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Full text of "Hippokrates: Grundsätze seiner Schriftensammlung, ausgewählt und eingeleitet von Erich Ebstein"

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HIPPOKRATES 


GRUNDSÄTZE   SEINER 
SCHRIFTENSAMMLUNG 

AUSGEWÄHLT  UND  EINGELEITET 

VON 

ERICH  EBSTEIN 


IM  INSEL-VERLAG  ZU  LEIPZIG 


rjv  yap  xapfj  ©iXavö'pwTvtr],  :tap£Tri  xa\  «piXoTS/virj. 

Hippokrates. 
Denn  wo  Liebe  zum  Menschen  vorhanden  ist, 
da  ist  auch  Liebe  zur  Kunst  vorhanden. 


Nebulones,  qui  Hippocratem  non  legunt 

Baglivi,  1667 — 1707. 
Taugenichtse  sind  es,  die  den  Hippokrates  nicht  lesen. 


151 


EINLEITUNG. 


WENN  wir  schlechtweg  von  des  Hippokrates 
Schriften  reden,  die  z.B.  Littre  in  einer  zwei- 
bändigen (Paris  1839— 1861)  und  Robert  Fuchs  in  einer 
dreibändigen  Ausgabe  (München,  Verlag  von  Dr.  H.Lüne- 
burg 1895—1900)^  uns  leicht  zugänglich  gemacht  haben, 
so  denken  wir  an  jene  machtvolle  Persönlichkeit  2  des 
Hippokrates,  dessen  Geburtsjahr  auf  460  und  dessen 
Todesjahr  auf  375  v.  Chr.  Geburt  gesetzt  wird.  Zur  Zeit 
des  Aristoteles  heißt  er  schon  der  ,, Große",  Galen 
nannte  ihn  „der  Göttliche",  und  bis  auf  den  heutigen  Tag 
gilt  er  als  „Vater  der  Heilkunde". 

Wir  sind  uns  aber  dessen  bewußt,  daß  das  in  diesen 
Schriften  des  „Corpus  Hippocraticum"  niedergelegte  Sy- 
stem der  praktischen  und  theoretischen  Medizin  nicht 
das  Werk  des  Hippokrates  allein  vor  uns  haben,  sondern 
das  Werk  von  Jahrhunderten,  das  von  Hippokrates  zur 
höchsten  Blüte  gebracht  wurde. 

Nach  Hippokrates  besteht  die  Aufgabe  der  Medizin  in 
der  Erkenntnis  und  in  der  richtigen  Anwendung  der 
Mittel  zur  Wiederherstellung  der  Harmonie  und  Schön- 
heit des  Körpers:  die  Medizin  ist  also  eine  Kunst. 
Am  Krankenbett  sieht  Hippokrates  zunächst  von  einer 
Diagnose  in  unserem  Sinne  ab,  sucht  vielmehr  den  Stand 


^  Mit  gütiger  Erlaubnis  des  Übersetzers  und  Verlegers  durfte  ich 
diesen  von  mir  ausgewählten  Grundsätzen  der  Hippokratischen 
Schriftensammlung  den  Wortlaut  obiger  Übersetzung  im  großen 
und  ganzen  zugrunde  legen,  wofür  ich  auch  an  dieser  Stelle  meinen 
herzlichsten  Dank  ausspreche. 

*  Vgl.  u.a.  Wilh.  Alexander  Freund,  Die  Person  des  Hippo- 
krates; in:  Blicke  ins  Kulturleben.  Breslau  1879,  S.  77—101. 


der  Dinge  im  Ganzen  zu  erforschen.  Er  sucht  bei  dem 
kranken  Menschen  dessen  Lebensverhältnisse  in  bezug 
auf  klimatische,  atmosphärische  Verhältnisse,  Wohnort, 
Wasser,  Lebensweise,  Alter  usw.  zu  ergründen,  um  hier- 
aus das  Entstehen  der  Krankheit  erklären  zu  können. 
Dann  richtet  und  beurteilt  er  die  Krankheitserscheinungen, 
untersucht  den  Kranken  von  Kopf  bis  zu  den  Füßen  auf 
das  genaueste  und  sucht  eine  klare  Einsicht  in  den  Stand 
der  Erkrankung  und  ihren  weiteren  Verlauf,  zunächst 
besonders  in  prognostischer  Hinsicht  zu  gewinnen.  In 
der  Deutung  dieser  Erscheinungen  und  ihrer  Verwertung 
für  die  Vorhersagung  (Prognose)  und  Heilmethode  ist 
Hippokrates  Meister,  und  seine  Leistungen  auf  diesem 
Gebiet,  besonders  seine  Kunst  der  Krankenbeobachtung 
sind  für  alle  Zeiten  bewunderungswürdig  geblieben. 
So  wie  Hippokrates  die  Erkrankung  aus  den  allge- 
meinen Lebensverhältnissen  des  kranken  Individuums 
abzuleiten  suchte,  so  fing  seine  Behandlung  auch  stets 
mit  der  Anordnung  über  die  allgemeinen  Lebensverhält- 
nisse, namentlich  die  Diät,  an  und  bestand  in  vielen 
Fällen  fast  allein  darin.  Sein  Grundsatz,  daß  am  Kranken- 
bett, besonders  bei  den  akuten  Krankheiten,  die  allgemei- 
nen Erscheinungen  scharf  zu  beachten  sind  und  bei  ihrer 
Behandlung  die  Erfahrung  leitend  sein  muß,  hat  zu  allen 
Zeiten  bei  den  besten  Ärzten  Geltung  gehabt  und  gilt 
noch  heute. 

Mit  seinem  Ausspruch:  ,,Die  Liebe  zu  den  Menschen  ist 
die  Q.uelle  der  echten  Liebe  zur  Kunst"  hat  er  sich  zu 
wahrer  Humanität  erhoben.  Damit  streifen  wir  die  im 
,, Corpus  Hippocraticum"  niedergelegten  ethischen  An- 


schauungen  1,  die  dem  Leser  noch  heute  Worte  der 
höchsten  Bewunderung  abnötigen;  ich  habe  sie  daher  in 
den  Mittelpunkt  dieses  Büchleins  gestellt  und  hoffe,  daß 
sie  gerade  am  besten  dazu  angetan  sind,  einen  Begriff 
davon  zu  geben,  wie  hoch  Hippokrates  den  ärztlichen 
Beruf  auffaßte,  und  daß  sie  am  besten  in  seine  Methode 
des  ärztlichen  Denkens  und  Handelns  einführen. 
Demzufolge  hat  Hippokrates  u.  a.  schon  großen  Wert 
auf  eine  gute  Erziehung  und  wissenschaftliche  Durch- 
bildung der  werdenden  Ärzte  gelegt.  Das  Wissen  macht 
für  ihn  die  Tüchtigkeit  aus ;  es  ist  Anfang,  Mitte  und  Ende 
der  ärztlichen  Kunst.  Wie  er  die  Medizin  als  Kunst  an- 
sah, so  liegt  in  seiner  ganzen  Lebensauffassung  der  künst- 
lerische Zug,  der  dem  gesamten  Griechenvolke  eigen 
war.  Und  doch  resigniert  spricht  es  Hippokrates  aus: 
,,Das  Leben  ist  kurz,  die  Kunst  ist  lang,  der  rechte  Augen- 
blick ist  rasch  enteilt,  der  Versuch  ist  trügerisch,  die  Be-" 
urteilung  ist  schwierig",  oder  wie  es  Goethe  im  „Faust" 
frei  wiedergibt: 

,,Ach  Gott,  die  Kunst  ist  lang, 

Und  kurz  ist  unser  Leben ! 

Mir  wird  bei  meinem  kritischen  Bestreben 

Doch  oft  um  Kopf  und  Busen  bang  I" 

Erich  Ebstein. 


^  Vgl.  Georg  Weiß  im  Archiv  für  Geschichte  der  Medizin  1910, 
Bd.  4,  S.  235 — 262. 


DER  EID. 

ICH  schwöre  bei  Apollon,  dem  Arzte,  bei  Asklepios, 
Hygieia  und  Panakeia  und  bei  allen  Göttern  und  Göt- 
tinnen, indem  ich  sie  zu  Zeugen  mache,  daß  ich  diesen 
meinen  Eid  und  diese  meine  Verpflichtung  erfüllen  werde 
nach  Vermögen  und  Verständnis,  nämlich  denjenigen, 
der  mich  in  dieser  Kunst  unterwiesen  hat,  meinen  Eltern 
gleichzuachten,  Hab  und  Gut  mit  ihm  zu  teilen,  ihm  auf 
Verlangen  dasjenige,  dessen  er  bedarf,  zu  gewähren,  das 
von  ihm  stammende  Geschlecht  gleich  meinen  männ- 
lichen Geschwistern  zu  halten,  sie  diese  Kunst,  wenn  sie 
sie  erlernen  wollen,  ohne  Entgelt  und  ohne  Schein  zu 
lehren  und  die  Vorschriften,  Vorlesungen  und  den  ganzen 
übrigen  Lernstoff  meinen  Söhnen  sowohl  wie  denen 
meines  Lehrers  und  den  Schülern,  welche  eingetragen 
und  verpflichtet  sind  nach  ärztlichem  Gesetze,  mitzu- 
teilen, sonst  aber  niemand. 

Diätetische  Maßnahmen  werde  ich  treflfen  zu  Nutz  und 
Frommen  der  Kranken  nach  meinem  Vermögen  und 
Verständnisse,  drohen  ihnen  aber  Fährnis  und  Schaden, 
so  werde  ich  sie  davor  zu  bewahren  suchen.  Auch  werde 
ich  keinem,  und  sei  es  auf  Bitten,  ein  tödliches  Mittel 
verabreichen,  noch  einen  solchen  Rat  erteilen,  desgleichen 
werde  ich  keiner  Frau  ein  abtreibendes  Mittel  geben. 
Lauter  und  fromm  will  ich  mein  Leben  gestalten  und 
meine  Kunst  ausüben.  Auch  will  ich  bei  Gott  keinen 
Steinschnitt  machen,  sondern  ich  werde  diese  Verrichtung 
denjenigen  überlassen ,  in  deren  Beruf  sie  fällt.  In  alle 
Häuser  aber,  in  wie  viele  ich  auch  gehen  mag,  will  ich 


kommen  zu  Nutz  und  Frommen  der  Kranken  und  mich 
fernhalten  von  jederlei  vorsätzlichem  und  Schaden  bringen- 
dem Unrechte,  insbesondere  aber  von  geschlechtlichem 
Verkehre  mit  Männern  und  Weibern,  Freien  und  Sklaven. 
Was  ich  aber  während  der  Behandlung  sehe  oder  höre 
oder  auch  außerhalb  der  Behandlung  im  gewöhnUchen 
Leben  erfahre,  darüber  will  ich,  soweit  es  außerhalb  nicht 
weitererzählt  werden  soll,  schweigen,  indem  ich  derartiges 
für  ein  Geheimnis  ansehe. 

Wenn  ich  nun  diesen  Eid  erfülle  und  nicht  breche,  dann 
möge  mir  ein  glückliches  Leben  und  eine  glückliche  Aus- 
übung der  Kunst  beschieden  sein,  und  ich  möge  bei  allen 
Menschen  für  immer  in  Ehren  stehen;  wenn  ich  ihn  aber 
übertrete  und  meineidig  werde,  möge  mir  das  Gegenteil 
widerfahren. 


DAS  GESETZ. 

Kap.  L 

DIE  ärztliche  Kunst  ist  von  allen  Künsten  die  vornehm- 
ste, aber  einerseits  wegen  der  Unerfahrenheit  derer, 
die  sie  ausüben,  und  andererseits  wegen  der  Oberflächlich- 
keit derer,  die  solche  Leute  beurteilen,  bleibt  sie  schon  jetzt 
weit  hinter  allen  anderen  Künsten  zurück.  Dieser  Feh- 
ler scheint  mir  vorzügHch  folgenden  Grund  zu  haben: 
allein  für  die  ärztUche  Kunst  ist  in  den  Staaten  keinerlei 
Strafe  festgesetzt  außer  der  Verachtung,  diese  indessen 
verletzt  die  aus  Verachtung  Zusammengesetzten  nicht. 
Ganz  ähnlich  sind  nämlich  solche  Leute  den  in  den 
Trauerspielen  auftretenden  Statisten,  denn  wie  diese  Ge- 

lO 


stalt,  Aufzug  und  Maske  des  Schauspielers  haben,  ohne 
selbst  Schauspieler  zu  sein,  so  gibt  es  auch  der  Ärzte  dem 
Namen  nach  zwar  viele,  der  Tat  nach  aber  recht  wenige. 

Kap.  IL 
Wer  sich  nämlich  die  richtige  Kenntnis  der  ärztlichen 
Kunst  sicher  aneignen  will,  muß  folgendes  besitzen:  na- 
türUche  Anlage,  Schulung,  einen  geeigneten  Ort,  Unter- 
weisung von  Kindheit  an,  Arbeitslust  und  Zeit.  Zu  aller- 
erst also  muß  er  die  natürliche  Anlage  haben,  denn  wenn 
die  Natur  widerstrebt,  so  ist  alles  eitel;  wenn  aber  die 
Natur  den  Weg  zum  Besten  zeigt,  da  läßt  sich  die  Kunst 
erlernen.  Diese  aber  muß  man  sich  mit  Verständnis  an- 
eignen, indem  man  als  Knabe  an  einem  Orte,  der  zum 
Lernen  geeignet  ist,  in  die  Lehre  geht.  Schließlich  aber 
muß  man  noch  Arbeitslust  für  lange  Zeit  mitbringen, 
auf  daß  die  eingepflanzte  Lehre  glücklich  gedeihend 
Früchte  bringe. 

Kap.  IIL 

Die  Wissenschaft  von  den  auf  der  Erde  wachsenden 
Pflanzen  entspricht  nämhch  dem  Wissen  der  ärztlichen 
Kunst;  denn  unsere  Natur  ist  gleich  dem  Lande,  die 
Sätze  der  Lehrenden  sind  gleich  dem  Samen,  die  Schulung 
von  Jugend  auf  ist  gleich  dem  in  rechter  Jahreszeit  er- 
folgenden Niederfallen  des  Samens  auf  das  Ackerland, 
der  Ort,  in  dem  das  Studieren  stattfindet,  ist  gleich  der 
Nahrung,  die  aus  der  umgebenden  Luft  den  Gewächsen 
geboten  wird,  die  Arbeitslust  ist  gleich  der  Bestellung, 
die  Zeit  aber  gibt  diesem  allem  Kraft,  daß  es  schließlich 
zur  Reife  gelange. 

II 


Kap.  IV. 
Dieses  alles  also  muß  man  für  die  ärztliche  Kunst  mit- 
gebracht und  unentwegt  muß  man  Kenntnis  von  ihr  er- 
langt haben,  wenn  man,  durch  die  Städte  ziehend,  nicht 
nur  dem  Worte,  sondern  auch  der  Tat  nach  für  einen 
Arzt  gelten  will.  Denn  die  Unerfahrenheit  ist  ein  schlim- 
mer Schatz  und  Tag  und  Nacht  ein  schlechtes  Kleinod 
für  den  Besitzer;  eine  Feindin  der  Zuversicht  und  der 
Berufsfreudigkeit;  Amme  der  Feigheit  und  des  über- 
mütigen Gebarens.  Feigheit  nämhch  verrät  Unvermögen, 
und  das  übermütige  Gebaren  Unkunst.  Denn  zweierlei 
gibt  es:  Wissenschaft  und  Einbildung;  jene  führt  zum 
Wissen,  diese  zum  Nichtwissen. 

Kap.  V. 
Heilige  Dinge  aber  werden  nur  geheiligten  Männern 
offenbart;  sie  Laien  zu  verraten,  ist  nicht  eher  erlaubt, 
als  bis  sie  in  die  Geheimnisse  der  Wissenschaft  eingeweiht 
sind. 


ÜBER  DIE  KUNST. 

Kap.  I. 

MANCHE  Leute  machen  aus  dem  Schlechtmachen 
der  Künste  eine  Kunst;  dabei  tun  sie  — nach  ihrer 
Ansicht  wenigstens  —  nicht  das,  was  ich  von  ihnen  be- 
haupte, sondern  sie  tragen  dabei  ihre  eigene  Gelehrtheit 
zur  Schau  . . . 


12 


Kap.  III. 
.  .  .  Was  aber  die  ärztliche  Kunst  anlangt  -  denn  von 
dieser  handelt  mein  Buch  — ,  so  werde  ich  sie  schildern, 
und  zwar  werde  ich  zunächst  definieren,  für  was  ich  die 
ärztliche  Kunst  halte;  nämlich  für  die  Kunst,  die  Kranken 
von  ihren  Leiden  gänzlich  zu  befreien,  die  schweren 
Anfälle  der  Krankheiten  zu  lindern  und  sich  von  der  Be- 
handlung derjenigen  Personen  fernzuhalten,  die  von 
der  Krankheit  schon  über\\'ältigt  sind,  da  man  wohl  weiß, 
daß  hier  die  ärztliche  Kunst  nichts  mehr  vermag.  Wie 
sie  dies  nun  tut  und  imstande  ist,  es  allenthalben  zu  tun, 
davon  wird  der  übrige  Teil  meines  Buches  handeln  . . . 

Kap.  IV. 
Der  Ausgangspunkt  meiner  Betrachtung  wird  das  sein, 
was  von  jedermann  zugestanden  wird :  daß  nämhch  einige 
von  denen,  welche  die  ärztliche  Kunst  in  ihre  Behand- 
lung genommen  hat,  genesen,  wird  zugestanden,  daß  aber 
nicht  alle  genesen,  darin  liegt  der  Vorwurf  gegen  die 
Kunst,  und  es  behaupten  ihre  Verleumder,  daß,  weil  ei- 
nige den  Krankheiten  zum  Opfer  fallen,  darum  die,  wel- 
che davonkommen,  infolge  bloßen  Zufalls  davonkommen 
und  nicht  infolge  der  Kunst.  Ich  für  meine  Person  bin 
keineswegs  gesonnen,  dem  Zufalle  irgendeine  Einwir- 
kung abzusprechen,  glaube  aber,  daß  die  schlecht  behan- 
delten Krankheiten  in  den  meisten  Fällen  einen  unglück- 
lichen Ausgang  zur  Folge  haben,  die  gut  behandelten 
im  Gegenteil  einen  glückUchen.  Wie  könnten  ferner 
auch  die  wieder  gesund  Gewordenen  etwas  anderes  als 
Grund  angeben  als  die  Kunst,  wenn  sie  durch  ihre  An- 

13 


Wendung  und  ihre  Dienste  wieder  gesund  geworden  sind? 
Denn  die  bloße  Gestaltung  des  Zufalls  wollten  sie  nicht 
erproben,  als  sie  sich  der  Kunst  überlieferten ;  daher  sind 
sie  auch  zwar  der  Verpflichtung  überhoben,  die  Heilung 
auf  den  Zufall,  nicht  aber,  sie  auf  die  Kunst  zurückzu- 
führen; denn  indem  sie  sich  ihr  überlieferten  und  anver- 
trauten, haben  sie  auch  ihre  Form  ins  Auge  gefaßt  und 
haben,  als  ihre  Arbeit  getan  war,  ihre  Macht  erkannt. 

Kap.  V. 
Hier  könnte  freilich  der  Gegner  einwerfen,  daß  schon 
viele  Kranke,  auch  ohne  einen  Arzt  zu  gebrauchen,  wieder 
genesen  sind,  und  ich  stelle  diese  Behauptung  nicht  in 
Abrede.  Es  scheint  mir  aber  möglich  zu  sein,  daß  auch 
solche,  die  sich  eines  Arztes  nicht  bedienen,  zufällig  auf 
die  ärztliche  Kunst  verfallen,  nicht  in  dem  Sinne,  als  ob 
sie  wüßten,  was  an  ihr  richtig  und  was  an  ihr  nicht  richtig 
ist,  sondern  daß  sie  sich  zufällig  mit  solchen  Mitteln  be- 
handeln, mit  denen  sie,  auch  wenn  sie  sich  der  Ärzte  be- 
dient hätten,  behandelt  worden  wären.  Ebenso  ist  der 
Umstand  ein  starker  Beweis  für  das  Bestehen  der  Kunst, 
daß  sie  sowohl  ist,  als  auch  groß  ist  da,  wo  die,  welche 
sie  für  nichtseiend  halten,  augenscheinlich  mit  ihrer  Hilfe 
gerettet  werden;  denn  es  müssen  doch  auf  jeden  Fall 
auch  die,  die  sich  der  Ärzte  nicht  bedienen,  wenn  sie 
krank  waren  und  wieder  gesund  geworden  sind,  wissen, 
daß  sie  durch  irgendein  Tun  oder  Unterlassen  wieder 
gesund  geworden  sind;  denn  sie  sind  doch  durch  Fasten 
oder  Vielessen,  reichlicheres  Trinken  oder  Nichttrinken, 
Baden  oder  Enthaltung  von  Bädern,  Anstrengungen  oder 

14 


Ruhe,  Schlaf  oder  Wachen  oder  durch  Vereinigung  all 
dieser  Dinge  gesund  geworden.  Sie  müssen  auch  aus 
der  ihnen  widerfahrenen  Hilfe  durchaus  erkennen,  daß 
irgend  etwas  da  war,  was  half,  und  aus  dem  ihnen  wider- 
fahrenen Schaden,  daß  es  irgend  etwas  gab,  was  ihnen 
Schaden  zufügte.  Denn  die  Grenzen  von  Nutzen  und 
Schaden  ist  nicht  jedermann  imstande  zu  erkennen. 
Wenn  nun  der  Krankgewesene  irgendeine  der  Verhal- 
tungsmaßregeln, durch  die  er  gesund  geworden  ist,  zu 
loben  oder  zu  tadeln  weiß,  so  wird  er  auch  finden,  daß 
alles  dies  zur  ärztlichen  Kunst  gehört,  und  es  sind  Ja  auch 
die  schadenbringenden  Dinge  nicht  minder  als  die  nutz- 
bringenden Beweise  für  das  Bestehen  der  Kunst;  denn 
die  nutzbringenden  Dinge  haben  durch  den  richtigen 
Gebrauch  Nutzen,  die  schadenbringenden  aber  durch  den 
unrichtigen  Gebrauch  Schaden  gestiftet.  Wo  also  das 
Richtige  sowohl  wie  das  Unrichtige  seine  Grenzen  hat, 
wie  sollte  das  nicht  eine  Kunst  sein?  Denn  das  ist,  be- 
haupte ich,  keine  Kunst,  wenn  es  irgendwo  weder  Rich- 
tiges noch  Unrichtiges  gibt,  wo  hingegen  dieses  beides 
vorhanden  ist,  da  kann  unmöglich  die  Kunst  fehlen. 

Kap.  VI. 
Noch  stünde,  wenn  allein  mit  Hilfe  von  abführenden 
wie  verstopfenden  Mitteln  die  Heilung  durch  die  ärzt- 
liche Kunst  und  durch  die  Ärzte  erfolgte,  meine  Behaup- 
tung auf  schwachen  Füßen ;  so  aber  stellt  es  sich  heraus, 
daß  die  Berühmtesten  der  Ärzte  sowohl  durch  diätetische 
Verhaltungsmaßregeln  als  auch  durch  andere  therapeu- 
tische Maßnahmen  kurieren,  von  denen  durchaus  keiner, 

15 


ich  sage  nicht  ein  Arzt,  sondern  sogar  ein  darin  ganz 
unerfahrener  Laie  behaupten  würde,  sie  gehörten  nicht 
zur  Kunst.  Insofern  also  weder  an  den  guten  Ärzten 
noch  an  der  ärzthchen  Kunst  selbst  etwas  nutzlos  ist, 
sondern  im  Gegenteil  in  der  Mehrzahl  der  natürlichen 
und  künstlichen  Erzeugnisse  die  Art  der  Heilmethoden 
und  der  Heilmittel  enthalten  ist,  kann  keiner  derjenigen, 
die  ohne  Arzt  gesund  werden,  noch  mit  gutem  Grunde 
dem  Zufalle  die  Heilung  zuschreiben;  denn  der  Zufall 
erweist  sich  da  offenbar  als  ein  Nichts,  weil  ja  für  jedes 
Geschehen  ein  Grund  zu  finden  ist  und  bei  einem  Grunde 
der  Zufall  offenbar  keinerlei  Bestand  hat  außer  etwa  dem 
bloßen  Namen;  die  ärztliche  Kunst  aber  hat  und  wird 
immer  sowohl  in  dem  Warum  als  in  dem  Vorhersagen 
ihren  Bestand  haben. 

Kap.  VIII. 
. . .  Können  wir  doch  nur  diejenigen  Tätigkeiten  ausüben, 
zu  denen  wir  die  Werkzeuge,  seien  es  die  der  Natur, 
seien  es  die  der  Kunst,  in  die  Hände  bekommen  können, 
andere  hingegen  nicht . . . 


DIE  ALTE  MEDIZIN. 
Kap.  IL 

DIE  ärztliche  Kunst  aber  besitzt  von  alter  Zeit  her  das 
alles.  Für  sie  ist  sowohl  das  Prinzip  als  auch  die 
Methode  gefunden,  der  zufolge  die  vielen  schönen  Ent- 
deckungen in  geraumer  Zeit  gemacht  sind  und  auch  das 
übrige  noch  gefunden  werden  wird,  wenn  man,  befähigt 

i6 


und  des  bereits  Entdeckten  kundig,  von  da  ausgehend  seine 
Forschungen  anstellt.  Wer  aber  dies  alles  verwirft  und  ver- 
achtet und  auf  einem  anderen  Wege  und  auf  andere  Art 
zu  forschen  versucht  und  dann  behauptet,  er  hätte  etwas 
gefunden,  der  hat  sich  getäuscht  und  täuscht  sich  noch, 
täuscht  sich  selbst  und  täuscht  andere,  denn  das  ist  un- 
möglich . . . 

Kap.  III. 
Die  ärztliche  Kunst  wäre  von  vornherein  weder  entdeckt, 
noch  wäre  nach  ihr  geforscht  worden  -  denn  es  bedürfte 
ihrer  durchaus  nicht  — ,  wenn  den  kranken  Menschen  die- 
selbe Lebensweise,  die  die  Gesunden  führen,  und  die- 
selben Lebensmittel,  die  sie  essen  und  trinken,  zuträglich 
wären  und  es  nichts  anderes  gäbe,  was  besser  wäre  als 
diese.  So  aber  hat  die  Notwendigkeit  selbst  die  Menschen 
gezwungen,  nach  der  ärztlichen  Kunst  zu  forschen  und 
sie  zu  entdecken,  w^eil  den  Kranken  dieselbe  Kost,  die 
die  Gesunden  genießen,  nicht  zuträglich  war,  wie  sie 
ihnen  auch  heute  nicht  zuträglich  ist . . . 

Kap.  IX. 
Wenn  nun  einfach,  wie  vorausgeht,  die  kräftigeren  Spei- 
sen den  Gesunden  ebenso  wie  den  Kranken  schädigten 
und  die  schwächeren  Speisen  beide  förderten  und  nährten, 
so  wäre  das  eine  leichte  Sache.  Da  brauchte  man  sich 
in  vielen  Fällen  bloß  an  das  Sichere  zu  halten  und  die 
Kranken  somit  auf  die  leichteste  Diät  zu  setzen.  Nun  ist 
es  aber  ein  nicht  geringerer  Fehler  und  schädigt  den 
Menschen  nicht  minder,  wenn  er  weniger  und  schwächere 

iSi  17 


Speisen  zu  sich  nimmt,  als  für  ihn  notwendig  sind;  denn 
die  Macht  des  Hungers  vermag  in  der  menschhchen 
Natur  große  Entkräftung  und  schUeßlich  den  Tod  herbei- 
zuführen. Aber  auch  viele  andere  von  dem  Säfteüber- 
fluß (Plethora)  verschiedene  Schäden  und  doch  nicht 
minder  gefährliche  als  diese  entstehen  durch  die  Entlee- 
rung, weil  diese  viel  mannigfaltiger  ist  und  größerer 
Sorgfalt  bedarf.  Denn  man  muß  ein  bestimmtes  Maß  zu 
erlangen  suchen,  als  Maß  aber,  auf  das  man  sich,  um  das 
Richtige  zu  erfahren,  berufen  könnte,  ist  nichts  anderes, 
sei  es  ein  Gewicht  oder  eine  Zahl,  zu  entdecken  als  das 
Gefühl  des  Körpers.  Daher  ist  es  eine  Aufgabe,  das  alles 
so  genau  zu  erlernen,  daß  man  nach  der  einen  wüe  nach 
der  anderen  Seite  nur  einen  geringen  Fehler  macht,  und 
ich  würde  den  Arzt,  der  nur  kleine  Fehler  macht,  noch 
laut  preisen.  Aber  die  absolute  Wahrheit  kann  man  nur 
selten  schauen.  Der  Mehrzahl  der  Ärzte  ergeht  es  näm- 
lich, wie  mir  scheint,  ebenso  schlimm  wie  den  Steuer- 
männern; denn  auch  bei  diesen  merkt  man  es  nicht, 
wenn  sie  bei  Windstille  falsch  steuern,  wenn  aber  ein 
heftiges  Unwetter  und  ein  Sturm,  der  das  Schiff  aus  dem 
Kurs  verschlägt,  über  sie  hereinbricht,  da  wird  es  allen 
Menschen  klar  und  deutlich,  daß  sie  durch  ihre  Un- 
kenntnis und  ihre  Fehler  das  Schiff  ins  Verderben  ge- 
bracht haben.  So  ergeht  es  auch  den  meisten  schlechten 
Ärzten  . . . 

Kap.  X. 
...  Es  gibt  nämlich  Leute,  denen  es  gut  bekommt,  wenn 
sie  nur  einmal  des  Tages  essen,  deshalb  haben  sie  auch 


diese  ihnen  zuträgliche  Einrichtung  getroffen;  andere 
wieder  werden  durch  dieselbe  Erfahrung  gezwungen,  zu 
frühstücken ;  denn  denen  frommt  es.  Gleichgültig  ist  es 
aber  für  die,  die  aus  bloßer  Liebhaberei  oder  aus  irgend- 
einem anderen  zufälligen  Grunde  das  eine  oder  das  an- 
dere zur  Gewohnheit  gemacht  haben;  macht  es  doch  der 
großen  Mehrzahl  der  Menschen,  ob  sie  die  eine  oder  an- 
dere Gewohnheit  annehmen,  nur  eine  Mahlzeit  des  Tages 
zu  halten  oder  auch  zu  frühstücken,  gar  nichts  aus,  bei 
dieser  Gewohnheit  zu  bleiben.  Es  gibt  aber  auch  Leute, 
die,  wenn  sie  von  dem  ihnen  ZuträgHchen  abgehen 
wollten ,  unmöglich  leichten  Kaufs  davonkommen  wür- 
den, sondern  es  befällt  sie  dann,  wenn  sie  für  einen  Tag, 
und  den  noch  nicht  einmal  ganz,  eine  Änderung  ein- 
treten lassen,  heftiges  Unwohlsein  . . . 

Kap.  XX. 
. . .  Die  wahre  Erkenntnis  aber  kann  man  erlangen,  wenn 
man  die  gesamte  ärztliche  Kunst  richtig  bewältigt  hat. 
Bis  dahin  scheint  mir  noch  viel  zu  fehlen ,  ich  verstehe 
aber  darunter  die  Kenntnis,  genau  zu  wissen,  was  der 
Mensch  ist  und  durch  welche  Ursachen  er  entsteht,  und 
das  übrige  (genau  zu  wissen).  Denn  mir  scheint  die  Not- 
wendigkeit vorzuliegen,  daß  ein  jeder  Arzt  die  Natur  er- 
gründet und  sich  alle  Mühe  gibt,  wenn  anders  er  seine 
Pflicht  recht  erfüllen  will,  kennen  zu  lernen,  wie  sich 
der  Mensch  dem  Essen  und  Trinken  gegenüber  verhält, 
wie  sonst  den  Lebensgewohnheiten  gegenüber  und  was 
aus  jedem  einzelnen  für  Folgen  entstehen.  Er  soll  nicht 
einfach  meinen,  daß  der  Genuß  von  Käse  nachteilig  sei, 

19 


weil  er  bei  demjenigen,  der  sich  den  Leib  damit  fülle, 
Beschwerden  verursache,  sondern  er  soll  auch  wissen, 
was  für  Beschwerden  das  sind,  warum  sie  entstehen  und 
welchem  Teile  des  menschlichen  Inneren  der  Käse  un- 
zuträglich ist.  Es  gibt  ja  doch  noch  viele  andere  Speisen 
und  Getränke,  deren  Genuß  der  menschlichen  Natur 
schädlich  ist  und  den  Menschen  auf  verschiedene  Weise 
angreift.  Ich  will  ein  Beispiel  gebrauchen.  Wenn  man 
viel  unverdünnten  Wein  trinkt,  macht  er  den  Menschen 
schwach,  und  alle,  die  das  sehen,  wissen,  daß  dieses  die 
Wirkung  des  Weines  und  er  selbst  die  Ursache  ist,  und 
auch  auf  was  für  Teile  des  Menschen  er  den  größten 
Einfluß  hat,  wissen  wir.  Eine  solche  Tatsache  will  ich 
auch  für  die  übrigen  Dinge  beibringen.  Der  Käse  näm- 
lich -  da  wir  einmal  dieses  Beispiel  anwendeten  -  macht 
nicht  bei  allen  Menschen  die  gleichen  Beschwerden, 
sondern  manche  haben,  wenn  sie  sich  den  Leib  damit 
gefüllt  haben,  keinerlei  Störungen,  ja  er  verleiht  denen, 
welchen  er  bekommt,  sogar  wunderbare  Kraft,  andere 
wieder  verdauen  ihn  schwer.  Ihre  Naturen  sind  also 
verschieden . . . 


DER  ARZT. 

Kap.  I. 

ES  ist  für  einen  Arzt  eine  Empfehlung,  wenn  er,  soweit 
es  seine  Natur  zuläßt,  eine  frische  Farbe  hat  und 
wohlbeleibt  ist;  meint  doch  das  große  Publikum,  daß  die, 
welche  ihren  Körper  selbst  nicht  gut  gepflegt  haben,  auch 
für  das  Wohlbefinden  anderer  nicht  gut  sorgen  können. 

20 


Ferner  muß  er  reinlich  aussehen,  gute  Kleidung  haben 
und  sich  mit  wohlriechenden  Salben  parfümieren;  denn 
alles  dies  pflegt  einen  guten  Eindruck  auf  die  Patienten 
zu  machen.  In  bezug  auf  seine  Geistesverfassung  muß  er 
auf  folgendes  achten.  Er  muß  nicht  allein  zur  rechten 
Zeit  zu  schweigen  verstehen,  sondern  auch  ein  wohlge- 
ordnetes Leben  führen;  denn  das  trägt  viel  zu  seinem 
guten  Rufe  bei.  Seine  Gesinnung  sei  die  eines  Ehren- 
mannes, und  als  solcher  zeige  er  sich  gegenüber  allen 
ehrwürdigen  Menschen  freundhch  und  von  billiger  Ge- 
sinnungsart. Denn  Überstürzung  und  Voreihgkeit  liebt 
man  auch  dann  nicht,  wenn  sie  von  Nutzen  wären.  Hat 
er  freie  Hand,  so  muß  er  genau  zusehen ;  denn  dieselben 
Handlungen  sind  bei  denselben  Personen  nur  dann  be- 
liebt, wenn  sie  selten  geschehen.  Was  seine  Haltung  an- 
geht, so  zeige  er  ein  verständiges  Gesicht  und  schaue 
nicht  verdrießlich  drein,  weil  das  anmaßend  und  misan- 
thropisch aussehen  würde.  Wer  andererseits  gern  lacht 
und  allzu  heiter  ist,  fällt  einem  zur  Last,  wovor  man  sich 
am  meisten  zu  hüten  hat.  Billig  sei  er  in  seinem  ganzen 
Verkehre ;  denn  die  Billigkeit  muß  einem  in  vielen  Fällen 
zur  Seite  stehen.  Der  Arzt  aber  hat  nicht  wenige  Be- 
ziehungen zu  seinen  Kranken,  geben  sich  diese  doch  den 
Ärzten  ganz  in  die  Hand  und  kommen  jene  doch  zu  jeder 
Stunde  mit  Frauen,  jungen  Damen  und  Gegenständen 
von  höchstem  Werte  in  Berührung.  In  allen  diesen  Fällen 
muß  man  sich  zusammenzunehmen  wissen.  So  muß  ein 
Arzt  an  Geist  und  Körper  beschajffen  sein. 


21 


ÜBER  DEN  ANSTAND. 

Kap.  V. 

DAHER  muß  man,  wenn  man  jedes  einzelne  der  vor- 
genannten Dinge  sich  aneignen  will,  Philosophie  in 
die  Medizin  und  Medizin  in  die  Philosophie  hineintragen; 
denn  ein  Arzt,  der  zugleich  Philosoph  ist,  steht  den 
Göttern  gleich.  ^  Ist  ja  doch  kein  großer  Unterschied 
zwischen  beiden,  weil  die  Eigenschaften  der  Philosophie 
auch  sämtHch  in  der  Medizin  enthalten  sind:  Uneigen- 
nützigkeit,  Rücksichtnahme,  Schamhaftigkeit,  würde- 
volles Wesen,  Achtung,  Urteil,  Ruhe,  Entschiedenheit, 
Reinlichkeit,  Sprechen  in  Sentenzen,  Kenntnis  des  zum 
Leben  Nützlichen  undNotwendigen,  Abscheu  vor  Schlech- 
tigkeit, Freisein  von  Aberglauben,  göttliche  Erhabenheit; 
denn  sie  besitzen  das,  was  sie  besitzen,  lediglich,  um  die 
Üppigkeit,  das  Handwerksmäßige,  die  unersättliche  Hab- 
sucht, die  Begierde,  die  Raublust  und  die  Schamlosigkeit 
erkennen  zu  lassen;  solcher  Art  also  ist  die  Erkenntnis 
des  Einkommens  und  der  nützlichen  Anwendung  des 
mit  der  Freundschaft,  mit  den  Kindern,  mit  dem  Ver- 
mögen Zusammenhängenden.  Mit  dieser  Erkenntnis  aber 
ist  eine  gewisse  Weisheit  verbunden;  denn  auch  der  Arzt 
hat  dies  zum  größten  Teil. 

Kap.  VI. 
. . .  Die  Ärzte  beugen  sich  aber  vor  den  Göttern,  weil  in  der 
ärztlichen  Kunst  keine  übermächtige  Kraft  enthalten  ist . . . 

*  Vgl.  H.  Rock,  Das  hippokratische  Wort  von  der  Gottgleichheit 
des  „philosophischen"  Arztes.  Archiv  für  Geschichte  der  Medizin. 
Bd.  7(1913),  S.  253— 272. 

22 


Kap.  VII. 
. . .  Der  Arzt  muß  aber  eine  gewisse  Umgänglichkeit  zur 
Verfügung  haben,  denn  mürrisches  Wesen  erregt  bei 
Gesunden  wie  bei  Kranken  Anstoß.  Vorzüglich  aber  hat 
er  auf  sich  selbst  achtzugeben,  daß  er  nicht  viel  von 
seinem  Körper  sehen  läßt  und  mit  den  Laien  nicht  viel, 
sondern  nur,  was  notwendig  ist,  spricht;  denn  man  sieht 
dies  als  die  unbedingte  Voraussetzung  zur  Beförderung 
der  Heilung  an.  Er  tue  auch  keine  Verrichtung,  die  ge- 
künstelt oder  auffällig  aussieht.  Man  bedenke  das  alles, 
damit  alles  zur  Dienstleistung  gehörig  vorbereitet  sei, 
sonst  stellt  sich  im  Bedarfsfalle  unliebsame  Verlegen- 
heit ein. 

Kap.  VIII. 
Man  muß  in  der  ärztlichen  Kunst  unter  Beobachtung  der 
nötigen  Würde  für  alles  Sorge  tragen,  was  betrifft  das 
Betasten,  das  Einreiben,  die  Übergießungen,  die  elegante 
Haltung  der  Hände,  die  Charpie,  die  Kompressen,  die 
Verbände,  die  Folgen  der  Temperatur,  die  Purganzen, 
die  Wunden  und  die  Augenleiden,  und  zwar  in  diesen 
Fällen  wieder  muß  man  für  den  besonderen  Fall  Sorge 
tragen,  damit  die  Instrumente,  die  Maschinen  und  das 
übrige  Eisen  in  gutem  Stande  sind;  denn  fehlt  es  hieran, 
so  deutet  das  auf  Unvermögen  und  bringt  Schaden.  Man 
habe  aber  auch  einfachere  Hilfsmittel  für  den  Handge- 
brauch auf  Reisen  bei  sich,  und  zwar  handlich  infolge 
der  methodischen  Anordnung ;  denn  der  Arzt  kann  nicht 
erst  alles  einzeln  durchgehen. 


23 


Kap.  IX. 
Stets  gegenwärtig  aber  seien  dem  Arzte  die  Heilmittel 
und  die  einfachen  Kräfte,  soweit  sie  schriftlich  aufgezeich- 
net sind,  w^enn  man  seinem  Sinne  schon  eingeprägt  hat 
die  Kenntnis  von  der  Behandlung  der  Krankheiten,  von 
ihren  Methoden ,  auf  wieviel  Art  und  Weisen  sie  anzu- 
wenden sind  und  wie  sie  sich  in  jedem  Einzelfalle  stellen; 
denn  das  ist  in  der  ärztlichen  Kunst  Anfang,  Mittel  und 
Ende. 

Kap.  XI. 
Wenn  man  aber,  nachdem  dies  alles  vorbereitet  ist,  zu 
dem  Patienten  hineinkommt,  so  wisse  man  unter  guter 
Vorbereitung  jeglichen  Dinges  auf  das,  was  zu  geschehen 
hat,  damit  man  nicht  in  Verlegenheit  gerate,  was  man  zu 
tun  hat,  und  zwar  noch  vor  dem  Eintritte;  denn  viele 
Fälle  bedürfen  gar  nicht  der  Überlegung,  sondern  der 
Hilfeleistung.  Man  muß  sich  vorher  auf  Grund  der  Er- 
fahrung über  den  Ausgang  erklären ;  denn  das  trägt  viel 
zum  guten  Rufe  bei  und  lernt  sich  leicht. 

Kap.  XII. 
Beim  Eintreten  aber  erinnere  man  sich  an  die  Art  des 
Niedersitzens,  an  die  würdevolle  Haltung,  an  die  gute 
Kleidung,  an  den  Ernst,  an  die  knappe  Sprache,  an  die 
Kaltblütigkeit  beim  Handeln,  an  die  sorgfältige  Wartung 
des  Patienten,  an  die  Fürsorge,  an  die  Antwort  auf  die 
erhobenen  Widersprüche,  an  die  Gemütsruhe  gegenüber 
den  eintretenden  Schwierigkeiten,  an  die  Zurückweisung 
von  Störungen,  an  die  Bereitwilligkeit  zu  Hilfeleistungen. 

24 


Hierbei  vergesse  man  nicht  die  erste  Einrichtung,  sonst 
sei  man  unerschütterHch  fest  in  Bezug  auf  das  übrige, 
was  nach  der  Vorschrift  zur  Hilfeleistung  bereitzu- 
stehen hat. 

Kap.  XIII. 
Man  mache  häufig  Krankenbesuche,  untersuche  genau, 
indem  man  dabei  Täuschungen  bei  den  Veränderungen 
entgegentritt;  denn  man  wird  den  Tatbestand  leichter 
erkennen  und  zugleich  eine  leichtere  Hand  haben  . , . 

Kap.  XIV. 
Man  muß  aber  auch  auf  die  Fehler  der  Kranken  achten, 
da  es  schon  häufig  vorgekommen  ist,  daß  sie  über  das 
Einnehmen  von  verordneten  Arzneien  die  Unwahrheit 
gesagt  haben;  sind  doch  oft  diejenigen,  welche  die  ihnen 
verhaßten  Arzneien,  mögen  es  nun  Purgativa,  mögen  es 
andere  Medikamente  gewesen  sein,  nicht  eingenommen 
haben,  deshalb  gestorben.  Und  diese  Tat  gestehen  sie 
nicht  ein,  sondern  die  Schuld  daran  wird  dem  Arzte  auf- 
gebürdet. 

Kap.  XV. 
Man  hat  aber  auch  auf  die  Lagerstätten  zu  achten ,  und 
zwar  sowohl  was  die  Jahreszeit,  als  auch  was  die  Art  der 
Lagerung  angeht.  Die  einen  haben  nämlich  ihr  Lager  an 
Stätten  mit  guter  Luft,  die  anderen  an  unter  der  Straße 
gelegenen,  dunklen  Orten.  Geräusche  und  Gerüche, 
namentlich  den  des  Weines  -  denn  dieser  ist  der  schäd- 
lichste -  hat  man  zu  meiden  und  fernzuhalten. 


25 


Kap.  XVI. 
Dies  alles  soll  man  mit  Ruhe  und  mit  Geschick  tun,  indem 
man  vor  dem  Kranken  während  der  Hilfeleistung  das 
meiste  verbirgt.  Was  zu  geschehen  hat,  soll  man  mit 
freundlicher  und  ruhiger  Miene  anordnen,  dem  Kranken, 
indem  man  sich  von  seinen  eigenen  Gedanken  losmacht, 
bald  mit  Bitterkeit  und  ernster  Miene  Vorwürfe  machen, 
bald  ihm  wieder  mit  Rücksicht  und  Aufmerksamkeit  Trost 
zusprechen,  indem  man  ihm  nichts  von  dem,  was  kommen 
wird  und  ihn  bedroht,  verrät;  denn  schon  viele  sind  hier- 
durch, ich  meine  durch  das  eben  erwähnte  Voraussagen 
dessen,  was  sie  bedroht  und  eintreffen  wird,  zum  Äußer- 
sten getrieben  worden. 

Kap.  XVIII. 
Da  die  Verhältnisse  zur  Erwerbung  guten  Rufes  und  zur 

Erwerbung  von  Würde  in  der  Philosophie  wie  in  der 
ärztlichen  Kunst,  wie  endlich  auch  in  den  übrigen  Künsten 
nun  einmal  so  gestaltet  sind,  muß  sich  der  Arzt  unter 
genauer  Unterscheidung  der  Teile,  über  die  wir  gespro- 
chen haben,  den  einen  zum  steten  Begleiter  auserkiesen, 
ihn  bewachen  und  behüten  und  durch  Betätigung  weiter 
übermitteln;  denn  da  diese  Dinge  berühmt  sind,  werden 
sie  von  allen  Menschen  gehütet.  Die  aber,  die  diesen 
Weg  ziehen,  stehen  in  Ansehen  bei  Eltern  und  Kindern, 
und  wenn  manche  nicht  viel  davon  verstehen,  so  werden 
sie  durch  die  Dinge  selbst  zum  richtigen  Verständnis  ge- 
bracht. 


26 


VORSCHRIFTEN. 

Kap.  I. 

DIE  Zeit  ist  dasjenige,  worin  die  günstige  Gelegenheit 
enthalten  ist,  und  die  günstige  Gelegenheit  ist  das- 
jenige, worin  nicht  viel  Zeit  enthalten  ist.  Die  Heilung  er- 
folgt durch  die  Zeit,  zuweilen  aber  auch  durch  den  gün- 
stigen Augenblick.  FolgUch  muß  derjenige,  der  das  weiß, 
die  Heilung  bewirken,  indem  er  sein  Augenmerk  zuvor 
nicht  auf  eine  zuverlässige  Berechnung  richtet,  sondern 
vielmehr  auf  die  Praxis  in  Verbindung  mit  der  Berech- 
nung. Denn  die  Berechnung  ist  eine  zusammensetzende 
Erinnerung  der  vermittelst  der  sinnlichen  Wahrnehmung 
aufgefaßten  Dinge  . . . 

Kap.  III. 
Nützlich  und  mannigfaltig  ist  aber  auch  die  Voraus- 
bestimmung der  Verordnungen  für  den  Patienten,  weil 
ja  allein  das  Verordnete  helfen  wird.  Denn  einer  Ver- 
sicherung bedarf  es  nicht,  nisten  sich  doch  alle  Krank- 
heiten infolge  mannigfacher  Zufälligkeiten  und  Verände- 
rungen mit  einer  gewissen  Beharrlichkeit  ein. 

Kap.  IV. 

Der  Empfehlung  scheint  aber  auch  der  folgende  Punkt 
unserer  Lehre  zu  bedürfen.  Wenn  man  nämlich  von  dem 
Honorar  anfängt  —  denn  das  hat  ja  einen  gewissen  Bezug 
auf  das  Ganze  — ,  so  wird  man  bei  dem  Patienten  die  Vor- 
stellung verursachen,  daß  man  ihn,  wenn  es  nicht  zu 
einer  Vereinbarung  kommt,  im  Stiche  lassen  und  davon- 
gehen oder  aber,  daß  man  ihn  vernachlässigen  und  im 

27 


Augenblicke  keine  Ratschläge  erteilen  wollte.  Also  darf 
man  sich  um  die  Festsetzung  des  Honorars  nicht  küm- 
mern, denn  wir  sehen  eine  derartige  Vorsorge  als  etwas 
für  den  Erkrankten  Schädliches  an,  besonders  bei  einer 
hitzigen  Krankheit.  Die  Schnelligkeit  des  Leidens  näm- 
lich, die  keine  Gelegenheit  zur  Umkehr  gibt,  spornt  den 
ehrenhaften  Arzt  nicht  dazu  an,  seinen  Vorteil  zu  suchen, 
sondern  sich  mehr  an  den  Ruhm  zu  halten.  Besser  ist 
es,  denen,  die  davongekommen  sind,  Vorwürfe  zu 
machen,  als  diejenigen,  die  in  Gefahr  schweben,  im  vor- 
aus gehörig  auszuschneuzen. 

Kap.  VI. 
Was  das  Honorar  anlangt, ...  so  rate  ich,  daß  man  auf 
das  Vermögen  und  Einkommen  des  Kranken  Rücksicht 
nehme.  Bisweilen  tut  man  gut,  umsonst  zu  behandeln, 
indem  man  Heber  dankbare  Erinnerung  als  augenblick- 
lichen Ruhm  auf  sich  nimmt.  Bietet  sich  aber  Gelegen- 
heit, einem  Fremden  und  Bedürftigen  Hilfe  zu  leisten, 
so  soll  man  diesem  in  hervorragendem  Maße  zu  Diensten 
stehen ;  denn  wo  Liebe  zum  Menschen  vorhanden  ist,  da 
ist  auch  Liebe  zur  Kunst  vorhanden.  Manche  Kranke 
nämHch,  die  fühlen,  daß  ihr  Leiden  nicht  ohne  Anlaß 
zur  Besorgnis  ist,  und  sich  doch  auf  die  Tüchtigkeit  des 
Arztes  voll  Vertrauen  verlassen,  erlangen  ihre  Gesundheit 
M'ieder . . . 

Kap.  Vm. 
. . .  Das  Nachlassen  und  die  Verschlimmerung  im  Befin- 
den des  Kranken  erheischen  ärztliches  Einschreiten.    Es 

28 


hat  nichts  Ungehöriges  an  sich,  wenn  ein  Arzt,  der  sich 
im  Augenblicke  eines  Kranken  wegen  in  Verlegenheit 
befindet  und  infolge  seiner  nicht  genügenden  Erfahrung 
nicht  klar  sieht,  auch  andere  Ärzte  zur  Konsultation  hin- 
zuzieht, damit  man  auf  Grund  einer  gemeinsamen  Be- 
sprechung den  Zustand  des  Kranken  klarlege  und  jene 
Kollegen  mithülfen,  um  ein  Mittel  zur  Heilung  zu  finden; 
denn  wenn  sich  eine  Krankheit  einnistet,  so  entgehen, 
falls  das  Leiden  größer  wird,  gar  viele  Dinge  im  Augen- 
blicke (dem  Beobachter)  wegen  seiner  Ratlosigkeit.  In 
einem  solchen  Falle  soll  man  festes  Zutrauen  haben  . . . 

Kap.  X. 
Zu  vermeiden  aber  hat  man  auch  den  Luxus  von  Kopf- 
bedeckungen, um  Praxis  zu  bekommen,  desgleichen  kost- 
bare Parfüms;  denn  durch  viel  ungewohntes  Benehmen 
wird  man  sich  eine  schlechte  Meinung  erwerben,  durch 
ein  wenig  ungewohntes  hingegen  Ansehen;  denn  im 
Teile  ist  nur  geringes  Übel,  im  Ganzen  hingegen  vieles. 
Die  Erwerbung  der  Dankbarkeit  der  Leute  aber  will  ich 
nicht  in  Abzug  bringen,  ist  sie  doch  der  Vortrefflichkeit 
des  Arztes  würdig. 

Kap.  Xn. 
Wenn  man  um  der  Menge  willen  eine  öffentliche  Vor- 
lesung veranstalten  will,  so  ist  das  kein  sehr  rühmliches 
Verlangen,  wenigstens  hüte  man  sich,  poetische  Zeug- 
nisse zu  verwenden;  denn  das  würde  ein  Unvermögen 
in  dem  Müheaufwande  verraten. 


29 


DIE  APHORISMEN. 

Erster  Abschnitt 

I 

DAS  Leben  ist  kurz,  die  Kunst  ist  lang,  der  rechte 
Augenblick  ist  rasch  enteilt,  der  Versuch  ist  trüge- 
risch, die  Beurteilung  ist  schwierig.  Der  Arzt  muß  aber 
nicht  nur  das  Nötige  tun,  sondern  auch  der  Patient  selbst, 
seine  Umgebung  und  die  Außenwelt. 

2 
...  So  ist  auch  der  Aderlaß,  wenn  es  so  geschieht,  wie 
es  zu  geschehen  hat,  zuträglich,  und  man  verträgt  ihn 
leicht,  andernfalls  tritt  das  Gegenteil  ein.  Man  muß  daher 
auf. . .  das  Alter  und  die  Krankheiten  achten,  bei  denen 
er  notwendig  ist  oder  nicht. 

3 

Bei  denen,  die  Leibesübungen  vornehmen,  ist  hochgradige 
Wohlbeleibtheit  bedenklich,  wenn  sie  zum  Äußersten  ge- 
kommen ist,  denn  sie  kann  nicht  in  demselben  Zustande 
verharren,  noch  ruhen.  Da  sie  aber  nicht  in  Ruhe  ver- 
harrt, kann  sie  auch  nicht  zum  Besseren  fortschreiten, 
folghch  bleibt  nur  übrig,  daß  sie  zum  Schlimmeren  fort- 
schreite. Deshalb  ist  es  von  Nutzen,  die  Wohlbeleibtheit 
zu  beseitigen,  und  zwar  nicht  zu  langsam,  damit  der  Kör- 
per wieder  zu  dem  Beginne  der  Ernährung  zurückkehre; 
auch  darf  man  die  Entfettung  nicht  zum  Äußersten  trei- 
ben, denn  das  ist  gefährlich,  sondern  nur  so  weit,  wie  es 
die  natürliche  Beschaffenheit  dessen,  der  es  zu  ertragen 
hat,  erlaubt,  darf  man  es  treiben. 

30 


Wenn  das  Leiden  auf  dem  Höhepunkte  angelangt  ist, 
muß  man  sich  auch  der  leichtesten  Diät  bedienen. 

13 
Alte  Leute  ertragen  das  Fasten  sehr  gut,  nächst  ihnen 
Leute  gesetzten  Alters,  weniger  gut  junge  Leute,  am  aller- 
wenigsten Kinder,  von  diesen  selbst  aber  wieder  die  Leb- 
hafteren. 

16 
Flüssige  Diät  ist  allen  Fiebernden  zuträgHch,  am  meisten 
aber  Kindern  und  anderen  Leuten,  die  an  ebensolches 
Leben  gewöhnt  sind. 

18 
Im  Sommer  und  Herbste  verträgt  man  das  Essen  am 
schwersten,  im  Winter  am  leichtesten,  nächstdem  im 
Frühjahre. 

Zweiter  Abschnitt. 

Wenn  Schlaf  und  Wachen  das  richtige  Maß  überschreiten, 
ist  es  schädlich. 

4 

Weder  Sättigung  noch  Hunger  noch  irgend  etwas  ande- 
res, was  das  natürliche  Maß  überschreitet,  ist  zuträglich. 

5 

Spontane  Zerschlagenheit  sind  Vorboten  der  Krankheiten. 

31 


6 
Die,  die  an  irgendeinem  Körperteile  ein  Leiden  haben, 
das  Leiden  aber  so  gut  wie  nicht  fühlen,  sind  an  der 
Seele  krank. 

7 
Die  langsam  Abgemagerten  muß  man  auch  langsam  wie- 
der zu  Kräften  bringen,  die  rasch  Abgemagerten  in  kur- 
zer Zeit. 

II 

Es  ist  leichter,  sich  mit  Trank  als  mit  Speise  zu  erquicken. 

12 

Was  bei  den  Krankheiten  nach  der  Krisis  zurückbleibt, 
pflegt  Rückfälle  hervorzurufen. 

13 
Die,  bei  denen  eine  Krisis  erfolgt,  verbringen  die  Nacht 
vor  der  Verschlimmerung  sehr  unruhig,  die  darauffol- 
gende aber  meist  leichter. 


19 
idd 
des  Todes  als  der  Genesung  nicht  völlig  untrüglich. 


Bei  akuten  Krankheiten  sind  die  Vorhersagungen  sowohl 


Wenn  ein  Genesender  tüchtig  ißt  und  doch  am  Körper 
nicht  zunimmt,  so  ist  es  schlimm. 

32 


33 

Bei  jedem  Leiden  ist  es  gut,  klaren  Verstand  zu  haben 
und  zum  Essen  aufgelegt  zu  sein,  das  Gegenteil  aber  ist 
nachteilig. 

39 
Alte  Leute  erkranken  zumeist  weniger  oft  als  junge  Leute; 
wenn  sie  aber  von  chronischen  Leiden  befallen  werden, 
so  begleiten  diese  sie  meist  bis  zu  ihrem  Tode. 

44 

Wohlbeleibte  Leute  sterben  eher  eines  schnellen  Todes 
als  magere. 

47 

Zu  der  Zeit,  wo  sich  der  Eiter  bildet,  treten  mehr  Schmer- 
zen und  Fieber  auf,  als  wenn  er  sich  bereits  gebildet  hat. 

49 

Diejenigen,  die  gewöhnt  sind,  die  gewöhnlichen  Arbeiten 
zu  tun,  ertragen,  auch  wenn  sie  schwächlich  oder  hoch- 
bejahrt sind,  die  Krankheiten  leichter  als  diejenigen,  die, 
obwohl  stark  und  jung,  nicht  daran  gewöhnt  sind. 

50 

Was  man  schon  lange  Zeit  gewöhnt  ist,  pflegt,  auch  wenn 

es  weniger  gut  ist,  weniger  beschwerlich  zu  fallen  als  das, 
was  man  nicht  gewöhnt  ist;  daher  muß  man  sich  auch 
dem  Ungewohnten  zuwenden. 

52 
Wenn  man  alles  nach  Gebühr  tut  und  die  Ereignisse 
nicht  nach  Gebühr  eintreten,  soll  man  nicht  zu  etwas 

isi  33 


anderem  übergehen,  sondern  bei  dem  von  Anfang  an 
Beliebten  verbleiben. 

54 
Einen  hochgewachsenen  Körper  zu  haben,  ist  für  junge 
Leute  etwas  Edles  und  Gefälliges,  für  alte  Leute  aber  nicht 
von  Nutzen  und  weniger  gut,  als  wenn  sie  kleiner  wären. 

Dritter  Abschnitt. 
I 
Der  Wechsel  der  Jahreszeiten  erzeugt  sehr  häufig  Krank- 
heiten, und  in  den  Jahreszeiten  selbst  wieder  tun  es  die 
großen  Witterungsumschläge  von  Kälte  und  Hitze  und 
das  übrige  in  gleichem  Verhältnis. 

2 

Die  menschlichen  Naturen  sind  teils  dem  Sommer,  teils 
dem  Winter  gegenüber  gut  oder  schlecht  disponiert. 

3 
Die  eine  Krankheit  ist  gegenüber  dieser,  die  andere  gegen- 
über jener  (Jahreszeit)  gut  oder  schlecht  disponiert;  ebenso 
verhält  es  sich  mit  manchen  Altersstufen  gegenüber  den 
Jahreszeiten,  den  örtUchen  Verhältnissen  und  den  Lebens- 
gewohnheiten. 

9 

Im  Herbste  sind  die  Krankheiten  im  allgemeinen  am 
hitzigsten  und  am  ehesten  tödlich,  das  Frühjahr  aber  ist 
am  gesündesten  und  hat  die  geringste  Sterblichkeit. 

34 


10 

Der  Herbst  ist  für  Schwindsüchtige  gefährlich. 


19 

Die  Krankheiten  entstehen  ohne  Unterschied  zu  jeghcher 

Jahreszeit,  manche  hingegen  entstehen  und  verschhm- 
mern  sich  in  manchen  Jahreszeiten  mit  Vorhebe. 


Vierter  Abschnitt. 
29 
Diejenigen,  die  bei  Fiebern  am  sechsten  Tage  Schüttel- 
frost bekommen,  haben  schwere  Krisen  durchzumachen. 


36 
Wenn  bei  Fiebernden  Schweiße  auftreten,  so  sind  sie 
heilsam  am  dritten,  fünften,  siebenten,  neunten,  elften, 
vierzehnten,  siebzehnten,  einundzwanzigsten,  siebenund- 
zwanzigsten, einunddreißigsten  und  vierunddreißigsten 
Tage,  denn  die  Schweiße  führen  zur  Krisis  der  Krank- 
heiten; diejenigen  Schweiße  aber,  die  nicht  zu  diesen 
Zeiten  auftreten,  bedeuten  Schmerzen,  lange  Krankheits- 
dauer und  Rückfälle. 

45 
Die,  bei  denen  Verdickungen  in  der  Nachbarschaft  der 
Gelenke  oder  Schmerzen  infolge  von  Fieber  auftreten, 
nehmen  zu  viel  Speisen  zu  sich. 


35 


Fünfter  Abschnitt. 

9 

Schwindsucht  befällt  die  Menschen  meist  im  Alter  von 
achtzehn  bis  fünfunddreißig  Jahren. 

14 
Wenn  bei  einem  Schwindsüchtigen  Durchfälle  hinzu- 
kommen, so  führt  das  den  Tod  herbei. 


Sechster  Abschnitt. 

Wenn  bei  einem  von  Schlucken  Befallenen  Niesen  ein- 
tritt, so  hebt  dieses  den  Schlucken  auf. 

42 
Wenn  bei  Gelbsüchtigen  die  Leber  hart  wird,  ist  es 
schlimm. 

55 

Das  Podagra  regt  sich  meistens  im  Frühjahr  und  Herbst. 

57 

Vom  Schlagflusse  gelähmt  werden  die  Menschen  aber 
besonders  vom  vierzigsten  Lebensjahre  ab  bis  gegen  das 
sechzigste  hin. 

Siebenter  Abschnitt. 
I 
Bei  akuten  Krankheiten  ist  das  Erkahen  der  Gliedmaßen 
schlimm. 

36 


II 

Lungenentzündung  nach  Brustfellentzündung  ist  gefähr- 
lich. 

34 
Bei  denen,  auf  deren  Harn  Blasen  stehen,  deuten  sie  auf 
eine  Erkrankung  der  Niere  und  eine  lange  Dauer  des 
Leidens. 


DIE  DIÄT. 

Erstes  Buch. 
Kap.  II. 

ICH  behaupte  aber,  daß,  wer  über  die  Diät  des  Menschen 
richtig  schreiben  will,  zunächst  die  ganze  Natur  des 
Menschen  kennen  und  erkennen  muß,  kennen,  aus  was  sie 
von  Ursprung  an  besteht,  erkennen,  von  welchen  Teilen 
sie  überwunden  wird;  denn  wenn  man  die  ursprüngliche 
Zusammensetzung  nicht  kennt,  wird  man  auch  nicht  im- 
stande sein,  zu  erkennen,  was  durch  jene  entsteht,  ande- 
rerseits, wenn  man  nicht  erkennt,  was  im  Körper  vor- 
herrscht, wird  man  nicht  imstande  sein,  das  dem  Menschen 
Zuträgliche  zu  verabreichen.  Das  muß  der  Schriftsteller 
also  kennen,  ferner  muß  er  aber  auch  wissen,  welche 
Wirkung  ein  jedes  einzelne  von  all  den  Speisen  und  den 
Getränken  hat,  die  wir  täglich  zu  uns  nehmen,  mag  diese 
Wirkung  nun  von  Natur  vorhanden  sein  oder  durch 
einen  Zwang  oder  die  menschhche  Kunst  herbeigeführt 
sein.  Denn  man  muß  verstehen,  wie  man  den  von  Natur 
starken  Dingen  ihre  Wirkung  zu  nehmen,  wie  man  an- 

37 


dererseits  schwachen  auf  künstUchem  Wege  Stärke  zu 
verleihen  hat,  wie  es  im  einzelnen  Falle  die  Zweckmäßig- 
keit mit  sich  bringt.  Kennt  man  aber  auch  das  Genannte, 
so  ist  die  ärztUche  Pflege  des  Menschen  doch  noch  nicht 
ausreichend,  weil  ja  der  Mensch,  der  ißt,  nicht  gesund  sein 
kann,  wenn  er  nicht  auch  Leibesübungen  pflegt . . . 
. .  .  Denn  die  Krankheiten  befallen  die  Menschen  nicht 
sofort,  sondern  nachdem  sie  sich  nach  und  nach  ange- 
sammelt haben,  zeigen  sie  sich  in  ihrer  vollen  Stärke  . . . 

Kap.  IV. 
...  Es  geht  aber  kein  einziges  aus  der  Gesamtheit  der 
Dinge  verloren,  noch  auch  entsteht  etwas,  was  nicht  schon 
vorher  war . . . 

. . .  Denn  man  schenkt  den  Augen  mehr  Glauben  als  der 
vernunftgemäßen  Überlegung,  obwohl  sie  nicht  einmal 
ausreichen,  um  das  Gesehene  zu  beurteilen;  ich  freilich 
erkläre  das  mit  Hilfe  vernunftgemäßer  Überlegung  . . . 

Kap.  XV. 

Die  Schuster  teilen  das  Ganze  und  die  Stücke,  die  Stücke 
machen  sie  ganz;  indem  sie  aber  schneiden  und  stechen, 
machen  sie  das  Schadhafte  heil.  Auch  der  Mensch  erfährt 
dasselbe.  Aus  dem  Ganzen  wird  er  in  Stücke  zerlegt,  aus 
den  Stücken  wird  durch  Zusammensetzen  Ganzes.  Durch 
Stechen  und  Schneiden  werden  die  schadhaften  Stellen 
durch  die  Ärzte  heil  gemacht,  und  das  ist  die  Aufgabe 
der  ärztlichen  Kunst,  das,  was  Störung  verursacht,  zu 
entfernen  und  durch  Wegnahme  desjenigen,  wodurch 
der  Mensch  leidet,  ihn  gesund  zu  machen.    Die  Natur 

38 


versteht  dieses  ganz  von  selbst:  einen  Sitzenden  veranlaßt 
sie  durch  Schmerz  zum  Aufstehen,  einen  sich  Bewegen- 
den zum  Ausruhen,  und  noch  anderes  derartiges  hat  die 
Natur  mit  der  ärztlichen  Kunst  gemein. 

Kap.  XVIII. 
Für  die  Musik  muß  zunächst  ein  Instrument  vorhanden 
sein,  auf  welchem  die  Harmonie  zeigt,  was  sie  will.  Aus 
dem  nämlichen  kommen  Akkorde,  die  nicht  die  näm- 
lichen sind,  bestehend  aus  hohen  und  tiefen  Tönen,  der 
Bezeichnung  nach  einander  ähnlich,  dem  Tone  nach  ein- 
ander unähnUch.  Die  größten  Unterschiede  geben  am 
meisten  Zusammenklang.  Wenn  man  aber  alles  ähnlich 
gestalten  will,  ist  kein  Ergötzen  damit  verbunden,  sondern 
die  häufigsten  und  mannigfaltigsten  Veränderungen  er- 
götzen am  meisten.  Die  Köche  bereiten  für  die  Menschen 
Gerichte  aus  Verschiedenartigem  und  doch  Zusammen- 
stimmendem, indem  sie  allerlei  miteinander  vermischen, 
sie  machen  aus  dem  Gleichen  Nichtgleiches,  als  Essen  und 
Trinken  für  die  Menschen.  Wenn  man  aber  alles  ähnlich 
gestalten  will,  bringt  es  kein  Ergötzen  mit  sich,  anderer- 
seits würde  es  auch  nicht  recht  sein,  wenn  man  in  dem 
nämlichen  alles  vereinigen  wollte.  Die  Schläge  werden 
in  der  Musik  teils  oben,  teils  unten  geführt.  Die  Zunge 
ahmt  die  Musik  nach,  indem  sie  in  dem  mit  ihr  in  Be- 
rührung Kommenden  das  Süße  und  das  Saure  unter- 
scheidet, desgleichen  was  nicht  übereinstimmt  und  was 
übereinstimmt.  Sie  schlägt  die  Töne  oben  und  unten  an, 
und  es  ist  nicht  richtig,  wenn  sie  die  oberen  Töne  unten 
oder  die  unteren  Töne  oben  anschlägt.    Hat  die  Zunge 

39 


eine  schöne  Harmonie,  dann  wird  durch  das  Zusammen- 
khngen  Ergötzen  hervorgerufen,  hat  sie  keine  Harmonie, 
Belästigung. 

Kap.  XIX. 
Die  Ledergerber  ziehen,  reiben,  bürsten,  waschen,  das 
ist  die  Körperpflege  der  kleinen  Kinder . . . 

Zweites  Buch. 

Kap.  XXVI. 
Spaziergänge  sind  etwas  Natürliches,  und  zwar  von  allem 
übrigen  das  Natürlichste,  doch  haben  sie  auch  etwas  Ge- 
waltsames . . . 

Kap.  XXX. 
Mit  den  Ermüdungen  des  Körpers  verhält  es  sich  folgen- 
dermaßen. An  körperliche  Übungen  nicht  gewöhnte 
Leute  werden  durch  jede  Anstrengung  ermüdet,  denn 
kein  Teil  des  Körpers  ist  durch  Anstrengung  an  irgend- 
eine Anstrengung  gewöhnt  worden ;  die  an  körperliche 
Übung  gewöhnten  Körper  hingegen  werden  durch  un- 
gewohnte leibliche  Anstrengungen  ermüdet,  wenn  sie  sie 
im  Übermaße  betreiben  . . . 

Drittes  Buch. 
Kap.  III. 
Diese  Ratschläge  erteile  ich  der  großen  Mehrheit  der 
Menschheit,  soweit  sie  unter  dem  Zwange  der  Verhält- 
nisse ein  Leben  auf  gut  Glück  führen  müssen  und  keine 
MögUchkeit  haben,  unter  Vernachlässigung  des  übrigen 

40 


für  ihre  Gesundheit  Sorge  zu  tragen;  für  diejenigen  hin- 
gegen, denen  sich  diese  Möglichkeit  bietet  und  bei  denen 
es  klar  auf  der  Hand  liegt,  daß  sie  auf  nichts,  weder  auf 
Geld  noch  auf  sonst  irgend  etwas  anderes  Rücksicht  zu 
nehmen  brauchen  als  auf  ihre  Gesundheit,  für  die  habe 
ich  eine  Lebensweise  entdeckt,  die,  soweit  es  möglich 
ist,  auf  das  allergenaueste  schriftlich  niedergelegt  ist. . . 
Diese  Entdeckung  ist  für  mich,  der  sie  gemacht  hat,  rühm- 
lich, für  die,  die  sie  kennen  lernen,  nützlich;  kein  einziger 
von  meinen  Vorgängern  hat  aber  auch  nur  den  Versuch 
gemacht,  sich  mit  dem  zu  beschäftigen,  was  nach  meinem 
Urteile  im  Vergleich  mit  allem  übrigen  sehr  wertvoll  ist. 
Meine  Entdeckung  ist  nämhch  das  Vorauserkennen,  be- 
vor man  krank  wird,  die  Erkenntnis,  was  dem  Körper 
fehlt,  ob  die  Speisen  die  Herrschaft  über  die  leiblichen 
Übungen  oder  die  leiblichen  Übungen  die  Herrschaft 
über  die  Speisen  erlangt  haben  oder  ob  beide  zueinander 
im  richtigen  Verhältnis  stehen.  Denn  dadurch,  daß  das 
eine  oder  das  andere  die  Herrschaft  erlangt,  entstehen 
die  Krankheiten,  während  von  dem  gleichen  Verhältnis 
beider  zueinander  die  Gesundheit  des  Menschen  her- 
rührt . . . 

ÜBER  DIE  TRÄUME. 

Viertes  Buch. 
Kap.  I. 

WER  die  richtige  Erkenntnis  hat,  wird  finden,  daß 
die  Anzeichen,  die  sich  im  Schlafe  einstellen, 
einen  großen  Einfluß  auf  alles  ausüben  . . . 

41 


Kap.  II. 
. . .  Das  Beten  ist  zwar  etwas  Schickliches  und  sehr  Gutes, 
indessen  muß  man  auch  selbst  die  Hand  anlegen,  wenn 
man  die  Götter  anruft. 


DIE  HYGIENE  DER  LEBENSWEISE. 

Kap.  L 

IM  Winter  sollen  sie  möglichst  viel  essen,  aber  so  wenig 
wie  möglich  trinken,  und  zwar  bestehe  das  Getränk 
in  möglichst  ungemischtem  Weine,  die  Speisen  anderer- 
seits in  Brot  und  gerösteter  Zukost  jeder  Art,  Gemüse 
aber  genieße  man  in  jener  Jahreszeit  so  wenig  wie  mög- 
lich; denn  auf  diese  Weise  wird  der  Körper  wohl  am 
trockensten  und  wärmsten  sein  . . . 

Kap.  IL 
Für  beleibte,  weichliche  und  rotbäckige  Naturen  ist  es 
zuträglich,  die  meiste  Zeit  des  Jahres  eine  trocknere  Le- 
bensweise zu  führen,  denn  die  Natur  solcher  Konstitu- 
tionen ist  feucht.  Leute  mit  festem  Fleische,  derbem 
Körper,  blonder  und  schwärzlicher  Farbe  hingegen  müssen 
die  meiste  Zeit  eine  feuchtere  Lebensweise  beobachten, 
denn  solche  Körper  sind  trocken.  Für  jugendhche  Körper 
ist  es  gut,  eine  mehr  auflockernde  und  feuchtere  Lebens- 
weise zu  führen ,  denn  die  Jugend  ist  trocken ,  und  die 
Körper  sind  fest.  Ältere  Leute  dagegen  müssen  die  meiste 
Zeit  über  eine  trocknere  Lebensweise  durchweg  befolgen, 
denn  in  einem  solchen  Alter  sind  die  Körper  feucht, 
weich  und  kalt.   Man  hat  also  seine  Lebensweise  nach 


42 


der  Altersstufe,  der  Jahreszeit,  der  Gewohnheit,  dem 
Lande  und  der  Konstitution  einzurichten,  indem  man 
den  bestehenden  Hitze-  und  Frostverhältnissen  entgegen- 
tritt, denn  so  wird  man  am  gesündesten  bleiben. 

Kap.  III. 
Im  Winter  muß  man  schnell  gehen ,  im  Sommer  lang- 
sam, außer  wenn  man  in  der  Sonnenhitze  geht.  Auch 
müßten  die  Beleibteren  schneller  gehen,  die  Schmäch- 
tigen hingegen  langsamer.  Im  Sommer  muß  man  aber 
viel  baden,  im  Winter  wenig,  doch  müßten  Leute  mit 
festem  Fleische  mehr  baden  als  solche  mit  reichlichem 
Fleischansatze . . . 

Kap.  IV. 
Wohlbeleibte  aber  und  solche,  die  dünn  werden  wollen, 
müssen  alle  Arbeiten  mit  nüchternem  Magen  verrichten 
und  sich  ans  Essen  machen,  solange  sie  noch  von  der 
Arbeit  atemlos  sind,  ohne  sich  erst  abzukühlen,  zuvor 
aber  sollen  sie  nicht  zu  kalten,  mit  Wasser  versetzten 
Wein  trinken;  die  Zukost  sollen  sie  mit  Sesam,  süßen 
Saucen  und  anderen  derartigen  Zutaten  zubereiten.  Fett 
seien  die  Gerichte,  die  sie  zu  sich  nehmen,  denn  so  kann 
man  sich  von  möglichst  wenig  Speisen  sättigen.  Man 
halte  auch  nur  eme  Mahlzeit  des  Tages,  bade  nicht,  schlafe 
auf  hartem  Lager  und  gehe  möghchst  viel  in  unbekleide- 
tem Zustande  spazieren.  Wer  hingegen  dünn  ist  und  be- 
leibt werden  will,  der  tue  sowohl  im  übrigen  das  Gegen- 
teil von  jenem,  was  ich  angegeben  habe,  als  auch  verrichte 
er  niemals  nüchtern  irgendeine  Arbeit. 

43 


Kap.  IX. 
Wer  aber  verständig  ist,  muß  in  der  Erwägung,  daß  die 
Gesundheit  das  Wertvollste  für  den  Menschen  ist,  wohl 
verstehen,  sich  in  Krankheitsfällen  mit  Hilfe  seiner  eige- 
nen Einsicht  herauszuhelfen. 

ÜBER  LUFT,  WASSER  UND  ÖRTLICHKEIT. 

Kap.  X. 

SO  entsteht  der  Regen.  Solches  Wasser  ist  begreiflicher- 
weise am  besten;  man  muß  es  aber  abkochen  und 
sterilisieren,  andernfalls  hat  es  einen  schlechten  Geruch . . . 

Kap.  XI. 
Das  aus  Schnee  und  Eis  hervorgegangene  Wasser  ist 
ohne  Ausnahme  schlecht.    Nachdem  es  nämlich  einmal 
fest  geworden  ist,  kehrt  es  nicht  wieder  zu  seinem  frühe- 
ren Zustande  zurück  . . . 

Kap.  XXXII. 
. . .  Wo  nämlich  häufige  Veränderungen  der  Jahreszeiten 
stattfinden  und  diese  selbst  voneinander  sehr  verschieden 
sind,  da  wird  man  finden,  daß  auch  die  äußere  Erschei- 
nung, die  Gesinnung  und  die  Konstitution  die  größten 
Unterschiede  aufweisen. 


M 


DIE  SÄFTE. 

Kap.  V. 

AN  hat  den  Krankheitszustand  zu  prüfen  von  den 
ersten  Anfängen  an,  nach  dem,  was  ausgeschieden 


44 


wird ,  nach  der  Beschaffenheit  des  Harns  . , . ,  auch  alles 
übrige  hat  man  zugleich  zu  betrachten . . . 

Kap.  XII. 
Was  die  Krankheiten  angeht,  so  kann  man  die  kongeni- 
talen durch  Ausfragen  erfahren,  ebenso  die  von  bestimm- 
ten Stellen  ausgehenden,  denn  die  Mehrzahl  birgt  sie  in 
sich,  weshalb  es  die  meisten  wissen;  andere  entspringen 
aus  der  Beschaffenheit  des  Körpers,  der  Lebensgewohn- 
heiten, des  Krankheitszustandes  oder  der  Jahreszeiten  . . . 


Kap.  XVII. 
Wie  man  aber  aus  den  Jahreszeiten  auf  die  Krankheiten 
schließen  kann,  so  kann  man  bisweilen  auch  aus  den 
Krankheiten  über  das  Wasser,  die  Winde  und  über  die 
Regenlosigkeit  etwas  voraussagen,  wie  über  Nord-  und 
Südwinde;  denn  es  gibt  für  den,  der  gut  und  recht  ge- 
lernt hat,  Anhaltspunkte,  von  denen  aus  er  seine  Erwägun- 
gen anzustellen  hat,  wie  z.  B.  gewisse  Arten  von  Lepra 
(d.  h.  Hautleiden)  und  Schmerzen  in  den  Gliedern,  wenn 
es  Regen  geben  soll,  Jucken  hervorrufen  und  dergleichen. 


DIE  KRISEN. 

Kap.  XIV. 

IE  akuten  Krankheiten   entscheiden   sich   in  den 
meisten  Fällen  binnen  vierzehn  Tagen. 


D 


45 


DIE  KRITISCHEN  TAGE. 

Kap.  I. 

ICH  halte  es  für  einen  wichtigen  Teil  der  (ärztlichen) 
Kunst,  über  das  schriftlich  Niedergelegte  ein  richtiges 
Urteil  zu  fällen  . . . 

Kap.  X. 
Die  Lungenentzündung  bringt  folgende  Erscheinungen 
zustande:  den  Kranken  befällt  heftiges  Fieber,  die  At- 
mung ist  frequent  und  sein  Atem  heiß,  Beängstigung  und 
Schwäche  kommt  über  ihn,  er  wirft  sich  hin  und  her,  es 
stellen  sich  Schmerzen  ein  um  das  Schulterblatt  herum, 
am  Schlüsselbeine  und  an  der  Brustwarze,  in  der  Brust 
macht  sich  eine  Schwere  fühlbar,  und  es  kommt  zu  De- 
lirien. Zuweilen  verläuft  die  Lungenentzündung  auch 
ohne  Schmerzen,  bis  der  Kranke  zu  husten  anfängt,  dann 
ist  sie  aber  langwieriger  und  schwerer  als  jene.  Anfangs 
wirft  der  Kranke  weißen  und  schaumigen  Speichel  aus, 
und  die  Zunge  sieht  gelb  aus,  im  weiteren  Verlaufe  der 
Zeit  aber  wird  sie  schwarz.  Wird  sie  zum  Beginne 
schwarz,  so  tritt  die  Genesung  schneller  ein,  wird  sie 
hingegen  später  so,  langsamer;  schließlich  wird  seine 
Zunge  rissig,  und  wenn  man  den  Finger  daranhält,  bleibt 
er  haften.  Für  die  Genesung  von  der  Krankheit  aber  gibt 
die  Zunge  dieselben  Anzeichen,  die  sie  bei  der  Brustfell- 
entzündung gibt.  So  geht  es  dem  Kranken  wenigstens 
vierzehn,  meistens  aber  einundzwanzig  Tage  lang.  Wäh- 
rend dieser  Zeit  hustet  er  stark  und  entleert  zunächst  zu- 
gleich mit  dem  Husten  viel  schaumigen  Auswurf,  später, 
am  siebenten  und  achten  Tage,  wenn  das  Fieber  seinen 

46 


Höhepunkt  erreicht  und  die  Lungenentzündung  zur  Ver- 
wässerung  geführt  hat,  einen  dickeren  Auswurf,  andern- 
falls keinen  solchen,  am  neunten  und  zehnten  Tage  einen 
gelblichen  und  blutigen,  vom  zwölften  bis  zum  vierzehn- 
ten Tage  einen  reichlichen  und  eitrigen  Auswurf.  Bei 
denen,  deren  Natur  und  körperUche  Konstitution  feucht 
ist,  ist  die  Krankheit  heftig,  weniger  heftig  dagegen 
bei  denen,  deren  Natur  und  KrankheitsbeschafFenheit 
trocken  ist. 

Kap.  XI. 
Über  die  entscheidenden  Tage  habe  ich  auch  schon  früher 
gesprochen.  Die  Fieber  entscheiden  sich  am  vierten, 
siebenten,  elften,  vierzehnten,  siebzehnten,  einundzwan- 
zigsten Tage,  abgesehen  davon  bei  akuten  Krankheiten 
am  dreißigsten,  dann  am  vierzigsten,  dann  am  sechzigsten 
Tage.  Wenn  das  Fieber  diese  Tageszahlen  überdauert, 
würd  der  Fiebercharakter  bereits  chronisch. 


DIE  WINDE. 

Kap.  I. 
AN  alles  das  nämlich,  wo  man  chirurgische  Kunstgriffe 
-^^^  anwenden  muß,  hat  man  sich  zu  gewöhnen,  denn 
für  die  Hände  ist  die  Gewöhnung  die  beste  Schule;  über 
die  verborgensten  und  schwierigsten  Krankheiten  aber 
urteilt  man  mehr  mit  Hilfe  der  Vermutung  als  mit  Hilfe 
der  Kunst.  In  solchen  Fällen  ist  die  Erfahrung  der  Un- 
erfahrenheit  am  meisten  überlegen.  Einer  dieser  Punkte 
ist  der:  Was  ist  die  Ursache  der  Krankheiten,  und  was 


47 


wird  zum  Ausgangspunkte  und  zur  Quelle  der  körper- 
lichen Übel?  Denn  wenn  man  die  Ursache  der  Krankheit 
kennt,  ist  man  wohl  auch  imstande,  das  dem  Körper  Zu- 
trägHche  anzuwenden,  indem  man  die  Heilmittel  aus 
dem  Gegenteile  erkennt.  Diese  Art  der  ärztUchen  Kunst 
ist  der  Natur  am  meisten  entsprechend.  Der  Hunger  ist 
—  um  ein  Beispiel  zu  wählen  —  eine  Krankheit,  denn 
alles,  was  dem  Menschen  Pein  verursacht,  wird  Krank- 
heit genannt.  Was  ist  nun  ein  Heilmittel  des  Hungers? 
Das,  was  den  Hunger  aufhören  macht;  das  ist  aber  Nah- 
rung, also  muß  man  jenen  mit  dieser  heilen.  Andererseits 
macht  das  Trinken  dem  Durste  ein  Ende,  ferner  heilt  die 
Anfüllung  Entleerung,  die  Entleerung  AnfüUung,  die 
Anstrengung  Ruhe,  die  Ruhe  Anstrengung.  Mit  einefti 
Worte  gesagt,  es  ist  das  Gegenteil  das  Heilmittel  des  Ge- 
genteils, denn  die  ärztliche  Kunst  ist  Hinzufügung  und 
Wegnahme,  Wegnahme  des  Überschusses,  Hinzufügung 
des  Mangelnden.  Der  aber,  der  das  am  besten  tut,  ist  der 
beste  Arzt,  der  dagegen,  der  sich  davon  am  meisten  ent- 
fernt, steht  auch  der  Kunst  am  fernsten  , . . 


DAS  BUCH  DER  PROGNOSEN. 

Kap.  I. 

ES  scheint  mir  am  besten  zu  sein,  daß  sich  der  Arzt  in 
dem  Voraussehen  des  Krankheitsausgangs  Übung  er- 
wirbt; denn  wenn  er  bei  seinen  Kranken  vorhererkennt 
und  vorhersagt  den  Status  praesens,  das  Vorausgegangene 
und  die  Prognose,  ferner  das,  was  die  Kranken  bei  dem 
Berichte  über  ihren  Krankheitszustand  weglassen,  so  wird 


48 


man  das  feste  Zutrauen  zu  ihm  haben,  daß  er  den  Zustand 
der  Kranken  besser  kenne,  und  es  werden  sich  infolge- 
dessen die  Leute  dem  Arzte  gern  anvertrauen.  Aber  auch 
die  Behandlung  wird  er  am  besten  durchführen  können, 
wenn  er  den  späteren  Ausgang  der  Krankheiten  vorher- 
sieht. Denn  alle  Kranken  gesund  zu  machen,  das  ist  un- 
möglich, obwohl  dies  sicherlich  besser  wäre  als  das  Vor- 
aussehen des  späteren  Ausgangs.  Da  nun  die  Menschen 
sterben,  die  einen  infolge  der  Schwere  der  Krankheit, 
noch  bevor  sie  den  Arzt  gerufen  haben,  die  anderen 
gleich  nach  dem  Herbeirufen  des  Arztes,  wieder  andere 
nur  einen  Tag  länger  leben,  andere  endlich  nur  wenige 
Tage  länger  als  einen  Tag  am  Leben  bleiben ,  ehe  noch 
der  Arzt  mit  Hilfe  seiner  Kunst  der  Krankheit  im  Einzel- 
falle entgegentreten  konnte,  so  muß  man  die  Natur  dieser 
Krankheiten  kennen  lernen,  inwieweit  sie  nämlich  der 
Kraft  des  Körpers  überlegen  sind,  und  wirkt  etwas  Gött- 
liches bei  den  Krankheiten  mit,  so  muß  man  auch  dieses 
vorhersehen  lernen;  denn  so  würde  der  Arzt  mit  Fug 
und  Recht  Bewunderung  verdienen  und  ein  tüchtiger 
Arzt  sein.  Auch  die,  die  davonkommen,  wird  ein  solcher 
Arzt  noch  besser  recht  erhalten  können,  wenn  er  auf 
Grund  einer  längeren  Zeit  für  alle  Einzelheiten  seinen 
Rat  erteilt,  auch  wird  er,  wenn  er  den  tödlichen  Ausgang 
oder  die  glückliche  Heilung  vorhererkennt  und  vorher- 
sagt, frei  von  jeder  Schuld  sein. 

Kap.  IL 
Die  Sachlage  muß  man  aber  bei  akuten  Krankheiten  auf 
folgende  Art  prüfen.  Zunächst  muß  man  das  Gesicht  des 

iSi  49 


Kranken  betrachten,  ob  es  wie  das  von  gesunden  Per- 
sonen, vorzüglich  oder  ob  es  wie  gewöhnhch  aussieht. 
In  diesem  Falle  stünde  es  nämlich  am  besten;  entfernte 
es  sich  hingegen  in  bezug  auf  sein  Aussehen  weit  davon, 
so  wäre  die  größte  Gefahr  vorhanden.  Das  wäre  aber  fol- 
gendes: eine  spitze  Nase,  hohle  Augen,  eingefallene 
Schläfen,  kalte  und  zusammengeschrumpfte  Ohren,  ab- 
stehende Ohrläppchen,  eine  harte,  straffe  und  trockne 
Stirnhaut,  eine  gelbe,  schwarze  oder  bleiche  Färbung  des 
ganzen  Gesichts.  Sieht  nun  das  Gesicht  zu  Beginn  der 
Krankheit  so  aus  und  kann  man  auch  aus  den  anderen 
Anzeichen  noch  keinen  Schluß  auf  das  Wesen  der  Krank- 
heit ziehen,  so  muß  man  fragen,  ob  der  Kranke  nicht 
eine  schlaflose  Nacht  gehabt  hat,  ob  sein  Stuhlgang  sehr 
feucht  war  oder  ob  er  nichts  gegessen  hat.  Gibt  er  eine 
dieser  Ursachen  zu,  so  hat  man  die  Krankheit  für  weniger 
gefährhch  zu  halten ;  denn  die  Entscheidung  tritt  in  einem 
Tage  und  in  einer  Nacht  ein,  wenn  das  Gesicht  aus  einer 
der  vorgenannten  Veranlassungen  so  aussieht.  Räumt 
der  Kranke  hingegen  keine  dieser  Veranlassungen  ein 
und  kehrt  er  in  der  vorgenannten  Zeit  nicht  zu  seinem 
früheren  Zustande  zurück,  so  muß  man  ihn  als  einen 
dem  Tode  fast  schon  Verfallenen  betrachten.  Sieht  das 
Gesicht  aber  bei  einer  Krankheit,  die  älter  als  drei  oder 
vier  Tage  ist,  so  aus,  so  muß  man  nach  dem,  was  ich 
vorhin  anempfahl,  fragen  und  die  übrigen  Anzeichen  ins 
Auge  fassen,  die  sich  in  dem  ganzen  Gesichte,  am  Körper 
und  in  den  Augen  zeigen. 


50 


Kap.  IV. 
Der  Arzt  muß  den  Kranken  auf  der  rechten  oder  linken 
Seite  gelagert  antreffen,  während  er  die  Hände,  den  Hals 
und  die  Schenkel  ein  wenig  gebogen  hält  und  der  ganze 
Körper  bequem  ruht;  denn  so  lagern  sich  auch  die  meisten 
Gesunden,  und  am  besten  sind  die  Lagen,  die  den  von 
den  Gesunden  bevorzugten  gleichen.  Auf  dem  Rücken 
zu  liegen  und  die  Hände,  den  Hals  und  die  Schenkel 
auszustrecken,  ist  weniger  gut.  Befindet  sich  der  Kranke 
in  geneigter  Stellung  und  rutscht  er  vom  Bette  nach  der 
Fußseite  zu,  so  ist  es  schhmmer.  Findet  man  ihn  aber 
mit  unbedeckten  Füßen,  die  nicht  besonders  warm  sind, 
und  mit  allzu  weit  nach  der  Seite  geschleuderten  unbe- 
deckten Händen,  Hals  und  Schenkeln,  so  ist  es  gefähr- 
lich, denn  das  deutet  auf  Angstgefühl.  Auf  den  tödlichen 
Ausgang  aber  läßt  es  schließen,  wenn  der  Kranke  immer 
mit  offenem  Munde  schläft,  auf 'dem  Rücken  liegt  und 
seine  Schenkel  sehr  stark  eingebogen  und  dann  gespreizt 
sind.  Liegt  der  Kranke  auf  dem  Bauche,  ohne  daß  er 
auch  während  seines  Gesundseins  so  zu  schlafen  gewohnt 
war,  so  deutet  das  auf  Delirium  oder  irgendwelche 
Schmerzen  in  der  Unterleibsgegend.  Wollte  sich  der 
Kranke  aber,  solange  sich  die  Krankheit  noch  auf  ihrem 
Höhepunkte  befindet,  aufrecht  setzen,  so  ist  das  bei  allen 
akuten  Krankheiten  ein  schlimmes  Zeichen,  das  schlimm- 
ste aber  bei  Lungenentzündung. 

Kap.  V. 
Wenn  der  Kranke  im  Fieber  mit  den  Zähnen  knirscht, 
ohne  es  von  Kindheit  an  gewöhnt  zu  sein,  so  deutet  das 

51 


auf  Bewußtseinsstörungen  und  den  tödlichen  Ausgang. 
Tut  ers  gar  im  Stadium  des  Deliriums,  so  ist  es  ein  im 
höchsten  Grade  verderbliches  Zeichen. 

Kap.  VII. 
Über  die  Bewegungen  der  Hände  urteile  ich  so.  Wenn 
sie  bei  akuten  Fiebern,  Lungenentzündung,  Phrenitis 
oder  Kopfschmerzen  vor  dem  Gesichte  hin-  und  herfahren 
oder  in  der  leeren  Luft  nach  etwas  greifen,  Flocken  lesen 
oder  Fasern  aus  dem  Deckbette  zupfen,  so  halte  ich  das 
alles  für  gefährlich  und  verderblich. 

Kap.  XVII. 
Der  Kranke  muß  sich  im  Bette  leicht  umdrehen  können 
und,  wenn  er  sich  erhebt,  beweglich  sein ;  zeigt  er  sich 
aber  im  Gebrauche  seines  Leibes,  seiner  Hände  und  Füße 
schwerfällig,  so  ist  die  Gefahr  größer . . . 

Kap.  XIX. 
Was  das  Schlafen  angeht,  so  muß  man,  wie  wir  es  von 
Haus  aus  gewöhnt  sind,  am  Tage  wach  sein,  in  der  Nacht 
hingegen  schlafen.  Tritt  hierin  eine  Änderung  ein,  so 
ist  das  bedenklich.  Am  wenigsten  unzuträglich  ist  es  für 
den  Kranken,  wenn  er  am  frühen  Morgen  und  das  erste 
Drittel  des  Tages  über  schläft ;  von  dieser  Zeit  ab  ist  der 
Schlaf  weniger  gut,  am  schlimmsten  aber  ist  es,  gar  nicht 
zu  schlafen,  weder  in  der  Nacht  noch  am  Tage,  weil  die 
Schlaflosigkeit  entweder  von  den  Schmerzen  und  Leiden 
herrührt  oder  aber  Dehrien  nach  diesem  Anzeichen  auf- 
treten. 


52 


w 


KOISCHE  PROGNOSEN. 

59 
ENN  die  Kranken  unter  der  Hand  (des  sie  Berüh- 
renden) aufschrecken,  so  ist  das  schlimm. 


209 
Die  Entstellung  des  Gesichts  ist  ein  lebensgefährliches 
Zeichen,  in  geringerem  Grade  aber,  wenn  dies  durch 
Schlaflosigkeit,  Hunger  oder  Verdauungsstörung  herbei- 
geführt worden  ist.  Es  bekommt  aber  ein  aus  diesem 
Grunde  entstelltes  Gesicht  innerhalb  eines  Tages  und 
einer  Nacht  sein  ursprüngliches  Aussehen  zurück.  Die 
Entstellung  würde  folgender  Art  sein :  hohle  Augen,  eine 
spitze  Nase,  eingefallene  Schläfen,  kalte  und  zusammen- 
gezogene Ohren,  eine  harte  Haut,  gelbe  oder  schwärz- 
liche Färbung.  Wenn  aber  außerdem  das  Augenlid,  die 
Lippe  oder  die  Nase  bleich  wird,  so  tritt  der  Tod  rasch  ein. 

210 
Frische  Farbe  des  Gesichts  und  ein  mürrischer  Blick  sind 
bei  einer  akuten  Krankheit  etwas  Schlimmes  . . . 


DIE  EPIDEMISCHEN  KRANKHEITEN. 

Erstes  Buch. 
Kap.  XL 

MAN  muß  das,  was  der  Krankheit  vorausging,  an- 
geben, den  gegenwärtigen  Stand  erkennen  und  die 
Prognose  voraussagen.  Das  hat  man  zu  üben.  In  bezug 
auf  die  Krankheiten  hat  man  sich  auf  zweierlei  einzuüben : 


53 


zu  nützen  oder  (wenigstens)  nicht  zu  schaden.  Die  Kunst 
setzt  sich  aus  dreierlei  zusammen:  der  Krankheit,  dem 
Kranken  und  dem  Arzte;  der  Arzt  ist  der  Diener  der 
Kunst;  der  Krankheit  hat  der  Kranke  im  Verein  mit  dem 
Arzte  Widerstand  zu  leisten. 

Drittes  Buch. 
Kap.  XVI. 
Ich  halte  es  für  einen  wichtigen  Teil  der  (ärztlichen) 
Kunst,  über  das  schriftlich  Niedergelegte  ein  richtiges 
Urteil  fällen  zu  können;  denn  wer  das  versteht  und  an- 
wendet, scheint  mir  in  bezug  auf  die  Kunst  keinem  be- 
deutenden Irrtum  verfallen  zu  können  . . . 

Sechstes  Buch. 
2,  Kap.  III. 
Die  Atmung  (kann  sein)  klein,  frequent;  groß,  rar;  klein, 
rar;  frequent,  groß;  großes  Ausatmen,  kleines  Einatmen; 
großes  Einatmen,  kleines  Ausatmen;  langgezogene  At- 
mung, beschleunigte  Atmung;  doppeltes  Atemholen  wie 
bei  denen,  die  noch  einmal  nachatmen;  warmer  Atem; 
kalter  Atem. 

Kap.  IV. 
Ein  Mittel  für  anhaltendes  Gähnen  ist  ausgiebiges  Atem- 
holen, wenn  man  aber  entweder  gar  nicht  oder  nur  mit 
Mühe  trinken  kann,  wenig  Atem  holen, 

Kap.  XII. 

Nichts  zwecklos,  nichts  übersehen  1  —  Das  Entgegenge- 
setzte bringe  man  in  allmählicher  Steigerung  zur  Anwen- 
dung und  unterbreche  dabei. 

54 


4,  Kap.  VII. 
Liebenswürdigkeit  den  Kranken  gegenüber,  beispielsweise 
die  Getränke  und  die  Gerichte  sauber  zubereiten,  was  er 
sieht,  zart  bereiten,  womit  er  in  Berührung  kommt,  des- 
gleichen anderes  mehr.  Was  keinen  großen  Schaden  an- 
richtet oder  das,  dessen  Wirkung  leicht  wieder  aufzuheben 
ist,  z.  B.  frisches  Wasser,  wo  solches  nötig  ist.  Die  Kran- 
kenbesuche, die  Unterredung,  die  äußere  Haltung,  die 
Kleidung  (für  den  Kranken),  die  Haarschur,  die  Finger- 
nägel, die  Parfüms. 

Kap.  XVIII. 
. . .  Bemühung,  die  Gesundheit  zu  erhalten :  Nicht  bis  zur 
Sättigung  essen,  sich  vor  Anstrengung  nicht  scheuen! . . . 

Kap.  XXIII. 
Körperliche   Anstrengungen    sollen    der   Nahrungsauf- 
nahme vorangehen. 

j,  Kap.  XIII. 
Bei  langwierigen  Krankheiten  ist  es  gut,  den  Ort  zu  ver- 
ändern. 

8,  Kap.  IV. 
Nierenleiden  sah  ich  bei  Leuten  über  fünfzig  Jahren  nicht 
heilen. 

Kap.  XVII. 

Man  muß  den  ganzen  Körper  für  die  Untersuchung  in 
Anspruch  nehmen:  das  Gesicht,  das  Gehör,  die  Nase, 
das  Gefühl,  die  Zunge;  der  Verstand  aber  begreift  das. 

55 


Siebentes  Buch. 
Kap.  LVI. 
Wenn  bei  denen,  bei  welchen  ein  mit  Hitze  verbundener 
heftiger  Schmerz  im  Kopfe  vorhanden  ist,  dieser  Schmerz 
nur  in  der  einen  Kopf  hälfte  seinen  Sitz  hat  [,, Migräne"] . . . 
so  erfreuen  sie  sich  einer  verhältnismäßig  großen  Sicher- 
heit . . . 

Kap.  LXIV. 
. . .  Kopfschmerzen,  welche  vom  Uterus  herkommen,  hebt 
Bibergeil . . . 


DIE  LEIDEN. 

Kap.  XIII. 

VON  den  Krankheiten  verlaufen  die  akuten  wohl  in 
den  allermeisten  Fällen  tödHch,  sie  sind  mit  den 
meisten  Schmerzen  verbunden,  und  es  bedarf  ihnen  gegen- 
über der  größten  Vorsicht  und  der  sorgsamsten  Pflege. 
Auch  darf  von  dem  Behandelnden  durchaus  kein  Übel  hin- 
zugefügt werden,  sondern  es  soll  bei  den  durch  die  Krank- 
heiten selbst  bewirkten  Gefahren  bewenden,  im  Gegen- 
teil, es  soll  so  viel  Gutes  als  möglich  von  seiner  Seite 
hinzugetan  werden.  Wenn  der  Kranke  trotz  richtiger 
Behandlung  durch  den  Arzt  von  der  Größe  der  Krank- 
heit überwältigt  wird,  so  ist  das  keineswegs  ein  Fehler 
des  Arztes ;  wird  der  Kranke  hingegen,  weil  der  Arzt  ihn 
unrichtig  behandelt  oder  das  Leiden  nicht  erkennt,  von 
der  Krankheit  überwältigt,  so  ist  der  Arzt  schuld. 


56 


Kap.  XL. 
Als  Krankensuppen  aber  gebe  man  bei  allen  Krankheiten 
Getreideschleimsaft,  Hirse,  Mehl  oder  Graupen.  Hiervon 
gebe  man  alles,  was  man  zum  Zwecke  des  Abführens 
gibt,  in  dünnem,  mehr  durchgekochtem,  mehr  süßem 
als  salzigem  und  in  warmem  Zustande,  hingegen  alles, 
was  man  zum  Zwecke  der  Kräftigung  und  der  Rekon- 
valeszenz gibt,  in  dickerem,  fetterem  und  mäßig  gekoch- 
tem Zustande . . . 

Kap.  XLV. 
Man  hat  zu  erlernen,  was  für  Arzneimittel  als  Trank  und 
welche  bei  Wunden  verordnet  werden;  denn  das  ist 
überaus  wertvoll.  Die  Menschen  finden  nämlich  diese 
Mittel  nicht  auf  Grund  einer  Überlegung,  sondern  eher 
durch  Zufall,  und  die  Finder  sind  seltener  die  das  Hand- 
werk ausübenden  Künstler  als  vielmehr  die  Laien.  Die- 
jenigen Kenntnisse  von  den  Speisen  oder  den  Arznei- 
mitteln hingegen,  die  in  der  ärztlichen  Kunst  durch  Über- 
legung gewonnen  werden,  muß  man  von  den  Männern 
lernen,  die  befähigt  sind,  die  der  Kunst  angehörigen  Tat- 
sachen auseinanderzuhalten,  wofern  man  überhaupt  etwas 
(Rechtes)  lernen  will. 

Kap.  LIL 
Aus  reinem  (d.  i.  hülsenfreiem)  Getreidemehle  bereitetes 
Brot  ist  zur  Kräftigung  und  Rekonvaleszenz  geeigneter 
als  aus  nicht  hülsenfreiem  Mehle  bereitetes  Brot,  frisches 
als  altbackenes,  aus  frischem  Mehle  bereitetes  als  aus  äl- 
terem Mehle  gebackenes.  Graupen  von  Gerste,  die  nicht 

57 


eingeweicht,  sondern  nur  ringsum  begossen  und  dann 
enthülst  worden  ist,  sind  kräftiger  als  Graupen  von  ein- 
geweichter Gerste,  frische  Graupen  als  ältere;  ebenso  ist 
vorher  angerührte  Polenta  kräftiger  als  nicht  vorher  an- 
gerührte. Umgefüllter,  gekühlter  und  durchgeseihter 
Wein  wird  leichter  und  schwächer.  Gekochtes  Fleisch 
wird,  wenn  man  es  gut  durchkochen  läßt,  schwächer  und 
leichter,  gebratenes  dagegen,  wenn  man  es  gut  durch- 
braten läßt,  ebenso  wie  in  Essig  oder  Salz  eingelegtes 
altes  Fleisch  schwächer  und  leichter  als  frisches.  Die 
schwachen  und  leichten  Speisen  belästigen  weder  den 
Magen  noch  den  Körper,  weil  sie  durch  die  Wärme 
nicht  aufschwellen,  auch  nicht  füllen,  vielmehr  schnell 
verdaut  und  nach  der  Verdauung  ausgeschieden  werden. 
Der  von  ihnen  dem  Körper  gelieferte  Saft  aber  ist  schwach 
und  bewirkt  weder  eine  nennenswerte  Zunahme  noch 
eine  nennenswerte  Kräftigung.  Die  kräftigen  Speisen 
hingegen  schwellen  einerseits  an,  sobald  sie  in  den  Magen 
gelangt  sind,  andererseits  verursachen  sie  das  Gefühl  des 
Vollseins,  werden  langsamer  verdaut  und  gehen  lang- 
samer ab.  Der  von  ihnen  gelieferte  Saft  aber,  der  kräftig 
und  unvermischt  (d.  i.  rein)  ist,  bewirkt  am  Körper  eine 
starke  Kräftigung  und  eine  starke  Zunahme.  Von  Fleisch 
ist  für  den  Körper  am  leichtesten  gut  durchgekochtes 
Hundefleisch,  Geflügel  und  Hasenfleisch,  schwer  Rind- 
und  Schweinefleisch,  am  meisten  der  Natur  angemessen 
in  gekochtem  wie  in  gebratenem  Zustande  und  für  Ge- 
sunde wie  für  Kranke  ist  Schaffleisch;  Schweinefleisch 
ist  zur  Erzielung  von  Körperfülle  und  zur  Stärkung  für 
körperlich  Angestrengte  wie  für  Turner  gut,  für  Kranke 

58 


aber  und  den  gewöhnlichen  Mann  etwas  zu  kräftig. 
Wildbret  ist  leichter  als  das  Fleisch  von  Haustieren,  weil 
sich  das  Wild  nicht  von  den  gleichen  Früchten  nährt. 
Einen  Unterschied  weist  aber  das  Fleisch  von  frucht- 
fressenden und  nicht  fruchtfressenden  Tieren  auf,  auch 
hat  die  Frucht  nicht  bei  allen  Tieren  dieselbe  Wirkung, 
sondern  die  eine  Art  Frucht  macht  das  Fleisch  des 
Schlachttieres  derb  und  kräftig,  die  andere  locker,  feucht 
und  kraftlos.  —  Um  es  allgemein  zu  sagen,  sind  gekochte 
wie  gebratene  Fische,  sowohl  für  sich,  als  auch  als  Zu- 
kost zu  anderen  Speisen  genossen,  eine  leichtverdauliche 
Nahrung.  Der  Unterschied  der  Fischgattungen  selbst  be- 
steht aber  in  folgendem :  die  in  Teichen  lebenden  Fische, 
die  fetteren  Fische  und  die  Flußfische  sind  schwerer,  die 
Küstenfische  (und)  Meerfische  leichter;  die  gekochten 
Fische  sind  leichter  als  die  gebratenen.  Hiervon  gebe 
man  aber  die  kräftigen ,  wenn  man  einen  auf  den  Weg 
der  Besserung  bringen  will,  die  leichten  hingegen,  wenn 
es  gilt,  einen  Kranken  dünn  und  mager  zu  machen. 

DIE  INNEREN  KRANKHEITEN. 

Kap.  XXXIX. 
Eine  Krankheit,  welche  „  Typhos"  genannt  wird. 

WENN  [ihn]  heftiger  Durst  quält,  gebe  man  ihm  viel 
Wasser  auf  einmal  zu  trinken  und  heiße  ihn  er- 
brechen. Dieses  mache  man  zwei-  bis  dreimal  nachein- 
ander, und  wenn  er  Hitze  hat,  tauche  man  Wäschestücke 
in  kaltes  Wasser  und  mache  damit  einen  Umschlag  an  der 
Stelle,  wo  er  nach  seiner  Aussage  die  meiste  Hitze  hat . . . 

59 


DIE  HEILIGE  KRANKHEIT. 

Kap.  XVII. 

DIE  Menschen  müssen  aber  wissen,  daß  nirgends  als 
daher  die  Freude,  die  Fröhlichkeit,  das  Lachen  und 
Scherzen  kommt,  wo  auch  der  Kummer,  die  Betrübnis, 
der  Mißmut  und  das  Weinen  herrührt.  Dank  dieses  Teiles 
besonders  sind  wir  auch  verständig,  begreifen,  sehen, 
hören  und  unterscheiden  wir  das  Häßliche  und  das  Schöne, 
das  Böse  und  das  Gute,  das  Angenehme  und  das  Unan- 
genehme, indem  wir  sie  teils  dem  Herkommen  gemäß 
unterscheiden ,  teils  an  ihrer  Nützlichkeit  erkennen ;  da- 
mit unterscheiden  wir  auch  den  Zeitumständen  nach  die 
Annehmlichkeiten  und  Unannehmlichkeiten,  und  des- 
halb gefällt  uns  nicht  dasselbe.  Mit  Hilfe  ebendesselben 
aber  bekommen  wir  auch  Wutanfälle  und  Delirien,  treten 
vor  unseren  Augen  Schreckbilder  auf  und  stellt  sich 
Furcht  ein,  bald  während  der  Nacht,  bald  wieder  am 
Tage,  nicht  minder  Traumbilder,  störende  Irrtümer,  un- 
begründete Sorgen,  Unkenntnis  des  gegenwärtigen  Zu- 
standes,  Ungewohntes  und  Unerfahrenheit.  Alles  dieses 
widerfährt  uns  durch  das  Gehirn,  wenn  dieses  nicht  ge- 
sund, sondern  entweder  wärmer  oder  kälter  ist  als  im 
natürhchen  Zustande  oder  aber  feuchter  oder  trockener 
oder  endlich  in  irgendeinen  anderen  widernatürlichen 
Zustand  geraten  ist,  den  es  nicht  gewohnt  war . . . 


60 


DIE  DIÄT  BEI  AKUTEN  KRANKHEITEN. 

Kap.  XXXVIII. 

DENN  eine  vollständige  Entziehung  der  Speisen  ist  da 
vielfach  von  Nutzen,  wo  der  Kranke  so  lange  Zeit 
aushalten  kann,  bis  die  Krankheit  von  ihrem  Höhepunkte 
in  den  Zustand  der  Reife  getreten  ist. 

Kap.  XLV. 
. . .  Wenn  der  ganze  Körper  einerseits  entgegen  seiner 
Gewohnheit  lange  Zeit  ausgeruht  hat,  so  verfügt  er  nicht 
sogleich  über  größere  Kräfte,  und  wenn  er  andererseits, 
nachdem  er  während  längerer  Zeit  der  Ruhe  gepflegt 
hat,  plötzlich  zu  Anstrengungen  übergeht,  so  wird  er 
offenbar  etwas  Schädliches  tun  . . . 

Kap.  LXV. 
Der  Gebrauch  von  Bädern  aber  wird  vielen  Kranken 
helfen,  gleichviel,  ob  sie  sie  dauernd  oder  nicht  dauernd 
benutzen.  Unter  Umständen  muß  der  Gebrauch  von 
Bädern  eingeschränkt  werden,  weil  es  den  Leuten  an  den 
Vorrichtungen  dazu  fehlt;  denn  nur  in  wenigen  Häusern 
ist  für  die  nötigen  Geräte  gesorgt  und  stehen  die  nötigen 
Bediensteten  zur  Verfügung.  Wenn  man  nicht  in  jeder 
Beziehung  richtig  badet,  wird  man  nicht  geringen  Scha- 
den davon  haben ,  bedarf  es  doch  eines  rauchfreien  ge- 
schützten Raumes ,  reichlicher  Wassermengen  und  viel- 
facher, nicht  allzu  starker  Übergießungen  mit  Bade  wasser, 
ausgenommen  die  Fälle,  in  denen  dieses  notwendig  ist. 
Es  ist  besser,  sich  nicht  mit  irgendeinem  Mittel  abreiben 
zu  lassen,  wenn  man  sich  aber  abreiben  läßt,  so  benutze 

Gl 


man  ein  warmes  Abreibemittel  und  dieses  viel  ausgiebiger, 
als  es  (bei  Gesunden)  der  Fall  zu  sein  pflegt.  Weiter  lasse 
man  sich  auch  nicht  mit  nur  wenig  Wasser  begießen  und 
lasse  die  Güsse  rasch  aufeinander  folgen.  Der  Weg  zur 
Badewanne  aber  muß  kurz  sein,  damit  man  bequem  hin- 
ein- und  wieder  herauskommen  kann;  ferner  verhalte 
sich  der  Badende  ruhig,  schweige  still  und  lege  nicht 
persönlich  Hand  an,  sondern  lasse  durch  dritte  Personen 
die  Güsse  und  ebenso  das  Abreiben  vornehmen.  Es  stehe 
auch  viel  lauwarmes  Wasser  zur  Verfügung,  und  das 
Übergießen  gehe  rasch  vor  sich.  An  Stelle  des  Striegels 
bediene  man  sich  der  Schwämme  und  salbe  den  Körper, 
ehe  er  gar  zu  trocken  geworden  ist.  Der  Kopf  dagegen 
muß  möglichst  trocken  gemacht  werden ,  indem  er  mit 
einem  Schwämme  abgerieben  wird.  Man  erkälte  sich 
weder  die  Gliedmaßen  noch  den  Kopf,  noch  sonst  den 
Körper,  auch  gehe  man  weder  sogleich  nach  dem  Ge- 
nüsse von  Schlürftränken  oder  Tränken  ins  Bad,  noch 
nehme  man  kurz  nach  dem  Bade  Schlürftränke  oder  Ge- 
tränke zu  sich. 


AUS  DER  WERKSTATT  DES  ARZTES. 

Kap.  I. 

MAN  lerne  . . .  was  zu  sehen,  zu  fühlen  und  zu  hören 
ist.  Was  durch  das  Gesicht,  das  Gefühl,  das  Gehör, 
die  Nase,  die  Zunge  und  den  Verstand  wahrgenommen 
werden  kann;  was  mit  allen  den  (Mitteln),  mit  denen  wir 
erkennen  können,  erkennbar  ist. 


62 


Kap.  IL 

Was  die  Handfertigkeit  in  der  ärztlichen  Werkstätte  be- 
trifft. Der  Kranke,  der  Operierende,  die  Gehilfen;  die 
Instrumente;  das  Licht;  wo  und  wie  (sie  aufzustellen  sind); 
was  (vorzubereiten  ist),  welcher  Dinge  (man  sich  zu  be- 
dienen hat),  wie  und  wann;  der  Körper  (des  Kranken), 
die  Instrumente;  die  Zeit  (des  Ereignisses),  die  Art  und 
Weise,  die  (kranke)  Stelle. 

Kap.  XX. 
(Man  wisse),  daß  der  Gebrauch  (der  Glieder)  sie  kräftigt, 
die  Untätigkeit  aber  sie  atrophisch  macht. 

DIE  EINRICHTUNG  DER  GELENKE. 
Kap.  LXXVIII. 

DEN  höchsten  Wert  aber  muß  man  in  der  ganzen 
Kunst  darauf  legen,  daß  man  den  Kranken  gesund 
macht.  Kann  man  ihn  auf  viele  Arten  gesund  machen,  so 
muß  man  die  am  wenigsten  umständliche  wählen.  Denn 
nichts  ist  für  einen  Mann  ehrenwerter,  nichts  der  Kunst 
mehr  entsprechend,  als  wenn  er  nicht  darauf  ausgeht,  der 
großen  Menge  etwas  vorzumachen  . . . 


DIE  KRANKHEITEN  DER  JUNGFRAUEN. 
Kap.  I. 

ICH  für  mein  Teil  gebe  den  Jungfrauen,  wenn  sie  an 
derartigen  (hysterischen)  Zuständen  leiden,  den  Rat,  so 
rasch  wie  möglich  mit  einem  Manne  eine  eheliche  Ver- 

63 


Bindung  einzugehen;  denn  wenn  sie  schwanger  werden, 
genesen  sie,  wenn  das  nicht  geschieht,  so  wird  die  Be- 
treffende entweder  gleichzeitig  mit  der  Geschlechtsreife 
oder  kurze  Zeit  darauf  von  diesem  Leiden  heimgesucht 
werden,  sie  würde  dann  eine  andere  Krankheit  (bekom- 
men). Von  den  verheirateten  Frauen  aber  leiden  die  un- 
fruchtbaren mehr  an  diesen  Zuständen. 


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INHALTSVERZEICHNIS. 

Einleitung 5 

Der  Eid 9 

Das  Gesetz lo 

Über  die  Kunst 12 

Die  alte  Medizin 16 

Der  Arzt 20 

Über  den  Anstand 22 

Vorschriften 27 

Die  Aphorismen 30 

Die  Diät 37 

Über  die  Träume 41 

Die  Hygiene  der  Lebensweise 42 

Über  Luft,  Wasser  und  Örtlichkeit 44 

Die  Säfte 44 

Die  Krisen 45 

Die  kritischen  Tage 46 

Die  Winde 47 

Das  Buch  der  Prognosen 48 

Koische  Prognosen 53 

Die  epidemischen  Krankheiten 53 

Die  Leiden 56 

Die  inneren  Krankheiten 59 

Die  heilige  Krankheit 60 

Die  Diät  bei  akuten  Krankheiten 61 

Aus  der  Werkstatt  des  Arztes 62 

Die  Einrichtung  der  Gelenke 63 

Die  Krankheiten  der  Jungfrauen 63 


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Druck  von  Fr.  Richter  in  Leipzig 


Im  Insel-Verlag  zu  Leipzig  erschienen: 

HOMERS  ODYSSEE.  Neu  übertragen  von  Rud.  Alex. 
Schröder.  In  Halbpergament  M.  3.—  ;  in  Leder  M.  5.—, 

So  oft  auch  „Altvater  Homer,  der  in  Jahrzehnten  und  Jahrhunderten 
gar  verschiedene  Gesichter  schneidet"  (Goethe)  verdeutscht  wurde, 
erst  unsere  Tage  erleben  in  Rudolf  Alexander  Schröders  Über- 
setzung eine  Übertragung,  die  für  unsere  Zeit  ebensoviel  bedeutet, 
wie  die  Vossische  für  die  Zeitgenossen  damals,  ganz  abgesehen 
davon,  daß  sie  unendlich  viel  dichterischer  ist  als  jene  vielen 
andren,  und  daß  unsere  Epoche  inzwischen  mehr  Griechisch  ge- 
lernt hat.  Emil  Waldmann  in  der  „Neuen  Rundschau". 

SOKRATES,  geschildert  von  seinen  Schülern.  Über- 
tragung und  Erläuterungen  von  E.  Müller.  Zwei  Bände. 
Mit  Wiedergabe  der  Neapler  Sokrates- Herme  in  Licht- 
druck.   Geheftet  M.  9.—  ;  in  Leinen  M.  12.—. 

Erster  Band:  Xenophon:  Erinnerungen  an  Sokrates,  Die  Kunst  der  Haushaltung. 
Plalo:  Protagoras,  Ein  Gastmahl.  Zweiter  Band:  Xenophon :  Ein  Gastmahl.  Plato : 
Gorgias,  Verteidigung  des  Sokrates,   Kriton,    Phädon.     Anhang:    Drei  Sokratesjünger. 

Sächsische  Schulzeitung:  „Die  beste  Eigenart  des  Werkes 
sieht  man  darin,  daß  es  in  Anordnung  und  Bearbeitung  des  Stoffes 
den  Eindruck  eines  einheitlichen  Ganzen  erreicht,  -so  daß  nicht  nur 
die  Züge  des  Meisters  sprechend  und  lebendig  werden,  als  des  ersten 
Künders  der  UnverbrüchHchkeit  der  ethischen  Normen,  sondern  auch 
seinEthizismus  in  der  Gegenwart  kräftig  angeregt  wird.  Diese  Eigen- 
art des  Werkes  berechtigt,  für  dasselbe  innerhalb  der  neuidealistischen 
Literatur  unserer  Zeit  einen  erheblichen  Platz  zu  beanspruchen." 

DAS  BUCH  DER  FABELN.  Zusammengestellt  von 
C.  H.  Kleukens.  Eingeleitet  von  Otto  Crusius.  In  Papp- 
band M.  7.—  ;  in  Halbleder  M.  9.—. 

Dieses  Buch,  das  das  Beste  und  Charakteristischste  aller  Fabeln  der 
Weltliteratur  von  Babrios  und  Phädrus  über  Behaim,  Leonardo  da 
Vinci,  Luther,  Bürger,  Goethe,  Kleist,  Schopenhauer,  Grillparzer 
bis  zu  Turgenjeff  und  Wilhelm  Busch  —  um  nur  einige  Namen  zu 
nennen  —  vereinigt,  wird  große  Überraschung  hervorrufen.  Die 
Fabel  war  ,, unmodern"  geworden;  der  Leser  wird  aber  mit  Ver- 
wundern sehen,  wie  diese  Dinge  noch  heute  wirken  und  was  sie 
bedeuten. 


GUSTAV   SCHWAB:    DIE   SCHÖNSTEN   SAGEN 

DES    KLASSISCHEN   ALTERTUMS.     Vollständige 

Ausgabe  in  zwei  Bänden,  besorgt  von  Ernst  Beutler. 

a)  Nicht  illustrierte  Ausgabe  in  zwei  Bänden.   In  Leinen 

M.  8.—.  b)  Illustrierte  Ausgabe  in  drei  Bänden  (mit  Flax- 

mans  Zeichnungen).  In  Leinen  M,  12.—, 

„Schwabs  Sagen  sind  uns  lieb  und  traut,  ein  Buch  voll  Tiefsinn 
und  Schönheit,  grausiger  Fürstenkämpfe  und  seltsamer  Lügen- 
geschichten; der  Kopf  ward  uns  heiß,  wie  wir  als  Knaben  darin 
lasen,  mit  den  Kindheitserinnerungen  unserer  Väter  ist  es  eng 
verbunden,  und  so  wird  es  weiter  wirl<en  wie  „Tausend  und  Eine 
Nacht"  oder  der  „Robinson"  oder  ein  anderes  jener  Bücher,  die 
nie  altern,  ewig  frisch  und  ewig  jung,  wie  die  Sage,  die  in  ihm 
lebt." 


JOHN   FLAXMAN:    ZEICHNUNGEN    ZU    SAGEN 

DES  KLASSISCHEN  ALTERTUMS.    Eingeleitet  von 

E.  Beut  1er.    Titel-  und  Einbandzeichnung  von  F.  H. 

Ehmcke.    In  Leinen  M.  5.—. 

Deutsche  Revue:  „Die  klassizistische  Kunst  des  schottischen 
Bildhauers  John  Flaxman,  eines  Zeitgenossen  Goethes,  der,  von 
Winckelmanns  Ideen  tief  beeinflußt,  im  Geist  und  Stil  der  antiken 
Vasenmalerei  mehrere  Zyklen  schlichtlinearer  Kompositionen  nach 
Hesiods,  Homers  und  Äschylos'  Dichtungen  schuf  und  in  England 
noch  heute  als  einer  der  Großen  seiner  Kunst  gilt,  ist  in  Deutsch- 
land, obwohl  er  auch  hier  seinerzeit  hochgeschätzt  wurde,  Goethes 
lebhaftes  Interesse  erweckte  und  einen  nicht  unbedeutenden  Ein- 
fluß auf  die  deutsche  Kunst  ausgeübt  hat,  heute  fast  nur  noch  durch 
eine  Reihe  sehr  freier  Nachzeichnungen  von  Riepenhausen  und 
Schnorr  bekannt.  Der  Insel -Verlag  hat  sich  daher  ein  anerkennens- 
wertes Verdienst  erworben,  indem  er  Flaxmans  Bilderfolgen  voll- 
ständig und  in  ihrer  originalen  Gestalt  in  dem  vorliegenden  Band 
vereinigt  herausgab,  der  sehr  passend  als  Ergänzungsband  zu  der 
schönen  Neuausgabe  von  Schwabs  Sagen  des  klassischen  Altertums 
erschienen  ist." 


/z 


R         Hippocrates 
126         Hippokrates 

i:       H59E3 

I 

Biological 
&   Medice 


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