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Full text of "Herr Professor von Raumer und die deutsche Rechtschreibung: Ein Beitrag zur ..."

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I 



EA t's'? A.Lr 



Herr 



Professor von Raumer 



und die 



Deutsche Rechtschreibung 



Ein Beitrag 



zur 



Herstellung einer orthographischen Einigung 



von 



iPaiil iE2i@eii. 



Braunschweig, 

Yerlag von Friedrich Wreden. 

1880. 



f^ UNWEWITY %\^ 

- 6 MAR 1970 ; 

@F OXFORD 



\v 







«■■«H^^M , 



Dem früheren 
Preußischen KultuBministier 

Herrn Dr, Falk 



gewidmet 



in 



auMclitiger Verehrung. 



UiM^ 



Vorwort. 

Die vorliegende Schrift ift im Sommer 1876, bald nach 
Veröffentlichung der Verhandlungen der Orthographifchen 
Konferenz, begonnen, nach langer Paule aber erft jetzt voll- 
endet worden. Der Hauptgrund diefer Unterbrechung war 
der unerwartete Tod des Herrn Profeffors von Raumer in 
Erlangen, ein Ereignis, das wohl Alle, denen die Forfchung 
auf dem Gebiete unferer vaterländifchen Sprache einiger- 
maßen am Herzen liegt, auf das empfindlichfte berührt hat. 
Es widerftand uns kurz nach dem Ableben des verehrten 
Mannes eine Schrift in die Welt zu fchicken, die ihrem Titel 
wie ihrem Inhalte nach an ihn und gegen ihn gerichtet war. 
Lag doch für Alle , die den Verfaßer diefer Schrift nicht ken- 
nen — und er wollte aus guten Gründen nicht gekannt fein — 
die Vermuthung nicht gar zu fern, daß wir nur gewartet 
hätten auf diefe Gelegenheit, um den Mann, defTen fcharfes 
Wort wir, fo lange er fich des Lebens freute, gefürchtet 
hätten, nun defto ficherer zu bekämpfen, wo ihm ein ewiges 
Schweigen auferlegt fei. So ließen wir beinah ein volles 
biennium verftreichen. Da trat wieder längeres Unwohlfein 
der Fortfetzung der Arbeit hindernd in den Weg. Als dann 
der Herbft des J. 1878 kam, war zu erwägen, ob wir die an- 
gefangene Schrift nicht lieber ganz bei Seite legten. Nur der 
Gedanke, daß unfer Büchlein zur Herftellung einer größeren 
orthographifchen Einigung, wie fie fo dringend noththut, am 
Ende doch etwas weniges beizutragen vermöchte, überwog. 

So waren bereits 11 Bogen gedruckt, als wiederum ein 
Ereignis eintrat, das dem Zwecke unferer Schrift durchaus 
nicht zu ftatten kam. Es war der Rücktritt des Minifters 
Falk, des Mannes, dem als Beförderer einer ganz Deutfch- 
land umfaßenden orthographifchen Einigung viel dankbare 
Herzen fchlugen, auf den als folchen manch hoffendes Auge 
gerichtet war. Was wir an einzelnen Stellen diefer Schrift 
als Hoffnung (S. 4) ausgcfprochen oder als Wunfeh (S. 9) 



-- VI — 

geäußert hatten, ift nun hinfällig geworden und hat keine 
Bedeutung mehr. Vielleicht daß Falks eifriger Genoße bei 
dem Unternehmen der orthographifchen Einigung, der Vor- 
fitzende der Konferenz, Herr Geheime Regierungsrath B on it z , 
feine Stellung im betreffenden Minifterium dazu benutzt das 
Intereffe des neuen Unterrichtsrainifters für das rühmlich 
angefangene Einigungswerk zu wecken. Denn diefe Einigung 
in der Wortfehreibung thut uns, wie gefagt, nun einmal drin- 
gend noth; ja fie bringt, wie wir in der Einleitung diefer 
Schrift ausführlich darthun werden, doppeltes und dreifaches 
Heil. 

Wir erheben nicht den Anfpruch diefe Einigung zu be^ 
werkftelligen durch die Schrift, die wir hiermit dem gebildeten 
Publikum übergeben: hat doch gerade eine Einigung von 
folcher Art ihre allergröften Schwierigkeiten, weil Re fchlech- 
terdings unausführbar ift ohne zu kämpfen und zu Hegen gegen 
die allmächtige Gewohnheit. Aber zu der erfehnten Einigung 
etwas beizutragen wird ihr vielleicht gelingen. Und wenn 
üe nur das erreicht, daß fie die heillofen Schwankungen (§ 6), 
die zuerft und vor Allem aufhören müßen, wenn an eine Ei- 
nigung überhaupt gedacht werden foll *), ganz oder zum großen 
Theil befeitigt, fo hat ^e von Glück zu fagen, und es hat fich 
der Mühe verlohnt. 

Im Juli des Jahres 1879. 

Der YerfaPer. 



*) Wir haben in dem angehängten Wörterverzeichniffe, das 
die Orthographie enthält, wie fie fich aus unferer 
Schrift ergibt, nichts fo fehr vermieden, als doppelte 
Schreibungen aufzuftellen , ein Verfahren, deffen fowohl 
das Berliner Wörterverzeichnis (hehülflich und 
behilflich, bißchen und bischen, Dinte und Tinte u. f. w.), 
wie das der Orthographifchen Konferenz (bur- 
zeln und purzeln, ekelig und eJclich, ergötzen und er geizen 
u. f. w.) fich fchuldig macht. Das heißt die vorhandenen 
Schwankungen ausdrücklich anerkennen und weiter fort- 
pflanzen. S. S 19, S. 80 f. und § 27 S. 104. 



Einleitung*. 



Es war unferes Wißens zu Anfang des Jahres 1875, 
als durch faft alle Zeitungen die Nachricht gieng, daß der 
ProfelTor Rudolf von Raumer in Erlangen den Auftrag 
erhalten habe die Grundzüge zu entwerfen zu einer allgemeinen 
DeutTchen Orthographie. Und es verhielt fich im Wefent- 
lichen fo. In der niuftrierten Zeitung vom 30. Januar des- 
felben Jahres machte Herr von Raumer felbft bekannt, daß 
er vom PreußiTchen Minifter Fa Ik mit ZuTtimmung üämmtlicher 
Deutfchen Staatsregierungen veranlaßt worden fei „zur An- 
bahnung einer größern Gleichmäßigkeit in der 
Deutfchen Rechtfchreibung zunächft im Bereiche der 
hohem Schulen Deutfchlands eine grundlegende Schrift aus- 
zuarbeiten." 

Den Verfaßer dieler Schrift hat jene Kunde damals hoch- 
erfreut, und er will zur Ehre des Deutfchen Namens glauben, 
daß alle Einfichtigen und Gebildeten — leider finden Hch die 
beiden Eigenfchaften in der vorliegenden Frage nicht immer 
beifammen — dies Gefühl der Freude mehr oder weniger 
theilten. 

Mit großer Bereitwilligkeit unterzog üchHerr von Bau- 
mer dem ihm gewordenen Auftrage. Schon im Herbfte des- 
felben Jahres legte er zu dem angegebenen Zwecke zwei 
Schriften, eine nur für den Schulgebrauch bestimmte und eine 
zweite, die zur Begründung diefer erfteren dienen follte, vor. 
Zu Anfang des nächften Jahres — vom 4. bis zum' 15. Januar 

XQTQ — tagte zu Berlin bereits eine vom Minifter Falk be- 
Eisen, Deatache Orthograplii«. 1 



- 2 — 

rufene Konferenz von fachkundigen und mit den BedürfnüTen 
der Schule vertrauten Männern, unter denen fich natürlich 
Herr von Raumer felbst befand. Die Raumer 'fchen 
Vorlagen wurden gründlich berathen. Die ganzen intereffauten 
Terhandlungen liegen auf Veranlaßung des betreffenden Mi- 
nifters feit nun drei Jahren vor den Augen des Publikums. 

Es war wohl die Abficht des Herrn Minifters nun erft 
abzuwarten, wie fich die Deutfche Welt zu den ErgebniiTen 
der von der Orthographifchen Konferenz gepflogenen Ver- 
handlungen rtellen würde, bevor er diefe Ergebniffe den Schulen 
gegenüber zur Geltung brächte. Und das war gut. Denn 
die Konferenz hatte zwar zu einer verbeßerten Deutfchen 
Rechtfchrelbung die Bahn gebrochen, war aber doch, wie es 
bei der eigenthümlichen Art ihrer Zufammenfetzung nicht gut 
anders möglich war, mehr als ein Mal vom rechten Wege 
abgekommen und vor allen Dingen, was fich belonders fühlbar 
macht, auf halbem Wege ftehn geblieben. Zahlreiche Stimmen 
haben fich denn auch verbeßemd und ergänzend, durchweg 
billichend nicht eine, über die Konferenzbefchlüße vernehmen 
laßen. Zwei unter ihnen, die von Duden*), einem der 
eifrigsten Mitglieder der Konferenz, der aber nicht feiten in 
der Minorität geblieben war, und die ebenfalls gewichtige von 
Bezzenberger**), haben nicht wenig zur Klärung der or- 
thographifchen Frage beigetragen. 

Man durfte wohl erwarten , daß die Konferenz nun nach 
längerer Frift wieder zuTammentreten würde, um ihre Be- 
fchlüße auf Grund der inzwifchen gemachten Erfahrungen zu 
revidieren und die ihr vom Herrn Kultusminifter aufgetragene 
Arbeit damit, foviel an ihr lag, abzufchließen. Aber es ift 
feit Jahr und Tag immer ftiller undltiller geworden auf dem 



*) Die Zukunftsorthographie nach den Vorfchlägen der etc. 
Konferenz erläutert und mit Verbeßerlings vorfchlägen 
verfehn. 
**) Randbemerkungen zu den von der Berliner Konferenz 
aufgeftellten Regeln für die Deutfche Orthographie. 



— 3 ~- 

Gebiete der Orthographie, kaum daß noch irgend eine Stimme 
in irgend einer Zeitfchnft über den betreffenden Gegenftand 
laut wird. Soll man denn wirklich glauben, die ganze ortho- 
graphiTche Frage fei neuerdings auf eine fo feierliche und 
vielverfprechende Weife in den Vordergrund getreten, um nach 
einer kurzen Zeit der gefpannteften Erwartung unerledigt 
wieder von der Tagesordnung zu verfchwinden ? Das wäre ja 
nun vollends eine Halbheit fondergleichen. Das ift ja auch 
nun fchlechterdings unthunlich, nachdem durch die von der 
Konferenz „empfohlene" Schreibung der Wirrwarr in unferer 
Orthographie bis zum Entfetzen vergrößert worden ift. In der 
den Verhandlungen der Konferenz beigefügten kurzen Erzäh- 
lung von Jakobs finden fleh nicht weniger als 1 6 Wörter , wie 
«/or, tut, er^älen, mufste, die vor dem Zufammentritte der 
Konferenz allgemein anders gefchrieben wurden, mit der her- 
gebrachten Orthographie alfo in entfchiedenem Wider- 
fpruche ftehn. Bedenkt man nun, daß fchon in diefer herge- 
brachten Orthographie der Wirrwarr über die Maßen arg ist, 
fo arg , daß iich endlich der Preußifche Kultusminifter Falk 

veranlaßt fah im Namen lämmtlicher Deutfcher Bundesregie- 

• 

rungen > eine Konferenz „zur Herftellung größerer Eini- 
gung in der Deutfchen Rechtfehreibung" zu be- 
rufen, und bedenkt man, daß auch die von der OrthogrsCphifchen 
Konferenz empfohlene Schreibung bei einem beträchtlichen 
Theile des Deutfchen Publikums bereits Aufnahme gefunden 
hat, fo daß man, während früher Alles mit ganz wenigen Aus- 
nahmen Jahr, that, bläuen^ däuchte, hewvßt u. f. w. fchrieb, 
jetzt, d. h. feit die Konferenz in Berlin getagt hat, 
daneben auch c/or, tat, bleuen, deuchte, bewufst u. f. w. ge- 
fchrieben und gedruckt Hebt — , bedenkt man das Alles, fo 
wird man es begreiflich finden, daß durch die „zur Herftellung 
einer größeren Einigung in der Deutfchen Bechtfchreibung" 
berufene Konferenz die in unferer Orthographie fchon feit 
Jahrhunderten herrfchende Uneinigkeit zunächft nur noch 
größer geworden ift. So kann es aber natürlich auf keine 
Weife bleiben. Entweder muß, wie gefagt, die Konferenz nun 



nach Verlauf von drei Jahren ihre Arbeit wieder aufaehmen 
und die mit gewißenhafter Berückfichtigung der inzwifchen 
erfchienenen orthographifchen Schriften nicht bloß empfohlene, 
fondem endgültig feftgeftellte Orthographie durch die Schulen, 
was leicht und fchnell geht, über das ganze Deutfche Beich 
verbreiten, oder aber — man muß an der fogenannten her- 
gebrachten Orthographie überhaupt nicht rütteln. 

Nun wir dürfen ja Gott fei Dank zu Nutz und Frommen 
des gemeinfamen großen Vaterlandes das Erftere hoffen. Ist 
doch der Falk mit nichten der Mann, der eine heillame Maß- 
regel ergreift, um fie unausgeführt zu laßen. Und eine heil- 
famere Maßregel kann es weiß Gott nicht geben, als die da- 
mals der Minifter Fal k ergriff, als er im Namen der Deutfchen 
Bundesregierungen zur Herftellung einer größeren Einigung 
in der Deutfchen Bechtfchreibung die mehrerwähnte Ortho- 
graphifche Konferenz berief. Denn dreifach ift der Segen, den 
die Einführung einer einheitlichen Deutfchen Bechtfchreibong 
oder einer Eeichsorthographie — um diefe handelt fichs ja 
wohl — nach verfchiedenen Seiten bringt: die Schule ge- 
winnt, die Wißenfchaft, gewinnt, das Nazional- 
gefühl gewinnt. 

I. Die Schule gewinnt. Wer nur ein paar Jahre 
auf einem Deutfchen und zwar namentlich auf einem Preußifchen 
Gymnaüum in verfchiedenen Klaffen unterrichtet und befonders 
den Unterricht im Deutfchen ertheilt hat, der muß mit 
Schrecken wahrgenommen haben, welche heillofe Verwirrung 
auf unferen Gymnalien herrfcht in Bezug auf unfere Recht- 
fchreibung. 

In der Volksfchule hat der Knabe davon noch nichts 
verfpürt. Hier dürfte ßch fehr feiten ein Lehrer finden, der 
von der hergebrachten Orthographie — fo nennen wir die 
Schreibung, in welcher die große Mehrheit der gebildeten 
Deutfchen übereinftimmt — im Wefentlichen abwiche. Die 
ganze Stellung des VolksfchuUehrers bringt das fo mit iich. 
Er ift darauf angewiefen feine Jungen in der hergebrachten 
Schreibung llcher und feft zu machen, und indem er dies tag- 



— 5 — 

täglich thut, kann es nicht anders kommen, als dafi diefe 
Schreibung ihm felbft zur fefteften Gewohnheit werde. Ge- 
fetzt aber auch er fände diefes oder jenes Wort irgendwo 
anders gefchrieben, als man es viUgo zu fchreiben pflegt; ge- 
fetzt — ' um dies an einem Beifpiele darzuthun — er fände 
irgendwo teufchen gefchrieben *) , und er überlegte lieh die 
Sache und dächte: ^^teufchen ift doch gewis richtiger: denn 
täufchen könnte man doch nur fchreiben, wenn es von Tawch 
käme; aber die beiden Wörter haben ja gar nichts mit ein- 
ander gemein"; gefetzt alfo die Schreibung teufchen fagte 
feinem gefunden Verftande weit mehr zu: ja dies würde ihn 
noch lange nicht beftimmen und beftimmen dürfen diefe rich- 
tigere Schreibung auch in feinem Schülerkreife einzuführen; 
denn da es nicht fehlen könnte, daß der betreffende ELnabe 
fünft überall täufchen gefchrieben fähe, fo hieße dies ihn ge- 
flißentlich ftören in feiner orthographifchen Entwickelung, bei 
der es, wie gefagt, einzig und allein auf mechanifche Sicher- 
heit abgefehn ift. 

Anders geftalten Hch die Dinge auf dem Gymnafium. 
Die Herren Gymnafiallehrer find — wir urtheilen aus einer 
vierzigjährigen Erfahrung — in Bezug auf die vorlie- 
gende Ortho graphif che Frage zum Theil gar wunder- 
liche Leute. Ein paar Lehrer — es ift ein glücklicher Zufall, 
wenn es darüber kommt — gibt es ja wohl jetzt auf jedem 
größeren Gymnafium, die neben den klafflfchen Sprachen oder 
neben Mathematik und Naturwißenfchaften auch noch die liebe 
Mutterfprache in den Exeis ihrer Studien ziehn und mit den 
Ergebniffen der durch Jakob Grimm begründeten Sprach- 
forfchung vertraut find; ja es findet fich auch wohl hier und 
da ein Lehrer, der als eifriger Anhänger der hiftorifchen 
Grammatik fich vorzugsweife der Deutfchen Sprache widmet 
und unbekümmert um die blinde Gewohnheit auf der Bahn, 



*) Bekanntlich fchrieb fo unter Anderem auch Luther. 
Überdies lautet das Wort mhd. tiufchen^ woraus nhd. 
nothwendig teufchen wird. • 



.*.< 



die Grimm gebrochen and geebnet, weiter fortzuarbeiten 
fich zur Aufgabe feines Lebens macht: die Wißenfchaft 
fteht ihm höher als die G-ewohnheit. 

Aber diefe eine Art von Gymnaiiallehrern ift verhältnis- 
mäßig zur Zeit noch feiten. Etwas zahlreicher ift eine zweite 
Art. Zu ihr gehören diejenigen, die fich dem beßeren Wißen 
nicht verfchließen , fondem immerhin ein gewifCes Intereffe 
hegen für den Fortfehritt, den man feit Grimm und durch 
Grimm auf dem Gebiete der Deutfchen Grammatik gemacht 
hat. Sie find gelegentlich d. h. aus Schriften und Auffätzen, 
»wohl auch durch Hoff mann*) oder durch Weigand**), 
den G.e in zweifelhaften Fällen — und dergleichen gibt es in 
unferer Sprache leider viele — zu Bathe ziehn , über aller- 
hand grammatifche Erfcheinungen nach gerade zum Bewuftfein 
gekommen und wiß^n vielfach das Richtige vom Falfchen zu 
unterfoheiden ; es mag G^e auch „insgeheim der Leichdom im 
Schuhe drücken, wenn üe fich des eigenen ungenauen oder 
fehlerhaften Ausdrucks mitunter bewuft werden"***). Aber 
Ge find entweder zu eitel und zu eigenfinnig, um durch ihren 
Übertritt zum Richtigen zu bekennen, daß Sie fo lange falfch 
gefchrieben, oder, was am häufigften der Fall ift, wenn äe 
auch umfatteln möchten, fo fehlt ihnen doch dazu die Energie 
des Willens: fie können fich nicht losreißen von der 
Gewohnheit, wenn fie auch möchten. 

Am zahlreichften vertreten ift eine dritte Art von Lehrern. 
Diefen Herren, die faft auf jedem G3rmnafium die Mehrheit 
bilden, find die Ergebniffe der neuern Sprachforfchung noch 
immer fremd. Sie wollen davon nichts wißen, am aller- 
wenigften von einer Beform unferer Bechtfchreibung; [ie halten 



*) Neuhochdeutfche Schulgrammatik von Karl Aug. Jul. 
Hoffmann. 
**) Deutfehes Wörterbuch von Friedr. Ludw. Karl 
Weigand, dritte Auflage von Schmitthenners 
kurzem Deutfchen Wörterbuch. 
***) Grimms Deutfehes Wörterbuch I, S. LV. 



es für lächerlich oder gar für „dmnmes Zeug*', an der her- 
gebrachten Schreibung, wie wir fie bei hunderten von Meiftem 
und MuTtern der Stüiftik zu finden gewohnt find, auch nur 
ein Jota zu ändern ; ja fie können lieh förmlich erbofen, wenn 
fie fehen, daß man die Schüler in diefer Beziehung zu „Neue- 
rungen", wie fie die Wiederherftellung des allein Richtigen 
naiver Weife nennen, verführt: fie find eben Sklaven der 
G-ewohnheit! 

Auf Real- , Gewerbe- und höheren Biirgerfchulen liegen 
die Dinge, wie fich denken läßt, in dem Maße ungünftiger, 
in welchem hier, wenn man von Mathematik und Naturwißen- 
fchaften abJieht, die ftrenge Wißenfchaft etwas zurücktritt. 
IndefTen haben wir es hier zunächft mit den Gym- 
nafien zu thun. Die Anwendung auf die andern genannten 
Schulen macht fich dann von felbft. 

Laßen wir nun den Knaben auf das Gymnafium kommen 
und mit der hergebrachten Schreibung täufchen^ die man ihm 
eingeprägt hat, in eine ElaÜTe treten, wo ein Lehrer der erften 
Art den Deutfchen Unterricht ertheilt. Der ift fich bewuft, 
daß er als Lehrer eines Gymnafiums der Wißenfchaft im 
ftrengften Sinne des Wortes dient. Das Ziel der Wißen- 
fchaft ift Wahrheit. Soll er, wenn ihm der Schüler täufcken — 
wir halten diefes eine Beifpiel unter hunderten feft — ge- 
fchrieben bringt, oder, wenn überhaupt die Rede auf das frag- 
liche Wort kommt, der Gewohnheit zur Liebe und der Wißen- 
fchaft zun^ Trotze das notorifch Falfche anerkennen und das 
notorifch Richtige verleugnen? Belehrt er aber, wie er es 
der Wißenfchaft fchuldig ift, den einzelnen Schüler und bei 
diefer Gelegenheit die ganze Klaffe eines Beßem — und die 
Gründe für die Schreibart teufchen leuchten fchon dem dürftigen 
Verftande eines Sextaners ein — : wehe den armen Jungen, 
daß ^e fich des Richtigen bewuft geworden find. Entweder 
nemlich entdeckt dies noch in derfelben oder in einer der 
folgenden Klaffen ein Lehrer der erwähnten zweiten Art: der 
läßt es hingehn, denn er fcheut fich der Wahrheit ins Geficht 
zu fchlagen ; aber ohne mäkelnde oder fpitzige Bemerkung 



— 8 -- 

geht ea fchwerlich ab ; oder He fallen mit dem errungenen 
teufchen einem Lehrer der erwähnten dritten Art, einem Herrn 
vom Schlendriane, wie wir die blinden Anhänger der herge- 
brachten Schreibung nennen werden, in die Hände : der nimmt 
diefe „alberne Neuerung^S zumal, wenn er auch den Deutfchen 
Unterricht ertheilt, mit nichten fo leicht, fondem geifelt iie 
entweder mit Hohn und Spott oder erklärt den Jungen ge- 
radezu: „Bei mir fchreibt ihr, wie es hergebracht ift; folche 
willkürlichen Neuerungen will ich nicht/' Geht es wirklich 
damit ab, daß das makellofe teufchen ftillfchweigend korrigiert 
und nicht als Fehler angerechnet wird, fo hat der arme 
Junge noch von Glück zu Tagen. Man glaube ja nicht, daß 
diefe Schilderung übertrieben fei*): der Verfaßer diefer Schrift 
hat noch viel Schlimmeres erlebt, als er hier gefchildert hat 
und überhaupt zu fchildern vermag. Ift denn das aber in der 
Ordnung? Ift das überhaupt ein Unterricht? Werden unfere 
Knaben deshalb in die Schule gefchickt, um gerade beim Un- 
terrichte in ihrer Mutterfprache, in der Iie am fefteften, über 
die Iie am klarften fein follen, von ihren Lehrern geradezu 
vexiert zu werden? 

Daß diefer leidige Zuftand, der wirklich etwas komödien- 
artiges hat, aber doch gar zu emft ift, um Scherz zu ver- 
tragen, auf die Dauer unhaltbar fei, das hat man ja auch feit 
drei bis vier Dezennien faft allgemein erkannt. Man hat aber 
bis auf die neuefte Zeit eine durchgreifende Remedur aus 
natürlichen Gründen noch nicht gefunden oder noch nicht 
finden wollen. Theils nemlich ward jede erfchöpfende und 
unfer ganzes Vaterland umfaßende Maßregel durch Deutfch- 
lands innere und äußere Zerrißenheit vereitelt, theils hielt es 



*) „Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn in einer Anftalt 
der Lehrer der einen ELlaffe die Schreibweife für falfch 
erklärt und mit allen Mitteln wieder auszutreiben fucht, 
die der Lehrer der vorangehenden Klaffe mit eben folchem 
Eifer den Schülern eingeprägt hatte.'' Gefammelte fprach- 
wißenfchaftliche Schriften von Budolf von Baumer 
S. 301. 



— 9 — 

fo mancher, in delTen Hand das Gerchick der Gymnalien lag, 
für gerathen den befagten Ubelftand zu ignorieren, weil er 
nicht wirklam eingreifen zu können meinte, ohne' die her- 
gebrachte Schreibweife, an die er nun einmal von Jagend auf 
gewöhnt war, in ihrem Grundbeftande zu erfchüttem. Erft 
der Minifter Falk hat lieh nicht nur von der dringenden 
Nothwendigkeit überzeugt mit feinem ganzen mächtigen Ein- 
flöße hier einzufchreiten, fondern hat auch das einzig richtige 
Mittel gewählt, indem er im Namen lammtlicher Deutfchen 
Regierungen zur Herftellung einer orthographifchen Einigung 
and zwar zunachft „imBereiche der höheren Schulen 
Deutfchlands^^ die bereits erwähnte Konferenz berief. 
Möge nur der hochverdiente Mann das fo ruhmvoll begonnene 
Werk recht bald ebenfo ruhmvoll zu Ende führen. 

In der That kann dem Unfuge, der feit einem Menfchen- 
alter auf unferen höheren Schulen, befonders aber auf den 
Gymnafien, in Bezug auf die Deutfche Bechtfchreibung ge- 
trieben wird, nur dadurch gründlich und auf die Dauer ge- 
rteuert werden, daß man durch das ganze Deutfche Reich 
hindurch auf allen Schulen eine Wortfehreibung einführt. 
Aber freilich muß dies eine Schreibung fein, die nicht dem 
leidigen Gebrauche fröhnt, fondem auf feftem wißenfchaffc- 
lichem Grunde ruht. Der Sprach- und Schreibgebrauch hat 
eine gewichtige Stimme : er ift der Wegweifer für den großen 
Haufen der Schreibenden, ohne den fowohl unfäglichen Ver- 
irnmgen, wie namentlich auch der Willkür Thür und Thor 
geöffiaet wäre. Aber wo Vernunft und Wißenfchaft 
fprechen, muß der Sprachgebrauch verftummen. 
TJfus eft tyrarmua ift eine dem Phlegma des Denkvermögens 
fehr geläufige, aber ebenfo arg misverftandene , wie gemis- 
braachte Phrafe. Sie bedeutet nicht, wie fie die Herren vom 
Schlendriane fo gern verftanden wißen wollen : „der Gebrauch 
foU herrfchen", fondern fie befagt fchlechthin : „der Gebrauch 
herrfcht". Damit ift eine aus dem wißenfchafdichen Leben 
gefchöpfte Erfahrung ausgefprochen , die aber nur in dem 
engen Kreife der Phrafeologie , befonders der Lateinifchen 



— 10 — 

und Griechifchen, Sinn und Gewicht hat, auf dem Gebiete der 
Deutfchen WortTchreibung dagegen an und für lieh aus hinein 
fehr natürlichen Grunde fo gut wie nichts gilt. Es iTt nemlich 
eine bekannte Thatfache, daß unfere fchöne Sprache vom 
15. bis in das 17. Jahrhundert hinein durch unferes eigenen 
Volkes Schuld eine gräuliche Verwirrung durchgemacht hat 
und daß aus diefer fchweren Zeit bis auf den heutigen Tag 
an ihr noch tiefe Schäden haften, d|e bloß deshalb, weil üe 
allmählich zur Gewohnheit geworden find, um jeden Preis 
feftzuhalten und dadurch fortzupflanzen das Verderbnis der 
Sprache fördern heißt. Zufälliger und glücklicher Weife ftim- 
men Schreibgebrauch und Wißenfchaff; gegenwärtig in fehr 
vielen Fällen überein. Wo dies aber nicht der Fall ift, wo 
eine Schreibweife notorifch auf Misverftändnis oder auf Un- 
wißenheit oder gar auf Unvernunft beruht, oder wo, wie bei 
vielen Unterfcheidungen, die pure blanke Willkür gewaltet 
hat, oder wo der Gebrauch felber fchwankt, da hat es überall 
keinen Sinn lieh auf den ufus zu berufen. Hat lieh doch die 
Vernunft in vielen Fällen dem ufus gegenüber von felber 
Bahn gebrochen, ohne der amtlichen Unterftützung einer Be- 
hörde theilhaftig zu werden. So war, um nur ein Beifpiel 
anzuführen, bis in das laufende Jahrhundert hinein das un- 
v/ernünftige y in dem Diphthongen ei ganz allgemeiner Ge- 
brauch; und doch drang die Befeitigung diefes der Deutfchen 
Sprache ganz fremdartigen Buchftaben *) ^ befonders durch 
die Bemühungen von Männern, wie Klopft ock, Schlözer, 
Voß, allem dawider erhobenen Einfpruche zum Trotze end- 
lich durch. Nur eine ftreng wißenfchaffclich begründete ein- 
heitliche Rechtfehreibung wird alfo geeignet fein als Beichs- 
orthographie auch mit dem Reiche zu ftehen und zu 



*) Noch in der 2. Ausgabe von Lef fing's Laokoon vom 
Jahre 1788 ift diefes ey zu Haufe, wie man durchgängig 
Maler ey^ einerley, fchreyen mit Gefchrey, feyn (effe), zwey, 
beyy frey, felbft beyde u. f. w. lift. Auch in der 1. Aus- 
gabe von Göthe's Fauft vom Jahre 1790 fpuken noch 
Unformen, wie feyn (effe), bey^ Juriflerey u. f. w. 



- 11 — 

fallen, ohne daß die von Jahr zu Jahr fich zufehends rer- 
mehrenden Anhänger der hiTtorifchen Grammatik als treue 
Freunde der WißenTchaft und als abgefagte Feinde des alle 
Wißenfchaft ertötenden ftarren Sprachgebrauchs und der blin- 
den Gewohnheit lieh genöthigt fehn nach wie vor ihren eigenen 
Weg zu gehn und der alte orthographiTche Wirrwarr, diefe 
Schmach der Deutfchen, in der Schule wie im Leben fort- 
währt. Wie viel aber gerade die Schule durch die Einfüh- 
rung einer folchen einheitlichen Wortfehreibung gewinnen 
würde, liegt nach dem Gefagten auf der Hand. 

n. Eben fo klar ift aber auch, wie viel durch die Ein- 
führung einer wißenfchaftlich begründeten Reichsorthographie 
die Wißenfchaft felbft gewinnt. Keine von allen Wißen- 
fchafteu ift im Laufe der Jahrhunderte fo fchmählich hinter 
allen übrigen zurückgeblieben, ja von den Deutfchen felbft, 
die gerade diefen Wißenszweig mit befonderer Vorliebe hätten 
hegen xmd pflegen foUen, fo geringfchätzig behandelt, ja 
geradezu verwahrloft worden, wie die Wißenfchaft ihrer eigenen 
Sprache. 

Der Mittelhochdeutfche Zeitraum (1100—1450) war 
unferer Sprache allerdings noch einigermaßen günftig: fie 
war damals in ihrer gefetzmäßigen Entwickelung noch nicht 
fo gräulich geftört, wie dies in den folgenden Jahrhunderten 
der Fall fein foUte. Schon in das 16. Jahrhundert trat unfere 
Sprache als ein Wuft ein. Zwar hat es fchon damals nicht 
an Männern gefehlt, die der um fich greifenden Verderbnis 
entgegenzutreten den Muth befaßen.^). Aber fie fanden 



*) Die erfte Deutfche Sprachlehre — wenn man diefes 
Buchftabier- und Lefebüchlein fo nennen darf — war die 
ohne Angabe der Jahrzahl und des Druckortes heraus- 
gegebene „Deutfche Grammatica'^ von Ickel famer, 
einem Zeitgenoßen Luthers: ein ärmlicher Verfuch. 
aus dem erften Viertel des 16. Jahrhunderts. Von da 
bis zum Jahre 1814, wo Heyfe mit feiner „theoretifch- 
praktifchen teutfchen Grammatik'^ auftrat , find nicht 
weniger als 35 Deutfche Grammatiken erfehienen, wo- 



.— 12 — 

erftens bei den Deutfchen felbft zu wenig Anklang und Unter- 
ftützung. Und darüber kann man fich nicht wundern. Die 
Deutfchen waren eben Jahrhunderte lang als Nazion ein 
Nichts. Von nazionalem Sinne yerfpürte man bei ihnen kaum 
ein Fünkchen. In dem Maße, in welchem Deutfchland all- 
mählich in Hch felbft zerfiel, begann auch das gemeinfame 
heilige Band der Sprache fich zu lockern. Der niedere Stand 
konnte der Wißenfchaft nichts nützen. Von den gebildeten 
Ständen, die ihr hätten nützen können, fchwärmten die Ge- 
lehrten in ihrer Maffe für das Lateinifche, die Vornehmen 
und Alles, was für vornehm gelten wollte, für das Franzo- 
nfche, für das arme Deutfche unter Hunderten noch nicht 
Einer. Zweitens aber gehörte etwas mehr als Muth dazu 
den angefammelten taufendjährigen StofiP, der damals wild wie 
ein Chaos durcheinander lag, zu lichten und zu lichten. Dazu 
gehörte vor Allem eine unbedingte Herrfchaft über die Sprache 
felbft. Und diefe Eigenfchaft befaßen die ehrenwerthen Männer, 
die iich unferer verwilderten Sprache annehmen wollten, nicht. 
Die grammatifchen Stümpereien des 16. und der zwei fol- 
genden Jahrhunderte, die etwas beßeren und immerhin ver- 
dienftvollen Arbeiten eines Schottel, Grottfched, Ba- 
fedow, Heynatz, Adelung, Heinfius mit eingerechnet, 
waren zumal der fchon feit der Mitte des 16. Jahrhunderts 
lieh zierlich und klangvoll entwickelnden, befonders aber feit 
Ludwigs XIV. Zeit fich mehr und mehr glättenden und 
verfeinernden FranzÖfifchen Sprache gegenüber wahrhaftig 
nicht dazu gemacht die Herzen und Sinne des Deutfchen 
Volkes feiner „redlichen und reichen Hauptfprache", wie fie 
der biedere Schottel nannte, wieder zuzuwenden. Die 
Deutfche Grund- und Formenlehre war gerade 
das allerwüftefte Feld. Wer hätte fich an die Be- 
bauung diefer Wüfte wagen, wie hätte fie den Wenigen, die 
fich daran wagten, gelingen f ollen! Zwar Heyfe wagte fich 



von 3 noch dem 16., 9 dem 17., 20 dem 18, und 3 
dem 19. Jahrhundert angehören. 



— 13 — 

daran. Sein erfter Verlach der DeutTchen WortTchreibang 
emporzuhelfen^) blieb allerdings faft unbeachtet, wie er es, 
fo verdienftlich auch des Verfaßers Streben war, verdiente. 
Aber feine Deutfche Grammatik^*) fiel in die allergünftigfte 
Zeit. Die Freiheitskriege hatten gerüttelt an dem verfumpften 

DeutTchen Geifte; der nazionale Sinn war erwacht aus jähr* 

• 

hundertelangem Todesfchlafe ; mit dem lebendigen InterefTe 
für alles Deutfche begann infonderheit auch das durch den 
anvaterländifchen Geift der Zeit erdrückte Intereffe für die 
yaterländifche Sprache fich zu heben. Und dazu kam noch 
ein anderer Umftand: es war ein glücklicher Gedanke, daß 
Heyfe gerade damals mit feinem Verdeutfchungswörterbuche 
vor die Welt trat. 

Die Sprachmengerei der Deutfchen war für alle nur 
einigermaßen Nazionalgefinnten fchon immer ein fchweres 
Ärgernis gewefen. Die Sprachgefellfchaffcen des 17. Jahrhun- 
derts hatten die Bekämpfung diefes Unwefens zum ausdrück- 
lichen Zwecke. Aber die Früchte, welche die bedeutendfte 
derfelben ftolz verhieß***), verkamen fchon im Keime unter 
den Stürmen jenes für Deutfchland fo f ehr ecklichen Jahr«» 
hunderts. Auch war diefer Miserfolg nicht völlig unver^ 
fchuldet, in fo fern es jene Orden und Vereine nicht über lieh 
vermochten ihre urfprünglichen Zwecke feft im Auge zu be- 
halten, fondern 'fchon frühzeitig in Spitzfindigkeiten und Spie ^ 
lereien fich verirrten. Fremdwörterbücher hat es auch fchon 
früh gegeben f); es waren aber fchwache Verfuche, die in 



*) Hülfsbuch zur Erlernung und Beförderung einer teutfchen 
Ausfprache und Bechtfchreibung. Hanover 1803. 
**) Theoretifch-praktifch teutfche Grammatik. Hanover 1814. 
***) Fruchtbringende GefeUfchaft, geftiftet 1617 in 
Anhalt- KÖthen. 

t) Das erfte diefer Art erfchien zu Augsburg im Jahre 1571 
unter dem Titel: „Simon Koten Deutfcher Dictio- 
narius d. h. Ausleger fchwerer, unbekannter Griechifcher, 
Lateinifcher, Frantzöllfcher u. f. w. Wörter, fo nach und 
nach in Deutfche Sprache kommen lind.^' Ein zweites 



— 14 — 

der Detitfcheften Zeit keinen Anklang gefanden haben würden, 
gefchweige denn su einer Zeit, die für Deutfches Wefen völlig 
ftumpf war. Mehr Gefchick zeigte und mehr Glück hatte 
eben der wackere Heyfe. Je gewaltiger gerade damals, als 
er mit feinem ^^Kurzgefaßten VerdeutfchungswÖrterbuche^' *) 
auf den Schauplatz trat, der Haß gegen Frankreich und 
Franzöfifches Wefen glühte, defto tiefer gefühlt und defto 
weiter verbreitet war das Bedürfois, wie die Franzofen felbst 
von Deutfchem Boden, fo die Franzöilfchen Wörter und Phrafen, 
die wir in weltbürgerlicher Einfalt allmählich bis zur Unzahl 
bei uns aufgenommen hatten, aus der Deutichen Sprache 
wieder los zu werden. Man ward fie nur nicht los, weil man 
fie — fo wenig kannte felbft der gebildete Deutfche feine 
Sprache — für unentbehrlich hielt, und man hielt He für 
unentbehrlich, weil man ile eben nicht zu verdeutfchen ver- 
ftand. 

So war die Lage der Dinge, als jenes Heyfifche „Ver- 
teutfchungswörterbuch" erfchien und als echt nazionales Werk 
aufgenommen auch feiner „teutfchen" Grammatik, die nebenher 
gieng, einen gewiffen nazionalen oder patriotifchen Auftrieb 
gab. Hand in Hand mit der damaligen Begeifterung für 
Deutfches Wefen und Deutfche Sprache gieng aber natürlich 
das Bedürfiiis einer gründlicheren Bildung in der wieder in 
Gnaden angenommenen, ja plötzlich fo lieben und werthen 
Mutterfprache. So und nur fo erklärt fich die fonft kaum 
erklärliche Begierde, mit der man nicht nur nach dem„yer- 
teutfchungswörterbuehe^S fondern auch nach der gerade in 
jener Deutfchen Zeit auftauchenden „teutfchen Grammatik'' 
von Heyfe griff. Und in der That ift ja auch das erft- 
genannte Buch diefer beifalligen Aufnahme durchaus werth, 



gab ein gewiffer Haupold im Jahre 1620 zu Bafel her- 
aus unter dem Titel: „Dictionarium erklärent allerley 
fchwere Wörter, fo in der Deutfchen Sprache ein- 
geriffen find". 
*) Nordhaufen 1807. 



— 15 — 

und diefes eine Werk ßcbert feinem Verfaßer einen ehrenvollen 
Namen für alle Zeiten. Nicht minder Terdienftroll war feine 
Grammatik, infofern fie in die noch wenig verarbeitete Dentfche 
Sprachmaffe doch wenigftens eine gewiffe Uberficht und 
Ordnung brachte, wie fie fich denn von vom herein durch ihre 
praktifche Einrichtung^) z^r Einführung in den Schulen 
empfahl. Aber fie war eher alles andere als gerade eine 
wißenfc ha ft liehe Grammatik. Indem nemlich ihr Ver- 
faßer dem unwißenfchaftlichen Grundfatze huldigte, man müße 
in der Sprache dem herrfchenden Gebrauche folgen, und in- 
dem er diefem Grundfatze gemäß das, was er vorfand, als 
maßgebend hinftellte, war es nicht anders möglich als daß er 
viele von früheren Jahrhunderten überkommenen Fehler in 
einer Art von gefetzgeberifcher Form beftetigte, während er 
anderfeits durch die vielen neu eingeführten Regeln, die nicht 
in der Sprache felbft begründet, fondem lediglich aus dem 
Kopfe des Verfaßers entfprungen waren, zu den alten Schäden 
noch neue fügte. Und fo kann man dem braven Heyfe, der 
durch feine angeftrengten Deutfchen Studien und durch fein 
redliches Streben immerhin den Dank der Nazion verdient 
hat, doch den harten Vorwurf nicht erfparen, daß er durch 
feine Grammatik ganze Generazionen von Deutfchen auf Ab- 
wege geführt und insbefondere eine Reform der Deutfchen 
Kechtfchreibung, wie He die Zeitverhältniffe nachgerade ge- 
bieterifch verlangen, um fo mehr erfchwert hat, je mehr feine 
Grammatik befonders auf den Schulen fo zu fagen dominierte 
und durch die Schulen in das Leben eindrang. 

Alle Grammatiken von Ickelsamer und 01a jus bis 
auf Polenz und Heyfe haben die Deutfche Sprachwißen- 
fchaft um keinen Schritt gefördert, weil fie fammt und fonders 
entweder die Luft oder den Muth oder — was am allerhäufig- 
ften der Fall war — wegen mangelnder Kenntnis des Alt- 



*) Diefe Einrichtung hat nach des alten Heyfe Tode viel- 
fach gelitten durch den faft mit jeder neuen Auflage 
fich immer maffenhafter anhäufenden Stoff. 



— 16 — 

deutfchen das Zeug nicht hatten in. das Innere unferer 
Sprache einzudringen und ein Lehrgebäude dieser 
Sprache aus ihrem inneren organifchen Bau her- 
aus zu fchaffen. 

Es yfBx dies allerdings eine Biefenarbeit, welcher die da- 
maligen Gelehrten um fo weniger gewachfen waren, da es auf 
diefem Felde an tüchtigen Vorarbeiten noch gänzlich fehlte; 
es war eine Arbeit, zu welcher eine Schärfe, eine Umlicht und 
vor Allem eine Ausdauer gehörte, wie ße zu allen Zeiten nur 
wenig Gelehrte befeßen haben. Jakob Grimm*) befaß 
diefe Eigenfchaffcen. Seine Deutfche Sprachlehre, deren 1. Band 
im J. 1819 erfchien, war ein Triumph der Wißenfchaft über 
den blinden ttsus. Wenn man bedenkt, daß allen Anfängen 
nach dem natürlichen Laufe der Dinge noch eine gewiffe 
Mangelhaftigkeit anklebt, fo war es ein berechtigtes Staunen, 
das den Kundigen ergriff, indem er in diefer ersten wißen- 
fchaftlichen Grammatik der Deutfchen Sprache 
ein nahezu vollendetes Werk erblickte. Man wufte nicht, ob 
man mehr die Zähigkeit und Energie der Ausdauer bewundem 
sollte oder die Tiefe und den Umfang der Forfchung. Das 
innere Heiligthum feiner Mutterfprache war nun dem erstaunten 
Auge des Deutfchen aufgefchloßen. Welcher fchöne harmo- 
nifcheBau, von welchem kein einziger Grammatiker vor Grimm 
auch nur eine Ahnung hatte! Welche Fülle von ebenso wich- 
tigen wie glänzenden Befultatent Wahrlich nach der Auf- 
nahme, wie GiB der unwißenfchaffclichen Grammatik vonHeyfe 
zu Theil geworden war, hätte man glauben follen, die Deutfche 
Nazion würde diefe Deutfche Grammatik, die auf der Hohe 
der Wißenfchaft ftand, wo nicht verfchlingen , doch mit ftür- 
mifcher Begeifterung begrüßen. Vor Allem lag die Erwartung 
nahe, daß man fich höheres Orts beeilen würde die Ergebniffe 
der Grimm 'fchenForfchungen zunächft durch die Schulen 



*) Daß wir im Gegenfatze zu Grimm felber, der fich Jacob 
fchreibt, durchweg von Jakob reden, darüber werden 
wir unten § 58 Rechenfchaft abzulegen nicht verfehlen. 



— 17 — 

zum Gemeingate der Nazion zu machen. Hatte man doch auf 
den Gymnafien von jeher alsbald nach jeder neuen Lateinischen 
und Griechifchen Grammatik gegriffen, damit der lernenden 
Deutfchen Jugend die Fortfehritte der Wißenfchaft auf dem 
Gebiete diefer fremden toten Sprachen nicht vorenthalten 
würden: um wie viel mehr war anzunehmen, daß der uner- 
meßliche Fortfehritt, der durch Grimm auf dem Gebiete der 
lebendigen vaterländifchen Sprache gemacht war, der Deut- 
fchen Jugend zu Gute kommen würde« 

Von alle dem gefchah aber befonders aus zwei Gründen 
nichts. Zunächft trat die Deutfche Grammatik von Grimm 
nicht unter fo günftigen Verhältniffen ans Tageslicht, wie die 
von Heyfe*). Die nazionale Begeifterung der Jahre 1813 
bis 15 hatte lieh unter dem Drucke der Zeitumftände fo gut 
wie ganz gelegt. Der Sinn für Deutfchthum galt gerade da- 
mals für ein politifches Verbrechen. Wer ihn hegte, ward, 
wo er Jich in Deutfchland fehen ließ, als Demagog verfolgt. 
Alles gieng reißend rückwärts. Nur in den Herzen der aka- 
demifchen Jugend, wie der Jahne und der Ari»dte, glomm 
der Funke der Vaterlandsliebe heimlich fort. Wer hätte üch 
unter diefen elenden Verhältniffen für ein wißenfchaftliches 
Deutfehes Werk als folches, wenn es auch noch fo über- 
rafchend groß, noch fo epochemachend war, erwärmen können? 

Wenn aber die Unempfanglichkeit der Deutfchen für ihr 
nahezu gröftes wißenfchaftliches Werk aus diefem Grunde 
nicht unnatürlich war, fondem in den erbärmlichen Verhält- 
niffen der Zeit und der durch iie erzeugten allgemeinen Apathie 
lag, fo war und bleibt der Hauptgrund, warum man mit Aus- 
nahme der Deutfchen Gelehrten, die für ihre Mutterfprache ein 
befonderes wißenfchaftliches Intereffe hatten, die Deutfche 
Grammatik von Grimm nicht nur gleichgültig und lau, son- 
dern zum Theil geradezu mit einem gewiffen Widerwillen auf- 
nahm, um fo unnatürlicher, ja befchämender : es war die leidige 
Gewohnheit. Heyfe hatte bei den Deutfchen in diefem 



*) Heyfe 1814, Grimm 1819—37. 

Eisen, Deutfche Orthographie. 



— 18 — 

Punkte viel vor Grimm voraus. Er nahm die Sprachmasse, 
wie er ile vorfand, wie fie dem Volke mundrecht und hand- 
recht geworden war, und brachte üe in eine gewüTe Ordnung 
und unter gewiffe zum gröften Theile freilich ganz willkürliche 
Begeln; felbft was er Neues brachte, war etwas Altes in un- 
merklich neuer Form. Bei Grimm war bis auf eine gewilTe 
Anzahl von Wörtern, die er fchrieb, wie alle Leute/ Alles neu ; 
Lautlehre, Schreiblehre, Formenlehre, befonders die Wort- 
biegungslehre, waren völlig umgeftaltet; felbft auf die liebge- 
wordenen Deutfchen Lettern und die Majuskeln, die fo mancher 
Deutfche ohne Kalligraph von Profeftion zu fein fo kunffcvoll 
zu zirkeln verftand, foUte verzichtet werden, der Thron des 
Tyrannen usits foUte zusammenbrechen : das war zuviel für den 
guten Deutfchen : er hat — und zwar gerade in feinem gebil- 
deten Theile — Herz und Sinn und Zeit und Geld für die 
neue Mode, die aus Paris kommt ; aber für das Neue, Schöne, 
echt Deutfche, was Jakob Grimm durch feine in die Tiefe 
dringende und jeder Erfcheinung auf den Grund gehende For- 
fchung unter»dem Schutte von 3 Jahrhunderten hervorgezogen 
hatte, um unferer bis zur Unkenntlichkeit entftellten und ver- 
wilderten Sprache ihre wahre wißenfchaftliche Geftalt 
zurück zu geben, dafür war er blind und taub : „halt er doch^, 
um mit Grimm felbft zu reden, „an Irrthümern und Vorur- 
theilen um fo zäher und eigenfinniger feft, je älter und unver- 
ftändiger fie find.'' Alfo ward ihm die Wahl, wo es überhaupt 
bis zu einer folchen kam, die Wahl, ob er vom Schlendriane 
laßen und dem Winke der Wißenfchaft folgen oder ob er beim 
Hergebrachten ftehn bleiben follte, nicht eben fchwer : er blieb 
widerf tandslos hangen in den Armen der Gewohnheit^). 



*) Nur in einem allerdings fehr wefentlichen Punkte ift 
man bis auf ein paar wunderliche ELäuze dem Vorgänge 
G r i m m ' s ganz allgemein gefolgt, und es war wenigftens 
eine kleine Genugthuung für Grimm, daß gerade er 
durch feine Deutfchen Studien hierin der Tonangeber 
war — , nemlich in der Schreibung des Wortes Deutsch. 
S. unten. 



— 19 — 

£s gibt nichts Wahreres, als was wir einmal in dem 
Angufthefte der vorjährigen Grenzboten laTen, wo es heißt: 
,^s ift kläglich zu bemerken , daß die ErgebnüTe der wißen- 
fchaflilichen Forfchnng fehr ^sit ins Leben dringen, wenn es 
und wo es überhaupt gefchieht: die G-elehrten fchreiben nur 
für ihre Fachgenoßen, die Lehrer der Jugend und des 
Volkes in Wort und Schrift kümmern fich nicht um die 
Arbeiten der Gelehrten; drum will auch der Irr- 
thum nicht weichen/^ Namentlich enthalten die durch 
die Schrift hervorgehobenen Worte eine beklagenswerthe, aber 
fo frappante Wahrheit, daß man glauben möchte, fie feien in 
befonderem Hinblicke auf die ErgebnüTe der Grimm 'sehen 
Forschungen gefchrieben. Und doch wäre es ein ganz unbe- 
rechtigter Einwand, wenn man entgegnen wollte, die Deutfche 
Grammatik von Grimm fei für Schulen ganz unbrauchbar, 
fo daß fich felbst der Lehrer und der Gelehrte darin nur müh- 
fam zurechtzufinden im Stande feien. Befitzen wir doch fchon 
feit dem J. 1839 einen vortrefflichen Auszug aus Grimm — 
wenn man die felbftändige Arbeit überhaupt fo nennen darf 
— in der fchon erwähnten Neuhochdeutfchen Schul- 
grammatik von Hoff mann und feit dem J. 1852 einen 
zweiten nicht minder vortrefflichen, nur etwas zu umfangreichen, 
in der Grammatik der Neuhochdeutfchen Sprache 
von Kehrein*), die fich felbst als eine nach Jakob Grimmas 
Deutfcher Grammatik bearbeitete bezeichnet. Nein, Grimm 
war — abgefehn von den ungüiLftigen ZeitverhältnifTen — 
kein Mann für das Deutfche Volk : er ftörte es gar zu fehr in 
feiner Hingabe an die fuße Gewohnheit. 

Zwar dem Deutfchen Volke kann man daraus keinen 
Vorwurf machen: Grimm hatte feine Grammatik nicht für 
das Volk gefchrieben: fle war, wie wir fchon angedeutet, zu- 
nächft beftimmt für Lehrer und Gelehrte. Wie viele unter 



*) Grammatik der Neuhochdeutfchen Sprache nach Jacob 
Gr i m m ' s deutfcher Grammatik bearbeitet von Joseph 
Kehrein 1852. 

2* 



— 20 — 

dielen mögen, wie der Verfaßer diefer Schrift, mit Unmuth 
wahrgenommen haben, wie ein Jahrzehend nach dem anderen 
verftrich, ohne daß man von diefem großartigen Denkmal der 
Wißenfchaft auch nur Notiz nahm. Aber was konnten diefe 
Einzelnen trotz allem Arger und Unmuth thun? Sie konnten 
nur ihre Stimme im Namen und im IntereÜTe der Wißenfchaft 
erheben. Und mehr als eine kräftige Stimme hat theils in 
Flugfchriften, theils in Zeitfchriften und Programmen sich er- 
hoben. Aber alle diefe Stinmien find aus dem natürlichen 
Grunde wirkungslos verhallt, weil der einzige geeignete Weg 
zur nachhaltigen Verbreitung eines Schreib- oder Sprachge- 
brauchs der ist, daß er auf den Schulen der lernenden 
Jugend eingeprägt und durch die Schulen hinaus ins 
Leben getragen werde, die Schulbehörden der meiften Deut- 
fchen Staaten, vor Allen Preußens, aber zu der großen Mehr- 
heit der gebildeten Deutfchen Welt gehörten, die an dem Her- 
gebrachten hieng und allen fogenannten „Neuerungen^' auf 
dem Gebiete unferer Sprache, insbefondere der Recht- 
fchreibung, mehr oder minder abhold war. Nur ein 
Deutfcher Staat, dem fich bald darauf ein zweiter anschloß *), 
hat eine Ausnahme gemacht , die man, befonders Preußen 
gegenüber, nicht hoch genug anfchlagen kann, und diefe eine 
rühmliche Ausnahme be weift, wie viel in dieser Beziehung eine 
Schulbehörde, ja eine einzelne mit der Leitung des Unter- 
richts betraute Perfönlichkeit vermag, wie oft fogar ein ein- 
ziger Menfch von Einfluß die Geftaltung und Entfaltung 
der einheimifchen Sprache in der Hand hat. Der Oberfchul- 
rath Dr. Eohlraufch in Hanover war es, der bereits im J. 
1838, alfo ein Jahr, nachdem der vierte und letzte Band der 
Grammatik von Grimm erfchienen war, dem damaligen Kon«- 
rektor Hoffmann zu Celle zur Bearbeitung feiner bereits er- 
wähnten Neuhochdeutfchen Grammatiken, der Schul- und der Ele- 
mentargrammatik, die ganz in dem durch Grimm gewonnenen 
Boden wurzeln, die Anregung gab, und dann wieder im J. 1855 



*) S. unten §. 5. 



— 21 — 

als Haupt des Oberfchulkollegiums zu Hanover durch den- 
reiben inzwifchen zum Direktor in Lüneburg beförderten H o f f - 
mann die Herausgabe der „Regeln mit Wörterverzeichnis für 
Deutfche Rechtfehreibung*' betitelten Schrift yeranlaßte, die^ 
obwohl der durchgreifenden Konfequenz ermangelnd, doch 
ebenfalls auf hiftorifchem Grunde fteht und die, wie das Vor- 
wort ausdrücklich feftftellt, lediglich aus dem Entfchluße der 
genannten Schulbehörde ,,bei den überhand nehmenden Ver- 
fchiedenheiten in der Schreibweife auf eine Abhilfe zunächft 
für den Schulunterricht Bedacht zu nehmen" entfprungen ift. 
Das war es, was von Seiten des Deutfchen Mittelftaats Ha- 
nover, dem 6 Jahre fpäter der Deutfche Mittelftaat Würtem- 
berg gefolgt ift^), für die Deutfche Sprachwißenfchaft gefchah, 
während die maßgebenden Kreife des Deutfchen Großftaats 
Preußen für die Wißenfchaft der vaterländifchen Sprache nicht 
einmal einen Federffcrich hatten ; denn ein einziger Federftrich, 
der den Preußifchen Gymnaiien Hoffmann's Grammatiken 
empfahl, wie Jahr aus Jahr ein foviel andere Werke vom 
Preußifchen Minifterium des Unterrichts empfohlen werden, 
hätte nicht bloß die Hauptlehren der durch Grimm begrün- 
deten hiftorifchen Grammatik, die lieh den höheren Schulen, 
ja in den Grundzügen felbft den Volksfchulen, auf die Länge 
der Zeit nun einmal nicht vorenthalten laßen, allgemein ver- 
breitet, fondem namentlich — und dies muß, wie gefagt, als 
das dringendfte Bedürfnis der Gegenwart bezeichnet werden — 
eine gewiffe Einigung in der Rechtfehreibung nach dem Vor- 
gänge von Hanover herbeigeführt. Aber gerade in Berlin, wo 
der große Meifter feit den vierziger Jahren feine Werkftatt 
aufgefchlagen hatte, war man nun einmal unempfänglich für 
die Ermngenfchaften feiner Forfchungen. Und fo ift es, „was 
Röthe in die Wangen jagt," dahin gekommen, daß die Deutfche 
Grammatik von Jakob Grimm, das gröfte grammatifche 
Werk aller Zeiten und Völker, auf das die Deutfchen ftolzer 
fein foUten als auf irgend ein anderes Denkmal der Deut- 



f) Vgl. unten §. 5. 



— 22 — 

fchen Wißenfchaffc) für das fle fchon deshalb fchwännen Tollten, 
weil rieh Grimm gerade darch diefes Werk um ihr höchftes 
Gut, ihre Mntterfprache, ein unrterbliches Verdienft erworben 
hat, für die vielen Hunderte von Deatfchen GelehrtenTchulen, 
ja namentlich für die unzähligen Handels-, Gewerbe- und 
RealTchulen, auf denen der Schwerpunkt des Unterrichts docb 
billicherweife im Deutfchen Unterrichte Uegen foUte, noch 
heute nach einem halben Jahrhunderte fo gut wie 
nicht vorhanden ift. 

Dem wackern Forfcher felbft entgieng diefe kühle Auf- 
nahme feiner Werke nicht. Und Sie fand ihn nicht unvor- 
bereitet. 

Jakob Grimm war eine durch und durch biedere, 
dabei kernige, aber ftill in lieh zurückgßzogene, fchüchtem 
befcheidene, überhaupt mehr ideale als praktifche Natur, die 
lieber am einfamen Scjiireibtifch feftfaß als im bunten Ge- 
wimmel des Lebens lach bewegte. An die Herausgabe feiner 
Grammatik gieng er, obgleich Sie in die unempfanglichfte Zeit 
fiel, doch, wie es fehlen, mit frohem Muthe: er war lieh be- 
wuft durch diefes urgründliche und urwißenfchaftliche Werk 
der Sprachwißenfchaffc eine neue Aera zu eröfihen, die der 
Deutfchen Sprache einen ganz andern Werth und eine ganz 
andere Stellung unter den Europäifchen Sprachen gab ; er fah 
zu feiner Genugthuung neben der klafCifchen und Orientali- 
fchen eine Deutfche Philologie auf dem Grunde feiner 
Forfchungen üch bilden, die fchon in Kurzem einen un- 
geahnten Auffchwung nahm; er rechnete außerdem bei feiner 
idealen Anfchauung der Welt und der Dinge in Betreff der 
Aufnahme und der Verbreitung feiner Lehren auf die durch 
die Befreiungskriege erzeugte vaterländifche Stimmung des 
Deutfchen Volkes. Auch dann, als die beiden Brüder, kaum 
aus Göttingen (1837) vertrieben, von der Weidmann* fchen 
Buchhandlung in Leipzig die Aufforderung erhielten ihre 
„unfreiwillige Muße" mit der Abfaßung eines neuen 
großen Wörterbuchs der Deutfchen Sprache auszufüllen, als 
fie (1840) „durch die Gnade des Königs von Preußen in 



— 23 — 

Berlin Schirm und Freiheit für ihre Forlchnngen erlangten'', 
ift Jakob noch voller Vertrauen auf das Deutfche Volk und 
▼oller Hoffiiung auf das Gelingen feines Werkes. IndelTen 
find doch fchon allerhand Bedenken in ihm aufgeftiegen. Trübe v 
Erfahrungen verfchiedener Art, die Ausweifung ans GÖttingen, 
die Anfechtungen, die feine Lehren überall von Seiten der 
Herrn vom Schlendriane femden, die offenen Anfeindungen 
Yon Seiten „frecher Halbkenner unferer Sprache, die fich 
nicht fcheuten ein vaterländifches Werk, das Alle freuen 
follte und reiche Vorräthe öffnet, zu verläftem" \ *) der paftive 
Widerftand der Unterrichtsbehörden, der ihn mehr und mehr 
überzeugte, daß feinen wißenfchaftlichenBeftrebungen keines 
Medlceers Güte lächelte; die hemmende Beforgnis der Ver- 
lagshandlung, daß die durchgreifenden orthographifchen Be- 
formen, die er bezweckte, dem Abfatze des Deutfchen Wörter- 
buchs fchaden könnten,**) das alles erhöhte allmählich feine 



*) Grimmas eigene Worte. Wenn er dann (Deutfehes 
Wörterbuch I, S. LXVII) hinzufügt : „ihr frevel ift unferer 
öffentlichen zerriffenheit ein zeichen'^, fo geht daraus 
hervor, daß feine idealen Anfchauungen vor der rauhen 
Wirklichkeit bereits zu zerrinnen begonnen hatten. 
**) Grimm tröftet fich zwar damit, daß mäßige und all- 
mählich vorgebrachte Beformen faft jederzeit Eingang, 
überfpannte Abwehr gefunden haben. Aber der nieder- 
fcUagende Eindruck, den diefe durch materielle Bück- 
fichten eingegebene Befchränkung auf ihn gemacht, 
und der nachtheilige Einfluß, den Ge auf fein Werk 
geübt haben, ift aus einer andern Stelle erfichtlich, wo 
es heißt: „die deutfche fprache kann, bevor ihre Ortho- 
graphie gereinigt wird, das Wörterbuch nicht befriedi- 
gend einrichten, und ein mangel des gegenwärtigen 
bleiben muß es, daß diefem gebrechen noch nicht ab- 
geholfen werden durfte." Und wieder an einer andern 
Stelle heißt es: „der verfaßer eines deutfchen Wörter- 
buchs vernichtet feine mühfame arbeit und würdigt Re 
herab, wenn er fich den fehlem ergibt, die nur die un- 
wißenheit und die lange verkennung unferer fprach- 
gefetze hegen konnte". 



— 24 — 

angeborene Scheu und machte ihn, zumal als nach dem den 
,,nazionalen Sinn befruchtenden Gewitter von 1848 Rück- 
fcUäge lang und fchwerfallig die Luft durchzogen'', nicht 
bloß verzagt und mismuthig, fondern auch unfchlüßig und 
fchwankend in feinen urfprünglichen Anlichten und Ent- 
fchlüßen. Daher die auffallenden Widerfprüche zwifchen dem 
Grammatiker und dem Lexikographen Grimm und die vielen 
Inkonfequenzen in der frühern und fpätem Schreibung, auf 
die er felbft hindeutet in der nachfolgenden merkwürdigen Er- 
klärung, die er in der Vorrede zu feinem Deutfchen Wörter- 
buche, dem unvollendeten Schlußfteine feines Lebens, ab- 
gibt.*) „Ich wollte", heißt es dort, „den wuffc und unflat un- 
ferer fchimpflichen , die gliedmaßen der fprache ungefüg 
hüllenden und entftellenden fchreibweife ausfegen; ja daß ich 
dafür den rechten augenblick gekommen wähnte, war einer 
der hauptgründe mich zur übernähme des Wörterbuchs zu be- 
ftimmen, deffen ganze Ordnung faft an jeder ffcelle durch das 
beibehalten der unter uns hergebrachten Orthographie fichtbar 
geftört und getrübt werden mufte. es ift nichts kleines, 
fondern etwas großes und in vielen Dingennützes 
feine fprache richtig zu fchreiben. das deutfche 
Volk hängt aber fo zäh und unberaten an dem ver- 
härteten fchlimmen misbrauchy daß es eher 
lebendige wirkfame rechte als von feinen untau- 
genden buchftaben das geringfte fahren ließe, 
unmittelbar mit dem erften eindruck, den ein neu auftretendes 
wörterbuc)i hervorzubringen im ftande wäre, mit dem einfluß, 
den es allmälich üben könnte, fehlen es am fchicklichften zu- 
gleich die längft reife neuerung, vielmehr zurückführung 
der fchreibregel auf ihre alte einfachheit, zu ver- 
binden, in der bewegung der zeit felbft hätte diefe ab kehr 
und Wendung von dem bloßen fchlendrian der 
letzten, nicht der früheren Jahrhunderte minderes 
auffehn erregt und fich unvermerkt den beifall oder die 



*) I, s. vm f. 



-- 25 — 

gewöhnong der menge gewonnen, als aber fonTt überall in 
die jüngft verlafTenen gleife znrückgefchoben wurde, leuchtete 
ein, daß es nun unmöglich gewefen wäre hier in die ältßften 
wieder einzulenken; was gefchehen konnte, war eine nur 
iheilweife zu verfuchende abhülfe und linderung des hervor- 
ftechendften Übels." 

Ja leider ift es fchon längft zu fpät, um unfere ganze 
heutige Wortfehreibung nach dem von Jakob Grimm auf- 
geftellten hiftorifchen Prinzip e zu reformieren. So gut 
dies vielleicht vor einem Jahrhunderte zu Gottfcheds und 
Adelungs Zeiten gegangen wäre, fo unausführbar würde es 
jetzt fein, wo lieh die leidige Gewohnheit des Deutfchen Geiftes 
allmählich mit einer Gewalt bemächtigt hat, daß die Deutfchen 
in ihrer großen Mehrheit wider eine folche Umgeftaltung 
unferer Orthographie fich förmlich empören würden. Aber zur 
Herftellung einer größeren orthographifchen Einigung, wie Ge 
fo dringend noth thut und wie ^e vom Minifter Falk beab- 
lichtigt worden ift, zunächft und vor Allem die vielen Schwan- 
kungen, die in unferer Wortfehreibung lieh eingefchlichen 
haben, hinwegzufchafiPen und nebenbei — ebenfalls um diefer 
Einigung willen — eine Anzahl von andern fchreienden Mis- 
bräuchen*) zu befeitigen, dazu ift es mit nichten zu fpät. 
Das darf und kann aber, wie wir im Verlaufe der vorliegenden 
Schrift zu beweifen hoffen und wie es Geh im Grunde von felbft 
verfteht, ganz allein gefchehn auf dem Gehern Wege, den 
Jakob Grimm vor einem halben Jahrhunderte mit über- 
legenem Scharfblicke vorgezeichnet hat. 

Wohlan denn, noch Gnd die Zeitverhältniffe einer 
folche n Verbeßerung unferer Schreibung und der nur auf 
diefe Weife möglichen und doch fo dringend gebotenen ortho- 
graphifchen Einigung günfdg. Jetzt, wo der Preußifche Unter- 



*) Wir meinen Schreibweifen, die nur den ufus für Geh 
haben, fonft aber fo widerGnnig oder wenigftens fprach- 
widrig Gnd , daß es keinem fprachlich Gebildeten zuge- 
muthet werden kann, diefelben wider beßeres Wißen zu 
befolgen. 



— 26 — 

richtsminifter anregend und ermimtemd voran gieng, wo der 
Haucli der vaterländiTchen Einheit und Einigkeit noch be- 
lebend und {rifch durch die Deutfchen Gaue weht, wo unter 
dem mächtigen Drange nach Vollendung der politifchen 
Einigung alle Schwierigkeiten doppelt leicht überwunden 
werden , die ein auf Einigung abzielendes Werk veruriacht, 
jetzt oder vielleicht nie ift die G-elegenheit geboten die 
ein halbes Jahrhundert lang nur von der Deutfchen Philo- 
logie gepflegte, fonft aber von den Deutfchen verfchmähte 
Wißenfchafti der eigenen Sprache wieder zu Ehren zu bringen 
durch Einführung einer einheitlichen Orthographie, die auf 
dem von Grimm geebneten Boden der hiftorifchen Sprach- 
forfchung ruht. Und nicht bloß um der Wißenfchaft; willen 
thut diefe orthographifche Einigung noth, fondem auch aus 
nazionalen Gründen; denn 

m. auch das Nazionalgefiihl gewinnt. Die Deutfchen 
hatten, befonders feit dem Ende der Hohenftaufen, wahrhaftig 
keinen Grund als Nazion auf ihren Namen ftolz zu fein. Sie 
dürfen es erft und dürfen es in vollem Maße feit dem Jahre 
1870 fein. Nur ihre Sprache, diefe herrlichfte der Welt, be- 
rechtigt Jie in zwei Beziehungen zu diefem Stolze nicht; denn 
zwei Eigenfchaften , die gerade durch das ganze Deutfche 
Alterthum hindurch ihre höchften Zierden waren, find ihr 
durch die Ungunft der Zeit verloren gegangen, wir meinen die 
Reinheit und die Richtigkeit. 

Ueber den erften Punkt ift fchon (11, S. 13 f.) gefprochen 
worden. Die „Frömdgierigkeit" der Deutfcben, wie He der ehr- 
liche Schottel nennt, insbefondere ihre unnatürliche „Gier** 
nach Franzöfifchen Wörtern und Phrafen , war von jeher 
eine Schmach, wie He unter allen gebildeten Nazionen nur an 
uns Deutfchen haftet, an uns, die wir bei der Bildfamkeit und 
dem Reichthume unferer Sprache diefes von einer viel ärmeren 
fremden Sprache erborgten Flitters am allerwenigften be- 
dürfen. Zu einer Zeit, wo unfere Sprache in fchroffem Gegen- 
fatze zu der bereits in fchönfter Entwickelung begriffenen 
Franzöfifchen fich noch im Zuftande der tiefften Verwirrung 



— 27 — 

tind Verwildenmg befand, aus Eitelkeit und Vornehmihuerei 
entfprungen hat diefe Unlitte, wie fchon bemerkt ift, befonders 
feit dem beftechenden Zeitalter Ludwigs XIV in erfcbreckender 
Weife überhand genommen und namentlich unter den gebil- 
deten Ständen um fo feftere Wurzeln gef oblagen, je mehr man 
Geh gewöhnt hatte mit vielen Franzöfifchen Wörtern einen 
befonderen Begriff zu verbinden, den man mit einem Deutfchen 
Worte wiederzugeben nun kaum im Stande war. Mit dem 
erwachenden nazionalen Sinne der Deutfchen und ihrer be- 
ginnenden Abneigung gegen welfches Wefen begann auch 
unfere Mutterfprache lieh mehr und mehr zu läubem. Die 
nazionale Erhebung zur Zeit der Freiheitskriege hat uns, fo 
fchnell üe verlief, nicht bloß von den Franzofen felbft, fondem 
auch von manchem unnützen Franzöfifchen Worte, das üch 
eingefchlichen hatte, glücklich befireit, und mit jeder neuen 
Anregung, die das einmal geweckte Deutfche Nazionalgefühl 
durch die Ereigniffe der Zeit bekam , that unfere Sprache in 
der Beinigung von Franzöfifchem Plunder ein paar Schritte 
vorwärts. Entfchieden vorwärts geht es aber auf diefer Bahn 
erft, feit üch der Deutfche im Jahre 1870 feines Dafeins als 
Deutfcher fo klar wie noch niemals in der Weltgefchichte be- 
wuft geworden ift. Von der weittragendften Bedeutung, ja 
epochemachend ift in diefer Hiniicht der Vorgang unferer 
Eaiferlichen Poft, die auf Anordnung ihres zeitigen Oberhauptes 
alle auf das Poftwefen bezüglichen fremden Ausdrücke mit 
einheimifchen vertaufcht hat. Möchte diefem herrlichen 
Beifpiele, mit welchem der Kaiferliche General -Poftmeifter 
trotz dem zum Theil in fchalem Spotte lieh äußernden Mis- 
behagen des großen Schwarmes der Herrn vom Schlendriane 
frei und kühn und als echter Deutfcher Mann vorangeht, nun 
namentlich unfere Handels- und Gefchäftswelt folgen, die trotz 
ihrer bewährten nazionalen Gefinnung doch nicht die Kraft 
beiitzt von ihren Chefs und Commis, ihren Bureaus und 
Comptoirs u. f. w. üch mannhaft loszureißen; möchten be- 
fonders auch die Deutfchen Zeitfchriften und Zeitungen folgen, 
die mehr als irgend etwas in der Welt dazu gemacht find 



Ä. 



— 28 — 

iauf . die ()£Pentliclie Aasdrucksweife einen heilibmen Einfluß 
auszuüben, deren Sprache aber von fremden, befonders 
FranzöGfchen Wörtern zur Zeit noch förmlich Itarrt; möchte 
vor Allen recht bald der Preußifche Eriegsminiüter folgen, 
damit endlich unfer ruhmreiches Heer dem übermüthigen 
Nachbar im Weften, den es mit dem Schwerte fo gründlich 
überwunden, auch darin lieh überlegen zeige, daß es die Fran- 
zöGfchen Ketten auch' in fprachlicher Beziehung bricht. 

Zwar die Beinigung unferer Sprache hat vorzugsweife 
der Preußifche Unterrichtsminifter in feiner Hand: ein Ver- 
bot gegen die Zulaßung von unnöthigen^) Fremdwörtern 
beim Unterrichte, befonders in den Deutfchen Auflätzen, wie 
es auf einigen Nichtpreußifchen GymnaJlen vor der Einver- 
leibung thatßlchlich beftanden hat, erfordert nur ein paar 
Federftriche , würde aber das Übel bei der Wurzel faßen und 
dem Minifter den Dank der Mitwelt und der Nachwelt iichern. 
Es wird langfam gehn, aber „gut Ding will Weile.*' Aufhalten 
läßt ilch die Säuberung unferer fchönen Sprache feit der 
Wiederherftellung eines einigen Deutfchen Reichs nicht mehr. 

Noch langfamer und fchwieriger als die Reinigung 
wird die grammatifche Berichtigung unferer Sprache vor 
lieh gehn. Beide, die Reinigung von Fremdem und die Reini- 
gung von Falfchem, haben das mit einander gemein, daß fie 
Reformen find, die unfere Sprache von groben Verunftaltungen 
befreien foUen, daß Re aber bei diefem Befreiungswerke eine 
gewaltige Schwierigkeit zu überwinden haben : fie müßen beide 
ankämpfen wider die G-ewohnheit, und nirgends, wie gefagt, 
ift der Deutfche fchwerfUlliger , hartnäckiger, um nicht zu 
Hagen plumper, als wo er lach losreißen foU von dem Gängel- 



*) Wir gedenken den Geßchtspunkt, aus welchem über den 
Gebrauch der Fremdwörter geurtheilt werden muß , an 
einem anderen Orte fo genau wie möglich anzugeben 
und wollen in diefer Beziehung einftweilen auf 
Grimmas Deutfche Grammatik HI, 557 und Deutfehes 
Wörterbuch I, S. XXVI. ff. verwiefen haben. 



— 29 — 



bände der Gewolinheit. Es beltebt aber zwiTchen beiden Re- 
formen der bedeutende Unterfchied, daß die Reinigung 
nnferer Sprache von Fremdem befonders feit dem Jahre 
1813 im Volke felbft einen mächtigen Bundesgenoßen gehabt 
hat und noch hat an dem von Jahr zu Jahr zunehmenden 
nazionalen Geifte, der feine Spitze hauptfächlich gegen Frank- 
reich kehrt, die Reinigung unferer Sprache von Falfchem 
aber bisher kaum in dem engen Kreife derjenigen ihre Be- 
förderer und Gönner hatte, die Heb nach Jakob Grimms 
Vorgänge ausfchließlich oder wenigftens yorzugsweife der 
Wißenfchaft der Deutfchen Sprache widmen. So erklärt Jich 
der bereits gefchilderte allgemeine Widerftand, den Grimms 
Verfuch unfere in troftlofem Zuftande befindliche Wortfchrei* 
bung zu ihrer urfprünglichen Korrektheit zurückzuführen bisher 
gefunden y fowie der Verzicht, den Grimm felber bei der 
Bearbeitung feines Wörterbuchs auf jenen berechtigten Verfuch 
ixiov aixovri yi &vfi^ geleiftet hat. Wir haben fchon oben be- 
merkt — und dies geht nicht bloß aus der dort angeführten 
Stelle , fondern auch aus einem im Jahre 1849 an die Weid- 
mannTche Buchhandlung in Leipzig gerichteten und im 2. Hefte 
der Zeitfchrift für Deutfche Philologie von Höpfner und 
Zacher reröfiPentlichten Briefe hervor — , daß es urfprüng- 
lieh Grimms emftliche Abiicht war in feinem Deutfchen 
Wörterbuche eine durchgreifende Verbeßerung der herge- 
brachten Neuhochdeutfchen „fogenannten^* Rechtfehreibung 
einzuführen. „Ich kann**, heißt es unter Anderem in jenem 
Briefe, ^^nachdem ich in der grammatik dargeftellt habe, wie 
unrichtig, barbarifch und fchimpflich die heutige fchreibung 
ift, es nicht über mich bringen, fie in einer das ganze der 
fprache umfaßenden arbeit dennoch beizubehalten und fortzu- 
pflanzen .... beim wörterbuche muß kühn vorgegangen oder 
ganz die band abgelaßen werden .... das Wörterbuch foll 
die deutfche fprache auf eine höhere ftufe der entwicklung 
emporheben; es foll nicht im ftaub ftehn bleiben, fondern ihn 
abfchütteln und in reine luft dringen wollen.** Nur die Er- 
wägung, daß ein fo entfchiedenes Vorgehn gegen eine feit 



— 30 — 

Jahrhanderten eingewur^selte fehlerhafte Gewohnheit der Ver- 
breitung nnd Wirkung des Wörterbuchs unverhältnismäßigen 
Abbruch thun würde, konnte ihn bewegen von folchem Vor- 
haben abznftehn und lieh auf eine klare und eindringliche 
Darlegung der Nothwendigkeit einer bis auf den G-rund 
gehenden Beform der Rechtfehreibung zu befchränken*). In- 
deüen fügt er am Schluße diefes Briefes mit ahnender Seele 
hinzu, erft wenn „neues politifches Heil über uns 
aufgehe^', werde das Publikum f^hneller nach- 
geben und eine neue Orthographie fich herftellen 
laßen, die imzerrißenen und ermattetenDeutfch- 
land nichts zubewerkftelligen vermochthätte^^). 
Nun denn, das neue politifche Heil, delTen der edle 
Forfcher hienieden vergebens harrte, ift fchon wenige Jahre 
nach feinem Tode glücklich aufgegangen. Seit nun acht 
Jahren befteht wieder ein Deutfchland ; e i n oberfter Kriegsherr 
verfügt und gebietet über das Deutfche Heer ; wir haben jetzt 
ein Maß, ein Gewicht, eine Münze, ein Recht; Poft- und 
Telegraphenwefen lind durch ganz Deutfchland eins; eine 
große Zahl von wichtigen Gefetzen, die ßch mit jedem Jahre 
mehren, hat nun unfer einiges Vaterland gemeinfam; Alles, 
was aufrichtige Freude hegt über die wieder errungene Einheit 
Deutfchlands , Alles, was ein warmes Herz hat für Deutfehes 
Wefen, will nach jahrhundertlanger haarfträubender Spaltung 
und Zerftückelung nun endlich innigfte Einigung im Großen 
wie im ELleinen: foU die Deutfche Wortfehreibung von diefer 
WoUthat ausgefchloßen fein? foUen die Deutfchen fort und 
fort nur um die Gefetze ihrer fchönen Sprache und um die 
Anwendung diefer Gefetze auf den fchriftlichen Gebrauch der 
Sprache hadern ? folL die Schreibung als wichtiges Stück der 
Sprache, diefes geiftigen und dabei koftbarften Eigenthums 



*) S. die Vorrede zum 1. Bande des Deutfchen Wörter- 
buchs S. LIV— Lxn. 
**) S. den ganzen Brief in Michaelis Schriftchen über 
J. Grimms Rechtfehreibung S. 29 ff. 



— 31 — 

einer Nazion, in diefer Beziehung den materiellen Gütern des 
Volkes nachrtehn? Das ift ja aber ancli bei keinem andern 
Volke je der Fall gewefen ab bei den Deutfchen, fo lange 
fie eine Nazion waren ohne Nazionalität. Wo in aller Welt 
gibt es ein Volk, das — ganz abgefehn von den vielen ans 
den letzten vier Jahrhunderten blindlings vererbten fprach- 
liehen Fehlem, die man wider Wißen und Willen üch an- 
geeignet — eiae Menge feiner bedeutendften Wörter fo 
wenig zu fchreiben verftände, wie das allen gebildeten Völkern 
geiftig fo weit überlegene und im Befitze der herrlichften aller 
Sprachen befindliche Deutfche? 

Sehr wenige Sprachen Europa*s haben üch in der Schrei- 
bung und Ausfprache ihrer Wörter von vorn herein ganz un- 
geftört und feft entwickelt ; man fchritt aber, wo Schwankungen 
zu entftehn begannen, mit durchgreifenden Mitteln ein. Der 
Zerfahrenheit, die der Franzöllfchen Sprache drohte, ward 
fchon in der Mitte des 17. Jahrhunderts Halt geboten durch 
das dictionnaire de tacadSmie frctngaise. Zu demfelben Zwecke 
ward in Dänemark die Herausgabe eines Wörterbuchs ver- 
anftaltet, zumal da dort das Deutfche Idiom frühzeitig zwifchen 
das Dänifche üch niftete und eine felbftändige und einheitliche 
Entwickelung der Dänifchen Sprache zu vereiteln begann. 
In Italien ftellte das Wörterbuch der accademia della Cnuca 
die Schreibung feft. In England ift die Bibelüberfetzung des 
Jahres 1535 Bichtfchnur für eine richtige und übereinftimmende 
Orthographie geworden. In Spanien bedurfte es nur einer 
von wenigen Gelehrten ausgegangenen Feftftellung des Ge- 
brauchs , und jedermann war damit einverftanden. Selbft in 
Schweden hat man in neuerer Zeit ein Wörterbuch zu dem 
ausdrücklichen Zwecke herausgegeben, um den vielen Schwan- 
kungen in der Orthographie ein Ziel zu fetzen. Stehn auch 
diefe lezikalifchen Werke fammt und fonders dem wahren 
Begriffe eines Wörterbuchs mehr oder weniger fem, fo haben 
iie doch ihren hohen praktifchen Werth und haben ihren Zweck 
erreicht. Und diefer Zweck ift eben der , den jedes politifch 
reifere Volk von ausgeprägtem Nazionalkarakter mit eifemer 



— 32 — 

Konfequenz, ja mit einer gewÜXen politifchen Eiferfucht ver- 
folgt. Wo gäbe es in des Wortes echtem Sinne eine Nazion, 
die nicht mit Argusaugen wachte über die Güter, die das 
Volk zu einigen, die ihm allein den Stempel voller Eigenheit 
aufzudrücken und zu wahren im Stande find ? Eb exifdert aber, 
wie gelagt, für ein Volk kein höheres G-ut, kein köftlicheres 
Kleinod, kein Befitzthum, an dem es bis zum letzten Hauche feft* 
hält, als das den Menschen vom Thiere unterfcheidende wunder- 
fame Werkzeug, durch das er ausfpricht, was er denkt und fühlt, 
die Sprache. Sie ift eben, weil man fich hingezogen fühlt 
zu dem, mit dem man gleiche Gedanken und Empfindungen 
theilt, das heilige Band, das ein Volk mit magifcher Gewalt 
umTchlinget und zufammenhält : wo diefes Band, das die 
Sprache knüpft, fich lockert, da hat auch das Volk in fich 
felber keinen Halt mehr. Nirgends ift dies fo erfichtlich, wie 
am Deutfchen Volke. In dem Maße, wie das Deutfche 
Beich feit dem 14. Jahrhunderte mehr und mehr zerfiel, 
fchwand auch bei den Deutfchen felbft allmählich das IntereHe 
für das Gemeinfame, was ein Volk befitzt, für Sprache und 
Schriftenthum. Blind und taub für ihre fchöne Mutterfprache 
und für die Schöpfungen der Minnefänger griffen die gebil- 
deten Stände nach Franzöfifchen Ausdrücken und Erzeugniffen, 
während das eigentliche und echte Deutfeh in den Händen 
des Volks verblieb, um aus diefem rauhen Schlupfwinkel erft 
vom Ende des 17. Jahrhunderts an, nachdem inzwifchen die 
allgemeine Roheit des 16. und 17. Jahrhunderts überall in 
Deutfchland eine Unzahl von guten Spracheigenheiten vollends 
verwifcht und vertilgt hatte, entfetzlich vergröbert und entftellt 
allmählich wieder hervorzugehn. Erft in den „wehevollen" 
Anfangen des laufenden Jahrhunderts ift in einzelnen Männern 
und feit den Freiheitskriegen im Volke überhaupt die Liebe 
zum Deutfchen Vaterlande und ein heißes Verlangen nach 
feiner endlichen Einigung erwacht. Mit welcher Zärtlichkeit 
wandten fich da die Deutfchen ihrer lange verachteten Mutter- 
l]prache zu ! Wie ward fie im Leben geehrt, im Liede gefeiert ! 
Und doch war damals die nazionale Begeifterung bei weitem 



- 33 - 

nicht fo rein und fo allgemein, lo begründet und fo berech- 
tigt, fo hoch getragen von fittlichem Stolze und nazionalem 
Selbftgefühle, wie üe es nach dem großen Kriege von 1870 
ilt, nach dem Kriege, in welchem das DeutTche Volk zum 
erften Male feit der Gründung eines Deutfchen Beichs (843) 
als ein „einig Volk von Brüdern" ohne jegliche fremde Hilfe 
den alten Erzfeind zu Boden warf. 

Wohlan denn! feit unfer Volk die unverwüftliche Kraft 
erkannt hat, die in feiner Eintracht liegt, ift Einigkeit feine 
Losung. Es wird fich, und wäre es auch nur um diefer Einig- 
keit willen, einer wißenfchaftlich geregelten, einheitlichen 
Schreibung, die man im zerrißenen und ermatteten Deutfeh- 
land herzuftellen umfonft verfucht hat, jetzt im geeinigten und 
erftarkten Deutfchland, wenn es auch von der Amme Ge- 
wohnheit laßen muß, doch gern gefallen laßen. Oder foU die 
Einheit Deutfchlands bloß aus dem Grunde etwas lückenhaftes 
bleiben, weil üch der gute Deutfche, der Jlch der Einheit zur 
Liebe von feinen Grofchen und Kreuzern zu trennen vermocht 
hat, doch in den Formen feiner Sprache von der lieben Ge- 
wohnheit nur ungern losreißt? foU lieh Deutfchlands Zer- 
rißenheit gerade in der Sprache, dem köftlichften Gute, 
verewigen, in welcher bis auf das kleinfte Pünktchen durch 
und durch einig zu fein die natürlichfte Sorge und der ge- 
rechtefte Stolz jeder andern Nazion ift? Nein, vorwärts! das 
Eifen gefchmiedet, weil es noch warm ift! Es gilt den gün- 
ftigften aller Momente zu benutzen zur Ergänzung, Erwei- 
terung und Vollendung der errungenen Einheit; es gilt das 
Band der Zufammengehörigkeit da enger und fefter zu fchürzen, 
wo es zur Zeit noch locker ift; es gilt nur noch ein nazionales 
Bedürfnis zu befriedigen, das gerade jetzt um fo tiefer und all- 
gemeiner empfunden wird, je vollftändiger die Einigung Deutfch- 
lands in allen andern wichtigen Punkten bereits vollbracht ift ; 
es gilt eine alte Schmach zu tilgen : benutzen wir den günftigen 
Moment, um auch fie zu tilgen im Intereffe der Einheit und 
der Ehre des an Ehre fonft fo reichen geliebten Vaterlandes. 



Bisen, Deutsche Orthographie. 



I. 

§ 1» Der ProfelTor Rudolf von Raum er in Er- 
langen war es, den der Preußifche Minifter Falk von Reichs 
wegen aufgefordert hatte , »zur Anbahnung einer 
größeren Gleichmäßigkeit in der Deutfchen 
Rechtfehreibung zunächft im Bereiche der höheren 
Schulen Deutfchlands eine grundlegende Schrift aus zuarbeiten/^ 
Ein ehrender Auftrag, der aber leichter ausgefprochen als 
ausgeführt war. Die Schwierigkeiten der übertragenen Arbeit 
waren groß, und faft noch größer war die Verantwortung. Die 
Anbahnung einer größeren Gleichmäßigkeit in der Deutfchen 
Wortfchreibung ift ohne ein gewiffes Maß von orthographifcher 
Reform unmöglich. Wo war denn aber nach dem Wortlaute 
der minifteriellen Aufforderung die Grenze diefer orthographi- 
fchen Reform? Und wenn diefe Grenze gefunden war, nach 
welchem Prinzipe foUte reformiert werden? Und wenn das 
Prinzip gefunden war, wer übernahm die Verantwortung da- 
für, wenn bei der Fülle „des Unrichtigen, Barbarifchen, 
Schimpflichen in unferer heutigen Schreibung"^) doch noch 
einzelne mehr oder minder arge Unrichtigkeiten fitzen bUeben, 
die dann durch den Raumer'fchen Kanon den Schulen ein- 
geprägt und durch die Schulen fortgepflanzt und vererbt 
\ werden von dem einen zu dem anderen Gefchlechte? 



*) S. unten § 8. 



— 35 — 

Zwar das anfängliche Bedenken gegen eine etwaige ortho- 
grapbifclie Diktator des Herrn von Baumer fchwand, als 
man erfiihr, daß von demfelben Herrn Minifter zu dem an- 
gegebenen Zwecke eine Orthographifche Konferenz berufen 
und Herrn von Baumerts erwähnte Schrift eben nur die 
Grundlage für die Berathungen diefer Konferenz zu bilden 
beMmmt war. Und in der That ift dies der einzige richtige 
Weg für eine orthographifche Beform, die nicht nur Eingang 
bei den Deutfchen finden, fondem auch von Beftand fein foll, 
daß fie im Auftrage und im Namen des Staates durchgeführt 
werde durch einen Hub von Sprachgelehrten. Trotzdem 
können wir auch jetzt noch gewüTe Bedenken nicht unter- 
drücken. Vor Allem drängt es uns die Frage aufzuwerfen, 
ob die Namen der zu der Konferenz berufenen Männer dafür 
bürgten, daß das erfehnte Werk der orthographifchen Einigung 
mit Hilfe der eingeführten Beform gelänge. Und da nehmen 
wir denn keinen Anftand zu behaupten, daß die Zufammen- 
fetzung der befSagten Konferenz dies zu verbürgen keineswegs 
geeignet war. 

§ 3» Wie die Dinge gegenwärtig liegen, ift eine ortho- 
graphifche Einigung im wahren Sinne des Worts nur denkbar, 
wenn es glückt zwifchen den 'zur Zeit beftehenden orthographi- 
fchen Gegenfätzen, zwifchen dem hiftorifchen und dem 
antihiftorifchen Prinzipe*), eine gewiffe Vermittlung und 
Verftändigung herbeizufuhren, was denn auch, fo fehr die 
Herrn Antihiftoriker eine derartige Vermittlung hoch- 
müthig von Geh weifen**), in der That weder fchwer, noch 
für eine der beiden Bichtungen irgendwie unehrenhaft, viel- 
mehr mit dem fonft richtigen Grundfatze principiis obsta fehr 
wohl vereinbar ift. Wir halten aber eine folche Verftändigung 
allerdings von vom herein für ganz unmöglich, fo lange in 



*) S. unten § 34. 
**) „Eine* Vermittlung gibt es nicht, und es gilt in dem 
Kampfe entfchieden Partei zu ergreifen." Duden 
Deutfche Bechtfchreibung S. IV. 

3* 



— 36 — 

einem Ausfchuße, der zur Berichtigung unferer fehlerhaften 
und fchwankenden Orthographie berufen ift, das antihifto- 
rifche Element in dem Maße überwiegt, wie dies in der vom 
Preußifchen UnterrichtsminiTter berufenen Orthographifchen 
Konferenz der Fall war. Dazu kommt, daß Herr von R aume r, 
der Matador unter. den Antihiftorikern oder — wohl 
richtiger gelagt — der Repräfentant des antihiftorifchen 
Prinzips, nach Allem, w^s man darüber gelefen hat, zumal als 
Yerfaßer der „grundlegenden Schrift", der Mittelpunkt und 
die Seele der mehrerwähnten Konferenz war und immitten der- 
reiben einen nahezu dominierenden Einfluß übte. Aus alle 
dem, namentlich auch aus einem Artikel der „Foft^^ vom 
29. Dezember 1875, der etwas gar zu laut und zu keck hin- 
aus in die Welt klangt) und der wohl als Quartiermacher 
für das fogenannte phonetifche Prinzip zu betrachten war, 
geht fonnenklar hervor, daß man in Bezug auf die beabJich- 
tigte orthographifche Einigung von vorn herein offen und 
entfchieden Partei genommen hat gegen das 
hifto rifche Prinzip, alfo gegen dasjenige Prinzip der 
Wortfchreibung, das Jakob Grimm, der bei weitem gröfte 
Kenner der Deutfchen Sprache, unferer fehlerhaften und 
fchwankenden Schreibweife gegenüber als das einzig richtige 
erkannt hat. Wir wollen dem Preußifchen Unterrichtsminifter 
daraus keinen Vorwurf machen. Es ift nicht das kleinfte 
unter feinen vielen Vetdienften, daß er es überhaupt unter- 
nommen hat uns Deutfche auch in Sachen unferer Ortho* 
graphie, in der wir das Bild von Deutfchlands zerrißenem 
Herzen zu verewigen geneigt find, möglichft zu einigen. Er 



*) Es zeugt von wenig Verftand und von noch weniger 
Verftändnis für die vorliegende orthographifche Frage, 
wenn man, wie es in diefem Zeitungsartikel gefchehn 
ift und auch anderwärts gefchieht, über das hiftorifche 
Prinzip der Wortfchreibung fo wegwerfend urtheilt, 
als wenn es überhaupt gar keine Berechtigung hätte. 
Solche Urtheile und eben unreif und bleiben beßer un- 
ausgefprochen. 



— 37 — 

konnte in feiner Stellung unmöglich wißen, ob er in den 
Männern, die er zur Konferenz zu berufen beftimmt ward^ 
gerade diejenigen gefunden hatte, die in der fchwebenden 
orthographiTchen Frage mit zu reden und mit zu entfeheiden 
YorzugBweife berufen waren durch den Umfang und die Gründ- 
lichkeit ihrer fprachlichen Studien, wie durch ihre Stellung zu 
der orthographiTchen Beform. Ift es aber zu fpät oder ift 
man vielleicht gar nicht einmal gewillt diefe offene, um nicht 
zu fagen offizielle, jedenfalls auffallende Parteinahme gegen 
das von Jakob Grimm aufgeftellte hiftorifche Prinzip 
der Wortfehreibung wieder gut zu machen, fo wird es wenig- 
ftens erlaubt fein, daß man der Baumer'fchen Präponderanz 
gegenüber eine Beihe von unmaßgeblichen Bedenken darlegt 
und mit diefen Bedenken Heb eben an die Adrefte des Haupt- 
manns der Orthographifchen Konferenz, des Herrn von 
Baum er, wendet. Man wolle alfo an dem Titel diefes Büch- 
leins keinen Anftoß nehmen. Es handelt iich ja mit nichten 
darum dem verehrten Manne, deffen frühen Tod wir aufrich- 
tiger als mancher Andere beklagen, für feine Perfon Oppo- 
lizion zu machen. Der Zweck diefer Schrift ift kein an- 
derer als etwas weniges beizutragen, daß die weife Abficht 
des Preußifchen Unterrichtsminifters, die Herftellung einer 
„größeren Gleichmäßigkeit in der Deutfchen Bechtfchreibung^', 
fo voUftändig wie nur immer möglich erreicht werde. 



n. 

§ 3« Das erfte Bedenken, das eine Baumer'fche 
Präponderanz gerade auf dem Gebiete der Orthographie er- 
regt, ift die eigenthümliche Stellung, die Herr von Baumer 
überhaupt einer Beform der Wortfehreibung gegenüber nach 
feinen eigenen Worten einnimmt, bis zu dem Zeitpunkte we- 
nigftens eingenommen hat, wo die Orthographifche Konferenz 
zufammentrat. „Einen Vorwurf', fagt er in feiner Abhand- 



x»S 



— 38 — 

long über das Prinzip der Deutfchen Bechtfchireibong *), 
„mülTen wir zurückweif en , der unferer hergebrachten 
Orthographie in neuefter Zeit gemacht wird und der aller- 
dings auch die gewagteften und Alles wieder zerfplit- 
ternden Neuerungsverfuche entfchuldigen würde, 
wenn er begründet wäre. Man thut nämlich bisweilen, als 
wäre die hergebrachte Orthographie durchweg 
fo fchwankend und unficher, daß man von einer 
feftftehenden allgemein gültigen deutfchen Or- 
thographie kaum reden könne. Jeder folge ja ohnehin 
feinem Belieben. Zum Beweis beruft man lieh auf die Ab- 
weichungen, in denen felbft fo weit verbreitete Schulgramma- 
tiken, wie die von Adelung und Heyfe auseinander gehen, 
auf die verfchiedene Rechtfehreibung in den älteren und 
neueren Ausgaben unferer Clafßker und Anderes der Art. 
Näher betrachtet aber fchwindet diefer Vorwurf fo zufammen, 
daß er durchaus nicht im Stande ift das zu beweifen, was er 
beweifen foU. Hebt man allein die Verfchiedenheiten hervor, 
fo kann man den Schein erwecken, als fei unfere bisherige 
Orthographie noch zu gar keiner anerkannten Feftftellung ge- 
kommen. Vergleicht man aber die Fälle, in denen die ein- 
flußreichften Orthographen der Jahre 1780 bis 1820 nicht 
übereinftimmen, mit der Maffe derer, in denen üe einig und, 
fo nndet man leicht, daß das ftreitige Gebiet nur 
ein fchmaler Grenzfaum ift verglichen mit der 
großen Maffe des Uebereinftimmenden. Ich müßte 
eine vergleichende Orthographie fchreiben, wollte ich diefen 
Satz im Einzelnen durchführen, und auch dann würde viel- 
leicht vielen Lefem das Hauptergebnis lieh aus der Menge 
der Einzelheiten nicht klar vor Augen ftellen. Aber man 
richte nur einmal feine Aufmerkfamkeit auf die Maffe des 
Uebereinftimmenden und man wird die Wahrheit des Ge- 



*) Gefammelte fprachwiffenfchaftliche Schriften S. 116 f. 
Die ganze Stelle ift in Raumers Orthographie wieder- 
gegeben. 



— 39 — 

üagten leicht erkennen. Wer lieh einbildet, daß eine folche 
Uebereinftimmung ohne eine in der Hauptfache aner- 
kannte und feftgeltellte Orthographie möglich fei, 
der vergleiche nur die Drucke aus dem 16. Jahrhundert unter- 
einander, und doch waren auch damals fchon nicht unbedeu- 
tende Yerfuche gemacht worden, die Orthographie feftzu- 
ftellen! .... Mag man alfo über den Werth oder den Un- 
werth unferer bisherigen Orthographie urtheilen, wie man 
will, fo wird man doch zwei Dinge nicht leugnen können, erft- 
lich daß wir eine wirkliche zu Becht beftehende 
Orthographie haben, und zweitens, daß diefe Ortho- 
graphie bei weitem in den meiften Punkten bereits feftgeftellt 
war, als unfere Literatur feit der .Mitte des 18. Jahrhunderts 
ihren neuen großartigen Auffchwung nahm.'' 

§ 4« So weit Herr von Baum er. Daß diefe feine 
Stellung einer gründlichen VerbeßeruDg der jetzt hexrfchenden 
Schreibung gegenüber — zu der Zeit wenigftens, wo er 
die f es fchrieb — eine ausweichende oder geradezu ablehnende 
war, läßt lieh nach folchen Herzensergießungen wohl kaum be- 
zweifeln. Schon daß er von „Neuerungsverfuchen'' fpricht, ift 
bezeichnend für den Standpunkt, auf dem er einer orthogra- 
phifchen Beform gegenüber fteht. Das Wort „Neuerung" 
ift bekanntlich die Lofung aller derjenigen — und Re bilden 
ja zur Zeit noch die ungeheuere Mehrheit — , die in fprach- 
licher Beziehung mit blinder Hartnäckigkeit am Hergebrachten 
hangen und jeglicher noch fo vernünftigen Änderung feind 
find. Wir wollen damit nicht fagen, daß es Neuerungen auf 
fprachlichem Gebiete überhaupt nicht gebe : alles Neue, was will- 
kürlich in unfere Sprache hineingetragen wird ohne wißen- 
fchaftlichen Grund und Boden zu haben, ift eben 
eine Neuerung. Es muß aber jeder, der fich nur vorüber- 
gehend in unferer älteren Sprache umgefehn, jeder, der nur 
einen flüchtigen Blick in die Grammatik oder das Wörterbuch 
von Grimm gethan, jeder, der fich nur oberflächlich mit der 
Wißenfchaft unferer Sprache befchäftigt hat , von vorn herein 
wißen, daß es fich bei der beabfichtigten oder wenigftens heißer- 



— 40 — 

fehnteo Einfiihmng einer einheitlichen Orthogpraphie anter uns 
Deatfcben mit nichten um willkürliche Änderungen, fondem, 
um mit Grimm felbrt zu reden, lediglich y,um Abkehr und 
Abwendung von dem Schlendriane der letzten 
Jahrhunderte", um Wiederherftellung der durch grobe 
Unwißenheit allmählich verwifchten und entftellten richtigen 
Schreibung handelt. Herr von Raumer ift durch feine 
gründlichen fprachlichen Studien in den Stand gefetzt hierin 
tiefer zu blicken und klarer zu fehn als irgend ein Anderer; 
er muß, um aus hunderten von Beifpielen nur eines heraus- 
zugreifen, genauer als mancher Andere wißen, daß die von 
ihm felber wie von den Herausgebern des Berliner Wörter- 
verzeichniffes angenommene und durchgeführte Schreibung 
der Endülbe — n i s nicht im Entfemteften eine Neuerung ift, 
wie die Herrn vom Schlendriane auch diefe Schreibart zu 
benamfen pflegen, fondem die wiederhergeftellte alte echte 
Schreibung. Das Alles erwogen Und wir zu der Annahme 
geneigt, daß Herr von Raumer nur feiner Abneigung gegen 
das hiftorifche Prinzip der Rechtfehreibung, die iich in 
feinen Schriften deutlich kundgibt, gelegentlich Luft macht, 
indem er von „Alles wieder zerfplitternden Neuerungsverfuchen^' 
fpricht, wo es ledigUch einer Alles wieder ordnenden 
und die in diefem Punkte leider immer noch zer- 
fplitterten Deutfchen wieder einigenden Reform 
gilt. Soviel glauben wir wenigftens im Verlaufe diefer Schrift 
unwiderleglich darzuthun, daß die Unordnung und die Zer- 
fplitterung in unferer heutigen Schreibung zur Zeit fo graß 
ift, wie He graßer niemals war und niemals werden kann, ge- 
fchweige denn daß man, gerade als wenn in unferer heutigen 
Schreibung eine wahrhaft himmlifche Ordnung zu herrfchen 
begonnen hätte, von Verfuchen zu reden berechtigt wäre, die 
„Alles wieder z er fp littern". Wollte Gott, es wäre wahr, 
was Herr von Raumer fagt; wollte Gott, wir hätten, wie 
alle anderen gebildeten Völker, — gleichviel, feit wann — 
in unferer fonft reichften und fchönften aller lebenden Sprachen 
auch eine Wortfehreibung, die ein feftes abgefchloßenes Ganzes 



— 41 — 

bildete; es würde nns dann nichts wefentliches mehr an der 
wieder emingenen Einheit fehlen; orthographifche Sonder- 
linge würden mit ihren Eigenheiten dem Ganzen keinen Ab- 
brach thun. Aber leider vermögen wir in unferer heutigen 
Schreibang nicht den Troft zu finden, den der glücklichere 
Baum er gefunden hat. 

§ 5« ZunächTt und vor Allem müßen wir von den 
Schlußfätzen der vorhin angeführten Raumer'fchen Aus- 
laßungen, die Herr von Raumer beide für ui^umltößlich zu 
halten fcheint, den erfteren, „daß wir eine wirklich zu 
Becht beftehende Orthographie haben'', oder, wie 
es kurz vorher heißt, daß es überhaupt zur Zeit „eine in 
der Hauptfache anerkannte und feftgeftellte Or- 
thographie gebe", abgefehn von der petüio prmcipii^ die 
in diefer Behauptung enthalten ift, doch ganz entfchieden 
beftreiten. 

Herr von Raumer felbft bemerkt*), daß zu Luthers 
Zeiten unsere Schreibweife „noch keineswegs ganz feftgeftellt 
war'', womit, wenn man das die Sachlage verfchiebende Wörtchen 
„ganz" ftreicht, der damalige Stand unferer Wortfehreibung 
richtig bezeichnet wird. Wenn er dann weiterhin erklärt**), 
daß unfere heutige Orthographie „nicht nur im Wefentlichen, 
fondem auch in den meiften Zufälligkeiten fchon vor Ade- 
lungs Auftreten (um 1770) feftgeftellt war", und wenn er 
dies fogar beweifen zu können meint, fo muß diefe Feftftellung 
unferer. Orthographie nothwendig zwifchen der zweiten Hälfte 
des 16. und derfelben zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 
erfolgt fein. Wir würden diefe Wohlthat folglich Männern, 
wie Schottel, Naft, Fulda, und vor Allen dem eifrigen 
Gottfched zu danken haben. Und in der That fpricht ja 
felbft Jakob Grimm mit der gröften Anerkennung nament- 
lich von Fulda, der „allenthalben frifche Blicke in den Bau 
und die Gefchichte unferer Sprache that", und von Gottfched 



*) Gefammelte fprachwiffenfchaftliche Schriften S. 113. 
**) Ebendafelbft S. 117. 



— 42 — 

wird insgemein angenommen, da5 die Deutfche Orthographie 
durch ihn im Wef entlichen ihren Abfchloß gefunden habe. 
Woher hätten nun aber, fragen wir, diefe wackeren Männer, 
Fulda und Gottfched mit eingerechnet, die Befähigung 
zu einer folchen endgültigen Feftitellung unferer Orthographie 
genommen? Sie konnten bei ihrem natürlichen VerftändniüTe 
und ihrem regen Intereüe für unfere Sprache wohl eine Beihe 
von orthographifchen Widerlinnigkeiten, wie die linnlofe Häu- 
fung der Eonfonanten*), tilgen; aber die bodenlofe Neu- 
hochdeutfche Schreibweife, wie Jle vom 15. Jahrhunderte her 
auf Re vererbt war, fo feftzuftellen, daß fie die Grundlage 
für die fogenannte hergebrachte Schreibung ward, das ver- 
mochten fie, denen alle und jede Kenntnis des Mittel- und 
Althochdeutfchen, diefes bis auf Grimm verborgenen Schachtes, 
mithin jede auch nur mittelmäßige Einücht in den Entwicke- 
lungsgang unferer Sprache abgieng, nie und nimmer. Gerade 
von ihnen gilt, was Jakob Grimm zunächft nur mit Bezug 
auf feine Vorgänger in der Lexikographie bemerkt, was aber 
feine eigentliche Anwendung auf alle diejenigen findet, die 
vor Grimm als Verbeßerer unferer Wortfehreibung auf- 
getreten find. „Ich trage bedenken^', fagt er, „ob irgend ein 
einziger unter ihnen der fprache felbft wahren und dauerhaften 
dienft geleiftet habe .... den eingang zum fchacht finden He 
nicht oder laffen ihn verfanden; eine weile brach zu liegen 
hätte dem großen wortacker beffer gethan, als daß, während 
die pflüger ausblieben, viele fuße auf feiner Oberfläche fich 
tummelten und fie feft traten"**). Oder hätte etwa Adelung 
felbft mit feiner befchränkten Vorliebe für die Meißnifche 
Mundart, hätte etwa Heyfe mit feinen orthographifchen Irr- 
fahrten die Feftftellung unferer Orthographie zu bewerkftelligen 
vermocht, Qe, die von dem innerften Wefen und der gefchicht- 
lichen Entwicklung unferer Sprache — der letztere wenigftens 
bis zu Grimms fpäterem Auftreten — ebenfalls noch keine 



*) Vergl. unten § 23. 
**) Vorrede zum D. Wörterb. I, S. XXVI. 



— 43 — 

Ahnung hatten? Daran kann auch Herr von Raumer, in 
fo fem er unfere Orthographie fchon vor Adelung feft- 
geftellt fein läßt, um fo weniger denken, da er lieh fogar mit 
einer gewiffen Verwunderung darüber ausfpricht*), daß es 
noch Leute gebe, die da meinen, Adelung habe unfere 
jetzige Orthographie gemacht. Ift doch unfchwer nachzuweifen, 
daß fowohl Adelung wie Heyfe trotz ihrer rühmlichen Be- 
mühungen und ihrer ganz unleugbaren Verdienfte um die 
Deutfche Sprache gerade die Befeitigung des fchon damals 
herrfchenden Wirrwarrs nicht nur nicht gefördert, fondem ge- 
radezu aufgehalten haben, weil die rechten Wege, die zur 
Wiederherftellung einer wißenfchaftlich begründeten und folge- 
richtigen Schreibung führen , weder von diesen beiden, noch 
von den für denfelben Zweck thätigen anderen Männern, wie 
Leibnitz, Leffing, Elopftock, Voß**), auch nur von 
fem eingefchlagen wurden und weil insbefondere Adelung 
und Heyfe bei der weiten Verbreitung ihrer Schriften eben 
viel unrichtiges verbreiteten. 

Und wenn trotz alle dem unfere Schreibung fchon vor 
Adelungs Auftreten wirklich „feftgeftellt" gewefen wäre, 
wenn es trotz alle dem feit jener Zeit eine „in der Hauptfache 
anerkannte und feftgeftellte^^ Orthographie gäbe : wie vertrüge 
iich damit Jakob Grimms, des allervollgültigften Zeugen 
in dieser Angelegenheit, vor 50 Jahren, alfo lange nach 
Adelung (f 1806), erhobener Schmerzensfchrei: „Unfere 
heutige Schreibung liegt im Argen?" Wie vertrüge fich da- 
mit desfelben Meifters in Folge feiner immer tieferen und gründ- 
licheren Studien noch verfchärfte Klage vom Jahre 1854 über 
den „Wuft und Unflat unferer schimpflichen Schreibweife?" 
Und wenn man hierin etwa das befangene Urtheil eines ein- 



*) Angef Sehr. S. 117. 

**) „Was im verschiedenften finne Leibnitz, Leffing, 
Klopftock, Adelung, Voß, fämmtlich dem norden 
Deutfchlands angehörig, zum heile der deutfchen fprache 
gewollt und geleiftet haben, wird jederzeit hochgeachtet 
bleiben." Grimm Vorrede zum D. Wörterb. I, S. V. 



— 44 — 

feitigen and in die hiftorifche Schreibung verbißenen Gelehrten 
lu erblicken meint*): wie vertrüge fich mit jenen Behaup- 
tungen des Herrn von Raumer — unzähliche andere Klagen 
und Kundgebungen abgerechnet — die fchon anderwärts von 
litis erwähnte Thatfache, daß das Ober-SchnlkoUegium zu 
Hanover „durch die Wahrnehmung der Misftände, 
die durch die überhandnehmenden Yerfchieden- 
heiten in derDeutfchen Schreibweife entftanden 
find", im Jahre 1855 durch Berufung einer Konferenz fach- 
kundiger Lehrer des Königreichs auf eine Abhilfe zunächlt 
für den Schulunterricht Bedacht zu nehmen fich veranlaßt 
fah? daß Würtemberg**) im Jahre 1861 Hanovers Beili)iele 
folgte ? daß inzwifchen — von amtlichen Maßnahmen abgefehn 
— die Lehrer der ftädtifchen Realfchule und der erften und 
zweiten Bürgerfchule zu Leipzig auf Anregung des Direk- 
tors Vogel in den fünfziger Jahren eine orthographifche 
Einigung unter fich zu Stande brachten und diefer Einigung 
im Jahre 1857 durch eine Schrift des Dr. K launig***) 
öffentlichen Ausdruck gaben? daß femer im Jahre 1858 der 
Lehrer Högg in Ellwangen ein „Deutfehes Wörterbüch- 
lein" f) entwarf, um in der dortigen Gelehrten- und Real- 
fchule „eine Ubereinftimmung in der Recht- 
fchreibung" zu erzielen? daß im Jahre 1871 der Verein 
der Berliner Gymnafial- und ReaKchuUehrer durch eine 
Kommilfion von Fachmännern aus ihrer Mitte ein kurzes Re- 
geln und Wörterverzeichnis enthaltendes Schulbuch zum Behuf 
der Herftellung „einer Einigung über die Schreibung 
einer großen Anzahl von Wörtern^'' abfaßen zu laßen 



*) Eine alberne Idee, die man aber bei der großen Maffe 
der Herrn vom Schlendriane allgemein verbreitet findet. 
**) S. unten § 26. Die betreffenden Schriften f. bei Raum er 
angef. Sehr. S. 299. 
***) Den vollftändigen Titel f. bei Raum er angef. Sehr. 
S. 289. 
t) Den vollftändigen Titel f. bei Raum er angef. Sehr. 
S. 298. 



— 46 — 

lieh veranlaßt fah? daß der Direktor Duden^) in Schleiz 
auf demTelben Wege zunächTt die Lehrer feines Gymnafiams 
unter einen Hut zu bringen fuchte? Wie vertrüge lieh damit 
die Thatfache, daß Herr von Baumer im Jahre 1862 in 
einer Kritik der durch die Würtemberger Schulbehörden ver- 
anlaßten Schriften felbft erklärt**): ,,Es ift ein unerträglicher 
Zuftand, wenn in einer Anftalt dqr Lehrer der einen Clafie 
die Schreibweife für falfch erklärt und mit allen Mitteln wieder 
auszutreiben fucht, die der Lehrer der vorangehenden ClafTe 
mit eben folchem Eifer den Schülern eingeprägt hatte?'' Wie 
vertrüge lieh endlich damit die Thatfache, daß der Preußifche 
Minifter des Unterrichts durch diefe auf der Schule herr- 
fchende orthographifche Verwirrung lieh veranlaßt fah Herrn 
von Raumer eben zur Abfaßung einer grundlegenden 
Schrift und zwar zum Behuf der Anbahnung einer ,ygröße- 
ren Gleichmäßigkeit in der deutfchen Bechtfehreibung'' 
aufzufordern? Das find doch in der That lauter Erfcheinungen, 
die ohne Sinn und Verftand wären, wenn es, wie Herr von 
Baumer behauptet, eine „in der Hauptfache aner- 
kannte und feftftehende Orthographie'' gäbe und 
wenn die Anficht, die auch der Verfaßer diefer Schrift ent- 
fchieden theilt, ,,als fei die hergebrachte Orthographie durch- 
weg fo unficher und fehwankend, daß man von einer ,ffeft- 
ftehenden, allgemein gültigen Deutfchen Orthographie" kaum 
reden könne, wie derfelbe Herr von Baumer zu verftehn 
gibt***), ein leerer Schein oder ein eitler Wahn wäre. 

Soviel zur Würdigung der Behauptung, daß es „eine in 
der Hauptfache anerkannte und feftftehende" Orthographie 
gebe. Wir haben darüber mehr Worte gemacht als an und 



*) Die Deutfehe Bechtfchreibung, Abhandlung, Begeln und 
Wörterverzeichniß mit etTmologifchen Angaben. 
**) Angef. Sehr. S. 301. Vgl. oben Eml. S. 8. 
***) Baum er s eigene Worte find nemlieh angef. Sehr. 
S. 116: „Man thut bisweilen als wäre die hergebrachte 
Orthographie" u. f. w. Das „bisweilen" dürfte auch viel 
zu eng gefaßt fein. 



— 46 — 

für üch nöthig war, zumal da Herr von Raumer felbft das 
Gewicht diefer in feinen fprachwißenfchaffclichen Schriften 
immer und immer wiederkehrenden Behauptung bedeutend 
mindert, indem er an einer andern Stelle derfelben Schriften 
den Wunfeh „nach zweckmäßigen Änderungen • in unTerer 
Rechtfehreibung" zu erkennen gibt*), indem er ferner bei der 
Beurtheilung von Elaunigs oben erwähnter Schrift; über 
Deutfche Rechtfchreibiing einräumt, daß He „aus einem überall 
fich fühlbar machenden Bedürfniffe" hervorgegangen fei**), 
indem er endlich die Unordnung, die auf den Schulen in Be- 
treff der Deutfchen Wortfehreibung herrfcht, als ein „Chaos" 
bezeichnet und es fehr erklärlich findet, daß „eifrige Schul- 
behörden, wie die Hanöverfchen im Jahre 1855 und 1857, 
auf dem Wege amtlicher Einwirkung Ordnung in dies Chaos 
zu bringen fuchen"***). Indeffen glaubten wir gerade diefen 
Punkt aus gutem Ghinde fo genau wie möglich behandeln zu 
müßen. Man wird nemlich finden, daß Herr von Raumer 
gerade auf diefe feine Behauptung, daß wir zur Zeit eine „feft- 
geftellte" Orthographie beJltzen, den gröften Werth legt, ja 
eine Art von Trumpf fetzt. Und er thut von feinem Stand- 
punkte aus ganz recht daran. Denn wenn das wirklich feft- 
ftände, daß wir eine „feftgeftellte" Orthographie beützen, fo 
wäre alles Rütteln an der überlieferten Orthographie ein eitel 
vergebliches Unternehmen, und das Bedürfnis einer auch nur 
mäßigen orthographlfchen Reform, ohne welche die erfehnte 
orthographifche Einigung unmöglich ift, fiele damit von felber 
weg. Wenn es alfo der Zweck diefes Büchleins ift, etwas dazu 
beizutragen, daß die feit Jahr und Tag ins Stocken gerathene 
orthographifche Frage wieder in Fluß komme und ihre end- 
liche gründliche Erledigung fände, was eben nur durch eine 
geeignete Reform der hergebrachten Schreibung und durch 
eine auf Grund diefer Reform bewerkftelligte größere Einigung 



*) S. 138, 3 und S. 148. 
**) S. 289. 
***) S. 301. 



— 47 — 

in onTerer Wortfchireibung gefchehen kann, fo muß znnSchTt 
und vor Allem der von Herrn von Baumer in den Vorder- 
grund geftellte Satz, daß wir bereits eine „zu Recht befte- 
bende und feftgeftellte^' Orthographie befitzen, als ein that- 
üLchlich-falTcher nachgewiefen werden. Eben deshalb wollen 
wir der Sache noch genauer auf den Grund gehn. 

§ 6^ Der Wortfehatz der Deutfchen Sprache ift die 
eingebürgerten Fremdwörter*) mit eingerechnet ein faft uner- 
meßlicher. Diefe Wortfälle erzeugte, gerade wie in den alten 
Sprachen, befonders die Unzahl von Znfammenfetzungen, 
namentlich die große Zahl von PartikelkompoJiten. Natürlich 
kann man diefe nicht in die Wagfchale legen, wo lichs 
gerade darum handelt, bei welchen Deutfchen Wörtern die 
Schreibung feftfteht; denn daß z. B. die etwa 700 Zufammen- 
fetzungen mit ab- und die etwa 690 Zufammenfetznngen mit 
an- und die etwa 550 Zufammenfetzungen mit auf-**) nicht 
anders gefchrieben werden als die betreffenden einfachen 
Wörter, alfo ahackem^ anbahnen, aufathmen u. f. w. nicht 
anders als ackern, bahnen, athmen u. f. w., das ift eine Sache, 
die lieh von felbft verfteht. Eben fo wenig können die meiften 
Ableitungen bei der vorliegenden Frage in Betracht kommen; 
denn daß — von dem in beftimmten Fällen und nach be- 
ftimmten Gafetzen eintretenden Umlaute abgefehn — ächten 
Jich ganz nach Acht, gebirgig nach Gebirge, nervicht nach 
Nerv u. f. w. richtet, das weiß fchon der Knabe, wenn er an- 
ders, was fchon in den Elementarkla£fen der Fall fein muß, 
mit der gefetzmäßigen Schreibung der Ableitungslllben -ig 
und 'icM bekannt ift. Diefe unzählichen Zufammenfetzungen 
und Ableitungen nicht gerechnet enthält die Deutfche Sprache 
ungefähr einen Schatz von 8000 Deutfchen Wörtern. Unter 



*) S. unten § 58. 
**) Diefer Zählung liegt das ziemlich vollftändige Deutfch- 
Lateinifche Wörterbuch von Georges zu Grunde. In 
dem Deutfchen Wörterbuche von Grimm kommt beinah 
die doppelte Zahl heraus. 



— 48 — 

diefen find es folgende, deren Schreibung zur Zeit mehr oder 

weniger fchwankt. 

I. Man fchreibt doppelt: 

l. acht und echt, 2. adeUg und addich (adlich), 3. aicTien 
und eichen, 4. Ärmel und Ermd, 5. Augerdied und Augen- 
lid, 6, ausfindig und ausfündig (B. Wg. W.)*), 7. Baiem 
und Bayern, 8. behäfHch und behülßich, 9. d^ und &e/2^, 
10. betrügen und betriegen, 11. diZ2^ und fttZ^u^A (Gr. Wg.), 
12 . &2(2/?und &^, 13. Branke und Franke, l{. ^r«^t und ^re£, 
15. J?rad und ^ro^, 16. d^ßhaXb (-ti^e^en) . und cie^AoZö 
(j-wegen), 17. i^n^e und Tm^e, 18. Donnerstag und Z>(m- 
nerftag, 19.Z>üto und Tü^e, 20. ergetzen xmd ergötzen, 21. er^ 
widern und erM;»edem, 22. £j(/i?5f (J5)%) und £jO%?ä, 23. jFb/«- 
nacht und Jh^noc^ {FaßnacM), 24. /in^, ^^, ^«n^ und 
/^efi^y gieng, Meng, 25. JFV^2^ und FHttich, 26. flüftem und 
j«»7iem (B. G. LIT.), 27. i^VtX^ap/eund Fußtapfe, 28. Gebärde 
und Geberde, 29. (7eA$Z/6 und GehiOfe, 30. (^ee/eZ (Bürge) 

— (yei)öW, 31. (y6*/eZ (Peitfche) — Ö^6(/?€Z, 32. Getreide 

— Getraide, 33. yi^/it gibt gib — giebft giebt gieb 
34. giUig und giUtig, 25. ^^ und yt'en^ (Nr. 24), 
36. Gräuel und GV^t^, 37. Grenze und Gränze, 38. ITon- 
no&er und .Honover, 39. Hering und Eäring, 40. A»n^ und 
Aten^ (Nr. 24), 41. Eüfe und ITü^/e, 42. Jffüßhom und 
Hifthorn, 43. Knüttel und ÄnsMeZ, 44. üen?» und Lärm, 
45. löfchen und Ufchen, 46. ^^m«n und Zäe^^en, 47. Ztie- 

/6/i( 2eeyi( Zie« und Z2/6/i( 2«/2^ Zi«, 48. liederlich und ^a<2er2ebA, 
49. ilfeter (Hauameier) und Maier, 50. Pa5/i& und Fa^ft, 
51. Proft/iJ und Fropft, 52. 7262/»^ und Reifich (Wg.), 
53. iSei^er und Reuter ^ 54. i2^^^ und iZe^scA, 55. Schwert 



*) Die in Parenthefe beigefügten Abkürzungen geben bei 
feltenern Schreibungen den Gewährsmann an: Ad. Ade- 
lung, B. Bürger, Berl. das Berliner Wörterverzeichnis, 
D. Duden, C. Campe, Fr. Frifch, G. Göthe, Gr. Grimm, 
Han. das Hanöverfche Wörterverzeichnis, L. Luther, 
Lff. LefOng, V. Voß, Wg. Weigand in Schmitthenners 
Dtfch. Wörterbuche, W. Wieland. 



- 49 — 

und Schwerdt, 56. Sprichwort und Sprüchworty 57. fiets 
und fUUs, 58. Tirol und T^o2, 59. todt (tödten) und tot 
(töten), 60. unentgeltlich und tmentgeldlich, 61. verleum- 
den und «7er2ät«mc2en , 62. vornehmlich und «;om^£m2ic%9 
63. weißagen und weisfagen, 64. Weizen und TFmisen, 
65. weshalb (-wegen) und weßhdLb {-wegen) , 66, TFitfer- 
^22 und F«ederAa22, 67. Fi(Z<2^e« und TTi^e^ee, 
68. Wwrtemberg und WürifemJer^r', 69. TTiitöc und 
Wittwe. 
n. Man Tchreibt dreifach: ^ 

70. bewußt, bewufft bewufi (L. Chr. W.), 71. biscJien biffchen 
bificTien (Ad. L. G-.), 72. Dinstag Dienstag Dienftag^ 
73. J^ronn^tom ^rantt^rezVi J^rcmdt&een , 74. geng und gebe 
gäng und gäbe geng und gäbe, 75. Heirath Heurath Heirat j 
76. Loos Los (Ad.) Loß, 77. -^v^fi -miff -mis, 78. näm- 
Uch nendich nehmiich, 79. Schmied Schmidt Schmidt 

80. ÜberfchwengUch überfchwänglich ÜberfchwäMich, 

81. FeÄm6 jPcÄmiß Feme. 

III. Man fchreibt vier- und fünffach: 

82. cdlmählich aUmälich aUmäMig äUmäUgf 83. birfchen 
bürfchen pirfchen pUrfchen, 84. Ernte Ernde Emdte 

•• •• •• 

Amde Amte Ämdte, 85. gefcheid gejcheit gefcheidt ge- 

fcheut (G.) 

Unter diefen 85 Wörtern, deren Schreibung mehr oder 
weniger fchwankt, dürfte lieh nicht leicht ein überflüßiges 
befinden; wohl aber dürfte das eine oder das andere noch 
fehlen, wie uns denn nach Abfaßung des vorliegenden Ver- 
zeichnÜXes noch folgende Wörter von fchwankender Schreibung 
aufgeftoßen find: 86. anderfeits und andererfeits (andrerfeits), 
87, Borde und Borte, 88. IceucJien und Jceichen (Keichhuften), 
89. Keukr und Keiler, 90. Kiffen und Küssen, 91. mannigfach 
{'faltig) und mannichfach (-fdUig), 92. wirken und würhen. 
Jedenfalls dürfte die Zahl der Wörter, in deren Schreibung 
die peutfchen nicht einig find, leicht auf die runde Summe 
von 100 fteigen. Dabei und folche Abweichungen, die fleh 
in der Schrift nur hier und da und ganz vereinzelt finden^ 

Eile Dl Deatsehe Orthographie. 4 



— so- 
wie AUem (parentes), Aftrichy Beredtfamkeit^) y Both (Ad.) 
für Boot, gehähren, Gehürge, mogte, Rephtm (L.) und Reppkühn, 
Teutfch u. f. w., bei jener Aufzählung der in ihrer Schreib- 
art unilchem Wörter gar nicht in Betracht gekommen. Eben- 
fowenig ift dabei vorläufig auf die zahlreichen Abweichungen, 
die Grimm und andere ftrengen Anhänger der hiTtoriTchen 
Grammatik befonders in der Vereinfachung der Konfonanten 
im Auslaute (Begrif Stof Kus Ros) und vor andern Konfonan- 
ten auch im Inlaute (öfnen Hofnung fchaft gefarrvt herltch), 
wie in der Befeitigung der Dehnungszeichen (difen fülen iren 
ttm vü), nach hiftorischem Pxinzipe lieh erlauben, trotz ihrer 
nicht leicht wiegenden Autorität irgend welche Bücksicht ge- 
nommen worden. Am wenigften ift bei jener Berechnung mit 
in Anfchlag gebracht die ebenfalls von Grimm zehn Jahre 
lang (1822 — 1832) ftreng durchgeführte, dann aber leider — 
man weiß nicht recht, warum — wieder aufgegebene hifto- 
rifche Unterfcheidung der S-Laute**). 

Dagegen kommen zu jenen 92 Wörtern von unllcherer 
Schreibung nun erftens noch die gelinde gerechnet 200 
Zeitwörter mit der Endung -zeren, die wir gemeijdglich 
^ren gefbhrieben finden, wiewohl man die von Subltantiven 
auf 'ier abgeleiteten Zeitwörter, wie einquartieren halbieren 
revieren tumieren, befonders aber fpazieren regieren verlieren 
frieren ssieren, wohl ganz selten oder niemals ohne das begleitende 
e triflFfc ***) ; dazu kommt zweitens die Unmaffe von Wörtern, 
in denen die Schreibung weit über die Ereife der Germaniften 
hinaus zwischen inlautendem a \indaa(Schaar Schar, baar bar, 
Saal Sal)j e und ee {Heer de Herde, fched fchd, fdigfeeUg), zwi- 
fchen der Vorfilbe mis und m\ß und der Nachsilbe nia und 
niß (Mismuth — Mißnmth, Kenntnis — Kenntniß), zwifchen 
t und thy befonders in den Endungen aty itity tvmy fowie endlich 
in der Endung tion und «ion {Nation und Nasdon) hin und 



*) So immer bei Julian Schmidt. 
**) S. unten $. 38—55. 
***) S. unten §. 61, II. 



^ 51 > 

her fchwankt; daasu kommen drittens die ebenfalls kaum 2u 
sählenden ursprünglich fremden Wörter, in denen zwischen 
ch und k (Chtirfürft und Kurfürft, Charte und Karte), befonders 
aber zwifchen c und Je (Caffe und Kaffe, Claffe und Klaffe) 
und zwischen c und z (CvrheL und Zirkel, Princip und Prmdp) 
ein ewiges Schwanken ift. In Bezug auf den letztern Punkt 
machen üch's die Herausgeber der Wörterbücher allerdings 
bequem, indem z. B. Georges in feinem fonft vortrefflichen 
Deutfch-LateiniTchen Handwörterbuche dem Buchftaben C die 
Bemerkung vorfetzt: „Die unter C fehlenden Artikel fuche 
man unter -£"." Auch dem Berliner Wörterverzeichniffe ift 
dem C in Parenthefe beigefchrieben : „S. auch K." Es find 
dies unverfängliche Manöver, die aber eben beweifen, wie fehr 
die Sinne der Deutfchen im Gebrauche der Buchftaben c k z 
auseinander gehn. Jedenfalls dürfte die Zahl der orthographifch 
ftreitigen Wörter die Höhe von 900 bis 1000 erreichen, fo 
daß es weder zu hoch gegriffen noch zu viel gefagt ift, wenn 
man behauptet, daß die Deutfchen ein volles Achtel von den 
Wörtern ihrer Mutterfprache noch nicht ücher zu fchreiben 
wißen. 

§ 7^ Was folgt aus allen diefen Berechnungen? £s 
folgt daraus, foUten wir meinen, mit falt mathematifcher Ge- 
wißheit, daß Herr von Baumer denn doch die Sache mit 
ziemlich verkleinernder und zugleich verfchönernder Brille 
anlieht, wenn er meint, man werde „leicht^' finden, daß das 
ftreitige orthographifche Gebiet, verglichen mit der großen 
MafTe des Ubereinftimmenden , „nur ein fchmaler Grenz- 
faum'' fei ; es folgt daraus vor Allem, daß Herrn vonRaumers 
Behauptung, es gebe zur Zeit eine „allgemein gültige" oder 
„feftftehende** oder „feftgeftellte" Orthographie, der Wahrheit 
nicht entfpreche; denn nach Allem, was bisher gefagt ift, kann 
von einer folehen zur Zeit beftehenden Orthographie die Bede 
nun und nimmer fein. 

Noch weniger freilich kann die hergebrachte Schreib- 
weife den Titel einer „zu Recht beftehenden^' Orthographie 
auch nur annähernd in Anfpruch nehmen, ein Ausdruck, der 

4* 



^ 52 — 

nicht bloß in Herrn von Räumers fprachwißenfchaftlichen 
Schriften häufig vorkommt, fondern auch in der für die 
Konferenz beftimmten Schrift, alfo an die 20 Jahre fpäter, 
wiederholt wird. 

Wir foUten meinen, daß, wenn von den oben verzeich- 
neten 92 orthographifch ftreitigen Wörtern auch nur 3 fo 
häufige und gewichtige, wie Getreide lernte Brot bald fo bald fo 
gefchrieben würden, eine Einigung fowohl aus nazionalen wie 
aus pädagogifchen Gründen durchaus geboten wäre: um wie 
viel mehr muß da, wo die MafTe des orthographifch ftreitigen 
Wortmaterials fo groß ift, daß, wie kürzlich in einem öffent- 
lichen Blatte fehr richtig bemerkt ward, faft jeder Schriftfteller 
feine eigene Orthographie hat, die endliche Einführung einer 
einheitlichen Orthographie ein dringendes Bedürfius fein. Man 
ift ja auch in der That feit Jahren fchon „zur Einilcht ge- 
kommen, daß es fo nicht bleiben könne und eine ernfthafte 
Heilung verfucht werden müße ; ja man darf mit Recht fagen, 
eine wahre Sehnfucht nach fefter Regelung gehe durch unfere 
ganze gebildete Deutfche Welt!*) 

Wenn Herr von Raumer diefem offenbaren Bedürf- 
niffe gegenüber eine.fo ablehnende und abwehrende Haltung 
annimmt, wie er dies befonders in feinen fprachwißenfchaft- 
lichen Schriften gethan hat, fo ift wohl nichts natürlicher als 
daß man den Verhandlungen und Feftfetzungen einer zur all- 
feitig begehrten, aber ohne eine gewifCe durchgreifende Re- 
form undenkbaren Einigung in der Deutfchen Rechtfehreibung 
berufenen Konferenz, deren Spitze und deren Seele ein eifriger 
Verfechter und Vorfechter der hergebrachten Orthographie als 
einer „allgemein gültigen und feftftehenden" und „zu Recht be- 
ftehenden'^ in der Perfon des Herrn von Raumer war, nicht 
ohne einiges Bedenken entgegenfah. Der Verlauf und das Er- 
gebnis der Konferenz haben diefes Bedenken gerechtfertigt. 
Zwar ift man wohl zu der immerhin erfreulichen Annahme 



*) Bezzenberger Randbemerkungen zu den von d6l^ 
Berliner Konferenz aufgeftellten Regeln S. 2. 



— 53 — 

berechtigt, daß Herr von Räumer inzwifchen einer gründ- 
lichen Reform der hergebrachten und fogenannten „zu Recht 
beftehenden" Orthographie etwas näher getreten war. Wir 
können uns wenigftens nicht denken , daß er fonft dem ehren- 
vollen Auftrage des Preußifchen UnterrichtsminiTters, der doch 
auf eine orthographifche Beform hinauslief, fich fo willig 
unterzogen haben würde, wie dies thatfächlich der Fall ge- 
wefen ift, und wir können uns noch weniger denken, daß er 
fonft im Schooße der Konferenz felber zunachft an der Seite 
der reformierenden Partei geftanden haben würde. Obwohl 
nemlich Herr von Raumer noch in dem Vorworte der für 
die Konferenz beftimmten Schrift*) unfere Befugnis „an der 
hergebrachten Rechtfehreibung überhaupt zu ändern'^ faft auf 
ein Minimum belchränkt, hat er doch felbft in feiner Vor- 
lage**) das althergebrachte th in Wörtern, wie Thwrm Wirth 
TheU thmer Thee Thier Noth roth Fkah u. f. w. auf eigene 
Fauft in bloßes t geändert und dann auch im Schooße der Kon- 
ferenz das ganze th^ foweit es lieh in Deutfchen Wörtern £indet| 
fowie die ebenfalls 'althergebrachten und nach der Theorie 
des Herrn vonRaumer doch ficherlich „zu Recht beftehenden" 
Dehnungszeichen in den meiften Fällen tilgen helfen. Ja er 
gibt in der oben erwähnten Schrift***), die für die Konferenz 
und kurz vor der Konferenz verfaßt ift, eine Erklärung ab, 
die wir ungeachtet des prinzipiellen Gegenfatzes, in dem wir 
uns Herrn von Raumer gegenüber in Sachen der Ortho- 
graphie befinden, doch Wort für Wort zu unterfchreiben ver- 
mögen. Sie lautet: „Die praktifchen Bedenken gegen Ver- 
änderungen unferer hergebrachten Orthographie gründen lieh 
hauptfächlich darauf, daß man an einer allgemeinen Gewohn- 
heit nicht rütteln dürfe, weil dadurch eine unabfehbare Ver- 
wirrung herbeigeführt werden könne. Diefe Bedenken ver- 
dienen die emftefte Erwägung. Aber wenn wir die Ge- 



*) Verhandlungen der Konferenz S. 52. 
**) Verhandlungen der Konferenz S, 16 und S. 66. 
***) Verhandlungen der Konferenz S. 62. 



— 54 --' 

fchichte unferer Bechtfchreibung ins Ange f äffen, 
fo fehen wir, daß fich unfere Orthographie durch 
folche Bedenke^ nicht hat leiten laffen. Unbe- 
kümmert am die bisherige Gewohnheit führt fie 
neue Schreibweifen ein, bald der veränderten Gemein- 
fprache leife nachrückend, bald die hergebrachte fchwerfäÜi- 
gere Schreibung mit einer einfacheren vertaufchend. Auch 
uns alfo wird das Recht nicht abzufprechen fein 
unfere Orthographie in zweckmäßiger Weife zu 
▼ erb ef fern." 



m. 

§ 8^ Wenn aber auch feftfteht, daß eine Änderung in 
unferer hergebrachten Schreibung dringend geboten ift, fo be- 
ginnt doch die Hauptfchwierigkeit erft da, wo eben die Ande- 
t«i.g beginnen foU. Es fragt fich vor AUem, wie weit Geh 
diefe Änderung zu erftrecken habe! Und die Antwort auf 
diefe Frage ift um fo mislicher, da, wenn es einmal ans Andern 
geht, der beßemden und heilenden Hand fich ein anderes Ge- 
brechen unferer Schreibung gewiffermaßen von felber auf- 
drängt: wir meinen das Gebrechen, auf das Grimm hindeutet, 
wenn er zu vielen anderen Klagen über unfere heutige Schrei- 
bung befonders noch folgende hinzufügt*): „In den letzten 
drei Jahrhunderten trägt die deutfche fchreibung fo fchwan- 
kende und fchimpfiiiche unfolgerichtigkeiten an fich, wie fie 
in keiner andern fprache jemals ftattgefiinden hat." Man 
fchreibt — um nur einzelnes herauszugreifen — meift gib^ aber 
immer ergiebig und nachgiebig ; man fchreibt froh-lich, aber bü-lig 
— ftebig ftets^ aber beft&Ugen — Fkbth Wuth Natk roth, aber 
€rut Blut Brot Gebot — Fahrt Kahn Werth, aber Bart Schwan 
Schwert. Arg ift befonders der Unfug, der, als wäre die 
Schrift für Kinder erfanden, die noch nicht mit Yerftand lefen 



*) Vorrede zum D. Wörterb. I, S. LIV ff. 



— 55 — 

können, zur Signalißerong eines langen Vokals ge]trieben wird. 
Man fignaliüert ihn nemlich bei a e o durch Verdoppelung des 
betreffenden Vokals (Hctar Heer Moos) oder — meift vor l 
m n r — durch ein eingefchobenes (^ZaM lahm Bahn mehr) 
oder nachgefchobenes h ifroh früh) und bei i durch ein nach- 
gefchobenes e {wieder viel GUed ziemen). Außer diefer dreifachen 
Art der Längenbezeichnung gibt es aber ebenToviel und noch 
mehr Wörter , deren Vokal lang ift, ohne daß er durch die 
Schrift befonders angedeutet wird, wie mir dir klar war zwar 
dar gar kam mal (einmal) Mal malen u. f. w. Noch weit 
ärger ift die Zerfahrenheit in dem Gebrauche der Buchstaben 
/ («) ff und ß, was wenigftens noch einigermaßen erklärlich 
ift, weil unter hundert Deutfchen kaum einer bis auf Grimm 
und trotz Grimm von der Natur und dem Wefen des fin- 
nigen ß auch nur eine Ahnung hat. Man fchreibt, um auch 
hier nur Einzelnes hervor zu heben, f äffen und doch fc^, laffen 
und doch Uißt, muffen und doch mn/H, wiffen und doch gewußt^ 
und wiederum haft (habes) Haft (festinatio) Maft faft Laß 
Luft Bruft'^ man fchreibt beffer und doch b^, preffen und 
doch pr^j meffen und doch m^ (metimini), daneben aber 
wieder Feft^ Reft Weft ; man fchreibt qfi Maß groß Schooß 
Fuß und daneben einerfeits Glas Gras Los Moos Mus*) und 
anderfeits hjß (sine) Faß goß Roß Kuß\ man fchreibt ißt 
neben ift, hi^ neben vnes (monstrabat) , Fleiß neben Reis^ 
Strauß neben Maus u. f. w. Wo ift hier Sinn und Verftand ? 
wo Gleichmäßigkeit und Folgerichtigkeit? Soll diefe Polnifche 
Wirtfchaft — denn die ift es doch in des Wortes verwegen- 
fter Bedeutung — foU diefer orthographifche Wirrwarr, den 
erft die Neuhochdeutfche Zeit in unfere an lieh fo geregelte und 
geordnete Sprache hineingetragen hat, zur Schande der Deut- 
fchen Wißenfchaft und zur Plage der lernenden Deutfchen 



*) Muß ift eine von den vielen unrichtigen Schreibarten, 
die Adelung aufgebracht hat, und Campe ift ihm 
hierin gefolgt. Das Berliner Wörterverzeichnis hat richtig 
Mus, S. Weigand Deutfehes Wörterbuch II, 214. 



_ 56 — 

Jugend fo fortbeftehn ? Soll in diefes orthographiTche Chaos 
nicht endlich wieder Licht und Ordnung kommen, wenn ein- 
mal gelichtet und gelichtet wird? Jetzt oder vi eil ei cht 
nie\ Die Gelegenheit ift jetzt noch günftig, wenn auch der 
giinftigfte Zeitpunkt mit den erften Jahren des laufenden De- 
zenniums bereits verftrichen ift. Nie war die Zeit fo em- 
pfänglich für eine Reinigung und Berichtigung unferer Ortho- 
graphie, wie jetzt, wo unter dem Titel der Einigung, die jedes 
warme Deutfche Herz bis ins Kleinfte vollendet zu lehn be- 
gehrt, gerade in orthographiTcher Beziehung fo manche Be- 
form gewagt werden darf, die zu jeder andern Zeit auf den 
heftigften und hartnäckigften Widerftand gefaßt fein mufte; 
nie war die Zeit felbft für kühnere Griffe in das Gewirr der 
heutigen Schreibung fo geeignet, wie jetzt, wo jeder Ge- 
bildete durch die Öffentlichen Berichte über die orthographi- 
fche Konferenz, die während der erften Wochen des Jahres 
1876 in Berlin getagt hat, auf eine Änderung der bisherigen 
Orthographie mehr oder weniger vorbereitet ift. Selbft die 
Herrn vom Schlendriane haben Geh nachgerade an den Ge- 
danken gewöhnt, daß fie Geh nun doch noch losreißen müßen 
von der fußen freundlichen Gewohnheit der hergebrachten 
Schreibung. IndefTen ftellen ilch diefe Herrn die Sache 
wohl fchHmmer vor als fie wirklich ift. Ja wenn &q ihre 
konfervativen Intereffen auf fprachlichem Gebiete gegen revo- 
luzionäre Tendenzen foviel wie möglich zu wahren fuchen, fo 
find ^Q dazu berechtigt und haben gerade hierin einen hoch- 
angefehenen Bundesgenoßen in der Perfon eines Mannes, den 
lle fonft mitfammt feiner hiftorifchen Grammatik am liebften 
gefehen hätten, wo der Pfeffer wächft, weil ^q ihn, wiewohl 
er fchon vor 14 Jahren hinüber gegangen ift, imde negant 
redtre guemguam, doch fo zu fagen als intellektuellen Ur- 
heber der ganzen „Neuerung,^' wie ^e die beabfichtigte Ein- 
führung einer einheitlichen Schreibung nennen, zu betrachten 
gewohnt find. Diefer Mann ift kein anderer als eben Jakob 
Grimm. Der fagt in der Vorrede zu feiner Grammatik:*) 



*) I, s. xvm. 



-^ 57 — 

„Gleich aller gefchichte warnt die hiftorifehe gram- 
matik vor freventlichem reformieren, einüchtige 
werden, jeder zumal gewaltfamen neue rang des hergebrach- 
ten in der regel abhold, als ausnähme die abfchaffung 
eingefchlichener misbräuche immerhin gerne fehn.^' 
Als er dann — etwa 30 Jahre fpäter -^ an die Bearbeitung 
des Deutfchen Wörterbuches gieng und zu diefem Zwecke die 
einzelnen Wörter des Deutfchen SprachTchatzes forgfaltig 
mufterte, und als er bei diefer Mufterung Och mehr und mehr 
von der Verdorbenheit unterer heutigen Schreibung überzeugte, 
da faßte er den ernftlichen Entfchluß in feinem Wörterbuche, 
„detTen ganze Ordnung faft an jeder ftelle durch das beibe- 
halten der unter uns hergebrachten Orthographie Iichtbar ge- 
ftört und getrübt werden mufte,'' eine durchgreifende Ver- 
beßerung unferer Neuhochdeutfchen fogenannten Rechtfchrei- 
bung vorzunehmen. „Ich kann", fagt er in feinem früher er- 
wähnten Briefe an die Weidmann'fche Buchhandlung in 
Leipzig^), „nachdem ich in der grammatik dargeftellt habe, 
wie unrichtig, barbarifch und fchimpflich die heutige fchrei- 
bung ift, es nicht über mich bringen ^e in einer das ganze 
der fprache umfaffenden arbeit dennoch beizubehalten und 
fortzupflanzen.'* Aber die unfäglichen äußeren Schwierigkeiten, 
mit denen er bei diefem Vorhaben zu kämpfen hatte, die Zaghaf- 
tigkeit, mit der man ihm folgte, die Zähigkeit, mit der man 
immer wieder auf den alten Fleck zurückgieng, befonders 
auch clie für folche nazionalwißenfchaftlichen Beftrebungen 
wieder einmal äußerft ungünfdge Zeit beftimmten ihn, noch ehe 
der erfte Band feines Wörterbuchs (1854) erfchien, klein 
beizugeben und auf das frühere Maß der orthographifchen 
Beform zurückzukehren. „So freie band uns hier (im Wörter- 
buche) gelaffen war", erklärt er fchließlich**) — gewis nicht 
freudiges Herzens, aber mit entfchiedener Selbftverleugnung 
— „erkannten wir doch gern die ratfamkeit kluger befchrän- 



*) S. oben S. 29 f. 
**) Vorrede zum D. Wörterb. I, S. LXII, 



~ 58 — 

kungen an: faft jeder zeit haben mäßige und all- 
' mälich vorgebrachte reformen eingang, über- 
fpannte abwehr gefunden/' 

§ 9« Mit diefem ZugeftändnilTe des großen Meifters 
nähern wir uns der Antwort auf die Frage, wie weit fich die 
beablichtigte Reform der zeith erigen fogenannten Orthographie 
zu erftrecken habe. Wir lefen denfelben Hauptgedanken, 
wie aus der Erklärung G-rimms, aus der fehon früher er- 
wähnten Bekanntmachung des ehemaligen Hanöverfchen Ober- 
Schulkollegiums heraus: eine Konferenz fachkundiger 
Männer foUte entfcheiden, wie unter Fefthaltung des allge- 
mein herrfchenden Sprachgebrauchs, wo fich ein fol- 
cher fände, in den hauptüächUcheren Fällen der Oe- 
brauch $fc hwanJeungen die Schreibweife feftzuftellen fei," 
und die QÖthigen Anftalten treffen, um „eine größere Gleich- 
mäßigkeit in der Schreibweife herbeizuführen.'^ Dies 
ift auch der Hauptinhalt des Auftrags, der von Seiten des 
Preufiifchen Minifters des Unterrichts dem Herrn von Raumer 
geworden ift: er ward veranlaßt eine grundlegende Schrift 
anzufertigen zum Behuf der „Anbahnung einer großem Gleich- 
mäßigheit in der Deutfchen Rechtfehreibung." 
Alle diefe drei Auslaffungen ftimmen darin überein, daß He die 
Nothwendigkeit einer orthographifchen Reform erkennen, die- 
felbe aber eben auf das Nothwendige befchränkt fehn wollen. 
Ja die beiden behördlichen Kundgebungen find beinah gleiches 
Inhalts ; denn ^e legen beide das Hauptgewicht auf eine größere 
Gleichmäßigheit in der Deutfchen Schreibung. Aber 
bei der Preußifchen fprechen außerdem die Zeitverhältniffe 
ein gewichtiges Wort mit, was bei der Hanöverfchen nicht 
der Fall war. Das Hannöverfche Wörterverzeichnis vom 
Jahre 1855 follte zunächft nur die Rechtfehreibung für das 
damalige Königreich Hanover einheitlich regeln ; der R a u m e r- 
fche Kanon foU die Norm der Schreibung werden für das 
inzwifchen wieder aufgerichtete Deutfche Reich. Darin liegt 
aber eben ein wefentlicher Unterfchied. Zwei Millionen Köpfe 
und leichter unter einen 'Hut gebracht als einige vierzig 



- 59 — 

Millionen. Hier gilt ee alfo angleich größere Vorficht und 
Umficht. Und wenn man fchon beim Hanöverfchen Wörter- 
verzeichnüTe dem allgemein herrfchenden Sprach- 
gebrauche Rechnung trug, fo muß dies in erhöhtem Maße 
der Fall fein bei dem B a u m e r 'fchen Kanon, den Deutfchland 
für feine künftige Rechtfehreibung zu erwarten hat. Trotz 
alle dem find, wenn es einmal ans Andern geht, drei 
Forderungen für die Aufftellung der künftigen Reichsortho- 
graphie unabweislich. Erftens und vor Allem muß bei 
diefer vielleicht nie wiederkehrenden günfdgen Gelegenheit 
für jedes orthographifch unfichere Wort die richtige Schrei- 
bung feftge (teilt, zweitens müßen fchreiende Mis- 
bräuche, die auffallend gegen Vernunft und Wißenfchaft 
verftoßen, abgeftellt, drittens muß das inkonfequente 
Verfahren in unferer heutigen Schreibung foviel 
wie nur immer möglich eingeftellt werden. Diefen 
drei Forderungen unter Fefthaltung des allgemein 
herrfchenden Gebrauchs, wo fich ein folcher 
findet, zu genügen ift um fo leichter, da mit der Befeiti- 
gtmg grober Inkonfequenzen nicht nur viele Schwankungen 
fallen, fondern auch allerhand fchreiende Misbräuche von 
felbft verfchwinden, da die Erfüllung der erften und hauptläch- 
lichen Forderung überdies aus der Einführung einer einheit- 
lichen Orthographie, die jetzt thatlachlich im Werke ift, 
fich ganz von felbft mit abfoluter Nothwendigkeit ergibt. 
Aber gerade die dritte und letzte von den drei Forderungen 
ift ganz unerläßlich ^ denn während die Feftftellung der ftrei-^ 
tigen Orthographie und die Abfchaffung fchreiender Mib- 
bräuche vornehmlich durch wißenfchaftliche Gründe, die erfte 
auch vom nazionalen Standpunkte aus geboten ift, muß auf 
die Entfernung der unerträglichen Inkonfequenzen in unserer 
Schreibung, diefer fchmählichen Uberrefte aus einer ffirach- 
liehen Verwirrung von drei Jahrhunderten*), nicht Moß im 
InterefCe der Wißenfchaft, fondern auch vom praktifche,n Stand- 



*) S. oben S. 11 ff. und unten §. 23. 26. 29. 



— 60 — 

punkte aus und vor Allem aus Bückficht auf die sittliche 
Bildung und Erziehung unferes Volkes durchaus heftanden 
werden. 

§ 10« Wir wollen zunächft nicht unerwähnt laßen, wie 
wenig unfere heutige Schreibung geeignet ift in unferer 
Jugend und, infofem aus unferer Jugend recht eigentlich das 
Volk hervorgeht, in unferem Volke den Grund zu legen zu 
der für alle Zweige der Lebensthätigkeit fo wichtigen Eigen- 
fchaft, die man Ordnungsliebe nennt. Der Grundzug unferer 
heutigen fogenannten Orthographie ift Unordnung. Wie 
Kraut und Buben liegen die verfchiedenen Schreibweifen von 
vielen hundert Wörtern unter und neben einander. Und das- 
felbe Bild des Wirrwarrs bietet unfere fogenannte Orthographie 
in Folge der vielen Unfolgefichtigkeiten, auf die wir dem- 
nächft zu fprechen kommen. In diefe gräuliche Unordnung 
fich allmählich hineinzuleben wird der Knabe, nachdem er 
fchreiben gelernt hat, förmlich und geradezu gezwungen. Wie 
foll unter folchen Umftänden in ihm der Keim der Ordnungs- 
liebe fich entwickeln. Wie dürfen fich die Eltern wundern, 
wenn in des lieben Söhnchens Kommode die Wäfche und in 
feinem Pulte Bücher, Hefte und Papiere wirr durcheinander 
liegen! Nur eine forgfaltige und ftreng geregelte Erziehung 
würde die Übeln Eindrücke, die der Knabe auf diefe Weife, 
gleichviel ob unbewuft oder bewuft, aus der Schule mitbringt, 
zu verwifchen im Stande fein. Indeffen ift bekanntlich bei 
dem jetzigen Stande der häuslichen Erziehung gerade von 
diefer Seite das allerwenigfte zu hoffen. Muß doch die 
Schule jetzt in den meiften Fällen wieder gut zu machen 
fuchen, was das Haus verfaumt hat 

Noch weit verderblicher aber ift der Einfluß, den die 
vielen Inkonfequenzen in unferer beutigen Schreibung auf den 
Volkskarakter ausüben. Was man in fittlicher Beziehung 
insgemein Karakter nennt, ift im Grunde eben nichts als 
Konfequenz. Beide Begriffe drängten fich dem Römer in dem 
fchön^n Worte constantia zufammen. Was die Weltgefchichte 
Großes kennt und nennt, hat diefe Konfequenz gefchaffen; denn 



— 61 — 

„Wer fest in dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich/< 
Und hat nicht diefelbe Konfequenz auch das Deutfche 
Beich in aller Hoheit und Herrlichkeit wieder hergeftellt? 
So gewiß aber das Deutfche Beich nur durch eiferne Konfequenz 
erhalten wird, daß es fort und fort beftehe und nicht wieder, 
wie fchon einmal, zufammenbreche, fo gewis müßen wir zuerft 
und vor Allem der ELarakterbildung unferes Volkes unfere ganze 
Sorgfalt widmen, gefchweige denn daß wir unfer Volk fchon 
von den Eanderjahren an fyftematifch zur Inkonfequenz heran- 
ziehn müften. Dies gefchieht aber thatlachlich, wenn unfere Ju- 
gend in den Schulen nicht nur die unfeligen Schwankungen in 
der Wortfehreibung immer und immer wieder gewahr, fondern 
auch an eine Menge orthographifcher Inkonfequenzen fo ftreng 
gewöhnt wird, daß felbft der reifere Schüler, wenn er (ich 
herausnehmen wollte, in diefem Punkte einmal konfequent 
zu fein, im günftigften Falle darauf gefaßt fein müfte vor der 
ganzen EUaffe gebrandmarkt zu werden als ein Schlingel, der 
noch nicht einmal orthographifch fchreiben könne oder üch 
erdreifte von der hergebrachten Orthographie abzuweichen. 
Man wende ja nicht ein, daß diefe Makel der Inkonfequenz, 
die an unferer Schreibung haften, an dem Sinne der Jugend 
noch fpurlos vorüber gehn. Das ift eben das Wefen der 
Übeln Angewohnheit, daß man lle unbewuft allmählich an- 
nimmt und unbewuft fo lange nährt, bis fie zur andern Natur 
geworden umfonft bekämpft wird, felbft wenn diefer Kampf, 
was nur fehr feiten ftattfindet, emftlich gemeint und gewollt 
ift. Je früher aber die üble Angewöhnung eintritt, defto 
bedenklicher ift lle und defto fefter fitzt fie. Mit dem Zulpe, 
den man dem fchreienden Wiegenkinde, dem fonft nichts fehlt, 
in den Mund fteckt, legt man den erften Grund zu feinem 
Eigenfinne und feiner Eigenwilligkeit: es wird inftinktmäßig 
bald wieder nach dem fußen Zulpe fchreien und fo feinen 
Willen durchzufetzen fich gewöhnen. Mit der einen Ähre, 
die das Kind von fremdem Acker nimmt, thut es unbewuft 
und ohne fich etwas Schlimmes dabei zu denken den erftän 
kleinen Schritt zum Diebftahl : fährt es fo fort, pflückt es ge- 



— 62 -- 

legenilich Tielleicht ein ganzes Bündel fremder Ähren, £o Üt 
es auf dem Wege lieh an den Griff nach fremdem Eigenthume 
zu gewöhnen. Und der Knabe, den man fchon auf der unter- 
rten Stufe des Unterrichts mit aller Strenge zu Unfolgerichtig- 
keiten anhält, wird in dem Maße, in welchem er die ganze 
Schulzeit hindurch diefe Unfolgerichtigkeiten fortzufetzen, 
ja wohl gar dasfelbe Wort bald fo bald fo zu fchreiben ge- 
zwungen wird, allmählich unbewuTt auch an ein inkonTequentes 
Handeln lieh gewöhnen. Wir wollen damit nicht Tagen, daß 
nicht in manchem Lernenden früher oder fpäter das BewuTt- 
fein diefer Inkonfequenzen in der Schrift erwache. Dem 
Knaben freilich, der aus der Volksfchule zu einem bürger- 
lichen Gewerbe übergeht, werden die Thorheiten, die er beim 
Schreiben begeht, wohl fchwerlich jemals zum Bewuftfein kom- 
men. Wie oft mag es aber fchon gefchehn fein, daß der 
eine oder der andere Schüler einer höheren Lehranftalt, be- 
fonders eines Gymnaßums, lieh Delber oder einen andern Schüler 
oder auch den Lehrer — dem Yerfaßer diefer Schrift ift es 
begegnet — zu fragen lieh gedrungen fühlte: „Warum 
müßen wir denn eigentlich wir dir rmr fchreiben und doch 
t%r? warum Mal und mal und doch MaM (coena) und Wähl? 
warum fckwer und doch fekr^ fchon und doch Loha^ Schnur 
und doch Uhr, grün und doch kühn'i warum loider (contra) 
und doch wieder (cursus)? warum Spalen Braten und doch 
Scuxben Staaten? warum fchwer und doch leery Brot und doch 
Boot? warum man und doch Mann? Warum fchreibt man 
ganz allgemein Kanzel (cancellum) Kette (catena) Kerker 
(carcer) Artikel (articulus) Partikel (particula) Zirkel (circa- 
lus) Pimkt (punctum) u. f. w. und doch fo vielfach Claffe 
(cla£(iB) Cenfvr (censura) October December (october december) 
Act (actus) Contract (contractus) Prindp (principium) Scepter 
(sceptrum) Scene (scena)^' u. f. w« Was foll der Lehrer auf 
folche und ähnliche Fragen erwidern? Er kann doch nur 
die — vielleicht von einem bedeutungsvollen Achfelzucken 
begleitete — Antwort geben : „Ja, es ift einmal fo hergebracht.^' 
Geändert oder gar gebeßert wird aber durch diefe nicht eben 



— 63 — 

tröftliche Antwort natürlich nichts. Der junge Mann wird, 
gleichviel ob unbewuft oder bewoft, ob gern oder mit innerem 
Widerftreben, an diefe hundertfache InkonTequenz im Schrei- 
ben (ich gewöhnen, und es ift nur der natürliche Lauf der 
Dinge, wenn fie fich mehr oder minder, früher oder fpäter, 
auch in feinen Thaten ausprägt. Freilich kann er, wenn ihm 
(eine Inkonfequenz gelegentlich einnml zum Vorwurfe gereicht, 
zu feiner Entfchuldignng fagen: „Ja, das habe ich meinen 
werthen Lehrern und Erziehern zu verdanken : die haben mich 
fehon als kleinen Jungen und durch die ganze Schulzeit hin- 
durch fyftematifch an Likonfequenz gewöhnt, und fie ift dann 
leider übergegangen auf meine ganze Handlungsweife.'' Und 
wo bleibt dann die Pietät? Das ift der Sinn des Sprich- 
wortes: „Jung gewohnt, alt gethan/' 

Es wird nicht an Leuten, befonders aus der Klaffe der 
Herrn vom Schlendriane, fehlen, die diefe nazionalpädagogi- 
fchen Ergießungen befpötteln und die gegebene Schilderung 
des verderblichen Einflußes unferer inkonfequenten Schreibung 
auf den Volkskarakter recht wunderlich, vielleicht gar lächer- 
lich finden. Nun fo mache man doch einmal die Gegenprobe 
und folge auch in diefem Punkte den praktifchen Engländern, 
deren ganze Schulordnung und Schulzucht bis ins ELleinfte, — 
um nicht zu fagen : bis ins Eleinlichfte — auf die Bildung des 
Karakters abzielt ; man mache doch einmal die Gegenprobe und 
verfuche es unfer Volk von Klein an und fchon von den klein- 
ften ELleinigkeiten an für eine ftrenge Konfequenz zu gewin- 
nen, und die kommenden Gefchlechter werden iich der 
Männer freun, die man erzogen hat. 

Die Antwort auf die Frage, wie weit lieh die beabüch- 
tigte Änderung der hergebrachten Schreibung erftrecken folle, 
geht alfo, um es noch einmal kurz zufammenzufaßen, dahin, 
daß unter Fefthaltung des allgemein herrfchen- 
den Gebrauchs, wo fich ein folcher findet, alles 
Schwankende, Misbräuchliche, Unfolgerichtige 
fo viel wie möglich befeitigt werde. Mögen nun die 
Männer, die unter der Führung und nach den Vorfchlägen des 



— 64 — 

Herrn von Räumer die künftige Beichsorthographie feft- 
zoftellen beauftragt worden find, wenn fie wieder — dies 
Mal leider ohne Räumer — zufammentreten, um dem Werke 
der orthographifchen Einigung den Abfchluß zu geben, deCfen 
es bis jetzt vergebens harrte, — mögen lie die Verantwortung, 
die Jie übernehmen, wohl erwägen. Jedes einzelne Wort wird 
in der Form, in der es der neue Kanon bringt, den Deut- 
fchen Schulen und demDeutfchen Pubükum von maßgebender 
Seite empfohlen fein. Sprach- und regelwidrige Ver- 
derbniffe empfehlen heißt die Sprache verderben. 
Wer es verantworten will zur Verderbnis undzum 
Verfalle der Sprache beigetragen zu haben, em- 
pfehle fie. 



IV. 

§ !!♦ Wenn aber auch feftfteht, wie weit lieh die beab- 
üchtigte Änderung unferer Orthographie zu erftrecken habe, 
fo bleibt doch noch die wichtige Frage — rie ift die aller- 
wichtigfte — |zu erörtern, nach welchem Prinzipe ge- 
ändert werden soll. Man hat bis in die fünfziger Jahre 
des laufenden Jahrhunderts eigentlich nur zwei Prinzipe 
der Deutfchen RechtTchreibung gekannt und, wo die Schrei- 
bung fchwankte, zur Anwendung gebracht, das etymolo- 
gische, das fchon recht alt ift, und das hiftorifche, das 
Beftand und Bedeutung erft feit den zwanziger Jahren durch 
Jakob Grimm hat. Ein drittes Prinzip, das fogenannte 
phonetische, zur Sprache und zur Geltung zu bringen 
hat Üch feit den fünfziger Jahren Herr Prof. von Raumer 
zur befonderen Aufgabe gemacht. Je mehr der genannte Sprach^ 
gelehrte diefes phonetifche Prinzip bei der Frage über 
eine Reform unferer bisherigen Orthographie auf Eolten der 
beiden andern Prinzipe, befonders des hiftorifchen, in den 
Vordergrund zu ftellen bemüht gewefen ift, defto xlötbiger ilt 
es dasfelbe etwas genauer zu betrachten. 






— 65 — 

A. Phonetisohes Prinzip. 

$ 12^ Der Gedanke, der dem fogenanorten phone- 
tifchen Prinzipe zum Grunde liegt, ift nicht neu. Schon 
lange vor Adelung fann man auf eine Norm, nach der man 
die an Yerlrrungen aller Art fo überreiche Deutfche Schreib- 
weife wieder in die rechte Bahn zu leiten vermöchte, und 
glaubte diefe Norm gefunden zu haben in dem Satze: „Stelle 
in der Schrift nur das dar, was du in der Ausfprache hörft^^ 
£b war das erfte Lebenszeichen des fogenannten phone- 
tifchen Prinzips, nur daß man es noch nicht fo nannte. 
Es hat im Wefentüchen denTelben Sinn, wenn Schottel als 
erften allgemeinen Lehrfatz der RechtTchreibung empfiehlt, 
daß 9,in Teutfchen Wörtern alle diejenige Buchltabe, welche 
der Bede keine Hülfe tuhn und allo überflüClig fein, follen 
und müITen ausgelafCen und nicht gefchrieben werden, weil 
der Buchftaben Amt und Eigenfchaft; eigentlich diefe ift, den 
Laut und Tohn der wol ausgefprochenen Wörter deutlichft 
und vememlichft zu bilden und auszuwirken". Genauer ge- 
lagt und dabei kürzer gefaßt ift, was Gottfched als erfte 
Regel der Rechtfehreibung angibt: „Man fchreibe jede 
Sylbe mit folchen Buchftaben, die man in der guten Ausfprache 
deutlich hört.^ Den Sinn diefer Worte faßte Adelung zu- 
iammen in dem feit diefer Zeit zur trivialen Phrafe gewordenen 
Satze: „Schreib, wie du fprichft": es war für ihn das 
höchfte und vomehmfte Gefetz der Rechtfehreibung. „Der 
Zweck der Rechtfehreibung", fagt wieder etwas beftimmter 
Klopft ock^), „ift: das Gehörte der guten Ausfprache 
nach der Regel der Sparfamkeit zu fchreiben." Selbft Grimm, 
der Begründer des hiftorifchen Prinzips, fpricht diefe An- 
ficht aus, wenn er in der Abhandlung über das Pedantifche 
fagt, die Schreibung thue ihre volle Pflicht, wenn fie alle 
wirklichen Laute zu erreichen fuche. Nachdem dann Heyse 
in feiner Deutfchen Schulgrammatik denfelben Grundfatz etwas 



*) Vgl, Raumers Gef. fprachw. Schriften S. 114 f. 

Eisen, Deutsche Orthographie. 5 



— 66 -- 

Tehr nmftändlich, aber doch auch weit umfichtiger als namentlich 
Adelang in den Worten: „Bemühe dich eine mög- 
lichft richtige und reine Auafprache des Hoch- 
dentfchen zn erlangen und fchreibe dann diefer rich- 
tigen Ansfprache gemäß oder, wie da richtig fprichft und 
buchftabiereft^', dem Abfchnitte über die Deatfche Ortho- 
graphie als allgemeine Regel der Bechtfchreibong vorange- 
ftellt hatte, war es Herr Prof . vonBaamery der (1855 — 1857) 
den durch alle diefe orthographifch^a Rezepte fich hindurch- 
ziehenden nnd bereits von Adelung gefundenen Grundge- 
danken zum ausdrücklichen Qegenltande feiner Unterfuchung 
machte und diefes von ihm fo genannte phonetifche 
Prinzip in der Faßung: „bring deine Schrift und deine 
Ausfprache möglichft in Übereinftimmung" im GegenDatze 
zum hiftorifchen Prinzipe zum allein richtigen und herr- 
fchenden Prinzipe der Rechtfehreibung erhob. 

§ 13« Das fogenannte phonetifche Prinzip, wie 
es Herr von Raumer zur Anerkennung und zur Anwendung 
gebracht wißen will, gilt allgemein für ftreng konfervativ, d. h. 
man nimmt an, daß es fich orthographifchen Änderungen prin- 
zipiell widerfetze, weil Schreibung und Ausfprache gegen- 
wärtig fo innig mit einander verwachfen feien, daß man die 
Sehreibung ändernd auch die Ausfprache geändert wißen 
wolle und eben dadurch gegen das phonetifche Prinzip ver- 
ftoße. Es ift daher ganz natürlich , daß . alle diejenigen, 
welche die bisherige Orthographie foviel wie möglich konfer- 
▼iert wißen wollen, alfo vor Allen die Herrn vom Schlendriane^ 
die nun einmal in Sachen der Rechtfehreibung die ungeheuere 
Mehrheit unter den guten Deutfchen bilden, dem von Herrn 
von Raumer aufgeftellten phonetifchen Prinzipe von 
vom herein den lauteften Beifall zollten. Alle die Taufende, 
die mit gerunzelter Stirn den, wie de wähnten, von Grimm, 
dem „orthographifchen ' Neuerer^% heraufbefchworenen Zeit- 
punkt immer näher rücken fedien, wo eine Änderung der durch 
die Gewohnheit fo liebgewonnenen Orthographie doch nicht 
mehr auf zu halten war, befonders die Mehrzahl der Direktoren 



— 67 — 

und Lehrer der hohem Lehranftalten, jauchzten ihm wie einem 
rettenden Engel zu. Man pries Räumers orthographifche 
Schriften geradezu als eine „epochemachende Arh^t/^ 

Daß der Juhel, mit dem die große Mehrheit des gehildeten 
Publikums — von diefem kann ja überhaupt nur die Bede fein — 
des Herrn von Baumer Schriften „über das Prinzip der 
Deutfchen Bechtfchreibung^' begrüßten, zum allergröften Theile 
nicht etwa aus bewufter Sympathie für das phonetifche 
Prinzip hervorgieng, fondem zunächft feinem Beftreben die 
„in der Hauptfache anerkannte und feftgeftellte^^ bisherige 
Orthographie gegen y,Neuerungen'* zu fchützen und vor allem 
feiner fo entfchieden ausgefprochenen Antipathie gegen die 
hiftorifche Schreibung galt, iffc eine ausgemachte Sache: 
haben doch die Allermeiften weit mehr begriffen, was Ba u m e r 
nicht wollte, als was er wollte, gefchweige denn daß es unter 
Hunderten auch nur drei gäbe, die feine auf die Deutfche Becht- 
fchreibung bezüglichen Abhandlungen wirklich gelefen hätten. 
Bezeichnend ift in diefer Hinficht ein Gefpräch, das der Ter- 
faßer diefer Schrift vor einigen Jahren mit einem Gymnafial- 
lehrer, einem nahezu fanatifchen Anhänger der hergebrachten 
Schreibart, über die fchon damals brennende orthographifche 
Frage hatte und deften Verlauf ungefähr folgender war: Er: 
„Es ift überhaupt dummes Zeug, daß man dar^tn denkt an der 
hergebrachten Orthographie etwas zu ändern. Der Sprachge- 
brauch hat feine geheiligten Bechte, und es ift thöricht daran 
zu rütteln.'' Ich: „Wir haben ja aber gar keinen feften 
Sprachgebrauch : in unzählichen Fällen fchreibt der eine fo, der 
andere fo." Er: „Laßen Sie doch jeden fchreiben, wie er 
Luft hat, wenn es nur überhaupt gebräuchlich ift.'' Ich : „Alfo 
ift es auch wohl gleichgültig, ob der Schüler bei dem einen 
Lehrer fo, bei dem andern fo fchreiben muß.'' Er: „Das ge- 
rade nicht: es kann ja für jede Schule die Schreibweife 
durch ein orthographifches Begifter feftgeftellt werden, dem 
lieh jeder Lehrer beim Unterrichte unterwerfen muß." Ich: 
„Das würde bei den ganz verfchiedenen Aniichten, die über 
unfere Schreibung herrfchen, fehr fchwierig fein. Gefetzt 



— 68 ■— 

aber auch es gelänge die Lehrer einer jeglichen Schale unter 
einen Hut zu bringen, würden Sie üch denn als Deutfcher 
nicht fchämen bei dem Gedanken, daß es in Ihrem nun eini- 
gen Yaterlande doch foviel Orthographien wie Schulen 
gäbe, daß alfo — angenommen, es ftinmiten die orthographi- 
fchen Yerzeichniüe von einigen Schulen zufallig überein, und 
die unzählichen Bürgerfchulen nicht gerechnet — immer noch 
an die 600 orthographiTche Syfteme herrfchten?^* Er: „Ja, wir 
wißen es wohl, Sie wollen nur Grimms — wir erinnern uns 
nicht deutlich des Kraftausdrucks, den der Mann hier in feiner 
gekränkten Liebe zur lieben Gewohnheit ausftieß; es war 
fo etwas wie „hiftorifchen Blödfinn" — aufs Tapet bringen. Da- 
mit wird es aber glücklicher Weife nichts: Ihr hiftorifches 
Prinzip hat Baume r fo gründlich todtgefchlagen, daß es nie 
wieder zum Vorfchein kommen kann.^' Ich : „Woher wißen Sie 
denn das? Haben Sie denn Baumers betreffende Schrift 
gelefen?^' Er: „Das gerade nicht, aber man fpricht ja allge- 
mein davon, und man lift es überall." Ich: „Und doch will 
Baum er in TJvwrm und Wirth das h getilgt wißen und ge- 
bietet Heimat Armut FhU und WvA zu fchreiben." Er: „Ift 
das wahr? Nun dann danke ich allerdings.'' 

Wir unferfeits fchüeßen uns nicht aus von der großen 
Menge, die dem Herrn von Baumer ihren Beifall zollt. 
Auch wir find in Bezug auf feine orthographifchen Abhand- 
lungen des Lobes und der Anerkennung voll. Einige derfel- 
ben zu lefen war uns ein Hochgenuß. Wenn wir ihm trotzdem 
und zwar zunächft in Betreff des fogenannten phonetifehen 
Prinzips entgegentreten, fo gefchieht dies aus folgenden 
Gründen : 

§ 14« E r ft e n s : Der Menfch denkt und fpricht früher als 
er fchreibt. Will er aber fchreiben d. h. feine Gedanken nicht 
bloß dem Ohre, fondern auch dem Auge mittheilen zur finnlichen 
Wahrnehmung, fo gefchieht dies in der Weise, daß er die für 
die einzelnen Laute ausdrücklich beftimmten Schriftzeichen, 
keines mehr und keines weniger, hernimmt und mit Hilfe 
diefer Schriftzeichen das betreffende Wort fo, wie er es mit 



— 69 — 

den Ohren aufgefaßt hat, alfo der Ausfprache gemäß, 
für das Auge darftellt. Aher die Ausfprache ift, wie wir noch 
genauer darthun werden, unüäglichen Einflüßen unterworfen. 
Insbefondere find einige Laute, einfache wie doppelte, Vokale 
wie Konfonanten, dem Sprechenden geläufiger, d. h. fie gehn 
leichter und zwanglofer aus der Kehle hervor und über Zunge 
und Lippen als andere, und der Mund kommt bei ihrer Aus- 
fprache weniger oder gar nicht aus feiner natürlichen Lage : dies 
gilt namentlich von e und o dem a i u ö^ von i wieder dem ie, 
von ei dem eu,^ von h dem p^ von d dem t gegenüber. Indem 
man alfo beim Sprechen fich gehn läßt oder fich's bequem 
macht — beides gefchieht ja durchweg im gewöhnlichen Le- 
ben und gefchieht unwillkürlich — oder indem man je nach 
den Umftänden oder nach dem Temperamente mehr oder 
weniger fchnell fpricht, büßt auch die Ausfprache an Richtig- 
keit und Genauigkeit mehr oder weniger ein, um dann wieder 
befümmend auf die Schrift zu wirken. Dies ift die naturge- 
mäße Entwickelung der Wortfehreibung, bei der es — wenig- 
ftens im Deutfchen — ohne eine gewiffe lautliche Entartung 
der Sprache nicht füglich abgeht (§ 21). Und in fo fem 
eben die Ausfprache bei diefer fchriftlichen Ent- 
wickelung der Sprache den wichtigften Antheil hat, ja auf 
die, Schreibung maßgebend einwirkt , *) fagt man mit vollem 
Rechte, der Karakt er der Sprache fei phonetifch. 
Rein und fcharf ausgeprägt, faft wie im Griechifchen und 
Lateinischen, zeigte fich diefer phonetifche Karakter 
der Deutfchen Sprache noch im Alt- und Mittelhochdeutfchen, 
während das Neuhochdeutfche zwar feinen phonetifchen Grund- 
karakter bewahrt, aber doch vielfachen Schaden in phone- 
tifcher Beziehung erlitten hat durch die vielen Yerderbniffe, 
die in der Zeit der Sprachverwirrung (§ 23. 26) in unfere 
Sprache eingedrungen find (§ 29). 



*) Daß die Schrift unbefchadet dem phonetifchen Karakter 
der Sprache wieder erhaltend und beftimmend auf die 
Ausfprache zurückwirkt (§ 18), ift felbftverftändlich. 



- 70 — 

Wie ffceht es denn nun aber mit dem phonetifchen 
Prinaipef von dem man feit Herrn von Baumers Auftreten 
foviel redet und foviel Aufhebens — befonders im Qegen- 
fatse zum etymologifchen und hiftorifchen Priu- 
z i pe — macht? Prinzip ift eine Grundregel oder ein Grund- 
fatZy nach dem man in gewilfen Fällen verföhrt. Als Prinzip 
der Bechtfchreibung würde demnach das phonetifche 
Prinzip der Grundfatz fein, nach welchem man die ein- 
zelnen Wörter hernimmt und der Ausfprache ge* 
maß fchreibt. Nun ftehn aber, wie wir oben fahn, etwa 
rieben Achtel von den Wörtern der Deutfchen Sprache in 
ihrer Schreibung feft, während "etwa ein Achtel aus ortho- 
graphifch ftreitigen Wörtern befteht. Daß jene fieben Achtel 
bei der beabfichtigten Beform unferer Orthographie unange- 
taftet bleiben, das ift es gerade, worauf die Herrn Sprach- 
gelehrten , die fich gern als Phonetiker bezeichnen, an 
ihrer Spitze Herr von Baumer, ''befonders dringen. Herr 
von Baumer felbft ftellt *) als erftes und wichtigffces Be- 
fultat feiner Erörterungen den Satz auf: y,Wir haben eine 
in den meiften Punkten übereinftimmende Bechtfchreibung 
und an diefe Bechtfchreibung haben wir uns zunächft zu hal- 
ten/' Hier hat alfo — vom Standpunkte der Herrn Phone- 
tiker aus — das fogenannte phonetifche Prinzip gar 
keine Gelegenheit zur Anwendung zu kommen. 

Oder ift das fogenannte phonetifche Prinzip etwa 
geeignet in die orthographifchen Schwankungen, die fich bei 
einem Achtel der Deutfchen Wörter finden, entfcheidend ein- 
zugreifen ? Das ift noch weniger zuzugeben; denn jene Schwan- 
kungen find zum allergröftenTheile eben erft dadurch entftanden, 
daß man die betreffenden Wörter, was nach dem oben 
Gefagten nicht wundem darf, verfehle den ausfprach 
und daß diefe verfchiedene Ausfprache ebenwieder 
auf die verfchiedene Schreibung wirkte, weil 
Schrift und Ausfprache, wie gefagt, in der natürlichften Wech- 



») Get i^rachw. Schriften S. 137. 



— 71 — 

felwirkang rtehn. Kurz , wo die Schreibung fehwankt , da 
fchwankt auch die Ausi^rache ; wie kann alTo die Ausfpradiie 
in Schwankungen entfcheiden! 

Oder ift dem fogenannten phonetifchen Prinzipe 
damit geholfen, daß man ob in eine Regel faßt? In welche 
Regel? Bekanntlich gibt es deren mehrere. Nun, wir wollen 
die wichtigften von diefen Kegeln prüfen , und das find ihrer 
▼ier. 

§ 15« Die erfte und ältefte Regel, die feit ihrem Erfin- 
der Adelung eine ungemeine Popularität, weil de fo recht 
in den Kram der großen Menge paHt, erlangt hat, lautet : 
y,Schreib, wie du fprichft.« 

Wie Herr von Räumer bei feiner Klarheit und Um- 
ficht dazu gekommen fei diefe Regel zu empfehlen mit den 
Worten*): „Es gilt der Orundfatz „„Schreib, wie du 
fprichft'^ ^' ; darüber find Alle einig^^ (!), das vermögen 
wir um fo weniger zu begreifen, da er felbft das von ihm fo 
hoch erhobene phonetifche Prinzip, wie wir nachher fehn 
werdejD, in eine andere viel klügere Regel faßt. 

„Schreib, wie du fprichfk'S ^^^^ diefen Grundfatz follen 
Alle einig fein! Woher in aller Welt weiß denn das der 
Herr von Raumer? Wir unferfeits find fchwerlich die 
einzigen, die gegen die befagte Formel von Adelung, diefe 
leichtfertigfte orthographifche Regel, die es für Deutfeh- 
redende geben kann , den energifchften Widerfpruch zu er- 
heben lieh genöthigt fehn. Würde doch durch die Befolgung 
diefer Regel, fo fchlechthin und ohne alle Einfchränkung 
ausgefprochen I in unferer Orthographie der grauenvollften 
Verwirrung, gegen welche der parzielle Wirrwarr, der zur 
Zeit in der hergebrachten Schreibung herrfcht, gar nicht in 
Anfchlag käme, geradezu Thür und Thor geö£Enet werden. 
Wohin es führen würde, wenn ein Jeglicher nach jener A d e - 
1 un g 'fchen Regel fchriebe, beweift außer der malXiven Sprache 
und Schreibung, die; in Fritz Reuters Schriften herrfcht. 



*) Ge£ fprachw. Schriften S. 109. 



— 72 — 

unter taufend anderen auch das eine Beifpiel des Berliner 
Photographen, in deffen Schaufenfter, wie die Zeitungen feiner 
Zeit berichteten, ein Plakat Photographien ankündigte von 
^^ausgezeichneter Blasdick/' Und dabei erlebt man nocli 
das Unbegreifliche, daß alle die Taufende, die in orthogra- 
phifcher Beziehung ftarr und fteif am Hergebrachten hangen, 
die Adelung'fche Formel: fchreib, wie du fprichft, 
mit der man eben 4ie ganze hergebrachte Orthographie 
auf den Kopf zu ftellen im Stande wäre, gewiffermaßen als 
Schlachtruf auf ihre Fahne fchreiben in dem Kampfe wider 
das viel harmlofere und ungefährlichere , aber von den Herrn 
vom Schlendriane nun einmal bis in den Grund der Seele ge- 
haßte hiftorif che Prinzip. 

§ 16f Die zweite Regel, in welche das phonetische 
Prinzip gefaßt wird, lautet etwas Torßchtiger: Schreib, 
wie die Gebildeten fprechen. Aber wer und denn diefe 
Gebildeten? Wer will fich unterfangen die Grenze zwi- 
fchen Gebildeten und Ungebildeten zu ziehn? Und 
ift denp die Sache damit fo ohne weiteres abgethan, daß man — 
wenn es überhaupt, was wir gar fehr bezweifeln, praktifch 
ausführbar fein foUte — , hier und da hinhorcht, wie diefer oder 
jener Gebildete fpricht, und nach deffen Ausfprache feine 
Orthographie geftaltet oder regelt ? G ö t h e gehörte doch ge- 
wiß zu den allergebildetften Leuten: der fchrieb — und 
fprach auch jedenfalls — gefcheut: er hatte es wohl auf der 
Schule fo gelernt. Sollten in Folge deffen alle Anderen auch 
fo fchreiben ? Und wenn nun die Gebildeten, wie in dem 
eben erwähnten Falle, fo in unzählichen andern orthographifchen 
Punkten unter einander felbft verfchiedener Meinung find? 
wenn der eine Heirat , der andere Heurat, der eine hetriegeuy 
der andere hetrilgen, der eine Hüfe^ der andere HiUfe u. f. w. 
fchreibt und jedenfalls auch fpricht? DerYerfaßer diefer Schrift 
hat fich feit der Zeit, wo er fich den Deutfchen Studien wid- 
mete — es werden nun beinahe 40 Jahre fein — zufällig 
ein befonderes Gefchäft daraus gemacht, die Ausfprache des 
Imperativs von geben zu verfolgen , wozu er vielfache G«- 



— 73 — 

legenheit hatte. Das Ergebnis diefer Beobachtung war bis 
vor 3 Jahren, daß von Vierzigen etwa die kleinere Hälfte gib 
fprachy die größere gÜb-^ ob die betreffenden Herrn ihrer 
Ausfprache gemäß auch alle fchrieben, hat er nicht zu 
ermitteln vermocht; von dreien weiß er aber gewis, daß 
Ce zwar gieb fchrieben, aber gib fprachen: Jle hatten wohl die 
Schreibung gieb von der Schule mitgebracht, es war ihnen 
aber wahrfcheinlich zu unbequem auch gi^ zu fprechen. 
Gebildet waren ße alle im hohen Grade. 

Was foU es alTo heißen, wenn man dem Deutfchen die 
weife Lehre gibt: Schreib, wie die Gebildeten fpre- 
chen? Und wie foll er denn überhaupt die Anwendung 
diefer Begel zuwegebringen? Dies ift doch nur möglich 
beim Unterrichte. Und da gefchieht es ja ohnehin feit 
Olims Zeiten. Pflegt doch der Deutfche mit ganz feltenen 
Ausnahmen, d. h. mit Ausnahme der ganz Wenigen, die fich 
mit dem Austritte aus der Schule von dem orthographifchen 
Schulzwange emanzipieren, fo zu fchreiben und zu fprechen^ 
wie er es in der Schule lernte, und feine gebildeten 
Lehrer haben ihn fo fchreiben und fprechen gelehrt, wie fie 
es felber von ihren gebildeten Lehrern lernten, und auch 
diefe haben wieder fo fchreiben und fprechen gelehrt, weil fie es 
einft felber fo von ihren gebildeten Lehrern lernten, 
und fo geht es fort bis zur grauen Vorzeit. Wir finden das 
natürlich, wiewohl wir es beklagen ; denn es ift leicht begreif- 
lich, daß der ganze orthographifche Jammer unferer Zeit ge- 
rade in diefer Fortpflanzung verkehrter und misbräuchlicher 
Schreibung durch die Schulen feinen Grund hat. Wir 
fragen nur: was hat denn damit das fogenannte phonetifche 
Prinzip zu thun? Wenn die phonetifche Regel: Schreib, 
wie die Gebildeten fprechen im praktifchen Leben 
unanwendbar ift, weil lich^s eben nicht machen läßt , daß man 
überall umherhorcht, wie diefer oder jener Gebildete 
fp rieht, und darnach die bisherige Schreibung mißt und 
entweder beibehält oder umgeftaltet; wenn es nur während 
der Schulzeit gefchehn kann und in der That gefchieht, daß 



- 74 — 

man auf die Auafp räche des gebildeten Lehrers achtet 
und darnach fchreibt: warum ändert man jene unpraktiTche 
Regel nicht ein&ch dahin, daß man £agt: ,^leibe beim 
bewährten Alten, wie Dn*s in der Jugend lern- 
te ff Das wäre aber freilich eine Lehre, die man nicht 
erft zu geben braucht; denn de hat (ich von jeher ganz von 
felbft und nach dem natürlichen Laufe der Dinge Gehör und 
Gehorsam zu verfchaffen gewuft. Aber die hieraus erwach- 
fene Autoritäts-Orthographie ift es ja eben, die jetzt alleihand 
Änderungen erfahren foU, weil de von Schwankungen, lüs- 
brauchen und Unfolgerichtigkeiten formlich wimmelt. 

§ 17« Die dritte Begel, in die man das fogenannte 
phonetifche Prinzip ge&ßt hat, lautet fcheinbar noch 
vorlichtiger : Schreib, wie man gut oder wie man rein 
oder wi e man riehtig£'p vi cht. Aber wer oder was hat denn 
zu entfcheiden, welche Ausfprache die richtige, reine, gute 
fei? Bekanntlich ift die Ausfprache, wie wir fchon früher 
angedeutet, bis ins Unendliche verfchieden: , Jedes Land, 
jede Provinz, jeder Kreis, jedes Städtchen, jedes Dorf hat 
feine befondere Ausfprache; felbft in den einzelnen Städten 
weichen die einzelnen Menfchen nach Abkunft und Gewohn- 
heit, nach Erziehung und Unterricht, nach Alter und Bildung, 
befonders aber nach der Befchaffenheit der Organe, in der 
Ausfprache von einander ab ; fogar einzelne Menfchen fprechen, 
je nachdem ihr Gaumen feucht oder trocken, ihre Zunge leicht 
oder fchwer, je nachdem überhaupt der Körper fchlaff oder 
frifch ift, bald reiner und deutlicher, bald unreiner und undeut- 
licher.^' Wer oder was entfcheidet denn nun, welche Aus- 
fprache die richtige, reine, gute fei? Wird, um nur 
ein paar Beifpiele aus hunderten herauszugreifen, heurat beßer, 
reiner, richtiger gefprochen oder keircU^ wMeUch oder wMeUeh^ 
Hülfe oder HUfe^ gültig oder giUigf gefckeit oder, wie außer 
Göthe auch Gleim und Bamler fchrieben und jeden&Us 
auch fprachen, gefeheut? Herr von Baumer gibt fich zwar 
alle mögliche Mühe*) zubeweifen, daß es eine „gemeingültige 



*) Gef. fprachw. Schriften S. 117 ff. 



— 75 — 

AusTprache des Dentfchen" oder^ wie er fich auch ausdrückt, 
eine „gemeinTam anerkannte gebfldete Deutfche Ausfprache" 
gebe, und glaubt damit einen Mitarbeiter der Zeitfchrift für 
die OrtreichiTcben Gyninafien, der behauptet hatte, nach jenem 
GkundJüatze „Schreib, wie du fprichft^' dürfte jedes 
Deutfche Dorf mit vollem Rechte auf eine befondere Schreib- 
weife Anfpmch machen, widerlegt zu haben. Nun ja, das ift 
ja weit und breit bekannt, daß man befonders in Braun- 
fchweig und Hanover und demnächft an der Nordküfte 
Deutfchlands fehr richtig und rein fpricht, daß auch außer die- 
fen Landestheilen hier und da einzelne Menfchen (ich einer 
feinen und richtigen Ausfprache befleißigen, daß der gebildete 
Theil der Deutfchen Welt — aber auch nur der gebildete 
— wohl weiß: man muß nicht deitfchy fondem deutfch, nicht 
heren Se^ fondem hSren jSm, nicht jottvoU, fondem gottvoll 
u. f. w. fprechen. Was nützt denn aber in aller Welt diefe 
troftliche Idee, daß es eine ^^gemeing^ltige'' oder meinet- 
halben muffcergültige Ausfprache des Deutfchen gebe, wenn 
nun einmal die aus vielen Millionen begehende 
große Mehrheit desDeutfchen Volkes diefe rich- 
tige, reine, gute Ausfprache in Wirklichkeit 
nicht hat? Gibt doch felbft in Braunfchweig und Hanover 
die gute, reine und richtige Ausfprache nicht durchweg den 
Ausfchlag; denn, um ein paar Beifpiele anzuführen, man 
fpricht dort zwar allgemein, wie wohl überall in Deutfchland, 
eeht^ pflegt aber, wie überall, theils eckty theils äßht zu fchrei- 
ben. Ebenfowenig vermag man in vielen anderen Wörtern, 
wie in Stadt und ßUOty in Tod und todt^ in Saite und Seite^ 
in gefcheid und gefcheitj in Mißverhädtnifi und MiwerhäUms 
u. f. w., felbft unter rein und fein fprechenden Menfchen 
einen Unterfchied der Ausi^rache, wenn man die Ohren auch 
noch fo fpitzt, heraus zu hören. Was foll es alfo heißen, 
wenn man, namentlich bei den gegenwärtigen Schwankungen 
in der Schreibart, dem Deutfchen vorfchreibt: Schreib, 
wie du gut, rein, ricl^tig fprichffc! Wir möchten wohl 
wißen, wie es die vom Preußifchen Kultusminifter berufene 



— 76 — 

Ortbographifche Konferenz, die zu Anfang des Jahres 1876 
in Berlin getagt hat, auch nur einigermaßen hätte möglich 
machen wollen ihren Kanon für die künftige Reichsorthogra- 
phie nach die Ter Kegel abzufaßen: fie wird es wohl vorge- 
zogen haben zu diefem Zwecke den phonetifchen Wahl- 
fpruch des — wie wir annehmen dürfen — einflußreichften 
Mitgliedes (ich an zu eignen, das denn doch zu umfichtig und 
zu befonnen war, um dem von ihm aufgeftellten phoneti- 
fchen Prinzipe eine fo undeutliche Deutung und eine fo 
unfaßliche Faßung zu geben. 

§ 18« Die vierte phonetifche Kegel nemüch ift 
diejenige, in welche Herr von Raumer felbft das phone- 
tifche Prinzip gefaßt hat. Es lautet: Bring deine 
Schrift und deine Ausfprache möglichft in Über- 
einftimmung*). Diefe Kegel unterfcheidet lieh von den drei 
fchon befprochenen wefentlich dadurch, daß äe eine fühlbare 
Lücke ausfüllt. Sie zerfallt nemlich in zwei für fich be- 
ftehende Theile, Der erfte diefer Theile befteht aus der tri- 
vialen Phrase Schreib, wiedu f pr i c h ft , über deren völlige 
Unbrauchbarkeit als ortbographifche Kegel fchon mehr als 
zu viel gefprochen worden ift. Der zweite Theil enthält die 
umHchtiger Weife neu hinzugefügte Kegel: Sprich, wie du 
fchreibft. In der That ift es diefe graphifche Vor- 
fchrift, welche nicht nur den in jene/ zweiten phonetifchen 
Regel (§ 16) enthaltenen Gedanken einigermaßen ergänzt, 
fondern auch die ohne Antwort gebliebenen Fragen, zu der 
man bei der dritten (§ 17) fich gedrängt fah^ wenigftens noth- 
dürftig zu beantworten vermag. Was nemlich die zweite von 
den eben erwähnten phonetifchen Regeln betrifft, welche 
lautete: Schreib, wie die Gebildeten fprechen, fo 
fteht ganz unzweifelhaft feft, daß es viele fehr gebildeten 
Leute gibt, die diefes und jenes Wort nur deshalb fo und fo 
au^fprechen, weil fie es entweder felbft fo fchreiben 
oder von Andern fo gefch rieben fahn, und was die 



*) Gef. fpraehw. Schriften S. 138, 6. 



— 77 — 

dritte von den erwähnten phonetifchen Regeln betrifft, welche 
lautete: Schreib, wie du richtig oder rein oder gut 
fprichft, fo wirft Jlch dabei jedem, der nicht blindlings frem- 
der Autorität folgt, von felbft die Frage auf : wer oder was ent- 
fcheidet denn, ob ein Wort richtig oder rein oder gut 
gefprochen fei, und die Antwort auf diefe Frage kann zu- 
nächft keine andere fein als: die Schrift. 

Und in der That ift nach dem, was wir § 14 über 
die Entwickelung der Bechtfchreibung und insbefondere über 
die Rückwirkung der Schrift auf die Ausfprache 
bemerkten, nichts natürlicher, als daß eben die Schrift wieder 
ein Anhaltepunkt für die Sprache ward; denn lüera fcripta 
hat eine weit feftere Dauer als die Ausfprache, die, wie wir 
oben zeigten, aus verfchiedenen Gründen unfäglichen Wande- 
lungen und Abweichungen unterworfen ift. E in Beifpiel 
möge dies erläutern. 

Vom fechzehnten bis in das erfte Viertel des laufenden 
Jahrhunderts fchrieb und fprach ein großer Theil des gebil- 
deten Deutfchen Publikums noch Teutfch. Daß zu Göthes 
Zeiten, der Jlch bereits für die Schreibung Deutfeh ent- 
fcfaied, doch der Gebrauch noch fchwankte, erhellt aus der 
Stelle feiner Werke, wo es heißt: 

„Diess der Landsmann wünscht und liebet, 

Mag er deutsch^ mag teutsch sich schreiben." 

Ja zu Ende der zwanziger Jahre diefes Jahrhunderts 
war die Schreibart Teutfch noch fo weit verbreitet, daß die 
bedeutendften Werke jener Zeit, die auf die Schreibung diefes 
wichtigften Wortes unferer Mutterfprache einen befonderen 
Einfluß zu üben im Stande waren, Werke wie das fchätzbare 
Enzyklopädifche Wörterbuch von Pierer und die 
Allgemeine Gefchichte des teutfchen Volkes von 
Luden, nicht anders fchrieben als Teutfch. Als aber 
Jakob Grimm bald nachher bewiefen hatte, wie unrichtig 
die Schreibung Teutfch fei*), und als man feinem auf tief- 



*) Nächft Grimm hat dies am gründlichften dargethan 



- 78 -: 

fter wifienfohaftlicher Pptfohnng beruhenden Winke folgend 
auch die lernende Jugend zu diefer richtigen Schreibart an- 
hielt, ward fie allmShlich fo allgemein , daß es jetzt kaum 
noch einen MenTchen gibt, dem es einfiele Teutfch zu 
fchreiben und zu fprechen. Hier war es alTo ganz entfchieden 
die Schrift, die auf die Ausfprache wirkte; der entgegen- 
gefetzte Fall ift hier undenkbar. 

Und dies ift bei unzählichen anderen Wörtern der Fall 
gewefen und noch der Fall. Oder ift es bei der lernenden 
Jugend anders? Das Kind hat lefen gelernt; es ift mit der 
Geftalt und der Ausfprache der Laute bekannt gemacht und 
foll nun fchreiben lernen, d. h. es foU die auf feiner Vor- 
fchrift oder auf der Wandtafel vorgefchri ebenen Wörter 
Buchftaben fiir Buchftaben nachzeichnen d.h. nach fchreiben 
und foll Geh nach und nach, wie es denn auch gefchieht, dar- 
an gewöhnen diefelben fo, wie es de fch reibt, zu fprechen. 
Beide Verrichtungen unterftützen und ergänzen fich gegen- 
feitig; beide Male ift es aber die Schrift, welche die Aus- 
fprache des Lernenden beftimmt. Oder ift es anders 
bei den Taufenden von Halbgebildeten, die ohne orthogra- 
phifche Sicherheit ins praktifche Leben treten, befonders bei 
unferen Frauen und Mädchen, unter denen es verhältnismäßig 
nur wenige gibt, die granmiatifch und orthographifch ganz 
richtig fchreiben? Haben de einen Brief zu fchreiben oder 
irgend ein Schreiben abzufaßen, bei dem de dch keine 
Blöße geben wollen oder dürfen, fo werden fie bei jedem 
Worte, bei dem fie fich nicht ganz ficher fühlen, in irgend 
einem Buche nachfchlagen , um zu fehen, wie es richtig ge- 
fchrieben werde , und nach diefer Schreibung das Wort 
dann auch zu fprechen fich gewöhnen. 

Es ift überhaupt mit diefer fehr gewöhnlichen Berufung 
auf die Ausüjprache nicht fo ftreng zu nehmen. Jeder pflegt 
diejenige Ausfprache für die richtige zu halten, die er felbft 



der fchon früher genannte Kehrein in feiner Gram- 
matik der NeuhochdeutTchen Sprache (1852) H, S. Y f. 



~ 79 — 

zu befolgen lieh gewöhnt hat, und er befolgt fie eben, weil 
er fo fehreibt« Die AuBfprache haftet vorzngs- 
weife an der Schrift. Sie richtet fich nach ihr, ohne 
daß man es weiß und will. Man hätte gar nicht angefangen 
Theurtxt Rettter gefcheitt und Ahnliches zu fprechen, wenn 
man nicht erft flUTchlich entweder felber fo gefchrieben 
oder anderwärts fo gefchrieben vorgefunden hätte. 

§ 19« Das Alles weiß niemand beßer als Herr von 
Banmer; darum fsißte er fein phonetifches Prinzip in 
die Regel: Bring deine Schrift und deine Aus- 
fprache möglichft in Ubereinftimmung. Und doch ift 
auch diefe Regel unhaltbar. Während nemlich der eine von 
beiden Theilen, aus welchen diefe Regel, wie wir oben zeig- 
ten, befteht und welche lautet: Schreib, wie du fprichft, 
eine ganz hohle Phrafe enthält, der man nur ungern in den 
Schriften eines fo klaren und umfichtigen Sprachgelehrten, 
wie Herr von Raumer ift, wiederholt begegnet, läßt auch 
der andere Theil, welcher lautet :Sprich,wiedufchreibft 
die Sache unabgethan. Denn abgefehn davon, daß diefe letz- 
tere Regel, die immerhin, wie wir fahn, in vielen Fällen zur 
Anwendung kommt, keine phonetifche Vorfchrift ift, bei 
der die Ausfprache, fondem eine graphifche, bei der 
die Schrift entfcheidet: fo handelt Hch's hier um eine 
orthographifche Regel. Soll denn aber der Satz: 
Sprich, wie du fchreibft, eine orthographifche 
Regel fein? Schreibt man denn auch durchweg 
richtig? Man fchrieb bis in die zwanziger Jahre und 
darüber hinaus /^^ {e^^) hey frey awey heyde emerley u. f. w., 
und das war doch falfch; man fchrieb bis in die dreißiger 
Jahre und darüber hinaus Teutfchf und das war doch fEdfch; 
man fchreibt jetzt noch ecTU und äefU, (uMdeh und ciddig^ 
biqfi und blas^ Brod und Brot u. f. w., und von diefen ziem- 
lich hundert Doppelformen ift doch je eine immer ficherlich 
falfch , und wo es für ein und dasfelbe Wort fogar eine drei- 
fache Form gibt, wie bei Dienflag und nenUicTh^ lind doch je 
zwei, und wo es gar eine vierfache Form, wie bei aUmähUeh 



— 80 - 

und Emtef gibt, doch je drei immer ganz licherlicli falfch. 
Wo und wie erfährt man (^enn nun, ob eine Schreibweife 
richtig und welche von mehreren SchreibweiTen die richtige 
fei, damit man eben fo fch reibe und damit üch die Aus- 
fp räche überall, wo es thunlich ift, darnach richte? Das 
fogenannte phonetifche Prinzip läßt, wie wir fahen und 
wie wir fpäter handgreiflich darthun werden, den Hilfsbedürf- 
tigen hier ^ganz im Stiche, und vom graphifchen Stand- 
punkte aus bleibt die Sache , wie wir eben fahen, gleichfalls- 
unerledigt. Oder foll man fich in diefer Verlegenheit, wie 
Heyfe und Andere wollen, dem „herrfchenden Schreibge- 
brauche" in die Arme werfen und hier AufTchluß und Auskunft 
fuchen? Nun dann wäre man allerdings wieder auf demalten 
Flecke angekommen. Nein, will man beim Schreiben den 
„herrfchenden Schreibgebrauch" entfcheiden laßen, fo weiß man 
eben in unzählichen Fällen nicht, wie man fchreiben foll. 
Der ift ja ebenfo unrichtig und unfolgerichtig, fo zerfloßen 
und zerklüftet, daß endlich eine parzielle Änderung der biB- 
herigen Schreibweife befonders im InterefTe unferer Schulen 
für geboten erachtet wird. Der „herrfchende Schreibgebrauch" 
verlangt z. B. gebieterifch 27iva*m und Wirth und Gluth und 
BUlthe und MtUh und Wuth und Noth und rath, und doch be- 
zeichnet felbft Herr vonBaumer, diefer warme, aber freilich 
nichts weniger als blinde Verehrer des überlieferten Schreib- 
gebrauchs die hergebrachte Schreibung jener Wörter als 
faKch und will Ttmn und Wirt und Glia und BUtte gelehiie- 
ben wißen und empfiehlt auch Mut und Wut und Not und 
rot zu fchreiben*). Oder foll man, wie es fchon Heyfe that 
und wie die Berliner in ihrem WÖrterverzeichnifTe thun und 
wie es Herr von Baumer in einzelnen Fällen thut und wie 
es auch die Orthographifche Konferenz in ihrem Begifter 
thut**), zwei Formen nebeneinander zu beliebigem Ge- 
brauche beftehen laßen ? Das wäre ja in der That eine necki* 



*) Gef. fprachw. Schriften S. 179. 
**) Verhandlungen der Konferenz S. 153 ff. 



— 81 — 

fche Löfung der fchwebenden orthographiTchen Frage, eine 
Liöfiing, bei der man an das parturiimt morUeSf ncucetur ridi' 
culus mu8 auf das lebhaftefte erinnert werden würde, wenn man 
gerade den üefTten Schaden onTerer Orthographie, auf delTen 
endliche und gründliche Befeitigung die eifrigften Bemühungen 
aller hell fehenden und warm fühlenden Freunde unferer 
Mutterfprache fchon feit einem ToUen Jahrhunderte gerichtet 
gewefen find, gerade jetzt, bei diefer günftigften aller Gelegen- 
heiten, wo man ausdrücklich an die Verbeßerung der herge- 
brachten Orthographie geht, nicht nur ungeheilt laßen, fondern 
geradezu formlich fankzionieren wollte*). 

§ 20t Zweitens. Wenn fchon aus dem bisher Ge- 
fagten herrorgehn dürfte, daß es mit dem fogenannten p h o n e^ 
tifchen Prinzipe — wir bitten den Nachdruck hier wie 
anderwärts auf das Prinzip zu legen — der beabfichtigten 
Änderung unferer hergebrachten Orthographie gegenüber 
eine misliche Sache fei, fo erfcheint eine Anwendung diefes 
Prinzips noch viel bedenklicher, wenn man Folgendes er- 
wägt: Wir haben gefehn, daß der Grundkarakter unferer 
Sprache ein ftreng phonetifcher ift, d. h. daß die Aus- 
fprache von Anbeginn an maßgebend und befdmmend auf die 
Schrift gewirkt hat: eine andere Entftehung unferer Schrift 
ift gar nicht denkbar. Nun ift aber gerade die Ausfprache, 
wie wir ebenfalls fahen, eben fo vielen wie mächtigen £in- 
flüßen unterworfen, indem fie fich vornehmlich einerfeits in 
ihren Lauten abfchwächt, anderfeits aus klimatifchen, organi- 
fchen, phyfifchen und anderen Gründen in mehrere Haupt- 
mundarten abzweigt, die dann wieder in allerhand einzelne 
Yariazionen fich zerfplittem. Es liegt auf der flachen ELand, 
— und auch das ift bereits angedeutet worden '(§ 14) — , 
daß die Sprache und infonderheit die Schrift im Laufe der 
Jahrhiuderte auf folche Weife mehr oder weniger fich ändert 
und nach Befchaffenheit der Umftände in gewiffem Sinne auch 
wohl entartet. Dies ift der natürliche Gang der Dinge, den 



*) S. unten §. 28 a. E. 

Eisen, Deatsohe Orthographie. 



— 82 — 

keines Sterblichen Macht oder Weisheit aufhSlt. Von einer 
geftörten Entwickelang der Sprache ift hier keine Rede. Mit- 
hin ift auch die Grammatik bu einem maßgebenden Eingriffe 
hier weder veranlafit noch befugt, und "gelinder Wahnfinn 
WKre es, wenn fie, anftatt (ich auf Wahrnehmung, die ,yaller 
Theorie fpottet,*^ zu befchränken und den vorgefundenen Stand 
der Sprache einfach zu konftatieren, üch unterfangen wollte 
uns Formen wie morkan und naht und ärda und himil 
oder gar himina wieder aufzudrängen. Auch den nachthei- 
ligen und nachhaltigen Wirkungen und Veränderungen, die 
fremde Einwanderung und Eroberung hervorbringt, wie dies 
befonders in England der Fall war, ift unTere Sprache , — 
Dank der naturwüchllgen Ejraft der Deutfchen, die das auf- 
dringliche Römerthum friUuseitig in feine Schranken wies und 
fpäterhin auch dem anfangs gefahrlichen Slaventhume das Über- 
gewicht entrang, bis zum 16. Jahrhunderte, alfo bis zu der 
Zeit, wo das Neuhochdeutfche Ijch auszubilden begann, ent- 
gangen. Wenn aber von da ab eine ebenfo empfindliche wie 
nachhaltige Störung eintrat, fo waren daran von den ungludL- 
lichen politifchen VerhältnüTen abgefehn die Deutfchen felbft 
fchuld. Die unfelige Sprachmengerei war es vorzugsweiTe, 
die zu dem Verfalle unferer Sprache beitrug. Wir geden- 
ken diefer Deutfchen Unart fo Gott will fpäter einmal eine 
befondere Schrift zu widmen. Wir werden uns alfo hier auf 
das befchränken, was durchaus nothwendig ift zur Begründung 
der noch zu wenig bekannten und anerkannten ThatCache, ohne 
deren Würdigung ein klares und ficheres Urtheil über unfere 
heutige Orthographie gar nicht möglich ift, daß. nemlich 
unfere Wortfehreibung gründlich verdorben, ja 
viel verdorbener ift als die Wortfehreibung irgend einer ande- 
ren Sprache. 

§ 21t Gar herrlich entfaltet hatte fich unfere Sprache 
befonders im Zeitalter und unter der Pflege der Hohenftaufen. 
„Die Blüthe des Bitterthums und des Minnefanges war auch 
ein Höhepunkt für Deutfche Sprache. Als aber mit dem 
Untergange der Hohenftaufen das Ritterwefen feinen edleren 



— 88 — 

QeSIt verlor and der Minneikng veihallte und die Dichtkanft 
unter das Volk hinabgeftoßen zun Handwerk ward, da fiel 
auch die Sprache mehr und mehr der Verwahrlofung anheim. 
Hineingezogen in die allgemeine Verwirrung, die damals in 
Deotfchland herrfchte, des Schutzes und der Stütze beraubt, 
konnte üe lieh der eindringenden Volksmundarten nicht er- 
wehren, und die geiTtlofe Zunft der Meifterlanger mochte ihre 
Vergröberung eher befördern als verhindern. Nun griff auch 
das P&ffenthum, des günftigen Augenblicks gewahr, mit Keck- 
heit am lieh und drängte dem ohnmächtigen Deutfchland in 
demlelben Maße die Sprache des RömiTchen Stuhles auf, in 
welchem es die Deutfche Sprache mehr und mehr verdrängte.'' 
Wenn fchon aus diefen Gründen unferer Mutterfprache eine 
ruhige und freie £ntwickelung nicht möglich war, um wie 
viel weniger bei der Verachtung, die ihr von Seiten der theils 
franzöfierenden theils latiniüerenden Deutfchen felbft zu 
Theil ward« 

Die Sprachmengerei (S. 13 f. und 26 ff.) war bereits in 
der lüttelhochdeutfchen Zeit in vollem G-ange. Schon damals war 
es, wo man an Höfen und beim Adel die gerade jetzt fich glatt 
und fein entwickelnde FranzößTche Sprache mit Vorliebe zu 
pflegen und faft jeder vornehme Herr, dem es feine Mittel er- 
laubten, feine Kinder durch Franzofen im Franzöllfchen unter- 
richten zu laßen anfieng. Die um die Verfeinerung der Sprache 
fonft fo verdienten Minnedichter jenes Zeitraums, die meift aus 
Bittem be£tanden und um die Deutfchen Höfe, befonders den 
Thtiringifchen, lieh fchaarten, widerftanden der von den hohem 
Kreifen ausgehenden Verfuchung nieht. Sie waren es, die 
der fernen Mode fröhnend allerhand Franzölifche Wörter 
Deatfch angeputzt in ihre Dichtungen verflochten *). Es war 



^^ z.B, fehantieren (chanter)f turnieren (toumer), 
dormieren (dormirjy /alteren (faiUir). Viele die- 
fer Wörter z. B. paffieren, genieren, reparie- 
ren u. f. w. haben lieh im Deutfchen fo eingeniftet, 
daß man fie gar nicht wieder loswerden kann. 

6* 



— 84 — 

fchon fo weit gekommen, daß diefe Sorte Deutfch für vornehm 
und für guten Ton zu gelten anfieng. Die nächfte Folge 
war, daß die mittleren Stände, nach diefem Vorgange an dem 
Werthe und der Brauchbarkeit unferer Sprache irre oder 
durch das Blendende diefer fogenannten feinen Mode ange- 
lockt, allmählich ebenfalls zu dem Gebrauche der bereits ein- 
geführten Franzölifchen Wörter lieh bequemten und daß die 
Unütte nun in dem Maße überhand nahm, in welchem man 
ohne diefen AnTchluß an Hof und Adel nachgerade nicht mehr 
zu den Grebildeten gerechnet zu werden fürchten mufte. 
Kaum erhielt fich unter dem eigentlichen Volke ein natürlich 
fehlerhaftes und ungefchlifiPenes, aber doch reines und unrer- 
mengtes Deutfch. Das Zeitalter der Beformazion hat ge- 
rade nach diefer Seite hin kein Heil gebracht. Es ift allge- 
mein bekannt, daß Luther, wiewohl feine Sprache nach 
feinem eigenen ZeugnifCe die Sprache der damaligen Sächfi- 
fchen Kanzlei war, doch der Schöpfer einer neuen Deutfchen 
Profa geworden ift, die mit ihrem kernigen reinen Deutfch bei 
einem großen Theile unferes Volkes diefelbe weite Verbreitung 
und diefelbe begeifterte Aufnahme wie feine kirchliche Lehre 
fand und ihre Wirkung auf die Läuterung und Veredlung 
unferer Mutterfprache nicht verfehlte. Aber der bereits 
orthographifch verftümmelten, grammatifch verdorbe- 
nen und durch imzähliche Franzöfifche Wörter und Phrafen 
grSulich entftellten Mutterfprache auch nur in einer Beziehung 
und in einem Theile unferes bereits zerklüfteten und eben des- 
halb jedem nazionalen Gefühle vollends entfremdeten Vaterlandes 
wieder emporzuhelfen, das hat Luther befonders aus den 
Gründen nicht vermocht, weil alle noch an der Römifchen 
Kirche hangenden Deutfchen — und lle bildeten damals in 
Deutfchland noch die große Mehrheit — feiner Sprache wie 
feiner Lehre mit berechneter Schroffheit den Bücken kehrten, 
weil femer Adel und vornehme Welt immer tiefer und allge- 
meiner in die fchmachvoUe Franzöfelei verfielen und weil 
endlich derjenige Stand, in deffen Hand es lag und dem es 
oblag der verwahrloften Mutterfprache lieh an zu nehmen, die- 



— 86 — 

felbe gerade am offenften und auffallendften verfchmähte. 
Nichts hat nemlich mehr gefchadet, nichts onfere arme ver- 
kannte und verachtete Mutterfprache mehr nm den letzten 
Beft von AnTehn und gutem Rnf gebracht, als daß die Deut- 
fchen Gelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts fich nicht 
entfchHeßen konnten die allerdings fchon ziemlich verwilderte 
Deutfche Sprache zu gebrauchen, fondern ihre wißenfchaft- 
lichen Werke Lateinifch fchrieben*). 

So verachtet und den ungebildeten Schichten des Volkes 
preisgegeben trat unfere Sprache in das 17. Jahrhundert, 
eine Zeit, auf welche, wer auch nur ein Fünkchen Deutfehes 
Sinnes hegt, nicht ohne Grauen und ohne Scham zurückblickt. 
Auf die Schrecken des dreißigjährigen Religionskrieges, ,4n 
welchem die Deutfche Kultur um mehr als ein Jahrhundert 
zurückgebracht war,*' folgten die Raubkriege des nachbar- 
lichen Frankreich. Nie hat es in Deutfchland jämmerlicher 
ausgefehn. Es läßt fich aber denken, daß in diefer für Deutfch- 
land fo verhängnisvollen Periode nichts fchlechter wegkam 
als die fchon in früheren beßeren Zeiten arg mishandelte 
Deutfche Sprache. Die gleichzeitigen Sprachgefell- 
fchaften kommen hier natürlich nicht in Betracht. Sie haben 
es, abgefehn von dem großen Nutzen, den fie namentlich der 
Deutfchen Poefie gebracht, doch nicht einmal vermocht ihr 
Hauptziel, die Reinigung der Sprache, feft im Auge zu be- 
halten, gefchweige denn daß Re über diefes Ziel hinaus der 
Sprache in grammatifcher Beziehung wieder aufgeholfen 
oder wieder aufhelfen zu müßen geglaubt hätten. Würden 
doch felbffc die redlichften und energifchften Bemühungen 



*) Nicht bloß Thomafius hat dem bis dahin auf dem 
Katheder und in allen Lehrbüchern herrfchenden „bar- 
barifchen SchuUatein*^ die Schuld beigemeßen, daß die 
Deutfchen damals in fprachlicher Bildung zurückftanden 
hinter anderen Nazionen, auch Juftus Möfer und 
Friedrich der Große fanden in der Herrfchaft der 
Lateinifch gebildeten Gelehrten den Hauptgrund für 
den Verfall der Deutfchen Sprache. 



— 8« — 

diefer Art damals gefcheitert fein an der in Bezug auf Dent- 
fches Wefen nnd Deutfche Sprache völlig dampfen Gleichgül- 
tigkeit der Zeit. 

Und das Maß war noch nicht voll. Es follte noch 
fehlimmer kommen. Nachdem bis zum Jahre 1680 eine 
Sprachgefellfchaft nach der andern bis auf den nnbedenten- 
den Pegnitzorden in Geh felbft zer&llen war, griff der Wirr- 
warr in nnferer armen Sprache um fo drohender am Geh, je 
entfchiedener das Übergewicht war, das anfere bereits anf poli- 
tifchem Glebiete dominierenden weitlichen Nachbarn gerade 
jetzt auch in geiftiger Beziehung dem ohnmächtigen Deatfch- 
land gegenüber geltend machten. Es war das Zeitalter 
Ludwigs XI V, von dem Egenolff in feiner „Hiftorie der 
Teutfchen Sprache" von 1720 fo richtig fagt: „Zu unferer 
Zeit hat Ludewich der 14. in Frankreich der Teutfchen 
Sprache mehr gefchadet als ehedem alle Mönche und Pfaffen, 
weil man jetzo nicht nur an Höfen, fondem auch anderweit 
unter vornehmen und angefehenen Leuten in öffentlichen Zu- 
fammenknnffcen mehr Frantzölifch als Teutfch redet. Ja es 
fcheint nunmehro die Beinigkeit unferer Sprache in den letz- 
ten Zügen zu liegen." Es war die Zeit, die Leibnitz 
(1646 — 1716) mit den Worten karakterifiert: „Anitzo hat 
der Mifchmafch abfcheulich überhand gekommen, alfo dafi 
der Prediger auff der Cantzel, der Sachwalter auff der Cantz* 
ley, der Bürgersmann im Beden und Schreiben mit er- 
bärmlichen Frantzölifchen fein Teutfches verderbet, mithin es 
f&lt das Anfehn gewinnen will , wenn man fo fortfähret und 
nichts dagegen thut, als werde Teutfch ifi Teutfchland 
felbft nicht weniger verlohren als das Engelfäch- 
fifche in Engelland." 

In der That war das Beftehen unferer Sprache damals 
aufs einftlichfte gefährdet. Sie war ganz nahe daran aus 
einer Stammfprache eine Mifchfprache, wie das Englifche, zu 
werden oder, wie das Franzölifche, im Bomanifcheu allmäh- 
lich aufzugehn. Daß lle dennoch beftanden hat, das ver- 
danken wir' tbeils ihrer naturwüehfigen Kraft and Fertigkeit, 



— 87 — 

theils der Poefie des 17. Jahrhunderts, die anter dem 
wohlthätigen Einflöße der Sprachgefellfchaften mitten im Ge- 
tümmel der DentTchland dorchtobenden fremden Soldateska 
fich auffallend rein gehalten hatte und — um mit Gervinus 
zu reden — yjgegen diefes fremde Unwefen wie ein Wall 
Itand'S theils endlich demjenigen Theile unferes Volkes, der 
im Grande am wenigften zu diefer rettenden That berufen 
war. Das eigentliche Volk war es, bei welchem das 
Ton den gebildeteren Ständen verftoßene handfefte Deutfeh 
noeh eine Zufluchtsftätte fand ; denn obgleich dasfelbe von der 
allgemeinen Unlitte nicht unangefteckt blieb, fo war es doch 
nur Einzelnes, was, von Einzelnen aufgefchnappt, meift verun- 
ftaltet wiedergegeben ward: der große Haufen hielt — nicht 
Ibwohl aus Deutfchem Sinne, als weil er nicht durch Erziehung 
und Unterricht dem FranzÖüfchen zugeführt war und weil 
ihm überhaupt der Sinn für FranzöHTche Ziererei und Feinheit 
abgieng, an unTerer vaterländiTchen Sprache in feiner Weife 
feft. Es war aber zu erwarten, daß diefe an üch fo regelmäßige 
und wohlgebildete Sprache, wenn einmal wieder beßere Tage 
kämen, aus ihrem rauhen Schlupfwinkel zunächft vergröbert 
und entftellt heryorgehn würde. 

§ 32« Und es ift buchftäblich fo gekommen. Zuvörderft 
war es nicht anders möglich, als daß die in ihrer organifchen 
Entwicklung alfo gehemmte und geftörte Sprache hinlichtlich 
ihrer Formen und befonders hinlichtlich der Schreibung der 
Wörter entartete; denn da der gebildetere Theil der Deut- 
fchen der eigenen Sprache den Rücken kehrte und fich der 
verfuhrerifchen fremden in die Arme warf, da mithin der un- 
getheilte rolle Gebrauch der Deutfchen Sprache faft ganz 
dem Volke, dem mehr oder minder ungebildeten, anheim fiel, 
fo war es um fo natürlicher, daß zunächft die Ausfprache der 
Deutfchen Wörter, dem Munde des Volkes preisgegeben, ver- 
wilderte, weil, um die Verwirrung zu vermehren, auch noch 
die fchrankenlos dominierenden Volksmundarten mehr oder 
minder in einander verfchwammen. Da man nun dem phone- 
tifchen Earakter unferer Sprache gemäß von jeher fehrieb. 



— 88 — 

wie man ^rach, ja ein großer Theil des eigentlichen Yolke? 
nicht einmal fähig war genau nach der Ausfprache zu. fchrei- 
ben, fo entftand allmählich jene 'grauenhafte Orthographie — 
wenn hier von einer Orthographie die Bede fein kann — , 
dere;i Nachwehen wir heute noch fchwer empfinden*). 

Man braucht nur einen flüchtigen Blick zu werfen auf 
die SchreibweiTe eines in Sachen der Bechtfchreibung befonders 
namhaften Mannes jener Zeit, um Geh einen Begriff zu 
machen Ton der „augenzerreißend" buntfcheckigen und den 
phonetifchen Earakter unferer Sprache zum Theil aufs fchmäh- 
lichTte verletzenden Schreibung, die in jenen Jahrhunderten 
der fprachlichen Verwirrung in Deutfchland herrfchte. Wir 
wollen die ThatTache, daß Luther noch im Jahre 1522 zu 
Wittenberg ein Büchlein unter dem Titel: ,fEyn hetibuchUn 

der fsehen gepott wind etUich psalmen^'^ drucken ließ, 

hier nicht in die Wagfchale legen, da feine fpäteren Schriften 
von folchen orthographifchen Verftößen fich etwas freier 
halten. Man fchaue aber, was Luthers Zeitgenoße Fabian 
Frangk, der „bedeutendfte unter den älteffcen Neuhoch- 
deutfchen Orthographen", wie ihn Herr von Baumer**^ 
nennt, in feiner „Orthographia'' Tom Jahre 1531 unter An- 
derem fchreibt: „Die oberlendifche Sprach wird in keiner je- 
gnit odder lannde fo gantz lauter tmnd leifn geft^ert noch ge- 
holden, daß nicht weilannds ettw&s ftra/wirdigs oder mi//^ 
breuchiges darinne mitlie/e . . . Wer aber folche müTbreuch 
meidenn und rechtförmig Deutfeh fchreiben odder reden 
will , der mua Deutfcher fprachen au^ eines ' lands art und 
brauch nicht nachfolgen" u. f. w. 

Wie es in diefer Hiililcht im 17. Jahrhunderte ausfah, 
lehrt uns unter Anderem der treffliche Schotte 1, „der be- 
deutendfte Grammatiker des 17. Jahrhunderts," wie ihn Herr 
von Raumer nennt ***), der aber mit feinem glühenden Eifer 



*) Vgl. Duden a. Sehr. S. 16 und unten § 29. 
**) Gef. fprachw. Schrift. S. 113. 
***) Gef. fprachw. Schrift. S. 173. 



— 89 — 

far oofere Mutterrprache und mit feinen klaren Begriffen von 
Deatfcher Orthographie in jener troftlofen Zeit wie ein ein- 
üuner Fels im Meere ragt. Der (agt in feiner ,^nsfuhrliche 
Arbeit von der Teutfchen Hanbt Sprache" betitelten Schrift*), 
nachdem er von dem erften allgemeinen Lehrfatze der Recht* 
fchreibnng gefprochen: „Hieraus folget nun, daß weil der 
Bnchftaben Amt und Eigenfchaft diefe ift, den Laut und 
Tohn der wol ausgefprochenen Wörter deutHchft und ver- 
nehmlichft zu bilden und auszuwirken , in Deutfchen Wörtern 
alle diejenige Buchffcabe, welche der Bede keine Hülfe tuhn 
und alfo überflüKig seyn, foßen und muffen ausgelaften und 
nicht gefchrieben werden ; alfo fchreibet man nicht recht ,,umb 
darumb warumb kompt nimpt ELaiferthumb Lammb unndt daßz 
Frauw trauw itzundt^' u. f. w., denn die gröberen Letteren b p 
n z w sind allhier gantz überflüftig." 

l^ur haben diefe fchon anderwärts benutzte Stelle hier 
wiederholt, weil man daraus erfieht, wie weit einerfeits 
Schottel für feine Perfon in orthographifcher Hinlicht 
Yor feiner Zeit voraus war, und wie wahrhaft wüfte ander- 
feits die Schreibung war, die damals überhand genommen 
hatte ; denn die von ihm fo nachdrücklich verworfene Schreib- 
weife, aus der recht deutlich die Boheit jenes Jahrhunderts 
fpricht, war damals geng und gebe. Ja, wie groß „„die miß- 
breuchliche Freyheit"" war, die fich, wie Schottel klagt, jeder 
anmaßte, zeigt unter Anderem die Schreibung von und und 
Amt: für erfteres finden fich damals vier Schreibungeh , nem- 
lich und tmnd widt wandte für Amt fogar fechs, nemlich Amt 
Ambt Ammbt Ampi Afnrn^ Ampdt**), 

Wie es um das Jahr 1700 mit unferer Sprache — und 
vorzugsweife mit unferer Orthographie — trotz Schottels 
(t 1676) redlichen Bemühungen — noch ausgefehen habe, er- 



*^ Baum er s Gef. fprachw. Schrift. S. 188. 
**) Duden a. Sehr. S. 16. Ja wechfeln doch, wie Duden 
ebendaf. erinnert, fchon in Luthers oben angefahrtem 
Schriftchen auf einer Seite ssweiffd, moeifelf zweyffd, 
mm/üdf femer yn ynn und irin (tn), yhn und yn (ihn). 



— 90 — 

hellt aus einem Schreiben Jablonski's an Leibnitz. Als 
nemlich im J. 1700 die Sozietät, Hachherige Akademie, der 
Wißenfchaften in Berlin errichtet werden Tollte, genehmigte 
der Korfürft, nachherige König Friedrich I., den ihm vor- 
gelegten Plan, fügte aber, wie Jablonski, als Sekretär der 
Gefellfchaft, unter dem 23. «März desfelben Jahres an Leib- 
nitz fchreibt, noch hinzu, „daß man auch auf die Cnltar 
der teutfchen Sprache bey diefer Fundation gedenken 
möchte, gleich wie in Frankreich eine eigene Akademie hiezn 
geftiftet^' u. f. w., wozu dann Jablonski felbft noch die Be- 
merkung macht: „ImmaTTen einem teutfchen Furften freylich 
nichts mehr anftehen will, als der edeln, aber fehr ▼erwil- 
derten Mutter- Sprache fich anzunehmen/' Des Kur- 
fürften Yorfchlag ward von Leibnitz in einem Briefe an 
Jablonski vom 31. März 1700 als (die ,yTemiinftigfte und 
fchicklichüte Sache von der Weif* bezeichnet, ift aber leider 
nicht zur Ausführung gekommen. In der That war es mit 
unferer Orthographie zu Anfang des 18. Jahrhunderts noch 
auf das fchlechtelte beftellt. Findet man doch Ton dem be- 
rühmten und für die Dentfche Sprache begeifterten Leib- 
nitz felblt noch gefchrieben auff helffen Eekel Her- 
hunfft unterwürfftg Frantzofen und dergleichen mehr, 
wie denn überhaupt die Orthographie jener Jahrhunderte der 
fprachlichen Verwirrung Torzugsweife durch die uns zum Theil 
heute noch anhangende unnatürliche Verdoppelung der KonTo- 
nanten im Auslaute (Mann voll Griff) und im Inlaute vor 
und nach anderen Konfonanten (herrfchen fammt — Hert» 
hellfen), ja felbft nach Diphthongen (auff Sehfoeiff) fich 
kenntlich macht. 

§ 2S« Es war ein Glück, daß diefer grobe orthogra- 
phifche Unfug mit dem 18. Jahrhunderte feinen Höhepunkt er- 
reichte. Als unfere Sprache allmählich wieder in die rechten 
Hände kam, als die vielen edeln Geifter des 18. Jahrhunderts 
▼onChriftian von Wolf und Thomafius bis aufGöthe 
und Schiller in der richtigen, feinen und gewandten Hand- 
habung der wieder zu Ehren kommenden eigenen Sprache 



— 91 — 

unter einander wetteiferten, ja einige von ihnen, wie Kiep« 
ftocky Sehlözer, Yofl, llck die DentTcke Orthographie be- 
fonders angelegen fein ließen, da wurden felbftverftändlich 
auch der orthographifchen Auswüchfe eine Menge abgeftreift. 
Die Grammatiker und Lexikographen jener Zeit, vor Allen 
Gottfehed, Naft, Fulda, Adelung, trugen das Ihrige 
redlich bei. Und doch fügten gerade fie ohne es zu wißen 
und zu wollen unferer geplagten Sprache neue Schäden zu. 
Sie glaubten nemlich der gebildeten Deutfchen Welt, die Geh 
der früher fo yerachteten Mutterfprache wieder mehr lud mehr 
zu zu wenden) begann , aber befonders mit der immer noch 
wirren Orthographie ihre große Noth hatte, einen wefentlichen 
Dienft zu erweifen, wenn Ge gleichlautende Wörter von ver- 
fchiedener Bedeutung (/em meinen wider Saiite Waije Rain 
u. f. w.) anch durch die Schreibung unterfchieden. Das 
Schlimmfte war, daß jedes neue Lexikon und jede neue Gram- 
matik bis in das laufende Jahrhundert hinein diefe unwißen- 
fchafüichen Unterfchiede , deren Geh die Bequemlichkeit der 
Deutfchen fchnell und gern bemächtigte, aus KurzGchtig- 
keit und aus Unbekanntfchaft mit dem Wefen und den laut- 
lichen YerhaltnifTen unferer Sprache als yorgefimdene Schreib- 
weife gläubig hinnahm und dadurch förmlich beftätigte, ja 
ihre Yerfaßer fogar ein Verdienft um die Sprache Geh zu 
erwerben meinten, wenn Ge es nachmachten und die alten 
Unterfchiede wo möglich noch um irgend einen neuen ver- 
mehrten. Sitzen doch diefe Unterfchiede trotz dem, daß 
inzwifchen Jakob Grimm*) ihre GehaltloGgkeit gründ- 
lich nachgewiefen und auch Herr von Baum er**) bereits 
vor achtzehn Jahren Geh nachdrücklich dagegen ausge- 
liehen hat, noch in der neuelten Ausgabe der Heyfe 'sehen 



*) Vorrede zum Dtfch. Wörterb. I, S. LVI f. 
**) Gef. fprachw. Schriften S. 178. Auch Bezzen- 
berg-er in den Bandbemerkungen zu den von der Ber- 
liner Konferenz aufgeftellten Begeht S. 19. § 15 ur- 
theilt, daß dadurch gerade die Verwirrung in unferer 
Orthographie zum großen Theile entftanden fei« 



— 92 — 

Grammatik (vom J. 1873) mit Aasnahme von fem und feyuj 
von fMinen und meynen feit. Auf diefe Weite find feit dem 
Ende des 17. Jahrhunderts wieder allerhand neue Widerfprücfae 
nnd Ungenanigkeiten in unfere Orthographie gedrungen ; ja es 
ift unferer Sprache in dt {Stadt todt) eine Konfonantenyer- 
bindung und in ai (Hain Laib) ein Diphthong aufgedrungen 
worden, von denen der erftere unferer Sprache völlig fremd 
iff*), der zweite wenigltens in Deutfehen Wörtern fremd ge- 
worden ift. 

§ 24t Faßen wir das bisher G-efagte kurz zufammen, 
fo ergibt fich als Thatfache Folgendes: Unfere Neuhoch- 
deutfche Sprache hat zwifchen dem 15. und 18. Jahrhunderte 
eine totale Verwirrung durchgemacht; von einer natürlichen 
und organifchen Entwickelung war nicht die Rede. Aus die- 
fer fchweren Zeit ift zunächft unfere Wortfehreibung — denn 
von diefer und nur von diefer handelt die vorliegende Schriffc 
— nicht ohne tiefe Schäden hervorgegangen; denn wenn 
auch das 18. Jahrhundert fehr viele und vielleicht die fchlimm- 
ften orthographifchen Gebrechen hinweg genommen, fo hat 
doch die blinde Unterfcheidungswuth und die unzureichende 
Sprachkenntnis der Grammatiker und Lexikographen jener 
Zeit wieder neue und beträchtliche Schäden hinzugefügt. 
Es herrfcht in Folge von alledem in unferer heutigen Ortho- 
graphie noch ein ftarker Reft von Wirrwarr. 

Das ift die hergebrachte Orthographie**), vor der man 

*) Die Fälle, wo dt durch Synkope entftanden ift, gehören 
felbftverrtändlich nicht hierher. 
**) Der gewöhnliche Ausdruck, mit dem in den Schriften 
deei Herrn von Raumer auch „bisherige'^ und ,)über- 
lieferte Orthographie," femer „überlieferte" und „her- 
gebrachte Schreibweife" und „überlieferter Schreibge- 
brauch" u. f. w. wechfeln. Wenn dafür auch „zu Recht be- 
ftehender Schreibgebrauch" und „zu Recht beftehende 
Orthographie" als Synonyma angewendet werden, fo muß, 
wie gefagt (§ 7, S. 51 f.), die Richtigkeit diefer Bezeich- 
nungen entfchieden beftritten werden. H e y f e nennt ihn 
S. 15 der neneften Ausgabe den „nicht allgemeinen, aber 



— 93 — 

fo gewaltigen Befpekt hat and die auch Herr von Baamer, 
was wir allerdings nicht recht begreifen, fo hoch hält, daß er 
in onmathigem Einblick auf die „entrüfteten Schmähungen der 
Neuhiftoriker« erklärt*): „Wir Phonetiker behandeln die 
hergebrachte SchreibweiTe mit forgfältiger Aufinerkfamkeit 
und behutfamer Schonung, und zwar nicht bloß aus praktifchen 
Gründen, fondem in Folge unferes wißenfc ha ft liehen 
Prinzips." Nun, es darf doch gewis niemand in der Welt 
mit mehr Fug und Becht das wißenfchaftliche JPrin- 
zip för Jlch in Anfpruch nehmen, als der große Forfcher 
Jakob Grimm. Aber gerade Grimm ift es, der gerade 
im Intereffe der Wißenfchaft geradezu wegwerfend 
über diefe hergebrachte Orthographie lieh ausläßt. Und 
wahrlich, wer einen fo tiefen und klaren Blick wie Grimm 
in den urfprünglich fo regelmäßig fchönen Bau unferer rater- 
ländifchen Sprache gethan hat und diefen Bau dann — nicht 
etwa in Folge einer natürlichen fprachlichen Entwickelung, 
fondem in Folge von unnatürlich rerwickelten VerhältnifTen 
durch Unwißenheit und Boheit — in feinen Formen verunftaltet 
und verrenkt Geht, der ift, zumal wenn er wie Grimm für 
Deutfehes Wefen und Deutfche Sprache ein patriotifch warmes 
Herz hat, doch gewis nicht unberechtigt über den „wuft und 
Unflat unferer fchimpflichen , die gliedmaßen der fprache iu- 
gefüg yerkleiftemden und entftellenden fchreibweife" lieh in 
herber Weife zu beklagen**). Führt doch der befonnene 
Michaelis diefen Ton ihm erwähnten Ausfpruch Grimms 
mit den Worten ein: „Warum foU eine folche das Wol des 
ganzen Volkes innig berürende Warheit nicht mit 
Toller Schärfe ausgefprochen werden?'^ 

§ 25« Wir wiederholen es — denn es kann nicht oft 
genug wiederholt werden — : unfer Neuhochdeutfch hat lieh 



doch herrfchenden Schreibgebrauch,*' was «doch wohl eine 
Art von contradictio in adjecto ift. 
*) Gef. fprachw. Schriften S. 247. 
**) S. Grimm Vorrede zum Dtfch. Wörterb. I, S. VHI, unten. 



— «4 — 

befonderB in orthographifdier Beziehung bei feinem Über- 
gange aus dem Bfittelhochdeuifohen nieht frei und regelrecht 
entwickelt, fondem allerhand bedeutende Störungen erfahren. 
Die Verwickelung und Verwirrung, die ihm aus diefen Stö- 
rungen erwuchs, hat trotz aller seitweife vorgenommenen Ver- 
beßerungen bis auf den heutigen Tag zahlreiche Spuren zu- 
rückgelaßen. In Folge diefer vielen Uberbleibfel ans der 
ehemaligen Verwirrung, zu denen die neueren Sprachgelehr- 
ten vor Jakob Grimm wieder neue Entftellungen fugten, 
herrfcht in unferer Bechtfchreibung auch heute noch ein ar- 
ger Wirrwarr. *^) Nirgends macht Geh aber diefer gegen- 
w&rtige Zuftand unferer Bechtfchreibung fo fühlbar, wie in 
den Schulen. • Hier vor Allem galt es und gilt es noch eine 
VerftSndigung und Einigung der Lehrenden zum Heile der 
Lernenden. Steht doch zu erwarten, daß die £rgebni£fe die- 
fer Einigung durch die Schulen hinaus in die Welt ge- 
tragen werden und zibi&chft auf diefe Weife dem auch in 
diefem Punkte nach endlicher Einigung verlangenden ganzen 
Deutfchen Volke zu Gute kommen. Daher die Einigungsver- 
fuche in Leipzig, Ellwangen, Berlin und Schi eiz.**) 
Aber „mit der VerftSndigung unter den Lehrern ift es nicht 
gethan. Denn gerade hier greifen die verfchiedenartigften 
Schulen in einander. Gefetzt z. B. die Gymnalien verftändig- 
ten (Ich in der einen Weife, die Elementarfchulen aber in 
einer wefentlich anderen, fo müflten die Schüler, wenn fie auB 
den Elementarfchulen in die Gymnafien eintreten, ihre ganze 
Orthographie umlernen, und die Mühe, die lieh ihre bidierigen 
Lehrer gegeben haben, wäre vergeblich gewefen.^'*^^) Man 



*) „In der Deutfchen Bechtfchreibung hat nach und nach 
eine nicht unbedeutende Verwirrung Platz gegriffen /< 
Prof. Dr. Scholl im Vorworte zum Orthogr. Worter- 
buche der Deutfchen Sprache. S. Baum er a. Sehr. 
S. 299. 
**) S. oben § 5. 
***) Worte Baumers a. Sehr. S. 301. 



— «6 — 

war wohl überall eiiificlitig genng^ om dies zu fehen, aber nur 
in wenigen Staaten eifrig und wach genag, um hier eine Ab- 
hilfe Ton Staatswegen zu yerfuchen. Dies gefchah in Hano- 
▼er und Würtemberg. Und es ift immerhin als eine wahre 
Wohlthat zu betrachten, daß wenigütens in den Schulen von 
zwei MitteUtaaten eine einheitliche Orthographie gefchaffen 
ward. Freilich war auch auf diefem Wege eine Einigung 
in der Orthographie für unfer ganzes Vaterland unmöglich, 
fo lange Deutfchland felbft uneinig und in eine Menge Staa- 
ten zerrißen war. Aber auch diefer Standpunkt ift glücklich 
überwunden; „Deutfchlands Einheit ift aus einem langen 
Traume zu einer Wahrheit geworden." Nachdem in dem 
Deutfchen Großftaate Preußen im Intereffe der Schulen bb 
zum Ende des Jahres 1875 nichts der Art gefchehn war, hat 
endlich der Preußifche Unterrichtsminifter Falk auch hier 
mit feiner fegensreichen Wirkfamkeit durchgegriffen. Auf 
feine Yeranlaßung und mit Zuftimmung der übrigen Deutfchen 
Staaten hat eben zu Anfang des Jahres 1876 in Berlin eine 
Konferenz „zur Herftellung einer größeren Einigung in der 
Deutfchen Bechtfchreibung" getagt. Es fragte fich nur vor 
Allem, nach welchem Prinzip e die zum Behuf diefer 
Einigung unumgänglich nothwendige Änderung der bisherigen 
Orthographie zu bewerkftelligen fei. Nach der Art, wie die 
befagte Konferenz zufammengefetzt war, blieb kaum ein 
Zweifel, daß man lieh nach dem Vorgange, des Herrn von 
Baumer für das fogenannte phonetifche Prinzip ent- 
fcheiden würde. Und fo gefchah es. 

§ %6* Verfuchen wir jetzt diefes Prinzip zur praktifchen 
Anwendung zu bringen. Wir halten uns dabei an die Begel, 
in die Herr von Baumer fein phonetifches Prinzip gefaßt 
hat; denn alle anderen Faßungen, Tor Allem die Adelung- 
fche, find ganz unbrauchbar. Die phonetifche Begel des 
Herrn von Baumer lautet: Bring deine Schirift und 
deine Ausfprache in Übereinftim mung. Verfu- 
chen wir mit Hilfe diefer phonetifchen Begel zunächft und 
Tor Allem die Schreibart der von uns $ 6 angeführten 92 ortho- 



— 96 — 

graphisch ftreitigen Wörter feftEaftellen: denn diefe Schwan- 
kungen find die eigentliche Qual der Schulen. 
I. 1. echt — dckt^ 2. adÜAch — adeUg (adUg), 3. eichen — 
aichen: die Ausfprache entfcheidet bei diefen drei Wör- 
tern nicht das MindeftCi und die Schrift noch weniger» 
denn lie iTt eben ftreitig. Man mag alTo z. B. echt oder 
acht fchreiben, fo bringt man „Schrift und Ausfprache 
in Übereinftimmung'' , und es bleibt beim Alten, d. h. 
die Schreibung fchwankt nach wie vor. Zu Nr. 3 vgl. 
Nr 32. 49. 64. 

4. Äermel — Ermely 5. ÄugehUed — Augenlid: das 
phonetifche Prinzip läßt auch hier die Sache uner- 
ledigt. 

6. ausfindig — cmafündig : das erftere fprechen und fchrei- 
ben offenbar die Meiften, Andere fchreiben und fprechen 
das zweite; welches von beiden das richtige fei, bleibt 
nach dem phonetifchen Prinzipe uilerledigt. Vgl. 
Nr. 34. 48. 

7. B<Uem — Bayern: die Ausfprache gibt keinen Aus- 
fchlag und in der Ausfprache ändert auch die Schrift 
nichts; die Sache bleibt eben unerledigt. 
S^jhehüflich wird befprochen unter Hilfe, 

9. befi — beßt: welches das richtige fei, läßt das phone- 
tifche Prinzip unentfchieden. '^) 

10. betrügen — betriegen: ganz wie bei No. 6. 



*) Wer fich unterfangen wollte zu behaupten, daß fich 
befi und befit , bewufi und bewvjjt , bischen und bißchen, 
blas und bloß, Geifd und GeißeL und andere dergleichen 
Wörter mehr durch die Ausfprache — und wäre es die 
Ausfprache der Gebildetften — unterscheiden, der würde 
die Sache einer vorgefaßten Meinung zur Liebe denn 
doch gar zu fehr auf die Spitze treiben. Nicht einmal 
die rein und fein fprechenden Braunfchweiger dürften 
eine folche phonetifche Unterfcheidung fertig bringen. 
Das find — um den mildeften Ausdruck zu gebrauchen 
— eitel Alfanzereien. 



— 97 — 

11. bdMg — biUich: das phonetifche Prinzip ent- 
fcheidet nichts. 

12. bloß — blas: f. d. Note zu Nr. 9. 

13. Branke — Pranke : das phonetifche Prinzip ent- 
Tcheidet nichts : denn die Ausfprache ift eben, je nachdem 
man fchreibt, verrchieden, und welches die richtige Schreib- 
art fei , darüber gibt dasfelbe Prinzip gar keine Auskunft. 

14. Bret — Brett: ganz wie Nr. 13. 

15. Brot — Brod {Brodt ift glücklicherweife aus der 
Schrift befeitigt): foUte die „richtige" oder die „gebil- 
dete" dder die „richtige gebildete" oder die „reine und 
gebildete" oder die „als richtig anerkannte" oder die 
„gemeinfam anerkannte gebildete Deutfche Ausfprache" 
oder die „Ausfprache der gebildeten Deutfchen Gefammt- 
fprache"*) — und wie man diefe Ausfprache fonft noch 
nennen will — zwifchen den beiden ftreitigen Formen 
wirklich unterfcheiden ? Im Nominativ und Akkufatiy 
wohl fchwerlich. Aber gefetzt, dies wäre der Fall: ent- 
fcheiden thut lle nichts; denn der rein und fein Spre- 
chende wird es eben weich fprechen, weil er es weich 
fchreibt, und hart fprechen, weil er es hart fchreibt; 
welches aber die richtige Schreibung fei, läßt das phone- 
tifche Prinzip unentfchieden. 

16. deshalb {-wegen) — d^haXb (-wegen): f. die 
Note zu Nr. 9. 

17. Dinte — Tinte: das phonetifche Prinzip gibt 
keinen Ausfchlag ; denn wer die beiden Formen durch die 
Ausfprache unterfcheidet, was im Anlaute jede nur mittel- 
mäßige Ausfprache thut, der fpricht fo oder fo, je nach- 
dem er fchreibt. 

18. Donnerstag — Donnerftag: das phonetifche 
Prinzip entfcheidet nichts. 



^) Lauter Ausdrücke, die in den „Gefammelten fprach- 
wiffenfchaftlichen Schriften" des Herrn von Baumer 
unter einander wechfeln. 

Eisen, Deutsche Orthographie. 7 



— 98 — 

19. DiUe — Tüte : ganz wie bei Nr. 17. 

20. ergetzen — ergötzen: beides (pricht maiii weil man 
beides fchreibt; welches aber die richtigere Schreibart 
fei, vermag dasphonetifche Prinzip nicht zu ent- 
fcheiden. 

21. enmdem — ervfiedem: das phonetifche Prin- 
zip gibt nicht den Ausfchlag. 

22. EJfig — Eißig — Effich: wie bei Nr. 11. 

23. Fafinachb — Fasnacht: das erftere fchreibt man jetzt 
allgemein, das zweite fpricht man nach unferer Erfah- 
rung faft allgemein; felbft in gebildeten Ejreifen hört 
man kaum anders als Fasnacht fprechen. Um diefen 
Streit zwifchen Ausfprache und Schrift zu löfen, muß 
man eben ermitteln, welches die richtigere Form fei ; da- 
zu reicht aber das phonetifche Prinzip nicht aus. 

24. fing ging hing — fieng gieng Meng : beiderlei For- 
men beftehen neben einander, wiewohl die mit kurzem % 
fowohl der Schreibung wie namentlich der Ausfprache 
nach überwiegen dürften. Welche Formen die richtigen 
feien, ob die mit i oder die mit ie^ darüber gibt das fog. 
phonetifche Prinzip keine Auskunft. S. unten $ 29. 

25. Fibtig — Fi^ih: wie bei Nr. 11. 

26. flüftem — fliftem: wie bei Nr. 6. 

27. Fußfkipfe — FuJJta/pfe, 28. Gebärde — Geberde: das 
phonetifche Prinzip entfcheidet nichts. 

29. Gehilfe — GehiUfe wird befprochen unter Büfe, 

30. Geifel {Bürge) — Geißd, 31. Geifd (Peitfche) — 
Geißel: dasphonetifche Prinzip entfcheidet nichtg; 
f. die Note zu Nr. 9. 

32. Getreide — Getraide: beides wird, auch von Gebilde- 
ten, ganz überein gefprochen; das phonetifche Prin- 
zip entfcheidet nichts. Vgl. Nr. 3. 49. 

33. gibft gibt gib — giebft giebt gieb: beiderlei Formen be- 
ftehn neben einander ($ 16); welche die richtigeren feien, 
darüber gibt das phonetifchePrinzip keine Auskunft. 

34. gütig — gültig: wie bei Nr. 6. 

35. ging — gieng: f. Nr. 24. 



— 99 — 

36. Cfräud — Cfreuel, 37. Gfrenze — Chränae: das ph o- 
netifche Prinzip entfcheidet nichts. 

38. Hannover — Hanover: nach dem phonetifchen 
Prinzipe unentTchieden. 

39. Hering — Häring: das phonetifche Prinzip 
entfcheidet nichts. 

40. hing — kieng: f. Nr. 24. 

41. Hufe, behilflich, Gehü/e — Hülfe, behiUflicn, Gehülfe: 
beiderlei Formen beftehn neben einander; je nachdem 
man die einen oder die andern Formen vorzieht, fpricht 
man; welche man aber vorzuziehn habe, läßt das pho- 
netifche Prinzip unentfchieden. 

42. Hüfthom — Hifthorn, 43. Knüttel — Knittd: ganz 
wie bei Nr. 41. 

44. Lärm — Lerm: das phonetifche Prinzip ent- 
fcheidet nichts. 

45. lefchen — löfchen: ganz wie Nr. 20. 

46. leugnen — Mugnen: das phonetifche Prinzip gibt 
keine Auskunft. 

47. liefefi lieft lies — Ufeft Uft lis: die erftgenannten 
Formen und in der Schrift überwiegend, der Ausfprache 
nach bei weitem, wie es fcheint, die drei andern mit 
kurzem i. Das phonetifche Prinzip entfcheidet, 
fo lange man nicht nach der kaum zu ermittelnden Ma- 
jorität der Sprechenden zu entfcheiden für gut hält, 
nichts. Vgl. Nr. 33. 

48. liederlich — lüderlich: ganz wie bei Nr. 6. 

49. Meier {Hausmeier) — Maier: ganz wie bei Nr. 32. 

50. Pahft — Pa/pft, 51. Prdbft — Propfl: das phone- 
tifche Prinzip entfcheidet nichts. 

52. Reifig — Reifich: wie bei Nr. 11. 

53. Reiter — Reuter : beide Schreibarten finden lieh, 
und, je nachdem man fchreibt, fpricht man. Die zweite 
Schreibart fcbeint feltener zu fein; welche von beiden 
aber die richtigere fei, weiß das phonetifche Prin- 
zip nicht anzugeben. 

7* 






— 100 — 

54. Betttg — Rettteh: wie bei Nr. 11. 

55. Schwert — Schwerdt: die zweite Form ift im Ab- 
nehmen begriffen, wird aber noch vielfach gefchpeben; 
ob mit Recht oder mit Unrecht , vermag das p h o n e - 
tifche Prinzip nicht zu entfcheiden. 

56. Sprichwort — Sprüchwort: beides findet fich pro- 
miscue gefprochen und gefchrieben ; welches das richtigere 
tei, gibt das phonetifche Prinzip nicht an. 

57. flet (fiets, fietig) — /tat (fiäts, /tätig): das zweite 
ilt viel feltener als das erfte, kommt aber neben den 
Formen mit e wegen der Analogie von tmflät und be- 
ftätigen fo vielfach vor, daß es nicht übergangen werden 
darf. Das phonetifche Prinzip entfcheidet nichts. 

58. Tirol ~ Tyrol, 59. todt (tödten) — tot (töten): das 
phonetifche Prinzip gibt keine Auskunft. 

60. unentgeltlich ■— unentgeldlich : welches von beiden das 
richtigere fei, ift leicht entfchieden, aber das phone- 
tifche Prinzip entfcheidet nichts. 

61. verleumden — verläumden, 62. vornehmlich — vor- 
nändich, 63. weifiagen — weis/agen (auch das gegen die 
einfachfte orthographifche Regel verftoßende wei/fagen 
ift nicht feiten), 64. Weizen — Waizen, 65. weshcUb 
(•wegen) -w^halb ("-wegen), 66. WiderhM — Wie- 
derhaU, 67. Wildbret — WHdpret, 68. Witwe — 
Wittwe, 69. Würterriberg — Württemberg: lauter Schwan- 
kungen, die man mit Hilfe des phonetifchen Prin- 
zips zu befeitigen umfonft verfuchen würde. Zu Nr. 67 

vgl. S 27. 
n. 70. bewt^fit — bewu//t — beioufi, 71. bischen — bi/fchen 
— bifichen: der Schreibgebrauch fchwankt hier zwifchen 
je drei Formen, man foU fich einigen über je eine; wie 
man dies mit Hilfe des phonetifchenPrinzips be- 
werkftelligen will, ift fchwer begreiflich j denn in allen 
angeführten Formen ftimmen bereits Schrift; und Aus- 
fprache überein. S. Nr. 9 mit der Note. 
72. Dien/tag — Dinstag — Dienstag: wir hören überall 



— 101 — 

nur ^^Dinstag^^ fprechen; das phonetifche Prinaip 
würde IücIl alfo für diefe Form entfcheiden; aber erftens 
beruht dies auf einfeitiger Beobachtung, und zweitens 
würde iich dann immer noch fragen, ob dies auch die 
richtige Ausfprache fei. 

72. Branntwein — Brantwein — Brandwein: das pho- 
netifche Prinzip entfcheidet gar nichts. 

74. geng und gehe — gäng und gäbe — geng und gäbe: 
das phonetifche Prinzip entfcheidet gar nichts. 

75. Hevrath — Hewraih — Heirat: das phonetifche 
Prinzip konnte höchftens zwifchen ei und eu entfchei- 
den ; indeffen ift eben die Ausfprache verfchieden , je 
nachdem man das Wort mit ei fchreibt oder mit eu. 

76. Loo8 — Lo8 — Lqfi: das phonetifche Prin- 
zip entfcheidet nichts. 

77. m\ß — miff — ww — , 78. nemlich — nämlich — 
nehmlichf 79. Schmied — Schmidt — Schmid: das pho- 
netifche Prinzip entfcheidet nichts; Schmied horten 
wir feltener, aber es wird gehört. 

80. iiberfchwenglich — uberfchwänglich — Überfchwänk- 
liehj 81. Vehme — Fehme — Feme: das phonetifche 
Prinzip entfcheidet nichts. 
ni. 82. allmählich — MmöMch — aUmMlig — aUmölig: 
das phonetifche Prinzip läßt hier ganz im Stiche. 
83. birfchen — bürfchen — pirfchen — pwrfchen, 84. Ernte 
— Emde — Erndte — Amte — Arnde — Arndte, 
85. gefcheid — gefcheit — gefcheidt — gefcheut: auch 
bei diefei;! 14 Formen vermag man mit Hilfe des pho- 
netifchen Prinzips die richtige Schreibung nicht 
feftzuftellen : man fpricht eben — felbft in gebildeten 
Kreifen — verfchieden, weil man verfchieden fchreibt, 
und man fchreibt veij'chieden , weil man verfchieden 
fpricht. Zu Nr. 85 vgl. § 27. 

Ebenfowenig dürffce es felbft dem leidenfchaftlichften 
Anhänger des fogenannten phonetifchen Prinzips 
gelingen dem Schwanken zwifchen den nachträglich bei« 



— 102 — 

gefügten Formen : 86. anderfeite — cmdererfeäs^ 87. Borde 
— Borte, 88. keuchen — Jeetehen, 89. Keuler — Keiler , 
90. Kiffen — Küffen, 91. mannigfaltig — manmchfaltig, 
92. wirken — wü/rken, mit Hilfe des fogenannten p ho- 
tt etif che n Prinzips ein Ziel zu fetzen: man fchreibt 
^Q eben verfchieden, weil man lie verfclilieden fpricht und 
umgekehrt. 

§ 27* So haben wir denn umfonlt verfucht die Schreib- 
art der orthographifch ftreitigen Wörter vermittelft des foge- 
nannten phonetifchen Prinzips auch nur bei einem 
Worte feft zu ftellen. Und diefes Prinzip will man jetzt bei 
der dringend gebotenen Umgeftaltung unferer heutigen Ortho- 
graphie zu Grunde legen, bei der es, wenn überhaupt eine 
orthographifche Einigung erzielt wird, zunächft und vor Allem 
darauf ankommt, daß die heillofen Schwankungen, die 
feit nun 20 Jahren und länger befonders für unfere Deutfchen 
Schulen ein Stein des Anftoßes und ein Stock des Argerniffes 
gewefen find, gründlich und auf immer befeitigt werden? 

Oder will man vielleicht die Ehre des fogenannten pho- 
netifchen Prinzips dadurch zu retten fuchen, daß man 
da, wo die Ausfprache verfchieden ist, an die Majorität der fo 
und fo Sprechenden appelliert? Wer kennt denn diefe? Wer 
wollte, um nur ein paar Beifpiele anzuführen, zu behaupten 
wagen, daß „Wild|)ret" gefchrieben werden müße, weil, wie 
unter Anderen Duden^) angibt, der „Ausfprache die 
Schreibung mit dem p entfpreche ?^' Woher weiß man denn 
das? Wir müßen nach unferer in der That weder ober- 
flächlichen noch befchränkten Beobachtung gerade das Gegen- 
theil mit Entfchiedenheit behaupten. Femer fagt derfelbe 
D u d e n**) : „Die Schreibung gefckeit verdient den Vorzug vor 
gefcheid, da allgemein gefcheiter, nicht gefcheider gefprochen 
wird." Woher weiß man denn das? Erft unlängft faß der 
y erfaßer diefer Schrift einmal zusammen mit fünf Bekannten, 



*) Angef. Sehr. S. 160. 
**) Angef. Sehr. S. 55. 



— 103 — 

lauter Mfinnem von gründlicher Bildung. Das Gefpräch kam 
zufällig auf unfere zerfahrene Wortfchreihung. Als frappan- 
tes BeiTpiel führte man das Wort gefcheid an. Eine Um- 
frage ergah, daß von den fechs Anwefenden einer gefcheut 
fprach und fchrieb, ein zweiter gefcTieüj ein dritter — nicht 
der hier gar nichts befagenden Ausfprache wegen, sondern 
weil er es für die gebräuchlichfte Schreibart hielt — ge- 
feheidt, die übrigen alle drei gefcheid. Das war nur ein 
Fall. Aber auch unferen fonftigen Erfahrungen nach müßen 
wir die Bichtigkeit der Duden 'fchen Behauptung durch- 
aus beftreiten. Nein, um feftftellen zu können, welche 
Ausfprache eines Wortes in den Deutfchen Landen die „allge- 
meine'^ oder auch nur die „ziemlich allgemeine^' fei, dazu ge- 
hört lehr viel. Würde doch felbffc ein gebildeter Deutfcher, der 
mit vollem Rechte von sich rühmen könnte: XoXXcSv dvd-Qmncav 
fdw aatia xal voov s/ycov, deshalb noch lange nicht und um 
fo weniger zu behaupten berechtigt fein, welche Schreibung 
des einen oder des anderen Wortes die Ausfprache in Deutfch- 
land für lieh habe, da, wie wir bereits dargethan zu haben 
glauben, in. vielen Fällen, wie bei e und ä (echt acht), bei ei 
und ai, bei eu und äu, bei -ig und -ich u* f. w., felbft die 
feinfte Ausfprache keinen Unterfchied zu machen im Stande ift. 
Nein, diefe Ausfprache, bei der überdies die Sprechenden, 
was auch wieder feine großen Schwierigkeiten hätte, zu wägen 
und nicht zu zählen wären, fo genau und ficher zu ermitteln, 
daß man darnach die Schreibung zu dekretieren berechtigt 
wäre, das halten wir überhaupt für ein Ding der Unmöglich- 
keit. In folchen orthographlfch zweifelhaften Fällen zu ent- 
fcheiden ift eben das fogenannte phonetifche Prinzip 
mit feiner Regel: „Bring deine Schrift und deine Ausfprache 
in Übereinftimmung" ganz außer Stande, weil, wie gefagt, die 
Ausfprache in allen diefen Fällen verfehle den ift und diefer 
verfchiedenen Ausfprache gemäß auch verfchieden gefchrieben 
wird. Es bleibt eben, wenn man kein anderes Prinzip der 
Rechtfehreibung als das fogenannte phonetifche gelten 
läßt, nichts anderes übrig als in den allermeiften der oben 



— 104 — 

angeführten Fälle doppelte' Formen anfzufkellen. Und fo 
hat es auch, wie fchon bemerkt ift, die OrthographiTche 
Konferenz in vielen Fällen zu machen lieh genöthigt ge- 
fehn*). Aber — es kann nicht oft und nicht eindringlich 
genug erinnert werden (§ 19) — dazu brauchten die ehren- 
werthen Herrn Mitglieder des Orthographifchen Ausfchußes 
doch wahrlich nicht aus dem Norden und Süden und Weften 
Deutfchlands nach Berlin zitiert zu werden und hier beinah 
vierzehn Tage lang mit aufopfernder Thätigkeit lieh zu be- 
rathen, um fchließlich den Hauptfehaden unTerer bisherigen 
Rechtfehreibung, der fchon feit hundert Jahren, am lauteften 
aber feit dem letzten Vierteljahrhunderte, nach Hilfe fchreit, 
nicht etwa nur ungeheilt zu laßen, fondern durch einen neu 
aufzuftellenden orthographifchen ELanon ausdrücklich weiter 
fortzupflanzen. Und diefes klägliche Befultat einer 
wochenlangen Berathung hätten wir ledigliclb 
zu verdanken dem „epochemachenden*' phoneti- 
fchen Prinzipe. 

§ 28« Drittens. Die Deutfehe Spracheiftihrem 



*) Wir finden da ^^addig und adUch^* — yfiehüflich und be- 
hülflich^^ — „erbqjSen und erbofen^^ u. f. w. Wahrfchein- 
lieh würde das Verzeichnis noch viel mehr lolcher Doppel- 
formen aufzuweifen haben, wenn man nicht trotz der 
allgemeinen Antipathie gegen die anderen Prinzipe 
dennoch in vielen Fällen, wo man mit dem phonetifchen 
Prinzipe fchlechterdings nicht auskam, ein anderes Prin- 
zip, namentlich das etymologifche (§ 33), wie in „a2^ 
mäMich^^ (wegen gemach) zu Hilfe genommen hätte. 
Eine eigenthümliche Erfcheinung ift es, daß die Kon- 
ferenz auch eine Anzahl von Fremdwörtern, bei denen lie 
die einzige Gelegenheit hatte das fogenannte phone- 
tifche Prinzip zur Anwendung bringen, in zwei Formen 
aufiPührt, und zwar in zwei Formen, von denen die eine, 
wie „Charaktet^'^ „Charaäey*^ mit dem fogenannten phone- 
tifchen Prinzipe in geradem Widerfpruche fteht (f. unten 
§ 59J. Dabei wird richtig Kar-, Schikane u. f. w. ge- 
fchrieben. 



— 105 — 

Grundkarakter nachdurchund durch phonetifch: 
das ift eine ausgemachte und offen vor Augen liegende That- 
fache, die kein Sterblicher zu beftreiten vermag. Die 
Schreibweife der Deutfchen ift alfo von Haus aus 
eine ftreng phonetifche. Soweit die Deutfche Zunge 
klingt, hat man von dem Augenblicke an, wo man die Sprache 
in Schrift zu faßen anfieng, genau nach der Ausfprache ge- 
fchrieben d. h. für jeden Laut des gehörten Wortes den be- 
zeichnenden Buchftaben verwendet, um das vom Ohre Ver- 
nommene nun auch fichtbar zu machen für das Auge. Es 
gefchah dies nicht etwa nach einem beftimmten Grundfatze 
und mit dem Vorfatze „Schrift und Ausfprache in Uberein- 
ftimmung zu bringen,^' fondem inftinktmäßig hat fich gerade 
die f er Akt des Schreibens vollzogen, indem man das ge- 
horte Wort mit Hilfe der für die einzelnen Laute vorhandenen 
Zeichen fichtbar darftellte. Da aber die Ausfprache, wie wir 
früher wiederholt (§ 20, bef. § 17 und § 14) bemerkten, 
grundverfchieden und dabei unfäglichen Einfiüßen unterworfen 
ift, da es überdies im Nhd. — ein Zeichen von Entartung — 
für einen und denfelben Laut verfchiedene Buchftaben, neben 
6 auch äj neben ei auch aiy neben eu auch äu, neben v auch 
/ (ph), neben tt auch dt gab, da auch der alte echt Deutfche 
Zifchlaut 5, der im Mittelhochdeutfchen noch ganz im 
Schwange war, um die Zeit der Erfindung der Buchdrucker- 
kunft, alfo um diefelbe Zeit, wo fich das Neuhochdeutfche aus 
dem Mittelhochdeutfchen zu entwickeln begann, feines ur- 
fprünglichen (§ 50) Wefens und Lautes allmählich verluftig 
gieng und fich von den Zifchlauten / und ff in der Ausfprache 
kaum noch unterfchied, da endlich unfer Neuhochdeutfch in 
Folge der § 22 gefchilderten ungünftigen Yerhältniffe, unter 
denen es fich entwickelte, bereits vom 15. Jahrhunderte an 
vorzugsweife dem Munde des Volks anheim fiel und die auf 
folche Weife vielfach entftellte und vergröberte Ausfprache 
um fo nachtheiliger auf die Schrift zurückwirkte, weil, wie 
wir bereits (§ 22) bemerkten, das eigentliche Volk gar nicht 
im Stande war genau der Ausfprache gemäß zu fchreiben 



— 106 — 

£o daß orthographifehe Yerderbniffe aller Art nnfer Neuhoch- 
deutfch förmlich überfchwemmten, fo entftand nach und nach 
jene grob phonetifche, aber im Wefentlichen immerhin pho- 
netif che Schreibweife, von der wir trotz der Yerbeßerungen, 
die man befonders feit dem Ende des 17. Jahrhunderts ab 
und zu vorgenommen hat, bis auf den heutigen Tag» noch fo 
viele und foviel gräuliche Überrefte*) haben (§ 22 a. E.). 

Die Uberbleibfel aus diefer wüften Wortfehreibung der 
früheren Jahrhunderte follen nun endlich zum Behuf einer 
orthographifchen Einigung und zwar zunächft im Intereffe 
der Schulen foviel wie möglich befeitigt werden. Es foU 
dies, wie wir aus den Yerhandlangen der Orthographifchen Kon- 
ferenz fchUeßen müßen, gefchehn mit Hilfe des fogenannten 
phonetifchen Prinzips. Prinzip ift entweder in theore- 
tifchem Sinne ein Grundbegriff (Prinzip der Denkweife) oder 
in mehr praktifchem Sinne ein Grnndfatz (Prinzip der Hand- 
lungsweife). Als Grundbegriff ift das Prinzip nur denk- 
bar, als Grundfatz auch anwendbar. Das phonetifche 
Prinzip foU ja auch anwendbar fein: das liegt fonnenklar 
in der phonetifchen Regel, die man nach Adelungs Vor- 
gänge aufftellt: „Schreib, wie du fprichft." Aber abgefehn 
davon, daß man eine phonetifch entftandene, aus den oben 
angegebenen Urfachen jedoch vielfach kränkelnde Recht- 
fchreibung nicht füglich phonetifch, alTo gewiffermaßen 
homöopathifch, kurieren kann — wir haben ja auch gefehn, 
daß diefe Kur nicht anfchlägt — : was foU es heißen, wenn 
man dem Deutfchen, der, weil dies eben die einfachfte und 
natürlichfte Entftehung der Schrift ift , von jeher, unwillkür- 
lich und unbewuft, feiner Ausfprache gemäß gefchrieben hat, 



*) Eines der fchlimmften Überbleibfei diefer Art, das wir 
obendrein kaum wieder los werden dürften, ift die häu- 
fige und doch unphonetifche Verdoppelung der Konfo- 
nanten im Auslaut und im Inlaut vor anderen KonTo- 
nanten. (triff triffft, will wiUft), S. K. Matthiä die 
Deutfche Sprache und die Deutfchen Schulen S. 97 ff. 



— 107 — 

— was foU es heißen, wenn man dem £agt: „Mach dirs zum 
Grandfatze fo zu Tchreiben, wie du fprichft/^ Das kann man 
wohl als Regel empfehlen, wo ein Volk in der Bechtfehrei- 
bung bisher einen anderen minder richtigen Weg einge- 
fchlagen hat oder von dem eingefchlagenen richtigen 
Wege abgekommen ift, aber nicht, wo man fich bisher fchon 
immer und ohne Unterbrechung, wie in Deutfchland und 
Italien, ganz von felbrt der phonetifchen SchreibweiTe be- 
dient hat. 

Nach alle dem müßen wir doch in der That bezweifeln, 
ob unTer^r Deutfchen Bechtfchreibung gegenüber von einem 
phonetifchen Prinzipe als folchem überhaupt die 
Rede fein könne, weil eben diefe unfere Rechtfehreibung lieh 
von vorn herein und ganz von felbft phonetifch entwickelt 
und eben zum großen Theile in Folge der Umftände, unter 
denen äe Hch phonetifch entwickelt, allerhand Schwanken- 
des und Misbräuchliches in Jlch aufgenommen hat. 

§ 29. Gefetzt aber auch, daß das fogenannte phone- 
tifche Prinzip bei der beabJlchtigten Reform unferer 
Rechtfehreibung ein zu verwendendes probates Mittel wäre, 
was es nicht ift: fteht denn die Verwendung eines folchen 
Mittels in Einklang mit den Forderungen der Wißenfchaft? 
Kt denn das Wißenfchaft, daß man vorkommendes Falls nicht 
fragt: wie muß hier gemäß der Wißenfchaft der Sprache die 
Schreibung und demgemäß die Ausfprache fein, fondern: wie 
ift die Ausfprache und wie muß demgemäß die Schreibung 
fein, daß man alfo auf die Ausfprache in der fchwebenden 
orthographifchen Frage das Hauptgewicht legt, auf die Aus- 
fprache, bei der bekannter Maßen die Unwißenheit, die Be- 
quemlichkeit, die Gewohnheit die wichtigfte Rolle fpielen? 
Und wo nun die Sprechgewohnheit felbft verfchieden ift, kann 
man nicht fordern, daß da wenigftens die Wißenfchaft das 
entfcheidende Wort führt? 

Wir greifen den fpäteren Erörterungen durch ein Bei- 
fpiel vor. Die Präteriten der Verben fangen, gehn (gangen) 
und hangen werden theils mit dem bloßen i theils mit ie ge« 



— 108 — 

fchrieben*). Hier muß und foU eine Einigung erfolgen. 
Aber wer oder was entfcheidet denn, welche von den beiden 
Schreibarten die richtige fei? Das fogenannte phonetifche 
Prinzip mitfeiner Hauptregel : „S ehr e ib, wi e d u f p r i ch ft" 
doch wahrlich nicht; denn man fpricht eben verfchieden. 
Und zwar ift diefe Verfchiedenheit in der Schreibung auf 
folgende Art entftanden: Die befagten drei Präteriten 
lauteten im Ahd. fianc gianc hicmc, woraus im Nhd. durch Ab- 
Ichwächung des a in efiefnc gienc Jneno ward. Gerade dieferAb- 
i&\itie(s,VLB ia)y wie die Identität des Stammvokals im 
Präfens und imPartiz.Perf. Paff, kennzeichnet die Ver- 
ben fangen^ gehn (jgangen), hcmgen neben blafen, braien, fcXLen^ 
hjoMm u. f. w. als fogenannte reduplizierende. In diefer noch 
unverfälfchten Form, nur mit Verwandlung des c in^gr {Jiefng 
gieng hieng), wanderten die genannten Präteriten aus dem 
Mittelhochdeutfchen ins Neuhochdeutfche. Aber das ie fpricht 
fich gerade in diefen drei Formen, wie jeder an Geh felbft er- 
proben kann, aus naheliegenden phyliologifchen Gründen*^) 
etwas unbequem und mühfam, wenigftens viel unbequemer als 
in blies briet fiel hielt und im Präteritum der übrigen redupli- 
zierenden Verben, aus. Es war daher nichts natürlicher, als 
daß die große Mehrzahl der Deutfchen in ihrem Hange zur 
Bequemlichkeit, die nun einmal uns Menfchenkinder beim 
Sprechen im alltäglichen Verkehre leitet, unwillkürlich fing 
ging hing mit kurzem i zu fprechen fich gewöhnte. Während 



*) S. § 26. Wenn das Berliner Wörterverzeichnis hier, 
wie in vielen andern Fällen, beide Schreibarten ge- 
ftattet, fo verweif en wir in Bezug auf diefe verkehrte 
Methode auf § 19 a. E. und § 27 a. E. 
*^) Die Stimme hat nemlich von dem in dem vorderften 
Theile der Mundhöhle fich bildenden i bis zum nafalen 
ngy das aus dem unterften Theile des Gaumens durch die 
Nafe hervortönt, ohnehin fchon einen weiten Weg zu- 
rück zu legen, und üe würde fich diefen Weg noch ver- 
längern, wenn jje Hchs nicht hier, wie überall, bequem 
machen und das i kurz fprechen wollte. 



— 109 — 

aber in Viertd^ (vierzehn vierzig), dies, Wiesbaden und andern 
Wörtern, zum Theil auch in liee und Schmied, trotzdem daß 
man auch hier — nicht etwa aus phyfiologifchen Gründen, 
fondern aus purer blanker Nachläßigkeit und Bequemlichkeit 
— kurz % zu fprechen anfieng, das ie doch in der Schreibung 
fich tbeils, wie in Viertel, aus etymologifchem Grunde *)j 
theils, wie in rf«««**) lies Schmied ohne jeglichen Grund er- 
hielt, griff bei den genannten drei Präteriten die der weit 
verbreiteten kurzen Ausfprache entfprechende Schreibung fing 
ging hing um fo bedenklicher um fich, je weniger die große 
Menge der Schreibenden von dem Wefen diefes in den ge- 
nannten drei Präteriten unentbehrlichen ie auch nur eine Ah- 
nung hatte. Wie wenig darf man fich über diefe Unwißen- 
heit wundem, wenn felbft ein fo geiftreicher Mann wie Becker 
in feiner Schulgrammatik ***) naiver Weife fagt : „Da in ging 
fing der Yokal kurz ift, fo ift das Dehnungszeichen un- 
paffend." Gegenwärtig liegt die Sache fo, daß man in Süd- 
deutfchland jene drei Formen, wie es fcheint, meift lang, in 
Mittel- und Norddeutfchland vielfach kurz ausfprichtf). Welche 
von beiden Ausfprachen überwiege, läßt fich mit Sicherheit nicht 
ermitteln, ift aber auch vom wißenfchaftlichen Standpunkte 
aus völlig gleichgültig. Die Wißenfchaft würde im vorliegen- 
den Falle, felbft dann, wenn der Schreibgebrauch nicht 
fchwankte, doch die Erhaltung des Diphthongen ie gebieterifch 
verlangen, und zwar nicht fowohl, weil derfelbe hiftorifch be- 
gründet ift — wie vieles dergleichen ift uns durch die Un- 
gunft der Zeit unwiderbringlich verloren gegangen — , als 
weil durch die Befeitigung jenes Diphthongen die drei Verben 



*) Aus demfelben Grunde fchreibt man auch unphonetifch, 

aber richtig, Jungfer ^ Junfer gefprochen. 
**) Dies fchreibt man wohl trotz der kurzen Ausfprache des 
i zur Zeit noch wegen diefer, diefe u. f. w., das aber fein e 
hoffentlich bald verliert, wie es bei Michaelis und 
Anderen fchon längft der Fall ift. 
***) 4. Ausgabe S. 420. 
t) So urtheilt auch Duden a. Sehr. S. 46. 



— 110 — 

fcrngm gekn (ßcmgen) hangen aus der reduplinerenden Konjnga- 
siion völlig nnd gewaltfam herausgerißen werden und ganz auf 
dem Wege find wie das arme werden*) in den ungeordneten 
Haufen der unregelmäßigen Verben zu gerathen. Wenn dies, 
wie bei unferem fem (effe) und wie fo oft im Griechifchen, in 
der Weife gefchieht, daß man mehrere wefentlich Yerfchie- 
denen Stämme zu einem Verb verbindet, fo wird dadurch in 
den Organismus der Sprache nicht ftörend eingegriffen; wenn 
man aber von drei Verben eine ganze Tempusform aus ihren 
Fugen reißt und zur Unform ftempelt; wenn man dies 
ohne alle Noth thut, bloß um dem Schlendriane und der Be- 
quemlichkeit zu fröhnenj wenn dies, als gienge man förmlich 
darauf aus, die Sprache zu verderben, noch obendrein ge- 
fchieht, während die wißenfchaftlich begründete 
echte Form im Gebrauche nebenhergeht; wenn 
endlich gar noch in weitverbreiteten Deutfchen Schulgramma- 
tiken**), gerade als wäre ein Jakob Grimm für fie nie 
dagewefen, dergleichen Unformen figurieren, um der lieben 
Jugend fo früh wie möglich eingeprägt zu werden, fo heißt 
das die Wißenfchaffc der Sprache mit Füßen treten. Zum 
Glücke gibt es noch andere Sprachgelehrte, welche die Ehre 
der Wißenfchaffc zu wahren wißen. Schon in der erften 



*) Werden ift fofort ein regelmäßiges Verb der 2. ablauten- 
den Konjugazion, wenn man fich gewöhnt ftatt der 
zweifachen ünform tmirde das echte fchöne ward zu ge- 
brauchen. Nur nicht wctrdft — auch das ift ein Mon- 
ftrum — , fondem wwrdeft. Doch darüber ein ander 
Mal. 
**) Von der Beckerfchen Grammatik ift fchon oben ge- 
fprochen worden. Aber auch in der Grammatik von 
Heyfe und zwar in der neueften (22.) Ausgabe von 
1873, S. 186 ftehn hlies briet fiel fing hielt hing ließ 
rieth u. f. w. wie Kraut und Rüben unter einander. Ja 
gehn mit ging wird S. 192 zur unregelmäßigen Konjuga- 
zion gerechnet. Und fo etwas bietet nach Grimm und 
trotz Grimm eine Deutfche Schulgrammatik der Deut- 
fchen Jugend I 



— 111 — 

Auflage der Neohochdeutfehen Schulgrammatik Ton Hoff- 
mann (1839) iTt S. 58 zu lefen: „In allen diefen Wörtern 
(den Präteriten der reduplizierenden Ronjugazion) darf alfo 
das e nicht ausgeftoßen werden, z. B. fieng^ Meng, nicht fingj 
Mng^^*), Auch in der Grammatik der Neohochdeutfchen 
Sprache von Rehrein heißt es I, S. 135: „Die faKche An- 
ficht, ie wäre Dehnung ftatt i, hat die fprachwidrigen Formen 
fing ging Tdng erzeugt." Ebenfo ift in Schmitt henners 
DeutTchem Wörterbuche von Weigand (3. Auflage 1857) 
I, 322 f. fehr wahr bemerkt: ,,Die Schreibung des Prät. fieng, 

mhd. vi&nCf ahd. ficmo, ältlich, fieng ift hochdeutfcher 

und überhaupt richtiger, als die feit der Mitte des 18. Jahr- 
hunderts herrfchend gewordene fing, in welcher das aus dem 
Wurzelvokal a entfprungene e jetzt lediglich der Aus- 
fp räche zu Liebe ausgeftoßen wird^^ Vgl. ebendafelbft 
S. 404. 478. Für den Fall aber, daß man diefe Schreibung, 
wie fo viel andere diefer Art, naiver Weife für eine „Neue- 
rung" halten follte, wollen wir hinzufügen, daß das ie in 
diefen und anderen Imperfekten fchon von Fulda und Naft, 
alfo fchon im vorigen Jahrhunderte, für „unerfchütter- 
lieh" erklärt worden ift. 

Wir durften hoffen, daß in dem künftigen Ranon der 
Beichsorthographie diefe Unformen fing ging hing keine Stelle 
finden würden, da wir mit Freuden bemerkt zu haben glaubten, 
daß Herr von Baumer nach Luthers Vorgange mit 
Grimm und unzählichen Anderen richtig fieng y gieng, 
hieng fchrieb. Wir haben uns in diefer Hoffnung geteuf cht 
gefehn. Anftatt in feiner Eigenfchaft als Sprachgelehrter die 
von der Wißenlchaft gebotene Schreibart fieng gieng hieng 
gegen Verftümmelung in Schutz zu nehmen, verräth Herr 



'^) In feiner Neuhochdeutfchen Elementargrammatik, in deren 
5. Auflage Hoff mann plötzlich aus feiner Bolle ge- 
fallen ift, find zwar gelindere Saiten aufgezogen, indeffen 
heißt es auch hier noch § 91 : „fieng, gieng, 
ebenfo empfieng-, weniger richtig fing, ging, hing.^^ 



— 112 — 

von Raamer'[rchon in den Regeln, die den Verhandlangen 
des OrthographiTchen Aasfchaßes zu Grande liegen, feine Ge- 
neigtheit die belSagten drei Imperfektformen der Nachläßigkeit 
und Bequemlichkeit des Sprechens preiszugeben, indem er 
lieh darüber ausdrückt: „In fing ging hing fordert die 
Kürze des Vokals*) die Schreibung ohne e\ doch gilt da- 
neben auch die Schreibung fieng^ gieng, hieng.^^ In der 
That wird dann, als es über den betreffenden Punkt zur Abftim- 
mung kommt, gegen die einzige Stimme des Würtemberger Mit- 
gliedes, aKo mit einer an EinTtimmigkeit grenzenden Majorität, 
der fich auch Herr von Raumer ftillfchweigend angefchloßen 
hat, die Schreibung ßng ging hmg befchloßen. Und doch 
heißt es wieder in den durch den Ausfchuß modifizierten 
Raumer'fchen Regeln von den genannten drei Imperfekten: 
„Die Ausfprache fchwankt zwifchen kurzem und langem 
Vokal« **). 

Die Orthographifche Konferenz hat iich, wie wir an einer 
anderen Stelle ausführlicher darthun werden, fchon jetzt ent~ 
fchiedene Verdienfte um die Deutfche Rechtfehreibung erworben ; 
aber durch folche Befchlüße, durch die ße eine Gruppe von 
hiftorifch wie grammatifch faKchen Formen einzig und allein der 
Ausfprache und noch dazu der nur in einem Theile von Deutfeh- 
land herrfchenden Ausfprache zu Gefallen förmlich fankzio- 
niert, bewirkt ile nichts anderes, als daß der Zweck, zu dem 
He berufen worden ift, die Herftellung einer größeren Eini- 
gung in der Deutfchen Rechtfehreibung, vereitelt wird. 

§ 30^ Aus dem, was bisher über das phonetifche Prin- 
zip gefagt ift, erhellt nun auch, was es für eine Bewandtnis 
habe mit dem Namen eines Phonetikers, einem Namen, der 



*) Dies ift obendrein nicht richtig: nicht der Vokal ift 
kurz, fondem er wird aus Bequemlichkeit nur kurz ge- 
fprochen trotz feiner Länge. 
**^ Das Alles ift zu lefen in den Verhandlungen der Kon- 
ferenz S. 15, § 13, d. Anm., S. 95 und S. 137, § 9 
Anm. 



— 113 — 

bekanntlich erft feit dem Auftreten des Herrn von Baumer 
in Gebrauch gekommen ilt. Wollen lieh, wie es Herr von 
Sa um er thut, damit alle diejenigen bezeichnet wißen, die 
eben am fogenannten phonetifchen Prinzipe hangen, fo 
befagt der Name eben nichts; denn, wie wir gefehn haben, 
ift das phonetifche Prinzip als Prinzip unferer Or- 
thographie ein Nichts ; will man aber — und das ift des Wor- 
tes einzig mögliche Erklärung — diejenigen als Phonetiker 
bezeichnen, die damit einverftanden find, daß unfere ganze 
Schreib weife von Haus aus (§ 14) eine ftreng phonetifche 
fei und im Wefentlichen durch alle orthographifchen Wirren hin- 
durch bis auf den heutigen Tag geblieben fei, fo gibt es, wie man 
dreift behaupten darf, nicht einen einzigen Sprachgelehrten, 
ja nicht einen einzigen gebildeten Deutfchen, der nicht be- 
fugt wäre fich den Namen eines Phonetikers beizulegen; 
denn kein Phonetiker fein d. h. den phonetifchen 
Grundkarakter unferer Sprache nicht anerkennen hieße 
den hellen Tag hinwegleugnen fammt der Sonne, die ihn macht. 
In diefem Sinne gibt es keinen echteren und reelleren Pho- 
netiker, als den Mann, zu dem als dem Schöpfer der ^ ift o- 
r ifc h e n Grammatik mancher , der fich als Phonetiker 
aufrpielt, in einen gewiHen Gegenfatz zu treten fich gefällt, 
als wenn er darauf ausgienge eine unphonetifche Schreibart 
einzuführen, was geradezu ein Ding der Unmöglichkeit wäre — , 
wir meinen unfern großen Meifter Jakob Grimm, deffen 
ganze Schreibweife darauf hinaus läuft Schrift und Ausfprache 
in Ubereinftimmung zu bringen und für den es eben deshalb 
nichts Unleidlicheres gibt als die Überhäufung der Wörter 
mit unnützen Buchftaben. *) Und wie der Meifter , fo dürfen 



*) Wenn es etwas gibt, was mit der ftreng phonetifchen 
Natur unferer Schreibweife fich nicht verträgt und eben 
deshalb, weil es unphonetifch ift, weder im Altdeutfchen, 
noch in den alten Sprachen fich findet, fo ift dies, wie gesagt, 
die im Nhd. mit der Entftehung der fog. Deutfchen Lettern 
aufgekommene üble Mode der Verdoppelung der Konfo- 
nanten im Auslaute und im Inlaute vor andern Konfonanten« 

Eisen, Deatsobe Orthographie. 3 



— 114 — 

fei^ie Jünger allzumal, die radikalften nicht ausgenommen, diefen 
Namen für fleh in Anfpruch nehmen; denn keinem Hiftoriker 
oder GermaniTten kann es einfallen an der phonetifchen 
Natur unferer SchreibweiTe auch nur im minderten zu zwei- 
feln oder eine Schreibung einführen zu wollen, die mit der 
Ausfprache unvereinbar ift. Freilich find die Anhänger der 
hiftorifchen Grammatik der Anficht, daß man auf eine wißen- 
fchaftlich begründete Schreibung nicht deshalb verzichten 
müße, weil fie mit der momentanen Ausfprache nicht überein- 
ftimmt, zumal wenn diefe Ausfprache nur auf einen Theil 
oder auf einzelne Theile von Deutfchland fich befchränkt; 
fie meinen vielmehr, daß eine richtige, wennauchbis- 
her nicht allgemein übliche, Schreibung nur erft 
allgemein eingeführt zu werden braucht, um, wie 
es bei dem Worte Deutfeh der Fall war ($ 18), allmäh- 
lich auch die richtige Ausfprache nach fich zu 
ziehen. Und derfelben Anficht ift wohl auch der 
Herr von Raumer gewefen, indem er Adelungs einfeitig 
bornierter Vorfchrift Schreib, wie du fprichft fehr weis- 
lich die nicht bloß das Schreib, wie du fprichft, fon- 
dem auch das Sprich, wie du fchreibQ; umfaßende 
Form gab: Bring deine Schrift und deine Ausfprache 
in Übereinftimmung ($ 18). 

Alfo Phonetiker find wir Deutfche, die wir 
wißen, was wir fchreiben, alle. Aber wozu fich nennen nach 
einer Sache, die fich von felbft verfteht! Ift es etwa im alteu 
Griechenland einem Griechifchen Grammatiker in die Gedanken 
gekommen fich mit dem Namen eines ^mvrjxtxog zu fpreizen? 



Bekanntlich meidet Grimm diefe unphonetifchen Ron- 
sonantenhäufung befonders bei/ und p, wie er denn in 
der Vorrede des 1. Bandes des Dtfch. WÖrterb. S. 
LVin darüber fagt : „ünfere confonanten leiden an pe- 
dantifcher Vervielfachung der zeichen; es ift als ob nie 
der einfache laut genügen könne, immernoch ein andrer 
ihm als schlepp angehängt werden müffe.^' Vgl. oben $ 28 
Anm. 



— 115 — 

Würde es wohl Sinn haben, wenn es in Italien einem Sprach- 
gelehrten einfiele lieh einen fonetico zu nennen? Wo ein 
Nichtphonetiker oder Antiphonetiker^) undenkbar 
ift, hat es keinen Sinn üch einen Phonetiker zu nennen, 
und Herr von Raumer und feine Anhänger dürften keinen 
Grund haben im Gegenfatze zu den Hiftorikern, die fammt 
und fonders den phonetifchen Grundkarakter unTerer 
Sprache als etwas Selbftverrtändliches betrachten und in die- 
fem Sinne als entfchiedene Phonetiker gelten müßen , üch 
xm i^oxtiv als Phonetiker zu bezeichnen. Hiemach dürf- 
ten wir auch die feltfame Bemerkung eines Herrn Kohl in 
den „Neuen Jahrbüchern für Phil, und Päd." vom J. 1876, 
114, S. 181, die da lautet: „Neue Gegner- der phonetifchen 
Schreibung zeigen lieh kaum noch, und die alten Gegner, 
die Anhänger der hiftorifchen Orthographie, 
find ganz vom Platz verfchwunden'S wohl fuglich auf 
üch beruhen laßen. 



B. EtymologiBChes und historisches Prinzip. 

§ 31« Wir kommen zum etymologifchen und hi- 
ftorifchen Prinzip e. Es verfteht lieh ganz von f eiber, 
daß beide Prinzipe nur daAnwendung finden und 
nur da überhaupt Sinn und Zwec k haben, wo ir- 
gend eine orthographifche Änderung nothwen- 
dig geworden ift, befonders bei fchwankendem 



^) Wenn Michaelis a. Sehr. S. 12 dennoch vonAndre- 
fens „antiphonetif chem Standpunkte^^ fpricht, fo 
kann das nur heißen: A. folgt dem Grundiatze, daß die 
Ausfprache nicht der alleinige Maßftab für die Schrei- 
bung ift, daß vielmehr in gewiffen Fällen auch das 
Sprich, wie du fchreibft gilt. Mit diefem Grund- 
fatze ift man aber noch kein Antiphonetiker, wie 
wir gezeigt zu haben glauben; fonft müfte man auch 
Herrn vonBaumer diefen Namen geben, der ßch doch 
felbft überall als einen Phonetiker bezeichnet. 

8* 



— 116 — 

Schreib gebrauche. Für eine feftftehende und zu Recht 
beftehende Orthographie, die nicht fo tumultuarifch und ab- 
norm, fo fprach- und regelwidrig, fo auf Irrwegen und Ab- 
wegen, wie unfere Deutfche, lieh entwickelt hat, bedarf es kei- 
nes befonderen orthographifchen Prinzips: man kann wohl 
von ihrem ELarakter reden, von der Art und Weife, wie iie 
lieh gebildet hat, aber nicht von dem Prinzipe d. h. von dem 
Grundfatze, nach dem man fchreibt: denn wie man fchreibt, 
fo fchreibt ihan eben unwillkürlich. Wohl aber find es die 
genannten beiden Prinzipe vorzfigsweife , nach denen unfere 
heillos verdorbene Deutfche Orthographie geregelt 
richtigt werden muß. 

Die beiden Regeln, die dem etymologifchen o 
hiftorifchen Prinzipe zum G-runde liegen, find klar un 
bar; ja &e liegen fo nahe und drängen fich in gew 
thographifch ftreitigen Fällen jedem, der da genau wil 
wie er ein Wort zu fchreiben habe, fo ganz von fei 
daß man in der That den Widerwillen nicht begreift, 
und da gegen diefe beiden Prinzipe zur Schau getrag 
Wenn diefen Widerwillen die Herrn vom Schlendriam 
die nun einmal darauf verfeßen find, daß in unferer bi 
Orthographie Alles beim Alten bleibe, und die es vi* 
fehn, wenn die leidigen Schwankungen, diefe Schmach 
Orthographie, von Gefchlecht zu Gefchlecht forterl 
wenn fich die erftrebte orthographifche Einigkeit el 
auf befchränkt, daß man darin einig ift den beft 
Wirrwarr ruhig fortbeftehn zu laßen, als wenn man 
welche „Neuerungen", und wäre es die Feftftell- 
ftreitigen Schreibweife, einführt, fo ift d a s allerdings er 
Daß es aber Sprachgelehrte gibt, die in dem Pj 

des phonetifchen Prinzips fo völlig aufgehn, ue 

für andere Mittel und Wege eine fehlerhafte Schreibung zu 
verbeßem weder Augen noch Ohren haben, das begreife, wer 
es begreifen kann. 



— 117 — 

a. Etymologisches Prinzip. 

§ 32« Wir können über das etymolo gif che Prinzip, 
foweit es nicht die Anwendung desfelben gilt, fehr kurz fein, 
denn das etymolo gif che Prinzip ift keine neamodifche 
Phrafe, wie man das fogenannte phonetifche zu nennen 
allen Grund hat, fondem ein alter bekannter und bewährter 
Grundfatz von praktifchem Werthe. In eine Begel gefaßt 
lautet diefes Prinzip: Schreib der Abftammung ge- 
mäß. Indem man in orthographifch ungewiffen und ftreitigen 
Fällen diefer Regel folgt, bequemt man üch einem Prozeffe 
an, der lieh in unferer, wie in jeder anderen Orthographie, 
naturgemäß und von felbft vollzieht; denn es ift ein unver- 

!^^ brüchliches orthographifches Gefetz, daß abgeleitete For- 
men und Stammformen gleichartig zu fchreiben find. 

\^r Verfuchen wir jetzt mit Hilfe diefer etymologifchen 

Begel die Schreibung der § 6 aufgezählten orthographifch 
uniicheren Formen feft zu ftellen. 

^'> V, I. 1, echt kommt her von dem Niederdeutfchen ehacht 

^^^ (legümus) und ift verwandt mit J5JÄ6*); die Schreibart 

kl 

acht ift alfo ganz verwerflich. 

2 — 5 finden durch das etymologifche Prinzip keine Er- 
ledigung. 

6. ausfündig kommt nicht von avsfindeny fondem von 
dem alten Worte Ausfwnd her. So fchon Wieland 
und Bürger. Vgl. Weigand in Schmitthenners 
Dtfch. Wörterb. I, 78 und Grimm Dtfch. Wörterb. I, 
864. Ebenfo/pWÄnc?*5f**). 
7 — 12 find etymologifch nicht feft zu ftellen. 



*) Vgl. A n d r e f e n über J. G r im m s Orthographie S. 20 *. 
Grimm Dtfch. Wörterb. m, 20. 
**) Daß die meiffcen Leute nicht fo fprechen, ift kein Hinder- 
nis; man fchreibe nur erft richtig, fo wird man fofort 
auch richtig zu fprechen fich gewöhnen und auf diefe 
Weife „Schrift und Ausfprache in Übereinftimmung 
bringen.« Vgl. § 30. 




- 118 — 

13. BranJee ftammt vom RomaDifchen brcmeca, f. Wei- 
gand a. 0* I, 176. Grimm Dtfch. Wörterb. H, 304. 

14. 15. finden auf etymologifchem Wege keine Er- 
ledigung. 

16. deshalb (-wegen) und weshalb (-wegen) [tsinmeii 
von des und wes und das JS hat in diefen Formen gar 
keinen Sinn. 

17. Tinte von tincta, alTo der Form Dinte entfchieden 
vorzusiiehn; die Lautverfchiebung, die G-rimm beftinmit 
die letztgenannte Form in Schutz zu nehmen , kommt 
bei fremder Abftammung fchwerlich zur Geltung. 

18. Donnerstag^ aus donars tac entftanden, „enthält 
eine Beziehung auf den heidnifchen Donnergott, dem 
diefer Tag heilig war." (Grimm Dtfch. WÖrterb. II, 
1252). Donnerflag ift alfo eine widerfinnige Schreiberei. 
19 — 22 entziehen lieh der Beurtheilung mit Hilfe des 
etymologifchen Prinzips. 

23. Fasnacht hängt nach Weigands einzig rich- 
tiger Darfteilung in Schmitthenners Dtfch. WÖrterb. 
I, 326, auf die wir der Kürze wegen hiermit verwei- 
fen, feiner Wurzel nach mit fafeHm eng zufammen*). 



*) S. Weigands Dtfch. Wörterb. unter fafeln I, 325. 
Fa^snacht ift alfo ganz eigentlich die ,ySchwänrmachiy^^ 
in der man, weil nach Ablauf derfelben die böfe Faften- 
zeit begann, zu guter Letzt noch einmal gehörigen Unlinn 
trieb. Wenn diefer Anficht, der (ich unter Anderen 
auch Duden a. Sehr. S. 94 zuneigt, nicht bloß Zamhe 
im Nhd. Wörterbuche, fondem auch J. Grimm im 
Deutfchen Wörterbuche HI, 1354 die etymologifche 
Zufammengehörigkeit mit faften entgegenftellt, fo ift 
dagegen Folgendes zu bemerken : Erftens kann man von 
einer Faft nacht fo wenig reden wie von einer Bt^fi- 
nacht: in einer Zeit, wo niemand ißt, kann man auch 
nicht faften : und fo begegnet im Ahd. wohl ein fastadac, 
aber von einer fastanaht ift keine Spur zu finden. 
Wenn zweitens die Form vastnaht bereits vom 14. Jahr- 
hunderte an hier und da auftaucht, fo ift die Form wu- 



— 119 — 

Die Schreibung ohne t ift aber nicht bloß vom etymo- 
logifchen, fondern auch vom phonetifchen Stand- 
punkte aus geboten, da man, wie geiüagt, ganz allge- 
mein JPa« nacht und nicht jPa/f nacht fpricht. 
24 — 50 find auf etymologifchem Wege nicht zu er- 
ledigen. 

50 Tind 51. Pahft und Prohft den Formen mit pfi 
vorzuziehen: denn obgleich beide Worter aus etymolo- 
gifchen Gründen, weil von papa und propositus ab- 
ftammend, an und für fich die Schreibung mit p ver- 
langen, fo fpricht doch kein Menfch diefes inlautende p 
als folches aus und zwar nicht aus Bequemlichkeit, 



naht ohne t doch bei weitem überwiegend; ja, was den 
Ausfchlag gibt, in den von Keller herausgebenen fas- 
nachtsspielen ftößt man allerwärts nur auf die Formen 
vamacht fcunackt faaenachJb. Drittens endlich würde 
der Ausfall des t^ wenn es mit fafien zufammenhienge, 
kaum zu erklären, amwenigften aber, wie es J. Grimm 
a. St. gethan, mit U für ift und ähnlichen Verftümme- 
lungen aus der Alltagsfprache zu entfchuldigen fein, 
die fich nur auf gewiffe Gegenden Deutfchlands und 
auch hier nur auf gewiffe Schichten der Bevölkerung 
befchränken, gefchweige denn, daß man ihnen in ge- 
bildeter Schriftfprache fo häufig begegnete, wie dies 
bei fcbsnacM der Fall ift. Daß das urfprünglich Hoch- 
deutfche, eben wegen feiner etwas dunkeln Abftammung 
nicht recht verftandene Fetsnacht fchon frühzeitig mit 
dem gleich nach der FctsnacJit beginnenden Faften in 
Verbindung gebracht und fo von der Faftnacht allmäh- 
lich aus der Schrift verdrängt ward, ift um fo natür- 
licher, da die Lexikographen des 17. und 18. Jahrhun- 
derts, wie Henifch, Stieler, Frifch, Adelung, 
auf diefe Umdeutung und Umänderung der Fasnackt in 
Faftruusht eingiengen und diefelbe förmlich fankzionierten. 
Das Schriffcenthum des 16. Jahrhunderts, insbefondere 
Luther, Alberus, Seb. Frank, Hans Sachs, 
Fifchart, haben noch Faßnacht ohne ty wiewohl mit 
falfchem Zifchlaute, und diefelbe Form herrfcht in der 
Schweiz, in Schwaben, im Elfaß noch heute vor. 



— 120 — 

fondem nach einem natürlichen Gefetze der Phyijologie 
der Laute I indem lieh der Lippenlaut zwifchen dem 
langen Vokale und dem Zifchlaute bei der Aasfprache 
ganz von felbft erweicht. Vgl. Ohft. 
52 — 59 und auf etymologifchem Wege ihrer Schrei- 
bung nach nicht feft zu ftellen. 

60. unentgeltlich^ denn es kommt von Entgelt und 
hat mit Geld nichts zu fchaffen. 

61. verleumden] denn es ift gemacht aus ILeu- 
mund. 

62. vornehmlich] denn es hat mit Namen nichts zu 
fchaffen, fondem kommt von nehmen. Doch f. § 61 I. 
63 — 66 finden außer weshalb — w^ßhaÜb auf etymolo- 
gifchem Wege keine Erledigung; über weshalb und 
weswegen aber f. Nr. 16. 

67. Wildbret, weil YonBrat (Grimm Dtfch. Wörterb. 
n, 308) herkommend; alfo abgefehn davon, daß die 
Media der Zungenreihe und die Tentus der Lippen- 
reihe in phyjiologifcher Beziehung unverträgliche Nach- 
barn fein würden, auch nach dem etymologifchen 
Prinzipe mit b zu fchreiben, ja nicht Wüdpret. 
68— n, 71 finden mit Hilfe der Etymologie keine Er- 
ledigung. 

n. 72. Dienstag, f. Grimm Dtfch. Wörterb. II, 1120. 
Weigand a. Sehr. I, 246. Duden a. Sehr. 89. Nur 
nicht Dien-fiag oder Din-ftag, was ebenfo iinnlos ift wie 
Donnerftag. 

73 — 81 lauter Wörter, deren Schreibung auf etymolo- 
gifchem Wege nicht feft zu- ftellen ift. 

in. 82. allmählich hat mit dUemal nicht das Mindefte zu 
fchaffen, fondem ftammt von gemuich und gemächlich 
(vgl. aUgemach), zu dem es fleh verhält, wie fchmöMich 
zu Sehmach. S. Grimm Dtfch. Wörterb. I, 237. 
Weigand a. Sehr. I, 30. Duden a. Sehr. S. 49. 
Anm. Grimm felbft fchreibt, obgleich er cälmMlich für 
genauer erklärt, doch wunderlicher Weife aUmäUch. 



— 121 — 

83. 84. entziehen lieh der Erledigung durch die Etymo- 
logie. 

85. gefcheid von feheiden, xqCvhv, 
86 — 92 find nach dem etymologifchen Prinzipe nicht zu 
beurtheUen. 

So haben wir von den 92 orthographifch fchwankenden 
Wortformen zunächft 14 in ihrer Schreibung feftgeftellt mit 
Hilfe des etymologifchen Prinzips. Es kann — von 
Famacht abgefehn — über die von uns nachgewiefene Ab- 
ftammung kein Zweifel fein; man wird uns höchftens, wenn 
man es überhaupt der Mühe für werth hält, das Recht be- 
ftreiten können aus diefer Abftammung die Schreibung felbft 
zu folgern, und auch das kann nur von zwei Seiten her ge- 
fchehn. Erftens müßen wir auf Widerfpruch gefaßt fein von 
Seiten der Herrn vom Schlendriane, diefer „Gewohnheitsfünder," 
die nun einmal nichts wollen als das Hergebrachte und für 
die eben das Hergebrachte darin befteht, daß für jede der ge- 
nannten 92 Wortformen mehrere Schreibweifen hergebracht 
find; zweitens find wir des Widerfpruchs gewärtig von Seiten 
derjenigen, die fich Phonetiker par exceUence nennen, und die 
in Sachen der Orthographie nun einmal nichts kennen wollen und 
nichts gelten laßen wollen als das fogenannte phonetifche 
Prinzip, dasfelbe, nach dem wir auch nur eine von den nam- 
haft gemachten orthographifchen Schwankungen zu befeitigen 
umfonft verfuchten, weil eben diefes phonetifche Prinzip als 
Prinzip nichts ift als eine Phrafe. Wenn anderfeits auch das 
etymologifche Prinzip kaum ausreicht, um auch nur den 
fiebenten Theil der erwähnten orthographifch unfichern Wörter 
der Schreibung nach feft zu ftellen, fo ift dies eben ein Be- 
weis dafür, daß man auch mit dem etymologifchen 
Prinzipe in folchen zweifelhaften orthographifchen Fällen 
noch nicht auskömmt. Das hat nun freilich feinen natürlichen 
Ghrund. Theils nemlich ift die Abftammung felber dunkel, 
theils wird der Woiiftamm von der orthographifchen Verderb- 
nis gar nicht berührt, theils hat überhaupt die Erkenntnis der 
Abftammung auf die Feftftellung der Schreibweife keinen Ein« 



— 122 - 

flaß. In allen diefen Fällen hilft das hiftorifclie Prin 
zip leicht und Ocher aus. 



b. Historisches Prinzip. 
§ 33* Das hiftorifche Prinzip ift das natärlichfie 
und vernünffcigfte und doch gehaßtefte. Daß es das einzig 
richtige Prinzip fei und das einzig geeignete Mittel, um eine 
fehlerhafte und vielfach verdorbene Orthographie zu berich- 
tigen, das hoffen wir, wenigftens für alle diejenigen, fo in der 
vorliegenden Streitfrage ein offenes Auge und ein unbefange- 
nes Urtheil haben, handgreiflich darzuthun; daß, es aber ein 
Gegenftand des Haßes, nebenbei auch wohl des Hohnes 
und des Spottes fei*), bedarf wohl fchwerlich des BeweiTes. 



*) Eine Art von Spott foU es doch wohl auch fein, wenn 
Herr von Raumer ein Mal über das andere von 
„Pfeudohiftorikern" fpricht, ein Spott, von dem 
wir bloß wünfchten, daß er, wenn ihn Herr vonRaumer 
durchaus nicht unterlaßen konnte, als nicht zur Sache 
gehörig wenigftens in eine Anmerkung verwiefen wor- 
den wäre. Natürlich haben ihm das mehrere feiner An- 
hänger nachgefprochen, ohne vorher zu prüfen, ob der 
Spott auch treffe. Und das ift nicht der Fall. Ein 
„Pfeudohi^toriker^^ kann entweder ein f a 1 f c h e r H i ft o- 
riker fein oder allenfalls auch ein lügenhafter 
Hiftoriker. Das Letztere hat Herr von Raum er 
gewis nicht fagen wollen. Was aber ein falfcher 
Hiftoriker für ein Menfchenkind fei, würden wir kaum 
errathen, wenn nicht befonders zwei Stellen aus den 
„Sprachwißenfchaftlichen Schriften" des Herrn von 
Raum er darüber Aufklärung gäben. Erftens nemlich 
heißt es dafelbft S. 295 f.: „Auf dem Gebiet der 
Wißenfchaft ftehen fich die pfeudohiftorifche An- 
ficht, die an die. Stelle unferer wirklich vorhandenen 
Schriftfprache eine fprachgefchichtliche Con- 
ftruction (?) fetzt, und die wirklich hiftorifche, 
die fich an das thatfächlich Gegebene an- 
fchließt, fchnurftracks entgegen.'* Was aber unter 
diefer „fprachgefchichtlichen Conftruction^ zu verftehn 



— 123 — 

Man braucht nur die Schriften des Herrn von Baum er und 
feiner zahlreichen Anhänger, insbefondere auch die Vorrede 
von Dudens erwähnter Schriffc über die Deutfche Recht- 
fchreibung, fowie die befonders feit Anfang diefes Jahres in 
Zeitungen und Zeitfchriften aller Art auffcauchenden Artikel 
zu überlefen, um den — gleichviel, ob unbewuften oder be- 
wuften — Widerwillen zu bemerken , der aller Orten gegen 
die hiftorifche Schreibung und ihre Anhänger, diefe „Neuerer^', 
herrfcht. Ja feit dem Auftreten des Herrn von Raumer 
und namentlich fej^ dem Zufammentreten der vorzugsweife aus 



fei, erfährt man aus einer zweiten Stelle S. 294, wo 
von Grimm gefagt wird, daß er die pfeudohifto- 
rifche Bechtfchreibung angebahnt habe. Alfo: 
Herr von Raum er nennt eigenthümlicher Weife den- 
jenigen in orthographifcher Beziehung einen Hifto- 
riker, der fich in unferer Wortfehreibung „an das 
thatfächlich Gegebene anfchließt" — wir nennen den 
einen Konfervativen — ; wer aber, wie Grimm und 
die ihm folgen, mit dem Namen Hiftoriker einen 
andern Begriff verbindet, wer insbefondere bei der 
Frage über eine fchwankende Schreibart — und 
was ift bei den vielen Schwankungen (§ 6) das that- 
fächlich Gegebene? — nicht die Ausfprache, die in 
folchen Fällen felbft fchwankende, überhaupt nichts 
befagende (§17 und 20), fondern die gefchicht- 
liche Entwickelung des Wortes entfcheiden läßt, den 
nennt Herr von Baum er einen falfchen Hifto- 
riker. Daß aber ein Jakob Grimm und Alle, die 
ihm folgen, falfche Hiftoriker feien, ift doch in 
der That nichts als eine ganz fubjektive und fehr ge- 
wagte Anficht des Herrn von Baumer, die ihm zu 
der Spielerei mit dem Namen „Pfeudohiftoriker" 
keine Berechtigung gibt. Wenn wir den Hieb zurück- 
geben wollten, fo würden wir weit mehr berechtigt fein 
Herrn von Baumer und feine Anhänger Pfeudo- 
phonetik^r zu nennen; denn einen größeren Wider- 
fpruoh kann es nicht geben, als Kcerakter und Nazion 
u; f. w. zu fprechen und doch Charakter und Nation 
u. f. w. zu fohreiben. S. § 59 und 60, 



— 124 — 

antüiiftorirchen Elementen gebildeten OrthographiTchen Kon- 
ferenz iTt es förmlich zur Mode geworden über das hifto- 
rifche Prinzip der Rechtfchreibung , das man durch 
Baum er zu Falle gebracht und in den letzten Zügen liegend 
wähnte, recht gründlich herzufallen und ihmzumAbfchiede noch 
einen Fußtritt zu verfetzen. Der Grund liegt freilich auf der 
Hand. Mit ftrenger Konfequenz und über das Gebiet des 
fchwankenden Schreibgebrauchs hinaus zur Anwendung ge- 
bracht würde nemlich das hiftorifchePrinzip eine folche 
Umwälzung in der Bechtfchreibung erzeu^n, daß man unlere 
Sprache in diefem echten, reinen, von Flecken aller Art ge- 
fauberten Gewände zunächft kaum wieder zu erkennen im Stande 
wäre. Da man nun alles ErnTtes den Verfuch gemacht hat 
unfere Bechtfchreibung nach diefem Pnnzipe rückfichtslos 
und fchonungslos zu modeln, fo konnte es nicht füglich 
anders kommen, als daß alle diejenigen, fo mehr oder minder 
am hergebrachten Schreibgebrauche hangen, gerade demi 
hiftorifchen Prinzipe unmuthig oder mindeftens fcheu 
den Bücken kehrten. Aber dazu haben felbft die Übertrei- 
bungen der Anhänger der hiftorifchen Schule doch in der 
That keine Yeranlaßung gegeben, daß man das hiftorifche 
Prinzip an üch fo fchmählich verkannte und fo kläglich 
misdeutete, wie dies thatfächUch der Fall gewefen ift. Hören 
wir, wie Herr von Baumer, um den üch als Führer der 
Antihiftoriker die Maffen der Gewohnheitsmenfchen gläubig 
drängen, über das hiftorifche Prinzip fich äußert: „Ift eine 
Sprache in Schrift gefaßt,'^ heißt es an einer der Hauptftellen 
diefer Art*), „fo wirkt dies zwar auch auf die gefprochene 
Sprache zurück, aber nicht in dem Maß, daß diefe nun ftreng 
bei den einmal durch die Schrift befeftigten Lauten ftehen 
bliebe. Vielmehr fahrt die gefprochene Sprache fort ihre 
Laute umzuwandeln und entfernt lieh dadurch mehr und mehr 
von der gefchriebenen Sprache. Diefem Zwiefpalt gegenüber 
kann nun die Schreib weife einen doppelten Weg einfchlagen. 



*) Gef. fprachw. Sehr. S. 110 Vgl. S. 111. 



— 125 — 

Entweder fie kümmert fich gar nicht um die ver- 
änderte Ausfprache und bleibt unverrückt auf 
ihrem Platze ftehn: oder lle fucht der veränderten Aus- 
fprache gerecht zu werden, indem fie die Schriftzeichen der 
neuen Ausfprache anzupaffen fucht. Die erfte Art kann 
man die hiftorifche Schreibweife nennen, die zweite 
die im ftrengen Sinne des Wortes phonetifche.^^ Und 
weiter unten heißt es : „So kann man das gegenwärtige 
Franzöfifch'e und Englifche als Beifpiele der 
hiftorifchen, das ItaUenüche am Ende des 16. Jahr- 
hunderts als Beifpiel der phonetifchen Schreibweife anfuhren. 
Der Franzofe fchreibt eaux und fpricht dies o, der Engländer 
fchreibt Ught und fpricht dies leit.^^ Wir müßen diefe Aus- 
laßungen, foweit fie die hiftorifche Schreibweife be- 
treffen, Satz für Satz bekämpfen. 

§ 34« Das ift gerade die eigenfte Eigenheit und das 
karakterifldfche Merkmal der hiftorifchen Schreibweife — 
und davon hat He ihren Namen — , daß äe der Sprache 
Schritt für Schritt in ihrem Entwicklungsgänge 
folgt und Alles, was feine Entftehung einem willkürlichen 
oder gewaltfamen Eingriffe in ihre organifche Entwickelung 
verdankt, in der Theorie verwirft. Wie alfo das Italienifche 
z. B. von dem Augenblicke an, wo die Ausfprache des ti = 
ssi vollftändig zum Durchbruche gekommen war, auch die 
Schriftzeichen diefer Ausfprache anzupaffen fuchte (nunsda 
nassione)y fo war es im Deutfchen die hiftorifche Schreib- 
v^eife, die überall, wo die Ausfprache z. B. durch Verdichtung 
des h ia ch (näht) oder durch Abfchwächung der Grundlaute 
a und i ia. 6 (vmr Imte) fich änderte, fofort auch dem pho- 
netifchen Grundkarakter unferer Sprache gemäß diefer 
veränderten Ausfprache fich anbequemte (nackt feuer leute). 
Wenn unter folchen Umftänden ein fo gründlicher Keimer 
unferer Sprache, wie Herr von Baumer, die wunderliche 
Behauptung aufftellt, die hiftorifche Schreibweife bleibe un- 
verrückt auf ihrem Platze ftehn, fo ift dies unbegreiflich. Ja 
man traut feinen Augen nicht, wenn man fieht, daß derfelbe 



— 126 — 

Sprachgelehrte die hUtorifche Schreibwelfe mit der Englifchen 
und FranzöiSrchen vergleicht , nnd wenn man ficht, daß es 
außer dem Herrn von Raamer noch den einen oder den 
andern gibt, der das Alles wörtlich nachfpricht. Ja wenn 
das hirtorifche Prinzip viwr Hute naht noch jetzt verlangte, 
während man doch allgemein Feuer ^ Leute ^ Nacht fpricht; 
wenn es hrut und tmie verlangte, während man doch allge- 
mein Braut und Maus fpricht; wenn es dwatec und vrastec 
verlangte y während man doch allgemein dürftig und frojUg 
l^richt u. f w.y dann hätte es doch wenigftens noch einigen 
Sinn unfere Orthographie nach hiftorifchem Prinzipe mit der 
Schreibweife der Engländer und Franzofen zu vergleichen. 
Aber welcher Sterbliche fchreibt denn im Deutfchen gegen- 
wärtig noch naht für Nacht und hna für Braut und vrostec 
für froflig u. f. w.? Nicht einmal Philip Wackernagels 
vereinzelt ftehende orthographifche Wunderlichkeiten und 
Weinholds zuweitgehende und nicht zeitgemäße orthogra- 
phifche Reformen laßen den Vergleich mit der durch und 
durch unphonetifchen und deshalb natur- und fprachwidrigen, 
überhaupt antiquarifch verrofteten Schreibweife der Engländer 
und Franzofen auch nur im entfemteften zu. Nein unfere 
hiftorifche Schreibweife hat mit diefen orthographifchen Ana- 
chronismen der Franzofen und Engländer ganz und gar nichts 
gemein. Es ift aber freilich nichts leichter als ein Prinzip 
an zu fechten oder gar lächerlich zu machen, indem man aller- 
hand irrthümliche und abgefchmackte Vorftellungen über das- 
felbe zu erzeugen und zu verbreiten fucht. 

§ 35* Das hiftorifche Prinzip in eine Regel ge- 
faßtlautet: Schreib der gefchichtlichen Entwicke- 
lung gemäß, d. h. fchreib, wie lieh das eine oder das andere 
Wort dem Organismus der Sprache gemäß entwickelt haben 
muß. Der Frage des Herrn von Raumer gegenüber: 
„Woher kennen wir denn die gefchichtliche Fortent- 
wickelung des Neuhochdeutfchen ?" ^) mag diefe orthogra- 



*) Spraehw. Schriften S. 135. 



— 127 — 

pbifche Begel allerdings nicht recht anwendbar fcheinen. 
IndeHen geht es uns offen geftanden mit dieter eigenthüm- 
lichen Frage gerade fo, wie mit mancher andern Behauptung 
und Äußerung des Herrn von Baumer: wir wißen nemlich 
fchlechterdings nicht, .was wir daraus machen foUen. Wie 
(ich das Neuhochdeutfche gefchichtlich entwickelt hat, fteht 
ja- feit Grimm fo unerfchütterlich feft, daß ein Zweifel dar- 
über gar nicht aufkommen kann. Was § 32 über die ein- 
zelnen Schwankungen gefagt ift, wird diefe Behauptung recht- 
fertigen. 

Viel begründeter i£t die Frage, wie weit jene Begel 
zur Anwendung zu bringen fei : und dies ift der einzige Punkt, 
in welchem die Anhänger des hiftorifchen Prinzips mehr oder 
weniger auseinandergehn. Grimm felber hat bis zur Be- 
arbeitung feines Deutfchen Wörterbuchs vielfach gefchwankt, 
wie weit er unfere bisherige Orthographie nach dem von ihm 
felber aufgeftellten hiftorifchen Prinzipe reformieren foUte. 
Aber den Weg, den er nach langem Schwanken endlich ein- 
gefchlagen hat, durchaus zu bilUchen find wir bei aller 
Verehrung für den großen Meifter nicht im Stande. 

Es ift wahr — und ift wiederholt von uns erinnert wor- 
den — : es haften an unferer Sprache von der böfen Zeit 
her, wo fie in ihrer £ntwickelung Jahrhunderte lang geftört 
war, befonders in orthographifcher Beziehung noch viele und 
tiefe Schäden. Diefe Schaden find aber nicht zu verwechfeln 
mit den Unregelmäßigkeiten, die fich in unferer Deutfchen 
Sprache, wie in jeder, felbft der gebildetften, Sprache, finden. 
Ja wo die unphonetifche Schreibweife oder der undeutfche 
Typus eines Wortes oder das auffallend Widerfinnige oder 
Begelwidrige einer Form verräth, daß eine Schreibung wirk- 
lich korrumpiert ift — und dergleichen gibt es eben jetzt noch 
viele — da ift es das unbeftrittene Becht des Grammatikers, 
das er fich durch Herrn von Baumer*) nicht nehmen laßt, 
berichtigend und verbeßernd einzugreifen, und wenn er bei 



«) Sprachw. Schriften S. 156 f. bef. 160. 



— 128 — 

dief er Gelegenheit einea Leffing und einen Göthe zu ver- 
bießern hätte. ' Würden wir doch heut zu Tage noch zum 
großen Theile die wüTte Orthographie der vergangenen Jahr- 
hunderte haben y wenn nicht die Grammatiker des 17. und 
18. Jahrhunderts von diefem Rechte Gebrauch gemacht und 
einen energifch/ßn Anfang gemacht hätten in jener orthogra- 
phifchen Wültenei nach Ejräften aufzuräumen. Wie viel 
orthographiTche Berichtigungen verdanken wir dem einzigen 
Schlözer, der noch dazu mehr HiTtoriker als Grammatiker 
war. Wo dagegen — meift unter dialektifchen Einflüßen — 
in einer Beihe von Wörtern der Umlaut e, wie in E[SUe Löwe 
Löffel Schöpfer fchwören mjoölf u. f. w., zu ö oder das *, wie 
in Wwrde Wiirtemberg u. s. w., zu tl lieh zugefpitzt, wo ftatt des ge- 
brochenen Cf wie in Bär dämmern gähren Käfer rächen u. f. w., 
ein unberechtigtes ä lieh eingefchlichen, wo ahd. und mhd. a 
(ich , wie in Argwohn Mohn Mond ohne Thon wo und einigen 
ftarken Präteriten z. B. flocht focht quoU fchmclz zu o ver- 
dunkelt, wo — hier nachweislich durch Einfluß des Nieder- 
deutfchen — ein kurzes «, wie in Dime Hifte Licht nicht u, f. w., 
den urfprünglichen Diphthongen ie verdrängt hat, da ift un- 
fere Sprache ihren eigenen, wenn auch nicht normalen, Weg 
gegangen, und der Grammatiker hat — hier ftimmen wir dem 
Herrn von Raumer bei — kein Recht an diefen Un- 
regelmäßigkeiten, dergleichen, wie gefagt, jede Sprache in 
gehöriger Anzahl aufzuweifen hat, (ich zu vergreifen. Es^i^t 
ein Misverftändnis, wenn man annimmt, das hiftorifche 
Prinzip erheiTche konfequente Tilgung aller unorganiTchen 
fprachlichen Bildungen und Wiederherftellung der entfprechen- 
den organifchen Formen. Man würde auf diefe Weife eine 
ideale Sprache fchaffen, wie üe nie exiltiert hat und nie exi- 
ftieren wird und kann. Das hiftorifche und das etymo- 
logifche Prinzip kommen, wie wir fchon zu bemerken 
Gelegenheit hatten, vernünftiger und zweckmäßiger Weife 
nur zur Verwendung, wo eine orthographifche Änderung noth- 
wendig geworden ift, befonders bei fchwankendem 
Schreibgebrauche. Hier find die beiden Prin- 



— 129 — 

zipe allerdings die einzigen zuverläßigen and Gehern Fülirer. 
Aber Höüe Löwe Schöpfer (für Heüe Lewe ScTiepfer), und wie 
die oben genannten Wörter und andere von derfelben Sorte 
heißen, find feit Jahrhunderten — die meiften fchon feit dem 
15. Jahrhunderte — fefter und allgemein herrfchender 
Schreibgebrauch,, den zu ändern auch nicht der Schatten 
eines durchfchlagenden Grundes vorliegt. Überhaupt 
würde ja aber kein Zeitpunkt für folqhe überfpannten ortho- 
graphifchen Änderungen unpafTender fein als gerade der 
jetzige. 

Der Hauptzweck der gegenwärtigen orthographifchen Be- 
wegung ift Herftellung einer größern Einheit in 
der Deutfchen Bechtfchreibung. Diefe Einigung zu 
bewerkftelligen , dazu gehört zunächft und vor Allem, daß 
die heillofen ortjiographifchen Schwankungen 
ohne Unterfchied und ohne Ausnahme von der 
erften bis zur letzten befeitigt werden; denn Sie 
find es eben, die feit undenklichen Zeiten eine einheitliche 
Orthographie unter uns Deutfchen nicht aufkommen laßen. 
Ein von Reichs wegen entworfener orthographilcher Kanon, 
in welchem für jedes bisher orthopraphifch ftreitige Wort 
di^ Schreibung endgültig feftgeftellt wäre, findet jetzt in den 
Schulen wie beim Deutfchen Volke leichten Eingang. Eonfe- 
quente Tilgung des undeutTchen th^ worin die Orthographifche 
Konferenz rühmlich vorangegangen, wird die feit Jahr und Tag 
erwartete orthographifche Beform beim Deutfchen Publikum 
nicht im mindeften erfchweren. Auch der uns Deutfchen 
zur andern Natur gewordenen, aber doch grundalbernen und 
einer gebildeten Sprache tmwürdigen Dehnungszeichen^) 
wird man fich, befonders von Seiten der am meiften dabei 
gewinnenden Druckereien, gern entfchlagen. Selbft die Ab- 
fchaffiing gewifTer fchreiender Misbräuche **) wird keinen 



*) Bekanntlich ift die Volkszeitung in der Befeitigung 

diefer Zeichen den übrigen Zeitungen vorangegangen. 

**) Solche Misbräuche find z. B. bläuenf als hätte es mit 

Eisen, Deataohe Orthographie. 9 



— 130 — 

fonderlichen Widerftand finden. Diefer Widerftand wird erüt 
dann mit aller Heftigkeit erwachen und dann auch gemäßig- 
ten und nothwendigen Reformen, für die man bis dahin all- 
gemein empfänglich war, den Eingang wefentlich erfchweren, 
wenn man es wagt an dem feit vier Jahrhunderten beftehen- 
den und mit der Ausfprache aufs engfte verwachfenen allge- 
mein herrfchenden Schreibgebrauche fchonungslos zu rütteln. 
Wir wollen damit nicht fagen, daß ein arger fprachlicher 
Misbrauch durch mehrhundertjährigen Beftand geheiligt and 
eine Art von noli me tangere werde. „Hundert Jahre Un- 
rechts, auch des wißenfchaftlichen, machen kein Becht^'*). 
Aber fprachliche Anomalien, wie Schöpfer für Schepfer, Würde 
für Wirde, Bär für Ber, Mond für Mand, Licht für lÄecM 
Jjnd doch fchwerlich Misbräuche, deren Abfchafi^g die 
Wißenfchaft erheifcht. Jedenfalls wollen wir uns nachdrücklich 
verwahren gegen das blinde Yorurtheil, daß die hiftorifche 
Grammatik folche orthographifchen Übergriffe mit fich 
bringe: im Gegentheile ift es nach Jakob Grimms fchon 
mitgetheiltem eigenen Urtheile gerade die hiftorifche 
Grammatik, die „gleich aller Gefchichte vor freventlichem 
Reformieren^ auf diefem Gebiete warnt. 

§ 36« Vor Allem fort mit den leidigen Schwankungen. 
Wir haben von den oben (§ 6) angeführten 92 orüiographifcli 
fchwankenden Wörtern bereits 14 ihrer Schreibung nach 
feftgeftellt mit Hilfe des etymologifchen Prinzips; 78 
fanden auf etymologifchem Wege keine Erledigung ; verfuchen 
wir bei diefen unerledigten Wörtern jetzt das hiftorifche 
Prinzip zur Anwendung zu bringen. 



hlau^ täufchen, als hätte es mit Taufch, Waehhclder^, 
als hätte es mit Beider (Holn/nder), FaftnacMf als hätte 
es mit faflen, Sündfluth, als hätte es mit Sünde etwas 
zu thun. 
*) Bezzenberger Randbemerkungen zu den von der 
Berliner Konferenz aufgeftellten Regeln für die Deutfche 
Orthographie S. 28. 



- m - 

I. 1. etymologifch erledigt (§ 32). 

2. ad Hehl ahd. adallich, mhd. adellzch, woraus nhd. nur 
cuküUöh und zügz. ctdlkh werden konnte, aber nie und 
nimmer €id(e)Ug. Vgl. Nr. 11. 

3. (aichen) eichen; ahd. eich6n, nhd. (feiten) eichen, 
woraus nur eichen werden konnte: (liehen rührt wohl, 
wie die meiften mit ai — anlautenden Wörter, von einem 
befchränkten Grammatiker her, der hier die Ähnlichkeit 
mit eichen (^gpAemtui) verwifchen wollte. 

4. Ärmel: ahd. armile mhd. ermel, weshalb Grimm 
auch nhd. Ermel vorsueht. Da aber im Nhd. bald der 
filtere Umlaut e (feit 6 Jahrhunderten), bald der jüngere 
ä (feit dem 12. Jahrhunderte) regellos vorwaltete, f. Nr. 1. 
36. 37. 39. 44. 57. 78. 80. 84), fo folgt mau mit Recht 
der im Wefen der Sprache begründeten Begel da, wo 
das Wort mit dem urfprüngHchen a noch vorfchwebt 
(Kranz Kränze, aU äUerj Hand Händehen*), kam käme, 
arm ärmUch), ä, im entgegengefetzten Falle aber e zu 
fetzen. Hiemach wäre die Schreibart Ärmel vorzuzlehn ; 
denn jedermann denkt, wie bei ÄrmHein und Ämding, 
aa Arm. Vgl. Nr. 28. 

5. Augenlid: ahd'. Mit, mhd. Ui; müflie nach der Ana- 
logie von Wiefe, Wiege, viel und unzählichen andern 
Wörtern — Ued gefchrieben werden ; indeffen ift überall, 
wo ie als bloße Dehnung mit dem hiftorifch richtigen i 
in der Schreibung fchwankt, fchon jetzt, bevor die 
AbfchafEung der Dehnungszeichen durchdringt, das letz- 
tere unbedingt vorzuziehn. 

6. etymologifch erledigt (§ 32). 

7. Baiern: ahd. Beigirolant, nhd. Beieren, müfte alfo 
wenigftens, wenn diefe „Neuerung" durchzuführen wäre, 
Beiemy heißen ; das amtliche Bayern aber ift ebenfo un- 
wißenfchaftlich wie undeutfch. 



*) Behende fchreibt man richtig, Weil dabei niemand mehr 
an Hand denkt. 

9* 



— 138 — 

8. hehüflich, f. Nr. 41. 

9. heft wieReftNefi Weft: ahd. besist, mhd. bessist und 
— nach üblicher Ausffcoßung des 53! (5!) — de^^; das ß 
hat in &^ gar keinen Sinn. S. Weigand Dtfch. Wörterb. 
I, 140 und Andre Dtfch. Orth. 122 ff. Vgl. Nt. 70. 

10. hetriegen: ahd. betriogan, mhd. betriegen, daher 
auch Betrieger, Es geht mit biegen fliegen frieren^ ver- 
lieren u. I. w. nach der 5. ablautenden Eonjngazion. 
Die falfche Schreibart betrügen verdankt ihren Urfprung 
der falTchen Ableitung von Betrug, 

11. billich {fnüicJim)', ahd. biUich, mhd. billich, woraus 
nhd. nie und nimmer biOdg werden konnte. Vgl. Nr. 2. 
22. 25. 52. 54. 

12. bloßi ahd. pl^s, mhd. bl65, was nhd. unbedingt zu 
blqß fuhrt. S. § 38. 

13. etymologiTch erledigt (§ 32). 

14. Bretj auch mit kurz gefprochenem e\ ahd. bret, 
mhd. brgt. Da die Schreibung Brett gegen den phone- 
^chen Earakter unferer Sprache verftößt — denn nie- 
mand fpricht einen KonTonanten im Auslaut oder vor 
andern KonTonanten doppelt — , fo würde diefelbe nur 
£u dulden fein, wenn fie die allein herrfchende Schreib- 
art wäre; da aber hier die richtige mit einfachem Aus- 
laute wegen des in vielen Gegenden lang gei)prochenen 
6 nebenher geht, fo muß man diefe günfüge Gelegenheit 
benutzen, um die fchlechtere Form mit dem auslauten- 
den doppelten t über Bord zu werfen. S. Nr. 68. 

15. Brot: ahd. prot, mhd. brot. So fchreiben die gröften 
Autoritäten unter den Deutfchen Wörterbüchern, das 
von Weigand neu bearbeitete Schmitthenner- 
fche und das Grimmfche. Im letzteren liffc man 
n, 400: Brod zu fchreiben für Brot ift unhochdeutfch. 

16. 17. 18. etymologifch erledigt (§ 32). 

19. Düte: Tüte^ wie man hier und da gefchrieben 
findet, ift Niederdeutfche Schreibung. 

20. ergetaen: ahd. irge5any mhd. ergetzen. ErgOtaen 



— 133 — 

würde fich durch die Analogie von BiSUef Ldwe^, Ubffel^ 
Schöpfer u. f. w. (§ 35) vertheidigen laßen. Indeüen 
muß man froh fein, daß die echte Form ergetzen nehen- 
hei noch im Gehrauche ift — Göthe gehrauqht fie 
unter Anderen immer — , gefchweige daß man das ano- 
male erg^aen als eine ,,ssu Recht beftehende*' Form mit 
aller Gewalt fefthielte, eine Form, die auch Grimm 
verwirft, indem er*) bemerkt, daß man eben fo gut 
nötzen und fötzen fchreiben könnte. 

21. enmdem fchon nach der beftehenden Begel, daß 
lüider gefchrieben werden muß, wenn' es = gegen '^ denn 
ertßidem ift ganz = entgegnen: auch ahd. arwidardn, 
wiewohl in etwas anderer Bedeutung. 

22. Eßich: ahd. e55ich, mhd. e55ich, woraus Eißig 
nimmermehr werden konnte. S. Nr. 11. Hßich erklärt 
für die richtigfte ' Schreibart auch Weigand a. 0. I, 
310; Effieh fchreibt Grimm im Dtfch. Wörterb. m, 
1169. Über das jt? f. unten § 49. 

23. etymologifch erledigt (§ 32). 

24. fieng gieng hieng^ f. oben § 29. 

25. Fittich: ahd. fettah, mhd. vStech, vetich, woraus 
nur Fittich werden konnte, wie außer Weigand a. 0. 
I, 344 und Grimm Dtfch. Wörterb. m, 1693 auch 
Leffing, Bürger, Rückert u. A. fchrieben S. 
Nr. 11. 

2B. f liftern: ahd. flistrjan. Das anomale ^ic/l^em würde 
lieh durch die Analogie von Würde (§ 35) vertheidigen 
laßen, muß aber dem richtigen fliftem, das von Weigand 
a. 0. I, 352 und von Grimm IH, 1804 als die echte 
Form anerkannt und von Leffing, Bürger, Göthe 
gebraucht wird, unbedingt weichen. S. zu Nr. 20. 
27. Fußftapfe xtad Fi^a^frfe, das Leffing gebraucht, 
find an und für fich gleich berechtigt; aber das erftere 
ift vorzuziehn als älter und als geboten durch das mhd. 



*) Dtfch. Wörterb. m, 820. 



— 134 — 

fuo^Btapfe. S. Weigand a. 0. I, 380. Grimm Dtfch. 
Wörterb. IV, 1045. 

28. Geberde mhd. zwar gebaerde, aber nach der zu 
Nr. 4 angegebenen Norm richtiger mit e, weil der 
Schreibende dabei nicht leicht an gebaren denkt, zumal 
da die Begriffe beider Wörter ziemlich weit auseinander 
gehn. So auch Weigand a. 0. X, 396. 

29. Gehilfe, f. Nr. 41. 

30. G ei fei (Bürge): ahd. gisal, mhd. gisel. Aus der- 
felben Wurzel 

31. G ei fei (Peüfche): ahd. geisila, mhd. geisel. Das 
fi i£t in beiden Wörtern weder phonetifch noch hifto- 
rlfch gerechtfertigt. Vgl. Weigand a. 0. 405 f. 

32. Getreide: mhd. getreide aus getragide; denn agi 
(age egi ege) pflegt durch Unterdrückung des Gaumen- 
lautes fchon im Nhd. in ei (nie in ai) verkürzt zu wer- 
den, wie egidehsa egedehse =? Eidechfe, hagin hagen 
Hein (Hain), magit maget (d) Meid (Maid), magister 
Meijter. Vgl. Nr. 49. 

33. gibfl gibt gib: ahd. kipis kipit ki'p, mhd. gibest, 
gibet, gib. Falfch gi^ft u. t, w.: das e iTt ganz unmoti- 
viert. Vgl. Nr. 47. 

34. gültig: mhd. — gültic. Vgl. Weigand a. 0. I, 
463 unter Gülte. 

35. gieng, f. Nr. 24. 

36. Gräud dem fonft tadellofen Grreuel vor zu ziehn, weil 
man dabei lebhaft an Chatten denkt. Vgl. Weigand 
a. 0. I, 455*). 

37. 6^ ren 2 6;* die Schreibung mit dem ä ift hier ganz 
unmotiviert, f. Weigand a. 0. I, 457. 

38. Hanover, fo von Grimm gefchrieben, delXen 
Autorität als eines ehemaligen Göttingers hier doppelt 
fchwer wiegen dürfte. 



*) Was die Konferenz (Verhandlung S. 95 unten) be- 
ftimmt habe diefe Schreibung mit dem äu ab zu lehnen, 
ift nicht erfichtlich. 



— 136 — 

39. Hering: ahd. herinch, mhd. herinc. 

40. hieng, f. Nr. 24. 

41. HUfe^ daher bekUflieh, GeMfe: ahd. hilfa, mhd. 
hilfe, die herrfchenden Formen neben den ganz ver- 
einzelt vorkommenden hulfa und hülfe. S. Weigand 
a. 0. I, 505. 

4:2. Hifthorn, nicht Hüfthom, S. Grimm Dtfeh. 
Wörterb. IV, 1872. 

43. Knüttel: ahd. chnuttil, mhd. knütteL 

44. Lerni'^ denn es denkt bei diefem Worte wohl nie- 
mand an Alarme f. zu Nr. 4« Schon zu Anfange des 
16. Jahrhunderts lerman and zu Ende desfelben lermen. 

45. lefchen: ahd. lescan, mhd. leschen. Das Wort 
unterliegt ganz derfelben Beurtheilung, wie ergetzen 
Nr. 20. 

46. leugnen dem an lieh nicht unberechtigten läugnen 
fchon deshalb vorzuziehn, weil dabei kein Menfch an 
das oberdeutTche kmgnen denkt. S. zu Nr. 4 und Wei- 
gand a. 0. II, 18 und 48. 

47. lifejt listlis: ahd. lisis, lisit, lis, mhd, lisest liset lis, 
alTo ganz wie geben Nr. 33. Diefer einzig richtigen Schreib- 
art gemäß fp^cht man auch, fo viel wir wißen, ganz all- 
gemein lie u. f. w. Defto unbegreiflicher ift die Ein- 
fchiebung des durchaus müßigen und unberechtigten e, 
deren fich auch der fonft fo gründliche und in Sachen 
der Orthographie fo fiebere Weigand 11, 40 fchuldig 
macht. Das Wort hat auch in diefer Beziehung ein 
Schickfal mit gehen. 

48. liederlich: mhd. liederlich, alfo nicht lüderlich, 
f. Weigand a. 0. II, 49. 

49. Meier: ahd. meior, mhd. meier, aus major (domus) 
entftanden ähnlich wie Meifier aus magister. S. oben 
Nr. 32 und Weigand H, 133. 

50. 51. etymologifch erledigt (§ 32). 

52. Reif ich: fpat ahd. (12. Jahrb.) risach mhd. risech, 
woraus kein Beifig werden konnte. S. Nr. 11. 



— 136 — 

53. reiten: ahd. ritan, mhd. riten. S. Weigand a. O. 
n, 484 f. 

54. Rettich: ahd. ratich, mhd. ratich, woraus nur eben 
Rettich werden konnte, wie unter Anderen Schiller 
fchreibt. S. Nr. 11. 

55. Schwert: ahd. fwert, mhd. fwert. 

56. Sprichwort: fchon mhd. Sprichwort S. die gründ- 
liche Auseinanderfetznng von Weigand a. 0. II, 770. 
67,fiet (fiets ftetig) zwar ahd. stati, mhd. staete, 
aber richtiger in hergebrachter Weife zu fchreiben nach 
der zu Nr. 4 angegebenen Norm. Freilich muß man 
dann konTequenter Weife auch waftet und mit Luther 
und Andern befletigen (mhd. bestetigen) fchreiben. 

58. Tirol: was foU in dem Deutfchen Worte der 
Griechifche Buchftabe? 

59. tot (töten): ahd. tot, mhd. tot. Diefe hiftorifch 
gebotene Schreibung drängt fich der hergebrachten 
Schreibart gegenüber fo gebieterifch auf, daß felbft 
Herr von Raumer trotz feinem Widerwillen gegen das 
hiftorifche Prinzip derfelben, zumal nach Platens 
und Guftav Freytags Vorgange, feinen Beifall zoUt, 
indem er das hergebrachte todt eine „in hiftorifch- 
etymologifcher Beziehung" verkehrte Schreibung nennt*). 
Die Etymologie — in f o fem es „nicht etwa das Par- 
tizipium von einem Verbum toden ift" — fallt freilich 
fehr wenig ins Gewicht; fonft müfte man fofort und vor 
Allem das widerwärtige Stctdt ändern , was eben niemand 
wagt. 

60. 61. 62. etymologifch erledigt (§ 32). 

63. weisfagen: denn ahd. zwar noch richtig wi5ag6n, 
aber fchon mhd. in Folge einer Umdeutung allgemein 
wissagen , woraus nhd. weisfagen ward , aber nie und 
nimmer weiffagen, was man unbegreiflicher Weife bei 
Weigand an der Spitze des Artikels 11, 1048 lift. 



^) Verhandlungen der Konferenz S. 191 f. 



— 137 — 

64. Weizen: ahd. hueisi weisi, mhd. weise; das un- 
hochdeutfche ai ift in dieferForm ganz ungerechtfertigt 3 
denn nicht einmal tun eine Unterfcheidung, wie bei 
Seite und ISaüej Weife und Waife, handelt fichs. 

65. etymologifch erledigt (§ 32). 

66. Widerhall würde als zurückkehrender Hall nach 
hergebrachter Weife, zumal fchon 1482 als wiederhol 
auftauchend, WiederhaU zu fchreiben fein, wird aber, da 
der Wegfall der Dehnungszeichen in Auslieht ift und 
die Befeitigung des e gerade in wider die orthographifche 
Konferenz und Herrn von Baumer für fich hat*), 
künftig dem hiftorifchen Prinzipe gemäß (ahd. und mhd. 
immer loider) ohne e erfcheinen. 

67. etymologifch erledigt (§ 32). 

68. Witwe: ahd. wituwa, mhd. witewe, witwe; das ein- 
fache t ift feftzuhalten; f. Nr. 14. 

69. Würtemherg. Die hiftorifch gebotene Form ift 
Wirtenberg (Weigand a. 0. H, 1113), die dasfelbe 
Schicksal wie Wirde (§ 35) gehabt, fonft aber durch 
Verwandlung des n in m eine wefentliche Verbeßerung 
erfahren hat; die durch Regierungsdekret 1802 befohlene 
Form dagegen ift Württemberg^ eine Schreibung, die mit 
Becht Jakob Grimms Verdammungsurtheile verfallen 
ift**). Solche orthographifchen üngethüme foUten dem 
Deutfchen Volke am allerwenigften von Amts wegen ge- 
boten werden, abgefehn davon, daß es, um mit demfelben 
Grimm zu reden, „auf dem Gebiete der Sprache keine 
Befehle gibt." 

n. 70. bewufi, wie gewuß] ganz analog dem heft Nr. 9; 
f. Weigand a. 0. I, 147 f. und H, 1094 unter vnffen. 
Das ß ift gegen die hiftorifche Entwickelung , das ff 
gegen die Zukunfksorthographie, die nach Vereinfachung 
der Konfonanten im Auslaute und vor andern Eonfo- 



*) Verhandlungen der Konferenz S. 190. 
**) Vorrede zum Dtfch. Wörterb. S. LXI. 



— 138 — 

nanten ftrebt , wie wir das / in diefer Weife in Bruß 
Luft und vielen andern Wörtern bereits vereinfacht 
haben. 

71. bißchen von Bifien, ahd. bi550, mhd. bisse. Von* 
hijfchen mit Jf gilt was von bewufl gefagt ward (Nr. 70) ; 
bischen aber nennt auch Grimm*), obwohl dem jt? da- 
mals nicht mehr hold, eine verwerfliche Schreibung. 
Vgl. Weigand a. 0. I, 155. 

73. Brantwein: f. Weigand a. 0. I, 176. Grimm 
Dtfch. Wörterb. m, 305. 

74. geng und gebe nach der Nr. 4 angegebenen Norm« 

75. heirat: ahd. und mhd. hirät; Vgl. Weigand 
a. 0. I, 493, delTen Bedenken wegen des -rat ohne h 
inzwifchen gefchwunden fein wird, feit fchon für die 
nächfte Zukunft die Tilgung des th und feine Erfetzung 
durch t fo gut wie gewis ift. 

76. Loa : richtiger eigentlich Lqfiy ahd. hlos, mhd. I65, 
da aber die Form mit dem s fchon feit dem 17. Jahr- 
hunderte fefter Gebrauch ift, fo läßt üch daran nicht 
füglich rütteln. 

77. mie-j aber mi/fe- (Mijfethat), In den Berliner Be- 
geln heißt es **) : „In mifi- ift ß der Regel gemäß , da 
es Stammülbe ift,'' und dasfelbe lift man buchftäblidi 
in den Regeln der Berliner Konferenz*^, nur daß hier 
mifs gefchrieben wird. Aber abgefehn davon, daß der 
Urfprung des mis- bis jetzt überhaupt noch dunkel 
blieb, fo daß auf die bloße Vorausfetzung einen Beweis 
zu gründen doch mehr als gewagt ift, fo fragen wir 
erftens : wo fteht denn eigentlich die jedenfalls der Logik 
ermangelnde Regel, der gemäß mifs (miß) gefchrieben 
werden müfte, wenn es Stammülbe wäre; zweitens aber 
ift gerade jenes ' mia- (ahd. missi missa mis , mhd. 



*) Dtfch. Wörterb. H, 50. 
**1 S. 9 § 8 Anm. 2. 
***) Verhandlungen der Konferenz S. 144 § 25 Anm. Iß. 



— 139 — 

misse mis), gleichviel woher es ftamme, fchon feit Jahr- 
hunderten thatlächlich eine untrennbare Partikel im 
Sinne des Griechifchen dva-, das üch von unferem un- 
nur wenig unterfcheidet. In der älteren Neuhochdeut- 
fchen Periode fchrieb man noch allgemein mis-j und 
fo fchrieben unter Anderen Gottfched, Klopftock, 
Voß. Davon natürlich mislichf ahd. missilicho, mhd. 
misseliche, misliche. 

78. nemlich: ahd. namilich und namolich, mhd. namelich ; 
alTo ohne %; denn es hat mit nehmen nichts zu fchaffen; 
aber auch nicht mit dem <£; denn wiewohl von Name 
ftammend hat (ich nemlich doch mit feinem Begriffe fo 
himmelweit entfernt von feiner Stammform Name, daß 
diefe fchwerlich Jemandem beim Schreiben und Sprechen 
des Wortes nendieh vorfchwebt. S. zu Ärmel Nr. 4. 

79. Schmid: ahd. smid, mhd. smid, gen. smides. Und 
nicht bloß hiftorifch geboten ift diefe Schreibung, fon- 
dern auch der Ausfprache entfprechend (f. zu Nr. 79 
S. 101). Daher fchmiden , das dem Herkommen gemäß 
fchmieden gefchrieben werden müfte, aber bei der ge- 
wiffen Auslieht auf baldigen Wegfall der Dehnungs- 
zeichen , um mit Duden zu reden, auf der Ausfterbe- 
lifte fteht. 

80. überfchwen glich, von mhd. überswanc, mit 
dem e nach der Nr. 4 angegebenen und Nr. 78 be- 
folgten Norm. 

81. Vehme: mhd. veme, aber nhd. richtiger Feme-^ 
denn Vy das im Mhd. dominiert und hier ganz als weiche 
Aspirata der Lippenreihe neben dem härteren / erfcheint, 
ift im Nhd. meift wieder in die urfprüngliche härtere 
Aspirata / übergegangen, die dann im Nhd. wieder die 
Oberhand erlangt hat, während von dem weicheren v 
nur noch Überrefte blieben. So ahd. f&l, mhd. vül, 
nhd. fcnd'y ahd. feigi, mhd. veige, nhd. feig 'y ahd. fasti 
und festi, mhd. veste, nhd. fefty ahd. f^ld, mhd. velt nhd. 
Feld'y ahd. fei, mhd. vel, nhd. FeU] ahd. fisc, mhd. 



— 140 — 

visch, ahd. F(feh a. f. w. Das h aber als Dehnungszeichen 
fteht bei der bevorftehenden orthographiTchen Reform 
ohnehin auf der AusüterbeliTte, und es wäre ein müßiges 
Gkfchäft diefen Preudohauchlaut kuras vor feinem Ab- 
leben erft noch ausdrücklich zu fankiionieren. 
in. 82. etymologifch erledigt (J 32). 

83. hirfchen: mhd. birsen; auch pirsen kommt im 
Mhd., wiewohl nur ein paar Mal in den Nibelungen vor; 
aber „falfch ift 5ür/b^en<< (Weigand a. 0. I, 154 unter 
Birfch), 

84. Ernte: mhd. emede. ,,Luther fchreibt emde oder 
erndte, allmählich hat Jich das beßere emto durchgeführt'^ 
(Grimm Dtfch.Wörterb. m, 929). Ernte fchreibt auch 
Weigand a. 0. I, 304. 

85. etymologifch erledigt. 

86. anderfeitSy wie es fchon dem Mhd. anderstt gemäß 
heißen müfte, nicht andererfeUs, wie man überaus häufig, 
um nicht zu fagen, überall lift; denn es kommt nicht her ' 
vom Genitiv cmderer^ fondem wie anderortd andertüärta 
vom Stamme ander. Und fo fchreibt nicht bloß Wei- 
gand, fondem auch Grimm. 

87. Borte: ahd. portä oder porte, mhd. borte. 

88. hei che n und JeeucTien find beide hiftorifch begründet, 
aber das erftere, mhd. kichen, verdient den Vorzug; 
f. Grimms Dtfch. WÖrterb. unter heichen V, 434, 

89. Keuler und Keiler nicht fowohl hiftorifch — denn 
beide find im Ahd. und Mhd. noch nicht gefunden — 
als durch den älteren Nhd. Gebrauch begründet. Die 
ältefte Urkunde, ein Küchenwochenzettel vom Jahre 1 608, 
wo keyler vorkommt, entfcheidet für Keuler ^ das auch 
Weigand und Grimm vorziehn. 

90. Küffen (pulvinar): ahd. cussin und chusstn, mhd. 
küssin und küfTen. Die jetzt herrfchende Form ift 
Kijfen. Da aber diefe nachweislich erft von Campe 
eingeführt und vom Deutfchen Publikum, dem auf diefe 
Weife die Unterfcheidung von käjfen (psctdari) recht be- 



— 141 — 

quem gemacht war — wiewohl die Möglichkeit einer 
Yerwechrelang hier nicht einmal für Kinder vorlag — , 
natürlich mit offenen Armen aufgenommen worden ift, 
da anderfeits alle Lexikographen vom 15. bis ins 18. 
Jahrhundert hinein, felbft Adelung, nur die echte 
Form Küffen kennen und nennen, da diefe echte Form 
nach dem Zeugnilfe von Hildebrand in Grimms 
Dtich. Wörterb. V, 852 befonders in den Norddeutfchen 
Mundarten noch jetzo Geltung hat und da derfelbe 
Hildebrand die Form Eüjfen a. 0. 853 auch aus 
neueren KlaiHkem nachweift, fo ift es die Pflicht der 
Sprachwißenfchaffc diefe einzig richtige Schreibung der 
gefälfchten Form Kiffen gegenüber feftzuhalten. Um 
auch noch neuere Autoritäten anzuführen, fo lautet 
Hildebrands Urtheil a. 0. 852: „Die fchreibung 
küffen ift die gefchichtlich richtige, bis ins 18. Jahrhundert 

in vorwiegender geltung es ift wohl klar, daß 

jeder das recht hat wieder küffen zu fchreiben , ja daß 
es zu empfehlen iff Auch Weigand a. 0. I, 654 
erkennt nur Küffen an mit der Bemerkung: „Ungut, 
wie man gewöhnlich fchreibt, Kiffen J'^ Die Ausfprache 
wird lieh der richtigen Schreibung leicht und fchnell 
anbequemen; f. § 18. 

91. mannigfaltig: ahd. manac — , mhd. manic — ; 
mannieh wäre unhochdeutfch. Noch richtiger, aber der 
Auafprache wegen bedenklich würde freilich manig fein. 
S. Weigand a. 0. H, 100. 

92. wirken und toürken und beide hiftorifch begründet, 
wenn auch das letztere vielleicht noch weiter in das 
Alterthum hineinreicht. Da nun vjirken feit Luther 
faft allgemeine Schreibung und dabei durchaus berech- 
tigt ift, fo verfteht es lieh von felbft, daß man daran 
feft hält. 

So haben wir auch diejenigen orthographifch ftreitigen 
Wörter, deren richtige Schreibart auf etymologifchem 
Wege nicht zu ermitteln war, ihrer Form nach feftgeftellt 



- üi - 

und zwar mit Hilfe des hiftorifchen Prinzipid. Wir muffen 
natürlicli darauf gefaßt fein, daß man Sclireibangen, wie 
MUich and hiÜichen^ wie Eißich tot betriegen ergetssen befietigen, 
wie flifiem ausfindig Küffen n. f. w. von Seiten der H6rm vom 
Schlendriane, überhaupt von Seiten Aller derjenigen, die in ihrer 
lieben Q-ewohnheit um keinen Preis geftört fein wollen, 
gewaltig perhorresziere, ja daß unfere ganzen 92 Feftftellun- 
gen von den Herrn, die lieh mit einem gewiffen Selbftge- 
fühle den feit dem erften Auftreten des Herrn vonBaumer 
üblichen Namen von „Phonetikern" beilegen, fchon und 
bloß deshalb angefochten oder gar verworfen werden, weil ße 
auf etymologifchem und hiftorifchem Wege gefunden 
worden find. Nun wir möchten wohl wißen, auf welchem 
anderen Wege man diefen leidigen Schwankungen ein Ende 
machen wollte, deren endliche Befeitigung befonders um der 
Schulen willen fo dringend noth thut, daß man der Ortho- 
graphifchen Konferenz zurufen möchte: Laßt uns Alles, 
und wenn es noch foverrückt ift; nur dieSchwan- 
kungen, die heillofen, nehmt uns. 



V. 

$ S7t Nirgends freilich macht fich das Unfichere, Un- 
folgeriohtige. Willkürliche, Schwankende, woran unfere Wort- 
fchreibung in argem Maße leidet, fo unerträglich und doch, 
wie es den Anfchein hat, fo unheilbar geltend, wie bei den 
S-lauten. Wir haben bisher über die verhängnisvollen S-laute 
nur vorübergehend zu fprechen Gelegenheit gehabt. Wir unter- 
nehmen es auch an diefer Stelle nicht den betreffenden 
Gegenftand ganz zu erfchöpfen. Wohl aber fehen wir uns 
veranlaßt diefe heikliche Frage gerade hier fo eingehend wie 
möglich zu erörtern, nicht als ob die an fich fchon fo einfache 
nnd fo klare Sache nach den klaren Audeinaaiderfetzungen 
ton Andrefen und andern Anhängern der hiftorifchea 



— 143 — 

Schule, auf deren Seite wir uns in diefem Streite unbedingt 
und ohne Rückhalt ftollen, noch irgend welche Schwierigkei- 
ten hätte, fondem theils deshalb, weil, wie Herr von Rau- 
mer ganss richtig bemerkt, „in der Art die Zifchlaute zu 
fchreiben^' allerdings eine Frage von prinzipieller Wichtigkeit 
liegt,*) theils deshalb, weil es hier gilt einen unberechtigten 
zähen Wideriftand unüis virüms zu brechen. 

Wir haben die Frage über den Gebrauch der S-laute 
eine heikliche genannt, weil üe in der That viel fchwieriger 
zu behandeln ift als irgend eine andere. Wie nemlich das 
hiftorif che Prinzip als Prinzip das gehaßtefte ift, fo hat 
auf dem Gebiete der hiftorifchen Schreibung nichts einen fo 
bitteren Haß auf ßch gezogen , wie der hiftorifche Gebrauch 
der S-laute. Mit einer wahren Leidenfchaft fallen die Herrn, 
die Jlch mit einer gewiffen Selbftgefälligkeit Thonetiker 
nennen — und unter diefem Namen verftecken lieh eine Menge 
Herrn vom Schlendriane — , über das hiftonfche ß und feine 
Gönner her, als wäre es entweder ein Blödiinn oder eine Ver- 
fündigung an unferer Deutfchen Sprache, daß man den 
Deutfcheften von allen Deutfchen Lauten gegen die Sklaven 
der Gewohnheit vor der Vernichtung zu fchützen*fucht. Was 
diefer unfchuldige Buchftabe verbrochen habe, daß er für alle, 
die der Gewohnheit fröhnen, ein Gegenftand des Haßes ge- 
worden ift, während man allerhand undeutfche Buchftaben, 
insbefondere das Lateinifche und dabei ganz überflüßige c, 
auf eine geradezu lächerliche Weife hatfchelt, das mögen die 
Götter wißen. 

§ 38» In der That hat wohl kein anderer Buchftabe folche 
merkwürdigen und eigenthümlichen Fata gehabt, wie dies bei 
dem unfchuldigen Buchftaben , den man Eaze^ nennt , ' von der 
Zeit an der Fall gewefen ift, wo in Folge der Erfindung der 
Buchdruckerkunft die Umbildung der bis dahin allgemeinen La- 
teinifchen Lettern in die fogenannten Deutfchen ftattfand. 



*) Get fprachw. Schriften S. 261. 



— 144 ~ 

In feiner Form entftellt *), in feinem Wefen verkannt, ward es, 
eben weil man es nicht kannte, allmählich um fo mehr ganz 
als Spirant betrachtet and wie / (i) und ff gefprochen , da 
gerade damals aus Gründen, die wir § 22 dargelegt, das 
reine Deutfeh faft ganz dem gröberen Munde des eigentlichen 
Volkes überlaßen war. Da man nun in Folge der yergröber- 
ten Ausfprache immer weniger zu begreifen begann, wohin 
man diefes unerkannte Zeichen , das Eszet hieß, thun 
und wo man / (i) oder ff oder jS fchreiben follte , fo konnte 
es nicht füglich anders kommen, als daß mit jener phone- 
tifchen Vermengung der S-laute nach und nach eine unfägliche 
Unordnung im G-ebrauche diefer Laute einriß. 

Die durch die Form felbft erzeugte anfängliche Meinung 
gieng dahin, daß ß nichts als ein / mit angehängtem j fei. 
Daß man zu einer Zeit, wo ß eine ganz unbekannte Größe 
war, an diefe Zufammenfetzung gedacht hat, darf nicht Wun> 
der nehmen; aber das wundert uns, daß es auch neuerdings, 
wo man durch Grimm über das Wefen des JS vollkommen 
klar fein kann, noch Sprachgelehrte gibt, die da in allem Emfte 
glauben, daß in dem Zeichen JS ein./imd ein j ftecke und 
daß zu diefen Sprachgelehrten auch Männer gehören, wie 
Herr von Baumer. Hat doch fchon vor hundert Jahren 
der fonft über das ß auch noch unklare Adelung erklärt: 



*) Wir vermögen der Erklärung des Herrn von Raumer 
über die Entftehung des ß als Form (S. 268) nicht bei- 
zuftimmen, denken uns die Sache vielmehr fo: Die 
Deutfchen Lettern find bekanntlich nichts als verhunzte 
Lateinifche, die in den anfangs — nach Erfindung der 
Buchdruckerkunft — noch fehr eckigen, überhaupt un> 
vollkonmmen Typen ihre natürliche Erklärung finden. 
Auch das mhd. 5 ward nicht genau wiedergegeben, fon- 
dern fehlen jetzt mit verlängertem fenkr echten Striche, 
der, da man durcliaus ein / anbringen wollte und in 
dem eszet enthalten wähnte, allmählich immer mehr ver- 
längert ward, eine Form, in der jedermann das heutige 
ß wiederkennt. Vgl. § 52 mit den Anmerkungen. 



— 146 — 

,,Da8 j(? wird fehr irrig Eszet genannt, wenn damit 
angedeutetwerden foll, daß es ans dem/undszu- 
fammengezogen fei/' Da nemlich z = ts, fo würde j(7 
als eine ZaTammenTetzang von / und z natürlich = fls fein, 
ein Komplex von Lauten, der doch heinah an das Unausfprech- 
Uche grenzt. 

G-enug aher, es beütand fchon früh die Anficht, und Sie 
war weit verhreitet, daß ein / und z inß ftecke, eine Anficht, 
die nichts weniger als geeignet war dem zunehmenden Wirr- 
warr im Gebrauche der S-laute zu fteuern. Ja man wuTte 
nun erft recht nicht , was diefes Eszet, wie man es nun 
nannte, zu bedeuten und was man danut anzufangen hätte, 
während man anderfeits von einem richtigen Gefühle geleitet 
das überkommene Zeichen ganz über Bord zu werfen doch 
nicht wagen zu dürfen meinte. 

Ein Pröbchen, wie Luther die S-laute bezeichnete, hat 
Herr von Raumer mitgetheilt *). Sinn und Ordnung ift in 
Luthers Schreibung nicht. Überhaupt war die Verwirrung, 
die in Bezug auf den Gebrauch der S-laute im 15. und na- 
mentlich im 16. Jahrhunderte herrfchte, grenzenlos. 

Es läßt fich denken, daß es nicht an Männern fehlte, 
die diefen Jammer unferer DeutTchen Schreibung fchwer em- 
pfanden und, damit es wenigstens den AnTchein hätte, als wenn 
G.e fich der vorhandenen, aber völlig miskannten S -laute nach 
einem beftimmten Grundlatze bedienten, eine Art von ortho- 
graphifchem Gefetz aufftellten. Der brave Schottel müfte nicht 
gerade in der fchlimmften Zeit hervorgetreten fein mit feinem 
glühenden Eifer für die Reinheit und Richtigkeit unferer va- 
terländifchen Sprache. Er war es, der in die praktifche An- 
wendimg der S-laute zuerft eine gevriffe Ordnung zu bringen 
fachte (1663)**). Die „angefehnften Grammatiker aus der 
erften Hälfte des 18. Jahrhunderts,'' wie Bödiker (1709) 



n Gef. fprachw. Schriften S. 272, § 7. 
**) Die betreffenden zwei Regeln finden fich bei Raumer 
a. 0. S. 273. 

Biseiii Deatsohe Orthographie. 10 



— 146 — 

und Freyer (1722), traten ihm bei: was fie neues hinzu- 
fügten, war eine unwerentliche Erweiterung*). Alle drei 
kamen überein in der, wie es fcheint, vom guten Schottel 
aufgebrachten Idee, um die fleh ihre ganze Schreibweife 
dreht, daß j(? ein abgekürztes // fei. An diefe drei 
fchloßen lieh in der Handhabung der S -laute in der Mitte und 
am Ende des 18. Jahrhunderts Gottfched und Adelung 
an. Wenn Herr von Baumer meint , der erffcere habe in 
der Behandlung der S-laute einen bedeutenden Schritt vor- 
wärts gethan, fo können wir das nicht finden. Allerdings 
wollte Gottfched ff im Inlaute zwifchen Vokalen nur bei 
vorangehendem kurzen Vokale gebraucht wißen (alfo wiffen 
heffer Flüffe)] das ift aber auch die einzige unbedeutende 
Verbeßerung, die er in Bezug auf den Gebrauch der S-laute 
vorgenommen hat : die bedeutendften Fehler der Schottel- 
fchen Schreibung haben fowohl Gottfched wie Adelung, 
der nur eine Zeit lang und in einem unwefentlichen Punkte 
von Gottfched abwich, fonft aber ilch ganz an diefen an- 
fchloß, von ihren Vorgängern mit in den Kauf genommen, 
nemlich die „nur modifizierte graphifche Identität von ff und 
j(?" und die damit in grellem Widerfpruche ftehende Ver- 
wendung des X? nach gedehntem Vokale (grqfi Fleiß ^^ß 9^^^ 
ftcJSen FUfie, beißen heffien reißen). 

Diefe Gottfched- Ad elungfche Schreibweife, wie 
man fie nennt, — man würde fie fuglicher die Schottel* 
fche nennen — , diefe Schreibweife, die Adelung fchon 
1787 als die , Jetzt gewöhnliche" bezeichnet, hat lieh leicht 
und fchnell Bahn gebrochen und war bis zum Zufammentritt 
der Orthographifchen Konferenz zu Anfang des Jahres 1876 
die herrfchende. 

§ 39t In der That muß man fich weit weniger wun- 
dem, daß folche Dinge von Einem erfonnen, als daß Sie von 
Unzählichen angenommen worden find. Wir wollen gegen 
diefe fogenannte Go ttfched-Adelungfche Schreibweife 



*) Die Quinteffenz ihrer Lehre gibt Raum er a. 0. S. 274. 



— 147 — 

niclit geltend machen, daß üe ganz unhiltorifch ITt, denn 
das wollen ja eben die Herrn vom Schlendriane und alle die 
Taufende, die ihre Kniee vor dem Tyrannen ufus beugen. 
Es gefchieht alfo nur um der Vollftändigkeit willen, wenn 
wir Weigands gewichtvoUe Autorität hier folgendermaßen 
fprechen laßen ^): „Die von den Grammafikern (des 17. und 
18. Jahrhunderts) aufgeftellte und allgemein üblich gewordene 
Regel im Auslaute ß zu behalten und felbft da nach kurzem 
Vokale für s, zumal wenn es in der Biegung u. f. w. ff wird, 
z. B. in gewiß, Kuß, mifi-, -n\fi, Rqfi, zu fetzen, fowie im 
Inlaute nach langem Vokale ß zu behalten, aber nach kurzem 
dafür jQT zu fchreiben, ift eine hift'orifch unrichtige, wes- 
halb auch Sprachforfcher , wie Vilmar, He nicht be- 
achten, fondern ß fetzen, wo diefes feinem urfprünglichen 
Rechte nach hingehört, und z. B. laßen, müßen, Waßer, gewü, 
-nü fchreiben." So weit Weigand. Indeffen wollen 
wir, wie gefagt, vom Standpunkte der hiftorifchen Grammatik 
gar nicht einmal urtheilen über den Gebrauch der S -laute 
nach Gottfched-Adelungfcher Vorfchrift, fondern wollen 
nur konftatieren , daß diefe Schreibweife — von ihrer totalen 
Unwißenfchaftlichkeit ganz abgefehn — auch gegen alle 
Logik ift. 

Wenn Gottfched und Adelung — wir halten uns 
an diefe, denn fie haben das Schottelfche Syftem erft 
zur Geltung gebracht — wenn Gottfched und Adelung 
ihrer AnUcht von der Einerleiheit des j^ und des jfjT gemäß 
naß Biß Rcß muß, femer Baßgeigß Kußhand Roßtrappe und 
Mißgwnft fchrieben, fo lag darin — abgefehn von dem zu 
Grunde liegenden Irrthume — eine gewiffe vernünftige Kon- 
fequenz. Wenn lle aber in auffallendem Widerfpruche mit 
der Idee von dem „abgekürzten ß'^ auch groß aß bloß re\ß 
heiß Strauß, fogar größer ftqßen Füße gefchrieben wißen 
wollten, fo war dies eben keine Konfequenz, fondem ein hoher 
Grad von Konfiilion. Wenn nemlich j(?, wie man feit Schottel 



*) Weigand a. 0. U, 853. 

10^ 



— 148 — 

annahm, ein abgekürztes jj und von diefem nur graphiCch ver- 
fchieden war, fo begreift man erftlicli nicht, wie diefes „abge- 
kürzte fj*^ in aller Welt dazu kam nicht bloß im Auslaute 
{groß Stoß), fondem auch im Inlaute einfacher Wörter (ßrqfies 
Stqfies) gebraucht zu werden ; denn unter diefem „abgekürzten 
fj^ dachte man fich doch wohl nichts anderes als ein / mit 
angehängtem Schluß-«, und ein Schluß-« hat wohl am Schluße 
eines Wortes Sinn, aber nicht in der Mitte eines einfachen 
Wortes. Zweitens aber begreift üch noch viel weniger der 
ganz widernatürliche und widerlinnige Gebrauch des von jQT 
nur graphifch verfchiedenen, alfo lautlich mit Jf identifchen Jf 
nach gedehnten Vokalen (groß aß StroAiß Fl&ß großer 
Stoßen Füße Buße JU^en). So kann man doch in der That 
nicht fchreiben, wenn man Geh delTen, was man fchreibt, auch 
nur einigermaßen klar bewuTt ift ; denn welcher nicht dufelnde, 
fondem denkende Menfch fchriebe groff off Straujf und größer 
floffen Füjfe, Wenn dies dennoch, wie noch heut zu Tage, 
fchon zu Freyers Zeit (um 1710) ufus fcribendi war*), fo 
dient dies eben zum Beweife, daß man fchon zu Ende des 17. 
Jahrhunderts in der Noth, d. h. in der verzweifelten Ungewis- 
heit über das ß, allgemein gegriffen habe nach dem Stroh- 
halme der Seh Ott elfchen Begel, die dann von Gottfched 
und Adelung beftätigt und durchgeführt noch jetzt von 
der überwiegenden Mehrheit des Deutfchen Publikums be- 
folgt wird. 

§ 40« Es macht Fuldas hellem Blicke alle Ehre, daß 
er — foviel wir wißen zuerft unter den damaligen Gramma- 
tikern — diefe orthographifche Wirrfal wahrgenommen hat 
(1770). Er gerieth aber leider aus dem Regen in die Traufe. 
Indem er lieh* nemlich von dem groben Irrthume der Einerlei- 
heit des ff und ß für feinen Theil emanzipierte, verfiel er 
auf die abenteuerliche Idee ff für ß auch im Auslaute nach 
kurzem Vokale^ zu verwenden. Das konnte man lieh wohl 
erlauben in Zufammenfetzungen wie Baffgeige Kuffhand Roff- 



^) Raumer a. 0. S. 274, § 8. 



— 149 — 

trappe, aber auch Baff Kuff Roff zu fchreiben wäre nur thun- 
lieh , wenn man das ganze Schluß-« gewaltfam über Bord zu 
werfen wagte. Wir fehen diefe Gefpenfter mit dem auslauten- 
den jfjT, wie daff laff Faff gewiff und befonders die Wörter auf 
•^iff 50 Jahre fpäter wieder eine Zeit lang ihren Spuk treiben. 
ZunächTt verrchwanden ^e wieder fo fchnell, wie ^^ ge- 
kommen waren ; denn B a d 1 o f riß Heb zwar (1820) auch nach 
Fuldas rühmlichem Beifpiele von dem Wahne los, daß fi 
ein abgekürztes ff fei , hielt es aber für gerathener in Bezug 
auf // als Auslaut der Vorfchrift des alten Frey er zu folgen, 
der fchon 1722 vier orthographifche Regeln aufgeftellt hatte, 
von denen die zweite lautete: „Am Ende der Sylbe fteht das 
kurze «"; er fchrieb alfo fa für ff {dafa lafa Fafa gewifa)^ 
Ahnlich Heyfe. Nachdem diefer in den erften drei Aus- 
gaben feiner Deutfchen Grammatik noch dem Gottfched- 
A de lu n gfchen Syfteme gehuldigt hatte, begann er in der vier- 
ten Ausgabe die wunderliche Fuldafche Schreibweife wieder 
unter dem Schutte hervorzuziehn , die denn auch bei der 
weiten Verbreitung der He'yfifchen Grammatik geraume 
Zeit, befonders vom Magdeburger Domgymnaßum aus, ja 
felbft in namhaften Schriften, wie den Zerrennerfchen, 
gralXiert hat und noch heutzutage von ehemaligen Zöglingen 
jenes Gymnafiums befolgt wird**). Aber fchon in der 
achten Ausgabe hat er diefe Schreibart wiederum befeitigt, 



*) Badlof war nicht der erfte, der diefen Ausweg traf; 
vor ihm hatte bereits ein gewiffer Hörftel in feiner 
Fibel (1803) im Auslaute fa für ff gefchrieben. 
**) Ob der Herausgeber der Volkszeitung zu diefen Zög- 
lingen gehört, vermögen wir nicht zu fagen. Jedenfalls 
verdient feine Wiedereinfühmng diefes ebenfo unförm- 
lichen wie unfinnigen jjT im Auslaute {daff Prozeff Kennt- 
fdff hefcJdoff muff) in demfelben Maße gerügt zu werden, 
in welchem er entfchiedenes Lob verdient, daß er den 
übrigen Zeitungen in der Befeitigung des th vorange- 
gangen ift, nur daß fich diefe Tilgung des th bei ihm 
falfchlich auch auf Griechifche Wörter (Orthographie) 
erftreckt. 



— 150 - 

um za der erwäbnten Radi offchen überzugehn, die ilcli denn 
auch in allen folgenden Ausgaben feiner Grammatik bis auf 
den heutigen Tag behauptet und fogar die Ehre gehabt hat 
von der Orthographifchen Konferenz mit der kleinen Ab- 
änderung, da(^ Jb für jf nicht bloß im Auslaute, fondem auch 
vor Konfonanten angewendet werde, als normale Schreibung 
adoptiert zu werden. 

§ 41t Auch Heyfe hatte lieh, wie Radlof, von dem 
,,abgekürzten fi^ fchon frühzeitig losgefagt ; auch ihm war 
es klar geworden, daß die fogenannte Gottfched-Adelung- 
fche Schreibweife — wir haben es hier nur mit den S-lauten 
zu thun — geradezu unvernünftig und voll von Wider- 
fprüchen fei, und es gewährt ein nicht geringes Intereffe 
wahrzunehmen, wie üch der gewißenhaft fleißige Mann Jahre 
lang dreht und windet, um einen rettenden Ausweg aus dem 
im bisherigen Gebrauche der S-laute herrfchenden yVirrwarr 
zu entdecken. Wenn ihm dies trotz alle dem nicht gelungen, 
wenn auch er trotz feiner eifrigen Bemühungen den rechten 
Weg zu finden dennoch auf orthographifche Abwege ge- 
rathen und aus der feit dem 15. Jahrhunderte über die 
S' laute herrfchenden Verwirrung nicht heraus gekommen ift, 
fo liegt dies lediglich daran, daß er den allein rettenden Weg 
eben nicht gekannt oder, wie wir aus des Herrn Dr. Karl 
Heyfe Vorrede zur zwölften Ausgabe der Heyfifchen 
Grammatik*) und befonders aus dem dort verfuchten, aber 
fehlgehenden Hiebe auf die „liiftorifier enden Gramma- 
tiker<< faft fchließen möchten, überhaupt verfchmäht hat. 

Es liegen merkwürdige Urtheile über die Heyfifche 
Regel vor; eines der merkwürdigften ift das des Herrn von 
Raumer, der da meint**), die Heyfifche Schreibung fei 
„keine prinzipielle Neuerung , fondern nur eine Weiter- 
bildung der von Gottfched aufgeftellten Regel," ein Ur- 
theil, das in der Hauptfache wohl eingegeben ift von dem 



*^ Zwölfte Ausgabe (1840) S. IX. 
**) S. Verhandlungen der Konferenz S. 69. 



— 151 — 

Wunfche die verhaßte hiftoriTche Schreibweife aUein als prin- 
zipielle Neuerung erfcheinen zu laßen. Die ganze Gott- 
fched-Adelungfche Schreibweife fteht jind fällt mit dem 
Gmndfatze, daß jQT und ß einerlei und das letztere vom 
erfteren nur graphifch verfchieden fei. Gerade von diefem 
Grundfatze, um den fleh bei Gottfched und Adelung 
Alles dreht, hat fich Heyfe nach anfänglichem Bedenken 
endlich energifch losgerißen, wenn man auch nicht recht 
weiß , was er felbft fich eigentlich unter dem ß gedacht hat. 
Wie man unter folchen Umftänden das He'yfifche Syftem 
eine „Weiterbildung" nennen könne , verftehn wir nicht: fie 
kann, wofern man die Heyfifche Schreibung der S-laute 
überhaupt mit den früheren Schreibungen vergleichen will, 
nur als eine Umbildung der Gottfched fchen bezeichnet 
werden. Wohl aber ift fie eine Weiterbildung der Fulda- 
fchen Schreibweife , wie ^i^ fchon von Ra dl of begonnen war. 
Noch weniger können wir die Behauptung desfelben Herrn 
von Eaumer*) unterfchreiben , daß die Heyfifche Regel 
die Ausfprache weit richtiger bezeichne als die Gottfched- 
Adelungfche. In der Verwirrung, die in Bezug auf die 
S-laute herrfcht, an die Ausfprache appellieren hieße diefe 
Verwirrung . doch in der That bis ins Unendliche vermehren ; 
denn die heutige Ausfprache befagt bei den S-lauten, wie 
wir weiter unten zeigen werden, gar nichts. Darin hat Herr 
von Raumer Recht**), daß die Heyfifche Schreibweife 
einen entfchiedenen Fortfehritt bildet; ja es läßt fich von 
Heyfe mit weit größerem Rechte als von Gottfched fagen, 
daß er „einen bedeutenden Schritt weiter gethan habe in der 
Darfteilung der S-laute ;" denn er hat in die Anwendung der- 
felben wenigftens eine gewiffe Ordnung und Folgerichtigkeit 
gebracht. Und doch ift auch H e y f e s Regel, die darauf hin- 
aus läuft, daß nur nach gedehnten Vokalen j(? (außer hlqfi Blöße 
Geföß)^ nach gefchärften Vokalen dagegen ff ftehe {effen 



*) S. Verhandlungen der Konferenz S. 70. 
**) S. Verhandlungen der Konferenz S. 70. 



— 152 — 

/öj^en Gaffe haffm) und daß diefes ff im Auslaute/« gefchrieben 
werde, felbft mit dem beßern folienden, in der That aber ver- 
fchlechternden Zufatze der Orthograpbifchen Konferenz, daß 
diefes fa für j(jr auch vor Konfonanten eintrete, ganz unhaltbar*); 
denn fie hat nicht den geringften Grund und Boden. 

Wir bi Ingen um der Vollftändigkeit willen zunächft 
auch hier das fohwerwiegende Urtheil Weigands**) über 
diese Heyfifche Schreibart bei; es lautet: „Völlig ver- 
werflich, ja verderblich erfcheint für das im Nhd. richtig be- 
wahrte ß im Auslaute nach kurzem Vokale ein ff oder fs 
einfäluren zu wollen und z. B. daff daf8 Haff Hafs u. t w. 
zu fchreiben." IndeiTen wollen wir uns auch hier nicht auf 
den Standpunkt der hiTtorifchen Grammatik ftellen, fon- 
dern die Auseinanderfetzungen des jungem Heyfe über die 
S-Laute, wie wir fie in der neueften Ausgabe der betreffenden 
Grammatik***) finden, nur durch folgende Bemerkungen be- 
gleiten. 

S. 44, Z. 3 V. u. heißt es : „Da« ß ift ein einfacher 
Konsonant, delTen aus / und » zufammengefetztes 
Schrift zeichen nur feinen mittlem Laut zwischen diefen 
beiden Buchftaben ausdrücken foll/' Wir haben diefe, wie 
es fcheinty bereits vor Schotteis Auftreten viel verbreitete 
Anficht, die auch Herr von Raumer theilt, fchon oben 
§ 38 berührt und kommen fpäter darauf zurück, wollen fiie 
aber auch hier als eine durchaus irrige bezeichnet haben, die 
nichts für fich, aber Alles gegen fich hat. Weiter heißt es 
S. 44, Z. 5 V. u., S. 45, Z. 1 ff.: „Es (nemlichjt?) ift von/ 
verfchieden durch feine fchärfere Ausfprache, vom ff aber 
durch feine Anwendung nach gedehnten Vokalen. Ein 



*) So urtheilt auch Duden in feiner fonft trefflichen, 
aber gerade in der Behandlung der S-laute fehr fchwa- 
chen „Zukunffcsorthographie^' S. 62 f. 
**) Weigand a. 0. H, 853. 

Heyfes Deutfche Schulgrammtik 22. Auflage (1873), 
S. 44f. 






— 153 — 

geübtes Ohr wird leicht folgende richtig (sie) aus- 
gefprochene Wörter von einander unterfcheiden : lafen 
fpckfien laffen, fo mch Nafe Strc^fie Goffe-, Gemüfe bUfien muffen, 
reifen reißen u. f. w." Diefes ganze orthographische Rezept 
ist ein künltliches Luftgebäude. Daß lieh lafen and laffen^ 
Gemüfe und muffen u. f. w. in der Ausfprache unterfcheiden, 
verfteht fich von relbft. Wenn aber behauptet wird, ß fei 
von / verfchieden durch feine fchärfere Ausfprache und 
ein geübtes Ohr werde leicht auch lafen und fp(\fien^ Nafe 
und Str<\ße, Gemüfe und hüßen^ reifen und reißen u. f. w. 
richtig*) ausgefprochen von einander unterfcheiden , fo ift 
dies in der Wirklichkeit nicht begründet. Was wollen denn 
folche Regeln gegenüber der Thatfache, daß ß fchon feit 
Jahrhunderten im allergröften Theile Deutfchlands nicht 
mehr „richtig" ausgefprochen wird. Wir dürfen uns 
wenigftens eines recht feinen und geübten Ohres rühmen und 
lind viel in Deutfchland umhergekommen und haben nament- 
lich im Nordweften Deutfchlands, wo fich die Ausfprache be- 
kanntlich am reinften erhalten hat, fleißig umher gehorcht 
und haben mit gebildeten Leuten ohne Zahl verkehrt, aber 
wollte Gott, wir hätten — von einzelnen Strecken im hohen 
Norden abgefehn — fowohl in der täglichen Umgangsfprache, 
wie vom Katheder und von der Rednerbühne herab auch nur 
ein Mal in der Ausfprache von reißen und reifen u. f. w. 
einen „vernehmbaren" Unterfchied vernommen. Dabei find 
wir von dem Augenblicke an, wo wir uns durch Grimm 
mächtig angezogen dem Studium der hiftorifchen Grammatik 
zugewendet haben — und es mögen feitdem beinah 40 Jahre 
vergangen fein — der Ausfprache in den verfehl edenften 
Gegenden Deutfchlands mit ganz befonderer Aufmerkfamkeit 



*) Wenn fich der Verfaßer diefer Regel durch die wieder- 
holte Prolepfe „richti^'^ den Rücken deckt, fo wird die 
Sache dadurch natürlich nicht anders. Wir möchten 
aber doch in emer Schulgrammatik vor folcher ge- 
wundenen Sprache dringend warnen. 



^ 154 ^ 

gefolgt. Wenn aber diefes Zeugnis eines Einzigen nicht 
hinreicht, fo verweifen wir auf einen Zweiten, der auch recht 
wohl zu wißen fcheint, wie man in Deutfchland fpricht. 
Bezzenberger trifft , wie in fo vielen Punkten, auch hier 
den Nagel auf den Kopf, wenn er lieh über diefen vermeint- 
lichen phonetifchen Unterfchied von / und ß folgendermaßen 
ausläßt^): „Es ift zu unterfuchen, ob denn wirklich ein durch- 
greifender unterfchied in der ausfprache von ß und / vorliege, 
d. h. ob das ß noch einen ganz eigentümlichen /-laut be- 
zeichne, und wenn das behauptet wird, wie es doch komme, 
daß jenes in fo vielen Wörtern fo leicht verdrängt werden 
konnte, ich kann in unferem heutigen fprechen jenen nicht 
finden, daher auch nicht anerkennen, fondern bin der mei- 
nung, dafs die verfchiedene ausfprache des / nur bedingt ift 
durch feine verfchiedene ftellung im worte, ob es vor vokal 
oder konfonant, an-, in- oder auslautend, nach einem geden- 
ten oder gefchärften vokale fteht. mir fcheint es, dafs, wenn 
wir reden, wie uns der mund gewach fen ift und 
uns nicht abquälen, um einen unterfchied hörbar zu 
machen, in maußen und maufen^ g^fie und loiefe, größer und 
böfer, aßen und Za/ew, "heiße und leije, flraße und wa/e, überall 
derfelbe Maut gehört würde, gerade wie in glas und nu^ß^ 
reis und fleifi oder mus und ßuß, mos und bloß, lieft und 
gi^t, haß und lajs (müde), meßer und meffe. auch fpricht 
froceß neben procefs, verhäUniß neben Verhältnis nicht dafür, 
daß man fich einer verfchiedenen ausfprache des / bewufft 
wäre." Soweit Bezzenberger. Daß zwifchen ß und / 
kein oder wenigftens kein merklicher Unterfchied mehr in 
der Ausfprache fei, beweift auch der Reim, auf den Herr 
von Raumer einen ganz befonderen Werth zu legen fcheint. 
Um die erften heften Gedichte unferer namhafteften Dichter 
herzunehmen, fo reimt GÖthe in der „Zueignung" Wtefen 
und fließen, ein Reim, der auch in dem „frühzeitigen Frühling*' 



*) Randbemerkungen zu den von der Berliner Konferenz 
aufgeftellten Regeln für die Deutf che Orthographie S. 23. 



— 155 — 

wiederkehrt ; ferner in „Neue Liebe, neues Leben" groß und 
Z<w, in der „Dauer im Wechfel" verheißt und 6re^/)f, Schiller 
in der „Glocke" Schooße und Loofe, ri6fengroß und Jioffnungs- 
lo8, Preis und Fleiß, im „Kampf mit dem Drachen" Blöße 
und Gehröfe, im „Graf von Habsburg" Kreis und weiß, Kreis 
und heiß, in der dritten Parabel, weiß ^^^ Greis, U hl and 
im „Vorabend" läßt und feft, im „Maienthau" Stravß und 
draus, in einem feiner „Wanderlieder" verlaffen und Str<\ßen, 
Geibel in der „Minneweife" weiß und leis, im ,^ied des 
Korfaren" faßt und Maft, im „Geheimnis der Sehnfucht" 
groß und hs. Was beweifen alle diefe Beifpiele, die 
wir um Hunderte aus denfelben und andern Dichtem ver- 
mehren könnten ? Sie beweifen, daß der urfprüngliche ünter- 
fchied in der Ausfprache von / und ß am Ende des vorigen 
Jahrhunderts bereits verwifcht war, gefchweige denn daß 
er fo allgemein bemerkbar gewefen wäre, wie ihn Heyfe 
darfteilt; denn wenn auch unfere Dichter, felbft die 
heften, bisweilen in ihren Reimen nicht recht genau Und, 
fo würden doch die Stellen , wo fich / und ß mit einander 
reimen, gewis nicht fo haufenweife vorkommen, wie es 
der Fall ift, wenn ein „leicht" hörbarer Unterfchied in der 
Ausfprache diefer Laute noch beftände. Von Belang find 
befonders die Di chterft eilen, wo / und j(? in zwei Silben von 
ungleicher Quantität fich reimen, wie in los und Gefchoß 
(Schiller), in f äffen und Straßen (Schiller), in verlaffen und 
Strqfien (Uhland), in gefchoffen und großen (Uhland), in Schloß 
und Los (Uhland). Auch diefe Beifpiele ließen lieh bis zu 
Hunderten vermehren. Es ift aber nicht anzunehmen, daß 
namentlich unfere beßeren Dichter fo oft eine doppelte 
Nachläßigkeit in ihren Reimen begangen hätten, was doch 
der Fall wäre, wenn ^e außer der Quantität auch noch die 
Verfchiedenheit der Ausfprache von / und'jö* misachtet hätten. 
§ 42* Doch genug über diefe vermeintliche „fchärfere 
Ausfprache" des /?*), über welche Heyfe felbft wohl nicht klar 



*) Mehr darüber §. 47. 



— 156 — 

gewefen ift; fonft würde er lieh gehütet haben die fchon 
oben angeführte Bemerkung hinzuzufügen , daß ß „ein ein- 
facher KonTonant fei, deffen aus / und z zufammengefetztes 
Schriftzeichen nur feinen mittlem Laut zwifchen 
diefen beiden Buchftaben ausdrücken foll"; denn 
zwifchen dem y^gelinden*' /, wie es Heyfe felbft nennt, und 
zwifchen z^ welches doch =r tf^ einen „fchärferen" S-laut als 
„Mittellaut^' hervorzubringen ift ein wahres Kunftftück. 

Jedenfalls dürfte aus dem bisher Gejagten foviel hervor- 
gehn, daß der Satz, den Heyfe an die oben angeführte 
Betrachtung über die fchärfere Ausfprache des ß knüpft 
und der da lautet: „Dasj(?fteht aljo (sie), richtig ange- 
wendet, nur nach einem gedehnten Vokal oder 
Doppellaute^', *) eine Regel enthält, die wieder ohne alle 
und jede Begründung ift , alfo lediglich in der Luft fchwebt. 
Muß etwa die Stellung des ß nach einem gedehnten Vo- 
kale — „alfo" ift doch eine ftreng folgernde Partikel — 
aus der vorhergehenden Bemerkung über die fchärfere Aus- 
fprache des fi und aus den hinzugefügten Beifpielen gefolgert 
werden? Wir haben aber gefehn, daß es mit diefer vermeint- 
lichen fchärferen Ausfprache des ß (ehr mislich fteht und 
daß fie jedenfalls viel zu unficher ift, um darauf einen andern 
als einen erfchlichenen Beweis zu gründen. Und zugegeben, 
daß sich j(? wirklich von/ durch eine fchärfere Ausfprache 
unterfcheide, folgt denn daraus in aller Welt, daß j(; nur nach 
einem gedehnten Vokale oder Doppellaute fteht? 
Sollte der gefchärfte Vokal in Wcßer, wifien, müßen u. f. w. 
die fchärfere Ausfprache des ß unmöglich machen ? Wir 
möchten aus folgendem Grunde gerade das Gegentheil be- 
haupten: Es ift nemlich der natürliche Gang der Dinge und 
entfpricht ganz dem Wefen der Sprachorgane, daß die Schärfe, 
mit der man einen Vokal ausfpricht, auf den folgenden Kon- 



*) Die letzten Worte von „nur" an find in der Grammatik 
felbft als befonders wichtig durch gefperrte Lettern her- 
vorgehoben. 



— 157 — 

fonanten einwirkt, der nun in Folge davon meiTt verdoppelt, 
in einzelnen Fällen auch aspiriert wird. {Magd Macht, mögen 
möcTUen, regen Rechen, ragen Rachen u. f. w.). Hiemach würde 
es an fich, d. h. wenn die Gefchichte von dem fchärferen Tone 
des ß überhaupt an dem wäre , nichts auffallendes oder an- 
ftößiges haben, daß nach einem gefchärften Vokale außer 
j7 auch das fchärferej(? ftände, nur daß man lieh über die- 
Ten unter den obwaltenden Umftänden ganz unmotivierten 
Wechfel zwifchen ß und ff doch höchlich verwundem müfte. 
Daß aber das fchärferej^? gerade nach einem gedehnten 
Vokale und ,,nur^^ nach einem gedehnten Vokale 
ftehn Toll, das ift eine Regel, die gegen die einfachften Grund- 
fötze der Orthographie verftößt. Wenn nemlich bei H e y f e *) 
mit gefperrten Lettern gefchrieben fteht: „Nach jedem 
gedehnten Vokale fchreibe man den unmittelbar 
darauffolgenden Konfonanten einfach,^^ und weiter 
unten: „Da eine Silbe mit einem Doppelvokal jederzeit 
gedehnt gefprochen wird, fo kann kein verdoppelter 
Konfonant darauf folgen,^' fo ift dies ganz richtig; 
wenn man aber diefer orthographiTchen Hauptregel auf den 
Grund geht, fo wird man finden, daß üe, wie die oben ange- 
führte über die Wirkung des gefchärften Vokals, ganz 
natürlich entfpringt aus der natürlichen Befchaffenheit der 
Sprachorgane. Wie nemlich die Schärfung eines Vokals 
d. h. mit ändert! Worten die Haft, mit der man einen Vokal 
fpricht, auf den folgenden Konfonanten übergeht, fo theilt lieh 
auch die Dehnung eines Vokals oder mit andern Worten 
die Zögerung, mit der man einen Vokal fpricht, nothwendig 
dem unmittelbar folgenden Konfonanten mit uud macht auf 
diefe Weife eine Verdoppelung oder Aspirierung oder Schär- 
fung (fcharfe Ausfprache) diefes folgenden Konfonanten ge- 
radezu unmöglich. Ja wenn man felbft annehmen wollte, was 
man nicht annehmen kann, daß die Stimme in Wörtern, wie 
ü^en^ hinter dem gedehnten Vokale urplötzlich inne hielte 



*) Oben angef. Grammatik S. 24. 



— 158 — 

und von neuem fcharf ausholte, um das unvorbereitete fcharfe 
j(? hervorzubringen , die Behauptung, daß ß nur nach 
einem gedehnten Vokale oder Doppellaute ftehe, 
ift und bleibt ohne Erklärung und ohne EntTchuldigung. Die 
oben angeführte Heyfifche Regel enthält alfo erft dann 
eine Wahrheit, wenn He gerade umgekehrt lautet: T>slb fi 
(tehtfalfch angewendet nur nach einem gedehnten 
Vokale oder Doppellaute. Und doch ITt gerade diefer 
in den Lüften fchwebende Lehrfatz, d&fS ß „richtig ange- 
wendet nur nach einem gedehnten Vokal oder 
Doppellaute ftehe,^^ der Mittelpunkt, um den fleh die 
ganze Heyfifche Regel über die S-laute dreht. Und von 
diefer Heyfifchen Vorfchrift hat Herr von Raumer in 
der 5. Sitzung der OrthographiTchen Konferenz (Verhandlungen 
S. 98) alles Ernftes behauptet, ,4hre volle Durchführung 
fei die nothwendige Konfequenz unferes ganzen 
Schreibfyftems". 

Das und ein paar Variazionen nicht gerechnet die beiden 
Hauptarten, wie man die S-laute gegenwärtig fchreibt, die 
Gottfched - Adelungfche und die Heyfifche. Die er- 
ftere hat als die ältere aus Gründen, die wir bereits ange- 
deutet (§ 39 a. E.), die große Mehrheit der Schreibenden auf 
ihrer Seite, die letztere hat dafür die Billichung und Empfeh- 
lung der OrthographKchen Konferenz gefunden. Daß beide 
völlig unhaltbar find, glauben wir mehr als nSthig dargethan 
zu haben; denn weit entfernt auch nur den mindeften Anfprnch 
auf Wißenfchaftlichkeit zu haben find beide im vollften und 
eigentlichften Sinne des Wortes als ,»Er findungen der 
Willkür" zu bezeichnen. 

$ 43« Wenige haben das Alles fo klar empfunden und 
haben fo frei und kühn fich losgerißen von dem Gängelbande 
eines gedankenlofen Herkommens, wie Bezzenberger*). 
Schade daß er gerade bei diefer fchwierigfteu orthographiTchen 
Frage in einem Anfalle von fentimentaler Rückficht auf den 



*) A. 0. S. 22 ff. 



— 159 — 

herrfchenden Schreibgebrauch , die feiner Anficht von dem 
fogenannten usus wie feiner kernigen Natur fonft gänzlich 
fremd ift, dennoch den. Weg, den er im vorliegenden Falle 
als den einzig richtigen erkannt, nicht eingefchlagen hat. 
Er ift auf diefe Weife mit fich felbft in einen gewiffen Wider- 
fpruch gerathen ; indem er nemlich den rechten Weg bloß des- 
halb mied, um „nicht gegen den Strom zu fchwimmen,'' was 
er getroft unternehmen durfte, weil ihn viel ftarke Arme 
hielten, muß er nun als Begründer einer neuen verzweifelten 
Schreibmethode wider den allgemeinen Strom allein und mit 
um fo geringerem Erfolge ringen, da die Deutfche Welt gerade 
in der Orthographie nichts weniger als gewaltfame Mittel liebt. 
Aber freilich blieb ihm, wenn er einmal die bisherige wüfte 
Schreiberei verwarf, nur noch die Wahl zwifchen der hifto- 
rifchen Schreibweife und zwifchen dem radikalen Verfahren, 
das den Buchftaben, der uns unbequem ift, weil wir nichts 
damit anzufangen wißen, sans fa9on tilgt. Wenn man ein- 
mal aus lauter hinfälligen Gründen dem ß fein hiftorifches 
Recht nicht geben will, so ift es allerdings viel beßer, man 
macht es wie Bezzenberger d. h. man ftreicht das J^ aus 
dem Deutfchen Alfabete und begnügt lach und behilft fich mit 
einem Schriftzeichen für den S-laut, was nebenbei den 
großen Yortheil hat, daß man den „Zankapfel j(?^^ nun endlich 
los wird. 

§ 44« Es liegt auf der Hand, daß der neue Weg, den 
neuerdings der entfchloßene Bezzenberger betreten hat, die 
S-laut- Angelegenheit mit nichten vereinfacht, fondern nur noch 
verwickelter und verwirrter macht. Denn da fich annehmen 
läßt , daß auch das Bezzenbergifche Syftem fchon um 
des „abgekürzten Verfahrens'' willen einen zahlreichen Anhang 
findet, fo gibt es nun die hiftorifche Schreibart, auf die 
wir fogleich zu fprechen konmien, hinzugerechnet in der 
Schreibung der S-laute im Ganzen vier Hauptparteien. 

Diefe diffentierenden Parteien auf Grund einer wißen- 
fchaftlich beglaubigten Schreibweife zu einigen — denn auf 
diefe Einigung läuft ja doch die ganze orthographifche Be- 



— 160 — 

wegung der Gegenwart liinaas — ift fchwer und dock auck 
äußerft leicht. Es iTt fchwer; denn nicht bloß unter den 
Gewohnheitsmenfchen , die nun einmal fünf Sechstheile des 
fchreibenden Publikums bilden und beinah zu dielen vollen 
fünf Sechstheilen der Gottfched-Adelung fchen Schreib- 
weiTe blind ergeben find, fondem auch unter den Sprach- 
gelehrten, namentlich unter den Mitgliedern der Orthogra- 
phifchen Konferenz , die fich als folche einer befonderen 
Autorität erfreuen, herrfcht gerade gegen die einzig richtige 
Schreibung der S-laute eine folche Eingenommenheit, daß es 
fchwer halten wird derfelben die allgemeine Anerkennung zu 
verfchaffen, die ihr gebührt. Läßt doch das Haupt der Or- 
thographifchen Konferenz, Herr von Raumer, nur die Wahl 
zwifchen der Heyfifchen und der Gottf ched - Ade- 
lung fchen Schreibart und findet es „fehr auffallend*), daß 
auch Herr Stier die fogenannte (sie) hiftorifche Schreibung 
der Zifchlaute in Schutz nimmt." 

Und doch ift es anderfeits recht leicht eine Einigung zu 
fchaffen. Denn fo troftlos die Lage der Dinge wäre, wenn 
ein Anhaltepunkt für einen yernünftigen und geregelten Ge- 
brauch der S-laute fich nirgends fände, fo tröftend ift das 
thatfächliche Vorhandenfein einer auf wißenfchaftlichem Grunde 
ruhenden Schreibung diefer Laute, und zwar einer Schreibung, 
die fo einfach und fo leicht ift und an die man fich befonders 
deshalb, weil ^e in den meiften Punkten mit der herrfchenden 
Schreibweife übereinftimmt, fo leicht gewöhnt, daß es kaum 
zu erklären ift, warum man nicht fchon längft mit beiden 
Händen nach diefem rettenden Mittel gegriffen hat, um aas 
der namenlofen Verwirrung, die nun vier ganze Jahrhunderte 
hindurch über die S-laute geherrfcht hat, endlich im 19. Jahr- 
hunderte mit Ehren herauszukommen. 

Oder hilft das fogenannte phonetifche Prinzip aas 
diefer Verlegenheit? Hat etwa Herr von Baumer als Er- 
finder des phoueti fchen Prinzips aus der Verlegenheit 



* 



) Gef. fprachw. Schriften S. 263. 



— 161 — 

geholfen? Er läßt, wie wir fchjon fagten, zwifcben den beiden 
unhaltbaren Schreibweifen , der Gottfched-Adelung fchen 
und der Heyfi fchen, die Wahl. Er felbft bedient fich in 
feinen „Gefammelten Schriften^^ von Anfang bis zu Ende der er- 
fteren. Schon daraus geht unwiderleglich hervor, daß diefe einen 
ftreng phonetiTchen Karakter hat ; fonft würde Re Herr v o n R a u «- 
m e r perhorreszieren. Noch höher aber ftellt Herr von Rau- 
mer die letztere Schreibart, woraus man fchließen muß, daß 
ihm die Heyfi fche Schreibart in phonetifcher Beziehung 
noch mehr behagte als die Gottfched - Adelungfche. 
Und wirklich behauptet er von ihr, daß fie unter den 
verfchiedenen Arten, auf welche man die jetzt gültige Aus- 
fprache (der S-laute) zu bezeichnen gefucht habe, den Laut 
am genauften wiedergebe, überhaupt unter den gegebenen 
Schreibweifen die phonetifch angemeßenfte fei*). Die 
„fchärfere Ausfp räche** des ß, die bei Heyfe eine 
Hauptrolle fpielt, beruht nun zwar, wie wir bewiefen zu haben 
glauben, auf einer argen Teufchung. Indeffen thut dies 
dem phonetifchen Karakter der Heyfi fchen Schreibung 
keinen Eintrag : ({fien bloß Geföß genießen groß grüßen u. f. w. 
werden genau fo gefchrieben wie man ße fpricht. Kurz in 
phonetifcher Beziehung ift gegen keine der beiden genannten 
Schreibweifen etwas einzuwenden. Und es ift dies ganz 
natürlich; denn wir Deutfche fchreiben nun einmal inftinkt- 
mäßig und ganz von felber, ohne uns erft durch eine gram- 
matifche Yorfchrift beftimmen zu laßen , jedes Wort genau fo, 
wie es gefprochen wird (§ 14). Nun ift aber nachgewiefen 
worden, daß die Gottfched- Adelungfche fowohl wie 
die Heyfifche Regel über die Schreibung der S-laute vom 
fprachwißenfchaftlichen Standpunkte aus beide als „Erfindungen 
der Willkür" zu betrachten und deshalb unbrauchbar find. 
Dazu kommt, daß ß und ff nach gefchärffcen und nach ge- 
dehnten Vokalen auch / und ß fchon feit Jahrhunderten faft 
durch ganz Deutfchland hindurch überein gefprochen werden, 



*) Gef. fprachw. Schriften S. 279. 

Eisen, Deutsche Orthographie. -- 11 



— 162 — 

eine Thatfache, die eben Bezzenbergers originellem Yor- 
fchlage zu Grunde liegt. Da aber das urdeutTche ß aus 
wißenTchaftlichen , befonders etymologifchen , Gründen durch- 
aus nicht fehlen darf im Deutfchen Alfabete, fo fragt üch: 
wie find denn nun eigentlich die S-laute zu fchreiben, wenn 
,fie, wie feftfteht, weder nach Gottlched- Adelungfcher 
Methode, noch nach der Heyfifchen Regel, noch nach 
Bezzenbergers Vorfchlage gelchrieben werden dürfen ? und 
wie unterfcheiden üch / ß und jf in der Schrift , wenn , wie 
feftfteht, ihre Ausfprache in Deutfchland im Großen und 
Ganzen fchon längft diefelbe geworden ift? Gibt hier etwa 
das fogenannte phonetifche Prinzip mit feiner fchön 
klingenden, aber für uns Deujtfche ganz überflüßigen Regel 
yjBring deine Schrift und deine Ausfprache möglichft in Uber- 
einftimmung'^ irgend welche Auskunft? Wir möchten den 
kennen, der auf diefe Frage mit ja antwortete. Das hifto- 
rifche und nur das hiftorifche I^rinzip hilft hier leicht 
und fchnelL 

§ 45. Wenn Herr von Raumer in feinen ,, Weiteren 
Beiträgen zur Deutfchen Rechtfehreibung"*) erklärt: „Die 
fogenannte (sie) hiftorifche Schreibung (der S-laute) ver- 
wirft das ganze bisherige Prinzip und fucht an defCen 
Stelle ein neues zu fetzen", fo ITt dies nicht wahr. Des Herrn 
von Raumer Abhandlungen über die Deutfche Rechtfchrei- 
bung ftammen aus den Jahren 1855—1857. Wenn alfo 
Herr von Raumer an einer Stelle diefer Abhandlungen von 
einem „bisherigen Prinzip e" fpricht, fo kann damit nur 
eines gemeint fein, das vor 1855 als folches beftand. £s gab 
aber vor jenem Jahre notorifch zwei Prinzipe der Rechtfchrei- 
bung, nemlich das in die ältere Zeit hineinreichende etymo- 
logifche und das noch vor 1820 von Jakob Grimm zu- 
gleich mit der hiftorifchen Schreibung begründete hifto- 
rifche Prinzip; an ein phonetifches Prinzip der Recht- 
fchreibung als folches hat vor Herrn von Baumers Auf- 



* 



) Gef. fprachw. Schriften S. 277, § 12. 



— 163 — 

treten, alfo vor 1855, keine Menfchenfeele gedacht, wiewohl 
es fchon damals keinen Menfchen gab, der auch nur hn min- 
derten gezweifelt hätte an dem phonetifchen Karahter 
iinferer Sprache. Meint nun Herr von Raumer wirklich, 
die hiftorifche Schreibung der S-laute habe das ganze 
etymologifche Prinzip — denn dies war außer dem hiTto- 
rifchen das „b i s h e r i g 6" Prinzip — verworfen und an deffen 
Stelle ein neues — natürlich das hiftorifche*) — zu fetzen 
gefucht? Unmöglich; denn das hätte ja weder Sinn noch 
Yerftand, llntemal das etymologifche und das hiftorifche Prin- 
zip einander ergänzen, ja fo innig verlchwiftert find, daß üq 
fich in vielen Fällen gar nicht trennen laßen, und das hifto- 
rifche Prinzip damals^ nicht neu, fondern über 30 Jahre alt 
war. Die Sache liegt vielmehr gerade umgekehrt fo : Herr 
von Raumer verwarf die ganzen bisherigen Prin- 
zipe, das etymologifche und das hiftorifche, und 
fuchte an deren Stelle ein neues, dasphonetifche, 
zu fetzen. 

Nun wir haben uns über diefes fogenannte phonetifche 
Prinzip genugfam ausgefprochen (§ 12 — 30). Wir glauben 
aus den Verhandlungen der Orthographifchen Konferenz **) mit 
Freuden zu erfehn, daß Herr von Raumer nicht mehr ganz 
aufgeht in dem allein feligmachenden phonetifchen Prin- 
zip e , fondern auch dem etymologifchen und dem h i ft o - 
rifchen Prinzipe fich zu nähern beginnt. Wir wünfchten 
nur, er hätte dies fchon in den Jahren 1855 — 57 und hätte 
es etwas unbefangener und offener gethan, fo unbefangen wie 
Bezzenberger, der das hiftorifche Prinzip auch nicht an- 
nimmt, aber doch keinen Anftand nimmt offen zu bekennen ***) : 
„Ich für meine perfon bin ein Verteidiger des ß^ 



*) Es würde auch wohl richtiger heißen, das hiftorifche 
Prinzip fuche an Stelle der bisherigen Schreibweife eine 
neue zu fetzen als umgekehrt. 
**) S. 71—74. 
***) A. 0. S. 22. 

11* 



— 164 — 

wo es mittelhochdeutfcbem j oder 55 und nieder- 
deutfchem t entfp rieht, ziehe alfo nq/^ näße fcJdqß 
fchlüßel u. f. w. zu fchreiben vor, weil damit der etymo- 
logifche zuTammenhang der yröti^r (naß netae) ge- 
wart wird und die regel im Unterricht fich in der 
tat leicht durchfiiren läfft, wie ich aus erfarung 
weis." 

§ 46* Mit diefer offenen Erklärung iTt zugleich die 
hiftorifche Schreibung der S- laute in nuce angegeben, fo 
daß wir kaum noch nöthig haben darüber auf die Grammatiken 
von J. Grimm, Hoffmann, Kehrein, fowie auf das Wör- 
terbuch von W e i g a n d und auf die tüchtige Schrift von A n - 
dreien*) zu verweilen. Natürlich wird bei diefer Verwen- 
dung des Nhd. fi da, wo Altdeutfehes j ftand , vorausgefetzt, 
daß jenes erftere fich. als rechtmäßigen Erben des letzteren 
auBweift. Diefen Ausweis gibt aber unfer heutiges ß in vollem 
Maße. 

Daß nemlich beim Übergänge des Mhd. ins Nhd. zu 
gleicher Zeit ein urdeutfcher Konfonant urplÖtzUch aus 
dem Alfabete auf Nimmerwiederfehn verfchwunden und ein 
noch nie gefehener Konfonant urplötzlich im Alfabete aufge- 
taucht wäre, ift unter allen Umftänden ein Ding der Unmög- 
lichkeit. Anderfeits deuten gewiffe fprachliche Erfcheinungen 
ziemlich iicher darauf hin, daß Mittelhochdeutfches j nicht etwa 
verfchollen ift im Laufe des 15. Jahrhunderts, fondern im 
Neuhochdeutfchen in anderer und zwar keineswegs zu feinem 
Nachtheile veränderter Geftalt noch fortbefteht. 

Wir treffen nemlich im Nhd. eine Menge Wörter, in 
denen nach gedehntem Vokale das heutige ß ganz an dem- 
felben Platze fteht , an welchem im Mhd. das Zeichen 5 fich 
findet. Beißen mhd. %en, Am-hoß mhd. anaboj, Buße mhd. 



*) J. Grimm Gr. I, 162 ff. Ho ff mann neuhochdeutfche 
Schulgrammatik (2. Aufl. 1853) S. 17, § 24. Kehr- 
ein Gramm, der neuhochdeutfchen Sprache S. 52, §93. 
Weigand Deutfehes Wörterb. H, 852. Andrefen 
Deutfche Orthographie S. 105 ff. 



— 165 — 

ImosBy dreißig mhd. drisec^ verdr^fien mhd. verdrießen, Fleiß 
mhd. vUjy Fuß mhd. vwö»5, Geiß mhd. gei^, gi^en mhd. giejen, 
groß mhd. flrrdf, großen mhd. grüe^en, he\ß mhd. Äe^, heißen 
mhd. heilen, SchtdtJieiß mhd. fchult-^^j«, .EZq/? mhd. Ä;/o5, ilib[/? 
mhd. nmje. Und fo noch in etwa 24 andern Wörtern, die 
alle anzuführen wohl fchwerlich nöthig iTt. Befonders klar 
aber, ja — wir möchten fagen — unwiderleglich geht aus 
folgender ThatTache hervor, daß unfer jetziges ß ganz an die 
Stelle des Altdeutfchen j getreten iTt. 

Wir begegnen nemlich fchon im Altdeutfchen einem 
häufigen Wechfel der harten und weichen Aspirate*). Wie 
alfo in der Lippenreihe im Ahd. die harte Aspirata / und 
im Mhd. die weiche Aspirata v vorherrfcht, und wie im Mhd. 
felbft und zwar in der Gaumenreihe nach und naher, hoch und 
hoher, fehen und gefichte u. f. w. mit ihren beiden Aspiraten 
nebeneinander gehn, fo wechfeln fchon im Mhd. die beiden 
Aspiraten der Zahnreihe ß und z (nach gefchärftem Vokale 
inlautend tzj. Alfo e55en atzen, glijen glitzenen, griej, grütze, 
ha5 hetzen, heiß hitze, Tdoß klotz, mäje metze, na5 netzen, r^en 
ritzen , fchi^en (fchu3) fchiitze , fitzen f e 3 3 e 1 , fintjen fchmttze, 
fwe^ ßmtzen, w i 3 3 e n witze ] ja felbft in einem und demfelben 
Worte und zwar in fitzen faj gefe53en findet diefer Wechfel 
ftatt. Sehen wir uns nun in Bezug auf den befagten Laut- 
wechfel im Nhd. um. Hier finden wir die nemliche Erfchei- 
nung , nur daß an der Stelle des Mhd. j überall ß fteht und 
daß nach gefchärftem Vokale der Unverftand d. h. der 
Mangel an Verftändnis für das ß inlautend ein ff^*) und aus- 



*) Wir wißen wohl, daß diefe Eintheilung der Laute, wo- 
nach f und V die Aspirate der Lippenreihe, ch und h 
der Gaumenreihe , z und ß der Zahnreihe und zwar /, 
ch, z die harten, v, h und j(? die weichen find, von den 
neueren Lautphyfiologen verworfen worden ift ; wir fühlen 
aber kein Bedürfnis diefe wohlbegründete und bewährte 
Eintheilung aufzugeben zu Gunften gewiffer neu auftau- 
chender Theorien, die nichts weniger als fpruchreif find. 

**) Etwas anderes ift es natürlich bei dem einftigen Matadore 



— 166 — 

lautend nach He y fe s Hegel ein ja eingeführt hat. Alfo — um 
zunäehft die entfprechenden Beifpiele mit gedehntem Stamm- 
vokale anzuführen — gleißen (blendendes Licht von fich 
werfen) glitzern ^ Grieß Grütze , heiß Hitze y KUß Klotz , Maß 
Metze, reißen ritzen, fchießen Schütze, fchme^ßen [Schmitze, 
Schweiß Jchioitzen , fqß fitzen. Kann es einen fprechenderen 
Beweis dafür geben, daß im Nhd. ß ganz derfelbe Laut ift, 
den man im AltdeutTchen durch 5 bezeichnete? 

Wenn dem aber fo ist, wenn in dem heutigen Neuhoch- 
deutfchen ß das Mittelhochdeutfche j leibhaftig fortlebt — 
und die Form felber fpricht dafür*) — fo haben wir nun 
für die Behandlung des Jahrhunderte lang mishandelten ß 
einen feften Grund und Boden. Aber freilich gelangt man 
auf diefer feften hiftorifchen Grundlage zu ganz anderen 
Refnltaten, als Gottfched, Adelung und Heyfe, die 
ihre Gebrauchsanweifung für die S-laute lediglich aus ihrem 
Kopfe nahmen. Zuvorderst liegt nun wohl klar am Tage, in 
wie fern das ß trotz feiner phonetifchen Einerleiheit mit / und 
ff doch im Nhd. unentbehrlich, mithin auch Bezzenbergers 
auf die Tilgung des ß ballerte Schreibweife uneinnehmbar ift. 
Indem man nemlich dem getilgten ß einfaches oder doppeltes 
/ unterfchöbe , riße man, wie obige Beifpiele zeigen, das 5 
gewaltfam los von einem lautlichen Genoßen, von dem es 
etymologifch unzertrennlich ift, und brächte es in unnatür- 
liche Verbindung mit einem Laute, der ihm fern liegt. Wir 
haben ferner gefehn , daß Geh das alte ebbte 5 in der Form 



der hiftorifchen Schreibung der S-laute, bei Jakob 
Grimm, wie bei feinem Jünger Hoff mann. Daß 
fjQ — der erftere feit den dreißiger, der letztere feit 
den fünfziger Jahren — in Bezug auf die S-laute mit Sack 
und Pack ins gegnerifche Lager liefen, war natürlich nicht 
Mangel an Verftändnis, fondern, wie wir leider nicht umhin 
können zu behaupten, Karakterfchwäche. S. unten § 47. 
*) S. oben § 38 Anm. Wenn H f f m a n n jetzt, feit er ge- 
fchwenkt hat, auf einmal finden will, daß „unfer ß dem mhd. 
5 nicht völlig entfpricht", fo haben wir für diefe Behauptung 
vergebens auch nur einen Schatten von Beweis gefucht. 



— 167 — 

X?inwenigftens50DeutfchenWörternunverfehrt 
erhalten hat. Wird man es nicht, um nach jahrhundert- 
langen Verwirrungen endlich auf den rechten Weg zu kommen, 
für rathfam halten an der dargebotenen rettenden Hand noch 
einen Schritt weiter zu gehn und dem bisher fo fchmählich 
verwahrloften ß auch in den übrigen Wörtern, in 
denen die Schreibung fchwankt und wo im Mhd. 
ein 5 fteht, zu feinem Bechte zu verhelfen ? Es wird dann nach 
langen Wirren in der Schreibung der S-laute wieder Sinn und 
Verftand und Ordnung und Einheit walten. 

§ 47* Freilich ift gerade hier eine ungeheuere Schwierigkeit 
zu überwinden. Man hat Üch eben nachgerade hineingelebt 
in den Gedanken, daß ß v^mt nach gedehnten Vokalen 
oder Diphthongen, nach gefchärften Vokalen 
dagegen ff (fs) fteht. Obgleich diefe weitverbreitete An- 
ficht auf einem groben Irrthume beruht und allerhand Mis- 
geburten, wie effen aß gegeffen oder gar heißen Ufa gebiffen^ 
fließen flofs gefloffen^^ u. f. w. zu erzeugen geeignet ift, fo 
hat doch das unfelige Misverftändnis feit drei bis vier 
Jahrzehnten neue Nahrung und neuen Halt bekommen durch 
den Abfall zweier Männer, die man gerade in Bezug auf die 
hiftorifche Schreibung der S-laute als Koryphäen zu be- 
trachten gewohnt war. Der erfte diefer Abtrünnigen ift 
der Altmeifter Jakob Glrimm felber, der Gründer der 
hiftorifchen Grammatik und des hiftorifchen Prinzips der 
Wortfehreibung, er, der einft gerade in der Schreibung der 
S-laute den richtigen Weg gezeigt hat, um 20 Jahre fpäter 
felbft wieder auf Abwege zu gerathen. Was wir. von Jakob 
Grimm wißen, berechtigt zu dem Schluße, daß es mit nichten 
beßere Überzeugung war, die ihn vermochte die hiftorifche 
Schreibung der S-laute kleinlaut und ftillfchweigend wieder 
aufzugeben. Noch heute fteht in feiner Grammatik fchwarz 
auf weiß gefchrieben und wird hier ftehn bleiben, fo lange 
die Welt fteht: „Dasjtfkann durchaus nicht als ver- 



*) S. Heyfe Schulgr. 22. Aufl. S. 45, Anm. 2. 



~ 168 - 

wandt mit / und ff betrachtet werden", und an einer 
anderen Stolle: „Der Inlaut ff unterfcheidet fich Ur- 
fprung und Ausfprache nach genau von dem in- 
lautend e n j(?** *). Was foU man denken, wenn man dann von 
demfelben JakobGrimmim Deutfchen WÖrterbttche (1, 3) ge- 
fchrieben findet: „Der Auslaut bz liebt vor fich kurzes a und 
geht inlautend über in bs\ erhlaffen^ doffe, haffen, laffes 
(muß wohl heißen laffen)y naffes waffer^' ^ ja wenn derfelbe 
Jakob Qrimm den Grundfatz: j,nach kurzem VoJeal es, 
nach langem ß zu fchreihen^* (z. B. floffe Floße) einen 
von Adelung recht gehandhabten ilennt und uns aus- 
drücklich für unbefugt erklärt feiner eigenen früheren Schrei- 
bung: ^(ßn, Waßety zu folgen**). Ein folcher Umfchlag ift 
nur erklärlich, wenn man annimmt, daiS der über Alles brave, 
aber bang gemachte Mann damit ein Zugeftändnis gemacht 
habe an den allmächtigen ufus. Der zweite Abtrünnige ift 
des großen Meifters eifrigfter und — man kann wohl fagen — 
eingeweihtefter Jünger Karl Auguft Julius Ho ff mann. 
Noch heute fteht in feiner Schulgrammatik fchwarz auf weiß 
gefchrieben : „Das ß kann fich nicht in ff verwandeln ; Schluff 
Fhiß u. /. w. find alfo im Plural und in allen verlängerten Formen 
ftets mit j(? zu fchreiben: Schliiße FlUße*^ etc. Und an einer 
andern Stelle : „Die gewöhnlich geltende Regel: nach 
langen Vokalen und Diphthongen fteht j(?, nach 
kurzen betonten Vokalen jfjT, kann von der hiftori- 
fchen Grammatik nicht anerkannt werden. Die 
Kürzeoder Längedeehetonten Vokals hat nicht die 
Fähigkeit einen folgenden Konfonanten in feinem, 
Wefenzu ander n". Und an einer dritten Stelle : „Jedenfalls 



*) Grimm Gr. I, 166 und 171. Was da von der Aus- 
fprache des ß gefagt wird , gilt eben nur von der ur- 
fprünglichen ; jetzt lauten ß und ff überein, woraus 
natürlich nicht folgt , daß ß und ff auch in der Schrei- 
bung vertauf cht werden können. 
**) S.Michaelis treffliche Schrift ÜberJakobGrimms 
Rechtfehreibung S. 49. 



— 169 — 

darf der von Grimm aufgeftellte Satz, j(? gehe inlautend 
i n jpT über , als ein Irrtum angefehen werden" *). Was foU 
man dazu fagen, wenn derfelbe Hoffmann 20 Jabre fpäter 
in feiner Neubocbdeutfcben Elementargrammatik unter anderen 
Begelchen folgende gibt: „Im Inlaut fchreibt man nacb ge- 
fcbärften und nacb kurzen tief tonigen Vokalen nur ß nnd ff 
und zwar 

1. jS vor Konfonanten; JiaJH, lc{j(H, 

2. /jT.vor Vokalen : Gaffen, laffen — Kmntniffe,'' 
und weiter unten: 

„Der Auslaut ift in den meiften Fällen durch den In- 
laut zu beftimmen. Die Regel ift folgende: 

a. fteht im Inlaute fi und ff, fo bekommt der Auslaut ßi 
grüßen, Grvß — laffen, Iqß u. f. w." **) ; 
was foll man .dazu fagen, wenn man in der Vorrede zu der- 
felben Grammatik vom Jahre 1858, da, wo der Verfaßer eine 
Art Rechenfchaft von feinem Übertritte zu den Adelungern 
ablegt, unter Anderem lift: „Nun noch ein Wort über die 
Orthographie, die fchwache Seite unferer (?) Grammatik. Man 
wird in diefer Auflage eine Neugeftaltung des ganzen Kapitels 
finden. Dazu mufte die ganze Lage der Sache einladen. 

Denn im Allgemeinen find, man kann es nicht 

Terkennen, die Acten über diefen Gegenftand gefchloffen (1) 
und an eine prinzipielle Umgeftaltung unferer Schreibung 
denkt jetzt niemand mehr (?). Es wird deshalb auch wohl 
kaum jemand Wunder nehmen, daß ich bei diefer Auflage 
meines Buches zu der gewöhnlichen Schreibung der S-laute 
zurückgekehrt bin. Wenn ich mich in diefer Hinlicht in 
gleicher Lage mit Adelung befinde, der zuletzt auch zum 
Gewöhnlichen zurückgieng, fo erklärt fich dies einfach daraus, 
daß die Anfichten aufhören müßen, fobald der Tatbeftand klar 
vorliegt. Dies ift gegenwärtig der FalP^ Und in diefem 



*) Neuhochd. Schulgrammatik. 2. Aufl. § 24 mit Anm. 1 
und Anhang S. 256. 
**) S. Neuhochd. Elementargrammatik. 9. Auflage beforgt 
von Dr. S chuf ter, § 25, S. 34. 




— 170 — 

Tone geht es noch zwei ganzte Seiten fort, wiewohl das 
merkwürdige Geftändnis mit unterläuft: „Für jetzt fcheint es 
in diefem und in ähnlichen fraglichen Punkten jeden- 
falls noch das ratfamße die Entfcheidung aus 
dem Mhd. zu holen'^*). Kurz auch der treffliche Hoff- 
mann hat, wiewohl zögernd und nicht ohne lieh noch 'an 
dem Rockzipfel der hiftorifchen Schreib weife feftzuhalten, in 
dem Gebrauche der S-laute fein Knie gebeugt vor dem 
Tyrannen usus. 

§ 48« Nun, daß der Meifter feine Jünger in diefem 
Punkte fo auffallend im Stiche gelaßen und daß es einer von 
diefen ihm nachgemacht hat, das ändert an der Sache natür- 
lich nichts. Die hiftorifche Schreibung der S-laute ift und 
bleibt die einzige Rettung. Es gibt keinen andern Weg, um 
aus dem Wirrwarr herauszukommen; es wäre denn daß man 
ä^SLBßg&nzYon fich würfe, und das darf man eben nicht. Wir 
wollen nicht Ameifie auß Bimßftein Binße h\fi (donec) daß 
(als Pronomen und Artikel) eß -eß (als fächliche Endung im 
Nominativ und Akkufativ z. B. gut-eß)^ auch nicht Erhße 
feißt Gemße Krebß Kreiß Looß Ohßt Samßtag Simß ge- 
fchrieben wißen, wiewohl das Mhd. hier überall, in Samßtag 
wenigftens zum Theil, ein fi hat 3 denn die Schreibung mit 
dem / {s) fteht hier feit Jahrhunderten feft und fchwankt 
nicht. Auch ift es wohl unerhört , daß ß und ff (fs) als zwei 
ihrem Urfprunge und Wefen, wie ihrer urfprünglichen Aus- 
fprache nach verfchiedene Laute in den Formen desfelben 
Wortes wechfeln (beißen biß gebißen), gleichviel ob ein langer 
oder ein kurzer Vokal vorangeht. Daß fich aber der weiche 
D-laut (= df) in der täglichen Umgangsfprache , zumal in- 
lautend, allmählich abftieß, während der härtere T-laut 
in dem z (= t) entweder haftete oder höchftens in 5 (ß) 

*) S. die Vorrede zu der genannten Grammatik S. V ff., 
bef. S. VI. Das war wohl der gröfte Irrthum Hoff- 
manns, daß er wähnte, die Frage über die Schreibung 
der S-laute wäre erledigt. Sie war damals noch fehr 
verwickelt und ift jetzt verwickelter als je. 



— 171 — 

fich erweichte, wie in bi-ze (hitze) hi^, das ift weder unnatür- 
Uch noch ohne Beifpiel; wir haben wenigfiens eine ganz ähnHche 
Erfcheinung im Italienifchen, wo das g vor e und i (= dfch) feinen 
D-laut in der Ausfprache, befonders inlautend, allmählich faft 
bis zur Unhörbarkeit verloren hat. Wo aber die bisherige 
Schreibung der S -laute nicht den geringften Grund und Boden 
hat und auch noch gegen Vernunft und Wißenfchaft verftößt, 
wie dies bei der Gottfched- Adelungfchen Schreibweife 
durchaus und theilweife auch bei der Heyfifchen der Fall 
ift, und wenn zu alle dem auch noch hinzukommt, daß — 
einzelne Abarten nicht gerechnet — zwifchen der Gott- 
fched-Adelung fchen und der früheren und fpäteren H e y f i- 
fchen und zwifchen den zwei genannten und der Bezzen- 
bergfchen S ehr eib weif e , die ebenfalls ihren Anhang zu 
finden anfangt , ein ewiges Schwanken ftatthat , da muß man 
es als ein Glück betrachten, daß überhaupt eine Schreibung 
der S -laute vorhanden ift, die auf ficherem wißenfchaftlichem 
Grunde ruht und üch überdies empfiehlt durch Ordnung und 
Klarheit. 

Der Verfaßer diefer Schrift hält fich durch eigene lang- 
jährige Praxis für berechtigt fein ürtheil über den Gebrauch 
der S-laute vorzugsweife mit in die Wagfchale zu legen. 
Er hat fich beinah 40 Jahre mit Deutfcher Grammatik und 
insbefondere mit Deutfcher Orthographie befchäftigt, mit letz- 
terer, weil er fah, wie lie im Argen lag. *^Eingehende Studien 
überzeugten ihn, daß hier abfcheuliche Misbräuche fich ein- 
gefchlichen hatten. Aber nirgends fand er die Schreibung 
troftlofer als wo es fich um die S-laute handelt. Alles 
fchwebte hier nach feinem Dafürhalten in der Luft; dabei 
lagen die verfchiedenften Schreibweifen fchon damals bunt 
durcheinander; befonders waren in jener Zeit die üngethüme 
^ff Faff Haff u. f. w. von Magdeburg her im Schwange 
(§ 40). Das Verlangen aus diefer bodenlofen Verwirrung 
heraus zu kommen trieb den Verfaßer mit wahrer Gier zu 
greifen nach der Neuhochdeutfchen Grammatik von Hoff- 
mann, die eben erfchienen war. Und Gott fei Dank hier 



- 172 — 

fand er was er fachte: eine einfache klare Kegel, die 
auf feftem wißenfchaftlichem Grande ruht*). Nun 
ward auch die Grimmfche Grammatik hergenommen, die 
Ho ff mann 8 Regel beftätigte. Sieben und dreißig Jahre ßnd 
vergangen, feit der Verfaßer diefer Schrift die S-laute nach 
dem hiftorifchen Prinzipe fchreibt. Er hat in diefer Schrei- 
bung nie gewankt; nie ilt die Verfuchung auch nur einen 
Augenblick an ihn herangetreten zu dem hergebrachten Wirr- 
warr zurückzukehren, am wenigften, feit Herr von Raumer 
mit den „Pfeudohiftorikem ," wie er üe zu nennen pflegt 
(§ 33 Anm.), eine fpitze Lanze nach der andern gebrochen 
hat. Im Gegentheile fühlt er (ich bei diefem hiftorifchen 
Gebrauche der S-laute fo wohl und fo geborgen, daß es ihm 
ungefähr zu Muthe ift wie einem Schiffer, der nach langen 
Irrfahrten endlich den fieberen Hafen gefunden hat. 

§ 49* I>ie Wörter, in denen das j(? nach dem hifto- 
rifchen Prinzipe fteht, find folgende — wir nehmen die 
oben angeführten Wörter natiirlich aus — : außen mit 
draußen außer, heißen**^ mit gebißen Bißchen Inbifi, heßer 
mit fÜTbaß bloß, Amboß y daß (Part.), dreißig ver- 
drießen mit yer-droßen, Droßel, (Kehlkopf) mit Gr-drqßeln^ 
eßen mit aß gegeßen, faßen mit Faßy Fleiß mit hefiißen. 
Muß mit Fliiße, freßen mit Fraß, Fuß, Gaße, Geiß, ver- 
geßen mit Yer-gaß gießen mit gegoßen Ouß Goße, Grieß 
(Mehlgraupen und Kiefelfand) groß, Gruß mit grüßen, 
Haß mit haßen, havßen, heiß, heißen, Schult-A 6 tj(?, Hor- 
niß mit PL Homißen, Keßd, Kloß, Kürbiß mit PI. Kür- 
biße, Ickßen mit ließ läßig nachläßig, Maß, fich m äußern 
mit maußig, der Meiß (Holzfchlag) , Meißel, Meißen, 
meßen, M^er, Muße, müßen, naß mit Näße, N^d, genie- 



*) Neuhochdeutfche Grammatik von Karl Aug. Jul. Hoff- 
mann (1839) S. 13—16, § 19—21. 
**) Die durch den Druck hervorgehobenen Wörter find 
folche, in denen der herrfohende Sprachgebrauch das 
echte ß erhalten hat. 



— 173 — 

ßen mit Qmvß, N\0 mit Niße (Lauseier), Nuß mit Nüße, 
Preußen*), reißen (ziehen und zeichnen) mit Reißhxet 
Beißfeder Eeißzeng Riß und Abriß, Rüßel, Ruß, Rvße, 
faß noit gef^en und S^el fche\ßen, fcheußlich, fchießen 
mit gefchoßen Schuß Schößling, Schleiße (Span) mit Schliß, 
fehl ießen mit Schloß, Schloße, fchm eißen mit Schmeiß- 
fliege Gefchmeiß, Schmiß, Schoß Schüßd Schweiß Spieß 
mit fpießen, fprießen mit fproß gefproßen und mit Sproß 
Sprößling, Spröße (an der Leiter) und Sprqßer (große Nach- 
tigall), Steiß, richtiger Steuß, weil mhd. stiu3, ftoßen, 
Straße, Strauß in dreifacher Bedeutung füß, Truchfeß, 
Waßer, weiß, weißagen, verweißen (vorwerfen) Weßich, 
wißen mit weiß und G&voißen (conscientia). 

§ 50« Dies find die Wörter — möglicherweife fehlt 
das eine oder das andere — , die nach dem einzig richtigen 
hiftorifchen Prinzip e mit dem ß gefchrieben werden 
müßen, weil fie im Altdeutfchen, insbef ondere im 
Mhd., fammt und fonders ein 5 hatten und aus 
diefem 3 fich nachweislich ($ 46) das Nhd. ß ent- 
wickelt hat. Ob der vorhergehende Vokal gedehnt oder 
gefchärft fei, davon wird der Gebrauch des Nhd. jö* ebenfo 
wenig berührt wie dies bei dem des Mhd. ß der Fall war. 
Man könnte höchftens erwarten, daß ß auch im Nhd. nach 
gefchärftem Vokale verdoppelt würde {ßß)i wie dies im Mhd. 
meiftens ftatt fand (33)**). Dazu liegt aber kein zwingender 
Grund vor. Am wenigften zwingt dazu die auch in den Ver- 
handlungen der Orthographifchen Konferenz ziemlich deut- 



*) In der Nhd. Grammatik von Ho ff mann ift § 25 
(2. Aufl.) fälfchlich Preuffen, Meiffen gefchrieben, ein 
Fehler, der fich fchon in der erfteti Auflage befand, in 
die zweite aber nicht hätte verfchleppt werden müßen. 
S. oben. 
**) Im Ahd. waltet in diefen Fällen noch vielfach das ein- 
fache 5 vor (mejan mqßen, sejal S^d, Wajar Waßer 
u. f. w.), wiewohl fchon damals die Doppelung begann 
und iip Mhd. überhandnahm. 



— 174 — 

lieh hervortretende YerdeutlichUDgBfucht d. h. die Sucht dem 
Deutfchen Volke, fo weit es eben Gefchriebenes oder Ge- 
drucktes lifty einen Wink mit dem Zaonpfahle zu geben, daß 
diefer oder jener Vokal gedehnt oder gefchärft fei, als ob 
fchoQ jemals ein Deutfcher felbft von der mäßigften Bildung 
frech gelefen hätte, weil man nicht frecJuih fchreibt, oder 
Tqfchey weil man nicht Tafchfche fchreibt, oder befi, weil man 
nicht befft fchreibt, und als ob es in Deutfchland irgend ein 
menfchliches Wefen gäbe, das meßen oder loifien oder Wqßer 
u. f. w. zu lefen im Stande wäre, weil man nicht meßßen 
wißfien, Wqßfier fchreibt. 

In allen § 49 nicht aufgezählten Wörtern weicht die 
hiftorifche Schreibung der S-laute von dem herrfchenden 
Schreibgebrauche nur wenig oder gar nicht ab. Zum Über- 
fluße verweifen wir auf die Schul- (nicht Elementar-) Gramma- 
tik von Hoff mann, in der man «über die Verwendung d^ 
übrigen S-lauta (/ (s) ff) den nöthigen Auffchluß in ebenfo 
überCchtlicher wie knapper und klarer Weife findet*). 



*) Nhd. Schulgr. 2. Aufl. §. 23 und 25. Wir fugen nur 
noch Folgendes ergänzend hinzu: 1. daß /und s ganz 
einerlei find, letzteres nur auslautend, deshalb 
Schluß-es genannt , für / fteht, das lernen fchon unfere 
Kinder. Es liegt aber auf der Hand, daß diefes s für 
/ feiner Beftimmung gemäß auch inmitten eines Kompo- 
ntums, das aus zwei Wörtern befteht, am Schluße des 
erften Wortes feinen Platz hat. Alfo Ausfaat aus- 
ftreuen u. f. w., aber auch dasfdbey desfelben, diesfeks. 
Natürlich gilt diefe Regel nur für Deutfche Schrift, 
für Lateinifche, wo / und 8 beide durch s erfetzt werden, 
fallt fie weg. 2. Im Auslaute darf, fo lange es in 
Deutfcher Schrift noch ein Schluß-es gibt, ein ff natür- 
lich nie ftehn ; fonft würde man auch da/ Glaf u. f. w. 
fchreiben dürfen; vielmehr ift dafür, fo lange der kon- 
fonantifche Auslaut nicht , wie in das des es wes bis 
indes tmterdes und der Ableitungsiilbe -m«, verein- 
facht wird, fs zu fchreiben. Alfo Rofs Kufs vermifa. 
3. Da das ß der Deutfchen Sprache eigenthümlich ift, 
fo fteht ganz befonders in allen Fremdwörtern nach 



— 175 — 

§ 51« Die Aaefprache des ß zu befprechen haben wir bereits 
Gelegenheit gehabt (§ 28 § 41 § 48), wollen aber das hier 
und da Gefagte noch einmal kurz zufammen faßen. Daß, 
wie noch heutzutage, « (= */), fo auch ß (j) urfprünglich 
ganz feiner Zufammenfetzung (= df) gemäß gefprochen wor- 
den ift, unterliegt bei dem phonetiTchen Karakter unferer 
Sprache keinem Zweifel. Wer es nicht glauben will, der 
gehe nach dem Nordweften von Deutfchland, wo fich die Aus- 
fprache des ß noch ziemlich rein erhalten hat. Man braucht 
z. B. nur die Infel Borkum zu befuchen, um dort unter An- 
derem ein ganz deutliches dreidfig (dreißig) zu vernehmen. 
Als dann in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts das Alt- 
deutfche 5 mit verlängertem Vorderftrich (§ 38 Anm.), aKo 
ziemlich entftellt, ins NeuhochdeutTche übergieng und in die- 
Ter entftellten Form dem MisverftändnüTe um fo mehr preis- 
gegeben war, da in jener Zeit der beginnenden orthographi- 
fchen Wirren überhaupt jedwedes Verftändnis für eine ver- 
nünftige Schreibung fehlte, da .war es auch, wo — zum Theil 
wohl in Folge einer fchlechten Ausfprache (§ 22) — das / 
in der Form ß über das des Widerftandes ohnehin nicht eben 
fähige d dermaßen die Oberhand gewann, daß es fich, wie 
gefagt , in der Ausfprache von / und ß kaum noch unter- 
fehied (§ 41). Das ift Thatfache, und zu fagen, diefes oder 
jenes Wort müße der Ausfprache gemäß mit dem ß oder mit 
dem / (ff) gefchrieben werden, ift heutzutage, wo ß und / (ff) 
ganz überein gefprochen werden, ein eitles Unternehmen. 

§ 52« Schließlich ift noch die Frage zu erörtern, wie 
der Buchftabe ß in Lateinifcher Schrift zu fchreiben fei, eine 
Frage, die um fo berechtigter fein dürfte, da Herr Wilmanns 
in der fechften Sitzung der Orthographifchen Konferenz fehr 
wahr bemerkt hat, daß bei der Regelung der Orthographie 



kurzem Vokale inlautend nur ff, alfo paffen (paffteren) 
preffen Kaffe Klaffe Meffe Poffe Taffe Treffe u. f. w., 
und auslautend /«, alfo Afs Bafs Fafa Abssiefe Bkczefs 
Prozefs Regrefs Rezefs u. f. w. 



— 176 — 

der S-laute die Rücklicht auf die immer mehr Eingang 
findende Lateinifche Schrift die maßgebende fein mäße. I)ie 
Wiedereinführung der Lateinifchen Schrift und der damit im 
Zufammenhang ftehende Wegfall des „albernen Gebrauchs 
großer Buchfiaben/^ die von den fogenannten Deutfchen 
Lettern *) allerdings nicht füglich zu trennen find, war ftreng- 
genommen fchon nach Jakob Grimms gründlicher Aus- 
einanderfetzung in der Vorrede zum Deutfchen Wörterbuche 
(I, S. LIV) durchaus geboten und ift jetzt, nachdem Karl 
Geibel feine fünfzigjährigen buchhändlerifchen Erfahrungen 
zu Gunften der fogenannten Antiqua in die Wagfchale ge- 
legt hat, unausbleiblich. Wie foU man in diefer hoffentlich 
bald allgemeinen Lateinifchen Schrift das ß fchreiben? Natür- 
lich ift auch in diefem Punkte die Zerfahrenheit groß. Man 
gibt nemlich unfer ß in Lateinifcher Schrift im Allgemeinen 
auf drei Arten wieder und zwar 1. durch /«, 2. durch sz und 
3. durch dasfelbejt?. 

Was die erfte Art betrifft, fo ift es Herr von Baumer, 
der diefen Gebrauch des Lateinifchen fs für Deutfehes JS 
fchon früher in den „Weiteren Beiträgen zur Deutfchen Becht- 
fchreibung" empfohlen und fpäter auch in der Orthogra- 
phifchen Konferenz mit befonderem Eifer vertreten hat**). 
Er beruft üch dabei, was wir allerdings nicht recht faßen, 
auf den bekannten Umftand, daß „lateinifches fs gleich deut- 
fchem ß einen mehr als hundertjährigen Gebrauch für fich 
habe und daß fchon in Ramlers Gedichten und Schillers 
Mufenalmanachen diefe Schreibweife fich finde. ^' Als ob da- 
mit etwas bewiefen würde! Gefetzt auch, diefe Schreibweife 
gienge von den Schriftftellern des vorigen Jahrhunderts, ins- 
befondere von R am lern und Schillern, felbft aus, was 



*) Mit gewohnter Klarheit fpricht fich über diefe foge- 
nannte Deutfche Schrift aus Andrefen in feinem vor- 
trefflichen Büchlein über Deutfche Orthographie S. 143. 
**) Gefammelte fprachw. Schriften 8. 275 ff. Verband- 
lungen der Konferenz S. 100 f. 



— 177 — 

doch nur möglicli wäre , wenn Jüe ihr eigenes Blanulkript in 
Lateinifchen Lettern gefchrieben hätten» und das ift nicht 
denkbar: folgt denn daraus in aller Welt etwas Anderesi 
als daß man zu Ramleret und Schillers Zeit, wie über- 
haupt in dem ganzen Zeiträume vor Jakob Grimm, 
▼on dem Wefen des ß noch keine Ahnung hatte? Wenn 
aber jene Schreibweife nicht einmal von den Schriftftellem 
und Dichtern des vorigen Jahrhunderts, fondem, wie man 
aus unzählichen anderen orthographifchen Wülkürlichkeiten 
der Setzer fchließen muß, von den damaligen Druckereien 
herrührt, die fleh bei ihrem gänzlichen Mangel an Verftänd- 
nis für den Buchftaben ß und bei ihrer typographifchen 
Mangelhaftigkeit nicht anders zu helfen wuften, als daß (ie 
das in vielen DeutTchen Wörtern aus dem Mhd. gerettete j(? 
in Lateinifchem Drucke durch /« erfetzten : folgt denn daraus 
auch nur mit einem Schatten von logifcher Nothwendigkeit, 
daß man es jetzt ebenfo machen muß , jetzt, wo uns durch 
Grimm und feit Grimm der Blick in das Wefen des j(? ge- 
ö&et ift und wo wir auf die BefchafPenheit unferer Drucke- 
reien ftolz fein dürfen? Wir unferfeits fühlen uns gedrungen 
— und wir glauben dies im Sinne aller Anhänger der hifto- 
rifchen Grammatik zu thun — gegen diefe Wiedergabe des 
Deutfchen ß in Lateinifcher Schrift, wie ^^ vor allen Andern 
Herr von Baumer in feinen Gefammelten Schriften durch- 
geführt hat, auf das aller nachdrücklichfte zu 
proteftieren. Erftens nemlich verfällt n^an, indem man 
das heutige ß in Lateinifcher Schrift durch §8 gibt, in einen 
der gröbften orthographifchen Fehler ; denn man fetzt da einen 
Doppelkonfonanten nach einem gedehnten oder doppelten 
Vokale (Aee/^en fiofsen Mafa grofs)^ wovor doch fchon Heyfe 
warnt durch die fehr wahre und in dem Wefen der Laute be- 
gründete, deshalb auch mit gefperrten Lettern gedruckte 
Regel*): 

„Nach jedem gedehnten Vokale fchreibe man 



*) DeutTche Schulgr. 22. Au£. S. 24, 2. 

B i e D , Deutsche Orthographie. 12 



— 178 — 

den unmittelbar darauf folgenden Konfonanten 

einfach Da eine Sübe mit einem Doppelvokale 

(ai au äu eu ei) jederseit gedehnt geTprochen wird, fo kann 
kein verdoppelter Konfonant darauf folgen/^ 

Oder will man den Leuten etwa weis machen, daß /« von 
$a ve^fcbieden und daß nur /das letztere ein doppeltes s, mithin 
ein doppelter Konfonant, fei ? SoUte es wirklich einen denkenden 
Menfchen geben, dem es Emfl: wäre mit der Behauptung, daß m 
und fs verfchiedene Laute feien, während doch der ganze 
Unterfchied augenfeheinlich nur ein unbedeutender graphifcher 
ift? Noch energifcher aber müßen wir uns zweitens deshalb 
gegen die Vereinerleiung von j(? und fs verwahren, weil dies 
der gerade Weg fein würde, um mit der Wiedereinführung 
der Lateinifohen Schrift das j(?, diefen unzertrennlichen Zwillings- 
bruder des Zj aus unferer Sprache vollends hinauszudrängen; 
denn nach Verlauf einiger Jahre würde lieh von diefem ur- 
und echtdeutfchen Buchftaben natürlich keine Spur mehr 
finden. Wer alfo den Vorfchlag Deutfehes ß in Lateinifcher 
Schrift durch fs zu erfetzen fördert, der fordert die Verderbnis 
der Deutfchen Sprache in dem Maße, in welchem gerade diefes 
J^ unferer Sprache, wie wir oben (§ 46) zeigten, ganz unent- 
behrlich ift. . JedenfEklls ift der befonders von Herrn vo n Bau- 
mer gemachte Vorfchlag das j(? in Lateinifcher Schrift durch 
fi zu erfetzen fo über die Maßen mislich, daß wir die An- 
nahme desfelben von Seiten der Orthographifchen Eonferens 
nicht glauben würden, wenn Sie nicht in glaubhafter Weife 
berichtet worden wäre*). 

Nicht viel beßer freilich fteht es mit dem Einfalle, den 
Jakob Grimm nach feinem oben befprochenen Übertritte 
zur Fahne Adelungs gehabt hat. Nachdem er den in der 
zweiten Auflage des^ erften Bandes der Grammatik (1822) 
angenommenen Grebrauch des j(? für «« im zweiten und 
dritten Bande der Grammatik bis 1832, alfo zehn Jahre 



*) S. Verhandlungen der Konferenz 8. 101 und Duden 
Zukunftsorthographie S. 67, § Ö3, 



— 179 — 

lang, konfeqnent darchgefalirt hatte, gieng er eben in der 
Schreibung der S-lante zu den Adelungern über. Nach 
diefer Zeit war es, wo er auf den Gedanken kam, den er 
dann befonders in feinem Deutfchen Wörterbuche zur An- 
wendung gebracht hat , das nun verftoßene Jf in Lateinifcher 
Schrift durch ss zu erfetzen. Natürlich hat die blofie Auto- 
rität eines Jak ob Grimm fchon hingereicht, um auch diefem 
Vorfchlage hier und da Aufnahme zu verfchaffen. Namentlich 
hat die Schreibart Grimms Eingang gefanden in den von 
Fleckeifen und M a f i u s herausgegebenen Jahrbüchern für 
Philologie und Pädagogik, einer Zeitfchrift, die £ich von andern 
gelehrten Schriften dadurch vortheilhaft unterfcheidet, daß fie 
Grimms berechtigter Forderung der Wiedereinführung der 
Lateinifchen Schrift und des Wegfalls der großen Buchftaben 
bei Subütantiven fchon feit vielen Jahren gerecht geworden ift. 
Entfchiedene Misbilligung ift anderfeits jenem sz als Erfatz 
fai ß von Seiten des fonft mit großer Verehrung an Jakob 
Grimm hangenden Michaelis zu Theil geworden. Auch 
Herr von Baumer weift Grimms Schreibart von (ich, aber 
freilich bloß, weil er „das bereits feit mehr als einem Jahr* 
hundert eingebürgerte fs durch fa oder sa zu erfetzen keinen 
Grund hat"*). Wir verwerfen ebenfsdls das wunderliche 8», 
aber nicht etwa aus Vorliebe für das bereits oben gemufterte 
fsy das wir noch weniger gelten laßen und deCfen Bürgerrecht 
wir mit nichten anerkennen, fondem erftens deshalb, weil es 
dem ohnehin fchon weit genug verbreiteten Irrthume, als fei 
ß aus / und z zufammengefetzt , allen möglichen Vorfchub in 
unheilvoller Weite leiftet, und zweitens, weil sz eben nichts 
weniger als ein ß ift. 

Das geht nun einmal unter allen Umftänden nicht, 
daß man ein Schriffczeichen und noch dazu ein fo altes und lang- 
bewährtes, wie ß ift, kurzweg mit einem anderen vertaufcht, 
alfo in Lateinifcher Schrift fs oder fz fetzt, wo in Deutfcher 



*) Michaelis über Jakob Grimms Rechtfehreibung 
S. 19. Verhandlungen der Konferenz S. 70. 

12* 



— 180 — 

Schrift ß rteht. Am Schriftzeichen haftet eben der Laut und 
Ift vom ihn^ unzertrennlich; reißt man ihn aber dennoch mit 
aller Gewalt von feinem Zeichen los, To wird er eben ein 
wefentlich anderer, was dann wieder zur Folge hat, daX^ 
zarte etjmologifche VerhältnüTe zum großen Nachtheile 
der Sprache zerrißen werden, wie denn z. B. Schweifi und 
fchwitzen in engfter verwandtfchaftlicher Beziehung zu einander 
ftehn, Schweifs und schwitzen aber oder Schweisz und schwitzen 
nichts mit einander zu thun haben, fondern gewaltfamer Weife 
in eine fprachwidrig unnatürliche Verbindung zu einander 
gebracht werden, ohne zu einander zu gehören und zu ein- 
ander zu paüen. Auch der Übergang der Lateinifchen 
Lettern in die fogenannten Deutfchen*), der überhaupt nicht 
beabfichtigt war und nur allmählich vor Geh gieng, gefchali 
nicht etwa dadurch, daß man die bisherigen Lateinifchen 
Lettern hrem manu abfchafffce und durch andere, die man nun 
erfand, erfetzte — das hätte ja weder Zweck noch Sinn ge- 
habt, — fondern er hatte feinen Grund in den anfangs nach 
Erfindung der Buchdruckerkunft noch unvollkommenen Typen, 
die zu eckig waren, als daß man damit die fchönen runden 
Lettern der Lateinifchen Schrift treu wieder zu geben im Stande 
gewefen wäre. Aus den auf diefe Weife etwas eckig gerathenen 
Lettern **) entwickelte lieh dann nach und nach eine von der 
urfprünglichen Lateinifchen immer mehr abweichende befon- 
dere Schrift, die man Deutfeh nannte, weil es der gutmüthige 
Deutfche fich gefallen ließ diefe entftellten Lateinifchen Let- 
tern — das find ii^ ja doch im vollen Sinne des Wortes — in 



*) „Leider nennt man diefe verdorbene und gefchmacklofe 
Schrift fogar eine Deutfche .... nichts ift falfcher.'' 
Jakob Grimm Vorrede zu dem Dtfchen Wörter- 
buche I, S. I. n. 
^*) Jakob Grimm führt die Entftehung der fog. Deutfchen 
Lettern fogar auf das 13. u. 14. Jahrhundert zurück, 
wo, wie er meint, „die fchreiber die runden züge der 
buchftaben an den ecken auszufpitzen begannen.'^ Vor- 
rede zum Dtfchen Wörterbuche I, S. LU. 



— 181 — 

Gebranch zu nehmen und Geh fogar angelegen fein ließ die- 
felben kalligraphifch aus zu bilden und auf zu putzen. Ähnlich 
war es aber mit dem heutigen j(?. Nicht als neues Schrift- 
zeichen if(; j(? an die Stelle des Mhd. 5 getreten , fondem hat 
lieh unmittelbar daraus und zwar in der Weife, wie wir es 
oben (§ 39 Anm.) dargethan, entwickelt. Kurz das geht 
nicht, daß man einen Buchftaben, an den (ich das lefende 
und fchreibende- Publikum vier Jahrhunderte hindurch gewöhnt 
haty kurzweg durch einen andern erfetzt, zumal durch einen 
folchen, der einem argen Irrthume über den Karakter des 
aufzugebenden Buchftaben Vorfchub leiftet. Und fo. kommen 
wir zu der 

§ 53« dritten Art, wie man das ß in Lateinifcher 
Schrift wiedergeben kann. Diefe dritte Art, 'die darin befteht, 
daß man das ß in Lateinifcher Schrift einfach beibehält , ift 
nach allem, was wir bisher über diefen Punkt gefagt, in der 
That die geeignetfte; denn ße ßchert vor allen Dingen den 
Beftand diefes unferer Sprache ureigenen und unentbehrlichen 
Buchftaben und wahrt ihm feinen Karakter als dentaler Neben- 
aspirata des z. Die von Grimm fpäter gegen fein eigenes 
Kind, dasj(?, geltend gemachten „afthetifchen Gründe" hat 
bereits Michaelis*) als „zu fchwach'< bezeichnet, „als daß 
man annehmen könnte, fie feien wirklich für ihn entfcheidend 
gewefen" bei dem Taufche, den er in den vierziger Jahren 
traf. Ja derfelbe Michaelis hat vollkommen Recht, wenn er 
ausruft : „Der im ß wie eine Locke herabhangende Zug hat 
doch nichts Unafthetifches !'' Oder hat er etwas unlateinifches ? 
Auch das ift behauptet worden : man hat gemeint, das ß „falle 
aus dem Karakter der Lateinifchen Schrift heraus." Wunder- 
licher Einwand, fo recht bei den Haaren herbeigezogen ! Der 
karakteriltifche Zug der Lateinifchen Schrift ift das Runde, der 
fogenannten Deutfchen das Eckige. Schon deshalb würde das 
fchöne runde ß im Lateinifchen Alfabete einen ehrenvollen 
Platz einnehmen, wenn es auch nicht unmittelbar aus einer 



*) In der a. Sehr. S. 19. Vgl. S. 20. 



--- 182 — 

echt Lateinifchen Letter, dem BChd. 5, gebildet worden wäre. 
Wenn wir unter diefen Umftänden die Einfnlmmg des ß in 
das Lateinifche Alfabet verlangen, fo Itehn wir mit diefer 
Forderung' nicht allein. Unter Anderen hat der mehr- 
erwähnte Michaelis fchon vor langer Zeit (1868) die Auf- 
nahme des >(? in die Lateinifche Schrift empfohlen, und, was 
uns zur befonderen Freude gereicht, auch der eifrige Duden, 
der die Abmachungen der Orthographifchen Eonferems fonlt 
eSnigermaßen überrchätzt , ift doch im vorliegenden Falle un- 
befangen genug der Aniicht des Herrn von Raumer und 
dem Befchluße der Orthographifchen Konferenz entgegen in 
feiner neueften Schrift, der Zukunftsorthographie, zu erlda- 
ren^): „Nach meiner unmaOgeblichen Anficht wäre das fchon 
viel verbreitete, durch namhafte Gelehrte empfohlene und an- 
gewendete ß das beftberechtigte Zeichen in Lateinifeher Schiiffc 
für Deutfehes ß. Der Einwand , daüs (sie) dasfelbe aus dem 
Karakter der Lateinifchen Schrift herausfalle , wiegt nicht fo 
fchwer, dafs man darum den großen Vortheü, welchen doch 
unleugbar die Einförung diefes Zeichens gewären würde, 
preisgeben feilte/' Wie wenig Schwierigkeiten aber die Auf- 
nahme des >(? in die Lateinifche Schrift den Deutfchen Drucke- 
reien mache, ergibt fich daraus, daß die betreffende Schreib- 
art in vielen Schriften bereits praktifch durchgeführt ift. Wir 
nennen in diefer Beziehung außer der Deutfchen Grammatik 
von Grimm befonders die Schriften von Michaelis über 
„Jakob Grimms Bechtfchreibung", von Andrefen „über 
Deutfche Orthographie'* und „über Jakob Grimms Ortho- 
graphie" und Friedrich Bauers „Grundzüge der Neu- 
hochdeutfchen Grammatik," fowie feine neuefte etjmolo- 
gifche Schrift. Und fo fchließen wir diefen Abfchnitt über 
die S-laute, indem wir einftimmen in den von Michaelia 
ausgefprochenen Wunfeh *^): „Möchten fioh bald alle ,|Ger- 
maniften" — wir fügen hinzu: überhaupt alle Deutfchen, die 



*) S. 67 f. 
*«) A. Schrift. S. 20. 



— ie3 — 

da fchreiben — „über die Beibehaltang and den richtigen 
Gebrauch des ß einigen.'' 

§ 54« Wir können nicht erwarten, daß die von uns 
vertretene hiftorilbhe SchreibweiTe der S-laute durch unfere 
Fürfprache eine weitere Verbreitung finde: dam ift die Macht 
der Gewohnheit zu groß und das Vorurtheil gegen das hifto- 
lifche Prinzip der Wortfehreibung zu ftark. Aber hoffentlich 
wird man auch uns nicht zumuthen woUen, daß wir um der 
lieben Einigkeit willen -^ ein anderer Grund ift gar nicht 
denkbar — mit einer Art von nazionaler SelbiÜtverleugnung 
dem die neuere Heyrifche SchreibweiTe dekretierenden Be- 
fchiuße der Orthographifchen Konferenz uns unterwerfen oder 
gar wieder zurück zur Gottfched-Adelungfchen Schrei- 
bung kehren, die wir vor bereits 37 Jahren auf immer ver- 
abfchieden zu können fo glücklich waren. Wir glauben im 
Verlaufe diefer Schrift ein befonderes InterelTe für eine end- 
liche orthographifche Einigung an den Tag gelegt zu haben, 
und auf manche wichtige orthographifche Verbeßerung hat 
Schreiber diefes in^v iinont yt ^vfju^ Verzicht geleiftet, weil 
nach feinem Erachten durch rücklichtslofes Vofgehn auf ortho- 
graphifchem Gebiete die Herftellung einer orthographifchen 
Einigung gradezu erfchwert wird. Einheit auch in orthogra- 
phifchen Dingen ift ein fchoner Gedanke, „ift des Schweißes 
der Edeln werth/' Aber eins fteht uns doch noch ungleich 
hoher, und diefes eine geben wir nicht preis um Alles in 
der Welt: das ift die Wißenfchaft und — das Ziel der 
Wißenfchaft — die Wahrheit. Wo es gilt eine augenfällig 
wahre und wißenfchaftlich so feft begründete Schreibweife, wie 
es die hiftorifche Schreibung der S-laute ift, inmitten einer 
orthographifchen Verwirrung gegen eine von inkompetenter 
Seite angedrungene- Schreibregel , die einzig und allein auf 
Willkür beruht, in Ehren zu halten und hoch zu halten ^ da 
ift Nachgibigkeit Verrath an der Wißenfchaft, da ilt und 
bleibt unXer Wahlfpruch: Tu contra audeiUior üol 



— 184 — 



VI. 



§ 55« Es würde nicht dem Zwecke diefer Schrift ent- 
fprechen, wenn wir es unternehmen wollten hier alle die ein- 
zelnen Wörter zu bel^rechen, über deren Schreibung* wir 
eigentlich mit Herrn von Baumer nicht einig find, in fo 
fem er dem unmaßgebenden herrfchenden Gebrauche folgt: 
fie ergeben fich aus dem nachfolgenden Wörterverzeichniffe 
von felbft. Dagegen müßen wir noch ein paar mehr oder 
minder arge orthographifche Bfisbräuche berühren, die eine 
ganze Gattung von Wörtern umfaßen und di^ fich ebenfalls 
in Herrn von Raumers Schriften finden, ein energifches 
EinTchreiten aber befonders deshalb nöthig machen, weil fie 
von Seiten der Orthographifchen Konferenz unbefeitigt| ja fo- 
gar ganz unberückfichtigt geblieben find. ' 

§ 56« 1. Umlaute. Die Umlaute äöü (du) werden als 
kleine Buchitaben im ganzen richtig gefchrieben. Nur mit 
ein paar Eigennamen macht man feltfamer Weife eine Aus- 
nähme y besonders mit dem berühmten Namen Göthe. Daß 
unter die Unzählichen, die Goethe fchreiben, auch der 
gründliche und klarblickende Kehr ein gehört, darf um fo 
mehr Wunder nehmen, da er felbft in feiner Grammatik'*^) 
fehr richtig fagt : „ Väter, Sohne, StMe zweifilbig, nicht Va-eUr^ 
So-ehne, Stu-eMe dreifilbig.*' Aber auch Herr von Baumer 
fchreibt Goethe und das ift befremdlich bei einem Manne, 
der das fogenannte phonetifche Prinzip aufs Tapet ge- 
bracht hat und der fich felbft im Gegenfatze zu den Hiftori- 
kem mit Emphaf e einen Phonetiker zu nennen pflegt. Die 
Form Goethe fteht nemlich in Widerfpruch ^t dem phone- 
tifchen Karakter unferer Sprache, fintemal Goethe eben 
Go-ethe zu fprechen ift, wie auch Itzehoe, OldesloCi 
Soeft, Koesfeld urfprünglich mit getrennten oe (<he) ge- 
fprochen wurden und jetzt zwar an Ort und Stelle mit abge- 



^) Grammatik der Neuhochdeutfchen Sprache § 32| S. 17. 



— 185 — 

ftreiftem e Itzeho, Oldeslo, Soft und Kosfeld, aber 
nirgends Itzehö, Oldeslö, S oft und Kösfeld lauten. Daß 
Göthe felbft zu einer Zeit, wo man von den Umlauten über- 
haupt noch keinen klaren Begriff hatte, fondem diefelben wo- 
möglich für Poppellaute hielt, lieh Goethe fchrieb, befagt 
nichts und beweiTt nichts. Wie Götz Götze Götzinger, 
fo ift auch Göthe zu fchreiben und ebenfo Göben und Ge« 
fchen, die man auch oft Goeben und Goefchen ge« 
fchrieben findet. Jakob Grimm ift hierin mit einem guten 
BelTpiele vorangegangen und der in folchen Punkten £ehr 
genaue Heyfe ift ihm gefolgt. 

Während aber ä 6 ü (du) mit ganz wenigen Ausnahmen 
richtig gefchrieben werden, ift es umgekehrt eine rühmliche 
Ausnahme, wenn man irgendwo Ä Ü Ö (Äu) gefchrieben 
findet*, denn es herrfcht ganz allgemein die Unart Äe Oe Ü6 
(Äeu) zu fchreiben. Auch Herr von Raumer hat die Unart 
an fich. Diefem Unfiige muß gefteuert werden aus einem 
doppelten Grunde. Wer will denn erftens behaupten, daß 
in ä ein a und ein e, in ö ein o und ein e, in ü ein u und ein 
6 fteckt? Wird nicht hin und wieder auch üi für Ü' gefchrieben? 
Zweitens aber widerftreitet diefe Art zu fchreiben ebenfalls 
dem phonetifchen Karakter unferer Sprache; denn Äehre ift 
eben A-ehre und Od ift eben O-d und üebel ift eben XJ-ebd 
und weiter nichts. Wie man dergleichen Umlaute als große 
Buchftaben zu fchreiben habe, kann man von dem forgfamen 
Heyfe lernen, der nie anders als il 27 (Au) fchreibt. Auch 
bei Grimm, Weigand, Kehrein, Michaelis u. f. w. 
findet iich diefe Schreibart, die lieh allerdings faft ganz auf 
die Eigennamen befchränken wird, wenn, was recht bald der 
Fall fein möge, die großen Buchftaben bei den Subftantiyen 
fallen. 

§ 57f 2. € h «» Das c ift ein fremder Blutstropfen in 
den Adern der Deutfchen Sprache, das fteht feft; deshalb 
haftet es imNhd. auch nur an Fremdwörtern. Selbft Jakob 
Grimm, wiewohl dem c unbegreiflicher Weife fo zugethian, 
daß er ihm einen Ehrenplatz in feinem eigenen Vornamen 



— 186 — 

anwies, fiigt doeh darüber im Deutfcben Worterbnclie: ,,I>a 
wir gleich den Griechen und Slaren die tennis des gattnrai- 
lautes mit h ausdrücken, fo ift dafür das ans dem lateinifchen 
aiphabet entnommene c gans überflüfGg/* Auch Weigand, 
nächft Grimm die bedentendüte Autorität in Sachen der 
Wortfehreibung, nennt das e^ wiewohl er ihm ebenfalls viel 
SU viel Bechte einräumt, doch einen ^^undeutTchen, aus dem 
Lateinifchen Alphabete aufgenommenen Buchftaben". Nicht 
anders im Wefentlichen Herr von Baumer*). Auch er 
meint: ,)Wir können den Buchftaben c, phonetifch angefehn, 
entbehren, und wo ein Fremdwort fich feit längerer Zeit im 
Deutfchen eingebürgert hat, da vertaufchen wir das e in 
feiner einen Funktion mit h, in der andern mit s. Wir haben 
auch die Umwandlung des ü in % in eingebürgerten Fremd- 
wörtern durchgeführt/' So weit find wir mit Herrn von 
Baum er ganz einverftanden. Wir müßen ihm aber ent- 
fohieden entgegentreten , wenn er fortfährt: „Dagegen bietet 
die analoge Umwandlung des c ia z bedeutende Schwierig- 
keiten. Obwohl diefe Umwandlung in nicht wenigen Fällen 
erfolgt iffc, fteUt lieh doch «der Durchführung des Grundüttses 
der bisher geltende Gebrauch entgegen. Daß die 
durchgängige Zurückfühmng des e unmöglich iffc, wird man 
nicht leugnen, wenn man bedenkt, daß wir dann fchreiben 
müßten diu, Creue. Andrerfeits (sie) aber werden die mei- 
ften (?) lieh gegen ZeiOnerf ZefOmeter, ZiUA fträubenj' Alfo 
wieder und immer wieder jener heilige Befpekt vor dem ufua^ 
der in den orthographifchen Schriften des Herrn vonBaumer 
eine fo maßgebende Bolle fpielt. Was feilte aus der Wißen- 
fchaft werden, wenn lie immer zuerft und vor allem nach, dem 
„bisher geltenden^' — gleichviel ob vernünftigen oder un- 
vernünftigen — „Gebrauche" zu fragen hätte, und wenn ^e 
nun vollends überall Halt machen wollte, wo ein Gkwohnheits- 
menfch einmal die Nafe rümpft! So kommt denn Herr von 



•) Grimm Dtfdi. Wörterb. II, 601. Weigand Dtfch. 
Wöiterb. I, 199. Verhandlungen der Konferens S, 75 f. 



— 187 — 

Baamer, wiewohl er sugibt, daß „die p hon et if eben Funk- 
tionen des e dorch h und vertreten^' feien, doch fchließlioh zu 
dem Befnltate , daß es am rathlainrten fei das e in möglich 
vielen Fremdwörtern, befonders in allen Lateinifchen, Boma- 
nifchen, Englifchen und auch G^riechifchen *) Wörtern, ftehn 
zu laßen. Das ift nicht der richtige Weg. Wenn feit* 
fteht, wie feftlteht, daß c ein Lateinifcher, alfo fremder Bnch- 
ftabe fei und eben deshalb — von eh und ch abgefehn — 
nur in fremden Wörtern vorkommt, fo folgt daraus von felbft, 
daß es nur in folchen Fremdwörtern (tehn kann, die eben der 
Deutfchen Sprache in ihrem ganzen Wefen, befonders der 
Ausfprache nach, fremd geblieben, daß aber in allen andern 
Fremdwörtern die entü^rechenden Laute h und z zu wählen 
find ; denn wozu hätten wir überhaupt die Lautzeichen h und 
0, wenn lie nioht dem phonetifchen Karakter unferer Sprache 
gemäß da angewendet werden, wo man fie fpricht? Nun 
fragt fieh aber freilich, wo die Grenze zwifchen den ange- 
führten beiden Arten von Fremdwörtern fei; denn eben des- 
halb, weil diefe Grenze fo verfchieden gezogen wird und in 
der That auch nicht leicht zu ziehen ift, ja irgend „ein Unter- 
fchied • von den meiften gar nicht einmal gemacht wird, fon- 
dem hier meiftens ftumpfe Willkür waltet" , herrfoht auch in 



*) Griechifche Wörter, befonders Eigennamen, nach dem 
Vorgange der BÖmer mit c zu fchreiben ift doppelt und 
dreifach falfch. Map fchreibt fie nemlich mit einem 
Buchftaben, den die Griechifche Sprache fo wenig wie 
die Deutfche kennt, und fpricht fie dann obendrein 
nach einer verdorbenen Lateinifchen Ausfprache, was 
wieder zur Folge hat, daß manches Namens Ab- 
ftammung ganz verwifcht wird. Etwas anderes ift es, 
wenn fich ein Griechifches Wort wie ZyUnder («liA^v- 
i^g) mit feiner faUchen Ausfprache im Deutfchen be- 
reits vollTtändig eingebürgert hat. Aber Namen wie 
Kiiman^ Alhünctdes, Tkuhydidea u. f. w. in C^matif Alcüna' 
des 9 Thucydidea u, f. w. zu verftümmeln gehört fich 
nicht. 



— 188 — 

der Schreibung der Fremdwörter eine nnßkgliche Verwirrung. 
Diefem anleidlichen ZoTtande maß abgeholfen werden. 

Der Ünterfchied, den Jakob Grimm*) hier zwifchea 
den verfchiedenen Arten von Fremdwörtern macht, daß h 
„längüt darchgedrangene y eingebürgerte, untilgbare Fremd- 
linge anzeigt, c fpäter eingeführte, unhSufigere,*' vermag 
weder die Sache zu erfchöpfen, weil fie das z ganz außer 
Acht läßt, noch die Frage überhaupt zu erledigen, weil man 
inmier noch zu fragen vermcht ift, woran man denn eigent- 
lieh diefe „durchgedrungenen, eingebürgerten, untilgbaren'^ 
Fremdwörter im Gegenfatze zu den „fpäter (?) eingeführten, 
unhäufigem'' erkenne. Ob ein Fremdwort eingebürgert 
fei, darauf kommt allerdings — und das fcheint auch allge- 
meine Zuftimmxmg zu finden — zunächffc Alles an. Aber es 
fragt (ich nun wieder: welche Fremdwörter find denn ein- 
gebürgert und welche nicht? und an welchem Merkmale 
oder welchen Merkmalen pflegt man die einen oder die 
anderen zu erkennen? Darauf läßt fich wohl folgende Antwort 
als die geeignetfte ertheilen: Eingebürgert und eben 
deshalb nicht mit fremdem c. fondem mit k oder z zu fchrei- 
ben find alle diejenigen Fremdwörter, welche zu Deut- 
fchen Wörtern geworden find, und fie werden dies 
erftens durch Umbildung des Stammes, zweitens 
durch Abfall der fremden Endung oder, was befonders 
bei Verben der Fall ift, durch Verwandlung der frem- 
den Endung in eine Deutfche, drittens durch 
Deutfche Ausfprache, viertens durch Deutfche 
Biegung. 

Die Fremdwörter der erften Art find die eingebürgert- 
ften; dahin gehören Körper KerJcer Kette Kirfche Kamerad 
Kapitd Artikel Floskel Skrupel Szepter Kaplan Zentner Zirkel 
Zins Zinoher u. f. w. 

Die zweite Bedingung erfüllen einerfeits Ghrammatik 
Vokativ Akkufativ Konjunktiv Akzent Partizip Prinzip Kon- 



*) Dtfch. Wörterb. H, 601. 



— 189 -- 

eept Rezept ZUat Konferenz Rejpekt Prozefa Ka/rfimkd Kapkäl 
Kapitel KompUmmt Ozean u. f. w., wie auch der Name Jakob, 
von Adjektiven korrekt konkret abstrakt u. f. w., anderfeits 
Wörter wie Sekuinde KdHege u. f. w., beTonders die aus der 
Lat. Endung -io entTtandenen Wörter anf -um, wie Konfeffion 
Lekzion Prozeffion ZeffiOn, auch die aas der Lat. Endung -ia 
gebildeten Wörter auf ie^ wie Zeremonie Enzyklopädie , femer 
die aus den Lat. Partizipien auf -ans und -ena entftandenen 
Wörter auf -ütU und -ent, wie Sekundant Spehdant, Äkzident 
Okzident KUent Dozenty und die unzählichen Verben mit der Deut- 
fchen Endung -ieren wie infpizieren klafßfizieren konfUsbieren 
konzentrieren praktizieren, publizieren rekognoszieren fezieren 
zemieren zertieren zirkulieren u. f. w. Die fremde Endung 
abgeworfen imd zugleich umgewandelt haben und find mithin 
um fo mehr eingebürgert die aus der Lat. Endung -alis ent- 
ftandenen Adjektiven formeü ideeü konfeffioneU ojfizidl reeU 
fpezieU u. f. w. 

Fremdwörter der dritten Art lind'z. B. Etikette Kabinet 
Kadett BoskMt Kannibale Kanone Kanton Karaffe Kapelle Ka- 
puze Karrufeü Kajfe Kompafa Komplott Kontrafi Konzert Lektüre 
Offizier Prozent Sekretär Sekte Szene ZitadeUe Zitrone auch 
das Adverb präzis. 

Zur vierten Art von Fremdwörtern endlich gehören 
Wörter wie Akt Aukzion Doktor Rektor Faktor Kanapee Kan- 
didai Kantor Kardinal Klub Konftrukzion Konftd Kontrakt 
Jjokomotive Oktober mit Dezember Sklave*) Skorpion Zenfur 
u. f. w. 

Viele Fremdwörter, wie Akkufaivü Vokativ Konfvlait 



^) Eine arge Verwirrung herrfcht in Bezug auf den Ge- 
brauch von c k und z in dem fonft fo trefflichen Deut- 
fchen Wörterbuche (Schmitthenners) von 
Weigand. Was hier unter einem „eingebürgerten^^ 
Fremdworte verftanden werde, haben wir vergebens zu 
errathen verfucht. Nicht einmal Wörter wie Sklave 
werden für „eingebürgert" angefehn, fondem mit dem 
c gefchiieben. 



— 190 — 

ZöUbat Mddmn Kriük Kdkf» Konärdki KanMept n. L w. er- 
füllen die sweite und die vierte der geseilten Bedingungen 
ungleich. Um fo weniger darf man (ich bedenken dergleioben 
Wörter durch die Schreibung mit h oder z als völlig einge- 
bürgerte zu betrachten. 

Die tiefe Kluft swiTchen diefen eingebürgerten Fremd- 
wörtern und folchen, die von unferem Volke, befonders dem 
vornehmeren Theile desfelben, swar viel gebraucht werden, 
aber unferer l^rache bb jetzt entfchieden fremd geblieben 
lind, fpringt deutlich in die Augen, wenn man den eben an- 
geführten und ähnlichen eingebürgerten Fremdwörtern 
gegenüber die nachfolgenden betrachtet: Camptigne CanaiOe 
Ckxprice Cafiagnette ComiU CompaffoU Ccm/pagmon Compot 
Comptoir ContreUmz Controle Corps Cofiäme Cotiüon CauUffe 
Cour Courier Courttfan Caufin Coufine Couvert^ fowie aecom* 
pagnieren Andemnität Broiufi Bace u. f. w. Wie man mit 
diefen und ähnlichen Fremdwörtern zu verfediren habe, ift 
leicht zu £agen. Entweder nemlich find es folche, „welche,^ 
wie Jakob Q-rimm lagt, „bei größerer Acht auf die Rein- 
heit unferer Sprache fich durch einheimifche Ausdrücke wohl 
noch erfetzen laßen*': dann treibe man fie nach dem rühm- 
liehen Beifpiele der Deutfchen Beichspoft, der in diefem 
Punkte zu folgen gerade dem Preußifchen Kultusndnifterinm 
fo fchön ftehn würde, fammt ihren unzählichen Großen 
erbarmungslos hinaus aus unferer Sprache; oder aber fie 
find uns unentbehrlich geworden und find nunmehr untilgbar : 
dann gebe man nach dem Beifpiele Göthes, der fchon vor 
hundert Jahren Madam MSibd Höboifiea u. L w. fchrieb, auch 
diefen Fremdlingen als Zeichen ihrer Einbürgerung Deutfehes 
Kleid und Deutfchen Klang — alfo Kompame Kompott 
Komtor Kontertanz (wie Konterfei und Konterbafe) KontroÜe 
{KoatroUir) KotüHong KuUffe Kurier Brongfe Eajje*) — ; ift 



*) Vgl. den über diefen Punkt fehr verftändig urtheilenden 
Duden in feiner Deutfchen Bechtfchreibung S. 85. 86. 
135 und in der Zukunftsorthographie S. 74. Eines der 



— 191 — 

dies aber dnrchsttB nnthnnlieh, dann laße man ihnen fremdes 
Kleid and fremden Klang and behandle fie aach gams ab 
Fremdwörter, wie wir dies bei vielen Wörtern and Phrafen 
ab da find aüons, bonboHf hommotj aofM fa^(m^ vis ä vitj femer . 
bona fidCy hrevi mamtf befonders bei mofikaUTchen Kunftaas- 
drücken, ab da find adagio aüegro ereseendoy and bei aas* 
landifchen Steifen , als da find beefsteak, boeuf ä la mode^ vor 
Allem aber bei dem Wörtehen bratfo za thun gewohnt find. 

Wir konftatieren mit Freaden, daß die Orthographifche 
Konferenz der Verwendang des k für o beinah die£elbe Aas- 
dehnang gegeben hat, wie wir fie dringend anempfehlen. 
Wir wünTchten nar, fie hätte fich nicht von Herrn von 
Baamer verleiten laßen aaf halbem Wege ftehn za bleiben 
and in fehr vielen Wörtern zaghafter Weife ondeatfches c 
zvL belaßen, die ab eingebürgerte Fremdwörter gerechten 
Anfprach haben aaf Deatfches z. Wie fehr übrigens diefe 
von ans empfohlene*) and nicht bloß darch fprachliche, 
fondem aach darch nazionale Gründe gebotene Befchränkang 
des fremden e aaf wirklich fremde, nicht eingebürgerte Wörter 
geeignet ift den orthographifchen Unterricht zum Natzen 



fchlimmften Wörter dürfte Corps fein, das nie and nimmer 
zadaldenand doch mit anferer militärifchen Sprache fo 
eng verwachfen ift, daß es fich — fo groß ift die Macht 
der Gewohnheit — nicht leicht wird befeitigen laßen. 
In diefer Beziehang fallt unferem Kriegsminifteriam aach 
fonft eine fchwere, aber freilich aach defto lohnendere 
Aufgabe za, wenn es, wie die Beichspoft, den nazionalen 
Anforderungen der Neuzeit gerecht werden will. 
*) Dasfelbe thun außer dem fchon mit Lob erwähnten 
Duden befonders auch Andrefen in der Schrift über 
Dentfche Orthographie S. 153 ff., der aber ndt der 
Einbürgerung eines Wortes einen eigenthümlichen Be- 
griff verbindet, und Bezzenberger a. Sehr. S. 31| 
der aber hier nicht durchgreift. Mit rühmlicher Konfe- 
quenz war früher die von uns vertretene Schreibweife 
befolgt in dem durch Jofeph Lehmann begründeten 
Magazine der Literatur des Auslands. 



— 192 — 

und Frommen onferer Kinder zu vereinfachen, liegt auf der 
Hand. ^ 

§ 58^ B.ch.^ C% ift als Anlaut in Neuhochdeutfchen Wörtern 
nicht mehr vorhanden: in Chor (Ckarfreitag y Charwoche) und 
Chwr {Ch/urfwrfi, ChwwU/rde), diefen Überreften aus dem Alt- 
deutfchen, beginnt es Ichon läng£t dem ä; zu weichen, und 
fowohl in dem BaumerfchenWörterverzeichnÜTe wie in dem 
der Orthographifchen Konferenz*) fteht richtig gefchrieben 
Karfreitag Karwoche Kwfürfiy eine Schreibweife , die nun 
wohl für alle Folgezeit als feftftehend betrachtet werden kann. 
IndelTen hat lieh diefes ch als Anlaut auch in einigen aus dem 
Griechifchen ftammenden Fremdwörtern feftgefetzt. Wenn es 
hier dem Grichifchen x gemäß, wie in Chi/rwrg Chemie Chaos 
lautete, fo wäre nichts dagegen zu erinnern; indem es aber 
ganz wie h gefprochen wird, fteht es in offenbarem Wider- 
fpruche mit der phonetifchen Natur unferer Sprache. Man 
feilte meinen, daß diejenigen, welche lieh nach Herrn von 
Baumers Vorgänge darin gefallen in fchroffem Gegenfatze 
zu den Hiftorikern als Phonetiker zu gelten, vor allen 
Andern um fo mehr dazu berufen wären diefem orthogra- 
phifchen Misbrauche entgegenzutreten, da* der Gebrauch des 
anlautenden ch in den angegebenen Fremdwörtern nicht fo- 
wohl muhiftorifch als eben xmphonetifch ift. So kennt denn 
auch das Italienifche mit feiner ftreng phonetifchen und von 
den Herrn, die fich fo gern Phonetiker nennen, eben des- 
halb als Mufter hingeftellten Schreibweife in Ermangelung 
eines k nur carcUtere, carta, carda, corOy Criflo, cronica. Von 
Herrn von Baumer aber und leinen Anhängern möchten 
wir behaupten , daß lle gar nicht einmal auf den Gedanken 
gekommen feien die beregte misbräuchliche Schreibung zu 
befeitigen; fonft würden in dem Baumerfchen Wörterver- 
zeichniffe wie in ^em der Orthographifchen Konferenz**) nicht 
Jetzt noch Charakter ^ Chor^ Chriflj Chronik figurieren, nachdenoi 



\ 



*^ Verhandlungen der Konferenz S. 35, 37 und S. 163, 165. 
**) Verhandlungen der Konferenz S. 31 und S 156. 



— 193 — 

die Konferenz felbft übier diefe jedenfalls anomale Sclireibung 
ganz hinweggegangen ift. Richtig fehreibt man fchon längft — 
und auch in den eben erwähnten WörterverzeichniÜfen wird 
gefchrieben — Karte , wiewohl diefes Wort vor andern Wör- 
tern diefer Art nicht das Mindefte voraus hat. Richtig be- 
merkt fchon Andrefen in feiner orthographifohen Schrift 
vom Jahre 1855*), wiewohl etwas gar zu leife auftretend : „Weil 
anlautendes ch im Deutfchen nicht mehr vorhanden ift, fo 
liegt billigkeit darin, daß diejenigen Wörter, welche mit diefem 
zeichen urfprünglich verfehen, früh aufgenommen und einge- 
bürgert find, d^sfelbe gegen deutfches k vertauf chen, wei\n 
zugleich die ausfprache dafür ftimmt. Der gewöhn- 
liche gebrauch wird fich vermuthlich nur zu einem einzigen 
beifpiele bekennen : Jearte (charta) ; doch es genügt zur em- 
pfehlung anderer, wie Tearakter ^ hrift und vielleicht hromk.^^ 
Richtig fteht fchon in dem vortrefflichen WörterverzeichnilTe 
von Dudens Deutfcher Rechtfehreibung:**) yfiha/rakter^ gr. 
Xo^f^^'^^Qy der Ausfprache entfpricht beffer die fchon vielfach 
übliche Schreibung Karakter^^^ desgleichen weiter unten: 
^fihokrcLf allgemein übliche Schreibung, obwohl die Ausfprache 
Kolera verlangt/' und ebendafelbft : ^jChorde, beffer Korde^ lat. 
Chorda," wozu freilich nur theilweife folgendes unter dem 
Worte Chor Gefagte ftimmt : „Die Schreibung des Wortes mit 
ch ift zu allgemein, als daß man die beffere des Mhd. mit 
k wieder einführen könnte. Dasfelbe gilt für ChrifU Wo 
aber Schwankung eingetreten, ift der Schreibung mit k der 
Vorzug zu geben." Wozu in aller Welt diefe überzarte Rück- 
ficht! Der Irrthum wird dadurch nicht gerechtfertigt, daß er 
allgemein ift: man muß ihn in diefem Falle nur um fo ener- 
gifcher bekämpfen. Doch das war vor dem Zufammentritte 
der Orthographifohen Konferenz. In Dudens nach der 
Konferenz gefchriebener Zukunftsorthographie macht 
fich diefe fcheue Zurückhaltung dem allgemeinen ufua gegen- 



*) Andrefen Dtfch. Orthogr. S. 152. 
**) Duden Dtfch. Rechtfehreibung S. 83, 84, 

Eisen, Deutsche Orthographie. 13 



— 194 — 

über etwas weniger geltend. Vielmehr muß man dem für die 
orthographifche Beform fo rühmlicli thfitigen Mianne das Zeug- 
nis geben, daß er neuerdings — vielleicht in Folge der im 
Schöße der Orthographifchen Konferenz gemachten Erfahrun- 
gen — etwas felbftändiger und freier auftritt als in der 
Zeit vor und während der Konferenz , wo es uns nicht feiten 
vorkam als wäre er auch, wie fo viel Andere, ein pedisequus 
des Herrn von Baumer. Einen günffcigen Eindruck macht 
es auch^ wenn er in feiner Zukunftsorthographie*) 
angeüchts der Thatfache, daß ch im Anlaute^ auch wo es den 
Laut von k hat, von der Orthographifchen Konferenz erhalten 
worden ift, die Erklärung abgibt: „Dadurch iffc leider der 
fchon hie und da verfuchten Neuerung, die Wörter KaraMer 
und Kronik einfach ihren Lauten geinäß zu fchreiben, das Ur- 
teil gefprochen, obgleich fie genau dasfelbe Becht haben wie 
Karte aus lat. Charta, gr. o X^^VS» ^^^ ^^ mochten wir gern 
auf ZuläfUgkeit plädiren.^' Er hätte hinzufügen können, daß 
die ganze Frage über anlautendes ch von der Orthographifchen 
Konferenz über das Knie gebrochen worden fei ; fonft würden 
nicht in den von derfelben herausgegebenen Begeln**) Chaos^ 
Chemie, (Mrwrg^ Chorographie, Charakter, Cholera, Chor, Choral, 
Chrifl, Chrordk wie Kraut und Buben durch einander liegen. 
Der phonetifche Grundzug unferer Orthographie 
erheifcht durchaus, daß da, wo k gefprochen 
wird, auch k gefchrieben werde. Alfo Karte, und fo 
auch Karakter, wie man fchon im Mhd. fchrieb und wie man 
auch jetzt vielfach gefchrieben findet; aber konfequenter 
Weife auch Korde und Kor {Koral Korift), mhd. kdr\ femer 
Krifl, mhd. krift und Krordk mhd. krdnike^ endlich auch Ko- 
lera mit kölerifch. 

Inlautendes ch wird k gefprochen und ift k zu fehreiben 
in Orkefter, eine Schreibung, die um fo zweckmäßiger ift, da 
ile zugleich eine Art von Damm ift gegen die felbft in gebil- 



*^ S. 77. 
**) Verhandlungen der Konferenz ^S. 150. 



— 196 — 

deten Kreifen nicht feiten faKche Ausfprache Orfchefier^ die 
von einem mangelhaften FranzönTchen Unterridite herrührt. 
§ 59f 4. tia tie tio. Wir beiltzen im Deatfchen eine 
Menge aus dem Lateinifchen ftammender Fremdwörter mit t 
in der Verbindung tia tie tio ] die der letztem Art und nicht 
zu zählen. Sie wurden urfprünglich fo ausgefprochen , wie 
man Rg fchrieb: keinem Menfchen im alten Bom fiel es ein 
natdo zu fprechen. Diefe reine Ausfpraehe erhielt Jlch aber 
nicht. Indem man die beiden Silben ti-a ti-^ ti-o im tagtäg- 
lichen Gebrauche, der überall unter dem Einfluße der Be- 
quemlichkeit fteht, etwas haftig zuTammenraffte , fchob üch 
hinter dem t allmählich ein anfangs unmerklicher, nach und 
nach aber immer ftärker herrortretender ZiTchlaut ein, wie 
es vom lautphyfiologiCchen Standpunkte aus fehr erklärlich 
ift*). Eben deshalb, weil fie ihren natürlichen phyUologifchen 
Grund hatte, blieb diefe veränderte Ausfprache nicht auf den 
Volksdialekt befchränkt, fondem war, als das Italienifche im 
13. Jahrhunderte eine fefte Geftalt annahm, bereits allgemein 
Yßrbreitet. Aber man fchrieb nun auch diefer feften Aus- 
fprache gemäß ahdieamone (abdicatio), abüasdone (habitatio), 
ahoUmone {aholdtio)^ abrogazione (obrogatio), acclamazione (accla- 
matio) und fo in allen ähnlichen Fällen. Man follte meinen, 
die Herrn, deren drittes Wort das phonetifche Prinzip ift, 
wären in diefem klaren Punkte dem Beifpiele der Italiener 
gefolgt; denn auf dem ganzen Gebiete der Wortfehreibung 
gibt es nichts, was in fo plumper Weife gegen den phone- 
tifchen Karakter unferer Sprache verftößt, wie Nazion zu 
fprechen und Nation zu fchreiben. Und doch hält der Er- 
finder des phonetifchen Prinzips, Herr von Raumer, an der 
Schreibung -Hon unbeirrt feft, und feine Anhänger thun es 
ihm natürlich nach. Zwar laßen uns im vorliegenden Falle 
die eigenen GeHnnungsgenoßen im Stiche. Andrefen, einer 
der klarften und bewufteften Anhänger des hiftorifchen Prinzips, 
äußert fach folgendermaßen über die befagte Schreibung : „Das 



*) Vgl. Zumpt Lat. Grammatik § 6. 

13 



— 196 — 

lat. t vor der enduDg -ia und -tum ift im franz. in c, im dent- 
fchen*) in «übergegangen, z.B. jujtizy mtliz, hospiz^ 
welche mit „promn^^ auf gleicher linie (?) ftehn. Dagegen 
irt t vor -ib im franz. (ebenfo engl.) unverändert geblieben, 
und auch unfere Orthographie fcheint wenig geneigt zu fein 
dasfelbe gegen z zu vertauTchen. Zwar wird um der konfe- 
quenz (?) willen von einigen nicht nation, auJction, por- 
tiorif konjunkttofiy interpunhtion, fondem nazion 
u. f. w. gelchrieben; allein man thut recht lieh davon ab zu 
wenden und beim t zu verbleiben. Kommt doch keiner auf 
den gedanken lat. v in deutfches w zu verwandeln, obwohl 
es den laut desfelben hat (?), nicht einmal bei dem einge- 
bürgerten Worte „puZver;" fo mag auch t in der endung -tian 
den laut des z vertreten." Wir haben för die hier entwickelte 
eigenthümliche Anficht , namentlich für die Berufung auf das 
Franzöfifche und Englifche, ebenfowenig eine Erklärung, wie 
für das auch von Michaelis unbegreiflich gefundene ftarre 
Fefthalten an dem undeutfchen th, Ptdwer zu fchreiben für 
Pulver oder naiw und maffiw u. dergl. mehr ftände ebenfo fehr 
im Widerfpruche mit unferer phonetifchen Schreibweife , wie 
Nation u. f. w. Räumt doch Andrefen in einer Anmerkung 
zu der angeführten Stelle felBer ein, daß fchon im Mhd. 
die Spuren der richtigen Schreibung Nazion in Formen, wie 
abfoluzie (Abfohtzion) , diaputazie (Düputazian) , leeze 
{Leczion)y fich finden. Aber freilich hält es felbft Jakob 
Grimm in dem vorliegenden Falle ftillfchweigend mit feinen 
grammatifchen Widerfachem. Und die Orthographifche Kon- 
ferenz? Die von ihr veröffentlichten Regeln**) — eine Ver- 
handlung über diefen immerhin orthographifch wichtigen Punkt 
hat unferes Wißens gar nicht ftattgefunden ***) — enthalten 



*) Auch im Italienifchen : gktftissiaj miUziay oapizio. S. 
oben. 
**^ Verhandlungen der Konferenz S. 149 f. § 34. 
***) Deshalb laßen auch fowohl Duden in der Zukunfts- 
orthographie, wie Bezzenberger in den Randbemer- 
kungen die Frage ganz unberührt. 



— 197 — 

folgende Beftimmiing : „Oft behalten auch längft eingebürgerte 
Fremdwörter ihre arfprüngliche Schreibung. So bleibt t in 
der Verbindung tia tie Ho: z. B. martialifch, Patient^ Nation.^^ 
Um aber von vom herein die auffallende Inkonfequenz zu 
entfchuldigen , mit der man der eben gegebenen Beftimmung 
zuwider unter Anderem überall und immer Grazie fchreibt, 
wird eine Anmerkung hinzugefugt des Inhalts : ,,Aber vor un- 
betontem e wird ti öfters zu zi, z, B, Gfrazie, Ingredienzien^^ 
Nun das ift ja richtig, zu den vielen argen Misbräuchen, an denen 
unfere Wortfehreibung — es find eben die Nachwehen jahr- 
hundertlanger orthographifcher Verwirrung*) ~ noch immer 
leidet, gehört auch die, daß eine ganze Anzahl von einge- 
bürgerten Fremdwörtern dem überwiegenden Sprachgebrauche 
gemäß ihr t vor ia ie io behalten, wiewohl es ganz allgemein 
wie z gefprochen wird. Aber gerade diefer Misbrauch muß, 
wenn es einmal an eine Reform unferer Wortfehreibung geht, 
ans einem doppelten Grunde unbarmherzig befeitigt werden, 
erftens nemlich, weil er, wie fchon bemerkt ift, im grellften 
Widerfpruche fteht mit der phonetifchen Natur unferer Schreib- 
weife, und zweitens, weil auch hier, wie in fo vielen andern 
Fällen, der Schreibgebrauch auf eine befonders für die Schule 
unausftehliche Weife fchwankt. Von uns felber ganz abge- 
fehn findet fich z. B. in dem fchon einmal von uns gerühmten 
Magazin für die Literatur des Auslandes, von 
Jofeph Lehmann herausgegeben, nie anders gefchrieben 
als Generazion, ReaJezionf FraJczion u. f. w. **), Und diefe 



*^ S. oben § 21—23. 
**) Leider ift die gefchätzte Zeitfchrift, die ihrer Zeit in der 
Rechtfehreibung wirklich etwas voraus war, wieder rück- 
wärts gegangen, feit fie — was erft in der neueften 
Zeit gefchehn — die Lateinifche Schrift angenommen hat. 
Da trifft man wieder unphonetifche Formen, wie Nation, 
Senfation, ReacHon^ und die echtdeutfchen Buchftaben 
h und z haben dem undeutfchen c wieder Platz ge- 
macht. Als ob das die Lateinifchen Lettern fo mit fich 
brächten. 



— 198 — 

Schreibweife ilt nicht etwa neueres Datums: unter Andern 
haben ile fchon im erlten Viertel des laufenden Jahrhunderts 
zwei namhafte Männer, nemlich der Philolog Valentin 
Chriftian Boft und der Philofoph Wilhelm Traugott 
Krug, in ihren zahlreichen und weitverbreiteten Schriften 
zu konfequenter Anwendung gebracht. Nichts ift hinfalliger 
als die Idee, daß ausnahmsweife nur Wörter wie Oratde wegen 
des auf die Silbe ti folgenden unbetonten e mit dem » ge- 
fchrieben werden müften. Solche wunderlichen Bückßchten 
nimmt der phonetifche Karakter unferer Sprache nicht. Wo 
d geljprochen wird, da ift eben, gleichviel welcher Vokal und 
ob ein betonter oder ein unbetonter folge, immer und überall 
auch sd zu fchreiben. Alfo Namon^ Aukmon^ Porxion^ Kon- 
pmkzian, Inteijmnkzionj und wie die Hunderte von Subftantiven 
diefer Bildung alle heißen, femer Chraidey Akzie mit Aksdonärj 
Inffredienzien, Antezedenzien, Pcunenty Qtbozient, parzidi u. f. w., 
aber auch marziaUfchy Lizenzier y Terzia u. f. w. und felbft- 
Nunziua. 



J 



Anhang'. 

§ 60« Dem Titel unferer Schrift nach find wir zu Ende. 
Worüber wir mit Herrn von Baumer in orthographifcher 
Beziehung zu rechten hatten, darüber haben wir mit ihm ge- 
rechtet. Wenn wir trotzdem diefe Gelegenheit ergreifen, um 
noch über ein paar andere orthographifche Punkte und zwar 
über den (§. 8) Tchon berührten, aber noch nicht befprochenen 
Gebrauch der Dehnungszeichen uns aus zu laßen, fo gefchieht 
es im IntereiTe der künftigen orthographiTchen Einigung, die 
nach Kräften und nach Möglichkeit zu fördern der Haupt- 
zweck diefer Schrift ift. 

Herr von Baum er ift bis zur Berufung der Orthogra- 
phiTchen Konferenz nirgends, fo viel wir wißen, mit feiner 
Anficht über die Dehnungszeichen hervorgetreten, wozu er 
auch wohl keine Veranlaßung hatte, weil lieh feine früheren 
Schriften vorzugsweife um das fogenannte phonetifche Prinzip 
drehn und diefes Prinzip bei den Dehnungszeichen wenig 
oder gar nicht in^ Betracht kommt. Erft in der für die Ortho- 
graphifche Konferenz in höherem Auftrage gearbeiteten Vor- 
lage (Verhandlungen S. 62) fchlägt er eine Befchränkung der 
Dehnungszeichen, aber „in der befcheidenften Grenze" vor. 
In der Konferenz felbft gehört er zwar, wie es fcheint, zu der 
Majorität, d^ fich für prinzipielle Tilgung der Dehnungs- 
zeichen ausfpricht, rath aber auch hier (Verh. S. 93) von 
„ftärkeren Eingriffen*' in die gegenwärtige Schreibgewohnheit 
ab und wirkt eifrig für die Beibehaltung der Dehnungszeichen 
vor e and i. Und fo ift es wohl feinem dominierenden Ein* 



— 200 — 

flöße hftuptfachlich zu zu fchreiben, wenn die Konferenz mit 
einer unmotivierten Inkonfequenz auch hier nur etwas Halbes 
zu Wege gebracht hat, ein Refiiltat, das Duden, neben 
Wilmanns und Imelmann das eifrigfte, umiichtigfte und 
energilchrte Mitglied der Konferenz , mit Recht für ein ver- 
fehltes anficht. 

Daß die Dehnungszeichen felbft bei der maßvollTten Re- 
form unferer maßlos verdorbenen Wortfehreibung zuerft und 
vor Allem über Bord geworfen werden multen und daß gegen- 
über diefen elenden Uberbleibfeln aus der wüften Schreib- 
weife vergangener Jahrhunderte (§ 25) zaghafte Befcheiden- 
heit und feige Scheu vor Eingriffen in die fuße Gewohnheit 
fehr wenig am Platze feien, darüber find außer denen, die mit 
befchrähktem Unterthanverftande fich vor dem Tyrannen ufus 
beugen, wohl Alle einig*). Die dringend gebotene Her- 
ftellung einer Einigung in der Deutfchen Rechtfehreibung ift 
ohne Tilgung der Dehnungszeichen gar nicht denkbar.. Die 
Mitglieder der Orthographifchen Konferenz, welche der von 
Seiten der Majorität beabfichtigten durchgreifenderen Befeiti- 
gung der Dehnungszeichen hemmend in den Weg traten (Ver- 
handl. S. 108 f.), haben alfo der Deutfchen Sprache und dem 
Deutfchen Volke einen um fo fchlechteren Dienft erwiefen, je 
wahrer ift, was Imelmann (Yerhandl. S. 90) in der dritten 
Sitzung der Konferenz bemerkt, daß „die Entbehrlichkeit der 
Dehnungszeichen bereits eine populäre Überzeugung, ihre 
Befeitigung ein in weiten Kreifen empfandenes Bedürfnis 
fei." Dennoch würde man nach unferem Dafürhalten nicht 
recht thun, wenn man die Dehnungszeichen fammt und fondera 
in einen Topf werfen und in Baufch und Bogen verwerfen 
wollte. Wir nehmen ^q hier einzeln durch. 

In der Bezeichnung eines langen Vokals herrfchte bisher 
im Deutfchen, wie wir fchon früher (§ 8) zu erwähnen Gelegen- 
heit hatten, eine merkwürdige Verwirrung. Man ließ nemlich 
diefe Länge in vielen Fällen ganz unbezeichnet; wo man fie 



*) Vgl. oben § 35, S. 129. 



— 201 — . 

aber bezeichnete, da gefchah es bald durch ein hinzugefügtes 
hj bald durch ein beigefetztes 6, bald durch Verdoppelung 
des betreffenden Vokals. 

I. Was erftens das % als Dehnungszeichen anlangt, fo muß 
man unterfcheiden zwifchen dem bloßen Dehnungszeichen h 
und dem wurzelhaften .oder organifchen h, das, wie in fchmäh- 
lieh (Schmach) und allmählich (allgemacA) als tenuis der Gau- 
menreihe mit chy der verwandten aspirata derfelben Beihe, 
wechfelt (§46 S. 165) oder, wie in Ähre, fahen, {fähig), wehen, 
als h fchon an der Wurzel haftet oder, wie in tsehn, durch Laut- 
verfchiebung einem Griechifchen x (Sixa) und einem Lat. c 
(decem) entfpricht. Das Letztere muß natürlich unangetaftet 
bleiben. Was aber das erftere betrifft, fo muß man wieder 
genau unterfcheiden zwifchen dem h, das, wie in Zahl, als 
Zeichen der Dehnung dicht hinter dem langen Vokale fteht, 
und zwifchen dem Ä, das lieh, wie in Thalf vom 15. Jahr- 
hunderte ab in Folge eines feltfamen Misverftändniffes in 
Wörtern mit anlautendem und auslautendem t zu diefem t ge- 
feilte. *) Es ift ein nicht hoch genug anzufchlagendes Ver- 
dienft der Orthographifchen Konferenz, daß fle diefes unver- 
nünftige th in allen Deutfchen Wörtern erbarmungslos getilgt 
hat. Eine gewiffe Vorücht erheifcht dagegen die Behandlung 
des erftgenannten h. Wir gelangen nemlich durch die Til- 
gung des dem langen Vokale unmittelbar anhangenden h zu 
Schreibungen, wie ir in im für ihr ihn ihm. Von diefen Formen 
möchte das ir allenfalls noch zu dulden fein, weil ihm kein 
ir mit kurzem i zur Seite fteht. Aber in und im mit langem 
i neben in und im (in dem) mit kurzem i ift und bleibt uner- 
träglich, und di^s deutfche Publikum wird und kann Hch an 
diefe Schreibungen nie gewöhnen. Was foll man unter 
diefen Umftänden thun ? Soll man das ganze h als Dehnungs- 



*) Wir vermuthen, daß diefes Misverftändnis entftanden ift 
durch das Griechifche ®, das gerade damals mit dem 
Wiedererwachen der klaftifchen Literatur der gebildeten 
Deutfchen Welt bekannt ward, 



— 202 — 

«eichen beftehu laßen? Das wäre doch wahrlich recht lächer- 
lieh, wenn man bei der fich jetzt darbietenden vortrefflichen 
Gelegenheit „einen der fchlimmrten orthographifchen Schaden, 
EU delTen Heilung fchon von vielen grammatifchen Doktoren 
Hand angelegt war, durch eine Radikalkur auf immer zu b€- 
feitigen^' *) 'den Wörtlein m und im zu Liebe unbenutzt vorüber 
gehn ließe. Oder foll man das h als Dehnungszeichen tilgen 
und nur in ihn, ihm und allenfalls in ihr noch dulden ? Es ift 
dies eine Anficht, die ihre Vertreter hat und zwar befonders 
deshalb, weil ihr (ihrig) ihn und ihm die einzigen Formen 
find, in denen das Dehnungszeichen h nach einem i fteht. 
Auch wir neigen uns offen geftanden zu der Anficht, daß 
ihn ihm und zur Gefellfchaft auch ihr vorläufig unangetaftet 
bleiben. Wünfcht doch felbft W e i n h o 1 d , der unfere Wort- 
fchreibung mit eiTerner Konfequenz zu reformieren unter- 
nommen hat, gerade bei diefen Formen eine vorläufige Aus- 
nahme zu machen **). Es bliebe allerdings auch noch übrig 
ir in im zn fchreiben, aber die Länge des i in diefen Formen 
nach Altdeutfcher Art durch einen Apex zu bezeichnen, ein 
Verfahren, das fich nach dem Wegfalle der Dehnungszeichen 
auch für andere lange Vokale empfehlen würde. Wir haben 
indeJTen unten (UI, a. E. S. 207) darauf hingewiefen, daß 
diefer Apex bis zur förmlichen und allgemeinen Ein- 
führung der Lateinifchen Schrift nicht füglich verwendet 
werden könne. 

n . Wir kommen zweitens zu e als Dehnungszeichen. Auch 
hier muß man genau unterfcheiden. Wo das e als bloßes 
Dehnungszeichen auftritt, da ift es bei diefer Gelegenheit, wo 
einmal die beßernde Hand an unfere Wortfehreibung gelegt 
¥rird, unnachfichtig auszumerzen. Defto mehr muß man fich 
hüten dasfelbe auch da zu tilgen, wo es organifch d. h. wo 
es fchon im Altdeutfchen vorhanden gewefen oder aus iu io ia 
durch Abfchwächung entftanden ift. Hierher gehören außer 



*) Duden Zukunftsorthographie S. 41. 
**) Andrefen Deutfche Orthographie S, 31. 



— 203 — 

vielen einzelnen Wörtern, wie die, Dieb, Ueb, nie, ror Allen 
die Präteriten der reduplizierenden Verben, befonders fieng, 
gieng, hieng, die von der Konferenz mit einem unbegreiflichen 
Leichtfinne behandelt worden find*). Femer gehört hieher 
die Infinitiy>£ndang -ieren. 

Wir haben uns über die eben genannten Imperfektformen 
bereits früher (§ 29) ausführlicher ausgefprochen ; über die 
auch fchon § 6 erwähnte, aber nur im Vorübergehn befpro- 
chene £ndung -ieren haben wir hier hinzu zu fügen, daß die Kon- 
ferenz trotz dem fehr deutlichen Winke der Herren Wil- 
manns. Stauder und Bonitz auch in Betreff diefer Infi- 
nitivform nicht das Richtige gewählt hat. Anftatt nemlich 
im Intereffe der orthographifchen Einigung, die He zu fördern 
berufen war, auf den in diefem Punkte einzig richtigen Vor- 
fchlag des Herrn von Baumer**) einzugehn, hat fie aus hin- 
fälligen Gründen der Uneinigkeit in der Schreibung der En- 
dung -ieren fo gut wie Gefetzeskraft verliehn. Ift doch ein 
Mitglied der Konferenz in feinem Eifer fo weit gegangen, daß 
es die Schreibung -ieren deshalb, wie es fcheint, perhorres- 
ziert hat, weil de „die Schreibung der hiftorifchen 
Schule'' fei ***). Wenn ein Mann, wie Herr vonBaumer, 
einer der heftigften Gegner der hiftorifchen Schule , in der 
oben angeführten Stelle feiner Vorlage fich dennoch für die 
Schreibung -ieren erklärt und dann hinzugefügt hatte: „Was 
für uns den Ausfchlag gibt die Endung -ieren vor zu ziehn, ift 
der Umftand, daß wir nur dann eine eihheitliche Schreibung 
diefer Endung erreichen können, wenn wir durchweg ieren 
fchreiben ; denn zu regiren, emqucvttiren u. f. w. wird man fich 
fchwerlich verftehn" — , wenn ein Mann, wie Herr von Bau- 
mer fich in diefer Weife geäußert hatte, fo war das doch 
wohl für alle Verftändigen ein ebenfo verftändiger wie ver- 
ftändlicher Wink, daß man die von unferem gröften Sprach« 



Verhandl. der Konferenz S. 95 und 96. 
**) Verhandl. S. 58. 
***) Verhandl. S. 94. 



— 204 — 

forfcher gegründete hlftoriTche Schule noch fo fehr haßen 
könne und doch als Mitglied der Orthographifchen Konferenz, 
die zur Herltellung einer gewüXen orthographifchen Einigung 
berufen war, zunächlt und yor Allem feine Angabe im Auge 
zu behalten und diefer hohem Aufgabe perfönliche Grillen zu 
opfern Yerpflichtet fei. Nun konnte aber von einem Opfet, 
das man hier bringen mufte , für Einfichtige überhaupt nicht 
die Bede fein. Zu regiren nemlich und zu einquartiren wird fich, 
wie gefagt, fchwerlich jemand verftehn und noch weniger 
zu marfchiren /pasdren ftudiren und am allerwenigften zu friren 
verUren ziren^). Hier halten uftia und hiftorifches Prinzip 
zufälliger Weife feft zufammen. Will man alfo nicht das eine 
Mal 'ieren und das andere Mal -iren fchreiben und den alten 
Jahrhunderte langen Wirrwarr auch femer leichtes Sinnes be- 
ftehn laßen — wozu man in der That keine orthographifche 
Konferenz zu berufen brauchte — , fomuß man eben durchgängig 
'ieren fchreiben. Und mit der allgemeinen Annahme diefer 
Schreibweife leiftet man nicht bloß dem praktifchen Bedürf- 
nifTe nach möglichft einheitlicher Wortfehreibung einen wefent- 
liehen Dienft , fondem macht auch die Phrafe von der „Treue 
gegen unfere Vergangenheit^^ und von dem „echt hiftorifchen 
Sinne" **) zu einer Wahrheit, fintemal die Schreibung -tercn, wie 
bereits Herr von Baumer bemerkt hat, fchon im Mittelhoch- 
deutfchen begründet und der ziemlich häufigen Subftantiv- 
Endung -ier {Turnier Revier Barbier QiJbartier Pcbpier Klavier 
Panier Klyftier Manier Tapezier u. f. w.) entfprechend that^ch- 
lieh eine altbewährte und echt hiftorifche Schreibart ift. Siehe 
Grimm Sprachlehre II, 352, Andrefen Deutfche Ortho- 
graphie S. 150 f. und befonders Weigand in Schmitt- 
henners Deutfchem Wörterbuche I, 529. 

Um aber auf e als Dehnungszeichen zurück zu kommen, 
fo gewährt die konfequente Tilgung desfelben zwei nicht un- 
wefentliche Vortheile. Erftens nemlich wird dadurch „reinere 



*) Vgl. was oben § 6 S. 50 bemerkt ift 
**) Verhandl. der Konf. S. 109. 



— 205 — 

Ausfprache des organiTclien ie (in dienen , liehen y giejSen 
u. f. w.) gewonnen"*) und zweitens tritt das organifche ie 
nun wieder in feiner fprachlichen Bedeutung hervor, die durch 
feine vierhundertjährige Vermengung mit den Wörtern, in 
denen e bloß die Dehnung anzeigt, völlig verwifcht worden 
war. 

in. Was drittens die Verdoppelung des a e o betriflPt, fo 
hat das oa den vielen Ausnahmen gegenüber {Schaf Schlaf 
kam Scham jchahen fchaden u. f. w.) gar keine Berechtigung. 
Es gibt nicht ein einziges Deutfches Wort, in welchem gemi- 
niertes a zu fchreiben auch nur ein fcheinbarer Grund vorläge. 
Ja (elbft die Wörter Saat und Staat, in denen man Doppel-a 
zu halten noch am erften verfucht fein könnte, erheifchen 
dasfelbe fowenig wie die Lateinifchen Formen fattis und fiatus, 
von denen lie ftammen. Der Grund für diele Entbehrlichkeit 
eines Dehnungszeichens hinter gedehntem a liegt darin, daß 
unfer a, zumal da es fonft nur an der Wurzel haftet, eben 
vorzugsweife lang ift, fo daß es gar keinen Sinn hat auf diefe 
Länge noch befonders hinzuweifen. So verwirft denn auch 
Jakob Grimm jede nähere Bezeichnung des langen a mit 
den Worten: „Einleuchtend ift das auch überwiegende unbe- 
zeichnetlaffen der dehnung allein richtig und die zweite und 
dritte weife (diefes gedehnte a durch geminierung oder durch 
eingefchobenes h auszudrücken) hätten längft verworfen Ti^erden 
foUen, da "kam und lahm, war haar jähr für uns völlig gleichen 
laut haben, um unterfchiede der bedeutung, wie war (fui) 
war (verus), waren (fuerunt), waaren (merces), wahren (fervare) 
darf man unbeforgt fein" **). 

Etwas anders zu beurtheilen und oo und ee. Diefe 
Doppelvokale müßen uns nemlich in unferem mangelhaften 
Alfabete die Griechifchen Vokale w und ^ erfetzen. Qegen 
00 zwar laßen fich diefelben Gründe geltend machen, die gegen 
aa fprechen. Unfer o ift nemlich im Gegenfatze zu dem ftets 



*) J. Grimms Worte im Dtfch. WÖrterb. I, S. LVni. 
**) Grimm Dtfch. Wörterb. I, S. 3. 



— 206 *-^ 

kurzen o fitXQov der Griechen feiner Entftehung aus a ^ond u 
gemäß ebenfalls überwiegend lang)- fo daß Bot Los Mor Mas 
a. f. w. ebenfowenig, wie Bote Brot Hofe los Bofe Ton Vogt 
und zwanzig andere Wörter diefer Art, einer Verdoppelung 
des Vokals bedürfen. 

Anders verhält es lieh mit ee. Man muß hier — von 
dem nicht in Frage kommenden tonlofen e ganz abgefehn — 
das hohe und das tiefe e unterfcheiden. Das tiefe, das der 
Ausi^rache nach dem langen ä ziemlich gleichkommt, bedarf 
keiner befonderen Bezeichnung, und es fällt keinem Menfchen 
ein anders als g^en Reben fchweben^ als Segen wegen bewegen, 
als Weg und Steg und her quer zu fchreiben. Auch das hohe 
e ift kaum einem MisverftändnÜTe unterworfen, fobald es wie in 
beben lieben reden regen Hefe Hege u. f. w., im Stamme haftet; denn 
die Stammiilbe fpricht eben jedermann auch ohne befonderen Hin- 
weis auf ihre Betonung lang aus, und Sele und Bere miirErdbere 
und Lorber (fo fchon Adelung) von den eben genannten Wör- 
tern durch ein Doppel-« auszuzeichnen hat nicht den geringften 
Grund. Nicht einmal in einUlbigen Wörtern, die konfonantifch 
auslauten, ift doppeltes e geboten. Schwer kennen wir feit Jahr- 
hunderten gar nicht anders als in diefer Form, wiewohl Luther 
noch fchweer fchrieb. Was hat denn aber fehwer vor anderen 
einUlbigen Wörtern mit konfonantifchem Auslaute voraus? 
Warum alfo nicht, wie fehwer, auch Her (exercitus) Bet (area) 
Sper (hafta), die man wegen ihres einfachen konfonantifchen 
Auslautes Herr Bett Sperr zu fprechen doch fchwerlich Gefahr 
läuft. Und warum nicht, wie fehwer, folgerichtiger Weife 
auch ler und Mer für leer und Meer? Nur Geft für Geeft könnte, 
da es kein ffi gibt, einigen Anftoß nicht ohne Grund erregen. 
Trotz alle dem halten wir es aus folgenden Gründen für ange- 
meßen, daß man es felbft in diefen einUlbigen Wörtern mit 
konfonantifchem Auslaute vorläufig bei der hergebrachten 
Schreibart laße. Erftens nemlich kann ee nun einmal nicht 
ganz getilgt werden, fondem fteht, wie gefagt, fo ziemlich 
feft in dem Worte Geeft, ja fteht unerfchütterlich feft in den 
auf ee auslautenden Wörtern, wie Klee Schnee See, die mit 



— 207 — 

einfachem e za fclireibeii (Kle Sehne Se) rcUechterdingB un- 
möglich ift, und Her ler Mer für Heer leer Meer zu fchreiben 
dürfte im Intereffe der Einigung zunächft wenigftens nicht 
rathfam fein. Zweitens hat es mit ee überhaupt eine andere 
Bewandtnis als mit (la und felbft mit oOy in fo fem es uns, 
wie befonders aus Wörtern, wie Kamed {xd[Ji,fjXog\ erfichtlich 
ift, das Griechifche rj erfetzt und auf diefe Weife eine fühl- 
bare Lücke in unferem Alfabete ausfüllt. Drittens endlich 
würde man das ee allenfalls dadurch los werden können — 
und dies wäre der einzige Ausweg - , daß man langes e nach 
Altdeutfcher Weife überall, vornehmlich aber in den auf ee 
auslautenden Wörtern, mit einem apex verfahe; diefer apex 
ift aber unverträglich mit Deutfcher Schaft , und die all- 
gemeine Einführung der Lateinifchen Schrift wird vorauslicht^ 
lieh noch lange auf lieh warten laßen. Alfo vorläufig noch 
Beet Geeft Heer leer Meer Schmeer Speer Teer^)) befonders 
aber Klee F^ Lee Schnee See Spree TTiee, desgleichen Aüee 
Armee Idee Kaffee Komitee Livree Mofchee Porree. 

§ 61, Ein zweiter Punkt, über den wir uns noch in der 
Kürze ausfprechen möchten, ift die Schreibung der Eigen- 
namen. Auch hier herrfcht wieder Zerfahrenheit. Zwar 
fttbftantivifche Eigennamen fchreibt alle Welt mit der Majuskel. 
Defto größer ift die Unordnung, die in der Schreibung der 
von Eigennamen abgeleiteten Adjectiven herrfcht. Von den 
vielen und mehr oder weniger verfchiedenen Vorfchriften, die 
dem fchreibenden Publikum hierüber gegeben worden find, 
führen wir hier nur folgende fünf aus der neueren Zeit an : 

1. Nach den Regeln der Hanöverfchen Konferenz (1855) 
kommt der große Anfangsbuchftabe zu (§ 1): 



*) Schel ift neben /cÄ«?er für die richtige Schreibung be- 
reits gewonnen; denn fo fchreiben unter Anderen das Ha- 
növerfche Wörterverzeichnis, Duden Deutfche Eechtfchr. 
8. 45 § 20 und S. 140, Andrefen Deutfche Orth. S. 14 
und bef. Weigand Dtfch. Wörterbuch H, 571 f., wo man 
die nöthige Begründung findet. 



— 208 — 

„Den von Eigennamen abgeleiteten Adjektiven in dem 
Falle, daß diefe Abftammung befonders hervor- 
gehoben werden foll. So in der Kegel bei Perfonen- 
naipen. AlTo: das franzöfifche (englifche) Heer — em 
ftraßbwrger Bürger, Aber ein Göthe'tcheB (^ScTdUer'tchea) 
Gedicht, So unterrcheidet man englifchen Chnxß (Grliß 
der Engel) und EjngUfchev^ Gruß (Groß in englifcher 
Sprache — haierfchea Bier (nach baierfcher Art gebraut) 
und Baierfcke8 Bier (in Baiern gebraut)/' 

2. In Auguft Heyfes „Deutfcher Schulgrammatik'' 
(22. Aufl. vom Jahre 1873) lautet die betreffende Regel 
S. 21, Anm. 2): 

„Die von Ländernamen abgeleiteten Adjective werden 
mit kleinen Anfangsbuchftaben gefchrieben; die von 
Städte- und Ortsnamen abgeleiteten fchreibt man 
belTer groß, befonders wenn üe auf er gebildet und alfo 
eigentlich Subftantive find ; to auch, um MirsverftändnüXe 
zu verhüten, die von Perfonennamen abgeleiteten Adjective 
z. B. die europäischen Nationen, die deutfche^ frcmzöpSche^ 
fpanifche Sprache, weftfälifcher Schinken ; aber Ncrdhäufer 
Branntwein, Rantifche Philolophie, Leipziger und Braun- 
Schweiger Melfe." 

3. Nach der von Dr. Schuft er beforgten 9. Auflage der 
Neuhochdeutfchen Elementargrammatik von Hoffmann kommt 
der große Anfangsbuchftabe (§ 10 S. 20) unter Anderem zu 

„in der Regel allen von Perfonennamen abgeleiteten Ad- 
jektiven, z. B. ein /Sc^iZ^rfches Gedicht — die MozartioAie 
Sonate — das MeierUAi^ Haus (dagegen die luthenfche 
Gonfeflion, der moSaifche Glaube). Dagegen den von 
Länder-, Völker- und Orts- und anderen Eigennamen 
abgeleiteten Adjektiven nur dann, wenn die Deutlich- 
keit es fordert. Alfo die deutfche^ S^Mif^^^^ preußi- 
Sehe Gefchichte, die hannoversche Zeitung, rheinischer 
Lachs." 

4. In der für die Orthographifche Konferenz beftimmten 
Raumerfchen Vorlage heißt es (§ 32, Verhandl. S. 23): 



— 2Ö9 -^ 

„Mit großem Anfangsbuchütabea fchreibt man ... die 
von Perfonennamen abgeleiteten Adjektive and die von 
Ortsnamen abgeleiteten Wörter aaf er : (Tnmmfche Mär> 
eben, Bratmfchweiger Warft." 

Dann gebt es (§ 33) weiter: 

„Alle andern Wörter werden klein gerebrieben. ' Be> 
fonderB find za merken: die von Perfonennamen abge- 
leiteten Adjektive, welche generelle Bedeutang 
haben, z. B. huherifche Kirche, homerifches Gelächter; 
auch die von Orts- und Volksnamen abgeleiteten Adjek- 
tive z. B. rÖmzfchy pret{fitfch.^' 
5. Die in mancher Beziehung fehr tüchtige Latt- 

mannfche Schrift über die Regeln der neuen Orthographie 

(1876) fchreibt Folgendes vor (§ 1, S. 34): 

„Mit großem Anfangsbuchftaben werden ge- 
fchrieben 

die von Eigennamen abgeleiteten Adjektive, z. B. das 
Meieriche Haus , die Luthertche Bibelüberfetzung (aber 
in generellem Sinne: die lutherifche Confeffion), das 
Hcmnoverfche Theater, die Rheinifche Eifenbahn. *) 
Anm. Die von Völkernamen^ abgeleiteten Adjektive, 
befonders die häufiger vorkommenden, fchreibt man meiftens 
klein , z. B. das deutfche Volk, die franzöfifcTien Kriege ; 
die von Ortsnamen abgeleiteten Adjective auf -er find 
immer groß zu fchreiben/^ 
Das Alles find wieder einmal lediglich „Erfindungen 

der Willkür,^^ **) unter der niemand mehr zu leiden hat als 

der arme lernende Eoiabe, zumal wenn er in feiner kindlichen 



*) In der H o f f m a n n fchen Elementargramm, v. S c h u ft e r 
(f. oben) wird gerade hannaverfch und rheinifch verlangt. 
**) So urtheilt auch Andrefen, wenn er fich a. Sehr. 
S. 141 äußert: „Der gewöhnliche gebrauch (in der 
fchreibung der eigennamen) verfährt in hohem grade 
unficher und im ganzen ziemlich willkürlich ; das gefetz, 
welches er bisweilen verrätb, geht aus der Sprache felbft 
nicht hervor." 

Eilen, Deateohe Orthographie. 14 



— 210 — 

Einfalt auch noch unterfcheidea Toll, welches von dielen Ad- 
jektiven jygenerelle Bedeutung*^ habe und bei welchem die 
^,Abftammung noch befonders hervorgehobea^' werden folle und 
wo die ^^Deutlichkeit es fordere/^ daß ein von einem Eigen- 
namen gebildetes Adjectiv den großen Anfangsbuchftaben be- 
komme, und welches Baierfche Bier ,,nach Baierfcher Art ge- 
braut'< und welches ,,in Baiern gebraut^' fei und dergleichen 
mehr. Zwar eine gewiHe Logik haben die angeführten Begeln 
alle mit einander gemein, eine Logik, die wohl in dem Satze 
gipfelt: die Adjektive als folche werden klein gefchrieben, 
folglich auch die von Eigennamen gebildeten. Da aber diefe 
Logik konfequenter Weife dahin führte, daß man auch meinin- 
ger Theater und leipziger*) Meffe und fchiüerfche Gedickte und 
hlopftochfche Oden und dergleichen mehr fchrieb, und da einer- 
feits diefe klein gefchriebenen Adjektive das Auge doch gar 
zu fehr verletzen, anderfeits aber auch die vermeintliche Re- 
gel von den kleinen Anfangsbuchftaben der Adjective nicht 
gar zu fehr verletzt werden durfte, fo blieb eben nichts anderes 
übrig als recht inkonfequent zu fein **) und wieder ganz will- 
kürlich die einen von Eigennamen herkommenden Adjektive 
klein, die andern groß zu fchreiben. Was es aber für einen 
Grund habe, daß man insbefondere die vier Welttheile, daß 
man Deutfchland, Frankreich, Kußland und andere derartigen 
Länder trotz ihrer zum Theil koloffalen Größe in adjektivi- 
fcher Form klein fchreibt, während viele taufend Ortfchaften 
von winziger Kleinheit ihre Adjektive mit einem großen An- 



*) Daß diefe Formen auf -er urfprünglich Gen. PL des 
entfprechenden Subftantivs find, macht an fich keinen 
Unterfchied, da ^le^ wie Andrefen a. Sehr. S. 142 
richtig bemerkt, in Wahrheit fchon längft den Eürakter 
der Formen auf -ifch angenommen haben, folglich 
ganz zu Adjektiven geworden find. 
**) Jakob Grimm vermeidet diefe Inkonfequenz , indem 
er alle Adjektive von Eigennamen klein fchreibt, z. B. 
Weidmann ic\xQ Buchhandlung , henneki'ii^'ß^ Wörterbttch, 
ferner lachmannifchy oftfriefifchj notkerifch. Wo bleibt 
da noch eine Spur von Eigennamen! 



— 211 — 

fangsbucbftaben prangen lehn, das weiß der Himmel. Es 
gibt nichts einfacheres und natürlicheres als die Regel über 
die Schreibung der von Eigennamen gebildeten Adjektive, 
wie fie das Wefen der Eigennamen mit Geh bringt. Eigen- 
namen find und bleiben Eigennamen auch in ad- 
jektivifcher Form. Diefe adjektivifche Form vermag an 
dem* Begriffe des Eigennamens nicht das Mindefte zu ändern. 
Werden al£o die fubftantivifchen Eigennamen groß gefchrieben, 
fo haben die adjektivifchen Eigennamen ganz denfelben An- 
fpruch auf die Majuskel. Niemand, der Lateinifch und Grie- 
chifch verfteht, fchreibt jemals anders als populus Romanuß, 
ri ^EXXrivix^ d^äXoioaa u. f. w. ; aber Alles, was Deutfeh ver- 
fteht oder wenigftens zu verftehen meint, will nun einmal njit 
wenigen Ausnahmen — weil es ihm von Jugend auf fo einge- 
prägt ift — nur deutfches Volk und deutfche, franzöfifchey eng- 
lifche Sprache u. f. w. gefchrieben fehn. In der erften Auf- 
lage der fchon öfters gerühmten Neuhochdeutfchen Schulgram- 
matik von Hoffmann ftand einft als einzig wahre Regel (§ 10) : 
„Mit großen Anfangsbuchftaben fchreibt man im Deutfehen; 

alle von Eigennamen herkommenden Adjektive, z. B. 

Preußfeh, Heffifch.'' 

In der „gröftentheils umgearbeiteten" zweiten Auflage, 
derfelben Schulgrammatik lautet diefe Regel (§ 18) zwar 
etwas abgefcfawächt, aber doch noch ungefälfcht: 

„Auch die von Eigennamen hefkommenden Adjektive 

werden am heften groß gefchrieben , z. B. Preußifch, 

Heffifchf iMtherifchJ'^ 

Möchte fich das Deutfche Publikum wenigftens in diefe* 
eben fo einfachen wie vernunftgemäßen und naturlichen Re- 
gel bald und gründlich einigen und zwar nicht bloß um der 
lieben Einigkeit willen , fondern ganz befonders im Intereffe 
unferer armen lernenden Kinder, für die unter den vielen unnöthi- 
gen Plagen, die ihm die hergebrachte Wortfehreibung mit ihren 
Unterfcheidungen und Erfindungen verurfacht, diejenige mit 
nachten die geringfte ift, die ihnen die gangbaren Regeln über 

die Schreibung der von Eigennamen gebildeten Adjektive machen. 

14* 



Wörterverzeichnis*). 



Abendmal, f. 
Mal. 

Abenteuer. 

ablaßen, wie laßen. 

abfcbüßig Ton Ab- 
fchuß, f. Schoß. 

abftrakt. 

abweren, f. Wer 1. 

adelicb ad lieh 
(S 36). 

Adjektiv. 

Adolf. 

Advokat. 

Ähre. 

Akkord. 

Akknfativ. 

Akt, Akten, Ak- 
zion. 

Akzent. 

Akzie. 

Akzife. 

Akzidenz Akziden- 
zien. 



AI. 

Ale. 

Allee. 

allmählich ($ 

32, S. 120). 
Amboß. 
An, Anfrau. 
anden. 

anderfeits (S. 140). 
anen, Anung. 
angenem, f. genem. 
änlich. 
Anmut, 
anfäßig = feßhaft, 

w. m. f. 
Anteil, f. Teil. 
Ar. 

Argwpn. 
Ärmel (§ 36, 4). 
Armut. 
Afs. 
As 

Aß (Viehleiche). 
Atem. 



Aufrar. 

auftäßigvon fitzen. 
Augenlid ($ 

36, 5). 
Aukzion. 
auflfiindig, L fpitz- 

fündig, 
ausgibig, f. ergibig. 

B. 

Bai, t Note zu 

Hein. 
Baiem ($ 36, 7). 
Ballett, 
ballotieren. 
Ban,an(banen). 
Bankett, 
bar, barfuß,^ 

Barfchaft. 
Bare. 
Bafs. 
baß beßer beft ($ 

36, 9), beßem, 

Beßerung. 



*) Die mit gefperrten Lettern gedruckten Wörter find 
folche, in deren Schreibung der Verf. diefer Schrift mit 
der Berliner Konferenz übereinftimmt. Als Abkürzungen 
merke: Andr. = Andrefen Deutfche Orthographie. 
Han. = Hanöverfches Wörterverzeichnis ▼. Jiüiire 75* 
Weig. = Weigand Deutfches Wörterbach. 



— 213 — 



Beet(J 60, m.). 
befehden, f. 

Fehde, 
befeien befilft befil, 

f. empfelen. 
beflißen. 

befridigen, f. Fride. 
begeren , beging, 

Begir(de), f. Gir. 
behende (S. 131*). 
behilflich, f. Hilfe, 
belehnen v. Lehen, 

w. m. f. 
be Ionen, Lon. 
beraten v. Rat, 

w. m. f. 
Bere. 
Beredfamkeit, 

beredt. (Han. 26). 

Berta. 

berümt, f. Rum. 

befcheren. 

befeien. 

b efeligen. 

beftetigen, f. ftets. 

beteuern v. teuer, 
w. m. f. 

betriegen , Betrie- 
ger, Betrug, be- 
^trügUch ($ 36, 
10). 

Bewandtnis. 

bewaren, f. wa- 
ren. 

bewären, f. war. 

beweren, f. Wer, 1. 

bewuft , Bewuft- 
fein. 

bezichtigen 
(Han. 27. Andr. 
25). 

bider. 

biegen. 



Bier. 

bieten. 

billich, billichen 
(S 36, 11. Andr. 
98). 
Billiett. 
birfchen. 

Biß (morfus) Biße. 

bißchen , ein biß- 
chen (§36,71). 

blafs, Bläffe, 
Bleffe (Han. 
27). 

bleuen (Han. 27). 

bloß (§36, 12). 

Blüte. 

Bole (Bret und 
Trinkfchale). 

Bone. 

bonen. 

boren, durch- 
boren, Borer. 

borniert. 

Borte. 

böfe, boshaft. 

B s k e 1 1. 

Bottich , Böttcher 
(Han. 27). 

Bot. 

Branke ($ 32). 

Brantwein ($ 36, 
73). 

Bret (§ 36, 14). 

Brief 

Brongfe (bronze). 

brofchieren, 
Brofchüre. 

Brot (§36, 15). 

Brül. 

BruTtwer, f Wer,l. 

Budfchet (Budget). 

Buffett. 

Bule. 



Bühl (Andr. 23). 
Büne. 

C. 

(vgl. § 57 und 58). 

Chaos. 

Charitinnen. 

Chemie. 

Chiragra. 

Chirurg. 

D. 

Damhirf eh. 

Darlehn, f. Lehen. 

das (Art. u. Pron.) 
daß(Adv.). 

dasfelbe, des- 
felben. 

Defizit. 

dekatieren. 

deklamieren« 

deklarieren. 

deklinieren. 

dekretieren. 

deliziös. 

Demut, demü- 
tig- 

denen, Denung. 

des, d offen, des- 
gleichen,des- 
halb, deswe- 
gen. 

deuchte v. dünken 
(Andr. 67). 

Deutfeh. 

Dezember. 

Dezimal, wie 
dezimieren. 

Dieb, Dieb- 
ftahl. 

Dienstag (§ 36, S. 
120). 



— 214 — 



dieB(di-efeB), wie 
diesmal, dies- 
feit(8) u. f. w. 

Diözefe. 

Disziplin. 

Dohle. 

Doktor. 

dominieren. 

Donnerstag. 

Drat. 

dreuen , drohen 
(Andr. 67). 

Droge (Drogue), 
Drogerei, Dro- 

gift. 
D r o n e. 
dr önen. 

DroJCrel(Singvogel). 
Düte ($ 36, 19). 



echt. , 

Efeu. 

Ere, eren, erenvoU. 

eichen, Eich- 
amt. 

eklich. 

Ekftafe. 

Elefant. 

elektrifch. 

Elentier. 

Eltern. 

emanzipieren. 

empfelen empfilft 
empfilt empfil ; 
ebenfo befeien. 

entberen. 

entblößen v. bloß. 

Enzyklopädie. 

erbofen v. bÖfe. 

erdroßeln. 

ereignen, Er- 
eignis. 



ergetzen($36,70). 
ergibig, wie gib 

(Andr. 33). 
erkiefen erkor 

erkoren, 
erlefchen, f. lefchen. 
Ernte ($ 36, 84, 

S. 140). 
erwähnen (Andr. 

23. Han. 29). 
erweren lieh , f. 

Wer 1. 
erwidern (§ 36, 

21). 
eßen aß gegeßen. 
E£fe. 

Eßich (Andr. 96). 
Etikette, 
exerzieren. 
Exzellenz, 
exzerpieren, 
exprels. 
Extrakt. 



fanden (fachen). 

Fagott. 

fal. 

Fane, Fänrich. 

Fantalle. 

faren, Fart, Färe. 

Fasnacht (§ 32, 
S-. 118*).' 

Faß Fäßer. 

faßen, faßlich. 

F e e (§ 60, IH). 

Fehde, Ur- 

fehde. 

feien, Feier. 

Feme, verfemen 
(^86,81,S.139). 

Fefte, Feftung. 



Fibel. 

Fiber (Pafer). 

Fidel. 

Fieber (Krankheit). 

fiel V. fallen. 

fieng y. fangen 

(S 29, S. 107 ff.). 
Firnis, -iffes. 
Fittich(§36,25). 
Flaus verw. mit 
Flies , nicht Vlies. 
Flieder.' 
Fliege, fliegen, 
fliehen (fliehn) 

floh geflohen, 
fließen floß ge- 

floßen. 
fliftem , Geflirter 

(§36,26,8.133). 
Floh. 
Floß (Fahrzeug 

aus Baumftäm- 

men). 
Floße (Fifch- 

fchwimmhaut). 
Flöße, flößen. 
Fluß Flüße. 
Flut, fluten. 
Fön. 

Före. ^ 

Franfe. 
freßen fraß ge- 

freßen. 
Fride. 
frieren V. Frie- 

fel. 
Fris. 
frifieren. 
Fron, Fron- 

fefte, Fron- 
leichnam, 
fülen, Gefül. 
Fündling. 



— 215 — 



fürlieb. 
Fußftapfe (§36, 
27, S. 133). 

G. 

Galer e. 

Galopp. 

gänen. 

Gängelband. 

gären gor ge- 
goren. ^ 

Gas. 

Gaße. 

gebaren, aber 
Geberde (S 134). 

gebären gebar 
geboren. 

Gebirge. 

Gebür, unge- 
bürlich; Ge- 
büren. 

gedeihen ge- 
dieh, gedeih- 
lich. 

Geeft (§60, ni). 

Gefar, gefär- 
lich, gefär- 
den. 

Gefärte. 

g^flißentlich. 

Geflifter, f. fliftern. 

Gefül, f. fülen. 

Gegenwer, f. Wer I. 

Gehilfe, f. Hilfe. 

Geiß. 

G ei fei (Bürge). 

GeiTel (Peitfche), 
geifeln (§ 36, 30 
und 31). 

Gemal(in). 

Gemüt, gemüt- 
lich. 

gen(ire). 



geng und gebe 
(§ 36, 74). 

genießen, Ge- 
nuß. 

Genoß. 

Gerät. 

geraten geriet 
geraten. 

Gerate wol. 

gefamt, f. famt. 

Gefandter, Ge- 
fandtfchaft. 

gefchehn ge- 
fchiht. 

gefcheid. 

Gefchmeiß. 

Gefpenft. 

Getreide (§ 36, 
32). 

Gewand. 

gewandt, Ge- 
wandtheit. 

gewar (werden), 
ge waren. 

Gewär Ge- 
"^ärsmann. 

gewären. 

G^ewarfam. 

Geweih. 

Gewer , f. weren. 

G e w i n ft. 

gewiß gewiffe, Ge- 
wisheit. 

Gewißen. 

gewönen, Ge- 
wonheit. 

gib gibft gibt 
V. geben, f. ergi- 
big, nachgibig. 

Gibel. 

gieng V. gen (§ 29). 

gießen goß ge- 
goßen. 



Gießen (Stadt). 

Girlande. 

Gittarre. 

gleichwol,f. wol. 

gleifen, Gleis- 
ner, gleisne- 
rifch. 

gleißen (glän- 
zen). 

Glid(maßen). 

Globus -uffe. 

glühen, Glut. 

Gneis. 

Goße. 

Gote, Gotifch. 

Gras. 

graß, gräßlich. 

Grat, Gräte, grätig. 

Gräuel , gräulich 
(Grauen). 

Grazie. 

Grenze. 

Griesgram. 

Grieß. 

groß größer 
gröft. 

Großmut, f. Mut. 

Grummet. 

Gruß Grüße. 

gültig (§36, 34). 

H. 

Häckerling od, 

Häckfel von 

hacken. 
Hafer. 

Hai, f.Note zuHein. 
Han. 
Hanover, HanÖv- 

rifch. 
hantieren. 
Har, hären, 

Härchen. 



— 216 — 



harangieren. 

Haß, haßen, häß- 
lich. 

Haupt. 

Hausrat, Haus- 
gerät, f. Gerät. 

Haustür, f. Tür. 

Heer (§ 60, UI). 

Heimat. 

Hein (lucus)*). 

Heirat (§36, 75), 

Heirauch, nicht 
Höhenrauch , f. 
(Weig.I,493f.). 

Hei, Heier, ver- 
helen. 



her, f. herfchen. 

Herd. 

Herde. 

Hering. 

Hermann. 

herrlich. 

Herrfchaft. 

herfchen (Andr.7d). 

Hespe. 

hieng(S29S.107ff.). 

hieß y. heißen. 

Hifthorn (§ 36, 
42). 

Hilfe, behUflich, 
Gehilfe (S 36, 
41, S. 135). 



Himbere. 
hinterlaßen, wie 

laßen. 
Hoboift. 
Hoffart. 
Hoheit. 
Hole, 
holen. 
Hon, hönifch, 

(ver)hönen, 
Horniß, Homißen. 
Hun, Hüner. 
Hüne. 
Hut. 
Hyazinthe. 



*) Wir nahmen erft Anftand von den meift durch die Unter- 
fcheidungsfucht befchränkter Grammatiker gefalTchten 
Wörtern mit inlautendem oder auslautendem ai auch nur 
einige ihrem urfprünglichen ei zurückzugeben. Aber der 
Gedanke, daß auch in Formen, wie Ei (ovum), feig 
(ignavus), feü (venalis) , reichen (porrigere), Reif (circu- 
lus), reifig (equefter), die noch vor Schottel aus dem- 
reiben unwißenTchaftlichen Grunde der Unterfcheidung (von 
ei (Interj.), Feige , Feile, Reichen y rdfy Rdfieh) mit dem 
ai gefchrieben wurden , das ei fchon feit Jahrhunderten 
wiederhergeftellt worden ift, ja daß Getreide, Hdäe, 
Meifche, Weizen, die zu Anfang diefes Jahrhunderts bis 
in die dreißiger Jahre hinein auch noch mit dem nn- 
hochdeutfchen ai erfchienen, nun ebenfalls allmählich 
AufQahme gefunden haben, und der Gedanke, daß ortho- 
graphifche Reformen gerade jetzt, wo man feit Jahren 
darauf gefaßt ift, leichter als vielleicht jemals wieder 
Eingang finden, — das Alles hat uns beftimmt von den 
bisher mit dem ai gefchriebenen Wörtern zunächft wenig- 
ftens folgende, bei denen eine Verwechslung nicht ein- 
mal für Kinder möglich ift, der Verderbnis zu entreißen : 
Hein (lucus), Ldkei, Leich (Frofchleich), Meid, Meiß, 
Weid, Zein. Zwei von diefen, nemlich Bein und Meid, 
dürften die Wiederherftellung des ei um fo dringender 
beanfpruchen , da Re aus hagen und maged ehtftanden 
find. S. S 36, 32, S. 134. 



— 217 — 



J. 

jäh. 

Jakob. 

Jar, järlich. 

I. 

-ieren (Infinitiv-En- 
dung S 60, II). 

Imbiß, r. beißen. 

indes^indeffen. 

infizieren. 

inkonTequent, f. 
konTequent. 

inkorrekt, f. kor- 
rekt. 

Infekt. 

Infpektor, in- 
fpizieren. 

Inftinkt. 

Inftrukzion. 

intellektuell. 

Interdikt. 

Interpunkzion. 

Intrige, intrigieren. 

Irrtum. 

Kabale. 

Kabinett. 

Kabriolett. 

Kadett. 

Kä (quai). 

Käfich. 

Kakao. 

kal. 

Kam kamig. 

Kameel(S.207). 

Kamif ol. 

Kan Käne. 

Kanapee. 

Kandidat. 

Kantate. 

Kanton. 



Kantor. 

Kap. 

Kapelle. 

Kaplan. 

Kapital. 

l^apitän. 

Kapitel. 

kapitulieren. 

Kapuziner. 

Karabiner. 

Karawane. 

Karbonade. 

Kardinal. 

Karfreitag. 

Karwoche. 

Karfunkel. 

Karikatur. 

Karl, Karoline. 

Karnewall. 

karrikieren. 

Karrikatur. 

Kartätfche. 

Kartaun. 

Karte. 

Kartell. 

Karton, karto- 
nieren. 

Karuffel. 

Karzer. 

Kafematte. 

Kaferne. 

K a f i m i r. 

Kafino. 

Kaffe, (ein)- 
kaffieren. 

Kafferolle. 

Kaftell, Ka- 
ftellan. 

Kafus, kafuell, Ka- 
fuiftik. 

Katalog. 

Katafter. 

Kauffarer. 



Kautel. 

Kauzion. 

Kavalier. 

Kavallerie. 

Kaviar. 

keichen ($ 36, 

88, S. 140). 
Kele. 
keren, Ker, Ker- 

feite. 
keren, Kericht,Ker- 

aus. 
Keßel. 
Keuler (§ 36, 89, 

S. 140). 
Kien. 

kiefen, f. erkiefen. 
Kil. 
Kipe. 

Kinnes od. Kirmfe. 
Kis. 
Kifel. 

Klara Exarchen. 
Klarinette. 
Klaffe, Klaffi- 

ker, kiaf- 

fifch, klaffi- 

fizieren. 
Klaufe. 
K laufe l,verklau- 

fulieren. 
Klavier. 
Klee (S 60, m). 
Klerus, klerikal, 

Klerifei. 
Klient. 
Klima, akklimati- 

fieren. 
Klinik. 
Kloake. 
Kloß Klöße. 
Klub. 
Kliftier. 



— 218 — 



Knaul. 

Kjiie, knien« 

Knüttel (S 36, 
43). 

K o-, K 1-, K m-, 
Kon-,Kor- in al- 
len eingebürger- 
ten ($57) Fremd- 
wörtern , wie 
kooperieren, ko- 
ordinieren, Kol- 
lege, Kollek- 
te, Komponift, 
Kommiffion, 
Konferenz, 
Kongrefs, 
Kongruenz, Kon- 
zeffion, korre- 
fpondieren, 
korrigieren. 

Kofent. 

Kokarde. 

Koks. 

kokett. 

Kokosnuß. 

Koly Kolrabi. 

Kole, Köler. 

Kolibri. 

Kolik. 

Kolett. 

Kolon. 

Kolonie. 

Kolonnade.' 

Kolonne. 

Kolophonium. 

kolorieren. 

Kolofs, ko- 
loffal. 

kolportieren. 

Komet. 

Komitee. 

komitieren. 

Komma. 



kommandieren, 

Kommandant. 
Kommandite. 
Kommers (Gelag). 
Kommerzien- 

rath, kommer- 
ziell. 
Kommiffär. 
Kommif s 

(- b r 1) u. f. w. 
Kommode. 
Komödie. 
Kompanie. 
Kompafsj-affes. 
Komplott. 
Kompott. 
Komtor (comptoir). 
Komtur. 
Kondor. 
Konfekt. 
Konflikt. 
Konjugazion. 
Konjunkzion. 
Konjunktiv, 
konkav, 
konkret. 

Konrad, Kurt. 
Konfens. 
konfequent , Kon- 

fequenz. 
Konfiftorium. 
Konfonant. 
Konftabler. 
Konftantin. 
Konftrukzion. 
Konful. 
konfultieren. 
Konterfei. 
Kontinent. 
Kontingent. 
Kontrakt. 
Kontraft. 
Kontrolle. 



Konzept. 
Konzert. 

Kopie, kopieren. 
Kor (Chor). 
Kornel(kir- 

fehe). 
Kornett. 
Korporal, 
korrekt. 
Korridor. 
Korfar. 
Korfett. 
Korvette. 
Kosmopolit. 
Koffat. 
K oft um. 
Kot, kotig. 
Kotelett, das. 
Kothurn. 
Krakke (Weig. I, 

629). 
Krähe, krähen. 
Krakeel. 
Krammetsvo- 

gel. 

Kran. 

krafs. 

Kraufemünze. 

Kräufel (nicht 
Kreifel). 

Krawatte. 

Krawall. 

Kreatur. 

kredenzen. 

Kredit, kreditie- 
ren, 

Kreditiv. 

Kreis , umkrei- 
f\ßn. 

kreißen. 

Kreole. 

Krepp. 

Kreffe. 



/ 






— 219 — 



kri€clifin, 

Krieg. 

Krift, kriftUch, 
(nicht Chrift). 

kriminell. 

Kritik(er), kri- 
tifch, Krife. 

Kriftall. 

Krokodill. 

Kronik (nicht Chro» 
nik). 

Krupp (Hüften), 

Kruzifix. 

Kubik. 

Kuckuk. 

Kuh. 

K uj o n,kujomeren. 

kül. 

Kuliffe (Andr. 
158**). 

Kult(u8), Kul- 
tur, kultivie- 
ren. 

Kur, Kurfürft. 

Kur (Heilung), ku- 
rieren. 

Kürafs, Küraf- 
fier. 

Kuratel. 

Kürbis -iffee. 

Kurie. 

Kurier. 

Kurren d e. 

Kurrentfchrift. 

Kur», kuriieren. 

kurfiv. 

Kurfus. 

Kufs Küffe, küffen. 

Küffen (S 36, S. 
140 f.). 

I.. 

Labyrinth. 



Laib TBrot). 

Lakei (Andr. 60 f. 
u. Note zu Hein). 

lam, lämen. 

L a n (Metall- 
draht). 

Landwer, f. Wer, 1. 

laß , läßig , nach- 
läßig. 

laßen ließ gelaßen, 
hinterlaßen, 
(lieh) verlaßen. 

läuten V. laut. 

lawieren. 

Lawine. 

Lee, Leebord. 

leer, 1 eer en 

(S 60, m). 

Lehen, Lehn, 

Lehnsrecht, 

Lehns herr, 

Dar lehn. 
Leich (Frofch- 

leich). S. Note 

zu Hein. 
Leichdorn. 
Leie (Nichtgeift- 

licherj, f. Note 

zu Hein, 
leihen. 
Lektüre. 
Lekzion. 
Lern. 
Lene, lenen (ab-, 

an-, auflenen). 
Lerchenbaum, 
leren, Lerer. 
Lerm. 
lefchen (§ 36, S. 

135). 
lefen lifeft lift lis 

(§ 36, 8. 135). 
leugnen, ver- 



leugnen ($36, 
46). 

Leumund, ver- 
leumden. 

Leutnant (Andr. 
158). 

Levkoi. 

Lichtmefs oder 
-meffe. 

Lid, Augenlid. 

lieb, lieben. 

Lied. 

liederlich. 

lief V. laufen. 

Ufern. 

ligen. 

Likör. 

Life, Lischen, von 
Elife, Elifabeth. 

Liter. 

Liwree. 

Lo (Rinde z. Ger^ 
ben), daher Lo- 
gerber , Loku- 
chen u. f. w. 

Lohe (Glut). 

lokal, Lokal. 

Lokom otive. 

tion, Ionen, Lö- 
nung. 

Lorber, f. Bere. 

Lomiette. 

Los (sors), lofen, 
Lofung (§ 36, 
76). 

los, lofe, lösen. 

loslaßen, wie laßen. 

Lofche (Loge). 

Lot, löten. 

Lothar, Loth- 
ringen. 

Lotfe. 

loyal. 



— 220 — 



lügen*) log ge- 
logen. 

Laife. 

Lyzenm. 

lynchen. 

Lyra, lyrifch, 
Lyrik. 

M. 

Mad Mäder (Weig. 
n, 84). 

mähen. 

mähHch, r. allmäh- 
lich. 

Mai mit Maie. 

Main. 

Mainz. 

Mais. 

Maknlatar. 

Mal in allen Be- 
deutungen. 

malen in beiden Be- 
deutungen. 

Mammut. 

Mäne. 

manen, Ma- 
nung. 

Manier, manie- 
riert. 

mannigfach. 

Manöver. 

Manfchette. 

Manufaktur. 

Manufkript. 

Märe, Märchen. 

Margarete. 

Markife. 



marode, marodie- 
ren, Marodör. 

marfchieren. 

Märtirer. 

Martha. 

marzialifch. 

maTTakrieren. 

Maffe, mafriv. 

Maß, die und das 
(Weig. II, 114 f.), 

Maße, die (Weig. n, 
115). 

Maßholder. 

Mathematik. 

Maus. 

maufen. 

maußem, lieh. 

Maut. 

Medizin. 

Meer (§ 60, IH). 

Meerrettich, f. Ret- 
tich. 

Meier, Hausmeier. 

Meid (Mädchen). 

Meifche, meifchen. 

Meiß. 

Meißel. 

Mel. 

Melankolie. 

Meltau. 

Menafche, lieh me- 
nafchieren. 

Menafcherie. 

Menuett. 

Merz (Weig. 11, 
146). 

Mesner. 



Meffe, Meffl- 
buch. 

Meffing. 

Meütize. 

Met. 

Meter. 

mied v. meiden. 

Mieder (Andr. 43). 

mieten, yermieten. 

Militär , militä- 
rifch. 

Mine in beiden Be- 
deutungen ; da- 
her fowohl Mi- 
nenfpiel wie mi- 
nieren. 

minorenn. 

Mirte (Andr. 59). 

Mifanthrop. 

Miszelle. 

mis- in allen Zulam- 
menfetzungen, 
wie mißlich, Mis- 
mut u. f. w,, da- 
gegen MilXetat 
(S. 138). 

milTen, f. vermilTen. 

Mite (Mühe). 

Möbel. 

Modell. 

mokieren, lieh. 

Mon, Monku- 
chen, Monöl. 

Mor in drei Be- 
deutungen, daher 
einerfeits Mor- 
brand, anderfeits 



*) Entftellt aus liegen log gelogen und zum unregelmäßigen 
Verb gemacht durch die leidige Sucht gleichlautende 
Wörter zu unterfcheiden. Rückkehr zur regelmäßigen 
Form ift nöthig, aber für jetzt onthonlich. S. Andre- 
ren a. Sehr. 41 f. 



— 221 — 



Morenland und 
Morerde. 

Morrübe. 

Mos, mofig. 

Möwe. 

Mume. 

Munizipien. 

moÜGeren. 

Mus, Gemüfe. 

mullzieren. 

müßeu muß mufte 
gemuft. 

Muße, müßig. 

Mut, mutig, 
mutlos, Mut- 
wille, mut- 
maßen. 

mütern (y. Erebfen, 
die Schaale weoh- 
feln), verw. mit 
maußern. 

Mythe, Mytho- 
logie. 

N. 

nachamen. 

nachgibig , f. er- 
gibig. 

nachläßig. 

Nachteil. 

Nachtigall. 

nahe, nächft. 

nähen, Naht. 

naiv, Naivetät. 

Name, nament- 
lich. 

nären, Narung. 

Narr, Narretei. 

Narziffe. 

nafeweis. 

naß, Näße. 

Nazion. 

Neidnagel. 



nemen nam genom- 
men, yememUch. 

nemlich ($ 36, 78, 
S. 138). 

Nerv, nervös. 

Neßel, Brenneßel. 

nie, niemals, 
niemand. 

niedlich. 

Niednagel, f. Neid- 
nagel. 

Niere. 

niefen, Nies- 
wurz, 

Niete. 

Nießbrauch. 

nieten. 

-nis -nlCfe. 

nivellieren. 

nörgeln. 

Nößel. 

Not nötigen 
not tun. 

Notwer, f. Wer 1. 

Nuß Nüße Nuß- 
fchale. 

Nut. 

Nutznießung. 

Nymphe. 

O. 

Oberft. 

Objekt. 

obskur. 

obwol. 

offiziell. 

Offizi«er. 

OffizJn. 

Oheim Ohm. 

okkupieren, Okku- 

" pazion. 

Ökonom. 

Oktober. 



okulieren. 

ökumenifch. 

Okzident. 

Ol. 

Om (Maß). 

one. 

Onkel. 

Onmacht, on- 

mächtig. 
Or Oren. 
Or, NadelÖr. 
Orangfche. 
ordinär, 
ordinieren. 
Orthographie. 
Öfe. 



Pabft (§. 36, 

S. 119). 
Pack. 
Paket. 
Palaft. 

Paleto (Überrock). 
Pallifade. 
Pamphlett 
Panazee. 
Panier. 
Papier. 
Par, Pärchen, 

par. 
Parchent. 
Parkett. 
Partei. 
Parterr. 
Partie. 
Partikel. 
Partizip. 
Parze. 
Pafche (Page) 
Pasquill. 
Pafs Päffe, 
PaiXafchier. 



— 222 — 



palTen. 

pafüeren. 

Pate. 

pathetifch. 

Patrizier. 

Pausba cke. 

pausbäckig. 

Paufe. 

Pazient. 

Pedell. 

perennierend. 

Perfekt, Per- 

f ektum. 
perfonifizieren. 
Perfpektive. 
Perücke. 
Petizion, petionie- 

ren. 
Petfchaft. 
Pfal, pfälen. 
Pfriemen. 
Pfui. 
Pfül. 

Pharmazeut. 
Picknick, 
pikant. 
Pikett. 
Pionier. 
Pomp, pompös. 

populär. 

Pore, porös. 

Porree. 

Portepee. 

Porträt (fprich, 
wie du fchreibrt), 
porträtieren. 

Porzion. 

Pofamentier. 

Poffe, poffier- 
lich poffen- 
hi^ft u. f. w. 

Poftillion. 



Prädikat. 

Präfekt. 

praktifch, prak- 
tizieren, Praxis. 

pralen, Pralerei. 

prafTeln. 

praüen. 

präzis. 

Preifelbeere. 

Preis, preifen 
pries gepriefen, 
preisgeben 
(Andr. 38). 

Preffe, preffen. 

Priefter. 

Prinzip. 

Prife. 

Pritfche. 
Probft (§. 36, 
S. 119). 

Produzent. 

Produkt. 

Projekt (fpricli, 
wie du fchreibft). 

profkribieren. 

Profkripeion. 

Profpekt. 

Prozent. 

Prozefs, Pro- 
zeffe. 

Prozeffion. 

publizieren. 

Punkt, punktie- 
ren. 

Q. 

Quartett» 
Quartiefi^ 
quer. 
quiken. 

quitt, quittie- 
ren. 
Quozient. 



B abatt. 

Rabatte. 

radieren. 

Radischen. 

raffiniert. 

Rain, X. Note zu 
Hein. 

Rahe. 

Ram(Fette Milch). 

Ramen (Einfa- 
ßung). 

Rappier. 

Rapport, -ieren. 

Rafen. 

rafier en. 

reformieren. 

Raffe. 

rafCeln. 

Rat, Rathaus, 
Stadtrat. 

Rate. 

Rätfei. 

rauh, Rauheit. 

razionell: 

Reakzion. 

Rebell, rebel- 
lieren. 

Rebhun. 

rechen, der Rechen. 

rechnen, Re- 
chenbuch,Re- 
chenftunde 
u. f. w. 

Rede Reder Rede- 
rei. 

reflektieren , Re- 
flexion. 

Regatta. 

regieren. 

Reg refs. 

regulär, regulie- 
ren. 



— 22d — 



Reh j Bicke. 

reiben rieb gerie- 
ben. 

Reigen. 

reihen, Reihe. 

Reis (virga), Rei- 
fich. 

Reis (oryza). 

Reislaufen, das. 

reifig, der Rei- 
fige. 

reißen riß gerißen, 
Riß Riße, Reiß- 
bret, -feder. 

reiten, Reiter, 

reklamieren. 

rekognofzieren. 

Rekonvales- 
zent. 

Rekrut. 

Rektor. 

Renntier. 

renommieren, Re- 
nomee. 

Rentner (nicht 
Rentier). 

Refkript. . 

Refpekt, refpek- 
tieren. 

Reff ort (fprich, 
wie du fchreibft), 
reffortieren. 

Rettich. 

Reude (Andr. 
66). 

Reufe. 

reüffieren. 

Reuße,Ruße,Ruß- 
land. 

reuten, aus- 
reuten. 

revidieren. 

Revier. 



Revoluzion. 

Rezenfent, re- 
zenfieren. 

Rezept. 

Rezitativ. 

rieb gerieben von 
reiben. 

riechen, 

rief V. rufen. 

Riemen. 

Riefter. 

Rießling. 

riet V. raten. 

Riet, Rietgras. 

Ris (Papier). 

Rife, rifig. 

rifeln. 

rikofchettieren. 

Rifiko, riskieren. 

Riß (Öffnung durch 
Reißen) und Riß 
(Zeichnung in 
Linien) mit Ab- 
riß, Grundriß, 
Umriß V. reißen, 
wo m. f. 

roh, Roheit. 

Ror, Rörich(t), 
Rordommel,Ror- 
fperling, ein 
Wort mit 

Ror, Röre. 

Rofs Roffe. 

rot, (er) röten. 

Rollo (rouleau). 

Rubrik, rubrizie- 
ren. 

Rudolf. 

Rum, rümen, rüjn- 
lich. 

Rumm (Getränk). 

Rüpel. 

Bur. 



ruren, rijkrig, 

Rürei. 
Ruß, rußig. 
Ruße, f. Reuße. 
Rüßel. 

Rute, Marlchrixte. 
Rutine. 

S. 

Saite, Saiten- 
fpiel, Darm- 
faite; f. Hein 
mit der AnuL 

Sakrament. 

S a k r i ft e i. 

Sal 

falarieren. 

Salat. 

Salbader. 

Same. 

Sammet, 
Sam mt. 

famt, fämtlich 
(Verhandlungen 
S. 13, § 3 c. 
Andr. 73), 

Samstag. 

Sane. 

Sanftmut. 

Sarkasmus. 

faß gefeßen v.fitzen. 

Sat, Ausfat. 

Satire. 

Schaft. 

Schafott. 

fchal. 

Schalotte. 

Schaluppe. 

Scham. 

Schar. 

Scharnier. 

Scharteke. 

fehattieren. 



— 224 — 



Tcheifien fchiß ge- 

fchißen. 
fchel, fchellichtig. 
SchelTucht, fchel- 

füchtig. 
Schere, fche- 

ren. 
Scheufal. 
fcheußlich. 
fchieben. 
fchief. 
fchien gefchienen 

y. fcheineD. 
Tchier. 
fchießen fchoß 

gefchoßen, f. 

Schuß. 
Schiffer. 
Schiffart, f. fa- 

ren. 
Schikane, 
fchilen, verw. mit 

fchel. 
Schimäre. 
Schine, Schinbein. 
SchirUng. 
Schlaraffe. 
Schlehe, 

Schlehdorn, 
fchleißen fchliß ge- 

fchlißen. 
Schleufe. 
fchlief V. fchlafen. 
fchliefen fchloff 

gefchloffen, f. 

fchlüpfen. 
fchließen fchloß 

gefchloßen, 

fchüeßHch, f. 

Schloß, Schloß, 

Schlüßel. 
Schlittfchuh. 
Schloß y. fchließen. 



mit Schloßer ei- 
nerfeits und mit 
Schloßgarten 
n. f. w. ander- 
feits. 

Schloße (Hagel- 
korn). 

Schlot. 

fchlüpfen, 

fchlüpfrig y. 
fchliefen. 

Schluß yon fchlie- 
ßen , (un)fchlü- 

ßig. 
Schlüßel y. fchHe- 

ßen, Schlüßel- 

blume. 
fchmähe;n yon 

Schmach, woyon 

auch fchmäh- 

11 eh. 
fchmal, fchmä- 

lern, fchmä- 

len. 
fchmeißen , 

Schmeißflie- 
ge, Schmiß. 
Schmer. 
Schmid, fchmiden 

(S 36, 79, 

S. 139). 
fchmiegen. 
fchmieren. 
Schnee (§ 60, HI). 
Schneife. 
fchneuzen. 
fchniben fchnob ge- 

fchnoben. 
fchnigeln. 
Schokolade. 
Schoner. 
Schoß (Steuer) mit 

fchoßfrei fchoß- 



bar. Schößer 
(Schoßeinneh- 
mer) und 

Schoß (junger 
Trieb) mit 
Schößling y. 
fchießen. 

Schoß, Schoß- 
kind. 

fchraf fieren. 

Schuh, Schu- 
fter. 

Schultheiß. 

Schuppe (kleine 
Schaufel, Weig. 
n, 646). 

fchurigeln. 

Schuß Schüße, f. 
fchießen. 

Schlüßel. 

fchwären fchwor 
gefchworen. 

Schweiß , fchwei- 
ßig; dayon auch 
das Tranfitiyum 
fchweißen. 

fchwelen, f. fchwül. 

Schwert (J 36, 
55). 

fchwieg y. fchwei- 
gen. 

Schwigel. 

Schwiger , Schwi- 
gerfon , Schwi- 
gertochter, yerw. 
mit Schwäher. 

Schwile. 

fchwirig. 

fchwül, Schwü- 
1 e , verw. nodt 
fchwelen. 

fe che, fech- 
fter, 



— 225 



fechzehn 
Tech zig. 
See PI. Seen 

(§ 60, ni). 

S egen, fegnen. 

fehen (fehn) fihft 
fiht fih. 

Seide. 

Seite (latus), 
Seitenblick, 
Seitenlinie. 

Sekretär. 

Sekt. 

Sekte. 

Sekunde in beiden 
Bedeutungen. 

Sekzion. 

Sekundant. 

felbftändig. 

Sele. 

feiig. 

fenen, fich, Sen- 
fucht. 

Serfchant (Andr. 
158). 

Serwis (fprich, wie 
du fchreibft). 

Serwiette. 

Seßel, mit Gefäß, 
feßhaft (f. anfä- 
ßig), Satz u. f. w. 
von fitzen. 

Seule (Andr. 67). 

üben, fibzehn, fib- 
zig. 

iideln, anüdeln. 

fiech, Siech- 
tum, Siech- 
haus. 

üeden. 

figen, Siger, fig- 
reich. 

Sigel. 



Eisen, Deutsche Orthographie. 



Silbe. 
Sittich, 
fittig, fitt- 

lich. 
fitzen, f. faß und 

Seßel. 
fkalpieren. 
fkandieren. 
Skat. 
Skelett. 
Skeptiker.! 
Skizze, f kizzieren. 
Sklave. 
Skorbut. 
Skorpion. 
Skribent. 
Skriptur. 
Skrofel, fkro- 

fulös. 
Skrupel, fkru- 

pulös. 
Skulptur, 
fozial, Sozietät. 
Sofa. 

Sole in beid. Bed. 
Son Söne. 
Sonett, 
fortieren. 
fufflieren , Sufflie- 

rer. 
Spalier. 

Span Späne. 
Spas, fpafen (Andr. 

133). 
Spat. 

fpazieren, 
fpediren. Spedierer. 
Speer (§60, III). 
Spektakel, 
fpekulieren, Speku- 

lazion. 
Spezerei. 
fpie V. fpeien. 



Spiegel. 

Spieß. 

Spil, fpilen. 

Spirling. 

fpitzfündig , wie 
ausfundig (S. 
117). 

Sprichwort. 

fprießen fproß ge- 
fproßen, bef. ge- 
bräuchlich in 
dem Eompof. 
entfprießen, mit 
Sproß u. Spröß- 
ling, ßproße (an 
derLeiter), Spro- 
ßer (Nachtigall). 

Staffafche. 

ftagnieren. 

Stahl, ftählen u. f. w. 

Staket. 

Star. 

Star (Widder). 

Stat Staten, 
ftatlich, Hof- 
ftat, Stats- 
rat, u. f. w. 

Statt, Stätte, 
Stätten,Statt- 
h alt er. 

ft a 1 1 1 i c h. 

ftäuben v. Staub, 
abftäuben. 

ftäupen V. Staupe. 

Stazion. 

ftelen ftilft ftilt ftil. 

ften (ftare), wie gen. 

ftet, ftetig mit Ste- 
tigkeit, ftets, 
dah. auch befte- 
tigen und unftet. 

ftieben ftob gefto- 
ben. 

15 



226 — 



ftief mit Stief- 
mutter,Sti€f- 
fon u. f. w. 

Stiege. 

Stier. 

ftieß y. rtoßen. 

Stifel. 

Stiglitz. 

Stil in beiden Bed. 

ft ö n e n. 

Stral Stralen, 
rtralen. 

S träne. 

Straße. 

fträuben. ' 

Strauß in allen 
Bedeutungen. 

Streik (ftrike), 
ftreiken. 

Striemen. ' 

Strigel, ftrigeln. 

Stroh. 

rtudieren. 

Stul. 

Subjekt. 

Subfkribent, 
Subfkripzion. 

Subtrakzion. 

Sukkurs. 

Süne, fünen. 

fuverän. 

Syndikus. 

Szene. 

Szepter. 

T. 

Tabak. 

Takt. 

Taktik. 

Tal, Flußtal. 

Taler. 

Tambur. 

TalTe. 



Tat, Tatkraft, 
tätig, Täter, 
u. f. w. 

T a u in beiden Bed. 

tauen (von Eis und 
Schnee). 

Teer ($60, HI). 

Teich. 

teig (vom Obfte) 
verw. mit 

Teig,*B rotte lg. 

Teil, teilen, 
teilhaftig, 
Anteil, teil- 
nehmen. 

Teppich. 

Terraffe. 

Terzett. 

teuer. 

teufchen (S. 5). 

th, auch anlautend 
nur in Griechi- 
fchen und Eng- 
llTchen Wörtern 
wie 

Theater, 

Thee (§ 60, m). 

Thema. 

Theologie, 

Theorie, 

Thermometer, 

Thefe, 

Thron u. f. w. 

t i c h t e n (Andr. 
82) und trach- 
ten. 

ticken (Weig. II, 
887). 

tief, Tiefe. 

Tiegel, verw. mit 
Ziegel. 

Tier, tierifch. 

Tiger. 



Tinte. 

Tirol. 

Titel, titulieren. 

Toft (toast). 

Tod, todkrank, 
todmüde,Tod- 
feind; fo auch 

tödlich, d. h. 
Tod bringend. 

Ton (argilla), tö- 
nern, tonig, to- 
nicht (Weig. 11, 
882\ Tongrube. 

Ton (fonus), tö- 
nen. 

Tor (porta), Tor- 
flügel. 

Tor (ftultus), tö- 
richt, betö- 
ren, Torheit. 

tot (mortuus) , t Ö - 
ten, totfchla- 
gen, Tot- 
fchlag (§ 36, 
59). 

Totter , Eitotter 
(Weig. n, 898). 

Trab, traben. 

traktieren, Traktat. 

Tran. 

Träne. 

tranfpirieren. 

Treber. 

Trieb. 

triefen. 

Triumpf (Andr. 
153). 

Trompete. 

Trophäe. 

Troffl. 

Truchfeß. 

Truhe. 

Trumpf. 



- 227 — 



Tuckmäafer (Weig. 
n, 922). 

tüfteln. 

Tüll. 

Tülle (Weig. II. 
923). 

Tür, Haustür, 
Türangel, 
türangeln. 

Tur, Turirt. 

Turm. 

Turnier. 

tuten, Tüte (Andr. 
83). 

Tüttel (verfch. V. 
Titel), Tüttel- 
chen. 

U. 

Überdruß, über- 

drüßig. 
Überfluß, über- 

flüßig. 
überfchwenglich 

(S 36, 80). 
Uhu. 

Ulan(Dudenl53). 
Unbedeuten- 

heit. 
Unbilde, die. 
unentgeltlich 

(S 32, 60). 
Unflat, unflä- 
tig, 
ungefär. 
Ungeziefer, 
ungefchlacht. 
Ungetüm. 
Unmut, 
unpafs, unpäfs- 

lich. 
Unrat. 
unTtet, f. rtet. 



untadelich (Andr. 


verleugnen, f. 


98). 


leugnen. 


unterdes, un- 


verleumden, f. 


terdeffen. 


Leumund. 


unverdroßen. 


verlieren verlor ver- 


unverholen. 


loren verw. mit 


unwert, f. wert. 


Verlies. 


unwißend, ünwi- 


vermalen. 


ßenheit. 


vermieten, f. 


unzälich, f. Zal. 


mieten. 


Ur (horologium). 


vermiffen vermiffte 


Urmacher, Ur- 


vermifTt. 


fchlüßel u. f. w. 


vermuten. 


Ur (urus). 


verpönen. 


Uran, f. An. 


verraten ver- 


urbar. 


rietverraten, 


Urfehde, f. Fehde. 


Verräter. 


Urteil. 


Verfand. 




verfchieden , Ver- 


V. 


fchiedenheit. 


Vampir. 


verfchleißen, f. 


variieren, Varia- 


fchleißen. 


zion. 


verfehn als Verb 


vegetieren , Vege- 


und Adjektiv wie 


tazion. 


fehen. 


Verdikt. 


verferen, unverfert. 


verdrießen, verdro- 


verfigen. 


ßeu, Verdruß. 


verfönen, Ver- ^ 


verfaren, das 


fönung, ver- 


Verfaren. 


fönlich. 


verfemen, f. 


verteidigen. 


Feme. 


verteilen. 


vergällen von 


verwaift, f. Waife. 


Galle. 


verwandt, Ver- 


vergeßen vergaß 


wandtfchaft. 


vergeßen vergiß. 


verwaren. 


vergeßlich. 


verwarlofen. 


verheeren von 


verwäßern, f. wä- 


Heer. 


ßern. 


verjären von 


verwönen. 


Jar. 


verweißen , Ver- 


verkeren, Verker. 


weiß (Andr. 118, 


verlaßen, wie laßen. 


Weig. n, 985> 




15* 



- 228 



verweifen = 
ausweifen. 

verwitwet, f. 
Witwe. 

verzeren, f. ze- 
ren. 

verzeihen verzieh, 
Verzeihung. 

verzwatzeln (nicht 
verzwatfcheln). 

vexieren. 

Vezir, Großvezir. 

vidimieren, 
' Vieh. 

vier, vierzehn, 
vierzig, Vier- 
tel, Geviert. 

vigilieren. 

Vikar, vikarieren. 

Viktualien. 
' vil, villeicht. 

Vifir. 

vifitieren , Vifita- 
zion. 

Vize- in allen Zu- 
fammenfetzungen. 

Vlies, f. Flies. 

Vogt. 

Vokabel. 

Vokal. 

Vokativ. 

vollends. 

völlig. 

vornem , vornem- 
lich, V. nemen. 

Vorrat, vorrä- 
tig. 

Vorteil. 

Vulkan. 



W. 

Wacholder. 



Wage. 

Waife (orbus); 

f. Hein mit der 

Anm. 
Wal, wälen, Ur- 

wal. 
Walfifch (Andr. 

Walhalla (Andr. 

71). 

Walküre (Andr. 
71). 

wallfaren , Wall- 
farer, Wallfart. 

Walnuß (Andr. 
71). 

Walplatz und 
Walftatt. 

Walpurgis. 

Walt- her (ahd. 
walt-hari). 

Wams. 

Wan, wänen. 

Wanillie (vanille). 

Wanfinn, -ig, 
Wanwitz, 
-witzig. 

Wanft. 

war, Warheit, 
warlich, war- 
haft, war- 
fcheinlich, 
warfagen, 
Warzeichen. 

waren, wie be- 
waren ; davon 
warnemen. 

wären, wären d. 

Wafe. 

Waßer , wäßerig, 
wäßern. 

weh, das Wehe. 

wehen. 



Wehmut, weh- 
mütig. 

Weid. 

weidlich, verw. 
mit 

Weidmann, 
Weidwerk. 

Weihe (milvus). 

weihen, 'Weihe 
\ mitWeihnach- 
ten , Weih- 
rauch, Weih- 
waßer u. f. w. 

Weiher. 

weife, der Wei- 
fe, Weisheit, 
weislich, 

Weife (modus). . 

weifen wies gewie- ^ 
fen, anweif en, un- \ 
terweifen u. f. w. 

weismachen. 

weiß, der und die 
Weiße, wei- 
ßen, Weiß- 
brot, Weiß- 
wein u. f. w. 

weisfagen (§ 36, 
63 S. 136). 

weitläuftig 
(Andr. 87). 

Weizen. 

welfch,Welfch- 
land. 

wer,wa8,weffen. 

Wer , die , wovon 
werhaft und wer- 
los , Gegenwer 
und Notwer, 
Bruftwer und 
Landwer, fowie 
beweren , des- 
gleichen abwe- 



/- 



— 229 - 



ren, verweren, 
fich weren, fich 
erweren , ein 
Wort mit 

Wer, das (Schutz 
gegen das Wa- 
ßer). 

Werder. 

Werg. 

Wergeid. 

Wermut. 

Wert. 

- w e r 1 8 in allen Zu- 
fammenfetzun- 
gen, wie rück- 
werts , vorwerts, 
auswerts , feit- 
werts u. f. w. 
(Han. 45). 

Werwolf. 

Weftfalen. 

Wibel, wibeln. 

wider (contra u. 
rursus) , einer- 
feits mit erwi- 
dern, wider- 
lich, wider- 
wärtig, Wi- 
• derfacher, 
Widerhall 
u. f. w., ander- 
feits mit wi- 
derkommen, 
widerfehn, 
Widertäufer 
u. f, w. 

wie. 

Wiege, wiegen, 

wihem. 

Wildbret ($32, 
67 S. 120). 

Willkür, will- 
kürlich. 



Winniette (vig- 

nette). 
wirken, 
Wirt, Wirt- 

fchaft. 
Wife. 
Wifel. 
wißen wufte ge- 

wuft , Wißen- 

fchaft. 
Wittum. 
Witwe(r) (§36, 

68). 
wol. 

wolgemut, 
Wolleben. 
woltifchieren (gew. 

voltigieren). 
wonen,Wonung. 
wülen, 
Wune. 
Würtemberg (% 36, 

69, S. 137). 

Wut, wüten, 

* 
Wüterich. 

Z. 

(vgl. S 58.) 

Zal, zälen. 

zam, zämen. 

Zan Zäne. 

Zar. 

Zähre. 

Zäfur. 

Zeder. 

zedieren, Zeflion. 

Zehe, 

zehn. 

zeichnen mit 
Zeichenbuch, 
ZeichenftuD- 
de u, f. w. 



zeihen, f. bezich- 
tigen. 

Zein (Note zu Hein. 
Weig.n, 1130). 

Zeifig. 

Zeitläufte 
(Andr. 88). 

Zenit. 

Zenfur. 

Zentifolie, wie Zen- 
timeter u. f. w. 

Zentner. 

Zentrum. 

Zeremonie, -iell. 

zeren, abzeren, ver- 
zeren , Ausze- 
rung. 

zertieren. 

Zichorie. 

Ziegel. 

ziehen, zieh, 

zieren, Zierde, 
Zierrat. 

Zigarre. 

Zikade. 

Zil. 

Zirkel, 

zirkulieren, Zir- 
kular. 

Zirkumflex. 

Zirkus. 

Zifterne. 

Zitadelle. 

Zither. 

zitieren, Zitat, 

Zitrone, 

zivil. 

Zyklus. 

Zylinder. 

Zymbel. » 

Zyniker. 

Zypreffe. 



Drack von M. Brahn in Braunschweif!:. 



O / t vJ J i^. i ^ 



\ '. *•• 



Herr 



Professor von Raumer 



und die 



Deutsche Rechtschreibung« 



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■■«••WM*«W*<iaaia>«MM««Mn«aMBMMBiaM^>4«Bi>B>aMiaaMa 



Ein Beitrag* 



znr 



Herstellung einer orthographischen Einigung 



von 



I^aiil Eliseii. 



» ; 
\ 



• •• 












^ Braunschweig, 

Verlag von Friedrich Wreden. 

1880. 



-7 ' ' 



aSerfag i^on grUbti^ SSreben in äStaunf^nieig. 



^. •• *•« y» *H , \ ^>,^^ '- ' ^ . r> #vy r .-* ^1 /-, /- 'V 






Sßon 



|)rof. Dr. :kvi%nfi M)mam, 

geleierten @efenf<^oftcjt. 



3itJette 5lufUgc. 1878. 
?Jret« 2 J^. 80 v^. 

2)ic ißotittjcnbiflfeit fd^on naä) 3a^rc«{rijl eine i»eitc 3Cuf(agc üon 
blefem äSitd^e ju \)eranpatten, bezeugt bte Sdrau^barfeit beffelben am 
bellen. 3n bet Z\^at i(i baffetbe uncntbe^rtid^ für OTc, tt>ct(!^e P$ mit 
fctbjISnbiger ©(^riftarbeit ju befd^äfttgen (^aben. 



SSerlag t>on §atalb iSru^n in Staunfc^weig, 

ber 

beutfi^cn (©^Jtai^e^, 

üarl Jörgen». 

«Preis 1 M. 35 A 



^a9 i93ü(i^tein entl^ält ein ^erjeici^nig jener ga^(reit!(en, frü|)}eittg 
cnttcbntcn SBörter, toetd^en nnfere ©ipradjc mcifl burd^ „Umbeutfdjttng'* 
ein nationales ®e))rSge. toerlie^^n l^at, unb n>irb fidler 3ebem toiff» 
fommen fein, ber fld^ für bie ®cfdS>iti^te feiner 9Jlutterf^)rad^e intcreffld. — 



* 'AV^,^^ ^^^ 



3u bejicöcn burcö attc Suc^i^anblungcn. 




303604566X 



TAYLOR INSimniON LIBRARY 
OXFORD OXl 3NA 



PLEASE RETURN BY THE LAST DATE 5TAMPED BELOW 

Unless recalled eariier 



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