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Full text of "Heinrich v. Kleists gesammelte Werke .."

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Bibliothek 


der 


Dentihen Nationalliteratur. 


Herausgegeben 
von 
Beinrih Kurz. 


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H. v. Kleiſts Werle. 


Erſter Band. 


Hildburghauſen. 
Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts. 
1868. 











Heinrich v. Rleiſts 


geſammelte Werke. 


Erſter Band. 


Hildburghanſen. 
Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts. 
1868. 





IN MEMORIAM 


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Einleitung. 


Heinrich von Kleift, geboren am 10. Oft. 1776 zu Frankfurt 
a. d. O., mo fein Bater in Garnifon ftand, zeigte ſchon in feinen 
Knabenjahren eine große Wißbegierde, die von feltener Faſſungskraft 
glüdtich unterſtützt wurde, aber zugleich eine unüberwindliche Neigung 
zum Ercentrifchen. Als er 11 Jahre alt war, verlor er, wie eg jcheint, 
feine Eltern, und er wurde der Leitung des Prediger Carls in Berlin 
itbergeben, bei dem er mahrjcheinlich bis zum Jahre 1792 verblieb, in 
welchem er als Fähndrich bei der Garde in Potsdam eintrat, wo er 
duch fein elegantes, Iebensfrifches Auftreten und durch fein mufi- 
Talifches Talent die Zuneigung feiner Umgebungen erwarb. Bald 
darauf machte er den Feldzug am Rhein mit, nach deffen Beendigung 
er in die Garnifon Potsdam zurückkehrte. Ein unglüdliches Fiebes- 
verhältniß wirkte fo mächtig auf ihn, daß er ſich von der Welt zurück⸗ 
309, fein Aeußeres vernadhläffigte und mit dem größten Eifer Mathe: 
matif und Philofophie ftudierte. Diefe Beſchäftigung verleidete ihm 
das Soldatenleben, und er nahın im Jahre 1799 troß der lebhafteften 
Borftellungen feiner Familie feine Entlaffung, worauf er nad) Frank⸗ 
furt gieng und fi als Student immatriculieren Tieß. Dort, wo feine 
Schweftern wohnten und ein Bruder in Garnifon ftand, verlebte er 
wohl feine glüdlichiten Tage, befonders als er ſich mit einem geift- 
vollen und liebenswürdigen Mädchen aus einem angefehenen Haufe 
verlobt hatte. Durch übermäßige geiftige Anſtrengung untergrub er 
jedoch feine Gejundheit und legte den Grund zu der tiefen Ver⸗ 
fimmung feines Gemüths, die ſchon im Jahre 1801 ihren unjeligen 
Einfluß auf fein Leben und Handeln auszuüben begann; ſchon 
damals fühlte er fich öfters jehr unglücklich. 


N123637 








VI 


Mit dem Entſchluß, fich der Diplomatie zu widmen, gieng er 
1800 nad Berlin. Am Spätjommer unternahm er, vielleicht mit 
politifhen Aufträgen des Minifters Struenfee, eine Reife nach Wien, 
Scheint aber nicht bis dahin gelommten zu fein; Ende Oktober war 
er wieder in Berlin. Noch in diefem Fahre gab er den Plan auf, 
ein Amt anzunehmen; er fühlte, daß feine ganze Natur für eine 
folhe Stellung, welche Ordnung, Genauigfeit und Geduld verlangte, 
nicht geeignet fei. Das Studium der Kantifhen Philofophie erfillite 
ihn mit Zweifeln über die Aufgabe und das Weſen der Menjchen, 
die ihn bei feiner excentriſchen Gemütbsart an den Rand der Ver- 
zweiflung bradten, feine Thätigfeit Tähmten, ja fogar die Liebe zu 
feiner Braut in feinem Herzen abfiumpften. In der Hoffnung, daß 
er unter andern Berhältniffen, andern Umgebungen die verlorne Ruhe 
wieder finden wiirde, reifte er in Begleitung feiner geliebten Schmefter 
Ulrife 1801 nad) Paris. Das dortige Leben, das er freilich nicht ohne 
großes Borurtheil anſchaute, drängte ihn immer mehr in fih zurück, 
erfitllte ihn inımer mehr mit Abneigung gegen die Wiffenfchaften und 
die Menſchen, fo daß er mit dem Entichluß umgieng, ſich von der Welt 
zurückzuziehen, fih in der Schweiz anzufaufen und als Bauer zu 
leben. In Folge davon löſte fi das Verhältniß mit feiner Braut 
auf. Nachdem er ferne Schmefter bis Frankfurt a. M. begleitet hatte, 
reifte er wirklich in die Schweiz, ohne jedoch feinen Plan auszuführen. 
Der Aufenthalt in Bern, wo er mit Zſchokkey,Ludwig Wieland, 
dem Sohne des Dichters, und dem jungen Geßner zufammentraf, 
murde fiir ihn Dadurch bedeutend, daß fein Dichtertalent ermachte, 
das bis dahin in ihm gefchlummert hatte. Dort und zum Theil 
am Ufer des Thunerfees, wo er fi) mit dem Kupferſtecher Lohſe, 
dem Bräutigam feiner Freundin Henriette von Schlieben, in einem 
Kleinen Landgut eingemiethet hatte, Dichtete er die „Familie 
Scäroffenftein und begann den „Zerbrodenen Krug”, mie 
den oft vernichteten, immer wieder angefangenen, aber leider nie 
vollendeten „Robert Guiscard“, von dem er Anerlennung und 
Ruhm erwartete. Nach einiger Zeit verfiel er dort in eine fchwere 
Krankheit, in der ihn feine Schwefter Ulrike verpflegte, die bei der 
Nachricht der Gefahr, in der er fehmebte, zu ihm geeilt war. Nach 


*) Wahrſcheinlich kannte er Zichofte ſchon von Frankfurt a. d. DO. ber, wo diefer 
Kelanntlid ſtudiert hatte und bie 1795 Privatdocent geworben war. 


vu 


feiner Wiederherftellung reiften beide Geſchwiſter im Herbſt 1802 nad 
Deutichland zuriid. Nach Turzem Aufenthalt in Jena gieng er nad) 
Weimar, wo er von Schiller und Goethe gut aufgenommen wurde; 
mit Wieland, deflen Sphn ebenfalls in die Heimat zuriidigelehrt war, 
trat er in ein näheres Verhältniß und lebte fogar eine Beit lang 
bei ihm in Osmanftäbt. Der greife Dichter, dem er Stellen aus 
feinem „Robert Guiscarb” vorlag, erkannte fein hohes Talent und 
ermahnte ihn, das vielverfprehende Drama zu vollenden. Anfangs 
Juli 1808 finden wir ihn in Dresden, von wo er bald darauf mit 
einem Freunde wieder in Die Schweiz, nad Mailand und nad) Frank⸗ 
reich reifte. Statt anf diefer Wanderung Beruhigung zu finden, 
nahm feine diftere Gemlüthsftimmung immer mehr zu, die ſich bis 
zur Verzweiflung fteigerte, als er an feinem dichterifchen Talente zu 
zweifeln beganı. In folge eines Streits tiber Sein und Nichtfein 
entzweite er ſich mit feinem Freunde, der die gemeinfame Wohnung 
verließ, was den Unglüdlihden in Verzweiflung ftürzte, jo daß er 
alle jeine Papiere verbrannte und den Guiscard zum dritten Male 
vernichtete. Als er nach mehreren Irrfahrten nach Deutſchland zurüd- 
kehrte, befiel ihn in Mainz eine tödtliche Krankheit, von der er erſt 
nach ſechs Monaten wieder genas. In Berlin widmete er, den Wünſchen 
der Seinigen nachgebend, feine ganze Zeit dem Studium der Ea- 
meralwiflenichaft, da ihm vom Miniſter Altenftein eine Anftellung bei 
der Finanzverwaltung in Ausfiht geftellt worden war. Ende des 
Jahres 1804 gieng er nad) Königsberg, wo er bei ber dortigen Regie- 
rung als Diätar arbeitete, und daneben große poetiſche Thätigfeit ent: 
widelte. Er vollendete den „Zerbrodenen Krug‘, bearbeitete 
Molieres „Ampbitryon” und jchrieb die Novellen „Roblhaa 8“ 
und die „Marguife Be O**“, wahrjcheinlih auch eine neue Be⸗ 
arbeitung des „Robert Guiscard.“ Die Nachricht von den 
Schladten bei Jena und Auerflädt erfüllte ihn mit dem bitterften 
Schmerz. Das Unglüd des Baterlandes erhöhte feine düſtre Stim- 
mung, und da er zudem wiederholt in Gelbnoth gerieth, reifte er 
Anfangs des Fahres 1807 in halber Verzweiflung nad) Berlin, wo er, 
da er feinen Paß hatte, von den dort haufenden Franzoſen mit zwei 
andern Offizieren gefangen genommen und nad Frankreich trans; 
portiert wurde, indem man ihn für einen Schill'ſchen Offizier hielt. 
Nachdem er einige Wochen in den Kerfern des Fort Four gefeflen 
batte, wurde er nach Chalons gebracht; doch gelang es ihm und 


VIII 


namentlich den Bemühungen feiner Schweſter Ulrike, feine Freilaſſung 
zu erwirken. Mitte Juli 1807 reiſte er nach Deutſchland zuriid, Er 
wählte Dresden zu feinem Aufenthalt, wo er fih an den bekannten 
Sophiften Adam Müller anfhloß und mit ihm die Beitfchrift „„Pho- 
bus’ berausgab, die vom Januar bis December 1808 in monat- 
lichen Heften erfchien, und zu welcher Kleift zahlreiche Beiträge lieferte. 
Eine Zeitlang fühlte er fih in dieſen Verhältniſſen glücklich; die 
angeftrengte Thätigfeit gab ihm neuen Lebensmuth; aber Leider ſollte 
er bald wieder bittere Erfahrungen machen, die ihn neuerdings mit 
Troftfofigkeit erfüllten. Namentlich fchmerzte es ihn tief, dag ihm 
Goethe alle Anerfennung verfagte, dem er deshalb einige bittere Epi- 
gramme widmete; dazu trat wieder Gelbnoth cin, da eine mit Adam 
Miller gegründete Buchhandlung aus Mangel an Mitteln mieber 
aufgegeben merden mußte. Noch tiefer fchmerzte ihn die hoffnungs- 
loſe Lage Deutjchlands. Weberzengt, daß nur kräftiges Aufraffen des 
ganzen Volks ihr ein Ende machen könne, erfüllten ihn die Be— 
frebungen des Tugendbundes mit Efel und Beratung, und felbft 
Fichtes „Reden an die deutſche Nation”, welche die Jugend ſchwär⸗ 
merifch begeifterten, hielt er nur für machtloſe Phrajen. Diejen 
fette er feine „Herrmannsichlacht” entgegen, die uns ein treffliches 
Bild jener Zeit giebt, und in der er das Mittel angab, durch welches 
allein Deutichland zu retten fei, ein Mittel, zu welchen vier “Jahre 
fpäter die Ruſſen ihre Zuflucht nahmen. Seiner Beratung ber 
Zugendbündler, deren Beftrebungen allerdings ohne den Ausgang 
des Nuffiihen Feldzugs wirkungslos geblieben wären, gab er in 
diefem Drama den fräftigften Ausdruck. „Die Schwäter”, jagt 
Herrmann (4. Alt 3. Aufte.) von den Fürſten, unter weldden er den 
Zugendbund ſchildert: ® 

a an bitte dich; 

Die fchreiben, Deutichland zu befreien, 

Mit Chiffern, ſchicken mit Gefahr des Lebens 

Einander Boten, die die Römer hängen, 

Berfammeln fih um Zwielicht — eflen, trinken, 

Und fchlafen, fommt die Nacht, bei ihren Frauen. — 

Meinft du, die ließen fich bemegen, 

Auf meinem Flug mir munter nachzuſchwingen? 

Eh das von meinen Maulthier wild’ ich hoffen. 

Die Hoffnung: morgen ftirbt Auguftus, 


Lodt fie, bededt mit Schmach und Schande, 
Bon einer Woche in die andere,‘ 


IX 


Als der Krieg mit Defterreih ausbrach, erfüllte ihn die mit 
neuen Hoffnungen. In der Erwartung einer allgemeinen Erhebung 
des deutihen Volks ſchrieb er das feurige Gedicht „Germania an 
ihre Kinder‘‘, verließ Dresden, eilte nach Defterreich ; aber der unglück⸗ 
liche Ausgang der Schladht bei Wagram ſchlug dieſe Hoffnungen 
wieder völlig "nieder. Doch raffte er fih wieder auf, gründete in 
Berlin mit Ad. Mitller eine neue Zeitfchrift, die „Berliner Abend- 
blätter“, die aber nur ein kurzes Dafein hatten (1. Oft. bis Ende 
Dec. 1810), weil fie in der That jehr unbedeutend waren, und fchrieb 
den „Prinzen von Homburg”, von dem er eine glnftige Wen- 
dung feines Schickſals hoffte. Wahrſcheinlich wäre diefe auch ein- 
getreten, da er ziemlich fichere Ausfiht auf eine Anftelung erhielt, 
und fein Gemüth ruhiger geworden zu fein ſchien, als eine eigen- 
thümliche Beranlaffung ihn zum Selbftmorde nöthigte. Dur Adam 
Müller war er nämlich ſchon früher mit Frau Henriette Vogel 
befannt geworden, die an einer unheilbaren Krankheit zu leiden 
glaubte und daher ſchon Tängft mit dem Gedanken umgieng, ſich 
das ihr unerträgliche Xeben zu nehmen.. Sie hatte ihm einmal daß 
Berſprechen abgenommen, ihr, fobald fie e8 verlange, den größten 
Freundichaftsdienft zu leiſten; an dieſes Verſprechen erinnerte fie 
ihn, und er antwortete, daß er zu jeder Beit dazu bereit jet. 
„Wohlan, fo tödten Sie mich”, fagte fie: „Meine Leiden haben mic) 
dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag. 
Es ift freilich nicht wahrſcheinlich, daß Sie das thun, da es keine 
Männer mehr auf Erden giebt; allein —“ „Ich werde es thun‘, 
fiel ihr Kleift ins Wort; „ich bin ein Mann, der fein Wort hält.‘ 
— Sie hatten zuerſt beabfichtigt, fi in Kottbus zu tödten; ein Zu- 
fall durchkreuzte indeffen diefen Plan, und fo fuhren beide am Nach⸗ 
mittage des X. Nov. 1811 nah dem Kruge zum Stimming am 
Ufer des Wanfees, eine Meile von Potsdam. Sie bradten den 
"Abend und den andern Morgen in anfcheinender Heiterleit und Unbe- 
fangenheit, die Nacht wahrfcheinlich mit Brieffchreiben zu, und machten 
am folgenden Nachmittag, nachdem fie einen Boten nad) Berlin abge- 
fidt, einen Spaziergang am See, wohin fie fi Kaffee, Tiſch und 
Stühle bringen ließen; darauf erſchoß Kleift zuerft feine Freundin und 
dann fidh ſelbſt. Ihre Leihname wurden an der Stelle, wo fie 
geftorben waren, neben einander beerdigt. 

Heinrih von Kleift hatte, mern anders die uns befannten Bilb- 


x 


niffe defielben getroffen find, eine Gefihtsbildung, die mit feinem 
unftäten und büfteren Charakter, mit der Entjhloffenheit, die er im 
Leben vielfältig und in feinem Tode zeigte, fo mie mit der groß- 
artigen Kraft feiner Dichtungen im vollften und merkwürdigſten Wi- 
deripruche zu ftehen jcheint. Nach diefen Bildniffen ſah er nämlich 
beinahe unreif und knabenhaft aus; man jucht vergebens nach einem 
männliden Zuge; aus feinen Augen fpridt Milde und Heiterkeit, 
nur um den Mund erfcheint ein jchmerzbafter Zug, der jedoch den 
vorherrfhenden Eindrud nit zurückdrängt, den Eindrud des Unbe- 
ftimmten, Schwanfenden, Die Andentung, welche Zied, der erfte 
Herausgeber feiner Werke, tiber feine perſönliche Erſcheinung giebt, 
ftimmt damit freilich nicht überein. „Heinrich von Kleift“, fagt er, 
„war von mittlerer Größe und von ziemlich ftarfen Gliedern, er 
fchien ernft und ſchweigſam, feine Spur von vordringender Eitelfeit, 
aber viele Merkmale eines würdigen Stolzes in feinem DBetragen. 
Er ſchien mir mit den Bildern des Torquato Taffo Aehnlichkeit zu 
baben; auch hatte er mit diefem die etwas ſchwere Zunge ge» 
mein.’ . 

Wenn wir gefagt haben, daß feine Gefichtszlige im Widerſpruche 
mit feiner Dichtung zu ftehen fcheinen, fo ift derſelbe wirklich 
nur ſcheinbar: in der That ftimmen Phyfiognomie und Dichtung voll- 
fommen überein. Wie das Geftcht, jo hat fi) auch das poetifche 
Talent nicht zur männlichen Reife entfaltet; in jenem wie in dieſem 
tritt uns der Jlingling entgegen, der mit den trefflicäften Anlagen 
ausgeftattet, aber noch nicht zur vollen Beherrfhung berjelben 
gelangt ift, noch unficher und ſchwankend ſich bewegt. Wie in feinem 
Leben erjcheint Kleift auch in feinen Dichtungen, in denen er nicht ' 
felten von der wunderbarften Höhe zur vollften Unbedeutenpheit herab» 
finft. Es iſt, als ob ihn oft der Genius plötzlich verließe und er, 
von feinem Yluge geihwächt, in der matteften Proſa ſich zu erholen 
fudte. So erſcheinen wenigitens die in allen feinen Dramen fo 
häufig vorkommenden bebeutungslofen Fragen, welde ohne alles 
innere Motiv den Gang des Dialogs unterbrechen, welche gleichſam 
Mißverftändniffe abfichtlich herbeizuziehen fuchen, und bei denen man 
ſich des Urtheils nicht erwehren kann, daß der Dichter ſich jelbft miß- 
verſtehe. Sole und ähnliche Stellen find es vorzüglid, bie uns 
das Tnabenhafte Gefiht in Erinnerung bringen. Eben fo zeigt fich 
in der Gompofition feiner Dramen öfter$ eine große Unſicherheit; er 


XI 


verliert hie und da den Faden der Handlung, den er dann willkür- 
ih wieder anfnüpft. Seine Stoffe find meift abenteuerlih und 
krankhaft, und gerade dieſe krankhaften Elemente behandelt er mit der 
größten Vorliebe, aber auch zugleih mit einer Kunft, die des größten 
Dichter würdig ift, die ung die Schwäche vergeflen läßt, auf welcher 
fie beruht. Er verfteht e3, dieſe eigenthiimliche Gefühlswelt, Die ing 
Myſtiſch⸗Unbegreifliche hineinreicht, mit einer ſolchen Kraft und Klar- 
beit der Darſtellung zur Anſchauung zu bringen, daß fie das Myſtiſche 
volltändig abftreift und lebendig verkörpert erſcheint. Die nämliche 
plattifche Kraft tritt ung in feinen Perfonen entgegen, die mit fo voller 
Sicherheit gezeichnet find, daß felbft das Schwanfende der Handlung 
und Compofitton ihrer harakteriftifchen Erfcheinung keinen Eintrag 
thun kann. 

Wie die kuünſtleriſche Behandlung, fo ift auch der Ausdruck ſehr 
ungleich, doch fiberwiegt das Treffliche, und wenn ber Dichter ſich 
von dem eigenthilmlichen Berhaden der Satbildungen, das dem 
Geifte der deutfhen Sprache zuwider ift, frei gehalten hätte, fo 
würde man die Übrigen Mängel leicht überſehen. Auch tritt dieſes 
Berhaden meift nur in den fchwächeren Stellen hervor, während bie 
bedeutenderen in jchönem Ebenmaße dahinfließen. Sehr häufig er- 
hebt ſich der Dichter in feiner Sprache zu wahrhaft Shakeſpearſcher 
Größe und Erhabenheit; wenn er von feinem Stoffe Iebendig erflilit 
ift, wird der Ausdrud großartig, und er bewegt fi in fchöpferifcher 
Fülle. Auch hat er demfelben die größte Aufmerffamkeit gejchentt, 
wie er denn feine Dramen vielfach umarbeitete. 

Die „JamilieSchroffenftein", mit welcher der Dichter feine 
poetifhe Laufbahn begann, zeugt ſchon von großem Talente für 
dramatifche Geftaltung, und die Entwidelung ift fogar kunſtgerechter 
als in den fpäteren Stüden; freilich kann und dieß mit dem wilden 
Charakter nicht verſöhnen, der darin herricht, und verlegend ift e8, 
dag die gehäuften Gräuel Folgen eines Mißverftändnifies find, das 
leicht hätte aufgeflärt werden können, deſſen Aufllärung fi fogar 
aufdrängte. „Der zerbrochene Krug” verdankt folgendem Um⸗ 
fand, den H. Zſchokke in feiner Novelle gleihen Namens und in 
der „Selbſtſchau“ erzählt, jeine Entſtehung. In Zſchokkes Zimmer 
zu Bern befand ſich ein hübſcher Kupferſtich mit der Unterſchrift: 
La cruche cassde, der bei feiner ſchönen Compofition die Aufmerf- 
famleit der Freunde oft auf fih zog und fie endlich zu dem Ent- 





£‘ 


XI 


Ihluffe bewegte, den Gegenftand, jeder nach feiner Art, poetiich zu 
bearbeiten. Zſchokke fehrieb die genannte Erzählung, Ludwig Wie- 
land eine Satyre und Kleift das Luftfpiel, welches nah Zſchokkes 
eigenem Urtheil den Preis davon trug.*) Und in der That ift „Der 
zerbrocdhene Krug‘ eines der tlichtigften Luſtſpiele, welche die deutſche 
Literatur befitzt. Die Anlage ift nicht weniger trefflich als die Aus- 
führung, die um jo mehr Bewunderung verdient, als der Stoff fidh der 
dramatiſchen Behandlung zu entziehen ſcheint. Die Charaktere find 
mit der anfhanlichften Wahrheit gezeichnet; die Erzählungen und 
Schilderungen, denen der Dichter mit großer Kunft den Schein der 
Handlung zu geben weiß, find voll Leben und Anſchaulichkeit. Die 
Sprade ift, abgeſehen von den dem Dichter eigenthüümlichen Mängeln, 
durchaus vortrefflih, der Ber eigenthümlich und ganz angemeflen 
behandelt, der Dialog rafh und natürlich fi entwidelnd. Der 
fomifhe Effelt wird dadurdd gewonnen, daß die ganze Handlung, 
die an komiſchen Situationen fo reich ift, fih durchgebends in dem 
größten Ernft entwidelt. Es ift jehr zu bedauern, daß Kleift ſich 
nicht noch mehr im Luftipiele verfucht hat; er hatte das Zalent, 
unfre Bühne mit guten Luftipielen, an denen fie ziemlih arm ift, 
zu bereihern. Im „Amphitryon“, den er dem Moliere nach— 
dichtete, erreicht er freilich fein Vorbild nicht, und namentlich ift der 
Schluß unerquicklich; doch find einzelne Stellen, in denen er fi von 
-Moliere entfernt, von hoher Schönheit. Das Ungehenerlicäfte, was 
der Dichter je gefchaffen hat, ift die „PBenthejilea‘; aber gerade 
‚diefe zeugt von des Dichters großer Bildungs- und Geftaltungß- 


kraft. Die ganze Handlung und die Träger derfelben ftehen außer- 


bald aller Wahrheit, und doch hat der Dichter Handlung und Per- 


Ifonen mit folder Anfchaulichkeit Darzuftellen gewußt, daß wir darliber 


das Innatürliche vergeffen, welches das ganze Drama beherrſcht, 
und die Klihnheit bewundern, mit welcher der Dichter feinen Stoff 
behandelt. — Am Belannteften ift das „Käthchen von Heil- 
bronn, oder die Feuerprobe”, das lange Beit ein Lieblings- 
ftüd des ſchauluſtigen Publikums mar und auch noch jett von Zeit 
zu Zeit auf der Bühne erfcheint. Der Stoff erinnert an die liebliche 
Geſchichte der Griſeldis, er ift aber durchaus felbftändig aufgefaßt 


2) Sb Wielands Eathre gedruckt worden ift, wiſſen wir nicht; felbft Zichofte, 
den wir darum befrugen, Tonnte Leine Auskunft ertheilen. 


XIII 


und durchgeführt. Wir vermiſſen auch hier weſentlich den Finft- 
lerifhen Zufammenhang der einzelnen Theile, der Schluß ift gewalt- 
fam herbeigeführt. Aber das Einzelne ift oft von bemunderns- 
würdiger Schönheit, und e8 laffen fich die allgemeinen Bemerkungen, 
die wir oben gemacht haben, vorzüglich auf dieſes Schaufpiel an- 
wenden. Käthchens Charakter ift mit großer Liebe durchgeführt, und 
wenn der Dichter nur bdiefen einzigen geichaffen hätte, würde er 
unfere Bewunderung verdienen; denn anmuthiger und zarter tft die 
lieblihe Sungfräulichkeit kaum jemals gejhildert worden, Der 
Dichter wollte diefe edle Erfcheinung durch den Contraft noch Fräftiger 
bervortreten laſſen; aber abgejehen davon, daß dieß gar nicht nöthig 
war, fo bat er feinen Zweck dadurch verfehlt, daß er die Kunigunde 
nicht bloß der Seele, jondern auch der äußeren Geftalt nach als 
widrig darftellt, weil der Sieg der unfhuldigen Naivetät über die 
boshafte Tücke in fchöner Form fräftiger zur Anſchauung gelangt 
wäre. — „Die Herrmannsſchlacht“ if in der That nur ein 
Gelegenheitsftüd, wie ſchon aus den früheren Andeutungen bervor- 
geht. ALS ſolches entfpricht e8 feinem Zwecke vortrefflih und, wenn 
e3 diefen nicht erreichte, jo lag es nicht an dem Dichter und nicht 
an der Dichtung, ſondern an dem Umftande, daß fie nicht befannt 
wurde, weil fle erft Tange nach des Dichters Tod gedrudt erfchien. — 
Mit dem „Prinzen von Homburg‘ Ichloß Kleift feine bramatifche 
Laufbahn. Zn demfelben find die ihm eigenthiimlichen Mängel und 
Schönheiten nicht bloß gehäuft, fondern auch gefteigert. Die Schwäche 
in den Motiven neben der Größe und Kühnheit in der Ausflihrung 
derjelben bildet den jeltiamften Eontraft; der Mangel an inniger 
Berbindung der Glieder wird nur durch das glückliche Detail der- 
felben verdedt; wie auch in den Übrigen Dramen ift die Charafteriftit 
der Berfonen vortrefflih und oft in wenigen Zügen zur lebendigſten 
Anſchaulichkeit gebracht. Beſonders verdienen der Kurfürft, die 
Prinzeffin Natalie und der Obrift Kottwit ausgezeichnet zu werben. 
Es war von dem Dichter mehr als Tühn, den Helden, der fo oft 
in den blutigen Schlachten dem Tode die Stirn geboten hatte, in 
einem Momente vorzuführen, wo die Furt vor dem Tode ihn 
niederfchmetterte, ihn beinahe lächerlich machte; aber die Durd)- 
führung diefer Schwäche ift fo trefflich, der Dichter deutet fo glücklich 
an, daß fie nur vorübergehend ift, daß wir ung dadurch mit der» 
felben verjühnen, zumal der Held diefe Schwäche bald wieder beflegt, 


ZIV 


indem er durch ein einfaches, aber tief gebachtes Mittel wieder zum 
edleren Selbftbemußtjein gelangt. 

Heinrih von Kleift ift auch als Erzähler höchſt bedeutend, 
ob er gleih auch hierin die Vollendung nicht erreicht hat, namentlich 
weil die Darftellung felbft in den beften Stüden den billigften An» 
forderungen nicht genügt. Wir wollen fein großes Gewicht dar- 
auf legen, daß er manche bedeutungsioje Wörter bis zur Ungebithr ge- 
braucht; aber wir dürfen nicht unermähnt laffen, daß der Ausdruck und 
insbefondere die Sagbildung fehr Häufig fehlerhaft ift und den An- 
forderungen des Wohlklangs nicht entſpricht. Dagegen ift die plaftifche 
Anſchaulichkeit und die Kunft der Geftaltung in den Erzählungen 
nicht weniger groß und bedeutend als in ben Dramen, und es 
werden dieje durch die glüdlichere Compofition übertroffen. Die 
bedeutendfte Erzählung ift ohne Zweifel „Michael Kohlhaas“, in 
welchem die politifhen Zuftände in Deutſchland zur Reformationszeit 
in lebensvoller Weife gefchildert werden. Wie in ben Dramen 
behandelt er aud in den Erzählungen das Schanerlide und Un⸗ 
heimliche mit großer Borliebe und, wie anerfannt werden muß, auch 
mit großer Kunft. - 

Heinrich von Kleift hat nur wenige Gedichte gejchrieben, und 
diefe haben beinahe ſämmtlich politiſchen Inhalt; fie find der heiße 
Erguß feiner vaterländifch gefinnten Seele, der Erguß feines feurigen 
Hafles gegen Deutſchlands Unterdrücker, oder die fräftige Mahnung 
an fein Boll, fih aufzuraffen und den Feind aus den Grenzen zu 
verjagen. Man wird den Werth dieſer Lieber erſt recht erkennen, 
wenn man fie mit den jentimentalen Kriegsliedern aus der Beit der 
Befreiungsfriege vergleicht, welche eher geeignet waren, den Muth 
berabzudrüden als Begeifterung einzuflößen. Während jene Lieder 
fih in eben fo ſchwächlicher als unklarer Schwärmerei bewegen, die 
nicht eigentlich weiß, mas fie will, tritt in Kleiſts Dichtungen die 
bewußte Abficht in aller Kraft und Sicherheit hervor und macht 
daher den bleibendftien und wirkungsvollften Eindrud. 

Bon Kleiſts Schriften erjchienen während feines Lebens und 
von ihm bejorgt die „gamilie Schroffenftein‘“, 8°, Bern und 
Züri 1803; „PBenthefilea‘, 8°, Tübingen, ohne Jahreszahl; 
„Amphitryon“, 8%, Dresden, ohne Jahresz.; der „Zerbrodene 
Krug“, 8%, Berlin 1811; „Käthſchen von Heilbronn‘, 8°, Berlin 
1810, und die „Erzählungen”, 2 Thle, 8", Berlin 1810— 1811. 


xV 


Einzelne Scenen der „Benthejilea“, des „Zerbrodenen 
Krugs’ und des „Käthchens“ waren vor den Gefammtdruden 
in der von Kleft und Adam Müller herausgegebenen Zeitfchrift 
„Phöbus“ mitgetheilt worden, in welcher der Dichter and das 
Fragment aus dem Trauerfpiel „Robert Guiscard“, fo wie die 
Erzählung „Die Marquiſe von O**“, den Anfang von „Michael 
Kohlhaas“ und mehrere Gedichte veröffentlichte. An den „Ber- 
Iiner Abendblättern‘‘ waren die beiden Erzählungen „Das Bettel- 
weib von Locarno” und „Die heilige Cäcilie“ erfchienen. 
Nach Kleifts Tode gab 2. Tieck deflen „Hinterlafjene Schriften“, 
8°, Berlin 1821, heraus, welche den „Prinzen von Homburg”, 
„Die Herrmannsihladt” und einige Gedichte enthielten. 
Diejen ließ Tied die „Geſammelten Schriften“, 3 Thle, 8, 
Berlin 1826 und zwanzig Jahre darauf die „Ausgemwählten 
Schriften“, 4 Thle, 8°, Berlin 1846—47, folgen. Die „Geſam⸗ 
melten Schriften‘ find mit ziemlich großer Nachläſſigkeit behandelt; 
noch größeren Tadel verdient aber, daß fih Tied aus übelver⸗ 
fandener Pietät oder aus äſthetiſchen Rüdfichten, die eben fo wenig 
zu billigen find, verleiten Tieß, eine nicht geringe Anzahl Stellen zu 
verändern. Es läßt fi) allerdings nicht Täugnen, daß Kleift mit 
der Sprade oft gewaltthätig umgieng, mande arge Verftöße gegen 
die Spracdhrichtigfeit oder gegen die metrifehen Geſetze machte, fich 
häufig trivialer Ausdrücke bediente; allein dieß giebt dem Heraus- 
geber doch keineswegs die Befugniß, Aenderungen an bem Xerte 
des Dichterd vorzunehmen, jelbft wenn dieſe Aenderungen wirkliche 
Berbefferungen wären, was leineswegs immer der Fall if. Die 
ſtyliſtiſchen Mängel, die ungewöhnlichen Ausprlde, Wort- und Satz⸗ 
bildungen Tiegen meift in der Eigenthilmlichleit des Dichters, die 
dem Herausgeber heilig und unantaftbar fein muß. 

In neuefter Zeit ift Tieds Ausgabe von Kleift3 „Geſam⸗ 
melten Schriften” von Julian Schmidt „revidirt, ergänzt und 
mit einer biographifchen Einleitung verſehen“ worden (2. Ausgabe, 
3 Thle., 12°, Berlin 1863). So verdienftlih die ausführlide Ein- 
leitung ift, fo läßt Dagegen der Text Manches zu wünſchen übrig. 
Er bat nicht nur meift die Aenderungen Tiecks beibehalten, fondern 
auch eigene hinzugefügt, bie nur dann berechtigt und verbanfensmwerth 
find, wenn fie den offenbar verderbten Text der früheren Ausgaben 
au berichtigen fuchen, was ihm mehrmals mit großem Glüde gelingt. 


XVI 


Uufere Ausgabe, welche, den „Amphitryon“ und einige poetiſche 
Sleinigleiten ausgenommen, die fämmtliden Werke Kleifts enthätt, 
giebt den urfprünglichen Tert, wie er und durch die vom Dichter 
ſelbſt bejorgten Drude oder in den „Hinterlaffenen Schriften‘ über⸗ 
liefert ift, mit einer einzigen Ausnahme, wo wir glaubten, einen 
den Anſtand verlegenden Ausdruck nad Tieds und Julian Schmidts 
Borgang Ändern zu milffen. 


3. Kurs, 


Das 


Käthchen von Heilbronn 


oder 


die Fenerprobe. 


— — — 


Ein großes hiſtoriſches Ritterfhaufpiel, 


Bibl. d. d. Nationalliteratur, Mei. I. 1 


Perſonen: 
Der Kaiſer. 
Gebhardt, Erzbiſchof von Worms. 
Friedrich Wetter Graf vom Strahl. 
Gräfin Helena, feine Mutter. 
Elenuore, ihre Nichte. 
Ritter Zlammberg, des Grafen Vaſall. 
Gottfhalt, fein Knecht. . 
Brigitte, Haushälterin im gräflichen Schloß. 
Kunigunde vun Thuruneck. 
Roſalie, ihre Kammerzofe. 
Theobald Friedeborn, Waffenſchmidt aus Heilbronn. 
Nathchen, feine Tochter. 
Gottfried Zriedebern, ihr Bräutigam. 
Marximilian, Burggraf von Yreiburg. 
Georg von Waldftädten, fein Freund. _ 
Der Rheingraf vom Stein, Berlobter Kunigundens. 
Friedrich von Herruſtadt, 
" Eginhardt vun der Wart, | feine Freunde. 
at Dito von ber Fluhe, N Räthe des Kaiferd und Richter bes 
zel von Nachtheim, Inttichen Gerichts 
Hans von Bärenllan, heimlichen Gerichts. 
Jacob Beh, ein Gaftwirth. 
Drei Herren von Thurned, 
Kunigundens alte Tanten. 
Ein Köhlerjunge. Ein Nachtwächter. Mehrere Ritter. 
Ein Herold, zwei Köhler, Bebienten, Boten, Häſcher, Knechte und Boll. 


Die Handlung fpielt in Schwaben, 


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Erfier Akt, 


Scene: Eine unterirdifche Höhle mit den Infiguien des Vehmgerichte, bon einer 
Lampe erleuchtet. . . 





Erſter Auftritt. 


VDraf Otto von der Flähe als Borfiker, Wenzel bon Nadıtheim, Gans han Bären: 

Han als Beifaflen, mehrere Grafen, Stitter und Herren, fänmtlich vermummt, gajser 

mit Fackeln m. . w. — Thesbald Friebebsrn, er aus Heilbronn als Kläger, 
Graf Wetter vom Strahl als Beklagier, ftehen vor den Schranten. 


Graf Otto (fest au). Wir Nichter des hohen peimlichen 
Gerichts, die wir, die irdiſchen Schergen Gottes, Vorläufer 
ber geflügelten Heere, die er in [einen Wolken muftert, den 
Frevel aufjuchen, da, wo er, in der Höhle der Bruft gleich 
einem Molche verfrochen, vom Arm meltlicher Gerechtigkeit nicht 
aufgefunden werden kann: wir den dich, Theobald Friedeborn, 
ehrjamer und vielbefannter Waffenfchmidt aus Heilbronn, auf, 
deine Klage anzubringen gegen Friedrih Graf Wetter nom 
Strahl: denn dort, auf den erften Ruf der heiligen Behme von 
des Vehmherolds Hand dreimal mit dem Griff des Gerichts: 
fchwert3 an die Tan jeiner Burg, deinen: Geſuch gemäß, ift 
er erfchienen und fragt, was du willft? (Er ſetzt fidh.) 
Theobald Friedeborn. Ihr hohen, heiligen und geheim- 
nißvollen Herren! Hätte er, auf den ich Tlage, ſich bei mir 
ausrüften laffen — feßet in Silber, von Kopf bis zu Fuß, 
oder in ſchwarzen Stahl, Schienen, Schnallen und Ringe von 
Gold; und hätte nachher, wenn ich Hi en: Herr, bezahlt 
mich! geantwortet: Theobald, was willſt Du? ich bin Dir nichts 
fhuldig; oder wäre er vor die Schranken meiner Obrigfeit 
getreten und hätte meine Ehre mit der Zunge der Schlangen — 
oder wäre er aus dem Dunkel mitternächtlicher Wälder heraus- 
gebrochen und hätte mein Neben mit Schwert und Dolch ange- 
griffen: J wahr mir Gott helfe! ich glaube, ich hätte nicht vor 
uch geflagt. Ich erlitt in drei umd tunfäig Jahren, da ich 
Iebe, jo viel Unrecht, daß meiner Seele Gefühl nun ge en 
einen Stachel wie gepanzert iſt; und während i aflen 
hmiede für Andere, die die Müden ftechen, ſag' A elbft zum 


» 0» * 
L 


X 


4 / 


Skorpion: fort mit die! und laff’ ihn fahren. Friedrich Graf 
Netter nom Gtrabl:-bat mir mein Kind verführt, meine 
Katharine. Nehmt ihn, ER irdifhen Schergen Gottes, und 


> = überliefert ihn allen g arniſchten Schaaren, die an den Pforten 


er Hölle fteheh ım me glutrothen Spieße ſchwenken: ich 
lage ihn (hänbliiher unberei, aller Künſte der ſchwarzen 
Naht und der Verbrüderung mit dem Satan an! 

Graf Otto. Meifter Theobald von geildromn! eriwäge 
wohl, was du ſagſt u bringſt vor, der Graf vom Strahl, 
ung vielfältig und von guter Hand bekannt, habe dir dein Kind 
verführt. Du Has ibn, hoff ih, der Zauberei nicht an, 
meil er deines Kindes Herz von dir abwendig gemacht? weil 
er ein Mädchen voll raſcher Einbildungen mit einer Frage 
wer fie fei, oder wohl gar mit dem bloßen Schein feiner 
rothen Wangen, unter dem Helmfturz hervorglühend, oder mit. 
iegend einer andern Kunft des hellen Mittags, ausgeübt auf 
jedem Jahrmarkt, für ſich gewonnen hat? 

Theobald. Es ift wahr, ihr Herren, ich ſah ihn nicht 
ur Nachtzeit an Mooren und hilfreichen Geftaden, oder mo 
nf des Menſchen Fuß Va erjcheint, umherwandeln und 
mit den Srrlichtern Verkehr treiben. 35 fand ihn nicht auf 
den Spigen der Gebirge, den Zauberftab in der Hand, das 
unfichtbare Reich der Yuft abmeffen, oder in unterirdifchen 
Höhlen, die fein Strahl erhellt, Beihwörungsformeln aus 
dem Staub heraufmurmeln. Ih fah den Satar und die 
Schaaren, deren VBerbrüderten ich ihn nannte, mit Hörnern, 
Schmwänzen und Klauen, wie fie zu Heilbronn über dem Altar 
abgebildet find, an feiner Seite nidt. Wenn igr mich gleich⸗ 
wohl reden lafjen wollt, fo denke ich es Durch eine (dlichte 
Erzählung defien, was fi) zugetragen, dahin zu bringen, daß 
ihr aufbrecht und ruft: unfrer find dreizehn und der vierzehnte 
ift der Zeufel! zu den Thüren rennt und den Wald, der diefe 
Höhle umgiebt, auf dreihundert Schritte im Umkreis mit 
euren Taftmänteln und Federhüten befäet. 

Graf Otto. Nun du alter, wilder Kläger! fo rede. 

zgeobeth. Bupörderft müßt ihr wiffen, ihr Herren, daß 
mein Käthchen Oftern, die nun verfloffen, funfzehu Jahre alt 
war; gefund an Leib und Seele wie die erften Menſchen, die 

eboren worden fein mögen; ein Kind recht nad, der Luft 
Önttes, das heraufging aus der Wüften, am ftillen Feierabend 
meine Lebens, wie ein gerader Rauch von Myrrhen und 
Wachholdern. Ein Wefen von zarterer, frommerer und lieberer 
Art müßt ihr eudy nicht denken, und kämt ihr auf Flügeln 
der Einbildung zu den lieben Heimen Engeln, die mit hellen 
Augen aus den Wolfen unter Gottes Händen und Füßen 
berporguden. Ging fie in ihrem bürgerlihen Schmud über 





5 


die Straße, den Strohhut auf, von gelbem Lad erglänzend, 
dag Töwarzfammtene Leibchen, das * Bruſt umſchloß, mit 
feinen Silberkettlein behängt, ſo lief es flüſternd von allen 

enſtern herab: das iſt das Käthchen von Heilbronn; das 

äthchen von Heilbronn, ihr Herren, als ob der Himmel von 
Schwaben ſie erzeugt, und von ſeinem Kuß geſchwängert, die 
Stadt, die unter dr liegt fie geboren hätte. Vettern und 
Bafen, mit welden die Verwandtſchaft feit drei Menfchen- 
geſchlechtern vergeffen worden war, nannten fie anf Kindtaufen 
und Hochzeiten ehr liebes Mühmchen, ihr liebes Bäschen; der 
ganze Markt, auf dem wir wohnten, erfihien an ihrem Namens- 
tage und bedrängte fi) und wetteiferte fie zu befchenten; wer 


ihr empfangen hatte, jchloß fie acht folgende Tage lang, als 


3 


fte nur einmal da, und einen Gruß im ueübergehen von , 


ob fie ihn gebeftert hätte, in fein Gebet ein. Eigenthümerin 
eines Tandguts, das ihr der a Ra mit Ausfchluß meiner, 
als "einem Goldfinde, dem er fich liebreich bezeigen wollte, 
vermacht hatte, war fie ſchon unabhängig von mir, eine der 
wohlhabendſten Bürgerinnen der Stadt. Finf Söhne maderer 
Bürger, bis in den Tod von ihrem Werthe gerührt, Hatten 
nun Toyo um fie angehalten; die Ritter, die durch die Stadt 
zogen, weinten, daß fie fein Fräulein war; ad und wäre fie 
eines geweſen, das Morgenland wäre aufgebrochen und hätte 
Perlen und Gbeigefteine, von Mobren getragen, zu ihren 
Füßen gelegt. Aber ſowohl ihre als meine Seele bewahrte 
der Himmel vor Stolz; und meil Gottfried Friedeborn, der 
junge Landmann, deſſen Güter das ihrige umgrenzen, fie zum 

eibe begehrte, und fie auf meine Frage: Katharine, willt du 
ihn? antwortete: Vater, dein Wille fer meiner! ſo fagte ns 
der Herr fegne euch! und meinte und jauchzte, und beſchloß, 
Dftern, die kommen, fie nun zur Kirche zu bringen. — So 
war fie, ihr Herren, bevor fie mir diefer entführte . 

Graf Otte. Nun? und wodurch entführte er fie dir? 
Durch welche Mittel hat ex fie dir und dem Pfade, auf welchen 
du fie geführt hatteft, wieder entriffen? 

Theobald. Durch melde Mittel? — Ihr Herren, weni 
ich da8 jagen fönnte, jo begriffen es ae ünf Sinne, und 
fo ftänd’ ich nicht vor euch und klagte auf alle mir unbegreif- 
lihen Greuel der Hölle. Was fol ich vorbringen, wenn ihr 
mich fragt, no welche Mittel? Hat er fie am Brunnen 
getroffen, wenn fie Waller fchöpfte, und gefagt: lieb Mädel, 
wer biſt du? bat er fih an den Keller geftellt, wenn fie aus 
der Mette fam, und efragt: lieb Mädel, mo wohnſt du? 
bat er fich bei nächtliher Weile an ihr Fenſter eiölien 
und, indem er ihr einen Halsſchmuck umgehängt, gejagt: lieb 
Mädel, wo ruhft du? Ihr hochheiligen Herren, damit war fie 


7 


“ 


, 


W 


nicht zu gewinnen! ben Subastuß errieth unfer Heiland nicht 
raſcher, als fte folhe Künfte Nicht mit Augen, feit fie —— 
boren ward, hat ſie ihn geſehn; ihren Rücken und das Mal 
darauf, das ſie von ihrer ſeligen Mutter erbte, kannte ſie 
beffer als ihn. (Ex weint.) 

Graf Otto (nah einer Pauſe). Und gleichwohl, wenn er 
fie verführt hat, du wunderlicher Alter, fo muß es wann und 
irgendwo gejchehen fein. | 

zhenbann, Heiligen Abend vor Pfingften, da er auf . 
fünf Minuten in meine Werkſtatt kam, um fi), wie er fagte, 
eine Eiſenſchiene, die ihm zwiſchen Schulter und Bruſt los⸗ 
gegangen war, wieder zuſammenheften zu lajien — 

enzel. as! . 

Hans. Ynı hellen Mittag? 

Wenzel. Da er auf fünf Minuten in_deine Werkſtatt 
kam, um ſich eine Bruſtſchiene anheften zu laſſen? (Baufe) 

Graf Otto. Faſſe dich, Alter, und erzähle den Hergang. 

The obald (indem er fich die Mugen trocknet). Es mochte ohnge- 
fähr eilf Uhr Morgens fein, als er mit einem Troß Reifiger 
por mein Haus fprengte, raſſelnd, der Erzgepanzerte, vom 
Pferd ftieg und in meine Werfftatt trat: das Haupt tief herab 
neigt’ er, um mit den Reiherbüfchen, die ihm vom Helm nieder- 
wankten, duch die Thür zu kommen. Meifter, ſchau ber, 
jpriht er: bem Pfatzaraten der eure Wälle niederreißen will, 
di ’ ich entgegen, Die Luft ihn zu treffen jprengt . mir die 

ienen; nimm Eifen und Draht, ohne daß ich mich zu ent- 
Heiden brauche, und de fie mir wieder zufammen. Herr! 
fag’ ih: wenn euch die eule 2° die Ruſtung zerjchmeißt, fo 
[abe der PBfalzgraf unfere Wälle ganz; nöthig' ihn auf einen 
Seffel in des Zimmers Mitte nieder, und: Wein! ruf’ ic) in 
bie Thür, und vom frifchgeräucherten Schinten zum Imbiß! 
und jeg’ einen Schemel, mit Werkzeugen verjehn, vor ihn, um 
ihm die Schiene wieder herzuftellen. Und während draußen 
noch der Streithengft wiehert und mit den Pferden der Knechte 
den Grund zerftampft, daß der Staub, als wär’ ein Cherub 
vom Himmel niedergefahren, emporquoll: öffnet langfam, ein 
großes flaches Silbergefjhirr auf dem Kopf tragend, auf 
welchem Flafchen, Öle, und der Imbiß gejtellt waren, das 
Mädchen die Thür und tritt ein. Nun feht, wenn mir Gott 
der Herr aus Wolfen erfchiene, fo wird’ ıch mic) Ta Ale 
jo faffen wie fie. Geſchirr und Becher und Imbiß, da fie 
en Ritter erblidt, läßt fie fallen; und leichenbleic, mit Hän- 
den, wie zur Anbetung verfchränft, den Boden mit J und 
Scheiteln küſſend, ſtürzt ſie vor ihm nieder, als ob ſie ein 
Blitz niedergeſchmettert hätte! Und da ich ſage: Herr meines 
Lebens! was fehlt dem Kind? und ſie aufhebe: ſchlingt ſie, 


7 


wie ein Tafchenmefler te ‚den Arm um mid, 
das Antlitz flammend auf ihn gerichtet, als ob fie eine Er- 
fheinung hätte. Der Graf vom Strahl, indem er ihre Hand 
nimmt, Troat: weß ift das Kind? Gejellen und Mägde ftrömen 
herbei und jammern: hilf Himmel! was ift dem Uingferlein 
widerfahren; doch da fie fich, mit einigen gutern licken 
auf ſein Antlitz, erholt, ſo denk' ich, der Anfall iſt wohl auch 
vorüber, und gehe mit Pfriemen und Radeln an mein Ge- 
ſchäft. Drauf fag’ id: ohlauf, Herr Ritter! nun mögt 
ihr den Bfalzgrafen treffen, die Schiene ift eingerenkt, das 
erz wird fie euch nicht mehr zerjprengen. Der Sch Ieht 
auf; er fchaut das Mädchen, das m 18 an die Bruſthöhle 
ragt, vom Wirbel zur Sohle gedankenvoll an, und beugt Net, 
und küßt ihr die Stirn und fpricht: der Herr jegne bi un 
bebüte dich umd fchenfe dir feinen Frieden, Amen! Und da 
wir an das Fenſter treten, Kan fi) das Mädchen, in dem 
Augenblid, da er den Streithengſt befteigt, breißig Fuß body, 
mit aufgehobenen Händen, auf das P der der Straße nieder: 
leich einer Verlornen, die ihrer fünf Sinne beraubt ift! und 
Bricht fi) beide Lenden, ihr heiligen perren, beide zarten 
Lendchen, dicht über des Knierunds elfenbeinernem Bau; und 
ich alter bejammernswürdiger Narr, der mein verfintendes Le- 
ben auf fie ftügen mollte, muß fie auf meinen Schnltern wie 
u Grabe tragen; indefjen er dort, den Gott verdamme! zu 
Äperd, unter dem Volle, daS herbeiftrömt, heritberruft von 
— was regeteger ſei! — Hier liegt ſie nun auf dem 
odbett, in der 
ohne ſich zu regen. Seinen Laut bringt fie hervor, auch nicht 
der —2— ieſer Dietrich aller Herzen, eröffnet das ihrige; 
fein Menſch 
u entloden. Und prüft, da fie j9 ein wenig erholt hat, den 
E ,‚ und tritt beim Strahl der 


fiee verlobt war? 
Wenzel. Und begehrt auch deines Segens nicht einmal? 
Theobald. Berfhminbet, ihr Herren — verläßt mid) 
und Alles, woran Pflicht, Gewohnheit und Natur fie Intipften 
— füßt mir die Augen, die fchlunmernden, und verfchwindet; 
ich wollte, fie hätte fie mir zugedrüdt. 
Wenzel. Beim Himmel! ein feltfamer Vorfall. 
Theobald. Geit jenem Tage folgt fie ihm nun, glei 





8 8 


einer Mege, in blinder Ergebung von Ort zu Ort; geführt 
am Strahl feines Angeficht3, flinfdrähtig wie einen Tau um 
ihre ©eele gelest; auf nackten, jedem Kiefel ausgejegten, Füßen, 
das kurze ödchen, das ihre Hüfte dedt, im Winde flatternd, 
nichts als den Strohhut auf, fie gegen der Sonne Stich oder 
den Grimm empörter Witterung zu Hhligen. Wohin fein Fuß 
im Lauf feiner Abenteuer fich wendet, durch den Dampf der 
Klüfte, durch die Wüſte, die der Mittag verfengt, durch die 
Naht vermachjener Wälder: wie ein Hund, der von jeines 
Herren’ Schweiß gekoftet, fchreitet fie hinter ihm ber; und bie 
ewohnt war auf weichen Kiffen zu ruhen, und das SKnötlein 
fpiirte in des Betttuchs Faden, das ihre Yan unachtſam darin 
eingefponnen hatte: die liegt jeßt, einer Magd gleich, in jeinen 
Gtällen, und ſinkt, wenn die Nacht kommt, ermüdet auf „die 
Streu nieder, die feinen ftolzen Rofjen untergeworfen wird. 

Graf Otto. Graf Wetter vom Strahl! ift dies ge- 
gründet ? 

Gr. v. Strahl. Wahr its, ihr Herren; fie geht 
auf der Spur, die hinter, mir zurückbleibt. Wenn id 
mic gieenſehe, erblick ich zwei Dinge: meinen Schatten 
und ſie. 

Graf Otto. Und wie erklärt ihr euch dieſen ſonderbaren 
Umſtand? 

Gr. v. Strahl. Ihr unbekannten Herren der Vehme! 
wenn der Teufel fein Spiel mit ihr treibt, fo braucht 
er mich dabei, wie der Affe die Pfoten der Kate; ein Schelm 
will id) fein, FE er den Nußkern für mid. Wollt ihr meinem 
"Wort jchlehthin, wie's bie heilige, Schrift porjchreibt, glauben: 

ja, ja, nein, nein; gut! o nit, jo will ih nah Worms, 
und den Kaifer bitten, daß er den Theobald ordinire. Hier 
werf’ ich ihm il meinen Handſchuh hin! 

Graf Otto. Ihr ſollt hier Rede ftehn auf unfre Frage! 
Womit rechtfertigt IH daß fie unter eurem Dache fchläft? fie, 
die N da8 Haus bingehört, wo fie geboren und erzogen 
war 

Gr. v. Strahl. Ich war, es mögen ohngefähr zwölf 
Wochen fein, auf einer Reife, die mid) nach FEIN Hin führte, 
ermüdet in der Mittagshige an einer Felswand eingefchlafen 
— nidt im Traum gedacht’ ich des Mädchens mehr, das in 
Heilbronn aus dem. Fenſter geftürzt war — da liegt fie mir, 
mie ich erwache, gleich einer , entſchlummert zu Füßen, 
als ob fie vom Himmel _herabgejchneit wäre! Und da ich zu 
den Knechten, die im Grafe Berumliegen, fage: ei, was der 
Frußen das iſt ja das Käthchen von Heilbronn! ſchlägt ſie 
die Augen auf, und bindet ſich das Hütlein zuſammen, das 
ihr jchlafend vom Haupt herabgerutfht mar. Katharine! ruf 


9 


ih: Mädel! wo fommft auch ber? auf funfgeßn Meilen von 
Heilbronn, fernab am Geftade des Rheins? Hab’ ein Ge- 
häft, geftrenger Herr, antwortet fie, das mich gen Straßburg 
ut; Thauert mih im Wald fo einfan zu wandern, und 
hing mich zu euch. Drauf laſſ' ich ihr zur Erfrifchung reichen, 
was mir Gottſchalk der Knecht mit fi führt, und erkundige 
mich, wie der Sturz abgelaufen, auch was der Vater macht und 
was fie in Straßburg zu erjchaffen vente? Doch da je nicht 
[reihergig mit der Sprache herausrüdt: was auch geht's dich an, 
den?’ ich; ding’ ihr einen Boten, der fie durg den Wald führe, 
ſchwing' mich auf den Rappen und reite ab. Abends in der Her- 
berg auf der Straßburger Straß will ich mich eben zur Ruh 
niederlegen: da kommt Gottſchalk der Knecht und ſpricht, das 
Mädchen gi unten und begebre in meinen Ställen zu über- 
nachten. Bei den Pferden? frag’ ih. Ich lage: wenn's ihr 
weich genug ift, mich wird's nicht Drüden. d füge nod, 
indem ich mich im Bett wende, De magſt ihr wohl eine 
Streu unterlegen, Gottſchalk, und jorgen, daß ihr nichts wider- 
fahre. Drant wandert fie fommenden Tages, früher aufge- 
broden als ich, wieder auf ber —ã und lagert ſich 
wieder in meinen Ställen, und lagert ſich Nacht für Nacht, 
fo wie mir der Streifzug fortfchreitet, darin, als ob fie zu 
meinem Troß gehörte. Nun litt ich das, ihr Herren, um 
jenes grauen unwirrſchen Alten willen, der mich jest darum 
ftraft; denn der Gottſchalk in feiner Wunderlichkeit hatte das 
Mädchen lieb gewonnen, und pflegte ihrer in der That als 
feiner Tochter; führt dich die cite einst, dacht’ ich, dur 
Heilbronn, jo wird der Alte dir’ danken. Doch da fie fi 
aud in Straßburg in der erzbiihöflihen Burg wieder bei 
mir einfindet, und ich gleihmohl jpüre, daß fie nıcht3 im Orte 
erſchafft — denn mir hatte fie fid) ganz und gar gemeiht, 
und wuſch und flidte, als ob es fonft am Rhein nicht zu haben 
wäre: fo trete ich eines Tages, da ich fie auf der Stalljchwelle 
finde, zu ihr und frage, was für ein Geſchäft fie in Straß— 
burg betreibe? Ei, fpricht fie, geſtrenger Herr, und eine 
Röthe, daß ich denke, ihre- Schürze wird angehen, flammt über 
ihr Antlig empor, was fragt ihr doch? ihr wißt's ja! — 
olla! denf ich, fteht es jo mit dir? und fende einen’ Boten 
ugs nad Heilbronn dem Vater zu, mit folgender Meldung: 
a3 Käthchen fei bei mir; ich hütete feiner; in kurzem könne 
er es vom Schloffe zu Strahl, wohin idy e8 zurüdbringen 
würde, abholen. - 

Graf Otte, Nun? und hierauf? 

Wenzel. Der Alte holte die Jungfrau nit ab? 

Gr. ». Strahl. Drauf da er am zwanzigſten Tage, um 
fie abzuholen, bei mir erfcheint, und id ihn ın meiner Väter 


10 


Saal führe, erſchau' ich mit Befremden def er beim Eintritt 

in die Thur die Hand in dem MWeihfeffel ſect und mich mit 

dem Wafler, das darin befindlich ift, ne Ich, arglos 

wie ich von Natur bin, nöth’ge ihn auf einen Stuhl nieder, 

erzähle ihm mit Offenherzigkeit Alles was vorgefallen, eröffne 

ihm auch in meiner Teilnahme die Mittel, wie er die Sache 

feinen Wünfchen gemäß wieder in’ Geleis rüden könne; und 

reößte ihn und führ’ ihn, um ihm das Mädchen zu übergeben, 

in den Stall hinunter, wo fie [bt und mir eine Waffe von 

Roſt fäubert. So wie er in Die Thür tritt, und die Arme 

mit thränenvollen Augen öffnet, fie zu empfangen, ftärzt mir 

das Mädchen leichenbleich zu Füßen, alle ein en leer 

2 daß ich fie vor ihm fhüge. Gleich einer Salzjäule fteht er 

bei diefem Anblid da; und ehe ich mich noch gefaßt habe, 

fpricht er ſchon, das entjegenövolk Antlig auf mich gerichtet: 

das ift der leibhaftige Satan! und ſchmeißt mir den Hut, 

den er in der Hand hält, in's Geficht, als wollt’ er ein 

Greuelbild verfchwinden machen, und läuft, als jegte die 
ganze Hölle ihm nad, na eilbronn zurüd. 

Graf Otte. Du munderlier Alter! was haft du für 


Einbildungen? 
Wenzel. Was war in dem Venfahren des Ritters, das 
, Tadel verdient? Tann er dafür, wenn ſich das Herz deines 


thörihten Mädchens ihm zumendet ? 
er Was ift in diefem ganzen Borfall, das ihn 
antlagt. 


heobald. Mas Me anklagt? D du — Menſch, ent- 

jeelicher, als Worte fallen und der Gedanle ermigt: ftehft 

u nicht rein da, als hätten die Cherubim fich entfleidet und 

ihren Glanz dir, funfelnd wie Mailicht, um die Seele gelegt! 

— Mußt' ih vor dem Menſchen nicht erbeben, der Die 

Natur in dem reinften Herzen, das je gejchaffen ward, der- 

eftalt umgefehrt hat, das fie vor dem Dater, zu igr e⸗ 

ommen, ſeiner Liebe Bruſt ihren Lippen zu reichen, ee 

weißen Antliges entweicht, wie vor dem Wolfe, der fie zer- 

reißen will? Nun denn, fo walte, Helate, Fürſtin veB 

\ BZaubers, moorduftige Königin der Nacht! Sproßt, ihr dämo— 

nifchen Kräfte, die die menfchlihe Sagung fonft auszujäten _ 

bemüht war, blüht auf unter dem Athem der Hexen und 
\ SuokDzu Wäldern empor, daß die Wipfel fich zerfchlagen 
3* und die Pflanze des Himmels, die am Boden keimt, verweſe; 

rinnt, ihr Säfte der Hölle, tröpfelnd aus Stämmen und 

‚ Stielen gezogen, fallt wie ein Kataraft ins Yand, daß der 

erſtickende — zu den Wolken empordampft; fließt und 

ergießt euch Buch alle Röhren. des Lebens, und ſchwemmt in 

allgemeiner Sündflut Unſchuld und Tugend hinmeg! 


11 


Graf Otto. Hat er ihr Gift 'eingeflößt? 

get Meinſt du, daß er ihr verzauberte Tränke 
ereicht 
’ Hans. Opiate, die des Menfchen Herz, der fie genießt, 
mit gepeinmibpoe Gewalt umftriden? 

eobald. Gift? Dpiate? vr hoben Herren, was 
fragt ihr mi? Ich habe die Flafchen nicht gepfropft, von 
welhen er ihr an der Wand des Felſens zur Erhi ung 
reichte; ich ftand nicht dabei, als fie in der Serbege acht 
für Naht, in feinen Ställen jhlief. Wie fol ich wiſſen, ob 
er ihr Gift eingeflößt? habt neun Donate Geduld; alsdann 
follt ihr fehen, wie's ihrem jungen Leibe befommen: ift. 

Gr. v. Strahl. Der alte Eſel, der! dem entgegn’ ich 
nichts, al3 meinen Namen! Ruft fie Er und wenn A 
ein Wort fagt, auch nur von fern duftend, wie Diefe 
danfen, fo nennt mich den Grafen von der flinfenden 
oder wie es fonft eurem gerechten Unmillen beliebt. 


füge, 


Zweiter Auftritt, 


it verbund ‚ geführt 1 94 . — Die HA 
a ae Eu r er ee — — 8* ſcher 
NQathchen 
(lieht AG in der Berſammlung um, und ur da fie den Grafen erblidt, eine Knie 
or iijm). 


Mein hoher Herr! _ 
hoher d Gr. v. Strahl. 


Was wilft du? 


Käthchen. 
Vor meinen Richter hat man mich gerufen. 


Gr. v. Strahl. 
Dein Richter bin nicht ich. Steh auf, dort ſitzt er; 
Hier ſteh' ich, ein Verklagter ſo wie du. 
Kaäthchen. 
Mein hoher Herr! du ſpotteſt. 
Gr. v. Strahl. 
Nein! du hörſt! 
Was neigft du mir dein Angefiht in Staub? 
Ein Zaubrer bin ih, und geitand es ſchon, 
Und laß aus jedem Band, das ich dir wirkte, 
Jetzt deine junge Seele los. (Gr erhebt fie.) 


— 


12 


Graf Otto. 
Hier, Jungfrau, wenn's beliebt; hier ift Die Schranke! 
Hans, 
Hier figen deine Richter. 
Käthchen (fieht fih um). 
Sr et mid). 


: Hier tritt heran! hier Kot du Aeie ſtehn. 
(Käthchen ſtellt ſich neben den Grafen vom Strahl, und ſieht die Richter an.) 
Graf Otto. 


Wenzel. 


Nun? 
Wird's? 
Hans. 
Wirſt du gefällig dich bemühn? 


Graf Otte. 
Wirft dem Gebot dich beiner ler fügen? 


Käthchen (für ſich). 
Wenzel. 


Sie rufen mid. 


Kun ja! 
Han. 
— ſagte ſie? 
f Otto (Befremdet). 
Ihr Herrn, was fehlt vom Sf nderbaren Weſen? 
(Sie ſehen ſich an.) 


r Käthchen (für ſich). 
Vermummt von Kopf zu Füßen ſitzen ſie 
Wie das Gericht am de ten Tage da! 
Gr. v. Strahl (fie aufwecend). 
Du wunderliche Maid! was träumſt, was treibſt du? 
Du ſtehſt hier vor dem heimlichen Gericht! 
Auf jene böſe Kunſt bin ich verklagt 
En: der ih mir, du weißt, dein de 
Geh hin und melde jego, was gefchehn! 
Kathchen 
(ſieht ihn ‚an und legt ihre Hände auf die Bruſt). 
— Di quälft mich graufam, daß ich weinen möchte! 
Belehre Deine Mag 5 mein ebler Dane 
Wie foll ich mid) R diefem Falle faſſen? 


Graf Dtto (ungeduldig). 


gewann, 


Belehren — mas! 


13 


dant. 
Bei Gott! ift es erhört? 
Gr. v. Strahl 
(mit noch milder Strenge). 
Du son fogleidy vor jene Schranke treten, 
Und Rede ftehn, auf was Pay fragen wird. 
äthihen. 
Nein, mid! du bift perfiagt? - 
Gr, v. Streit: 
Du börft. 


Käthchen 
Und jene Männer dort ſind deine ichter? 
Gr. v. Strahl. 
So iſt's. 


Käthchen (ur Schranle tretend). 

Ihr würd'gen Herrn, wer ihr auch ſein mögt dort, 
Steht *— vom Richtſtuhl auf und räumt ihn dicſem! 
Denn, beim lebend'gen Gott, ich ſag' es euch, 
Rein wie kn Harmniſch ift fein. Herz, und eures 
Verglichen ihm, und meins, wie eure Mäntel. 
Wenn bier ‚geflindig gt ward, ift er der Richter, 
Und ihr folt zitternd ”“ ver aaranle ftehn! 
Du Närrin, jüngft der Habeiän ur "entlaufen, 3 
Woher kommt die prophet’ihe Kunde dir? 
Weld ein Apoftel hat dir daS vertraut? 


Theobald. 
Seht die Unſelige! 
Kathchen 


(da fie den Vater erblidt, auf ihn zugehend). 
Mein theurer Bater! 
(Sie will feine Hand ergreifen.) 
Theobald (freng). 
Dort ift der Ort jebt, wo du Bingehörft! 
Niüuthchen. 
Weiſ' mich nicht von dir. 
(Sie faßt feine Hand und kußt fie.) 
Theobu 
— Kennft du das Haar noch wied 
Das deine Flucht mir en * gefärbt? 


Kein Tag verging, daß ht einmal dachte, 


14 


Wie feine Roden fallen. Set geduldig, 
Und gieb dich nicht unmäß'gem Grame Preis: 
Wenn Freude Roden wieder dunkeln kann, 
So ſollſt du wieder wie ein Jüngling blühn. 
j _ Graf Otto. 
Ihr Häfcher dort! ergreift fie! bringt fie her! 
Theobald, 
Beh hin, wo man dich ruft. 
Käthchen 
(gu den Richtern, da ſich ihr die Häſcher nähern). 
Was wollt ihr mir? 


Wenzel. 
Saht ihr ein Kind fo ftörrig je als dies? 
Graf Dtto 
(da fie vor der Schranke ficht). 
Du jollit bier Antwort geben, kurz und bündig, 
Auf unfre,Fragen! denn wir, von unjerem 
Gewiffen ein efett, find deine Richter, 
Und an der Strafe, wenn du frereten 
Wird's deine übermüth'ge Seele fühlen. 


Käthchen. 
Sprecht, ihr verehrten Herrn, was wollt ihr wiſſen? 


Graf Otto. 

Warum, als Friedrich Graf vom Strahl erſchien 
J deines Vaters Haus, biſt du zu Füßen, 

ie man vor Gott thut, nieder ihm geſtürzt? 
Warum warfft du, als er von dannen ritt, 
Dich‘ aus dem Fenfter finnlos auf bie Straße, 
Und folgteft ihm, da faum dein Bein vernarbt, 
Bon Ort zu Ort, dur Nacht und Graus und Nebel, 
Wohin fein Roß den Fußtritt wendete? 

.Käthchen ( hhochroth zum Grafen). 
Das ſoll ich hier vor dieſen Männern ſagen? 
Gr. v. Strahl. 
Die Närrin, die verwünſchte, ſinnverwirrte, 
Was fragt ſie mia? Iſt's nicht an jener Männer 
Gebot, die Sache darzuthiin, genug ? 
Kaͤthchen 
(in den Staub niederfallend). 

Nimm mir, o Herr, das Leben, wenn ich fehlte! 
Was in des I ie ſtillem Rei geihehn, 
Und Gott nicht Itraft, das braucht fein Menfch zu wiffen; 


15 


Den nenn’ ih graufam, der mich darum fragt! 
Wenn du e3 wiſſen mwillft, wohlan, fo rede, . 
Denn dir liegt meine Seele offen da. 


Hanß, 
Ward, feit die Welt fteht, fo etwas erlebt? 


Wenzel. 
Im Staub Tiegt fie vor ihm — 


Hans, 
Geftürzt auf Knieen — 


' Wenzel, 
Wie wir vor dem Erldſer hingeftredt! 
» Gr. u. Strahl (a den Richtern). 


Ihr mürd’gen Herrn, ihr rechnet, hoff’ ih, mir 
ir diefed — —* an! Dt fie 
Ein Wahn bethört, ift Har, wenn euer Sinn 
Auch gleic wie meiner, noch nicht einſieht, welcher? 
Erlaubt ihr mir, ſo freg ich ſie darum: 
Ihr mögt aus meinen Wendungen entnehmen, 
Ob meine Seele ſchuldig iſt, ob nicht? 
| Graf Otte 
(ihn forſchend anfehend). 
Es ſei! verſucht's einmal, Herr Graf, und fragt fie. 
Gr v. Strahl 
‚(wendet fi, zu Käthchen, die noch immer auf Knieen liegt). 
Willt den geheimften der Gedanken mir, 
Kathrina, der dir irgend, faß mich wohl, 
Im Winkel wo des Herzens fchlummert, geben? 
Käthchen. 
Das ganze Herz, o Herr, dir, willt du es, 
So biſt du ſicher deß, was darin wohnt. 
Gr. v. Strahl. 3 
Was iſt's, mit einem Wort, mir rund gelagt, 
Das dich aus deines Vaters Haufe trieb? 
Was feflelt dich an meine Schritte an? 
Kathchen. 
Mein hoher Aldi da ge du mich zuviel. 
Und läg’ id) ſo, wie ich vor dir.jegt liege, =, 
Bor meinem eigenen Bewußtſein da: 
Auf einem goldnen ir laß e8 tbronen, “ 
Und alle Schreden des Gewiſſens ihm 
In Flammenrüftungen zur Geite ftehn; 





78 
N 


Wo? 


16 


So ſpräche jeglicher Gedanke no 
Auf ee gefragt: ich De es nicht. 

Gr. v. Strahl, 
Du lügft mir, Jungfrau? willft mein Wiffen täujchen? 
Mir, der doch das Gefühl dir ganz umftridt? 
Mir, defien Blick du daliegft, wie die os 
Die ihren jungen Keld dem Licht erſchloß? — 
Mas hab’ ich ir einmal, du weißt, hen 
Was ift an Leib und Seel’ dir widerfahren? 
Kaͤthchen. 


Gr. v. Strahl 
Dao oder dort. 
Kaͤthchen. 


Wann? 
Gr. v. Strahl. 
Jüngſt oder früherhin. 
Käthien, 
Hilf mir, mein hoher Herr. 
Br. Ya, ib l. Bert 
a, ich dir helfen, 
Du munderliche8 Ding — (Er Hält inne.) 
Beſinnſt du dich auf Nichts? 
(Käthchen fieht vor fich nieder). 
Was für ein Ort, wo du mich je gefehen, 
Iſt dir im Geift, vor andern, gegenwärtig? 
Käthchen. 
Der Rhein iſt mir vor allen gegenwärtig. 


Gr. v. Strahl. 
Ganz recht. Da eben war's. Das wollt’ ich willen. 
Der Felſen am Geftad des Rheins, wo wir 
Zuſammen ruhten in der Mittagshige. 
— Und du gedenfjt nicht, was dir da gefchehn? 
Käthchen. 
Nein, mein verehrter Herr. 

Gr. v. Strahl. 

in Nicht? nicht? 
— Was reicht! ich deiner Lippe zur Erfriſchung? 
Zathchen. 

Du fandteft, weil ich deines Weins verſchmähte, 
Den Gottſchalk, deinen treuen Knecht, und ließeſt 
Ihn einen Trunk mir aus der Grotte fchöpfen. 





17 


Gr, v. Strahl. 
Ich aber nahm dich bei der Han, * reichte 
Sonſt deiner Lippe — nicht? was ſtockſt du da? 


Käthchen. 
Wann? 
Gr. v. Strahl. 
Eben damals. 
efäthchen. 
Nein, mein hoher Herr. 
Gr. v. Strahl. 
Jedoch nachher? 


äthchen. 
In Straßburg? 
Gr. v. Strahl. 
Oder früher. 
Kathchen. 
Du haſt mich niemals bei ver Hand genommen. 
Gr. v. Strahl. 
Kathrina! 
Kathchen (exroͤthend). 
Ach vergieb mir; in Heilbronn! 


Gr. v. Strahl. 
Wann? 
Käthchen. 
Als der Bater dir am Harniſch wirkte. 
Gr. v. Strahl. 
Und ſonſt nicht? 
Kauͤthchen. 
Nein, mein hoher Herr. 
Gr. v. Strahl. 
Kathrina! 
Käthchen. 


Gr. v. Strahl. 
Ja, Pen fonft, mas weiß ic). 


’ Käthchen Gefinnt fich. 
Sn Sfraßburg einſt, erinnr' ich mich, beim Kinn. 


Gr. v. Straßl. 


Mich bei der Hand? 


Wann? 


then 
As ich auf der Sämele m: und weinte, 
Und dir auf was du fprachit, nicht Rede ſtand. 
BR. d. d. Nationalliteratur. Kleifſt. J. 





18 
Gr. v. Strahl. 
Warum nicht ſtandſt du Ned’? 


Kathchen. 
Ich ſchämte mich. 


Gr. v. Strahl. 


Du ſchämteſt dich? Ganz recht. Auf meinen Antrag. 


Du wardſt glutroth bis an den Hals hinab. 
Welch einen Antrag macht’ ich dir? 
Käthchen. 
Der Vater, 
Dir würd',ſprachſt du, daheim im Schwabenland 
Um mich ſich härmen, und befragteſt mich, 
Ob ich mit Pferden, die du ſenden wollteſt, 
Nicht nach Heilbronn zu ihm zurück begehrte? 
Gr. v. Strahl (at). 
Davon iſt nicht die Rede! — Nun, wo auch, 
Wo hab' ich ſonſt im Leben dich ee 
— Ich hab' im Stall zumeilen dich bejudht. 
Kkathchen. 
Nein, mein verehrter Herr. 
Gr. v. Strahl. 
Nicht? Katharina! 
Kathchen. 
Du haſt mich niemals in dem Stall beſucht, 
Und noch viel wen'ger rührteſt du mich an. 
Gr. v. Strahl. 


Kaäthchen. 
Nein, mein hoher Herr. 


Gr. v. Strahl. 
Kathrina! 


Käthchen (mit Affec). 
Niemals, mein hochverehrter Herr, niemals. 
Gr. u. Strahl. 
Nun feht, bei meiner Treu, die Lügnerin! 
. Käthchen. 
Ich will nicht ſelig ſein, ich will verderben, 
Wenn du mich je —! 
Gr. v. Strahl 
(mit dem Schein der Heftigleit). 
Da ſchwört fie und verflucht 
Sic, die leichtfert’ge Dirne, noch und meint, 


ag! niemals? 


19 


Gott werd’ es — jungen Blut vergeben! 

— Was ift ge eh, Hin? Tag’ von hier am Abend, 
In meinem Stall, als es ſchon dunkelte, 

Und ich den Gottſchalk hieß, fich zu entfernen? 


Käthchen. 
O Jeſus! ich bedacht' es nicht! — 
Im Stall zu Strahl, da haſt du mich beſucht. 
Gr. v. Strahl. 
Nun denn! da iſt's heraus! da hat ſie nun 
Der Seelen Seligkeit ſich —ã—— 
Im Stall zu Strahl, da hab' ich ſie beſucht. 
(Kaäthchen weint. Pauſe.) 
Graf Otto. 
Ihr quält das Kind zu ſehr. 
Theobald 
(nähert ſich ihr gerührt). 
Komm, meine Tochter. 
(Er will fie an feine Bruſt heben.) 
Käthchen. 
Laß, laß! 


Wenzel. 
Das ner ich menſchlich nicht verfahren. 


Graf Otto. 
Zulegt ift Nicht im Stall zu Strahl gefchehen. 
Gr. v. Strahl (feht fie an). 
Bei Gott, be Herrn, wenn ihr des Glaubens feid: 
Ih bin’s! Befehlt, fo gehn wir aus einander. 
Graf Otte. 
Ihr follt das Kind befragen, hi die Meinung, 
Nicht mit barbarifcheın Triumph verhöhnen. 
Sei's, daß Natur euch ſolche Macht verliehen: 
Geübt wie ihr's thut, ift fie haſſenswürd'ger, 
Als ſelbſt die Höllenkunft, der man euch zeibt. 
Gr. v. Strahl 
7 (erhebt das Käthchen vom Boden). 
Ihr Herrn, was ich gethan, das that ich nur, 
Sie mit Triumph bier vor euch zu erheben! 
Statt meiner — (auf den Boden Hinzeigend) 
fteht mein Handſchuh vor Gericht! 
Glaubt ihr von Schuld fie rein, wie fie e8 tft, 
Wohl, fo erlaubt denn, daß fie ſich entferne. 


Benzel. 
Es fcheint, ihr habt viel Grunde, das zu wänfhen? 





% 


‚Gr. v. Strahl. 
Ih? Gründ’? entſcheidende! Ihr wollt fie, hoff’ ich, 
Nicht mit barbar’ihem Uebermuth verhöhnen? 
Wenzel (mit Bedeutung). 
Wir wünſchen doc), erlaubt ihr's, noch zu hören, 
Was in dem Stall damals zu Strahl gefchehn. 


Gr. v. Strahl. 
Das wollt ihr Heren noch? — 


Wenzel. . 
Allerdings! - 
Gr. v. Strahl 
(glutroth, indent ex fidy zum Käthchen wendet). 


Knie nieder! 
(Kathchen Täft ſich auf Knieen vor ihm nieder.) 


Öraf Otto. 
Ihr feid ſehr dreift, Herr Friedrich Graf vom Strahl! 


. . Gr. v. Strahl (zum Käthhen). 
Sp recht! mir giebft du Antwort und fonft feinem. 


Hans, 
Erlaubt! wir werden fie — 


Gr. v. Strahl (even fo). 
, Du rührft dich nicht! 
gier fol dich Keiner richten, als nur der, 
en deine Seele frei ſich untermirft. | 


Wenzel 
Herr Graf, man wird hier Mittel — 
Gr. v. Strahl 
(mit unterdrüdter Heftigleit). 
sa fage, nein! 
Der Teufel fol mid holen, zwingt ihr fie! — 
Was wollt ihr willen, ihr verehrten Herrn? 


ans ( end). - 
Beim Himmel! h ra 


Wenzel. 
Sold ein Trog fol —! 


Hand. . 

He! die Häfcher! 
Graf Otto (Kalklaut). 

Laßt, Freunde, laßt! vergeßt nicht, wer er ift. 


21 


Erfier Ridter. 
Er hat nicht eben, drüdt Berjhuldung ihn, 
Mit Fıft fie itberhö rt. 
Zweiter ninten 
a3 jag’ ih auch! 
Man kann ihm das Gefchäft wohl überlaffen. 
Graf Otto 
(um Grafen vom Strahl). 
—* e, was ehn, fünf Tag' von hier, 
li zu Sit als Fr [om punfelte 
Um ihr den Gottſchalk hießt, fich zu entfernen? 


Gr v. Strahl (um Käthten). 
Was Ai, — n, ſunf Tag' von hier, am Abend, 
Im trahl, als es ſchon dunkelte, 
Und 3 den —88* hieß, ſich zu entfernen? 
Käthchen. 


Mein hoher Sl, vergieb mir, wenn ich fehlte; 
Jetzt leg’ ich Alles Pr für Buntt, dir dar. 
.v Stra 


ahl. 
Gut. — Da berührt 9 ig und zwar — nicht? freilich! 
Das ſchon geſtand'ſt du? Rüthen 
t 
S mein. verebrter Herr. 


Gr. v. Strahl. 


Nun? 
Kathchen. 
Mein verehrter Herr? 
Gr. v. Strahl. 
Was will ich wiſſen? 
Käthchen. 
Was du willſt wiſſen? 
Gr. v. Strahl. 
Heraus Dani was ftodft du? 
Ih nahm und herzte Dich und küßte Dich, 
Und fchlug den Arm dir — 


Käthchen. 
Nein, mein hoher Herr. 


Gr. v. Strahl. 
Was ſonſt? 


Käthchen. 
Du ſtießeſt mich mit Füßen von dir. 


22 


i Gr» Strahl. 
Mit Füßen? Nein! das thu ich keinem Hund. 
Warım? weshalb was hatt'ſt du mir gethan? 


Käthchen. 
Weil ich dem Vater, der voll Huld und Güte 
Gekommen war, mit Pferden, mich zu holen, 
Den Rülcken voller Schrecken wendete, 
Und mit der Bitte, mich vor ihm zu A 
Im Staub vor dir bemußtlos nieder janf. 


Gr. v. Straßl. 
Da hätt’ ih dich mit Füßen mweggeftoßen? 


Käthchen. 
Ja, mein verehrter Herr. 


Gr. v. Strahl. 
Ei, Poſſen, was! 
Das war nur Schelmerei des Vaters wegen. 
Du bliebft doch nach wie vor im Schloß zu Strahl. 


Käthchen. 
Nein, mein verehrter Herr. 


Gr. v. Strahl. 
Nicht? wo auch ſonſt? 


Käthchen. 

Als du die Peitſche, flammenden Geſichts, 
erab vom Riegel nahmſt, ging ich hinaus 
or das —* Thor und lagerte 

Mich draußen am zerfallnen Mauernring, 

Wo in ſüßduftenden enderb en 

Ein Zeiſig zwitſchernd ſich das Neſt gebaut. 

Gr. v. Strahl. 

Hier aber jagt' ich dich mit Hunden weg? 

Käthchen. 
Nein, mein verehrter Herr. 


Gr. v. Strahl. 
Und als du wichſt, 
Verfolgt vom Hundgeklaff, von meiner Grenze, 
Rief io den Nachbar auf, Dich zu verfolgen 


Kaäthchen. 
Nein, mein verehrter Herr! was ſprichſt du da? 
Gr. v. Strahl. 
Nicht? nicht? — Das werden dieſe Herren tadeln. 


23 
Käthchen. 
Du kümmerſt dich um dieſe Herren nicht. 
Du ſandteſt Gotiſchalk mir am dritten Tage, 
Daß er mir fag’: dein Tiebes Käthchen wär’ ich; 
Bernünftig aber möcht’ ich fein und gehn. 


Gr. v. Strahl. 
Und was entgegneteft du dem? 


Käthchen. 
% jagte, 
Den Zeifig litteft du, den zwitjchernden, 
In den Jüßduftenden Hollunderbüfchen: 
Möcht'ſt denn das Käthchen von Heilbronn auch leiden. 


Gr. v. Strahl (erhebt das Käthchen). 
Nun dann, fo nehmt fie hin, ihr Herrn der Vehme, 
Und macht mit ihr und mir jet, was ihr wollt. (Banfe.) 


Graf Dtto (unwilig). 
Der aberwit’ge Träumer, unbefannt 
Mit dem gemeinen Zauber der Natur! — 
Wenn euer Urtheil reif wie meins, ihr Herrn, ‘ 
Geh’ ih zum Schluß und laſſ' die Stimmen ſammeln. 


Wenzel. 


E 2 


Zum Schluß! 
Hans, 


Die Stimmen! 


Alle. 
Sammelt jie! 


Ein Richter. 
Der Narr, der! 
Der Fall iſt Har. Es ıft hier nicht3 zu richten. 


Graf Otto. 
Behm- Herold, nimm den Helm und ſammle fie, 
(Behm «Herold fammelt die Kugeln ft den Helm, worin fie liegen, dem 
rafen. 


Graf Otto (Reht auf). . 
dert Friedrich Wetter Graf vom Strahl, du bift 
Einftimmig von der Vehme Iosgeihrocen, 

Und dir dort, Theobald, dir geb’ ich auf, 
Nicht fürder mit der Klage zu erfcheinen, 
Bis du kannſt beifere Beiveike bringen. 

(Zu den Richtern.) 

Steht auf, ihr Herrn! die Sigung ift gefchloffen. 
(Die Richter erheben fich.) 


A 
"She boöperebrten Gerin, ihr Ipreit ihn fehl 

r bochverehrten Herrn, ibr fprecht ihn ſchuldlos? 
at, jagt ihr, hat die det, aus Nichts gemacht; 
Und er, der fie durch Nichts und wieder Nichts 
Bernichtet, in das erfte Chaos ftürzt, 
Der ſollte nicht der leid’ge Satan Pin? 


Graf Otto. 
Schweig, alter, grauer Thor! wir find nicht da, 
Dir die verrüdten Sinnen einzurenten. 
Behm-Häfcher, an dein Amt! blend ihm die Augen, 
Und führ ihn wieder auf das Feld hinaus. 


Theobald. 
Was! auf das Feld? mich hülflos greifen Alten? 
Und dies mein einzig liebes Kind — 
Graf Otte. 

err Graf, 


Das überläßt die. Vehme euch! Ihr zeigtet 
Bon der Gewalt, die ihr bier übt, fo mande 
Befondre Probe uns; laßt uns noch eine, 
Die größefte, bevor wir Geiben, Iehn 

Und gebt fie ihrem alten Vater wieder. 


Sr, v. Strahl. 
Ihr Herren, was ich thun kann, ſoll geſchehn. — 
Jungfrau! 
thchen. 


Kaã 

Mein hoher Herr! 
Gr. v. Strahl. | 

Du liebft mich ? 


Kaͤthchen. 
Herzlich! 


Gr. v. Strahl. 
So thu mir was zu Lieb'. 


Kaüthchen. 
Was willſt du? ſprich. 


Verfolg mich nid —8* — 4 
erfolg mi nit. Geh na eilbronn zurüd. 
— if du das thun? — 
Ktäthchen. 
Ich hab' es dir verſprochen. 
(Sie fällt in Ohnmacht.) 
Theobald (empfängt fie). 
Mein Kind! mein einziges! Hilf, Gott im Himmel! 
Gr. v. Strahl (wendet fid). 
Dein Tuch her, Häfcher! (x verbindet fi die Augen.) 


. 25 


Theobald. 
O perflucht ſei, 
Mordſchau'nder Baſiliskengeiſt! mußt' ich 
Auch dieſe Probe deiner Kunſt noch ſehu? 
Graf Otto 
(vom Richtſtuhl herabſteigend). 
Was iſt geſchehn, ihr Herrn? 
Wenzel. 
Sie ſank zu Boden. (Sie betrachten fie), 
Gr. v. Strahl (u den Häfhern). 
Führt mich hinweg! 
Theobald. 


Der Hölle zu, du Satan! 
Laß ihre ſchlangenhaar'gen Pförtner dich 
An ihrem Eingang, Zauberer, ergreifen 
Und dich zehntaufend Klafter tiefer noch, 
Als ihre wildften Flammen lodern, fchleudern! 

Graf Otto. 

Schweig, Alter, ſchweig! 
Theobald (meint). 
Mein Kind! mein Käthchen! 


Kaͤthchen. 
Ach! 


Wengel (Ereudig). 
Sie ſchlägt die Augen auf! 


ang, 
Sie wird fich faſſen. 


oh Otto. 
Bringt in des Pförtners Wohnung fie! hinweg! (Me ab.) 


Bmweiter Akt. 


Scene: Wald vor der Höhle des heimlichen Gerichte. . 


Erſter Antritt. 


Der Graf som Girahl tritt auf mit verbundenen Augen, g von zwei Häfchern, 
die ihm die Angen aufbinden, und alsdann in die Höhle zurüdtehren — Er wirft 
fih auf den Boden nieber weint. 

Gr. u. Strahl. Nun will ich hier wie ein Schäfer liegen 
und Hagen. Die Sonne fcheint noch röthlich durch die Stänme, 





U) » 
26 o 


' 

auf welchen die Wipfel des Waldes ruhn; und wenn ich nad) 
einer kurzen BViertelftunde, fobald fte hinter den Hügel ge 
ſunken ift, auffiße, und mid) im Blachfelde, mo der a eben 
Mr ein wenig daran alte, fo fomme ih noch nah Schloß 
etterftrahl, ehe die Lichter darin erloſchen find. Ich will 
mir einbilden, meine Pferde dort unten, wo die Duelle riefelt, 
wären Schafe und Biegen, die an dem Felſen Hletterten und 
an Öräfern und bittern Geſträuchen rifjen; ein leichtes weißes 
linnenes Zeug bededte mich, mit rothen Bändern zufammen- 
gebunden, und um mid her flatterte eine Schaar muntrer 
Winde, um die Seufzer, die meiner von Sram jehr gepreßten 
Bruſt entgriten gradaus zu der guten Götter Ohr empor zu 
tragen. Wirklich und A Ich will meine Mutter⸗ 
—5 durchblättern, und das ganze reiche Kapitel, daS dieſe 
—— führt: Empfindung, dergeſtalt plündern, daß kein 
Reimſchmidt mehr auf eine neue Art ſoll ſagen können: ich 
bin betrübt. Alles, was die Wehmuth Rührendes hat, will 
ich aufbieten, Luſt und in den Tod gehende Betrübniß ſollen 
ſich abmechlein, und meine Stimme wie einen fohönen Tänzer 
durch alle Beugungen hindurch führen, die die Seele bezaubern ; 
und wenn die Bäume nicht in der That bewegt werden, und 
ihren milden Thau, ala ob es geregnet hätte, herabträufeln 
lafien, jo find fie von Sol, und Alles, mas uns die Dichter 
von ihnen ii en, ein bloßes liebliches Märhen. O du — 
wie nenn’ ich dich? Käthchen! warum Fanır ich Dich nicht mein 
nennen? Käthchen, Mädchen, Käthchen! warum fann ich dich 
nicht mein nennen? warum kann ich dich nicht aufheben, und 
in das duftende Himmelbett tragen, das mir die Mutter da- 
im im Prunkgemach aufgerichtet hat? Käthchen, Käthchen, 
äthchen! du, deren junge Seele, als fie heut nadt vor mir 
ftand, von mwollüftiger en Ye gänzlich triefte, wie die mit 
Delen gefalbte Braut eines Perſerkönigs, wenn fie, auf alle - 
Teppiche niederregnend, in fein Gemach geführt wird! Käthchen, 
Mädchen, Käthchen! warum kann ich es nit? Du Schönere 
als ich fingen kann, ich will eine eigene Kunft erfinden, und 
dich meinen. Alle Phiolen der Empfindung, himmliſche und 
irdifche, will ich eröffnen, und eine folche Miſchung von Thränen, 
einen Erguß o eigenthümlicher Art, ſo heilig zugleih und 
üppig, —— — daß jeder Menſch gleich, an deſſen 
Fi ie meine, fagen fol: fie fliegen dem Käthchen von 
eilbronn! — — Ihr grauen, bärtigen Alten, was wollt ihr? 
warum verlaßt ihr eure goldnen —8 ihr Bilder meiner 
geharniſchten Väter, die meinen Rüſtſaal bevölkern, und tretet 
in unruhiger Fa hier um mich herum, eure ehr- 
wiürdigen Locken jchüttelnd? Nein, nein, nein! zum Weibe, 
wenn ich fie gleich Liebe, begehr’ ich fie nicht; eurem folgen 


27 


Reigen will ih mich anfchließen: das war befchloffene Sache, 
no —* ihr — Dich aber, Winfried, der ihn inet bu 
Erfter meines Namens, Göttlicher mit der Scheitel des Zeus, 
dich frag’ ich, ob die Mutter meines Geſchlechts mar wie 
diefe: von jeder frommen Zugend ftrahlender, makelloſer an 
Leib und Seele, mit jedem iebreig geihmidter als fie? O 
Winfried! grauer Alter! ich küſſe dir die Hand, und danke 
dir, daß ich bin; doch hätteft du fie an die ftählerne Bruft 
gebrüdt, du hätteft ein Gefchleht von Königen erzeugt, und 
Wetter vom Strahl hieße jedes Gebot auf Erden! Ich weiß, 
daß ich mich fallen und diefe Wunde vernarben werde: denn 
welhe Wunde vernarbte nicht der Menfh? Doch wenn ıd 
jemals ein Weib finde, Käthchen, dir gleich: fo will ich die 
Länder durchreifen, und die Sprachen der Welt lernen, und 
Gott preijen in jeder Zunge, die geredet wird. — Gottſchalk! 


— 





Zweiter Auftritt. 


Gottſchalk, ber Graf vom Strahl. 


Gottſchalk Graußen). Heda! gerr Graf vom Strahl! 

Gr. v. Strahl. Was giebt's 

Gottſchalk. Was zum Henker! ein Bote iſt angekommen 
von eurer Mutter. 

Gr. v. Strahl. Ein Bote? 

Gottſchalk. Geſtreckten Laufs, keuchend, mit verhängtem 
Zügel; mein Seel, wenn euer Schloß ein eiſerner Bogen und 
er ein’ Pfeil geweſen wäre, er hätte nicht raſcher Perange: 
Ichoflen werden können. 

Sr. v. Strahl. Was hat er mir zu fagen? 

Gottſchalk. He Ritter Franz! 





Dritter Auftritt. 


Nitter Flammberg tritt auf. Die Borigen. 


Sr. v. Strahl. Flammberg! — was führt dich fo eilig 
zu mir ber? 

Flammberg. Gnädigfter Herr! eurer Mutter, der Gräfin, 
Gebot; fie befahl mir, den beften Renner zu nehmen und 
euch entgegen zu reiten. 

Gr, u. Strahl. Nun? und was bringjt du nur? 

Slammberg. Krieg, bei meinem Eid, Krieg! ein Auf« 


/ 


28 


ebot zu neuer Fehde, warnt, wie fie e8 eben von des Herolds 
ippen empfangen hat. 

Gr. v. Strahl (Getrete). Weſſen? — doch nicht des 
Burggrafen, mit dem ich eben den Frieden abſchloß? (Er ſetzt 
fi) den Helm auf.) 

Flammberg. Des Rheingrafen, des unters vom Stein, 
der unten am weinumblühten Neckar feinen Sitz hat. 

Gr. v. Strahl. Des Nheingrafen! was hab’ ich mit dem 
Rheingrafen zu fchaffen, Flammberg ? 

Slammbere. Mein Seel! was hattet ihr mit dem 
Burggrafen zu fehaffen? und was wollte jo mancher Andere 
von euch, ehe ihr mit dem Burgagrafen zu fchaffen Friegtet ? 
Wenn ihr den Heinen griechifchen Feuerfunken nicht hustretet, 
der diefe Kriege veranlaßt, h folt ihr noch das ganze 
Schwabengebirge wider euch’auflodern ſehen, und die Alpen 
und den Sunderäd obenein. \ 

.Gr. v. Strahl. Es iſt nicht möglih! Fräulein Ku- 
nigunde — 

Flammberg. Der Rheingraf ger ert, im Namen Fräulein 
Runigundens von Thurned, den Wiederlauf eurer Herrihaft 
Staufen, jener drei Städtlein und fiebzehn Dörfer und Bor- 
werfer, eurem Vorfahren Otto von Peter, dem ihrigen, unter 
der befagten Clauſel fäuflich abgetreteg; gerade & wie Dies 
der Burggraf von Freiburg, und in Yiußeren eiten ſchon 
ihre Bettern in ihrem Namen gethan haben. 

Gr. v. Strahl (net auf. Die rajende Megäre! ift das 
nicht der dritte Neichsritter, den fie mir, einem Hund’ gleich, 
auf den Hals best, um mir ih Landſchaft abzuja en! Ich 

laube, das ganze Weich ui ihr aus der Hand. Üleopatra 
fon Einen, und als der ſich den Kopf zerjchellt hatte, ſchauten 
ie Anderen; doch ihr dient Alles, was eine Rippe weniger 
bat, als fie, und für jeden Einzelnen, den ich ihr zerzauft 
zurüdfende, ftehen zehn Andere wider mi auf. — Was führt‘ 
er für Gründe an 

Flammberg Wer? der Herold ? 

Graf v. Strahl. Was führt er für Gründe an? 

Slammberg. Ei, geftrenger Herr, da hätt’ er ja roth 
werden müſſen. 

Gr. v. Strahl. Er fprad von Peter von Thurned — 
niht? Und von der Landfchaft ungültigem Berkauf ? 

Flammberg. Allerdings. Und von den fchmäbifchen 
Gelesen, mijchte Pflicht und Gewiſſen bei jedem dritten Wort . 
in die Rebe, und rief Gott zum Zeugen an, daß nichts als 
die reinſten Abfichten feinen Herrn, den Rheingrafen, ver- 
möchten, des Fräuleins Sache zu ergreifen. 


‘ 


29 


Gr. v. Strahl. Aber die rothen Wangen der Dame 
bebielt ex für fih? 

Slammberg. Davon hat er fein Wort gejagt. 

Gr. v. Strahl. Daß fie die Poden triegte! Ich wollte, 
ic könnte den Nachtthau in Eimern auffaffen, und über ihren 
weißen Hals ausgiegen! Ihr Kleines verwünſchtes Geficht ift 
der legte Grund aller diefer Kriege wider mich, und fo lange 
ih den Märzſchnee nicht bergifien kann, mit welchem fie fich 
wäſcht, hab’ ıch auch vor den Nittern des Landes keine Ruhe. 
Aber Geduld nur! — Wo hält fie fi) jet auf? 

Flammberg. Auf der Burg zum Stein, mo ihw ſchon 
jeit drei Tagen Brunfgelage gefetert werden, daß die Veſte 

ed Himmel erfraht und Sonne, Mond und Sterne nicht 
mehr angelehen werden. Der Burggraf, den fie verabfchiedet 
Fi fol Rache Er und wenn ihr einen Boten an ihn ab- 
endet, fo zweifl' ich nicht, er zieht mit euch gegen den Rhein- 
grafen zu Felde. “ 

‚. Br» Strahl. Dohlan: Führt mir die Pferde vor, 
ih will reiten. — Ich habe diefer jungen‘ YAufwieglerin ver- 
ſprochen, wenn fie die Waffen ihres Kleinen ſchelmiſchen An⸗ 
eficht8 nicht ruhen Liege wider mich, fo würd’ ich ihr einen. 
Boffen zu jpielen wiflen, daß fie es ewig in einer Scheide 
tragen follte; und fo wahr 2 diefe Rechte aufhebe, ich halte 
Wort! — Folgt mir, meine Freunde! (He ab.) 





Scene: Köhlerhütte im Gebirg. Nacht, Donner und Blitz. 


Bierter Auftritt. 


Burggenf von Freiburg und Georg bon Waldſtädten treten auf. 


Freiburg (in die Scene zufend). Hebt fie vom Pferd herunter! 
— (Blid und Donnerſchlag.) — Ei, fo (a ein, wo du willft; nur 
nicht auf die Scheitel, belegt mit Kreide, meiner lieben Braut, 
der Kunigunde von Thurned! 

Eine Stimme (außerhalb). He! wo feid ihr ? 

Sreiburg Hier! 

Georg. Habt ihr jemals eine folhe Nacht erlebt? 
reiburg. Das gießt vom Himmel herab, Wipfel und 
Bergipigen erfäufend, als ob eine zweite Sündflut heran- 
bräche! — Hebt fie vom Pferd herunter! 

Eine Stimme (außerhalb). Sie rührt fih nicht. 

Eine andere Sie liegt mie todt zu des Pferdes 


da. 
Freiburg Ei, Poſſen! das thut fie bloß, um ihre 
falfchen Zähne nicht zu verlieren. Sagt ihr, ich wäre der 


x 


30 


Burggraf von Freiburg und die ächten, Die fie im Mund \ 
hätte, hätte ich gezählt. — So! bringt fie ber. 

(Ritter Shauermaun ericheint, das Bränlein son Thuruel auf der Schulter 

. agend. 


Georg. Dort ift eine Köhlerhütte. 





Fünfter Auftritt. 


Be en ea ve tan De 

Freiburg (an die Köhlerhütte Hopfend). Heda! 

Der erfte Köhler (prinnm). Wer klopfet? 

Freiburg Frag nicht, du Schlingel, und mad) auf. 

Der zweite Köhler (een fo. Hola! nicht cher bis id) 
den Schlüſſel ungefehrt habe. Wird doch der Kaiſer nicht 
vor der Thür fein? 

Freiburg. Halunke! wenn nicht der, doch Einer, der 
hier regiert, und den Scepter gleich vom Ajt brechen wird, 
um's dir zu zeigen. = 

Der erfte Köhler (auftretend, eine Laterne in der Hand). Wer 
feid ihr? mas wollt ihr? 

Freiburg. Ein Rittersmann bin ich; und dieſe Dame, 
die hier todtkrank herangetragen wird, das ift — 

Schenermann (von hinten). Das Licht weg! 

Wetzhaf. Schmeißt ihm die Laterne aus der Hand! 

Freiburg (indem er ihm die Laterne wegnimmt). Spitzbube! du 
willft hier leuchten ? " 

Der erfte Köhler. Ihr Herren, ih will hoffen, der 
Größefte unter euch bin ih! Warum nehmt ihr mir die 
Laterne weg? 

Der zweite Köhler. Wer feid ihr? und was wollt ihr? 

Freiburs. Rittersleute, du Flegel, hab' ich dir ſchon 
eſagt! 
g Genre. Wir find reifende Ritter, ihr guten Leute, die 
das Unmetter überrafcht hat. - 

Freiburg (unterbricht in). Kriegsmänner, die von Jeru— 
ſalem kommen, und in ihre Heimath ziehen; und jene Dame 
dort, die herangetragen wird, von Kopf zu Fuß in einem 
Mantel eingewidelt, das ift — (Ein Gewitterihlag.) 

Der erfte Köhler. Ki, jo plärr du, daß die Wolken 
reißen! — Bon Jeruſalem, get ihr ? 

Der zweite Köhler. Man kann vor dem breitmäuligen 
Donner fein Wort verftehen. 

greiburg Don Serufalem, ja. 


31 


Der zweite Köhler. Und das Weibfen, daS beran- 
getragen wird — ? 
eorg (auf den Burggrafen zeigend). Das ift des Herrn kranke 
Schmeiter, ihr ehrlichen Leute, und begehrt — 

Freiburg (unterbriht ihm). Das iſt jenes —— du 
SF und meine Öemahlin; todtfranf, wie du fiebft, von 
Schloſſen und dage halb erichlagen, fo daß fie fein Mort 
porbringen kann: die begehrt eines Plaßes in deiner Hütte, 
bis das Ungewitter vorüber und der Tag angebrochen ift. 

5 Zer erſte Köhler. Die begehrt einen lat in meiner 
ütte 

Georg. Ja, ihr guten Köhler; bis das Gewitter vor- 
über ift, und wir unjre Reife fortjegen können. 

Der zweite Köhler. Mein Seel, da habt ihr Worte 
.gefagt, die. waren den Tungenoden nicht werth, womit ihr fie 
ausgeftoßen. 

Der erfte Köhler. Iſaak! 

Freiburg Du millit das thun? 

Der zweite Köhler. Des Kaiſers Hunden, ihr — 
wenn ſie vor meiner Thür darum heulten. — Iſaak! 
Schlingel! hörſt nicht? 

Junge (in der Hütte). He! ſag ich. Was giebt's? 

Der zweite Köhler. Das Stroh ſchüttle auf, Schlingel, 
und die Decken drüberhin; ein krank Weibſen wird kommen 
und Platz nehmen in der Hütten! hörſt du? 

Freiburg. Wer ſpricht drin? 

Der erſte Köhler. Ei, ein Flachskopf von zehn Jahren, 
der und an die Hand geht. 

Freiburg Gut. — Tritt heran, Schauermann! bier 
ift ein Knebel Iosgegangen. 

Schauermann. 0? 

Freiburg Gleichviel! — In den Winfel nit ihr hin, 
dort! — — Wenn der Tag anbricht, werd’ ich dich rufen. 

(Schauermann trägt das Fräulein in die Hütte.) 


Sechſter Auftritt. 
. Die Borigen one Echauermann und das Fräulein. 

Freiburg Nun, Georg, alle Saiten des Jubels fchlag’ 
ih an: wir haben fie; wir haben dieſe Kunigunde von 
Thurnet! So wahr ich nad) meinem Vater getauft bin, nicht 
um den ganzen Himmel, um den meine Dee gebetet hat, geb’ 
id die Yuft weg, die mir befcheert ift, wenn der morgende 
Tag anbrigt! — Warum kamſt du nicht früher von Wald- 
ftädten herab? 


J 


x vom Kaukaſus, Alerander den Gro 


32 


Georg Weil du mich nicht früher rufen lieheft 

Freiburg. O Georg! du hättelt fie jehen follen, wie 
fie daher geritten fam, einer Fabel gleih, von den Rittern 
des Landes umringt, gleich einer Sonne unter ihren Planeten! 
War's nicht, als ob fie zu den Kiefeln fagte, die unter ihr 
Funken put ihr müßt mir ſchmelzen, wenn ihr mid) 
feht? Thaleſtris, die Köntgin der Amazonen, als fie herab- 
Een zu bitten, daß er 
ie füffe: fie war nicht reizender und göttlicher als jie. 

Georg Wo fingft du fie? 

Freiburg. Fünf Stunden, Georg, fünf Stunden von 
der Steinburg, wo ihr der Nheingraf, durch Drei Sage, 


ſchallende Zubelfefte gefeiert hatte. Die Ritter, die fie beglei- 


teten, hatten fie kaum verlaffen, da werf' ich ihren Better 
ſidor, der bei ihr geblieben war, in den Sand, und auf den 
appen mit ihr, und auf und davon. 

Georg. Aber, Mar! Mar! was haft du — 

Freiburg Ich will dir Inge, Freund — 

Georg. Was bereiteft du dir mit allen diefen unge» 
heuren Anſtalten vor? 

Freiburg. Lieber! Guter! en Si Honig von 

ybla, für diefe vom Durft der Rache zu Holz vertrodnete 

ruf. Warum foll dies wefenlofe Bild Länger, einer olynı- 
pifchen Göttin gleich, auf dem Fußgeftell prangen, die Hallen 
der Sriftlien Kirchen von uns und unfer8 Gleichen ent- 
völfernd? Lieber angefaßt, und auf den Schutt hinaus, das 
Dberfte zu Unterft, damit mit Augen erfchaut wird, daß Fein 
Gott in ihm wohnt. . 

Georg. Aber in aller Welt, fag mir, was iſts, das 
di mit fo rafendem a gegen fie erfüllt? 

Freiburg O Georg! der Menſch mirft Alles, was er 
fein nennt, in eine Pfütze, aber fein Gefühl. Georg, ich 
liebte fie, und fie war deſſen nicht werth. Ich Tiebte fie und 
ward verjchmähbt, Öeorg; und fie war meiner Liebe nicht 
werth. Ich will dir was fagen — aber es macht mich blap, 
wenn ich daran dente. Georg! Georg! wenn die Teufel um 
eine Er bung verlegen find, A müſſen fie einen Hahn Tagen, 
der fich vergebens um eine Henne gedreht hat, und hinterher 
fiebt, daß * vom Ausſatz zerfreſſen, zu feinem Spaße nicht 
augt. 

Georg. Du mirft keine unritterlihe Rache an ihr ausüben? 

Freiburg Nein: Gott behüt' mich! feinem Knecht 
muth’ ich zu, fie an ihr zu vollziehen. — Sch bringe fie nad 
der Stein urg zum Aheingrafen zurüd, wo ich nicht8 thun 
an [7 ihr a8 Halstuch abnehmen: dag ſoll meine ganze 

ache fein! 


33 


Georg. Was! das Halstuch abnehmen ? 

Freiburg a, Georg; und das Volk zufamnen rufen. 
d Georg. Nun, und wenn das geſchehen iſt, da willſt 
u —? 

Freiburg Ei, da will ich über fie philofophiren. Da 
will ich euch einen metaphufiihen Sat über fie geben, mie 
Blaton, und meinen Saß nachher erläutern, wie der Iuftige 
Diogenes gethan: der Menſch it — — Über fill! 


Georg. Nun! der Menfh iſt — — 

Freiburg. Der Menſch ıft nad) Platon ein zweibeinigtes 
ungefiederteß Thier; du weißt, wie Diogenes Dies bewiefen: 
einen Hahn, glaub’ ich, rupft' er und warf ihn unter das 
Volk. — Und diefe Kunigunde, Freund, dieſe Kunigunde von 
Thurned, die ift nah mir — — — Über till! fo wahr id) 
ein Mann bin: dort fteigt Jemand vom Pferd! 


(Er bordt ) 


Siebenter Auftritt. 


Der Graf Dom Strahl und Ritter Yinmmberg treten auf. Nachher Gottigell. — 
ic Borigen. 

Gr. v. Strahl (an die Hütte Hopfend). Heda! ihr wadern 
Köhlersleute! ' 

Zlammberg Das ift eine Naht, die Wölfe in den 
Klüften um ein Unterfommen anzufprechen. 

Gr.» Strahl. Iſt's erlaubt, einzutreten? 

Freiburg (im in den Weg). Erlaubt, ihr Herrn! wer ihr 
auch fein mögt dort — 

Georg. Ihr könnt bier nicht einfehren. 

Gr. v. Strahl. Nicht? warum nicht? 

Zreiburg Weil fein Raum drin ift, weder für euch 
noch für uns. Meine Frau legt darin todifranf, den einzigen 
Winkel, der leer ift, mit ihrer Bedienung erfüllend: ihr werdet 
fie nicht daraus vertreiben mollen. 

Gr. ». Strahl. Nein, bei meinem Eid! vielmehr wünfthe 
ich, daß fie fi) bald darin erholen möge! — Gottſchalk! 

Flammberg. So müffen wir beim Gaftwirth zum blauen 
Himmel übernachten. 

Gr. v. Straf. Gottſchalk, fag’ ich! 

Gottfhalf Graußen). Dier! 

Gr. u, Strahl. Schaff die Deden her! wir wollen ung 
hier ein Lager bereiten, unter den Zweigen. 

(Gottſchalt und der Kählerjunge treten auf.) 
Gottſchalk (indem er ignen die Deden bringt). Das weiß der 
Bibl. d. d. Rationalliteratur. Kleift. I. 3 





34 


Teufel, was das hier für eine Wirthſchaft ift. Der Junge 
fagt, drinnen wäre ein geharnifchter Mann, der ein Fräulein 
bewachte; das läge geknebelt und mit verftopftem Munde da 
wie ein Kalb, das man zur Schlachtbank bringen will. 

Gr. v. Strahl. Was fagjt du? ein Fräulein? gefnebelt 
und mit verftopftem Munde? — Wer hat dir das gefagt? 

Flammberg Jung! woher weißt du das? 

Köhlerjunge (erſchroten). Et! — um aller Heiligen willen! 
ihr Herren, was macht ihr? 

Gr. v. Strahl, Komm ber. 

Kköhlerjunge. Ich fage: St! 

Flammberg. sung! wer hat dir das gefagt? fo fprid. 

Köhlerjunge (heimlich, nachdem er fih umgefehen).. Hab’S ge- 
ſchaut, ihr Herren. Lag auf dem Stroh, als fie fie Hinein- 
trugen, und ſprachen, fte jet krank. Kehrt' ihr Die Lampe zu 
und erfehaut’, daß fie gefund war, und Wangen hatt’ als mie 
unfre Lore. Und wimmert' und drudt’ mir die Händ’ und 
blinzelte, und ſprach AN vernehmlich wie ein Fluger Hund: 
mac mich 108, lieb Bübel, mach mid Io8! da ih’8 mit ° 
Augen hört’ und mit den Fingern verftand. 

Gr.» Strahl. Yung, du nacptöpfiger; jo thu’g! 

Flammberg. Was —* du? Was machſt du? 

Gr. v. Strahl. Bind ſie los und ſchick fie ber! 

Köhler junge (chüchter). St! fag’ ih. — Ich wollt’, 
daß ihr zu Fiſchen würdet! — Da erheben ſich ihrer drei. 
fhon und fommen her und fehen, was es giebt. 

(Er bläft feine Laterne aus.) . 

Gr. v. Strahl. Nichts, du wadrer Junge, nichts. 

Zlammberg. Sie haben nichts davon gehört. 

Gr. v. Strahl. Sie wechjeln blos um des Regens willen 
ihre Plätze. 

Köhlerjunge (ficht ih um). Wollt ihr mid) fchligen ? 

Gr v. Strahl. Sa, jo wahr ich ein Nitter bin; das 

will 1. 

Slammberg Darauf kannſt du dich verlaffen. 

Köhlerjunge. Wohlan! ich will's dem Bater fagen. — 
Schaut, was ich thue, und ob id) in die Hütte gehe oder nicht. 
(Er Spricht mit den Alten, die binten F er ftehen, und verliert fich nachher in 


Zlammberg. Sind das folhe Kauze? Beelzebubs- 
Ritter, deren Ordensmantel die Nacht ift? Eheleute, auf 
der Landſtraße mit Striden und Banden an einander getraut ? 

Gr. v. Strahl. Krank, fagten fie! 

Slammberg. Todtkrank, und dankten für alle Hülfe! 

Gottſchalk. Nun wart! wir wollen fie fcheiden. (Paufe.) 

Ehanermann (in der Hütte). He! holla! die Beſtie! 


* 











35 


Gr. v. Strahl. Auf, Flammberg; erhebe did! 
(Sie fteben auf.) 
Freiburg Was giebt’8? 
(Die Partei des Burggrafen erhebt fid.) 


Schanermann. ch bin angebunden! ich bin angebunden 


(Das Fräulein erfcheint.) 
Freiburg Ihr Götter! was erblid’ ıh?. 


— — — — 


Achter Auftritt. 


Fränlein Kunigunde von Thurned im Reifetleide, mit entfeffelten Haaren. — Die 
srigen. ” 


Snnigunde 
(wirft fig vor dem Grafen vom Strahl nieder). 
Mein Retter! wer ihr immer feid! nehmt einer, 
Bielfach geſchmähten und gejchändeten 
Jungfrau euch an! wenn euer ritterlicher Eid 
Den Schuß der Unſchuld eud empfiehlt; hier liegt fie 
In Staub geftredt, die jett ihn von euch fordert! 
— Freiburg. 
Heißt fie hinweg, ihr Männer! 
Georg (ihn zurüchaltend). 
Mar! hör mid an. 


Freiburg. 
Reißt fie hinweg, fag’ ich; Laßt fie nicht reden! 
Gr. v. Strapl. 
Halt dort, ihr Herren! was wollt ihr? 
Freiburg. 
Mas wir wollen? 
Mein Weib will ih, zum Henker! —- Auf! ergreift fie! 
KRunigunde, 
Dein Weib? du Lügnerherz! 
Gr, v. Strahl (fireng). 
Berühr fie nicht! 
Wenn du von diefer Dame was verlangft, 
Sp fagft du's mir! denn mir gehört fie jekt, 
Weil de fi) meinem Schuge anvertraut. Er erhebt fie.) 
R Freiburg. 
Wer biſt du, Uebermüthiger, daß du 
Dich gmilgen zwei Vermählte drängft? wer giebt 
Das Recht dir, mir die Gattin zu verweigern? 


! 





36 


Kunigunde. 
Die Gattin? Voſewicht das bin ich nicht! 
Gr. v. Strahl. 
Und mer biſt du, Nichtswürdiger, bu du 
Sie deine Gattin fagft, verflu ter Bub e, 
Daß bu I dein nennit, eiler Mädchenräuber, 
Die ungiven, dir vom Zeufel in der Hölle 
Mit eln und mit Banden —S 
| Freiburg. 
Wie? was? wer? 
Georg. 
Max, ich bitte dich. 
Gr. v. Strahl. 
Wer biſt du? 
Freiburg. 
Ihr Herrn, ihr irrt euch ſehr — 
Gr. v. Strahl. 
Wer biſt du? frag' ich. 
Freiburg. 
Ihr Herren, wenn ihr glaubt, dab ich — 


Gr. v. Strahl. 
Schafft ichi her! 


Dies Weib hier, das i —* das iſt — 
.v. Strahl. 
Ich ſage, Licht Herheigefhaff! 
(Gottſchalk und die Köhler kommen mit Yadeln und Peuerhaken.) 
- Yreiburg. - 
Ih bin — 
Geor eiuuc 
Ein Raſender biſt du! fort! gleich binmweg! 
Willſt du auf ewig nicht dein Wappen ſ Inden. 
Gr. v. Strahl. 
Sp, meine wadern Köhler; leuchtet mir! 
(Freiburg fließt fein Bifir.) 
Wer bift du jegt? frag’ ich, öffn' das Viſir. 


Freiburg. 
Ihr Herrn, ih bin — 
Gr. v. Straßl. 
Deffn’ das Bifir. 
. Freiburg. 
Ihr hört. 


37 


Gr. v. Strahl. 
Meinſt du, leichtfert'ger Bube, ungeſtraft 
Die Antwort mir zu weigern, wie ich dir? 
(Er reißt ihm den Helm vom Haupt, der Burggraf taumelt.) 


Schaunermann. 
Schmeißt den Verwegenen doch gleich zu Boden! 
Wetzlaf. 
Auf! zieht! 
Freiburg. 


Du Raſender, welch eine That!“ 
(Sr erhebt fich, zieht und haut nach dem Grafen, der weicht aus.) 


Gr. v. Strahl. 
Tu wehrſt dich mir, du Afterbräutigam? Er Haut ihn nieder.) 
So fahr zur Hölle hin, woher du famft, 
Und feire deine Flitterwochen drin! \ 


Weslaf. 
Entſetzen! ſchaut! er ſtürzt, er wankt, er fällt! 
Flammberg (bringt vor). 

Auf jest, ihr Freunde! 

-Schauermann. 

. Fort! entflieht! 

Slammberg. 
Schlagt drein! 

Jagt das Gefindel völlig in die Flucht! 
(Die Burggräfliden entweichen A — A 45 Georg, der Über dem Burg⸗ 

Gr. v. Strahl (m Burgarafen). 
Freiburg! was feh’ ih? ihr allmächt’gen Götter! 
Du bilt’s? 


Kunigumde (unterdrüdt). 
Der undanfbare Höllenfuchs! 


Gr. v. Strahl. - 
Was galt dir diefe Sungfrau, du Unſel'ger? 
Was mwollteft du mit ihr 
Georg. 
— Er fann nicht reden. 
Blut füllt, vom Scheitel quellend, ihm den Mund. 


Kunigunde. 
Laßt ihn erſticken drin! 
ß Mi Gr. v. Strahl. 
Ein Traum erſcheint mir's! 
Ein Menſch wie der, fo wacker ſonſt und gut. 
— Rommt ihm zu Hülf', ihr Leute! 








38 \ 


Flammberg. 
Auf! greift an! 
Und tragt ihn dort in jener Hütte Rauni. 
Kunigunde. 
In's Grab! die Schaufeln her! er ſei geweſen! 
"Gr. v. Strahl. 
Beruhigt euch! — wie er darnieder liegt, 
Wird er auch unbeerdigt euch nicht fchaden. 
Sunigunde 
Ich bitt' um Waffer! 


Gr. v. Straßl. 
Fühlt ihr euch nicht wohl? 
Runigunude, 
riet, nichts — es iſt — Wer hilft? — Iſt hier fein Sig? 
— Weh mir! (Sie wantt). j 
Gr. v. Strahl. 
Ihr Himmliſchen! He! Gottſchalk! Hilf! 


Gottſchal. 
Die Fackeln her! 
Kunigunde. 


Laßt, laßt! 


Gr v. Strahl 
(hat fie auf einen Sig geführt). 


Es geht vorüber? 


Kuniguude 
Das Licht kehrt meinen trüben Augen wieder. —. 


Gr. v. Strahl. 
Was war's, das ſo urplötzlich euch ergriff? 


Knuigunde. 
Ach, mein großmüth'ger Retter und Befreier, 
Wie nem' ich das? welch ein entſetzenvoller, 
Unmenſchlicher Frevel war mir zugedacht? 
Denk' ich, was ohne euch vielleicht ſchon jetzt 
Mir widerfuhr, hebt fih mein Bar empor, 
Und meiner Glieder jegliches eritarrt. 


7 


Gr. v. Strahl. 
Wer ſeid ihr? ſprecht! was iſt euch widerfahren? 
Kunigunde. 
O Seligkeit, euch dies jetzt zu entdecken! 
Die That, die euer Arm vollbracht, ift keiner 
Unwürdigen gefchehen; Kunigunde, 


39 


Freifrau von Thurned, bin ich, daß ihr's wißt; 
Das füge Leben, das ihr mir erhieltet, 

Wird, außer mir, in Thurned dankbar noch 

Ein ganz Geſchlecht eu ‚von Berwandten lohnen. 


Ihr ſeid iR ht mot 8: Sum d 
hr ſeid — es iſt nicht möglich! Kunigunde 
Von Thurneck? — 
Kunigunde. 
Ja, ſo ſagt' ich! was erſtaunt ihr? 
Gr. v. Strahl (GEettt auf). 
Nun denn, bei meinem Eid, es thut mir leid, 
So kamt ihr aus dem Regen in die Traufe: 
Denn ich bin Friedrich Wetter Graf vom Strahl! 


Kunigunde. 
Was! euer Name? — der Name meines Retters — 


Gr. v. on 
Iſt a Strahl, vn hört's. Es thut mir leid, 
Daß ich euch feinen beſſern nennen Tann. . 
. Kunignunde (ſteht auf. 
Ihr Himmliſchen! wie prüft ihr diefes Herz! 
Gottſchalk (heimlich). 
Die Thurneck? hört' ich recht? 


Flammberg (erſtaunt). 
Dei Gott! fie iſt's! Gauſe.) 


Kunigunde. 
Es ſei. Es ſoll mir das Gefühl, das hier 
In dieſem Buſen ſich entflammt, nicht ſtören. 
Ich will nichts denken, fühlen will ich nichts, 
Als Unschuld, Ehre, Leben, Rettung — Schuß 
Bor en Wolf, der hier am Boden liegt. — 
Komm ber, du lieber, goldner Knabe, du, 
Der mid befreit, nimm diefen Ring von mir, 
Es ift jegt Alles, was ich geben kann: 
Einjt lohn' id) würdiger, du junger Held, 
Die That dir, die mein Band gelöft, die muthige, 
Die mich vor Schmad bewahrt, die mich errettet, 
Die That, die mich zur Seligen gemadt! 

(Sie wendet fid) zum Grafen.) 

Euch, mein Gebieter — euer nenn’ ich Alles, 
Was mein ift! ſprecht! was habt ihr über mich bejchloffen? 
In eurer Macht bin ih; was Fr eihehn? 
Muß ich nach eurem Witterfig eu ho gen? 


40 


Gr. v. Strahl 
(nicht ohne Verlegenheit). 
Mein Fräulein — es ift nicht eben allzumeit. 
- Wenn ihr ein Pferd befteigt, fo könnt ihr bei 
Der Gräfin, meiner Mutter, übernachten. 


Kunigunde. 
Führt mir das Pferd vor! - 
Gr. u. Strahl (nadı einer Pauſe). 
Ihr vergebt mir, 
Wenn die Berhältnifie, in welchen wir — 


Vichts, ms! ii Bit’ eud) Th! befchämt mich nic! 
icht8, nichts! ich bitt’ euch fehr! beichämt mich nicht! 
In ante Kerler klaglos würd’ id wandern. 

Gr. v. Strahl. 
In meinen Kerker! was! ihr überzeugt. euch — 


Kunigunde (unterbricht ihn). 
Drückt mich mit eurer Großmuth nicht zu Boden! — 
Ich bitt' um eure Hand! 


Gr. v. Strahl. 
He! Fackeln! leuchtet! <as.) 


Scene: Schloß Wetterfirahl. Ein Gemad in der Burg. 


Neunter Auftritt. 


ee et Fe 

Rofalie (u Brigitten). Hier, Mütterchen, ſetz dich! Der 
Graf vom Strahl hat fi bei meinen Fräulein anmelden 
laffen; fie läßt fi nur nody die Haare von mir zurecht legen, 
und mag gern dein Gefchwäß -hören. 

Brigitte (die fich geſeti). Alſo ihr feid Fräulein Kunigunde 
von Thurned? 

Kuünignude. Ya, Mütterchen, das bin ich. 

Brigitte, Und nennt euch eine Tochter des Kaifers? 
Kunigunde Des Kaifers? Nein; wer fagt dir das? 

Der jet lebende Kaifer ift mir fremd; die Urenkelin eines der 

vorigen Saifer bin ich, die in verfloffenen Jahrhunderten auf 
dem beutjchen Thron ſaßen. 
Pa tte. D Herr! e8 iſt nicht möglich? die Urentel- 
ochter — 

Sunigunde, un ja! 


41 


Roſalie. Hab’ id) e8 dir nicht gejagt? 

Brigitte, Nun, bei meiner Zreu, fo Fanır ich mich in's 
Grab legen: der Traum des Grafen vom Strahl iſt aus! 

Runigunde Weld ein Traum? 

Nofalie. Dört nur, hört! Es ift die wunderlidhite Ge- 
Ihichte von der Welt! — Aber ſei bündig, Miütterchen, und 
par den Eingang; denn ‚die Zeit, wie ı dir ſchon gejagt, 
it kurz. 

Brigitte, Der Graf war gegen das Ende des vorlekten 
Jahres, nad) einer jeltfamen Schwermuth, von welder fein 
Menſch die Urfache ergründen konnte, erkrankt, matt lag er 
da mit glutrothem Antlig und phantafirte, die Aerzte, die 
ihre Mittel erſchöpft hatten, fprachen, er jet nicht zu retten. 
Alles, was in feinem Herzen verjchloffen war, lag nun im 
Wahnfinn des Fiebers auf jeimeg unge: er jcheide gern, ſprach 
er, von binnen; das Mädchen, das fähig wäre, ihn zu lieben, 
jei nicht vorhanden; Xeben aber ohne Liebe ſei Tod; die Welt 
nannt er ein Grab, und das Grab eine Wiege, und meinte, 
er würde nun erſt geboren werden. — “Drei hintereinander 
Igigende Nächte, während welcher feine Mutter nicht von feinem 

ette wich, erzählte er ihr, ihm jet ein Engel erfchienen und 
habe ihm zugerufen: vertraue, vertraue, vertraue! Auf der 
Gräfin Frage: ob fein Herz fi) durch dieſen Zuruf des 
Himmliſchen nicht geftärkt fühle? antwortete er: gejtärkt? . 
nein! — und mit einem Seufzer jegte er hinzu: od! doch, 
Mutter! wenn ich fie werde gejehen haben! — Die Gräfin 
agt: und wirft du fie jehen? Gewiß! antworteter. Wann? 
agt fie. Mo? — In der Sylveſternacht, wenn das neue 
abr eintritt; da wird er mich zu ihr führen. Wer? fragt 
fe: Lieber, zu wem? Der Engel, ſpricht er, zu meinem 
ädchen — wendet de und fchläft ein. - 

Kunigunde. Geſchwätz! 

Roſalie. gr fie nur weiter. — Nun? 

Brigitte. Drauf in der Syinefternacht, in dem Augen- 
blid, da eben das Jahr wechjelt, hebt er fich halb vom Pager 
empor, ftarrt, al3 ob er eine Erfcheinung hätte, in's Zimmer 
dipein und indem er mit der Hand zeigt: Mutter! Mutter! 

utter! ſpricht er. Was giebts? fragt fie. — Dort! dort! 
— Wo? — Geihmind! fpriht er — Was? — Den Helm! 
den Harnifh! das Schwert! — Wo millft du hin? fragt die 
Mütter. — Zu ihr, ſpricht er; zu ihr! So! fo! fo! und fintt 
zueüd; Ade, Mutter Ade! ftredt alle Glieder von fih, und 
iegt wie todt. 

Kkuniguude. Todt? 

Noſalie. Todt, ja! | 

Snnignnde Sie meint, einem Xodten gleich. 


42 

Roſalie. Sie jagt, tobt! ftört fie nicht. — Nun? 

Brigitte. Wir horchten an feiner Bruft: es war fo ftill 
darin, wie in einer leeren Kammer. Eine Feder ward in 
vorgehalten, feinen Athem zu prüfen: fie rührte ſich nicht. 
Der Arzt meinte in der That, fein Geift habe ihn verlaffen; 
rief ihm ängftlih feinen Namen in's Ohr; reizt’ ıhn, um ihn 
zu erwecken, mit Gerüchen; reizt' ihn mit Stiften und Nadeln, 
riß ihm ein Haar aus, daß fe das Blut zeigte, vergebens: 
er bewegte fein Glied und lag mie todt. 

Kunignude. Nun? darauf? 

Brigitte. Darauf, nachdem er einen Zeitraum fo gelegen, 
fährt er auf, leſrt ſich mit deni Ausdruck der Betrübniß der 
Wand zu, und ſpricht: Ach! nun bringen fie die Lichter! nun 
ift fie mir wieder verſchwunden! — gleichfam, als ob er durch 
den Glanz derfelben verjcheucht würde. — Und da die Gräfin 
ich über ihn neigt und ihn an ihre- Bruft hebt, und fpridt: 

ein. Sriedrich! mo warft du? Bei ihr, verfegt er mit freudiger 
"Stimme; bei ihr, die mich liebt! bei der Braut, die mir der 
Simmel beftimmt hat! geh, Mutter geh, und laß nun in allen 

ichen für mich beten; denn nun wünſch' ich zu leben. 

Kunigunde. Und beſſert ſich wirklich? 

Roſalie. Das eben iſt das Wunder. 

Brigitte. Beſſert ſich, mein Fräulein, beſſert ſich in der 
That; erholt ſich von Stund an, gewinnt, wie durch himm⸗ 
liſchen Balſam geheilt, ſeine Kräfte wieder, und ehe der 
Mond ſich erneut, iſt er ſo geſund wie zuvor. 

Kunigunde. Und erzählte? — was erzählte er nun? 

Brigitte, Ach, und erzählte, und fand fein Ende zu 
erzählen: wie der Engel ihn bei der Hand durd die Nadıt 
geleitet, wie er fanft des Mädchens Schlaffämmerlein eröffnet, 
und alle Wände mit feinem Glanz erleuchtend, zu ihr einge- 
treten fei; wie es dagelegen, das holde Kind mit nichts als 
dem Hemdchen angethban, und die Augen bei feinem Anblid 
- groß aufgemacdht, und gerufen habe mit einer Stimme, Die 
das Erftannen beflenmt: Mariane! welches Jemand gemejen 
fein müffe, der in der Nebenfammer geld afen; wie fie Darauf, 
vom Purpur der Freude über und über jchimmernd, aus dent 
Bette geftiegen, und I auf Knieen vor ihm niedergelaflen, 
das Haupt gejenft, und: mein hoher Herr! gelispelt; wie der 
Engel ihm darauf, daß es eine Kaifertochter fei, gelagt, und 
ihm ein Mal gezeigt, das dem Kindlein röthlih auf dem 

aden verzeichnet war, — mie er, von unendlichem Entzücken 
durchbebt, fie eben beim Kinn aefaht, um ihr in's Antlig zu 
[dauen; und wie die unfelige Magd nun, die Mariane, mit 
icht gekommen, und die ganze Erfcheinung bei ihrem Eintritt 
wieder verſchwunden fei. 


43 
‚gunigunde, Und nun meinft du, diefe Kaijertochter 
i 


ſei ich? 
Brigitte. Wer ſonſt? 
Roſalie. Das ſag' ich auch. | 
Brigitte. Die ganze Strahlburg, bei eurem Einzug, als 
K erfuhr, wer ihr feid, fchlug die, Hände über den Kopf zu- 
ammen und rief: fie iſt's! 
Rofalie Es fehlte nichts, als daß die Glocken ihre 
Zungen gelöft, und gerufen hätten: je, ja, I 
‚ Kunigunde (regt auf). Ich danke Dir, Mütterchen, für 
beine Erzählung. Inzwiſchen nimm diefe Ohrringe zum An- 
denfen, und entferne dich. Brigitte ab). 


— 





Zehnter Auftritt. 
Kunigunde und Roſalie. 


Knnignuude 
(nachdem fie ſich im Spiegel betrachtet, gr gedantenlos ans Fenfter und öffnet 
ed. — Paufe). 


gen bu mir Alles dort zurecht gelegt, 
a8 ich dem Grafen zugedadıt, Srolalie? 
Urkunden, Briefe, Zeugniffe ? 
Rofalie 
(am Tiſch zurüdgeblieben). 
Hier find fie. 
In diefem Einfchlag liegen fie beifanmen. 
Kunigunde 
Sieb mir doch — 
(Sie nimmt eine Leimruthe, die draußen befeftigt ift, herein.) 
Rofalie, 
Was, mein Fräulein? 
Kunigunde (lebhaft). 
‚ Schau, o Mädchen! 
ft dies die Spur von einem Fittig nicht? 
Rofalie (indem fle zu ihr geht). 
Was habt ihr da? 
Sunigundbe, 


Leimruthen, die, ich weiß 
Nicht wer? an diefem Fenfter aufgeftellt! 
— Sieh, hat hier nit ein Fittig ſchon geftreift? 


Rofalie. 
Gewiß! da ift Die Spur. Was war’3? Ein Zeifig? 


44 


Kunigunde. 
Ein Finkenhähnchen war's, das ich vergebens 
Den ganzen Morgen ſchon herangelockt. 


Roſalie. 
Seht nur dies Federchen. Das ließ er ſtecken! 
Kunigunde (gedanlenvoll). 
Gieb mir doch — 
Roſalie. 
Was, mein Fräulein, die Papiere. 
>... Kundgunde (lat und ſchlägt fie). 
Schelmin! — die Hirje will ich, die dort fteht. 
" (Rofalie lat und geht und Holt die Hirfe.) 


— — —— 


Eilfter Auftritt. 


Ein Bedienter tritt auf. Die Vorigen. 
Der Bediente. 
Graf Wetter vom Strahl, und die Gräfin, feine Mutter! 
Sunigunde 
(wirft Alles aus der Hand). 
Raſch! mit den Sachen weg. 
Roſalie. 
Gleich, gleich! (Sie macht die Toilette zu und geht ab.) 
Kunigunde, 
Sie werden mir willflommen jein. 


. 


Zwölfter Auftritt. 
Gräfin Helena, ber Graf vom Strabl treten auf. Sräulein Kunigunde. 


Kunigunde (ihnen entgegen). 
Berehrungswürd’ge! meines Netter8 Mutter! 
Wem dan? ich, welchem Umftand, das Vergnügen, 
Daß ihr mir euer Antlitz ſchenkt, daß ihr 
Bergönnt, die theuren Hände euch zu Füffen ? 
Gräfin. 
Mein Fräulein, ihr demüthigt mid. Ach Fanı, 
Um eure Stirn zu füllen, und zu fragen, 
Wie ihr in meinem Haufe euch befindet? 
Sunigunde. 
Sehr wohl. Ich fand bier Alles, was ich brauchte. 


45 . 


Ich hatte nichtS von eurer. Huld verdient, 
Und ihr beforgtet mich gleich einer Tochter. 
Wenn irgend etwas mir die Ruhe ſtörte, 
So war e3 dies bejhämende Gefühl; . 
Doch ich bedurfte nur den Augenblid, " 
Um diefen Streit in meiner Bruft zu löfen. 
(Sie wendet fi zum Grafen.) 


Wie ſteht's mit eurer linken Hand, Graf, Friedrich ? 


Gr v. Strahl. 
Mit meiner le mein Fräulein! diefe Frage 
Iſt mir empfindlicher als ihre Wunde! 
Der Sattel war's, fonft nichts, an dem ich mich 
Unachtſam ftieß, euch hier vom Pferde hebend. 


Gräfin. 
Ward fie verwundet? — Davon weiß ich nichts. 


Kuni gunde. 
Es fand ſich, als wir dieſes Schloß erreichten, 
Daß ihr in hellen Tropfen Blut entfloß. 


Gr. v. Strahl. 
Die Hand ſelbſt, ſeht ihr, hat es ſchon vergeſſen; 
Wenns Freiburg war, dem ih im Kampf um euch 
Dies Blut gezahlt, jo kann ich wirklich jagen: 
Schlecht war der Preis, um den er euch verkauft. 


Kunigunde. 
Ihr denkt von ſeinem Werthe ſo — nicht ich. 
(Indem ſie ſich zur Mutter wendet.) 
— Doch wie? wollt ihr euch, Gnädigſte, nicht ſetzen? 
(Sie holt einen Stuhl, der Graf bringt die andern. Sie laſſen ſich ſämmtlich nieder.) 


Gräfin. 

Wie denkt ihr über eure Zukunft, Fräulein? 
Habt ihr die Tag’, in die das Schidfal euch) 
erjegt, bereit8 erwogen? wißt ihr, ſchon, 

Wie euer Herz darin fich faffen wirh? 


Kunignunde (bewegt). 

Berehrungsmirdige und gnäd’ge Gräfin, ‚ 
Die Tage, die mir zugemeffen, den?’ a \ 
gr Preis und Dank, in immer glühender 

innrung deß, was jüngft für mich gejchehn, 
Sn unauslöfchlicher — eurer 
Und eures Haufes, bis auf den letzten Odem, 
Der meine Bruſt bewegt, wenn’3 mir vergönnt ift, 
In Thurned bei den Meinen hinzubringen. (Sie weint.) 


v 


46 


Gräfin, 
Wann denkt ihr zu den Euren aufzubrechen? 


Kkunigunde. 
Ich wünſche — weil die Tanten mich erwarten, 
— Wenn's fein kann, morgen — oder mindeſtens 
In dieſen Tagen — abgeführt zu werden. 


Gräfin. 
Bedenkt ihr auch, was dem entgegen fteht? 


Runigunde, 
Nichts mehr, erlauchte Frau, wenn ihr mir nur 
Bergönnt, mid) offen vor euch zu erklären. 
\ (Sie küßt ihr die Hand; fteht auf und Holt die Papiere.) 
Nehmt dies von meiner Hand, Herr Graf vom Strahl. 


Gr. v. Strahl (feht auf). 
Mein Fräulein! kann ic mwiffen, was es iſt? 


Runigunde, 
Die Documente find’8, den Streit betreffend 
Um eure Herrſchaft Etaufen, die Papiere, 
Auf die ih meinen Anfprud gründete. 


Gr. v. Strahl, 
Mein Fräulein, ihr befhämt mid, in der That! 
Denn diefes Heft, wie ihr zu glauben fcheint, 
Ein Recht begritndet: weichen will ich euch, 
Und wenn es meine legte Hütte gälte! 


. Kunigunde. 
Nehmt, nehmt, Herr Graf vom Strahl! die Briefe find. 
weideutig, feh’ ich ein, der Wiederfauf, 
u dem fie mich berechtigen pegaget 
och wär' mein Recht ſo klar auch wie die Sonne, 
Nicht gegen euch mehr kann ich's geltend machen. 
Gr. v. Straßl. 
Niemals, mein Fräulein, niemals, in der That! 
Mit Freuden nehm’ ich, wollt ihr mir ihn ſchenken, 
Bon euch den Frieden an; doch, wenn auch nur 
Der Zmeifel eines Rechts auf Staufen euer, 
Das Document nicht, das ihn euch belegt! . 
Bringt eure Sache vor, bei Kaifer und bei Reich, 
Und das Geſetz entfcheide, wer ſich irrte. 
Knnigunde (zur Gräfin). 
Befreit denn ihr, verehrungswilrd’ge Gräfin, 
Bon diejen leid’gen Documenten mid), 
Die mir in Händen brennen, widerwärtig 


47 


gu dem Si: das mir erregt ift, ſtimmen, 
nd mir auf Gottes weiter Welt zu nicht? mehr, 
Lebt' ich auch neunzig Jahre, helfen Fünnen. 

, . Gräfin (ſteht gleichfalls auf). 
Mein theures Fräulein! eure Dankbarkeit 
Führt euch zu weit. Ihr könnt, was eurer ganzen 
Familie angehört, in einer flüchtigen 
Demwegung nicht, die euch ergriff, veräußern. 
Nehmt meines Sohnes or ag an, und laßt 
In Weblar die Bapiere unterſuchen; 
Berfichert euch, ihr werdet werth uns bleiben, 
Dan mag and; dort entjcheiden, wie man molle. 


Knnigunde (mit üffect). 
Nun denn, der Anſpruch war mein Eigenthum! 
Ich brauche feinen Better zu befragen, 
Und meinem Sohn vererb’ ih einft mein Herz! 
Die Herrn in Weslar mag id nicht bemühn: 
Hier diefe rafche Bruft enticheidet jo! 
(Sie zerreißt die Papiere und läßt fie fallen.) 
Gräfin, 
Mein Tiebes, junges, unbefonn'nes Kind, 
Was hat ihr da gethban? — — Kommt her, 
Weil's doch gejchehen ift, daR ich euch küſſe. (Sie umarmt fie.) 
Runignundbe, 
Ich will, daß dem Gefühl, das mir entflammt 
In Buſen ift, nicht® fürder mwiderjpreche! 
ch will, die Scheidewand ſoll niederfinken, 
Die zwifchen mir und meinem Retter fteht! 
Ich will mein ganzes Leben ungeftört 
urchathmen, * zu preiſen, ihn zu lieben. 
Grä I (gerät) 
But, gut, mein Töchterchen. Es ift ſchon gut, 
Ihr ſeid zu fehr erfchüttert. 
Gr. v. Strapl. 
— Ich will wünfchen, T- 
Daß diefe That euch nie gereuen möge. (Paufe.) 
Kunigunde 
(trocknet ſich die Augen). 
Wann darf ich nun nad) Thurneck wiederkehren? 


Gräfin. ' 
Gleich! wann ihr wollt! mein Sohn felbft wird euch führen. 
Kunigunde. 
So ſei's — auf morgen denn. 


48 


Gräfin. 
But! ihr begebrt es; 
Obſchon ich gern euch länger bei mir ſähe. — 
Doch heut bei Tiſch noch macht ihr uns die Freude? 


Kunigunde (verneigt ſich). 
Wenn ich mein Herz kann fanımeln, wart’ ich auf. «us. 





Dreizehnter Auftritt, 
Gräfin Helena. Der Graf nom Gtrahl. 


Sr. v., Straßl. 
So weht, als ih ein Mann bin, die begehr’ ich 
Zur Frau. 
Gräfin. 
Nun, nun, nun, nun! 
‚Gr v. Strahl. 
Was! nicht? 

Du willſt, daß ich mir eine wählen ſoll; 
Doch die nicht? dieſe nicht? die nicht? 


Gräfin. 
Was willſt du? 
Ich ſagte nicht, daß N mir se mißfällt. 
Strahl. 


Ich will auch nicht, da eut noch Hochzeit fei. 
Mae ift vom it, dub je an Er en Kaifer 


Grä 
Und der Sptoefternadttraum * für ſie? 
Nicht? meinſt du nicht? 
Gr. v. Strahl. 
Was ſoll ich's bergen: ja! 
Gräfin. 
Laß uns die Sad’ ein wenig überlegen. (me.) 


49 


Dritter Akt. 


Scene; Gebirg und Wald. ine Einfiedelel. 


Erfter Auftritt. 


Theobald uud Gottirieh Friedeborn führen das Käthchen von einem Felſen herab. 

Theobald. Nimm dich in Acht, mein liebes Käthchen; 
der Gebirgspfad, fiehft du, hat eine Spalte. See deinen 
Fuß bier auf nee Stein, der ein wenig mit Moos bewachſen 
N wenn : mil te, wo eine Roje wäre, jo mwollte ich e8 dir 
agen. — So! 

Gottfried. Doch haft wohl Gott, Käthchen, nichts 
von der Reiſe anvertraut, die du heut zu thun willens warſt? 
— 3 glaubte, an dem Kreuzweg, wo das Marienbild ftebt, 
würden zwei Engel kommen, Yünglinge von hoher Geitalt, 
mit fchneeweißen Fittigen an den Schultern, und jagen: Ade, 
Theobald! ade, Gottfried! kehrt zurüd, von wo ihr gefommen 
ſeid; wir werden das Käthchen jett auf feinem Wege zu Gott 
meiter führen. — Doch es war nichts; wir mußten dich ganz 
bis an’8 Kloſter herbringen. 

Thesbald. Die Eichen find fo ftill, die auf den Bergen 
verftreut find: man in den Specht, der daran pidt. * 
glaube, ſie wiſſen, daß Käthchen angekommen iſt, und lauſchen 
af das, was fie dentt. Wenn N mih doch in die Welt 
auflöfen könnte, um es zu erfahren. Harfenflang muß nicht 
lieblicher [ein, als ihr Gefühl; es würde Iſrael hinweggelockt 
von David und feinen Zungen neue Pfalter gelehrt haben. — 
Mein liebes Käihchen? 

NKaͤthchen. ein lieber Vater! 

Theobald. Sprich ein Wort. 

Käthchen. Sind wir am Ziele? 

Theobald. . Wir finds. Dort in jenen freundlichen 
Gebäude, das mit feinen Thürmen zwifchen die Felfen ge- 
klemmt ift, find die ftillen Zellen der frommen Auguftiner- 
mönde; und hier der geheiligte Drt, wo fie beten. 

Kathchen. Ich fühle mich matt. 

Theobald. Wir wollen uns fegen. Komm, gieb mir 
deine Hand, daß va dich ſtütze. Hier vor diefem Gitter ift 
eine Ruͤhebank, mit vjem und dichtem Gras bewachſen: ſchau 
ber, das angenehmfte Plätzchen, das ich jemals ſah. (Gie frgen fie.) 

Gottfried. Wie befindeft du dich ? 

Näthchen. Sehr wohl. - 

BIBL. d. d. Rationalliteratur. Meift. L. 4 





50 


Thesbald. Du fcheinft doch blaß, und deine Stirne ift 
vol Schweiß? (Baule) - 

Gottfried, Sonft warft du fo rüftig, Tonnteft meilen- 
weit wandern, durch Wald und Feld, und brauchteft nichts 
als einen Stein, und das Bündel, das du auf der Schulter 
truaft, zum Pfühl, um dich wieder herzuftellen; und heut bift 
du jo erſchöpft, daß es fcheint, als ob alle Betten, in welchen 
bie Kaiferin ruht, dich nicht wieder auf die Beine bringen 
würden. . 

Theobald. Willſt du mit etwas erquidt fein ? 

Gottfried. Soll ich gehen und dir einen Trunk Wafler 


pfen 
Theobald. Oder fuchen, wo dir eine Frucht blüht? 
Gottfried. Sprid, mein liebes Käthchen! 
Käthchen. Ach danke dir, lieber Bater. 
Theobald. Du dankt uns? 
Gottfried. Du verihmählt Alles? 
Theobald Du begehrit nichts, als daß ich ein Ende 
made: hingehe und dem Brior Hatto, meinem alten Freund, 
fage, der alte Theobald jei da, der fein einzig liebes Kind 
begraben wolle. 

Käthcheu. Mein lieber Bater! 

Theobald. Nun gut. Es fol gefchehn. Doc bevor 
wir die entjcheidenden Schritte thun, die nicht mehr zurüd zu 
nehmen find, will ich Dir noch etwas jagen. Ich will dir che 


188 


was Gottfried und mir eingefallen ift auf dem Wege hierher, 
und was, wie ung at in's Werk zu richten nothwendi 

ift, bevor wir den Prior in dieſer Sae ſprechen. — Will 

du e8 wiſſen? 

Käthihen. Rede! 

Theobald. Nun wohlan, fo merk auf, und prüfe bein 
Herz wohl! — Du millft ın das Klofter der Urfulinerinnen 
eben, das tief im einjamen Tieferreichen Gebirge feinen Si 
bat. Die Welt, der Tieblihe Schauplag des Lebens, reizt ie 
nicht mehr; Gottes Antlig, in Abgezogenheit und Frömmigkeit 
angefchaut, ol dir Bater, Hochzeit, Kind, und der Kuß Kleiner 
blühender Entel jein. 

Näthchen. Ja, mein lieber Vater. 

Thesbald (nah einer kurzen Pauſe). Wie wär’, wenn du 
auf ein Paar Wochen, da die Witterung noch ſchön ift, zu 
dem Gemäuer zurüdtehrteft, und dir die Sade ein wenig 
itberlegteft ? 

Käthihen. Wie? 

Theobald. Wenn du wieder Baus mein’ ich, nad) 
der Strahlburg, unter den Hollunderftrauch, wo fich der Zeiftg 
das Neſt gebaut hat, am Hang des Feljens, du weißt, von 


51 


wo das Schloß im Sommenftrahl funfelnd über die Gauen 
des Landes berniederfchaut ? 

Käthchen. Nein, mein lieber Bater! 

Theobald. Warum nicht? 

Qäthchen. Der Sraf, mein Herr, hat es mir verboten. 

Theobald. Er hat es dir verboten. Gut. Und mas 
er dir verboten hat, das darfft du nicht thun. Doch, wie 
wenn ich hinginge und ihn bäte, daß er es erlaubte? 

Käthchen. Wie? was jagft du? 

Theobald. Wenn ich ihn erfuchte, dir das Bläschen, 
wo dir jo wohl ift, zu gönnen, und mir die Freiheit würde, 
dich dajelbft mit dem, was du zur Nothdurft brauchſt, freund» 
lich auszujtatten ? 

Kätbchen. Nein, mein lieber Vater. 

Theobald. Warum nicht? 

Käthchen (eklemmt). Das würdeſt du nicht thun; und 
wenn du es thäteft, jo würde es der Graf nicht erlauben; 
und wenn der Graf es erlaubte, fo würd’ ih doch von feiner 
Erlaubniß feinen Gebrauch machen. 

Theobald. Käthihen! mein liebes Käthchen! ich will 
es thun. Sn will mich jo vor ihm niederlegen, wie ich es 
tebt vor dir thue, und jprechen: mein hoher Herr! erlaubt, daß 
as Käthchen unter dem Himmel, der über eure Burg ge- 
fpannt iſt, wohne; reitet ihr aus, fo vergönnt, daß fie euch 
von fern, auf einen Pfeilfhuß, folge, und räumt ihr, wenn 
die Nacht kommt, ein Plägchen auf dem rar ein, daß euren 
ftolzen Roſſen untergefchüttet wird. Es ift beffer, als daß fie 
vor Gram vergehe. 

Käthchen (mdem fie fih gleichfalls vor ihm niederlegt). Gott im 
höchſten Himmel; du vernichteft mich! du legſt mir deine Worte 
freuzweis wie Meffer in die Bruft! ar will jest nicht mehr 
in's Klofter sen nach Heilbronn will ich mit dir zurückkehren, 
ih will den Grafen vergefien, und wen du willit, heirathen; 
mut auch ein Grab mir von acht Ellen Tiefe das Braut- 
ett fein. 

Theobald (der aufgeftanden if und fie aufgeht). Biſt du mir 
bös, Käthehen ? 

Näthchen. Nein, nein! was fällt dir ein? 

Theobald. Ich will dich in's Kloſter bringen! 

Käthchen. Nimmer und nimmermehr! weder auf die 
Strahlburg, noch in's Kloſter! — Schafft mir nur jetzt bei 
dem Prior ein Nachtlager, daß ich mein Haupt niederlege, und 
mich erhole; mit Tagesanbruch, wenn es ſein kann, geben wir 
zurück. (Sie weint.) 

Gottfried. Was haſt du gemacht, Alter? 

Theobald. Ach! ich babe He gekränkt! 


.> 





52 


Gottfried (ingen). Prior Hatto ift zu Haufe? 
Bförtner (öffne). Gelobt jet Jeſus Chriſtus! 
Thesbald. In Ewigkeit, Amen! 

Gottfried. DBielleicht befinut fie fich! 
Theobald. Komm, meine Tochter! (ate ab.) 


% 
Scene: Eine Berberge. 


Zweiter Anftritt. 


De er an ER N Oνν. - l 

Rheingraf (zu dem Gefolge). Laßt die Pferde abjatteln! 
ftellt Wachen aus, auf dreihbundert Schritt um die Herberge, 
und laßt Jeden ein, Niemand aus! Füttert und bleibt in den 
Ställen, und zeigt euch fo wenig es ſein kann. Wenn Egin- 
bardt mit Kundichaft aus der Thurneck zurüdfonmt, geb’ 
ich euch meine weitern Befehle. (Das Gefolge ab). er 
wohnt bier 

Facob Bed, Halten zu Gnaden, ich und meine Frau, 
geftrenger Herr. 

Rheingraf. Und bier? 

Jacob Bed. Dieb. 

Rheingraf. Wie 

Yacob Bed. Vieh. — Eine Sau mit ihrem Wurf, 
halten zu Gnaden; es ift ein Echweinftall, von Fatten draußen 
angebaut. ‚ 

Rheingraf. Gut. — Wer mohnt hier? 

Yacab Bed. Mo? 

Rheingraf. Hinter diefer dritten Thür? 

Jacob Bed. Niemand, halten zu Gnaden. 

Rheingraf. Niemand ? 

Jacob Beh. Niemand, geftvenger Herr, gewiß und 
wahrhaffig. Oder vielmehr Jedermann. E8 geht wieder auf's 
offne Feld hinaus. 

Rheingraf. Gut — mie heifeft du? 

Yacos Beh. Jacob Bed. 

Rheingraf. Tritt ab, Jacob Beh. — (Ber Gaftwirth ab.) 

Rheingraf. Sch mill mich bier wie die Spinne zu— 
jammen fnäueln, daß ich ausfehe wie ein Häuflein arglojer 
Staub; und wenn fie ım Netz fitt, diefe Kunigunde, iiber fic 
berfahren — den Stachel der Rache tief eindrüden in ihre 
‚treulofe Bruft, tödten, tödten, tödten, und ihr Gerippe, als 


53 


das Monument einer Erzbuhlerin, in dem Gebälte der 
Steinburg aufbewahren! 

griebrii. Ruhig, ruhig, Albreht! Eginhardt, den du 
nah Thurned gefandt haft, ift noch mit der Veftätigung deffen, 
was du argwohnft, nit zurüd. 

Rheingraf. Da haft du Recht, Freund; Eginhardt ift noch 
nit zurüd. Zwar in dem Zettel, den mir die Bübin fchrieb, 
fteht: ihre Empfehlung voran: es ſei nicht nöthig, daß id) 
mich fürder um fie bemühe; Staufen fei ihr von dem Grafen 
vom Strahl ul dem Wege freundlicher Vermittlung abge: 
treten. Dei meiner unfterblichen Seele! hat dies irgend einen 
a der ten ift, jo will ich es Hinunter- 
hluden und die Kriegsrüftung, die ich für fie gemacht, wieder 
auseinander gehen laſſen. Doch wenn Eginhardt kommt und 
mir jagt, was mir das Gerücht jchon geftedt, daß fie ihm mit 
ihrer Hand verlobt ift: jo will idy meine Artigkeit wie ein 
Zafchenmefjer zufamntenlegen, und ihr die Kriegskoſten wieder 

‚abjagen; müßt’ Mi fie umfehren, und ihr den Betrag heller 
weife aus den Taſchen berausjchütteln. | 


Dritter Auftritt. 


Eginhardt von der Wart tritt anf. Die Borigen. 


NRheingraf. Nun, Freund, alle Grüße treuer Brüder- 
ſchaft über dich! — Wie ſtehts auf dem Schloſſe zu Thurneck? 

Egiuhardt. Freunde, es ift Alles, wie der Ruf ung er- 
zählt! Sie gehen mit vollen Segeln auf den Dcean der Liebe, 
und che ber 
eingelaufen. 

Rheingraf. Der Dlig fol ihre Maften zeriplittern, ehe 
fie ihn erreichen! 

Friedrich. Sie find mit einander verlobt? 

Eginhardt. Mit dürren Worten, glaub’ id), nein, doch 
‚wenn Blide reden, Mienen jchreiben und Händedrüde fiegeln 
fönnen, jo find die Ehepacten fertig. 

Rheingraf. Wie ift es mit der Schenfung von Staufen 
jugegangen? das erzähle! 

Griehrid, Wann machte er ihr das Geſchenk? 

Esinhardt. Ei! Vorgeftern, am Morgen ihres Geburts- 
tags, da die Vettern ihr ein längenbes Seh in der Thnrned 
bereitet hatten. Die Sonne ſchien faum röthli auf ihr Lager: 
. da findet fie das Docunent chen auf der Decke liegen; das 

Document, verſteht mich, in ein Briefchen des verliebten Grafen 


ond fich erneut, find fie in den Hafen der Ehe 


G, 


54 
eingewidelt, mit der SR rar daß es ihr Brautgeſchenk 


jei, wenn fie fich entichließen könne, ihm ihre Hand zu geben. 
Ryeingraf. Sie nahın es? —X fie ſtellte FR bor 


den Spiegel, knixte, und nahm e8? 

Eginhardt. Das Document? allerdings. 

Fried rich. Aber die Hand, die dagegen gefordert ward ? 

Eginhardt. D die verweigerte fie nicht. 

Friedrich. Was! nicht? 

Eginhardt. Nein. Gott behüte! wann hätte fie je einem 
dreier ihre Hand verweigert! 

3 Rheingraf. Aber fie hält, wenn die Glode geht, nicht 
ort 

Eginhardt. Danach habt ihr mich nicht gefragt. 

Rheingraf. Wie beantwortete fie HL ; | 

E haret Sie ſei ſo gerührt, daß ihre Augen, wie 
zwei Quellen, niederträufelten, und ihre Schrift ertränkten! 
die Sprache, an die fie fi) wenden mitffe, ihr Gefühl auszu- 
drüden, fer ein Bettler. Er babe, auch ohne diefes Opfer, ein 
ewiges Recht an ihre Dankbarkeit, und es fei wie mit einem 
Diamanten in ihre Bruft gejchrieben; — kurz einen Brief 
voll doppelfinniger Fragen, der wie der Scilertatt zwei Farben 
fpielt, und weder ja fagt noch nein. 

Rheingraf. un, Freun e; ihre Zauberei geht mit diefem 
Kunſtſtück zu Grabe! Mich betrog fie, und feinen mehr; die 
Reihe derer, die fie am Narrenfeil geführt bat, ſchließt mit 
mir ab. — Wo find die beiden veitenden Boten ? 

Friedrich (in die Thür rufend). He! 





Bierter Auftritt. 


Zwei Boten treten auf. Die Borigen. 

Rheingraf (nimmt zwei Briefe aus dem Collet). Dieſe beiden 
Briefe nehmt ihr — dieſen du, diefen du; und tragt fie — 
diefen hier du an den Dominicanerprior Hatto, ee du ? 
ih wird’ Glod fieben gegen Abend kommen, und Abjolution 
in feinem Klofter empfangen; diefen hier du an Peter Ouanz,. 
Haushojmeifter in der Burg zu Thurneck; Schlag zwölf um 

itternadht ftünd’ ih mit meinem Kriegshaufen vor dem 
Schloß, und bräde ein. "Du gehſt nicht eher in die Burg, du, 
bis es finfter ift, und Läffeft dich vor feinem Men iöen feben: 
verftehft du mih? — Du braudft das Tageslicht nicht zu 
ſcheuen. — Habt ihr mich verftanden ? 

Die Boten. Gut. 

Rheingraf (ninmt ihnen die Briefe wieder aus der Hand). Die . 
Briefe find doch nicht verwechfelt ? 


55 


Friedrich. Nein, nein. 

Rheingraf. Niht? — — Himmel und Erde! 

Eginhardt. Was giebt’8! 

Rheingraf. Wer perfegelt fie? 

Friedrich. Die Briefe‘ 

Rheingraf. „Sa! 

Friedrich. Tod und Berderben! du verfiegelteft fie felbft. 
RMheingraf (giebt den Boten die Briefe wieder). Ganz recht! 
bier, nehmt! auf der Mühle beim Sturzbach werd’ ich euch 
erwarten. — Kommt, meine Freunde! (Kile ab.) 





Scene: Thurneck. Ein Zimmer in der Burg. 


Fünfter Auftritt. 


Der Ste] vom Eiray! figt gedanfenvoll an einem Tiſch, auf welchem zwei Lichter 
Reben. hält eine Laute in der Hand, und en einige Griffe darauf. m Hinier⸗ 
grunde, bei feinen Kleidern und Wa Befhäftigt, Geitigall. 
Stimme (von außen). 
Macht auf! macht auf! macht auf! 
' Hola! — wer ruft? 


Stimme. 
Ich, Gottſchalk, bin’s; ich bin’s, du Heber Gottſchalk! 


Gottſchalt. 
Wer? 1 
: Stimme. 
3qh Gottſchalt 
o alt, 
Du? 
Stimme 
Ka! 4 
sttihalf, 
. Wer? “ 
I Stimme. 
⸗ Ich! 
. Gr. v. Strahl (tegt die Laute weg). 


Die Stimme kenn’ ich! 
Gottſchalk. 
Mein Seel! ich hab’ fie auch En wo gehört. 


Stimme 
Herr Graf vom Strahl, macht auf! Herr Graf vom Strahl! 


Gr. v. Strahl. 
Bei Gott! das iſt — 





56 


Gottſcha 
Das nt h wahr ih lebe — 


Das Käthchen iſt's! wer fonft! das Käthchen iſt's, 
Das Kan — — von en as hchen iſt 


Gr. v. Strahl (ſteht auf). 
Wie? was? zum Teufel! 
Gottſchalk 
(legt Alles aus der Hand). 
Du, Mädel? was! O BAT du? Er öffnet die Thür.) 
.Strahl. 
Ward, ſeit die Welt Acht. fo etwas — 


Näthchen (indem fie eintritt). 
Ich bin's. 


Schaut her, bei Gott! da et fie ift es ſelbſt! 


Sedfter Auftritt. 


Dei — mit einem Brief. Die Borigen. 
r. v. Strahl. 
Schmeiß ſie hinaus! ih will nichtS von ihr wiſſen. 
Gottſchalt. 
Was! hört' ich recht — ? 
Laͤthche 
un der Graf vom Strahl? 
Straß. 
Schmeiß fie hinaus! Pu win nichts von ihr wiſſen! 
Gottſchalk 
(ninımt fie bei der Hand). 
Wie, gnädiger Herr, vergönnt — ® 
Käthchen (reiht ihm den Brief). 
Hier! nehmt, Herr Brajt 
Gr. v. Strahl 
(fich plötzlich zu ihr wendend). 
Was willſt du bier? was du hier zu ſuchen? 
ch e n (erichrocen). 
Nichts! — Gott behüte! Dielen Brief hier bitt' ih — 


57 


Gr. v. Strahl. 
Ich will ihn nicht! Was iſt dies für ein Brief? 
Wo kommt er her? und was enthält er mir? 


Käthchen. 
Der Brief hier iſt — 
Gr v. Strahl. 
Ich will davon nichts wiſſen! 
Fort! gieb ihn unten in dem Vorſaal ab. 


Käthchen. 
Mein hoher Herr! laßt, bitt' ich, euch bedeuten — 
Gr. v. —* (mild). 
Die Dirne, die landftreichend unverjchämte! 
Ich will nicht3 von ihr willen! hinweg, fag’ ich! 
Zurüd nad) Heilbronn, wo du hingehörft! 


Kaͤthchen. 
ger meines Lebens! gleich verlaſſ' ich euch! 
en Brief nur hier, der euch fehr wichtig ıft, 
Erniedrigt eu, von meiner Hand zu nehmen. 
6 ob (ip —8 Strahl. gt! 
aber will ihn nicht! ich mag ihn nicht! 
— Augenblicks! hinweg! 
NKathchen. 
Den hoher Herr! 
Gr. v. Strahl (wenvet ſich. 
Die Peitſche her! an welchem Nagel gän t fie? 
Ich will doch jehn, ob ich vor kofen Mädchen 
In meinem Haus niht Ruh mir kann verſchaffen. 
(Er nimmt die Beitfche von der Wand.) 


Gottſchalt. 

O, gnäd'ger Herr! was macht ihr? was beginnt ihr? 
Warum auch wollt ihr, den nicht fie verfaßt, 
Den Brief, nicht freundlich aus der Hand ihr nehmen? 

Gr. v. Straß. 
Schweig, alter Efel du, fag’ id. 

NKäathchen Gu Sottihalf). 

Laß, laß! 


Gr. v. Strahl. 
Thurneck bin ich bier, web was ich thue; 
ch will den Brief aus ihrer Hand nicht nehmen! 
— Willſt du jeßt gehn? 
Käthchen (cat). 
Ya, mein verehrter Herr! 





58 
Gr. v. Strahl. 


Gottſchalk 
(halblaut zu Kaͤthchen, da fie zittert). 
Se rubig; fürchte nichts. 
Gr. v. Strahl. 
So fern dich! 
Am Eingang ſteht ein Knecht, dem gieb den Brief, 
Und kehr des Weges heim, von wo du kamſt. 
Kaͤthchen. 
Gut, gut. Du wirſt mich dir gehorſam — 
Peitſch mich nur nicht, bis ich mit Gottihall ſprach. — 
(Sie kehrt fich zu Gottſchalk um.) 
Nimm du den Brief. 


Wohlan! 


Gottſchalt. 
Gieb her, mein liebes Kind, 
Was iſt dies für ein Brief? und was enthält er? 


Käthhen. 
Der Brief hier ift vom Graf vom Stein, verftehft du? 
Ein Anfchlag, der noch heut vollführt fol werden 
Auf Thurned, diefe Burg, darin enthalten, 
Und auf das ſchöne Fräulein Kunigunde, 
Des Grafen, meines hohen Herren, Brant. 


Gottſchalt. 
Ein Anſchlag auf die Burg? es iſt nicht möglich! 
Und vom Graf Stein? — Wie kamſt du zu dem Brief? 
Käthchen. 
Der Brief ward Prior Hatto übergeben, 
Als ich mit Vater Ju, durch Gottes Fügung, 
Jg deifen ftiler Klaufe mich befand. 
er Prior, der verftand den Inhalt nicht, 
Und mollt’ ihn ſchon dem Boten wiedergeben; 
Ich aber riß den Brief ihm aus der Hand, 
Und eilte gleich nach Zhurned ber, euch Alles 
Au melden, in die Harnifche an jagen; 
enn heut, Schlag zwölf um Mitternacht, foll fchon 
Der mörbderifche Frevel fi vollfixeden. 
Gottſchalk. 
Wie kam der Prior Hatto zu dem Brief? 
ei 
Lieber, das weiß ich nicht; es ift gleichviel. 
Er ift, du fiehft, an irgend wen gefchrieben, 
Der bier im Schi zu Thurned wohnhaft ift; 


59 


Was er dem Prior foll, begreift man nicht. 
Doch daß es mit dem Anfchlag richtig ift, 
ab’ ich felbft gelehn: denn kurz und gut, 
Der Graf zieht auf ie Thurneck ſchon heran; 
Ich bin ihn, auf dem Pfad hierher, begegnet. 
Gottſchalt. 
Du ſiehſt Geſpenſter, Töchterchen! 
Käthien. 
Gefpenfter! — 
39 Inge, nein! jo wahr ich Käthchen bin! 
er Graf liegt draußen vor der Burg, und mer 
Ein Pferd beiteigen will, und um fich fchauen, 
Der kann den ganzen weiten Wald ringsum 
Erfüllt von feinen Reiſigen erbliden! 


Gottſchalt. 
— Nehmt doch den Brief, Herr Graf, und ſeht ſelbſt zu. 
Ich weiß nicht, was ich davon denken ſoll. 
Gr. v. Strahl 

(legt die Peitſche weg, nimmt den Brief und entfaltet ihn). 
„Mm zwölf Uhr, wenn das Glöckchen fchlägt, bin ich 
Bor Thurneck. Laß die Thore offen fein. 
Sobald die Flamme zudt, sich ich hinein; 
. Auf Niemand münz’ ich es, als Kunigunden 
Und ihren Bräutigam, den id vom Strahl: 
Thu mir zu wiflen, Alter, wo fie wohnen.“ 


Gottſchal. 
Ein Höllenfrevel! — Und die Unterſchrift? 


Gr. v. Strahl. 
Das find drei Kreuze. Gauſe.) 
Wie ſtark fandſt du den Kriegstroß, Katharina? 


Käthchen. 
Auf ſechzig Mann, mein hoher Herr, bis fiebzig. 
Gr. v. Strahl. 
Sahft du ihn felbft den Graf vom Stein? 


Kä 
‚gen. Ihn nicht. 


Gr. v. Strahl. 
Wer führte feine Mannſchaft an? 
Kaͤthchen. 
Zwei Ritter, 
Mein hochverehrter Herr, die ich nicht kannte. 


60 


.v. Straß. 
Und jest, ſagſt du, fie 34 vor der Burg? 
Käthchen. 
Ja, mein verehrter Herr! 
Gr. v. Strahl. 
wie von hier? 


Käth 
Auf ein dreitauſend Schritt, event im Walde. 
Gr. ». Strahl. 
Rechts auf der Straße? 
Käthchen 


Links im bhrengrunde, 
Wo über'm Sturzhach ſich die Brücke baut. (Baufe.) 
Gottſchalk. 
Ein Anſchlag, gräuelhaft und unerhört! 
Gr. v. Strahl (ſect den Brief ein). 
Ruf mir fogleich die derm von Thurned her! 
— Die —* iſt's an der Zeit? 
Gottſchalk. 
Glock halb auf zwölf. 
Gr. v. Strahl. 
So iſt kein Augenblick mehr zu verlieren. 
Er ſetzt ſich den *7 auf.) 
Gleich, gleich; ich ge ale R: liebes K 
eich, gleich; i on! — Komm, liebes Käthchen, 
Daß ich dir das A te Herz erquide! — ä 
Wie großen Dank, bei Gott, nd wir dir ſchuldig! 
So in der Nadt, dur Wal und Feld und Thal — 
. Straßl. 
Haft du mir fonft noch Sungfran., was zu jagen? 
Käthchen. 
‚ Nein, nıein verehrter Herr. 
Gr. v. Strahl. 
— Was ft du da? 
Kaͤthchen 
(fich in den Vuſen feflend). 
Den Einfchlag, der vielle ch dir wichti⸗ iſt. 
Ich —— id hab’ — ich glaub’, er ih — (Sie fießt fi um.) 
Gr. v. Straht. 


Nathchen. 
Nein, hier. (Sie nimmt das Convert und giebt es dem Grafen.) 


Der Einſchlag? 


61 ' 


Gr v. Strahl. 
Gieb her! (Er betrachtet das Bayier) Dein Antlig ſpeit ja Flammen! — 
Du nımmft dir glei ein Tuch um, Katharina, 
Und trintjt nicht eh'r, bis du dich abgekühlt. 
— Du aber haft keins? 
Kaͤthchen. 
Nein — 
Gr. v. Strahl 
(mad fi die Schärpe los — wendet fi plötzlich, und wirft fie auf den Tiſch). 
So nimm die Schürze. 
(Rimmt die Handſchuh und zieht fie fidh an.) 
Wenn du zum Vater wieder heim willft kehren, 
Werd’ ich, wie ſich's von ſelbſt verfteht — (Gr Hält inne.) 
Käthchen. 
Was wirſt du? 
Gr. v. Strahl (erxbliat die Peitſche). 
Was macht die Peitſche hier? 
Gottſchalk. 
Ihr ſelbſt ja nahmt ſie — 
Gr. v. Strahl (ergrimmt). 
Hab' ich hier Hunde, die zu ſchmeißen ſind? 
(Er wirft die Peitſche, daß bie ne tieren, durchs Fenſter; hierauf gu 


Bierd dir, mein liebes Kind, und Wagen geben, 
ie ficher nad eilbronn dich heimgeleiten. 
— Bann denlft du heim? 
Kathchen Gittern). 
Gleich), mein verehrter Herr. 
Gr. v. Strahl 
(ftreihelt ihre Wangen). 
Gleich nicht! du kannſt im Wirthshaus übernachten. 
(Er meint.) 
— Was gloßt er da? geh, nimm die Scherben auf! 
(Sottfchall hebt die Scherben auf. Ge zalnamt ie Schärpe vom Tifh, und giebt fie 
en. 


Da! wenn du dich gefühlt, gieb mir fie wieder. 
Käthchen (will feine Hand küſſen). 
Mein hoher Herr! _ 
Gr. v. Strahl 
(wendet ſich von ihr ab). 
Leb wohl! leb wohl! leb wohl! 
(Getummel und Glockenklang draußen.) 


Gottſchalk. 
Gott der Allmächtige! 


62 


Näthchen. 
Was iſt? was giebt's? 
Gottſchalt. 
Iſt das nicht Sturm? 
Käthchen. 


Sturm? 

Gr. v. Strahl. 
Auf! ihr Herrn von Thurneck! 
Der Rheingraf, beim Lebend'gen, iſt ſchon da! (te ab.) 





Scene: Platz vor dem Schloß. Es iſt Nacht. Das Schloß brennt. Sturmgeläute. 


Siebenter Anftritt. 
Ein Nachtwãchter tritt auf und ſtößt ins Horn. 

Nachtwächter. euer! Teuer! Teuer! Erwächt, ihr 

V Männer von Thurned, ihr Werber und Kinder des Fleckens 

erwacht! Werft den — nieder, der wie ein Rieſe über 

euch liegt; beſinnt euch, erſteht und erwacht! Feuer! Der 

evel zog auf Soden durch's Thor! der Mord ſteht mit 

feil und Bogen mitten unter euch, und die gscheerung, um 

ihm zu leuchten, ſchlägt ihre Tadel an alle Eden der Burg! 

Feuer! Teuer! D dag ich eine Runge von Erz und ein Wort 

en das fi mehr fehreien ließe, als dies: Teuer! Feuer! 
euer! 





Achter Auftritt. 


Der Oral vom Strahl. Die Drei Deren von Thurnedt. Gefolge. Der Nacht⸗ 
Tr R 


Gr. v. Straßl. ginme und Erde! wer ſteckte das 
Schloß in Brand? — Gottſchalk! 
Gottfchalk (außerhalb der Scene). He! 
Gr. v. Strahl. Mein Schild, meine Lanze! 
Ritter von Thurned, Was ift geihehn 
‚ Gr» Strahl. Fragt nit, nehmt was hier fteht, 
, I t auf die Wälle, kämpft und ſchlagt um euch, wie ange- 
3 offene Eher! 
Nitter von Thurneck. Der Rheingraf ift vor den 
Thoren? 
Gr v Strahl. Bor den Thoren, ihr Herren, und ehe 
ihr den Riegel vorjchiebt, drinn: Berrätherei im Innern des 
Schloſſes hat fie ihm geöffnet! 


63 


Ritter von Thurneck. Der Mordanfchlag, der uner- 
hörte! — Auf! (ms wit Gefolge) 

Gr. v. Strahl. Gottſchalk! 

Gottſchalk (ußerhalb). He! 
Sr v. Strahl. Mein Schwert! mein Schild! meine 
Lanze! 





Neunter Anftritt. 


Das Mäthigen teitt auf. Die Borigen. 


Näthchen (mit Schwert, Schild und Lauze). Hier! 

Gr. v. Strahl (indem er das Schwert nimmt und es fih umgürtet). 
Was wilft du? 

Käthchen. Ach bringe dir die Waffen, 

Gr. v. Strahl. Di rief ich nicht! 

Keäthchen. Gottſchalk rettet. 

Gr. v. Strahl. Warum ſchickt er den Buben nicht? — 
Du dringſt dich ſchon wieder auf? 

(Der Nachtwächter ſtoößt wieder in's Horn.) 





Zehnter Auftritt. 


Nitter Flammberg mit Reifigen. Die Borigen. 


Flammberg. Ei, ſo blaſe du, daß dir die Wangen 
berſten! Fiſthe und Maulwürfe willen, daß Feuer ift, was 
braucht e8 deines gottesläfterlichen 
verfündigen ? 

Gr. v. Strahl. Wer da? 

Flammberg. Steahlburgiiher 

Gr. v. Strahl. Ylammberg? 

Slammberg Er jelbft! 

Gr v. Strahl. Tritt heran! — Bermweil bier, bis wir 
erfahren, wo der Kampf tobt! 





Eilfter Auftritt, 
Yie Tanten von Ihuruel treten auf. Die Borigen. 
Erfte Tante. Gott helf' ung! 
Sr. v. Strahl. Ruhig, rubig. 
Zweite Tante Wir Hub verloren! wir find gefpießt. 


Gr. v. Strahl. Wo ift Fräulein Kunigunde, eure 
Nichte? 


efangs, um es und zu 


* 





64 

Die Tanten. Das Fräulein, unfre Nichte ? 

Runigunde (im Säle). Helft! ihr Menſchen! helft! 

Gr. v. Strahl. Gott im Himmel! war bas nicht ihre 
Stimme? (& giebt Schild und Lanze an Käthchen.) 

Erfte Tante. Sie rief! — Eilt, eilt! 

Zweite Tante, Dort erfcheint fie im ‚portal! ’ 

giße Tante. Gefchwind! um aller Heiligen! fie want, 


fie fällt 
Sweite Tante. Eilt fie zu unterftügen! 


% 





Zwölfter Auftritt, 
Kunignude Son Thurneck. Die Borigen. 
Gr. v. Strahl 


(empfängt fie in feinen Armen). 
Meine Kunigunde! 
Das Bild, ‘das ih jüngft gefä ft, Oraf Friedrich! 
a8 Di 08 ihr mir jüng eſchenkt, Graf Friedri 
Das Bild mit dem Futtrai! 3 
Gr. v. Straßt. 
Was foW8? wo iſt's? 


Kunigunde. 
Im Feu'r! weh mir! helft! rettet! es verbrennt. . 


Gr. v. Strahl. 
» Laßt, laßt! habt ihr mich felbft nicht, Thenerfte ? 


Aunnigunde, 
Das Bild mit dem Futtral, Herr Graf vom Strahl! 
Das Bild mit dem Futtral! 


säthhen (tritt vor). 
Wo liegt's; wo fteht’s ? 
(Sie giebt Schild und Lanze an Slammberg.) 


Kunignnde. 
Im Schreibtiſch! hier, mein Goldkind, iſt der Schlüſſel! 
(Kathchen geht.) 
Gr. v. Strahl. 
Hör, Käthchen! 
Kunigunde. 


Eile! 
Gr. v. Strahl. 
Hör, mein Kind! 


65 
Sunigunde, 
Warum auch ſtellt ihr wehrend euch — 


Gr. v. Strahl. 
Mein Fräulein, 
Ich will zehn andre Bilder euch flatt defien — 


Sunignude (unterbricht ihn). 
Dies brauch’ ih, dies, ſonſt keins! — Was es mir gilt, 
Iſt hier der Ort jegt nicht, euch zu erklären. — 
Seh, Mädchen, geb, ige ‚Bild mir und Futtral: 
Mit einem Diamanten lohn’ ich's dir! 


Wohlen, fo (Safe! — Ci der Chözin ut! 
oblan, fo ſchaff's! — Es ift der Thörin re 
Was hatte fie an diefem Drt zu fuchen ? 

Käthchen. 
Das Zimmer — rechts? 

Kkunigunde. 

Links, Liebchen; eine Treppe, 
Dort, wo der Altan, ſchau, den Eingang ziert! 


Käaäthchen. 


Hinweg! 


Im Dittelzimmer ? 
Kunigunde. 
In dem Mittelzimmer! 
Du fehlſt nicht, lauf; denn die Gefahr ift dringend! 


5 
Auf! auf! Mit Gott! mit Soil ia ich bring’ e8 euch! us.) 


Dreizehnter Auftritt. 


Die Pr ohne Kätbchen. 
— 
hr Leut', hier ift ein Bentel Gold für den, 
‚Der in das Haus ihr folgt! 
Sunigunde, 
For weshalb? 


Veit Schmidt! Hans, u Karl tiger! drig Töpfer! 
ft Niemand unter euch ? 
Runigunde, 
Fi fällt euch ein? 
‚dv. Straßl. 
Mein Fräulein, in der hal, ih muß geftehn — 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleif. L 5 


66 


Welch bejondrer Eif ee en ? 
el ein beſon ver ifer glüht euh an?! — \ 
Was iſt dies für ein Kind — 
Gr. v. Strahl 
— Es die Jungfrau, 
Die heut mit ſo viel Eifer uns gedient. 
Sunigunde, 
Bei Gott, und wenn's des Kaiſers Tochter wäre! 
— Was fürdtet ihr? das Haus, wenn e3 gleid) brennt, 
Steht wie-ein Fels ag dem Gebaite noch; 
Sie wird auf dieſem Gang nicht gleich verderben. 
Die Treppe war nod) uber pon Strahl; 
Rauch x das einz’ge Uebel, das fie findet. 
Käthchen 
Pie in einem breiinenden Fenfter). 
Mein Fräulein! hilf Gott! der Rauch erſtickt mich! 
— Es ift der re te füffel nicht. 
Gr, v. Strahl (u Kımigunden). 
Tod und Zeufel! 
Warum regiert ihr eure Send nicht beſſer? 
anigunde, 
Der rechte Schlüſſel nit aithqhe 
n 
(mit * Stinme). 
Hilf Gott! hilf Gott! 
Gr. v. Strahl. 
Komm herab, mein Kind! 
en si unde. 
Laßt, laßt! 


Gr. v. Strahl. 
mm herab, fag’ ich! 
Was ſollſt du ohne Schlüſſel dort? —* herab! 
Kkunigunde. 
Laßt einen Augenblid —| 
Gr v. Straßt. 
Wie? was? zum Teufel! 
Kunigunde. 
Der Schlüſſel, liebes Herzens - Tüchterchen, 
Dängt, jest erinnr’ ih mich's, am Stift des Spiegels, 
er überm Pustifch glänzend eingefugt! 
Kathchen. 
Am Spiegelftift? 


67 


.v. Strahl. 
Beim Gott der Welt! in wollte, 
Er hätte nie gelebt, der mich gezeichnet, 
Und er, ber mich. erzeugt bat, obenein! 
— So fud! 


de “ 
Mein Kugentthtl am Pustifch, hörft du? 
Käthchen 
(inden fie das Fenſter verläßt). 


Wo ift der Pustifh? voller Rauch ift Alles. 
Gr. u, Strahl. 
Sud! 
Kunigunde. 
An der Wand rechts. 
Käthchen (unſichtbar). 
Rechts? 


Gr. v. Strahl. 


en qa Su ſag' ich! 
ma ® 
Hilf Gott! Hilf Gott! Ki Son Ye 
Gr. v. Straß. 
ch jage, juh! — 


Ich 
Verflucht die hündiſche —— 


Wenn ſie nicht eilt: bad“ Sau Ha gleich zufammen! 


Gr. v. Strahl. 
Schafft eine Leiter her! 


Sunigunde, 
Fre mein Beliebter? 
v. Strahl. 
Schafft eine Leiter herr” ö mil auf 
de. 
Mein theurer Freund! in — wollt —? 
. Gr v. Strahl. 
Ich bitte! 
Räumt mir den Platz! 3 will > Bild euch Schaffen. 
nigund 
Harrt einen Augenblick 0,10 beichmör’ euch. 
Sie bringt es gleich herab. 
Gr. v. Stadt. 
, lagt mid! — 


jag 
Putztiſch und Spiegel ift, und Nanelfift 


2 


3 


68 
hr unbelannt, mir nicht; ich find’S heraus, 
Vs Bild von Kreid’ und Del auf Leinewand, 
Und bring’8 euch her, nach eures Herzens Wunſch. 
(Bier Knechte bringen eine Feuerleiter.) 
— Hier! legt die Reiter an! 
Erfter Knecht 
(vorn, indem er fi) umfieht). 
Hola! da hinten! 
Ein Anderer Gum Grafen). 


Wo? 
Gr. v. Strahl. 
Wo das Fenfter offen ift. 
Die Knechte 
(heben die Leiter auf). 
D ba! 
Der Erfte (om). 
Blig! bleibt zurüd, ihr hinten da! was macht ihr? 
Die Leiter ift zu lang! 
Die Auberen (Hinten). 
Das Fenfter ein! 
Das Kreuz des Fenſters eingeftoßen! jo! 
Flammberg (der mit geholfen). 
Jetzt fteht die Leiter feſt, und rührt ſich nicht! 
Gr. v. Strahl 
(wirft fein Schwert weg). 
Wohlan denn! 
Sunignude, 
Mein Geliebter! hört mid an! 
Gr. v. Strap, 
Ich bin gleich wieder da! 
(Er fett einen Buß auf die Leiter.) 
Flamm berg (aufisreiend). 
Halt! Gott im Himmel! 
Kunigunde 
(eilt erſchreckt von der Leiter weg). 


Was giebt’8? 
Die Kuechte. 
Das Haus finkt! fort! zurüde! 


Alle 
Heiland der Welt! da liegt's in Schutt und Trümmern! 
(Das Haus finft zufammen, ber a wenbet fi, und drüdt beide Hände vor die 
Stirne; Alles, wa® auf der Bühne i et zurüd und wendet fich gleichfalls ab. 


— — — — 


69 


Bierzehnter Auftritt. 


ã i it ei ierrolle, durch ei tal, da8 
yallen (ofen re Eher dr OfaeKne Osginge an Eh 
umflofien, blondlodig, Fittige an den Schultern und einen Balmzweig ın der Hand. 

Käthihen 
(fo wie fie aus dem Portal iſt, Yehrt fie fih und ſtürzt vor ihm nieder). 
Schirmt mid, ihr Himmlifchen! was widerfährt. mir? 
(Der Eherub berührt ihr Haupt mit gr nr des Palmzweigs und verſchwindet.) 
(Pau e.) ' + 


Funfzehnter Anftritt. 
Die Borigen ohne den Cherub. 


Auniguude (fieht fi zuerſt um). 
Nun beim lebend’gen Gott, ich glaub’, ich träume! — 
Mein Freund! ſchaut her! 


Sr. u. Strahl (verniäte). 
Flammberg! 
(Er fügt fih auf feine Schulter.) 


Kunigunde. 


Ihr Vettern! Tanten! 
Herr Graf! ſo hört doch an! | 
Gr. u. Strahl (fhieht fie von fid). 


Geht, geht! — — Ich bitt’ euch. 


Runigundbe. 
hr Thoren! feid ihr Säulen Salz geworden ? 
elöft ıft Alles glücklich. | | 
Gr. v. Strahl 
(mit abgewandtem Geſicht). 
Troſtlos mir! 
Die Erd’ hat nichts mehr Schönes. Laßt mich fein! 
Flammberg (zu den Knedten.) 
Raſch, Brüder, raſch! 
Ein Knecht. 


Herbei, mit Hacken, Spaten! 
Ein Auderer. 
Laßt uns den Schutt durchſuchen, ob ſie lebt. 


Kunigunde (iharf). 
Die alten, bärt'gen Gecken, die! das Mädchen, 
Das ſie verbrannt zu Feueraſche glauben, 


> 





70 


Su und geſund am Boden liegt ſie da, 
ie Schürze kichernd vor dem Mund, und lacht! 
Gr, v. Strahl (wendet ſich). 
Wo? 

Kunigunde. 


Hier! 
Flammberg. 
Nein, ſprechd es iſt nicht möglich. 
Die Tanten, 
Das Mädchen wär’ —? 
j Alle 
D Himmel! ſchaut! da liegt fie. 
Gr. v. Strahl 
(tritt zu Ihe und betrachtet fie). 
Nun über dich fchwebt Gott mit feinen Schaaren! 
(Er erhebt fie vom Boden.) 
Wo kommſt du ber? 
Quthchen 


Weiß nit, mein hoher Herr. 
Gr. v. Strahl. 
Hier ſtand ein Haus, dünkt mich, und du warſt drin. 
— Nicht? war's nicht ſo? 
Flammberg. 
— Wo warſt du, als es ſank? 
Käthchen. 
Weiß nit, ihr Herren, nos mir widerfahren. GBaufe.) 


Gr v. Strahl. 
Und hat noch obenein das Bird, 
(Er nimmt ihr die Rolle aus der Hand.) - 


Kunigunde (reißt fie an fi). 
Wo? 


Gr. v. Strahl. 
Hier. 
(Runigunde erblaßt.) 
Nicht? iſt's das Bild niht? — Freilid! 
Die Tanten, 
Wunderbar! 
Flammberg. 
Wer gab dir e8? fag an! 
Runigunde 
(indem fie ihr mit der Rolle einen Streich auf die Bade giebt). 
Die dumme Trine! 
Hatt’ ich ihr nicht gejagt, das Yutteral? 





71 


Gr u. Strahl. 
Nun, beim gerechten Gott, das muß ich fagen —! 
— Ihr wolltet das Yuttral? 

Kunigunde 

Ya und nichts Anders! 
Ihr hattet euren Namen drauf gefchrieben; 
Es war mir werth, ich hatt's ihr eingeprägt. 
u Gr. v. Straß. 

Mahrhaftig, wenn e3 fonft nicht3 war — 

Kkunigunde. 

‚.. So? meint ihr? 
Das kommt zu prüfen mir zu, und nicht euch. 
Sr. v. Strahl. 

Mein Fräulein, eure Güte macht mich ſtumm. 

Kunigunde (zum Käthchen). 
Warum nahmſt du's heraus, aus dem Futtral? u 

Sr. u. Strahl. " 
Barum nahmſt du's heraus, mein Kind ? 
Käthdhen. 


Sr. v. Strahl. 


Käthchen. 
39 nahm es nicht heraus, mein hoher Herr. 
as Bild, halb aufgerollt, im Schreibtifchwinfel, 
Den ich erjchloß, lag neben den Futtral. 


unigunde, 
dort! — das Geficht der Aeffin! 


Sr. v. Straß. 
Kunigunde! — 


Das Bild? 
Ya! 


Kathchen. 
den ich's hinein erſt wieder ordentlich 
n das Futtral —? 
Gr. v. Strahl. 
Nein, nein, mein liebes Käthchen! 
Ich Iobe dich, du haft es recht gemadht; 
ie fonnteft du den Werth der Pappe kennen? 
Kuniguude. . 
Ein Satan leitet’ ihr die Hand! 
Gr». Strahl. 
Sei ruhig! — 
Das Fräulein meint es nicht fo bös. — Tritt ab. 


72 


‚.. Käathchen. 
Wenn du mich nur nicht fchlägft, mein hoher Herr! 
Gie geht zu Flammberg und mifcht fich ins Hintergrund unter bie Knechte.) 


Scehzehnter Auftritt. 


Die Herren bon Thurneck. Die Berigen. . 


Ritter von Thnrued. 
Triumph, ihr Herrn! Der Sturm i abgefülagen! 
Der Aheingraf zieht mit biut’gen Schädel heim! 
Zlammpberg. r 
Was! ift er fort? 


Bolt. 
Heil, Heil! 
Gr. v. Straß. 
Zu Pferd, zu Pferd! 
Laßt, uns den Sturzbach umgejäumt erreichen, 
So jchneiden wir die ganze Wotte ab! (Mine a6.) 


Bierter Akt. | 


Scene: Gegend im Gebirg, mit Wafferfällen und einer Brüde. 


Eriter Auftritt. 


Der Kheingraf vom Stein zu Pferd, zieht mit einem Troß Fußvolk über die Brüde. 
Ihnen folgt der Graf vom Strahl zu bierb: bald darauf Mitter Flammberg mit 
Knechten und Reifigen zu Fuß. Zuett | aa! gleichfalls zu Pferd, neben ihm dag 

Rheingraf (u dem Zrop). Ueber die Bride, Kinder, über 
die Brüde! iefer Wetter vom Strahl kracht, wie vom 
Sturmwind getragen, hinter uns drein; wir müſſen die Brüde 
abwerfen, oder wir find alle verloren! 

. (Er reitet über die Brlüde.) 

Knete des Rheingrafen (fofgen ihm. Heikt die Brüde 
nieder! (Sie werfen die Brüde ab.) 

Gr. v. Strahl (eriheint in der Scene, fein Pferd tummelnd). Hin- 
weg! — wollt ihr den Steg unberührt laſſen! 


3° 


Knechte bed Rheingrafen (igiegen mit Pfeilen auf in). Hei! 
diefe Pfeile Er Antwort dir! 
Gr. v. Strahl (wendet das Pferd). Meuchelmörder! — he! 
Flammberg! 
Näthch eu (Hält eine Rolie in die Höhe). Mein hoher Herr! 
Gr. v. Strahl u Flammberg). Die Schüten her! 
Rheingraf (über den Fluß rufend), Auf Ieberfchn, Herr 
Graf! wenn ihr ſchwimmen könnt, fo ſchwimmt; auf der Stein- 
burg, diesſeits der Brücke, ſind wir zu finden. (& mit dem Troß.) 
v. Strahl. Habt Dank, ihr Herren! wenn der Fluß 
trägt, f (re ich bei euch ein! (Er reitet hindurch.) 
ad Knecht (aus feinem Troß). Halt! zum Henker nehmt eud) 
in t! 


Kathchen (am Ufer zurückbleibend). Herr Graf vom Strahl! 
Ein anderer Kunecht. Schafft Balfen und Bretter her! 
Zlammperg Was! bift du ein Jud? 
Alte. Sept hindurch! jest hindurch! (&ie fofgen ipm.) 
Sr. v. Strahl. Folgt! folgt! es ift ein Forellenbach, 
weder breit noch tief! So recht! jo recht! laßt ung das ðe⸗ 
ſindel völlig in die Pfanne hauen! (Ms mit dem Troß.) 
Str Fe en Herr Graf vom Strahl! Herr Graf vom 
a 


Gottſchalk (endet mit em Bferde um). Je, mas lärmft und 
jhreift du? — Was haft du hier im Getiimmel zu ſuchen? 
warum läufft du hinter ung drein ? 

Käthchen (Hält fi an einem Stamm). Himmel! 

Gottſchalk (indem er abſteigh. Komm! ſchürz und ſchwinge 
FA een. das Pferd an die Hand nehmen, und dic) hin 
dur ren 

Sr. v. Strahl (Hinter der Scene) Gottſchalk! 

r ae Gleich, gnädiger Herr, gleih, was be- 
ebit ıhr 
Gr. v. Strahl. Meine Lanze will ich haben! 
he at (Hilft das Käthhen in den Gteigbügel). Ich bringe 
ie 

Käthchen. Das Pferd ift Tchen. 

Gottſchalk (reißt das Pferd in den Zügel). Steh, Mordmähre! 
— So zieh dir Schuh’ und Strümpfe aus! 

Käthch en (etzt fi auf einen Stein). Gejchwind! _ 

Sr. v. Strahl (augerpats). Gottſchalk! 

Gottſchalk. Gleich, gleich! ic, bringe die Lanze ſchon 
— Was haft du denn da in der Han 

Käthchen (indem fie fich auszieht). dar Futteral, Lieber, dag 
geftern — nun! 

Gottſchalk. Was! das im Feuer zurüd blieb ? 

Käüthchen. Freilich! um das ich geiiholten ward. Trüg 





14 


morgens, im Schutt, heut ſucht' ich nah und durch Gottes 
Fügung — — nun, fo! (Sie zerrt fid am Strumpf.) 

Gottſchalt. Ye was der Teufel! (Er nimmt es ihr aus ber 
Hand.) Und unverjehrt, bei meiner Treu, als wär's Stein! — 
Was ftedt denn drinn ? 

Käthchen. Ich weiß nicht. 

Gottſchalk (nimmt ein Blatt Heraus), „Acte, die Schenkung 
en vetreſfend, von Friedrich Grafen vom Strahl” — Se, 
verflucht! 

Gr. v. Strahl (Graußen). Gottſchalk! 

Gottſchalk. Gleich, gnädiger Herr, gleich! 

Käthchen (teht auf). Nun bin ich fertig! 

Gotiſchalk. Nun, das mußt du dem Grafen geben! 
(Er giebt ige das Futteral wieder) Komm, veich mir die Hand, und 
folg mir! Er führt fe und das Pferd durch den Bad.) 

Käthchen (mit dem erflen Schritt ins Waffen). Ah! 

Gottſchalk. Du mußt dich ein wenig ſchürzen. 

Käthchen. Mein, bei Leibe, ſchürzen nicht! (Sie ſteht fin.) 

Gotiſchalk. Bis an den Zwidel nur, Käthchen! 

Käthcheu. Nein! lieber fuch’ich mir einen Steg! (Sie kehrt un.) 

Gottſchalk ar fd. Bis an den Knöchel nur, Kind! 
bis an die äußerfte, unterfte Kante der Sohle! 

Käthchen. Nein, nein, nein, nein; ich bin gleich wieder 
bei dir! (Sie macht ſich los, und Läuft weg). 

Gottſchalk (tert aus dem Bad zurüd, und ruft ihr nad). Käthchen! 
Käthchen! ich will mich untepten‘ ih will mir die Augen zu: 
halten! Käthchen! es ift fein Steg auf Meilenmweite u Anden! 
— — Ei jo mollte ih, daß ihr der Gürtel plabte! da Läuft‘ 
fie am Ufer entlang, der Quelle zu, den weißen jchroffen Spigen 
der Berge; mein Seel, wenn ſich kein Führmann ihrer erbarmt, 
jo geht fie verloren. 

r. v. Strahl (vraugen). Gottfchalt! Himmel und Exde! 
Gottſchalk! 

Gottſchalk. Ei, jo ſchrei du! — — Hier, gnädiger Herr; 

ich komme ſchon. (Er leitet fein Pferd mürriſch durch den Vach; ab.) 


Scene: Schloß Wetterſtrahhl. Platz, dicht mit Bäumen bewachfen, am äußeren zer⸗ 
fallenen Mauernring der Bnrg. Born ein Hollunderfttaud, der eine Art von natür⸗ 
licher Laube bildet, tworunter von freldfteinen, mit einer Strohmatie bededt, ein Sig. 
An den Zweigen fieht man em Hemdden und ein Paar Strümpfe u. f. w. zum 
Trocknen aufgehängt. 


Zweiter Anftritt. 
Nãthqchen Liegt und fchläft. Der Graf vom Strahl tritt auf. 


Gr. v. S trahl (indem er das Futteral in den Buſen ſtedt). Gott⸗ 
Galk, der mir dies Futteral gebracht, hat mir geſagt, das 


’ D 





75 


Käthchen wäre wieder da. Kunigunde zog eben, weil ihre 
Burg niedergebrannt iſt, in die Thore der meinigen ein; da 
kommt er und ſpricht: unter dem Hollunderſtraüch länge fie 
wieder da, und fchliefe, und bat mich, mit thränenden Augen, 
ih möchte ihm doc erlauben, fie in den Stall zu nehmen. 
Ich jagte, bis der alte Vater, der Theobald, fie aufgefunden, 
wärd’ ich ihr in der Herberge ein Unterfommen verichaffen; 
und indellen Han, ih mich herabgefchlichen, um einen Entwur 
mit ihr auszuführen. — Ih kann diefen Sammer nicht mehr 
zufehen. Dies Mädchen, beftimmt, den herrlichften Bürger von 
Schwaben zu bealüden, wiſſen will ih, warum ich verdanmt 
bin, fie, einer Metze gleich, mit mir herum zu führen; willen, 
warum fie giuter mir herjchreitet, einem Hunde (eich, durd) 
Feuer und Waſſer, mir Elenden, der nichts ſur ich hat, als 
das Wappen auf ſeinem Schild. — Es iſt mehr als der bloße 
ſympathetiſche dus des Herzens; es iſt irgend von der Hölle 
angefacht, ein Wahn, der in ihrem Buſen ſein Spiel treibt. 
So oft ich ſie gefragt habe: Käthchen! warum erſchrakſt du 
doch ſo, als du mich zuerſt in Heilbronn ſahſt? hat ſie mich 
immer zerſtreut angeſehen, und dann geantwortet: et, geſtrenger 
Herr! ıhr wißts ja! — — — Dort ift fie! — Dahrhaftig, 
wenn ih fie fo daliegen fehe, mit rothen Baden und ver- 
ſchränkten Händchen, to fommt die ganze Empfindung der 
Meiber über mich, und macht meine Thränen fließen. Ich will 
gleich fterben, wenn fie mir nicht Die Peitſche vergeben hat — 
ad, was ſag' ich? wenn fie nicht im Gebet für mich, der fie 
mißhandelte, eingefchlafen! — Doc rafch, ehe Gottſchalk kommt, 
und mid; ftört. veierlet hat er mir gefagt: einmal, daß fie 
einen Schlaf hat wie ein Murmelthier; zweitens, daß fie wie 
ein Jagdhund immer träumt, und drittens, daß fie im Schlaf 
ſpricht; und auf diefe Eigenschaften hin, will ich meinen Ber- 
juc gründen. — Thue ia eine Sünde, jo mag fie mir Gott 


verzeihen. (Er lüßt fi auf Knieen vor ihr nieder und legt feine beiden Arme 
fanft um ihren Leib. — Sie nıacht eine Bewegung als ob fie erwachen wollte, liegt 


aber gleich wieder ftill.) 
Gr. v. Strahl. 
Käthchen! ſchläfſt du? 
Kathchen. 
Nein, mein verehrter Herr. (pauſe) 
Gr. v. Strahl. 
Und doch haft du die Augenlider zu. 
Kaͤthchen. 
Die Augenlider? 
Gr. v. Strahl. 
Ja; und feſt dünkt mich. 


2 


76 
Kathchen. 


Gr. v. Strahl. 
Was! nicht? du hättſt die Augen auf? 
A Käthchen. 
Groß auf, ſo weit ich kann, mein beſter Herr; 
Ich ſehe dich ja, wie du zu Pferde en 
Gr. v. Straßl. 
So! — auf dem Fuchs — nidt? 
Qathchen. 
Nicht doch! auf dem Schimmel. 
Pauſe.) 
Gr. v. Strahl. 
Wo biſt du denn, mein Herzchen? ſag mir an. 
Quthcheu. 
Auf einer [hönen grünen Wiefe bin ich, 
Wo Alles bunt und voller Blumen ift. 
Gr. v. Strahl. 
Ah, die Bergigmeinnicht! ah, die Kamillen! 
Käthchen. 
Und hier die Veilchen; ſchau! ein ganzer Buſch. 
Gr. v. Strahl. 
Ich will vom Pferde niederſteigen, Käthchen, 
Und mich in's Gras ein wenig zu dir ſetzen. 
— Soll ich? 


— Ach, geh! 


Käthchen. 
Das thu, mein hoher Herr. 
Gr. v. Strahl (als ob er riefe). 
He, Gottſchalk! — 
Wo laſſ' ich Doch das Pferd? — Gottſchalk! wo bilt du? 


Käthcen. 
Se, laß es ftehen. Die Liefe läuft nicht weg. 
-. Gr. v. Strahl (tägelt.) 
Meinft du? — Nun denn, fo fers! 
(Baufe. — Er raffelt mit feiner Rüftung.) 
Mein liebes Käthchen. 
(Er faßt ihre Hand.) 
Käthchen. 
Mein hoher Herr! | 
Gr. v. Stroht. 


Du bift mir wohl recht gut? . 


7 
Kauͤthchen. 


FED v. Str 


Gewiß! von Herzen. au. 
Aber ich — was meinſt du? 


Ich nicht. 
h rich Kaͤthchen aadeind). 
O Schelm! 
Gr. v. 
Was, Shen! ih hoff’ — 
Käthchen. 
— O geh! — 
Verliebt ja wie ein Ri bift du mir. 
u, Strahl. 
Ein Käfer! was! ich —8 du biſt — 
Käthchen. 
Was ſagſt du? - 
Gr. v. Strapt 
Ihr Glaub’ ift wi Turm fo ründet! — v 
r Glaub’ ift wie ein rm eft ge 
Sei's! ich ergebe mid darın. — & Rüthe hen, 


Wenn's ift, wie du mir fag 
gäthiien. 
Nun? was beliebt? 
Gr. v. Straßl. 
Was, iprich, was joll draus werben? 
Rüthen, 
Was draus foll werden? 
v. Strahl. 
Ja, haft du's ſchon behiß 
Kathchen. 
Je nun. 
Gr v. Straß. 
— Was beißt das? 
then. 


Kät 

Zu Oftern, über's Jahr, wirft du mich heuern. 
Gr. vom Strahl 
(da8 Lachen verbeißend). j 

So! heuern! In der That! das wußt' ich nicht! 
Kathrinden, ſchau! — wer hat dir das gefagt ? 

Kathchen. 
Das hat die Mariane a gelagt. 

. Straßl. 

So! die Mariane! ei wer "ia denn das? 


18 


Käthdhen, 
Das ıft die Magd, die fonft das Haus und fegte. 
Gr, v. Strahl. | 
Und die, die mußt’ es en — von wem? 
thchen. 
Die ſah's im Blei, das fe ehemmikvoll 
In der Sylvefternadht mir zugegoffen. 
Gr. v. Strahl. 
Was du mir ſagſt! da prophezeite ſie — 
Käthihen. 
Ein großer, fchöner Riner wir mid) heuern. 
Strahl. 
Und nun meinſt du ſo —— da ſei ih? 
Küthhen. 
ga, mein verehrter Herr. (Panfe.) 
Gr. v. Strahl (gerührt). 
Ih will dir fagen, 
Mein Kind, ich glaub’, es 3 ift ein Anderer. 
Der Nitter Flammberg. Oder fonft — mas meinft du? 
Kathchen. 


Gr. v. Strahl. 
Nicht? 
Käthchen. 


Nein, nein, nein! 
Gr. v. Strahl. 


Nein, nein! 


Warum nicht? Rede! 


— Als ich zu Bett ging, “a Nas Bei gegoſſen, 
In der — bat id zu © 
Wenn's wahr wär’, was mir die Mariane fagte, 
Möcht' er den Ritter mir im Traume zeigen. 
Und da erjhienft du ja, um Mitternacht, 
Teibhaftig mie ich jebt dich por ınir jehe, 
Als deine Braut mich liebend zu begrüßen. 
36 di P — .Strah ve r 

wär’ dir — Herzchen! davon weiß ich nichts, 
— Bann hätt’ ic vi _? “ 

Käthchen 
In der Sylveſternacht — 
Wenn wiederum Eutoefter kommt, zwei Jahr. 
Strahl. 

Wo? in dem Schloß zu —e 


79 


Naͤthchen. 
Nicht! in Heilbronn; 
Im Kämmerlein, wo mir das Bette ſteht. 
Gr. v. Strahl. be 
Was du da jchmasft, mein liebes Kind. — Ich lag, 


Und obenein todtkrant, im Schloß zu Strahl. 
(Baufe — Sie feufht, bewegt fich, und lispelt etwa.) 


Gr. v. Strahl. 
Was fagft du? aatheh 
äthchen. 
Wer? 


Gr. v. Strahl. 
Du! 
Käthchen. 
Ich? ich ſagte nichts. (Pauſe) 
Gr. v. Strahl (für ſich). 
Geltfam, beim Himmel! in der Syweſternacht — 
(& träumt vor ſich nieder.) 
— Erzähl mir doch etwas davon, mein Käthchen! 
Kam ich allein? 
Käthchen. 


Nein, mein verehrter Herr. 
Gr. v. Strahl. 
Nicht? — Wer war bei mir? 
Näthchen. 
Ach, ſo geh! 
Gr. v. Strahl. 


Käthchen. 
Das weißt du nicht mehr? 
Gr. v. Strahl. 
Nein, ſo wahr ich lebe. 
AQathchen 
Ein Cherubim, mein hoher Ser war bei dir, 
Mit Flügeln, weiß wie —3 auf beiden Säultern, 
Und Licht — o Herr! das funfelte! das glänzte! — 
Der führt’ an ſeinn Hand dich zu mir ein. 
Gr. v. Strahl (ſtarrt fie an). 
So wahr, als ich will felig fein, ich glaube, 
Ta baft du recht! 
Küthien. 


Ja, mein verehrter Herr! 


Sp rede! 


80 


Gr. v. Strahl 
(mit beflemmter Stine). 
Auf einem härnen Kiffen lagft du da, 
Das Bettuch weiß, die wolle» Dede coth? 


Käthchen. 
Ganz recht! ſo war's! 
Im Bogen Uhen demdqhend 
m bloßen leichten Hemdchen 
Käthcheu. 
Im Hemdchen? — nein. 
Gr. v. Strahl. 
Was} nicht? 
Käthchen. 


Gr. v. Strahl. 
Mariane, riefſt du? 
dtber 


Mariane, rief 10° 
Geihwind! ihr Mädchen! fommt doch her! Chriftine! 
Gr. v. Strahl. 
Sahft groß mit ſchwarzem aus mich an? 
Kaäthchen. 
Ja, weil ich glaubt', es wär' ein Traum. 
Gr. v. Strahl. 


Im leichten Hemdchen? 


Stiegſt langſam, 

An allen Gliedern zitternd, aus dem Bett, 
Und ſankſt zu Füßen mir — 

LKäaäthchen. 

Und flüſterte — 

Gr. v. Strahl (unterbricht fie). 

Und flüſterteſt: mein hocnerchrier Hr! 
Käthchen (ächelnd). 
Nun! ſiehſt du wohl? — Der Engel zeigte dir — 


Gr. v. Strahl. 
Das Mal — ſchützt mich, ihr Himmliſchen! das haſt du? 


J Käthchen. 

Je, freilich! 
Gr. v. Strahl 
(reißt F das Tuch ab). 

Wo? am Halſe? 
Käthchen (Gewegt fich). 
| Bitte, bitte. 

Sr. v. Strahl. 

O ihr Urewigen! — und als ich jest 

Dein Kinn erhob, in's Antlik die zu ſchauen? 


81 


| Kat hch en. 
30: da kam die unfelige Mariane 
it Licht — — — und Alles war vorbei; 


Ich lag im Hemdchen auf der Erde da, 
Und die Mariane jpottete mich aus. 
j . Gr. v. Strahl. 
Nun fteht mir bei, ihr Götter! ich bin boppelt! 
Ein Geift bin ih und wandele zur Nacht! 
(Er Iäßt fie los und fpringt auf.) 
Käthchen (erwacht). 
Gott, meines Lebens Herr! was widerfährt mir! 
(Sie ſteht auf und flieht fih um.) 
Gr. v. Strapt. 
Was mir ein Traum fchien, nadte Wahrheit ift’s: 
Im Schloß zu Strahl, todffrant am Nervenfieber, 
Lag ich danieder, und hinweggeführt, 
Bon einem Cherubim, beſuchte ſie 
Mein Geift in ihrer Klaufe zu Heilbronn! 
Käthchen. 
Himmel! der Graf! 
(Sie ſetzt ſich den Hut auf, und rückt ſich das Tuch zurecht.) 
Gr. v. Strahl. 
Was thu' ich jetzt? mas laſſ' ih? (Banfe.) 
Käthchen 
(fällt auf ihre beiden Kniee nieder). 
Mein hoher Herr, hier lieg’ ich dir zu Füßen, 
Gemärtig deflen, was du mir verhängft! 
An deines Schloffes Mauer fandft du mid, 
Trotz des Gebot3, das du mir eingefchärft; 
Ich ſchwör's, es war ein Stündchen nur zu ruhn, 
Und jest will ich gleich wieder weiter gehn. 
Gr. v. Strahl. 
Weh mir! mein Geift, von Wunderlicht geblendet, 
Schwankt an des Wahnfinns graufem Hang umher! 
Denn wie begreif’ ich die Verkündigung, 
Die mir noch filbern wiederflingt im pr, 
Daß ſie die Tochter meines Kaiſers ſei 
Gottfſchalk (raußen). 
Käthchen! He, junge Maid! Ä 
Gr». Strafl . 
(erhebt fie rafch vom Boden.) 
in erhebe dich! 
Mad dir das Tuch zurecht! wie fiehft du aus? 


Bibl. d. d. Nationalliteratur. aleiſi. J. 6 


82 


Dritter Anftritt. 


tritt 7 Die 


Gut, Gottſchalk, daß du tommft! n "een gteft m id, 
Ob du die ungfrau in den Stall darf” nchmen | 
Das aber jhidt aus manchem Grund fh n wer 

Die Friedborn zieht aufs Schloß zu meiner Mutter. 


Got 
Wie? was? wo? — Oben — Schloß hinauf? 


Gr. v. Strahl. 
Ja, und das gleich! Nimm ihre Saden auf, 
Und auf dem Gr zum Pa A ns ihr nad). 


Gott's Blig auch, Rithhen! ar bi das gehört?" 
Naͤthchen 
(mit einerzierlichen Berbeugung). 
Mein hochverehrter Herr! ich nehm’ e8 an, 
Bis ich werd’ willen, wo mein Vater ift. 


Gr. u. Strahl. 

Gut, gut! ich werd’ mid) gleich nah ihm erfund’gen. 

(Gottſchalk bindet die Sachen zuſammen; Käthchen Hilft ihm.) 
Nun? ifts gefchehn? 

(Er nimmt ein Tuch vom Boden anf, umd übergiebt es ihr.) 

Käthchen (errdthend). 
Was! du bemühſt dich mir? 
(Gottſchalk nimmt das Bündel in die Band). 


Gr. v. Strahl. 
Gieb deine Hand! 
Käthchen 
Mein hochverehrter Herr! 
(Er führt fle über die Steine; wenn fie Hinliber ift, läßt er fie vorangehn und 
folgt. Alle ab). 





Scene: Sarten. Im Hintergrunde eine Grotte, im gothiſchen Styl. 


Bierter Anftritt, 


Kunigunde von Kopf zu Buß in einen uen fturrfarbuen Schleier verhünt und Roſalie 


Snnigunde. Wo ritt der Graf vom Strahl hin? 
Nofalie. Mein Fräulein, es ift dem ganzen Schloß un- 
begreiflih. Drei Taiferliche Conmiffarien famen fpät in ber 


83 


Nacht, und wedten ihn auf; er verfchloß fich mit ihnen, und 
heut, bei Anbruc des Tages, ſchwingt er fich ut Pferd, 
und verjchwindet. 

Runigunde. Schließ mir die Grotte auf. 

Rofalie Sie ift ſchon offen. 

Kunignnde, Nitter Slammberg, höre ich, macht dir den 
Sol; u Mittag, wann ich mich gebadet und angelleidet, werd’ 
ich fragen, was dieſer Vorfall zu bedeuten ? (Mb in die @rotte.) 





Fünfter Auftritt. 
Fräulein Glesnere tritt anf. Mofalle, 


Eleonore. Guten Morgen, Rofalie. 

Roſalie. Guten Morgen, mein Fräulein! — was führt 
euch fo (np ſchon hierher ? 

Eleonore, Ei, ih will mid mit Käthchen, dem kleinen, 
holden Gaft, den uns der Graf in's Schloß gebracht, weil die 
Luft fo heiß ift, in diefer Grotte baden. . 

Rofalie. Bergebt! — Fräulein Kunigunde ift in der 
Grotte. 

Eleonsre, Fräulein Kunigunde? — wer gab euch den 
Schlüffel?.. 

Rofalte. Den Schlüſſel? — die Grotte war ofen, 

Eleonore. Habt ihr das Käthchen nicht darin gefunden ? 

Rofalie, Nein, mein Fräulein. Keinen Menjchen. 

Eleonore. Ei, das Käthchen, jo wahr ich lebe, ift-drin! 

Rofalie. In der Grotte? unmöglich! 

Eleonore. Wahrhaftig! in der Nebenfammern einer, die 
dunkel und verftedt find. — Sie war vorangegangen; ic) fagte 
nur, als wir an die Pforte kamen, ich wollte mir ein Tüch 
von der Gräfin zum Trocknen holen. — D Herr meines 
Lebens; da ift fie fhon! ° 





Sechſter Auftritt. 
Kätkigen aus der Grotte. Die Borigen. 
Roſalie (für fie). 
Himmel! was ſeh' ich dort? 
Käthchen Gittend). 
Eleonore! 
Eleouore. 
Ei, Käthchen, biſt di ſchon im Bad geweſen? 
Schaut, wie das Mädchen funkelt, wie es glanzet 


\ 


84 


Dem Schwane dei, ber, in die Bruſt geworfen, 
Aus des Kenfta ljeeö blauen Fluten fteigt! 
— Haft du die jungen Glieder dir erfriicht? 
Käthchen. 
Eleonore! komm hinweg. 
Eleonore, 
Was fehlt dir? 
Rofalie (chredenblaß. 
Wo kommſt du her? aus jener Grotte dort ? 
Du hatteft in den Gängen dich verftedt? - 


Käthchen. 
Eleonore! ich beſchwöre dich! 
Kunigunde 
. (mm Innern der Grotte). 
Rofalie! 
ofalie, 


NR 
Gleich, mein Fräulein! 

Bu Kathchen) Haft fie gefehn? 
Eleonore, | 
— du bleichſt? 


Käthchen 
(ſfinkt in ihre Arme). 


Was giebt’3? Sag an! 


Eleonore!’ 
Eleonore, 
Hilf, Gott im Himmel! Käthchen! Kind! mas fehlt dir? 
Kunigunde (in der Grotte). 
Rofalie! 
Rofalie (zu Käthchen). 
Nun, beim Himmel! dir wär’ beffer, 
Du riffeft dir die Augen aus, als daß fie 
Der Zunge anvertrauten, wa3 fierfahn! (As in die Grotte) 





Siebenter Auftritt. 
Käthden und Eleonore. 
Eleonore. 
Was iſt geſchehn, mein Kind? was ſchilt man dich? 
Was macht an allen Gliedern fo dich zittern? 
Wär' dir der Tod in jenem Haus erichienen, 
Mit Hipp’ und Stundenglas, von Schreden könnte 
Dein Buſen grimmiger erfaßt nicht fein! 
Käthchen. 
Ich will dir fagen — Gie kann nicht ſprechen. 


⸗ 


85 


Eleonore. 
Nun, ſag an! ich höre. 
Käthchen. 
— Doch du gelobſt mir, nimmermehr, Lenore, 
Wem es auch ſei, den Vorfall zu entdecken. 
Eleonore. 
Nein, keiner Sesle; nein! verlaß dich drauf. 
Käthchen. 
Schau, in die Seitengrofte hatt’ E mich 
Durch die verborgne Thüre eingeſchlichen; 
Das große Prachtgewölb war mir zu hell. 
Und nun, da mid) das Bad ergquidt, tret' ich 
In jene größre Mitte fcherzend ein, 
Und denfe, du, du id, ie darin rauſcht: - 
Und eben von dem Rand in's Beden fteigend, 
Erblidt mein Aug — 
Eleonore, 
' Nun, was? wen? jprid! 


Käthchen. 


Du mußt ſogleich zum Grafen, Leonore, 
Und von der ganzen Sach' ihn unterrichten. 
Eleonore. 

Mein Kind! wenn ich nur wüßte, was es wäre? 

| Käthchen. 
— Doch ihm nicht ſagen, nein, um's Himmels willen, 
Daß es von mir kommt. Hörſt du? eher wollt' ich, 
Daß er den Gräuel nimmermehr entdeckte. 


Was ſag' id! 


" Eleonore. 

In welchen Räthſeln fprihft dur, liebftes Käthchen? 
Was für ein Gräwl? was iſt's, das du erfchaut? 

8 
Ach, Leonor', ich räbte, es ift beſſer, 
Das Wort kommt über meine Lippen nie! 
Dur mich kann er, durch mich, enttäufcht nicht werden! 
Eleonore. 

Warum nicht? meld ein Grund ift, ihm zu bergen —? 
Wenn du nur fagteft — | 

| Käthchen (wendet fih). 

Horch! 


Eleonore, 
Was giebt’3? 


\ 


86 
NKäthchen. 
Es kommt! 


Eleonore, 
Das Fräulein iſt's, ſonſt Niemand, und Rofalie. 
Kathchen. 
Fort! gleich! hinweg! 
Eleonore. 
Warum? _ 
Käthchen 
Fort, Raſende! 
Eleonore. 
Wohin? 
Läthchen. 
Hier fort, aus dieſem Garten will ich — 
Eleonore 


Käthchen. 
Ih bi mic) Sie er 
in ber oren, wenn fie mich bier trifft 
Fort! in der Gräfin Arme flücht’ ich mich! 


Bift du bei Sinnen? 





Achter Auftritt. 
Runigundbe und Noſalie aus der Grotte. 
Runigunde 
(giebt Rofalien einen Sarüffel). 
gie, nimm! — im Schubfach, unter meinem Spiegel; 
a8 Pulver in der ſchwarzen Schachtel rechts, 
Schütt es in Wein, in Waſſer oder Milch, 
Und ſprich; komm her, mein Käthchen! — Doch du nimmſt 
Qielleuht fie lieber wiſchen deine Kniee? 
Gift, Tod und Rache! mach es, wie du willſt, 
Doch ſorge mir, daß ſie's inunterſchlucki 
Roſalie. 
Hört mich nur an, mein Fräulein — 


Kunigunde. 


Gift! Peſt! Verweſung! 
Stumm mache ſie und rede nicht! 
Wenn ſie vergiftet, todt iß eingeſargt, 
ne arrt, verweft, zerftiebt, als Pirtenfenge 
Bon dem, was ſie jetzt ſah, im Winde flüſtert; 
So komm und ſprich von Sauftmuth und Vergebung, 


87 


Pfliht und Gefeb, und Gott und Höll' und Teufel, 
Bon Heie und Gemiffensbiffen X 


Roſalie. 

Sie hat es ſchon entdeckt, es hilft zu nichts. 
Kunigunde. 

Gift! Aſche! Nacht! Chaotiſche Verwirrung! 
Das Pulver reicht, die Burg gan wegäufreffen, 
Mit Hund und Sagen hin! — Thu, wie ich fagte! 
Sie buhlt mir fo zur Seite um fein Herz, 
Wie id) vernahm, und ich — des Todes fterb’ ich, 
Wenn ihn das Affenangejicht nicht rührt. 
Fort! in die Dünfte mit ihr Hin: die Welt 
Hat nicht mehr Raum, genug für mid und fie! (us. 





 Sünfter Akt, 


Scene: Worms. Freier Pla vor der kaiſerlichen Burg, zur Seite ein Thron; 
im Hintergrunde die Schranten des Gottesgerichts. ı 


Erfter. Auftritt. 


Der Raifer auf dem Thron. Ihm zur Geite der Sristinel son Worms, Gra 
GC ae ni ET ie Ba 
- boller Rüftung; beide ftehen dem Thron gegenüber. ud in 
Graf Weiterſtahl, du Haft auf einem 8 
vaf Wetterftrahl, du haft auf einem Zuge, 
Der durch Heilbronn dich vor drei Monden führte, 
In einer Thörin Bufen eingefchlagen; 
Den alten Bater jüngft verließ die Dirne, 
Und ftatt fe heimzufenden, birgft du fie 
In Flügel deiner väterlichen Burg. 
n ſprengſt du, ſolchen Frevel zu beſchönen, 
Gerüchte, lächerlich und gottlos, aus; 
Ein Cherubim, der dir zu Nacht erſchienen, 
go dir vertraut, die Maid, die bei dir wohnt, 
Sei meiner kaiſerlichen Senden Kind. 
Gold) eines —A prophet'ſchen Grußes 
Spott' ich, wie ſich's verſteht, und meinethalb 
Magſt du die Krone ſelbſt auf's Haupt ihr ſetzen; 
Bon Schwaben einſt, begreifſt dur, erbt fie nichts, 
Und meinem Hof auch bleibt ſie fern zu Worms. 
die aber fteht ein tiefgebeugter Mann, 
em du, zufrieden mit der ZLochter nicht, 





88 


Auch no die Mutter willft zur Mebe machen; 
Denn er, fein Tebelang fand er fie treu, 
Und rühmt des Kinds unfel’gen Vater ſich. 
Darum, auf feine ſchweren Klagen, riefen wir 
Bor unfern Thron dich her, die Schmad, womit 
Du ihre Gruft geſchändet, a: 
uf, rüfte dich, du Freund der Himmlifchen: 
Denn du bift da, mit einem Wort von Stahl, 
Im Zweikampf ihren Ausſpruch zu bemeijen! 
Gr. u. Strahl 
, u (mit dem Grröthen des Unwillens). 
Mein Taiferlicher Herr! hier ıft ein Arm, 
Bon Kräften ſtrotzend, markig, ftahlgefchient, 
Geſchickt ım Kampf dem Teufel zu begegnen; 
Treff ich auf jene graue Scheitel dort, 
Flach ſchmettr' ich * wie einen Schweizerkäſe, 
Der gährend auf dem Brett des Sennen liegt. 
Erlaß in deiner Huld und Gnade mir, 
Ein Märchen, aberwitzig, ſinnverwirrt, 
Dir darzuthun, das ſich das Volk aus zwei 
— zuſammen ſeltſam freilich, 
‚Wie die zwei Hälften eines Ringes, pafjend, 
Mit müß’gem Scharffinn aneinanderjegte. 
. Begreif, ich bitte dich, in deiner Deis 
Den ganzen Vorfall der Sylveſternacht 
Als eın Gebild des Fiebers, und fo wenig 
Als e8 mich kümmern würde, träumteft du, 
Ich jet ein Jud, jo wenig kümmre did), 
Daß ich geraft, die Tochter jenes Mannes 
Gei meines hochverehrten Kaifers Kind! 
Erzbiſchof. 
Mein Fürft und Herr, mit dieſem Wort fürwahr, 
Kann fid) des Klägers madres Herz beruh'gen. 
Geheimer Wilfenfchaft, fein Weib. betreffend, 
Nühmt ey ſich nicht; ſchau, was er der Mariane 
Hr in geheimer Zwieſprach vorgeſchwatzt: 


eit 


at e8 eben jeso widerrufen! 

Straft um den Wunderbau der Welt ihn nicht, 

Der ihn auf einen Augenblid verwirrt. 

Er gab vor einer Stund, o Theobald, 

Mir feine Hand, das Käthchen, wenn du kommſt, 

zu Strahl in feiner Burg dir abzuliefern; 

eh hin und tröſte dich und hole ſie, 

Du alter Herr, und laß die Sache ruhn! 
Theobald. 

Verfluchter Heuchler du, wie kannſt du läugnen, 





” 89 


Daß deine Seele ganz durchdrungen ift, 

Bom Wirbel bis zur Sohle, von dem Glauben, 
Daß fie des Kaifers Bänkeltochter fei? 

2 du den Tag nicht bei dem Kirchenfpiel 
Erforſcht, mann fie geboren, nicht, berechnet, 
Wohin die Stunde der Empfängnig fällt; 

Nicht ausgemittelt mit verruchtem Wie, 

Daß die erhabne Majeftät des Kaijers 

Bor jechzehn Lenzen durd Heilbronn gejämeift? 
Ein Uebermüthiger, aus eines Gottes Kuß, —* 
Auf einer Furie Mund gedrückt, a ungen; 

Ein glanzumfloffner Batermördergeift, 

An jeder der granitnen Säulen rüttelnd 

In dem urew'gen Fempe der Natur; 

Ein Sohn der Hölle, den mein gutes Schwert 
Entlarven jetzo, oder, rückgewendet, 

Mich ſelbſt zur Nacht des Grabes ſchleudern ſoll! 


Gr. v. Strahl. 
Nun, den Gott ſelbſt verdamme, gifterfüllter 
Verfolger meiner, der dich nie beleidigt, 
Und deines Mitleids eher würdig wäre, 
So ſei's, Mordraufer, denn, ſo wie du willſt. 
Ein Cherubim, der mir, in Glanz gerüſtet, 
u Nacht erſchien, als ich im Tode lag, 
at mir, was läugn' ich's länger, Wßenſchaft, 
ntichöpft dem Himmelsbronnen, anvertraut. 
Bier vor des höchſten Gottes Antlig fteh’ ich, 
nd die Behauptung fchmettr’ ich dir in’S Ohr: 
Käthehen von Heilbronn, die dein Kind du ſagſt, 
meines ho Ken Raifers dort; fomm ber, 
ich von dem Gegentheil zu liberzeugen! 


Der Kaifer. 
Trompeter, blaft, dem Läfterer zum Tode! (Trompetenftöge.) 


' Theobald Gicht). - 
Und wäre gleich mein Schwert auch eine Binfe, 
Und einem Griffe, Inder, wandelbar, 
Bon gelbem Wachs gefnetet, eingefugt, 
So wollt’ F: doch von Kopf zu Fu dich fpalten, 
Wie einen Giftpilz, der der Haid’ entblüht, 
Der Welt zum Zeugniß, Mordgeift, daß du logft! 
Gr. v. Strahl 

(nimmt fein Schwert ab und giebt ed weg. 
Und wär’ mein De gleih und die Stirn, die drunter, 
Duräfigt , meiferrüdendünn, zerbrechlich, 
Die Schaale eines ausgenommnen Eis, 


90 


So follte doch dein Sarras, Funken fprühend, 
Abprallen, und in alle Eden fplittern, 
a patt du en TR ook —2— ſproch 
er Welt zum Zeugniß, daB ich wahr geſprochen, 
Hau, und laß jetzt mid) jehn, weß Sade rein! 
(Er nimmt fih deu Helm ab und tritt dicht vor ihn.) 
Theobald (Gurücdweihend). 
Seß dir den Helm auf! 
‘ Gr. v. Strahl (folgt ihm). 
Hau! | 


Theobald. 
Setz dir den Helm auf! 
Gr. v. Strahl 
(ſtöͤßt ihn zu Boden). 
Dich lähmt der bloße Blitz aus meiner Wimper? 
(Er windet ihm das Schwert aus der Hand, tritt Über ihn und ſetzt ihm den 
. . Fuß auf die Bruſt.) 
Was hindert mid, im Grimm gerechten Siegs, 
Daß ich den Fuß in's Hirn dir drüde? — Lebe! 
„ (Gr wirft das Schwert vor des Kaiſers Thron.) 
Mag e8 die alte Sphinx, die Zeit, dir löfen; 
Das Käthchen aber ift, wie ich gejagt, 
Die Tochter meiner höchften Maienkt 
Bol! (durdeinander). 
Himmel! Graf Wetterftrahl hat obgefiegt! 
Der Kaiſer 
, (erblaßt und fteht auf). 
Brecht auf, ihr Herrn! 
Erzbiſchof. 
Wohin? 


Ein Ritter 
(aus dem Gefolge). 
Was iſt geſchehn? 
Graf Otto. 
Almächt’ger Gott! was fehlt der Majeſtät? 
Ihr Herren, folgt! es fcheint, ihr ift nicht wohl. cas.) 





Scene: Ebendaſelbſt. Zimmer in Taiferlihen Schloß. 


Zweiter Auftritt. 


. Der Kaifer (wendet fih unter der Thür). Hinwes es ſoll mir 
Niemand folgen! Den Burggrafen von Freiburg und den Ritter 


91 


von Waldſtädten laßt herein; das ſind die einzigen Männer, bie 
ich ſprechen will! (Er wirft die The zu) — — — Der Engel Gottes, 
der dem Grafen vom Strahl verfichert hat, das Käthchen fei 
meine Tochter: ich glaube, bei meiner Taiferlichen Ehre, er hat 
Recht! Das Mibden ift, wie ich böre, funfzehn Jahr alt; 
und vor ſechszehn “Jahren weniger drei Monaten, genau ge 
göblt, feierte ih, der Pfalzgräfin, meiner Schwefter, zu Ehren, 

a8 große Turnier in Heilbronn! E8 mochte ohngefähr eilf 
uhr bends fein, und der Jupiter ging eben mit feinem fun- 
telnden Licht im Oſten auf, als ich, vom Tanz fehr ermüdet, 
aus dem Schloßthor trat, um mich in dem Garten, der daran 
ſtößt, unerfannt, unter dem Bolt, das ihn erfüllte, zu erlaben; 
und ein Stern, mild und fräftig, wie der, leuchtete, wie ich gar 
nicht zweifle, bei ihrer Empfängniß. Gertrud, fo viel ich mid) 
erinnere, hieß fie, mit der ih mich in.einem von dem Bolt 
minder beſuchten Theil des Gartens, beim Schein verlöfchender 
Lampen, während die Muſik, fern von dem Tanzſaal ber, ın den 
Duft der Linden niederjäufelte, unterhielt; und Käthchens 
Mutter heißt Gertrud! Ach weiß, daß Ki mir, als fie fehr 
weinte, ein Schauftüc mit dem Bildniß Papft Leo's von der 
Bruſt los machte, und es ihr als ein Andenken von mir, den fie 
get falls nicht fannte, in das Mieder ftedte, und ein ſolches 

hauftüd, wie ich eben vernehme, befigt das Käthehen von 
Heilbronn! O Himmel! die Welt wankt aus ihren Fugen! Wenn 
der Graf vom Strahl, diejer Bertraute der Auserwählten, von 
der Buhlerin, an die er gefnüpft ift, loslaſſen kann: fo werd’-ich 
die Verkündigung wahrmachen, den Theobald, unter welchem 
Vorwand es bei ewegen müflen, daß er mir dies Kind abfrete,, 
und fie mit ihm verhetrathen müſſen: will ich nicht wagen, daß 
der Eherub zum zweiten Mal zur Erde fteige, und das ganze 
Geheimniß, das ich hier den vier Wänden anvertraut, aus» 
bringe! a6.) 





Dritter Anftritt. 


Burggraf von Freiburg und Gesrg von MWalbtähten treten auf. Ihnen folgt 
Nitter Flammberg. 

Flammberg (erfaun). ger Burggraf von Freiburg! — 
An ihr, es, oder iſt es euer Geiſt? O eilt nicht, ich befchtoöre 
euch —! 

Freiburg (wendet fin). Was willft dur? 

Georg Wen ſuchſt u? 

Flammberg. Meinen bejammernswürdigen gern, den 
Grafen vom Strahl! Fräulein KRunigunde, fene Braut — o 
hätten wir fie euch nimmermehr abgemonnen! Den Koch hat 








92 — 


ſie beſtechen wollen, dem Käthchen Gift zu reichen: — Gift, ihr . 
geftrengen Herren, und zwar aus dem abfcheulichen, unbegeit 

le ai räthfelhaften Grunde, weil das Kind fie im Bade 
elaujchte! 

Freiburg. Und das begreift ihr nicht? 

Zlammberg Wein! 

Freiburg. So will ih es dir jagen. Sie ift eine mo- 
faifche Arbeit, aus allen drei Reichen der Natur zufammengejegt. 
Ihre Zähne gehörten einem Mädchen aus Münden, ihre Haare 
find aus Frankreich verjchrieben, ihrer Wangen Gefundheit 
fommt ans den Bergwerken in Ungarn, und den Wuchs, den ihr 
an ihr bewundert, hat fie einem Hemde zu danken, das ihr der 
Schmidt aus ſchwediſchem Eijen verfertigt hat. — Haft du 
veritanden? | 

Flammberg. Was! 

Freiburg Meinen Empfehl an deinen dem! (96.) 

Genrg Den meinigen au! — Der Graf ift bereits 
nad) der Strahlburg zurüd; ſag ihm, wenn er den Haupt— 
Schlüffel nehmen, und fie in der Mlorgenftunde, wenn ihre Reize 
auf den Stühlen liegen, überrafchen wolle, fo könne er jeine 
eigne Bildfäule werden und fi, zur Verewigung feiner Helden- 
that, bei der Köhlerhittte aufftellen laffen! «us. 


Scene: Schloß Wetterſtrahl. Runigundene Zimmer. 


" ‚  Bierter Anftritt. - 


Noſalie bei der Zoilette des Fräuleins befhäftigt, Qunigunde tritt ungeſchminkt, wie 
fie aus dem Bette fommt, auf; bald darauf der Graf ham Strahl. 
. Suniguube 
(indem fie fi bei der Toilette niederjekt). 
Haft du die Thür beforgt? 
Roſalie. 
Sie iſt verſchloſſen. 
Kunigunde. 
Verſchloſſen! was! verriegelt, will ich wiſſen! 
Verſchloſſen und verriegelt, jedesmal! 
(Rofakie geht, die Thür zu verriegeln; der Graf kommt ihr entgegen.) 
Roſalie erſchrogen). 
Mein Gott! wie kommt ihr hier herein, Herr Graf? 
— Mein Fräulein! 


| Kunigunde (fieht fih um). 
Mer? 


93 


Nofalie. 
Seht, bitt’ ich euch! 
Sunigunde 
Roſalie! 
(Sie erhebt ſich ſchnell und geht ab.) 





Fünfter Auftritt. 


Graf vom Strahl und Rofalie. 
Gr. v. Straß! 
(ſteht wie vom Donner gerührt). 
Ber war die unbelannte Dame? 
Rofalie. 
— Wo? 
Gr. v. Straßl. 
Die, wie der Thurm von Pifa, hier vorbeiging? — 
Doc, hoff ih, niht — « 
Roſalie. 
Wer? 
Gr. v. Strahl. 
| Fräulein Kunigunde? 
Rofalie, 
Bei Gott, ih glaub’, FR ſcherzt! Sibylle, meine 
Stiefmutter, gnäd’ger Herr — 
Kunigunde (drinnen). 
ofalte! 


Rofalie, , 


f 
Das Fräulein, das im Bett liegt, ruft nah mir. — 
Berzeiht, wenn ih — (Sie Holt einen Stuhl.) 
nu Wollt ihr euch gütigft fegen? 


(Sie nimmt die Toilette und gebt ab.) 





Sechſter Auftritt. 


Gr. u. Strahl (vernidtet). 

Nun, du allmächt'ger Himmel, meine Seele, 
Sie i I: werth nicht, daß fie aljo heiße! 
Das Maaf, womit fie auf dem Markt der Welt 
Die Dinge mißt, ift falich; [Henjetge Bosheit 

ab' ich für die milde Herrlichkeit erſtanden! 

ohin flücht' ich Elender vor mir ſelbſt? 
Wenn ein Gewitter wo in Schwaben tobte, 


3 


54 


Mein Pferd könnt’ ig in meiner Wuth beſteigen, 
Und ſuchen, wo der Keil mein Haupt zerſchlägt! 
Was iſt zu thun, mein Herz? was iſt zu —53 





Siebeuter Auftritt. 


igunde in ihrem gewöhnli Glanz, Tte und die alte Sibhlle, die ſchwäch⸗ 
Runigunde In ie A Reisen, durc — Bithar abgeht.) vi, vandc 


Runigunbe. 
Sieh da, Graf Friederih! mas für ein Anlaß 
Führt euch fo. früh in meine Zimmer ber? 
Gr. v. Strahl 
(indem er die Sibylle mit den Augen verfolgt). 
Was! ſind die Hexen doppelt? 


Kunigunde (ficht fi) um). 
Wer? - 
Gr. v. Strahl (fat fich). 
8 


° ergebt! — 
Nah eurem Wohlfein wollt’ ich mid, erfunden. 
Kunigunde. 
Nun? — iſt zur Hochzeit Alles vorbereitet? 


Gr. v. Strahl 
. (indem er näher tritt und fie prüft). 
Es ift, bis auf den Hauptpuntt, ziemlih Alles — 
KRunignude (weicht zurüd). 
Auf wann ift fie bejtimmt ? 
Gr. v. Strahl. 
Sie war's — auf morgen. 
Kunigunde (nad einer Pauſe). 


‚Ein Tag mit Sehnſucht (nal! von mir erharrt! 


— Ihr aber feid nicht froh, dünkt mich, nicht heiter? 


Gr. v. Strahl (verbeugt ſich. 
Edlaubt! ich bin der Glücklichſte der Menſchen! 


Roſalie (traurig). 

Iſt's wahr, daß jenes Kind, das Käthchen, geftern, 
Das ihr im Schloß beherbergt habt — 

Gr. v. Strahl. 

O Toeufel! 
Kunigunde (betreten). 

Was fehlt euch? ſprecht! 
, Roſalie (für fich. 
Verwünſcht! 


9 


"Gr. v. Strahl (akt fa). 
— Das 8008 der Welt! 
Man hat fie ſchon im Kirchhof beigefegt. 
Kunigunde. 
Was ihr mir ſagt! 
—28 
Jedoch noch nicht begraben? 


Kunigunde. 
Ich muß fie doch im Leichenkleid noch fehn. 





Achter Auftritt, 
Ein Diener tritt auf. Die Berigen. 
Diener, 
Gottſchalk [hidt einen Boten, gnäd’ger 
Der euch im Vorgemach zu fprechen wün tt 


Kunigande. 
Gottſchalk? 


Roſalie. 
Von wo? 
ar v. Straß. 
Bom Sarge der Berblichnen! 
Laßt euch im Putz, ich bitte fehr, nicht ſtsren! (Ab.) 





Neuuter Auftritt. 
Runigunde und Roſalie. 
(Baufe.) 
Kunigunde (ausbrehend). 
Er weiß, umfonft iſt's, Alles hilft zu nichts, 
Er hat's gejehn, es ift um mich gethan! 
Roſalie. 
Er weiß es nicht! 
Runigunde, 


Er meiß! 


R Vene 
weiß e8 nicht! 


‘hr tlagt, und ich, vor Freuden möcht' ich hüpfen. 
Er ſteht im ‚Bahn, daß die, die hier gefef ſen, 
Sibylle, meine Mutter, fei gewefen; 

Und nimmer war ein Zufall glüdlicher, 

AS daß fie juft in eurem Zimmer war; 


‚V 


96 


Schnee, im Gebirg gefammtelt, wollte fie 

Zum Wafchen eben euch in's Beden tragen. 
Kunigunde. 

Du fahft, wie er mich prüfte, mich ermaß. 


Rofalie. 

Gleichviel! er traut den Augen nicht! ih bin 
So fröhli, wie ein Eichhorn in den Fichten! 
Lapt ‚fein, daß ihm von fern ein Zweifel Tam; 
Daß ihr euch zeigtet, groß und ſchlank und herrlich, 
Schlägt feinen Zweifel völlig wieder nieder. 
Des Todes will ich fterben, wenn er nicht 
Den Handſchuh jedem hinmwirft, der da zweifelt, 
Daß ihr die Königin der Frauen feid. 
O feid nicht muthlos! fommt und zieht euch an; 
Der nähften Sonne Strahl, was gilt's, begrüßt euch 
Als Gräfin Kunigunde Wetterftrahl! 

Kunigunde. 
Ich wollte, daß die Erde mich verſchlänge! <as.) 





Scene: Das Innere einer Höhle mit der Ausfiht auf eine Landſchaft. 


Zehnter Anftritt, 


Rüt in einer Berrleidup I trauriß auf einem Stein, den Kopf an die Wand 
e, 


gelehnt, Graf Otte von ber Ylü 


en 
a län 
Graf Otto 
(eine Bergamentrolfe in der Band). 
Jungfrau von Heilbronn! warum at du, 
Dem Sperber gleich, in diefer Höhle Raum? 
.Käthchen (Aeht auf). 
D Gott! wer find die Herrn? 
Gottſchalk. 
..Erſchreckt fie nicht! — 
Der Anſchlag einer Feindin, ſie zu tödten, 
Zwang uns, in dieſe Berge ſie zu flüchten. 


Graf Otto. 
Wo iſt dein Herr, der: Reichsgraf, dem du dienſt? 


Käthchen. 
Ich weiß es nicht. 
Gottſchall. 
Er wird ſogleich erſcheinen! 


97 


Graf Otte . 
(giebt ihr das Pergament). 
Nimm diefe Rolle hier; es ift ein Schreiben, 
‚Derfaßt von tatjerliher Majeſtät. 
Durchfleuch's und folge mir; hier iſt kein Ort, 
Jungfraun von deinem Range zu berirtben; 
Worms nimmt fortan in feinem Schloß dich auf! 
Der Kaifer (im Bintergrmb). 
Ein Tieber Anblick! 
Theobald 


O ein wahrer Engel! 





Eilfter Auftritt. 
Graf vom Strahl tritt auf. Die Borigen. 


Gr. v. Strahl (vetroften). 
Reichsräth', in feftlichem Gepräng’, aus Worms! 
Graf Otto 
Seid ung gegrüßt, Herr Graf! 
Ä Gr. v. Strahl. 
.— Was bringt ihr mir? 


Graf Ötto. 
Ein kaiſerliches Schreiben diefer Jungfrau! 
Befragt fie ſelbſt; fie wird es euch bedeuten. 
Gr. v. Strahl. 
D Herz, was pochſt du? 
(Zu Kathchen. Kind, was hältft du da? 
NQathchen. 
Weiß nit, mein hoher Herr. — 
Gottſchalt. 
Gieb, gieb, mein Herzchen. 
Gr. v. Strahl (ieſh. 

„Der Himmel, wiſſet, hat mein Herz geſtellt, 
Das Wort des Auserwählten einzulöfen. 
Das Käthchen ift nicht mehr des Theobald's, 
Des Waffenſchmidts, der mir fie abgetreten, 
Das Käthchen fürderhin ift meine Locher, 
Und Katharina heißt fie jegt von Schwaben.” 

(Er durblättert die andern Papiere.) 
Und hier: „Kund ſei“ — Und hier: „das Schloß zu Schwabach“ — 

, (Kurze Paufe.) ® 

Bibl, d. d Ratiomalliteratur. Kleiſt. I. 7 


98 


Nun möcht’ ich vor ber Hochgebenedeyten 
In Staub mich werfen, ihren Fuß ergreifen, 
Und mit des Danfs glutheiger Thräne waſchen. 
Käthchen (ieyt fh). 
Gottſchalk, hilf, fteh mir bei; mir ift nicht wohl! 
Gr. v. Strahl Qu den Räthen). 
Wo ift der Kaifer? wo der Theobald? 
| Der Kaifer 
(indem beide ihre Mäntel abwerfen). 
Hier find fie! 
Käthchen (feht af). 
Gott im hohen Himmel! Bater! (Eie eitt auf ihn zu; er empfängt fie.) 
\L, Gottſchalk (für ſich. 
Der Kaiſer! Ei, ſo wahr ich bin, da ſteht er! 
Gr. v. Strahl. 
Nun, ſprich du — Göttlicher! wie nenn' ich dich? 
— Sprich, las ich recht? 
Der Kaiſer. 
Beim Himmel, ja, das thatſt du! 
Die einen Cherubim zum Freunde hat, 
Der kann mit Stolz ein Kaiſer Vater jein! - 
: Das Käthehen iſt die Erft’ ist vor den Menſchen, 
Wie fies vor Gott längft war; wer ſie begehrt, 
Der muß bei mir jet würdig um fie frein. 
Gr v. Strahl 
(beugt ein Knie vor ihm). 
Nun, hier auf Knieen bitt’ ich: gieb fie mir! 
. Der Kaijer. 
Herr Graf! was fällt ihm ein? 
Gr. v. Strahl. 
Gieb, gieb fie mir! 
Welch’ andern Zweck erſänn' ich deiner That? 
Der Kaiſer. 
So! meint er da3? — Der. Tod nur ift umfonft, 
Und die Bedingung jeß’ ich dir. 
Gr. v. Strahl. 
Sprid! rede! 
Der Kaijer (emit). 
In deinem Haus den Bater nimmft du auf! 
Gr. v. Strahl. 


4 


Du jpotteft! . 


9 


Der Kaifer. 
Was! du meigerft dich? 
Gr. v. Strahl. 
In Händen! 
In meines Herzens Händen nehm' ich ihn! 


Der Kaiſer (m Theobald). 


Nun, Alter; hörteſt du? 
Theobalb 
(führt ihm Küken m). 


So' gieb fie ihm! 
Was Gott fügt, heißt es, fol der Menſch nicht fcheiden. 
Sr v. Strahl 

(ſteht auf und nimmt Käthchens Hand). . 
Nun denn, zum Sel’gen haft du mid) gemacht! — 
Laßt einen Kuß mich, Väter, einen Rt nur . 
Auf ihre himmelfügen Lippen drüden. 
Hätt’ ich zehn Leben, nad der Hochzeitsnacht, 
Opfr' ich fie jauchzend jedem von euch hin! 


"Der Raifer. 
Fort jest! daß er das Räthſel ihr erkläre! (Ab) 


— — — — 


3völfter Anftritt. 


Graf vom Strahl und das Käthchen. 
Gr. v. Strahl 
(indem er fie bei der Hand nimmt, und ſich ſetzt). 
Nun denn, mein Käthchen, komm! komm ber! o Mädchen! 
Mein Mund hat jegt dir etwas zu vertraun. 


Kaäͤthchen. 
Mein hoher Herr! ſprich! Was bedeutet mir — ? 
erſ ſaßes K Or. v. ar 
uerft, mein füßes Kind, muß ich dir fagen, - 
F ich mit Liebe dir, — ewig, 
Durch alle meine Sinne gugethan. 
Der geld), ber von der Mltttagsglut gequält, 
Den Grund zerwühlt, mit fpigigem Geweih, 
Er Ich fih fo begierig nicht, 
Bom Feljen in den Waldftrom fich zu \ftürzen, 
Den reißenden, ale ich jest, da du mein bift, 
In alle deine jungen Reize mid). 
Käthchen (ſchamroth). 
Jeſus! was ſprichſt du? ich verſteh' dich nicht. 


100 


" Gr. v. Strahl. 
Bergieb mir, wenn mein Wort dich oft gefränft, 
Beleidigt; meine roh mißhandelnde 
Geberde dir zumeilen weh gethan. | 
Den? ich, wie lieblos einjt mein Herz geeifert, ' 
Dich von mir wegzuftoßen — und seh ıch gleichwohl jetzo dich 
So voll von Huld und Güte vor mir ftehn, 
Sieh, fo fommt Wehmuth, Käthchen, über mich, 
Und meine Thränen halt’ ich.nicht zurüd. (Gr weint) _ 

Käthchen (angſilich). 
immel! was fehlt dir? was bewegt dich ſo? 
as haſt du mir gethan? ich weiß von nichts. 
Gr. v. Strahl. 

O Mädchen, wenn die Sonne wieder ſcheint, 
Wil ich den Fuß in Gold und Seide legen, 
"Der einft auf meiner Spur fih wund gelaufen, 
Ein Baldachin fol diefe Scheitel ſchirmen, 
Die einjt der Mittag hinter mir verfengt. 
Arabien foll je Ihönftes Pferd _mir Kiden, 
Geſchirrt in Gold, mein füßes Kind zu tragen, 
Wenn mich iu's Feld der Klang der Hörner ruft; 
Und wo der Zeifig fi das Pet gebaut, | 
Der zwitfchernde, in dem Hollunderftraudg, 
Soll fih ein Commerfig dir auferbaum, 
In beitern, weitverbreiteten Gemädhern 
Mein Käthchen, kehr' ich wieder, zu empfangen. 

Käthchen. 
Mein Friederich! mein angebeteter! 
Was ſoll ich auch von —8 Rede denken? 
Du willſt? — du ſagſt? — GStie will feine Hand küfſen.) 


Gr. v· Strahl Gieht fie zuruch. 
Nichts, nichts, mein ſüßes Kind. (Gr fügt ihre Stirn.) 


Kaͤthchen. 
Nichts? 


Gr. v. Strahl. 

Nichts. Vergieb. Ich glaubt’ e8 wäre morgen. 
— Was wollt’ ih doc ſchon jagen? — Ya, ganz recht, 
Ich wollte dich um einen Dienft erfuchen. 

(Er wifcht fi die Thränen ab.) 
. Käthchen (leinlaut). 
Um einen Dienſt? nun, welchen? ſag' nur an. (Baufe). 
6 cht. Das — Dit 16 6 5 
anz recht. Das war's. — Du weißt, ich mache morgen Hochzeit, 

Es zur Feier Alles ſchon bereitet; g ” 


101 


Am näcften Mittag bricht der 39 | 
Mit meiner Braut bereit? zum Altar en. — 
Nun ſann ich mir ein Feſt aus, ſüßes Mädchen, 
welchem du die Göttin ſpielen ſollſt. 

u ſollſt, aus Lieb' zu deinem Herrn, für morgen 
Die "Kleidung, die dich dedt, bei Seite legen, 
Und in ein reihes Schmudgewand dich werfen, 
Das Mutter ſchon für dich zurecht gelegt. 

— Willſt du das thun? 
Kathchen 


(hält ihhre Schürze vor die Augen). 
Ja, ja, es ſoll geſchehn. 


doch recht ſchön; h Me du? ML abe tig! 
edoch re ön; börft du? ftill, aber prächtig! 
era wie's — und Weiſ' in dir erheiſcht. 
Man wird dir Perlen und Smaragden reichen; 
Gern möcht' ich, daß du alle Fraum im Schloß, 
Selbſt noch die Kunigunde überſtrahlſt. — 
Was weinſt du? 

Käthchen. 


— Ich weiß nicht, mein verehrter Herr. 
Es ift in's Aug’ mir was gekommen. 
Gr v. Strahl. 
In's Auge? wo? 
(Er küßt ihr die Thraͤnen aus den Augen.) 
Nun komm nur fort. E8 wird fich Schon erhellen. (&r fünrt fie ab.) 


Scene: CShloßplag, zur Rechten im Bordergrund ein Bortal. Zur Linken, 
mehr in der Tiefe, das Schloß, mit einer Rampe. Im Hintergrund die Kirche. 


Dreizehnter Auftritt, 


reiburg und das übrige Ge 
era 


Gr. v. Strahl. Halt hier, mit dem Baldadhin! — 
Herold, thue dein Anıt! 
Der Herold (beoleſend). Kund und zu willen fei hiermit 
jedermann, daß der Reichsgraf, Friebrid Wetter vom Strahl, 
heut jeine Bermählung ferert, mit Katharina, PBrinzeffin von 
hmaben, Tochter unſers durchlaudtigften Herrn Seren und 
Kaiſers. Der Himmel fegne das hohe Brautpaar, und ſchütte 


"st 102 


608 daige: Falhora von' Glück, das in den Wolken ſchwebt, 
: äber- ihre "thenven- Külpfer aus! 

Knnigumde (u Rolalie). Iſt Diefer Mann beſeſſen, Rojalie? 

Rofalie. Beim Himmel! wenn er es nicht ift, fo iſt es 
darauf angelegt, uns dazu zu machen. — 

Freiburg Wo ift die Braut? 

Ritter von Thurneck. Hier, ihr verehrungsmürdigen 
Herren! 

Freiburg. 

Th nrucd, Sie Geht das Fräulein, unfere Muhme, unter 
diefem "Bortat! 

Beh rg. Wir ſugen die Braut des Grafen vom Strahl. 
— Ihr Herren, an euer Amt! folgt mir und laßt uns ſie holen. 


Burggraf von Freiburg, Georg von Waldftäbten und der Rheingraf,. vom Stein, 
(Burggraf ” befieigen die Rampe —— in's Sch! ob" nut 


Die Herren von Thurned. Hölle, Tod und Teufel! 
was haben diefe Anſtalten zu bedeuten? 


Vierzehnter Auftritt, 


Käthigen int Yaiferliden Brautſchmuck, geführt von Gräßn Helena und Fränlein 
Elesnore, ihre Ehen, br Wagen gettagen: hinter —— * Frei⸗ 
u. ſ. w. ſteigen die Rampe hera 


Graf Dita, Seil dir, o Jungfrau! 

Flammberg und Gott jhatt, Heil bir, Räthien ı bon 
Heilbronn, faiferliche Pri J n von Schwaben! 

Bolt. Heil dir! Hei Seit dir 

—RA und von der wat die auf dent Plat geblieben). 
Iſt dies die Braut? 

Freiburg Dies ift fi ur 

Käthchen. Ich? ohen Seren! Weſſen? 

Der Kaiſer. Deſſen, den dir der Cherub geworben. 
Willſt du dieſen Ring mit ihm wechſeln? 

Theobalb. . Willft du dem Grafen, deine Hend geben? 
—8 Strap (umfost fir. Kathchen! meine Braut! willft 
u mi 

Käthchen. Schütze mid Gott und alle Beiligen! 

(Sie finkt; die Gräfin empfängt fie.) 

Der Kaiſer. Wohlan, jo nehmt fie, Herr Graf vom 

Strahl, und ſuhrt ge ur Kirche! (locenklang.) 
‚anignnbe. Ä Zod und Rache! diejen Schimpf ſollt 

ihr mir büßen! (Ab, mit Gefolge.) 

Sr. v. Strahl. Giftmischerin! Ä ! 
Bardadhin; bie Danıen und witter foigen, Zrabanten befäliehen ben Ang: > Bike ab) 


Der zerbrodene Krug. 


Ein Luſt ſpiel. 


Berjonen: 


Walter, Gerichtsrath. 

Adam, Dorfrichter. 

Licht, Schreiber. 

Fran Marthe Rull. 

Eve, ihre Tochter. 

Beit Tümpel, ein Bauer. 

. Rupredt, fein Sohn, 

Fran Brigitte, . 3 
Ein Bedienter, Büttel, Mägde xc. 


Die Handlung fpielt in einem niederländifchen Dorfe bei Utrecht, 


Scene: Die Geritsftube. 
’ 


— nt 


Erfter Auftritt. 


Abam fist und verbindet fi ein Bein Licht tritt t euſ 


Licht. 
‚Ei, was zum Henker, jagt, Gebatter Adam! 
Was ift mit euch seh Ra jeht ihr aus? 


Ka, Seht. Zum Straucheln brauchte do ih, als Füße; 
Auf em glatten Boden, ift ein Stu bier? Be; 
Geftrauchelt bin ich hier; denn Jeder trägt 7 [ 
Den leid’gen Stein zum Anſol in ſich —* 


Licht. 
Nein, ſagt mir, Freund! Den Stein trüg' Jeglicher — 
Adam. 
Ja, in ſich ſelbſt! 
icht. 
Verflucht das! 
Dam. 
Was beliebt? 


Licht. 
hr Reit von einem lodern Aeltervater, 
Der jo beim Anbeginn der Dinge fiel, 

Und wegen jeines als berühmt geworden; 


r feıd d t — 
Ihr ſeid doch nich Adam. 
Nun? 


Licht. 
Gleichfalls — 


Adam. Ob ich — Io glaub 
i aube — 
Hier bin ich hingefallen, ſag' ich euch. 9 


⸗ 


106 


Licht 
Unbildlich: hingefchlagen ? 


am - 
Ja, unbildlich. 
Es mag ein ſchlechtes Bild geweſen ſein. 


| Licht. 
Mann trug fich die Begebenheit denn zu? 


Adam. 
Jetzt, in dem Augenblid, da ich dem Bett 
Entfteig. Ich hatte noch da8 Morgenlied 
Im Mund, da ftolpr id in den Morgen fchon, 
Und eh’ ich noch den Lauf des Tags beginne, 
Renkt unjer Herrgott mir den Fuß ſchon aus. 
Licht, 
Und wohl den linken obenein? 


Adam. 
Den linten? 
Licht. 
Hier den geſetzten? 


a 
Freilich! 
Li — t. 
UIgerechter! 


Dar ohnhin ſchwer den Weg der Sünde wandelt. 


Adam. 
Der Fuß! was! ſchwer! warum? 


Licht. 
Der Klumpfuß? 
Adam. 
Klumpfuß! 
Ein Fuß iſt, wie der andere, ein Klumpen. 


Licht. 
Erlaubt! da thut ihr eurem rechten Unrecht. 
Der rechte kann ſich dieſer — Wucht nicht rühmen, 
Und wagt ſich eh'r auf's Schlüpfrige. 
Adam. 
Ach was! 
Wo ſich der eine hinwagt, folgt der andre. 


Licht. 

Und was hat das Geſicht euch ſo verrenkt? 
Adam. 

Mir das Geſicht? 


107 
8Sicht. 
Wie? Davon wißt ihr nichts? 


Adam. 
Ich müßt' ein Lügner ſein — wie ſieht's denn aus? 


Licht. 
Wie's ausfieht? 
Adam. 
Ja, Gevatterchen. 
Licht. 


Abſcheulich! 
Adam. 
Erklärt euch deutlicher. 


icht. 
Geſchunden iſt's, 
Ein Gräul au en Ein Stüd fehlt von der Wange, 
Wie groß? Nicht ohne Wage kann ich’S ſchätzen. 
Adam. 


Den Teufel aud! 
Licht (bringt einen Spiegel). 
Hier. Ueberzeugt euch jelbft. 
Ein Schaf, das, eingehegt von Hunden, fi 
Durch Dornen drängt, läßt Hr mehr Wolle fien, 
Als ihr, Gott weiß wo? Fleiſch habt fiten laffen. 


| Sat %8 iſt wahr.  Unlieblie) 
m! Ja! 's ift wahr. Unlieblich fiebt es aus. 
2 Naf’ hat auch gelitten. nn 


Licht. 
Und das Auge. 


Abam.— 
Das Auge nicht, Gevatter. 


Licht. 
Ei, hier liegt 
Querfeld ein Schlag, blutrünſtig, ſtraf“ mich Gott, 
Als hätt’ ein Großfneht wüthend ihn gefithrt. 


Adam 

Das ift der ee — Sa, nun jeht, 

Das alles hatt’ ich nicht einmal gejpürt. 
Licht. 

Ya, ja! fo geht's im Feuer des Gefechts. 


Adam. 
Gefecht! was! — Mit dent verfluchten Biegenbod 
Am Ofen focht ih, wenn ihr wollt. Jetzt weiß ich's. 
Da ich das Gleihgemwicht verlier’, und gleichjam 


108 


Ertrunfen in den Lüften um mich greife, 
Faſſ' ich die Hofen, die ich geftern Abend . 
Durchnäßt an das Geftell des Dfens hing — 
Nun faſſ' ich fie, verfteht ihr, denke mid, 

ch Thor, daran zu halten, und nun reißt 

er Bund; Bund jest und Hof’ und ich, wir flürzen, 
Und häuptlings mit dem Stirnblatt ſchmettr' ich auf 
Den Dfen bin, iuſ wo ein Ziegenbock 
Die Naſe an der Ede vorgeftredt. 


Licht (lad). 


But, gut! 
Adam. 


Berdammt! 


Litcht. 
Der erſte Adamsfall, 
Den ihr aus einem Bett hinaus gethan. 


Adam. 
Mein Seel'! — Doch, was ich ſagen wollte, was giebt's Neues? 


Licht. 
I was es Neues giebt! der Henker hol’3, 
ätt’ ich's doch bald vergeflen. ' 


Licht. 
Macht euch bereit auf unerwarteten 
Beſuch aus Utrecht. 


So? 


Licht. 
Der Herr Gerichtsrath kommt. 
Adam. 


Adam. 


Wer kommt? 


Sicht. 

Der Herr Öerichtsrath Walter fommt, aus Utrecht. 
Er ift in Revifions- Bereifung auf den Aemtern, 
Und heut noch trifft er bei ung ein. 


Adam. 
Noch heut! Seid ihr bei Troft? 
Licht. 

So wahr ich lebe. 
Er war in — auf dem Grenzdorf, geſtern, 
Dat dag Juſtizamt dort ſchon revidirt. 

in Bauer ſah zur Fahrt nag Zuiſum Ion 
Die Vorſpannpferde vor den Wagen ſchirren. 


109 


Adam. 
Heut no, er, der Gerichtsrath, her aus Utrecht! 
gut Nevifion, der wadre Mann, der jelbft 
ein Echäfchen fehiert, dergleichen Fragen haft! — 
Nah Huiſum kommen und uns cujoniren! 


* 


Licht 
Kam er bi Holla, fommt er auch bis Huifum, 
Nehmt euch in Acht. . 


Lit. 
Ich ſag' es euch. 
Adam. 
Geht mir mit eurem Märchen, ſag' ich euch. 


Licht. 

Der Bauer hat ihn ſelbſt geſehn, zum Henker. 
® der teiefängige Schuft gefeh 

er weiß, wen der triefäugige uft geſehn. 
Die Pu unterjcheiden ein Seit 
Bon einem a nit, wenn er kahl ift. 7 
Sept einen Hut dreiedig auf mein Rohr, 

ängt ihm den Mantel um, zwei Stiefeln drunter, 
So —* ſo'n Schubjak ihn für wen ihr wollt. 


SLicht. 
Wohlan, ſo zweifelt fort, in's Teufels Namen, 
Bis er zur Thur eintritt. 

Adam. 


Er, eintreten! — 
Ohn' uns ein Wort vorher geſteckt zu haben. 


Licht. 
Der Unverſtand! Als ob's der vorige 2 
ag noch, der Rath Wacholder, wäre! . rn 
Es iſt Rath Walter jest, der revidirt. 


Adam. 
Wenn glei Rath Walter! Geht, laßt mich zufrieden. 
Der Dann hat feinen Amtseid ja gejchworen, 

Und praftizirt, wie wir, nad) den 

Beftehenden Edikten und Gebräuchen. 


Licht. 
Nun ich verſichr' euch, der Gerichtsrath Walter 
Erſchien in Du unvermuthet gejtern, 
Viſ'tirte Kaſſen und Regiftraturen, 


110 


Und fuspendirte Richter dort und Schreiber, 
-Marum? ich weiß nicht, u od. 


Den Teufel auch! Hat das * Bauer gejagt? 
Licht. 

Dies und noch mehr — 
Adam. 


So? 
Licht. 
Wenn ihr's wiſſen wollt. 
Denn in der Frühe heut ſucht man den Rkthter, 
Dem man in ſeinem Haus Arreſt gegeben, 
Und findet hinten in der Scheuer ihn 
Am Sparren hoch des Daches aufgehangen. 


Adam. 
Was ſagt ihr? 


Licht. 
ülf' inzwiſchen kommt herbei, 
Man löft ihn ab, man veibt ihn, und begießt ihn, 
Fur’s nadte Leben bringt man ihn zurüd. 


Adam, 


Licht. 
Doch jetzo wird ertegei 
In feinem Haus, vereidet und verſchlo 
Es iſt, als wär’ er eine Leiche ſch in on, 
Und auch fein Richteramt ' “ on beerbt. 


So? Bringt man ihn? 


Ei, De bee — Ein federlicer Hund war's — 
Sant! eine e brlice aut, fo u vr ich lebe, 

Ein Kerl, mit dem fid’s gut IM ammen war; 

Dod) graufam ltederlih, das muß ich fagen. 

Wenn er re Fr heut in Holla war, 

Co ging's ihm ſchlecht den armen Kauz, das glaub' ich. 


Und dieſer Vorfall ein zg ana der Bauer, 
Ser Schuld, daß der © eri tarach noch nicht bier; 
Zu Mittag treff cr doch o nr ar ein. 


Ihr mwißt, wie ſich zwei Hände waſchen können. 
Shr wollt auch gern, ich weiß, Dorfrichter werden, 
t 


Zu Mittag! Gut, Gevatter Seht de ‚geeunbigaft. 
Und ihr verdient’s, bei Gott, fo gut wie Einer. 


111 


Doc beut ift noch nicht die Gelegenheit, 
Heut laßt ir noch den Kelch boräbergehn. 


Licht. 
Dorfrichter, ich! Was denkt ihr auch von mir? 


Adam. 
Ihr ſeid ein Freund von wohlgeſetzter Rede, 
Und euern Cicero habt ihr ſtudirt 
Trotz Einem auf der Schul' in Amſterdam. 
Drückt euren ehr eiz heut hinunter, hört ihr? 
Es werden woh ir Fälle noch ergeben, 
Wo ihr mit eurer Kunft euch zeigen Fönnt. 


2 Licht. 
Wir zmei Gevatterleute! Geht mir fort. 


Adam. 
u feiner Zeit, ihr wißt's, ſchwieg auch der große 
emoſthenes. Folgt hierin jeinem Mufter: ß 
Und bin ich König nicht von Macedonien, 
Kann ich auf meine Art doch dankbar ſein. 


Licht. 
Öeht mir mit enrem Argwohn, fag’ ich euch. 
Hab’ ich jemals — 


Adam. 
Seht, ich, ich für mein Theil, 
Den großen Griechen folg’ ih auch. Es ließe 
Bon nen ih und Zinſen 
Zilert auch eine Rede ausarbeiten: 
er wollte ſolche Perioden drehn? 


Licht. 
Nun alſo! 


Adam. 
Von ſolchem Vorwurf bin ich rein, 
Der ganler hol’3! Und alles, was e8 gilt, 
Ein Schwank iſt's etwa, der zur Nacht geboren, 
Des Tags vorwig’gen Lichtftrahl fehent. 


Lit. 
” Ich weiß. 


j Adam. 
Mein Seel! Es ift fein Grund, warum ein Richter, 
Wenn er nicht auf dem Richtſtuhl ſitzt, 
Soll gravitätifch mie ein Eisbär fein. 
Licht. 
Das ſag' ich auch. 


47 


K 


V 


112 


Adam. . 
Nun denn, fo fommt, Gevatter, 
Folgt mir ein wenig zur Regiftratur; 
Die Altenftöße ſetz' ich auf, denn die, 
Die liegen wie der Thurm zu Babylon. 


Zweiter Auftritt. 


Ein Bebienter tritt auf. Die Borigen. Nachher: Zwei Mägbe. 


Der Bediente. 
Gott helf, Herr Richter! Der Gerichtsrath Walter 
Läßt feinen Gruß vermelden, gleich wird er hier ſein. 


Gi du gereihter Himmel! IM er mit Hola 
i du geredhter Himmel! er mit Holla 
Schon —5* 
Der Bediente. 
Ja, er iſt in Huiſum ſchon. 
Kieſe Grete! Adam. 

e! Lieſe! rete! 
v Lit, 
Ruhig, ruhig jekt. 

Adam. ' 
Sevatterchen! 


icht. 
Laßt euern Dank vermelden. 


Der Bediente. 
Und morgen reiſen wir nach Huſſahe. 


Adam. 
Was thu' ich jetzt? Was laſſ' ich? 
(Gr greift nach feinen Kleidern.) 
Erfte Magd (tritt auf). 
Hier bin ih, Herr. 
Licht. 
Wollt ihr die Hofen anziehn Seid ihr toll? 


en Zweite Magd (tritt auf). 
Hier bin ich, Herr Dorfrichter. 


Licht. 
Nehnmt den Rod. 


Adam (fieht fid um). 
Mer? Der Oerichtärath? 


113 


ra 
Ad, die Magd tft es. 


Adam. 
Die Bäffchen! Mantel! Kragen! 
Erfie Ma 
en die Weſte! 
Adam. 
Was? — Rock aus! hurtig! | 
Licht (zum Bedienten). 
Der Gerichtsrath werden 
gier jeher willfommen fein. Wir find jogleid 
ereit, ihn zu empfangen. Ba ihm das. 


Den Teufel au! der —* Man läßt ſich 
Entſchuldigen. 


Licht 
Entſchuldigen! 
Adam 
Entſchuld'gen. 
Iſt er ſchon unterwegs etwa? 


Der Bediente. 


Er iſt 
Im Wirthshaus noch. Er hat den Schmidt beſtellt; 
Der Wagen ging entzwei. 
Adam. 
Gut. Mein Em pfehl! — 
Der Schmidt ift faul. — Ich liche mid) en uld’gen. 
Ich hätte Hals und Beine faft gebrochen, 
Schaut felbft, ’3 ift ein Speftafel, wie ie ausfeh’; 
Und jeder Schred purgirt mid von Natur. 
Ich wäre franf. 


Lit. 
Seid ihr beit Sinnen? — 
Der Derr Syichtsrath wär' ſehr angenehm. 


— Wollt 
Adam 
Zum Henker! 


Licht. 
Was? 


Der Teufel ſoll mich holen, 
Iſt's nicht fo gut, als hätt’ ich ſchon ein Pulver! 


Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. I. 


114 


Licht, 
Das fehlt noch, daß ihr auf den Weg ihm leuchtet. 


' Adam. 
Margrethe! he! der Sack voll Knochen! Lieſe! 

Die beiden Mägde. 
Hier find wir ja. Was wollt ihr? 

Adam, 
Fort! fag’ id. 

Kuhkäſe, Schinken, Butter, Würfte, Flajchen, 
Aus der ‚Regiftratur geſchafft Und flink! — 
Du nicht — die andere. — Maulaffe! du ja! 
— Gott's Blitz, Margrethe! Lieſe ſoll, die Kuhmagd, 
In die Regiſtratur! 

(Die erſte Magd geht ab.) 

Die zweite Magbd. 

Spredt, 1 man euch verftehn! 


Ada 
Salt® Maul jett, fag’ I — Fort! ſchaff mir die Perüde: 
arſch! aus dem Buͤcherſchrank! gefchwind! pad dich! 
(Die we Magd ad.) 


6 " d R G it Fr ht m & boffer 
8 iſt dem Herren Gerichtsrath, will ı often, 
Nichts Böfes auf der Reife u, wi 

Der Bediente. 
Je, nun! wir find im Hohlmeg umgeworfen. 


Adam. 
Peft! mein gefehund’ner Fuß! ich Frieg’ die Stiefeln — 


Licht. 
Ei, du mein Himmel! umgeworfen, ſagt ihr? 
Doch keinen Schaden weiter — 


Der Bediente. 
Nichts von Bedeutung. 
Der Herz verftauchte fich die Hand ein wenig. 
Die Deichjel brad). 


Adam. 
Daß er den Hals gebrochen! 


Licht. 
Die Hand verftauht! Ei Herr Gott! Kam der Schmidt Ion? 


Der Bebiente. 
Sa, für die Deichfel. 
Licht, 


Was? 


115 ° 


Adam, 
Ihr meint, der Doctor. 


Licht. 


Was? 
Der Bediente. 
Für die Deichſel? 


Adam. 
Ach, was! für die Hand. 
Der Bedieunte. 
Adies, ihr Herrn. — Ich glaub’, die Kerls find toll. (ao. 
Licht. 
Den Schmidt meint' ich. 
Adam. 
Ihr gebt euch bloß, Gevatter. 
Lit. 
Wie fo? 
Adam, 
Ihr feid verlegen. 


Licht. 
Was? 


Die erfte Magd (tritt auf). 
He! Lieſe! 
Adam, 
Erfte Ma 
Braunfchweiger Wirſt, Herr Richter. 
Adam. 


Was haſt du da? 


Das ſind Pupillenacten. 
icht. 
Ich, verlegen! 
Adam, 
Die fommen wieder zur Regiftratur. 
Erſte Mag. 
Die Würfte ? 
Adam. 
Wiürfte! was! der Einfchlag hier. 


Licht 
Es war ein Mißverſtändniß. 


Die zweite Magd (tritt auf). 
Im Bücherſchrank, 
Herr Richter, find’ ich die Perüde nicht. gx 


116 


Adam, 
Warum nicht? 
Zweite Magd. 


Hm! weil ihr — 
Adam. 
Nun? 


Zweite Magd. 
Geftern Abend — 
Glock eilf — 


Adam - 
Nun? werd’ ich's hören? 
Zweite Duo 
Ei, ihr kamt ja, 


Befinnt euch, ohne die Perück' in's Haus, 


Adam. 
Sch, ohne die Berüde? , 
Zweite Magd. 
In der That. ‚ 
Da ift die Lieſe, die's bezeugen kann. 
Und eure andr’ ift beim PBerüdenmacher. 


.. Adam. 
Ich wär — \ 
Erfte Magd 
Ya meiner Treu, Her Richter Adam! 
Kahlköpfic wart ihr, als ihr wiederkanit; 
Ihr ſpra ch, FR wärt gefallen, wißt ihr nicht? 
Das Blut mußt’ ich euch nod) dom Kopfe waſchen. 


Adam. 
Die Unverſchämte! u 


Erfte Magb. 
Ich will nicht ehrlich fein. 
Adam, 
Halt’ Maul, fag’ ich, es ift fein wahres Wort. 
Licht. 
Habt ihr die Wund' ſeit geſtern ſchon? 


Adam. 
Nein, heut. 
Die Wunde heut, und geftern die Pertide. 
Ich trug fie weiß gepudert auf dem Kopfe, 
Und nahm fie mit dem Hut, auf Ehre, bloß, 
Als ich in's Haus trat, u Verſehen ab. 
Was die gewafchen hat, das weiß ich nid. 


117 


— Scheer’ did) zum Satan, wo du hingehörft! 
In die Regiftratur! 
(Erſte Magd ab.) 


Geh, Margarethe! 
Gevatter Küfter foll mir feine borgen; 
I meine hätt die Kate heut Morgen 
ejungt, da8 Schwein! fie läge eingejänet 
Mir untertm Bette da — ich weiß nun jchon. 


Licht 

Die Katze? was? ſeid ihr — 

Adam. 

So wahr ich lebe, 
Junf Junge, gelb und chwarz und eins iſt weiß. 
ie ſchwarzen will ich in der Vecht erſäufen. 

Was fol man machen? wollt ihr eine haben? 

Licht. 
In die Perücke? 


Adam. 
Der Teufel ſoll mich holen! 
Ich hatte die Perücke aufgehängt, J 
Auf einen Stuhl, da ich zu Bette ging, 
Den Stuhl berühr' ich in der Nacht, fe fällt — 


Light. 
Drauf nimmt die Sage fie ins Maul — 


Adam. 
Mein Seel! — 


Licht. 
Und trägt fie unter’8 Bett und jungt darin, 


Adam, 
In's Maul? nein — 


Licht. 
Nicht? wie fonft? 
Adam. v 
Die Kap’? ach mas! 


gi 
Nicht? oder ihr vielleicht? 

Adam, 
In's Maul! ich glaube —! 
Ich ftieß fie mit dem Fuße heut hinunter, 
Als ich es jah. 

Licht. 


Gut, gut. 


118 


Adam. 
Sanaillen die! 
Die balzen fi und jungen, wo ein PBlag iſt. 
Zweite Magb (ichernd). 
So fol ih Hingehn? - 
Adam. 
Ya, und meinen Gruß 
An Muhme Schmwarzgemand, die Küfterin — 
Ich ſchickt' ihr die Perücke unverfehrt 
od ent zurüd — ihm brauchſt du nichts zu fagen. 
Verſtehſt du mid ? 
Zweite Magb 


Ich werd’ e8 fchon beftellen. 





Dritter Auftritt. 


Adam und Lit. 


Adam. 
Mir ahndet heut nicht Guts, Gevatter Licht. 


Licht. 
Warum? 


Adam. 
Es geht bunt Alles über Ecke mir. 
Iſt nicht auch heut Gerichtstag? 


Licht. 
| Allerdings. 
Die Kläger ftehen vor der Thüre fchon. 


dam, 

— Mir träumt, e8 hätt’ ein Kläger mich ergriffen, 
Und fchleppte vor den Richtſtuhl mid; und ich, 
Ich ſäße gleichwohl auf dem Richtſtuhl dort, 
Und ſchält' und hunzt’ und jchlingelte mich herunter, 
Und judicirt' den Hals in's Eijen mir. 

e Ride. 
Wie? ihr euch ſelbſt? 


am, 
So wahr ich ehrlich bin. 
Drauf wurden Beide wir zu eins, und flohn, 
Und mußten in den Fichten übernachten. 
Licht. 
Nun? und der Traum meint ihr? 


Adam, - 
Der Teufel hol's. 


(Ab.) 


119 


Wenn’ auch der Traum nicht if, ein Schabernad, 
Sei's wie es wol’, iſt wider mich im Wert! 


Licht. . 

Die läpp'ſche Furcht! gebt ihr nur. voaritämäßig, 
enn der Geri törath gegenwärtig iſt, 

Recht den Parteien auf dem Richterſtuhle, 

Damit der Traum vom ausgehunzten Richter 

Auf andre Art nicht in Erfüllung geht. 





\ 


Bierter Auftritt. 


Der Gerichtrath Walter (tritt auf). Die Borigen. 


Walter. 
Gott grüß' euch, Richter Adam. 


Adam. 
Ei willkommen! 
Willkommen, gnäd'ger Herr, in unſerm Huiſum! 
Wer konnte, du gerechter Gott, wer konnte 
So freudigen Beſuches ſich gewärt'gen — 
Kein Traum, der heute früh Glock achte noch 
Zu ſolchem Ölüde ſich verfteigen durfte. 
gt fönel, id weiß; und muß 
omm’ ein wenig ſchnell, ich weiß; und mu 

Auf diefer Reif’ in unfrer Staaten Siem 
zufrieden jein, wenn meine Wirtbe mid) 

it wohlgemeintem Abſchiedsgruß entlaffen. 
ee ih, was meinen ©ruß betrifft, 

ch mein’3 von Herzen gut, jchon wenn ich komme. 
Das Obertribunal in Utrecht will 
Die Rechtspfleg' auf dem platten Rand verbefjern, 
Die mangelhaft von mancher Seite jcheint, 
Und ftrenge Weifung hat der Mißbrauch zu erwarten. 
Doch mein Geihäft auf diefer Reif’ ift no 
Ein ftrenges nicht, jehn Toll ich blog, nicht ſtrafen, 
Und find’ ich gleich nicht alles, wie es foll, 

ch freue mich, wenn es erträglich ift. 


Adam. 
Fürwahr, fo edle Denkart muß man loben, 
Eu’r Gnaden werden hie und da, nicht zweifl' ich, 
Den alten Braud im Recht zu tadeln wiſſen; 
Und wenn er in den Niederlanden gleich 
Seit Kaifer Karl dem fünften ſchon beiteht: 
Was läßt fi in Gedanken nicht erfinden 


120 


Die Welt, ſagt unfer Sprichwort, wird ſtets klüger, 
Und Alles iebt, ih weiß, den Puffendorff; 

Doch Huiſum ift ein Kleiner heil der Welt, 

Auf den nicht mehr, nicht minder, als fein Theil nur 
Kann von der allgemeinen Klugheit kommen. 

Klärt die Juftiz in Huifum gütigft auf, 

Und überzeugt euch, gnäd ger Herr, ihr habt 

Ihr noch fobald den Rüden nicht gekehrt, 

Als fie auch völlig euch befried’gen wird; 

Doch ee ihr fr beut im Amte fchon 

Wie ihr fie wünfcht, mein Seel’, fo wär's ein Wunder, 
Da fie nur dunfel weiß noch, was ihr wollt. 


"Walter. 
Es fehlt an Vorfehriften, ganz recht. Vielmehr 
E3 find zu viel, man wird fie fichten mitten 


Adam, 
Ya, durch ein großes Sieb. Biel Spreu! viel Spreu! 
Walter, 
Das tft dort der Herr BR 
icht. 
Der Schreiber Licht, 
u Eurer hohen Gnaden Dienſten. Pfingſten 
Neun Jahre, daß ich im Juſtizamt bin. 
Adam (bringt einen Stuhl). 
Gebt euch. 
Laßt fein. 


am, 
. Ihr kommt von Holla jchon. 


Walter. 


. ®alter. 
Zwei Heine Meilen — moher wißt ihr das? 
Adam. 
Woher? Eu’r Gnaden Diener — 


t. 
| Ein Bauer jagt’ e8, 
Der eben jest von Holla eingetroffen. 
Walter. 
Ein Bauer? 
Adam. 


Aufzumarten. 
Walter. 
- Sales trug fi 
Dort ein unangenehmer Vorfall zu, 





121 
Der mir die heitre Laune ftörte, 


Die in Gefchäften uns begleiten fol. — 
Ihr werdet davon unterrichtet fein ? 


Adam. 
Wär's wahr, geftrenger Herr? Der Richter Pfaul, 
Weil er Arref in —S empfing, 
Verzweiflung hätt' den Thoren überraſcht, 
Er Ding fih auf? 
Walter. 
Und machte Webel ärger. 
Mas nur Unordnung fchien, VBerworrenbeit, 
Nimmt jegt den Schein an der Beruntreuung, 
Die das Gefeß, ihr wißt's, nicht mehr verjchont. — 
Wie viele Kaſſen habt ihr? 
Adam. 
Fünf, zu dienen. 
Walter. 
Wie, fünf! Ich ftand im Wahn — Gefüllte Kaſſen? 
sh ftand im Wahn, daß ihr nur vier — 


Adam, 
Berzeiht! 
Mit der Khein- Inundationg - Eollecten - Kaffe? 
Walter. 


Mit der Inundationg - Eollecten » Kaffe! 

Doch jego ift der Rhein nicht inundirt, 

Und die Collecten gehn mithin nicht ein. 

— Sagt doch, ihr habt ja wohl Gerichtstag heut? 
Adam, 


Balter. 


Ob wir — 
Was? 


Lit. 
Ya, den erjten in der Woche. 
Walter. 
Und jene Schaar von Leuten, die ich draußen 
Auf eurem Flure ſah, find das — 


Adam. | 
Das werden — 


Licht. 
Die Kläger ſind's, die ſich bereits verſammeln, 
Walter. 
Gut. Dieſer Umſtand iſt mir lieb; ihr Herren, 
Laßt dieſe Leute, wenn's beliebt, erſcheinen. 


122 
sch wohne dem Gerichtsgang bei; ich jehe, 
Wie er in eurem Huiſum üblich iſt. 
Wir nehmen die Kegiftralur, die Kaſſen, 
Nachher, wenn diefe Sache abgethan. 


Adam. 
Wie ihr befehlt. — Der Büttel! he! Hanfriede! 


Fünfter Auftritt, 
Die zweite Magd tritt auf. Die Borigen. 
Zweite Magd. 
Gruß von Frau Küfterin, Herr Richter Adam; 
So gern fie die Perüd’ euh auch — 
Adam, 
Die? nidt? 
Zweite Magd. 
Sie fagt, e8 wäre Morgenpredigt gente; ' 
Der Küfter hätte felbft die eine an ı 
Und feine andre wäre unbrauchbar, 
Sie jollte heut zu dem Perückenmacher. 


Adam, 


’ 


Berflucht! 
Zweite Magd. 
Sobald der Küfter wieder fommt, 
Wird fie jedoch fogleich euch ferne fchiden. 
Adam, 
Auf meine Ehre, gnäd’ger Herr — 
Walter. 


. Adam. 

Ein Zufall, ein verwünfchter, hat um beide 
Berliden mich gebradjt. Und jet bleibt mir 
ie dritte aus, die ich mir leihen wollte; 
Ich muß kahlköpfig den Gerichtstag halten. 


Walter. 


Was giebt’3? 


Kahlköpfig! 


Adam. 
Sa, beim ew'gen Gott! fo ſehr 
Ih ohne der Perüde Beiftand um 

Mein Richteranfehn auch verlegen bin. 

— Ich müßt es auf den Vorwerk noch verfuchen, 
Ob mir vielleicht der Pächter — 





123 


Walter. 
Auf dem Vorwerk! 
Kann jemand anders hier im Orte nicht — 


Adam. 
Nein, in der That — 
Walter. 
Der Prediger vielleicht. 
Adam. 
Der Prediger? der — 
Walter. 


Oder Schulmeiſter. 


Adam. 
Seit der Sackzehnde abgeſchafft, Eu'r Gnaden, 
Wozu ich hier im Amte mitgewirkt, 
Kann ich auf beider Dienſte nicht mehr rechnen. 
Walter. 
Nun, Herr Dorfrichter? nun? und der Gerichtstag? 
Denkt ihr zu warten, bis die Haar’ euh wachſen? 


Adam. 
Ja, wenn ihre mir erlanbt, ſchick' ich auf's Vorwerk. 


Walter. 
— Die meit iſt's auf das Vorwerk? 
Adam. 
lbſtünd Ei! ein kleines 
albſtündchen. 
v u Walter. 
Eine halbe Stunde, was! 
Und eurer Sigung Stunde jchlug bereit3. 
Macht fort! ih muß noch heut nad) Huffahe. 


Macht fort! Adam, 
t fort! ja — 
Walter. 
Ei, jo pudert en den Kopf ein! 
Wo Teufel auch, wo ließt ihr die Perüden? 
— Helft end) fo gut ihr könnt. Ich habe Eile. 


Adam. 


Auch das, 
Der Büttel (mitt auf). 
Hier ift der Büttel! 


am. 
Kann ich inzwiſchen 
Mit einem guten Frühſtück, Wurſt aus Braunſchweig, 
Ein Gläschen Danziger etwa — 
| . 


124 


“ Walter. 
Dante ehr. 
Adam, 
Dhn’ Umftänd’! 
Walter, 


Danf, x hört's, hab's ſchon genoffen. 
Geht ihr, und nutzt die Zeit, ich brauche ſie 
In meinem Büchlein etwas I he merfen. 


Nun, wenn ihr fo befehtt — - Som, Margarethe! 


— Ihr feid ia böf verdeckt Ser Site Adam; 
Seid ihr gefallen? Adam 


— Hab’ einen t wahren Mordſchlag 
Qeut früh, als ich dem Bett’ at gethan; 
eht, gnäd'ger Herr Gerichtsrath, einen Schlag * 
In's Anımet bin, ich glaubt’ * wär' in's Grab. 


Wa 
Das thut mir leid. — Es * doc weiter nicht 
Bon Folgen fein? 


Ada 
Ich denke nicht. Und aud) 

an n, meiner Pflicht ſolls weiter mich nicht ſtören. — 

t! 


Walter. 
Geht, geht! 
Adam (zum Büttel). 


Die Kläger rufft du — Marſch! 
(Adam, die Magd und der Büttel ab.) 





Sechſter Auftritt. 


gran Marthe, Ebe, Beit und Rupreht | treten auf. Walter und Kit im Hinter 


Scan Marthe. 
Ihr Frugzertrümmerndeg Geſindel, ihr! 
Ihr ſollt mir büßen, ihr! 8 
eit. 


Sei ſie nur ie 
Frau Marth’! e8 wird I Alles hier ent heiden. 


ran Marthe, 
D ja. Entſcheiden. Geht doch. Den Klugſchwätzer! 
Den Krug mir, den zerbrochenen, entſcheiden! 


ww’ GE 


125 


Wer wird mir den geſchied'nen Krug entfcheiden ? 
Hier wird entfehieden werden, daß gefchteden 

Der Krug mir bleiben fol. Für fon Schiedsurtheil 
Geb’ ich noch die gefchied’nen Scherben nicht. 


Beit, 
Wenn fie ſich Recht erftreiten kann, fie hört’, 


Erſetz' ich ihn. 
Frau Martbe. 

“ Er mir den Krug erjegen — 
Wenn ich mir Recht erftreiten kann, erjegen! 
Setz' er den Krug mal hin, verjuch’ er's mal, 
Sep’ er'n mal hin auf das Gefims! erſetzen! 
Den Krug, der fein Gebein zum Stehen hat, 
Zum Liegen oder Sitzen hat — erjeßen! 


Beit. 
Sie hört's! was geifert fie? kann man mehr thun? 
Wenn einer ihr von uns den Krug zerbrocden, 
Soll fie entſchädigt werden. 

Frau Marthe. 

Sch entjchädigt! 
Als ob ein Stück von meinem Hornvieh ſpräche. 
Meint er, das die Juſtiz ein Zöpfer ift? 
Und kämen die Hochmögenden und bänden 
Die Schürze vor, und trügen ihn zum Ofen, 
Die könnten fonft mas in den Krug mir thun, 
ALS ihn entihädigen — Entihädigen! 

Ruprecht. 
Laß er fie, Vater. Folg' er mir. Der Drache! 
’& iſt der zerbroch'ne Krug nicht, der fie wurınt, 
Die Hochzeit ift es, die ein Loch befommen, 
Und mit Gewalt bier denkt fie jie zu fliden. 
Ich aber fege noch den Fuß eins drauf: 
Berflucht bin ich, wenn ich die Metze nehme! 
Frau Marthe, 

Der eitle Flaps! die Hochzeit ich Hier flicken! 
Die Hochzeit, nicht des —e unzerhrochen 
Nicht einen von des Kruges Scherben werth. 
Und ftiind’ die Hochzeit blanfgefcheuert vor mir, 
Wie noch der Krug auf dem Gefimje geftern, 
So faßt’ ich fie beim Griff jegt mit den Händen, 
Und ſchlüg' fie gellend ihm amı Kopf entzmei,;, 
Nicht aber hier die Scherben möcht’ ich fliden! 
Sie fliden! . 

Eve, 

Ruprecht! 


126 


Rupredt. 
Fort du —! 
Eve, Liebſter R | 
iebjter Ruprecht! 
Ruprecht. prech 
Mir aus den Augen! 


Eve. 
Ich beſchwöre dich. 
Ruprecht. 
Die liederliche — ich mag nicht jagen, was. 


Eve. 
Laß mich ein einz'ges Wort dir heimlich — 
Ruprecht. 
Nichts! 


Eve. 
Du gehſt zum Regimente jetzt, o Ruprecht. 
Wer weiß, wenn du erft die Muskete El, 
Ob ich did je im Leben wieder fehe. 
Krieg iſt's, bedenke, Krieg, in den du iehft: 
Bil du mit ſolchem Grolle von mir B eiden ? 


Rnpreät: 
Groll? nein, bewahr’ mich Gott, das will ich nicht. 
Gott ſchenk' dir fo viel Wohlergehn, als er 
Erübrigen kann. Doc kehrt’ id aus dem Kriege 
Gefund, mit erzgegofj’nem Leib zurüd, . 
Und würd’ in lm achtzig Jahre alt, 
So ſagt' ih noch im Tode zu dir: Mege! 
Du millft’3 ja felber vor Gericht beſchwören. 


Frau Diarthe (u Eve. 

ginneg! was fagt’ ich dir? wilft du dich nod) 
efchimpfen laffen? Der Herr Corporal 

ft was für dich, der würd'ge Holzgebein, 

Der feinen Stod im Militair geführt, 

Und nicht dort der Maulaffe, der dem Stod, 

Jetzt jeinen Rücken bieten wird. Ben iſt 

Verlobung, Hochzeit, wäre Taufe heute, 

Es wär' mir vr und mein Begräbniß leid’ ich, 

Wenn ic) dem Hochmuth erft den: Kamm zertreen, | 

Der mir bi8 an die Krüge ſchwillet. 


Eve. ü 
FR Mutter! 
Laßt doch den Krug! laßt mich doch in der Stadt verfucdhen, 
Ob ein gefchidter andiwerfsmann die Scherben 


127 


Nicht wieder euch zuür Luft zufammenfügt. 

Und wärs um ihn N nehmt meine ganze 

Sparbüdfe hin, und kauft euch einen neuen. 

Wer wollte doch um einen irdnen Krug, 

Und ſtammt' er von Herodes Zeiten ber, 

Sold einen Aufruhr, fo viel Unheil ftiften. 
Frau Marthe. 

Du ſprichſt, wie du's verftehft. Willft du etwa 

Die —* tragen, Evchen, in der Kirche 

Am nächſten Sonntag veuig Buße thun ? 

Dein guter Name lag in dieſem Topfe, 

Und vor der Welt mit ihm ward er zerftoßen, 

Wenn auch vor Gott nit und vor mir und dir. 

Der Richter ift mein Handwerksmann, der Scherge, 

Der Blod iſt's, Beitichenhiebe, die es braucht, 

Und auf den Scheiterhaufen das Gefindel, 

Wenn's unfre Ehre weiß zu brennen gilt, 

Und diefen Krug hier wieder zu glafiren!, 


Siebenter Auftritt. 


Abam im Drnat, doch ohne Perüde, tritt auf. Die Borigen. 


Adam (für fid). 
Ei, Evchen. Gieh! und der vierſchröt'ge Schlingel, 
Der Ruprecht! ei, was Teufel, fieh! die ganze Sippfdaft! 
— Die werden mich doch nicht bei mir verklagen ? 


O Tiebfte Mutter, folgt mir, ich beſchwör' euch, 
Laßt dieſem Unglüdszinnmer uns entfliehen! 


Adam. 
Gevatter! fagt mir doch, was bringen die? . 


Licht. 
Was weiß ih? Lärm um nichts; Lappalien. 
Es ift ein Krug zerbrochen ‚worden, hör’ ic, 
Adam. 
Ein Krug! fo! ei! — Ei, wer zerbrach den Krug? 
Licht. 
Adam. 
Ja, Gevatterchen. 


Wer ihn zerbrochen? 


128 


Licht. . 
Mein Seel’, fegt euch; jo werdet ihr's erfahren. 
Adam (qheimlich). 


Evchen! 
Eve (gleichfalls). 
Geh' er. 
Adam, 
Ein Wort. 
Eve, 
Ich will nichts willen. 
Adam. 


Was bringt ihr mir? 


Eve, 

Ich fag’ ihm, er foll gehn. 
Adam. 

Evchen! ich bitte dich! was ſoll mir das bedeuten? 


Eve. 
Wenn er nicht gleich —! Ich ſag's ihm, laß er mich. 
Adam (u Lidt). 
Oevatter, hört, mein Seel’, ih halt’3 nicht aus. 
Die Wand’ am Schienbein madt mir Webelleiten; 
Führt ihr die Sad, id) will: zu Bette gehn. 


Licht. 

Zu Bett —? ihr wollt —? ich glaub’, ihr feid verrüdt. 
Adam. 

Der Henker hol's. Ich muß mid itbergeben. 


Licht. 
Ich glaub’, ihr raft im Ernftl. So eben fommt ihr —? 
— Meinthalben. Sagt's dem Herrn Öerichtsrath dort. 
Bielleiht erlaubt er’s. — Ich weiß nicht, was euch fehlt? 
Adam (mieder zu Even). 
Evchen! ich flehe dich! um alle Wunden! 
Was iſt's, das ihr mir bringt? 


De. 
Er wird's ſchon hören. 


. Adam. 
Iſt's nur der Krug dort, den die Mutter hält, 
Den ich fo viel — 
j Ev 


e. 
Ja, der zerbrochene Krug nur. 


Adam. 
Und weiter nichts? 


129 


Eve 
Nichts weiter. 
Adam. 
Nichts? gewiß nichts? 
Eve. 
Ich ſag' ihm, geh’ er — laß er mich zufrieden. 
Adam. 
Hör’ du, bei Gott, ſei klug, ich rath' es dir. 
Eve, 
Adam. 
In dem a ſteht 


h 
Der Name jetzt, Ba DH uprecht Tiimpel. . 
dir trag’ ich's fir und fertig in der Taſche; 


Er Unverſchämter! 


örft du es nadern, Evchen? Sieh’, bad deanf du, 
uf meine Ehr’, heut über's Jahr dir holen, 
Dir Trauerſchürz' und Mieder zuzufchneiden, 
Wenn’s heißt: der Ruprecht in Batavia 
Krepirt' — ich weiß, an welchem Fieber nicht, 
War's gelb, war’ ſcharlach, oder war es faul. 


Walter, 
Spredt nicht mit den Bartei’n, Herr Richter Adam, 
Bor der Seſſion! bier fegt u befragt fte. 


Adam. 
Was fagt er? — was befshlen Euer Gnaden ? 


Was ih befehl? — ich fagte deutiid, euch 
a8 ich befehl'? — ich jagte deutlich euch, 
Daß ihr nicht heimlich vor der Sitzung jollt 
Mit den Partei'n zweideut’ge Sprache führen. 
Bier ift der Plag, der eurem Amt gebührt, 
nd öffentlich Verhör, was ich ermarte. 
Verſſucht! ic ! & dt dar a Gen! 
erflucht! ich kann mich nicht dazu entfchließen! 
— Es klirrte etwas, da ich Abfchied nahm — 
Licht (ihn aufihredend). 
Herr Richter! feid ihr — 


dam. 
Ich? auf Ehre nicht! 
Ich hatte fie behutjam drauf gehängt, 
Und müßt! ein Ochs gemwejen fein — 
Licht. 
Was? 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Keiftal. 


f , fe 


— Gleich! glei! gleich! was beſehlen 


130 
Adam. 
Licht. 


Adam. 
Ihr fragtet, ob ich — 


Was? 
Ich fragte — 


Sicht 
Ob ihr taub en fragt’ ich. 
Dort Seine Onaden haben euch gerufen. 


Adam. 
Ich glaubte — wer ruft? 


icht. 
Der Herr Gerichtsrath dort. 
Adam (für fi). 


Ei! hol’8 der Henker auch! zwei Fälle giebt's 


Mein Seel, nicht mehr, und wenn's nicht bit, fo bricht's. 
uer Snaden ? 
Soll jest die Proredur beginnen 


Walter. 
Ihr feid ja fonderbar zerftreut. Was fehlt euch? 
Adam. 
— Auf Ehr'! verzeiht. Es fie ein Perlhuhn mir, 
Das ich von einem Indienfahrer kaufte, 
Den Pips; ich foll e8 nudeln, und verſteh's nicht, 
Und fragte dort die Yungfer bloß um Rath. 
Ih bin ein Narr in jolden Dingen, jeht, 
Und meine Hühner nenn’ ich meine Kınder. 


VW alter. 
gier. Setzt ud. Ruft den Kläger und vernehmt ihn. 
nd ihr, Herr Schreiber, führt das Protokoll. 


Adam. 
Befehlen Euer Gnaden den Prozeß 
Nach den Formalitäten, oder fo, 
Wie er in Huifum üblich ift, zu halten? 


Walter: 
Vach den gejeglichen Formalitäten, 
Die er in Huiſum üblich ift, nicht anders. 


' Adam. 
But, gut. Ich werd’ euch zu bedienen milfen. 
Seid tr bereit, Herr Seribere | 
Licht. 
Zu euren Dienſten. 


131 


Adam, \ 
— So nimm, Geredhtigkeit, denn deinen Lauf! 
Klägere trete vor. 
' gran Marthe. 
Hier, Herr Dorfrichter! 
Adam. 


Frau Marthe, 
Adam. 


r. 
n Marthe. 
u. — 


Adam. 
Wer ihr ſeid! 
Weß Namens, Standes, Wohnorts, und fo weiter. 
gran Marthe, 
Ich glaub’, er fpaßt, Herr Richter. 


Adam. 
Spaben, was! 
Ich fig’ im Namen der Juſtiz, Frau WMarthe, 
Und die Juſtiz muß wiffen, wer ihr feid. 
Licht (Halb Laut). 
‚Xaßt doch die jonderbare Frag’ — 


Grau Marthe. 
Ihr gudt 
Mir alle Sonntag’ in die Fenfter ja, 
Wenn ihr auf's Vorwerk geht! 
Walter. 
Kennt ihr die Frau? 
Adam. 
Sie wohnt hier um die Ede, Euer Gnaden, 
Wenn man den he durch die Heden geht; 
MWittw’ eines Kaftelans, Hebamme jet, 
Sonft eine ehrlihe Frau, von gutem Rufe. 
Walter. 
Wenn ihr fo unterrichtet feid, Herr Richter, 
So find dergleichen Fragen Ibesttä ji. 
Segt ihren Namen in das Protokoll, 
Und fchreibt dabei: den Amte wohlbefannt. 


. Wer jeid ihr? 
Der 


Adam, 
Auch das. Ihr feid nicht für Formalitäten. — 
-Zhut fo, wie Seine Gnaden anbefohlen. 


182 


Walt er. 
Fragt nach dem Gegenſtand der Klage jetzt. 
Adam. 
Jetzt ſoll ich — 
Ja, den Besen ermitteln ! 


Das ift gleichfalls ein Rus, erreiht 


Walter. 
Wie? gleichfalls! 


dam 
n Krug. Ein bloßer —* Sept einen Krug, 
un ichreibt dabei: dem Amte wohlbefannt. 


Licht. 
Auf meine cher Bermuthung 
Wollt ihr, Herr Richter — ? 


am 
| Mein Seel’, wenn idh’3 euch jage, 
So ſchreibt ihr's hin. eg nicht ein Krug, Frau Marthe ? 


gran Marthe, 
Ja, bier der Krug — 
Adam. 
Da habt ihr’3. 
rau Marthe. 
s Der zerbrochne — 


a 
Pedantiſche Bedenklichkeit. 
ſch 9 Licht. 
Ich bitt' euch — 
Adam. 
Und wer zerbrach den Krug? gewiß der Schlingel — 
Frau Marthe. 


Ja, er, der Schlingel dort — 
Adam (für fid). 
Mehr brauch’ ich nicht. 
Ruprecht. 
Das iſt nicht wahr, Herr —* 
Adam (Für fih). 
Auf, aufgelebt, du alter Adam! 
uprecht. 
Das lügt ſie in den Hals hinein — 


133 ⸗ 


num. _ 
Schweig, Maulaffe! 
Du ftedit den Yals voch Ai enug in's Eifen. 
— Setzt einen eng, D reiber, 16 gejagt, 
dent wit dem Namen 5 der de ſchlagen. 
etzt wird die Sache glei ei | ein. 


Wa 

Herr Richter! ei! welch' ein gewaltiames Berfahren! - 
Adam. 

Wie fo? 


Lit. 
Wollt ihr nicht förmlich — 


Adam, 
Nein! fag’ ich; 
Ihr’ Gnaden lieben Förmlichkeiten nicht. 


Walter 
Wenn ihr die Inſtruction Herr wichter Adam, 
Aid des Prozeſſes einzuleiten wißt, 
Rh bier der Ort jegt nicht, es euch zu lehren. 
enn ihr Recht anders nicht, als fo, könnt geben, 
So tretet ab; vielleicht —* euer Schreiber. 


Erlaubt! ich gab’8, wie's hier in Huifum üblich; 
Eu’r Gnaden haben’s aljo mir befohlen. 


Walter. 
Ich hätt’ — 

Adam. 

Auf meine Ehre! 
en 
ch befahl euch, 

Recht hier nach den Gefegen zu Gehen: 
Und bier in Huifum glaubt’ “ die Geſetze, 
Wie anderswo in den vereinten Staaten. 


Da muß ſubmiß ich um Berzeibung bitten! 
Wir haben hier, mit Eu’r Erlaubniß, 
Statuten. Ki enthümliche, in —2— 
Nicht aufge] riebene, muß ich geftehn, Doch durch) 
Bewährte Tradition uns überliefert. 

Bon diefer Form, getrau' ich mir zu hoffen, 

Bin ich noch heut fein Jota abgewichen. 

Doch auch in eurer andern Form bin i 

Wie fie im Rei) mag üblich jein, zu Jaufe 


” 134 


Berlangt hr den Beweis? an befehlt! 
Ich kann Recht fo jet, jetzo jo ertheilen. 


Walter. . 
Ihr gebt mir ſchlechte Meinungen, Herr Richter. 
de Fi Ihr —8 von vorn die Sade an. — 


Adam. 
Auf Ehr'! gebt Acht, ihr ſollt zufrieden ſein. 
— Frau Wartbe Null! bringt eure Klage vor. 
Fran Marthe. 
3 klag', ihr wißt's, hier wegen dieſes Krugs; 
edoch vergönnt, daß ich, bevor ich melde 
Was diefem Krug gejchehen, auch befchreibe 
Was er vorher mir war. 


Adam. 
Das Reden ift an euch. 
& den K | a s > 
eht ihr den Krug, ihr wertbgefchäßten Herren 
Sch I den Kruo? Ab 
am. . 


D ja, wir jehen ihn. 
gran Marthe, 

Nichts feht ihr, mit Berlaub, die Scherben ſeht ihr: 
Der Krüge Ichönfter ift entzwei gefchlagen. 
gier grade auf dem Loch, wo jego nicht, 
Sind die gefammten niederländijchen Provinzen 
Dem fpan’jchen Porlipp übergeben worden. 
gie im Ornat ftand Kaifer Karl der fünfte; 

on dem feht ihr nur noch die Beine jtehn. 
. gier fniete Philipp, und empfing die Krone; 

er liegt im Topf, bis auf den ee 

Und auch noch der hat einen Stoß empfangen. 
Dort wilchten feine beiden Muhmen fi, 
Der Franzen und der Ungarn Königinnen, 
Gerührt die Augen aus; wenn man die eine 
Die Hand noch mit dem Tuch empor flieht heben, 
So iſt's, als weinete fte über fich. 
I im Gefolge ftügt fih Bhilibert, 

ür den den Stoß der Kaiſer aufgefangen, 
Noch auf das Schwert; doc jetzo müßt’ er fallen, 
So gut wie Marmilian: der Cchlingel! 
Die Schwerter unten jest find mweggejchlagen. 
gier in der Mitte mit der heil’gen Mütze, 

ah man den Erzbifchof von Arras febn; 
Den hat der Teufel ganz und gar geholt, 


135 


Sein Schatten nur fällt lang noch über's Pflafter. 
ter ftanden rings, ım Grunde, Yeibtrabanten, 
it eu dicht gedrängt, und Spießen; 
ier Häufer, jeht, vom großen Markt zu Bruſſel; 
ier guckt noch ein Neugier'ger aus dem Fenſter: 
och was er jetzo ſieht, das weiß ich nicht. 


Adam. 

gran Marth’! erlaßt uns das zerfcherbte Pactum, 
enn e8 zur Pr nit gehört. 
Uns geht das Loch — nichts die Provinzen au, 
Die darauf übergeben worden find. 
Frau Marthe. 
Erlaubt! wie ſchön der Krug, gehört zur Sache; — 
Den Krug erbeutete ſich Childerich, 
Der Reflelflider, als Oranıen 
Briel mit den Wafjergeufen überrumpelte, 
Ihn hatt’ ein Spanier, gefüllt mit Wein, 
gut an den Mund gejegt, als Childerich 
en Spanier von hinten niedermarf, 

Den Krug ergriff, ihn leert', und weiter ging. 

Adam, 
Ein würd’ger Waffergenfe. 

gran Marthe. 

ierauf vererbte 
Der Krug auf Fürchtegott, den Todtengräber; 
Der trank zu dreimal nur, der Niüchterne, 
Und ftet3 vermischt mit Waffer aus dem Krug. 
Das erftemal, al3 er im wereaislen 
Ein junges Weib fi nahm; drei „Jahre drauf, 
Als fie noch nah 9 um Bater machte; 
Und als fie jet noch funfzehn Kinder zeugte, 
Tran? er zum drittenmale,.als fie ftarb. 


Adam, 
Gut. Das ift auch nicht übel. 
Frau Marthe, 

Drauf fiel der Krug 
An den Zahäus, Schneider in Tirlemont, 
Der meinem fel’gen Mann, was ich euch jetzt 
Berichten will, mit eignem Mund erzählt. 
Der warf, als die Franzofen plünderten, 
Den Krug, fammt allem Hausrath aus dem Fenfter, 
Sprang Perf, und brach den Hals, der Ungefchidte, 
Und diefer irdne Krug, der Krug von Thon, 
Auf's Bein fam er zu ftehen, und blieb ganz. 


136 


Adam, 
Zur Sache, wenn's beliebt, Frau Marthe Rull! zur Sade! 
gran Marthe. 
Drauf in der Feuersbrunft von Sechs und fechs ig 
Da hatt’ ihn ſchon mein Dann, Gott hab’ ihn f; ig — 


Adam. 
Zum Teufel! Weib! fo feid ihr noch nicht fertig? 
gran Marthe 
— Denn ich nicht reden foll, Herr Richter Adam, 
So bin ig unnütz hier, ſo will ich gehn, 
Und ein Gericht mir ſuchen, das mich hört. 
Walter. 
ger follt hier reden, doch von Dingen nicht, 
te eurer Klage fremd. Wenn ihr uns fagt, 
Daß jener Krug euch wertd, jo wiſſen wir 
So viel, al3 wir zum Richten hier gebrauchen. 


Frau Marthe 
Wie viel ihr brauchen möget, zu richten, 
Das weiß ıch nicht, und unterſuch' es nicht; 
Das aber weiß, ich, daß ich, um zu klagen, 
Muß vor euch jagen dürfen, über mas. 

Gut d 3 Schluß ine (hab dem Krug? 
ut denn. Zum uß jekt. a8 gejhah dem Kru 
Was? — Was gejhah dem Krug im Fener i 
Bon Anno ſechs und ſechszig? wird man's hören?. 

Was ift dem Krug geichehn? 
gran Marthe 
Was ihm gefchehen? 

Nichts ij dem Krug, “ bitt’ euch jehr, ihr Herren, 
Nichts Anno ſechs und ſechszig ihm geſchehen. 
Ganz blieb der Krug, ganz in der Flammen Mitte, 
Und aus des Hauſes Aihe 309 ih ihn 
gerbor, glafirt, am andern Morgen, glänzend, 

18 käm' er eben aus dem Qöpferofen. 


Walter. 

Nun gut. Nun kennen wir den Krug. Nun mwiffen 
Wir alles, was dem Krug gefchehn, was nicht. 
Was giebt’3 jet weiter? 

Frau Marthe. 

Nun diefen Krug jegt ſeht — den Krug — 
men einen Krug noch werth — den Krug 

ir eines Fräuleins Mund, die Kippe jelbft 

Nicht der Frau Erbftatthalterin zu ſchlecht, 





‘ 


_ - 137 
Den Krug, ihr hohen Herren Richter beide, 
Den Krug hat jener Schlingel mir zerbrocden. 
Adam. 


Wer? 
Frau Marthe 
Er, der Ruprecht dort. 
Nupredt. 
Das it gelogen, 
Herr Richter. 
Adam, 
Schweig' er, bi3 man ihn fragen wird; 
Auch heut an ihn noch wird die Reihe kommen. 
— Habt ihr's im Protokoll bemerkt? 


Licht. 
Adam. 
Erzählt den Hergang, würdige Frau Marthe. 
Fran Marthe. 
Es war Uhr eilfe geſtern — 
Adam. 
Wann, ſagt ihr?‘ 
gran Marthe, 


Adam. 


ja. 


Uhr eilf. 


Am Morgen? 


gran Marthe, 
Nein, verzeiht, am Abend, 
Und Schon die Lamp’ im Bette wollt’ ich Löfchen, 
Als laute Männerftimmen, ein Tumult 
* meiner Tochter abgelegnen Kammer, 
18 ob der Feind einbräche, mic erſchreckt. 
Geſchwind die Trepp' eil’ ich hinab, ich finde 
Die Kammerthür gewaltfam eingefprengt, 
Schimpfreden jchallen wüthend mir entgegen, 
Und da ih mir den Auftritt jeßt beleuchte, 
Mas find’ ich jest, Herr Richter, was jett find’ ich? 
Den Krug find’ ich zerfcherbt im Zimmer liegen, 
gr jeden Winkel liegt. ein Stück, 
a8 Mädchen ringt die Händ’, und er der Flaps dort, 
Der trogt, wie toll, embh in des Zimmers Mitte. 


Adam. 
Ei Wetter! 


N 


Ada 
O! faule Fiſche — Hierauf? 


138 


Frau Marthe. 
Was? 


Adam. 
Sieh' da, Frau Marthe! 
Frau Marthe. 


Drauf iſt's, als ob in ſo gerechtem Fr 
Mir noch zehn Arme wüchſen, jeglichen 


Ja! — 


Fühl' ich mir wie ein Geier ausgeriitet. 

Ihn ſtell' ig dort zu Rede, was er bier 

In fpäter Nacht zu fuchen, mir die Krüge 

Des Haufes tobend einzufchlagen habe: . 

Und er, zur Antwort giebt er mir, jeßt rathet — 
Der Unverfhämte! der galınfe der! 

Auf's Rad will ich ihn bringen, oder mic 

Nicht mehr geduldig auf, ben Rücken legen: 

Er ſpricht, es Find ein Anderer den Krug 

Vom Simſ' geftürzt — ein Anderer, ich bitt' euch — 
Der vor ihm aus der Kammer nur entmichen; 
Und überhäuft mit Schimpf mir da das Mädchen. 


9 


gran Martbe, 

’ Juf dies Wort 
Seh' ich das Mädchen fragend an; die ſteht 
Gleich einer Leiche da, ich ſage: Eve! — 
Sie jegt ih; iſts ein Anderer geweſen? 
Frag' ih, und Joſeph und Marie, ruft fie, 
Was denkt ihr, Mutter, auh? — So jprih! wer war’8? 
Wer HE fagt file, — und wer auch konnt' es anders? 
Und ſchwört mir zu, daß er's geweſen ift. 


Eve, 
Was ſchwor ich euch? was hab’ ich euch gejchworen ? 
Nichts or nihts euch — 
Frau Marthe. 
Eve! 
Eve. 
Ruprecht. 


Nein! dies lügt ihr. — 
Da hört ihr's. 
d, jeht, verflußter. ſhwe 
und, jeßt, verfluchter, ſchweig, 
Soll hier die Yuan den Rachen dir noch ftopfen? 
Nachher ift Zeit für dich, nicht jeßt. 


139 


Marthe. 
Du hätteſt nicht — ve. arthe 


Eve. 
‚ Nein, Mutter! dies verfälſcht ihr. 
ah leid thut's in der That mir tief zur Seele, 
Daß ich es Öffentlich erklären muß: 
Doch nichts ſchwor ıch, nichts, nichts hab’ ich gefchworen. 


Ada 
Seid doch vernünftig, Kinder 


Sigt. 

a8 ift ja feltfam. 
Fran Marthe. 

Du bätteft mir, o Eve, nicht verfichert ? 

Nicht Fojeph und Maria angerufen? 


Eve. 
Beim Schwur nicht! ſchwörend nicht! feht dies jegt ſchwör' ıch, 
Und Joſeph und —* ruf’ ich Fa ’ iett ſch 9 


Adam, 
Ei Leutchen! ei, Fran Marthe! mas auch macht fie? 
Wie fehlichtert fie dag gute Kind auch ein. 
* Wenn-fid die Jungfer wird befonnen haben, 
Erinnert ruhig deffen, was gefchehen, 
— 3 fage was gejchehen it und was, 
Spricht fie nicht, wie fie ſoll, geſchehn noch kann: 
Gebt Acht, ſo ſagt ſie heut uns aus, wie geſtern, 
Gleichviel, ob ſie's beſchwören kann, ob nicht 
Laßt Zofeph und Maria aus dem Spiele. 


Walter. 
Nicht doch, Herr Richter, nicht! wer wollte den 
Parteien fo zweideut’ge Lehren geben. 
gran Marthe, 
Wenn fie in’S Angefiht mir jagen kann, 
Schamlos, die Tiederliche Dirne, die 
Daß es ein Andrer, al3 der Ruprecht var, 
So mag mein’twegen fie — ich mag nicht jagen, was — 
Ic aber, ich verſichr' es euch, Herr Richter, 
Und kann id) gleich nicht, daß ſie's ſchwor, behaupten, 
Daß ſie's gejagt hat geftern, das beſchwör' ich, 
Und Joſeph und Maria ruf’ ich an. 
Adam, 
Nun weiter will ja auch die Jungfer — 
“ Walter. Ä 
Herr Richter! 


140 


Adam. 
Eu’r Gnaden? — Was fagt er? Nicht, Herzens-Evchen? 


Gran Marthe. 
eraus damit! haft du's mir nicht gejagt? 
aft du's mir geftern nicht, mir nicht ge gejagt ? 


Mer (äugnet euch, daß ich's Tefägt — 
Adam 
Da habt ihr's. 
Nuprecht. 
Die Metze die! 


Adam. 
Schreibt auf. 
Beit. 
Rn ſchäm' fie ſich. 


alter. 

Von eurer Aufführung, Ser Richter Ada 
Weiß ich nicht, was 9— denken ſoll. —* ihr jelbft 
Den erg je erfchla en hättet, fönntet ihr 
Bon euch ab den Verdacht nicht eifriger . 
en auf den jungen Mann, als jegt. — 

hr fegt nicht mehr in’3 —õã ei "Soreibe 
ALS nur der Yungfer Eingeftändniß, off ich 
Dom eftrigen Geſtändniß, ni t vom NR 

9— i's an der Jungfer iert Ihon — 


Mein Seel', wenn's ihre —*— od; nicht a 
In ſolchen Dingen irrt der Menſch, Eu'r Gnaden. 
Wen hätt' fragen ſollen jett ? Beklagten ? 
Auf Ehr’! ih nehme gute Lehre an. 

Walter. 
Wie unbefangen! — Ya, fragt den Beklagten. 
Fegt, macht, ein Ende, fragt, ich bitt' euch ſehr: 

ies ift die legte Sache, v ur führt. 


Die legte! was! ei aid! den Betlagten! 

Be auch, alter Richter, dachteſt du 

Verflucht, das pips’ge Perlhuhn mir! daß es 

Krepirt wär’ an der Pet in Indien! 

Stet8 liegt der Kloß von Nudeln mir im Sinn. 
Walter. 

Was liegt? was für ein Kloß liegt euch — ? 


141 
Adam. 


Der Nudelkloß, 
Berzeiht, den ich dem Huhne geben foll; 
Schluckt mir dad Aas die Pille nicht herunter, 
Mein Seel’, fo weiß ich nicht, mie’3 werden wird. 


Valter 
Thut eure Schuldigkeit, fag’ ich, zum Henker! 


"Adam. 
Beklagter trete vor. 
Ruprecht. 
Hier, Herr TERN 
Ruprecht, Veits, des Kofjäthen Sohn, aus Huijum. 


Adam, 
Bernahm er dort, mas vor Gericht fo eben 
Frau Dlarthe gegen ihn hat angebracht? 


Ruprecht. 
Ja, Herr Dorfrichter, das hab' ich. 
Adam. 
Getraut er ſich 
Etwas dagegen aufzubringen, was? 
Bekennt er, oder unterfängt er ſich, 
Hier wie ein gottvergeſſ'ner Menſch zu läugnen? 
Ruprecht. 
Was ich dagegen aufzubringen hab’, 
ger Richter? Ei! mit euerer Erlaubniß, 
aß fie Fein wahres Wort geiprochen hat. 


Adam. 
So? und das denkt er zu beweifen? 
Ruprecht. 
O ja. 
Adam. 


Die würdige Frau Marthe, die — 
Beruhige ſie ſich. Es wird ſich finden. 


Walter. 
Was geht ihn die Frau Marthe an, Herr Richter? 


Adam. 
Was mir — Bei Gott! ſoll ih als Chriſt — 
Balter. 


| Bericht’ 
Er, was er für fih anzuführen hat. — 
Herr Schreiber, wißt ihr den Prozeß zu führen? 


142 


Adam. 
Ad mas! * 


Licht. 
Ob ich — ei nun, wenn Euer Gnaden — 


Adam, 
Was glogt er da? was hat er anfaubeingen ? 
Steht nit der Eſel wie ein Ochſe da 
Was hat er aufzubringen ? 
Rupredt. 
* * aufzubringen? 


Wal 
Er ja, er ſoll den Hergang “erzählen, 
Rupredt. 
Mein Seel’, wenn man F F is kommen Tieße. 


’8 ift in der That, Herr * nicht zu dulden. 


upredt. 
[e Slot zehn Uhr mode es * ein zu Nacht, — 
Und Daran juſt dieſe Nacht des Januars 
Mai — als ich zum Vater ſage: Vater, 
| 3 will ein Biffel noch zur Eve: gehn. 
enn heuren wollt’ ich fie, das müßt ihr wiſſen; 
Ein rüftig Mädel iſt's, ich hab's beim Ernten 
Oejehn, io alles von der Fauft ihr ging, 
Und ihr das Heu man flog als wie gemauft. 
Da fagt’ id: tel. du? N ER fagte: ad! 
Was du da gakelſt. Und nachher —* ſie: ja. 


Bleib' er bei ſeiner Sache. Adin! was! 

Ich ſagte, willſt du? und ſie ſagte, ja. 
Ruprecht. 

Ja, meiner Treu, Herr Richter. 


Walter, 
Weiter! weiter! 


Ruprecht. 


Da ſagt' ich: Vater, hört er? laß er mich: 
air ix (Omaten nod am Fenſter maß zufammen. 
agt’ er, lauf; bleibjt du auch draußen? fagt’ er. 
je meiner Seel’, jag’ ich, das iſt geworen. 
a, ſagt' er, lauf, um eilfe bift du bier 


Nun — 


143 


Adam. 
Ka, fo ſag' du, nnd gafle, und fein Ende. 
Na hat er bald ſich ausgejagt? 


Ruprecht. 

Na, ſag' ich, 
Das iſt ein Wort, und ſetz' die Mütze auf, 
Und geh’; und über'n Steig will ich, und muß 
und 8 Dorf zurüdgehn, weil der Bad) geihmollen. 
Ei alle Wetter, dent! ıch, Ruprecht, Schlag! 
Nun ift die Gartenthür bei Marthens zu: 
Denn bi8 um zehn läßt's Mädel fie nur offen, 
Wenn ich um zehn nicht da bin, komm’ ich nicht. 


I Adam. 
Die liederlihe Wirthichaft, die. 
Walter. 
Drauf weiter? 


Nupredt. 

Drauf — wie ich über'n Lindengang mich näh're, 
Bei Perthens wo die Reihen dicht gewölbt, 
Und dunkel wie der Dom zu Utrecht Kind, 
Hör ich die Gartenthüre fernher knarren. 

ieh’ da! da ift die Eve noch! fag’ ich, 
Und ſchick freutbig euch, von wo die Ohren 
Mir Rune rahten, meine Augen nah) — 
— Und [8° te fie, da fie mir mwiederfonmten, 

fir blind, und ſchicke auf der Stelle fie 

um zmeitenmal, ſich befler um ufehen, 

nd Ab impfe fie nichtswürdige Berläumder, 
Aufheger, niederträcht'ge Obrenbläfer, " 
Und jchide fie zum drittenmal, und denke, 
Sie werden, weil fie ihre Pflicht gethan, 
Unmwillig los fi) aus dem Kopf mir reißen, 
Und fd in einen andern Dienft begeben: 
Die Eve iſt's, am Lab erfenn’ ich de 
Und einer iſt's noch obenein. 


Adam. 
En? einer no? und wer, er Klugſchwätzer? 
Ruprecht. 
Wer? ja, mein Seel, da fragt ihr mich — 
Adam, 


Nun alfo! 
Und nicht gefangen, den? ich, nicht gehangen. 


\ 


144. 


Wa 
Fort! weiter in der Rede! —8 ihn doch! 
Was unterbrecht ihr ihn, —* et 


Ih kann darauf das —* nicht nehmen, 

Stockfinſter war's, und alle Katzen 

Doch müßt ihr wiſſen, daß der Slidaufter, 

Der tebreit, den man kürzlich losgeſprochen, 

Dem Mädel längft mir aut die Fährte ging. 

de jagte vor’ ER Herbft ſchon: Eve, höre, 
er Saft ichleiht mir um’s Haus, das mag th nicht; 
Sag’ ihm, daß du fein Braten bift für ihn, 

Mein eel', ſonſt werf KR ie vom Hof’ herunter. 
ER Ipricht: ich glaub’, du ſchierſt mich! jagt ihm mag, 
Das ıft nicht hin, nicht Ber nicht Fifch, be leiſch: 

Drauf geh' ich hin un werß Den Schlingel herunter. 


am 
So? Lebrecht heißt der Rert? 
Ruprech 
Pe Febreht 


Adam, 
Gut. 


"Das ift ein Nam’. Es wird fi) Alles finden. 
— Habt ihr's bemerkt am Aratatol, Herr Schreiher? 


Licht. 
O ja, und alles Andere, den Richter. 
am. 
Sprich weiter, Ruprecht, seht. mein Sohn. 


Ruprecht. 
Nun ſchießt, 

Da ih Glock eilf dem Pärchen hier begegne, 
— Glock zehn Uhr zog ich immer ab — das Blatt mir. 

Ich denke: halt, jet Ih’ noch Zeit, o Ruprecht, 
Roc wachſen dir die Hirſchgeweihe nicht; 
ger mußt du ſorg ſam dir die Stirn befühlen, 

b dir von fern bornartig etwas keimt; 
Und brüde facht mid) durd) die Gartenpforte 
Und berg’ in einen Strauch von Taxus mid: air 
Und hör euch ein Gefispre bier, ein | Scherzen, 
Ein Herren hin, Herr Richter, Berren_her, 
Mein, Seel, ich denf, ich ſoll vor Luft — 

Eve. 


Was das, ſchändlich ift von dir! 


Du Böſ'wicht! 


145 


Frau Marthe. 

Halunfe! ’ 
Dir weiſ' ich noch einmal, wenn wir allein find, V 
Die Zähne! wart! du weißt noch nicht, wo mir 
Die Haare wachſen! du ſollſt es erfahren! 

Ruprecht. 

Ein Viertelſtündchen dauert's ſo, ich denke, 
Was wird's doch werden, iſt doc heut nicht Hochzeit? 
Und eh’ ich den Gedanken ausgedacht, | 
Huf! find fie beid’ in's Haus fchon, vor dem Paftor. 


Eve 
Geht, Mutter, mag es werden, wie es will — 


Adam, 
Sa du mir dort, vath Wr das Donnermetter ' 
Schlägt über did) ein, unberufne Schwägerin! 
Wart, bis ich auf zur Red’ dich rufen werde. 


Walter, 
Sehr fonderbar, bei Gott! 


.Aupredt. 
Jetzt hebt, Herr Richter Adanı, 
geht hebt fid’S, wie ein Blutſturz, mir. Luft! 

a mir der Knopf am Bruftlag fpeingt: Luft jetzt! 
Und reiße mir den Tag auf: Luft jetzt! jag’ ich 
Und geh’, und drüd’, und tret’ und donnere, 
Da io der Dirne Thür verriegelt fide, 
Geftemmt, mit Macht, auf einen Tritt, fie ein. 

Adam, 
Blitzjunge du! 
Ruprecht. 
Juſt da ſie auf jest raffelt, 

Stürzt dort der Krug vom Sims ins Zimmer hin, 
Und hin! Ipringt einer aus dem Fenſter euch: 
Ich feh’ die Schöße noch vom Rode wehn. 


Adam, 

War das der Leberecht? 

Nupredt. 

Wer fonft, Herr Richter ? 
Das Mädchen fteht, die werf’ ich über'n Haufen, 
Zum Fenſter eil’ ich hin, und find’ den Kerl 

Noch in den Pfählen bangen, am Spalier, 

Wo ſich das Weinlaub aufrantt bis zum Dach. 

Und da die Klinke in der Hand mir blieb, 

Als ich die Thür eindonnerte, jo reiß' ich 
Bibl. d. d. Rationalliteratur.. Kleif. I. 0 


J 


146 


Jetzt mit dem Stahl eins pfundfchwer übern Des ihm: 
Den juft, Herr Richter, konnt' ich noch erreichen. 


Adam, 
War's eine Klinke? 


Nupredt, 
Ya, die Thürklinke. 
Adam, 


Darım — 


- Licht. 
, Ihr glaubtet wohl, es war ein Degen? 
Adam. 
Ein Degen? ich — wie fo? 
Ruprecht. 
Ein Degen! 


Licht. 
Je nun! 
Man kann ſich wohl verhören. Eine Klinke 
Hat ſehr viel Aehnlichkeit mit einem Degen. 


Adam. 
Ich glaub' — 


U 

Licht. 

Bei meiner Treu! der Stiel, Herr Richter? 
Adam, 

Der Stiel! 


Ruprecht. 
Der Stiel! der war's nun aber nicht. 
Der Klinke umgekehrtes Ende war's. 


Adam. 
Das umgekehrte Ende war's der Klinke! 

Licht. 
So! ſo! 

Ruprecht. 
Doch auf dem Griffe lag ein Klumpen 

Blei, wie ein Degengriff, das muß ich ſagen. 
Adam, 
Ja, wie ein Griff. j 


Licht. 
Gut; wie ein Degengriff. 


147 


Doch irgend eine tüd’fche Waffe mußt’ es 
Genefen fein, das Al ich wohl. ß 


Walter. 
Zur Sache ſtets, ihr Herren, doch! zur Sache! 


Adam. | 

Nichts als Allotrien, Herr Schreiber! — Er, weiter! 

. \ Nupreät. 
Sept ftürzt der Kerl, und ich ſchon will mich wenden, 
Als ich's im Dunkeln — xannelu ſehe. 
Ich denke, lebſt du no? und ſteig auf's Fenſter 
Und will dem Kerl das Gehen unten legen: 
Als jegt, ihr Herrn, da ih zum Sprung juft aushol', 
Mir eine Handvoll grobgeförnten Sandes — 
— Und Kerl und Nacht und Welt und Fenfterbrett, 
Perauf ich ſteh', denk' ich nicht, ſtraf' mich Gott, 
Das alles fällt in einen Sack zuſammen — 
Wie Hagel, ſtiebend, in die Augen fliegt. 


Adam, 
Berflucht! fieh da! wer that das? 


Ruprecht. 
Wer? Der Lebrecht. 
Adam. 
Halunfe! 
Ruprecht. 
= Meiner Treu! wenn er’S geweſen. 
Adam. 
Wer fonft! Ä 


Aupregt. 
ALS ftürzte mich ein Schloffenregen 
Bon eines Bergs sehn Klaftern KH Abhang, 
So ſchlag' ich jetzt vom Fenſter euch in's Zimmer; 
Ich denk', ich ſchmettere den Boden ein. ı 
Nun hrech' ich mir den Hals doch nicht, auch nicht 
Das Kreuz mir, Hüften, oder fonft, inzwiſchen 
Konnt’ ich des Kerls doch nicht mehr habhaft werden, 
Und fige auf und wiſche mir die Augen. 
Die Tonımt, und ad) Herr Gott! ruft fie, und Ruprecht! 
Was ift Dir auch? Mein Seel, ich hob den Fuß; 
Gut war's, daß ich nicht fah, wohin ic) ſtieß. 
Adam, 

Kam das vom Sande noch? 
Ruprecht. 
Vom Sandwurf, ja. 

10* 


148 


Adam. 
Verdammt! der traf! 
Ruprecht. 

‚Da ich jetzt auferſteh' — 
Was ſollt' ih auch die Fäuſte hier mir ſchänden? — 
Go f impf ich ſie, und ſage liederliche Metze, 
Und denke, das iſt gut genug für fie. 
Doch Thränen, jebt, erftiden mir die Sprade — 
Denn da Frau Marthe jett in’3 Zimmer tritt, 
Die Lampe hebt, und E as Mädchen dort 
Jetzt fhlotternd, zum Erbarmen vor mir fehe, 
Cie, die fo herzhaft fonft wohl um fich fah, 
So fag’ ih zu mir, blind ift auch nicht übel, 
yo ätte meine Augen pingegeben, 

nippfügelcden, wer will, damit zu jpielen. 


Eve, 
Er ift nicht werth, der Böſ'wicht — 


Adam. 
Sie fol ſchweigen. 
Nupredt. 
Das Weitre wißt ihr. 
Adam. 
Wie, das Weitere ? 
Nupreät. 
Nun ja, Fran Marthe kam und geiferte, 
Und Kauf der Nachbar kam, und Su der Nachbar, 
Und Muhme Suf’ und Muhme Liefe Tamen, 
Und Knecht und Mägd’ und Hund’ und Katzen kamen; 
3 war ein Spektakel, und Frau Marthe fragte ü 
Die Jungfer dort, wer Dr en Krug zerjchlagen, 
Und die, die ſprach — ihr wißt's — Daß ich's gemefen. 
Mein Seel, fie hat fo Unrecht nicht, ihr Herren; 
Den Krug, den fie zu Waffer trug, zerichlug ich, 
Und der Flickſchuſter hat ım Kopf ein Koh. — — 


Adam. 
Frau Marthe! was entgegnet ihr der Rede? 
Sagt an! 
Frau Marthe. 
Was ich der Red' entgegene? 
Daß fie, Hers Richter, wie der Marder einbricht, 
Und Wahrheit wie ein gafelnd Huhn erwürgt. 
Was Recht liebt, follte zu den Keulen greifen, 
Um diefes Ungethüm der Nacht zu tilgen. 


Adam. 
Da wird fie den Beweis uns führen müfjen. 


149 


grau Marthe 
O ja, fehr gern. Hier ift mein Zeuge. — Rebe! 
Adam. 
Die Tochter? nein, Frau Marthe. 


Walter. 
. Nein? warum nicht? 


Adam, " 
Als Zeugin, gnäd’ger Herr? fteht im Geſetzbuch 
Nicht titulo — iſt's quarto oder quinto? 
Wenn Kriige oder IB was weiß ih? — 
Bon jungen Bengeln find ‚gerlälagen worden, 
Sp zeugen Töchter ihren Müttern nicht. 


Walter. 
In eurem Kopf liegt Wiffenfhaft und Irrthum V 


Geknetet, innig wie ein Teig, zuſammen; 

Mit jedem Schnitte gebt ihr mir von beidem. 

Die Jungfer zeugt nod) nicht, fie deflarirt jet; 

Ob, und für men, fie zeugen will und Tann, 

Wird erft aus der Erflärung fich ergeben. 
Adam, 

Ja, deflariten. Gut. Titulo sexto. 

Doc was fie jagt, das glaubt man nicht. 


Walter, 
Tritt vor, mein junges Kind. 
N Adam. 


Ä He! Lie? — erlaubt! 
Die Zunge wird fehr troden mir — Margrethe! 





Adıter Auftritt. 


Eine Mag tritt auf. Die Borigen. 


Adam. 
Ein Glas mit Wafler! — 


am. 
Kann ich euch gleichfalls — ? 
Walter. 
Ich danke. 


Adam. 
Franz? oder Moſ'ler? was ihr wollt. 
(Walter verneigt fih; die Magd bringt Waffer und entfernt fi.) 


ı 


150 


Neunter Auftritt. 


Walter, Adam, Grau han u. f. w. ohjne die Magd. 


— Wenn ic freimüthi sehen darf, Ihr Gnaden 
Die Sache eignet gut fi IE an Aa u | 


Sich zum Bergleih? das i f it Has, Herr Richter. 

Vernüunft'ge Leute können ſich vergleichen; 

209 wie ihr den Vergleih jchon wollt bewirken, 
Da noch durchaus die Sache nicht entworren, 

Das hätt’ ich wohl von euch, zu hören Luft. 

Wie denkt ihr’3 anzuftellen, jagt mir an? 

Habt ihr ein Urtheil ſchon gefaßt ? 


Adam, 
Wenn id, da das Gef St MET 
enn i a das Gejeß im Stich mich läßt 
Kbitofoppie zu Hilfe nehmen fol, 
So war's — der Leberecht — 
Walter. 
er 
Adam. Oder N 
er Ruprecht — 
Walter. prech 
Wer? 


Adam. 
Oder Lebrecht — F w eu zerſchlug. 


Wer alſo war's? der debed! Oder Ruprecht ? 
I greift, 1“ jeh’, mit eurem Urtheil ein, 


ie eine Han in einen Sad voll Erbfen. 
Adam, 
Erlaubt! 
Walter. 


Schweigt, ſchweigt, ich bitt' euch. 
Adam. 

Wie ihr wollt. 

Auf meine Ehr', mir wär's vollkommen recht, 

Wenn ſie es alle beid nen wären. 


Walter. 
Fragt dort, fo werdet ihr’s erfahren. 


151 
Adam, 
Sehr gern. — 
Doc wenn ins — bekommt, bin ich ein Schuft. — 
— Habt ihr das Protokoll da in Bereitſchaft? 
Licht. | 


Adam. 


Bollfonmen. 
Gut. 


Licht. 
Und brech' ein eignes Blatt mir, 
Begierig, was darauf zu ſtehen konimt. 
Adam. 
Ein eignes Blatt? auch gut. 
Walter. 
Sprich dort, mein Kind. 
Sprich, Enden, ‚Heft du, pri) jegt, Jungfer € 
rich, Evchen, Hörft du, jprich jeßt, Jungfer Evchen! 
Sieh Gotte, hörft du, Herzchen, gieb, ein Seel, ü 
Ihm und der Welt, gieb ihm mas von der Wahrheit. 
Denk, daß du hier vor Gottes Richtſtuhl bift, 
Und dag du deinen Richter nicht mit Läugnen 
Und Plappern, was zur Cache nicht gehört, 
Betrüben mußt. Ach was! du bift vernünftig. 
Ein Richter immer, weißt du, ift ein Richter, 
Und einer braucht ihn heut, und einer morgen. 
Sagſt du, daß e8 der Lebrecht war: nun gut; 
Und fagft du, daß es Ruprecht war: auch gut! 
Sprid fo, ar fo, ich bin fein ehrlicher Kerl, 
Es wird fich alles, wie du's wünfcheft, finden. 
Willſt du mir bier von einem andern trätjchen, 
Und dritten etwa, dumme Namen nennen —. 
Sieh, Kind, nimm dich in Acht, ich fag’ nichts weiter. 
In Huiſum, go der Henfer, glaubt dir's Feiner, 
Und feiner, Epochen, in den Niederlanden; 
Du weißt, die weißen Wände zeugen nicht, 
Der auch) wird zu bertheidigen I willen; . 
Und deinen Ruprecht holt die Schwerenoth ! 
Walter. 
Wenn ihr 2 eure Reden laffen wolltet. 
Geſchwätz, gehauen nicht und nicht geftochen. 
dam 
Verſtehen's Euer Gnaden nicht? 
Walter 
Macht fort! 
Ihr habt zulängft hier auf dem Stuhl gefproden. 


152 


Adam 
Auf Chr ih, habe nicht Audirt, Eu'r Gnaden. 
Bin ich euch m ans Utrecht ht nicht verftändlich, ' 
Mit diefem Bolf vielleicht verhält ſich's ander? 
Die Yungfer weiß, ich wette, mas ich will 
gran Marthe. 
Was fol das? dreift heraus jett mit der Sprache. 
Eve, 
O Tiebfte Mutter! 
dran Marthe 


Du —! ich rathe dir! 
Rup been! ß 
Mein Seel, 's iſt ſchwer, Frau Marthe, dreiſt zu ſprechen, 
Wenn das Gewiffen an der Kehl’ uns ſitzt. 
Adam, 
Schmeig’ er jetzt, Nasweis, muckſ' er nicht. [ 
Frau Marthe, 
Wer war's? 
Eve 
O Jeſus! 
Frau Marthe. 
Manlaffe, der! der nieberträchtige! 
O Jefus! als ob fie eine Hure wäre. 
War's der'Herr Jeſus? 


da 
Frau Marthe! Unvernunft! 
Was das für — laß fie die Jungfer doch gewähren! 
Das Kind einfhreden — Hure — Schafsgeficht! 
Sp wird’3 uns nichts. Ste wird fich fehon befinnen. 
Ruprecht. 
O ja, beſinnen. 


Adam. 
Flaps dort, ſchweig' er jetzt. 
Ruprecht. 
Der Flickſchuſter wird ihr ſchon einfallen. 
Adam. 
Der Satan! ruft den Büttel! he! Haufriede! 
Nupredt. 
um, nun! ich ſchweig', Herr Richter, laßt's nur fein; 


Sie wird euch ſchon auf meinen Namen fommen. 


Frau Marthe. 
Hör du, mad) mir hier fein Spektakel, ſag' ich. 


153 


n Ehren: funfzig möcht’ ich gern erleben; 
en dritten Februar ift mein Geburtstag; 
Heut ift der erfte. Mad es kurz. Wer war’3? 


In neun und vierzig bin ich alt geworden 


Adam. 
Out, meinethalben! gut, Frau Marthe Rull! 


grau Marthe. 
Der Bater ſprach, als er verfchied: Hör, Martbe, 
Dem Mädel ſchaff mir einen wadern Dann; 
Und wird fie eine liederliche Metze, 
So gieb dem Todtengräber einen Groſchen, 
Und laß mich wieder auf den Rüden legen: J 
Mein Seel, ich glaub', ich kehr' im Grab mich um. 


Adam. 
Nun, das iſt anch nicht übel. 


Frau Marthe. 

Willſt du Vater 
Und Mutter jetzt, mein Evchen, nad) den vierten 
Gebot hoch ehren. gut, fo fpridy: in meine Kammer 
Ließ ih den Saufter oder einen dritten, 
Hörſt du? der Bräut'gam aber war es nicht. 


Nupredt. 
Sie jammert mid. Laßt doch den Krug, ich bitt’ euch; 
Ich will'n nach Utrecht tragen. Solch ein Krug — 
Ich wollt’, ich hätt’ ihn nur entzwei gefchlagen. 


Eve, 

Unedelmüth’ger, du! pfui, ſchäme dich, 
Daß du Mi fagft, gut, ich zerfchlug den Krug! 
Pfui, Rupredt, pfui, o ſchäme dich, daß du 

ir nicht in meiner That vertrauen kannſt. 
Gab ich die Hand dir nicht, und fagte, ja, 
Als du mich fragteft, Eve, willft du mich ? 
Meinft du, daß du den Sudicufter nicht werth bift? 
Und bätteft du durch's Schlüffelloch mich mit 
Dem Lebrecht aus dem Kruge trinten fehen, 
Du bhätteft denken follen: Ev’ ift brav, 
E83 wird fich alles ihr zum Ruhme löfen, 
Und iſt's im Leben nicht, fo ift es jEnjeits, 
Und wenn wir auferftehn, ift auch ein Tag. 

Ruprecht. 

Mein Seel, das dauert mir zu, lange, Evchen; 
Was ich mit Händen greife, glaub’ ich gern. 


154 


Eve 

Geſetzt, es wär’ der Leberecht geweſen, 
Warum — des Todes will ich ewig ſterben, 
gi ich's Dir Einzige nicht gleich vertraut; 

edod warum vor Nachbarn, Knecht und Mägden — 
Geſetzt, ich hätte Grund, es zu verbergen, 
Warum, o Ruprecht, fprich, warum nicht ſollt' ich, 
Auf dein Vertraun hin fagen, daß du's warft? 
Darum nicht ſollt' ih’8? warum follt’ ich's nicht? 


Ruprecht. 
Ei, ſo zum Henker, ſag's, es iſt mir Recht, 
Wenn du die Fiedel dir erſparen kannſt. 


| Eve. 
D du Abſcheulicher! du Undankbarer! 
Werth, daß id) mir die Fiedel jpare! werth, 
Daß ich mit Einem Wort zu Ehren mich, 
Und dich in ewiges Berderben bringe. 


Walter. 
Nun — Und dies einz'ge Wort —?. Halt uns nicht auf — 
Der Ruprecht alfo war es nicht? 


Eve, 
‚Nein, gnäd’ger Herr, weil er's denn felbft jo will, 
Um feinetwillen nur ver jömieg In eg: 
Den irdnen Kru geſch ug der Ruprecht nicht, 
Wenn er's euch —* äugnet, könnt ihr's glauben. 
Frau Marthe. 
Eve! der Ruprecht nicht? 


e. 

Nein, Mutter, uein! 
Und wenn ich's geſtern ſagte, war's gelogen. 

Frau Marthe. 
Hör, dir zerſchlag' ich alle Knochen! 
(Sie ſetzt den Krug nieder.) 
Eve. 
Thut, was ihr wollt. 
Walter AQOrohend). 


Frau Marthe! 


Adam. 
He! der Büttel! — 
Schmeißt fie heraus dort, die verwünſchte Vettel! 
Warum jol’3 Ruprecht juft gerefen fein; 
Hat fie das Licht dabei gehalten, was ? 


155 


Die Jungfer, dene ich, wird es wiſſen müffen: 
Ich bin ein Schelm, wenn's nicht der Lebrecht war. 


Frau Marthe, 
War e8 der Lebrecht etwa? war’ der Lebrecht? 
Adam. 
Sprich, Evchen, war's der Lebrecht nicht, mein Herzchen? 


Eve. 
Cr Unverjhämter, ex! er Niederträcht’ger! 
Wie kann er fagen, daß es Lebrecht — 


Walter. 
Jungfer! 
Was unterſteht ſie ſich? iſt das mir der 
Reſpekt, den ſie dem Richter ſchuldig iſt? 


Eve. 

Ei, was! der Richter dort! werth, ſelbſt vor dem 
Gericht, ein armer Sünder, dazuſtehn — 
Er, der wohl beſſer weiß, wer es geweſen! 

(Sich zum Dorfrichter wendend.) 
dui er den Lebrecht in die Stadt nicht geftern 

efhidt nach Utrecht vor die Commiſſion, 

Mit dem Atteft, die die Rekruten aushebt? * 
Wie kann er ſagen, daß es Lebrecht war, 
Wenn er wohl weiß, daß der in Utrecht iſt? 


Adam. 
Nun wer denn fonft? wenn's Lebrecht nicht, zum Henker — 
Nicht Ruprecht iſt, nicht Lebrecht iſt — — Was maͤchſt du! 


Ruprecht. 
Mein Seel, Herr Richter Adam, laßt euch ſagen, 
Hierin mag doc) die Jungfer juft nicht lügen; 
em Xebrecht bin ich ſelbſt begegnet geitern, 
Als er nach Utreht ging, früh war's Glod act, . 
Und wenn er auf ein Fuhrwerk fich nicht lud, 
dot 20 der Kerl, Irummbeinig wie er ift, | 
lod zehn Uhr Nachts noch nicht zurück gehaspelt. 
Es Tann ein dritter wohl gewefen dein. 
Adam. 
Ah was! krummbeinig! Shafsgefiät! der Kerl 
Seht feinen Stiefel, der, trog Einenn. 
Ich will von ungefpaltnem Leibe fein, 
Wenn nicht ein Fk von mäß’ger Größe 
Muß feinen Trab gehn, mit ihm fortzufommen. 
Walter. 
Erzähl den Hergang uns. 


156 


Adam. 
Berzeih'n Eu'r Gnaden! 
Hierauf. wird euch die Jungfer jchwerlich dienen. 


‚.., ®elten 
Nicht dienen? mir nicht dienen? und warum nicht? 


. Adam, 
Ein twatjches Kind — ihr ſeht's — gut, aber twatjch, 
Dlutjung, gefirmelt faum; das (hät fi noch, ſch 
Wenn's einen Bart von weitem ſieht. So'n Volk, 
Im Finſtern leiden ſie's, und wenn es Tag wird, 
So läugnen ſie's vor ihrem Richter ab. 


Walter. 
Ihr ſeid ſehr nachſichtsvoll, Herr Richter Adam, 
Sehr mild in allem, was die Jungfer angeht. 


v 


Adam. 
Die Wahrheit euch zu ſagen, Herr Gerichtsrath, 
Ihr Vater war ein guter Freund von mir. 
Woll'n Euer Gnaden heute huldreich ſein, 
So thun wir hier nicht mehr als unſre Pflicht, 
Und 'laſſen feine Tochter gehn. 
& fpüce große Luft in mir, Herr Ri 

üre große Yuft in mir, Herr Richter, 
AI —*— völlig auf den Grund zu kommen. —. 
Sei dreiſt, mein Kind! ſag, wer den Krug zerſchlagen: 
Vor niemand ftehſt du in dem Augenblick, 
Der einen Fehltritt nicht verzeihen könnte. 


Evi. 

Mein lieber, würdiger und guäd’ger Herr, 
Erlaßt mir, euch den Hergang zu erzählen. 
Bon diefer Weigrung dentt uneben nidt; 
Es ift des Himmels wunderbare Fügnng, 
‚ Die mir den Mund in diefer Sache jchließt. 

Daß Ruprecht jenen Krug nicht traf, will ich 
Mit einem Eid, wenn ihr’3 verlangt, 


157 


Doch hier das Tribunal ift nicht der Dit, 
Wo fie das Recht hat, mid darnach zu fragen. 


Adam. 
Nein, Rechtens niht — auf meine Ehre nicht — 
Die Yungfer weiß, wo unfre Zäume hängen; 
Menn fie den Eid bier vor Gericht will ſchwören, 
So fällt der Mutter Klage weg: 

Dagegen ift nicht3 weiter einzuienden. 


Walter. 
Was fagt zu der Erklärung fle, Frau Marthe? 


Wenn ich gleich ———— niet fb | 
enn ich gleich was Erfledliches nicht aufbring’, 
Öeftrenger Herr, fo glaubt, id bitt' euch lebe 
Daß mir der Schlag bloß jeßt die ange lähmte, 
Beifpiele giebt's, I: ein verlorner Menſch, 

Um vor der Welt zu Ehren fi) zu bringen, - 
Den DMeineid vor dem Nichterflufte wagt; doc daß 
Ein falfcher Eid ſich ſchwören kann, auf heil'gem 
Altar, um an den Pranger hinzukommen, Ally. 
Das heut erfährt die Welt zum erften Mal. 

Mär, daß ein Andrer al3 der Ruprecht ſich 

In ihre Kammer geftern Piel gegründet, 

Wär’ überall nur möglich, gnäd’ger Herr, 

Berfteht mich wohl — fo fäumt' ich hier nicht länger. 
Den Stuhl jest’ ich, zur erſten Einrichtung, 

Ihr vor die Thür, und Ingte: geh, mein Sind, 

Die Welt ift weit, da ab ft du feine Miethe, 

Und lange Haare haft du auch geerbt, 

Woran du Dich, kommt Zeit, fommt Rath, kannt hängen. 


Walter. 
Ruhig, ruhig, Frau Marthe. 


Frau Marthe. 
Da ich jedoch 

gie den Beweis noch ander3 führen -Tann, 

[8 bloß durch fie, die biefen Dienft mir weigert, - 
Und überzeugt bin polig * nur er 
Mir, und kein Anderer den Krug zerſchlug, 
So bring: die Luft, es kurzhin abaufjhmören, 
Mich noch auf einen Shändlichen Verdacht. 
Die Naht von geftern birgt ein anderes 
en noch, als blog die Krugvermüftung. 
Ich muß euch Jagen, gnäd’ger Herr, dag Ruprecht 
gu Eonfcription gehört, in wenig Tagen 

oll er den Eid zur Fahn' in Utrecht Thiören; 





158 


Die jungen Landesſöhne reißen aus. > 

Gefeht, er hätte geftern Ran gelagt: 

Was meinft du, Evchen? fomm; die Welt ift groß; 

au Kiſt' und Kaften haft da ja die Schlüſſel — 
nd fie, fie hätt’ ein weni 1a geſperrt: 

So hätte ohngefähr, da id ie ftörte,- 

— Ber ihm aus Nach’, aus Liebe noch bei ihr — 

Der Reit, jo wie gefhehn, erfolgen können. 


Rnpreit. 
Das Rabenaas! was das für Neden find! 
Zu Kift und Kaften — 
- Balter, 
Still! 


be, 
Er, austreten! _ 
j Walter. 
gut Zach hier. Vom Krug iſt hier die Rede. — 
Beweis, Beweis, daß Ruprecht ihn zerbrach!, 
Frau Marthe. 

Gut, gnäd'ger Herr. Erſt will ich hier beweiſen, 
Daß Ruprecht mir den Krng zerſchlug, 
Und dann will ich im Hauſe unter ucen. — 
Seht: eine Zunge, die mir Zeugniß redet, 
Bring’ ich für jedes Wort auf, das er fagte, 
- Und hätt’ in Reihen gleich fie aufgeführt, 

Wenn ich von fern geahndet nur, daß diefe 
Die ihrige für mid) nicht brauchen würde, 
Doch wenn ihr Frau Brigitte jego ruft, 
Die ihm die Muhm’ ift, jo genitgt mir die, 
Weil die den Hauptpunft iufe beftreiten wird. 
Denn die, die hat Glod halb auf eilf im Garten, 
Merkt wohl, bevor der Krug zertrümmert worden, 
Wortwechſelnd mit der Ev’ ihm ſchon getroffen; 
Und wie die Fabel, die er anfgeftellt, 
Bom Kopf zu Fuß dadurch gejpalten mird, 
Durch diefe einz’ge ung? ihr —8 Richter, 
Das überlafſ' ich ſelbſt euch einzuſehn. 


| Ruprecht. 
Wer hat mich — preq 
Beit. 
Schweſter Briggy? 
Ruprecht. 
Mich mit Ev’? im Garten? 


159 


gran Marthe. 
Ihn mit der Ev’, im Garten, Glod halb eilf, 
Bevor er noch, wie er gefhwägt, um eilf 
Das Jinmer überrumpelnd eingelprengt 
Im Wortgewecfel, koſend bald, bald zerrend, 
Als wollt’ er fie zu etwas überreden. 


Adam (für fi). 
Verflucht! der Teufel ift mir gut. 
Walter. 
Schafft dieſe Frau herbei. 
Ruprecht. 
Jh Herrn, ich bitt’ euch: 
Das ift Fein wahres Wort, das ift nicht möglich. 


Adam. 
D wart, Halunke! — He! der Büttel! Hanfried! — 
Denn auf der Flucht zerichlagen fi die Krüge — 
Herr Schreiber, geht, ſchafft Frau Brigitt’ herbei! 


Beit. 
Hör, du verfluchter Schlingel du, was machſt du? 
ir brech' ich alle Knochen noch. ſ 
| Ruprecht. 
Weshalb auch? 


Beit. 

Warum verſchwiegſt du, daß du mit der Dirne 
Glock halb auf eilf im Garten ſchon ſcharwenzt? 
Warum verſchwiegſt du's ? 

Ruprecht. 

Warum ich's verſchwieg? 
Gott's Schlag und Donner, weil's nicht wahr iſi, Vater! 
Wenn das die Muhme Brigg zeugt, jo hängt mid). 
Und bei den Beinen fie meintba b dazu. \ 


Beit. 
Wenn aber ſie's bezeugt — nimm did) in Acht! 
Du und die faubre Jungfer Eve dort, 
Wie ihr au vor Gericht euch ftellt, ihr fedt 
Doch unter einer Dede noch. ’3 ift irgen 
Ein ſchändliches Geheimniß noch, von dem 
Sie weiß, und nur aus Schonung hier nichts fagt. 
Ruprecht. 
Geheimniß! welches? 
Beit. 
| Warum haft du eingepadt? 
He? warum haft dur geftern Abend eingepadt ? 


160 


Ruprecht. 
Die Sachen? ven 


Beit. 
Röde, Hofen, ja, und Wäſche; 

Ein Bündel, wie's ein Reifender juft auf 
Die Schultern wirft? 


Ruprecht. 
Weil ich nach Utrecht ſoll! 
Weil ich zum Regiment ſoll! Himmel⸗Donner — 
Glaubt er, daß ich — 
Bei 


t. 
Nach Utrecht? ja nach Utrecht! 
Du haſt geeilt, nach Utrecht hinzukommen! 
Vorgeſtern wußteſt du noch nicht, ob du 

Den fünften oder ſechſten Tag würdſt reiſen. 


Walter. 
Weiß er zur Sache was zu melden, Vater? 


Beit. 

— Geſtrenger Herr, ich will noch nichts behaupten. 
30 war daheim, als fi) der Krug zerichlug, 
. Und aud von einer andern Unternehmung 
geb ich, die Wahrheit zu geftehn, noch nichts, 
Denn ich jedweden Umfand wohl erwäge, 
Das meinen Sohn verdächtig macht, bemerft. 
Bon feiner Unfhuld völlig überzeugt, “ 
Kam id hieher, nah abgemachtem Streit 
Sein ehelich Verlöbniß aufzulöfen, 
Und ihm das, Si Wr Donna einzufordern, 
gufommt dem Schaupfennig, den er der Jungfer 

ei dem DBerlöbniß vor’gen Herbft verehrt. 
Wenn jet von Flucht mas, und Berrätherei 
An meinem grauen Haar zu Tage kommt, 
So ift mir das fo neu, ihr Herrn, als euch: 
Doch dann der Teufel ſoll den Hals ihm brechen. 


Walter. 
Schafft Frau Brigitt' herbei, Herr Richter Adam. 


Adam. 
— Wird Euer Gnaden dieſe Sache nicht 
Ermüden? ſie zieht ſich in die Länge. 
Eu'r Gnaden haben meine Kaſſen no 
Und die Regiftratur — Was ift die Olode? 


. Licht. 
Es ſchlug fo eben halb. 


161 


Adam, 
Auf eilf? 


Licht. 
Verzeiht, auf zwölfe. 
Walter. 
Gleichviel. 


Adam. 
Ich glaub', die Zeit iſt, oder ihr verrückt. 
(Er fießt nad der Uhr.) 
IH bin Fein ehrliher Dann. — Ja, was befehlt ihr? 
Walter. 
Ich bin der Meinung — 
d 


am, 

Abzuſchließen ? gut! — 
Walter. 

Erlaubt! id bin der Meinung, fortzufahren. 


Adam, 
hr feid der Meinung — au gut. Sonft wird’ i 
F Ehre, morgen fh, Ölot neun, die Sache 9 
Zu euerer Zufriedenheit beend’gen. 

Walter. 
hr wißt un meinen Willen. 

Adam, 

Wie ihr befehlt. 
ger Schreiber, ſchickt die Büttel ab; fie follen 
ogleich ins Amt die Frau Brigitte laden. 


alter. 
Und nehmt euch — Zeit, die mir viel werth, zu ſparen — 
Gefälligſt felbft der Sad’ ein wenig an. 
(Licht ad.) 





Zehnter Anftritt. 
Die Berigen ohne Lit. Gpäterhin Einige Mägde. 
Adams (aufftchend). 
znawilhen könnte man, wenn's jo gerällig, 
om Site fi ein wenig lüften — 
Walter, 
Hm! o ja. 
Mas ich fagen wollt! — 
Bibl. d. d. Nationalliteratur, Kleiſt. I. 11 


162 


Adam. 
Erlaubt ihr gleichfalls, 
Daß die Partein, bis Frau Brigitt’ erfcheint — 
Walter. 
Was? die Partein? 
Ada 


m. 
Ya, vor die Thür, wenn ihr — 
Walter (für fih). 
Verwünſcht! (ta) Herr Richter Adam, wißt ihr mag? 
Gebt ein Glas Wein mir in der Zwifchenzeit. 


Adam. 
Bon ganzem Herzen gern. He, Margarethe! 
hr mad mid) el. gnäd’ger Herr. — Margrethe! 
(Die Magd tritt auf.) 


S: Die Magb. 
ier. 
Adam. 
Was befehlt ihr? — Tretet ab, ihr Rente. 
Franz? — Auf den Borfaal draußen. — Oder Rhein? 
Walter. 


Bon unfern Rhein. 


Adam. 

Gut. — Bis ich rufe. Marie! 
Walter. 

Wohin ? 


Adam. 
Geh, vom verſiegelten, Margrethe. — 
Was? auf den Flur bloß draußen. — Hier. — Der Schlüſſel. 
‘ Walter. N 
Hm! bleibt. 
ort! marſch {ag Ich! — Geh, Margarete! 
ort! marſch, ſag' ih! — Geh, Margarethe! 
Und Butter, friſch geftampft, RäL auch aus Fimburg, 
Und von der fetten pommerſchen Räuchergans. 
Walter. 
Sal! einen Augenblid! macht nicht jo viel 
mitänd’, ich bitt’ euch fehr, Herr Richter. 
Adam. 


Schert 
Zum Tenfel euch, ſag' ich! Thu, wie ich fagte. — 
— —77 7valter. 
Schickt ihr die Leute fort, Herr Richter? 


163 
Abam. 
Walter, 


Euer Gnaben? 
Ob ihr —? 


Adam. 
Sie treten ab, wenn ihr erlaubt. 

Dloß ab, bis Frau Brigitt’ erfcheint. 
Wie, oder fol’8 nit etwa — 

Walter. 

Hm! wie ihr wollt. 

Doc ob’8 der Mühe ſich verlohnen wird? 
Meint ihr, dag es fo lange Zeit wird währen, 
Bis man im Ort fie teifptp ' 


in ’ 
’3 iſt heute Holztag, 
Geftrenger Herr. Die Weiber — 
Sind in den Fichten, Sträucher einzuſammeln. 
Es könnte leicht — 

Ruprecht. 

Die Muhme iſt zu Hauſe. 

Walter. 

Zu Haus. Laßt ſein. 


Ruprecht. 
Die wird ſogleich erſcheinen. 


Walter. 
Die wird und gleich erfcheinen. Schafft den Wein. 
Adam (für ſich). 
Berflucht! 
“ Maät fort! Dod niht8 zum Imbiß, Site ich 
acht fort! Doc nichts zum Imbiß, bitt’ ich 
Als ein Stüd trodnen Brodes nur und Salz. 
Adam (für fig). 
Zwei Augenblide mit der Dirn’ allein — 
(Laut) Ach trocknes Brod! was! Salz! geht doch! 
Walter. 
Gewiß. 


Adam, 
Ei, ein Stüd Käſ' aus Limburg — mindftens Käſe — 
Macht erft gefehidt die Zunge, Wein zu fchmeden. 


Walter. 
Gut. Ein Stüd Käfe denn, doch weiter nichts. 


Adam, 
So geh. Und weiß, von Damaft, aufgebedt we 


164 


Schlecht alles zwar, doch recht. \ 
(Die Magd ab.) 

Das ift der Bortheil 
Bon uns verrufnen hageftolgen Leuten, 
Daß wir, was Andre Inapp und kummervoll 
Mit Weib und Kindern täglich theilen müſſen, 
Mit einem Freunde zur gelegnen Stunde 
Bollauf genießen. 

Walter. 
Was ich ſagen wollte — 

Wie kamt ihr doch zu eurer Wund', Herr Richter? 
Das iſt ein böſes Loch, fürwahr, im Kopf das! 


Adam. 
— el — 
Sn Walter. 
Ihr fielt. Hm! So? Wann? geftern Abend ? 


Adam, 
ent, Glock halb ſechs, verzeiht, am Morgen früh 
% ih fo eben aus dem Be ftieg. ’ l 


Walter, 
Worüber? 


Adam. 
| Ueber — gnäd’ger Herr Gerichtärath, 
Die Mahrheit euch zu jagen, über mid; 
Ich ſchlug euch Häuptlings an dem Ofen nieder, 
Bis diefe Stunde weiß ich nicht warum? 

Walter. 
Bon hinten? 

Adam, 

Wie? von hinten — 
Valter 
Dder vorn? 

Ihr habt zmo Wunden, vorne ein’ und hinten. 


Adam. 
. Bon vorn und binten. — Margarethe! 
(Die beiden Mägde mit Wein n. ſ. w. Sie deden auf, und gehen wieder ab.) 
Walter. 
Mie? 


Adam. 
Erft fo, dann fo. Erſt auf die Ofenkante, 
Die vorn die Stirn mir einftieß, und fodann 
mom 56 rugparte Sn ben RE a 
o ich mir noch den Hinterkopf zerfchlug. (Ex fientt ein.) 
Iſt's euch —8 


165 


Walter (nimmt das Glas). 
Hättet ihr ein Weib, 
So wird’ ich wunderliche Dinge glauben, 
Herr Ridter. 
Abam, 


Wie fo? 
Walter. 


Ja, bei meiner Tren, 
So rings feh’ ich zerfrigt euch und zerfragt. 
Adam (laacht). 
Nein, Gott fei Dank! Fraunnägel find es nicht. 


Walter, Ä 
Glaub's. Auch ein Vortheil noch der Hageftolzen. 
Abam (fortlahend). 
Strauchwerk fiir Seidenwürmer, das man trodnend 
Mir an dem Ofenwinkel aufgejegt. — 
Auf euer Wohlergehn! (Sie teintn) . 
Walter. 
Und grad auch heut 
Noch die Perücke jeltfam einzubüßen | 
Die hätt’ euch eure Wunde noch bededt. 


Adam, 
Sa, ja. Jedwedes Uebel ift ein Zwilling. — 
Hier ai von dem fetten jegt — kann ich 2 
Walter, 


Ein Stüdchen. — 
Aus Limburg ? 


Adam. 
Rect' aus Limburg, gnäd’ger Herr. 


' Walter. 
— Wie Teufel aber, fagt mir, ging das zu? 
Adam. 
Was? 


Walter. 
Daß ihr die Perücke eingebüßt. 


Adam. 

a febt. Ich fi’ und Iefe geftern Abend 
in en — — weil Ich mie die Brille 
Derten „duck' ich fo tief mich in den Streit, 
Daß bei der Kerze Flamme lichterloh 
Mir die Perüde angeht. Sch, ich denke, 
Feu'r fällt vom Himmel auf mein fündig Haupt, 
Und greife fie, und will fie von mir werfen; 


166 


Doch eh ich noch das Nadenband gelöft, 
Brennt fie mie Sodom und Gomorrha ſchon; 
Kaum daß ich die drei Haare noch mir rette, 


Walter. 

Verwünſcht! und eure andr' iſt in der Stadt? 
Adam. 

Bei dem Perückenmacher. — Doch zur Sache. 
Walter. 

Nicht allzuraſch, ich bitt’, Herr Richter Adam. 


Adam, 
Ei, was! die Stunde rollt.—Ein Gläschen hier. 
(Er ſchenkt ein.) 
Walter. 
Der Lebrecht — wenn der Kauz dort wahr gefprodhen — 
Er auch hat einen böſen Fall gethan. 
Adam. 
Auf meine Chr’. (Er trintt.). 
Walter. 
Wenn hier die Sache, 
Wie ich faft fürchte, unentworren bleibt, 
So werdet ihr, an eurem Ort, den Thäter 
Leicht no aus feiner Wund’ entdeden können. «Cr trinkt.) 
Nierfteiner ? 
Adam. 


Was? 
Walter 
Dder guter Oppenheimer? 


Adam, 
Nierftein. Sieh da! auf Ehre! ihr verſteht's. 
Aus Nierftein, gnäd’ger Herr, als hätt’ ich ihn geholt. 


Walter, 
Ich prüft’ ihn vor drei Jahren an der Kelter. 
(Adam fchenkt wieder ein.) 
— Wie hoch ift euer Fenſter — dort! Frau Marthe? 
gran Marthe, 
Mein Fenſter? 
Walter. 


Das Fenfter jener Kammer ja, 
Worin die Zungfer ſchläft? 
gran Marthe. 
Die Kanımer ziwar 
Iſt nur vom erften Stod, ein Keller drunter, 


167 


Mehr als neun Fuß das Yenfter nicht vom Boden; 
Jedoch die ganze, une © 
Gelegenheit ſehr unge Ka zum Springen 
Denn auf ziel Fuß fteht von v hi and ein Weinftod, 
Der — ten Aeſte rankend 
ein Spalier treibt, längs vn anzen Wand: 
Das Fenſter ſelbſt iſt noch davon uni t. 
Es würd’ ein Eber, ein gemaffneter, 
Müh’ mit den Fängern haben, durchzubrechen. 


Adam. 
Es hing auch Feiner drin. (Er ſchentt ſich ein.) 
Walter. 
Meint ihr? 
Adam, 


Ad geht! (Cr trintt.) 


alter (u Rupredt). 
Wie traf er denn den Sunder? auf den Kopf? 


Si Adam, 
ier. 
Laß Walter. 
aßt. 


Adam. 
Gebt her. 
Walter. 
’3 iſt halb noch voll. 


Adam. 


Will's füllen. 


Ihr Hört Walter, 
r 8. 
Adam. 
Ei, für die gute Zahl. 
Walter. 
Ich bitt' euch. 


Adam. 

Ah was! nach der Pythagoräer- Regel. (Cr ſchenkt ihm ein.) 
Walter (wieder zu Ruprecht). 

Wie oft traf er dem Bine denn den Kopf 


Eins ift der Ed zwei ift as finfire Chaos; 
Drei ift die Welt — drei Gläfer Lob’ ich mir; 
Im dritten trinkt man mit den Tropfen Sonnen, 
Und Firmamente mit den übrigen. 


S 


168 


Walter. 
Wie oftmals in den Kopf traf er den Sünder ? 
Er, Ruprecht, ihn dort frag’ ich! 


Adam. 
Wird man’s hören? 
Wie oft trafft du den Sündenbod? Na, heraus! 
Gott's Blig, feht, weiß der Kerl wohl felbit, ob er — 
Vergaß'ſt du's? 


Ruprecht. 
Mit der ter 


Adam. 
Ya, was weiß id). 
Walter. 
Vom Fenfter, als er nach ihm berunter bieb? 
Ruprecht. 
Zweimal, ihr Herrn. 
Adam. 
Halunke! das behielt er! Er trinkt) 
Hweimall er konnr ihn mit gmei Tolen Hieb 
weimal! er konnt' ihn wei ſolchen Hieben 
Erfchlagen, weiß er —? ’ 
| —— 
"ich ihn agen, 
So hätt’ ich ihn — e8 wär’ mir grade re n 


Läg' er hier vor mir, todt, fo könnt’ He agen, 
Der war's, ihr Herrn, ih hab’ euch nicht belogen. 


Adam. 
Ja, todt! das glaub’ ih. Über jo — (Gr fgentt ein.) 
Walter. 
Konnt’ er ihn denn im Dunkeln nicht erkennen? 
Ruprecht. 
Nicht einen Stich, geſtrenger Herr. Wie ſollt' ich? 
Adam. | 
Warum fperrtft du nicht die Augen auf — Stoßt an! 
Ruprecht. 
Die Angen auf! i hatt' ſie aufgeſperrt — 


Der Satan warf fie mir voll Sand. 


Adam (in den Bart). 
Bol Sand, jal 

Warum fperrift du deine großen Augen auf. 
— Hier. : Was wir lieben, gnäd’ger Herr! ftoßt an! 


169 


Walter. 
— Was recht und gut und treu iſt, Richter Adam! 
(Sie trinken.) 


Adam, 
Nun denn, zum Schluß jest, wenn's gefällig iſt. 
(Er fhentt ein.) 
Walter, 
br feid zuweilen bei Frau Marthe wohl, 
err Richter Adam, Sagt mir doch, 
er, außer Ruprecht, geht dort aus und ein, 


Adam, 
Nicht allzuoft, geftrenger Herr, verzeißt. 
Wer aus un kan ich euch nicht jagen. 
Balter. 
Wie? folltet ihr die Wittwe nicht zuweilen 
Bon eurem fel’gen Freund befuchen ? 


Adam, 
Nein, in der That, fehr felten nur. 
Walter, 
Frau Martbe! 
gebt ihr's mit Richter Adam hier verdorben ? 
jagt, er fpräche nicht mehr bei end) ein? 
gran Marthe. 
Er gnäd’ger Herr, verdorben? das juft nicht. 
& den, er nennt mein guter Freund ſich noch; 
Doch daß ich oft in meinem Haus ihn fähe, 
Das vom Herrn Vetter kann ich juft nicht rühmen. 
Neun Wochen find’S, daß er's zulett betrat, 
Und aud nur da noch im Vorübergehn. 


Walter. 
Wie ſagt ihr? 
Frau Mart he. 
Was? 
Walter. 
Neun Wochen wären'8? 
Fran Marthe. 
Neun, 
Ya — Donnerftag find’8 zehn. Er bat fih Samen 
elf 


Bei mir, von en und Aurikeln aus, 
Walter, 
Und — Sonntags — wenn er auf das Vorwerk geht — ? 
gran Marthe 
3a, da — da gudt er mir in's Fenſter wohl, 


170 


Und faget guten Tag zu mir und meiner Tochter; 
Doch dann fo geht er wieder feiner Wege. 
| folk ich auch d Manne wahl“ fi). Ihh glaub 
m! ſollt' ich auch dem Manne wohl — (Er trinkt.) aubte, 
Weil (br die Jungfer Muhme dort zuweilen 3 
3 eurer verrtbichaft braucht, jo würdet ihr 
u Dank die Mutter dann und wann befuchen. 


Adam, 
Wie fo, geftrenger Herr? 
Walter. 
Wie jo? Ihr fagtet, 
Die Jungfer helfe euren Hühnern auf, 
Die euch im Hof erkranken. Hat fie nicht 
Noch heut in diefer Sad’ euch Rath ertheilt? 
Frau Marthe. 
Ya, allerdings, geftrenger Herr, das thut fie. 
Borgeftern Shift er ihr ein krankes Perlhuhn 
In's Haus, das fon den Tod im Leibe hatte, 
Vor'm Jahre rettete fie ihm eins vom Pips, 
Und dies auch wird fie mit der Nudel heilen: 
Jedoch zum Dank ift er noch nicht erfchienen. 
Walter (verwirt). 
— Schenkt ein, Herr Richter Adam, feid fo gut. 
Schenkt gleih mir ein. Wir wollen eins nod trinken. 


Adam, 
Bu eurem Dienft. Ihr macht mich glüdlich. Hier. (Er ſchenkt ein.) 


Walter, 
Auf euer Wohlergehn!|Der Richter Adam, 
Er wird früh oder ſpät ſchon kommen. 
grau Marthe, 
Meint ihr? ich zweifle. 
Könnt’ ich Nierfleiner, ſolchen, wie ihr trinkt, 
Und wie mein felger Dann, der Caſtellan, 
Wohl auch, von Zeit zu Zeit, im Keller hatte, 
Bor eye em Herrn Better, wär's mas anders: 
Doc ſo befiß’ ich nichts, ich arme Wittwe, 
San e, das ihn lodt. 
Walter. 


In meinem 


Um jo viel beffer. 


171 


Eilfter Anfteitt. 


Sicht, Gran Brigitte mit einer Perüde in der Hand. Die Mägde. Die Berigen. 
Licht. 
Hier, Frau Brigitte, herein. 
Walter. 
Iſt das die Frau, Herr Schreiber Licht? 
Licht. 
Das iſt die Frau Brigitte, Euer Gnaden. 


Walter. 
Nun denn, ſo laßt die Sach' uns jetzt beſchließen. 
Nehmt ab, ihr Mägde. Hier. (Die Mägde mit Gläſern u. f. w. ab.) 
Adam (während deflen). 
Nun, Evchen, höre, 
Dreh du mir deine Pille ordentlich, 
Wie ſich's gehört, fo ſprech' ich heute Abend , 
Auf ein Gericht Karaufhen bet euch ein Aararn 
Dem Luder muß fie ganz jet durch die Gurgel, 
ft fie zu groß, jo mag’3 den Tod dran freflen. 
Walter 
(exblidt die Berüde). 
Was bringt und Frau Brigitte dort für eine 
Perücke? 
Licht. 


Gnäd'ger Herr? 
Walter. 
Was jene Frau uns dort für eine 


Licht. 


Walter. 
Was? 
Licht. 
Verzeiht — 
Walter. 
Werd' ich's erfahren? R 
icht. 


Wenn Eu'r Gnaden gütigft 
Die Frau durch den Herrn Richter fragen wollen, 
So wird, wem die Perüde angehört, 
Sich, und das Weitre, zmweifl’ ich nicht, ergeben. 


Perüde bringt? 


Hm! 


Walter, 
— Ich will nicht wiffen, went fie angehört, 


172 


Wie kam die Fran dazu? wo fand fie fie? 
Licht. 
Die Frau jend die Perüde im Spalier 
Dei Frau Margretde Null. Sie hing gejpießt, 
Gleich einem Neft, im SKreuzgeflecht des Weinſtocks, 
Dit unter'm Yenfter, wo die Jungfer fchläft. 
grau Marthe 
Was? bei mir? im Spalier? 
Walter ( zeimlich). 
Herr Richter Adam, 
gabt ihr mir etwas zu vertraun, 
o bitt' ih um die * des Gerichtes, 
Ihr ſeid fo gut, und ſagt mirs an. 


96 0 Adam. 
euch — 
9 Walter. 
Nicht? Habt ihr nicht? 
Abam, 
Auf meine Ehre — 
(Er ergreift die PBerlide.) 


Walter. 
Hier die Perücke iſt die eure nicht? 


Adam. 
gier die Beh ihr Herren, ift die meine! 
as ift, Blig-Element, die nämliche, 
Die ih dem Burfchen vor acht Tagen gab, 
Nach Utrecht fie zum Meifter Mehl zu bringen. 
Walter. 
Wem? was? 


Licht, 
Dem Ruprecht? 
Ruprecht. 
es 


Adam. Hab' ich ihm Sclingel 
ab’ ich ihm ingel, 
ALS er nach Utrecht vor acht Tagen ging, ’ 
Nicht die Perüd’ hier anvertraut, fie zum 
Friſeur, daß er fie renovire, binzutragen ? 
Ruprecht. 
Ob er —! Nun ja. Er gab mir — 


173 


Nicht die Perüd’, Halunfe, abgegeben? 
Warum nicht hat er fie, wie ib befohlen, 
Beim Meifter ın der Werkſtatt abgegeben ? 
Ruprecht. 
Warum Ai! fie —? Gott's Himmel-Donner — Schlag! 
39 hab’ e in der Berta abgegeben. 
eifter Mehl nahm fie — 
Adam, 
Sie — 
Und jet aängt fie im Zoeinfpalier bei Marthens ? 
O wart, Canaille! fo entlommft du nich 
Dahinter ftedt mir von ee 
Und Meuterei, was weiß ich ollt ihr erlauben, 
Daß ich ſogleich die Frau nur inquirire? 


Walter.. 
Ihr hättet die Perücke — 


Adam. 
Burſche dort net N 
jener e dort vergan nen ie 
Na Utrecht Air mit ins, aters O cafe 
Kam er in's Amt, und ſprach: der Richter Adam, 
Ich ig im Städtlein etwas zu beftellen ? 
ein Sohn, fag’ ih, wenn du I gut willt fein, 

So laß mir die Beriid’ bier auftoupiren — 
Nicht aber jagt’ ich i ihm, geh und bewahre 
Gie bei dir auf, verfappe dich darin, 
Und laß fie im Spalier bei Marthens hängen. 


gran Brigitte, 
ar Herrn, ber Ruprecht, mein’ ich, halt zu Gnaden, 
er war's wohl nidt. Denn da i „gefern Nacht 
Hinaue auf's Vorwerk geh', zu meiner Muhme, 
ie ſchwer im Kindbett liegt, hört' ich die ungfer 
Gedämpft im Garten hinten jemand chelten: 
4 eint und Haas die Stimme ihr zu rauben. 
äm’ er h er Niederträdti Age 
Kant macht er? fort! ich werd’ die Mutter rufen; 
Als ob vr Spanier im Lande mären. 
Drauf: Eve! durch den Zaun hin: Eve! ruf’ ich, 
Mas haft du? was auch giebt's? — Und ſtill wird es: 
Nun? wirft du antworten? — Was wollt ihr, ER — 
Was haft du vor? frag’ ich — Was werd: ich haben? 
ft e8 der —8 — Ei fo ja &; ber Rupre . 
Geht euren Peg dom nur. — So koch' dir 
Das liebt ſich, en? ih, wie ſich and zanten, 


174 


ran Marthe, 
Mithin —? 
Ruprecht. 


Mithin —? 
Walter. 
Schweigt! laßt die Frau vollenden. 
Frau Brigitte. 
Da ich vom Vorwerk nun zurückekehre 
ur Zeit der Mitternacht etwa, und juſt, 
m Lindengang, bei Marthens Garten bin, 
uſcht euch ein Kerl bei mir vorbei, Tahlköpfig, 
it einem Pferdefuß, und hinter ihm 
Erftintt'8 wie Dampf von Pech und Haar und Schwefel. 
Ich ſprech' ein: Gott ſei bet uns! aus, und drehe 
Entfegenspoll mich um, und feh’, mein Seel, 
Die Glatz', ihr Herren, im Verſchwinden noch, 
Wie faules Holz, den Lindengang durchleuchten. 
Ruprecht. 
Was! Himmel — Tauſend —! 
Frau Marthe. 
Iſt ſie toll, Frau Briggy? 
| Ruprecht. 
Der Teufel, meint ſie, wär's — 
Licht. 
Still! ſtill! 
Frau Brigitte. 


Ich weiß, was ich geſehen und gerochen. 
Walter (ungeduldig). 
rau, ob's der Teufel war, will ich nicht unterfuchen, 
hn aber, ihn denunciirt man nicht. 
ann fie von einem andern melden, gut: 
Doch mit dem Sünder da verſchont % ung, 


Mein Seel! 


Licht. 
Woll'n Euer Gnaden ſie vollenden laſſen. 
Walter. 
Blödſinnig Volk, das! 
Frau Brigitte. 
. Gut, wie ihr befehlt. 

Doch der Herr Schreiber Licht ſind mir ein Zeuge. 

Walter. 
Wie? ihr ein Zeuge? 


175 


Licht. 
Gewiſſermaßen, ja. 
Walter. 
‘ Fürmahr, ich weiß nicht — 


is: ganz fubmig, 
Die Frau in dem Berichte nicht zu ftören. 

Daß e8 der Teufel war, behaupt’ id nicht; 
—X mit Plerde ß und kahler —— 

Und hinten Dampf, wenn ich nicht ſehr mich irre, 
Sat feine völl’ge Richtigkeit! — 3 


Frau Brigitte, 
Da ih nun mit Erftaunen heut vernehnte, 
Was bei Frau Marthe Rull gefchehn, und ich, 
Den Krugzertrümmrer auszufpioniren, 
Der mir zu Nacht begegnet am Spalier, 
Den Flop, wo er gelprungen, unterſuche, 
Find ih im Schnee, ihr. Deren, eu eine Spur — 
Was find’ ich euch fur eine Spur im Schnee? 
Rechts fein und —7 und nett gekantet immer 
Ein ordentlicher Menſchenfuß, 
Und links unförmig grobhin eingetölpelt 
Ein ungeheurer klotz'ger Pferdefüß. 


Walter (ärgerlid). 
Geſchwätz, wahnfinniges, verdammenswürd’geg — 


rt fort! 


Beit. 
Es iſt nicht möglich, Frau! 
Fran Brigitte, 
Er Svaliern d d Da meiner — 
am Spalier, da, wo der Sprung geſchehen, 
Seht, einen weiten, ſchneezerwühlten eie 
Als ob ih eine Sau darin gewälgt; 
Und Menfhenfuß und Pierbefuß von bier 
Und Menfhenfuß und Pfer dub, nk enſchenfuß und 


Quer durch den Garten, bie F alle Welt. 


Ver Nut‘ — ich der Selm vielleicht erlaubt, 
Beh appt des Fam! At — ’ 
Hanse t. 
Has! ich! 
Lit, 


Schweigt! ſchweigt! 


176 


Fran Brigitte, 
Wer einen Dachs ſucht, und die Fährt’ entdedt, 
Der Waidmann, triumphirt nicht fo, als id. 
ger Schreiber Licht, Iog ic, denn eben ſeh' ich, 
on euch gejchidt, den Würd’gen zu mir treten, 
gen Schreiber Licht, ſpart eure Seffion, 
en Krugzertrümmrer judicirt ihr nicht, 
Der fit nicht fehlechter euch, als in der Hölle; 
Hier ift die Spur, die er gegangen ift. . 
Walter. 
So habt ihr felbft euch überzeugt? 
Lit. 
Eu'r Gnaden, 
Mit dieſer Spur hat's völl'ge Richtigkeit. 


Walter. 
Ein Pferdefuß? 
Licht. 
Fuß eines Menſchen, bitte, 
Doch praetor propter wie ein Pferdehuf. 


Adam. 
Mein Seel, ihr Herrn, die Sache ſcheint mir ernſthaft. 
Man hat viel beißend abgefaßte Schriften, 
Die, daß ein Gott fei, nicht geftehen wollen ; 
edod den Teufel bat, jo viel ich weiß, 

ein ipeilt noch bündig wegbewieſen. 
Der Fall, der vorliegt, Teint befonderer 
Erörtrung wert. Ich trage darauf an, 
Bevor wir ein Konclufum Taffen 
Sm Haag bei der Synode anzufragen, 
Db das Gericht befugt fei, anzunehmen, 
Daß Belzebub den Krug zerbrochen hat. 

Walter. 

Ein Antrag, wie ich ihn von euch erwartet. 
Was wohl meint ihr, Herr Schreiber ? 


Lit. 
Eu’r Gnaden werden 
zict die Synode brandien, um zu urtheil'n. 
Bollendet — mit Erlau N — den Bericht, 


br Frau Brigitte, dort; jo wird der Ya 
Yus der Verbindung, hoff ih, Har eonfiren. 
ran Brigitte 
Hierauf: Herr Schreiber Licht, jag’ i laßt uns 
ie Spur ein wenig doch verfolgen, ſehn, 
Wohin der Teufel wohl entwiſcht mag ſein. 


177 


Gut, fagt er, Frau Brigitt’, ein guter Einfall; 
Bielleiht gehn wir ung nicht weit um, 
Wenn wir zum Herrn Dorfrichter Adam gehn. 
Walter, 
Nun? und jeßt fand ſich —? 
Fran Brigitte 
uerſt jett finden wir 
Jenſeit des Gartens, in dem Lindengange, 
Den Plag, wo Schwefeldämpfe von ſich laſſend 
Der Teufel bei mir angeprellt: ein Kreis, 
Wie ſcheu ein Hund etwa zur Seite weicht, 
Wenn ſich die Kate pruftend vor ihm fegt. 
Walter. 
Drauf weiter? 
Fran Brigitte, 
Nicht weit davon jetzt fteht ein Denkmal feiner, 
An einem Baum, daß ich davor erfchrede. 
Walter. 
Ein Denkmal? wie? 
grau Brigitte. 
Wie? ja, da werdet ihr — 
Adam (für ſich. 
Berfluht, mein Unterleib. 
Licht. 
Borüber, bitte, 
Borüber hier, ich bitte, Frau Brigitte. 
Walter. 
Wohin die Spur euch) führte, will id) wiffen! 
Fran Brigitte, 
Wohin? mein Treu, den nächſten Weg zu eud, 
Juſt wie Herr Schreiber Licht gejagt. 
2 hierher? Walter 
u ung? hierher: 
8 Frau Brigitte. 
Vom Lindengange, ja, 
Auf's Schulzenfeld, den Karpfenteich entlang, 
Den Steg, quer über'n Gottesader dann, 
Hier, ſag' ich, her, zum Herrn Dorfrichter Adam. 
Walter, 
Zum Herren Dorfrichter Adam? 
Adam. 
Hier zu mir? 
Bibl. d. d. Rationalliteratur. Kleiſt. 1. 


178 


Yran Brigitte 

Zu eud, ja. 
Ruprecht. 

Wird doch der Teufel nicht 
In dem Gerichtshof wohnen? 

Frau Brigitte, 

Mein Treu, ich weiß nicht, 

Ob er in diefem Haufe wohnt; doch hier, 
Ich bin nicht ehrlich, ift er abgeftiegen: 
Die Spur geht hinten ein bis an die Schwelle. J 


Adam. 
Soüt’ er vielleicht hier durchpaffirt —? 
gran Brigitte 
a, oder durchpaſſirt. Kann fein. Auch das. 
Die Spur vornaus — 
Walter. 


Mar eine Spur vornaus? 


Licht. 
Vornaus, verzeihn Eu'r Gnaden, keine Spur. 
Frau Brigitte. 
Ja, vornaus war der Weg zertreten. 


Adam. 
ertreten. Durchpaſſirt. Ich bin ein Schuft, 
ger Kerl, paßt auf, bat den Geſetzen be 
Was angehängt. Ich will nicht ehrlich fern, 
Wenn es nic! ftinft in der Regiftratur. 
Wenn meine Rechnungen, wie i& nicht zweifle, 
Berwirrt befunden werden follten, 
Auf meine Ehr’, ich ftehe für nichts ein. 
Ja auch nid Hm! ich weiß nicht, war's ber finf 
auch nicht. (Für fi) Hm! ich weiß nicht, war's der linte, 
War e8 der rechte? feiner Füße einer 3 
Herr Richter! eure Doſe! — ſeid fo gefällig. 
Adam, 
Die Dofe? 
Walter, 
Die Dofe. Gebt! hier! 
Adam (u Lit). 
Bringt dem Herrn Gerichtsrath. 


Walter. 
Wozu die Umftänd’? einen Schritt gebraucht's. 


Adam. 
Es ift ſchon abgemadt. Gebt. Seiner Gnaden. 


179 


Walter, 
Ich hätt’ euch was in's Ohr gejagt. 


Adam. 
Vielleicht, dag wir nachher Gelegenheit — 
Walter. 
" Auch gut. 
(Nachdem fich Licht wieder gefekt.) 
Sagt do, ihr Herrn, ift Jemand hier im Orte, 
Der mißgefchaffne Füße hat? 


Licht. 
Hm! allerdings iſt Jemand hier in Huiſum — 
| Walter. 
So? wer? 


Licht. 
MWol’n Euer Gnaden den Herrn Richter fragen — 


Walter. 
Den Herrn Richter Adam ? 


Adam. 
Ich weiß von nichts, 
gehn Sabre bin ich bier im Amt zu Huifum, 
o viel ich weiß, ift Alles grad gewachſen. 
Walter (u Licht). 
Nun? men hier meint ihr? 
gran Marthe. 
Laß er doch feine Füße draußen! 
Was ftedt er unter'n Tiſch verftört fie hin, 
Daß man faft meint, er wär die Spur gegangen, 
Walter, 
Wer? der Herr Richter Adam? 


Adam, 
Ich? die Epur? 
Bin ich der Teufel? Iſt das ein Pferdefuß? 
(Er zeigt feinen linken Fuß.) 
Walter. 
Auf meine Ehr'. Der Fuß iſt gut. 
GSeimlich. 
Macht jetzt mit der Seſſion ſogleich ein Ende. 


Adam. 
Ein Fuß, wenn den der Teufel hätt', 
So könnt' er auf die Bälle gehn und tanzen. 


Frau Marthe. 
Das ſag' ich auch. Wo wird der Herr Doririchter, — 


180 * 


Adam. 
Ach, was! ih! 


Walter. 
Macht, fag’ ich, gleich ein Ende. 
Fran Brigitte, 
Den einz’gen Sfrupel nur, ihr würd’gen Herrn, 
Macht, dünft mich, dieſer feierlihe Schmud! 
Adam. 
Was für ein feierlicher — ? 
Fran Brigitte. 
Hier, die Perücke! 
Wer fah den Teufel je in folder Tracht? 
Ein Bau, geibirmiter, ftrogender von Talg, 
ALS eines Domdechanten auf der Kanzel! 


Adam, 
Wir willen hier zu Land nur unvolllommen, 
Was in der Hölle Mod’ ift, Frau Brigitte! 
Man jagt, gem ähnlich trägt er eignes Haar. 
Doch auf der Erde, bin 4 überzeugt, 
Wirft er in die Perücke ſich, um ſeh 
Den Honoratioren beizumiſchen. 
Walter. 
Nichtswürd'ger! werth, vor allem Volk ihn ſchmachvoll 
Vom Tribunal zu jagen! was ie ſchützt, 
Iſt einzig nur die Ehre des Gerichts. 
Schließt eure Seſſion! 


N Adam. 
Ich will nicht hoffen — 
Walter. 
Ihr Hofft jet nichts. Ihr zieht euch aus der Sache. 


Adam, 
Glaubt ihr, ich hätte, ich, der Richter, geftern 
Im Weinftod die Perüde eingebüßt ? 
Walter. 
Behüte Gott! die ewr ift ja im Feuer, 
Wie Sodom und Öomorrha, aufgegangen. 


Licht. 
Vielmehr — vergebt mir, gnäd'ger Herr! die Katze 
Hat geſtern in die ſeinige gejungt. 


Adam. 
Ihr Herrn, wenn hier der Anſchein mich verdammt: 
Ihr übereilt euch nicht, bitt' ich. Es gilt 

ir Ehre oder Proftitution. 





181 


So lan die Jungfer ſchweigt, TECH ich nicht, 

Mit we gem Recht ihr mich beſch uld 

Bier auf dem Richtſtuhl von Sum Mr ich, 
nd lege die Perüde auf den Tiſch: 

Den, der behauptet, daß fie mein gehört, 

Fordr' ich vor's — —— in tredht. 


Licht. 
gm die Perlide paßt euch doch, mein Seel, 
18 wär’ auf euren Scheiteln fie gewachſen. 
(Er fett fie ihm auf.) 
Adam, 


Berläumdung! 
Licht. 


Nicht? 


Als Mantel um die Schultern 
Mir noch zu weit, wie viel mehr um den Kopf. 
(Er De fi im Spiegel.) 
—A cht. 
Ei, ſolch ein Donnerwetter-Kerl! 


Walter. 
Still, er! 


au Marthe. 
Ei, ſolch ein ——— naher das! 


Nod einmal, wollt ihr gleich, eo id) die Sache enden? 
Adam, 
‘a, was befehlt ihr? 
" Ruprecht (m Eve). 


Eve, rei, i er's? 
Was unterſteht der Unperfejämte ch? 


Beit, 
Schweig du, fag’ id. 
Adam, 
Wart, Beftie! dich faſſ' ich. 
' Ruprecht. 
Ei, du Blitz-Pferdefuß! 
alter. 
Heda! der Büttel! 


Beit, 
Halt's Maul, ſag' ich. 


182 
Ruprecht. 


precht 
Wart! heute reich' ich dich. 
Heut ſtreuſt du keinen Sand mir in die Augen. 


Walter. 
Habt ihr nicht jo viel Wis, Herr Richter — ? 
Adam, 
Ja, wenn Eu’r Gnaden 
‚Erlauben, fäll' ich jeßo die Centenz. 
Walter, 
Gut. Thut das. Fällt fie. 
Adam. 
| Die Sache jest conftirt, 
Und Ruprecht dort, der Rader, ift der Thäter. 
Walter. 
Auch gut das, Weiter! 
4A 


dam, 
Den Hals erkenn' ich 
In's Eifen ihm, und weil er ungebührlich 
Sich gegen feinen Nichter hat betragen, 
Schmeiß' ich ihn in’3 nergitterte Gelängnif, 
Wie lange, werd’ ich noch beftinnen. 
| Eve. 
Den Ruprecht — ? 


Ruprecht. 
In's Gefängniß mich? 
Eve. 
In's Eiſen? 
Walter. 
Spart eure Sorgen, Kinder — Seid ihr fertig? 


Adam. 
Den Krug meinthalb mag er erſetzen oder nicht. 
Walter. 
Gut denn. Geſchloſſen iſt die Seſſion. 
Und Ruprecht appellirt an die Inſtanz zu Utrecht. 


Eve. 
Er ſoll, er, erſt nach Utrecht appelliren? 
Ruprecht. 
Was? ich — 
Walter. J 
Zum Henker, ja! Und bis dahin — 


Eve. 
Und bis dahin — ? 


183 


Rupseät. 
In das Gefängniß gehn? 


Eve. 
Den Hals in’3 Eifen fteden? Seid ihr auch Richter ? 
Er dort, der Unverſchämte, der dort ſitzt, 
Er felber war's — 


Du & — Teufel! f 
u hörſt's, zum Teufel! fehweig! 
Ihm bis dahin krümmt ſich fein Haar — chweig 


Eve. 
Auf, Ruprecht! 
Der Richter Adam hat den Krug zerbrochen! 
Ruprecht. 


Ei, wart du! 


Frau Marthe. 
Er? 


Frau Brigitte. 
Der dort? 


Eve, , 
Er, ja! anf, Ruprecht! 
Er war bei deiner Eve geftern! prech 
Auf! faß ihn! ſchmeiß ihn jetzo, wie du willſt. 
Walter (ſeht auf). 
Halt dort! wer hier Unordnungen — 


Eve 
Gleichviel! 
Das Eiſen iſt verdient, geh, Ruprecht! 
Geh, ſchmeiß ihn von dem Tribunal herunter. 


In Adam. 
Berzeiht, ihr Herrn. (Läuft weg.) 


Eve, 
Hier! auf! 
Ruprecht. 
Halt ihn! 
Eve. 


Adam. 
Ruprecht. 


Geſchwind! 
Was? 
Blitz-Hinketeufel! 
Eve. 
Haſt du ihn? 


184 
Nup 


recht. 
Gott's Schlag und Wetter! 
Es iſt ſein Mantel bloß! 
Walter. 
Fort! ruft den Büttel! 
Ruprecht (ſchlagt den Mantel). 
Ratz! das iſt eins. Und Ratz! Und Ratz! noch eins. 
Und noch eins! in Ermangelung des Buckels. 
E Menſch! — h Ordnung! 
r ungezogner Menſch! — afft Hier mir Ordnung! 
— An om. wenn er fogleidy nicht ruhig ift, g 
Ihm wird der Spruch vom Eiſen heut woch wahr. 


Beit. 
Sei ruhig, du vertrackter Schlingel! 


Zwölfter Auftritt. 
Die Borigen ohne Adam. — Sie begeben ſich alle in den Bordergrund der Bühne. 
Ruprecht. 

Ei, Evchen! 
Wie hab' ich heute ſchändlich dich beleidigt! 
Ei Gott's Blitz, alle Wetter; und wie geſtern! 
Ei du mein goldnes Mädchen, Herzens-Braut! 
Wirſt du dein Lebtag mir vergeben künnen ? 


e 
(wirft fi dem ee eat zu Yüßen). 
Herr! wenn ihr jett nicht helft, find wir verloren! 
Walter. 
Berloren? warum das? 
Ruprecht. 
Herr Gott! was giebt’3? 


Eve, 
Errettet Ruprecht von der Eonfcription! 
Denn diefe Conſcription — der Richter Adam 
Hat mir's als ein Geheimniß anvertraut, 
Seht nah Dftindien, und von dort, ihr wißt, 
Kehrt von drei Männern einer nur zurüd! 


Walter. 
Mas! nah DOftindien! bift du bei Sinnen? 


Eve. 
Nah Bantam, gnäd’ger Herr; verläugnet’S nicht! 
Hier ift der Brief, dr stille heimliche 


185 


yuftenction, die Landmiliz betreffend, 
ie die Regierung jüngft deshalb erließ: 
Ihr jeht, ih bin von Allem unterrichtet. 


Walter 
(nimmt den Brief und lieſt ihn). 

D unerhört argliftiger Betrug! — 
Der Brief ift falſch! 
® e. 


Ev 
Falſch? 


Walter. 
Falſch, ſo wahr ich lebe! 
Je Schreiber Licht, fagt felbft, ıft das die Ordre, 
ie man aus Utrecht jüngft an euch erließ? 


Licht. 
Die Ordre! was! der Sünder, der! ein Wifch, 
Den er mit eignen Händen aufgefegt! — 
Die Truppen, die man anmwarb, find beftimnit 
zum Dienft im Landesinneren; fein Menjch 
enkt dran, fie nah Oftindien zu fchiden! 


Eve. 
Nein, nimmermehr, ihr Herrn? 
Walter, 
Dei meiner Ehre! 
Und zum Beweife meines Worts: den Rupredt, 
Wär’! jo wie du mir fagft, ich kauf' ihn frei! 


Eve (feht auf). 
O Himmel! wie belog der Böswicht mich! 
Denn mit der fchredlichen Beforgniß eben . 
Dnält’ er mein ed, und kam zur Zeit der Nacht, 
Mir ein Atteft für Auprecht aufzudringen; 
Bewies, wie ein erlognes Krankheitszeugniß 
Bon allem Kriegsdienft ihn befreien Tönnte; 
Erflärte und verficherte und fchlich, 
Um es mir auszufert’gen, in mein Zimmer: 
Co Schändliches, ihr Herren, von mir nr 
Daß es fein Mädchenmund wagt auszufprechen! 


‚ Fran arigitte 
Ei, der nichtswürdig- chändliche Betrüger! 


ei 

Laß, laß den Pferdehuf, mein ſüßes Kind! 

Sieh, hätt’ ein Pferd bei dir den Krug zertrümmert, 
Ich wär’ fo eiferfüchtig juft, als jet! «Sie türen fi.) 


186 


Beit. 
Das fag’ ich auch! küßt und verföhnt und liebt euch; 
Und Pfingften, wenn ihr wollt, mag Hochzeit fein! 

Licht (am Fenfter). 
Geht, mie der Richter Adam, bitt’ ich euch, 
Berg auf, Berg ab, als flöh’ er Rad und Galgen, 
Das aufgepflügte Winterfeld durchſtampft! 
Walter. 

Was? ift das Richter Adanı? 
Licht. 

Allerdings! 


Mehrere. 
est kommt er auf die Straße. Seht! feht! 
Wie die PBerüde ihm den Rüden peitjcht! 


Walter. 

Geſchwind, Herr Schreiber, fort! holt ihn zurück! 
Daß er nicht Uebel, rettend, ärger made. 
Bon feinem Amt oar ift er Pıspendiet 
Und euch beftell’ ich bis auf. weitere 
Berfügung bier im Drt e8 zu verwalten; 
Doch Yin die Kaſſen richtig, wie ich hoffe, 
dur Defertion ihn zwingen will id) nicht. 

ort! thut mir den Gefallen, holt ihn wieder! 


Letter Auftritt. 
Die Vorigen ohne Licht. 
Sagt doch Flle — 5 
agt doch, geftrenger Herr, mo find’ ich au 
Den Sig in Utrecht der Regierung ? 
Walter, 
Weshalb, Frau Marthe? 
Frau Marthe (empfindlid). 
Hm! weshalb? ich weiß nicht — 
Sol hier dem Kruge nicht fein Recht gefchehn ? 


Walter. 
Berzeiht mir! allerdings, Am großen Marft, 
Und Dienftag ift und Sreitag Seſſion. 


Fran Marthe. 
Gut! auf die Woche ſtell' ich dort mich ein. (Ale ab.) 


mm DL NIT 


Prinz Friedrich von Homburg. 


Ein Shaujfptel. 


Berjonen: 


Friedrich Wilhelm, Kurfürft von Brandenburg. 

Die Aurfürftin. 

Prinzeffin Natalie von Oranien, feine Nichte, Chef eines Dragoner⸗ 
regiments. 

Feldmarſchall Dörfling. 

Brinz Friedrich Arthur von Homburg, General der Reiterei. 

Obriſt Kottwig, vom Regiment der Prinzeffin von Oranien. 

—— Oberſten der Infanterie. 

Graf Hohenzollern, von der Suite des Kurfürſten. 

Nittmeifter von der Golz. 

- Graf Georg von Sparren, 

Ctranz, 

Siegfried von Mörner, 

Graf Reuß, 

Ein Wachtmeifter. 

Offiziere. Korporale und Reiter. Hofcavaliere. Hofdamen. Pagen. 
Haiducken. Bedienten. Bolf jedes Alters und Geſchlechts. 


Rittmeifter. 


| /e7£ 
Erfier Akt, 


Scene: Fehrbellin. Ein Garten ins altfranzöfifchen Styl. Im Hintergrunde ein 
Schloß, von weldem eine Rampe herabführt. — Es ift Racıt. 





Erſter Auftritt. 


Der son Homburg nn mit bloßem Haupt und offner Bruft, halb wacend, 

bald fchlafend, unter einer Eiche und windet ſich einen Kranz. — Der Kurfärk, 

feine Gemahlin, Prinzefin Natalie, der Graf Don Hohenzellern, Wittmeifter Gel) 

und Andere treten heimlich aus dem Schloß, und fhauen vom Geländer der Rampte 
auf ihn nieder. — Pagen ınit Fackeln. 


Graf von Hohenzollern. 
Der Prinz von Homburg, unfer tapfrer Better, 
Der an der Neiter Spite feit drei Tagen 
Den flüht’gen Echweden munter nachgefekt, 
Und ſich erh heute wieder athemlos 
Im Hauptquartier zu Schrbellin gezeigt: 
Befehl ward ihm von dir, hier länger nicht 
ALS nur drei Füttrungsftunden zu verweilen, 
Und gleidy dem Wrangel wiederum entgegen, 
Der jih am Rhyn verfucht hat einzufchanzen, 
Bis an die Hadelberge vorzurüden ? 

Kurfürſt. 
So iſt's! 
Hohenzollern. 

Die Chefs nun ſämmtlicher Schwadronen, 
um Aufbruch aus der Stadt, dem Plan gemäß, 
[od zehn zu Nacht, gemefjen inftruirt, 

Wirft er erh ft, gleich einem Jagdhund Lechzend, 
Sid auf das roh um für die Schlacht, die ung 
Bevor bein Strahl des Morgens fteht, ein wenig 
Die Glieder, die erjchöpften, auszuruhn. 


Kurfürft. 
So hört’ ih! Nun? 
Hohenzollern. 
Da nun die Stunde fchlägt, 


190 


Und aufgefeffen fhon die ganze Reiterei 
Den Ader vor dem Thor —— 
Fehlt — wer? der Prinz von Homburg noch, ihr Führer. 
Mit Fadeln wird und Lichtern und Laternen 
Der Held gefuht — und aufgefunden, mo? 

(Er nimmt einem Pagen die Fackel aus der Hand.) 
Als ein Nachtwandler, fhau, auf jener Bank, 
Wohin, im Schlaf, wie du nie glauben wollteft, 
Der Mondfchein ihn gelodt, befhäftiget 
Sich träumend, feiner eignen Nachwelt gleich, 
Den prächt’gen Kranz des Ruhmes einzumwinden. 


Kurfürſt. 
Was! 
ohenzollern. 
In der That! ſchau hier herab: da ſitzt er! 
(Er leuchtet von der Nampe auf ihn nieder.) 
Kurfürſt. 
Im Schlaf verſenkt? unmöglich! 
Hohenzollern. 


Feſt im Schlafe 
Ruf ihn bei Namen auf, fo fällt er nieder. (Baufe.) 


Kurfürſtin. 

Der junge Mann iſt krank, ſo wahr ich lebe. 

Prinzeſſin Natalie. 
Er braucht des Arztes — 
Kurfürſtin. 
Man ſollt' ihm helfen, dünkt mich, 
Nicht den Moment verbringen, ſein zu ſpotten! 
Hohenzollern 
(indem er die Fackel wieder weggiebt). 

Er iſt geſund, ihr mitleidsvollen Frauen, 
Bei Gott, ich bin's nicht mehr! Der Schwede morgen, 
Wenn wir im Feld ihn treffen, wird's empfinden! 
Es iſt nichs weiter, glaubt mir auf mein Wort, 
Als eine bloße Unart ſeines Geiſtes. 


Kurfürſt. 
Fürwahr! ein Märchen glaubt ich's! — Folgt mir, Freunde, 
Und laßt uns näher ihn einmal betrachten. 
(Sie ſteigen von der Rampe herab.) 
Hofcavalier (zu den Pagen). 
Zurück die Fackeln! 
en 


Laßt fie, laßt fie, Freunde! 


191 


Der ganze Flecken könnt' in Feuer aufgehn, r 
Daß fein Gemüth davon nicht mehr empfände, 
ALS der Demant, den er am Finger trägt. 
(Sie umringen ihn; die Bagen Ieuchten.) 
Knrfürft (üper ihn gebeugt). 
Was für ein Laub denn fliht er? — Laub der Weide? 
Hohenzollern. 
Mas! Laub der Werd’, o Herr! — Der Lorbeer ift’s, 
Wie er's gejehn hat an der Helden Bildern, 
Die zu Berlin im Rüftfaal aufgehängt. 
Kurfürſt. 
Wo fand er den in meinem märkſchen Sand? 
Hohenzollern. 
Das mögen die gerechten Götter wiſſen! 
Hofcavalier. 
Vielleicht im Garten hinten, wo der Gärtner 
Mehr noch der fremden Pflanzen auferzieht. 


Kurfürſi. 
Seltſam beim Himmel! doch was girs ich weiß, 
Was dieſes jungen Thoren Bruſt bewegt. 
Hohenzollern, 

O — was! die Schlacht von morgen, mein Gebieter! 
Sternguder fieht er, wett’ ich, jhon im Geift, 
Aus Sonnen einen Siegeskranz ihm winden. 

(Der Prinz befieht den Kranz.) 


avalier, 
Jetzt ift er fertig! defcavalier 
Hohenzollern, 


. Schade, ewig Schade, 
Daß hier fein Epiegel in der Nähe ift! 
Er würd’ ihm, eitel wie ein Mädchen, nahıı, 
Und fih den Kranz bald 1, und wieder fo, 
Wie eine florne Haube aufprobiren. 
Kurfürſt. 
Bei Gott! ich muß doch ſehn, wie weit er's treibt! 
(Der Kurfürft nimmt ihm den Kranz aus der Hand; der Prinz errdthet und fieht 
ibn an. Der Kurfürft ſchlingt feine Halskette um den Kranz und giebt ihn der 
inzejfin; der Prinz fteht lebhaft auf. Der Kurfürft weicht mit der Prinzeffin, 
melde den Kranz erhebt, zurüd; der Prinz mit ausgeftredten Armen folgt ihr.) 
Prinz von Homburg (füfternd). 
Natalie! mein Mädchen! meine Braut! 


Kurfürft, 
Geſchwind! hinweg! 


192 


Hohenzollern. 
Was jagt der Thor? 
Hofcavalier. 
Was fprad er? 
(Sie befteigen fänımtlich die Ranıpe.) 
Brinz von Homburg. 
Friedrich! mein Fürft! mein Bater! 
Hohenzollern. 
Höll' und Teufel! 
Kurfürft (rüdwärts ausweichend). 
Oeffn' mir die Pforte nur! 
Priuz von Homburg. 
O meine Mutter! 
Hohenzollern. 
Der Rafende! er ift — | 
Kurfürſtin. 
Wen nennt er ſo? 
Prinz von Homburg 
(nad) dem Kranz greifend). 
O Liebfte! was entweichft du mir? Natalie! 
(Er erhafcht einen Haudſchuh von der Prinzeffin Hand.) 


| Hohenzollern. 
Himmel und Erde! was ergriff er da? 
Hofcavalier. 
Den Kranz? 
Natalie, 


Nein, nein! 
Hohenzollern (öffnet die Thür). 
ier rafch herein, mein Fürſt! 
Auf daß das ganze Bild ihm wieder ſchwinde! 
Kurfürſt. 
In's Nichts mit dir zurück, Herr Prinz von Homburg, 
In's Nichts, in's Nite In dem Getild der Schlacht 
Sehn wir, wenn’3 dir gefällig ift, ung wieder! 
Im Traum erringt man folde Dinge nicht! 
(Alle ab; die Thür fliegt raffelnd vor dem Prinzen zu. Pauſe.) 


Zweiter Auftritt, 


Der Prinz son Homburg bleibt einen Augentlid mit dem Ausdruck der Berwun⸗ 

derung vor der Thür ftehen; fleigt dann finnend, die Hand, in welcher er den Hands 

ſchuh Lan. vor die Stirn gelegt, von der Rampe herab; Tehrt fi), fobald er unten 
ift, um, und fiebt wieder nach der Thür hinauf. 


— 





193 


Dritter Auftritt. 


Der Graf son de unee wit von ** Sm Bumeihür anf. Ihm folgt 
e (teife). 
Herr Graf, jo hört doch! —ã Herr Graf! 
ohenzollern (unwillig). 
Still! die Cicade! — Nun? was giebt's? 


Page. 
Mich ſchickt — 
Hohenzollern. 
Weck ihn mit deinem girpen mir nicht auf! 
— Rohlan! was giebt’3 


Pag 

Der Kurfürft ſchickt mich ber! 
Dem Prinzen möchtet ihr, wenn er erwacht, 5 h 
Kein Wort, befiehlt er, von dem Sherz entdeden, 
Den er fich eben jetzt mit ihm erlaubt! 

Hohenzollern. (eiſe). 

Ei, fo 14 id im — auf's Ohr, 
Und flat ans! das mußt’ ich ſchon! hinweg! 
(Der Page ab.) 


Vierter Auftritt. 


Der Graf non Hohenzollern und der Prinz bon Homburg. 


Hohenzollern 


ind Ent inter d rinzen ftellt, 
(men ea in ein Bag, Ga Ka, Ban Pe, Dr no ine 


Arthur! (Der Being Kant um.) 
Da liegt er; eine Kugel trifft nicht beffer! 
(Er nähert fi ihn.) 

Nun bin ich auf die Fabel nur begierig, 
Die er erfinnen wird, mir zu erflären, 
Warum er bier fih schlafen bat gelegt. 

(Er beugt fi über ihn.) 
Arthur! he! bift des Teufels du? was machſt du? 
Wie kommft. du hier zu Nacht auf diefen Play? 


Je, Sieber! Prinz von Homburg. 
e, Zieber! 
obenzollern. 


Nun fürwahr, das muß ich jagen! 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. I. 


194 


Die Reiterei ift, bie du commanbirft, 
Auf eine Stunde ſchon im Marſch voraus, 
Und du, du liegft im Garten hier und fchläfft. 


Bring von Homburg. 
Welch eine Neiterei ? v 
oßenzollern. 


Die Mameluden! — 
So wahr ich Leben athın’, ex weiß en mehr, 
Daß er der Be Reiter Oberſt 


rinz von Homburg (xeht auf). 
Raſch! meinen Helm! die rc Er 


Hohenzollern. 
’ Sa, mo find fie? 
sin; von Homburg 
Zur Rechten, Heinz, zur Rechten; auf dem Schemel. 


ohenzollern. 
Wo? auf dem Schemel? 
Prinz von Homburg. 
Ja, da legt’ ih. mein’ ih — 
Hohenzollern (fickt ihn an). 
So nimm fie De von dem Schemel weg! 


rinz bon Demburs. 
— Was ift dies ar ein Handſchuh? 
(Er betrachtet den Sandfchuh, den er in der Hand Hält.) 


Hohenzollern. 
Ja, was weiß ih —? 
hat er der Bring 
Bermünfcht! den hat er der Prinzeifin Nichte 
Dort oben unbemerkt vom Arm Fall en! 
Abbrechend.) 
Nun, raſch! hinweg! was ſäumſt du? fort! 


Prinz von Homburg 
(wirft den Handſchuh wieder weg). 
Gleich! gleich! 
He, Franz! der Schurke, der mich weden follte — 
Pohenzollers Getrachtet ihn). 
Er iſt ganz raſend toll 
Bring bon Homburg. 


ei meinem Eid! 
Ich weiß nicht, Tiebfter Heinrich, wo ich bin. 


195 


Hohenzollern, 

n Sehrbellin, du finmverwirrter Träumer; 

n einem von des Gartens Seitengängen, 
er ausgebreitet on Schloſſe liegt! 


rin; von Homburg (für ſich). 
Dog mich die Nadt verſchläng'! Mir unbewußt 
je m Mondſchein bin ic) wieder umgewandelt! (Cr fast fig.) 
ergieb! ich weiß nun ſchon. Es war, du weißt, vor Hitze 
33 Bette geſtern faſt nicht auszuhalten; 
ni ſchlich —2 in die en Garten — 
Und weil die Nacht ſo lie is mich umfing, r 
Mit blondem Haar, von Wohl ug un} triefend — 
Ach! wie den Bräut'gam eine 8 raut — 
So legt' ich hier in Ihren Fchooß mich nieder. 
— Was iſt die Glocke jetzo? 
Hohenzollern. 
ga Ib auf Zwölf. 
n3 von Homburg 
Und die Säwabronen, fagft du, brachen auf? 


Hohenzollern. 
Verſteht fi, ja! St zehn; dem Plan gemäß! 
Das egiment Prinzeffin von Dranien, . 
gut, wie En meifel iſt, an ihrer Spike 
—* die Höhn von dagewie erreicht, 
Wo ſie des Heeres ſtillen een det morgen, 
Dem Wrangel en deden jollen. 


rinz von Homburg. 
Es ift glei PER * alte Kottwitz führt ſie, 
Der jede Abſicht dieſes Marſches kennt. 
guden Hätte i N zurüd in's Hauptquartier 
m ana Uhr Morgens wiederlehren müſſen, 
Weil 5 aroP noch fol em ıpiangen iverden: 
So Eh ich beffer g glei im Set zurüd. 
Komm; laß uns gehn! Der Kurfiieft weiß von nicht3? 


ER hHenzollern. 
Ei was! der liegt im Bette längft und fchläft. 
(Sie wollen gehen; der Prinz ftuht, ehrt fi um und nimmt den Handſchuh 


Brinz von Homburg. 
Welch einen fonderbaren Traum träumt’ ich ? 
Mir war, als ob, von Gold und Silber rahlend, 
Ein Königsſchloß ſich plöglich öffnete, 
Und hoch von feiner Marmorramp’ herab 
Der ganze Reigen zu mir niederftiege ge 


‘ 


Fi 


Ni 


196 


Der Menfchen, die mein Buſen liebt: 
Der Kurfürft und die Fürftin und die — dritte, 
— Die heißt fie ſchon? 


Hohenzollern. 
Wer? 


Prinz von Homburg 
(ſcheint zu fuchen). 
Jene — die ich meine! 
Ein Stummgeborner würd’ fie nennen können! 
Hohenzollern, 


Die Platen? 
Brinz von Homburg. 
Nicht doch, Lieber! 
Hohenzollern. 
Die Ramin? 
Brinz von Homburg. 
Nicht, nicht Doch, Freund! 
Hohenzollern, 
Die Bork? die Winterfeld ? 
Brinz von Homburg. 
Nicht, nicht; ich bitte Dich! du fiehft die Perle 
t vor dem Ning, der fie in Faffıng hält. 


Sum Senter, ſpricht Takt das Gefiht fh vatpen? 
um Henker, fprich! läßt das Geficht fich rathen 
— Welch eine Dame meineft du? ' 
| Prinz von Homburg, 
Gleichviel! gleichviel! 
Der Nam’ ift mir, feit ich erwacht, entfallen, 
Und gilt zu dem Verftändniß bier gleichviel, 
Hohenzollern. 
Gut! fo fprich weiter! 
Brinz von Hombnrg. 
Aber ftör mich nit! — 
Und er, der Kurfürft, mit der Stirn des Zeus, 
telt einen Kranz von Lorbeern in der Hand: 
r ftellt fich dicht mir vor das Antlig hin, 
Und fchlägt, mir ganz die Seele zu entzünden, 
Den Shmud darum, der ihm vom Naden hängt, 
Und reiht ihn, auf die Locken mir zu drüden — 
D Lieber! 


Sohenzollern. 
Wem? 


197 


Frin von Homburg. 
Lieber! 


Hohenzollern. 
Nun, ſo ſprich! 
Prinz von Homburg. 
Es wird die Platen wohl geweſen ſein. 


ohenzollern. 
Die Platen? was! — die jebt in Preußen iſt? 


rinz bon Homburg. 
Die Platen. Wickie, Dder die Namin? 


Hohenzollern, 
Ah, die Ramin! was! die, mit rothen Haaren! — 
Die Platen mit den ichelm’fchen Beilchen- Augen! — 
Die, weiß man, die gefällt dir. 


Brinz von — 
Die gefällt mir. — 


ohbenzollern. 
Nun, und. die, fagft vu Teichte dir den Franz? 


Prinz von Hombnrg. 

Hoch auf, gleich einem Genius des Ruhms, 
gebt fie den Kranz, an dem die Kette fchwantte, 

[3 ob fie einen Seide frönen wollte. 

Ich Iren, in unausiprelicher Bewegung, 
Die Hände ftred’ ih aus, ihn zu ergreifen: 
ai Füßen will ich vor ihr niederfinten, 

och, wie der Duft, der über Thäler Al el 
Bor eines Windes feifchem Hauch3 erſtiebt 
Weicht mir die I die Ranıp" erfteigend, aus; 
Die Rampe dehnt ih, da ich fie betrete, 
— bis an das Thor des Himmels aus, 

5 gie rechts, ich greife links umher, 
heuren einen ängftlih zu erhafchen; 
Umfonft! des Schloſſes Thor geht Hi auf; 
Ein Blig, der aus dem Innern zudt, ve richlingt fie, 
pas Thor fügt raſſelnd wieder ftch en 
Nur einen Handichuh, heftig, int Verfolgen, 
Streif' ich der fü I Traum eftalt vom Arm: 
Und einen Handſchuh, ihr a ar gen Götter, 

Da ich erwache, halt’ ich in der Hand! 


Hohenzollern. 


Bei meinem Eid! — und nun meinft du, der Handſchuh, 
Der fei der ihre? 


198 


ring von Homburg, 
—32 
Hohenzollern. 
Nun, der Platen! 
Brinz von Homburg. 
Der Platen. Wirklich. Oder der Kamin? — 
Hohenzollern (ade). 
Schelm, der du bift, mit deinen Bifionen! 
Wer weiß von welcher Schäferjtunde, traum, 
Mit Fleiſch und Bein hier wachend zugebradt, 
Dir noch der Handſchuh in den Händen Flebt! 
Prinz von Homburg. 
Was! mir? bei meiner Siehe —! 
Hohenzollern, 
Ei fo, zum Henker, 
Was kümmert's mid)? meinthalben fei’3 die Platen, 
Sei's die Ramin! Am Sonntag aan! die Poft nach Preußen, 
Da fannft du auf dem Fürzften Weg erfahren, 
Ob deiner Schönen diefer Handſchuh fehlt. — 
Fort! es ift Zwölf. Was ftehn wir hier und plaudern. 
Prinz von Homburg 
(träumt vor ſich nieder). 
— Da haft du Recht. Laß uns zu Bette gehn. 
Dh was ich fagen wollte, Lieber, 
Iſt die Kurfürftin noch und ihre Nichte hier, 
Die Tiebliche Prinzeffin von Oranien 
Die jüngft in unferm Lager eingetroffen ? 
Hohenzollern. 
Warum? — ich glaube gar, der Thor — 


Prinz von Homburg. 
Warum? — 
Ich follte, weißt du, dreißig Reiter ftellen, 
Sie wieder von dem Kriegöplag wegzujchaffen; 
Ramin hab’ ich deshalb beordern müſſen. 


N et kurt che 

Ei was! die find längft fort! I oder reifen gleich! 
Ramin, zum Aufbrud völlig fertig, ftand 

Die ganze Nacht durdy mindftens am Portal. 

Dod fort! zwölf iſt's; und eh die Schlacht beginnt, 
Wünſch' ih, mich noch ein wenig auszuruhn. 

(Beide ab.) 





% 


199 - 


Scenes Ebendaſelbſt. Saal im Schloß. Man Hört in der Ferne ſchießen. 


——— 


Was iſt dies für ein San. — "a das Götz? 
Feldmarſchall Dörfling. 
Das ift der Oberſt Götz, mein Fürft und Herr 
Der mit dem Bortrab geftern vorgegangen. 
Er hat icon einen Offizier gefandt, 
Der im Boraus darüber dich beruf ge. 
Ein ſchwed'ſcher Poften ift von taujend Mann 
Bis auf die Hadelberge vorgerüdt; 
Doch haftet Götz für dieſe Berge dir, 
Und fagt mir an, du möchteft nur verfahren, 
Als hätte fie fein Vortrab nen befegt. 
Kurfürft (gu den Offizieren). 
Ihr Herrn, der ‚Darjchall fennt den Schlachtentwurf;; 
Nehmt euren Stift, bitt’ ih, und fchreibt ihn auf. 


(Die Offiziere verfammeln fih auf der andern Seite um den Feldmarſchall umb 
nehmen Shreibtafelu heraus. Der Kurfürft wendet fi) zu dem Hofcavalier.) 


Ramin ift mit dem m vorgefahren? 
ofcavalier. 
Im Augenblick, mein a. — Man fpannt fchon an, 
Kurfürſt 
(tägt ſich auf einen Stuhl Hinter der Kurfürſtin und ber Prinzeffin nieder). 
Ramin wird meine theur’ Eiije fü führen, 
Und dreißig rü F eiter folgen i 
Ihr geht auf Ka re meines anzlers, Schloß, 
Fe anelberd, enjeit des Hapelſtroms, 
ch fein due: mon —* läßt. 
rſtin. 
Hat man die Fähre wieder — 
Kurfürſt. 
Bei Havelber bie Anftalt i getroffen. 
gubem fi iſts bevor 9 ie erreicht. (Baufe) 
atalie i iſ 0 fe, mein ſüßes Mädchen ? 
Was fehlt dem Kind? 
Prinzeifin Ratalie. 
ih fchauert, lieber Onkel. 


2 


/ 


200 


Kurfürſt. 
Und gleichwohl iſt mein Töchterchen ſo ſicher, 
In ihrer Mutter Schooß war ſie's nicht mehr. (Banfe.) 

Kurfürftin. 
Mann, dentft du, werden wir uns wiederjehen ? 

Kurfürſt. 
Wenn Gott den Sieg mir ſchenkt, wie ich nicht zweifle 
Vielleicht im Laufe diefer Zage fon. 
(Pagen Tommen und ferviven den Damen ein Yrühftüd. — Feldmarſchall Dörfling 


d. 
bictirt. — Der Prinz von Homburg, Stift und Tafel in der Hand, firirt die 
Damen.) 


Feldmarſchall. 
Der Plan der Schlacht, ihr Herren Oberſten, 
Den die Durchlaucht des Herrn erſann, bezweckt, 
Der Schweden flücht'ges Heer, zu gänzlicher 
Zgerlplitteung, bon dem Brüdenfopf zu trennen, 
er an dem Ahynfluß ihren Rüden dedt. 
Der Oberft Hennings — 
Oberſt Henning. 
Hier! (&r ſchreibt.) 
Feldmarſchall. 
Der, nach des Herrn Willen, heut 
Des Heeres rechten Flügel ceginmandirt, 
Coll durd) den Grund der Fackelbüſche ſtill 
Des Feindes linken zu um— chen fuchen, 
Eid muthig zwifchen ihn und die drei Brüden werfen, 
Und mit dem Grafen Truchß vereint — 
Graf Truchß! 
- Graf Truchß. 


Hier! (Er ſchreibt.) 
Gerkmarfhall. 
Und mit dem Grafen Truchß vereint — (Gr Hält inne.) 
Der auf den Höhn indeh, dem Wrangel gegenüber, 
Mit den Kanonen Poften bat gefaßt — 
Graf Truchß (igreibt). 
Kanonen Poften hat gefaßt — 
Feldmarſchall. 
Habt ihr? Er fährt fort.) 
Die Schweden in den Sumpf zu jagen fuchen, 
Der hinter ihrem rechten Flügel liegt. 
(Ein Heidud tritt auf.) 
Der Heidnd. 
Der Wagen, guäd’ge Frau, iſt vorgefahren. 
, (Die Damen fiehen auf.) 


201 


Felbdmarſchall. 
Der Prinz von Homburg — 
Kurfürſt 
(erhebt ſich gleichfalls). 
— Iſt Ramin bereit? 


Heiduck. 
Er harrt zu Pferd ſchon unten am Portal. 
(Die Herrſchaften nehmen Abſchied von einander.) 
Graf Truch ſi (ſchreibh). 
Der hinter ihrem rechten Flügel liegt. 
Feldmarſchall. 
Der Prinz von Homburg — 
Wo iſt der Prinz von Homburg? 
Hohenzollern (yheimlich. 
Arthur! 
Prinz von Homburg 
(fährt zuſammen). 
Hier! 
.2. Hohenzollern. 
Dift du bei Sinnen? 


Prinz von Homburg. 
Was befiehlt mein Marjchall ? 
(Er erröthet, ftellt fih mit Stift und Pergament und fchreibt.) 


Feldmarſchall. 
Dem die Durchlaucht des Fürſten wiederum 
Die Führung ruhmöoll, wie bei Rathenow, 
Der ganzen märk'ſchen Reiterei vertraut — (Ex Hält inme.) 
Dem Obriſt Kottwig gleichwohl unbejchadet, 
Der ihm mit feinem Kath zur Hand wird gehn — 
(Halblaut zum Rittmeifter Golz.) ft Kottwig hier? 


Rittmeifter von ber Golz. 
Nein, mein General, du fiehft, 
Mich hat er abgefchidt, an feiner Statt 
Aus deinem Mund den Kriegsbefehl zu hören. 
(Der Prinz fieht wieder nad) den Damen herüber.) 
Feldmarſchall (ährt fort. 
Stellt auf der Ebne ſich beim Dorfe Hackelwitz 
Des Feindes rechtem Flügel gegenüber 
Fern außer dem — auf. 
Rittmeiſter von der Golz (chreibt). 
Fern außer dem Kanonenſchuſſe auf.. 
(Die YAurfürftin bindet der Brinzeffin ein Tuch um den Hals. Die Prinzeſſin, indem 
fie fi die Handſchuhe anziehen will, fieht fi um, als ob fie eiwas fudhte.) 


- 


202 


Kurfürft (teitt zu ihr). 
Mein Tochterchen, was fehlt dir — 
Kurfürſtin. | 
Suchſt du etwas? 
Prinzeſſin Natalie, 
Sch weiß nicht, liebe Tante, meinen Handſchuh — 
(Sie fehen fi) alle um.) 
Kurfürft (u den Hofdamen). \ 
Ihr Schönen! wollt ihr gütig euch bemühn ? 
Kurfürſtin (ur Pringeffin). 


Du hältſt ihn, Kind. 
Natalie. 
Den rechten; doch den linken? 
Kurfürſt. 
Vielleicht daß er im Schlafgemach geblieben? 
Natalie. 


O liebe Bork! 
Kurfürft (u dieſem Fräulein). 
Raſch, raſch! 
Natalie. 
Auf dem Kamin! (Die Hofdame ab). 


rinz von Homburg (für fid). 
Herr meines gehend! hab’ ich recht gehört? 
(Er nimmt den Handſchuh aus dem Collet.) 
Feldmarſchall 
(fieht in ein Papier, das er in der Sand Hält.) 
Fern außer dem Kanonenjhuffe auf. — (Cr fährt fort). 
Des Prinzen Durdhlaudt wird — 
Brinz von Somburs 
Den Sandfeub ſucht fie — 
(Er fieht bald den Handſchuh, bald die Prinzeffin an.) 
Feldmarſchall. 
Nach unſers Herrn ausbridlichen Defehl — 


Rittmeifter von ber Do (chreibt). 
Nach unſers Herrn ausdrücklichem Befehl — 
Feldmarſchall. 
Wie immer auch die Schlacht wenden mag, 
Vom Platz nicht, der ihm angewieſen, weichen. — 


Prinz von Homburg. 
— Raſch, daß ich 33 erprüfe, ob er's iſt! 
N 
— SET, RESET er Somuus 


203 


Feldmarſchall (Gefremdeh). 
Was macht des Prinzen Durchlaucht? 
Hohenzollern (imlich. 
Arthur! 
Prinz von Homburg. 
Hier! 


Hohenzollern. 
Ich glaub', 


Du biſt des Teufels! 


Brinz von Homburg, 


Was befiehlt mein Marfhall? 


(Er nimmt wieder Stift und Tafel zur Hand. Der Feldmarſchall fieht ihn einen 
Augenblid fragend an. — Pauſe.) 


Nittmeifter von der Golz 
(nachdem ex geichrieben). 

Vom Plag nicht, der ihm angemwiejen, weichen — 

| Feld marſchall (ahrt fort. 
Als bis, gedrängt von Hennings und von Truchß — 

Briuz von Homburg 

(zum NRittmeifter Golz, heimlich, indem ex in feine Schreibtafel ficht.) 

Wer? Tieber Golz! was? ich? 


NRittmeifter von der Golz. 
_ Ihr, ja! wer fonft? 
Brinz von Homburg. 
Vom Plag.niht fol id — 
Rittmeifter von ber Golz. 
Freilich! 
Feldmarſchall. 
Nun? habt ihr? 
Prinz von Homburg (Lau). 
Bom Platz nicht, der mir angemwiejen, weichen — (Ex fereibt.) 
Felbmarſchall. 
Als bis, gedrängt von Hennings und von Truchß — 
(Er Hält inne.) 
Des Feindes linker Flügel, aufgeld ‚ 
Auf feinen rechten ftürzt, und alle jene 
Schlachthaufen wanfend nad) der Zrift in drängen, 
gr deren Sümpfen, oft durchkreuzt von Gräben, 
er Kriegsplan eben ift, ihn aufzureiben. 


Aurfürk. 
Ihr Pagen, leuchtet! — Euren Arm, ihr Lieben! 
(Er bricht mit der Kurfürfiin und bes Bringeffiu auf.) 


204 


Feldmarſchall. 

Dann wird er die Fanfare blaſen laſſen. 

Kurfürſtin 

(da einige Offiziere ſie komplimentiren). 
Auf Wiederſehn, ihr Herrn! laßt uns nicht ſtören. 
(Der Feldmarſchall komplimentirt fie auch.) 

Kurfürſt (feht plötzlich fim. 

Sieh da! des Fräuleins Handſchuh! raſch! dort liegt er! 


Hofkavalier. 
Wo? 


Kurfürſt. 
Zu des Prinzen, unſers Vetters, Füßen! 
Prinz von Homburg. 
Zu meinen — was! iſt das der eurige? 
(Er hebt ihn auf und bringt ihn der Prinzeſſin.) 
Natalie. 
Ich dank' euch, edler Prinz. 
Prinz von Homburg (verwirt.) 
Iſt das der eure? 
Natalie. 
Der meinige; der, welchen ich vernißt. 
(Sie empfängt ihn und zieht ihn an.) 
RKurfürftin 
(zu dem Prinzen, im ®bgegen). 
Lebt wohl! lebt wohl! viel Glüf und Heil und Gegen! 
Macht, dag wir bald und froh uns wiederjehn! 
(Der Nurfürft mit den Frauen ab. Hofdamen, Cavaliere und Pagen folgen.) 
Prinz von Homburg 


(ſteht einen Augenblid, wie vom Blitz getroffen, da; dann menbet er fi mit triume 
phirenden Schritten wieder in den Kreiß der Offiziere zurüd.) 


Dann wird er die Fanfare blafen laffen! (Er tyut als ob er ſchriebe.) 
Feldmarſchall 
(fleht in fein Papier). 
Dann wird er die Yanfare blafen laſſen. — 
Doh wird des Fürften Durchlaucht ihm, damit 
Durch Mißperftand der Schlag zu früh nicht falle — 
(Er hält inne.) 
Nittmeifter von ber Golz (ſqcreiby. 
Durch Mißverftand der Schlag zu frith nicht falle — 
Prinz von Homburg 
(zum Graf Hohenzollern, heimlich, in großer Bewegung). 
O Henih! 
Hohenzollern (unwilig). 
Nun! was giebt’3? was haft du vor? 


205 


Brinz von Homburg. 

Was! fahft du nichts? 

Hohenzollern. 

Nein, nichts! fer ftill, zum Henker! 

Feldmarſchall (fahrt fort). 

Ihm einen Afzier aus ſeiner Suite ſenden, 
Der den Befehl, das merkt, ausdrücklich noch 
Zum Angriff auf den Feind i m üiberbringe; 
Eh wird er nicht Fanfare blafen laſſen. 
(Der Prinz ſteht und träumt vor ſich nieder.) 


— Habt ihr? 
Rittmeiſter von der Golz (cſhreibh). 
Eh wird er nicht Fanfare blaſen laſſen. 
Feldmarſchall 
(mit erhöhter Stimme). 
Des Prinzen Durchlaucht, habt ihr? 
Priuz von Homburg 
Mein Feldmarſchall! 
Feldmarſchall. 
Ob ihr geſchrieben habt? 
Prinz von Homburg. 
— Von der Fanfare? 
Hohenzollern 
(heimlich, unwillig, nachdrücklich). 
Fanfare! ſei verwünſcht! nicht eh, als bis der — 
Rittmeiſter von der Golz (eben fo). 
Als bis er felbit — 


Prinz von Homburg 
(unterbricht fie). 


e 


Ya, allerdings! A nidt — — 
Doch dann wird er Fanfare blajen laſſen. (Er ſchreibt. — Pauſe.) 
Feldmarfj galt. 
Den Obrift Kottwiß, Gert das, Baron Golz, 
Wünſch' i ich wenn er es möglich machen kann, 
Noch vor Beginn des Treffens ſelbſt zu ſprechen. 
Rittmeiſter von der Golz 
(mit Bedeutung). 
Beſtellen werd’ ich es. Verlaß dich drauf. (Pauſe.) 
Kurfürft (kommt zurüch. 


. Nun, meine General’ und Oberften, 


Der Morgenftrahl ergraut! — Habt ihr gefchrieben ? 


206 


‚Selbmarfdall, 
Es ift vollbracht, mein Fürft; dein Kriegäplan iſt 
An deine Feldherrn pünktlich ausgetheilt! 
Kurfürſt 
p "Son “ Hut Fr “nieht ih N 5 
err Prinz von Homburg, dir empfehl’ i ube! 
2 be am Ufer, wei t du, mir b18 Rheins 
Zwei Siege jüngſt verſcherzt; regier Dich wohl, 
Und laß nic heut den dritten nicht entbehren, 
Der mindres nicht, als Thron und Reich, mir gilt! 
Gu den Offizieren.) Bolgt mir! — He, Franz! 
Ein Reitknecht (it auf). 


| Hier! 
Kurfürſt. 
Raſch! den Schimmel vor! 
— Noch vor der Sonn' im Schlachtfeld will ich ſein! 
(Ab; die Generale, Oberſten und Offiziere folgen ihm.) 





Sechſter Auftritt. 


Prinz von Homburg 

(in den Vordergrund tretend). 
Nun denn, auf deiner Kugel, Ungeheures, 
Du, dem der Windeshauch den Schleier heut 
Gleich einem Segel lüftet, roll dern 
Du baft mir, Glück, die Locken jchon EN BAHR 
Ein Brand FH warfft du im Vorüberſchweben 
Aus deinem Fülhorn lächelnd mir herab: 

eut, Kind der Götter, fuch’ ich, flüchtiges, 

ch haſche dich im Feld der Schladt und flürze 

anz deinen Segen mir zu Füßen um: 
Wär du auch ſiebenfach mit Eifenketten 
Am ſchwed'ſchen Siegeswagen feſtgebunden! Gb,) 


207 


Bmeiter Akt. 


Scene: Schlachtfeld bei Fehrbellin. 


Erfter Auftritt. 


briſt Kottwit, 8 Hern, Nittmeilter bon Ber Balz und andere Dffizier 
obriß aouwit Gr been, der a fu e ſfiiere, 


Obriſt Kottwitz 
(außerhalb der Scene). 
Halt hier die Reiterei, und abgeſeſſen! 
Hohenzollern und Golz (treten auf). 
Halt! — halt! 
Obriſt Kottwitz. 
Wer hilft vom Pferde mir, ihr Freunde? 
Hohenzollern und Golz. 
Hier, Alter, bier! (Sie treten wieder zurid.) 
Obriſt Kott witz (außerhalb). 
Habt Dank! — Uff! daß die Peſt mich! 
— Ein edler Sohn für euren Dief, jedwedem, 
Der euch, wenn ihr zerfallt, ein G eides thut! 
(Er tritt auf; Hohenzollern, Golz und Undere hinter ihm.) 
Ya, auf dem Roß fühl’ ich voll Jugend mid; 
Doch fe ie ab, da hebt ein Strauß fi an, 
Als ob fich Leib und Seele kämpfend trennten! (Er fieht fit; um.) 
Wo ift des Bringen, unjers Führers, Durchlaucht? 
Hohenzollern. 
Der Prinz kehrt gleich zu dir zurüd. 
Obriſt ſKottwig 
o iſt er? 


Hohenzollern. 
Er ritt in's Dorf, das dir, penftet in Büfchen, 
Zur Seite bijeb. Er wird gleich) wiederfommen. 
Ein Offizier. 
Zur Nachtzeit, hör’ ich, fiel er mit dem Pferd ? 
9 glaube, ja! Hohenzollern, 
aube, ja 
glaube,j Obriſt Lottwit. 
Er fiel? 


Hohenzollern (wendet fih). 
Nichts von Bedeutung! 


— 


"Und in dem Hadelgrund, 


208 


Sein Rappe [hut an der Mühle ſich, 
Jedoch, leihthin zur Seite niedergleitend, 
That er auch nicht den mindften Schaden fi. 
Es ift den Odem feiner Sorge werth. 

Obriſt Kottwitz 

(auf einen Hügel tretend). 
Ein goner Tan, ſo wahr ich Leben athme! 
Ein Tag, von Gott, dem hohen Herrn der Welt, 
Gemacht zu ſüßerm Ding, als ſich zu ſchlagen! 
Die Sonne ſchimmert röthlich durch die Wolken, 
Und die Gefühle flattern mit der Lerche 
Zum heitern Duft des Himmels jubelnd auf! 


Golz. 

Haſt du den Marſchall Dörfling aufgefunden? 
Obriſt Kottwitz 
(kommt vorwärts). 
Zum FL nein! was denkt die Excellenz? 
in ic ein Pfeil, ein Bogel, ein Gedanke, 

Daß er mich dur das ganze Schlachtfeld ſprengt? 
Ich war beim Bortrab, auf den Hackelhöhn, 

eim Hintertrab: 
Doch wen ich nicht gefunden, war der Marſchall! 


Drauf meine Reiter ſucht' ich wieder auf. 


Golz. 
Das wird ſehr leid ihm thun. Es ſchien, er hatte 
Dir von Belang noch etwas zu vertrauen. 


Offizier. 
Da kommt des Prinzen, unſers Führers, Durchlaucht! 





Zweiter Auftritt. 


Der Prinz ben Homburg mit einem Shtoarzen Band um die linke Hand. Die 
origen. 


Obrift Kottwik. 
Sei mir gegrüßt, mein junger, edler Prinz! 
Schau ber, wie während du im Dörfchen warſt, ˖ 
Die Reiter ih im Thalweg aufgeftellt: 
Ich denk', du wirft mit mir zufrieden fein! 
Prinz von Homburg. 
Guten Morgen, Kottwig! Guten Morgen, Freunde. 
— Du weißt, ic) lobe Alles, was du thuft. 
Hohenzollern, 
Was machteſt, Arthur, in dem Dörfchen du ? 
Du ſcheinſt fo ernft! 


209 


Prinz von Homburg. 
Ich — war in der Kapelle, 
Die aus des Dörfchens ftillen Büſchen blinkte; 
Man läutete, da wir vorüberzogen, 
ur Andacht eben ein, da trieb mich's an, 
m Altar auch mid) betend hinzumerfen. 
Obriſt Kottwig, 
Ein frommer junger Herr, das muß ich fagen! 
Das Werk, glaubt mir, das mit Gebet beginnt, 
Das wird mit Heil und Ruhm und Sieg Hit frönen! 
Prinz von Homburg. 
Mas ich dir fagen wollte, Heinrih — 
(Er führt den Grafen ein wenig vor.) 
Mas war's ſchon, was der Dörfling, mich betreffend, 
Bei der Parol’ hat geftern vorgebracht? 
- Hohenzollern 
Du warft zerftreut. Sch hab’ e8 wohl gefehn. 
Prinz von Homburg, 
gertrent — getheilt; ich weiß nicht, was mir fehlte. 
ictiren in die Feder macht mich irr. — 
Hohenzollern, 
— Zum Glüd nicht diesmal eben viel für did; 
Der Truchß und Hennings, die das Fußvolk führen, 
Die find zum Angriff ui den Feind beftimmt, 
Und dir tft aufgegeben, bier zu halten 
Im Thal, Ihlagierti mit der Reiterei, 
i8 man zum ngrif den Befehl dir jchidt. 
Prinz von Homburg 
(nach einer Pauſe, in der er vor ſich niedergeträumt). 
— Ein wunderlider Vorfall! 


Hohenzollern. 
Ä Welcher, Lieber? 
(Er fieht ihn an. — Ein Kanonenſchuß fällt.) 
Obrift Kottwitz. 
goln, ihr Herrn, holla! fißt auf, figt auf! 
a8 ıft der Hennings, und die Schlacht beginnt! 
(Sie beſteigen ſäͤmmtlich einen Hügel.) 
Brinz von Homburg. 
Wer ift es? was? 
Hohenzollern. 


Der Obrift De ee Arthur, 

Der fih in Wrangel3 Rüden hat gejchlichen. 

Komm nur, dort Fannft du alles überjchaun. 
Bibl. d. d, NRationalliteratur. Kleiſt. I. 


210 


3 (auf dem Hügel). 
Seht, wie er furchtbar ſich em ron entfaltet! 
Prinz von Homburg 
(Hält fi die Hand vor's Auge). 
— Der Hennings dort auf unſerm rechten Flügel? 
Erſter Offizier. 
Ya, mein erlauchter Prinz. 
Prinz von Homburg. 
Was auch, zum Henker! 
Der ftand ja geftern auf des Heeres Einen. 
(Ranonenihüffe in der Ferne.) 
Obriſt Kottwitz. 
Blitzelement! ſeht, aus zwölf Feuerſchlünden 
Wirkt jetzt der Wrangel auf den Hennings los! 
Erſter Offizier. 
Das nenn' ich “a das, die Smebifhen! 
weiter Dis zier. 
Bei Gott, gethürmt, F an die whthurmöfpiße 
Des Dorfs, das hinter ihrem Rüden liegt! 
(Schüffe in der Nähe.) 
| Golz. 
Das iſt der Truchß! 
Prinz von Zembars. 
Der Truchß? 
Obriſt Kottwitz. 
Der Truchß, er, ja, 
Der Hennings jetzt von vorn zu Hülfe kommt. 
Prinz von Homburg. 
Wie kommt der Truchß heut in die Mitte? 
(Heftige Kanonade.) 


Golz. 
O Himmel, ſchaut, mich dünkt, das Dorf fing Feuer! 
Dritter Offizier. 
Es brennt, ſo wahr ich leb'! 


Erſter Offizier. 
ẽs brennt! es brennt! 
Die Flamme zuckt ſchon an dem Thurm empor! 


Golz. 
Hui! wie die Schwedenboten fliegen rechts und links! 


Zweiter Offizier. 
Sie brechen aufl H 


211 


Kottwig. 
Wo? 


Erfter Offizier. 
uf dem rechten Flügel! — 
Dritter Offizier. 
Freilich! in Zitgen! mit drei Regimentern! 
Es ſcheint, den linken wollen fie verftärken. 
Zweiter Offizier. 
Bei meiner Treu! amd Reiterei rüdt vor, 
Den Marſch des rechten Flügels zu bededen! 
Hohenzollern (acht). 
ge! wie das Feld die wieder räumen wird, 
enn fie verftedt ung bier im Thal erblidt! 
(Diustetenfener.) 
Kottwik. 
Schaut, Brüder, fchaut! 
Zweiter Offizier. 
Horcht! 


Erſter Offizier. 
euer der Musketen! 
Dritter Offizier. 
Jetzt ſind ſie bei den Schanzen aneinander! — 


Golz. 
Bei Gott! ſolch einen Donner des Geſchützes 
Hab' ich Zeit meines Lebens nicht gehört! 
Hohenzollern. 
Schießt! ſchießt! und macht den Schooß der Erde berften! 
Der Riß fol eurer Leihen Grabmal fern! 
, (Pauſe. — Ein Siegesgeichrei in der Ferne.) 
Erfter Offizier. 
ger, du dort oben, der den Sieg verleiht: 
er Wrangel kehrt den Rüden ſchon! 
Hohenzollern. 
Nein, ſprich! 


Golz. 
Beim Himmel, Freunde! auf dem linken Flügel! 
Er räumt mit ſeinem Feldgeſchütz die Schanzen. 


Alle, 
Triumph! Triumph! Triumph! der Sieg ift unfer! 
Prinz vou Homburg 
' (fleigt vom Hügel herab). 
Auf, Kottwig, folg mir! u⸗ 


212 


Kottwitz. 
Ruhig, ruhig, Kinder! 
rinz von Homburg. 
Auf! laß Fanfare are folge mir!. 


Kottwig. 
Ich ſage, ruhig. 
Prinz von Homburg (win). 
Himmel, Erd’ und Hölle! 


Kottwitz. 
Des Herrn Durchlaucht, bei der Parole geſtern, 
Befahl, daß wir auf Ordre warten —328 
Golz, lies den Herren die Parole vor. 
Prinz von Homburg. 
Auf Ordr'? ei, Kottwitz! reiteſt du fo langſam? 
Haſt du ſie noch vom Herzen nicht empfangen? 
Kottwitz. 
Ordre? 90 
obenzollern. 
Ich bitte dich! i 
Kottwitz. 
Von meinem Herzen? 


Hohenzollern. 
Laß dir bedeuten, Arthur! 


Golz. 
Hör, mein Obriſt! 
Kottwitz (beleidigt). 
Oho! kommſt du mir fo, mein junger Herr? — 
Den Gaul, den du daher ſprengſt, fchlepp’ ich noch 
Im Nothfall an dem Schwanz des meinen hort 
ar, marich, ihr Herrn! Trompeter, die Yanfare! 
Bum Kampf! zum Kampf! der Kottwitz ift dabei! 
Golz u Kottwig). 
Nein, nimmmermehr, mein Obrift! nimmermehr! 
Zweiter Offizier. 
Der Hennings hat den Ahyn noch nicht erreicht! 
Erfter Dffizier. 
Nimm ihm den Degen ab! 
Brinz von Homburg, 
en Degen mir? 
(Er ſtößt ihn zurüd.) 
Ei, du vorwiß’ger Knabe, der du noch 


213 


Nicht die zehn märkiſchen Gebote Tennft! 
Hier ift der deinige, zufammt der Scheide! 
(Er reißt ihm das Schwert fammt dem Gürtel ab.) 
Erper Offizier (taumelnd). 
Mein Prinz, die That, bei Gott — 
Brinz von Homburg 
(auf ihn einfchreitend). 
Den Mund noch öffneft — 
\ Hohenzollern Gu dem Offizier). 
Scmeig! bift du rafend ? 
Brinz von Homburg 
(indem er den Degen abgiebt). 
Drdonnanzen! — 
Führt ihn gefangen ab, in’8 Hauptquartier. 
(Zu Kottwit und den Übrigen Offizieren.) 
Und jest ift die Parol', ihr Herrn: ein Schurke 
Wer jeinem General zur Sala nicht folgt! 
— Wer von euch bleibt? 


Kottwitz. 
Du hörſt. Was eiferſt du? 
Hohenzollern Geilegend). 

Es war ein Rath nur, den man dir ertheilt. 

Kottwitz. 
Auf deine Kappe nimm's. Ich folge dir. 

Prinz von Homburg (berubigt). 
Ich nehm's auf meine Kappe. Folgt mir, Brüder! 
(Alle ab.) 


Scene: Zimmer in einem Dorfe. 


Dritter Anftritt. 


Ein Hoftabalier in Stiefeln und Sporen tritt auf. — Ein Bauer und feine Frau 
figen an einem Tiſch und arbeiten. 
Se aer: 
Glück auf, ihr wackern Leute! habt ihr Plag, 
In eurem Haufe Gäfte aufzunehmen? 


Bauer. 
D ja! von Herzen. 
ran. 
Darf man willen, wen? 


Hofcavalier. 
Die hohe Landesmutter! keine Schlechtere! 


214 


Am Dorfthor brach die Are ihres Wagens, 
Und weil wir hören, daß der Sieg erfochten, 
So braudt es weiter diefer Reife nicht. 

Beide (ftehen auf). 
Der Sieg erfohten? — Himmel! 

Hofcavalier. 
Das wißt ihr nicht? 

Das Heer der Schweden iſt auf's Haupt geſchlagen, 
Wenn nicht für immer, doch auf Jahresfriſt 
Die Mark vor ihrem Schwert und Feuer Sicher! 
— Doch jeht! da kommt die Landesfürftin fchon. 


Bierter Auftritt, 
Die Kurfürſtin bleih und — — — Matalte und mehrere Hofdamen 
Kurfürftim (unter der Thür). 
Bork! Winterfeld! fommt: gebt mir euren Arm! 
Natalie (u ihr eilend). 
D meine Mutter! 


Year 
Gott! fie bleicht! fie fällt! 
(Sie unterftügen fie.) 
Kurfürſtin. 
Führt mich auf einen Stuhl, ich will mich ſetzen, 
— Todt, ſagt er; todt? 
Natalie. 
O meine theure Mutter! 
en Gelber 
Ich will den Unglüdsboten jelber fprechen. 





Fünfter Anftritt. 


Nittmeiſter bon Mörner tritt berimunbet auf, von zwei Neitern geführt. — Die 
origen. 


Kurfürſtin. 
Was bringſt du, Herold des Entſetzens, mir? 
Mörner. 
Was dieſe Augen, leider, theure Frau, 
Zu meinem ew’gen Jammer, ſelbſt geſehn. 
Kurfürſtin. 
Wohlan! erzähl! 


215 


Mörner., 
Der Kurfürft ift nicht mehr. 
Natalie, 
D Himmel! 
Soll ein fo ungeheurer Schlag uns treffen? 
(Sie bededt fi) das Geficht.) 
Kurfürſtin. 
Erſtatte mir Bericht, wie er geſunken. 
— Und wie der Iefteahl, der den Wandrer trifft, 
Die Welt noch einma purpurn ihm erleuchtet, 
So laß dein Wort fein; Nacht, wenn du gejprochen, 
Mög’ über meinem Haupt zujammenjchlagen. 
Mörner 
(tritt, geführt von den beiden Reitern, vor ihr). 
Der Prinz von Homburg war, jobald der Feind, 
Gedrängt von Truchß, in feiner Stellung wantte, 
Auf Wrangel in die Ebne vorgerüdt; 
Due en FR er mit F nd 
urchbrochen ſchon und auf der Flucht vernichtet 
ALS er auf eine Yeldredoute ftieß ; htet⸗ 
die jhlug fo mörderiſcher Eifenregen 
ntgegen ıhm, daß feine Reiterichaar 
Wie eıne Saat fi) fnidend niederlegte,;, 
Datt mußt’ er machen zwijchen Buſch und Hügeln, 
m fein zerftreutes Reitercorps zu jammeln. 
Natalie ur Kurfürftin). 
Geliebte! faffe dich! 
urfürftin 


8 . 
Laß, laß mich, Liebe! 


. Mörner. . 

Je bielem Augenblid, den Staub entrüdt, 
emerfen wir den Herrn, der bei den Fahnen 
Des Truchßſchen Corps dem Feind entgegenreitet; 

Auf einem Schimmel herrlich ſaß er da, 

Im Sonnenftrahl, die Bahn des Siegs erleuchtend; 
Wir alle ſammein uns bei diefem Anblid 

Auf eines Hügels Abhang, ſchwer bejorgt, 

In Mitten ihn des Feuers zu erbliden: 

Als plöglich jegt der —8 Roß und Reiter, 
In Staub vor unſern Augen niederſinkt; 

Zwei Fahnenträger fielen über ihn, 

Und deckten ihn mit ihren Fahnen zu. 


Natalie. 
O meine Mutter! 


216 


Erfte Hofdame, 
Himmel! 
Kurfürſtin. 
Weiter! weiter! 


Mörner. 

Drauf faßt, bei dieſem ſchreckenvollen Anblick, 
Schmerz, unermeßlicher, des Prinzen Herz; 
Dem Bären gleich, von Wuth geſpornt und Rache, 
Brit er mit ung auf die Berthanzung [08: 
Der Graben wird, der Erdwall, der fie dedt, 
Im Anlauf überflogen, die Befagung 
Geworfen, J das Feld zerſtreut, vernichtet, 
Kanonen, Fahnen, Pauken und Standarten, 
Der Schweden ganzes Kriegsgepäd, erbeutet: 
Und hätte nicht der Brüdenfopf am Rhyn 
Im Würgen ung gehemmt, jo wäre feiner, 
Der an dem Heerd der Bäter jagen Fönnte: 
Bei Fehrbellin fah ich den Helden fallen! 

Kurfürſtin. 

Ein Sieg, zu theu'r erkauft; ich mag ihn nicht; 

Gebt mir den Preis, den er gekoſtet, wieder. 
(Sie ſinkt in Ohnmacht.) 

Erfte Hofdame. 

Hilf, Gott im Himmel! ihre Sinne ſchwinden. 
Matalle weint.) 


Sechſter Auftritt. 
Der Prinz) von Homburg tritt auf. Die Vorigen. 
Brinz von Homburg. 
D meine thenerfte Natalie! 
(Er Iegt ihre Hand gerührt an fein Herz.) 
Natalie. 
So ift e8 wahr? 
Priuz von Homburg. 
D könnt' ic fagen: nem! 
Könnt’ ih mit Blut, aus diefem treuen Herzen, 
Das feinige zurüd in's Dajein rufen! 
Ratalie 
(trodnet fi die Thränen). 
Hat man denn Schon die Leiche aufgefunden? 
Brinz von an 
Ad, mein Gefchäft, bis diefen Augenblid, 


217 


War Rache nur an Wrangel; wie vermocht’ ich, 
Solch einer Sorge mich bis jeßt zu weihn? 
Doch eine Schaar von Männern —* ich aus, 
yon im Gefild des Todes aufzuſuchen: 

or Nacht .noch zweifeldohne trifft er ein. 


Natalie. 
Wer wird in diefem fchauderhaften Kampf 
Jetzt diefe Schweden niederhalten? wer 
Bor diefer Welt von Feinden uns befhirmen, 
Die uns fein Glüd, die ung fein Ruhm erworben ? 


Prinz von Homburg 
(nimmt ihre Hand). 
IH, Fräulein, übernehme eure Sadıe! 
Ein Engel will ih mit dem Flammenſchwert 
An eures Throns verwaiften Stufen ftehn! 
Der urfüuft wollte, eh da8 Jahr noch mwechfelt, 
Befreit die Marken fehn; mohlan! ich will der 
Bollftreder ſolchen legten Willens fein. 
Natalie, 
Mein lieber, theurer Better! 
(Sie zieht ihre Hand zurüd.) 
Prinz von Homburg. 
Natalie! 
(Er Hält einen Augenblid inne.) 
Wie denft ihr über eure Zukunft jet? 


Natalie, 
Ja, was foll ich, nad diefem Wetterſchlag, 
Der unter mir den Grund zerreißt, beginnen? 
Mir ruht der Vater, mir die theure Meutter, 
Im Grab zu Amfterdam; in Schutt und Afche 
Liegt Dordredit, meines yanjes Erbe, da; 
SGedrängt von Epaniens agrannenheeren, 
Weiß Moritz kaum, mein Vetter von Oranien, 
Wo er die eignen Kinder retten joll: 
Und jest ſinkt mir die legte Stütze nieder, 
Die meines Glüdes Rebe aufrecht hielt. 
Ich ward zum zmweitenmale heut verwaift! 
Prinz von Homburg 
(Schlägt einen Arm um ihren Leib). 
D meine Freundin! wäre diefe Stunde 
Der Trauer nicht geweiht, jo wollt’ ich jagen: 
Schlingt eure Zweige hier um dieje Bruft, 
Um fie, die fchon feit Jahren einfam blühend, 
Nach eurer Gloden holdem Duft fich jehnt! 


I 


218 


u Natalie, 
Mein lieber, guter Better! 
Prinz von Homburg. 
— Wollt ihr? wollt ihr? 
rn Natalie, 
— Wenn id) in's innere Mark ihr wachſen darf? 
(Sie Iegt fid) an feine Bruft.) 
Prinz von Homburg, 
Wie? mas war da3? 
Natalie, 
Hinmweg! 
Prinz von Homburg (Hält fie). 
In ihren Kern! 
In ihres Herzens Kern, Natalie! 
(Ex tüßt fie; fie reißt fid) 108.) 
D Gott, wär er jegt da, den wir beweinen, 
Um diefen Bund zu ſchauen! könnten wir 
Zu ihm aufftammeln: Vater, fegne ung! 
(Er bedeckt fein Gefiht mit feinen Pänden ; anstalie wendet fich wieder zur Kurfürftin, 
rud. 


Siebenter Auftritt. 
Ein Wachtmeiſter tritt eilig auf. Dice Borigen. 
Wachtmeiſter. 
Be Prinz, aa wag' HL beim ner 
el ein Gerücht ſich ausſtreut, euch zu melden! 
— Der Kurfürft ich! 


Prinz von Homburg. 
Er —8 


Wachtmeiſter. 
Beim in Himmel! 
Graf Sparren bringt die Nachricht eben her. 


Natalie. 

Herr meines Lebens! Mutter, hörteſt du's? 
(Sie ſtürzt vor der Kurfürftin nieder und umfaßt ihren Leib.) 
Prinz von Homburg. 
Nein, ſag — Wer bringt mir —? 
Wachtmeiſter. 
Graf Georg von Sparren, 

Der ihn in Hackelwitz, beim Truchßſchen Corps, 
Mit eignem Aug' geſund und wohl, geſehn! 


219 


ns von Homburg. 
Geſchwind! lauf, Alter! bring ihn mir herein! 
(Wachtmeiſter ab.) 





Achter Auftritt, 


Graf von Sparren und ber Wachtmeiſter treten auf. — Die Berigen. 


Kurfürſtin. 
O ſtürzt mich zweimal nicht zum Abgrund nieder! 
Natalie. 
Nein, meine theure Mutter! 
Kurfürſtin. 
Friedrich lebt? 
Natalie 
(Hält fie mit beiden Händen aufrecht). 
Des Dafeins Gipfel nimmt euch wieder auf! 


Wachtmeifter (auftretend). 
Hier ift der Offizier! 
Brinz von Homburg. 

Herr Graf von Sparren! 
Des Herrn Durchlaucht habt ihr frifch und wohlauf 
Beim Truchßſchen Corps in Hadelwig gejehn? 
q in erlaucht Be ee p 

a, mein erlauchter Prinz, im Hof des Pfarrers, 

Wo er Befehle gab, —— umringt, 
Die Todten beider Heere zu begraben. 


Hofdamen. 
O Gott! an deine Bruſt — 
(Sie umarmen ſich.) 
Kurfürftin. 
meine Tochter! 


Natalie, 
Nein, dieſe Seligfeit ift faft zu groß! 
(Sie drüdt ihre Gefiht in der Tante Schooß.) 
.  Brinz von Homburg. 
Sah ih von fern an meiner Reiter Spike 
a nicht, zerfchmettert von Kanonenkugeln, 
n Staub —* dem Schimmel niederſtürzen? 


Graf Sparren. 
Der Schimmel allerdings ſtürzt' ſammt dem Reiter, 
Doch wer ihn ritt, mein Prinz, war nicht der Herr. 


> 


IN 


220 


Prinz von Homburg. 
Nicht? nicht der Herr? 
Ratalie, 
D Jubel! 
(Sie ſteht auf, und ſtellt fih an die Seite der Kurfürftin.) 


Prinz von Homburg. 
Spri ! erzähle! 
Dein Wort fällt ſchwer wie Gold in meine Bruft! 


Graf Sparren. 
D laßt die rührendfte Begebenheit, 
Die je ein Ohr vernommen, ech berichten. 
Der Yandesherr, der, jeder Warnung taub, 
Den Schimmel wieder ritt, den ftrahlend weißen, 
Den Froben jüngft in England ıhm erftand, 
War wieder, wie bis heut noch ftetS gefchah, 
Das Ziel der feindlichen Kanonenkugeln. 
Kaum konnte, wer zu feinem Troß gehörte, 
Auf einen Kreis von hundert Schritt ihm nahn; 
Granaten mwälzten, Kugeln und Kartätichen, 
Eid wie ein breiter Todesſtrom daher, 
Und Alles, was da lebte, wich an's Ufer: 
Nur er, der kühne Schwimmer, wankte nicht, 
Und ftet8 den Freunden minfend rudert’ er 


Getroſt den Höhn zu, wo die Duelle fprang. 


Prinz von Homburg. 
Beim Himmel, ja! ein Graufen war's, zu fehn., 
Graf Sparren. 
Stallmeifter Froben, der beim Troß der Suite 
Zunächſt ihm folgt, ruft dieſes Wort mir zu: 
„Verwünſcht fei Bent mir diefes Schimmel3 Glanz, 


, Mit fohmerem Gold in London jüngft erfauft! 


Wollt’ ich doc unfgig Stüd Dufaten geben, 
Könnt ich ihn mit dem Grau der Mäufe deden.“ 
Er naht voll heißer Sorge ihm und Wade 
„Hoheit, dein Pferd ift fcheu, du mußt verftatten, 
Daß ich's noch einmal in die Schule nehme!” 
Mit diefem Wort entfigt er feinem Fuchs, 

Und fällt dem Thier des Herren in den Zaum; 
Der Herr ve ab, ſtill lächelnd, und verjegt: 
„Die Kunft, die du ıhn, Alter, Iehren willft, 
Wird er, jo lang e8 Tag ift, ſchwerlich lernen. 
Nimm, bitt’ ich, fern, ihn hinter jenen Hügeln, 
Mo feines Fehls der Feind nicht achtet, por!“ 
Dem Fuchs drauf figt er auf, den Froben reitet, 


221 


Und kehrt zurüd, wohin fein Amt ihn ruft. 

Doch Froben hat den Schimmel faunı beftiegen, 

Sp reißt, entjendet aus der Feldredoute, 

Ihn Schon ein Mordblei, Rog und Keiter, nieder: 

In Staub finkt er, ein Opfer feiner Treue, 

Und feinen Laut vernahm man mehr von ihm. (Kurze Paufe) 


Prinz von Homburg. 
Er ift Fun — Wenn ich zehn Leben hätte, 


Könnt’ ich fie beſſer brauchen nicht, als jo! 
Natalie, 
Der wadre Froben! 
Rurfürftin. 
Der Bortreffliche! 


Natalie, 
Ein Schledtrer wäre noch der Thränen werth. (Sie weinen.) 


Brinz von Homburg. 
Genug! zur Sad jetzt. Wo ift der Rurfürft? 
Nahm er in Hadelwig fein Hauptquartier ? 
Graf Sparren.. 

Bergieb! der Herr ift nach Berlin gegangen, 
Und die geſammte Generalität 
Iſt aufgefordert, ihm dahin zu folgen. 

Brinz von Homburg. 
Wie? nah Berlin! — Iſt denn der Feldzug aus? 


Oraf Sparten 

Fürwahr, ich ftaurte, daß dir Alles fremd! 

Graf Horn, der ſchwed'ſche General, traf ein; 

Es im Lager, glei nad feiner Ankunft, 

Ein Waffenftillftand ausgerufen worden. 

Wenn ih den Marſchall Dörfling recht verfianden, 
Ward eine Unterhandlun angehnüpft: 
Leicht, daß der Frieden Arm erfolgen Tann. 


Kurfürſtin. 
O Gott, wie herrlich klärt ſich Alles auf! (Sie ſteht auf.) 
Prinz von Homburg. 
Kommt, laßt fogleich uns nach Berlin ihm folgen! 
— Räumft du, zu rajcherer Deförbrung, wohl 
Mir einen Play in deinem Wagen ein! 
— Bmei Zeilen nur an Sottwig fchreib’ ich noch, 
Und fteige augenblidlih mit dir ein. 
(Er fett fich nieder und ſchreibt.) 
Kurfürftim, 
Bon ganzem Herzen gern! 


222 


' Prinz von Homburg 
(legt den Brief zuſammen und übergiebt ihn dem Wachtmeiſter; indem er fa wieder 
zur Kurfürſtin wendet, und den Arm fanft um Nataliend Leib legt). 


Ich babe fo 
Dir einen Wunſch noch fchüchtern zu vertraum, 
Dep ich mich auf der Reif’ entlaften will. 
Natalie 
(macht fi) von ihm Yo8). 
Bork! Raſch! mein Halstuch, bitt’ ich! 
Kurfürſtin. 
Du? einen Wunſch mir? 
Erſte Hofdame. 
Ihr tragt das Tuch, Prinzeſſin, um den Hals! 
Prinz von Homburg 


(zur Kurfürſtin). 
Was? räthſt du nichts? 
® Kurfürſtin. 
Nein, nichts! 
Prinz von Homburg. 

Was? keine Sylbe —? 
| KAnrfürftin (abbrechend). 
Gleichviel! — Heut keinem em auf Erden 
Antwort’ ich: nein! was es auch immer je: 
Und dir, du Sieger in der Schlacht, zulett! 
— Hinmeg! 

Prinz von Homburg. 
D Mutter! mel ein Wort ſprachſt du? 
Darf ich's mir deuten, wie e8 mir gefällt? 
Kurfürſtin. 
ginmeg, fag’ ih! im Wagen mehr davon! 
ommt, gebt mir euren Arm! 
Prinz von Homburg. 
D Läfar Divus! 
Die Leiter feß’ ich an, an deinen Stern! 
(Er führt die Damen ab; alle folgen.) 


223 


Scene: Berlin. Luflgarten vor dent alten Schloß. Im Hintergrunde bie Schloß» 
Girdde mit einer Treppe. Glockenklang; die Kirche iſt ſtark erleuchtet; man fieht die 
eiche Frobens vorübertragen, und auf einen prädtigen Katafalt niederfegen. 


Nennter Auftritt. 


Kurfürſt. 
Wer immer auch die Reiterei geführt 
Am Tag der Schlacht, und, eh der Obriſt Hennings 
Des Feindes Brücken hat zerſtören können, 
Damit iſt aufgebroden, eigenmächtig, 
(Qur Flucht, bevor ich Ordre gab, ihn zwingend) 
er iſt des Todes ſchuldig, das erklär' ich, 
Und vor ein Kriegsgericht beſtell' ich ihn. 
— Der Prinz von —2* hat ſie nicht geführt? 
Graf Truchß. 
Nein, mein erlauchter Herr! 
Kurfürſt. 
Wer ſagt mir das? 
Graf Truchß. 
Das können Reiter dir bekräftigen, 
Die mir's verſichert vor Beginn der Schlacht; 
Der Prinz hat mit dem Pferd Pi überjchlagen, 
Dan hat verwundet ſchwer an Haupt und Schenkeln 
In einer Kirche ihn verbinden fehn. 
Anıfürf. - 
Gleichviel. Der Sieg ift glänzend biejes Tages, 
Und vor dem Altar morgen danf ich Gott; 
Doch wär’ er zehnmal größer, das entfchuldigt 
Den nicht, durch den der Zufall mir ihn fchenft: 
Mehr Schlachten noch als die hab’ ich zu kämpfen, 
Und will, daß dem Geſetz Gehorſam ſei. 
Wer's immer war, der fie zur Schladht gerührt, 
Sch wiederhol’8, hat feinen Kopf vermirft, 
Und vor ein Kriegsrecht hjermit lad’ ich ihn. 
— Folgt, meine Fremde, in die Kirche mir! 





224 


Zehnter Auftritt. 


Der Prinz von Hamburg drei ſchwediſche ahnen in der Hand, Obrik Kottwitz mit 
dereu zwei, Graf Hohenzollern, Rittmeiſter Golz. Graf Neuß jeder A einer N mit 
mehrere andere Offiziere, Korporale und ütei Reuer mit Fahnen, Pauken und Stanbarten 


Sörtling 
(fo wie er den Prinzen erblidt). 
Der Prinz von Homburg! — Truchß! was madtet ihr? 
eurfurſt (tutzt). 
Wo kommt ihr her, Prinz? 
Prinz von Homburg 
(einige ar vorfchreitend). 
Bon Fehrbellin, mein Kurfürft, 
Und bringe diefe Siegstrophäen dir. 


(Er legt die drei Fahnen vor ihm nieder; die Offiziere, Korporale und Reiter folgen, 
jeder mit der ihrigen.) 


Kurfürft Getroffen). 
De a hör’ ich, und gefährlid) ? 
— Gra 
Prinz bon Homburg (heiter). 
Bergieb! 
ra b? ruch ß. 
eim Himmel, ich erſtaune! 
Priuz von H gomburg 
Dein Goldfuchs fiel vor Anbeginn der Schlacht; 
Die Hand hier, die ein Feldarzt mir verband, 
Verdient nicht, daß du N. — taufſt. 


Mithin haſt du die Reiter — 

Prinz von Homburg (fieht ihn an). 
Ih? allerdings! Mußt du von mir das hören? 
— Hier legt’ ich den ven zu ud dir. 


urfür 
— Nehmt ihm den Degen ab: er en gefangen. 
Feldmarſchall (erihroden). 


Kurfürſt 
(tritt unter die Fahnen). 
Kottwitz ſei gegrüßt mir! 
Graf Truchß (für fich. 
O verflucht! 
Kottwitz. 
Bei Gott, ich bin auf's Aeußerſte — 


Wem? 


225 


Kurfürft (fieht ihn an). 
Was fagft du? 
Schau, welche Saat für unfern Ruhm gemäht! 
— Die Fahn’ ift von der ſchwed'ſchen Leibwacht! nicht ? 
(Er nimmt eine Fahne auf, entwidelt und betrachtet fie.) 
Kottwitz. 


Mein Kurfürſt? 
Feldmarſchall. 


Mein Gebieter? 
Kurfürſt. 
Und König Guſtav Ad —— 
nd zwar aus Köni uſtav Adolphs Zeiten. 
* heißt die art 
Kottwitz. 
Ich glaube — 


Feldmarſchall. 
Per aspera ad astra. 


Kurfürft. 

Das hat fie nicht bei Fehrbellin gehalten — (Paufe.) 
Kottwig (chuqtern). 

Mein Fürft, vergönn ein Wort mir. 


Kurfürſt. 
Was beliebt —? 
Nehmt Alles, Fahnen, hg und Standarten, 
Und hängt fie an der Kirche Pfeilern auf; 


Beim Siegsfeſt morgen den? ich fie zu brauchen! 
(Der Kurfürft wendet fi zu den Rurieren At ihnen die Depefchen ab, erbridt 
t 
Hottwitz (für fh). 
Das, beim lebend’gen Gott, ift mir zu ftarf! 
(Der Drift nimmt, nad) einigem Zaubern, feine —A onen auf; die übrigen Offi⸗ 


ziere und Reiter toigen; I Ne on en De — liegen bleiben, hebt 
Ein Offizier 
(tritt vor den Prinzen). 
Prinz, euren Degen, bitt' ich. 
Hohenzollern 
(mit ſeiner Fahne ihm zur Seite). 
Ruhig, Freund! 
z von Homburg 
Träum' ich? wach' je ? Geb’ Mn bin ich bei Sinnen? 


Prinz, gieb den Degen, cat 74 hin und ſchweig 
Bibl. d. d. Natlonalliteratur. Kleiſt. I. 


226 


Brinz von Homburg. 
Sch, ein Gefangener? 
Hohenzollern. 
So iſt's! 


Gnlz. 
Ihr hört’s! 
Prinz von Homburg. 
Darf man die Urſach witfen? 


Hohenzollern (mit Nachdruch. 
Jetzo Her 
— Du haft zu zeitig, wie wir gleich gefagt, 
Di in vi —88 gedrängt; die Ordre war, 
Nicht von dem Pla zu weichen, ungerufen! 
Bring von Homburg. 
Helft, Freunde, helft! ich bin verrüdt. 
Golz (unterbrechend). 
Still! ſtill! 
Prinz von Homburg. 
Sind denn die Märkiſchen geſchlagen worden? 
Hohenzollern 
(ſtampft mit dem Fuß auf die Erde). 
Gleichviel! — der Satzung ſoll Gehorſam ſein. 
Prinz von Homburg 
“(mit Bitterfeit). 
So — fo, fo, fo! 
Sohenzollern 
(entfernt fi von ihm). 


Es wird den Hals nit Foften. 


Golz (even fo). 
Bielleicht bift dir Schon morgen wieder los. 
(Der Aurfürft Tegt die Briefe zufanmen und kehrt twieber in den Kreis der Offiziere zurüd.) 
Brinz von Homburg 

(nachdem er fi den Degen abgeichnaflt). 
Mein Better Friedrich will den Brutus fpielen, 
Und fieht, mit Kreid’ auf Leinemand verzeichnet, 
Sich ſchon auf dem curul'ſchen Stuhle figen: 
Die fchmed’shen Fahnen in dem Vordergrund, 
Und auf dem Tiſch die märk'ſchen Kriegsartikel. 
Bei Gott, in mir nicht findet er den Sohn, 
Der unter'm Beil des Henfers ihn bewundre. 
Ein deutſches Herz von altem Schrot und Korn, 
Din ich gewohnt an Edelmuth und Liebe; 


227 


Und wenn er mir in diefem Augenblid 
Wie die Antike ſtarr entgegentommt, 
Thut er mir leid, und id nıuß ihn bedauern! 

(Er giebt den Degen an den Offizier und geht ab.) 

Kurfürft. 

Bringt ihn nach Fehrbellin, in's Hauptquartier, 
Und dort beftellt das Kriegsrecht, das ihn richte. 
(Ad in die Kirche. Die Fahnen folgen ihm, und werden, während er mit feinem Ge⸗ 


folge an dem Sarge Frobens niederfniet und betet, an ben Pfeilern derjelben auf- 
gehängt. Trauermufif.) 


Aritter Akt. 


Scene: Sehrbelin. Ein Gefängniß. 


Eriter Auftritt. 


Der Prinz bon Hamburg. — Im Bintergrunde zwei Neiter, ald Wache. Der Graf 
son Hahenzaflern tritt auf. 





Brinz von Homburg. 
Gieh da! Freund Heinrich! fei willkommen mir! 
— Nun, des Arreftes bin ich wieder los? 
Hohenzollern (erftaunt). 
Gott fei Yob in der Höh’! 


Prinz von Homburg. 
Was jagft du? 
Sohenzollern. 


Hat er den Degen dir zuridgefchidt ? 


Prinz von Homburg. 
Mir? nein. 


Nicht ? 
Brinz von Homburg. 
Nein! 
Hohenzollern. 
— Woher denn alfo los? 
Brinz von Homburg 
(nad) einer Baufe). 


Ich glaubte, du, du bringft e8 mir. — Gleichviel! 


Term, 
— Ich weiß von nichtg benze a 


Hohenzollern. 


15* 


228 


Prinz von Homburg. 
Gleichviel! du hörft: gleichviel! 
Sp ſchickt er einen Andern, der mir’3 melde. 
(Er wendet fih und Bolt Stühle.) 
Sen bi — Nun, je mir an, was giebt e8 Neues? 
— Der Rurfürft kehrte von Berlin zurüd? 


Hohenzollern Cerſtreut). 
%a. Geftern Abend. 
Prinz von Homburg. 
Ward befchloßner Maßen 
Das Diegetelt dort gefeiert? — Allerdings! 
— Der Kurfürft war zugegen in der Fire? 
Hohenzollern. 
Er und die Fürftin und Natalie. 
Die Kirche war auf würd’ge Art erleuchtet; 
Battrien Tiefen ſich vom Schloßplat her 
Mit ernfter Pracht bei dem Tedeum hören. 
Die Ihwed’shen Fahnen mwehten und Standarten, 
Trophäenartig, von den Pfeilern nieder, 
Und auf des Herrn ausdrüdlichen Befehl 
Ward deines, al8 des Siegers Namen — 
Erwähnung von der Kanzel her gethan. 
Prinz von Homburg. 
Das hört’ ih. — Nun, was giebt es fonft; was bringft du? 
— Dein Antlitz, dünkt mid, Heht nicht heiter, Freund ! 
Sohenzollern. 
— Sprachſt du ſchon wen? 


Prinz von Homburg. 
Golz, eben, auf dem Schloſſe, 
Wo ich, du weißt es, im Verhöre war. (Baufe.) 
Hohenzollern 
(fieht ihn bedenklich an). 
Was denfft du, Arthur, denn von deiner Rage, 
Seit fie fo feltfam ſich verändert hat? 
Prinz von Homburg. 
Ih? nun, was du und Golz — die Richter felbft! 
Der Kurfürft hat gethan, was Pflicht erheifchte, 
Und nun wird er dem Herzen auch gehorchen. 
Gefehlt haft du, fo wird er ernft mir jagen, 
Bieleiht ein Wort von Tod und Feſtung fprechen; 
39 aber fchenfe dir die Freiheit wieder — 
nd um das Schwert, das ihm den Sieg errang, 
Schlingt ſich vieleiht ein Schmud der Gnade noch; 
— Menn der nicht, gut; denn den verdient’ ich nicht! 


229 


Sohenzollern. 
D Arthur! (&r Hält inne.) 


sinz von Homburg. 
Nun? * 


he le 
— Deß bift du jo gewiß? 
Brinz von Homburg. 
Ich denk's mir fo! Ich bin ihm merth, das weiß ich, 
Werth wie ein Sohn; das hat feit jeher Kindheit 
Sein Herz in taufend Proben mir bemiefen. 
Was fiir ein Zweifel iſt's, der dich bewegt? 
Schien er am Wahsthum meines jungen Ruhms 
Nicht mehr faft, als ich felbft, fich zu erfreuen? 
Bin ich nicht alles, was ich bin, durch ihn? 
Und er, er follte lieblos jest die Pflanze, 
Die er jelbft zog, bloß weil fie ſich ein wenig 
gu raſch und üppig in die Blume warf, 
ißgünftig in den Staub daniedertreten? 
Da3 glaubt’ ich feinem ſchlimmſten Feinde nicht, - 
Bielmeniger dir, der du ihn kennſt und Liebft. 
Hohenzollern (vedeutend). 
Du ftandft dem Kriegsreht, Arthur, im Verhör; 
Und bift des Glaubens noch? 
Prinz von Homburg. 
eil ich ihm ftand! 
Bei dem lebend’gen Gott, fo weit geht feiner, 
Der nicht gefonnen wäre zu begnad’gen! 
Dort eben, vor der Schranke des Gerichts, 
Dort war's, wo mein Vertraun ſich wiederfand. 
War's denn ein todesmürdiges Verbrechen, 
Zrei Augenblicke früher, als befohlen, 
ie ſchwed'ſche Macht in Staub gelegt zu haben? 
Und welch ein Frevel ſonſt drückt meine Bruſt? 
Wie könnt' er doch vor dieſen Tiſch mich laden 
Von Richtern, herzlos, die den Eulen gleich 
Stets von der Kugel mir das Grablied ſingen: 
Dächt' er mit einem heitern —— 
Nicht als ein Gott in ihren Kreis zu treten? 
Nein, Freund, er ſammelt dieſe Nacht von Wolken 
Nur um mein Haupt, um wie die Sonne mir 
Durch ihren Dunſtkreis ſtrahlend aufzugehn! - 
Und dieſe Luft, fürwahr, kann ich ihm gönnen. 
‚Bohenzollern, 
Das Kriegsreht gleihwohl, jagt man, hat gefprochen, 


230 


Prinz von Homburg, 
Ich van ja; auf Tod. 


Hohenzollern (erſtaunt). 
Du meißt e3 ſchon? 


Prinz von Homburg. 
Golz, der dem Spruch des Kriegsrechts Beigemwopnt, 
Hat mir gemeldet, wie er ausgefallen. Ä 


Hohenzollern. 
Nun denu, bei 2: — der Umftand rührt dich nicht? 


rinz von Homburg. 
Mich? nit im — 
Hohenzollern. 
Du Raſender! 
Und worauf ſtützt na deine Sicherheit? ° 
Prinz von Homburg. 
Auf mein Gefühl von ihm! (Er feht auf.) 
Ich bitte, laß mich! 
Was If ih mich mit falfhen Zweifeln quälen? 
(Er befinnt fih und läßt fich wieder nieder. — Paufe.) 


| — 
Nun, Arthur, ich verſichre dich — 
Prinz von Homburg (Guwillig). 
O Lieber! 
Hohenzollern, 
Der Marſchall — 
Prinz von Homburg (eben fo). 
Laß mich, Freund! 
Hohenzollern. 
wei Worte hör noch! 
Menn die Dir auch nichtS gelten, ſchweig' ich ſtill. 
— Prinz von Homburg 
(wendet fih wieder zu ihm). 
Du börft, ih weiß von Allem. — Nun? mas ift’3? 
Hohenzollern. 
Der Marſchall hat, höchſt fetfem iſt's, fo eben 
Das Todesurtheil im Schloß ihn überreidht: 


231 


Und er, flatt wie das Urtheil je ihm ſtellt, 
a zu begnadigen, er hat befohlen, 
Daß es zur Unterfchrift ihm kommen fol. 
Prinz von Homburg. 
Gleichviel. Du börft. v 
Hohenzollern. 
Gleichviel? 
Prinz von Homburg. 
— Zur Unterſchrift? 
Hohenzollern, 
Bei meiner Ehre’! ich kann es dich verfichern. 
Prinz von Homburg, 
Das Urtheil? — Nein! Die Schrift — 
Hohenzollern. 
. Das Zodesurtheil. 
Prinz von Homburg. 
Wer hat dir das gejagt? 
Hohenzollern. 
Er jelbit, der Marſchall. 


Prinz von Homburg. 
Wann? v 


Hohenzollern 
Eben jebt. 
Brinz von Homburg. 
ALS er vom Herrn zurüdtam ? 


Sohenzottern. 
Als er vom Herrn die ‘Treppe niederftieg. 
Er fügt Kader da er beftürzt mid) Iodr 
Verloren fei noch nichts, und morgen fei 
Dad noch ein Tag dich zu begnadigen; 
Doc feine bleiche Lippe widerlegte 
Ihr eignes Wort, und ſprach: ich fürchte, nein! 
Brinz von Homburg (feht auf). 

Er könnte — nein! fo ungeheuere 
Entjchließungen in feinem Buſen wälzen? 
Um eines Fehls, der Brille faum bemerkbar, | 
In dem Demanten, den er iinaft empfing, 
AN Staub den Geber treten? Eine That, 

ie weiß den Dey von Algier brennt, mit Flügeln, 
Nah Art der Cherubine, Hiberglängig, . 
Den Sardanapel ziert, und die gefammte 
Altrömifche Tyrannenreihe, ſchuldlos, 


232 


Wie Kinder, die am Mutterbufen fterben, 
Auf Gottes "rechte Seit’ hinüberwirft! 
Hohenzollern 
(der gleichfalls aufgeftanden). 
Du mußt, mein — dich davon überzeugen. 


z von Homburg 
Und der Feldmarſde —— und —* nichts? 
Hohenzollern, 
Was follt’ er fagen? 
Prinz von Semburg. 
D Himmel! meine Hoffnung! 
‚Hohenzollern. 
gel du vielleicht je einen Schritt gethan, 
ei's wiſſentlich, Eis unbemußt, 
Der feinem ftolzen Geift zu nah getreten ? 
Prinz von Homburg. 


Niemals! Fr 
ohenzoflern. 
Beſinne did. 
Brinz von Homburg. 
Neemals, beim Himmel! 
Mir war der Schatten feines Hauptes heilig. 
Hohenzollern. 
Fon ſei mir nicht böfe, wenn ich zweifle. 
orn traf, der Geſandie Schwedens, ein, 
un jein Geſ kai geht, wie man hier verfichert, 
An die Prinzejjin von Dranien. 
Ein Wort, * die Kurfürſtin Tante ſprach, 
dat auf's Empfindlichfte den Herrn getroffen; 
tan jagt, das Fräulein habe ſchon gemä it. 
Biſt du auf feine Bein hier im Spiele? 
Prinz ou Homburg. 
D Gott! was fagft du mir? 
Hohenzollern. 
Biſt du's? bift du's? 
Prinz von Homburg. 
Ich bin’s, mein Freund; ae ift mir Anes Mar; 
Es flürzt der Antrag in's Verderben mid): 
An ıhrer Weigrung, wiſſe, bin id Schuld, 
Weil mir ſich die Krinzeffin anverlobt! 
Hohenzolfern, 
Du unbejonn’ner Thor! was machteſt du? 
Wie oft hat dich mein treuer Mund gewarnt? 


233 


Prinz von gombure. 
D Freund! hilf! rette mich! ich bin verloren. 
Hohenzollern. 
Ya, welch ein Ausweg führt aus diefer Noth! — 
Willſt dur vielleicht die Fürftin Tante fprechen ? 
Prinz von Homburg (wendet fi). 
— He, Wade! 


Hier! 
Prinz von Homburg. 
Ruft euren Offizier! — 
(Er nimmt eilig einen Mantel um von der Wand, und fet einen Federhut auf, der 
auf dem Tiſch liegt.) 
Hohenzollern 
(Indem er ihm bebülflich ift). 
Der Schritt kann, Elug gewandt, dir Rettung bringen. 
— Denn kann der Kurfürft nur mit König Karl 
‚Un den bewußten Preis den Frieden fchließen, 
So ſollſt du fehn, fein Herz verſöhnt fich dir, 
Und glei, in wenig Stunden, bift du frei. 


Reiter (im Hintergrund). 





Zweiter Auftritt. 


Der Offizier tritt auf. — Die Borigen. 
Prinz von Homburg 
(zu dem Offizier). 
Stranz, übergeben bin ich deiner Wache! 
Erlaub, in einem dringenden Geſchäft, 
Daß ich auf eine Stunde mid) entferne. 
Offizier. 

Mein Prinz, mir übergeben biſt du nicht. 
Die Ordre, die man mir ertheilt hat, lautet, 
Dich gehn zu laſſen frei, wohin du willſt. 

Prinz von Homburg. 
Seltſam! — ſo bin ich kein Gefangener? 


Offizier. 
Vergieb! — dein Wort iſt eine Feſſel auch. 


Hohenzollern (bricht auf). 
Auch gut! gleichviel! 


Prinz von Homburg. 
Wohlan! jo leb denn wohl! 


234 


| BE den 
Die Feſſel folgt dem Prinzen auf dem Fuße. 
Prinz von Homburg. 
Ih geh’ auf's Schloß, zu meiner Zante'nur, 
Und bin in zwei Minuten wieder bier. (Atte ab.) 


Scene: Bimmer ber Kurfürftin. 


Dritter Auftritt. 
Die Kurfürftin und Natalie treten auf. 


Kurfürſtin. 
Komm, meine Tochter; om! A Itägt, die Stunde, 
Graf Suftan Horn, der ſchwediſche Gefandte, 
Und die Gejellichaft pet Ds Schloß verlaffen; 
Im Kabinet des Onkels jeh’ ich var: 
Komm, leg das Tuch dir um, und Ichleich dich zu ihm, 
Und fieh, 0b du den Freund dir retten kannſt. 

(Sie wollen gehen.) 





Vierter Auftritt. 
Eine Hofdame tritt auf. — Die Borigen. 
| Hofdam 
Pen Homburg, gnäd’ge Frau, if vor der Thüre! 
aum weiß ich wahrlich, ob ich recht geſehn. 
Kurfürſtin (etroffen). 
O Gott! 
Er ſelbſt? 
Kurfürſtin. 
Hat er denn nicht Arreſt? 
Hofdame. 
Er ſteht in Federhut und Mantel draußen, 
Und fleht beſtürzt und dringend um Gehör. 
Kurfürſtin (unmitig) 
Der Unbefonnene! fein Wort zu brechen! 
Natalie, 
Mer weiß, mas ihn bedrängt. 
Kurfürſtin 
(nad) einigem Bedenken). 
— Laßt ihn herein! 
(Sie fett fi auf einen Stuhl.) 


Natalie, 





233 
Fünfter Anftritt, 


Der Prinz von Homburg tritt auf. — Die Borigen, 
Prinz von Homburg. 
D meine Mutter! (Cr läßt fig auf Knieen vor ihr nieder.) 
Kurfürſtin. 
Prinz! was wollt ihr hier? 
Brins von Homburg. 
D laß mich deine Knie umfaffen, Mutter! 
Kurfürftin 
(mit unterdrüdter Rührung). 
Gefangen feid ihr, Prinz, und kommt hierher! 
Was häuft ihr neue Schuld zu eurer alten ? 
u Brinz von Homburg (dringend). 
Weißt du, was mir gefchehn? 
Kurfürſtin. 
Ich weiß um Alles! 
Was aber kann ich, Aermſte, für euch thun? 
Prinz von dembaes. 
O meine Mutter, alſo man u nicht, 
Wenn dich der Tod umfchauerte, wie mich! 
Du ſcheinſt mit Himmelskräften, rettenden, 
Du mir, das Fraͤulein, deine Frau'n, begabt, 
Mir Alles rings umher; dem Troßknecht könnt' ich, 
Dem ſchlechteſten, der deiner Pferde pflegt, 
Gehängt ain Halſe flehen: rette mich! 
Nur ih allein, auf Gottes weiter Erde, 
Bin hülflos, ein Berlaßner, und kann nichts! 
Kurfürftim. 
Du bift ganz außer dir! was ift gejchehn? 
Prinz von Homburg. 
Ah! auf dem Wege, der mich zu Dir führte, 
Sah ich da8 Grab beim Schein der Fackeln öffnen, 
Das morgen mein Gebein empfangen fol. 
Sieh dieje Augen, Tante, die dich anſchaun, 
Will man mit Naht umfchatten, diefen Buſen 
Mit mörderifchen Kugeln mir durchbohren. 
Beftellt find auf dem Markte Idon die Fenſter, 
Die auf das öde Schaufpiel niedergehn, 
Und der die Zukunft auf des Lebens Gipfel 
gen wie ein Feenreich noch überjchaut, ' 
ieqt in zwei engen Brettern duftend morgen, 
Und ein Geftein jagt dir von ihm: er war! 


(Die Brinzeffin, welche bieher auf die Schultern der Hofdame gelchnt, in der Ferne 
geftanden tat, läßt ſich bei diejen Worten erjhüstert au cıncın Tiſch nieder nnd weint.) 


236 


Aurfürſtin. 

Mein Sohn! wenn's ſo des Himmels Wille iſt, 
Wirſt du mit Muth dich und mit Faſſung rüſten! 

Prinz von Homburg. 
O Gottes Welt, o Mutter, iſt ſo ſchön! 
Laß mich nicht, fleh’ eh die Stunde fchlägt, 
gu jenen ſchwarzen Schatten niederfteigen! 

ag er doch font, wenn ich gefehlt, mich ftrafen, 
Warum die Kugel eben muß es jein ? 
Mag er mich meiner Aemter doch entjegen, 
Mit Caſſation, wenn's das Geſet jo will, 
Mich aus dem Heer entfernen: Gott des Himmelß! 
Geit ich mein Grab fah, will ich nichts, als leben, 
Und frage nichts mehr, ob es rühmlich fei! 
Kurfürſtin. 

Steh auf, mein Sohn; ſteh auf! was ſprichſt du da? 
Du biſt zu ſehr erſchüttert. Faſſe dich! 

Prinz von Homburg. 
Nicht, Tante, u als bis du mir gelobt, 
Mit einem Fußfall, der mein Daſein rette, 
Fleh'nd ſeinem höchſten Angeſicht zu nahn! 
Dir übergab zu Homburg, als ſie — 
Die Hedwig mich, und ſprach, die Jugendfreundin: 
Sei du ihm Mutter, wenn ich nicht mehr bin. 
Du beugteſt tieſgeruhrt am Bette knieend, 
Auf ihre Hand dich und erwiederteſt: 
Er ſoll mir ſein, als hätt' ich ihn erzeugt. 
Nun, jetzt erinnr' ich dich an ſolch ein Wort! 
Geh hin, als hättſt du mich erzeugt, und ſprich: 
Um Gnade fleh' ich, Gnade! * du frei! 
Ah, und fomm mir zurüd, und ſprich: du biſt's! 


Kurfürftim (meint). 
Mein theurer Sohn! es ift bereits gefchchen, 
Doch Alles, mas ich flehte, war umfon 


Prinz von Homburg. 
Ich gebe jeden Anſpruch auf an Glüd. 
Nataliens, das vergiß nicht, ihm zu melden, 
Begehr' ich gar nicht mehr, in meinem Buſen 
Iſt alle ee für fie verlöfcht. 
Frei tft fie, wie das Reh auf Haiden, wieder, 
Mit Hand und Mund, alg wär’ ich nie geweſen. 
Dericenten Tann fie fih, und wenn's Karl Guftan, 
Der Schweden zönig ift, jo lob' ich fie. 
Ich will auf meine Güter gehn am Rhein, 


237 


Da will ich bauen, will ich niederreißen, 

Daß mir der Schweiß berabtrieft, fäen, ernten, 

Als wär's für Weib und Kind, allein genießen, 

Und wenn ıch erntete, von neuem fäen, 

Und in den Kreis herum das Xeben jagen, = 
Dis es am Abend niederfinft und ftirbt. 


8 ß Kurfürſtin. 
ohlan! kehr jetzt nur heim in dein Gefängniß, 
Das iſt die erfte Fordrung meiner Gunft! guiß 


Prinz von Homburg 
(flieht auf und wendet ſich zur Prinzeffin). 

Du ,armes Mädchen, weinft! die Sonne leuchtet 

eut alle deine Hoffnungen zu Grab! 

tjöjieben hat dein erft Sefägt fr mid, _ 
Und deine Miene jagt mir, treu wie Gold, 
Du wirft dich nimmer einem Andern weihn. 
Ja, was erfhwing’ ich Aermiter, das dic tröfte? 
Geh an den Main, rath’ Wr in’3 Stift der Jungfraun, 
Al deiner Baſe Thurn, fuch in den Bergen 

ir einen Knaben blondgelodt wie ich, 
Kauf ihn mit Gold und Silber dir, drück ihn 
An deine Bruft und lehr ihn: Mutter! Sammeln; 
Und wenn er größer ift, fo unterweif’ ıhn, 
Wie man den Sterbenden die Augen jchließt. — 
Das ift das ganze Glüd, das vor dir liegt! 


Natalie 

(muthig und erhebend, indem fie auffteht und ihre Hand in bie feinige Yegt). 
Geh, junger Held, in deines Kerkers Haft, 
Und auf dem Rüdweg ſchau noch einmal ruhig 
Das Grab dir an, das dir geöffnet ward! 
Es ift nicht finfterer und um nichts breiter, 
Als es dir taufendmal die Schlacht gezeigt! 
Inzwiſchen werd’ ich, in dem Tod dir treu, 
Ein rettend Wort für dich dem Oheim wagen: 
Bielleicht gelingt es mir, fein Herz zu rühren 
Und did von allem Kummer zu befrein! (Baufe.) 


Prinz von Homburg 
(faltet, in ihrem Anfchauen verloren, die Hände). 
ya du zwei Flügel, Jungfrau, an den Schultern, 
ir einen Engel wahrlich hielt ih dich! — 
D Gott, hört ich au recht? du für mich ſprechen? 
— Wo ruhte denn der Köcher dir der Rede 
Bis heute, liebes Kind, daß du willft wagen, 


238 


Den Herrn in folder Sache anzugehn? 
— D Hoffnungslicht, das plöglih mich erquidt! 
Natalie 

Gott wird die Pfeile mir, die treffen, reichen! — 

Dod wenn der Kurfürft des Geſetzes Spruch 

Nicht ändern kann, nicht kann: wohlan! jo wirft du 

Did tapfer ihm, der Tapfre, unterwerfen: 

Und der im Teben tauſendmal gefiegt, 

Er wird auch noch im Tod zu Hegen wiſſen! 
Kurfürſtin. 

Hinweg! — die Zeit verſtreicht, die günſtig iſt! 

Prinz von Homburg. 

Nun, alle Deilgen mögen dich bejchirnten! 

Leb wohl! leb wohl! und was dur aud) erringft, 

Bergönne mir ein Zeichen von Erfolg! (Atte a.) 


Bierter Akt, 


Scene: Zimmer des Rurfürften. 


Erfter Auftritt. 


Der Karfürſt ſteht mit Papieren an einem mit Lichtern Defehten Tiſch. — Natalie 
tritt durch die mittlere Thür auf und läßt Ir in einiger Entfernung vor ihm 
u aufe. 





ieder. — P 


Natalie (tniemd). 
Mein edler Oheim, Friedrich von der Mark! 


Kurfürft 
(legt die Papiere weg). 

Natalie! (x will fie erheben.) 

Natalie, 

Laß, laß! 
Kurfürſt. 
Was willſt du, Liebe? 

Natalie. 
Zu deiner Füße Staub, wie’ mir gebührt, 
Für Vetter Homburg dih um Gnade flehn! 
Ih will ihn nicht für mich erhalten willen — 
Mein der begehrt fein nnd gefteht e8 dir; 
Ich wi ion nicht für mich erhalten wiffen — 
Mag er fih, welchem Weib er will, vermählen; 
Ich will nur, daß er da fei, lieber Oheim, 


239 


Fire Sich, jetbftändig, frei und unabhängig, 

Wie eine Blume, die mir wohlgefällt. 

Dies fleh’ ich Pa mein, höchfter Herr und Freund, 

Und weiß, fol Flehen wirft du mir erhören. 
Rurfürft (erhebt fie. 

Mein Töchterhen! mas für ein Wort entfiel dir? 

— Weißt du, was Better Homburg jüngft verbrach? 


Natalie, 


Kurfürſt. 
Nun? Verbrach er nichts? 


Natalie. 


O dieſen Fehltritt, blond mit blauen Augen, 
Den, eh er noch geftammelt hat: ich bitte! 
Berzeihung ſchon vom Boden heben follte: 
Den wirft du nicht mit Füßen von dir weijen! 
Den drüdft du um die Mutter fchon an’8 Herz, 
Die ihn gebar, und ruft: komm, meine nicht; 
Du bift jo werth mir wie die Treue felbit! 
War's Eifer nicht, im Augenblid des Treffens, 
ür deines Namens Ruhm, der ihn verführt, 
ie Schranke des Geſetzes zu durchbrechen: 
Und ad! die Schranke jugendlich durchbrochen, 
Trat er dem Pindwurm männlich nicht auf's Haupt? 
Erft, weil er fiegt‘, ihn kränzen, dann enthaupten, 
Das fordert die Gejchichte nıcht von dir; 
Das wäre fo nn lieber Ohm, 
Daß man es faft A nennen könnte! 
Und Gott ſchuf noch nichts Milderes, als dich. 
Kurfürſt. 
Mein ſüßes Kind! ſieh! wär' ich ein Tyrann, 
Dein Wort, das fühl’ ich lebhaft, —8 mir 
Das Herz ſchon in der ehrnen Bruſt geſchmelzt. 
Dich aber frag' ich Ka: darf ich den Spruch, 
Den das Gericht gefällt, vr unterdrüden? — 
Mas würde doch Davon die Folge jein? 


Natalie, 


Kurfürſt. 
Für mich; nein! — Was? für mid! 
Kennt du nichts Höh’res, Jungfrau, als nur mid! 
gi dir ein Heiligthum ganz unbelannt, 
a8 in dent Lager Vaterland fich nennt? 


D lieber Oheim! 


Für wen? für dich? 


240 


Natalie, 
D Herr! was forgft du doch? dies Vaterland 
Das wird um iefer Regung deiner Gnade 
Nicht gleich zerihellt in Zrümmern untergehn. 
Bielmehr was du, im Yager auferzogen, 
Unordnung nennft, die That, den Spruch der Richter 
an diefem Fall willkürlich zu zerreißen, 
rſcheint mir als die ſchönſte Ordnung erft: 

Das eriegägeich, das weiß ich wohl, ſoll herrfchen, 
ger die lieblichen Gefühle aud). 
Das Baterland, das du uns gründeteft, 
Steht eine fefte Burg, mein edler Ohm: 
Das wird ganz andre Stürme noch ertragen 
Fürwahr als diefen unberufnen Sieg: 
Das wird fi) ausbaun herrlich, in der Zukunft, 
Erweitern unter Enkels Hand, verfchönern, 
Mit Zinnen, üppig, feenhaft, zur Wonne 
Der Freunde und zum Schreden aller Feinde: 
Das braudt nicht diefer Bindung, kalt und öd', 
Aus eines Freundes Blut, um Oheims Herbit, 
Den friedlich prächtigen, zu überleben. 

Kurfürſt. 
Denkt Vetter Homburg auch ſo? 

Natalie. 

Vetter Homburg? 


Kurfürſt. 
Meint er, dem Vaterlande gelt' es gleich, 
Ob Willkür drin, ob drin die Satzung herrſche? 


| Natalie. 
Ah, diefer Jüngling! 
Kurfürft. 
tun? 
u Natalie. 


Ach Lieber Oheim! — 
Hierauf zur Antwort hab’ ich nichts als Thränen. 
Kurfürft Getroffen). 
Warum, mein Töchterhen? was tft geichehn ? 


Natalie Gaudernd). 
Der denkt jet nichts, als nur dies Eine: Rettung! 
Den fchaun die Röhren an der Schügen Schultern 
So gräßlid an, daß überrafcht und \gminein, 
yon jeder Wunſch, als nur zu leben, jchweigt: 
er könnte unter Blig und Donnerſchlag 
Das ganze Reich der Mark verfinfen fehn, 


241 


Daß er nicht fragen würde: was Gefchieht? 
— Ad welch ein Heldenherz haft du gefnidt! 
(Sie wendet fi und weint.) 
Kurfürt * 
| (im äußerften Erftaunen). 
Nein, meine thenerfte Natalie, | 
Unmöglih in der That! — Er fleht um Gnade? 
Ä Natalie, 
Ad, hättft du nimmer, nimmer ihn verdammt! 
Kurfürſt. 
Nein, 18; er fleht um Gnade? — Gott im Himmel, 
Was ift gefchehn, mein liebes Kind? was mweinft du? 
Du (pradft ihn? thu mir Alles kund! du ſprachſt ihn? 


Natalie 
(an feine Bruft gelehnt). 
RN den Gemächern eben jet der Tante, 
ohin im Deantel, ſchau, und Federhut, 
Er unterm Schuß der Dämmung kam gejchlichen; 
Berftört und ſchüchtern, heimlich, ganz unmürdig, 
Ein unerfreulih jammernswürd’ger Anblid. 
Bu joldem Elend, glaubt’ ich, ſänke feiner, 
en die Geſchicht' als ihren Helden preift. 
Schau her, ein Weib bin ich und ſchaudere 
Den Wurm zurüd, der meiner Ferſe naht: 
Doch fo zermalmt, fo faflungslos, fo ganz 
Unheldenmüthig träfe mich der Tod 
In eines föruhtigen Leu'n Geſtalt nicht an! 
— Ah was ift Menfhengröße, Menſchenruhm! 
Kurfürft (verwirt). 
Nun denn, beim Gott des Himmel! und der Erde, 
So faffe Muth, mein Kind; fo ift er frei! 
Natalie, 
Wie, mein erlauchter Herr? 
Kurfürſt. 
Er iſt begnadigt! — 
Ich will ſogleich das Nöthg' an ihn erlaſſen. 
Natalie. 
O Liebſter! iſt es wirklich wahr? 


Kurfürſt. 
Si hörſt! 
Natalie. 
Ihm ſoll vergeben ſein? er ſtirbt jetzt nicht? 
Bibl. d. d. Rationalliteratur. Meif- I, 16 


242 


Kurfürſt. 
Bei meinem Eid! ich ſchwör's dir zu! Wie werd' ich 
Mich gegen ſolchen Kriegers Meinung ſetzen? 
Die höchſte Achtung, wie dir wohl bekannt, 
ZTrag’ ic im Innerſten für fein Gefühl: 





Caſſir' ich die Artikel: er ift frei! — (Gr bringt ihr einen Stuhl.) 
Willſt du auf einen Augenblid dich ſetzen? 
j (Er geht an den Tiſch, fett ſich und fehreibt. — Paufe.) 
Ratalie (für ſich. 
nv Ad, Herz, was klopfſt du alfo an dein Haus? 
Kur fürſt Cinden er fhreibt). 
Der Prinz ift drüben noch im Schloß? 


Natalie 
Bergieb! 
Er ift in feine Haft zurüdgelehrt. — 
Kurfürft 
(endigt ımd fiegelt; Hierauf Tehrt er mit dem Vrief wieder zur Prinzeffin zurüch. 
Fürwahr, mein Töchterchen, mein Nichtchen mweintel 
Und ih, dem ihre Freude anverfraut, 
Mupt’ ihrer holden Augen Himmel trüben! 
(Er legt den Arm um ihren Leib.) 
Willſt du den Brief ihm jelber überbringen? — 
| Natalie, 
In's Stadthaus! wie? 
Kurfürſt 
(drücdckt ihr den Brief in die Hand). 
Warum nicht? He! Heiduden! 
(Helbnden treten auf.) 
Den ragen porgefahren! Die Prinzefiin + 
Hat ein Geſchäft beim Oberften von Homburg! 
(Die Heiduden treten wieder ab.) 
So Tann er für fein Leben gleich dir danfen. (Er umarmt fie.) 
Mein liebes Kind! bift du mir wieder gut? 
Natalie (nad einer Baufe). 
Was deine Huld, o Herr, R raſch erweckt, 
Ich weiß es nicht und unterſuch' es nicht. 
Das aber, ſieh, das fühl' ich in der Bruſt, 
Unedel meiner ſpotten wirſt du nicht: 
Der Brief enthalte, was es immer ſei, 
Ich glaube Rettung — und ich danke dir! 
(Sie küßt ihm die Hand.) 


243 


Knrfürft. | 
Gewiß, mein Föchterchen,, gewiß! fo ficher, 
Als fie in Better Homburgs Wünfchen liegt. (ms.) 





Scene: Zimmer der Prinzeffin. 


Zweiter Anftritt. 


Prinzeſſin Natalie tritt auf. — wei Daltamen und der Rittmeiſter, Graf Menk, 


Natalie (eilfertio). . 
Was bringt ihr, Graf — von meinem Regiment? 
Iſt's von Bedeutung ? kann ich's morgen hören? 
Graf Reuf 
(überreicht ihr ein Schreiben). 
Ein Brief von: Obrift Kottwig, gnäd’ge Frau! 


. Natalie. 
Geſchwind! gebt! was enthält er?  (&ie eröffnet ihn.) 


Graf Ren. 
. Eine Zittchrift, 
Freimüthig, wie ihr ſeht, doch ehrfurchtsvoll, 
An die Düurchlaucht des Herrn, zu unſers Führers, 
Des Prinzen von Homburg, Gunften aufgejegt. 
Natalie (ten). 
„Supplit, in Unterwerfung eingereicht 
Bom Regiment PBrinzeffin von Dranien.” — (Paufe.) 
Die Kittichrift ift von weſſen Hand verfaßt? 
Graf Reuß. 
Wie ihrer Züg' unfichre Bildung ſchon 
Erratben läßt, vom Obriſt Kottwig felbft. 
Auch ſteht fein edler Name obenan. 


. Natalie, 
Die dreißig Unterfchriften, welche folgen? 
Graf Reuß. 
Der Difigiere Namen, Gnädigite, 
Wie fie, dem Rang nad), Glied flir Glied fih folgen. 


Natalie, 
Und mir, mir wird die Bittfchrift zugefertigt ? 
Graf Reuß. 
Mein Fräulein, unterthänigft euch au fragen, 
Ob ihr als Chef den erſten Platz, der offen, 
Mit eurem Namen gleichfalls fitllen wollt. (Baule), 
16 


244 


Natalie, 
Der Prinz zwar, hör’ ich, foll, mein edler Better, 
Bom Herrn aus eignem Trieb begnadigt werden, 
Und eines folhen Schritt bedarf es nicht. 

. Graf Reuß (vergnägt). 

Wie? wirklich ? | on 

Natalie, 

Gleichwohl will ich unter einem Blatte, 

Das in des Herrn Entfcheidung, Flug gebraudt, 
Als ein Gewicht kann in die Wage nA en, 
Das ihm vielleiht den Ausfchlag einzuleiten 
Sogar willkommen ift, mich nidyt verweigern — 
Und eurem Wunfd gemäß mit meinem Namen 
Hiemit an eure Spige jet’ ich mich. (Sie geht und will ſchreiben) 


Graf Reuf. 
Fürwahr, uns lebhaft werdet ihr verbinden! (Baufe.) 
NMatalie 
(wendet ſich wieder zu ihm). 
30 finde nur mein Regiment, Graf Reuß! — 
arum vermiff ich Bomsdorf Euirajitere, 
Und die Dragoner Götz und Anhalt - Pleß? 


Graf Reuß. 
Nicht, wie vielleicht ihr forgt, weil ihre Herzen 
gm lauer jchliigen, als die unfrigen! — 
3 trifft ungdnftig fih für die Supplik, 
Daß Kottwis fern in Arnftein cantonirt, 
Geſondert von den andern Regimentern, 
Die bier bei diefer Stadt im Lager ftehn. 
Den Blatt fehlt es an Yreiheit, leicht und ficher, 
Die Kraft nad jeder Richtung zu entfalten. 
Natalie. 
Gleichwohl fällt, dünkt mich, fo das Blatt nur leicht. — 
Seid ihr gewiß, Herr Graf, wärt ihr im Ort, . 
Und Ieräct die Herrn, die hier verfammelt find, 
Sie fchlöffen gleichfalls dem Geſuch fih an? 
Graf Reuf. 
gier in der Stadt, mein Fräulein? — Kopf für Kopf! 
ie ganze Reiterei verpfändete 
Mit ihren Namen fich; bei Gott, ich glaube, 
Es ließe glüdlich eine Subſcription 
Beim ganzen Heer der Märker fich eröffnen! 
Natalie (nad einer Paufe). 
Warum nicht * ihr Offiziere ab, 
Die das Geſchäft im Lager bier betreiben ? 


245 


Graf Neunk. 
Bergebt! — dem weigerte der Obrift ſich. 
— Er wünſche, ſprach er, nichtS zu thun, das man 
Mit einem übeln Namen taufen könnte. 
Ratalie, 

Der wunderlihe Herr! bald fühn, bald zaghaft! — 
gum Glück trug mir der af fällt mır ein, 

edrängt von anderen Gefchäften, auf, 
An Kottwig, dem die Stellung dort au eng, 

um March hierher die Drdre zu erlaffen! — 

ch feße gleich mich nieder, es zu thun. 

(Sie fett fih und fchreibt.) 


‚. Graf Ren. 
Beim Himmel, trefflih, Fräulein! Ein Ereigniß, 
Das günft’ger fi) dem Blatt nicht fügen könnte! 
Natalie (während fie fcreibt). 

Gebraucht's, Herr Graf von Neuß, fo gut ihr könnt; 

(Sie fließt, und fiegelt, und ficht wieder anf.) 
Inzwiſchen bleibt, Te dies Schreiben noch 
gr eurem Portefeuille; ihr gebt nicht eher 

amit nah Arnftein ab, und gebt’8 dem Kottwig: 
Bis ih beftimmtern Auftrag euch ertheilt! 
(Sie giebt ihm das Schreiben.) 
Ein Heidud (titt auf). 
Der Wagen, Fräulein, auf des Herrn Befehl, 
Steht angefhhirrt im Hof und wartet eur! 
Natalie, 

So fahrt ihn vor! ich fomme gleich herab! 
(Baufe, in welcher fie gedantenvoll an den Tiſch tritt, und ihre Handſchuhe anzieht.) 
Wollt ihr zum Brinz von Homburg mid, Herr Graf, 
Den ich zu fpreden willens bin, begleiten? 
Euch fteht eın Pla in meinem Wagen offen. 


Graf Renp. 
Mein Fräulein, diefe Ehre, in der That — 
(Er bietet ihr den Arm.) 

Natalie (zu den Hofdanten). 
olgt, meine Freundinnen! — Bielleiht, daß ich 
leich dort des Briefes wegen mich entjcheide! 

(Ale ab.) 


2A6 


Scene: Gefängniß ded Prinzen. 


Dritter Anftritt, 


Be a a ige a nat 
Prinz von Homburg. 

Das Leben nennt der Derwiſch eine Reife, 

Und eine kurze. Freilich! von zwei Spanuen 

Dieffeit3 der Erde nad zwei Spannen drunter. 

Ich will auf halbem Weg mich niederlafien! 

Wer heut Is Haupt noch auf der Schulter trägt, 

Hängt es ſchon morgen zitternd auf den Leib, 

Ind übermorgen liegt’S bei feiner erfe. 

Amar, eine Sonne, jagt man, [heint ort auch, 

Und über buntre Felder noch als hier: 

Ich glaub’8! nur Schade, daß das Auge modert, 

Das diefe Herrlichkeit erbliden fol. 


Bierter Auftritt. 


Prinzeſſin Natalie tritt auf, neführt von dem Nittmeifter Graf Men. Gofdamen 
folgen. Ihnen voran tritt ein Zänfer mit einer Faclkel. — Der Prinz Bon Homburg. 
Länfer. 
Durchlaucht Prinzeſſin von Dranien! 
Prinz von Homburg (ficht auf). 
Natalie! 


>. Läufer. 
Hier iſt ſie ſelber ſchon. 
Natalie 
(verbeugt ſich gegen den Grafen). 
Laßt und auf einen Augenblid allein! 
(Graf Reuß und der Läufer ab.) 
Brinz von Homburg. 
Mein theures Fräulein! 
Natalie. 
Lieber guter Better! 
Brinz von Homburg (führt fie vor). 
Nun fagt, was bringt ihr? fprecht! wie ſteht's mit mir? 
Ratalie, 
Gut. Alles gut. Wie ich vorher euch fagte, 
Begnadigt feid ihr, frei; bier ift ein viel 
Bon feiner Hand, der e8 befräftiget. 


47 


Prinz von Homburg, 
Es ijt nicht möglich! nein! es ift ein Traum! 


Natalie. 
Left! left den Brief! fo werdet ihr’3 erfahren. 


Prinz von Homburg (tier). 
„Mein Prinz von Homburg, al ich euch gefangen feßte, 
Um eures DH allzufrüh vollbracht, 
Da glaubt’ id) aichie als meine ui zu thun; 
Auf euren eigıfen ‚ri rechnet’ i 
Meint ihr, ein Unrecht ſei eud) widerfahren, 
So bitt’ ich, Ian? mir mit zwei Worten — 
Und gleich den egen ſchick' fi euch zurüd.“ 
(Ratalie erblaßt. Pauſe. Der Prinz fieht fie fragend an.) 
° Natalie 
(mit dem Ausdrud plötzlicher Freude). 
Nun denn, da ſteht's! Zwei Worte nur bedarf’3 — 
D lieber füßer Freund! (Sie drügt feine Hand.) 


Prinz von Homburg. 
Mein theures Fräulein! 
Natalie, 
O jel’ge Stunde, die mir aufgegangen! — 
Hier, nehmt, bier ih die Feder; nehmt, und jchreibt! 


Brinz von Somburg. 
Und bier die Unterjchrift? 


Natalie. 
Das F; fein Zeichen! — 
O Bork! o freut euch doch! D feine Milde 
Iſt uferlos, ih wußt' es, wie die See. — 
Schafft einen Stuhl nur "her, er ſoll gleich jchreiben. 
Prinz von Homburg. 
Er -fagt, wenn ich der Meinung wäre — 
Natalie (unterbricht ihn). 
Freilich! 
Geſchwind! ſetzt euch! ich will es euch dictiren. 
* ſetzt ihm einen Stuhl hin.) 
rinz von Homburg. 
— Ich will den Brit noch einmal überlefen. 
Natalie 
(reißt ihm den Brief ans der Band). 
Wozu? — Saht ihr die Gruft nicht Alec: im Münfter 
Mit offnem Rachen euch entgegengähnen ? 
Der Augenblid ift dringend, Sit und ſchreibt! 





248 


rinz von Ormburs (täcelud). 
Wahrhaftig, thut ib doch, als würde fie 
Mir wie ein Panther übern Naden konımen. 
(Er ſetzt fih, und nimmt eine Feder.) 
Natalie 
(mendet fi und weint). 
Schreibt, wenn ihr mich nicht böfe machen wollt! 
(Der Prinz Mingelt einem Bedienten; der Bediente tritt auf.) 
Brinz von Homburg. 
Papier und Feder, Wachs und Petſchaft mir! 


Der Bediente, nahdem er diefe Sachen Aufamnengeiuc geht wieder ab. Der 
Bein ſchreibt. — Pauſe. Indem er ben Ze wies er angffangen bat, zerreißt und 
nter den Ti i 


Ein dummer Anfang. er nimmt ein anderes Blatt.) 
Natalie (Hedt den Brief auf). 

Wie? mas fagtet ihr? — 
Mein Gott, das jr ja gut; das ift vortrefflich. 

Brinz von Homburg (in den Bart). 
Bah! — eines Schuftes Faſſung, feines Prinzen. — 
Ich den mir eine andre Wendung aus, 
(Baufe. Er greift nad) des Kurfürften Brief, den die Prinzeffin in der Hand hält.) 
Was fagt er eigentlich im Briefe denn? 


Natalie (ign verweigernd). 
Nichts, gar nichts! 
Prinz von Homburg. 
Gebt! 
Ratalie, 
Ihr Laft ihn ja! 
Brinz von Homburg (erhalt ihn). 
Wenn gleich! 
— Ich will nur fehn, wie ich mich faffen jol. 
(Er, entfaltet und Überlieſt ihn.) 
Natalie (für fid). 


O Gott der Welt! jet iſt's um ihn gefchehn! 


Prinz von Homburg (betroffen). 
Sie da! höchft wunderbar, jo wahr ich lebe! 
u überjahft die Stelle wohl? 
Natalie. 
Nein! — weldhe? 

3 von Homburg, 
Mich felber ruft er zur 1 Gntfheibung auf, 

Natalie. 
Nun ja! 


249 


Prinz von Homburg. 
Recht wader, in der a recht würdig! 
Recht, wie ein großes Herz ſich faffen muß! 


Natalie, 
D feine Großmuth, Freund, ift ohne Grenzen! 
— Doch nun thu auch das deine du, und ſchreib, 
Wie er's begehrt; du ſiehſt, es iſt der Vorwand, 
Die äußre dum nur, deren es bedarf: 
Sobald er die zwei Wort' in Händen hat, 
Flugs iſt der ganze Streit vorbei! 


Prinz von Homburg 
(legt den Brief weg). 
Nein, Liebe! 
Ich will die Sad’ bis morgen überlegen. 


a, Natalie 
Du Unbegreifliher! weld eine Wendung? — 
Warum? weshalb ? 
Prinz von Homburg 
(erhebt ſich Teidenichaftli vom Stuhle). 
Ich bitte, frag mich nicht! 
Du haft des Briefes Inhalt nicht erwogen! 
Daß er mir Unrecht that, wie's mir bedingt wird, 
Das kann ich ihm nicht ſchreiben; zwingft du mich, 
Antwort in diefer mung ihm zu geben, 
Dei Gott! fo fe’ ich hin: du thuft mir Recht! 
(Er Täßt fig wieder mit verſchränkten vun an den Tifch nieder und fieht in ben 
rief. 
Natalie Gleich. 
Du, Raſender! was für ein Wort ſprachſt du? 
(Sie beugt fi gerührt Über ihn.) 
Brinz von Homburg 
(drädt ihr die Hand). 
Laß, einen Augenblid! mir ſcheint — (Er finnt.) 


Natalie, 
Mas fagft du? 


Bring von Homburg 
Gleich werd’ ich willen, wie ich fchreiben ſoll. 
Natalie (qmerzvol). 


Homburg! 
Prinz von Homburg 
(nimmt die Feder). 


Ih hör’! was giebt's? 


250 


Natalie, 
Mein füßer Freund! 

Die Regung lob' ich, die dein Herz ergriff; 
Das aber ſchwör' id) dir: das Regiment 
ft commandirt, das dir, Verſenktem, morgen 
Aus Carabinern, übern Grabeshügel, 
Berföhnt die Todtenfeier halten fol. 
Kannft du dem Rechtsſpruch, edel wie du bift, 
Nicht widerftreben, nicht, ihn ae 
Thun, wie er's hier in diefem Brief verlangt: 
Nun fo verfichr’ ich dich, er faßt ſich dir 
Erhaben, wie die Sade fteht, und läßt 
Den Spruch mitleidlo8 morgen dir vollftreden'! 


Gleichviel! Prinz von Homburg (ſchreibend). 
eichviel! 


Gleichviel? 
Prinz von Homburg. 
Er handle, wie er darf; 
Mir ziemt's hier zu BTfähren, wie ich fol! 
Natalie (tritt erfchroden näher). 
Du Ungeheuerfter, ich glaub’, du fchreibft ? | 
‚ Prinz von Homburg (chießh). 
„Homburg! gegeben, Fehrbellin, am zwölften —;“ 
Ich bin ſchon —— — Franz! 
(Er conbertirt und ſiegelt den Brief.) 
Natalie. 
D Gott im Himmel! 
Priuz von ombarg (fieht auf). 
Bring diefen Brief auf's Schloß, zu meinem Herrn! 
(Der Bediente ab.) 
Ich will ihm, der jo würdig vor mir fteht, 
Nicht ein Unwürd'ger gegenüber ftehn! 
Schuld ruht, bedeutende, mir auf der Bruft, 
Wie ich es wohl erkenne, kann er mir 
Bergeben nur, wenn ich mit ihm drum ftreite, 
So mag ich nichts von feiner Gnade willen. 


Natalie (rüst ihn). 
Nimm diefen Kuß! — Und bohrten gleich zwölf Kugeln 
Di jest in Staub, nicht halten könnt’ ich mich, 
Und jauchzt' und weint’ und ſpräche: du gefälft mir; 
— Inzwiichen, wenn du deinem Herzen folgft, 
Iſt's mir erlaubt, dem meinigen zu folgen. 
— Graf Neuß. (Der Läufer öffnet die Thür; der Graf tritt auf.) 


Natalie. 





251 
Graf Reuß. 


Hier! 
Natalie, 
- Auf, mit eurem Brief 
Nah Arnftein hin zum Oberften von Kottwitz! 
Das Regiment bricht auf, der Herr befiehlt’s; 


Hier, noch vor Mitternacht, erwart’ ich es! (Akte ab.) 


Fünfter Akt. 


Scene: Saal int Schloß. 


Erſter Anftritt, 


Der Rurfärk kommt halb enttleidet aus dem Nebenfabinet; ihm folgen Graf Truck, 
Graf Hohenzollern und ber Rittmeiſter Bon Der Golz. — Pagen mit Lichtern. 





Kurfürſt. 
Kottwitz? mit den Dragonern der Prinzeſſin? 
Hier in der Stadt? 
Graf Truchß 
(öffnet das Fenſter). 
Ka, mein erlaudhter Herr! 
Hier fteht er vor dem Schloffe aufmarfdirt. 


Kurfürſi. 
Nun? — Wollt iſr mir, ihr Seren, dies Räthſel löſen? 
— Wer rief ihn her? 


Whenzaitern 
as weiß ich nicht, mein Kurfürſt. 


Kurfürſt. 
Der Standort, den ich ihm beſtimmt, heißt Arnſtein! — 
Geſchwind! geh einer hin, und bring ihn her! 


Golz. 
Er wird ſogleich, o Herr, vor dir erſcheinen! 
Kurfürſt. 
Wo iſt er? 
Golz. 
Auf dem Rathhaus, wie ich höre, 
Wo die geſammte Generalität, 
Die deinem Hauſe dient, verſammelt iſt. 


252 


Kurfürſt. 
Weshalb? zu welchem Zweck? 
Hohenzollern. 
— Das weiß ich nicht. 
Graf Truchß. 
Erlaubt mein Fürſt und Herr, daß wir uns gleichfalls 
Auf einen Augenblid dorthin verfügen? 
Kurfürft 
Wohin? auf's Rathhaus? 
Hohenzollern, 
In der —* Verſammlung! 
Wir gaben unſer Wort, uns einzufinden. 
Kurfürſt 
(nach einer kurzen Pauſe). 
— Ihr ſeid entlaſſen! 


Golz. 
Kommt, ihr werthen Herrn! 
(Die Offiziere ab.) 


Zweiter Auftritt, 
Der Kurfürſt. — Späterhin zwei Bebiente. 
Rurfürft. 

Seltſam! — Wenn ich der Dey von Tunis wäre, - 
Schlüg’ id) bei jo zweident’gem Vorfall Lärm; 
Die ſeidne Schnur legt’ ich auf meinen Tifch, 
Und vor das Thor, verrammt mit Pallifaden, 
Führt’ ih Kanonen und Haubigen auf. 
Doc weil's Hans Kottwig aus der Priegnig ift, 
Der ſich mir naht, willkürlich, eigenmächtig, 
So will ih mich auf märffche Weife faflen: 
Bon den drei Locken, die man filberglänzig 
Auf feinem Schädel fieht, faſſ' ich die eine, 
Und führ’ ihn ſtill mit_jeinen zwölf Schwadronen 
Nach Arnſtein in fein Hauptquartier zurück. 
Wozu die Stadt aus ihrem Schlafe weden? 


(Nachdem er wieder einen Augenblid an’s fter getreten, geht ex an den Tiſch 
und klingelt; zwei —X —8— auf.) 8 


Spring doch herab und frag, als wär's für dich, 
Was es im Stadthaus giebt. 
” Erfter Bedienter. 
Gleich, mein Gebieter! 


253 


Kurfürft (u dem Anderen.) 
Du aber geh, und bring die Kleider mir! 


Der Bediente geht und bringt fie; der Ku Yleidet ‚und legt fei 
( i geht un vi lie R an) fi an, und legt feinen 


Dritter Auftritt, 
Geldmarjdan Dörfling tritt auf. — Die Vorigen. 
Feldmarſchall. 
Rebellion, mein Kurfürſt! 
Kurfürſt 
(noch im Ankleiden beſchäftigt). 
uhig, ruhig! — 
Es iſt verhaßt mir, wie dir wohl bekannt, 
In mein Gemach zu treten, ungemeldet! 
uf dus 


— Was wi 

Feldmarſchall. 

err, ein Vorfall — du vergiebſt! 
Führt von befonderem Gewicht mich ber. 
Der Obrift Kottwig rüdte, unbeordert, 
Diet in die Stadt; an hundert Offiziere 
ind auf dem Ritterfaal um ihn verfamntelt ; 

E8 geht ein Blatt in ihrem Kreis herum, 
Beſtimmt in deine Rechte einzugreifen. 


Kur ge 
Es ift mir fhon befannt! — Was wird es fein, 
Als eine Regung zu des Prinzen Gunften, 
Dem das Geſetz die Kugel zuerlannte. 


Feldmarſchall. 
So iſt's! beim höchſten Gott! du haſt's getroffen! 
Kurfürſt. 
Nun gut! — So iſt mein Herz in ihrer Mitte. 
em a rigalt. 
Man fagt, fie wollten heut, die Raſenden! 


Die Bittfchrift noch im Schloß dir überreichen, 
Und fall mit ante Grimm du auf 
Den Spruch beharrft — kaum mag ich dir’3 zu melden! — 
Aus feiner Haft ihn mit Gewalt befreien! 

Kurfürft (fine. 
Wer hat dir das gejagt? 

Feldmarſchall. 

Wer mir das ſagte? 
Die Dame Retzow, der du trauen kannſt, 
Die Baſe meiner Frau! Sie war heut Abend 
In ihres Ohms, des Droſt von Retzow, Haus, 


«V 


254 


Wo Offiziere, die vom Pager Tamıen, 
Laut diefen dreiften Anfchlag äußerten. 
Kurfürſt. 
Das muß ein Mann mir Mei eh ich’8 glaube. 
Mit meinen Stiefel, vor jein Haus geſetzt, 
Schütz' ich vor diefen jungen Helden ihn! 
Feldmarſchall. 

Zeit, ich befchwöre dich, wenn's überall 

ein Wille ift, den Prinzen zu begnad’gen: 
Thu's,eh ein höchſtverhaßter Schritt gefchehn! 

edwedes Heer liebt, weißt du, feinen Helden; 

aß biefen Funken nit, der es durchglüht, 
Ein heillos Be Feuer um ſich greifen. 
Kottwig weiß, und die Schaar, die er verſammelt, 
Noch nicht, daß dich mein treue Wort gewarnt; 
Sie eh er noch erjcheint, da8 Schwert dem Prinzen, 
Schick's ıhm, wie er's zulegt verdient, zurück: 
Du giebft der Zeitung eine Großthat mehr, 
Und eine Unthat weniger zu melden. 
Da mikt id noch d Grinsen ei bef 

a müßt’ ich noch den Prinzen erft befragen, 
Den Willfür nicht, wie dir befannt fein RD 
Gefangen nahm und nicht befreien kann. — 
Ich will die Herren, wenn fie fommen, jprechen. 

Feldmarſchall (für fi). 

Verwünſcht! — Er ift jedwedem Pfeil gepanzert. 


Vierter Auftritt. 


Zwei Heiducken treten auf; der Eine Hält einen Brief in der Hand. — Die Borigen. 


Erſter Heiduck. 
Der Obriſt Kottwitz, Hennings, Truchß und Andre, 
Erbitten ſich Gehör! 
Kurfürſt 


(zu dem andern, indem er ihm den Brief aus der Hand nimmt). 

Vom Prinz von Homburg? 
Zweiter Heidnd, 

Ja, mein erlauchter Herr! 

Kurfürſt. 
Wer gab ihn dir? 

Zweiter Heiduck. 

Der Schweizer, der am Thor die Wache hält, 

Dem ihn des Prinzen Jäger eingehändigt. 


(Der Kurfürft ſtellt ſich an den Tiſch und lieſt: nagdem dies geſchehen iſt, wendet 


er ſich, und ruft einen Pagen 


255 


Prittwig! das Todesurtheil bring mir her! 

— Und auch den Er für Guſtav Graf von Horn, 

Den ſchwediſchen Gejandten, will ich haben! (Der Page ab.) 

(Zu dem erften Heiduden) Kottwis und fein Gefolg’ — fie follen 
ommen 





Fünfter Auftritt. 


Obriſt Kottwitz und Obriſt Henning, Graf Truchß, Graf Hohenzollern und Sparren, 
a a tmeißter 1 ber @olz und Fred, und Fee Sbriften und en 
treten auf. — Die Vorigen. 


Kottwik (mit der Bittfehrift). 
Bergönne, mein erhabner Kurfürft, mir, 
Daß ih ım Namen des gefammten gers 
In Demuth dies Papier dir überreiche! 
Kurfürſt. 
Kottwitz, bevor ich's nehme, ſeg mir an, 
Wer hat dich her nach dieſer Stadt gerufen? 
KRottwik (fieht ihn an). 
Mit den Dragonern? 
surfärt. 
Mit dem Regiment! — 
Arnftein hatt’ ich zum Sitz dir angewieſen. 
Kottwig. 
Herr! deine Ordre hat mich ber gerufen. . 
Kurfürſt. 
Wie? — Zeig' die Ordre mir. 
Kottwitz. 
Hier, mein Gebieter. 
Kurfürſt (ieſh. 
„Natalie, gegeben Fehrbellin; 
In Auftrag meines höchſten Oheims Friedrich.“ — 


Kottwitz. 
Bei Gott, mein Fürſt und Herr, ich will nicht hoffen, 
Daß dir die Ordre fremd? 


Kurfürſt. 
| Nicht, nicht! verfteh mich — 
Wer iſt's, der dir die Ordre überbracht? 
Kottwig, 

Graf Reuß! 

Kurfürſt 

(nach einer augenblicklichen Pauſe). 

Vielmehr, ich heiße dich willlommen! — 


256 


Den eh Homburg, dem das Hecht gefprochen, 
Bit du beftimmt, mit deinen zwölf Schwadronen, 
Die lebten Ehren morgen zu erweiſen. 3 
Nott witz (erfchroden). 
Wie, mein erlauchter Herr?! 
Kurfürſt 
(indem er ihm die Ordre wiedergiebt). 
Das Regiment 
Steht noch in Nacht und Nebel vor dem Schloß? 
Kottwitz. 
Die Nacht, vergieb — 
Kurfärf. 
Warum rückt' es nicht ein? 
Kottwitz. 
Mein Fürſt, es rückte ein; es hat Quartiere, 
Wie du befahlſt, in dieſer Stadt bezogen. 
Kurfürſt 
(mit einer Wendung gegen das Fenſter). 
Wie? vor zwei Augenblicken — Nun, beim Himmel! 
So haſt du Ställe raſch dir ausgemittelt! — 
Um ſo viel beſſer denn! Segenßt noch einmal! 
Was führt dich her, ſag an? was bringſt du Neues? 
Kottwitz. 
Herr, dieſe Bittſchrift deines treuen Heers. 
Kurfürſt. 
Gieb! 


Kottwitz. 
Doch das Wort, das deiner Lipp' entfiel, 
Schlägt alle meine Hoffnungen zu Boden. 
Kurfürſt. 
So hebt ein Wort anch wiederum fie auf. (Er tief.) 
„Bittſchrift, die allerhöchfte Gnad' erflehend, 
Für unfern Führer, peinlich angeklagt, 
Den General Prinz Briebric) Se en-Homburg.“ 
(Zu den Offizieren) Ein edler Nam’, ihr Herrn! unwürdig nicht, 
Daß ihr in folder Zahl euch ihm verwendet! 
(Er fieht wieder in das Blatt.) 
Die Bittfehrift ift verfaßt von wen? 
Kottwig. 
‚ Don mir. 


Rurfärft. 
Der Prinz ift von dem Inhalt unterrichtet? 


257 


Kottwig, 
Nicht auf die fernfte Weiß’! In unfrer Mitte 
It fie empfangen und vollendet worden. 


Kurfürſt. 
Gebt mir auf einen Augenblid Geduld. 
(Sr tritt an den Tiſch und durchfieht die Schrift. — Lange Baufe.) 
m ! —— neu , 2 FAR 
e3 Prinzen Zhat m Schutz? redhtfertigft ihn 
Daß er auf Wrangel ftürzte, unbeordert? 


Kottwitz. 
Ja, mein erlauchter Herr, das thut der Kottwitz. 
Kurfürſt. 
Der Meinung auf dem Schlachtfeld warſt du nicht. 


Kottwig. 

Das hatt’ ich fchlecht ermogen, mein Gebieter! 
Dem Prinzen, der den Krieg gar wohl verfteht, 
gätt ih mich ruhig unterwerfen joten. 

ie Schweden wankten auf dem linfen Flügel, 
Und auf dem rechten wirkten fie Succurs; 
ditt er auf deine Ordre warten wollen, 

ie faßten Poſten wieder in den Schluchten, 
Und nimmermehr hättſt du den Sieg erkämpft. 


‚ Kurfürft 

So! — Das beliebt dir fo vorauszufegen! 
Den Obrift Hennings hatt’ ich abgefchidt, 
Wie dir bekannt, den ſchwed'ſchen Brückenkopf, 
Der Wrangels Rüden dedt, hinmegzunehmen. 
Wenn ihr die Drdre nicht gebrochen hättet, 
Dem Hennings wäre diejer Schlag geglüdt; 
Die Brüden hätt er in geei Stunden Frift 
Je Brand geſteckt, am Rhyn ſich —A 

nd Wrangel wäre ganz mit Stumpf und Stiel 
In Gräben und Moraft vernichtet worden. 


Kottwik. 

Es iſt der Stümper Sade, nicht die deine, 
Des Schidfals höchſten Kranz erringen wollen; 
Du nahmft bis heut noch ftet3, was es dir bot. 
Der Drade ward, der dir die Marken trogig 
Verwüſtete, mit blut’gem Hirn verjagt: 
Was konnte mehr an einem Tag —8 
Was liegt dir dran, ob er zwei Wochen noch 
Erfhöpft im Sand liegt, und die Wunden heilt? 
Die Kunft jeßt lernten wir, ihn zu befiegen, 

Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. I. 


258 


Und find voll Luft, fie fürder noch zu üben: 
Laß uns den Wrangel ruſtig Bruſt an Bruſt, 
Noch einmal treffen, ſo vollendet ſich's, 

Und in die Oſtſee ganz fliegt er hinab! 

Rom ward an einem Tage nicht erbaut. 


Kurfürſt. 
Mit welchem Recht, du Thor, erhoffſt du das, 
Wenn auf dem Schlachtenwagen eigenmächtig 
Mir in die Zügel Jeder greifen darf? 
Meinft du, das Glüd werd’ immerdar, wie jüngft, 
Mit einem Kranz den Ungehorfan Iohnen ? 
Den Sieg nidht mag ich, der, ein Kind des Zufall, 
Mir von der Bank fällt; das Gefe will ich, 
Die Mutter meiner Krone, aufrecht halten, 
Die ein Geſchlecht von Siegen mir erzeugt. J 


Kottwitz. 
ger, das Geſetz, das höchſte, oberfte, 
as mirfen fol in deiner Feldherrn Bruft, 
Das ift der Buchftab deines Willens nicht; 
Das iſt das Vaterland, das ift die Krone, 
Das bift du felber, deffen Haupt fie trägt. 
Was Fiimmert dich, ich bitte dich, die Regel, 
Nach der der Feind fih ſchlägt: wenn er nur nieder 
Sor ai eh feinen Sahnen ie öfte! 
ie Regel, die ihn Laliat, as ift die höchſte! 
Wilft du das Heer, das glühend an dir hängt, 
de einem Werkzeug machen gleich dem Schwerte, 
a8 todt in deinem goldnen Gürtel ruht? 
Der ärmijte Geift, der, in den Sternen fremd, 
guerft a eine cchre gab! die fchlechte 
urzfi (ge Staat3funft, die um eines Falles, 
Wo die Empfindung ſich verderblich zeigt, 
Zehn andere vergißt, im Lauf der Dinge, 
Da die Empfindung einzig retten kann! 
Schütt’ ich mein Blut dir an dem Jag der Schlacht 
Ein; Sold, fei’8 Geld, ſeis Ehre, in den Staub? 
ehüte Gott! dazu ji ed zu gut! 
Was! meine Luft hab’, meine Freude ich, 
Frei und fir mid) im Stillen, unabhängig, 
An deiner Trefflichkeit und Herrlichkeit, 
Am Ruhm und Wachsthum deines großen Namens! 
Das ift der Lohn, dem fich mein Herz verkauft! 
Geſetzt, um diefes unberufnen Siegs, 
Brächſt du dem Prinzen jegt den Stab, und id), 
Ich träfe morgen, gleichfalls unberufen, 





259 
Den Sieg wo irgend zwiſchen Wald und Felſen 


Mit den Schwadronen, wie ein Schäfer, an: 3 
Bei Gott! ein Schelm müßt' ich doch ſein, wenn ich 
Des Prinzen That nicht mupter wiederholte. 9 
Und * du, das Geſetzbuch in der Hand: 
Kottwitz, du haſt den Kopf verwirkt! ſo ſagt' ich: 
Das wußt' ich, Herr; da nimm ihn hin, hier iſt er: 
Als mich ein Eid an deine Krone band 
Mit Haut und Haar, nahm ich den Kopf nicht aus, 
Und nichts dir gäb' ich, was nicht dein gehörte! 
Kurfürſt. 
Mit dir, du alter, wunderlicher Herr, 
Werd’ ich nicht fertig! es beſticht dein Wort 
Mich, mit arglift!’ger Rednerkunft gefeßt, 
Mich, den du merkt dir zugethan, und einen 
Sachwalter ruf’ ich mir, den Streit zu enden, 
Der meine Sache führt! 
(Er Tlingelt, ein Bedienter tritt auf.) 
Der Prinz von Homburg — 
Man führ’ aus dem Gefängniß in hierher! (Der Bebiente a6.) 
Der wird dich lehren, das verfichr’ ich dich, 
Was Kriegszuht und Gehorfam feil Ein Schreiben 
Schickt' er mir mindftens zu, das anders lautet, 
ALS der ſpitzfünd'ge Lehrbegriff der Freiheit, 
Den du hier wie ein Knabe mir entfaltet. 
(Er ftelft fih wieder an den Tiſch und Tief) — 
Kottwiß (erflaunt). 
Wen holt? — men ruft? — 
Henning. 
Ihn ſelber? 
Graf Truchß. 
Nein, unmöglich! 
(Die Offiziere treten unruhig zuſammen und ſprechen mit einander.) 


Kunrfürft 
Bon wen ift diefe zweite Zufchrift hier? 
Hohenzollern, 
Bon mir, mein Fürft! 
Kurfürft (tief). 
„Beweis, daß Kurfürft Friedrich 
Des Prinzen That felbft” — — — Nun, beim Himmel! 
as nenn’ ich Fed! 
Was! die Beranlaffung, du mwälzeft fie des Frevels, 
Den er fih in der Schlacht erlaubt, auf mid ? 
ech 
Auf did, mein Kurfürlt; ja, ich, Hohenzollern! 17% 


260 


Kunrfürft 

Nun denn, bei Gott, das liberfteigt die Fabel! 
Der Eine zeigt mir, daß nicht Ichuldig er, 
Der Andre gar mir, daß der Schuld’ge ih! — 
Womit wirft folden Sag du mir beweijen 

Hohenzollern. 
Du wirft dich jener Nacht, o Herr, erinnern, 
Da wir den Prinzen, tief verjenkt im Schlaf, 
Am Garten unter den Platanen fanden: 
Bom Sieg des nächſten Tages mocht' er träumen, 
Und einen Lorbeer hielt er ın der Hand. 
Du, gleihfam um fein tiefes Herz zu_prüfen, 
Nahmit ihm den Kranz hinweg, die Kette fchlugft du, 
Die dir vom Hals hängt, lächelnd um das Yaub; 
Und Feichteft anz und Kette, jo verfchlungen, 
Dem Fräulein, deiner edlen Nichte, Hin. 
Der Prinz fteht, bei jo munderbarem Anblick, 
Erröthend auf; fo ſüße Dinge will er, 
Und von fo lieber Hand gereicht, ergreifen: 
Du aber, die Kl rüdwärts führend, 
Entziehft did) eilig ihm; die Thür empfängt dic 
Jungfrau und Kett’ und Lorbeerkranz bertehimin en, 
Und einfam — einen Handſchuh in der Hand, 
Den er — nicht weiß er felber, wenn — entriffen — 
Im Schooß. der Mitternadt, bleibt er zurüd. 


Kurfürf. 
Welch einen Handſchuh? 
Hohenzollern. 
Herr, laß mich vollenden! — 
Die Sache war ein Scherz; jedoch von welcher 
Bedeutung ihm, das lernt’ ich bald erkennen; 
Denn, da ich durch des Gartens hintre Pforte 
Sept zu ihm fchleich”, als wär's von ungefähr, 
Un En erweck', und er die Sinne ſammelt: 
Gießt die Erinnrung Freude über ihn, 
Nichts Nührenders Tirmahr fannft du dir denken! 
Den ganzen ee leich als wär's ein Traum, 
Zrägt er bis auf den kleinſten Zug mir vor; 
So lebhaft, meint’ er, hab’ er nie geträumt — 
Und feiter Glaube baut fi in ihm auf, 
Der Hinmel hab’ ein Zeichen ihm gegeben: 
Es werde Alles, was jein Seit gelehn: 
ungfrau und Lorbeerfranz und Ehrenfchmud, 
ott, an dem Tag der naͤchſten Schlacht, ihm ſchenken. 


261 


Kurfürſt. 
Hm! ſonderbar! — Und jener Handſchuh? — 
Hohenzollern, 


Ka! 

Dies Stüd des Traums, das ihm verkörpert ward, 

erftört — und kräftigt feinen Glauben. 

uerſt mit großem Aug’ flieht er ihn an: — 

eiß ift die Farb’, er fcheint, nach Art und Bildung, 
Bon einer Dame Hand: — doc) weil er Feine 
Zu Nacht, der er entnommen könnte fein, 
Im Garten fprad, — durch freugt in Ihm Dichten 
Bon mir, der zur Parol auf's Schloß ihn ruft, — 
Bergißt er, was er nicht begreifen kann, 
Und ftedt zerftreut den Handſchuh in's Collet. 


Kurfürk. 
Nun? drauf? 
Hohenzollern. 
Drauf tritt er nun mit Stift und Tafel 

In's Schloß, aus des Feldmarfhals Mund in frommer 
Aufmerkjamfeit den Schlachtbefehl zu hören; 
Die Fürftin und Prinzeffin, reijefertig, 
Befinden grad im Herrenfaal ſich * 
Doch wer ermißt das ungeheure Staunen, 
Das ihn ergreift, da die Prinzeß den Handſchuh, 
Den er fih in's Collet gejtedt, vermißt! 
Der Marſchall ruft zu wieberholten Malen: 

err Prinz von Homburg! Was befiehlt mein Marſchall? 

ntgegnet er und will die Sinne ſammeln; 
Dod er, von Wundern ganz umringt — der Donner 


Des Himmels hätte niederfallen fünnen — (Er Hält inne.) 
Kurfürft, 
Wars der Prinzeffin Handſchuh? 
Hohenzollern. 
Allerdings! 
(Der Kurfürft fällt in Gedanten.) 3 


Ein Stein ift er; den DBleiftift in ger Hand, 

Steht er zwar da und fcheint ein Lebender; 

Doch die Empfindung wie durch Zauberfchläge 

In ihm verlöſcht; und erſt am andern Morgen, 

Da das Geſchütz ſchon in den Reihen donnert, 

Kehrt er in’3 Dafein wieder, und befragt mid): 

Liebfter, mas hat ſchon Dörfling, fag mir’s, eſtern 

Beim Schladhibefe l, mich treffend, borgebradt 
Feldmarſchall. 

Herr, die Erzählung, wahrlich, unterſchreib' ich! 


262 


Der Prinz, erinnr’ ich mich, von meiner Nede 
Vernahm fein Mort; zerſtreut fah ich ihn oft, 
Jedoch in folhem Grad abmwefend and, 
Aus feiner Bruft, noch nie als diefen ag. 
Rurfürft. 
Und nun, wenn ig dich anders recht verſtehe, 
Thürmſt du, wie folgt, das Schlußgebäu mir auf: 
ätt' ich mit diefes jungen Träumers Zuſtand 
mweideutig nicht gefcherzt, fo blieb er ſchuldlos: 
Bei der Warole wär’ er nicht zerftreut, 
Nicht widerjpänftig in der Aladht gemwefen. 
Nicht? nicht? das ift die Meinung ? 
Hohenzollern. 
Mein Gebieter, 
Das überlafj’ ich jegt dir zu ergänzen. 


Kurfü jr 

Thor, der du bit, Blödfinn’ger! hätteft du 
Nicht in den Garten mich hinabgerufen, 
So hätt’ ich, einem Trieb der Neugier folgend, 
Mit diefem Träumer harmlos nicht gefcherzt. 
Mithin behaupt’ ich, ganz mit gleichem Hecht, 
Der gein erjehn veranlaßt hat, warft du! — 
Die Delph'ſche Weisheit meiner Offiziere! 

Hohenzollern. 
E83 ift genug, mein Kurfürft! ich bin ficer, 
Mein Wort fiel, ein Gewicht, in deine Bruft! 


Sechſter Auftritt. 


Ein Offigier tritt auf. — Die Vorigen. 


Offizier. 
Der Prinz, o Herr, wird augenblicks erjcheinen! 
. Kurfürſt. 
Wohlan! laßt ihn herein. 
Dffizier. 
In zwei Minuten! — 
Er lieg nur flüchtig, im Borübergehn, 
Durch einen Pförtner fi den Kirchhof öffnen. 


Kurfürſt. 
Den Kirchhof? 
Offizier. 
Ja, mein Fürſt und Herr! 


263 


Aurfürf, Weshalb? 


Die Vahrheit zu geftehn, h weiß es nic 
ie Wahrheit zu geftehn, ich weiß e8 nicht; 
Es ſchien, das Grabgewölb wünſcht' er zu fehen, 
Das dein Gebot ihm dort eröffnen lieh. 
(Die Oberken treten zufammten und fprechen mit einander.) 
Ku Ihr rft. 
Gleichviel! jobald er kommt, laßt ihn herein. 
Er tritt wieder an den Tiſch und fieht in die Papiere.) 


Graf Truchß. 
Da führt die Wache fchon den Prinzen ber. 


Siebenier Auftritt. 
Der Prinz von Homburg tritt auf. Ein Offizier mit Wache. — Die Berigen. 
M Being, euch wuf id mie zu Hülfe 
ein junger Prinz, euch ruf’ ich mir zu fe! 
Der Obri — bringt zu Gunſten eurer 
Mir dieſes Blatt hier, ſchaut, in langer Reihe 
Von hundert Edelleuten unterzeichnet; 
Das Heer begehre, heißt es, eure Freiheit, 
Und billige den Spruch des Kriegsrechts nicht. — 
Leſt, bitt' ich, ſelbſt, und unterrichtet euch! 
(Ex giebt ihm das Blatt.) 
Prinz von Hombur 


8 
(nachdem er einen Blick Dineingethan, toenbet sr fi und fießt fi im Kreiſe ber 
ziere um). 


Kottwitz, gieb deine Hand mir, alter Freund! 
Du thuft mir mehr, als ich am Tag der Schladt 
Um did verdient! Doc, jegt gefchwind geh hin 
Nach Arnftein wiederum, von wo du Famit, 
Und rühr dich nicht; ich hab's mir überlegt, 
Ich will den Tod, der mir erfannt, erdulden! 
(Er Übergiebt ihhm die Schrift.) 

Kott witz (betroffen). 

Nein, nimmermehr, mein Priuz! was ſprichſt du da? 


Hohenzollern. 
Er will den Tod — vens 
Graf Truchß. 
Er ſoll und darf nicht fterben! 
. Mehrere Dffistere (vordringend). 
. Mein Herr und Kurfürft! mein Gebieter! hör ung! 


Prinz von Homburg. 
Ruhig! es ift mein unbeugfamer Wille! 


264 


39 will das heilige Geſetz des Kriegs, 

a3 ich verlegt’ un Angeficht des Heers, 

Durch einen freien Tod verherrlichen! 

Was kann der Sieg euch, meine Brüder, gelten, 
Der eine, dürftige, den ich vielleicht 

Dem Wrangel noch entreiße, dem Triumph 
Berglichen, über den verderblichiten 

Der Feind’ in und, den Troß, den Uebermuth, 
Errungen glorreih morgen? Es erliege 

Der Fremdling, der uns unterjodhen will, 

Und frei auf mütterlidem Grund behaupte 
Der Brandenburger fi, denn fein ift er, 

Und feiner Fluren Pracht nur ihm erbaut! 


Kottwik (gerührt). 
Mein Cohn! mein liebiter Freund! wie nenn’ ic) dich? 
Graf Truchß. 
D Gott der Welt! 
Kottwitz. 
Laß deine Hand mich küſſen! 
(Sie drängen ſich um ihn.) 
" Brinz von Homburg 
(mendet ſich zumi Surfürften). 
Doch dir, mein Fürft, der einen füßern Namen 
Dereinft mir führte, leider jetzt verfcherzt; 
Dir leg’ ich tiefbewegt zu eiken mid)! 
Bergieb, wenn ich am Lage der Entjcheidung, 
Mit tibereiltem Eifer dir gedient: 
Der Tod wäſcht jet von jeder Schuld mid) rein. 
Laß meinem ger en, das verſöhnt und heiter 
Sich deinem ectöfpruch unterwirft, den Troft, 
Daß deine Bruſt aud jedem Groll entjagt: 
Und in der — deß zum Zeichen, 
Bewill'ge huldreich eine Gnade mir! 


Kurfürſt. 
Sprich, junger Held! was iſt's, das du begehrſt? 
Mein Wort verpfänd’ ich dir und — 
Was es auch ſei, es iſt dir zugeſtanden! 


Prinz von Homburg. 
Erkauf, o Herr, mit deiner Nichte Hand 
Bon Guftan Karl den Frieden nicht! Hinweg 
Mit diefem Unterhändler aus dem Yager, 
Der folden Antrag ehrlos dir gemacht: 
Mit Kettenkugeln Frei die Antwort ihm! 


265 


‚ Rurfürft (fügt feine Stirn). 
Sei's, wie du fagft: mit diefem Kuß, mein Sohn, 
Bemilligt ſei die legte Bitte dir! 
Was auch bedarf es diefe8 Opfers noch, 
Vom Mipglüd nur des Krieg mir abgerungen ? 
Blüht doch aus jedem Wort, das du — 
Jetzt mir ein Sieg auf, der zu Staub ihn malmt! 
Prinz Homburgs Braut fei fe, werd’ ich ihm fchreiben, 
Der Fehrbellins halb dem Gefeg verfiel, 
Und feinem Geift, todt vor den Fahnen fchreitend, 
Kämpf’ er auf dem Gefild der Schlacht fie ab! 

(Er tüßt ihn noch einmal und erhebt ihn.) 
Prinz von Homburg. 
Nun Yen jetzt fchentteft du das Leben mir! 
Run fleh' ich jeden Segen dir herab, 
Den von dem Thron der Wolfen Seraphim’ 
Auf Delbenhänpter jauchzend niederjchütten: 
Geh und befrieg, o Herr, und liberwinde 
Den Weltfreis, der dir trogt — denn du bift’3 werth! 
Kurfürſt. 

Wache! führt ihn zurück in ſein Gefängniß! 


Achter Auftritt. 


Natalie und die Kurfürſtin zeigen ſig unter der Thür, Hefdamen folgen. — Die 
rigen. 


Natalie. 
O Mutter, laß! was ſprichſt du mir von Sitte? 
Die höäft, in folder Stund, ift, ihn zu lieben! 
ein theurer, unglüdjel’ger Freund! 
Brinz von Homburg (bricht auf). 
Hinmweg! 
Graf Truch ß (pät ihn). 
Nein, nimmermehr, mein Prinz! 
(Mehrere Offiziere treten ihm in den Weg.) 
Brinz von Homburg. 
Führt mich hinweg! 
Hohenzollern. 
Mein Kurfürft, kann dein Herz — 
Brinz von Homburg 
(reißt fi) 108). 
Tyrannen, wollt ihr 
Sl an Ketten mid) zum Richtplatz jchleifen ? 
ort! — mit der Welt op ich die Rechnung ab! 
(Ab, mit Wade.) 


266 


Natalie. 
(indem fie ih an die Bruſt der Tante legt). 
D Erde, nimm in deinen Schooß mich auf! 
Wozu das Licht der Sonne länger fchauen? 


Neunter Auftritt. 


Die Borigen ohne den Prinzen von Homburg 
Feldmarſchall. 
O Gott der Welt! mußt' es bis dahin kommen! 
(Der Kurfürft ſpricht heimlich und angelegentlich mit einem Offizier.) 
. Kott witz (talt). 
Mein Fürſt und Herr, nach dem, was vorgefallen, 
Eind wir entlafjen? 
Kurfürſt. 


ſt 
Nein! zur Stund noch nicht! 
Dir ſag' ich's an, wenn du entlaſſen biſt! 
(Er fixirt ihn eine Weile mit den Augen; alsdann nimmt er die Papiere, die ihm der 
RPage gebracht hat, vom Tiſch, und wendet ſich damit zum Feldmarſchall.) 


ter diefen Paß dem fchwed’schen Grafen Gern! 
3 wär’ des Prinzen, meines Betters, Bitte, 

Die ich verpflichtet wäre ge erfüllen; 

Der Krieg heb’ in drei Tagen wieder an! 

J ch it felbft & F einen N in Br ——— b 
a, urtheilt ſelbſt, ihr Herrn! Der Prinz von Hombur 
at im een x r durch Trotz und Leidhtfinn 3 
m zwei der ſchönſten Siege mid) gebracht; 

Den dritten auch hat er mir ſchwer gefränft. 

Die Schule diefer Tage durchgegangen, 

Wollt ihr’3 zum vierten Male mit ihm wagen? 

Kottwitz und Truchß 
Vrrcheinander). 
Wie, mein vergöttert — angebeteter? 
Kurfürft. 
Wollt ihr? wollt ihr? 
Kottwitz. 
Bei dem lebend'gen Gott, 

Du könnteſt an Verderbens Abgrund ſtehn, 

Daß er, um dir zu helfen, dich zu retten, 

Auch nicht das Schwert mehr zückte, ungerufen! 

Kurfürſt 
(erreißt das Todesurtheil). 
So folgt, ihr Freunde, in den Garten mir! (Atte ab.) 


267 


Scene: Schloß mit der Rampe, die in den Garten Binabführt; wie ins erften 
Akt. — Es iſt wieder Nadıt. 


Zehnter Anftritt. 


Der Prinz bon Homburg wird vom Wittmeifler Stranz mit verbundenen Augen 
durch das untere Sartengitter aufgeführt. Offiziere mit Wade. — In der Ferne 
hört man Trommeln ded Todtenmarſches. 

Prinz von Homburg. 

Nun, o Unfterblichkeit, bift du ganz mein! 

Du ftrahlft mir durch die Binde meiner Augen, 

Mit Glanz der taufendfahen Sonne zu! 

Es wachſen Flügel mir an beiden Schultern, 

Durch ftille Aetherräume ſchwingt mein Geift; 

Und wie ein Schiff, vom gend des Winds entführt, N, 
Die muntre Hafenftadt verjinfen fieht, 

So geht mir dänımernd alles Leben unter: 

Jetzt unterfcheid’ ich Farben noch und Formen, 

Und jegt liegt Nebel Alles unter mir. 


(Der Brinz ſetzt auf die Bank, die in der Witte des Platzes die Ei = 
lagen if; 4 Kklumesfiee Stranz ur) von 8* un fieht nad, —ã 
inauf. 


Ah, wie die Nachtviole lieblich duftet! 
— Epürft du es nicht? 
(Strang kommt wieder zu ihn: zurüd.) 
Stranz. 
E3 find Levkoyn und Nelken. 
‚ ‚Brinz von Homburg. 
Levkoyn? — wie kommen die hierher? 
Stranz. 36 . 
weiß nit. — 
Es ggeint, ein Mädchen hat fie hier sepflanat 9 
— Kann id dir eine Nelfe reichen? 
Prinz von Homburg. 
lieber! — 
Ich will zu Haufe fie in Waffer fegen. 


Eilfter Auftritt. 


Der Kurfürſt mit den Lorbeerkranz, um welchen die goldne Kette I 
Kurfürſtin, Prinzeſſin Natalie, Felbmarideli Dörflin — Obriſt Rs a Hay 
jelern, Osly u. |. w. — Hofbamen, Offiziere und Fackeln erfcheinen auf der Rampe 
*3 Salat es. Per Aa bi Maar vi mit gr Zuh an das „eländer und wintt dem 
s iefer singen bon Ge 
’ Dintergrund mit der Wade Ar wrg berläßt, und Im 


‚Prinz von Homburg. 
Lieber, was für ein Glanz verbreitet ſich? 


268 


Strauz 
(kehrt zu ihm zurüch). 
Mein Prinz, willſt du gefällig dich erheben? 
Prinz von Homburg. 
Was giebt es? 


Stranz 
Nichts, das dich erfchreden dürfte! — 
Die Augen bloß will ich dir wieder öffnen. 
Brinz von Homburg. 
Schlug meiner Leiden legte Stunde ? 
" Stranz. 
Ja! — 
Heil dir und Segen, denn du bift es werth! 
(Der Kurfürft giebt den Kranz, an welchem die Kette hängt, der Prinzeffin, nimmt 
fie hei der Hand und führt fie die Rampe hinab. Herren und Damen folgen. Die 
Prinzeſſin tritt, umgeben von Yadeln, vor den Prinzen, welder erftaunt auffteht; 


fett ihm den Kranz Sl „an t eins rg am b a feine Hand an ihr 


Natalie 
Himmel! die Freude tödtet ihn! 
Hohenzollern (faft ihn auf). 
Zu Hülfe! ® 
Aurfürſt. 
Laßt den Kanonendonner ihn erwecken! 
(Kanonenſchuͤſſe. Ein Marſch. Das Schloß erleuchtet ſich.) 
Kottwik. 
Heil, Heil dem Prinz von Homburg! 
Die Offiziere 
Heil! Heil! Heil! 


Alle. 
Dem Sieger in der Schlacht bei Fehrbellin! 
(Augenblickliches Stillſchweigen.) 
Prinz von Homburg. 
Nein, ſagt! iſt es ein Traum? 
Kottwitz. 
Ein Traum, was ſonſt? 
Mehrere Offiziere. 
In's Feld! in's Feld! 
Graf Truchſeß. 
Zur Schlacht! 
Feldmarſchall. 
Zum Sieg! zum Sieg! 


Alle. 
In Staub mit allen Feinden Brandenburgs! 


— —— — 


Die Herrmannsſchlacht. 


>. Ein Drama. 


Wehe, mein Vaterland, dir! die Leier zum Rahm dir zu Ichlagen, 
Iſt, getreu dir im Schooß, mir, deinen Dichter, verwehrt. 


Berjfonen: 


Herrmann, Fürſt der Cherusfer. 
Thusnelda, jeine Gemahlin. 
Rinold, Adelhart, feine Knaben. 
Eginhardt, jein Rath. 

Luitgar, Aftolf, Winfried, deffen Söhne, feine Hanptleute. 
Egbert, ein anderer cheruskiſcher Anführer. 

Gertrud, Bertha, Frauen der Thusnelda. 

Marbod, Fürſt der Sueven, Berbiindeter des Herrmann. 
Atterin, fein Rath. 

Komar, ein fuevifcher Hauptmann. 
Wolf, Fürft der Katten, 
Thuiskomar, Fürſt der Sicambrier, 
Dagobert, Fürſt der Marſen, 
Selgar, Fürft der Brufterer, 

Fuſt, Fürſt der Eimbern, 

Guchtar, Fürft der Nervier, Berbindete der Römer. 
Ariſtau, Fürſt der Ubier, 

Quiutilins Barus, römiſcher Feldherr. 

Beutidins, Legat von Rom. 

Scäpis, fein Geheimſchreiber. 

Septimins, Crafjus, römiſche Anflihrer. 

Tenthold, ein Waffenichmidt. 

Ehilderich, ein Zwingerwärter. 

Eine Alraune. Zwei Aelteſten von Teutoburg. 

Drei cheruskiſche Hauptleute. Drei cherusfifche Boten, 
Feldherrn, Hauptleute, Krieger, Boll. 


Mißvergnügte. 


* 
———— 


Ge. 


Erfier Akt, 





Scene: Gegend im Wald, mit einer Jagdhütte. 


Eriter Auftritt. 


BR: Bat mer BOB mb Ba BAR 
Wolf 
(indem er fih auf den Boden wirft). 
Es ift umfonft, Thuskar, wir find verloren! 
Rom, diefer Niefe, der, das Mittelmeer befchreitend, . 
Gleich dem Koloß von Rhodus trogig 
Den Fuß auf Oſt und Welten jeget, 
Des Parthers muth’gen Naden bier 
Und dort den tapfern Gallier niedertretend: 
Er wirft aud) jest und Deutsche in den Staub. | 
Gueltar der Nervier und Zuft der Fürft der Cimbern 
Erlagen dem Auguftus oa 
gehn auch ber Frieſe wehrt ſich nur noch fterbend; 
riftan bat, der Ubier, 
Der ungroßmüthigfte von allen deutſchen Fürften, 
In Barus Arme treulos ſich geworfen; 
Und Herrmann der Cheruöfer endlich, 
u dem wir als dem legten Pfeiler uns 
m allgemeinen Sturz Germania geflüchtet, 
hr ſeht e8, Freunde, wie er ung verhöhnt: 
tatt die Legionen muthig aufzufuchen, 
In feine Forften fpielend führt er ung, 
Und läßt den Hirfch uns und den Ur befiegen. 
Shuislomar 
(zu Dagobert und Selgar, die im Hintergrund auf und nieder gehen). 
Er muß bier diefe Briefe Iefen! 
— Ich bitt’ euch, meine Freunde, wanket nicht, 
Bis die Derräterei des Varus ihm eröffnet. 
Ein fürmlicher Vertrag ward jüngft 





272 


Geſchloſſen zwifchen mir und ihm: 
Wenn ih dem Fürſten mich der Hl: nicht verbände, 
So folle dem Auguft mein Erbland heilig fein; 
Und bier, feht diefen Brief, ihr Herrn, 
Mein Erbland ift von Römern überflutet; 
Der Krieg, fo ſchreibt der falſche Schelm, 
y welchem er mit Holm dem dr liege, 
fordere, daß ihm Sicambrien ſich öffne: 
Und meine Freundſchaft für Auguftus laſſ' ihn hoffen, 
ch werd’ ihm dieſen dreiften Schritt, 
en Noth ihm dringend abgepreßt, verzeihn. 
Laßt Herrmann, wenn er fommt, den Gaunerftreich ung melden, 
So kommt gewiß, Freund Dagobert, 
reund Selgar, noch der Bund zu Stande, 
m defjenthalb wir hier bei ihm verſammelt find. 


Dagobert, 
Freund Thuisfomar! ob ich dem Bündniß mid, 
Das ek Sremdlinge aus Deutjchland ſoll verjagen, 
Anjchließen werd’, ob nicht: darüber, weißt du, 
Entfcheidet hier ein Wort aus Selgars Munde! 
Auguſtus trägt, Roms Kaifer, mir, 
Wenn ih mic feiner Sache will vermählen, 
Das ganze, jüngft dem Artovift entrifine, 
Neid, der Narisker an — (Wolf und Thuiskomar machen eine Berwegung.) 
Nichts! nichts! was fahrt ihr auf? ih will es nicht! 
Dem Baterlande bleib’ ich treu, 
Ich ſchlag' e8 aus, ich bin bereit dazır. 
Doc der bier, Selgar, fol, der Fürft der Brufterer, 
Den Stridy mir, der mein Eigenthum, 
An dem Geftad der Yippe überlaffen; 
Wir lagen längft im Streit darum. _ 
Und wenn er mir Gerechtigkeit verweigert, 
Selbft jetzt noch, da er meiner Großmuth braucht, _ 
So werd’ ich mid) in euren Krieg nicht mifchen. 
Gelgar. 

Dein Eigenthum! ſieh da! mit welchem Rechte 
Nennft du, was mir verpfändet, dein, 
Bevor das Pfand, das —* mein Ahuherr, zahlte, 
An feinen Enkel du zurädgezahlt? 

ft jet der mwürd’ge Augenblid, 
Bir Sprade folde Zwiftigfeit zu bringen? 

h ich, Unedelmüth’gem, dir 
Den Strich am Lippgeſtade überlaſſe, 
Eh will an Auguſt's Heere ich 

ein ganzes Neich mit Haus und Hof verlieren! 


273 


Thniskomar 
(dazivifchen tretend). 
D meine Freunde! 
Ein Fürft (eben fo). 
Selgar! Dagobert! 
(Man hört Hörner in der gerne.) 
Ein Cherustfer (tritt auf). 
Herrmann, der FZürft, kommt! 
Thniskomar. 
vdaßt den Strich, ich bitt' euch, 
Ruhn, an der Lippe, bis entſchieden iſt, 
Wen dag gefammte Reid Germantend gehört! 
Wolf 
(indem er ſich erhebt). 
Da haft du recht! Es 9* t der Wolf, o Deutſchland, 
In deine Hürde ein, und Fi Hirten ftreiten 
Um eine Handvoll Wolle fi 


Zweiter Auftritt, 


Thubuelda den Beutidins aufführend. Ihr folgt Herrmann, Eräpie, Gefol 
a een und ein leerer kt er — —— behte Bohn 


Thnsuelda. 
geil dem Ventidius Carbo! Pömerritter! 
em kühnen Sieger des gehörnten Urs! 

Das Gefolge, 
Heil! Heil! 
hnisſkomar. 


Was! habt in ihn? 


Herrmann, 
Hier ehe ihr Freunde! 
Man ſchleppt ihn bei den Hörnern ſchon erbei! 
(Der erlegte Aueroche wird herangeſchleppt.) 


Bentidins, 

gr beutfchen gern, der Ruhm gehört nicht mir! 

Er kommt Thusnel den, 5 BAHN Gattin, 
Kommt der he Cherusterfürftin zu! 
Ihr Pfeil, auf mehr denn hundert Schritte, 
Warf mit der Macht bes Donnerteils „hm nieder, 
Und, Sieg! rief, wen ein Odem ward 
Der Ur bob plöglih nur, mit pfeildurdbohrtem Raden 
Noch einmal fih vom Sand empor: 
Da kreuzt’ ich feinen Naden durch noch einen, 

Dibl, d. d. Nationalliteratur, Kleiſt. I. 


274 


Thusnelda 
Du häufft, Ventidius, Siegsruhm auf die Scheitel, 
Die du davon entfleiden w 5 
Das Thier Schoß, von dent Pfeil gereizt, den ich entjendet, 
Mit wutherfüllten Säßen auf mid ein, 
Und fchon verloren glaubt’ ich mich; 
Da half dein beßrer Schuß dem meinen nad), 
Und warf e8 völlig leblo8 vor mir nieder. 
Seäpio. 
Bei allen Helden des Homers! 
Dir ward ein Herz von par'ſchem Marmel, Fürſtin! 
Des Todes Nacht ſchlug über mich zuſammen, 
ALS es gekrümmt, mit auf die Bru 
Sefeßten Hörnern, auf did) ein, 
Das rahentflanımte Unthier, wetterte: 
Und du, du wihft, du wantteft nicht — was fag’ ich? 
Sorg’ überflog mit feiner Wolte 
Den heitern Simmel deines Angefichts! 
Thusnelda (muthwillig). 
Was ſollt' ich fürchten, Scäpio, 
So lang Ventidius mir zur Seite ſtand? 
Bentidins, 
Du warft des Todes gleihwohl, wenn ich fehlte. 
Wolf (fine. 
— Stand fie im Freien, als fie ſchoß? 
Bentidins. 


Scäpin,. 
Nein — hier ım Wald. Warum? 


Bentidins. 
Ganz in der Näbe, 
Wo krenzend duch die Forft die Wildbahn bricht. 
Wolf (achend). 
Nun denn, beim Himmel! 
Thuiskomar. 
Wenn ſie im Walde ſtand — 


Wolf. 
Ein Auerochs iſt keine Katze, 
Und geht, ſo viel bekannt mir, auf die Wipfel 
Der Pinien und Eichen nicht. 


Herrmann (abbrechend). 
Kurz, Heil ruf' ich Ventidius noch einmal, 


Die Fürſtin? 


N 


275 


Des Urs, des hornbewehrten, Sieger, 
Und der Thusnelda Retter obenein! 
Thusnelda (zw Herrmann). 
Bergönnft du, mein Gebieter, mir, 
Nah Teutoburg nunmehr zurüdzufehren ? 
(Sie giebt den Pfeil und Bogen weg.) 


Hola! die Pferd'! Herrmann (wendet fid). 
olla! die ‘Pferd’! 


Bentidius 
(halblaut, zu Thusnelden). 
Wie, Göttliche, du willſt — 
(Sie ſprechen heimlich zufammen.) 
Shnislomar 
(die Bferde betrachtend). 
Schau, die Duadriga, die Auguft dir ſchenkte? 
Selgar. 
Die Pferd' aus Rom? 
Herrmann (zerſtreut). 
Aus Rom, beim Jupiter! 
Ein Zug, wie der Pelid' ihn nicht geführt! 
Bentidius (m Thuenelda). 
Darf ich in Teutoburg — 


Thusnelda. 
Ich bitte dich. 


Herrmann. 
Ventidius Carbo! willſt du ſie begleiten? 
Bentidius. 
Mein Fürſt! du machſt zum Sel'gen mich — 
(Er giebt Pfeil und Bogen gleichfalls weg; officids.) 
Wann wohl vergönnft du, 
Bor deinem Thron, o Herr, in Ehrfurcht 
Dir eine Botjchaft des Auguftus zu entdeden? 
Herrmann, 
Mann du begehrit, Ventidius! 
Bentidins, 
So werd’ ich 
Dir mit der nächſten Sonne Strahl erfcheinen. 


Herrmann. 
Auf denn! — Ein Roß dem Scäpio, ihr Jäger! 
— Gieb deine Hand, Thusnelda, mir! 
(Er hebt mit Bentidius Thusnelda in den Wagen; Wentidins folgt ihr.) 
Thusnelda 
(fi aus dem Wagen herausbeugend). 
Yhr Herrn, wir fehn uns an der Tafel doch? 


276 


Herrmanıt (zu den Fürften). 
Molf! Scelgar! redet! 
Die Fürften. 
Zu deinem Dienft, Erlauchte! 
Wir werden gleich nach den Gezelt dir folgen. 


Herrmann. 
Wohlauf, ihr Jäger! laßt da3 Horn dann fchmettern, 
Und bringt fie ini Triumph nad) Teutoburg! 
(Der Wagen fährt ab; Hörnermufikl.) 


Dritter Auftritt. 


Herrmann, Wolf, Thniskomar, Dagobert und Selgar laſſen ſich auf eine Raſenbank 
um einen fteinernen Tiſch nieder, der vor der Jagdhütte ficht. 
Herrmann. 

Sebt euch, ihr Freunde! laßt den Becher 

Zur Letzung jest der miden Glieder kreiſen! 
Das Jagen Frbn ift weniger das Feft, 

ALS diefer heitre Augenblid, 

Mit welchem ſich das Feſt der Jagd beichließet! 


(Knaben bedienen ihn mit Wein.) 


Wolf. 
D könnten wir, beim Mable, bald 
Ein andres größres Siegsfeſt felig feiern! 
Wie durd) den Hals des Urs Thusneldens ſichre Hand 
Den Pfeil gejagt: o Herrmann! könnten wir 
Des Krieges ehrnen Bogen fpannen, | " 
Und mit vereinter Kraft den Pfeil der Schlacht zerfchmetternd 
So durd) den Naden hin des Römerheeres jagen, 
Das in den Feldern Deutjchlands aufgepflanzt! 


FR he — 
aſt du gehört, was mir gejcehehn‘ 
Dur Barns treulo8 den Vertrag gebrochen, 
Und mir Sicambrien mit Römern überfchmenmt ? 
Sieh, Holm, der Friefen wadern Fürften, 
Der durch das engfte Band der Freundfchaft mir verbunden: 
ALS jüngst die Rach' Auguftus auf ihn fiel, 
Mir die Legionen fern zu halten, 
Gab ich der Rach' ihn des Auguftns Preis. 
So lang an dem Geftad der Ems der steieg, Min witthet, 
Mit keinem Wort, ich ſchwör's, mit feinem Blick 
Bin ih zu Hülfe ihn geetlt; 
30 hütet’ in Calpurns, des Römerboten, Nähe 
ie Mienen, Herrmann, die fi) trauernd 


277° 


nf des verlorenen Schwagers Seite ftellten: 

Und jegt — noch um den Lohn Ich? ic 

Mich der fluchwitrdigen Feigherzigkeit betrogen: 

Varus führt die Legionen mir in's Land, 

Und gleich, als wär’ ich Auguſts Feind, 

Wird e8 jedweden Gräul des Krieges Preis gegeben. 
Herrmann. 

Ich hab’ davon gehört, Thuiskar. 

Ich ſprach den Boten, der die Nachricht 

Dir eben aus Sicambrien gebracht. 


Thnislomar. 
Was nun — was wird für did) davon die Folge fein? 
Marbod, der herrichensgier’ge Suevenfürft, 
Der, fern von den Sudeten fommend, 
Die Oder rechts und links die Donau überſchwemmt, 
Und feinem Scepter (jo erflärt er) 
Ganz Deutfhland fiegreich unterwerfen mill: 
Am Weferftron, im Oſten deiner Staaten, 
Mit einen Heere fteht er da, 
Und den Tribut hat er dir abgefordert. 
Du weißt, wie oft dir Varus ; on 
Zu Hilfe fchelmifch die Cohorten bot. , 
Nur allzuklar ließ er die Abficht —— 
Den Adler auch im Land Cheruskas aufzupflanzen; 
Den ſchlauſten Wendungen der Staatskunſt nur 
Gelang es, bis auf dieſen Tag 
Dir den bösart'gen Gaſt entfernt zu halten. 
Nun iſt er bis zur Lippe porgerüdt; 
Nun fteht er mit drei Legionen 
In deines Landes Beften drohend da: 
Nun mußt du, wenn er e8 in Auguft3 Namen fordert, 
Ihm deiner Plätze Thore öffnen: 
Du haſt nicht mehr die Macht, es ihm zu wehren. 
errmaun. 
Gewiß. Da ſiehſt du richtig. Meine Lage 
Iſt in der That bedrängter als jemals. 
Thuiskomar. 
Beim Himmel, wenn du ſchnell nicht hilfſt, 
Die Lage eines ganz Verlornen! 
— Daß ich, mein wackrer Freund, dich in dies Irrſal ſtürzte, 
Durch Schritte, wenig klug und überlegt, 
Gewiß, ich fühl's mit Schmerz im Innerften der Bruft. 
Ich hätte nimmer, fühl’ ich, Frieden 
Mit — Kindern des Betruges ſchließen, 
Und dieſen Varus, gleich dem Wolf der Wüſte, 


278 


In einem ew’gen Streit befriegen follen. 

— Das aber ıft Mr und wenig frommt, du weißt, 

In das Vergangene ſich reuig zu verfenten. 

Was wirft du, Fragt fih, nun darauf befchließen ? 
Herrmann. 

"Sa, Freund! davon kann faum die Ned’ nod fein. — 

Nah Allem, was gefchehn, find’ ich, 

Läuft nun mein Bortheil ziemlich mit des Varus, 

Und wenn er noch darauf befteht, 

Sp nehm’ ich ihn in meinen Grenzen auf. 

Thniskomar (erſtaunt). 
Du nimmſt ihn — was? 


Dagobert. 
In deines Landes Grenze? — 


Selgar. 
Wenn Varus drauf beſteht, du nimmſt ihn auf? 


Thniskomar. 
Du Raſender! haſt du auch überlegt? — 


| Dagobert, 
Warum ? 
Selgar. 
Weshalb, fag an? 
Dagobert. 
Zu welchen Zmed? 
Herrmann, 
— Mid gegen Marbod zu beſchützen, 
Der den Tribut mir trotzig abgefordert. 
Thuiskomar. 
Dich gegen Marbod zu beſchützen! 
Und du weißt nicht, Unſeliger, daß er 
Den Marbod ſchelmiſch gegen dich erregt; 
Daß er mit Geld und —* — heinilich 
Ihn ande ja, daß er Feldherrn 
you zugejandt, die in der Kunſt ihn tüdifch, 
ih aus den Feld zu fchlagen, unterrichten ? 


Herrmann. 
Ihr Sreund’, ich bitt’ euch, kümmert euch 
Un meine Wohlfahrt nicht! bei Wodan, meinem hohen Herrn! 
So weit in Kreife mir der Welt 
Das Heer der munteren Gedanken reichet, 
Erftreb’ id) und bezwed’ ich nichts, 
ALS jenem Römerkaiſer zu erliegen, 


279 


Das aber möcht’ ich gern mit Ruhm, ihr Brüder, 

Wie's einem deutfchen Fürften ziemt: 

Und daß ich daS vermög’, im ganzen vollen Maße, 

Wie 2 die freie Seele glorreich denft — 

Wil ich ‚allein ftehn, und mit euch mich, 

Die mand ein andrer Wunſch zur Seite Iodend zieht, 

In diefer wicht’gen Sache nicht verbinden. 
Dagobert. 

Nun, bei den Nornen! wenn du ſonſt nichts willſt, 

ALS dem Auguſt erliegen — (&r lad.) 


Selgar. 
‚— Man kann nit fagen, 
Daß hoch Arminius das Ziel fidh ftedet! 
Herrmann. 
So! — 
Ihr würdet beide euren Wit vergebens 
Sufammenlegen, dieſes Biel, 
a8 vor der Stirn euch dünket, zu erreichen. 
Denn fegt einmal, ihr Herrn, ihr findet 
Wohin ıhr es im Lauf der Ewigkeit nicht bringt) 
em Barus kampfverbunden gegenüber: 
Im Grund moraft’ger Thäler er, 
Auf Gipfeln waldbekränzter Feljen ihr: 
So dürft’ er dir nur, Dagobert, 
Selgar, dein Lippgeftad’ verbindlich fchenten: 
Bei den fuchshaarigen Alraumen, ſeht, VER 
Den Römer laßt ibr beid’ im Stich, 
Und fallt euch, wie zwei Spinnen, jelber an. 


Wolf (einientend). 
Du Hältft nicht eben Hoch im Werth uns, Better! 
Es fcheint, das Bündniß nicht fomohl, 
ALS die Berbündeten mißfallen dir. 


Herrmann, 

Berzeiht! — ich nenn’ euch meine wadern Freunde, 
Und will mit diefem Wort, das glaubt mir, mehr, als euren 
Berlegten Bufen höflich bloß verföhnen. 
Die Zeit ftellt, been rangs voll, die Gemüther 
Auf eine ſchwere Prob’; und manchen kenn' ich beſſer, 
ALS er in diefem Augenblid fich zeigt. 
Wollt’ ih auf Erden irgend was erringen, 
39 würde glüdlich fein, könnt’ ich mit Männern mid), 

ie ge um mich verfammelt find, verbinden; 
Jedoch, weil Alles zu verlieren bloß 
Die Abſicht ift — fo läßt, begreift ihr, 


280 


Gold ein erg, nicht wohl ein Bündniß zu: 

Allein muß ich in jolhem Kriege ftehn, 

Berfnüpft mit Niemand als nur meinem Gott. 
Thniskomar. 

Vergieb mir, Freund, man ſieht nicht ein, 

Warum un wir erliegen follen; 

Warum es fol unmöglich ganz, 

Undenkbar fein (wenn es auch ſchwer gleich fein mag), 

Vals wir nur fonft vereint nad) alter Sitte wären, 

Den Adler Roms in einer muntern Schlacht 

Aus unferm deutfchen Land hinwegzujagen. 


Herrmann. 
Nein, nein! das eben iſt's! der Wahn, Thuisfar, 
Der ftürzt juft rettungslos euch in's Berderben bin! 
Ganz Deutfchland ift verloren ſchon, 
Dir der Sicambern Thron, der Thron der Katten dir, 
Der Marfen dem, mir der Cherusfer, 
Und auch der Erb’, bei Hertha! ſchon benannt: 
Es gilt nur bloß N jest, ſie abzutreten. 
Wie wollt ihr doch, ihr Grm, mit diefem Heer des Varus 
Euch meffen — an eines Hanfens Spike, 
Zufammen aus den Waldungen gelaufen, 
Mit der Cohorte, der gegliederten, 
Die, wo fie geht und fteht, des Geiftes ſich erfreut? 
Was habt ihr, fagt doch jelbft, das Vaterland zu ſchirmen, 
Als nur die nadte Bruft alleın 
Und euren Morgenftern? indeflen jene dort 
Gerüftet mit der ehrnen Waffe kommen, 
Die ganze Kunft des Kriegs entfaltend, 
In den vier Himmelsftrichen ansgelernt. 
Nein, Freunde, jo gewiß der Bär dem fchlanten Löwen 


. . m Kampf erliegt, jo ficderlich 


Erliegt ihr in der Feldſchlacht diefen Römern. 


Wolf, 
Es ſcheint, du hältft dies Volk des fruchtumblühten Yatiens 
gür ein Geſchlecht von höh’rer Art, 
eftimmt, uns roh're Kauze zu beberrichen ? 
Herrmann. 
m! in geroiffem Sinne fag’ ich: ja. 
ch glaub’, der Deutſch' erfrent fd einer größern 
Anlage, der Italier doch hat feine mindre 
In diefem Augenblide mehr entwidelt. 
Wenn fich der Barden Lied erfüllt, 
Und unter einem Königsfcepter 
Jemals die ganze Menfchheit fich vereint, 


281 


So läßt, daß e3 ein Deutfcher führt, fich denken, 
Ein Britt’, ein Gallier, oder wer ihr wollt; 

Doch nimmer jener Yatier, beim Himmel! 

Der feine andre Bollsnatur 

Berftehen kann und ehren, als nur feine. 

Dazı am Schluß der Ding’ auch kommt es noch; 
Doc bis die Völker fich, die diefe Erd’ ummogen, 
Noch jet vom Sturm der Yon gepeitfcht 

Gleich einer See, in's Gleichgewicht geftelkt, 
Kann es leicht fein, der Habıcht rupft, 

Die Brut des Aare, die, noch nicht flügg, 

Im stillen Wipfel einer Eiche ruht. 


Wolf. 
Mithin ergiebſt du wirklich völlig dich 
In das Verhängniß — beugſt den Nacken 
Dem Joch, das bie er Römer bringt, 
Ohn' aud ein Glied nur fträubend zu bewegen? 


Herrmann. 
Behüte Wodan mich! ergeben! ſeid ihr toll ? 
Mein Alles, Haus und Hof, die gänzliche 
Gefammtheit deß, mas mein jonft mar, 7 
ALS ein verlornes Gut in meiner Hand nod ift, 
Das, Freunde, jeß’ ich dran, im Tode nur, 
Wie König Porus, Lorreich es fe laſſen! 
Ergeben! — Einen Krieg, bei Mana! will ich 
Entflammen, der in Deutjchland raſſelnd > 
Gleich einem dürren Walde um fich greifen 
Und auf zum Himmel lodernd fchlagen fol! 


Thuisfomar. 
Und gleihhmohl — umnbegreiflich bift du, Better 
Gleichwohl nährit Feine Hoffnung du, - 
In ſolchem tücht’gen Völferitreit zu fiegen? 


Herrmann. 
Wahrhaftig, nicht die mindefte, 
Ihr Freunde. Meine ganze Sorge joll 
Nur fein, wie ich nach meinen Zweden 
Gefchlagen werd’. — Weld ein wahnfinn’ger Ther 
Miüpt’ ich doch fein, wollt! ich mir und der Heeresfchaar, 
Die ich in's Feld des Todes führ’, erlauben, 
Das Aug von diefer finftern Wahrheit ab 
Buntfarb’gen Siegesbildern zuzumenden, 
Und gleihwohl dann ‚gegmungen fein, 
In dem geläbrlighen omente ‚der Entfcheidung, 
Die ungeheure Wahrheit anzufchaun? 


282 


Nein! Schritt vor Schritt will ich das Land der großen Väter 
Berlieren — über jeden Waldftrom fchon im Voraus 
Mir eine goldne Brüde baum, 
zı jeder Mordfchlacht dehfen, wie ich in 

en legten Winkel nur mid) des Cherusterlands 
Zurüdegiei: und triumphiren, 

ie nimmer Marius und Sylla triumphirten, 
Wenn ih — nad) einer runden Zahl von Yahren, 
Berfteht fih — im Schatten einer Wodangeiche, 
Auf einem Grenzftein, mit den legten Freunden, 
Den fchönen Tod der Helden jterben fann. 


Dagobert, 
Nun denn, beim Styrflug — 


Selgar. 
Das geſtehſt du, Vetter, 
Auf diefem Weg nicht kommſt du eben weit. 
Dagobert. 
Gleich einem Löwen grimmig ſteht er auf, 
Warum? um wie ein Krebs zurückzugehn. 
on > gm! & as möcht w juft 
icht weit? hm! — Seht, das mi ich juſt nicht ſagen. 
Na Rom — ihr Herren, Dagobert und ar! ’ 
Wenn mir das Glück ein went günjtig ift. 
Und wenn nicht ich, wie ich fat zweifeln muß, 
Der Entel einer ar mag ich zu hoffen, 
Die hier in diefem Paar der Lenden ruhn! 
Wolf (umarmt in). 
Du Lieber, Wadrer, Göttliher — 
MWahrhaftig, du gefäliſi mir. — Kommt, ſtoßt an! 
Herrmann ſoll, der Befreier Deutſchlands, leben! 
N ut ih & on einmal eı 5 lade 
urz, wollt ihr, wie i on einmal euch fagte, 
—— Weib und Kind, 
nd auf der Weſer he Ufer bringen, 
Re oldn’ und filberne, die ihr 
Beliget, fchmelzen, Perlen und Juwelen 
Berfaufen oder Ki verpfänden 
Herden 
rennen, 


Berheeren eure Fluren, eure 
Erſchlagen, eure Plätze nieder 
So bin id) euer Mann — 
Wolf. 
Wie? mas? 
Herrmann. 


Wo nicht — 


283 


>. Thnistomar. 
Die eignen Zluren follen wir verheeren? 
Dagvbert. 
Die Heerden tödten ? 


elgar. 
Unfre Pläge niederbrennen ? 
Herrmann. 
Nicht? nicht? ihr wollt es nit? 
Thniskomar. 
Das eben, Raſender, das iſt es ja, 
Was wir in dieſem Krieg vertheid'gen wollen! 
Herrmann (abbrechend). 
Nun denn, ich glaubte, eure Freiheit wär's. Er ſieht auf.) 
Thniskomar. 
Was? — allerdings. Die Freiheit — 
Herrmann. 
Ihr vergebt mir! 
Shnislomar. 
Wohin, id) bitte dich? 
Selgar. 


Was fällt dir ein? 
Herrmann. 
Ihr Herrn, ihr hört's; jo fann ich euch nicht helfen. 
Dagobert (bricht auf). 
Laß dir bedeuten, Herrmann. 
Herrmann 
(in die Scene rufend). 
Horft! die Pferde! 
Selgar (even fo). ‘ 
Einen Augenblid! hör an! du mißverftehft uns! 
(Die Fürften brechen ſämnitlich auf.) 
Herrmann. 
Ihr Herrn, zur Mittagstafel jehn wir uns. 
(Er geht ab; Hörnermufit.) 


. Wolf. 
O Deutfchland! Vaterland! wer rettet Did), 
Wenn e3 ein Held wie Siegmars Sohn nicht thut! 
(Alle ab.) 





Y 


284 


Zweiter Akt. 


— m 


Scene: Teutoburg. Das Innere eines großen und prächtigen Yürftenzelt® mit 
einem Thron. 


Erſter Anftritt. 
Herrmann auf dem Thron. Ihm zur Seite Eginbarbt. Bentidins, der Legat von 
Rom, fteht vor ihm. 
errmann. 
Ventidius! deine Botſchaft, in der That, 
Erfreut zugleich mich und beſtürzt mich. 
— Auguſtus, ſagſt du, beut zum drittenmal 
Mir ſeine Hülfe gegen Marbod an. 


Bentidius. 
Ja, mein erlauchter Herr. Die drei Legionen, 
Die in Sicambrien am Strom der Lippe ſtehn, 
Betrachte ſie wie dein! Quintilius Varus harrt, 
Ihr großer Feldherr, deines Winkes nur, 
In die Cheruskerplätze einzurücken. 
Drei Tage, mehr bedarf es nicht, ſo ſteht er 
Dem Darbod ſchon am Bord der Weſer gegenüber, 
Und zahlt, vorn an der Pfeile Spitzen, 
Ihm das Metall, das er gewagt 
Dir als Tribut, der Trotz'ge, abzufordern. 


Herrmann. 
Frennd, dir ift felbft befannt, wie manchem bittern Drangfal 
Ein Yand ift heillos Preis geftellt, 
Das einen neereägn erdulden muß. 
Da finden Raub und Mord und Brand fidh, 
Der höllentftiegene Gefchwifterreigen, ein, 
Und ſelbſt das Beil oft hält fie nicht zurüd. 
Meinft du nicht, alles wohl erwogen, 
Daß ih im Stande wär, allein 
Cherusfa vor dem Marbod zu beſchützen? 


Bentidins,. . 
Nein, nein, mein Fürft! den Wahn, ich bitte dich, entferne! 
Gewiß, die Schaaren, die du führft, fie bilden 
Ein würdig Heines Heer, jedoch bedenfe, 
Mit weldhem Feind du es zu thun! 
Marbod, das Kind des Glüds, der Fürft der Eueven, iſt's, 
Der, von den Riejenbergen niederrollend, 
Etet3 fiegreih, wie ein Ball von Schnee fih groß gemälzt. 


285 


Wo ift der Wall, um folden Sturz zu wehren? 
Die Römer werden Mühe haben, 
Die weltbefiegenden, wie mehr, o Herr, denn du, 
Dein Reich vor der Verſchüttung zu befchirnten. 
Freilichl frei! du Yafl zu Tehr nur Rec 
reilich! freilich! du haft zu ſehr nur Recht. 
Das Schidfal, das im Weich der Sterne maltet, 
Ihn hat es in der Luft des Kriegs 
2 einem Helden rüftig groß gezogen, 
agegen mir, Du weißt, daß fanftre ga ſich ftedte: 
Dem Weib, das mir vermählt, der Gatte, 
Ein Bater meinen füßen Kindern, 
Und meinem Volk ein quter Fürſt zu fein. 
Geit jener Mordſchlacht, die den Ariovift vernichtet, 
geb Fe im Felde mich nicht mehr gezeigt; 
te Weifung werd’ ich nimmermehr vergeifen: 
Es war im Augenblid der gräßlichen Verwirrung 
Als ob ein Geift erftünde und mir fagte, 
Daß mir das Schidjal hier nicht günftie wäre. 
Bentidius. 
Gewiß! die Weisheit, die du mir entfalteſt, 
Füllt mit Bewundrung mich. — Zudem muß id) dir ſagen, 
Daß fo, wie nun die Sachen dringend ftehn, 
D Herr, dir keine Ball mehr bleibt, 
Daß du dich zwijchen Marbod und Auguſtus 
Nothwendig jett entfcheiden mußt; 
Daß diefes Sueven Macht im Reich Germaniens 
Zu ungeheuer anwuchs; daß Auguftus 
Die Oberherrfchaft feinem gömmen Tann, 
Der, auf ein Heer, wie Marbod, trotzend, 
Sich felbft fie nur verdanken will; ja, wenn 
Er je ein Oberhaupt der Deutfchen anerkennt, 
Ein Fürft es fein muß, das begreifft du, 
Den er durch einen Schritt, verhängnißvoll wie diefer, 
Auf immer feinen Thron verbinden kann. 
Herrmann 
(nad) einer Turzen Paufe). 
Wenn du die Ausficht mir eröffnen könnteſt, 
Die ba! % Ton It in Dentfchland dad 
ie höchfte Herrichgewalt in Deutſchland zugedadjt: 
So würd’ Auguftus, das verfichr’ ich dich, ’ 
Den wärnften Freund wird’ er an mir erhalten. — 
Denn diefes Ziel, das darf ich dir geftehn, 
Reizt meinen Ehrgeiz, und mit Wei 
Seh’ ih den Marbod ihm entgegeneilen, 


286 


Beutidius. 
Mein Fürſt! das iſt kein Zweifel mehr. 
Glaub nicht, was Meuterei ie ausgefprengt, 
Ein Neffe werd’ Auguſt's, jobald es nur erobert, 
Je Deutſchland als Präfekt ſich niederlaſſen; 

nd wenn gleich Scipio, Agricola, Licin, 

Durch meinen großen Kaiſer eingeſetzt, 
Nariska, Markoland und Nervien jetzt verwalten: 
Ein Deutſcher kann das Ganze nur beherrſchen! 
Der Grundſatz, das verſichr' ich dich, 
Steht wie ein Felſen bei Senat und Boll. 
Menn aber, das entjcheide felbft, 
Ein Deutſcher fold) ein Amt verwalten fol: 
Wer Tann es fein, o Herr, als der allein, 
Dich deſſen Hülfe und erfprießlich 
Sid ſolch ein Herrihamt allererft errichtet ? 


Herrmann 

(vom Thron herabſteigend). 
Nun denn, Legat der römischen Eäfaren, 
So werf’ ich, was auch ſäum' ich länger, 
Mit Thron und Reich in deine Arme mid! 
rherustas anze Macht leg’ ich 
als ein Balal zu Auguſts Füßen nieder. 
Laß Barıs fommen mit den Legionen; 
Ih will fortan auf Schug und Trug 
Mid wider König Marbod ihm verbinden. 


Bentidius. 
Nun, bei den Uraniden! dieſer Tag, 
Er iſt der ſchönſte meines Lebens! 
Ich eile dem Auguſt, o den, dein Wort zu melden. 
Man wird in Rom die Cirken öffnen, 
Die Löwen kämpfen, die Athleten, Iaffen, 
Und Freudenfener in die Nächte jchiden! 
— Bann darf Ouintilins jet die Lippe überjchreiten ? 


Herrmann. 
Mann e8 fein Bortheil will. 
Bentipinß, 
Wohlan, fo wirft 
Du morgen fohon in Teutoburg ıhn fehn. 
— Bergönne, daß ich die Minute nüge. (a6.) 


——— — — 


287 


Zweiter Anftritt, 
Herrmann und Eginharbt. 
(Baufe.) 


Herrmann. 
Ging er? 


Eginhar 
Mich dünkte, ja. & bog ſich links. 
Herrmann. 
Mich dünkte, rechts. 
Fginhardt. 
Still! 


Herrmann. 
Rechts! der Vorhang rauſchte. 
Er bog ſich in Thusneldens Zimmer hin. 





Dritter Auftritt. 


Thubnelda tritt, einen Vorhang dffnend, zur Seite auf. Die Borigen. 


Herrmann, 
Thuschen! 
Thusnelda. 
Was giebt's? 
Herrm 
Seichwind! Ventidius fucht Dich. 
Thusnelda. 


Wo? 
Herrmann. 
Von dem äußern Gang. 
Thusnelda. 
So? deſto beſſer. 
So bin ich durch den mittlern ihm entflohn. 
Herrmann. 
Thuschen! geſchwind! ich bitte Dich! 
Thusnelda. 
Was haſt du? 
Herrm 
mid mein Herzchen! liebſt du mic! zuvüde! 
n deine Zimmer wieder! rafch! zurüde! 
Thusuelda (lädelnd). 
Ad, laß mich gehn. 


\r’ 


288 


Herrmann. 
Was? nicht? du weigerfi mir — 
Thusnelda. 

Laß mich mit dieſem Römer aus dem Spiele. 

Herrmann. 
Dih aus dem Spiel? wie! was! bift du bei Stimmen? 
Warum? weßhalb ? 

Thusnelda. 


— Er thut mir leid, der Jüngling. 
Herrmann. 
Dir leid? gewiß, beim Styr, weil er das Unthier geſtern — 
Thusnelda. 
Gewiß! bei Braga! bei der ſanften Freya: 
Er war ſo rüſtig bei der Hand! 
Er wähnte doc, mich durch den Schuß zu retten, 
Und wir verhöhnen ihn! 
Herrmann, 
Ich glaub’, beim Himmel, 
Die römiſche Tarantel hat — 
Er mähut ja auch, du Thörin, du, 
Daß wir den Wahn der That ihm danken! 
Fort, Herzchen, fort! 
Eginharbt. 


Da ift er felber fchon! 
Herrmann. 
Er riecht die Fährt’ ihr ab, ich mußt’ es mol. 


— Du jei mir Hug, ich rath’ es dir! 
Konm, Eginhardt, ich hab’ dir was zu fagen. (Ab.) 





Bierter Auftritt, 


Thusnelda nimmt eine Laute und ſetzt ſich nieder. Bentidius und Gcäpio treten auf. 


Beutidius 
(noch unter dem Eingang). 
Scäpio! Haft du gehört? 
Scäpin, 
Du fagft, der Bote — 
Bentidins (Aüctig). 
Der Bote, der nah Rom geht, an Auguftug, 
Soll zwei Minuten warten, ein Geſchäft 
Für Livia liegt, die Kaiferin, mir noch ob, 


289 


Scäyis, 
Genug! e8 foll gefchehn. cas.) 
Bentidins, 
Harr meiner draußen. 





Fünfter Auftritt, 
Tpnönelba und Bentiding, 


Bentiding. 
Vergieb, erlauchte Fran, dem Freund des Haufes, 
Wenn er den Fuß unaufgerufen 
In deine göttergleiche Nähe ſetzt. 
Bon deiner Lippe hört’ ich gern, 
Wie du die Nacht, nach jenen Schred, der geftern 
Dein junges Herz erſchütterte, gefchlummert ? 


Thusnelda. 
Nicht eben gut, Ventidius. Mein Gemüth 
War von der Jagd noch ganz des wilden Urs erfüllt. 
Vom Bogen fandt’ ich tauſendmal den Pfeil, 
Und immerfort fah id) das Thier 
Mit eingeftämmten hornern auf mich ſtürzen. 
Ein für terlicher Tod, Bentidiug, 
Solch einem Ungeheu'r erliegen! 
Arminius fagte (Serge heut, 
39 hätte durch die ganze Nacht, 

entidius! Ventidius! gerufen. 
Bentidius 
(täßt ſich leidenſchaftlich vor ihr nieder, und ergreift ihre Hand). 
Wie felig bin ih, Königin, 
Dir ein Gefühl entlodt zu haben! 
Was für ein Strahl der Wonne ftrömt, 
Mir unerträglih alle Glieder lähmend, 
Durd den entzüdten Bufen hin, 
Sagt mir dein füßer Mund, daß du bei dem Gedanken 
An mich empfindet — wär’3 auch die unfcheinbare 
Smpfinbung nur des Danks, verehrte Frau, 
Die jedem Glücklichen geworden wäre, 
Der als ein Retter dir zur Seite ftand! 
Thusnelda. 

Ventidius! was willſt du mir? ſteh auf. 

Bentidins. 
Nicht eh'r, Vergötterte, als bis du meiner Bruſt 

Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. I. 19 


290 


Ein Zeichen, gleichviel welches, des 
Gefühls, das ich in dir entflammt, verehrt! 
Set e8 das Mindefte, was Sinne greifen mögen, 
Das Herz geftaltet e8 zum Größeften. 
Laß e3 den Strauß hier fein, der deinen Bujen ziert, 
dier dieſe Schleife, dieſe goldne Locke — 
a, Kön'gin, eine Locke laß es ſein! 
Thusnelda. 
Ich glaub', du ſchwärmſt. Du weißt nicht, wo du biſt. 
Ventidius. 
Gieb eine Locke, Abgott meiner Seelen, 
Von dieſem Haupthaar mir, das von der Juno Scheiteln 
In Uppigeren Wogen nicht zur Ferſe wallt! 
Sieh, dem Arminius gonn' ich Alles: 
Das ganze duftende Gefäß von Seligkeiten, 
Das ich in meinen Armen zitternd halte, 
Sein iſt's; id) gönn' e8 ihm: es möge fein verbleiben. 
Die einz’ge Tode fleh’ ich nur für mich, 
Die in dem Hain beim Schein des Mond, 
An meine Lippe heiß gedrüdt, 
Mir deines Daſeins Traum ergänzen fol! 
Die fannft du mir, geliebtes Weib, nicht weigern, 
Wenn du nicht graufam mid) verböhnen willſt. 
Thusnelda. 
Ventidius, ſoll ich meine Frauen rufen? 


Ventidius. 

Und müßt' ich ſo in Anbetung geſtreckt 
Zu deinen Füßen flehend liegen, 

i8 das Giganten» Jahr des Platon abgerollt, 
Bis die graubärt’ge Zeit ein Kind geworden, 
Und der verliebten Schäfer Paare wieder 
An Milch- und Honigitrömen zärtlich wandeln: 
Don diefem Platz entweichen werd’ ich nicht, 
Dis jener Wunſch, den meine Seele 
Gemwagt hat dir zu nennen, mir erfüllt. 


(Thusnelda fteht auf und fieht ihn an. Ventidius läßt fie betreten los und erhebt 
“ fer —E geht und einzel .) und erh 





Sechſter Auftritt. 


Gertrud und Bertha treten auf. Die Borigen. 


Thusnelba. 
Gertrud; wo bleibſt du? ich rief nach meinen Kindern. 


291 


u Gertrub. 
Sie find im Vorgemach. (Sie wollen Heide gehen.) 


Thusnelbe, 
MWart! einen Augenblid! 
Gertrud, du bleibft! — Du, Bertha, Tannft fie holen. 
(Bertha ab.) 


Siebenter Anftritt. 


Zimsuelbe ſetzt fih wieder nieder, ergreift die Laute, und thut einige Griffe darauf, 
* AR Tößt fi} Hinter ihr Mr einem Sıffel he r te uf 


(Baufe.) 


Thnsnelda (ipielt und fingt). 
Ein Knabe Ich den Mondenfcein 
In eines Teiches Beden; 
Er faßte mit der Hand hinein, 
Den Schimneer einzufteden ; 
Da trübte ſich des Waſſers Rand, 
Das glänz'ge Mondesbild verſchwand 
Und feine Hand war — 
(Bentidins fieht auf. Er hat während deſſen unbemerft eine Lode von Thusneldens 
Saar gefchnitten, wendet fi ab, und drüdt fie leidenſchaftlich an feine Kippe. 


Thusnelda Hält inne.) 
Was haft du? 
j Bentidius (entzüdh. 


— Was ich um das Gold der Afern, 
Die Seide Perſiens, die Perlen von Korinth, 
Um alles, was die Komerwaffen 
Je in dem Kreis der Welt erbeuteten, nicht laſſe. 
Thusnelda. 
30 glaub’, du treibft die Dreiſtigkeit fo weit, 
nd nahmft mir — GEie legt die Laute weg.) 
Bentibins, 
Fig nichts als dieje Rode! 
Doch felbft der Tod nicht trennt mich mehr von ihr. 
(Ex beugt ehrfurchtsvoll ein Knie vor ihr und gebt ab.) 
Thusneld a (feht auf). 
Ventidius Carbo! du beleidigit mi! — 
Gieb fie mir ber, ſag' ich. — Ventidius Carbo! 


nungen 


19* 


292 


Achter Auftritt, 


Herrmaun mit einer Bergamenirolle. Hinter ihm Egingerdt. Die Vorigen. 


Herrmann. 
Was giebt’3, mein Thuschen? was erhitt dich fo? 
Thusnelda (erzümt). 
Nein, dies ift unerträglich, Herrmann. 


Herrmann. 

Was haft du? fprich! was ift gefchehn, mein Kind? 
Thusnelda. 

Ich bitte dich, verſchone fürder 

Mit den Beſuchen Tr Römers mid). 

Du wirfft dem Wallfiſch, wie das Sprichwort jagt, 

zum Spielen eine Tonne vor; 

och wenn du irgend dich auf offnem Meere nad) 
kannſt, bitt' ich dich 


Laß es was Anders, als Thuͤsnelden, ſein. 
‚ Herrmann. 
Was wollt’ er dir, mein Herzchen, fag mir an? 
Thusnelda. 


Er kam und bat mit einer Leidenſchaft, 
Die wirklich alle Schranken niederwarf, 
Geſtreckt auf Knieen, wie ein Glücklicher, 
Um eine Locke mich — 
Herrmann. 
Du gabſt ſie ihm? 
Thusnelda. 
Ich — ihm die Locke geben! 
Herrmann. 
Was! nicht? nicht? 
Thusuelda. 
* weigerte die Locke ihm. Ich ſagte, 
hn hätte Wahnſinn, Schwärmerei ergriffen, 
Erinnert’ ihn, an welchem Plag er wäre — 
Herrmann. 
Da kam er her und fchnitt die Locke ab? 


Thusnelda. 
Ja, in der That! es ſcheint, du denkſt, ich ſcherze. 
Itzwiſgher ich auf jenem Seſſel mir 
Fin Lied zur Onther fang, Löft ev, 
Mit welchem Werkzeug weiß ich nicht bis jeßt, 


293 


Mir eine Lode heimlich von der Scheitel, 

Und gleich als hätt’ er fie, der Thörichte, 

Bon meiner Gunft davon getragen, 

Drüdt’ er fie glühend vor Entzüden an die Pippen, 
Und ging mit Schritten des Triumphes, 

Als du erfchienft, mit feiner Beut’ hinweg. 


Herrmann (mit Humor). 
Ei, Thuschen, was! fo find wir glüdliche 
Geſchöpfe ja, jo wahr ich Iebe, 
Daß er die andern dir gelafjen hat. 


Thusuelda, 
Wie? was? wir wären glüdlih — 


Herrmanı. 
Ya beim Himmel! 
Käm’ er baber mit feinen Peuten, 
Die Scheitel ragenfahl dir abzufcheeren: 
Ein Schelm, mein Herzchen, will ich fein, 
Wenn ich die Macht ber, es ihm zu wehren. 


2. Thusnelda (zuet die Aqheln). 
— Ich weiß nit, was ich von dir denken foll. 


‚„ Herrmann. 
Bei Gott, ih auch nicht. Varus rüdt 
Mit den Cohorten morgen bei mir ein. 


Thusnelda (ſtreng). 

Armin, du hörſt, ich wiederhol' es dir, 
Wenn irgend dir dein Weib was werth iſt, 
So nöthigſt du mic nicht, das Herz des Jünglings ferner 
Mit falfhen Zärtlichkeiten zu entflammen. 
Bekämpf ihn, wenn du wilit, mit Waffen des Betrugs, 
Da, wo er mit Betrug dich angreift; 
Doc hier, wo gän (ich unbefonnen 
Sein junges Der ja dir entfaltet, 
gier Düne ich erhalt, muß ich dir geftehn, 

aß du auf offne Weiſe ihm begegneft. 
Sag ihm mit einem Wort, beftimmt, doch ungehäffig, 
Dat feine Faiferlihde Sendung 
An dich und nicht an deine Gattin fei gerichtet. 


Herrmann (ficht fie an). 
Entflammen? weſſen Herz? Ventidius Carbo's? 
Thuschen! ſieh mich mal an! — Bei unſrer Hertha! 
Ich glaub', du bildſt dir ein, Ventidius liebt dich? 


’ıVv 


294 


Thusnelda. 
Ob er mich liebt? 
Herrmann. 


Nein, ſprich im Ernſt, das glaubft du? 
Sp, was ein Deutjcher lieben nennt, 
Mit Ehrfurdt und mit Sehnſucht, wie ich dich ? 


Thusnelda. 
Ge: „gt mir, ih fühl's, und fuhl's mit Schmerz, 
en Irrthum leider ſelb 
De Diefes Jünglings Herz ergriff, verfchuldet. 
Er hätte ohne die etrügerifchen Schritte, 
2 welchen du mich aufgemuntert, 
ich nie in dieſe Feidentchaft berftridt; 
Und wenn du das Geſchäft, ihn offen” zu enttäufchen, 
Nicht übernehmen willit, wohlan 
Bei unſrer nächſten Sen werd’ ich's ſelbſt. 


ann. 
Nun, Thuschen, ich verietet "dic, 
yo liebe nen und mehr, als er did). ' 
u madjt, bein Styr, dir überflüfl’ge Sorge. 
Ich Delle nicht, o ja, wenn ihn dein jGöner Mund 
Um einen Dienft erfucht, er thut ihn dir 
Doch wenn er die Orange ausgefaugt, 
Die Schale, Herzchen, wirft er auf den Schutt. 


Thnsnelda (empfindlic). 
Dich madt, ich ſeh', dein Römerhaß ganz blind. 
Weil als dämonenartig dir 
Das Ganz' erfcheint, 0 a fannft du dir 
Als — nicht den — gedenken. 


rmann, 
Meinft du? wohlan! wer res hat, wird ſich zeigen. 
Wie er die Lo’, auf welche Sei ſich aeig 
Gebrauchen will, das wei nid; 

Doc fie im Stillen an den Mund zu drüden, 

Das kannſt du fiher glauben, ift es nicht. 

— Doch, Thuschen, willft dır jest allein mic laffen? 


Thusnelde, 
Herrm 
Du bift mir "och nicht bös? 


Thusnelda. 
Vein, nein! verſprich mir nur, für immer mich 
Mit dieſem Thoren aus dem Spiel zu laſſen! 


O ja. Sehr gern. 


235 


Pen vet 

cp! meine Hand drauf! in drei Tagen 

Soll fein Beſuch dir nicht zur Laſt mehr fallen! 
(Thusnelda und Gertrud ab.) 





Neunter Auftritt, 


Herrmann und Eginhardt. 

Herrmann. 

daft du mir den geheimen Boten 

n Marbod, Fürſt von Suevien, beforgt? 

. Eginhardt, 

Er fteht im Borgemad. 
Herrmann. 
Mer ift e3? 
Eginhardt. 

Mein Fürſt und Herr, es iſt mein eigner Sohn, 

Ich Konnte feinen Schlechteren 

Für diefe wicht’ge Botjchaft dir beftellen. 
Herrmann. 

Ruf ihn herein. 
Eginhardt. 


Luitogar, erſcheine! 





Zehnter Auftritt. 
Lnitgar tritt auf. — Die Vorigen. 
Herrmann, 
Du bift entichloffen, hör’ ich, Luitgar, 
An Marbod heimlidy eine Botfhaft zu bejorgen ? 
Luitgar. 
Ich bin's, mein hoher Herr. 
Herrmann. 
Kann ich gewiß ſein, 
Daß das, was ich dir anvertraue, 
Vor morgen Nacht in ſeinen Händen iſt? 
Lunitgar. 
Mein Fürſt, ſo ſicher als ich morgen lebe, 
So ſicher auch iſt es ihm überbracht. 
errmaun. 
Gut. — Meine beiden blonden Zungen wirft du, 


296 


Den Rinold und den Adelhart, 

Empfangen, einen Dolch, und diefe8 Schreiben hier, 
Dem Marbod, Herrn des Suevenreiches, 

Bon mir zu überliefern. — Die drei Dinge 
Erklären de, enau erwogen, felbft, 

Und einer mindlichen Beftellung braucht es nicht; 
Doch um did in den Stand zu fegen, 

Sogleich jedwedem Irrthum zu begegnen, 

Der etwa nicht von mir berechnet wäre, 

Wil ich umfländlih von dem Schritt, 

Zu dem ich mich entſchloß, dir Kenntniß geben. 


Luitgar. 
Geruhe deinen Knecht zu unterrichten. 


Herrmann. 
Die Knaben ſchick' ich ihn aunörberfi und den Dold, 
Damit den Brief er Glauben ſchenke. 
Wenn irgend in dem Brief ein Arges ift enthalten, 
Sol er den Dolch jofort er A 
Und in der Knaben weiße Brüfte drüden. 
Luitgar. 
Wohl, mein erlauchter Herr. 
Herrmann. 
| Auguftus hat 
Das Angebot der drei Legionen, 
Die Varus führt, zum Schuße wider Marbod, 
zum drittenmal mir heute wiederholt. 
ründe von zwingender Gewalt beftinmten mich, 
Die Truppen länger nicht mehr abzulehnen. 
Sie rüden morgen in Cherusfa ein, 
Und werden in drei Tagen fchon 
Am Wejerftrom in's Angeficht ihm fehn. 
Varus will ſchon am Idus des Augujts 
(Alfo am wag nach unjerem 
ochheil’gen Nornentag, das merk dir in 
Mit jeinem Römerheer die Wefer überjchitfen, 
Und Herrmann wird, auf Einen Marſch, 
Mit dem Cherusterheer zu gleihem Zwed ihm folgen. 
An dem Alraunentag, Yuitgar, 
(Alfo am Zag vor unjerm Nornentag) 
Brech' ich von Teutoburg mit meinen Schaaren auf. 
Senfeit3 der Wefer wollen wir 
Vereint auf Marbods Haufen plöglicd, fallen; 
Und wenn wir ihn erdrüdt (wie faum zu zweifeln ftebt), 
Sol mir, nad dem Verſprechen Auguns, 
Die Oberherrſchaft in Germanien werden. 


297 


Luitgar. 
Ich faſſ', o Herr, dich, und bewundre 
Schon im voraus, was noch erfolgen wird. 


Herrmann. 
37 weiß inzwiichen, daß Auguftus jonft 
Ihm mit der Herrfchaft von Germanien gejchmeichelt. 
Mir ift von guter Da befannt, 
Daß Varus heimli im mit Geld 
Und Waffen felbft verjehn, mich aus dem Feld zu fchlagen. 
Das Schidfal Deutlhlands lehrt nur allzudeutlich mid, 
Daß Augufts legte Abficht fei, 
Uns beide, mic wie ihn, zu Grund zu richten, 
Und wenn er, Marbod, wırd vernichtet fein, 
Der Suevenfürft, fo, fühl’ ich Iebhaft, 
Wird an Arminius die Reihe kommen. 
Lnitgar. 
Du kennſt, ich ſeh', die Zeit, wie Wenige. 
Herrmann. 
Da ich nun — ſoll ich einen Oberherrn erkennen, 
Weit lieber einem Deutſchen mich, 
Als einem Römer unterwerfen will: 
Bon allen Fürſten Deutſchlands aber i om, 
Marbod, um feiner Macht und feines Edelmuth3, 
Der Thron am unzweideutigften gebührt: 
So unterwerf’ ic) mid) hiermit demjelben 
AS meinem Herrn und hohen König, 
Und zahl’ ihm den Tribut, Luitogar, den er 
Dur einen Herold jüngft mir abgeforbert. 


Luitgar (betreten). 
Wie, mein erlauchter Herr! hört’ ich auch recht? 
Du untermirfft — Sch bitte dich, mein Vater! 
Eginhardt winkt ihm ehrfurchtsvoll zu ſchweigen.) 


Herrmann. 
Dagegen, hoff ih, übernimmt nun er 
ALS Deutichlands Oberherricher die Berpflichtung, 
Das Baterland von dem Tyrannenvolk zu jäubern. 
Er wird den Römeradler länger nicht 
Um einen Tag, fteht es in feiner Macht, 
Auf Derrmanns, feines Knecht, Gefilden dulden. 
Und da der Augenblid ſich eben EI: zeigt, 
Dem Varus, eh der Mond noch wechfelte, 
Das Grab in dem Cheruskerland zu graben, 
So wag’ d es ſogeich dazu 
In Ehrfurcht ihm den Kriegsplan vorzulegen. 


298 


Eginhardt. 
Jetzt merk toll, auf, Luitogar, 
Und laß fein Wort Arminius’ dir entfchlüpfen. 


Luitgar. 
Mein Bater! meine Bruſt iſt er 
Und ein Demantengriffel feine Rede. 
Herrmann. 

Der Plan ift einfady und begreift fich leicht. — 
Barus kommt in der Nacht der düfteren Alraunen 
gu Teutoburger Walde an, 

er zwijchen mir liegt und der Wefer Strom. 
Er denkt am folgenden, dem Tag der legten Nornen, 
Des Stroms Geftade völlig zu erreichen, 
Um an dem Idus des Auguits 
Mit feinem Heer — u gehn. 
zum aber a We am Tag —* er Alraunen 

arbod der Weſer Strom und rückt 
Ihm bis zum Wald von Teutoburg entgegen. 
Am gleichen Tag brech' ich, dem Heer des Varus folgend, 
Aus meinem Lager auf und rücke 
Von hinten ihm zu dieſem Walde nach. 
Wenn nun der Tag der Nornen purpurn 
Des Varus Zelt ent o, ftehft du, Freund Luitgar, 

ft ihm der Tebensfaden ſchon durchſchnitten. 

enn nun fällt Marbod ihn von vorn, 
Bon hinten ich ihn grimmig an, 
Erdrüdt wird er von unfrer Doppelmadt: 
Und feine andre Sorge bleibt ung, 
ALS die nur, eine Handvoll Römer zu verjchonen, 
Die von dem Fall der Uebrigen 
Die Todespoft an den Auguftus bringen. 
— Ich den?, der Plan ift gut. Was meinft du, Puitgar? 


Znitgar. 
D Herrmann! Wodan bat ihn felbft dir zugefläftert! 
Gieh, wenn du den Cheruskern ihn wirft nennen, 
Gie werden, was fie nimmer thun, 
Sieg! vor dem erflen Keulenfchlag ſchon rufen! 


Herrmann. 
Wohlan! in dem Vertraun ist, das ich hege, 
Er, Marbod auch, werd’ diefen Plan 
Nah feiner höh'ren Weisheit billigen, 
Nimmt er für mich die Kraft nun des Geſetzes an. 
An dem Alraunentag rück' ich nunmehr _fo fehllog, 
ALS wär’ e8 fein Gebot, aus meinem Lager aus, 
Und ſteh' am Nornentag vorm Teutoburger Wald. 


299 


Ihm aber — überlaff’ ich es in Ehrfurcht, 
dem Entwurf da8 Seinige zu thun. 
aft du verftanden ? 


Luitgar. 
Wohl, mein erlauchter Herr. 
Herrmann, 
Sobald wir über Barus Leiche ung 
Begegnen — beug’ ich ein Knie vor ihm, 
Und —* ſeines weiteren Befehls. 
— Weißt du noch ſonſt was, Eginhardt? 

Eginhardt. 


Nichts, mein Gebieter. 
Herrmann. 
Oder du, Luitgar? 
Zuitgar (zögernd). 
Nichts mindeſtens, das von Bedeutung wäre. — 
Laß deiner Weisheit ganz mich unterwerfen. 
Yun? d —S ſiehſ 
— Nun? ſag's nur dreiſt heraus, du ſiehſt ſo ſtarr 
- Auf dieſe I Rolle ig vn 
Als hättſt du nicht daS Herz, fie zu ergreifen. 
Luitgar. 
Mein Fürſt, die Wahrheit dir zu ſagen, 
Die Möglichkeit, daß mich ein Unfall träf, erſchreckt mid). 
Laß uns in feinem Stüd der Gunſt des Glücks vertraun. 
Vergönne mir, id) bitte Dich, 
mer Freund’ in's Lager Marbods mitzunehmen, 
amit, wenn mir Berhindrung käme, 
Ein Andrer und ein Dritter nod) 
Das Blatt in feine Hände bringen Fann. 


Herrmann. 

Nichts, nichts, Luitgar! wel ein Wort entfiel dir? 
Mer wollte die gewalt’gen Götter 
Alfo verfuchen! Meineft du, es ließe 
Das große Werk ſich ohne fie vollziehn? 
Als ob ihr Blitz drei Boten minder 
ALS einen einzelnen zerichmettern könnte! 
Du gehft alleın; und triffft du mit der Botſchaft 
2 ipät bei Marbod oder gar nicht ein: 

ev’! mein Geſchick iſt's, das ich tragen werde. 


Lnitgar. 
Gieb mir die Botſchaft! Nur der Tod verhindert, 
Daß er ſie morgen in den Händen hält. 


300 


Herrmann, 
Komm. So gebraucht’ ic dich. Hier ift die Rolle, 
Und Dold und Kinder händg’ ich gleich dir ein, (Wie ab.) 


Dritter Akt. 


Scene: Plak vor einem Hügel, auf melden das Zelt Herrmanns fteht. Zur Seite 
eine Eiche, unter weldyer ein großes olfter liegt, mit prächtigen Zigerfellen überbedt. 
Im Bintergrunde flieht man bie Wohnungen er Horde. 





Erfter Auftritt. 


Herrmann, Eginhardt, zwei Weltee bed Horde und Andere fichen vor dem Zelt 
und ſchauen in die Ferne. . 
Herrmann. 
Das ift Thuisfon, was jest Feuer griff? 
Erfter Aeltefter. 
Bergieb mir, Herthafon. 


Herrmann. 
Ja, dort zur Pinfen; 
Der Ort, der brannte Tängft; zur Rechten, mein’ id). 
| Erfter Aeltefter. 
Zur Rechten, meinft du: das ift Helafon; 
Thuiskon kann man hier vom Plag nicht fehn. 
Herrmann, 
Was! Helafon! das liegt in Aſche ſchon. 
Sch meine, was jet eben Feuer griff? 


Erfter Aelteſter. 
Ganz recht! das ift Thniskon, mein ©ebieter! 
Die Zlamme jchlägt jegt übern Wald empor. — (Paufe.) 


n Herrmann. 
Auf diefem Weg rüdt, düntt mich, Barus an ? 


Erfter Aeltefter. 
Varus? vergieb. Bon deinem Jagdhaus Orla, 
Das ijt der Ort, wo heut er übernachtet. 


Herrmann, 
Ja, Varus in Perſon. Doch die drei Haufen, 
Die er in's Land mir führt — 
Zweiter Aeltefter (vortretend). 
Die ziehn, mein König, 
Duch Thuiston, Helafon und Herthaton. (Banie.) 


301 


Herrmann 
M u ſs bee er Hi Ehe "mpfangei 
an fol auf's befte, will ich, fie empfangen. 
An Nahrung weder, reichlicher ’ 
Wie der Stalier fie DM fol man's, 
Noch aud) an Meth, an Fellen Ir die Nadıt, 
Noch irgend fonft, wie fie auch heiße, 
An einer Höflichkeit gebrechen Lafjen. 
Denn meine guten Freunde ſind's, 
Bon yunguft mir gejandt, Cherusfa zu befchirmen, 
Und das Geſetz der Dankbarkeit erfodert, 
Nichts, was fie mir verbinden Tann, zu |paren. 
Erfter Weltefter. 
Was dein getreuer Lagerplatz beſitzt, 
Das, zweifle nicht, wird er den Römern geben. 
Zweiter Weltefter. 
Warum auch fol er warten, bi8 man’s nimmt ? 





Zweiter Anftritt. 


Drei Hauptleute treten eilig nach einander auf. — Die Borigen. 
Der erſte Hauptmann 
(indem er auftritt). 
Mein Fürft, die ungeheueren 
Unordnungen, die ſich dies Nömerheer erlaubt, 
Beim Himmel! überfteigen allen Glauben. 
. Drei deiner blühndften PBläge find geplündert, 
Entflohn die Horden, alle Hütten und Gezelte — 
Die unerhörte That! — den Flammen preisgegeben! 
Herrmann 
(heimlich und freudig). 
Geb, geh, Sigreſt! fpreng aus, e8 wären fieben! 
Der erfie Hauptmann. 
Was? — was gebeut mein König? 
Eginhardt. 
Herrmann fagt 
(Er nimmt ihn bei Seite.) 
Erfter Weltefter. 
Dort kommt ein neuer Unglüdsbote ſchon. 
Der zweite Hanptmann 
(tritt auf). . 
Mein Fürft, man ſchickt von Herthakon mich ber, 
Dir eine gräßliche Begebenheit zu melden! 


| 


Fr, 


302 


Ein Römer ift in biefem armen Ort 

Mit einer Wöchnerin in Streit gerathen, 

Und hat, da fie den Bater rufen wollte, 

Das Kind, das fie am Bufen trug, ergriffen, 

Des Kindes Schädel, die Hyäne, rafend 

An feiner Mutter Schädel eingejchlagen. 

Die Feldberrn, denen man die Gräuelthat gemeldet, 

Die Achfeln haben fie gezudt, die Leichen 

In eine Örube heimlich werfen laffen. 
Herrmann (eben fo). 

Seh! Pa verbreit e8 in den Play, Govin! 

Berfihere von mir, den Vater hätten fie 

Tebendig, meil er zürnte, nachgeworfen! 


- Der zweite Hauptmann. 
Wie? mein erlauchter Herr! 
Eginhardt 
(nimmt ihn bein Arm). 
ch will dir jagen — 
(Er Spricht heimlich wit ihm.) 
Erfter Weltefter. 
Beim Himmel! da erjcheint der dritte fchon. 


Der britte Hanptmann 
| (tritt auf). 

Mein Fürft, du mußt, wenn du die Gnade haben milift, 
Berzuglos dich nad) Helafon verfügen. 
Die Sömer fällten dort, man jagt mir aus Verſehen, 
Der taufendjähr'gen Eichen eine, 
Dem Wodan in dem Hain der Zukunft heilig. 
Ganz Delaton hierauf, Thuiskon, Herthafon, 
Und Alles, was den Kreis bewohnt, ' 
Mit Spieß und Schwert ftand auf, die Götter zu vertheid’gen. 
Den Aufruhr rafch zu dämpfen, ftedten 
Die Römer plöglih alle Läger an: 
Das Bolt, jo ſchwer beftea t, zerftreute jammernd fich, 
Und heult jegt um die Aſche feiner Hütten. — 
Komm, bitt' ich dich, und fteure der Verwirrung. 
Gleis, gleih! — M —e— 

eich, gleich! — Man hat mir hier geſagt, 
Die er hätten die Sefangenen gm en, 
Zeus, ihrem Gräulgott, in den Staub zu knien? 

Der dritte Hauptmann, 

Nein, mein Gebieter, davon weiß ich nichts. 


Herrmann. 
Nicht? nicht? — Ich hab’ e8 von dir felbft gehört! 


803 
Der dritte Sauptmann, 


Wie? was? 
Herrmann (in den Bart). 
- Wie! was! die deutfehen Uren! 
— Bedeut ihm, was die Liſt fei, Eginharbt. 
Eginhardt. 
Verſteh, Freund Ottokar! der König meint — 
(Er nimmt ihn beim Arm und ſpricht heimlich mit ihm.) 
Yun ſolche Zügellofigteit, beim hohen Himmel 
n folde Ziütgellofigfeit, beim hohen Himmel, 
In Freundes Fand —* obenein, 
Ward doch, ſeitdem die Welt ſteht, nicht erlebt! 


Zweiter Aelteſter. 
Schickt Männer aus zum Löſchen! 


Herrmann 
(der wieder in die Ferne geſehn). 
Hör, Eginhardt! 
Was ich dir ſagen wollte — 
Eginhardt. 
Mein Gebieter! 


Herrmanm (Heinlic). 
gaft du ein Häuflein wadrer Leute wohl, 


ie man zu einer Liſt gebrauchen könnte? 


Eginhardt. 
Mein Fürſt, die Waar' iſt ſelten, wie du weißt. 
— Was wuünſcheſt du, ſag an? 
Herrmann. 
Mas? haft du fie? 
Nun hör, fchidl fie dem Varus, Freund, 
Wenn er zur Wefer morgen weiter rüdt, 
Schid fie, in Römerkleidern doch vermummt, ihm nad). 
Laß fie, ich bitte dich, auf allen Straßen, 
Die fie durchwandern, fengen, brennen, plündern: 
Wenn fie'3 geſchickt vollziehn, will ich fie lohnen! 
Eginharbt. 
Du follft die Leute haben. Laß mich machen. 
(Er mifcht fi) unter bie Hanptiente.) 


UN 


304 


Dritter Auftritt, 
Thubnelda tritt aus den Zelt. — Die Vorigen. 
Herrmann (Heite). 
Ei, Thuschen! fieh! mein Stern! was bringft du mir? 
(Er fieht wieder mit vorgefchlitter Hand in die Ferne hinaus.) 
Thusnelda. 
Ei nun! die Römer, ſagt man, ziehen ein; 
Die muß Arminius' Frau doch auch begrüßen. 
Herrmann. 
Gewiß, gewiß! jo will's die Artigkeit. 
Doch weit find fie im Felde noch; 
Komm ber und laß den Zug heran ung plaudern! 
(Er winkt ihr, fi unter der Eiche niederzulaffen.) 
Thusnelda 
(den Sitz betrachtend). 
Der Sybarit! ſieh da! mit feinen Polſtern! 
Schämſt du did) niht? — Wer traf die Anftalt hier? 
(Sie fett fi nieder.) 
Herrmann, 
Ya, Kind! die Zeiten, weißt du, find entartet. — 
gola, Schafft Wein mir ber, ihr Knaben, 
amit der Perjerfchach vollfommen jet! 
(Er läßt fi an Thusneldens Seite nieder und umarmıt fie.) 
Nun, Herzchen, fpridh, wie geht's dir, mein Planet? 
Was maht Bentidius, dein Mond? du fahft ihn? 
(E8 Tommen Knaben und bedienen ihn mit Wein.) 
Thugsuelda, 
Ventidius? der grüßt did). 
Herrmann. 
So! du jahft ihn? 
Thusnelda. 
Aus meinem Zimmer eben ging er fort. 
— Sieh mich mal an! 
Herrmann. 
Nun? 
Thusnelda. 
Siehſt du nichts? 
Herrmann. 
Nein, Thnschen. 
‚ Thnönelda. 
Nicht3? gar nichts? nicht das Mindefte? 





305 


Herrmann. 
Nein, in der That! was foll ich jehn? 
Thusnelda. 


Nun wahrlich, 
Wenn Varus auch ſo blind wie du, 
Der Feldherr Roms, den wir erwarten, 
So war die ganze Mühe doch verſchwendet. 


Herrmann 
(indem ex den: Knaben, der ihn bedient, den Becher zurückgiebt). 
%a, jo! du haft auf meinen Wunfch den Anzug 
Heut mehr gewählt, als fonft — 
Thusnelda. 
So! mehr gewählt! 
Geſchmückt bin ich, beim hohen Himmel! 
Daß ich die Straßen Roms durchjchreiten könnte! 


Bop! bei ber großen Hertha! Than! — Hör bu! 
og! bei der großen Hertha! Schau! — Hör du! 
Wenn ihr den Adler feht, jo ruft ihr mid). 

(Der Knabe, der ihn bedient, nidt mit dem Kopf.) 


Thusnelde, 

Was? | 
Herrmann. 

Und Bentidius war bei dir?. 

Thusnelda. 

Ja allerdings. Und zeigte mir am Putztiſch, 

Wie man in Rom das Haar ſich ordnet, 

Den Gürtel legt, das Kleid in Falten wirft. 
Herrmann, 

Schau, wie er göttlich dir den Kopf beforgt! 

Der Kopf, beim Styr, von einer Juno! 

Bis auf das Diaden fogar, 

Das dir vom Scheitel bligend niederftrahlt! 

. Thusnelda. 

Das iſt das ſchöne Prachtgeſchenk, 

Das du ans Nom mir jüngfthin mitgebracht. 
Herrmaun. 

Sp? der geſchuittne Stein, gefaßt in Perlen? 

Ein Pferd war, dünft mich, drauf? 
Thnsnelda. 

Ein wildes, ja, 

Das feinen Reiter abwirft. — (Cr betrachtet das Diadem.) 
Herrmann. 

Aber, Thuschen! Tyuschen! 


Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt J. 


306 


Wie wirft du ausjehn, liebſte Fra, | 
Wenn du mit einem Fahlen Kopf wirft gehn? 


Thusnelda. 
Wer? ich? 
— Wenn Marbod erft gefchlagen if 
ja! — Wenn Marbod er agen ift, 
äuft fein Mond in’s Land, beim en 
<ie fcheeren dich fo kahl wie eine Rage. 
Thusnelda 
Ich glaub', du träumſt, du ſchwärmſt! Der wird den Kopf mir— ? 
Herrmann. 
Wer? ei, Duintiliug Baus und die Römer, 
Mit denen ih alsdann verbunden bin. 
Thusnelda. 


Herr 
Ja, was * "enter, denfft dır 
— Die röm’schen Damen müffen do och, 
Wenn ſie ſich ſchmücken, hübſche Haare haben? 
Thusnelda. 
Nun, haben denn die röm'ſchen Damen keine? 


Nein, ſag' ich! ſchwar nen, un und fett, wie Heren! 

Nicht hie, trodne, go dne, jo wie ar 
Thusnelda. 

Wohlan! ſo mögen ſie! der trift'ge Grund — 

Wenn ſie mit hübſchen nicht begabt, 

So mögen fie mit fchmuß’gen fi bebelfen. 
Herrmann. 

So! in der That! da follen die Eohorten 

Umfonft wohl übern Rhein gelommen fein ? 


Thnusnelda. 


Die Römer! was! 


Wer? die Cohorten? 
Herrmann. 
Ja, bie Varus führt. 
Thusn elda (amt). 
Das muß ich ſagen! der wird doch 
Um meiner Haare nicht gekommen ſein? 
Herrmann. 
Was? allerdings! bei unſrer großen Derthat 
Hat dir Ventidius das noch nicht gefagt? 
Thnsnelde. 
Ad, geh! du biſt ein Affe. 


307 


yon 
ch ſchwör's dir. — 

Wer war es ſchon, der inf beim Mahl erzählte, 
Was einer Frau in Ubien begegnet? 

Thusnelda. 
Wem? einer Ubierin? 
Herrmann. 
Das weißt du nicht mehr? 
Thusnelda. 
Nein, Lieber! — Daß drei Römer ſie, meinſt du, 
In Staub gelegt urplötzlich und „gebunden — 


Nun ja! und ihr nicht Bloß don vom Haupt hinweg 
Das Haar, das goldene, die Zähne auch, 
Die elfenbeinernen, mit einem Werkzeu 
Auf offner Straße aus dem Mund genommen ? 
Shusnelde, 
Ad, geh! lag mich zufrieden. 
Herrmann 
Das glaubft du nicht ? 
Thusnelda. 
Ach, was! Ventidius hat mir geſagt, 
Das wär' ein Märchen. 
Herrmann, 
Ein Märchen! fo! 
Bentidius a ganz recht, wahrhaftig, 
Sein Schäfchen für die Schurzeit fi zu Tirren. 


elda 
Nun, der wird doch den en mir "elber nicht — 


Herrmann. 

Ventidius? hm! ich ſteh' für nichts, mein Kind. 
Thusnelba (tat). 

Was? er? er, mir? nun, das muß ich geftehn —! 
Herrmann. 

Du lachſt. Es fei. Die Folge wird es lehren. (Paufe.) 
Thusnelda (ernſthaft). 

Was denn, in aller Welt, mas machen fie 

Sn Rom mit diefen Danen Diefen Bühnen? 


Was du für Fragen thuſt, ne "wahr ich lebe! 
Thusnelda. 
Nun ja! wie nutzen fie, bei allen Nornen! 


308 


Auf weldhe Art gebrauchen fie die Dinge ? 
Sie können doch die fremden Locken nicht 
An ihre eignen Eniipien, nicht die Zähne 
Aus ihrem eignen Schädel wachfen machen? 


Herrmann. 
Aus ihrem eignen Schädel wachſen machen? 


Thusnelda. 
Nun alſo! wie verfahren ſie? ſo ſprich! 


Herrmann (mit Laune). 
Die ſchmutz'gen Haare ſchneiden fie ſich ab, 
Und hängen unfre trodnen um die Platte. 
Die Zähne ae fie, die ſchwarzen, aus, 


Und fteden unſre weißen in die Lücken! 


Thnsnelde, 


Mag! 
Herrmann, 
In der That! ein Schelm, wenn ich dir lüge. — 


Thusnelda (zlühend). 
Bei allen Rachegöttern! allen Furien! 
Bei allem, was die Hölle [infter macht! 
Mit welchem Recht, wenn dem ſo iſt, 
Vom Kopf uns aber nehmen ſie ſie weg? 


Herrmann. 

ch weiß nicht, Thuschen, wie du heut dich ſtellſt. 
Steht Auguſt nicht mit den Cohorten 
In allen Ländern ſiegreich aufgepflanzt? 
Für wen erſchaffen ward die Welt, als Rom? 
Nimmt Auguſt nicht dem Elephanten 
Das Elfenbein, das Del der Biſamkatze, 
Dem Bantherthier das Fell, dem Wurm die Seide? 
Was fol der Deutfche hier zum voraus haben? 


Thusnelda (fieht ihn an). 
Was wir zum voraus follen — 


Herrmann. 
Allerdings. 


Thusuelda. 
Daß du verderben müßteſt, mit Vernünfteln! 
Das find ja —3 — uerkopf der du biſt, 
Und keine Menſchen! 
Herrmann. 
Menſchen! ja, mein Thuschen, 
Was iſt der Deutſche in der Römer Augen 


309 


Thusnelda. 

Nun, doch kein Thier, hoff' ich? 
Herrmann. 

Was? — eine Beſtie, 

Die auf vier Füßen in den Wäldern läuft! 

Ein Thier, das, wo der Jäger es erſchaut, 

zu einen Pfeilſchuß wert), mehr nicht, 

Und ausgeweidet und gepelzt dann wird! 
Thusnelda. 

Ei die verwünſchte Menſchenjägerei! 

Ei der Dämonenſtolz! der Hohn der Hölle! 

Herrmann (lad). 

Nun wird ihr bang um ihre Zähn’ und Haare. 
Thusnelda. 

Ei daß wir wie die grimm'gen Eber doch —* 

Uns über dieſe Schützen werfen könnten! 
Herrmann (ebenfo). 

Wie fie nur ausfehn wird! wien Todtenkopf! 
Thusnelda. 

Und dieſe Römer nimmſt du bei dir auf? 


Herrmann. 
Ja, Thuschen! liebſte Frau, was ſoll ich machen? 
Soll ich um deiner gelben Haare 
Mit Land und Leut in Kriegsgefahr mich ſtürzen? 


Thusnelda. 
Um meiner Haare! was? gilt es ſonſt nichts? 
Meinſt du, wenn Varus ſo geſtimmt, er werde 
Das Fell dir um die nackten Schultern laſſen? 


Herrmann. | 
Sehr wahr, ‘beim Himmel! das bedacht’ ich nicht. 
Es fei! ich will die Sach' mir überlegen. 
Thusnelda. 
Dir überlegen! — Er rücket ja ſchon ein! 


Herrmann. 
Je nun, mein Kind. Man ſchlägt ihn wieder 'naus. 
(Sie ſieht ihn an.) 
8, geh! ein Ged Sift du, ich 1ehS, und Afft mid 
‚geh! ein Ged bift du, ich ſeh's, und äffſt mid! 
Nicht, nicht? gefteh’3 mir nur: du fcherzteft —* 
Herrmann (ctüußt fie. 
Fa. — Mit der Wahrheit, wie ein Abderit. ı 
— Warum fol fih von ferner Noth 


L 


310 


Der Menſch auf muntre Art nicht unterhalten? — 
Die Sad’ iſt zehnmal ſchlimmer, als ich's machte, 
Und doc aud), wieder jo betrachtet, 
Dei weitem nicht fo ſchlimm. — Beruh'ge Dich. (Baufe.) 

Thusnelda. 
Nun, meine goldnen Locken kriegt er nicht! 
Die Hand, die in den Mund mir käme, 
Wie jener Frau, um meiner Zähne: 
Ich weiß nicht, Herrmann, was ich mit ihr machte. 

| errmann (la). 

Ya, liebfte Frau, da haft du red‘ beiß zu! 
Danach wird weder Hund noch Katze träben, — 


Thusnelda. 
Doch ſieh! wer fleucht ſo eilig dort heran? 


Vierter Auftritt. 


Ein Gheruäter tritt auf. Die Vorigen. 


Der Cherusker. 
Varus kommt! 
Herrmann (echebt fih). 
Was! der Feldherr Roms! unmöglich! 
Wer war’, der mir von feinem Einzug 
In Teutoburg die Nachricht geben wollte? 


Fünfter Auftritt, 


Baruß tritt auf. Ihm folgen Ventidinus, ber Legat; Grafind und Gepiimiuß, zwei 
römische Hauptleute; und die deutihen Fürſten Zuft, Gueltar und Arifan. — 
Die Borigen. 

Herrmann 
(indem er ihm entgegengebt). 

Bergieb, Quintilius Barıs, mir, . 
Daß deine Hoheit mich hier fuchen muß! 
Mein Wille war, dich ehrfurdtsvol 
In meines Lagers Thore einzuführen, 
ftav Auguft in dir, den großen Kaifer Roms 
Und meinen hochverehrten Trend, zu grüßen, 


Barus. 
Mein Fürſt, du biſt ſehr gütig, in der That. 
Ich hab' von außerordentlichen 


311 


Unordnungen gehört, die die Cohorten ſich 
I" Helafon und Herthakon erlaubt; 
on einer Wodangeiche unborfichtiger 
Berlegung — euer, Raub und Mord, 
Die diefer That unjel’ge Folgen waren, 
Bon einer Aufführung, mit einem Wort, 
Nicht eben, leider! fehr geſchickt, 
Den Römer in Cheruska zu empfehlen. | 
Sei tiberzeugt, ich felbft befand mich in Perſon 
Bei feinem der drei Heereshaufen, 
Die von der Lippe her in’s Land dir rüden. 
Die Eiche, fagt man zwar, ward nicht aus Hohn verlegt, 
Der Unverftand nur achtlos warf fie um; 
Gleichwohl iſt ein Gericht bereits beftellt, 
Die Thäter aufzufahn, und morgen wirft du fie, 
Zur Sühne deinem Bolt, enthaupten jehn. 


Herrmann. 
Duintilius! dein erhabnes Wort beſchämt mich! 
Ich muß dich für die allgurajchen 
Cheruster dringend um Berzeihung bitten, 
Die eine That fogleich, aus Unbedacht gejchehn, 
Mit Rebellion fanatifch ftrafen wollten. 
Mißgriffe wie die vorgefallnen find 
Auf einem Heereszuge unvermeidlich. 
Laß diefen Irrthum, ich beſchwöre Dich, 
Das Felt nicht flören, das mein Bolf 
Zur Feier deine Einzugs vorbereitet. 
Gönn mir ein Wort zu Gunſten der Bedrängten, 
Die deine Rache treffen fol: Ä 
Und meil fie bloß au Unverftand gefehlt, 
So ſchenk das Leben ihnen, laß fie frei! 


Barnd (reicht ihm die Hand). 
Nun, Freund Armin, beim Jupiter, es gilt! 
Nimm diefe Hand, die ich Dir reiche, 
Auf immer haft du dir mein Herz gewonnen! — 
Die Frevler, bis auf einen, 25 ich Den 
Dean wird den Namen ihres Retter ihnen nennen, 
Und bier im Staube follen fie 
Das Leben dir, das mir verwirkt war, danken. — 
Den einen nur behalt’ ich mir bevor, 
Der dem ausdrüdlichen Ermahnungswort zuwider 
Den erften Schlag der Eiche zugefügt; 
Der Herold hat e8 mehr denn zehnmal ausgerufen, 
Daß diefe Eichen heilig find, 


312 


Und das Gefeg verurtheilt ihn des Kriegs 
Das kein Geſuch entwaffnen kann, nicht ich. 


errmann. 
— Wann du auf immer jeden Anlaß willft, 
Der eine Suiftigteit entflammen könnte, 
Aus des Cheruskers treuer Bruft entfernen, 
So bitt’ ich, würd'ge diefe Eichen, 
Duintilius, würd’ge ein’ger Sorgfalt fie. 
Bon ihnen her rinnt einzig faft die Quelle 
Des Uebels, das uns zu entzweien droht. 
Laß irgend, was es fei, ein Keichenbild zur Warnung, 
Wenn du dein Lager wählt, bei diefen Stämmen pflanzen: 
So haft du, alaub e3 mir, für immer 
Den wadern Eingebornen dir verbunden. 


Barus. 
Wohlan! — Woran erkennt man dieſe Eichen? 
Herrmann. 
An ihrem Alter und dem Schmuck der Waffen, 
In ihres Wipfels Wölbung aufgehängt. 
Barus. 
Septimius Nerva! 
Septimins (titt vor). 
Was gebeut mein Feldherr? 
Barns. 
Laß eine Schaar von Römern gleich 
Sich in den Wald zerftreun, der dieſe Niederlaffung, 
Cherusfas Hauptplag Zeutoburg umgiebt. 
Bei jeder Eiche grauen Alters, 
In deren Wipfel Waffen aufgehängt, 
Soll eine Wade von zwei Kriegern halten, 
Und Jeden, der vorübergeht, belehren, 
Daß Wodan in der Nähe jet. 
Denn Wodan tft, daß ihr's nur wißt, ihr Römer, 
Der Zeus der Deutjchen, Herr des Blikes 
DiesjeitS der Alpen, fo wie jenjeit der; 
Er ift der Gott, dem Nic) mein Knie fogleich 
Beim erften Eintritt in dies Rand gebeugt; 
Und furz, Ouintilius, euer Feldherr, will 
Mit Ehrfurdht und mit Scheu im Tempel diefer Wälder 
Wie den Olympier felbft geehrt ihn wilfen. 
| Septimins,. 
Man wird dein Wort, o Herr, genau vollziehn. 
Varus (zu Herrmann). 
Biſt du zufrieden, Freund ? 


313 


Herrmann. 
un Du überfleuchft, 
Duintilius, die Wünfche deines Knechts. 
Varns 


(nimmt ein Kiffen, auf welchem Geſchenke liegen, aus der Hand eines Sklaven, und 
bringt fie der Thusnelda). 


Hier, meine Fürftin, nd ich dir 
on Auguft, meinem hohen Herrn, 
Was er Hr dih mir jüngfthin zugefandt: { 
Es jind Gefteine, Perlen, Federn, Dele — 
Ein kleines Rüſtzeug, fehreibt er, Cupido's. 
Auguft, erlauchte Frau, bewaffnet deine Schönheit, 
Damit du Herrmanns großes Herz 
Stet8 in der Freundfehaft Banden ihm erhalteft. 
Thnsnelda 
(empfängt das Kiffen und betrachtet die Gefchente). 
Duintilius! dein Kaifer macht mich ftolz. 
Thusnelda nimmt die Waffen an, 
Mit dem Berfprechen, Tag und Nacht, 
Damit gefchirrt, für ihn zu Feld zu ziehn. 
"(Sie übergiebt das Kiffen ihren Frauen.) 


, arnd (m Herrmann). 
gie ſtell' ih Gueltar 


; 
a pn 


B 
Fuft dir und Ariftan, 

ie tapfern Fürſten Deut chlands, vor, 
Die meinem Heereszug fi angefchloffen. 

(Er tritt zurück und fpricht mit Ventidius.) 
Herrmann 
(indem er fih dem Fürften der Cimbern nähert). 

Wir fennen uns, wenn ich nicht irre, Fuſt, 
Aus Gallien, von der Schlacht des Ariopift. 


Fuſt. 
Mein Prinz, ich kämpfte dort an deiner Seite. 

Herrmaun (tebhaft). 
Ein fhöner Tag, beim hohen Himmel, 
An den dein Helmbufch lebhaft mich erinnert! 
— Der Tag, an dem Germanien zwar 
Dem Cäſar ſank, doch der zuerft 
Den Bäfar die Germanier Phäten lehrte, 

Su ſt (niedergefhlagen). 
Mir kam er theuer, wie du weißt, zu ftehn. 
Der Eimbern Thron, nicht mehr, nicht minder, 
Den ih nur AuguftS Gnade jest verdanfe. — 
’ Herrmann 
(indem er ſich zu dem Fürſten der Nervier wendet). 


Did, Gueltar, auch fah ic) an diefem Tag? 


— 


314 


Auf einen Augenblid 36) kam feh — 

uf einen Augenblick. am ſehr ſpät. 

ich koſtet' er, wie dir bekannt kn wird, 

Den Thron von Nervien; doch Auguft hat 

Mich durch den Thron von Aeduen entſchädigt. 
Herrmann 

(indem er fih zu dem Yürften ber Ubier wenbet). 

Wo war Ariftan an dem Tag der Schladht? 

Ariſt an (kalt uud fharf). 

Ariftan war in Übien, 

Dieffeits des Rheines, wo er hingehörte. 

Ariſtan hat das Schwert niemals 

Den Cäjarn Roms gezüdt, und er darf kühnlich jagen: 

Er war ihr Freund, fobald fie ſich 

Nur an der Schwelle von Germania zeigten. 
Herrmanu 

(mit einer Berbeugung). 
Arminius bewundert feine Weisheit. 
— {hr Herrn, wir werden uns noch weiter fprechen. 
(Ein Marſch in der Ferne.) 





Sediter Auftritt. 


Ein Herald tritt auf. Bald baranf dad Nömerheer. — Die Dorigen. 
Der Herald 
(zum Bolt, das zufanmengelaufen). 

Platz bier, beliebt’s end ihr Cherusfer! 

Barus, des Feldherrn Ron, Lıctoren 

Nahn feftli an des Heeres Spige ſich! 
Thusnelda. 

Was giebt's? 
Septimius (nähert fi ihr). 

Es ift das Römerheer, 
Das feinen Einzug hält in Teutoburg! 


Herrmann (erfreut). 
Das Römerheer? 
(Er beobachtet Barus und Ventidius, welche heimlich mit einander ſprechen.) 
Thusnelda. 
Wer ſind die erſten dort? 
Erafins. i 
Varus Fictoren, königliche Frau, 
Die des Geſetzes heil’ges Richtbeil tragen. 


315 


Thusuelda. 
Das Beil? wem! uns? 
Septimins. 
Bergieb! dem Heere, 
Den fie in’3 Lager feierlich voranziehn. 
(Das Römerheer zieht in voller Pracht vorüber.) 
Varus (zu Bentidius). 
Mas alfo, jag mir an, mas hab’ ic) 
Bon jenem Herrmann dort mir zu verjehn? 
Bentiding, 
Duintilius! das faſſ' ich in zwei Worten! 
Er ift ein Deutjcher. 
An einem Hämmling ift, der an der Tiber grafet, 
Mehr Lug und Trug, muß ich dir fagen, 
Als in dem ganzen Bolf, dem er gehört. — 
Barus. 
So kann ich, meinſt du, dreiſt der Sueven Fürſten 
Entgegenrücken? habe nichts von dieſem, 
Bleibt er in meinem Rücken, zu befürchten? 
Bentidinus. 
Sp wenig, wiederhol' ich dir, 
Als hier von diefem Dolch in meinem Gurt. — 
Barıs, 
Ich werde doch den Pla in dem Cherusferland 
Beſchaun, nad) des Auguſts Gebot, 
Auf weldhen ein Kaftell exbaut ſoll werden. 
— Marbod ift mächtig, und nicht weiß ich, 
Wie fih am Wejerftrom das Glück entfcherden wird. 
(Er fieht ihn fragend an.) 
Bentidins, 
Das lob' ich fehr. Sold eine Anftalt 
Wird ſtets, auch wenn dir fiegft, zu brauchen fein. 
Barus. 
Wie ſo? meinſt du vielleicht die Abſicht ſei, Cheruska 
Als ein erobertes Gebiet — 
Bentidius. 
Quintilius, 
Die Abſicht, dünkt mich, läßt ſich faſt errathen. 
Barus. 
Ward dir etwa beſtimmte Kund' hierüber? 


Bentibing, 
Nicht, nit! mißhör mich nicht! ich theile bloß, 


316 


Was fich in diefer Bruft prophetifch regt, dir mit, 
Und Freunde mir aus Rom Delle 


Varus. 


Sei's! was bekümmert's mich? Es iſt nicht meines Amtes, 
Den Willen meines Kaiſers zu erſpähn. 

Er Inc ihn, wenn er ihn vollführt will willen. — 

Wahr iſt's, Rom wird auf [einen fieben Hügeln 

Bor diefen Horden nimmer ficher fein, 

Bis ihrer feden Fürften Hand 

Auf inmerdar der Scepterftab entwunden. 


Bentidius. 
So denkt Auguſt, ſo denket der Senat. 


Barns, 
Laß uns in ihre Mitte wieder treten. 
(Eie treten wieder zu Herrmann ımd Thusnelda, weldhe, von Feldherrn und Fürſten 
umringt, dem Zuge des Heers zufehen.) 
Thnsnelde, 
GSeptimius! was bedeutet diejer Adler ? 
Septimiuß. 
Das ift ein Kriegspanier, erhabne Frau. 
Jedweder der drei Tegionen 
Fleucht ſolch metallnes Adlerbild voran. 
Thusnelda. 
So, ſo! ein Kriegspanier! ſein Anblick hält 
Die Schaaren in der Nacht des Kampfs zuſammen? 
Septimius. 
Du trafſt's. Er führet ſie den Pfad des Siegs. — 


Thusnelda. 
Wie jedes Land doch ſeine Sitte hat! 
Bei uns thut es der Chorgeſang der Barden. 
(Pauſe. Der Zug ſchließt, die Muſik ſchweigt.) 
Herrmann 
(indem er fich zu dem Feldherrn Roms wendet). 
Willſt du dich in das Zelt verfügen, Varus? 
Ein Mahl ift, nach Cherusterfitte, 
Für dich und dein Gefolge drin bereitet. 
Baruß, 
Sch werde kurz jedoch mich fafjen müſſen. 
(Er nimmt ihn vertraulich bei der Hand.) 
Bentidius hat dir gefagt, 
Wie ic) den Plan für diefen Krieg entworfen? 
Herrmann. 
Ich weiß um jeden feiner weiſen Punfte. 


317 


Barus. 
Ich breche morgen mit dem Römerheer 
Aus dieſem Lager auf, und übermorgen 
Rückſt du mit dem Cheruskervolk mir nach. 
Jenſeits der Weſer, in des Feindes Antlitz, 
"Sl du das Weitre. — Wünfcheft du vielleicht, 
aß ein geſchickter Römerfeldherr 
ür diefen Feldzug fich in dein Gefolge miſche? 
Sag’3 dreift mir an. Du haft nur zu befehlen. 
Herrmann, 
Quintilius, in der ve du wirft 
Durch eine ſolche Wahl mich glüdlich machen. 
Barus. 
Wohlan, Septimius, ſchick dich an, 
Dem Kriegsbefehl des Königs zu gehorchen. — 
(Er wendet ſich zu Erafius.) 
Und daß die Teutoburg gefichert jet, 
ndefjen wir entfernt find, laff’ ih, Craſſus, 
tit drei Cohorten dich darin zurüd. 
— Weißt du noch fonft was anzumerken, Freund ? 


Herrmann. 
Nichts, Feldherr Roms! dir übergab ich Alles, 


So fei die Sorge auch, e8 zu beſchützen, dein. 

Barus (u Thusnelda). 

Nun, ſchöne Frau, ſo bitt' ich — eure Hand! 
(Er führt die Fürſtin in's Zeit.) 


Herrmann. 
Lele die Hörner! Ara 
Sol für Cheruska ftet3 ein Feſttag fein! (Börnermufit. Alle ab.) 


Bierter Akt. 


Scene: Marbods Zelt im Lager der Sueven auf dem rechten Ufer ber Meier. 


Eriter Auftritt. 


Narbod den Brief Herrmanns mit dem Dolch in der Hand haltend. Neben ihm 





Attarin, fein Rath. Im Hintergrunde zwei Hauptleute. — Auf der andern Geite 
des Zeltes Luitgar mit Hermanns Kindern Rinelb und Adelbart. 
Marbob, 


Was foll ich davon, denken, Attarin? 
— Arminius der Cherusferfürft 
Läßt mir durch jenen wadern Freund dort melden: 


318 


Barus ſei ihm auf Schug und Trutz verbunden, 
Und mwerd’ in dreien Tagen ſchon 
Mich am Geftad der Weſer überfallen! — 
Der Bund, ſchreibt Herrmann doch, fei ihm nur aufgedrungen, 
Und ſtets im Herzen, nach wie vor, 
Sei er der Römer unverfühnter Feind. 
— Er ruft mig auf, verknüpft mit ihm, 
Sogleih dem Mordverrath — zu kommen, 
Die Weſer Angeſichts des Blatts zu überſchiffen, 
Und im Moraſt des Teutoburger Walds 
Die ganze gift'ge Brut der Hölle zu vertilgen. — 
um Preis mir, wenn der Sieg erfochten, 
ill er zu Deutfälands Dberherrn mid frönen. 
— Da, lies den Brief, den er mir zugefertigt! 
War’s nicht fo, Luitgar? 
Luitgar. 
Allerdings! ſo ſagt' ich. 
Attariu 
(nachdem er den Brief genommen und geleſen). 
Mein Fürft, trau diefem Fuchs, ich bitte Dich, - 
Dem Herrmann, nicht! der Yinmel weiß, 
Was er mit diefer fchnöden Lift bezwedt. 
Send ihm, Roms Cäſar, jo wie er verdient, zu ehren, 
Das Schreiben ohne Antwort heim, 
Und melde Barus gleich den ganzen Anhalt. 
Es ift ein tüdifcher, —— Verſuch, 
Das Bündniß, das euch einigt, zu zerreißen. 
(Er giebt ihm den Brief zurück.) 
Marbod. 
Was! Liſt! Verrätherei! — Da ſchicket er 
Den Rinold und den Adelhart, | 
Die beiden Knaben, mir, die ihm fein Weib gebar, 
Und diefen Dolch hier, fie zu tödten, 
Wenn fih ein Trug in feinen Worten findet. 


Attarin (wendet id). 


Marbob, 


Wo? 
Dort! 
Attarin. 
Das wären des Arminius Kinder? 
u Marbod. | 
Arminius, allerdings! ich glaub’, du zmweifelft? 


In Zeutoburg, vor feben Monden, 
Als ich den Staatenbund verhandeln wollte, 


. 319 


ab’ ich die Jungen, die dort ftehn, 
Be oft an A te Bruſt eat 
Attarim. 
Bergieb, o Herr, das find die Knaben nicht! 
Das find zwei unterfchobene, behaupt’ Ic) 
An Wuchs den echten Prinzen nt "bloß. 
Laß die Verrätherbrut gleih in Verwahrſam bringen, 
Und ihn, der fie gebradt dir hat, dazu! (Baufe.) 
Marbod 
(nachdem er die Knaben aufnterffam betrachtet). 
Ninold! (Cr fett fit nieder, Rinold tritt dicht vor ihn.) 
Nun, was auch wilft du mir? Wer rief dich? 
Rinold (Heht ihn an). 
Ge, nun! 
Marbod. 
Je, nun! — Den andern meint' ich, Rinold! 
(Er winkt dem Adelhart; Adelhart tritt ans vor ihn. Marbod nimmt ihn bei 


Nicht? nicht? du bift der Rinold? allerdings! 


Adelhart. 
Ich bin der Adelhart. 


Marbod. 
— So; biſt du das. 
(Er fieflt die beiden Knaben neben einander und ſcheint fie zu prüfen.) 
Nun, Zungen, fagt mir, Rinold! Adelhart! 
ai I in nen Or Bee & nicht ſahꝰ 
eit ich vergangnen Herbft her euch nicht fa 
— Ihr kennt mich oc Ä 
Riuold. 
O ja. 
Marbod. 
Ich bin der Holtar, 
Der alte Kämmrer im Gefolge Marbods, 
Der euch kurz vor der Mittagsſtunde 
Stets in des Fürſten Zelt herüber brachte. 


Rinold. 
Wer biſt du? 
Ma 


rbob. 
Was! das wißt ihr nicht mehr? Holtar, 
Der euch mit gläng gem Perlenmutter, 
Corallen und mit Bernſtein noch befchentte. 


Ninold (nad einer Baufe). 
Du trägft ja Marbods eifern’n Ring am Arm. 


3% 
Marbod. 
Wo? 
Rinold. 


Hier! 
Marbod. 
Trug Marbod dieſen Ring damals? 
Rinold. 
Marbod? 


Marbod. 
Ja, Marbod, frag' ich, mein Gebieter. 
Rinold. 
Ach, Marbod! was! freilich trat du den Wing! 
Du fagteft, weiß ich noch, auf Vater Herrinanns Frage, 
Du bätteft ein Gelübd' gethan, 
Und müßteft an dem Arm den Ring von Eifen tragen, 
So lang ein röm'ſcher Mann in Deutjchland fei. 


Marbod. 
Das hätt' ih — wen? euch? nein, das hab' ih nicht —! 
Rinold. 
Nicht uns! dem Herrmann! . 
Marbod. 
Wann? 
Rinold. 
. Am erſten Mittag, 
Als Holtar beid' in dein Gezelt uns brachte. 
(Marbod fieht den Attarin an.) 
Attarin 
(der die Knaben aufmerffam beobachtet). 
Das ift ja fonderbar, fo wahr ich lebe! 
(Er nimmt Herrmanns Brief noch einmal und Überlieft ihn. Paufe.) 
Marbod 
(indem er gedankenvoll in den Haaren der Knaben ſpielt). 
Iſt denn, den Weſerſtrom zu überſchiffen, 
Vorläufig eine Anſtalt ſchon gemacht? 
Einer ber beiden Sauptlente 
(vortretend). 
Mein Fürft, die Kähne liegen in der That 
Zuſammt am rechten Ufer aufgeftellt. 


Mithin f ic den Gntfchtuß faß 
ithin könnt ih — wenn ich den Entichluß faßte, 
Gleich in der ar wie Herrmann wünſcht, 

Des Stromes andern Uferrand gewinnen. 


N 


, 321 


Der Hanptmann. 
Warum nicht? in drei Stunden, wenn du willſt. 
Der Mond erhellt die Nacht; du hätteft nichts, 
Als den Entſchluß nur fchleunig zu erklären. — 


Attarin (unruhig). 
Mein Herr und Herrſcher, ich beſchwöre dich, 
Tag zu nichts Webereiltem did verführen! 
Armin ift jelbft hier der Betrogene! 
Nah dem, wie fih Roms Läjar zeigte, 
Wär's eine Naferei, zu glauben, 
Er werde den Cheruskern fi verbinden; 
gut er mit Waffen dich, dich nicht mit Geld verfehn, 
n ihre Staaten endlig einzufallen ? 
Stählt man die Bruft, die man durchbohren will? 
Dein Lager ift von Römern voll, 
Der berrlichften Patricier Söhne, 
Die hergefandt, dein Heer die Bahn des Siegs zu führen; 
Die dienen dir fiir Auguſts Wort 
Als Geißel, Herr, und würden ja 
gulammt ein Opfer deiner Rache fallen, 
Wenn ein 1% ſchändlicher Verrath dich träfe. 
— Beſchließe nichts, ich bitte dich, 
Bis dir durch Fulvius, den Legaten Roms, 
Bon Varus Plänen näh’re Kunde ward. (Banfe.) 


Marbob, 
Ich will den Fulvius mindeftens 
Gleich über diefe Sache doch vernehmen. 
(Er ſteht auf und Hlingelt.) 





Zweiter Auftritt, 


Komar tritt auf. Die Borigen. 


Marbod. 
Den Fulpvius Lepidus, Legaten Roms, 
Erſuch' ich, einen Augenblick 
In dieſem Zelt ſein Äntlitz mir zu ſchenken. —2 


Komar. 
Den Fulvius? vergieb! der wird nicht kommen; 
Er bat fo eben aut fünf Kähnen 
Sich mit der ganzen Schaar von Römern eingefchifft, 
Die dein Öefolg bis heut vergrößerten. — 
Hier ift ein Brief, den er zurüdgelajien. 

Bibt. d. d. Nationalliteratur,. Kleiſt. I. 21 


322 N) 


Marbod. 
Was ſagſt du mir? 


Attarin. 
Er hat mit allen Römern — 
Marbod. 
Wohin mit dieſem Troß, jetzt da die Nacht kommt? 


Komar. 
In das Cheruskerland, dem Anſchein nach; 
Er iſt am andern Weſerufer ſchon, 
Wo Pferde ſtehen, die ihn weiter bringen. 


Attarin. 
Gift, Tod und Rache! was bedeutet dies? 
Marbod (tief). 
„Du haſt für Rom dich nicht entſcheiden können, 
Aus voller Bruſt, wie du gefollt: 
Nom, der Bewerbung müde, giebt dich auf. 
Berfuche jet (e8 war dein Wunfch), ob du 
Allein den HT dir in Deutfchland kannt errichten. 
Auguft jedoch, daß du es wiſſeſt, 
ga den Armin auf feinem Sig erhöht, 
nd dir — die Stufen jeßo weiſt er an!” 
(Er läßt den Brief fallen.) 
Attarin. 
Verrätherei! Verrätherei! 
Auf! au den Kähnen an der Beſen 
Setzt dem Verfluchten nach und bringt ihn her! 


Marbod. 
Laß, laß ihn, Freund! er läuft der Nemeſis, 
Der er entfliehen will, entgegen! 
Das Rachſchwert iſt ſchon Über ihn gezückt. 
Er glaubte mir die Grube zu eröffnen, 
Und ſelbſt mit ſeiner ganzen Rotte 
Zur neunten Hölle ſchmetternd ſtürzt er nieder! 
— Luitgar! 
Luitgar. 
Mein erlauchter Herr! 


Marbod. 
Tritt näher! — 
Wo iſt, ſag an, wollt' ich die Freiheitsſchlacht verſuchen, 
Nach des Arminius Kriegsentwurf, 
Der Ort, an dem die Würfel fallen ſollen? 


Lnitgar. 
Das iſt der Teutoburger Wald, mein König. 


323 


Und melden Ta ag Im unfe (bar um eimmt 
Hat er zum Fa ürfel feftgejegt ? 


Ruitgar. 
Den Nornentag, mein töniglicher Herr. — 


Marbod 

(indem er ihm die Kinder giebt und den Dolch zerbricht). 
Wohlen, dein Amt ift aus, bier nimm bie Kinder 
Und audı in Stüden deinen old zurüd! 
Den Brief auch — (Indem er ihn durchfieht) 

fann ich nur zur Hälfte brauchen; 
(Ex zerreißt ihn.) 
Den Theil, der mir von feiner uld! ung fpridht, 
Als einem "Oberherrn, den löf’ i ir b- ug ſp 
Triffſt du ihn eh'r als ich, ſo jagh En ihm, 
a orten hätt’ ich Feine Zeit gehabt: 
it Thaten mitrd’ ich ihm Die ntiort ſchreiben! 


Lnitgar 
(indem er den Dolch und die Stücke des Briefes Abernimmt). 


Wenn ich dich recht verftehe, mein Gebieter — 


Marbod 
(zu den Feldherren). 

Auf, Komar! Brunold! meine Feldherrn! 
Laßt uns den Strom fogleich der Weſer aberſchiffen! 
Die Nornen werden ein Gericht, 
Des Schickſals fürchterliche Göttinnen, 
Im Teutoburger Wald dem Heer des Barus halten. 
Auf, mit der yanzen Macht, ihr Freunde, 
Daß wir das Amt der Schergen übernehmen! 

(Alle ab.) 





Scene: Straße in Teutoburg. Es iſt Nacht. 


Dritter Auftritt. 
Serrmann uud Eginhardt treten auf. 


Herrmann. 
Tod und Berberben, Sag’ ih, Eginhardt! 
woher die Ruh, woher die Stille 


In diefem Standplatz röm’scher Kriegerhaufen ? 900 





324 


Eginhardt, 
Mein befter Fürft, du weißt, Duintilius Varus zog 
geut mit des Heeres Maſſe ab. 
r ließ zum Schuß in dieſem Plaß 
Nicht mehr als drei Cohorten nur zurüd. 
Die hält man eh'r in Zaum als fo viel Legionen, 
Zumal, wenn fie jo wohlgewählt, wie die. 
Herrmann. 
Ich aber vechnete, bei allen Radhegöttern, 
Auf Feuer, Raub, Gewalt und Mord, 
Und alle Gräul des fefjellojen Krieges! 
Mas brauch’ ich Latier, die mir Gutes thun? 
Kann ich den Römerhaß, eh ich den Plat verlaffe, 
In der Cherusfer Herzen nicht, 
Daß er durch ganz Germanien ſchlägt, entflammen: 
So jcheitert meine ganze Unternehmung! 


Eginharbt. 
Du bätteft Wolf, dünkt mich, und nn und den Andern 
Doch dein Geheimniß wohl entdeden follen. 

Sie haben, als die Römer kamen, 

Mit Flüchen gleich die Teutoburg verlaffen. 

Wie gut, wenn deine Sache fegt, 

Hättjt du in Deutichland fie gebrauchen können. 


errmann, 

Die Schwätzer, die! ich bitte dich; 

Laß fie zu Haufe geht. — 

Die Schreiben, Deutichland zu befreien, 

Mit Chiffern, ſchicken mit Gefahr des Lebens 
Einander Boten, die die Römer hängen, 
Berjammeln fi um Zwielicht — efjen, trinken, 

Und ſchlafen, kommt die Nacht, bei ihren Frauen. — 
Wolf iſt der Einz’ge, der es redlich meint. 


Eginhardt. 
So mirft du doch den Flambert mindefteng, 
Den ee und Alarich und Gingar, 
Die Fürften an des Maines Ufer, 
Bon deinem Wagſtück ſtaatsklug unterrichten? 


Herrmann. 
Nichts, Liebſter! nenne mir die Namen nicht! 
Meinft du, die ließen fich bewegen 
Auf meinem Flug mir nıunter nachzuſchwingen? 
Eh das von meinem Maulthier würd’ ich hoffen. 
Die Hoffnung: morgen ftirbt Auguftus! 
Lodt fie, bededt mit Schmach und Schande, 


325 


Bon einer Woche in die andere. — 

Es braucht der That, nicht der Verfchwörungen. 
Den Widder laß fich zeigen mit der Glocke, 
So folgen, glaub mir, alle Anderen. 


Eginharbdt. 
So mög’ der Himmel dein Beginnen krönen! 


Herrmann. 
Horch! fill! 
Eginharbt. 
Was giebt’3? 
Herrmann. 
Rief man nicht dort Gewalt? 
Eginhardt. 
Nein, mein erlauchter Herr! ich hörte nichts; 
E8 war die Wache, die die Stunden rief. 


Herrmann. 
Berflucht fei diefe Zucht mir der Cohorten! 
39 ftede, wenn fi) Niemand rührt, 


ie ganze Teutoburg an allen Eden an. 


Eginbardt. 
Nun, nun! es wird fi) wohl ein Frevel finden. 


Herrmann, 
Komm, laß uns heimlich durch die Gaffen fchleichen, 
Und jehn, ob uns der Zufall etmas beut. (Beide ab.) 





Bierter Auftritt. 


Ein Auflauf. — Zuerſt ein Greiß und Andere, bald darauf zwei Ghernäler, welche 


eine Berfon aufführen, die ohnmädtig ift. Yadeln. Bolt jeden Alterd und Geſchiechts. 


Der Greis 
(mit aufgehobenen Händen). 
Wodan, den Blitz regierft du in den Wolken: 
Und einen Gräul, entießenäuot! 
Wie den, läßt du auf Erden fich verüben! 
Ein junges Mädchen. 

Mutter, was giebt's? 

Ein Anderes. 

Was läuft das Volk zufammen ? 


Die Mutter 
mit einem Linde an der Bruft). 


( ſt) 
Nichts, meine Töchter, nichts! was fragt ihr doch? 


Na 


326 


Ein Menſch, der auf der offnen Straß erkrankte, 
Wird von den Freunden bier vorbeigeführt. 
Ein Mauu 
(indem er auftritt). 
gebt ihr gejehn? den jungen Römerhauptmann, 
er plöglich mit dem Federbuſch erjchien? 
Ein Anderer. 
Nein, Freund! von wo? 
Ein Dritter. 
Was that er? 
Der Mann. 
Was er that? 
Drei’n diefer geilen appenin|hen Hunde, 
Als man die That ihm meldete, 
Hat er das Herz glei mit dem Schwert durdhbohrt! 


Der Greiß, 
Bergieb mir, Gott! ih Tann e8 ihm nicht danken! 
Ein Weib 
(aus dem Haufen). 
Da kommt die Unglüdjel’ge ſchon heran! 
(Die PBerfon, von zwei Cherudlern geführt, erfcheint.) 
on Der Greiß, 
Hinweg die Fadeln! 
Das Boll 
Gebt, o jeht! 
Der Greis. 


inweg! 
— Seht ihr nicht, daß die Sonne ſich verbirgt? 
Das Bolt. 
O des elenden, ſchmachbedeckten Weſens! 
Der fußzertretnen, kothgewälzten, 
An Brut und Haupt zertrümmerten Geftalt. 
ö Einige Stimmen. 
Wer iſt's? ein Mann? ein Weib? 
Der Cherusker 
(der die Perſon führt). 
Fragt nicht, ihr Leute, 
Werft einen Schleier über die Perfon! 
(Er wirft ein großes Tuch über fie.) 
Der zweite Cheruskkr 


(der fie führt). 
Wo iſt der Vater? 


327 


Eine Stimme 
(aus dem Bolte). 
Der Bater ift der Teuthold! 
Der zweite Cherusfer. 
Der Teuthold, Helgars Sohn, der Schmidt der Waffen? 
Mehrere Stimmen. 
Teuthotd der Schmidt, er, ja! 
Der zweite Irzetzu 
Ruft ihn herbei! 
Das Bolk. 
Da tritt er ſchon mit ſeinen Vettern auf! 





Fünfter Anftritt. 


Tenthold und zwei andere Männer treten auf. Die Vorigen. 


Der zweite Cherusker. 
Teuthold, heran! 
Teuthold, 
Was giebt's? 
Der zweite Cherusker. 
Heran hier, lag’ ih! — 
Platz, Freunde, bitt’ ich! Takt den Vater vor! 
Teuthold, 
Was iſt geichehn? 
De —* weite Cheruster. 
leich —F Hier ſtell dich her! 
Die Yadeln! be, ihr 9 eute! Teuchtet ihm! 
Teuthold,. 
Was habt ihr vor? 
Der zweite Cherusker. 
Hör an und faß dich kurz. — 
Kennft du hier die Perfon? 
Teuthold. 
Wen, meine Freunde? 
Der zweite Cherusker. 
Hier, frag' ich, die verſchleierte Perſon? 
Teuthold. 
Nein! wie vermöcht' ich das? welch ein Geheimniß! 


Der Greis. 
Du kennſt ſie nicht? 


328 


Der erfte ber beiden Bettern. 
Darf man den Schleier Lüften? 
Der erfie Cheruster, 
Halt, ſag' ich dir! den Schleier rühr nicht an! 
Der zweite Better. 
Wer die Berfon ift, fragt ihr? 
(Er nimmt eine Yadel und beleuchtet ihre Füße.) 
Tenthold. 
Gott im Himmel! 
Hally, mein Einziges, mas widerfuhr dir 


(Der Greis führt ihn auf die Seite und fagt ihm etwas ind Ohr. Teuthold ſteht 
wie vom Donner gerührt. Die Betten, Die Ihm gefolgt waren, erflarren gleichfalls. 
aufe. 


Der zweite Cherusker. 
Genug! die Fackeln weg! führt fie ins Haus! 
Ihr aber eilt den Herrmann herzurufen! 
Teuthold 
(indem er fi plötli wendet). 
Halt dort! | 
Der erfte Cherusfer, 
Was giebt’8? 
Teuthold. 
| alt, fag’ ich, ihr Cherusfer! 
Ich will fie führen, wo fie — (Er zieht den Dolch) 
— Kommt, meine Bettern, kofat mir! 
Der zweite Cherusker. 
Mann, mas denfft du? 
Teuthold (zu den Bettern). 
Rudolf, du nimmſt die Rechte, Ralf, die Linke! 
— Geid ihr bereit, jagt an? 
Die Bettern 
(indem fie die Dolche ziehn). 
Wir ſind's! brich auf! 
Teuthold (Gohrt fie nieder). 
Stirb! werde Staub! und über deiner Gruft 
Schlag’ ewige Vergeſſenheit zufammen! 
(Sie Fällt mit einem Turzen Laut übern Haufen.) 
Das Bolt, 
hr Götter! 
Der erfte Chernsker 
(füllt ihm in den Arm). 
Ungeheuer! was beginnft du? 


329 


Eine Stimme 
(aus dem Bintergrunde). 


Was ift gefchehn ? 
Eine audbere, 


Spredt! 
Eine dritte. 
Was erichridt das Volt? 

Das Bolk (vurdeinander). 
Weh! weh! der eigne Vater hat mit Dolchen, 
Die eignen Bettern, fie in Staub gemorfen! 

Teuthold 

(indem er ſich über die Leiche wirft). 

Hally! mein Einz'ges! hab' ich's recht gemacht? 


Sechſter Auftritt. 


Herrmann und Eginhardt treten auf. Die Borigen. 
Der zweite —— 
Komm her, mein Fürſt, ſchau dieſe Gräuel an! 
Herrmann. 
Was giebt's? 
Der erſte Cherusker. 
Was! fragſt du noch? du weißt von nichts? 


Herrmann. 
Nichts, meine Freund’! ich komm’ aus meinem Zelt. 
Eginhardt. 
Sagt, was erſchreckt euch? 
Der zweite Cherusker 
(halblant). 
Eine ganze Meute 
Bon geilen Römern, die den Play dürchſchweifte, 
Hat bei der Dämmrung ſchamlos eben jegt — 
Herrmann 
(indem er ihn vorführt). 
Stil, Selmar, ftil! die Luft, du weißt, hat Ohren. 
— Ein Römerhaufen? 
Eginhardt. 
Ha! was wird das werden? 
(Sie ſprechen heimlich zuſammen. Pauſe.) 
Herrmann 
(mit Wehmuth, halblaut). 
Hally? was jagft du mir! die junge Hally? 


330 


Der zweite Cheruster. 
Hally, Teutholds, des Schmidts der Waffen, Tochter! 
— Da liegt fie jest, ſchau her, mein Fürft, 
Bon ihrem eignen Vater hingeopfert! 
Eginhardt (vor der Leiche). 
Ihr großen, heiligen und ew'gen Götter! 
Der erfte Cherusfer. 
Was wirft du nun, o Herr, darauf befchliegen ? 
| Herrmann (zum Bolte). 
Kommt, ihr Cherusfer! kommt, ihr Wodanfinder! 
Kommt, fammelt euch um mid, und hört mid an! 
(Das Bolt umringt ihn; er tritt vor ZeutHold.) 
Teuthold, fteh auf! 
Teuthold (am Boden). 
Laß mich! 
Herrmann. 
Steh auf, fag’ ich! 
Teuthold. 
Hinweg! des Todes iſt, wer ſich mir naht. 
Herrmann. 
Hebt ihn empor, und ſagt ihm, wer ich ſei. 
Der zweite Cherusker. 
Steh auf, unfel’ger Alter! 
Der erfte Cherusfer. 
Faſſe dich! 
Der zweite Cherusker. 
Herrmann, dein Rächer iſt's, der vor dir ſteht. 
(Sie heben ihn empor.) 
Teuthold. 
german, mein Rächer, fagt ihr? — Kann er Rom, 
a3 Drachenneſt, vom Erdenrund vertilgen ? " 
Herrmann. 
Ich kann's und will's! hör an, was ich dir fage. 
Tenthold (ficht ihn an). 
Was für ein Yaut des Himmels traf mein Ohr? 
Die beiden Bettern. 
Du kannſt's und willſt's? 
Teuthold. 
Gebeut! ſprich! red, o Herr! 
Was muß geſchehn? wo muß die Keule fallen? 


331 


Herrmann, 
Das hör jebt, und eriviedre nichts. — 
Brih, Rabenvater, ul und trage mit den Bettern 
Die Jungfrau, die geihändete, 
n einen Winkel deines Haufes hin! 
dir zählen funfzehn Stämme der Germanen: 
In funfzehn Stüde mit des Schwertes Schärfe 
Theil ihren Yeib, und ie mit funfzehn Boten, 
Ich will dir funfzehn Pferde dazu geben, 
Den funfzehn Stämmen ihn Germanteng zu. 
Der wird in end, dir zur Rache, 
Bis auf die todten (Elemente werben: 
Der Sturmmind wird, die Waldungen durdhfaufend, 
Empörung! rufen, und die See, 
Des Landes Rippen fchlagend, Freiheit! brüllen. 
Das Bolt. 
Empörung! Rache! Freiheit! 
Tenthold. 
Auf! greift an! 
Bringt fie in's Haus, zerlegt in Stüden fie! 
(Sie tragen die Leiche fort.) 
Herrmann. 
Komm, Eginhardt! jett hab’ ich nichts mehr 
An diefem Ort zu thun! Germanien lodert: 
Laß uns den Varus jebt, den Stifter diefer Gräuel, 
Sm Teutoburger Walde juchen! (Aue ab.) 


Scene: Herrmanns Zelt. 


Siebenter Auftritt. 
Herrmann tritt auf, mit Schild und Spieß. Hinter ihm Geptimind. — Gefolge. 


Herrmann. 
gan du die neuſte Sinvihtung getroffen ? 
ir das Cherusterheer, das vor den Thoren liegt, 
Nach Römerart, wie du vertrat 
In Heinere Manipeln abgetheilt 
Septimius. 
Mein Fürſt, wie konnt' ich? Deine deutſchen Feldherrn 
Verſicherten, du wollteſt ſelbſt 
Bei dieſer Neuerung zugegen ſein. 
* harrte vor dem Thor bis in die Nacht auf dich; 
och du — warum? nicht weiß ich es — bliebſt aus. 


332 


Herrmann. 

im Heer, wie fonft? 

Septimins,. 

Auf jeden Punkt; wie könnt' e8 anders? 

Es ließ fi ohne dich, du weißt, nichts thun. 
Herrmann. 

Das thut mir leid, Septimius, in der That! 

Dich hielt ein dringendes Gejchäft 

Im Ort zurüd; du würdeſt, glaubt’ ich, 

Auch ohne mich hierin verfügen Fünnen. 

Nun — wird es wohl beim Alten bleiben müſſen. 

Der Tag bricht an; haft du das Heer 

Dem Plan gemäß gum Marſch nach Arkon, 

Dem Teutoburger Waldplag, angefchidt? 
Septimins. 

Es harrt nur deines Worts, um anzutreten. 
Herrmann 

(indem er einen Vorhang Lüftet). 
— Ich denk', e8 wird ein ſchöner Tag heut werden. 


Septimins, 
Die Nacht war heiß, ich fürchte ein Gewitter. (Baufe.) 


| gerem ann. 

Nun, fer jo gut, verfüg dich nur voran! 

Bon meinem Weib nur will ih Abjchied nehmen, 

Und folg’ in einem Augenblid dir nach! (Septimius ab.) 
(Zu dem Gefolge.) 

Auf, folgt ihm, und verlagt ihn nicht! 

Und jeglihe Gemeinſchaft in b 

Des Heers mit Teutoburg von jetzt ſtreng aufgehoben. 
(Das Gefolge ab.) 


Was! fo ift Alles noch 


Adter Auftritt. 


Herrmann 

(nachdem er Schild und Spieß weggelegt). 
Nun wär’ ich fertig, wie ein Reifender. 
Cherusfa, wie es Het und liegt, 
Kommt mir wie eingepadt in eine Kiſte vor: 
Um einen Wechfel könnt’ ich es verlaufen. 
Denn käm's heraus, daß ich auch nur 
Davon geträumt, Gernanien zu beirein: 
Roms Feldherr ſteckte gleich mir alle Pläbe an, 


333 


ot e, was die Waffen trä 
übrte Weib und Kind geiefet übern Rhein — 
Arcuf ftraft den Verſuch jo wie die That! 
(Er zieht eine Klingel; ein Trabant tritt auf.) 
Ruf mir die Fürftin! 
Der Trabant. 
Hier erſcheint fie fchon! 





Neunter Auftritt. 


Serrmann und Thußnelda. 


Herrmann 
(nimmt einen Brief aus dem Bufen). 
Nun, Thuschen, tomm; ich hab' dir was zu ſagen. 
Thudnelda (Gangſtlich. 
liebſter Freund, um's Himmelswillen, 

Beh ein Gerücht läuft durch den Lagerplag ? 
Ganz Teutoburg ift voll, e8 würd’ in wenig Stunden 
Dem Craffus, der Tohorten Führer, 

Ein für —5 — Blutgericht ergehn! 
Dem Tode wär’ die ganze Schaar geweiht, 
Die als Befagung hier —— en. 


Herrmann. 
a, Kind, die Sad’ hat ihre 
ch warte nur auf Aftolf noch, 
Deshalb gemeſſne Drdre ihm zu 
Sobald Fi Varus Heer beim RR des nächften Tages 
Im Teutoburger Wald_erreicht, 
Bricht Alto ai If bier im Ort dem Craſſus 108; 
Die ganze Brut, die in den Leib Germaniens 
Sid eingefitzt wie ein Inſectenſchwarm, 
Muß durch das Schwert der Rache jetzo ſterben. 
Thusnelde, 
Entjeglih! — Was für Gründe, ſag mir, 
Hat dein Gemiüth, fo grimmig zu verfahren ? 
Herrmann. 
Das muß ich dir ein ander Mal erzählen. 
Thusnelda. 
Craſſus, mein liebſter — mit allen Römern? 


Herrmann. 
Mit allen, Kind; nicht einer "Hleibt am 2eben! 


334 


Dom Kampf, mein Thuschen, übrigens, 

Der bier im Ort g serämpit { wird werden, 

galt u auch nicht das Mindeſte au fürchten; 
enn Aftolf ift dreimal jo ſtark als Craſſus; 

Und überdies noch bleibt ein eigner Ar Rriegerhaufen 

Zum Schuge dir bei diefem Zelt zurüd. 


Thusnelda. 
Craſſus? nein, jag mir an! mit allen Römern — 
Die Guten mit den Schledhten, rüdjichtslos ? 


Herrmann. 
Die Guten mit den Schlechten. — Was! die Yuten! 
Das find die Schledteften! der Rache Keil 
Sol fie zuerjt vor allen — treffen! 


au ſchlicher! —— 
uer nmenſchlicher! wie Mancher iſt, 
—* wirklich Dentharten du Kan Un — 
ann. 
— Daß ich nicht wußte ð —* 
Thusnelda. 
Das fragſt du noch! 


Herrmann. 
Vein, in der That; du hörſt, ich weiß von nichts. 
Nenn einen Namen mir. 


Thusnelde. 
Dir einen Namen! 
So mander Einzelne, der_in den Pläßen 
Auf Ordnung hielt, das Eigenthum beſchützt — 


Beſchützt! du bift nich * 1 das thn fi 
efhügt! du bift nicht klu a3 thaten te, 
Es um fo befjer unter fich zu theilen. 
Thusnelda 
(mit ſteigender Angſt). 
Du Unbarmherz'ger! Ungeheuerſter! 
— So hätt' Ri der Genturio, 
Der bei dem Brande in Thuiskon jüngft 
Die Heldenthat gethan, dir fein Seat entlodt? 


Herrmann. 
Nein — mas für ein Genturio ? 


Thnsnelda. 
Nicht? Nicht? 
Der junge Held, der mit Gefa Fur des Lebens 
Das Kind auf feiner Mutter 


335 


Dem Tod der Flammen muthig jüngſt entriſſen? — 
Er hütte kein Gefühl der Liebe dir entlockt? 


Herrmann (glühend). 
Er fei verfluht, wenn er mir das gethan! 
Er hat auf einen Augenblid 
Mein Herz veruntreut, zum Verräther 
An Deutfchlands großer Sache mich gemacht! 
Warum fest’ er Thuiskon mir in Brand ? 
Ich will die höhniſche Dämonenbrut nicht lieben! 
So lang fie in Germanien trogt, 
Iſt Haß mein Amt und meine Tugend Race! 


Thusnelda (meinmd). 
Mein Tiebfter, befter Herzens- Herrmann, 
Ich bitte dich um des Ventidius Leben! 
Das eine Haupt nimmft du von deiner Rache aus! 
Laß, ich beſchwöre dich, laß mich ihm heimlich melden, 
Was Über Barus du verhängt: 
Mag er in’8 Land der Bäter rafch ſich retten! 


Herrmann. 
Bentidius? nun gut. — Ventidius Carbo ? 
Nun denn, es fer! — Weil e8 mein Thuschen ift, 
Die für ihn bittet, mag er fliehn: 
Sein Haupt fol meinem Schwert, fo wahr id; Iebe, 
Um diefer jhönen Regung heilig fein! 


Thusnelda (fügt feine Hand). 
D Herrmann! ift es wirflih wahr? o Herrmann! 
Du ſchenkſt fein Leben mir? 


Fe Bor. 9 Then ih 

u hörſt. enk's ihm. 

Sobald der Morgen angebrochen, 9 

Stedft du zwei Wort’ ihm am 

Er Möchte gleich fi übern Rheinſtrom retten; 

Du kannſt Im Pferd’ aus meinen Ställen jchiden, 

Daß er den Tagesftrahl nicht mehr’ erfchaut. 
Thusnelde, 

D Liebſter mein! wie rührjt du mich! o Liebfter! 
Herrmann. 

Doch eher nicht, hörft du, das bitt’ ich ſehr, 

Als bis der Morgen angebrocen! 

Eh auch mit Mienen nit verräthft du dich! 

Denn alle Andern müfjen unerbittlich, 

Die Ihändlichen Tyrannenknechte, fterben: 

Der Anfchlag darf nicht etwa durch ihn fcheitern! 


836 


Thusnelda 
(indem fie ſich die Thränen trocknet). 
Nein, nein; ich Ihmör’s dir zu: kurz vor der Sonn’ eiſt! 
Kurz vor der Sonn’ erft It er es riaheen? 


Her 
So, wenn der Mond entweiht: nicht eb, nicht fpäter. 


Thusnelda. 

Und daß der Jung in aus, nicht etwa, 
Der thörichte, um del Briefs 
Mit einem Tall ahn ſich ‚Jömeihele 

Will ich den die in — amen chreiben; 
39 will mit einem EL, en Wort ihm jagen: 

eſtimmt wär’ er, Rh vom Untergang es Barus 
Nah Rom an Kenen Kaiferhof zu bringen! 


Herrmann (keit). 
Das thu. Das ıft fehr Aug. — Sieh da, mein ſchönes Thuschen! 
muß dich küſſen. — 
Doch, was ig ſagen wollte — — 
dier iſt die Locke wieder, ſchau, 
ie er dir „Feng vom Scheitel abgelöft, 
Ste war, als eine Probe beiner Haare, _ 
Schon auf dem Weg nadı Rom; jedoch ein Schüge bringt, 
Der in den Sand den Boten ſtredte, 
Sie wieder in die Hände mir zurück. 
(Er giebt ihr den Brief, worin die Locke eingeſchlagen.) 
Thusuelda 
(indem fie den Brief entfaltet). 
Die Tod’? o was! um die ich ihn verklagt? 
Herrmann, 
Diefelbe, ja! 
Thusnelda. 


Sieh da! wo kommt ſie her? 
Du haſt ſie dem Arkadier abgefordert? 


Ich? o behüte! Herrmann. 


Thusnelda. 
Nicht? — Ward ſie gefunden? 
errmann. 
Gefunden, ja, in einem Brief, du ſiehſt, 
Den er nach Rom hin gejtern früh 
An Livia, feine Katfrin, abgefertigt. 
Thusnelda. 
In einem Brief? an Kaiſerin Livia? 


337 


Herrmann. 
Ja, Ties die Aufjchrift nur. Du hältft den Brief. 
(Inden er mit deu Winger zeigt.) 
„An Livia, Roms große Kaiferin.“ 
Thusnelda. 
Nun? und? 
Herrmann. 


Nun? und? 

Thusnelda. 

Freund, ich verſteh' kein Wort! 
— Wie kamſt du zu dem Brief? wer gab ihn dir? . 

Herrmann. 
Ein Ziſen, Thuschen, hab' ich ſchon geſagt! 
Der Brief, mit vielen andern noch, 
Ward einem Boten abgejagt, 
Der nach Italien ihn bringen ſollte. 
Den Boten warf ein guter Pfeilſchuß nieder, 
Und fein Packet, wort die Locke, 
Hat mir der Schübe eben überbradt. 


Thusnelda. 
Das iſt ja — das, ſo wahr ich lebe! — 
Was ſagt Ventidius denn darin? 
Herrmann. 
Er fast —: 
Laß ſehn! ich überflog ihn nur. Was jagt er? 
, (Er guckt mit hinein.) 
8 Herrſch — ei 
„Varus, o Herricherin, fteht mit den Legionen 
Nun ın Eherusta fiegreich da: g 
Cheruska, faß mich wohl, der Heimath jener Locken, 
Wie Gold fo. hell und meich wie Seide, 
Die dir der heitre Markt von Rom verkauft. 
Nun bin ich jenes Wortes eingedent, 
Das deinem * Mund, du weißt, 
ALS ich zulegt dich jab, im Scherz entfiel. 
Bier ſchick ih von dem Haar, das ich dir zugedacht, 
nd das fogleih, wenn Herrmann finkt, 
Die Scheere für dich ernten wird, 
Dir eine Probe zu, mir Hug verfchafft. 
Beim Etyr! 6 legt's am Capitol 
Phaon, der Krämer, dir nicht vor: 
Es ıft vom Daupt der 7 Frau des Reichs, 
Vom Haupt der Furſtin ſelber der Cherusker!“ 
— Ei der Berfluchte! (Sie fieht Herrmanm an, und wieder in den Brief hinein.) 
Nein, ich las wohl falſch? 
BL. d. d. Rationalliteratur. Kleiſt. 1. 22 


8 


338 


Herrmann, 
Mas? _ 
Thusnelda. — 
Was! 
Herrmannun. 
— Steht's anders in dem Briefe da? 
Er ſagt — 


Thusnelda. 
gi ich von dem Haar, jagt er, 
Das ig dir —59 ‚und das ſogleich, 
Wenn Herrmann —F — die Scheere für dich ernten wird — 
(Die Ser gebt ihr aus.) 
Herrmann. 
Nun ja; er will — verftehft du's nicht? 
Thusnelba 
(wirft ſich auf einen Seſſel ar 
D Hertha! 
Nun mag ich diefe Sonne nicht mehr fehn. 
(Sie verbirgt ihr Haupt.) 
Herrmann (teife flüſternd). 
Thuschen! Thuschen! er ıft ja noch nicht fort. 
(Er folgt ihr und ergreift ihre Hand.) 


Thusuelde, 
Geh, lag mich fein. 
Herrmann 
(beugt fi) ganz über fie). 
dent: wenn die Nacht fintt, Thuschen, 
Schlägt dir der Rache runde ja! 
nelda. 
Geh, geh, ich bitte bit Berbn t ift Alles, 
Die en mir, du mir, ich: H mid) allein! 
Herrmann 
(fällt vor ihr nieder). 
Thuschen! mein fchönes Weib! wie rührft du mich! 
(Kriegemufil draußen.) 





Zehnter Auftritt, 


Esinhardt und Aſtolf treten auf. Die Borigen. 
Eginhardt. 
Mein Fürft, die Hörner rufen dich! brich auf! 
Du darfit, winſt d du das Schlachtfeld noch erreichen, 
Nicht, wahrlich! eirien Augenblid mehr fäumen. 


339 
Herrmann (ficht auf). 


Gertrud! 

Eginhardt. 

Was fehlt der Königin? 
Herrmann, 
Nichts, nichts! 
(Die rauen der Thusnelda treten auf.) 
Hier! forgt für eure‘ Frau! ihr feht, fie meint. 
(Er nimmt Schild und Spieß.) 

Aftolf ift von dem Kriegsplan unterrichtet? 


Eginhardt. 
Er weiß von Allen. 

Herrmann (u Aſtolh. 

Sechshundert Krieger bleiben dir 

In Tentoburg zurüd, und ein Gezelt mit Waffen, 
Cherusfa’3 ganzes Volk damit zu rüften. 
Teutbold beinaftneft und die Seinen du 
Um Mitternacht, wenn Alles jchläft, zuerft. 
Sobald der Morgen dämmert, brichſt du 108. 
Craſſus und alle Führer der Eohorten 
Suchſt du in ihren Zelten auf; 
Den Reit des Haufens fällt du, gleichviel mo? 
Auch den Ventidius empfehl’ ich dir. 
Wenn hier in Teutoburg der Schlag gefallen, 
Folgſt du mit deinem ganzen Troß 
Mir nah dem Teutoburger Walde nad; 
Dort wirft du weiteren Befehl erhalten. — 
Haft du verftanden ? 


Aſtolf. 
Wohl, mein erlauchter Herr! 

Eginhardt (veforgt). 
Mein beſter Fürſt! willſt du nicht lieber ihn 
Nah Norden, an den Lippſtrom ſchicken, 
Cherusfa vor dem Päftus gi befchirmen, 
Der dort, du weißt, mit Holm, dem Herrn der riefen, kämpft. 
Cherusta ift ganz offen dort, 
Und Bäftus, wenn er hört, daß Nom von dir verrathen, 
Beim Styr! er fendet, zweifle nicht, 
Sleich einen Haufen ab, in deinem Rüden 
Bon Grund aus alle Pläe zu verwüſten. 


Herrmann, 
Nichts, nichtS, mein alter Freund! was fällt dir ein? 
Kampf ich aud für den Sand, auf den ich trete, 
Kämpf’ ich für meine Bruft? og# 


340 


Cherusta firmen! was! Wo Herrmann fteht, da fiegt er, 
Und mithin ift Cherusfa da. ’ ſieg 
Du folgſt mir, Aſtolf, in's Gefild der Schlacht; 

Wenn Varus an der Weſer ſank, | 

Werd’ ih am Lippſtrom auch den Bäftus treffen! 


Aſtolf. 
Es iſt genug, o Herr! es wird geſchehn. 
Herrmann 
(mendet fi zu Thusnelda). 
Leb wohl, Thusnelda, mein geliebtes Weib! 
Aftolf hat deine Rache übernommen. 
Thnsnelda (feht auf). 
An dem Bentidius? (Sie drüdt einen heißen Kuß auf feine Lippen.) 
Ueberlaß ihn mir! 
Ich babe mich gefaßt, ich will mich rächen! 


Herrmann, 
Dir? | 
Thusnelda. 
Mir! du ſollſt mit mir zufrieden ſein. 
Herrmann. 
Nun denn, fo tft der este Sieg erfocdhten! 
Auf jetzt, daß ich den Varus treffe! 
Roms ganze Kriegsmacht, wahrlich, ſcheu' ich nicht! (Aue ao.) 


Fünfter Akt. 
Scene: Teutoburger Bat. Rad, Donner und Blik, 


Erfter Auftritt. 


Baruß und mehrere Feldherru, an der erite des römifchen Deeree, mit Fackeln 
treten auf. 


Varus. 
Ruft: Halt! ihr Feldherrn, den Cohorten zu! 
Die Feldherrn (in der Berne). 
Halt! — Halt! 
Barus. 


Licinius Valva! 
Ein Hauptmann (Gvortretend). 
Hier! wer ruft? 


Baruß, 
Schaff mir die Boten her, die drei Cherusfer, 
Die an der Spige gehn! 


311 


Der Hauptmann, 
u börft, mein Feldherr! 
Du wirft die Männer ſchuldlos finden; 
Arminius hat fie alfo unterrichtet. 


Barus. 

Schaff ſie mir her, ſag' ich, ich will ſie ſprechen! — 
Ward, ſeit die Welt en Kreifen rollt, 
Sold ein Berrath erlebt? Cheruster führen mich, 
Die man al3 Kundige des Tandes mir £ 
Mit breitem Munde rühmt, am hellen Mittag irr! “ 
Rück ich nicht, um zwei Meilen zu gewinnen, 
Bereit8 durch jechzehn volle Stunden fort? 
War's ein Berfehn, daß man nad) BIT mid 
Statt Iphikon geführt: wohlan, ich will es minditens, 
Devor ich weiter ritde, unterfuchen. 

Erfter Feldherr (in den Bart). 3 
Daß durch den Mantel do, den fturmzerrifinen 
Der Naht, der um die Köpf’ uns hängt, 
Ein einz’ge8 Sternbild ſchimmernd niederblintte! 
Wenn auf je Qunbert Schritte nicht L 
Ein Blieihrah ziſchend vor und niederfeilte, 
Wir würden, wie die Eul am Tage, 
Haupt und Sebein ung im Gebüf zerfchellen! 


Zweiter Feldherr. 
Wir können keinen Schritt fortan 
In diefem feuchten Mordgrund weiter ritden! 
Er ift jo zäh wie Vogelleim geworden. 
Das Heer fchleppt halb Cherusfa an dein Beinen, 
Und w.rd noch, wie ein bunter Specht, \ 
Zulegt mit Haut und Haar dran Fleben bleiben. 


"Dritter Feldherr, 
Pfiffiton! Iphikon! — Was das, beim Jupiter! 
Für eine Sprade ift! als fchlüg’ ein Steden -_ 
An einen alten, roftzerfrefinen Helm! 
Ein Oräuffgfiem von Worten, nicht geſchickt 
rei ſolche Ding’, wie Zag und Nacht, 
urch einen eignen Laut zu unterjcheiden. 
Ich glaub’, ein Tauber war's, der das Geheul erfunden, 
Und an den Mäulern febhen fie ſich's ab. 
Ein Römer, 
Dort kommen die Cheruster! 


Barus. 
Bringt ſie her! 





342 


Zweiter Auftritt. 
Der Hauptmann mit den Brei cherusliſchen Boten. Die Borigen. 
Barus. 
Nach welchem Ort, ſag an, von mir benannt, 
Haft du mich heut von Arkon führen follen? 
Der erite Cherusker. 
Nach Pfiffilon, mein badgpereheter Herr. 


Barus. 


Was, Pfiffikon! hab' ich nicht Iphi dir 
Beſtinimt, und wieder Iphikon genannt? 


Der erſte Cherusker. 

Vergieb, o Herr, du fiffikon. 
2m ar fpradhit du, nach der Römermundart, 

a8 läugn’ ich nicht: „Führt mich nach Iphikon; ;“ 
Doch Herrmann hat Ele und geftern, " 
aD er ung unterrichtete, gefa 

Des Varus Wille ift ha P ſfiton zu kommen; 
Drum thut nach mir, wie er auch ausſpricht, 
Und Luka fein Heer auf Pfiffiton hinaus,“ 


Barnd, 
Was!. 
Der erfie Chernster. 
Ya, mein erlauchter Herr, fo iſt's. 
Barns, 
Woher kennt auch bein Herrmann meine Mundart? 
Den Namen hatt’ i philon, 
Ja fchriftlich ihm mit * Hand gegeben! 
Der erfte pdernsten. 
Darüber wirft du ihn zur Rede ftellen; 
Doch wir fin —88* mein verehrter Herr. 


Barus. 
O wart! — Wo ſind wir jetzt? 


Der erſte —— 
Das weiß ich nicht. 


Das weißt du nicht, periwänfähter Galgenſtrick, 
Und biſt ein Bote? 


Der erſte Cherusker. 
Nein! wie vermöcht' ich das? 
Der Weg, den dein Gebot mich zwang 
Südweſt quer durch den Wald hin einzuſchlagen, 


343 


dat in der Richtung mich verwirrt: 
ir war die große Straße nur 
Bon Teutoburg nah Pfiffifon befannt. 
Barus. 
Und du? du weißt es auch nicht? 
Der zweite Cherusker. 
Nein, mein Feldherr. 
Barus. 
Und du? 
Der dritte Cherusker. 
ch auch bin, feit es dunkelt, irre. — 
Nach allem doch, was ich ringsum erkenne, 
Bift du nicht weit von unferm Waldplag Arkon. 


Barus. 
Von Arkon? was! wo ich heut ausgerückt? 
Der dritte Cheruster. 
Bon eben dort; du bift ganz heimgegangen. 
| Varus. 
Daß euch der Erde Anftrer Saeeß verſchlänge! — 
Legt ſie in Stricke! — Und wenn ſie jedes ihrer Worte 
german in's Antlig nicht beweifen können, 
So hängt der Schufte einen auf, 
Und gerbt den beiden anderen die Rüden! 
(Die Boten werden abgeführt.) 





Dritter Auftritt, 


Die Berigen ohne die Boten. 


Barus. 

Was iſt zu machen? — Sieh da! ein Licht im Walde! 

Erſter Feldherr. 
He, dort! wer ſchleicht dort ? 

Zweiter Feldherr. 

Nun, beim Jupiter! 

Seit wir den Teutoburger Wald durchziehn, 
Der erfte Menfch, der unferm Blick begegnet! 

Der Hauptmann. 
Es ift ein altes Weib, das Kräuter ſucht. 


Vu 


344 


Vierter Auftritt. 


Eine Alraune tritt auf, mit Srüde und Laterne. Die Vorigen. 


Barns, 
Auf diefem Weg, den ih im Irrthum griff, 
Stammmütterchen Cheruska's, fag. mir an, 
Wo komm’ ich her? wo bin ih? wohin wandr’ ich? 
Die Alraune. 
Varus, o Feldherr Roms, das find drei Fragen! 
Auf mehr nicht kann mein Mund dir Rede ftehn! 


Barus. 
Sind deine Worte ſo geprägt, 
Daß du wie Stücken Goldes ſie berechneſt? 
Wohlan, es ſei, ich bin damit zufrieden! 
Wo komm' ich her? 
Die Alraune. 


Aus Nichts, Quintilius Varus! 


Barus. 

Aus Nichts? — Ich komm' aus Arkon heut. 
— Die Römiſche Sibylle, ſeh' ich wohl, 
Und jene Wunderfrau von Endor bift du nicht. 
— Laß fehn, wie du die andern Punkr'' erledigft! 
Wenn du nicht weißt, woher des Wegs ich wandre 
Wenn ich füdmweftwärts, ſprich, ftetS ihn verfolge, 
Wo geh’ ich hin? 

Die Alranne. 


In's Nichts, Quintilius Varus! 
Barus. 
In's Nichts? — Du fing ja, wie ein Rabe! 
Bon wannen kommt dir dieſe Wiffenfchaft ? 
Eh ih in Charons düftern Nachen fteige, 
Den? ich, al8 Sieger zweimal noch 
Rom mit der en uadriga zu durchſchreiten! 
Das hat ein Priefter Jovis mir vertraut. 
— Triff, bitt’ ich dich, der dritten Frage, 
Die du vergönnt mir, befjer auf die Stirn! 
Du nehh ie Nacht hat mig erirrten überfallen: 
Wo geh' ich her? wo geh' ich hin? 
Und wenn du das nicht weißt, wohlan: 
Wo bin ich? ſag mir an, das wirſt du wiſſen; 
In welcher Gegend hier befind' ich mich? 
Die Alrauue. 
Zwei Schritt vom Grab, Quintilius Varus, 


345 


Jart wifchen Nichts umd Richt! gehab’ dich wohl! 
a8 {m genau der 7 agen drei; 

Der Fragen mehr auf diefer Haide 

Giebt die cheruskiſche Alraune nicht! Eie verſchwindet.) 





Fünfter Auftritt. 
Die Borigen ohne die Alraune. 
Barns, 


Sieh da! 
Erfter Feldherr. 
Deim Jupiter, dem Gott der Welt! 
Zweiter Zeldherr. 


Barns. 


Was war das? 


Wo? 


Zweiter Feldherr. 
vi wo der Pfad ſich krenzet! 


Saht ihr es auch, das innperrüidte Weib? 
Erfter Feldherr. 


Zweiter Feldherr. 
Ob wir's gejehn? 
Barns 
Niht? — Was war's fonft? 
Der Schein des Monds, der durch die Stämme fällt 
Erfter Zeldherr. ° 
Beim Orkus! eine Here! halt fie feft! 
Da ſchimmert die Laterne noch! 
Barus (niedergeidlagen). 


aßt, laßt! 
Gie hat des Lebens Fittig mir 
Mit ihrer Zunge jeharfem Stahl gelähmt ! 


Das Weib? 





Sechſter Anftritt, \ 


Ein — tritt a Die Borigen. 


ömer, 
Mo ift der Feldherr Roms? Der führt mich zu ihm? 


346 


Der Hauptmann. 
Was giebt’3? Hier fteht er! 


Barus. 
Nun? was bringſt du mir? 
Der Römer. 
Quintilius, zu den Waffen, ſag' ich dir! 
Marbod hat übern Weſerſtrom geſetzt! 
Auf weniger denn tauſend Schritte 
Steht er mit ſeinem ganzen Suevenheere da! 


Barus. 
Marbod! was ſagſt du mir? 


Erſter Feldherr. 
Biſt du bei Sinnen? 


Barus. 
Von wem kommt dir die aberwitz'ge Kunde? 


Der Römer. 
Die Kunde? was! beim Zeus, hier von mir ſelbſt! 
Dein Vortrab ſtieß ſo eben auf den ſeinen, 
Bei welchem ich im Schein der Fackeln 
So eben durch die Büſche ihn geſehn! 
Barus. 


Unmöglich iſt's! 
Zweiter Feldherr. 
Das iſt ein Irrthum, Freund! 


Barns. 
Fulvius Lepidus, der Legate Roms, 
Der eben jegt aus Marbods Yager 
Hier angelangt, bat ihn vorgeſtern 
Fa noch jenſeits des Weſerſtroms verlaffen. 
Mein Feldh f Kr —8 
ein Feldherr, frage mich nach nichts! 
Schick deine Späher aus und überzeuge dich! 
Marbod, hab' ich gelagt, fteht mit dem Heer der Sueven 
Auf deinem Weg zur Wefer aufgepflanzt; 
Hier diefe Augen haben ihn gejehn! 
Barus. 
— Was ſoll dies alte do fortan nicht glauben? 
Kommt her und fpredt: Marbod und Herrmann 
Berftänden heimlich f& in diefer Fehde, 
Und fo wie der im Antlig mir, 
So ftände der mir ſchon im Rüden, 
Mich hier mit Dolchen in den Staub zu werfen: 


347 


Beim Styr! ich glaubt’ es noch; ich hab's fchon vor drei Tagen, 
Als ich den Lippftrom überfchifft, —8 
Erſter Feldherr. 
ii doch, Duintilius, des unzömerhaften Worts! 
arbod und Herrmann! in den Staub dich werfen! 
Wer weiß, ob einer noch von beiden 
gr deiner Nähe ift! — Gieb mir ein Häuflein Römer, 
en Wald, der dich umdämmert, zu durchjpähn: 
Die Schaar, auf die dein Bordertrapp gejtoßen, 
gi eine Horde noch auledt, 
ie bier den Uren oder Bären jagt. 
Barus (ſammelt fid). 
Auf! — Drei Genturien geb’ ich dir! 
— Bring Kunde mir, wenn du's vermagft, 
Bon feiner Zahl; N du mich? 
Und jeine Stellung auch im Wald erforjche; 
Jedoch vermeide ſorgſam ein Gefecht. (Der erſte Feldherr ab.) 





Siebenter Auftritt, 


Bernd, im Dintergrunde dad Römerheer. 
O Price Zeuß, hoſt du den Raben auf 
riefter Zeus, haſt du den Haben auch, 
Der Sieg mir zu verfünd’gen fihien, verftanden ? 
dig war ein Rabe, der mir prophezeit, 
nd feine heifre Stimme ſprach: das Grab! 


Achter Auftritt. 


Ein zweiter Wömer tritt auf. Die Borigen. 
Der Römer. 
Man fchidt mich ber, mein Feldherr, dir zu melden, 
Daß Herrmann der Cherusterfürft 
Im Teutoburger Wald jo eben eingetroffen; 
Der Bortrab eines eers, dir hitlfreich zugeführt, 
Berührt den Nachtrab ſchon des deinigen! 
Barus. 
Was ſagſt du? 
Zweiter Feldherr. 
Herrmann? — hier in dieſem Wald? 
Barus (wild). 
Bei allen Furien der flammenvollen Hölle! 


348 


Mer hat ihm Fug umd Recht gegeben, 
Heut weiter als bis Arkon —— 

Der Römer. 
Darauf bleib' ich die Antwort ſchuldig dir. 
Servil, der mich dir ſandte, Igien zu glauben, 
Er werde dir mit dem Cherus en 
In deiner Lage fehr willlommen fein. 


Barus. 
Willkommen mir? Daß ihn die Erd' entraffte! 
Fleuch gleich zu ſeinen Schaaren hin, 
Und tut mir den Septimius, hörft du, 
Den Yeldherrn her, den ich ihm zugeordnet! 
Dahinter, fürcht' ich fehr, ftedt eine Meuterei, 
Die ich fogleih an’8 Tageslicht will ziehn! 





Neunter Anftritt. ’ 


Ariſtan, Fürſt der Ubier, tritt eilig auf. Die Borigen, 


Ariſtau. 
Verrätherei! Verrätherei! 
Marbod und Herrmann ſtehn im Bund, Quintilius! 
Den Teutoburger Wald umringen fie, 
Mit deinem ganzen Heere dich 
In der Moräfte Tiefen zu erjtiden! 
Barus. 
Daß du zur Eule werden müßteſt 
Mit deinem mitternächtlichen Geſchrei! 
— Woher kommt dir die Nachricht? 


Ariſtan. 
Mir die Nachricht? — 
gier lies den Brief, bei allen Römergöttern! 
en er mit Pfeilen eben jebt 
Ließ in die Feu'r der Deutfchen ſchießen, 
Die deinem Heereszug hierher gefolgt! (Gr giebt ihm einen Zettel.) 
Er ſpricht von Freiheit, Vaterland und Wache, 
Ruft ung — ich bitte dich! der gift’ge Menter, auf, 
Uns muthig feinen Schaaren anzufchließen, 
Die Stunde hätte deinen Heer gefchlagen, 
Und droht jedwedes Haupt, das er ın Waffen 
Erſchauen wird, die Sahe Roms verfechtend, 
Mit einem Beil vom Kunıpf berob zun Fuß 
Auf der Germania heil'gen Grund zu nöth’gen! 


349 


Barus 
(nachdem er geleſen). 


Was ſagten die german'ſchen Herrn dazu? 


Ariſtau. 

Vas ſie dazu geſagt? die  gleißnerifchen Gauner! 

Sie fallen alle von dir ab 
guft rief zuerft, der Eimbern Fürſt, 

ie Andern Er auf diefes Blatt zufanmen; 
Und unter einer Fichte eng 
Die Häupter aneinander drüden 
Stand einer Glude gleich die Wete der Rebellen, 
Und brütete, die Baffen plufternd, 
Gott weiß, welch eine Unthat aus, 
Mordvolle Blick auf mich ge Seite werfend, 
Der aus der Ferne fie in „and um 


fharf). 
- Und du, VBerräther, folgft dem uff nicht ? 


Ariſtan. 
Wer? ich? dem Ruf Armins? — Zeus Donnerkeil 
Soll mich hier gleich zur Erde ſchmettern, 
Wenn der Gedank' auch nur mein Herz beſchlich! 


BVarus. 

Gewiß? gewiß? — Daß mir der ſchlechtſte ju 
Von allen deutjchen Furſten bleiben A r 
Doch kann es anders fein? — D Herrmann! Herrmann! 
So kann man blondes Haar ı und blaue Augen haben, 
Und doch fo falfch fein wie ein Punier? 

Auf! noch iſt Alles nicht verloren. — 
Publius Sertus! 


Zweiter Feldherr. 
Was gebeut mein Feldherr? 


Barus. 

Nimm die Sabo orten, die den Schweif mir bilden, 
Und wirf die eutfche er al gleich, 
Die meinem Zug bierher ge —E—— 
Zur Hölle mitleidlos, e entjchloffen, 
Die ganze Meuterbrut fe 
E3 fehlt mir hier an Striden fie zu binden! 

(Er nimmt Schild und Spieß aus der Hand eines Römers.) 
Ihr aber — folgt mir zu den ſegionen! 
Arminius, der Verräther, wähnt 
Mich durch den Anblick der Gefahr zu ſchrecken; 
Laß ſehn, wie er ſich faſſen wird, 


350 


Denn ic, die Waffen in der Hand, 
Gleich einem Eber jett hinein mich ftürze! (He ab.) 





Scene: Eingang bes Teutoburger Waldes. 


Zehuter Auftritt. 


Egbert mit mehreren Felb 5 en I, verſammeit. Fadeln. Im 
Egbert. 
ier, meine Freunde! Sammelt euch um mid! 
ch will das Wort euch yet führen! 
Denkt, daß die Sueven Deutſche find wie ihr: 
Und wie ſich feine Red’ auch wendet, 
Berharrt bei eurem Entſchluß, nicht zu fechten! 


| Erfter Feldherr. 
Hier kommt er ſchon. 


Ein Hauptmann. 
Doch rath' ich Vorſicht an! 





Eilfter Auftritt. 


Herrmann und Winfried treten auf. Die Borigen. 
Herrmann 
(in die Ferne ſchauend). 
Siehft du die Feuer dort? 
Winfried, 
Das ift der Marbod! — 
Er giebt das Zeichen dir zum Angriff fchon. 
Herrmann, 
Raſch! — daß ich feinen Augenblid verliere. 
(Er tritt in die Berfammlung.) 
Kommt ber, ihr Feldherrn der Cherusfer! 
Ich hab’ euch etwas Wicht’ges zu entdeden. 
Egbert 
(indem er vortritt). 
Mein Fürft und Herr, eh du das Wort ergreift, 
Sergöunft auf einen Augenblid, 
In deiner Gnade, du die Rede mir! 


Dir? — Rede! derzmann. 


351 


Egbert, 

Wir folgten deinem Ruf 
In's Held des Tods, du weißt, vor wenig Wochen, 
Im Wahn, den du getan erregt, 
Es gelte Rom und die Tyrannenmacht, 
Die unfer heil’ges Vaterland zertritt. 
Des Tages neuefte, unfelige Gefchichte 
Belehrt ung doch, daß wir uns ſchwer geirrt: 
Dem Auguft haft du dich, dem Feind des Reich, verbunden, 
Und rüdit um eines niht’gen Streits 
Marbod, dem deutfchen Voͤlkerherrn, entgegen. 
Cherusfer, hättft du wiſſen können, 
Leihn wie die Ubier fih und Aeduer nicht, 
Die Sklavenlette, die der Römer bringt, 
Den deutſchen Brüdern um den Hals zu legen. 
Und furz, daß ich's, o Herr, mit einem Wort dir melde: 
Dein Heer vermeigert muthig, dir den Dienft; 
Es folgt zum Sturm nad) Rom dir, wenn du millit, 
Doch in des wadern Marbod Lager nicht. 


Herrmann 

(Rleht ihn an). 

Mas! hört’ ich recht? 
Winfried. 

Ihr Götter des Olymps! 


' Herrmann, 
Ihr weigert, ihr Verräther, mir den Dienft? 


Winfried (roniſch). 
Sie weigern dir den Dienft, du börft! fie wollen 
Nur gegen Barus Legionen fechten! 


Herrmann 
(inden ex ſich den Helm in die Augen drüdt). 
Nun denn, bei Wodans erz'nem Donnerwagen, 
So fol ein grimnig Beifpiel doch 
Solch eine (Älcchte Regung in dir trafen! 
— Gieb deine Hand mir her! 
(Ex ſtredt ihm die Hand Bin.) 
Egbert. 
Wie, mein Gebieter? 
Herrmann, 


Mir deine Hand! ſag' ich, du follft, du Römerfeind, 
Noch heut auf ihrer Adler einen 


352 
Im dichteften Gedräng des Kampfs mir treffen! 
Noch eh die Sonn’ entwich, das merk dir wohl, 
Legſt du ihn hier zu Füßen nic darnieder! 
Egbert. 
Auf wen, mein Fürft? vergieb, daß ich erflaune! 
Iſt's Marbod nicht, dem deine Rüftung — 


Herrmann. 
Marbod ? 


‚ihr Brüder, müßt ihr wiffen, 


Winfried. 
Das war's, was Herrmann euch zu jagen hatte. 


Egbert (freudig). 
Ihr Götter! 
Die Feldherrn und Hanptlente 
(durcheinander). 
Tag des Jubels und der Freude! 
Das Chernsterheer 
(jauchzend). 
geil, german, Heil dir! Heil, Sohn Siegmars, dir! 
aß Wodan dir den Sieg verleihen mög’! 





Zwölfter Auftritt. 


Ein Cherusker tritt auf. Die Berigen. 
Der Chernster. 
Geptimius Nerva kommt, den du gerufen! 


Herrmann. 
Still, Freunde, ftill! das ift der Halsring von der Kette, 
Die der Cheruska angethan; 
Jetzt muß das Werk der Freiheit gleich beginnen. 
Winfried, 
Wo war er? 


353 


errmann. 
Dei dem Brand in Arkon, nicht? 
Befchäftiget zu retten und zu helfen? 
Der Cherusker. 
In Arkon, ja, mein Fürft; bei einer Hütte, 
Die durch den Römerzug in Feuer aufgegangen. 
Er fchüttete gerührt dem Eigner 
wer volle Sädel Geldes aus! 
et Gott! der ift zum reihen Mann geworden, 
Und wünſcht noch oft ein gleiches Unheil fid). 
Herrmann, 
Das gute Herz! 


Winfried, 
Mo ftahl er doch die Sädel? 


Herrmann, 

Dem Nachbar auf der Rechten oder Tinten ? 
Winfried. 

Er preßt mir Thränen aus. 


Herrmann. 
Doch ftill! da kommt er. 


v 


— — 


Dreizehnter Auftritt. 
Septiminß tritt auf. Die Vorigen. 

Herrmann (kalt). 
Dein Schwert, Septimius Nerva, du mußt fterben. 

Septimin®, 
— Mit wenn fpredy’ ih? 

Herrmann. 

Mit Herrmann, dem Cheruster, 

Germaniens Retter und Befreier 
Bon Roms Thyrannenjoch! 

Septimins, 

Mit dem Armin? — 

Seit wann führt der fo ftolge Titel? 


‚Herrmann 
Seit Auguft fich fo niedre zugelegt. 
Septimius. 
So iſt es wahr? Arminius ſpielte falſch? 
Verrieth die Freunde, die ihn ſchützen wollten? 
Herrmann. 
Verrieth euch, ja; was ſoll ich mit dir ſtreiten? 
Wir ſind verknüpft, Marbod und ich, 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. I. 23 


354 


Und werden, wenn der Morgen tagt, 
Den Barus hier im Walde überfallen. 


Septimiuß, 
Die Götter werden ihre Söhne fhüten! 
— Hier ift mein Schwert! 
Herrmann 
(indem er das Schwert wieder weggiebt). 
Führt ihn hinweg, 
Und laßt fein Blut, das erfte, gleich 
Des Baterlandes dürren Boden trinken! 
(Zwei Cherusker ergreifen ihn.) 
Septimin®, 
Wie, du Barbar? mein Blut? das wirft du nicht — 


Herrmann. 

Warım nicht? oo 

Septimind (mit Würde). 

— Reil ich dein Gefangner bin! 

An deine Eiegerpflicht erinnr' ich dich! 
Herrmann (auf fein Schwert geſtützt). 

An Pflicht und Recht! fieh da, fo wahr ich lebe! 

Er hat das Bud) von Cicero gelefen. 

Was müßt’ ich thun, fag an, nad) diefem Werf? 
Septiminß. 

Nach diefem Werk? arınfel’ger Spötter, du! 

Mein Haupt, das wehrlos dor dir fteht, 

Soll deiner Drache heilig fein; 

Alfo gebeut dir das Gefühl des Rechts, 

In deines Bufens Blättern aufgefchrieben! 


Herrmann 
(indem er auf ihn einfchreitet). 
Du meißt was Recht ift, du verfluchter Bube, 
Und fanıft nad) Deutichland, unbeleidigt, 
Um uns zu unterdrüden? 
Nehmt eine Keule doppelten Gewichts, 
Und ſchlagt ihn todt! 


Fuh —ã— 26 terlieg" ich 
ührt mich hinweg! — Hier unterlieg’ i 
Weil ih mit Helden würdig nid Eu tbun? m 
Der das Gefchlecht der königlichen Menfchen 
Befiegt in Oft und Welt, der ward 
Bon Hunden in Germanien zerriffen: 
Das wird die Infchrift meines Grabmals fein! 

(Er geht ab; Wache folgt ihn.) 


355 


Das Heer (in der Ferne). 
Hurrah! Hurrah! der Nornentag bricht an! 





Bierzehnter Auftritt. 
Die Berigen ohne den Geptimius. 


Herrmann. 
Stedt das Fanal in Brand, ihr Freunde, 
Zum Zeichen Marbod und den Sueven, 
Daß wir nımmehr zum Schlagen fertig find! 
(Ein Fanal wird angeftedt.) 
Die Barden! he! wo find die füßen Alten 
Mit ihrem herzerhebenden Geſang? 


Winfried. 
Ihr Sänger, he! wo ftedt ihr? 
Egbert. 
90, {hau ber! 
Dort auf dem Hügel, wo die Fadeln ſchimmern! 
Winfried. 


Horch! fie beginnen dir das Schlachtlied ſchon! «Mufit.) 


Chor der Barden 
(aus der Ferne). 
Wir litten menfchlich feit dem Tage, 
Da jener Fremdling eingerüdt; 
Wir rächten nicht die erfte Plage, 
Mit Hohn auf uns herabgeihidt; 
Wir übten nach der Götter Lehre 
Uns F viel Jahre im Derzeibn: 
Doc endlich drüdt des Joches Schwere, 
Und abgejchüttelt will es fein! 
ee en Ba Sr he 
Winfried (nägert fid ihm). 
Mein Fürft, vergieb! die Stunde drängt, 
Du wollteſt ung den Plan der Schladht — 


Herrmann (mendet fid). 
Gleich, gleich! — 
Du, Bruder, ſprich für mich, ich bitte dich. 
(Er ſinkt heftig bewegt wieder an die Eiche zurück.) 
Ein Hauptmann, 
Was fagt er? 
93% 


356 
Ein Anderer. 


Winfried. 
Laßt ihn. Er wird ſich faffen. 
Kommt ber, daß ich den Schlachtplan euch entdede! 
(Er verfammelt die Anführer um fi.) 
Wir flürzen und, das Heer zum Keil geordnet, 
Qeremanı und ich vorn an der Spiße, 
rad auf den Da des Auguftus ein. 
Sobald ein Riß das Römerheer gefprengt, 
Nimmft du die erfte Legion, 
Die ameite du, die dritte du! 
gr (ittern völlig fällt es auseinander. 
as Endziel if, den Marbod zu erreichen; 
Wenn wir zu diefem mit dem Schwert 
Uns fämpfend einen Weg gebahnt, 
Wird der uns weitere Befehle geben. 
Chor der Barden 
(fällt wieber_ein). 
Du wirft nicht wanfen und nicht weichen 
Vom Amt, das du dir uhn erhöht, 
Die Regung wird dich nicht beſchleichen, 
Die dein getreues Volk verräth; 
Du biſt fo mild, o Sohn der Götter, 
Der Frühling kann nicht milder fein: 
Sei ſchrecklich heut, ein Schloſſenwetter, 
Und Blitze laß dein Antlitz ſpein! 
(Die Muſit ſchweigt. — Kurze Pauſe. — Ein Hörnertufch in der Ferne.) 
Egbert. 


Was ? 


Ha! was war das? 
Herrmann 
(in ihre Mitte tretend). 
Antwortet! dad mar Marbod! 
(Ein Hörnertufd) in der Nähe.) 

Auf! — Mana und die Helden von Walhalla! (Er Brit auf.) 
Ein W 5 ee it in ri Dh PR 

in Wort, mein Herr und Herrfcher! Winfried! hört mich! 
Wer nimmt die Deutichen, das ih aßt ihr, 
Die fih dem Zug der Römer angelhloffen? 


Herrmann. , 
Niemand, mein Freund! es foll Kein deutfches Blut 
An diefem Tag von deutjchen Händen fliegen! 


Egbert. 
Was! Niemand! hört’ ich reht? Es wär’ dein Wille — 





357 


german 

Niemand! jo wahr mir Wodan helfen mög’! 

Sie find mir heilig; ich berief fie, 

Sich muthig unfern Schaaren anzufchließen. 
Egbert. 

Was! die Berräther, Herr, willſt du verfchonen, 

Die grimm’ger als die Römer jelb 

In der Cherusfa Herzen wütheten? 


. Herrmann. 
Bergebt! vergeßt! verföhnt, umarmt und liebt euch! 
Das find die Waderften und Beften, 
Wenn es nunmehr die Römerrate gilt! — 
ginneg! — verwirre das Gefühl mir nicht! 

arus und die Cohorten, fag’ ıch dir, 
Das it der Feind, dem diefer Bufen ſchwillt! «Ate a6.) 


Scene: Teutoburg. Garten hinter dem Pürfienzelt. Im Bintergrund ein eifernes 
Bitter, dad in einen von Felſen eingefchloffenen öden Eichwald führt. 


Funfzehnter Auftritt, 


Thuduelda und Gertrud treten auf. 
Thusnelda. 


Was war's, ſag an, was dir Ventidius geſtern, 
Auguſts Legat, geſagt, als du ihm früh 
Im Eingang des Gezelts begegneteſt? 
Gertrud. 

Er nahm mit fchüchterner Geberde, meine Königin, 
Mich bei der Hand, und einen Ring 
An meinen Finger flüchtig ftedend, , 
Bat und befhmwor er mid), bei allen Kindern Zeus’, 
Ihm in Geheim zu Naht Gehör zu fehaffen 
Bei der, die feine Seele innig liebt. 
Er ſchlug auf meine Frage: mo? 
gie Dielen Part mir vor, wo zwiſchen Felſenwänden 

as Volk ſich oft vergnugt, den Ur zu hetzen; 
dir meint' er, ſei es ſtill wie an dem Lethe, 

nd feines laßz gen Zeugen Blid zu fürchten, 


Als nur der Mond, der ihm zur Seite buhlt. 
Thusnelda. 
Du haſt ihm meine Antwort überbracht? 


Gertrud. 
Ich ſagt' ihm: wenn er deut beim Untergang des Mondes, 
Eh nod der Hahn den Tag befräht, 


358 


Den er den er meint, bejuchen wollte, 
Würd’ ihn daſelbſt die sanbeöfüritin, 

Sie, deren Seele heiß ihn liebt, 

Am Eingang gleih zur Seite rechtS empfangen. 


Thusnelda. 
Und nun haſt du der Bärin wegen, 
Die Herrmaun jüngſt im Walde griff, 
Mit Childrich, ihrem Wärter, dich beſprochen? 
Gertrud. 
Es iſt geſchehn, wie mir dein Mund geboten; 
Childrich, der Wärter, Kun: fie ſchon heran. — 
Do, meine große Herricheri 
Hier werf' ich mich zu Füßen dir: 
Die Rache der Barbareır ſei dir fern! 
Es iſ Ventidius nicht, der mich mit Sorg' erfüllt; 
Du ſelbſt, wenn nun die That gethan, 
Bon Reu und Schmerz wirft du zujanmenfallen! 
Thusnelda. 
ginmeg! — er hat zur Bärin mich gemadt; 
rminius will ich wieder würdig werden. 





Schzehnter Auftritt. 
Chiiderich tritt auf, eine Bärin an einer Kette führend. Die Borigen. 
Childerich. 
Heda! ſeid ihr's, Frau Gertrud? 
Gertrud (feht auf). 


| Gott im Himmel! 
Da naht der Allzupünktliche fih ſchon! 


Childerid. 
Hier ift die Bärin. 
Gertrud, 
%o? 
Childerich. 
Seht ihr ſie nicht? 
Gertrud. 
Du haſt ſie an der Kette, will ich hoffen? 


Childerich. 
An Kett' und Koppel. — Ach, ſo habt euch doch! 
Wenn ich dabei bin, müßt ihr wiſſen, 
Iſt ſie ſo zahm wie eine junge Katze. 
Gertrud. 
Gott möge ewig mich vor ihr bewahren! — 


359 


'S ift gut, bleib mir nur fern, bier ift der Schlüſſel; 
Thu fie hinein und ſchleich dich wieder weg, chlüſſel; 
Childerich. 
Dort in den Park? 
Gertrud. 


Ja, wie ich dir geſagt. 
Spttberig 
Mein Seel, ich hoff’, jo lang die Bärin drin, 
Wird Niemand anders ſich der Pforte nahn? 


Gertrud. 
Kein Menſch, verlaß dich drauf! es ijt ein Scherz nur, 
Den meine Frau fih eben machen will. 

Ehilderid. 
Ein Scherz? 

Gertrud, 


Sa, was weiß ich? 
Childerich. 
| Was für ein Scherz? 
Gertrud. 
Ci, fo frag du — Fort! in den Park hinein; 
Ich kann das Thier nicht mehr vor Augen jehn! 
Chil derich. 
Nun, bei den Elfen, hört, nehmt euch in Acht; 
Die ing hat, wie ihr befahlt, 
Nun jeit zwölf Stunden nichts gefrefien; 
Sie würde Witz von grimm’ger Art euch machen, 
Wenn's euch gelüften —* ſie zu necken. 
(Er läßt die Bärin in den Park und ſchließt ab.) 


Gertrud, 


Feſt! 
deſt Childerich. 
Es iſt alles gut. 
Gertrud. 


Ich ſage, feſt! 
Den Riegel auch noch vor, den eiſernen! 
Chil derich. 
Ach, was! ſie wird doch keine Klinke drücken? 
Hier iſt der Schlüſſel! 
Gertrud. 
Gut, gieb her! — 
Und nun entfernſt du dich in das Gebüſch, 
Doch ſo, daß wir ſogleich dich rufen können. — 
(Ehilderich geht ab.) 


360 


Schirmt, all ihr guten Götter, mid! 
Da ſchleicht der Unglückſel'ge fchon heran! 


Siebzehnter Auftritt. 


Ventibdins tritt auf. Zhuöuelde und Gertrud, 
Bentidins, 
Dies ift der ftille Bart, von Bergen eingefchlofjen, 
Der auf die Liipelfrage: wo? 
Mir geftern in die trunfnen Sinne fiel! 
Wie mild der Mondſchein dur die Stämme STE 
Und wie der Waldbad fern mit üppigem Geplätjcher 
Bon Rand des hohen Felſens niederrinnt! 
Thusnelda! fomm und löſche diefe Glut, 
Soll ich, gleid) einem jungen Hirsch, 
Das Haupt voran, mich in. die Flut nicht ſtürzen! — 
Gertrud! — fo hieß ja, dünkt mich, wohl die Zofe, 
Die mir verjprach, mid) in den Park zu führen? 
(Gertrud fteht und Fämpft mit fich felbft.) 
Thusnelda 
(mit gedämpfter Stimme). 


Hort! gieic! hinweg! du part gieb ihm die Hand, 


Und führ ihn in den Park hinein! 
Gertrud, 
Öeliebte Königin! 
Thusnelda. 


zlic * I ae Sand 
ort, augenblids, fag’ ich! gieb ihm die Hand, 
Und führ ihn in den Parf ein! 
Gertrud (fänt ihr zu Füßen). 
Vergebung, meine Herrfcherin, Vergebung! 
Thusnelda (ihr ausweigend). 
Die Närrin, die verwünſchte, die! fie auch 
Iſt in das Affenangeficht verliebt! 
(Sie reißt ihr den Schlüffel aus der Hand und geht zu Bentidius.) 
Ventidius. 
Gertrud, biſt du's? 
Thusnelda. 


Ich bin's. 
Beutidius. 
O ſei willkommen, 
Du meiner Juno ſüße Iris, 
Die mir Elyſium eröffnen fol! — 


361 


: Komm, gieb mir deine Hand und leite mich! 
— Mit wem ſprachſt du 
Thusnelda. 
Thusnelden, meiner Fürſtin. 
Bentidius. 
Thusnelden! wie du gic entzückſt! 
ir wär' die Göttliche ſo nah? 
Thusnuelda. 
Im Park, dem Wunſch gemäß, den du geäußert, 
Und heißer Brunſt voll harrt ſie ſchon auf dich! 
Bentidius. 
O ſo eröffne ſchnell die Thore mir! 
Komm her! der Saturniden Wonne 
Erfegt mir folde Augenblide nicht! 


(Thuenelda läßt ihn ein; wenn er die Thür Hinter fih hat, twirft fie diefelbe mit 
ı ß ——— zu, und zieht ben Schlüſſel Pat ſt fie bie 


Adhtzehnter Auftritt. 
Bentibiuß innerhalb des Gitters. Thuſneſda und Gertrud. Nachher Childerich, 
der Zwingerwärter. 
Bentidins (mit Entſetzen). 
Zeus, du der Götter und der Menichen Bater! 
Was für ein Höllen- Ungethüm erblid’ ich? 
Thusnelda (dur das Gitter). 
Was giebt's, Bentidius? was erjchredt did) fo? 
Bentiding, 
Die zottelſchwarze Bärin von Cherusfa 
Steht nit gezlidten Tagen neben mir! 
Gertend (in die Scene eilend). 
Du Zurie, gräßlicher, al8 Worte jagen — 
— He, Childerich! herbei! der Zwingerwärter! 
Thusnelda. 
Die Bärin von Cheruska? 
Gertrud. 
Childrich! Childrich! 
Thusnelda. 
Thusnelda, biſt du klug, die Jurgin iſt's, 
Von deren Haupt, der Livia zur Probe, 
Du jüngſt die ſeidne Locke abgelöſt! 
Laß den Moment, dir günſtig, nicht entſchlüpfen, 
Und ganz die Stirn, jetzt ſchmeichelnd, ſcheer ihr ab! 
I Bentibins,? 
Zaus du der Götter und der Menſchen Vater, 
Sie bäumt ſich auf, es iſt um mich geſchehn! 


362 


Chil derich (tritt auf). 
Ihr Rafenden! mas giebt's? was machtet ihr? 
Ben liegt ihr in den Zwinger ein, jagt an? 
Gertrud. 
Bentidius, Childrih, Noms Legat, ift es! 
Errett ibn, befter aller Menfchenkinder, 
Eröffn’ den Pfortenring und mad) ihn frei! 
Childberid. 
Ventidius, der Legat? ihr heil’gen Götter! 
(Er bemüht fi) das Gitter zu Öffnen.) 
Thusneldea 
(dur das Gitter). 
Ach, wie die Borften, Liebſter, Schwarz und ftarr 
Der Fivia, deiner Kaiferin, en fehn, 
Wenn fie um ihren Naden niederfallen ! 
Statthalter von Cheruska grüß’ ich dich! 
Das ift der mindite Lohn, du treuer Kuecht, 
Der dich für die Gefälligkeit erwartet! 
Bentidins, 
Jens du der Götter und der Menjchen Bater, 
ie fchlägt die Klau'n in meine weiche Bruft! 


Thusnelda. 


Childerich. 
Wo iſt der Schlüſſel, Gertrud? 
Gertrud, 
Der Schlüffel, Gott des Himmels, ftedt er nicht? 


Childerich. 


Thusneld'? o was! 


Der Schlüſſel, nein! 
Gertrud, 
Er wird am Boden liegen. 
— Das Ungeheu’r! ſie hält ihn in der Hand. 
(Auf Thusnelda deutend.) 
Bentidins (ihmerzwol). 
Weh mir! weh mir! 
Gertrud (u Childerich). 
Reif ihr das Werkzeug meg! 
Thusuelda. 
Sie ſträubt ſich dir? 
Childerich 


(da Thusnelda den Schlüſſel verbirgt). 
Wie, meine Königin? 


363 


Gertrud, 
Reiß ihr das Werkzeug, Childerich, hinweg! 
(Sie bemühen fig, ihr den Schlüffel zu entwinden.) 
Ventidius. 
Ach! o des Jammers! weh mir! o Thusnelda! 


Thusnelda. 
Sag ihr, daß du ſie liebſt, Ventidius, 
So hält ſie ſtill und ſchenkt die Locken dir! 
(Sie wirft den Schlüffel weg, und fällt in Ohnmacht.) 

Die G züch gh Gertrud. lemãchte! 

ie Gräßliche! — Ihr ew'gen Himmelsmächte! 
Da fällt ſie ſinnberaubt mir in En Arm! 

(Sie lägt die Fürftin auf einen Sit nieder.) 


Neunzehnter Auftritt. 


Uſtolf und ein Haufen herusfifher Krieger treten auf. Die Vorigen. 


Aftolf. _ 
Mas giebt’3, ihr Frau’n? was für ein Jammerruf, 
Als ob der Mord entfellelt wäre, 
Schalt aus dem Dunkel jener Eichen dort? 
Childerid,. 
Fragt nicht und kommt und helft das Gitter mir zerfprengen! 


(Die Sheruster ftärzen in den Part. Pauſe. — Fald darauf bie Leiche des Ben⸗ 
tidiu®, von den Cherusfern getragen, und Childerich mit der Bärin.) 


Aſtolf 
(läßt die Leiche vor ſich niederlegen). 

Ventidius, der Legate Roms! — | 
Nun, bei den Göttern von Walhalla, 
So hab’ id) einen Epieß an ihm gefpart! 

Gertrud 

(au$ den Hintergrund). 

Helft mir, ihr Leut', in’8 Zelt die Fürſtin führen! 


Aſtolf. 
elft ihr! 
ven th Ein Cherusker. 
Bei allen Göttern, welch ein Vorfall? 


Aſtolf. 
Gleichviel! gleichviel! auf! folgt zum Craſſus mir, 
Ihn, eh er noch die That HH 
Ventidius dem Legaten nachzuſchicken! (aue a6.) 


—— — — 


364 


Scene: Teutoburger Wald. Schlachtfeld. Es ift Tag. 


Zwanzigfter Auftritt. - 


Varbod, von Feldherren umringt, fteht anf einem Hügel und ſchaut in die Berne. — 
Kemar tritt auf. 


Komar. 
Sieg! König Marbod! Sieg! und wieder, Gieg! 
Bon allen zwei und dreißig Seiten, . " 
Durch die der Wind in Deutfchlands Felder bläft! 


Marbod 
(von dem Hügel herabſteigend). 


Wie fteht die Schlacht, fag an? 
Ein Feldherr. 
Laß hören, Komar, 
Und fpar die Iufterfüllten Worte nicht! 


Komar, 

Wir rüdten, wie du weißt, beim erften Strahl der Sonne, 
Arminius' Plan gemäß, auf die Legionen 103; 
Doch bier im Schatten ihrer Adler, 
dier wüthete die Zwietracht —* 

ie deutſchen Völker hatten ſich empört, 
Und riſſen heulend ihre Kette los. 
Dem Varus eben doch — der ſchnell, mit allen Waffen, 
Dem pfeilverletzten Eber gleich, 
Auf ihren Haufen fiel, erliegen wollten fie: 
Als Brunold hülfreih jchon mit deinem Heer erjchien, 
Und ehe Herrmann noch den Punkt der Schlacht erreicht, 
Die Schlacht der Freiheit völlig ſchon entſchied. 
Berichellt ward nun das ganze Römerheer, 
Gleich einem Schiff, gewiegt in Klippen, 
Und nur die Scheitern hilflos irren 
Noh auf dem Ocean des Siegs umher! 


Marbod. 
So traf-mein Heer der Sueven wirklich 
Auf Varus früher ein, als die Cherusfer? 


Komar. 
Sie trafen N Arminius jetbft, . 
Er wird gejtehn, daß du die Schlacht gewannſt! 
Marbod. 
Auf jetzt, daß ich den Trefflichen begrüße! (Atte ab.) 





365 
Einundzwanzigfter Anftritt, 


Barnes 
(tritt verwundet auf). 
Da finft die große Weltherrihaft von Rom 
Bor eines Wilden Wiß zufammen, 
Und fommt, die Wahrheit zu eiteon, 
Mir wie ein dummer Streich der Knaben vor! 
Rom, wenn, gebläht von Glüd, du mit drei Wiürfeln doch 
Nicht Re Augen werfen wollteft! 
Die Zeit no eh fih wie ein Handſchuh um, / 
Und über uns feh’ ich die Welt regieren 
Idwed Horde, die der Kitzel treibt. — 
a naht der Derwiſch mir, Armin, der Fürſt der Uren, 
Der dieſe Sprüche mich gelehrt. — 
Der Rhein, wollt’ ich, wär’ zwiſchen mir und ihm! 
Ih warf, von Scham erfüllt, dort in dem Schilf des Moors 
Mich in des eignen Schwerte Spike fchon; 
Doch meine Rippe, ihm verbunden, 
mefirmte nich; mein Schwert zerbrad, 
Und nun bin ich dem feinen aufgeipart. — 
Fand’ ich ein Pferd nur, das mich rettete. 





Zweiundzwanzigfter Auftritt. 


Herrmann mit blogem Schwert, von der einen Seite, Fuſt, Fürſt der Cimbern 
Gueltar, Fürft der Nervier, von der andern, PER A uf Barad. und 


Herrmann, 
Steh, du Tyrannenknecht, dein Reich ift aus! 


Fuſi. 


Gueltar. 
Steh, Wolf vom Tiberſtrande, 
Hier ſind die Jäger, die dich fällen wollen! 
(Fuſt und Gueltar ſtellen ſich auf Herrmanus Seite.) 


Steh, Höllenhund! 


VBarus 
(nimmt ein Schwert auf). 
Nun will ich thun, als führt' ich zehn Legionen! — 
Komm ber, du dort im Fell des zott’gen Löwen, 
Und laß mich fehn, ob du Herafles bift! 
(Herrmann und Barus bereiten fich zum Kampfe.) 
Fu ſt 
(ſich zwiſchen fie werfend). 
Halt dort, Armin! du haſt des Ruhms genug. 


Gueltar (eben fo). 
Halt, fag’ aud ich! 


— 


366 


Fuſt. 
Quintilius Varus 
Iſt mir, und wenn ich ſinke, dem verfallen! 


Herrmann. 

Wem! dir? euh? — Ha! fieh da! mit welchem Recht? 
Fuſi. 

Das Recht, bei Mana, wenn du es verlangſt, 
Mit Blut Igreib ih’8 auf deine ſchöne Stirn! 
Er hat in Schmadh und Schande mich geftürzt, 
An Deutfehland, meinem Baterlande, 
Der Mordfneht, zum Verräther mich gemacht: 
Den Schandfled waſch' ich ab in feinem Blute, 
Das hab’ ich get, das mußt du wiſſen, 
Geftredt am Boden heulend, mir, 
ALS mir dein Brief kam, Göttlicher, gelobt! 


Herrmann. 
ln am Boden heulend! ſei verwünſcht, 
Gefallner Sohn des Teut, mit deiner Reue! 
Sol id, von Schmad dich rein zu wafchen, 
Den Ruhm, beim Yupiter, entbehren, 
Nach dem ic durch zmölf Jahre treu geftrebt ? 
Komm her, —9 aus und triff — und verflucht ſei, 
Wer jenen Römer eh berührt, 
ALS diefer Streit fi) zwiſchen uns gelöft! (Sie fechten. 

Barns (für fic). 

Ward ſolche — im Weltkreis ſchon erlebt? 
Als wär' ich ein gefleckter Hirſch, 
Der mit zwölf Enden durch die Forſten bricht! — 


(Hereniann hält inne.) 


Gueltar. 
Sieg, Fuſt, halt ein! das Glück hat dir entſchieden. 


uf. 
Wem? mir? — Neun, fpridh! 
Gueltar. 


Beim Styr! er kann's nicht läugnen. 
Blut röthet ihm den Arm! 


Fuſi. 
Was! traf ich dich? 
Herrmann 
(indem er fi den Arm verbindet). 
IH will's zufrieden fein; dein Schwert fällt gut. 
Da nimm ıhn hin, man kann ihn dir vertraun. 
(Er geht, mit einem tödtenden Blick auf Varus, auf die Seite.) 


“ 


367 


Varus (mätknd). 

Zus dieſen Ucbermutt hilfſt du mir ftrafen! ) 
u jchnöder, pfauenftolzer Schelm, 

. Der du gefiegt, heran zu mir; 

Es fol der Tod fein, den du dir errungen! 


auf. 
Der Tod? nimm di in Acht! auch noch im Tode 
Zapf ih das Blut dir ab, das rein mich wäſcht. 
(Sie fechten; Varus fällt.) 
' Baruß. 
Rom, wenn du fällft, wig ich: was millft du mehr? (Ge niet) 
Das Gefolge 
Triumph! Triumph! Germaniens Todfeind ftürzt! 
geil, Fuft, dir! Heil dir, Fürft der Eimbern! 
er du das Vaterland von ihm befreit! (Paufe.) 


vu, 
Herrmann! mein Bruderherz! mas hab’ ich dir gethan! 
(Er fällt ihm um den Hals.) 


Herrmann, 
Nun, es ift alles gut. 
Gneltar 
(umdaljet ihn gleichfalls). 
Du bift verwundet — 


Fu. 
Das Blut des beften Deutſchen fällt in Staub. 


Herrmann. 
Sa, allerdings, 


Fuſt. 
Daß mir die Hand verdorrte! 
Gueltar. 
Komm her, ſoll ich das Blut dir ſaugen? 


Fuſt. 
Mir laß — mir, mir! 
Herrmaun. 
Ich bitt' euch, meine Freunde — 
Fuſt. 
Herrmann, du biſt mir bös, mein Bruderherz, 
Weil ich den Siegskranz ſchelmiſch dir geräaubt! 
Herrmann. 
Du bift nit Flug! vielmehr, es macht mich lachen! 
Laß einen Herold gleich nur kommen, 


368 


Der deinen Namen auspofaune; 
Und mir ſchaff einen Arzt, der mich verbindet. 
(Er lacht und geht ab.) 


Das Gefolge, 
Kommt! hebt die Teiche auf, und tragt fie fort! 
(Alle ab.) 


Scene: Teutoburg. Pla unter Trümmern. 


Dreiundzwauzigſter Auftritt. 


Thuknelda mit ihren rauen. Ihr zur Seite Egingarbt und Aſtolf. Im Hinter⸗ 
arunde Well, Tänisfomar, Dagobert, Gelgar. Herrmann tritt auf. Ihm folgen 
Fuſt, Gurlier, Winfried, Egbert und Andere. 

Wolf u. f. w. 
geil Herrmann! Heil dir, Sieger der Cohorten! 

ermaniend Retter, Schirmer und Befreter! 


Herrmann, 
Millfonmen, meine Freunde! 


Thusnelda (an feinem Bufen). 
Mein Geltebter! 


Herrmann (empfängt fie). 
Mein Schönes Thuschen! a rüß' ich dich! 
Wie groß und prächtig haft du Wort gehalten? 
Thusnelda. 
Das iſt geſchehn. Laß ſein. 


Herrmann. 
Doch ſcheinſt du blaß? 
(Er betrachtet fie mit Innigkeit. — Pauſe.) 
Wie ſteht's, ihr deutſchen Herrn! was bringt ihr mir? 


Wolf. 

Uns ſelbſt, mit Allem jetzt, was wir beſitzen! 
dauv die Jungfrau, die gelhänbete, 

ie dur, des Baterlandes Einnbild, 
Zerſtückt in alle Stämme haft gefchidt, 

at unfrer Völker Yangmuth aufgezehrt. 
In Waffen fiehft du ganz Germanten lodern, 
Den Gräul zu trafen, der ſic ihr verübt: 
Wir aber kamen her, dich zu befragen, 





369 


Wie du da3 Heer, das wir in's Feld geftellt, 
Im Krieg nun gegen Ron gebrauchen willft ? 


Herrmann, 
Harrt einen Augenblid, bis Marbod kommt, 
Der wird beftimmteren Befehl euch geben! — 


Aſtolf. 
Hier leg' ich Craſſus Schwert zu Füßen dir! 


Herrmann (immi es auf). 
Dank, Freund, für jetzt! die Zeit auch kommt, das weißt du, 
Wo ich dich zu belohnen wiſſen werde! (Gr giebt es weg.) 


Eginhardt, 


Dod bier, o Yen, aan ber! das find die Folgen 
Des Kampfs, den Aftolf mit den Römern tämpfte 
Ganz Zeutoburg fiehft du in Schutt und Afche! 


Herrmann. 
Mag fein! wir bauen uns ein fchönres auf. 


Ein Cherusker (tritt auf). 
Marbod, der Fürft der Sueven, naht fidh dir! 
Du haft geboten, Herr, es dir zu melden. 


Herrmann, 
Auf, Freunde! laßt ung ihm entgegen cilen! 


Letter Auftritt, 


Narbod mit Gefolge tritt auf. Hinter ihm, von einer Wache geführt, Ariſtan, Für 
folg der hierin en. — Bie Barigen- füh Ras, Fürſt 


Herrmann 


(beugt ein Knie vor ihm). 
peil, Marbod, meinen edelmüth’gen Freund! 
nd wenn Germanien meine Stimme hört: 
Heil feinem großen Oberherrn und König! 

Marbod. 
Steh auf, Arminius, wenn ich reden ſoll! 


Herrmann, 
Nicht eh’r, o Herr, als bis du mir gelobt, 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. I. 24 


340 


Nun den Tribut, der uns entzmweite, 
Bon meinem Kämmrer huldreich anzunehmen! 


Marbod. 
Steh auf, ich wiederhol's! bin ich dein König, 
So iſt mein erſt Gebot an dich: ſteh auf! 
(Herrmann ſteht auf. Marbod beugt ein Knie vor ihm.) 

Dell, ruf ich, Herrmann, dir, dem Retter von Germanien! 

nd wenn es meine Stimme bört: 
geil feinem wilrd’gen een und König! 
Das Baterland muß einen Herricher haben, 
Und weil die Krone fonft, zur Zeit der grauen Väter, 
Bei deinem Stamme rühmlich war: 
Auf deine Scheitel falle fie zurüd! 


Die fucvifhen Feldherren. 
geil, errmann! Heil dir, König von Germanien! 
So ruft der Sue’, auf König Marbods Wort! 


Fn ſt Wortretend). 
Heil, ruf' auch ich, beim Jupiter! 


Gneltar. 
Und ich! 
Wolf nud Thniskomar. 
Heil, König Herrmann, ale Deutſchen dir! (Marbod ſieht auf.) 


Herrmann (nmarmt ihn). 
Laß diefe Sach' beim nächften Mondlicht uns, 
Menn die Druiden Wodan opiern, 
In der gefammten Fürften Kath entjcheiden! 


Marbop, 
E3 jei! man ſoll im Rath die Stimmen ſammeln. 
Doch bis dahın, das weigre nicht, 
Gebentft du als Negent und führft das Heer! 


Dagobert und Selgar. 
So ſei's! — beim Opfer fol die Wahl entjcheiden. 


Marbud 
(indem ex einige Schritte zurückweicht). 
gier übergeb’ ich, Oberſter der Deutfchen, (er wintt der Wache) 
en ich in Waffen aufgefangen, 


Ariftan, Fürften dir der bier. 


Herrmann (wendet ſich ab). 
Weh mir! womit muß ic) mein Amt beginnen ? 


® 


34 


Marbod, 

Du wirft nach deiner Weisheit hier verfahren. 

Herrmann (u Arikan). 
Du batteft, du Unfeliger, vielleicht | 
Den Ruf, den ich den deutichen Völkern 
An Tag der Schlacht erlaffen, nicht gelefen ? 

Ariftan (tea). 

Ich Tas, mich dünkt, ein Blatt von deiner per 
Das für Germanien in den Kampf mich rief. 
Jedoch was galt Germanien mir 
Der Fürft bin ich der Ubier, 
Beherrjcher eines freien Staats, 
In Zug und Recht, mid, jedem, wer e8 je, 5 
Und alte auch dem Varus zu verbinden! 

Herrmann. 
Ich weiß, Ariftan; diefe Denkart Fenn’ ic). 
Du bift im Stand und treibft mich in die Enge, 
Zragft, wo und wann Öermanien gemejen ? 
Db in dem Mond? und zn der Rieſen Zeiten ? 
Und was der Witz fonft an die Hand dir giebt; 
Doch jeto, ich verſichre dich, jetzt wirſt du 
Mich ſchnell begreifen, wie ich e8 gemeint: 
Führt ihn hinweg und werft das Saupt ihm nieder! 
j Ariftau (erblapı). 
Wie, du Tyrann! du fcheuteft Dich fo wenig — 


Marbod (Hathfaut zu Wolf). 
Die Lektion ift gut. 
Wolf. 


f 
Das fag’ ich auch. 


Fuſt. 
Was gilt's, er weiß jetzt, wo Germanien liegt? 


Ariftan. 
Hört mich, ihr Brüder — 


Herrmann. 
Führt ihn hinweg! 
Was Tann er jagen, das ich nicht fchon weiß? 
(Ariftan wird abgeführt.) 

Ihr aber kommt, ihr wadern Eder Teuts, 
Und laßt, im Hain der ſtillen Eichen, 
Wodan für das Geſchenk des Siegs uns danken! — 
Uns bleibt der Rhein noch ſchleunig zu ereilen, 
Damit vorerſt der Römer keiner F 


372 


Bon der Germania heil'gem Grund entjchlüpfe: 

Und dann — nad m felbft anutbig, aufzubrechen ! 

Wir oder unfre Enfel, meine Brüder! 

Denn eh doch, ſeh' ih ein, erfchwingt der Kreis der Welt 
or dieſer Mordbrut feine Ru 6, 

Als bis das Raubueſt ganz zerjtört, 

Und nichts, als eine ſchwarze Fahne, 

Don feinen öden Teimmerhaufen weht! 


Inhalt 


Einleitung . -» 
vet Das Käthhen von Hellbronn ober die e Beuerbrabe 


hiſtoriſches NRitterfihaufpiel . 

2 Der zerbrohene Krug. Ein Außpiet . 
Bring Friedrih von Homburg. Ein Schaufpiel . 

Die Herrmannsſchlacht. Ein Drama . 


Ein Ein gie 


Drud vom Bibliographifchen Iuflitut (WR. Wiener) in Hildburghauſen. 


Pibliothek 


der 


Deutſchen Nationalliteratur. 


Herausgegeben 
von | 
Beinrih Kurz. 


— — 


H. v. Kleiſts Werte 


Zweiter Band. 


Hildburghanſen. 
Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts. 
1868. 


Heinrich p. Kleiſts 


geſammelte Werke. 


— — — 


Zweiter Rand. 


Hildburghauſen. 
Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts. 
1868. 





Die 


Samilie Schroffenitein. 


[ect 


Ein Trauerfpiel in fünf Aufzügen. 


Berjonen: 


Nupert, Graf von Schroffenftein, aus dem Haufe Roffit. 
Euftadge, jeine Gemahlin, 

Ottokar, ihr Sohn. 

Johaun, Ruperts natürlider Sohn. 

Sylvins, Graf von Schroffenftein, aus dem Haufe Warwanb, 
Sylvefter, fein Sohn, regierender Graf. 

Gertrude, Sylvefters Gemahlin, Stiefſchweſter der Euftache. 
Agnes, ihre Tochter. 

Jeronimus von Schroffenftein, aus dem Haufe Wyk. 
Alpöbern, 

Sauting, Bafallen Ruperts. 

Fintenring, 

Theiftiner, Bafall Spivefters. 

Nrfule, eine Todtengräberwittwe. 

Barunbe, ihre Tochter. 

Eine Kammerjungfer der Euſtache. 

Ein Kirhenvogt. Ein Gärtner. 

Zwei Wanderer. 

Ritter. Geiftliche. Hofgefinde. 


Das Stüd fpielt in Schwaben, 


Erfier Aufzug. 


Erfte Scene, 


Roffid., Das Innere einer Capelle. 
BEN LESS FU Or Bee er aan 
Die Dieffe ift fo eben beendigt. 
Chur der Mädchen (mit Mufit). 
Niederjteigen, 
Slanzumftrahlet, 
Hımmelshöhen zur Erd’ herab, 
Sah ein Frühling 
Einen Engel; 
Nieder trat ihn ein frecher Fuß. 
Chor der Jünglinge. 
Deflen Thron die weiten Räume deden, 
Deilen Reich die Sterne Grenzen fteden, 
Deſſen Willen wollen wir vollftreden, 
Nahe! Rache! Rache! ſchwören wir. 
Chor der Mädchen. 
Aus dem Staube 
Aufwärts blidt’ er 
Milde zürnend den Frechen an; 
Dat, ein Kindlein, 
Bat um Liebe; 
Mörderd Stahl gab die Antwort ihm. 


Chor der Yünglinge (wie oben). 


Chor der Maädchen. 
Nun im Sarge, 
Ausgelitten, 
Faltet blutige Händlein er, 
Gnade betend 
Seinem Feinde; 
Trotzig ftehet der Feind und fchmeigt. 


8 


Chor ber Jünglinge (mie oben). 
(Während die Muflt zu Ende gebt, Mar fi) die Familie und ihre Gefolge dem 


wöre Rache! Rache ur die Se 
aus Sylvefters, Grafen Schroffenitein. 
(Sr empfängt das Abendmahl.) 
Die Reihe ift an dir, mein Sohn. 
Ottokar. 
Mein Herz 
Er t wie mit Schwingen beinen Fluch zu Gott, 
ch ſchwöre Rache, jo wie du. 


Rupert. 
Den Namen, 
Mein Sohn, den Namen nenne. 


Ottok 


"Fu e ſchwör' i 
Sylveſtern Schroffenſtein! he ſch ich 
Rupert. 
Nein, irre nicht. 
Ein Fluch, wie unſrer, kommt vor — Ohr 
Und jedes Wort bewaffnet er mit Bligen. 
Drum wäge fie gewiffenhaft. Sprich nicht 
Sylveſter, fprich fein — Haus, ſo haſt 
Du's ſichrer. 
Race fämbr’ ih, Mae 
wör' ich, Rache! 
Dem Mörderhaus Shlveſters. 
(Er empfängt das Abendmahl.) 


Rupert. 
Euſtache, 
Die Reihe iſt an dir. 
Euſtache. 
Berfhone mic), 
Ich bin ein Weib — 


Rupert. 
Und Mutter auch des Todten. 
Euftade, 
D Gott! Wie fol ein Weib fich rächen? 
Rupert. 
Gedanken. Würge fie betend. 


(Sie empfängt das Abendmahl.) 
(Rupert führt Euftache in den Borbergrund. Alle folgen.) 


In 


9 


Rupert. 

Ich weiß, Euſtache, Männer ſind die Rächer, 
ir die Slageweiber der Natur. 9 

och nichtS mehr von Natur; 
Ein hold ergögend Märchen iſt's der Kindheit, 
Der Den hei von den Dichtern, ihren Anımen, 
Erzählt. Bertrauen, Unſchuld, Treue, Liebe, 
Religion, der Götter Furcht find mie 
Die Shiere, welche reden. Selbft das Band, 
Das heilige, der Blutsverwandtſchaft riß, 
Und Bettern, Kinder eines Vaters, zielen, 
Mit Dolchen zielen fie auf ihre Brite. 
Ja fieh, die legte Menjchenregung fiir 
Das Weſen in der Wiege ift erloſchen. 
Man ſpricht von Wölfen, welche Kinder fäugten, 
Bon Föwen, die das Einzige der Mutter 
Verſchonten. Ich erwarte, daß ein Bär 
An Oheims Stelle tritt für Ottokar. 
Und weil doch Alles fich gewandelt," Menjchen 
Mit Thieren die Natur gewechjelt, wechſle 
Denn auch das Weib die ihrige, verdränge - 
Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ift, 
Aus ihrem Herzen, um die Folie, 
Den Haß, hineinzufegen. Wir 
gnbe en thun’3 in unfrer Art. Ich biete 

uch meine Lehensmänner auf, mir fchnell 
Bon Mann und Weib und Kind, und was nur irgend 
Sein Leben lieb hat, eine Schaar zu bilden. 
Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke, N 
Nur eine Jagd wird’8 werden, wie nach Schlangen. _' 
Wir wollen bloß das Felſenloch verkeilen, 
Mit Danıpfe fie in de Neſt erftiden, 
Die Leichen liegen laffen, dag von fernber 
Geſtank die Gattung fchredt, und feine wieder 
In einem Erdenalter dort ein Ei legt. 

Euftade. 

D Rupert, mäß’ge dich! Es hat der frech 
Beleibigte den sael, daß die That 
Fom die Befinnung ſelbſt der Rache raubt, 

nd daß in feiner eignen Bruft ein Freund 
Des Feindes auffteht wider ihn, die Wuth. 
Wenn bir ein am Sylveſter ftellt, du läufft 
In deiner Wunde blindem Schmerzgefithl 

inein. — Könntft du nicht prüfen mindefteng 


orher, aufjchieben noch die Fehde? — Ich 


10 


Will nicht den Arm der Rache binden, leiten 
Nur will ich ihn, daß er fo —* treffe. 


Rup 
So, meinft du, foll ich warten. Peters Tod 
ai t rächen, bis ich Ottokar's, bis ich. 
deinen n P: zu rächen hab’ — Aldöbern! 
Sch hin nad) Warwand, Fünd’ge ihm den grieben au 
— Dod ſag's ihm ni t io Sant wie ich hörſt du? 
Nicht mit ſo dürren Worten — Sag, daß ich 
Geſonnen ſei, an feines SchloſſesS helle 
Ein Hochgericht zu bauen. — Wein, ich bitte, 
Du mußt jo matt nicht reden — Sag, ich dürfte 
Nach jein und feines Kindes Blute, Dr du? 
Und feines Kindes Blute. — 
(Er bebedt fi} das Geſicht; ab, mit Gefolge, außer Ottokar und Jeronimus.) 
Jeronimus. 
Ein Wort, Graf Ottokar. 
Ottokar 
Biſt dws, Jerome? 
Willlommen! Wie du fiehit, Fa wir gefääftig, 
Und faum wird mir die Zeit noch bleiben, mir 
Die Rüftung anzupaffen. — Yan was giebt’8? 
Jeronimus. 
Ich komm' aus Warwand. 
Ottokar. 
So? aus Warwand? Nun? 
FJeronimus. 
Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache. 


Ottokar. 
Sylveſters? Du? 
FJeronimus. 
Denn nie ward eine Fehde 


So tollkühn raſch, fo frevelhaft leichtſinni 
Beislofen, als — ’ 3 


Dttolar. 
Erkläre dich. 
Yeronimns, 
F denke, das Erklären iſt an dir. 
abe bier in diefen Bänken wie 
eftanden, 
Gi ein hwarzfünftler Faren vormadt. 


Dttolar. 
Mie? 
Du wüßteſt nichts? 


11 


FJeronimus. 
Du hörſt, ich ſage dir, 

Ich komm' aus Warwand, wo — 2— den 

ge einen Kindermörder jcheltet, 
te Mücken Hatfcht, die um fein Mädchen fummen. 

Dttolar, 
I fo, da8 war es. — Allerdings, man meiß, 
u giltft dem Haufe viel, fte hebe dich 

Stets ihren Freund genannt, ſo ſollteſt du 

Wohl unterrichtet ſein von ihren Wegen. 

Man ſpricht, du freiteſt um die Tochter — Nun, 
ch ſah fie nie, doch des Gerüchtes Stimme 
ühmt ihre Schönheit! Wohl. So iſt der Preis 

Es werth. 

Jeronimnus. 
Wie meinſt du das? 


Ottokar. 
Ich meine, weil — 
Jeronimus. 
Laß gut fein, kann es ſelbſt mir überſetzen. 
Du meineſt, weil ein ſeltner Fiſch ſich zeigt, 
Der doch zum Unglüd blos vom Aas ie nährt, 
So ſchlüg ich meine Ritterehre todt, 
Und hing’ die Leich' an meiner‘ Lüfte Angel 
als Köder auf — 
Dttofar. 
%a, grad heraus, Jerome! 
Es gab uns Gott das feltne Glüd, daß wir 
Der Feinde Schaar leichtjaßlich, unzmwerdeutig, 
Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand, 
Je dieſem Worte liegt's, wie Gift in einer Büchſe; 
nd weil's jetzt drängt, und eben nicht die Zeit 
Zu mäfeln, ein zweidentig Körnchen Saft 
Mit Muh heraus zu Mauben, nun fo machen 
Wirs kurz, und jagen: Du gehörft zu Warmand. 
Jeronimnus. 
Bei meinem Eid, da habt ihr Recht. Niemals 
War eine Wahl mir zwiſchen euch und ihnen; 
Doch muß ich mich entſcheiden, auf der Stelle 
Thu’ ich's, wenn jo die Sachen Nehn. Ja fieh, 
Ich ſpreng' auf alle Schlöffer im Gebirg, 
Empöre jedes Herz, bewaffne, wo 
ch’8 finde, das Gefühl des Rechts, den fred) 
erläumdeten zu rächen. 


1% 


12 


Dttolar, 
Das Öefübl 
Des Rechts! O du Falſchmünzer der Gefühle! 
Nicht Einen wird ihr blanfer Schein betrigen; 
Am Klange werden fie es hören, an 
Die Thür zur Warnung deine Worte nageln. — 
Das Rechtgefühl! — Als ob's ein andres noch 
gu einer andern Bruft, als diefes, gäbe! 
enkſt du, daß ich, wenn ich ihn ſchuldlos glaubte, 
Nicht jelbft dem eignen Vater gegenüber 
Auf feine Seite treten würde? Nun 
Du Thor, wie könnt’ ich denn dies Schwert, dies gejtern 
Empfangne, dies der Rache auf jein Haupt 
Gemeihte, jo mit Wolluft tragen? — Doch 
Nicht3 mehr davon, das kannſt du nicht veritehn. 
gm Schluſſe — Wir, wir hätten, den? ich, nun 
inander wohl nichts mehr zu jagen? 


Feronimus. 
— Nein. 
Ottokar. 
Leb wohl! 
Jeronimus. 
Ottokar! 


Was meinſt du? Sieh, du ſchlägſt mir in's Geſicht, 

Und ich, Mi bitte dich, mit mir zu reden — 

Was meinft du, bin ich nicht ein Schurfe? 
Ottokar. 


Willſt 
Du's wiſſen, ſtell dich nur an dieſen Sarg. 
(Dttofar ab. Jeronimus Yämpft mit fi, will ihm nach, erblickt dann den Kirchenvogt.) 
Jeronimns, 
He, Alter! 


Herr! 
Jeronimnus. 
Du kennſt mich? 
Kirchenvogt. 
Warſt du ſchon 
In dieſer Kirche? 
Jeronimnus. 


Nein. 


Kirchenvogt. 
IL Ei, Herr, wie kann 
Ein Kirchennogt die Namen Aller kennen, 
Die außerhalb der Kirche? 


Kirchenvogt. 





13 


Jeronimus. 

24 Bin auf Reifen, heh hier angeipracen 

in auf Reifen, hab’ bier angefprochen, 
Und finde —* voller ge und Trauer. 
Unglaubli dünkt's Fr was die Yeute reden, 
Es hab’ der Oheim diejes Kind erfchlagen. 
Du bift ein Mann do, den man zu dem Pöbel 
Nicht zählt, und der wohl hie und da ein Wort ' 
Bon höhrer Hand erhordhen mag. Nun, wenn's 
Beliebt, jo theil mir, was du wiſſen magft, 
Bein ordentli und nad) der Reihe mit. " 


Kirchen vogt. 
Seht, Herr, das thu' ich gern. Seit alten Zeiten 
Giebt's zwiſchen unſern beiden Grafenhäuſern 
Von oe und von Warwand einen Erbvertrag, 
Kraft deifen, nad) dem gänzlichen Ausſterben 
Des Einen Stamms, der gänzlihe Beſitzthum 
Deffelben an den andern fallen follte. 


Jeronimnus. 
Zur Sache, Alter! das gehört zur Sache nicht. 
Kirchenvogt. 
Ei, Herr, der Erbvertra gie zur a 
Denn das ift juft, als fg du, der Apfel 
Gehöre nicht zum Sündenfall. 


Jeronimus. 
& ch Nun denn, 
o ſprich. 
pp irchenvogt. 


8 
Sch ſprech'! Als unfer jeß’ger Herr 
An die Regierung treten follte, ward 
Er plöglid franf. Er lag zwei Tage lang 
Je Ohnmacht; Alles hielt In door für tobt, 
nd Graf Sylveſter griff als Erbe jchon 
dur Hinterlafjenfchaft, al wiederum 
er gute Herr lebendig ward. Run hätt’ 
Der Zod in Warwand feine größre Trauer 
Erweden können, als die böfe Nachricht. 
FJeronimus. 
Wer hat dir das geſagt? 
Kirchenvogt. 
De zwanzig “Jahre find's, 
Kann's nicht beſchwören mehr. 
Jeronimnd, 
Sprich weiter. 


14 
Kircheuvogt. 


Ich ſpreche weiter. Seit der Zeit hat der 
Sylveſter ſtets nad) unſrer Grafſchaft ber 
Geſchielt, wie eine Katze nach dem Knochen, 
An dem der Hund nagt. 


Jeronimus. 
That er das! 


Kirchenvogt. 


Herr, 


So oft 
Ein Junker unſerm Herrn geboren ward, 
Soll er, ſpricht man, erblaßt ſein. 


Jeronimus. 
Wirklich? 
Kirche nvogt. 


Weil alles Warten und Gedulden doch 
Vergebens war, und die zwei Knaben wie 
Die Pappeln blübten, nahm er kurz die Art, 
Und fälte vor der Hand den Einen bier, 

Den jüngften, von neun Jahren, der im Sarg. 


' Yeronimud, 
Nun das erzähl, wie ift das zugegangen? 


Kirchenvogt. 
dem, ich erzähl’3 dir ja. Denk dir, du feift 
raf Rupert, unfer Herr, und gingſt an einen Abend 
Spagieren, weit von Rojlig, in's Gebirg; 
Nun denke dir, du fändeft plöglich dort 
Dein Kind, erichlagen, neben ihm zwei Männer 
Mit blut’gen Meflern, Männer, Is ich dir, 
Aus Warwand. Wüthend zögſt Du drauf das Schwert 
Und machtſt fie beide nieder. 
Jeronimus. 
That Rupert das? 
Kirchenvogt. 
Der Eine, Herr, blieb noch am Leben, und 
Der hat's geſtanden. 


Jeronimus. 
Geſtanden? 
Kirchenvogt. 
Ja, Herr, er hat's rein h'raus geſtanden. 


Nun, 


15 


Jeronimus. 
| Was - 
Hat er geftanden ? 
Nirchenvogt. 
Daß ſein ger Sylveſter 
Zum Morde ihn gedungen und bezahlt. 
Feronimus. 
Haſt du's gehört? aus ſeinem Munde? 
Kirchenvogt. 


err, 
Ich hab's gehört aus ſeinem Munde, und Sr ganze 


Gemeinde. 
Holliſch iſ a 
ölliſch iſtss! — Erzähl's genau. 
Sprich, wie geſtand er's? 
Kirchen vogt. 
Auf der Folter. 


Jeronimus. 
Anf 
Der Folter? Sag mir feine Worte. 


Kirchenvogt. 


ar, 
Die hab ich nicht genau gehöret, außer Eins, 

Denn ein Öetümmel war auf unferm Marfte, 
Wo er gefoltert ward, daß man fein Brüllen 

Raum hören konnte. 


Jeronimus. 
Außer Eins, ſprachſt du; 
Nenn mir das Eine Wort, das du gehört. 


Kirchenvogt. 
Das Eine Wort, Herr, war: Sylveiter. 
Jeronimus. 
Sylveſter! — — Nun, und was war's weiter? 
Kirchenvogt. 
ger weiter war es nichts. Denn bald darauf, 
[8 er’8 geftanden hatt’, verblich er. 
Feronimnd. 
En? 
Und weiter weißt du nicht3? 
Kirchenvogt. 


Herr, nichts. 
(Jeronimus bleibt in Gedanken ſtehn.) 


16 
— 


(Ein Diener tritt auf.) 
teuer, 
War nit 


Graf Rupert bier ? 
Jeronimus. 
Suchſt du ihn? Ich geh’ mit dir. (Aue ab.) 


(Ottotar und Zohaun treten von ber andern Geite auf.) 
Ottokar. 
Wie kamſt du denn zu dieſem Schleier? Er 
Iſt's, iſt's wa rhaftig — Sprich — Und ſo in Thränen? 
Warum denn ſo in Thränen? ſo erhitzt? 
get dih die Mutter Gottes jo begeiftert, 
or der du knieteſt? 
Johaun. 
Gnäd'ger Herr — als ich 
Vorbeiging an dem Bilde, riß es mich 
Gewaltium zu fich nieder. 
Ottokar. 
.Und der Schleier? 
Wie kamſt du denn zu dieſem Schleier, ſprich? 
FJohann. 
Ich ſag' dir ja, ich fand ihn. 
Dttolar.. 
Wo? 
Yobann. 
Sm Thale 
Zum beil’gen Kreuz. 


u ee ah bie Bert 
nd kennſt nicht die Perfon, 
Die ihn verloren? 


Out. Es thut nichts. 
Iſt einerlei — Und weil er dir nichts nüßet, 
Nimm diefen Ring, und laß den Schleier mir. 
Na u 
Den Schleier? — Gnäd’ger Herr, was denkſt du? Soll 
Ih das Gefundene an dich verhandeln ? 
Ottokar. 
Nun, wie du willſt. Ich war dir immer gut, 
Und will's dir ſchon fo lohnen, wie du's wunſcheſt. 
(Er küßt ihn, und will gehen.) . 
Johaun. 
Mein beſter Herr — O nicht — o nimm mir Alles, 
Mein Leben, wenn du willſt. — 


17 


Ottokar. 
Du biſt ja ſeltſam. 


Johann. 
Du nähmft das Leben mir mit diefem Schleier. 
Denn einer heiligen Nelignie gleich 
Semahrt er mir das Angedenken an 
Den Augenblid, wo fegensreich, heilbringend, 
Ein Gott in's Xeben mid, in’s ew’ge, führte. 


Dttslar. 
Wahrhaftig? — Alſo fandft du ihn wohl nicht? 
Er ward dir wohl geſchenkt? —X ——— 


Johaun. 
Fünf Wochen ſind's — nein, morgen ſind's fünf Wochen, 
Als fein geſammt berittnes Sagdgefol e fünf Woqh 
Dein Vater in die Forſten führte. Gleich 
Vom Plag, wie ein gekrümmtes Fiſchbein, flog 
Das ganze Roßgewimmel ab in's Feld. 
Mein Berd, ein ungebändigt Hirkce®, 
Bon Hörnerflang und Peitſchenſchall und Hund⸗ 
Geklaff verwildert, eilt ein eilendes ' 
Borüber nad) dem andern, ftredt das Haupt 
Bor deines Vaters Roß on an der Spige — 
Gewaltig drüd’ ich in die Zügel; do 
Als hätt's ein Sporn getroffen, nun erſt greift 
Es aus, und aus dem Zuge, wie der Pfeil 
Aus feinem Bogen, fliegt’ dahin — Rechts um 
In einer Wildbahn ve ich e8 bergan — 
Und weil ic meinen Bliden auf dem Fuß 
Muß folgen, eh ich, was ich ſehe, wahr 
Kann nehmen, ftürz’ ich, Roß und Reiter, ſchon 
Hinab in einen Strom. — 
Ottotar. 
Nun, Gott ſei Dank, 
Daß ich auf trocknem Land dich vor mir ſehe. 
Wer rettete dich denn? | 
Johaun. 
Wer, fragſt du? Ach, 
Daß ich mit einem Wort es nennen ſoll! 
— Ich kann's dir nicht ſagen, wie ich's meine, 
Es war ein nackend Mädchen. 
Ottokar. 
Wie? nackend? 


Johaun. 
Strahlenrein, wie eine Göttin 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. IL 


18 


ervorgeht aus dem Bade. Zwar ich fah 
ie fliehend nur in ihrer Schöne — denn 
Als mir das Licht der Augen wiederfehrte, 
Berhüillte fie fih. — 
Dttolar. 
Nun? 
Johaun. 
44 doch ein Engel 
Schien ſie, als ſie verhüllt nun zu mir trat; 
Denn das Geſchäft der Engel that ſie, hob 
Zuerſ mich Hingeſunknen — löſte dann 
on Haupt und Nacken ſchnell den Schleier, mir 
Das Blut, das ſtrömende, zu ſtillen. 
Dttolar. 
Du Glüdlicher! 


Johanun. 
Still ſaß ich, rührte nicht ein Glied, 
Wie eine Taub' in Kindeshand. 


Ottokar. 
Und ſprach ſie nicht? 
Foh 


ohann. 
Mit Tönen wie aus Glocken — fragte, ſtets 
aan wer i ki Fa ih komme? 
a e 


Erſchrak dann lebhaft, als fie hört’, ich ſei 
Aus Roſſitz. 
Ottokar. 
Wie? warum denn das? 
Johanun. 


Doch haſtig fördernd das Geſchäft, li g den weiß, 
oh ha rdernd das Ge ‚ lieg fie 
Den —2— mir, und ſchwand. 
Ottokar. 
Und ſagte ſie 
Dir ihren Namen nicht? 
FJohanun. 


Dazu war ſie 
Durch Bitten nicht, nicht durch Beſchwören zu 
Bewegen. 
Ottokar. 
Nein, das thut ſie nicht. 
Johann. 
Wie? kennſt 
Du ſie? 








19 


Dttolar. 
Ob ich fie kenne? Glaubſt du Thor, 
Die Sonne fheine dir allein? 


Yohann. 
Wie meinft 
Du da8? — Und Fennft auch ihren Namen? 
Ottokar. 
Nein, 
Beruh'ge dich. Den ſagt ſie mir ſo wenig 
Wie dir, und droht mit ihrem Zorne, wenn 
Wir unbeſcheiden ihn erforſchen ſollten. 
Drum laß uns thun, wie ſie es will. Es ſollen 
Geheimniſſe der Engel Menſchen nicht 
Ergründen. Laß — ja laß uns lieber, wie 
Wir es mit Engeln thun, ſie taufen. Möge 
Die he der Mutter Gottes ech 
Maria heifen — uns nur, du verſtehſt; 
Und nennft du im Gefpräd mir diefen Namen, 
So weiß ih, wen du meinft. Ich habe lange 
Mir einen ſolchen Freund gewünſcht. Es find 
Sp wenig Seelen in dem Haufe, die 
Wie deine, zartbefaitet, 
Bom Athem tönen. 
Und weil ung nun der Schwur der Rache fort 
In's wilde Kriegsgetümmel treibt, fo laß 
Uns brübderlih zuſammenhalten; kämpfe 
Du ſtets an meiner Seite. 
Yohanı, 
— Gegen wen? 
Ottokar. 
Das fragſt du hier an dieſer Leiche? Gegen 
Sylveſter's frevelhaftes Haus. 


Johaun. 
O Gott, 
Laß ihn die Engelläſtrung nicht entgelten! 
Ottokar. 
Was? biſt du raſend? 
Johann. 


Ottokar — ich muß 
Ein ſchreckliches Bekenntniß dir vollenden — 
Es muß heraus aus dieſer Bruſt — denn gleich 
Den Geiftern ohne Ruf und Ruhe, ie 
Kein Sarg, kein Niegel, kein Gewölbe bändigt, 


So mein Seheimnig. — ge 


2 


Ditolar. 
Du erjchredft mich, rede! 


Johann. 

Nur dir, nur dir darf ich's vertraun — denn hier 
Auf dieſer Burg — mir kommt es vor, ich ſei 

n einem Gögentempel, ſei, ein Ehrift, 

mringt von Wilden, die mit gräßlihen 
Geberden mich, den Haarefträubenden, 
gu ihrem blut’gen Fragenbilde reißen. 

u haft ein menjchliches Geſicht, zu bir, 
ie zu dem Weißen unter Mohren, wende 

ch mich — denn Niemand, bei Gefahr des Lebens, 
Darf FF dir des Gottes Namen wiſſen, 

er mi 


entzüdt. — 
Dttofar, 


O Gott! — Doch meine Ahndung ? 
Johann. 
Sie ift e8. 


Der? 
Johaun. 
Du haſt's geahndet. 
Ottokar. 


a 
geb ih geahndet? Sagt’ ich denn ein Wort? 
ann ein Bermuthen denn nicht trügen? Mienen 

Sind ſchlechte Räthfel, die auf Vieles paffen, 
Und übereilt haft du die Auflöfung. 
Nicht wahr, das Mädchen, defien Schleier bier, 
Iſt Agnes nicht — nicht Agnes Schroffenſtein ? 

Yobaum. 
Ich fag’ dir ja, fie ift es. 

Dttolar, 

D mein Gott! 


Johann, 
As fie auf den Bericht, ich jet aus Roffig, 
Schnell fortging pi ich ihr von weiten 
Dis Warwand fe ‚wo mir's ein Mann nicht Einmal, 
Nein zehenmal befräftigte. 

nete far. 

a 
An deiner Bruft mich ruhn, mein Tieber Freund. 
(Er lehnt fi auf Johann's Schulter. Zerenimms tritt auf.) 


Jeronimus. 
Ich ſoll 


Ottot ar (erſchrocken). 


21 


Mich —S vor dir geigen, fol 
Die ſchlechte Meinung dir benehmen, dir, 
Wemnn's möglich, eine befire abgewinnen. 
— Gott weiß, das ift ein peinlihes Gefchäft. 
Laß gut fein, Ottokar. Du kannſt mir's glauben, 
Ich wußte nichts von Allem, was gefchehn. 
(Baufe; da Ottokar nicht auffieht.) 
Wenn du's nicht glaubft, ei nun, jo laß es bleiben. 
Ich hab’ nicht Luft, mic) vor dir weiß zu brennen. 
Kannft du's verfchnerzen, fo mich zu verfennen, 
Bei Gott, jo kann ich das verfchmerzen. 
Dttsler (erfiren). 
Wie fagjt du, Seronimus ? 
Ith weiß Die f N ade Ind a 
weiß, was dich ſo zäh macht in dem Argwohn. 
»S ift wahr, und niemals — ich's (äugnen, ia, 
3 hatt’ das Mädel mir zum Weib erforen. 
2 Fi ich je mit Mördern mich verfchwägre, 
Zerbreche mir die Henkershand "das Wappen. 
(Dttofar fällt Ieronimus plöglih um den Hals.) 


Jeronſund. 
Was iſt dir, Ottokar? Was hat ſo plötzlich 
Dich und ſo tief bewegt? 
Dttolar, 
Gieb deine Hand, 
Berziehn fei Alles. 
FJeronimus. 


— Thränen? warum Thränen? 
Ottokar. 
Laß mich, ih muß hinans in's Freie. 
(Dttolar ſchnell ab; bie Andern folgen.) 





Zweite Scene 
Barwand Bin Zimmer im Schloſſe. 
Agnes führt Sylvins in einen Seſſel. 
Sylvins. 
Agnes, wo iſt Philipp? 
gue®, 


Du lieber Gott, ich ſag's dir alle Tage, 
Und ſchrieb's dir auf ein Blatt, wärft du nicht blind. 
Komm ber, ich ſchreib's dir in die Hand. 


Sylnins. 
Hilft das? 


22 


Agueß, 
Es hilft, glaub mir's. 
Syl vins. 
Ach, es hilft nicht. 
Agnes. 
Ich meine 
Vor dem Vergeſſen. 
Sylvins. 
Ih, vor dem Erinnern. 
Agnes, 
Suter Bater! 
S yiv in®, 
Liebe Agnes! 
Agunes. 
Fühl mir einmal die Wange an. 
Sylvins. 
Du weinſt? 


Agues. 
weiß es wohl, daß mich der Pater ſchilt, 
Dos glaub’ — ve et 8 nit. Dein ſieh, 
Wie ich muß lachen, eh ich will, wenn Einer 
Sich lächerlich bezeigt, ſo muß ich weinen, 
Denn Einer ſtirbi. 
Sylvius. 


Warum denn, meint der Pater, 
Soüft du nicht weinen ? 


Agnes. 
Ihm fei wohl, fagt er. 
Sylvius. 
Glaubſt du's? 


Agues. 
Der Pater freilich ſoll's verſtehn, 

Doch glaub’ ich faſt, er ſagt's nicht, wie er’3 denkt. 
Denn bier war Philipp gern, wie follt’ er nicht? 
Wir liebten ihn, e8 war bei uns ihm mohl; 
Nun haben fie ihn in das Grab gelegt — 
Ad, es ift gräßlih. — Zwar der Pater jagt, 
Er fei nicht in dem Grabe. — Nein, daß ich's 
Net ſag', er fei zwar in dem Grabe — ad), 

fann’8 dir nicht fo wiederbeichten. Kurz, 

jeb’ e8, wo er ift, am Hügel. Denn 
Woher der Hügel? 


Sylvins,. 
. Wahr! Sehr wahr! 


23 


— Agnes, der Pater hat doch Recht. Ich glaub’s 
Mit Zuverſicht. 
Agues. 


Mit önverficht? Das i 
Doc feltfam. Fa, da möcht’ es freilich do 
Wohl anders fein, wohl anders. Denn woher 
Die Zuverficht ? 
..$ylvins,. 
Wie willſt du's halten, Agnes? 
Agues. 
Wie meinſt du das? 
Sylvinus. 
Ich meine, wie du's glaubeſt? 


Agues. 
Ich will's erſt lernen, Vater. 


Sylvius. 
Wie? du biſt 

Nicht eingeſegnet? Sprich, wie alt denn biſt du? 

Agues. 
Bald funfzehn. 

yIvins. 
Sieh, da Tönnte ja ein Nitter 

Bereits dich vor den Altar fiihren. 


Agnes. 
Meinft du? 


Sylvins. 
Das möchteft du doch wohl 


Agnes. 
Das fag’ ich nicht. 
Ivinß, 


Sy 
Kannft auch die Antwort fparen. Sag's der Mutter, 
- Sie foll den Beicht’ger zu dir fchiden. 


Agues. 
Horch! 
Da kommt die Mutter. 
Sylvius. 
Sag's ihr gleich. 
Agnes. 
Nein, Lieber 


Sag du es ihr, fie möchte ungleich von 
Mir denten. 


2A 


ß Sylvius. 
Agnes, flihre meine Hand 
Zu deiner Wange. 
a gues (ausweidend). 
Was foll das? 


(Gertrude tritt Ka 


Sylv 
Gertrude, bier das Mädel la t "ni an, 
Es rechne ihr das Herz das Alter vor, 
Sir blühend Xeben ſei der Reife nah, 
nd knü A ihn Einer nur, jo würde, meint fie, 
gr —*9 Haupthaar einen Zeauttran feſſeln — 
u aber har ihr noch die Cinfegnung, 
Den Nitterfchlag der Pr vorenthalten. 


ertrude. 
Hat dir Jerome das gelehrt ? 
Sylvius. 
Gertrude, 
Sprich, iſt fie roth? 
Gertrude, 


Ei nun, ih will's dem Vater fagen. 
Gebulde dich bis morgen, wilif du das? 
GEgnes kũßt die Hand ihrer Mutter.) 
gie Agnes, ift die Syadıel mit dem Spielzeug. 
a8 wollteft du damit? 


Den Särinertindern, 
Fr aunterlaßnen Freunden Philipps, chen? 


yltvin s. 
Die Reiter Philndeh gieb ſie her. 
(Er macht die Schachtel auf.) 
Sieh, wenn r dieſe Puppen halt’, iſt mir's, 
Als ſäße Philippan dem T 12 Denn hier 
Stellt’ er fie auf, und führte Krieg, und fagte 
Mir an, wie's abgelaufen. 


Agues. 
Dieſe Reiter, 
a Koll er, ſind wir, und dieſes Fußvolt iſt 


ylvins. 
Nein, du ſagſt nicht recht. Das Fußvolk 
War nicht aus off, * Feind. uß 


235 


Agues. 
Ganz recht, ſo mein' ich es, der Feind aus Roſſitz. 
Ei nicht doch, Agnes Pre bear fagt d 
i nicht doch, Agnes, ni 0b. Denn wer fagt dir, 
Daß die aus Rofftk unfre Feinde finh ? i 


Agues. 
Was weiß ih. Alle fagen’s. 
Sylvius. 
Sag's nicht nach. 
Sie find uns ja die nahverwandten Freunde. 


Agnes. 

Wie du nur fprichft! Sie haben dir den Enkel, 
Den Bruder mir vergiftet, und das follen 
Nicht Feinde fein! | 

Sylvind, | 

Bergiftet! unfern Philipp! 

Ei A trägt —— Geh ß 
i Agnes, immer trägt die Jugend das Geheimni 
Im — wie den Vogel in der Hand. 

Aqgues. 
Geheimniß! Allen Kindern in dem Schloſſe 
Iſt es bekannt! ht du, du felber es 
Nicht Öffentlich gejagt ? 


Gertrude. 
Geſagt? umd öffentlich ? 
Was hätt’ ich öffentlich gelegt? Dir hab’ 


Ich heimlich anvertraut, es Fönnte fein, 
Wär’ möglich, hab’ den Anjchein fat — 


Syipvius, 
Gertrude, 
Du thuft nicht gut daran, daß du das ſagſt. 
Gertrube. 


Du börft ja, ich behaupte nichts, will Keinen 
Der beſchuld'gen, will von Allem fchmeigen. 


Sylvius. 
Der Möglichkeit doch ſchuldigſt du ſie an. 
Gertrude. 
Nun, das ſoll Keiner mir beſtreiten. Denn 
So {nel dahin zu fterben, heute noch 
J ebensfülle, in dem Sarge morgen — 
arum denn hätten ſie vor Neben ahren, 
Als mir die Tochter ftarb, ſich nicht erfundigt ? 


% 


War das ein Eifer nicht! die Nachricht bloß 
Der Krankheit konnte kaum in Noifig fein, 
Da flog ein Bote ſchon herüber, fragte 
Mit wildverftörter Haft im Haufe, o 
Der Junker krank fer? — Freilih wohl, mar weiß, 
Was jo beforgt fie macht’: der Erbvertrag, 
Den wir (don immer, fie nie löfen wollten. 
Und nun die böfen Fleden noch am Leibe, 
Der fchnelle Hebergang in Fäulniß — Stil! 
Doch ftill! der Vater fommt. Er hat mir's ftreng 
Berboten, von dem ©egenitand zu reden. 

(Stlveſter und der Gärtner treten auf.) 

Sylveſter. 

Kann dir nicht helfen, eher Hans. Geb’ zu, 
Daß deine Rüben jüß wie Zuder find. — 


Gärtner. 
Wie Feigen, Herr. 


Sy lveſter. 
Hilft nichts. Reiß aus, reiß aus — 
Gärtner. 


Ein Gärtner, Herr, bepflanzt ach Felder Tieber 
Mit Buchsbaum, eh er einen Kohlitrunt ausreißt. 


her 
Du bift ein Narr. Ausreißen ift ein froh Geſchäft, 
Seigieht®, um etwas Beſſeres d pflanzen. 
Denk dir das junge Boll von Bäumen, die, 
Wenn wir vorbeigehn, wie die Kinder tanzen 
Und ung mit ihren Blüthenaugen anjehn. 
Es wird dich freuen, Hans, du kannſt's mir glauben. 
Du wirft fie hegen, 4 anzen, wirſt ſie wie 
Milchbrüder deiner Kinder lieben, die 
Mit ihnen Leben ziehn aus deinem Fleiße. 
Qufammen wachen wirft du je, zufammen 
Sie blühen — und wenn dein Mädel dir 
Den erſten Enkel bringt, gieb Acht, ſo füllen 
Zum Brechen unſre Sheicher fich mit Obft. 

Gärtner. 

Herr, werden wir's erleben? 


Sylveſter. 
Ei, wenn nicht wir, 
Doch unſre Kinder. 
Gärtner. 


Deine Kinder? Herr, 


27 


Ich möchte lieber eine Eichenpflanzun 
Seh ziehen, als dein —— zung 
Sylveſter. 
Wie meinſt du das? 


Gärtner. 
Denn wenn fie der Nordoftwind nur nicht ftürzt, 
So follt’ mir mit dem Beile Keiner nahn, 
Wie Junker Philipp’n. 

Sylve 


er. 
— ii kann das alberne 
Geſchwätz im Haus nicht leiden. 
Gärtner. 
Nun, ich pflanz' 
Die Bäume. Aber, eßt ihr nicht die Früchte, 
Der Teufel hol' mich, ſchick ich ſie nach Roſſitz. 
(Gärtner ab; Agnes verbirgt ihr Geſicht an der Bruſt ihrer Mutter.) 
Sylveſter. 
Was iſt das? Ich erſtaune — O daran iß 
Beim Himmel! Niemand Schuld als du, Gertrud! 
Das Mißtraun iſt die ſchwarze Sucht der Seele, 
Und Alles, auch das Schuldlosreine, zieht 
Für's kranke Aug’ die Tracht der Hölle an. 
Das Nichtsbedeutende, Gemeine, ganz 
Altägliche, fpigfindig wie zerftrente 
Bwirnfäden, wird's zu einem Bild gefnüpft, 
a8 und mit gräßlichen Geftalten ſchreckt. 
Gertrude, o das ıft jeher fhlimm. — 


Gertrude 
Gemahl! Mein theuerer 
emahl! — 

Sylve 


ylveſter. 
Hättſt du nicht wenigſtens das Licht, 
Das, wie du vorgiebſt, dir gezündet ward, 
Verbergen in dem Bufen, einen fo 
mweideut’gen Strahl nicht fallen laſſen follen 
el diefen Tag! den, hätt’ er was du ſagſt 
Geſehn, ein mitternächtlih Dunkel ewig, 
Wie den Charfreitag, deden müßte. 
Gertrude. 
Höre 
Mich an. — 
veſter. 


Syl 
Dem Pöbel, Helen Stnarmat — biefem 
Hohlfpiegel des Gerüchtes — diefem Käfer 


2 


Die Kohle vorzuwerfen, die er ſpielend 
Auf's Dach des Nachbars trägt — 


Gertrude. 
Im vorgeworfen? 
O mein at die Sache lag fo Klar 
Bor aller Menjchen Augen, dag ein Jeder, 
Noch eh man es verbergen konnte, ſchon 
Bon felbft das Rechte griff. 
Sylveſter. 
Bor achtzehn Jah F Was Fe He 
or achtzehn „Jahren, als du ſchnell na oſſitz 
u deine Schweſter eilteft, be er erſten 
eburt ihr beizujtehn, die Schweiter nun, 
Als fie den neugebornen Knaben todt 
Erblidte, dich befchuldigt hätte, du, 
Du bätteft — du verftebft mich — heimlich ihm, 
Berftohlen, während du ihn berzteit, füßtelt, 
Den Mund verftopft, das Hirn ihm eingedrüdt — 
Gertrude. 
O Gott, mein Gott, ich will ja nichts mehr fagen, 
WIN Niemand mehr beſchuld'gen, will's verſchmerzen, 
Wenn fie dies einz’ge nur, dies legte und nur lajlen. 
(Sie umarmt Agnes mit Heftigleit.) 
(Sin Snappe tritt auf.) 
Kuappe. 
Es iſt ein Ritter, Herr, am Thore. 


Sylveſter. 
Laß ihn ein. 
Sylvins. 
Ich will auf's Zimmer, Agnes, führe mich. 
(Sylvins und Agnes ab.) 


Gertrude, 
Sol ih ihm einen Platz an unferm Tiſch 
Bereiten ? 

Sylpefter. 


Sa, das magft du thun. Ich will 

Indeſſen Sorge tragen für fein Pferd. (Beide ab.) 

(Agnes tritt auf, fieht fich um, ſchlägt ein Tuch ber, fegt einen Hut auf, und geht ab.) 
(Sylveſſer und Winäsern treten auf.) 


Sylveſter. 
Aus Roſſitz, ſagſt du? 
Albbobern. 
Ritter Aldöbern 
Aus Roſſitz. Bin geſandt von meinem Herrn, 


” 29 


Dem Rupert Graf von Schroffenftein, an dich, 
Sulvefter Orafen —S ù˖ùe— r 5 


Syivefter. 
Die Sendung 
Empfiehlt dich, Aldöbern, denn deines Herrn 
Sind deine Freunde, Drum fo laß uns fchnell 
Sin üpfen über den Gebrauch; verzeih, 
aß ich mich feße, jeg dich zu mir, und 
Erzähle Alles, was du weißt von Roffik. 
Denn wie, wenn an zwei Seegeftaden zwei 
Berbrüderte Yamilien wohnen, felten, 
Bei 90 zeit nur, bei Taufe, Trauer, oder 
Wenn's ſonſt was Wicht’ges giebt, der Kahn A 
gerüberihläpft, und dann der Bote vielfach, 
och eh er reden kann, befragt wird, was 
Geſchehn, wie’ zuging, und warum nicht anders; 
ya felbft an Dingen, als, mie groß der Xeltite, 
ie viele Zähn’ der Jüngſte, ob die Kuh 
Gekalbet, und dergleidhen, das zur Sache 
Doch nicht gehöret, fi) erf öpfen muß — 
Gieb, Freund, fo bin fa gefonnen, es 
Mit dir zu maden. — ‚ beliebt’8, fo ſetz did). 
Alböbern. 
Herr, kann es ftehend abthun. 
Sylveſter. 
i, du Narr, * 
Stehn und Erzählen, das gehört zuſammen, 
Wie Reiten faſt und Küffen. 
Yiböbern, 
Meine Rede 
Wär’ fertig, Herr, noch eh ich niederfige. 
Sylveſter. 
Willſt du ſo kurz ſein? Ei, das thut mir leid; 
Doch wenn's ſo drängt, ich will's nicht hindern. Rede. 
id ſcict mein Here, Oraf Rupert Sqhroffenſ 
ich ſchikt mein Herr, Graf Ruper roffenftein, 
Dir wegen des an feinem Sohne Peter 
Berübten Mord3 den Frieden aufzuliinden. — 


Sylvefter. 
Aloebberu. 

Mord. 

Doch ſoll ich, meint' er, nicht ſo froſtig reden, 


Mord? 


30 


Bon blogem Zwift und Streit und Kampf und Krieg, 
Bon Sengen, Brennen, Reifen und Berheeren. 
Drum brauch’ ig lieber ſeine eignen Worte, 
Die lauten ſo: Er ſei geſonnen, hier 
Auf deiner Burg ein Hocgericht zu bauen; 
Es dürfte ihn nach dein und deines Kindes — 
Und deines Kindes Blute — wiederholt’ er. 
Sylveſter 
(fteht auf, fieht ihm ſteif in's Geſicht.) 
Ja ſo — Nun ſetz dich, guter Freund — 
(Er Holt einen Stuhl.) 
Aus Koffip nit, nit wahr? — Run feg di. 
us Roffig nicht, nicht wahr? — Nun feb Did. ie 
War ſchon dein Namen? Sek dich, ie —8 — Nun, 
Sag an, ich hab's vergeffen, wo, wo bift 


Du ber 
Bebitrtig? H aıböbern 5 
ebitrti err, aus Oppenheim. 
— Was fol das? 
Sylveſter. 


So, aus Oppenheim — nun alſo 
Aus Roſſitz nicht. Ich wußt' es wohl, nun ſetz dich. 
(Er geht an die Thür.) 
Gertrude! 


R —— tritt auf.) 
aß mir doch den Knappen rufen 
Von dieſem Kitten, hörft du? ’ 

(Gertrude ab.) 


Nun, fo ſetz di 
Doch, Alter. — Was den Srieg betrifft, das ift 
Ein luftig Ding für Ritter; fieh, da bin id 
Auf deiner Seite, 

Aldöbern. 


Meiner Seite? 
Sylveſter. 


a, 
Was Henker denkſt du! Hat dir Einer Unrecht, 
a lc oder fonft was zugefügt, 
So ſag du's mir, fag’8 mir, wir wollen's rächen. 
Aldböbern. 
Bift du von Sinnen, oder iſt's Berftellung? 
(Gertrude, der Ruappe und ein Diener treten auf.) 
Sylveſter. 
Sag an, mein Sohn, wer iſt dein Herr? Es iſt 
Mit ihm wohl — nun du weißt ſchon, was ich meine. — 


31 


Alböbern. 
Den Teufel bin ich, was du meinſt. Denfft du, 
Mir fei von meiner Mutter jo viel Menjchen- 
Verſtand nicht angeboren, als vonnöthen, 
Um einzufehn, du feift ein Schurte? Frag )- 
Die Hund’ auf unferm Hofe, ſieh, fie riechen’s 
Dir an, und nähme Einer einen Biffen 
Aus deiner Hand, fo hänge mich. — Zum Schluffe 
So viel noch. Mein Gefhäft ift aus. Den Krieg 
Hab’ ich dir Kindesmörder angekündigt. (win ab.) 


Sylvefter (pätt ipn). 
Nein, halte — Nein, bei Gott, du machſt mich bange. 
Denn deine Rede, wenn fie gleich nicht reich, 
gi doch fo wenig arm an Sinn, daß mich's 
ntfegt. — Einer von ung beiden muß 
Berrüdt fein; bift du's nicht, ich könnt' e8 werben. 
Die Unze Mutterwig, die dih vom Tollhaus 
Errettet, muß, es kann nicht' anders, mich 
yes Tollhaus fiihren. — Sieh, wenn du mir fagteft, 
ie Ströme flöffen neben ihren Ufern F 
ergan, und fammelten au Felſenſpitzen 
een ſich, ſo wollt' — ich wollt's dir glauben; 
Doch Jesft du mir, ich hätt’ ein Kind gemordet, 
Des Better Sind — 
Gertrude. 
D großer Gott, wer denn 
Beſchuldiget dich diefer Unthat? die aus Roſſitz, 
Die felbft, vor wenig Monden — 


Sylveſter. 
Schweig. Nun wenn's 
Beliebt, jo ag’8 mir einmal noch. Iſt's wahr, 
ſt's wirtlih wahr? Um eines Mordes willen 
teg wider mich ? 
Alböbern. 
Soll ich's dir zehenmal 
Und wieder zehnmal wiederfäun? n, 


Sylveſter. 
Nun gut. 

gran, fattle mir mein Pferd. — Verzeib, mein Freund, 
er kann das Unbegreifliche begreifen ? 
— Wo ift mein Helm, mein Schwert? — Denn hören muß 
Ich's doch aus feinem Munde, eh ich's glaube. 
— Sad zu Jeronimus, er möchte fchne 
Nah Warwand kommen. — 


82 
Albäbern. 

Leb denn wohl. 
Syl veſter. 


Ich reite mit dir, Freund. 


Gertrude. 
Um Gotteswillen 
In deiner Feinde Macht giebſt du dich felbft? 


Sylveſter. 


Nein, warte; 


Laß gut ſein. 


Aloesbbern. 
Wenn du glaubſt, ſie werden ſchonend 
In Roſſitz dich empfangen, irrſt du dich. 
Sylveſter 
(immer beim Anzuge befchäftigt). 
Thut nichts, thut nichts; allein werd’ ich erfheinen. 
Ein Einzelner tritt frei zu feinen Feinden. ſch 


Aldöbern, 
Das Mildefte, das dir begegnen mag, 
Sit, dag man an des Kerkers Wand dich feſſelt. 


Es if umfonft. Ich mub mir Acht verfcaf 
3 iſt umſonſt. muß mir Licht verſchaffen, 
Und ſollt' ich's Ri auch aus der Hölle holen. 
Gin Fluch ruht auf d Atsöbern. R nicht € 
in Fluch rubt auf deinem Haupt, es ift ni iner 
In Roffig, dem dein Leben —* wäre. 


Sylveſter. 
Du ſchreckſt mich nicht. Mir iſt das ihre heilig, 
Und nd fühn wag' ich mein einzelnes. 
Nun fort! (Bu Gertrude) Ich Tehre unverlegt zurüd, 
Sp wahr der Gottheit jelbft die Unfchuld Beitig, 
(Wie fie abgehen wollen, tritt Jerenimns auf.) 


Jerenimus. 
Wohin? 
Syl veſter. 
Gut, daß du kommſt. Ich bitte Dich, 
Bleib bei den Weibern, bis ich wiederkehre. 
Jerenimus. 
Wo willſt du hin? 
Sylveſter. 


Nach Roſſitz. 


33 


Yeronimud,. 
Lieferft du 
Wie ein befehrter Sunder felbft dich aus? 
Sylveſter. 
Was für ein Wort? — 
FJeronimnus. 


Ei nun, ein ſchlechtes Leben 
ſt kaum der Mühe wertb, e8 zu verlängern. 
rum geh nur hin, und leg dein gendis Haupt 
In chriſtlicher Ergebung aus den Block. 
Sylveſter. 
Glaubſt du, daß ich, wenn eine Schuld mich drüdte, 
Das Haupt dem Recht der Rache weigern würde? 
Jeronimus. 
O du Quadfalber der Natur! Denkſt du, j 
Ich werde dein berfäljihtes Herz auf Treu 
Und Glauben zweimal als ein echtes kaufen? 
Bin ich ein blindes Glied denn aus dem Volke, 
Daß du mit deinem Ausruf an der Ede 
Mig äffen willſt, und wieder äffen willſt? 
och nicht ſo vielen Athem biſt du werth, 
Als nur dies einz'ge Wort mir tojiet: Schurke! 
Ich will dich meiden, das ift wohl das Beſte. 
Denn bier in deiner Nähe ftinkt es, wie 
Dei Mördern. 


Sylveſter fällt in Ohnmacht.) 


Gertrube, 
Hülfe! Kommt zu Hilfe! Hülfet 


weiter Aufzug. 
Erſte Scene. 


Gegend im Gebirge. Im Bordergrunde eine Höhle 


que fit an ber Erde und Tuüpft Kränze. Ottelar tritt auf und betrachtet fie 
mit Webmuth. Bann wendet er mit einer fchmerzpollen ervegun während 
welcher Agnes ihn wahrnimmt, weit 32 vn müpfen fortfährt, als Bitte fie ihn 


Agues. 
'S iſt doch ein häßliches Geſchäft: belauſchen; 
Und cl ein * Gemüth es ſtets ver — 
So wird nur dieſes grade ſtets belauſcht. 
VBidl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. IL 


34 


Drum ift das Schlimmfte noch, daß es den Laufcher, 
Statt ihn zu ftrafen, lohnt. Denn ftatt des Böſen, 
Das er verdiente zu entdeden, findet 

Er wohl Ingar ein ftil Bemühen noch 

ür jein Bebürfniß oder feine Laune. 

a ift zum Beiſpiel heimlich jest ein Süngling 
— Wie heißt er doch? Ach kenn’ ihn wohl. Sein Antlitz 
Sleiht einem milden Morgenungemitter, 

Sein Aug’ dem Wetterleuchten auf den Höhn, 
Sein Haar den Wollen, welche Blige bergen, 
Sein Nahen ift ein Wehen aus der Ferne, 

Sein Reden wie ein Strömen von den Bergen; 
Und fein Umarmen — Aber ftill! was wollt 

3 — Ja, dieſer Jungling wollt' ich ſagen, 

ſt heimlich nun herangefih ichen, plötzlich, 
Unangefündigt, wie die Sommerfonne, 

Wil ſie ein nächtlich Liebesfeſt belaufchen. 
Nun wär’ mir's vecht, er hätte, was er fucht, 
Bei mir gefunden, und die Ar 


Sich ſtumpfen inaus gejagt in's Feld, 
Gleich einen jungen Roſſe, das zulegt 
Doch heimkehrt au dem Stall, der e8 ernährt. 
Statt deilen ift fein andrer Nebenbuhler 
gebt grade um mich, als fein Geift, und der 
ingt mir fein Lied zur BZither vor, wofür 
Ich diejen Kranz ihm winde. (Sie fieht fi um) Fehlt dir was? 


Ottokar. 
Jetzt nichts. 
So ſet dich nieder, Daß id ei 
o fe dich nieder, daß ich fehe 
Wie dir der Kranz fteht. Sit er — 
Ottokar. 


Der Liebe hätte, ſelb 
‚ihn 


Recht hübſch. 


Agnes. 

Wahrhaftig? Steh einmal die Finger an. 
Ottokar. 

Sie bluten. 


Agnes. 
Das bekam ich, als ich aus den Dornen 
Die Blumen .pflücte, 
Ottokar. 


Armes Kind! 
Agnes. 
Ein Weib 


35 


Sen feine Mühe. Stundbenlang hab’ ich 
Geſonnen, wie ein jedes einzeln Blümchen 
u ftellen, wie das unfcheinbarfte felbft 

u nugen fei, damit Geftalt und Farbe 

e8 Öanzen feine Wirkung thue. — Nun —* 
Der Kranz iſt ein vollendet . Da, nimm % 
Ihn hin. Sprich: er gefällt mir; fo ift er 
Dezahlt. (Gie flieht fih wieder um.) 

Was fehlt dir denn? 
(Sie ſteht auf; Dttolar faßt ihre Band.) 
ı Du biſt fo feltjam, 
So feierlich — bift unbegreiflich mir. 
Dttolar, 

Und mir du. 


giebt du mid, fo Iprid ſogleic 
iebſt du mich, fo Sprich foglet 
Ein Wort, das mid) bernbiät i 
Ottokar. 
Erſt ſprich du. 
Wie beit du's heute wagen können, heute, 
Bon deinem Baterhaus dich zu entfernen? 


Agueß. 
con — a — a —8 
ab' ich ni ets gewünſcht, du möchteſt es 
Bis: zu erforfchen Rreben? 
Ottokar. 
O verzeih! 
Nicht meine Schuld iſt's, daß ich's weiß. 
Agnues. 
Du weißt's? 


Ottokar. 
ch weiß es, ne nichts. Denn deinem Engel — 
Fang u dich fichrer nicht vertraun als mir. 
Nun jage mir, wie fonnteft du e3 wagen, 
So * dies Gebirge zu betreten, 
Da doch ein mächt'ger Nachbar all die Deinen 
In blut'ger Rachefehd' verfolgt? 
Agnes. 
In Fehde? 
In meines Vaters Sälen liegt der Staub 
Auf allen Rüftungen, und Niemand tft 7 
Uns feindlich, als der Marder höchſtens, der 
In unſre Hühnerſtälle bricht. ge 


86 


Ottokar. 
Wie ſagſt du? 

Ihr wärt in Frieden mit den Nachbaärn? Wärt 
In Frieden mit euch ſelbſt? 

Agnes, 

Du börft es, ja. 

Ottokar. 
O Gott! Ich danke dir mein Leben nur 
Um vieler Kunde! — Mädchen! Mädchen! O 


Mein Gott, fo brauch’ ich dich ja nicht zu morden! 
Agnes, 

Morden ? 
Ottokar. 


O komm! Gie ſetzen fich.) 
Nun will ich heiter, offen, wahr, 

Wie deine Seele, mit dir reden. Komm! 
Es darf kein Schatten mehr dich decken, nicht 
Der mindeſte, ganz klar will ich dich ſehen. 
Dein Innres Ars mir ſchon, die neugebornen 
Gedanken Tann ic) wie dein Gott errathen. 
Dein Zeichen nur, die freundliche Erfindung, 
Mit einer Sylbe das Unendliche 
Au faffen, nur den Namen fage mir. 

ir jag’ ich meinen gleich, denn nur ein Scherz 
War e8, dir zu verweigern, was du mir. 
Ich hätte deinen längft erforfcht, wenn nicht 
Sogar dein unverftändliches Gebot 
Mir heilig. Aber nun frag’ ich dich ſelbſt. 
Nichts Boͤſes bin ich mir bewußt, ich fühle, 
Du u mir über alles Glück der Welt, 
Und nicht an’8 Leben bin ich fo gebunden, 
‚ So gern nicht, und fo fet nicht, wie an dich. 
Drum will ich, daß du nichts mehr vor mir birgft, 
Und fordre ernft dein unumfchräntt Vertrauen. 


Agnes, 
Ich kann nicht reden, Ottokar. — 
Ottokar. 
a Mas ängftigt di? 
Ich will dir jeden falfchen Wahn benehmen. 
Agues. 
— Du ſprachſt von Mord. 
Ottokar. 
Von Liebe ſprach ich nur. 


[| a, 


37 


Agnes. 
Bon Liebe, hör' ich wohl, ſprachſt du mit mir, 
Doc fage mir, mit wen ſprachſt du vom Morde? 
Ottokar. 
Du hörſt es ja, es war ein böſer Irrthum, 
Den mir ein ſelbſt getäuſchter Freund erweckt. 
(Johann zeigt ſich im Hintergrunde.) 


Agnes. 
Dort fteht ein Menſch, den kenn' ich. 
(Sie ſteht auf.) 
Ottokar. 
Kennſt du ihn? 
Agnes. 
Leb wohl. 


Ottokar. 
Um Gotteswillen, nein, du irrſt dich. 


Agnes. J 
Ich irre nicht. — Laß mich. Wollt ihr mich morden? 





Ottokar. 

Dich morden? — Frei biſt du, und gift du geben, 

Du kannſt e8 unberührt, wohin d Iſt. 
Agneß. 

So leb denn wohl. 


Ottokar. 
Und kehrſt nicht wieder? 


Agnes. 
Niemals, 

Wenn du nicht gleich mir deinen Namen ſagſt. 

Ottokar. 
Das ſoll ich jetzt — vor dieſem Fremden? 

Agnes. 
Leb wohl auf ewi Soe 

eb wohl auf ewig. 
Ottokar. 


Maria! Willſt du nicht beſſer von 
Mir denken lernen? 
Agues. 
Zeigen kann mir Jeder 
Gleich, wer er iſt. | 
Ottokar. 
Ich will es heut noch. Kehre wieder. 


Agnes, 
Sol id dir traun, wenn du nicht mir? 


38 


Ottokar. 
Thu es 
Auf die Gefahr. 


Agues. 
Es ſei! Und irr' ich mid, 
Nicht eine Thräne koſten ſoll es mich. me.) 


Hann, tomm Her; du et, fe ft e& wohl? 

ohann, komm ber; du ſiehſt, ſie iſt es mo 

& ift fein Zweifel mehr, nicht wahr ? 
Johann. 


Es mag, 
Wie's ſcheint, dir wohl an feinem Aufſchluß maugeln, 
Den id dir geben könnte. 3 
Dttolar. 
Wie du's nimmt. 
gel Werthe hat ein jeder Menſch: den einen 
ernt man nur fennen aus fich felbit, den andern 
Muß man erfragen. 
Yobann. 
Soft du sur den Kern, 
Die Schale giebt fi) dann als eine Zugab’. 
Ottokar. 
30 ſage Dir, fie weigert mir, wie Dir, 
en Namen, und wie dich b flieht fie mich 
Schon bei der Ahndung bloß, ich fei aus Roſſitz. 
Du fahft e8 felbft, gleich einem Geiſt erjcheint 
Und ſchwindet fie uns beiden. 


Doch mit dem Unterfhied, daß dir das eine 
Talent geworben, ihn zu rufen, mir 
Das andre bloß, den Geiſt zu bannen. 
Ottokar. 
Johann! 


IJohann. 
Pah! — Die Schuld liegt an der Spitze meiner Naſe 
Und etwa noch an meinen Ohrenzipfeln. 
Was ſonſt an mir kann fo voll Gräuel fein, 
Daß es das Blut aus ihren Wangen jagt, 
Und, bis auf's Fliehen, jede Kraft ihr nımmt? 
Dttolar. 
Johann, ich kenne dich nicht mehr. 
Johann. 


Ich aber did). 


39 


Ottokar. 
Ich will im voraus jede Kränkung dir 
Vergeben, wenn ſie 6 nur edel zeigt. 


Wenn Einer mir vertraut’, er wiſſ' ein Roß, 

Das a" bequem jei, und er Taufen wolle, 

Und id, ich ginge heimlich hin und Fauft’s 

Mir felbft — was meinft du, wäre das wohl edel? 


Johann. 
Nicht übern Preis will ich dir x — Sprich. 


Ottokar. 
Sehr ſchief wählſt du dein Gleichniß. 
Johann. 
Sage bitter. 
Und doch iſt's Honig gegen mein Gefühl. 


Ottokar. 
Dein Irrthum iſt dir lieb, weil er mich kränkt. 
Johann. 
Kränkt? Ja, das iſt mir lieb, und iſt's ein Irrthum, 
Juſt darum will ich zähe feſt ihn halten. 
Ottokar. 
Nicht viele Freude wird dir das gewähren, 
Denn ſtill verſchmerzen werd' ich, was du thuſt. 


Johann. 
Da haſt du recht. Nichts würd' mich mehr verdrießen 
Als wenn dein Herz wie eine Kröte wär', 
Die ein verwundlos ſteinern Schild beſchützt, 
Denn weiter keine Luſt bleibt mir auf Erden, 
Als einer Bremſe gleich dich zu verfolgen. 


Ottokar. 
Du biſt weit beſſer als der Augenblick. 


Johann. 
Du Thor! du Thor! Denkſt du mich ſo zu faſſen? 
Weil ich mich edel nicht erweife, nicht 
Erweifen will, machſt du mir weiß, ich ſei's, 
Damit die unverdiente Ehre mich 
Demwegen fol, in ihrem Sinn zu handeln? 
Bor deine Füße werf’ ich deine Achtung. — 
Ottokar. 
Du willſt mich reizen, doch du kannſt es nicht; 
Ich weiß, du ſelbſt, du wirſt mich morgen rächen. 


Johann. 
Nein, wahrlich, nein, dafür will ich ſchon ſorgen. 


40 


Denn in die Bruft ſchneid' ich mir eine Wunde, 
Die reiz’ ich ftetS mit Nadeln, halte ftets 
Sie offen, daß es mir recht finnlich bleibe. 
Es ift nicht möglich, ach es it mit oglich! 
s iſt nicht möglich, ach, es iſt nicht möglich! 
Wie könnte bein Gemüth fo Hai fein, 
Da du doch Agnes, Agnes lieben Fannft! 
Yohann. 
Und daran noch erinnert du mich, o 
Du Ungeheuer! 
Ottokar. 
Lebe wohl, Johann. 


Johaun. 
Nein, halt! Du denkſt, ich habe bloß geſpaßt. 
Ottokar. 
Was willſt du? 
Johann. 
Gerad heraus. Mein Leben 
Und deins ſind wie zwei Spinnen in der Schachtel. 
Drum zieh! (Er zieht.) 


Dttolar. 
Gewiß nicht. Fallen will ich anders 
Bon deiner Hand nicht, als gemordet. 
Yobann. 


ieh 
Du DMemme! Nicht nad) deinem Tod, nach meinen, 
Nach meinem nur gelüftet’3 mir. 


Dttolar (umarmt ihn). 
ohann! 
Mein Freund! ich dich ermorden! 
Jo hanmn (Röft ihn fort). 
Hort, du Schlange! 
Nicht Reden will fie, nur mit ihrem Anblid 
Mich langjam tödten. — Gut! 
(Er fledt das Schwert ein.) 
Noch giebt’8 ein andres Mittel. 
(Beide von verfchiedenen Seiten ab.) 


4 
Zweite Scene. 


Barwand. Zimmer im Schloffe. 


lbeſter inem Stuhle, mit der O di vorüber. U 
” an herum —— 7 Ah, Ber, ein Diene r. em 


rtrude. 
Nun, er erholt ſich, Gott fei Dant. 
Sylveſter. 

Gertrude! — 


Gertrude. 

Sylveſter, kennſt du mich, kennſt du mich wieder? 
Sylveſter. 

Mir iſt ſo wohl, wie bei dem Eintritt in 

Ein andres Leben. 
Gertrude. 


Und an feiner Pforte 
gichn deine Engel, wir, die Deinen, Kebreich 


Dich zu empfangen. 
E Sylpeiter. 


50 pdie S8 ul fam ich 
enn auf dieſen Stu uletzt, wenn i 
NER irre, ftand id — nit? ‘ 
Sertrzet leſt ſtehend 
u ſankeſt ſtehen 
In Ohnmacht. 


Sylveſter 
Ohnmacht? Und warum denn das? 
So ſprich doch. — Wie, was iſt dir denn? Was iſt 
Euch denn? Gr fieht fich um; lebhaft.) 
Fehlt Agnes? if fie todt ? 
Gertrude, 


D nein, fie ift in ihrem Garten. 
Sutwehen 


Wovon feid ihr denn Alle fo befeffen? 

Gertrude, Neid. — Sprich du, Theiftiner. — Seid 

Ihr ftumm, Theiftin, Der — — Seronimus! 

Ja jo — ganz recht — nun weiß id. — 
Gertrude, 


D nein, 


Komm in's Bette, 
Sylveſter, dort will ich's dir fchon erzählen. 
Sylvefter. 
In's Bett? O pfui! bin id denn — fage mir, 
Bin ich in Ohnmacht wirklich denn gefallen? 


42 
Gertrude. 
Du weißt ja, wie du fagft, fogar warum? 
. Spylpefter. 
Wuüßt' ich's! D pfui! o pfui! Ein Geift ift doch 
Ein elend Ding _ 
. . Gertrude 
Komm nur in's Bett, Syivefter, 
Dein Leib bedarf der Ruhe. 
SyIvefter. 
Sa, 's ift wahr, 
Mein Leib iſt doch an Allem Schuld. 


Gertrude. 
So komm. 

Sylveſter. 
Meinſt du, es wäre nöthig? 

Gertrude. 

Ja, durchaus 

Mußt du in's Bette. 

Sylveſter. 


Dein Bemühen 
Beſchämt mich. Gönne mir zwei Augenblicke. 
So mach' ich Alles wieder gut, und ſtelle 
Von ſelbſt mich her. 

Gertrude. 
En mindften nimm die Tropfen 

Aus dem Sheoferfiä] chen, das du felbft 
Stets als ein heilfam Mittel mir gepriefen. 


Sylvefter. 


An eigne Kraft glaubt doch fein Weib, und traut 
Stets einer Salbe mehr zu als der Seele. 


Gertrude, 
Es wird dich ftärken, glaube mir. — 


Syl veſter. 


azu 
Braucht's nichts als mein Bewußtſein. (Er flieht auf.) 
Was mich freut, 
ſt, daß der Geiſt doch mehr iſt, als ich glaubte: 
enn flieht er gleich auf einen Augenblick, 
An ſeinen Urquell geht er nur, zu Gott, 
Und mit eroenfraft kehrt er zurüd. 
Theiftiner! ’S tft wohl viele det nicht zu 
Berlieren, — Gertrud! Weiß er’3? 


43 
Gertrude. 


Ja. 
Sylveſter. 
Du weißt's? Nun ſprich, 
Was meinſt du, 's iſt doch wohl ein Bubenſtück? 
'S ift wohl fein Zweifel mehr, nicht wahr? 


Theiftiner. 
In Warwand 
gt Keiner, der's bezweifelt, ift faft Seiner, 
er's, außer dir, nicht hätt’ Ta 
Wie's enden müffe, fer e8 früh, ſei's pät. 
Sylveſter. 
Vorhergeſehen? Nein, das hab' ich nicht. 
Bezweitelt ? Nein, das thu' ig auch nicht mehr. 
— Und alſo iſt's den Leuten ſchon bekannt? 
& hl, daß ſie d — beſ 
o wohl, daß ſie das Haupt ſogar beſitzen, 
Das dir die ri ber aus Hoffig brachte. 


eyiveher. 

Wie meinft du das? Der Herold wär’ noch hier? 
Theiftiner. 

Gefteinigt, ja. 
Sylveſter. 


Geſteiniget? 
Theiſtiner. 
War nicht zu bänd Sin Sam ft zwiſch 
ar nicht zu bändigen. Sein Haupt ift zwiſchen 
Den Eulen an den Thorioeg feftgenagelt. ; 


Sylveſter. 
Unrecht iſt's, 
Theiſtin, mit deinem Haupt hättft du das feine, 
Das heilige des Herolds, ſchützen jollen. 
Theiftiner. 
Mit Unrecht tadelft du mich, Herr; ich war 
Ein Zeuge nicht der That, wie du wohl glaubft. 
Zu feinem Leihnam fam ih — diefen hier, 
Feronimus, war's juft noch Zeit zu retten. 
Sylveſter. 
— Ei nun, ſie mögen's niederſchlucken. Das 
Geſchehne muß ſtets gut ſein, wie es kann. 
Ganz rein, ſeh' ich wohl ein, kann's faſt nicht abgehn, 
Denn wer das Samup de anfaßt, den befudelt’s. 
Auch find’ ich, ift der Geiſt von diefer Unthat 


44 


Doc etwas werth, und kann zu mehr noch dienen. 
Wir wollen’8 nützen. Reite ſchnell in's Land, 
Die ſämmtlichen a: biete auf, 
Sogleich fi in Perſon bei mir zu ftellen; 
Indeſſen mill ich felbft von Männern, was 

ier in der Burg ift, fammeln, Reden braucht's 
Nicht viel, ich ftell’ mein graues Haupt zur Schau, 
Und jedes Haar muß einen Helden werben. 
Das ſoll den erften Bubenanfall hemmen; 
Dann, find wir flärker, wenden wir das Blatt, 
In feiner Höhle juchen wir den Wolf. 
Es kann nicht fehlen, glaube mir's, es geht 
Für Alles ie, was heilig ift und hehr, 
Für Tugend, Ehre, Werb und Kind und Leben. 

Sheiftin ee 

So geh’ ih, Herr, noch heut vor Abend find 
Die Tammtlichen Vaſallen hier verfammelt. 


Sylveſter. 
»S if uf. (Xheiftiner ab.) Srangiötus rufe mir den Burgvogt 
— od Eins. Die beiden affenfchntiebe bringe 
Sleih mit. (Der Diener ab.) 
Gu Seronimnd.) 
Diir ift ein Unglimpf widerfahren, 

Jeronimus, das thut mir leid. Du weißt, id) war 
gu eigentlichiten Sinn nicht gegenmärtig. 

ie Leute find mir qut, du fr ſt's; e8 war 
Ein mißverftandner Eifer bloß der Treue. 
Drum mußt du's ihnen fchon verzeihn. Für's Künft’ge 
Berfprech’ ich, will ich forgen. Willſt du fort 
Nah Roſſitz, kannſt du's gleich, ich gebe Dir 

ehn Reif’ge zur Begleitung mit. Ich kann's 
Nicht läugnen faſt, daß mir der Unfall lieb — 
Verſteh mich, bloß weil er dich hier vermeilte, 
Denn fehr unmürdig hab’ ich mich gezeigt. 
— Nein, fage nichts. Ich weiß daS. Freilich mag 
Wohl Dancer finten, weil er jtarf ıft; denn 
Die kranke abgeitorbne Eiche ſteht 
Dem Sturm, doc die geſunde ftürzt er nieder, 
Weil er in ihre Krone greifen kann. 
Nicht jeden Schlag ertragen foll der Menſch, 
Und welchen Gott faßt, denk ich, der darf finten, 
— Yud) eujgen. Denn der Gleichmuth ift die Tugend 
Nur der Athleten. Wir, wir Menfchen fallen 
Ja nicht für Geld, auch nicht zur Schau. Doch follen 
Wir ſtets des Anſchauns würdig aufſtehn. — Nun, 


45 
ii ch halte dich nicht Tänger. Seh nad) Kofi 


u deinen Fremden, die bu dir gemählt. 
enn hier in Warwand, mie du PeIbR gefunden, 
Bift du feit heute nicht meht gern gejehn. 
ft Recht, Haft Reht — 6 ws ni 1 beffer werth 
aft Recht, ha echt — bin's nicht viel beffer wert, 
d6 daß bu mit Bet, re zeigft. Bin i 
Ein Schuft in meinen en doc, um wie 
Biel mehr in deinen! — ge ein Schuft, wie du 
Es meint, der bin ich nicht. Doch Furz und gut, 
Glaubt, was ihr wollt. Ich kann mich nicht entfchufd’gen, 
Mir lähmt’3 die Bung’, die Worte wollen, mie 
Ru Kinder, nicht an’s Licht. — Ich gebe, A 
Nur jo viel jag’ ich dir, ich gehe nicht 
Roſſitz, *— du? Und ‚nod) Eind. Wenn du 
Bi brauchen fannit, fo ſag's; ıch laſſ' mein Leben 
Für dich, hörft du, mein Leben. (xs.) 
Gertrude, 
Hör, Jerome! 
Da gebt er hin. — Warum riefft du ihn nicht? 
Sylveſter. 
Verſtehſt du was davon, ſo ſeg es mir; 
Mir iſt's noch immer wie ein Traum. 
Gertrude 
un, 
Er war gewonnen von PArdig Roſſitz sjgen. 
Denn in dem ganzen, Sau ift wohl fein Nitter, 
Den fie, wenn’3 ging’, uns auf den Hals nicht besten. 
Sylvefter. 
- Allein Jeronimus! — Ya, wär’ ein Andrer, 
So wollt’ ich's glauben, dog Seronimus! 
'S ift do o leicht nicht in dem Augenblick 
Das Werk der Jahre, Achtung, zu zerſtören! 
iR teufliſcher B re ic 
D 's iſt ein teuflifher Betrug, der mich, 
5 dich —E hätte — Knnen, 


Du ai Mißtrauiſch Genen ir Nun laß 
Doch hören Ser 


Ruperts jüngfter Sonn ift wirklich 
Bon deinen Leuten im Gebirg erſchlagen. 


Sylvefter. 
Bon meinen Leuten? 


46 


Gertrude, 
O das ift bei Weiten 
Das Schlimmſte nit. Der Eine hats fogar 
Geftanden, du hättft ihn zum Mord gedungen 
SylIvefter. 
Geſtanden hätt’ er das? 
Gertrude. 
‚. 3a, auf der Folter, 
Und ift zwei Angenblide drauf verfchieden. 


Sutveer. 

Verſchieden? — und geftanden? Und im Tode, 

Wär’ au das Leben voll Abigentichteit, 

Im Tode ift der Menſch fein Sünder. — We 

Hat’3 denn gehört, daß er's geftanden ? 
Gertrude, 

Ganz Roffig. Unter Boltes Augen, auf 

Dem öffentlichen Markt ward er gefoltert. 


Sylvefter. 
Und wer hat dir das mitgetheilt? 
Gertrude, 
Jerome, 
Er hat ſich bei dem Volke ſelbſt erkundigt. 
Sylveſter. 
Nein, das iſt kein Betrug, kann keiner ſein. 
Gertrude. 
Um Gotteswillen, was denn ſonſt? 
Sylveſter. 
n ich 
Denn Gott, daß du mich frägſt? 
Gertrude. 


Iſt's keiner, ſo, 
O Himmel! fällt ja der Verdacht auf uns, 
Sylveſter. 

Ja, allerdings fällt er auf uns. 

Gertrude. 
Und wir, 
Wir müßten und dann reinigen? 

Sylivefter, 


Kein Zweifel, 
Wir müfjen es, nicht fie. 
Gertrude, 
D du mein Heiland, 
Wie ift das möglich ? 





47 


Sylneiter. 
Möglih? Ja, das wärs, 
Wenn ich nur Rupert fprechen könnte. 
Gertrude, 
Das könnteſt dir Dich jebt get ba ihn 
as könnteſt du dich jebt getraum, da ihn 
Des Herolds Tod nod mebr erbittert hat? 


S if freilich jept weit (hllmmer — Doch es if 
'S iſt freilich jeßt wei immer. — Doch e8 i 
Das u Mittel, das ergreift fich leicht. 

t, 


— Sa re o geht's. — Wo mag Jerome fein ? 
Ob er noch Hier Der mag mid) u ihm führen, 
Gertrude, 


D mein Gemahl, o folge meinem Rathe. — 


Sylveſter. 
Gertrude — laß mich — das verſtehſt dur nicht. (Beibe ab.) 





Dritte Scene. 


Blaß vor den Thoren von Warmand. 
Agnes tritt in Haft auf; Ishaun folgt ihr. 


| Agues. 
Zu Hülfe! zu Hülfe! gu⸗ 


Agnes, 
Fort, Ungeheuer, bift du nicht aus Roſſitz? 


Yohann. 
Wie kann i a fein? Sieh mich dod an, 
Ich zittre jelbit vor Wolluft und vor Schmerz, 
Mit meinen Armen dich, mein ganzes Maß 
Bon Glück und Jammer, zu umjchließen. 


Agues. 
Was willſt du, Raſender, von mir? 
Yobanı. 
Nicht meiter — 
Mir bift du tobt, und einer Leiche gleich, 
Mit kaltem Schauer drück' ich dich an’3 Herz. 


/£ 


48 


Agnes. 
Schütt mid, ihr Himmlifchen, vor feiner Wuth! 


Johaun. 
Sieh, Mädchen, morgen lieg' ich in dem Grabe, 
Ein Jungling ich — nicht wahr, das thut dir weh? 
Nun, einem Sterbenden ſchlägſt du nichts ab, 
Den Abſchiedskuß gieb mir. (Cr fügt fie) 


Agnes. 
Errettet mich, 


Ihr Heiligen! 
Joh 


ohaun. 

— Ja, rette du mich, Heil'ge! 
Es hat das Leben mich wie eine Schlange, 
Mit Gliedern, zahftlos, efelhaft, ummwunden. 
Es ſchauert mie, e8 zu berühren. — Da, 
Nimm diefen Dold. j 


Agnes, 
Zu Hülfe! Mörder! Hülfe! 
Rimm dieſen Dolch, ſag id, Haft du nich 
mm diefen Dolch, ſag' ih. Haft du nicht einen 
Mir ſchon in's Herz ei? 
Agnes. 
Entſetzlicher! 
(Sie ſinkt befinnungslos zuſammen.) 
Yohanı (fanft. 
Nimm diefen Dolch, Geliebte. Denn mit Wolluft, 
Wie deinem Kuſſe fih die Lippe reicht, 
Neich’ ich die Bruft dem Etoß von deiner Hand. 
(Jeronimus tritt mit Neifigen aus dem Thore). 


Jeronimus. 
ier war das Angſtgeſchrei. — — Unglücklicher! 
Set eine That BE ift beriundet — , Teufel! 


Mit deinem Leben follft du’S büßen. 
(Er verwundet Johann, welcher fällt. Jeronimus faßt Agnes auf.) 
Agnes! Agnes! 
Sch fehe feine Wunde. — Lebft du, Agnes? 
(Eylveſter und Gertrude treten aus dem Thore.) 


Sylveſter. 
Es war Jeronimus' Entſetzensſtimme, 
Nicht Agnes. — — O mein Gott! (Gr wendet ſich ſchmerzvoll) 
Gertrude. 


>. O meine Tochter, 
Mein einzig Kind, mein letttes! — 


49 
Yeranimns. 


Schafft nur Hülfe, 
Ermordet ift fie nicht. of va 
Sie rüpet — har! — 
ie rührt ſich — hor 
Sie athmet - — ja fie lebt, fie lebt! 
Sylveſter. 
Lebt ſie? 


Jeronimunus. 
Eben wars noch Zeit, 
Er züdte jhon den Dolch auf fie, da hieb 
Ich den Unmürd’gen nieder. 
Sergzute a 
er nicht 
Aus Roſſitz? 
Yeronimusß, 


Frage nicht, du machſt ae ſchamroth, — ja. 
Sylveſter. 

Och mir die Hand, Jerome, wir verftehn 

n 


Und unvermwundet? 


Jeronimus. 
Wir verſtehn uns. 
Gertrude. 
Sie erwacht, o ſeht, 
Sie ſchlägt die Augen A * 1 t mid an. — 


Bin id von dem Enteigen —9— 


trude. 
Hier liegt er todt am Baer, faſſe dich. 


Getödtet? und um mich | re es ift gräßlich. 
Gertrude 
Serome bat den Mörder bingejtredt. 
Agnes, 
Er folgte mir weit her aus dem Gebirge, 
— Mi faßte das Entſetzen yleic, als ich 
Bon Weitem nur ihn in das e {ab Bte. 
Ich eilte — doch ihn. trieb die Mordſucht ſchneller 
Als mich die Angft — pr ne ergriff er mich. 


efter 
Und züdt’ er gleich den Dad? und ſprach er nit? 
Kannit du dich deffen nicht entfinnen mehr? 
Didl. d. d. NRationalliteratur. Kleiſt. IL 


Bu 


So kaum — denn vor kein Frötetige Antlıy 
Entflohn mir alle Sinne faft, er ſpra 
— Gott weiß, mir ſchien's faft wie im Bahnfinn — ſprach 
Bon Liebe, J er mich vergöttre — nann 
Bald eine Heil’ ge ig, bald eine Leiche. 
Dann 309 er plötlich jenen Dolch, und bittend, 
du Pic An ‚ie, in tödten, zückt' er ihn 


cebt ne bemm ur ? Er (hen Wiundet bloß, 

Sein Aug' en. (Zu den Lenten) Tragt ihn in das Schloß, 
Und ruft den —28 (Sie tragen Ihn fort.) Einer komme wieder 
Und bring’ mir Nachricht. 


Gertrude. 
Aber meine Tochter, 
Wie konnteft du fo einfom und fo meit 
Di in's Gebirge wagen? 


Agnes. 
Zurne nicht, 
Es war mein Pieblingsmeg. 
Gertrude 


Und noch fo lange 
Dich zu verweilen! ’ 3 


Agnes, 
Einen Ritter traf 
Ich, der mich aufhielt. 
Gertrude. 


Einen Ritter? Sieh, 
Wie du in bie Gefahr did wagſt! Kann's wohl 
Ein andrer fein faft als ein u efäet 


Glaubſt du, e8 fei ein Roffikiher? 


Yeronimnß, 
Ich weiß, 
Daß Ottofar oft in's Gebirge geht. 
Agnes, 
Meinft du den? 
Yeronimuß, 


Ruperts ältften Sohn. 
Kennft du ihn micht ? | 


Agnes. 
Ich hab' ihn nie geſehen. 





51 


Yeronimmd, 
A habe fichre Proben doc, daß er 
ich kennt? 
Mid? 
Gertrude 
Unfre Agnes? und moher? 
Jeronimus. 
Wenn ich nicht irre, ſah ich einen Schleier, 
Den du zu tragen pflegſt, in ſeiner Hand. 
Agnes 
(verbirgt ihre Haupt an der Bruſt ihrer Mutter). 
Ad, Mutter. — 
Gertrude. 


O um Gotteswillen, Agnes, 
Sei dod auf deiner Hut. — Er kann did mit 
Dem Apfel, den er dir vom Baume pflüdt, 
Bergiften. 


Agnes, 


Yeronimuß, 
Nun, das möcht ich Faft nicht flirten — 
Bielmehr — allein wer darf der Schlange traun; 
Er bat beim Nachtmahl ihr den Tod gehämoren. 
Agnes. 
Mir? 
Den Tod? 
muß, 


Jeroni 
Ich hab' es ſelbſt gehört. 
Gertrude. 
Nun ſieh! 
36 werde wie ein Kind dich hüten müflen. 
u darfſt nicht aus den Mauern diefer Burg, 


Darſſt nicht von deiner Mutter Seite gehn. 
(Ein Diener tritt auf.) 


Diener. 
Geftrenger Herr, der Mörder ift nicht todt. 
a 3337 ſagt, die Bunde fet nur leicht. 
Sylveſter. 
Iſt er ſich ſein bewußt ? 
Diener. 
Herr, es wird Reiner Mug 
Aus ihm. Denn er fpricht ungehobelt Zeng, 
Wild durcheinander, wie ım Wahnwitz faft. 
Teronimms, 
Es ift Verſtellung offenbar. 4" 


m 


5 


Sylveſter. 
Kennſt du 


Den Menſchen? 
Jeronimnus. 


Weiß nur ſo viel, daß ſein Name 
Zn und er ein unecht Kind des upert; 
Daß er den Nitterdienft in Moffig lernte, 
Und geftern früh das Schwert empfangen hat. 

Sylnefter. 

Das Schwert empfangen, geſtern es — und heute 
MWahnfinnig — fagteft du nicht auch, er habe 
Beim Abendmahl den Racheſchwur geleiftet ? 


Keronimmnd, 
Wie alle Diener Ruperts, fo aud er. 


‚ Sylvefter. 
Jeronimus, mir wird ein böfer Zweifel 
yes! ur Gewißheit faft. — Ich hätt’s entfchuldigt, 
aß fie Verdacht auf mich geworfen, daß 
Sie Nahe mir gefhworen, daß fie Fehde 
Mir angekündiget — ja hätten fie 
am Krieg mein Haus verbrannt, mein Weib und Kind 
m Krieg erſchlagen, noch wollt’ ich's entjchuld’gen. 
Doch daß fie mir den Meuchelmörder fenden, 
— Wenn's fo iſt — 
O8 dem noch Zweifel? Hab 
's denn noch im Zweife aben 
Sie uns nit felbft die Probe ſchon gegeben? 
Sylvefter. 
Du meinft an Philipp? — 
Gertrnde. 
Emmi ſiehſt du's ein! 
Du haſt mir's nie geglaubt, haſt die Vermuthung, 
Vewißdeit, wollt’ id agen, ſtets ein Deuteln 
Der Weiber nur genannt, die, weil ſie's einmal 
Aus Zufall treffen, nie zu fehlen wähnen; 
Nun weißt du's beffer. — Nun, ich könnte Dir 
Wohl mehr noch jagen, das dir nicht geahndet. — 


Sylvefter. 
Mehr noch? 
Gertrude 
Du mirft dich deines Fiebers vor 
wei Jahren noch erinnern. Als du der 


enefung nabteft, ſchickte dir Euſtache 
Ein Läfıhen eingemacdten Ananas. 


53 


Sylveſter. 
Ganz recht, durch eine Reitersfrau aus Roſſitz. 
Ich bat d ter f lem Sormanb, icht 
at dich unter falſchem Vorwand, ni 
Von dem & enke zu genießen, jegte 
Dir jelbft ein Fläſchchen vor aus ei nem Borrath 
t eingemadtem Pfirfi aber. 
Ben baranf, verichmäbteft meine  Bfrich, 
von der Ananas, und plößlich folgte 
ei eins Erbreden — 
Sylveſter. 
Das iſt am; 
Denn ich beſinne mich noch eines ands — 
— Ganz recht. Die Katze war mir "übers Fläſchchen 
Mit Ananas gekommen, und ich ließ 
Von named mir den Pirfich reichen. — Nicht? 
Sprich, Agnes. IR 
neß®. 


Ya, fo ift es. 
Sylveſter. 
Ei; jo hätte 
Sid ſeltſam ja das Blatt ewendet. Denn 
Die Ananas hat doch der Katze nicht 
Geſchadet, aber mir dein Pfirſich, den 
Du eibſt mir zubereitet. — 


Gertrude, 
Dreben freili 
Läßt Alles fih. — den freiich 
Sylvefter. 


Meinft du? Nun fie, das mein’ 
Ih auch, und habe Recht, wenn ich auf das, 
Was du mir a nicht achte. — Nun, genug! 
Ich will mit Ernſt, daß du von Bhilipp gem ; 
Er fei vergiftet oder nicht, er jo 
Geftorben fein, und weiter nichts. Ich will's. 


Jeronimus. 
Du ſolliſt, Sylveſter, doch den Augenblich, 
Dei gt dir günftig ſcheinet, nügen. Iſt 
— eters ein Betrug, wie es 
get fein muß, 5 ift auh Johann darin 
Verwebt 
Sylveſter. 
Betrug? Wie wär’ das möglich? 


54 

Jeronimus. 
Ei möglich wär' es wohl, daß Ruperts Sohn, 
Der DE ermordet fein joll, bloß geftorben, 
Und daß, von der Gelegenheit. gereiät, 
Den Erbvertrag zu feinem Glüd zu Ienten, 
Der Bater e8 verjtanden, deiner Xeute, 
Die juſt vielleicht in dem Gebirge waren, 
Fu ihrer Unit jo fi zu bedienen, 
Daß e8 der Welt erjcheint, al8 hätten wirklich 
Sie ihn ermordet — um mit diefem Scheine 
Des Rechts jodann den Frieden aufzufünden, 
Den Stamm von Warwand auszurotten, dann 
Das Erbvermädhtnig fi zu nehmen. 

Sylvefter. 

— Aber 


Du fagte 7 der Eine meiner Leute 


gätt? felbft im Tode noch bekannt, er wäre 

on mir gedungen zu dem Mord. — 
(Stillſchweigen.) 
Jeronimus. 


Der Mann, den ich geſprochen, hatte nur 
Von dem Gefolterten ein Wort gehört. 
| Sylvefter. , 
Das war? 
Jeronimus. 
Sylveſter.« 
GStill ſchweigen.) 
Yeronimus. 
Haft du denn die Leute, 
Die fogenannten Mörder, nicht vermißt? 
Bon ihren Hinterlaffnen müßte fich 
Doch mancherlei erforichen Iaffen. 


Sylvefter (u den Leuten). 
Rufe 


Den Hauptmann Einer ber! 

Jeronimus. 

Von wem ich doch 

Den meiſten Aufſchluß hoffe, iſt Johann. 

Sylveſter. 
© iſt auch fein ſichrer. 

Jeronimnus. 

Wie? wenn er es nicht 
Geſtehen will, macht man's wie die von Roſſitz, 
Und wirft ihn auf die Folter. 


55 


Sylveſter. 
un? und wenn 
Er dann gefteht, daß rn ihn gedungen ? 
eronimmß. 
So iſt's heraus, jo ins" am Tage. — 
Sylpefter. 


©, 
Dann freilich bin ich auch ein Mörder. 
(Stillſchweigen.) 
FJeronimus. 
Aus dieſem Wirrwarr die fih ein Pfaffe! 
Ih kann es nid. 


—8 
Ich bin dir ot ein Räthfel? 
Nicht wahr? Nun tröfte dich, Gott ift es mir. 
Yeronimnß, 
Sag furz, was mwillft vw thun ? 
Syl ven 
Beite wär’ 
Noch immer, wenn ich Rupert fpreihen könnte. 
Jeronimus. 


— 'S iſt ein gewagter Schritt. Bei feiner Rede 
Am Sarge Peters jchien fein menſchliches, 
Kein —3* Geſetz ihm heilig, das 


Dich 
| Sylve 
Es wäre zu verſu m “ Dem 
Es wagt ein Menſch of den abjcheulichen 
Gedanten, der ſich vor der That entſetzt. 


Feronimus. 
Er hat dir heut das sei an. gegeben. . 


diefe Unthat, wenn Y —28 gleich, 
20 if noch zu verzeihn, Jeronimüs. 
Denn chwer war er gereizt — Auf jeden Fall 
Iſt mein Geſuch jo unerwarteter; 
Und öfters thut ein Menſch, was man kaum hofft, 


Weil man's kaum hofft. 
Irpines 
s iſt ein blinder Griff, 
Man kann es treffen. 
Sylveſter. 


Ich ů⸗ß wagen. Reite 


56 
Nach Rıffik, fordre ficheres Geleit, 
u 


Sch denfe, du haft nichts zu fürchten. 
Yersnimns. 
Nein; 
Ich will's verjuchen. (Ab m’s Thor.) 
Sytvener. 
So leb wohl. 
Gertrude. 
Leb wohl, 


Und kehre bald mit Troſt zu uns zurück. 
(Sylveſter, Gertrude und Agnes folgen.) 
Agnes 
(Gebt im Abgehen den Dold auf). 
Es giebt feinen. — 
Gertrude (eriäroden). 
- Den —X — er iſt vergiftet, Agnes, kann 
Vergiftet fein. Wirf gleich, ſogleich ihn fort. 
. (Agnes legt ihn nieder.) 
Du folft mit deinen Händen nicht ergreifen, 
Nichts faſſen, nichts berühren, das ich nicht 
Mit eignen Händen jelbft vorher geprüft. (se ab.) 


Aritter Aufıng. 


Erſte Scene. 


Gegend im Gebirge. 

Agnesß fit im Bordergrunde der Höhle in der Oteilung der Traner. Otisler tritt 
auf, und fteflt ſich ungeſehen nahe der Höhle. Agnes erblidt ihn, shut einen Echrei, 
fpringt auf und will entfliehen. 

Agnes 

- (da fie ſich gefammelt Kat). 
Du biſt's. — 
Ottokar. 


Vor mir erſchrickſt du? 


Agues. 
Gott ſei Dank! 
Ottokar. 


Und wie du zitterſt! 


57 


Agnes. 
Ad, es ift vorüber. 
Ottokar. 
Iſt's wirklich wahr, vor mir wärſt du erſchrocken? 


Agnes. 
Es iſt mir ſelbſt ein Räthſel. Denn I eben 
Dacht' ich noch dran, und rief den Fühnen Muth, 
Die hohe Kraft, die unbezwingliche 
Standhaftigfeit herbei, mir beizujtehn, 
Und doch ergriff’3 mich, wie unporbereitet — 
— Nun ift’3 vorbei. — 

Ottokar. 
O Gott des Schickſals! Welch ein ſchönes, 
Welch ruhiges Gemitth haft du geſtört! 


Agnes. 
— Du haft mich herbeftellt, was willjt du? 


Ottokar. 
Wenn 
30° dir num fage, kannft du mir vertraum, 
aria? 
Agnes 
Warum nennft du mih Maria? 
Ottokar. 


Erinnern will ich dich mit digen Namen 
An jenen ſchönen ag, wo ich dich tanfte. 
30 fand in. ichlafend hier in diejem Thale, 
as einer Wiege gleich dich bettete. 

‚Ein fhügend Flordach webten dir die Zweige, 
Es fang der Waflerfall ein Lied, wie Federn 
Ummehten dich die Lüfte, eine Göttin ” 
Schien dein zu pflegen. Da erwachteſt du, 
Und blidteft, wie mein neugebornes Glüd, 
Mid an. Ich fragte dich nach deinem Namen: 
Du jeift noch nicht getauft, fprachit du. Da jchöpfte 
Ich eine. Hand vol Wafler aus dem Duell, 
Benetzte dir die Stirn, die Bruſt, und fprad: 
Weil du ein Ebenbild der Mutter Gottes, 
Maria tauf’ ich dich. 

(Agnes wendet ſich beisegt.) 

Wie war e8 damals 
Ganz anders, fo ganz anders! Deine Seele 
Lag offen vor mir, wie ein ſchönes Buch, 
Das janft zuerft den Geift ergreift, dann tief 
Ihn rührt, dann unzertrennlich feit ihn hält. 


58 


Es zieht des Lebens Forderung den Leer 
umweilen ab, denn das Gemeine will 
in Opfer auch; doch immer kehrt er wieder 
Zu dem vertrauten Geift zurüd, der in 
er Götterſprache ihm die Welt erklärt 
Und fein Geheimniß ihm verbirgt, als das 
Geheimnig nur von feiner eignen Schönheit, 
Das ſelbſt ergründet werden muß. — Nun bift 
Du ein verjchlofiner Brief. — 
Agnes (wendet fih zu ihm). 
Du fagteft geftern, 
Du wollteft mir etwas vertraun. 
Ottokar. 


Warum 
Entfloheſt du ſo ſchleunig? 
Agnes. 
Das fragſt du? 


1 var M Dttotar. Anati 
ann es faſt errathen — vor dem Jünglin 
3 ung bier überrafchte;, denn ich mei, gung, 
Du haſſeſt Alles, mas aus Roſſitz iſt. 
Agnes. 
Eie haſſen mid). 
36 Yon e8 fait Befmd 
ann es faft beſchwören 
Daß du dich ireft. — Nicht Alle wenigftens; 
Zum Beijpiel für den Jüngling fteh’ ich. 
Agnes. 
Stehft du. — 


| Ottokar. 
Ich weiß, daß er dich heftig liebt. — 
Agnes. 
Mich liebt. — 
Ottokar. 


Denn er iſt mein vertrauter Freund. — 
Agnes. 
Dein Freund? — 
Ottokar. 
Was fehlt dir, Agnes? 


Agues. 
Mir wird übel. (Sie ſetzt fi.) 
Ottokar. 
Welch 


Ein Zufall — wie kann ich dir helfen? 


59 
Agues. 


Mich einen Augenblick. 


Ottokar. 
Ich will dir Waſſer 
Aus jener Quelle ſchöpfen. Gb.) 
Agnes (feht auf). 
Nun iſt's gut. 
Jetzt bin ich ſtark. Die Krone ſank in's Meer, 
Gleich einem nadten Fürften werf’ ich ihr 
Das Leben nah. Er bringe Wafler, bringe 
Mir Gift, —— viel, ich trin® es aus, er ſoll 
Das Ungeheuerfte an mir vollenden. 
(Sie ſetzt fi.) 
Dttslar 
(kommt mit Waffer in den Hute). 


Hier ift der Trunt — fühlft du dich beffer ? 


Agnes, 
' Stärter 
Doch menigfteng. 
Ottokar. 
Nun, trinke doch. Es wird 
Dir wohl thun. 


Agnes. 
Wenn's nur nicht zu kühl. 
Ottokar. 
Es ſcheint 
Mir nicht. 
Agnes. 
Verſuch's einmal. 


Dttolar. 
Wozu? es ift 
Nicht viel. 
. Agnes. 
— Run, wie du willit, fo gieb. 
Dttolar. 
Nimm did 
In Act, verſchütte nichts. 
Agnes. 
Ein Tropfen ift 
Genug. (Sie teintt, wobei fle ihn unverwandt anfieht.) 
Dttolar, 
Wie ſchmeckt e8 dir? 


® 


60 


Agnes, 
’S ift kühl. (Cie ſchauert) 


Ottokar. 
So trinke 
Es aus. 
Agnes, 
Soll ich's ganz leeren? 
Dttsler. 
Wie du mwillit, 
Es reiht auch hin. 
Agnes, 


Nun, warte nur ein Weilchen, 
Ich thue Alles, wie du's willft. 


Dttslar. 
’ Es ift 
So gut wie Arzenei. 

Agnes. 

Für's Elend, 

Dttslar, 

— Wie? 
Agnes. 


Nun, fer Dich zu mir, bis mir beſſer worden. 
Ein Arzt, wie du, dient nicht für Geld, er hat 
An der Öenefung feine eigne Freude. 
Dttslar. 
Wie meint du das? — für Geld? — 
Agnes, 
Komm, laß uns plaudern, - 
Bertreibe mir die Zeit, bis ich's vollendet; 
Du weißt, e8 find Genefende ſtets ſchwabhaft. 
Ottokar. 
Du ſcheinſt ſo ſeltſam mir verändert — 
Agues. 


Schon? 
Wirkt es ſo — So muß ich, was ich dir 
Zu ſagen habe, wohl beſchleunigen. 

Ottokar. 
Du mir zu ſagen? — 


Agues. 
Weißt du, wie ich heiße? 
Ottokar. 
Du haſt verboten mir, danach zu forſchen. — 


61 


| AgneB. 

Das heißt: du weißt es nicht. Meinſt du, 

Daß ih dir’ glaube? | 
Ottokar. 

Nun, ich will's nicht läugnen. — 


Agnes. 
Wahrhaflig? Nun ich weiß auch, wer du bift! 


Dttolar, 
Kun? 


Agnes, 
Ottokar von Schroffenftein. 
Dttuler. 
| Wie haft 
Du das erfahren? 


Agnes, 
FR gleichviel. Ich weiß noch mehr: 
Du baft beim Abendmahle mtr den on B mod) mehr; 
Geſchworen. | 
Ottokar. 
Gott! o Gott! 


Agnes. 
Erſchrick doch via. 
Was macht es aus, ob ich's jegt weiß? Das Gift 
Hab’ ich getrunken; du bift quitt mit Gott 


Ottokar. 
Gift? 


Agnes. 
Hier iſt's Mebrige, ih will e8 leeren. 
ir " Salt! Es if — Gieb 
ein, halt! — Es iſt genug für dich. Gieb mir's, 
Ich ſterbe mit dir. —— 
Agnes. 
Ditofar! (Sie fänt igm um den Hals.) 
ttofar! 
D wär e3 Gift, und könnt’ ich mit dir fterben! 
Denn ift e8 keins, mit dir zu leben, dar 
39 dann nicht hoffen, da ich jo unwürdig 
n deiner Seele mich vergangen habe. 


Dttoler, 
Willſt du's? 


Agne 
Was meinſt du? 
ttokar. 
Mit mir leben? 


62 


Heft an mir halten? dem Gefpenft des Mißtraung, 
Das wieder vor mir treten könnte, kühn 
Entgegenfchreiten? unabänderlic, 

Und wäre der Berdadht auch noch fo groß, 

Dem Bater nicht, der Mutter nicht fo traum, 

Als mir? 


Agnes. 
D Dttofar! wie ſehr beſchämſt 
Du mid. 


Dttolar. 
Willſt du's? kann ich dich ganz mein nennen ? 
Agnes. 
Ganz deine, in der gränzenlojeften 
Bedeutung. 


Ottokar. 
Wohl, das ſteht nun feſt und gilt 
Für eine Ewigkeit; wir werden's brauchen. 
Wir haben viel einander zu erklären, 
Viel zu vertraun. — Du weißt, mein Bruder iſt — 
Von deinem Vater hingerichtet. 


Agnes. 
Glaubſt du's? 


| Ottokar. 
Es gilt fein Zweifel, denk' ich, denn die Mörder 
Geftanden’s felbft. 


Agnes. 
So mußt du's freilich glauben. 
Ottokar. 
Und nicht auch du? 
Agnes. 


Mich überzengt es nicht. 
Denn Etwas giebt's, das über alles Wähnen 
Und Wiſſen hoch erhaben — das Gefühl 
Sit e8 der Seelengüte Andrer. 
Ottokar. 


pöcftens 
Gilt das für dich. Denn nicht wirft du verlangen, 
Daß ich mit deinen Augen fehen foll. 
Agnes. 
Und umgelehtt. 
Dttolar. ' 
MWirft nicht verlangen, daß 
Ih meinem Bater weniger, als du 
Dem deinen, traue. 


63 


Ugneß. 
Und fo umgefehrt. 
— 
O a ift es möglich? Muß ich 
So früh ſchon mahnen? port dur nit © erforoden, 
ir deiner heimlichften Gedanken feinen 
gu bergen? Dentit du, daß ich darum dich 
ntgelten laſſen werde, was dein Haus 
Berbrah? Bılt du dein Vater denn? 
Agnes, 
o wenig, 
Wie du der deinige — fonft wird ich — 
In Ewigkeit wohl lieben nicht. 
Ottokar. 
Mein Vater? 
Was hat mein Vater denn verbrochen? Daß 
Die Unthat ihn empört, daß er den Tpatern 
Die Fehde ande iſt's zu tadeln 
Mupt er's nicht faft 


Agu 

J es nicht unterfuchen. 
Er war gereizt, ’8 iſt Bahr Dod daß er ung 
Das Gleiche, wie er meint, mit Gleichem gilt, 
Und uns den Mencelmörber ſchickt, das Tun 


Nicht groß, nicht edel. 
Ottokar. 
et Agnes! 


Nun das ift, Gott fer Dant nicht zu bezweifeln, 

. Denn ich erfuhr es felbft an meinem feibe. 

Er züdte ſchon den Dolch, da hieb “Jerome 

Ihn nieder — und er liegt nun frank in Warwand. 
Ottokar. 

Wer that das? 


Agnes. 
Nun, ich —* dir jetzt ein Beiſpiel 
Doch geben, wie ich inmg dir vertraue, 
Der Mörder iſt dein Freund. 


Ottokar. 
Mein Freund? 


Agnes. 


Ihn ibſ ſo, und das war es, was vorher 
Mich irrte. 


Du nannteſt 


64 


Dttstar. 
'S ift wohl möglich night — Zohann? 
Agnes. 


Der uns auf diefem Plate überrafcte. 
g Ottokar. 
O Gott, das iſt ein Irrthum — ſieh, das weiß, 
Das weiß ich. b ß 
Agues. 
Ei, das iſt u feltfam. Soll 
Ich nun mit deinen Augen jehn? 
Ottokar. 
6 Menchelmörder! Iſt (eich ai 
in Meuchelmörder! er gleich fehr heftig, 
Nie hab’ ich anders doch ihn, als ganz edel 
GSelannt. 
Agnes. 
Sol ih nun deinem Bater mehr, 
ALS du dem meinen traun ? 
Still ichweigen.) 
Ottokar. 
In jedem Falle 
War zu der That Johann von meinem Vater 
Gedungen nicht. 
Agnues. 
Kann ſein. Vielleicht ſo wenig, 
Wie von dem meinigen die Leute, die 
Den Bruder dir erſchlugen. 
Still ſchweigen.) 
Ottokar. 
Fane nur 
Ienimus in ſeiner Hitze nicht 


en a a mit dem Schwerte gleich verwundet; 


ich vieleicht das Räthſel gleich 
Agnes, 
.„ Vielleicht — fo gut, wie wenn dein Vater 
Die Leute nicht erfchlagen hätte, die i 
Er bei der Leiche deines Bruders fand. 
(Stilljchweigen.) 
Ottokar. 
Ach, Agnes, dieſe That iſt nicht zu läugnen, 
Die Mörder haben's ja geſtanden. — 


Es hätte 
Gelöſt. 


Derſelbe, 


65 
Agnes. 


N, 
Mer weiß, mas noch geſchieht. Johann ift frank, 
Er ſpricht im Fieber ME Namen aus; 
Und wenn mein Bater rachedürjtend wäre, 
Er könnte leicht ſich einen wählen, der 
Für fein Bedürfniß taugt. 
Ottokar. 
gIchf farchtenf 7 nes! Agnes! 
ange an zu fürchten faſt, daß wir 
Doch deinem ater wohl zu viel gethan. 
Agnes. 
Sehr gern nehm' ich's, wie all' die Meinigen, 
Zurück, wenn wir von deinem falſch gedacht. 
Ottotkar. 
Für meinen ſteh' ich. 
Agnes. 
So wie ich für meinen. 


| Ottokar. 

Nun wohl, 's iſt abgethan. Wir glauben uns. 
— O Gott, welch eine Sonne geht mir auf! 
Wenn's möglich wäre, wenn die Väter ſich 
So gern, ſo leicht, wie wir, verſtehen wollten! 
— Ja könnte man ſie nur zuſammenführen! 
Denn einzeln denkt nur jeder ſeinen einen 
Gedanken; käm' der andere hinzu, 

Gleich gäb's den dritten, der uns fehlt. 

Und ſchuldlos, wie ſie ſind, müßt' ohne Rede 
Sogleich ein Aug' das andere Pa 
— Ad, Agnes, wenn dein Bater fich entichlöffe! 
Denn kaum erwarten läßt's von meinem ſich. 


Agnes. 
Kann fein, er ift ſchon auf dem Wege. 
Ottokar. 


Wie? 
Er wird doch nicht? Unangefragt, und ohne 
Die Sicherheit des en ’ 


Agnes, 
Mit dem Herold 

Gleich wollt’ er fort nach Roſſitz. 

Ottokar. 

O das ſpricht 
Für deinen Vater weit, weit beſſer, als 
Das beſte für den meinen. 
Dibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. IT. 


66 


Agnes, 
aa du follteft 
Ihn tennen, ihn nur einmal handeln die! 
Er ift fo ſtark und doch fo fanft. — hat es längft 
Bergeben. 
Ottokar. 


Könnt ic das von meinem ſagen! 
Denn niemals hat die blinde Rachſucht, die 
I zitgello8 wild treibt, mir wohlgethan; 
Ni fürchte viel von meinem Bater, wenn 
er deinige unangefragt erfcheint. 
Nun, das wird (mot gefcheh iß 
un, das wird jetzt wohl nicht geſchehn, ich weiß, 
Jeronimus wird ihn eu mein 2 
Ottokar. 


erome? 
Der iſt ja ſelbſt nicht ſicher. 
Agnes. 
Warum das? 


Ottokar. 
Wenn er Johann verwundet hat, in Warwand 
Verwundet hat, das macht den Vater wüthend. 


Agnes. 
Es muß ein böſer Menſch doch ſein, dein Vater. 
Ottokar. 


Agues. 

So ſollteſt du 
Doch lieber gleich zu deinem Vater eilen, 
Zu mildern wenigſtens, was möglich iſt. 

Ottokar. 
Ich mildern? meinen Vater? Gute Agnes, 
Er trägt uns wie die See das Schiff, wir müſſen 
Mit ſeiner Woge fort, ſie iſt nicht zu | 
Beſchwören. — Nein, id wüßte of was Beſſers. 
Denn fruchtlos ift doch Alles, Tommt der Irrthum 
An's Licht nicht, der uns nedt. Der Eine ift, 
Bon jenem Anfchlag auf dein Leben, mir 
Schon Mar. Der Aungling war mein Freund, um feine 
Ge Sue Abfiht kann ich wiſſen. Hier 
Auf diejer Stelle, von Eiferfucht gequält, 
Reizt' er mit bittern Worten mich, zu ziehen 
— iqt mich zu morden, denn er TR es felbft, 
Er wolle fterben. | 


Auf Augenblide, ja. 





67 


Agues. 
Seltſam! gerade das 
Sagt' er mir auch. 


Ottokar. 
Nun ſieh, ſo iſt's am Tage. 


Agnes. 
Das feh ich doch nicht ein — er ftellte ſich 
Wahnfinnig zwar, drang mir den Dei auf, fagte, 
Als ich mich weigerte, ich hätt’ ihm einen 
Schon in das Herz gedrüdt. 
Ottokar. 
.. Nun, das brauch' ich 
Wohl dir nicht zu erklären. 
Agnes. 
Wie? 


Ottokar. 
Sagt' ich 
Dir nicht, daß er dich heftig liebe? 


Agnes. 


Mein Gott, was iſt das für ein Irrthum' — Nun 
Liegt er verwundet in dem Kerker, Niemand 
Pflegt feiner, der ein Mörder heißt, und doch 
Ganz ſchuldlos ift. — Ich will fogleich auch gehen. 
Ottokar. 
Nur einen Augenblick noch. — So wie einer, 
Kann auch der andre Irrthum ſchwinden. — Weißt 
Du, was ich thun jetzt werde? Immer iſt's 
Mir aufgefallen, daß an beiden Händen 
Der Bruderleiche juſt derſelbe Finger, 
Der kleine Finger, fehlte. — Mördern, den?’ 
ch, müßte jedes andre Glied fait wicht’ger 
och fein, als juft der Heine Finger. Laßt 
Sich was erforichen ‚3 nur_an dem Ort 
Der That. Den werk id — Leute wohnen dort, 
Das weiß ich auch. — Ya recht, ich gehe Hin. 
Agnes. 
So lebe wohl denn! 
Ottokar. 


Eile nur nigt ſo; 
Wird dir Johann entfliehn? — Nun, pfleg ihn nur, 
Und ſag ihm, daß ich immer noch ſein Freund. 


Agnes. 
Laß gut fein, werd’ ihn ſchon zu tröften willen. 
. j 5 


68° 


Dttolar. 
Wirſt du? Nun Einen Kuß will ih ihm gönnen. 
Agnes, 
Den andern giebt er mir zum Danf. 


Ottokar. 
Den dritten 
Krieg' ich zum Lohn für die Erlaubniß. 
Agnes. 
Johannꝰ Von 
ohann 
Ottokar. 
Das iſt der vierte. 
Agnes. 
Sch verſteh', 
Verſteh' ſchon. Nein, daraus wird nichts. 
Ottokar. 


Das nächſte Mal geb' ich dir Gift. 
Agnes (acht). 


Friſch aus 

Der Quelle, du trinkſt mit. 
Ottokar (achh. 
| Sind wir 

Nicht wie die Kinder? Denn das Sa zieht, 
Gleich einem firengen Lehrer, kaum ein freundlich 
Geſicht, fogleich erhebt der Muthivill wieder 
Sein keckes Haupt. 


Nun gut; 


‚Agnes. 
Nun bin ich wieder ernft, 


Ottokar. 
Und wann kehrſt du wieder? 


Agnes, 


Nun geb’ ich, 


Morgen. 
(Ab von verichiedenen Seiten.) 





Zweite Scene, 


Roſſitz. Eiu Zimmer im Shloffe 
Nupert, Ganting und Enfade treten auf. 
. Rupert. 
Erſchlagen, fagft du? 


€ . 
Sa, et das Bolt, 


69 


Rupert. 
Das Bolt — ein Boll von Weibern wohl? 


Euftade. 
Mir hat’s 
Ein Mann befräftigt. 
Rupert. 
Hat’8 ein Mann gehört? 
Sautin 


yo hab's gehört, Herr, und ein Heann, ein Wandrer, 
er her aus Warwand kam, hat's mitgebracht. 


Rupert. 
Was hat er mitgebracht? 

Sauting. 

Daß dein Johann 
Erſchlagen ſei. 

Euftade. 


Nicht doch, Santing, er fagte 
Nichts von Johann, vom Herold jagt’ er daß. 


Rupert. 
Wer von euch beiden ift das Weib ? 
Santing. 


Ä Ich ſage, 
Idenn, und iſts der Herold, wohl, fo fte 
ie Frau in’8 Panzerhemd, mich in den Weibsrod. 


Rupert. 
Mit eignen Ohren will ich's hören. Bringt 
Den Dann zu mir. 
Santing. 
Ich zweifle, daß er noch 


Im Ort. 

Euftadhe (fieht ihn an). 
Er ift im Haufe. 
Rupert. 
Einerlei. 
Bringt ihn. 
(Santing und Euſtache ab. Rupert pfeift; zwei Diener erſcheinen.) 
Ruft gleich den Grafen Ottokar! 


Diener. 
Es foll gefhehn, Herr. (Bteibt ſtehen.) 
Anpert, 
Nun? was willft dır? 
Diener. 
Herr, 


70 


Wir haben eine Klingel hier gekauft, 
Und bitten dich, wenn du uns brauchſt, fo klingle. 
Er ſetzt die Ringel auf den Tiſch.) 
Rupert. 

'S ift gut. . 
Diener, ' 

Mir bitten dich darum, denn wenn 

Du pfeifit, jo LA t der Hund jedwedes Mal 

Aus feinem DO los und denkt, es gelte ihm. 


Rupert. 
'S iſt gut. 
(Diener ab. nn und ein Kurden treten auf.) 


En 
d Mann. — Hö Ibft, 
Ob ich dir falſe iridiger ann. — Hor es nun ſelbſt 


upert. 
Ir bift du, mein Sohn? 
berer, 
Bin Hans Franz Flanz von "Samen Unterthan 
Aus deiner ehe, gem vom Wandern in 
Die Heimat eut zurüd 
Rupert. 
Du warft in Warwand; 
Was ſahſt du da? 
Wanderer, 


Sie haben deinen Herold 
Erſchlagen. 
Rupert. 


Mer that es? 
Wanderer, 
Herr, die Namen gingen 
Auf keine Eſelshaut. Es waren an 
Die Hundert über Einen, Alle Graf 
Sylveſters Leute, 


Nupert. 
War Sälveiter felbft dabei ? 

auberer. 
Er that, als wüßt' er's gm t, und ließ ng bei 
Der That nicht fe den. ber, als die Stüden 
Des Herolds auf dem Hofe agen, fam er 
Herunter. 

Rupert, 

Und was fagt’ er nn 


Bande 
& halt und ſchimpfte 


71 


Die Thäter tlihtig aus, es glaubt’ ihm aber Keiner. 
Denn 's dauerte nicht lang, ” nannt’ er feine 
Getreuen Unterthanen fie. | 
Rupert 
(nad einer Pauſe). 
O liftig ift die Schlange — 's ift nur gut, 
Daß Dir das willen, denn jo ift ſie's nicht 
Für uns. 
Euftadhe (um Wanderer). 
Hat denn der Herold ihn beleidigt ? 


Rupert. 
Beleidigen! ein Herold ? der die Zange 
Nur höchſtens ift, womit ich ihn gekniffen. 


Euftade. 
So läßt ſich's faft nicht denken, daß die That 
Bon ihm geftiftet; denn warum follt’ er 
So zmedlos dich noch mehr erbittern wollen ? 
Rupert. 
Er jepet die Crfinbungöfraft vielleicht 
Der Rache auf die Probe — nun wir wollen 
Doch einen Henker noch zu Rathe ziehen. 
(Gauting und ein zweiter Wanderer treten auf.) 
Santing. 
Hier ift der Wandrer, Herr, er kann dir fagen, 
Ob ich ein Weib, ob nicht. 
Rupert (wendet fid). 
>. Es iſt doch nicht 
Die Höl’ in feinem Dienft! — 
Zweiter ®auberer. 
Ja, Herr, Johann 
So heißt der Rittersmann, den fie in Warwand 
Erſchlagen. 


Rupert. 
Und alſo wohl den Herold nicht? 
Zweiter Wanderer, 
Herr, da8 geſchah früher. 
Rupert 
(nad einer Banfe). 
Tretet ab — bleib du, Santing. - 
(Die Wanderer und Euftadhe ab.) ' 
Du % ft, die Sadıe ift ein Märchen. Kannft 
Du jelbit nicht an die Duelle gehn nach Warwand, 
So glaub’ ich's Keinen. 


* 


72 


Santing. 
Herr, du bättft den Mann 
Doch hören follen. In dem Haufe war, 
Wo ich ihn traf, ein Andrer noch, der ihm 
Ganz fremd, und der die Nachricht mit den Worten 
Faſt jagt’, als hätt’ er fie von ihm gelernt. 


Rupert. 
Der Herold ſei's — das wollt’ ich glauben; doch 
Johann! Wie käm' denn der nad) Warwand ? 
Santing. 
Wie 
Die Männer fprachen, bat er Agnes, 
Sylveſters Tochter, morden wollen. 


Rupert. 
orden! 


. M 
Ein Mädchen! Sind fie tol? Der Junge ift 
Berliebt in Alles, was in Weiberröden. 
Santing. 
Er foll den Dolch auf fie gezückt ſchon haben, 
Da kommt Jeronimus, und —* ihn nieder. 


Rupert. 
yeronimuß — wenn's überhaupt gejhehn, 
aß Er’s gethan, ift glaublich, denn ich weiß, 
Der graue Bed freit un die Zochter. — Glaub's 
Trotz Allem nicht, bi du's aus Warwand bringit. 


Sauting. 
So reit' ih hin — und Fehr’ ich heut am Tage 
Nach Roffig nicht zurüd, jo iſt's ein Zeichen 
Bon meinem Tode aud). 
Rupert, 
Auf jeden Fall 
Will ich den Dritten ſprechen, der dir's fagte. 
Sauting. 
Herr, der liegt krank im Haus. 


Rupert. 
So führ mich zu ihm. 

(Beide ab. Jeronimus und Euſtache treten im Geſpräch bon ber andern Seite auf.) 

Euftade. - 
Um Gotteswillen, Ritter — 
. Yeronimns. 

Ihm den Mörder 

Zu enden, der ihm hinterrücks die Tochter 
Durcbohren fol, die Schuldlosreine, die 





73 
Mit ihrem Leben nichts verbrach, als dieſes 


Nur, daß juft diefer Vater ihr e8 gab. 
Enftade. 
Du Hörft mich nicht. 
Jeronimus. 


Was ſeid ihr beſſer denn 
Als die Beklagten, wenn die ade 0 | 
Unwürdig niedrig ift, als die Beleidigung ? 


Enftade 
Ich fag’ dir ja 
Jeronimus. 
Iſt das die Weiſ', in dieſem 
weibeutig böjen Zwiſt dent Rechtgefühl 
er Nachbarn ſ lemi anzuweiſen, wo 
Die gute Sache ſei? Nein, wahrlich, nein, 
Ich weiß e3 nicht, und fol ich's jeßt entſcheiden 
Gleich zu Syivefter wend’ ich mi, nicht euch. 
Enftade, 
So laß mich doch ein Wort nur ſprechen — find 
Mir denn die Stifter diefer That? 
Jeronimus. 
Ihr nicht 
Die Stifter? Nun, das nenn' ich ſpaßhaft! Er, 
Der Mörder, hat es ſelbſt geſtanden. 
Enſtache. 
Wer 
Hat es geſtanden? 
Jeronimus. 


Wer, fragſt du? Johann. 


Enſtache. 
O welch ein Scheuſal iſt der Lügner. — Ich 
Erſtaun', Jeronimus, und wage kaum 
gu jagen, was ich vpn dir denfe. Denn 
Fin jedes unbeftochne® Urtheil müßte 
Schnell frei ung ſprechen. 

Jeronimus. 

Schnell? Da haft du Unrecht. 
Als ich Sylveſter hörte, hab’ ich fchnel 
Im Geift entfchieden, denn jehr würdig wies 
Die Schuld er von fih, die man auf ihn bürdet. 


Euftade. 
Iſt's möglich, du nimmft ihn in Schuß? 
Jeronimus. 
Haut mir 


74 


Die Hand ab, wenn ich fie meineidig hebe; 
— ift Sylvefter! 3 hehe; 
Euftade 


Sol id dir 
Mehr glauben, als den Thätern, die es felbit 
Geſtanden? 

Jeronimus. 


Nun, das nenn' ich wieder peßteſt 
Denn glauben ſoll ich doch von euch, daß ihr 
Unſchuldig, ob es gleich Johann geſtanden. 


Euftade, 
Nun über jedwedes Geſtändniß geht 
Mein innerftes Gefühl doch. 


Jeronimus. 
Grad fo ſpricht Syivefter, 
Doch mit dem Uuterſchied, daß ich's ihm glaube, 
Enftade. 
Wenn jene That wie diefe ift beichaffen — 


Yeronimus, 
Für jene, für Sylvefters Unfchuld, fteh’ ich. 
Exftade, 
Und nit für unfre? 
Feromimus. 
Reinigt euch. 
Enſtache. 
| — Was hat 
Der Knabe denn geftanden ? 


Jeronimus. 
Sag mir erſt, 
Was hat der. Mörder ausgeſagt, den man 
Gefoltert — wörtlih will ich's wiffen. 
Euftade, 


Jeronimus, fol ich mid) wahr dir zeigen, 

Ich weiß es nit. Denn frag’ ich, heißt es ſtets, 

Er hat’3 geftanden; will ich's wörtlich wiffen, 

So hat vor dem Geräufg ein Jeder nur, 

Selbſt Rupert nur ein Wort gehört: Sylveſter. 
Jeronimus. 

Selbſt Rupert? Ei, wenn's nur dieß Wort bedurfte, 

So mußte er’3 wog! fhon vorher, nicht wahr? 

So halb und halb 


75 


Euftade. 
Gewiß hat er's vorher 
Geahndet. 
Feronimus. 
Wirklich? Nun ſo war auch wohl 
Dieß Wort nicht nöthig, und ihr hättet euch 
Mit einem Blid genügt. 
Re ach _ 
ah "Gars nie r 
Deni t — doch muß die R: agge weh, wohin 
ind. Ich werde nie den Unglüdstag 
Ber effen — und es Inüpft, du init es jehn, 
Sid eine Zukunft noch von Unglück an 
Nun fag mir nur, was hat Johann befaunt? 


Jeronimus. 
Johann? Daſſelbe. Er hat euren Namen 
Genannt. 
Euftade, 
Und weiter nicht3? 
Jeronimus. 


Das wäre ſchon, 
Wenn nicht Sylveſter ede wär, genug. 
Enftade, 
So glaubt er's alfo nicht? 
Jeronimnus. 
Er iſt der Einz' age 
In feinem Warwand faft, der euch entjchuldigt. 


Enftade, 
Ja, diefer Haß, der die zwei Stämme trennt, 
Stets grundlos ſchien er mir, und ſtets bemüht 
War ich, die Männer auszuföhnen — doch 
Ein neues Miptraun trennte ftet3 fie wieder 
Auf Jahre, wenn fo faum ich fie vereinigt. 
— Nun, weiter hat Johann doch nichts bekannt? 


Feronimus. 
Ay dieſes Wort jelbft ſprach er nur im Fieber — 
wie geſagt, es wär’ genug. 
Enftade 
" So ift 
Er krank? 


Er phantafirt cr ei, - t 
Das Wahre und das 7 Kan He einander, 
Bum Beilpiel, im Gebirge ſei bie cn e 


76 


Für En für Dttofar und Agnes doch 
Der Himmel. F 
u 


ſtache. 
Nun, und was bedeutet das? 


Jeronimus. 
Ei, daß ſie ſich ſo treu wie Engel lieben. 


Enftade. 
Wie? du erfchredit mich, Ottofar und Agnes? 


Jeronimus. 
Warum erſchrickſt du? Denk ich doch, du ſollteſt 
Vielmehr dich freun. Denn faſt kein Minneſänger 
Könnt' etwas Beſſeres ern, leicht 
Das Wildvermorrene euch aufzulöfen, . 
Das Blutigangefangne lachend zu 
Beenden, und der Stämme metracht ewig 
Mit feiner Wurzel auszurotten, als — 


Als eine Heirath. 
Enftadhe. 


Ritter, du erweckſt . 
Mir da Gedanken. — Aber wie? Man fa jegte 
— War's ein Gerücht nur bloß? — du reiteft ſelbſt 
Um Agnes? 
3a, °8 il wahr. Doc) unterfudt 

's iſt wahr. Doch unterſu 
Es nicht, ob es viel Edelmuth, ob wenig 
Beweiſe, daß i ich deinem Sohn ſie gönne, 
— Denn furz, das Mädel liebt ihn. 


€ 
"Rade Aber fag 


Mir nur, wie fie rn fennen lernten? Geit 

Drei Monden erft ift Dttofar vom Hofe 

Des Kaifers, defien Edelknab' er war, 

zurug In dieſer Zeit hat er das Mädchen 
n meinem Beiſein mindftens nicht gejehn. 


Yeronimnd. 
Doch nicht in deinem Beiſein um fo öfter. 
heute waren beid’ in dem Gebirge. 


Euſtache. 
Nun freilich glüclich könnte ſich's beſchließen, 
Sylveſter alfo wär’ bereit ? 


Jeronimus. 


Gewiß, daß er das Madchez Pr nicht weigert, 


77 


Obſchon von ihrer Lieb' er noch nichts weiß. 
Wenn Rupert nur — 


Euſtache. 
S * kaum zu hoffen, faum. 
Berfuchen will ich's. — Horch! er kommt! Da ft er! 
(Rupert und Gauting treten auf; Rupert erblidt Jeronimus, erblaßt, Tehrt unt.) 
Nupert (im Abgehen). 
Santing! (Beide ab.) 


Was war das? 


Enftade. 
Hat er dich denn ſchon gefehen? 
Jeronimus. 
Iſicht lich hab' ich ihn vermieden, um 
Mit dir vorher mich zu beſprechen. — Wie 
Es ſcheint, iſt er ſehr aufgebracht. 


Enſtache. 


Er 
Ganz blaß, als er dich ſah — das iR ein eichen 
— Wolkenſtreifen ſtets für mich; 3 ich 
Ich fürchte einen böſen Sturm. 
Feronimus. 
ei 
Denn, daß Johann von Gate Han gefallen ? 


Jeronimus. 


ſta che. 
Bi wußt’ er’8 nict doch Hat ex eben jegt 
Noch einen dritten Br gehpeaden. 
2 
Das ift ein böfer Stricð durch meinen Plan. 
(Rupert tritt auf.) 
Rupert. 
Laß uns allein, Euſtache. 
Euſtache 
(halblaut zu Jeronimus). 


Hüte dich 


Jeronimus. 
Sei gegrüßet! 
Rupert. 
Seht 
Neugierig bin ich zu erfahren, was 
gu mir nad) Hofe itz Ba gefithrt, — Du kommſt 
us Warwand — nich 


Um Gotteswillen. (Ab) 


78° 


Jeronimus. . 

Unmittelbar von Haufe, 
Doch war ih Fürzlich dort. 

Rupert. 

So wirſt du wiſſen, 

Wir Vettern ſind ſeit kurzer Zeit ein wenig | 
Schlimm übern Fuß gejpannt. Vielleicht haft du 
Aufträg’ an mich, kommſt im Geſchäft des Friedens, | 
Stellſt ſelbſt vielleicht die heilige Perjon 
Des Herolds vor? 





FJeronimus. 
Des Herolds? Nein. Warum? 
Die Frag' iſt ſeltſam. — Als dein Gaſt komm' ich. 


Rupert. 
Mein Gaſt — und hättſt aus Warwand keinen Auftrag? 
Feronimus. 
Zum mindſten keinen andern, deſſen ich 
Mich nicht als Freund des Hauſes im Geſpräch 
Gelegentlich entled'gen könnte. 


Rupert. 
um, 
Wir brechen die Gelegenheit vom Zaune; 
Sag an. | 
Yeronimns, 
Sylveſter will dich ſprechen. 
Rupert. 
| Mid? 
Mich jprechen ? 
Jeronimus. 


Freilich ſeltſam iſt die Forderung, 
Ja unerhört faſt — dennoch, gäb's ein Zeichen, 
Ein ſa⸗ faſt, von feiner Unſchuld, wär’ 
Es diejes. 


Unſchuld? 
Feronimus. 
Ja, mir iſt's ein Räthſel 

Wie dir, da es die Mörder ſelbſt geſtanden. 

war ein Geſtändniß auf der Folter iſt 

weideutig ſtets — auch war es nur ein Wort, 

as doch im Grunde ſtets ſehr unbeſtimmt. 
Allein trotz Allem, der Verdacht bleibt groß, _ 
Und faft unmöglich ſcheint's — zum menigjten 
Sehr ſchwer doc, ſich davon zu reinigen. 


Rupert, 


79 


Rupert. 

Meinft du? 

Jeronimn 

Doch, wie geſagt, er Balve für möglid. 

Er glaubt, es fled ein Irrihum wo verborgen. 
Rupert. 
Ein Irrthum? 

Jeronimus. 


Den er aufzudecken nichts 
Bedürfe, als nur ein Geſpräch mit dir. 


Rupert. 
— Nun, meinetwegen. 
Jeron 
ee — du's thun? 


Wenn du ihn jemals wiebertehen 1 ſollteſt — 
Feronimus. 


Jemals ? Ich eile geh zu ihm. 
Rupert. 
So fag’s, 
Daß ich mit Freuden ihn erwarten würde. 
yerontma 8, 
D welche fegensreihe Stunde hat 
Mic bergeführt! — N reite gleich nah Warwand, 
Und bring’ ige her. — Möcht' er dich au ſo fnben, 
=o freundlich, und fo mild, wie ih. — Mach's ihm 
ht fchwer, die na iſt vermidelt, blutig 
3 die gntipeidun etS des Schwerts, und Frieden 
die Bedingung d oh von allem G Gläd. 
im du ihn nur unſchudi finden, wir 
Du's auch. — Ich glaub’S, bei meinen Eid, ich glaub's, 
JH war wie du von dem Berdadt empört, 
Ein einz’ger Blick auf fein ehrwürdig aupt 
Hat fchnell das Wahre mich gelehrt. — 


Rupert, 
Dein Amt 
Scheint aus, wenn ich nicht irre. 
FJeronimus. 
Nur noch zur 


Berichtigung etwas von zwei Gerüchten, 
Die bös verfälſcht, wie ich faſt für te, dir 
Bu Ohren fommen möchten. — 
Nupert. 
Nun? 


80 


Jeronimus. 
ohann 
Liegt krank in Warwand. 
Rupert. 
Auf den Tod, ich weiß. 
Yeronimns, 
Er wird nicht fterben, 


upert. j 
Wie e8 euch beliebt. 


Jeronimus. 
Wie? 
Rupert. 
Weiter — Nun, das andere Gerücht? 
Ich wollt di ae ar 9 5 
wollt’ dir fagen no, daß zwar Johann 
Den Dold auf gnes — 
Rupert. 
Ich hatt’ ihn gedungen. - 
Jeronimus. 
Wie ſagſt du? 
Rupert. 


Könnt's mir doch nichts helfen, wenn 
Ich's läugnen wollte, da er's ja geſtanden. 
Jeronimus. 
Vielmehr das Gegentheil — aus feiner Rede 
Wird klar, daß dir ganz, unbewußt die That. 


Sylveſter doch iſt üb ne bin 
ylveſter doch ift überzeugt, wie billig, 
Daß ich fo gut ein Mörder bin, wie er? 
Yeronimus. 
Bielmehr das Gegentheil — der Anfchein Hat 
Das ganze Bolt getäufcht, Doch er bleibt ftet3 
Unmandelbar, und nennt dich ſchuldlos. 
Rupert. 
D Lift der Hölle, von dem Böfeften 
Der Teufel ausgehedt! 
Jeronimus. 
Was iſt das? Rupert! 
Rupert (faßt fich). 
Das war das eine. — Nun, ſprich weiter, noch 
Ein anderes Gerücht wolltſt du bericht'gen. 
Jeronimus. 
Gieb mir erſt Kraft und Muth, gieb mir Vertraun. 


81 


Rupert. 
Sieh zu, wie's geht — fag an. 
Jeronimus. 
Der Herold iſt — 


Grfälagen, weiß ih — doc) Spieler if 

richlagen, weiß ih — do vefter i 

—38 ig an dem Blute. 
FJeronimus. 


Babe, ja, 

Er lag in Ohnmacht, während es geſchah. 
Es hat ihn tief empört, er bietet jede 
Genugthuung dir an, die du nur Goederft 


Nupert. 
Hat nichts zu fagen. — 
Yeronimmd. 
Wie? 
Rupert. 
Was iſt ein Herold? 


Jeronimus. 
Du biſt entſetzlich. 
Rupert. 
Biſt du denn ein Herold? 


Jeronimus. 
Dein Gaſt bin ich, ich wiederhol's — und wenn 
Der Herold dir nicht heilig iſt, ſo wird's 
Der Gaſt dir ſein. 


Rupert. 
Mir heilig? Ja. Doch ſall' 
Ich leicht in Ohnmacht. 
eronimus. 
Lebe wohl. (Scqhnell ab.) 
(Pauſe. Enſtache ſtürzt aus dem Nebenzimmer herein.) 
Euſtache. 
Um Gotteswillen, rette, rette! 
(Sie öffnet das Fenſter.) 
Alles 
Fallt über ihn — Jeronimus! — das Boll 
Mit Keulen — rette, rette ihn — fie reißen 
Ihn nieder, nieder liegt er jhon am Boden— 
Um Gotteswillen, komm an's Fenfter nur, 
Site tödten ihn. — Nein, wieder Me auf, 
Er zieht, er kämpft, fie weichen — Nun iſt's Zeit, 
O Rupert, ich beſchwöre dich — Sie dringen 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. II. 


82 


Schon wieder ein, er wehrt ſich wüthend. — Rufe 

Ein Wort, um aller Heil'gen willen nur 

Ein Wort aus dieſem Fenſter. — — Ab! Jetzt fiel 

Ein Schlag — er taumelt, ahl — noch einer — — Nun 

Iſt's aus — nun fällt er um — nun iſt er todt. — 
(Baufe; Euſtache tritt vor Rupert.) 

D welch entfegliche Gelafienheit — 

Es hätte dir ein Wort gefojtet, nur 

Ein Schritt bis zu dem enfter, ja, dein bloßes 

©ebieterantlit hätte fie gelhrest 

— min, einft in jener bittern Stunde, wenn 

Du Si fe Gottes braucheft, Gott nicht ſäumen, 

Wie du, mit Hülfe vor dir zu erjcheinen. 


Sauting (mitt auf). 
'S ift abgethan, Herr. 


ya e. 

Abgethban ? Wie fagft 

Du, Santing? — Rupert, abgethan? 
(Rupert wendet ſich verlegen.) 


yet vor mir figeft und es leiden mußt, 
aß ich in meiner Unfchuld boch mich brüfte! 
Denn über alles fiegt das Behtgefühl, 


Rupert (feht auf). 
Wer zuerft ihn tödtlich 
Getroffen hat, der ift des Todes! 


Santing. 
Herr, 
Auf dein Geheiß — 
Rupert. 
Wer ſagt das? 
Sauti 


ng. 
S iſt ei au (a 
Mir in's Geſicht. iſt ein Fauſtſchlag 





83 


Rupert. 
Stecks ein. 
(Sr pfeift; zwei Dimmer erfcheinen.) 
Wo find die Hunde, wenn 
Ich pfeife? — Ruft den Grafen auf mein Zimmer. 


Bierter Aufzug. 


— — — 


Erſte Scene. 


Noffig. Zimmer im Schloffe. 
Nupert und Santing treten auf. 


Rupert. 
Das eben ift der Fluch der Macht, daß fi 
Den Willen, dem leicht widerruflichen, 
Ein Arm gleich beut, der fejt unwiderruflich 
Die That ankettet. Nicht ein Zehntheil wird’ 
Ein Herr des Böfen thun, müßt’ er es felbft 
Mit eignen Händen thun. Es hedt fein bloßer 
Gedanken Unheil aus, und feiner Knechte 
Geringfter hat den Vortheil über ihn, 
Daß er das Böſe wollen darf. 


Sauting. 


Ich kann 
Das Herrſchen dir nicht lehren, du nicht das 
—Ax mir. Was Dienen p das weiß 
Ich auf ein Haar. Befiehl, daß ich dir künftig 
Nicht mehr gehorche, wohl, jo will ich dir 
Gehorchen. 
Rupert. 

Dienen! Mir gehorchen! Dienen! 
Sprichſt du doch wie ein Neuling. Haſt du mir 
Gedienet? Soll ich dir erklären, was 
Ein Dienſt ſei? Nützen, nützen ſoll er. — Was 
Denn iſt dur deinen mir geworden, als 
Der Reue efelhaft Gefühl? Es ift 
Mir widerlich, id) will's gethan nicht haben. 
Auf deine Kappe nimm's — ich fted’ dich in 
Den Schloßthurm. 6* 


8 
Santing. 
Mid? — 


Rupert. 
Kommſt du heraus, das ſchöne 
Gebirgslehn wird dir nicht entgehn. 
(Euſtache tritt auf.) 
Rupert 
(fteht auf, zu Santing halblaut). 
Es bleibt 
Dabei. In vierzehn Tagen bift du frei. 


(Zu Euſtache.) 
Was wilft du? 
Enſtache. 
Stör' ich? 
Rupert (u Santing). | 
Gehe! meinen Willen 
Weißt du. Co lange ich fein Knecht, fol mir 
Den EN ein Andrer auf der Burg nicht fpielen. 
Den Zügel hab’ ich noch, fie follen ha 
Gelaſſen dran gewöhnen, müßten fie 
Die Zähne fi daran zerbeißen. Der 
guet den Herold angetaftet, hat 
as Beil verwirkt. — Dich fted’ ich in den Schloßthurm. 
— Fein Wort, fag’ ich, wenn dir dein Leben lieb! 
Du haft ein Wort gedeutet, eigenmächtig, 
Rebelliſch deines Herren Willen mißbraucht — 
— Ich ſchenk' dir 's Leben. Fort. Tritt ab. (Santing ab.) 


Gu Euſtache.) 
Was willſt du? 


Enſtache. 
Mein Herr und mein Gemahl — 
Rupert. 


Die Rede, die du kürzlich hier begonnen, 
a willſt, fo ſpar es auf; du fiehft, 


Penn du 


ch bin fo eben nicht geftinmt, es an 
u hören. 


. Euſtache. 
Wenn ich Unrecht dir gethan — 


Rupert. 
So werd’ ich mich vor dir wohl vein’gen müffen ? 
Soll ih etwa das ode rufen, 
Und öffentlich dir Rede ftehn ? 


Enftade. 
.. mein 


85 


“ 


Gemahl, ein Weib glaubt gern an ihres Mannes 
Unschuld, und küffen will r deine Hand 
Mit Thränen, Freudenthränen, wenn fie rein 
Bon diefem Morde. 

Nupert. 

Wiſſen es die Leute, 

Wie's zugegangen ? 

Enftade. 


Selber fpricht die That. 
Das Volk war aufgehegt von Santing. 


Nupert. 


Da 
9 auf dein Aufen an das Fenſter nicht ß 
rſchienen, iſt mir ſelber unerklärlich, 
Sehr ſchmerzhaft iſt mir die Erinnerung. 
Enſtache. 
Es würde fruchtlos doch geweſen ſein. 
Er ſank ſo ſchleunig hin, daß jede Rettung, 
Die ſchnellſte ſelbſt, zu ſpät gekommen wäre. 
Auch ganz aus ſeiner Schranke war das Volk, 
Und hätte nichts von deinem Wort gehört. 
Rupert. 
Doch hätt' ich mich gezeigt — 
Eunſtache. 
Nun freilich wohl. 
(Die Rammerzofe flürzt herein, umfaßt Euſtachens Juße.) 
Kammerzofe. 
Um deine Hülfe, Gnädigſte! Erbarmung, 
Gebieterin! Sie führen ıhn zum Tode, 
Errettung von dem Tode! saß ihn, laß mid, 
Laß ung nicht aufgeopfert werden! 


E . 
Rede. 


Bift du von Sinnen? 
Sammerzofe. 
Meinen Friedrid. Er 
Hat ihn zuerft getroffen. 
Euftade, 
Men? 
Sammerzofe. 


Den Ritter, 
Den dein Gemahl geboten zu erfchlagen. 


ih? 


86 


Rupert. 
Geboten — ih! Den Teufel hab’ ih. — Santing 


Hat's angeftiftet! 
Kammerzofe (ſteht auf). 
Santing hat's auf dein 
Geheiß geſtiftet. 
Schl * 
ange, giftige! 
Aus meinen Augen, fort! sr 
Kammerzofe. 
Auf dein — 
get? Santing angeftiftet Selbſt hab’ ich's 
ehört, wie du's dem Santing haſt befohlen. 
Rupert. 
— Gehört? — du ſelbſt? 
RE Rand im Schloßflur, Rand 
and im oßflur, ftan 
Dicht hinter dir, ich hörte Be Wort, 
Doch du mwarft blind vor Wuth, und ſahſt mich nicht. 
Es haben's außer mir noch zwei gehört. 


Rupert. 
— ’S ift gut. Tritt ab. 
KRammerzofe, 
So ſchenkſt du ihm das Leben? 
Rupert. 
»S ſoll aufgeſchoben fein. 
Kammerzofe. 


O Gott ſei Dank! 
Und dir ſei Dank, mein beſter Herr, es iſt 
Ein braver Burſche, der ſein Leben wird 
An deines ſetzen. 
Rupert. 
Gut, ſag' ich. Tritt ab. (Kammerzofe a6.) 
(Bupert wirft ſich auf einen Seffel, Euftache nähert fi ihm; Pauſe.) 
Enſtache. 
Mein theurer Freund — 


Rupert. 
Laß mich allein, Euſtache. 


Euſtache. 
O laß mich bleiben. — O dies menſchlich ſchöne 
Gefühl, das dich bewegt, löſcht jeden Fleck; 
Denn Reue iſt die —*38* der Gefallnen. 
An ihrem Glanze weiden will ich mich, 


87 


Denn herrlicher bift du mir nie erfchienen, 
As jebt. 
Rupert, 
Ein Elender bin ich. 
Euftade. 
Du alaubft 
Es. — Ah! der Augenblid nah dem Verbrechen 

ft oft, der jchönfte in dem Menſchenleben, 

u weißt's nicht — ad), du weißt e8 nicht, und grade 
Das macht dich herrlich. Denn nie beffer iſt 
Der Menſch, als wenn er es recht innig fühlt, 
Wie ſchlecht er if. 

Rupert. ' 
Es kann mich Keiner ehren, 
Denn felbft ein Efel bin ich mir. 
Enftade. 
Den foll 
Kein Menſch verdammen, der fein Urtheil jelbft 
Sich Spricht. O hebe did! Du bift fo tief 
Bei Weitem nicht gefunfen, als du hoch 
Dich heben kannſt. . 
Rupert. 
Und wer hat mid) jo häßlich 
Gemacht? O haſſen will ih ihn. — 
Euftade, 


Du Lönnteft noch an Mache denken? 
Rupert. 


an die Rache denke? — Frage doch, 
% ih nod) es Frage doch 


rt! 


Enſtache. 
Sf es möglih? O 
Nicht dieſen Augenblick zum wenigſten 
Wirſt du ſo bös beflecken — Teufel nicht 
* deiner Seele dulden, wenn ein Engel 
och mit mir ſpricht aus deinen Zügen. 
Rupert. 


Sol 
dir etwa erzählen, daß Sylveſter 
I Böſes mie gethan ? * oll ich's ihm 
Verzeihn, als wär’ es nur ein Weiberſchmollen? 
Er hat mir freilich nur den Sohn gemordet, 
Den Knaben auch, der lieb mir wie ein Sohn. 


88 


tade - 
D ſprich's nicht aus! Kenn bie die That gereut, 
Die blutige, die Ye geftiftet, wohl, 
So zeig's und ehre min ſen im Tode 
Den Mann, mit I Leben du gefpielt. 
Der Abgeſchiedene hat es bejchworen: 
Unſchuldig iſt Sylveſter! 
(Rupert ſieht ihr ſtarr in's Geſicht.) 
So unſchuldi 
An Peters Mord, wie wir an m nfchlag 
Auf Agnes Leben. 
Anpert 
Ueber die Bergleichung! 
Euftade. 
Warum nicht, mein Gema a? Dem es Tiegt Alles 
Auf beiden Seiten geie, is felbft auf die 
Umſtände nach der Ebat Du andre Berdächt’ge 
Bei deinem todten Kinde, jo in Warmwand; 
Du _biebft fie nieder, jo in Warwand; fie 
Geftanden Falſches, To in Warmwand; du 
Bertrauteft i Mi nen’, jo in Warmand. — Nein, 
Der einzge Umſt ftand iſt verſchieden, daß 
Sylveſter ſelber doch dich frei ſpricht. 


Ruvpert. 
O 


Gewendet, liſtig, haben ſie das ganze 
Berhältniß, mich, den Kläger, zum Berklagten 
Semadt. — Und um das Bubenftüd, das mid) 
Der ganzen Welt ald Mörder zeigt, noch zu 
Bollenden, fo verzeiht er mir. 
Euftade. 

D meld) ein Häklicer Berdad) de fon 

welch ein häßlicher Verdacht, der jchon 
Die Seele jchändet, die ihn dentt. 


Rupert. 

Verdacht 
Iſt's nicht in mir, es iſt Gewißheit. Warum 
Meinſt du, hätt' er mir wohl verziehen, da 
nfchein doch ſo groß, als nur, damit 
Ia gefällig mid. ermeije? Er 
ann fidy nicht reinigen, er fann es nicht, 
Und nun, damit ich's ihm erlafl’, erläßt 
Er's mir. — Nun, halb zum wenigſten fol ihm 
Das Bubenftüd gelingen nur. Ich nehme 


89 


Den Mord auf mih — und hätt’ der Jung’ das Mädchen 
Erichlagen, wär's mir recht. 


Eu „Bene 
as ni O 
Mein Gott, du wirſt das Mädchen doch nicht morden? 
Rupert. 
Die Stämme find zu nah e Man et, fie 
Berfchlagen RL Die ef gepſianz 
Euſtache (zu feinen Füßen). 
D verjchone, 
Auf meinen Knieen bitt’ ich dich, verfchone 
Das Mädchen — wenn dein eigner Sohn dir lieb, 
Wenn feine Yiebe lieb dir, wenn auf immer 
Du feinen Fluch bir nicht ‚bereiten willſt, 
Verſchone Agnes. 
Rupert. 
Welche ſeltſame 
Anwandlung? Mir den Fluch des Sohnes? 
Euftade. 


a, 
Es iſt heraus — auf meinen Knien beſchwöre 
Ich dich, bei jener erſten Nacht, die i 
Am Tage vor des Priejters Sprud) dir ſchenkte, 
Bei unjerm einz’gen Kind, bei unferm legten, 
Das du hinopferit, und das du doch nicht 
Geboren haft wie ich, o mache biejem 
Unfelig böfen proif ein Ende, 
Bis auf den Namen felbft den engen Stamm 
Der Schroffenfteine auszurotten droht. 
Gott zeigt den We di ft zur Verföhnung Dir. 
Die Kinder fieben 4 ih habe fichre 


Beweiſe. — 
Rupert. 
Lieben? 


Eu 
Unerfonnt * Gott 
In dem Gebirge ſie vereint. 
Rupert. 
ebirg? 


Enſtache. 
Re ch weiß e8 von Jeronimus — Der Edle! 
ortreffliche! fein ee ner Blan war es, 
Die Stämme durd) Heirath zu verföhnen, 
Und felbft ſich opfernd, trat er feine Braut 
Dem Sohne jeines Freundes ab. — DO ehre 


90 


m Tode feinen Willen, daß fein Geiſt 

n deinen Träumen die nicht mit Entjegen 
Begegne. — Sprich, o ſprich den Segen aus! 
Mit Thränen küſſ' ich deine Kniee, Tüffe 
Mit Inbrunft deine Hand, die ach! noch fehuldig, 
Was fie am Altar mir ber ipra — o braude 
Sie einmal doch zum Wohlthun, gieb dem Sohne 
Die Gattin, die fein Herz begehrt, und bir 
Und mir und allen Unfrigen den Frieden. 


b Rupert. 

Nein, ſag mir, hab' ich recht gehört, ſie ſehen 

Sich im Webirge, Ottokar und —X ſeh 
Enſtache (ſteht auf). 

O Gott, mein Heiland, was hab' ich gethan? 
Rupert (fteht auf). 

Das freilich iſt ein Umſtand von Bedeutung. 

(Er pfeift; zwei Diener erſcheinen.) 


Euſtache. 
Wär's möglich? Nein. — O Gott ſei Dank! das wäre 
Ja ſelbſt für einen Teufel faſt zu boshaft. — 
Rupert (zu den Dienern). 
Iſt noch der Graf zurüd nicht vom Spaziergang ? 
Diener, 
Nein, Herr. 
Rupert. 
Wo ift der GSanting ? 


Diener. 
Bei der Leiche, 
$ ich Rupert. 
ühr mich zu ihm. a6.) 
’ ; Euftade (ihm nad). 
Rupert! Rupert! o höre. — (Me ab) 





Zweite Scene, 


Warwand. Zimmerim Scloffe 
Sylbeſter tritt anf, Öffnet ein Fenſter, und bleibt mit Beichen einer tiefen De⸗ 
wegung bavor fliehen. Gertrude trüıt auf, und nähert fich ihm mit verdedtem Geficht. 
Gertrude. 
Weißt du es? 
Agues tritt auf.) 
Agues 
(no an der Thür balblaut). 
Mutter! Mutter! 


91 


(Gertrude fieht fih um, Agnes nähert ſich ihr.) 
Weißt du die 
Entfegensthat? Jerome ift erfchlagen. 
(Sertrude giebt ihr ein bejahendes Zeichen.) 
Weiß er’3? 
Gertrude 
(wendet fi zu Sylveſter). 


Sylveſter 
(ohne fich umzuſehen). 
Biſt du es, Gertrude? 


Gerede 
39 wußte, pie du jet geftimmt, viel —* ich 


agen d 
Sylveſter. 
Es iſt ein trüber Tag 
Mit Wind und Regen, viel Bemegung draußen. 
Es zieht ein unfichtbarer Geift gewalti 
Nach einer Richtung Alles fort, den Staub, 
Die Wolfen und die Wellen. — 
Gertrude, 
Willſt du mid, 


Ivefter, 
Sch Beihäftigt mid) 
Dort jener Segel — ef du Ihn? Er ſchwankt 
Sefährtic, übel ift fein Stand, er kann 
Das Ufer nicht erreichen. — 
Gertrude 


Sylveſter, eine Nachricht ab di dir rich 
Zu ſagen von Jerome. 


Sylveſter! 


Sylveſter, hören? 


Sylveſter. 
‚eri 
Hinüber — (Cr wendet fit.) ich weiß Alles. 
Gertrude, 
Weißt du’3? Nun 
Was fagft du? 
Sylveſter. 


will ich ſagen. 
Theiſtin noch nicht and? ich ſagen. Iſt 
Gertrude. 
So willſt du nun 
Den Krieg beginnen? 


92 


Sylnefter. 
Senn’ ich doch den Feind. 

Gertrude, 
Nun freilich, wie die Sachen ftehn, jo mußt 
Du's wohl. Hat er den Ba hingerichtet, 
Der ſchuldlos war, fo wird er dich nicht fchonen. 
Die Zweige abzuhaun des ganzen Stammes, 
Das Hu jein überlegter aan, damit 
Das Mark ihm feinen Wipfel höher treibe. 

Sylveſter. 
Den Edelen, der nicht einmal als Herold 
Gekommen, der als Freund nur das Geſchäft 
Betrieb des Friedens, preiszugeben — ihn, 
Um na an mir zu rächen, preiszugeben 
Dem Volke — 
Gertrude 


Nun doch, endlich wirft du ihn 
Nicht mehr verfennen ? 
Sylveſter. 
Ihn hab' ich verkannt, 
Jeronimus — hab' ihn der Mitſchuld heute 
Geziehen, der ſich heut für mich geopfert. 
enn wohl geahndet hat es ihm — mich hielt 
Er ab, und ging doch ſelbſt nach Roſſitz, der 
Nicht ſichrer war, als ich. 
Gertrude. 
| Konnt’ er denn anders? 
Denn meil du Nupert ftetS mit blinder Neigung 
gef freigejprodhen, ja fogar gezürnt, 
enn man e8 nur gewagt ihm zu mißtraun, 
So mußt’ er freilich zu ihm gehen. — 
' Sylveſter. 


FE dih — fortan Fein anderes 
Gefühl, als nur der Rache will ich kennen, 
Und wie ich duldend einer Wolke gleich 
Ihm lange überm Haupt gelhmebt, fo fahr’ 
Ich einem Blitze gleich jegt über ihn. 
(Theiſtiner tritt auf.) 


Nun, 


Theiftiner. 
Die bin ich wieder, Herr, von meinem Zuge 
nd bringe gleich die fünf Vaſallen mit. 
Sylpeiter 
(wendet ſich ſchnell). 
Wo ſind ſie? 


93 


Theiſtiner. 
Unten in dem Saale. Drei, 

Der Manſo, Bitina, Paratzin, haben 
Auf ihren opf ein dreißig Männer gleich 
Nah Warwand mitgebracht. 

Sylvefter 

Ein dreißig Männer? 
Ein ungeſprochner Wunſch ift mir erfüllt. 
Laßt mich allein, ihr Weiber. (Die Weiter ab.) 
enn fie jo 

Ergeben fich erweifen, find fie wohl 
Geſtimmt, daß man fie fehleunig brauchen kann? 


Theiftiner. 
Die den gefpannten Bogen, Herr; der Mord 
Jerome's hat ganz wüthend fie gemacht. 
Sylvefter. 
So wollen wir die Witterung benugen. 
Er will nad) meinem Haupte greifen, will 
Es — nun, fo greif’ ich ſchnell nach feinem. Dreißig, 
Sagit du, find eben eingerüdt, ein Zwanzig 
Bring’ ich zufammen, das ift mit dem Geifte, 
Der mit uns geht, ein Heer — Theiftin, mas meinft du? 
Noch diefe Nacht will ich nach Roſſitz. 
Theiftiner. 


err, 
Gieb mir ein Funfzehn von dem Trupp, ſpreng' ich 
Die Thore ſabſ ne dir den D | 3 
30 fenn’ das Neft, als wär's ein Dachsloch — noch 
warten fie von uns nichts Böſes, ich 
Beſchwör's, die ſteben Bürger halten Wache 
Noch wie in Friedenszeiten. 


Sylveſter. 
So bleibt's dabei. 

Du nimmſt den Vortrab. Wenn es finſter, brechen 
Wir auf. Den erſten Zugang überrumpelſt 
Du, ſelber folg' ich auf dem Fuße, bei 
Jerome's Leiche ſehen wir uns wieder. 
N will ihm eine Zodtenfeier halten, 

nd Roſſitz fol wie Fadeln fie beleuchten. 
Nun fort zu den Vafallen. (Beide ab.) 


— — — 


94 


Dritte Scene, 


Bauernfüde. 
Barnabe am Herd. Gie rührt einen Keffel, der fiber Fener Acht. 
Barnabe, 
Zuerſt dem Bater: 
Ruh' in der Gruft: dag ihm ein Frevelarm nicht 
Ueber da8 Feld trage die Knochen umber. 
Leichtes Erſtehn: da er hoch en das Haupt 
Dränge durch’ 8 Grab, wenn die Bofaune ihm xuft. 
Emwiges Glück: dag fih die Pforte ihm meit 
Oefhe. des Lichts Slanzftrom entgegen ihm wog’. 
Urfnle 
(außerhalb der Scene). 
Barnabe, Barnabe! 
Rührſt du den Keſſel? 
Barnabe. 
Ja doch, ja, mit beiden Händen; 
Ich wollt’, ich könnt’ die Füß' auch brauchen. 
Urfule, 


Du fprichft nicht die drei Wünſche. — 
Baruabe. 
Nun, das gefteh’ ich! 
Wenn unfer Herrgott taub wie du, fo hilft 
Es Alles nihts. — Dann der Mutter: 
Alles Gedeihn: daß ihr die Yandhere nicht 
Giftigen Blicks tödte Das Kalb in der Kuh. 
gel an dem Leibe: daß ihr der Krebs mit dem Blut. 
äppchen im Schutt ſchwinde one dahin. 
Leben im Tod: daß ihr fein Zeufel die Zung’ 
Strede heraus, wenn fie an Gott fi) empfiehlt. 
Nun für nid: 
reuden vollauf: daß mich ein ftattliher Mann 
iebe mit Kraft kühn in’s qochzeitliche Bett. 
nädiger Schmerz: daß ſich — 
Urſula. 


Barnabe! böſes Mädel! haſt den Blumenſtaub 
Vergeſſen und die Wolfkrautskeime. 


Baruabe, 


Nein 
Doch, nein, 's ift Alles fchon hinein. Der Brei 
Iſt did, daß fchon die Kelle ftehet. 


Aber 


95 
Urfule. 
Ab 


- er 
Die ungelegten Eier aus dem Hechtsbauch ? 
, Baruabe, 
Schneid’ ich noch einen auf? 
Urfule, 
Nein, warte noch). 
a will ur Seinen in de ubereiten. 
du nur Keinen in die üde, hört du? 
Und rühre a hörelt d u? und fag 
Die Wünjce, 
Beruabe 
Ja doch, ja. — Wo blieb 
39, Rehn? Freude vollauf. — Nein, das ift ſchon vorbei. 
nädiger Schmerz: daß fich die ktebliche Frucht 
Winde vom Schooß o nicht mit Ach! mir und Weh! 
Weiter mir nichts, bleibt mir ein Münfhen noch frei, 
Gütiger Gott! made die Mutter gefun 
(Sie Hält wie ermüdet inne.) 
Ka, lieber Gott! — Wenn’s Glüd fo ſüß nicht wär, 
Ber würd’ fo fauer ſich darum bemühn? — 
on — 1, äuerit dem Bater: 
er Gruft: daß ihm ein Frevlerarm nicht 
un das Feb — — Ah! 
(Sie erblidt Ottokar, der bei den Ietten Worten hereingetreten ifl.) 
Ditefer. 
Was Iprihft du mit 
Dem Keffel, Mädchen? Bift du eine Here, 
Du bift die lieblichite, die ıch geld n, 
Und t uf, ich wette, Keinem oͤſes, der 
Dir gut. 


Ba 
Geh 'raus, du lieber en ich bitte di. 
Ju dieſer Küche darf jetzt Niemand fein, 
ie Mutter felbft nicht, außer ich. 
Dttolar. 
Warum 
Denn juſt nur du? 
Barnabe. 
Was weiß ich? Weil ich eine Jurgfrau bin. 


Dtt 
N darauf fehmör’ id). Und Die heißt du denn, 
u liebe Jungfrau? 
Barnabe, 
Barnabe 


96 


Ottokar. 
So? Deine Stimme 
Klingt ſchöner als dein Name. | 
Urſula. 
varnabe! Barnabe! 
Wer ſpricht denn in der Küch'? 
(Ottotar macht ein bittend Zeichen.) 
Barnabe. 
Was fagft du, Mutter? 


Urfule, 
Biſt du es? Sprichſt du die drei Wünfche? 
Barnabe, 


Ja doch, ja, 
Sei doch nur rudig. ge fängt * an, im Keſſel zu rühren.) 


Aber nun one fort, 
Du Tieber Der. Denn meine Mutter fagt, 
Wenn ein Unreiner zufieht, taugt der Bei nicht. 


Ottokar. 
Doch wenn ein Reiner zuſieht, wird er um 
So beſſer. 
Baruabe 
Davon hat fie nichts gejagt. 
Ottokar. 
Weil's ſich von ſelbſt ergiebt. 
Barnabe. 
Nun ſreilich wohl, 
Es ſcheint mir auch. Ich will die Mutter fragen. 
Ottokar. 
Wozu? das wirſt du ſelber verſtehn. 
Barnuabe, 
Nun ftöre mid nur nicht »S ift unfer Glücksbrei, 
Und ih muß die drei Wünfche dazu fagen. 
Ottokar. 
Was kochſt du denn? 
Barnabe. 
Ich? — Einen Kindesfinger. 
Ha! ha! Nun denkſt du, ich ſei eine Hexe. 
Ottokar. 
Kin — Kindesfinger? 
Urſula. 


Barnabe! du böſes Mädel! 
Was lachſt du? 


97 


Barı ver 
Ei, was lady’ ih? Ich bin luſtig, 
Und ſprech' die Wünſche. 
Urfule, 
Meinen auch nom Krebſe? 
Baruabe, 
Ja, ja. Auch den vom Kalbe. 
Ottokar. 
Sag mir — Hab’ 
Ich recht gehört? — 
Barnabe. 


Nein fteh, ich plaudre nicht. 
Ich muß die Wünſche fprechen, laß mid} fein. 
ont jchilt die Mutter und der Brei verdirbt. 


Ottokar. 
ör, weißt du was? Bring dieſen Beutel deiner Mutter, 
ſei dir auf den Herd gefallen, ſprich, 
Und komm ſchnell wieder. 


Barnabe. 
Dieſen Beutel? 'S iſt 


Ottokar. 
Gieb's nur der Mutter dreiſt, 
Jedoch verſchweig's, von wem er kommt. Nun geh. 


Barnabe. 
Du lieber Gott, biſt du ein Engel? 

Ottokar. 

Fort! und komm bald wieder. 
(Er ſchiebt fle fanft in's Nebenzimmer; lebhaft auf und niedergehend.) 

Ein Kindesfinger! Wenn's der kleine wäre! 
Wenn's Peters kleiner Finger wäre! Wiege 
Mich, Hoffnung, einer Schaufel gleich, und gleich 
Als spielt’ gefchlofnen Auges ſchwebend mir 
Ein I um die offne Bruft, jo wende 


Ja Geld darin. 


Mein Innerſtes ſich vor Entzücken. — Wie 
Gewaltig, Glück, Mlopft deine Ahndung an 
Die Bruft! Dich felbit, o Icbermaß, wie werd’ 
Ich dich ertragen. — Horch! fie Tommt ’ Jeßt werd’ ich's 
ören! 
(Barnabe tritt auf, er gebt ihr entgegen und führt fie in ben Bordergrund.) 
Nun, fage mir, wie kommt ihr zu dem Finger? 


Baruabe 
Ich hab’ mit Muttern kürzlich ihn gefunden. 
DBibl. d. d. Rationalliteretur. Kleift. IL 


98 


Dttolar. 

Gefunden bloß? auf welche Art? 

Barnabe, 

Nun dir 

Will ich's ſchon fagen, wenn’s gleih Mutter mir 
Berboten. 

Ottokar. 

Ja, das thu. 
Barnabe. 


Wir ſuchten Kräuter 
Am Waldſtrom im Gebirg, da ſchleifte uns 
Das Waſſer ein ertrunken Kind an's Ufer. 
Wir zogen's drauf heraus, bemühten viel 
Uns um das arme Wurm; vergebens, es 
Blieb tobt. Drauf jHmitt die Mutter, die's verftebt, 
Dem Finde einen Heinen Finger ab; 
Denn der thut nach dem Tod mehr Gutes noch, 
Als eines Auferwachinen ganze 
In feinem Leben. — Warum ftehft du fo 
ZTieffinnig? Woran denkeſt du ? 


Ottokar. 
An Gott. 
Erzähle mehr noch. Du und deine Mutter — 
War Niemand ſonſt dabei? 


Barnabe. 
Gar Niemand. 


Ottokar. 
Wie? 
Barnabe. 
Als wir den Finger abgelöſet, kamen 
Zei Männer her aus Warwand, welche fic) 
en von der Rechten löſen wollten. Der 
Sitte aber nicht8, wir machten uns davon, 
nd weiter weiß ich nichts. 


Ottokar. 

| Es 3 eng, 
Du haft — einer heil'gen Offenbarung 
Das Unbegriffne mir erklärt. Das kannſt 
Du nicht verſtehn, bod fe du's bald. — Noch Eins: 
Ir Warwand ift ein Mädchen, dem ich aud) 

o gut wie dir. Die fpräch’ ich gern noch heut 

In einer Höhle, die ihr wohl befannt. 
Die Tochter ıft es auf dem Schloffe, Agnes, 
Du kannſt nicht fehlen, 


. 


99 


Barnahe, 
Soll ich fie dir rufen? 
Nun ja, e8 wird ihr Freunde machen aud). 
Dttoler. 
Und dir. Wir wollen’S beide dir jGon lohnen. 
Doch mußt du's felbft ihr fagen, Teinem andern 
Bertraun, daß dich ein Jüngling abgefchidt, 
Berftehft du? Nun, das weißt du wohl. — Und daß 
Du Glauben finden mögeft auch bei ihr, 
Nimm diefes Tuch, und diefen Fuß gieb ihr. ces.) 
(Barnabe fteht ihn nad, fenfzt und geht ab.) 





Vierte Scene, 
Eine andere Gegend im Gebirge. 
Rupert und Ganting treten anf. 
Das ſoll zhnlich Sartiug 
as ſoll gewöhnlich ſein Spaziergang ſein, 
Sagt mir "der äger. Selber ba ’ a In 
weimal und jehr erhitt auf diefer Straße 
egegnet. Iſt er im Gebirg, fo iſt's 
Auch Agnes, und wir fangen beid’ zugleich. 
Rupert 
(fett ſich auf einen Stein). 
Es it jehr heiß mir, und die Zunge troden. 


Santing. 
Der Wind geht fühl doch über's Feld. 
Rupert. 
Ich glaub’, 
'S iſt innerlich. 


Santing. 
Füblft du nicht wohl dich? 


Rupert. 
Nein. 
Mich dürſtet. . 
Santing. 
Komm an diefen Duell. 
Rupert. 
Löſcht er - 


Den Durft? 
Santing. 

Das Waſſer mindeſtens iſt ar, 

Daß du darin dich ſpiegeln könnteſt. Komm! 


‚ geht zum Quell, wei über i dplötzli 
ee . Le oe 


100 


®&anting, 
Was fehlt dir? 


Eines Teufelk Anttit ſah 
Mich aus der Welle an. 
Santing (achend). 
Es war dein eignes. 
Rupert. 
Scorpion von einem Menſchen. (Get ſich wieder.) 
(Baruabe tritt auf.) 
Barnabe 
Hier geht’3 nad) Warwand — geßrenger Ritter? 


Was haft du denn zu tum dort. Thhönes Kind? 
Barnabe, 
Beſtellungen an Fräulein Agnes. 
Santing. 


0? 
Denn fie fo ſchön wie du, fo ‚mögt ih mit Dir gehn, - 


a8 wirft du ihr denn jagen ? 
Barnabe 


Sagen? Nichts, 
Ich führe fie bloß in's Gebirg. 
Santing. 
Heut nody? 
Baruabe, 
Kennft du fie? 
Santing. 
Wen’ger ‚nod) als Dich, 
Und es betrübt mic) Den’ ge — sach heut noch? 


Ja gleich. — Und bin ie auf dem rechten Weg ? 


Santing. 
Wer ſchickt dich denn? 
Baruabe. 
Wer? — Meine Mutter. 
Santing. 


So? 


Nun geh nur, geh auf diefem Wege fort, 
Du kaͤnnſt nicht Fehl fehlen. s 
Barnabe. 
om behüte euch. we.) 
anting. 
Haft du's gehört, Rupert? Sie — * noch heut 


Mn u — 


101 


In'das Gebirg. Ich wett’, da8 Mädchen war 
Bon Ottokar geſchickt. 
Nupert (feht auf). 
So führ’ ein Gott, 
So führ’ ein Teufel fie mir in die Salingen, 
Gleichviel! Sie haben mich zu einem Mörder 
Gebrandmarkt boshaft im voraus. — Wohlan, 
So au fie denn Recht EZ aud) haben. 
— Weißt du den Ort, wo fie fich treffen? 
Sauting. 
Nein, 
Wir müſſen ihnen auf die Fährte gehn. - 
Rupert. 
So fomm. 


Fünfte Scene, 


Noffig. Ein Gefängnif im Tharm. 
Die Thür Öffnet fi, Beterin tritt auf. 
» Dttolar (nod draußen). 
Mein Bater hat’3 befohlen ? 
Betorim, 
In der eignen 
Berfon, du möchteft gleich bei deinem Eintritt 
In's Thor uns folgen nur, wohin wir dich 
gu führen haben. Komm, du alter Yunge, 
omm b’rein. 
Ottokar. 
Hör, Vetorin, du biſt mit deinem 
Satyrngeſicht verdammt verdächtig mir. 
Nun, weil ich doch kein Mädchen, will ich's thun. 
(Er tritt auf, der Kerkermeiſter folgt ihm.) 
Der Ort iſt, ſiehſt du, d —R ſt 
er Ort iſt, ſie u, der unſchuldigſte. 
Denn hier auf dieſen —æ ßrs 
Selbſt einen Satyr frieren. 
Ottokar. 
Statt der Roſen 
Will er mit Ketten mich und Banden mich 
Umwinden — denn die Grotte, merk' ich wohl, 
Iſt ein Gefängnif. 


Betorin. 
Hör, das giebt vortreffliche 


102 


Gedanken! morgen, wett’ ich, ift dein Geift 
Fünf Jahre älter al3 dein Haupt. 


Ottokar. 
Wär’ ich 
Wie du, ih nähm’ e8 an. Denn deiner ftraft 
Dein graues Haupt um dreißig Jahre Lügen. 
— Nun komm, ih muß zum Vater. 
Betorin 
(tritt ihm in den Weg). 
Nein, im Exnft, 
Bleib hier, und fei fo luſtig, wie du kannſt. 
Dttofar. 
Bei meinem Leben, ja, das bin ich nie 
Geweſen ſo wie jetzt, und möchte dir 
Die zähneloſen Lippen küſſen, Alter. 
Du gehſt auch gern nicht in den Krieg, nun höre, 
Sag deinen Weibe nur, ich bring’ den Frieden. 


q '& 12 Betorin. 
m Ern 
Ottokar. 
Bei meinem Leben, ja. 
Betorin. 
Nun morgen 
Mehr. Lebe wohl. (Zum Kerfermeifter.) Berichliege hinter mir 
Sogleich die Thüre. 
(Zu Ottokar, ba diefer ihm folgen will). 
. Nein, bei meinem Eid, 
Ich ſag' dir, auf Befehl des Vaters bift 
Du ein Gefangner. 
Ottokar. 
Was ſagſt du? 
Betorin. 
23 | 34 fol 
Dir weiter gar nichts jagen, außer dies. 
Ottokar. 
Nun? 


Betorin. 
Ei, daß ich nichts ſagen ſoll. 
Ottokar. 
O bei 
Dem groben Gott des Himmels, fprehen muß 
yo glei ihn — eine adricht von dem böchften 
ewicht, die feinen Auffchub duldet, muß 
Ich mündlich gleich ihm binterbringen, 


103 
Betorin. 
Kannſt du dich tröſten mindeſtens, er i 


Mit Santing fort, es weiß kein Menf wohin. 
Ottokar. 
Ich muß ſogleich ihn ſuchen, laß mich. — 
Betorin 
(tritt ihm in den Weg). 


0 


Du feherzeft mohl? 
Dttolar, 


Nein, laß mich, nein, ich fcherze 
Bei meiner Ritterehre micht mit deiner. 
’S ift plöglich mir jo ernit zu Muth geworden, 
Als wäre ein Gemitter in der Luft. 
Es hat die höchſte Eil mit meiner Nachricht, 
Und läßt du N gutwillig nicht, jo wahr 
Ich Ieb’, ich breche durch. 
Betorin. 
Durchbrechen, du? | 
Sprichſt doch mit mir gleihwie mit einem Weibe! 
Du bit mir anvertraut auf Haupt und Ehre, 
Tritt mic) mit Füßen erft, dann bift du frei. 
— Nein, hör, ich wüßte was Gefcheuteres. 
Gedulde dich ein Stündchen, führ' ich felbft, 
Sobald er rückkehrt, deinen Vater zu dir. 
Dttolar, 
Sag mir ums Himmelswillen nur, was hab’ 
Ich Böſes denn gethan? 
Betorim 
Weiß nichts. — Noch mehr. 
Ich Ki dem Bater Boten nad), daß er 
Sp früher heimfehrt. 
Dttofar, 
Nun denn, meinetwegen. 
Betorim. 
So lebe wohl. (Sum Xertermeifter) Und du thuft deine Pflicht. 
(Betorin und der Kerltermeifter ab; die Thür wird verfchloffen.) 
DOttofar (fieht ihnen nad). 
30 hätte doch nicht bleiben ſollen — Gott 
eiß, wann der Vater wiederfehrt. — Sie wollten 
Ihn freilich fuhen. Ad, es treibt der Geift 
Sie nicht, der Alles Teiftet. — — Was zum Henker, 
Es geht ja nicht, ih muß hinaus, ich habe 


104 


Ya Agnes in's Gebirg beſchieden. — Betorin! 
Betorin! (Mn die Thur Mopfend) Daß ein Donner, Tauber, das 
Gehör dir öffnete! Vetorin! — — Falet 
Von einem Menſchen, den kein Schlüſſel ſchließt, 
Als nur ſein Herr. Dem dient er mit ſtockblinder 
Dienſtfertigkeit, und wenn ſein Dienſt auch sehn! 
An Schaden brächt', doch dient er ihm. — Ich wollt’ 

n doc gewinnen, wenn er nur erichiene, 
Denn nichts befticht ihn, außer dag ntan ihm 
Das fagt — — Zum minditen wollt’ ich ihn doch eher 
Gewinnen, als die tauben Wände! Himme 
Und Hölle! J ich einem Schäfer gleich 
Mein Leid den Felſen klagen muß! — — So will 
Ich mich, Geduld, an dir, du Weibertugend, üben. 
— '6 iſt eine ſchnöde Kunſt, mit Anſtand viel 
Zu unterlaſſen — und ich merk' es ſchon, 
Es wird mehr Schweiß mir koſten, als das Thun. 

(Er will ſich ſetzen.) 
Horch! horch! es kommt! 
(Der Kerlermeiſter öffnet Euſtachen die Thür.) 
Enftade (u diefem). 
Ich werd e8 dir vergelten. 


Ah, Mutter! Ottokar. 


Euſtache. 
Hör, mein Som ich habe dir 
Entfegliches zu fagen. 
. Du earein ch 
u erfchredit mich — 
Wie bift du fo entftellt ? 
Euftade. 
Das Eine wirft 
Du willen fchon, Jerome ift erfchlagen. 


Ottokar. 
ge D Gott des Himmels! Wer 
at das gethan? 


——8 
Das iſt nicht Alles. Rupert 
Kennt deine Liebe. — 
Ottokar. 
Wie? Wer konnt' ihm die 
Entdeden? 


Enftade. 
" Frage niht — o deine Mutter, 
Ich felbfl. Jerome hat e8 mir vertraut, 


105 


Mich riß ein übereilter Eifer bin, 
Der Wüthrich, den ich niemals jo gekannt — 
Ottokar. 
Von wem ſprichſt du? 
Enſtache. 
O Gott, von deinem Vater. 


No fa ih did mur Halb —- doc aß dir | 

oh fall’ ich dich nur halb — doch laß dir fagen 
Bor allen Dingen, Alles ift gelöfet, s 
Das ganze Räthjel von dem Mord, die Männer, 
Die man bei Peters Leiche fand, fie haben 

Die Leiche felbit gefunden, ihr die Finger 

Aus Borurtheil nur abgejchnitten. — Kurz, 

Nein, wie die Sonne, it Syivefter. 


Enftade. 

Jeſus! Und jebt erjchlägt er feine Tochter. — 
Dttolar. 

Wer? 
Euftade. 


Aupert. Wenn fie in dem Gebirge jetzt, 
Iſt fie verloren, er und Santing ſucht ‘e 


Ottokar (eilt zur Thür). 
Vetorin! Betorin! Betorin! 


Enſtache. 


öre 
Mich an, er darf dich nicht befrein, ſein Haupt 
Steht drauf. 


Ottokar. 
Er oder ich. — Vetorin! (Cr fieht fig um) Nun 
So helfe mir die Mutter Gottes denn! — 
(Er Hängt einen Mantel um, ber auf den: Boden Iag.) 
Und diefer Mantel bette meinem Fall. 
(Er Hettert in ein vergittert Fenſter.) 


Euftade. 
Um Gotteswillen, fpringen willft du doch 
Se biefem Sem mia Rafenber! der Tour 

unfzig Fuß hoc), und der ganze Boden 

Sep aflert — Ottokar! Ottolir! ; 

Öttolar (von oden). 
Mutter! Mutter! Sei, wenn ich gefprungen 
Dr ftil, hörſt du? ganz ftill, nk Fangen ie 

ich. 


106 


Enftade 
‚(fintt auf Die Kniee). 
Dttofar! Auf meinen Knieen bitte, 


Beſchwör' ich dich, geh fo verädhtlich mi 
DE deinem Leben um, —* art mi Thurm — 


Dttolar. 
Das Leben ift viel werth, wenn man's verachtet! 
Ih brauch's. — Leb weht (Er fpringt.) 
Euftade (fteht auf) 
Hu Hülfe! Hüffe! Säle! 


Fünfter Aufzug. 


Erite Scene, 


Das Innere einer Höhle. 


Es wird Racht, Agneßs mit einem Hute, in zwei Kleidern. Das Ueberkleid iſt vorne 
mit Schleifen Qugebunden. Barı zunbe —* Reben ſchüchtern an einer Seite bes 
or KR 


ttft du mir früher das gefagtt Ich fühle 
RR I beängftigt, möchte lieder, da 
Ich nicht gefolgt dir wäre. — Geh noch einmal 
inaus, du Liebe, vor den Eingang, fieh, 
b Niemand fich der Höhle nähert 
Baruabe 
(die in den Hintergrund gegangen ift). 


Den beiden Rittern feh’ ich nichts. 
Agnes (mit einem Geufjer). 
Ad Gott! 


gtt! 
Hab Dank für deine Nachricht. 
Barnuabe, 
Über von ° 
Dem ſchönen Jüngling ſeh' ich auch nichts. 
Agnes. 


Siehft 
Du wirklich nichts? Du kennſt ihn doch? 


107 


Baruabe. 
Wie mid). 
Agnes. 
So ſieh nur ſcharf hin auf den Weg. 
Barnabe. 
Es wird 


Sehr finfter ſchon im Thal, aus allen Häuſern 
ich ir don, im innen am nie 


Die Lichter fon? fo iſt's —9 unbegreiftid, 
Barnabe. 

Wenn Einer käm', ich könnt' es hören, fo 

Geheimnißftill geht's um “ A en. 


Ad, nun iſt's doch umponf, 7 gin nur lieber 


Heimtehren. Komm egleite mich 
Barnabe. 

Stil! Still! 

dr’ ein Raufchen — wieder — — Ad es war 


& indftoß, der vom we kam. 

War's auch gewiß vom Walerfele nur? 
Barnabe. 

Da regt fi etwas Dunkles doc, im Nebel. — 


Agnes 
Iſt's Einer? Sind es zwei? 
Barnabe. 


— kann es nicht 


Genau erkennen. Aber menſchli 
Geſtalten ſind es. — — Ah! 
(Beide Mädchen fahren zurüd. Ottokar Bi auf, und fliegt in Agnes Arme.) 


Ott 
D Dank, Gott! Dant fur deiner "Engel Obhut! 
So lebſi du, Mädchen? 


Agnes. 
Ob ich lebe? 
Ottokar. 


Doch nicht, bin ich nicht Ottokar? 
Agues. 
Es 


i 
So ſeltſam Alles heute mir verdächtig, 


108 


Der fremde Bote, dann dein Ipät Erſcheinen, 
Nun dieſe Frage. — Auch die beiden Ritter, 
Die ſchon den ganzen Tag um dieſe Höhle 
Geſchlichen find. 

Ottokar. 


Zwei Ritter? 


Agnes. 
Die ſogar 
Nach mir gefragt. 
Ottokar. 
Gefragt? und wen? 


Agnes. 


Dieß Mädchen, 
Die es geſtanden, daß ſie in's Gebirg 

Mich rufe. 

Ottokar (gu Barnabe). 


Unglüdliche! 


gues. 
Was ſind denn das 
Für Ritter? 
W r bob ame ꝙ Barnabe). 
iſſen ſie, daß Agnes hier 
In dieſer SöhleN 
| Barnabe. 
Das hab’ ich nicht geftanden, 


Agnes. 
Du fcheinft beängftigt, Ottofar, ich werd’ 
E8 doppelt. Kennft du denn die Ritter? 
(Dttolar fteht in Gedanken.) 
Sie find dog) nicht aus Woffig? find doch nit ſie— 
ie find doch nicht aus Roſſitz? find doch nicht 
Geſchickt nah mir? find keine Mörder doch? 
Dttolar 
(mit einem plötslich heitern Spiel). 
Du weißt ja, Alles ift gelöft, das ganze 
Geheimnig Har, dein Vater iſt unſchuldig. — 
Agnes. 
So wär es wahr? — 
Ottokar. 


Bei dieſem Mädchen fand 
Ich Peters Finger, Peter iſt ertrunken, 
Ermordet nicht. — Doch künftig mehr. Laß uns 
Die ſchöne Stunde innig faſſen. Möge 
Die Trauer ſchwatzen und die Langeweile, 


109 


Das Glück ift ſtumm. (@r drück fie an feine Bruft.) 
Wir machen diefe Nacht 
Bu einem Zeft der Liebe, willft du? Komm, 
(Er zieht fie anf einen Sig.) 
In Kurzem ift der Irrthum aufgededt, 
Sind nur die Väter erft verföhnt, darf ich 
Did öffentlich al8 meine Braut begrüßen, 
it diefem Kuß verlobe ich mid) dir. 
(Er fteht auf, zu Barnabe heimlich.) 
Du ftellft dich an den Eingang, börft du? Siehſt 
Du end Jemand nah, fo Huf du gleich. 
Noh Eins, Wir werden hier die Kleider mechjeln, 
Jg einer Biertelftunde führft du Agnes 
n Männerkfleidern heim. Und follte man 
Uns überrafchen, thuft du's gleich. — Nun geh. 
(Barnabe geht in den Hintergrund. Sttolar kehrt zu Agnes zurück.) 


Agnes 
Wo geht das Mädchen hin? 

Dttofar (fest ſich. 

hr Agnes! Agnes! 

Weld eine Zukunft öffnet ihre Pforte!- 
Du wirft mein Weib, mein Weib! weißt du denn auch, 
Wie groß das Maß von Glüd? 

Agnes (lädelnd). 

Du wirft e8 lehren. 


Ottokar. 
Ich werd' es! O du Glückliche! der Tag, 
Die Nacht vielmehr iſt nicht mehr fern. Es kommt, du weißt, 
Den Liebenden das Licht nur in der Nacht, — 
Errötheſt du? 
Agnes. 


So wenig ſchützt das Dunkel? 
Ottokar. 

Nur vor dem Auge, Thörin, doch ich ſeh's 
Mit meiner Bande, daß du gta .—_ a Agnes! 
Wenn erft das Wort gejprochen tft, das dein 
Öefüßl, jegt eine Sünde, heiligt — — Erft a 

m Schwarm der Gäſte, die mit Blicken uns 

ie Wespen folgen, tret’ ich gu dir, ſprichſt 
Du zwei beflemmte Worte, wendet dann 
Biel ſchwatzend zu dem Nachbar dich. Ich zürne 
Der Spröden nicht, ich mweiß es befjer wohl. 
Denn wenn ein Gaſt, der von dem Feſte jcheidet, 


110 


Die Thüre zufchließt, fliegt, wo du auch feift, 
Ein — zu ih herüber, der mich tröftet. 
Wenn dann der Letzte auch gefchieden, nur 
Die Väter und die Mütter noch beifammen — 
— „Run, gute Nacht, ihr Kinder!“ — Lächelnd Füllen 
Sie dich, und küſſen mid) — wir wenden uns, 
Und eine ganze Dienerfchaft mit Kerzen | 
Wil folgen. „Eine Kerze ift genug, 
hr Leute“, vuf ih, und die nehm’ ich felber, 
rgreife deine, diefe Hand (Cr rüßt fie 
— Und langfam fteigen wir die Treppe, ſtumm, 
Als wär uns fein Gedanke in der Bruft, 
Daß nur das Raufchen fi von deinem Kleide 
Noch in den weiten Hallen hören läßt. 
Dann — — fchläfft du, Agnes? 


Agnes. 
— Schlafen? 
Ottotkar. 


So ſtill — Nun weiter. Leiſe öffne ich 
Die Thüre, ſchließe leiſe fie, als wär’ 
Es mir verboten. Denn es ſchauert ſtets 
Der Menſch, wo man als Kind es ihm gelehrt. 
Wir ſetzen uns. Ich ziehe ſanft dich nieder, 
Mit meinen Armen ſtark umſpann' ich dich, 
Und alle Piebe ſprech' ih aus mit Einem, 
Mit diefem Kup. 

(Er geht ſchnell in den Hintergrund Zu Darnabe heimlich) 

So ſahſt du Niemand noch? 


Weil du plötzlich 


Barnabe, 
Es fohien mir kürzlich faft, als fchlichen zwei 
Geftalten um den Berg. _ 
(Dttolfar Yehrt ſchnell zurüd.) 
Agnes. 
Was ſprichſt du denn 
Mit jenem Mädchen ſtets? 
Ottokar 
(hat ſich wieder geſetzt.) 
Wo blieb ich ſtehen? 
Sa, bei dem Kuß. — Dann fühner wird die Liebe 
Und meil du mein. bift — bift du denn nicht mein 
So nehm’ id dir den Hut vom Haupte, (ex thut's) flöre 
Der Toden fteife Ordnung, (er thut'e) drücke kühn 
Das Tuch hinweg, (er thut's) du liSpelft leis, o löſche 


111 


Das Licht! und plöglich, tief verhüllend, webt 
Die Nacht den Schleier um die heil'ge Liebe, 
Wie jetzt.. 
Barnabe 
(ans dem Hintergrunde). 
D Ritter! Ritter! 
(Agnes fieht fich ängftlih um.) 
Ottokar 
(fällt ihr in's Wort). 
Gl frihl ſch Rum entmalt 
eich einem frühlingangefchmellten Strom 
Die Kegune obne Mag und Drdnung ſchnell 
Loöſ' ich die Schleife, ſchnell noch eine, (er tgut's) ftreife dann 
Die fremde Hülle leihyt dir ab. (Cr thut's) 
Agnes. 
D Dttofar, 
Was mahft du? (Sie fällt ihm um den Hals.) 
, Ottokar 
(an dem Ueberkleide befchäftigt). 
Ein Gehülfe der Natur, 
Stell’ ich fie wieder her. Denn wozu nod) 
Das Unergründliche FF Fo poll 
Berjchleiern ? Alles öne, liebe Agnes, 
Draucht feinen andern Schleier, als den eignen, 
Denn der ift freilich felbft die Schönheit. 
Barnabe. 
Ritter! Ritter! 
Geſchwind! 
Ottokar 
UEchnell auf, zu Barnabe). 
Was giebt's? 
Barnabe. 
Der Eine ging zweimal 
Ganz nah vorbei, ganz langſam. 
Ottokar. | 
Hat er dich gefehn? 
Barnabe. 
Ich fürcht' es faſt. (Ottokar ehrt zurüd.) 
Agnes (ie aufgeſtanden if). 
Was rief das Mädchen denn 


.. Ottokar. 
Es iſt nichts. 


So äungſtlich? 


112 


Agnes. 
Es ift etwas. 
Ottokar. 
wei Bauern, ja, ſie irrten ſich. — Du frierſt, 
imm dieſen Mantel um. 
(Er Hängt ihr feinen Mantel um.) 
Agnes. 
Du bift ja jeltfam. 
Ottokar. 
So, ſo. Nun ſetze dich. 
Agnes (ſett fi). 
Ich möchte lieber gehn. 
Dttofar (der vor ihr flieht). 
Wer würde glauben, daß der grobe Mantel 


So Zartes dedte, als eın Mädchenleib! 


Drüd’ e dir noch den Helm auf deine Locken, 
Mad’ ich aud Weiber mir zu Nebenbubhlern. 


‚Barnabe (tommt zurüd, eilig). 
Sie kommen! Ritter! Sie fommen! 
(Dttolar wirft ſchnell Agnes Oberfleid Über, und fett ihren Hut auf.) 


Agnes, 
Wer fol denn kommen? — Ottokar, was machſt du? 
Ottokar 
(im Ankleiden befchäftigt). 
Mein Bater kommt. — 
Agnes. 
O Jeſus! (Wil finten.) 
Dttofar (faft fie. 
Ruhig. Niemand 
Fügt dir ein Leid, wenn ohn’ ein Wort zu reden 
Du dreift und kühn in deiner Männertracht 
ginaus zur Höhle gebft. Ich bleibe. — Wein, 
rwiedre nigie ich bleib'. Es iſt nur für 
Den erſten Anfall. 
(Rupert und Sauting erſcheinen.) 
Sprecht kein Wort und geht ſogleich. 
(Die Mädchen geben.) 
Rupert 
(tritt Agnes in den Weg). 
Wer bift du? Rede! 
Dttolar 


(tritt vor, mit verftellter Stimme). 
Sudt ihr Agnes? Hier bin ic. 
Wenn ihr aus Warwand ſeid, fo führt mich heim. 


113 


Rupert 
(mährend die Mädchen num abgehen). 
Ich fürdre dein Gefpenft zu deinen Vater! 
(Er erfticht Ottokar, ber fällt ohne Laut.) 
(Baufe) - 


Rupert 
(betrachtet ſtarr die Leiche). 


Santing! Santing! — Ich glaube, fie ift todt. 


Santing. * 


Die Schlange hat ein zähes Leben. Doch 
Beſchwör' ichs faſt. Das Schwert ſteckt ihr im Buſen. 
Rupert 
(ſährt ſich mit der Hand übers Geſicht). 
Warum denn that ichs, Santing? Kann ich es 
Doch gar nicht finden im Gedä tniß. — 


Santing. ' 
Ei 
Es ift ja Agnes. 
Agnes, * Recht, 
Die that mir Böfes, mir viel Böſes, o 
Sch weiß es wohl. — — Was war es ſchon? 


Santing. 


ch 
Nicht, wie du's meinſt. Das Mädchen ſelber 3. 
Nichts Böſes dir gethan. 


Ye Böfes? Santing! 
Warum denn hätt’ ich ſie gemordet? Sage 
Mir ſchnell, ich bitte dich, womit fie mich 
Beleidigt, fogs recht hämifch — Bafiliste, 
Sieh mich nicht an, Ffichl Teufel, ſprich und weißt 
Du Nichts, fo lüg’ e 

ns 


Biſt du denn perrüdt ? 
Das Mädchen ift Sylvefters Tochter. 


Rupert. 


weiß 


So, 
Sylveſters. — Ja, Sylveſters, der mir Betern 
Ermordet hat. 
Santing. 
Den und Johann. 


Nu 
Sohann, ganz Recht, und der pr jo infam 
Bibl. d. d. NRationallitergtur. Kleiſt. IT. 


N 


. Du 


114 


Delogen hat, daß ich e3 werden mußte. 
(Er zieht da8 Schwert aus dem Bufen Ottofare.) 
Rechtmäßig wars, — Gezücht der Otter! 
(Er ftößt den Körper mit dem Fuße.) 

Santing (an dem Eingang). 
Welch eine jeltfame Erſcheinung, Herr! . 
Ein Zug mit Fackeln, gleich dem Jägerheer, 
Bieht til von Warwand an den Höhn herab. 


Rupert. 
Sie ſind, wie's ſcheint, nach Roſſitz auf dem Wege. 


Sauting. 
Das Ding iſt ſehr verdächtig. 
Rupert. 
Denkſt du an 
Sylveſter? 
Sauting. 


Herr, ich gebe keine Nuß 
ür eine andre Meinung. Laß uns ſchnell 
eimkehren, in zwei Augenblicken wär's 
icht möglich mehr. 
Rupert. 
Wenn Ottokar nur ihnen 
Nicht in die Hände fällt. — Gieng er nit aus 
Der Höhle, als wir famen ? 
Sauting. 
Und vermuthlich 
Nah Haus; fo finden wir ihn auf dem Wege Komm! 
(Beide ab.) 
(guet und Barnabe Iafien fih am Gingange fehen.) 
Agnes. 
Die Schredensnadht! Entfeglich ift der Anblick! 
Ein Seihenzug mit Kerzen, wie ein. Traum 
Am Fieber! Weit das ganze Thal erleuchtet 
Bom biutig-rothen Licht der Fackeln. est 
Durch diefes Heer von Geiftern geh ich nicht 
Zu Dale enn die Höhle leer ıjt, mie 
agſt — 
Barnabe, 
So eben giengen die zwei Ritter 
Heraus. 


Agnes. 
So wäre Ottokar noch hier? 
Ottokar! — --Ottokar! 


115 


Ottokar (mit matter Stimme). 
Agnes! 


Agnes. 
Wo bit du? — Ein Schwert — im Bufen — Heiland! 
Heiland der Welt! Mein Ottofar! 
(Sie fällt über ihn.) 


Ottokar. 


Gelungen. — Flieh! (Er Richt.) 
Barnabe. 

O Jammer! Gott des Himmels! 
Mein Fräulein! Sie iſt ſinnlos! Keine Hülfe! 
Ermanne dich, mein Fräulein! — Gott! die Fackeln! 
Sie nahen! Fort, Unglückliche! Entflieh! wo. 

(Sylveſter und Theiſtiner treten auf; eine Fackel folgt.) 


Sylveſter. 
Der Zug ſoll halten! 
(Zu Theiſtiner.) Iſt es dieſe Höhle? 
Theiſtiner. 
Ja, Herr, von dieſer ſprach Johann, und darf 
Man ſeiner Rede traun, ſo finden wir 
Am ſicherſten das Fräulein hier. 
Sylveſter.“ 
Die Fackel vor! 
Theiſtiner. 
Wenn ich nicht irre, ſeh ich Ottokar — 
Dort liegt auch Agnes! 
Syl veſter. 
Am Boden! Gott der Welt! 
Ein Schwert im Buſen meiner Agnes! 
Agnes (richtet ſich auf). 
Wer ruft? 


Syluefter. 
Die Hölle ruft did, Mörder! 
Er erſticht fie.) 
Agues. 
Ah! Eie ſtirbt. 
(Syſveſter laßt ſich auf ein Knie neben der Leiche Ottokars nieder.) 

Theiftiner (nach einer Panfe). 
Mein befter Herr, vermeile nicht in diefem 
Berderblich dumpfen Schmerz! Exhebe — 
Wir brauchen Kraft, und einem Kinderloſen 
Zerreißt der Schreckensanblick das Gebein. 


| 


116 


Sylveſter. 
Laß einen Augenblick mich ruhn. Es regt 
Sich ſehr gewaltig die Natur im Menſchen, 
Und will, daß man gleich einem einz’gen Gotte, 
Ihr einzig diene, wo fie uns erjcheint. 
Mich hat ein großer Sturm gefaßt, er beugt 
Mein wankend Leben nel ur Gruft. Wenn eg 
Nicht reißt, fo fteh” ich dredtich wieder auf, 
ft der gewaltſam erfte Anfall nur 
Borüber. 

Theiftiner. 

Doch das Zögern ift uns fehr 
GSefährlid — — Komm! Ergreif den Augenblid! 
Er wird jo günftig niemals wiederfehren. 
Sebeut die Rache, und wir mwettern mie 
Die Würgeengel über Roffis hin! 


Sylveſter. 
Des Lebens Güter ſind in weiter Ferne, 
Wenn ein Verluſt ſo nah wie dieſe Leiche, 
Und niemals ein Gewinnſt kann mir erſetzen, 
Was mir auf dieſer Nummer ſchigeſolagen. 
Sie blühte wie die Ernte meines Lebens, 


Die nun ein frecher Fußtritt mir zertreten, 


Und darben werd' ich jetzt, von fremden Müttern 

Ein fremdes Kind zum Almoſ' mir erflehen. 
Theiſtiner. 

Sylveſter, hör mich! Säume länger nicht! 


Sylveſter. 
Ja, du haſt Recht! es bleibt die ganze Zukunft 
Der Trauer, dieſer Augenblick gehört 
Der Rache. Einmal doch in meinem Leben 
Dürſt' ich nach Blut, und koſtbar iſt die Stimmung. 
Komm ſchnell zum Zuge. 
(Man hört draußen ein Geſchrei: Holla! Herein! Holla!) 
Theiftiner. 
Was bedeutet dag? 
(Rnpert und Santing werden von Nittern Sylveſters gefangen aufgeführt.) 
Ein Ritter. 
Ein guter Fund, Sylveſter! Diefe faubern 
Zwei Herren, im Geſträuche hat ein Knappe, 
Der vom Pferd geftiegen, fie gefunden. 
Sylveſter! Sitf a en 
ylveſter! Hilf mir fehn, ich bitte dich! 
Er ift3! leibhaftig! —8 und der Santing, 


117 


Sylnvefter (zieht fein Schwert). 
Rupert! 
Theiftiner. 
Sein Teufel ıft ein Beuteljchneider, 
Und führt in eigener Perſon den Sünder 
In feiner Henker Hände. 
Sylveſter. 
| D gefangen! 
Warum gefangen? Gott der Gerechtigkeit! 
Sprich deutlich mit dem Menfchen, daß ers weiß 


Auch, mas er fol! ' 
Nupert (erblicdt Agnes Leiche). 
Mein Sohn! Mein Sohn! ermordet! 
Zu meinem Sohne laßt mid), meinem Sohne! 
(Er will fi Iosreißen, die Ritter halten ihn.) 
Sylveſter. 
Er trägt ſein eigen ſchneidend Schwert im Buſen. 
(Er ftedt es ein.) 
Laßt ihn zu feinem Sohne. 
Rupert 
(ftürzt Über Agnes Leichnam hin). 
Dttolar! 
(Gertrude tritt auf.) 


Gertrude 
Ein Reuter flog durch Warwand, jchreiend, Agnes 
Sei todt gefunden in der Höhle. Nitter, 
Ihr Männer! Iſt es wahr? Wo ift fie? Wo? 
(Sie ftürzt über Ditolars Leichnam.) 
O heil’ge Mutter Gottes! D mein Kind! 
Du Leben meines Lebens! 


(Euftade tritt auf.) 
Enftade. 
Seid ihr Männer, 
So laßt ein Weib unangerührt hindurd). 


Gebeuis, Sylveſter, ich, die Wiutter des 


Erichlagnen, will zu meines Sohnes Leiche. 


Sylveſter. 
Der Schmerz iſt frei. Geh hin zu deinem Sohn. 


Enſtache. 
Wo iſt er? — Jeſus! Deine Tochter auch? — 
Sie ſind vermählt. 


(Sylveſter wendet ſich. Euſtache läßt ſich auf ein Knie vor Agnes Leiche nieder.) 


118 ' 


(Sylvius und Johann, der ihn führt, treten auf. Der letzte mit Zeichen ber Verrückung.) 
_  , Sylnins 
Wohin führft du mich, Knabe? 


Johann. 
Ins Elend, Ater, denn ich bin die Thorheit. 
Sei nur getroft! Es ift der rechte Weg. 


Sylvius. 
Weh! Weh! Im Wald die Blindheit, und ihr Hüter 
Der Wahnfinn! Führe heim mich, Knabe, heim! 


Johann. 
Ins Glück? Es geht nicht, Alter. 's iſt inwendig 
Verriegelt. Komm. Wir müſſen vorwärts. 

Sylvins. 

u Müffen wir? 
So mögen fih die Himmliſchen erbarmen. 
Wohlan. Ich folge dir. 
ohann. 


U | 
Heißa luſtig! 


Sylvius. 
Anı Ziele ſchon? Bei meinem 
Erſchlagnen Kindeskind? Wo iſt es? 


Johann. 


Wir ſind am Ziele. 


Wär ich blind, 
Ich könnt es riechen, denn die Leiche ſtinkt ſchon. 
Wir wollen uns dran niederſetzen, komm, 
Wie Geier ums Aas. (Cr fett ſich bei Ottokars Leiche.) 
Sylvius. 
Er raſet. Weh! Hört denn 
Kein menſchlich Ohr den Jammer eines Greiſes, 
Der blind in pfadeloſen Wäldern irrt? 
Johann. 
Sei mir nicht bös, ich mein es gut mit dir. 
Sieb deine Hand, ich führe dich zu Agnes. 


Sylvius. 
Iſt es noch weit? 


Johann. 
Ein Pfeilſchuß. Beuge dich. 
Sylvins 
(indem er bie Leiche betaftet). 
Ein Schwert — im Bufen — einer Leiche. 
Johann, 
Höre, Alter, 


119 


® 
Das nenn’ ich fehauerlih. Das Mädchen war 
So gut, und o jo ſchön. 
Sylvins, 
a Das ift nicht Agnes! 
— Das wäre Agnes, Knabe? Agnes Kleid, 
Nicht Agnes! Nein, bei meinem emw’gen Leben, 


Das ift nicht Agnes! 
Johamm (die Leiche betaftend) 


Ah! Der Scorpion! 
's iſt Ottofar! 
Sylvius. 


Ottokar! 
Gertrude. 
So wahr ich Mutter, das iſt meine Tochter 
Nicht. (Sie ſieht auf.) 


Sylveſter. 
Fackeln her! — Nein, wahrlich, nein! Das iſt 


Nicht Agnes! 
Enftache (die herbeigeeilt). 
laub * nes! been Was oll 
Ich glauben ich Unheilsmutter! Doppelt 
Die Leiche meines Sohnes: Ottokar! 


Sylveſter. 
Dein Sohn in meiner Agnes Kleidern? Wer 
Denn iſt die Leiche in der Männertracht? 
Iſt es denn — Nein, es iſt doch nicht? — 


Sylvius. 
Sylveſter! 
Wo iſt denn Agnes Leiche? Führe mich zu ihr. 
Sylveſter. 
Unglücklicher! Sie iſt ja nicht ermordet. 
Johanun. 


Das iſt ein Narr. Komm, Alter, komme. Dort iſt 
Noch eine Leich’, ich hoffe, die wirds fein. 
Sylvins, 
Noch eine Leihe? Knabe! Sind wir denn 
In einem Beinhaus ? 
Johann. 
Luſtig, Alter! 
Sie iſts! 's iſt Agnes! 
Sylveſter 
(bedeckt ſich das Geſicht). 
Agnes! 


d Aanheıı A 


10 
® 
Fohaun 
Faß ihr ins Geficht, 
Es muß mie fliegender. Sommer en na 
Bu Rupert) Du Scheufal! Fort! 

Bleibt fern, ich bitt’ end. -- Sehr getähriih ig 

eibt fern, ich bitt’ euch. — Sehr gefährlich iſts, 
Der Ohnmacht eines Hekcıben zu often, 
Iſt er in Felleln gleich gefchlagen, Tann 
Er euch den Speichel noch ins Antlig fpein, 
Der jeine Peſt euch einimpft. Geht, und laßt 
Die Teiche mindftend mir von Ottofar. 


Yobhann, 

Du toller Hund! Geh gleich fort! Ottokar 

Iſt dort — komm, Alter, glaub mir, hier ift Agnes. 
Sylvius. 

O meine Agnes! O mein Kindeskind! 


Enſtache. 
O meine Tochter! Welch ein Irrthum! Gott! 


Rupert 
(fieht Agnes Leiche genauer an, fteht auf, Yen ſchnell zur Leiche Ottolare, und wendet 
fih mit Bewegung des Entſetzens). 


- Höfe Gefiht! Was äffft du mich? 


(Er fieht die Leiche wieder an.) 
Ein Teufel 
Blöckt mir die Zung’ heraus. 
(Er fieht fie wieder an und fährt mit den Händen in feinen Haaren.) 
Ich di t! Ich felbft! 
Bmeimal die Bruft durchbohrt! Denia? die Bruft. 
(Urſula tritt auf.) 
. Urſula. 
Hier iſt der Kindesfinger! 


(Sie wirft einen Kindesfinger in die Mitte der Bühne und verſchwindet.) 


Alle. 
Was war das? Welche ſeltſame Erfcheinung ? 
| " Euſtache. 
Ein Kindesfinger? (Sie fust ihn auf.) 
Nupert, 
Fehlte Betern nicht 


Der Kleine Finger an der linfen Hand? 


Shineher: 
Dem Deter? Dem erihlagnen Knaben? Fangt 
Das Weib mir, führet mir das Weib zurüd. 

. (Einige Ritter ab.) 


. ıa 


Euftade. 
Wenn eine Mutter kennt, was fie gebar, 
So ift es Peters Finger. 

Nupert. 

Peters Finger ? 

Euftade. 
Er ifts! Er its! An diefer Blatternarbe, 
Der einzigen auf feinen ganzen Leib, 
Erfenn ich es! Er ift es! 

0 Nupert. 

Unbegreiflich ! 
(Urſula wird aufgeführt.) 


Urſula. 
Gnade! Gnade! Gnade! 
Sylveſter. 


y 
Wie kamſt du, Weib, zu diefen Finger? 
Urfſula. 


Das Kind, dem ich ihn abgeſchnitten, iſt 
Ermordet nicht, war ein ertrunfenes, 
Das ich ſelbſt leblos fand. 
Rupert. 
Ertrunken? 


Sylveſter. 
Und warum ſchnittſt du ihm den Finger ab? 
Urſula. 
Ich wollt' ihn unter meine Schwelle legen, 
Er wehrt dem Teufel. Gnade! Wenns dein Sohn iſt, 
Wie meine Tochter ſagt, ich wußt' es nicht. 


nade! 


Dich fand ich aber bei d ehe ch 
ich fand ich aber bei der Leiche nicht, 
Ich fand zwei Reiſige aus Warwand. 
Urſula. 
Die kamen ſpäter zu dem Kind als ich, 
Ihm auch den rechten Finger abzulöſen. 
(Rupert bededt ſich das Geſicht.) 
Johann (tritt vor Urſula). 
Was willſt du, alte Hexe? 
ee bgeth Puppch 
's iſt abgethan, mein Püppchen. 
Wenn ihr euch todtſchlagt, iſt es ein Verſehen. m 
Johann. 3 
Verſehen? ein Verſehen? Schade! Schade! 
Die arme Agnes! Und der Ottokar! 


122 


Nupert. 
Johann! Mein Kuäblein! Schmweige ſtill. Dein Wort 
Iſt ſchneidend wie ein Meſſer. 


Johanunu. 
Seid nicht böſe. 
Papa hat es nicht geru gethan, Papa 
Wird es nicht mehr thun. Seid nicht böſe. 
Nupert. 
Sylveſter! Div hab ich ein Kind genommen, 
Und biete einen Freund div zum Erfag. 
(Banfe.) 
Syivefter! Selbft bin ich ein Kinderlofer! 
(Baufe.) 
Sylveſter! Deines Kindes Blut koum über 
Mich — kannſt du beffer nicht verzeihn als ich? 
(Spivefter reicht ihm mit abgewandten Geflht die Hand; Euſtache und Gertrude 
umarmen ſich) 
Yobann. 
Bringt Wein ge! Luftig! Wein! Das ift ein Spaß zum 
Todtlahen! Wein! Der Teufel hatt’ im Schlaf den Beiden 
Mit Kohlen die Gefichter angeſchmiert 
Nun kennen ſie ſich wieder. Schurken! Wein! 
Wir wollen Eins drauf trinken! 
Urſula. 
Gott ſei Dank! 
So ſeid ihr nun verſöhnt. 
Rupert. 
Du haſt den Knoten 
Geſchürzt, du haſt ihn auch gelöſt. Tritt ab. 
Johaun. 
‚ Geh, alte Here, geh. Du ſpielſt gut aus der Taſche, 
Ich bin sufeieden mit dem Kunftftüd. Geh. 
(Der Vorhang fällt.) 


BDentbefilen. 


Ein Trauerfpiel. 1808 


Berjonen: 


Benthefilen, Königin der Amazonen. 
Prothoe, 

Meroe, Fürſtinnen der Amazonen. 
Aſteria, 

Die Ober⸗Prieſterin der Diana. 


Achilles, 
Odyſſeus, 2: 
Diomebes, | Könige des Griechenvolts. 


Antilochus, 
Griechen und Amazonen. 


Scene: Schlachtfeld bei Troja. 


Eriter Auftritt. 


Obyfiens und Dismebed von der einen Seite, Autilochus von der andern, und 
Gefolge treten auf. 
Antilochns. 
Seid mir gegrüßt, ihr Könige! Wie gehts 
Seit wir zulegt bei Troja und gefehn? 


Odyſſens. 
Schlecht, Antiloch. Du ſiehſt auf dieſen Feldern 
Der Griechen und der Amazonen Heer 
Wie zwei erboſte Wölfe ſich umkämpfen: 
Beim Iriter! ſie wiſſen nicht warum. 
Wenn Mars, entrüſtet, oder Delius 
Den Stecken nicht ergreift, der Wolkenrüttler 
Mit Donnerkeilen nicht dazwiſchen wettert: 
Todt ſinken die Verbißnen heut noch nieder, 
Des Einen Zahn im Schlund des Anderen. — 
Schafft einen Helm mit Waffer! 

Autilochus. 

Element! 

Was wollen dieſe Amazonen uns? 

Saft en 8. 
Mir zogen aus, auf des Atriden Rath, 
Mit der gefammten Schaar der Myrmidonen, 
Achill und ich, Penthefilea, hieß es, 
Sei in den jeythichen Wäldern aufgeftanden, 
Und führ’ ein Heer, bededt mit Schlangenhäuten, 
Bon Amazonen, heißer Kampfluft voll, 
Dur der Gebirge Windungen heran, 
Den Briamms in Troja zu entjeßen. 
Am Ufer des Stamandros, hören mir, 
Deiphobus auch, der Priamide, fei 
Aus Ilium mit einer Schaar gezogen, 
Die Königin, die ihm mit Dälle naht, 
Nach Freundesart zu grüßen. Wir verfchlingen 
Die Straße jeßt, uns zwifchen diefer Gegner 
Heillofem Buͤndniß wehrend aufzupflanzen; 
Die ganze Nacht durch windet fich der Zug, 


0) 


126 


Doc, bei des Morgens erfter Dämmerrötbe, 
Welch ein Erftaunen faßt uns, Antilod), 
Da wir in einem weiten Thal vor ung 
Mit des Deipbobus Iliern im Kampf 
Die Amazonen fehn! Penthefilen, 
Wie Sturmwind ein zerriffenes Gewölk, 
Weht der Trojaner Reihen vor fich her, 
Als gält es übern gelejpont Fig 
Hinweg vom Rund der Erde fie zu blafen. 
Auntilochus. 
Seltſam, bei unſerm Gott! 
Danfjens. 
ir ſammeln ung, 
Der Trojer Flucht, die wetternd auf uns ein 
—X einem Anfall keilt, zu widerſtehen, 
Und dicht zur Mauer drängen wir die Spieße. 
Auf dieſen Anblick ſtutzt der Priamide; 
Und wir im kurzen Rath beſchließen, gleich 
Die Amazonenfürftin zu begrüßen: 
Sie auch hat ihren Stegeslauf gehemmt, 
War je ein Rath einfältiger und beſſer? 
ätt’ ihn Athene, wenn ıch fie befragt, 
ns Ohr verftändiger mir flüftern können? 
ie muß, beim Hades! biele ungfrau doch, 
Die wie vom Himmel plötzlich fampfgerüftet 
d unjern Streit fällt, fih darin zu miſchen, 
ie muß zu Einer der Partein fich jchlagen; 
Und uns die Freundin müſſen wir fie glauben, 
Da fie fih Teukriſchen die Feindin zeigt. 
Antilohn®. 
Was fonft, beim Styr! Nichts anders giebts. 


Odyſſeus. 


Wir genden fie, die Heldin Schthieng, 
Achill und ih — in kriegerifcher Feier 
An ihrer Jungfraun Spige aufgepflanzt, 
Geſchürzt, der —— wallt ihr von der Scheitel, 
Und feine Gold⸗ und Purpurtroddeln regend, 
gerftampft ihr Belter unter ihr den Grund. 
edankenvoll, auf einen Augenblid, 
Sieht fie in unfre Schaar, von Ausdrud leer, 
Als ob in Stein gehaun wir vor ihr ftünden; 
gie diefe flache Fr verfichr ich Dich, 
ft ausdrudsvoller als ihr Angeficht: 
Dis jet ihr Aug auf den Peliden trifft, 


Nun gut, 


127 


Und Glut ihe plöglich bis zum Hals hinab 
Das Antlig färbt, als ſchlüge rings um fie 
Die Welt ın helle Flammenlohe auf. 
Sie jhwingt, mit einer zudenden Bewegung, 
— Und einen finftern Blick wirft je au nr — 
Vom Rücken ſich des Pferds herab, und fragt, 
Die Zügel einer Dienrin überliefernd, 
Was uns in ſolchem Prachtzug zu ihr führe. 
ch jetzt: wie wir Argiver hoch erfreut, 
Auf eine Feindin des Dardanervolks zu ſtoßen; 
as für ein Haß den PBriamiden längft 
Entbrannt fei in der Griechen Bruft, wie nütlich, 
So ihr wie uns, ein Bündni würde fein, 
Und was der Augenblid noch fonft mir beut; 
Doch mit Erftaunen, in dem Fluß der Rebe, 
Bemerk ich, daß fie mich nicht hört. Sie wendet 
Mit einen Ausdrud der Vermwunderung, 
Gleich einem fechzehnjährgen Mädchen plöglich, 
Das von olympſchen Spielen wiederkehrt, 
SM einer Freundin ihr zur Seite ſich, 
nd ruft: Solh einem Mann, o Prothoe, ift 
Dtrere, meine Mutter, nie begegnet! 
Die Freundin, auf dieß Wort betreten, fehweigt, 
Achill und ich, mir ſehn uns lächelnd an, 
Sie ruht, fie felbft, mit trunfnem Blick ſchon wieder 
Auf des Aeginers ſchimmernder ſſſelt 
Bis jen' ihr ſchüchtern naht, und ſie erinnert, 
Daß ſie mir noch die Antwort Ichulbig Te, 
Drauf mit der Wangen Roth, war Wuth, wars Scham, 
Die Rüftung wieder bis zum Gurt fi) färben, 
Verwirrt und ftolz und wild zugleich: fie ſei 
Bent efilea, kehrt fie fi zu mir, 
er Amazonen Königin, und werde 
Aus Köchern mir die Antwort überfenden! 


Antilochus. 
So, Wort für Wort, der Bote, den du ſandteſt; 
Doch keiner in dem ganzen Griechenlager, 
Der ihn begriff. 

Obyffens. 

Hierauf, unwiſſend jekt, 

Was wir von hielen Auftritt denken follen, 
In grimmiger Beihämung gehn wir heim, 
Und in die Teufrifchen, die unfre ma 
Bon fern her, die hohnlächelnden, errathen, 
Wie im Triumph fi fammeln. Sie bejchließen 


128 


m Wahn, fie feien die Ber ünftigten, 

nd nur ein Irrthum, der ſich löſen müſſe, 
Gei an dem Zorn der Amazone Schuld, 
Schnell ihr durch einen Herold Herz und Hand, 
Die fie verfchmäht, von Neuem anzutragen. 
Doc eh der Bote, den fie jenden wollen, 
Den Staub noch von der Rüftung abgefchüttelt, 
Stürzt die Sentaurin, mit verhängtem Zügel, 
Auf fie und uns ſchon, Griech' und Trojer, ein, 
Mit eines Waldftroms withenden Erguß 
Die Einen wie die Andern nieberbraufend. 

Autilochus. 

Ganz unerhört, ihr Danaer! 


Ein Kampf an, wie er, feit die Furien walten, 
Noch nicht gefämpft ward auf der Erde Rüden. 
So viel ich meiß, giebt e8 in der Natur 
Kraft bloß und ihren Widerftand, nichts Drittes, 
Was Slut des Feuers Löfcht, löſt Waller fiedend 
: Zu Dampf nit auf und umgefebtt Doc hier 
eigt ein ergrimmter Feind von Beiden ich, 
Bei deſſen Eintritt nicht das Feuer weiß, 
Obs mit dem Maffer riefeln joll, das Wafler, 
Obs mit dem Feuer himmelan fol Leden. 
Der Trojer wirft, gedrängt von Amazonen, 
Sich hinter eines Griechen Schild, der Grieche 
Befreit ihn von der Jungfrau, die ihn drängte, 
Und Griech' und Trojer müſſen jetzt fich faft, 
Den Raub der Helena zu Troß, vereinen, 
Um dem gemeinen Feinde zu begegnen. 
. (Ein Griedge bringt ihm Waſſer.) 
Dank! Meine Zunge lechzt. 
Diomedes. 
Eeit jenen Tage 
Grollt über diefer Ebne unverrüdt 
Die Schlacht mit immer reger Wuth, wie ein 
Gewitter, zwifchen waldgefrönter Felfen Gipfeln 
Geklemmt. Als ich mit den Aetoliern geftern 
Erfchien, der Unfern Reihen zu verftärken, 
Schlug fie mit Donnerkrachen eben ein, 
ALS mollte fie den ganzen Griechenftamm 
Dis auf den Grund, die Wüthende, zeripalten. 
Der Krone ganze Blüthe liegt, Arifton, 
Altyanar, von: Sturm herabgerüttelt, 


129 


Menandros, auf den Schlachtfeld da, den Lorbeer 

Mit ihren jungen, ſchönen Leibern groß 

Für diefe kühne Tochter Ares düngend. 

Mehr der Gefangen fiegreicd nahm fie fchon, 

ALS fie uns Augen, fie zu miffen, Arme, 

Sie wieder zu befrein, uns übrig Tieß. 
Autilochus. 

Und Niemand kann, was ſie uns will, ergründen? 


Diomedes. 
Kein Menſch, das eben iſts: wohin wir ſpähend 
Auch des Gedankens Senkblei fallen laſſen. 
— Oft, aus der ſonderbaren Wuth zu ſchließen, 
Mit welcher ſie im Kampfgewühl den Sohn 
Der Thetis ſucht, ſcheint's uns, als ob ein Haß 
Perſönlich wider ihn die Bruſt ihr füllte. 
So folgt, ſo hungerheiß, die Wölfin nicht 
Durch Wälder, die der Schnee bedeckt, der Beute, 
Die ſich ihr Auge grimmig auserkor, 
Als ſie durch unſre Schlachtreihn dem Achill. 
Doch jüngſt, in einem Augenblick, da ſchon 
Sein Leben war in ihre Macht gegeben, 
Gab ſie es lächelnd, ein Geſchenk, ihm wieder: 
Er ſtieg zum Orkus, wenn ſie ihn nicht hielt. 
Antilochvs. 
Wie? Wenn ihn, wer —? die Königin? 
Diomedes. 
Sie felbft! 
Denn als je um die Abenddämmrung geftern 
Am Kampf, Al ar und Achill, 
Einander trafen, jtürmt Deiphobus ber, 
Und auf der Jungfrau Seite hingeftellt, 
Der Teukriſche, trifft er dem Peleiden 
Mit einem tückſchen Schlag die Rüftung praffelnd, 
Daß rings der Ormen Wipfel wiederhallten; 
Die Königin, entfärbt, läßt zwei Minuten 
Die Arme ſinken: und die Loden dann 
Entrüftet um entflammte Wangen fchüttelnd, 
Hebt fie vom Pferdesrüden hoch fi auf, 
Und fenft, wie aus dem Firmament geholt, 
Das Schwert ihm wetterftrahlend in den Hals, 
Daß er zu Züßen bin, der Unberufne, 
- Dem Sohn, dem göttlichen, der Thetis rollt. 
Er jest, zum Dank, will ihr, der Peleide 
Ein Ölcihes thun; doc) fie bis auf den Hals 
Gebüdt, den mähnumflofjenen, des Scheden, 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. U. [u 





1) 
a 


130 


Der, in den Goldzaum beißend, 1 herumwirft, 
Weicht ſeinem Mordhieb aus, und ſchießt die Zügel, 
Und ſieht ſich um, und lächelt, und iſt fort. 


Autilochus. 
Obyſſeus. 

Was bringſt du uns von Troja? 
Autilochus. 


Ganz wunderbar! 


Odyſſeus. 
Beim Jupiter! Der Meinung bin ich auch. 
Meint ihr, daß der Laertiade ſich 
In dieſem ſinnentblößten Kampf gefällt? 


. Schafft den Peliden weg von dieſem Platze! 


enn wie die Dogg' entloppelt mit Geheul 


& das Geweih des Hirfches fällt; der Jäger, 


Erfillt von Sorge, lodt und ruft fie ab, 
Jedoch verbiffen tır des Prachtthiers Naden, 


Tanzt fie durch Berge neben ihm und Ströme 


Tern in des Maldes Nacht hinein: jo er, 

Der Nafende, feit in der Forft des Krieges 
Dieß Wild fih von fo feltner Art ihm zeigte, 
Durchbohrt mit einem Pfeilfhuß, ihn zu feſſeln, 
Die Schenkel ihm; er weicht, fo ſchwört er, eher 
Bon bieler Amazone Ferje nicht, 

Bis er bei ihren jeidnen Haaren fie 

Bon dem gefledten Tigerpferd geriffen. 
Berfuhs, o Antiloch, wenns dir beliebt, 

Und fieh, was deine vehnerifche Kunft, 

Wenn feine Lippe [häumt, bei ihm vermag. 


131 
Diomedes. 


Laßt uns vereint, ihr Könige, noch Einmal 
Vernunft an mit Gelaſſenheit v 
Auf feine vajende Entfchliegung fegen. 


Du wirft, erfinbungöreiher Rariffäer, 
Den Riß Schon, den er beut, zu finden wiſſen. 
Weicht er dir nicht, wohlan, : will ich ihn 
Mit zwei Xetoliern auf den Rüden nehmen, 
Und einem Klog glei, weil der Sinn ihm fehlt, 
. $n dem Wrgiverlager niedermwerfen. 
Odyſſeus. 
Folgt mir! 


Antilochus. 
Nun? Wer auch eilt uns dort heran? 
Diomedbes. 
Es iſt Adraſt. So bleich und fo verſtört! 





Zweiter Auftritt. 


Die Borigen. Gin Henptmaun tritt auf. 


Odyifens. 
Was bringft du? 
Diomedes. 


Botſchaft? 
Hanptmann. 
Euch die ödeſte, 
Die euer Ohr noch je vernahm. 
Dio meben. 


Nede! 
Hauptmann. 
Achill — ift in der Amazonen Händen, 
Und Pergams Mauern fallen jet nicht um. 
Diomebes, 
Ihr Götter, ihr olympifchen! 
Dbyifens, 
Unglüdöbote! 
Antilochns. 
Wann trug, wo, das Entfegliche ſich zu? 
Hauptmann, 
Ein neuer Anfall, heiß wie Wetterftrabl, 
Schmolz, diefer wutherfülten Mavorstöchter, 


fu 


v 


ry 


132 


Rings der Aetolier wadre Reihen hin, 

Auf uns wie Waflerfturz hernieder fie, 

Die unbefiegten Myrmidonier, gießend. 
Bergebend drängen wir dem Fu tgemog’ 
Entgegen uns: in wilder Ueberſchwemmung 
Reißts uns vom Kampfplag ftrudelnd mit ſich fort; 
Und eher niht vermögen wir den Fuß, 

As fern von dem Beliden, feitzufegen. 

Erft jetzo widelt er, umftarrt von Spießen, 

Sih aus der Naht des Kampfes’ 1os, er rollt 
Bon eines Hügeld Spike Io herab, 

al ung tehrt glücklich Ale, ein Kauf, wir fenden 
Aufjauchzend ihm den Rettungsgruß ſchon zu: 
Doc es erftirbt der Laut im Bufen uns, 

Da plöglich jest fein Viergejpann zurüd 

Bor einem Abgrund ftugt, und Ne aus Wollen 
In graufe Ziele bäumend niederjchaut. 


£) Bergebens jett, in der er Meifter if 


Des Iſthmus ganze vielgeübte Kunft: 

Das Roßgeſchwader wendet, das —I 

Die Häupter rückwärts in die Seibel iebe, 

Und im verworrenen Öefgirre fallend, 

zum Chaos Pferd und Wagen eingeftürzt, 
iegt .unfer Öötterfohn mit feinem Fuhrmerf 

Wie in der Schlinge eingefangen da. 

Autilochus. 
Der Raſende! Wohin treibt ihn — 


Hauptmann. 
Es ſtürzt 
Automedon, des dahrzenss rüſtger Lenker, 
gr die Verwirrung urtig fih der Roſſe: 
ilft dem Biergeloppel wieder auf. 
Doch eh er noch aus allen Knoten rings 
Die Schenkel, die verwidelten, gelöft, 
Sprengt ſchon die Königin mit einem Schwarm 
Siegreicher Amazonen ins Geflüft, 
Jedweden Weg zur Rettung ihm verjperrend. 


Antilochns. 
Ihr Himmliſchen! 
Hanptmann. 
Sie hemmt, Staub rings umqualmt ſie, 
Des Zelters flücht'gen Lauf, und hoch zum Gipfel 
Das Angeſicht, das funkelnde, gekehrt, 
Mißt ſie auf einen Augenblick die Wand: 
Der Helmbuſch ſelbſt, ala ob er ſich entſetzte, 





133 


Reißt bei der Scheitel fie von hinten nieder. 
Drauf pröglid jegt legt fie die Zitgel weg: 
Man fieht, gleich einer Schwindelnden, fie haſtig 
Die Stirn, don einer Rodenflut umwallt, 
In ihre beiden Keinen Hände drücken. 
Beitürzt bei diefem fonderbaren Anblid 
Umwimmeln alle Sungfraun fie, mit heiß 
Eindringlicher Geberde fie beſchwörend; 
Die Eine, die zunächſt verwandt ihr fcheint, 
Shlingt ihren Arm um fie, indeß die Andre, 
Entſchloßner no, des Pferdes Bügel greift: 
Due a den Fortfehritt mit Gewalt ıhr wehren, 
och fie — 
Diomedes. 
Wie? wagt ſie es? 
Antilochus. 
Nein, ſprich! 


Hauptmann. ghr hörte, 


Umfonft find die Verfuche, fie zu halten, 

Sie drängt mit fanfter Macht von beiden Geiten 

Die Fraun hinweg, und im unrub’gen Trabe 

An dem Geflüfte auf und nieder ftreifend, 

Sudt fie, ob nicht ein ſchmaler Pfad fich biete 

Für einen Wunſch, der feine Flügel hat; 

Drauf jet, gleich einer Raſenden, fieht man 

Empor fie an des Felfens Wände Mlimmen, 

Jetzt bier in glühender Begier, it dort, 
Unfinn’ger Hoffnung voll, auf diefem Wege 

Die Beute, die im Garn lient. zu erhafchen. 

Fest hat fie jeden janftern Riß verfucht, 

Den fi im Fels der Regen ausgemajchen; 

Der Abfturz ıft, fie fieht es, .unerfteiglich; 

Doch, wie beraubt des Urtheils, kehrt fie um, 

Und fängt, al3 wär’ von vorn, zu Mettern an. 

Und fchwingt, die Unverdrofjene, h wirklich 

Auf Pfaden, die des Wandrers Fußtritt fcheut, 

Schwingt fi) des Gipfels höchftem Rande näher 

Um einer Orme Höb; und da je jet auf einem 

Granitblod fteht, von nicht mehr Seh enraum, 

Al eine Gemfe, fih zu halten, braudt; 

Bon ragendem Geflüfte rings gejchredt, 

Den, Schritt nicht vorwärts mehr, nit rückwärts wagt; 

. Der Weiber Angftgefchrei Dur veifcht die Luft: 

Stürzt fie urplöglih, Roß und Neuterin, 


134 


Bon 108 ſich löſendem Geſtein umpraffelt, 

Als ob fie in den Orkus führe, fchmetternd 

Bis an des Felfens tiefften Fuß zurüd, 

Und bricht den Hals ſich nicht und lernt auch Nichts: 
Sie rafft fih bloß zu neuen Klimmen auf. 


Antilochns. 
Seht die Hyäne, die blind wüthende! 
Odyſſens. 

Nun? Und Automedon? 
Hauptmann. 
Er endlih ſchwingt — 

Das Fahrzeug fteht, die Roſſe auch, geordnet, 
— Hephäjtos hätt’ in jo viel Zeit fat neu 
Den ganzen erzuen Wagen fchmieden können — 
Er fhwingt dem Sig fi zu, und greift Die Zügel: 
Ein Stein fällt und Argivern von der Bruft. 
Doch eben jet, da er die Pferde wendet, 
Spag die Amazonen einen Pfad, 
Dem Gipfel ſanfthin zugeführt, und rufen, 
Das Thal rings mit Geſchrei des Jubels füllend, 
Die Königin dahin, die ſinnberaubte, 
Die immer noch des Felſens Sturz verjudt. 
Sie, auf dieg Wort das Roß zurüde werfend, 
Raſch einen Blid den Pfad ſchickt fie hinan; 
Und dem geftredten Parder glei, folgt fie 
Dem Blid aud auf dem Fuß: er, der Pelide, 
Entwich zwar mit den Roſſen, rückwärts ſtrebend; 
Doch in den Gründen bald verſchwand er mir, 
Und was aus ihm geworden, weiß ich nicht. 


Antilochnus. 
Verloren iſt er! 
Diomedes. 
Auf! Was thun wir, Freunde? 


Odyſſeus. 
Was unſer Herz, ihr Könige, gebeut! 
Auf! laßt uns ihn der Königin entreißen! 
Gilts einen Kampf um ihn auf Tod und Leben: 
Den Kampf bei den Atriden fecht ich aus. 
(Odyſſeus, Diomedes, Antilochus ab.) 





135 
Dritter Auftritt. 


Der Hauptmann. Gine Sqhaar von Griechen, welde während deffen einen Hügel 
beftiegen haben. 


Ein Myrmidonier 

(in Die Gegend fchauend). 
Seht! Steigt dort über jenes Berges Rüden 
Ein Haupt nit, ein bemaffnetes, empor? 
Ein Helm, von Federbüſchen überjchattet ? 
Der Naden fchon, der mächtge, der es trägt? 
Die Schultern auch, die Arme, ftahlumglängt ? 
Das ganze Drufigebil, o feht doch, Freunde 
Bis wo den Leib der goldne Gurt umfchließt ? 


Ha! Weſſen! Hanptmann. 
Myrmidonier. 


Weſſen! Träum ich, ihr Argiver? 
Die Häupter fieht man ſchon, geſchmückt mit Bleffen 
Des Roßgeſpanns! Nur nody die Schenfel find, 
Die Hufen, von der Höhe Nand bededt! 
Rest auf dem Horizonte fteht das ganze 
Kriegsfahrzeug da! So geht die Sonne prachtvoll 
An einem —* Frühlingstage auf! 
Griechen. 
Triumph! Achilleus iſts! der Götterſohn! 
Selbſt die Quadriga führet er heran! 
Er iſt gerettet! 
Hauptmann. 
Ihr Olympischen! 
So fei euch ew’ger Ruhm gegönnt! — Odyſſeus! 
Flieg Einer den argol’jhen Fürften nad! . 
(Ein Grieche ſchnell ab.) 
Naht er fih ung, ihr Danaer? 
Myrmidonier, 
D fieh! 


aupimaun. 
Was giebts? van 
Myrmidonter. 


D mir vergeht der Athem, Hauptmann! 
Hauptmann. 
So rede, fprid! 
Myrmidonier. 


O, wie er mit der Linken 
Bor über feiner Hoffe Rüden geht! 
Wie er die Geißel umfchwingt über fie! 


. 
(2 


jWc 


136 


Wie fe, von ihrem bloßen Klang erregt, 

Der Erde Grund, die Göttlichen, zerftampfen! 

Am Bügel aim fie, beim Lebendigen, 

Mit ihrer Schlünbde N das Fahrzeug fort! 

Gehetzter pirihe Flug ift Schneller nicht! 

Der Blid drängt unzerknickt fi durch die Räder, 

Zur Scheibe fliegend eingedreht, nicht Hin! 
Ein Aetolier. 

Doch hinter ihm — 

Hauptmann. 

Was? 


Myrmibonier. 


An des Berges Saum — 


Aetolier. 


Staub — 
Myrmidonier. 
Staub aufqualmend, wie Gewitterwolken: 
Und wie der Blitz vorzuckt — 


Aetolier. 
Ihr ew'gen Götter! 


Myrmidonier. 
Pentheſilea. 
auptmann. 
Wer? 
Aetolier. 
hm auf dem Fuß, bem Beleben, 1 
m auf dem Fuß, dem Peletden, fchon 
di ihrem ganzen Troß von Weibern folgend. 


. Sanptmann. 
Die rafende Megär’! 
Griechen (rfend). 
ieber den Lauf! 
gieher den Lauf, du Göttlicher, gerichtet! 
uf uns den Lauf! 
Aetolier. 
Seht! wie ſie mit den Schenkeln 
Des Tigers Leib inbrünſtiglich umarmt! 
Wie ſie, bis auf die Mähn' herabgebeugt, 
Hinweg die Luft trinkt lechzend, die ſie hepmt! 
Sie fliegt, wie von der Sonne abgeſchoſſen: 
Numid'ſche Pfeile ſind nicht hurtiger! 
Das Heer bleibt keuchend hinter ir, wie Köter, 
Wenn fd ganz aus die Dogge flredt, zurüd! 
Kaum daß ihr Federbufh ihr folgen kann! 


137 


Hauptmann. 
So naht ſie ihm? 
Doloper. 


Naht ihm! 
Myrmidonier. 
Naht ihm noch nicht! 


Doloper. 
Naht ihm, ihr Danaer! Mit jedem Hufſchlag 
Schlingt fie, wie hungerbeiß, ein Stüd des Weges, 
Der fie von dem Peliden trennt, hinunter! 

Myrmidonier. 

Bei allen hohen Göttern, die uns fchügen! 
Sie wählt zu feiner Größe fchon heran! 
Gie athmet ſchon, zurüdgeführt vom Winde, | 
Den Staub, den fäumend [ee Fahrt erregt! 
Der raſche Zelter wirft, auf dem fie reitet, 
Erdſchollen, aufgewühlt von feiner Flucht, 
Schon in die Mufcel feines Wagens hin! 

Aetolier. 
Und jetzt — der Uebermüth'ge! Raſende! 
Er lenkt im Bogen ſpielend noch! Gieb Acht; 
Die Amazone wird die Sehne nehmen. 
Siehſt du? Sie ſchneidet ihm den Lauf — 

Myrmidonier. 
Hilf! Zeus! 

An feiner Seite fliegt fie ſchon! Ihr Schatten, 
Groß wie ein Riefe in der Morgenfonne, 
Erſchlägt ihn ſchon! 


Aetolier. 
Doch jetzt urplötzlich reißt er — 


Doloper. 
Das ganze Roßgeſchwader reißt er plötzlich 
Zur Seit' herum! 
Aetolier. 
Zu uns her fliegt er wieder! 
Myrmidonier. 
Ha! der Verſchlagne! Er betrog ſie — 
Doloper. 


Wie ſie, die Unaufhaltſame, vorbei 
Schießt an dem Fuhrwerk — 
Myrmidonier. 
Prellt, im Sattel fliegt, 


ui! 


Und ſtolpert — 


= 
J X 


138 


Stirzt! Doloper. 
Hanptmann. 
Was? 


Myrmidonier. 
Stürzt, die Königin! 
Und eine Jungfrau blindhin über he — 
Doloper. 
Und Eine noch — 
Myrmidonier. 


Und wieder — 
Doloper. 
Und noch Eine — 
Heauptmaun, 
Ha! flürzen, Freunde? 
Doloper. 
Sturzen — 
Myrmidonier. 
Stürzen, Hauptmann, 
Wie in der Feuereſſe eingeſchmelzt, 
Zum Haufen, Roß und Reutrinnen, zuſammen! 
Hauptmann. 
Daß fie zu Aſche würden! 
Doloper. 
Staub ringsum, 
Vom Glanz der Rüſtungen durchzuckt und Waffen: 
Das Aug erkennt Nichts mehr, wie —F es ſieht. 
Ein Knaͤuel, ein verworrener, von Jungfraun, 
Durchwebt von Roſſen bunt: das Chaos war, 
Das erſt', aus dem die Welt ſprang, deutlicher. 
Do Wind hebt ne, < d 
och jetzt — ein Wind erhebt ſich; Tag wird es, 
Und eine der Geſtürzten rafft Ah: auf. 
' Doloper. 
ge! wie fi da8 Gewimmel Iuftig regt! 
ie fie die Spieße "9: die Helme, uchen, 
Die weithin auf das Feld gefchleuderten! 
Myrmidonier, 
Drei Roſſe noch und eine Reutrin liegen 
Geſtreckt wie todt — 
Hauptmann. 
Fit das die Königin? 
Wetolier. 
Penthefilea, fragft du? 


N 
“ 


139 


Myrmidonier. 

Obs die Königin? 
— Daß mir den Dienft die Augen mweigerten! 
Dort fteht fie! Ä 


Wo? 
Hauptmann. 
Nein, jprich! 

' Myrmibonier. 

Wo fie geſtürzt: in jener Eich Shen beim Kroniden! 
o fie geftürgt: in jener Eiche Schatten! 

Un ihres ferdes Haden hält fie ſich, 
Das Haupt entblößt — feht ihr den Helm am Boden? 
Die Loden ſchwachhin mit der Rechten greifen, 
Wiſcht fie, iſis Staub, iſts Blut, fih von der Stirn. 


Doloper. 
Bei Gott, fie iſts! 


Doloper. 


Hauptmaun. 
Die Unverwüſtliche! 


Aetolier. 
Die Katze, die ſo ſtürzt, verreckt; nicht ſie! 
Hauptmann. 
Und der Pelid’? 
Doloper. 
Ihn ſchützen alle Götter! 
Um drei Pfeilſchuſſe flog er fort und drüber! 
Kaum mehr mit Bliden. fann fie ihn erreichen, 
Und der Gedanle jelbft, der ftrebende, 
Macht ihr im athemlofen Buſen Halt! 
Myrmidonier. 
Triumph! Dort tritt Odyſſeus jetzt hervor! 
Das ganze Griechenheer, im Strahl der Sonne, 
Tritt plößlich aus des Waldes Nacht hervor! 
Sanptmann. 
Odyß? Und Diomed auch? O ihr Götter! 
Wie weit noch in dem Feld iſt er zurück? 
Doloper. 
Kaum einen Steinwurf, Hauptmann! Sein Geſpann 
Fliegt auf die Höhen am Skamandros ſchon, 
Wo I das Heer raſchhin am Rande ordnet, 
Die Reihn fchon mwettert er entlang — 
Stimmen (aus der Ferne). 
Heil dir! 


140 


‚Doloper. 
Sie rufen, die Argiver, ihm — 
Stimmen, 


Heil dir, 
Achill! Heil dir, Pelide! Götterfohn! 
Heil dir! Heil dir! Heil dir! 
Doloper. 
Er hemmt den Lauf! 
Bor den verfammelten Argiverfürften 
gemmt er den Lauf! Odyſſeus naht fih ihm! 
om Sig fpringt er, der Staubbededte, nieder! 
Die Bügel giebt er weg! Er wendet fi! 
Er nimmt den Helm ab, der fein Haupt befchwert;; 
Und alle Könige umringen ihn! 
Die Griechen reißen ihn, die jauchzenden, 
Um feine Kniee wimmelnd, mit fort: 
Indeß Autonedon die Roffe fchrittweis, 
Die dampfenden, an feiner Seite führt! 
ger wälzt der ganze Jubelzug fi jchon 
uf uns heran! Heil dir! du Göttlicher! 
O feht doch her, ſeht her — da ift er fchon! 





Vierter Auftritt. 


Achilles, ihm folgen Onpfiens. Diomedes, Antilochns. Antomedon mit ber Quadriga 
i en. 


m zur Eeite, das Heer der Griech 


| Odnffens. 
Sei mir, Weginerheld, aus heiger Bruſt 
Gegrüßt! Du Sieger au nod in der Flucht! 
Beim Yupiter! wenn hinter deinem Rüden, 
Dur deines Geiftes Obmacht über ihren, 
In Staub die Feindin ftürzt, was wird gejchehn, 
Wenns dir gelingt, du Göttlicher, fie einjt 
Bon Angefiht zu Angeficht zu faſſen? 

Achil les. 
ee ergreifen, ihm — sen er Aeme, der ermundet {f, und dere 
Was iſt? was giebts? 

Antilochus. 

Du haſt in einem Kampf 
Wetteifernder Geſchwindigkeit beſtanden, 
Neridenſohn, wie losgelaſſene 
Gewitterſtürm', am Himmelsplane brauſend, 
Noch der erſtaunten Welt ihn nicht gezeigt. 


141 


Bei den Erinngen! meiner Reue würd ich 

Mit deinem flüchtigen Gefpann entfliehn, 2 
ätt' ich, des Lebens Gleiſe ſchwer durchknarrend, 
ie Sünden von der ganzen Trojerbur 

Der Muſchel meiner auch aufgeladen. 


Achilles 
(zu den zwei Griechen, welche ihn mit ihrem Geſchäft zu beläſtigen fcheinen). 
Die Narren. | 
Ein Griechenfürſt. 


er? 
Achilles. 
Was neckt ihr? 
Der erſte Grieche 
(der ihm den Arı verbindet). 


) 
Halt! du biuteft! 
Achilles. 


Nun ja. 
Der zweite Grieche. 


So ſteh! 
Der Erſte. 
So laß dich auch verbinden. 
Der Zweite. 
Gleich iſts geſchehn. 
Diomedes. 
— Es hieß zu Anfang bier, 
Der Rüdzug meiner Völker habe dich 
y diefe Sind geftünzt; beichäftiget 
it dem Ulyß, den Antiloch zu Pören, 
Der Botſchaft und von den Atriden brachte, 
War ich ſelbſt auf den: Platz nicht gegenwärtig. 
Doch Alles, was ich fehe, ikberzeugt mich, 
Daß diefer meifterhaften Fahrt ein freier 
Sutiourl zum Grunde lag. Man tönnte fragen, 
Ob du ber Tagesanbruch, da wir zum 
Gere noch allererfi uns rüfteten, 
Den Feldftein ſchon gedacht dir, über welchen 
Die Königin zufammenftürzen follte: 
So fihern Schrittes, bei den ewgen Göttern, 
Haft dur zu diefem Stein fie hingeführt. 


Obyſſens. 
Doch jetzt, Doloperheld, wirſt du geſani— 
Wenn dich ein Anderes nicht beſſer dünkt, 
Mit uns ich ins Argiverlager werfen. 
Die Söhne Atreus rufen uns zurück. 
Wir werden mit verftelltem Nüdzug fie 


142 


In das Skamandrosthal zu locken fuchen, 
Wo Agamemnon aus dem Hinterhalt 
In einer Hauptſchlacht fie empfangen wird. 
Beim Gott des Donners! Nirgends oder dort 
2 Küuhlſt du die Brunft_dir ab, die, raftlos drängend, 
Gleich einem jungen Spießer dich verfolgt: 
Und meinen beiten Segen fchent ich dir. 
n Denn mir ein Gräul aud, in den Tod verhaßt, 
N Schweift die Megäre, unjre Thaten flörend, 
Auf diefem Feld herum, und gern möcht ich, 
See ih Dir, die Spur von deinem Fußtritt 
Auf ihrer rojenblüthnen Wange fehn. 


4A ei il les. 
(Sein Blick fällt auf die Pferde.) 
Sie ſchwitzen. 


Autilochus. 
Wer? 
Antomedon 
(indem er ihre Hälfe mit der Hand prüft). 
ie Blei. 
Achilles. 


Gut. Führe fie. 
Und wenn die Luft fie abgekühlt, jo waſche 
Brüft’ ihnen und der Schenkel Paar mit Wein. 


Automebon. 
Man bringt die Schläuche fchon. 


Diomedes. 
— Hier ſiehſt du wohl, 
Vortrefflicher, daß wir im Nachtheil kämpfen. 
Bedeckt, ſo weit das ſchärfſte Auge reicht, 
Sind alle Hügel von der Weiber Haufen; 
geuicreden laffen dichtgefchlogner nicht 
] uf eine reife Saatenflur fich nieder. 
Wem noch gelang ein Sieg, wie er ihn wünſchte? 
Iſt Einer außer dir, der jagen kann, 
Er hab auch die Kentaurin nur geſehn? 
Umfonft, daß wir in goldnen Rüftungen 
gerbor uns drängen, unfern Füritenitand 
autjchmetternd durch Trompeten ıhr verfünden: 
Gie rüdt nicht aus dem Hintergrund hervor; 
Und wer Pr fern, vom Windzut hergeführt, 
Nur ihre Silberſtimme hören wollte, 
Mußt' eine Schlacht, unrühmlich, zweifelhaft, 
Vorher mit loſem Kriegsgeſindel kaͤmpfen, 
Das ſie, den Höllenhunden gleich, bewacht, 


143 


Achilles 
(in die Ferne hinaus ſchauend). 


Diomedes. 
Du fragſt? 
Autilochus. 
Die Königin? 
| Daupimann. 
Man fieht Nichts — Play! Die Federbüſch' hinweg! 


Der Griede 
br ihm den Arm verbindet). 


Steht fie noch da? 


Halt! einen Augenb 
Ein Griedenfürft. 
Dort, allerdings! 

Diamedes. 


Wo? 

Griechen fürſt. 

Bei der Eiche, unter der ſie fiel. 
Der ie wallt Den wieder ihr vom Haupte, 
Und ihr Mißſchickſal ſcheint verfchmerzt. — 
Der erfte Grieche. 
Nun endlich! 
Der Zweite, 


Den Arm jest magft du, wie du willſt, gebrauchen, 
Der Erſte. 
Sept kannft du gehn. 
(Die Griechen verfultpfen noch einen Knoten und Tafien feinen Arm fahren.) 


Saft Du gehrt, Peii 

aft du gehört, Pelide, 

Mas wir dir vorgeftellt? 
Achilles, 


Mir vorgeftellt? 
Nein, Nichts. Was wars? Was wollt ihr? 


Odyffen®. 
Was wir wollen? 

Seltfam. — Wir unterrichteten von den Befehlen 
Dich der Atriden! Agamemnon will, 
Daß wir je leich ins Griechenlager kehren; 
Den Antiloch fandt’ er, wenn du ihn ſiehſt, 
Mit dieſem Schluß des Feldherrnraths uns ab. 
Der Kriegsplan iſt, die Amazonenkönigin 

erab na der Dardanerburg zu loden, 

o fie in beider Heere Mitte num, 
Bon treibenden Verhältniſſen gedrängt 
Sich muß, wen ſie die Freundin fei, erklären; 


6 


144 


Und wir dann, fie erwähle, was fie wolle, 
Wir werden wifjen mindſtens, was zu thun. 
Ich traue deiner Klugheit zu, Felide 
Du folgſt der Weisheit —* nordnung. 
Denn Wahnſinn wär's, bei den Olympiſchen, 
Da dringend uns der Krieg nach zroja ruft, 
Mit diefen Jungfraun hier und einzu affen, 
Bevor wir willen, was fie 'von und wollen, . 
Noch überhaupt nur, ob fie uns mas wollen ? 
Achilles 

(indem ex fi den Helm wieder aufſetzt). 
Kämpft ihr wie die Verſchnittnen, wenn ihr wollt; 
Mid einen Dann fühl ich, und diefen Weibern, 
Wenn feiner jonft im Heere, will ich ftehn! 
Ob ihr bier länger ımter fühlen Fichten, 
Dhnmächtger eu voll, fie umfchweift, ob nicht, 
Bom Bette fern der Schladit, die fie ummogt, 
Gilt mir gleichviel: beim Styr, ich mwill’ge drein, 
Daß ihr nah Ilium zurüde Tehrt. 
Was mir die Göttliche begehrt, das weiß ich; 
Brautwerber ſchickt fie mir, gefiederte 
Genug in Lüften zu, die ihre Wünfche 
Mit Todgeflüfter in das Ohr mir raumen. 
Im Leben feiner Schönen war ich ſpröd; 
Seit mir der Bart „gereimt, ihr lieben Freunde, 
Ihr wißt's, zu Willen jeder war ich gern: 
Und wenn ic) diefer mich gejperrt bis heute, 
Beim Zeus, des Donner Gott, geſchah's, weil ich 
Das Pläschen unter Büfchen noch nicht fand, 
Sie ungeftört, ganz wie ihr der es wünſcht, 
Auf Kiffen heiß von Erz ım Arm zu nehmen. 
Kurz, geht! Ins Griechenlager folg We euch; 
Die Schäferftunde bleibt. nicht lang mehr aus; 
Doch müßt ich auch durch ganze Monden nod), 
Und Jahre um fie frein: den Wagen dort 
Nicht ehr zu meinen Freunden will ich lenken, 
Ih ſchwör's, und Pergamos nicht wiederjehn, 
Als bis ich fie zu meiner Braut gemacht, 
Und fie, die Stirn befränzt mit Lodesmwunden, 
Kann durch die Straßen Pauntlings mit mir fchleifen. 
Folgt mir! | 
(Ein Gricche tritt auf.) 


Grieche. 
Pentheſilea naht ſich dir, Pelide! 
Achilles. 
Ich auch. Beſtieg ſie ſchon den Perſer wieder? 


145 


Noch nit. Zu Fuße fchreitet he 6 
oh nit. Zu Fuße fchreitet fie heran, 
Doch ihr zur Seite ftampjt der Perfer fchon. 


Adilles. 
Wohlan! fo Schafft mir auch ein Roß, ihr Freunde! 
Folgt, meine tapfern Myrmidonier, mir! 
(Das Heer bricht anf.) 
Antilochus. 
Der Raſende! 
Obyſſeus. 
Nun, ſo verſuche do 
Jetzt deine Rednerkunſt, o Antiloch! 
Antilochus. 
Laßt mit Gewalt uns ihn — 
Diomedes. 
Fort iſt er ſchon! 
Obyſſens. 
Verwünſcht ſei dieſer Amazonenkrieg! 
(Ale ab.) 





Fünfter Auftritt. 
Benthefllen, Prothee, Werse, Aſteria, Gefolge, dad Amazonenheer. 


Die Amazonen. 
geil dir, du Siegrin! Meberwinderin! 
es Rofenfeftes Königin! Triumph dir! 
Pentheſilea. 
Nichts vom Triumph mir! Nichts vom Roſenfeſte! 
Es ruft die Schlacht noch Einmal mich ins Feld, 
Den jungen trotz'gen Kriegsgott bändg' ich mir. 
Gefährtinnen, zehntauſend Sonnen dünlen, 
u einem Glutball eingeſchmelzt, ſo glanzvoll 
dicht als ein Sieg, ein Sieg mir über ihn! 
Prothoe. 
Geliebte, ich beſchwöre dich — 
Pentheſilea. 
Laß mich! 
Du hörſt, was ich beſchloß; eh würdeſt du IV 
Den Strom, wenn er herab von Bergen fchießt, 
Als meiner Seele Donnerfturz regieren. 
Ich will zu meiner Füße Staub ihn fehen, 
Den Uebermüthigen, der mir an diefem 
Slorwürd’gen Schlachtentag, wie Feiner- noch, 
Bibl. d. d. Ratiomalliteratur, Kleiſt. II. 10 


146 


Das kriegeriſche Hochgefühl verwirrt. 

ft das die Siegerin 3 die ſchreckliche, 
Der Amazonen Holze Königin, 
Die feines Bufens erzne Nüftung mir, 
Wenn fi mein Fuß ihm naht, zurüdefpiegelt ? 
Fühl' ih, mit aller Götter ud Beladne, 
Da rings da8 Heer der Griechen vor mir flieht, 
Dei Dietes einz’gen Helden Anblick mid 
Gelähnit nit, in dem Innerften getroffen, 
Mich, mich die Ueberwundene, Befiegte? 
Wo ift der Sit mir, der fein Bufen ward, 
Auch des Gefühls, das mich zu Boden mirft? 
Ins Schlachtgetümmel ftürzen will ich mich, 


Wo der Hohnlächelnde mein harrt, und ihn 


Mir überwinden, oder leben nicht! 


Brothoe, 
Wenn du dein Haupt doch, theure Königin, 
An diefem treuen Bufen ruhen wollteſt! 
Der Sturz, der dir die Bruft gemaltfam traf, 
get dir das Blut entflammt, den Sinn empört: 
n allen jungen Gliedern zitterft du! 
Beſchließe Nichts, wir Alle fiehen dich, 
Bis heitrer dir der Geift zurüdgelehrt. 
Komm, ruhe dich bei mir ein wenig aus. 


j ——— os | 4? 
Warum? Weshalb? Was ift geihehn a8 fagt i 
Hab ih? — Was hab ich ab — 


Brothoe. 
Um eines Siegs, 
Der deine junge Seele flüchtig reizt, 
Willſt du das Spiel der Schlachten neu beginnen ? 
Weil unerfült ein Wunſch, ich weiß nicht welcher, 
Dir im geheimen Herzen blieb, den Segen, 
Blei einem übellaunigen Kind, hinweg, 
Der deines Volks Gebete Frönte, werfen? 
Benthefilen. 
28, fieh! Berwünfcht das Loos mir diefes Tages! 
tie mit dem Schickſal heut, dem tüdifchen, 
Sid) meiner Seele Tiebfte Freundinnen 
Verbinden, mir zu fehaden, mich zu Fränfen! 
Wo fih die Hand, die lüfterne, nur regt, 
Den Ruhm, wenn er bei mir vorüberfleucht, 
Bei feinem edren Lockenhaar zu faſſen, 
Tritt eine Macht mir hämiſch in den Weg — 


147 


Und Troß ift, Widerfpruch die Seele mir! 
Hinweg! 

Prothoe (für fi). 
Ihr Himmliſchen, befchüget fie! 


thefilen. 


Ben 
Den? ich bloß mid, finds meine Wünfche bloß, 
Die mich zurüd aufs Feld der Schlachten rufen ? 


Iſt es das Volk, ifts das Berderben nicht, 
Das in des Siegs wahnfinniger Beraufchung, 
örbaren Flügelichlags, von fern ihm naht 

as ift geihehn, daß wir zur Veſper fchon, 
Wie nad vollbradhter Arbeit, ruhen wollen ? 
Gemäht liegt uns, zu Garben eingebunden, 
Der Ernte üpp'ger Schaß, in Scheuern hoch, 
Die in den ‚gimmel ragen, aufgethürmt; 
Jedoch die Wolfe heillos überſchwebt ihn, 
Und den PVernichtungsftrahl droht fie herab. 
Die Jünglingsſchaar, die übermundene, 
Ihr werdet fie befränzt mit Blumen nicht 
Bei der Poſaunen und der Eymbeln Klang 
* euren duft’gen Heimatsthälern führen. 
us jedem tück'ſchen Hinterhalt hervor, 
Der ie ihm beut, ſeh ich den Peleiden 
Auf euren frohen Jubelzug fich ftürzen; 
Euch und dem Troffe der Gefangenen, 
Dis zu den Mauern Themiscyras folgen; 
Ka, in der Artemis gemeihten Tempe 
Die Ketten noch, die rofenblüthenen, 
Bon ihren Gliedern reißen und die unfern 
Mit erzgegoßner Feflel Laſt bemudhten. 
Soll ie von feiner er, ich Rafende, 
Die nun fünf fchmweißerfüllte Sonnen ſchon 
An feinem Sturze rüttelte, entweichen: 
Da er vom Windzug eines Streiches muß, 
Getroffen, unter meines Roffes Huf 
Wie eine reife Südfrucht niederfallen ? 
Nein, eb ih, was Yo herrlich mir begonnen, 
So groß, nicht endige, eh ich nicht völlig 


N 2 


Den Kranz, der mir die Stirn umrauſchü', erfafje, 


Eh ih Mars Töchter nicht, wie ich verfpradh, 
Legt auf des Glückes Gipfel jauchzend führe, 
Eh möge jeine Pyramide fchmetternd 
Zuſammenbrechen über mich und fie: 


Berfluht das Herz, das fih nicht mäß’gen Tann. 


Brothoe. 
Dein Aug, o Herrſcherin, erglüht ganz fremd, 


148 


Ganz unbegreiflih, und Gedanken mwälzen, 
So * wie der ewgen Nacht entſtiegen, 
yı meinem ahndungspollen Bufen fich. 
ie Schaar, die deine Seele feltfam fürchtet, 
Entfloh rings vor dir FR wie Spreu vor Winden; 
Kaum daß ein Speer fich noch erbliden läßt. 
Achill, jo wie du mit dem Heer dich ftellteft, 
Bon dem Skamandros ift er abgefchnitten; 
Neiz ihn nicht mehr, aus feinem Bli nur weiche: 
Den erjten Schritt, beim Jupiter, ich ſchwör's, 
Y feine Danaerfchanze fett er hin. 
ch will, ich, dir des Heeres Schweif befchirmen. 
Sieh, bei den Göttern des Olymps, nit Einen 
Sefangenen entreißt er dir! Es ſoll 
Der Ölanz, auch mieilenfernhin, feiner Waffen, 
Dein Heer nicht fchreden, feiner Roſſe ferner Tritt 
Dir kein Gelächter einer Jungfrau flören: 
Mit meinem Haupt fteh ich dir dafür ein! 
Pentheſilea 
(Indem fte ſich plötzlich zu Aſteria wendet). 
Kann das geſchehn, Aſteria? 
Aſteria. 
Herrſcherin — 
Benthefilen. 
Kann ich das Heer, wie Proihoe verlangt, 
Nah Themischra wohl zurüde führen? 
Aſteria. 
Vergieb, wenn ich in meinem Fall, o Fürſtin — 
Benthefilen. 
Sprich dreift. Du hörſt. 
. other (chuchtern). 
enn du den Rath willſt gütig 
Verſammelt aller Fürſtinnen befragen, 
So wird — 
Pentheſilea. 
Den Rath hier dieſer will ich wiſſen! 
Was bin ich denn ſeit einer Hand voll Stunden? 
8 ih das 5 ul r prichft fle an fammelt.) 
ann ich da8 Heer, du fprichft, Alteria, 
Kann He e3 wohl zurüd zur Heimat führen? 


Aſteria. 
Wenn du ſo willſt, o Herrſcherin, ſo laß 
Mich dir geſtehn, wie ich des Schauſpiels ſtaune, 
Das mir in die ungläub'gen Sinne fällt. 
Vom Kaukaſus mit meinem Völkerſtamm 


149 


Um eine Sonne [päter aufgebrochen, ⸗ 
Konnt' ich dem Zuge deines Heeres nicht, 
Der reißend wie ein Strom dahinſchoß, folgen. 
Erſt heute, weißt du, mit der Dämmerung 
Auf dieſem Plag ſchlagfertig treff ich ein; 
Und jauchzend ſchallt aus taufend Kehlen mir 
Die Nachricht zu: Der Sieg, er fei erfämpft, 
Beſchloſſen Schon auf jede Forderung 
Der ganze Amazonenfrieg. Erfreut, 
Verſichr' ich dich, daß das Gebet des Volks ſich dir 
So leiht, und unbedärftig mein, erfüllt, 
Drdn’ ich zur Rückkehr Alles wieder an; 
Neugierde treibt mich do, die Schaar zu fehen, 
Die man mir als des Sieges Beute rühmt; 
Und eine Handvoll Knechte, bleich und zitternd, 
Erblickt mein Auge, der Argiver Auswurf, 
Auf Schildern, die ſie fliehend weggeworfen, 
Von deinem Kriegstroß ſchwärmend aufgeleſen. 
Vor Trojas ſtolzen Mauern ſteht das ganze 
ellenenheer, ſteht Agamemnon noch, 
tehn Menelaus, Ajar, Palamed; 
Ulyſſes, Diomedes, Antilochus, 
Sie wagen dir ins Angeſicht zu trotzen: 
Ye, jener junge Rereidenfohn, 
en deine Hand mit Roſen ſchmücken jellte, 
Die Stirn beut ex, der Uebermüth’ge, dir; 
Den Fußtritt will er, und erklärt es laut, 
Auf deinen königlichen Naden jegen: 
Und nteine große Arestochter fragt mich, 
Db fie den Siegesheimzug feiern darf? 
Brothoe (Ieidenihaftlich). 
Der Königin, du Faliche, fanfen Helden 
An Hoheit, Muth und Schöne — 
Benthefilen. 
Schmeig, Verhaßte! 
Afteria fühlt wie ich, es ift nur Einer 
gier mir zu finfen werth: und diejer Eine, 
ort fteht er noch im Feld der Schlacht und trogt! 


Brothoe 
Nicht von der Leidenſchaft, o Herrjcherin, 
Wirft du did — 
Bentheiilen, 
Natter! deine Zunge nimm gefangen, 
Willſt du den Zorn nicht deiner Kön’gin wagen! 
Hinweg! 


150 


Prothoe. 
So mag ih meiner Kön'gin Zorn! 

HA will ich nie dein Antlig wiederlehen, 
ALS feig in diefem YAugenblid dir eine 
Fin fhmeichleritg zur Seite ftehn. 
Du bift, in Flammen wie du Ioderft, nicht 
Geſchickt, den Krieg der Yungfraun fortzuführen; 
So wenig, wie, fih mit dem Spieß zu meſſen, | 
Der Löwe, wenn er von dem Gift getrunfen, 
Das ihm der Jäger tüdifch vorgeſeht. 
Nicht den Peliden, bei den eiwgen Göttern, 

Wirft du in diefer Stimmung dir gewinnen: 
Vielmehr, noch eh die Sonne fintt, verſprech' ich, 
Die Fünglinge, die unfer Arm bezwungen, 
So vieler unidäßbaren Mühen Preis, 
Uns bloß in deiner Raſerei verlieren. 


Deutpefilen. 
Das ift ja fonderbar und unbegreiflich! 
Was maht dich plöglich denn feig? 
Prothoe. 
Was mich? 
Peutheſilea. 
Wen überwandſt du, ſag mir an? 
Prothoe. 
Lykaon, 
Den jungen Fürſten der Arkadier. 
Mich dünkt, du ſahſt ihn. 
Benthefilen. 
0, fo. War es Jener, 
Der zitternd fland mit eingefnidtem Helmbuſch, 
ALS ich mich den Gefangnen geftern — 


Prothoe. 

Zitternd! 
Er ſtand ſo feſt, wie je dir der Pelide! 
Im Kampf von meinen Pfeilen heiß getroffen, 
Sank er zu Füßen mir; ſtolz werd ich ihn 
An jenem Feſt der Roſen, —* wie Eine, 
Zu unferm heilgen Tempel führen können. 

Pentheſilea. 

Wahrhaftig? Wie du ſo begeiſtert biſt! 
Nun denn — er ſoll dir nicht entriſſen werden! 
Führt aus der Schaar ihr den Gefangenen, 
Lykaon den Arkadier, berbei! 
Nimm, du unfriegerifhe Jungfrau, ihn, 


151 


Entfleuch, daß er dir nicht verloren gehe, 
Aus dem Geräufh der Schlacht mit ıhm, bergt euch 
x, Heden von ſüß duftendem Hollunder, 

n der Gebirge fernſten Kluft, wo ihr 
MWollüftig Lied die Nachtigall dir flötet, 
Und [ei e8 gleich, du Yüfterne, das Felt, 
Das deine Seele nicht erwarten fann. = 
Doch aus dem Ungeficht ſei ewig mir, 
Sei aus der Hauptftadt mir verbannt; laß den 
Geliebten dich und feine Kitffe tröften, 
Wenn Alles, Ruhm dir, Baterland und Liebe, 
Die Königin, die Freundin untergeht. A 
Geh und befreie — geh! ih will Nichts wiſſen! — 
Bon deinem hafjenswürd’gen Anblid mid! 

Meroe. 


Eine andere Fürftiu 
(aus ihrem ®efolge). 


Welch ein Wort fprachft du? 


Benthefilen,. 
Schweig, fag ih! 
Der Race meih’ ich den, der für fie fleht! 
(Eine Amazone tritt auf.) 
Amazone, 

Achilles nahet dir, o Herrjcherin ! 

Benthefilen. 
Er naht — Wohlauf, ihr Senn, denn zur Schladht! — 

ſt 


O, Königin! 


Reicht mir der Spieße treffendſten, o reicht 
Der Schwerter wetterflammendſtes mir her! 
Die Luſt, ihr Götter, müßt ihr mir gewähren, 
Den einen heißerſehnten Jüngling ſiegrei 
gum Staub mir noch der Füße hinzumerfen. . 
a8 ganze Maß von Glüd erlaß ich euch, 
Das meinem Leben zugemefjen ift — 
Afteria! du wirft die Schaaren führen. 
Beſchäftige den Griechentroß und Jorge, 
Daß fih des Kampfes Inbrunſt mir nicht ftöre. 
Der Jungfraun keine, wer fie immer fei, 
Trifft den Beliden felbft! Dem ift ein ‘Pfeil 
Geſchärft des Todes, der fein Haupt — was fag id! 
Der feiner Poden eine mir berührt! 
Ich nur, ich weiß den Götterfohn zu fällen. 
Sier diefes Eifen fol, Gefährtinnen, 
oll mit der fanfteften Umarmung ihn, 
(Weil ih mit Eifen ihn umarmen muß!) 


152 


‚An meinen Buſen ſchmerzlos niederziehn. 
gebt euch, ihr Frühlingsblumen, feinem Fall, 
aß jeiner Glieder Feines fich verlege! 
Blut meines Herzens mißt’ ih ehr, als feines. 
Nicht eher ig: will ich, bis ich aus Lüften, 
Gleich einem ſchöngefärbten Vogel, ihn 
3 mir herabgeſtürzt; doch liegt er jegt 
it eingelnidten Fittigen, I Jungfraun, 
Zu Füßen mir, kein Purpurſtäubchen miſſend: 
Nun dann, ſo mögen alle Seligen 
Daniederſteigen, unſern Sieg zu feiern. 
Zur eimat geht der Jubelzug, dann bin ich 
ie Königin des Rofenfeftes euh! — 
est fommt! — 


(Indem fie abgeben will, erblictt fie die wienende Prothoe, und wendet fi unruhig. 
Darauf plötlich, indem fie ihr um ben Hals fällt.) 


\ Prothoe! Meiner Seelen Schweiter! 
Willſt du mir folgen? 
Brothoe 


(mit gebrochener Stimme). 
In den Orkus dir! 
Gieng' ich auch zu den Sel’gen ohne dich? 
Benthefilen. 
Du Befjere, als Menjchen find! du mwillft e3? 
MWohlan, wir kämpfen, fiegen mit einander, 
Wir beide oder feine, und die Lojung 
Iſt: Roſen für die Scheitel unfrer Helden, 
Oder Chpreffen für die unfrigen! 
(Alle ab.) 


Sediter Auftritt. 


Die Oberprieherin ber Diane mit ihren Priefterinnen treten auf. Ihnen folgen 
eine Schaar Inner Näãdchen mit Roſen in Körben auf den KEfen, und Die Ge- 
angenen, geführt von einigen bewaffneten Amazonen. 
Die Oberpricferin. 
Nun, ihr geliebten, Heinen Rofenjungfraun, 
Laßt jest die Frucht mich eurer Bandrung ſehn. 
gie, wo die Felfenquelle einfam ſchäumt, 
ejchattet von der Pinie, find wir ficher: 
Hier [hättet eure Ernte vor mir aus. 
Ein junges Mädchen 
, . (ihren Korb ausjcilıtend). 
Sieh, diefe Rofen pflüdt’ ich, heilge Mutter! 
Ein Anderes (ebenfo). 
Hier diefen Schooß voll ich! 


153 


Ein Dritte®, 
Und dieſen ich! 
Ein Biertes. 
Und diefen ganzen üpp'gen Frühling ich! 
(Die andern jungen Mädchen folgen.) 
Die Oberpriefterin. 
Das blüht ja wie der Gipfel von Hymetta! 
Nun fol ein Tag des Gegend, o Diana! 
Qieng beine Bolfe herrlich noch nicht auf. 
Die Mütter bringen mir, die Töchter Gaben; 
Nicht, von der Pracht, der doppelten, geblendet, 
Weiß ich, wem jchönrer Dank gebühren mag. — 
Doch ift dieß euer ganzer Vorrath, Kinder 


Das erite Mädchen. 

Mehr nit, als du bier fiehft, mar aufzufinden. 
Die Oberpriefterin, 

Sp waren eure Mütter fleigiger. 


Das zweite Mädchen. 
Auf diefen Feldern, geu Prieſtrin, ernten 
Gefangne leichter auch als Roſen ſich. 
Wenn dichtgedrängt auf allen Hügeln rings 
Die Saat der jungen Griechen ſteht, die Sichel 
Nur einer muntern Schnitterin erwartend, 
So blüht ſo ſparſam in den Thälern rings, 
Und ſo verſchanzt, verſichr ich dich, die Roſe, 
Daß man durch Pfeile ſich und Lanzen lieber, 
Als ihr Geflecht der Dornen ſchlagen möchte. 
Sieh nur die Finger an, ich bitte dich. 


Das dritte Mädchen. 
Auf eines Felſens Vorſprung magt’ ich mid), 
Um eine einz'ge Roſe dir d“ pflüden. 
Und blaß nur durch des Kelches Dunkelgrün 
Erfhimmerte file noch, ein Knösplein nur, 
Für volle Liebe noch nicht aufgeblüht. 
Doch greif ich fie, und ftraudl’ und finte plötzlich 
In einen Abgund hin; der Nacht des Todes 
Glaubt' ich, Verlorne, in den Schooß zu ſinken. 
Mein Glück doch wars, denn eine Roſenpracht 
Stand hier im Flor, daß wir zehn Siege noch 
Der Amazonen hätten fetern fünnen. 

Das vierte Mädchen, 
Ich pflüdte dir, du heilge Priefterin, 
Dir pflüct’ ich eine Roſe nur, nur Eine; 
Doc eine Roſe iſts, hier diefe, ſieh! 


154 


Um eines Königs Scheitel zu befränzen: 
Nicht Schöner wünſcht en fie, 
Wenn fie Adhill, den Götterſohn, ſich fällt. 
Die Oberprieſterin. 
Sohlen, wenn ihn Denthe ilea fällt, 
Soüft du die königliche Ko)’ ihr reichen. 
Verwahre fie nur ſorgſam, bis fie kömmt. 
Das erie Mädchen. 
Zurun tig, wenn beim Cymbelnſchlag von Neuem 
as Amazonenheer ins Schlachtfeld rückt, 
Ziebr wir zwar mit, doch nicht mehr, das verſprichſt du, 
urch Roſenpflücken bloß und Kränzewinden 
Den Sieg der Mütter zu verberrliden. 
Sieh, dicler Arm, er mingt den Wurfjpieß ſchon, 
Und faufend trifft die Schleuder mir das Ziel: 
Mas gilts? Mir jetbft jhon blüht ein Kranz zufammen, 
Und tapfer im Gedrän Ion mag er kämpfen, 
Der Jüngling, dem fid iefe Sehne ftrafft. 
Die Oberpriefterim. 
Meinft du? Nun freilich wohl, du mußt es wiſſen — 
get du die Roſen fchon drauf angefehn ? 
en nächſten Lenz, ſobald fie wieder reif, 
Sollft du den Jüngling im Gedräng dir fuchen. 
Doc geht, der Mütter frohe Herzen drängen: 
Die Roſen jchnell zu Kränzen eingewunden! 
Die Mädchen (durkeinander). 
Fort zum Gefchäft! Wie greifen wir e8 an? 
Das erfte Mädchen (sur Zweiten). 
Komm ber, Glautothoe! 
Das Dritte Gum Bierten). 
omm, Charmion! 
(Eie feten fi paarweife.) 
Das erfte Mädchen. 
Wir — der Ornythia winden wir den Kranz, 
Die fih Alceft mit hohen Büfchen fällte. 
Das Dritte 
Und wir — Barthenion, Schwefter: Athenäus, 
Mit der Meduf’ im Schilde, foll fie felfeln. 
Die Oberpriefterin 
(zu den bewaffneten Amazonen). 
Nun? wollt ihr eure Gäfte nicht erheitern ? 
Steht ihr nicht unbehülflih da, ihr Jungfraun, 
ALS müht ich das Geſchäft der Lieb euch lehren! — 
MWolt ihr das Wort nicht freundlich ihnen wagen? 


155 


Nicht hören, was die Schlachtermühdeten, 
Was fie begehren? wünſchen? was fie brauchen? 


Die erfte Amazone. 
Sie fagen, fie bedürfen Nichts, Ehrwürdge. 
Die Zweite. 
Bös find fie uns. 
Die Dritte 


Wenn man fi ihnen nahet, 
So wenden fi die Trogigen ſchmäh'nd hinweg. 
Die Oberpriefterin. 
Ei, wenn fie bös euch find, bei unfrer Göttin, 
So macht fie wieder gut! Warum auch habt ihr 
Sp heftig fie im Kampfgemühl getroffen ? 
Sagt ihnen, was gefchehn wird, fie zu tröften: 
So werden fie nicht unerbittlich fein. 


Die erſte Amazoue 
(zu einem gefangenen Griechen). 


Willſt du auf weichen Teppichen, o Jüngling, 
Die Glieder ruhn? Soll ich von Frühlingsblumen, 
Denn müde ſcheinſt du ſehr, ein Lager dir 
Im Schatten jenes Lorbeerbaums bereiten? 
Die Zweite (ebenfo). 
Soll ih das duftendfte der Perferöle 
In Waſſer mifchen, frifch dem Duell entfchöpft, 
Und dir den ftaubbededten Fuß erquiden? 


Die Dritte. 
Doch der Drange Saft verihmähft du nicht, 
Mit eigner Hand dir liebend dargebracht? 
Die drei Amazonen, 
Sprecht! Nedet! Womit dient man euch? 
Ein Grieche. 
Mit Nichts! 
Die erfte Amazone. 
Ihr fonderbaren Fremdlingel Was härmt euch? 
Was ifts, da uns der Perl im Köcher ruht, 
Daß ihr vor unferm Anblid euch entjett? 
Sit es die Löwenhaut, die euch erſchreckt? — 
Du mit dem Gürtel, fprich! was fürchteſt du? 
Der Griede 
(nachdem er fie ſcharf angeſehn). 
Wem winden jene Kränze ſich? Sagt an! 


- Die erfte Amazone. 
Wem? Euch! Wem fonft? 


156 


Der Griede 
Uns! und das fagt ihr noch, 
Unmenfhlide! Wollt ihr, gefhmüdt mit Blumen, 
Gleich Opferthieren ung zur Schladhtbant führen? 
Die erſte Amazone. 
um Tempel euch der Artemis! Was denkt ihr? 
n ihren dunkeln Eichenhain, wo eurer 
ntzüden ohne Maß und Ordnung wartet! 
Der Griede 
(erftaunt, mit nnterdrüdter Stimme, zu ben andern Gefangenen). 
War je ein Traum fo bunt, als was bier wahr ijt? 


Siebenter Auftritt. 


Eine Hauptmännin tritt auf. Die Borigen. 
Die Hanptmänuin. 
Auf diefem Plag, Hochwürdge, find’ ich dich! 
Inzwi en ſich auf eines Steinwurfs Nähe 
as Heer zur blutigen Entſcheidung rüſtet! 
Die Oberprieſterin. 
Das Heer! Unmöglich! Wo? 


Die Hauptmännin. 
In jenen Gründen, 
Die der Skamandros ausgeleckt. Wenn du 
Dem Wind, der von den Bergen weht, willſt horchen, 
Kannft du den Donnerruf der Königin, 
Gezüdter Waffen Klirren, NRoffewiehern, 
Drommeten, Tuben, Cymbeln und Bofaunen, 
Des Krieges ganze ehrne Stimme hören. 
Eine Prieſterin. 
Wer raſch erfleucht den Hügel dort? 
Die Mäbchen. 

ich! 
(Sie erfteigen den Hügel.) 
Die Oberpriefterim. 

Der Königin? — Nein, fprih! Es ift unglaublid — 
Warum, wenn noch die Schlacht nicht ausgemwüthet, 
Das Feſt der Rofen ordnete fie an? 

Die Hanptmännim. 
Das Roſenfeſt — Gab fie Befehl denn wen? 


Die Oberpriefterin, 
Mir! mir! 


157 


Die Hanptmännim. 
Wo? Wann? 
Die Öberpriefterin. 
Bor wenigen Minuten 
Jı jenes Obelisten Schatten land ıch, 
18 der Belid’ und fie auf feiner Ferſe 
Den Winden gleich an mir vorüberraufchten ; 
Und ich: wie gehts? fragt’ ich die Eilende; 
gum Feſt der Roſen, rief fie, wie du fiehft! 
nd flog an mir vorbei und jauchzte noch: 
Laß e8 an Blüthen nicht, du Heilge, fehlen! 


Die erfte PBriefterin 


(zu den Maͤdchen). 
Seht ihr fie? ſprecht! 
Das erfie Mädchen 
(auf dem Hügel). 
Nichts, gar Nichts fehen wir! 
Es läßt Fein Federbuſch fich unterfcheiden. 
Ein Schatten überfleudht von Wetterwolken 
Das weite Feld ringSher, das Drängen nur 
Bermirrter Kriegerhaufen nimmt fich wahr, 
Die im Gefild des Tods einander fuchen. 


Die zweite Priefterin. 
Sie wird des Heeres Rückzug deden wollen. 
Die Erite. 
Das denk ih aud. — 
Die Hanptmänninu. 
Zum Kampf fteht fie gerüftet, 
Ich fag’8 euch, dem Peliden gegenüber, 
Die Königin, friſch wie das Berferroß, 
Das in die Luft hoch aufgebäumt fie trägt, 
Den Wimpern heißre Blick als je entfendend, 
Mit Athemzügen, freien, jauchzenden, 
Als ob ihr junger kriegerifcher Yufen 
est in die erfte Luft der Schlachten käme. 
Die Oberpriefterim. 
Was denn, bei den Olympiſchen, erfirebt fie? 
Was its, da rings zu Taufenden ung die 
Gefangenen in allen Wäldern mwimmeln, 
Das ihr noch zu erringen übrig bleibt ? 


Die Hauptmännin. 
Was ihr noch zu erringen übrig bleibt? 


Die Mädchen (auf dem Bügel). 
Ihr Götter! 


“ 158 


Die erfte Priefterim, 
Nun? was giebt3? Entwich der Schatten? 
Das erfte Mädchen. 
D ihre Hochheiltgen, kommt doch her! 
Die zweite Priefterim. 
So fpredt! 
Die Hanptmänuin. 
Was ihr noch zu erringen tibrig bleibt? 


Das erfe Mäpden. 
Seht, feht, wie durch der Wetterwolken Riß 
Mit einer Maſſe Licht die Sonne eben 
Auf des Peliden Scheitel niederfälltt! 


Die Oberpriefterin. 
Auf weſſen? 


Das erſte Mädchen. 
Seine, fagt ich! Weſſen fonft? 
Auf einem Hügel leuchtend fteht er da, 
yı Stahl gefchient fein Roß und er — der Saphir, 
| er Chryſolith wirft jolde Strahlen nidt! 
"Die Erde rings, die bunte, blühende, 
— Schwärze der Gewitternacht gehüllt; 
ichts als ein dunkler Grund nur, eine Folie, 
Die Funkelpracht des Einzigen zu heben! 
Die Oberprieſterin. 
Was geht dem Volke der Pelide an? 
iemt's einer Tochter Ares, Königin, 
m Kampf auf einen Namen ſich zu ſtellen? 
(Zu einer Amazone) 
leuch gleich, Arſinoe, vor ihr Antlitz hin, 
nd A in meiner Göttin Namen thr, 
Mars habe feinen Bräuten fi geftellt: 
yo forderte bei ihrem Zorn fie auf, 
en Gott befränzt zur Heimat jet zu führen, 
Und unverzüglich ihm in ihrem Tempel 
Das heil'ge Sen der Rofen zu eröffnen! 
(Die Amazone ab.) 
Ward fol ein Wahnfinn jemals noch erhört! 
Die erfte Prieſterin. 
Ihr Kinder! feht ihr noch die Kön’gin nicht? 
Das erite Mädchen 
(auf dem Bügel). 
Wohl, wohl! Das ganze Feld erglänzt — da ift fie! 
Die erſte Prieſterin. 
Wo zeigt ſie ſich? 


159 


Das Mädchen. 
An aller Fungfraun Spike! % 
Seht, wie fie in dem goldnen Kriegsfhmud funkelnd 
Bol Kampfluft ihm entgegen tanzt! Iſts nicht, 
Als ob fie, heiß von Eiferiudt gelpornt, 
Die Sonn im Fluge übereilen wollte, \ 
Die feine junge Scheitel küßt! O feht! 
Wenn fie zum Himmel auf fih ſchwingen wollte, 
Der hohen Nebenbuhlrin yeid u fein, 
Der Perfjer könnte, ihren Wünfchen fröhnend, 
Geftügelter fi in die Luft nicht heben! 
Die Oberpriefterin 
(zur Hauptmännin). 
War feine unter allen Jungfraun denn, 
Die fie gewarnt, die fie zurüdgehalten ? 
Die Hauptmännin. 
Es warf ihr ganze fürftliches Gefolge 
Sich in den Weg ihr: hier auf diefem Plage 
2 Prothoe ihr Aenßerſtes gethan. 
edwede Kunſt der Rede ward erſchöpft, 
Nah Themiscyra fie zurückzuführen; 
Doch taub jenen fie der Stimme der Bernunft: ? 
Bom giftigiten der Pfeile Amors et, 
Heißt es, ıhr jugendlicheS Herz getroffen. 
Die Öberpriefterim, 
Was fagft du? 


Das erfte Mädchen 
(auf dem Hügel). 
Ha, jetzt treffen fie einander! 
hr Götter! Haltet eure Erde feſt — 
et, eben jeßt, da ich dieß fage, ſchmettern 
"Sie wie zwei Sterne auf einander ein! 
Die Oberpriefterin 
(zur Yauptnännin). 
Die Königin, jagit du? Unmöglih, Freundin! - 
Bon Amors Pfei geteoften — wann? und wo? 
Die Trägerin des Diamantenglürtels? 
Die Tochter Mars, der felbft der Buſen fehlt, 
Das Ziel der giftgefiederten Gefchoffe? 
Die Hauptmännim. 
So fagt des Bolfes Stimme mindefteng, 
Und Merve hat e8 eben mir vertraut. 
Die Öberpriefterin. 
(Die Umazeone Tehrt wieder zurüd.) 


Es ift entſetzlich! 


160 


Die erfte Priefterim. 
Nun? was bringft du? Nede! 
Die Oberpriefterin. 
Iſt es beitellt? Spradft du die Königin? 
Die Amazone, 
Es war zu ſpeat Hochheilige, vergieb. 
Ich Tonnte fie, die, von dem Troß der Frauen 
Umfhmärmt, bald hier, bald dort erjipien, nicht treffen; 
Wohl aber Prothoe auf einen Augenblid 
Traf ih, und fagt’ ihr, was dein Wille fei; 
Do 5 entgegnete — ein Wort, nicht weiß ich, 
Ob ich in der Verwirrung recht gehört. 
Die Oberpriefterin, 
Nun, welch ein Wort? 
Die Amazone. 
Gie hielt auf ihrem Pferde, 
Und fab, es ſchien, mit thränenvollen Augen, 
Der Kön’gin zu. Und als ich ihr gejagt, 
Wie du entrüftet, daß die Einnberaubte 
Den Kampf noch um ein einzeln Haupt verlängre, 
Sprach fie: Geh hin zu deiner Priefterin, 
Und heiße fie danıederfnien und beten, 
Daß ıhr dieg eine Haupt im Kampf noch falle; 
Sonſt feine Rettung giebts für fie und uns. 
Die Oberpriefterin. 
O fie gebt fleil-bergab den Pfad zum Orkus! 
Und nicht dem Gegner, wenn fie auf ihn trifft, 
Dem Feind in ihrem Bufen wird fie finfen. 
Uns Alle reißt fie in den Abgrund hin; 
Den Kiel feh ih, der uns Gefeſſelte 
Nah Hellas trägt, geſchmückt mit Bändern höhnend, 
Im Geifte ſchon den Hellespont durchſchäumen. 
Die erfte Briefterin. 
Was gilt? dort naht die Unheilskunde fchon, 





Achter Auftritt. 


Eine Oberſte tritt auf. Die Borigen. 
Die Oberſte. 
Flieh! Nette die Gefangnen, Briefterin! 
Das ganze Heer der Griechen ſtürzt heran. 
Die Oberpriefterin. 
Ihr Götter des Olymps! Was ijt gefhehn? 


161 


Die erfie Prieſterin. 
Wo ift die Königin? 
Die Oberſte. 


Am Kampf gefallen, 
Das ganze Amazonenheer zerftreut. 
Die a nt rau 
Du Rafende! Was fiir ein Wort ſprachſt du? 
Die erfte Priefterin 
(zu den bewaffneten Amazonen). 
Bringt die Gefangenen fort! 
(Die Gefangenen werden abgeführt.) 
Die Oberpriefterin, 
ag an: wo? wann? 
Laß kurz das Ungeh ee dir al a! 
aß kur ngeheuerfte dir melden! 
— N ie, mit vorgelegten Lanzen, 
Begegnen Beide fih, zween Donnerkeile, 
Die aus Gewölken in einander Jahren; 
Die Lanzen, ee als die Drüfte, fplittern: 
Er, der Pelide, fteht, Penthefilea 
Sie finkt, die todumfchattete, vom Pferd; 
Und da fie jegt, der Rache preisgegeben, 
m Staub fi) vor ihm wälzt, denkt Jeglicher, 
um Orkus völlig flürzen wird er fie; 
och bleich jelbft ſteht der Unbegreifliche, 
Ein Todesjhatten da; ihr Götter! ruft er, 
Was für ein Blid der Sterbenden traf mi! 
Bom Pferde ſchwingt er eilig fich herab; 
Und während, von Entfegen noch gefeflelt, 
Die yungleann ftehn, de8 Wortes eingedent 
Der Königin, kein Schwert zu rühren wagen: 
Dreift der Erblaßten naht er fih, er beugt 
Eich über je ; „ Penthefilea!” ruft er, 
J ſeinen Armen hebt er ſie empor, 
nd laut die That, die er vollbracht, verfluchend, 
Lodt er ins Leben jammernd fie zurüd! 
‚ Die Oberpriefterim. 
Er — was? Er jelbft? 
Die Oberfte. 
„Hinweg, Berhaßter!“ donnert 
Das ganze Heer ihm zu; „dankt mit dem Tod ihm“, 
Auft Prothoe, „wenn er vom Plag nicht weicht: 
Den treffendften der Pfeile über ihn!“ 
Und mit des Pferdes Huftritt ihn verdrängend, 
Reißt fie die Königin ihm aus dem Arm. 
Bibl. d. d. Rationalliteratur. Kleift IL 11 


Ü 


162 


Indeß erwacht die Unglüdfelige, 
Man führt fie röchelnd, mit zerrißner Bruft, 
Das Haar verftört vom Scheitel niederflatternd, 
Den hintern Reihn zu, wo fie fich erholt; 
Doch er, der unbegriffne Doloper — 
Ein Gott hat in der erzgefeilten Bruft 
Das Herz ın Liebe plöglih ihm gefchmelzt — 
, Er ruft: „Bermweilet, meine Freundinnen! 
Achilles grüßt mit ew'gem Frieden euch!“ 
Und wirft da8 Schwert hinweg, das Schild hinmweg, 
Die Rüftung reißt er von der Bruſt fich nieder, 
Und folgt — mit Keulen könnte man, mit Händen ihn, 
Wenn man ihn treffen dürfte, niederreißen — 
Der Kön’gin unerfchrodnen Schrittes nad): 
Als wüßt er Ben der Raſende, Verwegne, 
Daß unferm Pfeil fein Leben heilig ift. 
Die Oberpriefterim. 
Und wer gab den wahnfinnigen Befehl? 
Die Öberfte, 
Die Königin! Wer fonft? 
Die Oberpriefterin. 
Es iſt entjeglich! 
Die erſte Prieſterin. 
Seht, ſeht! Da wankt, geführt von Prothoe, 
Sie ſelbſt, das Bild des Jammers, ſchon heran! 
Die Zweite. 
Ihr ew'gen Himmelsgötter! Welch ein Anblick! 





Nennter Auftritt. 
Bentpefilen, geführt von Prothoe und Merse, und Gefolge treten auf. 
Benthefilen (mit ſchwacher Stimme). 
gest alle Hund’ auf ihn! Mit Fenerbränden 
ie Elephanten peitſchet auf ihn Log! 
Mit Sichelwagen ſchmettert auf ihn ein, 
Und mähet jeine üpp’gen Glieder nieder! 
Prothoe. 
Geliebte! Wir beſchwören dich — 
Meroe. 
Hör uns! 


Prothoe. 
Er folgt dir auf dem Fuße, der Pelide; 
Wenn dir dein Leben irgend lieb, ſo flieh! 


163 


Bentheftilen. 
Mir diefen Buſen zu zerfehmettern, Prothoe! 
8 nicht, als ob ich eine feier zürnend 
Berireten wollte, weil fie ſtill für 1 
m Bug des Rachtwin 8 meinen Namen flüftert? 
em Bären fauert’ ich zu Füßen mid, 
Und ftreichelte da8 Pantherthier, das mir 
In folher Regung nahte, wie ich ihm. 
Merve, 
Sp wilft du nicht entweichen ? 
Brothoe. 
Wiuſt nicht fliehen? 
Merve 


L 


Willſt dich nicht retten? 
Prothoe. 


Was kein Name nennt, 

Auf dieſem Platz hier ſoll es ſich vollbringen? 
Benthefilen, 

Iſts meine Schuld, daß ich im eh der Schladht 

Um jein Gefühl mich kämpfend mp bewerben? 

02 ill i en, wenn ich da8 Schwert ihm züde? 

Bil ic n denn zum Orkus niederjchleudern ? 

Ich mit idn ja, ihr ew’gen Götter! nur 

An diefe Brut will ich ihn niederziehn! 


Prothoe. 
Sie raſt. 
Die Oberprieſterin. 
Unglüdliche! 
Prothoe. 


Sie iſt von Sinnen! 


Die Oberpriefterim. 

Sie denkt Nichts al3 den Einen nur. 
Prothoe. 
Der Sturz 
Hat völlig ums Bewußtſein fie gebracht. 
Benthefilen 

(mit erzwungener Yaflung). 
Gut — wie ihr wollt — Seis drum — Ich will mich faſſen. 
Dieß Herz, weil e8 fein muß, begmingen will ich, 
Und thun mit Grazie, was die Noth erheiſcht. 
Recht habt ihr and.’ Warum auch wie ein Kind gleich, 
Weil fih ein flücht’ger um mir Hark gewährt, 
Mit meinen Göttern breden? Kommt hinweg! 
Das Glück, gefteh ich, wär mir lieb geivefen; 


164 
Doch fällt e8 mir aus Wollen nicht herab, 


‚Den Himmel drum erftirmen will ich nicht. 


elft mir nur fort von bier, fchafft mir ein Pferd, 
o will ich euch zurüd zur Heimat führen. 
Brothoe, 


| Gejegnet ſei, o Herricherin, dreimal 


U U U} 


Ein Wort, fo würdig königlich als dieß. 
Komm, Alles fteht zur Flucht bereit — 
j enthefilen 


(da fie die Rojentränze in der aß —— erblickt, mit plötzlich aufflammendem 


Ha, ſieh! 
Wer gab Befehl, die Roſen einzupflücken? 
Das erſte Mädchen. 
Fr fragft du noch, Vergeſſene? Wer fonft, 


Als nur — Peunth 
enthejilen. 
Als wer? 
Die Oberpriefterim. 
Das Siegsfeft follte fich, 
Das heißerjehnte, deiner Zungfraun feiern! 
Wars nicht dein eigner Mund, ders fo befahl? 
Bentheftlen. 
Berflucht mir diefe ſchnöde Ungeduld! 
Verflucht, im blutumſchäumten Mordgetümmel, 
Mir der Gedanke an die Drgien! 
Verflucht im Bufen keuſcher Arestöchter 
Begierden, die wie losgelaßne Hunde 
Mir der Drommete erzne Zunge bellend 
Und aller Feldherrn Rufen überfchrein! — 
Der Sieg, ift er erlämpiit mir fhon, daß mit ' 
Der- Höhe Hohn ſchon der Triumph mir naht? 
— Mir aus den Augen! (Sie zerhaut die Roſenkränze.) 
Das erfte Mädchen. 
Herrſcherin! Was thuft du? 
Das Zweite 
(die Rofen wieder auffucdhend). 
Der Frühling bringt dir rings, auf Meilenfern’, 
Nichts für das Feſt mehr — 
| Benthefilen. 
\ Daß der ganze Frühling 
Berdorrte! Daß der Stern, auf dem wir athmen, 
Geknickt, gleich diefer Roſen einer, läge! 


Daß ich den ganzen Kranz der Welten fo 


165 
Wie dieß Geflecht der Blumen löſen könnte! 


O Aphrodite! 
Die Oberprieſterin. 
Die Unfelige! 
Die erfie Priefterim. 


Die Zweite, 
Den Erinnyen 
Zum Raub ift ihre Seele hingegeben! 
Eine Briefterin 
(auf dem Hügel). 
Der Beleid’, ihr Jungfraun, ih beſchwör euch, 
Sm Schuß der Fteile naht er ſchon heran! 


Brothoe, 
So fleh ich dich auf Knieen — rette did! 
Benthefilen. 
Ad, meine Seel’ ift matt bis in den Tod! 
(Eie fett fich.) 
" Brothoe. 
Entfeglihe! Was thuft du? 
Benthefilen. 
liebt, wenn ihr wollt. 
Prothoe. 


Verloren iſt ſie! 


Du willſt —? 
Dieroe, 
Du fäunft? 
Brothoe. 
Du wilft — ? 
Benthefilen. 
Ich will hier bleiben. 
. Prothoe. 
Wie, Raſende! 
Pentheſilea. 


Ihr hörts. Ich kann nicht ſtehen. 
Soll das Gebein ir brechen? Laßt kr A 


Brothoe. 

Berlorenfte der Fraun! Und der Pelide, 
Er naht, du börft, im Pfeilſchuß — 

Benthefilen. 

Laßt ihn fommen, 
Laßt ihn den Fuß geftählt, es ift mir recht, 
Auf diefen Naden 2* Wozu auch ſollen 
— Wangen länger, blüh'nd wie dieſe, ſich 
om Koth, aus dem fie ſtammen, unterſcheiden? 


166 


Laßt ihn mit Pferden bäuptlings Heim mi leifen, 
Und diefen Leib bier, frifchen Cehena bo ſchleif 
Auf offnem Felde ſchmachvoll hingeworfen, 

Den Hunden mag er ihn zur Morgenſpeiſe, 

Dem ſcheußlichen Geſchlecht der Bögel bieten: 

Staub lieber als ein Weib ſein, das nicht reizt! 


rot 
D Königin! Proton 
enthefilen 
(indem fie fi den Halsſchmuck abreißt). 
Weg, ihr verdammten Flittern! 


Prothoe. 
Ihr ew'gen Götter dort! Iſt das die Faſſung, 
Die mir dein Mund ſo eben angelobt? 
Pentheſilea. 
Vom Bu ihr auch — was nidt ihr? Seid verfludht mir, 
ülflojere als Pfeil und Wagen noch! 
ie Hand verwünfd ich, die zur Schlacht mich heut 
Geſchmückt, und das verrätherifche Wort, 
Das mir gelagt, es ſei zum Sieg, dazu! 
Wie fie mıt Spiegeln mid, die Gleißnerinnen, 
Umftanden, I und links, der ſchlanken Glieder 
In Erz gepreßte Götterbildung preiſend. 
Die Peſt in eure wilden Höllenkünſte! 
Griechen 
(außerhalb der Scene.) 
Vorwärts, Pelide, vorwärts! Sei getroſt! 
Nur wenig Schritte noch, ſo haſt du ſie. 


Die Prieſterin (auf dem Hügel). 
Diana! Königin! Du bift verloren, 
Wenn du nicht weichft! 
Brothoe. . 


Mein Schwefterherz! Mein Leben! 
Du willſt nicht fliehn? nicht gehn? 
(Benthefilea fürzen die Thränen aus den Augen, fie lehnt fi an einen Baum.) 


Brothoe 
(piößlih gerührt, indem fie ſich neben ihr niederfegt). 
Nun, wie du will. 

Wenn du nicht Fannft, nicht willft — feis! Weine nicht. 
Ich bleibe bei dir. Was nicht möglich ift, 
Nicht ift, in deiner Kräfte Kreis nicht Liegt, 
Was du nicht leiften Fannft: die Götter hüten, 
Sc ich e8 von dir fordre! Gebt, ihr Jungfraun, 
Geht; kehrt in eure Heimatsflur zurüd! 
Die Königin und ich, wir bleiben hier, 


167 


Die Oberpriefterim, 
Wie, du Unfel’ge? du beftärtft fie noch? 
Meroe. 
Unmöglih wärs ihr, zu entfliehn? 
Die Oberpriefterim. 


Unmöglich, 
Da Nichts von außen ſie, kein Schickſal Bat 
Nichts als ihr thöriht Herz — 
Prothoe. 
Das iſt ihr Schickſal! 
Dir ſcheinen Eiſenbanden unzerreißbar, 
Nicht wahr? Nun ſieh: ſie bräche ſie vielleicht, 
Und das Gefüuhl doch nicht, das du verſpotteſt. 
Was in ihr walten mag, das weiß nur fie, 
Und jeder Bufen ift, der fühlt, ein Räthſel. 
Des Lebens höchftes Gut erftrebte fie, 
Sie ſtreift', ergriff e8 fchon: die Hand verjagt ihr, 
Nach einem andern noch fi) auszuftreden. — 
Komm, magit du’8 jegt an meiner Bruft vollenden. 
Was fehlt dir? Warum weinft dur? 
Benthefilen. 
Schmerzen, Schmerzen — 
Prothoe. 


Pentheſilea. 


Prothoe. 
Kann ich die Lindrung —? 
Benthefilen. 
Nichts, Nichts, Nichts. 


Prothoe. 
Nun, faſſe dich; in Kurzem iſts vollbracht. 
Die Oberprieſterin (Halblauı). 
Ihr Rafenden zufammt! — 
Prothoe (evenfo). 
Schweig, bitt ih did). 
Rn ich Fiucht Jerthefiten ch es hä 
enn ich zur Flucht mich noch — wenn ich es thäte: 
Wie, (ag ‚wie faßt’ ih mich? 
Fu gienaft nad) Pharf 
u giengft na arſos. 
Dort fändeſt du, denn dorthin wies ia eg, 
Dein ganzes 007 das jekt gerfireut, zufammen. 
Du ruhten did, du pflegteft deiner Wunden, 


Wo? 
Hier. 


168 


Und mit des nähßen Tages Strahl, gefiel's dir 
Nähmft du den Krieg der Jungfraun wieder auf. 
Benthefilen, 

Wenn es mir möglih wär! — Wenn ih8 vermödtel — 
Das Aeußerſte, das Menfchenfräfte leiſten, 
Sat ich gethan, Unmögliches verjucht, 

ein Alles hab ih an den Wurf geſetzt; 
Der Würfel, der entjcheidet, Liegt, er liegt: 
Begreifen muß ih8 — — und daß ich verlor. 

Prothese. 

Nicht, nicht, mein ſüßes Herz! Das glaube nicht. 
& niedrig ſchlägſt du deine Kraft nicht an. 
So leg von jenem Preis nicht wirſt du denken, 
Um den du ſpielſt, als daß du wähnen ehe 
Das, was er werth, fei ſchon für ıhn gefhehn. 
ALL diefe Schnur von Perlen, weiß und roth, 

ie dir vom Naden rollt, der ganze Reichthum, 
Den deine Seele aufzubieten hat? 
Wie viel, woran du gar nicht denfit, in Pharfog, 
Endlos für deinen Zwed noch ift zu thun 
Doc freili wohl — jetzt ift es faft zu fpät. 


Benthefilen 
(nad) einer unrubigen Bewegung). 
Wenn g vafh wäre — — Ad, es macht mich rafend! 
— Wo ſteht die Sonne? 
Brothoe. 


Dort, dir grad im Scheitel; 

Noch eh die Nacht finkt, träfeft du dort ein. 
Wir fchlöffen Bündniß, unbewußt den Griechen, 
Mit den Dardanifchen, erreichten fti 
Die Bucht des Meers, wo Jener Schiffe liegen; 
Zur Nachtzeit, auf ein Merkmal, lodern fie 
gr Flammen auf, das Lager wird erſtürmt, 

a8 Heer, gedrängt zugleich von vorn und Binten, 
ger en, aufgelöft, ins Land zerftreut, 

erfolgt, gejucht, gegriffen und befränzet 
Jedmdes Haupt, das unſrer Luſt gefiel. 

ſelig wär ich, wenn ich dieß erlebte! 

Nicht ruhn wollt ich, an deiner Seite kämpfen, 
Der Tage Glut nicht ſcheuen, unermüdlich, 
Müßt' ich an allen Gliedern mich verzehren, 
Dis meiner lieben Schweſter Wunſch erfüllt, 
Und der Pelid’ ihr do, nach fo viel Mühen, 
Defiegt zulekt zu Füßen niederjänt. 


169 


Benthefilen 
(bie während deffen unverwandt in die Sonne gefehen). 
Daß ich mit Flügeln weit gefpreizt und rauſchend 
Die Luft zertheilte! 
Prothoe. 
te! 


Meroe. 
Was ſagte ſie? 
Prothoe. 
Was ſiehſt du, Fürſtin? 
Meroe. 
Worauf heftet ſich —? 
| Prothoe. 
Geliebte, ſprich! 
Pentheſilea. 


Zu hoch ich weiß, zu hoch — 
Er ſpielt in ewig nen Hlammenktefen 
Mir um den fehnjuhtspollen Bufen hin. 
Brothoe, 

Wer, meine befte Königin ? 

Benthefilen. 

Gut, gut. 

— Wo geht der Weg? (Sie fammelt ſich und fteht auf.) 


Merove, 
So willft du dich entſchließen? 


Brothoe. 
So hebjt du dih empor? — Nun, meine Fürftin, 
So ſeis auch wie ein Rieſe! Sinke nicht, 
Und wenn der ganze Orkus auf dich drüdte! | 
Steh, ftebe I, wie das Gemölbe fteht, \ 
. Fe jeiner löde jeder ſturzer will! 
eut deine Scheitel, einem Schlußſtein gleich, | 
Der Götter Blitzen dar, und rufe: trefft! 
Und laß did) bis zum Fuß herab zerfpalten, 
Nicht aber wanke in dir felber met, 
So lang ein Athem Mörtel und Geftein \ 
I diefer jungen Bruft zufammenhält. 
omm. Gieb mir deine Hand. 
Benthefilen. 
Gehts Hier, geht dort? 


Prothoe. 
Du kannſt den Felſen dort, der ſichrer iſt, 
Du kannſt auch das bequemre Thal hier wählen. 
Wozu eufſchließen wirft du dich? 


170 


BenthHefilen. 
Den Felfen! 
Da komm ich ihm um foviel näher, Folgt mir. 


. Prothoe. 
Wem, meine Königin? 
Benthefilen. 
Euren Arm, ihr Lieben! 


Brothoe, 
Sobald du jenen Hügel dort erftiegen, 
Bill du in Sicherheit. 

Meroe. 


Nur ſchnell! 
Benthefilen 
(indem file plöglidy, auf eine Brkde , höre bleibt). 
N) ; 
Eins, eh ich weiche, bleibt mir übrig nod). 
Prothoe. 
Dir übrig noch? 
Meroe. 


Und was? 
Prothoe. 
Unglückliche! 
Pentheſilea. 
Eins noch, ihr Freundinnen, und raſend wär ich, 
Das mußt ihr ſelbſt geſtehn, wenn ich im ganzen 
Gebiet der Möglichkeit mich nicht verſuchte. 
Prothoe (unmillig). 
Nun denn, fo wollt ich, dag wir gleich verfänfen! 
Denn Rettung giebts nicht mehr. 
" PBenthefilen (erihroden). 
Was ıft? Was fehlt dir? 
Was hab ich ihr gethan? Ihr Jungfraun, ſprecht! 
Die Oberpriefterin, 
Du denfft —? 


Meroe. 
Du willft auf diefem Plage noch —? 
Benthefilen, 
Nichts, Nichts, gar Nichts, was fie erzürnen follte. — 
Den Yda will ih auf den Oſſa mälzen, 
Und auf die Spige ruhig bloß mid) ftellen. 
Die Oberpriefterim, 
Den Ida wälzen? 


Meroe, 
Wälzen auf den Oſſa? 


171 


Proth oe (mit einer Wendung). 
Schützt, al ihr Götter, fie! 
Die Oberprieſterin. 
Berlorene! 
Merve (ihädtern). 
Dieß Werk ift der Giganten, meine Königin! 
. Benthefilen. 
Run ja, nun ja: worin denn weich’ ich ihnen? 
Meroe. 
Worin du ihnen? — 
Prothoe. 
Himmel! 
Die Oberprieſterin. 
Doch geſetzt — 


Meroe. 
Geſetzt nun, du vollbrächteſt dieſes Werk? 
Prothoe. 
Geſetzt, was würdeſt du —? 
Benthefilen, 
Blödfinnige! 
Bei feinen goldnen Flammenhaaren zög' ich 
Bu mir hernieder ihn — 
Prothoe. 
Wen? 
Pentheſilea. 
elios, 
Wenn er am Scheitel mir vorüberfleucht! 
(Die Furſtinnen fehn fprachlos und wit Entfegen einander an.) 
Die Oberpriefterim, 
Reit mit Gewalt fie fort! 
Benthefilen 
(ſchaut in den Fluß nieder). 
Ich, Rafende! 
Da liegt er mir zu Füßen ja! Nimm mid — 
(Sie will in den Fluß finten, Brothoe und Meroe Halten fie.) 


Prothoe. 
Die Unglückſelige! 
Meroe. 
Da fällt ſie leblos 


Wie ein Gewand in unfrer Hand zuſammen. 


Die Priefterin (auf dem Hägel). 
Achill erfcheint, ihr aan Es Tann | 
Die ganze Schaar der Jungfraun ihn nicht halten! 


172 


Die Amazonen. 
Ihr Götter! Rettet! Schüget vor dem Frechen 
Die Königin der Jungfraun! 
Die Oberpriefterin 
(3u den Priefterinnen). 
2. Fort! intueg! 
Nicht im Gewühl des Kampfs ift unjer Plag. 
(Die Oberpriefterin mit den Priefterinnen und den Nofenmädchen ab.) 





Zchnter Auftritt. 
Eine Schaar ben Amazonen tritt mit Bogen in den Händen auf. Die Borigen. 


Die erfte Amazone 
(in die Scene rufend). 
Zurüd, Berwegener! 
Die Zweite. 
Er hört uns nidt. 
| Die Dritte 
gr Fürftinnen, wenn wir nicht treffen dürfen, 
o hemmt fich fein wahnfinn’ger Fortjchritt nicht! 
Die —8 
Was iſt zu thun? Sprich, Prothoe! 


Prothoe 
(mit der Königin beſchäſtigt). 


So fendet 
Zehntaufend Pfeile über ihn! — 
Merve (zu dem Gefolge). 
Schafft Waffer! 


Prothoe. 
Doch forget, dag ihr ihn nicht tödtlich trefft! — 


Meroe. 
Schafft einen Helm vol Wafler, ſag ich! 
Eine Fürſtin 
(aus dem Gefolge der Königin).  , 
Hier! 
(Sie ſchöpſt und bringt.) 
Die dritte Amazone (zu Prothoe). 
Se ruhig! Fürchte Nichts! 
Die Erfte 
Hier ordnet euch! 
Die Wangen ftreift ihm, fengt die Locken ıhm! 
Den Kuß des Todes flüchtig laßt ihn ſchmecken! 
(Sie bereiten ihre Bogen.) 


173 


Eilfter Auftritt, 


Achilles ohne Helm, Rüfung und an im Be einiger Griechen. Die Borigen, 


un? Wem auch gelten viert Biel, apr Jungfraun? 
2 dieſem unbeſchützten Br nid) 
ich den ſeidnen Latz no hiebereißen, 
Dan ihr das Herz mir harmlos ſchlagen feht? 
Die erfte Amazone. 
Herunter, wenn du willft, damit! 
Die Zweite, 
Es brauchts nicht! 
Die Dritte. 
Den Pfeil genau, wo er ze dm jegt bält! 


Erite 
Daß er das eipießt ihm, wie ein Blatt 
* mit — a ft im, j 
Mehrere. 
Schlagt! Teefit! 
(Sie ſchießen Aber fein Haupt Hin.) 
Adilles, 


Mit euren Augen trefft ihr ficherer. 
Bei den Olympifchen, ich ſcherze nicht, 
Ich fühle mich im Innerften getroffen, 
Und ein Entwaffneter in jedem Sinne, 
Leg ich zu euren Kleinen Füßen mid). 
Die fünfte Amazone 
(von einem Spieß Hinter der Scene hervor getroffen). 
Ihr guten Götter! (Sie fintt.) 
Die Sechſte (eben fo). 
Web mir! (Sie fintt.) 
Die Siebente (even fo). 
Artemis! (Sie fintt.) 
Die Erfte, 
Der Rafende! . . | 
ugleich 


Laßt, laßt! 


Merve 
(mit der Sönigin beichäftigt). 
Die Unglüdfelige! 
Die zweite Amazone, 
Entwaffnet nennt er fid. 
Brothne (eben fo). 


| Zugleich. 
Entſeelt iſt ſie. 


174 


Die dritte Amazone. 
Sudefjen uns die Seinen niedermwerfen! 
Merode. Zugleich. 
Indeſſen rings umher die Jungfraun ſinken! 
Was iſt zu tun? 


Die erfie Amazone. 
Den Sichelwagen ber!’ 
Die Zweite 
Die Doggen über ihn! 
Die Dritte, 
Mit Steinen ihn 
Hochher vom Elephantenthurm begraben! 
Eine Amazonenfürſtin 
(die Königin plötzlich verlaffend). 
Wohlan, fo will ih das Geſchoß verjuchen. 
(Sie wirft den Bogen von der Schulter und fpannt ihn.) 
Achilles 
(bald zu dieſer, bald zu jener Antazone ſich wendend). 
Ich kanns nit glauben: ſüß mie Silberklang, 
Straft eure Stimme eure Reden Lügen. 
Du mit den blauen Augen bift e8 nicht, 
Die mir die Doggen reißend fchidt, noch du, 
‘ Die mit der feidenweidhen Rode prangt. 
Seht, wenn auf euer übereiltes Wort 
est heulend die Entloppelten mir nahten, 
Sp würft ihr nod mit euren eignen Leibern 
Euch zwiſchen fie und mich, bieh Männerberz, 
Dieß euch in Lieb’ erglühende, zu ſchirmen. 
Die erfte Amazone. 
Der Uebermüth’ge! 
Die Zweite. 
Hört, wie er ſich brüftet! 
Die Erfte. 
Er meint mit Schmeichelworten und — 
Die Dritte 
(die Erfte geheimmigvoll rufend). 
Oterpe! 
Die Erſte Gich umwendend). 
20. N die Meifterin des Bogens jet! — 
til öffnet euren Kreis, ihr Fraun! 
Die Fünfte 
Was giebts? 
Die Bierte, } 
Frag nicht! Du wirft e8 fehn. 


175 


Die Achte. 
Hier! nimm den Pfeil! 
Die Amazonenfürſtin 
(indem fie den Pfeil anf den Bogen Iegt). 
Die Schenkel will ih ihm zufammen beften. 


Achille 
zu einem Griechen, ber neben ihm ſchon den Bogen angelegt hat). 
Triff He! Ä 
Die Amazonenfürſtin. 
Ihr Himmlif hen! (Gie fintt.) 
Die erfte Amazone. 
Der Schredlichel 
Die Zweite, 
Getroffen finft fie felbft! 
Die Dritte, 
Ihr ew’gen Götter! 
Und dort naht uns ein neuer Griechenhaufen! 


Zwölfter Auftritt. 


Diomedeß mit den Aetoliern treten von der andern Geite auf. Bald darauf auch 
Niyfies von der Seite Achills mit dem Heer. 


Diomedes, 
ier meine waderen Aetolier, 
eran! (Er führt fie über die Brüde.) 


Prothoe 
D, Artemis! du Heilige! Nette! 
Jetzt iſts um uns gejchehn! 
(Sie trägt die Königin mit HIfe einiger Amazonen wieder auf den Borgrund der Scene.) 
Die Amazone (in Verwirrung). * 
Wir find gefangen! 
Wir find umzingelt! Wir find abgeſchnitten! 
Fort! Rette ſich, wer retten kann! 
Diomedes (zu Prothoe). 
Ergebt euch! 
Meroe 
—A ad ha he? Wale fen 
r Rafenden! Was thut ihr ollt ihr ftehn? — 
A] Sieh her! 
Brothoe 


_ (immer bei der Königin). 
. Hinweg! Berfolge fie, 
Und wenn du kannſt, ſo mad) uns wieder frei. 
(Die Amazonen zerftrenen fi. Meroe folgt ihnen.) 


176 


Achilles. 
Auf jet, wo ragt fie mit dem Haupte? 


Ein Sriede 
Dort! 
Ele8. 


y 
Dem Diomed will ich zehn Kronen fchenfen. 


Diomedes, 
Ergebt eu, ſag ich noch einmal! 
Prothoe. 
Dem Sieger 
Ergeb ich ſie, nicht dir! Was willſt du auch? 
Der Peleid' iſts, dem ſie angehört! 
Diomedes. 
So werft ſie nieder! 
9 Aetolier. 
uf! 


Mic eh end) 
en olier zu +) . 

Der weicht ein Schatten 
Vom ke der mir die Königin berührt! 
Mein ift fie! Fort! Was habt ihr hier zu fuchen? 

Diomedes. 

So! dein! Ei ſieh, bei Zeus des Donnrers Locken! 
Aus welchen Gründen auch? mit welchem Rechte? 


illes. 


Ach 
* einem Grund, der rechts, und einer links. — 
ieb. 


Prothoe. 
Hier. Von deiner Großmuth fürcht ich Nichts. 


Achilles 
(indem er die Königin in feine Arme nimmt). 
Nichts, Nichts. — D hſt und folgſt und ſchlägſt die F 
(Zu Diomedes. Du gehit und folgſt un ä ie Frauen; 
Ich bleib auf einen Augenblid —8 
Fort! Mir zu Lieb. Erwiedre Nichts. Dem Hades 
Stünd ih im Kampf um fie, vielmehr denn dir! « 
(Er legt file an der Wurzel einer Eiche nieder.) 
Diomedes. 
Es ſei! Folgt mir! 
es 


(mit dem Sy die Bühne ziehend). 
Glück auf, Achill! Glück auf! 
Soll ich dir die Quadriga raſſelnd ſchicken? 


177 


Adilte 
(über die Königin geneigt). 
Es brauchts nicht. Laß noch fein. 
Ulyfies. 
Gut. Wie du will. — 
Folgt mir! eh fi) die Weiber wieder fammlen. 
(uiyſſes und Diomedes mit dem Heer von der Seite der Amazonen ab.) 





Dreizehnter Auftritt. 


Pentpefilen, Prothae, Achilles, Gefolge von Griechen und Amazonen. 


Achilles 
(indem er der Königin die Rüſtung öffnet). 
Sie lebt nicht mehr. 
Brothoe. 


D möcht ihr Auge fich 
iir immer dieſem öden Ticht verfchlieken! 
ch fürchte nur zu fehr, daß fie erwacht. 

Achilles, 

Wo traf ich fie? 

Brot 


othoe. 
Sie raffte von dem Stoß ſich, 

Der ihr die Bruſt yriß en auf; 
pier führten wir die Wankende heran, 

nd diejen Fels jr wollten wir erflimmen. 
Doch a⸗ der Glieder, der verwundeten, 
Seis der verletzten Seele Schmerz: ſie konnte, 
Daß ſie im Kampf ie ir, nit tragen; 
Der Fuß verfagte bredhend ihr den Dienft, 
Und Irrgeſchwaͤtz von bleichen Lippen fendend, 
Fiel fie zum zweiten Mal mir in den Arm. 


Achilles. 

Sie zudte — ſahſt du es? 
Brothoe. 
Ihr Himmlifchen! 
Go hot fie noch den Kelch nicht ausgeleert? 
Seht, o die Jammervolle, jeht — 
Achilles. 
Sie athmet. 

Prothoe. 
Pelide! Wenn du das Erbarmen kennſt, 
Wenn ein Gefühl den Buſen dir bewegt, 
Wenn du fie tödten nicht, in Wahnfinn völlig 

Bibl. d. b Nationalliteratur. Kleiſt. II. 


178 


Die Leichtgereizte nicht verſtricken willſt, 
Sp günne eine Bitte mir. 
Achilles. 
Sprich raſch! 
Prothoe. 
Entferne dich! Tritt, du Vortrefflicher, 
ritt aus dem Antlitz ihr, wenn ſie erwacht. 
Entrück ihr gleich die Schaar, die dich umſteht, 
Und laß, bevor die Sonne ſich erneut, 
dern auf der Berge Duft ihr Niemand nahn, 
Der fie begrüßte mit dem Todeswort: 
Du bift die Kriegsgefangene Adhılls. 


Achilles, 
So haft fie mi? 


Wenn fie jet freudig an der Hoffnung Hand 
Ins Leben wiederkehrt, fo jei er Sieger 
Das Erfte nicht, das freudlos ihr begegnet. 
Wie Manches regt fih in der Bruft der Frauen, 
Das für das Licht des Tages nicht gemacht. 
Muß fie zulegt, wie ihr Verhängniß will, 
Als die &sfangne ſchmerzlich dich begritßen, 
So fordr’ e8 früher nicht, beſchwör ich dich! 
Als bis ihr Geift dazır gerüftet fteht. 

Achilles. 
Mein Will' iſt, ihr zu thun, muß ich dir ſagen, 
Wie ich dem ſtolzen Sohn des Priam that. 


Prothoe. 
Wie, du Entſetzlicher! 

Achilles. 

Fürchtet fie dieß? 
Prothoe. 

Du willſt das Namenloſ' an ihr vollſtrecken? 
Hier dieſen jungen Leib, du Menſch voll Greuel, 
Geſchmückt mit Reizen, wie ein Kind mit Blumen, 
Du willſt ihn ſchandlich, einer Leiche gleich — 


Achilles. 
Sag ihr, daß ich ſie liebe. 
Prothoe. 
Wie? — Was war das? 
Achilles. 
Beim Himmel, wie! Wie Männer Weiber lieben: 
Keuſch und das Herz voll Sehnſucht, doch in Unſchuld, 


Prothoe. 
O frage Großherz'ger! 


179 


Und mit der Luft doch, fie darum zu bringen. 
Ich will zu meiner Königin fie mahen. 


. Prothoe. 
Ihr ewgen Götter, ſag das noch einmal — 
Du wit? 
j Achilles, 
Kann ich nun bleiben ? 
Brothoe, 


O fo la 
Mic deine Füge küſſen, Göttlicher! ß 
O jetzt, wärſt du nicht hier, jetzt ſucht' ich dich, 
Und müßt's an Herkuls Säulen ſein, Pelide! — 
Doch ſieh: ſie ſchlägt die Augen auf — 
Achilles, 
Sie regt fih — 
Pr 


othoe. 
Jetzt gilts! Ihr Männer, fort von hier; und du 
Raſch hinter dieſe Eiche berge dich! 

Achilles. 
Fort, meine Freunde! Tretet ab. 

(Das Geſolge des Achill ab.) 
Brothoe 
(zu Achill, der fi hinter die Eiche Felt). 
Ind eher nicht, befämör ich dic, erfäeinen 
nd eber nicht, beſchwör ich Dich, erfcheine, 

Als bis mein Wort dich ruft. Kern du mir? — 
Es läßt fih ihre Seele nicht berechnen. 


Achilles, 
Es ſoll geſchehn. 


Prothoe. 
Nun denn, ſo merk jetzt auf! 


— — — — 


Vierzehnter Auftritt. 
Nentheſilea, Prothoe, Achillſes. Gefolge von Amazonen. 


Prothoe. 

geuhe lea! O du Träumerin! 
In welchen fernen Slanzgefilden ſchweift 
Dein Geift umber mit unruhnollem Flattern, 
Als ob fein eigner Sig ihm nicht gefiele, 
Indeß das Glüd gleich einem jungen Fürſten 
Ju deinen Buſen einkehrt, und verwundert, 

ie lieblihe Behaufung leer zu finden, 
Sich wieder wendet, und zum Himmel ſchon 198 


180 


Die Schritte wieder flitchtig feßen will? 
Willſt du den Saft nicht feſſeln, du Thörin? — 
Konm, hebe dih an meine Bruft. 
Benthefilen. 
Wo bin ih? 


pretgoe. 
Kennft du die Stimme deiner Schwefter nicht? 
Führt jenen Fels dich, diefer Brüdenpfad, 
Die ganze blüh’nde Landſchaft nicht zurück? 
Sieh dieſe Zungfraun, welche dich) umringen: 
Wie an den Pforten einer fhönern Welt 
Stein fie und rufen dir: Willfommen! zu. 
— Du feufzef, Was beängftigt dich? 
Peutheſilea. 
Ach Prothoe! 

Welch einen Traum entſetzensvoll träumt' ich — 
Wie ſüß iſt es — ich möchte Thränen weinen — 
Dieß matigequälte Herz, da 2 erwache, 
An deinem Schwefterherzen jchlagen fühlen! — 
Mir war, als ob im beitigen Getümmel 
Mich des Peliden Lanze traf: umraſſelt 
Bon meiner erznen Rüftung ſchmettr' ich nieder; 
Der Boden widerhallte meinem Sturz. 
Und während das erjhrodne Heer entmeidht, 
Unftridt an allen Gliedern lieg ich noch, 
Da ſchwingt er fi) vom Pferde fchon herab, 
Mit Schritten des Triumphes naht er mir, 
Und er ergreift die Qingefunfene, 
Jr ftarten Armen hebt er mic empor, 

nd jeder Griff nach diefem Dolch verfagt mir, 
Gefangen bin ich, und mit Mn elächter 
Zu feinen Zelten werd ich „abgeführt. 

Brothoe, 
Nicht, meine befte Königin! Der Po . 
Ri feiner großmuthsvollen Seele fremd. 

är e8, was dir im Traum erjchien: glaub mir, 
Ein Iet’ger Augenblid wär dir beſchieden, 
Und in den Staub vielleicht, dir buldigend, 
Sähft du den Sohn der Götter niederfallen. 


Benthefilen, 
I mir, wenn ich die Schmach erlebte, Freundin! 
lud mir, empfieng’ ich jemals einen Mann, 
Den mir das Schwert nicht würdig zugeführt. 
Prothoe, 
Sei ruhig, meine Königin. 





181 


Benthefilen. 
ie! Ruhig — 
Brothoe. 
Liegſt du an meinem treuen Bufen nicht? 
Welch ein Gefchid auch über dich verhängt fet, 
Wir tragen es, wir Beide! Faſſe dich. 
Benthefilen. 
Ich war fo ruhig, Prothoe, wie das Meer, 
Das in der Bucht des Felſen Liegt; niht Ein 
DE das I In We en mich er FR & jebt 
ie ort: ſei ruhig! jagt mich plöglich jekt, 
Wie Wind die offnen Ze tgewäjler, auf. 
Was ift es denn, das Ruh mir nöthig maht? — 
Ihr fteht fo jeltfam um mich, fo veritört — 
Und fendet Blicke, bei den ew’gen Göttern, 
In meinen Rüden bin, als ftünd ein Unhold, 
Mit wilden Antlig dräuend, hinter mir. 
— Du börft3, e8 war je nur ein Traum, es ift nidt — 
Wie! oder ift es? Iſts? Wärs wirklich? Rede! — 
Wo ift denn Meroe? Megaris? 
(Sie ſieht fi nm umd erblict den Achilles.) 
Entſetzlich! 
Da ſteht der Fürchterliche hinter mir. 
Jetzt meine freie Hand — 
(Sie zieht den Dolch.) 
Prothoe. 
Unglüdliche! 
Benthefilen. 
D die Nichtswürdige, fie wehret mir — 
Prothoe. 
Achilles! Rette ſie. 
Benthefilen. 


O Rajende! 
Er fol den Fuß auf meinen Naden jegen! 
Prothoe. 
Den Fuß, Wahnſinnige — 
Pentheſilea. 
—8 „ſag id! 
Prothoe. 
So ſieh ihn doch nur an, Verlorene! 
Steht er nicht ohne Waffen hinter dir? 
Pentheſilea. 
Wie? Was? 


182 


Prothoe. 
Nun ja! Bereit, wenn du's verlangſt, 
Selbſt deinem Feſſelkranz ſich darzubieten. 


Benthefilen, 
Nein, ſprich. 


Prothoe. 
Achill! Sie glaubt mir nicht. Sprich du! 
Benthefilen. 
Er wär gefangen mir? 
Prothoe. 
Wie ſonſt? Iſts nicht? 
/ Adilles 
* (der während deſſen vorgetreten). 
In jehem ſchönern Sinn, erhabne Königin! 
Gewillt, mein ganzes Leben fürderhin 
Sn deiner Blide Feſſeln zu verflattern. 
(Benthefilea drüdt ihre Hände vors Geſicht.) 


Prothoe. 
Nun denn, da hörteſt du's aus ſeinem Mund. 
Er ſank wie du, als ihr euch traft, in Staub; 
Und während du entſeelt am Boden lagſt, 
Ward er entwaffnet — nicht? 
Achilles. 
Ich ward entwaffnet; 
Man führte mich zu deinen Füßen her. 
(Er beugt ein Knie vor ihr.) 
Pentheſilea 
(nach einer kurzen Pauſe). 
Nun denn, ſo ſei mir, friſcher Lebensreiz, 
Du junger, roſenwang'ger Gott, gegrüßt! 
Hinwes jetzt, o mein Herz, mit bieten Blute, 
as aufgehäuft, wie ſeiner Ankunft harrend, 
Su beiden Kammern diefer Brüfte liegt. 
Ihr Boten, ihr geflügelten, der Luft, 
Ihr Säfte meiner Jugend, macht euch auf, 
Dur meine Adern fleucht, ihr jauchzenden, 
Und laßt es, einer rotben Fahne gleich, 
Bon allen Heichen diefer Wangen wehn: 
Der junge Nereidenfohn ift mein! 
(Sie fteht auf.) 
Prothoe. 
O meine theure Köngin, mäß’ge dich. 
Benthefilen 
(indem fie vorfchreitet.) 
Heran, ihr fieggelrönten Jungfraun jetzt, 


183 


Ihr Töchter Wars, vom Wirbel bis zur Sohle 
Bom Staub der Schladht noch überdedt, heran, 
Mit dem Argiverjüngling Jegliche, 
Den fie fih überwunden, an der gab! 
Ihr Mädchen, naht euch mit den Roſenkörben; 
Wo find für jo viel Scheitel Kränze mir? 
Hinaus mir über die Gefilde, fag ich, 

nd mir die Rofen, die der Lenz verweigert, 
Mit eurem Athem aus der Flur gehaudht! 
An euer Amt, ihr Prieftrinnen der Diana: 
Daß eures Tempels Pforten raſſelnd auf, 
Des glanzerfüllten, weihraucdhduftenden, 
Mir, wie des Paradiefes Thore, fliegen! 
guerit den Stier, den feiften, kurzgehörnten, 

ir an den Altar hin; das Eiſen ftürz’ ihn, 
Das blinfende, an heilger Stätte lautlos, 
Daß das Gebäu erfchüttere, darnieder. 
Ihr Dienrinnen, ihr rü igen, des Tempels, 
Das Blut — wo feid ihr? — raſch, ihr emfigen, 
Mit Perjerölen, von der Kohle zifchend, 
Bon des Getäfels Plan hinweggewafchen! 
Und au ihr flatternden Gewänder, ſchürzt euch, 
hr golbenen Pokale, füllt euch an, 

br Zuben fchmettert, donnert ihr Bofaunen, 

er Jubel mache, der melodifche, 
Den feften Bau des Firmamentes beben! — 
O Prothoe! Hilf jauchzen mir, frohloden, 
Erfinde, Freundin, Shwefterhers, erdente, 
Wie ich ein Se jest güttlicher, als der 
Olymp durchjubelte, verherrliche, 
Das Hoczeitsfeft der krieggeworbnen Bräute, 
Der Inachiden und der Kınder Mars! — 
O Meroe, wo bift du? Megaris? 

Prothoe 

Freud iſt und Schmerz dir, feh ich, gleich verderblich 

reud i , , 
Und —— zum Wahnſinn reißt dich Weides hin. 
Du wähnit, wäh! dih in Themiscyra ſchon, 
Und wenn du jo die Grenzen überſchwärmſt, 
Fühl ich gereizt mich, dir das Wort zu nennen, 
Das dir den Fittig giietich wieder lähmt. 
Blick um dich ber, Betrogene, wo bift du? 
Wo ift das Volk? Wo find die Priefterinnen ? 
Alteria? Merve? Megaris? Wo find fie? 

entbefilen (an ihrem Bufen). 


P 
O laß mich, Prothoe! O laß dieß Herz 


184 


Zwei Augenblid’ in diefem Strom der Luft 

Wie ein befudelt Kind ſich untertauchen ; 

Mit jedem Schlag in feine üpp'gen Wellen 

Wäſcht fih ein Diafel mir vom Buſen weg. 

Die Eumeniden fliehn, die fchredlichen, 

Es weht wie Nahn der Götter um mich ber, 

% möchte gleich in ihren Chor mich mifchen, 
um Tode war ich nie fo reif als jet. 

Doch jeßt vor Allem: du vergiebit mır doch? 


Brothoe. 
D meine Herrfcherin! 
—— iß 
weiß, ich weiß — 
Nun, meines Blutes Ye Hälft’ ift dein. 
Das Unglüd, jagt man, läutert die Gemüther, 
Ich, du Geliebte, ich empfand es nicht; | 
Erbittert hat e8 Göttern mi und Menfchen 
In unbegriffner Leidenſchaft empört. 
Wie feltiam war auf jedem Antlig mir, 
Wo ich fie traf, der Freude Spur verhaßt; 
Das Kind, das in der Mutter Schooße fpielte, 
Schien mir verfchworen wider meinen Schmerz. 
Wie möcht ich Alles jest, was mich umringt, 
Zufrieden gern und glücklich fehn! Ach, Freundin! 
er Menſch kann groß, ein Held im Leiden fein. 
Dog göttlich ift er, wenn er ſelig iſt! 
— Doch raſch zur Sache jetzt. Es ſoll das Heer 
Zur Rückkehr jchleunig jede Anſtalt treffen; 
Sobald die Schaaren rubten, Thier’ und Menfchen, 
Bricht aud) der Zug mit den Gefangenen 
ad unjern heimatlichen Fluren auf. 
o iſt Lykaon? 
Prothoe. 


Wer? 
Pentheſilea 
(mit zärtlichem Unwillen). 
er, fragſt du noch! 
Er, jener blühende Arkadierheld, 
Den dir das Schwert erwarb. Was hält ihn fern? 
Prothoe (vemirt). 
Er weilt noch in den Wäldern, meine Königin! 
Wo man die übrigen Gefangnen hält. 
Vergönne, daß er dem Geſetz gemäß 
Eh nicht als in der Heimat mir erfcheine. 
Beuthefilen. 
Man ruf’ ihn mir! — Er weilt noch in den Wäldern! 


185 


Zu meiner Prothoe Füßen ift fein Plaß! 
yo bitte dich, Geliebte, ruf ihn ber, UV 
u ftehft mir wie ein Maienfroſt zur Seite, 
Und hemmſt der Freude junges Leben mir. 
Brothoe (für fi). 
Die Unglüdfelige! — Wohlan jo geht, 
Und thut, wie euch die Königin befohlen. 
(Sie winkt einer Amazone; diefe geht ab.) 
Penthefilen. 
Mer fchafft mir jest die Roſenmädchen ber? 
(Sie erblidt Rofen auf dem Boden.) 
Sieh! Keldhe finden, und wie duftende, 
Auf diefem Plag fih! — 
(Sie fährt fi mit der Dand über die Stirne.) 
Ä Ah mein böfer Traum! 
(Zu $Prothoe.) 
War denn der Diana Oberprieftrin hier? 


Brothoe, 
Nicht, dag ich wüßte, meine Königin — 
Benthejilen. 
Wie kommen denn die Rofen ber ? 
Brothoe (caic). 
Sieh da! 
Die Mädchen, die die Fluren pliünderten, 
Sie ließen einen Korb voll hier zurüd. 
Nun, len Zufall wahrli nenn ich günftig. 
Hier, diefe duft'gen Blüthen vaff ich auf, 
Und winde den Belidenfranz dir. Soll ih? 
(Sie fegt ſich an der Eiche nieder.) 
Benthefilen. 
Du Liebe! Treffliche! wie du mich rührſt! — 
MWohlan! Und diefe Hundertblättrigen 
Ich dir zum Siegerfranz Lykaons. Komm. 
(Sie rafft gleichfalls einige Rofen auf, und fegt ſich neben Prothoe nieder.) 
Muſik, ihr Fraun, Mufit! Ich bin nicht ruhig. 
Laßt den Geſang erſchallen! Macht mich ftill. 


Eine Jungfrau 
(au6 ihrem Gefolge). 
Was mwünfcheft du? 
Eine Andere, 
Den Siegsgejang? 


thefilen. 
Pentheiite Die Hymne. 


186 


Eine Jungfrau, 
Es fei. — O die Betrogene! — Singt! fpielt! 
Chor der Jungfrann (mit Muſih. 
Ares entweicht! 
Seht, wie fein weißes Gefpann 
gerngin dampfend zum Orkus niedereilt! 
Die Eumeniden öffnen, die jcheußlichen: 
Sie ſchließen die Thore wieder hinter ihm zu. 
Eine Jungfrau. 
ymen! Wo mweilft du? 
ünde die Yadel an, und leuchte! Leuchte! 
ymen! wo meilft du? 
Chor. 
Ares entweiht! u, f. w. 
Achilles 
(nähert fi) während des Geſanges der Prothoe heimlich). 
Sprich! wohin führt mich dieß? Sch will es willen! 
Brothoe, 
Noch einen Augenblid, Großherziger, 
Fleh ich dich um Geduld — du wirft es fehn. 
(Wenn die Kränze gewunden find, wechfelt Pentbefilea den ihrigen gegen den Franz 
der Prothoe, fie umarmen fi und betrachten die Windungen. Die Mufit fchweigt.) 
(Die Amazone Tehrt zurüd.) 
Benthefilen. 
Haft du's beftellt? 
Die Amazanc. ' 


Lykaon wird fogleich, 
Der junge Prinz Arkadiens, erfcheinen. 





Funfzehnter Auftritt. 
VPentheſilea. Prothoe. Achilles. Amazouen. 
Benthefilen, 
Komm jekt, du ſüßer Nereidenfohn, 
Komm, lege dich zu Füßen mir — Ganz Fig 
Nur dreiit Er — Du fürdteft mid) doch nicht? 
Berhaßt nicht, weil ich fiegte, bin ich dir? 
Sprich! fürdhteft du, die dich in Staub gelegt? 
' Achilles (zu ihren Füßen). 
Wie Blumen Sonnenfdein. 
Benthefilen, 
Out, gut gefagt! 
So fieh mi auch wie deine Sonne an, — 


187 
Diana, meine Herrſcherin, er ift 


Berlegt! 
Achilles. 
Gerigt am Arm, du fiehft, nichts weiter. 
menchefiten. 
bitte dich, Pelide, glaube nicht, 
Des ich omas Fa Deinem eb zielte. 
mar gern mit dieſem Arm bier traf ich dich; 
och al3 du niederſankſt, bemeidete 
Hier diefe Bruft den Staub, der dich empfieng. 
Achilles, 
Wenn du mic Liebft, fo fprichft du nicht davon. 
Du fiehft, ES heit cn ſpricht q 
Pentheſilea. 
So verzeihſt du mir? 
Achilles. 
Von ganzem Herzen. 
Benthefilen, 
Fest — kannſt du mir fagen, 
Wie es die Liebe macht, der Flügelknabe, 
Wenn fie den ftörr’gen Leun in Fefleln ſchlägt? 


Adilles,. 
Sie ftreichelt, den? ich, feine rauhen Wangkn, 
il. 


So bält er ftill 
Benthefilen. 
Nun denn, fo wirft bu dic) 
Nicht mehr als eine Junge Taube regen, 
Um deren Hals ein Mädchen Schlingen legt. 
Denn die Gefühle diefer Bruft, o Jüngling, 
Wie Hände find fie, und fie ftreicheln dich. 
(Sie umſchlingt ihn mit Kränzen.) 
Achilles. 
Wer biſt du, wunderbares Weib? 
Pentheſilea. 
3 fagte Ri! Du wirft e8 ſchen erfahren, 
agte ill! Du wirſt es Ichon erfahren. 
— di diefe leichte Rofenwindung nur 
Um deine Scheitel, deinen Naden hin — 
Au deinen Armen, Händen, Füßen nieder — 
nd wieder auf gm Haupt — fo ifts gefchehn. 
Was athmeit du 
Achilles. 


Duft deiner füßen Lippen, 


188 


Benthefilen 
(indem fie fi zurüdbengt). 
Es find die Rofen, die Gerüche ſtreun. 
— Nichts, nichts ! 


Achilles, ” 
Ich wollte fie am Stod verfuchen. 
PBenthefilen, 
Sobald fie reif find, Liebfter, pflüdft du fie. 
(Sie fett ihm nod) einen Kranz auf die Scheitel und läßt ihn gehn.) 
Jetzt iſts geſchehn. — O fieh, ich bitte Dich, 
Wie der —88— Rofenglan ihm ſteht! 
Wie fein gewitterdunkles Antlitz ſchimmert! 
Der junge Tag, wahrhaftig, liebſte Freundin, 
Wenn ihn die Horen von den Bergen führen, 
Demantenperlen unter ſeinen Tritten: 
Er ſieht jo weich und mild nicht drein als er. — 
Sprich! dünkts dich nicht, al8 ob fein Auge glänzte? 
Fürwahr! man möchte, wenn er fo erjcheint, faft zweifeln, 
Daß er es fei. 
Brothoe. 


Mer, meinft du? 
Benthefilen. 
Der Pelide! — 
- Sprid, wer den größeften der Priamiden 
Bor Troja Maifern füllte, marft das du? 
Haft du ihm wirflih, du, mit diefen Händen 
Den fliiht’gen Fuß durchkeilt, an deiner Are 
Ihn bäuptlings um die Baterftadt gelaneiftt — 
Sprich! Rede! Was bewegt dich fo? was fehlt dir? 
Achilles. 
Ich bins, 
Benthefilen 
(nachdem fie ihn ſcharf angefehen). 
Er jagt, er ſeis. 
Brothoe. 
Er ift es, Königin; 
An diefem Schmud bier kannſt du ihn erkennen. 
Benthefilen. 
Woher? 


6 if Die Nüftung, fh nur 5 

8 iſt Die ung, ſieh nur ber, 

Die Thetis ihm, die hohe Göttermutter 

Dei dem Hephäft, des Feuers Gott, erjchmeicelt. 


Pentheſilea. 
Nun denn, ſo grüß ich dich mit dieſem Kuß, 


189 


Unbändigfter der Menſchen, mein! Ich bin, 
Du junger Kriegsgott, der du angehörft; 
Wenn man im Bolt dich fragt, jo nennft du mid). 
Achilles. 
D du, die eine Slanzerfcheinung mir, 
als hätte fich das Aetherreich eröffnet, 
erabfteigft, Unbegreifliche, wer bift du? 
ie nenn ic) Dich, wenn meine eigne Seele 
Sich, die entzüdte, fragt, wem fie gehört? 
Beuthefilen. 
Wenn fie dich fragt, jo nenne dieje Züge, 
Das fei der Nam’, in welchem du mic, denkſt. — 
war dieſen goldnen Ring bier ſchenk ich dir, 
it jedem Merkmal, das dich ficher ftellt; 
Und zeigjt du ihn, fo weift man did) zu mir. 
Jedod ein Ring vermißt fih, Namen fehwinden; 
enn dir der Nam’ entſchwänd', der Ring ſich mißte: 
gündit du mein Bild in dir wohl wieder aus? 
annft du's wohl mit gefchloßnen Augen denten? 


Achilles. 
Es ſteht ſo feſt, wie Züg' in Diamanten. 
Pentheſilea. 
39 bin die Königin der Amazonen, 
r nennt fih Mars- erzeugt, mein Völkerſtamm, 
Direre war die große Mutter mir, 
Und mich begrüßt das Bolf: Penthefilea. 


Achilles, 
Benthefilea. 
Benthefilen. 
Ja, jo jagt’ ich dir. 


Achilles. 

Mein Schwan fingt noch im Tod: Penthefilea. V 

Pentheſilea. 
Die Freiheit ſchenk ich dir, du kannſt den Fuß 
Im Heer der Sungfraun fegen, wie du willſt. 
Denn eine andre Kette denk ich noch, 
Wie Blumen leicht, und ke doch als Erz, i 
Die dich mir feſt verfnäpft, ums Herz zu Wlagen. 
20) bis fie zärtlih, Ring um Ring, geprägt 
gr er Gefühle Glut und ausgefchmiedet, 

er Beit nicht und dem Zufall mehr zeritörbar, 

Kehrit du, weil e8 die Pflicht HR mir wieder, 
Mir, junger Freund, verfteh mid, die für jedes, 
Seis ein Bebürfniß, feis ein Wunfch, dir forgt. 
Willſt du das thun? Sag an! 


| 


1% 


Achilles. 
Wie junge Roſe 
Zum Duft der Krippe, die ihr Leben nährt. 


Pen deine a. 
Gut. Ich verlag mich drauf r treten jet 
Die Reife gleich nad) Themischra an; 
Mein ganzer Harras bis dahin ift dein. 
Man wird dir purpurne Gezelte bringen, 
Und auch an Sclaven nicht, dich zu bedienen, 
Wirds deinem königlichen Willen R len. 
Do weil mid auf dem Zuge, du begreift, 
So mande Sorge feilelt, wirft du dich 
Noch zu den übrigen Gefangnen halten: 
In Themischra erft, Neridenfohn, 
Kann ih mich ganz, aus voller Bruft, dir weihn. 


Achilles. 


‘ 





Es ſoll geſchehn. 
Benthefilen (u Vrothoe). 
Nun aber fage mir, 
Mo meilt aud) dein Arkadier? 
Brothoe, 
Meine Fürftin — 
Benthefilen. 
So gern von deiner Hand, geliebte Prothoe, 
sch ich befrängt ihn jehn. 
Broidse 
Er wird ſchon fommen. 
Der Kranz hier ſoll ihm nicht verloren gehn. 
Benthefilen (aufsregend). 
Nun denn — mich rufen mancherlei Gejchäfte, 
So laßt mid) gehn. 
Adqitltes. 


ie? 


Benthefilen. 
Laß mid aufftehn, Freund. 
Achilles 
Du flieht? Du weicht? Du Läffeft mich zurüd? 
Noch * du meiner ſehnſuchtsvollen Bruſt 
So vieler Wunder Aufſchluß gabſt, Geliebte? 
Pentheſilea. 
In Themiscyra, Freund. 
Acilles. 
Hier, meine Königin! 


191 


-  Bentbefilen. 
In Themischra, Freund, in bemischrn — 
Laß mich! 
Prothoe 


(fie zurückhaltend, unruhig). 
Wie? Meine Königin! Wo willſt du hin? 
Pentheſilea Gefremdeh. 
Die Schaaren will ich muſtern — ſonderbar! 
Mit Meroe will ich ſprechen, Megaris. 
Hab ich, beim Styr, jetzt Nichts zu thun als plaudern? 


Prothoe. 
Das Heer verfolgt die flücht’gen Griehen noch — 
Yaß Meroe, die die Spite führt, die Sorge; 
Du braudft der Ruhe noch. Sobald der Feind 
Nur völlig Über den Skamandros febte, 
Wird dir das Heer hier ftegreich vorgeführt. 
Benthefilen (erwägend). 
So! — Hier auf diefes Feld? Iſt das gemiß? 
Prothoe. 
Gewiß. Verlaß dich drauf. 
Pentheſilea (um Achiiſ). 
Nun ſo ſei kurz. 
Achilles. 
Was iſts, du wunderbares Weib, daß du, 
Athene gleich, an eines Kriegsheers Spitze, 
Wie aus den Wolken nieder, unbeleidigt, 
In unſern Streit vor Troja plötzlich fällſt? 
Was treibt, vom Kopf zu Fuß in Erz gerüſtet, 
So unbegriffner Wuth voll, Furien ähnlich, 
Dich gegen das Geſchlecht der Griechen an; 
Du, die ſich bloß in ihrer Schöne ruhig 
zu eigen brauchte, Liebliche, das ganze 
eſchlecht der Männer dir im Staub zu ſehn? 
Pentheſilea. 
Ach, Nereidenſohn! — Sie eh mir nicht, 
Die Kunft vergönnt, die fanftere, der Frauen! 
Nicht bei dem Feſt wie deines Landes Züchter, 
Wenn zu wetteifernd frohen Uebungen 
Die ganze Jugendpracht ufammenftrömt, 
Darf ich mir den Geliebten auserſehn; 
Nicht mit dem Strauß, fo oder fo geitellt, 
Und dem verfhänmten Blick ihn zu mir loden; 
Nicht in dem Nachtigall - durchfchmetterten 
Granatwald, wenn der Morgen glüht, ihm fagen, 


192 


An feine ruf efunten, daß ers fei. 

Im blut’gen Feld der Schlacht muß ich ihn fuchen, 

Den Jüngling, den mein Herz fich auserfor, 

Und ihn mit ehrnen Armen mir ergreifen, 

Den dieje weiche Bruft empfangen * 

Achilles. 

Und woher quillt, von wannen ein Geſetz, 

Unweiblich, du vergiebſt mir, unnatürlich, 

Dem übrigen Geſchlecht der Menſchen fremd? 
Pegehelitea. 

Fern aus der Urne alles Heiligen, 

O Jüngling: von der Zeiten Gipfeln nieder, 

Den unbetretnen, die der Himmel ewig 

In Wolkenduft geheimnigvoll verhült. 

Der eriien Mütter Wort entichied es alfo, 

Und dem verftummen wir, Neridenfohn, 

Wie deiner erften Väter Worten du. 


Achilles. 
Sei deutlicher. . > 
Benthefilen. . 
Wohlan! So höre mid. — 
Wo jetzt das Volk der Amazonen herrjchet, 
Da lebte fonft, den Göttern unterthan, 
Ein Stamm der Sehtgen, frei und friegerifch, 
Jedwedem andern Boll der Erde gleid. 
Durch Reihn Schon nannt er von Jahrhunderten 
Den Kaukaſus, den fruchtumblühten, fein, 
Als Vexoris, der Aethioper König, 
An feinem Fuß erfchien, die Männer vafch, 
Die fampfverbundnen, vor fich niederwarf, 
Sid dur die Thäler u und Greiſ' und Knaben, 
Wo fein gezüdter Stahl fie traf, erfchlug: 
Das ganze Prachtgefchlecht der Welt gieng aus, 
Die Sieger bürgerten barbarenartig 
In unfre Hütten frech fich ein, ernährten 
Bon unfrer reihen Felder Früchten ſich, 
Und, voll der Schande Maß uns zuzumeſſen, 
Ertrogten fie der Liebe Gruß ſich noch: 
Sie riffen von den Gräbern ihrer Männer 
Die Fraun zu ihren jchnöden Betten hin. 
Achilles. 
Vernichtend war das Schickſal, Königin, 
Das deinem Frauenſtaat das Leben gab. 


Benthefilen. 
Doch Alles [hüttelt, was ihn unerträglich, 


193 


Der Menfh von feinen Schultern fträubend ab; 
Den Drud nur mäß’ger Leiden duldet er. 

Durch ganze Nächte lagen fill und heimlich 

Die Fraun im Tempel Mars, und böhlten weinend 
Die Stufen mit Gebet um Rettung aus. 

Die Betten füllten, die entweibten, ſich 

Mit blankgeichliffuen Dolchen an, gefeilt 

Aus Schmudgeräthen bei des Herdes Flamme, 
Aus Senkeln, Ringen, Spangen: nur die Hochzeit 
Ward des Aethioperlönigs Beroris 

Mit Tanais, der Königin, erbartt, 

Der Gäfte Bruft zuſammt damit zu küſſen; 

Und als das Hochzeitsfeft erſchienen war, 

Stieß ihm die Kön’gin ihren in da8 Herz; 

Mars, an des Schnöden Statt, vollzog die Ehe, 
Und da8 gefammte Mordgefchleht, mit Dolchen 
In einer Nacht ward e8 zu Tod gefikelt. 


Adille®. 
Gold eine That der Weiber läßt fich denken. 
Benthefilen. 
Und dieß jegt ward im Rath des Volks beſchloſſen: 
Frei wie der Wind auf offnem Blachfeld find 
Die Fraun, die folche Heldenthat vollbracht, 
Und dem Geſchlecht der Männer nicht mehr dienſtbar. 
Ein Staat, ein mündiger, ſei aufgeſtellt, 
Ein Frauenſtaat, den fürder keine andre 
gerihfüchtge Männerftimme mehr durcdhtrogt, 
er das Geſetz ſich würdig felber gebe, 
Sid felbft gehordhe, felber auch beihlige: 
Und Tanais fei feine Königin. 
Der Mann, deß Auge diefen Staat erfchaut, 
- Der joll da8 Auge gleich auf ewig fchließen; 
- Und mo ein Knabe nody geboren wird 
Bon der Tyrannen Kup, da folg’ er gleich 
gem Orkus noch den wilden Bätern nad. 
ee Tempel Ares füllte fich fogleic) 
Gedrängt mit Bolt, die große Tanais 
Fi folder Satzung Schirmerin zu krönen; 
erad als fie im Fett; ften Moment 
Die Altarftuf’ erftieg, um dort den Bogen, 
Den großen, goldenen, des Schthenreichs, 
Den fon die Könige gährt, u greifen 
Bon der gefhmüdten Oberpriefterin Hard, 
Ließ eine Stimme alſo fich vernehmen: 
„Den Spott der Männer werd’ er reizen nur, 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. IT, 


194 


Ein Staat mie der, und gleich dem erften Anfall 
Des Friegerifchen Nachbarvolks erliegen: 

Weil do die Kraft des Bogens nimmermehr 
Bon ſchwachen Traun, beengt durch volle Brüfte, 
Leicht wie von Männern ſich regieren würde.“ - 
Die Königin ftand einen Augenblid, 

Und harrte ftil auf folder Rede Glück; 

Doch alS die feige Regung um fich griff, 

Riß fie die rechte Bruft fih ab, und taufte 

Die rauen, die den Bogen fpannen mürden, 
Und ſank zufammen, eh ie nody vollendet: 

Die Amazonen oder Bujenlofen! — 

Hierauf ward ihr die Krone aufgeſetzt. 


Achilles. 
Nun denn, beim Zeus, die brauchte keine Brüſte! 
Die hätt ein Männervolk beherrſchen können, 
Und meine ganze Seele beugt fidh ihr. 


Benthefilen. 
Stil auch auf diefe That wards, Peleide, 
Nichts als der Bogen ließ fich fchmwirrend hören, 
Der aus den Händen, Leichenbleich und ftarr, 
Der Oberpriefterin daniederfiel. 
‚Er ftürzt’, der große, goldene, des Reichs, 
Und Flirete von der Marmorftufe dreimal 
Mit dem Gedröhn der Gloden auf, und legte 
Stumm wie der Tod zu ihren Füßen fih. — 


Man folgt’ ihr, Hoff & tod, m © t der $ 
an folgt’ ihr, hoff ich doc, im Staat der Frauen 
In Dielen Beifpiel nicht ? 


Benthefilen, 
Nicht — allerdings! 
Man gieng fo lebhaft nicht zu Werk als fie. 
Achilles (mit Erflaunen). 
Wiel alfo doch? — Unmöglidh! 


Benthefilen. 
Was fagft du? 
Adilles, 

Die ungeheure Sage wäre wahr? 
Und alle diefe blühenden Gejtalten, 
Die di umftehn, die Zierden des Öefhleht, 
Vollſtändig, einem Altar gleich, jedwede 
Geſchmückt, in Liebe davor hinzufnien, 
Sie find beraubt, unmenſchlich, frevelhaft? 





195 


Benthefilen. 
Haft du das nicht gewußt? 
illes 


(indem er fein mitte an ihre Bruft briüdt). 
D Königin! 
Der Sit der ungen, lieblihen Gefühle, 
Un eines Her barbarif id — 
Benthefilen. 


Sei ganz ruhig. 
Sie retteten in diefe Linke fich, 
Wo fie dem Herzen um fo näher wohnen. 
Du mirft mir, hoff’ ich, deren keins vermiſſen. 
Adilles,. 
Fürwahr! ein Traum, geträumt in Morgenftunden, 
Scheint mir wahrhaft’ger, als der Augenblid, 


Doch weiter. 
Benthefilen, 
Wie? 


Du Bit en Shluß noch ſchuldig. 
Denn diefer überjtolze Gerne, 
Der ohn' der Männer Hülf entitand, tie pflanzt er 
Du ohne ga f ih der Männer fort? 
at euch Deukalion von Zeit zu Bei 
feiner Schollen Eine häuptlings zu. 
Benthefilen. 
oft nach jährlichen Derechnungen 
Dr öni gin dem Staat erjegen will 
Was ihr d er Tod entrafft, ruft. fie die blühendſten 


Der Frauen — 
(Stodt und ſieht ibn an) 


Warum lächelſt du? 
Adilles,. 
Wer? Ih? 
Benthefilen. 
Mich dünkt, du lächelft, Lieber. 
Adilles. 
— Deiner Schöne. 
30 mar zerftreut — vergieb — Ich dachte eben, 
Ob du mir au8 dem Monde niederftiegft? 
Benthefiten (nad) einer Baufe). 
2 oft nad) jährlichen Berechnungen 
Die Königin, was ihr der Tod entrafft, 
Dem Staat erfegen will, ruft fie die (ühndften 
Der Fraun von allen Enden ihres Reichs 13% 


Das erzene Gewand der 


196 


Nah Themiscyra bin, und fleht im Tempel 
Der Artemis auf ihre jungen Schöße 
Den Segen feufher Marsbefruchtung nieder. 
Ein folches Feft heißt, ftill und weich gefeiert, 
Der blühnden Jungfraun Felt, wir warten ftet3, , 
Bis — wenn das Schneegewand zerhaudt, der Frühling 
Den Kuß drüdt auf den Bufen der Natur. 
Diana heil'ge Priefterin verfügt 
Auf dieß Öcuc (ih in den Tempel Mars, 
Und trägt, am Altar bingeftredt, dem Gott 
Den Wunſch der mweifen Bölfermutter vor, 
Der Gott dann, wenn er fie erhören will, 
— Denn oft beriweigert er's, die Berge geben, 
Die ſchneeigen, der Nahrung nicht zu viel — 
Der Gott zeigt und durch feine Priefterin 
Ein Boll an, keuſch und herrlich, das ftatt feiner 
Als Stellvertreter uns erfcheinen fol. 
Des Volkes Nam’ und Wohnfig ausgefprocden, 
Ergebt ein Jubel nun durch Stadt und Land. 
Marsbräute werden fie begrüßt, die Sungfraun, 
Beſchenkt mit Waffen von der Mütter Hand, 
Mit Pfeil und Dold, und allen Gliedern fliegt, 
Bon emfgen Händen jauczend rings bedient, 
Gochzeit an. 

Der I Tag der Reife wird beftimmt, 
Gedämpfter Tuben Klang ertönt, es PEN t 
Die Schaar der Mädchen flüfternd fich zu ® 
Und till und heimlich, wie auf wollnen Sohlen, 
Geht’8 in der Nächte Glanz duch Thal und Wald 
zum Lager fern der Auserwählten hin. 

a8 Land erreicht, ruhn wir an Jeiner Pforte 
Uns noch zwei Tage, Thier und Menſcheu, aus: 
Und wie die feuerrothe Windsbraut brechen 
Wir plöglic in den Wald der Männer ein, 
Und wehn die Neifften derer, die da fallen, 
Wie Samen, wenn die .Wipfel fich zerichlagen, 
In unfre beimatlichen Yluren bin. 
gier pflegen wir im Tempel Dianas ihrer 

uch heil’ger Fefte Reih'n, von denen mir 
Bekannt Nichts als der Name Rofenfeft, 
Und denen fich bei Todesſtrafe Niemand 
Als nur die Schaar der Bräute nahen darf — 
Dis uns die Saat felbft blühend aufgegangen; 
Beichenten fie wie Könige zufanımt, . 
Und ſchicken fie am Felt der reifen Mütter 
Auf ftolzen Practgefchirren wieder heim. 








197 


Dieß Feſt dann freilich it das frohfte nicht, 

Neridenfohn — denn viele Thränen fließen, 

Und mandes Herz, von düfterm Gram ergriffen, „. - 

Begreift nicht, wie die große Tanais Mena 

In jenem erſten Wort zu preifen ſei. — 

Was träumft du? 
2 Achil les. 


theſilea. 
al 


Achilles Gerfreut). 
Geliebte, mehr, 
Als id in Worte eben faſſen kann. 
— Und auch mid) denfft du alfo zu entlafjen ? 
enthefilen, 


* 
Ich weiß nicht, Lieber. Frag mich nicht. — 
Achilles. 
Traun! Seltſam. — 
(Er verſinkt in Nachdenken.) 


Doch Einen Aufſchluß noch gewährſt du mir. 
Pentheſilea. 
Sehr gern, mein Freund. Sei dreiſt. 


Achilles, 
. Wie faß ich es, 
Daß du gerade mic) fo heiß verfolgteft? 
Es ſchien, ich ſei befannt dir. 
Benthefilen. 
Allerdings. 
Achilles. 
Wodurch? 
Penthefilen 


5 . 
Wilft du der Thörichten nicht Lächeln ? 
Achilles (lädelnd). 
Ich weiß nicht, fag’ ich jegt, wie du. 
Benthefilen, 
Du ſolſſs erfahren. — Sieh, ich hatte (dem 
u fo erfahren. — Steh, ich hatte ſchon 
Das heitre Felt der Roſen zwanzig Mal 
Erlebt und drei, und immer nur von fern, 
Wo aus dem Eichenwald der Tempel ragt, 
Den frohen Jubelſchall gehört, als Ares 
Bei der Dtrere, meiner Mutter, Tod, 
Zu feiner Braut mich auserfor. Denn die 
Prinzejfinnen aus meinem Königshaus, 


193 


Sie miſchen nie aus eigener Bewegung 

Sich in der blühnden Aungiraun eſt; der Gott, 
Begehrt er ihrer, ruft fie würdig auf 

Dur feiner großen Oberprieftrin Mund. 

Die Mutter lag, die bleiche, fcheidende, 

Mir in den Armen eben, als die Sendung 

Des Mars mir feftlih im Palaft erjchien, 

Und mich berief, nad) Troja aufzubrechen, 

Um ihn von dort befränzt heranzuführen. 

Es traf fih, daß fein Stellvertreter je 

Ernannt noch ward, willflommener den Bräuten, 
Als die Helenenftämme, die fi) dort umkämpften. 
An allen Eden hörte man erjauchzend, 

Auf allen Märkten hohe Lieder fchallen, 

Die des Hero'nkriegs Thaten feierten: 

Bom Parısapfel, dem Helenenraub, 

Bon den gejchwaderführenden Atriden, 

Bom Streit um Brifeis, der Schiffe Brand, 
Auh von Patroklus Tod, und melde Pracht 

Du des Triumphes rächend ihm gefeiert; 

Und jedem großen Auftritt diefer Zeit. — 

In Thränen ſchwamm ich Jammerpolle, hörte 
Mit halbem Ohr nur, was die Botfchaft mir 
In der Otrere Todesftunde bradite; 

„Laß Fa dir bleiben”, rief ih, „meine Mutter, 
Dein Anfehn, brauch e8 heut zun legten Mal, 
Und heiße diefe rauen wieder gehn.“ 

Doch [er die würd’ge Königin, die längft 

Mich ſchon ins Feld gewünſcht — denn ohne Erben 
Mar, wenn fie ftarb, der Thron und eines andern 
Ehrgeiz’gen Nebenftammes Augenmerk — 

Ste fagte: „Geh, mein füßes Kind! Mars ruft dich! 
Du mirft den Peleiden dir befränzen! 

Werd eine Mutter, ftolz und froh wie ih” — 
Und drüdte fanft die Hand mir, und verjchied. 


Brothoe. 
So nannte fie den Namen dir, Otrere ? 
Benthefilen. 
Sie nannt’ ihn, Prothoe, wie's einer Mutter 
Wohl im Bertraun zu ihrer Tochter ziemt. 


Achilles. 
Warum? Weshalb? Verbeut dieß das Geſetz? 
Pentheſilea. 
Es ſchickt ſich nicht, daß eine Tochter Mars 
Sich ihren Gegner ſucht; den ſoll ſie wählen, 





199 


Den ihr der Gott im Kampf erfcheinen läßt. — 
Doch wohl ihr, zeigt die Strebende ſich da, 
Wo ihr die Herrlichiten entgegenftehn. 
Nicht, Prothoe ? 

Prothoe. 


So iſts 
Achilles. 
Nun? 
Peuntheſilea., 
| Lange weint’ ich, 
Durd einen ganzen fummervollen Mond 
An der Verblichuen Grab, die Krone felbft, 
Die herrenlos am Rande lag, nicht greifend, 
Bis mid zulegt der wiederholte Auf 
Des Volks, das den Palajt mir ungeduldig, 
Bereit zum Kriegeszug, umlagerte, 
Gewaltſam auf den Thron riß. Ich erfchien, 
Wehmüthig ftrebender Gefühle voll, 
Im Tempel Mars; den Bogen gab man mir, 
Den Elircenden, des Amazonenreidh8: 
Mir war, als db die Mutter mich umfchmebte, 
Da ich ihn griff, nichts ſchien mir heiliger, 
Als ihren legten Willen zu erfüllen. 
Und da ih Blumen noch, die duftigften, 
Auf ihren Sartophag geftreut, brach ich 
Jetzt mit dem Heer der Amazonen auf 
Nah der Dardanerburg — Mars weniger, 
Dem großen Gott, der mid) dahin geruien, 
ALS der Dtrere Schatten zu Gefallen. 


Achilles. 
Wehmuth um die Verblichne lähmte flüchtig 
Die Kraft, die deine junge Bruft fonft ziert. 


Benthefilen, 

Ich liebte fie, 
Achilles. 
Nun? Hierauf? — 
Penthefilen. 
In dem Maße, 

As ich mich dem Skamandros näherte, 
Und alle Thäler rings, die ich durchraufchte, 
Bon dem Trojanerftreite wiederhallten, 
Schwand mir der Schmerz, und meiner Seele gieng 
Die große Welt des heitern Krieges auf. 
Ich dachte jo: Wenn fie fi allzufammt, 
Die großen Augenblide der Gefchichte, 


200 


Mir wiederholten, wenn die ganze Schaar 

Der Helden, die die hohen Lieder feiern, 

gerab mir aus den Sternen ftieg’, ich fände 
och feinen ZTrefflichern, den ich mit Nofen 

Bekränzt', al3 ihn, den mir die Mutter auserfehn — 

Den Lieben, Wilden, Süßen, Schredlichen, 

Den Ueberwinder Heltors! O Belide! 

Mein ewiger Gedanke, wenn ich wachte, 

Mein ew’ger Traum warſt du! die ganze Welt 

Tag mie ern ausgeſpanutes Mufterneg 

Bor mir; in jeder Mafche, weit und groß, 

War deiner Thaten Eine eingefchürzt, 

Und in mein Dee wie Seide weiß und Klar, 

Mit Slammenfarben jede brannt ich ein. 

Bald ſah ich dich, wie du ie niederjchlugft, 

Bor Ilium, den flücht’gen Priamiden; 

Wie du, entflammt von hoher Siegerlufl, 

Das Antlitz wandteft, während er die Scheitel, 

Die blutigen, auf nadter Erde jchleifte; 

Wie Priam fleh’nd in deinem Zelt erſchien — 

Und heiße Thränen meint’ ich, wenn ich dachte, 

Daß ein Gefühl od, Unerbittlicher, 

Den marmorharten Bufen dir durchzudt. 


Achilles. 
Geliebte Königin! 
Benthefilen. 

Wie aber ward mir, 
D Freund, als ich dich felbft erblidte! — 
Als du mir im Skamandrosthal erſchienſt, 
Bon den Heroen deines Volks umringt, 
Ein Tagsftern unter bleichen Nactgeitienen! 
Sp müßt’ e8 mir geweſen je, wenn er 
Unmittelbar mit feinen weißen Roffen 
Bon dem Diymp herabgedonnert wäre, 
Mars felbft, der Seriegsgott, feine Braut zu grüßen! 
Geblendet ftand ich, als du jeßt entmwichen, 
Bon der Erjheinung da — wie wenn zur Nachtzeit 
Der Bli vor einen Wandrer fällt, die Pforten 
Elyfiums, des glanzerfüllten, raſſelnd 
Bor einem Geit fih öffnen und verſchließen. 
Im Augenblid, Pelid', errieth ich es, 
Bon mo mir das Gefühl zum Buſen rauſchte; 
Der Gott der Liebe hatte mid) ereilt. 
Doch von zwei Dingen fchnell befchloß ich Eines: 
Did zu gewinnen, oder umzukommen; 


201 
Und jest ift mir das Süßere erreicht. 
— — lien du? i i 
(Man hört ein Waffengeräufch in der Ferne.) 
Prothoe, (heimlich). 
Götterſohn! Ich bitte dich. 
Du mußt dich augenblicklich ihr erklären. 
Benthefilen (aufbrechend). 
Argiver nahn, ihr Fraun! Erhebt euch! 
Achil les (fie Haltend). . 
Ruhig! 


Es find Gefangne, meine Königin. 
Benthefilen. 
Gefangene? u 


rothse 
(Keimlih zu Achilles). 
Es ift Ulyß, beim Styr! 
Die Deinen, heiß gedrängt von Meroe, weichen! 
Achilles 
(in den Bart murmelnd). 
Daß fie zu Felſen ftarrten! 
Benthefilen. 
Sagt! was giebt3 ? 
Achilles 
(mit gezwungener BDeiterfeit). 
Du ſollſt den Gott der Erde mir gebären! 
Promethen⸗ ſoll von ſeinem Sitz erſtehn, 
nd dem Geſchlecht der Welt verkündigen: 
gier ward ein Menſch, fo hab ich ihn gewollt! 
oh nicht nach Temiscyra folg ich dir, 
Bielmehr du nach der blühnden Phthia mir: 
Denn dort, wenn meines Volkes Krieg bejchloifen, 
Führ’ ich Dich jauchzend hin, und jete dich, 
Ich Seliger, auf meiner Bäter Thron. 
(Das Seräufd dauert fort.) 
Penthefilen. . 
Wie? was? Kein Wort begreif ih — 
Die Frauen (unruhig). 
All ihr Götter! 
Prothoe. 
Neridenſohn! willſt du —? 
Pentheſilea. 
Was iſts? was giebts denn? 
Achilles. 
Nichts, Nichts, erſchrick nicht, meine Königin, 


Un 


202 


Du ſiehſt, es drängt die Zeit, wenn du nun hörſt, 
Was über dich der Götter Schaar verhängt. 
mar dur die Macht der Yiebe bin ich dein, 

nd ewig diefe Banden trag’ ich fort; 
Doch durch der Waffen Glüd gehörft du mir; . 
Dift mir zu göben, ZTreffliche, gejunfen, 
ALS wir im Kampf uns trafen, nicht ich dir. 


enthefilen (A aufraffend). 
Entfeglier! _ peuthef m 


Achilles. 
Ich bitte dich, Geliebte! 
Kronion ſelbſt nicht ändert, was geſchehn. 
Beherrſche dich, und höre wie ein Felſen 
Den Boten an, der dort, wenn ich nicht irre, 
Mit irgend einem Unheilswort mir naht. 
Denn dir, begreifſt du wohl, dir bringt er Nichts, 
Dein Schickſal iſt auf ewig abgeſchloſſen; 
Gefangen biſt du mir, ein Höllenhund 
Bewacht dich minder grimmig als ich dich. 
PBenthefilen. 
Ich die Gefangne dir? 
Prothoe. 


So iſt es, Königin. 


Pentheſilea 
(die Hände aufhebend). 


Shr ew’gen Himmelsmächt’! euch ruf’ ich auf! 





Sechzehuter Auftritt. 


Gin Hauptmann tritt auf. Dad Gefolge des Achilles mit feiner Rüſtung. 
Die Dorigen. 
Achil les. 
Was bringſt du mir? 
Der Hanptmann. 
Entferne dich, Belidel 
Das Schlahtglüd Iodt, das wettermendifche, 
Die Amazonen flegreic) wieder vor; 
Jut dieſen Platz hier ſtürzen ſie heran, 
ihre Loſung iſt: Pentheſilea! 


Achilles 
(ſteht auf und reißt ſich die Krünze ab). 
Die Waffen mir herbei! Die Ferde vor! 
Mit meinem Wagen rädern will ich ſie! 


203 


enthefilen 
* tbe Lippe). 


Nein, ſieh den Schrecklichen! Iſt das derſelbe? — 
gilles (wild). 
Sind fie noch weit von bier 
Der Hauptmann. 
Diet in dem Thal 
Erblidft du ihren goldnen Halbmond fchon. 


Achilles 
(indem er ſich rüftet). 


Ein Griech e 
Wohin? 

Achilles. 

Ins Griechenlager; 
In wenig Angenbliden folg ich euch. 
Der Grieſche (u Bentzefllen). 

Erhebe did. 

Prothee, 

D meine Er | 


Benthefilen (anfer id). 
Mir keinen Blitz, Zeus, fendeit du herab! 


Bringt fie hinweg! 





Siebenzehnter Anftritt. 


Alyfes und Diomedes mit dem Herr. Die Borigen. 


Diomedes 
(über Nie Bühne ziehend). 
Bom Flag bier fort, Doloperheld! Vom Flate: 
Den einz'gen Weg, der dir nog offen bleibt, 
Den ſchneiden dir die Frauen eben ab. 
Hinweg! (as. 


Ulyſſes. 
Schafft dieſe Kön'gin fort, ihr Griechen. 
Achilles (um Hauptmann). 
Aleris! thu mir den Gefallen. Hilf ihr. 
Der Griede Gum Oaupimany). 
Sie regt ſich nicht. 
Achilles 
(zu den Griechen, die ihn bedienen). - 
Den Schild mir her! den Spieß! 
(Aufrufend, da ſich die Königin firäubt ) 


Pentheſilea! 


204 


Benthefilen, 
D Neridenfohn! 
Du willſt mir nicht nach Themischra folgen? 
Du willſt mir nicht zu jenem Tempel folgen, 
Der aus den fernen Eichenwipfeln ragt? 
Komm ber, ich fagte dir noch Alles nicht — 
Achilles 

(nun völlig gerüftet, tritt vor fie Bin, und reicht ihr die Hand). 
Nah Phthia, Kön’gin. Ä 
futhegit en. 
! — Nah Themischra! 
D Freund! Nah Themischra, jag ich dir, 
Wo Dianas Tempel aus den Eichen ragt! 
Und menn der Seel’gen Sitz in Phthia wäre, 
Doch, doch, o Freund! nad Themischra noch, 
Wo Dianas Tempel aus den Wipfeln ragt! 

Achilles 
(indem er fie aufhett). 

Co mußt du mir vergeben, Theuerfte; 
Ich bau dir ſolchen Tempel bei mir auf. 


Adtzehuter Auftritt, 
Beroe, Aſteria mit dem Heer der Amazonen treten auf. Die Vorigen. 


Meroe. 
Schlagt ihn zu Boden! 


Achilles 
(läßt die Königin fahren und wendet fidh). 
Reiten fie guf Stürmen? 


Eine Amnzone 
(fi zwiſchen Pentheſilea und Adilles eindrängend). 


Defreit die Königin! 
Adilles. 


Bei diefer Rechten, fag ih! — 
(Cr will die Königin mit fich fortziehen.) 
Peuthejilen 
(ihn nad fidh jiehend). 
Du folgft mir nicht? folgft nicht? 
(Die Amazonen fpannen ihre Bogen) 
Ulyffes. 
Sort! Rafender! 
Hier ift der Ort nicht mehr, zu trogen. — Folgt! 
(Er reißt den Achill hinweg. Alle ab.) 


205 
Nennzehnter Auftritt. 


Die Oberpricherin ber Diane mit ihren Brieheriunen Die Worigen ohne die 
1 


Die Amazone. 
Triumph! Triumph! Triumph! Sie iſt gerettet! 


Benthefilen (nad einer Pauſe). 
Berflucht fer diefer fchändliche Triumph mir! 
Berflucht jedwede Zunge, die ihn feiert, 
Die Luft verflucht mir, die ihn weiter bringt! 
Mar ich, nach jeder mwilrd’gen Nitterfitte, 
Nicht durch das Glück der Schlacht ihm zugefallen ? 
MWenn das Geſchlecht der Menſchen unter 34 
Mit Wolf und Tiger nicht, im Streite liegt: 
Giebts ein Geſetz, frag ich, in ſolchem Kriege, 
Das den Gefangenen, der ſich ergeben, 
Aus ſeines Siegers Banden löſen kann? 
— Neridenſohn! 
Die Amazone. 
Ihr Götter, hört' ich recht? 
Meroe. 
Ehrwürd'ge Prieſterin der Artemis, 
Tritt näher vor, ich bitte dich — 
Aſteria. 


Sie zürnt, 
Weil wir fie aus der Knechtſchaft Schmach befreiten! 
Die Oberpriefterin 
(aus dem Gewähl ber Frauen berbortretend). 
Nun denn, du fegeft würdig, Königin, 
Mit diefem Schmähungswort, muß ich geftchn, 
Den Thaten diefes Tags die Krone auf. 
Richt bloß, daß du, die Sitte wenig achtend, 
Den Gegner dir im Feld der Schlacht gefucht, 
Nicht bloß, daß du, ftatt ihn in Staub zu werfen, 
Ihm felbit im Kampf erliegft, nicht bloß, daß du 
gum Lohn dafür ihn noch mit Roſen kränzeft: 
u zürnft auch deinem treuen Volke noch, 
Das deine Ketten bricht, du wendeſt did 
Und rufft den Ueberwinder dir zurüd. 
Wohlan denn, große Tochter Tanais, 
So bitt’ ih — ein Verſehn mars, weiter Nichts — 
Für piele raſche That dih um Verzeihung. 
Das Blut, das fie gefoftet, reut mich jekt, 
Und die Gefangnen, eingebüßt un dich, 
MWünfch’ ich von ganzer Seele mir zuriüd. 


206 


ei, in des Volles Namen, fprech’ ich did; 

u kannſt den Fuß jegt wenden, wie du will, 
Kannſt ihn mit flatterndem Gewand ereilen, 
Der dich in Fefleln fchlug, und ihm den Riß, 
Da, wo mir fie zerfprengten, überreichen: 

Alfo ja wills daS heil’ge Friegzaeſer! 
Uns aber, uns vergönnſt du, Königin, 
Den Krieg jegt aufgugeben, und den Fuß 
Nah Themischra wieder heimzuſetzen; 
Wir mindeftens, wir können jene Griechen, 
Die dort entfliehn,. nicht bitten ſtillzuſtehn, 
Nicht, fo wie du, den Siegskranz ın der Hand, 
Zu uufrer Füße Staub fie nieder flehn. 
. (Baufe.) 

Benthefilen (wantend). 
Prothoe! 

Prothoe. 


Mein Schweſterherz! 
Pentheſilea. 
Ich bitte dich, bleib bei mir! 


Brothoe. 
Im Tod, du weißt — — Was bebft du, meine Königin? 
| Benthefilen. 
Nichts, es ift Nichts, ich werde gleich mich fammeln. 


Prothoe. 
Ein großer Schmerz traf dich; begegn' ihm groß. 
Benthefilen, 
Sie find verloren? 
Prothoe. 
Meine Königin? 
Benthefilen. 
Die ganze junge Prachtſchaar, die wir fällten? — 
Gie Anda durch mich? 


Prothoe. 
Beruh'ge dich. Du wirſt ſie 
In einem andern Krieg uns wieder ſchenken. 


O niemals! Bentheftlen (an ihren Buſen). 
niemals! 
Prothoe. 


Meine Königin? 
Benthefilen. 
niemals! 
Ich mil in ew'ge Finfterniß mich bergen! 


I 








207 


\ Zwanzigfter Auftritt. 
Ein Herold tritt auf. Die Borigen. 
Meroe. 
Ein Herold naht dir, Königin! 
Afteria. 
Was willit du? 


enthefilen (mit ſchwacher Freude). 
Bon dem Beliden! — Ach, was werd ich hören? 
Ah, Prothoe, heiß ihn wieder gehn! 


Prothoe. 
Was bringſt du? 
Der Herold, 
Mich fendet dir Achilleus, Königin, 
Der ſchilfumkränzten Nereide Sohn, 
Und läßt durh meinen Mund dir fündigen: 
Weil dich Gelüft treibt, als Gefangnen ihn 
Nach deinen Heimatsfluren abzuführen, 
Ihn aber auch hinwiederum Geltift, 
Nach jeinen heimatlichen Fluren dich: 
So fordert er zu Kampf auf Tod und Leben 
Noch Einmal dich ins Feld hinaus, auf daß 
Das Schwert, des Schidjals ehrne Zung’, entfcheide 
RN der gerechten Götter Angeficht, 
er würdig fei, du oder er, von Beiden, 
Den Staub nad ihrem heiligen Beſchluß 
u feines Gegners Süßen aufzuleden. 
aft du's auf folchen Strauß zu wagen Luft? 
Benthefilen 
, (mit einer fliegenden Bläffe). 
Laß dir vom Wetterftrahl die Zunge löfen, 
Berwünfchter Redner, eh du wieder ſprichſt! ) 
ört’ ich doch einen Sandblock iuft fo gern, lv 
nblaien Falls, bald — bald dort anſchmetternd, 
Dem klafternhohen Yel enziß entpoltern. 
Gu Brote) Du mußt e8 Wort für Wort mir wiederholen. 
Prothoe Gitternd). 
Der Sohn des Peleus, glaub id, ſchickt ihn ber, 
Und fordert dich aufs Feld hinans; 


Verweigre kurz dich ihm, und fage Nein. 
Benthefilen. 
Es ift nicht möglich! 
Brothoe 


Meine Königin? 


208 


Benthefilen. 
Der Sohn des Peleus fordert mich ins Feld ? 


Prothoe. 
Sag ich dem Mann gleich Nein, und laß ihn gehn? 
Pentheſilea. 
Der Sohn des Peleus fordert mich ins Feld? 


Prothoe. 
Zum Kampf ja, meine Herrſcherin, ſo ſagt' ich. 
Benthefilen. 
Der mich zu ſchwach weiß, fich mit ihm zu meflen, 
Der ruft zum Kampf mich, Prothoe, ind Zeld ? 
gier diefe treue Bruft, fte rührt ihn erft, 
enn fie fein fcharfer Speer zerjchmetterte? 
Was ich ihm zugeflüftert, hat fein Ohr 
Mit der Muſik der Rede bloß getroffen ? 
Des Tempel unter Wipfeln denkt er nicht, 
Ein fteinern Bild hat meine Hand befränzt? 
Prothoe. 
Vergiß den Unempfindlichen. 
Pentheſilea (Gluhend). 
Nun denn, 
So ward die Kraft mir jetzo, ihm zu ſtehen: 
So ſoll er in den Staub herab, und wenn 
Lapiten und Giganten ihn beſchützten! 
Prothoe. 
Geliebte Königin — 
Meroe. 
Bedenkſt du auch? 
Benthefilen (fie unterbrechend). 
Ihr follt all die Gefangnen wieder haben! 
| Der Herold, 
Du wilft im Kampf did —? 
Bentheftlen, 
Stellen will ih mid: 
Er fol im Angefiht der Götter mid, 
Die Furien auch ruf’ id) herab, mich treffen! 
(Der Donner rollt.) 
Die Oberpriefterin, 
Wenn dich mein Wort gereizt, Penthefilca, 
So wirft du mir den Schmerz nidt — 
| Benthefilen 
(ihre Thränen unterbrüdend). 
Laß, du Heilige! 
Du folft mir nicht umfonft gefprochen haben. 


209 


Meroe. 
Ehrwärd’ge Priefterin, dein Anjehn brauche. 
Die Oberpriefterin. 

Hörft du ihn, Kön’gin, der dir zürnt? 

Benthefilen. 

Ihn ruf id 

Mit allen feinen Donnern mir herab! 

Erfte Oberfte (in Bewegung). 
Ihr Fürſtinnen — Ba 


Die Zweite, 
Unmöglich ifts! 
Die Dritte. 
Es Tann nicht! 
Benthefilen (mit zudender Wildheit). 
Herbei, Ananke, Yührerin der Hunde! 


Erfte Oberſte. 
Wir find zerftreut, gefhwäht — 
Die Zweite. 
Wir find ermüdet — 
Benthefilen. 
Du, mit den Elepbanten, Thyrrhoe! 
Prothoe. 
Ksnigin! 
Willſt du mit Hunden ihn und Elephanten — 
Pentheſilea. 
Ir Sicelme en, kommt, ihr blintenden, 
ie ihr des Schlachtfeld8 Erntefeft beftellt, 
Kommt, kommt in gräul’gen Säymitterreihn dene 
Und ihr, die ihr der Menſchen Saat zerdreicht, 
Daß Halm und Korn auf ewig untergehen, 
hr Reuterſchaaren, ftellt euh um mich her! 
u ganzer Schredenspomp des Kriegs, dich ruf' ich, 
Bernichtender, entjeglicher, herbei! 
(Sie ergreift dem großen Bogen aus einer Amazone Hand.) 
(Amazonen mit Menten geloppelter Hunde. Gpäterhin Elephanten, Tyenerbrände, 
Sichelwagen u. f. w.) 
Prothoe. 
Geliebte meiner Seele! Hoͤre mich! 


Benthefilen 
(fi zu deu Hunden wendend). 


Auf, Tigris, jest, dich brauch ich! Auf, Rene! 
Je , mit der Zoddelmähne du, Melampus! 
u 


, Akle, die den Fuchs erhaſcht, auf, Sphinrx, 
Bibl. d. d. Natioualliteratur. Kleift. 11. 14 


210 


Und der die Hirſchkuh übereilt, Alektor, 

Auf, Orus, der den Eber niederreißt, 

Und der dem Leuen nicht erbebt, Hyrkaon! 
(Der Donner rollt Heftig.) 


Brothoe. 
O! ſie ift außer ſich! 
Erſte Oberſte. 
Sie iſt wahnſinnig! 
Benthefilen 


(tniet nieder, wit allen Zeichen des er während die Hunde ein gräßlidye® 
Beheul anftimmen). 


Dih, Ares, ruf ich jest, dich Schredlichen, 
Dich, meines Haufes hohen Gründer, an! 
Dh! deinen erznen Wagen mir herab: 
Wo du der Städte Mauern aud und Thore 
Zement, Bertilgergott, gefeilt in Straßen, 
ee Menfchen Reihen jett auch niedertrittit: 

Oh! deinen erznen Wagen mir herab! 
Daß ich den Fuß in feine Mufchel fete, 
Die Zügel greife, durch die Felder rolle, 
Und wie ein Donnerleil aus MWetterwolfen, 
Auf diefes Griechen Scheitel niederfalle! 

(Sie ſteht auf.) 
| Erfte Oberfte. 
Ihr Fürftinnen! 

Die Zweite, 


Auf! wehrt der Rafenden! 


Brothoe, 
Hör, meine große Kön’gin, mid! 
enthefilen 
(indem fie den Bogen fpannt). 
Et, Inftig! 
So muß ich fehn, ob mir der Pfeil nod trifft. 
(Sie legt auf: Prothoe an.) 


hr Himmliſchen! Prothoe (niederfürzend). 
r Himmliſchen! 
Eine PBriefterin 


(indem fie fid) rafch hinter die Königin fteilt). 
Achill ruft! 
Eine Zweite (ebenfo). 
Der Belide! 
Eine Dritte, 
Hier fteht er hinter dir! 
Benthefilen (wendet fi). 
Wo? 





211 


Die erfte Briefterin. 
' War ers nicht? 
Benthefilen. 
Nein, bier find noch die Furien nicht verfammellt. 
Folg mir, Anankel Folgt, ihr Anderen! 
(Ab mit dem ganzen Kriegstroß unter heftigen Getoitterfchlägen.) 


Meroe 
(Indem fie Prothee aufhebt). 


Die Gräßliche! 
Aſteria. 
Fort! Eilt ihr nach, ihr Frauen! 
Die Oberpriefterim (eichenbleich). 


Ihr Ew'gen! mas bejchlogt ihr fiber uns? 
(Ale a6.) 





Cinundzwanzigfter Auftritt. 
Aqchilles, Diomedeß treten anf. Gpäterhin Wiyfiles, zuletzt der Herold. 
Adilles, 
ör, thu mir den Gefallen, Diomed, 
nd fag dem GSittenrichter Nichts, dem grämlichen 
Odyß, von dem, was ich dir anvertraue; 
Dir widerftehts, e8 macht mir Uebelkeiten, 
Denn ich den Zug um feine Lippe fehe. 
Saft h Herold ih — 
aſt du den Herold ihr geſandt, Pelide 
Iſts wahr? Iſts wirflich® 
Sa mil die fagen, Sreunb 
will dir fagen, Freund: 
Du aber, du erwiederft Nichts, verftehft du? 
Gar Nichts, kein Wort! — Dieß wunderbare Weib, 
gelb Zurie, halb Grazie, fie liebt mid — 
nd allen Weibern Hellas ich zum Trotz, 
Deim Styr! beim ganzen Hades! — ich fie auch. 
Diamedes,. 
Was! 


Achilles. 

Ja. Doch eine Grille, die ihr heilig, 
Wil, daß ich ihrem Schwert im Kampf erliege; 
Ch nicht in Liebe Tann fie nich umfangen. 
Nun Shit ih — 

Diomedes, 


Raſender! 
14* 


212 


Achilles. 
Er hört mich nicht! 
Mas er im Weltkreis noch, fo lang er lebt, 
Mit jeinem blauen Auge nicht gefehn, 
Das kann er in Gedanken auch nicht faffen. 
Diomedeß, 
Du willſt? — Nein, fprih! du willſt? — 
Achilles (nad einer Pauſe). 


J Was alſo will ich? 
Was iſts, daß ich ſo Ungeheures will? 
Diomedes. 
Du haſt ſie in die Schranken bloß gefordert, 
Um ihr 


Achilles. 
Beim wollenrüttelnden Sroniden, 

Sie thut mir Nichts, fag’ ich! Eh wird ihr Arm 

Im Zweikampf gegen ihren Buſen wüthen, 

Und rufen: „Sieg!“ wenn er vom Hegelut trieft, 

Als wider mich! — Auf einen Mond bloß will ich ihr, 
In dem, was ſie begehrt, zu Willen ſein; 

Auf einen oder zwei, mehr nicht: das wird 

Euch ja den alten, meerzerfreßnen Iſthmus 


Nicht gleich zufammenftürzen! — Frei bin ich dann, 
Wie aus ihrem eignen Munde weiß, 
Wie Wild auf Haiden wieder; und folgt ſie mir, 


Beim Jupiter! ich wär' ein Seliger. 
Könnt ich auf meiner Väter Thron ſie ſetzen. 
(Iyſſes Tommt.) 


Diomedes. 
Komm her, Ulyß, ich bitte dich. 
Ulyſſes. 
Pelide! 
Du haſt die Königin ins Feld gerufen; 
Willſt du, ermüdet, wie die Schaaren find, 
Bon Neu'm das oftmißlungne Wagftiid wagen? 


Diomedes. 

Nichts, Freund, von Wageſtücken, Nichts von Kämpfen! 
Er will ſich bloß ihr zum Gefangnen geben. 

Ulyſſes. 
Was? u 

agillee 

(das Blut ſchießt ihm ins Geſicht). 
The mir dein Geficht weg, bitt ich dich! 














213 


WUlnffes. 
Er will? — u 
Diomedes. 


Du hörſt's, ja! ihr den Helm zerkeilen; 
Gleich einem Fechter grimmig ſehn und wütben; 
Dem Schild aufdonnern, daß die Funken fprühen, 
Und flumm ſich, als ein Uebermundener, 

Zu ihren Heinen Füßen niederlegen. 


umifeR. 
Iſt diefer Mann bei Sinnen, Sohn des Peleus? 
Haft dur gehört, was er — 

Ach il les (fh zuruchaltend). 


Ich bitte dich, 
alt deine Oberlippe feſt, Ulyß! 
8 ftedt mich an, bei den gerechten Göttern! 
Und bis zur Fauſt gleich zudt es mir herab. 


Ulyffes (win). 
Bei dem Kochth, dem feur’gen! willen will ich, 
Db meine Ohren hören, oder nicht! 
Du wirft mir, Sohn des Tydeus, bitt ich, jetzt 
Mit einem Eid, dag ich aufs Reine komme, 
Bekräftigen, was ich dich fragen werde. 
Er will der Kön’gin fi) gefangen geben? 


Diomedes. 
Du börfts! 
Wlyffes. 
Nah Themiscyra will er gehn? 
So iſts Diomedes. 
o iſts. 
Ulyſſes. 


Und unſeren Helenenſtreit 
Bor der Dardanerburg, der Sinnentblößte, 
Den will er wie ein Kinderſpiel, weil f 
Was anderd Buntes zeigt, im Stiche lafien? 
Diomedes, 
Beim Jupiter! ich ſchwörs. 


Ulyſſes 
(indem er die Arme verſchrunkt). 
— Ich kanns nicht glauben. 


Achilles. 
Er ſpricht von der Dardanerburg. 


Ulnffes. 
ie Mas? 


214 
Achilles. 
Ulnffes. 


Mid dünkt, du ſagteſt was. 
Achilles, 
Ich? 


Was? 


Niyifes. 
yfie Du! 


Achilles. 94 | 
agte: 
Er fpricht von der Dardanerburg. 3 
Ulyffe8. - 
Nun, ja! 
Wie ein Beſeßner fragt’ ich, ob der ganze 
elenenftreit vor der Dardanerbur 
lei einem Morgentraum vergeften ſei? 
Achilles 
(indem er ihm näher tritt). 
Wenn die Dardanerburg, Laertiade, 
Berfänte, du NM, o daß ein Eee, 
Ein bläulicher, an ihre Stelle träte; 
Wenn graue Fifcher bei dem Schein des Monds 
Den Kahn an ihre Wetterhähne Inlipften; 
Wenn im Balaft des Priamus ein Hecht 
Regiert', ein Ottern⸗ oder Ratzenpaar 
m Bette ſich der Helena umarmten, 
o wärs für mich gerad fo viel als jet. 


Ulyffes,. 
Beim Styr! es ift fein voller Ernſt, Tydide! 


Achilles. 
Beim Styr! bei dem Lernäerfumpf! beim Hades! 
Der ganzen Oberwelt und Unterwelt, 
Und jedem dritten Ort: es ift mein Ernſt; 
Ich will den Tempel der Diana fehn! 
Ulyffes (Halb ihm ins Ohr). 
Laß ihn nicht von der Stelle, —* 
Wenn du jo gut willſt fein. 
Diomedes, 
Weaenn ich — ich glaube! 
Sei doch fo gut, und leih mir deine Arme. 
(Der Hereld tritt auf.) 


Achilles. 
Sal Stellt fie ih? Was bringft du? Stellt fie fi? 





215 


. Der Herold. 
Sie ftellt fi, ja, Neridenfohn, fie nahet ſchon; 
Jedoch mit Hunden auch und Elephanten, 
Und einem ganzen wilden Reutertroß: 
Was die beim Zmeilampf jollen, weiß ich nicht, 
Achilles. 
Gut. Dem Gebrauch war ſie das ſchuldig. Folgt mir! 
— O ſie iſt liſtig, bei den ew'gen Göttern! 
— Mit Hunden, ſagſt du? 
Der Herold. 
a. 
Achilles. 
Und Elephanten ? 
Der Herold. 
Daß e8 ein Schreden tft, zu ſehn, Pelide! 
Gält' es jet die Atreiden anzugreifen 
Im Lager vor der Zrojerburg, He Önnte 
In Feiner finftrern Gräuelrüjtung nahn. 
j Achilles (in den Bart). 
Die freiien aus der Hand, wahrſcheinlich — Yolgt mir! 
D! die find zahm wie fie. 
(Ab mit dem Gefolge.) 


Diomedes, 
Der Rafende! 


Ulyſſes. 
Laßt uns ihn knebeln, binden — hört, ihr Griechen! 
Diomedes. 
Hier nahn die Amazonen ſchon — hinweg! 
(Alte ab.) 





Zweinudzwanzigfter Auftritt. 

Die Oberprieſterin bleich im Geficht, mehrere andere Priekerinnen und Ammzonen. 

Die Oberpriefterim. 
Schafft Stride ber, ihr Fraun! 

Die erfte Prieſterin. 

Hochwürdigſte! 

Die Oberprieſterin. 

Reißt ſie zu Boden nieder! Bindet ſie! 


Eine Amazone. 
Meinſt du die Königin? 


216 


Die Oberpriefterin. 
Die Hündin, mein ich! 
Der Menfchen Hände bänd’gen fie nicht mehr. 
Die Amazone, 
Hochheil'ge Mutter! Du ſcheinſt außer dir. 
Die Oberpriefterin. 
Drei Yungfraun trat fie wüthend in den Staub, 
Die wir gejchidt, fie aufzuhalten, Meroe, 
Weil fie auf Knieen fih in den Weg ihr warf, 
Dei jedem füßen Namen fie befhwörend, 
Mit Hunden hat fe die immeggehest. 
ALS ich von fern der Rafenden nur nahte, 
Gleich einen Stein, gebüdt, mit beiden Händen, 
Den grimmerfüllten Blick auf mid) gerichtet, 
Riß de pom Boden auf — verloren war id), 
Wenn ich im Haufen nicht des Volks verfchwand. 
Die erfte Prieſterin. 
Es ift entſetzlich! 
Die Zweite. 
Schrecklich iſts, ihr Fraun. 
Die Oberpriefterin, 
Jetzt unter ihren Hunden wüthet fie, 
‚Mit fhaumbededter Lipp', und nennt fie Schweftern, 
Die heulenden, und der Mänade gleich, 
Mit ihrem Bogen durch die Felder tanzend, 
gest ie die Meute, die mordathmende, 
te fie umringt, das ſchönſte Wild zu fangen, 
Das je die Erde, wie fie jagt, durchſchweift. 
Die Amazone, 
Ihr Orfusgötter! Wie beftraft ihr fte! 
Die Oberpriefterin. 
Drum mit dem Strid, ihr Arestöchter, fchleunig 
Dort auf dem Kreuzweg hin, legt Schlingen ihr, 
Bededt mit Sträuchern, vor der Füße Tritt, 
Und reißt, wenn ſich ihr Fuß darin verfängt, 
Dem mutb etroffnen Hunde gleich fie nieder: 
Daß wir fle binden, in die Seimat bringen, 
Und fehen, ob fie noch zu retten fei. 
DaB Heer der Amazonen 
(außerhalb der Scene). 
Triumph! Triumph! Triumph! Achilleus ftürgt! 
Gefangen ift der Held! Die Siegerin, 
Mit Kofen wird fie feine Scheitel kränzen! 
(Baufe.) 


217 
Die Oberpriefterin 


(mit freudebeflemmter Stimme). 
Hört ih auch recht? 
Die Priefterinnen und Amazonen. 
Ihr hochgepriefnen Götter! 
Die Oberpriefterim, 
War diefes Jubellaut der Freude nicht? 
Die erfte Prieſterin. 
Gefchrei des Siegs, o du Hochheilige, 
Wie noch mein Ohr keins feliger vernahm! 
Die Oberpriefterim, 
Wer fchafft mir Kund’, ihr Jungfraun? 
Die erfie Briefterim. 
Terpi! raſch! 
Sag an, was du auf jenem Hügel fiehft ? 
Eine Amazone 
(die während deſſen den Hügel erfliegen, mit Entfeken). 
Euch, ihr der Hölle grauenvolle Götter, 
Zu Zeugen ruf ich nieder — was erbfid ich! 
Die Oberpriefterin. 
Nun denn — als ob fie die Meduf’ erblidte! 
Die Priefterim. 
Was ſiehſt du? Rede! Sprich! 
Die Amazone 
Pentheſilea, 
Sie liegt, den grimm'gen Yen beigejellt, 
Sie, die ein Menſchenſchooß gebar, und reißt — 
Die Glieder des Achills reißt fie in Stüden! 
Die Oberpriefterim, 
Entfegen! o Entjegen! 
Alle. 
Fürchterlich! 
Die Amazone. 
gier fommt e8, bleich wie eine Leiche, fchon 
as Wort des Gräuelräthfel3 uns herab, 
(Sie fleigt vom Bügel herab.) 





Dreinndzwanzigiter Auftritt. 
Merse tritt auf. Die Borigen. 


Meroe, 
O ihr, der Diana heil’ge Vriefterinnen, 
Und ihr, Mars reine Töchter, hört mich an: 


218 


Die afrikaniſche Gorgone bin ich, 
17 Und wie ihr fteht, zu Steinen ftarr’ ich euch. 


Die Oberpriefterin. 
Sprich, Gräßliche! was ift gefchehn ? 
Meroe. 
Ihr wißt, 
Sie zog dem Jüngling, den ſie liebt, entgegen, 
Sie, die fortan kein Name nennt — 
ge der Verwirrung ihrer jungen Sinne, 
en uni, den glühenden, ihn zu befiten, 
Mit allen hrednilfen der Waffen rüften?. 
Bon Hunden rings umheult und Elephanten, 
Kam jie daher, den Bogen in der Hand: 
Der Krieg, der unter Bürgern raft, wenn er, 
Die blutumtriefte Graungeltalt, einher 
V Mit weiten Schritten des Entſetzens geht, 
Die Fackel über blüh'nde Städte ſchwingend, 
Er ſieht ſo wild und ſcheußlich nicht als ſie. 
Achilleus, der, wie man im Heer verſichert, 
Sie bloß ins Feld gerufen, um freiwillig 
Im Kampf, der junge Thor, ihr zu erliegen: 
Denn er auch — o wie mächtig find die Götter! 
Er liebte fie, gerührt von ihrer Jugend, 
ge Diana’8 Tempel folgen wollt’ er ihr; 
r naht fi K voll Süßer Ahndungen, 
Und läßt die Freunde hinter fich zurüd. 
Doch jest, da fie mit ſolchen Gräulniffen 
Y Auf ihn herangrolit, ihn, der nur zum Schein 
Mit einem Spieß ſich arglo8 ausgerüftet: 
Stugt er, und dreht den jchlanfen Hals, und horcht, 
Und eilt entjegt, und ftugt, und eilet wieder: 
N, Gleich einem jungen Reh, das im Geklüft 
ern das Gebrüll des grimmen Leun vernimmt. 
ruft: Odyſſeus! mit beflemmter Stimme, 
Und fiebt fi fhüchtern um, und ruft: Tydide! 
Und will zuräd noch zu den Freunden fliehn; 
Und eh von feiner Schaar ſchon abgefchnitten, 
Und bebt die Händ, empor, und dudt und birgt 
In eine Fichte fi, der Unglüdjel’ge, 
Die ſchwer mit dunfeln Zweigen niederhäugt. — 
yuswilhen ſchritt die Königin heran, 
ie Doggen hinter ihr, Gebirg und Wald 
so er, gleich einem Jäger, überſchauend; 
nd da er eben, die Gezweige öffnend, 
Zu ihren Füßen niederfinfen will: 





219 


a! fein Geweih verräth den Hirſch, ruft fie, 
hr —* mit Kraft der Rajenden, jo ie 
Den Bogen an, daß fih die Enden tüfen, 
Und hebt den Bogen auf, und zielt und fchießt, 

Und jagt den Pfeil ihm durch den Hals; er flürzt: 

Ein Siegsgeſchrei ſchallt roh im Volk empor. 

gest leichwohl lebt der Aermſte noch der Menſchen, 
en det, den weit vorragenden, im Naden, 

gebt er fi röchelnd auf, und überjchlägt fich, 

nd bebt fich wiederum und will entfliehn; 

Doch, he! jchon ruft fie: Tigris! hetz, Leäne! 
geb, Sphinx! Melampus! Dirke! Heß, Hyrkaon! 

nd ſtürzt — ſturzt mit der ganzen Meut’, o Diana! 
Sich über ihn, und reißt — reißt ihn beim Helmbuſch, 
Gleich einer Hündin, Hunden beigefellt; 

Der greift die Bruft ihm, diefer greift den Naden, 
Daß von dem Fall der Boden bebt, ihn nieder! 
Er, in dem Purpur feines Bluts fi wälzend, 
Rührt ihre fanfte Wange an, und ruft: 

enthefillea! meine Braut! was thuft du? 

ft dieß das Rofenfeft, das du verſprachſt? 

Do fie — die Löwin hätte ihn gehört \ 
Die hungrige, die wild nah Raub umber, 
Auf den Oneegefilben heulend treibt — 
Sie jhlägt, die Rüftung ihm vom Leibe veißend, 
Den Zahn fchlägt fie in feine weiße Bruft, 
Gie und die Hunde, die wetteifernden, 
Drus und Sphinr den Zahn in feine rechte, 
In feine linke fie; — als ich erſchien, 
Troff Blut von Mund und Händen ihr herab. 
(Baufe des Entjeßen®.) 
Bernahmt ihr mich, ihr Fraun, wohlan, jo redet, 
Und gebt ein — eures Lebens mir. 
(Baufe.) 

Die erfte Briefterin 

(am Bufen der zweiten mweinend). 
Solch eine Jungfrau, Hermia! jo fittfam! 
F jeder Kunſt der Hände ſo geſchickt! 

o reizend, wenn ſie tanzte, wenn ſie ſang! 

So voll Verſtand und Würd' und Grazie! 

Die Oberpriefterin. 
D die gebar Ötrere nicht! Die Gorgo 
Hat im Palaſt der Hauptitadt fie gezengt! 

Die erfie Briefterin (fortfahrend). 
Sie war wie von der Nachtigall geboren, 


220 


Die um den Tempel der Diana wohnt. 

Gewiegt im Eichenwipfel faß fie ba, 

Und flötete, und ſchmetterte, und flötete 

Die ftille Nacht dur, daß der Wandrer horchte, 

Und fern die Bruft ihm von Gefühlen ſchwoll. 

Sie trat den Wurm nicht, den gejprentelten, 

Der unter ihrer Füße Sohle fpielte; 

Den Pfeil, der eines Ebers Buſen traf, 

Rief fie zurüd, es hätte fie fein Auge, 

Im Tod gebrohen, ganz zerichmelzt in Rene, 

Auf Knieen vor ihn niederziehen können! 
(Baufe.) 


Meroe. 

Jetzt ſteht ſie lautlos da, die Grauenvolle, 
Bei ſeiner Leich', umſchnüffelt von der Meute, 
Und blicket ſtarr, als wärs ein leeres Blatt, 
Den Bogen ſiegreich auf der Schulter tragend, 
x das Unendliche hinaus, und fchmeigt. 

ir fragen mit gefträubten Haaren fie: 
Was fie gethban? Sie fchmeigt. Ob fie uns Eenne ? 
Sie ſchweigt. Ob fie uns folgen will? Ste ſchweigt, 
Entfegen griff mich, und ich floh zu euch). 





Vierundzwanzigfter Auftritt. 


Pentheſilea. — Die Leiche bed Achiis, mit einem rothen Teppich bededit. — 
Prothse und Andere. 


Die erfte Amazone. 
Geht, jeht, ihr Fraun! — Da fihreitet fie heran, 
Bekränzt mit Neffeln, die Entfeßliche, 
Dem dürren Reif des Hagdorns eingemebt, 
An Lorbeerfhmudes ftatt, und folgt der Leiche, 
Die Gräßlihe, den Bogen feftlich fchulternd, 
Als wärs der Todfeind, den fie überwunden! 

Die zweite Priefterin, 
O diefe Händ’! — 

Die erfte Priefterim. 

D wendet euch, ihr Frauen! 


(der Ob an fintend) 
ee Sberprieflerin au den Buſen end). 
D meine Mutter! 
Die Oberpriefterin (mit Entiegen). 
Diana uf ih an: 
Ich bin an diefer Gräuelthat nicht fehuldig! 


221 


Die erfie Amazone, 
Sie ftellt fi grade vor die Oberpriefterin. 
Die Zweite, 
Sie winket, ſchaut! 
Die Oberprieſterin. 
Fr du Scheußliche! 
Du Hadesbürgerin! Hinweg, ſag id! 
Nehmt diefen Schleier, nehmt, und dedt fie zu. 
(Sie reißt fi den Schleier ab, und wirft ihn der Königin ins Geficht.) 
Die erfte Amazone. 
D die lebend’ge Lei’. Es rührt fie nit! — 
Die Zweite, 
Sie winfet immer fort — 
Die Dritte 
Winkt immer wieder — 
Die Erfte. 
Winkt immer zu der Prieftrin Füßen nieder — 
Die Zweite 
Seht, ſeht! 


Die Oberpriefterin. 
Was willft du mir? Hinmweg, faq ich! 
Geh zu den Raben, Schatten! Fort! Bermefe] 
Du blidft die Ruhe meines Lebens todt. 
Die erfie Amazone. 
Ha! man verfland fie, jeht — 
Die Zweite, 
Jetzt ift fie ruhig. 
Die Erfte. 
Den Peleiden follte man, das wars, 
Por der Dianaprieftrin Füßen legen. 
Die Dritte 
Warum juft vor der Dianaprieftrin Füßen? 
Die Bierte, 
Was meint fie aud) damit? 
Die Oberpriefterim. 
Was foll mir das? 
Was foll die Leiche hier vor mir? Laß fie 
Gebirge deden, unzugängliche, 
Und den Gedanten deiner That dazu! 
War ih, du — Menſch nicht mehr, wie nenn’ ich bi? 
Die diefen Mord dir Ichredlih abgefordert? — 
Wenn ein Verweis, den aus der Tiebe Mund, 
gu folden Gräuelniſſen treibt, fo follen 
ie Zurien tommen und uns Sanftmuth Iehren! 


222 


Die erfte Amazone, 
Sie blidet immer auf die Prieftrin ein. 
Die Zweite. 
Grad ihr ins Antlitz — 
Di Dritte 
ft und unvermandt, 
Als ob fie dur und dur 4 blicken wollte. 
Die Oberpriefterim. 
Geh, Prothoe, ich bitte dich, geb, geb; 
Ich kann fie nicht mehr fehn, entferne fie. 
PBrothoe (weinend). 


Weh mir! 
Die Oberprieſterin. 
Entſchließe dich! 
pratboe 
Die That, die ſie 
Vollbracht hat, iſt zu ſcheußlich; laß mich ſein. 
Die Oberprieſterin. 

Faß dich. — Sie hatte eine ſchöne Mutter. 

— Geh, biet ihr deine Hülf' Pr Ans fie fort. 


Pro 
Ich will fie nie mit Augen ieherfehn! 
Die zweite Amazo 
Seht, wie fie jetzt den ne Breit "betrachtet! 
e Erfte. 
Wie fie ihn dreht und wendet — 
Die Dritte. 
Wie ſie ihn mißt! 
e erſte Prieſterin. 
Das ſcheint der Beil, womit fie ihn erlegt. 
Die erfte Amazone. 
So ifts, ihr Fraun! di 
e 


Wie —* vom Blut ihn fäubert! 
Wie fie an feiner Fleden jedem wiſcht! 


Die Dritte, 
Was denkt fie wohl dabeı ? 
Die Zweite, 
Und das Gefieder, 
Wie fie es trodnet, Fräufelt, wie ſie's lodt! 
on: Alles, wie es ſich gehört. 
eht 





223 


Die Dritte, 
Iſt fie das gewohnt zu thun ? 
Die Erfte. 
That fie das fonft auch felber ? 
Die erfie Prieſterin. 
. Pfeil und Bogen, 
Sie hat fie flet3 mit eigner Hand gereinigt. 
Die Zweite. 
D heilig hielt fie ihn, da8 muß man fagen! — 
Die zweite Amazone. 
Doch jest den Köcher nimmt fie von der Schulter, 
Und ftelt den Pfeil in feinen Schaft zurüd. 
Die Dritte. 
Nun ift fie fertig — 
Die Zweite. 


Nun ift es gefchehen — 

Nun fieht fie wieder in die Welt hinaus! 

' Mehrere Franen. 

O jammerpoller Anblid! D fo öde 

Wie die Sandwüſte, die fein Gras gebiert! 

Luftgärten, die der Yeuerftrom vermiüftet, 

Gekocht im Schooß der Erd und ausgefpieen, \ 

Auf alle Blüthen ihres Bufens Hin, 

Sind anmuthsvoller als ihr Angeficht. 

(Ein Schauer fHüttelt die Penthefilea zufammen und fie lüßt den Bogen fallen.) 
Die Oberpriefterin. 


D die Entfegliche! 
Prothoe (erihroden). 


Nun, mas auc giebt? 
Die erfte Amazone. 
Der Bogen ftürzt’ ihr aus der Hand danieder! 
Die Zweite, 
Geht, wie er taumelt — 
Die Bierte. 
Klirrt, und wankt, und fällt! 
Die Zweite. 
Und nod Ein Mal am Boden zudt — 


Die Dritte. 
Und ftirbt, 
Wie er der Tanais geboren ward. (Baufe.) 
Die Oberpriefterin 
(ſich plötzlich zu ihr wendend). 
Du, meine große Herrſcherin, vergieb mir! 
Diana iſt, die Göttin, dir zufrieden, 


224 


Dejänftigt wieder haft du ihren Born. 
Die oße Gtifterin des Frauenreiches, 
Die Tanais, das gefteh ich jet, fie hat 
Den Bogen würd’ger nicht geführt als du. 

Die erfie Amazone. 
Sie ſchweigt — 

Die Zweite, 
Ihr Auge ſchwillt — 


Die Dritte. 
Sie hebt den Finger, 

Den blutigen, was will fie — Seht, o Seht! 

Die Zweite 
O Anblid, berzzerreißender als Meſſer! 

Die Erfe, 
Sie wiſcht fih eine Thräne ab. 

Die Oberpriefterin 
(an Prothoe's Bnfen zurüdfintend). 


D Diana! 

Welh eine Thräne! 

Die erfte Prieſterin. 

D eine Thräne, du Hochbeil’ge, 

Die in der Menfhen Brüfte fchleicht, 
Und alle Feuergloden der Empfindung zieht, 
Und: Sammer! rufet, daß das ganze 
Geſchlecht, das leicht bewegliche, hervor 
Stürzt aus den Augen, und in Seen gefammelt 
Um die Ruine ihrer Seele weint. 

Die Oberpriefterin 

(mit einem bittern Ausdrud). 
Nun denn — wenn Prothoe ihr nicht helfen will, 
So muß fie hier in ihrer Noth vergehn, 

Brothoe 


rüdt den heftigften Kampf aus. Drauf, indem fie fi ihr nähert, mit einer 
@ hef ug —— ae enen — 


Willſt du dich niederlaſſen, meine Königin? 
Willſt du an meiner treuen Bruſt nicht ruhn? 
Viel kämpfteſt du an dieſem S tedenStag,. 
Biel auch, viel Litteft du — von fo viel Yeiden 
Wilft du an meiner treuen Bruft nicht ruhn? 
Benthefilen 
(ſieht fih um, wie nad einem Seflel). 


Prothoe. 
Schafft einen Sitz herbei! Ihr ſeht, ſie wills. 
(Die Amazonen wälzen einen Stein herbei. Penthefilea läßt ſich an Prothoes Hand 
darauf nieder. Hierauf ſetzt ſich auch Prothoe.) 





225 


Bro j oe. 
Du kennſt mich doch, mein Schweſterherz? 
Pentheſilea 
(fieht ſie an, ihr Antlitz erheitert fi ein wenig). 


t 
prothoe. Prothoe 


Bin ich, die dich ſo zärtlich liebt. 
Benthefilen 
(ſtreichelt fanft ihre Wange). 
Brothoe. 


u, 
Bor der mein Herz auf Knieen niederfällt, 
Wie rührft du io 

(Sie küßt die Hand der Königin.) 

Du bift wohl jehr ermüdet? 
Ah, wie man dir dein Handwerk anfieht, Liebe! 
Nun Ka: N Siegen geht jo rein nicht ab, 
Und jede Werfitatt leidet ihren Meifter. 
Doch wie, wenn du dich jeto reinigteft, 
Händ’ und Gefiht? — Sol ih dir Waſſer fchaffen ? 
— Geliebte Königin! 
Benthefilen 
(befiegt ih und nidt). 
Brothne. 
Nun ja. Sie will. 
(Sie wintt den Amozonen ; diefe gehen, Waffer zu fchöpfen.) 

Das wird dir wohlthun, das wird dich erquiden, 
Und fanft, auf fühle Teppiche gejtredt, 
Bon ſchwerer Tagesarbeit wirft du ruhn. 

Die erfte Priefterin. 
Wenn man mit Wafler fie befprengt, gebt Acht, 


Befinnt fie ſich. 
Die Oberpriefterin. 
D ganz gewiß, das hoff’ ich. 


Prothoe. 
Du hoffſt's, hochheil'ge Prieſterin? — Ich fürcht' es. 


Die Oberprieſterin 
(indem fie zu überlegen ſcheint). 


Warum? Weshalb? — Es if nur nicht zu wagen, 


"Sonft müßte man die Leiche des Achills — 
enthefilen 
“ (blidt die Oberpriefterin bligend an). 
Prothoe. 


Laßt, laßt! — 
— Bibt. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. I. 15 


‚226 


Die Oberpriefterim. 
Nichts, meine Köni in, Nichts, Nichts! 
Es ſoll dir Alles leiben, wie es i 
vrothoe. 
Nimm dir den Lorbeer , den dornigen, 
Wir Alle wiſſen ja, daß du gefiegt. 
Und auch den Hals befreie dir — So, fo! 
Schau! eine Wund’ und das recht tie ! Du Arme! 
Du haft es dir recht fauer werben laſſen — 
Nun, daflir triumphierſt du jetzo au 
— 9 Artemis! 
wei Amazonen 


(bringen ein eher flaches een gefünt mit Waſſer). | 
Prothoe. 
hic, ſetzt das Becken her. — 
Soll ich dir jetzt die jungen Scheitel netzen? 
Und wirft du aud erfihreden nicht? — Was macht du? 
euthefilea 


Rnie das Bed d 
(täßt fi von ihrem Sig auf gu Baht Das Pr 3 niederfallen, und begießt ſich 


Prothoe 
si da! Du bift ja traum recht wänig, Königin! 
— Das thut dir wohl recht wohl? 
PBenthefilen (fieht fih um). 
u Ab Prothoe! 
(Sie begießt fi von Neuem mit Waffer.) 
. Merove (froh). 


Sie fpridt! 
Die Mberpriefterim. 
Dem Himmel fei gebantt! 


Prothoe. 
Gut, gut! 
Meroe. 
Sie kehrt ins Leben uns zurück! 
Prothoe. 
Vortrefflich! 


Das Haupt ganz unter Waſſer, Liebe! So! 
Und wieder! So, ſo! Wie ein junger Schwan! 


Merse, 


Die Tiebliche! 
Die erfte Prieſterin. 
Wie fie das eönfsen hängt! 


Mer 
Wie ſie das Waſſer nieberträufeln läßt! 


227 


Prothoe. 

Biſt du jetzt fertig? 
Benthefilen. 
Ah! — Wie wunderbar. 
Prothoe. 

Nun denn, ſo komm mir auf den Sitz zurück! — 
Raſch eure Schleier mir, ihr Prieſterinnen, 
Daß ich ihr die durchweichten Locken trockne! 
So, Phania! deinen! Zerpi! helft mir, Schweitern! 
Laßt ung ihr Haupt und Naden ganz verhüllen! 
So, fo! — Und jeßo auf den Stk zurüd! 
(Sie verhält die Königin, hebt fie auf den Sit, und drückt fie feft an ihre Druft.) 


enthefilen. 
Wie ift mir? * 


Prothoe. 
Wohl, denk' ich — nicht? 
Benthefilen (iepelnd). 
Zum Entzücken! 


Prothoe. 
Mein Schweſterherz! mein füßes! O mein Leben! 
Benthefilen. 
D fagt mir! — Bin id in Elyfium? 
Bift du der ewig gungen Nymphen Eine, 
Die unfre hehre Königin bedienen, 
Wenn fie, von Eichenmwipfeln flil umraufcht, 
In die kryſtallne Grotte niederfteigt? 
Nahmſt du die Züge bloß mich zu erfreuen, 
Die Züge meiner tieben Prothoe an? 


Prothoe. 
Nicht, meine beſte Königin, nicht, nicht, 
30 bin e8, deine Prothoe, die dich 
n Arnien a und was du hier erblidt, 
Es ift die Welt nod), die gebrechliche, 
Auf die nur fern die Götter niederjchaun. ⸗ 


Pentheſilea. 
So, ſo. Auch gut. Recht ſehr gut. Es thut Nichts. 
Prothoe. 
Wie, meine Herrſcherin? 
Benthefilen. 
Ich bin vergnügt. 


Prothoe. 
Erkläre dich, Geliebte. Wir verſtehn nicht — 
Benthefilen 
Daß ich noch bin, erfreut mich. Laßt mich ruhn. 
(Paufe.) 15* 


228 


Merve, 
Seltſam! 
Die Oberprieſterin. 
Welch eine wunderbare Wendung! 


Meroe. 
Wenn man geſchickt ihr doch entlocken könnte — 
Prothoe. 
Was war es denn, das dir den Wahn erregt, 
Du ſeiſt ins Reich der Schatten ſchon geſtiegen? 
Benthefilen 
(nad einer Pauſe, mit einer Art von Verzückung). 
Ich bin fo felig, Schweiter! Ueberſelig! 
Ganz reif zum Tod, o Diana, fühl ıh mid! 
° Zwar weiß ich nicht, was hier mit mir gefchehn; 
Doch gleich des feiten Glaubens könnt’ ich fterben, 
Daß ich hier den Peliden überwand. 
Brothoe 
(verftoglen zur Oberpriefterin). 
Raſch jetzt die Peich hinweg! 


Beunthefilen 
(ſich lebhaft aufricgtend)- 
O Brothoe! 


- Mit wen fprichit du? 


rothoe 
(da die beiden Trägerinnen noch ſänmen). 
Fort, Raſende! 
Benthefilen. 
D Diana! 
So ift e8 wahr? 
Prothoe. 


Was, fragſt du, wahr, Geliebte? 
— Hier! Drängt euch dicht heran! 
(Sie winkt den Prieſterinnen, die Leiche, die aufgehoben wird, mit ihren Leibern 
7 zu verbergen.) . 
Bentbefilen 
(hält ihre Hände freudig vors Geſicht). 
Ihr heil’gen Götter! 
Ich habe nicht das Herz, mid umzuſehn. 


Prothoe. 
Was haſt du vor? Was denkſt du, Königin? 
Pentheſilea (fi umſehend). 
O Liebe, du verſtellſt dich. 
Prothoe. 
Nein, beim Zeus, 
Dem ew'gen Gott der Welt! 





229 


Benthefilen 
(mit unmer fleigender Ungeduld). 


Zerſtreut euch J O ihr Hochheiligen, 


Die Oberprieſterin 
(dicht mit den Übrigen Frauen die Leiche umdrängend). 


Geliebte Königin! 


Benthe ] ilen (indem fie auffteht). 
D Diana! warım foll ih nit? D Diana! 
Er ftand ſchon Einmal hinterm „nüden mir, 


Seht, feht! wie fie Entfegen opt! 
Benthefilen 
(zu den Amazonen, welche die Leiche tragen). ’ 
Ben dort! — 
Wag tragt ihr dort? Ich will es wiſſen. Steht! 
(Sie madt ſich Platz unter den Frauen und dringt bid zur Leiche vor.) 
Brothoe, 
D meine Kön’gin! unterfuche nicht! 
Ba hefilen. 
Iſt ers, ihr Jungfraun? Iſt ers? 
Eine Trägerin 
(indem die Leiche er ie wird). 
Wer, fragſt du? 
Es it unmöglich nit, das feh ide 
8 iſt unmöglich ni s ſe ein. 
war einer Shmalbe : Flügel kann ich lähmen, 
0, daß der Flügel noch zu heilen iſt; 
Den Hirſch loch ich mit Beilen in den Barf. 
Doch ein Verräther ift die Kunft der Schüßen; 
Und gilts den Meifterihuß ins Herz des Glüdes, 
So führen tück'ſche Götter uns die Hand. 
— Traf ich zu nah ihn, wo es gilt? Sprecht, iſt ers? 


Prothoe 
O bei fi furchtbar'n Mächten des Olymps, 


Frag ni 
Beuthefilen. 

Hinweg! Und wenn mir feine Wunde, 
Ein a gleich entgegen gähnte: 
Ich will ihn fehn! 

(Sie hebt den Teppich auf.) 
Wer von euch that das, ihr Entſetzlichen! 
PBrothoe, 

Das fragft du noch? 


230 


Penthefilen. 
D Artemis! du Heilige! 
Fest ift e8 um dein Rind geſchehn! 
Die Oberpriefterin. 
Da ftürzt fie hin! 
Brot 


hoe, 
r ew'gen Himmelsgötter! 
Warum nicht meinem Rathe folgteſt du 
O dir war beſſer, du Unglücliche, 
In des Verſtandes Sonnenfinſterniß 
Umher zu wandeln, ewig, ewig, ewig, 
Als dieſen fürchterlichen Tag zu ſehn! 
— Geliebte, hör mich! 
Die Oberpriefterim. 
Meine Königin! 


Meroe. 
Zehntauſend Herzen theilen deinen Schmerz! 
Die Oberprieſterin. 


Erhebe dich! 
Benthefilen (Halb aufgerichtet) 
Ah, diefe blut'gen Rofen! 


| ad diefer Kranz von Wunden um fein Haupt! 


wie die Knospen, frifchen Grabduft jtreuend, 
Zum Felt für die Gewürme niedergehn! 
Prothoe (mit Zärtligteit). 
Und doch war es die Liebe, die ihn kränzte! 


Dierse. 
Nur alzufeft! — 
Prothoe. 


Und mit der Roſe Dornen, 
In der Beeifrung, daß es ewig ſei! 


Die Oberpriefterim. 


Pentheſilea. 

Das aber will ich wiſſen, 
Wer mir ſo gottlos neben hat gebuhlt! 
Ich frage nicht, wer den Lebendigen 
Erſchlug; bei unſern ewig hehren Göttern! 
Frei wie ein Vogel geht er von mir weg. 
Wer mir den Todten tödtete, frag ich, 
Und darauf gieb mir Antwort, Prothoe. 


Prothoe. 
Wie, meine Herrſcherin? 


Entferne dich! 


231 


Benthefilen, 
- Bert mich recht. 
Ich will nicht wiflen, wer aus jeinem Buſen 
Den Funken des Prometheus ftahl. Ich wills nicht, 
Weil ichs nicht will; die Zaune fteht mir fo: 
Ihm fol vergeben fein, er mag ensfliehn. 
Dod wer, o Prothoe, bei diefem Raube 
Die offne Pforte ruchlos mied, durch alle 
Schneeweißen Alabafterwände mir . 
ji diefen Tempel brach; wer diefen Yüngling, 
a8 Ebenbild der Götter, fo entjtellt, 
Daß Leben und Berwefung fi nicht ftreiten, 
Wem er gehört; wer ihn jo zugerichtet, 
Daß ihn das Mitleid nicht beweint, die Liebe 1 
Sid, die unfterbliche, gleich einer Metze 
Im Tod noch untreu von ihm wenden muß, 
Den will ich meiner Rache opfern, Sprich! 
Prothoe (ur Dberpriefterin) 
Was foll man nun der Rafenden erwiedern? — 
Penthefilen. 
Nun, werd’ ichs hören? 
Meroe. 


— D meine Königin, 

Bringt e8 Erleichterung der Schmerzen dir, 
In deiner Rache opfre, wen du wii. 
Hier ftehn wir AU’ und bieten dir uns an. 

Benthefilen, 
Gebt Acht, fie fagen noch, daß ich es war. 

Die Oberpriefterin (chuchtern). 

Mer fonft, du Unglidfelige, al8 nur — — 

Benthefilen. 
Du Höllenfürftin, im Gewand des Lichts, = 
Das mwagft du mir —? 

Die Oberpriefterin. 

Diana ruf’ ih an! 
Laß es die ganze Schaar, die dich umiteht, 
Dekräftigen! Dein Pfeil wars, der ihm traf 
Und Himmel! wär’ e8 nur dein Pfeil geweſen! 
Doch, als er niederfant, warfft du dich noch 
In der Verwirrung deiner wilden Sinne 
Mit allen Hunden über ihn, und ſchlugſt — 
D meine Lippe zittert auszuſprechen, 
Was du gethan. Frag’ nicht! Komm, laß ung gehn. 

Benthefilen. 
Das muß ich erft von meiner Prothoe hören. 


232 


Prothoe. 

O meine Königin! befrag' mich nicht. 

Pentheſilea. 
Was! Ich? Ich hätt' ihn —? Unter meinen Hunden — 
Mit diefen Heinen Händen hätt’ ih ihn — 
Und diefer Mund bier, den die Liebe ſchwellt — 
Ah, zu ganz anderm Dienft gemacht, als ihn — 
Die hätten, Iuftig ftet3 einander helfend, - 
Mund jegt und Hand, und Hand und wieder Mund —? 


Prothoe. 
O Königin! 
Die Oberprieſterin. 
Ich rufe Wehe dir! 
Benthefilen. 
Nein, hört, davon nicht überzeugt ihr mid. 
Und ftünds mit Bligen in die Nacht gefchrieben, 
Und rief’ e8 mir des Donners Stimme zu, 
So rief’ ich doch noch beiden zu; ihr Lügt! 


Meroe, 
Laß ihn, wie Berge, diefen Glauben ftehn; 
Wir find es nicht, die ihn erfchüttern werben. 
eutheftlen. 


Ä P 
Wie kam es denn, daß er ſich nicht gewehrt? 


Die Oberprieſterin. 
Er liebte dich, unſeligte Gefangen 
Wollt' er ſich dir ergeben, darum naht' er! 
Darum zum Kampfe fordert' er dich auf! 
Die Bruſt voll füßen Friedepe kam er her, 
Um dir zum Tempel Artemis zu folgen. 
Doch du — 
Pentheſilea. 
So, fo — 
Die Oberprieſterin. 
Du trafſt ihn — 


Benthefilen. Ich tz ih 
zerriß ihn. 
Prothoe. 
O meine Königin! 
Benthefilen. 
Oder war e8 anders? 
Meroe. 


Die Gräßliche! 
Pentheſilea. 
Küßt' ich ihn todt? 





233 


Die erſte Briefterim. 
D Himmel! 
Benthefilen. 
Nicht? Küßt' ich nicht? Zerriffen wirtlih? Spredt! 


ie Oberpriefterin. 


D 
Weh! Wehe! ruf’ ih dir. Berberge dich! J 


Laß fürder ew’ge Mitternacht dich deden! 
Benthe fies 
— So war es ein Deriehen, üffe, Biffe, 
Das reimt fih, und merrecht von Herzen liebt, 
Kann fhon das Eine für das andre greifen. 
Meroe. 
Helft ihr, ihr Ew'gen, dort! 
Prothoe (ergreift fie). 
Hinmweg! 
Pentheſilea. 
Laßt, laßt! 
(Sie wickelt fich los, und läßt fi auf Knieen vor der Leiche nieder.) 
Du Aermfter aller Menſchen, du vergiebft mir! 
Ich habe mich, bei Diana! bloß verjprochen, 
Weil ich der rajchen Lippe Herr nicht bin; 
Doc jebt fag’ ich dir deutlich, wie ichs meinte: 
Dieß, du Geliebter, ward, und weiter Nichts. 
(Sie kußt ihn.) 
Die Oberprieſterin. 
Schafft ſie hinweg! | 


Meroe. 
Was ſoll ſie länger hier? 
Pentheſilea. 
Wie Manche, die am Hals des Freundes hängt, 
Sagt wohl das Wort: fie lieb’ ihn, o fo ſehr, 
Dab fie vor Liebe gleich ihn effen könnte; 
Und hinterher, da8 Wort beprüft, die Närrin! 
Gefättigt fein zum Ekel ift fie ſchon. 
Nun, du Geliebter, fo verfuhr ih nicht. 
Gieh her: als ih an deinem Halſe hieng, 
2 ichs FREI: Wort für Wort gelben; 
h war nicht fo verrüdt, als es wohl ſchien. 


Meroe 
Die Ungeheuerfte! Was ſprach fie da? 
Die DO berpriefterin, 
Ergreift fie! Bringt fie fort! 
Prothoe. 
Komm, meine Königin! 


(oe 19 I 
v 


234 


Benthefilen, 
(Sie läßt fi aufrichten.) 
Gut, gut. Hier bin ich fchon. 
Die Dberpziekterin 
So folgft du ung? 


Euch nit! — Benthefilen. 


Geht ihr nad „uhemischen, und feid glüdlich, 
Wenn ıhr es könnt — 

Bor allen meine Prothoe — ihr Alle — 

Und — im Bertraun ein Wort, das Niemand höre, 
Der Tanais Afche, freut fie in die Luft! 


rothoe. 
Und du, mein theures Schweſterherz? 
Pentheſilea. 
sa Broth 
ve. 
Du! 
Pentheſilea. 


— Ich will dir ſagen, Prothoe, 
Ich ſage vom Geſetz der Fraun mich los, 
Und folge dieſem Jüngling hier. 
Prothoe. 
Wie, meine Königin? 
Die Oberprieſterin. 
Unglückliche! 


Prothoe. 


Du willſt — 
Die Oberprieſterin. 
Du denkſt — 
Pentheſilea. 
Was? Allerdings! 


Meroe. 
O Himmel! 


Prothoe. 
So laß mich dir ein Wort, mein Schweſterherz — 
(Sie ſucht ihr den Dolch wegzunehmen.) 
Pentheſilea. 
Nun denn, und was? — Was ſuchſt du mir am Gurt? 
— Sa, fo. naar, reis! Verſtand ich dich doch nicht. 
— Hier ift der Dolch. 
(Sie Töft fih den Dolch aus dem Gurt, und giebt ihn der Prothoe.) 
Willſt du die Pfeile and) ? 


235 


(Sie nimmt den Köcher von der Schulter.) 
Hier ſchütt' ich ihren ganzen Köcher aus! 
(Sie ſchuͤttet die Pfeile vor fich nieder.) 
Zwar reizend wärs von Einer Seite — 
(Sie Hebt einige davon wieder auf.) 
Denn diefer hier — nit? Oder war es diefer? — 
Ka, der! ganz recht — Gleichviel! Da! nimm fie hin! 
Nimm alle die Gefchoffe zu dir hin! 
(Sie rafft den ganzen Bündel wieder auf, und giebt ihn der Prothoe in die Hände.) 
Prothoe. 
Gieb her. 
Benthefiten. 
Denn jebt ſteig ich in meinen Buſen nieder, ev 
Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz, 
Mir ein vernichtendes Gefühl hervor. 
Dieß Erz, dieß läutr’ ih in der Glut des Jammers 
Im mir zu Stahl; trän® es mit Gift fodann, 
eigägendem, der Reue, dur und dur; 
Trag' e3 der Hoffnung ew'geni Amboß zu, 
Und ſchärf' und —* es mir zu einem Dolch; 
Und dieſem Dolch jetzt reich' ich meine Bruſt: 
So! So! So! So! Und wieder! — Nun iſts gut. 
(Sie fällt und flirbt.) 
Prothoe (die Königin auffaffend). 
Sie ftirbt! 
Merve, 
Sie folgt ihm, in der That! 
Prothoe. 
Wohl ihr! 
Denn hier war ihres fernern Bleibens nicht. 
(Sie legt fie auf den Boden nieder.) 
Die Oberpriefterin. 
Ach! mie gebrechlich ift der Menſch, ihr Götter! 
Wie ftolz, die hier gefnict liegt, noch vor Kurzem 
Hoch auf des Lebens Gipfeln raufchte fie! 


Prothoe. 
Sie ſank, weil ſie zu ſtolz und kräftig blühte. 
Die abgeſtorbne Eiche ſteht im Sturm, 
Doch die gefunde ſtürzt er an nieder, 
Weil er in ihre Krone greifen Tann. 


— EN IT 


Erzäblungen, 


Michael Kohlhaas. 


An den Ufern der Havel lebte um die Mitte des fechzehnten 
Jahrhunderi® ein Roßhändler Namens Michael Kohlhaas, 
ohn eines Schulmeifter8, einer der vechtichaffenften zugleich 
und entfeglichften Menfchen feiner Zeit. Diefer außerordent- 
lie Mann würde bis in fein dreißigftes Jahr für das Mufter 
eines guten Staatsbürger8 haben gelten können. Er bejaß 
in einen Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen 
Meierhof, auf welchem er 1a durch fein Gewerbe ruhig er- 
nährte; die Kinder, die ihm fein Weib fchenkte, erzog er in 
der Furcht Gottes zur Arbeitfamfeit und Treue; nicht Einer 
war unter feinen Nachbarn, der fich nicht feiner Wohlthätig- 
feit oder feiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt 
mwürbe fein Andenken haben jegnen müſſen, wenn er in einer 
Tugend ni t ausgejchmeift hätte, Das Rechtgefühl aber machte 
ihn zum Räuber un örder. 

r ritt einft mit einer SCoppel junger Pferde, wohtgenährt 
alle und glänzend, ins Ausland, und überſchlug eben, wie 
er den Gemwinnft, den er auf den Märkten damit zu machen 
boffte, anlegen wolle, theils nach Art gute Wirthe auf neuen 
Gewinnſt, theils aber auch auf den Genuß der Gegenwart: 
als er an.die Elbe fam und bei einer ftattlichen Ritterbur 
auf fächftfchen Gebiete einen Schlagbaunt traf, den er fonft 
auf diefem Wege nicht gefunden hatte Er hielt in einem 
Augenblid, da eben der Regen heftig Ilrmte, mit den Pferden 
til, und rief den Schlagwärter, der auch bald darauf mit 
einem grämlichen Gefiht aus dem Fenfter geb: Der Roß— 
händler fagte, daß er ihm öffnen fole „Was giebt3 hier 

eues?“ fragte er, da der Zöllner nad) einer geraumen Zeit 
aus dem Haufe trat. „Landesherrliches Privilegium“, antwortete 
diefer, indem er aufjchloß: „dem Junker Wenzel von Tronfa ver- 
lieben." — „So“, fagte Kohlhaas. nnenzel heißt ber Qunter 
und fah fih das Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über 
das Feld blidte. „Iſt der alte Herr tobt?" — „An Schlagfluß 
geftorben”, erwiederte der Zöllner, indem er den Baum in 
die Höhe ließ. — „Hm! Schade!” verfegte Kohlhaas. „Ein 
wiürdiger alter Herr, der feine Freude am Verkehr der Menfchen 


240 


eriholl, ala Kohlhaas, um Ne Beichwerde anzubringen, fi) 
ragte, was er wolle; die Nitier, 





241 


als fie den fremden Mann erblidten, wurden ſtill; doch kaum 
hatte dieſer fein Geſuch, die Pferde betreffend, angefangen, 
al8 der ganze Troß ſchon: „Pferde? wo find fie?“ ausrief und 
an die Tenfter eilte, um fie zu betrachten. Gie flogen, da fie 
die glänzende Koppel ſahen, auf den Vorſchlag des Junkers 
in den Hof hinab; der Regen hatte aufgehört; Schloßvogt und 
Bermwalter und Knechte verſammelten ſich um ſie, und Alle 
muſterten die hier Der Eine lobte den Schweißſfuchs mit 
der Bleffe, dem-Andern gefiel der Kaftanienbraune, der Dritte 
fteeichelte den Scheden mit ſchwarzgelben Flecken; und Alle 
meinten, daß die Pferde wie Sir 2 wären und im ande 
feine beflern gezogen würden. Kohlhaas erwiederte munter, 
daß die Pferde nicht befjer wären, als die Ritter, die fie reiten 
follten; und forderte fie auf, zu faufen. Der Junker, den der 
mächtige Schweißhengft fehr reizte, befragte ihn auch um den 
Preis; der Verwalter lag ıhm an, ein Baar Rappen zu kaufen, 
die er wegen Pferdemangels in der Wirthichaft gebrauchen zu 
fönnen glaubte; doc) als der Roßkamm ſich erflärt hatte, fan- 
den die Ritter ihm zu theuer, und der Junker fagte, daß er 
nad) der Tafelrunde reiten und fich den König Arthur auf- 
fuchen müſſe, wenn er die Pferde fo anjchlage. Kohlhaas, der 
den Schloßvogt und den Bermwalter, indem ſie ſprechende Blide 
auf die Rappen warfen, mit einander flüftern ſah, Tieß e8 aus 
einer dunkeln Borahnung an NichtS fehlen, die Bierde an fie 
108 zu werden. Er fagte zum Junker; „Herr, die Rappen habe 
ich vor feh8 Monaten für fünfundzwanzig Goldgülden gefauft; 
gebt mir dreißig, fo follt Ihr fie haben.“ Zwei Ritter, die 
neben dem Junker fanden, äußerten nicht undeutlich, daß die 
Pferde mohl fo viel werth wären; doch der Junker meinte, daß 
ex für den Schweißfuchs wohl, aber nicht eben für die Rappen 
Geld ausgeben möchte, und machte Anftalten aufzubrecen; 
worauf Kohlhaas fagte, er würde vielleicht das nächfte Mat, 
wenn er wieder mit feinen Gäulen durchzöge, einen Handel mit 
m machen; fich dem Junker empfahl, und die Dügel jeines 
Pferdes ergriff, um abzureiten. In diefem Augenblid trat der 
Schloßvogt aus dem au en vor und fagte, er — daß er 
ohne einen Paßſchein nicht reiſen dürfe. Kohlhaas wandte 
ſich und fragte den Junker, ob es denn mit dieſem Umſtand, 
der ſein ganzes Gewerbe zerſtöre, in der That ſeine Richtigkeit 
habe? Der Junker antwortete mit einem verlegenen Geſicht, 
indem er abgieng: „Ja, Kohlhaas, den Paß mußt du Löfen. 
Sprich mit dem Schloßvogt und zieh deiner Wege.“ Kohlhaas 
verſicherte ihn, daß es gar nicht feine Abſicht ſei, die Verord⸗ 
nungen, die wegen Ausſührung der ‘Pferde beftehen möchten, 
u umgehen; verſprach bei feinem durchuug durch Dresden den 
Gab in der Geheimfchreiberei zu löfen, und bat, ihn nur dies 
Bibl. d. d. Wationalliteratur. Kleiſt. II. 16 


242 


Mal, da er von diefer Forderung durhaus Nichts gewußt, 
ziehen zu laffen. „Nun!“ ſprach der Yunker, da eben das Wetter 
wieder zu ftürmen anfieng, und feine dürren Glieder durd- 
jeufte: „laßt den Schluder laufen. Kommt!” fagte er zu den 
itiern, kehrte fih um und wollte nad) dem Schloffe gehen. 
Der Schloßvogt fagte, zum Junker gewandt, daß er wenigjteng 
ein Pfand zur Siherbeit, daß er den Schein Löfen würde, 
zurüdlaffen müſſe. Der Junker blieb wieder unter dem Schloß- 
thor ftehen. Kohlhaas fragte, welchen Werth er denn an Geld 
oder an Sachen zum Pfande wegen der Rappen zurüdlaffen 
ſolle? Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er fünne 
ja die Rappen ſelbſt eek „Allerdings“, fagte der Schloß- 
pogt, „das ift das Zweckmäßigſte; ift der Paß gelöft, fo fann er 
fie zu jeder Zeit wieder abholen.“ Kohlhaas, über eine fo un- 
berichämte Forderung betreten, Iagte dem Junker, der fich die 
Wamsſchöße frierend vor den Leib hielt, daß er die Rappen 
ja verfaufen wolle; doch diefer, da in demjelben Augenblid 
ein Windftoß eine ganze Laſt von Regen und Hagel durchs 
Thor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen: „menn er 
die Blerde nicht Loslaffen will, fo ſchmeißt ihn wieder tiber den 
Schlagbaum zurüd”; und gieng ab. Der Roßkamm, der wohl 
fah, daß er hier der Gemaltthätigfeit weidgen mußte, entichloß 
jih, die Forderung, meil doch nichts Anders übrig blieb, zu 
erfiillen ; fpannte die Rappen aus und führte fie in einen Stall, 
den ihm der Schloßvogt anwies. Er ließ einen Knecht bei 
ihnen zurüd“, verjah ien mit Geld, ermahnte ihn, die Pferde 
bis zu feiner Zuritdtunft wohl in Acht ar nehmen, und fette 
feine Reife mit dem Reſt der Koppel, halb und halb ungemiß, 
ob nicht doch HH wegen auffeimender Pferdezucht ein —* 
Gebot im Sächſiſchen erſchienen fein könne, nach Leipzig, wo 
er auf die Meſſe wollte, fort. 
In Dresden, wo er in einer der Vorſtädte der Stadt ein 
In mit einigen Ställen befaß, meil er von hier aus feinen- 
andel auf den kleineren Märkten des Landes zu beftreiten 
pflegte, begab er fich gleich wach feiner Ankunft auf die Ge— 
heinfchreiberet, mo er von den Räthen, deren er Einige fannte, 
erfuhr, mas ihm allerdings fein erfter Glaube fehon gefagt 
hatte, daß die Geſchichte von dem Paßſchein ein Märchen fei. 
Kohlhaas, dem die mißvergnügten Näthe auf fein Anfuchen 
einen fchriftlichen Schein über den Ungrund derjelben gaben, 
lächelte über den Wiß des dürren Junkers, objchon er nod) 
nit recht einſah, mas er damit bezwecken mochte; und die 
Koppel der Pferde, die er bei ſich führte, einige Wochen darauf 
au —* Zufriedenheit verkauft, kehrte er, ohne irgend weiter 
‚ein bitteres Gefühl als das der allgemeinen Noth der Welt, 
zur Tronfenburg zuriid, Der Schlofvogt, dem er den Schein 


213 


zeigte, ließ ficdy nicht weiter darüber aus und fagte auf die 
Stage des Roßkamms, ob er die Pferde jegt wieder befommen 
fönne: er möchte nur hinunter age und fie holen. Kohlhaas 
hatte aber ſchon, da er über den pi gieng, den unangenehmen 
uftritt, zu erfahren, daß fein Knecht ungebührlichen Be- 
tragens halber, wie es hieß, wenige Tage nad) defien Zurüd- 
Laffung in der Tronfenburg zerprügelt und meggejagt worden 
le. r fragte den ungen, der ihm diefe Nacrict gab, was 
enn derjelbe gethan? und wer während deilen die Pferde 
beforgt hätte ? worauf diefer aber erwiederte, er wife e8 nicht, 
und darauf dem Roßkamm, dem das Herz fchon von Ahnungen 
ſchwoll, den Stall, in welchen fie ftanden, öffnete. ie groß 
war aber ſein Erſtaunen, als er ſtatt ſeiner zwei glatten un 
wohlgenährten Rappen ein Paar dürre abgehärmte Mähren 
erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, hätte Sachen 
aufhängen können; Mähnen und Haare ohne Wartung und 
Pflege zuſammengeknetet; das wahre Bild des Elends im 
Thierreihe! Kohlhaas, den die Pferde mit einer fchmachen 
Bewegung anmieherten, war auf das Aeußerſte entrüftet und 
fragte, wa8 feinen Gäulen en wäre? Der Junge, 
der bei ihm ftand, antwortete, daß ıhmen weiter kein Unglüd 
ugeftoßen wäre, daß fie auch das & drige Futter befommen 
hüten, daß fie aber, da gerade Ernte gemwejen fei, wegen 
tangel8 an Zugvieh ein menig au) den Feldern gebraucht 
worden wären. Kohlhaas fluchte über diefe fchändliche und 
abgelartete Gewaltthätigfeit, verbiß jedoch im Gefan ſeiner 
Ohnmacht feinen Ingeimm, und machte jüon, da ae nichts 
Anders fibrig blieb, Anftalten, das Raubneſt mit den Pferden 
nur wieder zu verlaffen, als der Schloßvogt, von dem Wort: 
wechfel berbeinerufen, erfchien und fragte, was es hier gäbe? 
„Was es giebt ?* antwortete Kohlhans. „Wer hat dem Junker 
von Tronfa und defien Leuten die Erlaubniß gegeben, ſich 
meiner bei ihm zurüdgelaffenen Rappen zur Seldarbeit zu 
bedienen?” Er feste Hinzu, ob das wohl menſchlich wäre? ver- 
juchte die erſchöpften Säule durch einen Gertenftreid) zu erregen, 
und zeigte ihm, daß fie ſich nicht rührten. Der Schloßvogt, 
nachden: er ihn eine Weile trogıg angejehen hatte, verſetzte: 
„Seht den Grobian! ob der Flegel nicht Gott danken follte, 
daß die Mähren überhaupt noch leben?" Er fragte, wer fie, 
da der Knecht weggelaufen, hätte pflegen follen? ob es nicht 
billig gewefen wäre, daß die Pferde das Zutter, das man 
ihnen gereicht habe, auf den Feldern abverdient hätten? Er 
chloß, daß er hier Feine Flauſen machen möchte, oder daß er 
die Hunde rufen und fc) durch fie Ruhe im Hofe zu verfchaffen 
wiffen würde. — Dem Roßhändler ſchlug das Herz gegen den 
Wams. ES drängte ihn, den nichtswürdigen Didwant in den 


244 


Koth zu werfen und den Fuß auf fein kupfernes Antlig zu 
fegen. Doch fein Rechtgefühl, das einer Goldwage gi, 
wankte noch; er war vor ber Schrante feiner eigenen Druft 
noch nicht gewiß, ob eine Schuld jeinen Gegner drüde, und 
während er, die Schimpfreden niederfchludend, zu den Pferden 
trat und ihnen in ftiler Erwägung der Umftände die Mäpnen 
zurecht legte, jragte er mit gefenkter Stimme: um welchen 
Berfehens halber der Knecht denn aus der Burg entfernt 
worden ſei? Der A erwiederte: „Weil der Schlingel 
trogig im Hofe gewefen ift! weil er fi) gegen einen noth- 
wendigen Stallwechſel gefträubt und verlangt hat, daß die 
Pferde zweier Jungherren, die auf die Trontenburg kamen, 
um feiner Mähren willen auf der freien Straße übernachten 
ſollten!“ — Kohlhaas hätte den Werth der Pferde darum ge- 
eben, wenn er ben Knecht zur Hand gehabt und defien Aus- 
Page mit der vuafage dieſes didmäuligen Burgvogts hätte 
vergleichen können. Er fland noch und ftreifte den Rappen 
die Zoddeln aus, und fann, was in feiner Rage zu thun fei, 
als fih die Ecene plößlich änderte, und der Junker Wenzel 
von Tronfa mit einem Schwarm von Nittern, Knechten und 
Hunden, von der Hafenhege kommend, in den Fe 
jprengte. Der Schloßvogt, als er fragte, was vorgefallen 
jei, nahm fogleih das Wort, und während bie Sande beim 
Anblick des Fremen von der einen Seite ein Mordgeheul 
gegen ihn anftimmten, und die Ritter ihnen von der andern 
u fchmweigen geboten, zeigte er ihm unter der gehälfigften Ent- 
—** der Sache an, was dieſer Roßkamm, weil feine Rappen 
ein wenig gebraucht worden wären, fir eine Nebellion ver- 
ühre. Er jaste mit Hohngelächter, daß er fich weigere, die 
ferde als die feinigen anzuerkennen. Kohlhaas tier: „Das 
find nicht meine Pferde, geftvenger Herr! das find die Pferde 
nicht, ‘die dreißig Goldgülden werth waren! Ich will meine 
wohlgenäbrten und gefunden Pferde wieder haben!” — Der 
Junker, indem ihm eine flüchtige Bläſſe ins Geficht trat, ftieg 
vom Pferde, und fagte: „Wein der Fu— A... die Pferde nicht 
wiedernehmen will, ſo mag ers bleiben laffen. Komm, Oünther!“ 
rief er — „Hans! Kommt!“ indem er fich den Staub mit der 
Hand von den Beinkleidern fchüttelte; und: „Ichafft Wein!“ rief 
er noch, da er mit den Nittern unter der Thür mar; und 
gieng ins Haus. Kohlhaas fagte, daß er eher den Abdeder 
rufen und die Pferde auf den Schindanger fchmeißen laffen, 
als fie fo, wie fie wären‘, in feinen Stal zu Kohlhaaſenbrück 
führen wolle. Er ließ die Säule, ohne Ri um fle zu be- 
fümmern, auf dem Plag ftehen, ſchwang ſich, inden er ver- 
ficherte, daß er fih Recht zu verjchaffen willen würde, auf 
jeinen Braunen und ritt davon. 


245 


ferde als eine gerechte Folge davon zu 
Sell, m Dagegen fagte ihm ein eben jo vortreffliches 


fallen Ki Ih Genugthuung für die erlittene Kränkung und 


Sobald er bei feiner Ankunft in Koblhaajenbrüd eek, 
jein treues Weib, umarmt und feine Kinder, die um feine 
Kniee froblodten, gefüßt hatte, fragte er gleich nach Herje, dem 
Großknecht, und ob man Nichts von ihm gehört habe? Lis- 
De fagte: „Ja, Tiebfter Michael, diefer — denke dir, daß 
dieſer unfelige Menſch vor etwa vierzehn Tagen, auf das 
Jämmerlichſte zerjchlagen, hier eintrifjt; nein, ” zerichlagen, 
daß er auch nicht frei athmen kann. Wir bringen ihn zu 
Bett, mo er heftig Blut fpeit, umd vernehmen auf unfre 
wiederholten Fragen eine Gelchichte, die Keiner verfteht. Wie 
er von dir mit Pferden, denen man den Durchgang nicht ver- 
ftattet, auf der Tronfenburg zurüdgelaffen worden fei, wie 
man ihn dur die ſchändlichſten Mißhandlungen gezwungen . 
habe, die Burg zu verlaffen, und mie es ihm unmöglich ge- 
iwefen wäre, die Pferde mitzunehmen. „So?“ fagte Kohlhaas, 
indem er den Mantel ablegte. „Iſt er denn ſchon wieder ber- 
geſtellt?“ — „Bis auf das Blutjpeien“, antwortete fie, „halb 
„und halb. Ich mollte ogleih einen Knecht nad) der Tronken⸗ 
burg fchiden, um die Pflege der Roſſe bis zu deiner Ankunft 
dafelbjt beforgen zu laſſen. Denn da fi der Herje immer 
wahrhaftig gezeigt hat und fo getreu uns in der That wie 
fein Anderer, % am es mir nicht zu, in feine Ausfage, von 
fo viel Merkmalen unterftügt, einen Zweifel zu ſetzen und 
etwa zu glauben, daß er der Pferde auf eine andere Art ver- 
Iuftig gegangen wäre. Doc, er beſchwört mich, Niemandem 
zuzumutbhen, fich in diefem Raubneſte zu zeigen, und bie 


246 


Thiere aufzugeben, wenn ich feinen Menſchen dafür aufopfern 
wolle.” — „Liegt er denn noch im Bette ?“ fragte Kohlhaas, indem 
er fich von der Galsbinde befreite. — „Er geht“, erwiederte fie, 
„feit einigen Tagen ſchon wieder im Hofe umher. Kurz, du 
wirft fehen“, fuhr fie fort, „daß Alles feine Nichtigkeit hat, 
und daß diefe Begebenheit einer von den Yreveln iſt, die 
man fich feit Kurzem auf der Tronkenburg gegen die Fremden 
erlaubt.“ — „Das muß ich doch erft unterſuchen“, erwiederte 
Kohlhaas. „Rufihn mir, Fisbeth, wenn er auf ift, doch her!“ 
Mit diefen Worten fegte er fich in den Lehnſtuhl; und die 
Hausfrau, die fi über feine Gelaſſenheit fehr freute, gieng 
und holte den Knecht. 

„Was haft du in der Tronfenburg gemacht?“ fragte Kohl- 
hans, da Lisbeth mit ihm in das Zimmer trat. „Ich bin 
nicht eben wohl mit dir zufrieden.“ — Der Kuecht, auf deſſen 
blaſſem Geficht fich bei diefen Worten eine Röthe fledig zeigte, 
ſchwieg eine Weile; und: „da habt Ihr Recht, Herr!” antwortete 
er; „denn einen Schwelelfaben, den ich durch Gottes Fügung 
bei mir txug, um das Raubneſt, aus dem ich verjagt worden 
war, in Brand zu jeden, warf ih, als ich ein Kınd darin 
iammern hörte, in das Elbwaſſer und dachte: mag es Gottes 
Blitz einäfchern; ich wills nicht!" — Kohlhaas fagte betroffen: 
„Wodurch aber’haft du dir Die Verjagung aus der Tronfenburg 
zugezogen?“ Drauf Herfe: „Durch einen fchlechten Streich, 
Herr; “und trodnete fid) den Schweiß von der Stirn: „Geſchehenes 
ijt aber nicht zu ändern. Ich mollte die Pferde nicht auf der 
Feldarbeit zu Grunde richten laffen, und tagte. daß fie noch 
jung wären und nicht gezogen hätten.“ — Kohlhaas ermie- 
derte, indem er feine Verwirrung zu verbergen juchte, daß 
er hierin nicht ganz die Wahrheit gejagt, indem die Pferde 
fhon zu Anfange des verflofienen Frühjahrs ein wenig im 
a an gewefen wären. „Du hätteft dich auf der Burg“, fuhr 
er fort, „wo du doc eine Art von Gaſt wareft, ſchon ein oder 
etlihe Mal, wenn gerade wegen jchleuniger Einführung der 
Ernte Noth war, gefällig zeigen können.“ — „Das habe id) 
auch gethan, Herr“, ſprach Herſe. „Ih dachte, da fie mir 
grämliche Geſichter machten, e8 wird Doc Die Rappen Juft 
nicht koſten. Am dritten Vormittag fpannt’ ich fie vor, und, 
drei Yuhren Getreide führt’ ich ein." — Kohlhaas, dem das 
Herz emporguoll, jchlug die Augen zu Boden, und verfegte: 
„Davon hat man mir NichtS gejagt, Herſe!“ — Herſe berficherte 
ihn, daß es fo fei. „Meine Ungefälligteit“, fprach_er, „beftand 
darin, daß ich die Pferde, als fie zu Mittag kaum ausge- 
freifen hatten, nicht wieder ins Joch) Daunen wollte; und daß 
ich dem Schloßvogt und dem Berwalter, als fie mir vor» 
ihlugen, frei Futter daflir anzunehmen, und das Geld, dag 


247 


Ihr mir für Futterkoſten zurüdgelafien hattet, in den Sad zu 
fteden, antwortete — ih würde ihnen ſonſt was thun; mich 
umfehrte und weggieng.” — „Um dieſer Ungefälligleit aber“, 
fagte Kohlhaas, „bift du von der Tronkenburg nidyt wegge- 
jagt worden?“ — „Behüte Gott“, rief der Knecht, „um eıne 
gottvergefjene Miffethat! Denn auf den Abend murden die 
Pferde zweier Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in 
den Stall geführt, und meine an die Stallthüre angebunden. 
Und da ic dem Schloßpogt, der fie dafelbit einquartierte, die 
Nappen aus der Hand nahnı und fragte, wo die Thiere jeto 
bleiben follten, jo zeigte er mir einen Schweinefoben an, der 
pon Ratten und Brettern an der Schloßmauer auferbaut war.“ 
— „Du meinft“, unterbrad) ihn Kohlhaas, „es war ein fo 
ſchlechtes Behältniß für Pferde, daß e3 einen Schmweinefoben 
ähnlicher war al8 einem Stall." — „E8 war ein Schweineloben, 
Herr“, antwortete Herfe; „wirklich und wahrhaftig ein Schweine- 
foben, in welchem die Schweine aus- und einliefen und id) 
nicht aufrecht ftehen konnte.“ — , Vielleicht war fonft kein Unter- ' 
fonımen für die Rappen aufzufinden“, verſetzte Kohlhaas; „die 
Pferde der Ritter giengen auf eine gewifjfe Art vor.” — „Der 
Platz“, erwiederte der Knecht, indem er die Stimme fallen 
ließ, „war eng. Es haufeten jett in Allem fieben Ritter auf 
der Burg. Wenn hr es geweſen wäret, Jhr hättet die Pferde 
ein wenig zufammenrüden laſſen. Ich fagte, ich wolle mir 
im Dorf einen Etall zu miethen fuchen; doch der Schloßvogt 
verjegte, daß er die Prerde unter feinen Augen behalten müſſe, 
und daß ich mich nicht unterftehen folle, fie vom Hofe wegzu- 
führen.“ — „Hm!“ fagte a „Bas gabft du daraufan?“ 
— „Weil der Verwalter fprady, die beiden Gäſte würden bloß 
übernachten und am andern Morgen weiter reiten, jo führte 
ich die Pferde in den Schweinefoben hinein. Aber der folgende 
Tag verfloß, ohne daß es geſchah; und als der dritte anbrach, 
hieß es, die Herren würden nod) einige Bogen auf der Burg 
verweilen.” — „Am Ende wars nicht fo fchlimm, Herfe, in 
Schmeinefoben“, ſagte Kohlhaas, „als e8 dir, da dur zuerft die 
Maſe hineinftecteft, vortam.* — „'S ift wahr“, erwiebderte jener. 
„Da ich den Drt ein Biffel ausfegte, giengs an. Ich gab der 
Magd einen Grofhen, daß fie die Schweine wo anders ein- 
ſtecke. Und den Tag über bemwerkftelligte ih aud, daß die 
Pferde aufreht ſtehen konnten, indem ich die Bretter obei, 
wenn der Morgen dämmerte, von den Tatten abnahın und 
Abends wieder auflegte. Sie gudten nun wie Gänfe aus dem 
Dad vor, und fahen fi nach Kohlhaaſenbrück oder fonft, wo 
e8 befjer ift, um." — „Nundenn“, fragte Kohlhaas, „warum alſo 
in aller Welt jagte mau dich fort ?* — „Herr, ich ſags Euch“, 
verjegte der Aincdtt, „weil man meiner 103 fein wollte. Weil 


248 


fie die bierbe, jo lange ih dabei war, nit zu Grunde 
richten konnten. Ueberall fchnitten fie mir im gafe und in 
der Sefindeftube widermärtige Gefichter; und weil ich dachte, 
zieht ihr die Mäuler, daß fie verrenfen, fo brachen fie die 
Gelegenheit vom Zaune, und warfen mich vom Hofe herunter.“ 


Gefindeftube Hinter mir herftürzen und: halt den Spigbuben ! 
rufen: halt den Galgenftrid! Ar ob fie l 


249 


und einen Biindel Wälche, im Schweinefoben zurüd. Wird’ ic) 
drei Reichsgülden nicht zu mir geftedt haben, die ich im roth- 
ſeidnen Halstuch hinter der Krippe verftedt hatte? Blitz, Höll' 
und le wenn Ihr jo ſprecht, jo möcht ich nur gleich den 
Schmefelfaden, den ich wegwarf, wieder anzünden!“ — „Nun, 
nun!“ fagte der Roßhändler; „es war eben nicht böfe gemeint! 
Was du gejast haft, ſchau, Wort für Wort, id) glaub’ es dir; 
und das Übendmahl, wenn es zur Sprache kommt, will ich 
felbft nun darauf nehmen. Es thut mir leid, daß es dir in 
meinen Dienften nicht beſſer ergangen ift; geb, Herje, geh zu 
Dett, laß dir eine Flaſche Wein geben und tröfte dich, Dir foll 
Gerechtigkeit widerfahren!” Und damit ftand er auf, fertigte 
ein Verzeichniß der Sachen an, die der Großknecht in Schweine: 
foben zuritdgelafien; fpecificierte den Werth derjelben, eat 
ihn auch, wie hoch er die Kurkoften anfchlage; und ließ ihn, 
nachdem er ihm noch Einmal die Hand gereicht, abtreten. 

Hierauf erzählte er Lisbeth, feiner Frau, den ganzen Ber- 
lauf und inneren EEE der Gefchichte, erklaͤrte ihr, 
wie er entfchloffen fei, die öffentliche Gerechtigkeit für fi) auf- 
zufordern, und hatte die Freude, zu fehen, daß fie ihn in 
diefem Vorſatz aus voller Seele beftärkte. Denn fie jagte, daß 
noch mancher andre Weifende, vielleicht minder duldfanı als 
er, fiber jene Burg ziehen würde; daß es ein Werk Gottes 
wäre, Unordnungen, gleich diefen, Einhalt zu thun; und daß 
fie die Koften, die ihm die Führung des Prozeſſes verurfachen 
würde, ſchon beitreiben molle. ohlhaas nannte fie fein 
wadres Weib, erfreute fich diefen und den folgenden Tag in 
ihrer und feiner Kinder Mitte, und brach, fobald es feine Ge— 
ſchäfte irgend zuließen, nach Dresden auf, um feine Klage vor 
Gericht zu bringen. . 

Hier berfaßte er mit Hülfe eines Nechtsgelehrten, den er 
kannte, eine Bejchwerde, in welcher er nach einer umftändlichen 
Schilderung des Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka 
an ihm jowohl als an feinem Knecht Herſe verübt hatte, auf 
gefegmäßige Beftrafung deflelben, Wiederherftellung der Pferde 
in den vorigen Stand, und auf Erſatz des Schadens antrug, 
den er ſowohl als fein Knecht dadurch erlitten hatten. Die 
Rechtsſache war in der That klar. er Umftand, daß die 
Pferde gejegwidriger Weiſe feitgehalten worden waren, warf 
ein entſcheidendes Licht auf alles Üebrige; und felbft wenn man 
A annehmen wollen, daß die Bierde durch einen bloßen Zu- 
all erfranft wären, fo würde die Forderung des Roßkamms, 
ie ihm gefund wieder auzuftellen, noch gerecht gewejen fein. 

8 fehlte Kohlhaas auch, während er fich in der Nefidenz 
Inch feineswegs an Freunden, die feine Sache lebhaft zu 
unterftügen verfprachen; der ausgebreitete Handel, den er mit 


250 


Pferden trieb, Hatte ihm die Bekanntſchaft, und die Redlichkeit, 
mit welcher er dabei zu Werfe gieng, ihm das Wohlwollen 
der bedeutendften Männer des Landes verſchafft. Er fpeijete 
bei feinem Advokaten, der felbjt ein anfehnlidyer Mann war, 
mehrere Mal heiter zu Tiſch, legte eine Summe Geldes zur 
Beltreitung der Prozeßkoſten bei ihn nieder, und kehrte nad) 
Berlauf einiger Wochen, völlig von denselben über den Aus: 
gang feiner Rechtsfache beruhigt, zu Lisbeth, feinem Weibe, 
nad Kohlhaajenbrüd zurüd. Gleichwohl vergiengen Monate, 
- und das Jahr war daran abzufchliegen, bevor er von Sachſen 

aus auch nur eine Erklärung über die Klage, die er Wr 
anhängig gemacht hatte, gefihieige denn die Refolution jelb 
erhielt. Er fragte, nachden er ne Diale von Neuent 
bei dem Tribunal eingefommen war, jeinen Rechtsgehülfen in 
einem vertrauten Briefe, mas eine fo übergroße Verzögerung 
verurfache; und erfuhr, daß die Stlage auf eine höhere In— 
finuation bei dem Dresdner Gerichtshofe gänzlich niederge- 
ſchlagen worden jet Auf die befremdete Rückſchrift des Roß— 
kamnis, worin dieß feinen Grund habe, meldete ihm Jener: 
daß der Junker Wenzel von Tronka mit zwei Jungherren, 
gi und Kunz von Tronfa, verwandt fei, deren Einer bei der 
Perſon des Herrn Mundfchenk, der Andre gar Kämmerer fei. 
— Er rieth m no, er möchte ohne weitere Bemühungen bei 
der Rechtsinſtanz feiner auf der Tronfenburg befindlichen 
Pferde wieder habhaft zu werden fuchen; gab ihm zu verftehen, 
daß der Junker, der fich jest in der Hauptftadt aufhalte, feine 
Leute angemiefen zu goben ſcheine, ſie ihm auszuliefern; und 
ſchloß mit dem Geſuch, ihn wenigſtens, falls er ſich hiermit 
nicht beruhigen wolle, mit ferneren Aufträgen in dieſer Sache 
zu verſchonen. 

Kohlhaas befand ſich um dieſe Zeit gerade in Branden- 
burg, wo der Stadthauptmann Heinrih von Geufau, unter 
defjen Regierungsbezirk Kohlhaafenbrüd gehörte, eben bejchäf- 
tigt war, aus einem beträchtlichen Fonds, der der Stadt zu- 
gefallen war, mehrere wohlthätige Anftalten für Kranfe und 
Arme einzurichten. Beſonders war er bemüht, einen mine- 
raliihen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend jprang, 
und von deſſen Heilfräften man fih mehr, als die Zukunft 
nachher bewährte, verfprach, für den Gebraud der Preßhaften 
einzurichten; und da Kohlhaas ihm megen manchen Verkehrs, 
in dem er zur Zeit jeines Anfentau⸗ am Hofe mit demſelben 
geſtanden hatte befannt war, jo erlaubte er Derlen, dem 
Großknecht, dem ein Schmerz beim Athembolen über der Bruft 
feit jenen ſchlimmen Jage auf der Tronkenburg zurückgeblieben 
war, die Wirfung der kleinen mit Dach und Einfaſſung ver- 
fehenen Heilquelle zu verfuchen, Es traf fi, daß der Stadt- 


251 


hauptmann eben anı Rande des Keſſels, in welchen Kohlhaas 
den Herfe gelegt hatte, gegenwärtig war, um einige Anord- 
nungen zu treffen, als Jener durch einen Boten, den ihm feine 
Frau nahfehidte, den niederfchlagenden Brief feines Rechts⸗ 
gehülfen aus Dresden empfieng. Der Stadthauptmann, der, 
während er mit dem Arzt fprach, bemerkte, daß Kohlhaas 
eine Thräne auf den Brief, den er befommen und eröfinet hatte, 
fallen ließ, näherte fih ihm auf eine freundliche und herzliche 
Weiſe, und fragte ihn, was für ein Unfall ihn betroffen; und 
da der Roßhändler ihm, ohne ihm zu antworten, den Brief 
überreichte: jo Klopfte diefer würdige Mann, dem die abjcheu- 
liche Ungerechtigfeit, die man auf der Tronkenburg an ihm 
verübt hatte, und an deren Folgen Herfe eben, vielleicht auf 
. die Xebenszeit, krank danieder lag, befannt war, auf bie 
Schulter und fagte ihm, er fole nicht muthlos fein, er werde 
Im zu feiner Genugthuung verhelfen. Am Abend, da fich der 
Roßkamm feinem Befehl gemäß zu ihn aufs Schloß begeben 
hatte, fagte er ihn, daß er nur eine Supplik mit einer furzen 
Darftellung des Vorfalls an den Kurfürften von Brandenburg 
auffegen, den Brief des Advofaten beilegen, und megen der 
Gemaltthätigfeit, die man fich auf fächfifchen Gebiet gegen ihn 
erlaubt, den landesherrlihen Schug aufrufen möchte. Er ver- 
ſprach ihm, die Bittfhrift unter einem anderen PBadet, das 
Ichon bereit liege, in die Hände des Kurfürften zu bringen, der 
jeınethalb unfehlbar, wenn es die Berhältniffe zuließen, bei 
dem Kurfürften von Sachſen einfommen würde, und niehr 
als eines ſolchen Schrittes bedürfe es nicht, um ıhm bei dem 
Tribunal in Dresden, den Künften des Junkers und feines 
Anhanges zum Trotz, Gerechigteit zu verſchaffen. Kohlhaas, 
lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann für dieſen neuen 
Beweis ſeiner Gewogenheit aufs Herzlichſte, ſagte, es thue 
im nur leid, daß er nicht, ohne irgend Schritte in Dresden zu 
thun, feine Sache glei) in Berlin anhängig gemacht habe und 
nachdem er in der Schreiberei des Stadtgericht8 die Beſchwerde 
ganz den Forderungen gemäß verfaßt und dem Stadthaupt- 
mann übergeben hatte, kehrte er beruhigter über den Ausgang 
feiner Geſchichte als je nad Kohlhaaſenbrück zurüd. Er hatte 
aber jchon in wenig Wochen den Kummer, durd) einen Gericht3- 
beren, der in Gejchäften des Stadthauptmanns nad) Potsdam 
gieng, zu erfahren, daß der Kurfürft die Supplit feinem 
Kanzler, dem Grafen Kallheim, übergeben habe, und daß diefer 
nicht unmittelbar, wie es amedmäßig Ichien, bei dem Hofe zu 
Dresden um Unterfuhung und Beftrafung der Gemaltthat, 
jondern um vorläufige nähere Information bei dem unter 
von Tronka eingefommen jei. Der Gerichtsherr, der, vor 
Kohlhaaſens Wohnung im Wagen haltend, den Auftrag zu 


252 


haben fchien, dem Roßhändler diefe Eröffnung zu maden, 
fonnte ıhm auf die betroffene Srage: warım man aljo ver- 
fahren ? feine befriedigende Auskunft geben. Er fügte nur noch 
hinzu: der ——— ließe ihm ſagen, er möchte ſich 
in Geduld faſſen; ſchien bedrängt, ſeine —8 fortzuſetzen; und 
erſt am Schluß der kurzen Unterredung errieth en aus 
einigen hingeworfenen Worten, daß der Graf Kallheim mit 
dem Haufe derer von Tronka verfchwägert fei. — Kohlhaas, 
der feine Freude mehr weder an feiner Pferdezucht, noch an 
Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte, 
in trüber Ahndung der Zukunft den nächften Mond; und ganz 
feiner Erwartung gemäß fam nach Verlauf diefer Zeit Herſe, 
dem das Bad einige Linderung verjchafft hatte, von Branden- 
burg zurüd, mit einem ein größeres Reſcript begleitenden 
Schreiben des Stadthauptmanns, des Inhalts: es thue ihm 
leid, daß er Nichts in feiner Sache ihm könne; er ſchicke ihm 
eine an ihn ergangene Rejolution der Staatsfanylei, und rathe 
ihm, die Pferde, die er in der Tronkenburg zurüdgelaffen, 
wieder abführen und die Sache Übrigens ruhen zu laffen. — 
Die Refolution lautete: er jet nach den Bericht des Tribunals 
in Dresden ein tue Duerulant; der Junker, bei dem er 
die Pferde zurüdgelaffen, halte ihm diefelben auf Feine Weife 
gurüd; er möchte nach der Burg ſchicken und fie holen, oder. 
em unter wenigftens willen laſſen, wohin er fie ihm fenden 
ſolle; die Staatskanzlei aber auf jeden Fall mit ſolchen Plade- 
reien und Stänfereten verfchonen. Kohlhaas, dem ed nicht 
um die Pferde zu thun war — er hätte gleihen Schinerz 
empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten hätte — Kohl- 
haas fchäumte vor Wuth, als er diefen Brief empfieng. 
ſah, fo oft fih ein Geräufch im Hofe hören lieh mit der 
widerwärtigften Erwartung, die feine Bruft jemals bewegt 
hatte, nach den: Thorwmege, ob die Leute des Jungherren 
ah und ihm vielleicht gar mit einer Entjchuldigung die 
Pferde en und abgehärmt wieder aufteilen würden; 
der einzige Fall, in welchem feine von der Melt wohlerzogene 
Geele Fi: Nichts, das ihrem Gefühl völlig entſprach, nefaßt 
war. Er börte aber in kurzer Zeit fchon durch einen Be— 
kannten, ber die Straße gereifet war, daß die Gäule auf 
der Tronfenburg nad) wie vor den übrigen Pferden des Land- 
[untere gleich auf dem Felde gebraudht würden; und mitten 
ur den Schmerz, die Welt in einer fo ungebeueren Un— 
ordnung zu erbliden, zudte die innerliche Zufriedenheit empor, 
feine eigne Bruft nunmehr in Ordnung zu fehen. Er lud 
einen Amtmann, feinen Nachbar, zu fi), der längft mit dem 
Plan umgegangen war, feine Befigune en durch den Aufauf 
der ihre Grenze berübhrenden Grundftüde zu vergrößern, und 


253 


fragte ihn, nachdem fich derfetbe bei ihm niedergelaflen, was 
er für feine Befigungen int Deandenburgijihen und im Säch— 
hen, Haus und Hof, in Pauſch und Bogen, es fei nagel- 
eft oder nicht, geben wolle? Lisbeih, fein Weib, erblaßte bei 
diefen Worten. Sie wandte fi und ur ihr Jüngſtes auf, 
das hinter ihr auf dem Boden fpielte, Blide, in welchen ſich 
der Tod malte, bei den rothen Wangen des Knaben vorbei, 
der mit ihren ra fpielte, auf den Roßkamm und 
ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der Amt- 
mann fragte, indem er ihn befremdet anfah, was ihn ip 
lich auf fo fonderbare Gedanken bringe; worauf jener mit fo 
viel Heiterkeit, al8 er erzwingen konnte, erwiederte: der Ge- 
danke, feinen Meierhof an den Ufern der Havel zu verkaufen, 
jet nicht allzuneu; fie hätten Beide ſchon oft über diefen Gegen- 
ftand verhandelt; fein Haus in der Vorſtadt in Dresden fei 
im Bergleih damit ein bloßer Anhang, der nicht in Er- 
wägung komme; und kurz, wenn er ihm feinen Willen thun 
und beide Grundftüde übernehmen wolle, fo fei er bereit, den 
Contract darliber mit ihm abzufchließen. Er ſetzte mit einem 
etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohlhaafenbrück fei ja nicht 
die Welt; es fünne Zmwede geben, in Vergleich mit welchen, 
feinem Hausweſen als ein ordentliher Vater vorzuftehen, 
untergeordnet und nichtswürdig fei: und furz, feine Seele, 
müſſe er ihm fagen, ſei auf große Dinge geftellt, von welchen 
er vielleicht bald hören werde. Der Amtmann, durch dieſe 
Worte beruhigt, fagte auf eine Luft e Art zur Frau, Die 
das Kind Ein Mal über das andere küßte: er werde Do nicht 
gleih Bezahlung verlangen? legte Hut und Stock, die er 
wiſchen den Knieen sche ten hatte, auf den Tiſch, und nahm 
a8 Blatt, das der Roßkamm in der Hand hielt, um es 
durchzulefen. Kohlhaas, indem er demjelben näher rüdte, 
erHlärte ihm, daß e8 ein von ihm aufgefegter eventueller, in 
vier Wochen verfallener Kaufcontract jei; zeigte ihm, daß 
darin Nichts fehle als die Unterfchriften und die Einrüdung 
der Summen, fomohl was den Kaufpreis felbit, als auch den 
Neukauf, d. 5. die Leiftung betreffe, zu der er fih, falls er 
binnen vier Wochen zurüdträte, ver eben wolle; und forderte 
m noch einmal munter auf, ein Gebot zu thun, indem er 
ihn verficherte, daß er billig fein und feine großen Umftände 
machen würde. Die Frau gieng in der Stube auf und ab; 
ihre Bruft flog, daß das Tuch, an weldhem der Knabe 
gezupft hatte, ihr völlig von der Schulter herabzufallen 
drohte. Der Amtmann fagte, daß er ja den Werth der Be- 
figung in Dresden keineswegs beurtheilen könne; worauf ihm 
Kohlhaas, Briefe, die bei ihrem Ankauf gemechfelt worden 
waren, hinfchiebend, antwortete: daß er fie zu hundert Gold⸗ 


254 


ülden anfchlage; obſchon daraus herporgieng, daß fie ihn 
aft um die Hälfte mehr gefoftet hatten, Der Amtmann, der 
den Kaufcontract noch Einmal überlas, und darin auch von 
feiner Seite auf eine fonderbare Art die Freiheit ftipuliert 
fand, zurüdzutreten, fagte ſchon halb entfchloffen: daß er ja 
die Gekütpferde, die in einen Ställen wären, niht brauchen 
fönne; doch da Kohlhaas erwiederte, daß er die Pferde auch 
gar nicht Toszufchlagen mwillens fei, und daß er auch einige 
Waffen, die in der Rüftfammer hiengen, für fi behalten 
wolle, jo — zögerte Jener noch un aögerte, und wiederholte 
endlih ein Gebot, das er ihm vor Kurzem fon einmal, 
alb im Scherz, halb im Eruft, nichtswürdig gegen den 
% ei der Befigung, auf einem Spaziergange gemacht hatte, 
Kohlhaas fhob ihm Tinte und Feder hin, um zu fchreiben; 
und da der Amtmann, der feinen Sinnen nicht traute, ihn 
noh Einmal gefragt hatte, ob es a Ernſt fer? und der 
Roßkamm ihm ein wenig empfindlid geantwortet hatte: ob 
er glaube, daß er bloß feinen Scherz mit ihm treibe? fo 
nahın Jener zwar mit einem a Geſicht die Feder 
und ſchrieb; Dagegen uralte er den Punkt, ın welchem von 
der Reiftung, fals den Verkäufer der Handel gereuen follte, 
die Nede war; verpflichtete fih zu einem Darlehen von hun- 
dert Goldgülden, auf die Hypothek des Dresdenſchen Grund— 
ſtücks, das er auf feine Weile käuflich an ſich brungen wollte, 
und Tieß ihm binnen zwei Monaten völlige Freiheit, von dem 
Handel wieder zurüdzutreten. Der Roblanım, von diefem 
Verfahren gerührt, fchüttelte ihm mit vieler Herzlichkeit die 
Hand, und nachdem fie noch, welches eine Hauptbedingung 
war, übereingelommen waren, daß des Kaufpreifes vierter 
Theil unfehlbar gleich baar und der Reſt in drei Monaten 
in der Hamburger Bank gezahlt werden follte, rief Jener nad) 
Wein, um fich eines fo üdtic abgemachten Geſchäfts zu 
erfreuen. Er ſagte einer Magd, die mit den Flaſchen —* 
trat, Sternbald, der Knecht, ſolle ihm den Fuchs ſattein; er 
müſſe, gab er an, nach der Haupiſtadt reiten, wo er Ver— 
richtungen habe; und gab zu verſtehen, daß er in Kurzem, 
wenn er zurückkehre, fc offenherziger über das, was er jegt 
noch für ſich ee müſſe, auslaffen würde. Hierauf, in« 
dem er die Gläjer einjchenkte, fragte er nad) dem Polen und 
Türken, die gerade damals mit einander im Gtreit lagen; 
verwidelte den Anıtmann in manderlei politifche Conjectiren 
darüber; trank ihm ſchließlich hierauf noch Einmal das Ge- 
deihen ihres Geſchäfts an und entließ ihn. — Als der Amt- 
mann das Zimmer verlaffen hatte, fiel Lisbeth auf Knieen 
vor ihm nieder. „Wenn du much irgend“, vief fie, „mich und 
die Kinder, die ich div geboren habe, in deinem Herzen trägft; 


255 


wenn wir nicht im Voraus ſchon, um mwelder Urfache willen 
weiß 0 nicht, verftoßen find: jo fage mir, was diefe entſetz— 
lichen Anftalten ie bedeuten haben!” Kohlhaas fagte: „Liebſtes 
Weib, Nichts, das dich noch, fo mie die Sachen ftehn, beun- 
ruhigen dürfte. Ich habe eine Rejolution erhalten, in welcher 
man mir fagt, daß meine Klage gegen den Junker Wenzel 
von Tronfa eine nichtsnutzige Stänferei fei. Und meil hier 
ein Mißverfländnig obmalten muß: fo habe ich mich ent- 
fchloffen, meine Klage noch einmal perfönlich bei dem Xandes- 
herrn felbft einzureichen.“ — „Warum willſt du dein Haus ver- 
faufen ?“ rief fie, indem fie mit einer verftörten Gebärde 
aufitand. Der Roplamm, inden er fie fanft an feine Bruft 
drüdte, erwiederte: „Weil ich in einem Lande, liebte Lisbeth, 
in welddem man mich in meinen Nechten nicht ſchützen will, 
nicht bleiben mag. Lieber ein Hund fein, wenn ich von Füßen 
getreten werden fol, als ein Menfh! Sch bin gewiß, daß 
meine Frau hierin fo denft als ich.“ — „Woher weißt du“, 
fragte Jene wild, „daß man dich in deinen Rechten nicht ſchützen 
wird? Wenn du dem Herrn befcheiden, wie e8 dir zufonmt, 
nit deiner Bittfchrift nahft: woher meißt du, daß fie bei 
Geite geworfen, oder mit Verweigerung dich zu hören beant- 
mortet werden wird?" — „Wohlan“, antwortete Koblhaas, 
„wenn meine Furcht hierin ungegründet ift, fo ift auch mein Haus 
noch nicht verfauft. Der Herr felbft, weiß ich, ift gerecht; 
und wenn es mir nur gelingt, durch Die, die ihn umringen, 
bis an feine PBerfon zu kommen, fo zmeifle ich nicht, id) 
verfchaffe mir Recht und fehre east, noch ehe die er 
verftreicht, zu dir und meinen alten Geſchäften —5 Möcht 
ich alsdann noch“, ſetzt' er hinzu, indem er ſie küßte, „bis an 
das Ende meines Lebens bei dir verharren! — Doch rathſam 
iſt es“, fuhr er fort, „daß ich mich auf jeden Fall gefaßt mache; 
und daher wünſchte ich, daß du dich auf einige Zeit, wenn 
es ſein kann, entfernteſt und mit den Kindern zu deiner 
Muhme nach Schwerin giengſt, die du überbieß längſt haft 
befuchen wollen.” — „Wie?“ rief die Hausfrau, „ich fol nad) 
Schwerin gehen? fiber die Grenze mit den Kindern zu meiner 
Muhme nah Schwerin?“ Und das Entjegen erftidte ihre 
Spradje. —, Allerdings“, antwortete Kohlhaas, „und das, wenn 
es fein fanıı, glei, damit ich in den Schritten, die ich für 
meine Sache thun will, durch feine Rüdfichten geftört werde.“ 
— „DO! ih verftehe dich!” rief fie. „Du brauchſt jett Nichts 
mehr al3 Waffen und Pferde; alles Andere kann nehmen wer 
will!“ Und damit wandte fie ſich, warf fih auf einen Geffel 
nieder und meinte, — Kohlhaas fagte betroffen: „Liebite Lis— 
beth, was machſt du? Gott hat mich mit Weib und Kindern 
und Gütern gefegnet; fol ich heute zum erften Mal wünſchen, 


256 


daß es anders wäre?" — Er febte ſich zu ihr, die ihm bei 
diefen Worten erröthend um den En gefallen war, freund- 
lich nieder. —- „Sag mir an“, ſprach er, indem er ihr die Locken 
von der Stirne ſtrich: „mas fol ich thun? fol ich meine Sache 
‚ aufgeben? fol id nad der Trontkenburg gehen und den 
Ritter bitten, daß er mir die Pferde mwiedergebe, mic, auf- 
ſchwingen und fie dir herreiten?” — Lisbeth wagte nicht: ja! 
ja! jal zu lagen — fie fohüttelte weinend mit dem Kopf, fie 
drüdte ihn heftig an fi) und überdedte mit heißen Küffen 
feine Bruft. „Nun alfo!“ rief Kohlhaas. „Wenn du fühlft, daß 
mir, falls ich mein Gewerbe forttreiben fol, Recht werden 
muß, fo gönne mir auch die Freiheit, die mir nöthig iſt, es 
mir zu verſchaffen!“ Und damit ftand er auf und fagte dem 
Knecht, der ihm meldete, daß der Fuchs gejattelt ftünde: 
morgen müßten aud die Braunen eingeichirrt werden, um 
feine Frau nah Schwerin zu führen. Xısbeth jagte: fie habe 
einen Einfall! Sie erhob fi, wifchte fih die Thränen aus 
den Augen und fragte ihn, der fi) an einem Pult nieder- 
gefegt hatte: ob er hr die Bittfchrift geben und fie ftatt feiner 
nach Berlin gehen laljen wolle, um fe dem Landesherrn zu 
überreichen. Kohlhaas, von diefer Wendung um mehr als 
einer Urfach willen gerührt, zog fie auf feinen Schooß nieder 
und ſprach: „Yiebfte Frau, das ift nicht wohl möglich! der 
Landesherr ift vielfach umringt, mancherlei Verdrießlichkeiten 
ift Der ausgejegt, derihm naht.“ Lisbeth verjeßte, daß es in 
taujend Fällen einer Frau leichter fei al3 einem Mann, ihm zu 
nahen. „Sieb mir die Bittfchrift”, wiederholte fie, „und wenn 
du weiter Nichts willſt, als fie in feinen Händen wiffen, fo 
verbürge ich mich dafür: er fol fie befommen!“ Kohlhaas, der 
von ihrem Muth ſowohl als ihrer Klugheit mancherlei Proben 
hatte, fragte, wie fie e8 denn anzuftellen denke; worauf fie, 
indem fie verjhämt vor fich niederfah, erwiederte, daß der 
Caſtellan des Furfürftlichen Schloffes ın früheren Zeiten, da 
er zu Schwerin in Dienften geftanden, um fie geworben habe, 
daß derfelbe zwar jeßt verheirathet fei und mehrere Kinder 
habe, daß fie aber immer noch nicht ganz vergeflen wäre, — 
und kurz, daß er es ihr nur überlafjen ınöchte, aus diefem und 
manchem andern Umftand, der zu bejchreiben zu weitläufig 
wäre, Vortheil u ziehen. Kohlhaas küßte fie mit vieler Freude, 
jagte, Daß er ihren Vorſchlag annähme, belehrte fie, daR es 
iweiter NichtS bedürfe als einer Wohnung bei der Frau deffelben, 
um den Landesherrn im Schloffe —* anzutreten, gab ihr 
die Bittſchrift, ließ die Braunen anſpannen und ſchickte ſie 
mit Sternbald, ſeinem treuen Knecht, Eu eingepadt ab. 
Diefe Reife war aber von allen erfolglojen Saritten, 
die er in feiner Sache gethan hatte, der allerunglüdlichfte. 


257 


Denn ſchon nad wenig Tagen 308 Sternbald in den Hof 
wieder ein, Schritt vor Schritt den Wagen führend, in welchem 
die Frau mit einer gefährlichen Onetfönng an der Bruft aus⸗ 
geftredt Darnieder lag. Gamer er bleich an das Fuhr⸗ 
werk trat, konnte nichts Zujammenhängendes über das, was 
diefes Unglück verurfacht hatte, en Der Eaftellan war, 
wie der Knecht fagte, nicht zu Haufe geweſen; man war alfo 
genöthigt worden, in einem Wirt ayaule, das in der Nähe 
des Bloffes lag, abzufteigen; dieg Wirthshaus hatte Lisbeih 
am andern Morgen verlaflen und dem Knecht befohlen, bei 
den Pferden zurüdzubleiben; und eher nicht als am Abend 
Y fie in dieſem utand zurüdgelommen. Es ſchien, fie hatte 
ich zu dreift an die Perſon des Landesheren vorgedrängt und 
odne Verſchulden defielben von dem bloßen rohen Eifer einer 

ache, die ihn umringte, einen Stoß mit dem Schaft einer 
Lanze vor die Bruft erhalten. Wenigftens berichteten bie 
Leute fo, die fie in bewußtlofem Zuſtand gegen Abend in 
den Gafthof brachten; denn fie jelbit Tonnte, von aus dem 
Mund vorquellendem Blute gehindert, wenig fprecdhen. “Die 
Bittſchrift war ihre nachher durch einen Ritter abgenommen 
worden. Sternbald fagte, daß es jein Wille geweſen fet, fich 
gleich auf ein Pferd zu feßen und ihm von biefem unglüdlichen 

orfall Nachricht zu geben, doch fte Habe trog der Borftellungen 
des herbeigerufenen Wundarztes darauf beitanden, ohne alle 
porgängige Benachrichtigungen zu on anne nad) Kohl. 
banfenbrüd abgeführt zu werden. Kohlhaas brachte fie, die 
von der Reife völlig zu Grunde gerichtet worden war, in ein 
Bett, wo fte ımter I nmerzhaften Bemühungen, Athem zu 
holen, noch einige Tage lebte. Man verfuchte vergebens, dr 
das Bewußtſein wieder zu geben, um über das, was vor: 
gefallen war, einige Aufjchlüffe zu erhalten; fie lag mit ftarrem, 
"on gebrochnen Auge da und antwortete nicht. Nur kurz 
por ihrem Tode kehrte ihr noch einmal die Befinnung wieder. 
Denn da ein Geiftlicher Iutherifcher Religion (zu welchem eben 
damals aufleimenden Glauben fie ſich nach dem Beifpiel ihres 
Mannes befannt hate) neben ihrem Bette ftand und ihr mit 
lauter und are lich feierliher Stimme ein Eapitel aus der 
Bibel vorlas: fo jah fie ihn plöstich mit einem finftern Aus⸗ 
drud an, nahm ihm, ald ob ihr daraus Nichts vorzulefen 
wäre, die Bibel aus der Hand, blätterte und blätterte und 
ſchien etwas darin zu ſuchen; und zeigte dem Kohlhaas, der 
an ihrem Bette IF mit dem Zeigefinger den Vers: Vergieb 
deinen Feinden; thue wohl au enen, die dich haflen: — 
Sie drückte ihm dabei mit einem überaus ſeelenvollen Blick 
die Hand und ſtarb. — Kohlhaas dachte: fo möge mir Gott 
nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe! Tüßte fie, indem 

Vibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift, II. 17 


ihm häufig die Thränen floffen, drüdte ihr die Augen zu 
und verließ das Gemach. Er nahm die Hundert Goldgülden, 
die ihm der Amtmann ſchon für die Ställe in Dresden zu- 
efertigt hatte, und beftellte ein Reichenbegängniß, das weniger 
ir fie als für eine Fürftin angeordnet ſchien: ein eichener 
Sarg ftart mit Metall beſchlagen, Kiffen von Seide mit gol- 
denen und filbernen Troddeln, und ein Grab von acht Ellen 
Tiefe mit Feldfteinen gefüttert und Kalt. Er ftand felbft, 
jein Süngftes auf dem Arm, bei der Gruft und ſah der 
ebeit zu. Als der Begräbnißtag fam, ward die Reiche weiß 
wie Schnee in einem Saal aufgeitellt, den er mit ſchwarzem 
Tuch hatte befchlagen Laflen. Der Geiftliche hatte eben eine 
rührende Rede an ihrer Bahre vollendet, als ihm die landes- 
herrliche Refolution auf die Bittfchrift zugeftellt ward, welche 
die Abgefchiedene übergeben hatte, des Inhalts. er ſolle die 
Pferde von der Tronkenburg abholen, und bei Strafg, in das 
Oefängniß gemorten zu merden, nicht weiter in diefer Sache 
einlommen. Kohlhaas fledte den Brief ein und ließ den Sarg 
auf den Wagen bringen. Sobald der Dügel geworfen, das 
Kreuz daran) gepflanzt und die Ge ie bie Leiche beftattet 
hatten, entlaffen waren, warf er fi) noch Einmal vor ihrem 
nun verödeten Bette nieder und übernahm ſodann das Ge- 
Hark ber Race. Er fette fich nieder und verfaßte einen 
echtsfehluß, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka 
fraft der ihm angeborenen Macht verdammte, die Rappen, 
die er ihm abgenommen und auf den Feldern zu Grunde ge: 
richtet, binnen drei Tagen nah Sicht nah Kohlhaafenbrüd 
in führen und in Berhon in feinen Ställen did zu füttern. 
iejen Schluß fandte er durch einen reitenden Boten an ihn 
ab, und inftruierte denjelben, flugs nad Uebergabe des Pa- 
pier8 wieder bei ihm in Kohlhaaſenbrück zu fein. Da die 
drei Tage ohne Ueberlieferung der Pferde verfloffen, fo rief 
er Herfen; eröffnete ihm, was er dem Jungherrn, die Did- 
[ätterung erjelben anbetreffend, aufgegeben; tagte ihn zweier⸗ 
ei, ob er mit ihm nach der Tronkenbürg reiten und den Jung- 
— — holen; auch ob er über den Hergeholten, wenn er bei 
rfüllung des Rechtsſchluſſes in den Ställen von Kohlhaafen- 
brück faul fei, die Beitfche führen wolle? und da Herſe, fo 
wie er ihn nur verftanden hatte: „Herr, heute noch!“ aufjauchzte 
und indem er die Mütze in die Höhe warf, verficherte: einen 
Riemen mit zehn Knoten, um ihn das Striegeln zu lehren, 
laſſe er ſich flechten!. verkaufte Kohlhaas das Haus, ſchickte 
die Kinder in einen Wagen gepadt über die Grenze; rief bei 
Anbruc der Nacht auch die übrigen Knechte zufammen, fteben 
an der Zahl, treu ihm jedweder wie Gold, bewaffnete und 
beritt fie und brach nach der Tronkenburg auf. 


259 


Er fiel auch mit dieſem Heinen Haufen ſchon beim Ein- 
bruch der dritten Nacht, den Zollwärter und Thorwächter, 
die im Geſpräche unter dem Thor ftanden, niederreitend, in 
die Burg, ımb während unter plößlicher Aufpraſſelung aller 
Baraken im Schlograum, die fle mit Feuer bewarfen, Herſe 
über die ADinbeltveppe in den Thurm der Vogtei eilte und 
den Schloßvogt und Verwalter, die halb entkleidet beim Spiel 
jaßen, mit giehen und Stichen tiberfiel, ſtirzte Kohlhaas 
um Junker Wenzel ins Schloß. Der Engel des Gerichts 
bet alfo von Simmel berab, und der Sunfer, der eben 
unter vielem Gelächter dem Troß junger Freunde, ber bei 
ihm war, den Rechtsſchluß, den hm der Roßkamm libermacht 
"hatte, vorlas, hatte nicht ſobald deflen Stimme im Scloß- 
bo vernommen, als er den Herren ſchon ar | leichenblei 
„Brüder, rettet euch!“ die und verfchwand. Kohlhaas, der 

beim Eintritt in den Saal einen Junker Hans von Tronka, 
. ber ihm entgegen kam, bei der Bruft faßte und in den Winkel 
de3 Saals in euderte, daß er fein Hirn an den Steinen ver- 
fprüßte, fragte, während die Knechte die anderen Ritter, bie 
zu den Waffen gegriffen hatten, überwältigten und zerftreuten: 
wo der Junker Wenzel von Tronka fei? Und da er bei der 
Unmifienbeit der betäubten Männer die Thüren zweier Ge 
mächer, die in die Seitenflügel des Schlofjes führten, mit 
einem Fußtritt fprengte und in allen Richtungen, in denen er 
dag mertlänfige Gebäude durchkreuzte, Niemanden fand, jo 
ftieg er fluchend in den Schloßhof hinab, um die Ausgänge 
bejegen zu laſſen. Inzwiſchen war, vom Feuer der Baralen 
ergriffen, nun ſchon das Schloß mit allen Seitengebäuden, , 
ftarfen Raus en Himmel qualmend, angegangen, und wäh- 
rend Sternbald mit drei gefchäftigen Knechten Alles, was 
nicht niet» und nagelfeft war, zufammenfchleppten und zwifchen 
den Pferden als gute Beute umftürzten, flogen unter dem 
Jubel Herfens aus den offenen Fenſtern der Vogte die Leichen 
des Schloßvogts und Verwalters mit Weib und Kindern herab. 
Kohlhaas, dem ſich, als er die Treppe vom Schloß nieder⸗ 
Ks, die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem 
unfer die Wirthſchaft führte, zu Füßen warf, fragte fie, 
indem er auf der Stufe ftehen blieb: wo der Jurter enzel 
von Tronka gi? und da fie ihm mit fchmader zitternder 
Stimme zur Antwort gab: fie glaube, er habe fih in die 
Kapelle geflüchtet; fo rief er zwei Knechte mit gutem, ließ 
in Ermangelung der Schlüffel den Eingang mit Brechftangen 
und Beilen eröffnen, fehrte Altäre und Bänke um, und fand 


gleichwohl u feinem grimmigen Schmerz den Junler nicht. 
8 traf 14, daß ein junger, zum Gefinde der Tronkenburg 
gehöriger 


necht in dem Augenblick, da Kohläaas aus der 


260 


Kapelle zurüdtam, berbeieilte, um aus einem weitläufigen 
Reineruen Stall, den die Flamme bedrohte, die Streithengfte 
e8 unters herandzugiehen. Kohlhaas, der in eben iefem 
Augenblid in einem kleinen, mit Stroh bededten Schuppen 
jeine beiden Rappen erblidte, fragte den Knecht: warum er 
ie Rappen nicht rette? und da diefer, indem er den Schlüffel 
in die Stallthür ftedte, antwortete, der Schuppen ftehe ja 
ſchon in Flammen, fo warf Kohlhaas den Schlüfjel, nachdem 
er ihn mit p° tigkeit aus der Stallthüre gerifien, über die 
Mauer, trieb den Knecht mit hageldichten Machen Hieben der 
Klinge in den brennenden Schuppen hinein, und zwang ihn 
unter entjeßlichem Gelächter der Umftehenden, die Rappen zu 
retten. Gleichwohl als der Knecht jchredenblaß, wenige Dio- 
mente, bevor der Schuppen Hinter ihm zufammenftürzte, mit 
den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus bervortrat, . 
fand er den Kohlhaas nicht mehr; und da er fih zu den 
Knechten auf den Schloßplag begab und den Roßhändler, der 
Ipm mehrere Dial den Rüden aaa fragte: was er mit den 
bieren nun anfangen ſolle? — bob diefer plöglich mit einer 
fürchterlihen Geberde den Fuß, daß der Tritt, wenn er ihn 
gethan hätte, fein Tod gewefen wäre; beftieg, ohne ihm zu 
antworten, feinen Braunen, feßte ſich unter das Thor der 
Burg und erharrte inzwiſchen die Knechte ihr Weſen fort- 
trieben, ſchweigend ben Tag. ALS der Morgen anbrach, war 
das ganze Schloß bis auf die Mauern niedergebrannt, und 
Niemand befand fi mehr darin als Kohihaas und feine 
fieben Knete. Er dis vom Pferde und unterjuchte nod) 
ein Mal beim hellen Schein der Sonne den ganzen, in allen 
feinen Winkeln jegt von ihr erleuchteten Plag, und da er ſich, 
jo ſchwer es ihm auch ward, überzeugen mußte, daß die Unter- 
nehmung auf die Burg fehlgefchlagen war, fo ſchickte er, die 
Bruft voll Schmerz und Jamnıer, Ger en mit einigen Knechten 
aus, um über die Richtung, die der Junker auf jeiner Flucht 
genommen, Nachricht eingugiehen. Beſonders beunrubhigte ihn 
ein reiches Fräuleinftift Namens Erlabrunn, das an den 
Ufern der Mulde lag, und deffen Aebtiſſin Antonia von Tronka 
als eine fromme, wohlthättge und heilige Frau in der Gegend 
befannt war; denn es ſchien dem unglüdlihen Kohlhaas nur 
a wahrfcheinlih, daß der Junker fi, entblößt von aller 

othdurft wie er war, in diejes Stift geflüchtet hatte, indem 
die Aebtiffin feine leiblihe Tante und die Erzieherin feiner 
erften Kindheit war. Kohlhaas, nachdem er ‘ von diefem 
Umstand unterrichtet hatte, beftieg den Zhurm der Bogtei, 
in beiten Innerem fi noch ein Zimmer zur emognung braud)- 
bar darbot, und verfaßte ein fogenanntes „ ohhasiine 
Mandat”, worin er dag Land aufforderte, dem Junker Wenzel 


261 


pon Tronfa, mit dem er in einem gerechten Krieg liege, keinen 
Vorſchub zu thun, vielmehr jeden Bewohner, feine Berwandten 
und Freunde nicht ausgenommen, verpflichtete, denfelben bei 
Strafe Leibes und des Lebens und unvermeidlicher ee 
rung alles deffen, was ein Beſitzthum heißen mag, an ihn 
auszuliefern. Diefe Erklärung flreute er durch NReifende und 
Freinde in der Gegend aus; ja, er gab Waldmann, dem Knecht, 
eine Abſchrift davon, mit dem beftinnmten Auftrage, fie in 
die Hände der Dame Antonia nah Erlabrunn zu bringen. 
Hierauf beſprach er einige Tronfenburgifche Knechte, die mit 
dem Junker unzufrieden waren und, von der Ausficht auf 
‚Beute gereizt, in feine Dienfte zu treten wünfchten; bewaffnete 
fie nach Art des Fußvolks mit Armbrüften und Dolden und 
lehrte fie hinter den berittenen Knechten auffißen; und nad) 
dein er Alles, was der Troß a leppt, zu Geld 
gemacht und das Geld unter denfelben vertbeilt hatte, ruhte 
er eine Stunden unter dem Burgthore von feinen jämmer- 
Iihen Geſchäften aus. 

Gegen Mittag kam Herfe und beftätigte ihm, was ihm 
fein Herz, immer auf die trübften Abnungen geftellt, ſchon 
gejagt hatte: nämlid daß der Junker in dem Stift zu Erla- 
brunn bei der alten Dame Antonia von Tronka, feiner Tante, 
— ſei. Es ſchien, er hatte ſich durch eine Thür, die 
an der hinteren Wand des Schloſſes in die Luft hinausgieng, 
iiber eine ſchmale ſteinerne Treppe gerettet, die unter einem 
Heinen Dach zu einigen Kähnen in die Elbe hinablief. We- 
nigften® beide Herfe, daß er in einem Elbdorfe zum Be- 
fremden der Leute, die wegen des Brandes in der Tronken⸗ 
burg verfanmelt gewefen, um Mitternacht in einem Nachen 
ohne Steuer und Nuder angekommen und mit einem Dorf- 
Inhemeite nah Erlabrunn weiter greife fei. — wohn 
eufzte bei diejer Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde 
efreffen hätten? und da man ihm antwortete: ja! fo ließ er 
en Haufen auffiten, und ftand fchon in drei Stunden vor 
Erlabrunn. Eben unter dem Gemurmel eines entfernten Ge- 
witters am Horizont, mit Fackeln, die er fich_vor dem Drt 
angefledt, 309 er mit feiner Schaar in den Kloſterhof ein, 
und Waldmann, der Knecht, der ihın entgegentrat, meldete 
ihm, daß das Diandat richtig abgegeben fei, als er die Webtiffin 
und den Stiftspogt in einem verftörten Wortwechjel unter das 
Portal des Kloſters treten ſah; und während jener, der Stift3- 
vogt, ein Meiner alter fchneemeißer Mann, grimmige Blide 
auf Kohlhaas ſchießend, ſich den Harniſch anlegen ließ und 
den Knechten, die ihn umringten, mit dreifter Stimme auriel, 
die Sturmglode zu ziehn: trat jene, die Stiftsfrau, das fi 
berne Bildniß des Gefreuzigten in der Hand, bleich wie Linnen- 


262 


eng, von der Rampe herab und warf fih mit allen ihren 
—— vor Kohlyaaieng Pferd nieder. Kohlhaas, wäh- 
rend Herje und Sternbald den Stiftänat, der fein Schwert 
in der Hand hatte, überwältigten und als Gefangenen zwiſchen 
die Pferde führten, fragte de wo der Junker Wenzel von 
Tronka je und da fie einen großen Ring mit Schlüffeln von 
ihrem urt loslöſend: „in Wittenberg, Kohlhaas, würdiger 
ann!“ antwortete und mit bebender Stimme binzufegte: 
„fürchte Gott und Aue fein Unrecht!“ — fo wandte Roh! aas, 
in die Hölle unbefriedigter Nade zurüdgefchleudert, dad Pferd 
und war im Be tif: Medt an! zu rufen, als ein ungeheurer 
Wetterjchlag dicht neben ihm zur Erde nieberfiel. Kohlhaas, 
indem er fein Pferd ꝓp ihr zurückwandte, fragte ſie: ob ſie 
fein Mandat erhalten? und da die Dame mit ſchwacher, kaum 
hörbarer Stimmeantwortete: „ Eben jet!" —, Wann ?"— „Zwei 
Stunden, fo wahr mir Gott helfe, nad) des Junkers, meines 
Betters, bereits vollzogener Abreife!" — und Waldmann, der 
Knecht, zu dem Ha ſich unter finftern Bliden umkehrte, 
ftotternd diefen Umftand beftätigte, indem er fagte, daß die 
Gewäſſer der Mulde, vom Regen —I ihn verhindert 
ätten, früher als eben jetzt einzutreffen: jo fammelte ſich 
ohlhaas; ein plötzlich furchtbarer Regenguß, der die Fackeln 
verlöſchend auf das Pflafter des Platzes niederrauſchte, löſte 
den Schmerz in ſeiner unglücklichen Bruſt; er wandte, indem 
er kurz den gut vor der Dame vüdte, „jein Pferd, drüdte 
ihm mit den Worten: „Folgt mir, meine Brüder: der Junker 
ift in Wittenberg!“ die Sporen ein und verließ das Gtift. 
Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einen Wirthshauſe 
auf der Landflraße ein, wo er wegen großer Ermüdung der 
Pferde einen Tag ausruhen mußte, und da er wohl einjah, 
daß er mit einem Haufen von zehn Mann (denn fo ſtark war 
er jebt) einem Plaß, wie Wittenberg war, nicht troßen konnte, 
o verfaßte er ein zweite Mandat, worin er nad) einer kurzen 
rzählung defien, was ihm im Lande begegnet, „jeden guten 
Ehriften“, wie er fi) ausdrüdte, „unter Angelobung eines 
Handgeld8 und anderer kriegeriſchen zortpeile aufforbderte, 
„jeine Sache gegen den Junker von Tronka, als ben allge 
meinen Feind aller Ehriften, zu ergreifen.“ In einem andern 
Mandat, das bald arauf erſchien, nannte er ſich „einen 
reichs⸗ und weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn;“ 
eine Schwärmerei krankhafter und mipgelhafiener Art, die 
ihm gleichwohl bei dem Klang jeines Geldes und der Aus- 
fiht auf Beute unter dem Gefindel, das der Friede mit Bolen 
außer Brod geſetzt hatte, a in Menge verfchaffte: der- 
geftalt, daß er in der That dreißig und etliche Köpfe zäblte, 
als er fih zur Einäfcherung von Wittenberg auf die rechte 


268 


Seite der Elbe zurüdbegab. Er lagerte fi mit ee 
und Knechten unter dem Dache einer alten verfallenen Ziegel- 
[heune in der Einfamfeit eines finfteren Waldes, der damals 
iefen Platz umjdtoß, und hatte nicht fobald durch Sternbald, 

den er mit dem Mandat verkleidet in die Stadt fehidte, 
. erfahren, daß das Mandat daſelbſt jhon befannt fei, al er 
auch mit feinem Haufen ſchon am heiligen Abend vor Pfingften 
aufbrach, und den Play, während die Bewohner im tieriten 
Schlaf lagen, an mehreren Eden zugleih in Brand ftedte. 
Dabei klebte er, während die Knechte in der Vorſtadt plün- 
derten, ein Blatt au den Thürpfeiler einer Kirche an, des 
Inhalts: „Er, Kohlhaas, habe die Stadt in Brand geftedt 
und werde fie, wenn man ihm den N nicht außliefere, 
dergeftalt einäfchern, daß er”, wie er fich ausdrüdte, „hinter 
. feine Wand werde in jehen brauchen, um ihn zu finden.“ — 
Das Entjegen der Einwohner tiber diefen unerhörten Frevel 

war unbejchreiblih; und die Flamme, die bei einer zum 
Glück ziemlich ruhigen Sommernadt zwar nicht mehr als 
neunzehn Häuler, worunter gleichwohl eine Kirche war, in 
den Grund gelegt hatte, war nicht jobald gegen Anbruch des 
Tages einigermaßen gedämpft worden, als der alte Landvogt 
Dtto von Gorgas bereit8 ein Fähnlein von funfzig Mann 
usfandte, um den entjeglichen ei aufzuheben, Der 

tmann aber, der e8 führte, Namens Gerftenberg, benahm 

ich jo jchlecht dabei, daß die ganze Expedition seohlhaafen, 
att ihn a ftürzen, vielmehr zu einem höchſt gefährlichen Trie- 

geriichen Ruhm verhalf; denn da diefer Kriegsmann fi in 
mehrere Abiheilungen auflöfete, um ihn, wie er meinte, zu 
umzingeln und zu erdrüden, ward er von Kohlhaas, der 
feinen Haufen zufanmmenbielt, auf vereinzelten Punkten ange- 
griffen und geſchlagen, Ddergeftalt, daß ſchon am Abend des 
nädjtfolgenden Tages Fein Dann mehr von dem ganzen 
Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, 
gegen ihn im Felde ftand. Kohlhaas, der durch dieſe Gefechte 
einige Leute eingebüßt hatte, fledte die Stadt am Morgen 
des nächften Tages von Neuem in Brand, und feine mör- 
derifhen Anftalten waren ie gut, daß wiederum eine Menge 
Häufer und faft alle Scheunen der Mae in die Aſche 
gelegt wurden. Dabei pladte er das bewußte Mandat wieder, 
und zwar an die Eden des Rathhaufes felbft, an, und fügte 
eine Nachricht über das Schidjal des von dem Landpogt 
abgeſchickten und von ihm zu Grunde gerichteten Hauptmanns 
von Gerftenberg bei. Der Landvogt, von diefem Troß auf’s 
Aeußerſte entrüftet, fette fich felbft mit mehreren Nittern an 
die Spitze eines — — von hundert un Del) Mann. 
Er gab dem Junker Wenzel von Tronka auf feine fchriftliche 


264 


Bitte eine Wade, die ihn vor der Gewaltthätigleit des 
Boll!, das ihn platterdingd aus der Stadt entfernt wiſſen 
wollte, fohüste, und nachdem er auf allen Dörfern in der 
Gegend Wachen augefte t, auch die Ringmauer der Stadt, 
um fie vor einem Leberfall au deden, mit Boften beſetzt 
hatte, 30g er am Tage des heiligen Gervafius felbft aus, um 
den Draden, der das Land verwilſtete, zu fangen. Dieſen 
Haufen war der Roßkamm Flug genug zu vermeiden; und 
nachdem er den Landvogt durch —* ärſche fünf Meilen 
von der Stadt hinweggelockt, und vermittelſt mehrerer An⸗ 
ſtalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, daß er ſich, 
von der Uebermacht gedrängt, ins ‚Dranbenbugilihe werfen 
würde: wandte er ſich plößlich beim Einbruch der dritten 
Nacht, Tehrte in einem Gewaltritt nach Wittenberg zurüd 
und ftedte die Stadt zum dritten Mal in Brand. Oele der 
ſich verkleidet in die Stadt fchlih, führte dieſes entjegliche 
Kunftftüd aus; und die Feuersbrunft war wegen eines fcharf 
wehenden Nordwindes jo verderblid und um fich freflend, 
daß in weniger als drei Stunden zwei und vierzig Häufer, 
zwei Kirchen, mehrere Klöfter und Schulen und das Gebäude 
der kurfürſtlichen Landvogtei felbft in Schutt und Aſche lagen. 
Der Landvogt, der feinen Gegner beim Anbrucd des Tages 
im Brandenburgifchen glaubte, fand, als er von dem, maß 
vorgefallen, benachrichtigt, in beftürzten Märfchen zurüdtehrte, 
die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk hatte fich zu 
ZTaufenden vor dem mit Ballen und Pfählen verrammelten 

auje des Junkers gelagert und forderte mit rafendem Ge- 
chrei feine Abführun aus der Stadt. Zwei YBürgermeifter, 

amens Jenkens und Otto, die in Amtskleidern an der. 
Spige des ganzen Magiſtrats gegenwärtig waren, bewiefen 
vergebens, daß man platterdings die Rückkehr eines Eilboten 
abwarten müfje, den man wegen Erlaubniß, den Junker nad) 
Dresden bringen zu dürfen, wohin er felbft aus mancherlei 
Gründen abzugeben wünſche, an den Präfidenten_der Staats- 
kanzlei geichidt habe; der unvernünftige, mit Spießen und 
Stangen bewaffnete Sale gab auf diefe Worte Nichts, und 
eben war man unter Mikhandlung einiger, zu kräftigen Maß- 
regeln auffordernden Räthe im Dear, das Hans, worin der 
Junter war, zu flürmen und der Erde gleich zu machen, als 
der Landvogt Otto von Gorgas an der Spike feines Reiter- 
le in der Stadt erfchien. Diejem mürdigen Herrn, der 
bon durch feine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und 
serien einzuflößen gerohnt war, war es, gleihfam zum 
Erſatz für die fehlgefchlagene Unternehmung, von welcher er 
zurückkam, derungen, dicht vor den Thoren der Stadt drei 
zeriprengte Knechte von der Bande des Morbbrenners aufzu- 


265 


fangen; und da er, inzwifchen die Kerle vor dem Angeficht 
es Volks mit Ketten belaftet wurden, den Magiſtrat in einer 
Eugen Anrede verfiherte, den Kohlhaas felbit denke er in 
Kurzem, indem er ihm auf der Spur ſei, gefeflelt einzubringen: 
fo glücdte e8 ihm buch die Kraft aller dieler beſchwichtigenden 
Umſtände, die Angſt des verſammelten Volks zu entwaffnen 
und über die Anweſenheit des Junkers, bis zur Zurücktunft 
des Eilboten aus Dresden, einigermaßen zu beruhigen. Er 
18 in Begleitung einiger Ritter vom Pferde und verfügte 
ih nad Wegräumung der Pallifaden und Pfähle in das 
Haus, wo er den Junker, der aus einer Ohnmacht in die 
andere fiel, unter den Händen zweier Aerzte fand, die ihn 
mit Efjenzen und Srritanzen wieder ins Leben zurüd zu 
bringen fuchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fühlte, 
daß dieß der Augenblid nicht war, wegen der Aufflihrung, 
die er fich zu Schulden kommen laffe, Worte mit ihm zu 
wechjeln, fo fagte er ihm bloß mit einem Blick ſtiller Ver⸗ 
achtung, daß er fi) ankleiden und ihm zu feiner eigenen 
Sicherheit in die Gemächer der Nitterhaft folgen mödhte. 
Als man dem Junker ein Wams angelegt und einen Helm 
uniaieh: hatte, und er, die Bruft wegen Mangels an Luft 
noch halb offen, am Arm des Landvogts und feine Schwagers, 
des Grafen von Gerſchau, auf der Straße erſchien, fitegen 
gottesläfterlihe und entfenliche Berwünfchungen gegen ihn 
zum Himmel auf. Das Boll, von den Landsknechten nur 
mühſam zurüdgehalten, nannte ihn einen Blutigel, einen 
elenden Landplager und Menfchenguäler, den Fludy der Stadt 
Wittenberg und das Verderben von Sachſen; und nad einem 
iämmerlichen Zuge durch die in Trümmern liegende Stadt, 
während welchem er mehrere Mal, ohne ihn zu vermifjen, den 
Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder — — 
erreichte man endlich das Gefängniß, wo er in einem Thurm 
unter dem Schutz einer ſtarken Wache verſchwand. Mittler— 
weile ſetzte die Rückkehr des Eilboten mit der kurfürſtlichen 
Reſolution die Stadt in neue ae Denn die Landes— 
regierung, bei welcher die Bürgerjchaft von Dresden in einer 
dringenden Supplif unntittelbar eingeflommen war, wollte vor 
Ueberwältigung des Mordbrenners von dem Aufenthalt des 
aa in der Reſiden Nichts wiſſen; vielmehr verpflichtete 
e den Landvogt, enſelben da, wo er ſei, weil er irgendwo 
ſein müſſe, mit der Macht, die ihm zu Gebote fiche, zu 
bejchirmen; wogegen fie der guten Stadt Wittenberg zu ihrer 
Beruhigung meldete, daß bereits ein Heerhaufen von fünf- 
hundert Mann unter Anführung des Prinzen Friedrich von 
Meißen im Anzuge fei, um fie vor den ferneren Beläftigungen 
deſſelben zu ſchütgen. Der Landvogt, der wohl einjah, daß 


266 


eine Refolution dieſer Art das Bolt Teinesmeneb berubigen 
konnte — denn nicht nur, daß mehrere kleine Bortheile, die 
der Noßhändler an verjchiedenen Punkten vor der Stadt 
erfochten, über die Stärke, zu der er herangewachſen, äußerft 
unangenehme Gerüchte verbreiteten: der Krieg, den er in der 

infterniß der Nacht durch verkleidetes Gefindel, mit Pech, 

troh und Schwefel führte, hätte, unerhört und beijpiellos 
wie er war, felbit einen größeren Schuß, als mit welchem der 
Prinz von Meißen heranrädte, unwirkſam machen können —: 
der Yandvogt, nad) einer furzen Ueberlegung, entſchloß ſich, 
die Refolution, die er empfangen, ganz und gar zu unter 
drüden. Er pladte bloß einen Brief, in welchem ihm der 
Prinz von Meißen feine Ankunft meldete, an die Eden der 
Stadt an; ein verdedter Wagen, der beim Aubruch des 
Tages aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von 
vier ſchwer bewaffneten Reitern begleitet, auf die Straße nad) 
Leipzig hinaus, wobei die Neiter auf eine unbeftimmte Art 
verlaufen ließen, daß es nach der Pleigenburg gebe; und da 
das Volk über den beillofen —* an deſſen Daſein Feuer 
und Schwert gebunden, dergeſtalt beſchwichtigt war, brach er 
jelbft mit einem Haufen von dreihundert Mann auf, un fi) 
mit dem Prinzen Zriedrih von Meißen zu vereinigen. In⸗ 
zwifchen war Kohlhaas in der That durch die —X& 
Stellung, die er in der Welt einnahm, auf hundert und 
neun Koͤpfe berangewachen ; und ba er auch ın Jeſſen einen 
Borrath an Waffen aufgetrieben und feine Schaar auf das 
Sollftändigite damit ausgerüftet hatte; fo faßte er, von dem 
doppelten lingewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, 
den Entſchluß, demfelben. mit der Schnelligleit des Sturm- 
winds, ehe es über ihn zufammenfchlüge, zu begegnen. 
Demnach griff er ſchon Tags darauf den Prinzen von Meißen 
in einem nächtlichen Ueberfall bei Mühlberg an, bei welchem 
Gefechte er zwar zu feinem großen — den Herſe ein⸗ 
büßte, der gleich durch die erſten Schüſſe an ſeiner Seite 
zuſammenſtürzte: durch dieſen Verluſt erbittert aber, in einem 
drei Stunden langen Kampfe den Prinzen, unfähig, ſich in 
dem Flecken zu fammeln, jo zurichtete, Daß er beim Aubrud 
des Tages mehrerer fchweren Wunden, und einer gänzlichen 
Unordnung feines Haufens wegen genöthigt war, den Rüdweg 
nad Dresden einzufchlagen. Durch diefen Bortbeil tolltühn 

emacht, wandte er fich, ehe derjelbe noch davon unterrichtet 
Fein fonnte, zu dem Landvogt zurüd, fiel ihn bei dem Dorfe 
Damerow am hellen Mittag auf freiem Felde an, und ſchlug 
[ü ‚ unter mörberifhem Berluft zwar, aber mit steigen 

ortbeilen, bis in die fintende Nacht mit ihm herum. Ja, 
er würde den Landvogt, der fi in den Kirchhof zu Damerow 


267 


eworfen hatte, am andern Morgen unfehlbar mit dem Heft 
* aufens wieder angegriffen haben, wenn ee nicht 
urch unbjopafter von der Niederlage, die der Prinz bei 
Mühlberg erlitten, benachrichtigt worden wäre, und I omit 
für rathſamer gehalten hätte, gleichfalls bis auf einen befjern 
Zeitpunkt nad, Wittenberg zurüdzufehren. Fünf Tage nad) 
—— dieſer beiden Haufen ſtand er vor Leipzig, und 
eckte die Stadt an drei Seiten in Brand. — Er nannte ſich 
in dem Mandat, das er bei dieſer Öelegenheit ausftreute, 
„einen Statthalter Michael des Erzengel, der gelommen 
jei, an Allen, die in diefer Streitiadhe des Junkers Partei 
ergreifen würden, mit euer und Schwert die Arglift, in 
welche die ganze Welt verfunfen fei, zu beftrafen.“ Dabei 
rief er von dem Lützner Schloß aus, das er überrumpelt 
und worin er fich feitgejegt hatte, das Boll auf, fich zur 
Errichtung einer befleren Ordnung der Dinge an ihn anzu- 
ſchließen; und das Mandat war mit einer Art von Ber: 
rüdung unterzeichnet: „Gegeben | dem Sig unjerer pro- 
viforifchen Weltregierung, dem Erzihloffe zu Tüten.“ Das 
Glück der Einwohner von Leipzig wollte, daß das Feuer 
wegen eines anhaltenden Regens, der vom Himmel fiel, nicht 
um fi griff, dergeftalt, daß bei der Schnelligkeit der 
beftehenden Löfchanftalten nur einige Kramläden, die um die 
Pleigenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleihwohl 
war die Beftürzung in der Stadt über dad Dafein des 
rafenden Mordbrenners und den Wahn, in welchem derfelbe 
ftand, daß der Junker in Leipzig ſei, unausfprehlid; und 
da ein Haufen von hundert adhtzig Heifigen, den man gegen 
ihn ausjchidte, zeriprengt in die Stadt greüdtem: jo blieb 
dem Magiftrat, der den Reichthum der Stadt nicht ausfegen 
wollte, nichts Anders übrig, als die Thore gänzlich zu fperren 
und die Bürgerjchaft Tag und Nacht außerhalb der Mauern 
wachen zu laſſen. DVergebens ließ der Magiftrat auf den 
Dörfern der umliegenden Gegend Deklarationen anheften, mit 
der beftimmten Verſicherung, daß der Junker nicht in der 
Pleigenburg fei; der Roßkamm, in ähnlichen Blättern, beftand 
darauf, bah er in der Pleißenburg wäre, und erklärte, daß 
wenn derfelbe nicht darin befindlid wäre, er mindeſtens ver- 
fahren würde, als ob ex darin wäre, bis man ihm den Ort 
mit Namen genannt werde angezeigt haben, worin er befind- 
Lich fei. Der Kurfürft, durch einen Eilboten von der Noth, 
in melcher ia die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, 
erllärte, daß er bereitS einen Heerhaufen von aweitaufend 
Dann aufamınenzöge und fih felbft an deſſen Spike fegen 
würde, um den Kohlhaas zu fangen. Er ertheilte dem 
Herrn Dito von Gorgas einen fehmeren Verweis wegen der 


- 


268 


zweideutigen und unüberlegten Lift, die er angewendet, um 
des Mordbrenners aus der Gegend von Wiltenberg loszu- 
werden; und Niemand bejchreibt die Verwirrung, die ganz 
Shen und insbejondere die Reſidenz ergriff, als man 
dafelbft erfuhr, daß auf den Dörfern bet zeipgig, man wußte 
nit don wem, eine Dellaration an den Kohlhaas ange- 
ſch agen worden ſei, des Inhalts: Wenzel, der Junker, 
befinde ſich bei ſeinen Vettern Hinz und Kunz in Dresden. 

Unter dieſen Umſtänden übernahm der Doctor Martin 
Luther das Geſchäft, den Kohlhaas durch die Kraft beichwich- 
tigender Worte, von dem Anſehn, das ihm feine Stellung 
in der Welt gab, unterftügt, ın den Damm der menſchlichen 
Ordnung zurädgudrüden, und auf ein tüchtiges Element in 
der Bruft des Mordbrenners bauend, erließ er ein Blafat 
jolgenben Inhalts an ihn, das in allen Städten und Fleden 
ed Kurfürſtenthums angefchlagen ward: 

„Kohlhaas, der du dich gefandt zu fein vorgiebft, das 
Schwert der Geredtigfeit zu anbhaben, was unterfängft 
du dich, Vermeſſener, im ar ei nn ftodblinder Leiden- 
ſchaſt, du, den Ungerechtigkeit elbft vom Wirbel bis zur 
Sohle erfüllt? Werl der Yandesherr dir, dem du unter- 
than bit, dein Recht verweigert hat, dein Recht in dem 
Streit um ein nichtiges® Gut, erhebft du dich, Heillofer, 
mit Feuer und Schwert, und brichft wie der Wolf der 
Wüſte in die friedliche Gemeinheit, die er bejchirmt. 


Du , der die le mit diefer Angabe voll Unwahr- 


baftigleit-und Argliit verführt: meinft du, Sünder, vor 
Gott dereinft an dem Tage, der in die Falten aller — 
ſcheinen wird, damit auszukommen? Wie kannſt du ſagen, 
daß dir dein Recht verweigert worden iſt, du, deſſen 


Y grimmige Bruſt, vom Kitzel gjlomdber Gelbftrache gereizt, 


nad) den eriten leichtfertigen Berfuchen, die dir geſcheitert, 
die Bemühung gänzlich aufgegeben hat, es dir zu ver- 
Schaffen? Iſt eine Bank voll Gerihtsdienern und Schergen, 
die einen Brief, der gebracht wird, unterfchlagen, oder 
ein Erkenntniß, das fie abliefern follen, zuridhalten, 
deine Obrigkeit? Und muß ich Dir jssen, Gottvergeflener, 
daß deine Obrigkeit von deiner Sadhe Nichts weiß — 
was fag ich? daß der Yandesherr, gegen den du dich 
auflehnit, auch deinen Namen nicht kennt, dergeftalt, dag 
wenn dereinft du vor Gottes Thron tritift, in der Mei« 
nung ihn anzuflagen, er beiteren Antliges wird fprechen 
können: diefem Mann, Herr, that ich kein Unrecht, denn 
jein Dafein ift meiner Seele fremd. Das Schwert, wife, 
as du führft, Ri das Schwert des Raubes und der 
Mordluft, ein Rebell bift du und fein Srieger des 


269 \ 


gereiten Gottes, und dein Ziel auf Erden ift Rad und 
algen, und jenfeit$ die Berdammniß, die über die Miffe- 
that und die Gottlofigkeit verhängt ift. 


Wittenberg, u. f. w. Martin Luther“ 


Kohlhaas wälzte eben auf dem Scloffe zu Tüten einen 
neuen Plan, Leipzig einzuäfchern, in feiner zerriffenen Bruft 
herum: — denn Fin bie in den Dörfern angefhlagene Nad;- 
richt, daß der Junker Wenzel in Dresden fer, gab er Nichts, 
weil fie von Niemand, geſchweige denn vom Magiftrat, mie 
er verlangt hatte, unterfchrieben war: — als Sternbald und 
Waldmann das Blafat, a8 zur Nachtzeit an den Thorweg 
des Schloffes angefchlagen worden war, zu ihrer großen Be- 
Kiirgung bemerkten. Vergebens hofften fie durch mehrere 

age, daß Kohlhaas, den fie nicht gern deshalb antreten 
wollten, e8 erbliden würde; finfter und in fich gefehrt in der 
Abendftunde erjchien er zwar, aber bloß um feine kurzen Be— 
fehle zu geben, und ſah Nichts: dergeftalt, daß fie an einem 
Morgen, da er ein Paar Knechte, die in der Gegend wider 
feinen Willen geplündert hatten, aufknüpfen laffen wollte, den 
Entſchluß faßten, ihn darauf aufmertfam zu machen. Eben 
fam er, während das Volk von beiden Seiten ſchüchtern aus- 
wich, in dem Aufzuge, der ihm jeit feinem legten Mandat 
ewöhnlich war, von dem Richtplatz zurück: ein großes Cherub3- 
—** auf einem rothledernen sen, mit Quaſten von Gold 
verziert, ward ihm vorangelragen, und zwölf Knete mit 
brennenden Yadeln folgten ihm: da traten die beiden Männer, 
ihre Schwerter unter dem Arm, fo, daß es ihn befrenden 
mußte, um ben —3 an welchem das Plakat angeheftet 
war, pesum. Kohlhaas, als er mit He dem Rüden zuſam— 
mengelegten Händen in Gedanken vertieft, unter das Portal 
kam, 43 die Augen auf und ſtutzte; und da die Knechte 
bei ſeinem Anblick ehrerbietig auswichen, ſo trat er, indem 
er ſie zerſtreut Jeb, mit einigen raſchen Schritten an den 
Pfeiler heran. Aber wer beſchreibt, was in ſeiner Seele vor— 
ieng, als er das Blatt, deſſen Inhalt ihn der Ungerechtig— 
eit zieh, daran erblidie, unterzeichnet von dem theuerften und 
verehrung8mürdigflen Namen, den er fannte, von dem Namen 
Martin Luthers! Eine dunkle Röthe ftieg in fein Antlitz 
empor; er durchlas es, indem er den Helm abnahm, zmei 
Mal von Anfang bis zu Ende, wandte fih mit ungewiſſen 
Bliden mitten unter die Knechte zurüd, als ob er Etwas fagen 
wollte, und fagte Nichts, löſte das Blatt von der Wand log, 
durchlas ed noch Einmal und rief: „Waldmann! laß mir mein 
Pferd ſatteln!“ ſodann: „Sternbald! folge mir ins Schloß!“ 
und verihwand, Mehr als dieſer wenigen Worte bedurfte 


270 


es nit, um Fi in der ganzen Berberblichkeit, in der er 
daftand, plöglih zu entwaffnen. Er warf fi in_die Ber- 
kleidung eines thuringiſchen one fagte Sternbald, 
daß ein Geſchäft von bedeutender Wichtigkeit ibn nah Witten- 
berg zu reifen nörhige, übergab ihm in Gegenwart einiger 
der vorzäglichften Knechte die Anführung des in Lüten zu- 
rücdbleibenden Saufens, und 309 unter der Weil De daß 
er in drei Tagen, binnen welcher Zeit fein Angriff zu fürchten 
fei, wieder zurüd fein werde, nad Wittenberg ab, 

Er kehrte unter einem fremden Namen in ein Wirths- 
haus ein, mo er, fobald die Nacht angebrochen war, in feinem 
Mantel und mit einem Paar Piltolen verjehen, die er in der 
Tronkenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins Zimmer trat, 
Luther, der unter Shrijten und Büchern an feinem Pulte 
faß, und den fremden bejonderen Mann die Thür öffnen 
und hinter fich verriegeln ſah, fragte ihn: Wer er fei und 
was er molle? und der Mann, der feinen Hut ehrerbietig 
in der Hand hielt, hatte nicht fobald mit dem fehüchternen 
Borgefühl des Schredens, den er verurfachen wilrde, ermie- 
dert: daß er gar Kohlhaas der Roßhändler fei, als Luther 
ſchon: „Weiche fern hinweg!“ ausrief, und indem er, von 
Pult erftehend, nad) einer Klıngel eilte, hinzufegte: „Dein Odem 
ift Peft und deine Nähe Verderben!“ Kohlhaas, indem er, ohne 
fih vom Bar zu regen, fein Piftol zog, fagte: „ Hochmwürdiger 
Herr, dieß iſtol, wenn Ihr die Klingel rührt, ſtreckt mich 
leblos zu Euren Füßen nieder! Setzt Euch, und hört mich an; 
unter den Engeln, deren Pſalmen Ihr aufſchreibt, feid Ihr 
nicht ſicherer, als bei mir.“ Luther, indem er ſich niederſetzte, 
fragte: „Was willſt du?“ Kohlhaas erwiederte: „ Eure Meinung 
von nur, daß ich ein ungerechter Mann ſei, widerlegen! Ihr 
habt mir in Eurem Plakat gefagt, daß meine Obrigfeit von 
meiner Sache Nicht3 weiß: wohlan, verſchafft mir freies &e- 
leit, jo gebe ich nad) Dresden, und lege fie ihr vor.“ „Heil- 
Iofer und entjegliher Mann!“ rief Luther, durch diefe Worte 
verwirrt zugleich und beruhigt: „wer gab dir das Hecht, den 
Junker von Tronka in Berfolg eigenmächtiger era 
zu überfallen, und da du ihn au, feiner urg nicht fandft, 
mit Feuer und Schwert die ganze Gemeinfchaft Heimzujuchen, 
die ihn beſchirmt?“ Kohlhaas erwiederte: „Hochwürdiger Herr, 
Niemand fortan! Eine Nachricht, die ich aus Dresden er- 
hielt, hat mich getäufcht, mich verführt! ber rien den id 
mit der Gemeinheit der Menſchen führe, ift eine Miffethat, 
fobald ih aus ihr nicht, wie Ri mir die Berfiherung gegeben 
habt, verftoßen war!" „Berftoßen!“ rief Luther, indem er ihn 
anſah. „Welch eine Raferei der Gedanken ergriff dich? Wer 
hätte dich aus der Gemeinſchaft des Staats, in welchem du 








271 


lebteft, verftoßen? Ya, wo ift, fo lange Staaten beftehen, ein 
Fall, dag Jemand, mer es auch fei, daraus verftoßen worden 
wäre?” — „Berftoßen”, antwortete Fehlhaas, indem er die 
gend zufammendrüdte, „nenne ich Den, dem der Schuß der 

eſetze verfagt ift! Denn dieſes Schutzes zum Gedeihen meines 
friedlichen Gewerbes bedarf ih; ja, er ift e8, deflenthalb ich 
mich mit dem Kreis deflen, was ich ermorben, in diefe Ge— 
meinfchaft flüchte, und wer mir ihn verjagt, der ftößt mich zu 
den Wilden der Einöde hinaus; er giebt mir, wie wollt Ihr 
das leugnen, die Keule, die mich felbit ſchützt, in die Hand.” 
— „Ber hat dir den Schuß der Gefege verfagt ?” rief Luther. 
„Schrieb ich dir nicht, daß die Klage, die du eingereicht, dem 
N dem du fie eingereicht, fremd ift? Wenn Staats- 
diener hinter feinem Rücken Prozeffe unterjchlagen oder fonft 
feines geheiligten Namens in feiner Unwiſſenheit fpotten, mer 
ander8 als Gott darf ihn wegen der Wahl folcher Diener 
ur —— jieben, und bift du, gottverdammter und ent- 
—* Menſch, befugt, ihn deshalb zu richten?“ — „Wohlan“, 
—I Kohlhaas, „wenn mich der Landesherr nicht verſtößt, 
ſo kehre ich auch wieder in die Gemeinſchaft, die er beſchirmt, 
grug Verſchafft mir, ich wiederhol' es, freies Geleit nad) 

resden: ſo laſſe ich den Haufen, den ich im Schloß zu 
Lützen verſammelt, auseinander gehen, und bringe die Klage, 
mit der ich abgemiefen bin, noch Ein Mal bei dem Tribunal 
des Landes vor.” — Luther mit einem verdrießlichen Geſicht 
warf die Papiere, die auf feinem Tiſche lagen, libereinander 
und ſchwieg. Die trogige Stellung, die diefer ſeltſame Menſch 
im Staat einnahm, verdroß ihn; und den Rechtsſchluß, den 
er von Kohlhaaſenbrück aus an den Junker erlaffen, erwägend, 
fragte er: „was er denn von dem Tribunal zu Dresden ver- 
lange?“ Kohlhaas antwortete: „Beftrafung des Junkers den 
Gejegen gemäß, Wiederheritellung der Pferde in den vorigen 
Stand und Erjag des Schadens, den ich fomohl als mein 
bei Mühlberg defallener Knecht Herfe durch die Gemaltihat, 
die man an und verübte, erlitten.” — Luther rief: „Erſatz des 
Schadens! Summen zu Taufenden, bei Juden und Ehriften, 
auf Wechſel und Pfänder, haft du zur Beftreitung deiner 
wilden Selbftrache aufgenommen, Wirft du den Werth auch 
auf der Rechnung, wenn es zur Nachfrage kommt, anfegen ?“ 
— „Gott behütel” erwiederte Kohlhaas.“, gan und Hof und 
den Wohlftand, den ich befefien, fordere ich nicht zurüid, fo 
.wenig als die Koften des Begräbniffes meiner Fran! Herſens 
alte Mutter wird eine Berechnung der Heilkoften und eine 
Specififation defien, mas ihr Sohn in der Zronfenburg ein- 
gebüßt, beibringen, und den Schaden, den ich wegen Nicht. 
verfaufs der Rappen erlitten, mag die Regierung durch einen 


272 


Sachverſtändigen abſchätzen laſſen.“ — Luther fagte: „Raſender, 
unbegreiflicher und entfeeliche Menſch!“ IR: ſah ihn an. 
„Nachdem dein Schwert fi an dem Junker Rache, die grim- 
migfte, genommen, die fich erdenten läßt: was treibt dich, auf 
ein Erfenntniß gegen ihn zu beftehen, deſſen Schärfe, wenn 
es aulebt fält, ihn mit einem Gewicht von fo geringer Er- 
beblichfeit nur trifft?" — Kohlhaas erwiederte, indem ihm 
eine Thräne über die Wangen rollte: „Hochmürdiger Herr! es 
bat mich meine Yrau gekoftet,; Kohlhaas will der Welt zeigen, 
dag fie in keinem ungeredhten Handel umgefommen ift. Fügt 
Euch in. diefen Stüden meinem Willen, und laßt den Gerichts⸗ 
hof fprechen; in allen Anderen, was fonft noch} ftreitig fein 
mag, füge ich mich Euch.“ — Luther fagte: „Schau her; was 
du forderft, wenn anders die Umſtände % find, wie die öffent- 
Iiche Stimme hören läßt, ift gerecht; und hätteft du den Streit, 
bevor du eigenmädtig zur Selbſtrache gefchritten, zu des 
Landesheren Enticheidung zu bringen gewußt jo wäre dir 
deine Forderung, zweifle ich nicht, Sun vor Punkt bewilligt 
worden. Doch hätteft du nicht, Alles wohl ermogen, befler 
getban, du hätteft um deines Ortöjers willen dem Junker 
vergeben, die Rappen, bürre und abgehärnt wie fie waren, 
bei der Hand genommen, dich aufgejegt, und zur Didfütte- 
rung in deinen Stall nad —— heimgeritten 
Kohlhaas antwortete: „Kann ſein!“ indem er ans Fenſter trat: 
„Tann fein, auch nicht! Hätte ich gewußt, daß ich fie mit Blut 
aus dem Herzen meiner lieben Frau würde auf die Beine 
bringen müffen: kann fein, ich hätte gethan, wie Ihr gefagt, 
yodwärbiger Herr, und einen —3 — Hafer nicht geiheit! 
och meil fie mir einmal fo theuer zu ftehen gekommen find, 
fo habe es denn, meine id feinen Lauf: laßt das Erfenntniß, 
iwie e8 mir zulommt, fprehen, und den Junker mir die Rappen 
auffüttern.” — — Luther La inden er unter mancherlet 
Gedanken wieder zu feinen Papieren griff: er wolle mit dein 
Kurfürften feinethalben in Unterhandlung treten. Inzwiſchen 
möchte er fih auf dem Schloffe Au Lügen ftil halten; wenn 
der Herr Ihm freie8 Geleit bewi ige, jo werde man es ihm 
auf dem Wege öffentliher Anpladung bekannt machen. — 
„Zwar“, fuhr er fort, da Kohlhaas ſich herabbog, um feine 
Hand zu küffen, „ob der Kurfürft Gnade für Necht ergehen 
laffen wird, weiß ich nicht; denn einen Heerhaufen, vernehm’ 
ih, des er zufanımen, und fteht im Begriff, dich im Schloffe 
u Tügen aufzuheben; inzwijchen, mie ich dir ſchon gejagt 
hab. an meinem Bemühen fol es nicht liegen.“ Und damıt 
and er auf und machte Auftalt, ihn zu entlaffen. Kohlhaas 
meinte, daß feine Fürſprache ihn über diefen Punkt völlig 
beruhige; worauf Luther ihn mit der Hand grüßte, jener aber 





273 


plöglih ein Knie vor ihm fenkte und ſprach: er habe noch 
eine Bitte auf feinem Herzen. Zu Pfingften nämlich, wo er 
an den Tiſch des Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche 
biefer feiner riegerifchen Unternehmung wegen verfäumt; ob 
er die Gemwogenheit haben wolle, ohne weitere Vorbereitung 
feine Beichte zu empfangen und ihm zur Auswechjelung da- 
egen die oobithat des heiligen Sakraments zu ertheilen? 
Fiber, nach einer kurzen Belinnung, indem er ihn fcharf 
anfah, fagte: „Ia, Kohlhaas, das will ih thun! Der Rn 
aber, deſſen Leib du begehrt, vergab feinem Feind. — Willit 
du“, jeßte er, da jener ihn betreten anfab, Hinzu, „dem Junker, 
der dich beleidigt hat, gleich[alls vergeben, nach der Tronken⸗ 
burg geben, dich auf deine Kappen fegen, und fie zur Did- 
fütterung nad) Kohlhaafenbrüd a an urbider 
Herr“, * Kohlhaas erröthend, indem er ſeine Hand ergriff, 
— „nun? — der Herr auch vergab allen en Feinden nicht, 
Laßt mich dem Kurfürften, meinen beiden Herren, dem Schloß- 
vogt und Verwalter, den Herren Hinz und Kunz, und wer 
mich fonft in diefer Sache gekränkt haben mag, vergeben: den 
Junker aber, wenn es jein kann, nöthigen, daß er mir die 
Rappen wieder did füttere.” — Bei diefen Worten kehrte ihm 
Luther mit einem ange Dlid den Rüden zu und 
30g die Klingel. Kohlhaas, während dadurch herbeigerufen 
ein Famulus fich mit Licht in dem Borfaal meldete, ftand 
betreten, indem er fich die Augen trodnete, vom Boden auf; 
und da der Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeſchoben 
war, an der Thüre wirkte, Luther aber fich wieder zu feinen 
Papieren niedergeſert hatte: ſo machte Kohlhaas dem Mann 
die Thüre auf. Luther, mit einem kurzen, auf den fremden 
Mann gerichueten Seitenblick, ſagte dem Famulus: „Leuchte!“ 
worauf dieſer, über den Send, den er erblidte, ein wenig 
befremdet, den Hausfchlüffel von der Wand nahın, und fich, 
auf die Entfernung deſſelben wartend, unter die halb offene 
Thür des Zimmers zurüdbegab. — Kohlhaas ſprach, indem 
er feinen Hut bewegt zwiſchen beide Hände nahm: „Und fo 
kann ich, bochwürdigfter Herr, der Wohlthat, verföhnt u 
werden, die ich mir von Euch erbat, nicht theilhaftig werden?“ 
Luther antwortete kurz: „Deinem Heiland, nein! dem Landes- 
herrn, — da8 bleibt einen Verſuch, wie ich dir verſprach, 
vorbehalten!” und damit winkte er dem Famulus, das Ge- 
Ichäft, das er ihm aufgetragen, ohne weiteren Auſſchub ab- 
jumaden. Koblhaas legte mit dem Ausdrud jchmerzlicher 

mpfindung feine beiden Hände auf die Bruft; folgte dem 
Mann, der ihm die Treppe hinunter leuchtete, und ven wand. 

. Am andern Morgen erließ Luther ein Sendjchreiben an 
den Kurfürften von Sachſen, worin er nach einem bitteren 

Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. II. 18 





274 


GSeitenblid auf die feine Perſon umgebenden Herren Hinz 
und Kunz, Kämmerer und Mundfchent von Tronka, welde 
die Klage, wie allgemein befannt war, untergefchlagen hatten, 
dem Herrn mit der Preimüthigfeit, die ihm eigen war, 
eröffnete, daß bei fo ärgerlichen Umftänden nichts Anderes 
zu thun übrig fei, al8 den Vorſchlag des Roßhändlers an- 
zunehmen, und ihn: des Vorgefallenen wegen, zur Erneue- 
zung feines Prozeſſes, Amneftie zu ertheilen. Die ect 
Meinung, bemerkte er, fei auf eine höchſt gefährliche Weiſe 
auf dieſes Mannes Seite, dergeftalt, daß felbft in dem drei 
Mal von ihm eingeäfcherten Vittenberg eine Stimme zu 
ſeinem Vortheil ſpreche; und da er ſein Anerbieten, falls er 
damit abgewieſen werden ſollte, unfenlbar unter gehäffigen 
Demerkungen zur Wiffenfchaft des Volks bringen würbe, jo 
fönne dafjelbe leicht in dem Grade verführt werden, daß mit 
der Staatsgewalt gar Nichts mehr gegen ihn auszurichten jei 
Er ſchloß, dag man in Ddiefem aubetorbentticher Fall über 
die Bedenflichkeit, mit einem Staatsbilrger, der die Waffen 
ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen müſſe; 
dan derfelbe in der That durch das Verfahren, da8 man 
gegen ihn beobachtet, auf gemille Weife außer der Staats- 
verbindun gejeht worden ſei; und furz, daß man ihn, um 
aus dem an el zu fommen,' mehr als eine fremde, in das 

Land gefallene Macht, wozu er ſich auch, da er ein Ausländer . 
fei, nn qualifictere, denn als einen Rebellen, der 

fih gegen den Thron auflehne, betrachten müfje. — Der Kur- 
fürſt erhielt diefen Brief eben, als der Prinz Ehriftiern von 
Meißen, Generaliffimns des Neihs, Oheim des bei Mihl- 
berg gefchlagenen und an feinen Wunden noch daniederliegen- 
den Beinen Friedrih von Meißen, der Großfanzler des 
Tribunals, Graf Wrede, Graf Kallheim, Präfldent der Staats- 
fanzlei, und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, 
diefer Kämmerer, jener Mundfchent, die Jugendfreunde und 
Bertrauten des Herrn, in dem olofie gegenwärtig Maren. 
Der Kämmerer, Herr Kunz, der in der Qualität eines Ge— 
ER des Herrn geheime Correfpondenz, mit der Be- 
ugniß, fich feines Namens und Wappens zu bedienen, be- 
forgte, nahm zuerft das Wort, und nachdem er noch einmal 
mweitläufig auseinander gelegt hatte, daß er die Klage, die 
der Roßhändler gegen den Junker, feinen Better, bei dem Tri- 
bunal eingereicht, nimmermehr durch eine eigenmächtige Ver⸗ 
fügung niedergefchlagen haben würde, wenn er fie nicht, durch 
falle Angaben elaler IE eine völlig grundlofe ımd nichtS- 
nußige Pladerei gehalten hätte, fam er auf die gegenwärtige 
os der Dinge. Er bemerkte, daß weder nad göttlichen 
noch menſchlichen Gefegen der Roßkamm um diefes Mißgriffs 


275 


willen befugt geweſen wäre, eine fo ungeheure Selbftracdhe, 
al8 er ſich erlaubt, auszuüben; fchilderte den Glanz, der 
durch eine Verhandlung mit demfelben, als einer rechtlichen 
Kriegsgewalt, auf fein gottverdammtes Haupt falle; und die 
Schmach, die dadurch auf die geheiligte Perſon des Kur— 
ürſten zurüdipringe, fchien ihm fo unerträglid, daß er im 
euer der Deredfamteit lieber das Aeußerſte erleben, den 
echtsſchluß des rafenden Rebellen erfüllt und den Junker, 
feinen Better, zur Didfütterung der Rappen nah Kohlhaaſen⸗ 
brüd abgeführt ſehen, als den Borfchlag, den der Doctor 
Luther gemacht, angenommen wiffen wollte. Der Großfanzler 
des Tribunals, Graf Wrede, äußerte, halb zu ihm gewandt, 
ein Bedauern, daß eine fo zarte Sorgfalt, als er bei der 
uflöfung diefer allerdings mißlichen Sade für den Ruhm - 
des Herrn zeige, ihm nicht bei der erften Beranlaffung der- 
ſelben erfüllt bätte. Er ftellte dem Kurfürften fein Bedenken 
vor, die Staatögewalt zur Durchſetzung einer offenbar un- 
vechtlichen Mapregel in Anfpruch zu nehmen; bemerkte mit 
einem bedeutenden Blid auf den Zulauf, den der Roßhändler 
—— im Lande fand, daß der Faden der Frevelthaten 
ih anf diefe Weile ind Unendliche fortzufpinnen drohe, und 
erflörte, dag nur ein ſchlichtes Rechtthun, indem man un- 
mittelbar und rückſichtslos den Yebltritt, den man fi zu 
Schulden kommen laffen, wieder gut machte, ihn abreißen 
und die Regierung — aus dieſem häßlichen Handel 
herausziehen könne. Der Prinz Chriſtiern von Meißen, auf 
die Frage des Herrn, was er davon halte? äußerte, mit 
Berehrung gegen den Großlanzler gewandt: die Denfungs- 
art, die er an den Tag lege, erfülle ihn zwar mit dem 
rößeften Refpeft; indem er aber dem Kohlhaas zu feinem 

echt verhelfen wolle, bedenke ex nicht, daß er Wittenberg 
und Leipzig und das ganze durch ihn mißhandelte Land in 
[einem gerehten Anfprud auf Schadenerfag oder wenigſtens 

eftrafung beeinträdhtige. Die Ordnung des Staats fi in 
Beziehung auf diefen Mann fo verrüdt, daß man fie ſchwer⸗ 
lich durch einen Grundſatz, aus der Wiſſenſchaft des Rechts 
entlehnt, werde einrenken können. Daher ſtimme er, J der 
Meinung des Kämmerers, dafür, das Mittel, das für ſolche 
Fälle eingefett fei, ind Spiel zu ziehen: einen Kriegshaufen 
von hinreichender Größe zufammenzuraffen und den Roß— 
bändler, der in Lützen aufgepflanzt le, damit aufzuheben oder 
zu erbrüden. Der Kämmerer, indem er für ihn und den 
Kurfürften Stühle von der Wand nahm, und auf eine ver- 
bindlihe Weife ins Zimmer feste, fagte: er freue fi, daß 
en Dann von feiner Rechtſ affenbei und Einfiht mit ihm 
in dem Mittel, diefe Sache zweideutiger Art beigulegen, über: 


276 


einflimme. Der Prinz, indem ex den Stuhl, ohne fi zu 
fegen, in der Hand hielt und ihn anſah, verficherte ihn, daß 
er gar nicht Urfache hätte, fich deshalb zu freuen, indem die 
damit verbundene Maßregel nothwendig die wäre, einen Ber- 
haftabeieht vorher gegen ihn gi erlaften, und wegen Miß- 
rauchs des landeöherrlichen Namens den Prozeß zu machen. 
Denn wenn Notwendigkeit erfordere, den Schleier vor dem 
Thron der Gerechtigkeit a en über eine Reihe von 
Orebelthaten, die unabfehbar, wie fte ſich fortergeugt, vor den 
Schranken defjelben zu erjcheinen nicht mehr Raum fänden, 
jo gelte das nicht von der erften, die fie veranlaßt; und aller- 
erſt feine Anklage auf Leben und Tod könne den Staat zur 
Zermalmung des Roßhändlers bevollmächtigen, deffen Sache, 
wie befannt, ſeſe erecht ſei, und dem man das Schwert, 
das er führe, Ks: in die Hand gegeben- Der Kurfürft, 
den der Junker bei diefen Worten betroffen anſah, wandte 
fih, indem er über dad ganze Geficht roth ward, und trat 
ans Fenſter. Der Graf Kallheim, nach einer verlegenen 
Paufe von allen Seiten, fagte, daß man auf diefe Weife 
aus dem Zauberkreiſe, in dem man befangen, nicht heraus- 
käme. Mit demfelben Rechte könne feinem Neffen, dem Prin- 
zen Friedrich, der Prozeß gemacht werden: denn auch er hätte 
auf dem Streifzug fonderbarer Art, den er gegen den Kohl- 
haas ‚unternommen, feine Inſtruction auf mancherlei Weiſe 
überſchritten: dergeſtalt, daß wenn man nach der weitläufigen 
Schaar derjenigen frage, die die Verlegenheit, in welcher 
man fich befinde, veranlaßt, er gleichfalls unter die Zahl der- 
jelben würde benannt und von dem Landesherrn wegen deffen, 
was bei Mühlberg vorgefallen, zur Rechenſchaft gezogen wer- 
den müffen. Der Mundſchenk, Herr Hinz von Tronka, wäh: 
rend der Kurfürft mit ungemiflen Bliden an feinen Tiſch 
trat, nahm das Wort und fagte: er begriffe nicht, wie der 
Staatsbeſchluß, der zu faflen jei, Männern von folcher Weis- 
heit, als hier verfanmelt wären, entgehen könne. Der Roß- 
händler habe feines Wiſſens gegen bloß freies Geleit nad 
Dresden und erneuerte Unterjuchung [einer Sache verfprochen, 
den Haufen, nit dem er in das Land gefallen, auseinander 
gehen zu laffen. Daraus aber folge nit, daß man ihm 
wegen diefer frevelhaften Selbftrache Amneftie ertheilen müſſe; 
zwei Rechtöbegriffe, die der Doctor Luther fomohl, als auch 
der Stantsrati zu verwechfeln fcheine „Wenn“, fuhr er fort, 
indem er den Finger an die Nafe legte, „bei dem Tribunal 
zu Dresden, gleichviel wie, das Erkenntniß der Rappen wegen 
gefallen ift, fo hindert Nichts, den Kohlhaas auf den Grund 
feiner Mordbrennereien und Räubereien einzufteden: eine ſtaats⸗ 
Huge Wendung, die die Bortheile der Anſichten beider Staats— 


277 


männer bereinigt, und des Beifalls der Welt und Nachwelt 
gewiß iſt.“ — Der Kurfürft, da der Prinz I als der 
Großkanzler dem Mundfchent, Herrn Hinz, au bieje Rede mit 
einem bloßen Blick antworteten, und die Verhandlung mithin 
gefetoffen fhien, fagte, „daß er die verfchiedenen Meinungen, 

ie fie ihm vorgetragen, bis zur nächſten Sigung des Staat$- 


rath3 bei fich jelbft überlegen würde.“ — Es ſchien, die Prä- 


liminarmaßregel, deren der Prinz gedacht, hatte einem für 
Freundſchaft Veh empfänglichen Gerzen die Luſt benommen, 
den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu welchem ſchon Alles 
vorbereitet war, auszuführen. Wentgftens behielt ex den 
Großtanzler Grafen Wrede, deffen Meinung ihm die zmed- 
mäßigfte ſchien, bei fich zurück; und dba diejer Sn riefe 
vorzeigte, aus welchen hervorgieng, daß der Roßhändler in 
der That ſchon zu einer Stärke von vierhundert Mann heran- 
gewachſen fei, ja bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die 
wegen der Unziemlichkeiten des Kämmerer im Lande herrichte, 
in Kurzem auf eine boppelte und dreifache Stärke rechnen 
fönne: fo entſchloß fich der Kurfürft ohne weiteren Anftand, 
den Rath, den ihm der Doctor Luther ertheilt, anzunehmen. 
Dem: gemäß übergab er dem Grafen Wrede die ganze Lei- 
tung der Rohihea en Sache; und fchon nad) wenigen Tagen 
erſchien ein Plakat, das wir dem Hauptinhalt nach folgender- 
maßen mittheilen: 

„Wir zc. x. Kurfürft von Sachen ertheilen in befonders 
gnäbiger Rüdfiht auf die an Uns eaan ene Fürfprache 
des Doctors Martin Luther dem idael Kohlhaas, 
Roßhändler aus dem Brandenburgiſchen, unter der Be- 
dingung, binnen drei Tagen nad Sicht die Waffen, die 
er ergriffen. niederzulegen, Dane einer ernenuerten Unter- 
fuhung feiner Sache freie Geleit nad) Dresden; der- 
geftalt zwar, daß wenn derjelbe, wie nicht zu erwarten, 

er dem Tribunal zu Dresden mit feiner Klage der 
Rappen wegen en werden follte, gegen ihn feines 
eigenmächtigen Unternehmens wegen, fich ſelbſt Recht zu 
verfhaffen, mit ber ganzen Strenge des Geſetzes ver- 
fahren werden ſolle; ım itgegengetegten Tall aber ihm 
mit feinem ganzen Haufen Gnade für Recht bewilligt, 
und völlige Amneftie feiner in Sachſen ausgeübten Ge⸗ 
waltthätigfeiten wegen ugeltanben (ein olle,“ 

Kohlhaas hatte nicht Jobald durch den Doctor Luther ein 

Cremplar dieſes in allen Plätzen des Landes angefchlagenen 
Plafats erhalten, als er, fo bedingungsweiſe aud die darin 
eführte Sprache war, feinen ganzen Haufen fon mit Ge⸗ 
fen en, Dankſagungen und zwedmäßigen Fa rar aus⸗ 
einander gehen ließ. Er legte Alles, was er an Geld, Waffen 


278 


und Geräthſchaften erbeutet haben mochte, bei den Gerichten 
zu Lügen als Turfürftliches Eigenthum nieder; und nachdem 
er den Waldmann mit Briefen wegen Wiederfaufs feiner 
Meierei, wenn es möglich fei, au den Amtmann nach Kohl⸗ 
baajenbrüd, und den Sternbald zur Abholung feiner Kinder, 
die er wieder bei fich zu haben wünfchte, nah Schwerin ge- 
ſchickt hatte, verlieh er das Schloß zu Lügen und gieng un- 
erfannt mit dem Reſt feines Kleinen Vermögens, das er in 
Papieren bei fih trug, nach Dresden. 
Der Tag brach eben an, und die ganze Stadt fhlief noch, 
als er an die Thür der Eleinen, in der irnifgen Borftadt 
elegenen Befigung, die ihm durch die a ug des 
mtmanns übrig geblieben war, anklopfte, und Thomas, dem 
alten, die Wirt ‚daft führenden Hausmann, der ihm mit Er- 
haunen und Beſtuürzung aufmachte, ſagte: er möchte dem 
rinzen von Meißen auf dem Gubernium melden, daß er, 
Kohlhaas der Roghändler, da wäre. Der Prinz von Meißen, 
der auf diefe Meldung für zwedmäßig hielt, augenblidlich 
fi fel 0 von dem Verhältnig, in welchem man mit dieſem 
Mann ftand, zu unterrichten, fand, als er mit einem Gefolge 
von Nittern und Troßfnechten bald darauf erjchien, in den 
Straßen, die zu Kohlhaaſens Wohnung führten, jchon eine 
unermeßliche Menfchennenge ber [ommelt, Die Nachricht, daß 
der Würgengel da fei, der die Volksbedrücker mit Feuer und 
Schwert Derofge, atte ganz Dresden, Stadt und Borftadt 
auf die Beine gebracht; man mußte die Haust ür vor dem 
Andrang des neugierigen Haufens verriegeln, und die Zungen 
Hletterten an den Genkern heran, um den Mordbrenner, der 
darin frübftüdte, in Augenfchein zu nehmen. Sobald der 
Prinz mit Hülfe der ihm Platz machenden Wache ind Haus 
gedrungen und in Aohlhan ens Zimmer getreten war, fragte 
er biefen, welcher 2 entlleidet an einem Ru ftand, ob 
er Kohlhaas der Rophändler wäre? worauf Et aas, indem 
er eine Brieftafche mit mehreren über fein Verhältniß lauten- 
den Papieren aus feinem Gurt nahm und ihm ehrerbieti 
überreichte, antwortete: ja! und hinzufeßte: er finde ſich nad 
Auflöfung feines Kriegshaufens, der ihm ertheilten Tandes: 
berrlihen Freiheit gemäß, in Dresden ein, um feine Klage 
der Rappen wegen gegen den Junker Wenzel von Tronka vor 
Gericht zu bringen. Der Prinz, nad einem Küctigen Blick, 
womit er ihn von Kopf zu Su über Haute, urchlief die in 
der Brieftafche befindlichen Papiere; ließ ſich von ihm er- 
klären, was es mit einem von dem Gericht zu Lügen aus- 
eitellten Schein, den er darin fand, über die zu Gunften 
e3 kurfürſtlichen Schatzes gemachte Depofition für eine DBe- 
wandtniß habe, und nachdem er die Art des Mannes noch 


279 


durch Fragen mandherlei Gattung, nach feinen Kindern, feinem 
Bermögen und der Lebensart, die er 8 zu führen denke, 
epräft, und überall jo, daß man wohl feinetwegen ruhig 
ein Tonnte, befunden hatte, gab er ihm die Briefchaften 
wieder und fagte: daß feinem Prozeß Nichts im Wege ftünde, 
und daß er fi nur unmittelbar, um ihn einzuleiten, an den 
Großkanzler des Tribunals Grafen Wrede jelbft wenden möchte. 
Irzwiſcher ſagte der Prinz nach einer Pauſe, indem er ans 
enfter trat und mit großen Augen das Boll, das vor dem 
Zaufe verfammelt war, überſchaute: „Du wirft auf die erften 
age eine Wache annehmen müſſen, die dich in deinem Haufe 
ſowohl, als wenn du ausgehft, ſchütze!“ — — Kohlhaas fah 
betroffen vor fich nieder und ſchwieg. Der Prinz jagte: „Gleich- 
viel!“ indem er das Fenſter wieder verließ: „was daraus ent- 
ftebt, du haft es dir jet beigumeflen und damit wandte er 
A wieder nach der re in der bficht, das Haus zu ver- 
laſſen. Kohlhaas, der fi pejomnen hatte, ſprach: „ Snädigfter 
Herr! thut, was ihr wollt! Gebt mir euer Wort, die Wache, 
jobald ich es wünſche, wieder aufzuheben, fo babe ich gegen 
diefe RC Nichts einzuwenden!" Der Prinz erwiederte, 
dag bedlirfe der Rede nicht ; und nachdem er drei Landsknechten, 
die man ihm zu diefem Zweck vorftellte, bedeutet hatte: da 
der Mann, in defien Haufe fie zurüdblieben, frei wäre, un 
daß fie ihm bloß zu feinem Schuß, wenn er auägienge, olgen 
8 ten, grüßte er den Roßhändler mit einer herablaſſenden 
ewegung der Hand und entfernte ſich. 
egen Mittag begab et Ko ae von feinen drei 
Landsknechten begleitet, unter Dem Gefolge einer unabfehbaren 
Menge, die ihm aber auf Feine Weife, weil fie durch die 
Poli ei gewarnt war, etwas zu Leide that, zu dem Grof- 
anzler des Zribunals, Grafen Wrede. Der Großkanzler, der 
ihn mit Milde und Freundlichkeit in feinem Borgemad) empfieng, 
unterhielt fich während zwei ganzer Stunden mit ihm, un 
nachdem er ſich den ganzen Verlauf der Sad, von Anfang 
bis zu Ende hatte erzählen laffen, wies er ihn zur unmittel- 
baren Abfaffung und Einreichung der Klage an einen bei dem 
Gericht angeftellten, berühmten Advokaten der Stadt. Kohl. 
haas, ohne weiteren Verzug, verfügte fich in deffen Wohnung, 
und nachdem die Klage, ganz der eriten niedergefchlagenen 
emäß, auf Beftrafung des Junkers nad den Getogen, 
a & der Pferde in den vorigen Stand, und 
Erfag ſeines Schadens ſowohl als auch, deflen, den fein bei 
Mühlberg gefallener Knecht Herje erlitten hatte, zu Gunften 
der alten Mutter befielben, aufgefegt war, begab er ſich 
wieder unter der Begleitung des ihn immer noch angaffenden 
Dolls nach Haufe zurüd, wohl entſchloſſen, e3 anders nicht, 


20 


Kar nur, wenn nothwendige Gejchäfte ihn riefen, gu ver⸗ 
affen. 
Inzwiſchen war auch der Junker feiner Haft in Witten- 
berg entlaffen, und nad Herftellung von einer gefährlichen 
Rote, die jeinen Fuß _entzfindet hatte, von dem Landesgericht 
unter peremtorifchen Bedingimgen aufgefordert worden, fich 
zur Berantwortung auf_die von dem Roßhändler Kohlhaas 
gegen ihn eingereichte Klage wegen widerredhtlih abgenom- 
mener und zu Grunde gerichteter Kappen in Dresden zu ftellen. 
Die Gebrüder Kämmerer und Mundfchent von Tronfa, Lehns⸗ 
vettern des Junkers, in deren Haufe er abtrat, empfiengen 
ihn mit der arößelten Erbitterung und Verachtung; fie nannten 
ihn einen Elenden und Nihtswürdigen, der Schande und 
Schmach über die ganze Familie bringe, Fündigten ihm an, 
daß er feinen Prozeß nunmehr unfehlbar verlieren würde, und 
forderten ihn auf, nur gleich zur Herbeifchaffung der Rappen, 
u deren Didfütterung er zum Hohngelächter der Welt ver- 
ammt werden würde, Anftalt zu machen. Der Junker fagte 
mit ſchwacher zitternder Stimme: er fei der bejammernsmwür- 
digfte Menſch von der Welt. Er verſchwor fih, daß er von 
dem ganzen verwänfchten Handel, der ıhn ins Unglüd flürze, 
nur wenig gewußt, und daß der Schloßvogt und der Ber- 
mwalter an Allem Schuld wären, indem, fie die Pferde ohne 
fein entfernteftes Wiffen und Wollen bei der Ernte gebraucht 
und dur unmäßige Anftrengungen zum Theil auf ihren 
eigenen Feldern zu Grunde gerichtet hätten. Er ſetzte fich, 
indem er dieß fagte, und bat, ihn nicht durch Kränkungen 
und Beleidigungen in das Uebel, von dem er nur fo eben 
erſt eritanden Mi muthwillig zurüdzuftürzen. Am andern 
Tage jchrieben die Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend 
der eingeäfcherten Tronfenburg Güter bejaßen, auf Anſuchen 
des Junkers, ihres Betters, weil doch nicht? Anders übrig 
blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Pächter, um 
Nachricht Über die an jenem unglüdlichen Tage abhanden ge- 
fommenen und feitdem gänzlich verfchellenen Rappen einzugiehn. 
Aber Alles, was fie bei der gänzlichen Verwüſtung des Platzes 
und der Niedermegelung faft aller Einwohner erfahren konnten, 
war, daß ein Knecht fe von den flachen Hieben des Mord- 
brenners getrieben, au8 dem breimenden Schuppen, in welchem 
„fie ftanden, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo er fie 
binführen und was er damit anfangen folle, von dem grim- 
migen Wiütherich einen FZußtritt zur Antwort erhalten babe. 
Die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin des unters, 
die fi nah Meißen gefliichtet hatte, verficherte demjelben 
auf eine fchriftliche Anfrage, daß der Knecht fih am Morgen 
jener entjeglichen Nacht mit den Pferden nach der branden- 


281 


burgifchen Grenze gewandt habe; doch alle Nachfragen, die 
man dajelbft anfiefte, waren vergeblih, und es fchien diefer 
Nachricht ein Irrthum zum Grunde zu liegen, indem der 
Junker feinen Knecht hatte, der im Brandenburgifchen oder 
auch nur auf der Strage dorthin zu Haufe war. Männer 
aus Dresden, die wenige Tage nad) dem Brande der Tronfen- 
burg in Wilsdruf geweſen waren, fagten aus, dag um die 
benannte Beit ein Knecht mit zwei an der Halfter gehenden 
Pferden dort angelommen und die Thiere, weil fie jehr elend 
eweſen wären und nicht weiter fortgefonnt hätten, im Kuh— 
hat eines Schäfers, der fie wieder hätte aufbringen wollen, 
eben gelafien hätte. Es fchien mancherlei Gründe wegen 
ehr wahrjcheinlih, daß dieß die in Unterfuhung ftehenden 
appen waren; aber der Schäfer aus —2B hatte ſie, 
wie Leute, die dorther kamen, verſicherten, ſchon wieder, 
man wußte nicht an wen, verhandelt; und ein drittes Gerücht, 
deſſen Urheber unentdeckt blieb, ſagte gar aus, daß die Pferde 
bereits in Gott verſchieden und in der Knochengrube zu Wils- 
druf begraben wären. Die Herren Hinz und Kunz, denen 
diefe Wendung der Dinge, wie man Leicht begreift, die er- 
wünfchtefte war, indem fie dadurch bei des Junkers, ihres 
Betterd, Ermangelung eigener Ställe der Nothwendigkeit, die 
Rappen in den ihrigen aufzufüttern, überhoben waren, wünjd)- 
ten gleichwohl völliger Sicherheit wegen diefen Umftand zu 
hewahrheiten. Herr Wenzel von Tronla erließ demnach als 
Erb-, Lehns- und Gerichtsherr ein Schreiben an die Gerichte 
u Wilsdruf, worin er diejelben nad) einer weitläufigen Be— 
— ** der Rappen, die, wie er ſagte, ihm anvertraut 
und durch einen Unfall abhanden gekommen wären, dienſt— 
freundlicäft erfuchte, den dermaligen Aufenthalt derfelben zu 
erforfchen, und den Eigner, wer er auch fei, aufzufordern 
und anzubalten, fie gegen reichliche Wiedererftattung aller 
Koften in den Ställen des Kämmerers Herrn Kunz zu Dres- 
den abzuliefern. Demgemäß erjchien aud wirklich menige 
Tage darauf der Mann, an den ſie der Schäfer aus Wils- 
druf verhandelt hatte, und führte fie dürr und wankend, an 
die Runge feines Karrens gebunden, auf den Markt der 
Stadt; das Ungläd aber Herrn wengeß und noch mehr des 
ehelichen Kohlhaas wollte, daß es der Abdeder aus Dobbeln war, 
obald Herr Wenzel in Gegenwart des Kämmerers, feines 
Betters, durch ein unbeitimmtes Gerücht vernommen hatte, daß 
ein Dann mit zwei fchwarzen, aus dem Brande der Tronfen- 
burg entlommenen Pferden in der Stadt angelangt fei, be- 
aben fi Beide in Begleitung einiger aus dem Haufe zu- 
Fammen erafften Knechte auf den Schloßplag, wo er ftand, 
um fie demjelben, falls e8 die dem Kohlhaas zugehörigen 


283 


wären, gegen Erftattung ber Koſten abzunehmen und nad 

aufe zu führen. Über wie betreten waren die Ritter, als 
fie bereits einen von Augenblid gu Augenblid fi vergrößern- 
den Haufen von Menfchen, den das Schaufpie herbeigego en, 
um den zweiräbrigen Karren, an dem bie Thiere befeitigt 
waren, erblidten; unter unendlihem Gelächter einander zu- 
rufend, deß die Pferde ſchon, um derenthalben der Staat 
wanfe, an den Schinder gelommen wären! Der Junker, der 
um den Karren berumgegangen war und bie jömmerlichen 
Thiere, die alle Augenblide erben zu wollen ** e⸗ 
trachtet hatte, ſagte verlegen: das wären die Pferde nicht, 
die er dem Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der Käm⸗ 
merer, einen Blick ſprachloſen Grimms voll auf ihn werfend, 
der, wenn er von Eiſen gemelen wäre, ihn zerichmettert hätte, 
trat, indem er feinen Mantel, Orden und Kette entblößend 
zurädichlug, zu dem Ahbeder heran und fragte ihn, ob das 
die Rappen wären, die der Schäfer von Wilsdruf an fi 
ebracht und der Junker Wenzel von Tronka, dem fie ge- 
hörten, bei den Gerichten dafelbft requiviert hätte? Der Ab- 
deder, der, einen Eimer Waſſer in der Hand, beichäftigt 
war, einen dicken wohlbeleibten Gaul, der en Karren 208, 
zu tränken, fagte: die ſchwarzen? — Er treifte dem Saul, 
nachdem er den Eimer niedergelegt, das Gebiß aus dem Maul 
und fagte: die Rappen, die an die Runge gebunden wären, 
hätte ihm der Schweinehirte von Hainichen ee wo der 
fie ber hätte und ob fie von dem Wilsdrufer Schäfer kämen, 
das wiſſe er nicht. Ihm hätte, ſprach er, während er den 
Eimer wieder aufnahm und zuifggen Deichſel und Knie an⸗ 
ſtemmte: ihm hätte der Gerichtsbote aus Wilsdruf gelagt, 
daß er Is nach Dresden in das Haus derer von Tronka 
bringen jolle, aber der Junker, an den er gewieſen fei, heiße 
Kunz. Bei biefen Worten wandte er fich mit dem Reſt des 
Walleıs, den der Saul im Eimer übrig gelafjen hatten und 
ſchüttete ihn auf das särlafter der Straße aus. Der Käm- 
merer, der, von den Bliden der hohnlachenden Menge um- 
et, den Kerl, der mit empfindungslofem Eifer feine Ge- 
chäfte betrieb, nicht bewegen fonnte, daß er ihn anfah, fagte, 
daß er der Kämmerer Kunz von Tronka wäre, die Rappen 
aber, die er an fich bringen jolle, müßten dem Junker, feinem 
Better, gehören, von einem Knecht, der bei Gelegenheit des 
Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an den Schäfer zu 
Wilsdruf gefommen, und urſprunglig zwei dem Roßhändler 
Kohlhaas zugehörige Pferde ſeien. Er fragte den Kerl, der 
mit gejpreigten Deinen daftand und fich die Dofen in die Höhe 
zog, ob er davon Nichts wife? und ob fie der Schmweinehirte 
non Hainichen nicht vielleicht, auf welchen Umftand Alles an» 


283 


tomme, von dem Wilsbrufer Schäfer oder von einem Dritten, 
der fie jeinerjeits von bemfelben gekauft, erftanden hätte? — 
Der Abdeder, der fih an den Wagen geftellt und fein Waſſer 
abgeichlagen hatte, fagte, er wäre mit den Rappen nad) Dres- 
den beftelt, um in dem Haufe derer von Tronka fein Geld 
dafür zu empfangen. Was er da vorbrädte, verjtände er 
nicht, und ob fie vor dem Schweinehirten aus Hainichen Beter 
oder Paul befeflen hätte, oder der Schäfer aus Wilsdruf, 
gelte ihm, da Ai: nicht geftohlen wären, gleih. Und damit 
gieng er, die Peitjche quer über feinem breiten Rüden, nad 
einer Kneipe, die auf dem Plate lag, in der Abficht, hungrig 
wie er war, ein Frühftüd einzunehmen. Der Kämmerer, der 
auf der Welt Gottes nicht wußte, was er mit Pferden, Die 
der nahen von Hainichen an den Schinder in Döbbeln 
verkauft, machen folle, falls es nicht diejenigen wären, auf 
welchen der Teufel durch Fr ritt, forderte den Junker 
auf, ein Wort zu ſprechen; doch da diefer mit bleichen, beben- 
den Lippen erwiederte: das Rathjamfte wäre, daß man die 
Rappen kaufe, fie möchten dem Kohlhaas gehören oder nicht, 
fo trat der Kämmerer, Vater und Mutter, die ihn geboren, 
verfluchend, indem er fich den Mantel zurädichlug, gänzlich 
unwiſſend, was er zu thun oder zu laflen habe, aus dem 
Haufen des Volks zuräüd. Ex rief den Freiherrn von Went, 
einen Belannten, der über die Straße ritt, zu 1 heran, 
und trogig, den Plat nicht zu verlaflen, eben weil das Ge- 
findet hoͤhniſch auf ihn einblidte, und mit vor dem Mund 
zufammengedrüdten Schnupftüchern nur auf feine Entfernung 
zu warten I um lo8zuplagen, bat er ihn, bei dem Grof- 
anzler Grafen Wrede abzufteigen, und dur. deſſen Der- 
mittelung den Kohlhaas zur Belichtigung der Wappen herbei- 
zuſchaffen. Es traf fi, daß Kohlhaas eben, durd einen 
Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des Großkanzlers, 
gewifler die Depofittion in Lüten betreffenden Erläuterungen 
wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwärtig war, als der 
Freiherr in der eben erwähnten Abficht zu ihm ins Zimmer 
trat, und während der Großlanzler fich mit einem verdrieß- 
lichen Geficht vom Seſſel erhob, und den Roßhändler, deſſen 
Perſon jenem unbelannt war, mit den Papieren, die er in 
der gan hielt, zur Seite jtehen ließ, ftellte der Freiherr 
ihn: Die Berlegenheit, in welcher ſich die Deren von Tronka 
befanden, vor. Der Abdeder von Döbbeln jet Sr mangel- 
hafte Requifition der Wilsdrufer Gerichte mit Pferden er- 
en” deren Zuftand jo heillos Hann wäre, daß der 
unter Wenzel anftehen müſſe, fie für die dem Kohlhaas 
gehörigen anzuerkennen; dergeftalt, daß, falls man fie gleid- 
wohl dem Abdecker abnehmen ſolle, um in den Ställen der 


284 


Ritter zu ihrer Wiederherftellung einen Berfuh zu machen, 
vorher eine Dcularinfpection des Kohlhaas, um den befagten 
Umſtand außer Zweifel zu fegen, nothmwendig ſei. „Habt 
demnad die Güte“, ſchloß er, „ven Roßhändler durch eine 
Wache aus feinem Haufe abholen und auf den Markt, wo 
die Pferde ſtehen, inführen % Iaffen.“ Der Großfanzler, 
indem er ſich eine Brille von der Nafe nahm, fagte, „daß 
er in einem doppelten Irrthum ftünde; einmal, wenn er glaube, 
daß der in Rede ftehende Umftand anders nicht als durch 
eine Dcularinfpection des Kohlhaas auszumitteln fei; und 
dann, wenn er fich einbilde, er, der Kanzler, gi befugt, den 
Kohlhaas dur eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, 
abführen zu laſſen.“ Dabei ftellte er ihm den Roßhändler, 
der hinter. ihm ftand, vor, und bat ihn, indem er ſich nieder- 
ließ und feine Brille wieder auffegte, fh in diefer Sache an 
ihn felbft zu menden. — Kohlhaas, der mit feiner Miene, 
was in feiner Seele vorgieng, zu erfennen gab, fagte, daß 
ex bereit wäre, ihm zur Beſichtigung der Kappen, die der 
Abdeder in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. 
Er trat, während der Freiherr fich betroffen zu ihm umkehrte, 
wieder an den Tiſch des Großkanzlers heran, und nachdem 
er demfelben noch aus den Papieren feiner Brieftajche mehrere, 
die Depofition in Lützen betreffende achrichten gegeben hatte, 
beurlanbte er 2 von ihm; der Freiherr, der iiber das ganze 
Geficht roth ans Fenſter getreten war, empfahl ſich ihm gleidh- 
falls, und Beide giengen, begleitet von den drei Durch den 
Prinzen von Meißen eingefegten Landsfnechten, unter dem 

roß einer Menge von Menſchen nach dem Schloßplag hin. 
Der Kämmerer, Herr Kunz, der inzwiſchen den Borftellungen 
mehrerer Freunde, die io um ihn eingefunden hatten, zum 
Trotz feinen Blog dem Abdeder von Döbbeln gegenüber unter 
dem Volke behauptet hatte, trat, fobald der Freiherr mit dem 
Roßhändler erſchien, an legteren heran und fragte ihn, indem 
er jein Schwert mit Stolz und Anfehen unter dem Arm hielt, 
ob die Pferde, die hinter dem Wagen ſtünden, Die feinigen 
wären? Der Rophänbier, nachdem er mit einer befcheidenen 
Sendung gegen den die Frage an ihn richtenden Herrn, den 
er nicht Tannte, den Hut gezüidt hatte, trat ohne ihm zu ant- 
worten im Gefolge fämmtlicher Ritter an den Schinderlarren 
heran, und die Thiere, die auf wankenden Beinen, die Häupter 
gur Erde gebeugt, daftanden, und von dem Heu, das ihnen 

er Abdeder vorgelegt hatte, nicht fragen, flüchtig aus einer 
Ferne von zmölf Schritt, in welcher ex ftehen blieb, betrachtet: 
„Snädigfter Herr!” wandte er wieder zu dem Kämmerer 
urüd, „der Abdeder hat ganz Recht; die Pferde, die an 
feinen Karren gebunden find, gehören mir!“ Und damit, indem 


. 285 


ex fi in dem ganzen Kreiſe der Herren umfoß, rüdte er den 
Hut noch einmal und begab fi, von feiner Wache begleitet, 
wieder von dem Platz hinweg. Bei diefen Worten trat der 
Kämmerer mit einem raſchen, feinen Helmbujch erſchütternden 
Schritt zu dem Abdeder heran, und warf ihm einen Beutel 
mit Geld zu; und während diefer fih, den Beutel in ber 
Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare über die Stirn 
und dfümmte und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, 
ie Pferde abzulöien und nah Haufe zu führen. Der Knecht, 
der auf den Auf des Herrn einen Kreis von Freunden und 
Berwandten, die er unter dem Volke befaß, verlaffen hatte, 
trat auch in der That, ein wenig roth im Geficht, über eine 
große Miftpfüge, die ſich Ei ihren Füßen gebildet hatte, zu 
den Pferden heran; doch Taum hatte er ihre Halfter erfaft, 
um fie loszubinden, als ihn Meifter Eee oldt, fein Better, 
fhon beim Arm ergriff und mit den Worten: „Du rührft die 
Schindmähren nit an!“ von dem Karren _binwegfchleuderte. 
Er ſetzte, indem er ſich mit ungemwiffen Schritten über bie 
Miftpfüge wieder zu dem Kämmerer, der über diefen Bor- 
fall ſprachlos daftand, zurüdmwandte, hinzu: daß er fich einen 
Schinder negt anſchaffen müſſe, um ihm einen ſolchen Dienſt 
in leiften. Der Kämmerer, der vor Wuth ſchäumend den 
eifter auf einen Augenblid betrachtet hatte, Tehrte fich um, 
und rief über die ger der Ritter, die im umringten, 
insg, nach der Wache; und fobald auf die Beftellung des 
reiheren von Wenk ein Offizier mit einigen Eurfürftlichen 
Zrabanten aus dem Schloß erjchienen war, forderte er den- 
felben unter einer kurzen Darftelung der fhändlihen Auf: 
eßerei, die fi die Bürger der Stadt erlaubten, auf, den 
üdelsführer, Meifter Himboldt, in Verhaft zu —35 — Er 
verklagte den Meiſter, indem er iga bei der Bruſt faßte: daß 
er ſeinen die Rappen auf ſeinen Befehl losbindenden Knecht 
von dem Karren hinweggeſchleudert und mißhandelt hätte. 
Der Meiſter, indem er den Kämmerer mit einer geſchickten 
Wendung, die ihn befreite, zurückwies, tagte: „Önädigfter 
Herr! einem Burjchen von zwanzig Fahren bedeuten was ex 
u thun bat, heißt nicht ihn berieben! Befragt In ob er 
y gegen Herlommen und Schidlichkeit mit den P erden, die 
an die Karre gebunden find, befaſſen will; will ex e8 nad) 
dem, was ich gefagt, thun: ſei's! Meeinethalb mag er fie jet 
abludern und häuten.” Bei diefen Worten wandte fich der 
Kämmerer zu dem Knecht herum und fragte ihn: ob er irgend 


jühren ? Und da. diefer ſchüchtern, indem er fi 
Ürger mifchte, erwiederte: die Pferde müßten erft ehrlich 


286 » 


gemacht werben, bevor man ihm das zumuthe, fo folgte ihm 
der Kämmerer von hinten, riß ihm den Hut ab, der mit 
feinem Hanszeihen gefhmüdt war, 309, nachdem er den Hut 
mit Füßen getreten, von Leder und jagte den Knecht mit 
wüthenden Hieben der Klinge augenblidiih vom Plat weg 
und aus feinen Dienften. eifter Himboldt rief: „Schmeißt 
den Mordmüthrich doch gleich zu Boden!“ und mährend die 
Bürger, von diefem Auftritt empört, zufammentraten und die 
Wade hinwe brängten, warf er den Kämmerer von hinten 
nieder, riß ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihm 
da8 Schwert aus der Hand und fchleuderte e8 in einem 
orimmigen Wurf weit über den Plag hinweg. Bergebens 
rief der Junker Wenzel, indem er fih aus dem Zumult 
rettete, den Nittern zu, feinem Better beizufpringen; ebe fie 
noch einen Schritt dazu gethan Hatten, waren Fr ſchon von 
dem Andrang des Volks zeritreut, dergeftalt, daß der Käm— 
merer, der fich den Kopf beim Fallen verlegt hatte, der ganzen 
Wuth der Dienge Preis gegeben war. Nichts als die Er- 
Ideinung eines Trupps berittener Landsknechte, die zufällig 
über den Pla zogen und die der Offizier der kurfürſtlichen 
Trabanten zu feiner Unterſtützung herbeirtef, Tonnte den Käm⸗ 
merer retten, Der Die, nachdem er den Haufen verjagt, 
ergriff den müthenden Meiſter, und während berfelbe durch 
einige Reuter nach dem Gefängniß gebracht. ward, hoben zwei 
Freunde den unglüdlichen, mit Blut bededten Kämmerer vom 
Boden auf und führten ihn nad Haufe. Einen fo heillofen 
Aus ang nahm der mohtgemeinte und redlihe Verſuch, dem 
Rokbän ler wegen des Unrechts, das man ihm angel t, 
enugehuun zu verfchaffen. Der Abdeder von :Dübbeln, 
deilen Ge gif abgemacht war, und der ſich nicht länger auf- 
halten wollte, band, da fi das Boll zu zerftreuen anfieng, 
die Pferde an einen Taternenpfahl, wo fie den ganzen Tag 
über, ohne daß fih Jemand um fie befünmerte, ein Spott 
der Straßenjungen und Tagediebe ftehen blieben; dergeftalt, 
rs in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei 
f ihrer annehmen mußte und gegen Einbruch der Nacht 
en Abdeder von Dresden erbeitiet, um fie bis auf weitere 
Berfügung auf der Schinderei vor der Stadt zu beforgen. 
Diefer Vorfall, fo menig der eh ihn in ber 
That verfchuldet hatte, ermedte gleichwohl auch bei den Ge- 
He tern und Beflern eine dem Ausgang feiner Streitiadhe 
2 f gefährliche Stimmung im Lande. an fand das Ber- 
ältniß defjelben zum Staat ganz unerträglich, und in Privat- 
häufern und auf öffentlichen Plätzen erhob ſich die Meinung, 
daB es befjer ſei, ein offenbares Unrecht an ıhm zu verüben 
und die ganze Sache von Neuem niederzufchlagen, als ihm 


287 


Gerechtigkeit, durch Gewaltihaten ertroßt, in einer fo nichtigen 
Sade zur bloßen Befriedigung feines rafenden Starrfinns 
ukommen zu laffen. Zum völligen Verderben des armen 
* lhaas mußte der Großkanzler Feb aus übergroßer Recht⸗ 
Iichleit und einem davon herrührenden Haß ge en die Familie 
von Tronka beitragen, diefe Stimmung zu befefligen und zu 
verbreiten. Es war höchſt unmahrfcheinlih, daß die Pferde, 
die der Abdeder von Dresden jetzt beforgte, jemald wieder 
in den Stand, wie fie aus dem Stall zu Kohlhaafenbrüd 
gefommen waren, hergeftellt werden würden, doch gejest, Daß 
e3 dur Kunft und anhaltende Piie e möglıch gewejen wäre: 
die Schmach, die zu Folge der eftchenden Umftände dadurch 
auf die Familie des Junkers fiel, war jo groß, daß bei dem 
ſtaatsbürgerlichen Gewicht, welches fie als eine der erften und 
edelften ım Lande hatte, Nichts billiger und zweckmäßiger 
ſchien, als eine Vergütigung der Pferde in Geld einzuleiten. 
Sleihmwohl auf einen Brief, in welchem der Präfident, Graf 
Kallheim, im Namen des Kämmerers, den feine Srankheit 
abhielt, dem Groplangier einige Tage darauf dieſen Bor- 
ſch ao machte, erließ derſelbe zwar ein Schreiben an den 
Kohlhaas, worin er ihn ermahnte, einen Den Antrag, wenn 
er an ihn er chen follte, nicht von der Hand zu weiten; den 
Präfidenten fe ft aber bat er in einer furzen, wenig verbind- 
Iihen Antwort, ihn mit Privataufträgen in diefer Sache zu 
verichonen, und forderte den Kämmerer auf, fi an den Hob- 
händler felbft zu wenden, den er ihm als einen fehr billigen 
und bejcheidenen Mann fchilderte. Der Aophänier, deifen 
Wille durch den Borfall, der fih auf dem Markt augetragen 
in der That gebrochen war, wartete auch nur, dem Rath 
des Großlanzlerd gemäß, auf eine Eröffnung von Geiten 
des Junkers oder jeiner Angehörigen, um ihnen mit völliger 
Bereitwilligkeit und Vergebung alle8 Gejchehenen entgegen- 
zufommen: doch eben diefe Eröffnung war den ftolzen Ritiern 
u thun emp well; und ſchwer erbittert über die Antwort, 
ie fie von dem Großkanzler empfangen hatten, zeigten ſie 
diefelbe dem Kurfürften, der am Morgen des nächſtfolgenden 
Tages den Kämmerer, krank wie er an feinen Wunden dar- 
niederlag, in feinem Zimmer befucht hatte. Der Kämmerer, 
niit einer durch feinen Zuftand ſchwachen und rührenden 
Stimme fragte ihn, ob er, nachdem er fein Xeben daran 
gejeßt, um diefe Sache feinen Dünen gemäß beizulegen, 
auch noch feine Ehre dem Tadel der Welt ausjegen und mit 
einer Bitte um Vergleich und Nachgiebigkeit vor einem Manne 
erfcheinen jolle, der alle nur erdenk di Schmach und Schande 
über ihn und feine Familie gebraht habe. Der —I 
nachdem er den Brief geleſen hatte, fragte den Grafen Kall⸗ 


288 


eim verlegen: ob das Zribunal nicht befugt fei, ohne weitere 

üd|prache mit dem Kohlhaas auf deu Umftand, daß die 
Pferde nicht wieder berzuitellen wären, zu fußen, und dem- 
gemäß das Urtheil, gleich al3 ob fie todt wären, auf bloße 

ergütigung derfelben in Geld abzufaflen? Der Graf ant- 
wortete: „Önädigfter Herr, fie find todt: find in ſtaatsrecht⸗ 
licher Bedeutung todt, weil fie feinen Werth haben, und 
‘werden es bhofitc fein, bevor man fie aus der Abdederei 
in die Ställe der Ritter gebracht hat”; worauf der nude: 
indem er den Brief einftedte, fagte, daß er mit dem Groß⸗ 
Tanzler je darüber fprechen wolle, den Kämmerer, der ſich 
halb aufrichtete und feine Hand dankbar ergriff, beruhigte, 
-und nachdem er ihm noch enpfohlen hatte, für Yin Geſundheit 
Sorge zu tragen, mit vieler Huld fi von feinem Seſſel 
erhob und das Zimmer verließ. 

So flanden die Sachen in Dresden, als fich tiber den 
armen eohlgane noch ein anderes, bedeutenderes Gemitter 
von Lügen ber zufanımenzog, deſſen Strahl die arglifligen 
Nitter gefhidt genug waren auf das unglüdliche Danpt 
defjelben herabzuleiten. Johann Nagelfhmidt nämlich, Einer 
von den Durch den Roßhändler zufammengebracdhten und nad) 
Erſcheinung der kurfürſtlichen Amneftie wieder abgedanften 
Knechten, Date für gut befunden, wenige Wochen nachher an 
der ae Grenze einen Theil vieles zu allen Schand- 
thaten au Igeleaten ejindel8 von Neuem Aulemmengurafien, 
und das Gewerbe, auf dejlen Spur ihn Kohlhaas geführt 
hatte, auf feine eigene Hand fortzufegen. Dieſer nichtänugige 
Kerl nannte ſich, theild um den Hälhern, von denen er ver- 
folgt ward, Furcht einzuflößen, theils um das Landvolk auf 
die gewohnte Weiſe gu Zbeitnahme an feinen Spigbübereien 
zu verleiten, einen Statthalter des Kohlhaas; |prengte mit 
einer feinem Herrn abgelernten Klugheit aus, dag die Anı- 
neftie au mehreren in ihre Heimat ruhig zurüdgelehrten 
Knechten nicht gehalten, ja der Kohlhaas an mit himmel⸗ 
fchreiender Wortbrüchigkeit bei feiner Ankunft in Dresden 
eingeftedt und einer Wache übergeben worden fei; dergeftalt, 
bak in Plakaten, die den Kohlhaafifchen ganz ne waren, 
fein Mordbrenuerhaufen als ein zur bloßen Ehre Gottes 
aufgeftandner Kriegshaufen erfchien, beftinnmt, über die Be— 
folgung der Amen von dem Kurfürften angelobten Amneſtie 
zu wachen; Alles, wie fchon gejagt, keineswegs zur Ehre 
Gottes, noch aus Anhänglichleit an den Kohlhaas, deſſen 
Schickſal ihnen völlig gleichgültig war, fondern um unter 
dem Schuß ſolcher Borfpiegelungen defto ungeftrafter und 
bequemer a fengen und zu plündern Die Ritter, fobald 
die erſten Nachrichten davon nach Dresden Tamen, konnten 


289 


ihre Freude über diefen, dem ganzen Handel eine andere 
Geftalt gebenden Borfall nicht unterdrüden. Sie erimnerten 
mit weifen und mißvergnügten Seitenbliden an den Mißgriff, 
den man begangen, indem man dem Kohlhaas, ihren drin- 
genden und wiederholten Warnungen zum Trotz, Amneſtie 
ertheilt, gleihjam als hätte man die Abficht gehabt,. Böfe- 
wichtern aller Art dadurch zur Nachfolge auf feinem Wege 
das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem Vorgeben 
des Nagelihmidt, zur bloßen etufrechtbaltung und Sicherheit 
feines unterdrüdten Herren die u ergriffen zu haben, 
Slauben zu fchenten, Außerten fie ſogar die beftimmte Mei- 
nung, daß die ganze Erfcheinung deſſelben Nichts als ein 
von dem Kohlhaͤas angezetteltes Unternehmen fei, um die 
Regierung in Furt zu fegen und den Fall des Rechtsſpruchs 
Punkt vor Punft jeinem vafenden Eigenfinn gemäß durchzu- 
fegen und zu befchleunigen. Ja, der Mundfchenf, Herr Hinz, 
gieng jo weit, einigen Jagdjunkern und Hofherren, die fich 
nach der Tafel im Vorzimmer des — um ihn ver⸗ 
fammelt hatten, die Auflöfung des Räuberhaufens in Lügen 
als eine verwünſchte Spiegelfechterei darzuftellen,; und indem 
er fih über die Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers ſehr 
luftig machte, erwies er aus mehreren witzig zufammen- 
geftellten Umftänden, daß der Haufen nad) wie vor noch in 
den Wäldern des Kurfürftenthums vorhanden fei, und nur 
auf den Wink des Roßhändlers warte, um daraus von Neuem 
mit Feuer und Schwert hervorzubrechen, Der Prinz Chriftiern 
von Meißen, über diefe Wendung der Dinge, die jeines 
Herrn Ruhm auf die empfindlichfte Weife zu befleden drohete, 
ſehr mißvergnägt, begab fich giogleidh zu lang" aufs 
Schloß; und das Interefle der Ritter, den Kohlhaas, wenn 
es möglich märe, auf den Grund neuer Vergehungen zu 
ftürzen, wohl durchfchauend, bat er ſich von demfelben die 
Erlaubniß aus, unverzüglicd ein Verhör über den en 
anftellen zu dürfen. Der Roßhändler, nicht ohne Befremden, 
durch einen Häfcher in das Gubernium abgeführt zu werden, 
erſchien, den Heinrich) und Leopold, feine beiden Heinen Knaben 
auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags zuvor 
mit feinen fünf Kindern aus dem Meeflenburgijchen, wo fie 
fi) aufgehalten hatten, bei ihm angelommen, und Gedanken 
mancherlei Art, die au entwideln zu weitläuftig find, beſtimmten 
Ibn, die Jungen, die ihn bei feiner Entfernung unter dem 

rguß Tindifcher Thränen darum baten, aufzuheben, und in 
das Verhör mitzunehmen. Der Prinz, nachdem er die 
Kinder, die Kohlhaas neben na niedergefegt hatte, mohlge- 
[ilig betrachtet und auf eine wundie el nad ihrem 

Iter und Namen gefragt batte, eröffnete ibm, was der 

BibL d. d. Nationglliteratur. Kleiſt. IL 49 


290 


Nagelſchmidt, ſein ehemaliger Knecht, ſich in den Thälern 
des Erzgebirges für Freiheiten herausnehme; und indem er 
ihm die ſogenannten Mandate deſſelben überreichte, forderte 
er ihn auf, dagegen vorzubringen, was er zu ſeiner Recht- 
fertigung vorzubringen. wüßte. Der Roßhändler, fo ſchwer 
er auch in der That über diefe ſchändlichen und verrätherijchen 
Papiere erfchraf, hatte gleichwohl einem jo rechtſchaffenen 
Manne, als der Prinz war, gegenüber, wenig Mühe, die 
Grundlofigkeit der gegen ihn auf die Bahn gebrachten DBe- 
jhuldigungen befriedigend auseinander zu legen. Nicht nur, 
daß zufolge feiner Bemerkung er, fo wie die Sachen ftanden, 
überhaupt noch zur Entſcheidung feines im beiten Fortgang 
begriffenen Recht3ftreits feiner Hülfe von Seiten eines Dritten 
bedürfte: aus einigen Brieffchaften, die er bei fich trug, und 
die er dem Prinzen vorzeigte, gieng jogar eine Unmahrfchein- 
lihleit ganz eigner Art hervor, daß das Herz des Nagel- 
ſchmidts geſtimmt fein follte, ihm dergleichen Hülfe zu leiften, 
indem er den Kerl wegen auf dem platten Yande verübter 
Nothzucht und anderer Schelmereien kurz vor Auflöfung 
des Haufens in Fügen hatte hängen laffen wollen; dergeftalt, 
daß nur die Erfcheinung der Furfürftlihen Amneſtie, indem 
fie da8 ganze Verhältniß aufhob, ihn gerettet hatte, und 
beide Tags darauf als Todfeinde auseinander gegangen waren. 
Kohlhaas, auf feinen von dem Prinzen angenommenen Bor- 
ſchlag, ſetzte fich nieder, und erließ ein Sendfchreiben an den 
Nagelſchmidt, worin er das Vorgeben defjelben, zur Aufrecht- 
haltung der an ihm und feinen Saufen gebrochenen Amneftie 
aufgeftanden zu fein, für eine Ipändliche und ruchloſe Erfin- 
dung erflärte; ihm fagte, daß er bei feiner Ankunft in Dresden 
weder eingeftedt noch einer Wache übergeben, auch jeine 
Rechtsſache ganz fo, wie er es wünſche, im Yortgange fei; 
und ihn mwegen der nad Publikation der Amneftie im Erz- 
gebirge ausgeübten Mordbrennereien zur Warnung des um 
ıhn verfammeltem Geſindels der ganzen Rache der Gejege 
prei3 gab. Dabei murden einige Fragmente der Griminal- 
verhandlung, die der Roßhändler auf dem Scloffe zu Tüten 
in Bezug auf die oben erwähnten Schändlichleiten über ihn 
hatte anftellen laffen, zur Belehrung des Volks über diejen 
nichtönußigen, ſchon damals dem Galgen beftimmten und, 
wie fhon erwähnt, nur durch das Patent, das der Kurfürft 
erließ, geretieten Kerl angehängt. Dem gemäß berubigte 
der Prinz den Kohlhaas über den Verdacht, den man ihm 
durch die Umftände nothgedrungen in diefem Verhör babe 
äußern müffen; verficherte ihn, daß, fo lange Er in “Dresden 
wäre, die ihm ertheilte Ammneftie auf feine Weife gebrochen 
werden folle, reichte den Knaben noch Einmal, indem er fie 


291 


mit Obft, das auf feinem Tische ftand, beſchenkte, die Hand, 
grüißte den Kohlhaas und entließ ihn. Der er ah 
er gleichwohl die Gefahr, die über dem Roßhändler ſchwebte, 
erkannte, that fein kr Alle um die Sache deffelben, bevor 
fie durch neue Ereignijje verwidelt und verworren würde, zu 
Ende zu bringen; das aber wünſchten und bezwedten die 
ftaatsflugen Ritter eben, und ftatt wie zuvor mit ftillfchmwei- 
gendem ingeftändnig der Schuld ihren Widerftand auf ein 
loß gemildertes Area einzufchränfen, fiengen de 
jest an, in Wendungen argliftiger und vabuliftifcher rt 
diefe Schuld felbft gänzlich zu läugnen. Bald gaben fie vor, 
daß die Rappen des Kohlhaas in Folge eines bloß eigen- 
mächtigen Berfahrens des SchloßvogtS und Verwalters, von 
welchen der Junker Nichts oder nur Unpollftändiges gewußt, 
auf der Tronfenburg zuriüdgehalten worden ſeien; bald ver- 
fiderten fie, daß die Thiere ſchon bei ihrer Ankunft dafelbft 
an einem heftigen und gefährlichen Huften Frank gewefen 
. wären, und beriefen fi) deshalb auf Zeugen, die fie herbei- 
zufchaffen ſich anheiſchig machten; und als He mit diefen Argu- 
menten nach weitläuftigen Unterfudhungen und Auseinander- 
fegungen aus dem Felde gefchlagen waren, bradten fie gar 
ein fürfürftliches Edift bei, worin vor einem Zeitraum von 
nl Jahren einer Biehfeuhe wegen die Einführung der 
Be e aus dem Brandenburgifchen ins Sächſiſche in der 
at verboten worden war: zum jonnenflaren Beleg nicht 
nur der efugniß, jondern Sogar der Verpflichtung des 
Junkers, die von dem Kohlhaas über die Grenze gebrachten 
Pferde anzuhalten. — Kohlhaas, der inzmwifchen von dem 
wackern Amtmann zu Kohlhaafenbrüd feine Meierei gegen 
eine geringe Vergütigung des dabei gehabten Schadens 
d wieder erlangt hatte, wünfchte, mie e8 fcheint, wegen 
erichtliher Abmachung diefes Geſchäfts Dresden auf einige 
Tage Ir verlaffen und in Diefe jene Heimat zu reifen; ein 
Entihluß, an welchem gleihwohl, wie wir nicht zweifeln, 
weniger das befagte Geſchäft, jo dringend es auch in der 


bei dem Gericht nicht nothwendig bedürfe, die Stadt zu ver- 
laflen und auf einen Zeitraum von acht oder amälf agen, 


292 


binnen welcher Zeit er wieder zurüd zu fein verſprach, nad) 
dem Brandenburgifchen zu reifen. Der Großkanzler, indem 
er mit einem mißvergnügten und bedenklichen Gefichte zur 
Erde jah, verfegte: er müuſſe geflehen, daß feine Anmelen eit 
grade jet nothwendiger ſei als jemals, indem das Gericht 
wegen argliftiger und winfezichender Einwendungen der 
Gegenpart feiner Ausfagen und Erörterungen in taufenberlei 
vi vorherzufehenden Fällen bedürfe; doch da Kohlhaas ihn 
auf feinen, von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advokaten 
verwies, und mit befcheidener Zudringlichkeit, indem er fid) 
auf acht Tage einzufchränfen verſprach, auf feine Bitte 
beharrte, fo fagte der Großfanzler nad einer PBaufe kurz, 
indem er ihn entließ: er hoffe, daß er fi deshalb Päſſe bei 
dem Prinzen Chriftiern von Meißen ausbitten würde. — — 
Kohlhaas, der fi auf das Gefiht des Großlanzlerd gar 
wohl verftand, fette fih, in feinem Entſchluß nur beftärft, 
auf der Stelle nieder und bat, ohne irgend einen Grund 
anzugeben, den Prinzen von Meißen, als Chef des Guber- 
niums, um Päſſe auf acht Tage nach Koblhaafenbräd und 
urüd. Auf dieſes Schreiben erhielt er eine, von dem Schloß- 
hen tmann Freiherrn Siegfried von Wenk unterzeichnete 
ubernial- Refolution, des Inhalts: fein Gefuh um Päſſe 
nah Kohlhanfenbrüd werde des Kurfürſten Durchlaucht vor- 
gelegt werden, auf deſſen höchſter Bewilligung, fobald fie 
eingtenge, ihm die Päſſe zugefchidt werden würden. Auf die 
Erfundigung Kohlhaaſens bei feinen Advokaten, wie es zu- 
gienge dag die Gubernial- Refolution von einen en 
Siegfried von Wenk und nicht von dem Prinzen Chriftiern 
von Meißen, an den er na gewendet, unterjchrieben fei, - 
erhielt er zur Antwort: daß der Prinz vor drei Tagen auf 
feine Güter gereift, und die Gubernialgefchäfte während jeiner 
Abmwefenheit dem Säloßhauptmann Freiberrn Siegfried von 
Wenk, einem Better des oben erwähnten Herrn gleiches 
Namens, übergeben worden wären. — Kohlhaas, dem das 
Herz unter allen diefen Umftänden unruhig zu Hopfen anfteng, 
barrte durch mehrere Tage auf die Enticheidung feiner, der 
Verfon des Landesherrn mit befremdender Weitläuftigkeit 
vorgelegten Bitte, doch es vergieng eine Woche und es ver- 
gieng mehr, ohme daß weder diefe Entſcheidung einlief, noch 
au das Rechtserkenntniß, fo beftimmt man es ıhm auch ver- 
fündigt hatte, bei dem Zribunal gefällt ward: dergeftalt, daß 
er am zwölften Tage, feit entfchloffen, die Gefinnung der 
Regierung gegen ihn, fie möge fein welche man wolle, zur 
Sprache zu bringen, ſich niederfegte, und das Guberniunt 
von Neuem in einer dringenden Vorftellung um die erforderte 
Päſſe bat. Aber wie betreten war er, ald er am Abend des 





293 


folgenden, gleichfalls ohne die erwartete Antwort verftrichenen 
Tages, mit einem Schritt, den er gedanfenvoll in Erwägung 
feiner age und befonder8 der ihm von dem Doctor Luther 
ausgewirkten Ammneftie, an das pe jeines Hinterſtübchens 
that, in dem Meinen, auf dem Hofe befindlichen Neben: 
gebände, das er ihr zum Aufenthalte angewiefen hatte, die 
Wache nicht erblidte, die ihm bei feiner Ankunft der Brinz 
von Meißen eingefeßt hatte Thomas, der alte Hausmann, 
den er berbeirief und fragte, was dieß zu bedeuten habe? 
antwortete ihn: feufzend: „Herr! es ift nicht Alles wie es fein 
bes die Landsknechte, deren geute mehr find wie gewöhnlich, 
aben fi) bei Einbruch der Nacht um das ganze Haus ver- 
theilt, zwei ftehen mit Schild und Spieß an der vorbern 
Thür auf der Straße, zwei an der bintern im Garten, und 
noch zwei andere liegen im Borjaal auf ein Bund Gtrob, 
und jagen, daß fie dafelbft Schlafen würden.“ Kohlhaas, der 
feine Farbe verlor, wandte ſich und verjegte: es wäre gleich- 
viel, wenn fie nur da wären; und er möchte den Yands- 
fnechten, fobald er auf den Flur käme, Licht hinfeßen, damit 
fie fehen könnten. - Nachdem er noch unter dem Vorwande, 
ein Gefchirr auszugießen, den vordern Yenfterladen eröffnet 
und fi) von der Wahrheit des Umftands, den ihm der Alte 
entdedt, tiberzeugt hatte: denn eben ward fogar in — 
loſer Ablöſung die Wache erneuert, an welche Maßregel 
bisher, fo lange die Einrichtung beftand, noh Niemand 
gedacht hatte: fo legte er —9 wenig ſchlafluſtig allerdings, 
u Bette, und ſein Entſchluß war Ahr den fommenden Tag 
fonleich gefaßt. Denn Nichts mißgönnte er der Regierung, 
mit der er zu thun hatte, mehr, als den Schein der Ge— 
rehtigfeit, während fie in der That die Amneftie, die fie ihm 
angelobt hatte, an ihm brach; und fall3 er wirflich ein Ge— 
fangener fein follte, wie es feinem —5— mehr unterworfen 
war, wollte er derſelben auch die beftimmte und unumwundene 
Erftlärung, daß es fo jei, abnöthigen. Demnach ließ er, 
fobald der Morgen des nächſten Tage anbrach, durch Stern- 
bald, feinen Knecht, den Wagen anfpannen und vorführen, 
um, Wie er vorgab, zu dem Verwalter nad) Lockewitz zu 
jahren, der ihn als ein alter Bekannter einige Tage zuvor ın 

resden gefprochen und eingeladen hatte, ihn einmal mit 
feinen Kindern zu beſuchen. Die Landsknechte, welche mit 
zufanmengeftedten Köpfen die dadurch veranlaßten Bewegungen 
im Haufe wahrnahmen, fehidten Einen aus ihrer Mitte peinlich 
in die Etadt, worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernial- 
Dfficiant an der Spite mehrerer Häfcher erfhien, und ſich, 
als ob er dafelbft ein Geſchäft hätte, in das gegentber- 
liegende Haus begab. Kohlhaas, der, mit der Anfleidung 


294 ‘ 


feiner Knaben befchäftigt, dieſe Bewegungen gleichfalls bemerkte, 
und den Wagen abfichtlich länger, als eben nöthig geweſen 
wäre, vor dem Haufe halten ließ, trat, fobald er die An- 
falten der Polizer vollendet ſah, mit feinen Kindern, ohne 
arauf NRüdficht zu nehmen, vor das Haus hinaus; und 
während er dem Troß der Landsknechte, die unter der Thür 
ftanden, im Vorübergehen fagte, daß fie nicht nöthig hätten, 
ıhm zu folgen, hob er die Jungen ın den Wagen und küßte 
und tröftete die Fleinen weinenden Mädchen, die feiner An- 
ordnung gemäß bei der Tochter des alten Hausmanns zurüd- 
bleiben jeitten. Kaum hatte er felbft den Wagen beitiegen, 
als der Öubernial- Officiant mit feinem Gefolge von Häfchern 
aus dem gegenüberliegenden Haufe zu ihm berantrat, und 
ihn fragte: wohin er wolle? Auf die Antwort Sohlhaciens, 
daß er zu feinen Freund, dem Amtmann, nach Lockewitz 
fahren wolle, der ihn vor einigen Tagen mit feinen beiden 
Knaben zu I aufs Tand geladen, antwortete der Gubernial- 
Dfficiant, daß er in diefem Fall einige Augenblide warten 
müffe, indem einige berittene Yandstnechte, dem Befehl des 
Prinzen von Meißen gemäß, ihn begleiten würden. Kohlhaas 
fragte lächelnd von den Wagen herab, ob er glaube, daß 
feine Perſon in dem Haufe eines Freundes der ſich erboten, 
ihn auf einen Tag an ſeiner Tafel zu bewirthen, nicht ſicher 
ſei? Der Officiant erwiederte auf eine heitere und angenehme 
Art, daß die Gefahr allerdings nicht groß ſei; wobei er hin— 
aufette, daß ihm die SCnechte auch auf Feine Weife zur Laft 
fallen follten. Kohlhaas verfegte ernfthaft, daß ihm der 
Prinz von Meißen ei ſeiner Ankunft in Dresden freigeſtellt, 
ob er ſich der Wache bedienen wolle oder nicht; und da der 
Officiant ſig über dieſen Umſtand wunderte, und ſich mit 
gen endungen auf den Gebrauch während der ganzen 
eit jeiner Anwefenheit berief: fo erzählte der Roßhändler 
ihm den Borfall, der die Einfegung der Wache in feinem 
Haufe veranlagt hatte. Der Officiant verficherte ihn, daß 
die Befehle des Schloßhauptmanns, Freiherrn von Wenk, der 
in diefent Augenblid Chef der Polizei IR ihm die unaus- 
geſetzte Beſchützung feiner Perſon zur Pflicht made, und bat 
ıhn, falls er ſich die Begleitung nicht gefallen rk wolle, 
jelbft auf da8 Gubernium zu gehen, um den Irrthum, der 
dabei obmalten müffe, zu berichtigen. Kohlhaas mit einem 
ſprechenden Blid, den er auf den Officianten F ſagte, 
entſchloſſen, die Sache zu beugen oder zu brechen, daß er dieß 
thun wolle; ftieg mik klopfendem Herzen von dem Wagen, 
Tieß die Kinder durch den Hausmann in den Ylur tragen und 
verfügte fih, während der Knecht mit dem Fuhrwerlk vor 
dem Haufe halten bfieb, mit dem Offictanten und feiner 


295 


Wache in das Gubernium. Es traf fih, daß der Schloß- 
hauptmann, Freiherr Wenk, eben mit der Befichtigung einer 

ande am Abend zuvor eingebrachter Nageljchmidticher Knechte, 
die man in der Gegend von Xeipzig anfgelangen hatte, 
‘ befchäftigt war, und die Kerle über manche Dinge, die man 
gern von ihnen gehört hätte, von den Nittern, die bei ihm 
waren, befragt wurden, als der Roßhändler mit feiner Be- 
gleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, fobald er 
den Rokbändler erblidte, gieng, während die Ritter — 
ſtill wurden, und mit dem —2 der Knechte einhielten, au 
ihn zu und fragte ihn, was er wolle? und da der Roßkamm 
ihm auf ehrerbietige Weiſe fein Borhaben, bei dem Verwalter 
in Zodewig zu Mittag zu fpeifen, und den Wunfch, die 
Zandsfnechte, deren er dabei nicht bedürfe, zurüdlaflen zu 
dürfen, vorgetragen hatte, antwortete der Freiherr, die Farbe 
im Geficht wechjelnd, indem er eine andere Rede zu ver- 
hluden ſchien; „er würde wohl thun, wenn er fi fill in 
einem Haufe bielte und den Schmaus bei dem Lockewitzer 
Antmann vor der Hand noch ausſetzte.“ — Dabei wandte 
er fi, das ganze Geſpräch zerfchneidend, dem DOfficianten 
u, und fagte ihm, daß es mit dem Befehl, den er ihm in 
Bezug auf den Mann gegeben, fein Bewenden hätte, und 
dat derfelbe anders nicht, als in Begleitun ‘ 8 berittener 
Landsknechte die Stadt verlaffen bürfe. — Kohlhaas fragte: 
„ob er ein Gefangener wäre, und ob er glauben folle, daß 
die ihm feierlich vor den Augen der ganzen Welt angelobte 
Amneftie gebrochen ſei?“ worauf der Freiherr ſich plößlich 
Iutroth im Gefichte zu ihm wandte, und, indem er dicht vor 
—* trat, und ihm in das Auge ſah, antwortete: „Sa! ja! 
ja!” — ihm den Rüden zukehrte, ihn ftehen ließ und wieder 
u den Nagelfchnidtichen Knechten gieng. Hierauf verließ 
ohlhaas den Saal, und ob er ſchon einſah, Daß er ſich das 
einzige RettungSmittel, das ihm übrig blieb, die Flucht, durch 
die Schritte, die er gethan, fehr erfchwert hatte, fo lobte er 
fein Berfahren gleihwohl, weil er fi nunmehr auch feiner- 
jeit8 von der Verbindlichkeit, den Artileln der Amneftie nach— 
ulommen, befreit fah. Er ließ, da er zu Haufe Tam, Die 

ferde ausfpannen und begab fih in Begleitung des Gu- 
bernial- Officianten fehr traurig und erfchütiert in fein Zimmer; 
und während diefr Mann au eine dem Roßhändler Ekel er- 
regende Weife verficherte, daß Alles nur auf einem Mißper- 
ftändniß beruhen müſſe, das ſich in Kurzem löſen würde, 
verriegelten die Häfcher auf feinen Wink alle Ausgänge der 
Wohnung, die auf den Hof führten; wobei der Dfficiant ihn 
verficherte, daß ihm der vordere Haupteingang nad) Wie vor 
zu feinem beliebigen Gebrauch offen ftehe, 


« 


296 


Inzwiſchen war der Nagelfhmidt in den Wäldern des 
Erzgebirgs durch Häfcher und Landsknechte von allen Seiten 
fo aebeängt worden, daß er bei dem gänzlichen Mangel an 
Hülfsmitteln, eine Rolle der Art, wie er fie übernommen, 
durchzuführen, auf den Gedanken verfiel, den Kohlhaas in 
der nt ins Intereſſe zu ziehen; und da er von der Tage 
feines NRechtöftreit8 in Dresden durch einen Neifenden, ber 
die Straße zog, mit ziemlicher Genauigkeit unterrichtet war: 
jo glaubte er, der offenbaren Feindfchaft, die unter ihnen 
beftand, zum Trotz, den Roßhändler bewegen zu fönnen, 
eine neue Verbindung mit ihn einzugehen. ‘Demnach fdhidte 
er einen Knecht mit einem in kaum leferlihem Deutſch abge- 
ſaßten Schreiben an ihn ab, des Inhalts: „Wenn er nad) 

em Altenburgifchen kommen, und die Anführung des Hau- 
fens, der ſich dajelbft aus Reften des aufgelöften zuſammen⸗ 
gefunden, wieder en wolle, fo fei er erbötig, ihm 
zur Flucht aus feiner Haft in Dresden mit Pferden, Leuten 
und Geld an die Hand zu gehen; mobei er ihm veriprady, 
fünftig gehorjfamer und überhaupt ordentlicher und befier zu 
fein als vorher, und fi) zum Beweis feiner Treue und An- 
hänglichkeit anheifchig machte, felbft in die Öegend von Dresden 
zu fommen, um feine Befreiung aus feinem Kerfer zu be- 
wirken.” Nun hatte der niit diefem Brief beauftragte Kerl 
das Unglüd, in einem Dorfe dicht vor Dresden in Krämpfen 
häßlicher Art, denen er von “Jugend auf unterworfen war, 
niederzufinfen, bei welcher Gelegenheit der Brief, den er im 
Bruſtlatz trug, von Peuten, die ihm zu Hülfe famen, gefun- 
den, er felbjt aber, fobald er ſich BER arretiert, und Durch 
eine Wache unter Begleitung vielen Volks auf das Gubernium 
transportiert ward. Eobald der Schloßhauptmann von Went 
diefen Brief gelefen hatte, berfügte er fi unverzüglich zum 
Kurfürften aufs Schloß, wo er die Herren Kunz und Hinz, 
welcher Erftere von feinen Wunden wieder hergeftellt ivar, 
und den Bräfidenten der Staatskanzlei, Grafen Kallheim, 
egenmwärlig fand. Die Herren waren der Meinung, daß der 
ohlhaas ohne Weiteres arretiert, und ihm auf den Grund 
geheimer Einverftändniffe mit dem Nagelſchmidt der Prozeß 
gemanht werden müſſe; indem fie bemielen, daß ein folder 

rief nicht, ohne daß frühere auch von Seiten des Roßhänd— 
ler8 vorangegangen, und ohne daß überhaupt eine frevelhafte 
und verbrecheriiche Verbindung zu Schmiedung neuer Gräuel 
unter ihnen ftattfinden follte, gefchrieben fein könne. Der 
Kurfürſt weigerte [4 ftandhaft, auf den Grund bloß diefes 
Driefes dem Kohlhaas das freie Geleit, das er ihm ange- 
lobt, zu brechen; ev war vielmehr der Meinung, daß eine 
Art von Wahrfcheinlichfeit aus dem Briefe des Nagelſchmidt 


&_ 


297 


hervorgehe, daß feine frühere Verbindung zwifchen ihnen ftatt- 
ejunden habe; und Alles, wozu er fi, um hierüber aufs 

eine zu fommen, auf den Vorſchlag des Bräfldenten, obfchon 
nach großer Zögerung, entfchloß, war, den Brief durch den 
pon dent Nageltchmidt abgejchidten Knecht, gleichſam al3 ob 
derfelbe nach wie vor frei fei, an ihn abgeben zu laffen und 
gu prüfen, ob er ihn beantworten würde. Dem gemäß ward 
er Knecht, den man in ein Gefängniß geftedt hatte, am an- 
dern Morgen auf das Guberntum geführt, wo der Schloß— 
hauptmann ihm den Brief wieder zuftellte, und ihn unter 
dem Berfpredhen, daß er frei fein, und die Strafe, die er 
verwirkt, ihm erlaffen fein folle, aufforderte, das Schreiben, 
als fei Nichts vorgefallen, dem Roßhändler zu fibergeben; zu 
welcher Liſt Schlechter Art fich diefer Kerl auch ohne Weiteres 
gebrauchen ließ, und auf jcheinbar geheimnigvolle Weife unter 
dem Vorwand, daß er Krebfe zu verkaufen habe, womit ihn 
der Gubernial- Officiant auf den Markte verforgt hatte, zu 
Kohlhaas ind Zimmer trat. Kohlhaas, der den Brief, 
während die Kinder mit den Krebſen fpielten, las, witrde 
den Gauner gewiß unter andern Umftänden beim Kragen 
genommen und den Yandsfnechten, die vor feiner Thür ftan- 
den, tiberliefert haben; do da bei der Stimmung der Ge- 
müther auch felbjt dieſer Schritt noch einer gleihgültigen 
Auslegung fähig war, und er ſich vollfommen überzeugt hatte, 
daß Nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in den er ver- 
widelt war, retten konnte: fo fah er dem Kerl mit einem 
traurigen Blid in fein ihm wohlbefanntes Geficht, fragte 
ihn, mo er wohnte, und befchied ihn in einigen Stunden 
wieder zu fich, wo er ihm in Bezug auf feinen Herrn feinen 
—8 eröffnen wolle. Er hieß dem Sternbald, der zufällig 
in die Thür trat, dem Mann, der im Zimmer war, etliche 
Krebſe abkaufen, und nachdem dieß Geſchäft abgemacht war, 
und Beide ſich, ohne einander zu kennen, entfernt hatten, 
ſetzte er ſich nieder und ſchrieb einen Brief folgenden Inhalts 
an den Nagelſchmidt: „Zuvörderſt, daß er ſeinen Vorſchlag, 
die — rung feines Haufens im Altenburgiſchen be- 
treffend, annähme; daß-er demgemäß, zur Befreiung aus der 
porlänfigen Haft, in welcher er mit feinen fünf Kindern ge- 
halten werde, ihn einen Wagen mit zwei Pferden nach’ der 
Neuftadt bei Dresden fchiden (elle; daß er auch rafcheren 
Fortlommens wegen nod) eines Geſpannes von zwei Pferden 
auf der Straße nah Wittenberg bediirfe, auf weldem Um— 
weg er allein aus Gründen, die anzugeben zu weitlänfig 
wären, zu ihm fommen könne; daß er die Landsknechte, die 
ihn bewadhten, zwar durch Beſtechung gewinnen zu können 
glaube, für den Fall aber, daß Gewalt nöthig fei, ein Baar 


. 298 


beberzte, gefcheute und wohlbewaffnete Knechte in der Neu⸗ 
ftadt bei Dresden gegenwärtig wiffen wolle; daß er ihm zur 
Beftreitung der mit allen diefen Anftalten verbundenen Kolten 
eine Rolle von zwanzig Goldfronen dur den Knecht zu- 
fhiete, über deren Verwendung er ſich nach abgemachter Sache 
mit ihm berechnen wolle, daß er jid übrigens, weil fie un- 
nöthig fei, feine eigene Anweſenheit bei ferner Defreiung in 
Dresden verbitte, ja ihm vielmehr den beftimmten Befehl er 
theile, zur einftweiligen Auführung der Bande, die nicht ohne 
Oberhaupt fein fünne, im Altenburgifchen urüdzubleiben.* — 
Diefen Brief, als der Knecht gegen Abend kam, überlieferte 
er ihm; beichenkte ihn felbit reichlich und ſchärfte ihm ein, 
denfelben wohl in Acht zu nehmen. — Seine Abficht war, 
mit feinen fünf Kindern nah Hamburg zu gehen und ſich 
von dort nach der Levante oder nad) Oſtindien, oder fo meit 
der Himmel über andere Menſchen, al3 die er Tannte, blau 
war, einzufchiffen; denn die Didfütterung der Rappen hatte 
feine von Gram ſehr gebeugte Seele, auch unabhängig von 
dem MWiderwillen, mit dem Nagelihmidt deshalb gemein: 
ſchaftliche Sache zu machen, aufgegeben. — Kaum hatte der 
Kerl diefe Antwort dem Schloßhauptmann überbradht, als 
der Großfanzler ab eleht, der Präfident Graf Kallheim an 
deſſen Stelle zum Che des Tribunals ernannt, und Kohlhaas 
durch einen Kabinetsbefehl des Kurfürften arretiert, und ſchwer 
mit Ketten beladen in die Stadtthürme gebradht ward. Man 
machte ihm auf den Grund diefes Briefes, der an alle Eden 
der Stadt engelöilagen ward, den Prozeß, und da er vor den 
Schranken des Tribunal auf die Frage, ob er die Hand- 
Schrift anerfenne, dem Rath, der fie ihn vorhielt, antwortete: 
„ja“; zur Antwort aber auf die Frage, ob er zu feiner 
Berthei igung etwas vorzubringen wiſſe, indem er den Blid 
zur Erde fchlug, ermwiederte: „nein!“ fo ward er verurtheilt, 
nit glühenden Bangen von Schinderfnechten gefniffen, gevier- 
theilt, und fein Körper zwifhen Rad und Galgen verbrannt 
zu werden. 

So ftanden die Sahen für den armen Kohlhaas in 
Dresden, als der Kurfürſt von Dranbenburg zu feiner Ret- 
tung aus den Händen der Uebermadht und Willkür auftrat, 
und ihn in einer bei der kurfürftlichen Staatskanzlei dafelbft 
eingereichten Note als brandenburgifchen Unterthan reclamierte. 
Denn der wadere Stadthauptmann Herr Heinrich von Geufau 
hatte ihn auf einem Spaziergange an den Ufern der Spree 
von der Gefchichte dieſes Oonderbaren und nicht verwerflichen 
Mannes unterrichtet, bei welcher Gelegenheit er, von den 
Sragen des erftaunten Herrn gedrängt, nicht umhin Eonnte, 
der Schuld zu erwähnen, die durch die Unziemlichleiten feines 





299 


Erzlanzlers, des Grafen Siegfried von Kallheint, feine eigene 
erfon drüdte: worüber der Kurfürft ſchwer entrüftet den 
slanzler, nachdem er ihn dur Rede geftellt und befunden, 

dab die Verwandtſchaft deſſelben mit dem Haufe derer von 

Tronka an Allem Schuld fei, ohne Weitere mit mehreren 

gciden feiner Ungnade entjegte, und den Herrn Heinrich von 
eufau zum Grzlanzler ernannte. 

Es traf fi) aber, daß die Krone Polen grade damals, 
indem fie mit dem Haufe Sachſen, um welchen Gegenftandes 
willen willen wir nicht, im Streit lag, den Kurfürften von 
Drandenburg in wiederholten und dringenden Borftellungen 
angieng, fi mit ihr in gemeinjchaftlicher Sache gegen das 

aus Sachſen zu verbinden; dergeftalt, daß der Erzkanzler, 
err Geufau, der in folden Dingen nicht ungefchidt Mar, 
moß! hoffen durfte, den Wunfch feines Herrn, dem Kohlhaas, 
es Tofte was es wolle, Gerechtigkeit zu verfchaffen, zu erfüllen, 
ohne die Ruhe des Ganzen auf eine mißlichere Art, als die 

Rüdficht auf einen Einzelnen erlaubt, aufs Spiel zu fegen. 

Demnad forderte der Erzkanzler nicht nur wegen gänzlid) 

willfürlihen, Gott und enihen mißgefälligen Verfahren 

die unbedingte und ungejäumte Auslieferung des Kohlhaas, 
um denfelben, falls ihn eine Schuld drüde, nach brandenbur- 
chen Geſetzen auf Klageartikel, die der Dresdner Hof des- 

p Ib durch einen Anwalt in Berlin mar ig machen fünne, 

u richten; fondern er begehrte Ipgar eibit äffe für einen 
nwalt, den der Kurfürft nach Dresden zu Ichiden Willens 

fei, um dem Kohlhaas wegen der ihm auf fählifhem Grund 

und Boden abgenommenen Rappen und anderer himmel: 
fchreienden Mißhandlungen und Gemwaltthaten halber gegen 
den Junker Wenzel von Tronka Recht zu verfchaffen. Der 

Kämmerer, Herr Kunz, der bei der Beränderung der Staat3- 

ämter in Sachſen zum Präfidenten der Staatsfanzlei ernannt 

worden war, und der aus mancherlei Gründen den Berliner 

Hof in der Bedrängniß, in der er ſich befand, nicht verlegen 

wollte, antwortete im Namen feines über die eingegangene 

Note Iebr niedergefchlagenen Herrn: daß man fi), über die 

Unfreundfchaftlichfeit und Unbilligteit wundere, mit welcher 

man dem Hofe zu Dresden das Recht abſpräche, den Kohl: 

aas wegen Verbrechen, die er im Lande begangen, den Ge- 
egen gemäß zu rinien, da doch weltbefannt ſei, daß derjelbe 
ein berrächtliches rundftüd in der Sauptjtadt befige, und 
fi felbft in der Qualität als fächfifhen Bürger gar nicht 
verläugne. Doc da die Krone Polen bereit zur Ausfechtung 
ihrer Anfprüche einen Heerhaufen von fünftaufend Mann an 
ber Grenze von Sachſen aufamımengog, und der Erzlanzler, 

Herr Heinrich von Geuſqu, erllärte, daß Kohlhaaſenbrück, der 


300 


Ort, nah welchem der Roßhändler heiße, im Brandenbir- 
gifchen liege, und dag man die Vollftredung des fiber ihn 
ausgeſprochenen Todesurtheils für eine Verlegung des Völfer- 
rechts halten würde: fo el der Kurfürft auf den Rath des 
Kämmerer, Herrn Kunz, felbft, der fa aus diefem Handel 
zurüdzuziehen wünfchte, den Prinzen Chriftiern von Meißen 
von feinen Gütern herbei, und entfhloß fi, auf menige 
Worte dieſes verftändigen Herrn, den Kohlhaas der For- 
derung gemäß an den Berliner Hof auszuliefern. Der Prinz, 
der, objchon mit den Unziemlichkeiten, die vorgefallen waren, 
wenig zufrieden, die Leitung der Kohlhaafifhen Sache auf 
den Wunſch feines bedrängten Herrn tibernehmen mußte, 
‚fragte ihn, auf welchen Grund er nunmehr den Roßhändler 
bei dem Kanımergericht zu Berlin verklagt wiffen wolle; und 
da man fich auf den leidigen Brief deſſelben an den Nagel- 
jhmidt megen der zweideutigen und unflaren Umftände, un- 
ter welchen er gefchrieben war, nicht berufen fonnte, der 
früheren PBlünderungen und Einäjherungen aber wegen des 
Plafats, worin fie ihm vergeben worden waren, nicht erwäh- 
nen durfte: fo befchloß der Kurfürft, der Diajeftät des Kaijers 
u Wien einen Beriht über den bewaffneten Einfall des 

ohlhaas in Sachſen vorzulegen, fi) tiber den Bruch des 
von ihm eingejegten öffentlichen Pandfriedens zu bejchweren, 
und fie, die allerdings durch feine Amneftie gebunden war, 
anauliegen, den Kohlhans bei dem Hofgerignt u Derlin des- 
halb durch einen Reichsankläger zur Rechenſchaft zu ziehen. 
Aht Tage darauf ward der Roßkamm durch den Nitter 
Friedrich von Malzahn, den der Kurfürft von Brandenburg 
mit ſechs Neutern nach Dresden geſchickt hatte, geichloffen 
wie er war, auf einen Wagen geladen und mit feinen fünf 
Kindern, die man auf feine Bitte ans Findel- und Waifen- 
häufern wieder zufammengefucht hatte, nach Berlin trans- 
portiert. Es traf ſich, daß der Kurfürft von Sachſen auf die 
Einladung des Landdrofts, Grafen Aloyfius von Kallheim, 
der damals au der Grenze von Sachſen beträchtliche Be— 
figungen hatte, in Gefelfchaft des Kämmerers, Herrn Kunz 
und feiner Gemahlin, der Dame Heloife, Tochter des Yand- 
drofts und Schweſter des Bräfidenten, andrer glänzenden 
Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei 
waren, nicht zu erwähnen, zu einem großen dirjöjagen, dag 
man, um ihn zu erheitern, angeftellt hatte, na ahme ge 
reift war; dergeftalt, daß unter dem Dad bewimpelter Zelte, 
die quer über die Straße auf einem giant erbaut waren, die 
ganze Geſellſchaft, vom Staub der Jagd nod) bededt, umter 
den Schall einer heitern, vom Stamnı einer Eiche herfchallen- 
den Muſik, von Pagen bedient und Edellnaben, an der Tafel 


301 


faß, als der Noßhändler langfam mit feiner Neuterbededung 
die Straße von Dresden daher gegogen fam. Denn die Er- 
frankung eines der Heinen zarten Finder des Kohlhaas hatte 
den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete, genöt igt, drei 
Tage lang in Dergberg zurüdgubleiben ; von welcher Maßregel 
er, dem er en, dem er diente, deshalb allein verantwortlich, 
nicht nöthig befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere 
Kenntniß zu geben. Der Kurfürft, der mit halboffener Bruft, 
den Federhut nach Art der Jäger mit Tannenzweigen ge: 
fhmücdt, neben der Dame Heloife faß, die in Zeiten früherer 
Jugend feine erjte Liebe geweſen war, fagte, von der Anmuth 
des Feſtes, das ihn umgaukelte, heiter geftimmt: „Laſſet uns 
hingehen, und dem Unglüdlichen, wer e3 auch fei, diefen 
Becher mit Wein reichen!” Die Dame SHeloije, mit einem 
herrlichen Blick auf ihn, ftand fogleih auf und füllte, die 
ganze Zafel. plündernd, ein filbernes Geſchirr, das ihr ein 
Page reichte, mit Früchten, Kuchen und Brod au; und fchon 
hatte mit Erquidungen jegliher Art die ganze Geſellſchaft 
wimmelnd das Zelt verlafjen, als der Landdroſt ihnen mit 
einem verlegenen Geficht entgegen fam und fig bat, zurüdzu- 
bleiben. Auf die betretene Frage des Kurfürſten, was vor: 
gefallen wäre, daß er fo bejtürzt fei? antwortete der Land— 
roſt ftotternd gegen den Känumerer gewandt, daß der 
Kohlhaas im Wagen fei; auf weldhe, Jedermann unbegreif- 
lihe Nachricht, inden weltbefannt war, daß derfelbe bereits 
vor ſechs Tagen abgereift war, der Kämmerer, Herr Kunz, 
feinen Becher mit Wein nahm und ihn mit einer Rüdwendung 
gegen da3 Zelt in den Sand ſchüttete. Der Kurfürft feste 
über und über zoth den feinigen auf einen Teller, den ihn 
ein Edelfnabe auf den Winkl des Kämmerers zu diefem Zweck 
vorhielt; und während der Ritter Friedrid) von Malzahı 
unter ehrfurchtsvoller Begrüßung der Geſellſchaft, die er 
nicht kannte, langſam durch die Zeltleinen, die Über Die 
Straße liefen, nad Dahme weiter 309, begaben fich die Herr- 
Ihhaften auf die Einladung des Landdroſts, ohne weiter da- 
von Roig zu nehmen, ins Zelt zurüd. Der Landdroft, ſo— 
bald fi der Kurfürft nieder elaffen hatte, fchidte unter der 
Hand nah Dahme, um bei dem Magiftrat dafelbft die un- 
mittelbare Weiterfchaffung des Roshändlers bewirfen zu- 
laſſen; doch da der Ritter wegen bereit3 zu weit vorgerüdter 
Tageszeit beſtimmt in dem Drt übernachten zu wollen erklärte, 
jo —5 man ſich begnügen, 'pı in einer dem Magiftrat zu- 
gehörigen Meierei, die ın Gebüfchen verftedt auf der Seite 
lag, geräufchloS unterzubringen. Nun begab e3 fih, daß 
gegen Abend, da die Herrichaften, vom Wein und dem Genuß 
eines üppigen Nachtiſches zerflreut, den ganzen Vorfall wieder 


302 


vergeſſen halten, der Landdroſt den Gedanken auf die Bahn 
brachte, ſich noch einmal eines Rudels Hirfche wegen, der 
fi) hatte blicken laſſen, auf den Anftand zu flellen; melden 
Vorſchlag die ganze Gefellfchaft mit Freuden eracift, und 
paarweiſe, nachdem fie fi) mit Büchfen verforgt, über Gräben 
und Heden in die nahe Forft eilte; dergeftalt, daß der Kur- 
fürſt und die Dame Heloife, die fih, um dem Schauspiel 
beizumohnen, an feinen Arm hieng, von einem Boten, den 
man ihnen zugeordnet —7 unmittelbar zu ihrem Erftaunen 
durch den Hof des Haufes geführt wurden, in welchem Kohl⸗ 
aas mit den brandenburgifihen Reutern befindlich war. Die 

ame, als fie dieß hörte, fagte: „Kommt, gnädigfter Herr, 
fommt!“ und verftedte die Kette, die ihm vom Halfe herab- 
hieng, ſchäkernd in feinen feidenen Bruftlag: „laßt ung, ehe 
der Troß nachkommt, in die Meierei jchleichen, und den wun- 
derlihben Mann, der darin übernachtet, betrachten!“ Der 
Kurfürft, indem er erröthend ihre Hand ergriff, fagte: 
„Heloife! was fält euch ein?" Doch da fie, indem fie ıhn 
betreten anſah, verjegte: „daß ihn ja in der Jägertracht, die 
ihm dede, fein Menſch erkenne!“ und ihn fortzog; und in 
eben dieſem Augenblid ein Baar Jagdjunker, die ihre Neu- 
gierde ſchon befriedigt hatten, aus dem Haufe heraustraten, 
verfichernd, daß in der That vermöge einer Veranftaltung, 
die der Landdroſt getroffen, weder der Ritter noch der Rob 
händler wiffe, welhe Gefellfchaft in der Gegend von Dahme 
verfammelt fei; jo drüdte der Kurfürſt fich den m lädyelnd 
in Die Augen und jös „Thorheit, du regierjt die t 


s 


el 
und bein Sig ift ein Schöner mweiblider Mund!" — Es traf 
fih, dag Kohlhaas eben mit dem Rüden gegen die Wand 
auf einem Bund Stroh faß, und fein ihm in Herzberg er- 
franktes Kind mit Semmel und Milch fütterte, als die dem. 
Ihaften, um ihn zu befuchen, in die Meierei traten; und ba 
die Dame ihn, um ein Gefpräc einzuleiten, fragte: „wer er 
fei und mas dem Kinde fehle? auch was er verbrocdhen und 
a man ihn unter ſolcher Bededung abführe?“ fo rücdte 
er jeine lederne Mütze vor thr, und gab ihr auf alle dieſe 
Fragen, indem er fein Geſchäft HAHN unreichliche, aber 
befrtedigende Antwort. Der Kurfürft, der hinter den Jagd- 
juntern ftand und eine eine bleierne Kapſel, die ihm an 
einem feidenen Faden vom Hals berabhieng, bemerkte, fragte 
ihn, da % gerade nicht8 DBefjere zur Unterhaltung darbot: 
„was dieje zu bedeuten hätte und was darin befindlic wäre?“ 
Kohlhaas erwiederte: „Sa, geftrenger Herr, diefe Kapſel!“ — 
und damit ftreifte er fie vom Naden ab, öffnete fie und nahm 
einen Meinen, mit Mundlad verfiegelten Bettel heraus — „mit 
dieſer Kapfel hat es eine wunderliche Bewandtniß! Sieben 


803 _ 

Monden mögen e3 etwa fein, genau am Tage nad) dem Be- 
ie meiner Frau, und von Kohlhaafenbrüd, mie euch 
vielleicht befannt fein wird, war ich aufgebrochen, um des 
Junkers von Tronka, der mir viel Unrecht zugefügt, habhaft 
ji werden, al8 um einer Derganblung willen, die mir unbe- 
annt ift, der Kurfürft von Sachſen und der Kurfürſt von 
Brandenburg in Süterbod, einem Marktfleden, durch den 
der Streifzug mich führte, eine Zufammenkunft bielten; und 
da fie FR gegen Abend ihren Wünſchen gemäß vereinigt 
hatten, fo giengen fie in freundfchaftlichem Geſpräch durch die 
Straßen der Stadt, um den Jahrmarkt, der eben darin 
fröhlich abgehalten ward, in Augenfchein zu nehmen. Da 
trafen fie auf eine Zigeunerin, die auf einen Schemel figend 
dem Volk, das Ne umringte, aus dem Kalender mwahrfagte, 
und fragten fie jcherzhafter Weiſe: „ob fie ihnen nicht auch 
etwas, das ihnen lieb wäre, zu eröffnen hätte?“ ch, der 
mit weinem Hinten eben in einem Wirthshauſe abgeſtiegen, 
und auf dem Platz, wo dieſer Vorfall ſich zutrug, gegenwär- 
tig war, konnte hinter allem Volk, am Eingang einer Kirche, 
wo ich ſtand, nicht vernehmen, was die wunderliche Frau den 
Herren fagte; dergeftalt, daß, da die Leute lachend einander 
zuflüfterten, fie theile nicht Jedermann ihre Wilfenfchaft mit, 
und fi des Schaufpiel® wegen, das ſich bereitete, jehr be- 
drängten, ich weniger neugierig in der That, als um den 
Neugierigen ab zu machen, auf eine Bank nieg, die hin- 
ter mir im ivgeneingange ausgehauen war. Saum hatte 
ich von diefem Standpunft aus mit völliger Freiheit der 
Ausficht die ee und das Weib, das auf dem Schemel 
vor ihnen faß und etwas aufzulrigeln ſchien, erblidt: da 
fteht fie plöglich auf ihre Krüden gelehnt, indem fte fi im 
Bolt umfieht, auf; faßt mich, der nie ein Wort mit ihr 
wechfelte, noch ihrer Fun Beit feines Lebens begehrte, 
ind Auge; drängt ſich durch den ganzen dichten Auflauf der 
Menfchen zu mir heran und ſpricht: „Da! wenn es der Herr 
wiſſen will, fo mag er dich danach fragen!“ Und damit, ge- 
firenger Herr, reichte fie mir mit ihren dürren knöchernen 
Händen diefen Zettel dar. Und da ich betreten, während 12 
ales Volk zu mir ummendet, Nee, „Mütterhen, mas au 

perehrft du mir da?“ antwortete fie nach vielem unvernehm- 
lichen Zeug, worunter ich je zu meinem großen Befrem- 
den meinen Namen höre: „Ein Amulet, Kohlhaas, der Roß—⸗ 
händler; verwahr' es wohl, es wird dir dereinſt das Leben 
retten!” und verfchwindet. — „Nun!“ fuhr Kohlhaas gut- 
mitthig fort: „die Wahrheit zu geftehen, hat's mir in Dres- 
den, jo ſcharf es hergieng, das Leben nicht gekoſtet; und mie 
e3 mir in Berlin geben wird, und ob ich aud dort damit 


304 


befteben werde, fol die ah lehren.“ — Bei diefen Wor- 
ten feste fich der Kurfürſt auf eine Bank; und ob er jchon 
auf die betretene dead der Dame: was ihm fehle? ant- 
wortete: „Nichts, gar Nichts!“ fo fiel er Doch ſchon ohnmächtig 
auf den Boden nieder, ehe fie noch Zeit Hatte, ihm beizu- 
Ipringen und in ihre Arme aufzunehmen. Der Ritter von 
alzahn, der in eben dieſem Augenblid eines Geſchäfts halber 
ins Bimmer trat, fprad: „Heiliger Gott! was fehlt dem 
Herrn?“ Die Dame rief: „Schafft Wafler her!" Die Jagd⸗ 
junfer hoben ihn auf, und trugen ihn auf ein im Nebenzim- 
mer befindliches Bett; und die Beftürzung erreichte ibren 
Gipfel, al3 der Kämmerer, den ein Page berbeirief, nach 
mehreren vergeblichen Bemühungen, ihn ins Neben zurädzu- 
bringen, erllärte: „er gebe alle Zeichen von Nid, als ob ihn 
der Schlag gerührt!" Der Landdroſt, während der Mund- 
fhent einen reitenden Boten nach Luckau ſchickte, um einen 
Arzt berbeizubolen, ließ ihn, da er die Augen auffchlug, in 
einen Wagen bringen und Schritt vor Schritt nad) feinem in 
der Gegend befindliden Jagdſchloß abführen; aber diefe Reife 
30g ihm nach feiner Ankuntt dafelbft zwei neue Ohnmachten 
m: dergeftalt, daß er ſich erft Ipät am andern Morgen bei 
er Ankunft des Arztes aus Ludau, unter gleihmwohl ent- 
ſcheidenden Symptomen eines herannahenden Nervenfiebers, 
einigermaßen erholte. Sobald er feiner Sinne mächtig ge- 
worden war, richtete er fich halb im Bette auf, und feine 
erite Frage war gleih: wo der Kohlhaas fei? Der Käm— 
merer, der feine —* e mißverſtand, ſagte, indem er feine 
Hand ergriff: daß er ſich diefes entfeßlichen Menfchen wegen 
beruhigen möchte, indem derfelbe feiner Beſtimmung gemäß 
nach jenem fonderbaren und unbegreiflihen Vorfall ın der 
Mererei zu Dahme unter brandenburgifcher Bededung zurück 
eblieben wäre. Er fragte ihn unter der Berjicherung feiner 
ebhafteften Theilnahme und der Betheuerung, daß er feiner 
Frau megen des unverantwortlihen Leichtſinns, ihn mit 
diefem Mann zufammenzubringen, die bitterfien Vorwürfe 
gemacht hätte: was ihn denn jo wunderbar und ungeheuer 
ın der Unterredung mit demfelben ergriffen hätte? Der Kur- 
fürft fagte: er mülfe ihm nur geftehen, daß der Anblid eines 
nichtigen Zettel, den der Maun in einer bleiernen Kapſel 
mit ftch führe, Schuld an dem ganzen unangenehmen Zufall 
fei, der ihm zugeftoßen. Er feßte noch mandherlei zur Er- 
Härung dieſes Umſtands, das der Kämmerer nicht verftand, 
hinzu; verficherte ihn plöglih, indem er feine Hand zwifchen 
die feınigen drüdte, daß ihm der in dieſes Zettel$ von der 
äußerften Wichtigkeit fei; und bat ihn, unverzüglich aufzu- 
figen, nach Dahme zu reiten, und ihm den Zettel, um melden 


306 


Preis es immer fei, von demfelben zu erhandeln. Der Käm- 
merer, der Mühe hatte, feine Berlegenheit zu verbergen, ver- 
fiherte ihn: daß, falls diefer Zettel einigen Werth für ihn 
hätte, Nichts auf der Welt nothiwendiger wäre, als dem Kohl⸗ 
haas diefen Umftand zu verfchweigen; indem, fobald derfelbe 
durch eine unporfichtige Aeußerung Kenntniß davon nähme, alle 
Reichthiimer, die er befäße, nicht hinreichen würden, ihn aug den 
Händen diefes geiimigen, in ſeiner Rachſucht unerjättlichen Kerls 
zu erkaufen. Er fügte, um ihn zu beruhigen, hinzu, daß man 
auf ein anderes Mittel denken müſſe, und daß es vielleicht 
durch Lift, vermöge eines Dritten, ganz Unbefangenen, indem 
ver Böſewicht an und für A: nicht febr daran hänge, mög- 
lid fein mwitrde, fich den Beſitz des Zettels, an dem ihm a 
viel gelegen fei, zu verfchaffen. Der Kurfürft, inden er ſich 
den Schweiß abtrodnete, fragte: ob man nidht unmittelbar 
zu diefem Zwed nad Dahme fhiden, und den weiteren Trans- 
port des Roßhändlers vorläufig, bis man des Blattes, auf 
welche Weife es ſei, habhaft geworden, einftellen könne? Der 
Kämmerer, der Kin Sinnen nit traute, verjeßte: daß 
leider allen wahrjcheinlichen Berechnungen zufolge der Roß- 
ändler Dahme bereit8 verlaffen haben und II jenfeit8 der 

venze auf brandenburgifhen Grund und Boden befinden 
müſſe, wo das Unternehmen, die Fortſchaffung deffelben zu 
hemmen oder wohl gar rüdgängig zu machen, die unan- 
genehmften und weitläuftigften, ja ſolche Schwierigkeiten, die 
vielleicht gar nicht zu befeitigen wären, veranlaffen würde. 
Er fragte ihn, da der Kurfürft ſich ſchweigend mit der Ge- 
berde eines ganz Hoffnungslofen auf das Kiffen aurlidiegte: 
was denn der Zettel enthalte? und durch welchen Zufall be- 
fremdlicher und unerklärliher Art ihm, daß der Inhalt ihn 
betreffe, befannt ſei? Dierau aber unter zweideutigen Bliden 
auf den Kämmerer, deſſen Willfährigfeit er in diefem Falle 
mißtrante, antwortete der Kurfürſt nicht: ftarr, mit unruhig 
Eopfendem Herzen Ing er da, und fah auf die Spite des 
amupftn 8 nieder, da3 er gedankenvoll zwijchen den Händen 
hielt; und bat ihn plößlich, den Jagdjunker vom Stein, einen 
jungen, rüftigen und gewandten Seren, deſſen er fich öfter 
Schon zu geheimen Geſchäften bedient hatte, unter dem Vor— 
wand, dab er ein andermweitige3 Gefchäft mit ihm abzumachen 
habe, ing A zu rufen. Den Jagdjunker, nahdem er 
ihm die Sade auseinandergelegt, und von der Wichtigkeit des 
Zettels, in deffen Beftg der Kohlhaas war, unterrichtet Nafı 
fragte er, ob er fih ein ewiges Recht auf feine Freundichaft 
erwerben, und ihm den Zettel, noch ehe derjelbe Berlin er- 
reicht, verfchaffen wolle? und da der Junker, jobald er das 
Berhältnig nur, fonderbar wie e8 war, einigermaßen über- 

Vibl, d. d. Rationalliteratur. Kleiſt. IL 7 


806 


ſchaute, verficherte, daß er mit allen feinen Kräften zu Dienften 
ftehe: fo trug ihm der Kurfürft auf, dem Kohlhaas er R 
zureiten, und ihm, da demfelben mit Geld wahrfcheinlich nicht 
beizufommen jet, in einer mit Klugheit angeordneten Unter- 
vedung, Freiheit und Leben dafiir anzubieten, ja ihm, wenn 
er darauf beftehe, unmittelbar, obſchon mit Vorſicht, zur 
Flucht aus den Händen der brandenbigilchen Reuter, die ihn 
transportierten, mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand 
zu gehen. Der Jagdjunker, nachdem er fich ein Blatt von 
der Hand des Aucftichen zur Beglaubigung ausgebeten, brach 
auch Iogleich mit einigen Knechten auf, und hatte, da er den 
Odem der Pferde nic parte, das Glüd, den Kohlhaas auf* 
einem Grenzdorf zu treffen, wo derjelbe mit dem Ritter von 
Malzahn und feinen fünf Kindern ein Mittagsmahl, das im 
Freien vor der Thür eines Haufes angerichtet war, zu ſich 
nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der unter ii als 
einen Fremden, der bei feiner Durchreiſe den feltfamen Dann, 
den er mit fidh führe, in Augenfchein zu nehmen wünfce, 
vorjtellte, nöthigte ihn jogleich auf zuvorkommende Art, indem 
er ihn mit dem Kohlhaas bekannt made an der Tafel nieder; 
und da der Nitter in Gefchäften der Abreife ab- und zugieng, 
die Reuter aber an einem auf des Haufes anderer Seite be- 
findliden Tifh ihre Mahlzeit hielten: fo traf fich die Ge— 
legenheit bald, wo der Junker dem Roßhändler eröffnen konnte, 
wer er fei, und in welchen beſonderen Aufträgen er zu ihm 
komme. Der Roßhändler, der bereit3 Rang und Namen 
Deſſen, der beim Anblid der in Rede ftehenden Kapfel in der 
Meierei zu Dahme in Ohmmacht gefallen war, kannte, und 
der zur Krönung des Taumels, ın welchen ihn diefe Ent: 
dedung verſetzt hatte, Nichts bedurfte, als Einficht in die 
—— des Zettels, den er um mancherlei Gründe willen 
entſchloſſen war, aus bloßer Neugierde nicht zu eröffnen: der 
Roßhändler ſagte, eingedenk der unedelmüthigen un unfftft 
lihen Behandlung, die er in Dresden bei Heiner gänzlichen 
Bereitwilligfeit, alle nur möglichen Opfer zu bringen, hatte 
erfahren müſſen: daß er den Zettel behalten wolle. Auf die 
Frage des Jagdjunkers, was ihn 6 dieſer ſonderbaren Wei- 
gerum ‚da man ihm doch nichts Minderes als Freiheit und 
eben alle anbiete, veranlaffe ? antwortete Kohlhaas: „Edler 
Herr! Wenn Euer Landesherr käme, und ſpräche, ich will 
mich mit dem ganzen Troß Derer, die mir das Scepter führen 
helfen, vernichten — vernichten, verfteht Ihr, welches aller- 
dings der größefte Wunſch ift, den meine Seele heat: b 
würde ich ihm doch den Zettel noch, der ihm mehr werth ift, 
als das Dafein, verweigern und fpredhen: du kannſt mid) Fr 
das Schaffot bringen, ich aber kann dir weh thun, und i 


307 


für den 
wandte er ge, en wieder, als er den Wagen beitieg, mit 
eri 


0 vielen Seiten angegriffen ward, in der größeften 
18 er ſich dur die Kraft 


ei bringen, und mit Kiffen und 


gelounen gewejen wäre, um Taiferlicher 


von Brandenburg als Anwalt nad) "Dresden gejchidt hätte, 
um die Klage defjelben gegen den Junker Wenzel von Tronka 
der Rappen wegen vor Gericht zu bringen, nach Wien ab- 
egangen wäre. Der Kurfürft, indem er erröthend an 
feinen Arharstiſ trat, wunderte ſich über ve Eilfertigfeit, 
indem er feines Willens erklärt hätte, die definitive Abreife 
des Eibenmayer wegen vorher nothmwendiger Rückſprache mit 
dem Doctor Luther, der dem Kohlhaas die Amneſtie aus— 
gewirkt, einem näheren und beftimmteren FR vorbehalten 
gu wollen. Dabei warf er einige Briefſchaften und Acten, 
te anf dem Tifch lagen, mit dem Ausdrud zurüdgehaltenen 
Unmillens über einander. Der Prinz, nach einer Banfe in 
melcher er ihn mit großen Augen anfah, verfette, daß es 
ihm leid thäte, wenn er feine Zufriedenheit in diefer Sache 
verfehlt babe; inziwifchen könne ex ihm den Beſchluß des 
Staatsraths vorzeigen, worin ihm die Abſchickung des Rechts⸗ 
anwalt$ au dem befagten Zeitpunkt zur Pflicht gemacht worden 
wäre. ſetzte hinzu— daß im Staatsrath von einer Rüd- 
fprache mit dem ‘Doctor Luther auf feine Weiſe Die Rede ge- 
weſen wäre; daß es früherhin vielleicht zwe mäßig genefen 


308 


jein möchte, diefen geiftlihen Herrn wegen der Verwendung, 
ie er dem Koblhaas angedeiben laſſen, zu bertdfichtigen, 
nicht aber jeßt mehr, nachdem man bemfelben die Amneftie 
vor den Augen der ganzen Welt gebrochen, ihn arretiert, und 
ur Berurtheilung und Hinrichtung an die brandenburgifchen 

erichte ausgeliefert hätte. Der Kurfürft fagte: das Ber- 
feben, den Eibenmayer abgejchidt zu haben, wäre auch in 
der That nicht groß; in wilde wünſche er, Bi; derfelbe vor⸗ 
läufig bis auf weiteren Befehl in feiner Eigenjchaft als An- 
Häger zu Wien nicht aufträte, und bat den Beinen, deshalb 
das Erforderliche unverzüglich durch einen Erpreffen an ihn 
zu erlafjen. Der Prinz antwortete: daß diefer Befehl leider 
um einen Tag zu fpät fäme, indem der Eibenmayer bereits 
nad einem Berichte, der eben heute eingelaufen, in feiner 
Dualität als Anwalt aufgetreten, und mit Einreihung der 
Klage bei der Wiener Staatskanzlei vorgegangen wäre. Er 
fette auf die betroffne Frage des Kurfürften: wie dieß überall 
in fo kurzer Zeit möglich ſei? hinzu: daß bereits feit der 
Abreife diefes Mannes drei Wochen verftrichen wären, und 
daß die Inſtruction, die er erhalten, igm eine ungeſäumte 
Abmachung dieſes Geſchäfts gleich nach ſeiner Ankunft in 
Wien zur Pflicht gemacht hätte. Eine Verzögerung, bemerkte 
der Prinz, würde in dieſem Fall um ſo —52— geweſen 
ſein, da der brandenburgiſche Anwalt Zäuner gegen den 
Junker Wenzel von Tronka mit dem trotzigſten Nachdrud 
verfahre, und bereitS auf eine vorläufige Snelidziehung der 
Rappen aus den Händen bes Abdederd, behufs ihrer fünf- 
tigen Wiederherftellung, bei dem Gerichtshof -angetragen, 
und auch aller Einwendungen der Gegenpart ungeachtet auch 
Durchgefett habe. Der Kurfürft, indem er die Klingel 30g, 
jagte: „&leichviel! e8 hätte Nichts zu bedeuten!“ und nachdem 
er fich mit gleichgültigen Fragen: wie es fonft in Dresden 
ftehe, und was in feiner Abweſenheit vorgefallen fei, zu dem 
Prinzen zurüdgewandt hatte: grüßte er ibm unfähig, feinen 
innerften Auftand zu verbergen, mit der Hand und entließ 
ihn. Er forderte ihm noch an demfelben Tage fchriftlich, 
unter dem Vorwande, daß er die Sache ihrer politifchen 
Wichtigkeit wegen felbft bearbeiten wolle, die fämmtlichen 
Kohlhaafifchen Acten ab, und da ihm der Gedanke, Den- 
jenigen au verderben, von dem er allein über die Geheimniffe 

eg re Auskunft erhalten Tonnte, unerträglih war: jo 
verfaßte er einen eigenhändigen Srig an den Kaiſer, worin 
er ihn auf herzliche und dringende Weiſe bat, aus wichtigen 
Gründen, die er ihm vielleicht in kurzer Zeit beſtimmter aus- 
einander legen würde, die Klage, die der Eibenmayer gegen 
den Kohlhaas eingereicht, vorläufig bis auf einen weiteren 








309 


Beſchluß zurüdnehmen zu dürfen. Der Kaiſer, in einer 
durch die Staatskanzelei ausgefertigten Note, antwortete ihm: 
daß der Wechfel, der plöklich in feiner Bruft vorgegangen 
a fein fcheine, ihn aufs Aeußerſte befremde; daß der ſächſiſcher 
Sets an ihn erlaffene Bericht die Sache des Kohlhaas zu 
einer Ungelegenheit gejammten heiligen römifchen Reid 
gemacht hätte, dag demgemäß er, der Kaiſer, als Oberhaupt 
deffelben, fi verpflichtet gefehen hätte, als Ankläger in 
diefer Sache bei dem Haufe Brandenburg aufzutreten; derge- 
ftalt, daß, da bereit3 der Hof-Aſſeſſor Frans Müller in der 
Eigenfchaft als Anwalt nach Berlin gegangen wäre, um den 
Kohlhaas dafelbft wegen Verlegung des üffentlichen Land⸗ 
friedens zur Nechenfchaft zu ziehen, die Beſchwerde nunmehr 
auf keine Weife zurückgenommen werden könne, und die Sadıe 
den Gefegen gemäß ihren weiteren Fortgang nehmen müſſe. 
Diefer Brief Sg den Kurfürften völlig nieder, und da zu 
jeiner äußerften Betrübniß in einiger Seit Privatſchreiben 
aus Berlin einliefen, in welchen die Einleitung des Prozeſſes 
bei dem Kammergericht gemeldet und bemerkt ward, das der 
Kohlhaas wahrſcheinlich, allen Bemühungen des ihm auge- 
ordneten Advokaten ungeachtet, auf dem Schaffot enden 
werde: fo beihtoß diefer unglüdlihe Herr noch einen Berfuch 
zu machen, und bat den Kurfürften von Brandenburg in einer 
eigenhändigen Zulgrif um des Roßhändlers Leben. Er 
fhüßte vor, daR die Amnejftie, die man diefem Manne an- 
elobt, die Vollitredung eines Todesurtheils an demſelben 
Tigiger Weiſe nicht zulaffe; verficherte ihn, daß es troß der 
ſcheinbaren Strenge, mit welder man gegen ihn verfahren, 
nie feine Abficht gewefen wäre, ihn fterben zu laffen; und 
befchrieb ihm, wie troftlo er fein würde, wenn der Schuß, 
den man vorgegeben hätte, ihm von Berlin aus angedeihen 
lafjen zu wollen, zulegt in einer unerwarteten Wendung zu 
feinem größeren Nachtbeile aus gr e, als wenn er in Dresden 
geblieben, und feine Sache nad) jä ſiſher Geſetzen entſchieden 
worden wäre. Der Kurfürſt von Brandenburg, dem in dieſer 
Angabe Mancherlei zweideutig und unklar Gir antwortete 
ihm: daß der Nachdruck, mit welchem der Anwalt kaiſerlicher 
ajeſtät verführe, platterdings nicht erlaube, dem nl , 
den er ihm geäußert, gemäß von der ſtrengen Vorfchrift der 
Geſetze abzumeihen. Er bemerkte, daß die ihm vorgelegte 
Beforgniß in der That zu weit gienge, indent die Befchwerde 
wegen der dem Kohlhaas in der Amneſtie ee Ber- 
brechen ja nicht von ihm, der demfelben die Amneftie ertheilt, 
fondern von dem Reichsoberhaupt, das daran auf feine Weife 
gebunden fei, bei dem Kammergericht zu Berlin anhängig ge- 
macht worden wäre. Dabei ftellte er ihm vor, wie nothmwendig 





310 


bei den fortdauernden Gewaltthätigleiten des Nageljchmidt, die 
ic jogar Alk mit unerhörter Dreiftigfeit bis aufs branden- 
urgifche Gebiet erftredten, die Statuierung eines abjchredenden 
Beiſpiels wäre, und bat ihn, falls er dieß Alles nicht berüd- 
fihtigen wolle, fi an des Kaiſers Majeftät jelbft zu wenden, 
indem, wenu dem Kohlhaas zu Gunſten ein Machtſpruch 
fallen Dear dieß allein auf eine Grflärung von dieſer Seite 
ber geſchehen könne. Der Kurfürft, aus Gram und Xerger 
über alle dieſe mißglüdten Berfuche, verfiel in eine neue 
Krankheit; und da der Kämmerer ihn an einem Morgen 
befuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas 
das Leben zu friften, und fomit wenigftens Zeit zu gewinnen, 
des Zettels, den er befäße, habhaft zu werden, an den Wiener 
und Berliner Hof erlaffen. Der Kämmerer warf fi auf 
Knieen vor ihm nieder, und bat ihn, um Alles, was ihm 
heilig und theuer fei, Fin zu fagen, was diefer Zettel ent- 
halte? Der Kurfürft ſprach, er möchte das Zimmer ver- 
viegeln, und ſich auf das Bett niederjeßen, und nachdem er 
feine Hand ergriffen, und mit einem Seufzer an fein Herz 
gedrüdt hatte, begann er tolgenber eftalt: „Deine Fran bat 
dir, wie ich höre, fchon erzählt, dag der Kurfürjt von Bran- 
denburg und ich anı dritten Tage der Zufammenfunft, Die 
wir in Jüterbock hielten, auf eine Zigeunerin trafen; und da 
der Kurfürft, aufgewedt wie er von Natur ift, befchloß, den 
Auf dieſer abenteuerlichen Frau, von deren Kunft eben bei 
der Tafel auf ungebührliche Weile die Rede geweſen war, 
dur einen Scherz im Angefiht alles Volks zu nichte zu 
maden, jo trat er mit verfihrännkten Armen vor ihren Tiſch, 
und forderte der Weiffagung wegen, die fie ihm machen 
jollte, ein Zeichen von ihr, das fi noch heute erproben ließe, 
vor hlitend daß er fonjt nicht, und wäre fie auch die römiſche 
Sibylle fetbft, an ihre Worte glauben könne. Die Frau, 
indent fie ung flüchtig von Kopf zu Fuß maß, fagte, das 
Zeichen würde fein, daß uns der große gehörnte Rehbod, den 
der Sohn de3 Gärtner im Park erzog, auf dem Markt, 
worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch verlaffen, ent- 
gegenkommen würde Nun mußt du willen, daß Ddiefer für 
die Dresdner Küche beftimmte Rehbod in einem mit Latte 
hoc verzäunten Verſchlage, den die Eichen des Parks 
eichatteten, hinter © ” und Riegel aufbewahrt ward, ber- 
eitalt, daß, da überdieß anderen Heineren Wildes und Ge- 
Hiigels wegen der Park überhaupt und obenein der Garten, 
der zu ihm führte, in forgfältigem Beſchluß gehalten ward, 
ſchlechterdings nicht abzufehen war, wie und das Thier, 
diefem fonderbaren VBorgeben gemäß, bis auf den Pla&, wo 
wir ftanden, entgegenfommen würde; gleichwohl ſchickte der 


311 


Kurfärft aus Delorgniß vor einer dahinter fledenden Schelmerei, 
nad einer kurzen Abrede mit mir, entfchloffen, auf unabänder- 
liche Weife Alles, was fie noch borbringen würde, des Spaßes 
wegen zu Schanden zu machen, ins Schloß, und befahl, daß der 
— augenblidlic getödtet und für die Tafel an einem der 
nä Ken Tage zubereitet werden folle. Hierauf wandte er ſich zu 
der Frau, vor welcher diefe Sache laut verhandelt worden war, 
zurüd, und fagte: „Nun, wohlan! was haft da mir für die 
Zukunft zu entdeden ?" Die Frau, indem fie in feine Hand ſah, 
ſprach: „Heil meinem Kurfürften und Herrn! Deine Gnaden 
wird lange regieren, dad Haus, aus dem du ſtammſt, lange be- 
ftehen, und deine Nachkommen groß und herrlich werden, und 
u Macht gelangen vor allen Fürften und Herren der Welt!“ 

er Kurfürft, nad) einer Pauſe, in welcher er die Frau gedan- 
tenvoll anſah, ſagte halblaut mit einem Schritte, den er zu mir 
that, daß es ihm jego faft Leid thäte, einen Boten abgeſchickt 
zu haben, um die Weifjagung zu nichte zu machen; und während 
das Geld aus den Händen der Ritter, die ihm folgten, der Frau 
haufenweis unter vielem Jubel in den Schooß vegnete, fragte 
er fie, indem er felbit in die Taſche griff und ein Goldſtück 
dazu legte: ob der Gruß, den fie mir zu eröffnen hätte, auch 
von fo filbernem Klang wäre, als der feinige? Die Frau, 
nachdem fie einen Kaften, der ihr zur Seite fland, aufgemacht, 
und das Geld nach Sorte und Menge meitläufig und um- 
ftändlich darin geordnet und den Kaften wieder verfchloffen 
hatte, ſchützte ihre Hand vor die Sonne, gleichjam als ob fie 
ihr Läftig wäre, und ſah mid an; und da id die Trage an 
fie wiederholte und auf ſcherzhafte Weile, während fie meine 
and prüfte, zum Kurfürften fagte: „Mir, ſcheint es, hat fie 

icht8, da8 eben angenehm wäre, zu verfündigen”, fo ergriff fie 
ihre Krüden, bob fich langfam daran vom Schemel empor, 
und indem fie fi mit geheimnigvoll vorgehaltenen Händen 
dicht zu mir heran drängte, flüfterte fie mir vernehmüch ing 
Ohr: „Rein!“ — „So!“ jagt’ ich verwirrt, und trat einen Schrütt 
vor der Geftalt zurüd, die fi mit einem Blick kalt und leb- 
lo8, wie aus marmorhen Augen, auf den Schemel, der hinter 
ihr ftand, zuriidjeste: „von welcher Seite her droht meinem 
Dane Gefahr?" Die Frau, indem fie eine Kohle und ein 
Bapier zur Hand nahm und ihre Kniee Treuzte, fragte: ob 
fie e8 mir auffchreiben folle? und da ich, verlegen in der 
That, bloß weil mir unter den beftehenden Umfländen nichts 
Anders übrig blieb, antworte: „Ja! das thu!“ fo verjegte fie: 
„Wohlan! dreierlei fchreib ich dir auf: den Namen des legten 
Regenten deines Haufes, die Jahrszahl, da er fein Reich ver- 
lieren, und den Namen Deffen, der e8 durch die Gewalt der 
Waffen an fich reißen wird." Dieß vor den Augen alles Volta 


312 


abgemacht, erhebt fie fich, verklebt den Zettel mit Lack, den fie 
in a welfen Munde befeuchtet, und drüdt einen bleiernen, 
an ihrem Mittelfinger befindlichen Siegelring darauf, Und da 
ich den Zettel, neugierig, mie du leicht begreifit, mehr als 
Worte jagen können, ertaffen will, fpricht —* „Mit nichten, 
Hoheit!” und wendet ſich und hebt ihrer Krücken eine empor: 
„von jenem Dann dort, der mit dem Federhut auf der Bank 
steht hinter allem Boll, am Kircheneingang, Iöfeft du, wenn 
es dir beliebt, den Zettel ein!“ Und damit, ehe ich noch redit 
begriffen, was fie jagt, auf dem Platz, vor Erftaunen ſprachlos, 
[ab fie mich ftehen; und während fie den Kaften, der hinter 
ihr ftand, zufanmenfchlug und über den Rüden warf, miſcht 
fie fih, ohne daß ich weiter bemerfen fonnte, was fie thut, 
unter den Haufen des uns umringenden Volks. Nun trat, zu 
meinem in der ‘That herzlichen Troſt, in eben diefem Augen- 
bli@ der Ritter auf, den der Kırfürft ins Schloß gefäict 
hatte, und meldete ihm mit lachendem Munde, daß der Reh—⸗ 
bod getödtet, und durch zwei Jäger vor feinen Augen in bie 
Küche gefchleppt worden * Der Kurfürſt, indem er En 
Arm munter in den meinigen legte, in der Abficht, mic) von 
‚ dem Platz binmwegzuführen, fagte: „Nun wohlan! jo war die 
Prophezeiung eine alltägliche Gaunerei, und Zeit und Gold, 
die fie uns gefoftet, nicht wertb!“ Aber wie qroß war unfer 
Erftaunen, da fih noch während diefer Worte ein Geſchrei 
rings auf dem Plage erhob, und Aller Augen fich einem großen, 
vom © Loßbo| berantrabenden Shlägterhund zuwandten, der 
in der Küche den Rehbock als gute Beute beim Naden erfaßt, 
und das Thier drei Schritte von ung, verfolgt von Knechten und 
Mägden, auf den Boden fallen ließ; dergeftalt, daß in der That 
die Brophezeiung des Weibes, zum Unterpfand alles Deflen, 
was fie vorgebracht, erfüllt, und der Nehbod uns bis auf den 
Markt, obſchon allerdings todt, entgegen gefommen war. Der 
Blitz, der an einem Wintertag vom Simmel fällt, kann nicht 
vernichtender treffen, als mich dieſer Anblid, und meine erfte 
Bemühung, fobald ich der Geſellſchaft, in der ich mich befand, 
überhoben, war gleih, den Mann mit dem Federhut, den mir 
das Weib bezeichnet hatte, auszumitteln; doch Teiner meiner 
Leute, unausgejegt während drei Zagen auf Kundſchaft geſchickt, 
war im Stande, mir auch nur auf die entferntefte — Nach⸗ 
richt davon zu geben: und jeßt, Freund Kunz, vor wenig 
Wochen, in der Meierei zu Dahme, habe ich den Dann mit 
meinen eigenen Augen gejehn.” — Und damit ließ er die Hand 
des Kämmerers fahren; und während er fi) den Schweiß ab- 
trodnete, ſank er wieder auf das Lager zurüd. Der Käm⸗ 
merer, der e3 für vergeblichde Mühe hielt, mit feiner Anficht 
von diefem Borfall die Anficht, die der Kurfürft davon hatte, 





313 


iu Durchtrengen und zu berichtigen, bat ihn, doch irgend ein 

ttel zu en des Zettels habhaft zu werden und den 
Kerl nachher ſeinem Schickſal zu überlaſſen; doc der Kurfürſt 
antmortete, J er platterdings kein Mittel dazu ſähe, obſchon 
der Gedanke, ihn entbehren zu müſſen oder wohl gar die Wiſſen⸗ 
Ihaft davon mit diefem Menfchen untergehen zu jehen, ihn 
dem Jammer und der Verzweiflung nahe brädte. Auf die 
Frage des Freundes: ob er denn Verſuche gemadt, die ger 
fon der Zigeunerin felbft auszuforſchen ? erwiederte der Kur- 
fürft, daß das Gubernium auf einen Befehl, den er unter 
einem faljehen Vorwand an daſſelbe erlaffen, dieſem Weibe 
vergebens bis auf den heutigen Tag in allen Plätzen des Kur- 
fürſtenthums nadhfpüre: wobei er aus Gründen, die er jedoch 
näher zu entwideln fich weigerte, water) zweifelte, daß fie 
in Sachſen auszumitteln IV Nun traf es fi, daß der Käm⸗ 
merer mehrerer beträchtlichen Güter wegen, die feiner Frau 
aus der Hinterlaffenfchaft des abgefeßten und bald darauf ver- 
ftorbenen Erztanzler3 Grafen Kallheim in der Neumark zu- 
gefallen waren, nach Berlin reifen wollte; dergeftalt, daß, da 
er den Kurfürften in der That liebte, er ihn nad) einer kurzen 
Meberlegung fragte: ob er ihm in na Sade freie Hand 
laſſen wolle? und da diefer, indem er jeine Hand herzlich an 
feine Bruft drüdte, antwortete: „Denke, du ſeiſt ich, und ſchaff 
mir"den Zettel!“ jo befchleunigte der Kämmerer, nachdem er 
ie Geſchäfte abgegeben, um einige Tage feine Abreife, und 
uhr mit Zurüdlaffung feiner rau, bloß von einigen Be— 
dienten begleitet, nach Berlin ab. 

Kohlhaas, der inzwifchen, wie fchon gefagt, in Berlin 
angefommen und auf einen Specialbefehl des Kurfürften in 
ein ritterliches Gefängniß gebracht worden war, das ihn mit 
feinen fünf Kindern fo bequem, als es fich thun ließ, empfieng, 
war gleid) nah Erfcheinung des kaiſerlichen Anwalt aus 
Wien auf den Grund wegen Verlegung des öffentlichen kaiſer⸗ 
lihen Landfriedens vor den Schranken des Kammergerichts 
ae Rechenſchaft gezogen worden; und ob er ſchon in feiner 

erantwortung einmandte, daß er wegen feines bewaffneten 
Einfalls in Sachſen und der dabei verübten Gemwaltthätig- 
feiten kraft des mit dem Kurfürften von Sachſen zu Lügen 
abgefchloffenen Vergleichs nicht, belangt werden könne: fo er- 
fuhr er doch zu feiner Belehrung, daß des Kaifers Majeſtät, 
deren Anwalt bier die Beſchwerde führe, darauf Feine Rück⸗ 
ficht nehmen könne: Tieß fich auch fehr bald, da man ihm die 
Sadje auseinander fegte und erllärte, wie ihm dagegen von 
Dresden her in deiner Sache gegen den Junker Wenzel von 
Tronka völlige Genugthuung widerfahren werde, die Sache 
gefallen. Demnach traf es fih, daß gerade am Lage der 


314 


Ankunft des Kämmerers das Geſetz über ihn ſerach und er 
verurtheilt ward, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode 
gebracht Fi werden; ein Urtbeil, an deſſen Vollſtreckung 
gleichwohl, bei der verwidelten Rage der Dinge, feiner Milde 
ungeachtet, Niemand glaubte, ja das die ganze Stadt, bei 
dem Wohlwollen, das der eat für den Kohlhaas trug, 
unfehlbar durch ein Machtwort deſſelben in eine bloße, viel: 
leicht befchwerlihe und langwierige Gefängnißftrafe verwan- 
delt zu ſehen hoffte. Der Kämmerer, der gleichwohl einfah, 
daß feine Zeit zu verlieren fein möchte, falls der Auftrag, 
den am fein Herr gegeben, in Erfüllung gehen follte, fieng 
fein Gefchäft damit an, ſich dem — am Morgen eines 
Tages, da derſelbe in le: etradhtung der Borüber- 
gehenden am Zenfter feines Gefängniſſes fland, in feiner ge- 
wöhnlichen Hoftracht genau und umftändlich zu zeigen, und 
da er aus einer plößlichen Bewegung feines Kopfes schloß, 
daß der Roßhändler ihn bemerkt hatte, und bejonders mit 
großem Bergnügen einen unmillfürlihen Griff deffelben mit 
der Hand auf die Gegend der Bruft, wo die Kapſel lag, 
wahrnahm: fo hielt er das, was in der Seele deſſelben ın 
diefem Augenblid vor egangen war, für eine hinlängliche 
Borbereitung, um in dem Verſuch, des Bettels abhaft zu 
werden, einen Schritt weiter vorzurüden. Er beftellte ein 
altes, auf Krüden herummwandelndes Trödelmeib zu ſich, das 
er in den Straßen von Berlin unter einem Troß andern mit 
Lumpen handelnden Gefindel8 bemerkt ie und das ihm, 
den: Alter und der Tracht nach, ziemlich mit dem, das ihm 
der Kurfürſt befchrieben hatte, Üübereinzuftinnmen ſchien; und 
in der Borausfegung, der Kohlhaas werde ſich die Züge Der- 
jenitgen, die ihm in einer flüchtigen Erfcheinung den Selen 
überreicht hatte, nicht eben tief eingeprägt haben, beſchloß 
er, das gedachte Weib ftatt ihrer unterzufchteben, und bei 
Kohlhaas, wenn es ſich thun ließe, die Holle, als ob fie die 
Zigeunerin wäre, fpielen zu laffen. Dem gemäß, um fie dazu 
in Stand zu feßen, unterrichtete er fie umſtändlich von Allem, 
mas zwifchen dem Kurfürften und der gedachten Bigeunerin 
in Juͤterbock vorgefallen war, wobei er, weil er nicht wußte, 
wie weit das Weib in ihren Eröffnungen gegen den Kohl— 
haas gegangen war, nidjt vergaß, ihr befonders die drei 
eheimnißvollen, in dem Zettel enthaltenen Artikel einzu- 
fhärfen; und nachden er ihr auseinandergejeßt hatte, mas 
fie anf abgerifjene und unverftänbliche Weiſe fallen lafſen 
müſſe, gewiffer Anftalten wegen, die man getroffen, I es 
durch kit oder durch Gewalt, des Zettels, der dem ſächſiſchen 
‚Hofe von der äußerſten Wichtigfeit fei, habhaft zu werden, 
trug er ihr auf, dem Kohlhaas den Zettel unter dem Vor⸗ 


eo 


315 


wand, daß derfelbe bei ihm nicht mehr ficher dei zur Auf- 
bewahrung während einiger verhängnißvollen Tage abzufor- 
dern. Das Trödelwerb übernahm auch ſogleich gegen die 
Berheißung einer beträchtlichen Belohnung, wovon der Käm— 
merer ihr auf ihre Forderung einen Theil im Voraus be- 
zahlen mußte, die Ausführung des befagten Geſchäfts; und 
da die Weutter des bei uhlberg gefallenen Knechts Herſe 
den Kohlhaas mit Erlaubniß der Regierung zuweilen beſuchte, 
dieſe Frau ihr aber ſeit einigen Manden her bekannt war, 
ſo gelang es ihr an einem der a Tage vermittelft einer 
Heinen Gabe an den Kerlermeifter fich bei dem Roßkamm Ein- 
ang zu verfchaffen. — Kohlhaas aber, als diefe Frau zu 
ihm eintrat, meinte an einem Stegelring, den fie an der Hand 
trug, und einer ihr vom Hals herabhangenden Corallenkette 
die befannte alte Zigeunerin ſelbſt wieder zu erfennen, die 
ihm im Jüterbock den Zettel überreicht hatte; und wie denn 
die Wahrjcheinlichkeit nicht immer auf Seiten der Wahrheit 
ift, fo traf es fih, daß bier etwas gejchehen war, das wir 
war berichten, die Freiheit aber, daran zu zweifeln, Dem- 
enigen, dem es wohlgefällt, zugeftehen müſſen: der Kämmerer 
hatte den un cheuerflen Rißgrift begangen und in dem alten 
rödelweib, das er in den Straßen von Berlin aufgriff, um 
die Zigeunerin nachzuähmen, die geheimnißreiche ‚gigeinerin 
felbft getroffen, die er nachgeahmt willen wollte. Wentgftens 
berichtete das Weib, indem fie auf ihre Krücken geftiigt die 
Mangen der Kinder ftreichelte, die fich, betroffen von ihrem 
wunderlichen Anblid, an den Bater lehnten: daß fie ſchon 
feit geraumer Zeit aus dem Sächſiſchen ins Brandenburgijche 
zurüdgelehrt fei, und fi auf eine in den Straßen von Berlin 
—— gewagte Frage des Kämmerers nach der Zigeunerin, 
die im Frühjahr des perfloffenen Jahres in Füterbod gewejen, 
jogleid) an ihn gedrängt, und unter einem falfchen Namen 
zu dem Geſchäfte, das er beforgt willen mollte, angetragen 
habe. Der Roßhändler, der eine jonderbare Aehnlichkeit zwischen 
ihr und feinem verjtorbenen Weibe Lisbeth bemerkte, dergeftalt, 
daß er fie hätte [en en können, ob fie ihre Großmutter fei: 
denn nicht nur, 16 die Züge ihres Gefichts, Ti Hände, 
aud) in ihrem Tnöchernen Bau noch fchön, und bejonders der 
Gebrauch, den fie davon im Reden machte, ihn aufs bes 
an te erinnerten: auch ein Mal, womit feiner Frauen Hals 
bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen — der Roßhändler 
nöthigte fie unter Gedanken, die ſich ſeltſam in ihm freuzten, 
auf einen Stuhl nieder und fragte, was fie in aller Welt in 
Gejchäften des Kämmerers zu ihm führe? Die Fran, während 
ber alte Hund des Kohlhaas ihre Kniee umfhnüffelte, und 
von ihrer Hand gekraut, mit dem Schwanz wedelte, antwortete: 


316 


der Auftrag, den ihr der Kämmerer gegeben, wäre, ihm zu 
eröffnen, auf welche drei dem fächfifchen Hofe wichtigen Fra- 
en der Zettel geheimnißvolle Antwort enthalte, ihn vor einem 

bgefandten, der fich in Berlin befinde, um jeiner habhaft zu 
werden, zu warnen: und ihm den Zettel, unter dem Bor- 
wande, daß er an feiner Saul wo er ihn trage, nicht mehr 
fiher fei, abzufordern. Die Abſicht aber, in der fie fomme, 
jet, ihm zu jagen, daß die Drohung, ihn durch Arglift oder 
Gewaltthätigkeit um den Zettel zu bringen, abgefhmadt und 
ein leeres Zrugbild fei; daß er unter dem Schub des Kur⸗ 
fürften von Brandenburg, ın defjen Verwahrfam er ſich be- 
finde, nit dad Mindeſte fiir denfelben zu befürchten habe; 
ja daß das Blatt bei ihm weit ficherer ſei, als bei ihr, und 
daß er fich wohl hüten möge, fi) durch Ablieferung defjelben, 
an wer und unter welchem Vorwand es auch fei, darum bringen 
zu laffen. — Gleichwohl ſchloß fie, daß fie es für Hug hielte, 
von dem Zettel den Gebrauch zu machen, zu welchem fie ihm 
denfelben auf dem Jahrmarkt zu Füterbod eingehändigt, dem 
Antrag, den man m auf der Grenze durch den Junker von 
Stein gemacht, Gehör zu geben, und ben Zettel, der ihm 
felbft weiter Nichts nutzen Fönne, für Freiheit und Leben an 
den Kurfürften von Sachſen auszuliefern. Kohlhaas, der über 
die Macht —5 — die ihm gegeben wer, feines Feindes Ferſe 
in dem Augenblid, da fie ihn in den Staub trat, tödtlich zu 
verwunden, antwortete: „Nicht um die Welt, Mütterchen, nicht 
un die Welt!“ und drüdte der Alten Hand, und wollte nur 
willen, was für Antworten auf die ungeheuren Fragen im 
Zettel enthalten wären? Die Frau, inzmifihen fie das Jüngſte, 
das fich zu ihren Füßen niedergefauert hatte, auf den Schooß 
nahm, ſprach: „Nicht um die Welt, Kohlhaas, der Roßhändler; 
aber um dieſen hübfchen, Kleinen, blonden Jungen!” und da- 
mit lachte fie ihn au, berzte und Füßte ihn, der He mit großen 
Augen anjah, und reichte ihm mit ihren dürren Händen einen 
Apfel, den fie in ihrer Taſche trug, dar. Kohlhaas fagte 
verwirrt: daß die Kinder felbft, wenn fie groß wären, don 
um jeines Verfahrens loben würden, und daß er für fie und 
ihre Enkel nichts Heilfameres thun könne, als den Zettel be- 
halten. Zudem fragte er, wer ihn nad der Erfahrung, die 
er gemacht, vor einem neuen Betrug ficher ftelle, und ob er 
nicht zulegt unnützer Weife den Zettel, wie jüngft den Kriegs- 
haufen, den er in Lützen zufammengebradt, an den Kurfärften 
aufopfern würde? „Wer mir fein Wort einmal gebrochen“, 
prach er, „mit dem wechsle ich Feind mehr; und nur deine 

orderung, beftimmt und unzweideutig, trennt mich, gutes 
Mütterhen, von dem Blatt, durch welches mir fir Alles, 
was ich erlitten, auf jo wunderbare Weiſe Genugthnung ge- 


317 


worden iſt.“ Die Frau, indem fie das Kind auf den Boden 
jebte, fagte: daß er in mancherlei Hinficht Necht hätte, und 
aß er thun und laffen könnte, was er wollte! Und damit 
nahm fie ihre Krücken wieder zur Hand, und wollte gehn. 
Kohlhaas wiederholte feine Frage, den Anhalt des munder- 
baren Zettel3 betreffend; er wünſchte, da fie flüchtig antwortete: 
daß er ihn ja eröffnen fünne, objchon es eine bloke Nengierde 
wäre, noch über tauſend andere Dinge, bevor fie ihn verließe, 
Aufſchluß zu erhalten; wer fte eigentlich fei, woher fie zu ber 
Mi enfaft, die ihr inmohne, fomme, warum jie dem Kur- 
fürften, für den er doc) gejchrieben, den Bettel verweigert, 
und gerade ihm unter jo vielen taujenb Menſchen, der ihrer 
Wiffenfchaft nie begehrt, das Wunderblatt überreicht habe? 
— — Nun traf es fi, daß in eben diefem Augenblid ein 
Geräuſch hörbar ward, das einige Polizeioffickanten, die die 
Treppe beraufftiegen, verurjachten; dergeftalt, daß das Weib 
von plöglicher Beforgniß, in diefen Gemäcern von ihnen 
betroffen zu werden, er antwortete: „Auf Wiederfehn, 
Kohlhaas, auf Wiederfehn! Es ſoll dir, wenn wir uns 
wieder treffen, an Kenntniß über Die Alles nicht fehlen!“ 
Und damit, indem fie ſich gegen die hir wandte, rief E 
„Lebt wohl, Kinderchen, lebt wohl!“ küßte das kleine Ge- 
ſchlecht Hi ber Reihe und gieng ab. 
nzwitchen hatte der Kurfürſt von Sachen, feinen jammer- 
vollen Sedanfen preißgegeben, zwei Aftrologen Namens Olden⸗ 
polm und Dleargus, melde damals in Sachſen in großem 
nfehen ftanden, berbeigerufen, und wegen des Inhalts des 
gebeimnißvollen. ihm und dem ganzen eſchlecht ſeiner Nach- 
ommen ſo wichtigen Zettels zu Rathe gezogen; und da die 
Männer nach einer, mehrere Tage lang im Schloßthurm zu 
Dresden fortgeſetzten, tiefſinnigen Unterfuhung nicht einig 
werden konnten, ob die Prophezeiung ſich auf ſpäte Jahr⸗ 
hunderte oder aber auf die jegige Zeit beziehe, und vielleicht 
die Krone Bolen, mit welcher die PVerhältniffe immer noch 
ſehr kriegeriſch waren, damit gemeint fei: jo wurde durch 
jolden gelehrten Streit, ftatt fie zu zerfireuen, die Unruhe 
— um nicht zu fagen Verzweiflung — in welcher fich diefer 
unglüdliche yerr befand, nur gejchärft und zulegt bis auf 
einen Grad, der feiner Seele ganz unerträglich war, vermehrt. 
Dazu fam, daß der Kämmerer um diefe x feiner Frau, 
die im Begriff ftand, ihm nad Berlin zu folgen, auftrug, 
dem Kurfürften, bevor fie abreifte, auf eine gefchidte Art 
beizubringen, wie mißlich e8 nach einem verunglüdten Ber- 
fu, den er mit einem Weibe gemacht, das ſich ſeitdem nicht 
wieder habe bliden laſſen, mit der Hoffnung ausfehe, des 
Zettels, in deſſen Beſitz der Kohlhaas jet, habhaft zu werben, 


318 


indem das über ihn gefällte Todesurtheil nunmehr nad) einer 
umftändlihen Prüfung der Acten von dem Kurfürften von 
Brandenburg unterzeichnet, und der Hinrichtungstag bereits 
auf den Montag Hr re feftgefegt fet; auf melde ' 
Nachricht der Kurfür ‚ das Herz von Kummer und Rene 
zerriffen, gleich einem ganz Berlorenen, im jeinem Zimmer 
verfchloß, während zwei Tagen, des Lebens fatt, feine Speije 
zu fih nahm, und am dritten plBelie), unter der furzen An- 
zeige an das Gubernium, dag er zu dem Fürften von Deſſau 
auf die Jagd reife, aus Dresden verfchwand. Wohin er 
eigentlich gieng, und ob er fih nah Deſſau wandte, lallen 
wir dahin geftellt fein, indem die Chroniken, aus deren Ver⸗ 
gleihung wir Bericht erftatten, an diefer Stelle auf befrem: 
dende Weiſe einander widerſprechen und aufheben. Gemiß 
A dag der Fürft von Deffan, unfähig zu jagen, um diefe 
eit krank in Braunjchweig bei feinem Oheim, dem Herzog 
Heinrich, lag, und daß die Dame Heloife am Abend Des 
jelgenben Tages in Geſellſchaft eines Grafen von Königftein, 
en fie für ihren Better ausgab, bei dem Kämmerer, Herrn 
Kunz, en Gemahl, in Berlin eintraf. — Inzwifchen war 
dem Kohlhaas auf eieht des Kurfürften das obesurtbeil 
porgelejen, die Ketten abgenommen, und die über fein Ber- 
mögen lautenden Papiere, die ihm in Dresden abgeſprochen 


: worden waren, wieder zugeftellt worden; und da die Räthe, 


bie das Geriht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten, wie er 
es mit Dem, was er befite, nad) feinem Tone gehalten wifjen 


. wolle: fo verfertigte er mit Hülfe eines Notar zu feiner 


Kinder Gunſten ein Zeftament, und fegte den Amtmann zu 
Kohlhaafenbrüd, feinen wadern Freund, zum Bormund der- 
jelben ein. Demnach glich NichtS der Ruhe und Zufriedenheit 
feiner legten Tage; denn auf eine fonderbare Specialverord- 
nung des Kurfürften war bald darauf auch noch der Zwinger, 
in welchem er ſich befand, eröffnet, und allen feinen Freunden, 
deren er ſehr viele in der Stadt befaß, bei Tag und Nacht 
freier Zutritt zu ihm verftattet worden. Ja, er hatte noch die 
Genugthuung, den Theologen Jacob Freifing, als einen Ab— 
efandten Doctor Luthers, mit einem eigenhändigen, ohne 
Bipeifel jehr merkwürdigen Brief, der aber verloren gegangen 
it, in fein Gefängniß treten zu jehen, und von diefen geift- 
lichen Herrn in Öegenwart zweter brandenburgifchen Dechanten, 
die ihm an die Sand giengen, die Wohlthat der heiligen 
Kommunion zu empfangen. Hierauf erſchien num unter einer 
allgemeinen Bewegung der Stadt, die ſich immer noch nicht 
entwöhnen konnte, auf ein Machtwort, das ihn rettete, zu 
hoffen, der verhängnißvolle Montag nah Palmarım, an 
welchem er die Welt wegen des —* Verſuchs, ſich ſelbſt 


319 


in ihr Recht verjchaffen zu wollen, verfühnen follte. Eben 
trat er in Begleitung einer ftarfen Wache, feine beiden Knaben 
auf dem Arm (denn diefe VBergünftigung hatte er fich aus- 
drüädlih vor den Schranfen des Gerichts ausgebeten), von 
dem Theologen Jacob Freifing geführt, aus den: Thor feines 
— — als unter einem wehmüthigen Gewimmel von 
Bekannten, die ihm die Hände drückten und von ihm Ab— 
ſchied nahmen, der Kaſtellan des kurfürſtlichen Schloſſes, ver⸗ 
ſtört im Geſicht, zu ihm heran trat, und ihm ein Blatt gab, 
das ihm, wie er ſagte, ein altes Weib für ihn eingehändigt. 
Kohlhaas, während er den Mann, der ihm nur wenig be- 
kannt war, befrenidet anfah, eröffnete das Blatt, deſſen Giegel- 
ring ihn, im Dundlad ausgedrüdt, ſogleich an die befannte 
Bigeunerin erinnerte. Aber wer befchreibt das Erftaunen, 
das ihn ergriff, als ex folgende Nachricht darin fand: „Kohl- 
haas, der Kurfürft von Sachen ift in Berlin; auf den Richt- 
lag fchon ift er vorangegangen, und wird, wenn dir daran 
iegt, an einem Hut mit blauen und meißen ee 
fenntlich fein. Die Abficht, in der er kommt, brauche ich dir 
nicht zu jagen; er will die Kapfel, fobald du verfcharrt bift, 
ausgraben, und den Zettel, der darın befindlich ift, eröffnen 
laffen. — Deine Elifabeth." — Kohlhaas, indem 1 auf 
das Aeußerfte beftürzt zu dem Kaſtellan ummwandte, fragte 
ihn: ob er da8 wunderbare Weib, das ihm den Zettel über- 
geben, kenne? Doc da der Kaftellan antwortete: Kohlhaas, 
das Weib — —“ und in Mitten der Rede auf fonderbare 
Weiſe ftodte, fo fonnte er von dem Zuge, der in diefem 
Augenblid wieder antrat, fortgeriffen, nicht vernehmen, was 
der Mann, der an allen Gliedern zu zittern fchien, vor⸗ 
bradte. — Als er auf dem Richtplag anfam, fand er den 
Kurfürften von Brandenburg mit feinem Gefolge, morunter 
fih aud der Erzkanzler — Heinrich von Geuſau befand, 
unter ‚einer unermeßlichen Menſchenmenge daſelbſt zu Pferde 
halten: ihm zur Rechten der kaiſerliche Anwalt franz Müller, 
eine Abſchrift des Zodesurtheils in der Hand; ihn zur Linken 
mit dem Concluſum des Dresdner Hofgerichts fein eigener 
Anwalt, der Rechtögelehrte Anton Zäuner; ein Herold in der 
Mitte des halboffenen Kreifes, den das Volk IB mit 
einem Bündel Sachen, und den beiden, von Wohlſein glän- 
— die Erde mit ihren Hufen ſtampfenden Rappen. Denn 
er Erzkanzler Herr Heinrich hatte die Klage, die er im 
Namen u Herrn in Dresden anhängig gemacht, Punkt 
für Punkt und ohne die mindefte Einfchränfung gegen den 
unler Wenzel von Tronka durchgeſetzt; dergeftalt, daß die 
Dferde, nachdem man fie durch Schwingung einer Fahne über 
thre Häupter ehrlich gemacht und aus den Händen des Ab- 


320 


deders, der fie ernährte, aurüdgegogen hatte, von den Leuten 
des Junkers didgefüttert und in Gegenwart einer eigens dazu 
niebergejegten Kommiffion dem Anmalt auf dem Markt zu 
Dresden übergeben worden waren. Demnach fprac der Kur⸗ 
färft, als Kohlhaas von der Wade begleitet auf den Hügel 
u ihm beranfchritt: „Nun, Kohlhaas, heut it der Tag, an 
em dir dein Hecht gefchieht! Schau her, hier liefere ich dir 
Alles, was du auf der Tronfenburg gewaltfamer Weife ein- 
ebüßt und mas ich als dein Landesherr dir wieder zu ver- 
(deffen ſchuldig war, zurüd: Rappen, Halstuch, Reich3gulden, 

&iche, bis auf die Kurkoſten fogar für deinen bei Mühl- 
berg gefallenen Knecht Herſe. Bift du mit mir zufrieden?“ 
— Kohlhaas, während er das ihm auf den Wink des Erz- 
Tanzler8 eingehändigte Conclufum mit großen, a hm 
Augen überlas, fette die beiden Kinder, die er auf dem Arın 
trug, neben ſich auf den Boden nieder; und da er aud) einen 
Artikel darin fand, in welchem der Junker Wenzel zu zwei: 
“ jähriger Gefängnißftrafe verurtheilt ward: fo ließ er fich aus 
der Ferne, ganz überwältigt von Gefühlen, mit kreuzweis 
auf die Brujt gelegten Händen vor dem Kurfürften nieder. 
Er verficherte freudig dem Erzlanzler, indem er aufftand, 
und die Hand auf feinen Schooß legte, daß fein höchſter 
Wunſch auf Erden erfüllt fer, trat an die Pferde heran, 
mufterte fie, und klopfte ihren feiften Hals; und erklärte dem 
Kanzler, indem er wieder zu ihm zuriidfam, heiter: daß er 
fie feinen beiden Söhnen Heinrich und Leopold ſchenke! Der 
— — Herr Heinrich von Geuſau, vom Pferde herab mild 


u ihm gewaudt, verſprach ihm in des Kurfürſten Namen, 
aß jein letter Wille heilig gehalten werden folle, und for- 
derte ihn auf, auch über die übrigen im Bündel befindlichen 
Sachen nah feinem Gutdünfen zu fehalten. Hierauf rief 
Kohlhaas die alte Mutter Herſens, die er auf dem Play 
wahrgenommen hatte, aus dem Haufen des Volks hervor, 
und indem er ihr die Sachen übergab, fprah er: „Da, 
Mütterchen, das gehört dir!“ — die Summe, die als Schaden- 
erjag für. ihn bei dem im Bündel liegenden Gelde befindlich 
war, als ein Geſchenk noch zur Pflege und Erquidung ihrer 
alten Tage binzufügend. — — Ber Kurfürft rief: „Nun, 
Kohlhaas der Roghändler, du, dem olcher geitalt Genugthuung 
geworden, mache Dich bereit, as iher Majeftät, deren An- 
walt hier fteht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens deiner- 
feit8 Genugthuung zu geben!“ — indem er ſeinen Hut 
abnahm, und auf die Erde warf, ſagte, daß er bereit dazu 
wäre! übergab die Kinder, nachdem er ſie noch Einmal vom 
Boden erhoben, und an feine Bruſt gedrückt hatte, dem Amt- 
mann von Kohlhaajenbrüd, und trat, während dieſer fie unter 


321 


ftillen Thränen vom Pla binwegführte, an den Blod. Eben 
Inüpfte er fih das Tuch vom Hals ab, und öffnete feinen 
Bruftlag, als er mit einem flüchtigen Blid auf den Kreis, 
den das Bolt bildete, in geringer Entfernung von fich zwifchen 
zwei Rittern, die ihn mit ihren Leibern Dal dedten, den 
ae annten Mann mit blauen und weißen Yederbüfchen 
wa nahm. Kohlhaas Löfte fi, indem er mit einem plöß- 
lihen, die Wade, die ihn umringte, befremdenden Skhritt 
dicht vor ihn trat, die art von der Bruft; er nahm den 
geitel heraus, entfiegelte ihn, und überlas ihn, und das 

uge unverwandt auf den Mann mit blauen und weißen 
Tederbüfchen gerichtet, der bereit füßen Hoffnungen Raum 
zu geben anfieng, ftedte er ihn in den Mund und verjchlan 
ihn. Der Mann mit blauen und weißen Federbüfchen fan 
bei diefem Anblid ohnmädtig in Krämpfen nieder. Kohl- 
hans aber, während die beftüirzten Begleiter deſſelben ſich 
erabbeugten und ihn vom Boden aufhoben, wandte ſich zu 
dem Schaffot, wo fein Haupt unter dem Beil des Scharf-, 
richters fiel. — Hier endigt die Gefchichte vom Kohlpans. ar 
legte die Leiche unter einer allgemeinen Klage des Volks in 
einen Sarg; und während die Träger fie aufhoben, um fie 
anftändig auf dem Kirchhof der Gorftabt zu begraben, rief 
der Kurfürft die Söhne des Abgefchiedenen herbei und fchlug 
fie, mit der Erklärung an den Orgfangter, aß fie in feiner 
Pagenſchule erzogen werden follten, zu Rittern. Der Kurfürft 
von Sachſen kam bald darauf, zerrilfen an Leib und Seele, 
F Dresden zurück, wo man das Weitere in der Geſchichte 
nachleſen muß. Vom Kohlhaas aber haben noch im vergangenen 
Jahrhundert im Meklenburgiſchen einige frohe und rüftige 
Nachkommen gelebt. 


Bibl. d. d. Nationafliteratur. Meifl. II. 21 


Die Marguife non B.... 


In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, 
ließ die verwittwete Marquife von D..., eine Dame von 
vortrefflichen Auf und Mutter von mehreren wohlerzogenen 
Kindern, durch die Zeitungen befannt en: daß * ohne 
ihr Wiſſen in andere Umftände gekommen ſei, daß der Vater 
gu dem Kinde, das fie gebären würde, fich melden folle, und 

aß fie aus Familienrädfichten entfchlofjen wäre, ihn zu 
heirathen. Die Dame, die einen fo fonderbaren, den Spott 
der Welt reizenden Schritt beim Drang unabänderlicher Um- 
ftände mit folder Sicherheit that, war die Tochter des Herrn 
von ©..., Commandanten der Citadelle bi M... Gie 
hatte vor ungefähr drei Jahren ihren Gemahl, den Marquis 
vonD..., dem fie auf das Innigfte und Zärtlichite zugethan 
war, auf einer Reife verloren, die er in Geſchäften der 
Familie nah) Paris gemacht hatte. Auf Frau von &...3, 
ihrer würdigen Mutter, Wunſch hatte fie nad) feinem Tode 
den Tandfig verlaffen, den fle bisher bei B... bewohnt hatte, 
und war mit ihren beiden Kindern in das Commandantenhans 
u ihrem Vater zurüdgelehrt. Hier hatte fie die nächſten 

abre, mit Kunft, Lectüre, mit Erziehung und ihrer Eltern 
Bfiege beſchäftigt, in der größten ingezogenheit zugebracht, 
bi8 der .... Krieg plöglih die Gegend umber mit den 
Truppen faft aller Mächte und auch mit ruffiichen erfüllte. 
Der Obrift von &..., welcher den Plag zu bvertheidigen 
Ordre hatte, forderte feine Gemahlin und feine Tochter auf, 
fih auf das Landgut entweder der Ießteren oder feines Sohnes, 
das bei V... u. auchdaugiehen. Doc) ehe fich die Abihäßung 
no), bier der Bebrängniffe, denen man in der Feſtung, dort 
der Gräuel, denen man auf dem platten Yande ausgeſetzt fein 
fonnte, auf der Wage der weiblichen Leberlegung entſchieden 
hatte, war die itadelle von den ruſſiſchen Truppen fchon 
berennt und aufgefordert, ſich zu ergeben. Der Obrift erklärte 
gegen feine Yamilie, daß er fih nunmehr verhalten würde, 
al8 ob fie nicht vorhanden wäre; und antwortete mit Kugeln 
und Öranaten. Der Feind feinerfeits bombarbierte die Eitadelle. 
Er ftedte die Magazine in Brand, eroberte ein Außenwert, 





323 


und als der Kommandant nach einer nochmaligen Aufforderung 
mit der Mebergabe zauderte, jo ordnete er einen nächtlichen 
Ueberfall an und eroberte die Feftung mit Sturm. 

Eben als die rufftfhen Truppen unter einem heftigen 
Haubigenfpiel von außen eindrangen, fieng der linke Flügel 
des Commandantenhaufes euer und nölhigte die Frauen, 
ihn zu verlaffen. Die Obriftin, indem fie der Tochter, die 
mit den Kindern die Treppe binabfloh, nadeilte, rief, daß 
man zufammenbleiben und fich in die unteren Gewölbe flüchten 
möchte; doch eine Granate, die eben in dieſem Augenblide 
in dem Haufe assplokte, vollendete die gänzliche Verwirrung 
in demfelben. Die Marquife fam mit ıhren beiden Kindern 
‘anf den Vorplatz des Sn fies, wo die Schüffe ſchon im 
peftigften Kampf duch die Nacht bligten, und fie, bejinnungs- 
08, wohin fie fich wenden folle, wieder in daS brennende 
Gebäude ‚urüßiagten. Hier unglüdlicher tra begegnete ihr, 
da fie eben dur die Hinterthür entfchlüpfen wollte, ein 
Trupp feindliher Scharfſchühen, der bei ihren Anblid plöglich 
fill ward, die Gewehre über die Schultern hieng, und fie 
unter abjheulichen Geberden mit fich fortführte. Vergebens 
rief die Marquiſe, von der entjeglihen, ji unter einander 
ſelbſt betämpfenden Notte bald hier, bald dort hin gezerrt, 
ihre zitternden, durch die Pforte zurüdfliehenden Frauen zu 
Hilfe. Man fchleppte fie in den hinteren Schloßhof, wo h, 
eben unter den — ishandlungen zu Boden ſinken 
wollte, als, von dem Zetergeſchrei der Dame herbeigerufen, 
ein ruſſiſcher Offizier erſchien, und die Fr die nad) ſolchem 
Raub lüftern waren, mit wüthenden Hieben zerftreute. Der 
Marquiſe fchien er ein Engel des Himmels zu Kin Er ſtieß 
noch dem legten viehiſchen Mordknecht, der ihren ſchlanken 
Leib umfaßt bielt, mit dem Griff des Degens ins Geficht, 
daß er mit aus dem Mund vorquellendem Blut zurüdtaumelte; 
bot dann der Dame unter einer verbindlichen A 
Anrede den Arm und führte fie, die von allen ſolchen Auf⸗ 
tritten ſprachlos war, ın den anderen, von der Flamme noch 
nicht ergriffenen Flügel des Palaſtes, wo fie auch völlig 
bewnßtlo8 niederfant. Hier — traf er, da bald daranf ihre 
ee rauen erfchienen, Anftalten, einen Arzt zu rufen, 
verficherte, indem er jo den put aufſetzte, daß fie ie bald 
erholen würde, und kehrte in den Kampf zurüd. 

Der Pla war in furzer Zeit völlig erobert, und der 
Sommandant, der fi nur noch wehrte, weil man ihm feinen 
Pardon geben wollte, zog ſich eben mit finfenden Kräften nad) 
dem Bortal des Haufes zurüd, als der ruffiiche Offizier, fehr 
FE im Geftht, aus demjelben hervortrat und ihm zuürief, 
fih zu ergeben. Der Commandant antwortete, seh er auf 


324 

diefe Aufforderung nur gewartet habe, reichte ihm feinen 
Degen dar, und bat fich die Erlaubniß aus, fich ins Sam 
begeben und nach feiner Familie umſehen zu dürfen. Der 
ruffiiche Offizier, der nad der Rolle zu urtheilen, die er 
fpielte, einer der Anführer des Sturms zu fein ſchien, gab 
ihm unter Begleitung einer Wache diefe Freiheit, ſetzte 4 
mit einiger Eilfertigkeit an die Spitze eines Detachements, 
entſchied, wo er noch zweifelhaft ſein mochte, den Kampf, 
und bemannte —— die feſten Punkte des Forts. Bald 
darauf kehrte er auf den Waffenplatz zurück, gab Befehl, der 
Flamme, welche wüthend um ſich zu greifen anfieng, Einhalt 
zu thun, und leiſtete ſelbſt hierbei Wunder der Anſtrengung, 
als inan ſeine Befehle nicht mit dem gehörigen Eifer befolgte. 
Bald kletterte er, den Schlauch in der Hand, mitten unter 
brennenden Giebeln umher und regierte den Waſſerſtrahl; 
bald ſteckte er, die Naturen der Aflaten mit Schaudern er- 
füllend, in den Arſenälen und wälzte Pulverfäſſer und gefüllte 
Bomben heraus. Der Commandint, der inzwiſchen in das 
Haus getreten war, gerieth auf die Nachricht von dem Unfall, 
der die Marquife betroffen hatte, in die äußerte Beftürzung. 
Die Marquife, die fich ſchon völlig ohne Beihülfe des Arztes, 
wie der ruſſiſche Offizier vorher gejagt hatte, aus ihrer 
Ohnmacht wieder erholt hatte, und bei der Freude, alle die 
Ihrigen gefund und wohl zu fehen, nur noch, um die über- 
mäßige Sorge derjelben zu beſchwichtigen, das Bett hütete, 
verficerte ihn, daß fie keinen andern Wunfch habe, als auf- 
ftehen zu rau um ihrem Retter ihre Dankbarkeit zu bezeugen. 
Sie wußte ſchon, daß er der Graf $..., Obriftlieutenant 
vom T...n Sägercorpe und Ritter eines Berdienft- und 
mehrerer andern Orden, war. Sie bat ihren Bater, ihn in- 
ftändigft zu erſuchen, daß er die Citadelle nicht verlafle, ohne 
fih einen Augenblid im Schloß gezeigt zu haben. Der 
Commandant, der das Gefühl feiner Tochter ehrte, Tehrte 
auch ungefäumt in da8 Fort zurüd, und trug ihm, da er 
unter unaufbhörlichen Kriegsanordnungen umbherjchweifte, und 
feine beſſere Gelegenheit ge finden war, auf den Wällen, mo 
er eben die zerichofienen Rotten revidierte, den Wunſch feiner 
gerührten Tochter vor. Der Graf verficherte ihn, daß er nur 
auf den Augenblid warte, den er feinen Geſchäften würde 
abmüßigen Eünnen, um ihr feine Ehrerbieligteit zu bezeugen. 
Er wollte nody hören, wie fid) die Frau Marquife befinde ? 
als ihn die Rapporte mehrerer Offiziere ſchon wieder in das 
Gemwühl des Krieges zurüdriffen. Als der Tag anbrad, 
erichien der Befehlshaber der ruffifchen Truppen und befichtigte 
da8 Fort. Er bezeugte dem Commandanten feine Hochachtung, 
bedauerte, daß das Glüd feinen Muth nicht beffer unterftügt 


' 325 


pie und gab ihm auf fein Ehrenwort die Freiheit, fich 
inzubegeben, wohin er wolle. Der Kommandant verficherte 
ihn feiner Dankbarkeit, und äußerte, wie viel er an diefem 
Tage den Ruſſen überhaupt und befonders dem jungen Grafen 
%..., Obriftlieutenant vom %...n Jägercorps, ſchuldi 
geworden fei. Der General fragte, mas vorgefallen jei, un 
al8 man ihn von dem frevelhaften Anjchlag auf die Tochter 
deffelben unterrichtete, zeigte er fi auf das Aeußerſte ent- 
rüftet. Er rief den Grafen 5... bei Namen vor. Nachdem 
er ihm zupörderft wegen feines eignen edelmüthigen Verhaltens 
eine kurze Xobrede gehalten hatte, wobei der rar iiber das 
ganze Geficht roth ward, fchloß er, daß er die Schandferle, 
die den Namen des Kaiſers brandmarkten, niederjchießen 
laſſen wolle; und befahl ihm zu jagen, wer fie jeien? Der 
Graf F... antwortete in einer verwirrten Rede, daß er 
nit im Stande fei, ihre Namen anzugeben, indem es ihm 
bei dem ſchwachen Schimmer der Reverberen im Schloßhof 
unmöglich) gewejen wäre, ihre Gefichter zu erkennen. Der 
General, weldher gehört hatte, daß damals ſchon das Schloß 
in Flammen ftand, mwunderte fich darüber; er bemerkte, wie 
man wohl befannte Leute in der Naht an ihren Stimmen 
erfennen könnte, und gab ihm, da er mit einem verlegenen 
Geſicht die Achfeln zudte, auf, der Sache auf das Aller⸗ 
eifrigfte und Strengfte nacdhzujpüren. In diefem Augenblid 
berichtete Jemand, der fi aus dem hintern Kreije — * 
drängte, daß einer von den durch den Grafen F... verwun- 
beten Frevlern, da er in dem Corridor niedergefunfen, von 
den Leuten des Commandanten in ein Behältniß J leppt 
worden und darin noch befindlich ſei. Der General ließ dieſen 
hierauf durch eine Wache herbeiführen, ein kurzes Verhör 
über ihn halten, und die ganze Rotte, nachdem jener fie 
genannt hatte, fünf an der dab zufammen erjchießen. Dieß 
abgemacht, geb der General nad Zurüdlaffung einer Heinen 
Belagung SH zum allgemeinen Aufbruch der übrigen 
neuppen; die Offiziere zerftreuten fich eiligft zu ihren Corps; 
der Graf trat durd die Berwirrung der aus einander Eilenden 
um Commandanten und bedauerte, daß er fi der Frau 
arquife unter diefen Umftänden gehorfamft empfehlen müſſe, 
und in weniger als einer Stunde war das ganze Fort von 
Ruſſen wieder Ieer. 
Die Familie dachte nun darauf, wie fie in der Zulunft 
eine Gelegenheit finden würde, dem rl irgend eine 
Aeußerung ihrer Dankbarkeit zu geben; dody wie groß war 
ihr Schreden, als fie erfuhr, daß derſelbe noch am, Tage 
eine Aufbruchs aus dem Fort in einem Gefecht mit den 
eindlichen Truppen feinen Tod gefunden habe, Der Courier, 


326 


der diefe Nachricht nah M... brachte, hatte ihn mit eignen 
Augen tödtlih durch die Bruft gefchoflen nah PB... tragen 
fehen, wo er, wie man fihere Nachricht hatte, in dem Augen- 
blif, da ihn die Träger von den Schultern nehmen mollten, 
verblihen war. Der Kommandant, der fich felbit auf das 
Poſthaus verfügte und 1 nad) den näheren Umftänden diefes 
Borfalls erkundigte, erfuhr noch, daß er auf dem Schlacht⸗ 
feld in dem Moment, da ihn der Schuß traf, gerufen babe: 
„Julietta! diefe Kugel rächt dich!“ und nachher feine Lippen 
ai immer geianfien hätte. Die Marquife war untröftlich, 
daß fie die Gelegenheit Hatte vorbeigehen laffen, fich zu feinen 
Füßen zu werfen. Sie machte ſich die lebhafteften Vorwürfe, 
daß fie ihn bei feiner vielleicht aus Beſcheidenheit, wie fie 
meinte, herrührenden Weigerung, im Schlofle gu ericheiuen, 
nicht ſelbſt aufgejucht habe; bedauerte die Unglüdliche, ihre 
Namensſchweſter, an die er noch im Tode gedacht hatte; 
bemühte fich vergebens, ihren Aufenthalt zu erforichen, um fie 
von diefem unglüdlihen und rührenden Borfall zu unter- 
richten; und mehrere Monden vergiengen, ehe fie jelbft ihn 
bergellen fonnte. 
ie Familie mußte nun das Commandantenhaus räu- 
men, um dem ruffifhen Befehlähaber darin Pla zu machen. 
Man überlegte anfangs, ob mau fi nicht auf die Güter 
des Kommandanten begeben follte, wozu die Marquiſe einen 
roßen Hang hatte; Doch da der Obriſt das Landleben nicht 
iebte, fo bezog die Familie ein Haus in der Stadt und 
richtete fich dafjelbe zu einen immerwährenden Wohnung ein, 
Alles kehrte nun in die alte Ordnung der Dinge zuräd. 
Die Marquije Tnüpfte den lange rag Sevar nterricht 
ihrer Kinder wieder an und fuchte je die Feierſtunden ihre 
GStaffelei und Side hervor, als fie fi, fonft die Göttin 
der Geſundheit felbft, von wiederholten Unpäßlichleiten be- 
fallen fühlte, die fie ganze Wochen lang für die Geſellſchaft 
untaugli machten. Sie litt an Uebelkeiten, Schwindeln un 
Ohnmachten, und wußte nicht, mas fie aus diefem fonder- 
baren Zuftand machen folle Eines Morgens, da die Yamilie 
beim Thee faß, und der Vater fih auf einen Augenblid aus 
dem Zimmer entfernt hatte, fagte die Marquife, aus einer 
langen Gedantenlofigfeit erwachend, zu ihrer Mutter: „Wenn 
mir eine Frau fagte, daß fie ein Gefühl hätte, eben fo wie 
ic) jegt, da ich die Taſſe ergriff, jo würde ich bei mir denten, 
daß fie in gefegneten Yeibesumftänden wäre.” Frau von ®.... 
jagte, fie verftände fie nicht. Die Marquife erklärte fi) no 
Einmal, daß fie eben jegt eine Senfation ae hätte, wie 
damals, als fie mit ihrer zweiten Tochter vn Ban war. 


Frau von G. .. fagte, fie würde vielleicht den Phantafus 











327 


ebären, und lachte. „Morpheus wenigſtens“ verfegte die 
ar uife, „oder einer der Träume aus feinem Gefolge, würde 
ein Vater fein;“ und fcherzte gleichfalls. Doc der Obrift 
am, das Deiprih warb abgebrochen, und der ganze Gegen- 
ftand, da die Marquife fih ın einigen Tagen wieder erholte, 
vergeflen. 

: ald darauf ward der Familie, eben zu einer Zeit, da 
ſich aud der Zorftmeifter von &...., des Commandanten 
Sohn, in dem Haufe eingefunden hatte, der fonderbare 
Schreden, durch einen Kammerdiener, der ind Zimmer trat, 
den Grafen $ ... anmelden zu hören. „Der Graf $...!“ 
jagte der Vater und die Zochter zugleich; und das Erſtaunen 
machte Alle ſprachlos. Der Kammerdiener‘ verficherte, daß 
er recht gefehen und gehört habe, und daß der Graf ſchon im 
Borzimmer ftehe und warte. Der Kommandant jprang fo- 
gleich) jelbft auf, ihm zu öffnen, worauf er, ſchön wie ein 
unger Gott, ein wenig bleich im Geſicht, eintrat. Nachdem 
bie Scene unbegreiflicer Berwunderung vorüber war, und 
der Graf auf die Anſchuldigung der Eltern, daß er ja tobt 
fei, verfichert hatte, daß er lebe, wandte er fich mit vieler 
Rührung ım —7 zur Tochter, und ſeine erſte Frage war 
gleich, wie fie fich befinde? Die Marquife verficherte: fehr 
wohl, und wollte nur wiſſen, wie er ins Leben erſtanden fei. 
Doch er, auf feinem Gegenftand beharrend, eriwiederte, da 
fie ihm nicht die Wahrheit jage, auf ihrem Antlig drüde fi 
eine feltiame Mattigkeit aus; ihn müfje Alles trügen, oder 
fie ſei unpäßli und leide. Die Marquife, durch die Herz- 
lichleit, womit er dieß vorbrachte, gut geftimmt, verfegte: nun 
ja; diefe Mattigkeit, wenn er wolle, könne für die Spur einer 
Kränklichleit gelten, an welcher fie vor einigen Wochen ge- 
litten hätte; fte fürchte inzwiſchen nicht, daß Diefe weiter von 
Folgen fein würde. Worauf er mit einer aufflammenden 
Freude ermwiederte: er auch nicht! und Hinzufeßte, ob fie ihn 
beirathen wolle? Die Marquiſe wußte nicht, was file von 
diefer Aufführung denken folle. Sie ſah, über und über 
roth, ihre Mutter, und diefe mit Berlegenheit den Sohn und 
den Vater an; während der Graf vor die Marquife trat und, 
indem er ihre Hand nahm, als ob er fie küſſen wollte, wieder- 
holte: ob fie ihn verftanden hätte? Der Conmandant fagte, 
ob er nicht Play nehmen wolle; und fette ihm auf eine ver- 
bindliche, obgleih ſchon etwas ernfthafte Art einen Stuhl 
hin. Die Obriftin ſprach; „In der That, wir werden glauben, 
daß Sie ein Geiſt find, bi8 Sie und werden eröffnet haben, 
wie Sie aus dem Grabe, in welches man fie zu P... gelegt 
hatte, erftanden find.“ Der Graf ſetzte fich, indem er die Hand 
der Dame fahren ließ, nieder, und fagte, daß er, durch die 


328 


Umftände gezwungen, fich fehr kurz faffen müfle; daß er, 
tödtlich Durch die Bruft gefchoffen, nah P... gebracht worden 
wäre; daß er mehrere Monate dafelbit an feinem Leben ver- 
zweifelt hätte; daß während deffen die Frau Marquife fein 
einziger Gedanke geweſen wäre; daß ‘er die Luft und den 
Scomerz nicht bejchreiben könnte, die ſich in dieſer Vorſtellung 
umarmt hätten; daß er endlich nach feiner Wiederherftellung 
wieder zur Armee gegangen wäre, daß er dafelbft die leb- 
aftefte Unruhe empfunden hätte, daß er Ya aa Male die 
Feder ergriffen, um in einem Briefe an den Herrn Obriften 
und die Frau Marquife feinem Herzen Luft zu machen; daß 
er plöglid mit Depeſchen nach Neapel geſchickt worden wäre; 
daß er nicht wiſſe, ob er nicht von dort weiter nach Con— 
ftantinopel werde abgeordert werden; daß er vielleicht gar 
nad) St. Petersburg werde geben müſſen; daß ihm insifcen 
unmöglich wäre, länger zn leben, ohne über eine nothwendige 
Forderung feiner Seele ins Reine zu fein; daß er dem Drang, 
bei feiner Durchreiſe durch M.. einige Schritte zu diejem 
Bwed zu thun, nicht habe widerftehen können; furz, daß er 
den Wunfch hege, mit der Hand der Frau Marquiſe beglüdt 
zu werden, und daß er auf das Ehrfurdtspollfte, Snftändiafte 
und Dringendfte bitte, fi ihm hierüber gütig zu erklären. — Der 
ECommandant, nach einer langen Baufs, erwiederte, daß ihm 
diefer Antrag zwar, wenn er, wie er nicht zweifle, ernfthaft 
gemeint jei, ſehr Schmeichelhaft wäre. Bei dem Tode ihres 
emahls, des Marquis von D..., hätte fich feine Tochter 
aber entjchloffen, Teine zmeite Vermählun einzuge en. Da 
ihr jedoch fürzlich von ihm eine fo große Berbindlichkeit auf- 
erlegt worden jet, jo wäre es nicht unmöglich, daß ihr Ent- 
Ihluß dadurch feinen Wünſchen gemäß eine Abänderung 
erleide; er bitte fich inzmwilchen die Erlaubnig für fie aus, 
darüber im Stillen mwährehd einiger Zeit nachdenken zu 
dürfen. Der Graf verficherte, daß diefe gütige Erflärung 
zwar alle feine Hoffnungen befriedige; daß % ihn unter 
anderen Umftänden auch völlig beglüden würde; daß er die 
ganze Unfchidlichteit fühle, fih mit derfelben nicht gu be- 
ruhigen, daß dringende Berhältniffe jedoch, über welche er 
fih näher auszulaffen nicht im Stande je ihm eine beftimm- 
tere Erklärung äußert wünſchenswerth machten; daß die 
Pferde, die ihn nad) Neapel tragen follten, vor feinem Wagen 
ftünden, und daß er inftändigft bitte, wenn irgend etwas in 
dieſem Haufe günftig für ihn fpreche — wobei er die Mar- 
quiſe anſah — ihn nicht ohne eine gütige eu ßerun darüber 
. abreifen zu laſſen. Der Obrift, durd diefe Aufführung ein 
wenig betreten, antwortete, daß die Dankbarkeit, die die 
Marquife für ihn empfände, ihn zwar zu großen Voraus⸗ 





329 


fegungen berechtige, doch nicht zu fo großen; fie werde bei 
einem Schritte, bei welchem es das Glüd ihres Lebens gelte, 
nicht ohne die gehörige Klugheit verfahren. Es wäre uner- 
läßlich, daß feiner Tochter, bevor fie fich erfläre, das Glüd 
feiner näheren Bekanntſchaft würde. Er lade ihn ein, nad 
Vollendung feiner Geſchäftsreiſe nah M... zurüdzutehren, 
und auf einige Beit der Gaft feines Haufes zu fein. Wenn 
alsdann die Frau Marquife hoffen könne, durch ihn glüdlich 
zu werden, fo werde auch er, eher aber nicht, mit Freuden 
vernehmen, daß fie ihm eine beftimmte Antwort gegeben habe. 
Der Graf äußerte, indem ihm eine Röthe ins Geficht ſtieg, 
daß er feinen ungeduldigen Wünfchen während feiner ganzen 
Reife dieß Shidal porausgejagt habe; daß er fi inzwifeen 
dadurch in die äußerfte Bekümmerniß geftürzt jehe; daß ihm 
bei der ungiünftigen Rolle, die er eben jebt zu jpielen ge- 
wungen fer, eine nähere Bekanntſchaft nicht anders als vor- 
theilhaft jein tönne; daR er für feinen Huf, wenn anders 
diefe zweidentigfte aller Eigenfchaften in Erwägung gezogen 
werden folle, einftehen zu dürfen glaube; daß die einzige 
nihtswürdige Handlung, die er in feinem eben begangen 
hätte, der Welt unbefannt, und er ſchon im Begriff vi. fie 
wieder gut zu machen; daß er mit Einem Wort ein ehrlicher 
Mann bei, und die Berficherung anzunehmen bitte, daß dieje 
Berficherung wahrhaftig fei. — Der Commandant erwiederte, 
indem er ein wenig, obfchon ohne Ironie, lächelte, daß er 
alle diefe Aeußerungen unterfchreibe. Noch hätte er feines 
jungen Mannes Belanntfchaft gemacht, der in fo furzer Zeit 
jo viele vortreffliche Eigenfcjaften des Charakters entwidelt 
ätte.e Er glaube faft, dag eine kurze Bedenkzeit die Un- 
chlüffigkfeit, die noch obmwalte, heben würde; bevor er jedoch 
ückſprache genommen hätte, mit feiner oh als des 
Herrn Grafen Familie, könne feine andere Erklärung, als 
die gegebene erfolgen. Hierauf äußerte der Graf, daß er 
ohne Eltern und frei fei. Sein Ontel fei der General K..., 
für deſſen Einwilligung er ftehe. Ex feste hinzu, daß er 
Herr eines anfehnlidhen Vermögens wäre, und fi würde 
entfchließen können, Italien zu feinem Vaterlande zu machen. 
— Der Sommandant machte ihm eine verbindliche Verbeu- 
gung, erflärte feinen Willen noch Einmal und bat ihn, bis 
nach vollendeter Reife von diefer Sache abzubredhen. Der 
Graf, nad) einer kurzen Paufe, in welcher er alle Merkmale 
der größten Unruhe gegeben hatte, fagte, indem er fich zur 
Mutter wandte, daß er fein Aeußerſies gethan hätte, um 
diefer Gefchäftsreife auszuweichen; daß die Schritte, die er 
deshalb beim General en Chef und dem General K..., 
- feinem Onkel, gewagt hätte, die entfcheibendften gemejen 


30 - 


wären, die fich hätten thun laflen; daß man aber geglaubt 
hätte, ihn dadurch aus einer Schwermuth aufzurütteln, die 
ihm von feiner Krankheit noch zurüdgeblieben wäre; und daß 
er ſich jetzt völlig dadurch ins Elend geftürzt fehe. — Die 
damilie mußte nicht, mas fie zu Dieter Aeußerung jagen 
follte. Der Graf de fort, indem er fi die Stirn rieb, 
daß, wenn irgend Hoffnung wäre, dem Ziele feiner Wünſche 
dadurch näher zu kommen, er feine Reife auf einen Tag, 
auch wohl nody etwas darüber ausjegen würde, um es zu 
verfuchen. — Hierbei jah er nad der Reihe den Eomman- 
danten, die Marquiſe und die Mutter an. Der Comman- 
dant blidte mißvergnügt vor fich nieder, und antwortete ihm 
nicht. Die Dbrijtin jagte: „Gehn Sie, gehn Sie, Herr Graf, 
reifen Sie nad) Neapel, ſchenken Sie uns, wenn Sie wieder- 
fehren, auf einige Zeit das Glüd Ihrer Gegenwart, fo wird 
fi das Uebrige Era “— Der Graf ſaß einen Augenblick, 
und ſchien zu en, was er zu thun habe. ‚Drauf, indem 
er fih erhob, und feinen Stuhl wegfegte: da er die Hoff- 
nungen, fprad er, mit denen er in dieß Haus getreten fet, 
al8 übereilt erfennen müſſe, und die Familie, wie er nicht 
mißbillige, auf eine nähere Belanntjchaft beftehe, fo werde 
er feine Depeſchen zu einer andermeitigen Expedition nad 

... in das Hauptquartier zurüdichiden, "und das gütige 
Inerbieten, der Saft dieſes Haufes zu fein, auf einige Wochen 
annehmen. Worauf er nod, den Stuhl in der Hand, an 
der Wand ftehend, einen Augenblid verharrte, und den Com⸗ 
mandanten anjah. Der Kommandant Bra — daß es ibm 
äußerft leid thun würde, wenn die Leidenichaft, die er zu 
feiner Tochter gefaßt u haben jcheine, ihm Unannehmlichkeiten 
bon der ernitbafteften rt ji öge; daß er indeflen wiſſen müffe, 
was er zu thun und zu fen babe, die Depeichen abjchiden, 
und die für ihn beftimmten Zimmer beziehen möchte. Man 
ſah ihn bei diefen Worten fich entfärben, der Mutter ehrer- 
bietig die Hand Füffen, fich gegen die Uebrigen verneigen und 
fich entfernen. 

Als er das Zimmer verlaffen hatte, wußte. die Familie 
nicht, was fie aus diefer Erfheinung machen folle. Die Mutter 
fagte, e8 wäre wohl nicht möglich ‚ daß er :Depefchen, mit 
denen er nad) Neapel gienge, nah 3... zurückſchicken wolle, 
bloß weil es ihm nicht gelungen wäre, au feiner Durchreiſe 
durch M... in einer fünf Minuten langen Unterredung von 
einer ihm ganz unbelannten Dame ein Jawort zu erhalten. 
Der Forftmeifter äußerte, daß eine fo leichtjinnige That ja mit 
nichts Öeringerem als Feſtungsarreſt beftraft werden würde. 
— „Und Eaffation obenein“, jeßte der Commandant hinzu. Es 
habe aber damit feine Gefahr, fuhr er fort, Es fei ein bloßer 


331 


Schreckſchuß beim Sturm; er werde fi wohl noch, ehe er 
die Depeſchen abgeſchickt, wieder befinnen. Die Mutter, als 
ie von diefer Gefahr unterrichtet ward, äußerte die lebhaftefte 
eforgniß, daß er fie abjchiden werde. Sein heftiger, auf 
einen Bunft bintreibender Wille, meinte fie, ſcheine ihr gerade 
einer ſolchen That fähig. Sie bat den Forftmeifter auf das 
Dringendfte, ihm ſogleich nachzugehen und ihn von einer. fo 
unglüdvrohenden Handlung abzuhalten. Der Forſtmeiſter er- 
wiederte, daß ein folcher Schritt gerade das Gegentheil be- 
wirken, und ıhn nur in der Hoffnung, durch jeine Kriegsli 
zu fiegen, beftärken würde. Die Marquije war derjelben Mei— 
pung obſchon ſie verſicherte, daß ohne ihn die Abſendung 
der Depeſchen unfehlbar erfolgen würde, indem er lieber werde 
unglücklich werden, als a eine Blöße geben wollen. Alle 
famen darin übereın, daß fein Betragen ſehr fonderbar jei, 
und daß er Damenberzen durch Anlauf wie Feſtungen zu er- 
obern gewohnt fcheine. In bielem Augenblid bemerkte der 
Commandant den angefpannten Wagen des Grafen vor feiner 
Thür. Er rief die Familie ans Seufter. und fragte einen 
eben eintretenden Bedienten, erftaunt, ob der Graf noch im 
aufe fei? Der Bediente antwortete, daß er unten in der 
omeftifenftube in Gefellfehaft eines Adjutanten Briefe fchreibe 
und Pakete verfiegle. Der Commandant, der feine Beflürzung 
unterdrädte, eilte mit dem Forſtmeiſter hinunter, und fragte 
ben Grafen, da er ihn auf dazu nicht ſchicklichen Tischen feine 
Gefchäfte betreiben ſah, ob er nicht in feine Zimmer treten 
wolle? und ob er jonft irgend Etwas befehle? Der Graf er- 
wiederte, indem er mit Siljertigteit fortfehrieb, daß er unter- 
thänigft danfe, und daß fein Geſchäft abgemacht ſei; fragte 
no, indem er den Brief zufiegelte, nad) der Uhr; und’ 
inte dem Adiutanten, nachdem er ihm das ganze Borte- 
feuille übergeben hatte, eine glüdliche Reife. Der Comman—⸗ 
dant, der jeinen Augen nicht traute, fagte, indem der Adju- 
tant zum Haufe hinausgieng: „Herr Örat, wenn Gie nicht fehr 
wichtige Gründe haben“ — „Entjcheidende!“ fiel ihm der Graf 
ins Wort; begleitete den Adjutanten zum Wagen, und öffnete 
ihm die Thür, „In diefem Fall würde ich wenigſtens“, fuhr 
der Commandant fort, „die Depeſchen“ — „E3 ift nicht möglich“, 
antwortete der Graf, indem er den Adjutanten in den Si 
ob. „Die Depefchen gelten Nicht3 in Neapel ohne mid. % 
abe aud) daran gedadt. Fahr zu!” — „Und die Briefe Ihres 
errn Onfel3?“ rief der Adjutant, fih aus der Thür hervor- 
beugend. „Treffen mich“, erwiederte der Graf, „in M....“ 
„Fahr zu“, 1 te der Adjutant, und rollte mit dem Wagen dahin. 
Hierau —* der Graf F..., indem er ſig zum Gom- 


mandanten wandte, ob er ihm gefälligft fein Zimmer an- 


832 


weiſen lafjen wolle? Er würde gleich felbft die Ehre haben, 
antwortete der verwirrte Dbrift; rief feinen und des Grafen 
Leuten, das Gepäd deſſelben aufzunehmen, und führte ihn 
in die für fremden Beſuch beftimmten Gemächer des Haufes, 
wo er fi ihm mit einem trodnen Geficht empfahl. er 
Graf kleidete fih um, verließ das Haus, um ſich bei dem 
Gouverneur des Plages zu melden, und für den ganzen wei— 
teren Reſt des Tages im Haufe unfihtbar, kehrte er erft kurz 
vor der Abendtafel dahin zurück. 

Inzwiſchen war die Familie in der Tebhaftejten Unruhe. 
Der Zorftmeifter erzählte, wie beftimmt auf einige Bor- 
ftellungen des Kommandanten des Grafen Antworten aus- 
gefallen wären; meinte, daß fein Verhalten einem Ey: über- 
legten Schritt ähnlich fehe, und fragte in aller Welt nad 
den Urjachen einer fo auf Courierpferden gehenden Bewerbung. 
Der Commandant fagte, daß er von der Sache Nicht ver- 
ae und forderte die Familie auf, davon weiter nicht in 
einer Gegenwart zu fprehen. Die Mutter ſah alle Augen: 
blide aus dem Fenſter, ob er nicht kommen, feine leichtfinnige 
That bereuen und wieder gut machen werde. Endlich, da es 
finfter ward, feste fie fi zur Marquife nieder, welche mit 
vieler Emfigfeit an einem Tiſch arbeitete, und das Geſpräch 
jr vermeiden ſchien. Gie fragte fie halblaut, während der 

ater auf und niedergieng, ob fie begreife, maß aus dieſer 
Sache werden jole? Die Marquife antwortete mit einem 
Ihüchternen, nad) dem Commandanten gemandten Blid: „Wenn 
der Vater bewirkt hätte, daß er nad) Neapel gereift wäre, fo 
wäre Alles gut.“ „Nach Neapel!“ rief der Commandant, der 
‚dieß gehört hatte. „Sollt’ ich den Priefter holen laſſen? Ober 
hätt’ ıch ihn ſchließen laffen und arretieren, und mit Bewachung 
nach Neapel jchiden ſollen?“ „Nein“, antwortete die Marquiſe, 
„aber lebhafte und eindringliche VBorftelungen thun ihre Wir- 
fung;“ und fah ein wenig unmillig wieder auf ihre Arbeit 
nieder. — Endlich gegen die Nacht erjchien der Graf. Man 
erwartete nur nach den erflen HöflichfeitSbezengungen, daß 
diefer Gegenftand zur Sprache fommen würde, um ihn mit 
vereinter Kraft zu bejtürmen, den Schritt, dem er gewagt 
gaite, wenn e8 noch möglich fei, wieder zurüdzumehmen. 

och vergebens während der ganzen Abendtal erharrte man 
diefen Augenblid. Gefliffentlid Alles, was daranf führen 
fonnte, vermeidend, unterhielt er den Commandanten vom 
Kriege und den Forftmeifter von der Sagb. Als er des Ge⸗ 
feht3 bei B..., in welchem er verwundet worden war, er- 
wähnte, vermwidelte ihn die Mutter bei der Gefchichte feiner 
Krankheit, fragte ihn, wie es ihm an diefem Meinen Orte 
ergangen fei, und ob er die gehörigen Bequemlichkeiten ge- 





833 


funden hätte. Hierauf erzählte er mehrere durch feine Leiden⸗ 
Ihaft zur Marquife intereflanten Züge: wie fie beftändig wäh- 
rend feiner Krankheit an feinem Bette gefellen hätte; wie er 
die Vorftellung von ihr in der Hite des Wundfteber8 immer 
mit der Borftellung eines Schwans verwechſelt hätte, den er 
ald Knabe auf feines Onkels Gütern gefehen; daß ihm be- 
ſonders eine Erinnerung rührend gemefen wäre, da er diefen 
Schwan einft mit Koth bemarfen, worauf Ddiefer ftill unter- 
getaucht, und rein aus der Flut wieder emporgefommen fei; 
daß fie immer auf feurigen Fluten umhergeſchwommen wäre, 
und er Thinka gerufen hätte, welches der Kame jenes Schwans 
eweſen, daß er aber nicht im Stande gewefen wäre, fie an 
Ei zu loden, indem fie ihre Freude gehabt hätte bloß am 
Rudern und in die Bruſt ſich werfen; verjicherte plötzlich, 
blutroth im Geſicht, daß er fie außerordentlich liebe; fah 
wieder auf feinen Zeller nieder und ſchwieg. Man mußte 
endlich von der Tafel aufftehen; und da der Graf nad) einem 
kurzen Gefpräcd mit der Mutter ſich fogleich gegen die Gefell- 
fchaft verneigte, und mieder in fein Aimmer zurüdzog, jo 
ftanden die Mitglieder derjelben wieder und mußten nicht, was 
fie denfen follten. Der Commandant meinte: man müſſe der 
Sache ihren Lauf laffen. Er rechne wahrjcheinlich auf feine 
Verwandten bei diefem Schritte. Infame Caſſation ſtünde 
fonft darauf. Frau von ©... fragte ihre Tochter, was fie 
denn von ihm halte? und ob fie 4 wohl zu irgend einer 
Aeußerung, die ein Unglüd vermiede, würde verftehen fünnen ? 
Die Marquife antwortete: „Liebfte Mutter! das ift nicht möglich. 
Es thut mir leid, bei weine Dankbarkeit auf eine fo harte 
Probe geftelt wird. Doc es war mein Entſchluß, mid nicht 
wieder zu vermählen; ich mag mein Glüd nit, und nicht 
fo unüberlegt, auf ein zweites Spiel fegen.“ Der Forftmeifter 
bemerkte, daß, wenn dieß ihr feiter Wille wäre, auch dieſe 
Erklärung ihm Nugen ſchaffen könne, und daß es fat noth- 
wendig jcheine, ihm irgend eine beflimmte zu geben. Die 
Obriftin verjeßte, daß, da diefer junge Dann, den I viele 
anßerordentlihe Eigenjchaften empföühlen, feinen Aufenthalt 
in Italien nehmen zu wollen erklärt habe, jein Antrag nad) 
ihrer Meinung einige Rüdfiht, und der Entſchluß der Mar⸗ 
quife Prüfung verdiene. Der Zorftmeifter, indem er fi) bei 
ihr niederließ, fragte, wie er ihr denn, was feine Perfon 
anbetreffe, gelale: Die Marquife antwortete mit einiger Ber- 
legenhett: „Er gefällt und mißfällt mir;“ und berief fi) auf das 
Gefühl der Anderen. Die T briftin fagte: „Wenn er von Neapel 
urüdfehrt, und die Erfundigungen, die wir inzwijchen über 
Ihn einziehen könnten, dem Gejammteindrud, den du von ihm 
empfangen haft, nicht widerjprächen: wie würdeft du dich, 


334 


falls er alsdann feinen Antrag wiederholte, erflären ?“ „In 
diefem Fall“, verjette die Marquife, „würde ich — da in der 
That feine ee ge lebhaft fcheinen — dieſe Wünſche“ — 
ſie ftodte, und ihre Augen glänzten, indem fie die jagte — 
„um der Verbindlichkeit willen, die ich ihm fchuldig bin, er- 
füllen.“ Die Mutter, die eine zweite Bermählung ihrer Tochter 
immer gewünfcht hatte, hatte Mühe, ihre Freude über dieſe 
Erflärung zu verbergen, und fann, was ſich wohl daraus 
machen lafje. Der Forftmeifter jagte, indem er unruhig vom 
Sig wieder aufitand, daß, wenn die Marquiſe irgend an die 
Möglichkeit dente, ihn einft mit ihrer Hand zu erfreuen, jeßt 
leid) nothmwendig ein Schritt dazu gefhehen müfle, um den 
Fol en feiner rajenden That vorzubeugen. Die Mutter war 
dertelben Meinung und behauptete, dab zulegt das Wagftüd 
nicht allzugroß wäre, indem bei fo vielen vortrefflichen Eigen- 
Ichaften, die er in jener Nacht, da das Fort von den Rufen 
eritürmt ward, entmwidelte, faum zu fürchten fei, daß fein 
übriger Lebenswandel ihnen nicht entfprechen ſollte. Die 
Marquiſe ſah mit dem Ausdrud der Tebhafteiten Unrube vor 
ch nieder. „Dan könnte ihm ja“, fuhr die Mutter fort, indem 
I“ ihre Hand ergriff, „etwa eine Erklärung, daß du bis zu 
einer Ruͤckkehr von Neapel in keine andere Berbindung ein- 
gehen wolleft, zukommen lafjen.“ Die Marquife fagte: „Diefe 
Erklärung, liebfte Mutter, kann ich ihm geben; ic) fürchte 
nur, daß fie ihn nicht beruhigen, und uns verwideln wird.“ 
„Das fer meine Sorge!” ermwiederte die Mutter mit Tebhafter 
Freude; und fah fich nach dem Eommandanten um. „Lorenzo!“ 
fragte ſie, „mas meinft du?” und machte Anftalten, fich vom 
Sig zu erheben. Der Commandant, der Alles gehört hatte, 
ftand am Fenſter, ſah auf die Straße hinaus und te Nichts. 
Der Forftmeifter verficherte, daß er mit diefer unichadli en 
Erklärung den Grafen aus dem Haufe zu jchaffen fih an- 
heiſchig made. „Nun fo macht! macht! macht!“ rief der Vater, 
indem er fih umfehrte: „ich muß mich diefem Ruſſen ſchon 
zum zweiten Mal ergeben!” — Hierauf |prang die Mutter auf, 
üßte ihn und die Tochter, und fragte, indem der Bater über 
ihre Geſchäftigkeit lächelte, wie man dem Orafen jet dieſe 
ärumg augenblidlih hinterbringen folle? Man beichloß 
auf den Vorſchlag des Forjtmeifterg, ihm bitten zu laſſen, ſich, 
falls er noch nicht entfleidet fei, geit igft auf einen Augen- 
bli® zur Familie zu verfügen. werde glei die Ehre 
haben zu erjcheinen, ließ der Graf antworten, und kaum mar 
der Kammerdiener mit diefer Meldung zurüd, als er ſchon 
ſelbſt mit Schritten, die die Freude beflügelte, ins Zimmer 
trat, und zu den Füßen der Maranife in der ae legen: 
Rührung niederfant. Der Commandant wollte etwas jagen; 


335 


doch er, indem er aufftand, verfeßte, er wiſſe genug! küßte 
ihm und der Mutter die Hand, umarmte den Bruder, und 
bat nur um die Gefälligleit, ihm jogleih zu einem Reiſe— 
wagen zu ee Die Marquiſe, obſchon von diefen Auf- 
tritt bewegt, jagte doch: „Ich fürchte nicht, Herr Graf, daß 
Ihre 5 — offnung Sie zu weit” — „Nichts! Nichts!“ ver- 
ſetzte det Graf; „es iſt Nichts geſchehen, wenn die Erkundigungen, 
die Sie über mich einziehen mögen, dem Gefühl widerſprechen. 
das mich zu Ihnen in dieß Zimmer zurückberief.“ Hierauf 
umarmte der Commandant ihn auf das Herzlichſte, der Forſt⸗ 
meifter bot ihm fogleich feinen eigenen beim an, ein 
Jäger flog auf die Poft, Eourierpferde auf Prämien zu be- 
ftellen, und Freude mar bei diefer Abreife, wie noch niemals . 
bei einem Empfang. Er hoffe, fagte der Graf, die Depefchen 
in DB... einzuholen, von wo er jeßt einen näheren Weg nach 
Neapel, ald über M... en würde; in Neapel würde 
er fein Möglichftes thun, die fernere Gejchäftsreife nach Eon- 
ftantinopel abzulehnen, und da er auf den äußerften Fall ent- 
fchloffen wäre, fich krank an geben, fo verficherte er, daß, 
wenn nicht unvermeibliche Sin erniffe ihn abhielten, er ın 
Zeit „von vier bis ſechs Wochen unfehlbar wieder in M... 
jein würde. Hierauf meldete fein Jäger, daß der Wagen 
angefpannt, und Alles zur Abreife bereit jei. Der Graf nahm 
feinen Hut, trat vor die Marguife und ergriff ihre Hand. 
„Nun denn“, ſprach er, „Julietta, fo bin ich einigermaßen be- 
rubigt“, und legte feine Hand in die ihrige, „obſchon es mein 
[ehmltcfter Wunſch war, mich) noch vor meiner Abreife mit 
hnen zu vermählen.“ „Vermählen!“ riefen alle Mitglieder der 
Samilie aus. „Bermählen“, wiederholte der Graf, füßte der 
arquije die Hand, und verfiherte, da dieje fragte, ob er 
von Sinnen fer, e8 würde ein Tag kommen, wo fie ihn ver- 
ftehen würde! Die Familie mollte auf ihn böfe werden; doc 
er nahm gleich auf das Wärmfte von Allen Abſchied, bat fie, 
über diefe Heußerung nicht weiter nachzudenken, und reifte ab. 
Mehrere Wochen, in melden die Familie mit fehr ver- 
fchiedenen Empfindungen auf den Ausgang diefer fonderbaren 
Sache gefpannt war, berftrichen. Der Sommandant empfieng 
vom General R..., dem Onkel des Grafen, eine böfliche 
Zuſchrift; der Graf felbit fchrieb aus Neapel; die Erkun- 
digungen, die man fiber ihn einzog, ſprachen ziemlich zu feinem 
Bortheil; kurz, man hielt die Verlobung ſchon für fo gut wie 
abgemacht, als fich die Sränklichleiten der Marquiſe mit 
größerer Lebhaftigkeit als jemals wieder einftellten. Sie be- 
merkte eine unbegreifliche Veränderung er Geftalt. Sie 
entdedte fich mit völliger Freimüthigkeit ihrer Mutter, und 
fagte, fie wiſſe nicht, was ſie von ihrem Zuſtand denken jolle. 


330 


Die Mutter, welche fo fonderbare Zufälle für die en 
ihrer Tochter äußerft beforgt machten, verlangte, daß fie einen 
Arzt zu Rathe ziehe Die Marquiſe, die durch ihre Natur 
u ftegen hoffte, ſträubte fich Dagegen; fie brachte mebrere 
age noch, ohne dem Rath der Muiter zu folgen, unter den 
empfindlichiten Leiden zu, bis Gefühle, immer wiederfehrend 
und von jo wunderbarer Art, fie in die lebhaftefte Unrube 
(irgten. Sie ließ einen Arzt rufen, der das Vertrauen Ir 
aters befaß, nöthigte ihn, da gerade die Mutter abweſend 
mar, auf den Divan nieder, und eröffnete ihm nach einer 
kurzen Einleitung feherzend, was fie von fich glaube. Der 
Arzt warf einen forjchenden Blid auf fie; ſchwieg noch, nach⸗ 
dem er eine genaue Unterfuchung vollendet hatte, eine Zeit- 
lang, und antwortete dann mit einer ſehr ernfthaften Miene, 
daß die Frau Marguife ganz richtig urtheile. Nachdem er 
fih auf die Trage der Dame, wie er dieß verftehe, ganz 
deutlich erklärt, und mit einem Lächeln, das er nicht unter- 
drüden fonnte, gejagt hatte, daß fie ganz gefund jet und 
feinen Arzt brauhe, zog die Marquife, und ſah ihn fehr 
ftreng von der Geite an, die Klingel, und bat ihn, ſich zu 
entfernen. Sie äußerte balblaut, als ob er der Rede richt 
werth wäre, vor fi) nieder murmelnd: daß fie nicht Luft 
dätte, mit ihm über ©egenftände dieſer Art zu fcherzen. 
er Doctor erwiederte empfindlich: er müſſe wünſchen, daß 
fie inımer zum Scherz jo wenig aufgelegt gewejen wäre wie 
jest, nahm Stod und Hut und machte Anftalten, fich fogleich 
5 empfehlen. Die Marquiſe verficherte, daß fie von diefen 
eleidigungen ihren Bater unterrichten würde. Der Arzt 
antwortete, daß er feine Ausfage vor Gericht bejchwören 
fönne, öffnete die Thür, verneigte fih und wollte das Zimmer 
verlaffen. Die Marquije fragte, da er noch einen Handſchuh, 
den er hatte fallen laffen, von der Erde aufnahm: „Und die 
Möglichkeit davon, Herr Doctor?“ Der Doctor ermwiederte, 
daß er ihr die letzten Gründe der Dinge nicht werde zu er- 
flären branden; verneigte fich ihr noch Einmal und gieng ab. 
Die Marquife fand wie vom Donner gerührt. Gie 
raffte fih auf und wollte zu ihrem Vater eilen, doch der 
fonderbare Ernft des Mannes, von dem fie fich beleidigt fah, 
lähmte alle ihre Glieder. Ste warf fi in der größten Be- 
wegung auf den Divan nieder. Gie el egen jich felbft 
mißtranifch. alle Momente des verflofjenen abres, und hielt 
IE für verrüdt, wenn fie an den legten dachte. Endlich er- 
hien die Mutter, und auf die beftürzte Frage, warum fie 
IR unrubig fei? erzählte ihr die Tochter, was ihr der Arzt 
o eben eröffnet hatte. Frau von ®... nannte ihn eimen 
Unverfhämten und Nichtswürdigen, und beftärkte Die Tochter 














337. 


in dem Entfchluß, diefe Beleidigung dem Vater zu entbeden. 
Die fe verficherte, daß es fein völliger Ernft gewejen 
jei, und daß er entfchloffen fcheine, dem Vater ins Geficht 
jeine rajende Behauptung zu Br ſoln rau von ®... 
fragte, H menig erfchroden, ob fie denn an die Möglich— 
keit eines ſolchen Zuftandes glaube? „Eher“, antwortete die 
Marguife, „daß die Gräber befruchtet werden, und fich dem 
Schooße der Leichen eine Geburt entwideln wird!“ „Nun du 
liebes wunderliches Weib“, fagte die Obriftin, indem fie fie 
feſt an Ko drüdte, „was beunruhigt dich denn? Wenn bein 
Bewußtſein dich rein fpricht, wie Tann dig ein Urtheil, und 
wäre es das einer ganzen Conſulta von Aerzten, nur küm— 
mern? ob das ſeinige aus Irrthum, ob es aus Bosheit 
entſprang, gilt es dir nicht völlig gleichviel? Doch ſchiclich 
iſt es, daß wir es dem Vater entdecken.“ — „D Gott!“ fagte 
die Marquiſe mit einer convulſiviſchen Bewegung, „wie kann 
ich mich beruhigen! Hab’ ich nicht mein eigenes, innerliches 
mir nur allzumohlbefanntes Gefühl gegen mih? Würd’ i 
nicht, wenn ich ın einer Andern meine Empfindung wüßte, 
von ihr felbft urtheilen, daß es damit feine Richtigkeit babe?“ 
„Es fi entiehlich “, verſetzte die Obriftin. „Bosheit! Irrthum!“ 
fuhr die Marguije fort. „Was kann diefer Dann, der ung 
bi8 auf den heutigen Tag ſchätzenswürdig erſchien, für Gründe 
haben, mid auf eine fo muthwillige und niederträchtige Art 
-zu fränfen? mi, die ihn nie beleidigt hatte? Die ibm mit 
ertrauen und dem Vorge fuhl zukünftiger Dankbarkeit empfieng, 
bei der er, wie ſeine erſten Worte zeugten, mit dem reinen 
und unverfälſchten Willen erſchien, zu helfen, nicht Schmerzen, 
grimmigere als ich empfand, erſt zu erregen? Und wenn ich 
in der Nothwendigkeit der Wahl“, fuhr ſie fort, während die 
Mutter ſie unverwandt anſah, „au einen Irrthum glauben 
wollte, iſt es wohl möglich, daß ein Arzt, auch nur von 
mittelmäßiger Geſchicklichkeit, in joichem Falle irre?" — Die 
Obriftin fagte ein wenig ſpitz: „Und gleichwohl muß es doch 
nothwendig Eins oder das Andere geweſen fein.“ „Ja!“ ver- 
jeßte die Marquiſe, „meine teuerte Mutter”, indem fie ihr 
mit dem Ausdrud ber gekränkten Würde, hochroth im Geſicht 
lühend, die Hand Füßte, „das muß es! objchon die Umflände 
fo außerordentlih find, daß es mir erlaubt ift, daran zu 
werfeln. Ich ſchwöre, weil es doch einer „eefihernn bedarf, 
dag mein Bewußtſein glei) dem meiner Kinder ilt; Ar 
reiner, Verehrungsmwirdigfte, Tann das Jhrige fein. Gleich⸗ 
wohl bitte id Sie, mir eine Hebamme rufen zu laffen, damit 
ich mic) von dem, was ift, überzeuge, und gleichviel alsdann was 
e8 fei, beruhige.“ „Eine Hebamme!” rief Frau von G... mit 
Entwürdigung „Ein reines Bemußtfein und eine Hebamme!” 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. U. 22 


338 


Und die Eprache gieng ihr aus. „Eine Hebamme, meine theuerfte 
Mutter“, wiederholte die Marquife, indem fie fih auf Knieen 
vor in niederließg — „und das augenblidlih, wenn ich nicht 
wahnjinnig werden jo.“ „O jehr gern“, verſetzte die Obriftin; 
„nur bitte ich, das Wochenlager nicht ın meinem Haufe zu halten.“ 
Und damit ftand fie auf und mollte das Zimmer verlaffen. 
Die Marquije, ihr mit ausgebreiteten Armen folgend, fiel 
ganz auf das Geſicht nieder und umfaßte ihre Knie. „Wenn 
irgend ein unfträfliches Leben“, rief fie mit der Beredſamkeit 
des Schmerzes, „ein Leben nad Ihrem Mufter geführt, mir 
ein Recht auf Ihre Achtung giebt, wenn irgend ein mütter- 
liches Gefühl au nur, fo lange meine Schuld nicht fonnen- 
ar entfchieden tft, in Ihrem Buſen für mich fpricht, fo ver- 
laffen Sie mich in diefen entjeglichen Augenbliden nicht.“ — 
„Was ift es, das di beunrubigt?“ fragte die Mutter. „It eg 
weiter Nicht8 als der Ausſpruch des Arztes? weiter Nichts 
al3 dein innerliches Gefühl?" „Nichts weiter, meine Mutter“, 
verfeste die Marquife, und legte ihre Hand auf die Bruft. 
„Nichts, Julietta?“ fuhr die Mutter fort. „Befinne eh Ein 
Fehltritt, fo unfäglih er mich fchmerzen würde, er ließe ſich, 
und ich müßte ihn zuleßt verzeihen; doch wenn du, um einem 
mütterlihen Verweiß auszumeichen, ein Märchen von der Um- 
wälzung der Weltordnung erfinnen und gottesläfterlihe Schwüre 
äufen fönnteft, um es meinem dir nur allzugerngläubigen 
erzen aufzubürden, fo wäre das ſchändlich; ich wiirde Dir 
niemals wieder gut werden.“ — „Möge das Reich der Erlöfun 
einft fo offen vor mir liegen, mie meine Seele vor Ihnen“, riet 
die erauife „Ich —— Ihnen Nichts, meine Mutter.“ 
— Dieje Aeußerung, voll Pathos gethan, erſchütterte die Mutter. 
„O Himmel!“ rief fie: „mein liebenswürdiges Kind! wie rührſt 
du mich!“ Und hob fie auf, und Füßte fie, und drüdte fie an 
ihre Bruft. „Was denn in aller Welt fürdhteft du? Komm, 
du bift fehr krank.“ Sie wollte fie in ein Bett führen. Doc) 
die Marquife, welcher die Thränen häufig floffen, verficherte, 
daß fie fehr gefund wäre, und daß ihr gar Nichts fehle, außer 
jenen fonderbaren und unbegreiflichen Aufand — „Zuftand!” 
rief die Mutter wieder; „meld ein Zuftand? Wenn dein Ge- 
dächtniß über die Vergangenheit Pi icher ift, weld ein Wahn- 
finn der Furcht ergrit dich? Kann ein innerliches Gefühl 
denn, das doch nur dunkel fich regt, nicht trügen?“ „Nein! 
nein!“ fagte die Marquife, „es trügt mich nicht! und wenn Sie 
die Hebamme rufen laffen wollen, jo werden Sie hören, daß 
das ntjeeriche, mich VBernichtende wahr iſt. — „Komm, meine 
liebfte Tochter“, fagte Frau von &..., die für ihren Ber- 
ftand zu fürchten anfieng. „Komm, folge mir und lege di 
zu Bett. Was meinteft du, daß dir der Arzt gefagt hat 





839 


Wie dein Geficht glüht! wie du an allen Gliedern fo zitterft! 
Was war es jhon, das dir der Arzt gejagt hat?“ Und da- 
mit 309 fie die Marquife, ungläubig nunmehr an dem ganzen 
Auftritt, den fie ihr erzählt hatte, mit fi fort. — Die Mar- 
uile fagte: „Liebe! Vortrefflihet” indem ſie mit weinenden 

ugen lächelte. „Ich bin meiner Sinne mächtig. Der Arzt 
hat mir gejagt, daß ich in gefegneten Leibesumſtänden bin. 
affen Site die Hebamme rufen: und fobald fie jagt, daß es 
nicht wahr ift, bin ich wieder ruhig.“ „Gut, gut!“ erwiederte 
die Obriftin, die ihre Angft unterdrüdte. „Sie fol gleich 
fommen; fie foll gleih, wenn du dich von ihr willſt aus— 
lachen Laffen, erjcheinen und dir Tagen, daß du eine Träu- 
merin und nicht recht klug biſt.“ Und damit zog fie die Klingel 
und fchidte augenblidlich einen ihrer Zeute, der die Hebamme rufe. 

Die Marquife lag noch mit unruhig fid) hebender Bruft 
in den Armen ihrer Mutter, als dieje Frau erichien, und die 
Obriſtin ihr, an welcher feltfamen Borftellung ihre Tochter 
krank liege, eröffnete. Die Frau Marquife ſchwöre, daß fie 
ſich tugendhaft verhalten babe, und gleihmwohl halte fie, von 
einer unbegreiflihen Empfindung getäufcht, für nöthig, daß 
eine fachverftändige Frau ihren 2 and unterfuche. Die Heb- 
amme, während fie 0 von demfelben unterrichtete, ſprach 
von jungem Blut und der Arglift der Welt; äußerte, als fie 
ihr Geſchäft vollendet hatte, dergleichen Fälle wären ıhr ſchon 
porgefommen; die jungen Wittmen, die in ihre Tage kämen, 
meinten alle auf müßten Salem gelebt zu haben; berubigte 
inzwifchen die Frau Marquife, und verlicherte fie, J ich 
der muntere Corſar, der zur Nachtzeit gelandet, ſchon finden 
würde. Bei dieſen Worten fiel die Marquife in Ohnmacht. 
Die Obriftin, die ihr mütterliches Gefühl nicht überwältigen 
fonnte, brachte fie zwar mit Hülfe der Hebamme wieder ın8 
Leben zurüd. Doch die Entrü ung fiegte, da fie erwacht war. 
„sulietta!“ rief die Mutter mit dem lebhafteften Schmerz, „mwillft 
du dich mir entdeden, willft du den Bater mir nennen?” Und 
ſchien noch zur Verföhnung geneigt. Doc als die Marguife 
jagte, daß jie wahnfinnig werden würde, ſprach die Mutter, 
indem fie Ki vom Divan erhob: „Geh! geh! du bift nichts: 
würdig! Verflucht ſei die Stunde, da ich dich gebar!“ und ver- 
ließ das Zimmer. 

Die arauile, der das Tageslicht von Neuem ſchwinden 
wollte, 309 die GeburtShelferin vor fich nieder und legte ihr 
Haupt defig zitternd an ihre Bruſt. Sie fragte mit ge— 
brochener Stimme, „wie denn die Natur auf ihren Wegen 
walte? und ob die Möglichkeit einer unwiſſentlichen Empfäng- 
niß jet?" — Die Hebamme lächelte, machte ihr das Tuch 108 
und fagte, das würde ja doch der Fran Marquiſe Sal nicht 


340 


jein. „Rein, nein“, antwortete die Marquife, „fie habe wifjent- 
ich empfangen, fie wolle nur im Allgemeinen wiſſen, ob diefe 
Erſcheinung im Reiche der Natur fer?“ Die Hebamme ver- 
fegte, daß dieß außer der heiligen Jungfrau noch keinem 
Weibe auf Erden zugejtoßen wäre. Die Marquife zitterte 
immer beftiger. Sie glaubte, daß fie augenblidlich nieber- 
fommen würde, und bat die Geburtshelferin, indem fie fich 
mit krampfhafter Beängiligung an fie ſchloß, fte nicht zu ver- 
lafien. Die Hebanıme berubigte fie. Sie berficgerte, daß das 
Wochenbett noch beträchtlich entfernt wäre, gab ihr auch die 
Mittel an, wie man in ſolchen Fällen dem Leumund der Welt 
ausweichen könne, und meinte, es würde noch Alles gut wer⸗ 
den. Doch da dieſe Troſtgründe der unglücklichen Dame völlig 
wie Meſſerſtiche durch die Bruſt fuhren, fo ſammelte fie fich, 
I te, fie befände fich beſſer, und bat ihre Gefellfchafterin, 
ich zu entfernen. 

Kaum war die „gebamme aus dem Zimmer, als ihr ein 
Schreiben von der Mutter gebracht ward, in welchen diefe 
fih fo ausließ: Herr von ©.... wünſche unter den obwalten- 
den Umftänden, daß fie fein Haus verlafle, er fende ihr 
hierbei die über ihr Vermögen lautenden Bapiere, und hoffe, 
daß ihm Gott den Sammer erjparen werde, fie wieder zu 
eben. — Der Brief war inzwifchen von Thränen benebt; und 
ın einem Winkel ftand ein verwifchtes Wort: dictiert. — Der 
Marquife ftürzte der Schmerz aus den Augen. Sie gieng, 
heftig über den Irrthum ihrer Eltern mweinend, und über die 
Ungerechtigteit, zu welcher diefe vortrefflichen Menſchen ver- 
führt wurden, nad) den Gemächern ihrer Mutter. Es hieß, 
fie fei bei ihrem Vater; fie wankte nach den Gemächern ihres 
Baterd. Ste ſank, als fie die Thüre verfchloffen fand, mit 
jammernder Stimme, alle Heiligen zu Zeugen ihrer Unfchuld 
anrufend, vor derjelben nieder. Sie mochte wohl fchon einige 
Minuten bier gelegen haben, als der Forſtmeiſter daraus 
De und zu ihr mit flammendem N lagte: Sie 

öre, daß der Kommandant fie nicht fehen wolle. Die Marquiſe 
rief: „Mein liebſter Bruder!“ unter vielem Schluchzen; drängte 
ſich ins Zimmer, und rief: „Mein theuerfter Vater!” und ftredte 
die Arme nad) ihm aus. Der Kommandant wandte ihr bei 
ihrem Anblid den Rüden zu und eilte in fein cahlajgemac 

r rief, als fie ihn dahın verfolgte: „Hinweg!“ und wollte 
die Thüre zuwerfen; doch da fie unter jammern und leben, 
daß er ſie — 28 verhinderte, ſo gab er plötzlich nach und 
eilte, während die Marquiſe zu ihm hineintrat, nach der hiu- 
tern Wand. Sie warf N ihm, der ıhr den Rüden zugefehrt 
hatte, eben zu Füßen, und umfaßte zitternd feine Knice, als 
ein Piftol, das er ergriffen hatte, in dem Augenblid, da er 





341 


es von der Wand herabriß, losgieng, und der Schuß ſchmet⸗ 
ternd in die Dede fuhr. „Herr meines Lebens!” rief Die 
Marquiſe, erhob ſich Leichenblaß von ihren Knieen, und eilte 
aus feinen Gemächern wieder hinweg. „Man fol fogleich an- 
ſpannen“, fagte fie, indem fie in die ihrigen trat; fette fich 
matt bis in den Tod auf einen Sefjel nieder, 30g ihre Kin- 
der eilfertig an, und ließ die Sachen einpaden. Sie hatte 
eben ihr Kleinftes zwifchen den Knieen und ſchlug ihm noch 
ein Tuh um, um nunmehr, da Alles zur Abreife bereit war, 
in den Wagen zur fteigen, al8 der Forſtmeiſter eintrat und 
auf Befehl des Kommandanten die zurudlaſſun und Ueber— 
lieferung der Kinder von ihr forderte., * Kinder?“ 
fragte ſie; und ſtand auf. „Sag deinem unmenſchlichen Vater, 
daß er kommen und mich niederſchießen, nicht aber mir meine 
Kinder entreißen könne!“ Und hob, mit dem ganzen Stolz der 
Unſchuld gerüſtet, ihre Kinder auf, trug ſie, ohne daß der 
Bruder gewagt hätte, ſie anzuhalten, in den Wagen und fuhr ab. 

Dur vi — Anſtrengung mit ſich ſelbſt bekannt 
gemacht, hob ſie ſich plötzlich wie an ihrer eigenen Hand aus 
der ganzen ziehe, in welche das Scidjal fe erabgeftürzt 
hatte, empor. Der Aufruhr, der ihre Bruft zerriß, legte fi, 
als fie im Freien war, fie füßte häufig die Kinder, dieſe ıhre 
liebe Beute, und mit großer Selbftzufriedenheit gedachte fie, 
welch einen Sieg fie durch die Rrast ihres fchuldfreien Be⸗ 
"mwußtjeins über ihren Bruder davon getragen hatte. Ahr 
Beritand, ftark genug, in ihrer fonderbaren Lage nicht zu 
reißen, gab ſich ganz unter der großen, heiligen und unerflär- 
lichen Einrichtung der Welt gefangen. Sie jah die Unmög— 
lichkeit ein, ihre Familie von ihrer Unfchuld zu überzeugen, 
begriff, daß fie fich darüber tröften müfle, falls fie nicht un— 
tergehen wolle, und wenige Tage nur waren nad) ihrer An—⸗ 
funft in B... verflofjen, als der Schmerz ganz und gar dem 
heibenmittbigen Vorſatz en: machte, fih mit Stolz gegen 
die Anfälle der Welt zu rülten. Sie befhloß, ſich ganz in 
ihr ynerftes zurückzuziehen, ſich mit ausjchließendem Eifer 
der Erziehung ihrer beiden Kinder zu widmen, und des Ge- 
ſchenks, das ıhr Gott mit dem dritten gemacht hatte, mit 
voller mütterlicher Yiebe zu p gen. Sie machte Anftalten, 
in wenig Wochen, fobald fie ihre Niederkunft überjtanden haben 
würde, ihren ſchönen, aber durch die lange Abmefenheit ein 
wenig verfallenen Zandfig wieder berzuftellen; gab in der 
Gartenlaube, und dachte, während RA feine Mützen und 
Strümpfe für Fleine Beine ftridte, wie fie die Zimmer be- 
quem vertheilen würde; auch, weicgs fie mit Büchern füllen 
und in welchem die Staffelei am Schicklichſten ftehen würde. 
Und fo war der Zeitpunkt, da der Graf F... von Neapel 


842 


wiederkehren follte, noch nicht abgelaufen, als fie ſchon völlig 
mit dem Schidfal, in ewig Flöfterlicher Eingezogenheit zu leberz, 
vertraut war. Der Thürfteber erpielt Befehl, einen Menſchen 
im Haufe vorzulaffen. Nur der Gedanke war ihr uneriräglih, 
daß dem jungen Wejen, das fie in der größten Unfchuld und 
Reinheit Imprangen hatte, und deſſen Urjprung, eben weil er 
geheinmißvoller war, auch göttlicher zu fein fhien, als der 
andrer Menſchen, ein Schandfled in der bürgerlichen Gefell- 
Schaft ankleben follte. Ein fonderbares Mittel war ihr ein- 
efallen, den Bater zu entdeden: ein Mittel, bei dem fte, als 
ir es zuerft dachte, das Stridzeug ſelbſt vor Schreden aus 
der Hand fallen ließ. Durch ganze Nächte, in unrubiger 
Schlafloſigkeit durchwacht, ward es gebreht und gewendet, 
um fih an jeine ihr innerftes Gefühl verlegende Natur zu 
gewöhnen. nımer noch fträubte fie fih, mit dem Menſchen, 
er fie jo hintergangen hatte, in irgend ein Verhältnig zu 
treten: indem fie fehr richtig fehloß, daß derjelbe doch ohne 
ale Rettung zum Auswurf feiner Gattung’ gehören müfle, 
und auf welchem Pla der Welt man ihn auch denken wolle, 
nur aus dem zertretenften und unftätbigfien Schlamm der- 
felben hervorgegangen fein könne. Doch da das Gefühl ihrer 
Selbftändigfeit immer lebhafter in ihr ward, und fie be- 
dachte, dab der Stein feinen Werth behält, er mag auch ein- 
efaßt fein, wie man wolle, fo griff fie eines Morgens, da 
ir das junge Leben wieder in ihr regte, ein Herz, und ließ * 
Iene fonderbare Aufforderung in die Intelligenzblätter von 
... rüden, die mar am Eingang dieſer Srgäblung gelejen hat. 
Der Graf F..., den unvermeidliche ejmäte in Neapel 
aufbielten, hatte inzwifhen zum zweiten Mal an die Marquiſe 
gefchrieben und fie aufgefordert, e8 möchten fremde Umftände 
eintreten, welche da wollten, ihrer ihm gegebenen ftilljichweigen- 
den Erklärung getreu zu bleiben. Sobald e8 ihm geglüdt 
war, feine fernere Gejchäftsreife nad) Eonftantinopel bzulebnen, 
und es feine übrigen Berhältnifje geftatteten, gieng er augen- 
blidlih von Neapel ab und kam aud richtig nur wenige Tage 
nach der von ihm beſtimmten Frift in DM... an. Der Comman- 
dant empfieng ihn mit einem verlegenen Geficht, fagte, daß 
ein nothwendiges Geſchäft ihn aus dem Haufe nöthige, und 
forderte den Forftmieifter auf, ihn inzwifchen zu unterhalten. 
Der Zorftmeifter zog ihn auf fein Zimmer, und fragte ihn 
nach einer furzen Begrüßung, ob ex ſchon wiſſe, mas fid 
während feiner Abwefenheit ın dem Haufe des Commandan- 
ten zugetragen habe. Der Graf antwortete mit einer flüchtigen 
Safe „Nein.“ Hierauf unterrichtete ihn der Forftmeifter 
pon der Schande, die die Marquife über die Familie gebradt 
hatte, und gab ihm die Gefchicht3erzählung deſſen, was unjre 








843 


Lefer fo eben erfahren haben. Der Graf ſchlug ſich mit der 
Hand vor die Stirn. „Warum legte man mir fo viele Hinder- 
niffe in den Weg!“ rief er in der Bergeffenheit feiner. „Wenn 
die Bermählung erfolgt wäre: fo wäre alle Schmad, und jedes 
Unglüd uns erfpart!” Der Forftmeifter fragte, inden er ihn 
anglogte, ob er rajend genug wäre, zu münfchen, mit diefer 
Sihtömirdigen vermäblt zu fein? Der Graf ermiederte, daß 
fie mehr mwerth wäre als die ganze Welt, die fie verachtete; 
daß ihre Erflärung über ihre ra Dr pollftommen Glauben 
bei ihm fände; und daß er noch heute nah V... gehen, und 
feinen Antrag bei ihr wiederholen würde, Er ergriff auch 
ee feinen Hut, empfahl fih dem Forftmeifter, der ihn 
ür feiner Sinne völlig beraubt 7 und gieng ab. 

Er beſtieg ein —3— und ſprengte nah V... hinaus. 
Als er am m abgeftiegen war und in den Borplat treten 
wollte, fagte ihm der —— daß die Frau Marquiſe keinen 
Menſchen ſpräche. Der Graf fragte, ob dieſe für Fremde 
getroffene Maßregel aud einem Freunde des Haufes gälte; 
worauf jener antwortete, daß er von feiner Ausnahme etwas 
wiffe, und bald darauf auf eine zweideutige Art hinzuſetzte: 
„Ob er vielleicht der Graf F... wäre?“ Der Graf erwiederte 
nad) einem forſchenden Blick: „Nein;“ und äußerte, zu feinem 
Dedienten gewandt, doch jo, daß jener es hören konnte, er 
werde unter jochen Umftänden in einem Gafthofe abfteigen 
und fich bei der Frau Marquiſe ſchriftlich anmelden. Sobald 
er inzwijchen den Thürfteher aus den Augen war, bog er 
um eine Ede und umfchlid die Mauer eines weitläufigen 
Gartens, der fih Hinter dem Haufe ausbreitete. Er trat 
durch eine Pforte, die er offen fand, in den Garten, durd- 
ftri) Die Gänge defjelben, und wollte eben die Dintere Rampe 
hinauffteigen, als er in einer Yaube, die zur Seite lag, die 

arquife in ihrer Tieblichen und geheimnigvollen ©eftalt an 
einem kleinen Tiſchchen emfig arbeiten ſah. Er näherte fich 
ihr fo, daß fie ihn nicht fruher erblicken konnte, als bis er 
am Eingang der Laube drei kleine Schritte von ihren Füßen 
ſtand. „Der Graf F...!“ ſagte die Marquiſe, als fie die Augen 
aufſchlug, und die Röthe der Ueberraſchung überflog ihr Ge⸗ 
ſicht. Der Graf lächelte, blieb noch eine — ohne ſich 
im Eingang zu rühren, ſtehen; ſetzte ſich dann mit ſo be— 
ſcheidener Zudringlichkeit, als ſie, nicht zu erſchrecken, nöthig 
war, neben ihr nieder, und ſchlug, ehe de noch in ihrer fon- 
berbaren Tage einen Ent hluß geraht hatte, feinen Arm fanft 
um ihren lieben Leib. „Bon wo, gm Graf? ift es möglich ?“ 
[ragte die Marquife — und fah Ichlichtern vor ne auf die 

rde nieder. Der Graf fagte: „Von M...*, und drüdte fie 
ganz leife an ſich; „durch eine hintere Pforte, die ich offen 


344 


fand. Ich glaubte auf Ihre Bereifung rechnen zu dürfen und 
trat ein.” „Hat man Ihnen denn in M... nicht gelagt —?“ 
— fragte fie, und rührte noch fein Glied in feinen Armen. 
„Alles, geliebte Fran“, verfette der Graf; „doc von Ihrer 
Unfhuld völlig überzeugt" — „Wie!“ rief die Marquife, in- 
dem fie aufftand und ja loswidelte; „und Sie kommen gleidy- 
wohl ?* — „Der Welt zum Troß“, fuhr er fort, indem er fie 
fefthielt, „und Ihrer Familie zum Trotz, und diefer lieblichen 
Erſcheinung fogar zum Troß;“” wobei er einen glühenden Fuß 
auf ihre Bruſt drüdte. — „Hinweg!“ rief die Marquiſe — 
„©o überzeugt“, fagte er, „Sulietta, als ob ich allwiſſend 
wäre, als ob meine Seele in deiner Bruft wohnte.” — Die 
Marquiſe rief: „Laſſen Sie mich!“ „Ich komme“, fchloß er 
— und ließ fie nit — „meinen Antrag zu wiederholen, und 
das Loos der Geligen, wenn Sie mich erhören wollen, von 
Ihrer Hand zu empfan en.“ „ el Sie mich augenblicklich!“ 
rief die Marquiſe; eher hen!“ riß [ic gewaltjam 
aus feinen Armen, und entfloh. „Geliebte! Vortreffliche!“ 
flüfterte er, indem er wieder aufftand, und ihr folgte. — „Sie 
hören!“ rief die Marquife, und wandte ſich und wich ihm aus. 
„Ein einziges, heimliches Geflüftertes —!“ —7 der Graf, 
und griff haſtig nach ihrem glatten, ihm entſchlüpfenden Arm. 
— ,F will Nichts wiſſen“, verjegte die Marquife, ftieß 
nr et vor die Bruft zurüd, eilte auf die Rampe und 
verſchwand. 

Er war ſchon halb auf die Rampe gekommen, um ſich, 
es koſte was es wolle, bei ihr Gehör Pi verichaffen, als die 
Thür vor ihm zuflog und der Riege heftig mit verjtörter 
Beeiferung vor * Schritten zuräſſelte. —B einen 
Augenblick, was unter ſolchen Umſtänden zu thun ſei, ſtand 
er und überlegte, ob er durch ein zur Seite offen ſtehendes 
Fenſter einſteigen, und feinen Zweck, bis er ihn erreicht, ver⸗ 
folgen ſolle; doch ſo ſchwer es ihm auch in jedem Sinne war, 
umzukehren, dies Mal ſchien es die Nothwendigkeit zu erfordern, 
und grimmig erbittert über ſich, daß er ſie aus ſeinen Armen 
gelaſſen hatte, tech er die Rampe hinab und verließ den 
Garten, um feine Pferde aufzuſuchen. Er fühlte, daß der 
Verſuch, fi an ihrem Bufen zu erklären, für immer fehlge- 
ſchlagen fei, und ritt fchrittweis, indem er einen Brief über- 
legte, den er jetzt zu Jchreiben verdammt war, nah M... zu- 
rüd. Abends, da er fih in der übelſten Paune von der Welt 
bei einer öffentlihen Zafel eingefunden hatte, traf er den 
Forftmeifter an, der Ihn auch fogleich befragte, ob er feinen 
Antrag in DB... glüdlih angebracht habe? Der Graf ant- 
wortete furz: „Nein!“ und war fehr geftimmt, ihn mit einer 
bitteren Wendung abzufertigen, doch um der Höflichkeit ein 





315 


gierig verjählang, Darauf, nachdem er einen Augenblid, 

fatt zufammenlegte, an das Fenſter getreten 
war, jagte er: „Nun ift e8 gut! nun weiß ich, was ich zu 
thun habe!“ kehrte fi ſodann um, und fragte den SR 
noch auf eine verbindliche Art, ob man ihn bald wieder ſehen 
werde; empfahl fih ihm, und gieng, völlig ausgejöhnt mit 
feinem Schidfal, fort. — 

Inzwiſchen waren in dem Haufe de3 Kommandanten die 
tebhofteiten Auftritte vorgefallen. Die Obriftin war über die 
zerftörende Bei feit ihres Gatten und über die Schwäche, 
mit welcher fie ſich bei der tyrannijchen Verſtoßung der Tochter 
von ihm hatte unterjochen laffen, äußerf erbittert. Sie war, ' 
als der Schuß in des Kommandanten Schlafgemad fiel und 
die Tochter aus demfelben hervorftürzte, in eine Ohnmacht 
ejunfen, aus der fie fi) zwar bald wieder erholte, doch der 
ommandant hatte in dem Augenblid ihres Erwachens weiter 
Nichts gefagt, als es thäte ihm leid, oꝙ ſie dieſen Schrecken 
umfonſt gehabt, und das abgeſchoſſene Piſtol auf einen Tiſch 
gemorfen. Nachher, da von der Abforderung der Kinder die 

ede war, wagte fie fchüchtern zu erflären, daß man zu einem 
ſolchen Schritt Tein Recht habe; fie bat mit einer durch die 
gehabte Anwandlung ſchwachen und rührenden Stimme, heftige 

uftritte im Haufe zu vermeiden; doch der Kommandant er- 
wiederte weiter Nichts, als, indem er fi zum Forftmeifter 
wandte, vor Wuth jchäumend: „Seh und fchaff fie mir!” Als 
der zweite Brief des Grafen %... ankam, halte der Com⸗ 
mandant befohlen, daß er nad B... zur Margnife herausge- 
fchidt werden folle, welche ihn, wie man nachher durch den 
Boten erfuhr, bei Seite gelegt und ggegt hatte, es wäre 
gut. Die Obriſtin, der in der ganzen Begebenheit ſo Vieles 
und — die Geneigtheit der Marquiſe, eine neue, ihr 
ganz gleichgültige Vermählung einzugehen, dunkel war, ſuchte 


346 


vergebens diefen Umftand zur Sprache zu bringen. Der Com⸗ 
mandant bat immer auf eine Art, die einem Befehle gleich 
fah, zu ſchweigen; verficherte, indem er einft bei einer ſolchen 
gele gendeit ein Portrait herabnahm, das noch von ihr an 
der Wand bieng, daß er fein Gedächtniß ihrer ganz zu ver⸗ 
tilgen wünſche; und meinte, er hätte feine Tochter mehr. 
Darauf erſchien der fonderbare Aufruf der Marquife in den 
deitungen, Die Obriftin, die auf das Lebhaftefte darüber 
etroffen war, gieng mit dem Zeitungsblatt, das fie von dem 
Commandanten erhalten hatte, in jein Zimmer, wo fie ihn 
an einem Tiſch arbeitend fand, und fragte ihn, was er in 
aller Welt davon halte? Der Commandant fagte, indem er 
fortfhrieb: „O! fie ift unſchuldig.“ „Wie!“ rief Frau von ®..., 
mit dem alleräußerften Erftaunen: „Unſchuldig?“ „Ste hat e3 
im Schlaf gethan“, fagte der Sommandant, ohne aufzufehen. 
„Im —— verſetzte Frau von G... „Und ein * unge- 
heurer Vorfall wäre —?* „Die Närrin!“ rief der Comman— 
dant, ſchob die Papiere übereinander und gieng weg. 
Am naͤchſten Beitungstage la8 die Obriftin, da Beide 
beim Frühſtück faßen, in einem Sntelligenzblatt, das eben 
ganz feucht von der Brefje Fam, folgende Antwort: 
„Wenn die Frau Marquife von D... fih anı ten .... 
11 Uhr Morgens, im Do e des Heren von ©..., ihres 
- Baters, einfinden will: jo wird ſich Derjenige, den fie fucht, 
ihr _dafelbft zu Füßen werfen.” — 
Der Obrifin vergieng, ehe fie noch auf die Hälfte diefes 
unerhörten Artitel3 gefommen war, die Sprade; fie überflog 
das Ende und reichte dag Blatt dem Commandanteı dar. 
Der Obrift durchlas das Blatt drei Mal, als ob er feinen 
eigenen Augen nicht traute. „Nun ſage mir um des Himmels 
illen, Rorenzo“, rief die Obriftin, „mas hältft du davon?“ 
„D die Schändliche!” verfegte der Commandant und ftand 
auf; „o die verſchmitzte Heuchlerin! — die Schamlofig- 
. teit einer Hündin mit zehnfacher Liſt des Fuchſes gepaart 
reihen noch an die ihrige nicht! ſolch eine Miene! zwei ſolche 
Augen! ein Cherub hat fie nicht treuer!“ — und jammerte 
und konnte fih nicht beruhigen. „Aber was in aller Welt“, 
fragte die Obriftin, „wenn e8 eine Lift ift, kann fie damit 
bezwecken?“ — „Was fie damit bezmedt? Ihre nichtswürdige 
DBetrügerei, mit Gewalt will fie fie durchjegen“, ermiederte 
der Obrift. „Ausmwendig gelernt ift fie Schon, die Yabel, die 
fie ung Beide, fie und er, am 3ten 11 Uhr Morgens hier auf: 
bürden wollen. Mein liebes Töchterchen, fol ich jagen, das 
wußte ich nicht, wer fonnte das denken, vergieb mir, nimm 
meinen Segen und fei wieder gut. Aber die Kugel Dem, der 
am 3ten Morgens über meine Schwelle tritt! Es müßte denn 





947 


Era fein, ihn mir durch Bedienten aus dem Haufe zu 
affen.“ — Frau von ©... fagte nad) einer nochmaligen 
Ueberlefung des ZeitungsblatteS, daß wenn fie von zwei un- 
begreiflichen Dingen Einem Glauben beimefjen folle, fe lieber 
an ein unerhörtes Spiel des Schickſals, als au dieſe Nieder- 
trächtigfeit ıhrer fonft jo vortrefflihen Tochter glauben wolle. 
Dod ehe fie noch vollendet hatte, rief der Kommandant fchon: 
„Thu mir den Gefallen und ſchweig!“ und en das Bim- 
mer. „ES ift mir verhaßt, wenn ich nur davon höre.“ 
Wenige Tage nachher erhielt der Commandant in Be- 
"ziehung auf diefen Zeitungsartikel einen Brief von der Dlar- 
ui: in welchem fie ihn, da ihr die Gnade verjagt wäre, 
in jeinem Sau e erfcheinen zu dürfen, auf eine ehrfurchtsvolle 
nnd rührende Art bat, Denjenigen, der fi) am Iten Morgens 
bei ihm zeigen würde, gefälligjt zu ihr nah V... binaus- 
auföjtden. Die Obriltin war gerade gegenwärtig, als der 
ommandant diefen Brief empfieng; und da fie auf feinem 
Geficht deutlich bemerkte, daß er in feiner Empfindung irre 
geworden war: denn weld ein Motiv jest, falls es eine Be- 
trügerei war, jollte er ihr unterlegen, da fie auf feine Ver— 
geihun gar feine Anſprüche zu en ſchien? fo rüdte fie, 
adurd dreift gemadht, mit einem Plan hervor, den fie ſchon 
lange in ihrer von Se bewegten Bruft mit fi) herum 
getragen hatte. Sie jagte, während der Obrift noch mit einer 
nicht3jagenden Miene in das Papier hineinfah: fie habe einen 
Einfall. Ob er ihr erlauben wolle, auf einen oder zwei Tage 
nah ®... hinauszufahren? Sie werde die Marquife, falls 
je wirklich Denjenigen, der ihr durch die Zeitungen als ein 
nbefannter geantwortet, ſchon kenne, in eine Tage zu verfegen 
wiffen, in welcher fich ihre Seele verrathen müßte, und wenn 
fie die abgefeinttefte Berrätherin wäre. Der Commandant er: 
wiederte, indem er mit einer plöglich heftigen Bemegung den 
Brief zerriß: fie wiſſe, daß er mit ihr Nichts au Schaffen Baben 
wolle, und er verbiete ihr, in irgend eine Gemeinſchaft mit 
ihr zu treten. Er fiegelte die zerriffenen Stüde ein, jchrieb 
eine Adreſſe an die Marquife und gab fie dem Boten als 
Antwort zurüd. Die Opriflin, durch diefen hartnädigen Eigen- 
finn, der alle Möglichkeit der Aufklärung vernichtete, heimlich 
erbittert, befchloß ihren Plan jetzt gegen feinen Willen aus- 
zuführen. Sie nahm einen von den Jägern des Somman- 
danten und fuhr am nächſtfolgenden Morgen, da ihr Öemaht 
noch int Bette lag, mit deinfelben nah B... hinaus. Als 
fie am Thore des Yandfiges angelommen war, fagte ihr der 
Thürfteher, daß Niemand bei der Frau Marquife vorgelaffen 
würde. Frau von ©... antwortete, daß fie von diefer Maß- 
regel unterrichtet wäre, daß er aber gleichwohl nur gehen und 





318 


die Obriftin von ©... bei ihr anmelden möchte Worauf 
diefer verfeßte, daß bie au Nichts helfen würde, indem die 
Frau Marguife feinen Menſchen auf der Welt ſpräche. Frau 
von ®... antwortete, daß fie von ihr geſprochen werden würde, 
indem fie ihre Mutter wäre, und daß er nur nidht länger 
. fänmen und fein Gefchäft verrichten möchte Kaum aber war 
noch der Thürfteher zu diefem, wie er meinte, gleichwohl ver- 
geb’ichen Verſuche ind Haus gegangen, als man fchon die 
Marquiſe daraus herportreten, nad) dem Thore eilen und fich 
auf Knieen vor dem Wagen der Obriftin niederftürzen fah. 
Frau von ®... flieg, von ihrem Jäger unterjtüßt, aus, und 
hob die Marquife nicht ohne einige Bewegung vom Boden 
Er Die Marquije drüdte fih, von Gefühlen überwältigt, 
tief auf ihre Hand hinab und führte fie, indem ihr die Thränen 
häufig floffen, ehrfurchtsvoll in die Zimmer ihres Haufes. 
„Meine theuerfte Mutter!” rief fie, nachdem fie ihr den Di- 
pan angewieſen hatte und nod) vor Ihr jteben blieb, und fich 
die Augen trodnete: „welch ein glüdliher Zufall ift es, dem 
ih Ihre, mir unfhägbare Erfcheinung verdanke?“ Frau von 
&... fagte, indem fie ihre Tochter vertraulich faßte, fie müſſe 
ihr nur fagen, daß fie fomme, fie wegen der Härte, mit 
welcher fie aus dem bäterlihen aufe veritoßen worden fei, 
um Derzeihung zu bitten. „Berzeihung!” fiel ihr die Mar- 
quife ins Wort und wollte ihre Hände küſſen. Doch diefe, 
indem fie den Handkuß vermied, fuhr fort: „Denn nicht nur, 
dag die in den legten öffentlichen Blättern eingerüdte Ant- 
wort auf die bewußte Belanntmahung mir ſowohl als dem 
Vater die Ueberzeugung von deiner Unfchuld gegeben hat; jo 
muß ich dir aus eröffnen, daß er fich ſelbſt don zu unſerm 
großen und freudigen Erftaunen geitern im Haufe gezeigt hat.“ 
„Wer hat fi —?“ fragte die Marquiſe und feste fich bet 
ihrer Mutter nieder, — „welcher Er jelbit hat fich gezeigt — ?“ 
und Erwartung jpannte ger ihrer Mienen. „Er“, erwiederte 
Fran von ®..., „der Berfaffer jener Antwort, er perſönlich 
-felbft, an welchen dein Aufruf gerichtet war.“ — „Nun denn“, 
fagte die Marquiſe mit unruhig arbeitender Bruft: „wer ift 
ed?“ und noch einmal: „wer it es?“ — „Das“, ermiederte 
Frau von ®..., „möchte ich dich erratben laffen. Denn dente, 
daß fich geftern, da wir bein Thee fißen und eben das fonder- 
bare Zeitungsblatt lefen, ein Menſch von unferer genaueften 
Bekanntſchaft mit Seberden der Verzweiflung ins Zimmer 
ftärzt, und deinem Bater und bald darauf audy mir zu Füßen 
fällt. Wir, unmiffend, was wir davon denken jollen, fordern 
ihn auf, zu reden. Darauf ſpricht er: Jen Bewiffen laſſe 
ihm keine Ruhe, er ſei der Schändliche, der die Frau 
arquiſe betrogen, er müſſe wiſſen, wie man ſein Verbrechen 




















349 


beurtheile, und wenn Rache über ihn verhängt werben folle, 
fo fomme er, fich ihr felbft darzubieten.“” „Aber mer? mer? 
wer?“ verfegte die Marquiſe. „Wie gefagt“, fuhr Frau von 
®... fort, „ein junger, ſonſt wohl erzogener Menſch, dem 
wir eine ſolche Nichtswürdigkeit niemals zugetraut hätten, 
Doch erfchreden wirft du nicht, meine Tochter, wenn du er- 
fährft, daß er von niedrigem Stande und von allen Forde— 
rungen, die man fonft an deinen Gemahl machen dürfte, ent- 
blößt iſt.“ „Gleichviel, meine vortreffliche Mutter“, fagte die 
Marguife, „er kann nicht ganz unmwürdig fein, da er ſich Ihnen 
früher al3 mir zu Füßen geworfen bat. Aber, wer? wer? 
Sagen Sie mir nur: wer?“ „Nun denn“, berfete die Mutter, 
es iſt Leopardo, der Jäger, den * der Vater jüngſt aus 
Tyrol verſchrieb, und den ich, wenn du ihn wahrnahmſt, ſchon 
mitgebracht habe, um ihn dir als Bräutigam vorzuſtellen.“ 
„Leopardo, der Jäger!“ rief die Marquiſe, und drückte ihre 
Hand mit dem Ausdruck der Verzweiflung vor die Stirn. 
„Ras erfchredt dich ?* fragte die Obriftin. „Haft du Gründe, 
daran zu zweifeln ?" — „Wie? wo? wann?“ fragte die Mar- 
quife verwirrt. „Das“, antwortete Jene, „mil er nur dir 
anvertrauen. Scham und Yiebe, meinte er, machten es ihm 
unmöglih, fich einer Andern hierüber zu erflären als dir. 
Doch wenn du mwillft, fo öffnen wir das Borzimmer, wo er 
mit.Fopfendem Herzen auf den Ausgang wartet; und du magft 
fehben, ob du ihm dein Geheimniß, indeſſen ich abtrete, ent- 
lodft.” — „Öott, mein Vater!“ rief die Marquiſe; „ich war 
einjt in der Mittagshige eingefchlummert, und jah ihn von 
meinem Divan gehen, als id erwachte!“ — Und damit legte 
fie ihre Heinen Hände vor ihr in Scham erglühendes Gefidt. 
Bei diefen Worten ſank die Mutter auf Knieen vor ihr nieder. 
„D meine Tochter!“ rief fie, „o du Vortreffliche!“ und fchlug 
die Arme um fi. „Und o ich Nichtswürdige!“ und verbarg 
das Antlig in ihren Schooß. Die Marquije fragte beftürzt: 
„Was ift Ihnen, meine Mutter?“ „Denn begreife“, fuhr diefe 
fort, „o du Reinere al3 Engel find, daß von Allem, was ich 
dir ſagte, Nichts wahr iſt; daß meine verderbte Seele an ſolche 
Unſchuld nicht, als von der du umſtrahlt biſt, glauben konnte, 
und daß ich dieſer ſchändlichen Liſt erſt bedurfte, um mich da- 
von zu überzeugen.“ „Meine theuerfte Mutter“, rief die Mar- 
quife, und neigte fih voll Dale Rührung zu ihr herab, und 
wollte fie aufheben. Jene verjegte darauf: „Nein, eher nicht 
von deinen Füßen weich’ ich, bis du mir fagft, ob du mir 
die Niedrigkeit meines Verhaltens, du Herrliche, Ueberirdifche, 
verzeihen kannſt.“ „Ich “Ihnen verzeihen, meine Mutter! 
Stehen Sie auf“, rief die Marquife, „ich beihwöre Sie“ — 
„Du hörſt“, fagte Frau von &..., „ic will willen, ob du 


350 


mich noch lieben und fo aufrichtig verehren Fannft als fonft ?“ 
„Deine angebetete Mutter!“ rief die Marquiſe und legte fich 
leihfall3 auf Knieen vor ihr nieder; „Ehrfurdt und Liebe 
And nie aus meinem Herzen gewichen. Wer konnte mir unter fo 
unerhörten Umftänden Vertrauen jchenten? Wie glüdlich bin 
ih, daß Sie von meiner Unfträflichkei® überzeugt find!“ „Nun 
denn“, verfegte Frau von G..., indem fie, von ihrer Tochter 
unterftüßt, aufftand: „jo will ich dich auf Händen tragen, 
mein liebftes Kind. Du follft bei mir dein Wochenlager halten ; 
und wären die Verhältniffe fo, daß ich einen jungen Fürften 
von dir erwartete, mit größerer Zärtlichkeit nicht und Wür- 
digkeit könnte ich dein pflegen. Die Tage meines Lebens nicht 
mehr von deiner Seite weich” ich. Ich biete der ganzen Welt 
Troß; ich will Feine andere Ehre mehr als deine Schande: 
wenn du mir nur wieder gut wirft, und der Härte nicht, mit 
welcher ich dich verftieß, mehr gedenkſt.“ Die Marquife fuchte 
fie mit Lieblofungen und Befchwörungen ohne Ende zu tröften ; 
doch der Abend fam heran und Mitternacht fhlug, ehe es ihr 
gelang. Am folgenden Tage, da fi) der Affect der alten 

ame, der ihr während der Nacht eine Fieberhige zugezogen 
hane ein wenig gelegt hatte, fuhren Mutter und Tochter und 

ntel, wie im Triumph, wieder nah M... zurüd, Gie 
waren äußerft vergnügt auf der Feiſe, ſcherzten über Leopardo, 
den Jäger, der vorn auf dem Bock ſaß; und die Mutter ſagte 
ur Marquiſe, ſie bemerke, daß ſie roth würde, ſo oft hie 
8 inen breiten Rüden anſähe. Die Marquife antwortete mit 
einer Regung, die halb ein Seufzer, halb ein Lächeln mar: 
„Wer weiß, wer zulegt noch am ten 11 Uhr Morgens bei 
uns erfcheint!” — Drauf, je mehr man fih M... näherte, 
je ernfthafter ſtimmten fich wieder die Gemüther in der Bor- 
ahndung entfcheidender Auftritte, die ihnen noch bevorftanden. 
Frau von ©..., die fih von ihren Plänen Nichts merken ließ, 
führte ihre Tochter, da fie vor dem Haufe ausgeftiegen waren, 
wieder in ihre alten Zimmer ein; fagte, fie möchte e8 ſich nur 
bequen machen, fie würde gleich wieder bei ihr fein, und 
fchlüpfte ab. Nach einer Stunde fam fie mit einem ganz er- 
histen Gefiht wieder. „Nein, fol ein Thomas!” ſprach fie 
mit heimlich vergnügter Seele; „ſolch ein ungläubiger Tho- 
mas! Hab’ ich nicht eine Seigerftunde gebraudt, ihn zu über- 
eugen. Aber nun fißt er und meint.“ „Wer“, fragte die 

arquife. „Er“, antwortete die Mutter. „Wer fonit, als 
wer die größte Urfache dazır hat.“ „Der Vater doch nicht?“ 
rief die Marquife. „Wie ein Kind“, ermwiederte die Mutter; 
„daR ich, wenn ich mir nicht jelbft hätte die Thränen aus den 
Augen wiſchen müſſen, gelacht hätte, fo wie ih nur aus der 
Thüre heraus war.” „Und das wegen meiner?" fragte die 





951 


Marguife, und ftand auf; „und ich follte hier —" „Nicht 
von der Stelle!” fagte Frau von &... „Warumt dictierte er 
mir den Brief. Hier fucht er dich auf, wenn er mid, fo 
lange ich lebe, wiederfinden will.” „Weine theuerite Mutter”, 
flehte die Mazquiſe — „Unerbittlich!“ I ihr die Obriftin 
ins Wort. „Warum griff er nach der Piſtole.“ — „Aber ich 
bejhmöre Sie" — „Du follft nicht”, verjegte Frau von ©..., 
indem fie die Tochter wieder auf ihren Sefjel niederdrückte. 
„Und wenn er nicht heut vor Abend noch kommt, zieh ich morgen 
mit dir weiter.” Die Marquife nannte dieß Verfahren hart 
und ungerecht. Doch die Diutter erwiederte: „Beruhige dich —“ 
denn eben hörte fie Jemand von Weiten heranfchludhgen: „Er 
kommt ſchon!“ „Wo?“ fragte die Marquiſe und horchte. „it 
wer bier draußen vor der Thür; dieß heftige —?“ „Aller- 
dings“, verfegte Frau von G... „Er will, dag wir ihm die 
Re öffnen.” „Laflen Sie mich!“ rief die Marquiſe und 
riß fih vom Stuhl empor. „Doch, wenn du mir gut bift, 
Aulietta“, verfegte die Obriftin, „fo bleib”; und in dem Augen- 
blid trat auch der Commandant ſchon, das Tuch vor das Ge⸗ 
fit haltend, ein. Die Mutter jtellte fich breit vor ihre Tochter 
und Lehrte ihm den Rüden zu. „Dein theuerfter Vater!“ 
rief die Maranife und firedte ihre Arme nad) ihm aus. „Nicht 
von der Stelle“, Ingte drau von ©..., „du hörſt!“ Der 
Commandant ftand in der Stube und meinte, „Er fol dir 
abbitten*, fuhr Frau von ©... fort. „Warum f er io 
beftig! und warum ift ex jo hartnädig! Ich liebe ihn, aber 
dich auch; ich ehre ihn, aber dich auch. Und muß ich eine 
Mahl treffen, fo bift du vortrefflicher als er, und ich bleibe 
bei dir.“ Der Kommandant beugte fi ganz frumm und 
heulte, daß die Wände erfchallten. „Aber mein Gott!” rief 
die Marquife, gab der Mutter plöglihd nah und nahm ihr 
Tuch, ihre eigenen Thränen fliegen zu lafjen. Frau von &... 
jagte: „— er fann nur nidht ſpugen und wich ein wenig 
zur Seite aus. Dieranf erhob fich die Diarauife, umarmte 
den Commandanten und bat ihn, ſich zu beruhigen. Sie 
meinte felbft heftig. Sie fragte ihn, ob er ſich nicht ſetzen 
wolle? fie wollte ihn auf einen Seſſel niederziehen; fie fchob 
ihm einen Seflel hin, damit er ſich darauf jege; doch er ant- 
wortete nicht: er war nicht von der Stelle zu bringen; er 
fette ſich auch nicht; und fland, bloß dag Geftdht tief zur Erde 
gebeugt, und meinte. Die Marquiſe fagte, indem fie ihn auf- 
recht Biet, halb zur Mutter gewandt, ex werde frank werden; 
die Mutter felbft jchien, da er fi) ganz convulſiviſch geberbete, 
ihre Standhaftigfeit verlieren zu wollen. Doch da der Com⸗ 
mandant endlich auf die wiederholten Anforderungen ber 
Tochter niedergeſetzt hatte und diefe ihm mit unendlichen Lieb⸗ 


352 


fofungen zu Füßen gefunfen war, fo nahm fie wieder das 
Wort, jagte, es geſchehe ihm ganz recht, er werde nun wohl 
zur Bernunft kommen, entfernte da aus dem Zimmer und 
ließ fie allein. 

Sobald fie draußen war, wifchte fie fich felbft die Thränen 
ab, dachte, ob ihm die heftige —— in welche ſie 
ihn verſetzt hatte, nicht doch gefährlich fein könnte, und ob es 
wohl ratbjam fei, einen Arzt rufen zu laſſen? Sie kochte 
ihm für den Abend Alles, was fie nur Stärkendes und Be— 
rubhigendes aufzutreiben wußte, in der Küche aufammen, be- 
reitete und wärmte ihm das Bett, um ibn - Togleich hinein⸗ 
zulegen, ſobald er nur an der Hand der Tochter erſcheinen 
würde, und fchlih, da er immer noch nicht Fam und ſchon 
die Abendtafel gededt war, dem Zimmer der Marquiſe zu, 
um doch zu hören, was ſich -zutrage? Sie vernahm, da fie 
mit fanft an die Thür gelegtem Ohr horchte, ein leiſes eben 
el enora Gelifpel, das, wie es ihr fchien, von der Mar- 
quife kam; und, wie fie durchs Schlüſſelloch bemerfte, IE fie 
auch auf des Eommandanten Schooß, was er fonft in jeinem 
Leben nicht zugegeben hatte. Drauf endlich öffnete fie Die 
Thür, und fah nun — und das Herz quoll ihr vor Freuden 
empor: die Tochter ftil, mit zurüdgebeugtem Naden, die Augen 
feft gefchlofien, in de8 Vaters Armen liegen, indeflen diefer, 
auf den Lehnſtuhl figend, lange, heiße und lechzende Küſſe, 
das große Auge voll glänzender Thränen, auf ihren Mund 
drüdte, gerade wie ein Berliebter! Die Tochter Ka nicht, 
er ſprach nicht; mit über fie gebeugtem Antlit jaß er, wie 
über das Mädchen feiner erften Liebe, und legte ihr den Mund 
zurecht und küßte fie. Die Mutter fühlte ſich wie eine Selige; 
ungefehen, wie fie hinter feinem Stuhle fand, fäumte He 
die uf der himmelfrohen Berjöhnung, die ihrem Haufe wieder 
geworden war, zu ftören. Sie nahte fich dem Bater endlich, 
und fah ihn, da er eben wieder mit Fingern und Rippen in 
unjäglicher. Luft über den Mund feiner Todıter befchäftigt war, 
fih um den Senn herumbeugend, von der Geite an. Der 
Commandant fehlug bei ihrem Anblid das Geficht Schon wieder 
ganz kraus nieder, und wollte etwas fagen; doch fie rief: „O 
was fir ein Geficht ift das!” küßte es jebt auch ihrerſeits in 
Didnung und machte der Rührung dur Scherzen ein Ende. 
Sie Iud und führte Beide, die wie Brautleute giengen, zur 
Abendtafel, an welcher der Kommandant zwar jehr heiter war, 
aber nody von Zeit zu Beit jchluchzte, wenig aß und ſprach, 
auf den Teller —* und mit der Hand ſeiner Tochter ieh 

Kun galt e8 beim Anbruch des nächſten Tages die Frage: 
wer nur in aller Welt morgen um 11 Uhr fid) zeigen würde; 
denn morgen war der gefürdhtete Dritte. Bater und Mutter 








353 


und auch der Bruder, der ſich mit feiner Verföhnung ein- 
gefunden hatte, ſtimmten unbedingt, falls die Perfon nur von 
einiger Erträglichkeit fein würde, für Vermählung; Alles, was 
nur immer möglid) war, gene geliehen, um die Lage der 
Marquife glüdlih zu machen. Sollten die Berhältnife der- 
felben don jo beſchaffen fein, daß fie jelbft danıı, wenn man 
ihnen durch Begünftigungen zu Hülfe käne, zu weit Binter 
den Ber ältmiffen der Marquife zurüdblieben, je widerſetzten 
ſich die Eltern der Yelranb; fie bejchloffen, die Marquiſe nad 
wie vor bei fich zu behalten und das Kınd zu adoptieren. Die 

ien Willens, in jedem alle, wenn die’ 


Marquife hingegen f 
I uges los wäre, ihr gegebene Wort in Er- 


Perſon nur nicht ru 
tüllung au bringen, und dem Sinde, es koſte was es wolle, 
einen Bater zu verjchaffen. Am Abend fragte die Mutter, 
wie e3 denn mit dem Empfang der Perfon ar werden 
folle? Der Commandant meinte, daß e8 am Schicllichſten fein 
wirde, wenn man die Marquife um 11 Uhr allein ließe. Die 
Marquije hingegen beftand darauf, daß beide Eltern und aud) 
der Bruder gegenwärtig fein möchten, indem fie feine Art des 
Geheimnifjes mit diefer Perfon zu theilen haben wolle. Auch 
meinte fie, daß diefer Wunſch jogar in der Antwort derjelben 
dadurd, en e da8 Haus ded Kommandanten zur Zufammnıen- 
kunſt vorgejchlagen, ausgedrüdt jcheine, ein Umſtand, um 
defientwillen ihr „gerade diefe Antwort, wie fie frei geftehen 
müſſe, jehr 8 allen habe. Die Mutter bemerkte die Unjchid- 
lichkeit der Holen, die der Vater und der Bruder dabei zu 
Ipielen haben würden, bat die Tochter, die Entfernung der 

änner äuanlafen, wogegen fie in ihren Wunfch willigen und 
bei dem mpjan der Beron gegenwärtig fein wolle. Nach 
einer kurzen efnnung der Tochter ward diejer letzte VBor- 
flag endlih angenommen. Drauf nun hen nad) einer 
unter den gefpannteften Erwartungen pusehra ten Nacht der 
Morgen des gefürchteten Dritten. Als die Glocke elf Uhr 
ihlug, faßen beide Frauen, feftlih wie zur Berlobung an- 
gefletdet, im Bejuchzimmer; das Ser) Mapfi ihnen, daß man 
e3 gehört haben würde, wenn das Geräuſch des Tages ge- 
ichwiegen hätte. Der elfte Ölodtenfälag jummte noch, als 
Leopardo, der Jäger, eintrat, den der Vater aus Tyrol ver- 
fchrieben hatte. Die Weiber erblaßten bei diefem Anblid. „Der 
Graf $...“, ſprach er, „ift vorgefahren und läßt fi an- 
melden.“ „Der Graf $...!" riefen Beide zugleich, von einer 
Art der Beftürzung in die andre geworfen. Die Marquife 
rief: „Verſchließt die Thüren! wir find für ihn nicht zu paufe, 
ftand auf, das Zimmer gleich A zu verriegeln, und wollte 
eben den Jäger, der ihr im Wege ftand, binausdrängen, als 
der Graf ſchon, in ‚genau demfelben Kriegsrod, mit Orden 

Bibl. d. d. Rutiongllitgratur Kleift. II. 23 


354 * 


und Waffen, wie er fie bei Croberung des Forts getragen 
hatte, zu ihr eintrat. Die an a glaubte vor Berwirrun 
in die Erde zu finfen; fie griff nad einem Tuch, das fie a 
dem Stuhl hatte liegen (offen. und wollte eben in ein Seiten- 
immer entfliehn; doch Yrau von &..., indem fie die Hand 
erjelben ergriff, rief: ‚Julietta —!“ und wie erjtidt von Ge⸗ 
danken, gieng ihr die Sprache aus. Sie heftete die Augen 
jet auf den Grafen und wiederholte: „Sch bitte dich, Julietta!“ 
indem fie fie nach fich 309: „wen erwarten wir denn —?“ 
Die Marquife sel, indem fte ſich plöglih wandte: „Nun? 
doch ihn nit —?“ und flug mit einem Did, funkelnd wie 
ein Wetterftrabl, auf ihn ein, indeflen Bläffe des Todes ihr 
Antlig überflog. Der Graf hatte ein Knie vor ihr geſenkt; 
die rechte Hand lag auf feinem Herzen, das Haupt ſanft au 
feine Bruſt gebeugt, log, er und blidte Hohalüihend vor fi 
nieder und Ahmien. „Wen font“, vief die Obriftin mit be- 
klemmter Stimme, „wen fonft, wir Sinnberaubten, al$ ihn — ?* 
Die Marquife ftand ftarr über ihm, und fagte: „Sch werde 
wahnfinnig werden, meine Mutter!” „Du ne “ erwiederte 
die Mutter, gi fie zu fih, und flüfterte ihr Etwas in das 
Ohr. Die Dearquife wandte fih und ftürzte, beide Hände 
vor das Gefiht, auf den Sopha nieder. Die Mutter rief: 
„Unglüdlihe! was fehlt dir? Was ift gefhehn, worauf du 
nicht vorbereitet warſt?“ — Der Graf wich nicht von der Seite 
der Obriftin; er faßte, immer noch auf feinen Knieen Kiegend, 
den änperften Saum ihres Kleides und küßte ihn. „Liebe! 
Gnädige! Verehrungswürdigſte!“ flüfterte er; eine Thräne rollte 
ihm die Wangen herab, Die Obriftin fagte: „Stehn Sie auf, 
Herr Graf, fein Sie auf! Tröften Sie Jene; fo find wir Alle 
verföhnt, fo ift Alles vergeben und vergeffen.“ Der Graf 
erhob ſich weinend. Er ließ fih_ von Neuem vor der Dtar- 
quife nieder, er faßte leife ihre Hand, als ob fie von Gold 
wäre, und der Duft der feinigen fie trüben könnte. Doc 
diefe —: „Gehn Sie! gehn Sie! gehn Sie!“ rief fie, indem 
fie aufftand, „auf einen Lafterhaften war ich gefaßt, aber auf 
feinen — — — Teufel!“ öffnete, indem fie ihm dabei gleich 
einem Meltbergifteten auswich, die Thür des Zimmers, und 
fagte: „ARuft den Obriften!” — „Julietta!“ rief die Obriftin 
mit Erftaunen. Die Marguife blidte mit tödtender Wildheit 
bald auf den Grafen, bald auf die Mutter ein; ihre Bruft 
flog, ihr Antlig loderte: eine Furie blickt nicht fehredlicher. Der 
Obrift und der Forftmeifter famen., „Diefem Mann, .Bater“, 
ſprach fie, als Jene noch unter dem Eingang waren, „Tann ich 
mic) nit vermählen!“ griff in ein Gefäß mit Weihwaffer, das 
an der bintern Thür befeftigt war, befprengte in einem großen 
Wurf Vater und Mutter und Bruder damit, und verf 


wand, 


955 


Der Commandant, von diefer feltfamen Erfcheinung be» 
troffen, fragte, was vorgefallen fei, und erblaßte, da er in 
diejem entfcheidenden Augenblid den Grafen %... ım Zimmer 
erblidte. Die Mutter nahm den Grafen bei der Hand und 
le te: „Frage nicht; diefer jruge Mann bereut von Herzen 

es, was gejchehen ift; gieb deinen Segen, gieb, gieb, fo 
wird fi) Alles noch glüdlih endigen.” Der Graf ftand wie 
vernichtet. Der Sommandant legte feine Hand auf ihn; feine 
Augenwimpern zudten, feine Rippen waren weiß mie Kreide, 
„Möge der Fluch des Himmels von diefen Scheiteln weichen!“ 
rief er; „wann gedenken Sie zu ee — „Morgen“, 
antwortete die Mutter für ihn, denn er Tonnte fein Wort 
hervorbringen, „morgen oder heute, wie dur willft; dem Herrn 
Grafen, der fo viel Töne DBeeiferung gezeigt hat, fein Ver⸗ 
gehen wieder gut zu machen, wird immer die nächte Stunde 
die liebjte fein.“ — „So habe ich das Vergnügen, Sie morgen 
um 11 Uhr in der Auguftinerkirche zu finden!“ fagte der Com⸗ 
mandant, verneigte ſich gegen ihn, rief Frau und Sohn ab, 
im I in das Zimmer der Margquife zu verfiigen, und Tieß 
ihn ſtehen. 

Man bemühte fich vergebens, von der Marquiſe den Grund 
ihres fonderbaren Betragens zu erfahren; fie lag im heftigften 
. Sieber, wollte durchaus von Vermählung Nichts willen, und 
bat, fie allein zu laflen. Auf die Frage, warum fie denn 
ihren a plöglich geändert habe? und was ihr den 
Grafen gehäfftger made als einen andern? fah ſie den Vater 
mit großen Augen zerftreut an, und antwortete Nichts. Die 
Obr-fin ſprach: ob fie vergeffen habe, daß fie Mutter fer? 
worauf fie erwiederte, daß fie in diefem Falle mehr an fid 
als ihr Kind denken müſſe, und nochmals, indem fie alle 
Engel und Heiligen zu Zeugen anrief, verficherte, daß fie nicht 
heirathen würde. Der Vater, der fie offenbar in einem ikber- 
reizten Gemüthszuftande ſah, erflärte, daß fie ihr Wort halten 
müfje; verließ fe und ordnete Alles, nad ghttige ſchrift⸗ 
licher Rückſprache mit dem Grafen, zur Vermählung an. Er 
legte demſelben einen Heirathskontrakt vor, in welchem dieſer 
auf alle Rechte eines Gemahls Verzicht that, dagegen ſich zu 
allen Pflichten, die man von ihm ordern würde, verfteben 
— Der Graf ſandte das Blatt, Fi von Thränen durch- 
euchtet, mit feiner Unter[rift zuriid. Als der Commandant 
am andern Morgen der Marquiſe dieſes Papier überreichte, 
hatten fich ihre Geifter ein wenig beruhigt. Sie durchlas es 
noch im Bette figend mehrere Male, legte e8 ſinnend zuſammen, 
öffnete es und durchlas es wieder; und erklärte hierauf, daß 
ſie ſich um 11 Uhr in der Auguſtinerkirche einfinden würde. 
Sie ſtand auf, zog fi, ohne ein Wort zu Ipreiien, an, ftieg, 


956 
als die Glocke ſchlug, mit allen Khrigen in den Wagen, und 


fuhr dahin ab. 

Erft an dem Portal der Kirche war es dem Grafen er- 
laubt, an die Familie anzuſchließen. Die Marquiſe ſah 
während der Feierlichkeit ſtarr auf das Altarbild; nicht ein 
flüchtiger Blid ward dem Manne zu Theil, mit welchem fie 
die Rınge wechjelte. Der Ga] bot ihr, als die Trauung 
porüber war, den Arm; doc fobald fie wieder aus der Kirche 
heraus waren, verneigte fich die Gräfin vor ihm; der Com—⸗ 
mandant fragte, ob er die Ehre haben würde, ihn zuweilen 
in den Gemächern [einer Tochter zu fehen, worauf der Graf 
Etwas ftammelte, das Niemand verftand, den Hut vor ber 
Geſellſchaft abnahın und a Er bezog eine Wohnun 
in M..., in welder er mehrere Donate zubrachte, ohne aud 
nur den Fuß in des Kommandanten Haus zu fegen, bei welchen: 
die Gräfin zurüdgeblieben war. Nur feinem zarten, würdigen 
und völli mufterhajten Detragen überall, wo er mit der Fa⸗ 
milie in irgend eine Berührung kam, hatte er es zu ver- 
danken, daß er, nach der nunmehr erfolgten Entbindung der 
Gräfin von einem jungen Sohne, zur Zaufe defjelben eingeladen 
ward. Die Gräfin, die mit Teppichen bededt auf den: Wochen- 
bette ſaß, ſah ihn nur auf einen Augenblid, da er unter die Thür 
trat, und fie von Weiten ehrfurchtsvoll grüßte. Er warf unter 
den Geſchenken, womit die Säfte den Neügebornen bewilllomm- 
ten, zwei Papiere auf die Wiege deſſelben, deren eines, wie fich 
nad) Seiner Entfernnng auswies, eine Schenkung von 20,000 Ru- 
bel an den Knaben, und das andere ein Teftament war, in dem er 
die Mutter, falls er ftürbe, zur Erbin feines ganzen Vermögens 
einfegte. Bon diefem Tage an ward er auf Beranftaltung der 
Frau von ®.... öfter eingeladen; das Haus ftand jeinem Ein- 
tritt offen, es vergieng bald Tein Abend, da er fid) nicht darin 
gezeigt hätte. Er Yeng, da fein Gefühl ihm fagte, daß ihm von 
allen Seiten um ber gebredhlichen Einrichtung der Welt willen 
verziehen fei, feine Bewerbung um die Gräfin, feine Gemahlin, 
von Neuem an, erhielt nach Verlauf eines Jahres ein zweites 
Jawort von ihr, und auch eine zweite Hochzeit ward gefeiert, 
frober als die erfte, nad) deren Abjchluß die ganze Familie nach 
B...bhinauszog. Eine ganze Reihe von jungen Ruſſen folgte 
jegt noch dem erſten; und da der Graf in einer glücklichen Stunde 
feine Frau einft fragte, warum fie an jenem fürchterlichen Dritten, 
da fie auf jeden Taiterhaften gefaßt (bien, vor ihm gleich einem 
Teufel ge ohen wäre, antwortete fie, indem fie ihm um ben 
Hals fiel, er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erfchienen 
fein, wenn er ihr nicht bei feiner erften Erfcheinung wie ein Engel 
vorgelonmen wäre. 


Das Erdbeben in Chili. 


In St. Jago, der Hauptitadt des Königreihs Chili, ftand 
gerade in dem Augenblide der großen Erderjchütterung vom 
Sabre 1647, bei welcher viele taujenb Menfchen ihren Unter- 
gang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angellagter Spa- 
nier, Namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des 
Gefängniſſes, in welches man ihn eingefperrt hatte, und wollte 
fi erbenten. Don Henrico Aſteron, einer der reichiten 
Edelleute der Stadt, hatte ihn ungefähr ein Jahr zuvor aus 
feinem Haufe, wo er als Lehrer angeftellt war, entfernt, weil 
er fih mit Donna Joſephe, feiner einzigen Tochter, in einem 
ärtlichen Einverftändnig befunden hatte, Eine geheime Be— 
Reffung, die dem alten Don, nachdem er die Tochter nachdrück⸗ 
lich gewarnt hatte, durch die hämifche Aufmerkfamfeit feines 
ftolzen Sohnes verrathen worden war, entrüftete ihn dergeftalt, 
dag er fie in dem Karmeliterkloſter unfrer lieben Frauen vom 
Berge dafelbft unterbrachte. Durch einen glüdlihen Zufall 
hatte Jeronimo bier die Berbindung von Neuem anzufnüpfen 
gewußt und in einer verjchwiegenen Nacht den Kloftergarten 
zum Schauplaße ſenes vollen Glückes gemacht. Es war am 
Frohnleichnamsfeſte, und die feierliche —* on der Nonnen, 
welchen die Novizen folgten, nahm eben ihren Anfang, als die 
unglüdliche Fofephe bei dem Anklange der Gloden in Mutter- 
mehen auf den Stufen der Kathedrale niederfanf. Diefer Bor- 
fall machte außerordentliches nl man brachte die junge 
Sünderin ohne Rüdfiht auf ihren Zuftand fogleich in ein Ge- 
fängniß, und faum war fie aus den Wochenserhanden, als ihr 
ſchon auf Befehl des Erzbiſchofs der gejchärftefte Prozeß ge- 
macht warb. an Hal ın der Stadt mit einer fo großen 
Erbitterung von diefem Skandal, und die Zungen fielen jo 
ſcharf über das ganze Klofter her, in weldyem er fich zugetragen 
hatte, daß meber die Fürbitte der Familie Afteron, noch auch 
fogar der Wunfch der Aebtiſſin jelbft, welche das junge Mädchen 
wegen ihres fonft untabelhaften Betragens lieb gewonnen hatte, 
die Strenge, mit welcher das löfterliche Geſetz fie bedrohte, 
mildern konnte. Alles, was gefchehen fonnte, war, daß der 
Feuertod, zu dem fie verurtheilt wurde, zur großen Entrüftung 


858 


ber Matronen und Jungfrauen von St. Jago durch einen Macht- 
[peu bes Vicekönigs in eine Enthauptung verwandelt ward. 
an vermiethete in den Straßen, durch welche der Hinrich- 
tungszug gehen follte, die Fenſter, man trug die Dächer ber 
Sa ab, und die frommen Töchter der Stadt luden ihre 
reundinnen ein, um bem Schaujpiele, das der göttlichen 
Rache gegeben wurde, an ihrer fömwefterlichen ©eite beizu- 
wohnen. Jeronimo, der inzwiſchen auch in ein Gefängniß gefegt 
worden war, wollte die Befinnung verlieren, als er dieje un- 
eheuve Wendung der Dinge erfuhr. Bergebens fann er auf 
Rettung; itberall, wohin ihn auch der Sun der vermefjenten 
Gedanken trug, ftieß er auf Riegel und Mauern, und ein Ber- 
ſuch, die Gitterfenfter zu durchjeilen, zog ihm, da er entdedt 
ward, eine nur nody engere Einfperrung zu. Er warf fich vor 
dem Bildniffe der heiligen Mutter Gottes nieder und betete mit 
unendlicher Inbrunſt zu ihr, als der Einzigen, von der ihm jegt 
noch Rettung fonımen fünnte. Doc der gefürdhtete Tag er- 
ſchien, und mit ihm in feiner Bruft die Meberzeugung von der 
völligen Hoffnungslofigteit feiner Yage. Die Gloden, welde 
Sofephen zum ii lage begleiteten, ertönten, und Verzweif⸗ 
lung bemädhtigte e feiner Seele. Das Leben ſchien ihn: ver- 
aßt, und er beſchloß, fich durch einen Strid, den ihm der Zu- 

- fall gelafjen hatte, den Tod au geben. Eben ftand er, wie ſchon 
gefagt, an einem Wandpfeiler, und ee den Strid, der 
ıhn dieſer jammervollen Welt entreißen follte, an eine Eifen- 
Hammer, die an dem Selimie derfelben eingefugt war; als 
plöglich der größte Theil der Stadt mit einem Gekrache, als 
ob das Firmament einftürzte, verfant und Alles, was leben 
athmete, unter feinen Trümmern begrub. Jeronimo Nugera 
war ftarr vor Entfeßen; und gleich als ob fein ganzes Bewußt⸗ 
fein zerfchmettert worden wäre, hielt er fid) jegt an dem Pfeiler, 
an welchem er hatte fterben wollen, um nicht umzufallen. Der 
Boden wankte unter feinen Füßen, alle Wände des Gefäng- 
nifjes riffen, der ganze Bau neigte fich, und der Straße zu ein- 
zuftürzen, und nur der feinem langfamen Fall begegnende Fall 
des gegenüberftehenden Gebäudes verhinderte durch eine zu- 
fällige Wölbung die gänzliche Zubodenftredung deſſelben. Zit- 
ternd, mit fträubenden Haaren und Snieen, die unter ihm 
bredjen wollten, gie Seronimo über dem fchiefgefenkten Fuß- 
boden hinweg der Deffnung zu, die der Zuſammenſchlag beider 
gäufer in die vordere Wand des Oefängnifies eingeriffen hatte. 
aum befand er fich im Freien, al3 die ganze, ſchon erjchütterte 
Straße auf eine zweite Bewegung der Erde völlig zuſammen⸗ 
fiel. Befinnungslos, wie er fi) aus diefem allgemeinen Ver⸗ 
derben retten würde, eilte er über Schutt und Gebälk hinweg, 
indefjen der Tod von allen Seiten Angriffe auf ihn machte, nad) 





359 


einem der nächften Thore ber Stadt. Hier ſtürzte noch ein Haus 
zuſammen und jagte ihn, Die Triimmer weit umberjchleudernd, 
in eine Nebenftraße; bier ledte die Flamme ſchon, in Dampf- 
wollen bligend, aus allen Giebeln, und trieb ihn fchredenvoll in 
eine andere; hier mälzte fi), aus feinem ©eftabe gehoben, der 
Mapochofluß auf ihn heran und u ihn brüllend ın eine britte. 
Hier lag ein Haufen Erfchlagener, hier ächzte nod) eine Stimme 
unter dem Schutte, hier jhrieen Leute von brennenden Dädern 
herab; bier Fämpften Menjchen und Thiere mit den Wellen, 
hier war ein muthiger Netter bemitht, zu helfen; hier ftand ein 
Anderer, bleich wie der Tod, und ftredte ſprachlos zitternde 
Hände zum Himmel, AS Yeronimo das Thor erreicht und 
einen Hügel jenfeit3 defjelben beftiegen hatte, ſank ev ohnmäch— 
tig et denselben nieder. Er mochte wohl eine Biertelftunde in 
der tiefften Bemußtlofigfeit gelegen haben, als er den wieder 
erwachte und fich mit nach der Stadt gefehrtem Rüden halb auf 
dem Erdboden erhob. Er befühlte Jih Stirn und Bruft, un- 
wiſſend, was er aus (en uftande machen follte, und ein un- 
jäglihes Wonnegefühl ergriff ihn, als ein an vom Meere 
ber ſein wiederfebrendes Yeben anwehte, und fein Auge fi) nad) 
allen Richtungen über die blühende Gegend von St. Jago hin- 
wandte. Nur die verftörten —— die ſich überall 
bliden ließen, beflemmten jein Herz; er a nicht, was ihn 
und fie hierher geführt haben fonnte, und exit, da er ſich um- 
kehrte, und die Stadt hinter fich verfunfen jet , erinnerte er [4 
des fchredlichen Augenblicks, den er erlebt hatte, Er fenkte ſich 
fo tief, daß feine Stirn den Boden berührte, Gott für feine 
wunderbare Orrettung zu danken; und gleich, al3 ob der eine 
entfegliche Eindrud, der fich feinem Gemüth eingeprägt hatte, 
alle früheren daraus verdrängt hätte, weinte er vor Luft, daß 
er fich des lieblichen Lebens vol bunter Erſcheinungen noch er- 
freue. Drauf, als er eines Ringes an feiner Hand gemahrte, 
erinnerte er ſich pls auch Joſephens; und mit ihr feines 
Gefängniffes, der Glocken, die er dort gehört hatte, und des 
Augenblids, der dem Einfturze deffelben vorangegangen war. 
Ziele Schwermuth erfüllte wieder feine Bruft; fein Gebet fieng 
-ihn zu reuen an, und fürchterlich fchten ihm das Wejen, das 
über den Wolfen waltet. Er mifchte fih unter das Voll, das, 
itberall mit Rettung des Eigenthums befchäftigt, aus den Tho— 
ren ſtürzte, und wagte ſchüchtern nach der Tochter Afterons, und 
ob die Hinrichtung an ihr vollzogen worden fet, zu fragen; doc) 
Niemand war, der ihm umftändliche Auskunft gab. Eine Frau, 
die auf einem faft zur Erde gebrüdten Naden eine ungeheure 
Laft von Geräthfchaften und zwei Kinder an der Bruft hängend 
trug, fagte im Vorbeigehen, als ob fie e8 felbft angejehen hätte, 
daß fie enthauptet worden fei. Jeronimo Tehrte Hi un; und 


360 


da er, wenn er die Zeit berechnete, felbft an ihrer Vollendung 
nicht zweifeln fonnte, I (ie er fi) in einem einfamen Walde 
nieder und überließ fich feinem vollen Schmerz. Er münfchte, 
daß die zerftörende Gewalt der Natur von Neuem über ihn ein- 
brechen möchte. Er begriff nicht, warum er dem Tode, den feine 
jammervolle Seele ſuchte, in jenen Augenbliden, da er ihm frei- 
willig von allen Seiten rettend erjchien, entflohen fei. Er nahm 
ſich feft vor, nicht zu wanken, wenn auch jeßt die Eichen ent- 
wurzelt werden und ihre Wipfel über ihn ulammenftürzen foll- 
ten. Darauf nun, da er fich ausgemeint hatte, und ihm mitten 
unter den heißeften Thränen die Hoffnung wieder erfchienen war, 
ftand er auf, und durdhftreifte nad allen Richtungen das Feld. 
Jeden Berggipfel, auf dem fich die Menfchen verfammelt hatten, 
beſuchte er; auf allen Wegen, wo fi der Stron der Flucht 
noch bewegte, begegnete er ihnen; wo nur irgend ein weibliche 
Gewand ım Winde flatterte, da teug ihn fein zitternder Fuß 
hin; doch feines dedte die geliebte Tochter Afteronsd. Die Sonne 
neigte fi und mit ihr feine Hoffnung fchon wieder zum Unter⸗ 
gange, als er den Rand eines Felfens betrat, und ihm die 
usficht in ein weites, nur von wenig Menfchen befuchtes Thal 
eröffnete. Er durchlief, unfchlüffig, mas er thun follte, die ein- 
zelnen Gruppen derfelben, und wollte fich a wieder wenden, 
al8 er plöglich an einer Duelle, die die Schlucht bewäflerte, ein 
junges Weib erblidte, befhäftigt, ein Kind in ihren Fluten zu 
reinigen. Und das Herz ehe ihm bei diefem Anblid; er fprang 
voll Ahndung itber die Gefteine herab und rief: „OD Wutter 
Gottes, du heilige!” und erkannte Joſephen, als fie fich bei dem 
Geräuſche jchüchtern umfah. Mit welcher Seligleit umarmten 
fie ſich, die Unglücklichen, die ein Wunder des Himmels gerettet 
atte! Joſephe war auf ihrem Öang zum Tode dem Richtplatze 
hon ganz nahe gewejen, als durch den krachenden Einfturz der 
Gebäude plöglich der ganze Himmichtungszu auseinander ge- 
fprengi ward. Ihre eriten entfeensvollen Schritte trugen fie 
hierauf dem nächften Thore zu; doch die Befinnung Tehrte ihr 
bald wieder, und fie wandte Ir um, nach dem Klofter u eilen, 
wo ihr Feiner bülflofer Knabe zurüdgeblieben war. Sie fand 
das ganze Kloſter ſchon in Flammen, und die Aebtiffin, die 
ihr in jenen Augenbliden, die ihre legten fein follten, Sorge 
für den Säugling angelobt hatte, fchrie eben, vor den Pforten 
ftehend, nach Hülfe, um ihn zu retten. Joſephe ſtürzte fih un- 
erjchroden dur) den Dampf, der ihr entgegenqualmte, in das 
von allen Seiten ſchon zufammenfallende Gebäude, und gleich 
als ob alle Engel des Himmels fie umſchirmten, trat fie mit 
ihm unbefhädigt wieder aus dem Portal hervor. Sie wollte 
der Hebtiffin, welche die Hände über ihr Haupt zuſammenſchlug, 
eben in die Arme finten, als dieſe mit faft allen ihren Klofter- 


361 


frauen von einem herabfallenden Giebel des Haufes auf eine 
—— e Art erſchlagen ward. Joſephe bebte bei dieſem ent- 
eglihen Anblide zurüd; fie drüdte der Aebtiſſin flüchtig Die 
Augen zu, und floh, ganz von Shreden erfüllt, den theuern 
Knaben, den ihr der Himmel wieder gefchenft hatte, dem Ber- 
derben zu entreißen. Sie hatte 1 wenig Schritte gethan, 
als ihr auch fchon die Teiche des Erzbifchof8 begegnete, die man 
jo eben zerjhmettert aus dem Schutt der Kathedrale hervorge⸗ 
aogen hatte. Der Balaft des Vicekönigs war verjunten, der 
erihtshof, in welchem ihr das Urtheil geſprezen worden . 
war, ftand in Flammen, und an die Stelle, wo ſich ihr väter- 
liches Haus befunden hatte, war ein See getreten, und Tochte 
röthlihe Dämpfe aus. Joſephe raffte alle ihre Kräfte zufam- 
men, fi) zu halten. Sie fohritt, den Jammer von ihrer Bruft 
entfernend, muthig mit ihrer Beute von Straße zu Straße, und 
war ſchon dem Thore nah, als fie auch das Gefängnig, in 
welchem Jeronimo gefeufzt hatte, in Trümmern ſah. Bei diefem 
Anblicke wankte je und wollte beſinnungslos an einer Ede nieder- 
ſinken; 1 in demſelben Augenblid jagte fie der Sturz eines 
Gebäudes hinter ihr, das die Erfchütterungen fehon ganz auf- 
gelöft hatten, durch das ken geftärkt, wieder auf; fie füßte 
das Kınd, drüdte fid) die Thränen au3 den Augen, und er- 
reichte, nicht mehr auf die Gräuel, die fie umringten, achtend, . 
das Thor. Als fie fi im Freien fah, jchloß fie bald, daR nicht 
Feder, der ein zertrümmertes Gebäude bewohnt hatte, unter 
ihm nothwendig müſſe gerihmettert worden fein An dem 
nächſten Scheidemwege ftand fie ftill, und bare, ob nicht Einer, 
der ihr nach dem Kleinen Philipp der liebſte auf der Welt war, 
noch erfcheinen würde. Sie gieng, weil Niemand fam, und das 
Gewühl der Menfchen anwuchs, weiter, und kehrte I wieder 
um und harrte wieder; und ſchlich, viel Thränen vergießend, in 
ein dunlles, von Pinien befchattetes Thal, um feiner Seele, die 
fie entflohen glaubte, nachzubeten; und fand ihn hier, diefen 
Geliebten, im Thale, und Seligkeit, ala ob es das Thal von 
Eden geweſen wäre. Dieß Alles erzählte fie jegt voll Rührung 
dem Jeronimo und reichte ihm, da fie vollendet Hatte, den 
Knaben zum Küffen dar. — Jeronimo nahm ihn und hätfchelte 
ihn in unfäglicher Vaterfreude, und verfchloß ihm, da er das 
jremde Untlig anmeinte, mit Sieblofungen ohne Ende den 
Mund. Inbejien war die [hönfte Nacht herabgeftiegen, voll 
wundermilden Duftes, fo fi berglängend und ſtill, wie nur ein 
Dichter davon träumen mag. Ueberall längs der Thalquelle 
hatten fih im Schimmer des Mondſcheins Dienfchen nieder- 
gelaſſen, und bereiteten fich ſanfte Yager von Moos und Raub, 
um von einem jo qualvollen Zage auszuruhen. Und weil die 
Armen immer noch jammerten, Diefer, daß er fein Haus, Jener, 


362 


baß er Weib und Kind, und der Dritte, daß er Alles verloren 
abe, fo ſchlichen Jeronimo und Joſephe in ein dichteres Ge- 
üfch, um durch das heimliche Gejauchz ihrer Seelen Niemand 
u betrüben. Sie fanden einen pradhtvollen Granatapfelbaum, 
er feine Zweige voll buitender Früchte weit außbreitete, und 
die Nachtigall flötete im Wipfel ihr wollüftiges Lied. Hier ließ 
fih Seronimo am Stamme nieder, und Joſephe in feinem, 
Philipp in Joſephens Schooß, faßen fie von feinem Mantel be- 
dedt und ruhten. Der Baumfchatten zog mit feinen zerftreuten 
Litern über fie hinweg, und der Mond erblaßte Ion wieder 
vor der Morgenröthe, ehe & einjchliefen. Denn Unendliches 
hatten fie zu masen vom Kloftergarten und den Gefängniffen 
und was fte um einander gelitten hätten; und waren ſehr ge- 
rührt, wenn fie dachten, wie viel Elend über die Welt fommen 
mußte, damit fie glüdlich würden! Sie beſchloſſen, fobald die 
Erderfehätterungen aufgehört haben würden, nad) Ya Eonception 
zu gehen, wo Joſephe eine vertraute Freundin hatte, ſich mit 
einen Kleinen Vorſchuß, den fie von ihr zu erhalten hoffte, von 
dort nach Spanien lee wo —— mütterliche 
Bermandten wohnten, und dafelbft ihr glüdliches Leben zu be- 
Iöließen. Hierauf unter vielen Kiffen Ühliefen fie ein. 

18 fie erwadhten, ftand die Sonne ſchon hoch am Himmel, 
Nund fie bemerkten in ihrer Nähe mehrere Zamilien bejchäftigt, 
fih am Feuer ein Heines Morgenbrod zu bereiten. Jeronimo 
dachte eben auch, wie er Nahrung für die Seinigen herbei- 
ſchaffen follte, als ein junger, wohlgefleideter Dann, mit einem 
Kinde auf dem Arm, zu Joſephen trat, und fie mit Befcheiden- 
heit fragte, ob fie diefem armen Wurme, deffen Mutter dort 
unter den Bäumen befhädigt liege, nicht auf furze Zeit ihre 
Druft reichen wolle? Fojephe war ein wenig verwirrt, als fie in 
ihm einen Bekannten erblidte, doch da er, indem er ihre Ber- 
rung Talich deutete, fortfuhr: „ES ift nur auf wenige Augen- 
blide, Donna Sofephe, und diejes Kind hat fett jener Stunde, 
die ung Alle unglüdlih gemacht hat, Nichts genoffen“; fo fagte 
fie: „Ich Ha aus einem andern Grunde, Don Fernando; 
in dieſen jchrediichen Zeiten weigert fi Niemand, von dem, 
was er befigen mag, mitzutheilen*: und nahm den Heinen 
Fremdling, indem fie ihr eigenes Kind dem Vater gab, und 
legte ihn an ihre Bruft. Don Fernando war fehr dankbar für 
diefe Güte, und fragte, ob fie fi nicht mit ihm zu jener &e- 
fellfchaft verfiigen wollten, wo eben jet beim Feuer ein kleines 
Srühftüd bereitet werde. Joſephe antwortete, daß fie dieß An- 
erbieten mit Vergnügen annehmen würde, und folgte ihn, da 
aud) Jeronimo Nichts einzuwenden hatte, zu feiner Familie, wo 
fie auf das Innigſte und Berti von Don Yernandos beiden 
Schwägerinnen, die fie als jehr würdige junge Damen kannte, 





. 363 


enden en ward. Donna Elvire, Don Fernandos Gemahlin, 
welche Ichwer an den Füßen verwundet auf der Erde lag, 309 
Safepben, da fie ihren abgehärmten Knaben an der Bruſt der- 
jelben Iad: mit vieler Freundlichkeit zu fich nieder. Auch Don 
Pedro, jein Schwiegervater, der an der Schulter verwundet 
war, nidte ihr liebreih mit dem — zu. — Y Jeronimos 
und Joſephens Bruſt regten ſich Gedanken von ſeltſamer Art. 
Wenn ſie ſich mit ſo vieler Vertraulichkeit und Güte behandelt 
ſahen, ſo wußten ſie nicht, was ſie von der Vergangenheit 
denken ſollten, vom Richtplatze, von dem Gefängniſſe und der 
Glocke; und ob ſie bloß davon geträumt hätten. Es war, als 
ob die Gemüther ſeit dem fürchterlichen Schlage, der fie durch- 
dröhnt hatte, alle verföhnt wären. Sie konnten in der Er- 
Innerung ger nicht weiter als bis auf ihn zurüdgehen. Nur 
Donna Elifabeth, welche bei einer Freundin auf das Schaufpiel 
des geftrigen Morgens eingeladen worden war, die Einladung 
aber nicht angenommen hatte, ruhte zuweilen mit träumerifchem 
Blide auf Solephen; doch der Bericht, der über irgend ein neues 
gräßliches Unglüd erftattet ward, riß ihre der Gegenwart kaum 
entflohene Seele ſchon wieder in diefelbe zurüd. Man erzählte, 
wie die Stadt gleich nach der erften Haupterjchütterung von 
Weibern ganz voll gemwefen, die vor den Augen aller Männer 
niedergefommen feien; wie die Mönche darin mit dem Kruzifir 
in der Hand um hergelaufen wären und gejchrieen hätten, das 
Ende der Welt fei da, wie man einer Wade, die auf Befehl 
des Vicekönigs verlangte, eine Kirche zu räumen, geantwortet 
ätte, e8 gäbe feinen Bicefönig von Chili mehr! wie der 
icefönig in den fchredlichiten Nugenbliden hätte müfjen Galgen 
aufrichten laſſen, um der Dieberei Einhalt zu thun; und wie 
ein Unjchuldiger, der fich von hinten durch ein brennendes Haus 
gerettet, von Dem Befiger aus ebereilung ergriffen und ſogleich 
auch aufgelnüpft worden wäre. Donna Elvire, bei deren Ber- 
legungen Sofern viel befchäftigt war, hatte in einen Augenblick, 
da gerade die Erzählungen fü am Lebhafteften- freuzten, Ge⸗ 
legenheit genommen, fie zu fragen, wie es denn ihr an diefem 
fürchterlichen Tag ergangen fei. Und da Joſephe ihr mit be- 
klemmtem Herzen einige Hauptzüge davon angab, jo ward ihr 
die Wolluſt, Thränen in die ugen diefer Dame treten zu fehen; 
Donna Elpire —J ihre Hand, und drückte ſie, und winkte 
ihr, zu ſchweigen. Joſephe dünkte ſich unter den Seligen. Ein 
Gefühl, das fie nicht unterdrüden fonnte, nannte den ver- 
floffenen Tag, jo viel Elend er auch über die Welt gebracht hatte, 
eine Wohlthat, wie der Himmel noch feine über fie verhängt 
hatte. Und in der That fchien mitten in diefen gräßlichen 
Augenbliden, in welchen alle irdifhen Güter der Menfchen zu 
Grunde giengen und die ganze Watur verfchüttet zu werben 


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364 


drohte, der menschliche Geift ſelbſt wie eine fchöne Blume auf- 
ugehen, Auf den Feldern, jo weit das Auge reichte, jah man 
enjchen von allen Ständen durcheinander liegen, Fürften und 
Bettler, Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte und Tage- 
—3— Kloſterherren und Kloſterfrauen einander bemitleiden, 
ſi wehjelfeitig Hilfe reichen, von dem, was fie zur Erhaltung 
ihres Lebens gerettet gaben mochten, freudig mittheilen, als ob 
das allgemeine Unglüd Alles, was ihm entronnen war, zu einer 
Familie gemacht hätte. Statt der Nichts fagenden Unter- 
altungen, zu welden jonft die Welt an den Theetijchen den 
toff hergegeben atte, erzählte man jet Beilpiele von un- 
geheuern Thaten; Menfchen, die man {nf in der Gefellichaft 
menig geachtet hatte, hatten Nömergröße gezeigt; Beijpiele zu 
ga en von Unerfchrodenheit, von freudiger Verachtung der 
efahr, von Selbftverläugnung und der göttlichen Aufopferung, 
von ungefäumter Wegwerfung des Lebens, als ob es, dem 
nichtswürdigſten Gute gleich, auf dem nächften Schritte ſchon 


edlen würde. Ja, da nicht Einer war, für den nicht 


an diefem Tage etmas Nührendes gefchehen wäre, oder der 
nicht felbft etwas Großmüthiges gethan hätte, jo war der 
Schmerz in jeder Menjchenbruft mit fo viel füßer Luft ver- 
mifcht, daß er wie fie meinte, gar nicht angeben ließ, ob die 
Summe des a gemeinen Wohlſeins nicht von der einen Seite 
um eben fo viel gewachſen war, als fie von der andern ab- 
genommen hatte. Jeronimo nahm Joſephen, nachdem ſich 
eide in diefen Betrachtungen ſtillſchweigend Pal hatten, 
beim Arm, und führte fie mit unausfprechlicher Heiterkeit un- 
ter den fchattigen Tauben des Granatwaldes auf und nieder. 
Er jagte ihr, dah er bei diefer Stimmung der Gemüther und 
dem Umfturz aller Berhältniffe feinen Entſchluß, fi) nad 
Europa einzufchiffen, aufgebe; daß er vor dem Vicekönig, der 
fich feiner Sache immer günftig gezeigt, falls er noch am Leben 
jet, einen Zußfall wagen würde, und daß er Hoffnung habe 
(wobei er ihr einen Fuß Fr mit ihr in Chili zurüd- 
zubleiben. Joſephe antwortete, daß ähnliche Gedanken in ihr 
aufgeftiegen wären; daß auch fie nicht mehr, falls ihr Vater 
nur noch amı Reben lei, ihn zu verfühnen zweifle; daß fie aber 
fett des Fußfalles lieber nad Ta Conception zu gehen, und von 
ort aus fchriftlich das Verſöhnungsgeſchäft mit dem Vicekönig 
in betreiben er wo man auf jeden Fall in der Nähe des Ha- 
end wäre, und für den beften, wenn das Geſchäft die tele 
Wendung nähme, ja leicht wieder nach St. Jago zurüdtehren 
fönnte. Nach einer kurzen Veberlegung gab Jeronimo der 
Klugheit dieſer Maßrege feinen Beifall, Fährte fie noch ein 
mentg, die heitern Momente der Zukunft überfliegend, in den 
Gängen umher, und kehrte mit ihr zur Geſellſchaft zurüd, 





365 


Inzwiſchen war der Nachmittag herangelommen, und die 
Gemüther der herumſchwärmenden Flüchtlinge hatten fi, da 
die Erdftöße nachließen, nur kaum wieder ein wenig beruhigt, 
als ſich ſchon die Nachricht verbreitete, daß in der Dontinilaner- 
tirche, der einzigen, welche das Erdbeben verſchont hatte, eine 
feierliche Melee von dent Prälaten des Kloſters jelbjt gelejen 
werden würde, deu Himmel um Verhütung ferneren Unglüds 
anzuflehen. Das Volk brach ſchon aus allen Gegenden auf und 
eilte in Strömen zur Stadt. In Don Fernandos Geſellſchaft 
ward die Frage aufgeworfen, ob man nicht auch an dieſer Feier⸗ 
lichfeit Theil nehmen und ſich dem allgemeinen Zuge anſchließen 
fole. Donna Elifabeth erinnerte mit einiger Bellemmung, 
was für ein Unheil geftern in der Kirche vorgefallen fei; daß 
folhe Dankfeſte ja wiederholt werden würden, und daß man 
fih der Empfindung alsdann, weil die Gefahr ſchon mehr 
vorüber wäre, mit defto größerer Heiterfeit und Ruhe über- 
laſſen könnte. Joſephe äußerte, indem fie mit einiger Be— 
geifterung jogleich aufftand, daß fie den Drang, ihr Antlig vor 
dem Schöpfer in den Staub zu legen, niemals Tebhafter 
empfunden babe als eben jegt, wo er feine unbegreifliche und 
erhabene Madıt fo entwidle, Donna Elvire erklärte fi) mit 
Lebhaftigkeit für Joſephens Meinung. Sie beftand darauf, 
dag man die Meſſe hören follte, und rief Don Fernando auf, 
die Geſellſchaft zu führen, worauf fih Alles, Donna Elifabeth 
auch, von den Sigen erhob. Da man jedoch Sehtere mit heftig 
arbeitender Bruft die Meinen Anftalten zum Aufbruche zaudernd 
betreiben ſah, und fie auf die Frage, was ihr fehle, antwortete, 
fie wiffe nicht, welch eine unglädtiche Ahndung in ihr fei, fo 
berubigte fie Donna Elvire, und forderte fie auf, bei ihr und 
ihrem kranken Bater aurüdzubleiben. ojephe fagte: „So 
werden Sie mir wohl, Donna Elifabeth, dieſen Heinen Liebling 
abnehmen, der fich jchon wieder, wie Sie fehen, bei mir ein- 
gefunden bat.“ „Sehr gern“, antwortete Donna Elisabeth, 
und machte Anftalten, ihn zu ergreifen; doch da diefer iiber das 
Unrecht, das ihm geſchah, kläglich fchrie und auf feine Art 
darein milligte, fo jagte Joſephe lächelnd, daß fie ihn nur be- 
An molle, und Füßte ihn wieder ftil. Hierauf bot Don 

ernando, dem die ganze Würdigfeit und Anmuth ihres Be- 
tragen ehr gefiel, ibr den Arm; Seronimo, welcher den Heinen 
Philipp trug, führte Donna Eonftanzen; die übrigen Mit- 
glieder, die iR bei der Geſellſchaft eingefunden hatten, folgten: 
und in dieſer Ordnung gieng der Zug nad) der Stadt. Sie 
waren kaum Junfaig Schritte gegangen, als man Donna 
Eliſabeth, welche inzwijchen beta und beimlih mit Donna 
Elvire gefprodhen hatte: „Don Fernando!“ rufen hörte, und 
dem Zuge mit unruhigen Zritten nadheilen ſah. Don Fernandg 


866 


pie und vie fih um; harrte ihrer, ohne Joſephen loszu⸗ 
allen, und fragte, da fie, gleich als ob fie auf fein Entgegen- 
fommen wartete, in einiger Ferne ftehen blieb, was fie wolle. 
Donna Elifabeth näherte fih ihm hierauf, obfchon, wie es 
fhien, mit Widermwillen, und raunte ihm, doch fo, daß Joſephe 
es nicht hören konnte, einige Worte ins Ohr. „Nun?“ fragte 
Don Fernando: „und das Unglüd, das daraus entftehen kann?“ 
Donna Elifabeth fuhr fort, ihm mit verjtörtem Gefidht ind Ohr 
zu ziſcheln. Don Fernando ftieg eine Röthe des Unwillens ins 
Seht: er antwortete: „Es mwäre gi Donna Elvire möchte 
fih beruhigen”; und führte feine Dame weiter. — Als fie in 
der Kirche der Dominikaner ankamen, ließ fich die Orgel ſchon 
mit mufilalifher Pracht hören und eine unermeßliche Dienfchen- 
menge wogte darin. Das Gedränge erftredte fich bis weit vor 
den Portalen auf den Borplag der Kirche hinaus, und an den 
Wänden hoch in den Rahmen der Gemälde hiengen Knaben und 
pielten mit erwartungsvollen Bliden ihre Düsen in der Hand. 

on allen Kronleuchtern ftrahlte es herab, die Pfeiler warfen 
bei der einbrechenden Dämmernng geheinmißgvolle Schatten, die 
große, von gefärbtem Glaſe gearbeitete Roje in der Kirche 
äußerten Hintergrunde glühte wie die Abendfonne felbft, die 
fie erleuchtete, und Stille herrſchte, da die Orgel jebt ſchwieg, 
in der ganzen Berfammlung, als hätte Seiner einen Laut in der 
Bruſt. Niemals fchlug aus einem hriftlihen Dom eine folche 
Flamme der Inbrunft gen Himntel, wie heute aus dem Domini- 
kanerdom zu St. Jago; und feine menfchliche Bruft gab wärmere 
Glut dazu her, als Jeronimos und Joſephens! Die Feierlid)- 
feit fieng mit einer Predigt an, die der älteften Chorherren 
Einer, mit dem Feſtſchmuck angethan, von der Kanzel hielt. 
Er begann glei mit Lob, Preis und Dank, feine zitternden, 
vom Chorhemde meit umfloflenen Hände hoch gen Himmel er- 
—2 daß noch Menſchen ſeien auf dieſem in Trümmer zer- 
allenden Theile der Welt, fähig, zu Gott empor zu ftammeln. 
Er ſchilderte, was auf den Winf des Allmächtigen gejchehen 
war; das Weltgericht kann nicht eziher ſein; und als er 
das geſtrige Erdbeben gleichwohl, auf einen Riß, den der Dom 
erhalten —* hinzeigend, einen bloßen Vorboten davon 
nannte, lief ein Schauder über die ganze Verſammlung. 
Sigant kam er im Fluſſe prieſterlicher Beredſamkeit auf das 

ittenverderbniß der Stadt; Gräuel, wie Sodom und Go— 
morrha ſie nicht ſahen, ſtraft' er an ihr; und nur der unend⸗ 
lichen Langmuth Gottes ſchrieb er es zu, daß fie noch nicht 
gänzlich vom Erdboden vertilgt worden fei. Aber wie dem 

olche gleich fuhr e8 durch die von diefer Predigt ſchon ganz 
erriffenen Herzen unferer beiden Unglüdlichen, als der Chor⸗ 
err bei diejer Gelegenheit umftändlich des Frevels erwähnte, 








867 


ber in dem Kloſtergarten der Karmeliterinnen verübt worden 
. war; die Schonung, bie er bei der Welt gefunden hatte, 
gottlo8 nannte, und in einer von Verwünſchungen erfüllten 
GSeitenwendung die Seelen der Thäter, wörtlich genannt, 
allen Fürften der Hölle übergab! Donna Conſtanze rief, 
indem fie an Jeronimos Armen „zudte: „Don Fernando!“ 
Doch dige antwortete jo nachdrüdlich und doch fo heimlich, 
wie fich Beides verbinden ließ: „Sie ſchweigen, Donna, Sie 
rühren auch den Augapfel nicht, und thun, als ob Sie in 
eine Ohnmacht verfänfen, worauf wir die Kirche verlafjen.“ 
Doch ehe Donna Conftanze diefe finnreiche, zur Rettung er- 
fundene Maßregel noch ausgeführt haite, rief ſchon eine 
Stimme, des Chorherrn Prrdigt laut unterbrechend, aus: 
„Weichet fern hinweg, ihr Bürger von St. Jago, hier ſtehen 
dieſe gottloſen en Und als eine andere Stimme 
[öredennoll, indeffen jich ein weiter Kreis des Entſetzens um fie 
ildete, fragte: „Wo?“ „Hier!“ verfegte ein Dritter, und zog, 
heiliger Ruchlofigfeit voll, Joſephen bei den Haaren nieder, 
daß He mit Don Fernandos Sohne zu Boden getaumelt wäre, 
wenn diejer fie nicht gehalten hätte, „Seid n wahnfjinnig ?” 
rief der Süngtin und ſchlug den Arm um Joſephen: „Ich bin 
Don Fernando Ormez, on des Kommandanten der Stadt, 
den ihr Alle kennt.“ „Don Fernando Ormez?“ rief, Dicht vor 
ihn hingeftellt, ein Schuhflider, der für Fofephen gearbeitet 

atte, und diefe Denn ens jo genau fannte als ihre Keinen 

üße. „Wer ift der Bater zu diefem Kinde?“ wandte er fid) 
mit frehem Trotz zur Tochter Aſterons. Don Fernando er- 
blaßte bei diefer Frage. Er fah bald den Jeronimo fchüchtern 
an, bald überflog er die Verſammlung, ob nicht Einer jet, der 
ihn fenne? Joſephe rief, von entjeglichen Verhältniſſen de 
drängt: „Dieß ift nicht mein Kind, Meifter Pedrillo, wie Er 
glaubt“; indem fie in unendlicher Angſt der Seele auf Don Fer- 
nando blidte: „Diefer junge Herr ıft Don Fernando Ormez, 
Cohn des Commandanten der Stadt, den ihr Alle kennt!“ Der 
Schufter fragte: „Wer von euch, ihr Bürger, kennt diefen 
jungen Mann?” Und mehrere der Umftehenden wiederholten: 
„Der Tennt den Jeronimo Rugera? der trete vor!” Nun traf 
e3 fih, daß in demſelben Augenblide der feine Juan, durch 
den Tumult erfchredt, von Joſephens Bruft weg Don Fernando 
in die Arme ftrebte. Hierauf: „Er ift der Vater!“ fehrie eine 
Stimme; und „er ift Jeronimo Rugera“, eine andere; und: 
„Sie find die gottesläfterlihen Menſchen!“ eine dritte; und: 
„Steinigt fie! fteinigt fie!“ die ganze im Tempel Jeſu verjam- 
melte — Drauf jetzt Jeronimo: „Halt! ihr Unmenſch⸗ 
lichen! Wenn ihr den Jeronimo Rugera ſucht: hier iſt er! Befreit 
jenen Mann, welcher unſchuldig iſt!“ — Der wüthende Haufen, 


368 


durch Die Aeuberung Seronimog verwirrt, ſtutzte; mehrere Hände 
ließen Don Fernando 108; und da in demfelben Augenblid ein 
Ai arineofficier von bedeutendem Rang herbeieilte, und indem er 
In durch den Tumult drängte, fragte: „Don Fernando Ormez! 
a8 ift euch widerfahren ?” jo antwortete diefer, nun völlig 
befreit, mit wahrer heidenmüthiger Befonnenheit: „Ya fehen 
Ste, Don Alonzo, die Mordknechte! Ich wäre verloren ge- 
weſen, wenn diefer würdige Dann fich nicht, die rafende Menge 
u beruhigen, für Jeronimo Rugera auögegeben hätte. Ber- 
aften Ste ihn, wenn Sie die Güte haben wollen, nebft diefer 
jungen Dame zu ihrer beiderjeitigen Siderbeit; und diejen 
Nichtswürdigen“, indem er Meifter Pedrillo ergriff, „der den 
ganzen Aufruhr angezettelt hat!“ Der Schufter rief: „Don 
lonzo Onoreja, ic) Page Euch auf Euer Gemiffen, tft diefes 
Mädchen nicht Joſephe Aſteron?“ Da nun Don Alonzo, welder 
Se en jehr genau kannte, mit der Antwort zauderte, und 
mehrere Stinnmen, dadurd) von Neuem zur Wuth entflammt, 
riefen: „Sie iſts, fie iſts!“ und: „Bringt fie zu Tode!“ fo fegte 
Joſephe den Kleinen Philipp, den Jeronimo bisher getragen 
hatte, ſammt dem Fleinen Juan auf Don Fernandos Arm, und 
pro: „Gehn Sie, Don Fernando, retten Sie Ihre beiden 
inder, und überlaflen Sie uns unferm Schickſale!“ Don Fer- 
nando nahm die beiden Kinder und fagte: er wolle eher um- 
tommen al3 zugeben, daß feiner Geſellſchaft etwas zu Leibe 
gefhehe. Er bot Fofephen, nachdem er fich den Degen des 
Marineofficierö ausgebeten —* — den Arm, und forderte das 
hintere Paar auf, ihm zu folgen. Sie kamen Mr! wirklich, 
indem man ihnen bei folden Anftalten mit hinlänglicher Ehrer- 
bietigteit Pla machte, aus der Kirche heraus, und glaubten 
fih gerettet. Doch kaum waren fie auf den von Menfchen gleich- 
falls enden Borplat derjelben getreten, als cine Stimme aus 
dem rajenden Haufen, der fie verfolgt patte, rief: „Dieß tft 
Jeronimo Rugera, ihr Bürger, denn ich bin fein eigner Vater!“ 
und ihn an Donna Conftanzens Seite mit einem ungeheuren 
Keulenfchlage zu Boden ftredte. „Jeſus Maria!“ riet Donna 
Eonftanze, und floh zu ihrem Schwager; doch: „Kloſtermetze!“ 
ericholl es fchon, mit einem zweiten Keulenſchlage von einer an- 
dern Seite, der fie leblo8 neben Jeronimo niederwarf. „Un- 
gebeuer rief ein Unbefannter: „Dieß war Donna Eonftanze 
ares!" „Warum belogen fie uns!“ antwortete der Schufter; 
„Sucht die Rechte er) und bringt fie um!“ Don Fernando, als 
er Conſtanzens Leichnam erblidte, glühte vor Zorn; er zog und 
Ihwang da8 Schwert, und hieb, daß er ihn gefpalten hätte, 
den fanatijchen Miorofnedt, der Diefe Gräuel veranlaßte, wenn 
berfelbe nicht Durch eine Wendung dem wüthenden Schlag ent- 
wichen wäre. Doch da er die Menge, die auf ihn eindrang, 








369 


nicht überwältigen konnte: „Leben Sie wohl, Don Fernando 
mit den Kindern!” rief Joſephe — und: „Hier mordet mich, 
ihr blutdürftenden Tiger!“ und ſtürzte I, freiwillig unter fü 
um dem Kampf ein Ende zu Fo eiſter Pedrillo ſchlug 
ſie mit der Keule nieder. Darauf, ganz mit ihrem Blute be- 
ſprützt: „Schickt ihr den Baſtard zur 8* nach!“ rief er, und 
drang mit noch ungeſättigter Mordluſt von Neuem vor. Don 
Fernando, dieſer göttliche Held, ftand jest, den Rüden an die 
Kirche gelehnt; in der Linken hielt er die Kinder, in der Rechten 
das Schwert. Mit jedem Hiebe —IJI er Einen zu 
Boden; ein Löwe wehrt fi nicht bejler. Steben Bluthunde 
lagen todt vor ihm, der Fürft der fatanifchen Rotte felbjt war 
verwundet. Doch Meifter Bedrillo iuge nicht eher, als bis er 
der Kinder Eines bei den Beinen von ſeiner Gent gerifien, und, 
hochher im Kreife geſchwungen, an eines Kiecpfei ers Ede zer- 
ſchmettert hatte. Hierauf ward es ftill, und Alles entfernte ſich. 
Don Fernando, als er feinen Kleinen Juan vor 16 liegen fah 
mit aus dem Hirne vorquellendem Mark, hob voll namenlojen 
Schmerzes feine Augen gen Himmel. Der Marineoffizier fand. 
fid) wieder bei ihm ein, juchte ihn zu tröften, und verficherte ihn, 
daß feine Unthätigkeit bei dieſem Unglüd, obſchon durch mehrere 
Umſtände — an reue; doch Don Fernando fagte, 
daß ihm Nichts vorzumerfen fei, und bat ihn, nur die Leich— 
name jeßt fortfhaffen zu helfen. Man tung fie alle bei der 
dinfterniß der einbrechenden Nacht in Don Alonz08 Wohnung, 
wohin Don Yernando ihnen, viel über das Antlitz des Heinen 
Philipp weinend, folgte. Er übernachtete auch bei Don Alonzo, - 
und ſäumte lange unter falſchen Borfpiegelungen, feine Ge- 
mahlin von dem ganzen Umfang des Unglüds zu unterrichten; 
einmal, weil fie franf war, und dann, weil er auch nicht wußte, 
wie fie fein Berhalten bei diefer Begebenheit beurtheilen würde; 
doch kurze Zeit nachher, durch einen Bejuch zufällig von Allem, 
was gefchehen war, benadrichtigt, weinte dieſe veftüde Dame 
im Stillen ihren mütterliden Schmerz aus, und fiel ihm mit 
dem Reſt einer erglänzenden Thräne eines Morgens um den 
Hals und küßte ihn. Don Fernando und Donna Elpire nahmen 
hierauf den kleinen Fremdling zum Pfiegejohn an; und wenn 
on Fernando Philippen mit Juan verglich, und wie er Beide 
erworben batte, fo war es ihm faft, als müßte er fich freuen. 


Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiß, IT, 4 


Die Berlobung in St. Domingo. 


Zu Port au Prince, auf dem franzöftfhen Antheil der 
Inſel St. Domingo, lebte zu Anfange diefe® Jahrhunderts, 
als die Schwarzen die Weißen ermordeten, auf der Pflanzung 
des Herrn Guillaume von Billeneuve ein fürdterlicyer alter 
Neger, Namens Congo Hoango. Diefer von der Goldküſte von 
Afrıka herftammende Menfch, der in feiner Jugend von treuer 
und rechtſchaffener Gemütbsart fchien, mar von [einem Herrn, 
weil er ihm einft auf einer Ueberfahrt nad) Cuba das Leben ge- 
rettet hatte, mit unendlichen Wohlthaten überhäuft worden. 
Nicht nur, daß Herr Guillaume ihm sch der Stelle feine Frei- 
beit fchenfte und ihm bei feiner Rückkehr nah St. Domingo 
Haus und Hof anwies; er machte ihn Yogar einige Jahre darauf 
gegen bie Gewohnheit des Landes zum Auffeher feiner beträcht- 
Uden Befigung und legte ihm, weil er nicht wieder beirathen 
wollte, an Werbes Statt eine alte Mulattin, Namens Babe- 
fan, aus feiner Pflanzung bei, mit welcher er durch feine erfte 
verftorbene Frau weitläufig verwandt war. Ya, als der Neger 
fein jezigite Fahr erreicht hatte, fette er ihn mit einem an- 
jehnlihen Gehalt in den Ruheftand und krönte feine Wohl- 
thaten noch damit, daß er ihm in feinem Vermächtniß Isar ein 
Legat auswar und doch fonnten alle dieſe Beweife von Dankbar⸗ 
feit Herrn Billenenve vor der Wuth diefes grimmigen Menfchen 
nicht ſchützen. Congo Hoango war bei dem allgemeinen Taumel 
der Wache, der au die unbefonnenen Schritte des National- 
Convents in diefen Pflanzungen aufloderte, einer der Eriten, 
der die Büchfe ergriff, und eingeden? der Tyrannei, die ihn 
jeinem Baterlande entriffen hatte, feinem Herrn die Kugel durch 

en Kopf jagte. Er ftedte das Haus, mworein die Gemahlin 
defjelben mit ihren drei Kindern und den übrigen Weißen der 
Niederlafiung fich geflüchtet hatten, in Brand, vermültete die 
ganze Pflanzung, worauf die Erben, die in Port au Prince 
wohnten, hätten Anfpruch machen können, und zog, als fämmt- 
liche zur Beſitzung gehörige Etabliſſements der Erde gleich ge- 
macht waren, mit den Negern, die er verſammelt und bewaffnet 
hatte, in der Nachbar ger umber, um feinen Mitbrüdern in 
dem Kampfe gegen die Weißen beizufteben. Bald lauerte er 





871 


den Reifenden auf, die in bewaffneten Haufen das Rand durch⸗ 
kreuzten; bald fiel er am hellen Tage die in ihren Niederlaffun- 
gen verfchanzten Pflanzer jelbft an, und ließ Alles, was er darin 
vorfand, über die Klinge fpringen. Ja, er forderte in jeiner 
unmenſchlichen Rachſucht fogar die alte Babekan mit ihrer Toch- 
ter, einer jungen, Junfaehnjährigen Meftize Namens Toni, auf, 
an diefem grimmigen Kriege, bei dem er Rd anz verjlingte, 
Antheil zu nehmen; und weil das Hauptgebäude der Pflanzung, 
das er jeßt — einſam an der Landſtraße lag, und ſich 
häufig während feiner Abweſenheit weiße oder kreolifihe Flücht⸗ 
linge ad HH welche darın Nahrung oder ein Unterfommen 
juchten,, jo unterrichtete er die Weiber, dieſe weißen Hunde, wie 
er fie nannte, mit Unterftüßungen und Gefälligkeiten bis zu 
jeiner Wiederkehr hinzuhalten. Babelan, welche in Folge einer 
graufamen Strafe, die fie in ihrer Jugend erhalten hatte, an 
der Schwindfucht litt, pflegte in folhen Fällen die junge Toni, 
die wegen ihrer ins Gelbliche gebenben Geſichtsfarbe zu dieſer 
gräßlichen Lift befonders brauchbar war, mit ihren beften Klei- 
dern auszupußen; fie ermunterte diefelbe, den Fremden feine 
Liebfofung zu verfagen, bis auf die legte, Die ig bei Todes⸗ 
ſtrafe verboten war ; und wenn Congo Hoango mit ſeinem Neger⸗ 
trupp von den Streifereien, die er in der Gegend gemacht hatte, 
wiederfehrte, war unmittelbarer Tod das Loos der Armen, die 
fih durch diefe Künfte hatten täuſchen laſſen. 

Nun weiß Jedermann, daß im sr 1803, al8 der General 
Deffalines mit 30,000 Negern gegen Bort au Prince vorrüdte, 
Alles, was die weiße Farbe trug, fich in diefen Blag warf, um 
ihn zu vertheidigen. Denn er war der legte Stütpunft der 
jranzöfiiden Macht auf An Snfel, und menn er fiel, waren 
alle Weißen, die ſich darauf befanden, ſämmtlich ohne Rettung 
verloren. Demnach traf es ſich, daß gerade in der Abweſenheit 
des alten Hoango, der mit den Schwarzen, die er um fich hatte, 
aufgebrochen war, um dem General Defjalines mitten durch die 
franzöfifchen Poften einen Transport von Pulver und Blei zu- 
aufähren, in der Finfterniß einer ftürmijchen und regnigten 

acht Jemand an die Mom Thür feines Haujes Flopfte. Die 
alte Babekan, melde ſchon im Bette lag, erhob Id öffnete, 
einen bloßen Rod um die Hüften geworfen, das Fenſter, und 
fragte, wer da fei? „Bei Maria und allen Heiligen“, jagte der 
Fremde leife, indem er ſich unter das Fenjter Heite, „beant: 
wortet mir, ehe ich Euch dieß entdede, eine Frage!“ Und damit 
ftredte er durch die Dunkelheit der Nacht feine Hand aus, um 
die Hand der Alten zu ergreifen, und fragte: „Seid ‘hr eine 
Negerin?“ Babelan fagte: „Nun, Ihr ſeid gewiß ein Weißer, 
dag Ihr diefer ftodfinftern Nacht Lieber ins Antlig ſchaut als 
einer Negerin! Kommt herein“, fegte fie hinzu, ‚un fürchtet 


872 


Nichts; hier wohnt eine Mulattin, und die Einzige, die fich 
außer mir noch im Haufe befindet, ift meine Tochter, eine 
Meftize!“ Und damit machte fie das Fenſter zu, als wollte fie 
pinabjteigen und ihm die Thür öffnen; fchlich aber unter dem 

orwand, daß fie den Schlüffel nicht ſogleich finden könne, mit 
einigen Kleidern, die fie jchnel aus dem Schranf zufammen- 
raffte, in die Kammer hinauf und wedte ihre Tochter. „Zoni!“ 
ſprach fie: „Toni! — „Was giebts, Mutter ?“ —, Geſchwind!“ 
ſprach fie. „Aufgeftanden uud dich angezogen! Hier find Klei- 
der, weiße Wäfche und Strümpfe! ein Weißer, der verfolgt 
wird, ift vor der hie und begehrt eingelaffen zu werden!“ — 
Toni fragte: „Ein Weißer?“ indem fie fih halb im Bett auf- 
richtete. Sie nahm die Kleider, welche die Alte in der Hand 
hielt, und ſprach: „ft er auch allein, Mutter? und haben wir, 
wenn wir ihn einlajlen, Nichts zu befürchten?“ — „Nichts, 
Nichts!" verjegte die Alte, indem fie Licht anmachte: „er tft ohne 
Waffen und allein, und Yurdt, dag wir über ihn berfallen 
möchten, zittert in allen feinen Gebeinen!“ Und damıt, wäh- 
rend Toni aufftand und ſich Nod und Strümpfe anzog, zündete 
fie die große Laterne an, die in dem Winfel des Zimmers ftand, 
band dem Mädchen geihwind das Haar nad) der Yandesart über 
dem Kopf zuſammen, bededte fie, nachdem fie ihr den Latz zu⸗ 
gelhmirt hatte, mit einem Hut, gab ihr die Laterne in die Hand 
und befahl ihr, auf den Hof hinab zu gehen und den Fremden 
herein zu holen. 

Inzwiſchen war auf das Gebell einiger Hofhunde ein Knabe, 
Namens Nanky, den Hoango auf uneheliden Wege mit einer 
aregerin erzeugt —* und der mit ſeinem Bruder Seppy in den 
Nebengebäuden ſchlief, erwacht; und da er beim Schein des 
Mondes einen einzelnen Mann auf der hinteren Treppe des 
Haujes ftehen ſah, fo eilte er fogleih, wie er in ſolchen Fällen 
angewiejen war, nach dem Hofthor, durch welches derfelbe 
hereingefommen war, um es au verjchließen. Der Fremde, der 
nicht begriff, was dieſe Anftalten zu bedeuten hatten, fragte den 
Knaben, den er mit Entfegen, als er ihm nahe ftand, für einen 
Negerfnaben erkannte: wer in diefer Niederlaſſung wohne und 
fon war er auf die Antwort defjelben: daß die Befitung 
feit dein Tode Herrn Billeneuves dem Neger Hoango anheim- 
gefallen, im Begriff, den Jungen niederzumerfen, ihm den 
Sälüffel der Hofpforte, den er in der Hand hielt, zu entreißen 
und das weite Feld zu fuchen, als Toni, die Laterne in der Hand, 
vor das Haus hinaus trat. „Geſchwind!“ ſprach fie, indem fie 
feine Hand ergriff und ihn nach der Thür zog: „Hier herein!“ 
Sie trug Sorge, indem fie dieß fagte, das Licht jo zu ftellen, 
daß der volle Strahl danon auf ihr Geſicht fiel. — „Wer bift 
du?* rief der Fremde fträubend, indem er, um mehr als einer 








373 


Urfache willen betroffen, ihre junge liebliche Geftalt betrachtete. 
„Wer wohnt in diefem Haufe, in welchen ich, wie du vorgiebft, 
meine Rettung finden fol?" — „Niemand, bei dem Licht der 
Sonne“, jprad das Mädchen, „als meine Mutter und ich!“ 
und beftrebte und beeiferte fich, ihn mit fich fortzureißen. „Was, 
Niemand!“ rief der Fremde, indem er mit einem Schritt rüd- 
wärts feine Hand losriß: „hat mir diefer Knabe nicht eben ge- 
fagt, daß ein Neger Namens Hoango darin befindlich ſei?“ — 
„Ich fage nein!“ ſprach das Mädchen, indem fie mit einem Aus- 
drud von Unwillen mit dem Fuß ſtampfte; „und wenn gleich 
einem Wütherich, der bielen Namen führt, das Haus gehört, 
abwejend ift er in dieſem Augenblid und auf zehn Meilen davon 
entfernt!" Und damit zog fie den Fremden mit ihren beiden 

änden in das Haus hinein, befahl dem Knaben, keinem Men- 
hen zu jagen, wer angelommen jet, ergriff, nachdem fie bie 

bür erreicht, de3 Fremden Hand und führte ihn die Treppe 
hinauf nach dem Zimmer ihrer Mutter. 

„Nun“, ſagte die Alte, welche das ganze Gefpräd von dem 
Benfter herab mit angehört und bei dem Schein des Lichts be- 
merft hatte, daß er ein Dfficier war: „was bedeutet der Degen, 
den Ihr jo jchlagfertig unter Eurem Arme tragt? Wir haben 
Euch“, feste fie hinzu, indem fie fich die Brille aufdrüdte, „mit 
Gefahr unjeres Lebens eine Zuflucht in unferm Haufe geftattet;; 
feid Ihr herein gefommen, um diefe Wohlthat nad der Sitte 
Eurer Landsleute mit Berrätherei zu vergelten?” — „Behüte 
der Himmel!” erwiederte der Fremde, der dicht vor ihren Seſſel 

etreten war. Er ergriff die Hand der Alten, drüdte fie an 
Fein Herz, und indem er nad) einigen im Zimmer fchüchtern um- 
hergeworfenen Bliden den Degen, den er an der Hüfte trug, 
abſchnallte, ſprach er: „hr feht den elendeften der Menſchen, 
aber feinen undankbaren und tchlechten vor Euch!" — „Wer ſeid 
Ihr?“ fragte die Alte; und damit fchob fie ihm mit dem Fuß 
einen Stubl hin, und befahl dem Mädchen, in die Küche zu 

eben und ıhm, fo gut es fi) in der Eile thun ließ, ein Abend- 

rod zu bereiten. Der Fremde erwiederte: „Sch bin ein Dffi- 
cier von der franzöfifhen Macht, objchon, wie Ihr wohl felbft 
urtheilt, Fein Franzoſe; mein Vaterland ift die Schweiz und 
mein Name Guſtav von der Ried. Ach, hätte ich e8 niemals ver⸗ 
laſſen und gegen dieß unfelige Eiland vertauſcht! Sch komme 
von Fort Dauphin, wo, wie Ihr wißt, alle Weißen ermordet 
worden find, und meine Abficht ift, Port au Prince zu erreichen, 
bevor e8 dem General Defjalines noch gelungen ift, e8 mit den 
Truppen, die ex anfitbrt, ein ujhliehen und zu belagern.” — 
„Bon Fort Dauphin!” rief die Alte. „Und es if Euch mit Eurer 
Geſichtsfarbe ges üdt, diefen ungeheuren Weg mitten dur) ein 
in Empörung begriffenes Mobrenland zurüdzulegen ?" — „Gott 


374 


und alle Heiligen“, erwiederte der Fremde, „haben mich be- 
ſchützt! Und ich bin nicht allein, gutes Mütterchen, in meinen 
Gefolge, das ich zurüdgelaffen, befindet ſich ein ehrwitrdiger 
alter Sreis, mein Oheim, ‚mit feiner Gemahlin und fünf Kin— 
dern; mehrere Yediente und Mägde, bie At Familie gehören, 
nicht zu erwähnen; ein Troß von zwölf Menſchen, den ich mit 
Hülfe zweier elenden Manlefel in unfäglich mühevollen Nadıt- 
wanderungen, da wir uns bei Tage auf der Heerftraße nicht 
zeigen dlirfen, mit mir fortführen muß.“ „Ei, mein Himmel!“ 
die die Alte, indem fie unter mitleivigem Kopffchütteln eine 
Priſe Tabak nahm. „Wo befindet fih denn in diefem Augen- 
blid Eure Reiſegeſellſchaft?“ — „Euch“, verfegte der Fremde, 
nachdem er ſich ein wenig befonnen hatte: „Euch kann ich mich 
anvertrauen; aus der Farbe Eures Geſichts ſchimmert mir ein 
Strahl von der meinigen entgegen. Die Yamilie befindet fich, 
daß Ihr es wißt, eine Meile von bier, zunäcdhft dem Mömen- 
weiher, in der Wildniß der angrenzenden Gebirgswaldung: 
— und Durſt zwangen uns vorgeſtern, dieſe Zuflucht auf⸗ 


Bi ven. Vergebens fchidten wir in der verfloffenen Nacht un- _ 


ere Dedienten aus, um ein wenig Brod und Wein bei den Ein- 
wohnern des Landes aufzutreiben, Furcht, ergri en und getötet 
zu werben, hielt fie ab, die entjcheidenden Schritte deßhalb zu 
tbun, bergeftalt, daß ich mich jelbft heute mit Gefahr meines 
Lebens habe aufmachen müſſen, um mein Glüd zu verſuchen. 
Der Himmel, wenn mich nicht Alles trügt“, fuhr er fort, indem 
er die Hand der Alten drüdte, „hat mich mitleidigen Menjchen 
zugeführt, die jene graufame und unerhörte Erbitterung, welche 
alle Einwohner diejer Inſel ergriffen hat, nicht theilen. Habt 
die Gefätligfeit, mir für reichliden Lohn einige Körbe mit 
Lebensmitteln und Erfrifchungen anzufüllen ; wir Paben nur noch 
fünf Zagereifen bis Port*au Prince, und wenn Ihr ung die 
Mittel vera, diefe Stadt zu erreichen, ſo werden wir Euch 
ewig als die Retter unſeres Lebens anſehen.“ —, Ja, dieſe ra- 
ſende Erbitterung!“ heuchelte die Alte. „Iſt es nicht, als ob 
die Hände Eines Körpers, oder die Zähne Eines Mundes gegen 
einander wüthen wollten, weil das eine Glied nicht gefäafe 
ift wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. ago 
von der Inſel Euba war, fiir den Schimmter von Licht, der auf 
meinem Antlig, wenn e8 Tag wird, erdämmert? und was kann 
meine Tochter, die in Curop empfangen und geboren ift, dafür, 
daß der volle Tag jenes Welttheil$ von dem ihrigen mieder- 
ſcheint?“ — „Wie?“ rief der Fremde. „Ihr, die Ihr nach Eurer 
ganzen Geſichtsbildung eine Mulattin und mithin afrilanifchen 

rſprungs ſeid, Ihr wäret fanımt der lieblichen jungen Meftize, 
die mir das Haus aufmachte, mit und Europäern in Einer Ber- 
dammniß?“ — „Beim Himmel!“ erwiederte die Alte, indem fie 


875 


bie Brille von der Nafe nahm: „meint Ihr, daß das Heine 
Eigenthum, das wir uns in mühjeligen und jammerpollen 
Jahren durd die Arbeit unjerer Hände erworben haben, dieß 
rimmige, aus der Hölle ann Näubergefindel nicht reizt ? 
enn wir und nicht durch Liſt und den ganzen Inbegriff jener 
Künfte, die die Nothwehr dem Schwachen in die Hände giebt, 
vor ihrer Berfolgung zu fihern müßten, der Schatten von Ver- 
wandtichaft, der über unfere Gefichter ausgebreitet ift, der, 
könnt Ihr ficher glauben, thut es nicht!" —, Es ift nicht möglich!“ 
rief der Fremde; „und wer auf diejer Inſel verfolgt Euch?“ — 
„Der Beier dieſes Haufes“, antwortete die Alte, „der Neger 
Congo Hoange. Seit dem Tode Herrn Guillaumes, des vor- 
maligen Eigenthümers diefer Pflanzung, der durch feine grim- 
mige Hand beim Ausbruch der Empörung fiel, find wir, die wir 
ihm al8 Verwandte die Wirthfchaft führen, feiner ganzen Will- 
für und Gewaltthätigleit Preis anegeben. Jedes Stüd Brod, 
jeden Labetrunk, den wir aus Deenfchlichkeit einem oder dem 
andern der weißen Flüchtlinge, die hier zumeilen die Straße 
porüberziehen, gewähren, rechnet er ung mit Schinpfwörtern 
und Mikbandlungen an; und Nichts wünſcht er ni als die 
Rache der Schwarzen über uns weiße und kreolifche Halbhunde, 
wie er und nennt, De en zu können, theil3 um unferer 
überhaupt, die wir feine Wildheit gegen die Weißen tadeln, los 
zu werden, theil8 um das Feine Eigenthum, das wir hinter- 
laffen würden, in Befiß zu nehmen." — „Ihr Unglüdlichen!“ 
fagte der Fremde; , Ihr Bejammernswürdigen! Und wo befindet 
fd in diefem Augenblid diefer wi NE „Bei den Heere des 
General Deſſalines“, antwortetedie Alte, „dem er mit den übrigen 
Schwarzen, die zu diefer Pflanzung gehören, einen Transport 
von Bulver und Blei zuführt, deifen der General bedürftig 
war. Wir erwarten ihn, falls er nicht auf neue Unternehmungen 
auszieht, in zehn oder zwölf Tagen zurüd; und wenn er als⸗ 
dann, was Gott verhüten wolle, erfühte, dag wir einem Weißen, 
der nah Port au Prince wandert, Su und Obdach gegeben, - 
während er aus allen Kräften an dem Geſchäft Theil nımmt, 
das ganze Geſchlecht derfelben von der Inſe zu vertilgen, wir 
wären Alle, das rönnt hr glauben, Kinder des Todes." — „Der 
Himmel, der Menjchlichkeit und Mitleiden liebt“, antwortete der 
Fremde, „wird Euch in Dem, was Ihr einem Unglüdlichen thut, 
beſchützen! Und weil Ihr Euch“, fette er, indem er der Alten 
näher rüdte, hinzu, „einmal in dieſem Falle des Negers Unwillen 
jugegngen baben würdet, und der lan, wenn Ihr auch 
azu zurüdfehren wollte, Euch fürderhin zu Nichts belfen 
würde, könnt Ihr Euch wohl für jede Belohnung, die Ihr nur 
verlangen mögt, entſchließen, meinen D heim und feiner Familie, 
die durch die Reife aufs Aeußerſte angegriffen find, auf einen 


376 


oder zwei Tage in Eurem Haufe Obdach zu geben, damit fie fich 
ein wenig erbolten ?" — „Junger Herr!“ ſprach die Alte be- 
teoffen, „was verlangt Ihr da? Wie ift egin einem Haufe, das 
an der Yandftraße liegt, möglich, einen Troß von jolder Größe, 
als der Eurige ift, zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern 
des Landes verrathen würde?” — „Warum nicht?“ verjette der 
Fremde dringend: „wenn ich fogleich felbft an den Möwenweiher 
binausgienge und die ala noch vor Anbruch des Tages 
ın die Niederlaſſung einführte, wenn man Alles, Herrſcha 
in die Niederlaſſ infü Alles, Herrſchaft 
und Dienerſchaft, in einem und deniſelben — des Hauſes 
unterbrächte, und für den ſchlimmſten Fall etwa noch die Vorſicht 

ebrauchte, Thüren und Fenſter deſſelben ſorgfältig zu ver— 
— — — Die Alte erwiederte, nachdem ſie den Vorſchlag 
während einiger Zeit erwogen hatte, daß, wenn er in der 
heutigen Nacht unternehmen wollte, den Troß aus feiner Berg- 
ſchlucht in die Niederlaffung einzuführen, er bei der Rückkehr 
von dort unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger ftoßen 
würde, der durch einige vorangeſchickte Schüten auf der Heer- 
ftraße angelagt worden wäre. — „Wohlan!“ verfegte der Fremde, 
„jo begnügen wir ung für diefen Augenblid, den Unglüdlichen 
einen Korb mit Tebensmitteln zuzufenden, und ſerern das Ge⸗ 
ſchäſt, fie in die Niederlaſſung einzuführen, für die nächſt⸗ 
folgende Nacht auf. Wolt Ihr, gutes Mütterchen, das thun ?“ 
— „Nun“, ſprach die Alte unter vielfachen Küflen, die von den 
Lippen des Fremden auf ihre Inöcherne Hand niederregneten: 
„um des Europäers, meiner Tochter Vater willen, will ih Euch, 
feinen bedrängten Landsleuten, diefe Gefälligfeit ermeifen. 
Sept Euch beim Anbrud) des morgenden Tages bin, und ladet 
die Eurigen in einem Schreiben ein, fi zu mir in die Nieder- 
laffung zu verfügen; der Knabe, den Ihr im Hofe gejeben, mag 
ihnen das Schreiben mit einigem Mundvorrath überbringen, 
die Nacht über zu ihrer Sicherheit in den Bergen verweilen, 
und dem Troſſe beim Anbruch des nächſtfolgenden Tages, wenn 
die Cintabung angenommen wird, auf feinem Wege hierher 
zum Führer dienen.” 

Inzwiſchen war Toni mit einem Dahl, das fie in der Küche 
bereitet hatte, wiedergefehrt, und fragte die Alte mit einem Blid 
auf den Fremden, jchäfernd, indem fie den Tiſch dedte: „Nun 
Mutter, fagt an! hat fich der Herr von dem Schred, der ihn 
vor der Thür ergriff, erholt? hat er ih überzeugt, daß weder 
Gift noch Dolch auf ihn warten, und Daß der Neger Hoango 
nicht zu Haufe iſt?“ — Die Mutter ſagte mit einem Seufzer: 

ein Kınd, der Gebrannte fcheut nach dem Sprichwort das 
euer. Der Herr würde thöricht gehandelt haben, wenn er 
ich früher in das Haus hineingewagt hätte, als bis er fi von 
dem Volksſtamm, zu welchem feine Bewohner gehören, über- 


" 











377 


zeugt hatte.” — Das Mädchen ftellte fi) vor die Mutter, und 
erzählte ihr, wie fie die Taterne fo gehalten, daß ihr der volle 
Strahl davon ins Geficht gefallen wäre. „Aberfeine Einbildung “, 
Iprad) fie, „war ganz von Mohren und Negern erfüllt, und 
wenn ihm eine Dame von Paris oder Marfeille die Thüre ge- 
öffnet hätte, er würde fie für eine Negerin gehalten haben.“ — 
Der Zremde, indem er den Arm fanft um ihren Leib fchlug, 
jagte verlegen, daß der Hut, den fie aufgehabt, ihn verhindert 
hätte, ihr ins Geficht zu ſchauen. „Hätte ich Dir“, fuhr er fort, 
indem er fie lebhaft an jene Bruft drüdte, „ins Auge jehen 
fönnen, fo wie ich es jetzt kann: fo hätte ich, auch wenn alles 
Uebrige an dir ſchwarz gemwefen wäre, aus einem vergifteten 
Becher mit dir trinken wollen.” Die Mutter nöthigte ihn, der 
bei Ha Morten roth geworden war, ſich zu jegen, worauf 
Zoni fich neben ihm an der Tafel miederließ, und mit auf- 
geftügten Armen, während der Fremde aß, in fein Antlig fah. 

er Fremde fragte fie, wie alt fie wäre und wie ihre Baterftadt 
hieße? worauf die Mutter das Wort nahm und ihm jagte: 
daß Toni vor funfgehn Jahren auf einer Reife, welche jie mit der 
Frau des Herrn Villeneuve, ihres vormaligen Prinzipals, nad 
Europa gemacht hätte, in Paris von ihr empfangen und ge- 
boren worden wäre. Sie feßte hinzu, daß der Neger Komar, 
den fie nachher oe Baker fie zwar an Kindes Statt angenom- 
men hätte, daß ihr Vater aber eigentlidy ein reicher Marfeiller 
Kaufmann Namens Bertrand märe, von dem fie auch Toni 
Bertrand hieße. — Toni Iragte ihn, ob er einen folchen 
Herrn in Frankreich fenne. Der Fremde erwieberte: nein! 
das Rand wäre groß. und während des kurzen Aufenthalts, 
den er bei feiner Einſchiffung nach Weftindien darin genommen, 
jei ihm keine Perſon diefes Namens vorgelommey. Die Alte 
verſetzte, daß Herr Bertrand auch nach ziemlich üern Nach⸗ 
richten, die ſie eingezogen, nicht mehr in Frankreich befindlich 
ſei. „Sein ehrgeiziges und aufſtrebendes Gemüth“, ſprach fie, 
„gefiel ſich in dem Kreis bürgerlicher Thätigkeit nicht; er miſchte 
fi Beim Ausbruch der Revolution in die öffentlichen Geſchäfte, 
und gieng im Jahre 1795 mit einer franzöſiſchen Geſandtſchaft 
an den türfifchen Hof, von wo er meines Wiſſens bis dieſen 
Augenblid noch nicht zurüdgefehrt ift.“ Der Fremde jagte- 
lächelnd zu Toni, indem er ihre Hand faßte, daß fie ja in 
diefem Falle ein vornehmes und reiches Mädchen wäre. Er 
munterte fie auf, diefe Bortheile geltend au machen, und meinte, 
daß fie Vofinung hätte, noch einmal an der Be ihres Vaters 
in glänzendere Verhältniffe, als in denen fie jest lebte, ein- 
geführt u werden! „Schwerlich”, verfette die Alte mit unter- 
rüdter Einpfindlichkeit. „ ae läugnete mir während 
meiner Schwangerfchaft zu Paris, aus Scham vor einer jungen 


978 


reichen Braut, die er heirathen wollte, bie Vaterſchaft zu dieſem 
Kinde vor Gericht ab. Ich werde den Eidſchwur, den er die 
Frechheit hatte, mir ins Geftcht zu leiften, niemals vergefien, 
ein Gallenfieber war die Folge davon, und bald daran noch 
ſechzig Peitſchenhiebe, die mir dert Billeneuve geben ließ, und 
in deren Folge ich noch bis auf dieſen Tag an der Schwindjudht 
leide.“ — — Toni, welche den Kopf gedanfenvoll auf ihre Hand 
gelegt hatte, fragte den Fremden, wer er denn wäre, mo er her- 
äme und wo er bingienge, worauf diefer nad) einer kurzen 
Berlegenheit, worin ihn die erbitterte Rede der Alten verfetst 
Fa erwieberte, daß er mit Herrn Strömlis, feines Oheims 
amilie, die er unter dem Schuge zweier jungen Bettern in der 
Dergmaldung am Mömenmeiber austidgefaflen, vom Fort 
Dauphin füme. Ex erzählte auf des Mädchens Bitte mehrere 
zuge er in dieſer Stadt pegerre henen Empörung; wie zur 
eit der Mitternacht, da Alles gefchlafen, auf ein verrätheriſch 
egebenes Zeichen das Gemegel der Schwarzen gegen die 
Ieißen losgegangen wäre; wie der Chef der Negern, ein 
Sergeant bei dem franzöjifhen Pionierforps, die Bosheit ge- 
pablı Ingrid alle Schiffe im Hafen in Brand zu fteden, um den 
eißen die Flucht nach Europa abzufchneiden; wie die Familie 
faum Zeit gehabt, ſich mit einigen Habjeligleiten vor die Thore 
der Stadt zu retten, und wie ihr bei dem gleichzeitigen Auf- 
lodern der Empörung in allen Küftenplägen Nichts übrig ge: 
blieben wäre, als mit Hülfe zweier Maulefel, die fie auf- 
etrieben, den Weg quer durd daS ganze Land nad Port au 
Brince einzujchlagen, das allein noch, von einem ftarken fran- 
zöftfhen Heere beihüst, der überhand nehmenden Macht der 
Negern in diefen Augenblid Widerftand leifte. — Toni fragte, 
wodurch fi, denn die Weißen dafelbft fo verhaßt gemacht 
hätten? — Der Fremde ermiederte betroffen: „Burg a8 all- 
gemeine Berhältniß, das fie, als Herren der Inſel, zu den 
Schmarzen hatten, und das ich, Die Wahrheit zu geftehen, mid) 
nicht unterfangen will in Schuß zu nehmen; das aber fchon feit 
vielen Kahrhunderten auf diefe Weife beftand. Der Wahnſinn 
der Freiheit, der alle diefe Pflanzungen ergriffen hat, trieb die 
Negeru und Kreolen, die Ketten, die fte driüdten, zu brechen, 
und an den Veißen wegen vielfacher und tadelnswürdiger 
Mißhandlungen, die ſie von einigen ſchlechten Mitgliedern der⸗ 
ſelben erlitten, Rache zu nehmen. — Beſonders“, —* er nach 
einem kurzen Stillſchweigen fort, „war mir die That eines 
jungen Mädchens ſchauderhaft und merkwürdig. Dieſes 
Mädchen, vom Stamm der Negern, lag gerade zur dei, da Die 
Gmpörung aufloderte, an dem gelben Fieber krank, das zur 
Verdoppelung des Elends in der Stadt ausgebrochen mar. 
Ste hatte drei Jahre zuvor einem Pflanzer vom Gefchlecht der 





379 


ee als Sclavin gedient, der fle aus Empfindlichfeit, weil 
fie fich feinen Wünfchen nicht willfährig gege t hatte, hart be- 
handelt und nachher an einen freolifchen Gflanzer verfauft 
hatte. Da nun das Mädchen an dem Tage des allgemeinen 
ufruhrs erlubr, daß fich der Pflanzer, ihr ehemaliger Herr, 
bor der Wuth der Negern, die ihn verfolgten, in einen nahe- 
elegenen Holzftall geflüchtet atte: fo jchidte fie, jener Miß— 
Danblungen eingedent, beim Anbruch der Dänmerung ihren 
Bruder ui m, mit der Cinladung, bei ihr au übernachten. 
Der Unglückliche, der weder wußte, daß das Mädchen unpäßlich 
war, noch an welcher Krankheit fie litt, kam und ſchloß fie voll 
Dankbarkeit, da er 1a gerettet glaubte, in feine Arme; doch 
kaum hatte er eine gel e Stunde unter Liebkoſungen und Zärt- 
lichleiten iu ihrem Bette gu ebracht, als fie ſich plöglich mit 
dem Ausdrud milder und Falter Wuth darin erhob und ſprach: 
eine Peſtkranke, die den Tod in der Bruft trägt, haft dur geküßt: 
geh und gieb das gelbe Fieber allen Denen, die dir gleichen!” — 
Der Offiier, während die Alte mit lauten Worten ihren Ab- 
ſcheu hierüber zu erkennen g ‚ fragte Toni: ob fie wohl 
einer folchen That fähig wäre? „Nein!“ fagte Toni, indem fie 
verwirrt vor fich niederfah. Der Fremde, indem er das Tuch 
auf den Tiſch legte, verfegte, daß nad) dem Gefühl feiner Seele 
feine Tyrannei, die die Werken je verübt, einen Verrath, fo 
niederträchtig und abjcheulich, rechtfertigen fünnte. Die Rache 
des Himmels, meinte er, indem er fich mit einen leidenfchaft- 
lihen Ausdrud erhob, würde dadurch entwaffnet; die Engel 
jelbft Dadurch empört, ftellten fich auf Seiten Derer, die Unrecht 
hätten, und nähmen zur Aufrethaltung men] licher und gött- 
licher Ordnung ihre Sade! Er trat bei diejen Worten auf 
einen Augenblid an das Fenfter, und Ion in die Nacht hinaus, 
die mit ftürmifchen Wolken über den Mond und die Sterne 
vorüber 309; und da es ihm fohien, als ob Mutter und 
Tochter einander anfähen, obfchon er auf Feine Weife merkte, 
daß fie fih Winfe augemorien hätten, fo übernahm ihn ein 
widermärtige8 und verdrießliches Gefühl; er wandte ſich und 
bat, daß man ihm da3 Zimmer anweiſen möchte, wo er 
ſchlafen könne. 
Die Mutter bemerkte, inden: fie nad der Wanduhr fah, 
daß es überdieß nahe an Mitternacht fei, ah ein Licht in die . 
— und forderte den Fremden I ihr zu folgen. Sie führte 
ihn durch einen langen Gang in das für ihn beſtimmte Zimmer; 
Toni trug den Ueberrock des Fremden und mehrere andere 
Sachen, die er abgelegt hatte; die Mutter zeigte ihm ein von 
Polſtern bequem aufgeſtapeltes Bett, worin er ſchlafen ſollte, 
und nadıbem fie Toni noch befohlen hatte, dem Herrn ein Fuß— 
bad zu bereiten, wünſchte fie ihm eine gute Nacht und empfahl 


ON, 


380 


fi, Der Fremde ftellte feinen Degen in den Winkel und legte 
ein Baar Biftolen, die er im Gürtel trug, auf den rn Er 
jah jich, während Toni das Bett vorſchob und ein weißes Tuch 
darüber breitete, im Zimmer um; und da er gar bald aus Der 
Pracht und dem Geſchmachk, die darin herrſchten, ſchloß, daß es 
dem bormaligen Befiger der Pflanzung angehört haben müſſe, 
jo legte fi ein Gefühl der Unruhe wie ein Geier sum fein Herz, 
und er wünſchte fi), hungrig und durftig, wie er gekommen 
war, wieder in die Waldung zu den Seinigen zurüd. Das 
Mädchen hatte mittlerweile aus der nahebelegenen Küche ein 
Gefäß mit warmem Waſſer, von wohlriehenden Kräutern 
duftend, hereingeholt, und forderte den Dfficier, der fi in 
das Fenfter gelehnt hatte, auf, ſich darin zu erquiden. Der 
Officier ließ fi, während er ſich ſchweigend von der Halsbinde 
und der Wefte befreite, auf den Stuhl nieder er ſchickte ſich am, 
fich die Füße zu entblößen, und während das Mädchen, auf ihre 
Kniee vor ihm hingefauert, die Heinen Vorkehrungen zun Bade 
beforgte, betrachtete er ihre einnehmende Geftalt. Ihr Haar, 
in dunfeln Locken fchwellend, war ihr, als fie niederfniete, auf 
ihre jungen Brüfte herabgerollt; ein Zug von ausnehmender 
Anmuth fpielte um ihre Lippen und über ıhre langen, fiber die 
gefenkten Augen berporragenden Augenwimper; er hätte, bi 
auf die Farbe, die ihm anftößig war, ſchwören mögen, daß er 
nie etwas Schöneres gefehen. Dabei fiel ihm eine entfernte 
Hehnlichkeit, er wußte noch felbft nicht vecht mit wen, auf, die 
er ſchon bei feinem Eintritte in das Haus bemerkt hatte, und die 
feine ganze Seele für fie in Anſpruch nahm. Er ergriff fie, als 
fie in den Geſchäften, die fie betrieb, aufftand, bei der Hand, 
und da er gar richtig en daß es nur ein Mittel gab, zu er- 
prüfen, ob das Mäöchen ein Herz habe oder nicht, I 309 er fie 
auf feinen Schooß nieder und fragte fie, ob fie jchon einem 
Bräutigam verlobt wäre. „Nein!“ liSpelte das Mädchen, in- 
dem fie ihre großen ſchwarzen Augen in lieblicher Verſchämtheit 
zur Erde flug. Sie jeßte, ohne fi auf feinem Schooß zu 
rühren, hinzu, Ronelly, der junge Neger aus der Nachbarfchaft, 
hätte zivar vor drei Monaten um fie angehalten; de hätte ihn 
aber, weil fie noch zu jung wäre, ausgefchlagen. “Der Fremde, 
der mit feinen beiden Händen ihren ſchlanken Leib umfaßt hielt, 
fagte: in feinem VBaterlande wäre nach einem dafelbft herrichen- 
den Spridmwort ein Mädchen von vierzehn Jahren und fieben 
Wochen bejahrt genug, um zu heirathen. Er fragte, während 
fie ein Feines, goldene Kreuz, das er auf der Bruft trug, be 
trachtete, wie alt fie wäre. — „Zunfzehn Jahre”, erwiederte 
Toni. „Run alfo!“ fprach der Fremde. „Fehlt e8 ihm denn an 
Bermögen, um fi häuslich, mie du e8 wünſcheſt, mit dir 
niederzulaſſen?“ Toni, ohne die Augen zu ihm aufzufchlagen, 

















881 


erwiederte: „D nein! Vielmehr“, ſprach ſie, indem fle das 
Kreuz, das fie in der Hand hielt, fahren lieg: „Konelly iſt feit 
der legten Wendung der Dinge ein reicher Mann geworden; 
feinem Bater ift die ganze Niederlaffung, die Font dem 
Pflanzer, feinem Herrn, epürte, augefallen. " "Warum lehnteft 
du denn feinen Antrag ab?“ fragte der Fremde. Er ftreichelte 
ihr freundlich das Haar von der Stirn und ſprach: „Gefiel er 
dır etwa nicht?" Das Mädchen, indem fie furz mit dem Kopf 
ſchüttelte, lachte; und auf die Frage des Fremden, ihr jcherzend 
ins Ohr geflüftert, ob es vielleicht ein Weißer fein müſſe, der 
ihre Sun avon tragen ſolle, legte fie fich plöglich nach einem 
flüchtigen, träumerifchen Bedenken unter einem überaus reizen- 
den Erröthen, das über ihr verbranntes Geficht aufloderte, an 
feine Bruſt. Der Fremde, von ihrer Anmuth und Lieblichkeit 
gerührt, nannte fie fein liebes Mädchen, und jchloß fie, wie durch 
göttliche par von jeder Sorge erlöft, in feine Arme. Es war 
ihm unmöglich, zu Nlauben, daß alle dieſe Bewegungen, die er 
an ihr —— er bloße elende Ausdruck einer kalten und 
gräßlichen Verrätherei ſein ſollten. Die Gedanken, die ihn be- 
unruhigt hatten, wichen wie ein Heer ſchauerlicher Vögel von 
ihm; er ſchalt fih, ihr Herz nur einen Augenblid verfannt zu 
haben, und während er fie auf feinen Knieen ſchaukelte, und 
den ſüßen Athen einfog, den fie ihm heraufjfandte, drüdte er, 
geihiam um Zeichen der Ausſöhnung und Dergebung, einen 
uß auf ibre Stirn. Inzwiſchen hatte fich das 
einem fonderbar plöglichen Aufhorchen, als ob Jemand von 


dem Gange her der Thür nahte, emporgerichtet; fie rüdte fih . 


edanfenvoll und träumerifch das Tuch, das fich über ihrer 
Bruft verfchoben hatte, zurecht: und erft als fie fah, daß fie von 
einen: Irrthum getäufht worden war, wandte fie jich mit 
einigem Ausdrud von Heiterkeit wieder zu dem Fremden zurüd 
und erinnerte ihn, daß fih das Waller, wenn er nicht bald Ge- 
brauch davon machte, abkälten würde. — „Nun?“ fagte fie be- 
treten, da der rende ſchwieg und fie gedankenvoll betrachtete: 
„was ſeht Ihr mich fo aufmerkjam an?“ Sie fuchte, indem fie 
ih mit ihrem Latz bejchäftigte, Die Berlegenheit, die fie er- 
griffen, zu verbergen, und rief lachend: „Wunderlicher Herr, 
was fällt — in meinem Anblick ſo auf?“ Der Fremde, der 
ſich mit der Hand über die Stirn gefahren war, ſagte, einen 
Seufzer unterdrückend, indem er fie von feinen Schooß herunter⸗ 
—F „Eine wunderbare Aehnlichkeit zwiſchen dir und einer 

reundin!“ — Toni, welche ſichtbar bemerkte, daß ſich ſeine 
Heiterkeit zerſtreut hatte, nahm ihn freundlich und theilnehmend 
bei der Hand, und ER mit welcher ? worauf jener nad) einer 
furzen Befinnung das Wort nahm und ſprach; „Ihr Name war 
Mariane Songreve und ihre VBaterftadt Straßburg. Ich hatte 


ädchen unter 


382 


fie in diefer Stabt, wo ihr Vater Kaufmann war, furz vor dent 
Ausbrud der Revolution fennen gelernt, und mar guet 

enug geweſen, ihr Jamort und vorläufig auch ihrer Mutter 
—— zu erhalten. Ach, es war die treueſte Seele unter 
der Sonne; und die ſchrecklichen und rührenden Umſtände, un- 
ter denen ich fie verlor, werden mir, wenn ich dich anfehe, fo 
gegenwärtig, daß ich mich vor Wehmuth der Thränen nicht ent- 
halten kann.” „Wie?“ fagte Toni, indem fie ſich herzlich und 
innig an ihn drücdte: „fie lebt nicht mehr ?"— „Sie ftarb*, ant- 
mortete der Fremde, „und ich lernte den Inbegriff aller Güte 
und Vortrefflichfeit erft mit ihrem Tode kennen. Gott weiß”, 
fuhr er fort, indem er fein Haupt ſchmerzlich an ihre Schulter 
lehnte, „wie ich die Unbefonnenbeit fo weit treiben fonnte, mir 
eines Abends an einem öffentlichen Drt Aeußerungen über das 
eben errichtete furchtbare Revolutionstribunal pi erlauben. 
Man verflagte, man ſuchte mich; ja, in Ermangelung meiner, 
der gadic genug gewejen war, fich in die Vorſtadt zu retten, 
lief die Rotte meiner rafenden Verfolger, die ein Opfer haben 
mußte, nach der Wohnung meiner Braut, und durch ihre wahr- 
haftige Berficherung, dat fie nicht wiſſe, wo ich fei, erbittert, 
ſchleppte man diejelbe unter dem Vorwand, daß fie mit mir im 
Einverftändniß fer, mit unerhbrter Leichtfertigkeit ftatt meiner 
auf den Richtplag. Kaum war mir diefe enttehliche Nachricht 
hinterbracht worden, als ich ſogleich aus dem Schlupfwinkel, 
in welchen ich mich geflüchtet hatte, heruortrat, und indem id), 
die Menge durchbrechend, nad dem Richtplatz cilte, laut aus⸗ 
rief: „Hier, ihr Unmenfchlichen, hier bin ih!" Doch fie, die 


ſchon auf dem Gerüfte der Guillotine ftand, antwortete auf die 


Frage einiger Richter, denen ih unglildticher Weife fremd ein 
mußte, indem fie ſich mit einem Blid, der mir unauslöjchlich in 
die Seele geprägt ift, von mir abwandte: „Diefen Menſchen 
Tenne ich nicht!” — worauf unter Trommeln und Lärmen, von 
den ungeduldigen Blutmenfchen angezettelt, das Eifen wenige 
Augenblide nachher herabfiel, und ihr Haupt von feinem Rumpfe 
trennte, — Wie ıch gerettet worden bin, das weiß ich nicht; ich 
befand mich eine Biertelftunde darauf in der Wohnung eines 
Freundes, wo ich aus einer Ohnmacht in die andere fiel, und 
halbwahnmigig gegen Abend auf einen Wagen geladen und 
über den Rhein gefchafft wurde.“ — Bei diefen Worten trat der 
Fremde, indem er das Mädchen losließ, an das —2 und 
da dieſe ſah, daß er ſein Geſicht ſehr gerührt in ein Tuch drückte, 
ſo übernahm ſie, von manchen Seiten geweckt, ein menſchliches 
Gefühl; ſie folgte ihm mit einer plötzlichen Bewegung, fiel ihm 
um den Hals, und miſchte ihre Thränen mit den einigen. 

Was weiter erfolgte, brauchen wir TR Ei melden, meil es 
Jeder, der an diefe Stelle kommi, von felbit left. Der Fremde, 


Lg 














LEER 7 Se Br Er 


383 


als er fich wieder gefammelt hatte, wußte nicht, wohin ihn die 
That, die er begangen, führen würde, inzwijchen fah er jo viel 
ein, daß er gerettet, und in dem Haufe, in welchem er fich be- 
fand, für ihn Nicht von dem Mädchen H befürchten war. Er 
verfuchte, da er fie mit verjchränkten Armen auf dem Bett 
meinen ſah, alles nur Mögliche, um fie zu beruhigen. Er nahnı 
fich das Kleine goldene Kreuz, ein Gefchen? der treuen Mariane, 
feiner abgejchiedenen Braut, von der Bruft; und indem er fich 
unter unendlichen Liebfofungen über fie neigte, hieng er e8 ihr 
als ein rantgeichent, wie er es nannte, um den Hals. Er feßte 
fi, da fie in Thränen zerfloß und auf feine Worte nicht hörte, 
auf den Rand des Bette nieder umd jagte ihr, indem er ihre 
Sand bald ftreichelte, bald fügte, daß er bei ihrer Mutter am 
orgen des nächſten Tages um fie anhalten wolle. Er be- 
ſchrieb ihr, welch ein Meines Eigenthum, frei und unabhängig, 
er an den Ufern der Aar HE eine Wohnung, bequem und 
eräumig genug, fie und aud) ihre Mutter, wenn ihr Alter die 
eiſe zu ae, darin aufzunehmen; Felder, Gärten, Wiefen und 


- Weinberge; umd einen alten ehrwürdigen Vater, der fie dankbar 


und Tiebreich dafelbft, weil fie feinen Sohn gerettet, empfangen 
würde. Er fchloß fie, da ihre Thränen Mn unendlichen Er. 


re auf daS Bettkiſſen niederfloffen, in feine Arme, und 


Fragte e, von Rührung jelber ergriffen, was er " zu leide 
gethan und ob fie ihm nicht vergeben könne. Er ſchwor ihr, 
daß Liebe für fie nie aus feinem Herzen weichen wilrde, und daß 
nur im Taumel wunderbar verwirrter Sinne eine Mifchung von 
Begierde und Angit, die fie ihm eingeflößt, FR zu einer ſolchen 
That habe verführen können. Er erinnerte fie zulest, daß die 
Morgenfterne funfelten, und daß, wenn fie länger im Bette 
vermweilte, die Mutter fommen und fie darin üiberrafchen würde; 
er forderte fie ihrer en megen auf, fich zu erheben und 
noch einige Stunden auf ihrem eignen Lager auszuruhen; er 
fragte fie, durch ihren Zuftand in die entfeglichften Beforgniffe 
geftürzt, ob er fie vieleicht in feinen Armen aufheben und in 
ihre Kammer tragen folle; doch da & auf Alles, was er vor- 
brachte, nicht antwortete, und ihr Haupt ftilljammernd, ohne 
ſich 8 rühren, in ihre Arme gedrückt, auf den verwirrten Kiſſen 
des Bettes dalag: ſo blieb ihm niet. hell wie der Tag fchon 
durch beide Fenſter ſchimmerte, Nichts übrig, als fie ohne weitere 
Rückſprache aufzuheben; er trug e, die wie eine Lebloſe von 
ſeiner Schulter niederhieng, die Treppe hinauf in ihre Kammer, 
und nachdem er ſie auf ihr Bette niedergelegt und ihr unter 
tauſend Liebkoſungen noch Einmal Alles, was er Ihe chon ge⸗ 
last, wiederholt hatte, nannte er fie no Einma ‚jeine liebe 

raut, drüdte einen Kuß auf ihre Wangen und eilte in fein 
Bimmer zuräd, 


3. 


Sobald der Tag völlig angebrochen war, begab fidh die alte 
Babelan zu ihrer Tochter hinauf, und eröffnete ıhr, indem fie 
fih an ihr Bett niederjeste, weld) einen Plan fie mit dem Frem- 
den ſowohl als feiner Reifegefellichaft vorhabe. Site meinte, 
daß, da der Neger Congo Hoango erit in zwei Tagen wieder- 
fehre, Alles darauf ankäme, den Fremden während diefer Zeit 
in dem Haufe een ‚ohne die Familie feiner Angehörigen, 
deren Gegenwart ihrer Menge wegen gefährlich werden könnte, 
darin zuzulaffen. Zu diefen Zwed, ad fie, babe fie erdacht, 
dem Fremden vorgupiegein, daß einer fo eben eingelaufenen 
Nachricht zufolge der General Deffalines fih mit feinem Heer 
in diefe Gegend wenden werde, und daß man mithin wegen all- 
zugroßer Gefahr erſt anı dritten Tage, wenn er vorliber wäre, 
würde möglich machen können, die Familie feinem on ie ge 
mäß in dem Daufe aufgunehmen. Die Sefellichaft felbft, ſchloß 
fie, müffe inzwifchen, damit fie nicht weiter reife, mit Xebens- 
mitteln verjorgt, und gleihfalls, um fich ihrer ſpäterhin zu be⸗ 
mächtigen, in dem Wahn, daß fie eine Zuflucht in dem Haufe 
finden werde, bingehalten werden. Sie bemerkte, daß die Sache 
wichtig fei, indem bie Familie wahrfcheinlich beträchtliche Hab- 
jeligleiten mit fich führe, und forderte die Tochter auf, fie aus 
allen Kräften ın dem Vorhaben, das ſie ihr angegeben, zu 
unterſtützen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Röthe 
des Unwillens ihr Geſicht uberſ verſetzte, daß es ſchändlich 
und niederträchtig wäre, das —8 an Perſonen, die man 
in das Haus gelodt, alſo zu verlegen. Sie meinte, daß ein 
Berfolgter, der ſich ihrem Schuß anvertraut, doppelt ficher bei 
Ihnen Fin jollte; und FR Ve daß, wenn fie den blutigen 

nfchlag, den fie ihr geäußert, nicht aufgäbe, fie auf der Stelle 
hingehen und dem renden anzeigen würde, welch eine Mörder- 
grube das Haus fer, in welchem er geglaubt habe, feine Rettung 
zu finden. „Toni!“ jagte Die Mutter, indem fe die Arme in die 
Seite ftemmte, und diefelbe mit großen Augen anfah. — „Ge: 
wiß!” erwiederte Toni, indem fie die Stimme fenkte. „Was hat 
und Der Süngling, der von Geburt gar nicht einmal ein 
Franzoſe, jondern, wie wir gejehen haben, ein Schweizer ift, 

u leive gethan, daß wir nad Art der Räuber über ihn de 
Sen, ihn tödten und ausplündern wollen? Gelten die Be— 
ſchwerden, die man hier gegen die Pflanzer führt, aud) in der 
Gegend der Inſel, aus welcher er herkommt? Zeigt nicht viel- 
mehr Alles, dag er der edelfte und vortrefflichte Menſch ift, 
und gewiß das Unrecht, das die Schwarzen jeiner Gattung vor⸗ 
werfen mögen, auf keine Weiſe theilt?“ — Die Alte, während 
fie den jonderbaren Ausdrud des Mädchens betrachtete, jagte 
bloß mit bebenden Lippen, daß fie erſtaune. Sie age was 
der junge Portugiefe verichuldet, den man unter dem Thorweg 


mm am, 


385 


kürzlich mit Seulen zu Boden geworfen habe. Sie Teagte, mas 
die beiden Holländer verbrochen, die vor drei Wochen durch die 
Kugeln der Negern im Hofe gefallen wären. Sie wollte wiffen, 
wa3 man den drei Franzofen und fo vielen andern einzelnen 
Stätlingen vom Geſchlecht der Weißen zur Yaft gelegt habe, 
die mit Büchfen, Spießen und Dolchen feit dem Ausbrudy der 
Empörung im Haufe hingerichtet worden wären. „Beim Licht 
der Sonne“, fagte die Tochter, indem fie wild aufftand, „du 
haft Ich: Unrecht, mich an diefe Gräuelthaten zu erinnern! Die 
Unmenjchlichkeiten, an denen Ihr mich Theil zu nehmen zwingt, 
empörten längft mein innerfte8 Gefühl; und um mir Gottes 
Rache wegen Alles, was vorgefallen, zu verfühnen, fo ſchwöre 
ich Dir, Daß ich eher zehnfachen Todes fterben, als zugeben 
werde, daß diefem Jüngling, fo lange er ſich in unferm Saufe 
befindet, auch nur ein FE gefriimmit werde." — „Wohlan“, 
fagte die Alte mit einem plößlichen Ausdrud von Nachgiebig- 
fett: „fo mag der Fremde reifen! Aber wenn Congo Hoango 
zurüdtommt“, feste fie hinzu, indem fie, um das Zimmer zu 
verlafjen, aufftand, „und erfährt, daß ein Weißer in unferm 
Haufe übernadhtet hat, fo magit du das Mitleiden, das dich 
bewog, ihn gegen da8 ausdrüdliche Gebot wieder abziehen zu 
laffen, verantworten.“ 

Auf diefe Aeußerung, bei welcher, troß aller feheinbaren 
Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das 
Mädchen in nicht geringer Beftürzung im Zimmer zurüd. Gie 
fannte den Haß der Alten gegen die Weißen zu gut, als daß fie 
Fr glauben können, fie werde eine folche Gelegenheit, ihn zu 
[id ungenugt vorüber gehen laſſen. Furcht, daß fie jo- 
glei 
ur Ueberwältigung des Fremden herbeirufen möchte, bemog 
de, fih anzufleiven und ihr unverzüglich in das untere Wohn- 
zimmer zu folgen. Sie ftellte fih, während dieſe verjtört den 
Speifefchrant, bei welchem fie ein Gefchäft zu haben fchien, ver- 
ließ und ſich an einen Spinnroden niederjegte, vor das an die 
Thür gefchlagene Mandat, in welchem allen Schwarzen bei 
Gchenötrje verboten war, den Weißen Schuß und Obdach zu 

eben; und gleichjam als ob fie, von Schreden ergriffen, das 

nrecht, das fie begangen, wandte fie fich plöglich und 
fiel der Mutter, die fie, wie fie wohl mußte, von Dinten beob- 
achtet hatte, zu Füßen. Sie bat, die Kniee derfelben umflam- 
mernd, ihr die rafenden Aeußerungen, die fie ſich zu Gunſten 
des Fremden erlaubt, zu vergeben; entjchuldigte ſich mit dem 
Zuftand, halb träumend, halb wachend, in welchem fie von ihr 
mit den Borfchlägen zu feiner Ueberliftung, da fie noch im Bette 
gelegen, überrafcht worden ſei, und meinte, daß fie ihn ganz 
und gar der Rache der beftehenden Landesgefege, die feine Ver⸗ 

Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. IL, 23 


in die benachbarten Pflanzungen fchiden und die Negern 


386 


nichtung einmal befchloffen, Preis gäbe. Die Alte, nad) einer 
Pauſe, in der fie das Mädchen unverwandt betradytete, ſagte: 
„Beim Himmel, diefe deine Erflärung rettet ihm für heute das 
Leben! Denn die Speife, da du ihn in deinen Schuß zu nehmen 
drohteft, war ſchon vergiftet, die ihn der Gewalt Songo Hoangos, 
einem Befehl gemäß, wenigſtens todt überliefert haben würde.“ 

nd damit ſtand ſie auf und ſchüttete einen Topf mit Milch, 
der auf dem Tiſch ſtand, aus dem Fenſter. Toni, welche ihren 
Sinnen nicht traute, ſtarrte von Entſetzen ergriffen die Mutter 
an. Die Alte, während ſie ſich wieder niederſetzte, und das 
Mädchen, das noch immer auf den Knieen dalag, vom Boden 
aufhob, fragte, was denn im Laufe einer einzigen Nacht ihre 
Gedanken fo plötzlich umgewandelt hätte. Ob fie geſtern, nady- 
dem ſie ihm das Bad bereitet, noch lange bei ihm geweſen wäre 
und oͤb fie viel mit dem Fremden Seren hätte. Doch Toni, 

deren Bruft flog, antwortete hierauf nicht oder nichts Beftimm- 
tes; das Auge zu Boden gefchlagen, ftand fie, indem fie fich 
den Kopf bielt, und berief fih auf einen Traum; ein Blid 
jedoch auf die Bruft ihrer unglüdlichen Mutter, ſprach fie, in- 

em fie ſich raſch bückte und ihre Hand Füßte, rufe ihr die ganze 
Unmenfchlichfeit der Gattung, zu der diefer Fremde gehöre, 
wieder ing Gedächtniß zurüd, und betheuerte, indem fie fich 
umkehrte und das Geſicht in ihre Schürze drückte, daß, jobald 
der Neger Hoange eingetroffen wäre, fie fehen witrde, was fie ° 
an ihr * eine Tochter habe. 

Babekan ſob noch in Gedanken verſenkt, und erwog, wo⸗ 
her wohl die ſonderbare Leidenſchaftlichkeit des Mädchens ent- 
jpringe: als der Fremde mit einem in feinem Schlafgemach ge- 
jhrie enen Zettel, worin er die Yamilie einlud, einige Tage in 

er Pflanzung des Neger Hoango zuzubringen, in das Zim⸗ 
mer trat. Er grüßte fehr heiter und freundlich die Mutter und 
die Z.ochter, und bat, inden er der Alten den Zettel übergab, 
dag man fogleich in die Waldung jhiden und für die Gelell 
fhaft, dem ıhm gegebenen Berjprechen gemäß, Sorge tragen 
möchte. Babekan jtand auf und fagte mit einem Ausdrud von 
Unruhe, indem fie den Zettel in den Wandfchrant legte: „Herr, 
wir müffen Euch bitten, Euch fogleih in Euer Schlafzimmer 
zurüd zu verfügen. Die Straße ıft voll von einzelnen Neger- 
trupp3, die vorüberziehen und uns anmelden, daß fich der 
General Deffalines mit feinem Heer in diefe Gegend wenden 
werde, Dieß Haus, das „Jedem offen fteht, gewährt Euch keine 
Sicherheit, falls ihr Euch nicht in Eurem auf den Hof hinaus- 
gehenden Schlafgemad) verbergt und die Thüren ſowohl als auch 
die Yenfterladen auf das Sorgfältigfte verfchliegt." — „Wie?“ 
fagte der Fremde LE „der General Deifalines“ — 
„Fragt nicht!" unterbrach ihn die Alte, indem fie mit einem 


— Ui 77T TE 





Deſſalines 


387 


Stod drei Mal auf den Fußboden Hopfte: „In Eurem Schlaf⸗ 
gemach, wohin ich Euch folgen werde, will ih Euch Alles er- 
klären.“ Der Fremde, von der Alten mit ängſtlichen Geberden 
aus dem Zimmer gedrängt, mandte ſich noch ein Mal unter der 
Thüre und rief: „Über wird man der Familie, die meiner harrt, 
nicht wenigſtens einen Boten zufenden müſſen, der fie" — „ES 
wird Alles _beforgt werden”, fiel ihm die Alte ein, während, 
duch ihr Klopfen gerufen, der Baftardfnabe, den wir ſchon 
fennen, geveintam und damit befahl fle Toni, die, dein Frem- 
den den Rüden zufehrend, vor den apiegel getreten war, einen 
Korb mit Rebensmitteln, der in dem Winkel ftand, aufzuneb- 
men; und Mutter, Tochter, der Fremde und der Knabe begaben 
fi in das Schlafzimmer hinauf. 
Hier erzählte die Alte, indem fie fich auf AA ae Weiſe 

auf den Seſſel niederließ, wie man die ganze Nacht über auf 
den den Horizont abſchneidenden Bergen die Feuer des General 
dimmern 7% en; ein Umftand, der in der That 

gegründet war, obfchon ſich bis dieſen Augenblid noch fein ein- 
iger Neger von feinem Heer, das ſüdweſtlich gegen Port au 
—* anrückte, in dieſer Gegend gezeigt hatte. Es gelang ihr, 
den Fremden dadurch in einen Wirbel von Unruhe zu ſtuͤrzen, 
den fie jedoch nachher wieder durch die Verficherung, daß fie 
alles Mögliche, felbft in dem ſchlimmen Fall, daß fie Einquar- 
tierung befäme, zu feiner Rettung beitragen würde, zu ftillen 
wußte. Ste nahm anf die wiederholte inftändige Erinnerung 
defielben, unter diefen Unftänden feiner Familie menigftens 
mit Lebensmitteln beizufpringen, der Tochter den Korb aus der 
Hand, und indem fie ihn dem Knaben gab, fagte fie ihm, er 
fole an den Möwenweiher, in die Tage eenen Waldberge 
—* gehen, und ihn der daſelbſt befindlichen Familie des 
remden Officiers überbringen. Der Officier ſelbſt, ſolle er 
hinzuſetzen, befinde ſich wohl; Freunde der Weißen, die ſelbſt 
viel der Partei wegen, die ſie ergriffen, von den Schwarzen 
leiden müßten Fair ihn in ihrem Haufe mitleidig aufgenom- 
men. Sie (he ‚ daß, fobald die Landitrage nur von den be- 
waffneten Negerhanfen, die man erwartete, befreit wäre, man 
fogleich Anftalten treffen würde, auch ihr, der Familie, ein Unter- 
fonımen in diefem Haufe zu verfchaffen. — „Haft du verftan- 
den?“ fragte fie, da g: geendet hatte. Der Knabe, indem er 
den Korb auf feinen Kopf ſetzte, antwortete, daß er den ihm 
befehriebenen Mömwenweiher, an dem er zuweilen mit feinen 
Kameraden zu fifchen pflege, gar wohl kenne, und daß er Alles, 
wie man e3 ihm By ii en, an die dafelbit übernachtende 
Familie des fremden Herrn beftellen würde. Der Fremde zog ſich 
auf die Frage der Alten, ob er noch Etwas hinzuzufegen hätte, 
noch einen King vom Finger und händigte ihn dem gnaben ein, 


388 


mit dem Auftrag, ihn zum Zeichen, daR es mit den überbrach- 
ten Meldungen feine ichtigteit babe, dem Oberhaupt der 
Familie, Herrn Strömli, zu übergeben. Hierauf traf die Mutter 
mehrere, die Sicherheit deö Fremden, wie fie ſagte, abzwedende 
Beranftaltungen; befahl Toni, die Fenfterladen zu verjchließen 
und zlindete Kıbh, um die Nacht, die Dadurd in dem Zimmer 
berrfchend geworden war, zu zerfireuen, an einem auf Dem 
Kaminſims befindlichen Feuerzeug, nicht ohne Mühfeligkeit, in- 
dem der Zunder nicht fangen wollte, ein Licht an. ‘Der Fremde 
benuste dieſen Augenblid, um den Arm fanft um Toni Leib 
zu legen, und ihr ins Ohr zu flüftern, wie fie gefchlafen, und 
ob er die Mutter nicht von Dem, was vorgefallen, unterrichten 
folle; doc) auf die erfte Frage antwortete Toni nicht, und auf 
die andere verfeßte fie, indem fie fi aus feinem Arm loswand: 
„Nein, wenn Ihr mich Tiebt, Kein Wort!" Sie unterdrüdte 
die Angft, die alle diefe lügenhaften Anftalten in ihr erwed- 
ten; und unter dem Vorwand, dem Fremden ein Frühſtück 
zu bereiten, ftürzte fie eilig in das untere Wohnzimmer herab. 
Sie nahm aus dem Schranf der Mutter den Brief, worin 

der Fremde in feiner Unſchuld die Familie eingeladen hatte, 
dem Knaben in die Riederlaffung zu folgen; und auf gut Glüd 
rar ob die Mutter ihn vermiffen würde, entichlojfen, im 
Ichlimmften Sal den Tod mit ihn zu leiden, flog fie damit dem 
| on auf der Landftraße wandernden Knaben nah. Denn fie 
ah den Jüngling vor Gott und ihrem Herzen nicht mehr ala 
einen bloßen Sal, dem fie Schuß und Obdach gegeben, ſon⸗ 
dern als ihren Verlobten und Gemahl an, und war Willens, 
jobath nur feine Bartei im Haufe ftarf genug fein würde, 
ieß der Mutter, auf deren Beftürzung fie unter dieſen Um— 


fie, da fie den Knaben athemlos und eiffertig auf der Yand- 
ſtraße erreicht hatte: „die Mutter hat ihren Plan, die Familie 
Herrn Strömlis anbetreffend, umgeändert. Nimm diefen 
Brief! Er lautet an Herrn Strömli, das alte Oberhaupt der 
Familie, und enthält die Einladung, einige Tage mit Allem, 
was zu ihm gehört, in unjeree — zu verweilen. 
Sei klug und trage ſelbſt alles Mögliche dazu bei, dieſen Ent- 
ſchluß zur Reife zu bringen; Congo Hoango der Neger wird, 
wenn er miederlommt, es dir lohnen! „But, gut, Bafe 
Toni“, antwortete der Knabe. Er fragte, indem er den Brief 
jorgjam eingemidelt in feine Tafche ftedte: „Und ich foll dem 
Zuge auf feinem Wege hierher zum Führer dienen?“ „Aller- 
dings", verfeßte Toni; „das verfteht ſich, weil fie die Gegend 
nicht fennen, von feib . Doch wirft du möglicher Truppen⸗ 
märſche wegen, die auf der Landſtraße ſtattfinden könnten, die 
Wanderung eher nicht, als um Mitternacht antreten; aber daun 





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389 


diefelbe auch fo bei leunigen, daß du vor der Dämmerung 
des Tages hier eintriffit. Kann man fich auf dich verlaffen ?* 
fragte de „Berlaßt Euch auf Nanky!“ antwortete der Knabe ; 
„ich weiß, warum Ihr dieje weißen Flüchtlinge in die Pflanzung 
lodt, und der Neger Hoango fol mit mir aufrieden fein.“ 
Hierauf trug Toni dem Fremden das Frühſtück auf; und 
nachdem es wieder abgenommen war, begaben fi) Mutter und 
Tochter ihrer häuslichen Geſchäfte wegen ın das vordere Wohn- 
immer zurüd. Es konnte nicht fehlen, daß die Mutter einige 
Bir darauf an den Schranf trat, und, wie es natürlich mar, 
den Brief vermißte. Sie legte die Hand, ungläubig gegen 
ihr Gedächtniß, einen Augenblid an den Kopf, und fragte 
Toni, wo fie den Brief, den ihr der Fremde gegeben, wohl 
hingelegt haben könne. Toni antwortete nach einer kurzen 
Paufe, in der fie auf den Boden niederfah, daß ihn der 
Fremde ja ihres Wiſſens wieder eingeftedt und oben im Zim- 
mer in ihrer Beiden Gegenwart zerrifien habe! Die Mutter 
{baute das Mädchen mit großen Augen an; fie meinte ſich 
bejtimmt zu erinnern, daß jie den Brief aus ferner Hand em- 
pfangen und in den Schranf gelegt habe; doch da fie ihn nad 
vielem vergeblihen Suden darın nicht fand, und ihrem 
Gedächtniß mehrerer ähnlichen Vorfälle wegen mißtrante, fo 
bfieb ihr zulegt Nichts übrig, al3 der Meinung, die ihr die 
Tochter geäußert, Glauben zu ſchenten Inzwiſchen konunte fie 
ihr lebhaftes Mißvergnügen über dieſen Umſtand nicht unter- 
drücken, und meinte, der Brief dem Neger Hoango, um 
die Familie in die Pflanzung hereinzubringen, von der größten 
Wichtigkeit geweſen ſein wurde. Am Mittag und Abend, da 
Toni den Fremden mit Speifen bediente, nahm fie, zu feiner 
Unterhaltung an der Tifchede figend, mehrere Mal Gelegenheit, 
ihn nad) dem Briefe zu fragen; doch Toni war geſchickt genug, 
das Geſpräch, jo oft es auf diefen gefährlichen unkt fam, ab- 
ulenten oder zu verwirren; dergeftalt, daß die Mutter durch die 
rklärungen des Fremden über das ei ale Schickſal des 
Briefes auf feine Weife ins Reine kam. So verfloß der Tag; die 
Mutter verjchloß nach dem Abendeſſen aus Borficht, wie fie Sdote, 
des Fremden Zimmer; und nachdem fie noch mit Toni überlegt 
hatte, durch welche Liſt fie fih von Neuem am folgenden Tage 
in den Befit eines ſolchen Briefes ſetzen könne, begab fie ſich 
zur Ruhe und befahl dem Mädchen, gleichfalls zu Bette zu gehen. 
Sobald Toni, die diefen Augenblid mit Sehnſucht erwar- 
tet hatte, ihre Schlafkammer erreicht und ſich überzeugt hatte, 
daß die Mutter entſchlummert war, ftellte fie das Bildniß der 
heiligen Jungfrau, da8 neben ihren Bette hieng, auf einen 
Sefjel und ließ ſich mit verſchränkten Händen auf Knieen davor 
nieder. Sie flehte den Erlöfer, ihren göttlichen Sohn, in einem 


3% 


Gebet voll unendlicher Inbrunft um Muth und Stanbhaftigkeit 
an, dem Jüngling, dem fie ſich zu eigen gegeben, das Beftänd- 
niß der Verbrechen, die ihren jungen Bulen bejchwerten, abzu- 
legen. Sie gelobte, diefem, was es ihrem Herzen auch toffen 
würde, Nichts, aud) nicht die Abficht, erbarmungslos und ent: 
jest), in der fie ihn geftern in das Haus gelodt, zu ver- 
ergen; doch um der Schritte willen, die fie bereitS zu feiner 
Rettung gethan, wünfchte fie, daß er ihr vergeben und fie als 
fein treues Weib mit ſich nad) Europa führen möchte. Durch 
dieß Gebet wunderbar geftärkt, ergriff fie, indem fie aufftand, 
den Hauptjchlüffel, der alle Öemäde des Haufes ſchloß, und 
fchritt damit langſam ohne Licht über den ſchmalen Gang, der 
das Gebäude durchſchnitt, dem Schlafgemach bes Fremden zu. 
Sie öffnete das Zimmer leife und trat vor fein Bett, wo er in 
tiefen Schlaf verſenkt ruhte. Der Mond beichien fein blühendes 
Antlitz, und der Nachtwind, der durch die geöffneten Fenſter 
eindrang, jpiette mit dem Haar auf feiner Stirn. Gie neigte 
ich fanft über ihn und rief ihn, feinen jüßen Athem einfaugend, 
eim Namen; aber ein tiefer Traum, von dem fie der Gegen- 
ftand zu fein ſchien, befchäftigte Ihn wenigftens börte fie zu 
wiederholten Malen von feinen übenden, zitternden Pippen 
das geflüfterte Wort: „Toni!“ Wehmuth, die nicht zu befchrei- 
ben iſt, ergriff fie; fie Tonnte fich nicht eben im aus den 
Himmeln lieblicher Einbildung in die Tiefe einer gemeinen und 
elenden Wirklichkeit he und in ber Gewißbeit, daß 
er ja früh oder jpät von ſelbſt erwachen müſſe, Intete fie an 
feinem Bette nieder und überdedte feine theure Hand mit Küſſen. 
Aber wer bejchreibt das Entfegen, das wenige Augenblide 
darauf ihren Bufen ergriff, als B plöglih im Innern des 
Hofraums ein Geräufh von Menſchen, Pferden und Waffen 
hörte, und darunter ganz deutlich die Stimme des Negers 
Congo Hoange erfannte, der unvermutheter Weife mit feinem 
ganzen Troß aus dem Lager des Generals Deffalines zurüd- 
geehrt war. Sie ftürzte, den Mondfchein, der fle zu verrathen 
rohte, forgjam vermeidend, hinter die Vorhänge des Fenſters, 
und hörte auch ſchon die Mutter, welche dem Neger von Allem, 
mas während deſſen vorgefallen war, aud) von der Anmefenheit 
des europäischen Flüchtlings im Haufe, Nachricht gab. “Der 
aieger befahl den Seinigen mit gedämpfter Stimme, im Hofe 
fill zu fein. Er fragte die Alte, wo der Fremde in diefem 
Augenblick befindlich Tei; worauf diefe ihm das Zimmer be- 
eichnete und fogleich auch Gelegenheit nahm, ih von dem 
Sonderbaren und auffallenden Gelpräß, dag fie, den Flücdht- 
ling —5 mit der Tochter gehabt hatte, zu unterrichten. 
Sie verficherte dem Neger, daß das Mädchen eine Berrätherin, 
und der ganze Aufchlag, beffelben babhaft zu werden, in Ge⸗ 








391' 


ahr jei, zu fcheitern. Wenigftens fei die Spigbübin, wie fie 
emerkt, heimlih beim Einbruch der Nadt in fein Bette 
NEE wo fie noch bis dieſen Augenblid in guter Ruhe 
efindlich je und wahrfcheinlich, wenn der Fremde nicht fchon 
entflohen jet, werde derſelbe eben jet gewarnt, und die Mittel, 
wie feine Flucht zu bewerfitelligen fei, mit ihm verabredet. 
Der Neger, der die Treue des Mädchens fchon in ähnlichen 
Fällen erprobt hatte, antwortete, e8 wäre wohl nicht möglıd. 
Und: „Kelly!“ rief er wiüthend, „und Omra! nehmt eure 
Büchſen!“ und damit, ohne meiter ein Wort zu fagen, ftieg er _ 
im Gefolge aller feiner Jtegern die Treppe hinauf, und begab 
fih in das Zimmer des Fremden. 

Toni, vor deren Augen ficy während meniger Minuten 
diefer ganze Auftritt abgejpiegelt hatte, ftand gelähmt an allen 
Gliedern, als ob fie ein Wetterftrahl getroffen hätte, da. Sie 
dachte einen Augenblid daran, den Fremden zu weden; Doc 
theils war wegen Bejeßung des Hofraums keine Flucht für ihn 
möglich, theils auch Ich fie voraus, daß er zu den Waffen greifen 
und fowit bei der Ueberlegenheit der Negern Zubodenftredung 
unmittelbar fein 2003 fein würde. Ja, die entjeglichite Rückſicht, 
die fie zu nehmen genöthigt war, war diefe, daß der Unglüdliche 
fie —* wenn er fie in dieſer Stunde bei feinem Bette fände, 
für eine Berrätherin halten und, ftatt auf ihren Rath zu hören, 
in der Raſerei eines jo heilfofen Wahns dent Neger Hoango 
völlig befinnungslo8 in die Arme laufen würde. In diejer 
unausfprechlichen Angft fiel ihr ein Strid in die Augen, welcher, 
der Himmel weiß durch welchen Zufall, an dem Riegel der Wand 
hieng. Gott felbft, meinte fie, indem fie ihn herabriß, hätte ihn 

u ihrer und des Freundes Rettung dahin geführt. Sie um: 
lang den Jüngling, vielfache Knoten ſchürzend, an Händen 
und Füßen damit; und nachdem fie, ohne darauf zu achten, daß 
er fi) rührte und fträubte, die Enden angezogen und an daS Ge- 
ftell des Bettes feftgebunden hatte: drüdte fe froh, des Augenblids 
mächtig geworden zu fein, einen Kuß auf feine Yippen und eilte 

dem Neger Hoango, der fhon auf der Treppe klirrte, entgegen. 
Der Neger, der dem Bericht der Alten, Toni anbetreffend, 
immer noch Teinen Glauben fchenfte, ftand, als er fie aus dem 
bezeichneten Zimmer herportreten — beſtürzt und verwirrt im 

Corridor mit ſeinem Troß von Fackeln und Bewaffneten ſtill. 
Er rief: „Die Treuloſe! die Bundbrüchige!“ und indem er ſich zu 
Babekan wandte, welche einige Schritte vorwärts gegen die Thür 
des Fremden gethan hatte, fragte ex: „Ift der Fremde entflohn?“ 
Babelan, welche die Thür, ohne hineinzufehen, offen geiunben 
hatte, rief, indem fie al$ eine Wüthende zurüdfehrte: „Die Gan- 
nerin! ſie hat ihn entwiſchen laffen! Eilt, und befegt die Ausgänge, 
ehe er daS weite Feld erreicht!" „Was giebt ?* fragte Toni, 


392 


indem fie mit dem Ausdrud des Erſtaunens den Alten und die 
Negern, die ihn umringten, anfah. „Was e8 giebt?“ erwiederte 
Hoango; und damit ergriff er fie bei der Bruſt und fchleppte fie 
nad) dem Zimmer hin. „Seid Ihr rafend ?“ rief Toni, indem fie 
den Alten, der bei dem fich ihm darbietenden Anblid erftarrte, 
von fich ftieß: „da liegt der Fremde, von mir in feinem Bette 
jeftgebunden ; und, beim Himmel, es ift nicht die ſchlechteſte That, 
die ıch in meinem Leben gethan!“ Bei dieſen Worten Lehrte fie 
ihm den Rüden zu, und Tete fih, als ob fie weinte, an einen 
Tiſch nieder. Der Alte wandte fich gegen die in Verwirrung zur 
Seite ftehende Mutter und fprah: „DO Babelan, mit weldem 
Märchen haft du mich getäufcht?“ „Dem Himmel fei Dank“, 
antwortete die Mutter, indem fie die Stride, mit welchen der 
Fremde gebunden war, verlegen unterfuchte, „der Fremde ift da, 
objchon ich von dem Zufammenhang Nicht8 begreife.“ Der Neger 
trat, das Schwert in die Scheide ftedend, an das Bett und fragte 
den Fremden, mer er fei, woher er fomme und wohin er reije. 
Doch da diefer unter frampfhaften Anftrengungen fid) loszuwin— 
den Nichts hervorbrachte, als auf jämmerlich ſchmerzhafte Weiſe: 
„O Toni! o Toni!” — fo nahm die Mutter das Wort und be- 
deutete ihm, daß er ein Schweizer fei, Namens Guſtav von der 
Ried, und daß er mit einer ganzen Familie europätjcher Hunde, 
welche in diefem Augenblid in den Berghöhlen am Mömwenweiher 
verftedt fei, von dem Küftenplag Fort Dauphin komme. Hoango, 
der das Mädchen, den Kopf fehmermüthig auf ihre Hände ge- 
ftügt, da figen fah, trat zu ihr und nannte fie fein liebes Mäp- 
chen; Klopfte ihr die Wangen und forderte fie auf, ihm den 
üibereilten Verdacht, den er dr geäußert, zu vergeben. Die Alte, 
die te vor das Mädchen hingetreten war, ftemmte bie 
Arme kopfſchüttelnd in die Seite und fragte, a fie denn 
den aremben, ber doch von der Gefahr, in der er ſich befunden, 
ar Nicht8 gewußt, mit Striden in dem Bette fejtgebunden habe. 
oni, vor Schmerz und Wuth in der That weinend, antwortete, 
plöglih zur Mutter gelehrt: „Weil du feine Augen und Ohren 
haft! weil er die Gefahr, in der er ſchwebte, gar wohl begriff! _ 
weil er entfliehen wollte; weil er mich gebeten hatte, ihm zu Feiner 
Flucht behülflich zu fein; weil er einen Anſchlag auf dein eignes 
Leben gemacht hatte, und fein —I bei Anbruch des Tages 
ohne Zweifel, wenn ich ihn nicht ſchlafend gebunden hätte, in 
Ausführung gebracht haben würde.“ Der Alte liebkoſete und 
eggiat das Mädchen und befahl Babekan, von dieſer Sache 
u ſchweigen. Er rief ein paar Schützen mit Büchſen vor, um 
as Geſetz, dem der Fremdling verfallen war, augenblicklich an 
demſelben zu vollſtrecken; aber Babekan flüfterte ihm heimlich 
zu: „Nein, ums Himmels willen, Hoango!“ — Sie nahm ihn 
auf die Seite und bedeutete ihm, der Fremde müffe, bevor er 





393 


ingerichtet werde, eine Einladung auffeben, um vermittelt der- 
elben die Familie, deren Belämpfung im Walde manchen Ge- 
ahren ausgefegt fei, in die Pflanzung zu loden, — Hoango, in 
Erwägung, daß die Yamilie wahrfhenlich nicht unbemwaffnet 
jein werde, gab diefem Borfchlage feinen Beifall; ex ftellte, weil 
es zn ſpät war, den Brief verabredeter Maßen fchreiben zu 
laflen, zwei Wachen bei dem weißen Flüchtling aus, und nad 
dem er noch der Sicherheit wegen die Stride unterſucht, auch, 
weil er fie zu loder befand, ein paar Leute herbeigerufen hatte, 
um fie noch enger Aufommenzugieben, verließ er mit einem ganzen 
Troß das Zimmer, und Alles nad) und nach begab fich zur Ruh. 
Über Zoni, welche nur ſcheinbar dem Alten, der ihr noch 
ein Mal die Hand gereicht, gute Nacht gejagt und Wi zu Bette 
gelegt hatte, jtand, fobald fie Alles im Hauje ftill jah, mieder 
. auf, ſchlich fich durch eine Hinterpforte des Haufes auf das freie 
Feld hinaus, und lief, Die wildefte Bergmeiltung im Herzen, auf 
dem die Landſtraße Durchkreuzenden Wege der Gegend zu, von 
melde die Familie Herrn Strömlis herankommen mußte. Denn 
die Dlide voll Verachtung, die der Fremde von feinem Bette aus 
auf ds bern hatte, waren ihr empfindlich wie Meſſerſtiche 
urchs 


* 


erz gegangen; es miſchte ſich ein Zeſuhl heißer Bitter⸗ 
keit in ihre Liebe zu ihm, und ſie frohlockte bei dem Gedanken, 
in dieſer zu ſeiner Rettung angeordneten Unternehmung zu ſter⸗ 
ben. Sie ſtellte ſich in der — die Familie zu verfehlen, 
an dem Stamm einer Pinie, bei welcher, falls die Einladung 
angenommen worden war, die Geſellſchaft vorüberziehen mußte, 
und kaum war auch, der Verabredung gemäß, der erſte Strahl 
der Dämmerung am Horizont angebrochen, als Nankys, des 
Knaben, Stimme, der dem Troſſe zum Führer diente, ſchon 
fernber unter den Bäumen des Waldes hörbar ward. 

Der Zug beftand aus Herrn Strömli und feiner Gemahlin, 
welche letztere auf einem Maulefel ritt; fünf Rindern deffelben, 
deren zwei, Adelbert und Gottfried, Sünglin e von 18 und 17 
Jahren, neben dem Maulefel hergiengen; drei Dienern und zwei 
Mägden, wovon die eine, einen Säugling an der Bruft, auf 
dem andern Maulefel ritt; in Allem aus zwölf Berjonen. Er 
bewegte fich langſam über die den Be dürchflechtenden Kien- 
wurzeln dem Stamm der Binie zu, wo Toni fo geräufchlos, als 
Niemand zu erjchreden nöthig war, aus dem Schatten des Bau- 
mes hervortrat und dem Zuge zurief: Halt!“ Der Knabe kannte 
fie ſogleich; und auf ihre Frage, wo Herr Strömli fei, während 

änner, Weiber und Kinder fie umringten, ftellte diefer fie 
freudig dem alten Oberhaupt der Familie, Herrn Strömli, vor. 
„Edler Herr!“ fagte Toni, inden: fie die Begrüßungen deffelben 
mit fefter Stimme unterbradj: „der Neger Hoango ift auf über- 
raſchende Weife mit feinen ganzen Zroß in die Niederlaffung 


394 


zurüd gelommen. Ihr könnt jet ohne die größefte Lebensgefahr 
nicht darın einkehren; ja, Euer Better, der zu feinem Unglüd eine 
Aufnahme darin fand, tft verloren, wenn Ihr nicht zu den Waffen 
greift, und mix zu feiner Befreiung aus der Seh, in welcher 
ihn der Neger Hoango gefangen hält, in die Bflanzung folgt!“ 
„Gott im Himmel!“ riefen, von Schreden erfaßt, alle Mitglieder 
der Familie; und die Mutter, die krank und von der Reife er- 
ſchöpft war, fiel von dem Maulthier ohbnmächtig auf den Boden 
nieder. Toni, während auf den Auf Herrn Strömlis die Mägde 
herbeieilten, um ihrer Fran zu helfen, führte, von den Jüng⸗ 
ingen mit Fragen beftürmt, Herrn Strömli und die übrigen 
Männer aus Furcht vor dem Knaben Nankhy auf die Seite. Sie 
erzählte den Männern, ihre Thränen vor Scham und Rene 
nicht zurückhaltend, Alles, was vorgefallen; wie die Berhältniffe 
in dem Augenblid, da der Jüngling eingetroffen, im Haufe be- 
ftanden; wie das Geſpräch, das fie unter vier Augen mit ihm 
ehabt, diefelben auf ganz unbegreifliche Weife verändert; was 
de bei der Ankunft des Negers, Yafı wahnfinnig vor Angſt, ge- 
than, und wie fie nun Tod und Leben daran —* wolle, an 
aus der Gefaugenſchaft, worin fie ihn felbit geftürzt, wieder zu 
befreien. „Meine Waffen!“ rief Herr Strömlt, indem er zu dem 
Maulthier feiner Frau eilte und feine Büchje herabnahın. Er 
fagte, während auch Adelbert und Outtjried ‚ feine rüftigen 
un und die drei wadern Diener fih bewaffneten: „Better 
Guſtav hat mehr als Einem von uns das Leben gerettet; jest ift 
es an ung, ihm den gleichen Dienft zu thun;“ und damit bob er 
feine Frau, welche fi) erholt hatte, wieder auf das Maulthier, 
ließ dem Knaben Nanky aus VBorficht, als eine Art von Geißel, 
die Hände binden; fehidte den ganzen Troß Weiber und Kinder 
unter dem an Schuß feines oreigehnjährigen, gleichfalls be- 
mwaffneten Sohnes Ferdinand an den Möwenweiher zurüd; und 
nachdem er no Toni, welche felbft einen Helm und einen Spieß 
genommen ae üiber die Stärke der Negern und ihre Berthei- 
lung im Hofraume ausgefragt und ihr verſprochen hatte, Hoan- 
20 fomohl als ihrer Mutter, fo viel es fi) thun ließ , bei diefer 

nternehmung zu fchonen: ftellte er ficy muthig und auf Gott 
pertrauend an die Spite feines Kleinen Haufens, und brach, von 
Toni geführt, in die Niederlaffung auf. 

Zoni, fobald der Haufen durch die hintere Pforte einge- 
fhlihen war, zeigte Herrn Strömli daS Zimmer, in welchen 
Hoango und Babelan ruhten; und während Herr Strömli ge- 
räufchlo8 mit feinen Leuten in das offne Haus eintrat und da 
fämmtlicher aulanımengejegter Gewehre der Negern bemächtigte, 
Ichlich fie zur Seite ab in den Stall, in welchem der fünfjährige 

albbruder des Nanky, Seppy, fchlief. Denn Nanky und Seppy, 
aftardfinder des alten Hoango, waren diefem, bejonders ber 





TE aut #3 


395 


letzte, deſen Mutter kürzlich geſtorben war, ſehr theuer; und da 
abſ in dem Fall, daß man den gefangenen Jüngling befreite, 
er Rückzug an den Möwenweiher und die Flücht von dort 
nach Port au Prince, der ſie ſich zrzuſchieten gerade, noch 
mancherlei Schwierigkeiten ausgeſetzt war: ſo ſchloß ſie nicht 
unrichtig, daß der Beſitz beider Knaben, als einer Art von Unter- 
pfand, dem Zuge bei etwaniger Verfolgung der Negern von 
roßem Bortheil fein würde. Es gelang ıhr, den Knaben unge- 
—* aus ſeinem Bette zu heben, und in ihren Armen, halb 
ſchlafend, halb wachend, in das Sauptgebäude hinüberzutragen. 
Inzwiſchen war Herr Strömtli jo heimlich, als es fid) thun ließ, 
mit feinem Haufen in Hoangos Stubenthüre eingetreten; aber 
ftatt ihn und Babekan, wie er glaubte, in Bette zu finden, ftan- 
den, durd) das Geräuſch gewedt, Beide, obſchon halbnadt und 
hülflos, ın der Mitte des Zimmers da. Herr Strömli, indem 
er feine Büchfe in die Hand nahm, rief: fie follten fich ergeben 
oder fie wären des Todes! Doc Hoango, ftatt aller Antwort, 
riß ein Bi von der Wand und platte es, Herrn Strömli am 
Kopf ftreifend, unter die Menge los. Herrn Strömlis Haufen, 
auf dieß Signal, fiel wüthend über ihn her; Hoango, nad) einem 
zweiten Schuß, der einem Diener die Schulter durchbohrte, ward 
duch emen Säbelhieb an der Hand verwundet, und Beide, 
Babelan und er, wurden niedergeworfen und mit Striden am 
Geftell eines großen Tifches feſt gebunden. Mittlerweile waren, 
durch die Schüffe geweckt, die Negern des Hoango, zwanzig und 
mehr an der Zahl, aus ihren Ställen herporgeftürzt, und dran- 
gen, da fie die alte Babelan im Haufe ſchreien hörten, witthend 
gegen daſſelbe vor, um ihre Waffen wieder gu erobern. Bergebens 
Otierte Herr Strömli, deffen Wunde von feiner Bedeutung war, 
feine Leute an die Fenfter des Haujes, und ließ, um die Kerle 
ım Baum zu halten, mit Büchjen unter fie feuern; fie achteten 
zweier Todten nicht, die fchon auf den Hofe umher lagen, und 
waren im Begriff, Aerte und Brechftangen zu holen, um die 
Hausthür, welche Herr Strömli verriegelt hatte, einzufprengen, 
als Toni, zitternd und bebend, den Knaben Seppy auf dem 
Arm, in Hoangos Zimmer trat. Herr Strömli, dem dieſe Er- 
Scheinung äußerft erwünscht war, riß ihr den Knaben vom Arm; 
er wandte fi, indem er feinen Hirfchfänger 309, zu Hoango 
und ſchwor, daß er den “Jungen augenbtidtiä, tödten würde, 
wenn er den Negern nicht zuriefe, von ihrem Vorhaben abzu- 
Reben. Hoango, deffen Kraft durch den Hieb über die drei 
inger der Hand gebrochen war und der fein eignes Leben im 
Tall einer meigerung auögefe t haben würde, erwiederte nad 
einigen Bedenken, indent er 8 vom Boden aufheben ließ, daß 
er dieß thun wolle; er ftellte fi, von Herrn Strömli geführt, 
an das Fenfter, und mit einem Schnupftuch, das ex in die linfe 


896 


Hand nahm, über den Hof hinauswinkend, rief er den Negern 
an daß fie die Thür, indem es fein Leben zu retten feiner Hülfe 

edürfe, aut laſſen jollten und in ihre Ställe zurüdtehren 
möchten! Hierauf beruhigte a ber Kanıpf ein wenig; Hoango 
jhidte auf Berlangen Herrn Strömlis einen im Haufe einge 
fangenen Neger mit der Wiederholung diefes Befehls zu dem im 
Sof noch vermweilenden und fich berathichlagenden Haufen hinab; 
und da die Schwarzen, fo wenig ſie auch von der Sache begriffen, 
den Worten dieſes Förmlichen Botfchafters Folge leiften mußten, 
jo gaben fie ihren Anſchlag, zu deifen Ausführung ſchon Alles 
in Bereitfchaft war, auf, und verfügten fich nach und nad), ob- 
fhon murrend und fchunpfend, in ihre Ställe zurüd. Herr 
Strömli, indem er dem Knaben Seppy vor den Augen Hoangos 
die Hände binden ließ, fagte diefem, daß feine Abficht feine 
andere jei als den Officier, feinen Vetter, aus der in der Pflan- 
ung über ihn verhängten Haft zu befreien, und daß, wenn feiner 

lucht nad) ‘Port au Prince feine Hinderniffe in den Weg gelegt 
würden, weder für fein, Hoangos, noch für feiner Kinder Leben, 
bie er ihm wiedergeben würde, Etwas zu beflicchten fein würde. 
Babekan, welcher Toni fich näherte und zum Abjchied in einer 
Rührung, die fie nicht unterdrüden konnte, die Hand geben 
wollte, hieß diefe heftig von fih. Sie nannte fie eine Nieder- 
träcdhtige und Berrätherin und meinte, indem fie fi) am Geſtell 
des Tilches, an dem fie lag, umlehrte: die Rache Gottes würde 
fie, noch ehe fie ihrer Schandthat froh geworden, ereilen. Toni 
antwortete: „Ich habe Euch nicht verratben; ich bin eine Weiße, 
und dem Jüngling, den Ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehöre 
zu dem Geſchlecht Derer, mit denen Ihr im offenen Kriege legt, 
und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre ©eite ftellte, zu ver- 
antworten willen.“ Sieranf gab Herr Strömli dem Neger 
Doango, den er zur Sicherheit wieder hatte feffeln und an die 
Pfoſten der Thür feftbinden laffen, eine Wade; er ließ den 
Diener, der mit zerjplittertem Schulterfnodhen ohnmächtig am 
Boden lag, aufheben und megtragen: und nachdem er dem 
Hoango noch gejagt hatte, dab er beide Kinder, den Nanky 
ſowohl als den Seppy, nad) Verlauf einiger Tage in Sainte 
Yuze, mo die erflen franzöfifchen Vorpoften ftünden, abholen 
Iafen fönne, nahın er Toni, die, von mandherlei Gefühlen be- 
ftürmt, ſich nicht enthalten fonnte zu weinen, bei der Hand, und 
führte fie unter den Flüchen Babekans und des alten Hoango 
aus dem Schlafzimmer fort. 

Inzwiſchen waren Adelbert und Gottfried, Herrn Strömlis 
Söhne, Ihon nad) Beendigung des erften, an den Fenſtern gefoch- 
tenen Hauptkampfs auf Befehl des Vaters in das Zimmer ihres 
Better Guſtav geeilt, und waren glüdlich genug gewejen, die 
beiden Schwarzen, die diefen bewachten, nach. einem bartnädigen 


897 


Widerftand zu überwältigen. Der eine lag todt im Zimmer; 
der andere hafte ſich mit einer fehweren Schußwunde bis au 
den Corridor hinausgefchleppt. Die Brüder, deren einer, der 
Aeltere, dabei felbft, obſchon nur leicht, am Schenkel verwundet 
worden war, banden den theuren lieben Better los: fie um- 
armten und füßten ihn und forderten ihn jauchzend, indem fie 
ihm Gewehr und Waffen gaben, auf, ihnen nad) dem vorderen 
Zimmer, in welchem, da der Sieg entjchieden, Herr Strömli 
wahrſcheinlich Alles ſchon zum Rückzug anordne, zu folgen. 
Aber Better Guſtav, halb ım Bette aufgerichtet, drüdte ihnen 
freundlich die STAR ım Uebrigen war er ftill und zerftreut, 
und flatt die Piftolen, die fie ihm darreichten, zu ergreifen, 
hob er die Rechte und ftrich fich mit einen unausjprechlichen 
Ausdrud von Gram damit über die Stirn. Die Jünglinge, die 
ID bei ihm niedergefeßt hatten, fragten: was ıhm fehle? und 
chon, da er fie mit feinem Arm umfchloß und ſich ınit dem Kopf 
ſchweigend an die Schulter des Jüngern lehnte, wollte Adelbert 
ſich erheben, und ihm im Wahn, doß ihn eine Ohnmacht an- 
iwandle, einen Trunt Waſſer herbeiholen: al3 Toni, den Knaben 
Seppy auf dem Arm, an der Hand Herrn Strömlis in das 
Zimmer trat. Guftan mechjelte bei diefem Anblid die Farbe; 
er hielt fih, indem er aufftand, als ob er umfinfen wollte, an 
den Leibern der Freunde A und ehe die Jünglinge noch wuß- 
ten, was er mit dem Piltol, daS er ihnen jett aus der Hand 
nahm, anfangen wollte: drüdte er Ma Ihon, knirſchend 
por Wuth, gegen Toni ab. Der Schuß war ihr mitten durd) 
die Bruft gegangen; und da fie mit einem gebrochenen Laut des 
Schmerzes noch einige Schritte gegen ihn that, und fodann, 
indem fie den Knaben an Herrn Strömli gab, vor ihm nieder- 
fan: fchleuderte er das Piftol tiber fie, Het fie mit dem Fuß 
von fich, und warf fi), indem er fie eine Hure nannte, wieder 
auf das Bett nieder. „Du ungeheurer Menſch!“ riefen Herr 
Strömli und feine beiden Söhne. Die Jünglinge warfen fich 
über das Mädchen, und riefen, indent fie es aufboben, einen 
der alten Diener herbei, der dem Zuge jchon in manchen ähnlichen 
berzweiflungspollen Fällen die Hülfe eines Arztes geleiftet hatte; 
aber das Mädchen, das ſich mit der Hand frampfhaft die Wunde 
hielt, driidte die Freunde hinweg, und: „Sagt ihm —!“ ftam- 
melte fie röchelnd, auf ihn, der jte erfchojfen, hindeutend, und 
wiederholte: „jagt ihm — —“ „Was follen wir ihm fagen ?“ 
[ragte Herr Strömli, da der Tod ihr die Sprade raubte. 

delbert und Gottfried ftanden auf und riefen dem unbegreiflic) 
gräßligen Mörder zu: ob er wiſſe, daß das Mädchen feine 

etterin ſei; daß fie ihn liebe und daß es ihre Abficht gewefen 
ſei, mit ihm, dem fie Alles, Eltern und Eigenthum,aufgeopfert, 
nah Port au Prince zu entfliehen? — Sie donnerten ihm: 


398 


„Guſtav!“ in bie Ohren, und fragten ihn: ob er Nichts höre ? 
und fchüttelten ihn und griffen ihm in die Haare, da er un- 
AN, und ohne auf fie zu achten auf den Bette lag. Ouftan 
richtete fih auf. Er warf einen Blick auf das in feinem Blute 
fi) wälzende Mädchen; und die Wuth, die diefe That veranlagt 
hatte, machte auf natürliche Weife einem Gefühl gemeinen Mit- 
leidens Plag. Herr Strömli, heiße Thränen aut jein Schnupf- 
tuch niederweinend, fragte: „Warum, Elender, ha du das 
gethan?“ Better Guftav, der von dem Bette aufgeftanden mar, 
und das Mädchen, indem er fi den Schweiß von der Stirn 
abwijchte, betrachtete, antwortete, daß fie ihn ſchändlicher Weife 
zur Nachtzeit gebunden und dem Neger Hoango übergeben habe. 
„Ach!“ rief Toni, und ftredte mit einem unbefchreiblichen Blick 
ihre Hand nad) ihm aus: „dich, Liebften Freund, band ich, 
weil — —“ Über fie konnte nicht reden und ihn auch mit der 
Hand nicht erreichen; fie fiel mit einer plöglichen Erjchlaffung 
der Kraft wieder auf den Schooß Herrn Strömlis zurüd. 
„Weshalb?“ fragte Guſtav blaß, indem er zu ihr niederkniete. 
Herr Strömlt, nad) einer langen, nur durch das Röcheln Tonis 
unterbrodhenen PBauje, in welder man vergebens auf eine 
Antwort von ihr gehofft Hatte, nahm das Wort und fprad: 
„Weil nach der Ankunft Hoangos dich Unglüdlichen zu retten, 
fein anderes Mittel war; weil fie den Kampf, den du unfehlbar 
eingegangen wäreft, vermeiden, weil fie Zeit gewinnen mollte, 
bis wir, die wir ſchon vermöge ihrer Beranftaltung herbeieilten, 
deine Befreiung mit den Wahlen in der Hand erzwingen fonn- 
ten.“ Guftan legte die Hände vor fein Geficht. „Oh!“ rief er, 
ohne aufzufehen, und. meinte, die Erde verfänfe unter jenen 
Füßen: „ift das, was Ihr mir fagt, wahr?“ Er legte feine 
Arme um ihren Leib und fah ihr mit janımervoll zerriffenem 
gerzen ins Geficht. „Ach“, rief Toni und dieß waren ihre lebten 

orte, „Du hätteft mir nicht mißtrauen ſollen!“ Und damıt 
hauchte fie ihre ſchöne Seele aus. Guftan raufte ſich die Haare. 
„Gewiß!“ fagte er, da ihn die Vettern von der Leiche wegrifien: 
„ich hätte dir nicht mißtrauen jollen; denn du wart mir durch 
einen Eidſchwur verlobt, obſchon wir feine Worte darüber gemed- 
felt hatten!” Herr Strömli drüdte jammernd den Kat, der des 
Mädchens Bruft umjhloß, nieder. Er ermunterte den Diener, 
der mit einigen unvollfommenen Rettungswerlzeugen neben 
ihm ftand, die Kugel, die, wie er meinte, in dem Bruftfnochen 
jteden müffe, auszuziehen; aber alle Bemühung, wie gejagt, 
war vergebens, fie war von dem Blei ganz durdhbohrt, und 
ihre Seele fchon zu befjeren Sternen entflohn. — Inzwiſchen 
war Guſtav ans Fenſter getreten; und während Herr Strömli 
und feine Söhne unter filen Thränen berathſchlagten, was 
mit der Leiche anzufangen fei, und ob man nicht die Mutter 





399 


berbeirufen folle, jagte Guftav fi) die Kugel, womit das andere 
Piftol geladen war, durchs Hirn. Diefe neue Schredensthat 
raubte den Berwandten völig ale Befinnung Die Hülfe 
wandte fich jet auf ihn; aber des Aermſten Schädel war gan 
zerfchmettert, und bieng, da er fich das Piftol in den Diun 
gefegt hatte, zum Theil an den Wänden umher. Herr Strömli 
war der Erite, der wieder fammelte. “Denn da der Tag 
fhon ganz vr durch Die Fenſter ſchien und auch Nachrichten 
einliefen,, daß die Neger fich jchon wieder auf dem Hofe zeigten: 
fo blieb Nichts übrig, als ungefäumt an den Rüdzug zu denken. 
Man legte die beiden Leihen, die man nicht der muthmwilligen 
Gewaltder Negernüberlafjen wollte, auf ein Brett, und nachdem 
die Büchfen von Neuem geladen waren, brach der traurige Zug 
nach dem Möwenweiher auf. Herr Strömli, den Knaben Seppy 
auf dem Arm, gieng voran; ihm folgten die beiden jtärfiten 
Diener, welche auf ihren Schultern die Leichen trugen; der 
Bermundete ſchwankte an einem Stabe hinterher, und Abdelbert 
und Gottfried giengen mit geſpannten Büchjen dem langjam 
fortjchreitenden eihen uge zur Seite. Die Negern, da fie den 
Haufen fo Jomad erblidten, traten mit Spiegen und Gabeln 
aus ihren Wohnungen hervor, und fchienen Miene zu machen, 
angreifen zu wollen; aber Hoango, den man die VBorficht beob- 
achtet hatte loszubinden, trat auf die Treppe des Haujes hin- 
aus, und winkte den Negern, zu ruhen. zIr Sainte Luze!“ 
rief er Herrn Strömli zu, der ſchon mit den Leichen unter dem 
Thorweg war. „In Sainte Luze!“ antwortete dieſer: worauf 
der 2%: ohne verfolgt zu werden, auf das Feld hinauskam und 
die Waldung erreichte. Am Möwenweiher, wo man die Familie 
fand, grub man nuter vielen Thränen den Leichen ein Grab; 
und nachdem man noch die Ringe, die fie an der Hand trugen, 
gewechfelt hatte, ſenkte man fe unter ftillen Gebeten in die 
Wohnungen des ewigen Friedens ein. Herr Strömli war glüd- 
lich genug, mit feiner Frau und feinen Kindern fünf Tage 
darauf Sainte Luze zu erreichen, wo er die beiden Negerfnaben 
feinem Berfprechen gemäß zurüdließ. Er traf kurz vor Anfang 
der Belagerung in Bort an Prince ein, wo er noch auf den 
Wällen für die Sache der Weißen focht; und als die Stadt 
nach einer hartnädigen Gegenwehr an den General Deffalines 
übergieng, rettete er ſich mit dem franzöftichen Heer auf die 
engli che Motte, von wo die Familie nad Europa überfchiffte, 
und ohne weitere Unfälle ihr Vaterland, die Schweiz, erreichte. 
Herr Strömli kaufte ſich dajelbft mit dem Reſt feines Meinen 
Vermögens in der Gegend des Rigi an; und noch im Jahre 
1807 war unter den Büfchen feines Gartens das Denkmal zu 
Ichen, das er Guſtav, feinen Vetter, und der Verlobten des⸗ 
jelben, der treuen Toni, hatte jegen lafien. 


Das Bettelweib von Tocarno. 


Am Fuße der Alpen bet Locarno im oberen Stalien befand 
fi ein altes, einem Marcheſe gehöriges Schloß, das man jet, 
wenn man von St. Gotthardt fommt, in Schutt und Trümmern 
liegen fieht: ein Schloß mit hehen und weitläufigen Zimmern, 
in deren einem einſt auf Stroh, das man ihr unterſchüttete, eine 
alte kranke Frau, die ſich bettelnd vor der Thür eingefunden 
hatte, von der Hausfrau aus Mitleiden gebettet worden war. 
Der Marcheſe, der bei der Rückkehr von der Jagd zufällig in 
das Zimmer trat, wo er feine Büchfe abzuſetzen pflegte, befahl 
der Frau unmillig, aus dem Winkel, in welchem fie lag, auf- 
zuftehen und fich hinter den Dfen zu verfügen. Die Frau, da 
fie fich erhob, atfehte mit der Krüde auf dem glatten Boden 
aus und bet igte fich auf eine at Weile das Kreuz; 
dergeftalt, daß fie zwar noch mit unjäglicher Mühe aufftand 
und quer, wie es vorgefchrieben war, über das Zimmer gieng, 
hinter dem Dfen aber unter Stöhnen und Aechzen niederfant 
und verjchied. 

Mehrere Jahre nachher, da der Marcheſe durch Krieg und 
Mißwachs in nit Sermögengumflände gerathen war, 
fand fich ein florentinifcher Ritter bei ihm ein, der das Schloß 
jeiner ſchönen Rage wegen von ihm kaufen wollte. Der Marchefe, 
dem viel an dem Handel gelegen war, gab feiner Frau auf, den 
Fremden in dem obenerwähnten leerftehenden Zimmer, das jehr 
ISön und prächtig eingerichtet war, unterzubringen. Aber wie 

etreten war das Ehepaar, als der Ritter mitten in der Nacht 

verftört und bleich zu ihnen herunter kam, hoch und thener 
verfichernd, Pr; e3 ın dem Zimmer fpufe, indem Etwas, das 
dem Blid unſichtbar geweſen, mit einem Geräufch, als ob es 
auf Stroh gelegen, ım Zimmerwinkel li onen” mit ver- 
nehmlichen Schritten langjam und gehe ich quer über das 
Zimmer gegangen und hinter dem fen unter Stöhnen und 
Acchzen ntedergefunten jei. 

Der Marchefe, erfchroden, er mußte felbft nicht recht 
warum, lachte den Ritter mit erkünftelter Heiterkeit aus, und 
ſagte, er wolle ſogleich aufftehen und die Nacht zu feiner Be- 
ruhigung mit ihm in dem Zimmer zubringen. Doch der Ritter 


401 


bat um die Gefälligkeit, ihm zu erlauben, daß er auf einem 
Lehnftuhl in feinem Schlafzimmer übernahte, und als der 
Morgen fam, ließ er anfpannen, empfahl ſich und reifte ab. 
tiefer Vorfall, der außerordentliche Aufſehen machte, 
fchredte auf eine dem Marcheſe höchſt unangenehme Weiſe 
mehrere Käufer ab; dergeftalt, daß, da ſich unter feinem 
eigenen Sauögefinde, befremdend und unbegreiflid, das Ge⸗ 
rücht erhob, daß es in dem Zimmer zur Mitternachtsftunde 
umgehe, er, um e8 mit einem entjcheidenden Berfahren nieder- 
aufchlagen. beichloß, die Sache in der nächften Nacht felbft zu 
unterfuchen. Demnach ließ er beim Einbruch der Dämmerung 
fein Bett in dem befagten Zimmer auffchlagen, und erharrte, 
ohne zu ſchlafen, die Mitternacht. Aber wie erfchüttert war er, 
als er in der That mit dem Schlage der Beifterftunde das un- 
begreifliche Geräufchh mahrnahm; e8 war, als ob ein Menſch 
ih vom Stroh, das unter ihm Tnifterte, erhob, quer über das 
Zimmer gieng, und hinter dem Ofen unter Öeienfg und Geröchel 
Pr Di ie Darguife, am andern Morgen, da er herunter 
fam, fragte ihn, wie die Unterjuchung abgelaufen; und da er 
fi mit ſcheuen und ungewiffen Dliden umſah, und nachdem er 
die Thür verriegelt, verficherte, daß es mit dem Spuf feine 
Richtigkeit habe: fo erfchraf fie, wie fie in ihrem Leben nian 
gethan, und bat ihn, bevor er die Sache verlauten ließe, fie 
noch Ein Malin ihrer Geſellſchaft einer Faltblätigen Prüfung 
zu unterwerfen. ie hörten aber, fammt einem treuen Be- 
dienten, den fie mitgenommen hatten, in der That in der 
nächften Nacht daffelbe unbegreifliche gefpenfterartige Geräuſch; 
und nur der dringende Bunih, das dio „ es koſte, was es 
wolle, los zu werden, vermochte ſie, das Entſetzen, das ſie er⸗ 
gif, in Gegenwart ihres Diener8 zu unterdrüden und dem 
orfall irgend eine gleihgültige und zufällige Urfache, die fich 
entdeden laflen müſſe, unter uöichen, Am Abend des dritten 
Tages, da Beide, um der Sache auf den Grund zu fommen, 
mit Herzklopfen wieder die Treppe zu dem Fremdenzimmer be- 
ftiegen, fand ſich zufällig der Haushund, den man von der Kette 
losgelaflen hatte, vor der Thür defjelben ein; bergefialt, Kr 
Deide, ohne ſich beftimmt zu erklären, vielleiht in der unmill- 
fürlichen Abficht, außer fi Jeibft noch etwas Drittes, Lebendiges 
bei ſich zu haben, den Hund mit fi in das Zimmer nahmen. 
Das Ehepaar, zwei Kichter auf dem Tiſch, die Marquiſe unaus- 
geagen, der Mearchefe Degen und Piftolen, die er aus dem 
chrank genommen, neben dr fegen fich gegen eilf Uhr Jeder 
auf fein Bett; und während fie fi mit Geſprächen, jo gut fie 
vermögen, zu unterhalten fuchen, legt fi der Hund, Kopf und 
Deine zufammengefauert, in der Mitte des Zimmers nieder und 
fchläft ein. Drauf in dem Augenblid der Mitternacht Täßt ſich 
Bibl. d. d. Rationalliteratur. Kieift. IL 26 


402 


das entjeglige Geräufc wieder hören; Jemand, den kein 
Menfc mit Augen ſehen kann, hebt fich auf Krücken im Zimmer⸗ 
winfel empor; man hört das Stroh, das unter ihm raufcht; 
und mit dem erften Schritt: tapp! tapp! erwacht der Hund, hebt 
ſich plöglich, die Ohren fpigend, vom Boden empor, und Inurrend 
und bellend, grad al3 ob ein Menf ch auf ihn eingefchritten kãme, 
rüdmärts gegen den Dfen meicht er aus. Bet diefem Anblid 
flürzt die Marquife mit firäubenden Haaren aus dem Zimmer; 
und während der Marquis, der den Degen ergriffen: „Wer da?“ 
ruft und, da ihm Niemand antwortet, gleich einem Raſenden 
nach allen Richtungen die Luft durchhaut, läßt fie anfpannen, 
entfchlofjen, augenblicklich nad) der Stadt abaufahren. Aber ehe 
fie noch einige Sachen zufaınmengepadt und nach Zujfammen- 
raffung einiger Sachen aus dem Thore herausgerajfelt, ſieht 
fie Ken das Schloß ringeum in Flammen aufgehen. Der 
Marcheſe, von Entſetzen überreizt, hatte eine Kerze genommen, 
und daſſelbe, überall mit po getäfelt, wie e8 war, an allen 
vier Eden, müde feines Lebens, angeftedt. Bergebens fchidte 
fie Leute hinein, den Unglidlichen zu retten; er war auf die 
elembiglichfte Weiſe bereit3 umgelommen, und noch jetzt liegen, 
von den Yandleuten aufammengetragen, feine weißen Gebeine 
in dem Winkel des Zimmers, von welchem er das Bettelweib 
von Locarno hatte aufftehen heißen. 


Der Sindling. 


Antonio Piachi, ein wohlhabender Güterhändler in 
Rom, war genöthigt, in feinen Handelsgefchäften zuweilen 
roße Reifen zu machen. Er pflegte dann gewöhnli Elvire, 
Peine ‚junge rau, unter dem Schuß ihrer Verwandten dafelbit 
urüdzulaffen. Eine diefer Reifen führte ihn mit feinem Sohn 
old, einem eilfjährigen Knaben, den ihm Kir erfte Frau 
geboren hatte, nad Ragufa. Es traf fih, daß hier eben eine 
peftartige Krankheit ausgebrochen war, weldhe die Stadt und 
Gegend umher ın großes Schreden ſetzte. Piadhi, dem die 
Nachricht danon er auf der Neife zu Ohren gelommen war, 
hielt in der Borftadt an, um fich nach der Natur derfelben zu 
erfundigen. Doc da er hörte, daß das Uebel von Tage zu 
Tage bedenklicher werde, und daß man damit umgebe, die Thore 
zu Iherren, fo überwand die Sorge für feinen Sohn alle kauf- 
männifchen Sfutereflen: er nahm Pferde und reijete wieder ab. 

Er bemerkte, da er im Freien war, einen Knaben neben 
feinem Wagen, der I Art der Flehenden die Hände zu ihm 
ausftredte und in großer Gemüthsbewegung zu fein fchien. 
Piach ließ halten, und auf die Frage, was er wolle, antwortete 
der Knabe in feiner Unſchuld, er ſei angeſteckt; die Häſcher ver- 
folgten ihn, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, mo fein Bater 
und feine Mutter ſchon geftorben wären: er bitte um aller 
Heiligen willen, ihn mitzunehmen und nicht in der Stadt um- 
fommen zu lafien. Dabei faßte er des Alten Hand, drüdte 
und küßte fie und weinte darauf nieder. Piachi wollte in der 
erften Regung des Entfegend den Jungen meit von fi 
Schleudern, doch da diefer in eben biejem Augenblid feine Farbe 
veränderte und mn auf den Boden niederfant, jo regte 
fich des guten Alten Mitleid: er fieg mit feinem Sohn aus, 
legte den Jungen in den Wagen, und fuhr mit ihm fort, ob- 
| on er auf der Welt nicht wußte, was er mit demfelben an- 

angen jollte. 

Er unterhandelte noch in der erflen Station mit den 
MWirthsleuten über die Art und Weije, wie er feiner wieder los 
werden könne: als er ſchon auf Befehl der Polizei, welche davon 
Wind befommen hatte, arretiert und unter einer Dar fung, et, 


404 


[ein Sohn und Nicolo, fo hieß der Franke Knabe, wieder nach 
agufa zurid transportiert ward. Alle Vorftellungen von 
Geiten Biodie über die Grauſamkeit diefer Maßregel halfen 
zu Nichts; in Ragufa angelommen, wurden nunmehr alle Drei 
unter Aufficht eines Häfchers nach dem Kranfenhaufe abgeführt, 
mo er. zwar, Piachi, geſund blieb, und Nicolo, der Knabe, ſich 
von dem Uebel wieder erholte: fein Sohn aber, der en e 
Paolo, von demfelben angeftedt ward und in drei Tagen ftarb. 

Die Thore wurden nun wieder geöffnet und Biadi, nach⸗ 
dem er ſeinen Sohn begraben hatte, erhielt von der Polizei Er- 
laubniß, zu reifen. Er beitieg eben, fehr von Schmerz bewegt, 
den Wagen und nahın bei dem Anblid des Plabes, der neben 
ihm leer blieb, fein Schnupftuch heraus, um feine Thränen 
fließen zu laffen: als Nicolo mit der Mütze in der Hand an 
(einen agen trat und ihm eine glüdlihe Reife wünſchte. 

iachi beugte ſich aus dem Schlage heraus und fragte ihn mit 
einer von heftigem Schluchzen unterbrodhenen Stimme: ob er 
mit ihm reifen wollte? Der unge, fobald er den Alten nur 
verftanden hatte, nidte und Va „O ja, jehr gern!“ und da 
die Borfteher des Krantenhaufes auf ie Frage des Güter- 
pänblers, ob es dem Jungen wohl erlaubt wäre, einzufteigen, 
ächelten und verfiherten, daß er Gotte8 Sohn märe und 
Niemand ihn verniffen würde, jo hob ihn Piachi in einer 
großen Bewegung in den Wagen, und nahm ihn an feines 

ohnes Statt mit fih nah Rom. 

Auf der Straße vor den Thoren der Stadt fah ſich der 
Landmäkler den Jungen erft recht an. Er war von einer be- 
fondern, etwaß ftarren Schönheit, feine Imargen Haare hiengen 
ıhm in ſchlichten Spigen von der Etirn herab, ein Geſicht be- 
Schattend, dag, ernft und Hug, feine Mienen niemals veränderte. 
Der Alte that mehrere Fragen an ihn, worauf Jener aber nur 
furz antwortete, ungeſprächig und in fich gelehrt ſaß er, die- 
Hände in die Hoſen gejtedt, im Winkel da, und ſah ſich mit ge- 
dankenvoll fcheuen Bliden die Gegenftände an, die an dem 
Wagen vorüberflogen. Bon Zeit zu Zeit holte er fich mit ftillen 
und geräufchlojen Bewegungen eine Handvoll Nüffe aus der 
Zafrhe, die er bei ſich trug, und während Piachi fi) die 
Thränen vom Auge wiſchte, nahm er fie zmwifchen die Zähne 
und fnadte fie auf. 

In Rom ftellte ihn Piachi unter einer kurzen Erzählung 
des Borfalls Elviren, feiner jungen trefflihen Gemahlin, vor, 
welche ſich zwar nicht — — konnte, bei dem Gedanken an 
Paolo, ihren kleinen Stel ohn, den fie Icht geliebt hatte, herz- 
li zu weinen; gleihmohl aber den Nicolo, fo fremd und fteif 
er auch vor ihr ftand, an ihre Bruft drückte, ihm das Bette, 
worin Jener gejchlafen hatte, zum Lager anmwies, und jämmt- 











405 


liche Kleider deſſelben zum Geſchenk machte. Piachi ſchickte ihn 
in die Schule, wo er Schreiben, Lejen und Rechnen lernte, und 
da er auf eine leicht begreifliche Weife den Jungen in dem 
Maße lieb gewonnen, als er ihm theuer zu ftehen gekommen 
war, fo adoptierte er ihn mit Einwilligung der guten Elvire, 
welhe von dem Alten feine Kinder mehr zu erhalten hoffen 
konnte, fchon nad) wenigen Wochen als feinen Sohn. Er dankte 
fpäterhin einen Commis ab, mit dem er aus mandherlei Grün- 
den unzufrieden war, und hatte, da er den Nicolo ftatt feiner 
in dem Comtoir anftellte, die Freude, zu fehn, daß derfelbe die 
weitläuftigen Seaäfte, in welchen er verwidelt war, auf das 
Thätigfte und Bortheilhaftefte verwaltete. Nichts halte der 
Bater, der ein gefchworener Feind aller Bigotterie war, an ihm 
auszuſetzen, al3 den Umgang mit den Mönchen des Carmeliter- 
flofter3,, die dem jungen Mann wegen des beträchtlichen Ber- 
mögens, das ihn ein aus der Hinterlaffenfchaft des Alten zu- 
fallen jollte, mit großer Gunft zugethan waren; und Nichts 
Ihrer Seits die Mutter, als einen Kiih, wie es ihr fchien, in der 
ruft defjelben fi) regenden Hang fir das weibliche Geſchlecht. 
Denn ſchon in feinem Yun ehnten Jahre war er bei Gelegenheit 
diefer Mönchsbeſuche die Beute der Berfitbrung einer gewiljen 
Kaviera Tartini, Beijchläferin ihres Biſchofs, geworden, 
und ob er glei, durch die ftrenge Forderung des Alten ge- 
nöthigt, Dicke Berbindung zerriß, jo hatte Elvire doch mancherlei 
Gründe, zu glauben, daß feine Enthaltfamkeit auf diefem ge- 
ährlichen Felde nicht eben groß war. Doc da Wicolo ſich in 
einem zwanzigften Jahre mit Conſtanza Parquet, einer 
jungen, liebenswürdigen Genueferin, Elvirens Nichte, die unter 
ihrer Auffiht in Rom erzogen wurde, vermählte, jo fchien 
wenigſtens das leßte Uebel damit an der Quelle veritopft; beide 
Eltern vereinigten fih in der Zufriedenheit mit ihm, und um 
ibm davon einen Beweis zu geben, ward ihm eine glänzende 
Ausftattung zu Theil, wobei fie ihm einen beträchtlichen Theil 
ihres fchönen und weitläuftigen Wohnhaufes einräumten. Kurz, 
als Piachi fein fechzigftes Jahr erreicht hatte, that er das Letzte 
und Yeußerfte, was er für ihn thun Tonnte: er überließ ihm auf 
gerichtliche Weife, mit Ausnahme eines Heinen Capital®, das 
er fi) vorbehielt, das ganze Vermögen, das feinem Güterhandel 
um Grunde lag, und zog fi mit feiner treuen, en hauen 
lvire, die wenige Bin in der Welt hatte, in den Ruhe— 
ftand —5 
ſwire hatte einen ſtillen Zug von Traurigkeit im Gemüth, 
der X aus einem rührenden Vorfall aus der Gefchichte ihrer 
Kindheit zurüdgeblieben mar. Philippo Kae ihr Vater, 
ein bemittelter Zuchfärber in Genua, bewohnte ein Haus, das, 
wie es fein Handwerk erforderte, mit der hinteren Seite hart an 


406 


den mit Duaberfteinen eingefaßten Rand des Meeres ftieß; 
große, am Giebe eingefugte Balken, an welden die gefärbten 
ücher aufgehängt wurden, liefen mehrere Ellen weit über bie 
See hinaus. Einſt in einer unglüdliden Nacht, da Feuer das 
Haus ergriff, und gleich, als ob es von Pech und Schwefel er- 
baut wäre, zu gleider Beit in allen Gemächern, aus welchen es 
ujammengejegt war, emporfnitterte, flüchtete fi, überall von 
lammen gefchredt, die breigehmjährige Ivire von Treppe zu 
Treppe, und befand fi, fie wußte felbft nicht wie, auf einem 
diefer Ballen. Das arme Kind wußte, zwifchen Himmel und 
Erde ſchwebend, gar nicht, wie es ſich retten ſollte; hinter ihr 
der brennende Giebel, deſſen Glut, vom Winde gepeitfcht, ſchon 
den Balken angefreffen hatte, und unter ihr die weite, Öde, ent- 
jegliche See. Schon wollte fie fih allen Heiligen empfehlen 
und, unter zwei Uebeln das Heinere wählend, in die Fluten 
hinabfpringen, als plöglich ein junger Genuefer, vom Geflecht 
der Patrizier, am Eingang er! ien, feinen Mantel über den 
Ballen warf, fie umfabte und ſich mit eben fo viel Muth als 
Gewandtheit an einem der feuchten Tücher, die von dem Balfen 
niederbiengen, in die See mit ihr herabließ. Hier griffen Gon- 
dein, die auf dem Hafen ſchwammen, fte anf, und brachten fie 
unter vielem Jauchzen des Volks ans Ufer; doch es fand fich, 
daß der junge Held fchon beim Durchgang durch das Haus 
durch, einen von: Öelims befjelben herabfallenden Stein eine 
ſchwere Wunde am Kopf empfangen hatte, die Mr auch bald, 
feiner Sinne nit mächtig, am Boden niederftredte. Der 
Marquis, fein Bater, in deſſen Hotel er gebracht ward, rief, 
da feine Wiederherftellung fich in die Länge zog, Aerzte aus 
allen Gegenden Italiens herbei, die ihn zu verjchiedenen Malen 
trepanierten und ihm niehrere Knochen aus dem Gehirn nahmen: 
doch alle Kunft mar, durch eine unbegreiflihe Schidung des 
Himmels, vergeblich; er erftand nur felten an der Hand Elpirens, 
die feine Mutter zu feiner Pflege herbeigerufen Hatte, und 
nach einem dreijährigen, höchſt ſchmerzenvollen Kraukenlager, 
während deſſen das Mädchen nicht von feiner Seite wid, 
reichte er ihr noch Ein Mal freundlid die Hand und verſchied. 
Piachi, der mit dem Haufe diefes Herrn in HandelSverbin- 
dungen ftand, und Elviren eben dort, da fie iſn pflegte, kennen 
gelernt und zwei Jahre darauf geheirathet hatte, hütete ſich 
ſehr, ſeinen Namen vor ihr zu nennen oder ſie ſonſt an ihn zu 
erinnern, weil er wußte, daß es ihr ſchönes und empfindliches 
Gemuüth auf das Heftigſte bewegte. Die mindeſte Veranlaſſung, 
die ſie auch nur von fern an die Zeit erinnerte, da der Jünglin 
für ſie liti und ſtarb, rührte ſie immer bis zu Thränen, un 
alsdann gab es keinen Troſt und keine Beruhigung für fie; fie 
brach, wo fie aud) fein wochte, auf, und Keiner folgte ihr, weil 





407 


man fchon erprobt hatte, daß jedes andere Mittel vergeblich 
war, als fie * für ſich in der Einſamkeit ihren Schmerz aus- 
weinen zu laſſen. Niemand außer Piachi kannte die Urſache 
dieſer ſonderbaren und häufigen Erſchütterungen, denn niemals, 
fo lange fie lebte, war ein Wort, jene Begebenheit betzellend, 
über ihre Lippen geflommen. Man war gewohnt, fie “ Rech⸗ 
nung eines überreizten Nervenſyſtems zu ſetzen, das ihr aus 
einem hitzigen Fieber, in welches fie gleich nad ihrer Verhei— 
—2 verfiel, zurückgeblieben war, und ſomit allen Nady- 
forichungen über die Veranlafjung derjelben ein Ende zu machen. 
Einjtmals war Nicolo mit jener Xaviera Tartini, mit welcher 
er troß des Verbots des Vaters die Verbindung nie ger auf- 
gegeben hatte, heimlich und ohne Vorwiſſen feiner Gemahlin, 
unter der Borfpiegelung, daß er bei einem Freund eingeladen 
fei, auf dem Carneval gewejen und kam in der Maske eines 
gennefiichen Ritters, die er zufällig gewählt hatte, Aldi in dey 
acht, da ſchon Alles ſchlief, in Iein aus zurüd. Es traffic, 
daß dem Alten plöglich eine Unpäßlichleit zugeftoßen war, 
und Elvire, um ihm zu helfen, in Ermangelung der Mägde 
aufgeftanden und ın den Speijefaal gegangen war, um ihm 
eine Flaſche mit Eſſig zu holen. Eben hatte fie einen Schranf, 
der in dem Winkel ftand, geöffnet, und fuchte, auf der Kante 
eines Stuhles ſtehend, unter den Gläſern und Caravinen um- 
her, als Nicolo die Thür ſacht öffnete, und mit einem Licht, 
das er ſich auf dem Flur angeftedt hatte, mit Federhut, Mantel 
und Degen durd) den Saal gieng. Harmlos, ohne Elviren zu 
fehen, trat er an die Thür, die in fein Schlafgemach führte, 
und bentrfte eben mit Beftürzung, daß fie len var, 
als Elvire hinter ihm mit Flafchen und Gläſern, die jie in der 
Hand hielt, wie durch einen unfichtbaren Bliß getroffen, bei 
feinem Anblid von dem Schemel, auf welchem fie hand, auf das 
Getäfel des Bodens niederfiel. Nicolo, von Schreden bleich, 
wandte fi) um und wollte der Unglüdlichen beifpringen; doch 
da das Geräuſch, das fie gemacht —* nothwendig den Alten 
herbeiziehen mußte, jo unterdrückte die Beſorgniß, einen Ver- 
weis von ihnı zu erhalten, alle andern Rückſichten; er riß ihr 
mit oerllärter Deeiferung ein Bund Schlüfjel von der Hüfte, 
das fie bei fich trug, und einen gefunden, der paßte, warf er 
den Bund in den Saal zurüd und verfhwand. Bald darauf, 
da Piachi, Trank wie er war, aus dem Bette gejprungen war 
und fie aufgehoben hatte, und auch Bediente und Mägde, von 
Ihm zufammengeflingelt, mit Licht erjchienen waren, kam auch 
Nicolo in jeinem Schlafrock, und fragte, was vorgefallen fei; . 
doch da Elvire, ſtarr vor Entfegen, wie ihre Zunge war, nicht 
ſprechen konnte, und außer ihr nur er felbit noch Auskunft auf 
dieje Frage geben Tonnte, jo blieh der Zufanmenhang der Sache 


408 


in ein ewiges Geheimnig gehüllt; man trug Elviren, die an 
allen Gliedern zitterte, zu Dett, wo fie mehrere Tage lang an 
einen heftigen Fieber darniederlag, gleichwohl aber durdy die 
natürliche Kraft ihrer Gefundheit den Zufall übermand, und 
bi8 auf eine jonderbare Schwermuth, die ıhr zuriidblieb, ſich 
ziemlich wieder erholte, 

o verfloß ein Jahr, als Konftanze, Nicolos Gemahlin, 
niederfam, und jammt dem Kinde, das fie geboren hatte, in 
den Wochen farb. Diefer Vorfall, bedauernswärdig an fich, 
weil ein tugendhaftes und wohlerzogenes Wefen verloren gieng, 
war es Doppelt, weil er den beiden Leidenschaften Nicolog, 
einer Digotterie und feinem Hange zu den Weibern, wieder 

bor und Thür öffnete. Ganze Tage laug trieb er ſich wieder, 
unter dent Vorwand, ſich zu tröſten, in den Zellen der Car⸗ 
melitermönde umber, und gleihwohl wußte man, daß er 
während der Lebzeiten feiner rau nur mit geringer Liebe und 
Treue an ihr gehangen hatte. ‘Sa, Conftanze war noch nicht 
unter der Erde, als Elvire ſchon zur Abendzeit, in Geſchäften 
des bevorſtehenden Begräbniſſes ın fein Zimmer tretend, ein 
Mädchen bei ihm fand, das, gejchürzt und gefchminft, ihr als 
die Bofe der Xaviera Tartini nur zu wohl befannt war. Elvire 
ſchlug bei diefem Anblid die Augen nieder, kehrte fich, ohne ein 
Wort zu jagen, um, und verlieh das Zimmer; weder Piadhi 
noch fonft Jemand erfuhr ein Wort von diefem Vorfall, fie 
begnügte fih, mit betrübtem Herzen bei der Leiche Conſtanzens, 
die den Nicolo jehr geliebt hatte, niederzufnieen und zu weinen. 
Zufällig aber traf es fih, daß Piachi, der in der Stadt geweſen 
war, beim Eintritt in fein Haus dem Mädchen begegnete, und 
da er wohl merkte, was fie bier zu ſchaffen gehabt hatte, fie 
heiti angieng und ihr halb mit Lift, halb mit Gewalt, den 

vier, ben fie bei fi trug, abgemann. Er gieng auf fein 
Zimmer, um ihn zu lefen, und Tan, was er borauögelchen 
hatte, eine dringende Bitte Nicolos an Kaviera, ihm Behufs 
einer Zuſammenkunft, nach der er fich fehne, gefälligft Ort und 
Stunde zu beftimmen. Piachi fette ſich nieder und antwortete 
mit verftellter Schrift im Namen Xavieras: „Gleich, noch vor 
Nacht, in der Magdalenentirhe” — fiegelte diejen Zettel mit 
einem fremden Wappen An, und ließ-ihn, gleich als ob er von 
der Dame käme, in Nicolo8 Zimmer abgeben. Die Liſt glüdte 
vollkommen; Nicolo nahm augenblidlidy feinen Mantel, und 
begab ſich in Bergefienheit Conſtanzens, die im Sarg aus- 
geitellt war, aus dem Haufe. Hierauf beftellte Piachi, tief ent- 
würdigt, das feierliche, für den fommenden Tag feſtgeſetzte 
Seihenbegängniß ab, ließ die Leiche, jo wie fie ausgefegt war, 
von einigen Trägern aufheben, und bloß von Elviren, ihm und 
einigen Berwandten begleitet, ganz in der Stille in dem Ge⸗ 











409 


wölbe der Magdalenenkirche, das für fie bereitet war, beiſetzen. 
Nicolo, der, in dem Mantel gehitllt, unter den Hallen der Kirche 
ftand, und zu feinem Erftaunen einen ihm wohlbekannten Teichen- 
zug herannahen ſah, fragte den Alten, der dem Sarge folgte, 
was dieß bedeute, und wen man herantrüge? Doc diejer, das 
Gebetbuch in der Hand, ohne das Haupt zu erheben, antwortete 
bloß: „Xaviera Tartini“ — morauf die Leiche, als ob Nicolo 

ar nicht gegenwärtig wäre, noch Ein Mal entdedelt, durch die 

nmejenden gejegnet und alddann verſenkt und in dem Gewölbe 
verjchloffen ward. 

Diefer Vorfall, der ihn tief beſchämte, ermedte in der Bruft 
des Unglüdlichen einen brennenden Haß gegen Elviren; denn 
ihr glaubte er den Schimpf, den ihm der Alte vor allem Volk 
angethan hatte, zu verdanken zu haben. Mehrere Zage lang 
ſprach Piachi fein Wort mit ihm; und da er gleichwohl wegen 
der Hinterlaffenfchaft Conſtanzens feiner Geneigtheit und Ge- 
fälligkeit bedurfte, fo fah er fid) genöthigt, an einem Abend des 
Alten Hand zu ergreifen und ihm mit der Miene der Reue 
unverzüglich und auf immerdar die Berabjchiedung der Xaviera 
anzugeloben. Aber dieß Verſprechen war er wenig gefonnen 
zu halten; vielmehr jchärfte der Widerftand, den man ihm ent- 

egenjegte, nur feinen Trog, und übte ihn in der Kunft, die 

ufmerkſamkeit des redlichen Alten zu umgehen. Zugleich war 
ihm Elvire niemals ſchöner vorgelommen als in dem Au id, 
da fie zu feiner Bernichtung das Zimmer, in welchem ſich das 
Mädchen befand, öffnete und wieder ſchloß. Der Unmille, der 
fid) mit fanfter Glut auf ihren Wangen entziindete, goß einen 
unendlichen Reiz über ihr mildes, von Affekten nur felten beweg⸗ 
tes Antlitz; e8 fchien ihm unglaublid, daß fie bei fo viel 
Lodungen dazu nicht jelbft zumeilen auf dem Wege wandeln 
ſollte, deſſen Blumen zu brechen er eben jo ſchmählich von ihr 
geftraft worden mar. Er glühte vor Begierde, ihr, falls dieß 
der Fall jein follte, bei dem Alten denjelben Dienft zu erweiſen 
als fie ihm, und bedurfte und fuchte Nichts als die Gelegenheit, 
biefen Vorſatz ind Werk zu richten. 

Einft gieng er zu einer Zeit, da gerade Piachi außer dem 
Haufe war, an Elvirens Zimmer vorbei, und hörte zu feinem 
Befremden, dag man darin ſprach. Bon rafchen, heimtückiſchen 
Hoffnungen durchzudt, beugte er fich mit Augen und Obren 
gegen das Schloß nieder, und — Himmel! was erblidte er? 

a lag fle in der Stellung der Berzüdung zu Jemandes Füßen, 
und ob er gleidy die Perjon nicht erfennen konnte, jo vernahm 
er doch ganz deutlich, recht mit dem Accent der Liebe ausge— 
ſprochen, daß geflüfterte Wort: Colino. Er legte ſich mit Flopfen- 
dem In en in das Fenſter des Corridord, von wo aus er, ohne 
feine bt zu verrathen, den Eingang des Zimmers beobachten 


410 


konnte; und fchon glaubte er bei einem Geräuſch, das ſich ganz 
leife am Riegel erhob, den unſchätzbaren Augenbfid, da er bie 
Scheinheilige entlarven könne, gekommen, als ftatt des Unbe- 
fannten, den er erwartete, Elvire felbft ohne irgend eine Be 
leitung mit einem ganz gleichgültigen und ruhigen Blick, den 
He aus der Ferne auf m wart. aus dem Zimmer bervortrat. 
Sie hatte ein Stüd felbftgemebter Leinwand unter dem Arm; 
und nachdem fie da8 Gemach mit einem Schlüffel, den fie fich 
von der Hüfte nahm, verfchloffen hatte, ftieg fie gan eg die 
Hand ans Geländer gelchnt, die Treppe hinab. Diefe Ber: 
ſtellung, dieje fcheinbare teichgliltigteit fhien ihn der Gipfel 
der Frechheit und Arglift, und kaum war je ihm aus dent Ge: 
fiht, als er ſchon lief, einen Hauptfchlüffel herbeizuholen, und 
nachdem er Die Umringung mit ſcheuen Bliden ein wenig geprüft 
hatte, heimlich die Thür des Gemachs öffnete. Aber wie erftaunte 
er, als er Alles leer fand, und in allen vier Winfeln, die er 
durchſpähte, Nichts, das einem Menfchen auch nur ähnlich war, 
entdedte: außer dem Bild eines jungen Ritter in Lebensgröße, 
das in einer Niſche der Wand hinter einem rothfeidenen Borhang, 
von einem befonderen Fichte beftrahlt, aufgeitellt war. Nicolo 
erſchrak, er mußte jelbit nicht warum, und eine Menge von 
Gedanken fuhren ihm, den großen Augen des Bildes, das ihn 
ftarr anſah, gegenüber, durch die Bruſt; doch ehe er fie noch 
gelemmeit und geordnet hatte, ergriff ihn Schon Furt, von 

Iniren entdedt und geftraft zu werben ; er ſchloß in nicht geringer 
Bermwirrung die Thür wieder zu und entfernte fidh. 

Je mehr er über diefen fonderbaren Borfall nachdachte, je 
wichtiger ward ihm das Bild, das er entdedt hatte, und je 
peinlicher und brennender ward die Neugierde in ihn, au wiffen, 
wer damit gemeint fei. Denn er hatte fie in ganzen Umriß 
ihrer Stellung auf Knieen liegen gejehen, und es war nur zu 

ewig, daß Derjenige, vor den: dieß gejchehen mar, die Ge— 
fait de3 jungen Nitter8 auf der Leinwand mar. In der Un- 
ruhe des Gemüths, die ſich feiner bemeifterte, gieng er zu 
Xaviera Tartini und erzählte ihr die wunderbare Begebenheit, 
die ererlebt hatte. Diefe, Diein dem Intereſſe, Elviren zu ſtürzen, 
mit ihn zufammentraf, indem alle Schwierigkeiten, die fie in 
ihrem Umgang fanden, von ihr herrührten, äußerte den Wunſch, 
das Bild, das in dem Zimmer derfelben aufgeftellt war, einmal 
zu ſehen. Denn einer ausgebreiteten Belanntichaft unter den 
Edellenten Italiens konnte jte ſich rühmen, und falls Derjenige, 
der bier in Rede ftand, nur irgend einmal in Rom gemefen und 
von einiger Bedentung war, fo durfte fie hoffen, ihn zu Tennen. 
Es fügte fi auch bald, daß die beiden Eheleute Piachi, da fie 
einen Verwandten bejuchen wollten, an einen Sonntag auf da3 
Land reijeten, und kaum wußte Nicolg auf diefe Weife das Feld 


- „um — — me Try — [no 0... 


411 


rein, als er ſchon zu Xavieren eilte, und diefe mit einer Heinen 
Tochter, die fie von dem Cardinal hatte, unter dem Vorwande, 
Gemälde und Stidereien zu beſehen, als eine fremde Dante in 
Elvirens Zimmer führte. Doch wie betroffen war Nicolo, als 
die Heine Klara (fo bieß die Tochter), fobald er nur den Vor⸗ 
bang erhoben hatte, ausrief: „Sott, mein Bater! Signor Nicolo, 
wer iſt das anders als Sie?" — Kaviera verftumnte. Das Bild 
in der That, je länger fie es anfah, —7 eine auffallende Aehn⸗ 
lichkeit mit ihm; beionders weni fie fich ihn, wie ihrem Gedächt⸗ 
niß gar wohl möglich war, in dem ritterlihden Aufzug dachte, 


. in welchem er vor wenigen Monaten heimlich mit ihr auf dem 


Carneval gewefen war. Nicolo verfuchte ein plötliches Erröthen, 
das fich über feine Wangen ergoß, we ufpoiten ‚er jagte, indem 
er die Kleine küßte: „Wa —5 lie * lara, das Bild gleicht 
mir, wie du Demjenigen, der ſich deinen Bater glaubt!“ — Doch 
Xaviera, in deren Bruſt das bittere Gefühl der Eiferſucht rege 
geworden war, warf einen Blick auf ihn; ſie ſagte, indem fie vor 
den Spiegel trat, zuletzt ſei es gleichgültig, wer die Perſon ſei; 
empfahl ſich ihm ziemlich kalt und verließ das Zimmer. 

Nicolo verfiel, jobald Xaviera fich entfernt hatte, in bie 
lebhaftefte Bewegung über diefen Auftritt. Er erinnerte ſich mit 
vieler Freude der jonderbaren und lebhaften Erſchütterung, in 
welche er durch die phantaftiiche Erfcheinung jener Nacht Elviren 
verfeßt hatte. Der Gedanke, die Beidenihaft diefer als ein 
Mufter der Tugend ummwandelnden Frau erwedt zu haben, 


ſchmeichelte i m ie eben fo fehr, als die Begierde, ih an ihr 
a ſi 


zu rächen; un ihm die Ausſicht eröffnete, mit einem und 
demfelben Schlage beide, das eine Gelüft wie das andere, zu 
befriedigen, fo erwartete er mit vieler Ungeduld Elvirens Wieder- 
funft und die Stunde, da ein Blid in ihr Auge feine ſchwaukende 
Meberzeugung Trönen würde. Nichts ftörte ihn in dem QTaumel, 
der ihn ergriffen hatte, als die beftimmte Erinnerung, daß Elvire 
das Bild, vor dem fie auf Knieen lag, damals, als er fie durch 
das Schlüffellody belaufchte, Eolino genannt hatte; doch auch in 
dem Klang diefes im Lande nicht eben gebräuchlichen Namens 
lag Dranderlei, das fein Herz, er wußte nicht warum, im jüße 
Träume wiegte, und inder Alternative, einem von beiden Sinnen, 
feinem Auge oder feinem Ohr zu mißtrauen, neigte er ſich wie 
natürlich zu demjenigen hinüber, der jeiner Begierde am Yeb- 
haften chmeichelte. 

Inzwiſchen kam Elvire erſt nach Verlauf mehrerer Tage von 
dem Lande zurück, und da ſie aus dem Hauſe des Vetters, den 
fie beſucht hatte, eine junge Verwandte mitbrachte, die ſich in 
Rom umzuſehen wänfhte, fo warf fie, mit Artigfeiten gegen 
biefe beſchäftigt, auf Nicolo, der fie fehr freundlich aus dem 
Wagen hob, nur einen flüchtigen nichtsbedeutenden Did, 


412 


Mehrere Wochen, der Gaftfreundin, die man bewirthete, auf- 
genpfert, vergiengen in einer den Haufe ungewöhnlichen Unrube; 
man bejuchte in und außerhalb der Stadt, mas einem Mädchen, 
jung und lebensfroh wie fie war, mertwürdig fein mochte; und 
Nicolo, jeiner Gefchäfte im Comtoir halber au allen dieſen klei⸗ 
nen Fahrten nicht eingeladen, fiel wieder in Bezug auf Elviren 
in die tibelfte Zaune zurüd, Ex begann wieder mit den bitterften 
und quälendften Gefühlen an den Unbekannten zurüd zu denfen, 
den fe in heimlicher Ergebung vergötterte; und dieß Gefühl zerriß 
beſonders am Abend der längſt mit Sehnſucht erharrten Abreiſe 
jener jungen Verwandten fein verwildertes Herz, da Elvire, ftatt 
nun mit ihm zu fprechen, ſchweigend während einer ganzen Stunde, 
mit einer fleinen weiblichen Arbeit bejchäftigt, am Speifetifch faß. 
Es traf fi, daß Biachi wenige Tage zuvor nad) einer Schachtel 
mit Kleinen elfenbeinernen Buchftaben RR hatte, vermittelit 
welcher Nicolo in feiner Kindheit unterrichtet worden, und die dem 
Alten nun, weil fie Niemand mehr brauchte, in den Sinn gefommen 
war, an ein Fleines Kind in der Nachbarfchaft zu verfchenten. 
Die Magd, der man aufgegeben hatte, fie unter vielen andern 
alten Sachen aufzufudhen, hatte inzwifchen nicht mehr gefunden, 
als die jechs, die den Namen Nicolo ausmaden; wabrigeinie 
weil die andern, ihrer geringeren Beziehung auf den Knaben 
wegen, minder in Acht genommen und, bei welcher Gelegenheit 
es ve verfchleudert worden waren. Da nun Nicolo die Lettern, 
welche jeit mehreren Tagen auf dem Tiſch lagen, in die Hand 
nahm, und während er, mit dem Arm auf die Platte geftügt, in 
trüben Gedanken brütete, damit fpielte, fand er — zufällig in 
der That felbft, denn er erftaunte darüber, wie er noch in feinem 
Leben nicht gethan — die Verbindung beraus, welche den Namen 
Colino bildet. Nicolo, dem dieſe logogryphiſche Eigenſchaft 
feines Namens fremd war, warf, von rafenden Hoffnungen von 
Neuem getroffen, einen ungewillen und ſcheuen Blid auf die ihm 
zur Seite figende Elvire. Die Hebereinftimmung, die ſich zwiſchen 
beiden Wörtern angeordnet fand, jchien ihm mehr al3 ein bloßer 
Zufall, er ermog in unterdrüdter Freude den Umfang dieſer 
jonderbaren Entdedung, und harte, die Hände vom Tiſch 
genommen, mit Elopfendem Herzen des Augenblicks, da Elvire 
auffeben und den Namen, der offen da lag, erbliden würde. 
Die Erwartung, in der er ftand, täufchte ihn auch teinesmene 
denn faum halte Elvire, in einem müßigen Moment, die Auf 
ftelung der Buchftaben bemerkt und harmlos und gedankenlos, 
weil fie ein wenig kurzfichtig war, ſich näher darüber hingebengt, 
um fie zu lefen, als fie ſchon Nicolos Antlitz, der in jcheinbarer 
Sleihgültigleit darauf niederfah, mit einem fonderbar be- 
Hommenen Blid überfiog, ihre Arbeit mit einer Wehmuth, die 
man nicht befchreiben kann, wieder aufnahm, und, unbemerkt, wie 








413 


fie fich glaubte, eine Thräne nach der andern unter fanftem Er- 
röthen aufihren Schooß fallen ließ. Nicolo, der alle dieſe inner- 
lichen Bewegungen, ohne fie anzujehen, beobachtete, ameilelte gar 
nicht mehr, daß fie unter dieſer Verſetzung der Buchſtaben nur 
feinen eignen Namen verberge. Er jah R, die Buchſtaben mit 
einem Mal fanft übereinander [chieben, und feine wilden Hoff- 
nungen erreichten den Gipfel der Zuverficht, al3 fie aufftand, 
ihre Handarbeit weglegte und in ihr Schlafzimmer verſchwand. 
Schon wollte er aufjtehen und ihr dahin folgen, als Piachi ein- 
trat und von einer Hausmagd auf die Frage, wo Elvire jei? 
gur Antwort erhielt, daß fie jich nicht wohl befinde und fich auf 

a8 Bett gelegt habe. Piachi, ohne eben große Beſtürzung zu 
aeigen, wandte fi) um und gieng, um zu fehen, was fie mache; 
und da er nad) einer Biertelftunde mit der Nachricht, daß fie 
nicht zu Zifche kommen würde, mwiederfehrte und weiter fein 
Wort darüber verlor, fo glaubte Nicolo den Schlüffel zu allen 
en Auftritten diefer Art, die er erlebt hatte, gefunden 
zu haben. 

Am andern Morgen, da er in feiner ſchändlichen Freude 
beſchäftigt war, den Nutzen, den er aus dieſer Entdedung zu 
ziehen hoffte, zu überlegen, erhielt er ein Billet von Kavieren, 
worin fie ihn bat, zu ihr zu kommen, indem fie ihm, Elpiren 
betreffend, Etwas, das ihm intereflant fein würde, zu eröffnen 
hätte. Xaviera ftand durd den Bilchof, der fie unterhielt, in der 
engften Verbindung mit den Mönchen des Carmeliterkloſters; 
und da feine Mutter in diefem Klofter zur Beichte gieng, fo 
zweifelte er nicht, duß es jener möglich geweſen wäre, über die 
geheime Geſchichte ihrer Empfindungen Nachrichten, die ſeine 
unnatürlichen Hoffnungen beſtätigen fonnten, einzuziehen. Aber 
wie unangenehm, nad) einer „uonberbaren ſchalkhaften Begrüßun 
Xavierens, ward er aus der Wiege genommen, als fie ihn lächeln 
auf den Divan, auf welchem rn (a6, niederzog und ihm jagte,. 
fie müjje en nur eröffnen, daß der Gegentand von Elvirens 
Liebe ein ſchon jeit zwölf Jahren im Grabe fchlummernder 
Todter fei. — Aloyſius, Marquis von Montferrat, dem ein 
Oheim zu Paris, bei dem er erzogen worden war, den Zunamen 
Collin, fpäterhin in Stalien Tnerahafter Weiſe in Colino 
umgewandelt, gegeben — war das Original des Bildes, 
das er in der Niſche hinter dem rothſeidenen Vorhang in 
Elvirens Zimmer entdeckt —7 der junge genueſiſche Ritter, der 
ſie in ihrer Kindheit auf ſo edelmüthige Weiſe aus dem Feuer 

erettet und an den Wunden, die er dabei empfangen hatte, ge- 
torben mar. — Sie feßte hinzu, daß fie ihn nur bitte, von dieſem 
Geheimniß weiter feinen Gebrauch zu machen, indem es ihr 
unter dem Siege der äußerften Der Aviegertheit von einer 
Perjon, die felbft fein eigentliches Hecht darüber habe, im 





414 


Sarmeliterflofter anvertraut worden fei. Nicolo verfidherte, 
indem Bläffe und Röthe auf feinem Gefidht meclelten, aß fie 
Nichts zu befürchten habe; und gänzlich außer Stand, wie er 
war, Zavierens ſchelmiſchen Bliden gegenüber, die Berlegenbeit, 
in welche ihn diefe Eröffnung gefligt hatte, zu verbergen, 
ſchützte er ein Öeihäft vor, das ihn abrufe, nahm unter einem 
häplichen Zuden feiner Oberlippe feinen Hut, empfahl fidy und 
gieng ab. 
Beihämung, Wolluft und Rache vereinigten fich jebt, um 
die Er Ka That, die je verübt worden ift, auszubrüten. 
Er fühlte wohl, daß Elvirens reiner Seele nur dur einen 
Detrug beizufommen fei; und kaum hatte ihm Piachi, der auf 
einige Tage aufs Land gieng, das Feld geräumt, al3 er auch 
ihon Anjtalten traf, den fatanifchen Plan, den er fi aus- 
edacht hatte, ins Werk zu richten. Er beforgte fid) genau den- 
Fefben Anzug wieder, in welchem er vor wenig Monaten, da er 
ur Nachtzeit heimlich vom Karneval zurüdlehrte, Elviren er- 
Pienen war; und Mantel, Collet und Federhut genuefljchen 
Zuſchnitts, genau fo wie fie das Bild trug, umgemorfen, ſchlich 
er ſich furz vor dem Schlafengehen in Elvirens Zimmer, hieng 
ein ſchwarzes Tuch liber das in der Nifche ftehende Bild, und 
wartete, einen Stab in der Hand, ganz, in der Stellung des 
emalten jungen Patriziers, Elvirens Bergötterung ab. Er 
Date auch in Scharffinn feiner fchändlichen Leidenſchaft ganz 
richtig gerechnet; denn kaum hatte Elvire, die bald darauf ein- 
trat, nach einer ftillen und ruhigen Entfleidung, wie [ke ge⸗ 
wöhnlich zu thun pflegte, den ſeidnen Vorhang, der die Niſche 
bedeckte, eröffnet und ihn erblickt, als fie ſchon Colino! mein 
Geliebter! rief und ohnmächtig auf das Getäfel des Bodens 
niederſank. Nicolo trat aus der Niſche hervor; er ſtand einen 
Augenblick, im Anſchauen ihrer eige verjunfen, und betrach- 
tete ihre zarte, unter dem Kuß des Todes plötzlich erblafjende 
GSeftalt; hob fie aber bald, da feine Zeit zu verlieren war, in 
feinen Armen auf, und trug fie, indem er das (hmarze Zud 
von dem Bilde herabriß, auf das in Winkel des Zimmers 
ftehende Bett. Dieß abgethan, gieng er die Thür zu verriegeln, 
fand aber, daß fie De verjchloflen war; und ficher, daß fie 
auch nach Wiederkehr ihrer verftörten Sinne feiner phan⸗ 
taftifchen, dem Anſehen nach überirdifchen Erfcheinung feinen 
Widerſtand leiften würde, Lehrte er jebt su dem Lager zurüd, 
bemüht, fie mit beißen Küſſen auf Bruft und Lippen aufzu- 
weden. Aber die Nemefis, die dem Frevel auf dem Fuß folgt, 
wollte, daß Piadhi, den der Elende noch auf mehrere Tage ent- 
fernt glaubte, unvermuthet in eben diefer Stunde in feine 
Wohnung zurüdtehren mußte; leife, da er Elviren ſchon ſchla⸗ 
fend glaubte, jchlich er durch den Corridor heran, und da er 





415 


immer den Schlüffel bei ſich tag, fo gelang eb ihm, plötzlich, 


ohne daß irgend ein Geräufch ihn angekündigt hätte, in das 
Bimmer einzutreten. Nicolo ftand mie vom Donner gerührt; 
er warf fih, da feine Büberei auf feine Weife zu bemänteln 
war, dem Alten zu Füßen, und bat ihn, unter der Betheurung, 
den Blick nie wieder zu feiner Frau zu erheben, um Bergebung. 
Und in der That war der Alte auch geneigt, die Sache ftill abzu- 
machen; fprachlos, wie ihn einige Worte Elvirens gemacht hat- 
ten, die fich, von feinen Armen umfaßt, mit einem entjeglichen 
Blick, den fie auf den Elenden warf, erholt hatte, nahm er 
bloß, indem er die Vorhänge des Bettes, auf welchem fie ruhte, 
zuzog, die Peitfche von der Wand, öffnete ihm die Thür und 
zeigte ihm den Weg, den er unmittelbar wandern ſollte. Doch 
See eines Tartuffe völlig würdig, jah nicht jobald, daß auf 
diefem Wege Nicht auszurichten war, als er plötlid vom 
Fußboden erftand und erklärte, an ihm, den: Alten, ſei es, das 
Haus zu räumen, denn er, durch vollgültige Documente ein- 
gefegt, fei der Befiger und werde fein echt, gegen wen immer 
auf der Welt es fei, zu behaupten wiffen! — Piachi traute 
feinen Sinnen nicht; durch dieſe unerhörte Frechheit wie ent- 
waffnet, legte er die Beitfche weg, nahm Hut und Stod, Tief 
augenblicklich zu feinem alten Rechtsfreund, dem Doctor 
Balerio, Flingelte eine Magd heraus, die ihm öffnete, und fiel, 
da er fein Zimmer erreicht hatte, bewußtlos, noch ehe er ein 
Wort vorgebradht hatte, an feinem Bette nieder. ‘Der Doctor, 
der ihn und fpäterhin auch Elviren in feinem Haufe aufnahm, 
eilte gleid) am andern Morgen, die Feſtſetzung des höllifchen 
Böfewichts, der mancherlei Vortheile für In hatte, auszu- 
wirken; doch während Piachi feine machtlojen Hebel anfeßte, 
ihn aus den Befigungen, die ihm einmal zugefchrieben waren, 
wieder zu verdrängen, fing Sener Schon mit einer Verſchreibung 
über den ganzen Inbegriff derjelben zu den Sarmelitermönden, 
feinen Freunden, und forderte fie auf, ihn gegen den alten 
Narren, der ihn daraus vertreiben wolle, zu befdügen. Kurz, 
da er Kavieren, welche der Biſchof los zu fein wünfchte, zu 
heirathen willigte, fiegte die Bosheit, und die Regierung erließ 
auf Bermittelung dieſes geiftlichen Herrn ein Dekret, in welchem 
Nicole in dem Befig beftätigt und dem Piachi aufgegeben ward, 
ihn nicht darin zu beläftigen. 

Piachi hatte gerade Tags zuvor die unglüdliche Elvire 
begraben, die an den Folgen eines hitzigen Fiebers, das ihr 
jener Borfall zugezogen hatte, geftorben war. Durch diefen 
doppelten Schmerz gereizt, gieng er, das Dekret in der Tafche, 
in das Haus, und dar, wie die Wuth ihn machte, warf er den 
von Natur ſchwächern Nicolo nieder und drüdte ıhm das Gehirn 
an der Wand ein. Die Leute, die im Haufe waren, bemerkten 


416 


ihn nicht eher, als bis die That gefchehen war; fie fanden ihn 
noch, da er den Nicolo zwifchen den Fr ielt, und ihm das 
Dekret in den Mund ftopfte. Dieß abgemadt, fand er, indem 
er alle jeine Waffen abgab, auf, ward ins Gefängniß gelegt, 
verhört und verurtheilt, mit dem Strange vom Leben zum Tode 
gebracht zu werden. 

In dem Kirchenſtaat herrjcht ein Gefeg, nad) welchem kein 
Berbreher zum Zode geführt werden kaun, bevor er die Abjo- 
Iution empfangen. Piachi, als ia der Stab gebrochen war, 
verweigerte fig bartnädig der Abjolution. Nachdem nıan ver- 

ebens Alles, was die Religion an die Hand gab, verfucht hatte, 
ihm die Strafwürdigkeit jeiner Handlung fühlbar zu machen, 
hoffte man ihn durd) den Anblid des Todes, der feiner wartete, 
in da8 Gefühl der Reue hineinzufchreden und führte ihn nad) 
dem Salgen hinaus. Hier dam ein Briefter und Miet ihm 
mit der Zunge der legten Bojaune alle Schreckniſſe der Hölle, 
in die feine Seele hinabzufahren im Begriff war; dort ein 
anderer den Leib des Herrn, das heilige Entfühnungsmittel in 
der Hand, und pries ihm die Dopmungen des ewigen Friedens. 
— Willſt du der Wohlthat der Erlöjung theilhaftig werden ?“ 
fragten ihn Beide. „Willit du das Abendmahl empfangen ?* — 
„Rein“, antwortete Piachi. — „Warum nit?“ — „Ih will 
nicht jei8 fein. Ich will in den unterften Grund der Hölle 
binabfahren. Ich will den Nicolo, der nicht im Himmel fein 
wird, wiederfinden, und meine Rache, die ich hier nur unvoll- 
ſtändig befriedigen fonnte, wieder aufnehmen!“ — Und damit 
beftieg er die Leiter und forderte den Nachrichter auf, fein Amt 
zu thun. Kurz, man Ich ſich genöthigt, mit der Hinrichtung 
einzuhalten und den Unglüdlihen, den das Gefeg in Schuß 
nahnı, wieder in das Gefängniß zurüdzuführen. Drei hinter 
einander folgende age machte man diejelben Berfuhe und 
immer mit bemfelben Erfolg. Als er am dritten Tage wieder, 
ohne an den Galgen geknüpft zu werden, die Leitex herabfteigen 
mußte, bob er mit einer grimmigen Geberde die Hände empor, 
das unmenfchliche Geſetz verfluchend, das ihn nicht zur Hölle 
fahren lafen wolle. Er rief die ganze Schaar der Teufel herbei, 
ihn zu holen, verfchwor fich, fein einziger Wunfch jet, gerichtet 
und verdammt zu werden, und berficherte, er würde noch dem 
erften beſten he an den Hals kommen, um des Nicolo in 
der Hölle wieder habhaft zu werden! — Als man dem Papft 
dieß meldete, befahl er, ihn ohne Abjolution hinzurichten; Tein 
Priefter begleitete ihn, man knüpfte ihn ganz in der Stille auf 
dem Platz del popolo auf. 





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Die heilige Cärilie oder die Gewalt der Auſik. 


Eine Legende. 


Um das Ende bes [ehaebnten Sahrhunderts, als die 
Bilderftürmerei in den Niederlanden wiüthete, trafen drei Brü- 
der, junge, in Wittenberg ftudierende Leute, mit einem vierten, 
der in Antwerpen al3 PBrädicant angeltelt war, in der Stadt 
Aachen zufammen. Sie wollten dafelbft eine Erbjchaft erheben, 
die A von Seiten eines alten, ihnen Allen unbefannten Oheims 
zugefallen war, und fehrten, weil Niemand in dem Orte war, 
an den fie ſich hätten wenden können, in einem Gafthofe ein. 
Nach Verlauf einiger Tage, die fie damit zugebrad)t hatten, 
den Prädicanten über die merfwürdigen Auftritte, die ın den 
Niederlanden vorgefallen waren, anzuhören, traf es fi, daß 
von den Nonnen im Klofter der heiligen Cäcilie, das damals 
vor den Thoren diefer Stadt lag, der Frohnleichnamstag feit- 
lih begangen werden follte; dergeftalt, daß die vier Brüder, 
von Schwärmerei, Jugend und dem Beifpiel der Niederländer 
erhitt, beſchloſſen, aud) der Stadt Aachen das Schaufpiel einer 
Bilderftüirmerer zu geben. Der Prädicant, der dergleichen 
Unternehmungen mehr als Ein Mal ſchon geleitet hatte, ver- 
ſammelte am Abend zuvor eine Anzahl junger, der neuen Lehre 
ergebener Kaufmannsföhne und Studenten, welche in dem 
Safthofe bei Wein und Epeifen unter Vermwünfchungen des 
Papftthums die Nacht zubrachten; und da der Tag über die 
Binnen der Stadt aufgegangen, verfahen fie ſich mit Werten 
und BZerftörungswerkzeugen aller Art, um ihr ausgelafjenes 
Geſchäft zu beginnen. Ste verabredeten frohlodend ein gehen, 
auf welches fie danıit anfangen wollten, die Fenfterfcheiben, 
mit biblischen Gefchichten bemalt, einzumerfen; und eines großen 
Anhangs, den fie unter dem Volk finden würden, gewiß, ber: 
ji ten fie fich, entihloffen, Feinen Stein auf den andern zu 
alten, ın der Stunde, da die Gloden läuteten, in den Dont. 
Die Aebtiffin, die ſchon beim Anbruch des Tages durch einen 
Freund von der Gefahr, in welcher das Kloſter fchwebte, 
benachrichtigt worden war, ſchickte vergebens zu wiederholten 
Malen zu dem Faiferlichen Officier, der in der Stadt comman- 
dierte, und bat fih zum Schuß des Kloſters eine Wache aus; 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. IL. 27 


418 


der Dfficter, der jelbft ein Feind des Bapftthums und als folcher, 
wenigſtens unter der — der neuen Lehre zugethan war, 
wußte ihr unter dem ſtaatsklugen Vorgeben, Kr fie Geiſter 
fähe, und für ihr Klofter auch nicht der Schatten einer Gefahr 
vorhanden jei, die Wache zu verweigern. Inzwiſchen brad) die 
Stunde an, da die Feierlichkeiten beginnen foüten, und die Non- 
nen fehidten ſich unter anglt und Beten und jammervoller Er- 
wartung der Dinge, die da kommen jollten, zur Meile an. 
Niemand beichligte fie al$ ein alter Jebengigjähriger lofter- 
vogt, der fich mit einigen bewaffneten Troßknechten am Eingang 
der Kirche aufftellte. In den Nonnenklöftern führen, auf das 
Spiel jeder Art der Inſtrumente geübt, die Nonnen, wie be- 
fannt, ihre Muſiken deiber auf; of mit einer Bräcifion, einem 
Berftand und einer Empfindung, die man in männlichen Dr- 
cheſtern — wegen der weiblichen Geſchlechtsart dieſer 
geheimnißvollen Runf) vermißt. Nun fügte es jich zur Ber- 
doppelung der Vedrangpig daß die Kapellmeiſterin, Schweſter 
Antonia, welche die ſik auf dem Orcheſter zu dirigieren 
pflegte, wenige Tage zuvor an einem Nervenfieber heftig er⸗ 
krankte; —* daß, abgeſehen von den vier gottesläſterlichen 
Briidern, die man bereits in Mänteln gehüllt unter den Pfeilern 
der Kirche erblidte, das Klofter auch megen ufführung eines 
fhidlihen Muſikwerks in der ale Berlegenheit war. 
Die Hebtiffin, die am Abend des vor ergehenben ages befoh- 
len batte, daß eine uralte, von einem unbelannten Meifter ber- 
elihrende italienische Meſſe aufgeführt werden möchte, mit 
welcher die Kapelle mehrmals ſchon, einer befondern Heiligkeit 
und Herrlichfeit wegen, mit welcher fie gedichtet war, die 
größeften Wirkungen hervorgebracht hatte, ſchickte, mehr als 
jemals au ihren Willen beharrend, noch ein Mal zur Schweſter 
Antonia herab, um zu — wie ſich dieſelbe befinde; die 
Nonne aber, die Diet Geſchäft übernahm, fam mit der Nach⸗ 
richt zurüd, daß die Schweiter in gänzlich bemußtlofen Zuftande 
baruicbertücge und daß an ihre Directionsführung bei der vor- 
habenden Muſik auf feine Weife zu denfen fei. Inzwiſchen 
waren in dem Dom, in welchem fi nad) und nach mehr denn 
hundert mit Beilen und Bredhftangen verfehene revler von 
allen Ständen und Altern eingefunden hatten, bereits die be- 
denflichiten Auftritte vorgefallen; man hatte einige Troßknechte, 
die an den Portälen ftanden, auf die unanftändigfte Weife 
genedt und ſich die frechſten und unverfchämteften Aeußerungen 
gegen die Nonnen erlaubt, die fih hin und wieder in frommen 
Deigäiten einzeln in den Hallen bliden ließen; dergeftalt, daß 
der Klofterpogt fich in die Safriftei verfügte und die Aebtiffin 
auf Knieen beihmor, das Feft einzuftellen und fi) in die Stadt 
unter den Schuß des Conımandanten zu begeben. Aber die 


419 


Aebtiſſin beftand unerfchiitterlid darauf, dag das zur Ehre bes 
höchſten Gottes angeordnete Felt begangen werden müſſe; fie 
erinnerte den Kloftervogt an feine Pflicht, die Meile und den 
feierlichen Umgang, der in dem Dom gehalten werden würde, 
mit Leib und Leben zu befhirmen; und befahl, weil eben die 
Glocke ſchlug, den Nonnen, die fie unter Zittern und Beben 
umringten, ein Oratorium, gleichniet welches, und von welchem 
Werth e8 fei, zu nehmen und mit defien Aufführung fofort den 
Anfang zu machen. 

Eben fchidten fi die Nonnen auf dem Altan der Orgel 
dazu an; die Partitur eines Muſikwerks, das man fchon häufig 
gegeben hatte, ward vertheilt, Geigen, Hoboen und Bäſſe ge- 
prüft und geftimmt, als Schwefter Antonia plöglich, friſch und 
gejund, ein wenig bleich im Geſicht, von der Treppe her erſchien; 
Ile trug die Partitur der uralten italienischen Meſſe, auf deren 

ufführung die Webtiffin bo bringen beftanden hatte, unter dem 
Arm. Auf die erftaunte Frage der Nonnen, wo fie herkomme, 
und wie fie fich plöglich fo erholt Habe, antwortete fie: „&leich- 
viel, Freundinnen, gleichviel!“ vertheilte die Partitur, die fie bei 
fi) trug, und fette fich felbft, von Begeifterung glühend, an die 
Orgel, um die Direction des vortrefflihen Muſikſtücks zu über⸗ 
nehmen. Demnach fam e8 wie ein wunderbarer himmlifcher 
Troft in die Beer der frommen rauen; fie ftellten fich augen- 
blidlich mit ihren Inftrumenten an die Pulte; die Bellemmung 
jelbft , in der fie fi) befanden, fam hinzu, um ihre Seelen wie 
auf Schwingen durd alle Himmel des Wohlklangs zu führen; 
das Oratorium ward mit der höchſten und herrlichiten mufifa- 
liſchen Pracht ausgeführt; e8 regte ji während der ganzen Dar- 
fellung fein Odem in den Hallen und Bänken; befonders bei 

em salve regina nnd noch mehr bei dem gloria in excelsis war 
e8, al3 ob die ganze Bevölkerung der Kirche todt ſei; dergeftalt, 
daß, den vier gottverdbammten Brüdern und ihrem Anhang zum 
Zroß, auch der Staub auf dem Eftrich nicht verweht ward, und 
das Klofter noch bis an den Schluß des breißigiährigen Krieges 
beftanden hat, wo man e8 vermöge eines Artikels ım weitphä- 
lifchen Frieden gleichwohl ſäkulariſierte. 

Sechs Jahre darauf, da dieſe Begebenheit längſt vergefien 
war, kam die Mutter diefer vier Jünglinge aus dem Haag an, 
und ftellte unter dem betrübten Vorgeben, daß diefelben gänzlid) 
verfchollen wären, bei dem Meagiftrat zu Aachen wegen der 
Straße, die fie von hier aus genommen haben mochten, gericht- 
liche Unterfuchungen an. Die legte Nachricht, die man von ihnen 
in den Niederlanden, io fie eigentlich zn Haufe gehörten, gehabt 
hatte, war, wie fie meldete, ein vor dem angegebenen Zeitraum, 
am Vorabend eines Frohnleichnamsfeftes, gefchriebener Brief 
des Brädicanten an feinen Freund, einen Saul in Ant⸗ 


420 


werpen, worin er demfelben mit vieler Feitextei oder vielmehr 
Ausgelaſſenheit von einer gegen das Kloſter der heiligen Cäcilie 
entworfenen Unternehmung, über welche ſich die Mutter jedoch 
nicht näher auslaffen wollte, auf vier dDichtgedrängten Seiten 
vorläufige Anzeige machte. Nach mancherlei vergeblicyen 
Bemühungen, die Perfonen, welche diefe befimmerte Frau 
ſuchte, auszumitteln, erinnerte man fich endlich, daß fi Schon 
fett einer Reihe von Jahren, welche ohngefähr auf die Angabe 
paßte, vier junge Leute, deren Baterland und Herkunft unbe- 
Tannt fei, in dem durch des Kaifers Borforge unlängft geftifteten 
Irrenhauſe der Stadt befanden. Da diejelben jedoch an der 
Ausſchweifung einer religidjen Idee frank lagen und ihre Auf- 
führung , wie das Gericht dunkel gehört zu haben meinte, äußerft 
trübfelig und melancholiſch iwar, Io paßte dieß zu wenig auf den 
der Mutter nur leider zu wohl befannten Gemüthszuftand ihrer 
Söhne, ald daß fie auf diefe Anzeige, befonders da es faft 
erauskam, als ob die Leute katholiſch wären, viel hätte geben 
olen. Gleichwohl, durch mancherlei Kennzeichen, womit man 
ie beſchrieb, feltjam getroffen, begab fie h eines Tages in 

egleitung eines GerichtSboten in das Irrenhaus, und bat die 
Borfteher um die Gefälligfeit, ihr zu den vier unglüdlichen finn- 
verwirrten Männern, die man daſelbſt aufbewahre, einen 
prüfenden Zutritt zu geftatten. Aber wer bejchreibt das Ent- 
jeßen der armen Frau, als fie gleich auf den erften Blick, fo wie 
fie in die Thür trat, ihre Söhne erfannte! Sie faßen in langen 
fhwarzen Zalaren um einen Tiſch, auf Dee ein Crucifix 
ftand, und fehienen mit gefalteten Händen, ſchweigend auf die 
Platte geftüßt, daflelbe anzubeten, Auf die Frage der Frau, die, 
ihrer Kräfte beraubt, auf einen Stuhl nieder efunfen war, mas 
fte dafelbft machten, antworteten ihr die Borfieher, daß fie bloß 
in der Verherrlichung des FAR begriffen wären, von dem 
fie nach ihrem Borgeben beifer als Andere einznjehen glaubten, 
daß er der wahrhaftige Sohn des alleinigen Gottes fei. Sie 
festen hinzu, daß die Jünglinge feit nun ſchon (che Fahren 
dieß geifterartige Leben führten, daß fie wenig jchliefen und 
wenig genöflen daß fein Laut über ihre Lippen käme, daß 
fie fih bloß in der Stunde der Mitternacht ein Mal von ihren 
Sigen erhöben, und daß fie alsdann, mit einer Stinme, 
welche die Yenfter des gaufes berjten machte, das gloria in 
excelsisintonierten. Die Borfteher ſchloſſen mit der Berjicherung, 
daß die jungen Männer dabei körperlich vollkommen gefund 
wären; daß man ihnen fogar eine gewifle, objchon fehr ernfte 
und feterliche Heiterkeit nic abſprechen könnte; daß fie, wenn 
man fie für verrüdt erflärte, mitleidig die Achjeln zudten und 
daß fie ſchon mehr als Einmal geäußert hätten, wenn die gute 
Stadt Aachen wüßte, was fie, jo würde diefelbe ihre Gefchäfte 


- ea L VE TX 8% va 11 rn Si Di 5- 


421 


bei Seite legen und fich gleichfall8 zur Abfingung des gloria um 
das Erucifir des Herrn niederlaffen. 

‚, Die Frau, die den jchauderhaften Anblid Fan Unglüd- 
lichen nicht ertragen konnte und ſich bald darauf auf wankenden 
Senieen wieder hatte zu Haufe führen laffen, begab fi, um über 
die Deranlafjung diefer ungeheuren Begebenheit Auskunft zu 
erhalten, am Morgen des folgenden Tages zu Herrn Beit 
Gotthelf, berühmten Tuchhändler der Stade: denn dieſes 
Mannes erwähnte der von dem Prädicanten gefchriebene Brief, 
und e8 gieng daraus hervor, daß derfelbe an dem Project, das 
Klofter der heiligen Cäcilie am Tage des Frohnleichnamsfeites 
u zerftören, eifrigen Antheil genommen babe. Beit Gotthelf, 

er Tuchhändler, der fi inzwijchen verheirathet, mehrere 
Kinder gezeugt und die beträdtliche Handlung feines Vaters 
übernommen hatte, empfieng die Fremde fehr liebreich, und da 
er erfuhr, welch ein Anliegen fie zu ihm führe, fo verriegelte er 
die 8 und ließ ſich, nachdem er ſie auf einen Stuhl nieder⸗ 
genöthigt hatte, folgendermaßen vernehmen: „Meine liebe Frau! 
wenn Ihr mich, der mit Euren Söhnen vor N 8 Kahren in 
genauer Verbindung geftanden, in feine Unterſuchung deßhalb 
verwideln wollt, jo wıll ich Euch offenherzig und ohne Rüdhalt 
gefteben: ja, wir haben den Borjag gehabt, deflen ber auf 
erwähnt! Wodurch diefe That, zu deren Ausführung Alles au 
das Senauefte mit are t gottlofem Scharffinn angeordnet 
war, gefcheitert ift, ift mir unbegreiflich; der Himmel felbft 
Scheint das Klofter der jgommen Frauen in feinen heiligen Schuß 
genommen zu haben. Denn wißt, daß fi Eure Söhne bereits 
dur Einleitung entfcheidenderer Auftritte mehrere muthiwillige, den 

ottesdienft ftörende Poſſen erlaubt hatten; mehr denn brei- 
hundert mit Beilen und Pechkränzen verfehene Böfewichter aus 
den Mauern unferer damals irregeleiteten Stadt erwarteten 
Nichts als das Zeichen, das der Prädicant geben follte, um den 
Don: der Erde gleich zu machen. Dagegen bei Anhebung der 
Muſik nehmen Eure Söhne plöglicy in gleichzeitiger Bewegun 
und auf eine ung auffallende Weiſe die hit ab; fie legen na 
und nad) wie in tiefer unausfprechlicher Rührung die Hände vor 
ihr berabgebeugtes Geficht, und der Prädicant, indem er fi 
nad einer erfchütternden Paufe plöglich ummendet, ruft uns 
Allen mit lauter er Stimme zu, gleichfalls unjere 
äupter zu entblößen! Vergebens fordern ihn einige Genoſſen 
üfternd, indem fie ihn mit ihren Armen leichtfertig anftoßen, 
auf, das zur Bilderftürmerei verabredete Zeichen zu geben; ber 
Jradicant, ſtatt zu antworten, läßt ſich mit kreuzweis auf die 
ruſ gelegten Händen auf Knieen nieder und murmelt, ſammt 
den Brüdern die Stirn inbrünftig in ben Staub herabgedrüdt, 
die ganze Reihe noch kurz vorher von ihm verfpotteter Gebete ab, 


422 


Durch diefen Anblid tief im Innerften verwirrt, fteht der Haufen 
der jämmerliden Schwärmer, feiner Anführer beraubt, ın Un- 
fchlüffigfeit und Unt ätigfeit bis an den Schluß des vom Altan 
wunderbar herabraufchenden Oratoriums da ; und da auf Befehl 
des Commandanten in eben diefem Augenblid mehrere Arre- 
tierungen verfügt, und einige Frevler, die fih Unordnungen 
erlaubt — von einer Wache aufgegriffen und abgeführt 
wurden, jo bleibt der elenden Schaar Nichts übrig, als ſich ſchleu⸗ 
nigft unter dem Schuß der gedrängt aufbredhenden Bollsmenge 
aus den Gotteshanfe zu entfernen. Am Abend, da ich in dem 
Gafthofe vergebens mehrere Dal nad) Euren Söhnen, welche 
nicht wiedergefehrt waren, gefragt hatte, gehe ich in der entjeß- 
lichiten Unruhe mit einigen Freunden wieder nach dem fr 
hinaus, um mic) bei den Thürftehern, welche der kaiſerlichen 
Wache hülfreih au die Hand gegangen waren, nad ihnen zu 
erfundigen. Aber wie Igllbere ih Euch mein Entjegen, edle 
Frau, Da ich diefe vier Männer nach wie vor mit gefalteten 
Händen, den Boden mit it und Scheiteln küffend, als ob fie 
zu Stein erftarrt wären, heißer Inbrunft voll vor den Altar 
der Kirche darniedergeftredt liegen fehe! Umfonft forderte fie 
der Kloftervogt, der in eben biejem Augenblid berbeifommt, 
indem er fie am Mantel zupft und an den Armen rüttelt, auf, 
den Dom, in welchem es ſchon ganz finfter werde und fein 
Menſch mehr gegenwärtig fei, zu verlaflen: fie hören, auf 
träumerifche Weife halb aufftehend, nicht eher auf ıhn, als bis 
er fie durch feine Knechte unter den Arm nehmen und vor das 
Portal hinausführen läßt; wo fie und endlich, obfchon unter 
Seufzern und häufigem berzzerreigenden Umjehen nach der 
Kathedrale, die hinter uns im Glanz der Some prächtig 
[unfelte: nad) der Stadt folgen. Die Freunde und ich, wir 

agen fie zu wiederholten Aalen zärtlich und liebreich auf dem 
Rückwege, was ihnen in aller Welt Schredliches, fähig, ir 
innerftes Gemüth dergeftalt umzulehren, zugeftoßen ſei; fie 
drüden ung, indem nr uns freundlich Anfeben, die Hände, 
hauen gedanfenvoll auf den Boden nieder und wifchen ji — 
ah! von Zeit zu Zeit mit einem Ausdrud, der mir noch jest 
dag Herz Ipaltet, die Thränen aus den Augen. Drauf, in 
ihre ohaungen angefommen, binden fie fid) eın Kreuz finnreich 
und zierlic won Birkenreifern zuſammen, und feßen es, einem 
Heinen Hügel von Wachs eingedrüdt, zwiſchen zwei Lichtern, 
womit die Magd erfcheint, auf dem großen — in des Zim— 
merd Mitte nieder, und während die Freunde, deren Schaar 
fih von Stunde zu Stunde vergrößert, händeringend zur Seite 

eben, und in zerftreuten Gruppen, ſprachlos vor Jammer, 
ihrem ftillen gejpenfterartigen Treiben zufehen, laſſen fie fich, 
gleich als ob ihre Sinne vor jeder andern Erſcheinung verſchloſſen 








J0 su — p* 7 


423 


wären, um den Tifch nieder, und ſchicken ſich til mit gefalteten 
Händen zur Anbetung an. Weder des Eſſens begehen fie, 
das ihnen zur Bewirthung der Denoffen, ihrem am Morgen ge- 
gebenen dh gemäß, die Magd bringt, noch fpäterhin, da 
die Nacht ſinkt, des Lagers, das fie ihnen, weil fie müde 
(einen, int Nebengemach aufgeftapelt bat; Die Freunde, um 
ie Entrüftung des Wirths, den diefe Aufführung befremodet, 
nicht zu reizen, müſſen ſich an einen zur Seite üppig gedeckten 
Tiſch niederlaſſen, und die für eine za reige Oele ſchaft zu- 
bereiteten Speijen, mit dem Salz ihrer bitterlichen Thränen ge- 
beizt, einnehmen. Jetzt plötzlich mg die Stunde der Mitter- 
nad; Eure vier Söhne, nachdem fie einen Augenblid gegen den 
dumpfen Klang der Glode aufgehordt, heben ſich plößlich in 
gleichzeitiger Bewegung von ihren Sigen eınpor; und während 
wir mit niedergelegten Zifchtüchern zu Aa binüberfchauen, 
ängftlicher Erwartung voll, was auf fo ſeltſames und befremden- 
des Beginnen erfolgen werde, fangen fie mit einer entjeglichen 
und gräßlichen Stimme das gloria in excelsiszuintonierenan. So 
mögen fic) Yeoparden und Wölfe anhören laffen, wenn fie zur 
eifigen Winterzeit das Firmament anbrüllen; die Pfeiler des 
Yaules, WA ei ih Euch, erfchütterten, und die Fenſter, von 
ihrer Zungen fihtbarem Athem getroffen, drohten Hirrend, als 
ob man Hände voll ſchweren Sandes gegen ihre Flächen würfe, 
zuſammen zu brechen. Det diejem —— Auftritt ſtürzen 
wir beſinnungslos mit ſträubenden Haaren aus einander; wir 
zerftreuen ung, Mäntel und Hüte zurüdlaffend, durch die um- 
liegenden Straßen, welche in Turzer Zeit, ftatt len bon mehr 
denn hundert aus dem Schlaf gejchredter Menſchen angefüllt 
waren; das Volk drängt fi, die Hausthüre ſprengend, über 
die Stiege den Saal zu, um die Quelle diefes fhauderhaften 
und empdrenden Gebrüls, das wie von den Lippen ewig ver- 
damnıter Sünder aus dem tiefften Grund der flammenvollen 
Hölle jammervoll un Erbarmung zu Öottes Ohren heraufdrang, 
aufgufuchen. Endlid) mit dem Schlage der Glocke Eins, ohne 
auf daS Zürnen des Wirths, noch auf die erjchütterten Aus- 
rufungen des fie umringenden Volks gehört zu haben, fchließen 
fie den Mund; fie wijchen ſich mit einem Tuch den Schweiß von 
der Stirn, der ihnen in großen Tropfen auf Kinn und Bruft 
niederträuft; und breiten Ihre Mäntel aus, und legen fi, un 
eine Stunde von fo qualvollen Gefchäften auszuruben, auf das 
Setäfel des Bodens nieder. Der Wirth, der fie gewähren läßt, 
(ist: fo bald er fie Ihlummern fieht, ein Kreuz über fie; und 
roh, des Elends für den Augenblid erledigt zu fein, bewegt 
er unter der Berficherung, der Morgen werde eine heilſame 
Veränderung herbeiführen, den Männerhaufen, der gegen- 
„wärtig ift und der geheimnißvoll mit einander murmelt, dag 


424 


Zimmer zu verlaffen. Über leider! ſchon mit dem erften Schrei 
des 2a ns, ftehen die Unglüdlichen wieder auf, um dem auf 
dem Tiſch befindlichen Kreuz gegenüber, daffelbe öde gefpenfter- 
artige Klofterleben, das nur Erſchöpfung fte auf einen Augen- 
blid auszufegen zwang, wieder anzufangen. Sie nehmen vou 
dem Wirth, defien ger ihr jammervoller Anblid ſchmelzt, keine 
Ermahnung, keine Hülfe an; fie bitten ihn, bie Freunde lieb- 
reich abzumeilen, die fich fonft regelmäßig am Morgen jedes 
Tages bei ihnen zu verſammeln pflegten; fie begehren Nichts 
von ihm als afler.und Brod, und eine Streu, wenn e8 fein 
fann, für die Nacht; dergeftalt, daß diefer Mann, der fonft viel 
Geld von ihrer Heiterfett zog, fich genöthigt ſah, den ganzen 
Borfall den Gerichten anzuzeigen und fie zu bitten, ihm diefe 
vier Menjchen, in welchen ohne Zweifel der böfe Geift walten 
müfle, aus dem re du ichaffen. Worauf fie auf Befehl des 
Magiſtrats in ärztliche Unterfuchung genommen, und da man fie 
verrüdt befand, wie Ihr wißt, in die Gemächer des Irrenhauſes 
untergebradht wurden, das die Milde des let verftorbenen 
Kaifers zum Bellen der Unglüdlichen diefer Art innerhalb der 
Mauern unferer Stadt gegründet hat.“ Dieß und no Mehreres 
fagte Beit Gotthelf, der Tuchhändler, das mir hier, weil wir 
zur Einfiht in den inneren Zufammenhang der Sache genug 
gejagt an haben meinen, unterdrüden; und forderte die Frau 
nochmals auf, ihn auf feine Weife, falls es zu gerichtlichen 
ungen über diefe Begebenheit kommen follte, darin 
u verftriden. 
; Drei Tage darauf, da die Fraıt. durch diefen Bericht tief 
im en erfhüttert, am Arm einer Freundin nad) dem 
Klofter Hinausgegangen war, in der wehmüthigen Abficht, auf 
einem Spaziergang, weil eben das Wetter | hön war, den ent- 
jeglihen Schauplag in Augenfchein zu nehmen, auf welchem 
Gott ihre Söhne mie Buch unfihtbare Blige zu Grunde ge- 
richtet hatte, fanden die Weiber den Dom, weil eben gebaut 
wurde, am Eingang dur Planfen verjperrt, und Tonnten, 
wenn fie fich müblam erhoben, durch die Deffnungen der Bretter 
Ainburch von dem Innern Nichts, als die prächtig funkelnde 
ofe im Hintergrund der Kirche wahrnehmen. Viele hundert 
Arbeiter, welche fröhliche Kieder fangen, waren auf fchlanken, 
vielfach verſchlungenen Gerüſten befchäftigt, die Thürme noch 
um ein gutes Drittheil zu erhöhen, und die Dächer und Binnen 
derfelben, welche bis jegt nur mit Schiefer bededt geweſen 
waren, mit ftarfem, hellen, im Strahl der Sonne glänzigen 
Kupfer zu belegen. Dabei ftand ein Gewitter, dunkelſchwarz 
mit vergoldeten Rändern, im Qintergrunbe des Baus; daffelbe 
hatte ſchon über die Gegend von Aachen ausgebonnert, und 
nachdem es noch einige kraftlofe Blige gegen die Richtung, wa 


425 


der Dom fand, gefchleudert hatte, ſank es, zu Dinften zuige 
löſt, mißvergnügt murmelnd in Oſten heräb. Es traf ſich, 
daß, da die Frauen von der Treppe des weitläufigen klöſterlichen 
Wohngebäudes herab, in mancherlei Gedanken vertieft, dieß 
doppelte Schauspiel betrachteten, eine Klofterfchwefter, welche 
porübergieng, zufällig erfuhr, wer die unter dem Portal jtehende 
Frau fer; dergeftalt, zeß die Aebtiſſin, die von einem den 
Frohnleichnamstag betreffenden Brief, den dieſelbe bei ſich 
trug, gehört hatte, unmittelbar darauf die Schweiter zu 
herab und die niederländifche Frau erfuchen ließ, zu ihr 

erauf zu kommen. Die Niederländerin, objhen einen Augen- 

id dadurch betroffen, fchidte fich nichtS deſto meniger ehr- 
furchtsvoll an, dem Befehl, den man ihr angekündigt hatte, zu 
geboren ; und während die Freundin auf die Einladung der 

onne in ein dicht an dem Eingang befindliches Nebenzimmer 
abtrat, öffnete man der Fremden, welche die Treppe —* 
ſteigen mußte, die Flügelthüren des ſchön gebildeten Söllers 
ſelbſt. Daſelbſt fand ſie die Aebtiſſin, welches eine edle Frau 
von ſtillem königlichen Anſehn war, auf einem Seſſel ſitzen, den 
Fuß auf einen Schemel geſtützt, der auf Drachenklauen ruhte; 
ihr zur Seite auf einem Pulte lag die Partitur einer Muſik. 
Die Aebtiſſin, nachdem ſie befohlen hatte, der Fremden einen 
Stuhl hinzuſetzen, entdeckte ihr, daß ſie bereits durch den 
—*— von ihrer Ankunft in der Stadt gehört; und 
nachdem ſie ſich au menjejenfveumb liche Weife nach dent Be- 
finden ihrer unglüdlicden Söhne erkundigt, auch fie ermuntert 
hatte, fich über das Schidfal, das diefelben betroffen, weil es 
einmal nicht zu ändern fei, möglichit zu faffen, eröffnete fie ihr 
den Wunfch, den Brief zu jehen, den der —— an ſeinen 
Freund, den Schullehrer in Antwerpen, geſchrieben hatte. Die 
Frau, welche Erfahrung genug beſaß, einzuſehen, von welchen 
Folgen dieſer Schritt ſein konnte, fühlte Fr dadurch auf einen 
Augenblid in Berlegenheit geftürzt; da jedod das ehrwürdige 
Antlik der Dame unbedingtes Vertrauen erforderte, und auf 
feine Weife fchidlich mar, zu glauben, daß ihre Abſicht fein 
fönne, von dem inhalt deffelben einen öffentlichen Gebraud) zu 
machen, fo nahm fie nach einer furzen Befinnung den Brief aus 
ihrem Bufen, und reichte ihn unter einem heißen Kuß auf ihre 
gan der fürftlihen Dame dar. Die Frau, mährend Die 


ebtiffin den Brief überlas, war Br einen Blid auf die . 


nachläſſig über dem Pult aufgefchlagene Partitur; und da fie 
urch den Bericht des Tuchhändlers auf den Gedanken gelommen 
war, es könne wohl die Gewalt der Töne gewejen fein, die an 
jenem jchauerlichen Tage das Gemüth ihrer armen Söhne zer- 
Kir und verwirrt habe, fo fragte fie die Klofterfchwefter, die 


inter ihrem Stuhle fland, indem fie ſich zu ihr umlehrte, 


Ag 


426 


fhüchtern, ob dieß das Muſikwerk wäre, das vor ſechs Jahren 
am Morgen jenes merkwürdigen ro aleihmamSielte® in der 
Kathedrale aufgeführt worden fei. Auf die Antwort der jungen 
Kloſterſchweſter: ja! fie erinnere fi, davon gehört zu haben, 
und e8 pflege jeitdem, wenn man e8 nicht brauche, im Bimmer 
der hochwürdigſten Frau zu liegen, ftand, lebhaft erfchüttert, 
die Frau auf, uud ftellte fih, von maucherlei Gedanken durd- 
kreuzt, vor den Pult. Sie betrachtete die unbelanuten zau- 
beritchen Beihen, womit fich ein fürchterlicher Geift geheim- 
nißvoll den Kreis abzufteden ſchien, und meinte, in die Erde 
u finfen, da fie gerade das gloria in excelsis aufgelhlagen 
Fand. Es war ihr, als ob das ganze Schreden der Tonkunſt, 
das ihre Söhne verderbt hatte, über ihrem Haupte raufchend 
daherzöge; fie glaubte bei dem bloßen Anblid ihre Sinne zu 
verlieren, und nachdem fie ſchnell, mit einer unendlichen Regung 
pon Demuth und Unterwerfung unter die göttliche Allmacht, 
das Dlatt an ihre Lippen gebrüdt hatte, gente fie fi) wieder auf 
ihren Stuhl zurüd. Inzwiſchen hatte die Nebtiffin den Brief aus- 
eiefen und * indem ſie ihn zuſanmen faltete: „Gott ſelbſt 
ht a8 Klofter an jenem wunderbaren Tage gegen den Uebermuth 

urer ſchwer verirrten Söhne befchirmt. Welcher Mittel er ſich 
dabei bedient, kann Euch, die Ihr eine Proteftantin ſeid, gleich 
gültig fein; Ihr würdet auch das, was ich Euch darüber jagen 
fönnte, fchwerlich begreifen. Denn vernehmt, daß fchlechter- 
dings Niemand weiß, wer eigentlih das Werk, das Ihr dort 
aufgejchlagen findet, im Drang der fchredenvollen Stunde, da 
die Bilderſtürmerei über uns hereinbrechen follte, ruhig auf 
dem Sitz der Orgel dirigiert habe. Durch ein Zeugniß, das am 
Morgen des folgenden Tages ın Gegenwart des Kloſtervogts und 
mehrerer anderen Männer aufgenomnten und im Archiv nieder: 
gelegt ward, ift erwiefen, daß Schweiter Antonia, die Einzige, 
die das Werk dirigieren fonnte, während des ganzen Zeitraums 
feiner Aufführung trank, bewußtlos, ihrer Glieder ſchlechthin 
unmädhtig, im Winkel ihrer Klojterzelle darniedergelegen habe ; 
eine Kloſterſchweſter, die ihr als leibliche Bermandte zur Pflege 
ihres Körpers beigeordnet war, iſt während des ganzen Bor- 
mittag, da das robnleichnamsfeft in der Stathedrale gefeiert 
worden, nicht von ihren Bette gewichen. Ya, Schwefter Antonta 
würde HN end den Unftand, daß fie es nicht geweſen 
ſei, die auf jo feltfame und befremdende Weife auf dem Altan 
der Orgel erjchten, beftätigt und bewahrbeitet haben, wenn ihr 
änzlich finnberaubter Zufland erlaubt hätte, fie darum zu be- 
* en, und die Kranke nicht noch am Abend deſſelben Tages 
an dem Nervenfieber, an dem ſie darnieder lag und weldes 
Kat gar nicht lebensgefährlich fchien, verſchieden wäre. 
Auch hat der Erzbiſchof von Trier, am den dieſer Vorfall be- 








437 


richtet ward, bereit3 das Wort ausgelprochen, das ihn allein 
erklärt, nämlich, daß die heilige Eäcılie felbft dieſes zu gleicher 
Zeit fchredliche und herrliche Wunder vollbracht habe; und von 
dem Bapft habe ich fo eben ein Breve erhalten, wodurch er dieß 
betätigt.“ Und damit gab fie der Frau den Brief, den fie fi) 
bloß von ihr erbeten hatte, um über das, was fie [don wußte, 
nähere Auskunft zu erhalten, unter den Berjprechen, daß fie 
davon feinen Gebrauch machen würde, zuräd; und nachdem fie 
dieſelbe noch gefragt hatte, ob zur Wiederherftellung ihrer Söhne 
Hoffnung ſei, und ob fie ihr vielleicht mit irgend Etwas, Geld 
oder eine andere Unterftügung, zu dieſem Zweck dienen könne, 
welches die Frau, indem fie ıhr den Rod Füßte, weinend ver- 
neinte, grüßte fie ee freundlich mit der Hand und entließ fie. 
Hier endigt dieſe Legende. Die Frau, deren Anmwefenheit 
in Aachen gänzlich en war, gieug mit Surüdiafjung eines 
kleinen Capitals, das ſie zum Beſten —* armen Söhne bei den 
Gerichten niederlegte, nach dem Haag zurück, wo ſie ein Jahr 
darauf, durch Dielen Vorfall tief bewegt, in den Schooß der 
Tatholifchen Kirche zurüdkehrte, die Söhne aber ftarben im 
jpäten Alter eines beitern und verguügten Todes, nachdem fie 
noch Ein Mal ihrer Gewohnheit gemäß das gloria in excelsis 
abgejungen hatten, 


Der Bweikampf. 


Herzog Wilhelm von Deeilad, der feit feiner heimlichen 
Verbindung mit einer Gräfin, Namens Katharina von Heers- 
brud, aus dem Haufe Alt- Hiüningen, die unter feinem Range zu 
fein fchien, mit feinem Halbbruder, dem Grafen Jacob dem 
Rothbart, in Feindfchaft lebte, kam gegen das Ende des vier- 
zehnten Jahrhundert3, da die Nacht des heiligen Remigius zu 
dämmern beganıı, von einer in Worms mit dem deutſchen 
Kaijer abgehaltenen Zufammenkunft zurück, worin er fih von 
diefem Herrn in Ermangelung ehelicher Kinder, die ihm geftor- 
ben waren, die Legitimation eines mit feiner Gemahlın vor 
der Ehe erzeugten natürlichen Sohnes, des Grafen Philipp 
von Hüningen, ausgemirtt hatte. Freudiger als während des 
ganzen Laufs feiner Regierung in die Zukunft blidend, hatte er 
ſchon den Park, der hinter feinem Schloſſe lag, erreicht, als 
plöglich ein Pfeilſchuß aus dem Dunkel der Gebüfche hervor- 
head) und ihm dicht unter dent Bruftfnochen den Yeib durch— 

ohrte. Herr Friedrich von Trota, fein Kämmerer, brachte ihn, 
über diefen Borfall äußerft betroffen, mit Hülfe einiger andern 
Nitter in das Schloß, wo er nur noch in den Armen feiner 
beftürzten Demaptin die Kraft hatte, einer Verfammlung von 
Reichsvaſallen, die fchleunigft auf reihe denn der legtern 
zufammenberufen worden war, die kaiſerliche Tegitimationsacte 
ER und nachdem nicht ohne an heilen Widerftand, in- 
dem in Folge des Geſetzes die Krone an feinen Halbbruder, den 
Grafen Jacob den Rothbart, fiel, die Bafallen feinen legten 
beftimmten Willen erfüllt und unter dem Vorbehalt, die Ge— 
nehmigung des Kaiferd einzuholen, den Grafen Philipp als 
Thronerben, die Mutter aber wegen Diinderjährigkeit deſſelben 
als Bormünderin und Regentin anerkannt hatten, legte er ſich 
nieder und ftarb. 

Die Herzogin beftieg nun ohne Weiteres umter einer bloßen 
Anzeige, die fie durch einige Abgeordnete an ihren Schwager, 
den Grafen Jacob den Kotbbart. tbun ließ, den Thron; und 
was mehrere Ritter des Hofes, welche die abgefchloffene Ge- 
miüthsart des leßteren zu durchſchauen meinten, vorausgefagt 
hatten, das traf wenigſtens dem äußern Anfchein nad ein: 











429 


Jacob der Rothbart verfchmerzte, in kluger Erwägung der ob- 
waltenden Umftände, das Unrecht, das ihm fein Bruder zu- 
geligt hatte; zum Mindeſten enthielt er fich aller und jeder 

hritte, den legten Willen des Herzog umzuftoßen, und 
wünfchte feinem jungen Neffen zu dem Thron, den er erlangt 
batte, von Herzen Glüd. Er bejchrieb den Abgeordneten, die 
er jebr heiter und Kine an feine Tafel 309, wie er feit dem 
Tode feiner Öemabhlin, die ıhm ein königliches Vermögen hinter- 
laffen, frei und unabhängig auf jeiner Burg lebe; wie er die 
Weiber der angrenzenden Edelleute, feinen eiguen Wein und in 
Geſellſchaft munterer Freunde die Jagd liebe, und wie ein 
Kreuzzug nah Paläftina, auf welchem er die Sünden einer 
rajchen „Jugend, aud) leider, wie er zugab, im Alter noch mad)- 
fend, abzubüßen dachte, die gauze Unternehmung fei, auf die 
er noch am Schluß feines Lebens hinausfehe. Vergebens mad)- 
ten ihm feine beiden Söhne, weldye in der beftinnmten Hoffnung 
der zhronforge erzogen worden waren, wegen der Unempfind- 
Iichleit und Gleichgültigkeit, mit welcher er auf ganz unerwar- 
tete Weife in dieſe unhetilbare Kränkung ihrer Anfprüche willigte, 
die bitterften Vorwürfe; er wies fie, die noch unbärtig waren, 
mit kurzen und ſpöttiſchen Machtſprüchen gut Ruhe, nöthigte 
fie, ihm am Tage des feierlichen Leichenbegängniffes in die 
Stadt au folgen und daſelbſt an feiner Seite den alten Herzog, 
ihren Oheim, wie e8 fich gebühre, zur Gruft zu beitatten; 
und nachdem er im Thronfaal des herzoglichen Salaftes dent 
jungen Prinzen, feinen Neffen, in Gegenwart der Regentin Mut⸗ 
ter, gleich allen andern Großen des Hofes, die Huldigung gelei- 
ftet hatte, Xehrte er, unter Ablehnung aller Yemter und Würden, 
welche die Letztere ihm antrug, begleitet von den Segnungen des 
ihn um feine Großnuth und Mäßigung doppelt verehrenden 
Volks, wieder auf feine Burg zurüd. * 

Die Herzogin fchritt nun nad) diefer unverhofft glüdlichen 
DBejeitigung der erjten Intereflen zur Erfüllung ihrer zweiten 
Negentenpflicht, nämlich, wegen der Mörder ihres Gemahls, 
deren man im Park eine ganze Schaar wahrgenommen haben 
wollte, Unterfuhungen anzuftellen, und prüjte zu dieſem Zweck 
jelbft mit Herrn Godwin von Herrthal, ihren Kanzler, den 
Pfeil, der jeinem Leben ein Ende gemacht hatte. Inzwiſchen 
fand man an demjelben Nichts, das den Eigenthünier hätte ver- 
rathen können, außer etwa, daß er auf befremdende Weije zier- 
lich und prächtig gearbeitet war. Starfe, fraufe und glänzende 
Federn ftedten in einem Stiel, der ſchlank und kräftig, von dunf: 
lem Nußbaumholz gedrechjelt war; die Bekleidung des vorderen 
Endes war von glänzenden Meffing, und nur die äußerfte 
Spige jelbft, ſcharf wie die Gräte eines Fiſches, war von Stahl. 
Der Bfeil ſchien für die Rüſtkammer eines vornehmen und 


); 


430 


reihen Mannes verfertigt zu fein, der entweder in Fehden ver- 
widelt oder ein großer Yiebhaber von der Jagd war; und da 
man aus einer dem Knopf eingegrabenen Jahreszahl erfab, da 
dieß erft vor Kurzem gefchehen ein konnte, fo ſchickte die Her- 

ogin uf Anrathen des Kanzlers den Pfeil, mit dem Kron- 
Hegel verjehen, in alle Werkftätten von Deutſchland umber, um 
den Meifter, der ihn gedrechfelt hatte, aufzufinden, und falls 
dieß gelang, von demfelben den Namen Deffen zu erfahren, auf 
defien Beltellung er gedrechfelt worden war. 

Fünf Monden daranf lief an Dan Godwin, den Kanzler, 
dem die Herzogin die ganze Unterfuchung der Sache übergeben 
hatte, die Erklärung von einem Pfeilmacher aus Straßburg 
ein, daß er.ein Schod folcher Pfeile fammt dem dazu gehörigen 
Köcher vor drei Jahren für den Grafen Jacob den Rothbart 
verfertigt habe. Der Kanzler, über diefe Erklärung äußerft 
betroffen, hielt diefelbe mehrere Wochen lang in feinem Geheim- 
ſchrank zurüd; zum Theil Eannte er, wie er meinte, troß der 
freien und ausjchweifenden Tebensweife de8 Grafen, den Edel- 
muth deflelben zu qut, als daß er ihn einer fo abjcheulichen 
That, als die Ermordung eines Bruders war, hätte flir fähig 
halten follen; zum Theil auch, troß vieler andern guten Eigen- 
jhaften, die Gerechtigkeit der Negentin zu wenig, als daß er 
in einer Sache, die das Leben ihres fchlimmften Feindes galt, 
nicht mit der größten Borficht hätte verfahren follen. In 

wifchen ftellte ex unter der Hand in der Richtung diefer fonder 
baren Anzeige Unterfuchungen an, und da er durch die Beamten 
der Stadtoogtei zufällig ausmittelte, daß der Graf, der feine 
Burg fonft nie oder nur höchſt jelten zu verlaffen ui te, in der 
Nacht der Ermordung des Herzogs daraus abwejend gewefen 
war, fo hielt er es für feine Pflicht, das Geheimniß fallen zu 
laſſen und die Herzogin in einer der nächften Sigungen des 
Staatsraths von dem befremdenden und feltiamen Verdacht, der 
durch diefe beiden Klagpunfte auf ihren Schwager, den Grafen 
Jacob den Rothbart, frel, umftändlich zu unterrichten. 

Die Herzogin, die ſich glücklich pries, mit dem —5 
ihrem Schwager, auf einem fo freundf aftlıchen Fuß zu fteben, 
und Nichts mehr fürchtete, als feine Empfindlichkeit durch un- 
tiberlegte Schritte zu reizen, gab ingeſchen zum Befremden 
des Kanzlers bei dieſer zweideutigen Eröffnung nicht das min- 
defte Zeichen der Freude von ſich; vielmehr, als fte die Papiere 
zwei Mal mit Anfmerkſamkeit fiberlefen hatte, äußerte fie lebhaft 
ihr Mißfallen, dag man eine Sache, Die fo ungewiß und bedent- 
lich fer, öffentlic) im Staatsrath zur Sprache bringe. Sie war 
der Meinung, daß ein Irrthum oder eine Berläumdung dabei 
ftatt finden müffe, und befahl, von der Anzeige jaresthin bei 
den Gerichten keinen Gebrauch zu machen. a, bei der außer- 


431 


ordentlichen, faft ſchwärmeriſchen Bolföverehrung, deren der 
Graf nad einer natürlichen Wendung der Dinge feit feiner 
Ausichliefung vom Throne genoß, fchren ihr auch fchon dieſer 
bloße Vortrag im Staatsrath Außer gefährlich; und da fie 
voraus ſah, daß ein Stadtgeſchwätz darüber zu feinen Ohren 
fommen würde, fo jchidte fie, von einem wahrhaft edelmüthtgen 
Schreiben begleitet, die beiden Klagpunkte, die fie das Spiel 
eines fonderbaren Mißverftändniffes nannte, ſammt dem, worauf 
fie fih ſtützen follten, zu ihm hinaus, mit der beftimmten Bitte, 
fie, die in Voraus von feiner Unfchuld überzeugt fei, mit aller 
Widerlegung derjelben zu verfchonen. 

‚ Der Graf, der eben mit einer Geſellſchaft von Freunden 
bei der Tafel ſaß, ftand, als der Ritter mit der Botjchaft der 
Herzogin zu ihm eintrat, verbindlich von feinem Seſſel auf; 
aber faum, während die Freunde den feierlihen Mann, der 
fi) nicht niederlaffen wollte, betrachteten, hatte er in der Wöl⸗ 
bung des Fenſters den Brief überleſen: als er die Farbe wech⸗ 
felte, und die Papiere mit den Worten den Freunden übergab: 
„Brüder, feht! welch eine fchändlihe Anklage auf den Mord 
meined Bruders wider nich zufammengejchmiedet worden iſt!“ 
Er nahm dem Ritter mit einem funkelnden Blid den Pfeil aus 
der Hand, und jegte, die Vernichtung feiner Seele verbergend, 
inzwifchen die Freunde ſich unruhig nm ihn verfammelten, 
hinzu, daß in der That das Eh: fein * öre und auch der 
Umitand, daß er in der Nacht des heiligen Remigius aus feinem 
Schloß abwejend gewejen, gegründet fei. Die Freunde Fluchten 
iiber diefe hämiſche und niederträchtige Argliftigfeit; fie ſchoben 
den Verdacht des Mordes auf die verruchten Ankläger felbft 
zurüd, und ſchon waren fie im Begriff, gegen den Abgeordneten, 
der die Herzogin, feine Fran, in Schuß nahın, beleibigenb zu 
werden: als der Graf, der die Papiere noch ein Mal überlejen 
—— indem er plötzlich unter fie trat, ausrief: „Ruhig, meine 

reunde!“ — und damit nahm er fein Schwert, das ım Wintel 
ftand,, und übergab es dem Ritter mit den Worten, daß er fein 
Gefangener jet. Auf die betroffene Brage des Ritters, ob er 
recht gehört, und ob er in der That die beiden Klagpuntte, die 
der Kanzler aufgejebt, anerfenne, antwortete der Oraf: „Sa! 
ja! ja!“ — Inzwiſchen hoffe er der Nothwendigkeit überhoben 

u fein, den Beweis wegen feiner Unſchuld anders als vor den 

chranken eines fürmlic von der Herzogin niedergejeßten 
Gerichts zu führen. Bergebens bewiefen die Ritter, mit diejer 
Aeußerung höchſt unzufrieden, dag er in diefem Fall wenigſtens 
feinem Andern als dem Kaifer von dem ns der 
Sache Rechenf Fi zu geben brauche, der Graf, der fich in einer 
fonderbar plöglichen Wendung der Gefinnung auf die Gerechtig- 
keit der Regentin berief, beftand darauf, ſich vor dem Landes- 


432 


teibunal zu ftellen, und ſchon, indem er fih aus ihren Armen 
losriß, rief er aus dem denſter hinaus nach feinen Pferden, 
willens, wie er ſagte, dem ngenrbneken unmittelbar in die 
Ritterhaft Ey folgen: als die Waffengefährten ihm gewaltfam 
mit einem wi ag, den er bh annehmen mußte, in den 
Weg traten. Ste fee in ihrer Gefammtzahl ein Schreiben 
an die Herzogin auf, forderten als ein Recht, das jedem Ritter 
in ſolchem Kon auftehe, freie ©eleit für ihn, und boten ihr zur 
Sicherheit, daß er fich dem von ihr errichteten Tribunal ftellen, 
auch Allen, was daſſelbe über ihn verhängen möchte, uuter- 
werfen würde, eine Sirgialt von 20,000 Mark Silbers an. 

Die Herzogin, auf dieje unerwartete und ihr unbegreifliche 
Grtlärung, hielt e8 bei den abfrheulichen Gerüchten, die bereits 
iiber die Beranlafjung der Klage im Volk herrjchten, für das 
Rathſamſte, mit gänzlichen Zurüdtreten ihrer eigenen Perſon, 
dent ‚roller die ganze Streitjache vorzulegen. Sie fchidte ihm 
auf.den Rath des Kanzlers fämmtliche itber den Borfall lautende 
Actenftüde zu, und bat in feiner Gaeniaaft als Reichsoberhaupt 
ihr die Unterfuhung in einer Sache abzunehmen, in der fie 
felber als Partei befangen fei. Der Kaifer, der fi wegen Ver⸗ 
handlungen mit der Erdgenofienfchaft gerade damals ın Bafel 
aufhielt, willigte in diefen Wunſch; ; er feßte dafelbjt ein Gericht 
von drei raten, zwölf NRittern und zwei Gerichtsaſſeſſoren 
nieder ; und nachdem er dem Grafen Sacob den: Rothbart, dem 
Antrag feiner Freunde gemäß, gegen die dargebotene Bürg- 
{haft von 20,000 Mark Silbers freies Geleit zugeftanden hatte, 
forderte er ihn auf, fi) dem erwähnten Gericht zu ftellen und 
demjelben tiber die beiden Punkte, wie der Pfeil, der nad) fei- 
nem eigenen Geftändniß fein gehöre, in die Hände des Mörders 
gefommen; auch, an welchen dritten Ort er fi) in der Nacht 
de3 heiligen Remigius aufgehalten habe, Red und Antwort 
zu geben. 

Es war am Montag nad) Trinitatis, al3 der Graf Jacob 
der Rothbart mit einem glänzenden Gefolge von Rittern, der 
an ihn ergangenen Aufforderung gemäß, in Bafel vor den 
Schranken des Gerichts erjchien und ſich Dafelbft mit Ueber- 

ehung der erften, ihm, wie er vorgab, gänzlich unauflöslichen 
Sen e, in Bezug auf die zweite, melde für den Etreitpunft 
entfcheidend war, fol Anbe auf faßte: „Edle Herren!“ uud 
damit ftügte er feine Hände auf das Geländer, und fchaute aus 
feinen Heinen bligenden Augen, von röthlichen Augenwimpern 
überfchattet, die Berfanmlung an. „Ihr beſchuldigt mich, der 
von feiner Gleichgültigkeit gegen Krone und Scepter Proben 
genug gegeben hat, der abfhenlichften Handlung, die begangen 
werden Tann, der Ermordung meines mir in der That wenig 
geneigten, aber darum nicht minder theuren Bruders; und als 








gr 


433 


einen der Gründe, worauf Ihr Eure Anklage ftügt, führt Ihr an, 
daß ich in der Nacht des heiligen Nemigius, da jener Frevel 
verübt ward, gegen eine durch viele Jahre beobachtete Gewohn- 
heit aus meinem Schloffe abwefend war. Nun ift mir gar wohl 
befannt, was ein Ritter der Ehre folder Damen, deren Gunft 
ihm heimlich zu Theil wird, ſchuldig ift, und wahrlich! hätte 
der Himmel nicht auß heiterer Luft dieß ſonderbare Verhängniß 
über mein Haupt zuſammengeführt, fo würde das Geheimuiß, 
das in meiner Bruft fchläft, mit mir geitorben, zu Staub ver- 
weit und erft auf den Pofaunenruf des Engels, der die Gräber 
Iprengt, vor Gott mit mir erftanden jein. Die Frage aber, die 
aiferliche Majeftät durch Euren Mund an mein Gewiſſen richtet, 
macht, wie Ihr wohl felbft einfeht, ale Rüdfichten und alle Be- 
denflichkeiten zu Schanden; und weil > denn wiſſen wollt, 
warum es weder wahrſcheinlich noch auch ſelbſt möglich jei, daß 
ih an dem Mord meines Bruders, es fei nun perjönlich oder 
mittelbar, Theil genommen, fo vernehmt, daß ich in der Nacht 
des heiligen Nemigius, alfo gu Zeit, da er verübt worden, 
heim ih bei der fchönen, in Liebe mir ergebenen Tochter des 

anddrofts Winfried von Breda, Frau Wittib Littegarde 
von Auerftein, war.” 

Nun muß man wiffen, daß Frau Wittib Tittegarde von 
Auerftein, fo wie die ſchönſte, fo auch bis auf den Augenblid 
diefer ſchmaͤhlichen Anklage die unbefcholtenfte und mafellofefte 
Frau des Landes war. Sie lebte jeit dem Tode des Schloß- 
hauptmanns von Auerftein, ihres Gemahls, den fe wenige 
Monden nach ihrer Bermählung an einem anftedlenden Fieber 
verloren hatte, til und eingezogen auf der Burg ihres Vaters; 
und nur auf den Wunſch dieſes alten Herrn, der fie gern wieder 
vermählt zu ſehen wünſchte, ergab fie fich darin, dann und 
wann bei den FJagdfeften und Banketten zu erfcheinen,, welche 
von der Ritterfchaft der umliegenden Gegend und hauptfächlich 
von Herrn Jacob dem Rothbart angeftelt wurden. Biele Gra- 
fen und Herren aus den edelſten und begütertften Gefchlechtern 
des Landes fanden fich mit ihren Werbungen bet folchen Gelegen- 
peiten um fie ein, und unter diefen war ihr Herr Friedrich von 

rota, der Kämmerer, der ihr einft auf der Jagd gegen den An- 
lauf eines veriwundeten Ebers tüchtiger Weile das Leben gerettet 
hatte der Theuerfte und Liebſte; inzwiſchen Dee fie ſich aus 

eſorgniß, ihren beiden auf die Hinterlaffenichaft ihres Ber- 
mögens rechnenden Brüdern dadurch zu mißfallen, aller Ermah- 
nungen igre Vaters ungeachtet, 34 nicht entſchließen können, 
ihm ihre Hand zu geben. Ja, als Rudolph, der Aeltere von beiden, 
ſich mit einem Aden Fräulein aus der Nachbarſchaft vermählte, 
und ihm nach einer dreijährigen kinderloſen Ehe zur großen 
Freude der Familie ein Stammhalter geboren ward, ſo nahm 

Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleiſt. II. 28 


434 


fie, durch manche deutliche und undeutliche Erklärung bewogen, 
von Herrn Friedrich, ihrem Freunde, in einem unter vielen 
Thränen abgefaßten Schreiben förmlich Abſchied und wiligte, 
um die Einigkeit des Hauſes zu erhalten, in den Borfchlag 
ihres Bruders, den Pla als Aebtiffin in einem Frauenſtift 
einzunehmen, das unfern ihrer väterlichen Burg an den Ufern 
des Rheins lag. 
erade um die Zeit, da bei dem Erzbifchof von Straßburg 
dieſer Plan betrieben ward und die Sache Im Begriff war, zur 
Ausführung zu fommen, war e8, als der Landdroft, Herr Win- 
tied von Breda, durch das von dem Kaiſer eingeſetzte Gericht 
ie Anzeige von der Schande feiner Tochter Littegarde und die 
Aufforderung erhielt, diefelbe zur Verantwortung gegen die von 
dem Grafen Jacob wider fie angebrachte Beihuldigung nad) 
Bafel zu befördern. Dan bezeichnete ihm ım Berlauf des 
Schreibens genau die Stunde und den Ort, in welchem der 
Graf, feinem Borgeben gemäß, bei Frau Littegarde feinen Be- 
ſuch heimlich abgeftattet haben wollte, und ſchickte ihm fogar 
einen von ihrem verftorbenen Gemahl herrührenden Ring mit, 
den er beim Abfchied zum Andenken an die verfloffene Nacht aus 
Ihrer Hand empfangen zu haben verficherte. Nun litt Herr 
infried eben am Tage der Ankunft diefes Schreibens an einer 
ſchweren und ſchmerzvollen Unpäßlichkeit des Alters; er wankte 
in einem Außerft gereizten Suftande an der vn jeiner Tochter 
im Zimmer umber, das Ziel Schon ins Auge faſſend, das Allem, 
was Leben athmet, geftedt ift; dergeftalt, daß ihn bei Ueber- 
lefung diefer fürchterlichen ngeige der Schlag augenblidlich 
rührte, und er, indem er das Blatt fallen ließ, mit gelähmten 
Gliedern auf den Fußboden niederfchlug. Die Brüder, die 
gegenwärtig waren, hoben ihn beflürzt vom Boden auf und 
ielen einen Arzt herbei, der zu feiner Pflege in den Nebenge- 
bäuden wohnte; aber alle Mühe, ihn wieder ins Leben zurück 
u bringen, war umfonft; er gab, während Frau Littegarde be- 
—*— in dem Schooß ihrer Frauen lag, ſeinen eilt auf, 
und diefe, da fie erwachte, hatte auch nicht den lebten bitter- 
üßen Troſt, ihm ein Wort zur Vertheidigung ihrer Ehre in 
ie Ewigfett mitgegeben zu haben. Das Schreden der beiden 
Brüder über diejen beiffoten Borfall, und ihre Wuth über die 
der Schwefter angefchuldigte und leider nur zu wahrfcheinliche 
Schandthat, die ihn veranlaßt hatte, war unbejchreiblic- 
Denn fie wußten nur zu wohl, daß Graf Yacob der Rothbart 
ihr in der That während des ganzen vergangenen Sommers 
angelegentlich den Hof gemacht hatte; mehrere Turniere und 
Bankette waren bloß ihr zu Ehren von ihm angeftellt und fie 
auf eine ſchon damals sehr anftößige Weife vor allen andern 
Frauen, die erzur Geſellſchaft zog, von ihm ausgezeichnet worden. 


435 


Ha, fie erinnerten fich, daß Tittegarde gerabe um die Beit des 
befagten Remigiustages eben diefen von ihrem Gemahl her- - 
ftammenden Ring, der ſich jeßt auf fonderbare Weife ın den 
Händen des Grafen Jacob wieder fand, auf einem Spaziergang 
verloren zu haben vorgegeben hatte; dergeftalt, daß He nicht 
einen Yugenblid an der wabrbaftigfeit der auelade, die der 
Graf vor Gericht gegen fie abgeleiftet hatte, zmeifelten. Ver⸗ 
gebeng — inzwischen unter den Klagen des Hofgefindes die 
päterliche Leiche weggetragen ward — umllammerte fie, nur 
um einen Augenblid Gehör bittend, die Kniee ihrer Brüder; 
Rudolph, vor Entrüiftung flammend, fragte fie, indem er ſich 
u ihr wandte, ob fie einen Zeugen fur die Nichtigkeit der Be⸗ 
— für ſich aufſtellen könne, und da fie unter Zittern 
und Beben erwiederte, daß fie fich letder auf Nichts als die Un⸗ 
fträflichleit ihres Lebenswandels berufen Tönne, indem ihre 
Beie gerade. wegen eine Beſuchs, den fie in der bemußten Nacht 
ei ihren Eltern abgeftattet, aus ihrem Schlafzimmer abmwefend 
gewefen fei, fo ftieß Rudolph fie mit Füßen von fi, riß ein 
chwert, das an der Wand — aus der Scheide, und befahl 
ihr, in mißgefchaffner Leidenſchaft tobend, indem er Hunde und 
Knechte herbeirief, augenblicklich das Haus und die Burg zu 
verlajfen. Littegarde ſtand bleich wie Kreide vom Boden auf; 
fie bat, indem de jeinen Mißhandlungen fchweigend auswich, 
ihr wenigftend zur Anordnung der erforderten Abreiſe die 
nöthige get zu laffen; doc, Rudolph antwortete weiter Nichts 
als, vor Wuth ſchäumend: „Hinaus aus dem Schloß!“ dergeftalt, 
daß, da er auf feine eigene Frau, die ihm mit der Bitte um 
Schonung und Menſchlichkeit in den Weg trat, nicht hörte, 
und fie durch einen Stoß mit dem Griff des Schwerts, der ihr 
das Blut fließen machte, rafend auf die Seite warf, die un- 
gladude Littegarde mehr todt als lebendig das Zimmer ver- 
ieß; fie wankte, von den Bliden der gemeinen Menge umitellt, 
über den Goran der Schloßpforte zu, wo Rudolph ihr ein 
Bündel mit Wäſche, mozu er einiges Geld legte, hinausreichen 
ließ, und felbft Hinter ihr unter Flüchen und Verwünfchungen 
die Thorflügel verſchloß. 
Diefer plöglihe Sturz von der Höhe eines beitern und 
faft ungetrübten Glücks in die Tiefe eines unabfehbaren und 
änzlich Hülflofen Elends war mehr, als das arme Weib ertragen 
onnte. Unmiljend, wohin fie fich wenden folle, wankte fte, ge- 
üßt am Geländer, den Felfenpfad hinab, um fich wenigſtens 
ir die einbredhende Nadıt ein Unterkommen zu verfchaffen; 
doch ehe fie nod) den Eingang des Dörfchens, das veritreut im 
Thale lag, erreicht hatte, ſank fie ſchon, Ihrer Kräfte beraubt, 
anf den Fußboden nieder. Sie modte, allen Erdenleiden ent- 
rückt, wohl eine Stunde jo gelegen haben, und völlige Sinfterniß 


436 


dedte ſchon die Gegend, als fie, umringt von mehreren mit- 
leidigen Einwohnern des Orts, erwachte. Denn ein Knabe, 
der am Felſenabhang fpielte, hatte fie —8 bemerkt, und in 
dem Haufe feiner Eltern von einer fo ſonderbaren und anf- 
fallenden Erſcheinung Bericht abgeftattet; worauf diefe, die von 

ittegarden mancherlei Wohltbaten empfangen hatten, äußerft 
beftürzt, fie in einer fo troftlofen Lage zu wiſſen, fogleich auf- 
brachen, um ihr mit Hülfe, fo gut es in itren cäflen and, 
beizufpringen. Sie erholte ſich durch die Bemühungen diefer 
Leute gar bald, und gewann aud bei dem Anblick der Burg, 
die hinter ihr verfchloffen war, ihre Befinnung wieder; fi 
weigerte ſich aber, das Anerbieten zweier Weiber, fie wieder 
auf das Schloß hinauf zu führen, anzunehmen, und bat nur 
um die Gefälligfeit, ihr fogleich einen Führer herbei zu fchaffen, 
um ihre Wanderung fortzufeßen. Vergeben ftellten ihr die 
Leute vor, daß fie in ihrem Zuftande feine Reife antreten könne; 
Littegarde beftand, unter dem Vorwand, daß ihr Reben in Ge» 
fr ki darauf, augenblidlich die Grenzen des Burggebiet3 zu 
verlaſſen; ja, fie machte, da ſich der Santen um fie, ohne ihr zu 
helfen, immer vergrößerte, Anftalten, fi mit Gewalt loszu⸗ 
reißen, und ſich allein, troß der Dunkelheit der EAN 
Nacht, auf den Weg zu begeben; dergeftalt, daß die Leute noth- 
gedrungen, aus Furcht, von der Serrihaft, fals ihr ein Unglüd 
uſtieße, dafür in —8 genommen zu werden, in ren 
un ch willigten und ihr ein Fuhrwerk herbeifchafften, das mit 
ihr, quf die wiederholt an je gerichtete Frage, wohin fie fich 
denn eigentlich wenden wolle, nach Bajel abhubr. 

Über fchon vor dem Dorfe änderte fie nach einer aufmerk⸗ 
jfamern Erwägung der Umſtände ihren Entichluß, und befahl 
ıhrem Führer, umzulehren, und fie nad) der nur wenige Meilen 
entfernten Trotenburg zu fahren. Denn fie fühlte wohl, daß fie 
ohne ‚Beiftand gegen einen ſolchen Gegner, als der Graf Jacob 
der Rothbart mar, vor dem Gericht zu Bafel Nichts ausrichten 
würde; und Niemand fchien ihr des Vertrauens, zur Ver⸗ 
theidigung ihrer Ehre aufgerufen Fi werden, würdiger, als ihr 
waderer, ıhr in Liebe, wie fie wohl wußte, immer noch ergebener 
Freund, der treffliche Kämmerer, Herr Friedrich von Trota. 
Es mochte ohngefähr Mitternacht fein, und die Lichter im 
Schloſſe ſchimmerten noch, al3 jie äußerft ermüdet von der 
Neife mit ihren Fuhrwerk dafelbit ankam. Gie at einen 
Diener de3 Haufes, der ihr entgegen fam, hinauf, um der 
Familie ihre Ankunft anmelden zu laffen; doch ehe diefer noch 
IKinen Auftrag volführt hatte, traten auh ſchon Fräulein 

ertda und Kunigunde, Herren Friedrichs Echmeltern, vor die 
Thür hinaus, die zufällig in Gefchäften des Haushalts im 
untern Borfaal waren. Die Freundinnen hoben Littegarden, 


437 


die ihnen gar wohl befannt war, unter freudigen Begrüßungen 
vom Wagen und führten fie, obſchon nicht ohne einige Beklem⸗ 
mung, zu ihrem Bruder hinauf, der in Acten, womit ihn ein 
Prozeß überjchüttete, verfentt, an einem Tiſche ſaß. Aber wer 
bejchreibt das Erftaunen Herrn Friedrichs, als er auf das Ge⸗ 
räufch, das fich hinter ihm erhob, fein Antlig wandte und Fran 
Littegarden bleich und entftellt, ein wahres Bild der Ber- 
weiflung, vor ihm auf Knieen niederfinten ſah. „Meine theuerfte 
ittegarde!“ rief er, indem er auffland und fie von Fußboden 
erhob: „was ift Euch widerfahren ?“ Littegarde, nachdem fie ſich 
auf einen Seflel niebergetailen hatte, erzählte ibm, was vorge- 
fallen; welch eine verruchte Anzeige der Graf Jacob der Roih⸗ 
bart, um fidy von dem Berdacht wegen Ermordung des Herzogs 
ji reinigen, vor dem Gericht zu Bafel in Bezug auf fie vorge- 
racht habe; wie die Racricht avon ihrem alten, eben an einer 
Unpäßlichfeit leidenden Vater augenblidlih den Nervenſchlag 
ansesogen, an welchem er auch wenige Minuten darauf in den 
rmen ferner Söhne verjchieden fer; und wie diefe, in Ent- 
rüſtung darliber rajend, ohne auf das, was fie zu HE Ber- 
theidigung vorbringen könne, zu hören, fie mit den entfeglichften 
ißhandlungen überhäuft und zulegt gleich einer Berbrecherin 
aus dem Haufe gejagt hätten. Sie bat Herrn Friedrid, fie 
unter einer ihidlihen Begleitung nad) Bafel zu befördern und 
ihr dafelbft einen Rechtsgehülfen anzuweiſen, der ihr bei ihrer 
fheinung vor dem von dem Kaifer eingefeßten Gericht mit 
Hugem und befonnenem Rath gegen jene ſchändliche Be— 
fhuldigung zur Seite ftehen könne. Sie verficherte, daß ihr 
aus dem Munde eines Parthers oder Perfers, den fie nie mit 
Augen gefehen, eine folde Behauptung nicht hätte unermarteter 
tommen können, als aus dem Munde des Grafen Jacobs des 
are indem ihr derfelbe feines fehlechten Rufs ſowohl, 
als feiner äußeren Bildung wegen immer in der tiefften Seele 
verhaßt gewefen ſei, und fie die Artigfeiten, die er fich bei den 
Feftgelagen des vergangenen Sommers zumeilen die Freiheit 
genommen ihr zu fagen, ftetS mit der größten Kälte und Ber- 
achtung abgewiejen habe. „Genug, meine theuerfte Littegarde!” 
rief Herr Friedrich, indem er mit edlem Eifer ihre Hand nahm 
und an feine Lippen drüdte: „verliert fein Wort zur Ber: 
theidigung und Rechtfertigung Eurer Unfauß In meiner 
Bruft ſpricht eine Stimme für Euch weit lebhafter und itber- 
zeugender al3 alle Berficherungen, ja felbft als alle RechtS- 
gründe und Beweife, die Ihr vielleicht aus der Derbindung der 
mftände und Begebenheiten vor dem Gericht zu Bafel für 
Eud aufzubringen vermögt. Nehmt mid, weil Eure ungerechten 
und ungroßmüthigen Brüder Euch verlaffen, als Euren Freund 
und Bruder an, und gönnt mir den Ruhm, Euer Anwalt in 


488 


diefer Sache zu fein; ich will den Glanz Eurer Ehre vor dem 
Gericht zu Bajel und vor dem Urtheil der ganzen Welt wieder- 
herſtellen!“ Damit führte er Littegarden, deren Thränen vor 
Dankbarkeit und Rührung bei fo edelmüthigen Wenkerungen 
heftig flofien, zu Grau Helenen, feiner Mutter, hinauf, die Tb 

ereitö in ihr Salafgimmer aurhdgegogen hatte; er ftellte fie 
diefer würbigen alten Dame, die ihr mit befonderer Liebe zuge- 
than war, als eine Gaftfreundin vor, die ſich wegen eines 
Field der in ihrer Familie ausgebrochen, entiae habe, 
ihren Aufenthalt während einiger Zeit auf feiner Burg zu 
nehmen, man räumte ihr noch in derjelben Nacht einen ganzen 
Flügel des weitläufigen Schloffes ein, er füllte aus dem Bor- 
rath der Schweitern die Schränke, die fih darin befanden, 
reichlich mit Kleidern und Wäfche für fie, wies ihr auch, ganz 
ihrem Range gemäß, eine anftändige, ja prächtige Dienerſchaſt 
an; und —* am dritten Tage befand ſich Herr Friedrich von 
Trota, ohne ſich über die Art und Weiſe, wie er ſeinen Beweis 
vor Gericht zu führen gedachte, auszulaſſen, mit einem zahl⸗ 
Ba Holge von Reiſigen und Knappen auf der Straße 
na aſel. 

Inzwiſchen war von den Herren von Breda, Littegardens 
Brüdern, ein Schreiben, den auf der Burg ſangeharen orfall 
anbetreffend, bei dem Gericht zu Baſel eingelaufen, worin ſie 
das arme Weib, ſei es nun, daß fie dieſelbe wirklich für ſchuldig 
hielten, oder daß ſie ſonſt Gründe haben mochten, fie zu ver- 
derben, ganz und gar als eine überwieſene Verbrecherin der 
Berfolgung der Geieh Preis gaben. Wenigftens nannten fie 
die Derffung berjelben aus der Burg, unedelmüthiger und 
unwahrbaftiger Weife, eine freiwillige Entweidhung; fie be 
jchrieben, wie fie fogleih, ohne irgend Etwas zur Vertheidigung 
Ihrer Unſchuld aufbringen zu können, auf einige entrüftete 

eußerungen, die ihnen entfahren wären, das Schloß verlaſſen 
babe; und waren bei der Bergeblichkeit aller Nachforſchungen, 
die fie bethenerten ihrethalb angeftet zu haben, der Meinung, 
daß fie jegt wahrjcheinlich an der Geite eines dritten Abentenrers 
in der Welt umirre, um das Maß ihrer Schande zu erfüllen. 
Dabei trugen fie zur Chrenrettung der durch fie beleidigten 
Familie darauf an, ihren Namen aus der Gefchlechtötafel des 
Breda'ſchen Haufes ausguftreichen, und begehrten unter weit- 
läufigen Rechtsdeductionen, fie zur Strafe wegen fo unerhörter 
Bergehungen aller Anfprüche auf die Verlaſſenſchaft des_edlen 
Vaters, den ihre Schande ins Grab geftürzt, für verluftig zu 
erklären. Nun waren die Richter zu Baſel zwar weit entfernt, 
diefem Antrag, der ohmehin gar nicht vor ihr Forum gehörte, 
zu willfahren; da inzwijchen der Graf Jacob beim Empfang 
dieſer Nachricht von jeiner Theilnahme an dem Schidjal Fitte- 


439 


garden die unzweidentigften und eniſcheidendſten mel gab, 
und heimlich, wie man Hat Reiter ausfchidte, um fie auf- 

uſuchen und ihr einen Aufenthalt auf feiner Burg anzubieten, 
” feßte das Gericht in die Wahrhaftigkeit feiner Ausfage keinen 


Zweifel mehr und beſchloß, die Klage, die wegen Ermordung 
The — über ihm ſchwebte, fofort aufzuheben. Ja, dieſe 
eilna 


me, die ex der Unglüdlichen in diefem Augenblid der 
Noth ſchenkte, wirkte jelbit bh portheilhaft auf die Meinung 
des ın feinem Wohlmwollen für ihn fehr wanfenden Volks; man 
entſchuldigte jegt, was man früherhin ſchwer gemißbilligt hatte, 
Die Preisgebung einer ihm in Liebe ergebenen Frau vor der 
Verachtung aller Welt, und fand, daß ihm unter jo außerordent- 
lichen und ungeheuren Umftänden, da es ihm nichts Geringeres 
als Leben und Ehre galt, Nichts übrig geblieben fei als rüd- 
ſichtsloſe Aufdedung des Abenteuers, das fich in der Nacht des 
heiligen Remigius zugetragen hatte Demnach ward auf aus 
drücklichen Befehl des Kaiters er Graf Yacob der Rothbart 
von Neuem vor Gericht geladen, um feterlich bei offenen Thüren 
von dem Verdacht, zur Ermordung des Herzogs mitgewirkt zu 
haben, freigefprochen zu werden. Eben hatte der Herold unter 
den Hallen des weitläufigen Gerichtsfaals das Schreiben der 
Herren von Breda abgelejen, und das Gericht machte fich be- 
reit, dem Schluß des Kaiſers gemäß, ın Bezug auf den ihm 
zur Seite ftehenden Angeklagten, zu einer fürmlichen Ehren- 
erklärung zu fchreiten, als Herr Friedrich) von Trota vor die 
Schranken trat, und ſich, auf das allgemeine Recht jedes un- 
parteiifchen eher geltust, den Brief auf einen Augenblid 
zur Durchficht ausbat. Man willigte, während die Augen alles 

olks auf ihn gerichtet waren, in feinen Wunfch; aber faum 
hatte Herr Friedrich aus den Händen des Herolds das Schreiben 
erhalten, al3 er e8 nad) einem flüchtig hinein geworfenen Blid 
von oben bis unten zerriß, und die Stüden fammt feinem Hand- 
ſchuh, die er zufammenmwidelte, mit der Erflärung dem ren 
Jacob dem Rothbart ins Gefiht warf, daß er ein fchändlicher 
‚und niederträchtiger VBerläumder, und er entjchlofjen ſei, die 
Schuldloſigkeit Frau Sittegarbend an den revel, den er ihr 
vorgeworfen, auf Tod und Leben vor aller Welt im Gottes- 
urtheil zu beweifen! — Graf Jacob der Rothbart, nachdem er, 
blaß im Geficht, den Handſchuh aufgenommen, fagte: „So ge- 
wiß als Gott gerecht im Urtheil der Waffen entfcheidet, fo 
gewiß werde ich dir die Wahrhaftigkeit defien, was ich, Frau 
Yıttegarden betreffend, nothgedrungen verlautbart, im ehrlichen 
ritterlichen Zweilampf beweilen! Erftattet, edle Herren“, ſprach 
er, indem er fich zu den Richtern wandte, „Laiferlicher Majeftät 
Bericht von dem Ei Ipruc) melchen Herr Friedrich gethan, und 
erjucht fie, uns Stunde und Ort zu beftinnmen, wo wir und mit 


440 


dem Schwert in der Hand zur Entſcheidung biefer Streitode 
gegegnen können!“ Dem gemäß fhidten die Richter unter Auf- 
bebung der GSeffion eine Deputation mit dem Bericht tiber 
diefen Borfall an den Kaiſer ab; und da diefer durch das Auf- 
treten Herrn Friedrichs als VBertheidiger Tittegardend nicht 
wenig in feinem Glauben an die Unfchuld des Grafen irre ge- 
worden war, fo rief er, wie e8 die Ehrengefeße erforderten, 
Frau Fittegarden zur Beimohnung des Zweikampfs nach Bafel, 
und ſetzte zur Auf flärung des fonderbaren Geheimniffes, das 
über diefer Sache fchwebte, den Tag der heiligen Margarethe 
als die Zeit, und den Schloßplag zu Bafel als den Ort an, wo 
Beide, Herr Friedrich von Trota und der Graf Jacob der Roth- 
bart, in Gegenwart Frau Littegardens, einander treffen follten. 
Eben gieng, diefem Schluß gemäß, die Mittagsfonne des 
rargaretbentagß über die Thürme der Stadt Bafel, und eine 
I A enfchenmenge, für welche man Bänke und Ge- 
rüfte zufammengezimmert hatte, war auf dem Schloßplat ver- 
fammelt, als Fin: den dreifachen Ruf des vor dem Altan der 
Kampfrichter ftebenden Herolds Beide, von Kopf zu Fuß in 
Ihimmerndes Erz gerüftet, Herr Friedrich und der Graf Jacob, 
zur Ausfechtung ihrer Sache in die Schranken traten. Faſt die 
anze Ritterfhaft von Schwaben und der Schweiz war auf der 
ampe des im Hintergrund befindlichen Schlofjes gegenwärtig; 
und auf dem Balkon defjelben ſaß, von feinem Hofgefinde unt- 
geben, der Kaiſer felbft nebit feiner Gemahlin und den Prinzen 
und Prinzeffinnen, feinen Söhnen und Töchtern. Kurz vor 
Beginn des Kampfes, während die Richter Licht und Schatten 
wilhen den Kämpfern theilten, traten Frau geilen und ihre 
eiden Töchter Bertha und Kunigunde, welche Yittegarden nach 
Bafel begleitet hatten, noch ein Dial an die Pforten des Platzes 
und baten die Wächter, die dafelbft fanden, um die Erlaubniß, 
eintreten und mit Frau Littegarden, welche, einem uralten Ge- 
brauch gemäß, auf einem Gerüft innerhalb der Schranten faß, 
ein Wort Sprechen zu dürfen. Denn obſchon der Lebenswandel 
diefer Dame die vollkommenſte Achtung und ein ganz unein- 
geichränktes Bertrauen in die Wahrhaftigkeit ihrer Berfiche- 
rungen zu erfordern fchien, jo ftürzte Doc) der Ring, den der 
Graf Jacob aufzuweiſen hatte, und noch mehr der Umftand, 
daß Tittegarde ihre Kammerzofe, die Einzige, die ihr hätte zum _ 
eugniß dienen Fünnen, in der Nacht des heiligen Remigius 
eurlaubt hatte, ihre Gemüther in die lebhaftefte Beforgniß; fie 
beſchloſſen, die Sicherheit des Bewußtſeins, das der Ange- 
Hagten inwohnte, im Drang dieſes entjcheidenden Augenblids 
nod ein Mal zu prüfen, und ihr die Vergeblichkeit, ja Gottes⸗ 
läfterlichkeit des Unternehmens, ſoge wirklich eine Schuld ihre 
Seele drückte, aus einander zu ſetzen, ſich durch den heiligen 





441 


Ausfpruch der Waffen, der die Wahrheit unfehlbar ans Licht 
bringen würde, davon reinigen zu wollen. Und in der That 
hatte Littegarde alle Urfache, den Schritt, den Herr Friedrich 
jegt für ſie that, wohl zu überlegen: der Scheiterhaufen wartete 
ihrer fowohl als ihres Freundes” des Nitter8 von Trota, falls 
Gott fih im eifernen Urtbeil ia für ion, fondern für den 
Grafen Jacob den Rothbart und für die Wahrheit der Ausfage 
entſchied, die derfelbe vor Gericht gegen fie abgeleiftet hatte. 
Frau Littegarde, als fle Herrn Friedrihs Mutter und Schweftern 
an Seite eintreten ſah, jtand mit dem ihr eigenen Ausdrud von 

ürde, der durch den Schmerz, welcher über ihr Wefen ver- 
breitet war, noch rührender ward, von ihrem Seſſel auf und 
fragte fie, indem fle ihnen entgegen he was fie in einem fo 


verbängnißpollen Augenblid zu ihr führe. „Mein liebes Töchter⸗ 


hen“, Iprah Frau Helena, inden fie diefelbe auf die Seite 
führte: „wollt hr einer Mutter, die feinen Troft im öden Alter 
als den Befig ihres Sohnes hat, den Kummer erfparen, ihn an 
feinem Grabe beweinen zu müffen; Euch, ehe noch der Zwei⸗ 
kampf beginnt, reichlich befchenft und ausgeftattet auf einen 
Wagen fegen, und eins von unfern Gütern, das jenjeitS des 
Rheins liegt und Euch anfländig und freundlich empfangen wird, 
von und zum Geſchenk annehmen?“ Littegarde, nachdem fie ihr 
mit einer Bläffe, die ihr Über das Antlitz hod, einen Augen⸗ 
blick ftarr ing Geficht gefehen hatte, bog, jobald fie die Beden- 
tung diefer Worte in ihrem ganzen Umfang verftanden hatte, 
ein Knie vor ihr. „Verehrungswürdigſte und vortreffliche 
Frau!” fpradh fie, „kommt die Beſorgniß, daß Gott fi iu diefer 
enticheidenden Stunde gegen die Unſchuld meiner Bruft erflären 
werde, aus dem Herzen Eures edlen Sohnes?" — „Weßhalb?“ 
fragte Frau Helena. — „Weil ich ihn in diefem Falle beſchwöre, 
das Schwert, das Feine vertrauenspolle Hand führt, lieber nicht 
zu züden, und die Schranken, unter welchem ſchicklichen Bor- 
wand e8 fei, feinem Gegner zu räumen; mich aber, ohne dem 
Gefühl des Mitleids, von dem ich Nichts annehmen Tann, ein 
unzeitiges Gehör zu geben, meinem Schidfal, das ich in Gottes 
Hand ftelle, zu überlaffen!“ — „Nein!“ fagte Fran Helena ver- 
wirrt, „mein Sohn weiß von Nichts! ES würde ihm, der vor 
Gericht fein Wort gegeben hat, Eure Sache zu verfechten, wenig 
anftehen, Euch jet, da die Stunde der Entſcheidung jchlägt, 
einen folchen Antrag zu machen. Im feften Glauben an Eure 
Unſchuld fleht er, wie Ihr ſeht, bereitszum Kampf gerüftet dem 
Grafen, Eurem Gegner, gegenüber; es war ein Borfchlag, den 
wir und, meine Töchter und ıch, in der Bedrängniß des Augen- 
blicks je Berüdfichtigung aller Vortheile und Vermeidung 
alles Unglüds ausgedacht haben.” — „Nun“, fagte Frau 
Littegarde, indem fle die Hand der alten Dame unter einem 


412 


heißen Kuß mit ihren Thränen befenchtete: „fo laßt ihn fein 
Wort löfen! Keine Schuld befledt mein Gewiſſen; und gienge 
er ohne Helm und Harnijch in den Kampf, Gott und alle feine 
Engel beſchirmen ihn!“ Und damit fland fie von Boden auf 
und führte Frau Helena und ihre Töchter auf einige, innerhalb 
des Gerüſtes befindliche Site, Die —* dem mit rothem Tuch 
ee een Gefjel, auf dem fie fich felbft niederließ, aufge- 
ellt waren. 

Hierauf blies der Herold auf den Wink des Kaifers zum 
Kampf, und beide Ritter, Schild und Schwert in der Hand 
giengen auf einander los. Herr Friedrich verwundete glei 
auf den erften Hieb den Grafen; er verlegte ihn mit der Spige 
feines nicht eben langen Schwertes da, wo zwiſchen Arm und 

and die Gelenfe der Rüftung in einander griffen; aber der 

traf, der, durch die Empfindung gefchredt, zurüdiprang und 
die Wunde unterjuchte, fand, daß, objchon das Blut heftig floß, 
Doch nur die Haut obenhin geist war; dergeftalt, daß er auf 
das Murren der auf der Kampe befindlihen Ritter über die 
Unſchicklichkeit dieſer Aufführung, wieder vordrang, und den 
Kampf mit erneuerten Kräften, einem völlig Gefunden gleich, 
wieder fortjegte. Jetzt mogte zwilchen beiden Kämpfern der 
Streit, wie zwei Sturmmwinde einander begegnen, wie zwei Ge⸗ 
witterwolfen, ihre Blite einander aulendend, ſich —32 und 
ohne ſich zu vermiſchen, unter dem Gekrach häufiger Donner 
gethlrmt um einander herumjchweben. Herr Friedrich ftand, 

hild und Schwert vorftredend, auf dem Boden, als ob er 
darin Wurzel fajfen wollte, da; bis an die Sporen grub er ſich, 
bis an die Knöchel und Waden in das von feinem BPflafter 
befreite, abfichtlic) aufgeloderte Erdreich ein, die tückiſchen Stöße 
des Grafen, der Hein und bebend gleichfam von allen Seiten 
zugleich angriff, von feiner Bruft und feinem Haupt abwehrend. 
Schon hatte der Kampf, die Augenblicke der Ruhe, zu welcher 
Entathmung beide Parteien zwang, mitgerechnet, faft eine 
Stunde gedauert, als fi von Neuem ein Murren unter den auf 
dem Gerüft befindlichen Zufchauern erhob. Es fchien, e8 galt 
dießmal nicht den Grafen Jacob, der e8 an Eifer, den Kampf 
a Ende zu bringen, nicht fehlen ließ, fondern Heren Friedrichs 

inpfählung auf einem und demfelben led, und feine feltfame, 
dem Anſchein nach fait eingejchüchterte, wenigftens ftarrfinnige 
Enthaltung alles eignen Angriffs. Herr Friedrich, obſchon fern 
Berfahren auf guten Gründen beruhen mochte, fühlte dennoch 
zu leife, als daß er eö nicht jogleich gegen die Forderung Derer, 
die in dieſem Yugenblid über Feine hre entichieden, hätte auf» 
opfern ſollen; er trat mit einem muthigen Schritt aus dem ſich 
von Anfang herein gewählten Standpunkt, und der Art natür« 
Iicher Berfhanzung, die fih um feinen Fußtritt gebildet hatte, 








443 


hervor, über das Haupt feines Öegnerß, deflen Kräfte Fr zu 
finten anfiengen, mehrere derbe und ungeichwächte Streiche, die 
derjelbe jedoch unter gefchidten Seitenbeivegungen mit feinem 
Schild aufzufangen mußte, danieder ſchmetiernd. Aber fchon 
in den erften Momenten diefes dergeftalt veränderten Kampfs 
hatte Herr Friedrich ein Unglüd, das die Anweſenheit höherer 
über dem Kampf waltender Mächte nicht eben anzubeuten ſchien; 
er ſtürzte, den Fußtritt in ſeinen Sporen verwickelnd, ſtolpernd 
abwärts, und während er unter der Laſt des Helms und des 
garnijcheß, die feine oberen Theile bejchmerten, mit in den 
taub borgeftüihter Hand in die Kuiee ſank, ftieß ihm Graf 
Jacob der Rothbart, nicht eben auf die edelmüthigſte und ritter- 
lichſte Weife, das Schwert in die dadurch bloßgegebene Seite. 
ger Friedrich) Iprang mit einen Laut des augenblidlichen 
hmerzes von der Erde empor. Er drüdte fich zwar den Helm 
in die Augen, und madte, das Antlitz raſch Seinem Gegner 
wieder zumendend, Anftalten, den Kampf fortzufeßen, aber 
während er ſich mit vor Schmerz frunımgebeugtem Leibe auf 
feinen Degen ftüßte und Dunkelheit feine Augen umfloß, ftieß 
ihm der Graf feinen Flammberg noch zwei Mal, dicht unter dem 
erzen in die Bruſt; worauf er, von feiner Rüftung umraffelt, 
u Boden fehmetterte und Schwert und Schild neben ſich nieder- 
I len ließ. Der Graf jeßte ihm, nachdem er die Waffen itber 
die Seite gefchleudert, unter einem dreifachen Tufch der Trom- 
peten den Sub auf die Bruft; und inzwifchen alle Zujchauer, der 
Kaifer jelbft an der Spike, unter dumpfen Ausrufungen des 
Schreckens und Mitleidens von ihren Sigen aufftanden, ftürzte 
fih Frau Helena, im Gefolge ihrer beiden Töchter, über ihren 
thenern, fich in Staub und Blut wälzenden Sohn. „O mein 
Friedrich!“ rief fie, an feinem Haupt jgammernd niederfnieend; 
während Frau Yittegarde ohnmächtig und befinnungslos durch 
wer Häfcher von dem Boden des Geriftes, auf welchen fie 
Derabgefunten war, aufgehoben und in ein Gefängniß getragen 
ward. „Und o die Berruchte“, feute fie hinzu, „die Verworfene, 
die, das Bewußtſein der Schuld im Bufen, hierher zu treten 
und den Arm des treuften und edelmüthigften Freundes zu be- 
wafinen wagt, um ihr ein Gottesurtheil in einem ungerechten 
Zmeitampf zu erftreiten!“ Und damit hob fie den geliebten 
ohn, inzwischen die Töchter ihn von feinem Harnifch befreiten, 
wehllagend vom Boden auf, und juchte ihn das Blut, das aus 
feiner edlen Bruft vordrang, zu ftilen. Aber Häfcher traten 
auf Befehl des Kaifers herbei, die auch ihn als einen dem Ge- 
es Berfallenen in Verwahrſam nahmen: man legte ihn unter 
eihiilfe einiger Aerzte auf eine Bahre und trug ihn unter der 
Begleitung einer großen Volksmenge gleichfalls ın ein Ge- 
fängniß, wohin Frau Helena jedoch und ihre Züchter die Er- 


444 


laubniß befamen ihm bis an feinen Tod, an dem Niemand 
zweifelte, folgen zu dürfen. 

8 deigte fih aber gar bald, daß Herrn Friedrichs Wun- 
den, fo lebensgefährlihe und zarte Theile fie auch berührten, 
durch eine befondere Sägung des Himmels nicht tödtlich waren; 
vielmehr konnten die Aerzte, die man ihm zugeorönet hatte, 
De ivenige Tage darauf die beftimmte Berfiherung an die 

amilie geben, daß er am Leben erhalten werden würde, ja daß 
er bei der Stärfe feiner Natur binnen wenigen Wochen, ohne 
irgend eine Berftümmelung an feinem Körper zu erleiden, wie- 
der hergeftellt fein würde. Sobald ihm feine Befinnung, deren 
ihn der Schmerz während langer Zeit beraubte, wiederkehrte, 
war feine an die Mutter gerichtete Frage unaufbörlih, was 
Frau Littegarde mad. Er konnte ſich der Thränen nicht ent» 
halten, wenn er fich diefelbe in der Dede des Gefängniſſes der 
entjeglichften Berzweiflung zum Raube hingegeben dachte, und 
—* die Schweſtern, indem er ihnen liebkoſend das Kinn 
eichelte, auf, fie zu beſuchen und fie zu tröſten. Frau gs 
über diefe Yeußerung betroffen, bat ihn, Ye Schändlide und 
Niederträchtige zu vergeflen ; fie meinte, daß das Verbrechen, 
deſſen der Graf Jacob vor Gericht Crmähnung gethan und dag 
nun durch den Ausgang des Zweikampfs ans ZLageslicht gekom⸗ 
men, verziehen werden Fönne, nicht aber die en 
und Frechheit, mit dem Bemwußtfein diefer Schuld, ohne Rück⸗ 
icht auf den edelften Freund, den fle Dadurd ind Verderben 
ürze, das geheiligte Urtheil Gottes gleich einer Unfchuldigen 
ür N aufzurufen. „Ach meine Mutter“, ſprach der Kämmerer, 
„mo ift der Sterblide, und wäre die Weisheit aller Zeiten fein, 
der e8 wagen darf, den geheimnißvollen Spruch, den Gott in 
biefem Bmeilampf gethan hat, auszulegen!“ „Wie?“ rief Frau 
% ena: „blieb der Sinn diejes göttlichen Spruchs dir duntel ? 
aft du nicht auf eine nur leider zu beftimmte und unzmweideutige 
Weiſe den Schwert deines Gegners im Kampf unterlegen ?* — 
„Sei es!“ verfegte Herr Friedrich: „auf einen Augenblid unter- 
cag ic ihm. Aber ward ich durch den Grafen fibermunden? 
Leb ich nicht? Blühe ich nicht wie unter dem Hauch des Himmels 
wunderbar wieder empor, vielleicht in wentg Tagen ſchon mit 
der Kraft doppelt und beeifach auögerüftet, den Kampf, in dem 
ich durch einen nichtigen Zufall geftört ward, von Neuem wieder 
aufzunehmen?" — „Zhörichter Menſch!“ vief die Mutter. „Und 
weißt du nicht, daß ein Gefeß befteht, nad) welchem ein Kampf, 
der einmal nad) dem Ausſpruch der Fampfrichter abgejchloffen 
ift, nicht wieder zur Ausfechtung derjelben Sache vor den 
Schranken des göttlichen Gerichts aufgenommen werden darf?“ 
— „Gleichviel!“ verjegte der Kämmerer unwillig. „Was küm⸗ 
mern mich diefe willfürlichen Gefege der Menſchen? Kann ein 








445 . 


depeh⸗ der nicht bis an den Tod eines der beiden Kämpfer 
pt eführt worden ift, nach jeder vernünftigen Schäßung der 
erbältniffe für abgeſchloſſen gehalten werden? und dürfte ich 
nicht, falls mir ihn wieder aufzunehmen geftattet wäre, hoffen, 
den Unfall, der mid) betroffen, wieder berzuftellen, und mir mit 
dem Schwert einen ganz andern Spruch Gottes zu erfämpfen, 
als den, der jet befchränfter und kurzfichtiger Weife dafür an- 
enommen wird?“ „Gleichwohl“, entgegnete die Mutter bedenk⸗ 
ich, „find diefe Gefee, um welche du dich nicht zu befümmern 
vorgiebft, die waltenden und herrichenden; fie üben, verftändig 
oder nicht, die Kraft göttlicher Saßungen aus, und überliefern 
did und fie, wie ein verabſcheuungswitrdiges Frevelpaar, der 
anzen Strenge der peinlichen Gerichtsbarkeit.“ — „Ach“, rief 
Ser Friedrich, „das eben iſt e8, was mich Jammervollen in 
erzweiflung ftürzt! Der Stab ift, einer Ueberwieſenen gleich, 
über fie gebrochen; und ich, der ihre Tugend und Unfchuld vor 
der Welt erweifen wollte, bin es, der dieß Elend über fie 
gebradit; ein heilloſer Fehltritt in die Riemen meiner Sporen, 
urch den Gott mich vielleicht, gang unabhängig von ihrer Sache, 
der Sünden meiner eigenen ruft wegen Sfrafen wollte, giebt 
ar blühenden Glieder der Flamme und ihr Andenken ewiger 
ande Preis!“ — — Bei diefen Worten ftieg ihm die Thräne 
heißen männlichen Schmerzes ins auge; er kehrte fich, indem 
er fein Tuch ergriff, der Wand zu, und Frau Helena und ihre 
Töchter knieten in ſtiller Ruhrung an feinem Bett nieder, und 
miſchten, indem fie feine Hand Füßten, ihre Thränen mit den 
feinigen. Snawiiden war der Thurmmächter mit Speifen fiir 
ihn und die Seinigen in fein Zimmer getreten, und da Herr 
Friedrich ihn fragte, wie fih Frau Littegarde befinde, vernahm 
er in abgerifienen und nadjläffigen Worten deffelben, daß fie 
auf einem Bündel Stroh liege, und nod) feit dem Tage, da fie 
eingefegt worden, fein Wort von ſich gegeben habe. Herr 
Friedrich ward durch diefe Nachricht in die äußerfte Beforgniß 
eftürzt; er trug ihm auf, der Dame zu ihrer Beruhigung zu 
* daß er durch eine jonberbare Schidung des Himmels in 
einer völligen Beſſerung eqriflen jet, und bat ſich von ihr die 
Erlaubniß aus, fie nad) Wiederherftellung feiner Gefundheit mit 
Genehmigung des Schloßvogts einmal in ihrem Gefängniß 
befuchen zu dürfen. Doch die Antwort, die der Thurmmächter 
von ihr nad) mehrmaligem Rütteln derfelben am Arm, da fie 
wie eine Wahnfinnige, ohne zu hören und zu fehen, auf dem 
Stroh lag, empfangen zu haben vorgab, war: Nein, fie wolle, 
fo lange fle auf Erden Bi, feinen Menſchen mehr ſehen; — ja, 
man erfuhr, daß fie noch an demfelben Tage dem Schloßnogt in 
einer eigenbändigen Zujchrift befohlen hatte, Niemanden, mer 
e3 auch fei, den Kämmerer von Trota aber am allerwenigften, 


w 


. 446 


zu ihr zu laſſen; dergeftalt, daß Herr Friedrich, von der hef⸗ 
trgften Bekümmerniß Über ihren Zuftand getrieben, an einen 
Tage, an melden: er feine Kraft beionders lebhaft wiederfehren 
fühlte, mit Erlaubniß des Schloßvogts aufbrach und 10 ihrer 
Berzeihung gewiß, ohne bei ihr angemeldet worden zu fein, im 
Begleitung feiner Mutter und beiden Schweftern nad ihrem 
Zimmer verfigte. Ä 
Aber wer bejchreibt das Entjegen der unglüdlichen Yitte- 
garde, als fie fich bei dem an der Thur entjtehenden Geräuſch, 
mit halb offner Bruft und anfgelöftem Haar, von dem Stroh, 
das ihr untergefchäittet war, erhob und ftatt des Thurmwächters, 
den fie erwartete, den Kämmerer, ihren edlen und vortrefflichen 
Freund, mit mandhen Spuren der ausgeftandenen Reiden, eine 
wenmütbige und rührende Erſcheinung, an Berthas und Kumi- 
undens Arm bei ſich eintreten ſah. „Hinweg!“ rief fle, indem 
te fi) mit dem Ausdrud der Berzwetflung rüdwärts auf die 
eden ihres Lagers zurüdwarf, und die Hände vor ihr Antlig 
drüdte: „wenn dir ein Funken von Mitleid im Bufen glimmt, 
inweg!“ — „Wie, meine theuerfte Littegarde?“ verſetzie Herr 
riedrich. Er ftellte fich ihr, geftügt auf feine Mutter, zur 
Seite, und neigte fi) in unausſprechlicher Rührung tiber fie, 
um ihre Yon zu ergreifen. „Hinweg!“ rief fie, mehrere Schritt 
weit auf Knieen vor ihm auf dem Stroh zurfidbebend: „wenn 
ih nicht wahnfinnig werden ſoll, fo berühre mich nicht! Du bift 
mir ein Gräuel; loderndes Feuer ift mir minder fehredfich al$ 
du!" — „Ich dir ein Gräuel?“ verfegte Herr Friedrich betroffen. 
„Womit, meine edelmiüthige Tittegarde, hat dein Friedrich dieſen 
Empfan verdient ?* — Dei diefen Worten fegte ihm Kunigunde 
auf den Win? der Mutter einen Stuhl hin, und Iud ihn, Schwach 
wie er war, ein, fich darauf zu ſetzen. „O Jeſus!“ rief „Jene, 
indem fie fich in derentjeglichiten Angft das Antlig ganz auf den 
Boden geftredt, wor ihm niederwarf: „räume das Zimmer, mein 
Geliebter, und verlaß mich! Ich umfaffe in heißer Inbrunft 
Deine Kniee, ich wafche deine Füße mit meinen Thränen, id) 
flehe dich, wie ein Wurm vor dir im Staube gefrünmt, um die 
einzige Erbarmung an: räume, mein Herr und Gebieter, räume 
mir das Zimmer, räume es ee ur und verlaß mi!“ — 
— Herr Friedrich ftand durch und durch erjchüttert vor ihr da. 
„Iſt dir mein Anblid ſo unerfreulich, Tittegarde ?* fragte er, in- 
dem er ernft auf fie niederſchaute. „Entſetzlich, A— 
vernichtend!“ antwortete Littegarde, ihr Geſicht mit verzweif⸗ 
lungspoll vorgeſtützten Händen ganz zwiſchen die Sohlen Seiner 
Füße bergend. „Die Hölle, mit allen Schauern und Schred- 
niffen, iſt jüßer mir und anzufchauen lieblicher, als der Früh— 
ling deines mir in Huld und Liebe zugelehrten Angefichts!" — 
„Gott im Himmel!“ rief der Kämmerer: „was fol ich von dieſer 

















447 


Zerknirſchung deiner Seele denken? ſprach das Gottesurtheil, 
Unglüdliche, die Wahrheit, umd bift du des Verbrechens, deſſen 
dich der Graf por Gericht geziehen bat, bift dur deſſen fchuldig ?* 
— „Schuldig, überwiejen, verworfen, in Zeitlichfeit und Ewig- 
feit verdammt und verurtheilt!“ rief Littegarde, indem fte fich 
ben Bufen wie eine Raſende zerfchlug: „Gott ift wahrhaftig und 
untritglih; geh, meine Sinne reißen und meine Kraft bricht. 
Laß mich mit meinem Sammer und meiner Verzweiflung allein!“ 
— Bei diefen Worten fiel Herr Friedrich in Ohnmacht; und 
während Littegarde fich mit einem Schleier das Haupt verhüllte, 
und fi), wie in gänglicher Kerabichtebun von der Welt, auf 
ihr Lager zurüdlegte, ftürzten Bertha und Kunigunde jammernd 
über idrem entjeelten Bruder, um ihn wieder ins Leben zurüd- 
zurufen. „O fei verflucht!" rief Frau Helena, da der Kämmerer 
wieder die Augen aufſchlug: „verflucht zu ewiger Reue dieſſeits 
des Grabes, und jenfeit3 defjelben zu ewiger Berdammniß: 
nit wegen der Schuld, die du jegt einigeftehtt, ondern wegen 
der Unbarmherzigkeit und Unmenschlichkeit, fie eher nicht, als 
bi8 du meinen — Sohn mit dir ins Verderben herab⸗ 
exiſſen, einzugeſtehn! Ich Thörin!“ fuhr fie fort, indem ſie 
ch verachtungsvoll von ihr abwandte, „hätte id) doch einem 
ort, da8 mir noch kurz vor Eröffnung des Gottesgerichts der 
Brior des hiefigen Augnftinerflofters anvertraut, bei dem der 
Graf in frommer Vorbereitung zu der entfcheidenden Stunde, 
die ihm bevorftand, zur Beichte geweſen, Glauben gejchentt! 
Ihm bat er auf die heilige golie die Da haftigteit der An- 
abe, die er por Gericht in Bezug auf die Elende niedergelegt, 
ſchworen; die Gartenpforte hat er ihm bezeichnet, an welcher 
fie ihn, der Verabredung gemäß, beim Einbruch der Nacht er- 
wartet und empfangen, das Zimmer ihm, ein Seitengemadh 
des unbewohnten © toktburmö, befehrieben, worin fie Hr von 
den Wächtern unbemerkt, eingeführt, das Yager, von Polftern 
beguen: und präcdtig unter einem ——A— aufgeſtapelt, 
worauf ſie ſich in — — Schwelgerei heimlich mit ihm ge- 
bettet! Ein Eidſchwur in einer — Stunde gethan, enthält 
feine Lüge; und hätte ich Berblendete meinem Sohn auch nur 
noch in dem Augenblid des ausbrehenden Zweifampfs eine An⸗ 
zeige davon gemacht: jo würde id) ihm die Augen geöffnet haben, 
und er vor dem Abgrund, an welchem er ftand, zurüdgebebt 
Li — Aber komm!“ vief Frau Helena, indem fie Herrn 
riedrich fanft unchloß und ihm einen Kuß auf die Stirne 
drückte: „Entrüftung, die fie der Worte würdigt, ehrt fie; un- 
fern Rüden mag fie erfchaun, und vernichtet durch die Vor⸗ 
würfe, womit wir ſie verjhonen, verzweifeln!“ — „Der Elende!“ 
verſetzte Fittegarde, indem fie fich, gereizt durch dieſe Worte, 
emporrichtete. Sie ftügte ihr Haupt ſchmerzvoll auf ihre Kniee, 


448 


und indem fie heiße Thränen auf ihr Tuch niedermeinte, Iprad) 
fie: „Sch erinnere mich, daß meine Brüder und ich drei Tage 
por jener Nacht des heiligen Remigius auf feinem Sciofe 
waren; er hatte, wie er oft zu thun pflegte, ein Felt mir zu Ehren 
veranftaltet, und mein Bater, der den Reiz meiner aufblühen- 
den Jugend gern gefeiert fah, mich bewogen, die Einladung in 
Begleitung meiner Brüder anzunehmen. Spät nad) Beenbi- 
gung des Lanzes, da ich mein Salafgimmer befteige, finde ich 
einen Zettel auf meinem Tiſch liegen, der von unbefannter Hand 
gefchrieben und ohne Namensunterfchrift eine förmliche Liebes⸗ 
erklärung enthielt. Es traf fich, daß meine beiden Brüder gerade 
wegen Verabredung unferer Abreife, die auf den kommenden 
— jeftgefent war, in dem Zimmer gegenwärtig waren; und da 
ic) feine Art des Geheimniſſes vor ihnen zu haben gewohnt var, 
o geigte ich ihnen, von ſprachloſem Erftaunen ergriffen, den 
onderbaren Fund, den ich fo eben gemacht hatte. Diele, welche 
ogleich des Grafen Hand erkannten, [häumten vor Wuth, und 
der Meltere war willens, fih augenblid8 mit dem Papier in fein 
Gemach zu verfiigen; doch der Singer ftellte ihm vor, wie be- 
denflich dieſer Aritt jei, da der Graf die Klugheit gehabt, den 
Zettel nicht zu unterfchreiben; worauf Beide in der tiefſten Ent- 
würdi ung, Aber eine fo beleidigende Aufführung ſich noch in 
derfelben Nacht mit mir in den Wagen fetten, und mit dem 
Entſchluß, feine Burg nie wieder mit ihrer Gegenwart zu 
beehren, auf das Schloß ihres Vaters zurüdfehrten. Dieß ıfl 
die einzige Gemeinschaft”, ſetzte fie Hinzu, „die ich jemals mit 
diefem Nichtswürdigen und Niederträchtigen gehabt!" — „Wie?“ 
Bagte der Kämmerer, indem er ihr jein thränenvolles Seficht 
ulehrte, „diefe Worte waren Mufit meinem Ohr! — Wieder- 
hate fte mir!” ſprach er nach einer Paufe, indem er fich auf 
nieen vor ihr niederließ und feine Hände faltete: „haft dur mich 
um jene Elenden willen nicht verratben, und bift du rein von 
der Schuld, deren ex dich vor Gericht geziehen?“ — „Lieber!“ 
flüfterte Xittegarde, indem fie feine Hand an ihre Lippen drüdte — 
— „Bit dus?“ rief der Kämmerer: „bift dus?“ — „Wie die 
Deu eines neugebornen Kindes, wie das Gewiſſen eines aus 
der Beichte fommenden Menfchen, wie die Leiche einer in der 
Safriftei unter der Einfleidung verfchiedenen Nonne!“ — „DO 
Gott der Allmächtige!“ rief Herr Friedrich, ihre Kniee um- 
faffend, „babe Dank! Deine Worte geben mir das Leben wieder ; 
der Tod fchredt mich nicht mehr, und die Ewigfeit, jo eben noch 
wie ein Meer unabfehbaren Elends vor mir ausgebreitet, geht 
wieder wie ein Reich vol taufend glänziger Sonnen vor mir 
auf!“ — „Du Unglüdlicher“, fagte Littegarde, indem fie fi 
zurückzog: „wie kannſt du dem, was dır mein Mund jagt 
Slauben ſchenken?“ — „Warum nicht?" fragte Herr Friedrich 


449 


glühend. — „Wahnſinniger! Rajender!“ rief Littegarde; „hat 
a8 geheiligte Urtheil Gottes nicht gegen mich lieben — 
Haſt du dem Grafen nicht in jenem verhängnißgvollen Zweikampf 
unterlegen, und er nicht die Wahrhaftigkeit Deilen, was er vor 
Gericht gegen mich angebracht, ausgekämpft?“ — „O meine 
theuerfte Tittegarde“, rief der Kämmerer: „bewahre deine Sinne 
por Verzweiflung! thürme das Gefühl, das in deiner Bruft 
lebt, wie einen Felſen empor, halte dich daran und wanke nicht, 
und wenn Erd und Himmel unter dir und über dir zu Grunde 
tiengen! Laß uns von zwei Gedanken, die die Sinne vermirren, 
den perjtändlicheren und begreiflicheren denken, und ebe du dich 
[rare glaubft, lieber glauben, daB ich in dem Zweikampf, den 
ich für dich gefochten, ſiegte! — Gott, Herr meines Lebens“, 
ſetzte er in dieſem Augenblick hinzu, indem er ſeine Hände vor 
ein Antlitz legte, „bewahre meine Seele ſelbſt vor Verwirrung! 
ch meine, fo wahr ich jelig werden will, vom Schwert meines 
eguers nicht überwunden worden zu fein, da ich ſchon unter 
den Staub feines Fußtritts hingemorfen, wieder ind Dafein er- 
Kanben bin. Wo liegt die Verpflichtung der pöhften götttinen 
eisheit, die Wahrheit im Augenblid der glaubenspollen An- 
rufung felbft anzuzeigen und auszufprehen? O Yittegarde“, 
beichloß er, indem er ihre pand zwijchen bie feinigen drüdte: 
„im Leben laß uns auf den Tod, und im Tode auf die Ewigkeit 
hinaus ſehen, und des feſten unerfchütterlichen Glaubens Fein, 
deine Unjchuld wird, und wird durch den Zweikampf, ben ich 
für dich gefochten, zum geitern hellen Licht der Sonne gebradjt 
werden!” — Bei diefen Worten trat der Schloßvogt ein, und da 
er Frau Helena, melche weinend an einem Tiſch faß, erinnerte, 
daß fo viele Gemüthsbewegungen ihrem Sohne ſchädlich werden 
könnten: fo kehrte Herr Friedrich auf das Zureden der Seinigen, 
nicht ohne das Bewußtjein, einigen Troſt gegeben und empfangen 
zu haben, wieder in fein Gefängniß gueid 
Inzwifhen war vor dem zu oje von dem Kaifer ein- 
gefetten Tribunal gegen Herrn Friedrich von Trota ſowohl, als 
eine Freundin, Frau Littegarde von Auerftein, die Klage wegen 
jündhaft angerufenen göttlichen Schiedsurtheils eingeleitet, und 
Beide, dem beſtehenden Gejet gemäß, verurtheilt worden, auf 
dem Plag des Zweikampfs jelbft den fchmählihen Tod der 
Flammen zu erleiden. Man fchicte eine Deputation von Räthen 
ab, um es den Gefangenen anzukündigen, und das Urtheil 
würde auch gleich nad Tiederkerftellung des Kämmerer an 
ihnen vollftredt worden fein, wenn e8 des Kaiſers geheime Ab- 
ſicht nicht gewefen wäre, den Grafen Jacob den Hotbbart, gegen 
den er eine Art von Mißtrauen nicht unterdrüden konnte, dabei 
egenwärtig zu jehen. Aber diefer lag auf eine in der That 
} onderbare und merkwürdige Weiſe an der Heinen, dem Anfchein 
Bibl. d. d. Nationalliteratur. Kleift. IT. 29 


450 


nach unbedeutenden Wunde, die er zu Anfang des Zmweilampfs 
vor Herrn Friedrich erhalten hatte, noch immer frank; ein äußerft 
verderbter —2* einer Säfte verhinderte von Tage zu Tage 
and von Woche zu Woche die Deilung berfelben, und die ganze 
Kunft der Aerzte, die man nah und nad) aus Schwaben und 
der Schweiz herbeirief, vermochte nicht, fie zu ſchließen. Ja, ein 
ügender, der ganzen damaligen deiltunſ unbekannter Eiter fraß 
auf eine krebsartige Weiſe his auf den Knochen herab im ganzen 
Syſtem ſeiner Hand um ſich, dergeſtalt, daß man zum Entſetzen 
aller ſeiner Freunde genöthigt geweſen war, ihm die ganze er 
rn Hand und fpäterhin, da aud) er em Eiterfraß kein 
tel geſetzt ward, den Arm felbft abzunehmen. Aber auch dieß 
als eine Radicalcur gepriefene Heilmittel vergrößerte nur, wie 
man heut zu Tage lercht eingefehen haben würde, ftatt ihm ab- 
zubelfen, das Uebel; und die Aerzte, da N fein ganzer Körper 
nach und nach in Eiterung und Füulniß auflöfte, erklärten, daß 
Beine Rettung für ihn fei, und er noch vor Abſchluß der laufenden 
Woche fterben müſſe. Dergebend forderte ihn der Prior des 
Auguftinerflofters, der in diefer unerwarteten Wendung, der 
Dinge die furchtbare Hand Gottes zu erbliden glaubte, auf, in 
Degug auf den zwischen ihm und der Herzogin Regentin beftehen- 
den Streit die Wahrheit einzugeftehen; der Graf nah, durch 
und durch erſchüttert, nody Einmal das heilige Sakrament auf 
die it einer Ausfage, und gab unter allen Zeichen 
ber entjeglichften Angft, falls er Frau Littegarden verläum- 
berifcher Weite angellagt hätte, feine Seele der ewigen Ber- 
dammıniß Preis. Nun hatte man, trog der Sittenlofigfeit feines 
Lebenswandels, doppelte Gründe, an die innerlicge Redlichkeit 
biefer Berfiherung zu glauben ; einmal, weil der Kranfe in der 
That von einer gewiffen Frömmigfeit mar, die einen faljchen 
Eidſchwur, in foldem Augenblid gethan, nicht zu geftatten 
Inien, und dann, weil 1 aus einem VBerhör, das über den 
urmmwächter des Schloffes derer von Breda angeftellt worden 
war, welchen er behufs eines heimlichen Eintritt3 in die Burg 
beftochen zu haben vorgegeben hatte, beftinnmt ergab, daß die- 
Mn Umftand gegründet, und der Graf wirklich in der Nacht bes 
eiligen Remigius im Innern des Breda’fchen Schloffes geweſen 
war. Demnad blieb dem Prior faft Nichts übrig, als an eine 
Täuſchung des Grafen felbit durch eine dritte ihm unbekannte 
Perfon zu glauben; und noch hatte der Unglüdliche, der bei der 
Nachricht von der wunderbaren Wiederherftellung des Kämmerers 
Ietpft auf diefen Ichredlichen Gedanken geriet), das Ende feineß 
ebens nicht erreicht, als fich diefer Glaͤube ſchon zu feiner Ber- 
en polllommen beftätigte. Man muß nämlich wiflen, daß 
er Graf fchon lange, ehe feine Begierde j# auf Frau Litte⸗ 
garden ftellte, mit Rofalien, ihrer Kammerzofe, auf einem nichts- 








451 


würdigen Fuß lebte; faft bei jedem Beſuch, den ihre Herrichaft 
auf feinem Schloſſe abftattete, pflegte er dieß Mädchen, welches 
ein leichtfertiges und fittenlofes Geſchöpf war, zur Nachtzeit auf 
lin Zimmer zu ziehen. Da nun Tittegarde bei dem letzten 

ufenthalt, den fe mit ihren Brüdern auf feiner Burg nahm, 
jenen zärtlichen Brief, worin er ihr feine Leidenſchaft erklärte, 
von ihm empfieng, jo ermwedte dieß die Empfindlichkeit und 
Eiferfucht diefes jeit mehreren Monden ſchon von ihm bernad- 
läſſigten Mädchens; fie ließ bei der bald darauf erfolgten Ab- 
reife Littegardend, welche fie begleiten mußte, im Namen der- 
felben einen Zettel an den Grafen zurück, worin fie ihm meldete, 
dag die Entrüftung ihrer Brüder über den Schritt, den er ge- 
than, ihr zwar feine unmittelbare Zufammenfunft geftattete; 
ihn aber einlud, fie zu diefem Zwed in der Nacht des heiligen 

emigius in den Gemächern ihrer väterlichen Burg zu beſuchen. 
Jener, voll Freude über das Glüd feiner Unternehmung, fer- 
tigte fogleich einen zweiten Brief an Tittegarden ab, worin er 
ihr feine bejtimmte Ankunft in der befagten Nacht meldete und 
fie nur bat, ihm zur DBermeidung aller Irrung einen treuen 
Fe der ihn nad ihren Zimmern geleiten fünne, entgegen 
zu jchiden; und da die Hofe, in jeder Art der Ränke geübt, auf 
eine jolche Anzeige rechnete, fo glüdte es ihr, dieß Schreiben 
aufzufangen und ihm in einer zweiten falfchen Antwort zu jagen, 
daß fie ihn ſelbſt an der Gartenpforte erwarten würde, Darauf 
am Abend vor der verabredeten Nacht bat fie fich unter dent 
Vorwand, daß ihre Schweiter frank fei und daß fie diefelbe 
befuchen wolle, von Littegarden einen Urlaub auf3 Land aus; 
fie verließ auch, da fie dentelben erhielt, wirklich jpät am Nach— 
mittag mit einem Bündel Wäſche, den fie unter dem Arm trug, 
das Schloß, und begab fi vor Aller Augen nad) der Gegend, 
wo jene Frau wohnte, auf den Weg. Statt aber dieſe Reife zu 
vollenden, fand fie fich bet Einbrud, der Nacht unter dem Vor⸗ 
geben, daß ein Gewitter heranziehe, wieder auf der Burg ein 
und mittelte fh, um ihre Herrfchaft, wie fie fagte, nicht zu 
Rüren, indem es ihre Abficht fei, in der Frühe des kommenden 

orgens ihre Wanderung anzutreten, ein Nachtlager in einem 
der leerftehenden Zimmer des verödeten und wenig bejuchten - 
Schloßthurms aus. Der Graf, der fi bei dem Thurmmädhter 
durch Geld den Eingang in die Burg * verſchaffen wußte und 
in der Stunde der Mitternacht, der Verabredung gemäß, von 
einer verſchleierten Perſon an der Gartenpforte empfangen ward, 
ahndete, wie man leicht begreift, Nichts von dem ihm geſpielten 
Betrug; das Mädchen drückte ihm flüchtig einen auf den 
Mund und führte ihn über mehrere Treppen und Gänge des 
verödeten Seitenflügels in eines der prächtigſten Gemächer des 
Schloſſes ſelbſt, deifen denfter vorher forgjam bon „Ihr ver⸗ 
2 


452 


Ichloffen worden waren. Hier, nachdem fie, feine Hand haltend, 
auf geheimnißvolle Weife an den Thitren umbergehordt, und 
ihm mit flüfternder Stimme unter dem Vorgeben, daß das 
hlafzimmer des Bruders ganz in der Nähe fei, Schweigen 
eboten hatte, ließ fie fich mit ihm auf dem zur Seite ftehenden 
uhebette nieder; der Graf, durch ihre Geftalt und Bildung 
getäufct, ſchwamm im Taumel des Vergnügens, in feinem 
Iter noch eine ſolche Eroberung gemacht zu haben; und als fie 
Im beim erften Dämmerlicht des Morgens entließ und ihm zum 
ndenfen an die verfloffene Nacht einen Ring, den Rittegarde 
von ihrem Gemahl empfangen und den gt ihr am Abend zuvor 
zu dieſem Zweck entwendet hatte, an den Finger ftedte, verſprach 
er ihr, fobald er zu Haufe angelangt fein würde, - zum Gegen- 
geſchenk einen anderen, der iem am Hochzeitstage von feiner 
veritorbenen Gemahlin verehrt worden war. Drei Tage daranf 
hielt er auch Wort, und fehidte diefen Ring, den Foſg ie wieder 
geſchickt genug war aufzufangen, heimlich auf die urg; ließ 
aber, wahricheintich aug Furcht, daß dieß Abenteuer ihn zu 
weit führen könne, weiter Nichts von fi hören, und wich unter 
mancherlei Bormänden einer zweiten Sufammentunft aus. Spä- 
terhin war das Mädchen eines Diebftahl8 wegen, wovon der 
Verdacht mit ziemlicher Gewißheit auf ihr ruhte, verabfchiedet 
und in das Haus ihrer Eltern, welche am Rhein wohnten, zurüd- 
ejchiet worden, und da nad) Verlauf von neun Monaten die 
olgen ihres ausfchmweifenden Lebens fichtbar wurden, und die 
Mutter fie mit großer Strenge verhörte, gab fie den Grafen 
Jacob den Rothbart unter Entdeckung der ganzen geheimen 
Geſchichte, die fie mit ihm Se hatte, als den Vater ihres 
Kindes an. Glücklicherweiſe hatte fie den Ring, der ihr von 
dem Grafen überfendet worden war, aus Furcht, für eine Diebin 
gehalten zu werden, nur jehr Khlihtern zum erfauf ausbieten 
Önnen, auch in der That feines großen Werths wegen Niemand 
gefunden, der ihn zu erfichen Luft gezeigt hätte, dergeftalt, daß 
die Wahrhaftigkeit ihrer Ausſage nicht in Zweifel d% ogen wer⸗ 
den fonnte, und die Eltern, auf dieß augenſchein Zeugniß 
geſtützt, klagbar wegen Unterhaltung des Kindes bei den Gerid)- 
ten gegen den Sraten Jacob einfamen. Die Gerichte, welche 
von dem fonderbaren Rechtöftreit, der in Baſel anhängig gemacht 
worden war, ſchon gehört hatten, beeilten fi, diefe Entdedung, 
die für den Yusgang deijelben von der größten Wichtigfert 
war, zur Kenntniß des Tribunal3 zu bringen; und da eben ein 
Rathsherr in öffentlichen Gefchäften nach diefer Stadt abgteng, 
fo gaben fie ihm zur Auflöſung des fürchterlichen Räthſels ‚ das 
anz Schwaben und die Schweiz beſchäftigte, einen Brief mit 
er gerichtlichen ae des Mädchens, dem fie den Ring bei- 
fügten, für den Grafen Jacob den Rothbart mit. 








11 5021 


Er nu 


453 


Es war eben an dem zur Hinrichtung Herrn Friedrich und 
Littegardens beftimmten Tage, welche der Kaifer, unbekannt mit 
den Zweifeln, Die I in der Bruft des Grafen felbft erhoben 
hatten, nicht mehr auffchieben zu Dürfen glaubte, als der Raths⸗ 
herr zu dem Kranken, der fi in jammervoller Verzweiflung , 
auf feinem Lager wälzte, mit dieſem Schreiben ins Zimmer 
trat. „ES ift genug!” rief diefer, da er den Brief überlefen, 
und den Ring empfangen hatte: „ich bin, das Licht der Sonne 
zu fchauen, müdel Verſchafft mir”, wandte er ſich zum Prior, 
„eine Bahre, und führt mich Elenden, deſſen Kraft zu Staub 
verfintt, auf den Richtplatz hinaus: ich will nicht, ohne eine 
That der Gerechtigkeit verübt zu haben, fterben!” Der Prior, 
durch diefen Vorfall tief ng ließ ihn R leich, wie er be- 
gehrte, durch vier Knechte auf ein Traggeſtell heben ; und ash 
mit einer unermeßlihen Menjchenmenge, welche das Gloden- 
geläut um den Scheiterhaufen, auf welchem Herr Friedrich und 

ittegarde bereits feitgebunden waren, verjammielte, kam er 
mit dem Unglüdlichen, der ein Erucifir in der Hand hielt, da⸗ 
jetbit an. „Halt!“ rief der Prior, indem er die Bahre, dem 

ltan des Kaiſers gegenüber, niederjegen ließ: „bevor Ihr das 
Feuer an jenen Scheiterhaufen legt, vernehnit ein Wort, das 
Euch der Mund diejes Sünders zu eröffnen dat!“ — „Wie?“ 
nie) der Kaifer, indem er fich leihenblaß von feinem Sig er- 
pn „„hat das geheiligte Urtheil Gottes nicht für die Gerechtigkeit 
einer Sache entjchieden, und ift es, nach Dem, mas vorgefallen, 
auch nur zu denken erlaubt, daß Tittegarde an dem Frevel, 
deſſen er de ezieben, unfchuldig ſei?“ — Bei diefen Worten 
ftieg er betroffen vom Altan herab; und mehr denn taufend 
Ritter, denen alles Volk über die Bänfe und Schranken herab 
folgte, drängten fi) um das Pager des Kranken zufammen. 
„Unfhuldig“, verjeßte diefer, indem er ſich, geftügt auf den 
Brior, ie b daran emporrichtete, „mie e8 der Sprud des 
höchſten Gottes an jenem verhängnißvollen Tage vor den Augen 
aller verfammelten Bürger von Baſel entfchieden hat! Denn er, 
von drei Wunden, jede re getroffen, blüht, wie Ihr feht, 
in Kraft und Lebensfülle; indeſſen ein Hieb von feiner ler der 
kaum Die äußerfte Hülle meines Lebens & berühren Ichien, in 
langſam fürdhterlicher Fortwirkung den Kern deflelben jelbit ge- 
troften. und meine Kraft wie der Sturmmwind eine Eiche gefällt 
hat. Uber hier, falls ein Ungläubiger noch Zweifel hegen follte, 
find die Beweiſe: Rofalie, ihre Kammerzofe, war ed, die mich. 
in jener Nacht des heiligen Remigius empfieng, während ich 
Elender in der Berblendung meiner Sinne fie felbft, die meine 
Anträge ftetS mit Deradtung zurüdgewiefen hat, in meinen 
Armen zu halten meinte!” Der Kaifer ftand erftarrt wie zu 


- Stein bei diefen Worten da. Er fchidte, indem er fich nach dem 


454 


Sheiterhaufen umkehrte, einen Ritter ab, mit dem Befehl, 
ſelbſt die Leiter zu befteigen, und den Kämmerer ſowohl als 
die Dame, welche leßtere bereit8 in den Armen Ehe Mutter in 
Ohnmacht lag, ToSzubinden und zu ihm heranzuführen. „Nun, 
. jede8 Haar auf Eurem Haupt bemadt ein Engel!“ rief er, da 
Littegarde mit halb offner Bruft und entfeffelten Haaren an der 
Hand Herrn Friedrichs, ihres Freundes, deſſen Kniee felbft 
unter dem Gefühl diejer wunderbaren Rettung wankten, durch 
den Kreis des in Ehrfurcht und-Erftaunen ausmeichenden Volks 
zu ihm berantrat. Er küßte Beiden, die vor ihm niederfnieeten, 
die Stirn; und nachdem er fich den Hermelin, den feine Ge- 
mahlin trug, erbeten, und ihn Littegarden um die Schultern 
gehängt hatte, nahm er vor den Augen aller verfammelten 
itter ihren Arm, in der Abficht, ſie jeibft in die Gemäder 
feines kaiſerlichen Schloffes zu führen. Er wandte fih, während 
der Kämmerer gleichfalls ftatt des Sünderkleids, das ihn dedte, 
nit Federhut und ritterlihem Mantel gefhmüdt ward, gegen 
den auf der Bahre jammervoll fich mälzenden Grafen zurüd, 
und von einem Gefühl des Mitleivens bewegt, da derfelbe ſich 
doch in den Zweikampf, der ihn zu Grunde gerichtet, nicht eben 
auf frevelhafte und gottesläfterliche Weiſe eingelaffen hatte, 
fragte er den ihm zur Seite ftehenden Arzt, ob feine Rettung 
für den Unglüdlichen ſei — „Vergebens!“ antwortete Jacob 
der Rothbart, indem er fich unter Ihredlihen Budungen auf 
den Schooß feines Arztes fügte, „und ich habe den Tod, den td) 
erleide, verdient. Denn wißt, weil mid) doch der Arm der 
weltlichen Gerechtigkeit nicht mehr ereilen wird, ich bin der 
Mörder meines Bruders, des edeln Herzogs Wilhelm von 
Breiſach; der Böfewicht, der ihn mit dem Pfeil aus meiner 
Nüftkanımer niederwarf, war ſechs Wochen vorher zu biefer 
That, die mir die Krone verfchaffen jollte, von mir gedungen!“ 
— Bei diefer Erklärung fank er auf die Bahre zurüd und 
Aauchte feine fhwarze Seele aus. „Ha, die Ahndung meines 
emahls, des Herzogs felbft!” rief die an der Seite des Kaifers 
ftehende Negentin, bie fich gleichfalls vom Altan des Schlofjes 
herab, im Gefolge der Kaiferin auf den Schloßplag begeben 
atte, mir noch im Augenblid des Todes mit ee en, 
orten, die ich gleichwohl damals nur unvolllommen verjtand, 
fund gethan!“ — Der Kaiſer verfeßte in Onteiiftung: „So fol 
der Arm der Gerechtigkeit noch deine Reiche ereilen! Nehmt ihn“, 
rief er, indem er fi) umfehrte, den Häfchern zu, „und übergebt 
ihn gleich, gerichtet, wie er ift, den Henkern: er möge zur 
Brandmarkung jeines Andenkens auf jenen Sceiterhaufen ver- 
derben, auf welchem wir eben um feinetwillen im Begriff waren 
ämei Unſchuldige zu opfern!“ Und damit, während Die Leiche bes 
lenden in röthlichen Flammen aufpraffelnd von Hauche des 








455 


Nordwindes in alle Lüfte verftreut und verweht ward, fühete er 
ga Littegarden im Gefolge aller feiner Ritter auf das Schloß. 
r ſetzte fie durch einen Faiferlihen Schluß wieder in ihr päter- 
liches Erbe ein, von welchem die Brüder in ihrer unedelmüthigen 
Habſucht ſchon Beſitz genommen hatten; und ſchon nad drei 
Wochen ward auf dem Schloſſe zu Breifach die Hochzeit der 
beiden trefflihen Brautleute gefeiert, bei welcher die Herzogin 
Regentin, über die ganze Wendung, die die Sache genommen 
hatte, jedr erfreut, Tittegarden einen großen Theil der Befitun- 
gen des Grafen, die dem Geſetz verfielen, zum Brautgeſchenk 
machte. Der Kaijer aber hieng Herrn Eriedrin nach der Zrauung 
eine Gnadenkette um den Hals; und fobald er nach Bollendung 
feiner Gejchäfte mit der Schweiz wieder in Wornis angefommen 
war, ließ er in die Statuten des geheiligten göttlichen Z 
kampfs, überall wo vorausgeſetzt wird, daß die Schuld dadurch 
unmittelbar ans Tageslicht komme, die Worte einrüden: „wenn 
es Gottes Wille ijt.“ | 


Anckdote aus dem lebten preußiſchen Kriege. 


In einem bei Jena liegenden Dorf erzählte mir auf einer 
Reife nach Frankfurt der Gaftwirth, daß fich mehrere Stunden 
nad) der Schlacht, um die en da das "Dorf fchon ganz von der 
Armee des Prinzen von Hohenlohe verlaflen und von Franzofen, 
die es für befett gehalten, umringt gewejen wäre, ein einzelner 
preußifcher Reiter darin gezeigt hätte, und en mir, daß, 
wenn alle Soldaten, die an dieſem Tage mitgefochten, jo tapfer 
gewejen wären wie diejer, die Srangolen hätten gejchlagen werden 
müffen, wären fie aud) noch drei Mal ſtärker geweſen, als fie in 
der That waren. Diefer Kerl, ſprach der Wirth, ſpren te, 
ganz von Staub bededt, vor meinen Gafthof und rief: er 
Wirth!“ und da ich fragte: „was giebt8 ?" — „Ein Glas Brannt- 
wein!” antwortet er, indem er fein Schwert in die Scheide it: 
„mich dürſtet!“ — „Gott im Himmel! fag ih, „und will 
machen, Freund, daß Er wegfommt? die Franzofen find ja Dicht 
vor dem Dorf!" — „Ei was!” fpricht er, indem er dem Pferde 
den Zügel über den gie legt: „ich gete den ganzen Tag Nichts 
gene en.“ — „Nun Er ift, glaub id, vom Satan befefen. e, 

ieſe!“ rief ich, und ſchaff' ihm eine Flaſche Danziger herbei und 
fage: „Da!“ und will ihm die ganze Flaſche in die Hand drüden, 
damit er nur reite. „Ach was!“ priht ex, indem er die Flaſche 
wegſtößt und fich den Hut abnimmt: „Wo fol ic) mit dem Quark 
hin ?* Und: „Schent Er ein!“ fpricht er, indem erfich den Schweiß 
von der Stirn abtrodnet, „denn ich habe feine Zeit.“ — „Nun, 
Er ift ein Kind des Todes!“ fageih. „Da!“ fag ich, und ſchenk 
ihm ein: „da! trinf Er und reit Er! Wohl mags ihm befont- 
men!" — „Noch Eins!” fpricht der Kerl, während die Schüfle 
ſchon von allen Seiten ins “Dorf praffeln, Ich fage: „Noch 
eins? plagt ihn —?“ — „Noch eins!“ ſpricht er, und ftredt mir 
das Glas hin: „und gut gemeifen!“ fpricht er, indent er fich den 
Bart wifcht und fich vom Pferde herab ſchneuzt: „denn ed wird 
baar bezahlt.“ — „Ei mein Seel! So wollt id doch, daß Ihr — 
Da!” fage ich, und ſchenk ihm noch, wie er verlangt, ein zwei- 
tes, und ſchenk ihm, da er getrunfen, noch ein drittes ein und 
frage: „Iſt Er nun zufrieden?" — „Ah!“ fchüttelt fich der 
Kerl: „der Schnaps 4 gut! Na!“ fpricht er und fett fi) den 








457 


nt auf: „Was bin ich ſchuldig?“ — „Nichts, Nichts!” verſetz' 
2 „Bad Er fih ins Teufelsnamen! die Franzofen ziehen 
augenblidlidh ing orf!“ — „Na!“ fagt er, indem er in Seinen 
Stiefel greift: Ih I Ihm Gott lohnen!“ Und holt aus dem 
Stiefel einen Pfeifenftummel hervor und fpricht, nachdem er 
den Kopf ausgeblafen: „Schaff Er mir Feuer! — „Feuer ?“ jag’ 
ich: „pla tipn —?* „Feuer, ja!“ jpriht er: „denn ich will mir 
eine Pfeife Tabak anmachen!“ — „Ei, den Kerl reiten Legio- 
nen —! He, Lieſe!“ ruf ic) das Mädchen, und während der Kerl 
ſich die Pfeife ftopft, —X das Menfch ihm Feuer. — „Na!“ 
jagt der Kerl, die Pfeife, die er ſich angeſchmaucht, im Maul: 
„nun follen doch die Yranzojen die Schwerenoth Friegen!“ Und 
damit, indem er fich den Hut in die Augen drückt und zum Zü⸗ 
el greift, wendet er das Pferd und zieht vom Leder. „Ein 
ordkerl!“ fag ich: „ein verfluchter, verwetterter Galgenjtrid! 
Will Er ih ins Henkers Namen fcheeren, mo Er hingehört? Drei 
Ehaflen? — fieht Er nicht? halten ja fchon vor dem Thore!” — 
„Ei was!“ fpricht er, indem er ausfpudt, und faßt die drei Kerls 
bligend ins Auge: „wenn ihrer zehn mären, ich fürcht mid) 
nicht!” Und in dem Augenblid reiten auch die drei Franzojen 
Ken ins Dorf. „Baſſa Manelka!“ ruft der Kerl, und giebt 
einem Pferde die Sporen und fprengt auf fie ein, fprengt, fo 
Sale Gott lebt! auf fie ein und rei fie, als ob er daS ganze 
Ho —F8 Korps hinter ſich hätte, an; dergeſtalt, dat ‚da 
die Chafleurs, ungewiß, ob nicht noch mehr Deutfche im Dorf 
jein mögen, einen Augenblid, wider ihre Gewohnheit, ftußen, 
ex, mein Seel! ehe man noch eine Hand umfehrt, alle drei vom 
Sattel haut, die Pferde, die auf dem Plag herumlaufen, auf: 
greift, damit bei mir vorbeifprengt, und: „Bafla Teremtetem!” 
ruft, und: „Sieht Er wohl, Herr Wirth!“ und „Adies!“ und: 
„Auf Wiederfehn!” und: 2 0, 1090, hoho!“ — — 
So einen Kerl, ſprach der Wirth, hab ich Zeit meines 
Lebens nicht gefehn! — 


Gedichte, 


Der Shreden im Bade. 


Eine Idylle. 
_ . "ohanna. 
Klug doch, von Lift durchtrieben ift die Grethe, 
Wie fein’ im Dorf mehr! „Mütterhen“, fo ſpricht fie, 
Und gleich, als fcheute fie den Duft der Nacht, 
Kuüptt fie ein Tuch geſchäftig fi ums Kinn: 
„Laß doc die Pforte mir, die hintre, offen; 
Denn in der Hürd’ ein Lamm erkrankte mir, 
Dem ich Lavendelöl noch reichen muß.“ 
Und, huſch! ftatt nach der Hürde, die Verräthrin, 
Drüdt fie zum Seegeftade fid hinab. — 
Nun heiß, fürmahr, als ſollt' er Ernten reifen, 
War dieſer Tag des Mais, und Blumen glei 
Fühlt jedes Glied des Menjchen fih erſchlafft. — 
Wie ſchön die Nacht ift! wie die Landſchaft rings 
m milden Schein des Mondes ftill erglängt! 
ie fich der Alpen Gipfel umgekehrt 
NL den kryſtallnen See danieder tauchen! - 
enn das die Gletfcher thun, ihr guten Götter, 
Mas fol der arnıe pergburchgtühte enich ? 
Ach! wenn e8 nur die Sitte mir erlaubte, 
Bom Ufer ſänk' ich felbft herab, und wälgte 
Wolluſtig wie ein Hecht mich in der Flut! 
Margarethe, 
Fritz! — Faßt nicht Schreden, wie des Todes, mich! | 
— Fritz, fag ih, no ein Mal: Maria Joſeph! | 
Wer fhmwast dort in der Fliederhede mir? 
— Geltfam, wie hier die Silberpappel flüjtert! 
„Huſch“ und „Lavendelöl“ und „Het“ und „Sitte“, 
Als obs von feinen rothen Lippen fäme! 
ern int Gebirge fteht der Fri und lauert 
Dem Hirfch auf. der uns jlingft den Mais zerwühlte; 
Doch hätt ich nicht die Büchſ' ihn greifen Teen, 
Ich hätte ſchwören mögen, daß ers war. — 


459 


— Johanna. 

Gewiß! Diana, die mir unterm Spiegel, 
Der enfeheit Göttin, prangt im goldnen Rahm: 
Die Hunde liegen lechzend ihr zur Seite, 
Und Pfeil und Bogen giebt fie jagdermübdet 
Den jungen Nymphen Ein, die be umfteben: 
Sie wählte fi, der Glieder Duft zu frifchen, 
Berftändiger den Grottenquell nicht aus. 
gier hätt” Aktion fie, der Menjchen Aermfter, 

iemals entdedt, und feine junge Stirn 
Wär ungehörnt bis auf den heutgen Tag. 
Wie einfun hier der. See den & je klaſſcht! 
Und wie die Ulme, hoch vom Felſen her, 
Sich niederbeugt, von Schlee umrankt und Flieder, 
Als hätt ein Eiferſücht'ger ſie verwebt, 
Daß ſelbſt der Mond mein Gretchen nicht, und nicht, 
Wie ſchön fie Gott der Herr erfhuf, kann fehn! 


Margarethe, 
Fritz! 
| Johanna. 
Was begehrt mein Schaf? 


Margarethe. 
Abfcheulicher! 


Johanna. 
D Himmel, wie die Ente taucht! o (ed! doch, 
Wie das Gemwäfler heftig mit Geſtrudel 
Sid über ihren Kopf zufammenfchließt! 
Nichts, ald das Haar, vom feidnen Band ummunden, 
Schmwimmt mit den Spigen glänzend oben hin! 
gi Halle ſah ich drei Halloren tauchen, 

och das ıft Nichts, ſeit ich die Ratz' erblidt! 
Ei, Mädel! du erftidft ja! Margarethe. 


Margarethe. 
Hilf! rette! Gott mein Bater! 
Johanna. 


Nun? was giebts? — 

Ward, feit die Welt fteht, jo Etwas erlebt! 
Kit its, fo ſchau doch her, der junge Jäger, 

er morgen dich, du weißt, zur Kirche Führer — 
Umſonſt! fe geht ſchon wieder in den Grund! 
Wenn wiederum die Nadıt fintt, kenn’ ich fie 
Auswendig bis zur Sohl’ herab, daß ichs 
Ihr mit gefchloßnem Aug befchreiben werde: 
Und heut, von ohngefähr belauſcht im Bade, 


460 


Thut fie, als wollte fie den Schleier nehmen 
Und nie erfichaut von Männeraugen fein! 


Margarethe, 
Unftttlider! Pfui, Häßlicher! 
Johanna. 

u dein Gefäid doch endlich, fügt du di 

n dein Geſchick doch endlich fügſt du did). 
Du jeget dich, wo rein der Kiedgrund dir 
Dem Golde gleich erglängt, und bältft mir ftill, 
Wovor, mein Herzenstind, auch bebteft du? 
Der See ift dir, der weite, ftrahlende, 
Ein Mantel, in der That, fo züchtiglid, 
ALS jener fammtene, verbrämt mit Gold, 
Mit dem du Sonntags in der Kirch’ erfcheinft. 


Margarethe. 
Seit. liebfter aller Menfchen, hör_ mich an, 
illſt du mich morgen noch zur Kirche führen? 
Johanna. 
Ob ich das will? 
Margarethe. 
Gewiß? begehrft du das? 


Johanna. 
Ei, allerdings! Die Glock' ift ja beſtellt. 


Margarethe, 
Nun fieh, fo fleh’ ich, kehr dein Antlig weg! 
Geh gleich vom Ufer, ſchleunig, augenblicklich! 
Laß mich allein! 


Johauna. 
Ach, wie die Schultern glänzen, 
Ach, wie die Kniee, als ſäh ich ſie im Traum, 
gervorgehn Ihimmernd, wenn die Welle flieht! 
ch, wie da8 Baar der Händchen, feſt verfchräntt, 
Das ganze Kind, als wärs aus Wachs gegoflen, 
Mir auf dem Kiesgrund fchmebend aufrecht halten! 


Margarethe, 
Nun denn, fo mag die Jungfrau mir verzeihn! 


Johanna. 
Du ſteigſt heraus? Ah, Gretchen! du erfchredft mich! 
pie an den Br drück' ih das Geſicht, 
- Und obenein noch feft die Augen zu. 
Denn Alles, traun, auf Erden möcht’ ich lieber, 
Als mein geliebtes Herzenskind erzürnen. 
Gefhwind, geihmwind! Das Hemdchen — hier! da liegt e8! 





461 


Das Röckchen jet, das blaugelantete! 

Die Strümpfe auch, die feidnen, und die Bänder, 
Worin ein flammend Herz verzeichnet ift! 

— Auch noch das Kuh? Nun, Gretchen, bift du fertig? 
Kann ich mid) wenden, Kind ? 


Margaretie 
chamloſer, du! 
Geb Hin und fuche für dein Bett dir morgen, 


Welch eine Dirn’ im Orte dir gefällt. 
Mich, wahrlich, wirft du nicht zur Kirche führen! 
Denn wiffe: weſſen Aug mid nadt gejehn, 
Sieht weder nadt mich noch befleidet wieder! 

Johanna. 
Gott, Herr, mein Bater, ın fo großer Noth 
Bleibt auf der Welt zum Troft mir Nichts, als Eines, 
Denn in das Brautbett morgen möcht” ich wohl, - 
Was Ieugnet’ ichs; doch Derghen, wiß auch du: 
In Siegismunds, des Großknechts, nicht in deins. 

Margarethe. 

Was fagft du? 

Yohauna. 

Was? 
Margarethe, 

Sieb da, die Schälerin! 
Johanna ifts, die Magd, in Fritzens Röcken! 
Und äfft, ın eines Flieders Buſch geftedt, 
Mit Fritzens rauher Männerftunme mid! 
Pr Ga! Johauna. 

a, ha, ha, ha! 
Margaret 


e. 

Das hätt’ ich Kffen follen ! 
Das bätte mir, als ich im Waſſer lag, 
Der Heine Finger jüdend fagen follen 
So hätt’ ih, als du f —8 : „Ei ſieh, die Nixe! 
Wie fie ſich wälzet!“ Und: „Was meinſt du, Kind, 
Sol ich herab zu dir vom Ufer ſinken?“ 
Sefagt: „Komm her, mein lieber Frig, warum nicht? 
Der Tag war heiß, erfrischend ift das Bad, 
Und auch an Plag für Beide fehlt es nicht; 
Daß du zu Schanden wärft, du Unverjhämte, 
An mir, die drei Mal Aergere, geworden. 


Yohanna. 
So! das wär ſchön geweſen! Ein zühtig Mädchen, wife, 
Soll über foldhe Dinge niemals ſcherzen; 
So lehrt es irgendwo ein ſchwarzes Buch. — 





462 


Doch jeßt das Mieder ber; ich wills dir ſenkeln: 
Daß er im Ernft uns nicht, indeß wir fcherzen, 
EN bier, der Jäger, lauſchend überraſche. 
enn auf dem Rüdweg ſchleicht er hier vorbei; 
Und ſchade wär e8 doch — nicht wahr, mein Gretchen? 
Müßt' er dich auch geſchnürt nie wieder ſehn. 





Die beiden Tauben. 
Eine Fabel. 
Nach Lafontaine. 


wei Täubchen liebten fi mit zarter Liebe. 
edoch, der eigen Ruhe überdrüffig, 
fann der Tauber eine Reife ſich. 
Die Taube rief: „Was unternimmft du, Lieber ? 
Bon mir willft du, der füßen Freundin, fcheiden: 
Der Uebel Größtes, iſts die Trennung nicht ? 
Für dich nicht, leider, Unempfindlicher! 
Denn felbft nicht Mühen können und Gefahren, 
"Die fchredenden, an diefe Bruft dich fefleln. 
I wenn die Jahrszeit freundlicher dir wäre! 
och bei des Winters immer regen Stürmen 
Did in da8 Meer hinaus der Lüfte wagen! 
Erwarte mindeftens den Lenz: was treibt dich ? 
Ein Rab’ au, der den Himmelsplan durchfchmeifte, 
Schien mir ein Unglüd anzufündigen. 
Ach, Nichts als Unheil zitternd werd ich träumen, 
Und nur das Net ftet3 und den Falken fehn. 
est, vuf ich aus, jeßt ftürnts: mein füRer Liebling, 
at er jet Alles auch, was er bebarf, 
Hug und die goldue Nahrung, die er braucht, 
Weich auch und warm ein Lager für die Nacht, 
Und alles Weitre, was dazu gehört?" — 
Dieß Wort bewegte einen Augenblid 
Den raſchen Borlag unfers jungen Thoren; 
Doc die Begierde trug, die Welt zu jehn, 
Und das unruh'ge Herz den Sieg davon. 
Er jagte: „Weine nicht! zwei kurze Monden 
Befriedigen jedweden Wunſch in mir. 
Ich Tehre wieder, Liebchen, um ein Kleines, 
edwedes Abentener, Zug vor Zug, 
a8 mir begegnete, dir mitzutheilen: 
Es wird dich unterhalten, glaube mir! 
Ad, wer Nichts fieht, kann wenig auch erzählen, 
Hier, wird e8 heißen, war ich; dieß erlebt! ich; 





- 


463 


Dort auch hat mich die Reife bingeführt: 
Und du, im füßen Wahnflnn der Gedanten, 
Ein Zeuge deffen wähnen wirft du did.“ — 
Kurz, dieß und mehr bes Trofte zart erfindend, 
Küßt er, und unterdrüdt, was ſich ihm regt, 
Das Täubchen, das die Flügel niederhängt, 
Und fleucht. — 
Und aus des Horizontes Tiefe 

Steigt mitternächtliches Gemwölf empor, 
Gewitterregen häufig nieberjendenb. 
Ergrimmte Winde brechen 108: der Tauber 
Kreucht untern erften Strauch, der fich Rh bent. 
Und während er, von ftillee Oed' umrauſcht, 
Die Flut von den durchweichten Federn fchüttelt, 
Die ftrömende, und feufzend um fidh blidt, 
Denkt er nah Wandrerart, fich zu zerftreun, 
Des blonden Täubchens heim, das er verließ. 
Und fieht erſt jegt, wie e3 beim Ibſchied ſchweigend 
Das Köpfchen niederhieng, die Flügel ſenkte, 
Den weiken Schooß mit Hilfen Thränen negend; 
Und felbit, was feine Bruft noch nie empfand, 
Ein Tropfen, groß und glänzend, fteigt ihm auf. 
Getrodnet vol, beim eriten Sonnenftrabl, 
Sp Aug wie Leib, jet er die Neife fort, 
Und tert, wohin ein Zreund ihn warnt empfohlen, 
In eines Städter8 reiche Wohnung ein. 
Bon Moos und duftgen Kräutern zubereitet 
Wird ihm ein Neft, an Nahrung fehlt es nicht, 
Biel Höflichkeit, um deffen, der ihn fandte, 
Wird ihm zu Theil, viel Güt' und Artigkeit: 
Der lieblihen Gefühle keins für fich. 
Und fieht die Pracht der Welt und Herrlichkeiten, 
Die Ihimmernden, die ihm der uhm genannt, 
Und fennt nun Alles, was fie Würd'ges beut, 
Und wi unjel’ger ſich als je, der Arme, 
Und jteht, in Deden fteht man öder nicht, 
Umringt von allen ihren Freuden da, 
Und fleucht, das Paar der Flügel emflg regend, 
Unausgefegt, auf keinen Thurm Sie achten, 
Zum Zäubchen hin und finft zu Füßen ihr, 
Und ſchluchzt in endlos eitiger Demegung, | 
Und füffet fie und weiß ihr Nichts zu jagen — | 
Ihr, die fein armes Herz auch mohl verfteht! 

Ihr Sel’gen, die ihr liebt, ihr wollt verreifen ? 
D laßt es ın die nächte Grotte fein!. 


Seid euch die Welt einander felbft und achtet 


464 


Nicht eines Wunfches werth das Uebrige! 
Ich au, das Herz einft eures Dichters, liebte: 
Ich hätte nicht um Ron und feine Tempel, 
Nicht um des Firmamentes Prachtgebäude 
Des lieben Mädchens Taube hingetaufcht! 
Wann kehrt ihr wieder, o ihr Augenblide, 
Die ihr dem Leben einz’gen Glanz ertheilt? 
So viele jungen, lieblihen Geftalten, 
Mit unempfundnem Zauber follen fie 
An mir vorüber gehn? Ad) dieſes Herz! 
Wenn e3 doh Eın Mal noch erwarmen könntel 
get feine Schönheit einen Reiz mehr, der 

ich rührt? Iſt fie entflohn, die Zeit der Liebe — ? 





Der Engel am Grabe des Herrn. 


Zu einem Bilde. 


Als ſtill und kalt mit fieben Todeswunden 
Der Herr in feinem Grabe lag; das Grab, 
as ſollt' es gehn lebend’ge Rieſen fejjeln, 
In eine Felskluft jümetternd eingehauen; 
Gewälzet mit der Männer Kraft, berfloR 
Ein Sandftein, der Beftehung taub, die Thüre; 
Nings war des Landvogts Stegel aufgedrüdt: 
Es hätte der Gedanke Flber nicht 
Der Höhle unbemerkt entjchlüpfen können; 
Und gleihwohl noch, als ob zu fürchten fei, 
Es könn' auch der Sranitblod fi betehren, 
Gieng eine Schaar von Hütern auf und ab 
Und ftarrte nad) des Siegel! Bildern hin: 
Da kamen bei des Morgens Strahl, 
Des ew’gen Glaubens voll, die drei Marien ber, 
Zu fehn, ob Jeſus noch darinnen fei: 

enn er, berjprochen hatt’ er ihnen, 
Er werd’ am dritten Tage auferftehn. | 
Da nun die Fraun, die gläubigen, ſich nahten 
Der Grabeshöhle: was erblidten fie? 
Die Hüter, die das Grab bemachen follten, 
Geftürzt, das Angeficht in Staub, - 
Wie Todte um den Felſen lagen fie; 
Der Stein war weit hinweggewälzt vom Eingang; 
Und auf dem Rande ſaß, das Flügelpaar noch regend, 
Ein Engel, wie der Blig_erfcheint, 
Und fein Gewand fo weiß wie junger Schnee. 
Da ftürzten fie, wie Leichen, felbjt getroffen 








465 


Zu Boden hin und fühlten fi wie Staub, 

Und meinten gleih im Glanze zu vergehn: 

Doch er, er ſprach, der Öperub: „Fürchtet nicht! 

Ihr ſuchet Zefum, den Gefreuzigten — 

Der aber ift nicht hier, er ift eritanden: 

Kommt ber, und fehaut die öde Stätte an.“ 

Und ruhe, als fie mit hoch erhobnen Händen 

Spradlos die Grabesftätte leer erfchaut, 

In feiner hehren Milde alfo fort: 

„Gebt hin, ihr Fraun, und Fündigt e8 nunmehr 

Den Jüngern an, die er fich auserforen, 

Daß fie es allen Erdenvölkern lehren, 

Und thun alfo, wie er gethan;“ — und ſchwand. 
Januar 1808. 





Kriegslied der Deutfden, 


Bottelbär und PBantherthier 
Hat der Pfeil bezmungen, 
Nur für Geld im Drahtſpalier 
Zeigt man nod) die Jungen. 


Auf den Wolf, fo viel ich meiß, 
Iſt ein Preis gejeget; 

Wo er immer hungerheiß 
Geht, wird er geheget. 


Neinede der Fuchs, der ſitzt 
Lichtſcheu in der Erden, 
Und verzehrt, was er ftipigt, 

Ohne fett zu werden. 


Aar und Geier nijten nur 
Auf der Selen Rüden, 

Wo kein Sterblicher die Spur 
In den Sand mag drüden. 


Schlangen fieht man gar nicht mehr, 
ttern und dergleiden, 
Und der Drachen Greuelheer 
Mit gefhwollnen Bäuden. 


Nur der Franzmanı zeigt fi noch 
In dem dentfchen Reiche; 

Brüder, nehmt die Büchſe doch, 
Daß er gleichfalls weiche! 





Bibl. d. d. Rationafliteratur. Kleift. II. 30 





IV 


466 
An die Königin von Preußen. 


Sonett. 


Erwäg' id, wie in jenen Schredenstagen 
Still Deine Bruft verjchloffen, mas fie litt, 
Wie Du das Ungtüd mit der Grazie Zritt 
Auf jungen Schultern hajt getragen, 


Wie von des Kriegs zerrißnem Schladhtenwagen 
Gelbft oft die Schaar der Männer zu Dir fchritt, 
Wie trog der Wunde, die Dein Herz durchfchnitt, 
Du ftetS der Hoffnung Fahn' und vorgetragen: 


O Herrſcherin, die Zeit dann möcht ich fegnen! 
Wir fahn Dih Anmuth endlos niederregnen, 
Wie groß Du warſt, das ahndeten wir nicht! 


Dein Haupt feheint wie von Strahlen mir umſchimmert; 
Du bift der Stern, der voller Tracht erft flinnmert,. 
Wenn er durch finftre Wetterwolfen bricht! 


4 


An den König von Preußen. 
(Zur eier feines Kinzuges in Berlin.) 


Was blidft Du doch zu Boden fchweigend nieder, 
Durd cin Portal fiegprangend eingeführt ? 
Du mwendeft Did), begrüßt vom Schall der Yieder, 
Und Deine flarfe Bruft, fie ſcheint gerührt. 
Blid auf, o Herr! Du kehrſt als Steger wieder, 
Wie hoch auch jener Cäſar triumphiert: 
Ihm ift die Schaar der Götter zugefallen, 
Jedoch den Menjchen haft Du wohlgefallen. 


Du haft ihn treu, den Kampf, ald Held getragen, 
Den Du um nidhtgen Ruhm Dich nicht gemeiht; 
Du hätteft noch in den Entfcheidungstagen 
Der höchſten Friedensopfer Feind gejcheut. 

Die fchönfte Tugend (laß michs Fühn Dir fagen!) 
zat mit dem Glüd des Krieges Dich entzweit: 

u brauchteft Wahrheit weniger zu lieben, 

Und Sieger mwärft Du auf den Schlachtfeld blieben. 


Laß denn zerfnidt die Saat von Waffenftürmen, 
Die Hütten laß ein Raub der Flammen fein! 
Du haft die Bruft geboten, fie zu fehirmen: 
Dem Lethe wollen wir die Ajche weihn. 











467 


Und müßt auch jelbft noch auf der Hauptitadt Thürmen 
Der Kampf fi) für das heilge Recht erneun: ß 

Sie ſind gebaut, o har, wie hell ſie blinken, 

Für beßre Güter in den Staub zu ſinken. 


Das legte Lied. 
(Nah dem Oriechiſchen, au® dem Zeitalter Philipps von Macedonien.) 


Fernab am Horizont auf Yelfenriffen 
Liegt der gemitterfchwarze Krieg gethürmt. 
Die Dlige zuden ſchon, die ungemiifen, 
Der Wandrer fucht das Laubdaäch, das ihn fhirmt; 
Und wie ein Strom, gefchwellt von Regengüffen, 
Aus feines Ufers Bette heulend ftürnt, 
Kommt das Berderben mit entbundnen Wogen 
Auf Alles, was befteht, herangezogen. 


Der alten Staaten granes Prachtgerüfte 
Sinkt donnernd ein, von ihm hinmweggejpült, 
Wie auf der Haide Grund ein Wurmgenifte 
Bon einem Knaben fcharrend weggewühlt; 
Und wo das Leben um der Menthen rüfte 
Ju taufend Lichtern jauchzend hat gelpielt, 
Iſt es jo lautlos jetzt, wie in den Reichen, 
Durch die die Wellen des Kochtus ſchleichen. 


Und ein Öeiäleit, von düfterm Haar umflogen, 
Tritt aus der Nacht, das feinen Namen führt, 
Das wie ein Hirngefpinnit der Mythologen 
Hervor aus der Erſchlagnen Knochen ftiert; 

Das ift geboren nicht und nicht erzogen 

Bom alten, das im dentfchen Yand regiert: 

Das läßt in Tönen, wie der Nord an Strömen, 
Wenn er im Scilfrohr feufzet, fich vernehmen. 


Und du, o Lied voll unnennbarer Wonnen, 

Das das Gefühl fo wunderbar erhebt, 

Das, einer Himmelsurne wie entronnen, 

Zu den entzüdten Ohren niederjchwebt, 

Bei defien Klang empor ins Reich der Sonnen 
Bon allen Banden frei die Seele ftrebt: 

Dich trifft der Todespfeil; die Parzen winken, 
Und ſtumm ind Grab mußt dir daniederfinten. 


Ein Götterkind, befränzt im Jugendreigen, 
Wirſt du nicht mehr von Yand zu Yande zieht, ‚ 
30° 


u) 


468 


Nicht bad in unfre Tänze nieberftei en, 
Nicht hochroth mehr bei unferm ab erglübn. 
Und nur wo einfam unter Tannenzmweigen 

Zu Seihenfteinen ftile Pfade fliehn, 

Wird MWanderern, die bei den Todten leben, 
Ein Schatten deiner Schön’ entgegenfchweben. 


Und ftärfer raufcht der Sänger in die Saiten, 

Der Töne ganze Macht lodt er hervor, 
Er fingt die Luft, fürs Vaterland zu ftreiten, 
Und machtlos ſchlägt fein Auf an jedes Ohr, 
Und mie er flatternd das Panier der Zeiten 

Y Sid näher pflanzen fieht, von Thor zu Thor, 
Schließt er Fein Ned; er wünſcht mit ihm zu enden, 
Und legt die Leier thränend aus den Händen. 


— — — — 


Germania an ihre Kinder. 


1, 
Die des Maines Regionen, 
Die der Elbe heitve Aun, 
Die der Donau Etrand bewohnen, 
w Die da8 Oderthal bebaun, 
Aus des Rheines Laubenfigen, 
Bon dem duft’gen Mittelmeer, 
Bon der Riefenberge Spigen, 
Bon der Oſt- und Nordfee ber! 


Chor. 
Hordet! — Durd die Nadıt, igr Brüder, 
Welch ein Donnerruf hernieder 
Stehft du auf, Germania? 
Iſt der Tag der Rache da? 
2 


Deutjche, muth’ger Kinder Reigen, 
Die, mit Schmerz und Luft gefüßt, 

In den Schooß mir kletternd fteigen, 
Die mein Diutterarm umschließt, 

Meines Bufens Schu und Schirmer, 
Unbefiegtes Marjenblut, 

Enkel der Kohortenftürmer, 
Römerüberwinderbrut! 

Chor, 

Nu den Waffen! zu den Waffen! 

Was die Hände blindlings raffen! 
Mit dem Spieße, mit dem Stab, 
Strömt ins Thal der Schlacht hinab! 











469 


3 


Wie der Schnee aus Yelfenrifien, 
Wie auf emw’ger Alpen’ EA 
Unter Frühlings heißen Küffen 
Siedend auf die Sletfcher gehn: 
Katarakten ſtürzen nieder, 
Wald und Fels folgt ihrer Bahn, 
Das Gebirg hallt donnernd wieder, 
Fluren ſind ein Ocean — 


Chor. 
So verlaßt, voran der Kaiſer, 
Eure Hütten, eure Häuſer, 
Schäumt, ein uferloſes Meer, 
Ueber dieſe Franken her! 


4 


Der Gewerbsmann, der den Hügeln 
Mit-der Fracht entgegen zeucht, 
Der Gelehrte, der auf Flügeln 
Der Seftiene Saum erreicht, 
Schweißbededt das Volk der. Schnitter, 
Das die Sluren niedermäbt, 
Und vom Fels herab der Ritter, 
‚ Der fein Cherub auf ihm fteht — 


Chor. 
Wer in unzählbaren Wunden 
Jener Fremden Hohn empfunden, 
Brüder, wer ein Deutſcher Mann, 
Schließe dieſem Kampf ſich an! 
5. 
Alle Triften, alle Stätten 
Färbt mit ihren Knochen weiß; 
Welchen Rab' und Fuchs verſchmähten, 
Gebet ihn den Fiſchen Preis; 
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen, 
Laßt, geſtäuft von ihrem Bein, 
Schäumend um die Pfalz ihn weichen, 
Und ihn dann die Grenze ſein! 
Chor. 
Eine Luſtjagd, wie wenn Schützen 
Auf die Spur dem Wolfe figen! 
Schlagt Fi todt! das Weltgericht 
Fragt eu) nad) den Gründen nicht! 


470 


6. 

Nicht die Flur iſts, die zertreten 
Unter ihren Roſſen ſinkt; 

Nicht der Mond, der in den Städten _ 

us den öden Fenftern blintt; 

Nicht das Weib, das mit Gewimmer 
Ihrem Todeskuß erliegt, 

Und zum Sohn beim Morgenſchimmer 
Au den Schutt der Vorſtadt fliegt! 


Chor. 
Das Geſchehne fei vergeffen; 
Neue mög end ewig preifen! 
Sören als der Erde Gut, 
chwillt an diefen Tag das Blut! 


7. 
Rettung von dem Joch der Knechte, 
Das, aus Eijenerz geprägt, 
Eines Höllenfohnes Rechte 
Ueber unfern Naden ten: 
Schug den Tempeln vor Verheerung; 
Unſrer Fürften heil'gem Blut 
Unterwerfung und Derelrung: 
Gift und Dold der Afterbrut! 


Ghor. 

Frei auf deutfhen Grunde walten 
Laßt und nach dem Brauch der Alten, 
Seines Cegens felbft ung freun: 

Oder unfer Grab ihn fein! 


190% 


— — CH 7 — — 





Inhalı 


eite 
Die Familie Schroffenftein. Ein Trauerfpiel, . 0. < 
Penthefilen. Gin Trauerfpiel. . . en 123 
Erzählungen. 

/r“3 Michael Kohl haas . 229 
. Die Marquiſe von O..... . . . . . . . 322 
-: Das Erdbeben in Chili . . . . . . . . . . 357 

Die Berlobung in Et. Domingo . . . on 200.970 
Das Bettelmeib von Yramo . . rn 2. 400 
Der Yindling . . . . 40603 
Die heilige Cäcilie ober die Gewalt der Wufit. a } X | 
Der Zwellampf - - en 428 


Anekdote aus dem letzten preußiſchen Kriege . . . . . . 456 
Gedichte. 


Der Schreden im Bade . . . . . . . . . . 458 
Tie beiden Taudten . . . en . 463 
Ter Engel am Grabe des Herrn .464 
Kriegslied der Deutihen . . . . . . . . . . 465 
An die Königin von Preußen . . . . . . . 0.466 
An den König von Preußen . . . . . . . . . 466 
Das letzte id . . 0. . . . . . 0.2467 
Germania an ihre Kinder . . . . . . en 468 


Drud vom Bibliograpbifchen Inftitut (M. Meder) in Hiüdburghaufen. 





0 halte sheda Abe. . 

Æ. Manerken ıverd Ri feet, 
AB des fart Ta ranılaı, 

Sarını Msssitsı der. Eh de | 


HrLTA ci Kiss He 

Herd mag’ dan Arrd we 

Hurt trete 

Fear burn el ar a ic 
Der Urt uch ler andalst. 

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