Teubneriams. MDCCCLXV.
XXn und 664 8. in 8.
Auch diese neue Ausgabe der Teubner'schen Sammlmig em-
pfieblt sich durch ähnliche Vorzüge: der Schriftsteller, der hier in
einem erneuertem Abdruck erscheint, ist ebenfalls kein Autor, der
auf Schulen gelesen zu werden pflegt, aber er ^ ist ftLr den gelehr-
ten Gebrauch durch die Masse historisch-antiquarischer, sonst nicht
bekannter Gegenstände, die er uns bringt, so wichtig, dass fast
keine, auf irgend einen Punkt des Alterthums gerichtete Unter-
suchung, dessen entbehren kann, ein verlässiger, auf die ältesten
Quellen zurückgeführter Text mithin ein Bedürfniss ist, dasror Allem
Befriedigung verlangt. Und diesem Bedürfniss wird hier entsprochen,
so weit es nach den noch yorhandenen Mitteln möglich war. Unter
den Handschriften nimmt die Berner, die gegen Ende des nennten
Jahrhunderts fällt, unleugbar die erste Stelle ein: auch der letsta
Herausgeber des Yalerius hat den von ihm gegebenen Text haupt-
sächlich auf diese Handschrift basirt: allein die Art und Weise,
mit der er bei der Vergleichung derselben yerfahren, konnte eine
erneuerte Einsicht und genauere Vergleichung, wie sie unser Heraus-
geber angestellt hat, keineswegs überflüssig machen: im Gegen-
theil nach den hier in der Vorrede niedergelegten Proben erschien
sie nothwendig. Dem schwierigen und mühevollen Geschäft hat
sich der Herausgeber theils in Bern, theils in München, wohin er
die Handschrift geschickt bekam, mit der in solchen Fällen n5-
thigen Ausdauer unterzogen: aber seine Mühe ist auch nicht nn-
belohnt geblieben: wir lernen nicht blos diese Handschrift, welche
ausser der Hand, die das Ganze geschrieben, noch Correctnren,
Veränderungen u. dgU von mehreren andern Händen enthält, nnd
überhaupt nicht leicht zu lesen ist, durch eine genaue Beschrei-
bung ihrer Beschaffenheit (S. IV ff.) näher kennen, sondern er^
sehen auch aus der Mittheilung der Lesarten, und dem Gebrauch,
welchen der Herausgeber von denselben gemacht hat, wie förder-
lieh ftbr die Gestaltung des Textes dies Alles geworden ist. Es
hat derselbe zwar auch die andern bisher bekannt gewordenen Hil&-
mittel nicht ausser Acht gelassen, aber sein Augenmerk war doch
mit gutem Grunde vorzugsweise dieser ältesten Handschrift zage-
wendet, um nach ihr zunächst einen urkundlich getreuen Text, so
weit wie nur möglich, zu liefern. Und dass ihm dies gelnng^,
wird eine nähere Durchsicht, wie sie Jeder leicht vomehmea kann,
nicht in Abrede stellen können, zumal er sich nicht geschont hat,
in Fällen, wo die Lesart dieser Handschrift offenbar verdorben ist,
das nach seiner üeberzeugung Bichtige in den Text zu setzen, wie
z. B. IV, 3 §. 14 am Schluss, welcher jetzt also gegeben ist : »band scio
majore cum gloria hujus urbis moribus anmoenibus repulsus sit«, wo
Valeffins Maziiniis. Reo. C Halm. 795
dieBemer HandBcliTift »moribus moribnac enthält, diebeigefdgte Cor-
rectnr einer anderen Hand aber »armis an moribus« bringt. Oder
nm noch einen andern Fall beizufügen, in welchem man eben so
wenig Bedenken tragen wird, in dem, was der Heranegeber gesetzt
hat, das Bichtige zu erkennen, lY, 7, in der Einleitung: »itaque
celerins sine reprehensione propinquum ayersere quam amicuroi
quia altera diremptio neutiquam iniquitatis, altera utique levi*
tatis crimini subjecta est«, wo ntique, das die Bemer Hand-
schrift hat, nicht passt, auch wenn man mit dem letzten Heraus-
geber ein non dafür setzt, neutiquam, das auch die andere
Hand in der Bemer Handschrift zugesetzt, am ersten richtig er-
scheint. Doch so Hesse sich noch gar Vieles anfCLhren, wo der
Herausgeber das Bichtige erkannt und an seine Stelle gesetzt hat :
wir sehen hier davon ab, da es nicht unsere Absicht ist, in die
Kritik des Einzelnen, durch Besprechung einzelner Stellen, uns ein-
zulassen, wohl aber unsern Lesern einen getreuen Bericht über diese
neue Erscheinung vorzulegen. Und darum dürfen wir auch nicht
unerwähnt lassen den kritischen Gebrauch, welcher von dem Aus-
zuge des Paris für die Berichtigung einzelner Stellen gemacht ist,
(worauf schon früher auch Dirksen aufmerksam gemacht hat) so
wie die Berücksichtigung Alles dessen, was einzelne Gelehrte der
früheren wie der neuesten Zeit an einzelnen Stellen bemerkt oder
zur Besserung des Textes in Vorschlag gebracht haben: die auch
bei dieser Ausgabe unter den Text gestellie Adnotatio critica gibt
darüber nähere Auskunft, insbesondere über die Lesarten der Ber-
ner Handschrift, als derjenigen, die auch in ihren Abweichungen
von dem hier gelieferten Texte die meiste Beachtung verdiente.
Den ganzen kritischen Apparat hier niederzulegen, ging nicht wohl,
aber das Wesentlichste und für den Kritiker Nothwendigste hat
seinen Plaiz gefunden. Zwischer dieser Zusammenstellung des kri-
tischen Apparates und dem Texte selbst ist auf jeder Seite durch
besonderen Druck leicht kenntlich, die Epitome des Paris abgr-
drackt, auch diese nicht ohne zahlreiche Verbesserungen des in
dem ersten von Angelo Mai veranstalteten Abdruck mancher Vei-
besserung bedürftigen Textes: die nach Mai von Du Rieu vorgr-
nommene Vevgleichung der Vatikanischen Handschrift, aus welcher
Mai's Abdruck genommen war, konnte zur Berichtigung mancher
Stellen dienen. Endlich hat am Schluss des Ganzen S. 488 ff.
der andere ebenfalls durch Mai erstmals bekannt gewordene Aus-
zug des eben so wenig wie Paris näher uns bekannten Januarius
Nepotianus ebenfalls einen Abdruck gefunden, der eben so durch
die erneuerte Einsicht der betreffenden Vatikanischen Handschrift
durch Du Rieu, und später noch durch einen andern Gelehrten
August Wilmanns, manche Berichtigung erhalten hat. Zwisohcrn
diesem Auszug des Nepotianus und dem Schluss des Valerius mit
dem Ende des nennlen Buches, wo sich in der Berner Handschriii
die bei dem Scblui^e der übrigen Bücher nicht vorkommende Sub-
7P0 Georges: DenUeh-UtelnlsehesH&ndwarterbiieh.
soription befindet: Yaleri Maximi Factoram et Dictomm [Me]ni(H
rabiliam [libe]r nonus explc. (explicit), findet sich S. 484 — 487
das Bmohstück, das die Bemer Handscbrift mit den Worten:
Lib. X de praenomine bringt, unter der Aufschrift: »Incerti anctorii
über de praenominibus de nominibus de cognominibus de agno-
minibus de appellationibns de verbis in Epitomen redactas a Jnlio
Paride«, so wie mit der merkwürdigen Subscription, die noch un-
längst 0. Jahn in den Verhandl. d. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch.
ni. S. 845 ff. besprochen hat: Titi Probi finit Epitoma bist»-
riarum diversamm exemploramque Romanorum: foliciter emendavi
descriptum Babennae Busticus Helpidius Domnulus V. C.c : die
Bemer Handschrift bringt im Ganzen dieselbe Subscription, nur
in veränderter Ordnung, auch lässt sie Probi weg. — Noch uX
zu erwähnen, dass am Schlüsse ein guter Ind^x Berum et Nomi-
num beigefügt ist.
Kleines deutsch^lateinüchea Handtcörlerhuch von Dr. K, E, Geor»
gesy Professor in Gotha. Leipsticf^ Hahn* »che Verlagsbuchhand-
lung 1865. VI und 2690 Columnen in gr. 8.
Auch mit dem besondern Titel:
Kleines lateinisch-deutsches und detUsch-lateinischea Handtoörterhudk
von Dr. K. E. Georges. Deutsch-^lateiniseher TheU,
Bei dem Umfang, welchen das von dem Verfasser bearbeitete
im Jahr 1861 in letzter Auflage erschienene deutsch-lateiniscfae
Wörterbuch im Laufe der Zeit erhielt, (s. diese Jahrbb. 1862
S. 72 ff.) ward ein kürzeres Handwörterbuch, zunächst fQr den
Gebrauch auf Mittelschulen, vielfach verlangt: diesem Verlanges
soll durch das vorliegende Handwörterbuch entsprochen werden,
das aber darum keineswegs als ein Auszug des genannten grÖBseres
Wörterbuchs anzusehen ist, sondeiii als eine selbständige, zu dem
bemerkten Zweck unternommene ArLeit, die daher auch in Man-
chem von diesem grösseren Werke sich unterscheidet, nirgends aber
die Sorgfalt und die in allem Einzelnen nachbessernde Hand verken-
nen lässt, mit welcher das Ganze in seinen Tausenden von Einzelheiten
bearbeitet worden ist. Was zunächst die Anlage dieses Handwörter-
buchs betrifft, so äussert sich darüber der Verfasser folgendermassen:
»Aufgenommen wurden nur solche deutsche Wörter und Be-
densarten, welche im Bereiche der Schularbeiten vorkommen dürf-
ten. Uebergangen sind daher namentlich alle neueren Titulaturen,
viele Fremdwörter und die meisten Bedensarten des ganz gewöhn-
lichen Lebens. (Doch ist z. B. »crepireu: mori perire« beibe-
halten). Auch die Zahl derjenigen zusammengesetzten Substantiv»
ist sehr beschränkt worden, für welche der Schüler sich leicht den
Georges: Beatech-lateinisclieB Bandwörierbuch. 797
geeigneten Ausdruck selbst bilden kann; doch wurde fast immer
am Ende des einfachen Wortes angegeben, wie die Zasammen-
setzimgen ausgedrückt werden und mit einigen Beispielen belegt.
Andererseits enthält dieses kleine Handwörterbuch eine Beihe von
Artikel, welche in meinem grösseren Werke nicht gefunden werden.«
Diese zuletzt ausgesprochene Behauptung können wir nach
näherem Einblick in das Handwörterbuch und Vergleichung des-
selben mit dem grösserem nur bestätigen, die Zahl der von dem
Verfasser selbst in einer Note zu dieser Stelle aufgeführten, neu
hinzugekommenen Worte und Ausdrücke Hesse sich leicht noch ver-
mehren: man wird darin einen Beweis der unermüdeten Thätig-
keit und Sorgfalt des Verfassers auf diesem Gebiete der Lexico-
graphie erkennen. Aber auch das, was er über den Umfang sei-
nes Werkes angibt, insofern es Alles enthalten soll, was dem
Schüler nothwendig ist, können wir wohl unterschreiben ; dass hier
eher zu Viel als zu Wenig geschehen ist, wird Jeder, der sich in
dem Werke Etwas umgesehen, bald wahrzunehmen im Stande sein,
ja er wird in diesem Handwörterbuch ein Hülfsmittel finden, das
ihm selbst über den Bereich der Schule hinaus in Vielem sich
nützlich und dienlich erweisen wird. Wir halten diesen grösseren
Beichthum des Gegebenen nicht für einen Nachtheil, sondern eher
für einen Vorzug, da jeder Schüler, der im Laufe seiner Schul-
jahre bis zur Entlassung dies Handwörterbuch gebraucht und da-
mit sich vertraut gemacht hat, es gern auch noch weiter benützen
und zu Bathe ziehen wird. Und wenn ihm dabei die Titulaturen
entgehen, so wie manche Fremdwörter, so wird dies nicht Viel zu
sagen haben: von Fremdwörtern finden wir übrigens noch immer
genug aufgenommen, theilweise auch in Verweisungen auf den be-
treffenden deutschen Ausdruck, (so z. B. Bivonak, Cour, Cousin,
einlogiren, Falliment, Bapport und unzählige andere) während Ti-
tulaturen allgemeiner Art, wie z* B. Secretär, Director u. dgl. auch
nicht fehlen. Was die lateinischen Ausdrücke betrifft, so ist hier
zunächst auf Ausdrücke und Wörter der classischen Latinität Bück-
sicht genommen ; wo spätere Ausdrücke genommen wurden oder viel-
mehr genommen werden mussten, wird dies stets ausdrücklich be-
merkt; oftmals sind auch, um die Biohtigkeit der angeführten
Phrase zu beweisen, die betreffenden Stellen der alten Schriftsteller
citirt. Ein zu weit gehender Purismus ist übrigens vermieden, und
in dieser Hinsicht eine richtige Mitte, wie uns scheint, eingehalten.
Wenn nun z. B. Hofpartei übersetzt wird durch regii, so
möchten wir dafür lieber aulici oder aulicorum cohors, au*
licorum factio setzen; ebenso will uns Hof ton, übersetzt mit
aulae Ingenium (was auch Forbiger angibt) nicht ganz zusa*
gen. Es kommt zwar einmal bei CurtiusVUI, 29 bei der Erzäh-
lung von dem Tode des Callisthenes vor; »Gallisthenes — haud-
quaquam aulae et assentantium accommodatus ingenio« ; aber wir
glauben, dass aulae hier als Dativ abhängig von »accommodatus«
708 Oeor|;et: Üeatseli-kteiDlBeSM Handwörterbncfc.
i8t und nicht als Oenetiy zn ingenio zu ziehen ist, wie dennancli
Siebeiis richtig» wie wir glauben, übersetzt: »doch sonst f&r den
Aufenthalt am Hof und unter schmeichlerischen Seelen dnicfaus
nicht geeignete; wir glauben daher, dass die Phrase yorkommen-
den Falls entweder zu umschreiben oder durch aulicorum sermo
et ratio oder auch durch mos zu geben war. Hohepriester
wird mit sacerdos sunimus (warum nicht umgekehrt: sam-
mus sacerdos?) gegeben, wofür Forbiger Pontif ex maximos
angesetzt hat. Das Corps diplomatique wird flberseiit: l^
gationes; warum nicht legatorum corpus oder colleginm?
Damenbrett wird gegeben durch tabula lusoria, aba-
Gus; wir halten das letztere fttr minder passend, wohl aber dis
erstere nach dem Epigramm des Martialis XIV, 15. Auch bei der
unter Etikette vorkommenden Bedensart : »nur nach der streng-
sten Etikette handeln : nihil unquam nisi severissime ac graTissine
facere« (wbs auch in dem grösseren Wörterbuch sich angegebei
findet) haben wir einiges Bedenken, da mit severissime wie
mit gravissime doch noch ein anderer Sinn, als der desblosea
und strengen Festhaltens an dem Hergebrachten oder Festgestellten,
sich verbinden Iftsst; wir würden lieber einfach, nisi ex usaoder
nisi ex more consueto oder recepto setzen. Bei dem Ar-
tikel: das Farben wird auf den Artikel Färbung vennesea,
der besonders gar nicht vorkommt; nur unter dem Artikel Farbe
wird einmal auch der bildliche Gebrauch, »Färbung der Bede« e^
wähnt. So wird wohl ein Jeder, der sich in diesem Wörterbuek
umsieht, auf Einzelnes unter den vielen Tausenden von Artikeln
stossen, wo ein Bedenken ihm aufkeimt oder eine bessere Fassnag
möglich erscheint. Wir haben nur aufs Oeradewohl einige Fslk
angeführt, die dem Verfasser wenigstens zeigen sollen, dass vir
unser ürtheil Aber die Brauchbarkeit und Nützlichkeit seines Wer
kes auf nähere Einsicht und Prüfung des Einzelnen gestellt haben ;
dass wir die unsägliche Mühe und den ausdauernden Fleiss, «o- j
mit das Werk zu Stande gekommen, im vollen Sinu des Wortes aser !
kennen, bedarf keiner weiteren Bemerkung: eben darum haben wir es
unterlassen, die einzelnen Beispiele, die wir eben vorgebracht, noek
weiter fortzusetzen und Einzelnes einer weiteren Besprechung zu unter
ziehen. Dem Verfasser wird dies selbst am wenigsten entgehen, «»
bei fortgesetzter Erforschung und Betrachtung des Einzelnen zu änden
und zu berichtigen ist, und er wird davon bei einer erneuerten Auflegt
gewiss Gebrauch machen. Ein Wörterbuch wird nie einer solchee
Nachlese und theilweisen Verbesserung entbehren^ Wir aber wflB-
sehen dem nützlichen Werke> innerhalb wie ausserhalb derSolnilei
die Verbreitung, die es durch die Gründlichkeit der Leistung vai
die Zweckmässigkeit der Behandlung verdient. Der Druck ist
klein, aber deutlich: unendlich Vieles ist hier auf einen verhält"
nissmässig kleinen Baum zusammengedrängt.
Heyse*« Fremdwfirtorbucli, 18. Ausg. 700
Dr. Joh. Christ. Äug, Hey 8 6*$ allgemeines verdeuUehendes und er'
klärendes Frerndtoörterbuch, mit Beziehung der Aus^
spräche und Betonung der Wörter nebst genauer Angabe ihrer
Abslammung und Bildung, Dreisehnte, neu bearbeite/ e,
vielfach berichtigte und vermehrte Ausgabe. Hannover^ Hahn^sche
Hofbuchhandlung 1865. XVI und 978 S. in gr. 8.
Von der zwölften Ausgabe, welche im Jahre 1859 erschien,
ist in diesen Blftttem, Jhrgg. 1859 S. 191 ff. und 1860 S. 78 ff.
berichtet worden. Was dort über die Vorzüge dieser neuen Aus-
gabe Yor den nächst vorhergehenden, die sich bereits einer we-
sentlichen Vermehrung erfreut hatten, bemerkt worden ist, kann
in fast noch höherem Grade yon dieser dreizehnten gelten, in
welcher das Ganze einen Grad von Vollständigkeit wie von Ge-
nauigkeit in allen den einzelnen, tausenden yon Artikeln, erlangt
hat, wie er keinem ähnlichen Werke zukommt. Die Bearbeitung
der neuen Auflage, begonnen vom Herrn Theodor Heyse, der
aber in Folge einer fijrankheit yon der weiteren Fortsetzung seiner
Arbeit abzustehen genöthigt war, ist dann in die Hände eines
Mannes gelegt worden (Herr Dr. A. Otto-Walster), der AUes
aufgeboten hat, nicht blos dem Werke seinen Charakter zu wah-
ren, sondern auch dasselbe möglichst zu berichtigen, wozu es bei
einem Werke der Art nie an Gelegenheit fehlen kann, so wie auch
zu erweitem und zu yermehren, wozu gleichfalls die Gelegenheit
nicht fehlen kann. Denn bei dem erweiterten und erleichterten
Verkehr der yerschiedenen Völker des Continents, wie selbst ausser-
halb desselben kann es nicht ausbleiben, dass einzelne Ausdrücke
immer wieder yon neuem in die Sprache sich eindrängen, Auf-
nahme und Verbreitung finden, und bald mehr oder minder ein-
gebürgert werden, ohne dass man immer klar dabei denkt oder
sich klar dessen bewusst ist, was damit eigentlich bezeichnet wer-
den soll. Auch die wissenschaftliche Forschung wie die technische
Ausbildung führt stets neue, andern Sprachen, alten wie neuen,
entnommene Ausdrücke herbei, die dem Laien oft unyerständlich,
w^l fremd sind, eben darum aber einer Erklärung oder Erörtenuig
in einem solchen Fremdwörterbuch bedürftig erscheinen, und so
ist es denn ein Hauptbestreben des neuen Bearbeiters gewesen, die
neu aufgenommenen oder neu gebildeten Fremdwörter zu berück-
sichtigen, und wenn man bedenkt, dass es sich hier nicht um Hun-
derte, sondern Tausende yon Wörtern handelt, so wird man sich
einen Begriff machen können yon der Mühe und Ausdehnung der
Arbeit, wie sie hier yorlag. Die Folge dieser Bemühung zeigt
sich aber auch in der Beichhaltigkeit und Vollständigkeit dieses
Fremdwörterbuches, mit dem kein anderes in dieser Hinsicht sich
messen dürfte. Aber die Bemühung des neuen Herausgebers war
weiter auch darauf gerichtet, ohne von den leitenden Grundsätzen
seiner Vorgänger sich zu entfernen, im Einzelnen das Ganze einer
600 Beyse'B FremdwSrterbiicIi, 18. Ausg.
sorgiUltigen Revision in Absiebt anf die gegebene Erkl&roDg der |
einzelnen Fremdwörter zu unterwerfen. In dem lebendigen Yhsß \
der Sprache treten selbst bei dem Fremdworte Yerändernngen io |
der Bedeutung, in dem Gebrauche ein, wie sie schon der alte Dich-
ter der römischen Welt erkannt hat, wenn er singt »juTenum rita
florent modo nata yigentqne (verba)«, und wenn er weiter dan
ftlgt, »multa renascentur, quae jam cecidere cadentque quae nme
sunt in honore yocabula^ si Yolet usus« n. s. w.; auf alle deiaiti-
gen Veränderungen sein Augenmerk zu richten, darf der Bearbeiter
eines solchen Wörterbuches nicht yersfinmen, und es ist auchnicbt
bei dieser neuen Ausgabe versäumt worden : was in dieser Be-
ziehung zu ändern war, ist geändert worden; eben so ist die Pas-
sung der gegebenen Erklärung eine schraffere aber präcisere g^
worden , gewiss nicht zum Nachtheil des Ganzen : und eben so
wenig wird man es missbilligen können, wenn einige gänzlich tci-
altete und völlig ausser Cours gekommene, meist medizinisebeAo»-
drUcke, die in früheren Auflagen noch verzeichnet waren, ausge-
fallen sind: das Ganze ist wahrhaftig ausgedehnt und um&ugreidi
genug, um einen solchen Ausfall, der selbst wünschenswerth war,
zu ertragen. Denn die Zahl der fremden Worte, die in Folge
des gesteigerten Verkehrs aus dem Englischen und FranzSn-
scben, um nur diese beiden Sprachen zu nennen, aufzonebmeB
waren, oder welche auf technischem und wissenschaftlichem Ge-
biete angewendet, nun selbst iu den Umlauf des gewöhnlichen Le-
bens und der Schriftsprache (man denke nur an die Zeitnogen!)
gekommen sind, nimmt von Tag zu Tage zu und erfordert K^
Scheidung des Veralteten und gänzlich ausser Gebrauch Gekom-
menen. Im Druck selbst, wie in der ganzen äusseren Ein-
richtung ist keine Veränderung vorgenommen worden, dafür aber
auch der Preis der neuen Ausgabe unverändert der alte gebliebea.
Um so mehr wird man der neuen dreizehnten Ausgabe die
gleiche günstige Aufnahme, wie der früheren, zu wünschen haben:
die vorher bezeichneten Eigenschaften, in welchen kein anderes
ähnliches Werk ihr gleich kommt, sichern der neuen, in derTbat
»vielfach berichtigten und vermehrten« Ausgabe, eine weitere 'V^ö'
breitung, und dem Bearbeiter die verdiente Anerkennung.
Ir. 61. HEIDELBERGER 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Elementarbuch der Differential- und Integralrechnung mit zahlreicf^en
Anwendungen aus der Änalysis, Geometrie^ Mechanik, Physik,
u, 8. w. für technische Lehranstalten bearbeitet von Friedr.
Autenheimer, Rektor der Oeroerbeschule in Basel. Mit 134
in den Text eingedruckten Holsschnüten. Weimar, 1865. Bern-
hard Friedrich Voigt. (406 S. in 8.).
Die Zahl der Lehrbücher ftlr Differential- und Integralrechnung
beginnt allmälig zu wachsen, und droht bald eben so gross zu
werden, wie die für niedere Mathematik. Dagegen lässt sich nun
Nichts einwenden; es ist auf dem geistigen Gebiete ohnehin Ge*
Werbefreiheit schon früher eingeführt gewesen als auf dem mate-
riellen, und wenn die Gewerbeschulen auch »höhere Mathematik«
treiben und so den »technischen Lehranstalten«, unter denen man
doch gewöhnlich die eigentlichen polytechnischen Schulen begreift,
einen Theil der Arbeit abnehmen, so lässt sich auch dagegen Nichts
einwenden, wenn nur die Zöglinge die Sache verstehen
und der Unterricht ein guter ist. Wir sind freilich per-
sönlich der Meinung, dass die Differential- und Integralrechnung
eigentlich den polytechnischen Schulen sollte yorbehalten bleiben
und die Gewerbeschulen ganz genug leisten, wenn sie die »niedere
Mathematik« (Algebra, Geometrie, Trigonometrie, analytische Geo-
metrie) gehörig verarbeiten.
Dem Verf. scheint der Unterricht an den »technischen Schulen«
(natürlich in höherer Mathematik) zu »abstrakt«, und er hatdess-
halb die Sache etwas anschaulicher behandelt. Wir habt^n vielfach
schon Gelegenheit gehabt, in diesen Blättern solche »anschauliche«
Darstellungen zu besprechen, wollen uns aber trotzdem di^ Mähe
nicht verdriessen lassen, der neuen Form der alten Sache etwa»
näher in*s Angesicht zu blicken. Wenn wir dabei hin uud wieder
mit der Behandlung nicht einverstanden sind, so werden wir <—
unserer Gewohnheit gemäss — unsere Gründe dafür auiTahreu, es
xnüsste denn nur einen Punkt betreffen, der als längst erledigt an-
zusehen ist.
Gegen die Eintheilung des Buches, nach der die Differential^
rechnung, so wie die Integralrechnung in zwei Theile getrennt ist,
haben wir selbstverständlich Nichts einzuwenden, da wir im Gegen*
theil damit ganz einverstanden sind. Ueber das Wieviel Ussi sich
freilich sprechen. Wir wenden uns aber besser zum Buche selbst.
Die »Einleitung« beginnt gleich mit einem fatal on Druck-
fehler: »In der Formel y = x'-f"2^+3 denke man sich die Grösse
LYin. Jahrg. 11. Heft
809 Autenlieimeri DUferenital- uid InUgnlreeliiiiiiii:.
yeränderlich« tu s.w. Welche Grösse? Es fehlt eben der Zusafcx: x,
abgesehen davon , dass man 7=z3-f~^^4*^ herkommliolt eine
Gleichung nennt. Die »Eintheilong der Funktionen« ist eine durch-
aus überflüssige Sache, zumal in einem Elementarbuch; dag^n
ist der Begriff der Stetigkeit ein wesentlich zu beachtender.
Da lässt der Verf. nun urplötzlich »unendlich kleine Intervalle«
auftauchen, die er gar noch »auftragen« (also geometrisch kon-
struiron) will* Was sind nun aber solche Intervalle? Davon ist
im Buche auch nicht die leiseste Andeutung, bleibt vielmehr Alles
dem Privatfleisse des Lesers überlassen. Wir rechten niclit gern
um Worte; aber »Grenze der Stetigkeit« ist doch nicht der Werth
von X, für den die Stetigkeit der Funktion aufhört? Noch klarer
ist folgende Darstellung : »Man lasse die Variable x einer Funktioa
f(x)'Bich stetig andern. Nähert sich hiebei der Werth der Funktion
mehr und mehr einer bestimmten, konstanten Grösse, ohne diese
überschreiten zu können, so wird diese Grösse eine Grenze der
Funktion genannt.«
Nach solchen, etwas absonderlichen Erklärungen beginnt nun»
mehr die eigentliche Differentialrechnung. Lässt man in y=Lf(x)
die Grösse x um z^x zunehmen, so ändert sich 7 um ^y; diese
Aenderung kann positiv oder negativ sein. »Nehmen wirz^j positiT
«, 80 hataiany+./y=f(x+^x), „», ^«Si+^zS^
Hat man diese Gleichung nicht auch, wenn etwa Aj negativ ist!
Fast scheint der Verf. zu meinen, es sei dem nicht so \ er konunt
auch nicht mehr darauf zurück. Es bleibt also bei positivem ^y
und wohl auch positivem ^x (da ja von Zunehmen bei x die Hede
ist). »Wird ^x = 0, so wird auch dj=Q, Für dieaen Grens-
zustand geht also das Yerhältniss -p- Über in die unbestimmte
0 -^^0
Form-» Gleichwohl entspricht dem Ausdrucke — immer ein be-
stimmter Werth u. s. w.< Wenn aber ^x = 0, so hört eben aQi
Aenderung von x auf, und es ist reine Spiegelfechterei, noch tob
dy 0
—^ zu sprechen. Dass — immer em bestimmter Werth sei, int nlebt
wahr; in dem Falle, da man weiss, w 0 h e r dieseForm stammt»
kanü man allerdings den Werth finden.
Dass sein— ein bestimmter Werth sei, zeigt der Yeiiksso'
geometrisch, wobei er freilich vergessen hat, zu erklären, was die
Berührungslinie an eine Kurve sei. Wenn er dann von ^x aa^
es durchlaufe diese Grösse eine Reihe von Werthen» bis sie S^
werde, so möchten wir gerne wissen, was er einem Schüler ent-
gegnen würde, der auf die Vemrathung kommen könnte, man k&tte
lieber gleich ^x=0 gesetzt, als es zuerst Etwas und eadlio^
Antenlielmer: DlfTerentifll-^ find Integralredültin^. ^(A
eigentlich doch Kichts zu setzen. Einen nnendlich Ueiüelt tVerth
von ^x setzt der Yerrf. 2=:^Mn nnd konstnuri ihn in ganz anstän-
^ dy
diger Länge I »Hiemach wird das Verhältniss 3-^ nur nm unendlich
0 ^^
wenig vom Grenzwerth — abweichen, also mit ihm verwechselt wer-
den können.« Wir führen wörtlich an, da wir eine solche » An-
schaulichkeit < nicht f(ir möglich halten würden, wenn sie nicht
auf anständig weissem Papiere gedruckt vor uns läge. Das ist
nicht »abstrakt«, aber einfach Unsinn, der nur Übertroffen wird
von der zugegebenen Erläuterung, womach »zur strengen Erfüllung
dy
der Gleichung -j^ => tg a allerdings d x =r 0 und d y = 0 sein sollte. «
dx
Sintemalen mit solchen Nullen aber auch rein gar Nichts anzu-
fangen wäre, »denkt man sich dx und dy gleichwohl nicht als
Nullen, sondern als unendlich klein werdende Grössen, welche die
Null zur Grenze haben.« Anfänglich sind dx, dy wirklich un-
endlich klein; jetzt werden sie es erst, u. s. w.
Nunmehr beginnt die Differentiation damit, dass um »die
Formel y = x^— x — 2« zu differenziren, eine Parabel verzeichnet und
förmlich untersucht wird, worauf dann x° zur Behandlung gelangt.
Das läuft Alles glatt ab. Der binomische Satz wird kurzweg vor-
ausgesetzt (für beliebige n) und man lässt einmal ^x auch wie-
der »kouvergiren« statt es kurzweg 0 zu setzen. Man muss doch
der Mode, die nun einmal Grenzbetrachtungen fordert, huldigen,
wenn man auch ganz andere Dinge (oder vielleicht auch gar Nichts)
darunter versteht. Wenn aus -<i/ (x y) = x ^ y -|- (y -|- z/ y) ^ i bei
»ohne Ende abnehmendem ^x« nicht geschlossen wird, dass Null
= Null sei, so muss man daraus schliessen, dass d (x y) =»■ x d y -}-
ydx-f-dydx. Warum lässt der Verfasser das letzte Glied weg ?
Am klarsten ist die Ableitcmg von dlogx. Man bat ^7';7"=^Iog
I 1 -| j , wo — -=— • Nun entwickelt man ( 1 H — ) nach
dem binomisohen Satze, lässt z/x »ohne Ende abaehnoien« (doob
X
nicht bis —<»?); da bleibt dann f 1 -f- — r'^rsl-f-l-f-J^.,, .
Man entwickelt die Brüche in Dezimalbrüche , additt und findet
dx,
2*718 ..•, nennt das e und hat so dlogx= —-log e. — Wir konn-
ten in Yerdaeht kommen, die Darstellung anders zu geben als sie
ist^ desswegen setzen wir zu, dass die eben gebrauchte Beweisform
ganz die dee Buches ist. Man wird es uns erlassen^ die einfachen
Differentiale weiter i^u verfolgen^ meist sind 9ie eben so deuUbh
abgeleitet.
804 Autenhelmer: Diffarential- und Integrilredmn&if.
Wie man allgemein eine »Funktion von einer Funktion« dif-
ferenzirt, wird nicht gezeigt, aber an ein paar Beispielen mögliebst
erlftntert; worauf dann die Differentiation unentwickelter Funktion
in bereits bekannter klarer Weise aufgeführt wird. Dass ^— ^ — -^
df(i,r) -^y
eben gegen — 5—^ konvergirt, versteht sich von selbst« Damit ist
dy
der erste theoretische Theil der Differentialrecnung zu Ende und
wir gelangen jetzt zu den Anwendungen.
Die erste ist die der»Maxima und Minima.« Der theoreüscbe
Theil ist so schlecht als nur immer möglich dargestellt; die Ent-
scheidung, ob Maximum oder Minimum, kann natürlich gar nicht
gefällt werden, da man von höheren Differentialquotienten nodi
nicht gehandelt. Doch gibt das Buch eine solche. Man untersucht,
ob das Differential dy stetig von positiven Wertheu zu negativa
übergeht u. s. w. Also das Differential, das »allerdings = 0 sein
sollte c, hat jetzt positive und negative Werthe u. s. f. Was nützen
nun all die Aufgaben, wenn die Theorie unverständlich ist? Der
öffentliche Unterricht muss gegen solche Manieren Einspraclie er-
heben. In diesen Aufgaben kommt u. A. auch y^860' — x* statt
y^(23r)»— X*; dass die »Methode der kleinsten Quadrate« zur Ab-
leitung des arithmetischen Mittels angewendet wird, ist doch eine
Art Frofanation der Theorie. Die Aufgabe 35 : »Ein Körper vom
Gewichte P werde auf einer Horizontalebene fortgezogen mit einer
Kraft K, welche mit der Horizontalebene einen Winkel a bildet
Bei welchem Winkel a wird die Zugkraft K ein Minimtmi?« ist
so wie sie gestellt ist, nicht zu lösen.
Die zweite Anwendung ist die »Methode der Tangenten«, wie
hier die Bestimmung der Tangenten, Normalen u. s. w. benannt
wird, was geschichtlich nicht gerechtfertigt ist. Wir wollen weiter
nicht darauf eingehen, dafür etwas mehr bei der dritten Anwen«
düng: »Entwicklung der Funktionen in Belhen« verweilen.
Durch Division findet man-j =• l+x-f"^^+ — » »agt der
Verf. Das ist falsch ; man findet nie eine unendliche Beihe, sondern
eine endliche mit einem Bestgliede. Das hat der Verfasser
übersehen und dreht sich dann in wunderlichen Betrachtungen hemm,
nm zu sohliessen, es könne »die angegebene Beihe nur gelten l&r
solche Werthe von x, die sie konvergent machen.« Warum denn?
ȟeberhaupt ist eine Beihe nur dann als Ausdruck von f(x) ansn-
sehen, wenn die Beihe konvergent ist.«
Den »Satz der unbestimmten KoefQzienten« spricht der Verf.
dahin aus, dass wenn zwei Beihen nach den ganzen Potenzen Ton
z fortschreiten und immer gleich sind, die Koeffizienten der gleich
hohen Potenzen auch gleich sind, und sagt dann mit rohigem
Gewissen: »Nach dem Satze der unbestimmten Koeffizienten wird
man setzen: a»=A4-Bx+0x'-|- ....« Die Beihe wird difteren-
Autenhelmer: Differential- und Integralreelmnng. 805
sirt n. 8. w., Alles ohne nur zu fragen, ob denn eine solche Dif-
ferenzirung anoh nur gestattet sei. Für log (14~^) findet man,
jS
natürlich immer mittelst des berührten Satzes: x — -^ -(-.••• Es
zeigte sich, dass die Beihe 1 — x + x* — ... nur für x^<^l kon-
vergirt ist, »also ist auch die Reihe für log(l-{-x) ^^^ ^ d^^se
Werthe konvergent.« Abgeleitet ist die Reihe jedoch ganz allge-
mein ! um uns kurz auszusprechen, führen wir also an, dass diese
Entwicklung in Reihen mittelst der längst verurtheilten Methode
der unbestimmten Koeffizienten geschieht, von einem Restgliede
nie die Rede ist, folglich die ganze Abtheilung wissenschaftlich
von keinem Werthe geachtet werden muss. So wären wir nun
in einer fast immer zu verwerfenden Weise zur »Integralrechnung«
gelangt.
Die Hast, zu »Anwendungen« zu gelangnn, lässt auch hier
der Theorie keinen Raum zur Entwicklung. Wird das »Integral«
auch richtig erklärt, so finden wir jedoch keine Methode der In-
tegration in halbwegs allgemeiner Weise dargestellt, ja selbst die
Beispiele, auf die Alles hinausläuft, sind in höchst einfaches Ge-
wand gekleidet. Nun gelangen wir zu den Anwendungen, die aller-
dings den Haupttheil des Buches ausmachen, über die wir also
auch sprechen müssen. Wie schon der Titel sagt, sind diese An-
wendungen aus einer grossen Zahl einzelner Gebiete genommen und
fallen S. 71— 210 des ersten Theils der Integralrechnung, während
die Theorie auf 10 Seiten (die noch verschwenderisch mit Zwischen-
räumen ausgefällt sind) Platz genommen. Das heisst sicher nicht,
die Schüler mit »abstrakter Theorie« überladen.
Zuerst erscheint natürlich die Quadratur der Kurven. Die
Grenzbetrachtung, mittelst der der Differentialquotient einer Fläche
gefunden wird, ist ganz richtig; in diesem Buche ist sie aber ein
Sani unter den Propheten. Es kommt gleich die wörtliche Aeusse-
rung: »Denkt man sich die Differentiale nicht = 0, sondern un-
endlich klein, so ist ydx ein Rechteck u. s. w.« Also stellt es
der Verf. uns wohl frei , seine Differentiale auch =^ 0 zu denken.
Zwischen hinein wird die Erklärung eines bestimmten Inte-
grals gegeben als Inhalt einer Fläche und daraus einige Eigen-
schaften desselben gefunden. Wir werden hierüber uns nicht wei-
ther zu verbreiten haben. Natürlich erhält der Verf. auch einmal
negative Flächen (S. 75), die zieht er »also« von der positiven
ab. Daran knüpft er dann die Yorschrifb , wie man zu verfahren
liabe, wenn die Kurve die Abszissenaxe schneidet, statt das in
seinem Beweise zu benützen. Aus einer Figur wird das bestimmte
Integral als Summe erläutert, wobei freilich vergessen ist, dass dies
nur für positive Ordinaten gilt, und dann trotzdem getrost die
Sache als allgemein giltig erklärt.
Der Bogen einer Kurve erreicht seine Sehne, wenn z^x zu dx
(also Null?) wird| (wobei abermals ausdrücklich gesagt ist, dass
800 AuteBheimer: DÜX^reiiiUX- md IniagziJredmiiQg
mßfk mh ix unendlkli Uem »itatt Oc denkdu wolle); du ia^
eben »itlr alle Anwendangea sehr bequezn«, aber fftr die Ttuoh«
herzlich schlecht. Sonst werden die Kurven rekiifizirt, Botatioiis-
flftchea.»lcomp}aAirtc irod Rotationskörper knbirt, Alles naeh der-
für die Anwendungen bequemen Methode. Allemal geht aber eine
Gränzbetrachtung zur Ausschmückung vorher; hinteunach kommen
freilich die lieben unendlich Kleinen ganz ungcnirt und wimdern
sich wohly was der ihnen fremde Nachbar hier zu thun hat. Kii>
yen werden aus gegebenen Eigenschaften bestimmt, also im Gnmd«
einfache Differentialgleichungen integrirt, wo u. A. die »parabo*
lische Kettenlinie« bestimmt wird; dann Schwerpunkte von Linien,
Flächen, KOrpem ermittelt, dabei der Guldinschen Eegel gedielt.
Bei der Ableitung der Formeln für die (geradlinige) Bewegung ist
vergessen worden zu bemerken, dass ^t klein genug sein müsse,
damit in dieser Zeit die Geschwindigkeit nur wachse oder nar aV
nebme. Aber wer wird sich um solche Kleinigkeiten kümmern!
Als Beispiele finden sich u. a. die Wurfbewegung (yertikal) in
widerstehenden Mittel. Die Pendelbewegung [wobei aus d arc (ccs
— dr P — d®
'"> ■ ■ ohne weitere Umstünde ffesohiossen wird : I - > .==
= arc I cos = ^ j 1, Ueberströmen von Dampf aus einem Geföss in
ein anderes.
Die »Aufgaben über mechanische Arbeit« enthalten u, a, die
üebertragnng mechanischer Arbeit duroh die Kurbel, Arbeit du
Dampfes bei einer Expansionsmaschine. Dann werden TrUgheüi'
momente ermittelt, und Aufgaben über Reibung (Zapfen, Seil) ge-
löst. Qb die »logarithmische Linie als BQschungslini^ eiaes Send-
haufens« verstanden werden kann, wagen wir nicht zu entecbeideB.
Diesen Aufgaben folgen solche über die »Festigkeit der MAte-
rialien«, wo wir zunächst einer förmlichen Theorie dieser Festig-
keit begegnen, (über die wir uns auszusprechen nicht gesonnen aifi^
da wir es ja hier mit einem Lehrbuch der »Diff'erentiaU und Ib-
tegralireohiwig« sollen zu thun haben* Selbst die ;»Toreioa< iM
ni^bt.
üefoer »Anziehung nach dem Gesetz der Oravitation« — vk
das Buch sich ausdrückt (darunter Anziehung zwisohen eiafir Koge^
und einem auf ihrer Oberfläche, oder ausserhalb liegenden Ponkk):
über »Gleichgewicht und Bewegung des Wassers« (Druck, Ausfloß
durch verschieden geformte Oeffhungen, Beibung in Böhrenl^tmigeDi
Stoßs) werden eine grosse Anzahl Aufgaben gelöstf woraof en4U<i
noch »vermischte Aufgaben« folgen, die dsx Physik u. s. w, eflig«-
hören. Wir begegnen hier Untersuchung^ über das Gesetz, oad
welehem die Diohte der Atmosphäre abninunt, über die BestimmTU^
der Abplattung der Erde ans Gradi^essrjngen u. a* m. A1I# dieaa
Ai^fgaben sind im Grande gelöst mittelst der anf den 10 S^tes
AuieBbflimert DUf«reilial- und iDiegralreoliBuig, 807
enthaltenen Lehroa der Integralreehnnng, die wir oben bezeicbneten,
nebst den paar gelegentlichen Bemerknogen, denen man mfäUig
begegnete.
Naoh dieser in gans anständigem Maasse aaegeführten Aus*
beutungen der Lehrbücher der Mechanik kehren wir wieder zur
Theorie zurück, bei der wir trotz unserer grossen Freude an An-
wendungen jetzt etwas länger yerweilen, yoransgesetzt , daes uns
bei der Ueberschwemmung , der wir kaum entronnen sind, nicht
die Lust zu theoretischen Studien gründlich vergangen ist.
Die »Differentialrechnung« wendet sich jetzt zu hohem Dif-
ferentialen. Da ist df(x) = f(x + dx) — f(i), d'^f(x)^df(i + dx)
— df(x), d3f(x) = d2f(x + dx) — d«f(x) u. s. f., gewiss eine durch-
aus neue, nur leider auch durchaus unverständliche ErklAmng. Die
wirkliche Rechnung geschieht freilich nach einem ganz andern
Grundsatze I Was von den unendlich kleinen Grössen und ihren
Ordnungen gesagt ist, wäre besser weggeblieben.
Die »Taylorsche Beihe« wird nach der ursprünglich von Taylor
gebrauchten Methode abgeleitet, die einen geschichtlichen, aber
keinen wissenschaftlichen Werth mehr hat; von einem fiestgliede
ist keine Bede, wäre wahrscheinlich zu »abstrakt.« Für mehrere
Veränderliche wird derselbe Satz in eben so scharfer Weise abge-
leitet, worauf die »hohem Differentiale einer Funktion mit mehre-
ren unabhängig veränderlichen Grössen« auf einer Seite abgethan
werden. Dass ^ , =^-; — ;— wird aus dem Taylor'schen Satz ge-
dxdy dydx
folgert. Aus der Gleichung f(x,y, z)=0 werden nicht etwa die
partiellen Differentialquotienten von z nach x und y finden gelehrt;
nein, man zieht daraus dz, d^z, u. s. w. Was sollen wir dazu
sagen?
Von den Anwendungen der Differentialrechnung wollen wir die
auf Auflösung höherer Gleichungen überschlagen und nur die sonst
gebräuchlichen herausheben. Für die »unbestimmten Formen« wird
mittelst des Taylor'schen Satzes die bekannte Begel aufgestellt;
die »Zerlegung gebrochener rationaler Funktionen in Partialbrüche«
wird ziemlich ausfUhrlich erläutert, worauf die »Maxima und Mi-
nima« zum zweiten Male erscheinen. Dass in einer Reihe ah^-f-
bh^-f ... die Grösse h klein genug genommen werden könne, da-
mit das erste Glied überwiege, wird kurzweg angenommen, im
üebrigon die Theorie mittelst des (eigentlich gar nicht bewiesenen)
Taylor'schen Satzes dargestellt. Beispiele waren schon früher da,
jetzt werden nur einige wenige (darunter die Maximalleistung eines
untersohlächtigen Wasserrades) aufgeftlhrt. Dass der Taylor'sohe
Satz für die Maxima und Minima von Funktionen zweier Veränder-
lichen sich nicht gut verwenden lässt, ist bekannt; hier wird er
aber natürlich dazu gebraucht. Endlich werden noch Untersuchungen
über ebene Kurven (Krümmung, Evoluten, Wendepunkte, Folar-
koordinaten) gegebeui deren Grunddarstellung abermals verfehlt ist»
tos AvteBbeim^r: DUTeretttial- und IntfgnlneliiiiiBg.
Von der Integralreohniiiig werdeo nnn die sonst in den Lehr»
bttchem gebränobliohen Formeln ftlr einfacbe Integrale nacbgdioh;
darauf die Simpson'scbe Begel falsch erwiesen und die »Methode
von Poisson« zur näbeningsweisen Berechnung eines bestimmten
Integrals in derselben Weise dargestellt Der eigentlichen Theorie
der bestimmten Integrale ist, wie schon gesagt, nur ge-
legentlich einmal früher gedacht oder vielmehr nicht gedacht worden.
Nunmehr werden die doppelt gekrümmten Kurven rectifizirt;
Körper-Inhalte von beliebiger Begränzung berechnet ; krumme Ober-
flächen quadrirt , wo von Flftchenelementen, Bertthrungsebenen il
dgL wie von alten Bekannten gesprochen wird; »physikalische Auf
gaben« schliesseu diesen Theil. Da begegnen wir der Torsion eines
Prismas, Trägheitsmomenten, Anziehung einer Kugel, Anzieboog
eines Berges und eines Punktes auf seiner Spitze, Wärmeentwick-
lung bei der Bildung der Himmelskörper. Die letzte Aufgabe hit
der Verf. so getreu kopirt, ohne die Quelle zu nennen, dass
er auch die im Original leider unrichtig geführte
Bechnung ebenfalls unrichtig führt. Seine Tabelle ist
eben desshalb von keinem Werthe. (Die richtige Bechnung findet
er in der Anzeiger des Originals in diesen Blättern, 1861, m.Heil).
Die »Differentialgleichungen« werden, obgleich im Grunde eiiM
grosse Zahl Beispiele bereits solche einführte, jetzt erst int^ii
Zu erweisen, dass eine solche Gleichung nur eine Integralgleicbusg
mit einer bestimmten Zahl Konstanten habe, fällt dem Buche ganz
selbstverständlich nicht ein; das wird eben »praktisch« erledigt
Welche Bedeutung dem singulären Integrale zukommt, bleibt ^toist-
örtert ; die Differentialgleichungen höherer Ordnung füllen drei, niit
ganz aussergewöhnlicher Baumverschwendung bedruckter Seiten,
wie denn überhaupt auf die Differentialgleichungen 16 solcher Seiten
verwendet sind. Mit theoretischen Kenntnissen will eben, wiemftn
sieht, der Verf. seine Leser nicht überladen; er hat in der Vo^
rede bereits vor diesem gräulichen Uebel gewarnt. Dafür werden
nun aber wieder Aufgaben in reichlicherer Zahl gelöst. Dieselben
sind der Mechanik und Physik entlehnt.
Die Kettenlinie wird untersucht ; die Biegung elastischer Stftbi
in einer Beihe von Fällen bestimmt; die Bewegung eines von
zwei Punkten angezogenen Punktes in der Geraden, welche letztere
verbindet, ermittelt ; die Wurfbewegung im leeren und luftgefüllten
Baume (frei nach Poisson); die Längenschwingungen eines elasti-
schen Stabes; Schwingungen eines elastischen Mittel; Bestimmnsg
der mittlem Dichte der Erde ; Pendelschwingung in der Luft;
Zentralbewegung ; Wärmeleitung in einem prismatischen Stabe bil*
den das weitere Material dieser Aufgaben, mit denen dann das
Werk abschliesst. |
Unser Urtheil über dasselbe werden wir nicht besonders mebi
aussprechen dürfen. Es mag genügen anzuführen, dass wir jedes
Schüler oder Leser bedauern, der nach einer solchen Metbode
Briot: Essais svr la tb^orls de Is Lnmtöre. M0
oder einem solchen Buche nntemohtet wird. Wir haben zwar in
letzter Zeit Gelegenheit nehmen müssen, ein oder das andere Bnch
zu besprechen, das nicht viel werth ist: die Palme in dieser Be-
ziehung gebührt unstreitig dem vorliegenden. In wie weit der Verf.
berechtigt ist^ sich über die Einrichtung des mathematischen Unter-
richtes an höhern technischen Schulen auszusprechen, ist durch sein
Buch so klar festgestellt, dass auch das keiner besondem Formu-
lirung bedarf. Eine Aufgabensammlung mit gelegentlich ange-
brachten, möglichst leichtfertig (wenn wir den Ausdruck im wissen-
schaftlichen Gebiete brauchen dürfen) ausgeführten Stücken und
Stückchen Theorie, das wäre der für das vorliegende Buch geeig-
netere Titel. Diese Aufgaben aber wird mancher Lehrer und Schüler
benützen können, und es wäre zu wünschen gewesen, der Verf.
hätte sich auf das Gebiet eingeschränkt, das ihm genauer bekannt
ist. Denn das dürfen wir, wenn wir anders neben unserer nichts
weniger als günstigen Anzeige gerecht bleiben wollen, zum Schlüsse
nicht verschweigen, dass der Verf. im Gebiete der Anwendungen
viele Kenntnisse besitzt und er also dort etwas Tüchtiges leisten
kann. Mit der Theorie ist er vorläufig noch in gar grossem Conflikt.
Essais 8ur la ihSorie malh^matigvt de la Lumüre, par Charles
Briot, Professeur au Lye^e Saint-Louis, Mailre de Conf&en-
ces ä lEcole Normale sup^rieure» Paris^ Mallet^Bachelier, 1S64.
(XXII u. 182 8. in 8).
Von dem Verfasser der vorliegenden Schrift sind in diesen
Blättern bereits zwei Werke angezeigt worden (VI, 1862 und IX,
1859); besonders das letztangeführte Buch (Theorie des fonctions
doublement pöriodiques) hat ihm und seinem Mitarbeiter Bouquet
einen klangvollen Namen in der Wissenschaft verschafft. Auch die
vorliegende Schrift ist bereits von den ersten wissenschaftlichen
Autoritäten Frankreichs in höchst ehrender Weise anerkannt worden.
Die Aufgabe der Schrift ist durch den Titel in so weit be-
zeichnet, als es sich um die Theorie des Lichtes handelt; doch
haben wir so ziemlich eine eigentliche Theorie, also etwas mehr
als blosse »Essais« vor uns, wie schon der Titel der vier Abthei-
lungen aussagen: Allgemeine Gesetze der schwingend eu Bewogiin-
gen ; doppelte Strahlenbrechung ; Zerstreuung (Dispersion) i^es Lich^
tes; kreisförmige Polarisation.
Anfänglich auf den Wegen Cauchy's, die er mehr ebnet,
was bekanntlich bei den Darstellungen jenes Meisters oft notb-
wendig ist, verlässt er bei den spätem Abtheilungf^n denselben,
um namentlich die Dispersion entschieden anders m erklUren. Die
von ihm eingehaltenen Methoden wollen wir den Lesern dieser
Blätter, so weit es möglich ist, übersichtlich darzustellen snobi^iu
•n Bf lolc Emif wr It ftluiofia ie U Lnmttffe.
Di0 dar gaqten ÜBtenoobttiig zu Qnmde gelegten AnnahmeB
9ind die von Canohy. Der freie Aether ist aus gleichen Molekfiln
gebildet, die daroh Ansiehung oder Abstossong auf einander wiikei.
Ist f der Abstand xweier Aethermoleküley m die Masse eines jedn,
so ist niniF(r) die Kraft, mit der sie auf einander wirken, dk
mcb der verbindenden Geraden r gerichtet ist. P(r) ist peiäif
oder negativ, je nachdem die Kraft anziehend oder abstosseod
wirkt
Sind (im Oleicbgewiohtsznstand) x, 7, z die (rechtwinkelige)
Koordinaten des Molekttles m; x + ^/x, 7 -{-^7, z+^^a die eb«
andern m<; femer f(r) = -?^, so ist fttr das Gleichgewicht: 2m
^/xf(r)=r=0, -Emyyf(r)=0, 27m ^^ z f(r)=0. Sind femer x+|, y+if»
z + f die Koordinaten von m znr Zeit t im Zustande der Bewegnng;
x-f"'^^'f'6 + '^Sf ••• die von m*; vemachlftssigt man überdies
die zweiten und hohem Dimensionen von ^6, ^17, z/f, so eriilK
man als Gleichungen der Bewegung von m: (Di *— L) g — Biy-iK
= 0, (D,2-.M)iy-.Pf-Rg = 0, (D,«~N)f— Q6-Pij = 0, wol,
M, ..., B eine symbolische Bedeutung haben und zwar ist
istLrrrZm \ i(T)+Jx^^-^'\ ^ P = 2;mz/y^z^^ n. 8.ir,
L r J ^2 r
zugleich ist D^ eine Abkürzung für -r-r-. Statt des Zeichens 4
dt*
, , . ^ nl+v/*+wir
aas bei L, ... angehängt ist, kann man setzen e — 1» wenn
^ (h V Abkürzungen sind fftr jiJx, z/y, ^z; u, v, w die Symbolfl
D», D,, D, bezeichne, und fttr u^nv, ... gesetzt wird D.^ D,,',...
Ist dann G=2;n.f(r) Q'-^^'-^JlD . E^sjM:"-^^-!
— (nX-f vfi+wf/)— J (uA+vft + wv)»], so erhalt: (D»»— G)|— D.
[D.H5 + DvHi7 + D,Ha = 0, (D,3-G) 17 — Dv[D„H| + D,H^
+ p,Ha = 0, (D,a-G)f~D, [D„H6 + DvHi74-D,,Hg]=0 ab
Gleichungen der Bewegung eines Aethermoleküls. Diese Gleichns-
gen sind in sehr gerundeter Form, wenn auch etwas umstKndliefc
auszulegen. Deren Integration fuhrt zu den Gesetzen des Lichten
Den Differentialgleichungen wird genügt durch die Formen
^x + ey + p»— <rt ^x+ay+^s— crt ^x+ey+^-Ä
5=Ae , iy=Be , 5=^0e ,
wo d, e, (>, <y, A, B, 0 Konstanten sind, wenn (<r^—- L^) A— Bi
B-Q, C=0, (<y«-MO B-Pi C— R, A=0, (<y«-Ni) C-Q| A-Pj
B=0, wo L, , ... die Werthe von L , .. sind , wenn man Dx , .-
[x»f»(r)ir*^+*'*+n
f(r) -( I ve — 1^1
Pi = Zmiiv — ^-^ \js — 1 J, u. 8. w. Aus diesen Gleichungen
ergibt sieh leicht die bekannte kubische Gleichung fttr tf^, und
ferner, dass zu jedem der drei Wertbe von ifi je ein l>ertimmter
Werth der Quotienten j, - gehört.
Im Allgemeinßn eiud |, rj, t imaginftr; da aber die Differ^-
tialgleichungen nur ßeelles enthalten, so werden die reellen Theil^
jener Grössen für sich, und eben so die imaginären für «ich den
Gleichungen genügen. Setzt man also * = U + u i, f = V+v h 9^^
ai ßi yi
4-wi, (T — S-f si, A = ae , B=be , C = ce , macht k =
Y^a2+v2 + w» , KsrV'ijnpv^Tw», k^ = ux + vy + wz, Kp, --
XJx + Vy + Wz, so ergibt sich, dass die reejlen Theile sind:
Kpi-8t Kei— St
§=ae cos (k^— st+a), ij = be cos (kp — st-f-p),
K^i— St
gi=ce eoB (k^— st + y). Dia diesen reellen Theilen entspre-
chenden Bewegungen heisst der Verf. einfache Bewegungen.
Die durch die eben gegebenen Werthe ausgedrückten Bewegungen
gehen in ebenen Wellen vor sich, parallel der festen Ebene ui+
vy + w z =T 0, weil alle Moleküle, die in einem Abstand q von dieser
Ebene sind, z^ gleicher Zeit gleiche Oszillationsphase haben. Ist J die
WellenUnge, T die Oszillationsdauer, so ist kJ=23r,
8T=;2jr, und wenn w die Geschwindigkeit der Fort-
pflanzung: w=- = ?;. S ist der »Auslöschungs-Coeffizient«
(coeflF. d'extinction). Alle Moleküle, welche in der Entferpung ^i
YQn der featen Ebene Ux+Vy-fWz=0 sind, baden zu gleicher
Zeit gleiche Oszillations- Amplitude, letztere nimmt aber in geoma-
triacher Progression ab (wenn nicht K=0).
Sind «, ß, y gleich, so geschieht die Bewegung in gerader
Linie: da3 Licht ist in gerader Linie polarisirt; wenn
sie nicht gleich sind, so wird gezeigt, dass die Bewegung in Ellip-
sen vor sich geht , deren Ebenen parallel sind der Ebene — — sin
(^_y)-|- ^sin (y— «)-]-- sin («— j8) = 0 und Durchschnitte der
Ebenen mit einem Zylinder sind. Das Licht ist dann elliptisch
polarisirt. Ist ß = 0, so sind die Flächen, welche dor Fahr-
strahl der Ellipse beschreibt, der Zeit proportional, woraus folgt,
dae9 die Gesarnnjitwirkung auf das Aethertheilchen proportional dem
FahFfltrahl ist.
Sollen die Wellen nicht erlöschen, so müssen K (und S) Kuli
gcin; also setzen wir U, V, W Nul}. Dann ist Lj = 1^ m
rf(r) + A»~l [cos(uA + vft+wi/)-l + i8in(uA + v^-pwv]
u. 8. w. Ist nun das Medium homoe drisch, d. h* sind ^.Ue
Mpleküle zu je zwei symmetrisch gelagert in Bezug awf eia beüe^*
biges, so ^Uen die Sinus, also die in^aginären TheU^ ^V^\ mÜhtn
1
M Brlot! Eteaia svr k tbJorie de U Lumlire.
L
B G
werden p-j reell init<^, so dass nothwendig a^=ß:=f Bein mm.
Die beharrenden Wellen (ondea persistanies) sind also geradlinig
polarisirt. Sind alle drei Werthe Ton <fl reell nnd negaÜY, so ist
<r = 8iy also S = Oy nnd es zeigt sich, dass es drei geradlinig polar
risirte Wellen gibt, deren Schwingungen parallel sind den dro
Hanptaxen des Ellipsoides L, x» + M, y« + N, z» + 2 P^ y » + 2 Q» xx
4-2Bixy-|-l = 0y also auf einander senkrecht stehen.
Die Grösse nA-f-vfi-^wv ist gleich krcosöss — , i
wenn S der Winkel ist, den die Normale an die Wellebene mit
r macht. Wird nun angenommen, dass der Halbmesser der
Actionssphäre eines Moleküles klein sei im Verhältp
wiss zur Wellenl&nge, so ist uA-f-y/ti-l-wi/ klein nnd nu
Ui+V/Ä + W«'
kaim sich in der Entwicklung von e auf die enta
Glieder einschränken. Da ungerade Ordnungen sich anlheben, lo
wird G = 42:mf(r)(uA + vfi + wi;)», Si = j\£m^^inl+if
+ wv)* und jetzt erhält man die gewöhnlich aufgestellten Be-
wegungsgleichungen als solche der zweiten Ordnung. In diesem
Falle zeigt es sich, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit dieselbe
ist in jeder Richtung, welches auch die Wellenlänge sei, so dass
eine Dispersion nicht yorhanden ist.
Mit diesen Untersuchungen ist natürlich die Integration der
Di£ferentialgleichungen der Lichtbewegung nicht erledigt. Behuft
derselben erinnert der Verf. an die Grundsätze der Cauchy'schen
Bestrechnung (calcui des r^sidus). Wir wollen hier, statt des be-
kannten Zeichens (aus Rücksichten auf den Druck) das Zeichen T
wählen. Lässt sich^-^ in Partialbrüche auflösen (wo also Z&h-
ler und Nenner ganze Funktionen sind), so ist ^—t-t ^«^ Summe
der Zähler derjenigen Brüche gleich, die erste Potenzen der Fakto-
ren ersten Grades des Nenners als Nenner haben. Diesen »Inte
gralrest« (rösidu total) wendet nun die Schrift zur Integration
gleichzeitiger Differentialgleichungen an. Das System D,|=rL{
+ Eij4Qe, D,ij=R| + Mij + Pe, Die=:Q6 + Pi? + N& indem
für t=:0: 5 = «> V^ß' 6==y sein soll, wird so iutegrirt durch
die Formen 5=1»-^"-. ,-r-^,t = r-|^, wo S =
(b _L) (8— M) (s-N) - P» (s-L) - Q2 (s-M) - B» (s -JJ)-
2PQE, Ö=E,Q,a + P,Ri/J-f-PiQ,j/, P,=P(8-L)4-RQ, Q,
= Q(8-M)+RS, Ri=R(8— N)+PQ; a, ß, y die drei will-
kttrlichen Konstanten sind, die Beste in Bezng anf die drei Wur-
zeln der Gleichung S = 0 genommen sind, nnd natürlich s je einen
Briot: Essais sur Is th^rie de U liomi^re* 8l3
dieser Werthe annimmt. Eben so werden die Gleichungen (Dt'— L)
5-ßij— Qg=0, (D,2-M) ,-Pg-ßg=o, (D,2-N) e-QJ
— Pij = 0 integrirt, wo für t-^0: a,ß,y die Werthe von l^fjfti
^S /3S }^* die Yon D»^, Di 17, D|{; sein sollen. Man findet diesel-
benFormen, nur ist ©=QiRi (a*-f-sa)+PiRi (/J«4-s/J)+PjQ^
(y*-J*^y)> S hat denselben Werth wie vorhin» wenn s' für s ge-
setzt wird, und eben so in P^, Q|, B|, und die Beste sioh auf die
sechs Wurzeln von 8 = 0 beziehen.
Die Differentialgleichungen der Aetherbewegung sind die vor-
hin aufgeführten zweiter Ordnung, nur sind L, ... symbolische Aus-
drücke, die wir bereits früher andeuteten. Diese Gleichungen sollen
integrirt werden und zugleich für t = 0: g=g? (x, y, z), ij = x
(x, y, z), g= ^{x, y, z), l>il=q>i (x> 7» z)» I>i^=Z» (x, 7, z), D,g = ^j
(x, y, z) sei, wo q>, .. , ^, beliebfge Funktionen sind. Nun ist all-
gemein l gleich dem sechsfachen Integrale
wenn die Gränzen je von — 00 bis -f- 00 gehen, und Jj der Werth
von I ist, in dem x, y, z durch a, ß, y ersetzt sind. DieGrrösse
(Dt^ — L) S — Bi} — QS is^ gleich dem sechsfachen Integrale
> [u(x~«)+v(y^ß+w(.-.y)]i
e [(D,*-Li) Si-Bi % — Ol liJ
da du dß dv dy dw
-z ^ i; — , wenn ij^, f^ dieselbe Bedeutung haben, wie
li ; wenn Lj der Werth von L ist, in dem D« durch ui, Dy durch
vi, D| durch wi ersetzt ist u. s. w. Es ergibt sich dies sofort
aus den angewandten Werthen von |, ij, i bei denen die Differen-
zirungen nach x, y, z geradezu Multiplikationen mit ui, vi, wi
gleichkommen. L|, ... aber sind jetzt, in Bezug auf t, Eonstanten«
Man kann also den Gleichungen der Bewegung genügen, wenn man
die Gleichungen (Di* — Lj) 5j — Bj iji— Qi fi=0, u. s. w. integrirt,
die nur noch t enthalten. Gerade diese Form wurde aber behan-
delt und bereits deren Integral angegeben. Für t=0 muss li=9>
(a, ßt y), Dt|| = 9)i (a, ß, y), ... sein, welche Grössen an die
Stelle der früher genannten a, a^ ... treten. So ergeben sich die
allgemeinen Werthe von ||, ti^y ^ ; also dann von g, rjy i in sechs-
fachen Integralen.
Kann man die Gleichungen der Bewegung auf homogene der
zweiten Ordnung reduziren, wie wir bereits oben angedeutet, so
reduziren sich durch ein einfaches Verfahren die Werthe auf doppelte
Integrale, welche die Form - ^jfr^.^^^^±^pt±^
00
sin pdpdq haben. Hieran knüpft der Verfasser die Untersuchung
über die Ausbreitung der Wellen, wenn die Bewegung anfänglich
M Briot: EMAft dvr k th^orfe ie 1a Lami^f€.
die ebetier Welkn war, oder anftngfich im Batiine emet Ueinei
t[ngel eingeschlossen. Wir k5nnen diese durch Figoren erl&itterte
üntersaehtnig hier nicht weiter betrachten, tmd müssen auf die
Schrift verweisen.
Die zweite Abtheilung behandelt die »Doppelbrechung. € Zuerst
wird die Fortpflanzung des Lichtes im freien Aether uniersncfai
In homoedrischen Medien kann man, wie oben angef&hrt, setzen;
G = 42?mf(r) (uA-fvft+wt;)«, H = ,«,2;m^ (uA+v^^fv)',
und wenn man die symbolischen Ausdrücke entwickelt, so erMt
man Koeffizienten wie Zml^f(r), , von denen alle, welclie tuh
gerade Potenzen ton A, ft, v (^x, z/y, z/z) enthalten , Null sioi
Zugleich bestehen zwischen denselben gewisse Gleichungen, dieia
herkömmlicher Weise abgeleitet werden. Dadurch ergeben sich als
Gleichungen der Bewegung : D^^g— (g-j-h) (D,* J + D/ g + D,*Ö-21i
(D/H-I>«y*^ + I^-"^0 = ö ^' 8- w-i wö g=i2;mr»f(r), h=,',
f'(r>
27m r^ —l^. Betrachtet man hier wieder die >ein&ehen Bem^
ungenc d. h. die ebenen Welkn, und sind a, b, c die Cosinus d«
Winkel, welche die Normale an die Wellenebene mit den Eoordi-
natenaxen macht, seist in den frühem Resultaten : u=ka, Y=skb,
WÄ=k(j, UÄd wennalso |=Aco8 (kax-f-kby-|-kcz — kot-fff)
u. s. w., so ergibt sich: [o^ — (g-fh)] A— 2ha [Aa-j-Bb-j-Cc]
arO, [ti»--(g + h)]B— 2ha[Aa+Bb + Cc}=0, [mMg+l»)l
C — 2hc[Aa4-Bb + Cc] = 0. Daraus zieht man (a^ — (g+3b)l
(Aa-{-Bb-j-Cc) = 0. Letztere Gleichung ist erfüllt durch Aa-f
B b -f- C ö ÄrO, woraus dann co*= g -f- h folgt, oder durch o»=g-f Sis
woraus A : B : C = a : b : c. Im ersten Falle ist die Schwingung in
der Wellebene, die eigentliche Richtung derselben (in der Ebene)
aber unbestimmt; im zweiten Falle ist die Schwingung senkrecBt
zur Weüebene und geradlinig. Es gibt folglich transversale wi
longitudinale Schwingungen.
Kehmen wir an, dass die anfänglich mit F(r) bezeichnete Enft
der n** Potenz von f umgekehrt proportional ist, setzen sie als»
s-^^ wo 6 eine Eonstante (positiv im Falle der Amdehvng). Dm
ist g={2;-^jjzj^, h=~-g^2;^;^= ^g. Diebeidö
Werthö ton &, die sich so eben ergaben, sind also ^ir? g una
— r~^g- Da es wahrscheinlich ist, dass sich die AethertheilclieB
5
abstossen, mithin g negativ ist, so muss also tt grSsser als 4 s$l&)
wenn die transversalen Wellen (Licht) sich fortpflanzen sollen;
alsdann ist aber auch (2— 8n) g positiv 1 uz^ die longitudinalstf
Wellen pflanzen sieh dessgleieh^ fort« Würden die Aethertheilcba
Briot: Etiaii ma k tfaforte de 1» Lttibldr^ tt$
sich anziehen, so mttsste n Ueinet als 4 sein, damit iie tran&T«r*
sakn Wellen fortschreiten können.
Feste Eihrper denkt sich derVerf^ans »ponderablenMolekttlenn
(Eörpermolekülen) gebildet, die von Aetherm&lekülen tangehen sind,
wobei die Zahl letzterer, die eines der erstem nmgeben, Sehr grosft
ist« Wäre ein fester Körper völlig durchsichtig, so wftrde die
Bewegung der Aethermolekttlo keinen Einfloss auf die Eörpermole«
küle haben; in d«i Fällen der Natur ist dies nicht so« Soll die
Bewegung der einen Art Einfluss auf die der andern haben ^ so
müssen Aether-' und Körpermolekttle auf einuider wirken, wie
dies auch schon daraus herrorgeht, dass der Aether in festen Körpern
anders gruppirt sein muss als im freien Zustande, indem die Licht«
fortpflanzung nicht dieselbe ist in beiden Fällen. Oauchy dachte
sich den Aethor in E^rystallen eben so angeordnet, wie die Körper-*
moleküle selbst. Dies hält der Verfasser nicht fttr zulässig, was
er daraus schliesst, dass ein Krjstall des kubischen Systems sich
80 verhält wie ein Stück Glas. Er untersucht für diesen Fall die
»einfache Bewegungc und findet , dass wenn der Aether geordnet
wäre wie die Körpermoleküle, das Licht polarisirt seinmüsste. Den
Aether in Krjstallen denkt sich der Verl analog dem fireiea, nur
modifizirt durch die Anwesenheit der Körpermoleküle. Wenn wir
die Länge einer Geraden von bestimmter Länge durch die (sehr
grosse) Zahl von Aethermolekülen theilen, die auf ihr liegen, so
erhalten wir die mittlere Entfernung der Aethertheilcben für
diese Richtung. Ln freien Aether ist dieselbe für alle Sichtungen
gleich, in den festen Körpern nicht« Man kann sich also ein an-
fänglich isotropes Medium denken überall von gleicher Dichte,
und dasselbe ausdehnen oder zusammendrücken nach gewissen Rich-
tungen: dieses neue Medium lässt sich dem vergleichen, was unter
der BeschajBTenfaeit des Aethers in Krystallen zu denken ist. Es ist
wahr, dass in der Ausdehnung von einem Körpertheilchen zum
andern der Aether nicht gleich dicht ist, von dieser kleinen Ver-
schiedenheit wird aber für den Augenblick abgesehen, und es tritt
in derselben Richtung durchweg der inittlere Werth der Dichte
dafür ein.
Nehmen wir drei rechtwinklige Koordinatenaxen an, von denen
eine (x<) parallel einer Axe der Ausdehnung (oder Zusammen-
drttckung) sei, so wird die Grösse x^ die einem Molekül zugehört,
um a'x^ geändert, wo a' konstant. Bezeichnet man diese Aenderung
mit dem Vorzeichen d, so ist dl' = a'xS *y* = 0, dz*fc=2Ö, WorrtttS
wenn a, ß, y die Kosinus der Winkel sind, die x^ mit den Axen
der X, y, z macht: dx = adx^=a'a («x-f-/ly+y^)> ^7==
/Jdx> =ra«/S (ax + /Jy+yz), dz=ydxi==a»y (ax-|-/Jy-|-yz),
Aehnliche Ausdrücke werden für jede Axe der Ausdehnung erhal-
ten, so dass allgemein dx = Ax + By-}-Cz, dy=i=Bx-|-I)y-f-Ez,
dx=Gx4-Ey-|-Fz. Daraus lässt sich leicht schliessen, dass
man die Axen der x, y, z immer so wählen könne (auf einander
]
tu Brioi: £tl«lA mt k th^ria de la Lnml&ra. |
senkreeht) dass Ax=sax, ^y = byi Azssoz. Die QrSssen a,b, e
sind dabei sehr klein, da der Aether eine sehr grosse Elaslisitti
besitst, so dass die hohem Dimensionen derselben yemacblftsagt
werden können. Da die Dichte des Aethers sieh nicht &ndert| n
ist also a-|-b + c=.0.
Daraus folgt natürlich auch d>l-=aA, dfi^s-hfi^ dr=s«er,
die Grösse G, H Andern sich um Grössen dG, dH, die wir nach des
gewöhnlichen Begeln der Dififerentialrechnong erhalten, wo tbo
z. B,#Q=2:mf(r) (uA + vf* + wt/) (udA+vdf^ + wdv+ilm
f^r) (nX'\'rfL-^wv)dr, wo rdr = XdX+(idfi'\-viv^^V
-f-bft'+Cf/* a. 8. w. Dadurch werden nun Summen wie z. B. £mX^T\
Sml^li^v^ipir) u. 8. f. eingeführt, zwischen denen (bei homoedih
sehen Erystallen) die bekannten Beziehungen besteben (YgL etwa
in der Abhandlung des Unterzeichneten in Grunerts Archiv, 23.
Theil den §. XI). So ergibt sich endlich G = g(u« + v2-f^^
+ 2(g + h) (au» + b7a+cw2),H = ^ (a«+Y« + w^)2 +(h+l)
(au«+bv3 + (w«) (u»+y»+w«) wo l={£ml^iL^p^ D^IM
ist. Dadurch ftndem sich die Koeffizienten in den Gleichungen der
Bewegung, deren neue Zuzammensetzung natürlich gegeben wird.
Aus den Gleichungen dx=:ax, ^y = by, dz = cz folgt leicht,
dass wenn in ax'-}-^y'+cz^^2 A die Grösse A eine willk11^
liehe Konstante, man A so bestimmt denkt, dass das durch die
Gleichung dargestellte Ellipsoid durch den (betrachteten) Pauli
^ ^ 2A
geht, die Verrückung (v^dx»+dy>-)-di«) desselben durch — »tö-
gedrückt ist, wo p die Länge der Senkrechten ist, die man tod
Mittelpunkt auf die durch den Punkt gehende TangentialebeDe
fllllt. Dieses Ellipsoid stellt also die Anordntmg des Aethers in
KrjstaU vor.
Hat der Krystall nun nur eine optische Axe, so kann maa
ihn dadurch charakterisiren, dass man sagt, er decke sich selbst,
2«
wenn man ihn um seine Axe eine Drehung, die — beträgt, machcB
n
lässt, wo n eine ganze Zahl grösser als 2. Dasselbe muss also sack
bei dem EUipsoide eintreffen, wozu gehört, dass eine seiner Axei
mit der optischen Axe zusammenfalle, und es dann ein Botatioitf-
ellipsoid sei (um diese Axe).
(Schluss folgt.)
Kr. 62. HEIDElßERGER 18fe
JABKBÜCHER DER LITERATUR.
Briot: Essais sur la tWorie de la Lnmifere.
(SohlusB.)
Ist also die Axe des Erystalls die der z, so mitss b = c, also
OL
wegen a4-b-J-c = 0: b = C'= — — . Führt man dies in die frü-
2
hem Formeln ein, so ergibt sich, dass für eine ebene Welle, deren
Normale mit der optischen Axe zusammenfällt, das Licht unpola-
risirt ist. Im allgemeinen Falle erhält man drei Schwingungen,
von denen die eine in der Geraden vor sich geht, welche die
Durchschnittslinie der Wellebene und einer auf der Axe senkrechten
Ebene ist — also genau transversal — ; die zweite einen kleinen
Winkel mit der Wellebene macht,^ und die dritte fast senkrecht zu
letzterer ist. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit m der ersten Schwin-
gung ist gegeben durch co^ = g + h — (g-|-3h-|- 2 1) a+8 (g+ 2 h-4- 1)
a a' (wo a, /3, y die Cosinus der Winkel sind, welche die Normale an
die Welle mit den Axen macht und die x-Ajce die optische ist) ; die
der fast transversalen durch (D'' = g-f-h — (g — 1) a -|- 3 (g -|- b)
a a^ Eine, so lehrt die Erfahrung, ist konstant für alle Bichtungen.
Sollte es letztere sein , so müsste g -f h =^ 0 sein , was unzulässig
ist, da im isotropen Medium sonst die Fortpflanzungsgeschwindig-
keit Null wäre; damit die erstere es sei, muss g-|-2h-|-l = 0,
was somit nöthig ist. Dies ist der gewöhnliche Strahl der
Physiker. Da man Polarisations-Ebene die Ebene nennt,
welche durch die optische Axe senkrecht zur Wellebene gelegt ist,
so ist also die Schwingungsrichtung dieses Strahls
senkrecht zur Polarisationsebene, Setzen wir, wie früher,
F(r)= — , so ist g-|-2h-4-l = ^ ^ök ^ g. so dass da diese
Grösse Null sein soll, n'=:4 oder = 6 sein muss. Ersteres kann
nicht angenommen werden, weil sonst die transversalen Schwingun-
gen nicht sich fortpflanzen würden; bleibt also n rr 6, und g nega-
tiv, d. h. B negativ, oder die Aethertheilchen stossen sich ab mit
einer Kraft, welche der 6*'° Potenz der Entfernung umgekehrt pro-
portional ist. Die Wellenfläche u. s. w. für Erjstalle mit zwei
optischen Axen wird kurz abgeleitet und dann zur Lichtzer-
streuung übergegangen.
Cauchy erklärt dieselbe aus einer weiter getriebenen Näherung
und findet für die Fortpflanzung o der Elementarwellen: C9' = g
ffi-l-h* € ff^ + h* 6 — n
+ h-?-^k2, wo, wenn wieder F(r)=^:5-X^=:^^^gt,
LVm. Jahrg. 11. Heft 52
ä
filft Brlot: Essais sur k th^orU 4e U Lnml&re.
was (für 11 = 6) Null wäre, so dass die Dispersion nicht atatt&ttde.
In allen Fällen muss entgegnet werden, dass dann die Zerstreaung
auch im leeren Baume stattzufinden hätte, was thatsächlich nieM
der Fall ist. Der Verf. untersucht nun die Hypothese der £in-
wirkong der Körpermoleküle auf die Aethertheilchen, aus der he^
vorgeht, dass ®' = g+h-f-^~— — ^ sein soll, wo gj, \ Konstan-
ten sind; nun lehrt aber die Erfahrung, dass iD' = A-f-Bk*, w«
obiger Formel widerspricht. Es muss folglich gj -f- ^i nahe Kdl
sein, woraus zu schliessen ist, dass Körper- und Aethertheile sicii
anziehen und zwar nach dem Newton' sehen Gesetze. Also wk
diese Annahme ist zu verwerfen.
Es bleibt folglich nur noch die periodische Ungleicli-
heit in der Aethervertheilung zu untersuchen. In den »Zellen«,
welche durch die Körpermoleküle gebildet sind, wird in jeder ein-
seinen der Aether verschieden angeordnet sein; in den einzelnen
Zellen wiederholt sich dies fortwährend. Von dieser periodischefi
Verschiedenheit wurde bis jetzt abgesehen, da nur die mittleit
Entfernung der einzelnen Theilchen als in den verschiedenen Bicb
tungen verschieden angenommen wurde.
Sind m, n, p ganze Zahlen, V' = niax-|-n/Jy-|-pyz, sohnn
jede periodische Veränderung des Aethers dargestellt werden dnreli
Summen von Glieder der Form Äx = asinV'-|-bco8^, #y=*i
sin ^ -|- bj cos ^, d z .== a2 sin V' -}" ^2 ^^s ^ > "W^ ^j •••! ^2 klein sind
im Verhältniss zur Ausdehnung der Zellen. Man wird also di«
höhern Potenzen dieser Grössen vernachlässigen können, und es
genügt vollstängig die zweiten beizubehalten. Die von dieses
Aenderungen herrtthrenden Aenderungen der Coeffizienten in des
Differentialgleichungen der Bewegung, die jetzt ebenfalls periodiscl»
Funktionen werden, berechnet der Verf. nunmehr und zeigt dann?
wie sich die Integrale dieser Gleichungen unter der Form 5=si
+ Ij sin ^-f-lj^^ös^ "!"••• ^" s. w. finden lassen, wo die Grosses
lo» Vot £b diejenigen Theile sind, die wesentlich beizubehalten sind.
Dadurch erklärt sich dann die Dispersion, indem die durch die
Erfahrung bestätigte Formel erscheint. Es ergibt sich hiebeiao^
dass die grösste Amplitude der periodischen Ungleichheiten, wekin
die Vertheilung des Aethers in der Ausdehnung einer Zelle da^
bietet, nicht grösser sein darf als der 20. Theil der Entfernvtf
ssweier Körpertheilchen wenn das Medium noch durchsichtig sein s(i
Es ist wohl selbstverständlich, dass wir die ganz ausserordei^
lieh weitläufigen zusammengesetzten Formeln hier nicht aa£%bi^
können.
Die letzte Abtheilung behandelt die kreisförmige Polarisation.
Sie wird aus denselben Gleichungen abgeleitet, die für periodispbe
Medien aufgestellt wurden , nur hat man die Näherung weiter la
treiben; dabei sind die betrachteten Medien als »dissymetriseb«
betrachtet.
Baader? ßocietiltflpbdoBoplirt«. M%
^Flüssigkeiten, welche die Kreispolarisation zeigen, eind solclt^y
in denen eine Unzahl kleiner dissymetrischer ErTBtalle, die naeh
allen Bichtnngen gewandt sind, schwimmt. Diese lassen sich mit
den vorhin betrachteten Medien vergleichen, wenn man die »Ebene
der periodischen Modifikation« ^=^0 nach allen mOgfichen Rieh«-
tnngen gewandt denkt. Durch eine Reihe Betrachtungen, die hier
aus dem schon angeführten Grunde nicht skizzirt werden können,
erklärt der Verf. die kreisförmige Polarisation und die Drehung der
Polarisationsebene.
Für die Erystalle, welche die kreisförmige Polarisation Kefem,
genügt die Hypothese Fresnels nicht, wie zuerst gezeigt wird. Man
musB zu den allgemeinen Formeln zurückgehen, wobei zugleich auf die
Aenderung der mittlem Entfernung in verschiedenen Richtungen
zu achten ist.
Wir müssen leider für die letzten Abtheilungen, die wir 8d
eben berührten, auf die Schrift selbst verweisen, obgleich sie die
wichtigsten derselben sind. Bei der grossen Ausdehnung der er->
baltenen Formeln und der Gedrängtheit der Darstelimig des Buehf^
müssten wir im Grunde den Uebersetzer machen, was unfr durch
die Formel: »L*Auteur et PEditeur de oet Onvrage se r^serrevt
le droit de traduetiou« nicht gerade untersagt wäre, aber niofet in
der Aufgabe dieser Blätter liegt. Zur Bezeichnung d^s Inhalts de^
wichtigen Schrift genügt das Gesagte.' Dr* J. DltllgW*
Grundzuge der Societäiiphilosaphie : Meen über Reeht^ 8iaed, Ge^
seUsehaft und Kirche von Franz von Baader. Mit An*'
merhrn^en und Erläuterungen von Prof. Dr.Fran» ffc^ff^
mann. Zweite verbesserte und erweHerte Auftage. Würsburg.
A. 8iuber'8 Buchhandiung. 18^6. XIV u. S08 8.
Der Herr Herausgeber bietet seine zuerst 1837 erschienene Zu-*
sammenetellung von ausgewählten Ideen und Abhandlungen Baader's
sur praktischen Philosophie hiemit in der 2. Aufiage, welche dtfrdk
einen neuen, B.'s Forderungen nach einer ächten- Theologie und
nach einer damit in Verbindung gesetzten kirchlichen Reform enf-^
haltenden Abschnitt sowie durch Erläuterungen vermehrt ist« Es
Ittsst dieses bei der 1. Auflage von Anton Günther mit dem Bei*
wort »golden« bezeichnete Buch die hohe Bedeutung des Autore
aueh für die Wissenschaft von Staat, Recht und Gesellschaft reich*'
lieh erkennen und wird hinwieder nicht verfehlen, darüber hinaus*
zu einem ernsten Studium der Philosophie B.'s überhatrpt in wei«^
tem Kreisen als es bisher der Fall gewesen aufsruwecken.
I. Der 1. Abschnitt behandelt die >IntelleetuelleGrund^
I^age des Rechts,, des Staates und der Gesellsohaft.^r
AlsPrincip alles wahrhaft freien GemeinVfesens nennt B. dielriebe
Jtt Baadtr: Societlt^lifloioplita.
sa Oott und sa dem Nftchsten. Den Ansdrack Princip aber, desBei
sich B. hier bedient, werden wir nicht in dem Sinne nehmen dtb^
fen, als ob damit der erkannte specifische Orond gemeint sei, der
aus sich die Oesellschaft, den Staat, das Becht, das sittliche Stre-
ben des Einseinen nach Vollendung hervorbringe. Denn der \mU
Art ist es yielmehr, dass sie das yorhandene Höhere und Niedeii
mit einander ausgleicht: der ttber mir Stehende mag von mir gi-
glaubt, bewundert, erhofft werden, aber er wird von mir nicht
wirklich geliebt, wenn er sich nicht zu mir herablässt, wie deu
auch der unter mir Stehende von mir nicht wirklich geliebt wird
wenn ich nicht zu ihm hinabsteige oder ihn zu mir emporaehe.
Als das Princip gedacht müsste daher die Liebe eine Gleicblieit
aller setzen, in welcher Jeder Alles zu eigen hat und doch wieder
Nichts, ein Beich, wo Jeder König ist und doch Keiner. Dan ist
es unleugbar die Persönlichkeit und zwar die ganze Persönlichkeit
des Menschen, welche als Princip zur gesammten Sphftre des Ethoe
sich entfaltet, die Persönlichkeit, in der das Oemüth und mit den
Oemttth die Liebe nur als ein Moment, obschon als eines d«
wichtigsten Momente, verbindend und verklärend wirkt. Bereiti
darum werden im nicht fehlen, wenn wir den obigen Ausqinck
dahin deuten: B. hat die Liebe als das die Verschiedenen ma-
lieh einende und hiedurch ebenso zu gemeinsamer Thätigkeit trü-
bende wie zum gemeinsamen Grunde zurückführende Krafbcentnm
im Auge, ohne welches keinerlei Gemeinwesen gedeihen und der
Bestimmung des Menschen entsprechen könne ; gegenüber den hen-
losen in sich zerfahrenen, von aussen nothdürftig zusammengehalte
nen Figuren auf dem ethischen Gebiet verweist er auf die Lieba
als auf die Macht, welche das vorhandene Oben und Unten, Hüben
und Drüben zusammenwachsen macht und trägt. Damit musser
folgerichtig zugleich den Connex betonen zwischen der irdischa
Secletät, die Bestandsucht, und zwischen dem Reiche Gottes.
So zeigt Baader überall das hereinschauende Angesicht des
Himmels dem Sterblichen, der leicht über dem Aeussem das InoeR
und das Ewige über dem Zeitlichen vergisst. Und wie wenige
in der That die Liebe als den hervorbringenden Grund des Ethot
hingestellt haben will, ergibt sich sofort aus dem Gewichte, welch«
er auf die Autorität legt.
Ihrem Ursprünge nach leitet er die Autorität zurück auf d«
Yerhältniss Gottes zum Menschen und erklärt umgekehrt aas dff
Entstellung solchen Verhältnisses die Entstellung der Autoritii
unter den Menschen. Auffallen möchte es indessen, wenn er dk
Societät im Ganzen nach Entwicklungsstadien (oder eigentlich ii
der einen Sichtung Deminutionsstadien) unterscheiden zu könn«
glaubt 1) in die natürliche Gesellschaft, wo nur die Liebe herrscht
(Theokratie im engeren Sinn), 2) in die Civilgesellschaft , wo bei
verletzter oder mangelnder Liebe das Gesetz spricht (Regiment der
Bichter bei den Juden), 3) in die politische Gesellschaft, wo die
Bftftder: BocieULtspTiIIotoplite. 891
Autorität als personificirte Macht yor den üebrigen herauBtritt
(Regiment der EOnige bei den Juden). Denn auch zugestanden
dieses, dass es eine Periode gegeben habe, wo nur die Liebe herrschte
d. h. keine Lieblosigkeit und Feindschaft den Bund trübte, so
können wir doch weiterhin, was die Reihenfolge anlangt, nicht
finden, dass sich der üebergang Ton jenem idealen Verein zum
staatlichen Leben durch die Ciyilgesellschaft yermittelt ; abgesehen
nftmlich yon dem herangezogenen aber nicht zutreffenden Beispiel
der Juden zur Zeit der Richter scheint uns yielmehr die Herr-
schaft des Gesetzes umgekehrt irgend welch staatliches Leben und
die hiemit heryortretende Autorität des Machthabers oder der
Machthaber zur Voraussetzung und Grundlage zu fordern und zn
haben. Dazu dürfte die Eintheilung der Societät nach den be-
zeichneten Stadien schwerlich als yoUständig gelten. Wenn das
menschliche Vereinleben im Allgemeinen zu charakterisiren wäre
nach bestimmten Stadien, die zwar Entwicklungsstufen darstellen
und sich als solche yon einander durch das üebergewicht eines
bestimmten ethischen Moments unterscheiden, aber doch so, dass
keines das andere ausschliesst , sondern jedes alle übrigen in-
yolyirt und alle mit einander recht wohl in reger Wechselwirkung
stehen und sich gegenseitig heben kOnnen, so glauben wir, dass in
aufsteigender Reihe das erste Stadium jenes wäre, in welchem die
Sitte oder wenn man will die Sittigkeit den Geschlechtsyerkehr,
die Familie, Stände, geselliges Zusammensein durchherrscht; das
zweite hieraus sich ergebende Stadium, jenes in sich aufnehmend,
durch den Staat repräsentirt würde als ein der menschenwürdigen
Entwicklung seiner physisch-seelischen Fülle obliegendes Gkinzes;
das dritte Stadium im unmittelbaren Anschlüsse hieran durch die
Ausbildung und Macht des Rechts sich auszeichne; das höchste
Stadium endlich durch die Bethätigung der moralischen Gesinnung
sich ankündige. Umgekehrt würde die Entneryung der Moralität
zunächst das yorhandene politische Treiben inficiren, hiedurch das
Recht unterhöhlen und schliesslich an die Stelle der Sittigkeit die
Brutalität durchbrechen lassen. Solche Gliederung liesse sich
ebensowohl aus der Geschichte mit zureichenden Exempeln be-
legen als sie aus demPrincip des Ethos, nämlich aus der mensch-
lichen Persönlichkeit, dargelegt werden kann. — Mit seinem ge-
wohnten Scharfblick und zurechtweisenden Ernst gedenkt B., rück-
sichtlich des Zusammenhangs yon Religion und Autorität, der herr-
schenden Tendenz des öffentlichen Unterrichts, welche das begrün-
dende und positiye Element, die Religion, als ein den Geist Hem-
mendes und Unyemünftiges der Jugend yorstellt und an den
Doktrinen yon der Autonomie und Souyeränetät des Menschen den
refraktären Geist der Hoffahrt, des Dünkels und der Selbstsucht
in jungen 'Gemüthern entzündet und gründlichen Hass gegen alle
bestehenden sociale Institute. Trefflich zeichnet er, yor dessen
Blicke die Menschenseele offen daliegt, die drei Klassen der Schlecht-
a» B«Ad«r; ßaoMltopliadMpUe.
^(Hinten, deren' Atigriffea die bttrgerliche wie die religUse SoineiSi
bloegestellt sei» und ihnen gegenüber die drei Kangstofen der Gnt-
gaeinnten, auf deren Hülfe die Societät zählen dürfe : dort der Yer*
brecherlefarling, der sich nach und nach gewöhnt, das Verbrechen
neben dem Genüsse vorzufinden und schliesslich den Dienst dei
ersteren zur Erlangung des letzteren sich gefallen l&sst; dann dar
Geselle, der das Verbrechen zugleich mit dem Genüsse als Wfine
sucht; endlioh der Meister, dem der Genuss nur noch Mittel ist
zum Verbrechen als dem Zweck ; und hier der Mensch, der vorerst
zwar das Gute übt als bloses Mittel zur Erreichung seines Zweckes,
später aber neben letzterem und endlich um des Guten selbst
willen. — Hinsichtlich der Wirksamkeit der Autorität aber fisst
B. die letztere nicht als ein Krafthemm eodesi sondern als ein Kraft-
gebendes. Weit entfernt von der einseitigen Auffassung der Abso-
lutisten und geleitet von der Idee eines durch Entfaltung sem
Fülle mit sich vermittelten Organismus lehrt er, dass das Haupt
9war in jeder Region weil begründet auch befreit, dass aber 6,m
Begründung oder Verselbstständigung darum nicht minder wechsel-
seitig ist und das sich dem Leibe entgegensetzende Haupt eich
nicht minder entgiündet als der sich vom Haupt trennende Leib.
Folgen wir Baadern auf das specielle Gebiet der Politik.
Zunächst dürfte ein Irrthum abzuwehren sein, der entstehen kennte,
wepn der Pbüosoph bezüglich des persönlichen Regiments sich also
vernehmen lässt : »In dieser äussern Region, wo Alles noch PartÄ
machend oder nehmend als Einzelnes neben und gegen Einzelnes
tritt, muss das Allgemeine und Eine selbst eine Form annehmea
und gleichsam Partei machen. So muss die Nationaleinheit selbst
in einer einzelnen oder mehreren einzelnen Personen auftreten. ..•
Diese Nothwendigkeit des Fortbestandes eines Einzelnheit, welcbe
auf das Allgemeine hindeuten soll, dauert fort so lange bis das
Allgemeine, Eine, ins Centrum aller einzelnen Formen eingednmgeot
diese alle sich subjicirt und organisch d. h. von innen heraus sick
assimilirt haben wird: wo sodann im Innern undAeussem nur Eis
Rgiment sein d. h. die Idee gleich einer ailwesenden Sonne aufgeben
wird.« Mit Anwendung dieser Worte auf den monarchischen Stasi
könnte man meinen, die Monarchie sei lediglich als eine Durch-
gangsform zu betrachten mit der Richtung auf eine solche Demo-
kratie, wo vermöge innerer Bildung der Einzelnen und bei eotr
sprechend durchgearbeiteten äusseren Verhältnissen Jeder Regest
sein könne und doch Keiner es wollen werde. Dass B. diess sagen
will, denken wir zwar nicht; wir halten dafür, dass er nicht eins
künftig zu realisirende Staatsform, nicht einen Staat, also auch nicht
eine Demokratie, sondern ein religiös moralisches Vereinleben iiB
Sinne habe, in welches bereits auf Erden die von sittlichem Stre-
ben Erfüllten thatsäohlich sich gesetzt finden, vorbildend so ä^
jenseitige Reich» wo alles Stückwerk aufhören wird. Aber, nia
Missdeutung zu vermeiden, scheint uns eine strengere Untersckei-
Baadejr: Socief&tBphflosophie. BfÜ
dting und zugleich Beziehung von Politie und MoraUtät noihwen-
dig. Denn gerade die BeRtmeinenden , welche nach Demokratie
rufen, wenig erbaut yon der ünvoUkominenheit der menschlichen
Dinge, yerwechseln offc gänzlich Staat und moralisches Yereinleben,
Politie und Moralität, eine Verwechslung, die um so leichter ist als
beide dem ethischen Gebiet angehörend aufs Engste mit einander
verwandt sind, eine Verwechslung, welche, in die Praxis konse*-
quent übersetzt, nothwendig zur Revolution des Staates führt, eine
Verwechslung, welche, noch gesteigert durch den Zusatz neukirch-
licher Bestrebungen, der Theokratie Calvin's nicht minder wie dem
Reiche der Heiligen bei den englischen Independenten zu Grunde
lag, eine Verwechslung, welche das Seitenstück abgibt zu den
socialistischen und communistischen Theoremen, die ihrerseits ntcht
sowohl das Verhältniss von Staat und Moralität als von Gesell-
schaft und Staat verkennend letzteren in jener untergehen lassen.
Gegenüber der bezeichneten Verwirrung wird immer daran fest-
zuhalten sein, dass die Monarchie, nicht die Despotie und absolute
Begierung noch auch eine Bepublik mit ihrem erwählten Präsiden-
ten, sondern eine auf dem Gemeindeleben ruhende, die menschidn«-
würdige Entfaltung der vorhandenen Lebensfülle durch entspre-
chende Veranstaltungen ermöglichende und durch den Aemter-
organismus regelnde, von ihrem Haupt aus sich kräftig regierende
Erbmonarchie, die aus der Sitte sich aufgebaut hat, durch Mora-
lität der Bürger gehoben und von einem aus der Wirklichkeit
herausgewachsenen Bechtssystem assistirt wird, die wahre Gestalt
des Staats ist, die Demokratie hingegen in Vergleich damit als ein
bald vor- bald rückläufiger Versuch sich zeigt und nicht das ge-
sunde Ziel politischen Strebens sein kann. Es wird ferner daran
festzuhalten sein, dass die Moralität zwar das TtgotSQOV ty (pvöBt
oder das Apriori für den Staat ist sowie die Gesellschaft als das
7Cq6t€QOv xa^ fiiiäg oder das empirische Prius erscheint, aber
hinwieder doch nur unter Voraussetzung des Staates und vermittelst
des Gesetzes zur reicheren Entfaltung ihrer selbst kommt, Morali-
tät also nicht durch Destiniktion und üeberspringen des Staates
hergestellt zu werden vermag. Es wird weiter daran festzuhalten
sein, dass die Moralität, so sehr auch ein Einzelner darin erstarken
mag, immer nur Streben nach einem Ziele bleibt, das erst im Jen-
seits sich erfüllt, der Staat demnach nur mit dem Ende der Ge-
schichte auch sein eigen Ende findet. Es wird endlich daran fest-
zuhalten sein, dass die Kirche als göttlich menschliche Institution
nicht los sein darf von dem Gebiete, welches die menschliche Frei-
heit für ihre Selbstbethätigung zu eigen hat und darbildet, aber
auch nicht diesem Gebiet zu überantworten und da zu absorbiren
ist, sondern in freiem Verhältniss zu letzterem zu stehen hat, es
tragend und hebend bis alle Zeit erfüllt ist. — Entgegen dem un-
vermittelten Dualismus von Regenten und Regierten, der zur revo-
lutionären Despotie von Oben oder Unten ausschlägt, erscheint B.'n
SU Bftadar: SoeitUtaplifloftophle.
der Staat als ein Organismns, in welchem alle Glieder, nicht kftmip
lieh aogezengt, sondern aus dem Ganzen und ftlr das Ganze er-
wachsen, sich Handreichnng thnn zor Befreiung Aller« Beide, Begeet
und ünterthanen, dienen einer höheren Macht; das corporatin
Element soll, zu mässigenden und massgebenden Mittelorganen ndi
gestaltend, zwischen dem Haupt und jedem Einzelnen die Circo-
lation des gemeinsamen Lebens ermöglichen ; eine Constitution soll
auch auf Tradition sich stützen; das Haupt darf nicht aufhören,
mit allen Gliedern organisch verflochten, ihnen einyerleibt imd
einer Natur mit ihnen, somit demselben Oentrum untergeordnet n
sein. Als eines der Mittel aber, den Regenten bei aller ihm n-
kommenden Freiheit und Selbstständigkeit offen zu erhalten ffir die
ünterthanen und letztere fOr jenen, führt er die Ständeversamn-
lungen an: unter Voraussetzung der geforderten Wechselwirbng
fügt er indessen bei, dass eine Regierung auch in hohem Grade
konstitutionell sein könne ohne Ständeversammlung , wenn sie
den Deliberativstellen möglichste Unabhängigkeit und den Deii-
berationen möglichste Publicität gebe. Was letzteres anlangt, w
müssen wir unsrerseits, mit B. das sogen, palamentarische Frineip
allerdings verwerflich findend, behaupten, dass der moderne Coltn^
Staat ohne repräsentative Körperschaft unvollkommen sei und dieM
in gewisser Beziehung ebenso nöthig habe wie die Lehr- und Bil-
dungsanstalten und wie die Presse.
Es ist, kurz bezeichnet, der entgöttlichte , desorganisirende
Geist des Materialismus, welchen B. wie anderwärts so aock
auf dem gesammten ethischen Gebiete bis hinab in den Kreis der
Privatökonomie aufspürt, verfolgt, bekämpft und widerlegt. Uebe^
wunden wird derselbe vom Geiste des Christenthums. Wobl
waren, lehrt B., die primitiven Wahrheiten, an denen die Societtt
im Laufe der Geschichte ihr inneres Leben hätte haben soUes.
dem ersten Menschen mitgetheilt; aber solches Gemeingut ward
vielfach verdunkelt und verunstaltet, bis rettend das Christenthmn
auftrat, alle Menschen mit einander und mit Gott vereinend, der
Autorität, dem Recht und der Pflicht, dem gesammten ethisch«
Gebiete religiösen Sinn und neue Kraft verleihend. Die Kirdtf.
früher den Staat in sich tragend, darnach in der Form des Prote-
stantismus vom Staate umfangen , muss in freier Ehe stehen mit
diesem und allem was in dessen Sphäre gemäss der Menschenbe
Stimmung emporblüht und dieser hinwieder mit der Kirche. Dew
was die Kirche promulgirt, ist dem Menschen gegeben immer «wtf
zunächst auf Treu und Glauben; aber erstarkt in solcher Hingab«
findet er suchend in sich selbst den Beweis der Wahrheit, welob«
so auf zweier Zeugen Mund beruhend das irdische Leben freadig
seinem hohen Ziele zuzuführen vermag. So erscheint uns denn ^is
die allerdings unerschütterliche, von der Ueberschrift des ersten
Abschnitts sog. »intellectuelle Grundlage« das Reich Gottes, ^^
ches dem Menschen offenbart ist, in dessen eigenem gottesbildlicbea
Bftftder: Sodetiltsphllosopliie. MS
Wesen Zengniss gewinnt und in den einzelnen ethischen Sphären^
sie durchdringend, sich aotualisirt.
&. Schärfer noch und mit einer wundervoll durchleuchteten
Tiefe, die Alles übertriffb, was die neueren Denker in dieser Rich-
tung gesprochen, tritt im 2. Abschnitt hervor die Gemeinschaft der
menschlichen Societät mit dem göttlichen Leben, von welchem die-
selbe urstSndet und von welchem sie nicht lassen kann, es sei
denn, dass sie sich mit sich selbst entzweien wolle. Es trägt die-
ser Abschnitt den Tittel »Evolutionismus und Bevolutio-
nismus des gesellschaftlichen Lebens.« Eine revolutio-
näre Bewegung, so wird uns gesagt, dürfe nicht allein von ihrer
negativen Seite gefasst werden, sondern sei auch nach ihrem posi-
tiven Streben in Betracht zu ziehen als eine, wenn schon abnorme
Lebensgeburt in Folge vorangegangenen Stillstandes oder vorange-
gangener Hemmung: darum sei es ein verkehrter Versuch, sie nur
zurückdrängen zu wollen : vielmehr müsse man zugleich die zurück-
gehaltene Evolution wieder frei machen. Ebensowenig dürfe von
dem andern Standpunkt her die Revolution angesehen werden als
ein Mittel zur Beförderung der Evolution, da sie, durch Hemmung
der Evolution entstanden, kraffc dieser ihrer Abkunft und Unnatur
gerade der Evolution widerstreite. Wo immer ein Höheres gegen
sein Niederes, das Niedere gegen sein Höheres, ein Gleiches gegen
sein ihm Goordinirtes sich lossage aus der gemeinsamen organischen
Verbindung, da trete die revolutionäre Manifestation ein ; die Evo-
lution dagegen, identisch mit dem Leben selbst, befasse in einem
und demselben Lebendigen dessen unterschiedene Momente, Mo-
mente, die im Absoluten in einander stehen, im Zeitlichen aber
nach einander auftretend sich zu verdrängen scheinen: kein Aus-
und Aufgehen ohne ein Ein- und Niedergehen. So spreche mit
Recht die Religionslebre in Bezug auf Gott von Genitor und Ge-
nitus, da ja ausserdem Gott kein lebendiger Gott wäre; die näm-
liche Religionslehre aber handle auch von der Erschaffung freier
Wesen durch den Sohn und für und in ihm, welche, ihren eigenen
Willen wieder eingebend in den ewigen Vaterwilleu, mit ihrem
Leben das göttliche Leben nachbilden (mit andern Worten dürfen
wir wohl, ohne B.'s Anschauung zu alteriren, so sagen: die Crea-
turen finden ihr seliges Leben darin, dass sie mit Allem was sie
sind Gott den Sohn, der ihnen sich opfert, bezeugen). Gehe nun
die Creatur einen der göttlichen Lebensgeburt nicht conformen
Lebensgeburtsprocess ein, sich entziehend dem seinen Sohn ge-
bttrenden Vaterwillen und sich sogar widersetzend ohne doch wirk-
lich sich losringen zu können, so müsse eine solche die Zweiheit
ihrer Lebensmomente inne werden als gewaltsame Entzweiung und
aus der innem Freiheit in die Unfreiheit fallen, aus der Freude
in die Angst, aus Liebe und Sanffcmuth in Hass und Zorn, ja in
eine Wuth, welche recht eigentlich Gottessohnsscheue sei und das
fliehe, dessen die Creatur zur Löschung ihres ausgekommenen Lebens-
9H BftAder: Boel0l&l9UlMbpU&
fmers am Meisten bedOrfe. Angewendet anf die BocietSt ergebt
sich, dass deren abnorme Evolution ihren tiefsten Gnmd habe ii
der Relationsweise zur gOttliehen Lebensgebart; wie der Mensch
zu Gk>tt stehe, so stehe er su den andern Menschen nnd zar Nator;
aich vermöge man nnn zu erkennen, warum jeder AbsolutisiDiu,
komme er von Oben oder Unten, irreligiös sei. Das sind die weit-
tragenden Gedanken B.*8 ; mannigfache Folgerangen für die poü*
tische Praxis sind darein verwebt und reiche Belege ans dfin
Ezempelbuch der Oeschichte.
III. Ist im 2. Abschnitt der Revolutionismus in seiner Wor-
xol erfasst, so wendet sich der 3. Abschnitt »Das Bevolutio-
niren des positiven Bechtsbestandes« einer bestimmi«
historischen Erscheinung des revolutionären Geistes zu, deren Abs-
gangspnnkt und Ziel als Entgründungsversuch des positiven Bechts-
bjstandes zum Behufs der Entgründung der gesammten Societit
und damit auch des Staates sich kennzeichnet. Durch solches
Btreben werde für die Politik die Nothwendigkeit sowohl als aodi
die Noth des Begierens gesteigert. Nan könne zwar natflrlich
nicht die Bede sein von einer absoluten Unverftnderlichkeit des
Hechts: Bechtsbestand bedinge Bechtsfortgang und dieser jenen
Aber die Begierung des Staates habe vor Allem auf Seite öer
Begierten die üeberzengung herzustellen und zu stärken , dass w
selbst rechtlich bestehe und auch das Becht handhabe gegen Jeden;
biedurch werde sie das Vertrauen sich erwerben, dessen sie sis
ihres geistigen Faktors schlechterdings bedürfe, und die fliessen^
Quelle verstopfen dem Bevolutionismus , der dem Volke den Uo-
glauben an die rechtliche Existenz der Begierung sowie an ^
Handhabung desBechts beizubringen sich befleisse, andrerseits der
Begierung anrathe, das Begieren dadurch sich bequem und des
Volke gefällig zu machen , dass sie sich des strengen Haltens i^
das positive Becht begebe. So Baader. Er hat hiemit, zugleich
das wirksame Geschoss darbietend, die Achillesferse des Ber^-
lutionismus ausfindig gemacht: denn der letztere, merkend, ^
das Becht das specifische Organon ist für Entwicklung und Be-
stand der Societät, richtet dahin seinen Angriff, das historisckt
Becht missachtend und misshandelnd und dafür ein leeres NatB^
oder Vernunftrecht ersinnend für den Egoismus der Partei undd«
ludividuums.
IV. Im 4. Abschnitt finden wir die Gedanken B.'s bescW
tigt mit der Basis des staatlichen Lebens, mit der Gesellschtfti
nnd zwar speciell mit dem > Dermaligen Verhältniss der
Vermögenslosen zu den Vermögen besitzenden CU«"
sen.« Auch hier gilt es ihm, eine Evolution zu fördern und des
alten und doch immer neuen Feinde zu begegnen, der des Prol^
tariats als gleichsam seiner stehenden Armee sich bedient siub
gelegentlichen Anlauf. Ein Doppeltes nimmt er für das Proletaiii^
in Anspruch: einmal Bestitution in den Arbcitsorganismns derOe-
Ba«d«rt SooietftUphflosopUe. 827
sellBehaft und zweitens eine gewisse politische Berecbtigong« In
BeKag hierauf hofft er erstens Hülfe, wenn es den Begierongen ge-
länge, theils den relativ zu tief herabgedrückten Werth uud Preis
des Naturais und der Arbeit, mit gesteigerter Nachfrage nach
ihnen, zu erhöhen theils den Werth und Preis des Geldes, mit ge-
mindertem Bedarf desselben, von der erkünstelten Höhe herabzu«
bringen, insbesondere dem Creditwesen eine nicht blos individuelle,
sondern corporative Basis wieder zu verschaffen. Zweitens fordert
er, dass des Proletariers Stimme auch gehört werde in der Kammer
der Abgeordneten, in den Landrathssitzungen , in Kreisversamm-
lungen; können die Vermögenslosen schon nicht das gleiche Beprä-
sentationsrecht (votum?) geniessen wie die Vermögenden, so sollen
sie doch ihre selbstgewählten Spruchmänner haben : hiebei aber er-
öffne sich dem Geistlichen als Anwalt der ünberathenen ein segens-
reicher Wirkungskreis. — Selbstverständlich will B. anduroh die
Lösung des beregten Missverhältnisses nicht erschöpft haben ; denn
da die Proletarier weniger die Vermögenslosen als vielmehr die
Standlosen sind, so hängt die Beantwortung der Frage, wie dem
Proletoriat auf- und abzuhelfen, zunächst ab von Beantwortung der
andern Frage, welcherlei Stände oder, sofern die Pflicht des Arbei-
tens an Jeden herantritt, welcherlei Arbeitsclassen auf dem Boden
der modernen Gesellschaft sich herauszubilder und zu bestehen ver-
mögen, ein Problem, dessen gründliche Lösung gar nicht vor sich
gehen kann, ohne dass mit Anknüpfung an das Historische das
ganze Gebiet der Gesellschaft durchmessen und hier namentlich die
Familie in Betracht gezogen, aber zur Gesellschaft auch die andern
ethischen Lebenssphären herzugenommen und alle in ihrer Wechsel-
wirkung erfasst würden.
V. Der 5. Abschnitt handelt von »Einem Gebrechen der
neuen Constitutionen«, welches B. darin findet, dass, falls
die Verfassung von Seite der Kammer oder von Seite der Regie-
rung verletzt würde, die Entscheidung hierüber nur von einer der
zwei Parteien selbst beansprucht werde. Für den Eintritt solcher
Conflicte schlägt er vor ein nach dem Princip des Geschworenen-
gerichts nur momentan entstehendes und bestehendes Schiedsge-
richt. Der Herr Herausgeber fügt in einer Anmerkung bei, dass
die Vergleichung der bundesrechtlichen Bestimmungen über das
deutsche Bundesschiedsgericht von 1884 mit den Vorschlägen B/s,
die von 1831 datiren, die Vermuthung nahe lege, es sei die be-
treffende Schrift B/s nicht ohne Einfluss auf die Errichtung jenes
Bundesschiedsgerichts gewesen. Jedenfalls ist ersichtlich, dass B.,
indem er das Schiedsgericht fordert, von der Politik aus an das
Äecht appellirt wissen will, dieses hiemit als nächstes Kriterium
der Politik anerkennend und den nach unserer Ansicht — jedoch
^ter der Voraussetzung der Föderation mehrerer Staaten — ein-
zig entsprechenden Ausweg bei dubiösen Oonflioten zunächst über
das innere Staatsrecht zeigend.
S)8 Baader: Bodetfttspliflosoplile,
VI. Im 6. Abschnitt sehen wir B. von der Schrift des A.\M
F. de Lamennais : Paroles d*un Croyant Anlass nehmen, darin ent-
haltene »Theologisch-politische Irrthümerc zn veniiclh
tcn. Der eine Hauptirrthum besteht in Vermengnng der wahren,
ans dem Christenthum gezengten Freiheit mit der Selbstsucht des
Menschen. Eine andere falsche Behauptung, die ihre Widerlegnng
findet, beruht auf Yermengung der Autorität und des ihr gebüh-
renden Gehorsams mit dem Despotismus nnd der Enechtschaü Ein
anderer Wahn des Abb6 geht darauf hinaus, dass er die Worte
der Schrift »alle Obrigkeit ist von Gott« so anl^sst als ob die-
selben nnr von jener Obrigkeit gälten, welche Gott selbst ebge
setzt, im neuen Bunde aber Gott sich hiezn den Yolkswillen re9e^
viii habe. Alle diese Zumuthungen weist B. 'znrück vom Stand-
punkt der ihres Grundes, Mittels nnd Zwecks wohlbewussten Frei-
hiit des Christen.
VII. Es ist eines der grossen Verdienste B.'s, den lebendiges
Oonnex von göttlichem Wunder nnd menschlicher Freiheit, tot
Historischem nnd Specnlativem, von Glauben und Wissen in hdl«
Licht gesetzt zn haben. Auf letzterem Gebiet auch bewegen siel
dio Untersuchnngen des 7. in der vorliegenden Ansgabe nen hin-
zugekommenen Abschnitts ȟeber die Verfassung der christ-
lichen Kirche und den Geist des Ohristenthnms«. BSr
hat vor Allem eine Religionswissenschaft im Ange, welche, frei toi
den Fehlem der blos antoritätsglftubigen , sowie der blos gefthb-
glftubigen (pietistischen) nnd der nngläubigen (rationalistisch«!)
Untheologie, die Erforschung der natürlichen und göttlichen Ding«
für untrennbar erklärend, bei freiem Vernunft- nnd Sohriftgebrandi
in die Mysterien derselben wirklich eingeht; diese acht deutsche
Theologie gilt ihm zugleich für föhig, den Streit der christlichei
Confessionen gründlich beizulegen. Für das eflTektive Hemmnis
solcher Entwicklung aber hält er nun anf Seite der katholisches
Kirche das, was er, unterscheidend von Katholicismus , Papissns
heisst und als eine dem Geist des Ohristenthums widerstreitende
hierarchische Dictatur sich denkt. Das Christenthnm selbst be-
greift er als eine Corporation, die als solche den Primat an*-
schliesse. So riclitet er denn gegen letzteren seinen Angriff, ^^
sucht aus der Schrift den Beweis gegen den Primat zu führen rai
durch Aussagen älterer Kirchenlehrer und findet die Behanptongei
Späterer nnd neuerer Theologen, die den Primat vertheidigen, üb-
genügend und unhaltbar. Dafür dünkt ihm die SynodalverfiwsuDg
der morgenländischen Kirche im Wesentlichen die rechte zu sei»-
Dem allen zu Folge lehrt er, dass die eigentliche Reformation der
christlichen Kirchen im Abendland nicht zu Stand und Bestand
kommen könne ohne eine durch die permanente Synode in jedem
Lande geübte Kirchenverwaltung und ohne die Besoldung des Cleras
aus dem Kirchenfonds desselben Landes. So Baader. In seinem
Vorwort zum 14. Band der Gesammtausgabe von B.'s Werken be-
Baader: ^ociet&tspliilosophie. A20
merkt Herr Professor Schlüter, er müsse die späteren Aeussemn-
gen B/s bezüglich der Kirche als die Wirkung einer in ihm er-
regten Animosität und als seinem System und seiner innersten
Denkart fremd und als keineswegs einen Bruch mit seiner Kirche
beabsichtigend betrachten. Wir unsrerseits führen theoretisch den
Irrthum B/s darauf zurück, dass er die Kirche, entgegen ihrer
wahren Bedeutung, als dem Gebiet der Societät d. i. des Ethos
einverleibt denkt und in Folge davon als eine Corporation zu be-
greifen nicht mehr umhin kann. Hiemit befindet er sich entschie-
den auf einem Boden, wo der Platz der ächten Kirche nicht ist.
Dieser Schritt B.'s aber setzt voraus oder ist umgekehrt die Ur-
sache davon, dass er die Kirche aus ihrer specifischen Sphäre,
nämlich dem OfTenbarungswunder, entrückte und nicht zwar etwa
in den Staat aber doch einseitig in das subjektive Beich der mensch-
lischen Freiheit überhaupt hineinversetzte, während einerseits das
Offenbarungs wunder und damit auch die Kirche und andererseits
die menschliche t^reiheit mit ihren Gebilden, so sehr diese letztere
auf die erstere angewiesen ist und an ihr sich sättigen muss zum
Behuf eigener Entfaltung, besondere Sphären im Zeitleben sind und
wie Mutter und Kind sich zu einander verhalten. Seine Polemik
leidet ferner nicht nur dadurch, dass er die mit der Fülle der
menschlischen Freiheit noch schwanger gehende katholische Kirche
des Mittelalters und die von der menschlichen Freiheit als von
ihrer Geburt entbundene und so in eine neue historische Funktion
eintretende katholische Kirche des neuen Zeitalters nicht unter-
scheidet, sondern auch um der Ausartungen und Missbräuche willen
das Wesen selbst und den normalen Zustand mit seinem Tadel
trifft. All das, so scheint uns, hat mitgewirkt, um jene Aeusse-
rungen bezüglich der Hierarchie und insbesondere des Primats her«
vorzubringen.
Der 8. Abschnitt enthält die belehrenden Erläuterungen des
Herrn Herausgebers, welche die societätsphilosophischen Gedanken
B.'s theils in ihrem Einklänge sowohl mit dem besten, was die
einschlägige Literatur aufzuweisen hat, als auch mit den Bedürf-
nissen des- praktischen Lebens, theils in ihrer üeberlegenheit zeigen»
Und in der That, obschon vorliegendes Buch lange nicht Alles
enthält und enthalten will was B. in Bezug auf das Ethos Grosses
gedacht und hinterlassen hat, sondern nur die »Grundzüge« bietet,
so ist es doch völlig dazu angethan, innige Hingabe an den Mei-
ster zu erwecken, der, vermöge seiner umfasssenden und tiefen
Blicke ein König im Beiche des Geistes überhaupt, auch dem
menschlichen Vereinleben wie Keiner in das Herz schaut und ihm
zu Herzen redet. In letzterem Betracht wird es daher nicht ge-
nügen, in einer Darstellung der Geschichte der ethischen Wissen-
schaften ihn gegenüberzustellen den Lehrern des abstracteu Natur-
rechts und ihn beizuordnen den Vertretern der theologischen Rich-
tung, die neben der historischen Schule ergänzend einhergeht. Das
SM Lltctaturtwrlehte «us ttafien.
Zukünftige im Vergangenen erschauend, das Historische mit dem
Speculatiren durchdringend, die Einseitigkeiten von ihrem üeW
gewicht auf ihr Maass zurückführend wurzelt seine Lehre in einer
so erhabenen Erkenntniss gerade des göttlichen persönlichen Lebens
nnd seiner Beziehung zum creatürlichen Leben, dass er kraft boI-
eher Onosis den berühmtesten Philosophen überhaupt yoraosio-
schreiten yermochte und mittelbar hiedurch auch auf dem Gebiet
der Societätsphilosophie oben an steht. Rabm.
Literaturbericlite aus Italien.
Arehivio JicUktno per le malaUie nervöse e aliena»umi meniaU, 4d
doüori Verga, Caeliglioni e Biffu MUom 1864. Preaao Chmgi
gr. B.
Von dieser Zeitschrift über Nerven- und Geisteakrankheitea
ist bereits das 6. Hefb erschienen. Der Hauptbei^rderer derselben
ist der berühmte Di rector des grossen Hospitals zu Mailand, Bitter
Verga, welcher auch Präsident des Instituts der Wissenschaften in
Mailand ist, die in grosser Achtung steht.
Oiornale ddV Ingegniere-Architäto, ed Agronomo. Milano 1864, &
Mit Kupfertafelru
Von dieser Zeitschrift für Baukunst und Landwirthschaft, die
schon 12 Jahre besteht, ist bereits das NoYomberhefb aasgegabei,
welches ausser mehreren Original- Aufsätzen ,. z» B. Über den M
von Lombardini (welcher über diesen Fluss bereits eine besonden
Hjdrographie herausgegeben hat), über die Eisenbahn von Hon«
nach Lecco, auch Nachrichten aus fremden Werken mittfaeüt. AiA
Neapel bleibt nicht zurück, wie folgende Zeitschrift zeigt:
Qiornah äi matemaiica dei professori Baüaglinij Joani t Trui^
NapolL Preseo P. Aeratio. 8» 1864,
Diese der Mathematik gewidmete Zeitschrift besteht benäs
2 Jahre.
Bulleiino delle sciense mediche, diritto dal Dotlore Verardini,, B(r
logna 1864. 8.
Von dem 35. Jahrgange dieser Zeitschrift liegt bereits das
Kovemberheft vor..
Aiti dd aienta Venete. Ventzio 1864. Tip, del cö
Die Verhaitdlangen des Venetianisehen geiefartCn- AtheneiUBi
haben ebenfalls ihren erspriesslichen Fortgangs wie f die hier lot-
Llteratcrbericlite «ns Italien. ISl
liegenden Sitzungsberichte darthnn, von denen wir nur, YorscblSge
über Volksbank- An stalten, über die Trichinen, ttber die Mosaiken
in der St. Marcuskircbe zn Venedig erwähnen, besonders auch über
die Verhältnisse der Vene tiani sehen Lagunen zu der bevorstehen-
den Eröffnung des Kanals yon Suez yon de Orandis.
Afinuatio siaiistico del regno di Italia, particolarmente della Lomr^
bardia, dall A. dtlC Aqua. Anno V. Müano 1864. gr, S,
pag. 760.
Dies statistische Jahrbuch umfasst zwar im Allgemeinen das
jetzige Königreich Italien ; allein es beschäftigt sich besonders mit
den lombardischen Provinzen, und enthält ausser den Namen der
sämnktlichen Gemeinden Italiens und den Namen der in diesen lom-
bardischen Provinzen angestellten Beamten viele geschichtliche
schätzbare Mittheilungen. Die Einwohner-Zahl Italiens ist auf
21,894,000 Seelen angegeben, auf einem Flächen -Inhalte von
257,376 Q.-M. Kilometer, deren 8 auf eine deutsche Meil« gehen.
Die Staats Einnahme im Jahr 1863 weist 614,000,000 Fr. nach,
die Ausgabe 935,000,000 Fr., mithin ein Minus von 320 Millionen.
Die Civil-Liste des Hofes betragt 10,500,000 Fr. und die Staats-
schulden 3,017,000,000 Fr. Auf das stehende Heer werden nur
197,000,000 Fr. verwendet, dagegen auf den öffentlichen Unter-
richt 14,000,000 Fr., wobei alier der Unterricht unentgeltlich er-
theilt wird« Das Heer besteht aus 241,900 Mann, auf dem Kriegs-
fuss aber aus 416,000 Mann, indem die Mannschaft stets beurlaubt
wird, sobald sie ausgebildet ist. Benutzt wurden am 1. Januar
1863 bereits 2,252 Kilometer Eisenbahn und zwar meist von Privat-
Gesellschaften, so dass nur 676 von dem Staate verwaltet wur-
den ; allein es sind schon viele andere in Arbeit, dass bald Italien
von 6626 Kilometer Eisenbahnen durchschnitten sein wird. Von
Telegraphen sind über 11,000 Kilometer im Gebrauche. Der unter-
irdische Beichthum Italiens besteht hauptsächlich in Schwefel, von
dem an 30,000,000 gewonnen wird; aus dem hiesigen Eisenerz,
von welchem 22,000 Tonnen ausgeführt werden, werden noch im
Lande 25,000 Tonnen Eisen gewonnen. Die Töpferarbeiten, welche
80,000 Menschen beschäftigen, bringen an 50,000,000 Franken«
Aus dem Thierreiche liefern 3,500,000 Stück Bindvieh monatlich
über 7000 das Fleisch zur Nahrung, wozu auch über 3,000,000
Schweine gehalten werden. Die Schaafe, welche in Deutschland
meist der Wolle wegen gehalten werden, wie in England wegen
des Fleisches, werden in Italien hauptsächlich der Milch wegen zum
Käse gehalten. Das meiste Geld aber bringt die Seide mit gegen
300,000,000 Franken. Italien ist daher so reich, dass es seine
Schulden bezahlen kann, wofür es zur Einheit, zur fünften Gross-
inacht und dabei zur constitutionellen Freiheit gelangt ist. In
Ansehung des öffentlichen Unterrichts ist der Unterschied der ein-
zelnen Provinzen sehr bedeutend; die alten Provinzen haben bei
882 LiteMtnrbericliie «ms IttUeti.
4,060,000 Einwohner 2,100 Knaben- und 1,500 Mädchen-ScliTileD,
die Lombardei etwas weniger, Parma, Modena und die Bomagoa
bei 2,000,000 Seelen 245 Knaben- und 190 MädchenscholeD, Tos-
oana bei 1,800,000 Seelen 250 Knaben- nnd 230 Mädchenschulen
In den Marken und ümbrien bei 1,300,000 Seelen 411 Knaben-
nnd 225 Mädchenschalen. Im Neapolitanischen sind bei 7,000,000
Seelen nur 1755 Knaben- und 835 Mädchenschulen. In Siciiien
sogar bei 2,200,000 Seelen nur 268 Knaben- und 66 Mädcheo-
schulen; hier kommt auf 500 Schulpflichtige ein Kind, in dem
Tormaligen Kirchenstaate 1 auf 82, und in Ober-Italien 1 aof 18.
Es ist aber auch erstaunlich, wie jetzt der Eifer, etwas zu lenea
sichtbar wird; in Bologna allein wurden 27 Abendschulen tob
Erwachsenen besucht.
Societa di aeclinasione e di Agrieoüura in Sicilia, Palermo 18^
Tip. Lorsnaider.
Dies ist der Bericht, welchen die Ackerbaugesellschaft ftr
Siciiien über die im März d. J. in Palermo abgehaltene Ausstel-
lung Yon Blumengewächsen erstattet hat.
ÄtH dtUa aeademia d^ finocratiei di Siena. II Vol. Siena 1861
Die Verhandlungen der Akademie zu Siena beginnen mit die-
sem Hefte eine neue Serie und enthält dasselbe die Abhandlungen
der physikalischen Abtheilung, welche mit 4 Steindrucktafeln aus-
gestattet sind. Präsident dieser Akademie ist der Senator des
Reiches, Graf Borghesi, der beide Stellen nicht seinem Namen,
sondern seinem Wissen verdankt. Vorstand der physischen Klasse
ist der Professor Paccianti, und der moralischen Wissenschaftet
der Ritter Polidori, und Schatzmeister Pieri-Peggi, Markgraf tos
Balloti-NerU.
La diffusnont del credito e le banche popolari^ per L, Lus%äii
relasione del F, Dinü Pesaro 1864, Tip. JSobili.
Dies ist auch einer der vielfachen Vorschläge dem 5ffentlicb«i
Credit durch Banken aufzuhelfen, da das Hypothekenwesen mangel-
haft ist, das sich allein auf das römische Recht gründet.
Neigebaar.
Ir. 63. HEtDELB£ReER 1865.
JAHBBÜCHBR DER LITERATUR.
YerMltniss der StrafanMage und der dyiUdage.
TrmU thiwrique et pratique dea quesHons pr^udicieUes en matUre
repressive seien le droit franQaüy priced^ d^un exposi dan»
la mime forme de VacHon publique ei de VaeUcn cioiie^ eon-
8ider€es separSment et dans leurs rapports mutuels par J. B.
Hoffmann, Proeureur du Roi ä Malines. Paris ehe» Durand,
in Vol 1865.
Die Verhältnisse der aus der nfimlichen straibaren Handlung
entstehenden Ciyilklage und der auf Strafverfolgung gerichteten
Anklage sind häufig sehr yerwickelt, und in ihrer richtigen Be-
handlung schwierig. Die Erfahrung lehrt, dass die Auffassung die-
ses Verhältnisses, sowohl in den Gesetzgebungen, als in der Bechts-
übung eine sehr verschiedene ist, und vielfach von der Art der
geltenden Gerichtsverfassung abhängt, wie sich dies klar aus der
Vergleichung römischer Geseizesstellen (Zachariä, Handbuch des
deutschen Strafprozesses. H. Bd. S. 92) ergibt, wenn man damit
die Ansichten der Juristen des Mittelalters vergleicht (Flank,
Mehrheit der Bechtsstreitigkeiten im Prozessrecht S. 255 u. 517),
wo sich ergibt, dass die damals aufgestellten Ansichten aus
den eigenthümlichen Jurisdiktionsverhältnissen, insbesondere der
damaligen Bichtung sich erklären, nach welcher der Inhaber jeder
Gerichtsbarkeit eifersüchtig daran festhielt, dass ihm keine zu
seiner jurisdictio gehörige Sache entzogen wurde. Der leitende Grund-
satz war in der Bechtsübung der der ünabhängkeit der Orimi-
nal- und Civilsache von einander. Das Verhältniss beider wird
Torzüglich in zwei Hauptrichtungen bedeutend; 1) bei der Frage:
in wie ferne ein im Civilprozesse ergangenes rechtskräftiges Urtheil
auch auf die damit zusammenhängende Strafsache wirkt und um«
gekehrt ob das rechtskräftig im Strafprozesse ergangene Urtheil
auf den damit zusammenhängenden Civilprozess rechtlichen Einfluss
hat; ^) in wie ferne da, wo im Strafverfahren eine prfijudicielle
Einrede erhoben wird wegen eines Bechtsverhältnisses , das civil-
rechtlich vorerst entschieden sein muss, wenn die Anklage gegrün-
det sein soll, die Verhandlung der Einrede von dem Stra&ichter
entschieden oder vorerst an das Civilgericht gewiesen werden muss.
In den früheren deutschen wissenschaftlichen Arbeiten war für die
Erörterung dieser Fragen wenig geleistet. Grössere Entwicklungen
kamen schon in Frankreich bei den Juristen vor der Bevolution
vor, mit der Bichtung, strenge an der Unabhängigkeit der Criminal-
LVin. J«hig.U.Heft 59
8^ VerhXltnlss der Str«f«nklag6 und der CivUkkge.
und Civi^'urisdiction festzuhalten, daher auch in der Praxis aog^
nommen wurde, dass, wenn in einer Strafsache eine prBjudidelle
civilreohtliche Frage vorkam, der Strafrichter das St/afrerfalireB
80 lange snspendiren muss, bis die civilreohtliche Vorfrage im Civü-
prozease entschieden ist. Streit kam nnter den Juristen in so ferne
vor, wie weit die Annahme einer Fräjudicialeinrede ausgedeint
werden kann. Feststehend war nur die vorzüglich auch auf miss-
verstandene römische Stellen (Gute Nachweisungen in Jacobi de
erimine »tatus snppressionis. Amstelod. 1859. p. 55) gebaute Ai-
9icht der Praxis, dass bei Anklagen wegen suppressio status eines
Kindes, vorerst im Civilprozesse die Frage über status entschieden
sein müsste. Merkwürdig ist, dass in England und Schottland im
17. Jahrhundert die Ansicht siegte, dass bei einer civilrechtliclien
i?rajudicialeinrede der Strafrichter die Verhandlung über die An-
klage aussetzen soll (Hume, Oommentaries II. p. 302) , dass aber
peit einem Jahrhundert die entgegenstehende Ansicht feststeht, oaeli
welcher der Strafrichter, wenn auch ein Civilpunkt in die Stitf-
verhandlung gezogen ist, diese Verhandlung nicht auesetzen, son-
iMn selbst den Punkt entscheiden soll, z. B. bei Anklagen wegei
Biga»de (Alison, practice of the criminal law of Sootland p. S74).
Bei der AJ>fas8ung des Code civil machte nun die vor der Bevolaüos
T«n den Juristen vertheidigte Theorie sich geltend, und unter in-
filhrung vieler Qründe der Zweckmässigkeit wurde in dem Code
civil Art. 826, 829 der Satz aufgenommen, dass die Givilgeriokte
allein zuständig sind, über die reclamations d'ötat eines Kindes
^ entscheiden und die Criminalklage nicht beginnen soU, so laa^
nicht durch Endurtheil über die Status-Frage entschieden ist. V»
Jnriston fanden darin ein Prinzip, welches von Manchen in der
Xichre von den Präjudioialeinreden auch auf andere Fälle auip-
dehnt wurde, auch im Code forestier in so ferne anerkannt vai^
daaa, bei Bestrafung von Forstfreveln, wenn der Angeschuldigte
sein Eigenthum des Forstes behauptet, vorerst die civilrecfatliobe
Entscheidung abgewartet werden sollte. Eine Masse wissenschafc'
Hoher Erörterungen über die Natur der Präjudioialfrage xmd da
üufiang ihrer Zulässigkeit entstanden nun in Frankreich , jedoeb
so, dasa in der Wissenschaft wie in der Bechtsprechung eine gioase
Verschiedenheit der Ansichten sieh aussprach (Helie, instroeiMS
eriminelle. Vol. III. p. 186. VU. p. 888. Bertauld, questions ft
exeepidons prejudicielles en matibre orim. Paris 185.6. Uora
Ffipertoine questions prejud. Trebutien cours 11. p. 58) und vorsfiff*
lidi wegen der Klarheit der Darstellung (Haus, cours du dirÄ
erim. p. 392-^446. Njpels in den Noten zur Ausgabe von Helie)-
in Deutschland wurde aUmähUg auch in den wissensohaft-
Hohen Arbeiten mit Benützung französischer Foreehongen dts
¥«.rhältniss der Criminal-. und Civilklage erörtert. Schon vor nehf
als 40 Jahren behandelte der Unterzeichnete in seinem Strafv«^
fahren §. 6-^10 die Lehre, und in nei^ester Zeit haben Piank, Dm»
V«rfaftltiii88 der ßtrftfanklige trnd der OlrÜklftge. SM
tieÜoBg defi Strafrerfabreas %. 158, Walther, Lehrbneh des Sttttf^
prosedses §• 3, und vorzüglich Zaobaria im Handbuch des 8tnif>>
Terfahrene II. §. 84—86 belehrende Erörterungen geliefert. In Italieti
hat Pisanelli (später JuBtizminister) eine treffliche Arbeit (beson^
deM wichtig, weil der Verfasser darin an die ältere italienische
Ptttris anknüpfte und mit AnfOhnmg der Rechtssprüche der italie^
msehen Gerichte verglichen mit den französischen) in dem Werke :
Oommentario del Godioe de procedura civile per gli stati Bärdi;
Torino 1857. Vol. I. p. 25—63 über die Verhältnisse der Civil*.
und Strafklage geliefert. Vergleicht man die neuere Gksetzgebtrtig
über das Verhältniss der Civilklage und der Strafklage, so hatte
vor 40 Jahren noch die fhinzösische Ansicht auf sie grossen Ein^^
fluss geübt, wie dies die baierische Strafprozessordnung von 1818
Art. 8 — 9 zeigt; allein man bemerkt leicht, wie der Gtosetzgebet
französische und deutsche Ansichten zu vereinigen suchte. Aehn«
liches zeigte sich auch bei der badischen Strafprozessordnung Von
1845. Art. 2.
Der Charakter der neuesten Gesetzgebungen ist entschieden
•der, die Befognisse der Strafgerichtebarkeit auszudehnen und aus*^
zusprechen, dass der Strafriehter selbstständig auch Vorfragen, d$e
sn sich civilrechtliche Punkte betreffen, untersuchen und tu ettfr^
scheiden hat, wie dies die österreichische Strafprozessordnung vo«
1858 §« 4. 5 bestimmt (Hje, leitende Grundsätze der österreiehi««
sehen Strafprozessordnung S. 91—99), nur mit der Ausnahnie, wof
die Vorfrage die Gültigkeit einer Ehe betrifft, z. B. bei Anklagt
tregen Bigamie, weil in Oesterreich die Entscheidung der Bhesaehen^
an geietliehe Gerichte gewiesen ist. In gleichem Gkiste etttschei*"
det auch die neue badisehe Strafprozessordnung von 1864 Art. 5^
doss der StrafHchter die dvilreohtliche Vorfifage zu entscheiden
hat, nur mit der Ausnahme, wenn der Tbatbestand der strafbarctf
Handlung von der Gültigkeit einer Ehe abhängig ist (und nach
Forstgesetz §. 251 und nach dem Art. 829 de» bfikrgei^lkhen Ge^
setzbuchs wegen Unterdrückung des Familienstandes). — tJeberein'^
stimmend mit dem badischen Gesetze ist auch die grossherzogKeh
hessische Straft>rozessordnung von 1865 §. 3 und der würtember«
gisohe Entwurf §. 7* Abweichend von dieser gewiss zu schroffen Xülti
aas einem bedenklichen Generalieiren stammenden Ansicht sind da->
gegen einige neuere Gesetzgebungen, welefae gewiss richtiger deny
Ermessen der Gerichte es überlassen, in verwickelten Fällen, we^
voraussiebtlieh nur eine auf dem Wege des Oivilprozesses geleitetet
Verhandlung geeignet ist, die Ausmittelung der Wahrheit zt( be^
wirken, die Verhandlung und Entscheidung der Vorfhige an daif
Oivilgericht zu verweisen, wie dies in der hannoverschen ProzescK
Ordnung §. 97, der königl. sächsischen §. 12^ (gut darüber Sohwan-ze
Oommentar zur Strafyrezessordnung S. 212) und der Aargauieebss
Prozessordnung §. 8 vorgesehrieben ist. Von den neuesten /ge-
seizgebungsarbeiten hat der 1864 für das Königreich Italien /eise
Mi VarbiltniBS der StrafanklH« vnd der GbÜkkge.
gelegte Entwurf der Strafprozessordnung in §• ^ bestimmt, im
bei Verbrechen der Unterdrückung des status die Anklage nur nach
dem Ton dem bürgerlichen Bichter geföllten ürtheil über den statos
verfolgt werden kann. In §. 5 ist ausgesprochen, dass, wenn in
einer Strafsache eine Einrede des bürgerlichen Rechts erhoben wird,
welche, wenn sie begründet würe, die Annahme eines Yerbrecheu
auBSchliessen würde, der Bichter, wenn er Gründe hat, die Ein-
rede als wahrscheinlich begründet anzunehmen, die strafgerichiUclie
Verhandlung einstellen, und die Entscheidung über die Einrede
dem zuständigen Bichter überlassen kann und dann dem Ange-
schuldigten eine Frist bestimmt, um die Erledigung der Einrede
SU betreiben« Nach §. 7 kann der durch ein Verbrechen Beschl-
digte die Klage wegen erlittenen Schadens nicht anstellen, weiu
durch eine Verfügung oder rechtskräftige Entscheidung der Ange-
sobnldigte freigesprochen wurde, oder wenn erkannt war, dass die
weitere Strafverfolgung nicht statt fand, in so ferne anzunehmen
ist, entweder dasd die Handlung, welche der Oegenstand der An-
klage ist, nicht verübt wurde oder der Angeklagte nicht Urheber
oder Theilnehmer derselben war. Nach §. 8 kann man in den Fällen,
in welchen die Anklage nur auf Antrag des Beschädigten erhoben
werden kann, wenn dieser die Civilklage vor dem Civilrichter an-
gestellt hat, nicht mehr auf Strafverfolgung antragen. Eine
strenge Ansicht stellt der neueste Entwurf der Strafprozessordnong
für Preussen von 1865 in §.8 auf, in dem er ausspricht, dass
wenn die Strafbarkeit einer Handlung davon abhängt, ob zur Zeit
ihrer Begehung ein gewisses Bechtsverhältniss bestanden hat, oder
nicht, auch hierbei der Strafrichter nach den für Strafsachen gel-
tenden Vorschrifben^zu bestimmen hat. Im Civilprozess ergangene Ent-
scheidungen sind für die Benrtheilung nur insoweit massgebend,
als durch dieselben das in Frage stehende Bechtsverhältniss schon
vor jenem Zeitpunkte rechtskräftig geregelt worden ist. Nach §<d
soll eine Ausnahme eintreten bei Untersuchungen wegen Entwendung
von Früchten oder anderen Bodenerzeugnissen, Jagdvergehen oder Zo-
widerhandlungen gegen das Gesetz von 1845, Diebstahl in andem
Walderzeugnissen. Hier gestattet das Gesetz, wenn der Einwand ge-
macht wird, dass der Thäter zur Handlung befugt war, das StraiT6^
fahren auszusetzen. Die Motive S. 14 rechtfertigen die Bestimmnog
des §. 8 dadurch, dass nach der im Strafverfahren entscheidenden
Offizialmaxime das Ergebniss dieses Verfahrens unberührt von der Will-
kür der Parteien bleiben muss, was aber nicht der Fall wäre, wenn
der Ausgang des Civilprozesses, in welchem soviel von Versäumnissen)
Geständnissen abhängt, Einfluss haben könnte. Die Motive erklfiren
sich selbst dagegen, dass eine Bestimmung, wie sie der französiBobe
3ode Art. 827 kennt, wegen des Personenstandes, oder wogender
^^fragen in das Gesetzbuch aufgenommen werden soll, weil in
als lg auf die letzteren die Singularität des Falls keine Aufstellang
ühxK Ausnahme rechtfertigte und in Ansehung der Ersten die nn*
"^ Aufnahme einer Ausnahme bedenklich machen würde.
Verbältnlee der Strafanlilage und der Clyflklagei 887
Eine YergleiohTing der bisher mitgetbeilten neueren Gesetz-
gebnngBarbeiten in Bezug auf Behandlung präjudicieller Fragen
und die Beachtung der Erörterungen und Bechtssprüche über Bechts-
kraft; der strafrechtlichen ürtheile auf Civilprozess (Literatur in
Zacharia Handbuch II. 8. 99) zeigt eine so bunte Verschiedenheit
der Ansichten über das Yerhältniss der Straf- und Civilklage,
dass man bald zur üeberzeugung kommt, dass die Wissenschaft
noch nicht dazu gelangt ist, feste, dem Bedürfniss entsprechende
Grundsätze aufzustellen. Man muss zwar anerkennen, dass für die in
neuem Gesetzgebungen, wie in der Bechtsübung herrschende Grund-
richtung auch bei civilrechtlichen als präjudiciell aufgestellten Ein-
reden den Strafrichter entscheiden zu lassen gewichtige Grttnde
sprechen ; allein das üebel liegt, wie so oft bei neuen Gesetzgebungen
in dem yerderblichen generali sirenden Formalismus, mit welchem
man durch eine absolute gesetzliche Bogel, die yerschiedenartigsten
Fälle zusammenwerfend, eine Frage entscheiden will, unbektlmmert
um das vielgestaltete Leben. Wir wollen nur auf einige vorge-
kommene Fälle aufmerksam machen. In einem Falle war gegen
A die Anklage erhoben, dass er aus einer Erbschaft werthyolle
Gegenstände gestohlen habe. A hatte sich auf ein Testament be-
rufen, nach welchem ihm jene Sachen als Vermächtniss zugeschrie-
ben wurden. Die Intestaterben behaupteten, dass das Testament
ungfiltig sei. Die präjudicielle Einrede und das Gesuch über das
Testament yorerst im Ciyilprozesse entscheiden zu lassen, wurde
verworfen. B war wegen Bigamie angeklagt. Er machte die Nich-
tigkeit der ersten in Südamerika geschlossenen Ehe geltend; das
Strafgericht fand sich nicht ermächtigt, die Vorfrage an das Oivil-
gericht zu weisen. 0 war angeklagt der Unterschlagung, brachte aber
die Einrede vor, dass nach den Abrechnungen zwischen ihm und
dem Ankläger die in Frage steheudön Staatspapiere ihm eigenthüm-
lich zustanden. A wurde vom Strafgericht wegen Diebstahls, B
wegen Bigamie und C wegen Unterschlagung yerurtheilt. • Die Br^
fahrung lehrt nun, dass durch das absolute Gebot alle civilrecht-
liche Vorfragen vom Strafgerichte entscheiden zu lassen, mehrfiacbe
Nachtheile herbeigeführt werden, die wir hier nur andeuten
wollen. Es ergibt sich, dass zur gerechten Entscheidung verwickel-
ter schwieriger Vorfragen die Formen des Straf7erfahrens nicht
geeignet sind, und dass, wenn der Bichter doch versucht, die Er^
ledigung civilrechtlicher Fragen in das Strafverfahren hereinzuziehen,
dies letzte häufig in die Länge gezogen wird, die dadurch ent-
stehende Verwicklung durch das Zusammenwerfen fremdartiger Ge-
sichtspunkte nachtheilig auf die Entscheidung wirkt und vorzüg-
lich die Entscheidung der Geschworenen wegen des Hereinziehens
civilrechtlicher Fragen und Merkmale in die Schuldfrage sehr er-
schwert ist. Am schlimmsten aber wirkt die Erscheinung, dass
dann oft, wenn über die civilrechtliohe Vorfrage, die das Strafge-
richt in seine Beurtheilung hereinzieht, und auf eine {{[ewisse Weise
W VarWiplBt te BiraDHikUce i»4 der GMUi^gep
Q^tdcbeid^ qdlter eia CiTÜprozesa aich eibebt und abweickaad toh
der Ansicht des Btrafgeriehts entschieden wird, ein Widerair»!
XQ^ zwei Urtheileo berboigefQhrt wird, weldier der Aobtni^ und
^ßm Ansebea der Justiz nicht günsiig ist. In dem oben aige-
Ätbvten ersten Falle wurde im sp&tem Civilprozesse daa Testaraat
ab gültig erkannt, im zweiten Falle war in Prozessen, welche
wc^en Nichtigkeit der Ehe erhoben wurden, die Ehe als niohtig er*
k«mt> während das Strafurtbeil , da es die Ehe als gültig angth,
den 3 wegen Bigamie verurtheilte ; im dritten Falle war im spStem
Giyilprpzesse, nach sehr schwierigen Verhandlungen, erkannt, dsN
Q Eigenthümer der fraglichen Papiere war. Nach solchen Erfab-
r^ng^ sollten unsere Gesetzgeber anerkennen, dass die ^on ihieB
absolut aufgestellte Regel nur unschädlich gemacht werden kaan,
wenn das Gesetz ausspricht (wie in Sachsen, Hannoyer» Araa, m
italienischen Entwurf^ dass es vom Ermessen des Gerichts abhängt,
ob es präjudiciell angebrachte Einreden an das CiTÜgericht yoieni
yerweisen will.
Alle bisherige Mittheilongen führen dazu, dass eiae tüchtige,
in alle einzelne Streitfragen eingehende Erfahrungen «nd Beehts-
sprücha benutzende wissenschaftliche Arbeit über die Lehre des
Verhältnisses der Strafanklage (action publique) zur CiyiUdage höchst
^ünschenswerth sein würde. Ein solches Werk» dessen Titel obes
angegeben wurde, liegt nun yor uns, und ist der Aufaierksankeit
der Juristen aller Länder würdig. Der Verfasser ist als StaatsftBr
lisli in der Lage, die Eechtsübung genau kennen zu lernen, lad
hat die schwierige Lehre zum Gegenstande seiner Studien in eines
umfang gemacht, wie kein Schriftsteller yor ihm getban hat. Per
wissendchaftlicbe Charakter des Buchs bewährt sich darin^ dass der
Verüeisser überall leitende Grundsätze aufstellt ; die praktische Bicli-
tuj^g zeigt sich in. der Behandlung aller möglichen StpeitliBgeD ia
einein Umlange, wie dies noch kein Schriftsteller getban hat» ihenSi
noit den, einechlfägi^en Rechtssprüchen und mit klarer Erört^rosg
der Gründe für und wider eine Ansicht. Zwar hat. der Yeishssfi
stets nxa^ auf die französische und die belgische Gesetzgebung n>d
Bechtsprechnng Bücksicht genommen; allein dies hindert nieii^
duiss das Werk doch für die Juristen eines j^eden Landes aiaea
greisen Werth hat, weil eben in Frankreich und Belgien « wo die
Gesetzgebung seü Jahrzehnten in Kraft war, eine Masse yonFftU»
yorkam, wie in keimem Lande, und die dadurch yeranlassteu Becbt^
Sprüche der obersten Gerichte ausführliche Entwickelnngen «ith^-
ten. Wir wolleii yorerst, um unsem Lesern den Beichthnm des ia
diesem Werke ap%ehäu£ten Materials zu zeigen, den Lihalt nütr
theilen.
Der erste Band beginnt mit der Erörterung dfi&Verhäliniases
der Straf- und- Ciyilklago, und geht dann dabei yon dem Priazip
dex Unabhängigkeit beider Klagen aus (Titel I), handelt dann Tii U
y^Pr den Ur^^heu;^ durch ^Kelche jede dieser E^gen erlöscht». IM
Verbftltnits der Strafaiüclage und der CiTillclJ^e. SM
Titel m behandelt die wechselseitigen Beziehmigen heider Slafte
daher 1) Ton der gleichzeitigen Verhandlung der beiden, 2) von der
abgeeonderten Verhandlung und zwar : a) Ton der Wahl der GiYilpar^
teicii zur Anstellung einer oder der andern Klage ; b) von der Einrede
der Rechtskraft ; a) vom Einfluss des rechtskräftigen Civilurtheils auf
Strafklage; /}) Einfluss des Strafurtheils auf Civilklage; 7/)Einfiu8S der
Verfügung der chambre du couseil, dass keine Verfolgung fortza*-
setzen sei. 3) Fälle der Suspension der Civilklage durch dieStitif-
klage. Der zweite Theil enthält die Lehre von den prttjudiciellen
Fragen und ihr Verhältniss zu den sogenannten vorläufigen Fragen
(pröalables). 1) Von dem Grundsatz, dass der Strafrichter auch
zuständig ist neben präjudiciellen Einreden zu entscheiden« 2) Von
den Einreden, welche präjudiciell in Bezug auf die Strafverfolgimg sind«
8) Von Einreden, welche es für das Stratothoil sind. A) Zerglie»
demng der einzelnen Einreden der letzten Art. B) Insbesöndete
yon Einreden, welche aus dem Eigenthum beweglicher Sachen ab-
geleitet sind. C) Präjudieielle Fragen, welche durch Auslegung
entweder der Verabredungen über Rechtsgeschäfte der Privatpersonen,
oder durch Auslegung administrativer Akte entstehen. 8) Präjudieielle
Fragen, welche sich auf den status von Personen beziehen. Theil III
(der noch nicht erschienen ist) wird die Lehre von präjudioiellen
Fragen erörtern, die sich auf die Strafverfolgung wegen einzelner
Verbrechen beziehen. Wir wollen nun, um unsem Lesern den
Beichthum des aufgehäuften und trefflich geordneten Materials und
den Charakter der Entwickelungen des Verfassers zu zeigen, bei
einzelnen Ansichten des Verfassers prüfend verweilen. Nachdem
der Verfasser (Theil I. p. 2—20) das Wesen der action publique
und die Frage erörtert hat, welchen Beamten die Strafverfolgung
übertragen ist, erörtert er p. 22 die Frage über die Bedeutung
des Satzes der Unabhängigkeit der Strafklage und daher die Qrin-
zen der Befugnisse des Staatsanwalts. Nach §. 28 folgt aus der
Unabhängigkeit der Staatsbehörde, dass sie der Gensur der €k-
richte nicht unterworfen ist (was der Unterzeichnete im Interesee
der Staatsbehörde wie in dem der Justiz beklagt, weil auf diese
Art der Staatsanwalt in der Sitzung alles mögliche noeh so ver-
letzende zu dem Vertheidiger sagen darf, ohne der Büge des Prä-
sidenten ausgesetzt zu sein). Gut ist die Erörterung p. 40 der
Frage, welche Personen die Civilklage anstellen können, und p^ 40
auf welche Art die Strafverfolgung erlöschen kann, wobei wichtige
Strvitfragen vorkommen, z. B. p. 49 — 60 über Einfluss des Todes
des Angeschuldigten (schwierig z. B. wegen Geldstrafen). Bei der
Frage der Erlöschung der Civilklage zeigt die französische Praxis
eine grosse Streitfrage in Bezug auf den Fall, wo die Strafklage
durch den Tod des Angeschuldigten erloschen ist und die Frage
entsteht, ob doch die Civilklage angestellt werden kann. In Frank-
reich kamen darüber drei Systeme vor, welche p. 62— 70 der Ver-
klär entwickelt, indem er unterscheidet, ob der Tod erüDlgto
•40 VarbiltnisB der 8timf«ikUge und der Ctviftlage
ehe ein üriheil de8 Strafgerichts ergangen war, oder wo je ein Urteil
schon erlassen war. Aach die schwierige Fn^e : wer die Kosten n
tragen hat, wenn die Straf klage erloschen ist, wird gat p. 76—88
erörtert. Höchst bestritten ist das Yerhältniss des gleichseitign
Zusammentreffens der Straf» und Civilklage, insbesondere die Frage,
ob, wenn der durch das Verbrechen Beschädigte Klage erhebt od«r
selbst als Civilpartei sich darstellt, der Staatsanwalt Terpflichtsfc
ist, die Strafv^erfolgung einzuleiten. Der Verfasser widerlegt p. 98
mit Becht die häufig aufgestellte Ansicht, dass der Staaisai-
walt es zu thun schuldig ist. Gewiss ist der Vertreter der Staats-
behörde derjenige, welcher zu prüfen hat, ob das öffanthcbi
Interesse verletzt ist. Sehr klar ist die Durchftihmng der
Frage nach Beschaffenheit der einzelnen strafbaren Handluages
so wie p. 106 die Erörterung der berühmten Frage : ob, wenn d«
Angeklagte nicht gestraft würde, doch gegen ihn die Klage weg«
Entschädigung eingeleitet werden darf, was nur mit vielen UBte^
Scheidungen bejaht werden kann. Schon in der alten Jorispradeaz
stellten die Juristen in Bezug auf das Wahlrecht des Verletsk»
zwischen Civil- und Strafklage den Satz auf: electa una via dod
datur regressus ad alteram. Sehr bestritten ist nun die Frage,
ob dieser Satz noch jetzt Anwendung findet; drei Hauptsystene
sind darüber aufgestellt, die der Verf. p. 154—169 sehr 8cb5i
entwickelt, indem er die Ansicht vertheidigt, dass, wenn der Be-
schädigte sein Wahlrecht ausgeübt und einen Weg ergriffen kat,
er nicht mehr den anderen Weg ergreifen darf, wobei freilich wie-
der verschiedene Bedingungen (die der Verf. gut bis 186 angiM)
aufgestellt werden müssen. Die Hauptfrage ist hier, welchen Su-
fluss das rechtskräftige XTrtheil des Strafgerichts auf das Giyi)g*-
rioht und umgekehrt hat. Im letzten Falle ist am meisten der
Satz anerkannt, dass, wenn über die Schadensklage aus einem Vo-
brechen im Civilgericht entschieden ist, die Strafklage deswegen
nicht angebracht werden kann, was der Verf. nun nach den T«^
schiedenen Folgerungen p. 191-^200 durchfährt. Bei der auch in
Deutschland wie in Frankreich sehr bestrittenen Frage, welche»
Einfiuss die strafgerichtliche Entscheidung auf die Oivilklage hat,
unterscheidet der Verf. vorerst ob im Strafverfahren der BescbX-
digte als Civilpartei auftrat oder nicht. Im ersten Fall wirkt dtf
strafgerichtliche Urtheil auch auf die Civilkläger, jedoch mit einigei
Beschränkungen (p. 204—210), z. B. dass da, wo die Strafklage
beseitigt wurde, nur weil sie verjährt war , der Civilkläger nich*
gehindert ist, die Civilklage zu verfolgen. Die Schwierigkeit be-
ginnt im zweiten Falle, wo der Beschädigte nicht als Civilpartei
auftrat. Zwei Systeme stehen sich schroff entgegen, das z. B. tob
Toullier vertheidigte , nach welchem die Strafklage keinen Einfluß
hat, während das Andere z. B. von Merlin den Satz aufstellt, dass
die von dem Strafgerichte als bewiesen angenommenen Thatsaches
auch in Bezug auf Civilklage als gewiss angesehen werden mfissffB'
VerliUtiiiBS der Strafanklage und der Civfiklage. 841
Die Ghründe beider Systeme sind sehr gut von dem Verf. p. 211
bis 288 entwickelt, wobei er anch von den vermittebiden Systemen,
z. B. von Helie, Zachariä und Trebutien spricht. AUe darauf be-
zfigliche Rechtssprüche sind angeführt und geprüft. Das von dem
Verf. vertheidigte System ist das folgende. 1) Ein vom Strafige-
richt ergangenes den Angeklagten vemrtheilendes Erkenntniss be-
wirkt, dass auch im nachfolgenden Civilprozesse die Thatsachen
als gewiss anzunehmen sind (Nr. 52); hier kommt nun eine sehr
bestrittene Frage in Bezug auf Anklage wegen Bigamie vor, ob
das Strafgericht auch die Nullität der zweiten Ehe aussprechen kann,
was der französische Cassationshof mit gewissen Einschränkungen
bejaht, der Verf. aber p. 241 mit Recht bezweifelt. 2) Wenn der
Angeklagte nur ein ürtheil d'absolution für sich hat, wo daher er von
der Jury schuldig erklärt wurde , aber der Assisenhof freispricht,
weil das Strafgesetz nicht anwendbar ist, so kann der Beschädigte
seine Civiklage verfolgen (Nr. 158). 3) Ist dagegen der Angeklagte
von dem Schwurgericht nicht schuldig erklärt, so kommt es darauf
an, ob aus dem Wahrspruch nach der Art der gestellten Fragen
erhellt, also sich ergibt, dass die Jury aussprechen wollte, dass
die That nicht begangen oder der Angeklagte nicht der Thäter
ist. Hier kann keine Oivilklage angestellt werden, während da, wo
der Wahr^pruch nicht ergibt was eigentlich die Geschworenen ver-
neinen wollten (non coupable), der Beschädigte die Civilklage an-
stellen kann, wenm nur diese Klage anders qualificirt wird, als sie
im Strafgerichte es war, z. B. wenn wegen Anzündung seiner eige-
nen Sache Jemand angeklagt und nicht schuldig erklärt wurde,
wo dann die Assekuranzgesellschaft doch die Civilklage hat, und
sich dabei nur auf die Fahrlässigkeit des Angeklagten stützt p. 253.
Wenn der Verf. gegen die Einwendung, dass vielleicht doch die
Geschworenen das Nichtschuldig aussprechen, weil die That oder
die ürheberschafb nicht hergestellt war, anführt, p. 255 dass man
dann mit der Unvollkommenheit menschlicher Gesetze sich bemhi-
gen muss, und er glaubt, dass dann das Oivilgericht nicht das
Gegentheil von dem Strafurtheil aussprechen wird, so kann man
schwerlich seinen Ansichten beistimmen. 4) Klagen, die sich auf
Thatsachen stützen, welche Gegenstand der Strafverfolgung waren,
können ungeachtet jeder Entscheidung des Strafgerichts angestellt
werden, z. B. Klage auf Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts p. 272.
5) Bei accessorischen, dem Civilrecht angehörigen Fragen, die aus
einer strafgerichtlichen Entscheidung fliessen, bleibt die civilrechtliche
Entscheidung durch die letzte unberührt p. 274. Eine sehr gute Aus-
führung findet sich auch in Bezug auf die Frage : ob bei Anklagen
wegen Bigamie die Frage über Gültigkeit der Ehe als entschieden
durch das Strafurtheil gilt p. 281. Der Verf. nimmt an, dass die
Entscheidung solcher Fragen nicht dem Oivilgericht entzogen wer-
den darf, indem sonst grosse Verlegenheiten herbeigeführt werden
können. 6) Incidentfragen, welche im Laufe der strafgerichtliehen
0fS V«riillteln der StnÜMiUa«« «nd der CtTOklag«.
Verluuidlimg Torkommen und Yom Sirafgeriohte entaehieden werte,
■z. B. bei Gelegenheit der Frage über ZuläBsigkeit der Vernehnnmg
etnes Zengen, können dnrch das Strafgericht nicht definitiT ent-
aehieden werden p. 286 (siehe anch gnt Haus, Gonrs dn droit orin.
Nr. 507—687). Eine scharfsinnige ErOrtemng des Verf. flber^
Wirknng der das non lien aassprechenden Verfügung der Batks-
kammsr findet sich p. 290. Solche Verfügungen sind ohne Bis-
fluss auf die Giyilklage. Bekanntlich kömmt in der franE5siache&
Praxis der Satz vor: le criminel tient le civil en ätat. Die wahn
Bedeutung dieses Satzes ist vielfach bestritten. Eine schöne £^
örterung hat nun darüber der Verf. p. 313 ff. geliefert. DieHanpi^
wirknng ist, dass die Ausübung der Civilklage solange aufgeschoba
bleibt, als nicht detinitiv über die Strafklage entschieden ist, weicke
Tor oder während der Verhandlung der Civilklage eingeleitet wird.
Ueber die Motive dieser Vorschrift sind die Schriftsteller vMä
«ehr uneinig (Nr. 189) Die einflussreichste Bestimmnng, dass d»
Civilklage die Suspension der Strafklage begründen kann, komiBt
vor bei den sogenannten PrKjudicialfragen, die eine Ausnahme bil-
den von dem Grundsatz, dass der Richter der S[lage auch dtf
Richter der Einrede ist. Der Verf. zeigt richtig, dass es in die-
ser Lehre schon darauf ankomme, den Begriff der piftjndieiellMi
Fragen richtig festzustellen und sie von den sogenannten questiois
pr^alables zu trennen. In der ersten Rücksicht billigt der Varf.
p. 836 die von Helle aufgestellte Definition , nach welcher piüjv-
dicielle Einrede diejenige ist, welche die Strafverfolgung oder die
Aburtheilung einer strafbaren Handlung aufschiebt bis zu Tor-
gffngiger Herstellung einer Thatsache, deren rechtliche Wfirdigong
eine wesentliche Bedingung der Strafverfolgung oder des ürtheils ist.
In der zweiten oben angegebenen Beziehung ist es wichtig, die prk-
judicielle Einrede zu trennen von der vorläufigen (prtolabH
WBlche die Hauptsache nicht betreffen, vielmehr nur die Strafiev-
folgung gänzlich oder vorübergehend beseitigen will. Einreden
der letzten Art sind entweder dilatorisch oder peremtorisek. 2^
den Ersten gehOrt z. B. die Einrede, dass es zur Strafverfolgung
der vorgängigen Autorisation der obem Behörde bedarf z. B. i&
Frankreich bei Klagen gegen Staatsbeamte. Zu den peremtorischen
gehören die Einrede der Rechtskraffc, die Amnestie, die Verjähnmg*
Die Wirkung der vorläufigen Einrede ist, dass das Strafgerioht
(nicht die Jury) über diese Einrede zu entscheiden hat. Nr. 309.
814. In Bezug auf die präjudiciellen Einreden sind einige tos
der Art, dass für ihre Entscheidung das Strafgericht zuständig
ist, indem die Einrede eine civilrechtliche Frage betrifft, bei wel-
cher die Existenz eines Verbrechens zweifelhaft ist, wogegen bei
andern das Strafgericht nicht zuständig ist, wobei man wieder
«nterscheiden muss, solche, welche die Strafverfolgung hindetBi
z» B. wegen Unterdrückung des status , wogegen andere auf das
Urthdil wirken, in so ferne das Strafgericht solange nickt ss^
VerUliniflS der BtrafinltlAge und der Chrflklftge H^
scheiden kann, als die Vorfrage nicht erledigt ist. Mit grosser
Klarheit entwickelt nun der Verf. p. 851 die Bedingungen, unter
welchen eine wahre prSjudicielle Einrede angenommen werden darf,
und rechtfertigt die Ansicht, dass der Strafrichter auch über eine Frage
des CiTilrechts selbst entscheiden darf, wenn der acte civil mit
dem Verbrechen innerlich zusammenhängt. Der Verf. p. 872 wendet
diesen Batz vorzüglich auf die Fälle an, wo die Anschuldigung auf
Unterdrückung oder Zerstörung einer Urkunde gerichtet und dae
Dasein dieser Urkunde bestritten wird; die Befugniss des Straf-
richters selbst zu entscheiden wird auch gerechtfertigt in den Fällen
der Anklage wegen gewohnheitsmässigen Wuchers p. 885, bei bo-
trttglichem Bankerott p. 386, bei Anklagen wegen Unterschlagung
anvertrauter Sachen, wenn die Verwahrung in Abrede gestellt ist
p. 390, wo die berühmte Streitfrage vorkommt, ob der Vertrag,
dessen Gegenstand 150 Franken übersteigt, durch Zeugen bewiesen
werden darf, oder die civilrechtliche Vorschrift über Zeugenbeweis
anzuwenden ist. Das letzte nimmt der Verf. an p. 892. In Deutsch-
land, in Ländern, wo der französische Code gilt, z. B. in den Khein-*
Provinzen, oder wo die Gesetzgebung auf den Code civil gebaut
ist, z. B. in Baden ist die vorwaltende Ansicht (badische Straf-*
Prozessordnung von 1864 Art. 5), dass Zeugenbeweis zulässig ist.
Ein ähnlicher Streit über Anwendung des Zeugenbeweises kommt
auch vor bei Anklage wegen falschen Eides in Civilsaeben, wenn
der Akt, der dem Meineid zum Grunde liegt, geläugnet ist und die
Summe über 150 Franken beträgt p. 416—440.
Eine tief eingehende Untersuchung widmet der Verf. Theil 11.
p. 10—84 der bedeutendsten Frage in dieser Lehre, nämlich der
prl^'udiciellen Natur der Einrede bei Klagen wegen Unterdrückung
des Status eines Kindes, wo der code civil Art. 326. 327 vor-
schreibt, dass die Verhandlung der Anklage solange suspendirt
werden soll, bis vor dem Civilgericht über den status entschieden
ist. Beachtenswerth ist hier schon die geschichtliche Nach Weisung,
wie diese Ansieht, und aus welchen Motiven in die französische
Gesetzgebung kam p. 11—24. Bekanntlich ist in Frankreich ^her
den Umfang, in welchem die Vorschrift angewendet werden soll und
über die Wirkungen grosser Streit unter den Juristen und zwar
schon über die Frage, in welcher Lage des Streits die Eiurede vor»
g.ebraeht werden kann, Nr. 275—277, ob der Assisenhof, wenn
die Einrede erhoben ist, die Angeklagten provisorisch in Freiheit
setzen boU, Nr. 278. Wichtige Vorschläge für die Gesetzgebung
macht der Verf. p. 42. Die Vorschrift von Art. 327 kann nuff
unter zwei Bedingungen angewendet werden: 1) nur wenn die Ein'*
rede die Kindschaft (Filiation) betrifft, 2) wenn dieser status be«
stritten ist oder die Strafverfolgung einen unmittelbaren Einfluss
auf den status des Kindes hat, Nr. 283. Aus dem ersten Satse
folgt, dass. der Art. 327 nicht zur Anwendung kommt , wenn
bestrittene Frage den status der Ehegatten betrifft, Nr,2S9v
844 VeriiUtnUs der StrAfuiklage und der CtvOkUge.
die Anklage nicht solche Handlungen betrifil , in denen nicht du
eigentliche Verbrechen der Unterdrücknng des statns eines Kin-
des liegt, also nicht, wenn die Anklage eigentlich auf ein
anderes Verbrechen gerichtet ist, z. B. Aussetzung des Kindea,
oder Vernichtung des Civilstandsregisters, Nr. 288. 302. 806. 810
311. Der zweite oben bemerkte Satz wird bedeatend in F&llen
der Entfllhrong oder Verheimlichung eines Kindes, Nr. 301. Ein
anderes Verbrechen, bei welchem die Frage, ob die präjudicielk
Einrede an das Civilgericht zu verweisen ist, kommt vor bei An-
klagen wegen strafbaren Bankerotts. In Frankreich sind die Mei-
nungen der Juristen sehr getheilt, Nr. 313—323. Der Verfasser,
welcher sich für die Annahme der prftjudiciellea Natur der Ein-
rede ausspricht, also dafttr sich erklärt, dass vorerst das Dasein
der Insolvenz durch das Civilgericht hergestellt sein muss, ent-
wickelt sehr klar die Gründe für jede Ansicht. Der Verf. gebt
dann über auf die pr&judiciellen Einreden, die es nur in Bezog
auf das ürtheil nicht auf die Strafverfolgung sind, wo insbesonden
die Erörterung der allgemeinen leitenden Grundsätze und des Ganges
der französischen Gesetzgebung, Nr. 324— 331, sehr gut ist. Zuerst
kommen hier die Fälle in Frage, wo die Einrede aus dem Eigen-
thumsreohte abgeleitet ist und zwar 1) in Bezug auf das Eigen-
thum an Liegenschaften, 2) in Ansehung des Besitzrechts an den-
selben, 3) bei Fragen über dingliche Rechte an Immobilien, 4) Eigen-
thum oder Besitz von beweglichen Sachen. Eine Masse von Streit-
fragen erhebt sich in der Praxis bei jedem dieser Punkte ; sie sind
von dem Verf. p. 169—340 in einer Ausführlichkeit, die nichts
zu wünschen übrig lässt, und mit den Unterscheidungen, ohne
welche die Frage über die Behandlung dieser Einreden nicht rich-
tig entschieden werden kann, von dem Verf. erörtert. Eine der
bedeutendsten Entwicklungen ist die p. 340 über die Frage: in
wie ferne präjudicielle Einreden bei dem Streite über Auslegung
von Vertilgen p. 341 von Akten der Verwaltung p. 346, der Akte
der vollziehenden Gewalt p. 378, insbesondere auch der diplomsp
tischen Verträge entstehen können. Hier bemerkt man die Wich-
tigkeit des Einflusses politischer Zustände eines Staates. Während
in Prankreich nach dem Streben die Macht der mehr von dem Willen
des Ministeriums abhängigen Verwaltungsstellen zu erweitem die Qe-
richte unzuständig erklärt sind, Akte der Verwaltung zu interpretiren,
erkennt man in Belgien bei freien politischen Zuständen die grössere
Unabhängigkeit der Gerichte und daher ihr Auslegungsrecht an,
Nr. 433. 435. TreflFliche Entwicklungen liefert hier der Verfesser
ebenso auch p. 385 über die schwierige ausführlich erörterte Frage
der Auslieferung. Interessant ist hier p. 395 die Erörterung der
Streitfrage über das Verhältniss der Verwaltungsstellen und der Ge-
richte. Der Verf. beschränkt dieselbe mehr, wogegen Haus Nr. 496
wie wir glauben mit Recht an dem Prinzip der Unabhängigkeit
der Gerichte festhält. Den Schluss des zweiten Theils macht die
WeimAHselie Beitrftge für LlterAtnr und Kunst U$
üniersaohung über präjadicielle Einreden in Bezog auf den staius
der Peraonen und hier wird zuerst von dem status der Ehegatten
gehandelt, wo vorzüglich die bestrittene Frage zur Sprache kommt»
in wie ferne bei Anklage wegen Bigamie die Einrede der UngUl*
tigkeit einer der Ehen erhoben wird. Bekanntlich sind in Frankreich
(ähnlich wie in anderen Staaten) die Meinungen der Juristen sehr
verschieden, man kann drei Systeme unterscheiden: 1) Dasjenigat
welches in allen Fällen die Strafgerichte für zuständig erklärt über
die Einrede zu erkennen. 2) Dasjenige, welches die Frage mit
Unterscheidungen beantwortet und zwar ob die Gültigkeit der ersten
oder zweiten Ehe bestritten wird. 3) DasSjstem« welches fordert»
dass da, wo die Gültigkeit einer Ehe (erster oder zweiter) ange-
griffen wird, das Strafgericht darüber nicht entscheide, jedoch da
zu entscheiden hat, wo die Existenz eines Ehevertrags und seiner
Unterdrückung oder Zerstörung in Frage steht. Der Verf., welcher
sich, wie wir glauben, mitBecht für das dritte System aussprichti
entwickelt so klar und vollständig wie kein anderes neueres Werk
es gethan hat, die Gründe fUr und wider jedes System. Gewiss
ist, dass das dritte System das consequenteste ist, indem hier der mög-
liche Nachtheil des ersten Systems vormieden wird, dass über oft sehr
schwierige civilrechtliche Punkte oberflächliche Verhandlungen vor*
kommen und die Geschworenen irregeleitet und später widerspre-
chende Urtheile veranlasst werden, während nach dem zweiten
System die Entscheidung von willkürlichen Unterscheidungen ab-
hängig gemacht wird. Die Ausführlichkeit unserer bisherigen Mit-
theilungen wird gerechtfertigt durch die Wichtigkeit der bisher in
der Wissenschaft nicht genug gewürdigten Lehre, durch den Wunsohi
den Beichthum des in dem Werke aufgehäuften Materials zu zeigen
imd die mit der Behandlung der Lehre in Gesetzgebung oder
Bechtsübung Beschäftigten auf die bedeutenden Erörterungen in dem
Werke aufmerksam zu machen. Mittermaier.
Weimarische Beüräge aur Literatur und Kunst von K. Brügir,
Fr, Dingelstedt u, 8. w. zur Feier der fünf und swanzig^
jährigen Wirksamkeit der Kranken-, Peneiona-- und Wittwen"
kasee für die Buchdruekergehülfen au Weimar am 24. Juni
1864. Zum Besten dieser Anstalt. Weimar, In dmimiation
bei Hermann Böhlau 1866. II und 210 8.
»Weimarische Beiträge«, zumal wenn sie so rühmlich bekannte
Namen wie die der Mehrzahl der Verfasser an der Stime tragen,
müssen ein günstiges Vorurtheil erwecken. Der Name » Weimar c
hat für ein deutsches Ohr einen gewissen Zauberklang, welcher
die einzige Saite des Nationalstolzes, die fOr uns zur Zeit noch
tönt, jederzeit weckt. Wer spricht das Wort »Weimar« aus, ohne
dabei unwillkürlich wenigstens an Göthe und Schiller zu de»
lea« jA
•a Walautfteolit Beltrige fftr literaiiir und Kwad.
keiB? E«m Wunder also auch, vielmehr ganx natfirlidi, daat
diese » Beitrüge € mit einem Aufsatz über Göthe, nSmüch über
aein »Yerhftltniss zum Theater« beginnen. Daes der Y«^
fiwser desselben, A. Scholl, in seiner, wie alle flbrigen^ des b»*
•ohrttnkten Baumes wegen freilich nnr sehr kurzen Mitthsüog
(8. 1*— 22) Neues und Anziehendes muss zu sagen wissen, wird
Jeder voraussetzen und sich nicht getäuscht finden. -~ »Dsrid
Strauss zum erstenmal in Weimar« von J. Marsbai (8.23
•^82) schildert eine Zusammenkunft des Verfassers mit dem be-
vfthmten Theologen. Herr Marshai schreibt das Deutsche mii
grosser Gewandtheit, wenn auch Einzelnes z. B< S. 82 »Ab-
sehrift von Yersen« für »copy of verses« an den Bb^
Ulnder erinnert. — »Göthe und die freie Zeichnenschule [wirm
nicht »Zeichenschule«?] in Weimar von G. T. Stichliig
(S.88— &0) erzählt die Geschichte der ersten Periode dieser 8<A«k
md zeigt »wie Göthe*8 schöpferischer Geist auch da, wo er äi
Gebiet des praktischen Lebens berührte, seiner Zeit weit von»
•Ueod , mit Adlerblicken in die Zukunft schaute .... aber sock
zngleieh den grossen Mann, dessen Gedanken die Welt umfEUstei,
wie er, weit entfernt von jener falsch verstandenen geistigen Y«^
nehmheit, es nicht verschmähte, auch den kleinsten Gegenständ«!,
die sein Amt ihm vorfahrte, die eingehendste und gewissenbaiM«
Vttrserge tu widmen.« — »Drei Fest spräche« von Fraai
Dwgelstedt (S. 51—60) sind bei Gelegenheit der deutsdien Too-
kOastler- Versammlung (4. bis 8. August 1861), zum MasksiM
(11. März 1868) und zu Shakspeare Jubelfeier im Hoftheater (2S.
AiHril 1864) gedichtet worden. — »Ein Jenaer BathswackV
meister und Poet« von Dr. Brüger (8. 61—86) zeigt, and
durch mitgetheilte Proben, die nicht geringe Begabung des wasmt'
halb Jena*s wenig bekannten Dichters Wilhelm Treunert (geb. 1717
gest. 1860). — Von den »Sonetten« von A. von Maltita (8. 8?
— 102) kann Ref. nicht umhin folgendes hier mitzutheilen, das üui
ganz besonders angesprochen und überschrieben ist:
»Eine Gasse«.
Sobliesst eure Reihen, Ritter, nicbt zu strenge.
Wie einst gethan bei Sempach Habsburgs Heer;
Von Lanzen starrend und gewitterschwer,
So zieht einher das eiserne Gedränge.
Doch Winkelried tritt aus der Seinen Menge,
Entwaffnet, nicbt der Waffen braucht er mehr;
Umarmend niederdrückt die Lanzen er:
»Ich bahn euch einen Weg durch diese Enge.«
Und durch die Gasse die er aufgeschlossen,
Verderbend dringen ein die Eidgenossen.
So lernt aus eurer Väter Missgeschicken:
In eure Reihen dringt der Geist der Zeit,
Drückt eure Lanzen nieder vor dem Streit,
Und wird in eurem Harnisch euch ersticken.«
Fiselier: Clavis der8ffio«l«. S4t
Eine »deutsche Frauc (8. 103—116) ist eine httbsche
Novelle von Hans Röster. — »Ohronioa von den sechs Wolf-
gangen. Eine aristophanische Bhapsodiec von Karl
Eitner (S. 11 7*- 135) ist der einleitende Theil eines Ganzen, wel»
ohes nnter dem »Zoilomastik d.i. Zelotengeissel« zum Zweck hat,
die an nnsem grossen und schätaenswerthen Geistern auf unwür«
digste Weise verübten Unbilden eines literarischen Zeloten, bald
in strengerer Kritik, bald in mehr scherzhafter oder ironischer
Darstellung za rügen c und preist poetisch den heiligen Wolfgang
(& Leg. Aur. ed. Graesse c. 211 p. 912), femer Wolfgang, Fürst
zu Anhalt (geb. 1502 gest. 1566), Wolfgang Christoph Dessier
(geistlicher Liederdichter geb. 1660 gest. 1722), endlich Mozart
undGOthe. — »Das Schattenspiel »»Minervens Geburtftc
von A. SchöU (8« 137—144) theilt einlneditum mit, welches isa
den Urkunden aus dem Hofpoetenleben Göthe^s gehört« c ^ Der
Aufsatz »Zur Erinnerung an Carl Benedict Hase« vom
Hermann Sassow (S. 145—154) enthält einen kurzen Lebensabrias
des berühmten Hellenisten. — »Aus »»Elisabeth von Thtt-
ringen.«« Geschichtliche Novelle in Versen« von Lud«
wig Stiebritz (S. 155—180). Ein Bruchstück. — »Ueber die
europäischen Volksmärchen« (S. 181— 203); ein vor einen
grösseren Publikum gehaltener Vortrag, der zwar nur im AUge«
meinen auf die wissenschaftliche Bedeutung der Märchen aufmerk«
ahm machen wollte, gleichwohl aber wie alles was aus der Feder
dieses in der erzählenden Literatur so weitbewanderten Gelehrten
kommt, mannigfache Belehrung bietet. — »Der Gränzlauf«
von Karl Eitner (S. 203—210) ; poetische Behandlung einer Schweiz
zersäge (s. Grimm, Deutsche Sagen No. 287). Aus Vorstehendem
erhellt hinlänglich, ohne dass es nötbig sei, auf jeden einzelneB
»Beitrag« näher einzugehen, wie inhaltsreich der vorliegende Band
ist und dass er, abgesehen von dem wohlthätigen Zwecke, atuch
vielfadi litterarisch Interessantes bietet. Nur darüber wundert 8i<^h
Bef., dass Göthe darin dreimal, Schiller aber auch nicht
mal bedacht ist; und warum?
Lüttich. Felix Liebrecht
CUmi der SiUcate, Diehotomisehe Tabeüen zum B€$Umiaun alhr
kieselsauren VerbindungeH im Mineralreiehe, Auf ^emiseker
Grundlage ausgearbeitet von Dr. Leop, Heinrich Fiseher,
ordenU, Professor der Mineralogie und Geologie an der Unir
vereiiät Freiburg, Leipzig. Verlag von Wilhelm Engdmann. &
miU. 8. US.
Mehrfach ist schon der Versuch gemacht worden für die Mi*
neralien BestimmungS'Tabellen zu entwerfen. Der dabei
S48 Fieeber: ClAvia der BflittM.
haliene Standpunkt war aber ein verschiedener. Bald dienten mor-
phologiscbe, bald phjBikaliscbe Merkmale biebei snr Orondlag«,
Erst darcb Fr. y. Eobells »Tafeln zur Bestimmung der IGnen-
lien mittelst einfacher chemischer Versuche« ist ein anderer, aber
der sichere Weg eingeschlagen worden; das chemische Verhaltes
ist für die Aufsuchung in den Vordergrund gestellt. Besser ab
eine weitere Lobrede ftlr die grosse Brauchbarkeit, den wisaea-
schaftliohen und praktischen Werth von Fr. y. Kobell's Tafeia
dient der Beweis, dass solche bereits 8 Auflagen erlebten und ,in
yier fremde Sprachen übersetzt wurden. Aber gerade die Anlage
und ganze Tendenz der y. KobelTschen Tafeln erforderte, da»
das ganze Material auf einem Baum yon wenigen Druckbogen n-
sammengeüasst wurde. Es mussten namentlich die Silicate nur eiu
kürzere Behandlung erfahren, die selteneren konnten gar nicht ad-
geführt werden« Nun bietet aber die Bestimmung der kiesekaaia
Verbindungen oft ganz besondere Schwierigkeiten und Fischer
hat sich desshalb die missliche Aufgabe gestellt: die Silicate ge*
sondert und ganz selbständig in Bestimmungs-Tabellen durcha-
arbeiten. Er ging dabei yon der richtigen üeberzeugung aus, dass
es für yiele Mineralogen sehr erwünscht sein dürfte, ein Ifinenl,
das sie durch eine Probe auf trockenem oder nassem Wege als
ein Silicat überhaupt erkannt, so genau und rasch als m5glidi
unter den yielen jetzt bekannten Arten entweder unterzubringea
oder andererseits zu ermitteln, ob die Substanz etwa neu sei und
welches deren nächste chemische Verwandte wären.
Diese schwierige Aufgabe hat nun Fischer mit Glück ge-
löst; seine fleissige und gründliche Arbeit yerdient daher die Aa-
erkennung und den Dank der Mineralogen* Bei einer Vergleichong
seiner Schrift mit den Tafeln yon y. Eobell erkennt man bald,
dass Fischer die Schmelzbarkeit und das Verhalten gegen Sänrei
in gleicher Weise wie dort yerwendet, bei der Ermittelung der
Species hingegen die chemische, meist mit wenig Material ausfUu^
bare Untersuchung auf trocknem und nassem Wege consequent viel
weiter ins Detail ausgeführt, dabei aber auch die morphologischen
und physikalischen Merkmale zu Hülfe genommen hat.
Im Verlaufe seiner mehrjährigen Studien über diesen (Jeges-
stand sah sich Fischer yeranlasst über 50' Mineral-Species ge-
nauer zu untersuchen, weil bei solchen in allen ihm zu Gebot
siehenden Handbüchern das Verhalten yor dem Löthrohr und geges
Bftnren gar nicht oder nur sehr unyollständig oder sogar zuweilen
unrichtig angegeben war.
Möge dem Wunsch des Verfassers, dass seine Arbeit zunächst
den angehenden Forschern die Orientirung im grossen Gebiete der
Silicate einigermassen erleichtere durch deren weite Verbreitong
und fleissigen Gebrauch entsprochen werden.
G. Leonhard.
Kr. S4. HEIDElBEfiGEB 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Dr, Karl von Spruner' s historisch-geographischer Hand-AUcu.
Erste Aölheilung Atlas antiqiais*
Mit dem weiteren Titel:
Karoli Spruneri Optis tertio edidit Theodorus Menke. Qothae. Sum-
tU>u8 Justi Perthes. MDCCCLXV. in gr. Fol.
Dieser Atlas der alten Welt, wie er hier in einer bedeutend
erweiterten nnd vielfach verbesserten Gestalt zum drittenmal
erscheint, dürfte wohl unter den ähnlichen Werken, wie sie mehr-
fach in neuerer Zeit erschienen sind, die erste Stelle einnehmen,
ebensowohl was den umfang und die Beichhaltigkeit des Ganzen
wie die Genauigkeit und Sorgfalt des Einzelnen betrifft. Wenn
wir erwägen, was gerade im Einzelnen auf diesem Gebiete in der
neuesten Zeit geleistet worden ist, durch Beisen, in die Haupt-
länder der alten Welt, die sich jetzt mehr den Zutritt erschliessen,
imternommen, durch richtige Erklärung der alten Schriftsteller,
durch neue Funde von Inschriften und andern alten Denkmalen,
die uns über die oft zweifelhafte und darum bestrittene Frage so
mancher, selbst bedeutenden Städte und Völker der alten Welt
einen sichern Aufschluss gebracht haben, so tritt hier vor Allem
die Aufgabe heran, für einen Atlas der alten Welt alle diese, oft
durch langwierige Forschungen und Untersuchungen gewonnenen Be-
sultate zu verwerthen und zu benutzen, aber auch hier mit aller
nöthigen Vorsicht zu verfahren, und nur von dem Gebrauch zu
machen, was sich als anerkannt sicher herausstellt und bewährt
hat. Wir freuen uns, dieser Aufgabe in dem vorliegenden Werke
auf eine Weise genügt zu sehen, die unsere volle Anerkennung er-
fordert. Es wird dabei wohl kaum nöthig sein, an die grossen
Schwierigkeiten zu erinnern, mit welchen die Ausführung eines
solchen Unternehmens, verknüpft ist , welche Ausdauer erforderlich
ist, auf Alles, was zerstreut hier und dort im Einzelnen geleistet
worden ist, ein achtsames Auge zu werfen, dann aber auch mit
kritischem Blicke dasselbe zu prüfen und das zu ermitteln j wai
wirklich zu verwerthen ist, da auch auf diesem Gebieto €!s an man-
chen Produkten einer kühnen Phantasie nicht fehlt. Man wird
aber bald finden, wie in dem vorliegenden Atlas auch daa Neuesta
der Art nicht unberücksichtigt geblieben ist.
Wenn der neue Herausgeber in dieser Hinsicht S. 2 des Vor-
worts bemerkt: »Das bedeutende Material für alte Goograpkia, am
seit D'Anville, Mannert, Ukert und Forbiger durch Borgfdltige kri»
LVm. Jahrg. 11. Heft 54
8fiO Bprnnev-Menke: Atbi der «Itea Welt
tische Benatzung der biblischen and klassischen Schriftsteller, so
wie der griechischen und römischen Inschriften^ dnroh die Anf-
Bchliessnng des ttgyptisehen, indischen, zendischen und persiseken
Alterthoms, durch Reisen und Aufgrabungen sich angesammelt hat,
ist nach Kräften benutzt. Auch die in Zeitschriften und Mono-
graphien zerstreuten Aufsätze über alte Geographie und Statistik
Sind gesammelt und zuBathe gezogen« u. s. w. so wird man diese
Erklärung thatsächlich bestätigt finden, wenn mau einen Blick in
die einzelnen Tafeln wirft und einer sargftltigen Vergleichong die-
selben unterzieht; man wird aber auch> und gewiss zum Yortkeil
des Ganzen, wahrnehmen, dass manche der kühnen und willkfl>
liehen Ansätze des Bcichard*schen Atlas, welche in den yoraiisg»-
gangenen Auflagen noch hie und dort beibehalten waren, beseitigt
sind, und der Herausgeber von einem solchen Verfahren sich mög-
lichst fem zu halten bemüht war. So erscheint die neue Ausgabe,
sowohl was Anlage wie Behandlung betrifft, in Vielem fast wie ein
neues Werk. Es wird diess aus dem Bericht, den wir hier folgen
lassen, noch deutlicher herrorgehen.
Was zuvörderst den Umfang der Ganzen betrifft, so habeo
wir nur anzuführen, dass von den ein und dreissig Karten,
welche den Bestand dieser dritten Auflage bilden, nicht weniger
als achtzehn neu, die übrigen dreizehn aber nach den £^
gebnissen der neuesten Forschungen mehrfach berichtigt und Te^
bessert sind, während die Gesammtzahl der am Bande dieser 31
Karten angebrachten Kebenkärtchen und Pläne bis auf hundert
und acht und zwanzig gestiegen ist. Jene 31 Karten aber
lassen sich in zwei Abtheilungen ordnen, wovon die eine, die erstes
«sechzehn Karten befassend, einen üeberblick über die gesammte
alte Geschichte nach Perioden gibt, die andere, mit fünfzehn Tafeln
in Specialkarten die alte Welt zur Zeit des römischen Beiche8da^
stellt.
Durchgehen wir nun etwas näher die einzelnen Tafeln anter
Benutzung der vom Herausgeber dazu gelieferten Erläuterungen, in
welchen er zugleich die von ihm bei seiner Arbeit benatzteD
Quellen gewissenhaft verzeichnet hat, so bringt die erste Karte
ausser einer allgemeinen Karte der den Griechen und Römern snr
Zeit des Ptolemäus bekannten Welt, noch besondere Tafeln, welcb«
die alte Welt nach Homerischer, Herodoteischer, Strabonischer ont).
Ptolemäischer Vorstellung enthalten, und fügt dazu noch oben am
Bande die Darstellung der Peutinger' sehen TafeL Die^^LIVlHiTlBfel
enthält eine Darstellung der Welt zur Zeit der Assyrischoo^^
herrschaft, mit einer Nebenkarte von Aegjpten, woran sich y^
kleinere Tafeln, welche die Pyramidengruppe, Theben mit p«*
Umgebungen und einen Plan von Ninus so wie selbst eine beson-
dere Darstellung der Welt nach den Vorstellungen der HebrSef
enthalten. Wie auch hier die neuesten Forschungen benutzt sind,
ergibt sich schon aus deren Aufiührung in der Erläuterungen : und
j
8pruner*Menke: Atkt der alteii Welt. 861
wenn hier z. B. bei Aegypten die ans den heimisdieii QneUen, alao
aus den Hieroglyphen hervorgegangenen Ortsnamen weniger berück-
siebtigt worden sind, so wird man daraus, bei der hier noch sohwe«
benden Unsicherheit, dem Heransgeber keinen Vorwurf machen
können. Er hat aus gleichem Qrunde das Gleiche auch bei dem
beobachtet, was aus Persischen Quellen, oder aus Keilschriften i|i
neuester Zeit hervorgezogen worden ist. Hier ist gewiss alle Vor-
sicht am Platze, und manche Vorarbeiten sind noch n&thig, bis
wir dahin kommen, einen völlig gesicherten Gebrauch von diesen
Entdeckungen zu machen.
Die dritte Karte ist der Geographie des heiligen Landes ge<*
widmet; sie enthält eine genaue Karte des Landes Kanaan, woran
sich eine grössere Nebenkarte anschliesst, welche dieses Land in
Verbindung mit den östlichen Nachbarländern, Babylonien und
Assyrien enthält, und dazu kommen noch die Pläne der Stadt Jeru-
salem und ihrer Umgebungen, so wie des Berges Sinai. Dass auch
hierauf die neuesten Forschungen, die so manche Aufklärung über
einzelne Theile gebracht haben, stets Bttcksicht genommen ist, b^
darf wohl kaum einer besonderen Erwähnung : über einige bestrittene
Punkte hat sich der Herausgeber in den Erläuterungen erklärt oder
vielmehr gerechtfertigt : man wird daraus ersehen, dasa sein Augen-
merk auf alle neueren Forschungen gerichtet war und hier kaum
Etwas übersehen worden ist. Die vierte Karte führt die Persische
Weltmonarchie vor, mit einer Beihe von Nebenkärtchen, welche die
Pläne und Umgebungen von Persepolis, Pasargadä, Babylon, Susa,
Sardes, das Nildelta enthalten und selbst in einem kleinen freig»-
bliebenen Baum noch die Insel Samos einschalten. Dass es auch
hier an mancherlei Schwierigkeiten nicht fehlt , weiss Jeder , der
sich einigermassen mit dem Gegenstande beschäftigt hat ; man denke
nur an die Schwierigkeit, die verschiedenen einzelnen, von Hero^
dotus in dem Verzeichniss der Satrapien genannten und in Eine
Satrapio zusammengestellten Völkerschaften mit den Volks- und
liändemamen in Uebereinstimmung zubringen, welche in den Keil-
schriften des Darius zu Nakschi Bustan und Bisutun vorkommen,
und hiernach jedem einzelnen Volk seine richtige Stelle auf der
Karte anzuweisen. Der Herausgeber hat sich diesen Schwierig-
keiten nicht entziehen können, und eine Lösung versucht, die in
den vorgesetzten Erläuterungen ihre nähere Begründung findet :
auf der Karte selbst sind mit besonderer Schrift die Namen der
Keilschriften den gewöhnlichen, durch die Griechen üborliefeiten
'- beigesetzt, eine dankenswerthe, noch auf keiner ähnUchen Karte
)U vorgekommene Einrichtung.
^^\ Die nächsten drei Blätter (V. VI. VIL) haben Griöchenlana
i ^'^ zum Gegenstände, und zwar das Griechenland im harolschen Zeit^
alter wie zur Zeit der dorischen Wanderung, dann der darauf fol«
genden historischen Zeit, und der Zeit nach dem Poraischen Krio^
gen. Zahlreiche Nebenkärtehen füllen den Band oder üb
S6a Spruner-Menke: AUm d«r alten Welt
den frei gebliebenen Raum eines jeden Blattes ein, so auf dem eni-
genannten Blatte, das auch Eleinasien nnd Phönicien enthält, die
Pl&ne von Ithaka, von Theben, von Troja, und zwar den letzteren
auf dreifache Weise, nach Strabo nnd Lechevalier, sowie nach der
eigenen Ansicht des Herausgebers, welcher, um diese hier gleicb
zu bemerken, in den Erläuternngen sich gegen die von der Mehr-
zahl neuerer Gelehrten ausgesprochene Ansicht, welche das alte
nium bei der Höhe von Bunarbaschi sucht, und schon yon Leche-
valier im vorigen Jahrhundert aufgestellt worden war, erkl&rthat,
indem er sie als unmöglich vereinbar mit den bestimmten Angahen
der Homerischen Dichtungen selbst darzustellen sucht; ihm e^
scheint das spätere Neu-Ilium als der Ort, wo auch die Statte
des Homerischen üiums zu suchen sei. Wir können hier uatürlieli
in diese schwierige Oontroverse uns nicht weiter überlassen , fiber
welche selbst die beiden neuesten Forscher dieses Punktes, der Eng-
länder Haclaren in seiner 1863 zu London erschienenen Beschrei-
bung der Ebene von Troja , und der Deutsche J. G. von Hahn n
einer kleinen in diesem Jahre erschienenen Schrift über die Ans-
grabungen des Homerischen Pergamos, auseinandergehen ond dk
beiden entgegengesetzten Ansichten repräsentiren , indem der eng-
lische Gelehrte für Neu-Ilium, der Deutsche fUr die oben ange-
führte in Deutschland, und zwar in der letzten Zeit am meisten
verbreitete seine Stimme erhebt. Es wird also die Controverse
nicht für abgeschlossen gelten können und neuere, weitere ünte^
suchungen, an Ort und Stelle geführt, werden noch nöthig sein,
um eine völlig gesicherte Entscheidung herbeizuführen. Auf den
beiden andern Blättern sind gleichfalls zahlreiche Nebenkftrtchen
angebracht, welche Pläne von den in der Griechischen Geschichte
durch die dort gekämpften Schlachten so wichtigen Orten enthal-
ten, wie Marathon (das in die Nähe des heutigen Yrana verlegt
wird, ungeachtet ßangabe*s Widerspruch) Platää, Mantinea, Leactn,
die Therm opylen, dann Athen, die Stadt, die Acropolis, die Hafen-
städte mit Salamis, (was zugleich für die Sohlacht von Salamii
dient), Delphi.
Auf dem achten Blatte folgt das Reich Alexanders des Grossen,
an welches auf dem neunten sich anreiht die Darstellung der ans
der Monarchie Alexanders hervorgegangenen Reiche, wie eine solche
zur Geschichte der sogenaimten Diadoohen als Hülfsmittel unent-
behrlich ißt: Orbis terrarum post proelium Corupediense 282—220
a. Ohr«, d« h. nach dem Siege des Seleucus über Ljsimaohus bei
Koros oder Eorospedion (welchen Ort wir übrigens vergeblich auf
der Karte selbst gesucht haben, wie er denn auch in unsemReai-
Wörterbüchern fehlt, aber gewiss eher in die Nähe des Hellespontes ala
nördlich von den cilicisohen Pässen zu verlegen ist) 281 a. Chr.
und der dadurch hervorgerufenen Neugestaltung. Ali den Neben-
kärtchen sind auch die Reiche der vorhergehenden Diadochen bis 282
a. Ohr. dargestellt, dann Pläne von Rhodus, Sparta-Sellasia, SeleaciSi
Bprnner-Menlce: Atlas der alten Welt 853
Antiochia, Cypern und Susiana gegeben, eben so wie anf dem
achten Blatte von Halicarnassus , Tyrus, Arbela-Gaugamela und
80 weiter. Die drei folgenden Tafeln, also X. XI. XII. haben
Italien und die Nebenländer zum Gegenstand, and zwar in
dreifacher Abstufung, erstens in der Zeit der Blüthe von Gross-
griechenland und der tyrrhenischen Macht bis zum Unterliegen der-
selben, dann in der darauf folgenden Zeit bis zum letzten Kampf
der Römer mit den Italikern, welche das römische Bürgerrecht er-
halten, und drittens zur Zeit der Bürgerkriege und der Militär-
kolonien bis zum Ende der Republik. Dass die Hauptlandschaften
Italiens, wie Etrurien, Latium, Campanien mit Nebenkärtchen be-
dacht sind, wird kaum beft-emden ; eben so wenig fehlen die Pläne
der Hauptpunkte, wie Rom und das römische Forum, Brundusium,
Syracus, Agrigent, Tarent. Auch hier sind wieder die neuesten Ent-
deckungen und Forschungen benutzt, und eben so ist die neuere
Literatur, die geschichtlich-antiquarische, wie die geographische zu
Bathe gezogen worden. Zwei weitere Blätter (XIII. XIV.) stellen
das Mittelmeer mit den daran liegenden Ländern in der Zeit vom
Kriege Hannibals bis zur Zeit des Mithridates des Grossen,
und in der Zeit von der Rückkehr des Pompejus bis zum Kampfe
bei Actium dar ; dann folgt auf Blatt XV und XVI das Römische
Reich in seiner Gesammtausdehnung von August bis Diocletian,
und von Constantin dem Grossen an; zahlreiche Nebenkärtchen,
welche einzelne Länder u. dgl. darstellen, füllen die freigelassenen
Räume. Die drei nächsten Tafeln (XVII. XVm. XIX.) bringen
Spanien, dessen südlicher Theil oder die Provinz Bätica auf einer
Nebenkarte besonders dargestellt ist, Britannien nebst Irland, und
Gallien: die beiden folgenden (XX und XXI) geben Italien und
Sicilien nach den Regionen, wie Plinius dieselben verzeichnet: ein
schöner Plan von Rom, so wie ein besonderer der achten Regio
(also des Mittelpunktes der Stadt, welcher Capitol, Forum u. s» w,
enthält) ist als Nebenkarte beigefügt, eben so ein Plan von Pom-
peji und des diesen Ort umgebenden Theils von Campanien u. s. w.
Dann folgt auf Blatt XXII Germanien, Rhätien und Noricum, auf
Blatt XXIII die nördlich von Griechenland gelegenen Länder bis
zur Donau, mit Einschluss von Macedonien und Thracien, auf Blatt
XXIV der Pontus Euxinus mit den anstossenden Küstenländern und
schönen Nebenkärtchen des Cimmerischen wie des Thracischen
Bosporus, auf Blatt XXV Kleinasien ^ nach seiner sptitern Abthei-
lung mit den anstossenden Landschaften, von welchen Lycien und
Jonien noch mit besondern Nebenkärtchen bedacht sindj Blatt
XXVI wendet sich wieder dem heiligen Lande zu, und gibt Doo*-
Stellungen desselben zur Zeit der Makkabäer, zur Zeit der Horodes-
Herrscher und in der späteren Zeit vom Jahr 70 p* Cbr. bis auf
Diocletian; auch hier ist ein schöner Plan von Jerusalem beige-
geben, und sind weiter hier, wie auf den beiden folgenden Tafeln,
Stücke der Peutinger'schen Tafel beigednioktj Blatt XXVH bring
B54 Mtnke: Bolml^Atks der tlitm Wilt
die ostwärts vom Pontas Enxinus gelegenen L&nder, mit EineelihaB
von Armenien und Mesopotamien, bis nach Babylon; Blatt XXVm
IndoBoythien und die Parthischen Reiche ; Indien kommt dann auf
Blatt XXIXy Arabien, Aogypten (mit einem besondem Kärtchen
der Heptanomis and Thebais) nnd Aethiopien auf Blatt XXX, nnd
anf Blatt XXXI die Nord-Africanischen Kttstenländer, so weit die
römische Knltnr gedrungen ist, mit einem Abdruck der Peatin-
ger'sohen Tafel.
Wir schliessen damit nnsem, ziemlich im Allgemeinen ge-
haltenen Bericht, da der uns zugewiesene Baum es nicht verstaUet,
Alles Einzelne, namentlich was auf den zahlreichen Nebenkärtcbea
enthalten ist namhaft zu machen nnd mit weiteren Bemerkungen
zu begleiten. Was wir angefllhrt haben, mag zur richtigen Wfirdi-
gung des Ganzen, aber auch zur Empfehlung desselben dienen; wer
in den Atlas selbst einen Blick werfen und sich hier im Einzebea
näher umsehen will, mit welcher Genauigkeit und Sorgfalt AUei
Einzelne behandelt, und jede Forschung der neuem Zeit auf die-
sem Gebiete die gebührende Berücksichtigung gefunden hat, wird
unserm ürtheil gerne beipflichten. Für alle Theile und Perioden
der alten Geschichte ist, imter sorgfUtiger Unterscheidung de^
selben gesorgt, und damit ein Hülfsmittel für alle Theile unserer
gesammten Alterthumsforschung gegeben, dessen Werth man nieiit
hoch genug anschlagen kann. Ein gleiches Lob verdient aber auch
die vorzügliche künstlerische Ausführung der Karten.
Wir reihen hier noch an:
Orbü aniiqui deseriptio. In usum scholarum edidit Th. Menke, EdSÜß
quarta. Octhae: Bumtibus JusH Perthes. Anna MDCCCU^-
in klein Fol
Dieser Schulatlas in seiner vierten Ausgabe erscheint eben-
falls in einer vielfach berichtigten Gestalt, indem auch ihm Allel
das zu Gute gekommen ist, was dem grosseren, eben besprocbeneB
Werke so förderlich war, ja sogar noch Anderes, was bei jenem
noch nicht benutzt werden konnte, ist ihm zu Statten gekommen,
wie z. B. die neue, im Stich befindliche Ausgabe von Van de
Velde's Karte des heiligen Landes, die verschiedenen Schriften t<»
G5ler über Gäsars Feldzüge in Gallien u. A. der Art. Natürlid)
musste bei Allem Bücksicht genommen werden auf die Bestimmnng
des Atlas, zunächst für die Zwecke der Schule und die in dersel-
ben gelesenen Schriftsteller : eben desshalb sind die in diesen vor-
kommenden Orte, so weit sie nur mit Sicherheit sich bestimmen
lassen, durchweg aufgenommen, von Anderem aber Abstand genom-
men. Man wird übrigens bald auch bei diesem kleineren Atlfts
dieselbe Sorgfalt und Genauigkeit wahrnehmen, die wir in ders
grösseren Werke eben heiTorgehoben , und was die künstlerisoh«
Ap«l6i norida. Bd. O. Krneger. 866
AüsffUirung der Eaarteu selbst betriffi, so bleibt wahrhaftig dieser
kleinere Atlas in keiner Weise hinter dem grösseren zurück, und
kann Zeichnung nnd Stich als sehr ansprechend bezeichnet werden.
Auch hier hat der Herausgeber einige Erläuterungen beigefügt» die
zunächst historischer Art sind und so als eine Art von Anleitung
bei dem Gebrauche dienen kdnnen. Das Ganze besteht aus acht«
zehn Blättern, von denen aber fast ein jedes für ein oder mehrere
Nebeukärtchen noch Baum hat. Zuerst kommt Aegypten vor der
Persischen Eroberung und das heilige Land mit besondem Plänen
der Pyramiden wie der Stadt Jerusalem ; das zweite Blatt bringt eine
Tafel der alten Welt überhaupt bis 627 v. Chr., das dritte Blatt
enthält die Persische Monarchie bis auf Herodotus Zeit; die bei-
den folgenden enthalten Griechenland , wobei Attika, Athen und
dessen Akropolis mit besondern Darstellungen bedacht sind; drei
weitere Blätter sind dem Persischen Weltreiche vor und nach
Alexander gewidmet; drei andere Blätter beziehen sich auf Italien
in der voraugusteischen Zeit, mit besondem Plänen der Stadt
Bom wie des römischen Forums; ihnen folgen zwei Blätter, welche
die Küstenländer des mittelländischen Meeres nach Westen und
Osten darstellen ; ein weiteres Blatt bringt Gallien zu Cäsar's Zeit.
Blatt XY wendet sich wieder dem heiligen Lande zu und stellt
dieses zur Zeit Christi und der Apostel dar, mit besondem Nebeu-
kärtchen von Judäa und Galiläa, so wie der Stadt Jerosalem. Nun
folgt das römische Reich von Augustus an, auf Blatt XVI, dem
Blatt XVn sich anschliesst, mit Italien und ßicilien zur Kaiserzeit
und mit einem weitereu Plan von Born. Den Beschluss macht Blatt
Xym mit Britarnien, Germanien und Bhätien u. s. w.
Man kann schon daraus ersehen, wie auch hier auf die ver-
schiedenen Zeiten Bücksicht genommen und die Hauptländer nach
den verschiedenen Perioden der Geschichte auf verschiedenen
Blättern dargestellt sind, was für den Gebrauch dieses Atlae( von
der grossesten Wichtigkeit ist. Wir stehen auch aus diesem Grunde
nicht an, diesen Atlas zum Gebrauch der Schüler bestens zu
empfehlen, da er für diese allerdings das leistet, was für einen
solchen Zweck nur immer verlangt werden kann, und dabei noch
einer so vorzüglichen äusseren Ausstattung sich erfreut.
Ik Apulei Madaurensis Floridornm quat mpermnlf edidU
OusU Krueger, BeroUm apud Weidmannos. MDCCCLXV^
VJJ und 89 8. in gr, 4.
Diese neue Ausgabe der Florida des Appulejus reiht sich ge-
Wissermassen an die Ausgabe der Apologia desselben Schriftstellers,
die wir unlängst von demselben Herausgeber erhalten haben : (siehe
diese Jahrbücher Jahrg. 1865. S. 147 ff.) sie ist nach denselben
866 Apvlei Florida« Ed. G, Krveger.
kriÜBohen GrandBätzen bearbeitet und der Text znnftobst auf die-
selben handschriftlichen Quellen basirt, welche auch für die eben
erwähnte Apologia als die Ultesten der handschriftlichen üeber-
liefemng anzusehen sind, nemlich die Florentiner Handschrift (Cod.
Laurent. LXVUI, 2) ans dem elften, nnd die andere, (Cod. Lanreni.
XXIK, 2) darans copirte des zwölften Jahrhunderts, von welcbea
der Herausgeber eine sehr genaue, von Herrn Wilhelm Stademnnd
gemachte CoUation erhielt; auch das Exemplar der Editio Viceo-
tina vom Jahr 1488, mit den von P« Victorius am Bande bemerk-
ten Varianten einer Florentiner, von jenen beiden allerdings Te^
schiedenen Handschrift ward dem Herausgeber mitgetheüt, der
darauf hin nun den hier Yorliegenden Abdruck des Textes yerao-
staltete, der wohl als eine neue Textesrecension angesehen werdet
kann, da ihm zunächst jene beiden Florentiner Handschriften lo
Grunde gelegt sind, während unter dem Text eine sorgfältige Zu-
sammenstellung des kritischen Apparates sich befindet, in welcher
nicht blos die abweichenden Lesarten der genannten Handschriften,
sondern auch die der edit« Vicent. und der yerschiedenen neuer^i
Herausgeber aufgeführt sind. Die Abtheilung nach Büchern ist
verlassen, obwohl sie, wie man aus dem kritischen Apparat er-
sieht, in den beiden Florentiner Handschriften sich findet, und
jedes Buch durch das gewöhnliche incipit und explicit ausdrück-
lich bezeichnet wird; aber die Abtheilung nach Capp. ist beibe-
halten, die Seitenzahlen der Florentiner Handschriften sind auf der
einen Seite des Druckes^ und auf der andern die der Oudendoip-
schen Ausgabe bemerkt, und wird man, in Bezug auf kritische
Genauigkeit nicht wohl Etwas yermissen. Auf diese Weise liegt
auch das andere, wenn auch nicht vollständig, sondern nur inAas-
zttgen erhaltene Denkmal der Beredsamkeit desAppulejns in einem
gereinigten und so weit nur immer möglich verlässigen Text vor,
und kann, auch abgesehen von dem Inhalt, der doch manche be-
merkenswerthe Notizen aus dem Alterthum bringt, dieser Text dazn
dienen, ein richtiges ürtheil über die rednerische Kunst desAppu-
lejns herbeizuführen, der, wie unser Verfasser anzunehmen geneigt
ist (S. Y), selbst diese Beden, die er nach Sitte der Zeit öffentlich
gehalten, in eine Sammlung gebracht, und ihnen die Aufschrift
Florida gegeben hatte, eben weil er in ihnen Muster des >flori-
dum dicendi genus« (s. Quintilian Inst. Orat. XH, 10, 58) zugeben
bemüht war. Immerhin zeigt sich Appulejus auch in diesen Braoh-
stücken als Bedner von einer vortheilhaften Seite, da diese Florid»
im Ganzen, und wenige einzelne Stellen und Worte abgerechnet,
sich freier gehalten haben von den Auswüchsen und dem Schwulst,
den man sonst der Afrikanischen Beredsamkeit vorwarf, und durch
grössere Einfachheit und Natürlichkeit selbst vor den Metamor-
phosen sich bemerklich machen. Noch ist zu bemerken, dass ein
Index Nominum am Schlüsse beigefügt ist.
Plantm von Brix n, und IMvm von Frey. 86t
ÄuageiDähUe Komödien des T. M. PI au tu s. Für den Sehulgehrauch
erklärt von Julius Brix, Zweites Bändchen. Captivu
Leipsig. Druck und Verlag von B. 0. Teubner. 1864. 664 8.
in gr. 8.
üeber das erste Bändchen, welches den Trinummas enthält,
ist in diesen Jahrbüchern Jahrg. 1864. S. 709 £f. näher berichtet
worden: das zweite vorliegende, ist nach denselben Grund-
sätzen bearbeitet nnd zeigt anch im Aenssem die gleiche Einrich-
tung. Eine Einleitung, welche die Anlage des Stückes und die
Durchführung wie den Charakter des Stückes bespricht, geht auch
hier dem Texte voraus, deutsche Anmerkungen unter demselben er-
läutern die allgemeinen, einer Erklärung bedürftigen Punkte, wobei
insbesondere auf das Sprachliche und alle die hervortretenden
Eigenthümlichkeiten Plautinischer Sprache in sehr befriedigenderWeise
Bücksicht genommen wird, so dass wir auch diese Bearbeitung
namentlich angebenden Philologen empfehlen möchten , die den
PlautuB gründlich studiren und dadurch die römische Sprache der
früheren Zeit näher kennen lernen wollen. Am Schlüsse sind die
in diesem Stücke vonPlautus angewendeten Metra, Vers um Vers,
angegeben und ein kritischer Anhang verzeichnet die einzelnen von
dem Herausgeber im Text vorgenommenen Aenderungen.
TitiLivi ab urbe condita Liber 1, Für den Schulgebrauch «r-
klärt von Joseph Frey. Leipsig. Druck und Verlag von
B. 0. Teubner. 1865, Vlll und 112 S. in gr. 8.
Aus der auf dem Titel ausgesprochenen Bestimmung dieser
Ausgabe für Schulen zunächst lässt.sich schon entnehmen, dass es
sich hier nicht um eine kritische Ausgabe, oder auch nur um be-
sondere Berücksichtigung der Kritik handelt, sondern der Haupt-
zweck auf die Erklärung gerichtet ist. Indessen ist doch am
Schlüsse auf einem eigenen Blatte eine Zusammenstellung der Ab-
weichungen vom Texte der zweiten Weissenbom' sehen Ausgabe
(Lips. 1862 bei Teubner) gegeben, worin auch die abweichenden
Lesarten von Madvig und Hertz aufgeführt sind, so dass die kritische
Gontrole leicht von Jedem vorgenommen werden kann. In der
unter den Text gesetzten Erklärung ist auf das Sachliche, wie das
Sprachliche gleiche Bücksicht genommen; sie soll »in möglichster
Kürze dasjenige bieten, was den Schüler in den Stand setzt, auch
selbständig den Schriftsteller mit Verständniss zu lesen.« Und für
diese selbständige Leetüre möchten wir allerdings diese Bearbeitung
empfehlen, da die gegebenen Erklärungen sich über Alles das ver-
breiten, was ein solcher Leser zu seiner Nachhülfe verlangen oder
wünschen mag. Was den Gebrauch für die Schule selbst betrifft,
Si8 6«pl»oUM AflUsooe tm W#lf f.
80 wird der erfahrene Schnlmann, der diese Ansgabe in derSdnik
gebrauchen will, selbst sich diese Frage zu beantworten wissen.
Jedenfalls wird derjenige, welcher für 'seine PriTatlectIire die-
ses erste Bnch des Livins wählt, sich befriedigt finden dnrdi
die Fülle und Genauigkeit der Anmerkungen, welche von sorgfiüti-
gen Stadien und nfiherer Bekanntschaft mit dem Schriftsteller gelbst
und der ganzen, auf ihn bezüglichen neueren Literatur Zeugniss
abgeben. — Druck und Papier sind ebenso befriedigend aasge&Ueo.
Sophokles. Für den Sehulgebraueh erklärt von Ou$tav Wolff.
Dritter Theü. Antigone, (Auch mit besonder m Titel: SiffAo-
kies Antigone für den Sehulgebraueh erklärt v. <. w,). Leipsi9.
Druck und Verlag von B. G. Teubner. 1865. VJIl u. 156 &
in gr. 8.
An die beiden ersten Bändchen, welche den Ajas und di«
Elektra enthalten, schliesst sich diese Bearbeitung der Antigene
gleichmässig an, und was in diesen Blättern (Jhrgg. 1859 8. 62i
1863 S. 478) über die Bearbeitung jener beiden Stücke bemerkt
worden ist, mag auch von diesem dritten Bändchen gelten, das
seiner ganzen Anlage nach, wie in der Ausführung, in der grflnd-
lichen und umfassenden Behandlung Alles dessen, was zur Erklä-
rung gehört, den beiden vorausgegangenen Bändchen sich wohl u
die Seite stellen kann. Wenn die Kritik, wie diess schon in dem
Plan der Ausgabe lag, allerdings beschränkt ist, auch nur wenige
Gonjecturen im Ganzen, an desperaten Stellen eine Aufnahme ge-
funden haben, so ist doch dafür in den kritischen Anmerkungen,
welche eine Art von Anhang zu dem Ganzen bilden (S. 133—149),
gut gesorgt worden, insofern hier eine Besprechung der verschie-
denen Lesarten gegeben ist, verbunden mit weiteren Auslassungen,
Verbesserungsvorschlägen u. dgl., und darin selbst manche andere
Stellen anderer Dichter Berücksichtigung finden. Die Hauptsache
ist die Erklärung in den unter den Text gesetzten deutschen An-
merkungen, welche vielleicht Manchem fUr den Gebrauch in der
Schule zu umfangreich erscheinen, im üebrigen aber reiche Beleh-
rung einem Jeden bringen, der diese Ausgabe gebraucht und dmcb
sie nicht blos in den richtigen Sinn des Dichters, und eise
allseitige Auffassung aller der zum vollen Verständniss nothwendi-
gen Punkte eingeführt wird, sondern auch, namentlich in Absiebt
auf die Erkenntniss des Sprachgebrauches der griechischen Dichter
und ihrer ganzen Bedeweise Viel aus dieser Ausgabe lernen kaon.
Denn aller Orten sind die Belege des Sprachgebrauches oder der
grammatischen Eigentbüralichkeit , welche zu erörtern war, ans
Sophokles, Euripides und andern Dichtern, insbesondere audi I
aus Homer, oder aus Prosaikern, wie Plato, Herodotus u. A. g«*
SopbeklM Aatlgofte von Wolf f. 859
geben; wir glauben anf diese Seite der Erklärung insbeBondere
hinweisen zu müssen, eben weil w\r der Ansiebt sind, dass der
junge Mann, der diese Ausgabe gebraucht, daraus nicht blos das
richtige Verständniss im Einzelnen erkennen, sondern auch über-
haupt seine Kenntniss der griechischen Sprache erweitem und be-
festigen kann. Alles, was auf die Einrichtung des Stückes sich be-
zieht, den Gang der Darstellung, den Inhalt der einzelnen Ab-
schnitte, namentlich der Chorlieder betrifft, hat seine Er-
örterung erhalten ; desgleichen ist in gehöriger Weise der
metrische Bau berücksichtigt, und durchweg wird in den Anmer-
kungen auf die metrischen Verhältnisse genau und im Einzelnen
eingegangen; am Schluss 8. 150 — 156 wird eine Uebersicht der
in den lyrischen Abschnitten angewendeten Versmaasse gegeben.
So sind die verschiedenen Seiten der Erklärung beachtet : der Rück-
blick S. 126 ff., der auf den Text folgt, bringt eine ästhetische
Würdigung des Oanzen, bespricht daher nochmals die ganze
Anordnung des Stückes, und schliesst mit der Hinweisung auf
einige sprachliche Neuerungen, welche in diesem Stücke bemerk-
lich sind.
Dies sind im Allgemeinen die Eigenschaften, durch welche
auch dieses Bändchen sich gleichfalls der Beachtung und dem Ge-
brauch empfiehlt. Dass in einem Stücke, das ungeachtet aller
der Behandlung, die ihm in neuester Zeit za Theil geworden ist,
doch noch immer Stellen genug sich finden, in welchen Kritik und
Erklärung J^estritten ist, brauchen wir nicht besonders zu bemer-
ken, und so könnten wir auch hier Stellen anfuhren, in welchen
unsere Auffassung von der des Herausgebers mehrfach abweicht,
wie z. B., um nur den Einen Fall anzuführen, in der Behandlung
der vielbesprochenen Worte der Antigene Vs. 905 ff., in welchen
der Herausgeber ein fremdartiges Einschiebsel, von Jophon, dem
Sohne des Sophokles, bei einer wiederholten AuflFQhrung des Stückes,
gemacht, erkennen will, wovon wir uns jedoch nicht haben über-
zeugen können, da die Stelle, wie wir glauben, in den Zusammen-
hang des Ganzen gehört und daraus nicht herausgenommen werden
darf, der Gedanke selbst aber, der darin ausgesprochen ist, eine
allgemeine in der Hellenischen Welt verbreitete Sentenz enthlilt,
die Sophokles eben so gut wie Herodotus anwenden konnte. In-
dessen diess sind Einzelnheiten, in welchen die Wege der ge-
lehrten Erklärung stets auseinandergehen werden, und so enthalten
wir uns der Versuchung, noch andere Stellen hedbeizuzieteu
und einer näheren Besprechung zu unterwerfen : das, was über An-
lage und Ausführung des Ganzen oben bemerkt ist, würde ohnebin
dadurch keiner Aenderung unterliegen. Und so mag auch diese
Bearbeitung eines jetzt auch unter uns durch die wiederholten Auf-
führungen auf der Bühne bekannter gewordenen Meisterwerkes
Hellenischer Poesie die verdiente Aufnahme finden , insbesondere
eeO DMte*0 Gftttllclie EomSdle, von K. Witte.
bei allen denen, welche es vorziehen, zn dem Originale selbst zurück-
zukehren und ans der richtigen Anffassnng desselben sich einen
erhöhten Qennss zu bereiten«
Dante AUighien^s OöttHehe Komödie. Uebertettt von Karl WitU
Berlin bei Rudolph Luduig von Becker 1865. Im seckMen
Säeularjahr nach des Diehiers Geburt. 727 8. in 12.
Der Verfasser ist bekanntlich einer der gründlichsten Kenner
des Dichters, dessen Hauptwerk er hier in einer VerdentschaiigTOT-
legt, nachdem er unlängst eine anerkannt vorzügliche Ausgabe das
Originales selbst geliefert hatte. Es mag schon darin eine hin-
reichende Bürgschaft liegen, dass in dieser üebersetzung der Sinn
des Originals richtig erkannt und anfgefasst , eben so richtig in
unserer Sprache wieder gegeben ist, mithin die üebersetzung anf
Treue und Zulässigkeit , diese ersten Bedingungen einer jeden de^
artigen üebertragung, Anspruch machen kann, und in dieser £^
Wartung wird man sich auch nicht getäuscht finden : man wird ins-
besondere finden, dass dieselbe, wenn sie auch nicht in gereimten
Versen, sondern in fünffüssigen Jamben sich bewegt, doch durch-
weg deutlich und verständig gehalten ist, frei von so manchen
Härten, zu welche eine gereimte üebersetzung unwillkürlich zn
führen pflegt. Wir führen als Beleg unserer Behauptimg nur die
bekannten Eingangsverse des dritten Gesanges der HOlle an, welche
hier also wiedergegeben werden:
»Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen,
Der Eingang bin ich zu den ew*gen Qualen,
Der Eingang bin ich zum verlorenen Volke.
Gerechtigkeit bewog den höchsten Schöpfer,
Gescha£fen ward ich durch die Allmacht Gottes,
Durch höchste Weisheit und durch erste Liebe.
Vor mir entstand nichts, als was ewig währet,
und ew'ge Dauer ward auch mir beschieden;
Lasst, die Ihr eingeht, alle Hofi^nung fahren. c
In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen
Als einer Pforte Inschrift. Drum begann ich:
0 theurer Meister, düster ist ihr Sinn mir. —
Er aber sprach, begegnend meinem Zweifel :
Absagen musst du jeglichem Bedenken
und jeden Kleinmuth hier in Dir ertödten.
Gelangt sind wir dahin, wo ich Dir sagte,
Du würdest sehn die schmerzerfüllten Schaaren,
Die der Erkenntniss hohes Gut verloren. —
DAnte's Qöttliohe Komödie, vöa K. Witte. 861
Wir setzen diese Probe nicht weiter fort, um noch Baum zu
gewinnen für eine andere Probe, die Anfangsverse des Paradieses,
welche also lauten:
Die Qlorie Dess, der Jegliches bewegt,
Durchdringt das Weltall, aber sie erglänzet
An einer Stelle mehr als an der andern.
Im Himmel, dem von Seinem Licht am meisten
Zu Theil wird, war ich und ich schaute Dinge,
Die weder sagen kann, noch weiss, wer heimkehrt.
Denn, naht sich unser Qeist dem letzten Ziele
Der Sehnsucht, so versinkt in solche Tief er,
Dass das Qedächtniss ihm nicht folgen kann.
Doch, was an Schätzen aus dem heiligen Eeiche
Aufspeichern ich in der Erinnrung konnte.
Sei nun der Gegenstand von meinem Liede.
Der Verfasser hat sich bei diesem Unternehmen nicht auf eine
blosse üebersetzung beschränkt: er hat, was bei einem Dichter,
wie Dante, allerdings nothwendig erscheint, seiner deutschen üeber-
tragung »Erläuterungen S. 539— 727 c beigefügt, welche das, was
zum Yerständniss einzelner Stellen, wegen der darin enthaltenen
Beziehungen und Anspielungen auf Zeitverhältnisse, auf das heid-
nische Alterthum wie das schon christliche Mittelalter, nöthig ist,
enthalten und dadurch in bündiger Weise dem Leser das Yerständ-
niss des im Text Berührten oder oft nur kurz Angedeuteten er-
schliessen. Dass diess nun aber keine leichte Aufgabe war, weiss
Jeder, der mit Dante nur einigermassen sich beschäftigt hat und
die zahlreichen Controversen kennt, die über einzelne Stellen und
die darin enthaltenen Aeusserungen nicht minder wie über das
Ganze dieser Dichtung und deren Deutung erhoben worden sind.
Der Erörterung dieses Punktes und damit der richtigen Auffassung
nnd Würdigung des ganzen Gedichtes ist die Einleitung gewidmet,
auf welche wir noch besonders hinweisen zu müssen glauben, in-
sofern der Verf. darin seine aus vieljährigen Studien des Dichters
und der vertrautesten Bekanntschaft mit demselben hervorgegan-
gene Ansicht über Gegenstand und Inhalt, wie Zweck und Be-
stimmung der Divina Comedia niedergelegt hat. Er bespricht daher
vor Allem die äussern Verhältnisse, die den Dichter bewegen konn-
ten, in diesem Werke eine Schilderung de^^ Zustauiles der abge-
schiedenen Seelen in der jenseitigen Welt zu versuchcia, er zeigt,
wie es sich dabei weniger um Erfindung handelte, als um festere
Gestaltung Dessen, was schon im Glauben des Volks lebte , wie
denn seit Jahrhunderten die Phantasie dor ClariBt^nbeit beachUftlgt
gewesen, sich die Strafen der Verdammten und die Busäau der-
jenigen zu veranschaulichen, die zwar im tilaubon, aber noch mii
ungesühnter Schuld beladen, die Welt verkssuo battoa, er aelg^
Md BnWfl Oötdiehe Komödie, von K Wltla
wie daher aach die erwachende Eunst Torzngaweise derartige Gegen-
stände ergriff und in Kirchen, in Mosaiken n. dgl. danosteUn
suchte. »Um so wirksamer (wir lassen hier lieber den Verfasser
selbst reden S. 10) aber mnsste seine (d. i. Dante^s) Schildening
ergreifen, je verwandter sie sich einerseits an die Yorstelliuigai
ansohloss, die den Letem überliefert waren, und je aasckanlicher,
körperlicher sie andererseits sich der Auffassung darbot. Za jenem
ersten Zwecke verwerthet der Dichter nicht nur die maanich&cii-
stcn Deberliefemngen des Volksglaubens und der mittelatterlichen
Sagenkreise, sondern er geht auch auf das heidnische Altertknm
zurück. Erschien doch dem Mittelalter, Tor Allem dem itatieni-
schen, die antike Welt durchaus nicht, so wie uns, als von der
Gegenwart durch eine breite Kluft geschieden. Auch die Qestaltefi
heidnischer Mythologie gelten jener Zeit nicht schlechthin ala will-
kürlich ersonnene Wahnbilder, sondern vielmehr als entstellter
Ausdruck auch für das Christenthum fortbestehender Wahrheit Sa
finden denn nicht nur heidnische Götter und Halbgötter als Dl-
monen einen Platz in Dante's christlich gestalteter Unterwelt, nicbt
nur ruft der Dichter ApoUo's und der Musen Beistand fOr seil
christliches Gedicht an, sondern er trägt kein Bedenken» keidniseh
geweihte Gotteenamen auf die göttlichen Personen unseres Glanbeu
zu übertragen. €
Aber diese Schilderung des Zustandes der abgesohiedensi
Seelen, lesen wir weiter S. 12, ist nur die äussere Schale. Baato
selber sagt, Gegenstand des Gedichtes ist der Mensch , wie er h
Folge seiner Willensfreiheit gut oder schlecht handelnd, der belok'
nenden oder strafenden Gerechtigkeit anheimflQlt. Wenn also dk
Worte vom jenseitigen Leben reden, so gilt der wahre Sinn von
diesseitigen. Die physische Strafe, die Schmerzzuftlgnng, «m
mannichfach auch die Phantasie des Dichters sie abgestuft bii,
sie ist doch nur ein Sinnbild ftir den Seelenzustand des in sein«
Sünde verstockten Sünders. Die Strafe, die der Dichter einer Sttndt
zuweist, ist nur ein Ausdruck dieser Sünde. »So sehen wir du
Wollüstigen von dem Sturm (ihrer Leidenschaften) hin und hr-
gepeitscht, die Geizigen bemüh'n sich unablässig Steinklumpen be^
anzuwalzen, die ihnen doch immer wieder tückisch entrollen, ^
Zornigen zerfleischen einander wechselweise, die Heuchler vai
Speichellecker versinken £ast in Schmutz und ünrath, die Gdd*
macher und Alchymisten sind, wie es die giftigen Metalidttnste 0
verursachen pflegen, mit Geschwüren überdeckt, und endlich du
herzlosen Verräther sind erstarrt im ewigen Eisen. Entgegengesetiiff
Art sind die Bussen des Purgatoriums. Als das direkte Wider*
spiel der Sünde, die durch sie gelöst werdui soll, sind sie be-
stimmt, die Gewohnheit dieser Sünde zu bewältigen. Der Hoek*
müthige muss lernen, den stolzen Nacken unter schweren. Lsstei
zu beugen, dem Neidischen schliesst ein Eisendraht die Lider, dis
er nicht femer scheel sehe auf den Besitz des Nachbarn, dit
DMte's GötaiehaKomddie, Ton K. Witte. S0d
Lässigen eilen in mheloser Hast nnd die Schlemmer verlechzen
beim Anblick nnd beim Dufte köstlicher Früchte nnd frischkühlen
Wassers. Drum ist, was sie leiden, ihnen nicht, wie den Verdamm-
ten der Hölle, äusserlich zwingende Qnal, sondern selbst erkann-
tes nnd willkommenes Heilmittel.« Demnach wird also Hölle nnd
Fegfener, das der Dichter vorführt, nicht mehr ausschliesslich im
Jenseits zu suchen sein: »Dem tieferen Sinn nach will der Dich-
ter uns vor Augen stellen, wohin auch den Lebenden die Ver-
stookung in der Sünde führt, und wie, wer seine Schuld erkannt
hat, sich Yon den Fesseln los macht, mit denen sie angefangen hatte,
ihn zu umstricken. Ebenso ist die Paradieseswonne der Seeligen, die
der dritte Theil des Gedichtes geschildert, wenigstens vorbildlich
schon den lebenden Christen eigen, die im Glauben wiedergeboren
nnd ihrer Schuld ledig geworden, zur Heiligung gelangt sind.« —
Es kommt also dem Dichter darauf an »Strafe, Busse nnd Heili-
gung für den Hülfsbedürftigen wirksam zumachen, ihn losznreiasen
von der Sünde, von ihrem Schmutze ihn zu läutern und ihn zu
Gott zu erheben. Der Weg zur Himmelfahrt des Versenkens in
Gott führt aber nothwendig hin durch die Höllenfahrt der Selbst-
erkenntnisB, der Erkenntniss der Sünde im eigenen Herzen in ihrer
Naktheit und Gottesfeindschaft. Mit dieser Höllenfieihrt mnss der
nach Heil Verlangende, noch aber in der Welt und ihren Sünden
Verstrickte beginnen und als einen solchen stellt Dante sich selber
hin« u. a. w.
Aus Vorstehendem mag erhellen, in welchem Sinn der Ver-
fasser die grosse Schöpfung Dante* s in ihrem Grunde aufzufassen
bemüht ist. Wir können hier nicht in die weiteren Erörterungen
eingehen, wie sie hier ^zur Begründung dieser Ansicht im Einzelnen
gegeben werden, und nur im Allgemeinen die Leser darauf auf-
merksam machen. Es mag nur noch erlaubt sein, anzuführen, wie
der Verfasser die Stellung des Virgil, des Dichters Führer durch
Hölle und Fegfeuer, aufgefasst hat. »Virgil, so spricht sich der
Verfasser S. 32 aus, ist der Sänger jenes mustergültigen römischen
Weltreiches. In seinem Gedichte von des Aeneas Auszug von
Troja und dessen Ansiedelung in der Latinischen Ebene erscheinen
die Fundamente der einstigen Grösse Eoms als herbeigeführt durch
göttliche Vorherbestimmung. Des Aeneas Wanderung durch die
Unterwelt, diess Vorbild von Dante's poetischer Reise, entrollt das
Bild der künftigen Triumphe Boms mit der farbenglänzenden Ver-
bindung jenes beglückenden Augustischen Regiments, an dessen
Erbschaft sich nach Dante's Bemerkung (Hölle H. 25) die Univer-
salität sowohl des päbstlichen Hirtenamtes, als des römisch-deutschen
Kaiserthums anknüpfen sollte. So vertritt denn Virgil in dem Ge-
dichte zugleich das kaiserliche Begiment und die von diesem aus-
gehende, d. h. die oberste, weltliche Gerechtigkeit.«
Wir übergehen ungern noch Manches Andere, was wir hier
anführen möchten, das Mitgetheilte mag genügen, die Freunde des
86i Knigge: tJeber den Umgang mit MeoBclieii, iL AuAg. von Goedeke.
grossen Dichters auf diese neue Bearbeitung der Divina Comedia
aufmerksam zu machen, und dieselbe der verdienten Beaohtong zu
empfehlen. Eine Photographie, Dante's Büste, nach Baphael dar-
stellend schmückt den Titel. Der Druck ist zwar klein, aber deut-
lich, das Ganze dabei sehr correct gehalten,
üeber den Umgang mU Menschen. Van Adolph Freiherrn v,
Knigge, Viersehnte Originalausgabe in Einem Bande,
Aufs neue durchgearbeitet und eingeleitet van Karl Qoedtkt
Hannover. Hahn'sehe Hafbuchhandlung 1866. XXJJl u. 3968,
in gr, 8.
Das vorliegende Buch, das im Jahre 1788 erstmals erschien}
und mit ungemeinem Beifisill, der sich in mehrfach erneuerten Aiu-
gaben und selbst Nachdrücken wie Uebersetzungen in andere Spra-
chen kund gab, aufgenommen ward, das dann in seiner eilffcen und
insbesondere in seiner zwölften und dreizehnten Ausgabe (s. diese
Jahrbb. 1844. S. 638 ff. 1854. 8. 622 ff.) durch den gegenwärtigen
Herausgeber mehr den jetzigen Verhältnissen angepasst ward, er-
scheint hierin einer vierzehnten Ausgabe, in welcher das Ganze
unserer Zeit und unseren Verhältnissen noch näher gerückt und in
diesem Sinne bearbeitet worden ist, ohne jedoch durch eine g&ns-
liehe Umgestaltung des Inhaltes, das vielverbreitete Buch seiner
ISestimmung und seinem Zwecke zu entfremden. Bestimmt für die
höheren und gebildeten Klassen der Gesellschaft, hervorgegangen
aus tiefer Menschenkenntniss und sorgfältiger Beobachtung der Ye^
hältnisse des Verkehrs der Menschen unter einander, der verschie-
denen Richtungen und Bestrebungen kann dieses Buch als eine An-
leitung zur Lebensklugheit gelten und diesem Standpunkt ver-
dankt es auch den ungemeinen Beifall, den es errungen, auch wenn
man darin nicht immer den moralischen Standpunkt ganz streng
lind fest inne gehalten sehen wollte. Der Verfasser wollte eben
kein System der Moral schreiben, sondern ein Buch von unmittel-
barem praktischem Nutzen, wobei der Sittlichkeit immerhin an
erster Stelle Bechnung getragen wird, ehe die Klugheit erfolgt.
(Schluss folgt.)
St. 56. fiEIDEI&EKGER 1866.
JAHBBÜCHEß DER LITERATUR.
Enigge: üeber den Umgang mit Menschen n. s. w.
(BchlfUuO
Dass nun das, was im Jahr 1788 mit Bücksicht auf damals
bestehende Verhältnisse , Sitten niedergeschrieben worden, wenn
es anch in seinen Grundlagen jetzt noch eben so wahr ist, wie
damals, doch in seiner äusseren Einkleidung Manches bietet, was
auf die jetzigen Verhältnisse nicht mehr passt und anwendbar ist,
begreift sich leicht: und diess zunächst zu ändern, und dadurch
das Ganze auch unserer Zeit geniessbar und förderlich zu machen,
war das Bestreben des Herausgebers, der in dieser vierzehnten Aus-
gabe, noch mehr wie in der zwölften darauf ausging, Alles Ver-
altete wegzuschaffen, an die Stelle jetzt überwundener oder ver-
gessener Zeitrichtungen, gegen welche die Polemik des ersten Her-
ausgebers auftrat, ähnliche der neueren Zeit zu setzen, aber »in
dem Geiste, der sich aus der Totalität von Enigge's religiösen,
politischen, literarischen und socialen Grundansichten ergäbe, und
80 das Ganze den veränderten Sitten und Richtungen unserer Zeit
entsprechender zu gestalten. So ist allerdings, wie der neue Her-
ausgeber versichert (S. XIX), fast keine Seite ohne irgend eine Um-
gestaltung geblieben, bald liess sich diess mit geringer Aendenmg
bewirken, bald war eine Umgestaltung von Grund aus nothwendig.
Und so »kann das Buch in der vorliegeüden Gestalt ftlr eine neue
Bearbeitung gelten, welche das Gute, was in Enigge' s Werke ge-
geben war, sorgfältig schonte, aber reichhaltig vermehrte und stjli-
stisch wie sachlich von dem Hauche der vercdtenden Vergangen-
heit zu befreien bemüht war. Dass dem Buche in dieser Gestalt
ein neues verjüngtes Leben möge zu Theil werden, ist mein Wunsch,
den die Theilnahme der Leser bestätigen mag.c Wir theilen die-
sen Wunsch des neuen Bearbeiters und zweifeln nicht, dass sein
Werk in dieser neuen, unsern Verhältnissen, ohne Aufgabe der
Grundlage besser angepassten Gestalt eine ähnliche Verbreitung
finden werde, wie sie dem Werke früher bei seinem ersten Er-
scheinen in seiner ersten Gestalt zu Theil geworden ist, da die
darin niedergelegten Wahrheiten und Lebensregeln heute noch eben
so wahr sind wie im Jahre 1788, während den Anforderungen, die
man jetzt an einen gefälligen und fliessenden Styl macht, hier ganz
andere Rechnung getragen worden ist. Die äussere Ausstattung in
Druck und Papier ist ganz befriedigend zu nennen. Noch ist zu
bemerken, dass durch eine allgemeine Uebersicht der Anlage und
JjYÜL Jahrg. 11. Heft 55
P66 BergmftOB; V^iof Br«kte«ieii «• s. w«
des Inhalts des Ganzen, so wie doroh ein beigefügtes, alphabeti-
sches Btgisttr über die in dem Bache behandelten Gegenstände gnt
geborgt ist, um sich in Allem leicht zurechtzufinden.
J) DqfiUüimg tnihrerer bißhengm Systeme für Anordnung wm
Sammlungen mittdaUerlicher und modemer Mun»en und Me-
daillen und Begründung eines ufiasenschaftliehen Systems vw
Kaiser Karl dem Grossen bis auf unsere Tage; von Joseph
Birgmann, toirkUchim Mitglied der kaiserl, Akademie der
Wissenschaften, Wien, h Ar. Hof^ und StaatsdruekereL In
Com^mission bei K. Gerolds Sohn. 1865. S* 60. 4«
2) Pie feierliche Doppelvermählung der Enkel Kaiser McueimHian L
und das Turnier in M'ien im Jahr 1515, toie auch Sigmumk
von Dieirichsieins festliches Beilager mit Barbara von RoMi
nebst dessen Qedächtnisstafel in Wiener- Neustadi und seiner
Ruhestätte zu Villach j von Demselben. Ebendaselbst 1%^
S, 15. 4.
3J Der Bracteafen-Fund von Klaus unweit Rankweil, von Dr,
Joseph Bergmann, Direktor. Aus dem ^ahre^erichi da
historischen Vereins für Vorarlberg bis 1865. Mü einer Taf4
Der den Lesern dieser Blätter wohlbekannte Forscher auf einem 6e-
I^iete, welches theils überhaupt yon special wissenschaftlichem Interesse
ist, theils insbesondere in das Gebiet unserer landesgeschicbtlicheß
Fon^chung hinübergreift, hat, zunächst im Schoosse der Wienei
Akademie der Wissenschaften wieder drei jener Abhandlungen rer-
öffentlicht, die um so willkommner sein müssen, je speciellere Toi
schwerer zugängliche Punkte sie aufklären.
in. pie Abhandlung Nr. 3 ist ein Gastgeschenk, darge-
bracht dem strebsamen Vereine in Vorarlberg, der Heimatb des I
Verfassers, deren grüne Weid- und Waldberge Derselbe diesen Herbst
in jugendlicher Frische besuchte.
D^r Münzfund, welcher der Gegenstand dieser Beschreibung
ist, wurde schon 1827 gemacht und die Fundstücke an das k. i
Münzcabinett nach Wien gebracht. Da aber dieses nur einige
Stücke erwarb, und die remittirten übrigen bald zerstreut wurdest
80 ging die Kunde des Fundes dort in der Masse einer grossen
San^mluug, hier im Drange der Angelegenheiten dos Tages ye^
Ipren, und ^s ist die vorliegende Beschreibung gerade eben so
danke^swerth als ob der Verfasser einen Münzfund von gestem
veröffentlicht hätte.
Die beschriebeuen Münzen sind meistens sogenimnte Halb-
bracteatei; voa ^^m eigentbümUchon Charakter der sphwäbiacben
und haben theils ganz neues Gepräge, theils bedeutende Modification
d^s Gepräges bekannter Münzen.
Bergmanm Ucber Brakteaten tu 8, w. 667
Der orste, gleich eine der bedeutendfiteiiy hat in eiaem Perlen-
rand und einer Kreislinie die Worte Fride-rions Oes und zeigt den
Kaiser auf dem Throne mit Scepter und Beichsapfel. Sie wiegt
6 Gran osterr. Gewicht und wird vom Befer. gewiss mit Becht
Friedrich dem Zweiten zugeschrieben.
Die zweite ist eine St. Galler und hat die Figur eines Abtt
mit hober zweitheiliger Mitra, angethan mit der sogen. Flocke,
oder Flott^Kutte. Auf dem von zwei Thürmen flanhirten Spitz-
bogen, innerhalb dessen das Brustbild des Abts sich befindet , ist
ein Kreuz; zu dessen Seiten S — G, d. h. Sanctus Gallus. Der
Architectur der Thürme nach zu schliessen dürfte die Münze dem
13. Jahrh. angehören. Das Gewicht ist 6Vs Gran.
Die dritte, ebenfalls von St. Gallen, hat einen Perlenrand
und 2 Binge, zwischen welchen die Inschrift f Moneta Sancti Galli
in einer Schrift steht, die gleichfalls dem 13. Jahrhundart ange*
hören dürfte. Im Innern Kreis ist das bärtige Haupt des hl. Gallus.
Dieser Bracteat von 6^^ Gran ist nach Dr. H. Meyer der grösste
der Schweiz.
Der vierte Bracteat hat ein rückwärts schauendes Lamm mit
der Kreuzesfahne — ein auch im Breisgau und in der Pfolz vor^
kommender Typus — und ist durch Meyer ebenfalls St. Gallen
zugeschrieben.
Der fünfte mit der Umschrift Moneta Abbatis Augen-
sis zwischen einem Perlen und einem einfachen Kranze hat zwei
horizontal liegende Fische in verkehrter Bichtnng zwbchen 2 sechs-
strahligen Sternen. Er wurde früher dem Abt von Bheinau zuge-
schrieben, welcher auch schon seit 1241 münzen durfte; Freiherr
von Berstett schrieb, der erste, ihn der Abtei Fischingea
(Augia S. Mariae Piscinae oder Augia Piscina) zu. Sein Gewicht
hat 6 Vi Gran.
Der sechste und siebente gehören Lindau an, wahrscheinlich
der Stadt, nicht der Abtei; jene wurde zwar erst 1274 durch
Budolf V. Habsburg Beiohsstadt, tritt aber doch schon 1240 mit
mehreren Städten am Bodensee als münzberechtigt auf. Beide
Stücke haben das Wappen der Stadt und der Abtei, der sieben-
blättrige Lindenzweig, die eine aber mit Perlen- und einfachem
Kranze ohne Umschrift, die andere nur mit einem Perlenkranz um
den Zweig und ausserhalb desselben die Umschrift Lindaugia. Das
Gewicht der erstem ist 6^4, der letztern 7 Gran.
Dem 14. Jahrhundert scheint anzugehören ein achter Bracteat
von Bavensburg mit der Umschrift f Bavenspurg und im
Felde eine Burg mit Thor und zwei Seitenthürmen, rückwärts von
einem höhern überragt (Gewicht 6 Gran). Ein neunter ist wohl aus
dem 15. Jahrhundert ; er zeigt über einem von einem Giebel übeiv
ragten Tbor zwei Thürme mit Zinneui wiegt nur 5 Gran und ist
ohne Umschrift.
A
1
868 Bergmann: üeber Braoteaton u. b. nr.
Diesen Mttnzen des Fonds wurde yom Verf. noch eine der
Abtei Kempten beigefügt.
Vor den Beschreibungen ist eine kurze Geschichte von Klaus
oder Calcaires (Kalchem) bei Bankweil und dieser wird als Ein-
leitung eine kurze Abhandlung ttber Bracteaten überhaupt voraos-
geschickt, so dass auf wenigen Seiten der Verf. seinen Landsleuten
yiel Belehrendes und Beachtenswerthes geschenkt hat.
IL Die zweite Schrift ist eine jener anscheinend andank-
baren Arbeiten, die Beschreibung längst verklungener Festesfreuden,
die uns mit ihren Aufzählungen Ton Namen langst verstorbener
Gäste und der Nomenklatur altfränkischer DiTertissements fast
mumienhaft anmuthen, aber gerade hier hat die minutiöse Sorg<
des Herrn Verfassers, welche so grosses specialgeschichtliches Ma-
terial zusammen zu bringen wusste, manches bisher noch nicht
gelöste Bäthsel der österreichischen und schwäbischen Genealogie
auch denen »aus dem Beichec zugänglich gemacht.
Die beschriebenen Hochzeiten, denen der Verf. als Motto das
bekannte »Tu felix Austria nubec voranstellte, sind die den 22.
Juli 1515 in Scene gesetzten Vermählungen der Prinzessin Anna
von Ungarn mit Maximilians jüngerm Enkel, Ferdinand, und des
Bruders, des Erbprinzen Ludwigs von Ungarn mit der Enkelin
Maximilians, der Infantin Maria, die kürzlich erst aus den Nieder-
landen nach Wien gekommen war.
Die vor und nach der Vermählung stattgefundenen Begegnun-
gen, Jagden, Turniere, Mahlzeiten u. s. w. geben ebensowohl, als
die diplomatischen Irrgänge, durch welche diese Doppelvermäblung
mit der Aussicht auf ein Königreich bald gefördert, bald durch-
kreuzt wurde, dem Ver£ zu anziehenden belebten Schildeningen,
namentlich aber zu genealogischen Aufklärungen Gelegenheit.
Kaiser Maximilian hatte nach einer Sitte, die bis in das 17.
Jahrh. sich am Kaiserhofe erhielt, am nemlichen Tage, an wel-
chem die Doppelvermählung seiner Enkelkinder statt fand, auch
die Hochzeit eines Günstlings gefeiert, des 1480 gebornen Sig-
mund von Dietrich stein, seines geheimen Baths und Landes-
hauptmanns in Steiermark, mit Barbara von Rottal, eine Fest-
lichkeit, die auch durch ein kurz nachzeitiges Gemälde im Schlosse
SU Nikolsburg verherrlicht ist.
An die Beschreibung derselben knüpft der Verf. eine Unter-
suchung über die Buhestätte Sigmunds, von der man bisher fälsch-
lich annahm , dass sie sich neben der des Kaisers befinde , and
über eine Gedächtnisstafel desselben, so wie über die zweite Ver-
mählung seiner Wittwe mit Ulrich von Czettritz, der mit
Ludwig von Ungarn in der Schlacht bei Mohäcz kämpfte, ihn ans
dem Gewühle der Niederlage entführte, im schlammigen Boden des
Csellie-Baches versinken sah und später seinen Leichnam nach
Stulweissenburg brachte.
Bei dieser Gelegenheit führt der Verf. die auch für die allge-
Bergxnftnn: üeber Braeteaden xu 8« w. 860
meine Oescliiclite bedeutsame Variante Georg Szer^mi*8
Hanscaplans der Könige Lndwig U. nnd Johann von Zäpolja an,
die im 40. Oapitel (»de morte Lndovici regiflc) seiner Denkschrift
über die Zerrüttung Ungarns in den Jahren 1484—1548 nieder-
gelegt ist.
Nach derselben hätte nach dem Zeugnisse eines nngarischen
Soldaten, welches dieser freilich erst 1540 abzulegen für gut fand,
Graf Georg von Zips, der Bruder Johanns von Zapolya, Paul To-
mori, Erzbischof von Kalocsa und Cytrich Bohemus (offenbar unser
Cettritz), Kämmerer des Königs, den fliehenden Ludwig aus der
Schlacht geleitet. Der Graf von Zips habe diesem den verräthe-
rischen Bath gegebe o , den Harnisch abzulegen, um sich auszu-
ruhen, dann den Wehrlosen mit drei Hieben niedergehauen, sei
aber sofort von dem Erzbischofe niedergestossen worden und den
letztem habe ein ünterfeldherr des Grafen Georg getödtet. Man
habe alsdann die Leiche des Königs am Bande eines Sumpfes ein-
gegraben. Czettritz aber sei die Nacht hindurch nach Stulweissen-
burg zur Königin Wittwe geritten und habe ihr gemeldet, was
geschehen war, sei aber von ihr, weil er seinen Herrn verlassen
habe, gefangen gesetzt und später von den Deutschen getödtet
worden.
Wiewohl Ref. überzeugt ist, dass dieses nur eine aus Ge-
hässigkeit gegen das Geschlecht der Zapolya verbreitete Sage ist,
gibt er gleichwohl zu, dass es von grosser Wichtigkeit wäre, wenn
ungarische Specialhistoriker — die aber freilich gerade jetzt am
wenigsten Lust dazu haben werden — sich mit der Prü^ng der-
selben beschäftigen möchten.
L Die erste der drei Schriften endlich enthält die
»Darstellung mehrerer bisheriger Systeme für An-
ordnung von Sammlungen mittelalterlicher und mo-
derner Münzen und Medaillen und Begründung eines
wissenschaftlichen Systems von Karl dem Grossen
bis auf unsere Tage.c
Schon vor einiger Zeit hatte der gelehrte Verf. in den vor-
trefflichen Abhandlungen »Pflege der Numismatik in Oesterreich,
mit besonderm Hinblick auf das k. k. Münz- und Antikencabinet
und auf Privatsammluiagen in Wienc die Gmndlagen einer Ge-
schichte der Numismatik in seinem Yaterlanda gebaut; jetzt be-
schäftigt er sich zuerst mit der Geschichte der vcrschiedetien nach
einander wechselnden Systeme für Anordnung und Sammlnng, wenig-
stens der mittelalterlichen und modernen Münzen. Aus dem am
5. April d. J. in der Sitzung der philosophisch -historischen Klasse
gehaltenen Vortrag ist die oben aufgeführte Schrift entstanden,
Sie findet dreierlei bisherige Ein th eil tings weiten
vor, L nach dem hierarchischen (kirchenfürstlicheii) , H.
nach dem laienfürstlichen und HI. nach dem geogra«
phisohen System.
\
8fO B«rgmftBn> XTeber Brteteatoi «• •» w.
' Die dtste, yertreten dnroh Otiavio Strada, HerSns, diefran-
z58isah6n Catalogues dtsMonnaies en Or eten argent 1756. 1769.
1770, Yertretea in der Ordnnng des alten Hanscabinets nnd dnreh
Appely auch duroh Baron Brettfeld Cblnmc zanzkj beginnt mit
wenigen Variationen mit den Münzen der Päpste, Gardin&le, Pa-
triarchen , ErzbiscbOfe (geistliche KarfUrsten) , Bischöfe , Aebte,
Bitterorden, nnd schliesst dann mit denjenigen der Kaiser, Könige
n. a. Fürsten. Die zweite, vertreten dnrch Madai-Lilientbal,
die beiden Köhler, das »Groschencabinetc nnd Ritter von Frank
hat die römisch- dentsohen Kaiser an der Spitze, lässt dann die
Könige, KurfClrsten, die geistlichen nnd weltlichen Fürsten n. s. w.
folgen, geht dann zn den ausserdentschen über nnd schliesst mit
Miscellen oder unbekannten Thalem. Die dritte beginnt ao
einem Ende der Welt nnd durchläuft die Länder bis zum andern,
von Nord nach Bttd, von Ost nach West oder umgekehrt. Dan
gehören die Anordnungen von Leitzmann, von Ampach, Welzl, voo
Wellenheim, v. Beichel, v. Mader, die Systeme im k. k. Münz-
oabinet im 19. Jahrhundert, endlich dasjenige von Scholthes»-
Beohberg.
Wie viele Mängel und Verwirrung, Zersplitterung des Zu-
sammengehörigen und Vereinigung von Ungleichartigem jedes die-
ser Systeme mit sich bringt, hat wohl jeder erfahren, der sich
auch nur oberflächlich mit Anordnung von Münzen und Medaillen
beschäftigte. Der Verfasser hat dieselben theils bei den einzelnen
Systemen angedeutet, theils hat er zur Erkennung derselben auf
das von ihm selbst aufgestellte System verwiesen, welches den
zweiten Theil seiner Schrift bildet (S. 23—50).
Dieses System bezeichnet der Verf. als ein historisch-
geographisches, wissenschaftliches nnd praktisches.
Wenn wir diese Eigenschaften in demselben ohne Zwang und Ver-
wirrung vereinigt finden, so ist es nach unserer Ansicht jedem
andern weit vorzuziehen und darf allen Sammlungen empfohlen
werden.
und in der That glauben wir, dass diese Klarheit nnd XTeber-
sichtliohkeit vollkommen gelungen ist, wenn gleich vielleicht eine
krankhafte Empfindlichkeit gegen die Voranstellung Oesterreiehs
einige Einwendungen zu erheben geneigt ist.
• Wir woUen zum Belege dasselbe kurz andeuten. Die erste
Hauptabtheilung ist: europäische und aussereuropäische
Staaten. Die letztern nehmen mit den Namen Asien, Afrika,
Amerika und Australien die XVIII. Bubrik ein, während die XVII
vorhergehenden auf Europa lallen und die XIX. gleichsam als A n-
hang die Medaillen auf berühmtePersonen enthält. Von
Europa bildet nach Gebühr das deutsche Beich von seiner
Gründung durch Karl den Grossen bis zu seiner offiziellen Auf*
lösnng 1806 die erste Beihe, dann folgen, ohne dass gerade
der Grund der Anordnung besonders betont wäre, die Schweiz,
Bergmftniis Vthet &riketoftt«ft tt. ■• w. tfi
Italien, Portugal, Spanien, Ftankreioh, Bel(^en, ^Niederlande, Oross-
britannien mit Schottland nnd Irland, Dänemark, Schweden, Bnss-
land, Polen, die altern christlichen Königreiche nnd ne^em Süzerä-
nen Fürsten in der europäischen Türkei, Qriechenland, die Kreuz-
fahrer, endlich die Münzen und Medaillen der Städte.
Hier sind uns indessen offen gestanden einige Bedenken auf-
gestossen, die wir dem Herrn Verf. zu erwägen geben wollen.
Wir vermissen vorerst die Türkei und das byzantinische
Kaiserthum vor und nach den Kreuzzügen.
Der Verf. ging wohl von der Ansicht aus, da(ss beide keine
rein europäische Staaten seien oder gewesen seien. Allein
einerseits wäre ein ähnliches Yerhältniss bei Spanien, Portugal,
England u. A. auch zu constatiren gewesen, andererseits ist der
üebelstand vorhanden, dass wir sie auch nicht in Asien oder Afrika
finden. Dürfte nicht die Eintheilung : XTV. Türkei, a. Byzantinisches
Beich, b. lateinisches Kaiserthum und die darin entstandenen Fürsten-
thümer, c. ältere christliche Königreiche und jetzige Süzeräne Für-
sten, d. Königreich Oriechenland erschöpfender sein? Dann auch
»XVI. die Münzen der Kreuzfahrer« ist unseres Erachtend
eine Eintheilung, die zwar der alten üebung entspricht, aber doch
den üebelstand hat, dass europäische und asiatische Münzen, die
eigentlich als Unterabtheilung zu XVilL A. unter Liteta g gehören,
zu Europa eingetheilt sind.
Dass dem jetzigen Königreiche von Italien eben so wie
in Würtemberg auch in dem Mtinzsysteme die Anerkennung noch
versagt ist, darf mit dem Verf. den noch in Gährung befindlichen
Zuständen der apenninischen Halbinsel zugeschrieben werden; —
doch werden die neuen Münzen Victor Emmanuels , unter jenem
Titel aufgeführt werden müssen, wie auch in der Schweiz die der
helvetischen Vasallen-Republik, die wir S. 36 vermissen.
Gelegentlich der Aufstellung seines Systems hat der Herr Verf.
nicht unterlassen, nach seiner Sitte, als »lepidum quoddam corrol-
larium« da und dort sehr interessante Notizen einzustreuen.
Zu diesen rechnen wir z. B. S. 36 die Nach Weisung, dass die
Päpste unter Karl dem Grossen und seinen nächsten Nachfolgern
die Oberhoheit der Frankenkönige anerkannten und z. B. auf dem
Avers CARLV8 und als Monogramm Imperator, auf dem Eev.
PETRVS und als Monogramm LEOPA(pa) prägten, gerade wie
Herzog Grimwald von Benevent auf dem Avers DOM(inus) invictuS
CAR{olu)S Rx — Ref. möchte statt invictus Sau et na lesen, alfl
einen Ueberrest römisch-kaiserlicher Superstition — ^ und auf dorn
Revers GRIM-VALD prägte. Diese Beispiele Hossen sich leicht
vervielfältigen und bestätigen nur, dass ausser dem bedeuten-
den Werthe des systematischen Versuches der Verfasser Seiner
Schrift noch eine hinlängliche Anzahl von Anxiehungiipuinkten %}x
geben wusste.
Mannheim. Ticklcr«
Sit Literalivbcfflehfte Mi IttUou
LiteratnrbericlLte ans ItalieiL
Es sind in nenester Zeit in Deutschland grosse Schützenfest«
gefeiert worden ; allein es dürfte die Frage sein , ob für die Ge-
schichte des Scheibenschiessens so yiel geschehen ist, wie in Italien^
worüber wir anf folgendes Werk verweisen :
H Uro al aegno in JiaKa della ma origine dno ai nosiri ffiarm, ü
A, Angelucci. Torino 1866. Tip. Baglione e Comp.
Dieses Werk enthält eine gründliche Geschichte des Scheiben-
schiessens von seinem Ursprünge bis anf unsere Tage, nachdem der
Verf. schon vor ein paar Jahren eine Schrift über die Feier yob
Gemeinde-Festen in Italien durch Scheibenschiessen im 15. Jahr-
hundert yeröffentlicht hatte. Zuvörderst wird nachgewiesen, wann
sich die ersten Nachrichten Ton tragbaren Schusswaffen in Italien
vorfinden. Nach Muratori besass schon Rinaldo von Este 1334
Feuerwaffen, und der gelehrte Minister Graf Cibrario hat darge-
than, dass dergleichen schon 1846 in Turin vorhanden waren; die
Stadt Perugia Hess 1364 davon 800 Stück anfertigen, und die da-
mals freie Reichsstadt Bologna besass dergleichen schon 1397.
Während in Deutschland nur von Raubrittern des Lehnwesens und
den Burgen derselben Nachrichten vorhanden sind, erscheint bei
dem italienischen Gemeindewesen schon früh eine bewaffnete Bürger-
schaft mit ihren Waffenübungen. Nach einer Urkunde in Pisa
waren schon 1162 daselbst Bürger-Caropagnien organisirt, welcbe
ihre Waffenübungen abhielten. Nach einem Vertrage zwischen den
freien Städten Genua und Alessandria von 1181 wurde bestimmt,
wie viele ausgerüstete Bürger sich gegenseitig im Falle eines Krie-
ges zu Hülfe kommen sollten. Mit ausserordentlicher Sorgfalt fObit
der Verfasser von vielen italienischen Gemeinden die Einrichtnog
und üebung der bewaffneten Bürgerschaft nach urkundlichen Nacb-
i richten an, und versteht es sich von selbst, dass diese üebungen
j auch nach der Erfindung des Schiesspulvers fortgesetzt wurden.
I Dabei bemerkt der Verfasser, dass man bisher keine gezogene
Büchse vor der 1498 bei dem Scheibenschiessen in Leipzig von
Zollner vorgezeigten kannte, dass aber eine solche schon 1476 zn
Ouastalla vorhanden war. Mit grosser Sorgfalt hat der Verfasser
merkwürdige Nachrichten über die Waffenübungen der Bürger in
Venedig, Lucca, Florenz und vielen andern italienischen Städten
urkundlich zusammengestellt.
Hiemächst zeigt der Verfasser, dass es schon früh Gesell-
schaften von Bogenschützen gab und führt derselbe mehrere Ver-
ordnungen über dies Waffenspiel, balistarins ludus, an; z. B. in
Lucca vom 15. Mai 1882, von Osimo von 1838, von Asti, Casale,
Ferrara u. s. w. Mit genauer Kritik wird die Einführung der
Feuervraffen von dem Verfasser behandelt und für entschieden an-
literatnrberlclite ans Italien. 873
genommen, dass eine Artillerie-Schnle , die erste in Europa 1491
zu Venedig errichtet wnrde. Bei der Geschichte der Bildung von
Schützen-Gesellschaften wird erwähnt, dass in der Stadt Cuneo die
dortige diessfallsige Gesellschaft zu ihrem Schützenkönige den Anton
Opezzo durch Stimmenmehrheit gewählt hatte. Indem der Verf.
die Geschichte der italienischen Schützen-Gesellschaften fortführt,
schliesst er mit dem ersten Scheibenschiessen des jetzt vereinigten
Italiens, welches am 21. Juni 1862 zu Turin mit 61 Scheiben er-
öffnet ward, wobei 250,000 Schüsse fielen, und die vertheilten
Preise über 100,000 Franken betrugen, worüber in einem beson-
dem annuario storico statistico del tiro a seguo nazionale, Torino
1862, Nachricht gegeben ward, worin unter anderm erwähnt wird,
dass die Kanone, welche das Signal zu der EröfEnung des Festes gab,
in Parma mit folgender Inschrift gegossen worden war: Carlo HI.
di Borbone, Paskiewitsch, 1852 ; wobei man keine Ahnung haben
konnte, dass sie in Turin zu einer solchen italienischen Fest-
lichkeit würde gebraucht werden. Der gründliche Verf. schliesst
mit einer chronologischen Tabelle des italienischen und ausländi-
schen Scheibenschiessens, anfangend mit den diessfallsigen Hebungen
in Bayenna im 7. Jahrhundert, in Sardinien im 9. Jahrhundert, in
Bergamo 1120, in Genua 1161, in Pisa 1172 u. s. w. bis zudem
zu Pisa im Jahr 1286 gefeierten Scheibenschiessen mit Bogen und
Armbrust, wobei zugleich das erste ausländische Schützenfest er-'
wähnt wird, nämlich das von dem Herzoge Boleslaus zu Schweid-
nitz in Schlesien eingeführte Scheibenschiessen, welches Moritz
Meyer erwähnt ; nach vielen solchen in Italien vorgeflihrten Festen
kommt 1863 eine Verordnung von Eduard III. von England: Ueber
das Scheibenschiessen, dann wieder von auswärtigen, Zürich 1386,
Augsburg 1392, Hamburg 1394, auch in Frankreich in demselben
Jahre ; hierauf wird wieder, nach vielen italienischen solchen Festen,
im Jahre 1400 die Stiftung der Schützenzunft in Zürich und Luzern
erwähnt, bis endlich 1427 zum erstenmale mit Feuergewehr zu
Aosta ein solches Fest gefeiert ward, worauf dasselbe ebenfaUs in
Nürnberg im Jahr 1429 erfolgte. Hierauf werden wieder viele
Schützenfeste mit Pfeilen in Italien angeführt, so wie auch in
Frankreich 1448, bis wieder im Jahr 1450 in der Schweiz mehrere
Schützenfeste mit Feuergewehren erwähnt werden, bo wie H61 zu
Augsburg. Endlich tritt in Lucca 1467 eine Schützen- GeaeUacliaft
mit Feuergewehren auf, 1491 in Venedig, bis endlich von 1500
an diese Uebungsfeste mehr mit Feuergewehreu erwühnt werden.
Auf diese Weise wird fortgefahren bis zu den im Jahr 1864 in
Italien bestehenden namentlich aufgeführten Bchübeti-Geaellscbaften,
Diese merkwürdige Chronologie füllt die engf^ednickten Seiten die-
ses Werkes von 135 — 190. Hierauf folgen 71 meist bisher unbe-
kannten Urkunden von 707 an bis 1785. Den Bestiblnsa macht
eine Sammlung von Statuten mehrerer SchUtzengilden und ArtilU^ritr-
Schulen, von 1488 an bis 1730. Auf diese Weise i^t ^ '
6T4 LttaratuHmrldiia mi ItofieB.
ein aeQor Beweis Ton der Oelebnamkeit uod dem Fleiase dM ftr
die Geschiebte thatigen Verfassers. ,
Dei Sehioppettieri Milanen ml 16 secolo. Müano 1865.
Herr Angelncci, der Verfasser des eben erw&bnten grösserei
Werkes über das Scbeibenscbiessen , gibt hier eine ebenfalls mit
ausserordentlicher Sorgfalt aus alten Urkunden gesogene Oeschichto
der Mailändischen Bttchsenschützen in dem Kriege gegen Venedig,
nachdem die Feuerwaffen in Gebrauch gekommen waren. Der Ver-
fasser hat ermittelt, dass die Mailänder Bürger im Jahr 1441 be-
reits eine bedeutende Schaar von Büchsenschfitzen zu der Belag^
rang von Caravagio unter Sforza aufgestellt hatten. Eine noch
grossere Menge solcher Schützen wurden gegen die Venetianer ia
das Feld geführt, als im Jahr 1452 der Krieg gegen Venedig wie-
der ausbrach, dasselbe war auch der Fall, als Franz Sforza im Jak
1463 sich anschickte Genua zu erobern. Der Verf. trägt biernieM
blos die damaligen Kriegs-Begebenheiten vor, sondern gibt «leh
als Sachyerständiger genaue Beschreibungen der damals gebranch-
ten Gewehre, und der Arsenal* Vorräthe mit gewohnter Gründ-
lichkeit. Eine wichtige Beilage sind 23 ungedrackte Urkunden toi
1455 anÜEtngend bis 1499.
Von demselben unermüdlichen Forscher in alten ArchircD
ist auch:
II Uro al 9epno in Aosta, dal 12 al 19 secolo di A. AngelueeL ISSi
Tip, Baglione. 4,
worin die Geschichte des Scheibenschiessens in der an der Alpen-
Strasse über den St. Bernhard liegenden Stadt Aosta erzählt wird
In dem Archive der Stadt Aosta finden sich Beweise, dass schon I
im Jahr 1218 daselbst eine Compagnia del Arco bestand, ürknnd-
ifc^ wird nachgewiesen, dass man bereits seit längerer Zeit Kngeln
mit Armbrasten zu schiessen pflegte, welche nach der Erfindung
des Pulvers, wofür gewöhnlich das Jahr 1854 angenommen wird,
zu tragbaren Feuergewehren Veranlassung gaben. Es wird daher
mit vieler Gründlichkeit erörtert, in wie fem eine Inschrift in
Aosta wichtig sein kann, naeh welcher im Jahr 1427 daselbst
Arquebusen-Schiessen stattgefunden habe, nachdem der Venetia-
nische General Coglione aus Bergamo schon 1876 Kanonen im
freien Felde benutzte, und in Florenz der Muster ügonino ans
Ghatillos, im Thale von Aosta, schon 1847 Kanonen lieferte,
worüber auch der gelehrte Minister, GrafCibrario in seiner Sohriß:
Dell* uso degli Sehioppi nell' anno 1347. Torino 1844 Untersuch-
ungen angestellt hat. Jedenfalls hält Herr Angelncci ftlr bewiesen,
dass in Aosta schon im Jahr 1427 Schiesspulver zum Soheiben-
schiessen benutzt worden, welches nach Moriz Meyer in Nürnberg
erst 1429 stattfand; er gibt femer sehr beachtenswerthe Nach-
richten, Urkunden und Facsimile über die kriegerischen Unte^
Litentarbaieliie «vfl Itallea 815
nehmniigen der Einwohner in dem Valle d^Aosta, nnd Aber die
ritterlichen 8chüt«en von Aosta, i Cayallieri Tiratori, la noble
oompagnie de rArqnebnse, anch les Chevaliers tireurs genannt.
Jedenfalls ist auch dieses Werk des gründlichen Verfassers eine
dem Geschichtsforscher wichtige Arbeit.
Lettere d% Galileo Qalilei puhblicati la prima volia pd 9U0 irecen"
tesimo natalizio. Pisa 1864.
Als am 18. Februar 1864 zu Pisa der 80jährige Geburtstag
Galilei*s feierlich begangen wurde, liess die Commission, welche dies
Fest veranstaltete, bestehend aus dem damaligen Präfecten, dem
späteren Minister Torelli, dem Bector Centofanti an der dor-
tigen Universität und dem Oberbürgermeister del Punta 5 bisher
unbekannte Briefe dieses grossen Mannes drucken und der gelehrte
Bibliothekar Sacohi aus Mailand noch 6 andere, welche er dort
aufgefunden hatte. Jetzt erscheint diese Sammlung von 11 Briefen
mit wichtigen Anmerkungen ausgestattet.
StUla canservaaione ddle piiture dtl Camposanio di Pisa. Memorie
e leilere. Pisa 1864. Tip. LUi.
Der Maler Botti zu Pisa^ welcher einige neue Glasgemälde
für das Battisterium zu Pisa gearbeitet hatte, machte den Vor-
schlag die Fresken in dem berühmten Campo santo daselbst wie-
der herzustellen, und zwar nach einem von ihm erfundenen neuen
Verfahren. Die Stadtgemeinde ging darauf ein, und die Ausfüh-
rung war befriedigend. Die diessfallsigen Verhandlungen werden
hier bekannt gemacht.
11 libro dH seite savj di Roma, testo del buon secolo deUa lingua.
Pisa 1864. Tip. NütH. gr. 8. p. LXIV. ISl.
Das Buch der sieben Weisen war schon vor 1000 Jahren im
Oriente bekannt, anfangs nur in mündlicher Ueberlieferung, bis es
endlich durch die Ereuzzüge nach Europa verpflanzt und in ver-
schiedene Sprachen übersetzt wurde. Herr Alessandro d'Ancona
macht hier eine italienische Bearbeitung dieser Erzählungen be-
kannt, indem sie sprachlich einen Gegenstand der Gesellschaft aus-
macht, welche sich zur Heraufgabe der Testi di lingua in Italien
gebildet hat, deren Vorstand Herr Zambrini ist. Zu dem Vor-
worte wird die Literatur dieses alten Buches der sieben Weisen
mit Benutzung auch der auswärtigen Literatur vorgeführt, wobei unser
V. Hammer, Bohlen, Weber, Rosen, Keller u. s. w. benutzt werden ;
auch ist die gelehrte Abhandlung darüber von unserm verdienst-
vollen Professor Brockhaus, Tnti Namah di Nakhshabi, von E.
Teza in italienischer Uebersetzung beigefügt.
J
}
ftT6 LItentturberichto atn IteUen.
Vüe degK uomird ülugiri dflidlia in poliüea e in arm dal F. 2).
QutrrasTsL Milano 1863. Tip. OuigonL 4.
Von dem Leben der berühmten Italiener von Gnerrazzi sind
bereits 120 Lieferungen erschienen. Der mit der 104. Lieferang
anfangende 2. Band dieses bedeutenden Werkes enthält das Leben des
Florentinisohen Helden Ferrucci, welcher 1489 geboren ward. Dem
gelehrten Herrn Verfasser stand das grosse Staatsarchiv zu Florenx,
welches von dem bekannten Archivar Ritter Bonaini trefflich ge-
ordnet ward, natürlich offen ; dies allein reicht hin auf diese für
die Oeschichte höchst bedeutende Arbeit aufmerksam zu macbeB.
Carlo Heqely storia dtlla constUuiione dei fnutficipü Haliani, ira-
dotia dal Prof. Canti. Milano 1864. Tip. Guigoni.
Diess für die Oeschichte des Gemeindewesens, welches in Italiei
in seinen 7600 Gemeinden vollständig ausgebildet ist , wichtige
Werk unsers gelehrten Hegel erscheint hier in italienischer Uebe^
Setzung. Wie sehr man in Italien die deutschen Werke zu w11^
digen versteht, kann man daraus abnehmen , dass bei demselben
Verleger zu gleicher Zeit eine üebersetzung der Geschichte Europas
von Wolfgang Menzel, und der römischen Geschichte von Mommsen
erscheint.
Avanzi preromani delle terremare e paJaßtte deW Emüia dd Prof*
Sirohd. Parma 1863.
Der Professor Strobel in Parma, ein gelehrter Deutscher, fr&-
her an der Universität zu Piacenza angestellt, hat in der Um-
gegend von Parma Pfahlbauten entdeckt und darüber hier Nach-
richt gegeben ; so dass man jetzt Spuren von den wahren Antoch-
tonen Italiens besitzt. Es hat derselbe in dem üniversitätsgebäade
zu Parma bereits ein sehr reiches Museum der von jenen Bewoh-
nern der Pfahlbauten benutzten Geräthe angelegt.
Qiornale delle Alpi, degli Apptnnini t dd Yolcani, ddl Avoc. 6. T.
Cimini. Torino 1864.
Veranlasst durch einen Bericht über die Besteigung des
Monte Viso von dem gegenwärtigen Minister Sella, bildete sich
seit 1868 ein Alpen -Clubb in Turin, und ein Mitglied des-
selben, Herr Cimini gründete eine Zeitschrift unter dem vo^
stehenden Titel, von welcher bereits das 4. Heft herausgekommen
ist, enthaltend sehr beachtenswerthe Abhandlungen über die Er-
forschung der italienischen Berggegenden. Von Gastaldi ist unter
andern nachgewiesen worden^ dass die Ausdehnung der Gletscher
sich sonst viel weiter erstreckt hat. Eine schöne Zugabe sind
Karten und mitunter Ansichten, schöne Alpengegenden, von denen
schon Virgü den pinifer Vesulus erwähnt.
titeraiiirbericlite^ftiiA Italien. 877
Eine der in Italien h&ufig vorkommenden nnd für die Gescbiclite
oft wichtigen Monographien ist folgende:
DelV Abazia di S. Alberto di Butero e dd rrumastero J. Maria in
Vogheroy di A, Cavagna^Sangitäiani^ Milano 1866» Tip,
Angelli. gr. 8. p. 312.
Nachdem die Benedictiner - Mönche seit dem Anfange des
6. Jahrhunderts in Italien eingeführt worden waren, entstand auch
in der Provinz Pavia unfern von Voghera am Ende des 10. Jahr-
hunderts ein solches £[lo8ter, woraus bald eine grossartige Abtei
wurde, welche wie eine Bitterburg gebaut war, und den Namen
S. Alberto di Butero erhielt. I)ie erste hier mitgetheilte Ur-
kunde ist von 1074, womach Gregor VII. die Wahl eines neuen
Abtes bestätigt; die durch das germanische Lehnwesen hier
entstandenen Lehnsherren machten diese Abtei bald so i'eich,
dass ihr beinahe die ganze Umgegend gehörte, besonders war es
der Markgraf Malaspina, welcher grosse Schenkungen an Land-
gütern machte. Eine päpstliche Bulle von Innocenz 11. sicherte
dieser Abtei im Jahr 1134 den unverletzlichen Besitz dieser und
aller künftigen zu erwerbenden liegenden Gründe zu, und bald er-
langte sie auch die Jurisdiction über andere Kirchspiele, so dass
sie eine Landschaft von 12 Q.-M. bildete, von welcher eine Karte
beigefügt ist. Eine wichtigere Beilage aber sind 17 meist unbe-
kannte Urkunden. Eine besondere Abtheiluug dieses Werkes bildet
die Geschichte des 1492 bei Voghera an der Via Emilia gestifte-
ten £[losters S. Maria della pieta.
Für die klassische Zeit ist höchst wichtig das folgende Werk
des gelehrten Grafen Gozzadini, welcher wie viele Vornehmen und
Eeichen in Italien für die Wissenschaft lebt, statt wie anderwärts
seine Zeit mit dem gewöhnlichen Land- oder Garnisonsleben, und
Anderm zuzubringen :
Jniorno alV aquedoiio cd alle terme di Bologna^ dd CanU Oozsadini.
Bologna 1864, in 4.
Nachdem der Herr Verf. auf seinen Gütern mehrere hetrurische
Gräber aufgefunden und beschrieben, hat er auch die beinah ganz
verloren gegangene Wasserleitung bei Bologna aufgefunden und Bio
bis zu ihrem Anfange in dem Flusse Setta meilenweit verfolgt^ sie
genau beschrieben und auf einer diesem gründlichen Werke beige-
fügten Karte nebst den architectoni sehen Durchschnitton u. s, w,
erläutert dargestellt. Sie war nach dem Fall der Bömor-Hcrrscbaft
in Vergessenheit gerathen, weil sie nicht wie gewöhnlich auf Bogen,
sondern unterirdisch angelegt war. Mit gründlicher Kenntniss der
Klassiker weisst der Verfasser nach, warum diese Bauart vorgezogen
• worden, besonders aber auch warum nicht der viel ntther gelego&ö
Flnss Beno dazu benutzt worden, da die Bömer genau dio
^6 U\mtmbtTUlhis m« Üdita.
sohaffenheit des Wassers unterscheiden , aaeh die Toa dam Y«f-
f asser veranlasste chemisohe Analyse des Wassers aas beidaa FlS*' i
sen ergeben hat, dass die Setta ein viel gesunderes Wassers ea«-!
hält, als der Beno, welches durch die geologischen Verhältnisse be
dingt wird. Um zu bestimmen, in welcher Zeit diese Wasser-
leitung gebaut worden, welche sehr bedeutende Mittel Toransaetst,
hat der Verfasser wieder eine bedeutende Eenntniss der Flairinlffr
entwickelt, und da Manche geglaubt, dass sie Ton Marios %rbm
worden« hat er genau die Zeit ermittelt, wo sich Marios in d«
Zwischen-Zeit seiner Feldzttge und Consulate aufgehalten ond nac^
gewiesen, dass manohe den Theil Ton Gallien, woza Bologna eisa
gehörte, mit dem an den Alpen jenseits des Po gelegenen GaSia
verwechselt haben. Mit gleicher Gründlichkeit hat der Herr Ya<-
fasser nachgewiesen, dass dieser merkwürdige Ban unter Angosui
ausgeführt worden. Dasselbe findet auch bei der Beschreibung ^
in Bologna von den Bömem angelegten warmen Bäder statt, m
denen ebenfalls noch Spuren vorhanden sind. Wenn ein sold»
Mann als Ehrenamt die Stelle eines Mitglieds der philoaopbiscki
Fakultät an der Universität zu Bologna annimmt, so kann an
zugleich daraus eine Eigenthümlichkeit mehrerer der italieniseäB
Universitäten würdigen lernen. Ausser den ordentlichen ProfesscBa
der verschiedenen Fakultäten werden nämlich noch Doctores ooDs-
giati angestellt, nicht um Vorlesungen zu halten, sondern om, oatt
einem besonders abgelegten Examen rigorosum, bei den PMkfiu^
zu akademischen Graden als unparteiische Mitglieder bethaüigt m
sein. Da nämlich die Professoren ihre Zuhörer zum Bebofa ig
Promotion zu prüfen haben, so könnte ihr Urtheil vielleicht ft
betbeiligt angenommen werden ; daher besteht ein Theil der be-
treffenden Examinatoren in jeder Fakultät, ausser den Profeesom
aus solchen Doctores coUegiati. Dies sind oft in der jnrietiadB
Fakultät gelehrte Siebter, oder Advokaten, oder auch Privatpar
sonen ; denn in Italien pflegen die vornehmsten jungen Leoie da
Doctorgrad zu erwerben, damit sie die Ehre haben, als Gelehrte
zu gelten; so sind auch in den medizinischen Fakultäten oft aoi-
übende Aerzte, oder auch Privat-Naturforscher solche Mitglider
der Fakultät.
Das seit 1841 bestehende Archivio storico Italiano» eradui^
jetzt mit dem Anfange dieses Jahres in neuer Gestalt:
Archivio storico Italiano, serie UL Tom. L Parte L Fircnme ISSi
Tip. Cdlini.
Nach dem Tode des wohlbekannten Begründers dieser Zeii*
Schrift >Yieussieuxf hat die Deputation für vaterlündieolie Ge>
schichte von Toscana, Umbrien und den Marken die FortaetxBDf
derselben für e^e Bechnung übernommen, und die Leiimig des
Prof. Milanesi| dem Conunandeur CSapei, und dem Seeretftr
X4t6r8tiir1)ericl]ie «us Itillen, 879
l^esellschaft Tabarrini übertragen. Da ItalieB jetzt der Seelenzahl
lach die vierte Grossmacht ist, wird anch der Gesichtskreis die-
er Zeitschrift insofern erweitert, dass mehr als bisher anch anf
kusländisohe geschichtliche Werke Bücksicht genommen werden
^rd. Das vorliegende Heft enthält den Beisebericht der Gesandte«
lebaft, welche nach dem Tode Carls YII. von Frankreich dorthin
geschickt ward, nm seinem Sohne Lndwig XI. Glück zur Thronbe«
Steigung zu wünschen. Diese Gesandtschaft bestand aus dem Gar-«
Unal Vieri de Medici, dem Lnca Pitti imd dem Piero di Pazzi,
md i8t dieser Bericht von dem Gesandtschafts-Kanzler Neri-Cecohi
f erfasBt, der mit dem Beise-Tagebach anf&ngt, welche am 27. Oct.
L461 angetreten ward, üeberall wird erzählt wo übernachtet wor-
den, nnd mit welchen Ehrenbezeugungen die Gesandtschaft in Bo-
logna, Modena, Parma xmd Mailand empfangen worden, auch was
tiberall Merkwürdiges zu sehen gewesen. Damals ging die Haupt-
strasse von Mailand über Yerceili, Ivrea und Aosta über den St.
Bernhard nach dem Wallis und die Bhone herab bis nach Genf,
der üebergang über die Alpen wird sehr beschwerlich und gefähr-
lich geschildert. Ueber Lyon ging die Beise nach Bourges und
Tours, wo man den König am 23. Dezember antraf. Die Bück-
reise ging über Troyes, Dijon und den Mont-Cenis nach Asti und
Mailand nach Florenz zurück, wo sie am 18, März 1462 wieder
anlangten. Sehr merkwürdig ist ein anderer Aufsatz über den
Cardinal Archetti, welcher bald nach der ersten Theilung Polens
als Nuntius nach Warschau geschickt ward und 1785 nach Bom
2urückkehrte , nachdem er in Petersburg fiuch am Hofe der
Katharina IL sich aufgehalten hatte. Der Verfasser, der gelehrte
Gabriele Bosa, hat sich durch diese Mittheilungen ein besonderes
Verdienst erworben, unter den Beurtheilungen neuer geschicht-
licher Werke werden auch deutsche Arbeiten erwähnt, z. B. die
Gultur der Benaissance in Italien von Burkhardt, femer das Ver-
zeichniss der Gemälde-Gallerie in Dresden von Hübner, femer die
Monogrammiaten u. s. w. aller Schulen von Nagler und Dantes
Ailigherii Monarchia, per 0. Witte, welcher auch in Italien für den
ersten Kenner der Dante-Literatur gehalten wird.
La Corsica^ sonetH di Maria BonaparU Valeniinij Paris 1864.
Presso Dupont 4.
Diese Dichtungen über Corsica verherrlichen das Stammland
der Verfasserin, welche sie ihrem Bmder, Peter Bonaparte, gewid-
met hat, und zeigen, dass auch die weiblichen Mitglieder der Familie
Caniuo-Lucian-Bonaparte sich literarisch beschäftigen, so wie dies
auch mit ihrer geistreichen Verwandtin, der Enkelin Lucian Bona-
partes, der jetzigen Frau Batazzi, früher verwittweten Solms der
Fall ist, welche in diesem Fache so viel geleistet hat, und noch
damit fortfährt, aber freilich in französischer Sprache«
8d0 Lltefatorberlclite Btu ttalleli.
Deüe isUltuioni poUUche logobardiche dt Fr. Sehupfer. Pirenzt 186i.
Tip^ Lt Monnier.
Schon Vico machte seinen Landsleuten den Yorwnrf, dass ne
das Mittelalter weniger kannten, als das alte Born and Atben;
daraus hat der Verfasser, welcher in Padoa Professor der juristi-
schen Fakultät ist, zu beweisen gesucht, wie die wenig zahheichen
Longobarden durch ihren Einfall in Italien dem römischen Beidie
nicht nur so schnell ein Ende machen, sondern auch die Zeit des
Mittelalters begründen konnten. Indem die Sieger sich mit der
Verwaltung wenig abgaben , konnte das Gemeindewesen der sidi
meist selbst überlassenen Eingeborenen sich frei entwickehi, und
ohne Einmischung von Seiten des Staates keimten ganz neue Y6^
hftltnisse gebildet werden.
Suüa aniichila ddla Carnia, di F. Q. Ermaeora, volgariazak äd
D. Lupuri. Udine 1868.
Diese im 16. Jahrhundert lateinisch verfasste Greschichte toa
Eämthen und Friaul erscheint hier als eines der literarischen Hocli-
Zeitsgeschenke, wie sie in Italien gewöhnlich sind, übersetzt, undfis-
det sich hier die Geschichte von dem an Cäsar erinnernden Foram
Julii, der Civitas Austriae der Longobarden, welche hier einen
Herzog bestellten, die Verhältnisse zu dem Patriarchen Yon Aqaileja
bis zum Erlöschen deren weltlicher Herrschaft.
La eivüta Jtaliana, revista di scienge , letiere ed arH, per de Ott
bematü. Firense 1866. Tip. Nicolai, gr. 8.
Seit dem Anfange dieses Jahres erscheint zu Florenz diese
wissenschaftliche Wochenschrift, worin in einer der letzten Nummen
von Bonatelli über den ütilitarismus von dem Engländer Mill Nadi-
richt gegeben wird, Lioy zeigt den Menschen in Verbindung mit
der Natur, de Meis den Naturforscher selbst, Ascoli die Geschichte
des Wortes in philologisch-linguistischer Bedeutung, Zendrinifübii
unsem Dichter Heine vor, der ebenfalls mit der deutschen Litera-
tur sehr vertraute Gelehrte Straffarello, einer der Herausgeber der
grossen italienischen Encyclopädie zu Turin, gibt eine Zusammen-
slellung von Sprüchwörtem über die Frauen. Den Schluss machen
Bücher- Anzeigen.
Neigebaur.
Vi. 66. EEIDEIBEBSEß 188S.
JAHMÜCHER DER LITERATUR.
Sein und Sollen. Abriss einer phüoaophüehen Einleitung in deu
Sitten" und Reehisgesetz von Arnold Kitz. Frankfurt a. M.
Joh. Chr. Hermann* sehe Buchhandlung. Morüss Diederufeg.
1864. IV u. 123 S. gr. 8.
Die Yorliegende Schrift enthält aasser einem Vorworte
(S. m n. IV) und einer Einleitung über die historische Schule
und ihre »Naturwüchsigkeit« (S. 1 — 5), 1) den erkenntnisstheore«
tischen Standpunkt (S. 16—35), 2) die Thatsache des sittlichen
Bewusstseins (S. 85— 44), 8) Untersuchung über die Frage: Lässt
sich das Sollen mit Kant aus der reinen Vernunft schöpfen? (S. 44
— 56), 4) Anhang: Schopenhauer über Kant (S. 56— 65), 5) die
beiden Grundgebiete des menschlichen Denkens und zwar das Sein
und das Sollen (S. 65 — 75), 6) den menschlichen Willen .als das
den Zusammenfluss des Seins und Sollens vermittelnde Element
(S. 76—85), 7) den göttlichen Willen als den Ausgangspunkt des
Seins und Sollens (S. 85—94), 8) den Inhalt des Sollens (S. 94
—107), 9) den Uebergang zum Rechte (S. 107—123).
Der Herr Verf., welcher »praktischer Jurist« ist und sich in
philosopluschen Dingen einen »Dilettanten« und die von ihm be-
bandelten Gegenstände »philosophische Allotria« nennt, ist, wie er
sagt, mit seiner Schrift «im Voraus auf ein bedeutendes Schütteln
des Kopfes« gefasst. Er tritt, wie er sich ausdrückt, mit »eigen-
köpfigen principiellen Ansichten« hervor.
Sehen wir zu, wie es sich mit diesen Ansichten verhält. Mit
Becht wird in dieser von philosophischer Sachkenntniss und Ent-
vdckelungsgabe ihres Urhebers zeugenden Schrift die Gleichgültig-
keit vieler Juristen hervorgehoben, mit welcher sie philosophische
Begründungen des Rechtes und Staates entweder geringschätzend
betrachten, oder gänzlich als unnütz und unausführbar bei Seite
schieben und damit Alles, was in dieser Beziehung geschieht,
ignoriren.
Nach der historischen Rechtsschule, welche das Recht als »das
naturwüchsige Product des Volkswilleus nimmt und anerkennt« und
»mit dem Ergebnisse zugleich auch die Begründung des Rechts
verbindet«, ist für den Juristen die Philosophie ein »indifferentes
Feld.« Manche treffende Bemerkungen über Savigny^s und seiner
Schule Rechtsbegründung finden sich in der Einleitung, welche von
der historischen Rechtsschule handelt und zeigt, dass mit der so
genannten »Naturwüchsigkeit« des Rechtes dieses noch lange nicht
begründet ist. Immerhin wird man, wenn man sich auf die »Natur-
LVm. Jahrg. 13. Heft 56
wüchsigkeit« des Hechtes und der Sittlichkeit beraft, nach den
letzten Ghründen derselben fragen müssen und diese Frage ist eine
Frage der Philosophie, welche der gelehrte Herr Verf. in den nach-
folgenden Abschnitten zn beantworten versucht.
Seine Ansicht ist, in Kürze zusammengefasst , diese: 8 ein
und Sollen sind zwei auseinander liegende, sich nicht unmittel-
bar berührende, unabhängige Oebiete des Denkens. Was sein soll,
ist noch nicht, und was ist, soll nicht immer so sein, wie es isi
Die beiden Gebiete liegen auseinander, das Sollen gehört nicht inm
Sein, das Sein nicht zum Sollen, keines kann der Grund des anden
sein, da keines das andere berührt, da beide Gebiete unmittelbar
nichts mit einander zu thun haben. Es muss ein Drittes ange-
nommen werden, durch welches sie zusammenkommen oder >zih
sammenfliessen.« Dieses dritte, beide an sich getrennte Gebiete
vermittelnde Blement ist der menschliche Wille. Das Solles
thut sich als Sittengesetz dem menschlichen Willen kund und gebt
80 zum Sein über. Das höch^^te Sittengesetz oder das Sollen setzt
aber einen Willen voraus, vou welchem das Sollen oder Sittengesets
ausgeht und welcher dieses Gesetz dem menschlichen Willen zu-
wendet. Dieser Wille, von dem das Sollen ausgeht, muss notb-
wendig ein unendlich höherer Wille, als der menschliche sein, u
welchen sich dieses Sollen wendet, und welcher diesem SoHes
gegenüber blos als untergeordnet erscheint. Dieser höhere Wilk
ist der göttliche Wille. Das Sittengesetz, der Ausdruck dies^
Sollend, hat also seinen letzten zureichenden Grund im g5tt-
Hchen Willen. Das vom göttlichen Willen ausgehende Sitten-
gesetz, welches mit dem Moralgesetz des Christenthums : Liebe des
Nächsten, wie dich selbst, identisch ist, ist aber die nächste Grand-
läge des Rechts und Rechtsgesetzes, der staatlichen Vereinigong-
Das Sollen ist die Aufforderung des göttlichen Willens an da
mensehliohen Geist, sich selbst zu dem, was er soll, zu bestimneiL
»Der Wille tj^ottes geht also darauf, dass der Mensch nicht ge-
zwungen, nicht aus Nothwendigkeit nach der Causalität desSeiss
ihn erfülle, sondern mit Freiheit aus eigener Bestimmung. Diese
Freiheit ist das nothwendige Lebenselement des Sollens , ist die
conditio sine qua non der Erfüllung des göttlichen Willens. Sie
ist als dieser modus seiner Erfüllung sonach eine Seite dtf
Sittlichkeit und diese Seite ist das Recht, mithin die Beeintrltob-
tigung oder Aufhebung dieser Freiheit das Unrecht. Da diese Frei-
heit selbstredend nicht bloss in der Erfüllung, sondern eben so
wohl in der Nichterfüllung des göttlichen Willens besteht, so be-
findet sich im Unrechte sowohl der, welcher mich zu dem Einen,
als der, welcher mich zu dem Andern nöthigt.« .... »Darin also,
dass ich unsittlich handeln kann und doch im Rechte bleibe, liegt
der nicht gemachte, sondern sachlich gegebene Unterschied zwisches
dem bloss rechtlichen und dem sittlichen Handeln und dieLösnog
des anscheinenden Paradoxon, dass Gott einen Zustand als recht-
Kttz: Sein und Sollen. %Ö8
lieben wolle, in welchem sein Wille auch nicht erftlllt werde.« ....
»Das Recht, in dessen Bereiche das Unsittliche möglich ist, liegt
so also nicht weniger in dem Willen Gottes begründet, als die
Sittlichkeit selbst: die letztere als Zweck, das erstere als dessen
nothwendigo Bedingung. Die Erfüllung des göttlichen Willens
bleibt also natürlich auch im Hechte, als dem freiheitlichen modus
dafür, immer das Letzte.« .... »Dadurch, dass wir hierin den
Willen Gottes zur Ausführung bringen, untergraben wir nicht die
Freiheit, sondern erhalten sie ja eben aufrecht. Diese Seite des
göttlichen Willens zu erfüllen, sind wir ohne Einschränkung, also
allerdings auch so zu erfüllen verpflichtet, dass wir mit allen
nnsem Kräften dafür einstehen und jeden sich dagegen erheben'den
Widerstand niederwerfen. Diese Erzwingung der Freiheit ent-
spricht vielmehr hier eben so sehr dem Willen Gottes, als die Er-
zwingung der Sittlichkeit seinem Willen widerstreitet, weil der
erstere Zwang gerade das Mittel ist, von dem Gebiete des Sitt-
lichen den mit diesem unverträglichen Zwang abzuhalten. Mit dem
Rechte ist also die allgemeine Verbindlichkeit verbunden, es zu
schützen. Hieraus folgt die sittliche (aus dem Willen Gottes ge-
botene) Nothwendigkeit des Staats als des einzigen Mittels, diesen
Schutz zu gewähren« (S. 108 und 109).
So wird der Staat auf das Recht, dieses auf die Sittlichkeit,
die letztere auf den göttlichen Willen zurückgeführt, welcher die
letzte Begründung des Sitten- und Rechtsgesetzes ist. DerRechts-
pliilosoph Stahl wird im Laufe der Darstellung mit Anerkennung
erwähnt und der Abhandlung als Motto eine Stelle aus Puchta's
Vorlesungen vorgesetzt, welche also lautet: »Wir stellen nicht in
Frage, dass das Recht von Gott ist, das wäre eine Erniedrigung
des Rechts. Die Frage ist nur, wie Gott das Recht hervorbringt. «
IHe letztere Frage ist es, welche in der vorliegenden Abhandlung
zur Sprache kommt. Dass aber diese Frage in genügend philoso-
phischer Weise erörtert und beantwortet, also die Aufgabe einer
philosophischen Begründung des Sitten- und Rechtsgesetzes ent-
sprechend gelöst ist, muss Refer. bezweifeln.
Das »Sein« ist dem Herrn Verf. »die allgemeinste Denkbe-
stimmung, worunter wir Alles in und ausser uns fassen« (S. 65),
»Alles, was ist, heisst es weiter, muss auch Was (Etwas) sein,
denn sonst ist es nicht. In diesem Was wird das Sein realisirt
und ist so erst ein wirkliches, kein eingebildetes. Unter dem Was
verstehen wir hier noch nicht Dieses im Gegensatz zu Jenem, son-
dern überhaupt dasjenige, was ist. Das so genannte reine Sein als
das vollkommen Leere, Bestimmungs- und Inhaltslose, also Das-
jenige, welches nicht ein Was wäre, ist nur als Abstractum von
oder aus dem, was ist, zu denken, aber als real nicht zu fassen.
Ein solches Sein ohne seienden Inhalt ist sonach allerdings mit
dem Nichts identisch', aber diese Identität ist und bleibt eine so
absolut vollständige, dass dieses Nichts-Sein durch Reibung an
884 Kits: Bein und Soüea.
einander sicli zu einem Werden niemals entzünden kannc (S. 66).
Das Sein muss also »Was« sein. Dieses oder Jenes erkennen wir
in ihm noch nicht. Das »Was ist mehr als blosses Sein, dajt
das Sein in demjenigen, was es ist, sofort über seinen Begriff ih
blosses Sein hinausgeht« (S. 67). Auf diesem Wege gelangen wir,
da das Sein ohne Oränze gedacht werden muss, »weder zu Oott^
noch zur Freiheit« (S. 72). Hier muss »der erkenntnisstheoreiiscbe
Theil« aushelfen. Wenn wir erkennen, erkennen wir »uns und du
Andere ausser uns«, »ünsern Horizont zu erweitem«, kennen wir
»die zwischen uns und dem Andern für unser Erkennen bestehende
Schranke aufheben«, wozu wir »vermOge der in unserm Denken
liegenden vorstellenden Kraft im Stande und darum yersochsweisa
berechtigt sind«. In diesem Falle, wenn wir die Schranke auf-
heben, »haben wir uns und das Uebrige und ergreifen damit so-
fort Alles«. »Dieses Alles, die s&mmtlichen Substanzen und Th&tig-
keiten, die den Inhalt der Welt ausmachen« , vermSgeu wir abä
nicht als »so viele besondere Wesenheiten«, sondern nur als *m
in Einheit verbundenes Ganze« zu denken. Es ist ein »Qanzes toa
Wirklichkeiten«. Das Erkennen ist »als thätige Potenz« wieder eii
»Wirkliches«. Also ist zwischen dem Wirklichen und dem Erkennea
»kein Gegensatz«. Das »Wirkliche begreift das Erkennen mit in
sich«. Das Erkennen ist nur »eine Partie des Wirklichen'« Das
Erkennen als Theil des Wirklichen kann sich nur »auf das Wirk-
liche« beziehen. »Das ganze und eine Wirkliche erkennt sich selbst
in dieser Ganzheit und Einheit« (S. 18). Es ist alsSubject und Oh-
ject Eines im »Ganzen« und »Wirklichen«. Das »menschliche E^
kennen muss also, was es erkennt, zugleich sein, und, was es isfci
muss es erkennen« (S. 28). In der Sinnlichkeit kann das »Fühlen«
»nur durch das Fühlen erkannt werden«. »Nur als Fühlen kann
das Fühlen sich intuitiv erkennen«, nicht durch das »Denken, da
das Denken nicht Fühlen« ist (S. 27). Meine Wissenschaft besteht
»in meinem Denken, Fühlen und Wollen«. Ich »komme ans meinem
Ich, mir selber nicht heraus« (S. 29). Nur »unsere ünselbst^
ständigkeit und Beschränktheit« sagt uns, dass es ausser uns Dinge
gibt (S. 31). Immer haben wir noch keine Gewissheit ftir das
Entsprechen der Innern Wahrnehmungen und der äussern Dinga
Der. Verstand hängt von den sinnlichen Anschauungen und diese
von unsem subjectiven Empfindungen ab. Hier muss wieder das
»Sollen« aushelfen ; denn es geht auf ein »Handeln«, das Handeln
aber bezieht sich »auf die Dinge, wie sie mir erscheinen«; dai
Sollen aber kann nicht auf eine blosse »Täuschung« hinauslanfea
(S. 82).
Der Herr Verf. beruft sich nun auf diesen erkenntniss-
theoretischen Theil, wenn er S. 72 behauptet, »dass das Oantt
der Wirklichkeiten nicht das Eine und das Erkennen das davon
getrennte Andere sei, sondern dass das Ganze und eine Wirkliche
sich selbst in dieser Ganzheit und Einheit erkenne und sich so
Kits: Bdn und BoIleiL 886
zur Wahrheit werdec. »Damit, meint er, haben wir ja nicht bloss
ein schrankenloses Seiendes als den ürqnell des alle Daseinsformen
stetig dnrchfliessenden Lebens, sondern anch ein in diesem Sein
nnd Wirken sich selbst erkennendes nnendliches Wesen, also den
in höchster göttlicher Intelligenz sich selbst wissenden, vollständig
sich selbst durchsichtigen Allgott erkannt«. Jedenfalls sind wir
»dabei von einem persönlichen Gott noch immer weit entfernt«.
Aus dem »Mechanismus der Natnr kommen wir dadurch nicht her-
aus, dass wir diesen Mechanismus mit Intelligenz versehen«
(S. 78). Wenn man auch das Allwissende und Allwirkende als
identisch betrachtet, so fehlt doch noch immer der »sich selbst
bestimmende göttliche Wille« und die »Freiheit«. Darum müssen
wir uns, diese zu gewinnen, abermals dem Gebiete des »Sollens«
zuwenden. »Etwas kann sollen und doch ist es weder früher ge-
wesen, noch ist es jetzt, noch wird es künftig sein«. Sein und
Sollen sind »gänzlich verschiedene Grundgedanken«, so wenig aus
einander zu erklären, wie »Steinkohlenformation und ein guter Vor-
satz« (S. 74). Das Sollen braucht »gar nicht ins Sein zu treten«,
noch »aus dem Sein zu kommen« und »ist und bleibt doch ein
Sollen«. Das Sollen »geht zwar auf ein Etwas sein, aber es ist
weder durch ein solches Etwas in seinem Wesensbestande bedingt,
noch auch durch ein anderes, diesem Etwas vorangegangenens seien-
des Ding, noch ist es selbst ein solches Etwas. Allerdings i s t in
gewissem Sinne auch das Sollen ; auch hat es nicht, wie der blosse
Gedanke, z. 6. die Abstraction des s. g. reinen Seins nur ein ideel-
les Dasein, sondern ist eine wirkliche Macht und in so fern
selbst real seiend« (S. 74).
Das Dritte, durch welches die beiden »von einander unabhän-
gigen Gebiete des Seins und Sollens« in Beziehung kommen, muss
eine »Potenz« sein, die »erstens sowohl vom Sein wie vom
Sollen unabhängig ist und doch zweitens sowohl von demeinen
veie von dem andern afQcirt wird«. Diese Potenz ist »der mensch-
liche Wille«. Der Wille »schwebt nicht in der Luft zwischen
beiden«, sondern er gehört beiden »zugleich« an (S. 76). Das
Sein ist dabei »nicht der Causalität des Sollens« und das Sollen
»nicht der Causalität des Seins« unterworfen (S. 80). Wenn also
auch »Sein und Sollen auf den Willen wirken, so wirken sie
doch in dem Willen nicht gegeneinander«. Dieses ist
das »für die Freiheit durchschlagende Moment« (S 81). Da Sein
und Sollen nicht gegeneinander im Willen wirken können, so gibt
keines von beiden ftir den Willen den »Ausschlag«. Der »Aus-
schlag« muss also vom Willen kommen. Das »dem Willen imma-
nente Vermögen der Wahl« ist »die Freiheit«. Sie ist das »eigenste
Wesen« des Willens (S. 82). Wir fragen nach dem Ursprung
»dieser Kraft« des Willens, nach dem Ursprünge »dieses Willens«
selbst (8. 82). Wenn Sein und Sollen im menschlichen Willen
zu einander in Beziehung treten, wenn der menschliche Wille
^ Kltc: Sein und SoUaii.
iÜx das- Seiu oder Sollen bestimmt , so »folgt daraas noeH nicht<,
dass dieser Wille auch die Gebiete des Seins und Solleus selbst
»bestimme und trage« und »ibren Ausgangspunkt bilde« (S. 85).
Sein und Sollen bilden »keinen Weltdualismus«, was ein »Unge-
danke« genannt wird. Es muss »eine Einheit, ein gemeinschaft-
liches Frius« angenommen werden, wodurch »Sein und Sollen zu-
sammengehalten und beherrscht werden«. Nur »diese Einheitc
kann »unser Gott« sein. Aus dem »Sein der Dinge« können wir
»kein Sollen herausdenken«. Hierauf legt der Herr Verf. »dea
»Schwerpunkt« seiner Schrift (S, 88). Woher kommt, fragen wir
nämlichi »das Sollen«? Daraus, dass ich mir desselben bewusst
bin, folgt »noch lange nicht, dass ich es in mir hervorgebracht
habe« (S. 89). Vom »Sein gelangen wir nicht zum Sollen«. Es
kann also nur eine »der Causalität des Seins nicht unterworfene
Potenz« sein. Wir könnten also wieder nur auf den Willen als
»die Quelle des SoUens« kommen. »Mein Wille« könnte wohl die
Quelle des Sollens, aber nicht die Quelle des Seins« sein; nur »ein
für das Tolihaus Beifer« erklärt seinen eigenen Willen als »den
Spiritus rector des Seins«, Die Gründe werden dafür angeführt,
dass der menschliche Wille nicht die Quelle des Sollens sein kann.
Man erinnert sich »dieser schöpferischen That« nicht, während
man sich doch an manche »Thaten« des W^illens von »frühester
Kindheit« an erinnert. Nichts in mir könnte mich ferner für die
Schöpfung des Sollens »befruchten«, nicht »mein Sein«, nicht »mein
Denken«. Endlich müsste mein Wille, wenn von ihm dieses Sollen
käme, auch dieses wieder »aufheben oder rückgängig machen
können«. Man verdankt also dieses Sollen einem »andern« Willen.
Seiner Natur nach geht das Sollen auf den »Willen«. Von einer
»Unterwerfung meines Willens unter meinen W'illen kann nicht die
Rede sein«. Eine »moralische Nöthigung meines Willens, die in
sonst nichts als in meinem W^illcn ihre Begründung hätte, ist
nicht denkbar«. Das »Gesollte ist nothwendig von dem W^illen,
aus welchem es kommt, ein Gewolltes; wäre dieses Gewollte nun
zugleich auch ein von demselben Willen, der es wiU, zu Setzendes,
so würde Sollen imd Wollen identisch sein; was es aber bekannt-
lich nicht ist, da wir ja alle wissen, dass wir lange nicht immer
wollen, was wir sollen. Es kann daher das Gesollte das Object
des Begehrungsvermögens desjenigen, aus dessen Willen es kommt,
nur so sein, dass nicht er, sondern ein Anderer es zu verwirklichen
habe. Stehen sich sonach zwei Willen gegenüber, der eine, aus
dem das Sollen kommt, der andere, an den sich jener Wille richtet;
so liegt darin, dass der eine soll, was der andere will, von selbst
ausgesprochen, dass der Wille, an den das Sollen geht, dem Willen,
Nms dem es an ihn kommt, nntersteben und sich diesem auch da-
fWjvdass er thue, was er solle, verantwortlich fühlen müsse, da
ja döf Gedanke der Indifferenz des Thuns und Unterlassens
dieses Gesollten mit dem Begriffe des Sollens im Bewusstsein sieb
\
Kits; Sefai tnd BoIIetL 88T
nicht yereinigen läset«. Das Sollen muss also ans einem »heberen
Willen«, als der menschliche ist, kommen, und, da wir, uns die
absolute Zweiheit nicht denken können, auch das »Sein« yon dem-
selben Willen »determinirt« sein. Die »Art und Weise« der De-
termination des Seins durch diesen Willen, welcher auch die Quelle
des SoUens für den menschlichen ist, »vermögen wir nicht zu
schauen und anzugeben, nicht einmal zu ahnen«. Das Dass ist
ein »unbeweisbares Resultat«, das »nicht zu beantwortende Wie«
hebt seine Wahrheit nicht auf. So liegt der »Einheitspunkt« in
dem »Willen Gottes« (S. 90—94).
Aus dem Sein müssen wir uns über den »Inhalt des Sollens«
belehren. Das Sein ist »die grosse Urkunde des göttlichen Willens«.
Hier zeigt sich uns »der Glückseligkeitstrieb« als das »Werk
Gottes«. Gott will aber das Glück Aller, also »mein Glück und
das Glück Anderer« (S. 94—96). Man soll das Glück Anderer
fördern, »ohne seine Selbstbefriedigung aufzugeben«. Es ist das
Sittengesetz das Gesetz des Christenthums : »Liebe deinen Näch-
sten wie dich selbst«.
Von der Ableitung des Rechtes aus dem »Sittengesetze« und
»dem Willen Gottes« wurde oben gesprochen. Gehen wir nun zur
Beurtheilnng dieser neuen Begründung der Sittlichkeit, des Rechtes
und Staates über.
Es ist schon von vornherein nicht zu begreifen, wie der Herr
Verf. auf der einen Seite unter dem Sein diejenige Denkbestim-
mung versteht, worunter wir Alles in uns und ausser uns fiassen,
und auf der andern Seite doch behauptet, dass Sollen und Sein
zwei sich nicht berührende, von einander unabhängige, völlig ge-
trennte Gebiete sein sollen. Denn jedenfalls muss doch das Sollen
auch zu der Denkbestimmung gehören, worunter wir Alles in uns
und ausser uns fassen, weil wir sonst gar nicht vom Sollen spre-
ohen könnten. Das Sollen erscheint demnach nach dieser Bestim-
mung nur als eine besondere Art des Seins, nicht aber als vom
Sein unabhängig. Das Sein soll so lange nach dem Herrn Verf.
ein eingebildetes sein, bis es als Was (besser Etwas) gefasst wird ;
erst als Was ist es ein wirkliches Sein. Das reine Sein ist, wie
der Herr Verf. sagt, ja ein Abstractum, leer, bestimmungs- und
inhaltslos, abgezogen aus dem, was ist, und eben darum mit dem
Nichts identisch und diese Identität ist und bleibt ihm eine abso-
lut vollständige. Verhält es sich denn hinsichtlich dieser gegen
das reine Sein erhobenen Anstände anders mit dem Was? Auch
das Was (Etwas) ist ein Abstractum, leer, bestimmungs- und in-
haltslos, es ist abgezogen von den einzelnen Etwasen, denn nur
das Einzelne, Daseiende ist Etwas. Sagt doch der Herr Verf. aus-
drücklich, dass er unter dem Was nicht Dieses im Gegensatze zu
Jenem, sondern überhaupt dasjenige verstehe, was ist. Was ver-
steht man aber unter dem Sein anders, als eben dasjenige, was
ist? Zudem ist das Sein so wenig mit dem Nichts identisch, als
868 Kits: Sda und 8oa»iL
das Wfts; denn der Begriff, der das aoBdrttckt, was ist, ist nicht
absolut inhaltsleer; das Sein selbst ist schon Was; denn es ist
Man kann, wie die tiefsinnigen Eleaten ganz richtig sagen, yon
dem Sein nicht behaupten, dass es nicht ist, weil man in diesem
Falle dem Sein beilegte, was es nicht wäre, da nur das Nichtsein
nicht ist. Nach dem ewig wahren Denkprincip yom Widerspruche
Ittsst sich das Sein nicht zum Nichtsein und das Nichtsein nicht
zum Sein machen. Nichts ist kein Begriff; denn es ist die Auf*
hebung des Seins und Denkens, ein Nichtsein und Nichtdenken.
Die Etwasheit oder Realität gehört zum Wesen des Seins und ein
solches Sein ist immer noch das reine Sein. Das Was ist also
nicht mehr, als blosses Sein, und die Behauptung des Herrn Yerf.
wird schon dadurch yerdächtig, dass er selbst gesteht, nicht sagen
zu können, was denn das ist, wodurch das Was mehr ist, als
das Sein« Das Was ist nur dann mehr, wenn es als ein bestimm-
tes einzelnes Sein, also als das Sein mit der Kategorie der Be-
stimmtheit aufgefasst wird, während der Herr Verf. doch ans-
drücklich dagegen Widerspruch erhebt, dass sein Was ein Dieses
im Gegensätze zu Jenem darstelle. Das Sein soll in »demjenigen,
was es ist, über seinen Begriff als blosses Sein hinausgehen« ? Wie
ist dieses möglich, wenn das Sein weder Dieses noch Jenes sein
darf, wenn man es nur als ein allgemeines Was fasst? Es bleibt
in diesem Falle das, was fttr alle passt, wie das Sein, und geht
nicht über das Sein hinaus. Auch gehen die unterschiede des
Seins als seiner bestimmten Merkmale nicht über das Sein hinaus,
denn es kann nichts Umfassenderes geben, als eben das Sein, weil
in ihm Alles ist, was ist. Geht denn das bestimmt Seiende über
das Seiende hinaus ? Nein ; es ist im Seienden ; es gehört mit zum
Seienden. Das, was über das bestimmt Seiende hinausgeht, ist
eben das Seiende, weil .dieses Alles einschliesst, was seiend ist.
Der Herr Yerf. will durch den erkenntnisstheoretischen Theii
zu G 0 1 1 und zur Freiheit kommen. Im Erkennen unterscheiden
wir, wie richtig bemerkt wird, uns und das Andere. Aber wir
können nicht, wie der Herr Verf. will, dW zwischen uns und dem
Andern fUr unser Erkennen bestehende Schranke aufheben. Denn
wir können nur so lange vom Objecte reden, als wir uns als Snb-
jecte von ihm unterscheiden, und wir können nur dadurch er-
kennende Subjecte werden, dass wir die Objecte von uns in Ge-
danken trennen, und, wenn wir das ganze All erkennen wollten
und könnten, immer würde uns das All als ein von unserm Sub-
jecte unterschiedenes, ihm entgegenstehendes Object erscheinen.
Wenn wir unser Subject hinwegdenken wollten, müssten wir das
Denken selbst hinwegdenken, da würde es auch mit dem Objecte
ein Ende nehmen. Unser Denken bleibt immer subjectiv und über
die Subjectivität seines Denkens steigt kein Sterblicher hinaus.
Gesteht doch der Herr Verf. selbst, dass wir nach Aufhebung der
zwischen uns und dem Andern ausser uns befindlichen Schranke
Kits: Sein mtd Bolleii. ^M
»nnB Tind das üebrige und damit Alles habenc. Bleibt nicht
mit dieser XJDterscheiduug von »uns« nnd »dem Uebrigen« anch
noch die Schranke zwischen uns nnd dem, was wir nicht sind,
dem üebrigen? Man bat freilich »Alles«, aber Alles mit der
nicht anfgehobenen nnd nicht aufzuhebenden Unterscheidung Yon
€ubject und Object. Eefer. muss daher der Behauptung wider-
streiten, dass wir »im Stande sind, vermöge der in unserm Denken
liegenden yorstellendcn Kraft« eine zum Wesen des Denkens ge-
hörende Schranke aufzuheben. So wenig es eine solche Kraft geben
kann, weil damit die Natur unseres Denkens selbst aufhören raüsste,
was unmöglich ist, so wenig können wir zu einem solchen logisch
unmöglichen Schritte »versuchsweise berechtigt Eein«. Was der
Herr Yerf. bestreitet, dass wir die »sämmtlichen Substanzen und
Thfttigkeiten , die den Inhalt der Welt ausmachen, nicht als so
viele besondere Wesenheiten« denken können, sondern nur als ein
»in Einheit verbundenes Ganzes«, ist gerade im Beginne des mensch-
lichen Denkens umgekehrt. Es sind einzelne Gegenstifnde, die wir
als einzeln nicht nur empfinden, sondern auch denken, so dass das
Allgemeine, die Einheit erst eine Folge der Abstraction vom Ein-
zelnen ist. Allerdings können wir die einzelnen Substanzen als
eben so viele Wesenheiten denken und wir denken sie anfangs so:
erst ein weiteres Denken durch Vergleichen, Trennen und Ver-
binden führt zu dem »in Einheit verbundenen Ganzen«. Das Er-
kennen ist nicht nur eine »Potenz«, sondern eine Aeusserung der
Potenz, eine Thätigkeit und zwar die Thätigkeit eines Subjects
dem Gegenstande gegenüber, ein Unterscheiden des Ichs vom Nichts
ich. Wenn auch das Erkennen zum Wirklichen gehöi*t , so bleibt
desshalb doch der Gegensatz; denn das Wirkliche wird eben nur
als Wirkliches durch diesen Gegensatz erkannt. Gehört auch das
Erkennen zum Wirklichen, so ist es doch im Wirklichen nicht
anders möglich, als dadurch, dass derjenige Theil des Wirklichen,
welcher erkennt, sich von dem Theile unterscheidet, der von ihm
erkannt wird. Gesteht doch der Herr Verf. selbst ein, dass das
Erkennen »nur eine Partie des Wirklichen« sei, dass das Er^
kennen als Theil des Wirklichen sich auf das Wirkliche beziehe.
Eben darum kann er uns und das Uebrige nicht in einen
philosophischen Topf zusammenwerfen und sagen, dass das »ganze
und eine Wirkliche sich selbst in dieser Ganzheit und Einheit er-
kennt«. Eben, weil das Ich nach des Herrn Verf. eigener Be-
hauptung nicht aus sich hinauskommen kann, kann es auch nicht
das ganze imd eine Wirkliche sein, es müsste denn nur Ich und
Welt identisch sein, was zu dem von dem Herrn Verf. selbst be-
kämpften subjectiven Idealismus führt. Allerdings wäre es aber
subjectiver Idealismus , wenn es wahr wäre , was der Herr Verf.
sagt, dass »meine Wissenschaft in meinem Denken, Fühlen und
Wollen besteht«. Wenn es übrigens auch richtig ist, dass wir
unser Denken nur durch unser Denken erkennen können, so ist es
Mi Kits: Sein md Soll«!.
entschieden zu bestreiten, dass man durch das Pühlen das Fflhlen
erkennen kann. Fühlen ist kein Denken, kein Erkennen, kein
Wissen; nicht das Fühlen führt nns zur Erkenntniss des Fahlen»,
sondern lediglich das Denken über das Wesen, die Factoren und
Beziehungen des Füblens. Kann man doch das Sehen nicht durch
das Sehen selbst, sondern nur durch das Denken über Organ und
Thätigkeit des Sehens zum Erkenntnissgegenstande erheben. Wenn
man > nicht aus dem Ich herauskommtc , wenn »meine Wissen-
schaft in meinem Denken, Fühlen und Wollen« besteht, wie ge-
langt der Herr Verf. zur Realität einer Aussenwelt , die er doch
annehmen muss und annimmt, weil er den subjectiven Idealismus
als unhaltbar von sich weist? Dafür sollen unsere »ünselbststän-
digkeit und Beschränktheit« sprechen. Die Schranke kann aber
bloss eine gedachte, eine im Wesen unserer Thätigkeit liegende
Hemmung, ein Act der Selbstbeschränkung sein und so kommt man
gewiss mit dieser ünselbstständigkeit und Beschränktheit auf dem
angedeuteten Wege zu keiner an sich existirenden , objectiren
Aussenwelt. Vielmehr spricht das allgemeine Bewusstsein der Auf-
BÖthigung von Vorstellungen yon Aussen , durch einen äusseren,
nicht in uns liegenden Factor dafür, während wir andere Vor-
stellungen der Einbildung im wachen und schlafenden Zustande
wohl von jenen von Aussen aufgenüthigten unterscheiden , welche
letztere, wie uns unser Bewusstsein sagt, Produkte eines bloss
inneren Factors, unserer eigenen Seelenthätigkeit sind. Auch tren-
nen wir die Schranke und die Einwirkung von nns als nicht zu
uns gehörig, als nicht innerlich, als Gegenstände der Aussen-
welt,
Wenn aber auch der Herr Verf. die Realität der äussern Welt
annimmt, und damit das Gebiet des subjectiven Idealismus ver-
lässt, so hat er dieses doch noch nicht ganz gethan, weil erst noch
begründet werden soll, dass die innem Wahrnehmungen wirklich
den äussern Gegenständen entsprechen, dass wir nicht mit Kant
das unerkennbare Ding an sich und die unter unseru subjectiven
Anschauungs- und Denkformen auf uns wirkenden Dinge in der
Ei*scheinung unterscheiden müssen. Hier soll das »Sollen« helfen,
weil es auf das »Handeln« und dieses auf »äussere Gegenstände«
geht. Allein diese Gegenstände könnten immer nur Erscheinungen
sein, welche sich unserem Erkenntniss vermögen als ein Anderes
darstellten, als sie wirklich an und für sich sind. Ja sie könnten
selbst gar keine Dinge, sondern aus der Selbstbeschränkung des
Ichs entstehende Vorstellungen sein. Denn, wenn man behauptet,
dass uns das »Sollon«, welches auf äussere Gegenstände geht, nicht
„täuschen'' kann, so ist dieses noch lange kein Beweis ; wir könn-
ten eben doch getäuscht sein. Auch unser Erkennen verlangt für
die Erkenntniss der Wahrheit der Welt so gut keine Täuschung,
als das Sollen. Auch unser Wissen sagt uns, dass eine äussere
Welt ist; ilhd kann uns nicht täuschen. Es ist also nicht einzu-
KiUt Bein und BoUou Wk
sehen, wie hier das Sollen helfen soll; denn es ist eben noch zu
beweisen , dass uns das Sollen nicht täuschen kann. Ja, das Sollen
kommt überhaupt nur zur Annahme Ton äussern Gegenständen als
den Objecten des vom Sollen erzielten Handelns durch die Ver-
knüpfung mit dem Erkennen. Das Erkennen leitet das Sollen durch
das Handeln auf die Objecto, und es wäre also auch hier nicht
das Sollen, sondern das Erkennen, das „uns nicht täuschen soir^
Wenn der Herr Verf. im erkenntnisstheoretischen Theile
behauptet, dass das Ganze der Wirklichkeiten nicht das Eine und
das Erkennen das Andere. sei, sondern dass das ganze und eine
Wirkliche sich selbst in dieser Ganzheit und Einheit erkenne und
damit nicht nur ein „schrankenloses Seiendes als den Urquell des
alle Daseinsformen stetig durchfliessenden Lebens, sonderu auch ein
in diesem Sein und Wirken sich selbst erkennendes unendliches
Wesen, also den in höchster göttlicher Intelligenz sich selbst durch-
sichtigen Allgott« für die Erkenntniss gewinnen will, so wird die-
ses wohl immer noch von diesem Standpunkte aus in Frage ge-
stellt werden müssen, da dieses sich wissende, in seinem Wirken
erkennende All immer zuletzt unser Ich bleibt, über welches wir
im Erkennen nicht hinaus gelangen , das sich selbst wissende All
aber für uns bei der Unmöglichkeit, die Schranke zwischen
Subject und Object aufzuheben, unerkennbar ist. Wir sollen
„aus dem Mechanismus der Natur dadurch nicht herauskommen,
dass wir diesen Mechanismus mit Intelligenz versehen*'. Die Natur
ist übrigens nicht als blosser Mechanismus, sie ist dynamisch und
teleologisch aufzufassen und auf diesem Wege werden wir eher zu
Gott als dem letzten Grunde alles Seins und Erkennen s gelangen,
als durch das unmögliche Aufheben der Schranke des Subjectsund
Objects. Auch durch den „Willen" gelangen wir noch zu keinem
„persönlichen Gotte", da ja der Wille, was bekanntlich Schopen-
hauer gethan hat, als Ding an sich, als Wille, Trieb der Natur
gefasst werden kann. Abermals soll das Sollen, den persönlichen
Gott zu erhalten, aushelfen.
Sein und Sollen werden als „ganz verschiedene Grundgedanken"
betrachtet, da doch nach der vom Herrn Verf. gegebenen Auf-
fassung dus Solleu unter das Sein gehören muss, weil dieses nach
ihm eine Denkbestimmung ist, worunter wir Alles in uns und
ausser uns fassen. Da das Sollen jedenfalls entweder in uns oder
ausser uns ist, so muss es zum Sein gehören. Damit wird die
Sache nicht geiindeit, dass man sagt: „Etwas kann sollen und
doch ist es weder Irüher gewesen, noch ist es jetzt, noch wird es
künftig sein", oder: das Sollen „braucht gar nicht ins Sein zu
treten, noch aus dem Sein zu kommen" und „ist und bleibt doch
ein Sollen", oder: das „Sollen geht zwar auf ein Etwassein, aber
es ist weder durch ein solches Etwas in seinem Wesensbestande
bedingt, noch ist es sellbst ein solches Etwas". Es handelt sich
vorerst nicht um das Sollen könuen^ sondern um das Sollen, also
Ms Kiti: Belli nad BoHeii.
sollend sein und Niemand wird von diesem behaupten, dass es
weder war, noch ist, noch sein wird, weil in jenem wirklichen Sollen
schon der Begriff des Seins liegt. Würde das Sollen nicht ans dem
Sein kommen und nicht ins Sein treten, so wftre es nichts; denn
nur das Nichtsein ist nicht. Es müsste also das Sollen ans dem
Nichtsein kommen und ins Nichtsein treten, denn irgendwoher
mnss ja das Sollen kommen und irgendwohin treten. Ans Nichts
wird Nichts und es wird Niemand behaupten wollen, dass das
Sollen Nichts ist. Wenn das Sollen nicht ein Etwas ist, so ist es
ein Nichtetwas, also Nichts; dieses kommt allerdings ans Nichts
und tritt in Nichts über. So lange es anf ein „Etwassein" sich
bezieht, ohne Etwas zn sein, ist es blosse Möglichkeit, w&hrend
doch das Sollen nicht nnr Möglichkeit, sondern anch Wirklichkeit
ist. Sagt doch der Herr Verf. selbst von dem „Sollen", dass es
„allerdings in gewissem Sinne ist". Wohl ist hier die Frage
natürlich: In welchem Sinne ist das Sollen^ in welchem Sinne
kommt also dem Sollen ein Sein zn? Der Sinn wird schwer 20
bestimmen sein, wenn etwas sollen kann und doch weder war,
noch ist, noch sein kann, wenn das Sollen nicht ins Sein zutreten
nnd nicht aus dem Sein zn kommen braucht, wenn es weder durch
ein Etwas bedingt, noch selbst ein solches Etwas ist. Allenfalls
könnte man hier vielleicht an die Idealität des Sollens gegenüber
der Bealität des Seins denken. Allein auch daran ist nicht zn
denken, dass es vom Herrn Verf. nur ideal genommen wird. Denn
ausdrücklich wird dagegen Einspruch erhoben, dass das Sollen ein
blosser Gedanke, wie die Abstraction des reinen Seins, sei, dass
es also nur „ein ideelles Dasein" habe. Es ist eine „reale Macht
und in so fern selbst realseiend". Kann aber etwas, das sollen
kann und doch nie war, nie ist und nie sein wird, das nicht ins
Sein zu treten und nicht aus dem Sein zu treten braucht, das
kein eigentliches etwas ist, eine „reale Macht" sein? Jeder realen
Macht muss Realität, also Etwasheit, Sein zukommen und so ge-
hört das Sollen allerdings unter die Denkbestimmung des Seins,
welche nach des Herrn Verf. eigenem Ausdrucke Alles um&sst,
„was in uns und ausser uns ist". Man kann also die Gebiete des
Seins und Sollens nicht als von einander unabhängig und als gänz-
lich verschiedene Grundgedanken bezeichnen, die an und für sich
in gar keiner Beziehung zu einander stehen.
Wenn die beiden Gebiete des Seins und Sollens nicht von
einander unabhängig, sondern zu einander in Beziehung stehen, so
bedarf es keines „dritten Vermittelnden" zwischen beiden. Das
Sollen braucht mit dem Sein nicht „zusammenzufliessen" , da es
schon zum Sein gehört. Das dritte Mittlere zwischen beiden soll
der „menschliche Wille" sein. Allerdings darf er nicht zwischen
beiden Gebieten, dem Sein und Sollen, „in der Luft schweben"«
Der Wille gehört beiden „zugleich" an. Vom Willen geht du
Sollen, aus und auf den Willen bezieht es sich ; der Wille iilr
Kits: Sein und Bolka. 89S
wie das Sollen ist. Wozu bedarf es hier des Willens, das Sein
mit dem Sollen zn rermitteln, oder Sein nnd Sollen ,,zasammen-
fliessen" zu lassen? Ist etwa der Wille ohne Sein und das Sollen
ohne Willen und ein Sollen im Willen ohne Sein? Der mensch-
liche Wille ist nicht eine blosse Potenz ; denn Potenz, potentia, ist ein
Sein können, eine blosse Möglichkeit, und, was sein kann, ist noch
lange nicht, — er ist auch eine Thätigkeit, Wirklichkeit. Er
kann nicht nur sein; er ist auch. Das Sein soll gegenüber dieser
angeblichen Vermittlung „nicht der Gausalitftt des SoUens" und
das Sollen „nicht der Causalität des Seins^' unterworfen sein. Man
kann sich aber unmöglich irgend ein zur Entwickelung Kommendes,
wie das Sollen, im Willen anders, als unter der Causalität des
Seins denken. Wo nichts ist, wird nichts. Das Werden setzt als
letzten Grund das Sein voraus. Wenn also das Sollen ist, so ist
es nicht ohne das Sein und, wie Alles, was ist, nur durch das
Sein. Wenn nur auf die Gegensätze des Seins und Sollens die
Bealität der Gottheit als des die Gegensätze beherrschenden und
zusammenhaltenden prius gegründet werden kann, so sieht es mit
dieser angeblichen Begründung misslich aus. Offenbar bin ich
mir selbst des Sollens und des Sittengesetzes bewusst. Wenn
nun der Herr Yert. die Frage aufwirft, „woher das Sollen komme'^,
so ist die natürliche Antwort, das es von uns, unserem Geiste,
unserer Vernunft, unserem sittlichen Willen kommt, weil wir die-
ses Sollen, dieses Sittengesetz nicht ausser uns, nicht in der leb-
losen oder unorganischen, nicht in der organischen, nicht in de-
Pflanzen- und Thierwelt, sondern nur in uns, im Menschen findenr
Allein, wendet der Herr Verf. selber ein, daraus, dass ich mir des«
Sollens bewusst bin, „folgt noch lange nicht, dass ich es in mir
hervorgebracht habe'*'. Folgt aber daraus das Gegentheil, dass ich
es nicht hervorgebracht habe? Ueberhaupt bringt solche Dinge,
wie die sittliche Substanz, ein einzelner Mensch nicht hervor ; diese
ist vielmehr ein im We&en der menschlichea Natur ursprünglich
liegender Keim, der durch die gemeinschaftliche Pflege vieler ver^
einigt er Men^^cheu der Gegenwart, der Vergangenheit und Zukunft
zur immer reinem und hohem Entwickelung kommt. Yom „Sein,
haisi^t es, gelangen wir nicht tum iSoUeu**. Wir müssen also zum
Bollen durch eine „Potenz' ' gelangen ^ welche „der Causalität des
Seins nicht unterworfen ist**. Und warum aollen wir vom Sein
nicht zum Bollen gelangen kbuuen. Das Sollen ist auch ein Sein,
ein eigenthtlmlich in der Henschennatar begründetes Sein; warnt
da^ Sollen nicht als Potenz , sondern als Wirklichkeit att^^q^ifl
wird, kann es nicht bloss sein, €S ist, und w^s istp gehOffvP
das Sein und zu d&m Seiö, AV- ' igt es durch den me
lieh eil Willen^ abar m Wil4 winA^i u.,J^: Jinann mii dorn S«ia
mittdtf da ans dem Wilk^B|i ii» V* ii Soliifn tit,
keiner Vermittlung i- * ^"^^j^jjtd^^^^^,. ^ V, ir flnr
vorbanden, d^n mu^ ^^^^^^^H
A
Quelle des Sollens zn betrachten, da wir das Bewnssisein haben,
dasa das Sollen, die Stimme des Sittengesetzes, von uns kommt.
Der Hr. Verfasser selbst gibt dieses eh, nur meint er, dass dieser
menschliche Wille wohl die Quelle des menschlichen Sollens, aber
nie der Grund des Seins sein könnte. Wenn man unter Sein das
versteht, was ist, also Alles, was in und ausser uns ist, so kann
allerdings der menschliche Wille so wenig Ursache davon sein, als
er der Schöpfer der realen Welt ist, und der Hr Verfasser ist
in seinem Eechte, wenn er jenen »für das Tollhaus reif« erklärt,
der den menschlichen Willen zum spiritus rector der Welt machen
will. Allein der menschliche Wille kann der Grund des Sollens
und Sittengesetzes sein, ohne dass er deshalb die Quelle des Seins
ist. Die letztere Quelle ist allerdings der letzte Grund von allem,
was ist, war und sein wird, und eine solche kann nur Gott sein.
Freilich ist dann auch der letzte Grund des menschlichen Willens
der göttliche, aber in anderer Art-, die menschliche Vernunft ist
so eingerichtet, dass sie dieses Solleu dieses höchste Sittengesetx
aus sich entwickeln und als Norm für Gesinnung und Handlung
aufstellen kann. So kommt das Sollen, das in dem menschlichen
Willen ist, zwar nicht unmittelbar, aber doch mittelbar durch das
medium des menschlichen Willens, der eine besondere Art des Seins
ist, von Gott, der Quelle alles Seins. Die Gründe gegen den mensch-
lichen Willen als die nächste unmittelbare Quelle des Sollens sind
nicht beweisend.
Man erinnere sich dieser schöpferischen That nicht, heisst der
erste Grund, wohl aber anderer Thaten. Jeder aber wird das
Sittengesetz nicht als Etwas von Aussen an ihn gelangtes, sondern
als eine Stimme seines Innern erkennen und sich der Zeit erinnern^
wo er das Gute und Böse zu unterscheiden anfing. Das Sittenge-
setz liegt im Menschen, geht von ihm aus, wie das Bechtsgesetz,
ohne dass es von ihm geschaffen ist. Es war schon vor dem ein-
zelnen Menschen da, weil vor ihm Menschen waren und wird nach
ihm sein, weil nach ihm Menschen sein werden. Es liegt als nr-
sprünglicher Keim im Mensohengeiste ; allerdings ist der Keim nicht
vom Menschen geschaffen, aber er entwickelt sich aus und in dem
Menschengeiste und durch diesen. Nichts kann mich, lautet der
zweite Grund, für die Schöpfung des Sollens „befruchten", nicht
„mein Sein", nicht „mein Denken". Liegt denn der Grund des
Sollens in mir nicht in der Art meines Seins, in meinem Denken,
in dem in meinem sittlichen Willen liegenden Frnchtkeim, der
freilich zuletzt, wie alle Keime, im letzten Grunde alles Seins und
Denkens begründet ist, aber zur Entwickelung durch unsem Geist und
in unserem Geiste gelangt? Wenn von meinem Willen das Sollen
käme, so mttsste dieser es auch wieder aufheben können, ist end-
lich der dritte, von dem Herrn Verf. dafür angeführte Grund, daa
das Sollen nicht vom menschlichen, sondern einzig und allein vom
göttlichen Willen kommt. Allein, was unserer Natur als zu ihr
Kits: 8«la v&d Solleii, 8M
gehörig, sie yoq Anderem wesentlich nnterscheidend , eigen ist^
können wir nicht aufheben, so können wir in uns das Erkennen
unserer Sinne und unseres Verstandes, unser Bewusstsein, die Denk-
gesetze nicht aufheben und doch haben sich die dazu in uns lie-
genden Keime durch uns und in uns allmählig entwickelt. Der
Herr Verf. ündet aun den göttlichen Willen als die Quelle des
Sitten- und Rechtsgesetz^s also: Beim Sollen soll sich mein Wille
einem ,, andern unterwerfen"! Nun aber kann von einer Unterord-
nung meines Willens unter meinen Willen „keine Bede sein*'. Eine
^,moralische Nöthigung", die ,,in sonst nichts, als in meinem Wil-
len" begründet wäre, ist „undenkbar". Wenn das Sollen vom
nämlichen Willen käme und sich auf denselben Willen bezöge, so
müssten „Sollen und Wollen identisch" sein, was sie be-
kanntlich nicht sind. Das kann daher nur aus „einem andern Wil-
len" kommen, dem sich mein Wille unterwirft. Der Wille, der die
Quelle des Sollens ist, muss ein höherer, mir übergeordneter, der
göttliche sein, von welchem, da keine absolute Zweiheit angenom-
men werden kann, auch das Sein determinirt ist. Dagegen kann
man mit Becht begründete Bedenken erheben.
Es ist bekannt, dass im Menschen gegenüber dem Sittenge-
setze ein Zwiespalt herrscht, dass der vernünftige oder sittliche
Wille nach der Bealisirung des Unbedingt- oder Vernünftigguten
strebt, während das verständige Begehmngsvermögen sich- äussere
Zwecke oder das Nützliche, der Trieb die Befriedigung der sinn-
lichen Lust oder das Angenehme zum Ziele setzt. Der sinnliche
und einseitig verständige Wille , der nichts Höheres , als das An-
genehme und Nützliche, kennt, hat sich also dem das Sittengesetz
aufstellenden vernünftigen Willen, von welchem das Sollen ausgebt,
zu unterwerfen. Allerdings ist es also ein anderer Wille, der das
Sittengesotz aufstellt und ein anderer, an den sich das Gebot rich-
tet und der sich dem Gebot unterordnet. Aber diese beiden Willen
Bind nur zwei verschiedene Seiten in einem und demselben Men-
schen. Von der einen Seite geht das Sollen aus und die andere
unterwirft sich ihm. Man braucht also zum Sittengesetze keinen
• andern, als den menschlichen Willen, und, da die beiden verschie-
denen Seiten des Willens zu einem und demselben Wesen, zu dem
gleichen Selbst gehören, so geht allerdings die „moralische Nöthi«
^ng" von uns aus; sie ist eine innere oder Selbstnöthigung , die
demnach nicht, wie der Herr Verf. meint, „undenkbar", sondern,
-wie uns unser Bewusstsein sagt, wirklich vorhanden ist. Der
menschliche Wille ist also die Quelle des Sollons. Das Sein an
sich ist eben so wenig als der Wille von einem Andern ausser ihm
y, determinirt". Denn das Sein ist ja eine Denkbestimmung, die
yyAlles umfasst, was in und ausser uns ist". Das Sein an sich
kann nicht weiter ,^determinirt" sein, da es nur entweder vom
Nichtsein oder Sein determinirt sein könnte. Vom Sein kann man
dieses nicht sagen, da das determinirende Sein eben auch ein Sein
SM Kits: Sein wni SoHett.
ist, also das Sein nicht yon einem Andern, sondern durch ncli
determinirt erscheint. Vom Nichtsein kann man es eben so wenig sagen,
da das Determinirende ein determinirend Seiendes, also nicht ein
Nichtseiendes ist. Wo soll nun, wenn man den Begriff des reinen
Seins hat, die Determination herkommen? Es ist eben, weil das
Sein nichts, als Sein ist, ein Sein in sich und durch sich selbst
Der Einheit des Seins und SoUens bedarf es nicht, weU auch die-
ses zu jenem gehört. Gesteht doch der Herr Verf. selbst bei die-
ser Einheit des Seins und Sollens, die er ein „unabweisbares Postu-
lat'' nennt — das Eant'sche der praktischen Vernunft ist jeden-
falls besser durchgeführt, — dass wir diese Einheit „nicht n
schauen und anzugeben, nicht einmal zu ahnen yerm^gen''. Wu
soll man aber mit einer Sache anfangen, wie kann man eineSadu
begründen wollen, die man weder schauen, noch angeben, noeh
ahnen kann? Der Zweifel an einem Gegenstande dieser Art ist
daher wohl begründet. Dem Herrn Verf. ist demnach die Ablei-
tung des Sitten- und Bechtsgesetzes aus dem göttlichen Willei
nicht gelungen. Das Recht soll eine „Seite der Sittlichkeit" sein,
die Freiheit, nach welcher ich nicht gezwungen den göttlichen
Willen erfülle. Die „Aufhebung dieser Freiheit" ist „das unrechte
Die Freiheit besteht aber nicht nur in der „Erfüllung", sondern
auch in der „Nichterfüllung" des göttlichen Willens. Demnach ist
der im „Unrecht", der mich zur Erfüllung oder Nichterfüllung des
göttlichen Willens „nöthigt". Man „kann unsittlich handeln und
doch im Rechte bleiben". Hierin liegt der „Unterschied zwischen
dem rechtlichen und sittlichen Handeln". In dem • Bereiche des
Rechtes ist „das Unsittliche möglich". Die „Sittlichkeit ist Zweck,
das Recht als die Freiheit die Bedingung". Mit dem Rechte h&ngt
die „Verbindlichkeit, es zu schützen" zusammen. Der Staat e^
scheint als das „einzige Mittel", diesen Schutz zu gewähren. Ein-
mal ist aber die Freiheit nicht „eine Seite der Sittlichkeit*', son-
dern die Bedingung, unter welcher die Sittlichkeit möglich ist
Denn, wenn wir das Gute nicht thun oder unterlassen können, so
kann yon keiner Sittlichkeit die Rede sein. Dieses sittlich oder
unsittlich sein Können ist noch nicht das Recht. Das Recht unte^ '
scheidet sich von der Sittlichkeit dadurch, dass bei jenem eine
äussere, bei diesem eine innere Nöthigung eintritt. Die ftasseie
Nöthigung geht yom Staate, die innere vom Gewissen aus.
(Schluss folgt.)
Sr. 67. HKIDELBEEGER 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kitz: Sein und Sollen.
(SchluBB.)
Nicht darin, dass man im Rechte das Sittengesetz übertreten
kann, liegt der Unterschied des Rechtes nnd der Sittlichkeit, son-
dern im Unterschiede der Nöthignng. Der Staat ist nicht eine blosse
Rechtsschatzanstalt, sondern er bestimmt durch das Gesetz, was
Recht und was Unrecht ist, und ist die Anstalt, welche zur Er-
füllung des Gesetzes zu zwingen im Stande ist, die Gewalt hat nnd
wirklich dazu zwingt, die Gewalt anwendet. Wenn also ein Mensch
unsittlich handeln wollte und das das Recht bestimmende Staats-
gesetz den Menschen zum Erfüllen des Sittlich Gebotenen zwingen
kann, so besteht der Unterschied des Rechtes und der Sittlichkeit
nicht darin, dass beim Rechte auch die Möglichkeit, das Sitten-
gesetz nicht zu erfüllen, gegeben ist, weil ja hier durch das Recht
das Gebot der Sittlichkeit im äussern Handeln wenigstens erfüllt
wird, sondern darin ^ dass man beim Rechte zur Erfüllung des
Sittengebotes gezwungen wird, während das Sittengesetz eine innere
(moralische) Selbstnüthigung ist. Man kann sich das Recht nicht
ohne Rechtsgesetz und dieses nicht ohne den Staat denken. Das
ursprüngliche Recht des Menschen, vom Staate abgesehen, ist, wie
Spinoza sagt, das Recht auf Alles, was der Mensch kann ; es geht
so weit, als seine Macht. Bei der Begründung des Rechtsgesetzes,
welches ohne Staat unmöglich ist, handelt es sich nicht um jenes
ursprüngliche Recht eines uns unbekannten Nai Urzustandes , der
nicht einmal in den Wäldern der Wilden angetroffen wird.
Wenn dem Herrn Verf. die Ableitung des Sittengesetzes ans
Gottes Willen nicht gelungen ist, so kann er natürlich auch das
Rechtsgesetz nicht aus ihm herleiten, da sich dieses auf jenes stützt.
Diese Ableitung hat aber auch noch eine andere Seite, weil namentlich
auch die Theologie in ihrer hyperorthodoxen Gestalt und in glei-
cher Weise die unter der Firma der Theokratie herrschende Hier-
archie sich auf den Willen Gottes berufen. Freilich ist diesem bfi
unser m Herrn Verf. nicht der Fall ; aber bekaEntUch hat man im
Mittelalter die grausamsten Handlangen des kirchlichen Fanati a*
mos mit dem Willen Gottes entschuldigt. Sittlichkeit und Recht
sind im Wesen des Menschengeistes begründete Erscheinungen nnd
müssen darum zunächst aus diesem abgeleitet und durch ihn be-
gründet werden. V. Beielilln-illeiilf
LVIU. Jahrg. 12. Heft.
898 V. Backen: Ltitfadeii tnr Kimät 4m Altcrthvms.
van Sacken^ Freiherr Eduard. Leidfaden »ur Kunde d» kai-
machen AUerihums mii Benehung auf die österreidneehen Lot-
der; mU 84 in den Text gedrudäen Holgeehtntten. WienlSßi
VUi u. 224 8. gr. 8.
Der Verfasser dieser Schrift , Casios des k. k. Müni- md
Antiken-Cabinets , nennt vorliegende Schrift mar »einen Versadi,
die Cnltarznstände unseres Vaterlandes in der yorchristliohen Zeit
und in ihrer Entwiokelung darzulegen, so weit wir sie ans des
üeberresten derselben zu erkennen im Stande sind, welche in
Sohoosse der Erde geborgen waren«. Das Baoh ist aber mehr als
ein Versnob ; es gibt eine genaue Schilderung jener alten Zeit, so veit
es mOglich ist, und eine Beschreibung der yon d<Nrt erhaLtenai
Alterthttmer und was sonst hiezu gehört, so dass es als ein klu^
reiches Handbuch angesehen werden kann, wie der Inhalt anzeigt,
den wir kurz angeben wollen. In der kurzen Einleitung (von 9 Sä-
ten) wird zwar zugegeben, dass wir bei den deutschen Völkern in
den Zeiten yor dem Ghristenthum zwar nicht »jene geistige Eat-
wickelung und Höhe« finden, die wir bei den Griechen und Bömem
bewundern, es wird aber zugesetzt: »dass deren Oultur bei weiieD
nicht so tief stand, als nach den Aussagen griechischer und lOmi-
scher Schriftsteller, die alle Völker ausser sich Barbaren nannten,
gewöhnlich angenommen wird«« Dies zeigt sich , wie weiter da^ |
gelegt wird, nicht aus den Berichten der Alten, sondern ans dnl
Fundstücken, aus welchen man »mit ziemlicher Sicherheit auf die
Lebensweise, den Grad der Be&higung, die Handelsyerbindungei,
kurz die gesammte Civilisationsstufe schliessen kann«. Nach di^
ser Einleitung werden »die Culturepochen Mitteleuropa's beeproeta,
zuerst im Allgemeinen kurz aber genügend, dann so ziemlich nscä
Worsaee's Vorgang die drei Zeitalter abgehandelt, zuerst dis
Steinalter fast zu ausführlich, indem, was dooh nur theilwsidi
hierher gehört, sehr viele Auffindungen von antedilnTianiseba
Thieren in Frankreich, England, ftist weniger in Deutsohlaiid saf-
gezählt sind -* indem man z. B. mehrere Orte aus der hessiselieB
Bheinproyinz hätte anfügen können *— bei vielen dieser Ansgnr
bungen £uiden sich auch ziemlich roh bearbeitete Feuersteine, ^
ältesten Geräthschaften ; doch sind aus dieser ersten Stufe der
Steinperiode so dürftige Beste von menschlichen Knochen bisjet^
angefunden worden, dass man noch nicht die Ba^e dieser ento
Menschen Europas hat bestimmen können. Eine yorgerüdkte Bil-
dungsstufe zeigen die Pfahlbauten, welche sofort sehr ga»
besohrieben werden. Auch hier finden sich in manchen Orten aor
Stoindenkmäler; doch kannten die Bewohner schon Ackerbau lai
Viehzucht, dagegen sind selten Knochen ausgestorbener Thiere; aaeh
keine Leiehen zeigen die PfEihlbanten ; die Gräber des Steinalters sind
entweder oberirdische nämlich Steinkisten, die theils in der Ebene,
theils anf künstlichem Hügel stehen (dies die Hüneabettea) oder
Y. Sftckeii: htiitmitik nr tLxmie des AltertliitiD«. SM
anterirdiBohe, ebenfalls aoB Steinen gebildet oder Chrabkammem
darstellend. Die Leichen sind entweder begraben oder Terbrannt,
letzteres herrscht in Deutschland yor. Sowohl den Gerippen als
den Aschen-Urnen sind die steinernen öeräthe als (Jaben beigelegt.
Aermere Leute wurden mit ihren Gkbben wohl nnr in die blosse
Erde gelegt, ohne Steingrftber. Nachdem hierauf der Verfasser
noch die Fundorte von Steinwerkzeugen in Oesterreich aufgezählt
hat, wiederholt er, dass das Steinalter bei yerschiedenen Völkern
in eine etwas yerschiedene Zeit f&Ut, dass aber das Volk »keines*^
wegs im Zustande der Wildheit lebte«, sondern namentlich die
südliehen Stftmme feste Wohnsitze hatten und im Besitze mancher
Fertigkeiten und Kenntnisse waren. Eine bestimmte Zeit oder
einen etwaigen Orenzpunkt g^bt er jedoch nicht an. Freilich zog
sich das Steinalter weit in das Bronzealter hinein, indem wohl
lange Zeit die Bronze (in der Begel 90 Prooent Kupfer und 10
Procent Zinn) für die Masse des Volkes zu kostbar war. Daher
finden wir in vielen Gräbern Steine neben Bronze. Und nun zählt
der Verfasser die wichtigsten Bronze-Objekte des Bronzealters auf,
wie die Aexte, die Celts d. h. Aexte mit SchafbrOhren^ Schwerter
und andere Waffen, Helme (eine grosse Seltenheit), Schilde (meist
aus Holz oder Leder mit bronzenen Buckeln, doch auch yon Bronze),
Messer oft geschweiste, Gefässe aus einem Stücke dünn getrieben
mit Handheben« Dann als Schmucksachen Ringe, Armringe,
Nadeln, Spangen, Fibeln mit Klapperblech. Die Formen sind meist
gelallig, gegossen, ciselirt, mit Punkten und Strichen gravirt, später
andi mit plastischen Ornamenten, ohne pflanzliche Gebilde und
Tbierfiguren ausser in ganz später Zeit. Ausser Bronze kommt auch
Gold (ebenfalls dünn getrieben), Bernstein, Glasperlen als Schmuck
yor. Die GefUsse sind von grobem Thone, in manichfaltiger Form,
wechselnder Grösse. Die Völker des Bronzealters stehen auf »ziem-
lich vorgeschrittener Culturstufec, üben Ackerbau, haben Hausthiere,
leben auf Pfahlbauten, meist aber auf dem Lande in Dörfern,
haben gemeinsame Begräbnissstätten ; die Wohnungen sind einfach,
bloss Buhestätten und Vorrathskammem. Weberei, Bergbau, Han-
del ist ihnen bekannt, durch letzteren lernen sie Münzen kennen
und nachbilden, wie dies die Begenbogensohüsselchen und andere
sogenannte keltische Münzen zeigen, welche meist von Gold oder
Silber selten von Bronze vorkommen ; auf ihnen stehen auch Namen ;
sonst ist keine Schrift erhalten. Die Gräber sehr verschieden, eben-
falls mit beiden Bestattungsweisen und Beigaben aller Ajrt. Dieses
Zeitalter reicht in Deutschland von mehreren Jahrhunderten vor
unserer Zeitrechnung bis in die ersten Jahrhunderte nach Christus.
Nachdem der Verfasser auch hier die österreichischen Fundorte
aufgezählt hat, kommt er zu der Frage, ob diese Bronzesachen im
Lande verfertigt, oder von aussen eingebracht seien, womit er
gleich die Frage über die Verwandtschaft der B^i
manen in Verbindung setzt. Der Ver£M8i|p;^
900 V4 Saektn: Leitf«d«o nr Kunde des Alterthttmt.
scliieden haiton, fügt aber einen Satz bei, der das Gegentheil sei-
gen kann. Wenn er nämlich S. 130 sagt: >£b ist ein ähnlicher
Unterschied wie im Mittelalter nnd selbst in der neueren Zeit fwi-
Bchen Franzosen nnd Deutschen«: so hätte ihm einfallen sollen,
dass zu KarPs des Grossen Zeit kein unterschied zwischen den
Deutschen und Franken bestand, sondern er sich eben so in den
nächsten 500 Jahren ausbildete wie die Kelten und Germanen ur-
sprünglich d. h. etwa 500 Jahren vor unserer Zeitrechnung eins
waren, aber nachher die Kelten oder Germanen, welche nach Grallies
gegangen waren — wohl durch den Einfluss der Iberer — sich
von den in Deutschland gebildeten Kelten oder Germauen souater-
schieden, dass die Bömer sie fast fUr zwei Völker hielten, was sie
früher nicht waren (wie ich dies schon 1851 im Philologus Y.
S. 107 gezeigt habe). Was die Anfertigung der Bronzesachen be-
trifft, so stimmen wir dem Verfasser bei, wenn er die meisten
dem eigenen Lande zuschreibt; die zierlichen mögen auB Etrurien
u« s. w. sein.
Den Schluss dieses Alters bildet ebenfalls eine Mischperiodei
welche den Uebergang zum Eisenalter macht, mit abweichen-
der Form in Waffen und Geräthon, so wie in Schmucksachen;
man kann diesen Stil den germanischen nennen. Nun konunt wenig
Bronze, dagegen Messing und auch Silber bei Schmucksachen 7or.
Auch hier zählt der Verfasser die Geräthschaften auf und zeigt
deren Verschiedenheit von den oben erwähnten ; eigenthOmlich sind
hier Sporen, kostbarer Schmuck auch mit farbigem Glasschmelz, mit
Thierbildungen u. s. w. Die Verbrennung der Todten hört fast
auf, sie liegen in Reihen- oder Furchengräbern wie in Oesterreich
an vielen Orten. Diese Zeit geht bis in das siebente Jahrhundert
Dies der kurze Inhalt des lehrreichen Buches. Noch ist bei-
gefügt eine allgemeine Schilderung und Aufzählung der römischen
Alterthümer in den österreichischen Ländern (nicht aber hier eine
Aufzählung der Orte; man hätte freilich in mancher Gegend alle
Dörfer anführen müssen). Den Anhang bildet eine lehrreiche An-
weisung bei der Ausgrabung und der Behandlung der Alterthümer.
Endlich sind zum Schlüsse die Orte angegeben wo die 84 abge-
bildeten Gegenstände gefunden wurden. Aus Obigem folgt, dass
dies Buch recht brauchbar und verdienstlich ist.
Die römischen Inschriften in Dacien; gesammelt und bearbeitä von
Mich, /. Aekner, gestorben als evang, Pfarrer in Eamerf
dorf u. 8. IT. und Friedr. Müller, Oymnasial'Director in
Schässburg u, s, to,; herausgegeben mit Unterstützung der k.
Akademie der Wissenschaften in Wien, Wim 1865. XXIIJ u,
247 S, gr. 8.
Als wir vor eilf Jahren Neigebaur's Werk über Dacien einer
eingehenden Besprechung hier (1854 S, 641 ff.) unterwarfen, haben
Ackner: D!« römiseten InscbrlftMi In Dftden. ÖOl
wir, da dieses Werk nicht einmal geringen Anfordemngen entsprach,
S. 655 den Wunsch ausgesprochen, dass Pfarrer Ackner, der da-
mals einen Nachtrag zu Neigebaur's Schrift versprach, nicht
diesen geben, »sondern die Inschriften Daciens gesondert nnd einer
genauen und kritischen Revision unterworfen, uns bald in erneu-
erter Gestalt vorlegen möge.« Dass Ackner diese Aufforderung, die
wir später wiederholten (vgl. diese Jahrbücher 1859 S. 925), wirk-
lich in Berücksichtigung nahm, wird in der Vorrede S. XIX vor-
ligenden Werkes angemerkt. Doch starb dieser 12. Aug. 1862,
nachdem bereits von ihm und seinem Mitarbeiter, dem Gymnasial-
Director Müller zu Schassburg, die Vorrede vollendet war; warum
aber erst nach weiteren drei Jahren das Werk erscheinen konnte,
wird nicht angemerkt; wir denken nämlich nicht, dass es mit der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien langer Unter-
handlungen bedurfte. Das Werk enthält die Inschriften von etwa
140 Fundorten in Siebenbürgen und den angrenzenden Ländern
d. h, dem alten Dacien. Wenn man sich erinnert, wie bisher die
Inschriften in diesen Gegenden behandelt und veröffentlicht wurden,
so wird man den Herausgebern hohes Lob zuertheilen, da sie mit
vieler Sorgfalt, grossem Fleisse und mannichfachen Kenntnissen die
Sammlung veranstalteten und vorlegten. Die Inschriften sind genau
auch mit den Ligaturen — mit den Punkten in der Mitte, was
nicht überall in andern Werken geschieht — angeführt (man hätte
die Zahl der Zeilen am Rande den Inschriften beifügen können).
Voraus geht eine Angabe des Ortes, der früheren Herausgeber und
eine kurze Beschreibung des Denkmals und wo es vorhanden ist.
Unter den Inschriften folgen Varianten, kleine Bemerkungen und
die Paraphrase. Man sieht, dass die Inschrift nicht viel Raum
einnimmt, so dass auf 204 Seiten 976 Inschriften aus Dacien ver-
zeichnet sind. Beigefügt sind eilf indices und im Abhang 52 aus-
wärtige Inschriften, welche sich auf Dacien beziehen. Im Ganzen
genommen können wie der Methode wie der Abfassung und der
Erklärung nur unsern Beifall zuertheilen, doch erlauben wir uns
einige Fragen und Bemerkimgen. Vorerst wissen wir nicht, welche
Reihenfolge in den Orten beliebt war; manchmal sind die Inschrif-
ten desselben Ortes durch mehrere andere Orte getrennt, wir sehen
nicht ein, aus welchem Grunde z.B. die 90 Inschriften von Värhely
mehr als zwanzigmal durch Inschriften anderer Orte getrennt sind ;
eben so stehen von den 14 Inschriften von Osztrova kaum zwei
beieinander. Ferner hätten die unächten und verdächtigen Steine
am Ende der einzelnen Orte oder am Schlüsse des ganzen Werkes
znsammengestellt werden können. Die Verf. sind überhaupt etwas
zti nachsichtig. Gerade von dem oben erwähnten Orte Vdrhely sind
mehrere entschieden unächt, andere schwer verdächtig ; und da war
es nicht genug einige blos mit einem Sternchen zu bezeichnen, an-
dere ohne weiteres für acht zu halten oder zu erklären. Ohne uns
nun in Einzelnheiten zu ergehen, wo wir anderer Meinung sein
9M Aokntr: Dia römtocfaeB IcscbrlfteB in Dtdaa.
möchten oder kleine Unrichtigkeiten im Text und der Paraphraee
— meist als Druckfehler •— uns aufgestossen sind : fltgen wir Eini-
ges bei, was wir von anderswoher kennen und hier yergebens su-
chen. Im Mai 1864 wurde zu Yeczel ein Fragment in zwei Siflcken
zerbrochen aufgefunden.
PRINCIPI.ALA
LHISP.CAi&AQ.ANTO
NINIANA.INDVLGENTI
IS.EIVS AVOTA.LIBERALI
T...IBVSQVE DITATa.
Dieselbe ala I Hispanorum Campagonum ist auch sonst von
dort bekannt, siehe N. 254, wo sie noch den Beinamen Philippica
hat. Ebendaselbst wurde im nämlichen Jahre ein Ziegel von den
coh. II Flayia Oommagenomm gefunden, der um so mehr einzu-
reihen war, da so wenig Ziegel mit Inschriften bisher in Dacien
bekannt sind. (Vgl. Mittheilungen der k. k. Central-Commissioa
sur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale. 1865 8. XGI).
Vielleicht ist aber vorliegendes Buch schon gedruckt gewesen, als
jene Fragmente gefunden wurden. Ebenso ist jetzt erst bekannt
geworden ein Ziegel im bukarester Kloster der S. Saba, auf wel-
chem deutlich steht:
LEGXmGETADI.
Dieser Ziegel ist desswegen merkwürdig, weil auf einem Ziegel
zwei Legionen erwähnt werden ; wir führen ihn hier aber an, weil
gerade diese zwei Legionen lange Zeit in Dacien standen (vgl.
Mommsen im archäol. Anzeiger 1865 S. 96). Weiter ist zu loben,
dass die Verfasser sich bemühten, jene Inschriften, deren Fandort«
Neigebaur 8. 282 ff. nicht genau angeben konnte, einem bestimm-
ten Orte zuzuweisen, wiewohl manches noch hiebei fraglich bleibt,
sowie auch hier zwanzig Inschriften ungewissen Fundoris am Ende
aufgeführt sind, namentlich solche, die in Privatsaromlangen in
Siebenbürgen waren oder sind, ohne dass der nähere Fundort an-
gefügt ist. Hiebei übersahen die Verfasser den Töpfemamen
FOETIS, der auf einer Lampe im reformirten CoUegium zu EInyed
sich findet (Neigeb. S. 289. 10). Ebenso finde ich nicht alle Le-
gionsziegel aufgelührt z. B. nicht gerade Neigeb. 8. 299, 6. 2,
wiewohl I bei Ackner Nr. ^71 steht. Die indices endlich sind recht
brauchbar; sie behandeln die alte Geographie, die Gottheiten» das
kaiserliche Haus, die Consuln, die Tribus (hier hätte man die St&dta
der einzelnen Tribus beifügen können), die Trnppenkörper (hier
steht in erster Zeile Asturorum, wohl nur Druckfehler), die Com-
mandanten (warum nicht der alte Ausdruck?) der leg. V Maced.
und Xm gemina; die Statthalter in Dacien und endlich sonstige
Personen und Sachen (man hätte diese trennen sollen; aach aind
die cognomina nur bei den nomin. gentil. angegeben, nicht beson-
ders aufgeführt) und zuletzt die Fundorte ; wir vermissen ein Ver*
Berirftnd: dOenl diff^DtiaL 908
zeichniss der Abkürzungen. Unter den Inschriften, welche im An-
hang stehen, weil sie answ&rts gefrinden auf Dacien sich beziehen,
bemerken wir B. 237 aoch eine Mainzer, sie war aber nicht in
Brinczenheim wie unrichtig statt Bretzenheim steht (nach Gmter),
sondern stand zuerst in Mainz selbst, wie der erste Herausgeber
Huttich anno 1520 angibt. Endlich wünschen wir noch, dasseine
Karte der dacischen Fundorte beigegeben wäre, besonders da die
bei Neigebaur ganz unbrauchbar ist. Sonst sind wir dem Heraus*
gcber sehr zu Dank verpflichtet, da er seines verstorbenen Freun-
des Sammlung mit schönen und gelehrten Zusätzen und Nachträgen
vormehrt und verbessert uns vorgelegt hat: jene war nach etwas
alten Ansichten angelegt und so konnte jetzt nicht alles umgeän-
< dert und verbessert werden, wie der Herausgeber ohne Zweifisl ge-
wünscht hätte. Eine zweite Ausgabe, die wohl bald erfolgen dürfte,
wird diesem kleinen üebelstande ebenfiEklls abhelfen. Klein«
Tratte de Ctüad diffireniial et de Ctüaü iniigral par J. Ber^
trand, Membre de rinsiüid, Prof, ä^Ecole impir. polyi. et
au CoUige de France, Caicul differentiel. Paris, Oauthkr*
VÜlars. 1864. (XLIV u. 780 S. in 4.).
Das Werk, von dem der erste Theil — die Differentialrech-
nung — uns vorliegt, ist auf einen grossen Umfang berechnet, da
eben dieser erste Theil nicht weniger als 780 Quartseiten enthält.
Es ist also offenbar die Absicht des Verfassers, die Lehren der
hohem Mathematik in umfassendster Weise darzustellen, so dass
nach seiner Vollendung das Buch — • wenn wir ein Beispiel brau-
chen dürfen — das für unsere Zeit sein soll, was das grosse Werk
von Lacroix für seine Zeit war. Dagegen lässt sich natürlich Nichts
einwenden, da solche Schriften für diejenigen, die mathematische
Studien als Lebensaufgabe betreiben, von grösster Wichtigkeit sind
und viele (verlorene) Mühe ersparen dadurch, dass sie eine grosse
Beihe von Einzelheiten enthalten, die in den Lehrbüchern, und auch
den ausführlicheren, fehlen. Die Leser dieser Blätter werden es
desshalb ganz in Ordnung finden, wenn wir ihnen den Lihalt des
ersten Bandes, der erst erschienen ist, übersichtlich vorführen, wo-
bei wir eine oder die andere Bemerkung zufügen wollen.
Wir von unserm Standpunkte aus wünschen die Darstellung
der hohem Mathematik nach der Methode der Gränzen in aus«
schliesslicher Weise, da sie — vrie schon oft gesagt und an den
gcgentheiligen Schriften auch nachgewiesen — allein zur vollen
Klarheit führt. Zur Bequemlichkeit der Herren Professoren der
Mechanik und angewandten Mathematik kann man noch immerhin
die unendlich Kleinen auftreten lassen, die dann erst verstanden
werden. Der Verf. des vorliegenden Buches ist hiomit nicht ganz
J
•04 Bertrand: Calcnl aUTtfoiitiftL
einverstanden, da bei ihm die unendlich kleinen GrGssen eine gtoftse
Bolle spielen; wir werden desshaib mehrfach auf seine Beweisart
eingehen, nm unsere so eben aufgestellte Behauptung an ihm selbst
zu bekräftigen.
Die Vorrede enthält eine Geschichte der Entdeckung der Dif-
ferentialrechnung, oder wenn man lieber will, des bekanntlich etwas
unerquicklichen Streites zwischen (den Anhängern von) Newton
und Leibnitz. Darauf folgt eine üebersicht des Inhalts des Tor-
liegenden ersten Bandes mit fortwährender Beachtung der Ge-
schichte der Wissenschaft. Obwohl sehr interessant, wollen wir
auf diesen Theil des Buches nicht eingehen, da es uns gar nicht
am Herzen liegt, in Bezug auf Genauigkeit oder üngenauigkeit der
Angaben eine Untersuchung anzustellen, es auch für die Wirkung
des Werkes ziemlich gleichgitlig ist, ob die hier gelieferte Ge-
schichte der Wissenschaft richtig ist oder nicht. Wir wenden
uns also zum Buche selbst.
Wir begegnen da zuerst der bekannten Definition der unend-
lich kleinen Grössen, die natürlich scharf gefasst ist, über die wir
uns also auch nicht weiter yerbreiten wollen. Dasselbe gilt tob
der Erklärung der unendlich kleinen Grössen yerschiedener Ord-
nungen. Hierauf will der Verf. nun zeigen, dass wenn <p{x) irgend
eine Funktion von x ist, h ein Zuwachs von x, die Grösse 9(x-|-fa)
— 9(x) ein unendlich Kleines erster Ordnung ist, in Bezug anf die
unendlich kleine Grösse h. Dazu gehört, dass — — ~^-^r — — —
n
mit unendlich kleinem h gegen einen bestimmten Werth geht.
Gerade das wird aber nicht bewiesen, sondern blos gezeigt, dass
jener Bruch nicht für jeden Werth von x zu Null oder unendlich
wird. Ob es aber nicht nothwendig ist, zu zeigen dass der frag-
liche Quotient nicht unbestimmt wird? Wir halten den ganzen
Beweis allerdings für überflüssig, aber wenn er einmal versacht
wird, so sollte er vollständig durchgeführt werden. Zudem siebt
man nicht recht ein, warum für besondere Werthe von x der
Beweis nicht zulässig ist. Wenn also der Verf. in §. 8 beginnt:
„Welches auch die Funktion <p{x) sei, das Verhältniss ^- — ^^-r- — ^-^
hat eine endliche Gränze, wenn h gegen Null strebt'S so ist dieser
Satz — unserer Meinung nach — nicht erwiesen« Dass die hieraus
gefolgerten Sätze ebenfalls zweifelhaft werden, ist natürlich. Be-
gleich der erste: „Wenn die Koordinaten der Punkte einer Kurve
als Funktionen einer Grösse a ausgedrückt sind, so ist die Ent-
fernung zweier unendlich naher Punkte der Kurve von derselben
Ordnung mit dem Unterschiede der Werthe von a, denen sie zu-
gohören." Aehnliche Sätze werden für krumme Oberflächen auf-
geführt und als Beispiel für unendlich Kleine der zweiten Ordnung
der Krümmungskreis angedeutet.
Nachdem der allgemeine Satz der Ersetzung unendlich kleiner
Berirand: Galen! diff^ential. 905
Grössen dnreh andere erwiesen, wird gezeigt, wie man diese un-
endlich kleinen Qrössen bei Auflösung Ton Aufgaben verwenden
könne. Als erste dieser Aufgaben ist die Bestimmung der Tan-
gente an einige Eurren behandelt. „Zur Abkürzung*' sagt man,
es sei ein Punkt mit dem „unendlich benachbarten'* zu verbinden :
so drückt sich der Verfasser ganz richtig aus, nachdem er die
klare und unzweideutige Definition nach der Oränzmethode gege-
ben. Dagegen haben wir selbstverständlich Nichts einzuwenden.
Der Verf. zeigt nun an ziemlich verwickelten FäUen sehr allge-
meiner Art, wie sich die Tangente bestimmen l&sst, wenn nur das
Bildnngsgesetz der Kurve bekannt ist.
Die Tangentialebene erklärt der Verfasser als diejenige Ebene,
welche (in dem Berührungspunkt) die Tangenten an aUe Kurven
auf der krummen Oberfläche, die durch diesen Funkt gelicn, in
sich enthält. Das ist, unserer Anschauung nach, die allein richtige
Erklärung, und wenn man die analytische G^eometrie zu Hilfe neh-
men darf, so lässt sich auch leicht zeigen, 4^S8 diese Ebene exi-
stire. Hievon konnte aber hier nicht Gebrauch gemacht werden,
und der Verf. hat desshalb geometrische Betrachtungen angewendet.
Wir sind jedoch nicht in der Lage gewesen, seinen Beweis recht
zu verstehen. Sei M, sagt er, der Bertihrnngspnnkt ; MP, MQ zwei
Kurven auf der Oberfläche (die durch M gehen), so kann man durch
die Tangenten an diese beiden (in M) eine Ebene legen, von der
zu erweisen ist, dass sie auch die Tangente an eine beliebige dritte
Kurve MB enthält. Diese Kurve betrachtet der Verf. als „Gränz-
lage" einer Kui-ve R'R", die, indem sie MP, MQ beständig in A,
B schneidet, sich eben dieser Gränzlage unbegränzt nHhert. Das
scheint uns nicht klar, jedenfalls etwas arg küntlich und gleich zu
Lingang eines Werkes nicht einladend.
So werden noch die Längen von Bögen einiger Kurven be-
stimmt und namentlich der Bogen der abgewickelten Kurve ermit-
telt. Den Schluss des ersten Kapitels bilden, wie bei allen fol-
genden, „üebungen'^, die jeweils eine Eeihe sehr interessanter Sätze
enthalten.
Nach diesen Einleitungen gelangen wir zur Theorie des Dif-
forentialquotienten (dörivöe nennt ihn der Verfasser). Das ist der
Gränzwerth von — ' .; ?-^, von dem freilich nicht bewiesen
n
ist, dass er einen bestimmten Werth (une limite döterminöe,
wie der Vei-f. sagt) habe. Hierauf werden die Differdntialquotienten
der einfaclicn Funktionen bestimmt, wo z. B. vorausgesetzt ist, dass
i_
der Gränzwerth von (1-j-a)*^^ die Gnindzahl der natürlichen Lo-
garithmen sei. Diese Logarithmen bezeichnet der Verf. übrigens
auch durch l(x).
Sodann zeigt der Verf., wie man die Differentialquotienten der
umgekehrten Funktionen aus denen der unmittelbaren findet. Ist
006 BtrtrftBd: Cdmd dUrimHia.
j = 9>(x) und folgt daratu x=^(y), bo i8t^^^(x)^'(y)=-l. Wir
halten einen Beweis dieses Satzes für überflflssig, da er ja nur ein
besonderer Fall des Satzes der Differenzirang Ton znsammenge-
setzton Funktionen ist. Dabei ist übrigens zu bemerken, dass der
Verf. die umgekehrten Funktionen, wie arc sin x n. s. w. yiel-
dentig nimmt, was wir entschieden für verwirrend halten.
Hierauf erscheint nun der eben angeführte Satz, worauf die
Sfttze für dieDi£ferenzirung eines Produkts a.8.w. aufgestellt werden.
Vermisst haben wir dabei die Differenzimng einer Summe. Dass
Vi — Bln'x ohne Weiteres gleich cosx zu setzen ist, wie es der
Verfasser thut, ist nicht gestattet. So findet er ab Difierential-
quotionten von j=V^i — r,-^ den Werth . Dieser letz-
i — Binz 1— smx
tere ist nun unbedingt positiv, woraus folgen würde, dass y mit x
7t
beständig wachse, was nur von o bis -• der Fall ist. Ob nun
2
solche Widersprüche nicht in Verwirrung bringen müssen?
Das Differential von (p (x) wird aus der (richtigen) Gleichung
g> (x + h) — 9 (x) = h 9* (x) + ha erklärt, wo s selbst unendlich klein
ist mit h, indem man die Differenz 9)(x-}-h)— 9>(x) gleich hg) H^)
setzt, und also „einen unendlich kleinen Theil ihres
Werthes vernachlässigt." Wie früher erwiesen, kann also
hqp'(x) statt g)(x + h)— 9)(x) bei unendlich kleinem h gesetzt wer-
den in jedem Probleme, wo es sich um ein Verhältniss oder eine
Summe unendlich kleiner Grössen handelt. Setzt man h = dx, nnd
9?'(x)dx = d9(x), so ist also das Differential nicht gleich 9(x-i-dx)
—q)(x)y sondern kann diese Differenz nur in den so eben genann-
ten Fällen ohne Fehler ersetzen. In dieser Form des Ansdracks,
die der Verf. braucht, können wir der Theorie der unendlich Klei-
nen natürlich zustimmen ; aber man wird uns die Frage gestatten,
wozu das Alles notbwendig sein soll? Diese Frage stellt sich der
Verf. denn auch, da es scheine „es biete die Anwendung des Dif-
ferentials keinen wirklichen Vortheil dar" (S. 42). Das, wa3 er
aber sagt, ist Alles erst richtig, wenn es bewiesen ist. Wenn aus
y=9(x) gefolgert wird dy = 9'(x)dx, so kann er hieraus die
Gleichung dx = — rr-rdv doch nur schliessen, wenn er bewiesen
hat, dass das Produkt der beiden Differentialquotienten (im streng-
sten Sinne des Wortes) -r^, — gleich 1 ist. Was hat man nun
aber dadurch gewonnen?
Wenn nun auch die Differentiale von Funktionen mehrerer un-
abhängig Voränderlicben ermittelt werden sollen, so werden wir in
etwas grösserem Maassstabe auf die „Vernachlässigungen" geratben.
Wir müssen übiigens hier tibermals ein Bedenken äussern. Bleiben
wir bei dem oben gegebenen Ausdrucke von 9> (x -}" h) — 9> W
B«rirtnd: Cidevl diff^rantlaL 907
stehen, so setzt hier der Yerf. yorans, dass € ein unendlich Elei«
nes erster Ordnung (mindestens) sei. Das ist nirgends erwiesen«
Es ist allerdings unendlich klein; aber ist nicht auf v/'h unend-
lich klein mit h und doch nicht der ersten Ordnung. Wenn also
(§. 54, S. 48) von einer Veruachlässigung unendlich kleiner Or()ssen
zweiter Ordnung gesprochen wird, so ist dies unrichtig und das
Wort gelegentlich eingeschmuggelt. Das gilt natürlich wieder bei
der Ableitung des Differentialquotienten zusammengesetzter Funktio-
nen (S. 54). Welche Umständlichkeit die „Methode des unendlich
Kleinen*' nöthig hat, um einfache S&tze klar zu erweisen, zeigt
dy
§. 60. Aus der Gleichung (p(Xfj) = 0 soll -p gesucht werden. Dar-
aus folgt^ dx -|- j^dy=0, woraus u. s. w. Hier, meint der
Verf., konnte leicht eine &]8che Anschauuung unterlaufen, wenn
man die Qleichung benütze, indem man in Versuchung kommen
könnte, auch hier unendlich Kleine der zweiten Ordnung als yer-
nachlässigt anzusehen. Dass dem nicht so ist, zeigt er dann.
Warum aber nicht in den immer klaren Orundanschauungen blei-
ben, yielmehr lieber Sätze auf Sätze aufthürmen?
Wie leicht man überhaupt hier fehlen kann, ist wohl ans den
arg komplizirten Betrachtungen des §. 65 klar.
Das dritte Kapitel behandelt die „Determinate eines Systems
Ton F^nktionen'^ Die eigentliche Theorie der Determinanten wird
vorausgesetzt und nur einige Sätze aus der Theorie der „Funktional-
Determinanten*' nachgewiesen. Die Beweisart ist eigenthümlich,
und wenn auch die unendlich kleinen Qrössen eine Bolle darin spielen,
lässt sie sich doch wohl auch in der andern Ausdrucksform an-
wenden.
Der Verf. geht nun zu den Anwendungen auf analytische
Geometrie über und behandelt zunächst die Tangenten und Nor-
malen an ebene Kuryen, wozu eine Beihe Beispiele gegeben wer-
den. Die Darstellung ist erschöpfend, wie sich dies bei einem Werke
yon diesem umfang als sclbstyerständlich erwarten lässt. Hierauf
werden die Kuryen doppelter Krümmung und die krummen Ober-
flächen (Tangenten und Tangentialebenen) betrachtet. Als weitere
Anwendung erscheinen die einhüllenden Kuryen und Flächen mit
einer Anzahl wichtiger Beispiele.
Auch der nächste Abschnitt ist im Grande geometrischen An-
wendungen gewidmet. Das Differential einer ebenen Fläche wird
in wenig ptrenger Weise gefunden, da yorausgesetzt wird, das be-
kannte Dreieck sei unendlich klein der zweiten Ordnung. Die
Differentiale der Kuryenbögen bei rechtwinkligen und Folarkoordi-
naten, so wie in einem System krummliniger Koordinaten (Lam^)
werden sodann in eingehender Weise betrachtet, worauf zur ana-
lytischen Theorie zurückgegangen wird.
Die Differentiale höherer Ordnung werden aus dem der ersten
4
t06 Bertrtnd: Calevl aifTilmitiftl.
OrdnuDg abgeleitet, zngleich aber aaeb ans den Differenzen z/y,
^•y, ... Dabei siebt sieb der Verf. genötbigt zu erläutern, d&ss
zwischen den Differentialen höherer und denen erster Ordnung ein
wesentlicher Unterschied sei (S. 137); die letztem sind völlig be-
stimmt, die erstem sind es nicht, so lange man sich nicht über
die nnabhängig Yernnderlicbe entschieden hat. Es liegt wohl nuhe
zu fragen, ob dieser „wesentliche Unterschied" in der Natur Her
Sache, oder in der Methode der Darstellung begröndet sei? Wir
meinen das Letztere, und es ist dies itlr uns ein Orund mebr.
diese Methode der Differentiale zu verwerfen. Wenn man sich anf
Differentialquotienteu einschränkt, so ist man all diesen wunder-
lichen Unterscheidungen und Spitzfindigkeiten überhoben, die man
sich ganz unnöthiger Weise selbst bereitet hat.
Der Verfasser bestimmt nun eine Reihe höherer Differential-
quotienten (die er immer d^rivöes nennt), wobei er sich nament-
d"g)(u)
lieh auch mit der Aufgabe beschäftigt, die Grösse — T. \ zu fin-
den, wenn u eine Funktion von x ist. Die allgemeine Formel wird
auf eine Anzahl verhältnissmässig zusammengesetzter Fälle ange-
wendet, worauf die Werthe von gewissen (hohem) Differential-
quotienteu für den Fall, dass die unabhängig Veränderliche Nnll
werde, bestimmt sind.
•r. » . AM . , d'u d'u . , V 1
Der allgemeine Satz, dass -; — r— — , , wird klar erwiesen,
dxdy dydx
und dann die »Differentiale« von Funktionen mehrerer Veränder-
lichen behandelt. Dass der Verf. gezwungen wird (S. 160) w
sagen, dsss seine Formeln > nicht mehr anwendbar sind«, wenn in
9 (Pi ^) die Grössen p und q selbst von andern Grössen abhängen,
ist sicher verwirrend, nachdem der Ungeübtere aus dem Vorher-
gehenden hat schiiessen wollen, dass eben Alles in derselben Weiie
verlaufe.
Der folgende Abschnitt, über die Aenderung (Vertauschnng)
der Veränderlichen beginnt mit einer Einleitung, die unserer Mein-
ung nach, nicht zur Empfehlung der Methode beiträgt. Ist y=i*>
so erhält man d^y= 12x*dx^; setzt man weiter x*'' = u, so ergibt
sich y=ru', und da du = 2xdx: d'y = 8x*dx'. Das stimmt nicM
mit dem vorhin Erhaltenen und ist auch nicht richtig; aber mos»
ein solcher Zustand nicht verwirren? Der Verf. führt die hier vor-
liegende Aufgabe sehr ausführlich durch, und wenn wir von der
Methode absehen, lässt sich dagegen Nichts einwenden.
Den weitem Abschnitt, über die Bildung der Differential-
gleichungen, der die Elimination der willkürlichen Konstanten nnd
Funktionen und damit zusammenhängend die partiellen Differential-
gleichungen gewisser kniramer Flächen sehr ausführlich behandelt,
tibergehen wir, da wir nichts Besonderes dagegen zu erinnern haben.
Hiemit schliesst das erste Buch.
i
L
Bei ifanü: Caliml diff^tentUl. MO
Das zweite behandelt die Beihenentwieklungen (S. 225—522).
Als erster AbBohnitt erscheint eine allgemeine Theorie derBeihen,
bezüglich deren Convergenz oder Divergenz. Die Darstellung ist
im höchsten Grade ausführlich, so dass man sich in diesem Buche
völlig Bath haben kann. Dass wir uns nicht auf eine Herzäfalung
der einzelnen Sätze einlassen können , liegt auf der Hand. Der
zweite Abschnitt behandelt das Theorem von Taylor. Zuerst
wird die ursprünglich von Taylor gegebene Ableitung aufgeführty
von der gesagt wird, »cette d^monstration n*est pas rigourouse.«
Der Beweis des Werkes scheint uns aber auch nicht klar. Bei
der fundamentalen Bedeutung des Satzes wollen wir dies näher
erörtern« Nachdem gezeigt ist, d^ss wenn eine Formel q> (x) Null
für x = a und x=b, noth wendig ihr Differentialquotient Null wer-
den muss für einen Werth von x zwischen a nud b, setzt der
Verf. die Grösse y (x) + ^^ y i (x) -}- .. -}- ^^^^^ 9" (^) + R
gleich 9(X), wo x, X zwei gegebene beliebige Zahlen sind. Dann
(X-x)'*+^
setzt er B = — ; r— P, wo P zu bestimmen ist. Setzt man
1 . . n+l
hier statt x die Veränderliche z, so ist die Differenz (p (X) — ^^(z)
-... -^= -y"W- . A.. PNullfürz = xundfürz=X;
1 ..n ^ ^ ^ 1 ., n+l '
also kann man den Hilfssatz darauf anwenden. Als Differential-
.. . V -u* CX— z)" n+l,, , (X-z)«.
quotienten nach z gibt er nun :j ip ' (z) -| — :j P ;
er betrachtet also P als uuabhängigvon z, was so kurz-
weg nicht gestattet ist. Da diese Grösse Null werden muss für
einen Werth von z zwischen x und X, so ergibt sich daraus leicht
P in der bekannten Form. Der Beweis des Satzes ist hiernach
nicht richtig geführt, um die »zweite Form« zu finden setzt der
Verf. : ^(X) = 9>(x) + (X-x) q>\x) + ... + Sl^^.(x)+(X-x)
P. Auch hier bildet er den Difierentialquotienten von 9>(X) — ^{z)
rj z)"
— ... 9"(z)--(X— z) P, indem er P als von z un-
abhängig behandelt (ohne das freilich bestimmt auszusprechen
(X— — zV n ! 1
und erhält als solchen: — -i ^-<P (z)-|-P, was entschieden
unrichtig ist« Eine »dritte Form« wird eben so abgeleitet. Es
lässt sich die Darstellung allerdings so einrichten, dass der ge-
rügte Fehler nicht vorhanden ist; doch ist dies im Buche eben
nicht geschehen, auch ist selbst dann die Ableitung eine künstliche.
Die Anwendungen des Taylor^schen Satzes sind natürlich sehr
zahlreich. Bei dem Binom (l-J-x)" wird gezeigt, dass das Br-
gänzangsglied verschwindet, wenn x^ unter 1 ; was den Fall x'r=l
»10 B«rirtii4: Oftleul dUf^iittal.
betrifit, BO wird nniemobt, waiio die Beiben nocb konTergiren, xmcl
dann kurzweg angenommen, dssB ibre Summe eben noch (1-^x)*
sei, was man nicht darf.
Der folgende AbBcbnitt behandelt die Reiben von Bemoolli
den Lagrangescben und Bflrraann'seben Sats mit ihren Anwendm-
gen, die Methode der unbestimmten Koeffizienten, die Theorie der
fonctions gönöratrioes von Laplace, die Bemonllischen Zahlen wi
die Legendreschen Funktionen X.. Der Bflrmann'sche Satz ist aoi
dem Lagrangeschen gefolgert, was uns verkehrt scheint; letzterer
selbst nach Laplace bewiesen. Dass man dabei die Hauptfrage,
welche Wurzel erhalten werde, nicht löst, ist bekannt, und aadi
der Verf. meint, dass er sie >en ce momentc nicht lösen kösie,
so dass er in einem spftteren Abschnitte wieder auf dieselbe zurfiek«
kommen werde« Die Methode der unbestimmten Koeffizienten wird
angewendet, aber als nicht genau erklärt. Dass solche halb rieb-
tige S&tze aber in einem Fundamentalwerk nicht erscheinen sollen,
halten wir fUr so ausgemacht, dass wir fOglich weiteres Eingeho
sparen können.
Der vierte Abschnitt ist der Theorie imagin&rer Fanktionei
gewidmet, wobei namentlich auch die Entwicklungen io Beibeo
behandelt sind, während der fünfte den Tajlor'schen Satz auf
Funktionen mehrerer Veränderlichen ausdehnt , was auch fttr den
Lagrangeschen geschieht.
Der nächste Abschnitt behandelt die unendlichen Produkte.
Aus sehr begreiflichen Gründen werden nur Produkte der Form
(l-|-ai) (l-f-^a)*"* untersucht, in deren a. gegen Null geht vit
unendlich wachsendem n. Sind alle a von gleichem Zeichen, so
sind (l + Äi) (l-j-^a)"* ^^^ «j+aj"}""' ^^ gleicher Zeit kon-
vergent und divergent. Wenn angenommen wird, ee sei l(l-f ^)
=k ^, wo e kleiner als 1 , so ist diese Annahme für ein ne
k^ k^
gatives k unzulässig, da aus 1(1— k) = —k—-r~-^ — ... doch so»
fort heorvorgeht, dass 8 &ix diesen Fall grösser als 1 wird. Ibso-
feme also die Beweisführung sich auf diesen Satz stützt, und des
Fall des negativen k beachten will, ist sie unsicher geworden.
Damit natürlich sind die Folgerungen, die sehr zahlreich sind, ii
ähnlicher Lage, namentlich der Beweis für die Richtigkeit des be-
kannten unendlichen Produkts für sin x, der überhaupt hier sehr
künstlich geführt wird.
Zu den Reihenentwicklungen ist ein weiterer Abschnitt über
die Entwicklung in unendliche Kettenbrüche gefügt, von der nbl-
reiche Beispiele gegeben werden, worauf dann die Cauchy'sche Best-
rechnung theoretisch und praktisch erörtert wird.
Zur eigentlichen Differentialrechnung gehört wieder die Unter*
suchung der »unbestimmten Formenc, die mit gehöriger Scb&rffl
Berirftüd: Caleol aiff4r«iitUl 911
dnrchgefUhrt wird, der dann die Theorie der ansgeaeiclmeten Punkte
der Kurven nnd Fl&efaen beigegeben ist.
Die Theorie der Maxima und Minima ist auf die Anwendung
der Taylor'schen Beihe gebaut und mit einigen zusammengesetzten
Aufgaben erläutert. Die Maxima und Minima für Funktionen meh-
rerer Veränderlichen leiten sich, nach unserer Anschauung, nicht
klar aus dem Taylor*schen Satze ab, wie hier geschehen, und bei
den »relativen Maxima und Minimac sofort unendlich kleine Zu-
wächse annehmen, widerstreitet der vorangehenden Darstellung.
Die Aufgabe : ein Vieleck aus gegebenen Seiten so zu bilden, dass
die Fläche ein Maximum sei, ist schon desshalb nicht gut gelöst,
dass die Anzahl der angenommenen Unbekannten 2 n ist (S 508)
und man nur 2n— 1 Gleichungen findet. Die künstliche Lösung
Tschebitscheflfs der Aufgabe: einen Ausdruck zu suchen der, inner-
halb gewisser Oränzen, sich am wenigsten entfernt von einer ge-
gebenen Funktion, ruht nicht auf klaren Gründen. Es sollte die
Aufgabe, scheint es uns, mittelst der Methode der kleinsten Qua-
drate gelöst werden, wie denn die zwei Aufgaben S. 118 — 128
meiner dahin bezüglichen Schrift besondere Fälle der allgemei-
nen sind.
Das dritte Buch enthält Anwendungen der Differential-
rechnung auf Geometrie (S. 528 — 763). Wir begegnen hier den
Untersuchungen über Krümmung ebener Kurven mit all der zu er-
wartenden Ausfährlichkeit und auch mit der Anwendung der krumm-
linigen Koordinaten, so wie der abgewickelten Kurven ; weiter der
Theorie der Berührungen verschiedener Ordnungen (abgeleitet nach
Lagrangescher Weise aus dem Taylor^ sehen Satze) ; hierauf der Be-
trachtung der Krümmung der Kurven, die auf einer Kugel ver-
zeichnet sind, wobei im Wesentlichen dieselben Gegenstände zur
Sprache kommen, die bei den ebenen Kurven erörtert wurden.
Nunmehr wird die Theorie der doppelt gekrümmten Kurven
aufgestellt, und zwar wird zuerst die Krümmungsebene in etwas
künstlicher Weise definirt, statt sie anzusehen aJs die Gränzlage
aller durch drei Punkte der Kurve gehenden Ebenen, worauf die
alle Krümmungsebenen einhüllende Oberfläche bestimmt wird. Die
beiden Krümmungen einer doppelt gekrümmten Kurve werden de-
finirt und ermittelt, worauf noch einige andere hierher gehörige
Aufgaben gelöst werden. Eben so wird nun die Krümmung der
Oberfläche in bekannter Weise untersucht, die Normalen an die-
selben näher betrachtet, dessgleichen die Krümmungslinien , was
Alles durch Beispiele erläutert wird.
Endlich werden die geodätischen Linien auf einer krummen
Oberfläche einer eingehenden Untersuchung unterzogen, wobei die
Gauss*8che Theorie angewendet wird, sowohl in Bezug auf das
Maass der Krümmung als die Abwicklung der krummen Flächen
auf einander. Die Behandlung dieser Theorie ist übrigens im
WesMitlichen geometrisch, indem auf solchem Wege die Haupt-
dlä Kephärovioli: VoitrSc^e Über Ulnehdogl«.
Bätze, die Oanas aufgestellt, nacfagewieaen werden. Eine alpbabe-
tische > Table analjtique«, also eine Art ausfübrlicben InbaltsTer-
zeiobnisses scblieBst das Werk, das bei seiner umfassenden Dar-
stellung und Benützung des heute yorhandeuen Materials to&
grÖBster Wichtigkeit ist. Dr. J. Dienger.
Krysiaüoifraphisehe Wandtafeln für Verträge über Mineralogie an
höhertii und niedtren Lehranstalten von Dr. Victor Rültr
von Zepkarovichf k. k. Professor der Mineralogie an der
Prager Universität. Erste Lieferung. No. l-^IL Plenotessirak
Formen. Prag. gr. Fol. Buchhandlung von 11. Dominieue. 1805.
Bekanntlich bietet der krystallographische Theil der Mineralogie
dem Lehrer wie dem Lernenden eigenthUmliche, in der Natur des
Gegenstandes begründete Schwierigkeiten, welche nur durch geeig-
nete Hülfsmittel in möglichst vollständigen Reihen gehoben wer-
den können« Es sind Krjstall-Modelle und Wandtafeln für den
Vortrag vor einem zahlreichen Auditorium gerade zu unentbehrlich,
wenn der Vortrag von einigem Erfolg sein soll, üeber die beiden
genannten, sich gegenseitig ergänzenden Hülfsmittel zu yerfOgeo
dürften nur wonig Lehranstalten im Stande sein; die Anschafioag
grosser Krjstall-Modelle bei einiger Vollständigkeit ist nicht ohne
bedeutende Kosten möglich; daher man sich bei den meisten An-
stalten mit kleinen für das Einzelstudium geeigneten Krystall-
Modellen behilft. Um so dringender wird dann das Bedttrfniss aof
grössere Entfernung berechneter Krjstall-Zoichnungen. Diesem Be-
dürfniss suchen nun die »krystallographischen Wandtafeln c des treff-
lichen Mineralogen y. Zepharoyich abzuhelfen und es ist nicht
zu bezweifeln, dass sie sieh eines zahlreichen Beifalls erfreuen werden.
Die yorliegende erste Lieferung enthält die sieben Hauptformen
des tesseralen Systems (das Octaeder z.B. 14 Zoll hoch, 13 Zoll
breit); der ganze Atlas wird 200 Tafeln enthalten und die wichtig-
sten einfachen Formen und Combinationen der Krystallsjsteme um-
fassen. Dass die N au mann *sche Bezeichnungsweise gewählt wurde
ist nur sehr zu billigen, da, wie ein hochyerdienter Krystallograph
sehr richtig sagt: die Haudhabung der Naumann* sehen Formeln
gerade für den Unterricht des Anfängers ein tre£Fliches Hülfsmittel
bietet, indem diese Formeln kurz genug sind, um als wirkliche
Zeichen Anwendung zu finden und doch der Anblick oder Gebrauch
einer jeden Formel eine bessimmte Vorstellung über die Lage der
damit bezeichneten Flächen heryorruft oder yoraussetzt.
Somit seien die krystallographischen Wandtafeln allen Lehrern
und Lehranstalten aufs Beste empfohlen. Der niedrig gestellte Preis
(10 Kr. für das Blatt) so dass der ganze Atlas nach Vollendung
20 fl. kostet, das Erscheinen in Lioferuogen wird die Anschaffang
gewiss erleichtern. Gt Leonhard«
It. 68. HEIDELBEfiGEK im.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Liteiatnrberielite ans ItalieiL
Di una epigrafe greea irwcda in Siracma^ di 0. de Spuehes. Pa^
lermo 1864.
üeber eine in Siraons anfgefnndene griechische Inschrift gibt
der gelehrte Sohn des Herzogs yon Cacamo in Palermo , bekannt
durch seine Uebersetzungen griechischer Tragiker, philologische Er-
läuterungen, nach welchen Cleomenes dem Gelo festliche Andenken
nach dem Gebrauche der Isis widmet.
Sloria dOla rtvolutione di BrtMcia deUf anno 1849. Bruda 1864.
Ein ungenannter Einwohner yon Brescia gibt hier die Be-
schreibung des Aufstandes der Einwohner von Brescia gegen die
Osterreich ische Besatzung im Jahr 1849, ein um so kühneres Unter-
nehmen, da damals yon Aussen keine Hülfe zu erwarten war.
La Bciemia e tarit di ttato, da 0^ CanesirinL Firente 1862. Tip.
Le Mannier.
Herr Canestrini , einer der Abgeordneten Toscanas zu ' dem
italienischen Parlamente gibt hier die Lehre der Staatswirthschaft,
wie sich dieselbe in der Verwaltung der Florentinischen Bepublik
und unter den Mediceern entwickelt hat. Allerdings ist die ge-
schichtliche Entwickelung eines wohlgeordneten S{aat8leben8 dort
schon früh aus Beminiscenzen des olassischen Municipalwesens ent-
standen, da das älteste bekannte Statut yon Florenz yon 1267
bereits auf weit ältere gegründet war. In diesem ersten Bande
wird die allgemeine Organisation, die Fiüanzen und die Besteue-
rung sowohl des beweglichen als unbeweglichen Vermögens behan-
delt, wie sie sich dort ausbildeten.
Giuseppe Ferrari, per D. Lioy. Torino 1864, Caea Pomha. 16.
p. 88.
Dies ist das 68. Bändchen der italienischen Zeitge-
nossen und National-Oallerie aus dem 19. Jahrhundert; es ent-
hält das Leben des gelehrten und sehr geachteten Abgeordneten
der Stadt Mailand zum italienischen Parlamente, Herrn Ferrari,
welcher yon reichen Eltern 1812 zu Mailand geboren , sich ganz
den Wissenschafben widmete,. nicht um yon ihnen, sondern für
sie zu leben. Er trat mit dem Leben Bomagno8i*8| seines Vorbildes
als Schriftsteller, auf, fand aber unter den damaligen Verhältnissen
liVm. Jahrg. 13. Hefi 68
914 UtmtalNrlahte mm IteMw.
das Leben in der Heimath nioht flir seine Ansiehten geeignet,
sondern ging naoh Puris, wo er 1840 Tiee et Pltaliot sowie
de religioei« Campanellae opinionibns keransgab, und
dorch Cousin Tormocht ward, eine Stelle als Professor an derüni-
versitftt zn Strassbnrg anzunehmen, wurde aber von der GeisUidi-
keit verfolgt, gab unter andern 1848 ein Werk Aber die GreniCD
der Philosophie 4er Oeeefaichte in flrancömehw Sprache henuu;
seine filosofia della riyoluzione bat vielen Beifall gefunden«
Cöse tiKte e poeo note, per gtovard e per veeehi di (?. Timb^ Jß-
lano 1864. 8. p. 117.
Der fleissige Mitarbeiter an der grossen in Turin herauskom-
menden italienischen Encyclopftdie, Herr Strafforello, dem wir mek-
rere Üebersetznngen aus dem Deutschen verdanken , gibt hier die
erste italienische üebersetzung aus dem englischen in 80,000
Exemplaren schnell verbreiteten Buche: Things not generallj ksowB,
worin Q. Timbs eine Sammlung kurzer Aufsfttae über nützUche ud
wenig bekannte Gegenstände herausgegeben hat. Es wird di-
mit zugleich der Anfang zur Verbreitung ähnlicher Werke, all
Bibliotheca utile, gemacht, zur Belehrung von jung und alL Du
vorliegende Werk gibt Belehrungen unter folgenden Absdmitten:
Wunder des Himmels, der Erde , das Heer , die Luft , Sehen nod
HSren« Leben und T^ni, Thiere und Pflanzen. Zur Probe geben
wir nur folgende Bemerkung über alles Oold der Welt. »Wesn
alles Qold zusammengeschmolzen, würde es nicht mehr Baum einneh-
men, als ein Zimmer von 24 Quadrat-Puss und von 60 FussHSbe;
alles Geld Califomiens und Australiens würde nur einen Cubus toh
9 Quadrat-Puss bilden. € lieber den Wetter-Propheten Hathie« de
la Drome sagt dies Buch: »Es sind die Ergebnisse von vie]jdn-
gen Beobachtungen; freilich ist die Meteorologie noch in der Kind-
heit ; allein es wird die Zeit kommen , wo man vielleicht eben so
sicher das Wetter wird vorher berechnen können, wie die Sonnes- j
und Honds-Pinstemisse.
Rdaaione di FcoU Oerini mi lavori per la eoneervaathne Mfi
aostanze ammälL Müano 1864. Presse JkUtH:
mä
sui preparaii eadaverici di Paolo OorinL Torino 1864. 7^
Favale.
Dei: gelehrte Katurforeoher Gorini hat ^ein Mittel eiiinidfls,
jeden thieriBchen und menBchlieh^i Leichnam «ine beariimmte 1d
dergestalt zu erhal4»ii, dsss er «u anateiniBchen ünterraehnngn
gebratioht werden kann; a&ein auch isach längerer Zeit kann ff
'demselben eine ftoldie HArte geben, dass m äkÜBL wie eme Miii0*|
ttnvet^hrt ettelten kann, so dass er die «rollMndlge E^balssB»*
nmg zu Momien dantellim kann; ebenso kann dieses Mitiiel aiA|
LMmtnAefklite mm Itali«i. «10
gebraucht werden, um dergleichen Qegenstftnde in BnatomiBohen
Museen aafznbewahrei]u Endlich kann dieee Verfahrongs-Art auch
gebraucht werden^ um das Fleisch Yon essbaren Tbieren znmEssw
tauglich zu erhalten. Das diessfaüsige Verfahren ist von der Turi-
ner Akademie der Wissenschaften, besonders von dem Secret&r
derselben, dem befugten Sachverständigen Professor Uolleschott
untersucht worden» und die zweite vorstehend angegebene Schrift
enthSlt das Gutachten der diessfaUfiigen Commission.
Beviäa müUare HaUana. T<nino K64. 8. Tip. Ctmcm.
Diese milii&rische Monatschrift hat den besten Fortgang und
enthalten die letzten Hefte des vergangenen Jahres Aufsätze llber
die im italienischen Heere,im Jahr 1863 bei der Artillerie gemachten
Erfahrungen, über die russische Becrutimqg, über die in Lagern
zu erbaoenden Backöfen, von dem Hauptmu» Outanzoritti, eimem
thatigen Mitarbeiter. Unter den beigefügten Lithographien findet
sich auch das Bildniss des verstorbenen Eriegsministers Gteneral
dellaBovere, welcher nicht nur gegen die Oestorreicher und Bussen
gefochten, sondern auch ein gelehrter O^ier war, der als miU-
tftrischer Schriftsteller das Wissen mit der Tapfarkeit m verbin-
den verstand.
Solenne trmtM^urasiene di eingut menumenH di Vincenze Monii^
ügo Foseoloj Oianthmen. RomagnaH, Ani. Rordfmi e Cliueeppe
Bern. P4ivim t864. TSp. CenttU. 4.
Am 8. September 1864 wurden die Denkmtier von £ünf yex"
dienstvoUen Italienern enthiUti welche eiM ats Privat-Personen zn*-
sammengetretene Gommission denselben in Pavia lecrichten liess.
Wir haben in Deutschland viele Gelehrte, viele Universitäten, aber
die eiBten Klassen der Oeerilsehaft haben nicht dieselbe Achtang
vor der Gelehrsamkeit, wie dies in Italien der FaU ist, wo es
zwar nicht, wie in Bussland Gesetz ist, dass der graduirte Doktor
den Bang des Majors hat, wo aber das öffentliche Bewusstsein mehr
den Geist als die Uniform beachtet.
Saggio mit indudria eotoniera, di C. PoUioUl Tarino 1884. Tip.
LeUeraria. gr. 8. 11. Vol
Hier gibt ein sehr geachteter Turiner gründliehe Brmittelufi-
gen über den Verbrauch der Baumwolle, welche in hohem Grade
«nsiehend sind, von denen wir nur erwähnen, dase d^ erste An-
iuig des Anhanes der BaumwoUe in Nord-Amerika im Jahr 1621
an den ÜCem des Missisi|»pi ei<olgte. bn Jahr 1747 wurden ^
«rsten 8 Ballen BaumwoUe aaoh En^nd verschilft, im Jahr 1860
«6bon 4,675,060 Ballen. In SnglaoMl wurden damais «chon 8 Mil-
dienen Meter Oalioo gewebt, weMi0s ein Band bildet, wemit tum
den Mond ntii der Erde veiWnden könnte.
916 liUMtnrberiolita mu ItalleD.
Jl eampo dei ftloioß lialianL NapoH 1864. Tip. Gvubaru &
In Neapel kommt jetzt ein grösseres Werk in einzelnen Lie-
ferangen faeranSy welches Nachricht über die jetzigen Bestrebnngen
der italienischen Philosophen gibt, welche sich besonders den dent-
sohen Philosophen znwenden, was vorzüglich in dem Neapolitani-
schen der Fall ist, wo die politischen Verhältnisse die Den-
ker von den sie nmgebenden Gegenständen zu den femer liegenden
verwiesen. Das Werk fängt damit an, zu zeigen, wie die Flulo-
sophie in Italien sieh das Beste aus der Philosophie der ganza
Welt anzueignen sucht. Der Zweck dieses Werkes ist hauptsäch-
lich im kirchlichen Sinne zu wirken, und zeigt es viele Bekanntschaft
mit der deutschen Literatur, wofür der gelehrte Bibliothekar Gar
sehr thätig ist, da in dem von ihm eingerichteten Zeitschriften-Saale
der neapolitanischen Üniversitäts-Bibliothek 21 deutsche wisseo-
sohaftliche Zeitschriften gehalten und die Heidelberger Jahrbfleb«
auch jetzt in Italien bekannt werden, da sie italienische Literatur^
Berichte bringen.
Jleune eonaidercunoni intomo aUa sirada di val di 8eUa, deO, tu-
gtnere MotUolu Bologna 1866. Tip. regia. 8.
Hier wird vorgeschlagen aus dem Thale der Setta, welche bei
il Sasso in den Beno fällt, eine Strasse von Bologna über die an
2000 Fuss hohen Apenninen nach Florenz zu bauen ; da jetzt Bo-
logna gewissermassen die Vormauer für die neue Hauptstadt Ita-
liens, Florenz, ist, und wohl bleiben wird, denn schon Cavoor
sagte, wegen Bom müssen wir warten, bis die Bildung so weit vor-
geschritten sein wird, dass die weltliche Herrschaft der Hierarchie
von selbst fällt.
De» monumenU storiei perUnenti aUe proüinde deüa Romagna, «fo-
iuti dd comune di Bologna, Bologna 1864. Tip. regia, gr. i.
p. 288.
Sobald sich die Bomagna nach dem Siege von Villafranca
durch ein Plebiscit fUr dem neu gestifteten Italien beitretend er-
klärt hatte, stiftete der damalige Dictator, der gelehrte Historiker
Farina in Bologna eine Deputation zur Herausgabe der vaterlän-
dischen Geschichtsquellen für die Romagna, nach dem Muster der
in Turin so viel leistenden. Präsident dieses Vereins der gelehrtesten
Geschichtsohreiber des Landes ist der bekannte Geschichtsforscher
Graf Gozzadini, Mitglied der philosophischen Fakultät der Univer^
sität zu Bologna, welcher die auf seinen Gütern entdeckten hetiur
riechen Gräber illustrirt herausgegeben hat» und als Ver£asser der
Beschreibung der von ihm wieder au^efimdenen römischen Wasser-
leitung, welche Meilen weit unter der Erde das Wasser der Setta
nach Bologna führte, wieder einen neuen Beweis seiner nnermüd"
Uchen Forschungen gegeben hat. Eins der thätigsten Mi%lieder
LlteratiiTl>eriehte aus TtaHen. 917
dieser Deputation ist der um die Geschichte Bologna's hochver-
diente Bibliothekar der Stadt (Bibliotheca comnnale Magnani)
Bitter Frati, welcher sofort die Statuten der Stadt Bologna in dem
vorliegenden Werke zum erstenmale bekannt machte (S. die Stadt-
Bibliothek zu Bologna von dem Geheimenrath Neigebaur im Se-
rapeum). Das älteste Statut dieser schon früh den Wissenschaften
gewidmeten Stadt, deren Universität schon im 5. Jahrhundert be-
standen haben soll, ist von dem Jahre 1245, mithin aus derZeit,
als Bologna noch freie Beichsstadt war, aber im Kriege mit dem
Kaiser Friedrich II seinen Sohn Enzio gefangen nahm und bis zu
seinem im Jahr 1272 erfolgten Tode behalten konnte. Die ersten
Statuten sind aber nur in einem kurzen Bruchstücke vorhanden,
um so umfassender sind die von 1250, als Biccardo da Villa Mi-
lanese Ober-Bürgermeister war, woraus man annehmen kann, dass
schon längst in dieser Stadt sehr genaue gesetzliche Bestimmungen
über alle städtischen Verhältnisse bestanden. Der Herr Heraus-
geber hat mit der grössten Sorgfalt mehrere diese Statuten ent-
haltende Codices verglichen und die Varianten in vielen Anmer-
kungen beigefligt, besonders aber wichtig sind die geschichtlichen
Anmerkungen und andere linguistische Bemerkungen, da viele Worte
des damaligen lateinischen Geschäftsstyls einer Erklärung bedurf-
ten, so dass der Bitter Frati sich in jeder Beziehung ein grosses
Verdienst erworben hat.
Atii e memorie deUa regia deptdaziane di storia patria per le pro^
vincie di Romagna. Bologna 1864. Tip. Fava. 4. p. 137.
Dies ist der dritte Jahrgang der Verhandlungen und Denk-
schriften der Deputation für die vaterländische Geschichtskunde der
Romagna, welcher den Bericht des Seoretärs Professor Mercantini
über die Arbeiten des vergangenen Jahres enthält, anfangend mit
einer Vorlesung von dem Professor Bocchi über eine zu Forli be-
findliche antike Inschrift, und über die Gründung dieser Stadt;
ausser rühmlicher Erwähnung mehrerer anderer gelehrten Mitthei-
lungen, hielt auch der Inspektor der Gemälde-Gallerie, der gelehrte
Bitter Giondoni einen Vortrag über das Leben und die Werke des
Francesco Francia Recibolini, welcher mit Recht der Rafael der
bolognesischen Schule genannt wird. Der gelehrte Ritter Frati
hatte sein bisher mit so vielen Ehren verwaltetes Amt als Secre-
tär dieses Vereins niedergelegt, wofür ihm gedankt wurde. Die
hier mitgetheilten Denkschriften enthalten unter andern das Werk
des gelehrten Antiquar Grafen Gozzadini, welches auch besonders
abgedruckt ist, und worüber anderweit berichtet worden, ferner
von dem Professor Ritter Tonini über den alten Hafen vonRinüni,
über eine zu Ancona aufgefundene Inschrift, den Kaiser Geta be-
treffend, so wie von dem Professor Ritter Fabretti über Kupfer-
tafeln mit Inschriften, das alte Lucanien betreffend.
MS
MmMinetäi di $t&ria pmMa ddle provmeie ModauaL Pmrma tB$i,
Tip. Fiaecadori. fr. 4. p. 280.
Dieser Band enthält die geschichtliche Einleitung zu den Sta-
tuten der Stadt Modena, nach ihrer Beform vom Jahr 1327,
Ton dem Markgrafen Campori, einem sehr bedeutenden Geachichts-
forscher, und ist diese gediegene Arbeit für die Oescbichte der
Entwicklung des Qemeindewesens in Italien von ausserordentlichem
Werthe.
Eiposinüne UaKana in FirenMe 186L 11 Vol. Firtme 1664. Tip.
Bcwbera. gr. S. p, 648^
Die erste Aufstellung der Kunst-Industrie und naturgeschicfai-
lichen Erzeugnisse aus dem gesammten Italien, welche 1861 ra
Florenz auf eine so glftnzende Weise abgehalten ward, beschftftigt
noch jetzt die Literatur, und enthftit dieser zweite Band des Be-
richts Über diese Ausstellung von dem Ministerium des Ackerbaues,
der Industrie und des HaddelSy jetzt der sehr geachtete Minister
Torelli, die Berichte der damaligen Geschworenen über die ausge-
stellten Gegenstände, von dem Professor Protonotari geordnet,
von der 1. bis zur 12. Klasse.
La divma comedia dt DantSj eon eommesdo di Q. FraUcdlL Firenu
1864. Tip. Barbera. 8. p. 752. und CXXX.
Dies ist die neueste Ausgabe der göttlichen Komödie mit eiueic
sehr geachteten Commentar von dem gelehrten Kenner der Dante-
Literatur, Herr Fraticelli, welcher schon früher die kleineren Ge-
sänge dieses grossen Dichters herausgegeben hat»
El KamsOj il eavällo arabo puro sangue, di Carlo Ottarmani, ira-
dottö dd A. FeUHi. Bologna 1664. Tip. Qaragnani. gr. S,
p. 164.
Ein aus Livomo gebürtigter Gelehrter, der sich bereits U
Jahre in Jerusalem angehalten hat, um eine genaue Kenntnisi
jener Gegend zu erlangen, gab dem Doctor Feletti aua BologM»
welcher über Egypten, um die heiligen Orte kennen zu lenm
dort mit ihm zusammentraf, seine sorgfältigen Beobachtungen über
die arabischen Pferde, da er sich dort ganz eingelebt und ili
Beduine bekleidet vielfachen Umgang mit den Eingeboraen der
ganzen Gegend gehabt hatte. Hier gibt der Verfasser die Üeb6^
Setzung aus der französischen Handschrift mit Anmerkungen. lOt
Recht wird hier hervorgehoben, dass über Länder, die noch sooft
beschrieben worden, dennoch die grössten Irrthümer obwalten, weil
die Beisenden gew'Shnlich nicht Zeit gehabt haben, den XJrsacbeB
solcher Vorurtheile nachzuspüren. Hier werden die alten Sages
über die Pferde, mit denen die Araber auiwachsen, erzählt. D»
genau beobachtende Ver&eser findet, dass die Kreuzung des araU-
scImh mife dem «ngUscliea Pferde dte Tondlgliehste kt» dasa es
aber unrichtig ist, wenn man sagt: daa arabische P&rd ist der
Sohn der Natur, das englische das der Kunst, daher behauptet er,
dass der arabische Beschäler stets der erste der Welt fikr die Yer«
bessemng der Pferde-Zucht ist. Allen Freunden der Hippologie wird
dieses Werk hOchst willkommen sein.
Compendio di sioria modema del 1454 cd IS61, da Celestino Bi^
anchl Firenze 1864. 8. p. 688. LX.
Diese Oeschichte der Neuzeit hat bereits die 8. Auflage er-
lebt, und geht bis sur endlieh erlangten lange erstrebten £&nheit
Italiens.
AI ekiariisimo letteraio Cav. Pxäro Fanfam, il VoUor Z, Vivor
ndli Bologna 1864. Tip. Mareqgiani.
Man glaubt hier eine der Sermonen des klassischen Hovan at
lesen, so ausgezeichnet hat der Doctor ViraneUi, bekannt durch
mehrere sehr geachtete belletristische Werke, sidi den Oeist des
alten Lateiners angeeignet, dessen Satiren und Sermonen er auch
tre£Qioh übersetzt hat. Das yorliegende Sendschreiben an den ge^
lehrten Linguisten Fan&ni in Florenz behandelt die Frage, ob
manche sogenannte Fortschritte einen wirklichen Fortschritt der
Bildung mit sich fOhren , welche hier sehr geistreich und oft sohaif
treffend beantwortet wird.
jU chiarisHmo Professore Cresceniino Giarmim, ü Dottor L. Viva-'
ndli. Bologna 1864. Tip. di Dante.
Dies ist eine ebenfalls im Horazischen Qeiste geschriebene
Sermon über die gegenwärtigen Zeitläufe Italiens, welche mit schar-
fer Satire behandelt werden.
M ehiarissimo Professore MichaeU Mdga, ü Dcitar VhantUL BO'
logna 1864, Tip. Mareggiam. 8.
Hier werden die Zeitungsschreiber scharf gegeisselt; stets aber
sind die Dichtungen des gelehrten Doctor Vivanelli so yerschieden
Ton dem Wortgeklingel oder den erhabenen mitunter sehr leeren
Phrasen der meisten Diohterlinge, dass man sich sehr freut, hier
einen Dichter zu finden, welcher so einfach alles vorträgt, wie die
Klassiker, während man bei andern den Sinn aus einem Schwall
von Worten herausfinden muss.
Elementi di eeonomia politica, ddl C. OHva. Parma 1864. Tip.
Orasioli. 16, p. 385.
Dies Lehrbuch der Staatswissenschaffc , welche jetzt in Italien
bei dem dort regen constitutionellen Leben, sehr emsig betrie-
ben wird, hat zum Verfasser einen gelehrten Neapolitaner, welcher
als Staatsanwalt bei dem Appellhofe zu Parma angestellt ist, und
j
MD LURttarbOTloite ans Itaita.
sohon von Hnas aoB fttr die WisBenscliaftaii enogen worden ist
Sein Vater war mit den Klassikern so Tertrant, daes selbst seine
Tochter ihm dieselben, wenn er krank war, yorlesen mnsste, welehe
daher ebenüalls gründlich nnterrichtet ward; diess hat sie jedoch
keineswegs zn einem sogenannten Blau-Strumpf gemacht; sondern
sie hat als Qemahlin des berühmten Rechtsgelehrten Mancini, wel-
cher auch Minister des öffentlichen Unterrichts war, 10 Kinder sehr
gut erzogen, dabei aber auch ausgezeichnete dichterische Werke
verfasst, von denen wir nur das herrliche Trauerspiel Ines ervihr
neu. Ihr Bruder, der VerfiEisser dieses Werkes, ein Zögling Man-
oini'Sy ist dieser Familie würdig, steht mit Ehren seinem Amte
Tor, und gibt hier ein sehr nützliches Lehrbuch der Staatswirtln
Schaft. Wenn dergleichen in Deutschland gelehrt wird, geschiebt
es grösstentheils um Beamte zu bilden, welche dafür besoldet we^
den. In Italien aber wird der Staatshaushalt auch von Erwach*
senen fortwährend stndirt, um durch das Vertrauen der Mitbürger
zu Gemeinderäthen, zu Mitgliedern des Provinzialrathes oder zu Ab*
geordneten im Parlament gewählt zu werden; alles ohne Gehalt,
filr die Ehre ab Männer zu erscheinen, welche das öffentliche Ver-
trauen geniessen. Dies Lehrbuch fängt mit dem Hervorbringen des
Erwerbs an, geht dann zu den Mitteln über, den Erwerb zu Ye^
breiten, zeigt dann die Vertheilung und den Verzehr des Erworbe-
nen. Der Herr Verf. bekundet überall seine Bekanntschaft mit den
besten Werken des In- und Auslandes über diese Lehre, und hat
durch ein vollständiges Sachregister den Gebrauch sehr erleichtert.
Dem gelehrten Bibliothekar der Stadt Bimini, Herrn Doctor
Tonini, hat der dortige klassische Triumphbogen Veranlassung m
folgender Schrift gegeben:
Sulla pubblieasioTU ddle opere compleU di Bartolomeo Borghesi, dd
DoiU Lidgi Toninu Rimini 1865. Tip. MalvoUi ed Eseolani
wozu er durch die Herausgabe der Werke des bekannten AntiqnarS;
Bartolomeo Borghesi noch näher veranlasst ward. Borghesi, welcher
den deutschen Gelehrten besonders durch die Verdienste unseres Pro*
fessor Gerhard in Berlin um das archäologische Institut zu Kom,
bestens bekannt ist, war einer der reichen Leute in der Bomagna,
welcher f ü r die Wissenschaften lebte und eine treffliche Bibliothek
gesammelt hatte, welche er mit seinem Fallaste zu S. Marino sei-
nem Neffen dem Grafen Mezzofanti vermachte, (S. die Bibliothek
zu S. Marino, von Neigebaur in dem Anzeiger für Bibliographie
von Petzholdt in Dresden 1863) oinem ebenfalls für die Wissen-
schaft lebenden reichen unabhängigen Manne. Als Erbe des gei-
stigen Nachlasses des gelehrten Antiquars Borghesi erscheint aber
eigentlich der Kaiser Napoleon, welcher eine Prachtausgabe von
den Werken Borghesi's veranstaltet hat, eins von den gelehrtes
Werken, welche dieser Kaiser — auf dem Gymnasium zu Aogs-
Lll«Nitvrberidito «n tüüea. 9fl
biifg als Primaner enogen — mit den Praohtansgaben dnicken Iftset»
welche dazn bestimmt sind» um an die Bibliotheken in Frankreich
nicht nur, sondern auch im Auslände yertheilt zu werden. Zu solchen
Prachtausgaben gehören auch die Werke des der gelehrten Republik
Ton ganz Europa angehörenden Borghesi, zu deren Herausgabe Napo-
leon lU. eine besondere Commission ernannt hat, bei welcher der be-
kannte Gelehrte Ernst Desjardins hauptsächlich mit der Ausführung
beauftragt wurde, unter den Werken Borghesi^s befindet sich auch
eine Abhandlung desselben über den Bogen des Kaisers Augustus
zn Rimini, zum Andenken der Wiederherstellung der YiaFlaminia,
welche bei der Brücke Milvio zu Rom anfing, und Rimini berührte,
worin Borghesi unter andern eine Münze der Familie Yinicia an-
führt, welche den Bogen zu Rimini darstellt ; da dieser aber nach
dieser Münze 8 Bogen hat, und der rühmlichst bekannte Archäo-
loge Benier zu Paris behauptet hätte, dass der Bogen zn Bimini
nicht einen sondern drei Bogen gehabt hatte, so tritt hier Hr. Tonini
dagegen auf. Dieser Gelehrte, welcher in seinem bekannten grossen
Werke die Geschichte von Rimini umfassend bewiesen hat, dass
er seinen Wohnort besser kennt, als die gewöhnlichen gelehrten
Touristen, zeigt hier, dass er diesen aus einer einzigen OefiFhung
bestehenden Bogen genau untersucht hat, wobei sich ergeben, dass,
so wie jetzt, auch bei Errichtung desselben nur ein Bogen bestan-
den hat, wie auch der bekannte Antiquar, der Markgraf Canina
in seinem bekannten Werke: Architettura Romana angegeben hat,
wodurch die entgegenstehende Behauptung von Rossini in seinem
Werke: gli archi antichi romani widerlegt wird. Herr Tonini
bemerkt hierbei die Oberflächlichkeit des bekannten Bibliothekars
von Louis Philipp, Vaillant, welcher in seinem Werke über Italien
ebenfalls behauptet, dass der Bogen zu Rimini drei Oefinnngen ge-
habt habe, dass sich dieser Tonrist denselben auf seiner Reise
durch Rimini nicht angesehen habe müsse, so wie er auch in
Cagliari sich — als Bibliothekar — nicht die dortige Bibliothek
angesehen hat (S. die Insel Sardinien von dem Geheimenrath Dr.
Neigebanr. Leipzig, Dicksche Buchhandlung. 2. Auflage 1853) wor-
über der gelehrte Bibliothekar Ritter Martini mit Recht sein Be-
fremden aussprach.
VesUio di Dante, conto di Salom. Marino. 1865. Feder mo.
Bekanntlich ist der 600jährige Geburtstag Dantes überall in
Italien festlich begangen worden. Auch Palermo ist darin nicht
zurückgeblieben, wo im Lyceum daselbst eine akademische Dante-
Feier durch dies Gedicht verherrlicht ward, welches den grossen
Dichter als Staatsmann behandelt, der von seinen Mitbürgern aus
Florenz Verbannt ward, weil er es mit der Partei des Kaisers hielt,
denn er gehörte zu denen, welche schon damals die Einheit Italiens
erstrebten. Es ist daher natürlich, dass es hier an Anspielungen
auf die jetzt yon den Italienern erlangte Einheit nicht fehlt.
Ml
DiMi Müghüri in Bwetum, memor. Uariö. di Qa^pm^ (krdcd
MarinetH. Ravenna 1865. Presao AngelätL
Dante starb als Ausgewanderter in Bavenna, wo sich aach
sein Begräbniss befindet , ein dortiger Gelehrter hat besonders über
den letzten Lebensabschnitt des Dichters hier Nachrichten mitge-
theilt, die sich hauptsächlich auf dort beGndliche Urkunden grün-
den, welche beigefügt sind.
U nataKsio di Dante AUeghieri festeggiafe dd IsHtuto di Seiende ddle
citta di Venezia 1865. Venesia.
Das wissenschaftliche Institut seu Venedig hat hiermit den Ge-
burtstag Dantes gefeiert. Diese gelehrte Oesellsobaft ist zwar unter
der früheren franzüsisohen Herrschaft errichtet worden, ward ab«r
von der österreichischen Regierung beibehalten, welche dabei em
nicht überall wahrzunehmende Achtung vor der Wissenachaft aa
den Tag legte,
EUmoIogieo dei vocaboli italiani di origine elleniea^ con raffHnU ad
altre HnguCj preceduto da una tnonografia mi nomi Bio t
uomo, di Marco Antonio Canini. Torino 1865.
Obwohl dieses über 20,000 Worte enthaltende Wörterhnoh
dem Titel nach für ein italienisches gehalten werden muss ; so ge-
hurt es doch der wissenschaftlioh-techniscfaen Sprache der gesammtexi
civilisirten Welt an, indem es alle aus der griechischen Sprache
abgeleiteten Bezeichnungen im Gebiete der Technik jeder Art nm-
fasst, welche auch in jeder Sprache sofort das Bürgerrecht er^
hielten, so dass überall, wo man die Sache kennt, auch solche
Worte verstanden werden, wie z. B. Lithographie, Photogn^pfaie
u. 8. w. Der gelehrte Herr Verfasser hat Jahre lang sich mit der
Arbeit beschäftigt, und bei seiner Sprachkenntnlse die bedeatend-
sten Werke fremder Oelehrten benutzt, von denen wir nur Boppi
Kuhn, Bitschi, Steintbal, Pott und Benfey erwähnen. Durch ein
solches ernstliches Studium ist es dem gründlichen Verfasser ge-
lungen, noeh gegen 600 solche technisebe Worte zu entdecken,
deren griechischer Ursprung bisher unbekannt geblieben war, wo-
bei er auch auf andere als die italienische Sprache Bücksicht ge-
nommen hat, daher dies Werk den deutschen Gelehrten sehr wül-
kommen sein wird. Der Verfasser ist ein Professor aus Venedig,
welcher sich zugleich politisch vieliach ausgezeichnet hat Schon
im Jahr 1847 gab Herr Canini zu Lucca ein Werk hieraus, in
welchem er den Verrath Frankreichs gegen Venedig zu Campo
Formio 1797 geissei te, und von da an eine bessere Zukunft ver^
^»ic?8; nach dem letzten Kriege zwischen Oesterreich und Frank-
reich in Italien lebte der Verfasser in Turin den Wissenschaften,
was ihn aber nicht verhinderte an den Verhandlungen des Venetia-
nischen Oentral-Gomitös zu Turin Theil zu nehmen, und machten
8MM iB diese» VeihaiidliiBgttii gebAttenen Beden beeondeM nadi
der bekannten September- Convention die Runde darch mehrere
Zeitungen, Ton denen wir die am 6. November 1864 gehaltene
Bede erwähnen. Er ist jetzt mit nach Florenz übergesiedelt^ wird
aber bald nach Paris und London gehen , nm dort das erwähnte
griechisch-technische Wörterbuch in der englischen und französi-
schen Sprache herauszugeben, welches gewiss auch in deutscher
Sprache bald erscheinen wird. Einen Anhang zu dem vorliegen-
den Werke bildet eine Monographie Aber die Worte: Gott und der
Mensch, so wie über verwandte Gegenstände, welche von den Sprach-
kenntnissen des gelehrten Verfassers Zeugniss gibt.
// mairimcnio oma Vavvenire del PoriogaUo di Maria Ratasgi nata
prineipetsa BonaparU^WyHj prima verHone italiana, Torino
Tip. di composüori lipografl, 1863.
Herr Oorgi gibt hier die Uebersetzung einer cwar französisch
aber höohst geistreich verfassten Denkschrift bei Gelegenheit der
Yerfaeirathung der Prinzessin Pia von Italien mit dem König Lud*
wig L von Portugal, welche pseudonym den Yicomte Mory di Tres-
serre als Verfasser bezeichnete. Es war aber dem üebersetzer be-
kannt geworden, dass eine geistreiche Schriftstellerin diesen Namen
angenommen hatte ; er gibt daher nicht nur die Uebersetzung die-
ser Arbeit, sondern auch Nachricht über die höchst merkwürdige
Persönlichkeit der Verfasserin. Er nennt uns dieselbe als die Enkel-
Tochter von Lucian Bonaparte, des freisinnigen Bruders Napoleon I.,
welche erst mit einem Deutschen, Namens v. Solms, verheirathet
war, und als Wittwe sich mit dem früheren Minister-Präsidenten
Batazzi verheirathet hat. Diese seltene Frau, eine eben so fleissige
als geachtete Schriftstellerin, sagt hier mit ausserordentlicher Kennt-
niss der Geschichte voraus, dass die Iberische Halbinsel duroh die
constitutionelle Begierung des Fortschrittes in Portugal eben so
zur politischen Einheit gelangen wird, wie Italien durch den Vater
der jetzigen Königin von Portugal. Diese Voraussetzung wird zwar
Manchen nicht gefallen ; aber sie macht dem Geiste und dem Her*
zen der eben so liebenswürdigen als geistreichen Ver&aserin alle
Ehre.
Saggio di psicologia e di logica ddla Marehesa Marianna Florenzi'
Waddingion. Fireme 1864. Tip. Monnier. 8, p. 259.
Dieses Werk über Psychologie und Logik hat eine der be-
deutendsten italienischen Schriftstellerinnen zur Verfasserin. Sie ward
in Bavenna als Gräfin Bacinetti geboren, hatte den Markgrafen
Florenzi in Perugia geheirathet, mit welchem sie nach Baiern
reisste, und mit Liebhaberei deutsch lernte, besonders aber sich
mit der deutschen Philosophie beschäftigte. Dabei hat sie einen
Sohn und eine Tochter sehr tüchtig erzogen. Jetzt ist sie mit
einetti reiehen Engländer, Waddington, verheirathet, wdobec bei eige»
Vti Llt«nitiirlMHelite av« fMnL
I
ner Bildtmg fthig ist, eine solche Frau za wftrdig«B. Bat tot- j
liegende Werk ist ein grOndliches Lehrbnoh der Psjobologie nnd
Logik, welches sich besonders auf die bedeutendsten Werke dent-
Bcber Philosophen gründet, von denen sie früher Uebersetznngen
lieferte.
Saggio storieo sulla filoiofia greea del professore F. Fioreräino,
Firenze 18H4. Tip. U Monnier, 8. p. 368.
Hier gibt der Professor Fiorentino ans Calabrien gebürtig, die
Geschichte der griechischen Philosophie, ein Werk, welches you
vieler Bekanntschaft mit der deutschen Literatur zeigt, auch ist
der Verfasser der deutschen Sprache mächtig; so wie überhaupt
im Neapolitanischen sehr viele Gelehrte deutsch verstehen. Jetzt
bei der Universität zu Bologna angestellt, hält er Vorlesungen über
Anthropologie und überzeugt man sich bald, dass er unsem Kant
und Hegel nicht blos aus französischen Uebersetznngen kennt. Wenn
man solche Bekanntschaften in Italien macht, überzeugt man sich,
dass noch viele Voi-urtheile in Deutschland über Italien herrschen,
welches davon herrührt, dass die meisten, welche über Italien ge-
schrieben haben, sich zu kurze Zeit daselbst aufgehalten oder ledig-
lich einem besondem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zugewen-
det haben.
Societa artigiana, discorso del preaidenU PepoU. Bologna 1865,
Tip. Mcnti. 8.
Diese Rede, gehalten zu Bologna am 22. Januar d. J. zeigt,
dass in Italien manche Verhältnisse ganz anders sind, als man sie
sich mitunter jenseits der Alpen vorstellt. Seit der Nengestaltnng
Italiens haben sich die Gesellschaften der Arbeiter zu gegenseiti-
ger Unterstützung ausserordentlich vermehrt, und wenn in Eng-
land an solchen Gesellschaften 100,000 Mitglieder Theil nahmen;
so ist Italien darin um so weniger zurückgeblieben, da hier das
Gemeindewesen wohl am vollkommensten ausgebildet sein dürfte.
Die neuesten statistischen Berichte des italienischen Ministeriums
geben darüber glänzende Beweise. Auch in Bologna hat sich eine
solche Gesellschaft gebildet, welche zu ihrem Ehren-Präsidenten
den Markgrafen Pepoli wählte, einen der reichsten Mitbürger der
über 100,000 Einwohner zählenden Stadt Bologna, deren Herzog
im 14. Jahrhundert einer seiner Vorfahren war. Was dieser Pe-
poli für ein Mann ist, kann man aus dieser Rede entnehmen, nnd
zugleich welchen Einfluss ein solcher Mann auf seine Mitbürger
haben muss. Indem er den versammelten Arbeitern dankt, dass
sie ihn zum Ehren-Präsidenten erwählt haben, bemerkt er, dass
man in der an ihn gerichteten Dankschrift die Verdienste erwähnt
habe, welche er sich durch die Beförderung der September-Con-
vention zwischen Italien und dem Kaiser Napoleon, seinem Vetter,
(er ist nämlich ein Enkel des König Murat) erworben; er müsse
Lltef ftturberiohte at» ItelietL 926
aber auf diese Ehre verzichten, wenn er seine Wahl dieser politi-
schen Bflcksicht verdanke; die Arbeiter- Verbindungen hätten mit
der Politik dorchans nichts zn thnn ; sie wären lediglich zum Zwecke
der Humanität bestimmt. Diese Bede ist ein wahres Meisterstück
im Dienste der Menschenliebe.
Del piu conveniente edißcio per residenta dl Senaio del Regno dd
Prof. Bonaini. Firenze 1865, Tip^ Otüüeiana.
Dies ist zwar nur eine Gelegenheitsschrift» welche zum Zwecke
hat, bei der Yerlegong der Residenz des Königreichs Italien für
die erste Kammer des Parlaments ein passendes Lokal zn ermit-
teln ; doch dürfte sie erwähnt werden, da sie von dem berühmten
Archivar Comthur Bonaini herrührt, welcher so viele Verdienste
um die Geschichtsqnellen zu Florenz hat, als sein herrlich geord-
netes Archiv bedroht war, an Baum zu verlieren.
Ddla amministrazione mililare dd Mar ehest F. Cibo-Ottone^ Voh
1. IL in. Torino 1863.
Dies ist die Sammlung der Verordnungen und gewissermassen
ein Lehrbuch für alle Beamten, welche mit der Militär- Verwaltung
und Verpflegung beschäftigt sind. Der wohlunterrichtete Herr Vor^
fasser, Markgraf Ottone, ist Sektions-Chef im Kriegsministerium
des Königreichs Italien, welches nun seinen Sitz in Florenz ge-
nommen, wo auch in dem alten Pallaste dei Giudici ein Theil der
Militär-Verwaltung untergebracht ist, und die Gamisons^Bäckerei
sich in denselben Bäumen befindet, welche die Bepublik Florenz
bereits anlegte, wo die Silos, oder Getraidekeller aus jener Zeit
noch jetzt vorhanden sind.
Storia doeumentaia della diploma»ia eurapea in Ualiaj daü anno
1815 alV 186L Torino gr. 8. Casa Pomba. 1865.
Dies wichtige geschichtliche Werk hat den Herrn Bianchi zum
Verfasser, welcher jetzt General -Secretär des Ministeriums des
öffentlichen Unterrichts in Turin ist, welcher also Gelegenheit hatte
das dortige Staatsarchiv zu benutzen; er hat aber auclf die jetzt
zugänglichen Archive zu Mailand, Parma, Modena, Bologna u. s. w.
benutzt und damit eine auf Urkunden gegründete Geschichte Italiens
von dem Falle Napoleon I. an, bis zur Entstehung des jetzigen
Königreichs Italien bearbeitet; auf welche alle Geschichtsforscher
längst sehr gespannt waren. Es fängt diese Geschichte mit der
Zeit an, wo die Italiener, welche an die Errungenschaften der grossen
französischen Bevolution durch die Franzosen-Herrschaft gewöhnt
waren, es schwer empfanden, den früheren Missregierungen wieder
verfallen zu sein, welche durch die heilige Allianz gehalten wur-
den. Hier wird nunmehr aktenmässig das Verfahren der daikiali*
gen Begienmgen nachgewiesen, welche nicht sowohl gegeü das ge*
meine Volk, sondern gegen die Gebildetsten am meisten wiUkürUch
M6 LMtti^ti^erfolrti nm ftitttt.
verfohren. Die Vornehmfltdn waren die Qebildetsten, dieOeMldeteien
aber fanden solohe Bttcksekritte am nnleidliobsien und sie fiBUtea
sieb erbittert.
Opere ediie e inedite dt 0. B, Nicolini, raeeoUt da C» OargioüL
Müano 1863. Tom. IL gr. 8. p. 797. Preaso QiugonL
Dies ist der zweite Band der gesammelten gedmckten und
nngedmckten Werke des bekannten Scbriftstellers Nicolini , too
denett der erste Band die Traaerspiele Aniold ▼.Bresda, Giovanni
di Prooida nod Leopolde Sfona enthaltend, im Jahr 1862 araelMi«
Dieser Band entkfüt Philipp Strosä» Foscarini nnd Nabacao mit
den Lebensbeschreibnngen dieser Helden der theatralischen Muse
des Dichters nnd yielen Anmerkungen versehen.
i faiti di Cesare iedo di lingua inedUo dd $eeoIo XIV. pubbiicatß
di L. Banehi. Bologna 1863. Tip. Romagnolu gr, 8. p. 388.
Die Thaten Cäsars in einer Handschrift ans dem Anfange des
14. Jahrhunderts, welche sich in der Bibliothek zu Siena (8. die
Beechreibnng dieser Bibliothek im Serapevm yxm Geheimeniath
Neigebaxur) befindet, verglichen mit noch zwei andern Haadsehnften,
erscheinen hier enm erstenmale bekannt gemacht dnreh dieOommie-
sion zur Heransgabe der testi di lingna, welche fOr die Provins
Emilia von dem gelehrten Gesehiehtsdireiber Farint geetiflet ward,
bald nachdem er als Dictator der Bomagna, Panna nnd üodena
verwaltete, welche Provinzen sich zn dem KOnigreiohe ItaHen bei-
tretend erklArt hatten.
fja favola ritonda t Visioria di TristanOj testo di Ungua, ptr 2a
prima volta pubblieaia di J. PoUdori. J VoL Bologna 1864.
Tip. R&magn0U. gr. 6. p. 961 u. CXVU.
Dies ist ebenfalls eine der alten Handschriften aus der ersten
Zeit der Bildung der italiettisehen Sprache, welche eiofa m der
Mediceo-Lanrentianischen Bibliothek zu Florenz befindet, welche
von der vorstehend genannten Commission heransgegeben wird
Dieser Bhnd enthält ausser der Einleitung des gelehrten Hern
Polidori zu Siena den alten Text, und soll die Fortsetzung An-
merkungen u. s. w. enthalten. Es ist erstaunlich, was jetzt in
Italien auf das Auffinden und Bekanntmachen der ersten Sprach-
denkmale Italiens gewandt wird.
La düa d'ümbria neU' Jppennino Piaeeniino, di B. PaüaatrdU.
PiaoenMa 1864. Tip. dd Majo. 4. Mit Plänen und Phch-
jgrapfden.
Alte Karten bis ans dem 17. Jahrhandert enthielten Naeh-
lichtea von einer alten Stadt üaÜEnria, weldie auf den über Pi»»
eenza -sich erhebenden Appenninen bestanden haben seilte, ohne
dass man deren OerttioliMt kannte^ endlich q»iheto diesoH An-
LIteTfttvberMiiU cu ttalte. Wt
demtimgeii eia in Piacenza sich seit dn paar Jahren der Wissen-
sehaft wegen mnfhaltenden Herr Wolf ans Amerika nach, nnd
fond die Mauern dieser alten Stadt nebst den Orandmaneni aines
Tieieokigen Thnrmes. Jetst kat der gelehrte öraf Paliastrelli en
Piacenza, den Gelehrten durch seine aatiqnansdhen und nomis-
matisohen Forschungen bestens hekaant, über diese Stadt hier
Nachricht gegeben, welche ans den altem daMikeni deren nrqnrang
lange war Born naehweisBt.
FasH legislativi e parlamenlari deUe rivcluzUmi italiane nü seeolo
XIX. ddl Avv. E. ßollati. Vol IL Müano 1865. Tip. Civillu
gr. 8, p. 1217» In gespaltenen Columnen,
Dieses Werk von dem fleissigen Ritter BoUatii Secticms-Chef
im Ministerium des Innern zu Turin, enthält alle amtlichen Yer*
handlnngen, welche in Italien seit dem Anfange dieses Jahrhun-
derte stattgefunden haben, um Berolutionen gegen das Bestehende
zu bewirken. Damals war seit der Auflösung des heiligen deutschen
römischen Reiches die üniversalherrschaffc Napoleons gewissermassen
das Bestehende; er herrschte bis zur Meerenge yon Messina in
Italien^ nur in Sicilien unterstützten die Engländer die Volksbe-
wegungen. Dies Werk soll daher mit dem Parlamente in Palenno
«nfiangen; doch ist der yorliegende 2* Band znecst heransgegeben
worden, der Ton 1859 bis 1861 die Pnmnzen Lombardei nnd
Emilia enthält, und mit der Proclamation vom 24. Mai 1859 an-
fängt, welche der ausserordentliche Bevollmächtigte des EOnigs
Victor Emanuel, der spätere Minister Visconti- Venosta aus Mai-
land naoh der Schlacht Ton Magenta für die besetaten Tfaalle der
Londmrdei erliees. Dieser jimge Mann gehörte der löeadladkaft
der Fortschrittsmänner an, welche in Mailand durch die nater den
schwierigsten Verhältnissen redigirte Wochenschrifb >il Crepnscolo«
auf die Einheits-Bestrebungen Italiens wirkte. Es war dieselbe
von dem ausgezeichneten Literaten Cairlo Tenca, dem jetzigen Se-
eretär der Deputirten-Eammer, mit solcher Vorsicht redigirt wor-
den, dass ihr die damalige sehr strenge Österreichische Polised nichts
anzuhaben vermochte. Die in der Lombardei einrückenden Veiv
bündeten fanden daher Alles vorbereitet, und folgten auf diese
erste Bekanntmachung von Visconti Beitritts -Erklärungen von
mehreren Städten der Lombardei, Prodamaüonen von Victor Ema-
nuel, von Napoleon in. u. s. w. bis zu der völligen Einver^
leibung der Lombardei mit der piemcostesieohen Begierang. Eben
so enthalt dieses Werk die Proclamation der provisorischen Ver-
waltung in Parma nach der Entfernung der Herzogin- Vormünderin,
nnd die amtlichen Verhandlungen bis zur Einrichtung der Dictatur,
welche der Volkswille für die Provinz Emilia bildete. Dasselbe ist
auch der Fall mit dem Herzogthum Modena und der Bomagna,
welche sich sofort nach dem Abzüge der österreichischen Besatzun-
gen von Bologna u. s. w. selbst verwalteten , bis sie der diese
ise J
026 literitnrlMricIiie ans ttAUeü.
drei Lltnder umfassenden Diotator beitraten. Diese wurde nun-
mehr die Provinz Emilia genannt, weil sie dnrch die klassische
Bömerstrasse mit einander in Verbindung stehen. Eben so wie
alle Öffentlichen Actenstttcke dieser einzelnen Provinzen hier gesam-
melt sind, so sind es auch die für die Gesammt-Provinz Emilia
erlassenen öffentlichen Aktenstücke nnter dem als G^sohichiscliFeiber
bestens bekannten Diotator Farini, bis zu dem Plebiscit flir Victor
Emanuel. Man kann leicht ermessen, von welcher Bedeotong die«
Werk ftr die Oeschichte der Gegenwart ist, woraus zugleich her^
' vorgeht, dass in Italien der monarchische Geist vorherrscht , denn
wenn man vorher so viel von republikanischon Gelüsten spracb,
war jetzt davon durchaus nicht die Bede ; die früheren geheimen
Gesellschaften hatten nur die Einheit Italiens zum Zwecke gehabt,
wie auch in einer Schrift nachgewiesen worden, welche unter fol-
gendem Titel erschien: »Der italienische Bund und der deutsche
Fürstentag, von J. F. Neigebaur. Leipzig 1864 bei Bergson.«
Due poveri fiori, raeconio pcpolare di C. Magnico, Torino 1864.
Tip, del Commereio. 8. p. 339,
Dies ist eine Volksgeschichte in der Art von unserm Auer^
bach ; sie kommen viel seltener in Italien vor, da die Standesver-
schiedenheit hier weniger hervortritt, so dass dies in sehr gntem
Sinne geschriebene Buch hauptsächlich ftlr die Jugend bestimmt ist
Saggio stdli nuovi nslemi di #m coliura del Dr. Ddprino. Tori»o
1865. 4.
Hier wird über die neuesten Versuche den Seidenbaa za ver-
vollkommnen Nachricht gegeben, ein fllr Italien sehr wichtiger
Gegenstand.
Raeeolta deüa piu importanti düpositioni legidaiive e regoiiime»'
tarie, di Fr. Lanzeüa. Napoli 1865. Tip. Baldi.
Herr Lanzetta, Mitglied des Gassationshofes zu Neapel, hat
hier eine Sammlung der Gesetze und Verordnungen über folgende
Gegenstände gegeben : über die Gerichtskosten in Strafsachen, denn
in bürgerlichen Bechtsstreitigkeiten beziehen die Gerichte keine
Sportein ; femer über die Gehalte, Pensionen und Entschädigungen
der öffentlichen Beamten, femer über das königliche Ezequatnr der
päpstlichen Bullen, über das ö£Pentlich6 Ministerium und die Hussiers,
über die Depositenkassen xmd die Strafanstalten.
Neigebaur.
Ii. 6«. HEIDElBEßGEE 1866.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Arrian's Werke. Uebersetst und erläutert von Dr, C. Cless,
Obentudienrath, R. d, 0. d, W, Krone, Drittes Bändchen,
Anabasis oder Feldsüge Alexander^ 8, 2008. Viertes Bändchen,
Indische Nachrichten und Geschichtliche Bruchstücke^ Leben
und Charakteristik Arriaris, IV und 142 8. Stuttgart, Krais
und Hoff mann. 1865. 8,
Diese beiden Bändchen bringen den Schluss der Werke Arrian's,
auf die wir hier, nachdem wir der beiden ersten Bändchen, welche
die vier ersten Bücher des Anabasis enthalten, in diesen Blättern
(1863. S. 282 £f.) gedacht, um so mehr anfmerksam machen müssen,
als mit der wohlgelongenen Uebertragung zugleich ein umfas-
sender sachlicher Commentar verbunden ist, welcher in ein-
gehender und gründlicher Weise sich über Alles verbreitet, was
einer näheren Erklärung bedürftig erscheint und in Allem die Be-
weise der umfassendsten Studien, wie der ausgebreiteten Bekannt-
schaft mit der gesammten, den Arrianus selbst, so wie das von
ihm Berichtete, zumal in geographischen wie historischen Bingen
betreffenden Literatur darlegt. Was in dieser Hinsicht über den früher
erschienenen Commentar des Sallustius in diesen Blättern (Jahrg.
1865. S. 353 ff.) bemerkt worden ist, das kann in der That eben
so sehr von diesem Commentar zu den Schriften des Arrianus gel-
ten. Wir haben demnach eben so wohl die üebersetzung wie den
Commentar in den Bereich unseres Berichtes zu ziehen und wer-
den versuchen, durch eine kurze Darstellung unsere Leser in den
Stand zu setzen, sich selbst ein richtiges ürtheil über das in bei-
den Beziehungen Geleistete zu bilden.
Das dritte Bändchen enthält den Schluss der Anabasis mit
dem fünften, sechsten und siebenten Buch, also den Zug
Alexanders nach Lidien und die daran sich anschliessenden Ereig-
nisse bis zu Alexanders Tod. Jedem Buche ist ein genaues In-
haltsverzeichniss vorausgeschickt, was die üebersicht nicht wenig
erleichtert, dann folgt die üebersetzung, und hinter derselben die
Anmerkungen, welche durch einzelne Nummern mit der üeber-
setzung in Verbindung gebracht sind und von S. 153— 201 reichen,
was, zumal bei der kleineren Schrifb, mit welcher sie gedruckt sind,
schon auf ihren umfang hinweisen kann. Arrian hat , namentlich
im fünften Buch sich in der Erzählung auf das beschränkt, oder
vielmehr allein auf das sich eingelassen, was den Zug Alexanders
und die damit zusammenhängenden Ereignisse betrifft, eben weil
er bei Abfassung dieser rein geschichtlichen Darstellung schon die
LYUI. Jahrg. 12. Heft 59
980 Arrian'ft Werke Ton Clees.
Absicht hatte, die er auch nachher ansgeftthrt hat, die Herkwfli-
digkeiten der indischen Welt in einer eigenen Schrift seinen Zeit-
genossen vorzuführen, auch diess Cap. 5 dieses Baches aosdrücl-
lich bemerkt. Indessen hat er doch der geschichtlichen Erzählung
eine Beschreibung des Landes vorausgeschickt , aus der wir bier
Einiges zugleich als Probe der IJebersetzung Capitel 6 anführen
wollen.
»Der grösste Theil des Landes ist eine Ebene, und zwar, ine
man vermuthet, durch die Flüsse angeschwemmt. Allerdings nSm-
lich sollen auch alle übrigen Ebenen des Welttheils unfern des
Meeres wenigstens grösstentheils in den einzelnen Landstrichen Ge-
bilde der Flüsse sein, und daher soll von alten Tagen an anch die
Gegend je den Namen ihres Flusses führen. So spricht man z. B.
von einer Ebene des Hermus, welcher in (Klein-) Asien auf dem
Berge der Mutter Dindjmene entspringt und an Smyma vorbei
ins äolische Meer sich ergiesst; ebenso von einer Ebene des Gaj-
sters in Lydien von einem lydischen Flusse, einer Ebene desCaie^
in Mysion und einer Ebene des Mäanders in Carien bis zur joni-
schen Stadt Milet herunter. Auch Aegypten nennen die (xeschicbl-
schreiber Herodot und Hecatäus — oder von wem sonst die nnter
Hecatäus' Namen bekannte Schrift über Aegypten herrührt — beide
übereinstimmend ein Geschenk seines Flusses und mit einleacbten-
den Gründen hat Herodot nachgewiesen, dass dem so sei, und da-
her auch das Land selbst vielleicht vom Flusse seinen Namen trage.
Denn dass der Fluss, welchen jetzt Aegyptier sowohl als Nicbt-
&gyptier Nil nennen, in alten Tagen Aegyptus geheissen habe, da-
für ist Homer ein gültiger Zeuge, wenn er sagt, am Ausflusse des
Stromes Aegyptus habe Menelaus seine Schiffe vor Anker gelegt
Wofern denn nun schon jeder einzelne dieser nicht bedeutendes
Flüsse im Stande ist, bei seiner Mündung ins Meer viel Land ab-
zulagern, wann er aus den höheren Gegenden, wo seine Quellen sisiit ;
Schlamm und Morast mit herabführt, so dürfen wir es somit aaoU
in Betreff Indiens nicht in Zweifel ziehen, dass es grösstentbeil
eine Ebene und zwar eine von den Flussarmen angeschwenunt
Ebene sei. Denn der Hermus, Cayster, Caicus und Mäander, nu
all* die vielen Flüsse, welche sich in unser inneres Meer ergiesse^
lassen sich, alle zusammengenommen, an Wassermenge mit keuiefl
einzigen der indischen Flüsse vergleichen, geschweige denn mit de«
grössten derselben, dem Ganges, mit dem sich weder der Nilii
Aegypten, noch der Buropa durchströmende Ister an Inhalt messet
darf, oder auch nur mit dem Indus , dem sie alle vereint nicht
gleichkommen: denn gross gleich aus seinen Quellen hervorstrSD*
mend, nimmt er noch fünfzehn andere Flüsse auf, alle grösser &I^
die (klein-) asiatischen ; und behält seinen Namen bei, bis er in^
Meer fällt. So viel sei für jetzt über Indien gesagt: das UebriJ
bleibe meiner Schrift über Indien vorbehalten, c
Wir wollen dieser einen Probe noch eine andere folgen hssei
Axrita's Werke von Gless« 991
aas dem sechsten Buch, Gap. 25 wo Yon den Mühseligkeiten die
Bede ist, welche das Heer bei dem Bückzage, dnrch die Sandwüste
Gedrosien*s za erdulden hatte; hier heisst es unter Anderm:
»An Lastthieren aher litt das Heer auch durch eigene Schuld
bedeutende Einbusse. Denn so oft ihnen die Lebensmittel aus-
gingen, traten sie zusammen, sohlachteten die meisten Pferde und
Maulesel ab. Terzehrten ihr Fleisch und gaben dann yor, sie seien
Yor Durst gefallen oder den Anstrengungen erlegen. Den wahren
Thatbestand zu ermitteln trat Niemand auf, theils wegen der
Drangsale, theils weil alle insgesammt gleich schuldig waren. Zwar
blieb Alexandern, was vorging, nicht verborgen ; allein bei so be-
wandten Umständen erblickte er die Abhülfe eher darin, dass er
sich unwissend anstellte, als wenn er die Sache wissentlich ge-
stattete. Dadurch aber kam es so weit, dass man weder die von
Krankheit Ueberfallenen im Heere, noch die, welche vor Erschöpfung
am Wege liegen blieben, leicht weiter schaffen konnte; denn nicht
nur war Mangel an Saumthieren eingetreten, sendern sie zerschlu-
gen auch eigenhändig die Frachtwägen, weil sie ausser Stands
waren, dieselben in dem tiefen Sande fortzubringen, und sich dess-
halb auf den ersten Tagmärschen genöthigt sahen, nicht die kür-
zesten, sondern die für das Fuhrwerk gangbarsten Strassen einzu-
schlagen. Und so blieben denn Einige krankheitshalber an den
Wegen liegen. Andere von Erschöpfung, Hitze oder Durst über-
wältigt, und es fehlte an Leuten, um sie weiter zu schaffen, oder
zu ihrer Verpflegung zurückzubleiben; denn in grosser Eile ging
der Zug vorwärts und unter der Sorge für das Ganze mosste die
Sorge für den Einzelnen unumgänglich Noth leiden« Einige wur*
den auch unterwegs vom Schlafe übermannt, weU man eben grössten-
theils die Nacht durch marsohiren musste. Standen sie dann auch
wieder auf, so verfolgte zwar, wer noch bei Kräften war, die Spuren
des Heeres, und Wenige von Vielen retteten sich so; die Meisten
jedoch kamen, wie auf dem Meere verschlagen, im Sande um.«
Man glaubt in der That, die Beschreibung eines Zugs durch
die Wüste in neuerer Zeit, und nicht vor mehr als zweitausend
Jahren zu lesen. Aus beiden Proben aber wird Jedermann ersehen,
wie der Verfasser eine üebersetzung geliefert bat, welche durch
eine einfache und klare, aber doch fliessende Sprache, bei aller
Treue des Einzelnen, sich auszeichnet, und in so fern selbst von
der natürlichen Einfachheit des griechischen Originals dem Leser
einen Begriff zu geben vermag. Dasselbe wird der Fall sein, wenn
wir noch weiter Einiges aus dem siebenten Buch, und zwar aus
dem Urtheil Arrian's über Alexander den Qrossen hier anführen«
Wir lesen im 1. Capitel:
»Was mich anlangt, so vermag ich weder mit Sicherheit an-
zugeben, was für Plane Alezander im Schilde führte, noch küm-
merte mich, Vermutbungen darüber anzustellen. Soviel aber glaube
ich behaupten zu dürfen, dass Alexander weder etwas Geringes und
Ml ArrWa V/erke von Glett.
Unbedeutendes Torhatte, noch dass er bei dem bereits Erworbenen
rahig stehen geblieben wäre, selbst wenn er noch Europa zu Asien,
oder selbst die britannischen Inseln zu Europa hinzu erobert hätte ;
sondern dass er vielmehr noch darüber hinaus eines und das andere
der unbekannten Länder aufgesucht haben würde, und wenn auch
mit niemand Anderem, so doch wenigstens mit sich selbst in einen
Wettstreit eingetreten wäre. Und in diesem Betracht lobe ich die
Weisen der Inder, deren einige, von Alexander unter freiem Him-
mel auf einer Wiese angetroffen, wo sie ihre Unterhaltungen an-
zustellen pflegten, bei seinem und seines Heeres Anblick Nichts
weiter gethan haben sollen, als dass sie mit ihren Füssen auf deo
Boden stampften, worauf sie standen. Als sie aber Alexander durch
DoUmetscher fragen liess, was diess ihr Vornehmen bedeute,
da hätten sie folgende Antwort gegeb^^n; König Alexander, jeder
Mensch nimmt nur so viel Erde ein, als das ist, worauf wir stehen ;
du aber, obgleich nur ein Mensch, gleich wie andere Menschen» aus-
genommen, dass du vielgeschäftig und übermüthig bist, durchziehst
von deiner Heimath aus so viele Länder der Erde, dir selbst und
Anderen Unlust bereitend. Und doch in Kurzem auch eine Leiche,
wirst du so viel Erde einnehmen, als zum Begräbniss deines Leibes
hinreicht.«
Auch die drei Schlussoapitel, in welchen Arrian die Persön-
lichkeit wie den Charakter Alexander* s schildert, gehören hierher,
wir wollen nur den Anfang des 28« Kapitels beifügen:
»Von Körper war er sehr schön und äusserst thätig ; sehr rasch
in Ausführung seines Willens, höchst mannhaft;, ungemein ehrgeizig,
in hohem Orade gefahrliebend und im Götterdienste sehr aufmerk-
sam, in leiblichen Genüssen sehr enthaltsam, in geistigen für Lob
allein unersättlich; bei einem noch ungewissen Stand der Dinge
war er ebenso geschickt, das Erforderliche zu ersehen, als höchst
glücklich, aus klar vorliegenden Verhältnissen die wahrscheinlichen
Folgen zu errathen, und ungemein erfahren, um ein Heer zu stellen,
zu bewaffnen und auszurüsten, den Muth seiner Soldaten anzufeuern,
sie mit guten Hoffnungen zu erfüllen und die Furcht in den Ge-
fahren durch seine Furchtlosigkeit zu verscheuchen: zu dem Allem
war er wie geschaffen. Und daher ging er auch bei Allem , wo
aufs Ungewisse zu handeln war, mit der grössten Zuversicht zu
Werk, und wo es galt, durch Ueberraschung dem Gegner einen
Yortheil abzugewinnen, verstand er es ganz meisterlich, demselben
zuvorzukommen, bevor dieser etwas der Art auch nur von fem her
besorgte. In Erfüllung von Verträgen oder mündlichen Znsagen
war er unerschütterlich fest; gegen Betrüger und ihre Schlingen
möglichst gesichert, mit dem Gelde für eigene Genüsse ebenso
sparsam, als in Wohlthätigkeit gegen Andere höchst freigebig.«
Mit dieser Schilderung Arrian's wird man nun zu verbinden
haben die Erörterung, welche unser Verfasser am Schlüsse seiner
Anmerkungen 8. 199—201 gegeben hat, insofern er darin das
AxTiAn*B Werko von Cless. dSS
üri;beil Arrian's über Alexander, nach den Licht- und Schatten-
seiten desselben» einer eingehenden Prüfung und Vergleichung mit
anderen Zeugnissen und Urtheilen des Alterthums unterwirft, und
daran selbst die Urtheile neuerer Schriftsteller in ihrem Gegen-
sätze anreiht, um so zu einer ebenso gerechten als sicheren Würdi-
gung Alexander's zu führen. Man wird bei näherer Betrachtung
dem Verf. nicht Unrecht geben können, wenn er der Charakteristlky
welche Arriau tou Alexander gibt, den Vorzug zuerkennt, dass sie
eine klare Einsicht in das Wesen und Thun des Mannes gebe, der
nach seinen Licht- und Schattenseiten hier gezeichnet werde, die
Thaten desselben richtig würdige, freilich mit üebergehung seiner
ausgezeichneten Liebe für Kunst und Wissenschaft, und bei aller
Begeisterung für die OrOsse des Mannes doch eine im Ganzmi un-
partheiische Haltung bewahre, und in so fem wohl auch vor der
Darstellung desCurtius wie des Liyius den Vorzug yerdiene. Eben
so wird man dem Verfasser beistimmen müssen, wenn er gegen die
Zweifel Grote's an den grossen und edlen Absichten Alexander's
sich erhebt, und die Grösse und Bedeutung Alexander's für alle
kommenden Zeiten anerkannt wissen will.
Die Anmerkungen haben den Zweck, nicht blos an einzelnen
bestrittenen Stellen die von dem Verf. bei der üebersetzung ge-
wählte Lesart zu rechtfertigen (wie z. B. zu V, 9. 10. 14. 25.
VU, 8. 11. 26, wo man mit der Erklärung und Auflassung des
auf Alexander angewendeten XQattötog als eines Ausdrucks, welcher
die Begriffe einer alle Andern überragenden Tüchtigkeit und Tapfer-
keit vereinigt, wohl sich einverstanden finden wird, u. dgl. m.),
und damit also das richtige Verständniss zu fördern, sondern sie
geben auch die befriedigendsten und umfassendsten Erklärangen über
alle geographischen oder historisch-antiquarischen Punkte, welche
eine Erörterung wünschen lassen: der Verfasser ist zwar überall
bemüht, in gedrängter Kürze nur das Hauptsächliche oder das Er-
gebniss der über strittige Gegenstände geführten Forschung mitzu-
theilen, allein er verbindet stets damit umfassende Naehweisun-
gen so, dass Jeder, der weiter über den Gegenstand sich orien-
tiren will, Alles hier verzeichnet findet, was ihm dazu nothwendig
ist. Die Urtheile über andere, vonArrian genannte oder auch be-
nutzte Schriftsteller zeugen von richtiger Auffassung, wie z. B.
das über Ctesias, zu V, 4; oder auch über Hecatäus zu V,
6 ; denn dass an der letzten Stelle Hecatäus von Milet gemeint sei,
wird kaum einem Bedenken unterliegen können; eben so die ge-
nauen chronologischen Bestimmungen über Aiexander's Leben zu
VIT, 28. Wenn oC koyioi VII, 16 nicht durch die Geschicht-
kundigen wiedergegeben ist (wie Indic. 1 mit der Note), sondern
die Wahrsager der Chaldäer, so rechtfertigt die Note hinreichend
diese mit dem Zusammenhang der ganzen Stelle allein überein-
stimmende Erklärung. Zu der VII, 18 gegebenen Erklärung von
den hundert augeblichen Amazonen, welche AtropateSf der Statt-
93i AfiUn^a Weike Ton Olett.
kalter Ton Medien an Alexander geschickt haben soll, was Arrian
zu einer weiteren Betrachtnng ttber das Vorhandensein dieses Wei-
bervolkes yeranlasst, mit der Bemerkung, dass, wenn das Faktnm
richtig sei, hier an im Reiten geübte Weiber Ton Barbaren, die
wie Amaxonen herausgeputzt waren, zu denken sei, gibt der Ver*
fieisser eine Bemerkung, welche sich im Oanzen dieser letzten Aof-
&88ung ansehliesst und hier etwa an Kurdinnen denken möchte,
da in Kurdistan heute noch Weiber viel Macht und Einfluss haben ;
ftbrigens zweifelt auch er nicht an der Wahrheit von gewisser
Weiberheirschaft im Orient noch in der historischen Zeit. Die in
demselben Oapitel erwähnten Nisftischen Bosse (der Verf. schreibt
Nesftischen, nach der auch von Geier empfohlenen Lesart NrficOoi;
wfthrind Dübner NwuOOi hat; ob richtig? da Herodotus, auf den
sieh Arrian beruft, NiötOoi hat) werden mit Recht in die Waide-
plfttze verlegt, welohe zwischen Kermanschah und Ispahan sich auf einer
Hochebene ausbreiten. Eben so richtig finden wir auch in der An-
merkung zu Vn, 7 die beiden Flüsse Eulaeus und Choaapes
sergfiUtig unterschieden, jenen als den Ostlich von Susa fliessenden
oberen Karun oder Kur an, diesen als den westlich davon lau-
fenden Kerrah oder Kerkka; da beide sich nicht w^it von Susa
mit einander vereinigen, so konnte leicht eine Verwechslung statt
finden, wie wir schon zu Herodot. I, 188 bemerkt haben; die An-
sicht, welche den Choaspes im Shapiir sucht, und den Euläus im
untern Laufe des Kuran erkennen will, können wir nicht für be-
gründet halten. Auch über die schwierige Lage von Pasargad&
(zu VI, 29) hat sich der Verf. naher erklärt; er führt die ver-
schiedenen Ansichten der neueren Forscher an, meint aber doch,
dass nach den Andeutungen von Strabo, Ptolemäus und Arrianus Pa-
sargadä südüstlich, nicht aber nordöstlich von Fersepolis zu suchen
sei (also nidit bei dem jetzigen Murghab). Vielleicht gelingt es
neueren Untersuchungen , in diesen Gegenden angestellt, zu einem
sicheren Endergebniss zu gelangen. Auch die ttber den Indus und
dessen Breite, wie über das von ihm gebildete Delta zu VI ,. 14
und 17 gegebenen genauen Erörterungen werden eben so sehr be-
friedigen, wie die Erläuterungen über Ebbe und Fluth zu VI, 19,
oder über die Krokodile zu VI, 2 vergl. zu Indic. 6; über das
mythische Nysa zu V. 1,
Das andere Bändchen enthält Arrian*s Buch über Indien, ge-
wissermassen eine Vervollständigung der Anabasis mittelst der Er-
zählung von der Küstenfahrt Nearch*s, nach dem Berichte dessel-
ben, und mit einer vorausgeschickten Erörterung über das Land Indien
und seine Bewohner, wie denn am Schlüsse dieser Darstellung,
welche über die Naturbeschaffenheit des Landes und alle seine
Eigenthümlichkeiten sicli verbreitet und in so fem gewissermassen
den ersten nieil dee Gkinzen bildet, Arrianus selbst cap. 17 schreibt:
»Diess genügt mir über die Inder bekannt gemacht zu haben, was
Nearch und ^e^gasthenes, zwei bewährte Männer, als das Merk-
Axria&'B Werke von CletB. 936
würdigste anfgezeiobnet haben ; da es eigentlich nicht die Aufgabe
dieser meiner Schrift war, die Einrichtungen der Inder zn be*
achreiben, sondern vielmehr, wie die Flotte Alexander*s von Indien
nach Persien übergeführt wurde. So mßge diess denn als eine Ab«
Schweifung von meinem Hauptgegenstande gelten, c
Der Verfasser hat beiden Abtheilungen der Schrift die gleiche
Sorgfalt zugewendet : die Nachrichten über Indien, die Beschaftenheit
des Landes, die Flüsse, die Thierwelt, die Menschen, und deren
Lebensweise, werden in den nachfolgenden Anmerkungen durchweg
mit den Berichten anderer alten Schriftsteller verglichen, und eben
so zu ihrer richtigen Aufifiorssung und Würdigung Alles das benutzt,
was von neueren Forschern ermittelt worden ist, und dasselbe gilt
auch von dem andern Theile, wo besonders die geographischen
Angaben, die Bestimmung der von Arrian erwähnten Orte, die
Entfernungen derselben von einander xu dgl. mit ungemeiner Sorg«
falt und Gründlichkeit behandelt sind, um so das volle Yerstfind«
niss der interessanten Ettstenfahrt zu erzielen. Mit Becht aber
nimmt der Verf. Anstoss an dem Schluss des Büchleins oder vielmeht
an dem, was, nachdem die Vereinigung mit Alexander stattgefunden,
noch im 43. Gap. gewissermassen nachhinkt, und keinen rechten
und passenden Schluss der ganzen Erzählung bildet: entweder fehlt
hier noch Etwas, was uns nicht erhalten ist, oder wir sind zu der
Annahme eines ungenügenden Schlusses genöthigt, in so fem der
Schriftsteller, der wohl die Absicht gehabt, das Gbinze der Erzäh-
lung durch einige passende Worte oder Betrachtungen abzuschlies-
sen, dazu nicht gekommen und so diesen Theil seiner lehrreichen
und für uns, bei dem Mangel anderweitiger Nachrichten, so wich*
tigen Schrift nicht ganz vollendet hinterlassen hat. Diess ist
wenigstens der Eindruck, den auf uns die wiederiiolte Lectttre die-
ses Schlnsscapiters gemacht hat.
Im Einzelnen ist auch hier Alles auf das Genaueste erläutert
und namentlich das, was zur Beschreibung des Landes und der
Bewohner Indiens gehört, aus den alten Schriftstellern, wie aus den
heimischen Quellen besprochen, unter Hinweisung auf neuere Schrift-
steller, welche diese Gegenstände in grösserer Ausdehnung behan-
delt haben. Um auch hier einige Beispiele anzugeben, erinnern
wir an die Bemerkung zu §. 2 über die indischen Gebirgsnamen
Paropamisus, Emodus und Imaus und die Beziehung derselben auf
Himalaja; oder an die Bemerkung zu cap. 8 wo y^g nsgCodog
(von dem Werke des Eratosthenes) richtig mit Erdbeschrei-
bung wieder gegeben ist und auf Aristot. Bhet. 1, 4, 28, wie
HerodotusIV, 36 verwiesen wird, wo es mit tcCvoI^ verbunden sei :
diess ist aber vielmehr an der andern Stelle der Fall V, 49 wo
Aristagoras von Milet den Lacedämoniem zeigt: %ahtBOV tcivaxa,
iv TGi y^g anaörig nsgiodog ivstit(iifco x. r. A.; in jener Stelle
ist wohl kaum die spöttische Beziehung auf des Hecatäus Erdbe-
schreibung unter diesem Titel zu verkennen. Eben so mag auch
886 ArrUm*8 Werke von Clete.
wohl an das erinnert werden, was zu cap. 4 ü'ber die yerscbiede-
nen Flüsse Indiens bemerkt wird ; ansprechend ist hier die Ver-
muthung, dass da, wo von den Nebenflüssen des Ister die Rede
ist, dem Enos und Saos, zn lesen sei 6 dh Imoq xotxa Ilavvovag
statt üaiovag^ oder man müsste annehmen, dass die Pftonier in
Thracien sich bis zn dem Flnsse Saos ausgebreitet hätten, oder
wenigstens diess die Ansicht Arrian*s gewesen, so wenig glaublich
auch diess ans andern Rücksichten erscheint.
Mit gleichem Interesse wird man die Bemerkungen über Sandra-
eottns und Indathyrsus (zu §. 5) lesen, so wie über mehrere der
erwähnten Thiere der indischen Welt, namentlich auch der Elephanteo
cap. 13, 14. 15: die hiervon Arrian erwähnte Sage von den Gold
ausgrabenden Ameisen, die wir gewissermassen schon bei Herodot
m, 102 ff. finden, wird auf die Thatsache zurückgeführt, dass aaf
den sandigen Ebenen Tubets, Murmelthiere — von den Indiem
als Ameisen bezeichnet — vor den Mündungen der Höhlen, in
welchen sie lebten, gleich Maulwürfen den Goldsand aufgehäuft;
die Nachrieht von den 16 Ellen (24 Fuss) messenden Schlangen
wird auf die Boa constrictor oder Riesenschlange bezogen. Eine
eingehende Erörterung ist zu §. 11 dem indischen Kastenwesen,
wie es Arrian darstellt, gewidmet.
Diese wenigen Belege, im Yerhältniss zu der Masse des hier
Gegebenen, mögen genügen, um zu zeigen, wie auch diese Schrift
des Arrianus sich der gleichen Berücksichtigung, wie die Anabasis,
mittelst eines ebenso umfassenden, mit allen Nachweisungen reichlich
ausgestatteten Commentars erfreut. Der Verfasser hat, um eine
vollständige üebersicht der historischen Schriften Arrian' s zu geben,
noch eine üebersetzung folgen lassen der von Photius Bibl. Cod. 92
in einem Auszug mitgetheilten zehn Bücher der Geschichte nach
Alexander, so wie des Bruchstückes aus den siebenzebn Büchern
Parthisoher Geschichte, und der Bithyniscben Geschichte bei dem-
selben Photius Bibl. Cod. 58 und 93; auch diese Stücke sind mit
erklärenden Anmerkungen begleitet. Den Schluss des Ganzen bil-
det S. 135—142: »Arrian's Leben und Charakteristik« ein Auf-
satz, der auf einen verhältnissmässig sehr geringen Raum Alles
das zusammengedrängt hat, was über Leben und Schriften dieses
ausgezeichneten Mannes mit Sicherheit ermittelt und bekannt ist,
und damit eine Würdigung desselben, sowohl nach seinem pei-sön-
lichen Verhalten, wie nach seinen literarischen Leistungen verhin-
det, auf die wir noch besonders hinweisen zu müssen glauben. Wir
wollen nur Einen Punkt daraus hervorheben, die Nachahmung
Xenophons, die dem Arrianus schon im Alterthum den Namen
des jüngeren Xenophon verschafft hat. Mit vollem Recht will der
Verfasser diese Bezeichnung nicht auf eine blos äusserliche Aehn-
lichkeit beschränkt sehen, sondern vielmehr auf die innerliche Aehn-
lichkeit ausdehnen, in so fern Arrian, nach diesem seinem Vorbilde,
seiner Erzählung durch dieselben künstlichen Mittel Leben und
Kömisebe Oeecb. v. Mommsen n. OrtecblBolie von Curtius. MT
Mannichfaltigkeit zn verleihen gestiebt, dass er bemüht war, inun«
gesuchter Natürlichkeit nod Einfachheit, in Leichtigkeit des Ana«
drucks nnd einer gefälligen, anmnthigen Darstellung seinem Vor-
bilde sich möglichst anznnAbem, und dadurch vor der rhetorischen,
bald schworfälligen bald schwülstigen Ausdrucksweise bewahrt blieb,
die den gleichzeitigen Producten der Geschichtschreibung mehr oder
minder anklebt, und gern stimmen wir dem Verfasser bei , wenn
er dem Arrian unter den Oeschichtschreibern des kaiserlichen Bom*s
nicht blos eine der ehrenvollsten Stellen zuerkennt, sondern ihn
auch unter allen uns erhaltenen griechischen Historikern nur einem
Herodotus, Thucydides und Xenophon nachgesetzt wissen will.
Chr. B&hr.
Römische OeschiehU von Theodor Mommsen, Zweiter
Band, ^on der Schlacht bei Pydna bis auf SuUa's Tod.
Vierte Auflage. Berlin, Wddmann'^sche Buchhandlung 1865,
470 S. 8.
Griechische Geschichte von Ernst Curtius, Zweiter Band,
Bis sum Ende des Peloponnesvtchen Krieges. Zweite Auflage,
Berlin. Weidmännische Buchhandlung isßS. 763 8. 8.
Beide Werke, wie sie hier in erneuerten Auflagen vorliegen,
sind nach ihrem Inhalt, wie nach ihrer Tendenz hinreichend be-
kannt, ein eingehender Bericht darüber aus diesem Grunde kaum
nothwendig; es mag daher genügcu, das Verbältniss der neuen
Auflagen zu den zunächst vorausgegangenen anzugeben.
Die vierte Auflage des zweiten Bandes der römischen Ge-
schichte ist ein erneuerter Abdruck der dritten und setzt die neue
(vierte) Auflage des ersten Bandes in dieser Weise fort ; die z w e i t e
Auflage des zweiten Bandes der griechischen Geschichte ist kein
blosser Wiederabdruck, sondern ist das Ganze einer Durch-
sicht selbst bis in das Einzelne unterworfen, wobei von allen
den Specialforschungen, wie sie über einzelne Punkte der in diesem
Bande behandelten Gegenstände inzwischen erschienen waren, Ge-
brauch gemacht wird; was zu manchen Aendenmgen im Einzelnen
und selbst Erweiterungen Veranlassung gegeben hat: die sorgsam
nachbessernde Hand des Verfassers, unterstützt auch durch einige
gelehrte Freunde, deren das Schlusswort dankend gedenkt, hat in
dieser Hinsicht nicht leicht Etwas tibersehen, was für den erneuer-
ten Abdmck von Nutzen sein konnte. So ist denn bei ganz glei-
chem Druck der Umfang des Buches von 684 Seiten der ersten
Auflage zu 786 Seiten gewachsen, an welche die Anmerkungen
S. 737—763 sich anreihen, die in der ersten Auflage nur 19 Sei-
ten (S. 685—704) einnehmen. Wer näher und im Einzelnen über
so manche Aenderungen, zu welchen der Verf. sich veranlasst sah,
Auskimft zu erbalten wünscht, wird sie hier finden, und dadurch
138 Livingstone: RelMn is BfidafirOuL
am besten von dem sich überzengen können, was wir eben über
die genaue Durchsicht, welche dem Ganzen aller wftrts znTheil ge-
worden ist, bemerkt haben: denn diese Anmerkungen enthalten
theils Nachweisung der betreffenden Stellen alter Schriftsteller, auf
welche die geschichtliche DarsteUung in einzelnen, meist streitigen
Punkten sich stützt, oder sie dienen zur Begründung der auf^e«
stellten Ansicht und geben in dieser Hinsicht zu einer näheren Be-
sprechung mancher Stelle Veranlassung, was allerdings um so
Wünschenswerther ist, als die geschichtliche Erzählung im Ganzen
aller derartigen Belege oder Nachweisungen, wie es im Plan und
Anlage des ganzen Unternehmens liegt, entbehrt, und der VerfL
vielfach bemüht ist, in oft kühner, aber stets geistreicher und von
Yerständniss des Alterthums zeugender Weise die mannig&chen
Lücken, welche aus Mangel an Quellen, die alte Geschichte bietet,
auBzufüllen und so das Ganze zu einem schönen Gesammtbilde nach
allen Seiten hin abzurunden. Es kann hier nicht unsere Aufgabe
sein, in alle diese Einzelheiten einzugehen und dieselbe einer Be-
sprechung zu unterziehen, welche allerdings einen die Gränzen die>
ser Anzeige weit überschreitenden Baum in Anspruch nehmen
würde: überdem ist der Verfasser im Ganzen den schon in der
ersten Auflage aufgestellten und daher bekannten Ansichten treu
geblieben, wenn er auch im Einzelnen Aenderungen vorgenommen
und alles einer genauen Bevision unterzogen hat; der aufinerk-
same Leser wird bald sich davon überzeugen können, wenn er in
die neue Auflage, zumal in die Anmerkungen einen Blick wirft.
Mit gerechtem Verlangen aber wird man der baldigen Fortsetzung
dieses von einem edlen Geiste getragenen, auf gründlicher For*
schung, wie selbst eigener Eenntniss des Landes beruhenden Wer-
kes entgegensehen.
Neue Mianonereisen in Süd^Afrika^ unternommen im Auftrage der
englischen Regierung, Forschungen am Zambesi und seinen
Nebenflüssen, nebst Entdeckung der Seen Schiru>a und Ni/asaa
in den Jahren 1868 bis 1864. AutoriHrte vollständige Ausgabe
für Deutschland* Von David und Charles Livingstone,
Aus dem Englischen von J. C. A, Martin. Nebst einer KaHe
und 40 Illustrationen in Holssschniit^ Erster Band, Jena und
Ldpzig, Hermann Costenoble. 1866, Vll u. S58 S. Zweiler
Band XIX und 346 8. in gr. 8.
Diese Beise, über welche in vorstehendem Werke ein sehr an-
ziehender und interessanter Bericht erstattet wird, war in ein Land
und in eine Gegend gerichtet, die bisher fast völlig unbekannt,
der Cultur und Civilisation erschlossen werden sollte, deren sie in
jeder Hinsicht fähig ist, und wollen wir auch hoffeUi dass der hier
LlTlngstone: Reisen In Sttdftfrika« MO
gemachte Versach in dieser Hinsiclit seine gewttnscfaten Frftchte
tragen möge. Es ist zwar ein Theil des hier durchforschten Lan-
des bereits den Portugiesen bekannt: allein es ist so wenig, wie
diese die ganze hier gelieferte Darstellung zeigt, von denselben
für die Cultur des Landes und seiner BcTÖlkerung geschehen, daee
in der That die Kraft des anglikanischen Stammes nöthig erschei-
nen mag, um auch diese Ländergebiete der Civilisation und dem
daTon unzertrennlichen Christenthum zuzuftlhren. Es ist nemlicb
ein Theil des östlichen, zunächst der Küst^ gelegenen Afrika's,
welcher den Gegenstand der Expedition und damit auch des in
Yorliegendem Werke darüber erstatteten Berichts bildet ; es ist ins-
besondere das Flussgebiet des Zambesi und seiner Nebenflüsse, so
wie die weiter nach Innen zu, westwärts und nordwärts sich er-
streckenden Landstriche von Ost- wie von Centralafrika , und be-
stand, nach dem von der brittischen Regierung ausgestellten Li-
stmktionen der Hauptzweck der Expedition darin, die geographische
Kcnntniss dieser Gegenden, so wie der mineralischen und land-
wirthschafblichen Hülfsmittel zu vermehren, die Bekanntschaft mit
den Eingebomen zu erweitem und den Versuch zu machen, die-
selben zu veranlassen, sich der Industrie und der Bebauung des
Landes zu befleissigen, mit der Absicht, Rohstoffe zum Export nach
England gegen brittische Manufacturwaaren zu produciren (8. 9)»
Und daran kntipfte sich auch die weitere Hoffnung, damit zur
Unterdrückung des in diesen Gegenden noch immer betriebenen
Sclavenhandels beizutragen, der, wie wir S. 8 lesen, das grosseste
Hindemiss der Civilisation und der Ausbreitung des Handels ist,
daher auch die von der englischen Regierung zur Unterdrückung
desselben angeordneten Massregeln gebilligt und gelobt werden,
auch wenn die schwierige Ausfühmng derselben noch immer nicht
diesen Handel völlig zu beseitigen vermocht hat, dessen gänz-
liches Verschwinden zugleich als eine Hauptaufgabe der fort-
schreitenden Cultur und Civilisation erscheint. »So bestand also
der Hauptgegenstand unserer Forschung (so heisst es S. 6) nicht
darin Wunder zu entdecken, die bald ihr Interesse verlieren, zu
staunen und von Barbaren angestaunt zu werden, sondern viel mehr
das Klima, die Naturprodukte , die Localkrankhoiten , die Einge-
bornen und ihre Beziehungen zur übrigen Welt kennen zu lernen« ;
damit also nicht blos einen Beitrag zur näheren Kunde dieser im
Ganzen frachtbaren, aber kaum bebauten und benutzten Länder
zu geben, sondern auch eine Veranlassung zu geben zu weiteren
ähnlichen Unternehmungen, die, wenn es gelungen, die in Bar-
barei versunkene Bevölkerung dieser zu entreissen, auch den Seg-
nungen des Evangelium's Eingang zu vei*schaffen vermag (S. 2).
Die Expedition, nachdem sie am 10. März 1858 England ver-
lassen, erreichte über dsis Cap der guten Hoffnung, wo sie gast-
liehe Aufnahme fand, schon im folgenden Mai die an der Ostküste
Afrika*s beffndlichen Mündungen des Zambesi, am durch dieselben
040 Livlogstone: Reisen fn Sndafrikt.
weiter in das Innere yorzndringen , die Nebenflüsse, als Strassen
für Handel nnd Verkehr, wie für die Ausbreitung des Christen-
thums, zu erforschen, und so eine genaue Bekanntschaft mit dem
Lande selbst, wie mit der Bevölkerung zu gewinnen. Was auf diese
Weise erreicht ward, wird in lebendiger Schilderung in den fünf-
zehn Kapiteln des ersten Bandes vorgeführt, während eine
Einleitung uns mit dem Gegenstande der Expedition und ihren
Zwecken, so wie mit den darauf zielenden Instructionen bekannt
macht. Nachdem die Mündung des grossen und breiten Stromes
Zambesi erreicht war, versuchte man auf dem Dampfer aufwärts
zu fahren und so in die Nebenflüsse einzudringen. Auf dem linken
Ufer des Stromes geboten die Portugiesen : das rechte nahmen un-
abhängige Negerstämme ein, die damals im Kriege mit den Por-
tugiesen begriffen waren. Wie wenig übrigens von den letztem tflr
die Oivilisation der Bevölkerung und die Cultur des Bodens ge-
schehen ist, zeigt sattsam das, was über den Zustand dieser Ge-
biete hier berichtet wird; auf den (verbotenen) Sclavenhandel und
den daraus zu ziehenden Gewinn war ihr Hauptaugenmerk gerich-
tet. Nachdem die Beisenden zuerst zu Senna, nnd dann zu Tette
sich aufgehalten und Ausflüge von da auf den Nebenflüssen des
Zambesi gemacht, bei welcher Gelegenheit sie auch einen grossen
Wasserfall, welcher zugleich sie verhinderte weiter auf dem Shire,
einem Nebenflusse des Zambesi vorzudringen, entdeckten, auch Man-
ches Andere, so wohl in Bezug auf die Natur des Landes, die
Eigenthümlichkeiten des Bodens, die Thierwelt, wie die Menschen-
welt, entdeckt, verliessen sie das Fahrzeug, um landeinwärts in
nördlicher Richtung vorzudringen durch ein wald- und wasser-
reiches Hochland, an das sich treffliches Waideland anreihte, zur
Entdeckung des grossen Nyassasees. Die Entdeckung erfolgieanch
wirklich am 16. September 1859 und verfehlen die englischen Eei-
senden nicht, sich die Priorität dieser Entdeckung vor dem Deut-
schen Röscher (der bald darauf eintraf) zuzuschreiben, indem die-
ser, wie sie behaupten, erst am 19. November desselben Jahres
dahin gekommen und den See erblickt habe. Die Rückkehr nach
Tette erfolgte am 2. Februar 1860, um dann im März wieder
stromaufwärts zu neuen Entdeckungen zu fahren; es galt dem
Makolololande , und einem andern der Nebenflüsse des Zambesi,
Kebrabasa genannt, dessen Besichtigung von einem Ende zum
andern durchgeführt ward. Ein grosser Theil der Beschreibung
hat es mit den Erlebnissen dieser Reise, mit der Schilderung der
Natnrmerkwürdigkeiten , wie den Zuständen der Bevölkerung zn
thun, und stossen wir allerwärts auf interessante Gegenstände in
Muer uns bisher ganz fremden Welt, die aber wohl einer besseren
zitur ftlhig und für die Wohlthaten der Oivilisation empfänglich
und^ürfte. An zahlreichen Hindernissen, an mannichfachen Ge-
der Ouxrelche die Reisenden zu bestehen hatten, fehlte es nicht,
jeder Hii^Uung erhöht den Reiz der Schilderung und" erregt die
LlvingstoÄe: Reisen ln8fldafrlkA. 041
Theihiahine des Lesers, der gern hei diesen anziehenden Bildern
verweilt. Nicht blos die grossen Wunder der Thierwelt, der Ele-
phant und das Flusspferd, denen wir allerwärts begegnen, ziehen
die Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch Anderes, was von
den geringeren Schöpfungen der Natur berichtet wird, wie z. B.
im neunten Capitel von den Ameisen, schwarzen und weisen, ihren
Fehden, wo sie, gleich Soldaten, aufmarschiren und auf das von
dem Führer gegebene Commando horchen und auch ihm gehorchen
u. dgl. m. Zu den grossesten Merkwürdigkeiten der Natur gehörea
aber die im zwölften Oapitel beschriebenen Wasserfälle des Zam-
besi-Stromes, Mosi-oa-tunya (d. i. Schallen des Bauches) von
den Eingebomen genannt, welchen Namen die Engländer in
Victoriafälle umsetzten. Einige Meilen weit oberhalb dersel-
ben schifften sich die Beisenden in einem Baumstamme ein und
liessen sich hinabtreiben, zuerst den glatt und ruhig dahin fliessen-
den Strom hinab, dann in die Stromschnellen, auf eine zum Theil
nicht gefahrlose Weise, zu dem oberen Ende einer Insel, der Gar-
teninsel, die ziemlich mitten im Flusse und gerade am Bande der
Wasserfälle liegt, um von diesem Stande aus, als dem gelegensten
Punkte, die schwindelnde Höhe hinab den prachtvollen Wasserfall
näher zu beschauen. Wir erhalten eine genaue Beschreibung die-
ses grossen Wunders der Natur, obwohl ausdrücklich hervorge-
hoben wird, wie es eine ziemlieh hoffnungslose Bemühung sei, in
Worten eine Vorstellung davon zu geben. Gebildet werden diese
Wasserfälle durch eine gerade quer über den 1800 Yard^s (also
circa 5400 Fuss) breiten Strom hindurch ziehenden Biss in dem
harten basaltischen Felsen, welcher das Bett des Zambesi bildet,
während die Wände von den Kanten aus gerade hinablaufen, ohne
jeden Vorsprung einer Felsspitze. So rollt der eine volle (englische)
Meile breite Fluss in eine Schlucht, die zweimal so tief ist als der
Niagarafall, hinab mit einem Brausen, von dem man taub werden
könnte. Aus dieser Schlucht entrinnt der in ein ganz enges Bett
gedrängte Strom , um sich wie im Zickzack durch scharf abge-
schnittene Felswände hindurchzuwinden. Kehrt man, so lesen wir
S. 284, das Gesicht dem Wasserfall zu, so haben wir am west-
lichen Ende der Schlucht zuerst einen Fall von 36 Yard's Breite,
und natürlich, wie alle über 310 Fuss Tiefe; dann tritt Boaruka,
eine kleine Insel dazwischen, und nächst dieser kommt ein grosser
Fall mit einer Breite von 573 Yard's, ein vorspringender Felsen
trennt denselben von einem zweiten grossen Falle, der 325 Yard's
breit ist, im Ganzen über 900 Yard's (also etwa 2700 Fuss) immer-
währende WasserföUe. Weiter östlich steht die Garteninsel ; dann
kam, als der Fluss seinen niedrigsten Wasserstand hatte, eine
grosse Stelle nakten Felsens von seinem Bette mit etlichen zwanzig
schmalen Fällen, welche zur Zeit des Hochwasserstandes einen ein-
zigen Ungeheuern Wassersturz von fast wieder einer halben Meile
ausmachen. Am östlichen Ende der Schlucht befinden sich zwei«
942 LlTingtlOQ«: Befs« io SidAfrSk».
grossere FftUe, aber sie sind bei niedrigem Wasserstande im Ver-
gleich zu dei\jenigen zwischen den Inseln nichts. Das ganze Wasser
wälzt sich klar und völlig nngebroohen über den Felsen; abernach
einem Fall von zehn oder mehr Fuss wird die ganze Masse plötz-
lich einer nngeheaem Decke yon frisch gefallenem Schnee gleich.
Stacke Wasse springen in der Gestalt von Kometen hinten nach-
atrömenden Schweifen davon ab, bis die ganze schneeige Decke zn
Myriaden dahin fliegender, abspringender, wässeriger Kometen wird«
n. 8. w. Noch wird bemerkt (S. 285): »Charles Livingstone hatte
den Niagara gesehen nnd reidite dem Mosi-oa-tjnna die Sieges-
palme, obgleich wir nns jetzt am Ende einer Dürrnng befanden
und der Flnss auf seinem niedrigsten Wasserstande vrar. Viele
fohlen sich, wenn sie die grossen amerikanischen Wasserfalle zum
erstenmal sehen, in ihrer Erwartung getäuscht, aber der Mosi-oa-
tyuna ist so unerhört grossartig, dass er stets Bewunderung er-
regen muss« u. 8. w. Wir brechen hier ab, in so fem das Mitge-
theilte genügen mag eine Vorstellung dieses grossartigen Wasser-
falls zu geben, und wird dieselbe nicht verringert, wenn wir einen
Blick auf die bildliche Darstellung werfen, welche dem Titel bei-
gegeben ist, und das Qanze auf diese Weise uns veranschaulicht.
Auch ausser diesem dem Titel beigegebenen Blatte sind am Schlüsse
noch einige bildliche, wohl ausgeführte Darstellungen beigefügt,
die wohl im Stande sind, uns einen Begriff von diesen Gegenden des
östlichen Afrika's wie seinen Bewohnern zu geben; desgleichen sind
zahlreiche Illustrationen dem Texte eingedruckt, durch welche
kleinere, bemerkenswerthe Gegenstände dargestellt werden. Die
äussere Ausstattung des Ganzen ist, wie diess auch bei andern von
derselben Verlagshandlung ausgegangenen Werken der Art der Fall
ist, sehr befriedigend.
Soweit hatten wir geschrieben, als uns der zweite Band zu-
kam, welcher in den Abschnitten 16—28 den weiteren Bericht
über die Reise und die Erlebnisse der Beisenden liefert und in
einem Sohlusscapitel, dem 29, noch einmal die Resultate der Reise
zusammenfasst und in weitere culturhistorische Erörterungen sich
einlässt, deren Gegenstand die Bebauung dieser fruchtbaren Land-
striche, die Gesittigong ihrer Bewohner ist, um so die Wohlthaten
der Givilisation und Cultur auch diesem Theile Afrika' s zukommen
zu lassen« da er dazu befähigt ist und die der Civilisation ent-
gegenstehenden Hindemisse möglicher Weise zu beseitigen sind.
Denn diese liegen hauptsächlich in dem Sclavenhandel, welcher nach
dem Verfasser als eine unübersteigliche Schranke für jeden mora-
lischen und commerciellen Fortschritt sich erweist, wie in der Art
und Weise des portugiesischen Regiments, das in diesen Gegenden
noch immer einen Schatten von Gewalt ausübt, der aber mehr zu eigen-
süchtigen Zwecken und Vortheilen als znm Wohle der uncultivirten
Bewohner des Landes benutzt wird«. So führt diese Betrachtung
zu dem unwillkürlichen Schloss^ diese Länder engUsobem EinflnsSp
Krcnner: Bindleii Über den Antimomit. MS
englischer Cnltur und Sittigang, wie anob englischem Handel nnd
englischer Industrie geöffnet zu sehen und damit die Einführung
des Christenthums und die Segnungen desselben zu vereinigen. Und
allerdings scheinen auch solche politische Ursachen einen Haupt-
grund zu dem ganzen Unternehmen , wie es von der Regierung
unterstützt ward, abgegeben zu haben. In das Einzelne des Beise«
berichts weiter einzugehen, überlassen wir dem Leser, dessen In-
teresse durch so manche Schilderungen, zumeist solche, die in das
Gebiet der Naturkunde einschlagen, auf einem noch so wenig be-
tretenen, Europäern fast ganz unbekannten Gebiete, stets wach er-
halten wird ; auch liest sich die Schrift recht gut, die Darstellung
ist meist lebendig und klar. Auch der zweite Band enthält
einige bildliche Darstellungen Ton Gegenden, Wasserfällen u. dgl.
insbesondere ist ihm eine vorzügliche Karte in grösserem Format
beigefügt, ausgeführt von John Arrowsmith, welche das ganze Strom-
gebiet des Zambesi mit seinen Nebenflüssen, und den 1800 Fuss
über dem Meer liegenden ausgedehnten Nyassa^See^ sowie die Meeres-
küste übersehen lässt, sie bildet eine unentbehrliche Zugabe zu
dem ganzen Beisebericht und verschafft überhaupt die nöthige
Orientirung in diesem weiten Ländergebiet.
Kry8tallographi8ck4 Studien über den ArdimoniL Von J. A^ Kren^
ner. Mit 11 Tafün. Wien. 8. Verlag von W. Braumüller.
(Sonderabdruck aus dem LL Bande der SUssungeberiehU der
kais. Akademie der Wissenschaßen,)
Schon im hohen Alterthume spielte unter dem Namen S ti-
bi um ein Mineral in medicinischer wie in cosmetischer Beziehung
eine wichtige Bolle. Später, im Mittelalter, taucht das nämliche
Mineral in den Händen der Alchemisten als ein gern benutzter
Gegenstand ihrer Experimente auf; in der zweiten Hälfte des fünf-
zehnten Jahrhunderts gelang es Basilius Yalentinus aus die-
sem Mineral das Metall abzuscheiden, das er Antimonium
nannte. In seinem merkwürdigen in mystischem Style geschrie-
benen Buche (»Triumphwagen des Antimons«) kommt bereits der
noch heutiges Tages oft übliche Namen Spiessglas vor, welcher
sich ohne Zweifel auf die spiessigen Krystalle des Antimonglanz
(Antimonit) bezieht.
Torbern Bergmann zeigte bereits in der ersten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts, dass das sogenannte Spiessglass aus 74 Thei-
len Antimon und 26 Theilen Schwefel besteht — ein Ergebnisa
was mit den Analysen späterer Chemiker übereinstimmte.
Mit den Krystallformen des Antimonglanz beschäftigten sich
zuerst Bom6 de Lisle, Hauy und dann, zu Anfang der fünf-
ziger Jahre Miller und Hessenberg. Die Gesammtzahl der bis-
944 Krenner: ßludi^ ftbtr den Antimonit.
her bekannton Flächen beträgt 16. Die neuesten umfassen den Unter-
suchungen von Krenner Hessen ihn eine bedeutende Beihe neuer
Formen finden; ihre Zahl ist nun auf 28 gestiegen.
Krenner hatte Gelegenheit, ausser verschiedenen Priyat-
Sammlungen die reichhaltigen Mineralien-Cabinette zu Wien und
Pesth zu sehen und bietet als ein Resultat seiner Studien über den
Antimonglanz eine vortreffliche, von vielen Abbildungen b^leitete
krystallographische Monographie des Antimonglanz.
Nach der Angabe der von ihm benutzten Literatur und einer
Uebersicht der Fundorte des Antimonglanz bringt K renn er eine
ausführliche und gründliche Schilderung der krystallographischeo
Verhältnisse des Antimonglanz ^ über die von ihm beobachtetea
Flächen und gemessenen Kantenwinkel und theils insbesondere in
tabellarischer Form eine uebersicht sämmtlicher nun bekannter
Formen mit nebst den vergleichenden Symbolen von Naumann,
Weiss und Miller.
Betrachtet mau die mannigfaltigen, oft sehr oomplicirten For-
men des Antimonglanz so lassen sich solche in drei, scharf von
einandergeschiedene Gruppen sondern. Die erste umfasst Säulen,
welche oft ansehnliche Dicke und Länge erreichen und deren Ende
von stumpfen Pyramiden begrenzt wird (Ungarn, Siebenbürgen).
Die zweite Gruppe enthält die meist flachgedrückten, bandartig ge-
krümmten Krystalle mit sehr spitzen Pyramiden (Harz). Die dritte
endlich jene strahlenförmig gruppirten oft haarfeinen, aber steta
geraden Kryßtalle, an deren Enden steile Pyramiden auftreten
(Ungarn und Siebenbürgen).
Die Krystalle des Antimonglanz gewinnen noch einen ganz
eigenthümlicben morphologischen Charakter durch ihre Abweichung
von der regelmässigen idealen Form wie wir sie bei kaum einem
Mineral wieder finden. Es gibt sich diese Abweichung von der Sym-
metrie kund durch das oftmalige Wiederholen der Prismen-Fläohen
die fast regellos aneinander gereiht eine Form begrenzen, die sich
von der Idealgestalt sehr weit entfernt; es entsteht eine eigen-
thtimlich gereifte und gefurchte Mantelfläche, welche die Säulen um-
hüllt und fast bei jedem Antimonglanz-Krystall wahrzunehmen ht
Durch sehr starke, oft bandartige Krümmung sind besonders die
Harzer Krystalle ausgezeichnet, während man diese Erscheinung sn
den ungarischen Krystallen noch nicht beobachtet hat, welche nur
eine einfache oder mehrfache Knickung zeigen.
Es ist zu hoffen^ dass Kr e n n er die in der Einleitung zu seiner
werthvoUen Abhandlung ausgesprochenen Absicht: aurh die physi-
kalischen, chemischen und paragenetischen Verhältnisse des Antimon-
glanz zu Schilder ausführen wird um uns dann eine in jeder Beziehung
vollständige Monographie dieses wichtigen Minerals zu liefern.
G, Leonhard.
St. 60. HEIDELBEEGEK 1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR
Dr, Anton Quiizmann: die älteste Reehtsverfaasung der Baitoa-
ren, als faktischer Beweis für die Abstammung des baierischen
Volksstammes. Nürnberg, Stein'sche Buchhandlung^ 1866, gr. 8.
Bog. 26. 8. 419.
Die Urgeschichte der Baiem ist in tiefes Dankel gehüllt, Plöt2-
lieh mit dem 6. Jahrhundert treten sie diesseits des Böhmerwaldes
als eroberndes Kriegervolk auf und nehmen ihre Sitze im entvöl-
kerten, herrenlosen Vindelicien und Noricum, wo sie als Eines der
deutschen Hauptyölker an allen Geschicken und Angelegenheiten
Deutschlands den wichtigsten Antheil haben. Es kann niqjit Wun-
der nehmen, dass man fragte, woher dieses Volk gekommen, nnd
dass man bemüht war, es in abstammliohe Verbindung mit Einem
der im alten Germanien heimischen Völker zu bringen. Ebensowenig
kann es überraschen, dass vor 400 Jahren der päbstliche Historiker
Aeneas Sylvius die verkommenen Bojer hervorsuchte und die Chro-
nisten Ampekh und Aventin, seiner Infallibilität folgend, die deut-
schen Baiern von den keltischen Bojem abstammen Hessen. Die
Aehnlichkeit des Namens musste bei ungenügender Sprachkenntniss
um so leichter zu diesem Irrthume verführen, als die älteren Histo-
riker keinen charakteristischen unterschied zwischen Kelten und
Germanen anerkannten. Wenn aber selbst jetzt, wo eine gründ-
liche Durchforschung der germanischen Urgeschichte imd insbe-
sondere der Abstimmungsfrage der Baiem diese Verschiedenheit
dargelegt hat, Schriftsteller wie Grimm, Zeuss und Müllenhoff,
welche doch die germanische Herkunft der Baiem vertreten, sich
nicht entschliessen können, bei der Namenserklämng das keltische
Etymon bei Seite zu lassen, so muss ein solches Festhalten des
anerkannten Irrthums billig befremden.
Die Grundursache dieses sonderbaren Verfahrens muss wohl
darin gesucht werden, dass die bisherigen Forscher sich zuerst an
die Erklärung des Volksnamens machten und von einer hypothe-
tischen Etymologie ausgehend ebenso hypothetische Bückschlüsse
auf die Abstammung des Volks wagten« Die nothwendige Folge
dieses circulus vitiosus war, dass die Ableitung des Namens und
die angebliche Abstammung immer nur in einer künstlichen
Verbindung gehalten werden konnte und dass man in letzter In-
stanz sich immer zu der scheinenden Un Wahrscheinlichkeit gezwun-
gen sah, ein wanderndes Eriegervolk habe seinen Namen von einem
besiegten und vor einem halben Jahrtausend verschollenen Volke
hergenommen. Der Verfasser legte bereits vor neun Jahren das
LVIIL Jahrg. 12. Heft 60
946 Qnitimain: Becbtrresfaisan^ der Btlivareit
Fehlerhafte dieser Methode dar in seiner Schrift: Abstammung,
Ursitz und älteste Geschichte der Baiwaren, Manchen
18i57, (Heidelb. Jahrb. 1858. Nr. 18) indem er die bisherigen Ab-
stammungstheorien einer kritischen Beleuchtung unterzog. Um aber
den Weg zu zeigen, auf dem es möglich wird, mit Sicherheit fest-
zustellen, wie weit in der angeregten Frage die Thatsacben
reichen, entschloss sich der Yed. Religion, Sitten, Bechtsgebränche
und Sprache der Baiwaren, soweit sie aus frühem Denkmalen und
noch üblichen Aberglaubensresten zu ermitteln, zu durchforschen,
um durch dieses gewonnene Resultat, der Erledigung der Abstam-
mungsfrage eine faktische Grundlage zu bieten.
Den ersten Erfolg seiner Quellenstudien veröffentlichte der
Verfasser mit seinem Buche über die heidnische Religion
der Baiwaren, Leipzig 1860 (Heidelb. Jahrb. 1860. Nr. 54),
worin er den Beweie lieferte, dass kein einziger Oötternamen,
nicht eine Einzige ihrer Sagen und Sitten die Baiwaren weder a&
die frühem keltischen Bewohner des Süddonaulandes, noch über-
haupt an keltische Volksgenossen anknüpfen lasse, w&hrend alle ihre
religiösen Bräuche und Mythen sie auf das Engste mit denen der
Germanen und Nordleute verbunden zeigen. Da sich übrigens
einerseits erweisen lässt, dass die Baiwaren den bei den Sueven
heimischen Wanengöttern eine vorzügliche Verehrung widmeten,
sowie anderseits der hieratische Kult des Ear und Hirmin, den
Herminonen eigenthümlich, seine Spuren noch heutzutage bei den
Baiem verfolgen lässt, so glaubte sich der Verfasser zu der An-
nahme berechtigt, dass die Untersuchung über die heidnische Re-
ligion der Baiwaren mit möglichster Klarheit und Schärfe den
Schlusssatz begründen lasse, dass dieselben mit den hermino-
nischen Sueven auf das Innigste verwandt sich darstellen und
dessfaalb auch mit grösster Bestimmtheit ihre Abstammung von
ihnen und zwar zunächst von den Donausueven herzuleiten be-
rechtigt seien.
Seinem früheren Versprechen gemäss übergibt der Verf. mit
dem vorliegenden Buche den 2. Theil des faktischen Beweises in
der Abstammungsfrage der Baiern der Oeffentlichkeit , indem er
die älteste Rechtsverfassung der Baiwaren darstellt, so
weit nämlich die lex Baiwariomm, die Synoden des 8. Jahrhunderts
und die auf Baiwarien bezüglichen karolingischen Capitularien des
8. und 9. Jahrhunderts Anhaltspunkte bieten in Verbindung mit
den aus den Archiven unsrer ältesten Bisthümer und Stifter zu
erhebenden Belegstellen. Es konnte dabei nicht in seinem Plane
liegen, die Rechtsalterthümer der baierischen und österreichischen
Lande in ihrem ganzen Umfang zu behandeln. Dass er aber hie-
bei die Landfrieden des 13. Jahrhunderts, das Rechtsbuch Kaiser
Ludwig's und das Versprechen Ruprecht's von Freising, sowie noch
spätere Stadtrechte und Weisthümer wiederholt berücksichtigte,
wird ihm um so weniger als Uebergriff ausgelegt werden köimen,
QvlMmanii: KofiMsrorfMiUBg der Bt^iww* Hl
als dies^ Belege einerseits nur die Bebauptwg begriUideo, dass
Becbtsinatitute, wie der Brautkanf, die Morgengabe imd der Sekwnr
auf Brust und Zopf, auch wenn sie nicht in den ältesjien Quellen
enthalten sind, bei uns ein nrheimisohes Herkomnien gemessen,
soMrie diese spätem Urkunden anderseits 4on Beweis liefern, dsiss
unsere ältesten Bechtsnormen, wie im Hansbruch durch Eingrabung,
im Dreiereide, in der Zannhöhe, im HammQrwurf , in der Bicbter-
wahl, in der Bedeutung des Judex, im Felderwechsel, sowie in un-
zählig andern Fällen bi^ in die let^tep Jahrhunderte sich in natur-
wüchsiger Frische erhalten haben*
Da die lex Baiwarionun bi^h^r nur nebenher besprochen wurde,
so schickt der YerC. in der Einleitung einei umfassende Abhandlung
über Alter und Entwicl^king des Bechtsbuchos der Baiem Yort^os
und glaubt, indem er sich möglichst an den historischen TheU des
Prologes, soweit sie dem Chankkter des Gesetjws und sonst ver-
bürgten Nachrichten entsprechen, anlehnt, eine, dieifa^e Bedaktion
der lex Baiwariorum festhalten zu mflssen. Die erste Aufseicbnnng
geschah unter Theodorich und umfasst die Titel m. IV cp, 1— 29.
V. VI.Ym. 1—17. XHL XIV. XK— XXn und oharakterisirt sich
durch ihren Zusammenhang mit dem Pactus Alam« das gleich^
sucTischp Bussensjstem und eine fr^gmentare Kürz« des Aufdrucks
— 6* Jahrhundert, yielleicht 534, Die 2. Bedaktio^ unter Dago^-
bert I. ^mfa8st die Titel Vm. 18—23, K— XU nnd XV— XVLH
und charakterisirt sich durch theilweise Zugrundelegung dcrAntiqna
Beccaredi zur Ueberarbeitung einheimischer Weisthttmer unter Beit
ftigung Yon processnalen Formeln — 7. Jahrhundert, wahi^obeinlich
635, Die 3. Bedaktion endlich, höchst wahrscheinlich unter d^m
Einfluss eines der austrasischen ^ausmeier ausgeä)hrt, umfasst Titel L
n. IV. 30 und 31. VIL 1—3 und charakterisirt siph dnvcb Ein»
dring^i) des fränkischen Busssystems, Uebei:glswioht d^jp Königsge-
walt und Sorge für das neu begründete Christenthum — 8. Jajbr^
hundert, yielleicht 734, als Odilo in der Qefangenschaft seines
Schwagers Pipin war, weil sich im Jahr 754 dfts AsQhbsinif^r Con-
cil cp. 4 auf Titel I. 2 des geschriebenen Partus b^ffishtt Ausserir
dem seien spätere Zusätze II. 8 b., VII. 4» I^« 4 n. 1^ und Titel
XXin, welche wahrscheinlich durch spätere LandfricdensbescUttssQ
in das Gesetzbuch Au^^hme fanden, wie z. B. Tit. XL 5-*« 7 aus
dem Conc. Nivihingense.
Das LBuch behandelt das öffentliche Beoht S, 24^126
und zwar im 1. Abschnitt die Standesverhältnisse, Adel« Freie, Frei-
gelassene, Unfreie und Fremde; im 2. Abschnitt das Staatsrecht,
Herzog, Hoheitsrechte, Territorialstaatsrecht, Markr und Qauyer-
üassung und Einfluss des Christenthumes auf die staatsrechtlichen
Verhältnisse. Das U. Bach behandelt das Priyatrecht S. 127
— 209 und zwar im 1. Abschnitt das Familienrecht, Mundiumund
Eherecht ; im 2. Abschnitt Sachenrecht, echtes Eigen, Erwerbungs-
arten, Vindikation, unechtes ^igen, Beallasten wd Dienstbarkeiten ;
iM Qaitimanii: RechtsverfMSiing der Baiwam.
im 3. Absohnitt Erbrecht, Intestaterbfolge, Testamentare und aasser-
ordentliche VerfÜgongen ; im 4. Abschnitt Yertragsreoht , Schen-
kung, £[auf, Tausch, Hinterlegung und Leihvertrag, Vergleich, Pfand-
und Bürgschaft. Das ELL Buch handelt über das Strafrecht
S. 210 — 308 und zwar im 1. Abschnitt Criminalrecht, Bache- und
Fehdeseit, und Entwicklung criminalrechtlicher Theorien ; im 2. Ab-
schnitt die Verbrechen, Lebensschftdigungen, Versetzen in Lebens-
gefahr, unuuan, Leibesschädigungen, Gewaltthat, Eigenthumsschädi-
gung, complicirte Verbrechen, Verbrechen wider die Beligion, Hoch«
yerrath; im 3. Abschnitt Bussen, besondere Befridungen, Frie-
densgeld, Sühnbusse und Wehrgeld ; 4. Abschnitt Strafen und zwar
Todesstrafen, Körperstrafen, Ehrenstrafen, Freiheitsstrafen, Landes-
yerweisung, Gütereinziehung. Das IV. Buch stellt das Gerichts-
verfahren dar S. 309 — 375, und zwar im 1. Abschnitt die con-
stitutiven Momente, nämlich Gerichtsarten, Gerichtsleute, (xerichts-
gelegenheiten ; im 2. Abschnitt den Process, d. h. Vorladung, die
Klage mit ihren Folgen, das Beweisverfahren, und endlich das Ur-
theil und seine Vollstreckung.
In der Ausfüllung dieses Rahmens bespricht der Verf. den
Volksadel bei den Germanen und zeigt, dass die sechs Adelsge-
schlechter, welche die lex Baiwariorum nennt, die Agilolfinga,
Huosi, Drozza, Fagana, Hahilinga und Anniona S. 30 £f. durchaas
zu diesem gerechnet werden müssen, so wie er statt spitzfindiger
Namensspielereien den urkundlichen Nachweis über die Nieder-
lassungen dieser Geschlechter in dem eroberten Lande liefert.
Nicht unwichtig ist die Darlegung der hantgimahili 8.40
(al. Handgemalchen , cyrografum) des altbaienschen Handzeichens
d. h. eines Theils von Grundstücken, welchen Freie bei Vergebung
von Erb und Eigen ausdrücklich zurückbehielten, um die Freiheit
unangetastet zu bewahren d. h. das Recht der Schöffenbarkeit —
dempsit partem unam pro libertate tuenda sagt eine Salzborger
Urkunde.
Dass bei den Baiem die Freilassung durch den jactos denarii
rechtsüblich war, erweist sich aus Urkunden, insbesonders durch
den scazwurp in den Mondseerglossen S. 47, die zu den ältesten
Dokumenten der Baiern gehören.
Im Staatsrecht widmet der Verf. dem Verhältniss der baieri-
schen Herzoge zu den fränkischen Hausmeiem eine eingehende Be-
sprechung, so wie besonders die Mark- und Gauverfassung
umfassend durgestellt wird. Der Verf. zeigt unter Anderm, dass
der Nordgau altbaierisches Stammland sei, welchem gegenüber das
eigentliche Baiem lange Südgau — Sundergave — geheissen habe.
Femer gibt ihm das Culturverhältniss Veranlassung, seine Ansicht
über die älteste Ansiedlung von München niederzulegen S. 97,
woiilber soviel Unhaltbares gefabelt wird. Auch das oft genannte
Haberfeldtreiben als Ueberrest der alten Dorfgerichte findet
eine eingehende Behandlung und Verf. zeigt S. 143 u. 395, dass
Qiilt2in«nn: Reehtoverfasmug; der BatwAren. 040
sein Name mit nrsprttnglicli mythischer Tradition zusammenhänge
nnd auf den Donarknlt zurückweise, so dass es ursprünglich Habar
(Book)-Fell-Treiben geheissen haben müsse. Endlich ist in den
Wechselwiesen S. 104, welche inganzBaiem vorkommen, eine
Erinnerung an den altgermanischen Felderwechsel erhalten, wie ihn
Tacitus bei den Germanen, Cftsar insbesondere bei den Sueven als
alljährlich stattfindend schildert.
In priyatrechtlicher Beziehung finden wir in dem Drangeid
S. 183, welches der Bräutigam noch hin und wieder in Altbaiem
der Braut bezahlt, ein üeberbleibsel des altdeutschen Frauenkaufes,
oder des Mal- und Muntschatzes, welchen der Bräutigam sonst für
das zu erwerbende Mundium seiner Zukünftigen zu erlegen hatte.
Auch die Morgengabe, obwohl nicht in den ältesten Rechts-
denkmalen der Baiem vorkommend, ist in spätem Urkunden als
munus virginitatis aufbewahrt S. 185 , und unter den Yerlöbniss-
brauchen gebürt der üeberreichung des Traurings am Schwerthefte
die Zuerkennung hohen Alters, da ihrer schon im Buodlieb im
10 Jahrh. erwähnt wird.
Ein paar Stellen der Freisinger Urkunden, wo dasselbe Orund-
stück»einan hluz, quod angar dicimus« und wieder »XII. worpac
genannt wird, gibt dem Verf. Veranlassung, sich über die Bedeu-
tung des Hammer- oder Axtwurfes auszusprechen S. 158 und in
demselben, dem altgermanischen Symbol der Besitzergreifung, das
älteste Maass bei Vertheilung des eroberten Landes zu erkennen,
so dass bei den Baiwaren die zu vortheilenden Ländereien in Loose
von 12 Axtwürfen ausgeschieden worden sein dürften^ so wie man
bis ins 14. Jahrhundert den Hammerwurf in baierischen Bechts-
sitten als schiedsrichterliches Mittel trifft.
Bei den Naturaldiensten kommt der Verf. S. 178 auf eine Ab-
gabe an Brod und Fleisch zu sprechen, welche unter dem Namen
wised, wisod, weisat bekannt ist und von den Schriftstellern
bald an wissen, goth. veisön-besuchen, wisse spise, von den Eel-
tisten gar an aisead-puerperium angeknüpft und danach verschie-
den erklärt wird. Verf. zeigt nach heimischen Urkunden und noch
üblichen Bräuchen, dass darunter bis heute nur eine kirchliche Ab-
gabe »pfarlich rechte verstanden wurde und leitet den Namen von
ahd. wlzi, welches wie das ags. vlte Strafe und Busse bedeutet.
Im Strafrecht bestätigt der Verf. durch Stellen der lex Baiw.
Wilda's Ansicht, dass die Grundlage der germanischen Staatsver-
fassung die Idee einer Friedensgenossenschaft gewesen sei
S. 211, so dass also die Mannheiligkeit aller zu Einer Opferge-
nossenschaft gehörigen Mitglieder als oberstes Frincip anerkannt
wurde und die rechtliche Befugniss aller Volksgenossen zur Erhal-
tung des allgemeinen Friedens die Umwandlung der privaten Fami-
lienrache in das nachfolgende System der Sühnbussen vermittelte.
Bei Darstellung der Verbrechen S. 227 ff. bestrebte sich
der Verf. aus den Worten des Gesetzbuches die zum Thatbestande
950 QuitMniinli: RMittVSfflnitltig d« BilWtiVh.
noth^ndigen Momentd festsstihalteii und diOder Saolilage entspre-
che&d die in der le^ Baiw. vorkommetidett Recbtstechnicismeti zu
erläutenu Er wich darin anch wiederholt von seinen Vorg&ngeni
Orimm und Merkel ab, welche mehr den Standpunkt grammatikaleT
Wortentwicklnng einnehmen nnd dadurch mit der juridiachen Be-
deutung in Widersprach gerathen, wie z. B. bei palcprust, htao-
pant, taudregil u. s. w. Zur ErgOtinng des Lesers hat der Vetfl
die Spraehyerdrebungen beigefügt, welche die Eeltomanen mit die-
sen malbergiechen Glossen durch cwangsweise Anordnung gäUaeher
Wörterbücher sich erlaubten und überläset es Jedem ünbefkngenen,
zu entscheiden, ob Auslegnngen wie Meisselzurüstutig, Datcb&lls-
färbe, Sohimpfprahlerei , Fleckenanbiss , Fransenabschnitt , Auf-
schneidesichel, Oeishalsherttmdrehung, Eitelkeitshindemiss und Shii-
lidhe Sptaohmartereien Anspruch auf eine ernsthafte Würdigung
haben känüen.
Das Yerhältnifls, in welchem Friedensgeld und Sflhn-
busse ausgeschieden wurden, ist nicht in bestimmten Ausdrücken
angegeben ; doch lässt sich nach Tacitus anüehmen, dass die Busse
in Einet Stimme bestimmt wurde und sich alsdann der Staat und
der Verletzte in diese Gesammtbusse zu gleichen Tfaeilen zu Recht
fanden. Dieser Absoheidungs-Modus bestätigt sich durch ein Weis-
thum über Baumfrevel, welches T. XXTI. 1. des baierischen Rechts-
buches bildet S. 277. Yerf. zieht nun hieraus weitere Schlüsse auf
die Entstehung des Wergeides, da ihm die Uebereinstimmnng
ycm 40 SoL und der Wundenbusse zu 12 SoL mit den beiden Bussr
ausätzen des grossen und kleinen Friedensgeldes eine gewiss nicht
zufällig^ Gelegenheit zur Zusammenstellung darbietet. Von diesen
Vordersätzen aus geht der Verf. S. 281 ff. anf die ursprüngHehe
Grosse des Wek*geldes ttberhatipt über und beweist nach ttberein-
stimmenden Oapiteln der 1. 1. Baiw. Alaman und Thuring., dass bei
den äueTiiroheh Vtflkem das älteste Fr^ienWergeld 40 Sol. betragen
habe, welches nur im Verlaufe der Jahrhunderte dadurch, daes sich
zwischen di6 Unfreien und Freien die Freigelassenen und Freige-
lai»eneii des Königs und der Kirche einschoben, verdoppelt nnd
späii^r terVierfkcht werden musste.
Zur Erlnittlung der iuBaiem in ältester Zeit üblichen Stra^
fen hat der Verf. ausser historischen Dokumenten insbesondere die
von Schm^ller entdecktet! Fragmente aub Fromunds Buodlieb be-
nützt. Es erhellt daraus, dass bei den Baiwären noch im 10 Jahr
hundert das Ersticken im Sumpfe (mersa cloaca), wie es Tacitas bei
den Germanen erzählt^ tiicht vergessen war S. 295. Neben andern
Todesarten schlug man auch Verbrechet in Tonnen ein und aber-
gab sie mit der Aufschrift ihres Vergehens den Fluthen S. 304,
wie man noch im 15. Jahrhundert die Leichen der Selbstmörder
in Baiem behandelte.
Einet ^ht eingehenden Behandlung unterzog der Verf« das
älteste Görichtsverfahten S. d26ff( wobei ihm fireilich Siegels
Qnilsmftnn! Rariitotufiiiinng d«r Btthrarcn. 961
Oeschidite des deutsohea Geriohisyerfahrent eine sehr nütsliolie Vor-
arbeit darbot. Dass übrigens der Verf. dieaem Bache nicht kritik-
los folgte, erweist er dnroh die Abweichungen, worin er sich von
seinem Vorgänger unterscheidet. So will Siegel das altbaierische
stapsaken zu einer einfachen eidliehen Anklage anf den Ge-
richtsstab machen, während der Verf. aus den dabei brttuchlichen
Worten und den damit verbundenen wahrzeiohnenden Armbewegun-
gen zeigt, das es nur als Oottesurtheil aufgefasst werden kann
S« 841. Bei DursieUung der Widerreden behauptet Siegel, dass
während der Schwebe eines Gräozstreites bei Hofraiten, sdeme die
Umzäunung nicht ToUendet ist, von dem Gegner durch feierliche
mit wahrzeiohnendem Hammerwurf rerbundene Erklärung das
Weiterbauen auf dem streitigen Grunde bis zur Austragung der
Sache habe verboten werden kOnnen. Obgleich nun Merkel in sei-
ner neuesten Ausgabe der 1. Baiwar. dieser Ansicht beipflichtet,
so ist dieselbe dennoch nur durch eine Erinnerung an die ri^misehe
operis novi nuntiatio per ictum lapilli hervorgerufen worden und
entspricht weder der betreffenden Gesetzesstelle Tit. Xu. 9 u. 10,
nach der symbolischen Bedeutung des Hammerwurfes bei den Ger-
manen; denn dieser ist kein Wahrzeichen des Verbietens, sondern
der Besitznahme und nach dem Wortlaut des Gesetzes erwirbt der
Beklagte, wenn ihm der Weiterbau vor Zeugen untersagt wird,
durch den Hammerwurf gegen Morgen, Mittag und Abend das
Becht, wie weit ihm erlaubt ist, den Zaun vor Beendigung des
Frocesses zu schliessen S. 846. Wenn femer Siegel annimmt, dass
wehadinc den vorausgehenden Eampfvertrag, camfwio aber den
wirklichen Zweikampf bedeute, so erweist der Verf. 8. 861 , dass
nach den aufeinander folgenden Capiteln des Neuchinger Landtags-
abschieds beide Technicismen als gleichbedeutend erscheinen.
Indem nun der Verf. in den Sohlussfolgerungen S. 275
die charakteristischen Merkmale der baiwarischen Beohtsverfassung
ordnet, je nachdem sie eine Verwandtschaft mit germanischem
Bechtsbrauche im Allgemeinen bekunden, ohne einem besondem
Volksrechte zugehören, oder je nachdem sie insbesondere bei sue-
vischen Völkern bezeugt werden, oder aber je nachdem sie in den
Volksrechten der Alamannen und Westgothen verwandte Beleg-
stellen finden: so ergibt sich nachfolgendes Besultat hinsichtlich
ihrer innem üebereinstimmung mit verwandten Völkern, oder der
blos formellen Nachbildung ihrer Gesetzbücher. Das Baiwarenrecht
ist verwandt: 1) mit germanischem Bechtsbrauch im Allge-
meinen in der Gauverfassung , im Mundium der Familienältesten,
in der Vindikation, in den Gerichtsgelegenbeiten bezüglich Ort und
Zeit und von wahrzeichnenden Handlungen im Axt- undHammer-
wnrfe;
2) mit suevischcr Beohtsverfassung durch das ange-
stammte Eönigthum, den Volksadel, die Ständegliedemng, durch
die Sitte einer die Freien auszeichnenden Haartracht| im Familien-
952 Qnltimana: ReelitwerfeMimg der Btiwaren.
rechte insbesondere durch das doppelte Wergeid des weiblichen
Geschlechts, im Besitz- und Sachenrechte dnrch Ueberreste des
uralten Gemeindebesitzrechtes und des alljllfarlichen Feldcrwechsels,
im Erbrechte durch Begünstigung der weiblichen Erbfolge vor ent-
fernten männlichen Erben, femer durch das eigenthttmliche Baasen-
Bjstem und endlich durch die ausgedehnte Anwendung, welche dem
gerichtlichen Zweikampfe im Beweisrechte gestattet ist;
8) mit dem Alamannen rechte insbesondere dnreli die
gleichen Bestimmungen des Eherechts yorzfiglich im ehelichen
Gflterrecht, durch unbedingte Gleichheit im Strairecht, welche sich
zunächst dnrch dieselben Rechtstechnicismen bei ähnlicher Oasaistfk,
die gleichen Bussansätze und überhaupt ganz dasselbe Oomposiüons-
system, sowie m^^glichste Beschränkung wirklicher Strafen äassert,
durch die ausserordentliche Stellung des Jndex, die mit dem schwei-
zerischen Brödten identische Sitte des Haberfeldtreibens alsUeber-
rest der alten Yolksgerichte und die gleichmässige Umbildung im
Beweisrechte. •
Bis hieher reicht die innere Verwandtschaft mit den
genannten Völkern, welche auf gemeinschaftlicher Entwicklung be-
ruht und für gleiche Abstammung beweisend erkannt werden kann
(Aeltester Theil der 1. Baiwar.). Dagegen liefern jene Bestimmun-
gen, welche über gemischte Ehen verschiedener Standesglieder,
über die kirchlichen Verhältnisse, die unerlaubten Ehen und die
Rechte des Herzogs in das Baiwaronrocht aufgenommen wurden
und dem alamannischen Königfgesetz gleichlauten, nur den Beweis
einer formellen Verwandtschaft, indem sie theils dem Ein-
flüsse der den beiden Völkern gemeinschaftlich gewordenen fränki-
schen Staatsgewalt, theils wirklicher Nachbildung zugeschrieboi
werden müssen (3. Redaktion).
4) Mit dem Westgothenrechte hängt die 1. Baiw. gleich-
falls nur in formeller Beziehung zusammen, indem die daraus ent-
lehnten Bestimmungen über die Markenverrückung , das Erbrecht,
Vertragsrecht, die Diebstahlsfälle und Prügelstrafen gleichfalls durch
wörtliche Oopie sich als spätere Redaktionseinschübe charakterisiren
(2. Redaktion).
5) Als dem Baiwarenrecht eigenthümlich muss be-
zeichnet werden: die Bestätigung, suiron, die Form processualer An-
sprachen, Widerreden und Zwischenklagen und endlich von wahr-
zeichnenden Handlungen das Ohrenziehen der Zeugen.
Das Ergebniss der Thatsachen beweist somit zur üebersengung,
auf welche Seite die Wagschaale in der Abstammungsfrage der
Baiwaren mit Uebergewicht sich neige; denn wenn sich vreitaus
die zahlreichsten Berührungspunkte mit der Rechtsyer&ssung der
Sueven nachweisen lassen, wenn hier wieder das Baiemrecht dem
Alamannenrechte am nächsten steht, so ist es wohl über jeden
Zweifel, dass beide Völker auch auf denselben Hauptstamm, näm-
lich den suevisohen zurückzuführen seien. Zwar hat neuerdings
Qnitiniaiins Reo1itsy«rfMSiing der Balwiriii. OfiS
Merkel die Behauptung vertreten, dass die üebereinstimmung der
1. Baiw. mit der 1. Alam. und Visigoth. bloss auf Äusserer, durch
das Gutdünken der Gesetzgeber bedingter Nachbildung beruhe.
Wenn aber der fränkische Oberkönig nach dem Prologe die Ver-
anlassung zur Aufzeichnung des baierischen Yolksrechtes gab, so
lag es in der Natur des UnterwerfungSYerhältnisses , dass der
fremde Gesetzgeber, wenn er dem unterjochten Volke das ange-
stammte Recht nicht lassen wollte, jedenfalls nur zu dem Gesetz-
buche des eigenen Volkes gegriffen haben würde, wie dieses in der
1. Thuringorum zu erkennen ist. Wenn aber der frftnkische König
nicht einmal den unterjochten Alamannen ein fremdes Beoht oktro-
jirte, so ist es noch viel unwahrscheinlicher, ja geradezu unmög-
lich, dass er den seine Oberherrschaft anerkennenden Baiwaren
das Becht der besiegten Alamannen aufgezwungen haben würde
und es bleibt nur der Schluss gerechtfertigt, dass die in den 11«
Baiw. und Alam. hervortretende Gleichheit auf innerer Stam-
mesverwandtschaft beruhen müsse.
Dagegen erlaubt die copienartige Einschaltung einiger Capitel
des alten Westgothenrechtes durchaus nicht, ihre Aufnahme in die
L Baiw. durch partielle Abstammung der Baiem von gothischen
Volksresten zu motiviren, weil in diesem Falle die übereinstimmen-
den Sätze über das ganze Gesetzbuch und namentlich über dessen
erwiesenen ältesten Theil verbreitet sein müssten, während sie doch
nur in einigen nachweisbar später zugefügten Titeln in gewisser-
massen unvermittelter Stellung zu deren übrigen Inhalte sich vor-
finden.
Die Baiwaren können somit nach allen noch vorhandenen fakti-
schen Belegen nur als ein Volk suevischen Stammes d. h. als
ein oberdeutsches Volk anerkannt werden. Hierfür liefert noch
insbesondere ihre Sprache unverwerflichen Beweis. Und da der
Verfasser schon bei der Erläuterung der Rechtstechnicismen wieder-
holt auf den etymologischen Zusammenhang mit dem Althoch-
deutschen hinzuweisen Gelegenheit hatte, so fügte er sogleich das
Ergebniss aus der Betrachtung der ältesten baierischen Sprach-
denkmäler in etlichen Beispielen und Sätzen bei, um auch nach
dieser Seite hin das Zeugniss der Thatsachen nach Möglichkeit und
Bedürfniss zu erschöpfen, und allen keltomanischen, gothischen und
andern Muthmassungen und Träumen die Thüre objektiver Ge-
schichtsforschung zu Bchliessen.
Soweit reicht also das Ergebniss der Thatsachen und man
wird in Zukunft die Baiem nicht mehr von Bojem oder Kelten
ableiten dürfen, wenn man nicht windige Hypothesen wohlbegrün-
deten Thatsachen vorzuziehen beliebt, denn selbst die Verwandt-
schaft von Kelten und Germanen zugegeben, stellen sich doch die
Baiwaren in Religion, Recht, Sprache, Sitten und Gebräuchen durch-
aus auf die gleiche Culturstufe mit den Letztern. Man
wird aber ebensowenig daran denken dürfen, die Abstammung der
9ttt Qvttf AABB! BeelittmflüiiiBg der BdwAtiB.
Baiwaren toa einer freiwilligen, etwa rertragsrnftssigen Yeremi-
guiig gothischer Völkerreste herleiten m wollen; denn zngegebeo,
dass die Ton den Ostgothen rersprengten Skirren, Rogier nnd Hera-
1er in einzelnen Marken des Sttddonanlandes Unterkunft gesudit
hikben mOgea, so musste doch ein snevischer Yolksstamm
diese üeberreste unterwerfen und zn einem neuen Yolks-
thuine yerscfamelzen, um in Baiwarien eine Bechtsyerfassung
väAi Durchbruch kommen zu lassen, welche, wie die L Baiwariorom,
eine so innige Verwandtschaft mit dem Sneven- und
insbeeondere mit dem Alamannenrechte nachzuweisen gestattet
Wenn wir nun dieses auf dem Boden der Thatsachen fest-
stehende Resultat anf das Gebiet *der historischen Conjektur yer-
folgen, um zu ermitteln, welchem yon den yerschiedenen Sueyen-
stummen, die im Herminonenlande genannt werden, die Abstam*
mung der Baiwaren zustehe, so treten uns in der Geographie das
horsten Mittelalters d. h. bald nach der VOlkerwandening zwei
Lftndemamen entgegen, welchen um so grössere Bedeutung zue^
kannt werden muss, als sie im Gebiete der herminonischen Sueyen
bezeugt werden. Nach den Angaben des Gothen Markomir nennt
der anonyme Geograph yon Rayenna ein Land B a i a s, yon welchem der
Verfasser in seinerAbstammung 8. 41 u. 66 erwiesen hat, dass es
nicht in Böhmen, sondern yielmehr innerhalb der Karpaten gesaebt
werden mO^se. Denselben Landstrich nennt 200 Jahre später der
griechische tCaiser Constantin Bagibareia ^ ein Beweis, dass
hier die frtthem Bewohner einen Landesnamen zurttckliessen, wel-
cher in der yoUen Form nicht Baia, sondern Baiwaras gelautet
habet! müsse, wie solches auch Zeuss in seiner Herkunft der Baiem
muthmasst, ohne aber dieses Baiwaras mit seinem Baioyare in Ve^
bindung bringen zu können. Die historische Forschung nach der
Herkunft der Baiem ftlhrt uns also in die Waldmarken an den
bergigen Ufern der March und Gran und wenn wir die ältesten
Schriftsteller fragen, welches Volk daselbst sass, so antworten uns
Tacitus Annal. IL 63 und Plinius IV. 12, dass 20 Jahr nach Chr.
zwischen den Flüssen March und Theiss die Gefolgschaften zweier
durch die Intriken des römischen Eabinets yertriebenen Marko-
mannenfürsten, des Marbod und Catwalda, auf Befehl dieses Ea-
binets angesiedelt worden waren. Der Verf. macht also nirgend einen
hypothetischen Syllogism oder theoretischen Sprung, sondern wird
Schritt für Schritt durch logische Schlussfolgerung zu dem Resol-
tate geführt, dass die alten Baiwaren und somit auch die heuti-
gen Baiem yon diesen beiden Gefolgschaften abstammen müssen.
Auf diesem natur- und sachgemässen Wege kam der Verf. sn
seiner Ableitung des Volksnamens der Baiem, welche sich nicht
auf eine lexikalisch emirte, sprachliche Hypothese stützt, sondern
anf den Zusammenhang der ältesten Schreibweise — baiobaros,
baiyarius — mit den ethnographischen Belegen jener Orte, an
welchen der Name zuerst anftauchte. Denn die ältesten Ansiedler
Bauer: LtteixiiBelie Fonnenlelire. 955
des Landstriebes, der später die Namen Baias nnd Bagibaria ftlhrte»
wenn anch in überwiegender Hauptmasse Markomannen, in geringe-
rer Zabl Qnaden (des Vannins) gehörten keinem dieser Völker in
ihrer Oesammtheit an, und konnten somit anch nm so weniger
nach Einem derselben genannt werden, weil eine solche Benennung
ihre Unterscheidung von dem Stammvolk nicht bezeichnet haben
würde. Es ist somit weder unwahrscheinlich, noch den Verhält-
nissen widerstreitend, anzunehmen, dass die neuen Ansiedler von
ihren suevischen Oränznachbam nach ihrer Eigenschaft : die beiden
Bünde »baiuuärasc genannt wurden — mit einem Namen, der
genau ausdrückte, was sie auch in der That waren, nämlich die
beiden vertriebenen Gefolgschaften des Marbod und Catwalda* Nach
diesen historischen Conjekturcn erklärt sich also auch der Name
des vorher nicht genannten und bekannten Volkes in ganz conse-
qnenter Weise und hängt auf das Innigste mit seiner Entstehungs-
weise zusammen. Verfasser hat in seinem Vorwort zur heidnischen
Religion der Baiwaren seine Ableitung des baierischen Volksnamens
nach den Regeln der historischen Grammatik und durch die Be-
lege der ahd. Sprachdenkmale begründet und wenn sich hieraus,
wie er daselbst gezeigt hat, alle Formen, unter welchen derBaiern-
namen vorkommt, auf eine natürliche und einfache Weise entwickeln
lassen, wenn sich aus dieser Ableitung selbst jene Abweichungen
erklären, welche nach den frühern etymologischen Hypothesen nur
als corrupte Ausnahmsformen aufgeführt werden konnten, so ist
diess selbst wieder kein gering anzuschlagender Beleg für den inni-
gen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Volkes und seinem
Namen und für die vom Verfasser gefolgerte Abstammungstheorie«
Denn da die Baiem nur von den herminonischen Sueven abstam-
men können, wie sich aus der Durchforschung mythologischer Ueber-
reste, ihrer Sprache und Rechtsbräuche erweist, so muss ihr Name
anch auf dem Boden der ahd. Etymologie seine Begründung, Be-
deutung und Entwicklung nachweisen lassen, wenn er, wie solches
doch anzunehmen ist, aus dem Volke selber hervorgewachseh sein soll:
Fr. Bauer, Die Elemente der lateinischen Formenlehre^ in gründ"
licher Einfachheit^ gestutzt avf die Restdiale der vergleichenden
Grammatik, Ein Lehrmittel für Lateinschulen sur Ergänzung
eines jeden Uebungsbuches für Anfänger und sur stetigen Repe-
tition bis in die höheren Klassen, Zwei Theile. Nördlingen
1865.
Ein in seiner Art vortreffliches Buch. Es zerfallt in zwei
Theile, wovon der zweite die Partikeln der lateinischen Sprache
enthält. Berichterstatter vermisste seither ein Buch dieser Art^
welches, unter Ausschluss des Baisonnements, eine nackte Gruppi-
056 Bauer: Latelnisolie Formeolehret
mng des Lehrstoffs enthalte. Doch glaubte er, ftlr die Bestimmnng
als Ergänzung eines jeden üebnngsbuches für AnfÜnger zu dienen,
hätte es kürzer gefasst werden können, wenigstens in dem Ab-
schnitte über die Conjngationstabellen. In denselben Tabellen findet
er ferner immer noch nicht die rechte üebersetzung des Conjnnctivs,
die der üeberzahl der Fälle der Anwendung im abhängigen Satze
gerechter werden müsste.
Etwas weiter rückwärts, S. 40 fi., leidet die Aufzählung mit
1, 2, 3, 4, 5 u. s. w. immer noch an der hergebrachten Unbe-
quemlichkeit. Man sollte das Yerständniss auch bei diesen Zahlen
erzielen und z. 6. unter den Ordinalia übersetzen: der erste pri-
mus, der zweite secundus n, s. w, statt: 1) primus der erste, 2)
secundus der zweite u. s. w.; unter dem Distributiva ; je einer
singuli, je zwei, bini u. s. w. unter den Numeralia: Imal semel,
2mal bis u. s. w.
In dem Abschnitte von Pronomen ist richtig das Possessiynm ein
Adjektivum genannt, S. 46, was auch hätte beim Demonstrativurn
geschehen sollen, S. 47. Nur Personalpronomen und Fragpronomen
haben, weil sie das Substantiv oder einen Substantivbegriff ver-
treten, Anspruch darauf, Pronomina zu heissen. Diese Auffassung
liegt zum Lobe des Verfassers den §§. 57 und 60 zum Grunde.
In den Declinationen hat der Verfasser dem Princip desFin-
dens oder vielmehr Wiederfindens, indem ja sein Buch zum Nach-
schlagen dient, begründete Rechnung getragen.
Das Buch will vom Standpunkte des Nachschlagens benrtheilt
werden, und verdient, wo es sich um ein Nachschlagebuoh handelt,
im Privatbesitz von Schülern höherer Klassen sich zu befinden.
Die allgemeinen Geschlechtsregeln, S. 7, wird der Verf. bei
der nächsten Auflage zweckmässig unter die Gesichtspunkte ver-
theilen: 1) entweder Masculina oder Feminina — denn dieses
sind, im Anschluss an die Vorstellung von dem natürlichen Ge-
schlechte, die einzigen oder normalen Wortgesohlechter — 2) so-
wohl Masculina wie Feminina (d. h. Communia oder Epic5na),
und 3) weder Masculina noch Feminina (d. h. Neutra).
Des Lobes ist im Uebrigen viel von diesem Buche zu sagen.
Nur die Einschränkung muss ich hinzufügen, für die grammatischen
Lehrstunden wird man sich an eine vollständige Grammatik halten.
Das Bäuerische Elementarbuch ist ein Auszug für Kepetitionsstunden.
Heidelberg. Dr. II. Doergeiis.
Virgü von Ladevlg u. s.w. 957
YirgiVa Qedichte, erklärt von Th. Ladevig, Drittes Bändchen.
Aeneide Buch VJI — XII. Mit einer Karte von H. Kiepert,
Vierte vielfach berichtigte und vermehrte Ausgabe. Berlin.
Weidmännische Buchhandlung. 1865. 279 8. 8.
Titi Li vi ab urbe eondiia libri. Erklärt von W. Weissen^
born. Zweiter Bandi Buch 111— V. 376 8. Vierter
Band: BucK XXl—XXUl. 372 8. 8. Dritte, verbesserte Auf-
lage. Berlin u. s. to. 1865.
C. Julii Caesaris Commentarii de beüo OaUico. Erklärt von
Friedrich Kraner. Mü dner Karte von Gallien von U.
Kiepert. Fünfte Auflage. Berlin u. s. tr. 1865. 8. 424 8.
Ausgewählte Briefe von M* Tullius Cicero. Herausgegeben von
Friedrich Hofmann. Erstes Bändchen. Zweite Auf-
lage. Berlin u. s. w. 1865. IV und 266 8. 8.
Homers lliade erklärt von J. U. Faesi. Zweiter Band. Vierte
Auflage. Berlin u. s. w. 1865. 439 8. 8.
Ausgewählte Biographien des Flutarch. Erklärt von C.8intenis.
Drittes Bändchen: Themistokles und Ferikles. Dritte Auf^
läge. Berlin u. s. w. 138 8. 8.
Die vorstehende Liste von neuen Ausgaben der fUr den Be-
darf der Schule zunächst bestimmten Sammlung Griechischer und
Lateinischer Schriftsteller mit deutschen Anmerkungen von Haupt
und Sauppe kann hinreichend ein Zeugniss ablegen von der gün-
stigen Aufnahme, und dem Beifall, welchen diese Bearbeitungen
gefunden haben. Sie sind allerwärts bekannt und verbreitet, auch
diese Blätter haben mehrfach in eingehender Weise darüber sich
verbreitet, so dass es nicht weiter nöthig ist, über Anlage und
Behandlung sich des Näheren auszulassen: die erneuerten Auflagen
haben sich nicht von dem Plan in der Anlage des Ganzen entfernt,
wohl aber waren die Herausgeber bemüht, ihr Werk einer sorg-
f)<igen Durchsicht zu unterziehen, und in Folge dessen in der An-
merkungen Einzelnes zu berichtigen oder zu ergänzen. Es mag,
um ein Beispiel anzuführen, diese insbesondere von dem dritten
Bändchen der Gedichte Yirgil's gelten, welches in beider Hin-
sicht genug Belege bietet, und in dem kritischen Anhang auch
Manches Andere bringt, was für Kritik wie Erklärung beachtens-
werth erscheint; das Register über die sprachlichen Anmerkungen,
welches über die Eklogen, die Georgika xmd Aeneis sich erstreckt,
ist eine sehr nützliche Zugabe; das weiter beigefügte, sehr nette
Kärtchen, stellt den mittleren Theil Italiens dar, während der
freie Baum an beiden Ecken benutzt ist für eine Darstellung des
ältesten Bom's und der alten Landschaft Latium : das Ganze eben-
falls eine für die zweite Hälfte des Aneis gewiss brauchbare Zugabe.
Auch die beiden Bände des Li v ins enthalten manche Ver-
besserungen so wie einzelne Zusätze, und bringen am Schlüsse ein
Yerzeichniss deijenigen Stellen, an welchen Gonjeoturen aufgenom-.
OIHS Rvge: Der Cbald&er SeleiikpB.
men worden sind. Insbesondere dür&n wir hier wohl auf den
Band aufmerksam machen, welcher das ein und zwanzigste Buch
oder den Zug Hannibals über die Alpen enthält, wo derVerfiewaer
bemüht ist, die Abweichungen des Livius von Poljbius genau sd
verfolgen, ohne indess über die wirkliche Sichtung des Zuges eine
bestimmte Ansicht auszusprechen, die indess nach den erneuerten
Forschungen, namentlich auch den in diesen Blättern seiner Zeit
erwähnten Untersuchungen Bauchenstein's, kaum mehr zweifelhaft
sein dürfte« Dass die sprachliche wie die sachliche Erklärung
überall auf das sorgfältigste behandelt ist, wird kaum einer be-
sonderen Erwähnung bedürfen.
Was die weiten oben angezeigten neuen Auflagen von Cäsar b
Bellum Gallioum, von der Auswahl der Briefe Cicero 's wie von
dem zweiten Bändchen der Homerischen Ilias, und dem
dritten der Biographien des Plutarch betrifft, so kann hier füg-
lich auf die früheren Berichte darüber verwiesen und damit auä
eine erneuerte Empfehlung derselben ausgesprochen werden. In der
äusseren Ausstattung wie in der ganzen Einrichtung zeigt sieh
keine Verschiedenheit von den früheren Abdrücken, wohl aber eio
rühmliches Streben nach möglichster Correctheit des Druckes.
Der ChaJdäer Sekukoa. Eine krüUehe ünUrsufihung am der 6Fe-
achichte der Oeographie von Dr. Sophus Rüge, Lehrer an
der öffentlichen HandelslehranstaU su Dreeden. Dresden, G.
8chönfeia$ Buchhandlung (C. A. Werner). 1866. 23 8. gr. 8.
Der Gegenstand dieser Monographie ist ein wenig bekannter,
nur an sechs Stellen alter Schriftsteller genannter, gelehrter For-
scher des Alterthums, der aber doch wohl verdiente der Vergessen«
heit entrissen und so gewissermassen in sein Beoht wiedier einge-
setzt zu werden, da ihm eine wichtige Lehre zugeschrieben wird,
die gewöhnlich als eine Erfindung des sechzehnten christlichen Jahi^
hunderts betrachtet wird, die Lehre von der rotirenden Bewogong
der Erde, die man jetzt dem Copemicus beizulegen gewohnt ist;
so mag auch diese Schrift einen neuen Beleg für die Behauptung
bringen, wie so manche Erfindung auf dem Gebiet des Geistes, so
manche Lehre, auf welche die neuere Zeit stolz ist, bereits dem
Alterthum bekannt war: so wenig näher auch uns jetzt der Name
belf annt ist, der schon im Alterthum jene Lehre geltend zu machen
gesucht hat. Es ist der neben Arlstarchus genannte Seleucus,
bald der Babjlonier, bald der Erythräer u. s. w. genannt, als
dessen Heimath jedoch hier mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit das
am Tigris gelegene Seleucia, das mit dem Sinken Babjlons ab
eiuß grosse Weltstadt, bald aber auch als eine Stätte wissenschaft-
licher Forschung, griechischer wie chaldäischer, sich erhob, nachge*
SoMra«f Lebybneh der lAnwtlogle. 9M
wiesen wird; Seleucus — unter welndiem Namen mehrere Gelehrte
im Alterthnm yorkommen — »war hiernach ein Chaldäer aus der
Stadt Seleokeia am Tigris, aas der Landschaft Babylonien am
erythräischen Meere« (S. 9), dessen Lebenszeit in die Mitte des
zweiten Jahrhunderts vor Ohr. fallt (S. 10)* Nicht einen Griechen,
der bei den Chaldäern in die Schale ging, mächte der Verf. in
ihm erkennen, sondern einen Chaldäer, dem griechische Bildung zu
Theil geworden w^r (S. 12). Der Verfasser legt uns dann weiter
Yor, was Yon den kosmischen und astronomischen Ansichten, von den
physischen Lehren des Seleucus (insbesondere Über Ebbe und Fluth)
zu unserer Eenntniss gelangt ist und zeigt damit, bei aller Spär*-
licbkeit der über diesen alten Forscher vorhandenen Nachrichten,
die Bedeutung und die Wichtigkeit eines Mannes, dessen Lehre,
im Alterthnm bald vergessen, erst durch den grossen Astronomen des
sechzehnten Jahrhunderts wieder erweckt worden ist* Man wird die
gründliche, mit aller Klarheit hier geführte Untersuchung nicht
ohne mehrfache Belehrung aus der Hand legen, und dem Ver&sser
dafür dankbar sein.
Lehrbuch der ph'^kaKsehen Mineralogie von Dr. Albr. 8 ehr auf,
Docenien der Mineralogie an der Wientr ümveridiät OustOB-
Adjunkt an k. h. Ho fmineraHen- Gabinet, /. Band. Lehrbuch
d^ Kryeiällographie und Mineral-Morphologie, Mit 100 dem-
Text eingedrukten Bolzeehnitien. Wien 186ß. Wilhelfn Brau-
mmier. 8. 8. 253.
Der VerfBkSser ist der wissenschaftlichen Welt bereits vortheil-
haft bekannt durch viele kleinere krystallographische Abhandlungen
als auch ganz besonders durch seinen »Atlas der Erystall-Formen.«
In vorliegendem Werke bezweckt Sehr auf besonders das Studium
der Mineral-Physik zu fördern und zu erweitem, welches — ver-
glichen mit Erystallographie und Mineral-Chemie — weniger eifrig
betrieben worden war.
Die physikalischen Eigenschaften hängen, wie bekannt, mit
jenen der Gestalt so innig zusammen, dass man auch die Erystal-
lographie als einen Theil der Physik und somit Physik und Chemie
als zwei Hülfs- Wissenschaften der Mineralogie zu bezeichnen pflegt.
Und in der That ist der Einfluss dieser beiden Hülfs- Wissenschaf-
ten so bedeutend, dass sie den Impuls zu besonderen Sichtungen
der mineralogischen Discipiin gegeben haben.
Als Gründer der physikalischen Mineralogie ist Bom^ de
Li sie zu betrachten, obwohl dieselbe erst durch Ha uy und Weiss
ihren eigentlichen Aufschwung gewann.
Es sind namentlich zwei grosse theoretische Abtheilungen,
welche die physikalische Mineralogie umfasst; die Mineral-Morpho-
MO 8e>faQf: Lehrlroch der Mintralogie,
logie und die specielle Mineral^Physik. Die Minend-MoTphologie
lehrt — gestutzt auf die Oeometrie — die rftnmlicheiL Verh<iiiaae
der Oestalt und ihre Abhängigkeit Yon den Eigenschaften der
Materie und sucht diese gewonnene Erkenntniss zur Charakteriai-
mng der Species zu verwenden. Die specielle Mineral-Physik hin-,
gegen erforscht die Verhältnisse von Optik, Elasticität n. s. w.»
insofern sie durch krystallinische Structur bedingt sind und lehrt
ihre Anwendung auf dem Felde der Mineralogie.
Der vorliegende erste Band von Sehr aufs Lehrbuch der
physikalischen Mineralogie zerfWt in drei Abtheilungen. Die erste
enthält die allgemeine Morphologie; sie schildert die Entwicklung
der krystallographischen Anschauungsweise, die verschiedenen Theo-
rien über Erystallogenesis und behandelt ausfOhrlich die Lehren
der AUotropie und Isomerie, des Homöomorphismus , der Pseudo-
morphosen. Die zweite Abtheilung, die grössere Hälfte des ganzen
Bandes bildend, umfasst die theoretische Morphologie, also den
mathematischen Theil, in welchem die verschiedenen Erystali-
systeme abgehandelt werden. Unter diesen begegnen wir einem
neuen, dem von dem Verfasser aufgestellten orthohexagonalen System
von welchem bereits in diesen Blättern bei Besprechung des »Atlas
der Erystall-Formen« die Bede war. In der zweiten Abtheilung
verdient besonders das Capitel über die Zwillings-Erystalle Be-
achtung. In der dritten Abtheilung gibt der Verfasser die Anlei-
tung zum Messen der Erystall-Winkel und zum Berechnen der
Erystalle und führt am Schluss in tabellarischer Uebersicht die
Bezeichnungs-Methoden der krystallographischen Schulen auf.
Die Ausstattung des Werkes durch die Üniversitäts-Buchhand-
lung von W. Braumüller ist eine vorzügliche.
G. Leonhard.
Chronik der ümyersität Heidelberg für das Jahr 1865.
Am 22. November wurde in herkömmlioher Weise das Fest
der Gebart des erlauchten Restaurators der üniyersitäty des hOchst*
seligen Gbrossherzogs Karl Friedrich, yon der üniyersität be-
gangen. Die Festrede*) des zeitigen Prorector*s, Hofrath Kirch*
hoff verbreitete sich: ȟeber das Ziel der Naturwissen-
schaften.«
Der Bedner ging davon aus, dass alle Vorgänge in derNatur,
wie unendlich mannigfaltig sie sich auch zeigen, in Bewegungen
unveränderlicher Materie bestehen; er setzte auseinander, wie die
Mechanik die Bewegung eines jeden Systemes von materiellen Thei-
len zu berechnen erlaubt, wenn die Kräfte, die auf diese wirken,
und der Zustand des Systemes — d. h. Art und Geschwindigkeit
eines jeden Theiles — für einen Augenblick bekannt sind, und
stellte als das höchste Ziel, welches die Naturwissenschaften zu er-
streben haben, die Ermittlung der Kräfte hin, die in der Natur
vorhanden sind, und des Zustandes, in dem die Materie in einem
Augenblicke sich befindet, mit andern Worten, die ZurückfÜhrung
aller Naturerscheinungen auf die Mechanik. Es folgte darauf die
Aufzählung der Kräfte, die man in der Natur erkannt hat, oder
erkannt zu haben glaubt: der Gravitation, der Molekularkräftei
der Kräfte, welche von den Theilen des Lichtäthers und von denen
der elektrischen Flüssigkeiten ausgehn. Musste unsere Kenntniss
von diesen Kräften als eine lückenhafte und zum grossen Theile
unsichere bezeichnet werden, so war das nicht minder der
FaU für unsere Kenntniss des Zustandes der Materie. Der Bedner
wies darauf hin, wie wenig wir von der Beschaffenheit der Ge-
stirne und des Erdinnem sowie von der Anordnung der Materie
in allen den Körpern, die wir greifen können, wissen. Kennten
wir die Anordnung der Materie, so bliebe noch die Frage nach
ihrer Bewegung übrig, eine Frage, die um so wichtiger ist, als
*) Dieselbe ist bereits Im Druck erschienen: Vortrag nun Geburtsfeste
des höchstseligen Grosahersogs Karl Friedrich von Baden und jBur akademi-
schen PretsvertbeUnng am 23. Novb. 1866 von Dr. G. Kirehhoff, Grosäh.
Bad. Hofrath und ordentl. Professor der Physik, dermaUgem Proreetor.
Heidelberg 1865. Buohdruokerei von Georg Mohr. S% 8« in gr, 4.
liVm. Jahrg. 13. Heft 61
969 Cbronlk der Uniiraniai.
Bewegting überall und immer yorhanden ist, auch da, wo tmser
Auge sie nicht wahrnimmt, indem die Erscheinungen derWftrme
auf einer Bewegung beruhen. Der Bedner nahm Gelegenheit, diese
Behauptung, die in den letzten Decennien erst als wahr erkannt
ist, näher zu begründen und die Grundlage der sogenannten mecha-
nischen Wärmetheorie zu entwickeln. Durch diese Theorie ist jene
Behauptung sicher bewiesen, aber über die Art der Wärmebe-
wegung bis jetzt wenig ermittelt. Es musste der Schluss hieraus
getogeii warc(eni dass die Naturwisaeuschaften noch weit von ihnm
Ziele entfernt sind, vollständig erreicht, so schloss der Bedner, wird
dieses Ziel niemals werden; aber schon die Thatsache, dass es als
iolohos ^rkao^t igt, bietet eine gewisse Befriedigung und in der
Annäherung an dasselbe liegt der höchste Geaast, den die Besch&f-
tigui^g mit cle^ Erscheinungen der Natur zu gewähren vermag.
An der üniversitl^t selbst fanden im Laufe des Jahres folgende
V^ränderuiigen statt:
Von den L^ern der Hochschule ist Prof, extraord. Dr. Wilh.
poesQlt auf sein Ansuchen aue dem Universitätsverbande ent*
If^ssen^ Dr, Oscar B Ulo w, bisher Privatdocent der Juriatenfakidttti
'ajis Fro& extraord. nachGiessen berufen und Dr. Ludwig Carins,
bisher ausserordentlicher Professor, als ordentlicheir Professor der
{/Jt^emie nach Marburg gegangen.
Dagegen wurde Prof. Dr. Otto Weber als ordentlicher Pro-
fessor der Chirurgie und Vorstand der chirurgischen Klinik ^
rufen ^nd Geheim^ath Dr. Knies zum grdentlichen Professor dar
^taatswissenschaften ernannt. Als Frivatdocenten haben sich habi-
Uürt: in der geologischen Fakultät Dr. Fried. Nippold, in d«
juristischen Dr. Rieh. Sontag undHern>. Strauch, in dermedi«
Oinisehen Dr. Jul. Bernstein, Dr. Carl Heine und Dr. Witt.
Srb) in der philosophischen Dr. Paul du Bois-Beymond fti
rei^e und angewandte Mathematik, Dr. Heinrich Steiner flr
orientalisohe Sprachen, Dr. Wilh. Ben ecke für Geologie wd Fs-
läoftto^ogie»
Der bisherige ausserordentliche Prof. Dr • H o 1 1 z m a n n ist zvm
grdentlichen Professor in der theologischen Fakultät, und der bid-
l^erige Privatdocent Dr. Knapp zum ausserprdentliohen ProfioiBor
i^ der mediciniscben Fakultät ernannt.
D^m Hofi«^th Häusser und Hofrath HelmhoUz ward der
Charakter als Geheimrath m. Classe, dem zeitigen Prorector Prof.
Kirchhoff der Charakter als Hofrath verliehen; Hofrath Zöpfl
hat von S. H. dem Fürsten von Monaco das Ritterkreuz des
VerdieknstQrdeD^s^ vom beil. Carl erhalten, Kirchenrath Schenkel Ton
S. H« dem Herzog vom Sachsen-Ooburg-Gotha das Ritterkreuz E
Classe des Sftchs.-Emestinischen Hausordens, Geheimrath Bunsen
Chronik der UaiTttBlUt 968
das Gommandeurkrenz des Königl. Schwedisehen Nordstefmotdens
und denKaieerl. Russischen 8t. Anna*Orden II. ClaGne, Prof. Kopp
das Bitterkreuz des KönigL Schwedischen Nordeternordens , Geh*
Hofrath Lange das Commandeurkrenz 11. Glasse Tom Zähriiig«y
Löwenorden, Geheimrath Blnntschli daik Bitterkreaz vom 2äfarin-
ger L^wenorden und den Xaiserl. BusBischeü St. Anlia-^Orden 11*
Classe, Geheimrath Mi tt er mai er und Geheimrath y. Vangerow
den Eaisdrl. Bussischen St. Stanislaus-Orden II. Claste mit Sterne
Geheimrath Helmholtz den Eaiserl. Russischen St. StanislauS"'
Orden II. Olasse, Professor Erlenmejer den Kaiserl. BuBsisohen
St. Anna-Orden III. Glasse, Hofrath Eirchhoff das Bitterkreua
des Eönigl. Schwedischen Nordstemordens und deh Eaiserl. Bussi-
schen St. Stanislaus-Orden 11. Classe.
Es fanden im Laufe des Jahres die folgenden Promotionen statt t
In der juristischen Fakultät erhielten did Doctorwürd«:
Am 24. Febr.: Salomon Gabrjlosvicz ; am 3. März: Alfred Bösen
ans Dannstadt; am 6. März: Carl Schenck zu Schweinsberg von.
Schweinsberg in Eurhessen; am 7. März: Johann Angerte aits
Wattens inTjrol; am S.März; Alphons Mittelstrass aus Hamburg;
am 15. März: Franz Joze£fbyicz aus Warschau; am 18. März: John
Fallis aus den Vereinigten Staaten in Nordamerika; am 31. Mai:
Feter Logothetis aus Griechenland: am 4. Juli: Erwin Stammann
aus Hamburg; am 12. Juli: C. F. Bodatz aus Bremen; am 16.
Juli: Paul Breyer ans Camp in Bheinpreussen ; am 19. Jidi: Aloys
Gjr aus Schwytz in der Schweiz; am 28. Juli: Nicolaus Eldüte«-
resco aus der Wallacbei; am 26. Juli: Adolph Yarrentrapp aus
Frankfurt a. M. ; am 28. Juli: Georg Niemeyer aus Petersburg;
am 29. Juli: Alphons Bandelier aus St. Imer in der Schweiz; am
2. August: Stephan Makowski aus Polen; am 4. August: Addi^
Samueli aus Pesth in Ungarn ; am 5. August: B. yon Oampenhausen
aus Livland ; am 8. August : Emil Berend aus Berlin ; am 9. Aug. :
Carl yon Glotz aus Warschau; am 12. August: F. G. Farquhar
aus Amerika; am 26. Septbr.r Bobert Eupfer aus Coburg; am 29«
Septbr. : Gustav Fick aus Genf; am 18. Octob. : Joh. Zographos
aus Griechenland; am 16. Dec: Hermann Basche aus Bergen: am
20. Dec. : Constantin Georg Makkas aus Athen ; am 22. Dec. : Wilh.
Graf zu Castell-Bttdenhausen in Franken.
Weiter wurde diese Würde »honoris oausac am 1. Aug. tot-
liehen dem Hm. Carl Brater, und zwar, wie das Diplom be-
sagt: »propter insignia merita de jure publice excolendo atqne in«-
primis de jure reipublicae administrandae ptomovendo« ; femer am
26. Novbr. dem Hrn. Franz Ludwig Witt zu Lübeck, welcher
Yor fünfzig Jahren die Doctorwürde bei der Fakultät erlangt hatte,
»qui quinquaginta per annos causamm patroni munere in urbe
patria fimctus, summam et magistratuum et civium sibi oomparayit
laudem et comprobationem«, das Diplom erneuert.
9A Chronik der UntrerslUli
Dilieübüt^ diitcli eind Anzahl europäischer Fledi^rknUnstoi tob den
Hblren S c h m i d t üüd Stad. B e s 8 e 1 s duroh Beitr&ge aut Insekiea-
sammlmig, vom Direotor des Instituts, Professor Alex. Pagen-
stecher, duroh einen Delphin und andere auf Majorka gesammelte
Thiiire, sowie durch eine Anzahl grosserer Säugethiere, Löwen,
Tilget, Leo|)ard und andere in liberalster Weise bereichert. Die
archäologische Sammltlttg hat im Laufe dieses Jahres zweifachen,
säht ärfreulicheti Zuwachs erhalten. Erstens wurde derselben die
bis dahin der Museumsgesellsohafb gehörige Webe r 'sehe Sammlung
TOn kleineh Anticaglien und Münzen yon Seite dieser als Geschenk
zttgeWieseü, und es sind die Gegenstände dieser Sammlung stiftungs-
gemäss aufgestellt worden. Zweitens floss in Folge eines Beschlus-
ses des Vereine Heidelberger Universitätslehrer zur Abhaltung
öftentlichet Vorträge der diesjährige Reinertrag dieser Vorlesungen
im Betrage von 351 fl. und 57 kr. in die Kasse der archäologi-
schen Sammlung und es sind bereits mehrere Statuen, Kö^Ib und
Belietb Von dieser Schenkung in den Räumen der Sammlung auf-
gestellt Worden. Der Uniyersitätsbibliothek sind in dem äbgelaü-
f6tien Jahte nicht Wenige Geschenke zugekommenen Ton einzelnen
Mitgliedern der Universität, von auswärtigen gelehrten Freunden
uhd Gönnern uhd verschiedenen Akademien und gelehrten Gesell-
söhafteu; von diesen führen wir insbesondere die Akademien von
Wien, Petersbul-g, München uhd Brüssel an, sowie die Smithsoniah
Institution zu Washington; selbst von der öffentlicheti Bibliothek
zu Melbourne in Australien ist lins eine werthvoUe Sendung von
Büchern zugegangen. Aehnliche Gaben haben wir von dem stastiti-
Böhen Oongress, von den Grossh. Ministerien des Innern, des Han-
dels und der Finanzen und von dem Königl. Italienischen Ministe-
rium des Ackerbaues und des Handels erhalten. Auch Si M. der
Kaiser der Franzosen hat in diesem Jahre wie früher die Bibliothek
nlit werthvoUen Geschenken bedacht.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, im Namen der Universität
für alle diese Gabeh den verbindlichsteh Dank öfibütlich auszu-
s{n*echen.
Von den im vorigen Jahre gestellten Preisfragen hatte die
Aufgabe der theologischen Fakultät, welche lautete:
»Disseratur de ratione studii theologici in melius corrigendi
a theologis seculi quindecimi Parisiensibus : Petro de Alliaoo,
Joatafle Gefsonio et Nicoiao de Clemangis propositac
eine mit dem Motto »nünquam retrorsüm« bezeichnete Bearbeitung
gefunden, übet welche das Urtheil der Fakultät also lautet:
»Auetor ^onimentationis propositiones de emendenda ötadii
th^oiögici ratione e scHptis trium virorum diligenter quidem
<^oll^git, sed paruin diligenter in testimoniis hisee ex histcria
aefi illiuB illustrandis versatus est. Nam untce id egit, ut
Chronik dn UnlverdUt. MT
eormpttun illo tempore ecclesiae Btatum enarraret, non
autem coram gessiti ut qnae ad Btatnm literarum theo-
logicarum pertinent, luculenter apparerent. Theologiae
enim et philosophiae scholasticae imaginem nusqnam depinxit,
ita Qt oormptelae studii theologici seculis scholasticismi
exemitiB accnratins cognoscerentnr. Tarn qnae seculis illis
animoB movebant decertationes inter Bealismi et Nomina-
lisini Beetatores perbreviter quidem anctor attigit, Bed de
incrementis Nomitialisini eo tempore, nee non de cansis et
de vi et effectn ejus in theologiam non disseruit. Theologiae
deniqne mjeticae mentionem fecit paene nuUam^ qnamyis
Buccinctam saltem ejus descriptionem Joannis Gersonii scripta
poscerent. Ita factum est, ut auctor, qui nniversam aevi
illias indolem non accnratins perspexit, aevius et leyins, quam
. yerius de studii theologici emendandi, qnae illis viris placuit,
ratione sententiam dixerit. Deniqne sermo latinns, quo usus
est, tantum abest ut laudari possit, ut valde reprehendi de-
beat, propterea quod Stylus ubique magis quam ferri potest
T^rnäculae natnram redolet et grayissimis contra gramma-
iioam scatet peocatis. Quae cum ita sint, Ordo theologomm
commentationem praemio ornandam esse non censnit.c
Das von der j nr i st iechen Fakultät gestellte Thema lautete :
»Darstellung der gemeinrechtlichen Grundsätze über die Eir-
ehenbaulast.«
£s waren drei Arbeiten über dasselbe eingegangen; die eine
mit den aus detn zweiten Buche Mosis genommenen Warten als
Mottet
»Und sie sollen mir ein Heiligthum machen, dass ich unter
ihnen wohne»,
die zweite mit dem Motto:
»Juristen sind gute Christen«,
die dritte mit dem Motto:
»Si fractuB illabatur orbis, impayidum ferient ruinae.«
Das Urtheil der juristischen Fakultät darüber lautet:
»Die erste dieser Schriften giebt die Quellen und die Litera-
tur des katholischen Kirchenrechts umfassend an, erörtert die
Geschichte früherer Zeiten, unterscheidet mit Recht die Ka-
thedral-, Collegial- und Conventualkirchen von den Pfarr-
kirchen, so dass das Concil you Trient nur über die Baulast
bei den Pfarrkirchen zu entscheiden hatte. Der Verfasser er-
örtert die Stellen des Concils genau : allein es fehlt der Schritt
an der Methode und der übersichtlichen Darstellung der ein-
zelnen Abtheilungen, das System liegt nicht klar vor Augen.
Dagegen zeichnet sich die zweite Schrift ror der ersten gün-
stig aus durch eine schärfere juriBtische Methode in Fest-
stellung der Bechtsgedanken und Ziehung der Folgen und
OdS Chronik der üiÜTersit&t
durch eine klare Darstellung. Diese Schrift hält sich an die
neuere praktische Darstellung katholischer und protestan-
tischer Schriftsteller.
Die dritte Schrift zeigt Fleiss und Umsicht, ist schnell ge*
arbeitet, weshalb der Verfasser sich selbst entschuldigt, zeigt
Ton Talent, erreicht aber den Werth der beiden andern Schrif-
ten nicht.
Die Fakultät kann allen drei Schriften die Bedeutung keines-
wegs geben, dass sie zum Drucke reif sind und ohne gänz-
liche Umarbeitung gedruckt werden können. Gleichwohl findet
sie die beiden ersten Schriften für preiswttrdig. Die dritte
Schrift ist der Belobung werth.
Das Grossh. Ministerium des Innern hat es genehmigt, dass
die juristische Fakultät heute zwei Preismünzen ertheile.
Nach Eröffnung des mit dem Motto: »und sie sollen mir ein
Heiligthum machen, dass ich unter ihnen wohne« überschriebenen
Briefes, zeigt sich als Verfasser der ersten Schrift: Karl Kah,
stud. jur.
Als Verfasser der zweiten Abhandlung mit dem Motto: »Ju-
risten sind gute Christen« zeigt sich: Max Eügler, stud. jur.
Die medicinische Preisaufgabe lautete:
»Disseratur de causis et genesi coarotationis pelvis, quam
Yocant obliquam seu unilateralem.«
Das ürtheil der Fakultät über die eingelaufene Arbeit lautet:
»Der Verfasser beginnt seine Abhandlung in ganz zweckmäs-
siger Weise mit einem Abrisse der Geschichte der zu bespre-
chenden besondem Art der fehlerhaften Becken, unter vor-
züglicher Berücksichtigung der verschiedenen, seit ihrem ersten
Bekanntwerden über die Ursachen und die Entstehungsweise
derselben von den Fachkundigen ausgesprochenen Ansichten,
stellt dann die allen Becken dieser Art gemeinsame anato-
mische Gnmdursache ihrer Beschaffenheit fest, und erforscht
hierauf die entfernteren Ursachen, d. h. die umstände und
Einflüsse, welche jene gemeinsame Grundursache zu bedingen
geeignet sind, und gelangt so zu dem Nachweise des Vorkom-
mens von vier, eben nach den ermittelten entfernteren Ur-
sachen von einander verschiedenen Unterarten oder, wie er
sie nennt, Kategorien der einseitig verengten Becken. Er hat
die zu lösende Aufgabe richtig aufgefasst und liefert in der
Bearbeitung derselben unverkennbare Beweise sowohl von sehr
guter Befähigung als von grossem Fleisse. Er bekundet femer
nicht nur eine umfassende Bekanntschaft mit der einschlfi-
gigen Literatur, sowie lobenswerthe Kenntnisse in der Ent-
wicklungsgeschichte und vergleichenden Anatomie, sondern
auch eine besonders hervorzuhebende Selbständigkeit seines
Urtheils, die er, ohne jedoch dabei gegen die Anforderungen
Gbronik der Universität 96d
der Besoheidenheit za yerstosBen, yorzngsweifie bei seiner, der
Natur der Sache nach nicht zu umgehenden Kritik der An-
sichten Anderer geltend macht, durch die er zu dem als ganz
richtig anzuerkennenden Ergebnisse geführt wird, dass manche
derselben unhaltbar sind. Endlich ist seine Arbeit auch in
sprachlicher und stylistischer Beziehung als eine befriedigende
zu begrassen. Das Urtheil der Fakultät geht also dahin,
dass ihm der Preis zuzuerkennen ist.
Als Verfieisser ergibt sich nach Oeffnung des Siegels: Albert
Otto, stud. med von Heidelberg.
Von den beiden Preisfragen, welche die philosophische
Fakultät gestellt hatte, ist nur die eine bearbeitet worden. Sie
lautete :
»In einem yertikalen, cylindrischen Gefässe mit horizontalem
Boden befindet sich eine Wassermasse. Es sollen die stehen-
den Wellen, die in dieser sich bilden können, untersucht
werden. €
Eine Arbeit mit dem Motto: „Trado, quae potui etc." ist ein-
gereicht worden ; über diese urtheilt die Fakultät folgendermassen :
„Die Arbeit zeigt Yon dem Fleisse des Verfassers, von seiner
Belesenheit in mathematischen und physikalischen Werken
und seiner Geschicklichkeit, verwickelte analytische Rechnun-
gen durchzuführen. Die Lösung der gestellten Aufgabe ist
aber nur eine unvollkommene. Es wäre zu wünschen ge-
wesen, dass die Aufgabe auf theoretischem und experimen-
talem Wege behandelt und eine Vergleichung zwischen den
Resultaten der Theorie und der Beobachtung angestellt wäre.
Der Verfasser hat sich auf theoretische Untersuchungen be-
schränkt und bei diesen auch nur die Wellen näher in Be-
tracht gezogen, bei denen in gleicher Entfernung von der
Axe gleiche Bewegungen stattfinden ; er behauptet sogar, dass
solche stehende Wellen die einzig möglichen sind, was
durchaus nicht der Fall ist. Da auch noch andere Unrich-
tigkeiten in der Arbeit vorkommen, und die Darstellung der
Untersuchungen in Beziehung auf ihre Uebersichtlichkeit viel
zu wünschen übrig lässt, so hat die Fakultät den Preis nicht
zusprechen können, lässt derselben aber in Anerkennung des
rühmlichen Strebens des Verfassers eine ehrenvolle Erwäh-
nung zu Theil werden. Wenn der Verfasser seinen Namen
nennen will, so wird dieser nachträglich bekannt gemacht
werden,"
Als Preisfragen für das folgende Jahr werden aufgestellt:
Von der theologischen Fakultät:
„Schleiermacheri de Christi persona placita illustrentur et
examinentur, ita quidem, ut eorum cum doctrina libris sym-
bolicis sancita quae sit discrepantia, dilucide explicetur."
9T0 Ohronlk der Uiiiversit&i
Die Bearbeitnng dieser Frage in deutscher Sprache wird von
der Fakultät nicht nur gestattet, sondern empfohlen.
Von der juristischen Fakultät:
I, lieber Wesen und Bedeutung des Indicienbeweises und sein
Verhältniss zum sogenannten natürlichen Beweis im Straf-
rerfahren."
Von der medioinischen Fakultät:
„Das Spektrum des sauerstoffFreien Hämokrystallins wird
durch minimale Quantitäten SauerstofiP auffedlend yertUidert
und kann durch Zusatz redacirender Substanzen wieder her-
gestellt werden. Es soll versucht werden, ob nicht durch
genaue Abmessung der dazu nöthigen Quantität eines geeig-
neten Beductionsmittels schon an verhältnissmässig kleinen
Blutmengen die Menge des gelösten Sauerstoffs bestimmt wer-
den kann, und femer, ob nicht mit Hülfe der Hämokrystal-
linlösungen die Menge gelösten Sauerstoffs auch in den thieri-
schen Organen, namentlich Muskeln im frischen und im er^
Bchöften Zustande gefunden werden kann."
Von der philosophischen Fakultät:
aus den Staatswissenschaften: „Es soll die geschicht-
liche Fortbildung der Lehre von der Volksvertretung seit
Bousseau dargestellt, und ihr Einfiuss auf die henie be-
stehenden Bepräsentatiwerfkssungen nachgewiesen werden."
Aus der Philologie:
De Vegetii Bebati fontibus quaeratur ita, ut cum oeterorum,
quos diserte laudavit, auctorum particulae distinguantur et
indicentur, tum inprimis libri, quem Cato Censorius de dis-
ciplina militari soripsit, fragmonta diligenter inquirantnr et
componantur,"
Inhalt
. . • • • • der
Heidelberger JalirMcher der Literatur«
Acht und fünfzigster JcArgang, 1865.
Seite
y. Alb ext i: Ueberblick über die Trias 707
Aelianos de natura animall* ed. Her eher 350
Apnlei Apologia s. de magia. Ed. Krneger . . . .. 147
Apnlei Florida reo. Krueger ; 855
Aristophanes Vögel von Kock -. . 235
Arnold: üeber die Ganglienzellen des Nervus sjmpathicns 254
Arrians Werke von Cless 2 u. 3. Bdchen 929
Aeschylos Agamemnon von Keck 465
Antenheimer: Differential- und Integralrechnung . . . 801
Y. Baader: Grundzttge der Societätsphilosophie . . 819
Baltzer: Theorie und Anwendung der Determinanten . . 610
Bauer: Elemente der lat. Formenlehe 055
Beck: Lehrbuch der allgemeinen Geschichte. I. Cursus . • 720
Berg- und Hüttenkalender. X. Jahrgang 380
Bergmann: Darstellung d. Systeme f. Mttnzsammlungen . 866
> Doppelvermählung der Enkel Maximilian's . . 866
> * Bracteatenfnnd von Klaus 866
Bertrand: Calcul difförential et integral 908
L. Blanc: Die göttliche Komödie von Dante 68
Blätter fUr Ge&ngnisskunde • ... 321
Brandes: Ausflug nach Spanien < • 310
Briot: Essais sur la throne de la Lumiöre ..... 309
van Calker: Quaest. nonn. de philos. etc 412
Carius: Ueber Buttersäuregährung 726
» üeber die Synthese zuckerähnlicber Körper . . . 259
Oaesaris comment. von Kraner 957
Chabas: Observations sur le Bituel Egyptien 198
Oelini: Determinazione analytica eto 91
> Oicero's ausgewählte Briefe von Hoffmann 957
Corssen: Beiträge zur lateinischen Formenlehre .... 65
V. Cotta: Erzlagerstätten im Banat 705
Curtius: Griechische Geschichte II 939
Ozolbe: Grenzen und Ursprung der Erkenntniss . . . . 641
Dante's Göttliche Komödie, von C. Witte 860
Dio Cassius, Ed. Dindorf. Vol. V 751
Dionysü Halic. Antiqq. Bomm. ed. Kiessling. Vol. H. . 352
Dubois-Guchon: Tacite et son si^ele 689
Duhamel: Des Mäthodes dans les soienoes 22%
Dulk: Simson , , * . . 758
Dulk: Tod des Bewusstseins • • . • 753
> Jesus der Christ •*••*•• 758
97t Inhalt
Seite
y. Dusoh: üeber das Emphysem 723
Eichthal: De Tasage de la langne Orecque 129
£)isenlohr: Zur Theorie der Aberration 264
Eckert: Erklärung tu s. w 479
Erklärung Ton Böder 480
Erlenmeyer: Ueber Distyrol 728
» üeber Eigenthümlichkeiten des Amylens . 271
Escher: Theorie der Differenzen u« s. w 621
Extrait du Catalogue de la Bibliothäque da Senateur Habe 54
Föaux: Elementare Planimetrie 637
Fick: Deuz yisites h Nicolas de Flue 313
Fickler: Führer durch Eonstanz 315
Fischer: Clavis der Silicate 847
Flügel: Der Materialismus u. s. w 305
Frauenstädt: Aus Schopenhauer's Nachlass 24
Friedreich: üeber multiple Hyperplasie der Milz u. Leber 266
» üeber multilokularen Leberechinokokkus . . 243
Frikart: Lehrbuch der Arithmetik und Algebra .... 308
Fuchs: üeber Entstehung einiger Mineralien 736
> üeber die Entstehung der Westküste von Neapel . 245
> Die Yulkanischen Erscheinungen der Erde • • • 368
Gaisberger: Archäologische Nachlese 664
Qätzschmann: Die Aufbereitung 704
Georges: Kleines deutsch-lateinisches Handwörterbuch .* • 796
Giomale di Matematiche eto 620
Oregorii Opera, ed. O'ehler. VoL L ........ 237
Grohmann: Aberglauben in Böhmen und Mähren . • . 100
Guibal: Le Po^me de la croisade contro les Albigeois . 369
Hansen: Belationen zwischen Summen und Differenzen . 616
Heer: Urwelt der Schweiz 13
Hei mann: Bundesverfassung der Schweizer Cantone . .316
Helmholtz: üeber die Augenbewegungen 255
> üeber Eigenschaften des Eises 268
> üeber den Einfluss der Baddrehung d. Augen 244
» üeber stereoskopisches Sehen 728
Hense: Poetische Personificalion 1 78
Heronis Beliquiae. ed. Hui t seh 238
Herr: Lehrbuch der höheren Mathematik H 209
Herzog: Galliae Narbonensis desoriptio 561
Heyse's Fremdwörterbuch, 13. Ausgabe 799
Hoffmann: Traitö des quaestions prejudioielles .... 838
Hof f meister: üeber d.Mechanik d. Protoplasmabewegungen 251
Homer's Ilias von Fäsi. 2. Bd 957
Huyssen: Preussisches Bergwesen 394
Janin: La Poesie et Töloquence ä Borne 438
Eirchhoff: üeber die Spektra der Gestirne 248
Zitz: Sein und Sollen , . . . 881
Knapp: üeber die Diagnose irreguL Asymmetrie d. Auges 254
Inlialt. »78
Seite
Knapp: Ueber Erkrankuog des Augapfok 7B4
K n i g g e : Ueber den Umgang mit Menschen, 14. Ausg. . . 864
Kopp: Ueber die specifisohe Wärme starrer Köi-per . . . 241
Kren n er: St^dien über den Antimonit 945
Kuhn: Städtische u. btirgerlicLe Verfassung d.röm. Reichs I. 74
» Städtische Verfassung d. röm. Reichs, II. Theil . . 589
Ladenburg: Ueber eine neue Methode der Elementaranalj'se 267
Lamarre: De la Milice romaine 177
Livingstone: Neue Missionsreisen 940
Livius von Frey 1. Bändchen • 857
Livius von Weissenborn IL u. IV • . . 957
Lorenz: Deutsche Geschichte 292
Lutheri Colloquia ed. BiudseiL T. IL . . * . . . . 176
M a 1 0 r t i e : Beiträge z. Gesch. v. Braunschweig Lüneburg III. IV. 314
Martus: Mathematische Aufgaben 635
Masquelez: La castram^tation des Romains 575
Menke: Orbis antiqui descriptio. 4. Aufl 854
Modderman: Straf— geen kwaad 17
Mommsen: Rümische Geschichte. 4. Aufl* 1 475
„ Römische Geschichte. II 939
Nagel: Lehrbuch der ebenen Geometrie 689
Neigebaur: Literaturberichte ausItalien 115 419 524591 673 775
872 913.
Neumann: Drehung der Polarisationsebene des Lichts . . 623
Odernheimer: Berg- und Hüttenwesen in Nassau . . . 389
Ödes d'Anacröon par Didot 207
Pagenstecher: Ueber junge Fische 724
„ Ueber Trichina spiralis. ...... 731
,, Ueber Trichinen 268
M Ueber Trichinen und Psorospermien . . 740
Pallmann: Der Sturz des Weströmischen Reichs . . . 713
Parallelgrammatik von Schmitt-Blank u. A. Schmitt. 287
Pfitzner: Das Sabinische Landgut des Horatius .... 10
Pfnorr: Der Krieg, seine Mittel und Wege 103
Pbsedri Fabb. Aesopp, cd. £iohert 352
Phillips: Kircbenrecht 49
Piderit: Gehirn und Geist 152
Y. Beichlin-Meldegg: Erwiederung 157
'Piatonis Protagoras. Reo. Kroschel 711
Plautus von Brix 2. Bändchen 8&7
Plautus Lustspiele von Donner 577
Plutarqhs Biograpbieen von Sintenis. III. 957
Preller: Römische M^ibologie. 2. Aufl 474
Pressel: Psyche^ ein M&rchen 317 -. /
Qnit^mann: Die Reichsverfassnng der Baiwaren. • . . 946
Bein: Thuringia sacra II 238
Beinhard: Atlaß orbis aotiqui ^ • 174
Beiuiscji: .Dip ägyptischen Denkmäler 2U Miramar • • . 198
V
§74 Inhalt
Seite
Beinisch: Denkmäler zu Miramar . . . , ' 289
Bö der: Besfierungstrafe und BeBsenrngstrafianstalteii ... 22
Bödin.ger: Die Gesetze der Bewegung im Staatsleben . . S(H)
Buge: Der Ghaldäer Selenkos 958
Backen, von: Das heidnisohe Alterthum 898
SallustiuB Catilina von Dietsch .228
Sallustius Jugurtha von Cless 35S
Sammlung von Uebersetzungen der Klassiker (Aristophanes^
Enripides, Anakreon» Epiktet, Livius, Martialis, Cicero u. A. 358
Schenk: Flora des Keupers 891
Schilling: Grundriss der Naturgeschichte. III 151
Sohoene: Quaestionn. Hieronymm 462
Schopenhauer: üeber die vierfache Wurzel 85
8 ehr auf: Physikalische Mineralogie 959
Schwarz: Theorie der geraden Linie und der Ebene . . 630
Scriptores Historiae August. Bec. Peter 789
Sohnkes Sammlung von Aufgaben Ton Heis 219
Sophokles Antigone von Wolff . . 858
Sprenger: Leben und Lehre des Mohammed. 8. Band . • 161
Spruner-Menke: Atlas Antiquus. 3. Aufl 849
Stadelmann: Sionsgrtlsse 399
Stahr: Cleopatra 1
Stelzner: Beiträge zur Kenntniss des Erzgebirges ... 769
Stöhr: Die Kupfererze an der Mürtschenalp 398
Strauch: Anwendung f. d. Integral u. s. w 81
Süpfle: Anleitung zum Lateinschreiben 744
Taciti Opera ed. Fr. Bitter 668
TerentiuBy Andria von Klotz 665
Tewes; System des Erbrechts, II Bde 145
Theocriti Idyllia ed. Fritzsche 46
Thierry: Histoire d'Attila 600"
üeberweg: Geschichte der Philosophie 11. • 401
Yalerius Maximns. Bec. Halm . 794
Varronis Saturr. Menipp. Beliqq. reo. Biese. . . . .• . 588
Verhandlungen des naturhistorisch-medicinischen Vereins 241 721
Vering: Geschichte und Institutionen des röm. Privatrechts 476
Virgils Gedichte von Ladewig. III 957
0. Weber: üeber Gefahr des Chloroformtodes 7?1
„ Heilung einer Tibiafractur u. s. w 783
Weber: Allgemeine Weltgeschichte, Bd. V 380
Weimarische Beiträge für Literatur und Kunst 846
Welcker: Tagebuch einer Griechischefte* Beise 581
Weller: Bepertorium typographicum 71
"^ickram's BoUwagenbüchlein von H. Kurz 205
William: Bechtfertigung der Südstaaten Nordamerika's . 97
V. Wurzbach: Glimpf und Schimpf 455
Wuttke: Städtebuch des Landes Posen 5?
Zepharovich: krystallogr. Wandtafeln I .913
/
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