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I
EA t's'? A.Lr
Herr
Professor von Raumer
und die
Deutsche Rechtschreibung
Ein Beitrag
zur
Herstellung einer orthographischen Einigung
von
iPaiil iE2i@eii.
Braunschweig,
Yerlag von Friedrich Wreden.
1880.
f^ UNWEWITY %\^
- 6 MAR 1970 ;
@F OXFORD
\v
«■■«H^^M ,
Dem früheren
Preußischen KultuBministier
Herrn Dr, Falk
gewidmet
in
auMclitiger Verehrung.
UiM^
Vorwort.
Die vorliegende Schrift ift im Sommer 1876, bald nach
Veröffentlichung der Verhandlungen der Orthographifchen
Konferenz, begonnen, nach langer Paule aber erft jetzt voll-
endet worden. Der Hauptgrund diefer Unterbrechung war
der unerwartete Tod des Herrn Profeffors von Raumer in
Erlangen, ein Ereignis, das wohl Alle, denen die Forfchung
auf dem Gebiete unferer vaterländifchen Sprache einiger-
maßen am Herzen liegt, auf das empfindlichfte berührt hat.
Es widerftand uns kurz nach dem Ableben des verehrten
Mannes eine Schrift in die Welt zu fchicken, die ihrem Titel
wie ihrem Inhalte nach an ihn und gegen ihn gerichtet war.
Lag doch für Alle , die den Verfaßer diefer Schrift nicht ken-
nen — und er wollte aus guten Gründen nicht gekannt fein —
die Vermuthung nicht gar zu fern, daß wir nur gewartet
hätten auf diefe Gelegenheit, um den Mann, defTen fcharfes
Wort wir, fo lange er fich des Lebens freute, gefürchtet
hätten, nun defto ficherer zu bekämpfen, wo ihm ein ewiges
Schweigen auferlegt fei. So ließen wir beinah ein volles
biennium verftreichen. Da trat wieder längeres Unwohlfein
der Fortfetzung der Arbeit hindernd in den Weg. Als dann
der Herbft des J. 1878 kam, war zu erwägen, ob wir die an-
gefangene Schrift nicht lieber ganz bei Seite legten. Nur der
Gedanke, daß unfer Büchlein zur Herftellung einer größeren
orthographifchen Einigung, wie fie fo dringend noththut, am
Ende doch etwas weniges beizutragen vermöchte, überwog.
So waren bereits 11 Bogen gedruckt, als wiederum ein
Ereignis eintrat, das dem Zwecke unferer Schrift durchaus
nicht zu ftatten kam. Es war der Rücktritt des Minifters
Falk, des Mannes, dem als Beförderer einer ganz Deutfch-
land umfaßenden orthographifchen Einigung viel dankbare
Herzen fchlugen, auf den als folchen manch hoffendes Auge
gerichtet war. Was wir an einzelnen Stellen diefer Schrift
als Hoffnung (S. 4) ausgcfprochen oder als Wunfeh (S. 9)
-- VI —
geäußert hatten, ift nun hinfällig geworden und hat keine
Bedeutung mehr. Vielleicht daß Falks eifriger Genoße bei
dem Unternehmen der orthographifchen Einigung, der Vor-
fitzende der Konferenz, Herr Geheime Regierungsrath B on it z ,
feine Stellung im betreffenden Minifterium dazu benutzt das
Intereffe des neuen Unterrichtsrainifters für das rühmlich
angefangene Einigungswerk zu wecken. Denn diefe Einigung
in der Wortfehreibung thut uns, wie gefagt, nun einmal drin-
gend noth; ja fie bringt, wie wir in der Einleitung diefer
Schrift ausführlich darthun werden, doppeltes und dreifaches
Heil.
Wir erheben nicht den Anfpruch diefe Einigung zu be^
werkftelligen durch die Schrift, die wir hiermit dem gebildeten
Publikum übergeben: hat doch gerade eine Einigung von
folcher Art ihre allergröften Schwierigkeiten, weil Re fchlech-
terdings unausführbar ift ohne zu kämpfen und zu Hegen gegen
die allmächtige Gewohnheit. Aber zu der erfehnten Einigung
etwas beizutragen wird ihr vielleicht gelingen. Und wenn
üe nur das erreicht, daß fie die heillofen Schwankungen (§ 6),
die zuerft und vor Allem aufhören müßen, wenn an eine Ei-
nigung überhaupt gedacht werden foll *), ganz oder zum großen
Theil befeitigt, fo hat ^e von Glück zu fagen, und es hat fich
der Mühe verlohnt.
Im Juli des Jahres 1879.
Der YerfaPer.
*) Wir haben in dem angehängten Wörterverzeichniffe, das
die Orthographie enthält, wie fie fich aus unferer
Schrift ergibt, nichts fo fehr vermieden, als doppelte
Schreibungen aufzuftellen , ein Verfahren, deffen fowohl
das Berliner Wörterverzeichnis (hehülflich und
behilflich, bißchen und bischen, Dinte und Tinte u. f. w.),
wie das der Orthographifchen Konferenz (bur-
zeln und purzeln, ekelig und eJclich, ergötzen und er geizen
u. f. w.) fich fchuldig macht. Das heißt die vorhandenen
Schwankungen ausdrücklich anerkennen und weiter fort-
pflanzen. S. S 19, S. 80 f. und § 27 S. 104.
Einleitung*.
Es war unferes Wißens zu Anfang des Jahres 1875,
als durch faft alle Zeitungen die Nachricht gieng, daß der
ProfelTor Rudolf von Raumer in Erlangen den Auftrag
erhalten habe die Grundzüge zu entwerfen zu einer allgemeinen
DeutTchen Orthographie. Und es verhielt fich im Wefent-
lichen fo. In der niuftrierten Zeitung vom 30. Januar des-
felben Jahres machte Herr von Raumer felbft bekannt, daß
er vom PreußiTchen Minifter Fa Ik mit ZuTtimmung üämmtlicher
Deutfchen Staatsregierungen veranlaßt worden fei „zur An-
bahnung einer größern Gleichmäßigkeit in der
Deutfchen Rechtfchreibung zunächft im Bereiche der
hohem Schulen Deutfchlands eine grundlegende Schrift aus-
zuarbeiten."
Den Verfaßer dieler Schrift hat jene Kunde damals hoch-
erfreut, und er will zur Ehre des Deutfchen Namens glauben,
daß alle Einfichtigen und Gebildeten — leider finden Hch die
beiden Eigenfchaften in der vorliegenden Frage nicht immer
beifammen — dies Gefühl der Freude mehr oder weniger
theilten.
Mit großer Bereitwilligkeit unterzog üchHerr von Bau-
mer dem ihm gewordenen Auftrage. Schon im Herbfte des-
felben Jahres legte er zu dem angegebenen Zwecke zwei
Schriften, eine nur für den Schulgebrauch bestimmte und eine
zweite, die zur Begründung diefer erfteren dienen follte, vor.
Zu Anfang des nächften Jahres — vom 4. bis zum' 15. Januar
XQTQ — tagte zu Berlin bereits eine vom Minifter Falk be-
Eisen, Deatache Orthograplii«. 1
- 2 —
rufene Konferenz von fachkundigen und mit den BedürfnüTen
der Schule vertrauten Männern, unter denen fich natürlich
Herr von Raumer felbst befand. Die Raumer 'fchen
Vorlagen wurden gründlich berathen. Die ganzen intereffauten
Terhandlungen liegen auf Veranlaßung des betreffenden Mi-
nifters feit nun drei Jahren vor den Augen des Publikums.
Es war wohl die Abficht des Herrn Minifters nun erft
abzuwarten, wie fich die Deutfche Welt zu den ErgebniiTen
der von der Orthographifchen Konferenz gepflogenen Ver-
handlungen rtellen würde, bevor er diefe Ergebniffe den Schulen
gegenüber zur Geltung brächte. Und das war gut. Denn
die Konferenz hatte zwar zu einer verbeßerten Deutfchen
Rechtfchrelbung die Bahn gebrochen, war aber doch, wie es
bei der eigenthümlichen Art ihrer Zufammenfetzung nicht gut
anders möglich war, mehr als ein Mal vom rechten Wege
abgekommen und vor allen Dingen, was fich belonders fühlbar
macht, auf halbem Wege ftehn geblieben. Zahlreiche Stimmen
haben fich denn auch verbeßemd und ergänzend, durchweg
billichend nicht eine, über die Konferenzbefchlüße vernehmen
laßen. Zwei unter ihnen, die von Duden*), einem der
eifrigsten Mitglieder der Konferenz, der aber nicht feiten in
der Minorität geblieben war, und die ebenfalls gewichtige von
Bezzenberger**), haben nicht wenig zur Klärung der or-
thographifchen Frage beigetragen.
Man durfte wohl erwarten , daß die Konferenz nun nach
längerer Frift wieder zuTammentreten würde, um ihre Be-
fchlüße auf Grund der inzwifchen gemachten Erfahrungen zu
revidieren und die ihr vom Herrn Kultusminifter aufgetragene
Arbeit damit, foviel an ihr lag, abzufchließen. Aber es ift
feit Jahr und Tag immer ftiller undltiller geworden auf dem
*) Die Zukunftsorthographie nach den Vorfchlägen der etc.
Konferenz erläutert und mit Verbeßerlings vorfchlägen
verfehn.
**) Randbemerkungen zu den von der Berliner Konferenz
aufgeftellten Regeln für die Deutfche Orthographie.
— 3 ~-
Gebiete der Orthographie, kaum daß noch irgend eine Stimme
in irgend einer Zeitfchnft über den betreffenden Gegenftand
laut wird. Soll man denn wirklich glauben, die ganze ortho-
graphiTche Frage fei neuerdings auf eine fo feierliche und
vielverfprechende Weife in den Vordergrund getreten, um nach
einer kurzen Zeit der gefpannteften Erwartung unerledigt
wieder von der Tagesordnung zu verfchwinden ? Das wäre ja
nun vollends eine Halbheit fondergleichen. Das ift ja auch
nun fchlechterdings unthunlich, nachdem durch die von der
Konferenz „empfohlene" Schreibung der Wirrwarr in unferer
Orthographie bis zum Entfetzen vergrößert worden ift. In der
den Verhandlungen der Konferenz beigefügten kurzen Erzäh-
lung von Jakobs finden fleh nicht weniger als 1 6 Wörter , wie
«/or, tut, er^älen, mufste, die vor dem Zufammentritte der
Konferenz allgemein anders gefchrieben wurden, mit der her-
gebrachten Orthographie alfo in entfchiedenem Wider-
fpruche ftehn. Bedenkt man nun, daß fchon in diefer herge-
brachten Orthographie der Wirrwarr über die Maßen arg ist,
fo arg , daß iich endlich der Preußifche Kultusminifter Falk
veranlaßt fah im Namen lämmtlicher Deutfcher Bundesregie-
•
rungen > eine Konferenz „zur Herftellung größerer Eini-
gung in der Deutfchen Rechtfehreibung" zu be-
rufen, und bedenkt man, daß auch die von der OrthogrsCphifchen
Konferenz empfohlene Schreibung bei einem beträchtlichen
Theile des Deutfchen Publikums bereits Aufnahme gefunden
hat, fo daß man, während früher Alles mit ganz wenigen Aus-
nahmen Jahr, that, bläuen^ däuchte, hewvßt u. f. w. fchrieb,
jetzt, d. h. feit die Konferenz in Berlin getagt hat,
daneben auch c/or, tat, bleuen, deuchte, bewufst u. f. w. ge-
fchrieben und gedruckt Hebt — , bedenkt man das Alles, fo
wird man es begreiflich finden, daß durch die „zur Herftellung
einer größeren Einigung in der Deutfchen Bechtfchreibung"
berufene Konferenz die in unferer Orthographie fchon feit
Jahrhunderten herrfchende Uneinigkeit zunächft nur noch
größer geworden ift. So kann es aber natürlich auf keine
Weife bleiben. Entweder muß, wie gefagt, die Konferenz nun
nach Verlauf von drei Jahren ihre Arbeit wieder aufaehmen
und die mit gewißenhafter Berückfichtigung der inzwifchen
erfchienenen orthographifchen Schriften nicht bloß empfohlene,
fondem endgültig feftgeftellte Orthographie durch die Schulen,
was leicht und fchnell geht, über das ganze Deutfche Beich
verbreiten, oder aber — man muß an der fogenannten her-
gebrachten Orthographie überhaupt nicht rütteln.
Nun wir dürfen ja Gott fei Dank zu Nutz und Frommen
des gemeinfamen großen Vaterlandes das Erftere hoffen. Ist
doch der Falk mit nichten der Mann, der eine heillame Maß-
regel ergreift, um fie unausgeführt zu laßen. Und eine heil-
famere Maßregel kann es weiß Gott nicht geben, als die da-
mals der Minifter Fal k ergriff, als er im Namen der Deutfchen
Bundesregierungen zur Herftellung einer größeren Einigung
in der Deutfchen Bechtfchreibung die mehrerwähnte Ortho-
graphifche Konferenz berief. Denn dreifach ift der Segen, den
die Einführung einer einheitlichen Deutfchen Bechtfchreibong
oder einer Eeichsorthographie — um diefe handelt fichs ja
wohl — nach verfchiedenen Seiten bringt: die Schule ge-
winnt, die Wißenfchaft, gewinnt, das Nazional-
gefühl gewinnt.
I. Die Schule gewinnt. Wer nur ein paar Jahre
auf einem Deutfchen und zwar namentlich auf einem Preußifchen
Gymnaüum in verfchiedenen Klaffen unterrichtet und befonders
den Unterricht im Deutfchen ertheilt hat, der muß mit
Schrecken wahrgenommen haben, welche heillofe Verwirrung
auf unferen Gymnalien herrfcht in Bezug auf unfere Recht-
fchreibung.
In der Volksfchule hat der Knabe davon noch nichts
verfpürt. Hier dürfte ßch fehr feiten ein Lehrer finden, der
von der hergebrachten Orthographie — fo nennen wir die
Schreibung, in welcher die große Mehrheit der gebildeten
Deutfchen übereinftimmt — im Wefentlichen abwiche. Die
ganze Stellung des VolksfchuUehrers bringt das fo mit iich.
Er ift darauf angewiefen feine Jungen in der hergebrachten
Schreibung llcher und feft zu machen, und indem er dies tag-
— 5 —
täglich thut, kann es nicht anders kommen, als dafi diefe
Schreibung ihm felbft zur fefteften Gewohnheit werde. Ge-
fetzt aber auch er fände diefes oder jenes Wort irgendwo
anders gefchrieben, als man es viUgo zu fchreiben pflegt; ge-
fetzt — ' um dies an einem Beifpiele darzuthun — er fände
irgendwo teufchen gefchrieben *) , und er überlegte lieh die
Sache und dächte: ^^teufchen ift doch gewis richtiger: denn
täufchen könnte man doch nur fchreiben, wenn es von Tawch
käme; aber die beiden Wörter haben ja gar nichts mit ein-
ander gemein"; gefetzt alfo die Schreibung teufchen fagte
feinem gefunden Verftande weit mehr zu: ja dies würde ihn
noch lange nicht beftimmen und beftimmen dürfen diefe rich-
tigere Schreibung auch in feinem Schülerkreife einzuführen;
denn da es nicht fehlen könnte, daß der betreffende ELnabe
fünft überall täufchen gefchrieben fähe, fo hieße dies ihn ge-
flißentlich ftören in feiner orthographifchen Entwickelung, bei
der es, wie gefagt, einzig und allein auf mechanifche Sicher-
heit abgefehn ift.
Anders geftalten Hch die Dinge auf dem Gymnafium.
Die Herren Gymnafiallehrer find — wir urtheilen aus einer
vierzigjährigen Erfahrung — in Bezug auf die vorlie-
gende Ortho graphif che Frage zum Theil gar wunder-
liche Leute. Ein paar Lehrer — es ift ein glücklicher Zufall,
wenn es darüber kommt — gibt es ja wohl jetzt auf jedem
größeren Gymnafium, die neben den klafflfchen Sprachen oder
neben Mathematik und Naturwißenfchaften auch noch die liebe
Mutterfprache in den Exeis ihrer Studien ziehn und mit den
Ergebniffen der durch Jakob Grimm begründeten Sprach-
forfchung vertraut find; ja es findet fich auch wohl hier und
da ein Lehrer, der als eifriger Anhänger der hiftorifchen
Grammatik fich vorzugsweife der Deutfchen Sprache widmet
und unbekümmert um die blinde Gewohnheit auf der Bahn,
*) Bekanntlich fchrieb fo unter Anderem auch Luther.
Überdies lautet das Wort mhd. tiufchen^ woraus nhd.
nothwendig teufchen wird. •
.*.<
die Grimm gebrochen and geebnet, weiter fortzuarbeiten
fich zur Aufgabe feines Lebens macht: die Wißenfchaft
fteht ihm höher als die G-ewohnheit.
Aber diefe eine Art von Gymnaiiallehrern ift verhältnis-
mäßig zur Zeit noch feiten. Etwas zahlreicher ift eine zweite
Art. Zu ihr gehören diejenigen, die fich dem beßeren Wißen
nicht verfchließen , fondem immerhin ein gewifCes Intereffe
hegen für den Fortfehritt, den man feit Grimm und durch
Grimm auf dem Gebiete der Deutfchen Grammatik gemacht
hat. Sie find gelegentlich d. h. aus Schriften und Auffätzen,
»wohl auch durch Hoff mann*) oder durch Weigand**),
den G.e in zweifelhaften Fällen — und dergleichen gibt es in
unferer Sprache leider viele — zu Bathe ziehn , über aller-
hand grammatifche Erfcheinungen nach gerade zum Bewuftfein
gekommen und wiß^n vielfach das Richtige vom Falfchen zu
unterfoheiden ; es mag G^e auch „insgeheim der Leichdom im
Schuhe drücken, wenn üe fich des eigenen ungenauen oder
fehlerhaften Ausdrucks mitunter bewuft werden"***). Aber
Ge find entweder zu eitel und zu eigenfinnig, um durch ihren
Übertritt zum Richtigen zu bekennen, daß Sie fo lange falfch
gefchrieben, oder, was am häufigften der Fall ift, wenn äe
auch umfatteln möchten, fo fehlt ihnen doch dazu die Energie
des Willens: fie können fich nicht losreißen von der
Gewohnheit, wenn fie auch möchten.
Am zahlreichften vertreten ift eine dritte Art von Lehrern.
Diefen Herren, die faft auf jedem G3rmnafium die Mehrheit
bilden, find die Ergebniffe der neuern Sprachforfchung noch
immer fremd. Sie wollen davon nichts wißen, am aller-
wenigften von einer Beform unferer Bechtfchreibung; [ie halten
*) Neuhochdeutfche Schulgrammatik von Karl Aug. Jul.
Hoffmann.
**) Deutfehes Wörterbuch von Friedr. Ludw. Karl
Weigand, dritte Auflage von Schmitthenners
kurzem Deutfchen Wörterbuch.
***) Grimms Deutfehes Wörterbuch I, S. LV.
es für lächerlich oder gar für „dmnmes Zeug*', an der her-
gebrachten Schreibung, wie wir fie bei hunderten von Meiftem
und MuTtern der Stüiftik zu finden gewohnt find, auch nur
ein Jota zu ändern ; ja fie können lieh förmlich erbofen, wenn
fie fehen, daß man die Schüler in diefer Beziehung zu „Neue-
rungen", wie fie die Wiederherftellung des allein Richtigen
naiver Weife nennen, verführt: fie find eben Sklaven der
G-ewohnheit!
Auf Real- , Gewerbe- und höheren Biirgerfchulen liegen
die Dinge, wie fich denken läßt, in dem Maße ungünftiger,
in welchem hier, wenn man von Mathematik und Naturwißen-
fchaften abJieht, die ftrenge Wißenfchaft etwas zurücktritt.
IndefTen haben wir es hier zunächft mit den Gym-
nafien zu thun. Die Anwendung auf die andern genannten
Schulen macht fich dann von felbft.
Laßen wir nun den Knaben auf das Gymnafium kommen
und mit der hergebrachten Schreibung täufchen^ die man ihm
eingeprägt hat, in eine ElaÜTe treten, wo ein Lehrer der erften
Art den Deutfchen Unterricht ertheilt. Der ift fich bewuft,
daß er als Lehrer eines Gymnafiums der Wißenfchaft im
ftrengften Sinne des Wortes dient. Das Ziel der Wißen-
fchaft ift Wahrheit. Soll er, wenn ihm der Schüler täufcken —
wir halten diefes eine Beifpiel unter hunderten feft — ge-
fchrieben bringt, oder, wenn überhaupt die Rede auf das frag-
liche Wort kommt, der Gewohnheit zur Liebe und der Wißen-
fchaft zun^ Trotze das notorifch Falfche anerkennen und das
notorifch Richtige verleugnen? Belehrt er aber, wie er es
der Wißenfchaft fchuldig ift, den einzelnen Schüler und bei
diefer Gelegenheit die ganze Klaffe eines Beßem — und die
Gründe für die Schreibart teufchen leuchten fchon dem dürftigen
Verftande eines Sextaners ein — : wehe den armen Jungen,
daß ^e fich des Richtigen bewuft geworden find. Entweder
nemlich entdeckt dies noch in derfelben oder in einer der
folgenden Klaffen ein Lehrer der erwähnten zweiten Art: der
läßt es hingehn, denn er fcheut fich der Wahrheit ins Geficht
zu fchlagen ; aber ohne mäkelnde oder fpitzige Bemerkung
— 8 --
geht ea fchwerlich ab ; oder He fallen mit dem errungenen
teufchen einem Lehrer der erwähnten dritten Art, einem Herrn
vom Schlendriane, wie wir die blinden Anhänger der herge-
brachten Schreibung nennen werden, in die Hände : der nimmt
diefe „alberne Neuerung^S zumal, wenn er auch den Deutfchen
Unterricht ertheilt, mit nichten fo leicht, fondem geifelt iie
entweder mit Hohn und Spott oder erklärt den Jungen ge-
radezu: „Bei mir fchreibt ihr, wie es hergebracht ift; folche
willkürlichen Neuerungen will ich nicht/' Geht es wirklich
damit ab, daß das makellofe teufchen ftillfchweigend korrigiert
und nicht als Fehler angerechnet wird, fo hat der arme
Junge noch von Glück zu Tagen. Man glaube ja nicht, daß
diefe Schilderung übertrieben fei*): der Verfaßer diefer Schrift
hat noch viel Schlimmeres erlebt, als er hier gefchildert hat
und überhaupt zu fchildern vermag. Ift denn das aber in der
Ordnung? Ift das überhaupt ein Unterricht? Werden unfere
Knaben deshalb in die Schule gefchickt, um gerade beim Un-
terrichte in ihrer Mutterfprache, in der Iie am fefteften, über
die Iie am klarften fein follen, von ihren Lehrern geradezu
vexiert zu werden?
Daß diefer leidige Zuftand, der wirklich etwas komödien-
artiges hat, aber doch gar zu emft ift, um Scherz zu ver-
tragen, auf die Dauer unhaltbar fei, das hat man ja auch feit
drei bis vier Dezennien faft allgemein erkannt. Man hat aber
bis auf die neuefte Zeit eine durchgreifende Remedur aus
natürlichen Gründen noch nicht gefunden oder noch nicht
finden wollen. Theils nemlich ward jede erfchöpfende und
unfer ganzes Vaterland umfaßende Maßregel durch Deutfch-
lands innere und äußere Zerrißenheit vereitelt, theils hielt es
*) „Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn in einer Anftalt
der Lehrer der einen ELlaffe die Schreibweife für falfch
erklärt und mit allen Mitteln wieder auszutreiben fucht,
die der Lehrer der vorangehenden Klaffe mit eben folchem
Eifer den Schülern eingeprägt hatte.'' Gefammelte fprach-
wißenfchaftliche Schriften von Budolf von Baumer
S. 301.
— 9 —
fo mancher, in delTen Hand das Gerchick der Gymnalien lag,
für gerathen den befagten Ubelftand zu ignorieren, weil er
nicht wirklam eingreifen zu können meinte, ohne' die her-
gebrachte Schreibweife, an die er nun einmal von Jagend auf
gewöhnt war, in ihrem Grundbeftande zu erfchüttem. Erft
der Minifter Falk hat lieh nicht nur von der dringenden
Nothwendigkeit überzeugt mit feinem ganzen mächtigen Ein-
flöße hier einzufchreiten, fondern hat auch das einzig richtige
Mittel gewählt, indem er im Namen lammtlicher Deutfchen
Regierungen zur Herftellung einer orthographifchen Einigung
and zwar zunachft „imBereiche der höheren Schulen
Deutfchlands^^ die bereits erwähnte Konferenz berief.
Möge nur der hochverdiente Mann das fo ruhmvoll begonnene
Werk recht bald ebenfo ruhmvoll zu Ende führen.
In der That kann dem Unfuge, der feit einem Menfchen-
alter auf unferen höheren Schulen, befonders aber auf den
Gymnafien, in Bezug auf die Deutfche Bechtfchreibung ge-
trieben wird, nur dadurch gründlich und auf die Dauer ge-
rteuert werden, daß man durch das ganze Deutfche Reich
hindurch auf allen Schulen eine Wortfehreibung einführt.
Aber freilich muß dies eine Schreibung fein, die nicht dem
leidigen Gebrauche fröhnt, fondem auf feftem wißenfchaffc-
lichem Grunde ruht. Der Sprach- und Schreibgebrauch hat
eine gewichtige Stimme : er ift der Wegweifer für den großen
Haufen der Schreibenden, ohne den fowohl unfäglichen Ver-
irnmgen, wie namentlich auch der Willkür Thür und Thor
geöffiaet wäre. Aber wo Vernunft und Wißenfchaft
fprechen, muß der Sprachgebrauch verftummen.
TJfus eft tyrarmua ift eine dem Phlegma des Denkvermögens
fehr geläufige, aber ebenfo arg misverftandene , wie gemis-
braachte Phrafe. Sie bedeutet nicht, wie fie die Herren vom
Schlendriane fo gern verftanden wißen wollen : „der Gebrauch
foU herrfchen", fondern fie befagt fchlechthin : „der Gebrauch
herrfcht". Damit ift eine aus dem wißenfchafdichen Leben
gefchöpfte Erfahrung ausgefprochen , die aber nur in dem
engen Kreife der Phrafeologie , befonders der Lateinifchen
— 10 —
und Griechifchen, Sinn und Gewicht hat, auf dem Gebiete der
Deutfchen WortTchreibung dagegen an und für lieh aus hinein
fehr natürlichen Grunde fo gut wie nichts gilt. Es iTt nemlich
eine bekannte Thatfache, daß unfere fchöne Sprache vom
15. bis in das 17. Jahrhundert hinein durch unferes eigenen
Volkes Schuld eine gräuliche Verwirrung durchgemacht hat
und daß aus diefer fchweren Zeit bis auf den heutigen Tag
an ihr noch tiefe Schäden haften, d|e bloß deshalb, weil üe
allmählich zur Gewohnheit geworden find, um jeden Preis
feftzuhalten und dadurch fortzupflanzen das Verderbnis der
Sprache fördern heißt. Zufälliger und glücklicher Weife ftim-
men Schreibgebrauch und Wißenfchaff; gegenwärtig in fehr
vielen Fällen überein. Wo dies aber nicht der Fall ift, wo
eine Schreibweife notorifch auf Misverftändnis oder auf Un-
wißenheit oder gar auf Unvernunft beruht, oder wo, wie bei
vielen Unterfcheidungen, die pure blanke Willkür gewaltet
hat, oder wo der Gebrauch felber fchwankt, da hat es überall
keinen Sinn lieh auf den ufus zu berufen. Hat lieh doch die
Vernunft in vielen Fällen dem ufus gegenüber von felber
Bahn gebrochen, ohne der amtlichen Unterftützung einer Be-
hörde theilhaftig zu werden. So war, um nur ein Beifpiel
anzuführen, bis in das laufende Jahrhundert hinein das un-
v/ernünftige y in dem Diphthongen ei ganz allgemeiner Ge-
brauch; und doch drang die Befeitigung diefes der Deutfchen
Sprache ganz fremdartigen Buchftaben *) ^ befonders durch
die Bemühungen von Männern, wie Klopft ock, Schlözer,
Voß, allem dawider erhobenen Einfpruche zum Trotze end-
lich durch. Nur eine ftreng wißenfchaffclich begründete ein-
heitliche Rechtfehreibung wird alfo geeignet fein als Beichs-
orthographie auch mit dem Reiche zu ftehen und zu
*) Noch in der 2. Ausgabe von Lef fing's Laokoon vom
Jahre 1788 ift diefes ey zu Haufe, wie man durchgängig
Maler ey^ einerley, fchreyen mit Gefchrey, feyn (effe), zwey,
beyy frey, felbft beyde u. f. w. lift. Auch in der 1. Aus-
gabe von Göthe's Fauft vom Jahre 1790 fpuken noch
Unformen, wie feyn (effe), bey^ Juriflerey u. f. w.
- 11 —
fallen, ohne daß die von Jahr zu Jahr fich zufehends rer-
mehrenden Anhänger der hiTtorifchen Grammatik als treue
Freunde der WißenTchaft und als abgefagte Feinde des alle
Wißenfchaft ertötenden ftarren Sprachgebrauchs und der blin-
den Gewohnheit lieh genöthigt fehn nach wie vor ihren eigenen
Weg zu gehn und der alte orthographiTche Wirrwarr, diefe
Schmach der Deutfchen, in der Schule wie im Leben fort-
währt. Wie viel aber gerade die Schule durch die Einfüh-
rung einer folchen einheitlichen Wortfehreibung gewinnen
würde, liegt nach dem Gefagten auf der Hand.
n. Eben fo klar ift aber auch, wie viel durch die Ein-
führung einer wißenfchaftlich begründeten Reichsorthographie
die Wißenfchaft felbft gewinnt. Keine von allen Wißen-
fchafteu ift im Laufe der Jahrhunderte fo fchmählich hinter
allen übrigen zurückgeblieben, ja von den Deutfchen felbft,
die gerade diefen Wißenszweig mit befonderer Vorliebe hätten
hegen xmd pflegen foUen, fo geringfchätzig behandelt, ja
geradezu verwahrloft worden, wie die Wißenfchaft ihrer eigenen
Sprache.
Der Mittelhochdeutfche Zeitraum (1100—1450) war
unferer Sprache allerdings noch einigermaßen günftig: fie
war damals in ihrer gefetzmäßigen Entwickelung noch nicht
fo gräulich geftört, wie dies in den folgenden Jahrhunderten
der Fall fein foUte. Schon in das 16. Jahrhundert trat unfere
Sprache als ein Wuft ein. Zwar hat es fchon damals nicht
an Männern gefehlt, die der um fich greifenden Verderbnis
entgegenzutreten den Muth befaßen.^). Aber fie fanden
*) Die erfte Deutfche Sprachlehre — wenn man diefes
Buchftabier- und Lefebüchlein fo nennen darf — war die
ohne Angabe der Jahrzahl und des Druckortes heraus-
gegebene „Deutfche Grammatica'^ von Ickel famer,
einem Zeitgenoßen Luthers: ein ärmlicher Verfuch.
aus dem erften Viertel des 16. Jahrhunderts. Von da
bis zum Jahre 1814, wo Heyfe mit feiner „theoretifch-
praktifchen teutfchen Grammatik'^ auftrat , find nicht
weniger als 35 Deutfche Grammatiken erfehienen, wo-
.— 12 —
erftens bei den Deutfchen felbft zu wenig Anklang und Unter-
ftützung. Und darüber kann man fich nicht wundern. Die
Deutfchen waren eben Jahrhunderte lang als Nazion ein
Nichts. Von nazionalem Sinne yerfpürte man bei ihnen kaum
ein Fünkchen. In dem Maße, in welchem Deutfchland all-
mählich in Hch felbft zerfiel, begann auch das gemeinfame
heilige Band der Sprache fich zu lockern. Der niedere Stand
konnte der Wißenfchaft nichts nützen. Von den gebildeten
Ständen, die ihr hätten nützen können, fchwärmten die Ge-
lehrten in ihrer Maffe für das Lateinifche, die Vornehmen
und Alles, was für vornehm gelten wollte, für das Franzo-
nfche, für das arme Deutfche unter Hunderten noch nicht
Einer. Zweitens aber gehörte etwas mehr als Muth dazu
den angefammelten taufendjährigen StofiP, der damals wild wie
ein Chaos durcheinander lag, zu lichten und zu lichten. Dazu
gehörte vor Allem eine unbedingte Herrfchaft über die Sprache
felbft. Und diefe Eigenfchaft befaßen die ehrenwerthen Männer,
die iich unferer verwilderten Sprache annehmen wollten, nicht.
Die grammatifchen Stümpereien des 16. und der zwei fol-
genden Jahrhunderte, die etwas beßeren und immerhin ver-
dienftvollen Arbeiten eines Schottel, Grottfched, Ba-
fedow, Heynatz, Adelung, Heinfius mit eingerechnet,
waren zumal der fchon feit der Mitte des 16. Jahrhunderts
lieh zierlich und klangvoll entwickelnden, befonders aber feit
Ludwigs XIV. Zeit fich mehr und mehr glättenden und
verfeinernden FranzÖfifchen Sprache gegenüber wahrhaftig
nicht dazu gemacht die Herzen und Sinne des Deutfchen
Volkes feiner „redlichen und reichen Hauptfprache", wie fie
der biedere Schottel nannte, wieder zuzuwenden. Die
Deutfche Grund- und Formenlehre war gerade
das allerwüftefte Feld. Wer hätte fich an die Be-
bauung diefer Wüfte wagen, wie hätte fie den Wenigen, die
fich daran wagten, gelingen f ollen! Zwar Heyfe wagte fich
von 3 noch dem 16., 9 dem 17., 20 dem 18, und 3
dem 19. Jahrhundert angehören.
— 13 —
daran. Sein erfter Verlach der DeutTchen WortTchreibang
emporzuhelfen^) blieb allerdings faft unbeachtet, wie er es,
fo verdienftlich auch des Verfaßers Streben war, verdiente.
Aber feine Deutfche Grammatik^*) fiel in die allergünftigfte
Zeit. Die Freiheitskriege hatten gerüttelt an dem verfumpften
DeutTchen Geifte; der nazionale Sinn war erwacht aus jähr*
•
hundertelangem Todesfchlafe ; mit dem lebendigen InterefTe
für alles Deutfche begann infonderheit auch das durch den
anvaterländifchen Geift der Zeit erdrückte Intereffe für die
yaterländifche Sprache fich zu heben. Und dazu kam noch
ein anderer Umftand: es war ein glücklicher Gedanke, daß
Heyfe gerade damals mit feinem Verdeutfchungswörterbuche
vor die Welt trat.
Die Sprachmengerei der Deutfchen war für alle nur
einigermaßen Nazionalgefinnten fchon immer ein fchweres
Ärgernis gewefen. Die Sprachgefellfchaffcen des 17. Jahrhun-
derts hatten die Bekämpfung diefes Unwefens zum ausdrück-
lichen Zwecke. Aber die Früchte, welche die bedeutendfte
derfelben ftolz verhieß***), verkamen fchon im Keime unter
den Stürmen jenes für Deutfchland fo f ehr ecklichen Jahr«»
hunderts. Auch war diefer Miserfolg nicht völlig unver^
fchuldet, in fo fern es jene Orden und Vereine nicht über lieh
vermochten ihre urfprünglichen Zwecke feft im Auge zu be-
halten, fondern 'fchon frühzeitig in Spitzfindigkeiten und Spie ^
lereien fich verirrten. Fremdwörterbücher hat es auch fchon
früh gegeben f); es waren aber fchwache Verfuche, die in
*) Hülfsbuch zur Erlernung und Beförderung einer teutfchen
Ausfprache und Bechtfchreibung. Hanover 1803.
**) Theoretifch-praktifch teutfche Grammatik. Hanover 1814.
***) Fruchtbringende GefeUfchaft, geftiftet 1617 in
Anhalt- KÖthen.
t) Das erfte diefer Art erfchien zu Augsburg im Jahre 1571
unter dem Titel: „Simon Koten Deutfcher Dictio-
narius d. h. Ausleger fchwerer, unbekannter Griechifcher,
Lateinifcher, Frantzöllfcher u. f. w. Wörter, fo nach und
nach in Deutfche Sprache kommen lind.^' Ein zweites
— 14 —
der Detitfcheften Zeit keinen Anklang gefanden haben würden,
gefchweige denn su einer Zeit, die für Deutfches Wefen völlig
ftumpf war. Mehr Gefchick zeigte und mehr Glück hatte
eben der wackere Heyfe. Je gewaltiger gerade damals, als
er mit feinem ^^Kurzgefaßten VerdeutfchungswÖrterbuche^' *)
auf den Schauplatz trat, der Haß gegen Frankreich und
Franzöfifches Wefen glühte, defto tiefer gefühlt und defto
weiter verbreitet war das Bedürfois, wie die Franzofen felbst
von Deutfchem Boden, fo die Franzöilfchen Wörter und Phrafen,
die wir in weltbürgerlicher Einfalt allmählich bis zur Unzahl
bei uns aufgenommen hatten, aus der Deutichen Sprache
wieder los zu werden. Man ward fie nur nicht los, weil man
fie — fo wenig kannte felbft der gebildete Deutfche feine
Sprache — für unentbehrlich hielt, und man hielt He für
unentbehrlich, weil man ile eben nicht zu verdeutfchen ver-
ftand.
So war die Lage der Dinge, als jenes Heyfifche „Ver-
teutfchungswörterbuch" erfchien und als echt nazionales Werk
aufgenommen auch feiner „teutfchen" Grammatik, die nebenher
gieng, einen gewiffen nazionalen oder patriotifchen Auftrieb
gab. Hand in Hand mit der damaligen Begeifterung für
Deutfches Wefen und Deutfche Sprache gieng aber natürlich
das Bedürfiiis einer gründlicheren Bildung in der wieder in
Gnaden angenommenen, ja plötzlich fo lieben und werthen
Mutterfprache. So und nur fo erklärt fich die fonft kaum
erklärliche Begierde, mit der man nicht nur nach dem„yer-
teutfchungswörterbuehe^S fondern auch nach der gerade in
jener Deutfchen Zeit auftauchenden „teutfchen Grammatik''
von Heyfe griff. Und in der That ift ja auch das erft-
genannte Buch diefer beifalligen Aufnahme durchaus werth,
gab ein gewiffer Haupold im Jahre 1620 zu Bafel her-
aus unter dem Titel: „Dictionarium erklärent allerley
fchwere Wörter, fo in der Deutfchen Sprache ein-
geriffen find".
*) Nordhaufen 1807.
— 15 —
und diefes eine Werk ßcbert feinem Verfaßer einen ehrenvollen
Namen für alle Zeiten. Nicht minder Terdienftroll war feine
Grammatik, infofern fie in die noch wenig verarbeitete Dentfche
Sprachmaffe doch wenigftens eine gewiffe Uberficht und
Ordnung brachte, wie fie fich denn von vom herein durch ihre
praktifche Einrichtung^) z^r Einführung in den Schulen
empfahl. Aber fie war eher alles andere als gerade eine
wißenfc ha ft liehe Grammatik. Indem nemlich ihr Ver-
faßer dem unwißenfchaftlichen Grundfatze huldigte, man müße
in der Sprache dem herrfchenden Gebrauche folgen, und in-
dem er diefem Grundfatze gemäß das, was er vorfand, als
maßgebend hinftellte, war es nicht anders möglich als daß er
viele von früheren Jahrhunderten überkommenen Fehler in
einer Art von gefetzgeberifcher Form beftetigte, während er
anderfeits durch die vielen neu eingeführten Regeln, die nicht
in der Sprache felbft begründet, fondem lediglich aus dem
Kopfe des Verfaßers entfprungen waren, zu den alten Schäden
noch neue fügte. Und fo kann man dem braven Heyfe, der
durch feine angeftrengten Deutfchen Studien und durch fein
redliches Streben immerhin den Dank der Nazion verdient
hat, doch den harten Vorwurf nicht erfparen, daß er durch
feine Grammatik ganze Generazionen von Deutfchen auf Ab-
wege geführt und insbefondere eine Reform der Deutfchen
Kechtfchreibung, wie He die Zeitverhältniffe nachgerade ge-
bieterifch verlangen, um fo mehr erfchwert hat, je mehr feine
Grammatik befonders auf den Schulen fo zu fagen dominierte
und durch die Schulen in das Leben eindrang.
Alle Grammatiken von Ickelsamer und 01a jus bis
auf Polenz und Heyfe haben die Deutfche Sprachwißen-
fchaft um keinen Schritt gefördert, weil fie fammt und fonders
entweder die Luft oder den Muth oder — was am allerhäufig-
ften der Fall war — wegen mangelnder Kenntnis des Alt-
*) Diefe Einrichtung hat nach des alten Heyfe Tode viel-
fach gelitten durch den faft mit jeder neuen Auflage
fich immer maffenhafter anhäufenden Stoff.
— 16 —
deutfchen das Zeug nicht hatten in. das Innere unferer
Sprache einzudringen und ein Lehrgebäude dieser
Sprache aus ihrem inneren organifchen Bau her-
aus zu fchaffen.
Es yfBx dies allerdings eine Biefenarbeit, welcher die da-
maligen Gelehrten um fo weniger gewachfen waren, da es auf
diefem Felde an tüchtigen Vorarbeiten noch gänzlich fehlte;
es war eine Arbeit, zu welcher eine Schärfe, eine Umlicht und
vor Allem eine Ausdauer gehörte, wie ße zu allen Zeiten nur
wenig Gelehrte befeßen haben. Jakob Grimm*) befaß
diefe Eigenfchaffcen. Seine Deutfche Sprachlehre, deren 1. Band
im J. 1819 erfchien, war ein Triumph der Wißenfchaft über
den blinden ttsus. Wenn man bedenkt, daß allen Anfängen
nach dem natürlichen Laufe der Dinge noch eine gewiffe
Mangelhaftigkeit anklebt, fo war es ein berechtigtes Staunen,
das den Kundigen ergriff, indem er in diefer ersten wißen-
fchaftlichen Grammatik der Deutfchen Sprache
ein nahezu vollendetes Werk erblickte. Man wufte nicht, ob
man mehr die Zähigkeit und Energie der Ausdauer bewundem
sollte oder die Tiefe und den Umfang der Forfchung. Das
innere Heiligthum feiner Mutterfprache war nun dem erstaunten
Auge des Deutfchen aufgefchloßen. Welcher fchöne harmo-
nifcheBau, von welchem kein einziger Grammatiker vor Grimm
auch nur eine Ahnung hatte! Welche Fülle von ebenso wich-
tigen wie glänzenden Befultatent Wahrlich nach der Auf-
nahme, wie GiB der unwißenfchaffclichen Grammatik vonHeyfe
zu Theil geworden war, hätte man glauben follen, die Deutfche
Nazion würde diefe Deutfche Grammatik, die auf der Hohe
der Wißenfchaft ftand, wo nicht verfchlingen , doch mit ftür-
mifcher Begeifterung begrüßen. Vor Allem lag die Erwartung
nahe, daß man fich höheres Orts beeilen würde die Ergebniffe
der Grimm 'fchenForfchungen zunächft durch die Schulen
*) Daß wir im Gegenfatze zu Grimm felber, der fich Jacob
fchreibt, durchweg von Jakob reden, darüber werden
wir unten § 58 Rechenfchaft abzulegen nicht verfehlen.
— 17 —
zum Gemeingate der Nazion zu machen. Hatte man doch auf
den Gymnafien von jeher alsbald nach jeder neuen Lateinischen
und Griechifchen Grammatik gegriffen, damit der lernenden
Deutfchen Jugend die Fortfehritte der Wißenfchaft auf dem
Gebiete diefer fremden toten Sprachen nicht vorenthalten
würden: um wie viel mehr war anzunehmen, daß der uner-
meßliche Fortfehritt, der durch Grimm auf dem Gebiete der
lebendigen vaterländifchen Sprache gemacht war, der Deut-
fchen Jugend zu Gute kommen würde«
Von alle dem gefchah aber befonders aus zwei Gründen
nichts. Zunächft trat die Deutfche Grammatik von Grimm
nicht unter fo günftigen Verhältniffen ans Tageslicht, wie die
von Heyfe*). Die nazionale Begeifterung der Jahre 1813
bis 15 hatte lieh unter dem Drucke der Zeitumftände fo gut
wie ganz gelegt. Der Sinn für Deutfchthum galt gerade da-
mals für ein politifches Verbrechen. Wer ihn hegte, ward,
wo er Jich in Deutfchland fehen ließ, als Demagog verfolgt.
Alles gieng reißend rückwärts. Nur in den Herzen der aka-
demifchen Jugend, wie der Jahne und der Ari»dte, glomm
der Funke der Vaterlandsliebe heimlich fort. Wer hätte üch
unter diefen elenden Verhältniffen für ein wißenfchaftliches
Deutfehes Werk als folches, wenn es auch noch fo über-
rafchend groß, noch fo epochemachend war, erwärmen können?
Wenn aber die Unempfanglichkeit der Deutfchen für ihr
nahezu gröftes wißenfchaftliches Werk aus diefem Grunde
nicht unnatürlich war, fondem in den erbärmlichen Verhält-
niffen der Zeit und der durch iie erzeugten allgemeinen Apathie
lag, fo war und bleibt der Hauptgrund, warum man mit Aus-
nahme der Deutfchen Gelehrten, die für ihre Mutterfprache ein
befonderes wißenfchaftliches Intereffe hatten, die Deutfche
Grammatik von Grimm nicht nur gleichgültig und lau, son-
dern zum Theil geradezu mit einem gewiffen Widerwillen auf-
nahm, um fo unnatürlicher, ja befchämender : es war die leidige
Gewohnheit. Heyfe hatte bei den Deutfchen in diefem
*) Heyfe 1814, Grimm 1819—37.
Eisen, Deutfche Orthographie.
— 18 —
Punkte viel vor Grimm voraus. Er nahm die Sprachmasse,
wie er ile vorfand, wie fie dem Volke mundrecht und hand-
recht geworden war, und brachte üe in eine gewüTe Ordnung
und unter gewiffe zum gröften Theile freilich ganz willkürliche
Begeln; felbft was er Neues brachte, war etwas Altes in un-
merklich neuer Form. Bei Grimm war bis auf eine gewilTe
Anzahl von Wörtern, die er fchrieb, wie alle Leute/ Alles neu ;
Lautlehre, Schreiblehre, Formenlehre, befonders die Wort-
biegungslehre, waren völlig umgeftaltet; felbft auf die liebge-
wordenen Deutfchen Lettern und die Majuskeln, die fo mancher
Deutfche ohne Kalligraph von Profeftion zu fein fo kunffcvoll
zu zirkeln verftand, foUte verzichtet werden, der Thron des
Tyrannen usits foUte zusammenbrechen : das war zuviel für den
guten Deutfchen : er hat — und zwar gerade in feinem gebil-
deten Theile — Herz und Sinn und Zeit und Geld für die
neue Mode, die aus Paris kommt ; aber für das Neue, Schöne,
echt Deutfche, was Jakob Grimm durch feine in die Tiefe
dringende und jeder Erfcheinung auf den Grund gehende For-
fchung unter»dem Schutte von 3 Jahrhunderten hervorgezogen
hatte, um unferer bis zur Unkenntlichkeit entftellten und ver-
wilderten Sprache ihre wahre wißenfchaftliche Geftalt
zurück zu geben, dafür war er blind und taub : „halt er doch^,
um mit Grimm felbft zu reden, „an Irrthümern und Vorur-
theilen um fo zäher und eigenfinniger feft, je älter und unver-
ftändiger fie find.'' Alfo ward ihm die Wahl, wo es überhaupt
bis zu einer folchen kam, die Wahl, ob er vom Schlendriane
laßen und dem Winke der Wißenfchaft folgen oder ob er beim
Hergebrachten ftehn bleiben follte, nicht eben fchwer : er blieb
widerf tandslos hangen in den Armen der Gewohnheit^).
*) Nur in einem allerdings fehr wefentlichen Punkte ift
man bis auf ein paar wunderliche ELäuze dem Vorgänge
G r i m m ' s ganz allgemein gefolgt, und es war wenigftens
eine kleine Genugthuung für Grimm, daß gerade er
durch feine Deutfchen Studien hierin der Tonangeber
war — , nemlich in der Schreibung des Wortes Deutsch.
S. unten.
— 19 —
£s gibt nichts Wahreres, als was wir einmal in dem
Angufthefte der vorjährigen Grenzboten laTen, wo es heißt:
,^s ift kläglich zu bemerken , daß die ErgebnüTe der wißen-
fchaflilichen Forfchnng fehr ^sit ins Leben dringen, wenn es
und wo es überhaupt gefchieht: die G-elehrten fchreiben nur
für ihre Fachgenoßen, die Lehrer der Jugend und des
Volkes in Wort und Schrift kümmern fich nicht um die
Arbeiten der Gelehrten; drum will auch der Irr-
thum nicht weichen/^ Namentlich enthalten die durch
die Schrift hervorgehobenen Worte eine beklagenswerthe, aber
fo frappante Wahrheit, daß man glauben möchte, fie feien in
befonderem Hinblicke auf die ErgebnüTe der Grimm 'sehen
Forschungen gefchrieben. Und doch wäre es ein ganz unbe-
rechtigter Einwand, wenn man entgegnen wollte, die Deutfche
Grammatik von Grimm fei für Schulen ganz unbrauchbar,
fo daß fich felbst der Lehrer und der Gelehrte darin nur müh-
fam zurechtzufinden im Stande feien. Befitzen wir doch fchon
feit dem J. 1839 einen vortrefflichen Auszug aus Grimm —
wenn man die felbftändige Arbeit überhaupt fo nennen darf
— in der fchon erwähnten Neuhochdeutfchen Schul-
grammatik von Hoff mann und feit dem J. 1852 einen
zweiten nicht minder vortrefflichen, nur etwas zu umfangreichen,
in der Grammatik der Neuhochdeutfchen Sprache
von Kehrein*), die fich felbst als eine nach Jakob Grimmas
Deutfcher Grammatik bearbeitete bezeichnet. Nein, Grimm
war — abgefehn von den ungüiLftigen ZeitverhältnifTen —
kein Mann für das Deutfche Volk : er ftörte es gar zu fehr in
feiner Hingabe an die fuße Gewohnheit.
Zwar dem Deutfchen Volke kann man daraus keinen
Vorwurf machen: Grimm hatte feine Grammatik nicht für
das Volk gefchrieben: fle war, wie wir fchon angedeutet, zu-
nächft beftimmt für Lehrer und Gelehrte. Wie viele unter
*) Grammatik der Neuhochdeutfchen Sprache nach Jacob
Gr i m m ' s deutfcher Grammatik bearbeitet von Joseph
Kehrein 1852.
2*
— 20 —
dielen mögen, wie der Verfaßer diefer Schrift, mit Unmuth
wahrgenommen haben, wie ein Jahrzehend nach dem anderen
verftrich, ohne daß man von diefem großartigen Denkmal der
Wißenfchaft auch nur Notiz nahm. Aber was konnten diefe
Einzelnen trotz allem Arger und Unmuth thun? Sie konnten
nur ihre Stimme im Namen und im IntereÜTe der Wißenfchaft
erheben. Und mehr als eine kräftige Stimme hat theils in
Flugfchriften, theils in Zeitfchriften und Programmen sich er-
hoben. Aber alle diefe Stinmien find aus dem natürlichen
Grunde wirkungslos verhallt, weil der einzige geeignete Weg
zur nachhaltigen Verbreitung eines Schreib- oder Sprachge-
brauchs der ist, daß er auf den Schulen der lernenden
Jugend eingeprägt und durch die Schulen hinaus ins
Leben getragen werde, die Schulbehörden der meiften Deut-
fchen Staaten, vor Allen Preußens, aber zu der großen Mehr-
heit der gebildeten Deutfchen Welt gehörten, die an dem Her-
gebrachten hieng und allen fogenannten „Neuerungen^' auf
dem Gebiete unferer Sprache, insbefondere der Recht-
fchreibung, mehr oder minder abhold war. Nur ein
Deutfcher Staat, dem fich bald darauf ein zweiter anschloß *),
hat eine Ausnahme gemacht , die man, befonders Preußen
gegenüber, nicht hoch genug anfchlagen kann, und diefe eine
rühmliche Ausnahme be weift, wie viel in dieser Beziehung eine
Schulbehörde, ja eine einzelne mit der Leitung des Unter-
richts betraute Perfönlichkeit vermag, wie oft fogar ein ein-
ziger Menfch von Einfluß die Geftaltung und Entfaltung
der einheimifchen Sprache in der Hand hat. Der Oberfchul-
rath Dr. Eohlraufch in Hanover war es, der bereits im J.
1838, alfo ein Jahr, nachdem der vierte und letzte Band der
Grammatik von Grimm erfchienen war, dem damaligen Kon«-
rektor Hoffmann zu Celle zur Bearbeitung feiner bereits er-
wähnten Neuhochdeutfchen Grammatiken, der Schul- und der Ele-
mentargrammatik, die ganz in dem durch Grimm gewonnenen
Boden wurzeln, die Anregung gab, und dann wieder im J. 1855
*) S. unten §. 5.
— 21 —
als Haupt des Oberfchulkollegiums zu Hanover durch den-
reiben inzwifchen zum Direktor in Lüneburg beförderten H o f f -
mann die Herausgabe der „Regeln mit Wörterverzeichnis für
Deutfche Rechtfehreibung*' betitelten Schrift yeranlaßte, die^
obwohl der durchgreifenden Konfequenz ermangelnd, doch
ebenfalls auf hiftorifchem Grunde fteht und die, wie das Vor-
wort ausdrücklich feftftellt, lediglich aus dem Entfchluße der
genannten Schulbehörde ,,bei den überhand nehmenden Ver-
fchiedenheiten in der Schreibweife auf eine Abhilfe zunächft
für den Schulunterricht Bedacht zu nehmen" entfprungen ift.
Das war es, was von Seiten des Deutfchen Mittelftaats Ha-
nover, dem 6 Jahre fpäter der Deutfche Mittelftaat Würtem-
berg gefolgt ift^), für die Deutfche Sprachwißenfchaft gefchah,
während die maßgebenden Kreife des Deutfchen Großftaats
Preußen für die Wißenfchaft der vaterländifchen Sprache nicht
einmal einen Federffcrich hatten ; denn ein einziger Federftrich,
der den Preußifchen Gymnaiien Hoffmann's Grammatiken
empfahl, wie Jahr aus Jahr ein foviel andere Werke vom
Preußifchen Minifterium des Unterrichts empfohlen werden,
hätte nicht bloß die Hauptlehren der durch Grimm begrün-
deten hiftorifchen Grammatik, die lieh den höheren Schulen,
ja in den Grundzügen felbft den Volksfchulen, auf die Länge
der Zeit nun einmal nicht vorenthalten laßen, allgemein ver-
breitet, fondem namentlich — und dies muß, wie gefagt, als
das dringendfte Bedürfnis der Gegenwart bezeichnet werden —
eine gewiffe Einigung in der Rechtfehreibung nach dem Vor-
gänge von Hanover herbeigeführt. Aber gerade in Berlin, wo
der große Meifter feit den vierziger Jahren feine Werkftatt
aufgefchlagen hatte, war man nun einmal unempfänglich für
die Ermngenfchaften feiner Forfchungen. Und fo ift es, „was
Röthe in die Wangen jagt," dahin gekommen, daß die Deutfche
Grammatik von Jakob Grimm, das gröfte grammatifche
Werk aller Zeiten und Völker, auf das die Deutfchen ftolzer
fein foUten als auf irgend ein anderes Denkmal der Deut-
f) Vgl. unten §. 5.
— 22 —
fchen Wißenfchaffc) für das fle fchon deshalb fchwännen Tollten,
weil rieh Grimm gerade darch diefes Werk um ihr höchftes
Gut, ihre Mntterfprache, ein unrterbliches Verdienft erworben
hat, für die vielen Hunderte von Deatfchen GelehrtenTchulen,
ja namentlich für die unzähligen Handels-, Gewerbe- und
RealTchulen, auf denen der Schwerpunkt des Unterrichts docb
billicherweife im Deutfchen Unterrichte Uegen foUte, noch
heute nach einem halben Jahrhunderte fo gut wie
nicht vorhanden ift.
Dem wackern Forfcher felbft entgieng diefe kühle Auf-
nahme feiner Werke nicht. Und Sie fand ihn nicht unvor-
bereitet.
Jakob Grimm war eine durch und durch biedere,
dabei kernige, aber ftill in lieh zurückgßzogene, fchüchtem
befcheidene, überhaupt mehr ideale als praktifche Natur, die
lieber am einfamen Scjiireibtifch feftfaß als im bunten Ge-
wimmel des Lebens lach bewegte. An die Herausgabe feiner
Grammatik gieng er, obgleich Sie in die unempfanglichfte Zeit
fiel, doch, wie es fehlen, mit frohem Muthe: er war lieh be-
wuft durch diefes urgründliche und urwißenfchaftliche Werk
der Sprachwißenfchaffc eine neue Aera zu eröfihen, die der
Deutfchen Sprache einen ganz andern Werth und eine ganz
andere Stellung unter den Europäifchen Sprachen gab ; er fah
zu feiner Genugthuung neben der klafCifchen und Orientali-
fchen eine Deutfche Philologie auf dem Grunde feiner
Forfchungen üch bilden, die fchon in Kurzem einen un-
geahnten Auffchwung nahm; er rechnete außerdem bei feiner
idealen Anfchauung der Welt und der Dinge in Betreff der
Aufnahme und der Verbreitung feiner Lehren auf die durch
die Befreiungskriege erzeugte vaterländifche Stimmung des
Deutfchen Volkes. Auch dann, als die beiden Brüder, kaum
aus Göttingen (1837) vertrieben, von der Weidmann* fchen
Buchhandlung in Leipzig die Aufforderung erhielten ihre
„unfreiwillige Muße" mit der Abfaßung eines neuen
großen Wörterbuchs der Deutfchen Sprache auszufüllen, als
fie (1840) „durch die Gnade des Königs von Preußen in
— 23 —
Berlin Schirm und Freiheit für ihre Forlchnngen erlangten'',
ift Jakob noch voller Vertrauen auf das Deutfche Volk und
▼oller Hoffiiung auf das Gelingen feines Werkes. IndelTen
find doch fchon allerhand Bedenken in ihm aufgeftiegen. Trübe v
Erfahrungen verfchiedener Art, die Ausweifung ans GÖttingen,
die Anfechtungen, die feine Lehren überall von Seiten der
Herrn vom Schlendriane femden, die offenen Anfeindungen
Yon Seiten „frecher Halbkenner unferer Sprache, die fich
nicht fcheuten ein vaterländifches Werk, das Alle freuen
follte und reiche Vorräthe öffnet, zu verläftem" \ *) der paftive
Widerftand der Unterrichtsbehörden, der ihn mehr und mehr
überzeugte, daß feinen wißenfchaftlichenBeftrebungen keines
Medlceers Güte lächelte; die hemmende Beforgnis der Ver-
lagshandlung, daß die durchgreifenden orthographifchen Be-
formen, die er bezweckte, dem Abfatze des Deutfchen Wörter-
buchs fchaden könnten,**) das alles erhöhte allmählich feine
*) Grimmas eigene Worte. Wenn er dann (Deutfehes
Wörterbuch I, S. LXVII) hinzufügt : „ihr frevel ift unferer
öffentlichen zerriffenheit ein zeichen'^, fo geht daraus
hervor, daß feine idealen Anfchauungen vor der rauhen
Wirklichkeit bereits zu zerrinnen begonnen hatten.
**) Grimm tröftet fich zwar damit, daß mäßige und all-
mählich vorgebrachte Beformen faft jederzeit Eingang,
überfpannte Abwehr gefunden haben. Aber der nieder-
fcUagende Eindruck, den diefe durch materielle Bück-
fichten eingegebene Befchränkung auf ihn gemacht,
und der nachtheilige Einfluß, den Ge auf fein Werk
geübt haben, ift aus einer andern Stelle erfichtlich, wo
es heißt: „die deutfche fprache kann, bevor ihre Ortho-
graphie gereinigt wird, das Wörterbuch nicht befriedi-
gend einrichten, und ein mangel des gegenwärtigen
bleiben muß es, daß diefem gebrechen noch nicht ab-
geholfen werden durfte." Und wieder an einer andern
Stelle heißt es: „der verfaßer eines deutfchen Wörter-
buchs vernichtet feine mühfame arbeit und würdigt Re
herab, wenn er fich den fehlem ergibt, die nur die un-
wißenheit und die lange verkennung unferer fprach-
gefetze hegen konnte".
— 24 —
angeborene Scheu und machte ihn, zumal als nach dem den
,,nazionalen Sinn befruchtenden Gewitter von 1848 Rück-
fcUäge lang und fchwerfallig die Luft durchzogen'', nicht
bloß verzagt und mismuthig, fondern auch unfchlüßig und
fchwankend in feinen urfprünglichen Anlichten und Ent-
fchlüßen. Daher die auffallenden Widerfprüche zwifchen dem
Grammatiker und dem Lexikographen Grimm und die vielen
Inkonfequenzen in der frühern und fpätem Schreibung, auf
die er felbft hindeutet in der nachfolgenden merkwürdigen Er-
klärung, die er in der Vorrede zu feinem Deutfchen Wörter-
buche, dem unvollendeten Schlußfteine feines Lebens, ab-
gibt.*) „Ich wollte", heißt es dort, „den wuffc und unflat un-
ferer fchimpflichen , die gliedmaßen der fprache ungefüg
hüllenden und entftellenden fchreibweife ausfegen; ja daß ich
dafür den rechten augenblick gekommen wähnte, war einer
der hauptgründe mich zur übernähme des Wörterbuchs zu be-
ftimmen, deffen ganze Ordnung faft an jeder ffcelle durch das
beibehalten der unter uns hergebrachten Orthographie fichtbar
geftört und getrübt werden mufte. es ift nichts kleines,
fondern etwas großes und in vielen Dingennützes
feine fprache richtig zu fchreiben. das deutfche
Volk hängt aber fo zäh und unberaten an dem ver-
härteten fchlimmen misbrauchy daß es eher
lebendige wirkfame rechte als von feinen untau-
genden buchftaben das geringfte fahren ließe,
unmittelbar mit dem erften eindruck, den ein neu auftretendes
wörterbuc)i hervorzubringen im ftande wäre, mit dem einfluß,
den es allmälich üben könnte, fehlen es am fchicklichften zu-
gleich die längft reife neuerung, vielmehr zurückführung
der fchreibregel auf ihre alte einfachheit, zu ver-
binden, in der bewegung der zeit felbft hätte diefe ab kehr
und Wendung von dem bloßen fchlendrian der
letzten, nicht der früheren Jahrhunderte minderes
auffehn erregt und fich unvermerkt den beifall oder die
*) I, s. vm f.
-- 25 —
gewöhnong der menge gewonnen, als aber fonTt überall in
die jüngft verlafTenen gleife znrückgefchoben wurde, leuchtete
ein, daß es nun unmöglich gewefen wäre hier in die ältßften
wieder einzulenken; was gefchehen konnte, war eine nur
iheilweife zu verfuchende abhülfe und linderung des hervor-
ftechendften Übels."
Ja leider ift es fchon längft zu fpät, um unfere ganze
heutige Wortfehreibung nach dem von Jakob Grimm auf-
geftellten hiftorifchen Prinzip e zu reformieren. So gut
dies vielleicht vor einem Jahrhunderte zu Gottfcheds und
Adelungs Zeiten gegangen wäre, fo unausführbar würde es
jetzt fein, wo lieh die leidige Gewohnheit des Deutfchen Geiftes
allmählich mit einer Gewalt bemächtigt hat, daß die Deutfchen
in ihrer großen Mehrheit wider eine folche Umgeftaltung
unferer Orthographie fich förmlich empören würden. Aber zur
Herftellung einer größeren orthographifchen Einigung, wie Ge
fo dringend noth thut und wie ^e vom Minifter Falk beab-
lichtigt worden ift, zunächft und vor Allem die vielen Schwan-
kungen, die in unferer Wortfehreibung lieh eingefchlichen
haben, hinwegzufchafiPen und nebenbei — ebenfalls um diefer
Einigung willen — eine Anzahl von andern fchreienden Mis-
bräuchen*) zu befeitigen, dazu ift es mit nichten zu fpät.
Das darf und kann aber, wie wir im Verlaufe der vorliegenden
Schrift zu beweifen hoffen und wie es Geh im Grunde von felbft
verfteht, ganz allein gefchehn auf dem Gehern Wege, den
Jakob Grimm vor einem halben Jahrhunderte mit über-
legenem Scharfblicke vorgezeichnet hat.
Wohlan denn, noch Gnd die Zeitverhältniffe einer
folche n Verbeßerung unferer Schreibung und der nur auf
diefe Weife möglichen und doch fo dringend gebotenen ortho-
graphifchen Einigung günfdg. Jetzt, wo der Preußifche Unter-
*) Wir meinen Schreibweifen, die nur den ufus für Geh
haben, fonft aber fo widerGnnig oder wenigftens fprach-
widrig Gnd , daß es keinem fprachlich Gebildeten zuge-
muthet werden kann, diefelben wider beßeres Wißen zu
befolgen.
— 26 —
richtsminifter anregend und ermimtemd voran gieng, wo der
Haucli der vaterländiTchen Einheit und Einigkeit noch be-
lebend und {rifch durch die Deutfchen Gaue weht, wo unter
dem mächtigen Drange nach Vollendung der politifchen
Einigung alle Schwierigkeiten doppelt leicht überwunden
werden , die ein auf Einigung abzielendes Werk veruriacht,
jetzt oder vielleicht nie ift die G-elegenheit geboten die
ein halbes Jahrhundert lang nur von der Deutfchen Philo-
logie gepflegte, fonft aber von den Deutfchen verfchmähte
Wißenfchafti der eigenen Sprache wieder zu Ehren zu bringen
durch Einführung einer einheitlichen Orthographie, die auf
dem von Grimm geebneten Boden der hiftorifchen Sprach-
forfchung ruht. Und nicht bloß um der Wißenfchaft; willen
thut diefe orthographifche Einigung noth, fondem auch aus
nazionalen Gründen; denn
m. auch das Nazionalgefiihl gewinnt. Die Deutfchen
hatten, befonders feit dem Ende der Hohenftaufen, wahrhaftig
keinen Grund als Nazion auf ihren Namen ftolz zu fein. Sie
dürfen es erft und dürfen es in vollem Maße feit dem Jahre
1870 fein. Nur ihre Sprache, diefe herrlichfte der Welt, be-
rechtigt Jie in zwei Beziehungen zu diefem Stolze nicht; denn
zwei Eigenfchaften , die gerade durch das ganze Deutfche
Alterthum hindurch ihre höchften Zierden waren, find ihr
durch die Ungunft der Zeit verloren gegangen, wir meinen die
Reinheit und die Richtigkeit.
Ueber den erften Punkt ift fchon (11, S. 13 f.) gefprochen
worden. Die „Frömdgierigkeit" der Deutfcben, wie He der ehr-
liche Schottel nennt, insbefondere ihre unnatürliche „Gier**
nach Franzöfifchen Wörtern und Phrafen , war von jeher
eine Schmach, wie He unter allen gebildeten Nazionen nur an
uns Deutfchen haftet, an uns, die wir bei der Bildfamkeit und
dem Reichthume unferer Sprache diefes von einer viel ärmeren
fremden Sprache erborgten Flitters am allerwenigften be-
dürfen. Zu einer Zeit, wo unfere Sprache in fchroffem Gegen-
fatze zu der bereits in fchönfter Entwickelung begriffenen
Franzöfifchen fich noch im Zuftande der tiefften Verwirrung
— 27 —
tind Verwildenmg befand, aus Eitelkeit und Vornehmihuerei
entfprungen hat diefe Unlitte, wie fchon bemerkt ift, befonders
feit dem beftechenden Zeitalter Ludwigs XIV in erfcbreckender
Weife überhand genommen und namentlich unter den gebil-
deten Ständen um fo feftere Wurzeln gef oblagen, je mehr man
Geh gewöhnt hatte mit vielen Franzöfifchen Wörtern einen
befonderen Begriff zu verbinden, den man mit einem Deutfchen
Worte wiederzugeben nun kaum im Stande war. Mit dem
erwachenden nazionalen Sinne der Deutfchen und ihrer be-
ginnenden Abneigung gegen welfches Wefen begann auch
unfere Mutterfprache lieh mehr und mehr zu läubem. Die
nazionale Erhebung zur Zeit der Freiheitskriege hat uns, fo
fchnell üe verlief, nicht bloß von den Franzofen felbft, fondem
auch von manchem unnützen Franzöfifchen Worte, das üch
eingefchlichen hatte, glücklich befireit, und mit jeder neuen
Anregung, die das einmal geweckte Deutfche Nazionalgefühl
durch die Ereigniffe der Zeit bekam , that unfere Sprache in
der Beinigung von Franzöfifchem Plunder ein paar Schritte
vorwärts. Entfchieden vorwärts geht es aber auf diefer Bahn
erft, feit üch der Deutfche im Jahre 1870 feines Dafeins als
Deutfcher fo klar wie noch niemals in der Weltgefchichte be-
wuft geworden ift. Von der weittragendften Bedeutung, ja
epochemachend ift in diefer Hiniicht der Vorgang unferer
Eaiferlichen Poft, die auf Anordnung ihres zeitigen Oberhauptes
alle auf das Poftwefen bezüglichen fremden Ausdrücke mit
einheimifchen vertaufcht hat. Möchte diefem herrlichen
Beifpiele, mit welchem der Kaiferliche General -Poftmeifter
trotz dem zum Theil in fchalem Spotte lieh äußernden Mis-
behagen des großen Schwarmes der Herrn vom Schlendriane
frei und kühn und als echter Deutfcher Mann vorangeht, nun
namentlich unfere Handels- und Gefchäftswelt folgen, die trotz
ihrer bewährten nazionalen Gefinnung doch nicht die Kraft
beiitzt von ihren Chefs und Commis, ihren Bureaus und
Comptoirs u. f. w. üch mannhaft loszureißen; möchten be-
fonders auch die Deutfchen Zeitfchriften und Zeitungen folgen,
die mehr als irgend etwas in der Welt dazu gemacht find
Ä.
— 28 —
iauf . die ()£Pentliclie Aasdrucksweife einen heilibmen Einfluß
auszuüben, deren Sprache aber von fremden, befonders
FranzöGfchen Wörtern zur Zeit noch förmlich Itarrt; möchte
vor Allen recht bald der Preußifche Eriegsminiüter folgen,
damit endlich unfer ruhmreiches Heer dem übermüthigen
Nachbar im Weften, den es mit dem Schwerte fo gründlich
überwunden, auch darin lieh überlegen zeige, daß es die Fran-
zöGfchen Ketten auch' in fprachlicher Beziehung bricht.
Zwar die Beinigung unferer Sprache hat vorzugsweife
der Preußifche Unterrichtsminifter in feiner Hand: ein Ver-
bot gegen die Zulaßung von unnöthigen^) Fremdwörtern
beim Unterrichte, befonders in den Deutfchen Auflätzen, wie
es auf einigen Nichtpreußifchen GymnaJlen vor der Einver-
leibung thatßlchlich beftanden hat, erfordert nur ein paar
Federftriche , würde aber das Übel bei der Wurzel faßen und
dem Minifter den Dank der Mitwelt und der Nachwelt iichern.
Es wird langfam gehn, aber „gut Ding will Weile.*' Aufhalten
läßt ilch die Säuberung unferer fchönen Sprache feit der
Wiederherftellung eines einigen Deutfchen Reichs nicht mehr.
Noch langfamer und fchwieriger als die Reinigung
wird die grammatifche Berichtigung unferer Sprache vor
lieh gehn. Beide, die Reinigung von Fremdem und die Reini-
gung von Falfchem, haben das mit einander gemein, daß fie
Reformen find, die unfere Sprache von groben Verunftaltungen
befreien foUen, daß Re aber bei diefem Befreiungswerke eine
gewaltige Schwierigkeit zu überwinden haben : fie müßen beide
ankämpfen wider die G-ewohnheit, und nirgends, wie gefagt,
ift der Deutfche fchwerfUlliger , hartnäckiger, um nicht zu
Hagen plumper, als wo er lach losreißen foU von dem Gängel-
*) Wir gedenken den Geßchtspunkt, aus welchem über den
Gebrauch der Fremdwörter geurtheilt werden muß , an
einem anderen Orte fo genau wie möglich anzugeben
und wollen in diefer Beziehung einftweilen auf
Grimmas Deutfche Grammatik HI, 557 und Deutfehes
Wörterbuch I, S. XXVI. ff. verwiefen haben.
— 29 —
bände der Gewolinheit. Es beltebt aber zwiTchen beiden Re-
formen der bedeutende Unterfchied, daß die Reinigung
nnferer Sprache von Fremdem befonders feit dem Jahre
1813 im Volke felbft einen mächtigen Bundesgenoßen gehabt
hat und noch hat an dem von Jahr zu Jahr zunehmenden
nazionalen Geifte, der feine Spitze hauptfächlich gegen Frank-
reich kehrt, die Reinigung unferer Sprache von Falfchem
aber bisher kaum in dem engen Kreife derjenigen ihre Be-
förderer und Gönner hatte, die Heb nach Jakob Grimms
Vorgänge ausfchließlich oder wenigftens yorzugsweife der
Wißenfchaft der Deutfchen Sprache widmen. So erklärt Jich
der bereits gefchilderte allgemeine Widerftand, den Grimms
Verfuch unfere in troftlofem Zuftande befindliche Wortfchrei*
bung zu ihrer urfprünglichen Korrektheit zurückzuführen bisher
gefunden y fowie der Verzicht, den Grimm felber bei der
Bearbeitung feines Wörterbuchs auf jenen berechtigten Verfuch
ixiov aixovri yi &vfi^ geleiftet hat. Wir haben fchon oben be-
merkt — und dies geht nicht bloß aus der dort angeführten
Stelle , fondern auch aus einem im Jahre 1849 an die Weid-
mannTche Buchhandlung in Leipzig gerichteten und im 2. Hefte
der Zeitfchrift für Deutfche Philologie von Höpfner und
Zacher reröfiPentlichten Briefe hervor — , daß es urfprüng-
lieh Grimms emftliche Abiicht war in feinem Deutfchen
Wörterbuche eine durchgreifende Verbeßerung der herge-
brachten Neuhochdeutfchen „fogenannten^* Rechtfehreibung
einzuführen. „Ich kann**, heißt es unter Anderem in jenem
Briefe, ^^nachdem ich in der grammatik dargeftellt habe, wie
unrichtig, barbarifch und fchimpflich die heutige fchreibung
ift, es nicht über mich bringen, fie in einer das ganze der
fprache umfaßenden arbeit dennoch beizubehalten und fortzu-
pflanzen .... beim wörterbuche muß kühn vorgegangen oder
ganz die band abgelaßen werden .... das Wörterbuch foll
die deutfche fprache auf eine höhere ftufe der entwicklung
emporheben; es foll nicht im ftaub ftehn bleiben, fondern ihn
abfchütteln und in reine luft dringen wollen.** Nur die Er-
wägung, daß ein fo entfchiedenes Vorgehn gegen eine feit
— 30 —
Jahrhanderten eingewur^selte fehlerhafte Gewohnheit der Ver-
breitung nnd Wirkung des Wörterbuchs unverhältnismäßigen
Abbruch thun würde, konnte ihn bewegen von folchem Vor-
haben abznftehn und lieh auf eine klare und eindringliche
Darlegung der Nothwendigkeit einer bis auf den G-rund
gehenden Beform der Rechtfehreibung zu befchränken*). In-
deüen fügt er am Schluße diefes Briefes mit ahnender Seele
hinzu, erft wenn „neues politifches Heil über uns
aufgehe^', werde das Publikum f^hneller nach-
geben und eine neue Orthographie fich herftellen
laßen, die imzerrißenen und ermattetenDeutfch-
land nichts zubewerkftelligen vermochthätte^^).
Nun denn, das neue politifche Heil, delTen der edle
Forfcher hienieden vergebens harrte, ift fchon wenige Jahre
nach feinem Tode glücklich aufgegangen. Seit nun acht
Jahren befteht wieder ein Deutfchland ; e i n oberfter Kriegsherr
verfügt und gebietet über das Deutfche Heer ; wir haben jetzt
ein Maß, ein Gewicht, eine Münze, ein Recht; Poft- und
Telegraphenwefen lind durch ganz Deutfchland eins; eine
große Zahl von wichtigen Gefetzen, die ßch mit jedem Jahre
mehren, hat nun unfer einiges Vaterland gemeinfam; Alles,
was aufrichtige Freude hegt über die wieder errungene Einheit
Deutfchlands , Alles, was ein warmes Herz hat für Deutfehes
Wefen, will nach jahrhundertlanger haarfträubender Spaltung
und Zerftückelung nun endlich innigfte Einigung im Großen
wie im ELleinen: foU die Deutfche Wortfehreibung von diefer
WoUthat ausgefchloßen fein? foUen die Deutfchen fort und
fort nur um die Gefetze ihrer fchönen Sprache und um die
Anwendung diefer Gefetze auf den fchriftlichen Gebrauch der
Sprache hadern ? folL die Schreibung als wichtiges Stück der
Sprache, diefes geiftigen und dabei koftbarften Eigenthums
*) S. die Vorrede zum 1. Bande des Deutfchen Wörter-
buchs S. LIV— Lxn.
**) S. den ganzen Brief in Michaelis Schriftchen über
J. Grimms Rechtfehreibung S. 29 ff.
— 31 —
einer Nazion, in diefer Beziehung den materiellen Gütern des
Volkes nachrtehn? Das ift ja aber ancli bei keinem andern
Volke je der Fall gewefen ab bei den Deutfchen, fo lange
fie eine Nazion waren ohne Nazionalität. Wo in aller Welt
gibt es ein Volk, das — ganz abgefehn von den vielen ans
den letzten vier Jahrhunderten blindlings vererbten fprach-
liehen Fehlem, die man wider Wißen und Willen üch an-
geeignet — eiae Menge feiner bedeutendften Wörter fo
wenig zu fchreiben verftände, wie das allen gebildeten Völkern
geiftig fo weit überlegene und im Befitze der herrlichften aller
Sprachen befindliche Deutfche?
Sehr wenige Sprachen Europa*s haben üch in der Schrei-
bung und Ausfprache ihrer Wörter von vorn herein ganz un-
geftört und feft entwickelt ; man fchritt aber, wo Schwankungen
zu entftehn begannen, mit durchgreifenden Mitteln ein. Der
Zerfahrenheit, die der Franzöllfchen Sprache drohte, ward
fchon in der Mitte des 17. Jahrhunderts Halt geboten durch
das dictionnaire de tacadSmie frctngaise. Zu demfelben Zwecke
ward in Dänemark die Herausgabe eines Wörterbuchs ver-
anftaltet, zumal da dort das Deutfche Idiom frühzeitig zwifchen
das Dänifche üch niftete und eine felbftändige und einheitliche
Entwickelung der Dänifchen Sprache zu vereiteln begann.
In Italien ftellte das Wörterbuch der accademia della Cnuca
die Schreibung feft. In England ift die Bibelüberfetzung des
Jahres 1535 Bichtfchnur für eine richtige und übereinftimmende
Orthographie geworden. In Spanien bedurfte es nur einer
von wenigen Gelehrten ausgegangenen Feftftellung des Ge-
brauchs , und jedermann war damit einverftanden. Selbft in
Schweden hat man in neuerer Zeit ein Wörterbuch zu dem
ausdrücklichen Zwecke herausgegeben, um den vielen Schwan-
kungen in der Orthographie ein Ziel zu fetzen. Stehn auch
diefe lezikalifchen Werke fammt und fonders dem wahren
Begriffe eines Wörterbuchs mehr oder weniger fem, fo haben
iie doch ihren hohen praktifchen Werth und haben ihren Zweck
erreicht. Und diefer Zweck ift eben der , den jedes politifch
reifere Volk von ausgeprägtem Nazionalkarakter mit eifemer
— 32 —
Konfequenz, ja mit einer gewÜXen politifchen Eiferfucht ver-
folgt. Wo gäbe es in des Wortes echtem Sinne eine Nazion,
die nicht mit Argusaugen wachte über die Güter, die das
Volk zu einigen, die ihm allein den Stempel voller Eigenheit
aufzudrücken und zu wahren im Stande find ? Eb exifdert aber,
wie gelagt, für ein Volk kein höheres G-ut, kein köftlicheres
Kleinod, kein Befitzthum, an dem es bis zum letzten Hauche feft*
hält, als das den Menschen vom Thiere unterfcheidende wunder-
fame Werkzeug, durch das er ausfpricht, was er denkt und fühlt,
die Sprache. Sie ift eben, weil man fich hingezogen fühlt
zu dem, mit dem man gleiche Gedanken und Empfindungen
theilt, das heilige Band, das ein Volk mit magifcher Gewalt
umTchlinget und zufammenhält : wo diefes Band, das die
Sprache knüpft, fich lockert, da hat auch das Volk in fich
felber keinen Halt mehr. Nirgends ift dies fo erfichtlich, wie
am Deutfchen Volke. In dem Maße, wie das Deutfche
Beich feit dem 14. Jahrhunderte mehr und mehr zerfiel,
fchwand auch bei den Deutfchen felbft allmählich das IntereHe
für das Gemeinfame, was ein Volk befitzt, für Sprache und
Schriftenthum. Blind und taub für ihre fchöne Mutterfprache
und für die Schöpfungen der Minnefänger griffen die gebil-
deten Stände nach Franzöfifchen Ausdrücken und Erzeugniffen,
während das eigentliche und echte Deutfeh in den Händen
des Volks verblieb, um aus diefem rauhen Schlupfwinkel erft
vom Ende des 17. Jahrhunderts an, nachdem inzwifchen die
allgemeine Roheit des 16. und 17. Jahrhunderts überall in
Deutfchland eine Unzahl von guten Spracheigenheiten vollends
verwifcht und vertilgt hatte, entfetzlich vergröbert und entftellt
allmählich wieder hervorzugehn. Erft in den „wehevollen"
Anfangen des laufenden Jahrhunderts ift in einzelnen Männern
und feit den Freiheitskriegen im Volke überhaupt die Liebe
zum Deutfchen Vaterlande und ein heißes Verlangen nach
feiner endlichen Einigung erwacht. Mit welcher Zärtlichkeit
wandten fich da die Deutfchen ihrer lange verachteten Mutter-
l]prache zu ! Wie ward fie im Leben geehrt, im Liede gefeiert !
Und doch war damals die nazionale Begeifterung bei weitem
- 33 -
nicht fo rein und fo allgemein, lo begründet und fo berech-
tigt, fo hoch getragen von fittlichem Stolze und nazionalem
Selbftgefühle, wie üe es nach dem großen Kriege von 1870
ilt, nach dem Kriege, in welchem das DeutTche Volk zum
erften Male feit der Gründung eines Deutfchen Beichs (843)
als ein „einig Volk von Brüdern" ohne jegliche fremde Hilfe
den alten Erzfeind zu Boden warf.
Wohlan denn! feit unfer Volk die unverwüftliche Kraft
erkannt hat, die in feiner Eintracht liegt, ift Einigkeit feine
Losung. Es wird fich, und wäre es auch nur um diefer Einig-
keit willen, einer wißenfchaftlich geregelten, einheitlichen
Schreibung, die man im zerrißenen und ermatteten Deutfeh-
land herzuftellen umfonft verfucht hat, jetzt im geeinigten und
erftarkten Deutfchland, wenn es auch von der Amme Ge-
wohnheit laßen muß, doch gern gefallen laßen. Oder foU die
Einheit Deutfchlands bloß aus dem Grunde etwas lückenhaftes
bleiben, weil üch der gute Deutfche, der Jlch der Einheit zur
Liebe von feinen Grofchen und Kreuzern zu trennen vermocht
hat, doch in den Formen feiner Sprache von der lieben Ge-
wohnheit nur ungern losreißt? foU lieh Deutfchlands Zer-
rißenheit gerade in der Sprache, dem köftlichften Gute,
verewigen, in welcher bis auf das kleinfte Pünktchen durch
und durch einig zu fein die natürlichfte Sorge und der ge-
rechtefte Stolz jeder andern Nazion ift? Nein, vorwärts! das
Eifen gefchmiedet, weil es noch warm ift! Es gilt den gün-
ftigften aller Momente zu benutzen zur Ergänzung, Erwei-
terung und Vollendung der errungenen Einheit; es gilt das
Band der Zufammengehörigkeit da enger und fefter zu fchürzen,
wo es zur Zeit noch locker ift; es gilt nur noch ein nazionales
Bedürfnis zu befriedigen, das gerade jetzt um fo tiefer und all-
gemeiner empfunden wird, je vollftändiger die Einigung Deutfch-
lands in allen andern wichtigen Punkten bereits vollbracht ift ;
es gilt eine alte Schmach zu tilgen : benutzen wir den günftigen
Moment, um auch fie zu tilgen im Intereffe der Einheit und
der Ehre des an Ehre fonft fo reichen geliebten Vaterlandes.
Bisen, Deutsche Orthographie.
I.
§ 1» Der ProfelTor Rudolf von Raum er in Er-
langen war es, den der Preußifche Minifter Falk von Reichs
wegen aufgefordert hatte , »zur Anbahnung einer
größeren Gleichmäßigkeit in der Deutfchen
Rechtfehreibung zunächft im Bereiche der höheren
Schulen Deutfchlands eine grundlegende Schrift aus zuarbeiten/^
Ein ehrender Auftrag, der aber leichter ausgefprochen als
ausgeführt war. Die Schwierigkeiten der übertragenen Arbeit
waren groß, und faft noch größer war die Verantwortung. Die
Anbahnung einer größeren Gleichmäßigkeit in der Deutfchen
Wortfchreibung ift ohne ein gewiffes Maß von orthographifcher
Reform unmöglich. Wo war denn aber nach dem Wortlaute
der minifteriellen Aufforderung die Grenze diefer orthographi-
fchen Reform? Und wenn diefe Grenze gefunden war, nach
welchem Prinzipe foUte reformiert werden? Und wenn das
Prinzip gefunden war, wer übernahm die Verantwortung da-
für, wenn bei der Fülle „des Unrichtigen, Barbarifchen,
Schimpflichen in unferer heutigen Schreibung"^) doch noch
einzelne mehr oder minder arge Unrichtigkeiten fitzen bUeben,
die dann durch den Raumer'fchen Kanon den Schulen ein-
geprägt und durch die Schulen fortgepflanzt und vererbt
\ werden von dem einen zu dem anderen Gefchlechte?
*) S. unten § 8.
— 35 —
Zwar das anfängliche Bedenken gegen eine etwaige ortho-
grapbifclie Diktator des Herrn von Baumer fchwand, als
man erfiihr, daß von demfelben Herrn Minifter zu dem an-
gegebenen Zwecke eine Orthographifche Konferenz berufen
und Herrn von Baumerts erwähnte Schrift eben nur die
Grundlage für die Berathungen diefer Konferenz zu bilden
beMmmt war. Und in der That ift dies der einzige richtige
Weg für eine orthographifche Beform, die nicht nur Eingang
bei den Deutfchen finden, fondem auch von Beftand fein foll,
daß fie im Auftrage und im Namen des Staates durchgeführt
werde durch einen Hub von Sprachgelehrten. Trotzdem
können wir auch jetzt noch gewüTe Bedenken nicht unter-
drücken. Vor Allem drängt es uns die Frage aufzuwerfen,
ob die Namen der zu der Konferenz berufenen Männer dafür
bürgten, daß das erfehnte Werk der orthographifchen Einigung
mit Hilfe der eingeführten Beform gelänge. Und da nehmen
wir denn keinen Anftand zu behaupten, daß die Zufammen-
fetzung der befSagten Konferenz dies zu verbürgen keineswegs
geeignet war.
§ 3» Wie die Dinge gegenwärtig liegen, ift eine ortho-
graphifche Einigung im wahren Sinne des Worts nur denkbar,
wenn es glückt zwifchen den 'zur Zeit beftehenden orthographi-
fchen Gegenfätzen, zwifchen dem hiftorifchen und dem
antihiftorifchen Prinzipe*), eine gewiffe Vermittlung und
Verftändigung herbeizufuhren, was denn auch, fo fehr die
Herrn Antihiftoriker eine derartige Vermittlung hoch-
müthig von Geh weifen**), in der That weder fchwer, noch
für eine der beiden Bichtungen irgendwie unehrenhaft, viel-
mehr mit dem fonft richtigen Grundfatze principiis obsta fehr
wohl vereinbar ift. Wir halten aber eine folche Verftändigung
allerdings von vom herein für ganz unmöglich, fo lange in
*) S. unten § 34.
**) „Eine* Vermittlung gibt es nicht, und es gilt in dem
Kampfe entfchieden Partei zu ergreifen." Duden
Deutfche Bechtfchreibung S. IV.
3*
— 36 —
einem Ausfchuße, der zur Berichtigung unferer fehlerhaften
und fchwankenden Orthographie berufen ift, das antihifto-
rifche Element in dem Maße überwiegt, wie dies in der vom
Preußifchen UnterrichtsminiTter berufenen Orthographifchen
Konferenz der Fall war. Dazu kommt, daß Herr von R aume r,
der Matador unter. den Antihiftorikern oder — wohl
richtiger gelagt — der Repräfentant des antihiftorifchen
Prinzips, nach Allem, w^s man darüber gelefen hat, zumal als
Yerfaßer der „grundlegenden Schrift", der Mittelpunkt und
die Seele der mehrerwähnten Konferenz war und immitten der-
reiben einen nahezu dominierenden Einfluß übte. Aus alle
dem, namentlich auch aus einem Artikel der „Foft^^ vom
29. Dezember 1875, der etwas gar zu laut und zu keck hin-
aus in die Welt klangt) und der wohl als Quartiermacher
für das fogenannte phonetifche Prinzip zu betrachten war,
geht fonnenklar hervor, daß man in Bezug auf die beabJich-
tigte orthographifche Einigung von vorn herein offen und
entfchieden Partei genommen hat gegen das
hifto rifche Prinzip, alfo gegen dasjenige Prinzip der
Wortfchreibung, das Jakob Grimm, der bei weitem gröfte
Kenner der Deutfchen Sprache, unferer fehlerhaften und
fchwankenden Schreibweife gegenüber als das einzig richtige
erkannt hat. Wir wollen dem Preußifchen Unterrichtsminifter
daraus keinen Vorwurf machen. Es ift nicht das kleinfte
unter feinen vielen Vetdienften, daß er es überhaupt unter-
nommen hat uns Deutfche auch in Sachen unferer Ortho*
graphie, in der wir das Bild von Deutfchlands zerrißenem
Herzen zu verewigen geneigt find, möglichft zu einigen. Er
*) Es zeugt von wenig Verftand und von noch weniger
Verftändnis für die vorliegende orthographifche Frage,
wenn man, wie es in diefem Zeitungsartikel gefchehn
ift und auch anderwärts gefchieht, über das hiftorifche
Prinzip der Wortfchreibung fo wegwerfend urtheilt,
als wenn es überhaupt gar keine Berechtigung hätte.
Solche Urtheile und eben unreif und bleiben beßer un-
ausgefprochen.
— 37 —
konnte in feiner Stellung unmöglich wißen, ob er in den
Männern, die er zur Konferenz zu berufen beftimmt ward^
gerade diejenigen gefunden hatte, die in der fchwebenden
orthographiTchen Frage mit zu reden und mit zu entfeheiden
YorzugBweife berufen waren durch den Umfang und die Gründ-
lichkeit ihrer fprachlichen Studien, wie durch ihre Stellung zu
der orthographiTchen Beform. Ift es aber zu fpät oder ift
man vielleicht gar nicht einmal gewillt diefe offene, um nicht
zu fagen offizielle, jedenfalls auffallende Parteinahme gegen
das von Jakob Grimm aufgeftellte hiftorifche Prinzip
der Wortfehreibung wieder gut zu machen, fo wird es wenig-
ftens erlaubt fein, daß man der Baumer'fchen Präponderanz
gegenüber eine Beihe von unmaßgeblichen Bedenken darlegt
und mit diefen Bedenken Heb eben an die Adrefte des Haupt-
manns der Orthographifchen Konferenz, des Herrn von
Baum er, wendet. Man wolle alfo an dem Titel diefes Büch-
leins keinen Anftoß nehmen. Es handelt iich ja mit nichten
darum dem verehrten Manne, deffen frühen Tod wir aufrich-
tiger als mancher Andere beklagen, für feine Perfon Oppo-
lizion zu machen. Der Zweck diefer Schrift ift kein an-
derer als etwas weniges beizutragen, daß die weife Abficht
des Preußifchen Unterrichtsminifters, die Herftellung einer
„größeren Gleichmäßigkeit in der Deutfchen Bechtfchreibung^',
fo voUftändig wie nur immer möglich erreicht werde.
n.
§ 3« Das erfte Bedenken, das eine Baumer'fche
Präponderanz gerade auf dem Gebiete der Orthographie er-
regt, ift die eigenthümliche Stellung, die Herr von Baumer
überhaupt einer Beform der Wortfehreibung gegenüber nach
feinen eigenen Worten einnimmt, bis zu dem Zeitpunkte we-
nigftens eingenommen hat, wo die Orthographifche Konferenz
zufammentrat. „Einen Vorwurf', fagt er in feiner Abhand-
x»S
— 38 —
long über das Prinzip der Deutfchen Bechtfchireibong *),
„mülTen wir zurückweif en , der unferer hergebrachten
Orthographie in neuefter Zeit gemacht wird und der aller-
dings auch die gewagteften und Alles wieder zerfplit-
ternden Neuerungsverfuche entfchuldigen würde,
wenn er begründet wäre. Man thut nämlich bisweilen, als
wäre die hergebrachte Orthographie durchweg
fo fchwankend und unficher, daß man von einer
feftftehenden allgemein gültigen deutfchen Or-
thographie kaum reden könne. Jeder folge ja ohnehin
feinem Belieben. Zum Beweis beruft man lieh auf die Ab-
weichungen, in denen felbft fo weit verbreitete Schulgramma-
tiken, wie die von Adelung und Heyfe auseinander gehen,
auf die verfchiedene Rechtfehreibung in den älteren und
neueren Ausgaben unferer Clafßker und Anderes der Art.
Näher betrachtet aber fchwindet diefer Vorwurf fo zufammen,
daß er durchaus nicht im Stande ift das zu beweifen, was er
beweifen foU. Hebt man allein die Verfchiedenheiten hervor,
fo kann man den Schein erwecken, als fei unfere bisherige
Orthographie noch zu gar keiner anerkannten Feftftellung ge-
kommen. Vergleicht man aber die Fälle, in denen die ein-
flußreichften Orthographen der Jahre 1780 bis 1820 nicht
übereinftimmen, mit der Maffe derer, in denen üe einig und,
fo nndet man leicht, daß das ftreitige Gebiet nur
ein fchmaler Grenzfaum ift verglichen mit der
großen Maffe des Uebereinftimmenden. Ich müßte
eine vergleichende Orthographie fchreiben, wollte ich diefen
Satz im Einzelnen durchführen, und auch dann würde viel-
leicht vielen Lefem das Hauptergebnis lieh aus der Menge
der Einzelheiten nicht klar vor Augen ftellen. Aber man
richte nur einmal feine Aufmerkfamkeit auf die Maffe des
Uebereinftimmenden und man wird die Wahrheit des Ge-
*) Gefammelte fprachwiffenfchaftliche Schriften S. 116 f.
Die ganze Stelle ift in Raumers Orthographie wieder-
gegeben.
— 39 —
üagten leicht erkennen. Wer lieh einbildet, daß eine folche
Uebereinftimmung ohne eine in der Hauptfache aner-
kannte und feftgeltellte Orthographie möglich fei,
der vergleiche nur die Drucke aus dem 16. Jahrhundert unter-
einander, und doch waren auch damals fchon nicht unbedeu-
tende Yerfuche gemacht worden, die Orthographie feftzu-
ftellen! .... Mag man alfo über den Werth oder den Un-
werth unferer bisherigen Orthographie urtheilen, wie man
will, fo wird man doch zwei Dinge nicht leugnen können, erft-
lich daß wir eine wirkliche zu Becht beftehende
Orthographie haben, und zweitens, daß diefe Ortho-
graphie bei weitem in den meiften Punkten bereits feftgeftellt
war, als unfere Literatur feit der .Mitte des 18. Jahrhunderts
ihren neuen großartigen Auffchwung nahm.''
§ 4« So weit Herr von Baum er. Daß diefe feine
Stellung einer gründlichen VerbeßeruDg der jetzt hexrfchenden
Schreibung gegenüber — zu der Zeit wenigftens, wo er
die f es fchrieb — eine ausweichende oder geradezu ablehnende
war, läßt lieh nach folchen Herzensergießungen wohl kaum be-
zweifeln. Schon daß er von „Neuerungsverfuchen'' fpricht, ift
bezeichnend für den Standpunkt, auf dem er einer orthogra-
phifchen Beform gegenüber fteht. Das Wort „Neuerung"
ift bekanntlich die Lofung aller derjenigen — und Re bilden
ja zur Zeit noch die ungeheuere Mehrheit — , die in fprach-
licher Beziehung mit blinder Hartnäckigkeit am Hergebrachten
hangen und jeglicher noch fo vernünftigen Änderung feind
find. Wir wollen damit nicht fagen, daß es Neuerungen auf
fprachlichem Gebiete überhaupt nicht gebe : alles Neue, was will-
kürlich in unfere Sprache hineingetragen wird ohne wißen-
fchaftlichen Grund und Boden zu haben, ift eben
eine Neuerung. Es muß aber jeder, der fich nur vorüber-
gehend in unferer älteren Sprache umgefehn, jeder, der nur
einen flüchtigen Blick in die Grammatik oder das Wörterbuch
von Grimm gethan, jeder, der fich nur oberflächlich mit der
Wißenfchaft unferer Sprache befchäftigt hat , von vorn herein
wißen, daß es fich bei der beabfichtigten oder wenigftens heißer-
— 40 —
fehnteo Einfiihmng einer einheitlichen Orthogpraphie anter uns
Deatfcben mit nichten um willkürliche Änderungen, fondem,
um mit Grimm felbrt zu reden, lediglich y,um Abkehr und
Abwendung von dem Schlendriane der letzten
Jahrhunderte", um Wiederherftellung der durch grobe
Unwißenheit allmählich verwifchten und entftellten richtigen
Schreibung handelt. Herr von Raumer ift durch feine
gründlichen fprachlichen Studien in den Stand gefetzt hierin
tiefer zu blicken und klarer zu fehn als irgend ein Anderer;
er muß, um aus hunderten von Beifpielen nur eines heraus-
zugreifen, genauer als mancher Andere wißen, daß die von
ihm felber wie von den Herausgebern des Berliner Wörter-
verzeichniffes angenommene und durchgeführte Schreibung
der Endülbe — n i s nicht im Entfemteften eine Neuerung ift,
wie die Herrn vom Schlendriane auch diefe Schreibart zu
benamfen pflegen, fondem die wiederhergeftellte alte echte
Schreibung. Das Alles erwogen Und wir zu der Annahme
geneigt, daß Herr von Raumer nur feiner Abneigung gegen
das hiftorifche Prinzip der Rechtfehreibung, die iich in
feinen Schriften deutlich kundgibt, gelegentlich Luft macht,
indem er von „Alles wieder zerfplitternden Neuerungsverfuchen^'
fpricht, wo es ledigUch einer Alles wieder ordnenden
und die in diefem Punkte leider immer noch zer-
fplitterten Deutfchen wieder einigenden Reform
gilt. Soviel glauben wir wenigftens im Verlaufe diefer Schrift
unwiderleglich darzuthun, daß die Unordnung und die Zer-
fplitterung in unferer heutigen Schreibung zur Zeit fo graß
ift, wie He graßer niemals war und niemals werden kann, ge-
fchweige denn daß man, gerade als wenn in unferer heutigen
Schreibung eine wahrhaft himmlifche Ordnung zu herrfchen
begonnen hätte, von Verfuchen zu reden berechtigt wäre, die
„Alles wieder z er fp littern". Wollte Gott, es wäre wahr,
was Herr von Raumer fagt; wollte Gott, wir hätten, wie
alle anderen gebildeten Völker, — gleichviel, feit wann —
in unferer fonft reichften und fchönften aller lebenden Sprachen
auch eine Wortfehreibung, die ein feftes abgefchloßenes Ganzes
— 41 —
bildete; es würde nns dann nichts wefentliches mehr an der
wieder emingenen Einheit fehlen; orthographifche Sonder-
linge würden mit ihren Eigenheiten dem Ganzen keinen Ab-
brach thun. Aber leider vermögen wir in unferer heutigen
Schreibang nicht den Troft zu finden, den der glücklichere
Baum er gefunden hat.
§ 5« ZunächTt und vor Allem müßen wir von den
Schlußfätzen der vorhin angeführten Raumer'fchen Aus-
laßungen, die Herr von Raumer beide für ui^umltößlich zu
halten fcheint, den erfteren, „daß wir eine wirklich zu
Becht beftehende Orthographie haben'', oder, wie
es kurz vorher heißt, daß es überhaupt zur Zeit „eine in
der Hauptfache anerkannte und feftgeftellte Or-
thographie gebe", abgefehn von der petüio prmcipii^ die
in diefer Behauptung enthalten ift, doch ganz entfchieden
beftreiten.
Herr von Raumer felbft bemerkt*), daß zu Luthers
Zeiten unsere Schreibweife „noch keineswegs ganz feftgeftellt
war'', womit, wenn man das die Sachlage verfchiebende Wörtchen
„ganz" ftreicht, der damalige Stand unferer Wortfehreibung
richtig bezeichnet wird. Wenn er dann weiterhin erklärt**),
daß unfere heutige Orthographie „nicht nur im Wefentlichen,
fondem auch in den meiften Zufälligkeiten fchon vor Ade-
lungs Auftreten (um 1770) feftgeftellt war", und wenn er
dies fogar beweifen zu können meint, fo muß diefe Feftftellung
unferer. Orthographie nothwendig zwifchen der zweiten Hälfte
des 16. und derfelben zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
erfolgt fein. Wir würden diefe Wohlthat folglich Männern,
wie Schottel, Naft, Fulda, und vor Allen dem eifrigen
Gottfched zu danken haben. Und in der That fpricht ja
felbft Jakob Grimm mit der gröften Anerkennung nament-
lich von Fulda, der „allenthalben frifche Blicke in den Bau
und die Gefchichte unferer Sprache that", und von Gottfched
*) Gefammelte fprachwiffenfchaftliche Schriften S. 113.
**) Ebendafelbft S. 117.
— 42 —
wird insgemein angenommen, da5 die Deutfche Orthographie
durch ihn im Wef entlichen ihren Abfchloß gefunden habe.
Woher hätten nun aber, fragen wir, diefe wackeren Männer,
Fulda und Gottfched mit eingerechnet, die Befähigung
zu einer folchen endgültigen Feftitellung unferer Orthographie
genommen? Sie konnten bei ihrem natürlichen VerftändniüTe
und ihrem regen Intereüe für unfere Sprache wohl eine Beihe
von orthographifchen Widerlinnigkeiten, wie die linnlofe Häu-
fung der Eonfonanten*), tilgen; aber die bodenlofe Neu-
hochdeutfche Schreibweife, wie Jle vom 15. Jahrhunderte her
auf Re vererbt war, fo feftzuftellen, daß fie die Grundlage
für die fogenannte hergebrachte Schreibung ward, das ver-
mochten fie, denen alle und jede Kenntnis des Mittel- und
Althochdeutfchen, diefes bis auf Grimm verborgenen Schachtes,
mithin jede auch nur mittelmäßige Einücht in den Entwicke-
lungsgang unferer Sprache abgieng, nie und nimmer. Gerade
von ihnen gilt, was Jakob Grimm zunächft nur mit Bezug
auf feine Vorgänger in der Lexikographie bemerkt, was aber
feine eigentliche Anwendung auf alle diejenigen findet, die
vor Grimm als Verbeßerer unferer Wortfehreibung auf-
getreten find. „Ich trage bedenken^', fagt er, „ob irgend ein
einziger unter ihnen der fprache felbft wahren und dauerhaften
dienft geleiftet habe .... den eingang zum fchacht finden He
nicht oder laffen ihn verfanden; eine weile brach zu liegen
hätte dem großen wortacker beffer gethan, als daß, während
die pflüger ausblieben, viele fuße auf feiner Oberfläche fich
tummelten und fie feft traten"**). Oder hätte etwa Adelung
felbft mit feiner befchränkten Vorliebe für die Meißnifche
Mundart, hätte etwa Heyfe mit feinen orthographifchen Irr-
fahrten die Feftftellung unferer Orthographie zu bewerkftelligen
vermocht, Qe, die von dem innerften Wefen und der gefchicht-
lichen Entwicklung unferer Sprache — der letztere wenigftens
bis zu Grimms fpäterem Auftreten — ebenfalls noch keine
*) Vergl. unten § 23.
**) Vorrede zum D. Wörterb. I, S. XXVI.
— 43 —
Ahnung hatten? Daran kann auch Herr von Raumer, in
fo fem er unfere Orthographie fchon vor Adelung feft-
geftellt fein läßt, um fo weniger denken, da er lieh fogar mit
einer gewiffen Verwunderung darüber ausfpricht*), daß es
noch Leute gebe, die da meinen, Adelung habe unfere
jetzige Orthographie gemacht. Ift doch unfchwer nachzuweifen,
daß fowohl Adelung wie Heyfe trotz ihrer rühmlichen Be-
mühungen und ihrer ganz unleugbaren Verdienfte um die
Deutfche Sprache gerade die Befeitigung des fchon damals
herrfchenden Wirrwarrs nicht nur nicht gefördert, fondem ge-
radezu aufgehalten haben, weil die rechten Wege, die zur
Wiederherftellung einer wißenfchaftlich begründeten und folge-
richtigen Schreibung führen , weder von diesen beiden, noch
von den für denfelben Zweck thätigen anderen Männern, wie
Leibnitz, Leffing, Elopftock, Voß**), auch nur von
fem eingefchlagen wurden und weil insbefondere Adelung
und Heyfe bei der weiten Verbreitung ihrer Schriften eben
viel unrichtiges verbreiteten.
Und wenn trotz alle dem unfere Schreibung fchon vor
Adelungs Auftreten wirklich „feftgeftellt" gewefen wäre,
wenn es trotz alle dem feit jener Zeit eine „in der Hauptfache
anerkannte und feftgeftellte^^ Orthographie gäbe : wie vertrüge
iich damit Jakob Grimms, des allervollgültigften Zeugen
in dieser Angelegenheit, vor 50 Jahren, alfo lange nach
Adelung (f 1806), erhobener Schmerzensfchrei: „Unfere
heutige Schreibung liegt im Argen?" Wie vertrüge fich da-
mit desfelben Meifters in Folge feiner immer tieferen und gründ-
licheren Studien noch verfchärfte Klage vom Jahre 1854 über
den „Wuft und Unflat unferer schimpflichen Schreibweife?"
Und wenn man hierin etwa das befangene Urtheil eines ein-
*) Angef Sehr. S. 117.
**) „Was im verschiedenften finne Leibnitz, Leffing,
Klopftock, Adelung, Voß, fämmtlich dem norden
Deutfchlands angehörig, zum heile der deutfchen fprache
gewollt und geleiftet haben, wird jederzeit hochgeachtet
bleiben." Grimm Vorrede zum D. Wörterb. I, S. V.
— 44 —
feitigen and in die hiftorifche Schreibung verbißenen Gelehrten
lu erblicken meint*): wie vertrüge fich mit jenen Behaup-
tungen des Herrn von Raumer — unzähliche andere Klagen
und Kundgebungen abgerechnet — die fchon anderwärts von
litis erwähnte Thatfache, daß das Ober-SchnlkoUegium zu
Hanover „durch die Wahrnehmung der Misftände,
die durch die überhandnehmenden Yerfchieden-
heiten in derDeutfchen Schreibweife entftanden
find", im Jahre 1855 durch Berufung einer Konferenz fach-
kundiger Lehrer des Königreichs auf eine Abhilfe zunächlt
für den Schulunterricht Bedacht zu nehmen fich veranlaßt
fah? daß Würtemberg**) im Jahre 1861 Hanovers Beili)iele
folgte ? daß inzwifchen — von amtlichen Maßnahmen abgefehn
— die Lehrer der ftädtifchen Realfchule und der erften und
zweiten Bürgerfchule zu Leipzig auf Anregung des Direk-
tors Vogel in den fünfziger Jahren eine orthographifche
Einigung unter fich zu Stande brachten und diefer Einigung
im Jahre 1857 durch eine Schrift des Dr. K launig***)
öffentlichen Ausdruck gaben? daß femer im Jahre 1858 der
Lehrer Högg in Ellwangen ein „Deutfehes Wörterbüch-
lein" f) entwarf, um in der dortigen Gelehrten- und Real-
fchule „eine Ubereinftimmung in der Recht-
fchreibung" zu erzielen? daß im Jahre 1871 der Verein
der Berliner Gymnafial- und ReaKchuUehrer durch eine
Kommilfion von Fachmännern aus ihrer Mitte ein kurzes Re-
geln und Wörterverzeichnis enthaltendes Schulbuch zum Behuf
der Herftellung „einer Einigung über die Schreibung
einer großen Anzahl von Wörtern^'' abfaßen zu laßen
*) Eine alberne Idee, die man aber bei der großen Maffe
der Herrn vom Schlendriane allgemein verbreitet findet.
**) S. unten § 26. Die betreffenden Schriften f. bei Raum er
angef. Sehr. S. 299.
***) Den vollftändigen Titel f. bei Raum er angef. Sehr.
S. 289.
t) Den vollftändigen Titel f. bei Raum er angef. Sehr.
S. 298.
— 46 —
lieh veranlaßt fah? daß der Direktor Duden^) in Schleiz
auf demTelben Wege zunächTt die Lehrer feines Gymnafiams
unter einen Hut zu bringen fuchte? Wie vertrüge lieh damit
die Thatfache, daß Herr von Baumer im Jahre 1862 in
einer Kritik der durch die Würtemberger Schulbehörden ver-
anlaßten Schriften felbft erklärt**): ,,Es ift ein unerträglicher
Zuftand, wenn in einer Anftalt dqr Lehrer der einen Clafie
die Schreibweife für falfch erklärt und mit allen Mitteln wieder
auszutreiben fucht, die der Lehrer der vorangehenden ClafTe
mit eben folchem Eifer den Schülern eingeprägt hatte?'' Wie
vertrüge lieh endlich damit die Thatfache, daß der Preußifche
Minifter des Unterrichts durch diefe auf der Schule herr-
fchende orthographifche Verwirrung lieh veranlaßt fah Herrn
von Raumer eben zur Abfaßung einer grundlegenden
Schrift und zwar zum Behuf der Anbahnung einer ,ygröße-
ren Gleichmäßigkeit in der deutfchen Bechtfehreibung''
aufzufordern? Das find doch in der That lauter Erfcheinungen,
die ohne Sinn und Verftand wären, wenn es, wie Herr von
Baumer behauptet, eine „in der Hauptfache aner-
kannte und feftftehende Orthographie'' gäbe und
wenn die Anficht, die auch der Verfaßer diefer Schrift ent-
fchieden theilt, ,,als fei die hergebrachte Orthographie durch-
weg fo unficher und fehwankend, daß man von einer ,ffeft-
ftehenden, allgemein gültigen Deutfchen Orthographie" kaum
reden könne, wie derfelbe Herr von Baumer zu verftehn
gibt***), ein leerer Schein oder ein eitler Wahn wäre.
Soviel zur Würdigung der Behauptung, daß es „eine in
der Hauptfache anerkannte und feftftehende" Orthographie
gebe. Wir haben darüber mehr Worte gemacht als an und
*) Die Deutfehe Bechtfchreibung, Abhandlung, Begeln und
Wörterverzeichniß mit etTmologifchen Angaben.
**) Angef. Sehr. S. 301. Vgl. oben Eml. S. 8.
***) Baum er s eigene Worte find nemlieh angef. Sehr.
S. 116: „Man thut bisweilen als wäre die hergebrachte
Orthographie" u. f. w. Das „bisweilen" dürfte auch viel
zu eng gefaßt fein.
— 46 —
für üch nöthig war, zumal da Herr von Raumer felbft das
Gewicht diefer in feinen fprachwißenfchaffclichen Schriften
immer und immer wiederkehrenden Behauptung bedeutend
mindert, indem er an einer andern Stelle derfelben Schriften
den Wunfeh „nach zweckmäßigen Änderungen • in unTerer
Rechtfehreibung" zu erkennen gibt*), indem er ferner bei der
Beurtheilung von Elaunigs oben erwähnter Schrift; über
Deutfche Rechtfchreibiing einräumt, daß He „aus einem überall
fich fühlbar machenden Bedürfniffe" hervorgegangen fei**),
indem er endlich die Unordnung, die auf den Schulen in Be-
treff der Deutfchen Wortfehreibung herrfcht, als ein „Chaos"
bezeichnet und es fehr erklärlich findet, daß „eifrige Schul-
behörden, wie die Hanöverfchen im Jahre 1855 und 1857,
auf dem Wege amtlicher Einwirkung Ordnung in dies Chaos
zu bringen fuchen"***). Indeffen glaubten wir gerade diefen
Punkt aus gutem Ghinde fo genau wie möglich behandeln zu
müßen. Man wird nemlich finden, daß Herr von Raumer
gerade auf diefe feine Behauptung, daß wir zur Zeit eine „feft-
geftellte" Orthographie beJltzen, den gröften Werth legt, ja
eine Art von Trumpf fetzt. Und er thut von feinem Stand-
punkte aus ganz recht daran. Denn wenn das wirklich feft-
ftände, daß wir eine „feftgeftellte" Orthographie beützen, fo
wäre alles Rütteln an der überlieferten Orthographie ein eitel
vergebliches Unternehmen, und das Bedürfnis einer auch nur
mäßigen orthographlfchen Reform, ohne welche die erfehnte
orthographifche Einigung unmöglich ift, fiele damit von felber
weg. Wenn es alfo der Zweck diefes Büchleins ift, etwas dazu
beizutragen, daß die feit Jahr und Tag ins Stocken gerathene
orthographifche Frage wieder in Fluß komme und ihre end-
liche gründliche Erledigung fände, was eben nur durch eine
geeignete Reform der hergebrachten Schreibung und durch
eine auf Grund diefer Reform bewerkftelligte größere Einigung
*) S. 138, 3 und S. 148.
**) S. 289.
***) S. 301.
— 47 —
in onTerer Wortfchireibung gefchehen kann, fo muß znnSchTt
und vor Allem der von Herrn von Baumer in den Vorder-
grund geftellte Satz, daß wir bereits eine „zu Recht befte-
bende und feftgeftellte^' Orthographie befitzen, als ein that-
üLchlich-falTcher nachgewiefen werden. Eben deshalb wollen
wir der Sache noch genauer auf den Grund gehn.
§ 6^ Der Wortfehatz der Deutfchen Sprache ift die
eingebürgerten Fremdwörter*) mit eingerechnet ein faft uner-
meßlicher. Diefe Wortfälle erzeugte, gerade wie in den alten
Sprachen, befonders die Unzahl von Znfammenfetzungen,
namentlich die große Zahl von PartikelkompoJiten. Natürlich
kann man diefe nicht in die Wagfchale legen, wo lichs
gerade darum handelt, bei welchen Deutfchen Wörtern die
Schreibung feftfteht; denn daß z. B. die etwa 700 Zufammen-
fetzungen mit ab- und die etwa 690 Zufammenfetznngen mit
an- und die etwa 550 Zufammenfetzungen mit auf-**) nicht
anders gefchrieben werden als die betreffenden einfachen
Wörter, alfo ahackem^ anbahnen, aufathmen u. f. w. nicht
anders als ackern, bahnen, athmen u. f. w., das ift eine Sache,
die lieh von felbft verfteht. Eben fo wenig können die meiften
Ableitungen bei der vorliegenden Frage in Betracht kommen;
denn daß — von dem in beftimmten Fällen und nach be-
ftimmten Gafetzen eintretenden Umlaute abgefehn — ächten
Jich ganz nach Acht, gebirgig nach Gebirge, nervicht nach
Nerv u. f. w. richtet, das weiß fchon der Knabe, wenn er an-
ders, was fchon in den Elementarkla£fen der Fall fein muß,
mit der gefetzmäßigen Schreibung der Ableitungslllben -ig
und 'icM bekannt ift. Diefe unzählichen Zufammenfetzungen
und Ableitungen nicht gerechnet enthält die Deutfche Sprache
ungefähr einen Schatz von 8000 Deutfchen Wörtern. Unter
*) S. unten § 58.
**) Diefer Zählung liegt das ziemlich vollftändige Deutfch-
Lateinifche Wörterbuch von Georges zu Grunde. In
dem Deutfchen Wörterbuche von Grimm kommt beinah
die doppelte Zahl heraus.
— 48 —
diefen find es folgende, deren Schreibung zur Zeit mehr oder
weniger fchwankt.
I. Man fchreibt doppelt:
l. acht und echt, 2. adeUg und addich (adlich), 3. aicTien
und eichen, 4. Ärmel und Ermd, 5. Augerdied und Augen-
lid, 6, ausfindig und ausfündig (B. Wg. W.)*), 7. Baiem
und Bayern, 8. behäfHch und behülßich, 9. d^ und &e/2^,
10. betrügen und betriegen, 11. diZ2^ und fttZ^u^A (Gr. Wg.),
12 . &2(2/?und &^, 13. Branke und Franke, l{. ^r«^t und ^re£,
15. J?rad und ^ro^, 16. d^ßhaXb (-ti^e^en) . und cie^AoZö
(j-wegen), 17. i^n^e und Tm^e, 18. Donnerstag und Z>(m-
nerftag, 19.Z>üto und Tü^e, 20. ergetzen xmd ergötzen, 21. er^
widern und erM;»edem, 22. £j(/i?5f (J5)%) und £jO%?ä, 23. jFb/«-
nacht und Jh^noc^ {FaßnacM), 24. /in^, ^^, ^«n^ und
/^efi^y gieng, Meng, 25. JFV^2^ und FHttich, 26. flüftem und
j«»7iem (B. G. LIT.), 27. i^VtX^ap/eund Fußtapfe, 28. Gebärde
und Geberde, 29. (7eA$Z/6 und GehiOfe, 30. (^ee/eZ (Bürge)
— (yei)öW, 31. (y6*/eZ (Peitfche) — Ö^6(/?€Z, 32. Getreide
— Getraide, 33. yi^/it gibt gib — giebft giebt gieb
34. giUig und giUtig, 25. ^^ und yt'en^ (Nr. 24),
36. Gräuel und GV^t^, 37. Grenze und Gränze, 38. ITon-
no&er und .Honover, 39. Hering und Eäring, 40. A»n^ und
Aten^ (Nr. 24), 41. Eüfe und ITü^/e, 42. Jffüßhom und
Hifthorn, 43. Knüttel und ÄnsMeZ, 44. üen?» und Lärm,
45. löfchen und Ufchen, 46. ^^m«n und Zäe^^en, 47. Ztie-
/6/i( 2eeyi( Zie« und Z2/6/i( 2«/2^ Zi«, 48. liederlich und ^a<2er2ebA,
49. ilfeter (Hauameier) und Maier, 50. Pa5/i& und Fa^ft,
51. Proft/iJ und Fropft, 52. 7262/»^ und Reifich (Wg.),
53. iSei^er und Reuter ^ 54. i2^^^ und iZe^scA, 55. Schwert
*) Die in Parenthefe beigefügten Abkürzungen geben bei
feltenern Schreibungen den Gewährsmann an: Ad. Ade-
lung, B. Bürger, Berl. das Berliner Wörterverzeichnis,
D. Duden, C. Campe, Fr. Frifch, G. Göthe, Gr. Grimm,
Han. das Hanöverfche Wörterverzeichnis, L. Luther,
Lff. LefOng, V. Voß, Wg. Weigand in Schmitthenners
Dtfch. Wörterbuche, W. Wieland.
- 49 —
und Schwerdt, 56. Sprichwort und Sprüchworty 57. fiets
und fUUs, 58. Tirol und T^o2, 59. todt (tödten) und tot
(töten), 60. unentgeltlich und tmentgeldlich, 61. verleum-
den und «7er2ät«mc2en , 62. vornehmlich und «;om^£m2ic%9
63. weißagen und weisfagen, 64. Weizen und TFmisen,
65. weshalb (-wegen) und weßhdLb {-wegen) , 66, TFitfer-
^22 und F«ederAa22, 67. Fi(Z<2^e« und TTi^e^ee,
68. Wwrtemberg und WürifemJer^r', 69. TTiitöc und
Wittwe.
n. Man Tchreibt dreifach: ^
70. bewußt, bewufft bewufi (L. Chr. W.), 71. biscJien biffchen
bificTien (Ad. L. G-.), 72. Dinstag Dienstag Dienftag^
73. J^ronn^tom ^rantt^rezVi J^rcmdt&een , 74. geng und gebe
gäng und gäbe geng und gäbe, 75. Heirath Heurath Heirat j
76. Loos Los (Ad.) Loß, 77. -^v^fi -miff -mis, 78. näm-
Uch nendich nehmiich, 79. Schmied Schmidt Schmidt
80. ÜberfchwengUch überfchwänglich ÜberfchwäMich,
81. FeÄm6 jPcÄmiß Feme.
III. Man fchreibt vier- und fünffach:
82. cdlmählich aUmälich aUmäMig äUmäUgf 83. birfchen
bürfchen pirfchen pUrfchen, 84. Ernte Ernde Emdte
•• •• ••
Amde Amte Ämdte, 85. gefcheid gejcheit gefcheidt ge-
fcheut (G.)
Unter diefen 85 Wörtern, deren Schreibung mehr oder
weniger fchwankt, dürfte lieh nicht leicht ein überflüßiges
befinden; wohl aber dürfte das eine oder das andere noch
fehlen, wie uns denn nach Abfaßung des vorliegenden Ver-
zeichnÜXes noch folgende Wörter von fchwankender Schreibung
aufgeftoßen find: 86. anderfeits und andererfeits (andrerfeits),
87, Borde und Borte, 88. IceucJien und Jceichen (Keichhuften),
89. Keukr und Keiler, 90. Kiffen und Küssen, 91. mannigfach
{'faltig) und mannichfach (-fdUig), 92. wirken und würhen.
Jedenfalls dürfte die Zahl der Wörter, in deren Schreibung
die peutfchen nicht einig find, leicht auf die runde Summe
von 100 fteigen. Dabei und folche Abweichungen, die fleh
in der Schrift nur hier und da und ganz vereinzelt finden^
Eile Dl Deatsehe Orthographie. 4
— so-
wie AUem (parentes), Aftrichy Beredtfamkeit^) y Both (Ad.)
für Boot, gehähren, Gehürge, mogte, Rephtm (L.) und Reppkühn,
Teutfch u. f. w., bei jener Aufzählung der in ihrer Schreib-
art unilchem Wörter gar nicht in Betracht gekommen. Eben-
fowenig ift dabei vorläufig auf die zahlreichen Abweichungen,
die Grimm und andere ftrengen Anhänger der hiTtoriTchen
Grammatik befonders in der Vereinfachung der Konfonanten
im Auslaute (Begrif Stof Kus Ros) und vor andern Konfonan-
ten auch im Inlaute (öfnen Hofnung fchaft gefarrvt herltch),
wie in der Befeitigung der Dehnungszeichen (difen fülen iren
ttm vü), nach hiftorischem Pxinzipe lieh erlauben, trotz ihrer
nicht leicht wiegenden Autorität irgend welche Bücksicht ge-
nommen worden. Am wenigften ift bei jener Berechnung mit
in Anfchlag gebracht die ebenfalls von Grimm zehn Jahre
lang (1822 — 1832) ftreng durchgeführte, dann aber leider —
man weiß nicht recht, warum — wieder aufgegebene hifto-
rifche Unterfcheidung der S-Laute**).
Dagegen kommen zu jenen 92 Wörtern von unllcherer
Schreibung nun erftens noch die gelinde gerechnet 200
Zeitwörter mit der Endung -zeren, die wir gemeijdglich
^ren gefbhrieben finden, wiewohl man die von Subltantiven
auf 'ier abgeleiteten Zeitwörter, wie einquartieren halbieren
revieren tumieren, befonders aber fpazieren regieren verlieren
frieren ssieren, wohl ganz selten oder niemals ohne das begleitende
e triflFfc ***) ; dazu kommt zweitens die Unmaffe von Wörtern,
in denen die Schreibung weit über die Ereife der Germaniften
hinaus zwischen inlautendem a \indaa(Schaar Schar, baar bar,
Saal Sal)j e und ee {Heer de Herde, fched fchd, fdigfeeUg), zwi-
fchen der Vorfilbe mis und m\ß und der Nachsilbe nia und
niß (Mismuth — Mißnmth, Kenntnis — Kenntniß), zwifchen
t und thy befonders in den Endungen aty itity tvmy fowie endlich
in der Endung tion und «ion {Nation und Nasdon) hin und
*) So immer bei Julian Schmidt.
**) S. unten $. 38—55.
***) S. unten §. 61, II.
^ 51 >
her fchwankt; daasu kommen drittens die ebenfalls kaum 2u
sählenden ursprünglich fremden Wörter, in denen zwischen
ch und k (Chtirfürft und Kurfürft, Charte und Karte), befonders
aber zwifchen c und Je (Caffe und Kaffe, Claffe und Klaffe)
und zwischen c und z (CvrheL und Zirkel, Princip und Prmdp)
ein ewiges Schwanken ift. In Bezug auf den letztern Punkt
machen üch's die Herausgeber der Wörterbücher allerdings
bequem, indem z. B. Georges in feinem fonft vortrefflichen
Deutfch-LateiniTchen Handwörterbuche dem Buchftaben C die
Bemerkung vorfetzt: „Die unter C fehlenden Artikel fuche
man unter -£"." Auch dem Berliner Wörterverzeichniffe ift
dem C in Parenthefe beigefchrieben : „S. auch K." Es find
dies unverfängliche Manöver, die aber eben beweifen, wie fehr
die Sinne der Deutfchen im Gebrauche der Buchftaben c k z
auseinander gehn. Jedenfalls dürfte die Zahl der orthographifch
ftreitigen Wörter die Höhe von 900 bis 1000 erreichen, fo
daß es weder zu hoch gegriffen noch zu viel gefagt ift, wenn
man behauptet, daß die Deutfchen ein volles Achtel von den
Wörtern ihrer Mutterfprache noch nicht ücher zu fchreiben
wißen.
§ 7^ Was folgt aus allen diefen Berechnungen? £s
folgt daraus, foUten wir meinen, mit falt mathematifcher Ge-
wißheit, daß Herr von Baumer denn doch die Sache mit
ziemlich verkleinernder und zugleich verfchönernder Brille
anlieht, wenn er meint, man werde „leicht^' finden, daß das
ftreitige orthographifche Gebiet, verglichen mit der großen
MafTe des Ubereinftimmenden , „nur ein fchmaler Grenz-
faum'' fei ; es folgt daraus vor Allem, daß Herrn vonRaumers
Behauptung, es gebe zur Zeit eine „allgemein gültige" oder
„feftftehende** oder „feftgeftellte" Orthographie, der Wahrheit
nicht entfpreche; denn nach Allem, was bisher gefagt ift, kann
von einer folehen zur Zeit beftehenden Orthographie die Bede
nun und nimmer fein.
Noch weniger freilich kann die hergebrachte Schreib-
weife den Titel einer „zu Recht beftehenden^' Orthographie
auch nur annähernd in Anfpruch nehmen, ein Ausdruck, der
4*
^ 52 —
nicht bloß in Herrn von Räumers fprachwißenfchaftlichen
Schriften häufig vorkommt, fondern auch in der für die
Konferenz beftimmten Schrift, alfo an die 20 Jahre fpäter,
wiederholt wird.
Wir foUten meinen, daß, wenn von den oben verzeich-
neten 92 orthographifch ftreitigen Wörtern auch nur 3 fo
häufige und gewichtige, wie Getreide lernte Brot bald fo bald fo
gefchrieben würden, eine Einigung fowohl aus nazionalen wie
aus pädagogifchen Gründen durchaus geboten wäre: um wie
viel mehr muß da, wo die MafTe des orthographifch ftreitigen
Wortmaterials fo groß ift, daß, wie kürzlich in einem öffent-
lichen Blatte fehr richtig bemerkt ward, faft jeder Schriftfteller
feine eigene Orthographie hat, die endliche Einführung einer
einheitlichen Orthographie ein dringendes Bedürfius fein. Man
ift ja auch in der That feit Jahren fchon „zur Einilcht ge-
kommen, daß es fo nicht bleiben könne und eine ernfthafte
Heilung verfucht werden müße ; ja man darf mit Recht fagen,
eine wahre Sehnfucht nach fefter Regelung gehe durch unfere
ganze gebildete Deutfche Welt!*)
Wenn Herr von Raumer diefem offenbaren Bedürf-
niffe gegenüber eine.fo ablehnende und abwehrende Haltung
annimmt, wie er dies befonders in feinen fprachwißenfchaft-
lichen Schriften gethan hat, fo ift wohl nichts natürlicher als
daß man den Verhandlungen und Feftfetzungen einer zur all-
feitig begehrten, aber ohne eine gewifCe durchgreifende Re-
form undenkbaren Einigung in der Deutfchen Rechtfehreibung
berufenen Konferenz, deren Spitze und deren Seele ein eifriger
Verfechter und Vorfechter der hergebrachten Orthographie als
einer „allgemein gültigen und feftftehenden" und „zu Recht be-
ftehenden'^ in der Perfon des Herrn von Raumer war, nicht
ohne einiges Bedenken entgegenfah. Der Verlauf und das Er-
gebnis der Konferenz haben diefes Bedenken gerechtfertigt.
Zwar ift man wohl zu der immerhin erfreulichen Annahme
*) Bezzenberger Randbemerkungen zu den von d6l^
Berliner Konferenz aufgeftellten Regeln S. 2.
— 53 —
berechtigt, daß Herr von Räumer inzwifchen einer gründ-
lichen Reform der hergebrachten und fogenannten „zu Recht
beftehenden" Orthographie etwas näher getreten war. Wir
können uns wenigftens nicht denken , daß er fonft dem ehren-
vollen Auftrage des Preußifchen UnterrichtsminiTters, der doch
auf eine orthographifche Beform hinauslief, fich fo willig
unterzogen haben würde, wie dies thatfächlich der Fall ge-
wefen ift, und wir können uns noch weniger denken, daß er
fonft im Schooße der Konferenz felber zunachft an der Seite
der reformierenden Partei geftanden haben würde. Obwohl
nemlich Herr von Raumer noch in dem Vorworte der für
die Konferenz beftimmten Schrift*) unfere Befugnis „an der
hergebrachten Rechtfehreibung überhaupt zu ändern'^ faft auf
ein Minimum belchränkt, hat er doch felbft in feiner Vor-
lage**) das althergebrachte th in Wörtern, wie Thwrm Wirth
TheU thmer Thee Thier Noth roth Fkah u. f. w. auf eigene
Fauft in bloßes t geändert und dann auch im Schooße der Kon-
ferenz das ganze th^ foweit es lieh in Deutfchen Wörtern £indet|
fowie die ebenfalls 'althergebrachten und nach der Theorie
des Herrn vonRaumer doch ficherlich „zu Recht beftehenden"
Dehnungszeichen in den meiften Fällen tilgen helfen. Ja er
gibt in der oben erwähnten Schrift***), die für die Konferenz
und kurz vor der Konferenz verfaßt ift, eine Erklärung ab,
die wir ungeachtet des prinzipiellen Gegenfatzes, in dem wir
uns Herrn von Raumer gegenüber in Sachen der Ortho-
graphie befinden, doch Wort für Wort zu unterfchreiben ver-
mögen. Sie lautet: „Die praktifchen Bedenken gegen Ver-
änderungen unferer hergebrachten Orthographie gründen lieh
hauptfächlich darauf, daß man an einer allgemeinen Gewohn-
heit nicht rütteln dürfe, weil dadurch eine unabfehbare Ver-
wirrung herbeigeführt werden könne. Diefe Bedenken ver-
dienen die emftefte Erwägung. Aber wenn wir die Ge-
*) Verhandlungen der Konferenz S. 52.
**) Verhandlungen der Konferenz S, 16 und S. 66.
***) Verhandlungen der Konferenz S. 62.
— 54 --'
fchichte unferer Bechtfchreibung ins Ange f äffen,
fo fehen wir, daß fich unfere Orthographie durch
folche Bedenke^ nicht hat leiten laffen. Unbe-
kümmert am die bisherige Gewohnheit führt fie
neue Schreibweifen ein, bald der veränderten Gemein-
fprache leife nachrückend, bald die hergebrachte fchwerfäÜi-
gere Schreibung mit einer einfacheren vertaufchend. Auch
uns alfo wird das Recht nicht abzufprechen fein
unfere Orthographie in zweckmäßiger Weife zu
▼ erb ef fern."
m.
§ 8^ Wenn aber auch feftfteht, daß eine Änderung in
unferer hergebrachten Schreibung dringend geboten ift, fo be-
ginnt doch die Hauptfchwierigkeit erft da, wo eben die Ande-
t«i.g beginnen foU. Es fragt fich vor AUem, wie weit Geh
diefe Änderung zu erftrecken habe! Und die Antwort auf
diefe Frage ift um fo mislicher, da, wenn es einmal ans Andern
geht, der beßemden und heilenden Hand fich ein anderes Ge-
brechen unferer Schreibung gewiffermaßen von felber auf-
drängt: wir meinen das Gebrechen, auf das Grimm hindeutet,
wenn er zu vielen anderen Klagen über unfere heutige Schrei-
bung befonders noch folgende hinzufügt*): „In den letzten
drei Jahrhunderten trägt die deutfche fchreibung fo fchwan-
kende und fchimpfiiiche unfolgerichtigkeiten an fich, wie fie
in keiner andern fprache jemals ftattgefiinden hat." Man
fchreibt — um nur einzelnes herauszugreifen — meift gib^ aber
immer ergiebig und nachgiebig ; man fchreibt froh-lich, aber bü-lig
— ftebig ftets^ aber beft&Ugen — Fkbth Wuth Natk roth, aber
€rut Blut Brot Gebot — Fahrt Kahn Werth, aber Bart Schwan
Schwert. Arg ift befonders der Unfug, der, als wäre die
Schrift für Kinder erfanden, die noch nicht mit Yerftand lefen
*) Vorrede zum D. Wörterb. I, S. LIV ff.
— 55 —
können, zur Signalißerong eines langen Vokals ge]trieben wird.
Man fignaliüert ihn nemlich bei a e o durch Verdoppelung des
betreffenden Vokals (Hctar Heer Moos) oder — meift vor l
m n r — durch ein eingefchobenes (^ZaM lahm Bahn mehr)
oder nachgefchobenes h ifroh früh) und bei i durch ein nach-
gefchobenes e {wieder viel GUed ziemen). Außer diefer dreifachen
Art der Längenbezeichnung gibt es aber ebenToviel und noch
mehr Wörter , deren Vokal lang ift, ohne daß er durch die
Schrift befonders angedeutet wird, wie mir dir klar war zwar
dar gar kam mal (einmal) Mal malen u. f. w. Noch weit
ärger ift die Zerfahrenheit in dem Gebrauche der Buchstaben
/ («) ff und ß, was wenigftens noch einigermaßen erklärlich
ift, weil unter hundert Deutfchen kaum einer bis auf Grimm
und trotz Grimm von der Natur und dem Wefen des fin-
nigen ß auch nur eine Ahnung hat. Man fchreibt, um auch
hier nur Einzelnes hervor zu heben, f äffen und doch fc^, laffen
und doch Uißt, muffen und doch mn/H, wiffen und doch gewußt^
und wiederum haft (habes) Haft (festinatio) Maft faft Laß
Luft Bruft'^ man fchreibt beffer und doch b^, preffen und
doch pr^j meffen und doch m^ (metimini), daneben aber
wieder Feft^ Reft Weft ; man fchreibt qfi Maß groß Schooß
Fuß und daneben einerfeits Glas Gras Los Moos Mus*) und
anderfeits hjß (sine) Faß goß Roß Kuß\ man fchreibt ißt
neben ift, hi^ neben vnes (monstrabat) , Fleiß neben Reis^
Strauß neben Maus u. f. w. Wo ift hier Sinn und Verftand ?
wo Gleichmäßigkeit und Folgerichtigkeit? Soll diefe Polnifche
Wirtfchaft — denn die ift es doch in des Wortes verwegen-
fter Bedeutung — foU diefer orthographifche Wirrwarr, den
erft die Neuhochdeutfche Zeit in unfere an lieh fo geregelte und
geordnete Sprache hineingetragen hat, zur Schande der Deut-
fchen Wißenfchaft und zur Plage der lernenden Deutfchen
*) Muß ift eine von den vielen unrichtigen Schreibarten,
die Adelung aufgebracht hat, und Campe ift ihm
hierin gefolgt. Das Berliner Wörterverzeichnis hat richtig
Mus, S. Weigand Deutfehes Wörterbuch II, 214.
_ 56 —
Jugend fo fortbeftehn ? Soll in diefes orthographiTche Chaos
nicht endlich wieder Licht und Ordnung kommen, wenn ein-
mal gelichtet und gelichtet wird? Jetzt oder vi eil ei cht
nie\ Die Gelegenheit ift jetzt noch günftig, wenn auch der
giinftigfte Zeitpunkt mit den erften Jahren des laufenden De-
zenniums bereits verftrichen ift. Nie war die Zeit fo em-
pfänglich für eine Reinigung und Berichtigung unferer Ortho-
graphie, wie jetzt, wo unter dem Titel der Einigung, die jedes
warme Deutfche Herz bis ins Kleinfte vollendet zu lehn be-
gehrt, gerade in orthographiTcher Beziehung fo manche Be-
form gewagt werden darf, die zu jeder andern Zeit auf den
heftigften und hartnäckigften Widerftand gefaßt fein mufte;
nie war die Zeit felbft für kühnere Griffe in das Gewirr der
heutigen Schreibung fo geeignet, wie jetzt, wo jeder Ge-
bildete durch die Öffentlichen Berichte über die orthographi-
fche Konferenz, die während der erften Wochen des Jahres
1876 in Berlin getagt hat, auf eine Änderung der bisherigen
Orthographie mehr oder weniger vorbereitet ift. Selbft die
Herrn vom Schlendriane haben Geh nachgerade an den Ge-
danken gewöhnt, daß fie Geh nun doch noch losreißen müßen
von der fußen freundlichen Gewohnheit der hergebrachten
Schreibung. IndefTen ftellen ilch diefe Herrn die Sache
wohl fchHmmer vor als fie wirklich ift. Ja wenn &q ihre
konfervativen Intereffen auf fprachlichem Gebiete gegen revo-
luzionäre Tendenzen foviel wie möglich zu wahren fuchen, fo
find ^Q dazu berechtigt und haben gerade hierin einen hoch-
angefehenen Bundesgenoßen in der Perfon eines Mannes, den
lle fonft mitfammt feiner hiftorifchen Grammatik am liebften
gefehen hätten, wo der Pfeffer wächft, weil ^q ihn, wiewohl
er fchon vor 14 Jahren hinüber gegangen ift, imde negant
redtre guemguam, doch fo zu fagen als intellektuellen Ur-
heber der ganzen „Neuerung,^' wie ^e die beabfichtigte Ein-
führung einer einheitlichen Schreibung nennen, zu betrachten
gewohnt find. Diefer Mann ift kein anderer als eben Jakob
Grimm. Der fagt in der Vorrede zu feiner Grammatik:*)
*) I, s. xvm.
-^ 57 —
„Gleich aller gefchichte warnt die hiftorifehe gram-
matik vor freventlichem reformieren, einüchtige
werden, jeder zumal gewaltfamen neue rang des hergebrach-
ten in der regel abhold, als ausnähme die abfchaffung
eingefchlichener misbräuche immerhin gerne fehn.^'
Als er dann — etwa 30 Jahre fpäter -^ an die Bearbeitung
des Deutfchen Wörterbuches gieng und zu diefem Zwecke die
einzelnen Wörter des Deutfchen SprachTchatzes forgfaltig
mufterte, und als er bei diefer Mufterung Och mehr und mehr
von der Verdorbenheit unterer heutigen Schreibung überzeugte,
da faßte er den ernftlichen Entfchluß in feinem Wörterbuche,
„detTen ganze Ordnung faft an jeder ftelle durch das beibe-
halten der unter uns hergebrachten Orthographie Iichtbar ge-
ftört und getrübt werden mufte,'' eine durchgreifende Ver-
beßerung unferer Neuhochdeutfchen fogenannten Rechtfchrei-
bung vorzunehmen. „Ich kann", fagt er in feinem früher er-
wähnten Briefe an die Weidmann'fche Buchhandlung in
Leipzig^), „nachdem ich in der grammatik dargeftellt habe,
wie unrichtig, barbarifch und fchimpflich die heutige fchrei-
bung ift, es nicht über mich bringen ^e in einer das ganze
der fprache umfaffenden arbeit dennoch beizubehalten und
fortzupflanzen.'* Aber die unfäglichen äußeren Schwierigkeiten,
mit denen er bei diefem Vorhaben zu kämpfen hatte, die Zaghaf-
tigkeit, mit der man ihm folgte, die Zähigkeit, mit der man
immer wieder auf den alten Fleck zurückgieng, befonders
auch clie für folche nazionalwißenfchaftlichen Beftrebungen
wieder einmal äußerft ungünfdge Zeit beftimmten ihn, noch ehe
der erfte Band feines Wörterbuchs (1854) erfchien, klein
beizugeben und auf das frühere Maß der orthographifchen
Beform zurückzukehren. „So freie band uns hier (im Wörter-
buche) gelaffen war", erklärt er fchließlich**) — gewis nicht
freudiges Herzens, aber mit entfchiedener Selbftverleugnung
— „erkannten wir doch gern die ratfamkeit kluger befchrän-
*) S. oben S. 29 f.
**) Vorrede zum D. Wörterb. I, S. LXII,
~ 58 —
kungen an: faft jeder zeit haben mäßige und all-
' mälich vorgebrachte reformen eingang, über-
fpannte abwehr gefunden/'
§ 9« Mit diefem ZugeftändnilTe des großen Meifters
nähern wir uns der Antwort auf die Frage, wie weit fich die
beablichtigte Reform der zeith erigen fogenannten Orthographie
zu erftrecken habe. Wir lefen denfelben Hauptgedanken,
wie aus der Erklärung G-rimms, aus der fehon früher er-
wähnten Bekanntmachung des ehemaligen Hanöverfchen Ober-
Schulkollegiums heraus: eine Konferenz fachkundiger
Männer foUte entfcheiden, wie unter Fefthaltung des allge-
mein herrfchenden Sprachgebrauchs, wo fich ein fol-
cher fände, in den hauptüächUcheren Fällen der Oe-
brauch $fc hwanJeungen die Schreibweife feftzuftellen fei,"
und die QÖthigen Anftalten treffen, um „eine größere Gleich-
mäßigkeit in der Schreibweife herbeizuführen.'^ Dies
ift auch der Hauptinhalt des Auftrags, der von Seiten des
Preufiifchen Minifters des Unterrichts dem Herrn von Raumer
geworden ift: er ward veranlaßt eine grundlegende Schrift
anzufertigen zum Behuf der „Anbahnung einer großem Gleich-
mäßigheit in der Deutfchen Rechtfehreibung."
Alle diefe drei Auslaffungen ftimmen darin überein, daß He die
Nothwendigkeit einer orthographifchen Reform erkennen, die-
felbe aber eben auf das Nothwendige befchränkt fehn wollen.
Ja die beiden behördlichen Kundgebungen find beinah gleiches
Inhalts ; denn ^e legen beide das Hauptgewicht auf eine größere
Gleichmäßigheit in der Deutfchen Schreibung. Aber
bei der Preußifchen fprechen außerdem die Zeitverhältniffe
ein gewichtiges Wort mit, was bei der Hanöverfchen nicht
der Fall war. Das Hannöverfche Wörterverzeichnis vom
Jahre 1855 follte zunächft nur die Rechtfehreibung für das
damalige Königreich Hanover einheitlich regeln ; der R a u m e r-
fche Kanon foU die Norm der Schreibung werden für das
inzwifchen wieder aufgerichtete Deutfche Reich. Darin liegt
aber eben ein wefentlicher Unterfchied. Zwei Millionen Köpfe
und leichter unter einen 'Hut gebracht als einige vierzig
- 59 —
Millionen. Hier gilt ee alfo angleich größere Vorficht und
Umficht. Und wenn man fchon beim Hanöverfchen Wörter-
verzeichnüTe dem allgemein herrfchenden Sprach-
gebrauche Rechnung trug, fo muß dies in erhöhtem Maße
der Fall fein bei dem B a u m e r 'fchen Kanon, den Deutfchland
für feine künftige Rechtfehreibung zu erwarten hat. Trotz
alle dem find, wenn es einmal ans Andern geht, drei
Forderungen für die Aufftellung der künftigen Reichsortho-
graphie unabweislich. Erftens und vor Allem muß bei
diefer vielleicht nie wiederkehrenden günfdgen Gelegenheit
für jedes orthographifch unfichere Wort die richtige Schrei-
bung feftge (teilt, zweitens müßen fchreiende Mis-
bräuche, die auffallend gegen Vernunft und Wißenfchaft
verftoßen, abgeftellt, drittens muß das inkonfequente
Verfahren in unferer heutigen Schreibung foviel
wie nur immer möglich eingeftellt werden. Diefen
drei Forderungen unter Fefthaltung des allgemein
herrfchenden Gebrauchs, wo fich ein folcher
findet, zu genügen ift um fo leichter, da mit der Befeiti-
gtmg grober Inkonfequenzen nicht nur viele Schwankungen
fallen, fondern auch allerhand fchreiende Misbräuche von
felbft verfchwinden, da die Erfüllung der erften und hauptläch-
lichen Forderung überdies aus der Einführung einer einheit-
lichen Orthographie, die jetzt thatlachlich im Werke ift,
fich ganz von felbft mit abfoluter Nothwendigkeit ergibt.
Aber gerade die dritte und letzte von den drei Forderungen
ift ganz unerläßlich ^ denn während die Feftftellung der ftrei-^
tigen Orthographie und die Abfchaffung fchreiender Mib-
bräuche vornehmlich durch wißenfchaftliche Gründe, die erfte
auch vom nazionalen Standpunkte aus geboten ift, muß auf
die Entfernung der unerträglichen Inkonfequenzen in unserer
Schreibung, diefer fchmählichen Uberrefte aus einer ffirach-
liehen Verwirrung von drei Jahrhunderten*), nicht Moß im
InterefCe der Wißenfchaft, fondern auch vom praktifche,n Stand-
*) S. oben S. 11 ff. und unten §. 23. 26. 29.
— 60 —
punkte aus und vor Allem aus Bückficht auf die sittliche
Bildung und Erziehung unferes Volkes durchaus heftanden
werden.
§ 10« Wir wollen zunächft nicht unerwähnt laßen, wie
wenig unfere heutige Schreibung geeignet ift in unferer
Jugend und, infofem aus unferer Jugend recht eigentlich das
Volk hervorgeht, in unferem Volke den Grund zu legen zu
der für alle Zweige der Lebensthätigkeit fo wichtigen Eigen-
fchaft, die man Ordnungsliebe nennt. Der Grundzug unferer
heutigen fogenannten Orthographie ift Unordnung. Wie
Kraut und Buben liegen die verfchiedenen Schreibweifen von
vielen hundert Wörtern unter und neben einander. Und das-
felbe Bild des Wirrwarrs bietet unfere fogenannte Orthographie
in Folge der vielen Unfolgefichtigkeiten, auf die wir dem-
nächft zu fprechen kommen. In diefe gräuliche Unordnung
fich allmählich hineinzuleben wird der Knabe, nachdem er
fchreiben gelernt hat, förmlich und geradezu gezwungen. Wie
foll unter folchen Umftänden in ihm der Keim der Ordnungs-
liebe fich entwickeln. Wie dürfen fich die Eltern wundern,
wenn in des lieben Söhnchens Kommode die Wäfche und in
feinem Pulte Bücher, Hefte und Papiere wirr durcheinander
liegen! Nur eine forgfaltige und ftreng geregelte Erziehung
würde die Übeln Eindrücke, die der Knabe auf diefe Weife,
gleichviel ob unbewuft oder bewuft, aus der Schule mitbringt,
zu verwifchen im Stande fein. Indeffen ift bekanntlich bei
dem jetzigen Stande der häuslichen Erziehung gerade von
diefer Seite das allerwenigfte zu hoffen. Muß doch die
Schule jetzt in den meiften Fällen wieder gut zu machen
fuchen, was das Haus verfaumt hat
Noch weit verderblicher aber ift der Einfluß, den die
vielen Inkonfequenzen in unferer beutigen Schreibung auf den
Volkskarakter ausüben. Was man in fittlicher Beziehung
insgemein Karakter nennt, ift im Grunde eben nichts als
Konfequenz. Beide Begriffe drängten fich dem Römer in dem
fchön^n Worte constantia zufammen. Was die Weltgefchichte
Großes kennt und nennt, hat diefe Konfequenz gefchaffen; denn
— 61 —
„Wer fest in dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich/<
Und hat nicht diefelbe Konfequenz auch das Deutfche
Beich in aller Hoheit und Herrlichkeit wieder hergeftellt?
So gewiß aber das Deutfche Beich nur durch eiferne Konfequenz
erhalten wird, daß es fort und fort beftehe und nicht wieder,
wie fchon einmal, zufammenbreche, fo gewis müßen wir zuerft
und vor Allem der ELarakterbildung unferes Volkes unfere ganze
Sorgfalt widmen, gefchweige denn daß wir unfer Volk fchon
von den Eanderjahren an fyftematifch zur Inkonfequenz heran-
ziehn müften. Dies gefchieht aber thatlachlich, wenn unfere Ju-
gend in den Schulen nicht nur die unfeligen Schwankungen in
der Wortfehreibung immer und immer wieder gewahr, fondern
auch an eine Menge orthographifcher Inkonfequenzen fo ftreng
gewöhnt wird, daß felbft der reifere Schüler, wenn er (ich
herausnehmen wollte, in diefem Punkte einmal konfequent
zu fein, im günftigften Falle darauf gefaßt fein müfte vor der
ganzen EUaffe gebrandmarkt zu werden als ein Schlingel, der
noch nicht einmal orthographifch fchreiben könne oder üch
erdreifte von der hergebrachten Orthographie abzuweichen.
Man wende ja nicht ein, daß diefe Makel der Inkonfequenz,
die an unferer Schreibung haften, an dem Sinne der Jugend
noch fpurlos vorüber gehn. Das ift eben das Wefen der
Übeln Angewohnheit, daß man lle unbewuft allmählich an-
nimmt und unbewuft fo lange nährt, bis fie zur andern Natur
geworden umfonft bekämpft wird, felbft wenn diefer Kampf,
was nur fehr feiten ftattfindet, emftlich gemeint und gewollt
ift. Je früher aber die üble Angewöhnung eintritt, defto
bedenklicher ift lle und defto fefter fitzt fie. Mit dem Zulpe,
den man dem fchreienden Wiegenkinde, dem fonft nichts fehlt,
in den Mund fteckt, legt man den erften Grund zu feinem
Eigenfinne und feiner Eigenwilligkeit: es wird inftinktmäßig
bald wieder nach dem fußen Zulpe fchreien und fo feinen
Willen durchzufetzen fich gewöhnen. Mit der einen Ähre,
die das Kind von fremdem Acker nimmt, thut es unbewuft
und ohne fich etwas Schlimmes dabei zu denken den erftän
kleinen Schritt zum Diebftahl : fährt es fo fort, pflückt es ge-
— 62 --
legenilich Tielleicht ein ganzes Bündel fremder Ähren, £o Üt
es auf dem Wege lieh an den Griff nach fremdem Eigenthume
zu gewöhnen. Und der Knabe, den man fchon auf der unter-
rten Stufe des Unterrichts mit aller Strenge zu Unfolgerichtig-
keiten anhält, wird in dem Maße, in welchem er die ganze
Schulzeit hindurch diefe Unfolgerichtigkeiten fortzufetzen,
ja wohl gar dasfelbe Wort bald fo bald fo zu fchreiben ge-
zwungen wird, allmählich unbewuTt auch an ein inkonTequentes
Handeln lieh gewöhnen. Wir wollen damit nicht Tagen, daß
nicht in manchem Lernenden früher oder fpäter das BewuTt-
fein diefer Inkonfequenzen in der Schrift erwache. Dem
Knaben freilich, der aus der Volksfchule zu einem bürger-
lichen Gewerbe übergeht, werden die Thorheiten, die er beim
Schreiben begeht, wohl fchwerlich jemals zum Bewuftfein kom-
men. Wie oft mag es aber fchon gefchehn fein, daß der
eine oder der andere Schüler einer höheren Lehranftalt, be-
fonders eines Gymnaßums, lieh Delber oder einen andern Schüler
oder auch den Lehrer — dem Yerfaßer diefer Schrift ift es
begegnet — zu fragen lieh gedrungen fühlte: „Warum
müßen wir denn eigentlich wir dir rmr fchreiben und doch
t%r? warum Mal und mal und doch MaM (coena) und Wähl?
warum fckwer und doch fekr^ fchon und doch Loha^ Schnur
und doch Uhr, grün und doch kühn'i warum loider (contra)
und doch wieder (cursus)? warum Spalen Braten und doch
Scuxben Staaten? warum fchwer und doch leery Brot und doch
Boot? warum man und doch Mann? Warum fchreibt man
ganz allgemein Kanzel (cancellum) Kette (catena) Kerker
(carcer) Artikel (articulus) Partikel (particula) Zirkel (circa-
lus) Pimkt (punctum) u. f. w. und doch fo vielfach Claffe
(cla£(iB) Cenfvr (censura) October December (october december)
Act (actus) Contract (contractus) Prindp (principium) Scepter
(sceptrum) Scene (scena)^' u. f. w« Was foll der Lehrer auf
folche und ähnliche Fragen erwidern? Er kann doch nur
die — vielleicht von einem bedeutungsvollen Achfelzucken
begleitete — Antwort geben : „Ja, es ift einmal fo hergebracht.^'
Geändert oder gar gebeßert wird aber durch diefe nicht eben
— 63 —
tröftliche Antwort natürlich nichts. Der junge Mann wird,
gleichviel ob unbewuft oder bewoft, ob gern oder mit innerem
Widerftreben, an diefe hundertfache InkonTequenz im Schrei-
ben (ich gewöhnen, und es ift nur der natürliche Lauf der
Dinge, wenn fie fich mehr oder minder, früher oder fpäter,
auch in feinen Thaten ausprägt. Freilich kann er, wenn ihm
(eine Inkonfequenz gelegentlich einnml zum Vorwurfe gereicht,
zu feiner Entfchuldignng fagen: „Ja, das habe ich meinen
werthen Lehrern und Erziehern zu verdanken : die haben mich
fehon als kleinen Jungen und durch die ganze Schulzeit hin-
durch fyftematifch an Likonfequenz gewöhnt, und fie ift dann
leider übergegangen auf meine ganze Handlungsweife.'' Und
wo bleibt dann die Pietät? Das ift der Sinn des Sprich-
wortes: „Jung gewohnt, alt gethan/'
Es wird nicht an Leuten, befonders aus der Klaffe der
Herrn vom Schlendriane, fehlen, die diefe nazionalpädagogi-
fchen Ergießungen befpötteln und die gegebene Schilderung
des verderblichen Einflußes unferer inkonfequenten Schreibung
auf den Volkskarakter recht wunderlich, vielleicht gar lächer-
lich finden. Nun fo mache man doch einmal die Gegenprobe
und folge auch in diefem Punkte den praktifchen Engländern,
deren ganze Schulordnung und Schulzucht bis ins ELleinfte, —
um nicht zu fagen : bis ins Eleinlichfte — auf die Bildung des
Karakters abzielt ; man mache doch einmal die Gegenprobe und
verfuche es unfer Volk von Klein an und fchon von den klein-
ften ELleinigkeiten an für eine ftrenge Konfequenz zu gewin-
nen, und die kommenden Gefchlechter werden iich der
Männer freun, die man erzogen hat.
Die Antwort auf die Frage, wie weit lieh die beabüch-
tigte Änderung der hergebrachten Schreibung erftrecken folle,
geht alfo, um es noch einmal kurz zufammenzufaßen, dahin,
daß unter Fefthaltung des allgemein herrfchen-
den Gebrauchs, wo fich ein folcher findet, alles
Schwankende, Misbräuchliche, Unfolgerichtige
fo viel wie möglich befeitigt werde. Mögen nun die
Männer, die unter der Führung und nach den Vorfchlägen des
— 64 —
Herrn von Räumer die künftige Beichsorthographie feft-
zoftellen beauftragt worden find, wenn fie wieder — dies
Mal leider ohne Räumer — zufammentreten, um dem Werke
der orthographifchen Einigung den Abfchluß zu geben, deCfen
es bis jetzt vergebens harrte, — mögen lie die Verantwortung,
die Jie übernehmen, wohl erwägen. Jedes einzelne Wort wird
in der Form, in der es der neue Kanon bringt, den Deut-
fchen Schulen und demDeutfchen Pubükum von maßgebender
Seite empfohlen fein. Sprach- und regelwidrige Ver-
derbniffe empfehlen heißt die Sprache verderben.
Wer es verantworten will zur Verderbnis undzum
Verfalle der Sprache beigetragen zu haben, em-
pfehle fie.
IV.
§ !!♦ Wenn aber auch feftfteht, wie weit lieh die beab-
üchtigte Änderung unferer Orthographie zu erftrecken habe,
fo bleibt doch noch die wichtige Frage — rie ift die aller-
wichtigfte — |zu erörtern, nach welchem Prinzipe ge-
ändert werden soll. Man hat bis in die fünfziger Jahre
des laufenden Jahrhunderts eigentlich nur zwei Prinzipe
der Deutfchen RechtTchreibung gekannt und, wo die Schrei-
bung fchwankte, zur Anwendung gebracht, das etymolo-
gische, das fchon recht alt ift, und das hiftorifche, das
Beftand und Bedeutung erft feit den zwanziger Jahren durch
Jakob Grimm hat. Ein drittes Prinzip, das fogenannte
phonetische, zur Sprache und zur Geltung zu bringen
hat Üch feit den fünfziger Jahren Herr Prof. von Raumer
zur befonderen Aufgabe gemacht. Je mehr der genannte Sprach^
gelehrte diefes phonetifche Prinzip bei der Frage über
eine Reform unferer bisherigen Orthographie auf Eolten der
beiden andern Prinzipe, befonders des hiftorifchen, in den
Vordergrund zu ftellen bemüht gewefen ift, defto xlötbiger ilt
es dasfelbe etwas genauer zu betrachten.
— 65 —
A. Phonetisohes Prinzip.
$ 12^ Der Gedanke, der dem fogenanorten phone-
tifchen Prinzipe zum Grunde liegt, ift nicht neu. Schon
lange vor Adelung fann man auf eine Norm, nach der man
die an Yerlrrungen aller Art fo überreiche Deutfche Schreib-
weife wieder in die rechte Bahn zu leiten vermöchte, und
glaubte diefe Norm gefunden zu haben in dem Satze: „Stelle
in der Schrift nur das dar, was du in der Ausfprache hörft^^
£b war das erfte Lebenszeichen des fogenannten phone-
tifchen Prinzips, nur daß man es noch nicht fo nannte.
Es hat im Wefentüchen denTelben Sinn, wenn Schottel als
erften allgemeinen Lehrfatz der RechtTchreibung empfiehlt,
daß 9,in Teutfchen Wörtern alle diejenige Buchltabe, welche
der Bede keine Hülfe tuhn und allo überflüClig fein, follen
und müITen ausgelafCen und nicht gefchrieben werden, weil
der Buchftaben Amt und Eigenfchaft; eigentlich diefe ift, den
Laut und Tohn der wol ausgefprochenen Wörter deutlichft
und vememlichft zu bilden und auszuwirken". Genauer ge-
lagt und dabei kürzer gefaßt ift, was Gottfched als erfte
Regel der Rechtfehreibung angibt: „Man fchreibe jede
Sylbe mit folchen Buchftaben, die man in der guten Ausfprache
deutlich hört.^ Den Sinn diefer Worte faßte Adelung zu-
iammen in dem feit diefer Zeit zur trivialen Phrafe gewordenen
Satze: „Schreib, wie du fprichft": es war für ihn das
höchfte und vomehmfte Gefetz der Rechtfehreibung. „Der
Zweck der Rechtfehreibung", fagt wieder etwas beftimmter
Klopft ock^), „ift: das Gehörte der guten Ausfprache
nach der Regel der Sparfamkeit zu fchreiben." Selbft Grimm,
der Begründer des hiftorifchen Prinzips, fpricht diefe An-
ficht aus, wenn er in der Abhandlung über das Pedantifche
fagt, die Schreibung thue ihre volle Pflicht, wenn fie alle
wirklichen Laute zu erreichen fuche. Nachdem dann Heyse
in feiner Deutfchen Schulgrammatik denfelben Grundfatz etwas
*) Vgl, Raumers Gef. fprachw. Schriften S. 114 f.
Eisen, Deutsche Orthographie. 5
— 66 --
Tehr nmftändlich, aber doch auch weit umfichtiger als namentlich
Adelang in den Worten: „Bemühe dich eine mög-
lichft richtige und reine Auafprache des Hoch-
dentfchen zn erlangen und fchreibe dann diefer rich-
tigen Ansfprache gemäß oder, wie da richtig fprichft und
buchftabiereft^', dem Abfchnitte über die Deatfche Ortho-
graphie als allgemeine Regel der Bechtfchreibong vorange-
ftellt hatte, war es Herr Prof . vonBaamery der (1855 — 1857)
den durch alle diefe orthographifch^a Rezepte fich hindurch-
ziehenden nnd bereits von Adelung gefundenen Grundge-
danken zum ausdrücklichen Qegenltande feiner Unterfuchung
machte und diefes von ihm fo genannte phonetifche
Prinzip in der Faßung: „bring deine Schrift und deine
Ausfprache möglichft in Übereinftimmung" im GegenDatze
zum hiftorifchen Prinzipe zum allein richtigen und herr-
fchenden Prinzipe der Rechtfehreibung erhob.
§ 13« Das fogenannte phonetifche Prinzip, wie
es Herr von Raumer zur Anerkennung und zur Anwendung
gebracht wißen will, gilt allgemein für ftreng konfervativ, d. h.
man nimmt an, daß es fich orthographifchen Änderungen prin-
zipiell widerfetze, weil Schreibung und Ausfprache gegen-
wärtig fo innig mit einander verwachfen feien, daß man die
Sehreibung ändernd auch die Ausfprache geändert wißen
wolle und eben dadurch gegen das phonetifche Prinzip ver-
ftoße. Es ift daher ganz natürlich , daß . alle diejenigen,
welche die bisherige Orthographie foviel wie möglich konfer-
▼iert wißen wollen, alfo vor Allen die Herrn vom Schlendriane^
die nun einmal in Sachen der Rechtfehreibung die ungeheuere
Mehrheit unter den guten Deutfchen bilden, dem von Herrn
von Raumer aufgeftellten phonetifchen Prinzipe von
vom herein den lauteften Beifall zollten. Alle die Taufende,
die mit gerunzelter Stirn den, wie de wähnten, von Grimm,
dem „orthographifchen ' Neuerer^% heraufbefchworenen Zeit-
punkt immer näher rücken fedien, wo eine Änderung der durch
die Gewohnheit fo liebgewonnenen Orthographie doch nicht
mehr auf zu halten war, befonders die Mehrzahl der Direktoren
— 67 —
und Lehrer der hohem Lehranftalten, jauchzten ihm wie einem
rettenden Engel zu. Man pries Räumers orthographifche
Schriften geradezu als eine „epochemachende Arh^t/^
Daß der Juhel, mit dem die große Mehrheit des gehildeten
Publikums — von diefem kann ja überhaupt nur die Bede fein —
des Herrn von Baumer Schriften „über das Prinzip der
Deutfchen Bechtfchreibung^' begrüßten, zum allergröften Theile
nicht etwa aus bewufter Sympathie für das phonetifche
Prinzip hervorgieng, fondem zunächft feinem Beftreben die
„in der Hauptfache anerkannte und feftgeftellte^^ bisherige
Orthographie gegen y,Neuerungen'* zu fchützen und vor allem
feiner fo entfchieden ausgefprochenen Antipathie gegen die
hiftorifche Schreibung galt, iffc eine ausgemachte Sache:
haben doch die Allermeiften weit mehr begriffen, was Ba u m e r
nicht wollte, als was er wollte, gefchweige denn daß es unter
Hunderten auch nur drei gäbe, die feine auf die Deutfche Becht-
fchreibung bezüglichen Abhandlungen wirklich gelefen hätten.
Bezeichnend ift in diefer Hinficht ein Gefpräch, das der Ter-
faßer diefer Schrift vor einigen Jahren mit einem Gymnafial-
lehrer, einem nahezu fanatifchen Anhänger der hergebrachten
Schreibart, über die fchon damals brennende orthographifche
Frage hatte und deften Verlauf ungefähr folgender war: Er:
„Es ift überhaupt dummes Zeug, daß man dar^tn denkt an der
hergebrachten Orthographie etwas zu ändern. Der Sprachge-
brauch hat feine geheiligten Bechte, und es ift thöricht daran
zu rütteln.'' Ich: „Wir haben ja aber gar keinen feften
Sprachgebrauch : in unzählichen Fällen fchreibt der eine fo, der
andere fo." Er: „Laßen Sie doch jeden fchreiben, wie er
Luft hat, wenn es nur überhaupt gebräuchlich ift.'' Ich : „Alfo
ift es auch wohl gleichgültig, ob der Schüler bei dem einen
Lehrer fo, bei dem andern fo fchreiben muß.'' Er: „Das ge-
rade nicht: es kann ja für jede Schule die Schreibweife
durch ein orthographifches Begifter feftgeftellt werden, dem
lieh jeder Lehrer beim Unterrichte unterwerfen muß." Ich:
„Das würde bei den ganz verfchiedenen Aniichten, die über
unfere Schreibung herrfchen, fehr fchwierig fein. Gefetzt
— 68 ■—
aber auch es gelänge die Lehrer einer jeglichen Schale unter
einen Hut zu bringen, würden Sie üch denn als Deutfcher
nicht fchämen bei dem Gedanken, daß es in Ihrem nun eini-
gen Yaterlande doch foviel Orthographien wie Schulen
gäbe, daß alfo — angenommen, es ftinmiten die orthographi-
fchen Yerzeichniüe von einigen Schulen zufallig überein, und
die unzählichen Bürgerfchulen nicht gerechnet — immer noch
an die 600 orthographiTche Syfteme herrfchten?^* Er: „Ja, wir
wißen es wohl, Sie wollen nur Grimms — wir erinnern uns
nicht deutlich des Kraftausdrucks, den der Mann hier in feiner
gekränkten Liebe zur lieben Gewohnheit ausftieß; es war
fo etwas wie „hiftorifchen Blödfinn" — aufs Tapet bringen. Da-
mit wird es aber glücklicher Weife nichts: Ihr hiftorifches
Prinzip hat Baume r fo gründlich todtgefchlagen, daß es nie
wieder zum Vorfchein kommen kann.^' Ich : „Woher wißen Sie
denn das? Haben Sie denn Baumers betreffende Schrift
gelefen?^' Er: „Das gerade nicht, aber man fpricht ja allge-
mein davon, und man lift es überall." Ich: „Und doch will
Baum er in TJvwrm und Wirth das h getilgt wißen und ge-
bietet Heimat Armut FhU und WvA zu fchreiben." Er: „Ift
das wahr? Nun dann danke ich allerdings.''
Wir unferfeits fchüeßen uns nicht aus von der großen
Menge, die dem Herrn von Baumer ihren Beifall zollt.
Auch wir find in Bezug auf feine orthographifchen Abhand-
lungen des Lobes und der Anerkennung voll. Einige derfel-
ben zu lefen war uns ein Hochgenuß. Wenn wir ihm trotzdem
und zwar zunächft in Betreff des fogenannten phonetifehen
Prinzips entgegentreten, fo gefchieht dies aus folgenden
Gründen :
§ 14« E r ft e n s : Der Menfch denkt und fpricht früher als
er fchreibt. Will er aber fchreiben d. h. feine Gedanken nicht
bloß dem Ohre, fondern auch dem Auge mittheilen zur finnlichen
Wahrnehmung, fo gefchieht dies in der Weise, daß er die für
die einzelnen Laute ausdrücklich beftimmten Schriftzeichen,
keines mehr und keines weniger, hernimmt und mit Hilfe
diefer Schriftzeichen das betreffende Wort fo, wie er es mit
— 69 —
den Ohren aufgefaßt hat, alfo der Ausfprache gemäß,
für das Auge darftellt. Aher die Ausfprache ift, wie wir noch
genauer darthun werden, unüäglichen Einflüßen unterworfen.
Insbefondere find einige Laute, einfache wie doppelte, Vokale
wie Konfonanten, dem Sprechenden geläufiger, d. h. fie gehn
leichter und zwanglofer aus der Kehle hervor und über Zunge
und Lippen als andere, und der Mund kommt bei ihrer Aus-
fprache weniger oder gar nicht aus feiner natürlichen Lage : dies
gilt namentlich von e und o dem a i u ö^ von i wieder dem ie,
von ei dem eu,^ von h dem p^ von d dem t gegenüber. Indem
man alfo beim Sprechen fich gehn läßt oder fich's bequem
macht — beides gefchieht ja durchweg im gewöhnlichen Le-
ben und gefchieht unwillkürlich — oder indem man je nach
den Umftänden oder nach dem Temperamente mehr oder
weniger fchnell fpricht, büßt auch die Ausfprache an Richtig-
keit und Genauigkeit mehr oder weniger ein, um dann wieder
befümmend auf die Schrift zu wirken. Dies ift die naturge-
mäße Entwickelung der Wortfehreibung, bei der es — wenig-
ftens im Deutfchen — ohne eine gewiffe lautliche Entartung
der Sprache nicht füglich abgeht (§ 21). Und in fo fem
eben die Ausfprache bei diefer fchriftlichen Ent-
wickelung der Sprache den wichtigften Antheil hat, ja auf
die, Schreibung maßgebend einwirkt , *) fagt man mit vollem
Rechte, der Karakt er der Sprache fei phonetifch.
Rein und fcharf ausgeprägt, faft wie im Griechifchen und
Lateinischen, zeigte fich diefer phonetifche Karakter
der Deutfchen Sprache noch im Alt- und Mittelhochdeutfchen,
während das Neuhochdeutfche zwar feinen phonetifchen Grund-
karakter bewahrt, aber doch vielfachen Schaden in phone-
tifcher Beziehung erlitten hat durch die vielen Yerderbniffe,
die in der Zeit der Sprachverwirrung (§ 23. 26) in unfere
Sprache eingedrungen find (§ 29).
*) Daß die Schrift unbefchadet dem phonetifchen Karakter
der Sprache wieder erhaltend und beftimmend auf die
Ausfprache zurückwirkt (§ 18), ift felbftverftändlich.
- 70 —
Wie ffceht es denn nun aber mit dem phonetifchen
Prinaipef von dem man feit Herrn von Baumers Auftreten
foviel redet und foviel Aufhebens — befonders im Qegen-
fatse zum etymologifchen und hiftorifchen Priu-
z i pe — macht? Prinzip ift eine Grundregel oder ein Grund-
fatZy nach dem man in gewilfen Fällen verföhrt. Als Prinzip
der Bechtfchreibung würde demnach das phonetifche
Prinzip der Grundfatz fein, nach welchem man die ein-
zelnen Wörter hernimmt und der Ausfprache ge*
maß fchreibt. Nun ftehn aber, wie wir oben fahn, etwa
rieben Achtel von den Wörtern der Deutfchen Sprache in
ihrer Schreibung feft, während "etwa ein Achtel aus ortho-
graphifch ftreitigen Wörtern befteht. Daß jene fieben Achtel
bei der beabfichtigten Beform unferer Orthographie unange-
taftet bleiben, das ift es gerade, worauf die Herrn Sprach-
gelehrten , die fich gern als Phonetiker bezeichnen, an
ihrer Spitze Herr von Baumer, ''befonders dringen. Herr
von Baumer felbft ftellt *) als erftes und wichtigffces Be-
fultat feiner Erörterungen den Satz auf: y,Wir haben eine
in den meiften Punkten übereinftimmende Bechtfchreibung
und an diefe Bechtfchreibung haben wir uns zunächft zu hal-
ten/' Hier hat alfo — vom Standpunkte der Herrn Phone-
tiker aus — das fogenannte phonetifche Prinzip gar
keine Gelegenheit zur Anwendung zu kommen.
Oder ift das fogenannte phonetifche Prinzip etwa
geeignet in die orthographifchen Schwankungen, die fich bei
einem Achtel der Deutfchen Wörter finden, entfcheidend ein-
zugreifen ? Das ift noch weniger zuzugeben; denn jene Schwan-
kungen find zum allergröftenTheile eben erft dadurch entftanden,
daß man die betreffenden Wörter, was nach dem oben
Gefagten nicht wundem darf, verfehle den ausfprach
und daß diefe verfchiedene Ausfprache ebenwieder
auf die verfchiedene Schreibung wirkte, weil
Schrift und Ausfprache, wie gefagt, in der natürlichften Wech-
») Get i^rachw. Schriften S. 137.
— 71 —
felwirkang rtehn. Kurz , wo die Schreibung fehwankt , da
fchwankt auch die Ausi^rache ; wie kann alTo die Ausfpradiie
in Schwankungen entfcheiden!
Oder ift dem fogenannten phonetifchen Prinzipe
damit geholfen, daß man ob in eine Regel faßt? In welche
Regel? Bekanntlich gibt es deren mehrere. Nun, wir wollen
die wichtigften von diefen Kegeln prüfen , und das find ihrer
▼ier.
§ 15« Die erfte und ältefte Regel, die feit ihrem Erfin-
der Adelung eine ungemeine Popularität, weil de fo recht
in den Kram der großen Menge paHt, erlangt hat, lautet :
y,Schreib, wie du fprichft.«
Wie Herr von Räumer bei feiner Klarheit und Um-
ficht dazu gekommen fei diefe Regel zu empfehlen mit den
Worten*): „Es gilt der Orundfatz „„Schreib, wie du
fprichft'^ ^' ; darüber find Alle einig^^ (!), das vermögen
wir um fo weniger zu begreifen, da er felbft das von ihm fo
hoch erhobene phonetifche Prinzip, wie wir nachher fehn
werdejD, in eine andere viel klügere Regel faßt.
„Schreib, wie du fprichfk'S ^^^^ diefen Grundfatz follen
Alle einig fein! Woher in aller Welt weiß denn das der
Herr von Raumer? Wir unferfeits find fchwerlich die
einzigen, die gegen die befagte Formel von Adelung, diefe
leichtfertigfte orthographifche Regel, die es für Deutfeh-
redende geben kann , den energifchften Widerfpruch zu er-
heben lieh genöthigt fehn. Würde doch durch die Befolgung
diefer Regel, fo fchlechthin und ohne alle Einfchränkung
ausgefprochen I in unferer Orthographie der grauenvollften
Verwirrung, gegen welche der parzielle Wirrwarr, der zur
Zeit in der hergebrachten Schreibung herrfcht, gar nicht in
Anfchlag käme, geradezu Thür und Thor geö£Enet werden.
Wohin es führen würde, wenn ein Jeglicher nach jener A d e -
1 un g 'fchen Regel fchriebe, beweift außer der malXiven Sprache
und Schreibung, die; in Fritz Reuters Schriften herrfcht.
*) Ge£ fprachw. Schriften S. 109.
— 72 —
unter taufend anderen auch das eine Beifpiel des Berliner
Photographen, in deffen Schaufenfter, wie die Zeitungen feiner
Zeit berichteten, ein Plakat Photographien ankündigte von
^^ausgezeichneter Blasdick/' Und dabei erlebt man nocli
das Unbegreifliche, daß alle die Taufende, die in orthogra-
phifcher Beziehung ftarr und fteif am Hergebrachten hangen,
die Adelung'fche Formel: fchreib, wie du fprichft,
mit der man eben 4ie ganze hergebrachte Orthographie
auf den Kopf zu ftellen im Stande wäre, gewiffermaßen als
Schlachtruf auf ihre Fahne fchreiben in dem Kampfe wider
das viel harmlofere und ungefährlichere , aber von den Herrn
vom Schlendriane nun einmal bis in den Grund der Seele ge-
haßte hiftorif che Prinzip.
§ 16f Die zweite Regel, in welche das phonetische
Prinzip gefaßt wird, lautet etwas Torßchtiger: Schreib,
wie die Gebildeten fprechen. Aber wer und denn diefe
Gebildeten? Wer will fich unterfangen die Grenze zwi-
fchen Gebildeten und Ungebildeten zu ziehn? Und
ift denp die Sache damit fo ohne weiteres abgethan, daß man —
wenn es überhaupt, was wir gar fehr bezweifeln, praktifch
ausführbar fein foUte — , hier und da hinhorcht, wie diefer oder
jener Gebildete fpricht, und nach deffen Ausfprache feine
Orthographie geftaltet oder regelt ? G ö t h e gehörte doch ge-
wiß zu den allergebildetften Leuten: der fchrieb — und
fprach auch jedenfalls — gefcheut: er hatte es wohl auf der
Schule fo gelernt. Sollten in Folge deffen alle Anderen auch
fo fchreiben ? Und wenn nun die Gebildeten, wie in dem
eben erwähnten Falle, fo in unzählichen andern orthographifchen
Punkten unter einander felbft verfchiedener Meinung find?
wenn der eine Heirat , der andere Heurat, der eine hetriegeuy
der andere hetrilgen, der eine Hüfe^ der andere HiUfe u. f. w.
fchreibt und jedenfalls auch fpricht? DerYerfaßer diefer Schrift
hat fich feit der Zeit, wo er fich den Deutfchen Studien wid-
mete — es werden nun beinahe 40 Jahre fein — zufällig
ein befonderes Gefchäft daraus gemacht, die Ausfprache des
Imperativs von geben zu verfolgen , wozu er vielfache G«-
— 73 —
legenheit hatte. Das Ergebnis diefer Beobachtung war bis
vor 3 Jahren, daß von Vierzigen etwa die kleinere Hälfte gib
fprachy die größere gÜb-^ ob die betreffenden Herrn ihrer
Ausfprache gemäß auch alle fchrieben, hat er nicht zu
ermitteln vermocht; von dreien weiß er aber gewis, daß
Ce zwar gieb fchrieben, aber gib fprachen: Jle hatten wohl die
Schreibung gieb von der Schule mitgebracht, es war ihnen
aber wahrfcheinlich zu unbequem auch gi^ zu fprechen.
Gebildet waren ße alle im hohen Grade.
Was foU es alTo heißen, wenn man dem Deutfchen die
weife Lehre gibt: Schreib, wie die Gebildeten fpre-
chen? Und wie foll er denn überhaupt die Anwendung
diefer Begel zuwegebringen? Dies ift doch nur möglich
beim Unterrichte. Und da gefchieht es ja ohnehin feit
Olims Zeiten. Pflegt doch der Deutfche mit ganz feltenen
Ausnahmen, d. h. mit Ausnahme der ganz Wenigen, die fich
mit dem Austritte aus der Schule von dem orthographifchen
Schulzwange emanzipieren, fo zu fchreiben und zu fprechen^
wie er es in der Schule lernte, und feine gebildeten
Lehrer haben ihn fo fchreiben und fprechen gelehrt, wie fie
es felber von ihren gebildeten Lehrern lernten, und auch
diefe haben wieder fo fchreiben und fprechen gelehrt, weil fie es
einft felber fo von ihren gebildeten Lehrern lernten,
und fo geht es fort bis zur grauen Vorzeit. Wir finden das
natürlich, wiewohl wir es beklagen ; denn es ift leicht begreif-
lich, daß der ganze orthographifche Jammer unferer Zeit ge-
rade in diefer Fortpflanzung verkehrter und misbräuchlicher
Schreibung durch die Schulen feinen Grund hat. Wir
fragen nur: was hat denn damit das fogenannte phonetifche
Prinzip zu thun? Wenn die phonetifche Regel: Schreib,
wie die Gebildeten fprechen im praktifchen Leben
unanwendbar ift, weil lich^s eben nicht machen läßt , daß man
überall umherhorcht, wie diefer oder jener Gebildete
fp rieht, und darnach die bisherige Schreibung mißt und
entweder beibehält oder umgeftaltet; wenn es nur während
der Schulzeit gefchehn kann und in der That gefchieht, daß
- 74 —
man auf die Auafp räche des gebildeten Lehrers achtet
und darnach fchreibt: warum ändert man jene unpraktiTche
Regel nicht ein&ch dahin, daß man £agt: ,^leibe beim
bewährten Alten, wie Dn*s in der Jugend lern-
te ff Das wäre aber freilich eine Lehre, die man nicht
erft zu geben braucht; denn de hat (ich von jeher ganz von
felbft und nach dem natürlichen Laufe der Dinge Gehör und
Gehorsam zu verfchaffen gewuft. Aber die hieraus erwach-
fene Autoritäts-Orthographie ift es ja eben, die jetzt alleihand
Änderungen erfahren foU, weil de von Schwankungen, lüs-
brauchen und Unfolgerichtigkeiten formlich wimmelt.
§ 17« Die dritte Begel, in die man das fogenannte
phonetifche Prinzip ge&ßt hat, lautet fcheinbar noch
vorlichtiger : Schreib, wie man gut oder wie man rein
oder wi e man riehtig£'p vi cht. Aber wer oder was hat denn
zu entfcheiden, welche Ausfprache die richtige, reine, gute
fei? Bekanntlich ift die Ausfprache, wie wir fchon früher
angedeutet, bis ins Unendliche verfchieden: , Jedes Land,
jede Provinz, jeder Kreis, jedes Städtchen, jedes Dorf hat
feine befondere Ausfprache; felbft in den einzelnen Städten
weichen die einzelnen Menfchen nach Abkunft und Gewohn-
heit, nach Erziehung und Unterricht, nach Alter und Bildung,
befonders aber nach der Befchaffenheit der Organe, in der
Ausfprache von einander ab ; fogar einzelne Menfchen fprechen,
je nachdem ihr Gaumen feucht oder trocken, ihre Zunge leicht
oder fchwer, je nachdem überhaupt der Körper fchlaff oder
frifch ift, bald reiner und deutlicher, bald unreiner und undeut-
licher.^' Wer oder was entfcheidet denn nun, welche Aus-
fprache die richtige, reine, gute fei? Wird, um nur
ein paar Beifpiele aus hunderten herauszugreifen, heurat beßer,
reiner, richtiger gefprochen oder keircU^ wMeUch oder wMeUeh^
Hülfe oder HUfe^ gültig oder giUigf gefckeit oder, wie außer
Göthe auch Gleim und Bamler fchrieben und jeden&Us
auch fprachen, gefeheut? Herr von Baumer gibt fich zwar
alle mögliche Mühe*) zubeweifen, daß es eine „gemeingültige
*) Gef. fprachw. Schriften S. 117 ff.
— 75 —
AusTprache des Dentfchen" oder^ wie er fich auch ausdrückt,
eine „gemeinTam anerkannte gebfldete Deutfche Ausfprache"
gebe, und glaubt damit einen Mitarbeiter der Zeitfchrift für
die OrtreichiTcben Gyninafien, der behauptet hatte, nach jenem
GkundJüatze „Schreib, wie du fprichft^' dürfte jedes
Deutfche Dorf mit vollem Rechte auf eine befondere Schreib-
weife Anfpmch machen, widerlegt zu haben. Nun ja, das ift
ja weit und breit bekannt, daß man befonders in Braun-
fchweig und Hanover und demnächft an der Nordküfte
Deutfchlands fehr richtig und rein fpricht, daß auch außer die-
fen Landestheilen hier und da einzelne Menfchen (ich einer
feinen und richtigen Ausfprache befleißigen, daß der gebildete
Theil der Deutfchen Welt — aber auch nur der gebildete
— wohl weiß: man muß nicht deitfchy fondem deutfch, nicht
heren Se^ fondem hSren jSm, nicht jottvoU, fondem gottvoll
u. f. w. fprechen. Was nützt denn aber in aller Welt diefe
troftliche Idee, daß es eine ^^gemeing^ltige'' oder meinet-
halben muffcergültige Ausfprache des Deutfchen gebe, wenn
nun einmal die aus vielen Millionen begehende
große Mehrheit desDeutfchen Volkes diefe rich-
tige, reine, gute Ausfprache in Wirklichkeit
nicht hat? Gibt doch felbft in Braunfchweig und Hanover
die gute, reine und richtige Ausfprache nicht durchweg den
Ausfchlag; denn, um ein paar Beifpiele anzuführen, man
fpricht dort zwar allgemein, wie wohl überall in Deutfchland,
eeht^ pflegt aber, wie überall, theils eckty theils äßht zu fchrei-
ben. Ebenfowenig vermag man in vielen anderen Wörtern,
wie in Stadt und ßUOty in Tod und todt^ in Saite und Seite^
in gefcheid und gefcheitj in Mißverhädtnifi und MiwerhäUms
u. f. w., felbft unter rein und fein fprechenden Menfchen
einen Unterfchied der Ausi^rache, wenn man die Ohren auch
noch fo fpitzt, heraus zu hören. Was foll es alfo heißen,
wenn man, namentlich bei den gegenwärtigen Schwankungen
in der Schreibart, dem Deutfchen vorfchreibt: Schreib,
wie du gut, rein, ricl^tig fprichffc! Wir möchten wohl
wißen, wie es die vom Preußifchen Kultusminifter berufene
— 76 —
Ortbographifche Konferenz, die zu Anfang des Jahres 1876
in Berlin getagt hat, auch nur einigermaßen hätte möglich
machen wollen ihren Kanon für die künftige Reichsorthogra-
phie nach die Ter Kegel abzufaßen: fie wird es wohl vorge-
zogen haben zu diefem Zwecke den phonetifchen Wahl-
fpruch des — wie wir annehmen dürfen — einflußreichften
Mitgliedes (ich an zu eignen, das denn doch zu umfichtig und
zu befonnen war, um dem von ihm aufgeftellten phoneti-
fchen Prinzipe eine fo undeutliche Deutung und eine fo
unfaßliche Faßung zu geben.
§ 18« Die vierte phonetifche Kegel nemüch ift
diejenige, in welche Herr von Raumer felbft das phone-
tifche Prinzip gefaßt hat. Es lautet: Bring deine
Schrift und deine Ausfprache möglichft in Über-
einftimmung*). Diefe Kegel unterfcheidet lieh von den drei
fchon befprochenen wefentlich dadurch, daß äe eine fühlbare
Lücke ausfüllt. Sie zerfallt nemlich in zwei für fich be-
ftehende Theile, Der erfte diefer Theile befteht aus der tri-
vialen Phrase Schreib, wiedu f pr i c h ft , über deren völlige
Unbrauchbarkeit als ortbographifche Kegel fchon mehr als
zu viel gefprochen worden ift. Der zweite Theil enthält die
umHchtiger Weife neu hinzugefügte Kegel: Sprich, wie du
fchreibft. In der That ift es diefe graphifche Vor-
fchrift, welche nicht nur den in jene/ zweiten phonetifchen
Regel (§ 16) enthaltenen Gedanken einigermaßen ergänzt,
fondern auch die ohne Antwort gebliebenen Fragen, zu der
man bei der dritten (§ 17) fich gedrängt fah^ wenigftens noth-
dürftig zu beantworten vermag. Was nemlich die zweite von
den eben erwähnten phonetifchen Regeln betrifft, welche
lautete: Schreib, wie die Gebildeten fprechen, fo
fteht ganz unzweifelhaft feft, daß es viele fehr gebildeten
Leute gibt, die diefes und jenes Wort nur deshalb fo und fo
au^fprechen, weil fie es entweder felbft fo fchreiben
oder von Andern fo gefch rieben fahn, und was die
*) Gef. fpraehw. Schriften S. 138, 6.
— 77 —
dritte von den erwähnten phonetifchen Regeln betrifft, welche
lautete: Schreib, wie du richtig oder rein oder gut
fprichft, fo wirft Jlch dabei jedem, der nicht blindlings frem-
der Autorität folgt, von felbft die Frage auf : wer oder was ent-
fcheidet denn, ob ein Wort richtig oder rein oder gut
gefprochen fei, und die Antwort auf diefe Frage kann zu-
nächft keine andere fein als: die Schrift.
Und in der That ift nach dem, was wir § 14 über
die Entwickelung der Bechtfchreibung und insbefondere über
die Rückwirkung der Schrift auf die Ausfprache
bemerkten, nichts natürlicher, als daß eben die Schrift wieder
ein Anhaltepunkt für die Sprache ward; denn lüera fcripta
hat eine weit feftere Dauer als die Ausfprache, die, wie wir
oben zeigten, aus verfchiedenen Gründen unfäglichen Wande-
lungen und Abweichungen unterworfen ift. E in Beifpiel
möge dies erläutern.
Vom fechzehnten bis in das erfte Viertel des laufenden
Jahrhunderts fchrieb und fprach ein großer Theil des gebil-
deten Deutfchen Publikums noch Teutfch. Daß zu Göthes
Zeiten, der Jlch bereits für die Schreibung Deutfeh ent-
fcfaied, doch der Gebrauch noch fchwankte, erhellt aus der
Stelle feiner Werke, wo es heißt:
„Diess der Landsmann wünscht und liebet,
Mag er deutsch^ mag teutsch sich schreiben."
Ja zu Ende der zwanziger Jahre diefes Jahrhunderts
war die Schreibart Teutfch noch fo weit verbreitet, daß die
bedeutendften Werke jener Zeit, die auf die Schreibung diefes
wichtigften Wortes unferer Mutterfprache einen befonderen
Einfluß zu üben im Stande waren, Werke wie das fchätzbare
Enzyklopädifche Wörterbuch von Pierer und die
Allgemeine Gefchichte des teutfchen Volkes von
Luden, nicht anders fchrieben als Teutfch. Als aber
Jakob Grimm bald nachher bewiefen hatte, wie unrichtig
die Schreibung Teutfch fei*), und als man feinem auf tief-
*) Nächft Grimm hat dies am gründlichften dargethan
- 78 -:
fter wifienfohaftlicher Pptfohnng beruhenden Winke folgend
auch die lernende Jugend zu diefer richtigen Schreibart an-
hielt, ward fie allmShlich fo allgemein , daß es jetzt kaum
noch einen MenTchen gibt, dem es einfiele Teutfch zu
fchreiben und zu fprechen. Hier war es alTo ganz entfchieden
die Schrift, die auf die Ausfprache wirkte; der entgegen-
gefetzte Fall ift hier undenkbar.
Und dies ift bei unzählichen anderen Wörtern der Fall
gewefen und noch der Fall. Oder ift es bei der lernenden
Jugend anders? Das Kind hat lefen gelernt; es ift mit der
Geftalt und der Ausfprache der Laute bekannt gemacht und
foll nun fchreiben lernen, d. h. es foU die auf feiner Vor-
fchrift oder auf der Wandtafel vorgefchri ebenen Wörter
Buchftaben fiir Buchftaben nachzeichnen d.h. nach fchreiben
und foll Geh nach und nach, wie es denn auch gefchieht, dar-
an gewöhnen diefelben fo, wie es de fch reibt, zu fprechen.
Beide Verrichtungen unterftützen und ergänzen fich gegen-
feitig; beide Male ift es aber die Schrift, welche die Aus-
fprache des Lernenden beftimmt. Oder ift es anders
bei den Taufenden von Halbgebildeten, die ohne orthogra-
phifche Sicherheit ins praktifche Leben treten, befonders bei
unferen Frauen und Mädchen, unter denen es verhältnismäßig
nur wenige gibt, die granmiatifch und orthographifch ganz
richtig fchreiben? Haben de einen Brief zu fchreiben oder
irgend ein Schreiben abzufaßen, bei dem de dch keine
Blöße geben wollen oder dürfen, fo werden fie bei jedem
Worte, bei dem fie fich nicht ganz ficher fühlen, in irgend
einem Buche nachfchlagen , um zu fehen, wie es richtig ge-
fchrieben werde , und nach diefer Schreibung das Wort
dann auch zu fprechen fich gewöhnen.
Es ift überhaupt mit diefer fehr gewöhnlichen Berufung
auf die Ausüjprache nicht fo ftreng zu nehmen. Jeder pflegt
diejenige Ausfprache für die richtige zu halten, die er felbft
der fchon früher genannte Kehrein in feiner Gram-
matik der NeuhochdeutTchen Sprache (1852) H, S. Y f.
~ 79 —
zu befolgen lieh gewöhnt hat, und er befolgt fie eben, weil
er fo fehreibt« Die AuBfprache haftet vorzngs-
weife an der Schrift. Sie richtet fich nach ihr, ohne
daß man es weiß und will. Man hätte gar nicht angefangen
Theurtxt Rettter gefcheitt und Ahnliches zu fprechen, wenn
man nicht erft flUTchlich entweder felber fo gefchrieben
oder anderwärts fo gefchrieben vorgefunden hätte.
§ 19« Das Alles weiß niemand beßer als Herr von
Banmer; darum fsißte er fein phonetifches Prinzip in
die Regel: Bring deine Schrift und deine Aus-
fprache möglichft in Ubereinftimmung. Und doch ift
auch diefe Regel unhaltbar. Während nemlich der eine von
beiden Theilen, aus welchen diefe Regel, wie wir oben zeig-
ten, befteht und welche lautet: Schreib, wie du fprichft,
eine ganz hohle Phrafe enthält, der man nur ungern in den
Schriften eines fo klaren und umfichtigen Sprachgelehrten,
wie Herr von Raumer ift, wiederholt begegnet, läßt auch
der andere Theil, welcher lautet :Sprich,wiedufchreibft
die Sache unabgethan. Denn abgefehn davon, daß diefe letz-
tere Regel, die immerhin, wie wir fahn, in vielen Fällen zur
Anwendung kommt, keine phonetifche Vorfchrift ift, bei
der die Ausfprache, fondem eine graphifche, bei der
die Schrift entfcheidet: fo handelt Hch's hier um eine
orthographifche Regel. Soll denn aber der Satz:
Sprich, wie du fchreibft, eine orthographifche
Regel fein? Schreibt man denn auch durchweg
richtig? Man fchrieb bis in die zwanziger Jahre und
darüber hinaus /^^ {e^^) hey frey awey heyde emerley u. f. w.,
und das war doch falfch; man fchrieb bis in die dreißiger
Jahre und darüber hinaus Teutfchf und das war doch fEdfch;
man fchreibt jetzt noch ecTU und äefU, (uMdeh und ciddig^
biqfi und blas^ Brod und Brot u. f. w., und von diefen ziem-
lich hundert Doppelformen ift doch je eine immer ficherlich
falfch , und wo es für ein und dasfelbe Wort fogar eine drei-
fache Form gibt, wie bei Dienflag und nenUicTh^ lind doch je
zwei, und wo es gar eine vierfache Form, wie bei aUmähUeh
— 80 -
und Emtef gibt, doch je drei immer ganz licherlicli falfch.
Wo und wie erfährt man (^enn nun, ob eine Schreibweife
richtig und welche von mehreren SchreibweiTen die richtige
fei, damit man eben fo fch reibe und damit üch die Aus-
fp räche überall, wo es thunlich ift, darnach richte? Das
fogenannte phonetifche Prinzip läßt, wie wir fahen und
wie wir fpäter handgreiflich darthun werden, den Hilfsbedürf-
tigen hier ^ganz im Stiche, und vom graphifchen Stand-
punkte aus bleibt die Sache , wie wir eben fahen, gleichfalls-
unerledigt. Oder foll man fich in diefer Verlegenheit, wie
Heyfe und Andere wollen, dem „herrfchenden Schreibge-
brauche" in die Arme werfen und hier AufTchluß und Auskunft
fuchen? Nun dann wäre man allerdings wieder auf demalten
Flecke angekommen. Nein, will man beim Schreiben den
„herrfchenden Schreibgebrauch" entfcheiden laßen, fo weiß man
eben in unzählichen Fällen nicht, wie man fchreiben foll.
Der ift ja ebenfo unrichtig und unfolgerichtig, fo zerfloßen
und zerklüftet, daß endlich eine parzielle Änderung der biB-
herigen Schreibweife befonders im InterefTe unferer Schulen
für geboten erachtet wird. Der „herrfchende Schreibgebrauch"
verlangt z. B. gebieterifch 27iva*m und Wirth und Gluth und
BUlthe und MtUh und Wuth und Noth und rath, und doch be-
zeichnet felbft Herr vonBaumer, diefer warme, aber freilich
nichts weniger als blinde Verehrer des überlieferten Schreib-
gebrauchs die hergebrachte Schreibung jener Wörter als
faKch und will Ttmn und Wirt und Glia und BUtte gelehiie-
ben wißen und empfiehlt auch Mut und Wut und Not und
rot zu fchreiben*). Oder foll man, wie es fchon Heyfe that
und wie die Berliner in ihrem WÖrterverzeichnifTe thun und
wie es Herr von Baumer in einzelnen Fällen thut und wie
es auch die Orthographifche Konferenz in ihrem Begifter
thut**), zwei Formen nebeneinander zu beliebigem Ge-
brauche beftehen laßen ? Das wäre ja in der That eine necki*
*) Gef. fprachw. Schriften S. 179.
**) Verhandlungen der Konferenz S. 153 ff.
— 81 —
fche Löfung der fchwebenden orthographiTchen Frage, eine
Liöfiing, bei der man an das parturiimt morUeSf ncucetur ridi'
culus mu8 auf das lebhaftefte erinnert werden würde, wenn man
gerade den üefTten Schaden onTerer Orthographie, auf delTen
endliche und gründliche Befeitigung die eifrigften Bemühungen
aller hell fehenden und warm fühlenden Freunde unferer
Mutterfprache fchon feit einem ToUen Jahrhunderte gerichtet
gewefen find, gerade jetzt, bei diefer günftigften aller Gelegen-
heiten, wo man ausdrücklich an die Verbeßerung der herge-
brachten Orthographie geht, nicht nur ungeheilt laßen, fondern
geradezu formlich fankzionieren wollte*).
§ 20t Zweitens. Wenn fchon aus dem bisher Ge-
fagten herrorgehn dürfte, daß es mit dem fogenannten p h o n e^
tifchen Prinzipe — wir bitten den Nachdruck hier wie
anderwärts auf das Prinzip zu legen — der beabfichtigten
Änderung unferer hergebrachten Orthographie gegenüber
eine misliche Sache fei, fo erfcheint eine Anwendung diefes
Prinzips noch viel bedenklicher, wenn man Folgendes er-
wägt: Wir haben gefehn, daß der Grundkarakter unferer
Sprache ein ftreng phonetifcher ift, d. h. daß die Aus-
fprache von Anbeginn an maßgebend und befdmmend auf die
Schrift gewirkt hat: eine andere Entftehung unferer Schrift
ift gar nicht denkbar. Nun ift aber gerade die Ausfprache,
wie wir ebenfalls fahen, eben fo vielen wie mächtigen £in-
flüßen unterworfen, indem fie fich vornehmlich einerfeits in
ihren Lauten abfchwächt, anderfeits aus klimatifchen, organi-
fchen, phyfifchen und anderen Gründen in mehrere Haupt-
mundarten abzweigt, die dann wieder in allerhand einzelne
Yariazionen fich zerfplittem. Es liegt auf der flachen ELand,
— und auch das ift bereits angedeutet worden '(§ 14) — ,
daß die Sprache und infonderheit die Schrift im Laufe der
Jahrhiuderte auf folche Weife mehr oder weniger fich ändert
und nach Befchaffenheit der Umftände in gewiffem Sinne auch
wohl entartet. Dies ift der natürliche Gang der Dinge, den
*) S. unten §. 28 a. E.
Eisen, Deatsohe Orthographie.
— 82 —
keines Sterblichen Macht oder Weisheit aufhSlt. Von einer
geftörten Entwickelang der Sprache ift hier keine Rede. Mit-
hin ift auch die Grammatik bu einem maßgebenden Eingriffe
hier weder veranlafit noch befugt, und "gelinder Wahnfinn
WKre es, wenn fie, anftatt (ich auf Wahrnehmung, die ,yaller
Theorie fpottet,*^ zu befchränken und den vorgefundenen Stand
der Sprache einfach zu konftatieren, üch unterfangen wollte
uns Formen wie morkan und naht und ärda und himil
oder gar himina wieder aufzudrängen. Auch den nachthei-
ligen und nachhaltigen Wirkungen und Veränderungen, die
fremde Einwanderung und Eroberung hervorbringt, wie dies
befonders in England der Fall war, ift unTere Sprache , —
Dank der naturwüchllgen Ejraft der Deutfchen, die das auf-
dringliche Römerthum friUuseitig in feine Schranken wies und
fpäterhin auch dem anfangs gefahrlichen Slaventhume das Über-
gewicht entrang, bis zum 16. Jahrhunderte, alfo bis zu der
Zeit, wo das Neuhochdeutfche Ijch auszubilden begann, ent-
gangen. Wenn aber von da ab eine ebenfo empfindliche wie
nachhaltige Störung eintrat, fo waren daran von den ungludL-
lichen politifchen VerhältnüTen abgefehn die Deutfchen felbft
fchuld. Die unfelige Sprachmengerei war es vorzugsweiTe,
die zu dem Verfalle unferer Sprache beitrug. Wir geden-
ken diefer Deutfchen Unart fo Gott will fpäter einmal eine
befondere Schrift zu widmen. Wir werden uns alfo hier auf
das befchränken, was durchaus nothwendig ift zur Begründung
der noch zu wenig bekannten und anerkannten ThatCache, ohne
deren Würdigung ein klares und ficheres Urtheil über unfere
heutige Orthographie gar nicht möglich ift, daß. nemlich
unfere Wortfehreibung gründlich verdorben, ja
viel verdorbener ift als die Wortfehreibung irgend einer ande-
ren Sprache.
§ 21t Gar herrlich entfaltet hatte fich unfere Sprache
befonders im Zeitalter und unter der Pflege der Hohenftaufen.
„Die Blüthe des Bitterthums und des Minnefanges war auch
ein Höhepunkt für Deutfche Sprache. Als aber mit dem
Untergange der Hohenftaufen das Ritterwefen feinen edleren
— 88 —
QeSIt verlor and der Minneikng veihallte und die Dichtkanft
unter das Volk hinabgeftoßen zun Handwerk ward, da fiel
auch die Sprache mehr und mehr der Verwahrlofung anheim.
Hineingezogen in die allgemeine Verwirrung, die damals in
Deotfchland herrfchte, des Schutzes und der Stütze beraubt,
konnte üe lieh der eindringenden Volksmundarten nicht er-
wehren, und die geiTtlofe Zunft der Meifterlanger mochte ihre
Vergröberung eher befördern als verhindern. Nun griff auch
das P&ffenthum, des günftigen Augenblicks gewahr, mit Keck-
heit am lieh und drängte dem ohnmächtigen Deutfchland in
demlelben Maße die Sprache des RömiTchen Stuhles auf, in
welchem es die Deutfche Sprache mehr und mehr verdrängte.''
Wenn fchon aus diefen Gründen unferer Mutterfprache eine
ruhige und freie £ntwickelung nicht möglich war, um wie
viel weniger bei der Verachtung, die ihr von Seiten der theils
franzöfierenden theils latiniüerenden Deutfchen felbft zu
Theil ward«
Die Sprachmengerei (S. 13 f. und 26 ff.) war bereits in
der lüttelhochdeutfchen Zeit in vollem G-ange. Schon damals war
es, wo man an Höfen und beim Adel die gerade jetzt fich glatt
und fein entwickelnde FranzößTche Sprache mit Vorliebe zu
pflegen und faft jeder vornehme Herr, dem es feine Mittel er-
laubten, feine Kinder durch Franzofen im Franzöllfchen unter-
richten zu laßen anfieng. Die um die Verfeinerung der Sprache
fonft fo verdienten Minnedichter jenes Zeitraums, die meift aus
Bittem be£tanden und um die Deutfchen Höfe, befonders den
Thtiringifchen, lieh fchaarten, widerftanden der von den hohem
Kreifen ausgehenden Verfuchung nieht. Sie waren es, die
der fernen Mode fröhnend allerhand Franzölifche Wörter
Deatfch angeputzt in ihre Dichtungen verflochten *). Es war
^^ z.B, fehantieren (chanter)f turnieren (toumer),
dormieren (dormirjy /alteren (faiUir). Viele die-
fer Wörter z. B. paffieren, genieren, reparie-
ren u. f. w. haben lieh im Deutfchen fo eingeniftet,
daß man fie gar nicht wieder loswerden kann.
6*
— 84 —
fchon fo weit gekommen, daß diefe Sorte Deutfch für vornehm
und für guten Ton zu gelten anfieng. Die nächfte Folge
war, daß die mittleren Stände, nach diefem Vorgange an dem
Werthe und der Brauchbarkeit unferer Sprache irre oder
durch das Blendende diefer fogenannten feinen Mode ange-
lockt, allmählich ebenfalls zu dem Gebrauche der bereits ein-
geführten Franzölifchen Wörter lieh bequemten und daß die
Unütte nun in dem Maße überhand nahm, in welchem man
ohne diefen AnTchluß an Hof und Adel nachgerade nicht mehr
zu den Grebildeten gerechnet zu werden fürchten mufte.
Kaum erhielt fich unter dem eigentlichen Volke ein natürlich
fehlerhaftes und ungefchlifiPenes, aber doch reines und unrer-
mengtes Deutfch. Das Zeitalter der Beformazion hat ge-
rade nach diefer Seite hin kein Heil gebracht. Es ift allge-
mein bekannt, daß Luther, wiewohl feine Sprache nach
feinem eigenen ZeugnifCe die Sprache der damaligen Sächfi-
fchen Kanzlei war, doch der Schöpfer einer neuen Deutfchen
Profa geworden ift, die mit ihrem kernigen reinen Deutfch bei
einem großen Theile unferes Volkes diefelbe weite Verbreitung
und diefelbe begeifterte Aufnahme wie feine kirchliche Lehre
fand und ihre Wirkung auf die Läuterung und Veredlung
unferer Mutterfprache nicht verfehlte. Aber der bereits
orthographifch verftümmelten, grammatifch verdorbe-
nen und durch imzähliche Franzöfifche Wörter und Phrafen
grSulich entftellten Mutterfprache auch nur in einer Beziehung
und in einem Theile unferes bereits zerklüfteten und eben des-
halb jedem nazionalen Gefühle vollends entfremdeten Vaterlandes
wieder emporzuhelfen, das hat Luther befonders aus den
Gründen nicht vermocht, weil alle noch an der Römifchen
Kirche hangenden Deutfchen — und lle bildeten damals in
Deutfchland noch die große Mehrheit — feiner Sprache wie
feiner Lehre mit berechneter Schroffheit den Bücken kehrten,
weil femer Adel und vornehme Welt immer tiefer und allge-
meiner in die fchmachvoUe Franzöfelei verfielen und weil
endlich derjenige Stand, in deffen Hand es lag und dem es
oblag der verwahrloften Mutterfprache lieh an zu nehmen, die-
— 86 —
felbe gerade am offenften und auffallendften verfchmähte.
Nichts hat nemlich mehr gefchadet, nichts onfere arme ver-
kannte und verachtete Mutterfprache mehr nm den letzten
Beft von AnTehn und gutem Rnf gebracht, als daß die Deut-
fchen Gelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts fich nicht
entfchHeßen konnten die allerdings fchon ziemlich verwilderte
Deutfche Sprache zu gebrauchen, fondern ihre wißenfchaft-
lichen Werke Lateinifch fchrieben*).
So verachtet und den ungebildeten Schichten des Volkes
preisgegeben trat unfere Sprache in das 17. Jahrhundert,
eine Zeit, auf welche, wer auch nur ein Fünkchen Deutfehes
Sinnes hegt, nicht ohne Grauen und ohne Scham zurückblickt.
Auf die Schrecken des dreißigjährigen Religionskrieges, ,4n
welchem die Deutfche Kultur um mehr als ein Jahrhundert
zurückgebracht war,*' folgten die Raubkriege des nachbar-
lichen Frankreich. Nie hat es in Deutfchland jämmerlicher
ausgefehn. Es läßt fich aber denken, daß in diefer für Deutfch-
land fo verhängnisvollen Periode nichts fchlechter wegkam
als die fchon in früheren beßeren Zeiten arg mishandelte
Deutfche Sprache. Die gleichzeitigen Sprachgefell-
fchaften kommen hier natürlich nicht in Betracht. Sie haben
es, abgefehn von dem großen Nutzen, den fie namentlich der
Deutfchen Poefie gebracht, doch nicht einmal vermocht ihr
Hauptziel, die Reinigung der Sprache, feft im Auge zu be-
halten, gefchweige denn daß Re über diefes Ziel hinaus der
Sprache in grammatifcher Beziehung wieder aufgeholfen
oder wieder aufhelfen zu müßen geglaubt hätten. Würden
doch felbffc die redlichften und energifchften Bemühungen
*) Nicht bloß Thomafius hat dem bis dahin auf dem
Katheder und in allen Lehrbüchern herrfchenden „bar-
barifchen SchuUatein*^ die Schuld beigemeßen, daß die
Deutfchen damals in fprachlicher Bildung zurückftanden
hinter anderen Nazionen, auch Juftus Möfer und
Friedrich der Große fanden in der Herrfchaft der
Lateinifch gebildeten Gelehrten den Hauptgrund für
den Verfall der Deutfchen Sprache.
— 8« —
diefer Art damals gefcheitert fein an der in Bezug auf Dent-
fches Wefen nnd Deutfche Sprache völlig dampfen Gleichgül-
tigkeit der Zeit.
Und das Maß war noch nicht voll. Es follte noch
fehlimmer kommen. Nachdem bis zum Jahre 1680 eine
Sprachgefellfchaft nach der andern bis auf den nnbedenten-
den Pegnitzorden in Geh felbft zer&llen war, griff der Wirr-
warr in nnferer armen Sprache um fo drohender am Geh, je
entfchiedener das Übergewicht war, das anfere bereits anf poli-
tifchem Glebiete dominierenden weitlichen Nachbarn gerade
jetzt auch in geiftiger Beziehung dem ohnmächtigen Deatfch-
land gegenüber geltend machten. Es war das Zeitalter
Ludwigs XI V, von dem Egenolff in feiner „Hiftorie der
Teutfchen Sprache" von 1720 fo richtig fagt: „Zu unferer
Zeit hat Ludewich der 14. in Frankreich der Teutfchen
Sprache mehr gefchadet als ehedem alle Mönche und Pfaffen,
weil man jetzo nicht nur an Höfen, fondem auch anderweit
unter vornehmen und angefehenen Leuten in öffentlichen Zu-
fammenknnffcen mehr Frantzölifch als Teutfch redet. Ja es
fcheint nunmehro die Beinigkeit unferer Sprache in den letz-
ten Zügen zu liegen." Es war die Zeit, die Leibnitz
(1646 — 1716) mit den Worten karakterifiert: „Anitzo hat
der Mifchmafch abfcheulich überhand gekommen, alfo dafi
der Prediger auff der Cantzel, der Sachwalter auff der Cantz*
ley, der Bürgersmann im Beden und Schreiben mit er-
bärmlichen Frantzölifchen fein Teutfches verderbet, mithin es
f< das Anfehn gewinnen will , wenn man fo fortfähret und
nichts dagegen thut, als werde Teutfch ifi Teutfchland
felbft nicht weniger verlohren als das Engelfäch-
fifche in Engelland."
In der That war das Beftehen unferer Sprache damals
aufs einftlichfte gefährdet. Sie war ganz nahe daran aus
einer Stammfprache eine Mifchfprache, wie das Englifche, zu
werden oder, wie das Franzölifche, im Bomanifcheu allmäh-
lich aufzugehn. Daß lle dennoch beftanden hat, das ver-
danken wir' tbeils ihrer naturwüehfigen Kraft and Fertigkeit,
— 87 —
theils der Poefie des 17. Jahrhunderts, die anter dem
wohlthätigen Einflöße der Sprachgefellfchaften mitten im Ge-
tümmel der DentTchland dorchtobenden fremden Soldateska
fich auffallend rein gehalten hatte und — um mit Gervinus
zu reden — yjgegen diefes fremde Unwefen wie ein Wall
Itand'S theils endlich demjenigen Theile unferes Volkes, der
im Grande am wenigften zu diefer rettenden That berufen
war. Das eigentliche Volk war es, bei welchem das
Ton den gebildeteren Ständen verftoßene handfefte Deutfeh
noeh eine Zufluchtsftätte fand ; denn obgleich dasfelbe von der
allgemeinen Unlitte nicht unangefteckt blieb, fo war es doch
nur Einzelnes, was, von Einzelnen aufgefchnappt, meift verun-
ftaltet wiedergegeben ward: der große Haufen hielt — nicht
Ibwohl aus Deutfchem Sinne, als weil er nicht durch Erziehung
und Unterricht dem FranzÖüfchen zugeführt war und weil
ihm überhaupt der Sinn für FranzöHTche Ziererei und Feinheit
abgieng, an unTerer vaterländiTchen Sprache in feiner Weife
feft. Es war aber zu erwarten, daß diefe an üch fo regelmäßige
und wohlgebildete Sprache, wenn einmal wieder beßere Tage
kämen, aus ihrem rauhen Schlupfwinkel zunächft vergröbert
und entftellt heryorgehn würde.
§ 32« Und es ift buchftäblich fo gekommen. Zuvörderft
war es nicht anders möglich, als daß die in ihrer organifchen
Entwicklung alfo gehemmte und geftörte Sprache hinlichtlich
ihrer Formen und befonders hinlichtlich der Schreibung der
Wörter entartete; denn da der gebildetere Theil der Deut-
fchen der eigenen Sprache den Rücken kehrte und fich der
verfuhrerifchen fremden in die Arme warf, da mithin der un-
getheilte rolle Gebrauch der Deutfchen Sprache faft ganz
dem Volke, dem mehr oder minder ungebildeten, anheim fiel,
fo war es um fo natürlicher, daß zunächft die Ausfprache der
Deutfchen Wörter, dem Munde des Volkes preisgegeben, ver-
wilderte, weil, um die Verwirrung zu vermehren, auch noch
die fchrankenlos dominierenden Volksmundarten mehr oder
minder in einander verfchwammen. Da man nun dem phone-
tifchen Earakter unferer Sprache gemäß von jeher fehrieb.
— 88 —
wie man ^rach, ja ein großer Theil des eigentlichen Yolke?
nicht einmal fähig war genau nach der Ausfprache zu. fchrei-
ben, fo entftand allmählich jene 'grauenhafte Orthographie —
wenn hier von einer Orthographie die Bede fein kann — ,
dere;i Nachwehen wir heute noch fchwer empfinden*).
Man braucht nur einen flüchtigen Blick zu werfen auf
die SchreibweiTe eines in Sachen der Bechtfchreibung befonders
namhaften Mannes jener Zeit, um Geh einen Begriff zu
machen Ton der „augenzerreißend" buntfcheckigen und den
phonetifchen Earakter unferer Sprache zum Theil aufs fchmäh-
lichTte verletzenden Schreibung, die in jenen Jahrhunderten
der fprachlichen Verwirrung in Deutfchland herrfchte. Wir
wollen die ThatTache, daß Luther noch im Jahre 1522 zu
Wittenberg ein Büchlein unter dem Titel: ,fEyn hetibuchUn
der fsehen gepott wind etUich psalmen^'^ drucken ließ,
hier nicht in die Wagfchale legen, da feine fpäteren Schriften
von folchen orthographifchen Verftößen fich etwas freier
halten. Man fchaue aber, was Luthers Zeitgenoße Fabian
Frangk, der „bedeutendfte unter den älteffcen Neuhoch-
deutfchen Orthographen", wie ihn Herr von Baumer**^
nennt, in feiner „Orthographia'' Tom Jahre 1531 unter An-
derem fchreibt: „Die oberlendifche Sprach wird in keiner je-
gnit odder lannde fo gantz lauter tmnd leifn geft^ert noch ge-
holden, daß nicht weilannds ettw&s ftra/wirdigs oder mi//^
breuchiges darinne mitlie/e . . . Wer aber folche müTbreuch
meidenn und rechtförmig Deutfeh fchreiben odder reden
will , der mua Deutfcher fprachen au^ eines ' lands art und
brauch nicht nachfolgen" u. f. w.
Wie es in diefer Hiililcht im 17. Jahrhunderte ausfah,
lehrt uns unter Anderem der treffliche Schotte 1, „der be-
deutendfte Grammatiker des 17. Jahrhunderts," wie ihn Herr
von Raumer nennt ***), der aber mit feinem glühenden Eifer
*) Vgl. Duden a. Sehr. S. 16 und unten § 29.
**) Gef. fprachw. Schrift. S. 113.
***) Gef. fprachw. Schrift. S. 173.
— 89 —
far oofere Mutterrprache und mit feinen klaren Begriffen von
Deatfcher Orthographie in jener troftlofen Zeit wie ein ein-
üuner Fels im Meere ragt. Der (agt in feiner ,^nsfuhrliche
Arbeit von der Teutfchen Hanbt Sprache" betitelten Schrift*),
nachdem er von dem erften allgemeinen Lehrfatze der Recht*
fchreibnng gefprochen: „Hieraus folget nun, daß weil der
Bnchftaben Amt und Eigenfchaft diefe ift, den Laut und
Tohn der wol ausgefprochenen Wörter deutHchft und ver-
nehmlichft zu bilden und auszuwirken , in Deutfchen Wörtern
alle diejenige Buchffcabe, welche der Bede keine Hülfe tuhn
und alfo überflüKig seyn, foßen und muffen ausgelaften und
nicht gefchrieben werden ; alfo fchreibet man nicht recht ,,umb
darumb warumb kompt nimpt ELaiferthumb Lammb unndt daßz
Frauw trauw itzundt^' u. f. w., denn die gröberen Letteren b p
n z w sind allhier gantz überflüftig."
l^ur haben diefe fchon anderwärts benutzte Stelle hier
wiederholt, weil man daraus erfieht, wie weit einerfeits
Schottel für feine Perfon in orthographifcher Hinlicht
Yor feiner Zeit voraus war, und wie wahrhaft wüfte ander-
feits die Schreibung war, die damals überhand genommen
hatte ; denn die von ihm fo nachdrücklich verworfene Schreib-
weife, aus der recht deutlich die Boheit jenes Jahrhunderts
fpricht, war damals geng und gebe. Ja, wie groß „„die miß-
breuchliche Freyheit"" war, die fich, wie Schottel klagt, jeder
anmaßte, zeigt unter Anderem die Schreibung von und und
Amt: für erfteres finden fich damals vier Schreibungeh , nem-
lich und tmnd widt wandte für Amt fogar fechs, nemlich Amt
Ambt Ammbt Ampi Afnrn^ Ampdt**),
Wie es um das Jahr 1700 mit unferer Sprache — und
vorzugsweife mit unferer Orthographie — trotz Schottels
(t 1676) redlichen Bemühungen — noch ausgefehen habe, er-
*^ Baum er s Gef. fprachw. Schrift. S. 188.
**) Duden a. Sehr. S. 16. Ja wechfeln doch, wie Duden
ebendaf. erinnert, fchon in Luthers oben angefahrtem
Schriftchen auf einer Seite ssweiffd, moeifelf zweyffd,
mm/üdf femer yn ynn und irin (tn), yhn und yn (ihn).
— 90 —
hellt aus einem Schreiben Jablonski's an Leibnitz. Als
nemlich im J. 1700 die Sozietät, Hachherige Akademie, der
Wißenfchaften in Berlin errichtet werden Tollte, genehmigte
der Korfürft, nachherige König Friedrich I., den ihm vor-
gelegten Plan, fügte aber, wie Jablonski, als Sekretär der
Gefellfchaft, unter dem 23. «März desfelben Jahres an Leib-
nitz fchreibt, noch hinzu, „daß man auch auf die Cnltar
der teutfchen Sprache bey diefer Fundation gedenken
möchte, gleich wie in Frankreich eine eigene Akademie hiezn
geftiftet^' u. f. w., wozu dann Jablonski felbft noch die Be-
merkung macht: „ImmaTTen einem teutfchen Furften freylich
nichts mehr anftehen will, als der edeln, aber fehr ▼erwil-
derten Mutter- Sprache fich anzunehmen/' Des Kur-
fürften Yorfchlag ward von Leibnitz in einem Briefe an
Jablonski vom 31. März 1700 als (die ,yTemiinftigfte und
fchicklichüte Sache von der Weif* bezeichnet, ift aber leider
nicht zur Ausführung gekommen. In der That war es mit
unferer Orthographie zu Anfang des 18. Jahrhunderts noch
auf das fchlechtelte beftellt. Findet man doch Ton dem be-
rühmten und für die Dentfche Sprache begeifterten Leib-
nitz felblt noch gefchrieben auff helffen Eekel Her-
hunfft unterwürfftg Frantzofen und dergleichen mehr,
wie denn überhaupt die Orthographie jener Jahrhunderte der
fprachlichen Verwirrung Torzugsweife durch die uns zum Theil
heute noch anhangende unnatürliche Verdoppelung der KonTo-
nanten im Auslaute (Mann voll Griff) und im Inlaute vor
und nach anderen Konfonanten (herrfchen fammt — Hert»
hellfen), ja felbft nach Diphthongen (auff Sehfoeiff) fich
kenntlich macht.
§ 2S« Es war ein Glück, daß diefer grobe orthogra-
phifche Unfug mit dem 18. Jahrhunderte feinen Höhepunkt er-
reichte. Als unfere Sprache allmählich wieder in die rechten
Hände kam, als die vielen edeln Geifter des 18. Jahrhunderts
▼onChriftian von Wolf und Thomafius bis aufGöthe
und Schiller in der richtigen, feinen und gewandten Hand-
habung der wieder zu Ehren kommenden eigenen Sprache
— 91 —
unter einander wetteiferten, ja einige von ihnen, wie Kiep«
ftocky Sehlözer, Yofl, llck die DentTcke Orthographie be-
fonders angelegen fein ließen, da wurden felbftverftändlich
auch der orthographifchen Auswüchfe eine Menge abgeftreift.
Die Grammatiker und Lexikographen jener Zeit, vor Allen
Gottfehed, Naft, Fulda, Adelung, trugen das Ihrige
redlich bei. Und doch fügten gerade fie ohne es zu wißen
und zu wollen unferer geplagten Sprache neue Schäden zu.
Sie glaubten nemlich der gebildeten Deutfchen Welt, die Geh
der früher fo yerachteten Mutterfprache wieder mehr lud mehr
zu zu wenden) begann , aber befonders mit der immer noch
wirren Orthographie ihre große Noth hatte, einen wefentlichen
Dienft zu erweifen, wenn Ge gleichlautende Wörter von ver-
fchiedener Bedeutung (/em meinen wider Saiite Waije Rain
u. f. w.) anch durch die Schreibung unterfchieden. Das
Schlimmfte war, daß jedes neue Lexikon und jede neue Gram-
matik bis in das laufende Jahrhundert hinein diefe unwißen-
fchafüichen Unterfchiede , deren Geh die Bequemlichkeit der
Deutfchen fchnell und gern bemächtigte, aus KurzGchtig-
keit und aus Unbekanntfchaft mit dem Wefen und den laut-
lichen YerhaltnifTen unferer Sprache als yorgefimdene Schreib-
weife gläubig hinnahm und dadurch förmlich beftätigte, ja
ihre Yerfaßer fogar ein Verdienft um die Sprache Geh zu
erwerben meinten, wenn Ge es nachmachten und die alten
Unterfchiede wo möglich noch um irgend einen neuen ver-
mehrten. Sitzen doch diefe Unterfchiede trotz dem, daß
inzwifchen Jakob Grimm*) ihre GehaltloGgkeit gründ-
lich nachgewiefen und auch Herr von Baum er**) bereits
vor achtzehn Jahren Geh nachdrücklich dagegen ausge-
liehen hat, noch in der neuelten Ausgabe der Heyfe 'sehen
*) Vorrede zum Dtfch. Wörterb. I, S. LVI f.
**) Gef. fprachw. Schriften S. 178. Auch Bezzen-
berg-er in den Bandbemerkungen zu den von der Ber-
liner Konferenz aufgeftellten Begeht S. 19. § 15 ur-
theilt, daß dadurch gerade die Verwirrung in unferer
Orthographie zum großen Theile entftanden fei«
— 92 —
Grammatik (vom J. 1873) mit Aasnahme von fem und feyuj
von fMinen und meynen feit. Auf diefe Weite find feit dem
Ende des 17. Jahrhunderts wieder allerhand neue Widerfprücfae
nnd Ungenanigkeiten in unfere Orthographie gedrungen ; ja es
ift unferer Sprache in dt {Stadt todt) eine Konfonantenyer-
bindung und in ai (Hain Laib) ein Diphthong aufgedrungen
worden, von denen der erftere unferer Sprache völlig fremd
iff*), der zweite wenigltens in Deutfehen Wörtern fremd ge-
worden ift.
§ 24t Faßen wir das bisher G-efagte kurz zufammen,
fo ergibt fich als Thatfache Folgendes: Unfere Neuhoch-
deutfche Sprache hat zwifchen dem 15. und 18. Jahrhunderte
eine totale Verwirrung durchgemacht; von einer natürlichen
und organifchen Entwickelung war nicht die Rede. Aus die-
fer fchweren Zeit ift zunächft unfere Wortfehreibung — denn
von diefer und nur von diefer handelt die vorliegende Schriffc
— nicht ohne tiefe Schäden hervorgegangen; denn wenn
auch das 18. Jahrhundert fehr viele und vielleicht die fchlimm-
ften orthographifchen Gebrechen hinweg genommen, fo hat
doch die blinde Unterfcheidungswuth und die unzureichende
Sprachkenntnis der Grammatiker und Lexikographen jener
Zeit wieder neue und beträchtliche Schäden hinzugefügt.
Es herrfcht in Folge von alledem in unferer heutigen Ortho-
graphie noch ein ftarker Reft von Wirrwarr.
Das ift die hergebrachte Orthographie**), vor der man
*) Die Fälle, wo dt durch Synkope entftanden ift, gehören
felbftverrtändlich nicht hierher.
**) Der gewöhnliche Ausdruck, mit dem in den Schriften
deei Herrn von Raumer auch „bisherige'^ und ,)über-
lieferte Orthographie," femer „überlieferte" und „her-
gebrachte Schreibweife" und „überlieferter Schreibge-
brauch" u. f. w. wechfeln. Wenn dafür auch „zu Recht be-
ftehender Schreibgebrauch" und „zu Recht beftehende
Orthographie" als Synonyma angewendet werden, fo muß,
wie gefagt (§ 7, S. 51 f.), die Richtigkeit diefer Bezeich-
nungen entfchieden beftritten werden. H e y f e nennt ihn
S. 15 der neneften Ausgabe den „nicht allgemeinen, aber
— 93 —
fo gewaltigen Befpekt hat and die auch Herr von Baamer,
was wir allerdings nicht recht begreifen, fo hoch hält, daß er
in onmathigem Einblick auf die „entrüfteten Schmähungen der
Neuhiftoriker« erklärt*): „Wir Phonetiker behandeln die
hergebrachte SchreibweiTe mit forgfältiger Aufinerkfamkeit
und behutfamer Schonung, und zwar nicht bloß aus praktifchen
Gründen, fondem in Folge unferes wißenfc ha ft liehen
Prinzips." Nun, es darf doch gewis niemand in der Welt
mit mehr Fug und Becht das wißenfchaftliche JPrin-
zip för Jlch in Anfpruch nehmen, als der große Forfcher
Jakob Grimm. Aber gerade Grimm ift es, der gerade
im Intereffe der Wißenfchaft geradezu wegwerfend
über diefe hergebrachte Orthographie lieh ausläßt. Und
wahrlich, wer einen fo tiefen und klaren Blick wie Grimm
in den urfprünglich fo regelmäßig fchönen Bau unferer rater-
ländifchen Sprache gethan hat und diefen Bau dann — nicht
etwa in Folge einer natürlichen fprachlichen Entwickelung,
fondem in Folge von unnatürlich rerwickelten VerhältnifTen
durch Unwißenheit und Boheit — in feinen Formen verunftaltet
und verrenkt Geht, der ift, zumal wenn er wie Grimm für
Deutfehes Wefen und Deutfche Sprache ein patriotifch warmes
Herz hat, doch gewis nicht unberechtigt über den „wuft und
Unflat unferer fchimpflichen , die gliedmaßen der fprache iu-
gefüg yerkleiftemden und entftellenden fchreibweife" lieh in
herber Weife zu beklagen**). Führt doch der befonnene
Michaelis diefen Ton ihm erwähnten Ausfpruch Grimms
mit den Worten ein: „Warum foU eine folche das Wol des
ganzen Volkes innig berürende Warheit nicht mit
Toller Schärfe ausgefprochen werden?'^
§ 25« Wir wiederholen es — denn es kann nicht oft
genug wiederholt werden — : unfer Neuhochdeutfch hat lieh
doch herrfchenden Schreibgebrauch,*' was «doch wohl eine
Art von contradictio in adjecto ift.
*) Gef. fprachw. Schriften S. 247.
**) S. Grimm Vorrede zum Dtfch. Wörterb. I, S. VHI, unten.
— «4 —
befonderB in orthographifdier Beziehung bei feinem Über-
gange aus dem Bfittelhochdeuifohen nieht frei und regelrecht
entwickelt, fondem allerhand bedeutende Störungen erfahren.
Die Verwickelung und Verwirrung, die ihm aus diefen Stö-
rungen erwuchs, hat trotz aller seitweife vorgenommenen Ver-
beßerungen bis auf den heutigen Tag zahlreiche Spuren zu-
rückgelaßen. In Folge diefer vielen Uberbleibfel ans der
ehemaligen Verwirrung, zu denen die neueren Sprachgelehr-
ten vor Jakob Grimm wieder neue Entftellungen fugten,
herrfcht in unferer Bechtfchreibung auch heute noch ein ar-
ger Wirrwarr. *^) Nirgends macht Geh aber diefer gegen-
w&rtige Zuftand unferer Bechtfchreibung fo fühlbar, wie in
den Schulen. • Hier vor Allem galt es und gilt es noch eine
VerftSndigung und Einigung der Lehrenden zum Heile der
Lernenden. Steht doch zu erwarten, daß die £rgebni£fe die-
fer Einigung durch die Schulen hinaus in die Welt ge-
tragen werden und zibi&chft auf diefe Weife dem auch in
diefem Punkte nach endlicher Einigung verlangenden ganzen
Deutfchen Volke zu Gute kommen. Daher die Einigungsver-
fuche in Leipzig, Ellwangen, Berlin und Schi eiz.**)
Aber „mit der VerftSndigung unter den Lehrern ift es nicht
gethan. Denn gerade hier greifen die verfchiedenartigften
Schulen in einander. Gefetzt z. B. die Gymnalien verftändig-
ten (Ich in der einen Weife, die Elementarfchulen aber in
einer wefentlich anderen, fo müflten die Schüler, wenn fie auB
den Elementarfchulen in die Gymnafien eintreten, ihre ganze
Orthographie umlernen, und die Mühe, die lieh ihre bidierigen
Lehrer gegeben haben, wäre vergeblich gewefen.^'*^^) Man
*) „In der Deutfchen Bechtfchreibung hat nach und nach
eine nicht unbedeutende Verwirrung Platz gegriffen /<
Prof. Dr. Scholl im Vorworte zum Orthogr. Worter-
buche der Deutfchen Sprache. S. Baum er a. Sehr.
S. 299.
**) S. oben § 5.
***) Worte Baumers a. Sehr. S. 301.
— «6 —
war wohl überall eiiificlitig genng^ om dies zu fehen, aber nur
in wenigen Staaten eifrig und wach genag, um hier eine Ab-
hilfe Ton Staatswegen zu yerfuchen. Dies gefchah in Hano-
▼er und Würtemberg. Und es ift immerhin als eine wahre
Wohlthat zu betrachten, daß wenigütens in den Schulen von
zwei MitteUtaaten eine einheitliche Orthographie gefchaffen
ward. Freilich war auch auf diefem Wege eine Einigung
in der Orthographie für unfer ganzes Vaterland unmöglich,
fo lange Deutfchland felbft uneinig und in eine Menge Staa-
ten zerrißen war. Aber auch diefer Standpunkt ift glücklich
überwunden; „Deutfchlands Einheit ift aus einem langen
Traume zu einer Wahrheit geworden." Nachdem in dem
Deutfchen Großftaate Preußen im Intereffe der Schulen bb
zum Ende des Jahres 1875 nichts der Art gefchehn war, hat
endlich der Preußifche Unterrichtsminifter Falk auch hier
mit feiner fegensreichen Wirkfamkeit durchgegriffen. Auf
feine Yeranlaßung und mit Zuftimmung der übrigen Deutfchen
Staaten hat eben zu Anfang des Jahres 1876 in Berlin eine
Konferenz „zur Herftellung einer größeren Einigung in der
Deutfchen Bechtfchreibung" getagt. Es fragte fich nur vor
Allem, nach welchem Prinzip e die zum Behuf diefer
Einigung unumgänglich nothwendige Änderung der bisherigen
Orthographie zu bewerkftelligen fei. Nach der Art, wie die
befagte Konferenz zufammengefetzt war, blieb kaum ein
Zweifel, daß man lieh nach dem Vorgange, des Herrn von
Baumer für das fogenannte phonetifche Prinzip ent-
fcheiden würde. Und fo gefchah es.
§ %6* Verfuchen wir jetzt diefes Prinzip zur praktifchen
Anwendung zu bringen. Wir halten uns dabei an die Begel,
in die Herr von Baumer fein phonetifches Prinzip gefaßt
hat; denn alle anderen Faßungen, Tor Allem die Adelung-
fche, find ganz unbrauchbar. Die phonetifche Begel des
Herrn von Baumer lautet: Bring deine Schirift und
deine Ausfprache in Übereinftim mung. Verfu-
chen wir mit Hilfe diefer phonetifchen Begel zunächft und
Tor Allem die Schreibart der von uns $ 6 angeführten 92 ortho-
— 96 —
graphisch ftreitigen Wörter feftEaftellen: denn diefe Schwan-
kungen find die eigentliche Qual der Schulen.
I. 1. echt — dckt^ 2. adÜAch — adeUg (adUg), 3. eichen —
aichen: die Ausfprache entfcheidet bei diefen drei Wör-
tern nicht das MindeftCi und die Schrift noch weniger»
denn lie iTt eben ftreitig. Man mag alTo z. B. echt oder
acht fchreiben, fo bringt man „Schrift und Ausfprache
in Übereinftimmung'' , und es bleibt beim Alten, d. h.
die Schreibung fchwankt nach wie vor. Zu Nr. 3 vgl.
Nr 32. 49. 64.
4. Äermel — Ermely 5. ÄugehUed — Augenlid: das
phonetifche Prinzip läßt auch hier die Sache uner-
ledigt.
6. ausfindig — cmafündig : das erftere fprechen und fchrei-
ben offenbar die Meiften, Andere fchreiben und fprechen
das zweite; welches von beiden das richtige fei, bleibt
nach dem phonetifchen Prinzipe uilerledigt. Vgl.
Nr. 34. 48.
7. B<Uem — Bayern: die Ausfprache gibt keinen Aus-
fchlag und in der Ausfprache ändert auch die Schrift
nichts; die Sache bleibt eben unerledigt.
S^jhehüflich wird befprochen unter Hilfe,
9. befi — beßt: welches das richtige fei, läßt das phone-
tifche Prinzip unentfchieden. '^)
10. betrügen — betriegen: ganz wie bei No. 6.
*) Wer fich unterfangen wollte zu behaupten, daß fich
befi und befit , bewufi und bewvjjt , bischen und bißchen,
blas und bloß, Geifd und GeißeL und andere dergleichen
Wörter mehr durch die Ausfprache — und wäre es die
Ausfprache der Gebildetften — unterscheiden, der würde
die Sache einer vorgefaßten Meinung zur Liebe denn
doch gar zu fehr auf die Spitze treiben. Nicht einmal
die rein und fein fprechenden Braunfchweiger dürften
eine folche phonetifche Unterfcheidung fertig bringen.
Das find — um den mildeften Ausdruck zu gebrauchen
— eitel Alfanzereien.
— 97 —
11. bdMg — biUich: das phonetifche Prinzip ent-
fcheidet nichts.
12. bloß — blas: f. d. Note zu Nr. 9.
13. Branke — Pranke : das phonetifche Prinzip ent-
Tcheidet nichts : denn die Ausfprache ift eben, je nachdem
man fchreibt, verrchieden, und welches die richtige Schreib-
art fei , darüber gibt dasfelbe Prinzip gar keine Auskunft.
14. Bret — Brett: ganz wie Nr. 13.
15. Brot — Brod {Brodt ift glücklicherweife aus der
Schrift befeitigt): foUte die „richtige" oder die „gebil-
dete" dder die „richtige gebildete" oder die „reine und
gebildete" oder die „als richtig anerkannte" oder die
„gemeinfam anerkannte gebildete Deutfche Ausfprache"
oder die „Ausfprache der gebildeten Deutfchen Gefammt-
fprache"*) — und wie man diefe Ausfprache fonft noch
nennen will — zwifchen den beiden ftreitigen Formen
wirklich unterfcheiden ? Im Nominativ und Akkufatiy
wohl fchwerlich. Aber gefetzt, dies wäre der Fall: ent-
fcheiden thut lle nichts; denn der rein und fein Spre-
chende wird es eben weich fprechen, weil er es weich
fchreibt, und hart fprechen, weil er es hart fchreibt;
welches aber die richtige Schreibung fei, läßt das phone-
tifche Prinzip unentfchieden.
16. deshalb {-wegen) — d^haXb (-wegen): f. die
Note zu Nr. 9.
17. Dinte — Tinte: das phonetifche Prinzip gibt
keinen Ausfchlag ; denn wer die beiden Formen durch die
Ausfprache unterfcheidet, was im Anlaute jede nur mittel-
mäßige Ausfprache thut, der fpricht fo oder fo, je nach-
dem er fchreibt.
18. Donnerstag — Donnerftag: das phonetifche
Prinzip entfcheidet nichts.
^) Lauter Ausdrücke, die in den „Gefammelten fprach-
wiffenfchaftlichen Schriften" des Herrn von Baumer
unter einander wechfeln.
Eisen, Deutsche Orthographie. 7
— 98 —
19. DiUe — Tüte : ganz wie bei Nr. 17.
20. ergetzen — ergötzen: beides (pricht maiii weil man
beides fchreibt; welches aber die richtigere Schreibart
fei, vermag dasphonetifche Prinzip nicht zu ent-
fcheiden.
21. enmdem — ervfiedem: das phonetifche Prin-
zip gibt nicht den Ausfchlag.
22. EJfig — Eißig — Effich: wie bei Nr. 11.
23. Fafinachb — Fasnacht: das erftere fchreibt man jetzt
allgemein, das zweite fpricht man nach unferer Erfah-
rung faft allgemein; felbft in gebildeten Ejreifen hört
man kaum anders als Fasnacht fprechen. Um diefen
Streit zwifchen Ausfprache und Schrift zu löfen, muß
man eben ermitteln, welches die richtigere Form fei ; da-
zu reicht aber das phonetifche Prinzip nicht aus.
24. fing ging hing — fieng gieng Meng : beiderlei For-
men beftehen neben einander, wiewohl die mit kurzem %
fowohl der Schreibung wie namentlich der Ausfprache
nach überwiegen dürften. Welche Formen die richtigen
feien, ob die mit i oder die mit ie^ darüber gibt das fog.
phonetifche Prinzip keine Auskunft. S. unten $ 29.
25. Fibtig — Fi^ih: wie bei Nr. 11.
26. flüftem — fliftem: wie bei Nr. 6.
27. Fußfkipfe — FuJJta/pfe, 28. Gebärde — Geberde: das
phonetifche Prinzip entfcheidet nichts.
29. Gehilfe — GehiUfe wird befprochen unter Büfe,
30. Geifel {Bürge) — Geißd, 31. Geifd (Peitfche) —
Geißel: dasphonetifche Prinzip entfcheidet nichtg;
f. die Note zu Nr. 9.
32. Getreide — Getraide: beides wird, auch von Gebilde-
ten, ganz überein gefprochen; das phonetifche Prin-
zip entfcheidet nichts. Vgl. Nr. 3. 49.
33. gibft gibt gib — giebft giebt gieb: beiderlei Formen be-
ftehn neben einander ($ 16); welche die richtigeren feien,
darüber gibt das phonetifchePrinzip keine Auskunft.
34. gütig — gültig: wie bei Nr. 6.
35. ging — gieng: f. Nr. 24.
— 99 —
36. Cfräud — Cfreuel, 37. Gfrenze — Chränae: das ph o-
netifche Prinzip entfcheidet nichts.
38. Hannover — Hanover: nach dem phonetifchen
Prinzipe unentTchieden.
39. Hering — Häring: das phonetifche Prinzip
entfcheidet nichts.
40. hing — kieng: f. Nr. 24.
41. Hufe, behilflich, Gehü/e — Hülfe, behiUflicn, Gehülfe:
beiderlei Formen beftehn neben einander; je nachdem
man die einen oder die andern Formen vorzieht, fpricht
man; welche man aber vorzuziehn habe, läßt das pho-
netifche Prinzip unentfchieden.
42. Hüfthom — Hifthorn, 43. Knüttel — Knittd: ganz
wie bei Nr. 41.
44. Lärm — Lerm: das phonetifche Prinzip ent-
fcheidet nichts.
45. lefchen — löfchen: ganz wie Nr. 20.
46. leugnen — Mugnen: das phonetifche Prinzip gibt
keine Auskunft.
47. liefefi lieft lies — Ufeft Uft lis: die erftgenannten
Formen und in der Schrift überwiegend, der Ausfprache
nach bei weitem, wie es fcheint, die drei andern mit
kurzem i. Das phonetifche Prinzip entfcheidet,
fo lange man nicht nach der kaum zu ermittelnden Ma-
jorität der Sprechenden zu entfcheiden für gut hält,
nichts. Vgl. Nr. 33.
48. liederlich — lüderlich: ganz wie bei Nr. 6.
49. Meier {Hausmeier) — Maier: ganz wie bei Nr. 32.
50. Pahft — Pa/pft, 51. Prdbft — Propfl: das phone-
tifche Prinzip entfcheidet nichts.
52. Reifig — Reifich: wie bei Nr. 11.
53. Reiter — Reuter : beide Schreibarten finden lieh,
und, je nachdem man fchreibt, fpricht man. Die zweite
Schreibart fcbeint feltener zu fein; welche von beiden
aber die richtigere fei, weiß das phonetifche Prin-
zip nicht anzugeben.
7*
— 100 —
54. Betttg — Rettteh: wie bei Nr. 11.
55. Schwert — Schwerdt: die zweite Form ift im Ab-
nehmen begriffen, wird aber noch vielfach gefchpeben;
ob mit Recht oder mit Unrecht , vermag das p h o n e -
tifche Prinzip nicht zu entfcheiden.
56. Sprichwort — Sprüchwort: beides findet fich pro-
miscue gefprochen und gefchrieben ; welches das richtigere
tei, gibt das phonetifche Prinzip nicht an.
57. flet (fiets, fietig) — /tat (fiäts, /tätig): das zweite
ilt viel feltener als das erfte, kommt aber neben den
Formen mit e wegen der Analogie von tmflät und be-
ftätigen fo vielfach vor, daß es nicht übergangen werden
darf. Das phonetifche Prinzip entfcheidet nichts.
58. Tirol ~ Tyrol, 59. todt (tödten) — tot (töten): das
phonetifche Prinzip gibt keine Auskunft.
60. unentgeltlich ■— unentgeldlich : welches von beiden das
richtigere fei, ift leicht entfchieden, aber das phone-
tifche Prinzip entfcheidet nichts.
61. verleumden — verläumden, 62. vornehmlich — vor-
nändich, 63. weifiagen — weis/agen (auch das gegen die
einfachfte orthographifche Regel verftoßende wei/fagen
ift nicht feiten), 64. Weizen — Waizen, 65. weshcUb
(•wegen) -w^halb ("-wegen), 66. WiderhM — Wie-
derhaU, 67. Wildbret — WHdpret, 68. Witwe —
Wittwe, 69. Würterriberg — Württemberg: lauter Schwan-
kungen, die man mit Hilfe des phonetifchen Prin-
zips zu befeitigen umfonft verfuchen würde. Zu Nr. 67
vgl. S 27.
n. 70. bewt^fit — bewu//t — beioufi, 71. bischen — bi/fchen
— bifichen: der Schreibgebrauch fchwankt hier zwifchen
je drei Formen, man foU fich einigen über je eine; wie
man dies mit Hilfe des phonetifchenPrinzips be-
werkftelligen will, ift fchwer begreiflich j denn in allen
angeführten Formen ftimmen bereits Schrift; und Aus-
fprache überein. S. Nr. 9 mit der Note.
72. Dien/tag — Dinstag — Dienstag: wir hören überall
— 101 —
nur ^^Dinstag^^ fprechen; das phonetifche Prinaip
würde IücIl alfo für diefe Form entfcheiden; aber erftens
beruht dies auf einfeitiger Beobachtung, und zweitens
würde iich dann immer noch fragen, ob dies auch die
richtige Ausfprache fei.
72. Branntwein — Brantwein — Brandwein: das pho-
netifche Prinzip entfcheidet gar nichts.
74. geng und gehe — gäng und gäbe — geng und gäbe:
das phonetifche Prinzip entfcheidet gar nichts.
75. Hevrath — Hewraih — Heirat: das phonetifche
Prinzip konnte höchftens zwifchen ei und eu entfchei-
den ; indeffen ift eben die Ausfprache verfchieden , je
nachdem man das Wort mit ei fchreibt oder mit eu.
76. Loo8 — Lo8 — Lqfi: das phonetifche Prin-
zip entfcheidet nichts.
77. m\ß — miff — ww — , 78. nemlich — nämlich —
nehmlichf 79. Schmied — Schmidt — Schmid: das pho-
netifche Prinzip entfcheidet nichts; Schmied horten
wir feltener, aber es wird gehört.
80. iiberfchwenglich — uberfchwänglich — Überfchwänk-
liehj 81. Vehme — Fehme — Feme: das phonetifche
Prinzip entfcheidet nichts.
ni. 82. allmählich — MmöMch — aUmMlig — aUmölig:
das phonetifche Prinzip läßt hier ganz im Stiche.
83. birfchen — bürfchen — pirfchen — pwrfchen, 84. Ernte
— Emde — Erndte — Amte — Arnde — Arndte,
85. gefcheid — gefcheit — gefcheidt — gefcheut: auch
bei diefei;! 14 Formen vermag man mit Hilfe des pho-
netifchen Prinzips die richtige Schreibung nicht
feftzuftellen : man fpricht eben — felbft in gebildeten
Kreifen — verfchieden, weil man verfchieden fchreibt,
und man fchreibt veij'chieden , weil man verfchieden
fpricht. Zu Nr. 85 vgl. § 27.
Ebenfowenig dürffce es felbft dem leidenfchaftlichften
Anhänger des fogenannten phonetifchen Prinzips
gelingen dem Schwanken zwifchen den nachträglich bei«
— 102 —
gefügten Formen : 86. anderfeite — cmdererfeäs^ 87. Borde
— Borte, 88. keuchen — Jeetehen, 89. Keuler — Keiler ,
90. Kiffen — Küffen, 91. mannigfaltig — manmchfaltig,
92. wirken — wü/rken, mit Hilfe des fogenannten p ho-
tt etif che n Prinzips ein Ziel zu fetzen: man fchreibt
^Q eben verfchieden, weil man lie verfclilieden fpricht und
umgekehrt.
§ 27* So haben wir denn umfonlt verfucht die Schreib-
art der orthographifch ftreitigen Wörter vermittelft des foge-
nannten phonetifchen Prinzips auch nur bei einem
Worte feft zu ftellen. Und diefes Prinzip will man jetzt bei
der dringend gebotenen Umgeftaltung unferer heutigen Ortho-
graphie zu Grunde legen, bei der es, wenn überhaupt eine
orthographifche Einigung erzielt wird, zunächft und vor Allem
darauf ankommt, daß die heillofen Schwankungen, die
feit nun 20 Jahren und länger befonders für unfere Deutfchen
Schulen ein Stein des Anftoßes und ein Stock des Argerniffes
gewefen find, gründlich und auf immer befeitigt werden?
Oder will man vielleicht die Ehre des fogenannten pho-
netifchen Prinzips dadurch zu retten fuchen, daß man
da, wo die Ausfprache verfchieden ist, an die Majorität der fo
und fo Sprechenden appelliert? Wer kennt denn diefe? Wer
wollte, um nur ein paar Beifpiele anzuführen, zu behaupten
wagen, daß „Wild|)ret" gefchrieben werden müße, weil, wie
unter Anderen Duden^) angibt, der „Ausfprache die
Schreibung mit dem p entfpreche ?^' Woher weiß man denn
das? Wir müßen nach unferer in der That weder ober-
flächlichen noch befchränkten Beobachtung gerade das Gegen-
theil mit Entfchiedenheit behaupten. Femer fagt derfelbe
D u d e n**) : „Die Schreibung gefckeit verdient den Vorzug vor
gefcheid, da allgemein gefcheiter, nicht gefcheider gefprochen
wird." Woher weiß man denn das? Erft unlängft faß der
y erfaßer diefer Schrift einmal zusammen mit fünf Bekannten,
*) Angef. Sehr. S. 160.
**) Angef. Sehr. S. 55.
— 103 —
lauter Mfinnem von gründlicher Bildung. Das Gefpräch kam
zufällig auf unfere zerfahrene Wortfchreihung. Als frappan-
tes BeiTpiel führte man das Wort gefcheid an. Eine Um-
frage ergah, daß von den fechs Anwefenden einer gefcheut
fprach und fchrieb, ein zweiter gefcTieüj ein dritter — nicht
der hier gar nichts befagenden Ausfprache wegen, sondern
weil er es für die gebräuchlichfte Schreibart hielt — ge-
feheidt, die übrigen alle drei gefcheid. Das war nur ein
Fall. Aber auch unferen fonftigen Erfahrungen nach müßen
wir die Bichtigkeit der Duden 'fchen Behauptung durch-
aus beftreiten. Nein, um feftftellen zu können, welche
Ausfprache eines Wortes in den Deutfchen Landen die „allge-
meine'^ oder auch nur die „ziemlich allgemeine^' fei, dazu ge-
hört lehr viel. Würde doch felbffc ein gebildeter Deutfcher, der
mit vollem Rechte von sich rühmen könnte: XoXXcSv dvd-Qmncav
fdw aatia xal voov s/ycov, deshalb noch lange nicht und um
fo weniger zu behaupten berechtigt fein, welche Schreibung
des einen oder des anderen Wortes die Ausfprache in Deutfch-
land für lieh habe, da, wie wir bereits dargethan zu haben
glauben, in. vielen Fällen, wie bei e und ä (echt acht), bei ei
und ai, bei eu und äu, bei -ig und -ich u* f. w., felbft die
feinfte Ausfprache keinen Unterfchied zu machen im Stande ift.
Nein, diefe Ausfprache, bei der überdies die Sprechenden,
was auch wieder feine großen Schwierigkeiten hätte, zu wägen
und nicht zu zählen wären, fo genau und ficher zu ermitteln,
daß man darnach die Schreibung zu dekretieren berechtigt
wäre, das halten wir überhaupt für ein Ding der Unmöglich-
keit. In folchen orthographlfch zweifelhaften Fällen zu ent-
fcheiden ift eben das fogenannte phonetifche Prinzip
mit feiner Regel: „Bring deine Schrift und deine Ausfprache
in Übereinftimmung" ganz außer Stande, weil, wie gefagt, die
Ausfprache in allen diefen Fällen verfehle den ift und diefer
verfchiedenen Ausfprache gemäß auch verfchieden gefchrieben
wird. Es bleibt eben, wenn man kein anderes Prinzip der
Rechtfehreibung als das fogenannte phonetifche gelten
läßt, nichts anderes übrig als in den allermeiften der oben
— 104 —
angeführten Fälle doppelte' Formen anfzufkellen. Und fo
hat es auch, wie fchon bemerkt ift, die OrthographiTche
Konferenz in vielen Fällen zu machen lieh genöthigt ge-
fehn*). Aber — es kann nicht oft und nicht eindringlich
genug erinnert werden (§ 19) — dazu brauchten die ehren-
werthen Herrn Mitglieder des Orthographifchen Ausfchußes
doch wahrlich nicht aus dem Norden und Süden und Weften
Deutfchlands nach Berlin zitiert zu werden und hier beinah
vierzehn Tage lang mit aufopfernder Thätigkeit lieh zu be-
rathen, um fchließlich den Hauptfehaden unTerer bisherigen
Rechtfehreibung, der fchon feit hundert Jahren, am lauteften
aber feit dem letzten Vierteljahrhunderte, nach Hilfe fchreit,
nicht etwa nur ungeheilt zu laßen, fondern durch einen neu
aufzuftellenden orthographifchen ELanon ausdrücklich weiter
fortzupflanzen. Und diefes klägliche Befultat einer
wochenlangen Berathung hätten wir ledigliclb
zu verdanken dem „epochemachenden*' phoneti-
fchen Prinzipe.
§ 28« Drittens. Die Deutfehe Spracheiftihrem
*) Wir finden da ^^addig und adUch^* — yfiehüflich und be-
hülflich^^ — „erbqjSen und erbofen^^ u. f. w. Wahrfchein-
lieh würde das Verzeichnis noch viel mehr lolcher Doppel-
formen aufzuweifen haben, wenn man nicht trotz der
allgemeinen Antipathie gegen die anderen Prinzipe
dennoch in vielen Fällen, wo man mit dem phonetifchen
Prinzipe fchlechterdings nicht auskam, ein anderes Prin-
zip, namentlich das etymologifche (§ 33), wie in „a2^
mäMich^^ (wegen gemach) zu Hilfe genommen hätte.
Eine eigenthümliche Erfcheinung ift es, daß die Kon-
ferenz auch eine Anzahl von Fremdwörtern, bei denen lie
die einzige Gelegenheit hatte das fogenannte phone-
tifche Prinzip zur Anwendung bringen, in zwei Formen
aufiPührt, und zwar in zwei Formen, von denen die eine,
wie „Charaktet^'^ „Charaäey*^ mit dem fogenannten phone-
tifchen Prinzipe in geradem Widerfpruche fteht (f. unten
§ 59J. Dabei wird richtig Kar-, Schikane u. f. w. ge-
fchrieben.
— 105 —
Grundkarakter nachdurchund durch phonetifch:
das ift eine ausgemachte und offen vor Augen liegende That-
fache, die kein Sterblicher zu beftreiten vermag. Die
Schreibweife der Deutfchen ift alfo von Haus aus
eine ftreng phonetifche. Soweit die Deutfche Zunge
klingt, hat man von dem Augenblicke an, wo man die Sprache
in Schrift zu faßen anfieng, genau nach der Ausfprache ge-
fchrieben d. h. für jeden Laut des gehörten Wortes den be-
zeichnenden Buchftaben verwendet, um das vom Ohre Ver-
nommene nun auch fichtbar zu machen für das Auge. Es
gefchah dies nicht etwa nach einem beftimmten Grundfatze
und mit dem Vorfatze „Schrift und Ausfprache in Uberein-
ftimmung zu bringen,^' fondem inftinktmäßig hat fich gerade
die f er Akt des Schreibens vollzogen, indem man das ge-
horte Wort mit Hilfe der für die einzelnen Laute vorhandenen
Zeichen fichtbar darftellte. Da aber die Ausfprache, wie wir
früher wiederholt (§ 20, bef. § 17 und § 14) bemerkten,
grundverfchieden und dabei unfäglichen Einfiüßen unterworfen
ift, da es überdies im Nhd. — ein Zeichen von Entartung —
für einen und denfelben Laut verfchiedene Buchftaben, neben
6 auch äj neben ei auch aiy neben eu auch äu, neben v auch
/ (ph), neben tt auch dt gab, da auch der alte echt Deutfche
Zifchlaut 5, der im Mittelhochdeutfchen noch ganz im
Schwange war, um die Zeit der Erfindung der Buchdrucker-
kunft, alfo um diefelbe Zeit, wo fich das Neuhochdeutfche aus
dem Mittelhochdeutfchen zu entwickeln begann, feines ur-
fprünglichen (§ 50) Wefens und Lautes allmählich verluftig
gieng und fich von den Zifchlauten / und ff in der Ausfprache
kaum noch unterfchied, da endlich unfer Neuhochdeutfch in
Folge der § 22 gefchilderten ungünftigen Yerhältniffe, unter
denen es fich entwickelte, bereits vom 15. Jahrhunderte an
vorzugsweife dem Munde des Volks anheim fiel und die auf
folche Weife vielfach entftellte und vergröberte Ausfprache
um fo nachtheiliger auf die Schrift zurückwirkte, weil, wie
wir bereits (§ 22) bemerkten, das eigentliche Volk gar nicht
im Stande war genau der Ausfprache gemäß zu fchreiben
— 106 —
£o daß orthographifehe Yerderbniffe aller Art nnfer Neuhoch-
deutfch förmlich überfchwemmten, fo entftand nach und nach
jene grob phonetifche, aber im Wefentlichen immerhin pho-
netif che Schreibweife, von der wir trotz der Yerbeßerungen,
die man befonders feit dem Ende des 17. Jahrhunderts ab
und zu vorgenommen hat, bis auf den heutigen Tag» noch fo
viele und foviel gräuliche Überrefte*) haben (§ 22 a. E.).
Die Uberbleibfel aus diefer wüften Wortfehreibung der
früheren Jahrhunderte follen nun endlich zum Behuf einer
orthographifchen Einigung und zwar zunächft im Intereffe
der Schulen foviel wie möglich befeitigt werden. Es foU
dies, wie wir aus den Yerhandlangen der Orthographifchen Kon-
ferenz fchUeßen müßen, gefchehn mit Hilfe des fogenannten
phonetifchen Prinzips. Prinzip ift entweder in theore-
tifchem Sinne ein Grundbegriff (Prinzip der Denkweife) oder
in mehr praktifchem Sinne ein Grnndfatz (Prinzip der Hand-
lungsweife). Als Grundbegriff ift das Prinzip nur denk-
bar, als Grundfatz auch anwendbar. Das phonetifche
Prinzip foU ja auch anwendbar fein: das liegt fonnenklar
in der phonetifchen Regel, die man nach Adelungs Vor-
gänge aufftellt: „Schreib, wie du fprichft." Aber abgefehn
davon, daß man eine phonetifch entftandene, aus den oben
angegebenen Urfachen jedoch vielfach kränkelnde Recht-
fchreibung nicht füglich phonetifch, alTo gewiffermaßen
homöopathifch, kurieren kann — wir haben ja auch gefehn,
daß diefe Kur nicht anfchlägt — : was foU es heißen, wenn
man dem Deutfchen, der, weil dies eben die einfachfte und
natürlichfte Entftehung der Schrift ift , von jeher, unwillkür-
lich und unbewuft, feiner Ausfprache gemäß gefchrieben hat,
*) Eines der fchlimmften Überbleibfei diefer Art, das wir
obendrein kaum wieder los werden dürften, ift die häu-
fige und doch unphonetifche Verdoppelung der Konfo-
nanten im Auslaut und im Inlaut vor anderen KonTo-
nanten. (triff triffft, will wiUft), S. K. Matthiä die
Deutfche Sprache und die Deutfchen Schulen S. 97 ff.
— 107 —
— was foU es heißen, wenn man dem £agt: „Mach dirs zum
Grandfatze fo zu Tchreiben, wie du fprichft/^ Das kann man
wohl als Regel empfehlen, wo ein Volk in der Bechtfehrei-
bung bisher einen anderen minder richtigen Weg einge-
fchlagen hat oder von dem eingefchlagenen richtigen
Wege abgekommen ift, aber nicht, wo man fich bisher fchon
immer und ohne Unterbrechung, wie in Deutfchland und
Italien, ganz von felbrt der phonetifchen SchreibweiTe be-
dient hat.
Nach alle dem müßen wir doch in der That bezweifeln,
ob unTer^r Deutfchen Bechtfchreibung gegenüber von einem
phonetifchen Prinzipe als folchem überhaupt die
Rede fein könne, weil eben diefe unfere Rechtfehreibung lieh
von vorn herein und ganz von felbft phonetifch entwickelt
und eben zum großen Theile in Folge der Umftände, unter
denen äe Hch phonetifch entwickelt, allerhand Schwanken-
des und Misbräuchliches in Jlch aufgenommen hat.
§ 29. Gefetzt aber auch, daß das fogenannte phone-
tifche Prinzip bei der beabJlchtigten Reform unferer
Rechtfehreibung ein zu verwendendes probates Mittel wäre,
was es nicht ift: fteht denn die Verwendung eines folchen
Mittels in Einklang mit den Forderungen der Wißenfchaft?
Kt denn das Wißenfchaft, daß man vorkommendes Falls nicht
fragt: wie muß hier gemäß der Wißenfchaft der Sprache die
Schreibung und demgemäß die Ausfprache fein, fondern: wie
ift die Ausfprache und wie muß demgemäß die Schreibung
fein, daß man alfo auf die Ausfprache in der fchwebenden
orthographifchen Frage das Hauptgewicht legt, auf die Aus-
fprache, bei der bekannter Maßen die Unwißenheit, die Be-
quemlichkeit, die Gewohnheit die wichtigfte Rolle fpielen?
Und wo nun die Sprechgewohnheit felbft verfchieden ift, kann
man nicht fordern, daß da wenigftens die Wißenfchaft das
entfcheidende Wort führt?
Wir greifen den fpäteren Erörterungen durch ein Bei-
fpiel vor. Die Präteriten der Verben fangen, gehn (gangen)
und hangen werden theils mit dem bloßen i theils mit ie ge«
— 108 —
fchrieben*). Hier muß und foU eine Einigung erfolgen.
Aber wer oder was entfcheidet denn, welche von den beiden
Schreibarten die richtige fei? Das fogenannte phonetifche
Prinzip mitfeiner Hauptregel : „S ehr e ib, wi e d u f p r i ch ft"
doch wahrlich nicht; denn man fpricht eben verfchieden.
Und zwar ift diefe Verfchiedenheit in der Schreibung auf
folgende Art entftanden: Die befagten drei Präteriten
lauteten im Ahd. fianc gianc hicmc, woraus im Nhd. durch Ab-
Ichwächung des a in efiefnc gienc Jneno ward. Gerade dieferAb-
i&\itie(s,VLB ia)y wie die Identität des Stammvokals im
Präfens und imPartiz.Perf. Paff, kennzeichnet die Ver-
ben fangen^ gehn (jgangen), hcmgen neben blafen, braien, fcXLen^
hjoMm u. f. w. als fogenannte reduplizierende. In diefer noch
unverfälfchten Form, nur mit Verwandlung des c in^gr {Jiefng
gieng hieng), wanderten die genannten Präteriten aus dem
Mittelhochdeutfchen ins Neuhochdeutfche. Aber das ie fpricht
fich gerade in diefen drei Formen, wie jeder an Geh felbft er-
proben kann, aus naheliegenden phyliologifchen Gründen*^)
etwas unbequem und mühfam, wenigftens viel unbequemer als
in blies briet fiel hielt und im Präteritum der übrigen redupli-
zierenden Verben, aus. Es war daher nichts natürlicher, als
daß die große Mehrzahl der Deutfchen in ihrem Hange zur
Bequemlichkeit, die nun einmal uns Menfchenkinder beim
Sprechen im alltäglichen Verkehre leitet, unwillkürlich fing
ging hing mit kurzem i zu fprechen fich gewöhnte. Während
*) S. § 26. Wenn das Berliner Wörterverzeichnis hier,
wie in vielen andern Fällen, beide Schreibarten ge-
ftattet, fo verweif en wir in Bezug auf diefe verkehrte
Methode auf § 19 a. E. und § 27 a. E.
*^) Die Stimme hat nemlich von dem in dem vorderften
Theile der Mundhöhle fich bildenden i bis zum nafalen
ngy das aus dem unterften Theile des Gaumens durch die
Nafe hervortönt, ohnehin fchon einen weiten Weg zu-
rück zu legen, und üe würde fich diefen Weg noch ver-
längern, wenn jje Hchs nicht hier, wie überall, bequem
machen und das i kurz fprechen wollte.
— 109 —
aber in Viertd^ (vierzehn vierzig), dies, Wiesbaden und andern
Wörtern, zum Theil auch in liee und Schmied, trotzdem daß
man auch hier — nicht etwa aus phyfiologifchen Gründen,
fondern aus purer blanker Nachläßigkeit und Bequemlichkeit
— kurz % zu fprechen anfieng, das ie doch in der Schreibung
fich tbeils, wie in Viertel, aus etymologifchem Grunde *)j
theils, wie in rf«««**) lies Schmied ohne jeglichen Grund er-
hielt, griff bei den genannten drei Präteriten die der weit
verbreiteten kurzen Ausfprache entfprechende Schreibung fing
ging hing um fo bedenklicher um fich, je weniger die große
Menge der Schreibenden von dem Wefen diefes in den ge-
nannten drei Präteriten unentbehrlichen ie auch nur eine Ah-
nung hatte. Wie wenig darf man fich über diefe Unwißen-
heit wundem, wenn felbft ein fo geiftreicher Mann wie Becker
in feiner Schulgrammatik ***) naiver Weife fagt : „Da in ging
fing der Yokal kurz ift, fo ift das Dehnungszeichen un-
paffend." Gegenwärtig liegt die Sache fo, daß man in Süd-
deutfchland jene drei Formen, wie es fcheint, meift lang, in
Mittel- und Norddeutfchland vielfach kurz ausfprichtf). Welche
von beiden Ausfprachen überwiege, läßt fich mit Sicherheit nicht
ermitteln, ift aber auch vom wißenfchaftlichen Standpunkte
aus völlig gleichgültig. Die Wißenfchaft würde im vorliegen-
den Falle, felbft dann, wenn der Schreibgebrauch nicht
fchwankte, doch die Erhaltung des Diphthongen ie gebieterifch
verlangen, und zwar nicht fowohl, weil derfelbe hiftorifch be-
gründet ift — wie vieles dergleichen ift uns durch die Un-
gunft der Zeit unwiderbringlich verloren gegangen — , als
weil durch die Befeitigung jenes Diphthongen die drei Verben
*) Aus demfelben Grunde fchreibt man auch unphonetifch,
aber richtig, Jungfer ^ Junfer gefprochen.
**) Dies fchreibt man wohl trotz der kurzen Ausfprache des
i zur Zeit noch wegen diefer, diefe u. f. w., das aber fein e
hoffentlich bald verliert, wie es bei Michaelis und
Anderen fchon längft der Fall ift.
***) 4. Ausgabe S. 420.
t) So urtheilt auch Duden a. Sehr. S. 46.
— 110 —
fcrngm gekn (ßcmgen) hangen aus der reduplinerenden Konjnga-
siion völlig nnd gewaltfam herausgerißen werden und ganz auf
dem Wege find wie das arme werden*) in den ungeordneten
Haufen der unregelmäßigen Verben zu gerathen. Wenn dies,
wie bei unferem fem (effe) und wie fo oft im Griechifchen, in
der Weife gefchieht, daß man mehrere wefentlich Yerfchie-
denen Stämme zu einem Verb verbindet, fo wird dadurch in
den Organismus der Sprache nicht ftörend eingegriffen; wenn
man aber von drei Verben eine ganze Tempusform aus ihren
Fugen reißt und zur Unform ftempelt; wenn man dies
ohne alle Noth thut, bloß um dem Schlendriane und der Be-
quemlichkeit zu fröhnenj wenn dies, als gienge man förmlich
darauf aus, die Sprache zu verderben, noch obendrein ge-
fchieht, während die wißenfchaftlich begründete
echte Form im Gebrauche nebenhergeht; wenn
endlich gar noch in weitverbreiteten Deutfchen Schulgramma-
tiken**), gerade als wäre ein Jakob Grimm für fie nie
dagewefen, dergleichen Unformen figurieren, um der lieben
Jugend fo früh wie möglich eingeprägt zu werden, fo heißt
das die Wißenfchaffc der Sprache mit Füßen treten. Zum
Glücke gibt es noch andere Sprachgelehrte, welche die Ehre
der Wißenfchaffc zu wahren wißen. Schon in der erften
*) Werden ift fofort ein regelmäßiges Verb der 2. ablauten-
den Konjugazion, wenn man fich gewöhnt ftatt der
zweifachen ünform tmirde das echte fchöne ward zu ge-
brauchen. Nur nicht wctrdft — auch das ift ein Mon-
ftrum — , fondem wwrdeft. Doch darüber ein ander
Mal.
**) Von der Beckerfchen Grammatik ift fchon oben ge-
fprochen worden. Aber auch in der Grammatik von
Heyfe und zwar in der neueften (22.) Ausgabe von
1873, S. 186 ftehn hlies briet fiel fing hielt hing ließ
rieth u. f. w. wie Kraut und Rüben unter einander. Ja
gehn mit ging wird S. 192 zur unregelmäßigen Konjuga-
zion gerechnet. Und fo etwas bietet nach Grimm und
trotz Grimm eine Deutfche Schulgrammatik der Deut-
fchen Jugend I
— 111 —
Auflage der Neohochdeutfehen Schulgrammatik Ton Hoff-
mann (1839) iTt S. 58 zu lefen: „In allen diefen Wörtern
(den Präteriten der reduplizierenden Ronjugazion) darf alfo
das e nicht ausgeftoßen werden, z. B. fieng^ Meng, nicht fingj
Mng^^*), Auch in der Grammatik der Neohochdeutfchen
Sprache von Rehrein heißt es I, S. 135: „Die faKche An-
ficht, ie wäre Dehnung ftatt i, hat die fprachwidrigen Formen
fing ging Tdng erzeugt." Ebenfo ift in Schmitt henners
DeutTchem Wörterbuche von Weigand (3. Auflage 1857)
I, 322 f. fehr wahr bemerkt: ,,Die Schreibung des Prät. fieng,
mhd. vi&nCf ahd. ficmo, ältlich, fieng ift hochdeutfcher
und überhaupt richtiger, als die feit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts herrfchend gewordene fing, in welcher das aus dem
Wurzelvokal a entfprungene e jetzt lediglich der Aus-
fp räche zu Liebe ausgeftoßen wird^^ Vgl. ebendafelbft
S. 404. 478. Für den Fall aber, daß man diefe Schreibung,
wie fo viel andere diefer Art, naiver Weife für eine „Neue-
rung" halten follte, wollen wir hinzufügen, daß das ie in
diefen und anderen Imperfekten fchon von Fulda und Naft,
alfo fchon im vorigen Jahrhunderte, für „unerfchütter-
lieh" erklärt worden ift.
Wir durften hoffen, daß in dem künftigen Ranon der
Beichsorthographie diefe Unformen fing ging hing keine Stelle
finden würden, da wir mit Freuden bemerkt zu haben glaubten,
daß Herr von Baumer nach Luthers Vorgange mit
Grimm und unzählichen Anderen richtig fieng y gieng,
hieng fchrieb. Wir haben uns in diefer Hoffnung geteuf cht
gefehn. Anftatt in feiner Eigenfchaft als Sprachgelehrter die
von der Wißenlchaft gebotene Schreibart fieng gieng hieng
gegen Verftümmelung in Schutz zu nehmen, verräth Herr
'^) In feiner Neuhochdeutfchen Elementargrammatik, in deren
5. Auflage Hoff mann plötzlich aus feiner Bolle ge-
fallen ift, find zwar gelindere Saiten aufgezogen, indeffen
heißt es auch hier noch § 91 : „fieng, gieng,
ebenfo empfieng-, weniger richtig fing, ging, hing.^^
— 112 —
von Raamer'[rchon in den Regeln, die den Verhandlangen
des OrthographiTchen Aasfchaßes zu Grande liegen, feine Ge-
neigtheit die belSagten drei Imperfektformen der Nachläßigkeit
und Bequemlichkeit des Sprechens preiszugeben, indem er
lieh darüber ausdrückt: „In fing ging hing fordert die
Kürze des Vokals*) die Schreibung ohne e\ doch gilt da-
neben auch die Schreibung fieng^ gieng, hieng.^^ In der
That wird dann, als es über den betreffenden Punkt zur Abftim-
mung kommt, gegen die einzige Stimme des Würtemberger Mit-
gliedes, aKo mit einer an EinTtimmigkeit grenzenden Majorität,
der fich auch Herr von Raumer ftillfchweigend angefchloßen
hat, die Schreibung ßng ging hmg befchloßen. Und doch
heißt es wieder in den durch den Ausfchuß modifizierten
Raumer'fchen Regeln von den genannten drei Imperfekten:
„Die Ausfprache fchwankt zwifchen kurzem und langem
Vokal« **).
Die Orthographifche Konferenz hat iich, wie wir an einer
anderen Stelle ausführlicher darthun werden, fchon jetzt ent~
fchiedene Verdienfte um die Deutfche Rechtfehreibung erworben ;
aber durch folche Befchlüße, durch die ße eine Gruppe von
hiftorifch wie grammatifch faKchen Formen einzig und allein der
Ausfprache und noch dazu der nur in einem Theile von Deutfeh-
land herrfchenden Ausfprache zu Gefallen förmlich fankzio-
niert, bewirkt ile nichts anderes, als daß der Zweck, zu dem
He berufen worden ift, die Herftellung einer größeren Eini-
gung in der Deutfchen Rechtfehreibung, vereitelt wird.
§ 30^ Aus dem, was bisher über das phonetifche Prin-
zip gefagt ift, erhellt nun auch, was es für eine Bewandtnis
habe mit dem Namen eines Phonetikers, einem Namen, der
*) Dies ift obendrein nicht richtig: nicht der Vokal ift
kurz, fondem er wird aus Bequemlichkeit nur kurz ge-
fprochen trotz feiner Länge.
**^ Das Alles ift zu lefen in den Verhandlungen der Kon-
ferenz S. 15, § 13, d. Anm., S. 95 und S. 137, § 9
Anm.
— 113 —
bekanntlich erft feit dem Auftreten des Herrn von Baumer
in Gebrauch gekommen ilt. Wollen lieh, wie es Herr von
Sa um er thut, damit alle diejenigen bezeichnet wißen, die
eben am fogenannten phonetifchen Prinzipe hangen, fo
befagt der Name eben nichts; denn, wie wir gefehn haben,
ift das phonetifche Prinzip als Prinzip unferer Or-
thographie ein Nichts ; will man aber — und das ift des Wor-
tes einzig mögliche Erklärung — diejenigen als Phonetiker
bezeichnen, die damit einverftanden find, daß unfere ganze
Schreib weife von Haus aus (§ 14) eine ftreng phonetifche
fei und im Wefentlichen durch alle orthographifchen Wirren hin-
durch bis auf den heutigen Tag geblieben fei, fo gibt es, wie man
dreift behaupten darf, nicht einen einzigen Sprachgelehrten,
ja nicht einen einzigen gebildeten Deutfchen, der nicht be-
fugt wäre fich den Namen eines Phonetikers beizulegen;
denn kein Phonetiker fein d. h. den phonetifchen
Grundkarakter unferer Sprache nicht anerkennen hieße
den hellen Tag hinwegleugnen fammt der Sonne, die ihn macht.
In diefem Sinne gibt es keinen echteren und reelleren Pho-
netiker, als den Mann, zu dem als dem Schöpfer der ^ ift o-
r ifc h e n Grammatik mancher , der fich als Phonetiker
aufrpielt, in einen gewiHen Gegenfatz zu treten fich gefällt,
als wenn er darauf ausgienge eine unphonetifche Schreibart
einzuführen, was geradezu ein Ding der Unmöglichkeit wäre — ,
wir meinen unfern großen Meifter Jakob Grimm, deffen
ganze Schreibweife darauf hinaus läuft Schrift und Ausfprache
in Ubereinftimmung zu bringen und für den es eben deshalb
nichts Unleidlicheres gibt als die Überhäufung der Wörter
mit unnützen Buchftaben. *) Und wie der Meifter , fo dürfen
*) Wenn es etwas gibt, was mit der ftreng phonetifchen
Natur unferer Schreibweife fich nicht verträgt und eben
deshalb, weil es unphonetifch ift, weder im Altdeutfchen,
noch in den alten Sprachen fich findet, fo ift dies, wie gesagt,
die im Nhd. mit der Entftehung der fog. Deutfchen Lettern
aufgekommene üble Mode der Verdoppelung der Konfo-
nanten im Auslaute und im Inlaute vor andern Konfonanten«
Eisen, Deatsobe Orthographie. 3
— 114 —
fei^ie Jünger allzumal, die radikalften nicht ausgenommen, diefen
Namen für fleh in Anfpruch nehmen; denn keinem Hiftoriker
oder GermaniTten kann es einfallen an der phonetifchen
Natur unferer SchreibweiTe auch nur im minderten zu zwei-
feln oder eine Schreibung einführen zu wollen, die mit der
Ausfprache unvereinbar ift. Freilich find die Anhänger der
hiftorifchen Grammatik der Anficht, daß man auf eine wißen-
fchaftlich begründete Schreibung nicht deshalb verzichten
müße, weil fie mit der momentanen Ausfprache nicht überein-
ftimmt, zumal wenn diefe Ausfprache nur auf einen Theil
oder auf einzelne Theile von Deutfchland fich befchränkt;
fie meinen vielmehr, daß eine richtige, wennauchbis-
her nicht allgemein übliche, Schreibung nur erft
allgemein eingeführt zu werden braucht, um, wie
es bei dem Worte Deutfeh der Fall war ($ 18), allmäh-
lich auch die richtige Ausfprache nach fich zu
ziehen. Und derfelben Anficht ift wohl auch der
Herr von Raumer gewefen, indem er Adelungs einfeitig
bornierter Vorfchrift Schreib, wie du fprichft fehr weis-
lich die nicht bloß das Schreib, wie du fprichft, fon-
dem auch das Sprich, wie du fchreibQ; umfaßende
Form gab: Bring deine Schrift und deine Ausfprache
in Übereinftimmung ($ 18).
Alfo Phonetiker find wir Deutfche, die wir
wißen, was wir fchreiben, alle. Aber wozu fich nennen nach
einer Sache, die fich von felbft verfteht! Ift es etwa im alteu
Griechenland einem Griechifchen Grammatiker in die Gedanken
gekommen fich mit dem Namen eines ^mvrjxtxog zu fpreizen?
Bekanntlich meidet Grimm diefe unphonetifchen Ron-
sonantenhäufung befonders bei/ und p, wie er denn in
der Vorrede des 1. Bandes des Dtfch. WÖrterb. S.
LVin darüber fagt : „ünfere confonanten leiden an pe-
dantifcher Vervielfachung der zeichen; es ift als ob nie
der einfache laut genügen könne, immernoch ein andrer
ihm als schlepp angehängt werden müffe.^' Vgl. oben $ 28
Anm.
— 115 —
Würde es wohl Sinn haben, wenn es in Italien einem Sprach-
gelehrten einfiele lieh einen fonetico zu nennen? Wo ein
Nichtphonetiker oder Antiphonetiker^) undenkbar
ift, hat es keinen Sinn üch einen Phonetiker zu nennen,
und Herr von Raumer und feine Anhänger dürften keinen
Grund haben im Gegenfatze zu den Hiftorikern, die fammt
und fonders den phonetifchen Grundkarakter unTerer
Sprache als etwas Selbftverrtändliches betrachten und in die-
fem Sinne als entfchiedene Phonetiker gelten müßen , üch
xm i^oxtiv als Phonetiker zu bezeichnen. Hiemach dürf-
ten wir auch die feltfame Bemerkung eines Herrn Kohl in
den „Neuen Jahrbüchern für Phil, und Päd." vom J. 1876,
114, S. 181, die da lautet: „Neue Gegner- der phonetifchen
Schreibung zeigen lieh kaum noch, und die alten Gegner,
die Anhänger der hiftorifchen Orthographie,
find ganz vom Platz verfchwunden'S wohl fuglich auf
üch beruhen laßen.
B. EtymologiBChes und historisches Prinzip.
§ 31« Wir kommen zum etymologifchen und hi-
ftorifchen Prinzip e. Es verfteht lieh ganz von f eiber,
daß beide Prinzipe nur daAnwendung finden und
nur da überhaupt Sinn und Zwec k haben, wo ir-
gend eine orthographifche Änderung nothwen-
dig geworden ift, befonders bei fchwankendem
^) Wenn Michaelis a. Sehr. S. 12 dennoch vonAndre-
fens „antiphonetif chem Standpunkte^^ fpricht, fo
kann das nur heißen: A. folgt dem Grundiatze, daß die
Ausfprache nicht der alleinige Maßftab für die Schrei-
bung ift, daß vielmehr in gewiffen Fällen auch das
Sprich, wie du fchreibft gilt. Mit diefem Grund-
fatze ift man aber noch kein Antiphonetiker, wie
wir gezeigt zu haben glauben; fonft müfte man auch
Herrn vonBaumer diefen Namen geben, der ßch doch
felbft überall als einen Phonetiker bezeichnet.
8*
— 116 —
Schreib gebrauche. Für eine feftftehende und zu Recht
beftehende Orthographie, die nicht fo tumultuarifch und ab-
norm, fo fprach- und regelwidrig, fo auf Irrwegen und Ab-
wegen, wie unfere Deutfche, lieh entwickelt hat, bedarf es kei-
nes befonderen orthographifchen Prinzips: man kann wohl
von ihrem ELarakter reden, von der Art und Weife, wie iie
lieh gebildet hat, aber nicht von dem Prinzipe d. h. von dem
Grundfatze, nach dem man fchreibt: denn wie man fchreibt,
fo fchreibt ihan eben unwillkürlich. Wohl aber find es die
genannten beiden Prinzipe vorzfigsweife , nach denen unfere
heillos verdorbene Deutfche Orthographie geregelt
richtigt werden muß.
Die beiden Regeln, die dem etymologifchen o
hiftorifchen Prinzipe zum G-runde liegen, find klar un
bar; ja &e liegen fo nahe und drängen fich in gew
thographifch ftreitigen Fällen jedem, der da genau wil
wie er ein Wort zu fchreiben habe, fo ganz von fei
daß man in der That den Widerwillen nicht begreift,
und da gegen diefe beiden Prinzipe zur Schau getrag
Wenn diefen Widerwillen die Herrn vom Schlendriam
die nun einmal darauf verfeßen find, daß in unferer bi
Orthographie Alles beim Alten bleibe, und die es vi*
fehn, wenn die leidigen Schwankungen, diefe Schmach
Orthographie, von Gefchlecht zu Gefchlecht forterl
wenn fich die erftrebte orthographifche Einigkeit el
auf befchränkt, daß man darin einig ift den beft
Wirrwarr ruhig fortbeftehn zu laßen, als wenn man
welche „Neuerungen", und wäre es die Feftftell-
ftreitigen Schreibweife, einführt, fo ift d a s allerdings er
Daß es aber Sprachgelehrte gibt, die in dem Pj
des phonetifchen Prinzips fo völlig aufgehn, ue
für andere Mittel und Wege eine fehlerhafte Schreibung zu
verbeßem weder Augen noch Ohren haben, das begreife, wer
es begreifen kann.
— 117 —
a. Etymologisches Prinzip.
§ 32« Wir können über das etymolo gif che Prinzip,
foweit es nicht die Anwendung desfelben gilt, fehr kurz fein,
denn das etymolo gif che Prinzip ift keine neamodifche
Phrafe, wie man das fogenannte phonetifche zu nennen
allen Grund hat, fondem ein alter bekannter und bewährter
Grundfatz von praktifchem Werthe. In eine Begel gefaßt
lautet diefes Prinzip: Schreib der Abftammung ge-
mäß. Indem man in orthographifch ungewiffen und ftreitigen
Fällen diefer Regel folgt, bequemt man üch einem Prozeffe
an, der lieh in unferer, wie in jeder anderen Orthographie,
naturgemäß und von felbft vollzieht; denn es ift ein unver-
!^^ brüchliches orthographifches Gefetz, daß abgeleitete For-
men und Stammformen gleichartig zu fchreiben find.
\^r Verfuchen wir jetzt mit Hilfe diefer etymologifchen
Begel die Schreibung der § 6 aufgezählten orthographifch
uniicheren Formen feft zu ftellen.
^'> V, I. 1, echt kommt her von dem Niederdeutfchen ehacht
^^^ (legümus) und ift verwandt mit J5JÄ6*); die Schreibart
kl
acht ift alfo ganz verwerflich.
2 — 5 finden durch das etymologifche Prinzip keine Er-
ledigung.
6. ausfündig kommt nicht von avsfindeny fondem von
dem alten Worte Ausfwnd her. So fchon Wieland
und Bürger. Vgl. Weigand in Schmitthenners
Dtfch. Wörterb. I, 78 und Grimm Dtfch. Wörterb. I,
864. Ebenfo/pWÄnc?*5f**).
7 — 12 find etymologifch nicht feft zu ftellen.
*) Vgl. A n d r e f e n über J. G r im m s Orthographie S. 20 *.
Grimm Dtfch. Wörterb. m, 20.
**) Daß die meiffcen Leute nicht fo fprechen, ift kein Hinder-
nis; man fchreibe nur erft richtig, fo wird man fofort
auch richtig zu fprechen fich gewöhnen und auf diefe
Weife „Schrift und Ausfprache in Übereinftimmung
bringen.« Vgl. § 30.
- 118 —
13. BranJee ftammt vom RomaDifchen brcmeca, f. Wei-
gand a. 0* I, 176. Grimm Dtfch. Wörterb. H, 304.
14. 15. finden auf etymologifchem Wege keine Er-
ledigung.
16. deshalb (-wegen) und weshalb (-wegen) [tsinmeii
von des und wes und das JS hat in diefen Formen gar
keinen Sinn.
17. Tinte von tincta, alTo der Form Dinte entfchieden
vorzusiiehn; die Lautverfchiebung, die G-rimm beftinmit
die letztgenannte Form in Schutz zu nehmen , kommt
bei fremder Abftammung fchwerlich zur Geltung.
18. Donnerstag^ aus donars tac entftanden, „enthält
eine Beziehung auf den heidnifchen Donnergott, dem
diefer Tag heilig war." (Grimm Dtfch. WÖrterb. II,
1252). Donnerflag ift alfo eine widerfinnige Schreiberei.
19 — 22 entziehen lieh der Beurtheilung mit Hilfe des
etymologifchen Prinzips.
23. Fasnacht hängt nach Weigands einzig rich-
tiger Darfteilung in Schmitthenners Dtfch. WÖrterb.
I, 326, auf die wir der Kürze wegen hiermit verwei-
fen, feiner Wurzel nach mit fafeHm eng zufammen*).
*) S. Weigands Dtfch. Wörterb. unter fafeln I, 325.
Fa^snacht ift alfo ganz eigentlich die ,ySchwänrmachiy^^
in der man, weil nach Ablauf derfelben die böfe Faften-
zeit begann, zu guter Letzt noch einmal gehörigen Unlinn
trieb. Wenn diefer Anficht, der (ich unter Anderen
auch Duden a. Sehr. S. 94 zuneigt, nicht bloß Zamhe
im Nhd. Wörterbuche, fondem auch J. Grimm im
Deutfchen Wörterbuche HI, 1354 die etymologifche
Zufammengehörigkeit mit faften entgegenftellt, fo ift
dagegen Folgendes zu bemerken : Erftens kann man von
einer Faft nacht fo wenig reden wie von einer Bt^fi-
nacht: in einer Zeit, wo niemand ißt, kann man auch
nicht faften : und fo begegnet im Ahd. wohl ein fastadac,
aber von einer fastanaht ift keine Spur zu finden.
Wenn zweitens die Form vastnaht bereits vom 14. Jahr-
hunderte an hier und da auftaucht, fo ift die Form wu-
— 119 —
Die Schreibung ohne t ift aber nicht bloß vom etymo-
logifchen, fondern auch vom phonetifchen Stand-
punkte aus geboten, da man, wie geiüagt, ganz allge-
mein JPa« nacht und nicht jPa/f nacht fpricht.
24 — 50 find auf etymologifchem Wege nicht zu er-
ledigen.
50 Tind 51. Pahft und Prohft den Formen mit pfi
vorzuziehen: denn obgleich beide Worter aus etymolo-
gifchen Gründen, weil von papa und propositus ab-
ftammend, an und für fich die Schreibung mit p ver-
langen, fo fpricht doch kein Menfch diefes inlautende p
als folches aus und zwar nicht aus Bequemlichkeit,
naht ohne t doch bei weitem überwiegend; ja, was den
Ausfchlag gibt, in den von Keller herausgebenen fas-
nachtsspielen ftößt man allerwärts nur auf die Formen
vamacht fcunackt faaenachJb. Drittens endlich würde
der Ausfall des t^ wenn es mit fafien zufammenhienge,
kaum zu erklären, amwenigften aber, wie es J. Grimm
a. St. gethan, mit U für ift und ähnlichen Verftümme-
lungen aus der Alltagsfprache zu entfchuldigen fein,
die fich nur auf gewiffe Gegenden Deutfchlands und
auch hier nur auf gewiffe Schichten der Bevölkerung
befchränken, gefchweige denn, daß man ihnen in ge-
bildeter Schriftfprache fo häufig begegnete, wie dies
bei fcbsnacM der Fall ift. Daß das urfprünglich Hoch-
deutfche, eben wegen feiner etwas dunkeln Abftammung
nicht recht verftandene Fetsnacht fchon frühzeitig mit
dem gleich nach der FctsnacJit beginnenden Faften in
Verbindung gebracht und fo von der Faftnacht allmäh-
lich aus der Schrift verdrängt ward, ift um fo natür-
licher, da die Lexikographen des 17. und 18. Jahrhun-
derts, wie Henifch, Stieler, Frifch, Adelung,
auf diefe Umdeutung und Umänderung der Fasnackt in
Faftruusht eingiengen und diefelbe förmlich fankzionierten.
Das Schriffcenthum des 16. Jahrhunderts, insbefondere
Luther, Alberus, Seb. Frank, Hans Sachs,
Fifchart, haben noch Faßnacht ohne ty wiewohl mit
falfchem Zifchlaute, und diefelbe Form herrfcht in der
Schweiz, in Schwaben, im Elfaß noch heute vor.
— 120 —
fondem nach einem natürlichen Gefetze der Phyijologie
der Laute I indem lieh der Lippenlaut zwifchen dem
langen Vokale und dem Zifchlaute bei der Aasfprache
ganz von felbft erweicht. Vgl. Ohft.
52 — 59 und auf etymologifchem Wege ihrer Schrei-
bung nach nicht feft zu ftellen.
60. unentgeltlich^ denn es kommt von Entgelt und
hat mit Geld nichts zu fchaffen.
61. verleumden] denn es ift gemacht aus ILeu-
mund.
62. vornehmlich] denn es hat mit Namen nichts zu
fchaffen, fondem kommt von nehmen. Doch f. § 61 I.
63 — 66 finden außer weshalb — w^ßhaÜb auf etymolo-
gifchem Wege keine Erledigung; über weshalb und
weswegen aber f. Nr. 16.
67. Wildbret, weil YonBrat (Grimm Dtfch. Wörterb.
n, 308) herkommend; alfo abgefehn davon, daß die
Media der Zungenreihe und die Tentus der Lippen-
reihe in phyjiologifcher Beziehung unverträgliche Nach-
barn fein würden, auch nach dem etymologifchen
Prinzipe mit b zu fchreiben, ja nicht Wüdpret.
68— n, 71 finden mit Hilfe der Etymologie keine Er-
ledigung.
n. 72. Dienstag, f. Grimm Dtfch. Wörterb. II, 1120.
Weigand a. Sehr. I, 246. Duden a. Sehr. 89. Nur
nicht Dien-fiag oder Din-ftag, was ebenfo iinnlos ift wie
Donnerftag.
73 — 81 lauter Wörter, deren Schreibung auf etymolo-
gifchem Wege nicht feft zu- ftellen ift.
in. 82. allmählich hat mit dUemal nicht das Mindefte zu
fchaffen, fondem ftammt von gemuich und gemächlich
(vgl. aUgemach), zu dem es fleh verhält, wie fchmöMich
zu Sehmach. S. Grimm Dtfch. Wörterb. I, 237.
Weigand a. Sehr. I, 30. Duden a. Sehr. S. 49.
Anm. Grimm felbft fchreibt, obgleich er cälmMlich für
genauer erklärt, doch wunderlicher Weife aUmäUch.
— 121 —
83. 84. entziehen lieh der Erledigung durch die Etymo-
logie.
85. gefcheid von feheiden, xqCvhv,
86 — 92 find nach dem etymologifchen Prinzipe nicht zu
beurtheUen.
So haben wir von den 92 orthographifch fchwankenden
Wortformen zunächft 14 in ihrer Schreibung feftgeftellt mit
Hilfe des etymologifchen Prinzips. Es kann — von
Famacht abgefehn — über die von uns nachgewiefene Ab-
ftammung kein Zweifel fein; man wird uns höchftens, wenn
man es überhaupt der Mühe für werth hält, das Recht be-
ftreiten können aus diefer Abftammung die Schreibung felbft
zu folgern, und auch das kann nur von zwei Seiten her ge-
fchehn. Erftens müßen wir auf Widerfpruch gefaßt fein von
Seiten der Herrn vom Schlendriane, diefer „Gewohnheitsfünder,"
die nun einmal nichts wollen als das Hergebrachte und für
die eben das Hergebrachte darin befteht, daß für jede der ge-
nannten 92 Wortformen mehrere Schreibweifen hergebracht
find; zweitens find wir des Widerfpruchs gewärtig von Seiten
derjenigen, die fich Phonetiker par exceUence nennen, und die
in Sachen der Orthographie nun einmal nichts kennen wollen und
nichts gelten laßen wollen als das fogenannte phonetifche
Prinzip, dasfelbe, nach dem wir auch nur eine von den nam-
haft gemachten orthographifchen Schwankungen zu befeitigen
umfonft verfuchten, weil eben diefes phonetifche Prinzip als
Prinzip nichts ift als eine Phrafe. Wenn anderfeits auch das
etymologifche Prinzip kaum ausreicht, um auch nur den
fiebenten Theil der erwähnten orthographifch unfichern Wörter
der Schreibung nach feft zu ftellen, fo ift dies eben ein Be-
weis dafür, daß man auch mit dem etymologifchen
Prinzipe in folchen zweifelhaften orthographifchen Fällen
noch nicht auskömmt. Das hat nun freilich feinen natürlichen
Ghrund. Theils nemlich ift die Abftammung felber dunkel,
theils wird der Woiiftamm von der orthographifchen Verderb-
nis gar nicht berührt, theils hat überhaupt die Erkenntnis der
Abftammung auf die Feftftellung der Schreibweife keinen Ein«
— 122 -
flaß. In allen diefen Fällen hilft das hiftorifclie Prin
zip leicht und Ocher aus.
b. Historisches Prinzip.
§ 33* Das hiftorifche Prinzip ift das natärlichfie
und vernünffcigfte und doch gehaßtefte. Daß es das einzig
richtige Prinzip fei und das einzig geeignete Mittel, um eine
fehlerhafte und vielfach verdorbene Orthographie zu berich-
tigen, das hoffen wir, wenigftens für alle diejenigen, fo in der
vorliegenden Streitfrage ein offenes Auge und ein unbefange-
nes Urtheil haben, handgreiflich darzuthun; daß, es aber ein
Gegenftand des Haßes, nebenbei auch wohl des Hohnes
und des Spottes fei*), bedarf wohl fchwerlich des BeweiTes.
*) Eine Art von Spott foU es doch wohl auch fein, wenn
Herr von Raumer ein Mal über das andere von
„Pfeudohiftorikern" fpricht, ein Spott, von dem
wir bloß wünfchten, daß er, wenn ihn Herr vonRaumer
durchaus nicht unterlaßen konnte, als nicht zur Sache
gehörig wenigftens in eine Anmerkung verwiefen wor-
den wäre. Natürlich haben ihm das mehrere feiner An-
hänger nachgefprochen, ohne vorher zu prüfen, ob der
Spott auch treffe. Und das ift nicht der Fall. Ein
„Pfeudohi^toriker^^ kann entweder ein f a 1 f c h e r H i ft o-
riker fein oder allenfalls auch ein lügenhafter
Hiftoriker. Das Letztere hat Herr von Raum er
gewis nicht fagen wollen. Was aber ein falfcher
Hiftoriker für ein Menfchenkind fei, würden wir kaum
errathen, wenn nicht befonders zwei Stellen aus den
„Sprachwißenfchaftlichen Schriften" des Herrn von
Raum er darüber Aufklärung gäben. Erftens nemlich
heißt es dafelbft S. 295 f.: „Auf dem Gebiet der
Wißenfchaft ftehen fich die pfeudohiftorifche An-
ficht, die an die. Stelle unferer wirklich vorhandenen
Schriftfprache eine fprachgefchichtliche Con-
ftruction (?) fetzt, und die wirklich hiftorifche,
die fich an das thatfächlich Gegebene an-
fchließt, fchnurftracks entgegen.'* Was aber unter
diefer „fprachgefchichtlichen Conftruction^ zu verftehn
— 123 —
Man braucht nur die Schriften des Herrn von Baum er und
feiner zahlreichen Anhänger, insbefondere auch die Vorrede
von Dudens erwähnter Schriffc über die Deutfche Recht-
fchreibung, fowie die befonders feit Anfang diefes Jahres in
Zeitungen und Zeitfchriften aller Art auffcauchenden Artikel
zu überlefen, um den — gleichviel, ob unbewuften oder be-
wuften — Widerwillen zu bemerken , der aller Orten gegen
die hiftorifche Schreibung und ihre Anhänger, diefe „Neuerer^',
herrfcht. Ja feit dem Auftreten des Herrn von Raumer
und namentlich fej^ dem Zufammentreten der vorzugsweife aus
fei, erfährt man aus einer zweiten Stelle S. 294, wo
von Grimm gefagt wird, daß er die pfeudohifto-
rifche Bechtfchreibung angebahnt habe. Alfo:
Herr von Raum er nennt eigenthümlicher Weife den-
jenigen in orthographifcher Beziehung einen Hifto-
riker, der fich in unferer Wortfehreibung „an das
thatfächlich Gegebene anfchließt" — wir nennen den
einen Konfervativen — ; wer aber, wie Grimm und
die ihm folgen, mit dem Namen Hiftoriker einen
andern Begriff verbindet, wer insbefondere bei der
Frage über eine fchwankende Schreibart — und
was ift bei den vielen Schwankungen (§ 6) das that-
fächlich Gegebene? — nicht die Ausfprache, die in
folchen Fällen felbft fchwankende, überhaupt nichts
befagende (§17 und 20), fondern die gefchicht-
liche Entwickelung des Wortes entfcheiden läßt, den
nennt Herr von Baum er einen falfchen Hifto-
riker. Daß aber ein Jakob Grimm und Alle, die
ihm folgen, falfche Hiftoriker feien, ift doch in
der That nichts als eine ganz fubjektive und fehr ge-
wagte Anficht des Herrn von Baumer, die ihm zu
der Spielerei mit dem Namen „Pfeudohiftoriker"
keine Berechtigung gibt. Wenn wir den Hieb zurück-
geben wollten, fo würden wir weit mehr berechtigt fein
Herrn von Baumer und feine Anhänger Pfeudo-
phonetik^r zu nennen; denn einen größeren Wider-
fpruoh kann es nicht geben, als Kcerakter und Nazion
u; f. w. zu fprechen und doch Charakter und Nation
u. f. w. zu fohreiben. S. § 59 und 60,
— 124 —
antüiiftorirchen Elementen gebildeten OrthographiTchen Kon-
ferenz iTt es förmlich zur Mode geworden über das hifto-
rifche Prinzip der Rechtfchreibung , das man durch
Baum er zu Falle gebracht und in den letzten Zügen liegend
wähnte, recht gründlich herzufallen und ihmzumAbfchiede noch
einen Fußtritt zu verfetzen. Der Grund liegt freilich auf der
Hand. Mit ftrenger Konfequenz und über das Gebiet des
fchwankenden Schreibgebrauchs hinaus zur Anwendung ge-
bracht würde nemlich das hiftorifchePrinzip eine folche
Umwälzung in der Bechtfchreibung erzeu^n, daß man unlere
Sprache in diefem echten, reinen, von Flecken aller Art ge-
fauberten Gewände zunächft kaum wieder zu erkennen im Stande
wäre. Da man nun alles ErnTtes den Verfuch gemacht hat
unfere Bechtfchreibung nach diefem Pnnzipe rückfichtslos
und fchonungslos zu modeln, fo konnte es nicht füglich
anders kommen, als daß alle diejenigen, fo mehr oder minder
am hergebrachten Schreibgebrauche hangen, gerade demi
hiftorifchen Prinzipe unmuthig oder mindeftens fcheu
den Bücken kehrten. Aber dazu haben felbft die Übertrei-
bungen der Anhänger der hiftorifchen Schule doch in der
That keine Yeranlaßung gegeben, daß man das hiftorifche
Prinzip an üch fo fchmählich verkannte und fo kläglich
misdeutete, wie dies thatfächUch der Fall gewefen ift. Hören
wir, wie Herr von Baumer, um den üch als Führer der
Antihiftoriker die Maffen der Gewohnheitsmenfchen gläubig
drängen, über das hiftorifche Prinzip fich äußert: „Ift eine
Sprache in Schrift gefaßt,'^ heißt es an einer der Hauptftellen
diefer Art*), „fo wirkt dies zwar auch auf die gefprochene
Sprache zurück, aber nicht in dem Maß, daß diefe nun ftreng
bei den einmal durch die Schrift befeftigten Lauten ftehen
bliebe. Vielmehr fahrt die gefprochene Sprache fort ihre
Laute umzuwandeln und entfernt lieh dadurch mehr und mehr
von der gefchriebenen Sprache. Diefem Zwiefpalt gegenüber
kann nun die Schreib weife einen doppelten Weg einfchlagen.
*) Gef. fprachw. Sehr. S. 110 Vgl. S. 111.
— 125 —
Entweder fie kümmert fich gar nicht um die ver-
änderte Ausfprache und bleibt unverrückt auf
ihrem Platze ftehn: oder lle fucht der veränderten Aus-
fprache gerecht zu werden, indem fie die Schriftzeichen der
neuen Ausfprache anzupaffen fucht. Die erfte Art kann
man die hiftorifche Schreibweife nennen, die zweite
die im ftrengen Sinne des Wortes phonetifche.^^ Und
weiter unten heißt es : „So kann man das gegenwärtige
Franzöfifch'e und Englifche als Beifpiele der
hiftorifchen, das ItaUenüche am Ende des 16. Jahr-
hunderts als Beifpiel der phonetifchen Schreibweife anfuhren.
Der Franzofe fchreibt eaux und fpricht dies o, der Engländer
fchreibt Ught und fpricht dies leit.^^ Wir müßen diefe Aus-
laßungen, foweit fie die hiftorifche Schreibweife be-
treffen, Satz für Satz bekämpfen.
§ 34« Das ift gerade die eigenfte Eigenheit und das
karakterifldfche Merkmal der hiftorifchen Schreibweife —
und davon hat He ihren Namen — , daß äe der Sprache
Schritt für Schritt in ihrem Entwicklungsgänge
folgt und Alles, was feine Entftehung einem willkürlichen
oder gewaltfamen Eingriffe in ihre organifche Entwickelung
verdankt, in der Theorie verwirft. Wie alfo das Italienifche
z. B. von dem Augenblicke an, wo die Ausfprache des ti =
ssi vollftändig zum Durchbruche gekommen war, auch die
Schriftzeichen diefer Ausfprache anzupaffen fuchte (nunsda
nassione)y fo war es im Deutfchen die hiftorifche Schreib-
v^eife, die überall, wo die Ausfprache z. B. durch Verdichtung
des h ia ch (näht) oder durch Abfchwächung der Grundlaute
a und i ia. 6 (vmr Imte) fich änderte, fofort auch dem pho-
netifchen Grundkarakter unferer Sprache gemäß diefer
veränderten Ausfprache fich anbequemte (nackt feuer leute).
Wenn unter folchen Umftänden ein fo gründlicher Keimer
unferer Sprache, wie Herr von Baumer, die wunderliche
Behauptung aufftellt, die hiftorifche Schreibweife bleibe un-
verrückt auf ihrem Platze ftehn, fo ift dies unbegreiflich. Ja
man traut feinen Augen nicht, wenn man fieht, daß derfelbe
— 126 —
Sprachgelehrte die hUtorifche Schreibwelfe mit der Englifchen
und FranzöiSrchen vergleicht , nnd wenn man ficht, daß es
außer dem Herrn von Raamer noch den einen oder den
andern gibt, der das Alles wörtlich nachfpricht. Ja wenn
das hirtorifche Prinzip viwr Hute naht noch jetzt verlangte,
während man doch allgemein Feuer ^ Leute ^ Nacht fpricht;
wenn es hrut und tmie verlangte, während man doch allge-
mein Braut und Maus fpricht; wenn es dwatec und vrastec
verlangte y während man doch allgemein dürftig und frojUg
l^richt u. f w.y dann hätte es doch wenigftens noch einigen
Sinn unfere Orthographie nach hiftorifchem Prinzipe mit der
Schreibweife der Engländer und Franzofen zu vergleichen.
Aber welcher Sterbliche fchreibt denn im Deutfchen gegen-
wärtig noch naht für Nacht und hna für Braut und vrostec
für froflig u. f. w.? Nicht einmal Philip Wackernagels
vereinzelt ftehende orthographifche Wunderlichkeiten und
Weinholds zuweitgehende und nicht zeitgemäße orthogra-
phifche Reformen laßen den Vergleich mit der durch und
durch unphonetifchen und deshalb natur- und fprachwidrigen,
überhaupt antiquarifch verrofteten Schreibweife der Engländer
und Franzofen auch nur im entfemteften zu. Nein unfere
hiftorifche Schreibweife hat mit diefen orthographifchen Ana-
chronismen der Franzofen und Engländer ganz und gar nichts
gemein. Es ift aber freilich nichts leichter als ein Prinzip
an zu fechten oder gar lächerlich zu machen, indem man aller-
hand irrthümliche und abgefchmackte Vorftellungen über das-
felbe zu erzeugen und zu verbreiten fucht.
§ 35* Das hiftorifche Prinzip in eine Regel ge-
faßtlautet: Schreib der gefchichtlichen Entwicke-
lung gemäß, d. h. fchreib, wie lieh das eine oder das andere
Wort dem Organismus der Sprache gemäß entwickelt haben
muß. Der Frage des Herrn von Raumer gegenüber:
„Woher kennen wir denn die gefchichtliche Fortent-
wickelung des Neuhochdeutfchen ?" ^) mag diefe orthogra-
*) Spraehw. Schriften S. 135.
— 127 —
pbifche Begel allerdings nicht recht anwendbar fcheinen.
IndeHen geht es uns offen geftanden mit dieter eigenthüm-
lichen Frage gerade fo, wie mit mancher andern Behauptung
und Äußerung des Herrn von Baumer: wir wißen nemlich
fchlechterdings nicht, .was wir daraus machen foUen. Wie
(ich das Neuhochdeutfche gefchichtlich entwickelt hat, fteht
ja- feit Grimm fo unerfchütterlich feft, daß ein Zweifel dar-
über gar nicht aufkommen kann. Was § 32 über die ein-
zelnen Schwankungen gefagt ift, wird diefe Behauptung recht-
fertigen.
Viel begründeter i£t die Frage, wie weit jene Begel
zur Anwendung zu bringen fei : und dies ift der einzige Punkt,
in welchem die Anhänger des hiftorifchen Prinzips mehr oder
weniger auseinandergehn. Grimm felber hat bis zur Be-
arbeitung feines Deutfchen Wörterbuchs vielfach gefchwankt,
wie weit er unfere bisherige Orthographie nach dem von ihm
felber aufgeftellten hiftorifchen Prinzipe reformieren foUte.
Aber den Weg, den er nach langem Schwanken endlich ein-
gefchlagen hat, durchaus zu bilUchen find wir bei aller
Verehrung für den großen Meifter nicht im Stande.
Es ift wahr — und ift wiederholt von uns erinnert wor-
den — : es haften an unferer Sprache von der böfen Zeit
her, wo fie in ihrer £ntwickelung Jahrhunderte lang geftört
war, befonders in orthographifcher Beziehung noch viele und
tiefe Schäden. Diefe Schaden find aber nicht zu verwechfeln
mit den Unregelmäßigkeiten, die fich in unferer Deutfchen
Sprache, wie in jeder, felbft der gebildetften, Sprache, finden.
Ja wo die unphonetifche Schreibweife oder der undeutfche
Typus eines Wortes oder das auffallend Widerfinnige oder
Begelwidrige einer Form verräth, daß eine Schreibung wirk-
lich korrumpiert ift — und dergleichen gibt es eben jetzt noch
viele — da ift es das unbeftrittene Becht des Grammatikers,
das er fich durch Herrn von Baumer*) nicht nehmen laßt,
berichtigend und verbeßernd einzugreifen, und wenn er bei
«) Sprachw. Schriften S. 156 f. bef. 160.
— 128 —
dief er Gelegenheit einea Leffing und einen Göthe zu ver-
bießern hätte. ' Würden wir doch heut zu Tage noch zum
großen Theile die wüTte Orthographie der vergangenen Jahr-
hunderte haben y wenn nicht die Grammatiker des 17. und
18. Jahrhunderts von diefem Rechte Gebrauch gemacht und
einen energifch/ßn Anfang gemacht hätten in jener orthogra-
phifchen Wültenei nach Ejräften aufzuräumen. Wie viel
orthographiTche Berichtigungen verdanken wir dem einzigen
Schlözer, der noch dazu mehr HiTtoriker als Grammatiker
war. Wo dagegen — meift unter dialektifchen Einflüßen —
in einer Beihe von Wörtern der Umlaut e, wie in E[SUe Löwe
Löffel Schöpfer fchwören mjoölf u. f. w., zu ö oder das *, wie
in Wwrde Wiirtemberg u. s. w., zu tl lieh zugefpitzt, wo ftatt des ge-
brochenen Cf wie in Bär dämmern gähren Käfer rächen u. f. w.,
ein unberechtigtes ä lieh eingefchlichen, wo ahd. und mhd. a
(ich , wie in Argwohn Mohn Mond ohne Thon wo und einigen
ftarken Präteriten z. B. flocht focht quoU fchmclz zu o ver-
dunkelt, wo — hier nachweislich durch Einfluß des Nieder-
deutfchen — ein kurzes «, wie in Dime Hifte Licht nicht u, f. w.,
den urfprünglichen Diphthongen ie verdrängt hat, da ift un-
fere Sprache ihren eigenen, wenn auch nicht normalen, Weg
gegangen, und der Grammatiker hat — hier ftimmen wir dem
Herrn von Raumer bei — kein Recht an diefen Un-
regelmäßigkeiten, dergleichen, wie gefagt, jede Sprache in
gehöriger Anzahl aufzuweifen hat, (ich zu vergreifen. Es^i^t
ein Misverftändnis, wenn man annimmt, das hiftorifche
Prinzip erheiTche konfequente Tilgung aller unorganiTchen
fprachlichen Bildungen und Wiederherftellung der entfprechen-
den organifchen Formen. Man würde auf diefe Weife eine
ideale Sprache fchaffen, wie üe nie exiltiert hat und nie exi-
ftieren wird und kann. Das hiftorifche und das etymo-
logifche Prinzip kommen, wie wir fchon zu bemerken
Gelegenheit hatten, vernünftiger und zweckmäßiger Weife
nur zur Verwendung, wo eine orthographifche Änderung noth-
wendig geworden ift, befonders bei fchwankendem
Schreibgebrauche. Hier find die beiden Prin-
— 129 —
zipe allerdings die einzigen zuverläßigen and Gehern Fülirer.
Aber Höüe Löwe Schöpfer (für Heüe Lewe ScTiepfer), und wie
die oben genannten Wörter und andere von derfelben Sorte
heißen, find feit Jahrhunderten — die meiften fchon feit dem
15. Jahrhunderte — fefter und allgemein herrfchender
Schreibgebrauch,, den zu ändern auch nicht der Schatten
eines durchfchlagenden Grundes vorliegt. Überhaupt
würde ja aber kein Zeitpunkt für folqhe überfpannten ortho-
graphifchen Änderungen unpafTender fein als gerade der
jetzige.
Der Hauptzweck der gegenwärtigen orthographifchen Be-
wegung ift Herftellung einer größern Einheit in
der Deutfchen Bechtfchreibung. Diefe Einigung zu
bewerkftelligen , dazu gehört zunächft und vor Allem, daß
die heillofen ortjiographifchen Schwankungen
ohne Unterfchied und ohne Ausnahme von der
erften bis zur letzten befeitigt werden; denn Sie
find es eben, die feit undenklichen Zeiten eine einheitliche
Orthographie unter uns Deutfchen nicht aufkommen laßen.
Ein von Reichs wegen entworfener orthographilcher Kanon,
in welchem für jedes bisher orthopraphifch ftreitige Wort
di^ Schreibung endgültig feftgeftellt wäre, findet jetzt in den
Schulen wie beim Deutfchen Volke leichten Eingang. Eonfe-
quente Tilgung des undeutTchen th^ worin die Orthographifche
Konferenz rühmlich vorangegangen, wird die feit Jahr und Tag
erwartete orthographifche Beform beim Deutfchen Publikum
nicht im mindeften erfchweren. Auch der uns Deutfchen
zur andern Natur gewordenen, aber doch grundalbernen und
einer gebildeten Sprache tmwürdigen Dehnungszeichen^)
wird man fich, befonders von Seiten der am meiften dabei
gewinnenden Druckereien, gern entfchlagen. Selbft die Ab-
fchaffiing gewifTer fchreiender Misbräuche **) wird keinen
*) Bekanntlich ift die Volkszeitung in der Befeitigung
diefer Zeichen den übrigen Zeitungen vorangegangen.
**) Solche Misbräuche find z. B. bläuenf als hätte es mit
Eisen, Deataohe Orthographie. 9
— 130 —
fonderlichen Widerftand finden. Diefer Widerftand wird erüt
dann mit aller Heftigkeit erwachen und dann auch gemäßig-
ten und nothwendigen Reformen, für die man bis dahin all-
gemein empfänglich war, den Eingang wefentlich erfchweren,
wenn man es wagt an dem feit vier Jahrhunderten beftehen-
den und mit der Ausfprache aufs engfte verwachfenen allge-
mein herrfchenden Schreibgebrauche fchonungslos zu rütteln.
Wir wollen damit nicht fagen, daß ein arger fprachlicher
Misbrauch durch mehrhundertjährigen Beftand geheiligt and
eine Art von noli me tangere werde. „Hundert Jahre Un-
rechts, auch des wißenfchaftlichen, machen kein Becht^'*).
Aber fprachliche Anomalien, wie Schöpfer für Schepfer, Würde
für Wirde, Bär für Ber, Mond für Mand, Licht für lÄecM
Jjnd doch fchwerlich Misbräuche, deren Abfchafi^g die
Wißenfchaft erheifcht. Jedenfalls wollen wir uns nachdrücklich
verwahren gegen das blinde Yorurtheil, daß die hiftorifche
Grammatik folche orthographifchen Übergriffe mit fich
bringe: im Gegentheile ift es nach Jakob Grimms fchon
mitgetheiltem eigenen Urtheile gerade die hiftorifche
Grammatik, die „gleich aller Gefchichte vor freventlichem
Reformieren^ auf diefem Gebiete warnt.
§ 36« Vor Allem fort mit den leidigen Schwankungen.
Wir haben von den oben (§ 6) angeführten 92 orüiographifcli
fchwankenden Wörtern bereits 14 ihrer Schreibung nach
feftgeftellt mit Hilfe des etymologifchen Prinzips; 78
fanden auf etymologifchem Wege keine Erledigung ; verfuchen
wir bei diefen unerledigten Wörtern jetzt das hiftorifche
Prinzip zur Anwendung zu bringen.
hlau^ täufchen, als hätte es mit Taufch, Waehhclder^,
als hätte es mit Beider (Holn/nder), FaftnacMf als hätte
es mit faflen, Sündfluth, als hätte es mit Sünde etwas
zu thun.
*) Bezzenberger Randbemerkungen zu den von der
Berliner Konferenz aufgeftellten Regeln für die Deutfche
Orthographie S. 28.
- m -
I. 1. etymologifch erledigt (§ 32).
2. ad Hehl ahd. adallich, mhd. adellzch, woraus nhd. nur
cuküUöh und zügz. ctdlkh werden konnte, aber nie und
nimmer €id(e)Ug. Vgl. Nr. 11.
3. (aichen) eichen; ahd. eich6n, nhd. (feiten) eichen,
woraus nur eichen werden konnte: (liehen rührt wohl,
wie die meiften mit ai — anlautenden Wörter, von einem
befchränkten Grammatiker her, der hier die Ähnlichkeit
mit eichen (^gpAemtui) verwifchen wollte.
4. Ärmel: ahd. armile mhd. ermel, weshalb Grimm
auch nhd. Ermel vorsueht. Da aber im Nhd. bald der
filtere Umlaut e (feit 6 Jahrhunderten), bald der jüngere
ä (feit dem 12. Jahrhunderte) regellos vorwaltete, f. Nr. 1.
36. 37. 39. 44. 57. 78. 80. 84), fo folgt mau mit Recht
der im Wefen der Sprache begründeten Begel da, wo
das Wort mit dem urfprüngHchen a noch vorfchwebt
(Kranz Kränze, aU äUerj Hand Händehen*), kam käme,
arm ärmUch), ä, im entgegengefetzten Falle aber e zu
fetzen. Hiemach wäre die Schreibart Ärmel vorzuzlehn ;
denn jedermann denkt, wie bei ÄrmHein und Ämding,
aa Arm. Vgl. Nr. 28.
5. Augenlid: ahd'. Mit, mhd. Ui; müflie nach der Ana-
logie von Wiefe, Wiege, viel und unzählichen andern
Wörtern — Ued gefchrieben werden ; indeffen ift überall,
wo ie als bloße Dehnung mit dem hiftorifch richtigen i
in der Schreibung fchwankt, fchon jetzt, bevor die
AbfchafEung der Dehnungszeichen durchdringt, das letz-
tere unbedingt vorzuziehn.
6. etymologifch erledigt (§ 32).
7. Baiern: ahd. Beigirolant, nhd. Beieren, müfte alfo
wenigftens, wenn diefe „Neuerung" durchzuführen wäre,
Beiemy heißen ; das amtliche Bayern aber ift ebenfo un-
wißenfchaftlich wie undeutfch.
*) Behende fchreibt man richtig, Weil dabei niemand mehr
an Hand denkt.
9*
— 138 —
8. hehüflich, f. Nr. 41.
9. heft wieReftNefi Weft: ahd. besist, mhd. bessist und
— nach üblicher Ausffcoßung des 53! (5!) — de^^; das ß
hat in &^ gar keinen Sinn. S. Weigand Dtfch. Wörterb.
I, 140 und Andre Dtfch. Orth. 122 ff. Vgl. Nt. 70.
10. hetriegen: ahd. betriogan, mhd. betriegen, daher
auch Betrieger, Es geht mit biegen fliegen frieren^ ver-
lieren u. I. w. nach der 5. ablautenden Eonjngazion.
Die falfche Schreibart betrügen verdankt ihren Urfprung
der falTchen Ableitung von Betrug,
11. billich {fnüicJim)', ahd. biUich, mhd. billich, woraus
nhd. nie und nimmer biOdg werden konnte. Vgl. Nr. 2.
22. 25. 52. 54.
12. bloßi ahd. pl^s, mhd. bl65, was nhd. unbedingt zu
blqß fuhrt. S. § 38.
13. etymologiTch erledigt (§ 32).
14. Bretj auch mit kurz gefprochenem e\ ahd. bret,
mhd. brgt. Da die Schreibung Brett gegen den phone-
^chen Earakter unferer Sprache verftößt — denn nie-
mand fpricht einen KonTonanten im Auslaut oder vor
andern KonTonanten doppelt — , fo würde diefelbe nur
£u dulden fein, wenn fie die allein herrfchende Schreib-
art wäre; da aber hier die richtige mit einfachem Aus-
laute wegen des in vielen Gegenden lang gei)prochenen
6 nebenher geht, fo muß man diefe günfüge Gelegenheit
benutzen, um die fchlechtere Form mit dem auslauten-
den doppelten t über Bord zu werfen. S. Nr. 68.
15. Brot: ahd. prot, mhd. brot. So fchreiben die gröften
Autoritäten unter den Deutfchen Wörterbüchern, das
von Weigand neu bearbeitete Schmitthenner-
fche und das Grimmfche. Im letzteren liffc man
n, 400: Brod zu fchreiben für Brot ift unhochdeutfch.
16. 17. 18. etymologifch erledigt (§ 32).
19. Düte: Tüte^ wie man hier und da gefchrieben
findet, ift Niederdeutfche Schreibung.
20. ergetaen: ahd. irge5any mhd. ergetzen. ErgOtaen
— 133 —
würde fich durch die Analogie von BiSUef Ldwe^, Ubffel^
Schöpfer u. f. w. (§ 35) vertheidigen laßen. Indeüen
muß man froh fein, daß die echte Form ergetzen nehen-
hei noch im Gehrauche ift — Göthe gehrauqht fie
unter Anderen immer — , gefchweige daß man das ano-
male erg^aen als eine ,,ssu Recht beftehende*' Form mit
aller Gewalt fefthielte, eine Form, die auch Grimm
verwirft, indem er*) bemerkt, daß man eben fo gut
nötzen und fötzen fchreiben könnte.
21. enmdem fchon nach der beftehenden Begel, daß
lüider gefchrieben werden muß, wenn' es = gegen '^ denn
ertßidem ift ganz = entgegnen: auch ahd. arwidardn,
wiewohl in etwas anderer Bedeutung.
22. Eßich: ahd. e55ich, mhd. e55ich, woraus Eißig
nimmermehr werden konnte. S. Nr. 11. Hßich erklärt
für die richtigfte ' Schreibart auch Weigand a. 0. I,
310; Effieh fchreibt Grimm im Dtfch. Wörterb. m,
1169. Über das jt? f. unten § 49.
23. etymologifch erledigt (§ 32).
24. fieng gieng hieng^ f. oben § 29.
25. Fittich: ahd. fettah, mhd. vStech, vetich, woraus
nur Fittich werden konnte, wie außer Weigand a. 0.
I, 344 und Grimm Dtfch. Wörterb. m, 1693 auch
Leffing, Bürger, Rückert u. A. fchrieben S.
Nr. 11.
2B. f liftern: ahd. flistrjan. Das anomale ^ic/l^em würde
lieh durch die Analogie von Würde (§ 35) vertheidigen
laßen, muß aber dem richtigen fliftem, das von Weigand
a. 0. I, 352 und von Grimm IH, 1804 als die echte
Form anerkannt und von Leffing, Bürger, Göthe
gebraucht wird, unbedingt weichen. S. zu Nr. 20.
27. Fußftapfe xtad Fi^a^frfe, das Leffing gebraucht,
find an und für fich gleich berechtigt; aber das erftere
ift vorzuziehn als älter und als geboten durch das mhd.
*) Dtfch. Wörterb. m, 820.
— 134 —
fuo^Btapfe. S. Weigand a. 0. I, 380. Grimm Dtfch.
Wörterb. IV, 1045.
28. Geberde mhd. zwar gebaerde, aber nach der zu
Nr. 4 angegebenen Norm richtiger mit e, weil der
Schreibende dabei nicht leicht an gebaren denkt, zumal
da die Begriffe beider Wörter ziemlich weit auseinander
gehn. So auch Weigand a. 0. X, 396.
29. Gehilfe, f. Nr. 41.
30. G ei fei (Bürge): ahd. gisal, mhd. gisel. Aus der-
felben Wurzel
31. G ei fei (Peüfche): ahd. geisila, mhd. geisel. Das
fi i£t in beiden Wörtern weder phonetifch noch hifto-
rlfch gerechtfertigt. Vgl. Weigand a. 0. 405 f.
32. Getreide: mhd. getreide aus getragide; denn agi
(age egi ege) pflegt durch Unterdrückung des Gaumen-
lautes fchon im Nhd. in ei (nie in ai) verkürzt zu wer-
den, wie egidehsa egedehse =? Eidechfe, hagin hagen
Hein (Hain), magit maget (d) Meid (Maid), magister
Meijter. Vgl. Nr. 49.
33. gibfl gibt gib: ahd. kipis kipit ki'p, mhd. gibest,
gibet, gib. Falfch gi^ft u. t, w.: das e iTt ganz unmoti-
viert. Vgl. Nr. 47.
34. gültig: mhd. — gültic. Vgl. Weigand a. 0. I,
463 unter Gülte.
35. gieng, f. Nr. 24.
36. Gräud dem fonft tadellofen Grreuel vor zu ziehn, weil
man dabei lebhaft an Chatten denkt. Vgl. Weigand
a. 0. I, 455*).
37. 6^ ren 2 6;* die Schreibung mit dem ä ift hier ganz
unmotiviert, f. Weigand a. 0. I, 457.
38. Hanover, fo von Grimm gefchrieben, delXen
Autorität als eines ehemaligen Göttingers hier doppelt
fchwer wiegen dürfte.
*) Was die Konferenz (Verhandlung S. 95 unten) be-
ftimmt habe diefe Schreibung mit dem äu ab zu lehnen,
ift nicht erfichtlich.
— 136 —
39. Hering: ahd. herinch, mhd. herinc.
40. hieng, f. Nr. 24.
41. HUfe^ daher bekUflieh, GeMfe: ahd. hilfa, mhd.
hilfe, die herrfchenden Formen neben den ganz ver-
einzelt vorkommenden hulfa und hülfe. S. Weigand
a. 0. I, 505.
4:2. Hifthorn, nicht Hüfthom, S. Grimm Dtfeh.
Wörterb. IV, 1872.
43. Knüttel: ahd. chnuttil, mhd. knütteL
44. Lerni'^ denn es denkt bei diefem Worte wohl nie-
mand an Alarme f. zu Nr. 4« Schon zu Anfange des
16. Jahrhunderts lerman and zu Ende desfelben lermen.
45. lefchen: ahd. lescan, mhd. leschen. Das Wort
unterliegt ganz derfelben Beurtheilung, wie ergetzen
Nr. 20.
46. leugnen dem an lieh nicht unberechtigten läugnen
fchon deshalb vorzuziehn, weil dabei kein Menfch an
das oberdeutTche kmgnen denkt. S. zu Nr. 4 und Wei-
gand a. 0. II, 18 und 48.
47. lifejt listlis: ahd. lisis, lisit, lis, mhd, lisest liset lis,
alTo ganz wie geben Nr. 33. Diefer einzig richtigen Schreib-
art gemäß fp^cht man auch, fo viel wir wißen, ganz all-
gemein lie u. f. w. Defto unbegreiflicher ift die Ein-
fchiebung des durchaus müßigen und unberechtigten e,
deren fich auch der fonft fo gründliche und in Sachen
der Orthographie fo fiebere Weigand 11, 40 fchuldig
macht. Das Wort hat auch in diefer Beziehung ein
Schickfal mit gehen.
48. liederlich: mhd. liederlich, alfo nicht lüderlich,
f. Weigand a. 0. II, 49.
49. Meier: ahd. meior, mhd. meier, aus major (domus)
entftanden ähnlich wie Meifier aus magister. S. oben
Nr. 32 und Weigand H, 133.
50. 51. etymologifch erledigt (§ 32).
52. Reif ich: fpat ahd. (12. Jahrb.) risach mhd. risech,
woraus kein Beifig werden konnte. S. Nr. 11.
— 136 —
53. reiten: ahd. ritan, mhd. riten. S. Weigand a. O.
n, 484 f.
54. Rettich: ahd. ratich, mhd. ratich, woraus nur eben
Rettich werden konnte, wie unter Anderen Schiller
fchreibt. S. Nr. 11.
55. Schwert: ahd. fwert, mhd. fwert.
56. Sprichwort: fchon mhd. Sprichwort S. die gründ-
liche Auseinanderfetznng von Weigand a. 0. II, 770.
67,fiet (fiets ftetig) zwar ahd. stati, mhd. staete,
aber richtiger in hergebrachter Weife zu fchreiben nach
der zu Nr. 4 angegebenen Norm. Freilich muß man
dann konTequenter Weife auch waftet und mit Luther
und Andern befletigen (mhd. bestetigen) fchreiben.
58. Tirol: was foU in dem Deutfchen Worte der
Griechifche Buchftabe?
59. tot (töten): ahd. tot, mhd. tot. Diefe hiftorifch
gebotene Schreibung drängt fich der hergebrachten
Schreibart gegenüber fo gebieterifch auf, daß felbft
Herr von Raumer trotz feinem Widerwillen gegen das
hiftorifche Prinzip derfelben, zumal nach Platens
und Guftav Freytags Vorgange, feinen Beifall zoUt,
indem er das hergebrachte todt eine „in hiftorifch-
etymologifcher Beziehung" verkehrte Schreibung nennt*).
Die Etymologie — in f o fem es „nicht etwa das Par-
tizipium von einem Verbum toden ift" — fallt freilich
fehr wenig ins Gewicht; fonft müfte man fofort und vor
Allem das widerwärtige Stctdt ändern , was eben niemand
wagt.
60. 61. 62. etymologifch erledigt (§ 32).
63. weisfagen: denn ahd. zwar noch richtig wi5ag6n,
aber fchon mhd. in Folge einer Umdeutung allgemein
wissagen , woraus nhd. weisfagen ward , aber nie und
nimmer weiffagen, was man unbegreiflicher Weife bei
Weigand an der Spitze des Artikels 11, 1048 lift.
^) Verhandlungen der Konferenz S. 191 f.
— 137 —
64. Weizen: ahd. hueisi weisi, mhd. weise; das un-
hochdeutfche ai ift in dieferForm ganz ungerechtfertigt 3
denn nicht einmal tun eine Unterfcheidung, wie bei
Seite und ISaüej Weife und Waife, handelt fichs.
65. etymologifch erledigt (§ 32).
66. Widerhall würde als zurückkehrender Hall nach
hergebrachter Weife, zumal fchon 1482 als wiederhol
auftauchend, WiederhaU zu fchreiben fein, wird aber, da
der Wegfall der Dehnungszeichen in Auslieht ift und
die Befeitigung des e gerade in wider die orthographifche
Konferenz und Herrn von Baumer für fich hat*),
künftig dem hiftorifchen Prinzipe gemäß (ahd. und mhd.
immer loider) ohne e erfcheinen.
67. etymologifch erledigt (§ 32).
68. Witwe: ahd. wituwa, mhd. witewe, witwe; das ein-
fache t ift feftzuhalten; f. Nr. 14.
69. Würtemherg. Die hiftorifch gebotene Form ift
Wirtenberg (Weigand a. 0. H, 1113), die dasfelbe
Schicksal wie Wirde (§ 35) gehabt, fonft aber durch
Verwandlung des n in m eine wefentliche Verbeßerung
erfahren hat; die durch Regierungsdekret 1802 befohlene
Form dagegen ift Württemberg^ eine Schreibung, die mit
Becht Jakob Grimms Verdammungsurtheile verfallen
ift**). Solche orthographifchen üngethüme foUten dem
Deutfchen Volke am allerwenigften von Amts wegen ge-
boten werden, abgefehn davon, daß es, um mit demfelben
Grimm zu reden, „auf dem Gebiete der Sprache keine
Befehle gibt."
n. 70. bewufi, wie gewuß] ganz analog dem heft Nr. 9;
f. Weigand a. 0. I, 147 f. und H, 1094 unter vnffen.
Das ß ift gegen die hiftorifche Entwickelung , das ff
gegen die Zukunfksorthographie, die nach Vereinfachung
der Konfonanten im Auslaute und vor andern Eonfo-
*) Verhandlungen der Konferenz S. 190.
**) Vorrede zum Dtfch. Wörterb. S. LXI.
— 138 —
nanten ftrebt , wie wir das / in diefer Weife in Bruß
Luft und vielen andern Wörtern bereits vereinfacht
haben.
71. bißchen von Bifien, ahd. bi550, mhd. bisse. Von*
hijfchen mit Jf gilt was von bewufl gefagt ward (Nr. 70) ;
bischen aber nennt auch Grimm*), obwohl dem jt? da-
mals nicht mehr hold, eine verwerfliche Schreibung.
Vgl. Weigand a. 0. I, 155.
73. Brantwein: f. Weigand a. 0. I, 176. Grimm
Dtfch. Wörterb. m, 305.
74. geng und gebe nach der Nr. 4 angegebenen Norm«
75. heirat: ahd. und mhd. hirät; Vgl. Weigand
a. 0. I, 493, delTen Bedenken wegen des -rat ohne h
inzwifchen gefchwunden fein wird, feit fchon für die
nächfte Zukunft die Tilgung des th und feine Erfetzung
durch t fo gut wie gewis ift.
76. Loa : richtiger eigentlich Lqfiy ahd. hlos, mhd. I65,
da aber die Form mit dem s fchon feit dem 17. Jahr-
hunderte fefter Gebrauch ift, fo läßt üch daran nicht
füglich rütteln.
77. mie-j aber mi/fe- (Mijfethat), In den Berliner Be-
geln heißt es **) : „In mifi- ift ß der Regel gemäß , da
es Stammülbe ift,'' und dasfelbe lift man buchftäblidi
in den Regeln der Berliner Konferenz*^, nur daß hier
mifs gefchrieben wird. Aber abgefehn davon, daß der
Urfprung des mis- bis jetzt überhaupt noch dunkel
blieb, fo daß auf die bloße Vorausfetzung einen Beweis
zu gründen doch mehr als gewagt ift, fo fragen wir
erftens : wo fteht denn eigentlich die jedenfalls der Logik
ermangelnde Regel, der gemäß mifs (miß) gefchrieben
werden müfte, wenn es Stammülbe wäre; zweitens aber
ift gerade jenes ' mia- (ahd. missi missa mis , mhd.
*) Dtfch. Wörterb. H, 50.
**1 S. 9 § 8 Anm. 2.
***) Verhandlungen der Konferenz S. 144 § 25 Anm. Iß.
— 139 —
misse mis), gleichviel woher es ftamme, fchon feit Jahr-
hunderten thatlächlich eine untrennbare Partikel im
Sinne des Griechifchen dva-, das üch von unferem un-
nur wenig unterfcheidet. In der älteren Neuhochdeut-
fchen Periode fchrieb man noch allgemein mis-j und
fo fchrieben unter Anderen Gottfched, Klopftock,
Voß. Davon natürlich mislichf ahd. missilicho, mhd.
misseliche, misliche.
78. nemlich: ahd. namilich und namolich, mhd. namelich ;
alTo ohne %; denn es hat mit nehmen nichts zu fchaffen;
aber auch nicht mit dem <£; denn wiewohl von Name
ftammend hat (ich nemlich doch mit feinem Begriffe fo
himmelweit entfernt von feiner Stammform Name, daß
diefe fchwerlich Jemandem beim Schreiben und Sprechen
des Wortes nendieh vorfchwebt. S. zu Ärmel Nr. 4.
79. Schmid: ahd. smid, mhd. smid, gen. smides. Und
nicht bloß hiftorifch geboten ift diefe Schreibung, fon-
dern auch der Ausfprache entfprechend (f. zu Nr. 79
S. 101). Daher fchmiden , das dem Herkommen gemäß
fchmieden gefchrieben werden müfte, aber bei der ge-
wiffen Auslieht auf baldigen Wegfall der Dehnungs-
zeichen , um mit Duden zu reden, auf der Ausfterbe-
lifte fteht.
80. überfchwen glich, von mhd. überswanc, mit
dem e nach der Nr. 4 angegebenen und Nr. 78 be-
folgten Norm.
81. Vehme: mhd. veme, aber nhd. richtiger Feme-^
denn Vy das im Mhd. dominiert und hier ganz als weiche
Aspirata der Lippenreihe neben dem härteren / erfcheint,
ift im Nhd. meift wieder in die urfprüngliche härtere
Aspirata / übergegangen, die dann im Nhd. wieder die
Oberhand erlangt hat, während von dem weicheren v
nur noch Überrefte blieben. So ahd. f&l, mhd. vül,
nhd. fcnd'y ahd. feigi, mhd. veige, nhd. feig 'y ahd. fasti
und festi, mhd. veste, nhd. fefty ahd. f^ld, mhd. velt nhd.
Feld'y ahd. fei, mhd. vel, nhd. FeU] ahd. fisc, mhd.
— 140 —
visch, ahd. F(feh a. f. w. Das h aber als Dehnungszeichen
fteht bei der bevorftehenden orthographiTchen Reform
ohnehin auf der AusüterbeliTte, und es wäre ein müßiges
Gkfchäft diefen Preudohauchlaut kuras vor feinem Ab-
leben erft noch ausdrücklich zu fankiionieren.
in. 82. etymologifch erledigt (J 32).
83. hirfchen: mhd. birsen; auch pirsen kommt im
Mhd., wiewohl nur ein paar Mal in den Nibelungen vor;
aber „falfch ift 5ür/b^en<< (Weigand a. 0. I, 154 unter
Birfch),
84. Ernte: mhd. emede. ,,Luther fchreibt emde oder
erndte, allmählich hat Jich das beßere emto durchgeführt'^
(Grimm Dtfch.Wörterb. m, 929). Ernte fchreibt auch
Weigand a. 0. I, 304.
85. etymologifch erledigt.
86. anderfeitSy wie es fchon dem Mhd. anderstt gemäß
heißen müfte, nicht andererfeUs, wie man überaus häufig,
um nicht zu fagen, überall lift; denn es kommt nicht her '
vom Genitiv cmderer^ fondem wie anderortd andertüärta
vom Stamme ander. Und fo fchreibt nicht bloß Wei-
gand, fondem auch Grimm.
87. Borte: ahd. portä oder porte, mhd. borte.
88. hei che n und JeeucTien find beide hiftorifch begründet,
aber das erftere, mhd. kichen, verdient den Vorzug;
f. Grimms Dtfch. WÖrterb. unter heichen V, 434,
89. Keuler und Keiler nicht fowohl hiftorifch — denn
beide find im Ahd. und Mhd. noch nicht gefunden —
als durch den älteren Nhd. Gebrauch begründet. Die
ältefte Urkunde, ein Küchenwochenzettel vom Jahre 1 608,
wo keyler vorkommt, entfcheidet für Keuler ^ das auch
Weigand und Grimm vorziehn.
90. Küffen (pulvinar): ahd. cussin und chusstn, mhd.
küssin und küfTen. Die jetzt herrfchende Form ift
Kijfen. Da aber diefe nachweislich erft von Campe
eingeführt und vom Deutfchen Publikum, dem auf diefe
Weife die Unterfcheidung von käjfen (psctdari) recht be-
— 141 —
quem gemacht war — wiewohl die Möglichkeit einer
Yerwechrelang hier nicht einmal für Kinder vorlag — ,
natürlich mit offenen Armen aufgenommen worden ift,
da anderfeits alle Lexikographen vom 15. bis ins 18.
Jahrhundert hinein, felbft Adelung, nur die echte
Form Küffen kennen und nennen, da diefe echte Form
nach dem Zeugnilfe von Hildebrand in Grimms
Dtich. Wörterb. V, 852 befonders in den Norddeutfchen
Mundarten noch jetzo Geltung hat und da derfelbe
Hildebrand die Form Eüjfen a. 0. 853 auch aus
neueren KlaiHkem nachweift, fo ift es die Pflicht der
Sprachwißenfchaffc diefe einzig richtige Schreibung der
gefälfchten Form Kiffen gegenüber feftzuhalten. Um
auch noch neuere Autoritäten anzuführen, fo lautet
Hildebrands Urtheil a. 0. 852: „Die fchreibung
küffen ift die gefchichtlich richtige, bis ins 18. Jahrhundert
in vorwiegender geltung es ift wohl klar, daß
jeder das recht hat wieder küffen zu fchreiben , ja daß
es zu empfehlen iff Auch Weigand a. 0. I, 654
erkennt nur Küffen an mit der Bemerkung: „Ungut,
wie man gewöhnlich fchreibt, Kiffen J'^ Die Ausfprache
wird lieh der richtigen Schreibung leicht und fchnell
anbequemen; f. § 18.
91. mannigfaltig: ahd. manac — , mhd. manic — ;
mannieh wäre unhochdeutfch. Noch richtiger, aber der
Auafprache wegen bedenklich würde freilich manig fein.
S. Weigand a. 0. H, 100.
92. wirken und toürken und beide hiftorifch begründet,
wenn auch das letztere vielleicht noch weiter in das
Alterthum hineinreicht. Da nun vjirken feit Luther
faft allgemeine Schreibung und dabei durchaus berech-
tigt ift, fo verfteht es lieh von felbft, daß man daran
feft hält.
So haben wir auch diejenigen orthographifch ftreitigen
Wörter, deren richtige Schreibart auf etymologifchem
Wege nicht zu ermitteln war, ihrer Form nach feftgeftellt
- üi -
und zwar mit Hilfe des hiftorifchen Prinzipid. Wir muffen
natürlicli darauf gefaßt fein, daß man Sclireibangen, wie
MUich and hiÜichen^ wie Eißich tot betriegen ergetssen befietigen,
wie flifiem ausfindig Küffen n. f. w. von Seiten der H6rm vom
Schlendriane, überhaupt von Seiten Aller derjenigen, die in ihrer
lieben Q-ewohnheit um keinen Preis geftört fein wollen,
gewaltig perhorresziere, ja daß unfere ganzen 92 Feftftellun-
gen von den Herrn, die lieh mit einem gewiffen Selbftge-
fühle den feit dem erften Auftreten des Herrn vonBaumer
üblichen Namen von „Phonetikern" beilegen, fchon und
bloß deshalb angefochten oder gar verworfen werden, weil ße
auf etymologifchem und hiftorifchem Wege gefunden
worden find. Nun wir möchten wohl wißen, auf welchem
anderen Wege man diefen leidigen Schwankungen ein Ende
machen wollte, deren endliche Befeitigung befonders um der
Schulen willen fo dringend noth thut, daß man der Ortho-
graphifchen Konferenz zurufen möchte: Laßt uns Alles,
und wenn es noch foverrückt ift; nur dieSchwan-
kungen, die heillofen, nehmt uns.
V.
$ S7t Nirgends freilich macht fich das Unfichere, Un-
folgeriohtige. Willkürliche, Schwankende, woran unfere Wort-
fchreibung in argem Maße leidet, fo unerträglich und doch,
wie es den Anfchein hat, fo unheilbar geltend, wie bei den
S-lauten. Wir haben bisher über die verhängnisvollen S-laute
nur vorübergehend zu fprechen Gelegenheit gehabt. Wir unter-
nehmen es auch an diefer Stelle nicht den betreffenden
Gegenftand ganz zu erfchöpfen. Wohl aber fehen wir uns
veranlaßt diefe heikliche Frage gerade hier fo eingehend wie
möglich zu erörtern, nicht als ob die an fich fchon fo einfache
nnd fo klare Sache nach den klaren Audeinaaiderfetzungen
ton Andrefen und andern Anhängern der hiftorifchea
— 143 —
Schule, auf deren Seite wir uns in diefem Streite unbedingt
und ohne Rückhalt ftollen, noch irgend welche Schwierigkei-
ten hätte, fondem theils deshalb, weil, wie Herr von Rau-
mer ganss richtig bemerkt, „in der Art die Zifchlaute zu
fchreiben^' allerdings eine Frage von prinzipieller Wichtigkeit
liegt,*) theils deshalb, weil es hier gilt einen unberechtigten
zähen Wideriftand unüis virüms zu brechen.
Wir haben die Frage über den Gebrauch der S-laute
eine heikliche genannt, weil üe in der That viel fchwieriger
zu behandeln ift als irgend eine andere. Wie nemlich das
hiftorif che Prinzip als Prinzip das gehaßtefte ift, fo hat
auf dem Gebiete der hiftorifchen Schreibung nichts einen fo
bitteren Haß auf ßch gezogen , wie der hiftorifche Gebrauch
der S-laute. Mit einer wahren Leidenfchaft fallen die Herrn,
die Jlch mit einer gewiffen Selbftgefälligkeit Thonetiker
nennen — und unter diefem Namen verftecken lieh eine Menge
Herrn vom Schlendriane — , über das hiftonfche ß und feine
Gönner her, als wäre es entweder ein Blödiinn oder eine Ver-
fündigung an unferer Deutfchen Sprache, daß man den
Deutfcheften von allen Deutfchen Lauten gegen die Sklaven
der Gewohnheit vor der Vernichtung zu fchützen*fucht. Was
diefer unfchuldige Buchftabe verbrochen habe, daß er für alle,
die der Gewohnheit fröhnen, ein Gegenftand des Haßes ge-
worden ift, während man allerhand undeutfche Buchftaben,
insbefondere das Lateinifche und dabei ganz überflüßige c,
auf eine geradezu lächerliche Weife hatfchelt, das mögen die
Götter wißen.
§ 38» In der That hat wohl kein anderer Buchftabe folche
merkwürdigen und eigenthümlichen Fata gehabt, wie dies bei
dem unfchuldigen Buchftaben , den man Eaze^ nennt , ' von der
Zeit an der Fall gewefen ift, wo in Folge der Erfindung der
Buchdruckerkunft die Umbildung der bis dahin allgemeinen La-
teinifchen Lettern in die fogenannten Deutfchen ftattfand.
*) Get fprachw. Schriften S. 261.
— 144 ~
In feiner Form entftellt *), in feinem Wefen verkannt, ward es,
eben weil man es nicht kannte, allmählich um fo mehr ganz
als Spirant betrachtet and wie / (i) und ff gefprochen , da
gerade damals aus Gründen, die wir § 22 dargelegt, das
reine Deutfeh faft ganz dem gröberen Munde des eigentlichen
Volkes überlaßen war. Da man nun in Folge der yergröber-
ten Ausfprache immer weniger zu begreifen begann, wohin
man diefes unerkannte Zeichen , das Eszet hieß, thun
und wo man / (i) oder ff oder jS fchreiben follte , fo konnte
es nicht füglich anders kommen, als daß mit jener phone-
tifchen Vermengung der S-laute nach und nach eine unfägliche
Unordnung im G-ebrauche diefer Laute einriß.
Die durch die Form felbft erzeugte anfängliche Meinung
gieng dahin, daß ß nichts als ein / mit angehängtem j fei.
Daß man zu einer Zeit, wo ß eine ganz unbekannte Größe
war, an diefe Zufammenfetzung gedacht hat, darf nicht Wun>
der nehmen; aber das wundert uns, daß es auch neuerdings,
wo man durch Grimm über das Wefen des JS vollkommen
klar fein kann, noch Sprachgelehrte gibt, die da in allem Emfte
glauben, daß in dem Zeichen JS ein./imd ein j ftecke und
daß zu diefen Sprachgelehrten auch Männer gehören, wie
Herr von Baumer. Hat doch fchon vor hundert Jahren
der fonft über das ß auch noch unklare Adelung erklärt:
*) Wir vermögen der Erklärung des Herrn von Raumer
über die Entftehung des ß als Form (S. 268) nicht bei-
zuftimmen, denken uns die Sache vielmehr fo: Die
Deutfchen Lettern find bekanntlich nichts als verhunzte
Lateinifche, die in den anfangs — nach Erfindung der
Buchdruckerkunft — noch fehr eckigen, überhaupt un>
vollkonmmen Typen ihre natürliche Erklärung finden.
Auch das mhd. 5 ward nicht genau wiedergegeben, fon-
dern fehlen jetzt mit verlängertem fenkr echten Striche,
der, da man durcliaus ein / anbringen wollte und in
dem eszet enthalten wähnte, allmählich immer mehr ver-
längert ward, eine Form, in der jedermann das heutige
ß wiederkennt. Vgl. § 52 mit den Anmerkungen.
— 146 —
,,Da8 j(? wird fehr irrig Eszet genannt, wenn damit
angedeutetwerden foll, daß es ans dem/undszu-
fammengezogen fei/' Da nemlich z = ts, fo würde j(7
als eine ZaTammenTetzang von / und z natürlich = fls fein,
ein Komplex von Lauten, der doch heinah an das Unausfprech-
Uche grenzt.
G-enug aher, es beütand fchon früh die Anficht, und Sie
war weit verhreitet, daß ein / und z inß ftecke, eine Anficht,
die nichts weniger als geeignet war dem zunehmenden Wirr-
warr im Gebrauche der S-laute zu fteuern. Ja man wuTte
nun erft recht nicht , was diefes Eszet, wie man es nun
nannte, zu bedeuten und was man danut anzufangen hätte,
während man anderfeits von einem richtigen Gefühle geleitet
das überkommene Zeichen ganz über Bord zu werfen doch
nicht wagen zu dürfen meinte.
Ein Pröbchen, wie Luther die S-laute bezeichnete, hat
Herr von Raumer mitgetheilt *). Sinn und Ordnung ift in
Luthers Schreibung nicht. Überhaupt war die Verwirrung,
die in Bezug auf den Gebrauch der S-laute im 15. und na-
mentlich im 16. Jahrhunderte herrfchte, grenzenlos.
Es läßt fich denken, daß es nicht an Männern fehlte,
die diefen Jammer unferer DeutTchen Schreibung fchwer em-
pfanden und, damit es wenigstens den AnTchein hätte, als wenn
G.e fich der vorhandenen, aber völlig miskannten S -laute nach
einem beftimmten Grundlatze bedienten, eine Art von ortho-
graphifchem Gefetz aufftellten. Der brave Schottel müfte nicht
gerade in der fchlimmften Zeit hervorgetreten fein mit feinem
glühenden Eifer für die Reinheit und Richtigkeit unferer va-
terländifchen Sprache. Er war es, der in die praktifche An-
wendimg der S-laute zuerft eine gevriffe Ordnung zu bringen
fachte (1663)**). Die „angefehnften Grammatiker aus der
erften Hälfte des 18. Jahrhunderts,'' wie Bödiker (1709)
n Gef. fprachw. Schriften S. 272, § 7.
**) Die betreffenden zwei Regeln finden fich bei Raumer
a. 0. S. 273.
Biseiii Deatsohe Orthographie. 10
— 146 —
und Freyer (1722), traten ihm bei: was fie neues hinzu-
fügten, war eine unwerentliche Erweiterung*). Alle drei
kamen überein in der, wie es fcheint, vom guten Schottel
aufgebrachten Idee, um die fleh ihre ganze Schreibweife
dreht, daß j(? ein abgekürztes // fei. An diefe drei
fchloßen lieh in der Handhabung der S -laute in der Mitte und
am Ende des 18. Jahrhunderts Gottfched und Adelung
an. Wenn Herr von Baumer meint , der erffcere habe in
der Behandlung der S-laute einen bedeutenden Schritt vor-
wärts gethan, fo können wir das nicht finden. Allerdings
wollte Gottfched ff im Inlaute zwifchen Vokalen nur bei
vorangehendem kurzen Vokale gebraucht wißen (alfo wiffen
heffer Flüffe)] das ift aber auch die einzige unbedeutende
Verbeßerung, die er in Bezug auf den Gebrauch der S-laute
vorgenommen hat : die bedeutendften Fehler der Schottel-
fchen Schreibung haben fowohl Gottfched wie Adelung,
der nur eine Zeit lang und in einem unwefentlichen Punkte
von Gottfched abwich, fonft aber ilch ganz an diefen an-
fchloß, von ihren Vorgängern mit in den Kauf genommen,
nemlich die „nur modifizierte graphifche Identität von ff und
j(?" und die damit in grellem Widerfpruche ftehende Ver-
wendung des X? nach gedehntem Vokale (grqfi Fleiß ^^ß 9^^^
ftcJSen FUfie, beißen heffien reißen).
Diefe Gottfched- Ad elungfche Schreibweife, wie
man fie nennt, — man würde fie fuglicher die Schottel*
fche nennen — , diefe Schreibweife, die Adelung fchon
1787 als die , Jetzt gewöhnliche" bezeichnet, hat lieh leicht
und fchnell Bahn gebrochen und war bis zum Zufammentritt
der Orthographifchen Konferenz zu Anfang des Jahres 1876
die herrfchende.
§ 39t In der That muß man fich weit weniger wun-
dem, daß folche Dinge von Einem erfonnen, als daß Sie von
Unzählichen angenommen worden find. Wir wollen gegen
diefe fogenannte Go ttfched-Adelungfche Schreibweife
*) Die Quinteffenz ihrer Lehre gibt Raum er a. 0. S. 274.
— 147 —
niclit geltend machen, daß üe ganz unhiltorifch ITt, denn
das wollen ja eben die Herrn vom Schlendriane und alle die
Taufende, die ihre Kniee vor dem Tyrannen ufus beugen.
Es gefchieht alfo nur um der Vollftändigkeit willen, wenn
wir Weigands gewichtvoUe Autorität hier folgendermaßen
fprechen laßen ^): „Die von den Grammafikern (des 17. und
18. Jahrhunderts) aufgeftellte und allgemein üblich gewordene
Regel im Auslaute ß zu behalten und felbft da nach kurzem
Vokale für s, zumal wenn es in der Biegung u. f. w. ff wird,
z. B. in gewiß, Kuß, mifi-, -n\fi, Rqfi, zu fetzen, fowie im
Inlaute nach langem Vokale ß zu behalten, aber nach kurzem
dafür jQT zu fchreiben, ift eine hift'orifch unrichtige, wes-
halb auch Sprachforfcher , wie Vilmar, He nicht be-
achten, fondern ß fetzen, wo diefes feinem urfprünglichen
Rechte nach hingehört, und z. B. laßen, müßen, Waßer, gewü,
-nü fchreiben." So weit Weigand. Indeffen wollen
wir, wie gefagt, vom Standpunkte der hiftorifchen Grammatik
gar nicht einmal urtheilen über den Gebrauch der S -laute
nach Gottfched-Adelungfcher Vorfchrift, fondern wollen
nur konftatieren , daß diefe Schreibweife — von ihrer totalen
Unwißenfchaftlichkeit ganz abgefehn — auch gegen alle
Logik ift.
Wenn Gottfched und Adelung — wir halten uns
an diefe, denn fie haben das Schottelfche Syftem erft
zur Geltung gebracht — wenn Gottfched und Adelung
ihrer AnUcht von der Einerleiheit des j^ und des jfjT gemäß
naß Biß Rcß muß, femer Baßgeigß Kußhand Roßtrappe und
Mißgwnft fchrieben, fo lag darin — abgefehn von dem zu
Grunde liegenden Irrthume — eine gewiffe vernünftige Kon-
fequenz. Wenn lle aber in auffallendem Widerfpruche mit
der Idee von dem „abgekürzten ß'^ auch groß aß bloß re\ß
heiß Strauß, fogar größer ftqßen Füße gefchrieben wißen
wollten, fo war dies eben keine Konfequenz, fondem ein hoher
Grad von Konfiilion. Wenn nemlich j(?, wie man feit Schottel
*) Weigand a. 0. U, 853.
10^
— 148 —
annahm, ein abgekürztes jj und von diefem nur graphiCch ver-
fchieden war, fo begreift man erftlicli nicht, wie diefes „abge-
kürzte fj*^ in aller Welt dazu kam nicht bloß im Auslaute
{groß Stoß), fondem auch im Inlaute einfacher Wörter (ßrqfies
Stqfies) gebraucht zu werden ; denn unter diefem „abgekürzten
fj^ dachte man fich doch wohl nichts anderes als ein / mit
angehängtem Schluß-«, und ein Schluß-« hat wohl am Schluße
eines Wortes Sinn, aber nicht in der Mitte eines einfachen
Wortes. Zweitens aber begreift üch noch viel weniger der
ganz widernatürliche und widerlinnige Gebrauch des von jQT
nur graphifch verfchiedenen, alfo lautlich mit Jf identifchen Jf
nach gedehnten Vokalen (groß aß StroAiß Fl&ß großer
Stoßen Füße Buße JU^en). So kann man doch in der That
nicht fchreiben, wenn man Geh delTen, was man fchreibt, auch
nur einigermaßen klar bewuTt ift ; denn welcher nicht dufelnde,
fondem denkende Menfch fchriebe groff off Straujf und größer
floffen Füjfe, Wenn dies dennoch, wie noch heut zu Tage,
fchon zu Freyers Zeit (um 1710) ufus fcribendi war*), fo
dient dies eben zum Beweife, daß man fchon zu Ende des 17.
Jahrhunderts in der Noth, d. h. in der verzweifelten Ungewis-
heit über das ß, allgemein gegriffen habe nach dem Stroh-
halme der Seh Ott elfchen Begel, die dann von Gottfched
und Adelung beftätigt und durchgeführt noch jetzt von
der überwiegenden Mehrheit des Deutfchen Publikums be-
folgt wird.
§ 40« Es macht Fuldas hellem Blicke alle Ehre, daß
er — foviel wir wißen zuerft unter den damaligen Gramma-
tikern — diefe orthographifche Wirrfal wahrgenommen hat
(1770). Er gerieth aber leider aus dem Regen in die Traufe.
Indem er lieh* nemlich von dem groben Irrthume der Einerlei-
heit des ff und ß für feinen Theil emanzipierte, verfiel er
auf die abenteuerliche Idee ff für ß auch im Auslaute nach
kurzem Vokale^ zu verwenden. Das konnte man lieh wohl
erlauben in Zufammenfetzungen wie Baffgeige Kuffhand Roff-
^) Raumer a. 0. S. 274, § 8.
— 149 —
trappe, aber auch Baff Kuff Roff zu fchreiben wäre nur thun-
lieh , wenn man das ganze Schluß-« gewaltfam über Bord zu
werfen wagte. Wir fehen diefe Gefpenfter mit dem auslauten-
den jfjT, wie daff laff Faff gewiff und befonders die Wörter auf
•^iff 50 Jahre fpäter wieder eine Zeit lang ihren Spuk treiben.
ZunächTt verrchwanden ^e wieder fo fchnell, wie ^^ ge-
kommen waren ; denn B a d 1 o f riß Heb zwar (1820) auch nach
Fuldas rühmlichem Beifpiele von dem Wahne los, daß fi
ein abgekürztes ff fei , hielt es aber für gerathener in Bezug
auf // als Auslaut der Vorfchrift des alten Frey er zu folgen,
der fchon 1722 vier orthographifche Regeln aufgeftellt hatte,
von denen die zweite lautete: „Am Ende der Sylbe fteht das
kurze «"; er fchrieb alfo fa für ff {dafa lafa Fafa gewifa)^
Ahnlich Heyfe. Nachdem diefer in den erften drei Aus-
gaben feiner Deutfchen Grammatik noch dem Gottfched-
A de lu n gfchen Syfteme gehuldigt hatte, begann er in der vier-
ten Ausgabe die wunderliche Fuldafche Schreibweife wieder
unter dem Schutte hervorzuziehn , die denn auch bei der
weiten Verbreitung der He'yfifchen Grammatik geraume
Zeit, befonders vom Magdeburger Domgymnaßum aus, ja
felbft in namhaften Schriften, wie den Zerrennerfchen,
gralXiert hat und noch heutzutage von ehemaligen Zöglingen
jenes Gymnafiums befolgt wird**). Aber fchon in der
achten Ausgabe hat er diefe Schreibart wiederum befeitigt,
*) Badlof war nicht der erfte, der diefen Ausweg traf;
vor ihm hatte bereits ein gewiffer Hörftel in feiner
Fibel (1803) im Auslaute fa für ff gefchrieben.
**) Ob der Herausgeber der Volkszeitung zu diefen Zög-
lingen gehört, vermögen wir nicht zu fagen. Jedenfalls
verdient feine Wiedereinfühmng diefes ebenfo unförm-
lichen wie unfinnigen jjT im Auslaute {daff Prozeff Kennt-
fdff hefcJdoff muff) in demfelben Maße gerügt zu werden,
in welchem er entfchiedenes Lob verdient, daß er den
übrigen Zeitungen in der Befeitigung des th vorange-
gangen ift, nur daß fich diefe Tilgung des th bei ihm
falfchlich auch auf Griechifche Wörter (Orthographie)
erftreckt.
— 150 -
um za der erwäbnten Radi offchen überzugehn, die ilcli denn
auch in allen folgenden Ausgaben feiner Grammatik bis auf
den heutigen Tag behauptet und fogar die Ehre gehabt hat
von der Orthographifchen Konferenz mit der kleinen Ab-
änderung, da(^ Jb für jf nicht bloß im Auslaute, fondem auch
vor Konfonanten angewendet werde, als normale Schreibung
adoptiert zu werden.
§ 41t Auch Heyfe hatte lieh, wie Radlof, von dem
,,abgekürzten fi^ fchon frühzeitig losgefagt ; auch ihm war
es klar geworden, daß die fogenannte Gottfched-Adelung-
fche Schreibweife — wir haben es hier nur mit den S-lauten
zu thun — geradezu unvernünftig und voll von Wider-
fprüchen fei, und es gewährt ein nicht geringes Intereffe
wahrzunehmen, wie üch der gewißenhaft fleißige Mann Jahre
lang dreht und windet, um einen rettenden Ausweg aus dem
im bisherigen Gebrauche der S-laute herrfchenden yVirrwarr
zu entdecken. Wenn ihm dies trotz alle dem nicht gelungen,
wenn auch er trotz feiner eifrigen Bemühungen den rechten
Weg zu finden dennoch auf orthographifche Abwege ge-
rathen und aus der feit dem 15. Jahrhunderte über die
S' laute herrfchenden Verwirrung nicht heraus gekommen ift,
fo liegt dies lediglich daran, daß er den allein rettenden Weg
eben nicht gekannt oder, wie wir aus des Herrn Dr. Karl
Heyfe Vorrede zur zwölften Ausgabe der Heyfifchen
Grammatik*) und befonders aus dem dort verfuchten, aber
fehlgehenden Hiebe auf die „liiftorifier enden Gramma-
tiker<< faft fchließen möchten, überhaupt verfchmäht hat.
Es liegen merkwürdige Urtheile über die Heyfifche
Regel vor; eines der merkwürdigften ift das des Herrn von
Raumer, der da meint**), die Heyfifche Schreibung fei
„keine prinzipielle Neuerung , fondern nur eine Weiter-
bildung der von Gottfched aufgeftellten Regel," ein Ur-
theil, das in der Hauptfache wohl eingegeben ift von dem
*^ Zwölfte Ausgabe (1840) S. IX.
**) S. Verhandlungen der Konferenz S. 69.
— 151 —
Wunfche die verhaßte hiftoriTche Schreibweife aUein als prin-
zipielle Neuerung erfcheinen zu laßen. Die ganze Gott-
fched-Adelungfche Schreibweife fteht jind fällt mit dem
Gmndfatze, daß jQT und ß einerlei und das letztere vom
erfteren nur graphifch verfchieden fei. Gerade von diefem
Grundfatze, um den fleh bei Gottfched und Adelung
Alles dreht, hat fich Heyfe nach anfänglichem Bedenken
endlich energifch losgerißen, wenn man auch nicht recht
weiß , was er felbft fich eigentlich unter dem ß gedacht hat.
Wie man unter folchen Umftänden das He'yfifche Syftem
eine „Weiterbildung" nennen könne , verftehn wir nicht: fie
kann, wofern man die Heyfifche Schreibung der S-laute
überhaupt mit den früheren Schreibungen vergleichen will,
nur als eine Umbildung der Gottfched fchen bezeichnet
werden. Wohl aber ift fie eine Weiterbildung der Fulda-
fchen Schreibweife , wie ^i^ fchon von Ra dl of begonnen war.
Noch weniger können wir die Behauptung desfelben Herrn
von Eaumer*) unterfchreiben , daß die Heyfifche Regel
die Ausfprache weit richtiger bezeichne als die Gottfched-
Adelungfche. In der Verwirrung, die in Bezug auf die
S-laute herrfcht, an die Ausfprache appellieren hieße diefe
Verwirrung . doch in der That bis ins Unendliche vermehren ;
denn die heutige Ausfprache befagt bei den S-lauten, wie
wir weiter unten zeigen werden, gar nichts. Darin hat Herr
von Raumer Recht**), daß die Heyfifche Schreibweife
einen entfchiedenen Fortfehritt bildet; ja es läßt fich von
Heyfe mit weit größerem Rechte als von Gottfched fagen,
daß er „einen bedeutenden Schritt weiter gethan habe in der
Darfteilung der S-laute ;" denn er hat in die Anwendung der-
felben wenigftens eine gewiffe Ordnung und Folgerichtigkeit
gebracht. Und doch ift auch H e y f e s Regel, die darauf hin-
aus läuft, daß nur nach gedehnten Vokalen j(? (außer hlqfi Blöße
Geföß)^ nach gefchärften Vokalen dagegen ff ftehe {effen
*) S. Verhandlungen der Konferenz S. 70.
**) S. Verhandlungen der Konferenz S. 70.
— 152 —
/öj^en Gaffe haffm) und daß diefes ff im Auslaute/« gefchrieben
werde, felbft mit dem beßern folienden, in der That aber ver-
fchlechternden Zufatze der Orthograpbifchen Konferenz, daß
diefes fa für j(jr auch vor Konfonanten eintrete, ganz unhaltbar*);
denn fie hat nicht den geringften Grund und Boden.
Wir bi Ingen um der Vollftändigkeit willen zunächft
auch hier das fohwerwiegende Urtheil Weigands**) über
diese Heyfifche Schreibart bei; es lautet: „Völlig ver-
werflich, ja verderblich erfcheint für das im Nhd. richtig be-
wahrte ß im Auslaute nach kurzem Vokale ein ff oder fs
einfäluren zu wollen und z. B. daff daf8 Haff Hafs u. t w.
zu fchreiben." IndeiTen wollen wir uns auch hier nicht auf
den Standpunkt der hiTtorifchen Grammatik ftellen, fon-
dern die Auseinanderfetzungen des jungem Heyfe über die
S-Laute, wie wir fie in der neueften Ausgabe der betreffenden
Grammatik***) finden, nur durch folgende Bemerkungen be-
gleiten.
S. 44, Z. 3 V. u. heißt es : „Da« ß ift ein einfacher
Konsonant, delTen aus / und » zufammengefetztes
Schrift zeichen nur feinen mittlem Laut zwischen diefen
beiden Buchftaben ausdrücken foll/' Wir haben diefe, wie
es fcheinty bereits vor Schotteis Auftreten viel verbreitete
Anficht, die auch Herr von Raumer theilt, fchon oben
§ 38 berührt und kommen fpäter darauf zurück, wollen fiie
aber auch hier als eine durchaus irrige bezeichnet haben, die
nichts für fich, aber Alles gegen fich hat. Weiter heißt es
S. 44, Z. 5 V. u., S. 45, Z. 1 ff.: „Es (nemlichjt?) ift von/
verfchieden durch feine fchärfere Ausfprache, vom ff aber
durch feine Anwendung nach gedehnten Vokalen. Ein
*) So urtheilt auch Duden in feiner fonft trefflichen,
aber gerade in der Behandlung der S-laute fehr fchwa-
chen „Zukunffcsorthographie^' S. 62 f.
**) Weigand a. 0. H, 853.
Heyfes Deutfche Schulgrammtik 22. Auflage (1873),
S. 44f.
— 153 —
geübtes Ohr wird leicht folgende richtig (sie) aus-
gefprochene Wörter von einander unterfcheiden : lafen
fpckfien laffen, fo mch Nafe Strc^fie Goffe-, Gemüfe bUfien muffen,
reifen reißen u. f. w." Diefes ganze orthographische Rezept
ist ein künltliches Luftgebäude. Daß lieh lafen and laffen^
Gemüfe und muffen u. f. w. in der Ausfprache unterfcheiden,
verfteht fich von relbft. Wenn aber behauptet wird, ß fei
von / verfchieden durch feine fchärfere Ausfprache und
ein geübtes Ohr werde leicht auch lafen und fp(\fien^ Nafe
und Str<\ße, Gemüfe und hüßen^ reifen und reißen u. f. w.
richtig*) ausgefprochen von einander unterfcheiden , fo ift
dies in der Wirklichkeit nicht begründet. Was wollen denn
folche Regeln gegenüber der Thatfache, daß ß fchon feit
Jahrhunderten im allergröften Theile Deutfchlands nicht
mehr „richtig" ausgefprochen wird. Wir dürfen uns
wenigftens eines recht feinen und geübten Ohres rühmen und
lind viel in Deutfchland umhergekommen und haben nament-
lich im Nordweften Deutfchlands, wo fich die Ausfprache be-
kanntlich am reinften erhalten hat, fleißig umher gehorcht
und haben mit gebildeten Leuten ohne Zahl verkehrt, aber
wollte Gott, wir hätten — von einzelnen Strecken im hohen
Norden abgefehn — fowohl in der täglichen Umgangsfprache,
wie vom Katheder und von der Rednerbühne herab auch nur
ein Mal in der Ausfprache von reißen und reifen u. f. w.
einen „vernehmbaren" Unterfchied vernommen. Dabei find
wir von dem Augenblicke an, wo wir uns durch Grimm
mächtig angezogen dem Studium der hiftorifchen Grammatik
zugewendet haben — und es mögen feitdem beinah 40 Jahre
vergangen fein — der Ausfprache in den verfehl edenften
Gegenden Deutfchlands mit ganz befonderer Aufmerkfamkeit
*) Wenn fich der Verfaßer diefer Regel durch die wieder-
holte Prolepfe „richti^'^ den Rücken deckt, fo wird die
Sache dadurch natürlich nicht anders. Wir möchten
aber doch in emer Schulgrammatik vor folcher ge-
wundenen Sprache dringend warnen.
^ 154 ^
gefolgt. Wenn aber diefes Zeugnis eines Einzigen nicht
hinreicht, fo verweifen wir auf einen Zweiten, der auch recht
wohl zu wißen fcheint, wie man in Deutfchland fpricht.
Bezzenberger trifft , wie in fo vielen Punkten, auch hier
den Nagel auf den Kopf, wenn er lieh über diefen vermeint-
lichen phonetifchen Unterfchied von / und ß folgendermaßen
ausläßt^): „Es ift zu unterfuchen, ob denn wirklich ein durch-
greifender unterfchied in der ausfprache von ß und / vorliege,
d. h. ob das ß noch einen ganz eigentümlichen /-laut be-
zeichne, und wenn das behauptet wird, wie es doch komme,
daß jenes in fo vielen Wörtern fo leicht verdrängt werden
konnte, ich kann in unferem heutigen fprechen jenen nicht
finden, daher auch nicht anerkennen, fondern bin der mei-
nung, dafs die verfchiedene ausfprache des / nur bedingt ift
durch feine verfchiedene ftellung im worte, ob es vor vokal
oder konfonant, an-, in- oder auslautend, nach einem geden-
ten oder gefchärften vokale fteht. mir fcheint es, dafs, wenn
wir reden, wie uns der mund gewach fen ift und
uns nicht abquälen, um einen unterfchied hörbar zu
machen, in maußen und maufen^ g^fie und loiefe, größer und
böfer, aßen und Za/ew, "heiße und leije, flraße und wa/e, überall
derfelbe Maut gehört würde, gerade wie in glas und nu^ß^
reis und fleifi oder mus und ßuß, mos und bloß, lieft und
gi^t, haß und lajs (müde), meßer und meffe. auch fpricht
froceß neben procefs, verhäUniß neben Verhältnis nicht dafür,
daß man fich einer verfchiedenen ausfprache des / bewufft
wäre." Soweit Bezzenberger. Daß zwifchen ß und /
kein oder wenigftens kein merklicher Unterfchied mehr in
der Ausfprache fei, beweift auch der Reim, auf den Herr
von Raumer einen ganz befonderen Werth zu legen fcheint.
Um die erften heften Gedichte unferer namhafteften Dichter
herzunehmen, fo reimt GÖthe in der „Zueignung" Wtefen
und fließen, ein Reim, der auch in dem „frühzeitigen Frühling*'
*) Randbemerkungen zu den von der Berliner Konferenz
aufgeftellten Regeln für die Deutf che Orthographie S. 23.
— 155 —
wiederkehrt ; ferner in „Neue Liebe, neues Leben" groß und
Z<w, in der „Dauer im Wechfel" verheißt und 6re^/)f, Schiller
in der „Glocke" Schooße und Loofe, ri6fengroß und Jioffnungs-
lo8, Preis und Fleiß, im „Kampf mit dem Drachen" Blöße
und Gehröfe, im „Graf von Habsburg" Kreis und weiß, Kreis
und heiß, in der dritten Parabel, weiß ^^^ Greis, U hl and
im „Vorabend" läßt und feft, im „Maienthau" Stravß und
draus, in einem feiner „Wanderlieder" verlaffen und Str<\ßen,
Geibel in der „Minneweife" weiß und leis, im ,^ied des
Korfaren" faßt und Maft, im „Geheimnis der Sehnfucht"
groß und hs. Was beweifen alle diefe Beifpiele, die
wir um Hunderte aus denfelben und andern Dichtem ver-
mehren könnten ? Sie beweifen, daß der urfprüngliche ünter-
fchied in der Ausfprache von / und ß am Ende des vorigen
Jahrhunderts bereits verwifcht war, gefchweige denn daß
er fo allgemein bemerkbar gewefen wäre, wie ihn Heyfe
darfteilt; denn wenn auch unfere Dichter, felbft die
heften, bisweilen in ihren Reimen nicht recht genau Und,
fo würden doch die Stellen , wo fich / und ß mit einander
reimen, gewis nicht fo haufenweife vorkommen, wie es
der Fall ift, wenn ein „leicht" hörbarer Unterfchied in der
Ausfprache diefer Laute noch beftände. Von Belang find
befonders die Di chterft eilen, wo / und j(? in zwei Silben von
ungleicher Quantität fich reimen, wie in los und Gefchoß
(Schiller), in f äffen und Straßen (Schiller), in verlaffen und
Strqfien (Uhland), in gefchoffen und großen (Uhland), in Schloß
und Los (Uhland). Auch diefe Beifpiele ließen lieh bis zu
Hunderten vermehren. Es ift aber nicht anzunehmen, daß
namentlich unfere beßeren Dichter fo oft eine doppelte
Nachläßigkeit in ihren Reimen begangen hätten, was doch
der Fall wäre, wenn ^e außer der Quantität auch noch die
Verfchiedenheit der Ausfprache von / und'jö* misachtet hätten.
§ 42* Doch genug über diefe vermeintliche „fchärfere
Ausfprache" des /?*), über welche Heyfe felbft wohl nicht klar
*) Mehr darüber §. 47.
— 156 —
gewefen ift; fonft würde er lieh gehütet haben die fchon
oben angeführte Bemerkung hinzuzufügen , daß ß „ein ein-
facher KonTonant fei, deffen aus / und z zufammengefetztes
Schriftzeichen nur feinen mittlem Laut zwifchen
diefen beiden Buchftaben ausdrücken foll"; denn
zwifchen dem y^gelinden*' /, wie es Heyfe felbft nennt, und
zwifchen z^ welches doch =r tf^ einen „fchärferen" S-laut als
„Mittellaut^' hervorzubringen ift ein wahres Kunftftück.
Jedenfalls dürfte aus dem bisher Gejagten foviel hervor-
gehn, daß der Satz, den Heyfe an die oben angeführte
Betrachtung über die fchärfere Ausfprache des ß knüpft
und der da lautet: „Dasj(?fteht aljo (sie), richtig ange-
wendet, nur nach einem gedehnten Vokal oder
Doppellaute^', *) eine Regel enthält, die wieder ohne alle
und jede Begründung ift , alfo lediglich in der Luft fchwebt.
Muß etwa die Stellung des ß nach einem gedehnten Vo-
kale — „alfo" ift doch eine ftreng folgernde Partikel —
aus der vorhergehenden Bemerkung über die fchärfere Aus-
fprache des fi und aus den hinzugefügten Beifpielen gefolgert
werden? Wir haben aber gefehn, daß es mit diefer vermeint-
lichen fchärferen Ausfprache des ß (ehr mislich fteht und
daß fie jedenfalls viel zu unficher ift, um darauf einen andern
als einen erfchlichenen Beweis zu gründen. Und zugegeben,
daß sich j(? wirklich von/ durch eine fchärfere Ausfprache
unterfcheide, folgt denn daraus in aller Welt, daß j(; nur nach
einem gedehnten Vokale oder Doppellaute fteht?
Sollte der gefchärfte Vokal in Wcßer, wifien, müßen u. f. w.
die fchärfere Ausfprache des ß unmöglich machen ? Wir
möchten aus folgendem Grunde gerade das Gegentheil be-
haupten: Es ift nemlich der natürliche Gang der Dinge und
entfpricht ganz dem Wefen der Sprachorgane, daß die Schärfe,
mit der man einen Vokal ausfpricht, auf den folgenden Kon-
*) Die letzten Worte von „nur" an find in der Grammatik
felbft als befonders wichtig durch gefperrte Lettern her-
vorgehoben.
— 157 —
fonanten einwirkt, der nun in Folge davon meiTt verdoppelt,
in einzelnen Fällen auch aspiriert wird. {Magd Macht, mögen
möcTUen, regen Rechen, ragen Rachen u. f. w.). Hiemach würde
es an fich, d. h. wenn die Gefchichte von dem fchärferen Tone
des ß überhaupt an dem wäre , nichts auffallendes oder an-
ftößiges haben, daß nach einem gefchärften Vokale außer
j7 auch das fchärferej(? ftände, nur daß man lieh über die-
Ten unter den obwaltenden Umftänden ganz unmotivierten
Wechfel zwifchen ß und ff doch höchlich verwundem müfte.
Daß aber das fchärferej^? gerade nach einem gedehnten
Vokale und ,,nur^^ nach einem gedehnten Vokale
ftehn Toll, das ift eine Regel, die gegen die einfachften Grund-
fötze der Orthographie verftößt. Wenn nemlich bei H e y f e *)
mit gefperrten Lettern gefchrieben fteht: „Nach jedem
gedehnten Vokale fchreibe man den unmittelbar
darauffolgenden Konfonanten einfach,^^ und weiter
unten: „Da eine Silbe mit einem Doppelvokal jederzeit
gedehnt gefprochen wird, fo kann kein verdoppelter
Konfonant darauf folgen,^' fo ift dies ganz richtig;
wenn man aber diefer orthographiTchen Hauptregel auf den
Grund geht, fo wird man finden, daß üe, wie die oben ange-
führte über die Wirkung des gefchärften Vokals, ganz
natürlich entfpringt aus der natürlichen Befchaffenheit der
Sprachorgane. Wie nemlich die Schärfung eines Vokals
d. h. mit ändert! Worten die Haft, mit der man einen Vokal
fpricht, auf den folgenden Konfonanten übergeht, fo theilt lieh
auch die Dehnung eines Vokals oder mit andern Worten
die Zögerung, mit der man einen Vokal fpricht, nothwendig
dem unmittelbar folgenden Konfonanten mit uud macht auf
diefe Weife eine Verdoppelung oder Aspirierung oder Schär-
fung (fcharfe Ausfprache) diefes folgenden Konfonanten ge-
radezu unmöglich. Ja wenn man felbft annehmen wollte, was
man nicht annehmen kann, daß die Stimme in Wörtern, wie
ü^en^ hinter dem gedehnten Vokale urplötzlich inne hielte
*) Oben angef. Grammatik S. 24.
— 158 —
und von neuem fcharf ausholte, um das unvorbereitete fcharfe
j(? hervorzubringen , die Behauptung, daß ß nur nach
einem gedehnten Vokale oder Doppellaute ftehe,
ift und bleibt ohne Erklärung und ohne EntTchuldigung. Die
oben angeführte Heyfifche Regel enthält alfo erft dann
eine Wahrheit, wenn He gerade umgekehrt lautet: T>slb fi
(tehtfalfch angewendet nur nach einem gedehnten
Vokale oder Doppellaute. Und doch ITt gerade diefer
in den Lüften fchwebende Lehrfatz, d&fS ß „richtig ange-
wendet nur nach einem gedehnten Vokal oder
Doppellaute ftehe,^^ der Mittelpunkt, um den fleh die
ganze Heyfifche Regel über die S-laute dreht. Und von
diefer Heyfifchen Vorfchrift hat Herr von Raumer in
der 5. Sitzung der OrthographiTchen Konferenz (Verhandlungen
S. 98) alles Ernftes behauptet, ,4hre volle Durchführung
fei die nothwendige Konfequenz unferes ganzen
Schreibfyftems".
Das und ein paar Variazionen nicht gerechnet die beiden
Hauptarten, wie man die S-laute gegenwärtig fchreibt, die
Gottfched - Adelungfche und die Heyfifche. Die er-
ftere hat als die ältere aus Gründen, die wir bereits ange-
deutet (§ 39 a. E.), die große Mehrheit der Schreibenden auf
ihrer Seite, die letztere hat dafür die Billichung und Empfeh-
lung der OrthographKchen Konferenz gefunden. Daß beide
völlig unhaltbar find, glauben wir mehr als nSthig dargethan
zu haben; denn weit entfernt auch nur den mindeften Anfprnch
auf Wißenfchaftlichkeit zu haben find beide im vollften und
eigentlichften Sinne des Wortes als ,»Er findungen der
Willkür" zu bezeichnen.
$ 43« Wenige haben das Alles fo klar empfunden und
haben fo frei und kühn fich losgerißen von dem Gängelbande
eines gedankenlofen Herkommens, wie Bezzenberger*).
Schade daß er gerade bei diefer fchwierigfteu orthographiTchen
Frage in einem Anfalle von fentimentaler Rückficht auf den
*) A. 0. S. 22 ff.
— 159 —
herrfchenden Schreibgebrauch , die feiner Anficht von dem
fogenannten usus wie feiner kernigen Natur fonft gänzlich
fremd ift, dennoch den. Weg, den er im vorliegenden Falle
als den einzig richtigen erkannt, nicht eingefchlagen hat.
Er ift auf diefe Weife mit fich felbft in einen gewiffen Wider-
fpruch gerathen ; indem er nemlich den rechten Weg bloß des-
halb mied, um „nicht gegen den Strom zu fchwimmen,'' was
er getroft unternehmen durfte, weil ihn viel ftarke Arme
hielten, muß er nun als Begründer einer neuen verzweifelten
Schreibmethode wider den allgemeinen Strom allein und mit
um fo geringerem Erfolge ringen, da die Deutfche Welt gerade
in der Orthographie nichts weniger als gewaltfame Mittel liebt.
Aber freilich blieb ihm, wenn er einmal die bisherige wüfte
Schreiberei verwarf, nur noch die Wahl zwifchen der hifto-
rifchen Schreibweife und zwifchen dem radikalen Verfahren,
das den Buchftaben, der uns unbequem ift, weil wir nichts
damit anzufangen wißen, sans fa9on tilgt. Wenn man ein-
mal aus lauter hinfälligen Gründen dem ß fein hiftorifches
Recht nicht geben will, so ift es allerdings viel beßer, man
macht es wie Bezzenberger d. h. man ftreicht das J^ aus
dem Deutfchen Alfabete und begnügt lach und behilft fich mit
einem Schriftzeichen für den S-laut, was nebenbei den
großen Yortheil hat, daß man den „Zankapfel j(?^^ nun endlich
los wird.
§ 44« Es liegt auf der Hand, daß der neue Weg, den
neuerdings der entfchloßene Bezzenberger betreten hat, die
S-laut- Angelegenheit mit nichten vereinfacht, fondern nur noch
verwickelter und verwirrter macht. Denn da fich annehmen
läßt , daß auch das Bezzenbergifche Syftem fchon um
des „abgekürzten Verfahrens'' willen einen zahlreichen Anhang
findet, fo gibt es nun die hiftorifche Schreibart, auf die
wir fogleich zu fprechen konmien, hinzugerechnet in der
Schreibung der S-laute im Ganzen vier Hauptparteien.
Diefe diffentierenden Parteien auf Grund einer wißen-
fchaftlich beglaubigten Schreibweife zu einigen — denn auf
diefe Einigung läuft ja doch die ganze orthographifche Be-
— 160 —
wegung der Gegenwart liinaas — ift fchwer und dock auck
äußerft leicht. Es iTt fchwer; denn nicht bloß unter den
Gewohnheitsmenfchen , die nun einmal fünf Sechstheile des
fchreibenden Publikums bilden und beinah zu dielen vollen
fünf Sechstheilen der Gottfched-Adelung fchen Schreib-
weiTe blind ergeben find, fondem auch unter den Sprach-
gelehrten, namentlich unter den Mitgliedern der Orthogra-
phifchen Konferenz , die fich als folche einer befonderen
Autorität erfreuen, herrfcht gerade gegen die einzig richtige
Schreibung der S-laute eine folche Eingenommenheit, daß es
fchwer halten wird derfelben die allgemeine Anerkennung zu
verfchaffen, die ihr gebührt. Läßt doch das Haupt der Or-
thographifchen Konferenz, Herr von Raumer, nur die Wahl
zwifchen der Heyfifchen und der Gottf ched - Ade-
lung fchen Schreibart und findet es „fehr auffallend*), daß
auch Herr Stier die fogenannte (sie) hiftorifche Schreibung
der Zifchlaute in Schutz nimmt."
Und doch ift es anderfeits recht leicht eine Einigung zu
fchaffen. Denn fo troftlos die Lage der Dinge wäre, wenn
ein Anhaltepunkt für einen yernünftigen und geregelten Ge-
brauch der S-laute fich nirgends fände, fo tröftend ift das
thatfächliche Vorhandenfein einer auf wißenfchaftlichem Grunde
ruhenden Schreibung diefer Laute, und zwar einer Schreibung,
die fo einfach und fo leicht ift und an die man fich befonders
deshalb, weil ^e in den meiften Punkten mit der herrfchenden
Schreibweife übereinftimmt, fo leicht gewöhnt, daß es kaum
zu erklären ift, warum man nicht fchon längft mit beiden
Händen nach diefem rettenden Mittel gegriffen hat, um aas
der namenlofen Verwirrung, die nun vier ganze Jahrhunderte
hindurch über die S-laute geherrfcht hat, endlich im 19. Jahr-
hunderte mit Ehren herauszukommen.
Oder hilft das fogenannte phonetifche Prinzip aas
diefer Verlegenheit? Hat etwa Herr von Baumer als Er-
finder des phoueti fchen Prinzips aus der Verlegenheit
*
) Gef. fprachw. Schriften S. 263.
— 161 —
geholfen? Er läßt, wie wir fchjon fagten, zwifcben den beiden
unhaltbaren Schreibweifen , der Gottfched-Adelung fchen
und der Heyfi fchen, die Wahl. Er felbft bedient fich in
feinen „Gefammelten Schriften^^ von Anfang bis zu Ende der er-
fteren. Schon daraus geht unwiderleglich hervor, daß diefe einen
ftreng phonetiTchen Karakter hat ; fonft würde Re Herr v o n R a u «-
m e r perhorreszieren. Noch höher aber ftellt Herr von Rau-
mer die letztere Schreibart, woraus man fchließen muß, daß
ihm die Heyfi fche Schreibart in phonetifcher Beziehung
noch mehr behagte als die Gottfched - Adelungfche.
Und wirklich behauptet er von ihr, daß fie unter den
verfchiedenen Arten, auf welche man die jetzt gültige Aus-
fprache (der S-laute) zu bezeichnen gefucht habe, den Laut
am genauften wiedergebe, überhaupt unter den gegebenen
Schreibweifen die phonetifch angemeßenfte fei*). Die
„fchärfere Ausfp räche** des ß, die bei Heyfe eine
Hauptrolle fpielt, beruht nun zwar, wie wir bewiefen zu haben
glauben, auf einer argen Teufchung. Indeffen thut dies
dem phonetifchen Karakter der Heyfi fchen Schreibung
keinen Eintrag : ({fien bloß Geföß genießen groß grüßen u. f. w.
werden genau fo gefchrieben wie man ße fpricht. Kurz in
phonetifcher Beziehung ift gegen keine der beiden genannten
Schreibweifen etwas einzuwenden. Und es ift dies ganz
natürlich; denn wir Deutfche fchreiben nun einmal inftinkt-
mäßig und ganz von felber, ohne uns erft durch eine gram-
matifche Yorfchrift beftimmen zu laßen , jedes Wort genau fo,
wie es gefprochen wird (§ 14). Nun ift aber nachgewiefen
worden, daß die Gottfched- Adelungfche fowohl wie
die Heyfifche Regel über die Schreibung der S-laute vom
fprachwißenfchaftlichen Standpunkte aus beide als „Erfindungen
der Willkür" zu betrachten und deshalb unbrauchbar find.
Dazu kommt, daß ß und ff nach gefchärffcen und nach ge-
dehnten Vokalen auch / und ß fchon feit Jahrhunderten faft
durch ganz Deutfchland hindurch überein gefprochen werden,
*) Gef. fprachw. Schriften S. 279.
Eisen, Deutsche Orthographie. -- 11
— 162 —
eine Thatfache, die eben Bezzenbergers originellem Yor-
fchlage zu Grunde liegt. Da aber das urdeutTche ß aus
wißenTchaftlichen , befonders etymologifchen , Gründen durch-
aus nicht fehlen darf im Deutfchen Alfabete, fo fragt üch:
wie find denn nun eigentlich die S-laute zu fchreiben, wenn
,fie, wie feftfteht, weder nach Gottlched- Adelungfcher
Methode, noch nach der Heyfifchen Regel, noch nach
Bezzenbergers Vorfchlage gelchrieben werden dürfen ? und
wie unterfcheiden üch / ß und jf in der Schrift , wenn , wie
feftfteht, ihre Ausfprache in Deutfchland im Großen und
Ganzen fchon längft diefelbe geworden ift? Gibt hier etwa
das fogenannte phonetifche Prinzip mit feiner fchön
klingenden, aber für uns Deujtfche ganz überflüßigen Regel
yjBring deine Schrift und deine Ausfprache möglichft in Uber-
einftimmung'^ irgend welche Auskunft? Wir möchten den
kennen, der auf diefe Frage mit ja antwortete. Das hifto-
rifche und nur das hiftorifche I^rinzip hilft hier leicht
und fchnelL
§ 45. Wenn Herr von Raumer in feinen ,, Weiteren
Beiträgen zur Deutfchen Rechtfehreibung"*) erklärt: „Die
fogenannte (sie) hiftorifche Schreibung (der S-laute) ver-
wirft das ganze bisherige Prinzip und fucht an defCen
Stelle ein neues zu fetzen", fo ITt dies nicht wahr. Des Herrn
von Raumer Abhandlungen über die Deutfche Rechtfchrei-
bung ftammen aus den Jahren 1855—1857. Wenn alfo
Herr von Raumer an einer Stelle diefer Abhandlungen von
einem „bisherigen Prinzip e" fpricht, fo kann damit nur
eines gemeint fein, das vor 1855 als folches beftand. £s gab
aber vor jenem Jahre notorifch zwei Prinzipe der Rechtfchrei-
bung, nemlich das in die ältere Zeit hineinreichende etymo-
logifche und das noch vor 1820 von Jakob Grimm zu-
gleich mit der hiftorifchen Schreibung begründete hifto-
rifche Prinzip; an ein phonetifches Prinzip der Recht-
fchreibung als folches hat vor Herrn von Baumers Auf-
*
) Gef. fprachw. Schriften S. 277, § 12.
— 163 —
treten, alfo vor 1855, keine Menfchenfeele gedacht, wiewohl
es fchon damals keinen Menfchen gab, der auch nur hn min-
derten gezweifelt hätte an dem phonetifchen Karahter
iinferer Sprache. Meint nun Herr von Raumer wirklich,
die hiftorifche Schreibung der S-laute habe das ganze
etymologifche Prinzip — denn dies war außer dem hiTto-
rifchen das „b i s h e r i g 6" Prinzip — verworfen und an deffen
Stelle ein neues — natürlich das hiftorifche*) — zu fetzen
gefucht? Unmöglich; denn das hätte ja weder Sinn noch
Yerftand, llntemal das etymologifche und das hiftorifche Prin-
zip einander ergänzen, ja fo innig verlchwiftert find, daß üq
fich in vielen Fällen gar nicht trennen laßen, und das hifto-
rifche Prinzip damals^ nicht neu, fondern über 30 Jahre alt
war. Die Sache liegt vielmehr gerade umgekehrt fo : Herr
von Raumer verwarf die ganzen bisherigen Prin-
zipe, das etymologifche und das hiftorifche, und
fuchte an deren Stelle ein neues, dasphonetifche,
zu fetzen.
Nun wir haben uns über diefes fogenannte phonetifche
Prinzip genugfam ausgefprochen (§ 12 — 30). Wir glauben
aus den Verhandlungen der Orthographifchen Konferenz **) mit
Freuden zu erfehn, daß Herr von Raumer nicht mehr ganz
aufgeht in dem allein feligmachenden phonetifchen Prin-
zip e , fondern auch dem etymologifchen und dem h i ft o -
rifchen Prinzipe fich zu nähern beginnt. Wir wünfchten
nur, er hätte dies fchon in den Jahren 1855 — 57 und hätte
es etwas unbefangener und offener gethan, fo unbefangen wie
Bezzenberger, der das hiftorifche Prinzip auch nicht an-
nimmt, aber doch keinen Anftand nimmt offen zu bekennen ***) :
„Ich für meine perfon bin ein Verteidiger des ß^
*) Es würde auch wohl richtiger heißen, das hiftorifche
Prinzip fuche an Stelle der bisherigen Schreibweife eine
neue zu fetzen als umgekehrt.
**) S. 71—74.
***) A. 0. S. 22.
11*
— 164 —
wo es mittelhochdeutfcbem j oder 55 und nieder-
deutfchem t entfp rieht, ziehe alfo nq/^ näße fcJdqß
fchlüßel u. f. w. zu fchreiben vor, weil damit der etymo-
logifche zuTammenhang der yröti^r (naß netae) ge-
wart wird und die regel im Unterricht fich in der
tat leicht durchfiiren läfft, wie ich aus erfarung
weis."
§ 46* Mit diefer offenen Erklärung iTt zugleich die
hiftorifche Schreibung der S- laute in nuce angegeben, fo
daß wir kaum noch nöthig haben darüber auf die Grammatiken
von J. Grimm, Hoffmann, Kehrein, fowie auf das Wör-
terbuch von W e i g a n d und auf die tüchtige Schrift von A n -
dreien*) zu verweilen. Natürlich wird bei diefer Verwen-
dung des Nhd. fi da, wo Altdeutfehes j ftand , vorausgefetzt,
daß jenes erftere fich. als rechtmäßigen Erben des letzteren
auBweift. Diefen Ausweis gibt aber unfer heutiges ß in vollem
Maße.
Daß nemlich beim Übergänge des Mhd. ins Nhd. zu
gleicher Zeit ein urdeutfcher Konfonant urplÖtzUch aus
dem Alfabete auf Nimmerwiederfehn verfchwunden und ein
noch nie gefehener Konfonant urplötzlich im Alfabete aufge-
taucht wäre, ift unter allen Umftänden ein Ding der Unmög-
lichkeit. Anderfeits deuten gewiffe fprachliche Erfcheinungen
ziemlich iicher darauf hin, daß Mittelhochdeutfches j nicht etwa
verfchollen ift im Laufe des 15. Jahrhunderts, fondern im
Neuhochdeutfchen in anderer und zwar keineswegs zu feinem
Nachtheile veränderter Geftalt noch fortbefteht.
Wir treffen nemlich im Nhd. eine Menge Wörter, in
denen nach gedehntem Vokale das heutige ß ganz an dem-
felben Platze fteht , an welchem im Mhd. das Zeichen 5 fich
findet. Beißen mhd. %en, Am-hoß mhd. anaboj, Buße mhd.
*) J. Grimm Gr. I, 162 ff. Ho ff mann neuhochdeutfche
Schulgrammatik (2. Aufl. 1853) S. 17, § 24. Kehr-
ein Gramm, der neuhochdeutfchen Sprache S. 52, §93.
Weigand Deutfehes Wörterb. H, 852. Andrefen
Deutfche Orthographie S. 105 ff.
— 165 —
ImosBy dreißig mhd. drisec^ verdr^fien mhd. verdrießen, Fleiß
mhd. vUjy Fuß mhd. vwö»5, Geiß mhd. gei^, gi^en mhd. giejen,
groß mhd. flrrdf, großen mhd. grüe^en, he\ß mhd. Äe^, heißen
mhd. heilen, SchtdtJieiß mhd. fchult-^^j«, .EZq/? mhd. Ä;/o5, ilib[/?
mhd. nmje. Und fo noch in etwa 24 andern Wörtern, die
alle anzuführen wohl fchwerlich nöthig iTt. Befonders klar
aber, ja — wir möchten fagen — unwiderleglich geht aus
folgender ThatTache hervor, daß unfer jetziges ß ganz an die
Stelle des Altdeutfchen j getreten iTt.
Wir begegnen nemlich fchon im Altdeutfchen einem
häufigen Wechfel der harten und weichen Aspirate*). Wie
alfo in der Lippenreihe im Ahd. die harte Aspirata / und
im Mhd. die weiche Aspirata v vorherrfcht, und wie im Mhd.
felbft und zwar in der Gaumenreihe nach und naher, hoch und
hoher, fehen und gefichte u. f. w. mit ihren beiden Aspiraten
nebeneinander gehn, fo wechfeln fchon im Mhd. die beiden
Aspiraten der Zahnreihe ß und z (nach gefchärftem Vokale
inlautend tzj. Alfo e55en atzen, glijen glitzenen, griej, grütze,
ha5 hetzen, heiß hitze, Tdoß klotz, mäje metze, na5 netzen, r^en
ritzen , fchi^en (fchu3) fchiitze , fitzen f e 3 3 e 1 , fintjen fchmttze,
fwe^ ßmtzen, w i 3 3 e n witze ] ja felbft in einem und demfelben
Worte und zwar in fitzen faj gefe53en findet diefer Wechfel
ftatt. Sehen wir uns nun in Bezug auf den befagten Laut-
wechfel im Nhd. um. Hier finden wir die nemliche Erfchei-
nung , nur daß an der Stelle des Mhd. j überall ß fteht und
daß nach gefchärftem Vokale der Unverftand d. h. der
Mangel an Verftändnis für das ß inlautend ein ff^*) und aus-
*) Wir wißen wohl, daß diefe Eintheilung der Laute, wo-
nach f und V die Aspirate der Lippenreihe, ch und h
der Gaumenreihe , z und ß der Zahnreihe und zwar /,
ch, z die harten, v, h und j(? die weichen find, von den
neueren Lautphyfiologen verworfen worden ift ; wir fühlen
aber kein Bedürfnis diefe wohlbegründete und bewährte
Eintheilung aufzugeben zu Gunften gewiffer neu auftau-
chender Theorien, die nichts weniger als fpruchreif find.
**) Etwas anderes ift es natürlich bei dem einftigen Matadore
— 166 —
lautend nach He y fe s Hegel ein ja eingeführt hat. Alfo — um
zunäehft die entfprechenden Beifpiele mit gedehntem Stamm-
vokale anzuführen — gleißen (blendendes Licht von fich
werfen) glitzern ^ Grieß Grütze , heiß Hitze y KUß Klotz , Maß
Metze, reißen ritzen, fchießen Schütze, fchme^ßen [Schmitze,
Schweiß Jchioitzen , fqß fitzen. Kann es einen fprechenderen
Beweis dafür geben, daß im Nhd. ß ganz derfelbe Laut ift,
den man im AltdeutTchen durch 5 bezeichnete?
Wenn dem aber fo ist, wenn in dem heutigen Neuhoch-
deutfchen ß das Mittelhochdeutfche j leibhaftig fortlebt —
und die Form felber fpricht dafür*) — fo haben wir nun
für die Behandlung des Jahrhunderte lang mishandelten ß
einen feften Grund und Boden. Aber freilich gelangt man
auf diefer feften hiftorifchen Grundlage zu ganz anderen
Refnltaten, als Gottfched, Adelung und Heyfe, die
ihre Gebrauchsanweifung für die S-laute lediglich aus ihrem
Kopfe nahmen. Zuvorderst liegt nun wohl klar am Tage, in
wie fern das ß trotz feiner phonetifchen Einerleiheit mit / und
ff doch im Nhd. unentbehrlich, mithin auch Bezzenbergers
auf die Tilgung des ß ballerte Schreibweife uneinnehmbar ift.
Indem man nemlich dem getilgten ß einfaches oder doppeltes
/ unterfchöbe , riße man, wie obige Beifpiele zeigen, das 5
gewaltfam los von einem lautlichen Genoßen, von dem es
etymologifch unzertrennlich ift, und brächte es in unnatür-
liche Verbindung mit einem Laute, der ihm fern liegt. Wir
haben ferner gefehn , daß Geh das alte ebbte 5 in der Form
der hiftorifchen Schreibung der S-laute, bei Jakob
Grimm, wie bei feinem Jünger Hoff mann. Daß
fjQ — der erftere feit den dreißiger, der letztere feit
den fünfziger Jahren — in Bezug auf die S-laute mit Sack
und Pack ins gegnerifche Lager liefen, war natürlich nicht
Mangel an Verftändnis, fondern, wie wir leider nicht umhin
können zu behaupten, Karakterfchwäche. S. unten § 47.
*) S. oben § 38 Anm. Wenn H f f m a n n jetzt, feit er ge-
fchwenkt hat, auf einmal finden will, daß „unfer ß dem mhd.
5 nicht völlig entfpricht", fo haben wir für diefe Behauptung
vergebens auch nur einen Schatten von Beweis gefucht.
— 167 —
X?inwenigftens50DeutfchenWörternunverfehrt
erhalten hat. Wird man es nicht, um nach jahrhundert-
langen Verwirrungen endlich auf den rechten Weg zu kommen,
für rathfam halten an der dargebotenen rettenden Hand noch
einen Schritt weiter zu gehn und dem bisher fo fchmählich
verwahrloften ß auch in den übrigen Wörtern, in
denen die Schreibung fchwankt und wo im Mhd.
ein 5 fteht, zu feinem Bechte zu verhelfen ? Es wird dann nach
langen Wirren in der Schreibung der S-laute wieder Sinn und
Verftand und Ordnung und Einheit walten.
§ 47* Freilich ift gerade hier eine ungeheuere Schwierigkeit
zu überwinden. Man hat Üch eben nachgerade hineingelebt
in den Gedanken, daß ß v^mt nach gedehnten Vokalen
oder Diphthongen, nach gefchärften Vokalen
dagegen ff (fs) fteht. Obgleich diefe weitverbreitete An-
ficht auf einem groben Irrthume beruht und allerhand Mis-
geburten, wie effen aß gegeffen oder gar heißen Ufa gebiffen^
fließen flofs gefloffen^^ u. f. w. zu erzeugen geeignet ift, fo
hat doch das unfelige Misverftändnis feit drei bis vier
Jahrzehnten neue Nahrung und neuen Halt bekommen durch
den Abfall zweier Männer, die man gerade in Bezug auf die
hiftorifche Schreibung der S-laute als Koryphäen zu be-
trachten gewohnt war. Der erfte diefer Abtrünnigen ift
der Altmeifter Jakob Glrimm felber, der Gründer der
hiftorifchen Grammatik und des hiftorifchen Prinzips der
Wortfehreibung, er, der einft gerade in der Schreibung der
S-laute den richtigen Weg gezeigt hat, um 20 Jahre fpäter
felbft wieder auf Abwege zu gerathen. Was wir. von Jakob
Grimm wißen, berechtigt zu dem Schluße, daß es mit nichten
beßere Überzeugung war, die ihn vermochte die hiftorifche
Schreibung der S-laute kleinlaut und ftillfchweigend wieder
aufzugeben. Noch heute fteht in feiner Grammatik fchwarz
auf weiß gefchrieben und wird hier ftehn bleiben, fo lange
die Welt fteht: „Dasjtfkann durchaus nicht als ver-
*) S. Heyfe Schulgr. 22. Aufl. S. 45, Anm. 2.
~ 168 -
wandt mit / und ff betrachtet werden", und an einer
anderen Stolle: „Der Inlaut ff unterfcheidet fich Ur-
fprung und Ausfprache nach genau von dem in-
lautend e n j(?** *). Was foU man denken, wenn man dann von
demfelben JakobGrimmim Deutfchen WÖrterbttche (1, 3) ge-
fchrieben findet: „Der Auslaut bz liebt vor fich kurzes a und
geht inlautend über in bs\ erhlaffen^ doffe, haffen, laffes
(muß wohl heißen laffen)y naffes waffer^' ^ ja wenn derfelbe
Jakob Qrimm den Grundfatz: j,nach kurzem VoJeal es,
nach langem ß zu fchreihen^* (z. B. floffe Floße) einen
von Adelung recht gehandhabten ilennt und uns aus-
drücklich für unbefugt erklärt feiner eigenen früheren Schrei-
bung: ^(ßn, Waßety zu folgen**). Ein folcher Umfchlag ift
nur erklärlich, wenn man annimmt, daiS der über Alles brave,
aber bang gemachte Mann damit ein Zugeftändnis gemacht
habe an den allmächtigen ufus. Der zweite Abtrünnige ift
des großen Meifters eifrigfter und — man kann wohl fagen —
eingeweihtefter Jünger Karl Auguft Julius Ho ff mann.
Noch heute fteht in feiner Schulgrammatik fchwarz auf weiß
gefchrieben : „Das ß kann fich nicht in ff verwandeln ; Schluff
Fhiß u. /. w. find alfo im Plural und in allen verlängerten Formen
ftets mit j(? zu fchreiben: Schliiße FlUße*^ etc. Und an einer
andern Stelle : „Die gewöhnlich geltende Regel: nach
langen Vokalen und Diphthongen fteht j(?, nach
kurzen betonten Vokalen jfjT, kann von der hiftori-
fchen Grammatik nicht anerkannt werden. Die
Kürzeoder Längedeehetonten Vokals hat nicht die
Fähigkeit einen folgenden Konfonanten in feinem,
Wefenzu ander n". Und an einer dritten Stelle : „Jedenfalls
*) Grimm Gr. I, 166 und 171. Was da von der Aus-
fprache des ß gefagt wird , gilt eben nur von der ur-
fprünglichen ; jetzt lauten ß und ff überein, woraus
natürlich nicht folgt , daß ß und ff auch in der Schrei-
bung vertauf cht werden können.
**) S.Michaelis treffliche Schrift ÜberJakobGrimms
Rechtfehreibung S. 49.
— 169 —
darf der von Grimm aufgeftellte Satz, j(? gehe inlautend
i n jpT über , als ein Irrtum angefehen werden" *). Was foU
man dazu fagen, wenn derfelbe Hoffmann 20 Jabre fpäter
in feiner Neubocbdeutfcben Elementargrammatik unter anderen
Begelchen folgende gibt: „Im Inlaut fchreibt man nacb ge-
fcbärften und nacb kurzen tief tonigen Vokalen nur ß nnd ff
und zwar
1. jS vor Konfonanten; JiaJH, lc{j(H,
2. /jT.vor Vokalen : Gaffen, laffen — Kmntniffe,''
und weiter unten:
„Der Auslaut ift in den meiften Fällen durch den In-
laut zu beftimmen. Die Regel ift folgende:
a. fteht im Inlaute fi und ff, fo bekommt der Auslaut ßi
grüßen, Grvß — laffen, Iqß u. f. w." **) ;
was foll man .dazu fagen, wenn man in der Vorrede zu der-
felben Grammatik vom Jahre 1858, da, wo der Verfaßer eine
Art Rechenfchaft von feinem Übertritte zu den Adelungern
ablegt, unter Anderem lift: „Nun noch ein Wort über die
Orthographie, die fchwache Seite unferer (?) Grammatik. Man
wird in diefer Auflage eine Neugeftaltung des ganzen Kapitels
finden. Dazu mufte die ganze Lage der Sache einladen.
Denn im Allgemeinen find, man kann es nicht
Terkennen, die Acten über diefen Gegenftand gefchloffen (1)
und an eine prinzipielle Umgeftaltung unferer Schreibung
denkt jetzt niemand mehr (?). Es wird deshalb auch wohl
kaum jemand Wunder nehmen, daß ich bei diefer Auflage
meines Buches zu der gewöhnlichen Schreibung der S-laute
zurückgekehrt bin. Wenn ich mich in diefer Hinlicht in
gleicher Lage mit Adelung befinde, der zuletzt auch zum
Gewöhnlichen zurückgieng, fo erklärt fich dies einfach daraus,
daß die Anfichten aufhören müßen, fobald der Tatbeftand klar
vorliegt. Dies ift gegenwärtig der FalP^ Und in diefem
*) Neuhochd. Schulgrammatik. 2. Aufl. § 24 mit Anm. 1
und Anhang S. 256.
**) S. Neuhochd. Elementargrammatik. 9. Auflage beforgt
von Dr. S chuf ter, § 25, S. 34.
— 170 —
Tone geht es noch zwei ganzte Seiten fort, wiewohl das
merkwürdige Geftändnis mit unterläuft: „Für jetzt fcheint es
in diefem und in ähnlichen fraglichen Punkten jeden-
falls noch das ratfamße die Entfcheidung aus
dem Mhd. zu holen'^*). Kurz auch der treffliche Hoff-
mann hat, wiewohl zögernd und nicht ohne lieh noch 'an
dem Rockzipfel der hiftorifchen Schreib weife feftzuhalten, in
dem Gebrauche der S-laute fein Knie gebeugt vor dem
Tyrannen usus.
§ 48« Nun, daß der Meifter feine Jünger in diefem
Punkte fo auffallend im Stiche gelaßen und daß es einer von
diefen ihm nachgemacht hat, das ändert an der Sache natür-
lich nichts. Die hiftorifche Schreibung der S-laute ift und
bleibt die einzige Rettung. Es gibt keinen andern Weg, um
aus dem Wirrwarr herauszukommen; es wäre denn daß man
ä^SLBßg&nzYon fich würfe, und das darf man eben nicht. Wir
wollen nicht Ameifie auß Bimßftein Binße h\fi (donec) daß
(als Pronomen und Artikel) eß -eß (als fächliche Endung im
Nominativ und Akkufativ z. B. gut-eß)^ auch nicht Erhße
feißt Gemße Krebß Kreiß Looß Ohßt Samßtag Simß ge-
fchrieben wißen, wiewohl das Mhd. hier überall, in Samßtag
wenigftens zum Theil, ein fi hat 3 denn die Schreibung mit
dem / {s) fteht hier feit Jahrhunderten feft und fchwankt
nicht. Auch ift es wohl unerhört , daß ß und ff (fs) als zwei
ihrem Urfprunge und Wefen, wie ihrer urfprünglichen Aus-
fprache nach verfchiedene Laute in den Formen desfelben
Wortes wechfeln (beißen biß gebißen), gleichviel ob ein langer
oder ein kurzer Vokal vorangeht. Daß fich aber der weiche
D-laut (= df) in der täglichen Umgangsfprache , zumal in-
lautend, allmählich abftieß, während der härtere T-laut
in dem z (= t) entweder haftete oder höchftens in 5 (ß)
*) S. die Vorrede zu der genannten Grammatik S. V ff.,
bef. S. VI. Das war wohl der gröfte Irrthum Hoff-
manns, daß er wähnte, die Frage über die Schreibung
der S-laute wäre erledigt. Sie war damals noch fehr
verwickelt und ift jetzt verwickelter als je.
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fich erweichte, wie in bi-ze (hitze) hi^, das ift weder unnatür-
Uch noch ohne Beifpiel; wir haben wenigfiens eine ganz ähnHche
Erfcheinung im Italienifchen, wo das g vor e und i (= dfch) feinen
D-laut in der Ausfprache, befonders inlautend, allmählich faft
bis zur Unhörbarkeit verloren hat. Wo aber die bisherige
Schreibung der S -laute nicht den geringften Grund und Boden
hat und auch noch gegen Vernunft und Wißenfchaft verftößt,
wie dies bei der Gottfched- Adelungfchen Schreibweife
durchaus und theilweife auch bei der Heyfifchen der Fall
ift, und wenn zu alle dem auch noch hinzukommt, daß —
einzelne Abarten nicht gerechnet — zwifchen der Gott-
fched-Adelung fchen und der früheren und fpäteren H e y f i-
fchen und zwifchen den zwei genannten und der Bezzen-
bergfchen S ehr eib weif e , die ebenfalls ihren Anhang zu
finden anfangt , ein ewiges Schwanken ftatthat , da muß man
es als ein Glück betrachten, daß überhaupt eine Schreibung
der S -laute vorhanden ift, die auf ficherem wißenfchaftlichem
Grunde ruht und üch überdies empfiehlt durch Ordnung und
Klarheit.
Der Verfaßer diefer Schrift hält fich durch eigene lang-
jährige Praxis für berechtigt fein ürtheil über den Gebrauch
der S-laute vorzugsweife mit in die Wagfchale zu legen.
Er hat fich beinah 40 Jahre mit Deutfcher Grammatik und
insbefondere mit Deutfcher Orthographie befchäftigt, mit letz-
terer, weil er fah, wie lie im Argen lag. *^Eingehende Studien
überzeugten ihn, daß hier abfcheuliche Misbräuche fich ein-
gefchlichen hatten. Aber nirgends fand er die Schreibung
troftlofer als wo es fich um die S-laute handelt. Alles
fchwebte hier nach feinem Dafürhalten in der Luft; dabei
lagen die verfchiedenften Schreibweifen fchon damals bunt
durcheinander; befonders waren in jener Zeit die üngethüme
^ff Faff Haff u. f. w. von Magdeburg her im Schwange
(§ 40). Das Verlangen aus diefer bodenlofen Verwirrung
heraus zu kommen trieb den Verfaßer mit wahrer Gier zu
greifen nach der Neuhochdeutfchen Grammatik von Hoff-
mann, die eben erfchienen war. Und Gott fei Dank hier
- 172 —
fand er was er fachte: eine einfache klare Kegel, die
auf feftem wißenfchaftlichem Grande ruht*). Nun
ward auch die Grimmfche Grammatik hergenommen, die
Ho ff mann 8 Regel beftätigte. Sieben und dreißig Jahre ßnd
vergangen, feit der Verfaßer diefer Schrift die S-laute nach
dem hiftorifchen Prinzipe fchreibt. Er hat in diefer Schrei-
bung nie gewankt; nie ilt die Verfuchung auch nur einen
Augenblick an ihn herangetreten zu dem hergebrachten Wirr-
warr zurückzukehren, am wenigften, feit Herr von Raumer
mit den „Pfeudohiftorikem ," wie er üe zu nennen pflegt
(§ 33 Anm.), eine fpitze Lanze nach der andern gebrochen
hat. Im Gegentheile fühlt er (ich bei diefem hiftorifchen
Gebrauche der S-laute fo wohl und fo geborgen, daß es ihm
ungefähr zu Muthe ift wie einem Schiffer, der nach langen
Irrfahrten endlich den fieberen Hafen gefunden hat.
§ 49* I>ie Wörter, in denen das j(? nach dem hifto-
rifchen Prinzipe fteht, find folgende — wir nehmen die
oben angeführten Wörter natiirlich aus — : außen mit
draußen außer, heißen**^ mit gebißen Bißchen Inbifi, heßer
mit fÜTbaß bloß, Amboß y daß (Part.), dreißig ver-
drießen mit yer-droßen, Droßel, (Kehlkopf) mit Gr-drqßeln^
eßen mit aß gegeßen, faßen mit Faßy Fleiß mit hefiißen.
Muß mit Fliiße, freßen mit Fraß, Fuß, Gaße, Geiß, ver-
geßen mit Yer-gaß gießen mit gegoßen Ouß Goße, Grieß
(Mehlgraupen und Kiefelfand) groß, Gruß mit grüßen,
Haß mit haßen, havßen, heiß, heißen, Schult-A 6 tj(?, Hor-
niß mit PL Homißen, Keßd, Kloß, Kürbiß mit PI. Kür-
biße, Ickßen mit ließ läßig nachläßig, Maß, fich m äußern
mit maußig, der Meiß (Holzfchlag) , Meißel, Meißen,
meßen, M^er, Muße, müßen, naß mit Näße, N^d, genie-
*) Neuhochdeutfche Grammatik von Karl Aug. Jul. Hoff-
mann (1839) S. 13—16, § 19—21.
**) Die durch den Druck hervorgehobenen Wörter find
folche, in denen der herrfohende Sprachgebrauch das
echte ß erhalten hat.
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ßen mit Qmvß, N\0 mit Niße (Lauseier), Nuß mit Nüße,
Preußen*), reißen (ziehen und zeichnen) mit Reißhxet
Beißfeder Eeißzeng Riß und Abriß, Rüßel, Ruß, Rvße,
faß noit gef^en und S^el fche\ßen, fcheußlich, fchießen
mit gefchoßen Schuß Schößling, Schleiße (Span) mit Schliß,
fehl ießen mit Schloß, Schloße, fchm eißen mit Schmeiß-
fliege Gefchmeiß, Schmiß, Schoß Schüßd Schweiß Spieß
mit fpießen, fprießen mit fproß gefproßen und mit Sproß
Sprößling, Spröße (an der Leiter) und Sprqßer (große Nach-
tigall), Steiß, richtiger Steuß, weil mhd. stiu3, ftoßen,
Straße, Strauß in dreifacher Bedeutung füß, Truchfeß,
Waßer, weiß, weißagen, verweißen (vorwerfen) Weßich,
wißen mit weiß und G&voißen (conscientia).
§ 50« Dies find die Wörter — möglicherweife fehlt
das eine oder das andere — , die nach dem einzig richtigen
hiftorifchen Prinzip e mit dem ß gefchrieben werden
müßen, weil fie im Altdeutfchen, insbef ondere im
Mhd., fammt und fonders ein 5 hatten und aus
diefem 3 fich nachweislich ($ 46) das Nhd. ß ent-
wickelt hat. Ob der vorhergehende Vokal gedehnt oder
gefchärft fei, davon wird der Gebrauch des Nhd. jö* ebenfo
wenig berührt wie dies bei dem des Mhd. ß der Fall war.
Man könnte höchftens erwarten, daß ß auch im Nhd. nach
gefchärftem Vokale verdoppelt würde {ßß)i wie dies im Mhd.
meiftens ftatt fand (33)**). Dazu liegt aber kein zwingender
Grund vor. Am wenigften zwingt dazu die auch in den Ver-
handlungen der Orthographifchen Konferenz ziemlich deut-
*) In der Nhd. Grammatik von Ho ff mann ift § 25
(2. Aufl.) fälfchlich Preuffen, Meiffen gefchrieben, ein
Fehler, der fich fchon in der erfteti Auflage befand, in
die zweite aber nicht hätte verfchleppt werden müßen.
S. oben.
**) Im Ahd. waltet in diefen Fällen noch vielfach das ein-
fache 5 vor (mejan mqßen, sejal S^d, Wajar Waßer
u. f. w.), wiewohl fchon damals die Doppelung begann
und iip Mhd. überhandnahm.
— 174 —
lieh hervortretende YerdeutlichUDgBfucht d. h. die Sucht dem
Deutfchen Volke, fo weit es eben Gefchriebenes oder Ge-
drucktes lifty einen Wink mit dem Zaonpfahle zu geben, daß
diefer oder jener Vokal gedehnt oder gefchärft fei, als ob
fchoQ jemals ein Deutfcher felbft von der mäßigften Bildung
frech gelefen hätte, weil man nicht frecJuih fchreibt, oder
Tqfchey weil man nicht Tafchfche fchreibt, oder befi, weil man
nicht befft fchreibt, und als ob es in Deutfchland irgend ein
menfchliches Wefen gäbe, das meßen oder loifien oder Wqßer
u. f. w. zu lefen im Stande wäre, weil man nicht meßßen
wißfien, Wqßfier fchreibt.
In allen § 49 nicht aufgezählten Wörtern weicht die
hiftorifche Schreibung der S-laute von dem herrfchenden
Schreibgebrauche nur wenig oder gar nicht ab. Zum Über-
fluße verweifen wir auf die Schul- (nicht Elementar-) Gramma-
tik von Hoff mann, in der man «über die Verwendung d^
übrigen S-lauta (/ (s) ff) den nöthigen Auffchluß in ebenfo
überCchtlicher wie knapper und klarer Weife findet*).
*) Nhd. Schulgr. 2. Aufl. §. 23 und 25. Wir fugen nur
noch Folgendes ergänzend hinzu: 1. daß /und s ganz
einerlei find, letzteres nur auslautend, deshalb
Schluß-es genannt , für / fteht, das lernen fchon unfere
Kinder. Es liegt aber auf der Hand, daß diefes s für
/ feiner Beftimmung gemäß auch inmitten eines Kompo-
ntums, das aus zwei Wörtern befteht, am Schluße des
erften Wortes feinen Platz hat. Alfo Ausfaat aus-
ftreuen u. f. w., aber auch dasfdbey desfelben, diesfeks.
Natürlich gilt diefe Regel nur für Deutfche Schrift,
für Lateinifche, wo / und 8 beide durch s erfetzt werden,
fallt fie weg. 2. Im Auslaute darf, fo lange es in
Deutfcher Schrift noch ein Schluß-es gibt, ein ff natür-
lich nie ftehn ; fonft würde man auch da/ Glaf u. f. w.
fchreiben dürfen; vielmehr ift dafür, fo lange der kon-
fonantifche Auslaut nicht , wie in das des es wes bis
indes tmterdes und der Ableitungsiilbe -m«, verein-
facht wird, fs zu fchreiben. Alfo Rofs Kufs vermifa.
3. Da das ß der Deutfchen Sprache eigenthümlich ift,
fo fteht ganz befonders in allen Fremdwörtern nach
— 175 —
§ 51« Die Aaefprache des ß zu befprechen haben wir bereits
Gelegenheit gehabt (§ 28 § 41 § 48), wollen aber das hier
und da Gefagte noch einmal kurz zufammen faßen. Daß,
wie noch heutzutage, « (= */), fo auch ß (j) urfprünglich
ganz feiner Zufammenfetzung (= df) gemäß gefprochen wor-
den ift, unterliegt bei dem phonetiTchen Karakter unferer
Sprache keinem Zweifel. Wer es nicht glauben will, der
gehe nach dem Nordweften von Deutfchland, wo fich die Aus-
fprache des ß noch ziemlich rein erhalten hat. Man braucht
z. B. nur die Infel Borkum zu befuchen, um dort unter An-
derem ein ganz deutliches dreidfig (dreißig) zu vernehmen.
Als dann in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts das Alt-
deutfche 5 mit verlängertem Vorderftrich (§ 38 Anm.), aKo
ziemlich entftellt, ins NeuhochdeutTche übergieng und in die-
Ter entftellten Form dem MisverftändnüTe um fo mehr preis-
gegeben war, da in jener Zeit der beginnenden orthographi-
fchen Wirren überhaupt jedwedes Verftändnis für eine ver-
nünftige Schreibung fehlte, da .war es auch, wo — zum Theil
wohl in Folge einer fchlechten Ausfprache (§ 22) — das /
in der Form ß über das des Widerftandes ohnehin nicht eben
fähige d dermaßen die Oberhand gewann, daß es fich, wie
gefagt , in der Ausfprache von / und ß kaum noch unter-
fehied (§ 41). Das ift Thatfache, und zu fagen, diefes oder
jenes Wort müße der Ausfprache gemäß mit dem ß oder mit
dem / (ff) gefchrieben werden, ift heutzutage, wo ß und / (ff)
ganz überein gefprochen werden, ein eitles Unternehmen.
§ 52« Schließlich ift noch die Frage zu erörtern, wie
der Buchftabe ß in Lateinifcher Schrift zu fchreiben fei, eine
Frage, die um fo berechtigter fein dürfte, da Herr Wilmanns
in der fechften Sitzung der Orthographifchen Konferenz fehr
wahr bemerkt hat, daß bei der Regelung der Orthographie
kurzem Vokale inlautend nur ff, alfo paffen (paffteren)
preffen Kaffe Klaffe Meffe Poffe Taffe Treffe u. f. w.,
und auslautend /«, alfo Afs Bafs Fafa Abssiefe Bkczefs
Prozefs Regrefs Rezefs u. f. w.
— 176 —
der S-laute die Rücklicht auf die immer mehr Eingang
findende Lateinifche Schrift die maßgebende fein mäße. I)ie
Wiedereinführung der Lateinifchen Schrift und der damit im
Zufammenhang ftehende Wegfall des „albernen Gebrauchs
großer Buchfiaben/^ die von den fogenannten Deutfchen
Lettern *) allerdings nicht füglich zu trennen find, war ftreng-
genommen fchon nach Jakob Grimms gründlicher Aus-
einanderfetzung in der Vorrede zum Deutfchen Wörterbuche
(I, S. LIV) durchaus geboten und ift jetzt, nachdem Karl
Geibel feine fünfzigjährigen buchhändlerifchen Erfahrungen
zu Gunften der fogenannten Antiqua in die Wagfchale ge-
legt hat, unausbleiblich. Wie foU man in diefer hoffentlich
bald allgemeinen Lateinifchen Schrift das ß fchreiben? Natür-
lich ift auch in diefem Punkte die Zerfahrenheit groß. Man
gibt nemlich unfer ß in Lateinifcher Schrift im Allgemeinen
auf drei Arten wieder und zwar 1. durch /«, 2. durch sz und
3. durch dasfelbejt?.
Was die erfte Art betrifft, fo ift es Herr von Baumer,
der diefen Gebrauch des Lateinifchen fs für Deutfehes JS
fchon früher in den „Weiteren Beiträgen zur Deutfchen Becht-
fchreibung" empfohlen und fpäter auch in der Orthogra-
phifchen Konferenz mit befonderem Eifer vertreten hat**).
Er beruft üch dabei, was wir allerdings nicht recht faßen,
auf den bekannten Umftand, daß „lateinifches fs gleich deut-
fchem ß einen mehr als hundertjährigen Gebrauch für fich
habe und daß fchon in Ramlers Gedichten und Schillers
Mufenalmanachen diefe Schreibweife fich finde. ^' Als ob da-
mit etwas bewiefen würde! Gefetzt auch, diefe Schreibweife
gienge von den Schriftftellern des vorigen Jahrhunderts, ins-
befondere von R am lern und Schillern, felbft aus, was
*) Mit gewohnter Klarheit fpricht fich über diefe foge-
nannte Deutfche Schrift aus Andrefen in feinem vor-
trefflichen Büchlein über Deutfche Orthographie S. 143.
**) Gefammelte fprachw. Schriften 8. 275 ff. Verband-
lungen der Konferenz S. 100 f.
— 177 —
doch nur möglicli wäre , wenn Jüe ihr eigenes Blanulkript in
Lateinifchen Lettern gefchrieben hätten» und das ift nicht
denkbar: folgt denn daraus in aller Welt etwas Anderesi
als daß man zu Ramleret und Schillers Zeit, wie über-
haupt in dem ganzen Zeiträume vor Jakob Grimm,
▼on dem Wefen des ß noch keine Ahnung hatte? Wenn
aber jene Schreibweife nicht einmal von den Schriftftellem
und Dichtern des vorigen Jahrhunderts, fondem, wie man
aus unzählichen anderen orthographifchen Wülkürlichkeiten
der Setzer fchließen muß, von den damaligen Druckereien
herrührt, die fleh bei ihrem gänzlichen Mangel an Verftänd-
nis für den Buchftaben ß und bei ihrer typographifchen
Mangelhaftigkeit nicht anders zu helfen wuften, als daß (ie
das in vielen DeutTchen Wörtern aus dem Mhd. gerettete j(?
in Lateinifchem Drucke durch /« erfetzten : folgt denn daraus
auch nur mit einem Schatten von logifcher Nothwendigkeit,
daß man es jetzt ebenfo machen muß , jetzt, wo uns durch
Grimm und feit Grimm der Blick in das Wefen des j(? ge-
ö&et ift und wo wir auf die BefchafPenheit unferer Drucke-
reien ftolz fein dürfen? Wir unferfeits fühlen uns gedrungen
— und wir glauben dies im Sinne aller Anhänger der hifto-
rifchen Grammatik zu thun — gegen diefe Wiedergabe des
Deutfchen ß in Lateinifcher Schrift, wie ^^ vor allen Andern
Herr von Baumer in feinen Gefammelten Schriften durch-
geführt hat, auf das aller nachdrücklichfte zu
proteftieren. Erftens nemlich verfällt n^an, indem man
das heutige ß in Lateinifcher Schrift durch §8 gibt, in einen
der gröbften orthographifchen Fehler ; denn man fetzt da einen
Doppelkonfonanten nach einem gedehnten oder doppelten
Vokale (Aee/^en fiofsen Mafa grofs)^ wovor doch fchon Heyfe
warnt durch die fehr wahre und in dem Wefen der Laute be-
gründete, deshalb auch mit gefperrten Lettern gedruckte
Regel*):
„Nach jedem gedehnten Vokale fchreibe man
*) DeutTche Schulgr. 22. Au£. S. 24, 2.
B i e D , Deutsche Orthographie. 12
— 178 —
den unmittelbar darauf folgenden Konfonanten
einfach Da eine Sübe mit einem Doppelvokale
(ai au äu eu ei) jederseit gedehnt geTprochen wird, fo kann
kein verdoppelter Konfonant darauf folgen/^
Oder will man den Leuten etwa weis machen, daß /« von
$a ve^fcbieden und daß nur /das letztere ein doppeltes s, mithin
ein doppelter Konfonant, fei ? SoUte es wirklich einen denkenden
Menfchen geben, dem es Emfl: wäre mit der Behauptung, daß m
und fs verfchiedene Laute feien, während doch der ganze
Unterfchied augenfeheinlich nur ein unbedeutender graphifcher
ift? Noch energifcher aber müßen wir uns zweitens deshalb
gegen die Vereinerleiung von j(? und fs verwahren, weil dies
der gerade Weg fein würde, um mit der Wiedereinführung
der Lateinifohen Schrift das j(?, diefen unzertrennlichen Zwillings-
bruder des Zj aus unferer Sprache vollends hinauszudrängen;
denn nach Verlauf einiger Jahre würde lieh von diefem ur-
und echtdeutfchen Buchftaben natürlich keine Spur mehr
finden. Wer alfo den Vorfchlag Deutfehes ß in Lateinifcher
Schrift durch fs zu erfetzen fördert, der fordert die Verderbnis
der Deutfchen Sprache in dem Maße, in welchem gerade diefes
J^ unferer Sprache, wie wir oben (§ 46) zeigten, ganz unent-
behrlich ift. . JedenfEklls ift der befonders von Herrn vo n Bau-
mer gemachte Vorfchlag das j(? in Lateinifcher Schrift durch
fi zu erfetzen fo über die Maßen mislich, daß wir die An-
nahme desfelben von Seiten der Orthographifchen Eonferens
nicht glauben würden, wenn Sie nicht in glaubhafter Weife
berichtet worden wäre*).
Nicht viel beßer freilich fteht es mit dem Einfalle, den
Jakob Grimm nach feinem oben befprochenen Übertritte
zur Fahne Adelungs gehabt hat. Nachdem er den in der
zweiten Auflage des^ erften Bandes der Grammatik (1822)
angenommenen Grebrauch des j(? für «« im zweiten und
dritten Bande der Grammatik bis 1832, alfo zehn Jahre
*) S. Verhandlungen der Konferenz 8. 101 und Duden
Zukunftsorthographie S. 67, § Ö3,
— 179 —
lang, konfeqnent darchgefalirt hatte, gieng er eben in der
Schreibung der S-lante zu den Adelungern über. Nach
diefer Zeit war es, wo er auf den Gedanken kam, den er
dann befonders in feinem Deutfchen Wörterbuche zur An-
wendung gebracht hat , das nun verftoßene Jf in Lateinifcher
Schrift durch ss zu erfetzen. Natürlich hat die blofie Auto-
rität eines Jak ob Grimm fchon hingereicht, um auch diefem
Vorfchlage hier und da Aufnahme zu verfchaffen. Namentlich
hat die Schreibart Grimms Eingang gefanden in den von
Fleckeifen und M a f i u s herausgegebenen Jahrbüchern für
Philologie und Pädagogik, einer Zeitfchrift, die £ich von andern
gelehrten Schriften dadurch vortheilhaft unterfcheidet, daß fie
Grimms berechtigter Forderung der Wiedereinführung der
Lateinifchen Schrift und des Wegfalls der großen Buchftaben
bei Subütantiven fchon feit vielen Jahren gerecht geworden ift.
Entfchiedene Misbilligung ift anderfeits jenem sz als Erfatz
fai ß von Seiten des fonft mit großer Verehrung an Jakob
Grimm hangenden Michaelis zu Theil geworden. Auch
Herr von Baumer weift Grimms Schreibart von (ich, aber
freilich bloß, weil er „das bereits feit mehr als einem Jahr*
hundert eingebürgerte fs durch fa oder sa zu erfetzen keinen
Grund hat"*). Wir verwerfen ebenfsdls das wunderliche 8»,
aber nicht etwa aus Vorliebe für das bereits oben gemufterte
fsy das wir noch weniger gelten laßen und deCfen Bürgerrecht
wir mit nichten anerkennen, fondem erftens deshalb, weil es
dem ohnehin fchon weit genug verbreiteten Irrthume, als fei
ß aus / und z zufammengefetzt , allen möglichen Vorfchub in
unheilvoller Weite leiftet, und zweitens, weil sz eben nichts
weniger als ein ß ift.
Das geht nun einmal unter allen Umftänden nicht,
daß man ein Schriffczeichen und noch dazu ein fo altes und lang-
bewährtes, wie ß ift, kurzweg mit einem anderen vertaufcht,
alfo in Lateinifcher Schrift fs oder fz fetzt, wo in Deutfcher
*) Michaelis über Jakob Grimms Rechtfehreibung
S. 19. Verhandlungen der Konferenz S. 70.
12*
— 180 —
Schrift ß rteht. Am Schriftzeichen haftet eben der Laut und
Ift vom ihn^ unzertrennlich; reißt man ihn aber dennoch mit
aller Gewalt von feinem Zeichen los, To wird er eben ein
wefentlich anderer, was dann wieder zur Folge hat, daX^
zarte etjmologifche VerhältnüTe zum großen Nachtheile
der Sprache zerrißen werden, wie denn z. B. Schweifi und
fchwitzen in engfter verwandtfchaftlicher Beziehung zu einander
ftehn, Schweifs und schwitzen aber oder Schweisz und schwitzen
nichts mit einander zu thun haben, fondern gewaltfamer Weife
in eine fprachwidrig unnatürliche Verbindung zu einander
gebracht werden, ohne zu einander zu gehören und zu ein-
ander zu paüen. Auch der Übergang der Lateinifchen
Lettern in die fogenannten Deutfchen*), der überhaupt nicht
beabfichtigt war und nur allmählich vor Geh gieng, gefchali
nicht etwa dadurch, daß man die bisherigen Lateinifchen
Lettern hrem manu abfchafffce und durch andere, die man nun
erfand, erfetzte — das hätte ja weder Zweck noch Sinn ge-
habt, — fondern er hatte feinen Grund in den anfangs nach
Erfindung der Buchdruckerkunft noch unvollkommenen Typen,
die zu eckig waren, als daß man damit die fchönen runden
Lettern der Lateinifchen Schrift treu wieder zu geben im Stande
gewefen wäre. Aus den auf diefe Weife etwas eckig gerathenen
Lettern **) entwickelte lieh dann nach und nach eine von der
urfprünglichen Lateinifchen immer mehr abweichende befon-
dere Schrift, die man Deutfeh nannte, weil es der gutmüthige
Deutfche fich gefallen ließ diefe entftellten Lateinifchen Let-
tern — das find ii^ ja doch im vollen Sinne des Wortes — in
*) „Leider nennt man diefe verdorbene und gefchmacklofe
Schrift fogar eine Deutfche .... nichts ift falfcher.''
Jakob Grimm Vorrede zu dem Dtfchen Wörter-
buche I, S. I. n.
^*) Jakob Grimm führt die Entftehung der fog. Deutfchen
Lettern fogar auf das 13. u. 14. Jahrhundert zurück,
wo, wie er meint, „die fchreiber die runden züge der
buchftaben an den ecken auszufpitzen begannen.'^ Vor-
rede zum Dtfchen Wörterbuche I, S. LU.
— 181 —
Gebranch zu nehmen und Geh fogar angelegen fein ließ die-
felben kalligraphifch aus zu bilden und auf zu putzen. Ähnlich
war es aber mit dem heutigen j(?. Nicht als neues Schrift-
zeichen if(; j(? an die Stelle des Mhd. 5 getreten , fondem hat
lieh unmittelbar daraus und zwar in der Weife, wie wir es
oben (§ 39 Anm.) dargethan, entwickelt. Kurz das geht
nicht, daß man einen Buchftaben, an den (ich das lefende
und fchreibende- Publikum vier Jahrhunderte hindurch gewöhnt
haty kurzweg durch einen andern erfetzt, zumal durch einen
folchen, der einem argen Irrthume über den Karakter des
aufzugebenden Buchftaben Vorfchub leiftet. Und fo. kommen
wir zu der
§ 53« dritten Art, wie man das ß in Lateinifcher
Schrift wiedergeben kann. Diefe dritte Art, 'die darin befteht,
daß man das ß in Lateinifcher Schrift einfach beibehält , ift
nach allem, was wir bisher über diefen Punkt gefagt, in der
That die geeignetfte; denn ße ßchert vor allen Dingen den
Beftand diefes unferer Sprache ureigenen und unentbehrlichen
Buchftaben und wahrt ihm feinen Karakter als dentaler Neben-
aspirata des z. Die von Grimm fpäter gegen fein eigenes
Kind, dasj(?, geltend gemachten „afthetifchen Gründe" hat
bereits Michaelis*) als „zu fchwach'< bezeichnet, „als daß
man annehmen könnte, fie feien wirklich für ihn entfcheidend
gewefen" bei dem Taufche, den er in den vierziger Jahren
traf. Ja derfelbe Michaelis hat vollkommen Recht, wenn er
ausruft : „Der im ß wie eine Locke herabhangende Zug hat
doch nichts Unafthetifches !'' Oder hat er etwas unlateinifches ?
Auch das ift behauptet worden : man hat gemeint, das ß „falle
aus dem Karakter der Lateinifchen Schrift heraus." Wunder-
licher Einwand, fo recht bei den Haaren herbeigezogen ! Der
karakteriltifche Zug der Lateinifchen Schrift ift das Runde, der
fogenannten Deutfchen das Eckige. Schon deshalb würde das
fchöne runde ß im Lateinifchen Alfabete einen ehrenvollen
Platz einnehmen, wenn es auch nicht unmittelbar aus einer
*) In der a. Sehr. S. 19. Vgl. S. 20.
--- 182 —
echt Lateinifchen Letter, dem BChd. 5, gebildet worden wäre.
Wenn wir unter diefen Umftänden die Einfnlmmg des ß in
das Lateinifche Alfabet verlangen, fo Itehn wir mit diefer
Forderung' nicht allein. Unter Anderen hat der mehr-
erwähnte Michaelis fchon vor langer Zeit (1868) die Auf-
nahme des >(? in die Lateinifche Schrift empfohlen, und, was
uns zur befonderen Freude gereicht, auch der eifrige Duden,
der die Abmachungen der Orthographifchen Eonferems fonlt
eSnigermaßen überrchätzt , ift doch im vorliegenden Falle un-
befangen genug der Aniicht des Herrn von Raumer und
dem Befchluße der Orthographifchen Konferenz entgegen in
feiner neueften Schrift, der Zukunftsorthographie, zu erlda-
ren^): „Nach meiner unmaOgeblichen Anficht wäre das fchon
viel verbreitete, durch namhafte Gelehrte empfohlene und an-
gewendete ß das beftberechtigte Zeichen in Lateinifeher Schiiffc
für Deutfehes ß. Der Einwand , daüs (sie) dasfelbe aus dem
Karakter der Lateinifchen Schrift herausfalle , wiegt nicht fo
fchwer, dafs man darum den großen Vortheü, welchen doch
unleugbar die Einförung diefes Zeichens gewären würde,
preisgeben feilte/' Wie wenig Schwierigkeiten aber die Auf-
nahme des >(? in die Lateinifche Schrift den Deutfchen Drucke-
reien mache, ergibt fich daraus, daß die betreffende Schreib-
art in vielen Schriften bereits praktifch durchgeführt ift. Wir
nennen in diefer Beziehung außer der Deutfchen Grammatik
von Grimm befonders die Schriften von Michaelis über
„Jakob Grimms Bechtfchreibung", von Andrefen „über
Deutfche Orthographie'* und „über Jakob Grimms Ortho-
graphie" und Friedrich Bauers „Grundzüge der Neu-
hochdeutfchen Grammatik," fowie feine neuefte etjmolo-
gifche Schrift. Und fo fchließen wir diefen Abfchnitt über
die S-laute, indem wir einftimmen in den von Michaelia
ausgefprochenen Wunfeh *^): „Möchten fioh bald alle ,|Ger-
maniften" — wir fügen hinzu: überhaupt alle Deutfchen, die
*) S. 67 f.
*«) A. Schrift. S. 20.
— ie3 —
da fchreiben — „über die Beibehaltang and den richtigen
Gebrauch des ß einigen.''
§ 54« Wir können nicht erwarten, daß die von uns
vertretene hiftorilbhe SchreibweiTe der S-laute durch unfere
Fürfprache eine weitere Verbreitung finde: dam ift die Macht
der Gewohnheit zu groß und das Vorurtheil gegen das hifto-
lifche Prinzip der Wortfehreibung zu ftark. Aber hoffentlich
wird man auch uns nicht zumuthen woUen, daß wir um der
lieben Einigkeit willen -^ ein anderer Grund ift gar nicht
denkbar — mit einer Art von nazionaler SelbiÜtverleugnung
dem die neuere Heyrifche SchreibweiTe dekretierenden Be-
fchiuße der Orthographifchen Konferenz uns unterwerfen oder
gar wieder zurück zur Gottfched-Adelungfchen Schrei-
bung kehren, die wir vor bereits 37 Jahren auf immer ver-
abfchieden zu können fo glücklich waren. Wir glauben im
Verlaufe diefer Schrift ein befonderes InterelTe für eine end-
liche orthographifche Einigung an den Tag gelegt zu haben,
und auf manche wichtige orthographifche Verbeßerung hat
Schreiber diefes in^v iinont yt ^vfju^ Verzicht geleiftet, weil
nach feinem Erachten durch rücklichtslofes Vofgehn auf ortho-
graphifchem Gebiete die Herftellung einer orthographifchen
Einigung gradezu erfchwert wird. Einheit auch in orthogra-
phifchen Dingen ift ein fchoner Gedanke, „ift des Schweißes
der Edeln werth/' Aber eins fteht uns doch noch ungleich
hoher, und diefes eine geben wir nicht preis um Alles in
der Welt: das ift die Wißenfchaft und — das Ziel der
Wißenfchaft — die Wahrheit. Wo es gilt eine augenfällig
wahre und wißenfchaftlich so feft begründete Schreibweife, wie
es die hiftorifche Schreibung der S-laute ift, inmitten einer
orthographifchen Verwirrung gegen eine von inkompetenter
Seite angedrungene- Schreibregel , die einzig und allein auf
Willkür beruht, in Ehren zu halten und hoch zu halten ^ da
ift Nachgibigkeit Verrath an der Wißenfchaft, da ilt und
bleibt unXer Wahlfpruch: Tu contra audeiUior üol
— 184 —
VI.
§ 55« Es würde nicht dem Zwecke diefer Schrift ent-
fprechen, wenn wir es unternehmen wollten hier alle die ein-
zelnen Wörter zu bel^rechen, über deren Schreibung* wir
eigentlich mit Herrn von Baumer nicht einig find, in fo
fem er dem unmaßgebenden herrfchenden Gebrauche folgt:
fie ergeben fich aus dem nachfolgenden Wörterverzeichniffe
von felbft. Dagegen müßen wir noch ein paar mehr oder
minder arge orthographifche Bfisbräuche berühren, die eine
ganze Gattung von Wörtern umfaßen und di^ fich ebenfalls
in Herrn von Raumers Schriften finden, ein energifches
EinTchreiten aber befonders deshalb nöthig machen, weil fie
von Seiten der Orthographifchen Konferenz unbefeitigt| ja fo-
gar ganz unberückfichtigt geblieben find. '
§ 56« 1. Umlaute. Die Umlaute äöü (du) werden als
kleine Buchitaben im ganzen richtig gefchrieben. Nur mit
ein paar Eigennamen macht man feltfamer Weife eine Aus-
nähme y besonders mit dem berühmten Namen Göthe. Daß
unter die Unzählichen, die Goethe fchreiben, auch der
gründliche und klarblickende Kehr ein gehört, darf um fo
mehr Wunder nehmen, da er felbft in feiner Grammatik'*^)
fehr richtig fagt : „ Väter, Sohne, StMe zweifilbig, nicht Va-eUr^
So-ehne, Stu-eMe dreifilbig.*' Aber auch Herr von Baumer
fchreibt Goethe und das ift befremdlich bei einem Manne,
der das fogenannte phonetifche Prinzip aufs Tapet ge-
bracht hat und der fich felbft im Gegenfatze zu den Hiftori-
kem mit Emphaf e einen Phonetiker zu nennen pflegt. Die
Form Goethe fteht nemlich in Widerfpruch ^t dem phone-
tifchen Karakter unferer Sprache, fintemal Goethe eben
Go-ethe zu fprechen ift, wie auch Itzehoe, OldesloCi
Soeft, Koesfeld urfprünglich mit getrennten oe (<he) ge-
fprochen wurden und jetzt zwar an Ort und Stelle mit abge-
^) Grammatik der Neuhochdeutfchen Sprache § 32| S. 17.
— 185 —
ftreiftem e Itzeho, Oldeslo, Soft und Kosfeld, aber
nirgends Itzehö, Oldeslö, S oft und Kösfeld lauten. Daß
Göthe felbft zu einer Zeit, wo man von den Umlauten über-
haupt noch keinen klaren Begriff hatte, fondem diefelben wo-
möglich für Poppellaute hielt, lieh Goethe fchrieb, befagt
nichts und beweiTt nichts. Wie Götz Götze Götzinger,
fo ift auch Göthe zu fchreiben und ebenfo Göben und Ge«
fchen, die man auch oft Goeben und Goefchen ge«
fchrieben findet. Jakob Grimm ift hierin mit einem guten
BelTpiele vorangegangen und der in folchen Punkten £ehr
genaue Heyfe ift ihm gefolgt.
Während aber ä 6 ü (du) mit ganz wenigen Ausnahmen
richtig gefchrieben werden, ift es umgekehrt eine rühmliche
Ausnahme, wenn man irgendwo Ä Ü Ö (Äu) gefchrieben
findet*, denn es herrfcht ganz allgemein die Unart Äe Oe Ü6
(Äeu) zu fchreiben. Auch Herr von Raumer hat die Unart
an fich. Diefem Unfiige muß gefteuert werden aus einem
doppelten Grunde. Wer will denn erftens behaupten, daß
in ä ein a und ein e, in ö ein o und ein e, in ü ein u und ein
6 fteckt? Wird nicht hin und wieder auch üi für Ü' gefchrieben?
Zweitens aber widerftreitet diefe Art zu fchreiben ebenfalls
dem phonetifchen Karakter unferer Sprache; denn Äehre ift
eben A-ehre und Od ift eben O-d und üebel ift eben XJ-ebd
und weiter nichts. Wie man dergleichen Umlaute als große
Buchftaben zu fchreiben habe, kann man von dem forgfamen
Heyfe lernen, der nie anders als il 27 (Au) fchreibt. Auch
bei Grimm, Weigand, Kehrein, Michaelis u. f. w.
findet iich diefe Schreibart, die lieh allerdings faft ganz auf
die Eigennamen befchränken wird, wenn, was recht bald der
Fall fein möge, die großen Buchftaben bei den Subftantiyen
fallen.
§ 57f 2. € h «» Das c ift ein fremder Blutstropfen in
den Adern der Deutfchen Sprache, das fteht feft; deshalb
haftet es imNhd. auch nur an Fremdwörtern. Selbft Jakob
Grimm, wiewohl dem c unbegreiflicher Weife fo zugethian,
daß er ihm einen Ehrenplatz in feinem eigenen Vornamen
— 186 —
anwies, fiigt doeh darüber im Deutfcben Worterbnclie: ,,I>a
wir gleich den Griechen und Slaren die tennis des gattnrai-
lautes mit h ausdrücken, fo ift dafür das ans dem lateinifchen
aiphabet entnommene c gans überflüfGg/* Auch Weigand,
nächft Grimm die bedentendüte Autorität in Sachen der
Wortfehreibung, nennt das e^ wiewohl er ihm ebenfalls viel
SU viel Bechte einräumt, doch einen ^^undeutTchen, aus dem
Lateinifchen Alphabete aufgenommenen Buchftaben". Nicht
anders im Wefentlichen Herr von Baumer*). Auch er
meint: ,)Wir können den Buchftaben c, phonetifch angefehn,
entbehren, und wo ein Fremdwort fich feit längerer Zeit im
Deutfchen eingebürgert hat, da vertaufchen wir das e in
feiner einen Funktion mit h, in der andern mit s. Wir haben
auch die Umwandlung des ü in % in eingebürgerten Fremd-
wörtern durchgeführt/' So weit find wir mit Herrn von
Baum er ganz einverftanden. Wir müßen ihm aber ent-
fohieden entgegentreten , wenn er fortfährt: „Dagegen bietet
die analoge Umwandlung des c ia z bedeutende Schwierig-
keiten. Obwohl diefe Umwandlung in nicht wenigen Fällen
erfolgt iffc, fteUt lieh doch «der Durchführung des Grundüttses
der bisher geltende Gebrauch entgegen. Daß die
durchgängige Zurückfühmng des e unmöglich iffc, wird man
nicht leugnen, wenn man bedenkt, daß wir dann fchreiben
müßten diu, Creue. Andrerfeits (sie) aber werden die mei-
ften (?) lieh gegen ZeiOnerf ZefOmeter, ZiUA fträubenj' Alfo
wieder und immer wieder jener heilige Befpekt vor dem ufua^
der in den orthographifchen Schriften des Herrn vonBaumer
eine fo maßgebende Bolle fpielt. Was feilte aus der Wißen-
fchaft werden, wenn lie immer zuerft und vor allem nach, dem
„bisher geltenden^' — gleichviel ob vernünftigen oder un-
vernünftigen — „Gebrauche" zu fragen hätte, und wenn ^e
nun vollends überall Halt machen wollte, wo ein Gkwohnheits-
menfch einmal die Nafe rümpft! So kommt denn Herr von
•) Grimm Dtfdi. Wörterb. II, 601. Weigand Dtfch.
Wöiterb. I, 199. Verhandlungen der Konferens S, 75 f.
— 187 —
Baamer, wiewohl er sugibt, daß „die p hon et if eben Funk-
tionen des e dorch h und vertreten^' feien, doch fchließlioh zu
dem Befnltate , daß es am rathlainrten fei das e in möglich
vielen Fremdwörtern, befonders in allen Lateinifchen, Boma-
nifchen, Englifchen und auch G^riechifchen *) Wörtern, ftehn
zu laßen. Das ift nicht der richtige Weg. Wenn feit*
fteht, wie feftlteht, daß c ein Lateinifcher, alfo fremder Bnch-
ftabe fei und eben deshalb — von eh und ch abgefehn —
nur in fremden Wörtern vorkommt, fo folgt daraus von felbft,
daß es nur in folchen Fremdwörtern (tehn kann, die eben der
Deutfchen Sprache in ihrem ganzen Wefen, befonders der
Ausfprache nach, fremd geblieben, daß aber in allen andern
Fremdwörtern die entü^rechenden Laute h und z zu wählen
find ; denn wozu hätten wir überhaupt die Lautzeichen h und
0, wenn lie nioht dem phonetifchen Karakter unferer Sprache
gemäß da angewendet werden, wo man fie fpricht? Nun
fragt fieh aber freilich, wo die Grenze zwifchen den ange-
führten beiden Arten von Fremdwörtern fei; denn eben des-
halb, weil diefe Grenze fo verfchieden gezogen wird und in
der That auch nicht leicht zu ziehen ift, ja irgend „ein Unter-
fchied • von den meiften gar nicht einmal gemacht wird, fon-
dem hier meiftens ftumpfe Willkür waltet" , herrfoht auch in
*) Griechifche Wörter, befonders Eigennamen, nach dem
Vorgange der BÖmer mit c zu fchreiben ift doppelt und
dreifach falfch. Map fchreibt fie nemlich mit einem
Buchftaben, den die Griechifche Sprache fo wenig wie
die Deutfche kennt, und fpricht fie dann obendrein
nach einer verdorbenen Lateinifchen Ausfprache, was
wieder zur Folge hat, daß manches Namens Ab-
ftammung ganz verwifcht wird. Etwas anderes ift es,
wenn fich ein Griechifches Wort wie ZyUnder («liA^v-
i^g) mit feiner faUchen Ausfprache im Deutfchen be-
reits vollTtändig eingebürgert hat. Aber Namen wie
Kiiman^ Alhünctdes, Tkuhydidea u. f. w. in C^matif Alcüna'
des 9 Thucydidea u, f. w. zu verftümmeln gehört fich
nicht.
— 188 —
der Schreibung der Fremdwörter eine nnßkgliche Verwirrung.
Diefem anleidlichen ZoTtande maß abgeholfen werden.
Der Ünterfchied, den Jakob Grimm*) hier zwifchea
den verfchiedenen Arten von Fremdwörtern macht, daß h
„längüt darchgedrangene y eingebürgerte, untilgbare Fremd-
linge anzeigt, c fpäter eingeführte, unhSufigere,*' vermag
weder die Sache zu erfchöpfen, weil fie das z ganz außer
Acht läßt, noch die Frage überhaupt zu erledigen, weil man
inmier noch zu fragen vermcht ift, woran man denn eigent-
lieh diefe „durchgedrungenen, eingebürgerten, untilgbaren'^
Fremdwörter im Gegenfatze zu den „fpäter (?) eingeführten,
unhäufigem'' erkenne. Ob ein Fremdwort eingebürgert
fei, darauf kommt allerdings — und das fcheint auch allge-
meine Zuftimmxmg zu finden — zunächffc Alles an. Aber es
fragt (ich nun wieder: welche Fremdwörter find denn ein-
gebürgert und welche nicht? und an welchem Merkmale
oder welchen Merkmalen pflegt man die einen oder die
anderen zu erkennen? Darauf läßt fich wohl folgende Antwort
als die geeignetfte ertheilen: Eingebürgert und eben
deshalb nicht mit fremdem c. fondem mit k oder z zu fchrei-
ben find alle diejenigen Fremdwörter, welche zu Deut-
fchen Wörtern geworden find, und fie werden dies
erftens durch Umbildung des Stammes, zweitens
durch Abfall der fremden Endung oder, was befonders
bei Verben der Fall ift, durch Verwandlung der frem-
den Endung in eine Deutfche, drittens durch
Deutfche Ausfprache, viertens durch Deutfche
Biegung.
Die Fremdwörter der erften Art find die eingebürgert-
ften; dahin gehören Körper KerJcer Kette Kirfche Kamerad
Kapitd Artikel Floskel Skrupel Szepter Kaplan Zentner Zirkel
Zins Zinoher u. f. w.
Die zweite Bedingung erfüllen einerfeits Ghrammatik
Vokativ Akkufativ Konjunktiv Akzent Partizip Prinzip Kon-
*) Dtfch. Wörterb. H, 601.
— 189 --
eept Rezept ZUat Konferenz Rejpekt Prozefa Ka/rfimkd Kapkäl
Kapitel KompUmmt Ozean u. f. w., wie auch der Name Jakob,
von Adjektiven korrekt konkret abstrakt u. f. w., anderfeits
Wörter wie Sekuinde KdHege u. f. w., beTonders die aus der
Lat. Endung -io entTtandenen Wörter anf -um, wie Konfeffion
Lekzion Prozeffion ZeffiOn, auch die aas der Lat. Endung -ia
gebildeten Wörter auf ie^ wie Zeremonie Enzyklopädie , femer
die aus den Lat. Partizipien auf -ans und -ena entftandenen
Wörter auf -ütU und -ent, wie Sekundant Spehdant, Äkzident
Okzident KUent Dozenty und die unzählichen Verben mit der Deut-
fchen Endung -ieren wie infpizieren klafßfizieren konfUsbieren
konzentrieren praktizieren, publizieren rekognoszieren fezieren
zemieren zertieren zirkulieren u. f. w. Die fremde Endung
abgeworfen imd zugleich umgewandelt haben und find mithin
um fo mehr eingebürgert die aus der Lat. Endung -alis ent-
ftandenen Adjektiven formeü ideeü konfeffioneU ojfizidl reeU
fpezieU u. f. w.
Fremdwörter der dritten Art lind'z. B. Etikette Kabinet
Kadett BoskMt Kannibale Kanone Kanton Karaffe Kapelle Ka-
puze Karrufeü Kajfe Kompafa Komplott Kontrafi Konzert Lektüre
Offizier Prozent Sekretär Sekte Szene ZitadeUe Zitrone auch
das Adverb präzis.
Zur vierten Art von Fremdwörtern endlich gehören
Wörter wie Akt Aukzion Doktor Rektor Faktor Kanapee Kan-
didai Kantor Kardinal Klub Konftrukzion Konftd Kontrakt
Jjokomotive Oktober mit Dezember Sklave*) Skorpion Zenfur
u. f. w.
Viele Fremdwörter, wie Akkufaivü Vokativ Konfvlait
^) Eine arge Verwirrung herrfcht in Bezug auf den Ge-
brauch von c k und z in dem fonft fo trefflichen Deut-
fchen Wörterbuche (Schmitthenners) von
Weigand. Was hier unter einem „eingebürgerten^^
Fremdworte verftanden werde, haben wir vergebens zu
errathen verfucht. Nicht einmal Wörter wie Sklave
werden für „eingebürgert" angefehn, fondem mit dem
c gefchiieben.
— 190 —
ZöUbat Mddmn Kriük Kdkf» Konärdki KanMept n. L w. er-
füllen die sweite und die vierte der geseilten Bedingungen
ungleich. Um fo weniger darf man (ich bedenken dergleioben
Wörter durch die Schreibung mit h oder z als völlig einge-
bürgerte zu betrachten.
Die tiefe Kluft swiTchen diefen eingebürgerten Fremd-
wörtern und folchen, die von unferem Volke, befonders dem
vornehmeren Theile desfelben, swar viel gebraucht werden,
aber unferer l^rache bb jetzt entfchieden fremd geblieben
lind, fpringt deutlich in die Augen, wenn man den eben an-
geführten und ähnlichen eingebürgerten Fremdwörtern
gegenüber die nachfolgenden betrachtet: Camptigne CanaiOe
Ckxprice Cafiagnette ComiU CompaffoU Ccm/pagmon Compot
Comptoir ContreUmz Controle Corps Cofiäme Cotiüon CauUffe
Cour Courier Courttfan Caufin Coufine Couvert^ fowie aecom*
pagnieren Andemnität Broiufi Bace u. f. w. Wie man mit
diefen und ähnlichen Fremdwörtern zu verfediren habe, ift
leicht zu £agen. Entweder nemlich find es folche, „welche,^
wie Jakob Q-rimm lagt, „bei größerer Acht auf die Rein-
heit unferer Sprache fich durch einheimifche Ausdrücke wohl
noch erfetzen laßen*': dann treibe man fie nach dem rühm-
liehen Beifpiele der Deutfchen Beichspoft, der in diefem
Punkte zu folgen gerade dem Preußifchen Kultusndnifterinm
fo fchön ftehn würde, fammt ihren unzählichen Großen
erbarmungslos hinaus aus unferer Sprache; oder aber fie
find uns unentbehrlich geworden und find nunmehr untilgbar :
dann gebe man nach dem Beifpiele Göthes, der fchon vor
hundert Jahren Madam MSibd Höboifiea u. L w. fchrieb, auch
diefen Fremdlingen als Zeichen ihrer Einbürgerung Deutfehes
Kleid und Deutfchen Klang — alfo Kompame Kompott
Komtor Kontertanz (wie Konterfei und Konterbafe) KontroÜe
{KoatroUir) KotüHong KuUffe Kurier Brongfe Eajje*) — ; ift
*) Vgl. den über diefen Punkt fehr verftändig urtheilenden
Duden in feiner Deutfchen Bechtfchreibung S. 85. 86.
135 und in der Zukunftsorthographie S. 74. Eines der
— 191 —
dies aber dnrchsttB nnthnnlieh, dann laße man ihnen fremdes
Kleid and fremden Klang and behandle fie aach gams ab
Fremdwörter, wie wir dies bei vielen Wörtern and Phrafen
ab da find aüons, bonboHf hommotj aofM fa^(m^ vis ä vitj femer .
bona fidCy hrevi mamtf befonders bei mofikaUTchen Kunftaas-
drücken, ab da find adagio aüegro ereseendoy and bei aas*
landifchen Steifen , als da find beefsteak, boeuf ä la mode^ vor
Allem aber bei dem Wörtehen bratfo za thun gewohnt find.
Wir konftatieren mit Freaden, daß die Orthographifche
Konferenz der Verwendang des k für o beinah die£elbe Aas-
dehnang gegeben hat, wie wir fie dringend anempfehlen.
Wir wünTchten nar, fie hätte fich nicht von Herrn von
Baamer verleiten laßen aaf halbem Wege ftehn za bleiben
and in fehr vielen Wörtern zaghafter Weife ondeatfches c
zvL belaßen, die ab eingebürgerte Fremdwörter gerechten
Anfprach haben aaf Deatfches z. Wie fehr übrigens diefe
von ans empfohlene*) and nicht bloß darch fprachliche,
fondem aach darch nazionale Gründe gebotene Befchränkang
des fremden e aaf wirklich fremde, nicht eingebürgerte Wörter
geeignet ift den orthographifchen Unterricht zum Natzen
fchlimmften Wörter dürfte Corps fein, das nie and nimmer
zadaldenand doch mit anferer militärifchen Sprache fo
eng verwachfen ift, daß es fich — fo groß ift die Macht
der Gewohnheit — nicht leicht wird befeitigen laßen.
In diefer Beziehang fallt unferem Kriegsminifteriam aach
fonft eine fchwere, aber freilich aach defto lohnendere
Aufgabe za, wenn es, wie die Beichspoft, den nazionalen
Anforderungen der Neuzeit gerecht werden will.
*) Dasfelbe thun außer dem fchon mit Lob erwähnten
Duden befonders auch Andrefen in der Schrift über
Dentfche Orthographie S. 153 ff., der aber ndt der
Einbürgerung eines Wortes einen eigenthümlichen Be-
griff verbindet, und Bezzenberger a. Sehr. S. 31|
der aber hier nicht durchgreift. Mit rühmlicher Konfe-
quenz war früher die von uns vertretene Schreibweife
befolgt in dem durch Jofeph Lehmann begründeten
Magazine der Literatur des Auslands.
— 192 —
und Frommen onferer Kinder zu vereinfachen, liegt auf der
Hand. ^
§ 58^ B.ch.^ C% ift als Anlaut in Neuhochdeutfchen Wörtern
nicht mehr vorhanden: in Chor (Ckarfreitag y Charwoche) und
Chwr {Ch/urfwrfi, ChwwU/rde), diefen Überreften aus dem Alt-
deutfchen, beginnt es Ichon läng£t dem ä; zu weichen, und
fowohl in dem BaumerfchenWörterverzeichnÜTe wie in dem
der Orthographifchen Konferenz*) fteht richtig gefchrieben
Karfreitag Karwoche Kwfürfiy eine Schreibweife , die nun
wohl für alle Folgezeit als feftftehend betrachtet werden kann.
IndelTen hat lieh diefes ch als Anlaut auch in einigen aus dem
Griechifchen ftammenden Fremdwörtern feftgefetzt. Wenn es
hier dem Grichifchen x gemäß, wie in Chi/rwrg Chemie Chaos
lautete, fo wäre nichts dagegen zu erinnern; indem es aber
ganz wie h gefprochen wird, fteht es in offenbarem Wider-
fpruche mit der phonetifchen Natur unferer Sprache. Man
feilte meinen, daß diejenigen, welche lieh nach Herrn von
Baumers Vorgänge darin gefallen in fchroffem Gegenfatze
zu den Hiftorikern als Phonetiker zu gelten, vor allen
Andern um fo mehr dazu berufen wären diefem orthogra-
phifchen Misbrauche entgegenzutreten, da* der Gebrauch des
anlautenden ch in den angegebenen Fremdwörtern nicht fo-
wohl muhiftorifch als eben xmphonetifch ift. So kennt denn
auch das Italienifche mit feiner ftreng phonetifchen und von
den Herrn, die fich fo gern Phonetiker nennen, eben des-
halb als Mufter hingeftellten Schreibweife in Ermangelung
eines k nur carcUtere, carta, carda, corOy Criflo, cronica. Von
Herrn von Baumer aber und leinen Anhängern möchten
wir behaupten , daß lle gar nicht einmal auf den Gedanken
gekommen feien die beregte misbräuchliche Schreibung zu
befeitigen; fonft würden in dem Baumerfchen Wörterver-
zeichniffe wie in ^em der Orthographifchen Konferenz**) nicht
Jetzt noch Charakter ^ Chor^ Chriflj Chronik figurieren, nachdenoi
\
*^ Verhandlungen der Konferenz S. 35, 37 und S. 163, 165.
**) Verhandlungen der Konferenz S. 31 und S 156.
— 193 —
die Konferenz felbft übier diefe jedenfalls anomale Sclireibung
ganz hinweggegangen ift. Richtig fehreibt man fchon längft —
und auch in den eben erwähnten WörterverzeichniÜfen wird
gefchrieben — Karte , wiewohl diefes Wort vor andern Wör-
tern diefer Art nicht das Mindefte voraus hat. Richtig be-
merkt fchon Andrefen in feiner orthographifohen Schrift
vom Jahre 1855*), wiewohl etwas gar zu leife auftretend : „Weil
anlautendes ch im Deutfchen nicht mehr vorhanden ift, fo
liegt billigkeit darin, daß diejenigen Wörter, welche mit diefem
zeichen urfprünglich verfehen, früh aufgenommen und einge-
bürgert find, d^sfelbe gegen deutfches k vertauf chen, wei\n
zugleich die ausfprache dafür ftimmt. Der gewöhn-
liche gebrauch wird fich vermuthlich nur zu einem einzigen
beifpiele bekennen : Jearte (charta) ; doch es genügt zur em-
pfehlung anderer, wie Tearakter ^ hrift und vielleicht hromk.^^
Richtig fteht fchon in dem vortrefflichen WörterverzeichnilTe
von Dudens Deutfcher Rechtfehreibung:**) yfiha/rakter^ gr.
Xo^f^^'^^Qy der Ausfprache entfpricht beffer die fchon vielfach
übliche Schreibung Karakter^^^ desgleichen weiter unten:
^fihokrcLf allgemein übliche Schreibung, obwohl die Ausfprache
Kolera verlangt/' und ebendafelbft : ^jChorde, beffer Korde^ lat.
Chorda," wozu freilich nur theilweife folgendes unter dem
Worte Chor Gefagte ftimmt : „Die Schreibung des Wortes mit
ch ift zu allgemein, als daß man die beffere des Mhd. mit
k wieder einführen könnte. Dasfelbe gilt für ChrifU Wo
aber Schwankung eingetreten, ift der Schreibung mit k der
Vorzug zu geben." Wozu in aller Welt diefe überzarte Rück-
ficht! Der Irrthum wird dadurch nicht gerechtfertigt, daß er
allgemein ift: man muß ihn in diefem Falle nur um fo ener-
gifcher bekämpfen. Doch das war vor dem Zufammentritte
der Orthographifohen Konferenz. In Dudens nach der
Konferenz gefchriebener Zukunftsorthographie macht
fich diefe fcheue Zurückhaltung dem allgemeinen ufua gegen-
*) Andrefen Dtfch. Orthogr. S. 152.
**) Duden Dtfch. Rechtfehreibung S. 83, 84,
Eisen, Deutsche Orthographie. 13
— 194 —
über etwas weniger geltend. Vielmehr muß man dem für die
orthographifche Beform fo rühmlicli thfitigen Mianne das Zeug-
nis geben, daß er neuerdings — vielleicht in Folge der im
Schöße der Orthographifchen Konferenz gemachten Erfahrun-
gen — etwas felbftändiger und freier auftritt als in der
Zeit vor und während der Konferenz , wo es uns nicht feiten
vorkam als wäre er auch, wie fo viel Andere, ein pedisequus
des Herrn von Baumer. Einen günffcigen Eindruck macht
es auch^ wenn er in feiner Zukunftsorthographie*)
angeüchts der Thatfache, daß ch im Anlaute^ auch wo es den
Laut von k hat, von der Orthographifchen Konferenz erhalten
worden ift, die Erklärung abgibt: „Dadurch iffc leider der
fchon hie und da verfuchten Neuerung, die Wörter KaraMer
und Kronik einfach ihren Lauten geinäß zu fchreiben, das Ur-
teil gefprochen, obgleich fie genau dasfelbe Becht haben wie
Karte aus lat. Charta, gr. o X^^VS» ^^^ ^^ mochten wir gern
auf ZuläfUgkeit plädiren.^' Er hätte hinzufügen können, daß
die ganze Frage über anlautendes ch von der Orthographifchen
Konferenz über das Knie gebrochen worden fei ; fonft würden
nicht in den von derfelben herausgegebenen Begeln**) Chaos^
Chemie, (Mrwrg^ Chorographie, Charakter, Cholera, Chor, Choral,
Chrifl, Chrordk wie Kraut und Buben durch einander liegen.
Der phonetifche Grundzug unferer Orthographie
erheifcht durchaus, daß da, wo k gefprochen
wird, auch k gefchrieben werde. Alfo Karte, und fo
auch Karakter, wie man fchon im Mhd. fchrieb und wie man
auch jetzt vielfach gefchrieben findet; aber konfequenter
Weife auch Korde und Kor {Koral Korift), mhd. kdr\ femer
Krifl, mhd. krift und Krordk mhd. krdnike^ endlich auch Ko-
lera mit kölerifch.
Inlautendes ch wird k gefprochen und ift k zu fehreiben
in Orkefter, eine Schreibung, die um fo zweckmäßiger ift, da
ile zugleich eine Art von Damm ift gegen die felbft in gebil-
*^ S. 77.
**) Verhandlungen der Konferenz ^S. 150.
— 196 —
deten Kreifen nicht feiten faKche Ausfprache Orfchefier^ die
von einem mangelhaften FranzönTchen Unterridite herrührt.
§ 59f 4. tia tie tio. Wir beiltzen im Deatfchen eine
Menge aus dem Lateinifchen ftammender Fremdwörter mit t
in der Verbindung tia tie tio ] die der letztem Art und nicht
zu zählen. Sie wurden urfprünglich fo ausgefprochen , wie
man Rg fchrieb: keinem Menfchen im alten Bom fiel es ein
natdo zu fprechen. Diefe reine Ausfpraehe erhielt Jlch aber
nicht. Indem man die beiden Silben ti-a ti-^ ti-o im tagtäg-
lichen Gebrauche, der überall unter dem Einfluße der Be-
quemlichkeit fteht, etwas haftig zuTammenraffte , fchob üch
hinter dem t allmählich ein anfangs unmerklicher, nach und
nach aber immer ftärker herrortretender ZiTchlaut ein, wie
es vom lautphyfiologiCchen Standpunkte aus fehr erklärlich
ift*). Eben deshalb, weil fie ihren natürlichen phyUologifchen
Grund hatte, blieb diefe veränderte Ausfprache nicht auf den
Volksdialekt befchränkt, fondem war, als das Italienifche im
13. Jahrhunderte eine fefte Geftalt annahm, bereits allgemein
Yßrbreitet. Aber man fchrieb nun auch diefer feften Aus-
fprache gemäß ahdieamone (abdicatio), abüasdone (habitatio),
ahoUmone {aholdtio)^ abrogazione (obrogatio), acclamazione (accla-
matio) und fo in allen ähnlichen Fällen. Man follte meinen,
die Herrn, deren drittes Wort das phonetifche Prinzip ift,
wären in diefem klaren Punkte dem Beifpiele der Italiener
gefolgt; denn auf dem ganzen Gebiete der Wortfehreibung
gibt es nichts, was in fo plumper Weife gegen den phone-
tifchen Karakter unferer Sprache verftößt, wie Nazion zu
fprechen und Nation zu fchreiben. Und doch hält der Er-
finder des phonetifchen Prinzips, Herr von Raumer, an der
Schreibung -Hon unbeirrt feft, und feine Anhänger thun es
ihm natürlich nach. Zwar laßen uns im vorliegenden Falle
die eigenen GeHnnungsgenoßen im Stiche. Andrefen, einer
der klarften und bewufteften Anhänger des hiftorifchen Prinzips,
äußert fach folgendermaßen über die befagte Schreibung : „Das
*) Vgl. Zumpt Lat. Grammatik § 6.
13
— 196 —
lat. t vor der enduDg -ia und -tum ift im franz. in c, im dent-
fchen*) in «übergegangen, z.B. jujtizy mtliz, hospiz^
welche mit „promn^^ auf gleicher linie (?) ftehn. Dagegen
irt t vor -ib im franz. (ebenfo engl.) unverändert geblieben,
und auch unfere Orthographie fcheint wenig geneigt zu fein
dasfelbe gegen z zu vertauTchen. Zwar wird um der konfe-
quenz (?) willen von einigen nicht nation, auJction, por-
tiorif konjunkttofiy interpunhtion, fondem nazion
u. f. w. gelchrieben; allein man thut recht lieh davon ab zu
wenden und beim t zu verbleiben. Kommt doch keiner auf
den gedanken lat. v in deutfches w zu verwandeln, obwohl
es den laut desfelben hat (?), nicht einmal bei dem einge-
bürgerten Worte „puZver;" fo mag auch t in der endung -tian
den laut des z vertreten." Wir haben för die hier entwickelte
eigenthümliche Anficht , namentlich für die Berufung auf das
Franzöfifche und Englifche, ebenfowenig eine Erklärung, wie
für das auch von Michaelis unbegreiflich gefundene ftarre
Fefthalten an dem undeutfchen th, Ptdwer zu fchreiben für
Pulver oder naiw und maffiw u. dergl. mehr ftände ebenfo fehr
im Widerfpruche mit unferer phonetifchen Schreibweife , wie
Nation u. f. w. Räumt doch Andrefen in einer Anmerkung
zu der angeführten Stelle felBer ein, daß fchon im Mhd.
die Spuren der richtigen Schreibung Nazion in Formen, wie
abfoluzie (Abfohtzion) , diaputazie (Düputazian) , leeze
{Leczion)y fich finden. Aber freilich hält es felbft Jakob
Grimm in dem vorliegenden Falle ftillfchweigend mit feinen
grammatifchen Widerfachem. Und die Orthographifche Kon-
ferenz? Die von ihr veröffentlichten Regeln**) — eine Ver-
handlung über diefen immerhin orthographifch wichtigen Punkt
hat unferes Wißens gar nicht ftattgefunden ***) — enthalten
*) Auch im Italienifchen : gktftissiaj miUziay oapizio. S.
oben.
**^ Verhandlungen der Konferenz S. 149 f. § 34.
***) Deshalb laßen auch fowohl Duden in der Zukunfts-
orthographie, wie Bezzenberger in den Randbemer-
kungen die Frage ganz unberührt.
— 197 —
folgende Beftimmiing : „Oft behalten auch längft eingebürgerte
Fremdwörter ihre arfprüngliche Schreibung. So bleibt t in
der Verbindung tia tie Ho: z. B. martialifch, Patient^ Nation.^^
Um aber von vom herein die auffallende Inkonfequenz zu
entfchuldigen , mit der man der eben gegebenen Beftimmung
zuwider unter Anderem überall und immer Grazie fchreibt,
wird eine Anmerkung hinzugefugt des Inhalts : ,,Aber vor un-
betontem e wird ti öfters zu zi, z, B, Gfrazie, Ingredienzien^^
Nun das ift ja richtig, zu den vielen argen Misbräuchen, an denen
unfere Wortfehreibung — es find eben die Nachwehen jahr-
hundertlanger orthographifcher Verwirrung*) ~ noch immer
leidet, gehört auch die, daß eine ganze Anzahl von einge-
bürgerten Fremdwörtern dem überwiegenden Sprachgebrauche
gemäß ihr t vor ia ie io behalten, wiewohl es ganz allgemein
wie z gefprochen wird. Aber gerade diefer Misbrauch muß,
wenn es einmal an eine Reform unferer Wortfehreibung geht,
ans einem doppelten Grunde unbarmherzig befeitigt werden,
erftens nemlich, weil er, wie fchon bemerkt ift, im grellften
Widerfpruche fteht mit der phonetifchen Natur unferer Schreib-
weife, und zweitens, weil auch hier, wie in fo vielen andern
Fällen, der Schreibgebrauch auf eine befonders für die Schule
unausftehliche Weife fchwankt. Von uns felber ganz abge-
fehn findet fich z. B. in dem fchon einmal von uns gerühmten
Magazin für die Literatur des Auslandes, von
Jofeph Lehmann herausgegeben, nie anders gefchrieben
als Generazion, ReaJezionf FraJczion u. f. w. **), Und diefe
*^ S. oben § 21—23.
**) Leider ift die gefchätzte Zeitfchrift, die ihrer Zeit in der
Rechtfehreibung wirklich etwas voraus war, wieder rück-
wärts gegangen, feit fie — was erft in der neueften
Zeit gefchehn — die Lateinifche Schrift angenommen hat.
Da trifft man wieder unphonetifche Formen, wie Nation,
Senfation, ReacHon^ und die echtdeutfchen Buchftaben
h und z haben dem undeutfchen c wieder Platz ge-
macht. Als ob das die Lateinifchen Lettern fo mit fich
brächten.
— 198 —
Schreibweife ilt nicht etwa neueres Datums: unter Andern
haben ile fchon im erlten Viertel des laufenden Jahrhunderts
zwei namhafte Männer, nemlich der Philolog Valentin
Chriftian Boft und der Philofoph Wilhelm Traugott
Krug, in ihren zahlreichen und weitverbreiteten Schriften
zu konfequenter Anwendung gebracht. Nichts ift hinfalliger
als die Idee, daß ausnahmsweife nur Wörter wie Oratde wegen
des auf die Silbe ti folgenden unbetonten e mit dem » ge-
fchrieben werden müften. Solche wunderlichen Bückßchten
nimmt der phonetifche Karakter unferer Sprache nicht. Wo
d geljprochen wird, da ift eben, gleichviel welcher Vokal und
ob ein betonter oder ein unbetonter folge, immer und überall
auch sd zu fchreiben. Alfo Namon^ Aukmon^ Porxion^ Kon-
pmkzian, Inteijmnkzionj und wie die Hunderte von Subftantiven
diefer Bildung alle heißen, femer Chraidey Akzie mit Aksdonärj
Inffredienzien, Antezedenzien, Pcunenty Qtbozient, parzidi u. f. w.,
aber auch marziaUfchy Lizenzier y Terzia u. f. w. und felbft-
Nunziua.
J
Anhang'.
§ 60« Dem Titel unferer Schrift nach find wir zu Ende.
Worüber wir mit Herrn von Baumer in orthographifcher
Beziehung zu rechten hatten, darüber haben wir mit ihm ge-
rechtet. Wenn wir trotzdem diefe Gelegenheit ergreifen, um
noch über ein paar andere orthographifche Punkte und zwar
über den (§. 8) Tchon berührten, aber noch nicht befprochenen
Gebrauch der Dehnungszeichen uns aus zu laßen, fo gefchieht
es im IntereiTe der künftigen orthographiTchen Einigung, die
nach Kräften und nach Möglichkeit zu fördern der Haupt-
zweck diefer Schrift ift.
Herr von Baum er ift bis zur Berufung der Orthogra-
phiTchen Konferenz nirgends, fo viel wir wißen, mit feiner
Anficht über die Dehnungszeichen hervorgetreten, wozu er
auch wohl keine Veranlaßung hatte, weil lieh feine früheren
Schriften vorzugsweife um das fogenannte phonetifche Prinzip
drehn und diefes Prinzip bei den Dehnungszeichen wenig
oder gar nicht in^ Betracht kommt. Erft in der für die Ortho-
graphifche Konferenz in höherem Auftrage gearbeiteten Vor-
lage (Verhandlungen S. 62) fchlägt er eine Befchränkung der
Dehnungszeichen, aber „in der befcheidenften Grenze" vor.
In der Konferenz felbft gehört er zwar, wie es fcheint, zu der
Majorität, d^ fich für prinzipielle Tilgung der Dehnungs-
zeichen ausfpricht, rath aber auch hier (Verh. S. 93) von
„ftärkeren Eingriffen*' in die gegenwärtige Schreibgewohnheit
ab und wirkt eifrig für die Beibehaltung der Dehnungszeichen
vor e and i. Und fo ift es wohl feinem dominierenden Ein*
— 200 —
flöße hftuptfachlich zu zu fchreiben, wenn die Konferenz mit
einer unmotivierten Inkonfequenz auch hier nur etwas Halbes
zu Wege gebracht hat, ein Refiiltat, das Duden, neben
Wilmanns und Imelmann das eifrigfte, umiichtigfte und
energilchrte Mitglied der Konferenz , mit Recht für ein ver-
fehltes anficht.
Daß die Dehnungszeichen felbft bei der maßvollTten Re-
form unferer maßlos verdorbenen Wortfehreibung zuerft und
vor Allem über Bord geworfen werden multen und daß gegen-
über diefen elenden Uberbleibfeln aus der wüften Schreib-
weife vergangener Jahrhunderte (§ 25) zaghafte Befcheiden-
heit und feige Scheu vor Eingriffen in die fuße Gewohnheit
fehr wenig am Platze feien, darüber find außer denen, die mit
befchrähktem Unterthanverftande fich vor dem Tyrannen ufus
beugen, wohl Alle einig*). Die dringend gebotene Her-
ftellung einer Einigung in der Deutfchen Rechtfehreibung ift
ohne Tilgung der Dehnungszeichen gar nicht denkbar.. Die
Mitglieder der Orthographifchen Konferenz, welche der von
Seiten der Majorität beabfichtigten durchgreifenderen Befeiti-
gung der Dehnungszeichen hemmend in den Weg traten (Ver-
handl. S. 108 f.), haben alfo der Deutfchen Sprache und dem
Deutfchen Volke einen um fo fchlechteren Dienft erwiefen, je
wahrer ift, was Imelmann (Yerhandl. S. 90) in der dritten
Sitzung der Konferenz bemerkt, daß „die Entbehrlichkeit der
Dehnungszeichen bereits eine populäre Überzeugung, ihre
Befeitigung ein in weiten Kreifen empfandenes Bedürfnis
fei." Dennoch würde man nach unferem Dafürhalten nicht
recht thun, wenn man die Dehnungszeichen fammt und fondera
in einen Topf werfen und in Baufch und Bogen verwerfen
wollte. Wir nehmen ^q hier einzeln durch.
In der Bezeichnung eines langen Vokals herrfchte bisher
im Deutfchen, wie wir fchon früher (§ 8) zu erwähnen Gelegen-
heit hatten, eine merkwürdige Verwirrung. Man ließ nemlich
diefe Länge in vielen Fällen ganz unbezeichnet; wo man fie
*) Vgl. oben § 35, S. 129.
— 201 — .
aber bezeichnete, da gefchah es bald durch ein hinzugefügtes
hj bald durch ein beigefetztes 6, bald durch Verdoppelung
des betreffenden Vokals.
I. Was erftens das % als Dehnungszeichen anlangt, fo muß
man unterfcheiden zwifchen dem bloßen Dehnungszeichen h
und dem wurzelhaften .oder organifchen h, das, wie in fchmäh-
lieh (Schmach) und allmählich (allgemacA) als tenuis der Gau-
menreihe mit chy der verwandten aspirata derfelben Beihe,
wechfelt (§46 S. 165) oder, wie in Ähre, fahen, {fähig), wehen,
als h fchon an der Wurzel haftet oder, wie in tsehn, durch Laut-
verfchiebung einem Griechifchen x (Sixa) und einem Lat. c
(decem) entfpricht. Das Letztere muß natürlich unangetaftet
bleiben. Was aber das erftere betrifft, fo muß man wieder
genau unterfcheiden zwifchen dem h, das, wie in Zahl, als
Zeichen der Dehnung dicht hinter dem langen Vokale fteht,
und zwifchen dem Ä, das lieh, wie in Thalf vom 15. Jahr-
hunderte ab in Folge eines feltfamen Misverftändniffes in
Wörtern mit anlautendem und auslautendem t zu diefem t ge-
feilte. *) Es ift ein nicht hoch genug anzufchlagendes Ver-
dienft der Orthographifchen Konferenz, daß fle diefes unver-
nünftige th in allen Deutfchen Wörtern erbarmungslos getilgt
hat. Eine gewiffe Vorücht erheifcht dagegen die Behandlung
des erftgenannten h. Wir gelangen nemlich durch die Til-
gung des dem langen Vokale unmittelbar anhangenden h zu
Schreibungen, wie ir in im für ihr ihn ihm. Von diefen Formen
möchte das ir allenfalls noch zu dulden fein, weil ihm kein
ir mit kurzem i zur Seite fteht. Aber in und im mit langem
i neben in und im (in dem) mit kurzem i ift und bleibt uner-
träglich, und di^s deutfche Publikum wird und kann Hch an
diefe Schreibungen nie gewöhnen. Was foll man unter
diefen Umftänden thun ? Soll man das ganze h als Dehnungs-
*) Wir vermuthen, daß diefes Misverftändnis entftanden ift
durch das Griechifche ®, das gerade damals mit dem
Wiedererwachen der klaftifchen Literatur der gebildeten
Deutfchen Welt bekannt ward,
— 202 —
«eichen beftehu laßen? Das wäre doch wahrlich recht lächer-
lieh, wenn man bei der fich jetzt darbietenden vortrefflichen
Gelegenheit „einen der fchlimmrten orthographifchen Schaden,
EU delTen Heilung fchon von vielen grammatifchen Doktoren
Hand angelegt war, durch eine Radikalkur auf immer zu b€-
feitigen^' *) 'den Wörtlein m und im zu Liebe unbenutzt vorüber
gehn ließe. Oder foll man das h als Dehnungszeichen tilgen
und nur in ihn, ihm und allenfalls in ihr noch dulden ? Es ift
dies eine Anficht, die ihre Vertreter hat und zwar befonders
deshalb, weil ihr (ihrig) ihn und ihm die einzigen Formen
find, in denen das Dehnungszeichen h nach einem i fteht.
Auch wir neigen uns offen geftanden zu der Anficht, daß
ihn ihm und zur Gefellfchaft auch ihr vorläufig unangetaftet
bleiben. Wünfcht doch felbft W e i n h o 1 d , der unfere Wort-
fchreibung mit eiTerner Konfequenz zu reformieren unter-
nommen hat, gerade bei diefen Formen eine vorläufige Aus-
nahme zu machen **). Es bliebe allerdings auch noch übrig
ir in im zn fchreiben, aber die Länge des i in diefen Formen
nach Altdeutfcher Art durch einen Apex zu bezeichnen, ein
Verfahren, das fich nach dem Wegfalle der Dehnungszeichen
auch für andere lange Vokale empfehlen würde. Wir haben
indeJTen unten (UI, a. E. S. 207) darauf hingewiefen, daß
diefer Apex bis zur förmlichen und allgemeinen Ein-
führung der Lateinifchen Schrift nicht füglich verwendet
werden könne.
n . Wir kommen zweitens zu e als Dehnungszeichen. Auch
hier muß man genau unterfcheiden. Wo das e als bloßes
Dehnungszeichen auftritt, da ift es bei diefer Gelegenheit, wo
einmal die beßernde Hand an unfere Wortfehreibung gelegt
¥rird, unnachfichtig auszumerzen. Defto mehr muß man fich
hüten dasfelbe auch da zu tilgen, wo es organifch d. h. wo
es fchon im Altdeutfchen vorhanden gewefen oder aus iu io ia
durch Abfchwächung entftanden ift. Hierher gehören außer
*) Duden Zukunftsorthographie S. 41.
**) Andrefen Deutfche Orthographie S, 31.
— 203 —
vielen einzelnen Wörtern, wie die, Dieb, Ueb, nie, ror Allen
die Präteriten der reduplizierenden Verben, befonders fieng,
gieng, hieng, die von der Konferenz mit einem unbegreiflichen
Leichtfinne behandelt worden find*). Femer gehört hieher
die Infinitiy>£ndang -ieren.
Wir haben uns über die eben genannten Imperfektformen
bereits früher (§ 29) ausführlicher ausgefprochen ; über die
auch fchon § 6 erwähnte, aber nur im Vorübergehn befpro-
chene £ndung -ieren haben wir hier hinzu zu fügen, daß die Kon-
ferenz trotz dem fehr deutlichen Winke der Herren Wil-
manns. Stauder und Bonitz auch in Betreff diefer Infi-
nitivform nicht das Richtige gewählt hat. Anftatt nemlich
im Intereffe der orthographifchen Einigung, die He zu fördern
berufen war, auf den in diefem Punkte einzig richtigen Vor-
fchlag des Herrn von Baumer**) einzugehn, hat fie aus hin-
fälligen Gründen der Uneinigkeit in der Schreibung der En-
dung -ieren fo gut wie Gefetzeskraft verliehn. Ift doch ein
Mitglied der Konferenz in feinem Eifer fo weit gegangen, daß
es die Schreibung -ieren deshalb, wie es fcheint, perhorres-
ziert hat, weil de „die Schreibung der hiftorifchen
Schule'' fei ***). Wenn ein Mann, wie Herr vonBaumer,
einer der heftigften Gegner der hiftorifchen Schule , in der
oben angeführten Stelle feiner Vorlage fich dennoch für die
Schreibung -ieren erklärt und dann hinzugefügt hatte: „Was
für uns den Ausfchlag gibt die Endung -ieren vor zu ziehn, ift
der Umftand, daß wir nur dann eine eihheitliche Schreibung
diefer Endung erreichen können, wenn wir durchweg ieren
fchreiben ; denn zu regiren, emqucvttiren u. f. w. wird man fich
fchwerlich verftehn" — , wenn ein Mann, wie Herr von Bau-
mer fich in diefer Weife geäußert hatte, fo war das doch
wohl für alle Verftändigen ein ebenfo verftändiger wie ver-
ftändlicher Wink, daß man die von unferem gröften Sprach«
Verhandl. der Konferenz S. 95 und 96.
**) Verhandl. S. 58.
***) Verhandl. S. 94.
— 204 —
forfcher gegründete hlftoriTche Schule noch fo fehr haßen
könne und doch als Mitglied der Orthographifchen Konferenz,
die zur Herltellung einer gewüXen orthographifchen Einigung
berufen war, zunächlt und yor Allem feine Angabe im Auge
zu behalten und diefer hohem Aufgabe perfönliche Grillen zu
opfern Yerpflichtet fei. Nun konnte aber von einem Opfet,
das man hier bringen mufte , für Einfichtige überhaupt nicht
die Bede fein. Zu regiren nemlich und zu einquartiren wird fich,
wie gefagt, fchwerlich jemand verftehn und noch weniger
zu marfchiren /pasdren ftudiren und am allerwenigften zu friren
verUren ziren^). Hier halten uftia und hiftorifches Prinzip
zufälliger Weife feft zufammen. Will man alfo nicht das eine
Mal 'ieren und das andere Mal -iren fchreiben und den alten
Jahrhunderte langen Wirrwarr auch femer leichtes Sinnes be-
ftehn laßen — wozu man in der That keine orthographifche
Konferenz zu berufen brauchte — , fomuß man eben durchgängig
'ieren fchreiben. Und mit der allgemeinen Annahme diefer
Schreibweife leiftet man nicht bloß dem praktifchen Bedürf-
nifTe nach möglichft einheitlicher Wortfehreibung einen wefent-
liehen Dienft , fondem macht auch die Phrafe von der „Treue
gegen unfere Vergangenheit^^ und von dem „echt hiftorifchen
Sinne" **) zu einer Wahrheit, fintemal die Schreibung -tercn, wie
bereits Herr von Baumer bemerkt hat, fchon im Mittelhoch-
deutfchen begründet und der ziemlich häufigen Subftantiv-
Endung -ier {Turnier Revier Barbier QiJbartier Pcbpier Klavier
Panier Klyftier Manier Tapezier u. f. w.) entfprechend that^ch-
lieh eine altbewährte und echt hiftorifche Schreibart ift. Siehe
Grimm Sprachlehre II, 352, Andrefen Deutfche Ortho-
graphie S. 150 f. und befonders Weigand in Schmitt-
henners Deutfchem Wörterbuche I, 529.
Um aber auf e als Dehnungszeichen zurück zu kommen,
fo gewährt die konfequente Tilgung desfelben zwei nicht un-
wefentliche Vortheile. Erftens nemlich wird dadurch „reinere
*) Vgl. was oben § 6 S. 50 bemerkt ift
**) Verhandl. der Konf. S. 109.
— 205 —
Ausfprache des organiTclien ie (in dienen , liehen y giejSen
u. f. w.) gewonnen"*) und zweitens tritt das organifche ie
nun wieder in feiner fprachlichen Bedeutung hervor, die durch
feine vierhundertjährige Vermengung mit den Wörtern, in
denen e bloß die Dehnung anzeigt, völlig verwifcht worden
war.
in. Was drittens die Verdoppelung des a e o betriflPt, fo
hat das oa den vielen Ausnahmen gegenüber {Schaf Schlaf
kam Scham jchahen fchaden u. f. w.) gar keine Berechtigung.
Es gibt nicht ein einziges Deutfches Wort, in welchem gemi-
niertes a zu fchreiben auch nur ein fcheinbarer Grund vorläge.
Ja (elbft die Wörter Saat und Staat, in denen man Doppel-a
zu halten noch am erften verfucht fein könnte, erheifchen
dasfelbe fowenig wie die Lateinifchen Formen fattis und fiatus,
von denen lie ftammen. Der Grund für diele Entbehrlichkeit
eines Dehnungszeichens hinter gedehntem a liegt darin, daß
unfer a, zumal da es fonft nur an der Wurzel haftet, eben
vorzugsweife lang ift, fo daß es gar keinen Sinn hat auf diefe
Länge noch befonders hinzuweifen. So verwirft denn auch
Jakob Grimm jede nähere Bezeichnung des langen a mit
den Worten: „Einleuchtend ift das auch überwiegende unbe-
zeichnetlaffen der dehnung allein richtig und die zweite und
dritte weife (diefes gedehnte a durch geminierung oder durch
eingefchobenes h auszudrücken) hätten längft verworfen Ti^erden
foUen, da "kam und lahm, war haar jähr für uns völlig gleichen
laut haben, um unterfchiede der bedeutung, wie war (fui)
war (verus), waren (fuerunt), waaren (merces), wahren (fervare)
darf man unbeforgt fein" **).
Etwas anders zu beurtheilen und oo und ee. Diefe
Doppelvokale müßen uns nemlich in unferem mangelhaften
Alfabete die Griechifchen Vokale w und ^ erfetzen. Qegen
00 zwar laßen fich diefelben Gründe geltend machen, die gegen
aa fprechen. Unfer o ift nemlich im Gegenfatze zu dem ftets
*) J. Grimms Worte im Dtfch. WÖrterb. I, S. LVni.
**) Grimm Dtfch. Wörterb. I, S. 3.
— 206 *-^
kurzen o fitXQov der Griechen feiner Entftehung aus a ^ond u
gemäß ebenfalls überwiegend lang)- fo daß Bot Los Mor Mas
a. f. w. ebenfowenig, wie Bote Brot Hofe los Bofe Ton Vogt
und zwanzig andere Wörter diefer Art, einer Verdoppelung
des Vokals bedürfen.
Anders verhält es lieh mit ee. Man muß hier — von
dem nicht in Frage kommenden tonlofen e ganz abgefehn —
das hohe und das tiefe e unterfcheiden. Das tiefe, das der
Ausi^rache nach dem langen ä ziemlich gleichkommt, bedarf
keiner befonderen Bezeichnung, und es fällt keinem Menfchen
ein anders als g^en Reben fchweben^ als Segen wegen bewegen,
als Weg und Steg und her quer zu fchreiben. Auch das hohe
e ift kaum einem MisverftändnÜTe unterworfen, fobald es wie in
beben lieben reden regen Hefe Hege u. f. w., im Stamme haftet; denn
die Stammiilbe fpricht eben jedermann auch ohne befonderen Hin-
weis auf ihre Betonung lang aus, und Sele und Bere miirErdbere
und Lorber (fo fchon Adelung) von den eben genannten Wör-
tern durch ein Doppel-« auszuzeichnen hat nicht den geringften
Grund. Nicht einmal in einUlbigen Wörtern, die konfonantifch
auslauten, ift doppeltes e geboten. Schwer kennen wir feit Jahr-
hunderten gar nicht anders als in diefer Form, wiewohl Luther
noch fchweer fchrieb. Was hat denn aber fehwer vor anderen
einUlbigen Wörtern mit konfonantifchem Auslaute voraus?
Warum alfo nicht, wie fehwer, auch Her (exercitus) Bet (area)
Sper (hafta), die man wegen ihres einfachen konfonantifchen
Auslautes Herr Bett Sperr zu fprechen doch fchwerlich Gefahr
läuft. Und warum nicht, wie fehwer, folgerichtiger Weife
auch ler und Mer für leer und Meer? Nur Geft für Geeft könnte,
da es kein ffi gibt, einigen Anftoß nicht ohne Grund erregen.
Trotz alle dem halten wir es aus folgenden Gründen für ange-
meßen, daß man es felbft in diefen einUlbigen Wörtern mit
konfonantifchem Auslaute vorläufig bei der hergebrachten
Schreibart laße. Erftens nemlich kann ee nun einmal nicht
ganz getilgt werden, fondem fteht, wie gefagt, fo ziemlich
feft in dem Worte Geeft, ja fteht unerfchütterlich feft in den
auf ee auslautenden Wörtern, wie Klee Schnee See, die mit
— 207 —
einfachem e za fclireibeii (Kle Sehne Se) rcUechterdingB un-
möglich ift, und Her ler Mer für Heer leer Meer zu fchreiben
dürfte im Intereffe der Einigung zunächft wenigftens nicht
rathfam fein. Zweitens hat es mit ee überhaupt eine andere
Bewandtnis als mit (la und felbft mit oOy in fo fem es uns,
wie befonders aus Wörtern, wie Kamed {xd[Ji,fjXog\ erfichtlich
ift, das Griechifche rj erfetzt und auf diefe Weife eine fühl-
bare Lücke in unferem Alfabete ausfüllt. Drittens endlich
würde man das ee allenfalls dadurch los werden können —
und dies wäre der einzige Ausweg - , daß man langes e nach
Altdeutfcher Weife überall, vornehmlich aber in den auf ee
auslautenden Wörtern, mit einem apex verfahe; diefer apex
ift aber unverträglich mit Deutfcher Schaft , und die all-
gemeine Einführung der Lateinifchen Schrift wird vorauslicht^
lieh noch lange auf lieh warten laßen. Alfo vorläufig noch
Beet Geeft Heer leer Meer Schmeer Speer Teer^)) befonders
aber Klee F^ Lee Schnee See Spree TTiee, desgleichen Aüee
Armee Idee Kaffee Komitee Livree Mofchee Porree.
§ 61, Ein zweiter Punkt, über den wir uns noch in der
Kürze ausfprechen möchten, ift die Schreibung der Eigen-
namen. Auch hier herrfcht wieder Zerfahrenheit. Zwar
fttbftantivifche Eigennamen fchreibt alle Welt mit der Majuskel.
Defto größer ift die Unordnung, die in der Schreibung der
von Eigennamen abgeleiteten Adjectiven herrfcht. Von den
vielen und mehr oder weniger verfchiedenen Vorfchriften, die
dem fchreibenden Publikum hierüber gegeben worden find,
führen wir hier nur folgende fünf aus der neueren Zeit an :
1. Nach den Regeln der Hanöverfchen Konferenz (1855)
kommt der große Anfangsbuchftabe zu (§ 1):
*) Schel ift neben /cÄ«?er für die richtige Schreibung be-
reits gewonnen; denn fo fchreiben unter Anderen das Ha-
növerfche Wörterverzeichnis, Duden Deutfche Eechtfchr.
8. 45 § 20 und S. 140, Andrefen Deutfche Orth. S. 14
und bef. Weigand Dtfch. Wörterbuch H, 571 f., wo man
die nöthige Begründung findet.
— 208 —
„Den von Eigennamen abgeleiteten Adjektiven in dem
Falle, daß diefe Abftammung befonders hervor-
gehoben werden foll. So in der Kegel bei Perfonen-
naipen. AlTo: das franzöfifche (englifche) Heer — em
ftraßbwrger Bürger, Aber ein Göthe'tcheB (^ScTdUer'tchea)
Gedicht, So unterrcheidet man englifchen Chnxß (Grliß
der Engel) und EjngUfchev^ Gruß (Groß in englifcher
Sprache — haierfchea Bier (nach baierfcher Art gebraut)
und Baierfcke8 Bier (in Baiern gebraut)/'
2. In Auguft Heyfes „Deutfcher Schulgrammatik''
(22. Aufl. vom Jahre 1873) lautet die betreffende Regel
S. 21, Anm. 2):
„Die von Ländernamen abgeleiteten Adjective werden
mit kleinen Anfangsbuchftaben gefchrieben; die von
Städte- und Ortsnamen abgeleiteten fchreibt man
belTer groß, befonders wenn üe auf er gebildet und alfo
eigentlich Subftantive find ; to auch, um MirsverftändnüXe
zu verhüten, die von Perfonennamen abgeleiteten Adjective
z. B. die europäischen Nationen, die deutfche^ frcmzöpSche^
fpanifche Sprache, weftfälifcher Schinken ; aber Ncrdhäufer
Branntwein, Rantifche Philolophie, Leipziger und Braun-
Schweiger Melfe."
3. Nach der von Dr. Schuft er beforgten 9. Auflage der
Neuhochdeutfchen Elementargrammatik von Hoffmann kommt
der große Anfangsbuchftabe (§ 10 S. 20) unter Anderem zu
„in der Regel allen von Perfonennamen abgeleiteten Ad-
jektiven, z. B. ein /Sc^iZ^rfches Gedicht — die MozartioAie
Sonate — das MeierUAi^ Haus (dagegen die luthenfche
Gonfeflion, der moSaifche Glaube). Dagegen den von
Länder-, Völker- und Orts- und anderen Eigennamen
abgeleiteten Adjektiven nur dann, wenn die Deutlich-
keit es fordert. Alfo die deutfche^ S^Mif^^^^ preußi-
Sehe Gefchichte, die hannoversche Zeitung, rheinischer
Lachs."
4. In der für die Orthographifche Konferenz beftimmten
Raumerfchen Vorlage heißt es (§ 32, Verhandl. S. 23):
— 2Ö9 -^
„Mit großem Anfangsbuchütabea fchreibt man ... die
von Perfonennamen abgeleiteten Adjektive and die von
Ortsnamen abgeleiteten Wörter aaf er : (Tnmmfche Mär>
eben, Bratmfchweiger Warft."
Dann gebt es (§ 33) weiter:
„Alle andern Wörter werden klein gerebrieben. ' Be>
fonderB find za merken: die von Perfonennamen abge-
leiteten Adjektive, welche generelle Bedeutang
haben, z. B. huherifche Kirche, homerifches Gelächter;
auch die von Orts- und Volksnamen abgeleiteten Adjek-
tive z. B. rÖmzfchy pret{fitfch.^'
5. Die in mancher Beziehung fehr tüchtige Latt-
mannfche Schrift über die Regeln der neuen Orthographie
(1876) fchreibt Folgendes vor (§ 1, S. 34):
„Mit großem Anfangsbuchftaben werden ge-
fchrieben
die von Eigennamen abgeleiteten Adjektive, z. B. das
Meieriche Haus , die Luthertche Bibelüberfetzung (aber
in generellem Sinne: die lutherifche Confeffion), das
Hcmnoverfche Theater, die Rheinifche Eifenbahn. *)
Anm. Die von Völkernamen^ abgeleiteten Adjektive,
befonders die häufiger vorkommenden, fchreibt man meiftens
klein , z. B. das deutfche Volk, die franzöfifcTien Kriege ;
die von Ortsnamen abgeleiteten Adjective auf -er find
immer groß zu fchreiben/^
Das Alles find wieder einmal lediglich „Erfindungen
der Willkür,^^ **) unter der niemand mehr zu leiden hat als
der arme lernende Eoiabe, zumal wenn er in feiner kindlichen
*) In der H o f f m a n n fchen Elementargramm, v. S c h u ft e r
(f. oben) wird gerade hannaverfch und rheinifch verlangt.
**) So urtheilt auch Andrefen, wenn er fich a. Sehr.
S. 141 äußert: „Der gewöhnliche gebrauch (in der
fchreibung der eigennamen) verfährt in hohem grade
unficher und im ganzen ziemlich willkürlich ; das gefetz,
welches er bisweilen verrätb, geht aus der Sprache felbft
nicht hervor."
Eilen, Deateohe Orthographie. 14
— 210 —
Einfalt auch noch unterfcheidea Toll, welches von dielen Ad-
jektiven jygenerelle Bedeutung*^ habe und bei welchem die
^,Abftammung noch befonders hervorgehobea^' werden folle und
wo die ^^Deutlichkeit es fordere/^ daß ein von einem Eigen-
namen gebildetes Adjectiv den großen Anfangsbuchftaben be-
komme, und welches Baierfche Bier ,,nach Baierfcher Art ge-
braut'< und welches ,,in Baiern gebraut^' fei und dergleichen
mehr. Zwar eine gewiHe Logik haben die angeführten Begeln
alle mit einander gemein, eine Logik, die wohl in dem Satze
gipfelt: die Adjektive als folche werden klein gefchrieben,
folglich auch die von Eigennamen gebildeten. Da aber diefe
Logik konfequenter Weife dahin führte, daß man auch meinin-
ger Theater und leipziger*) Meffe und fchiüerfche Gedickte und
hlopftochfche Oden und dergleichen mehr fchrieb, und da einer-
feits diefe klein gefchriebenen Adjektive das Auge doch gar
zu fehr verletzen, anderfeits aber auch die vermeintliche Re-
gel von den kleinen Anfangsbuchftaben der Adjective nicht
gar zu fehr verletzt werden durfte, fo blieb eben nichts anderes
übrig als recht inkonfequent zu fein **) und wieder ganz will-
kürlich die einen von Eigennamen herkommenden Adjektive
klein, die andern groß zu fchreiben. Was es aber für einen
Grund habe, daß man insbefondere die vier Welttheile, daß
man Deutfchland, Frankreich, Kußland und andere derartigen
Länder trotz ihrer zum Theil koloffalen Größe in adjektivi-
fcher Form klein fchreibt, während viele taufend Ortfchaften
von winziger Kleinheit ihre Adjektive mit einem großen An-
*) Daß diefe Formen auf -er urfprünglich Gen. PL des
entfprechenden Subftantivs find, macht an fich keinen
Unterfchied, da ^le^ wie Andrefen a. Sehr. S. 142
richtig bemerkt, in Wahrheit fchon längft den Eürakter
der Formen auf -ifch angenommen haben, folglich
ganz zu Adjektiven geworden find.
**) Jakob Grimm vermeidet diefe Inkonfequenz , indem
er alle Adjektive von Eigennamen klein fchreibt, z. B.
Weidmann ic\xQ Buchhandlung , henneki'ii^'ß^ Wörterbttch,
ferner lachmannifchy oftfriefifchj notkerifch. Wo bleibt
da noch eine Spur von Eigennamen!
— 211 —
fangsbucbftaben prangen lehn, das weiß der Himmel. Es
gibt nichts einfacheres und natürlicheres als die Regel über
die Schreibung der von Eigennamen gebildeten Adjektive,
wie fie das Wefen der Eigennamen mit Geh bringt. Eigen-
namen find und bleiben Eigennamen auch in ad-
jektivifcher Form. Diefe adjektivifche Form vermag an
dem* Begriffe des Eigennamens nicht das Mindefte zu ändern.
Werden al£o die fubftantivifchen Eigennamen groß gefchrieben,
fo haben die adjektivifchen Eigennamen ganz denfelben An-
fpruch auf die Majuskel. Niemand, der Lateinifch und Grie-
chifch verfteht, fchreibt jemals anders als populus Romanuß,
ri ^EXXrivix^ d^äXoioaa u. f. w. ; aber Alles, was Deutfeh ver-
fteht oder wenigftens zu verftehen meint, will nun einmal njit
wenigen Ausnahmen — weil es ihm von Jugend auf fo einge-
prägt ift — nur deutfches Volk und deutfche, franzöfifchey eng-
lifche Sprache u. f. w. gefchrieben fehn. In der erften Auf-
lage der fchon öfters gerühmten Neuhochdeutfchen Schulgram-
matik von Hoffmann ftand einft als einzig wahre Regel (§ 10) :
„Mit großen Anfangsbuchftaben fchreibt man im Deutfehen;
alle von Eigennamen herkommenden Adjektive, z. B.
Preußfeh, Heffifch.''
In der „gröftentheils umgearbeiteten" zweiten Auflage,
derfelben Schulgrammatik lautet diefe Regel (§ 18) zwar
etwas abgefcfawächt, aber doch noch ungefälfcht:
„Auch die von Eigennamen hefkommenden Adjektive
werden am heften groß gefchrieben , z. B. Preußifch,
Heffifchf iMtherifchJ'^
Möchte fich das Deutfche Publikum wenigftens in diefe*
eben fo einfachen wie vernunftgemäßen und naturlichen Re-
gel bald und gründlich einigen und zwar nicht bloß um der
lieben Einigkeit willen , fondern ganz befonders im Intereffe
unferer armen lernenden Kinder, für die unter den vielen unnöthi-
gen Plagen, die ihm die hergebrachte Wortfehreibung mit ihren
Unterfcheidungen und Erfindungen verurfacht, diejenige mit
nachten die geringfte ift, die ihnen die gangbaren Regeln über
die Schreibung der von Eigennamen gebildeten Adjektive machen.
14*
Wörterverzeichnis*).
Abendmal, f.
Mal.
Abenteuer.
ablaßen, wie laßen.
abfcbüßig Ton Ab-
fchuß, f. Schoß.
abftrakt.
abweren, f. Wer 1.
adelicb ad lieh
(S 36).
Adjektiv.
Adolf.
Advokat.
Ähre.
Akkord.
Akknfativ.
Akt, Akten, Ak-
zion.
Akzent.
Akzie.
Akzife.
Akzidenz Akziden-
zien.
AI.
Ale.
Allee.
allmählich ($
32, S. 120).
Amboß.
An, Anfrau.
anden.
anderfeits (S. 140).
anen, Anung.
angenem, f. genem.
änlich.
Anmut,
anfäßig = feßhaft,
w. m. f.
Anteil, f. Teil.
Ar.
Argwpn.
Ärmel (§ 36, 4).
Armut.
Afs.
As
Aß (Viehleiche).
Atem.
Aufrar.
auftäßigvon fitzen.
Augenlid ($
36, 5).
Aukzion.
auflfiindig, L fpitz-
fündig,
ausgibig, f. ergibig.
B.
Bai, t Note zu
Hein.
Baiem ($ 36, 7).
Ballett,
ballotieren.
Ban,an(banen).
Bankett,
bar, barfuß,^
Barfchaft.
Bare.
Bafs.
baß beßer beft ($
36, 9), beßem,
Beßerung.
*) Die mit gefperrten Lettern gedruckten Wörter find
folche, in deren Schreibung der Verf. diefer Schrift mit
der Berliner Konferenz übereinftimmt. Als Abkürzungen
merke: Andr. = Andrefen Deutfche Orthographie.
Han. = Hanöverfches Wörterverzeichnis ▼. Jiüiire 75*
Weig. = Weigand Deutfches Wörterbach.
— 213 —
Beet(J 60, m.).
befehden, f.
Fehde,
befeien befilft befil,
f. empfelen.
beflißen.
befridigen, f. Fride.
begeren , beging,
Begir(de), f. Gir.
behende (S. 131*).
behilflich, f. Hilfe,
belehnen v. Lehen,
w. m. f.
be Ionen, Lon.
beraten v. Rat,
w. m. f.
Bere.
Beredfamkeit,
beredt. (Han. 26).
Berta.
berümt, f. Rum.
befcheren.
befeien.
b efeligen.
beftetigen, f. ftets.
beteuern v. teuer,
w. m. f.
betriegen , Betrie-
ger, Betrug, be-
^trügUch ($ 36,
10).
Bewandtnis.
bewaren, f. wa-
ren.
bewären, f. war.
beweren, f. Wer, 1.
bewuft , Bewuft-
fein.
bezichtigen
(Han. 27. Andr.
25).
bider.
biegen.
Bier.
bieten.
billich, billichen
(S 36, 11. Andr.
98).
Billiett.
birfchen.
Biß (morfus) Biße.
bißchen , ein biß-
chen (§36,71).
blafs, Bläffe,
Bleffe (Han.
27).
bleuen (Han. 27).
bloß (§36, 12).
Blüte.
Bole (Bret und
Trinkfchale).
Bone.
bonen.
boren, durch-
boren, Borer.
borniert.
Borte.
böfe, boshaft.
B s k e 1 1.
Bottich , Böttcher
(Han. 27).
Bot.
Branke ($ 32).
Brantwein ($ 36,
73).
Bret (§ 36, 14).
Brief
Brongfe (bronze).
brofchieren,
Brofchüre.
Brot (§36, 15).
Brül.
BruTtwer, f Wer,l.
Budfchet (Budget).
Buffett.
Bule.
Bühl (Andr. 23).
Büne.
C.
(vgl. § 57 und 58).
Chaos.
Charitinnen.
Chemie.
Chiragra.
Chirurg.
D.
Damhirf eh.
Darlehn, f. Lehen.
das (Art. u. Pron.)
daß(Adv.).
dasfelbe, des-
felben.
Defizit.
dekatieren.
deklamieren«
deklarieren.
deklinieren.
dekretieren.
deliziös.
Demut, demü-
tig-
denen, Denung.
des, d offen, des-
gleichen,des-
halb, deswe-
gen.
deuchte v. dünken
(Andr. 67).
Deutfeh.
Dezember.
Dezimal, wie
dezimieren.
Dieb, Dieb-
ftahl.
Dienstag (§ 36, S.
120).
— 214 —
dieB(di-efeB), wie
diesmal, dies-
feit(8) u. f. w.
Diözefe.
Disziplin.
Dohle.
Doktor.
dominieren.
Donnerstag.
Drat.
dreuen , drohen
(Andr. 67).
Droge (Drogue),
Drogerei, Dro-
gift.
D r o n e.
dr önen.
DroJCrel(Singvogel).
Düte ($ 36, 19).
echt. ,
Efeu.
Ere, eren, erenvoU.
eichen, Eich-
amt.
eklich.
Ekftafe.
Elefant.
elektrifch.
Elentier.
Eltern.
emanzipieren.
empfelen empfilft
empfilt empfil ;
ebenfo befeien.
entberen.
entblößen v. bloß.
Enzyklopädie.
erbofen v. bÖfe.
erdroßeln.
ereignen, Er-
eignis.
ergetzen($36,70).
ergibig, wie gib
(Andr. 33).
erkiefen erkor
erkoren,
erlefchen, f. lefchen.
Ernte ($ 36, 84,
S. 140).
erwähnen (Andr.
23. Han. 29).
erweren lieh , f.
Wer 1.
erwidern (§ 36,
21).
eßen aß gegeßen.
E£fe.
Eßich (Andr. 96).
Etikette,
exerzieren.
Exzellenz,
exzerpieren,
exprels.
Extrakt.
fanden (fachen).
Fagott.
fal.
Fane, Fänrich.
Fantalle.
faren, Fart, Färe.
Fasnacht (§ 32,
S-. 118*).'
Faß Fäßer.
faßen, faßlich.
F e e (§ 60, IH).
Fehde, Ur-
fehde.
feien, Feier.
Feme, verfemen
(^86,81,S.139).
Fefte, Feftung.
Fibel.
Fiber (Pafer).
Fidel.
Fieber (Krankheit).
fiel V. fallen.
fieng y. fangen
(S 29, S. 107 ff.).
Firnis, -iffes.
Fittich(§36,25).
Flaus verw. mit
Flies , nicht Vlies.
Flieder.'
Fliege, fliegen,
fliehen (fliehn)
floh geflohen,
fließen floß ge-
floßen.
fliftem , Geflirter
(§36,26,8.133).
Floh.
Floß (Fahrzeug
aus Baumftäm-
men).
Floße (Fifch-
fchwimmhaut).
Flöße, flößen.
Fluß Flüße.
Flut, fluten.
Fön.
Före. ^
Franfe.
freßen fraß ge-
freßen.
Fride.
frieren V. Frie-
fel.
Fris.
frifieren.
Fron, Fron-
fefte, Fron-
leichnam,
fülen, Gefül.
Fündling.
— 215 —
fürlieb.
Fußftapfe (§36,
27, S. 133).
G.
Galer e.
Galopp.
gänen.
Gängelband.
gären gor ge-
goren. ^
Gas.
Gaße.
gebaren, aber
Geberde (S 134).
gebären gebar
geboren.
Gebirge.
Gebür, unge-
bürlich; Ge-
büren.
gedeihen ge-
dieh, gedeih-
lich.
Geeft (§60, ni).
Gefar, gefär-
lich, gefär-
den.
Gefärte.
g^flißentlich.
Geflifter, f. fliftern.
Gefül, f. fülen.
Gegenwer, f. Wer I.
Gehilfe, f. Hilfe.
Geiß.
G ei fei (Bürge).
GeiTel (Peitfche),
geifeln (§ 36, 30
und 31).
Gemal(in).
Gemüt, gemüt-
lich.
gen(ire).
geng und gebe
(§ 36, 74).
genießen, Ge-
nuß.
Genoß.
Gerät.
geraten geriet
geraten.
Gerate wol.
gefamt, f. famt.
Gefandter, Ge-
fandtfchaft.
gefchehn ge-
fchiht.
gefcheid.
Gefchmeiß.
Gefpenft.
Getreide (§ 36,
32).
Gewand.
gewandt, Ge-
wandtheit.
gewar (werden),
ge waren.
Gewär Ge-
"^ärsmann.
gewären.
G^ewarfam.
Geweih.
Gewer , f. weren.
G e w i n ft.
gewiß gewiffe, Ge-
wisheit.
Gewißen.
gewönen, Ge-
wonheit.
gib gibft gibt
V. geben, f. ergi-
big, nachgibig.
Gibel.
gieng V. gen (§ 29).
gießen goß ge-
goßen.
Gießen (Stadt).
Girlande.
Gittarre.
gleichwol,f. wol.
gleifen, Gleis-
ner, gleisne-
rifch.
gleißen (glän-
zen).
Glid(maßen).
Globus -uffe.
glühen, Glut.
Gneis.
Goße.
Gote, Gotifch.
Gras.
graß, gräßlich.
Grat, Gräte, grätig.
Gräuel , gräulich
(Grauen).
Grazie.
Grenze.
Griesgram.
Grieß.
groß größer
gröft.
Großmut, f. Mut.
Grummet.
Gruß Grüße.
gültig (§36, 34).
H.
Häckerling od,
Häckfel von
hacken.
Hafer.
Hai, f.Note zuHein.
Han.
Hanover, HanÖv-
rifch.
hantieren.
Har, hären,
Härchen.
— 216 —
harangieren.
Haß, haßen, häß-
lich.
Haupt.
Hausrat, Haus-
gerät, f. Gerät.
Haustür, f. Tür.
Heer (§ 60, UI).
Heimat.
Hein (lucus)*).
Heirat (§36, 75),
Heirauch, nicht
Höhenrauch , f.
(Weig.I,493f.).
Hei, Heier, ver-
helen.
her, f. herfchen.
Herd.
Herde.
Hering.
Hermann.
herrlich.
Herrfchaft.
herfchen (Andr.7d).
Hespe.
hieng(S29S.107ff.).
hieß y. heißen.
Hifthorn (§ 36,
42).
Hilfe, behUflich,
Gehilfe (S 36,
41, S. 135).
Himbere.
hinterlaßen, wie
laßen.
Hoboift.
Hoffart.
Hoheit.
Hole,
holen.
Hon, hönifch,
(ver)hönen,
Horniß, Homißen.
Hun, Hüner.
Hüne.
Hut.
Hyazinthe.
*) Wir nahmen erft Anftand von den meift durch die Unter-
fcheidungsfucht befchränkter Grammatiker gefalTchten
Wörtern mit inlautendem oder auslautendem ai auch nur
einige ihrem urfprünglichen ei zurückzugeben. Aber der
Gedanke, daß auch in Formen, wie Ei (ovum), feig
(ignavus), feü (venalis) , reichen (porrigere), Reif (circu-
lus), reifig (equefter), die noch vor Schottel aus dem-
reiben unwißenTchaftlichen Grunde der Unterfcheidung (von
ei (Interj.), Feige , Feile, Reichen y rdfy Rdfieh) mit dem
ai gefchrieben wurden , das ei fchon feit Jahrhunderten
wiederhergeftellt worden ift, ja daß Getreide, Hdäe,
Meifche, Weizen, die zu Anfang diefes Jahrhunderts bis
in die dreißiger Jahre hinein auch noch mit dem nn-
hochdeutfchen ai erfchienen, nun ebenfalls allmählich
AufQahme gefunden haben, und der Gedanke, daß ortho-
graphifche Reformen gerade jetzt, wo man feit Jahren
darauf gefaßt ift, leichter als vielleicht jemals wieder
Eingang finden, — das Alles hat uns beftimmt von den
bisher mit dem ai gefchriebenen Wörtern zunächft wenig-
ftens folgende, bei denen eine Verwechslung nicht ein-
mal für Kinder möglich ift, der Verderbnis zu entreißen :
Hein (lucus), Ldkei, Leich (Frofchleich), Meid, Meiß,
Weid, Zein. Zwei von diefen, nemlich Bein und Meid,
dürften die Wiederherftellung des ei um fo dringender
beanfpruchen , da Re aus hagen und maged ehtftanden
find. S. S 36, 32, S. 134.
— 217 —
J.
jäh.
Jakob.
Jar, järlich.
I.
-ieren (Infinitiv-En-
dung S 60, II).
Imbiß, r. beißen.
indes^indeffen.
infizieren.
inkonTequent, f.
konTequent.
inkorrekt, f. kor-
rekt.
Infekt.
Infpektor, in-
fpizieren.
Inftinkt.
Inftrukzion.
intellektuell.
Interdikt.
Interpunkzion.
Intrige, intrigieren.
Irrtum.
Kabale.
Kabinett.
Kabriolett.
Kadett.
Kä (quai).
Käfich.
Kakao.
kal.
Kam kamig.
Kameel(S.207).
Kamif ol.
Kan Käne.
Kanapee.
Kandidat.
Kantate.
Kanton.
Kantor.
Kap.
Kapelle.
Kaplan.
Kapital.
l^apitän.
Kapitel.
kapitulieren.
Kapuziner.
Karabiner.
Karawane.
Karbonade.
Kardinal.
Karfreitag.
Karwoche.
Karfunkel.
Karikatur.
Karl, Karoline.
Karnewall.
karrikieren.
Karrikatur.
Kartätfche.
Kartaun.
Karte.
Kartell.
Karton, karto-
nieren.
Karuffel.
Karzer.
Kafematte.
Kaferne.
K a f i m i r.
Kafino.
Kaffe, (ein)-
kaffieren.
Kafferolle.
Kaftell, Ka-
ftellan.
Kafus, kafuell, Ka-
fuiftik.
Katalog.
Katafter.
Kauffarer.
Kautel.
Kauzion.
Kavalier.
Kavallerie.
Kaviar.
keichen ($ 36,
88, S. 140).
Kele.
keren, Ker, Ker-
feite.
keren, Kericht,Ker-
aus.
Keßel.
Keuler (§ 36, 89,
S. 140).
Kien.
kiefen, f. erkiefen.
Kil.
Kipe.
Kinnes od. Kirmfe.
Kis.
Kifel.
Klara Exarchen.
Klarinette.
Klaffe, Klaffi-
ker, kiaf-
fifch, klaffi-
fizieren.
Klaufe.
K laufe l,verklau-
fulieren.
Klavier.
Klee (S 60, m).
Klerus, klerikal,
Klerifei.
Klient.
Klima, akklimati-
fieren.
Klinik.
Kloake.
Kloß Klöße.
Klub.
Kliftier.
— 218 —
Knaul.
Kjiie, knien«
Knüttel (S 36,
43).
K o-, K 1-, K m-,
Kon-,Kor- in al-
len eingebürger-
ten ($57) Fremd-
wörtern , wie
kooperieren, ko-
ordinieren, Kol-
lege, Kollek-
te, Komponift,
Kommiffion,
Konferenz,
Kongrefs,
Kongruenz, Kon-
zeffion, korre-
fpondieren,
korrigieren.
Kofent.
Kokarde.
Koks.
kokett.
Kokosnuß.
Koly Kolrabi.
Kole, Köler.
Kolibri.
Kolik.
Kolett.
Kolon.
Kolonie.
Kolonnade.'
Kolonne.
Kolophonium.
kolorieren.
Kolofs, ko-
loffal.
kolportieren.
Komet.
Komitee.
komitieren.
Komma.
kommandieren,
Kommandant.
Kommandite.
Kommers (Gelag).
Kommerzien-
rath, kommer-
ziell.
Kommiffär.
Kommif s
(- b r 1) u. f. w.
Kommode.
Komödie.
Kompanie.
Kompafsj-affes.
Komplott.
Kompott.
Komtor (comptoir).
Komtur.
Kondor.
Konfekt.
Konflikt.
Konjugazion.
Konjunkzion.
Konjunktiv,
konkav,
konkret.
Konrad, Kurt.
Konfens.
konfequent , Kon-
fequenz.
Konfiftorium.
Konfonant.
Konftabler.
Konftantin.
Konftrukzion.
Konful.
konfultieren.
Konterfei.
Kontinent.
Kontingent.
Kontrakt.
Kontraft.
Kontrolle.
Konzept.
Konzert.
Kopie, kopieren.
Kor (Chor).
Kornel(kir-
fehe).
Kornett.
Korporal,
korrekt.
Korridor.
Korfar.
Korfett.
Korvette.
Kosmopolit.
Koffat.
K oft um.
Kot, kotig.
Kotelett, das.
Kothurn.
Krakke (Weig. I,
629).
Krähe, krähen.
Krakeel.
Krammetsvo-
gel.
Kran.
krafs.
Kraufemünze.
Kräufel (nicht
Kreifel).
Krawatte.
Krawall.
Kreatur.
kredenzen.
Kredit, kreditie-
ren,
Kreditiv.
Kreis , umkrei-
f\ßn.
kreißen.
Kreole.
Krepp.
Kreffe.
/
— 219 —
kri€clifin,
Krieg.
Krift, kriftUch,
(nicht Chrift).
kriminell.
Kritik(er), kri-
tifch, Krife.
Kriftall.
Krokodill.
Kronik (nicht Chro»
nik).
Krupp (Hüften),
Kruzifix.
Kubik.
Kuckuk.
Kuh.
K uj o n,kujomeren.
kül.
Kuliffe (Andr.
158**).
Kult(u8), Kul-
tur, kultivie-
ren.
Kur, Kurfürft.
Kur (Heilung), ku-
rieren.
Kürafs, Küraf-
fier.
Kuratel.
Kürbis -iffee.
Kurie.
Kurier.
Kurren d e.
Kurrentfchrift.
Kur», kuriieren.
kurfiv.
Kurfus.
Kufs Küffe, küffen.
Küffen (S 36, S.
140 f.).
I..
Labyrinth.
Laib TBrot).
Lakei (Andr. 60 f.
u. Note zu Hein).
lam, lämen.
L a n (Metall-
draht).
Landwer, f. Wer, 1.
laß , läßig , nach-
läßig.
laßen ließ gelaßen,
hinterlaßen,
(lieh) verlaßen.
läuten V. laut.
lawieren.
Lawine.
Lee, Leebord.
leer, 1 eer en
(S 60, m).
Lehen, Lehn,
Lehnsrecht,
Lehns herr,
Dar lehn.
Leich (Frofch-
leich). S. Note
zu Hein.
Leichdorn.
Leie (Nichtgeift-
licherj, f. Note
zu Hein,
leihen.
Lektüre.
Lekzion.
Lern.
Lene, lenen (ab-,
an-, auflenen).
Lerchenbaum,
leren, Lerer.
Lerm.
lefchen (§ 36, S.
135).
lefen lifeft lift lis
(§ 36, 8. 135).
leugnen, ver-
leugnen ($36,
46).
Leumund, ver-
leumden.
Leutnant (Andr.
158).
Levkoi.
Lichtmefs oder
-meffe.
Lid, Augenlid.
lieb, lieben.
Lied.
liederlich.
lief V. laufen.
Ufern.
ligen.
Likör.
Life, Lischen, von
Elife, Elifabeth.
Liter.
Liwree.
Lo (Rinde z. Ger^
ben), daher Lo-
gerber , Loku-
chen u. f. w.
Lohe (Glut).
lokal, Lokal.
Lokom otive.
tion, Ionen, Lö-
nung.
Lorber, f. Bere.
Lomiette.
Los (sors), lofen,
Lofung (§ 36,
76).
los, lofe, lösen.
loslaßen, wie laßen.
Lofche (Loge).
Lot, löten.
Lothar, Loth-
ringen.
Lotfe.
loyal.
— 220 —
lügen*) log ge-
logen.
Laife.
Lyzenm.
lynchen.
Lyra, lyrifch,
Lyrik.
M.
Mad Mäder (Weig.
n, 84).
mähen.
mähHch, r. allmäh-
lich.
Mai mit Maie.
Main.
Mainz.
Mais.
Maknlatar.
Mal in allen Be-
deutungen.
malen in beiden Be-
deutungen.
Mammut.
Mäne.
manen, Ma-
nung.
Manier, manie-
riert.
mannigfach.
Manöver.
Manfchette.
Manufaktur.
Manufkript.
Märe, Märchen.
Margarete.
Markife.
marode, marodie-
ren, Marodör.
marfchieren.
Märtirer.
Martha.
marzialifch.
maTTakrieren.
Maffe, mafriv.
Maß, die und das
(Weig. II, 114 f.),
Maße, die (Weig. n,
115).
Maßholder.
Mathematik.
Maus.
maufen.
maußem, lieh.
Maut.
Medizin.
Meer (§ 60, IH).
Meerrettich, f. Ret-
tich.
Meier, Hausmeier.
Meid (Mädchen).
Meifche, meifchen.
Meiß.
Meißel.
Mel.
Melankolie.
Meltau.
Menafche, lieh me-
nafchieren.
Menafcherie.
Menuett.
Merz (Weig. 11,
146).
Mesner.
Meffe, Meffl-
buch.
Meffing.
Meütize.
Met.
Meter.
mied v. meiden.
Mieder (Andr. 43).
mieten, yermieten.
Militär , militä-
rifch.
Mine in beiden Be-
deutungen ; da-
her fowohl Mi-
nenfpiel wie mi-
nieren.
minorenn.
Mirte (Andr. 59).
Mifanthrop.
Miszelle.
mis- in allen Zulam-
menfetzungen,
wie mißlich, Mis-
mut u. f. w,, da-
gegen MilXetat
(S. 138).
milTen, f. vermilTen.
Mite (Mühe).
Möbel.
Modell.
mokieren, lieh.
Mon, Monku-
chen, Monöl.
Mor in drei Be-
deutungen, daher
einerfeits Mor-
brand, anderfeits
*) Entftellt aus liegen log gelogen und zum unregelmäßigen
Verb gemacht durch die leidige Sucht gleichlautende
Wörter zu unterfcheiden. Rückkehr zur regelmäßigen
Form ift nöthig, aber für jetzt onthonlich. S. Andre-
ren a. Sehr. 41 f.
— 221 —
Morenland und
Morerde.
Morrübe.
Mos, mofig.
Möwe.
Mume.
Munizipien.
moÜGeren.
Mus, Gemüfe.
mullzieren.
müßeu muß mufte
gemuft.
Muße, müßig.
Mut, mutig,
mutlos, Mut-
wille, mut-
maßen.
mütern (y. Erebfen,
die Schaale weoh-
feln), verw. mit
maußern.
Mythe, Mytho-
logie.
N.
nachamen.
nachgibig , f. er-
gibig.
nachläßig.
Nachteil.
Nachtigall.
nahe, nächft.
nähen, Naht.
naiv, Naivetät.
Name, nament-
lich.
nären, Narung.
Narr, Narretei.
Narziffe.
nafeweis.
naß, Näße.
Nazion.
Neidnagel.
nemen nam genom-
men, yememUch.
nemlich ($ 36, 78,
S. 138).
Nerv, nervös.
Neßel, Brenneßel.
nie, niemals,
niemand.
niedlich.
Niednagel, f. Neid-
nagel.
Niere.
niefen, Nies-
wurz,
Niete.
Nießbrauch.
nieten.
-nis -nlCfe.
nivellieren.
nörgeln.
Nößel.
Not nötigen
not tun.
Notwer, f. Wer 1.
Nuß Nüße Nuß-
fchale.
Nut.
Nutznießung.
Nymphe.
O.
Oberft.
Objekt.
obskur.
obwol.
offiziell.
Offizi«er.
OffizJn.
Oheim Ohm.
okkupieren, Okku-
" pazion.
Ökonom.
Oktober.
okulieren.
ökumenifch.
Okzident.
Ol.
Om (Maß).
one.
Onkel.
Onmacht, on-
mächtig.
Or Oren.
Or, NadelÖr.
Orangfche.
ordinär,
ordinieren.
Orthographie.
Öfe.
Pabft (§. 36,
S. 119).
Pack.
Paket.
Palaft.
Paleto (Überrock).
Pallifade.
Pamphlett
Panazee.
Panier.
Papier.
Par, Pärchen,
par.
Parchent.
Parkett.
Partei.
Parterr.
Partie.
Partikel.
Partizip.
Parze.
Pafche (Page)
Pasquill.
Pafs Päffe,
PaiXafchier.
— 222 —
palTen.
pafüeren.
Pate.
pathetifch.
Patrizier.
Pausba cke.
pausbäckig.
Paufe.
Pazient.
Pedell.
perennierend.
Perfekt, Per-
f ektum.
perfonifizieren.
Perfpektive.
Perücke.
Petizion, petionie-
ren.
Petfchaft.
Pfal, pfälen.
Pfriemen.
Pfui.
Pfül.
Pharmazeut.
Picknick,
pikant.
Pikett.
Pionier.
Pomp, pompös.
populär.
Pore, porös.
Porree.
Portepee.
Porträt (fprich,
wie du fchreibrt),
porträtieren.
Porzion.
Pofamentier.
Poffe, poffier-
lich poffen-
hi^ft u. f. w.
Poftillion.
Prädikat.
Präfekt.
praktifch, prak-
tizieren, Praxis.
pralen, Pralerei.
prafTeln.
praüen.
präzis.
Preifelbeere.
Preis, preifen
pries gepriefen,
preisgeben
(Andr. 38).
Preffe, preffen.
Priefter.
Prinzip.
Prife.
Pritfche.
Probft (§. 36,
S. 119).
Produzent.
Produkt.
Projekt (fpricli,
wie du fchreibft).
profkribieren.
Profkripeion.
Profpekt.
Prozent.
Prozefs, Pro-
zeffe.
Prozeffion.
publizieren.
Punkt, punktie-
ren.
Q.
Quartett»
Quartiefi^
quer.
quiken.
quitt, quittie-
ren.
Quozient.
B abatt.
Rabatte.
radieren.
Radischen.
raffiniert.
Rain, X. Note zu
Hein.
Rahe.
Ram(Fette Milch).
Ramen (Einfa-
ßung).
Rappier.
Rapport, -ieren.
Rafen.
rafier en.
reformieren.
Raffe.
rafCeln.
Rat, Rathaus,
Stadtrat.
Rate.
Rätfei.
rauh, Rauheit.
razionell:
Reakzion.
Rebell, rebel-
lieren.
Rebhun.
rechen, der Rechen.
rechnen, Re-
chenbuch,Re-
chenftunde
u. f. w.
Rede Reder Rede-
rei.
reflektieren , Re-
flexion.
Regatta.
regieren.
Reg refs.
regulär, regulie-
ren.
— 22d —
Reh j Bicke.
reiben rieb gerie-
ben.
Reigen.
reihen, Reihe.
Reis (virga), Rei-
fich.
Reis (oryza).
Reislaufen, das.
reifig, der Rei-
fige.
reißen riß gerißen,
Riß Riße, Reiß-
bret, -feder.
reiten, Reiter,
reklamieren.
rekognofzieren.
Rekonvales-
zent.
Rekrut.
Rektor.
Renntier.
renommieren, Re-
nomee.
Rentner (nicht
Rentier).
Refkript. .
Refpekt, refpek-
tieren.
Reff ort (fprich,
wie du fchreibft),
reffortieren.
Rettich.
Reude (Andr.
66).
Reufe.
reüffieren.
Reuße,Ruße,Ruß-
land.
reuten, aus-
reuten.
revidieren.
Revier.
Revoluzion.
Rezenfent, re-
zenfieren.
Rezept.
Rezitativ.
rieb gerieben von
reiben.
riechen,
rief V. rufen.
Riemen.
Riefter.
Rießling.
riet V. raten.
Riet, Rietgras.
Ris (Papier).
Rife, rifig.
rifeln.
rikofchettieren.
Rifiko, riskieren.
Riß (Öffnung durch
Reißen) und Riß
(Zeichnung in
Linien) mit Ab-
riß, Grundriß,
Umriß V. reißen,
wo m. f.
roh, Roheit.
Ror, Rörich(t),
Rordommel,Ror-
fperling, ein
Wort mit
Ror, Röre.
Rofs Roffe.
rot, (er) röten.
Rollo (rouleau).
Rubrik, rubrizie-
ren.
Rudolf.
Rum, rümen, rüjn-
lich.
Rumm (Getränk).
Rüpel.
Bur.
ruren, rijkrig,
Rürei.
Ruß, rußig.
Ruße, f. Reuße.
Rüßel.
Rute, Marlchrixte.
Rutine.
S.
Saite, Saiten-
fpiel, Darm-
faite; f. Hein
mit der AnuL
Sakrament.
S a k r i ft e i.
Sal
falarieren.
Salat.
Salbader.
Same.
Sammet,
Sam mt.
famt, fämtlich
(Verhandlungen
S. 13, § 3 c.
Andr. 73),
Samstag.
Sane.
Sanftmut.
Sarkasmus.
faß gefeßen v.fitzen.
Sat, Ausfat.
Satire.
Schaft.
Schafott.
fchal.
Schalotte.
Schaluppe.
Scham.
Schar.
Scharnier.
Scharteke.
fehattieren.
— 224 —
Tcheifien fchiß ge-
fchißen.
fchel, fchellichtig.
SchelTucht, fchel-
füchtig.
Schere, fche-
ren.
Scheufal.
fcheußlich.
fchieben.
fchief.
fchien gefchienen
y. fcheineD.
Tchier.
fchießen fchoß
gefchoßen, f.
Schuß.
Schiffer.
Schiffart, f. fa-
ren.
Schikane,
fchilen, verw. mit
fchel.
Schimäre.
Schine, Schinbein.
SchirUng.
Schlaraffe.
Schlehe,
Schlehdorn,
fchleißen fchliß ge-
fchlißen.
Schleufe.
fchlief V. fchlafen.
fchliefen fchloff
gefchloffen, f.
fchlüpfen.
fchließen fchloß
gefchloßen,
fchüeßHch, f.
Schloß, Schloß,
Schlüßel.
Schlittfchuh.
Schloß y. fchließen.
mit Schloßer ei-
nerfeits und mit
Schloßgarten
n. f. w. ander-
feits.
Schloße (Hagel-
korn).
Schlot.
fchlüpfen,
fchlüpfrig y.
fchliefen.
Schluß yon fchlie-
ßen , (un)fchlü-
ßig.
Schlüßel y. fchHe-
ßen, Schlüßel-
blume.
fchmähe;n yon
Schmach, woyon
auch fchmäh-
11 eh.
fchmal, fchmä-
lern, fchmä-
len.
fchmeißen ,
Schmeißflie-
ge, Schmiß.
Schmer.
Schmid, fchmiden
(S 36, 79,
S. 139).
fchmiegen.
fchmieren.
Schnee (§ 60, HI).
Schneife.
fchneuzen.
fchniben fchnob ge-
fchnoben.
fchnigeln.
Schokolade.
Schoner.
Schoß (Steuer) mit
fchoßfrei fchoß-
bar. Schößer
(Schoßeinneh-
mer) und
Schoß (junger
Trieb) mit
Schößling y.
fchießen.
Schoß, Schoß-
kind.
fchraf fieren.
Schuh, Schu-
fter.
Schultheiß.
Schuppe (kleine
Schaufel, Weig.
n, 646).
fchurigeln.
Schuß Schüße, f.
fchießen.
Schlüßel.
fchwären fchwor
gefchworen.
Schweiß , fchwei-
ßig; dayon auch
das Tranfitiyum
fchweißen.
fchwelen, f. fchwül.
Schwert (J 36,
55).
fchwieg y. fchwei-
gen.
Schwigel.
Schwiger , Schwi-
gerfon , Schwi-
gertochter, yerw.
mit Schwäher.
Schwile.
fchwirig.
fchwül, Schwü-
1 e , verw. nodt
fchwelen.
fe che, fech-
fter,
— 225
fechzehn
Tech zig.
See PI. Seen
(§ 60, ni).
S egen, fegnen.
fehen (fehn) fihft
fiht fih.
Seide.
Seite (latus),
Seitenblick,
Seitenlinie.
Sekretär.
Sekt.
Sekte.
Sekunde in beiden
Bedeutungen.
Sekzion.
Sekundant.
felbftändig.
Sele.
feiig.
fenen, fich, Sen-
fucht.
Serfchant (Andr.
158).
Serwis (fprich, wie
du fchreibft).
Serwiette.
Seßel, mit Gefäß,
feßhaft (f. anfä-
ßig), Satz u. f. w.
von fitzen.
Seule (Andr. 67).
üben, fibzehn, fib-
zig.
iideln, anüdeln.
fiech, Siech-
tum, Siech-
haus.
üeden.
figen, Siger, fig-
reich.
Sigel.
Eisen, Deutsche Orthographie.
Silbe.
Sittich,
fittig, fitt-
lich.
fitzen, f. faß und
Seßel.
fkalpieren.
fkandieren.
Skat.
Skelett.
Skeptiker.!
Skizze, f kizzieren.
Sklave.
Skorbut.
Skorpion.
Skribent.
Skriptur.
Skrofel, fkro-
fulös.
Skrupel, fkru-
pulös.
Skulptur,
fozial, Sozietät.
Sofa.
Sole in beid. Bed.
Son Söne.
Sonett,
fortieren.
fufflieren , Sufflie-
rer.
Spalier.
Span Späne.
Spas, fpafen (Andr.
133).
Spat.
fpazieren,
fpediren. Spedierer.
Speer (§60, III).
Spektakel,
fpekulieren, Speku-
lazion.
Spezerei.
fpie V. fpeien.
Spiegel.
Spieß.
Spil, fpilen.
Spirling.
fpitzfündig , wie
ausfundig (S.
117).
Sprichwort.
fprießen fproß ge-
fproßen, bef. ge-
bräuchlich in
dem Eompof.
entfprießen, mit
Sproß u. Spröß-
ling, ßproße (an
derLeiter), Spro-
ßer (Nachtigall).
Staffafche.
ftagnieren.
Stahl, ftählen u. f. w.
Staket.
Star.
Star (Widder).
Stat Staten,
ftatlich, Hof-
ftat, Stats-
rat, u. f. w.
Statt, Stätte,
Stätten,Statt-
h alt er.
ft a 1 1 1 i c h.
ftäuben v. Staub,
abftäuben.
ftäupen V. Staupe.
Stazion.
ftelen ftilft ftilt ftil.
ften (ftare), wie gen.
ftet, ftetig mit Ste-
tigkeit, ftets,
dah. auch befte-
tigen und unftet.
ftieben ftob gefto-
ben.
15
226 —
ftief mit Stief-
mutter,Sti€f-
fon u. f. w.
Stiege.
Stier.
ftieß y. rtoßen.
Stifel.
Stiglitz.
Stil in beiden Bed.
ft ö n e n.
Stral Stralen,
rtralen.
S träne.
Straße.
fträuben. '
Strauß in allen
Bedeutungen.
Streik (ftrike),
ftreiken.
Striemen. '
Strigel, ftrigeln.
Stroh.
rtudieren.
Stul.
Subjekt.
Subfkribent,
Subfkripzion.
Subtrakzion.
Sukkurs.
Süne, fünen.
fuverän.
Syndikus.
Szene.
Szepter.
T.
Tabak.
Takt.
Taktik.
Tal, Flußtal.
Taler.
Tambur.
TalTe.
Tat, Tatkraft,
tätig, Täter,
u. f. w.
T a u in beiden Bed.
tauen (von Eis und
Schnee).
Teer ($60, HI).
Teich.
teig (vom Obfte)
verw. mit
Teig,*B rotte lg.
Teil, teilen,
teilhaftig,
Anteil, teil-
nehmen.
Teppich.
Terraffe.
Terzett.
teuer.
teufchen (S. 5).
th, auch anlautend
nur in Griechi-
fchen und Eng-
llTchen Wörtern
wie
Theater,
Thee (§ 60, m).
Thema.
Theologie,
Theorie,
Thermometer,
Thefe,
Thron u. f. w.
t i c h t e n (Andr.
82) und trach-
ten.
ticken (Weig. II,
887).
tief, Tiefe.
Tiegel, verw. mit
Ziegel.
Tier, tierifch.
Tiger.
Tinte.
Tirol.
Titel, titulieren.
Toft (toast).
Tod, todkrank,
todmüde,Tod-
feind; fo auch
tödlich, d. h.
Tod bringend.
Ton (argilla), tö-
nern, tonig, to-
nicht (Weig. 11,
882\ Tongrube.
Ton (fonus), tö-
nen.
Tor (porta), Tor-
flügel.
Tor (ftultus), tö-
richt, betö-
ren, Torheit.
tot (mortuus) , t Ö -
ten, totfchla-
gen, Tot-
fchlag (§ 36,
59).
Totter , Eitotter
(Weig. n, 898).
Trab, traben.
traktieren, Traktat.
Tran.
Träne.
tranfpirieren.
Treber.
Trieb.
triefen.
Triumpf (Andr.
153).
Trompete.
Trophäe.
Troffl.
Truchfeß.
Truhe.
Trumpf.
- 227 —
Tuckmäafer (Weig.
n, 922).
tüfteln.
Tüll.
Tülle (Weig. II.
923).
Tür, Haustür,
Türangel,
türangeln.
Tur, Turirt.
Turm.
Turnier.
tuten, Tüte (Andr.
83).
Tüttel (verfch. V.
Titel), Tüttel-
chen.
U.
Überdruß, über-
drüßig.
Überfluß, über-
flüßig.
überfchwenglich
(S 36, 80).
Uhu.
Ulan(Dudenl53).
Unbedeuten-
heit.
Unbilde, die.
unentgeltlich
(S 32, 60).
Unflat, unflä-
tig,
ungefär.
Ungeziefer,
ungefchlacht.
Ungetüm.
Unmut,
unpafs, unpäfs-
lich.
Unrat.
unTtet, f. rtet.
untadelich (Andr.
verleugnen, f.
98).
leugnen.
unterdes, un-
verleumden, f.
terdeffen.
Leumund.
unverdroßen.
verlieren verlor ver-
unverholen.
loren verw. mit
unwert, f. wert.
Verlies.
unwißend, ünwi-
vermalen.
ßenheit.
vermieten, f.
unzälich, f. Zal.
mieten.
Ur (horologium).
vermiffen vermiffte
Urmacher, Ur-
vermifTt.
fchlüßel u. f. w.
vermuten.
Ur (urus).
verpönen.
Uran, f. An.
verraten ver-
urbar.
rietverraten,
Urfehde, f. Fehde.
Verräter.
Urteil.
Verfand.
verfchieden , Ver-
V.
fchiedenheit.
Vampir.
verfchleißen, f.
variieren, Varia-
fchleißen.
zion.
verfehn als Verb
vegetieren , Vege-
und Adjektiv wie
tazion.
fehen.
Verdikt.
verferen, unverfert.
verdrießen, verdro-
verfigen.
ßeu, Verdruß.
verfönen, Ver- ^
verfaren, das
fönung, ver-
Verfaren.
fönlich.
verfemen, f.
verteidigen.
Feme.
verteilen.
vergällen von
verwaift, f. Waife.
Galle.
verwandt, Ver-
vergeßen vergaß
wandtfchaft.
vergeßen vergiß.
verwaren.
vergeßlich.
verwarlofen.
verheeren von
verwäßern, f. wä-
Heer.
ßern.
verjären von
verwönen.
Jar.
verweißen , Ver-
verkeren, Verker.
weiß (Andr. 118,
verlaßen, wie laßen.
Weig. n, 985>
15*
- 228
verweifen =
ausweifen.
verwitwet, f.
Witwe.
verzeren, f. ze-
ren.
verzeihen verzieh,
Verzeihung.
verzwatzeln (nicht
verzwatfcheln).
vexieren.
Vezir, Großvezir.
vidimieren,
' Vieh.
vier, vierzehn,
vierzig, Vier-
tel, Geviert.
vigilieren.
Vikar, vikarieren.
Viktualien.
' vil, villeicht.
Vifir.
vifitieren , Vifita-
zion.
Vize- in allen Zu-
fammenfetzungen.
Vlies, f. Flies.
Vogt.
Vokabel.
Vokal.
Vokativ.
vollends.
völlig.
vornem , vornem-
lich, V. nemen.
Vorrat, vorrä-
tig.
Vorteil.
Vulkan.
W.
Wacholder.
Wage.
Waife (orbus);
f. Hein mit der
Anm.
Wal, wälen, Ur-
wal.
Walfifch (Andr.
Walhalla (Andr.
71).
Walküre (Andr.
71).
wallfaren , Wall-
farer, Wallfart.
Walnuß (Andr.
71).
Walplatz und
Walftatt.
Walpurgis.
Walt- her (ahd.
walt-hari).
Wams.
Wan, wänen.
Wanillie (vanille).
Wanfinn, -ig,
Wanwitz,
-witzig.
Wanft.
war, Warheit,
warlich, war-
haft, war-
fcheinlich,
warfagen,
Warzeichen.
waren, wie be-
waren ; davon
warnemen.
wären, wären d.
Wafe.
Waßer , wäßerig,
wäßern.
weh, das Wehe.
wehen.
Wehmut, weh-
mütig.
Weid.
weidlich, verw.
mit
Weidmann,
Weidwerk.
Weihe (milvus).
weihen, 'Weihe
\ mitWeihnach-
ten , Weih-
rauch, Weih-
waßer u. f. w.
Weiher.
weife, der Wei-
fe, Weisheit,
weislich,
Weife (modus). .
weifen wies gewie- ^
fen, anweif en, un- \
terweifen u. f. w.
weismachen.
weiß, der und die
Weiße, wei-
ßen, Weiß-
brot, Weiß-
wein u. f. w.
weisfagen (§ 36,
63 S. 136).
weitläuftig
(Andr. 87).
Weizen.
welfch,Welfch-
land.
wer,wa8,weffen.
Wer , die , wovon
werhaft und wer-
los , Gegenwer
und Notwer,
Bruftwer und
Landwer, fowie
beweren , des-
gleichen abwe-
/-
— 229 -
ren, verweren,
fich weren, fich
erweren , ein
Wort mit
Wer, das (Schutz
gegen das Wa-
ßer).
Werder.
Werg.
Wergeid.
Wermut.
Wert.
- w e r 1 8 in allen Zu-
fammenfetzun-
gen, wie rück-
werts , vorwerts,
auswerts , feit-
werts u. f. w.
(Han. 45).
Werwolf.
Weftfalen.
Wibel, wibeln.
wider (contra u.
rursus) , einer-
feits mit erwi-
dern, wider-
lich, wider-
wärtig, Wi-
• derfacher,
Widerhall
u. f. w., ander-
feits mit wi-
derkommen,
widerfehn,
Widertäufer
u. f, w.
wie.
Wiege, wiegen,
wihem.
Wildbret ($32,
67 S. 120).
Willkür, will-
kürlich.
Winniette (vig-
nette).
wirken,
Wirt, Wirt-
fchaft.
Wife.
Wifel.
wißen wufte ge-
wuft , Wißen-
fchaft.
Wittum.
Witwe(r) (§36,
68).
wol.
wolgemut,
Wolleben.
woltifchieren (gew.
voltigieren).
wonen,Wonung.
wülen,
Wune.
Würtemberg (% 36,
69, S. 137).
Wut, wüten,
*
Wüterich.
Z.
(vgl. S 58.)
Zal, zälen.
zam, zämen.
Zan Zäne.
Zar.
Zähre.
Zäfur.
Zeder.
zedieren, Zeflion.
Zehe,
zehn.
zeichnen mit
Zeichenbuch,
ZeichenftuD-
de u, f. w.
zeihen, f. bezich-
tigen.
Zein (Note zu Hein.
Weig.n, 1130).
Zeifig.
Zeitläufte
(Andr. 88).
Zenit.
Zenfur.
Zentifolie, wie Zen-
timeter u. f. w.
Zentner.
Zentrum.
Zeremonie, -iell.
zeren, abzeren, ver-
zeren , Ausze-
rung.
zertieren.
Zichorie.
Ziegel.
ziehen, zieh,
zieren, Zierde,
Zierrat.
Zigarre.
Zikade.
Zil.
Zirkel,
zirkulieren, Zir-
kular.
Zirkumflex.
Zirkus.
Zifterne.
Zitadelle.
Zither.
zitieren, Zitat,
Zitrone,
zivil.
Zyklus.
Zylinder.
Zymbel. »
Zyniker.
Zypreffe.
Drack von M. Brahn in Braunschweif!:.
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Herr
Professor von Raumer
und die
Deutsche Rechtschreibung«
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Ein Beitrag*
znr
Herstellung einer orthographischen Einigung
von
I^aiil Eliseii.
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^ Braunschweig,
Verlag von Friedrich Wreden.
1880.
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aSerfag i^on grUbti^ SSreben in äStaunf^nieig.
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Sßon
|)rof. Dr. :kvi%nfi M)mam,
geleierten @efenf<^oftcjt.
3itJette 5lufUgc. 1878.
?Jret« 2 J^. 80 v^.
2)ic ißotittjcnbiflfeit fd^on naä) 3a^rc«{rijl eine i»eitc 3Cuf(agc üon
blefem äSitd^e ju \)eranpatten, bezeugt bte Sdrau^barfeit beffelben am
bellen. 3n bet Z\^at i(i baffetbe uncntbe^rtid^ für OTc, tt>ct(!^e P$ mit
fctbjISnbiger ©(^riftarbeit ju befd^äfttgen (^aben.
SSerlag t>on §atalb iSru^n in Staunfc^weig,
ber
beutfi^cn (©^Jtai^e^,
üarl Jörgen».
«Preis 1 M. 35 A
^a9 i93ü(i^tein entl^ält ein ^erjeici^nig jener ga^(reit!(en, frü|)}eittg
cnttcbntcn SBörter, toetd^en nnfere ©ipradjc mcifl burd^ „Umbeutfdjttng'*
ein nationales ®e))rSge. toerlie^^n l^at, unb n>irb fidler 3ebem toiff»
fommen fein, ber fld^ für bie ®cfdS>iti^te feiner 9Jlutterf^)rad^e intcreffld. —
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3u bejicöcn burcö attc Suc^i^anblungcn.
303604566X
TAYLOR INSimniON LIBRARY
OXFORD OXl 3NA
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Unless recalled eariier
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