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Full text of "Historische Romane deutscher Romantiker: (untersuchungen über den Einfluss Walter Scotts)"

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^■1 





/ 



^^^^HRI^H 


^^^V Untersuchungen 1 


^^^^^^ neueren 


, Ssracl- ifl Lileratirpscliiclitß. 


^H^ Herausgegeben 


^^ft Professor Dr. Oskar F. Walzel. 


^^^^^^ 


^^^r^^ Dr. Karl "Wenger. 


^^M' Historische Romane deutscher Romantiker. 

^^^B (UnlersuchunEen über den Einlluss Waller Scolls.) 


^^L -4^ 


^^^^^^H Verlas vou A-. f'rancke 

^^^^^^^■^^ {voimaJi Sebmld k Frauske). 1 



Historische Romane 

deutscher Romantiker 

(Untersuchungen über den Einfluss Walter Scotts) 
Dr. Karl Wenger. 



Bern 

Varia« von A. FianoUo 

(TormalB Solimll t 'Bianciti} 



Vorwort. 



Die grossartigfe Bewegung, die Walter Scott in 
: literarischen Welt Europas im zweiten und dritten 
^Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts hervorrief, 
' ist in ihrem Gesamtverlauf schon längst bekannt 
Wenigstens so bekannt, dass jede Literaturgeschichte 
anzugeben weiss, welche Schriftsteller Nachahmer 
und Schüler des grossen Schotten sind, worin sie ihn 
erreichten und worin sie ihrem Meister niemals gleich- 
zukommen vermochten. Weniger bekannt dagegen 
sind als historische Romanschriftsteller die engem 
und weitern Anhänger der Romantik, jene Männer, 
die an die Wiederbelebung der Vergangenheit in 
Geschichte und Kunst mit lebhaftem Eifer heran- 
gehen. Da sie zeitlich unter dem Einfluss des schot- 
tischen Erzählers stehen können, drängt sich die 
P'rage auf, ob sich diese Dichter die erfolgreiche 
Kunstmethode Walter Scotts anzueignen gewillt und 
geneigt waren oder ob die langsam alt werdenden 
romantischen Kunstanschauungen für ihre Produktion 
ausschlaggebend waren. Die folgenden Untersuchungen 
wollen sich damit befassen, die Werke dieser roman- 
tischen Dichter historischer Romane daraufhin zu prü- 
fen, welchen Anteil Walter Scott an ihrem Entstehen 
genommen hat. Es handelt sich also um ein Abwägen 
dessen, was dem Ursprünge nach deutschromantisch 
und persönlich und dessen, was unter dem Einäuss 



jener Wandlung steh^die ach zum grossen 1 

Walter Scott im literarischen Leben vollzog. Dabei 
soll erörtert werden, was dem schottischen Dichter 
seine rasche glänzende Berühmtheit erleichterte: ge- 
wisse literarische Traditionen sowohl, wie auch allge- 
meine Zeitumstände. Von Walter Scott soll ausge- 
gangen werden; das Originelle der Waverley-Novels 
bedarf einer eingehenden Untersuchung, damit hier- 
auf eine Beantwortung der Frage möglich werde, 
worin das Geheimnis ihres Erfolges bestehe, weshalb 
ihr Sieg ein so leichter und so vollkommener war. 
Art und Sinn besonders der deutschen Bewegung 
will ich charakterisieren, damit hierauf eine Einreihung 
der dieser Arbeit zugrunde liegenden Werke und 
Dichter, Fouques, Arnims und Tiecks, möglich werde. 
Der Nachdruck ruht aber auf diesen Dichtein selbst. 
Ihre historischen Erzählungen sollen geprüft werden 
auf ihren Anteil an den Anschauungen der Zeit im 
allgemeinen und an den verschiedenen Kunstübungen 
im besondern. 

Diese im Jahr 1903 abgeschlossene Arbeit war 
längst im Satz, als Reinhold Steigs Buch « Achim 
von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm s (Stutt- 
gart und Berlin 1904) erschien; die reichen Mittei- 
lungen über Arnims historische Novellistik, insbesondere 
über die « Kronenwächter s, die sich da finden, mussten 
deshalb zu meinem aufrichtigen Bedauern unbenutzt 
bleiben, 

Wilhelm Hans' knappe Zusammenstellung der 
■! Quellen und historischen Grundlagen von Arnims 
Kronenwächtern » (Euphorion Bd. 10, 153 — 159) be- 
stätigt die auch von mir hervorgehobene Tatsache, 
dass Arnims AVerk auf intimer Kenntnis der Zeit 
ruht. Den Gegensatz Arnims und Scotts beleuchtet 
nichts besser als der Bericht, den Arnim im November 



VII 

1830 an Bettina sandte, niachdem er zum ersten Male 
die Stadt Waiblingen gesehen hatte: *Mit klopfendem 
Herzen stand ich an dem Tore von Waiblingen mit 
meinem Wagen, ich blickte hinein, aber es sah mir 
ganz anders aus, als ich es mir gedacht hatte, da liess 
ich weiter fahren nach Schorndorf; es mtcss so ge» 
wesen sein, wie ich es mir dachte, vierhundert Jahre 
ändern viel. » Das kostbare Zeugnis ist von R. Steig 
in der Sonntagsbeilage der Schwäbischen Kronik vom 
16. Oktober 1897 uns geschenkt worden. Schärfer 
konnte romantische Phantasie ihre Rechte gegenüber 
dem Anspruch auf eine treue Schilderung des Milieus 
nicht betonen — einen Anspruch, auf dessen Erfüllung 
Scotts Meisterschaft begründet ist. 



Zum Schlüsse spreche ich Herrn Prof. Dr. O. F. 
Walzel, meinem hochverehrten Lehrer, für die ^tige 
Förderung dieser Arbeit meinen wärmsten Dank aus. 






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Kapitel i. 

Walter Scott. * •:*;•*.•, 

• • 

Um die Werke Walter Scotts verstehen und wijr^ 
digen zu können, braucht man sich nicht in erstep\.\.** - 
Linie nach seinen Vorbildern, seinen Mustern und 
Meistern zu erkundigen. Vielmehr können wir von 
vornherein sagen : die historischen Romane Scotts sind 
nicht entstanden durch Übernehmen und Weiterbilden 
literarischer Traditionen; sie sind naturgemäss und 
zwanglos, das Erzeugnis einer ganz besonders veran- 
lagten Persönlichkeit: diese Persönlichkeit lebt sich 
aus und schenkt uns, was sie schaffen muss, ohne 
grossen Ehrgeiz, ohne das bewusste Streben, ein 
grosser Dichter, ein berühmter Schriftsteller zu sein. 
Wir haben also nicht zu untersuchen, welcher Schule 
Scott angehört und was er mit einer solchen gemein 
hat; betrachten wir aber Scott als Einzelerschei- 
nung, so finden wir leicht, was ihn berühmt machte, 
und worin seine Grösse bestand. 

Scott war es vergönnt, das zu werden, wozu ihn 
die Natur von vornherein bestimmte. Innere Anlagen 
und äussere Lebensverhältnisse vereinigten sich in 
seltener Weise zu einem harmonischen Ganzen und 
schufen einen Mann, dessen Schaffen und Hervor- 
bringen kraftvoll und blühend gesund ist. Und die Er- 
gebnisse dieses Schaffens liegen so klar und leicht 
verständlich, so leicht deutbar vor uns, dass wir der 
Mühe überhoben werden, tiefgründigen Ursachen nach- 

Untenachnngen YIL Wmger, Hiitoriaelie Romane. 1 





zugehen. Darauf beruht'^lefin auch das Hauptgewicht: 
Nicht ein gewaltiges G'önie haben wir vor uns, das ans 
Tiefste und Letetie^ 'rMirt und auf seine Weise die 
Welt zu deu^ei^ sncht, nicht einen leidenschaftlichen 
Kämpfer _iinä.'"fielden seiner Überzeugung, sondern 
- einen>'.E<2ähler, einen Mann, der in heiterer Schat- 
fenslukt Bilder vergangener Zeiten heraufbeschwört 
und In behaglich breitem Strome an uns vorüberziehen 
lässt, nur einen Rom an sehr eiber, der selbst nicht allzu 
.-■hoch von seinem Schaffen denkt Und doch, wie ge- 
waltig wirkte dieser Romanschreiber ; halb Europa 
versetzt er in einen Taumel des Entzückens, junge, 
neue Geschlechter jubeln il«n zu und widmen ihm 
ihren Dank, überall wird er nachgeahmt und der histo- 
riBche Roman, eine verachtete Zwittergattung, erlebt 
g'anz unerwartet und doch vielfach vorbereitet, eine 
hohe Blütezeit Da ist zweierlei nötig: einmal muss 
dia Persönlichkeit, die ein ganzes Zeitalter in Bewe- 
gung setzt, ausgeprägt eigenartig sein und dann muss 
sie schon vorhandenen, noch schlummernden oder 
kaum erwachten Bestrebungen und Gesinnungen kräf- 
tige Nahrung geben. Beide Punkte sind «u betrachten, 
denn beide begründeten Scotts Ruhm. 

Vorderhand gilt es, Walter Scott als Persönlich- 
keit zu betrachten. Wir haben hiebei, um nicht oft 
Gesagtes wiederholen zn müssen, solche Gesichtspunkte 
einzunehmen, wie sie unserm Zwecke, der Feststellung 

Lund Erklärung von Scotts EinflusS, am besten dienen. 
Nicht ohne Recht vergleicht man den Anblick 
von Scotts Leben mit dem Anblick einer reichen 
fruchtbaren Gegend. Das ist das Erquickende und 
Erhebende im Leben dieses Mannes, dass es urwüdisig 
floea 
L 



' Die folgendeD AuslUhnmgsn stützen sich mehTfach t 
Maigron. L« Rorti^ UstOiique ä l'ipoque lotnandquc. Ess 
flnnce de Waller Scott. Futi. 189S. 



eng verwachsen mit dem Boden, dem es errt- 
I Sprüngen, in kraftvoller Übereinstimmung mit der 
I -wirklichen Welt. Von hier aus müssen wir gehen 
und das Phänomen der Walter Scott-Manie erklärt 
sich von selbst. Gleichsam als zusammenfassendes 
Motto wollen wir einige Worte Carlyles hinsetzen, 
•die mit freudiger Gewissheit Scotts Eigenart bestimmen. 
In seinen « Criticai and miscellaneous Essays » steht 
, -ein Aufsatz über Sir Walter Scott, der veranlasst 
-wurde durch Lockharts « Life of Sir Walter Scott. » 
Und in diesem Aufsatz — Carlyle hat davon ge- 
sprochen, dass man Scott nicht zu den eigentlich 
gössen Männern zählen könne — in diesem Aufsatz 
lieisst es*: «Yet on the othet band, the surUest critic 
« must allow that Scott was a genuine man, which 
-€ itself is a great matter. No affectation, fantasticality^ 
« or distortion, dwelt in him; no shadow of cant. — 
«The truth is, our best definition of Scott were per- 
« haps even this, that he was, if no great man, then 
« something much pleasanter to be, a robust thoroughly 
- * healthy and withal very prosperous and victorious 
man. An eminently well conditioned man, healthy in 

* body' healthy in soul ; we will call him one of the 
« healthiest of men. » Und dies zu einer Zeit, von der 
Carlyle sagt, sie sei «the sickliest of recorded ages.» 

\ «iner Zeit s when British Literature lay all puking and 

I -• sprawling In Werterism, Byronism, and other Senti* 

« mentalism learful or spasmodic (fruit of internal 

< wind), Natur e was kind enough to send us two 

* healthy Men*, of whom she might still say, not wi- 
« thout pride, a* These also were made in England, 
« such limbs do I still make there I % « Diese s Gesund- 



' Carlyle: Criticai and misceUaneou 
' ADd Hall, vol. IV., p. 147. 

* Scott und William Cobbet. 



Essays ; London, Chapmaii 




hrit» Scotts, seine Frische und Unabhängigkeit vom 
Zeitalter ist wichtig als eine der Hauptursachen von. 
Sir Walters Erfolgen. 

Von Scotts Verhältnis zum Lande, zu Grund und 
Boden und zum nationalen Leben sagt Carlyle ■ weiter- 
< hin : Or, on the whole, might we not say, Scott, in 
■ the new vesture of the nineteenth Century, was intrinsi- 
" cally very much the old fighting Eorderer of prior 
ecenturies; the kind of man Nature did of old make 
«in that birthland of his? In the saddle, with the 

* foray-spear, he would have acquitted himself as he 
t did at the desk with his pen. » Und, indem er Scott 
mit dessen Ahnen, den Bewohnern des festen Turmes- 
Harden vergleicht, den Scott oft besuchte und stolz 
seinen Freunden zeigte^ sagt Carlyle: s One fancies. 
« how, in stout Beardie of Harden's time, he could 
«have played Beardie's part; and been the stalwart 
« bufFbelted terrEe filius he in this late time could only 
« delight to draw. The same stout self-help was in 
«htm; the same oak and triple brass round his heart, 
«He too could have fought at Redswire, cracking 

* crowns with the fiercest, if that had been the task ; 
« could have harried cattle in Tynedale, repaying in- 
tjury with Compound interest; a right sufficient cap- 
«tain of men, A man without qualms or fantastica- 
tlities; a hard-headed, sound-h carte d man, of joyous 
« robust temper, looking to the main chance, and 
« fighting direct thitherward ; vaiiie slahvarlus komo / » 

So ist Walter Scott ein kräftiger Abkömmling 
eines alten Stammes, der nichts verloren hat von seiner 
Urwüchsigkeit und in ähnlich kraftvoller Naivetät sich 
auslebt wie die vielen Generationen vor ihm. Walter 



• IV. p. 148. 

' Cf. Lockharl, Life of Sir Walter Scott, Loodoii 1 





Scott fühlt sich eins mit den Traditionen semesS 
' mes und Landes, er braucht sich die vergangenen 

leiten, Sitten, Gebräuche und Lebensweisen nicht zu 
, rekonstruieren, er sieht in bunt bewegtem Bilde das, 

was vor seiner Zeit entstand und bestand und fühlt 
I Icraft seines ausgeprägten Stamm es sinn es, was zu frü- 
L liern Zeiten, von ähnlichen Menschen wie er selbst ist, 
k gefühlt und gedacht, und wie gehandelt worden war. 
[ Wenn wir Scotts Lebensweise betrachten, so be- 

r merken wir mit Erstaunen, dass er den grössern Teil 
1 «einer Zeit seiner Besitzung, seinen Pferden und Hunden, 
l der Jagd, dem Fischfang und anderm Sport lebte und 
I nur den kleinern Teil seines Tages am Schreibtisch 
[ eass. Walter Scott ist also nicht ein Stubengelehrter, 
f der sich vom Leben absondert, er ist im Gegenteil ein 
I Äusserst tätiger, vielbesuchter, gastfreundlicher Gross- 
! grundbesitzer, der sich eine gewisse Zeit des Tages 
. für literarische Arbeit vorbehält. Das ist ein Grund, 
[ warum die « Waverley Novels ^ so lebensvolle Bilder 
[ sind. Ihr Erzeuger steht selbst mitten im Leben und 
I filhlt sich am wohlsten im lauten Getümmel des Tages. 
f Walter Scott ist ein Mann der Tat, er baut, er 
f pfianzt, er sitzt zu Gerichte in seiner Grafschaft, ist 
[ Mittelpunkt der Geselligkeit und seine Lebens- und 
L und Tatkraft scheint unerschöpflich. Diese Art zu 
[leben hat zunächst zur Folge, dass die tatsächhchen 
t Verhältnisse und Zustände den stärksten Eindruck auf 
[ ahn machen, mit andern Worten, der Realismus der 
l'Welt zwingt sich auf und wenn nun noch die leb- 
Phafteste wärmste Teilnahme am Volkstreiben hinzu 
rkommt, so wird die Lebensanschauung nicht nur 
I.Teahstisch, sondern auch demokratisch. Walter Scott 
I ist stolz auf die Vergangenheit seiner Familie und 
Lsein Ideal, das er sich mit Beharrlichkeit in Abbots- 
kibrd zu verwirklichen sucht, ist, in altpatriarchalischer 



Weise, wie ein alter Clan-Häuptling, seinen Grund- 
be^tz zu verwalten; und wie die alten Clan-Mitglieder 
liebt er die kleinen Leute, er ist entzückt vom unver- 
fälschten Leben des Volkes und mit vergnügtem Lä- 
cheln lauscht er dem derben Witze, der kraftvollen 
Unverfrorenheit seiner schottischen Landsleute. So 
lebt er mit dem Volke und im Volke, und wenn er 
auch seine Tory -Überzeugungen nie verleugnet, so- 
können wir doch seine Lebensbetrachtung und be- 
sonders deren Niederschlag, seine «Novels», füglich 
eine volksfreundliche und volkstümliche nennen. Am 
besten illustrieren wir diese Worte, wenn wir zusehen, 
wie Scott sich seine Kenntnis von Land und Leuten- 
Adel und Volk, Gegenwart und Vergangenheit, ver- 
schafft. 

Schon beim Knaben Walter Scott findet sich die 
Vereinigung von leidenschaftlicher Liebe zu Büchern 
und leidenschaftlicher Liebe zur Natur und zu den 
Menschen und Tieren. Eigenthche Gelehrsamkeit- 
Zahlen, leere oder wenig anschauliche Tatsachen 
und Kenntnisse zogen den Knaben keineswegs an 
und hafteten auch nicht in Kopf und Herz, Alles 
aber, zu dessen Erkennen und Vorstellen es Phantasie 
brauchte, alles, was sich leicht zu einem farbenbunten 
Bilde gestaltete, wurde mit seltener Energie vom 
Geiste des Knaben erfasst und für so beschaffene 
Dinge besass er ein unermüdliches Gedächtnis. Alles. 
was pittoresk im weitesten Sinne war, Menschen. 
Taten, Gegenstände, Landschaften, alles, was Farbe 
hatte, entzückte den Knaben, und begeistert las und 
deklamierte er, was ihm die alten und neuen Dichter 
von bunt bewegtem Leben zu erzählen wussten. Da 
nun zweifelsohne die Vergangenheit an malerischem 
Werte gewaltig die Gegenwart übertraf, so begeisterte 
besonders das den Knaben ebenso gut wie später den 




jugendlich bleibenden Mann, was m äüäi3rocR^~ 
vollem frühern Zeilen geschehen war. Was nun aber 
den Bildern aus der Vergangenheit Fleisch und Blut 
verlieh, was sie aus romantischen Einbildungen wirk- 
liches Leben werden liess, daa war eben Scotts Sinn 
für die Wirklichkeit, für das, was um ihn lebte. Da 
zeigt sich, warum wir Scott keinen Romantiker in der 
Art der Deutschen nennen, warum wir in ihm einen 
realistischen Dichter sehen. Von Bildern aus der Ver- 
gangenheit erfüllt, pflegte Scott von Jugend auf weite 
Exkursionen zu unternehmen ins Herz der schottischen 
Hochlande, wie später nach, andern Ländern und Ge- 
genden und zwanglos brachte er Gegenwart und Ver- 
gangenheit in innige Beziehung. Wohl bekam für 
ihn das, was er sah und hörte, seinen hohen Wert 
durch Verschmelzung mit historischen Erinnerungen, 
aber das, was dadurch in seinem Geiste entstand, war 
nicht minder wirklich, lebendig oder wahrscheinlich, 
da er mit gesundem Verstände Eines das Andre er- 
gänzen liess; und sein gesundes Wesen war imstande, 
vergangene Zeiten in ihrer Wirklichkeit heraufzube- 
schwören und verhinderte ihn, phantastische, unwahr- 
scheinliche Vorstellungen verflossener Zeiten ins wirk- 
liche Leben der Gegenwart zu übertragen. Nicht 
ohne Absicht habe ich oben das Wort Exkursion ge- 
' braucht: Es bezeichnet in gewissem Sinne die Art und 
Weise, wie Walter Scott seine Ausflüge machte. Nicht 
phantastische Streifzüge waren es, sondern • Fahrten 
und Ritte ins Land hinein mit den allerrealsten Ab- 
sichten und Zwecken. Im Bewusstsein jugendlicher 
Kraft setzte sich Walter Scott mit einigen Freunden 
2u Pferd und lachend und scherzend galoppierten sie 
[ in die Hochlande hinein. Vertraulich wurde mit den 
1 Landleuten gescherzt und gesprochen über Viehzucht 
und Ackerbau, und unter sich führten sie Sportge- 



spräche, sprachen von Pferden, Hunden und den R^zen 
der Jagd; und wurde von ernstern Dingen gesprochen, 
so geschah es in der Art aktiver Politiker von der 
oder jener Überzeugung, oder sie disputierten über 
diese und jene Streitfrage auf juristischem Gebiete; 
wurden dann etwa vergangene Zeiten heraufbeschworen > 
so sprach man wohl mit lebhafter Begeisterung, aber 
vielmehr als Forscher und Gelehrter, Historiker und 
Sammler, denn als schwärmerischer Anbeter schönerer 
und idealerer Zeiten, deren Verlust schmerzlich zu be- 
klagen wäre. 

Besonders hervorzuheben ist, dass Walter Scott 
Jurist war und sich zeitlebens in juristischen Stellungen 
befand. So führten ihn nicht nur sein Vergnügen 
oder seine persönliche Vorliebe für alte und neue 
Volkskunde und historische Traditionen in die Hoch- 
lande, sondern auch sein Beruf, und wenn er kam, 
um Viehdiebstähle oder persönliche Händel zu schlichten 
und zu untersuchen, so war es gewiss nicht mit ro- 
mantischen Ideen : Scotts Rechtskunde und seine prak- 
tische Arbeit auf juristischem Gebiete behüteten auch 
den Romanschreiber davor, den festen Erdboden zu 
verlassen. Dies finden wir in interessanter Weise be- 
stätigt durch die Art, wie sich Scott mit Volksaber- 
glauben, mit Gespensterglauben und dunklen unver- 
ständlichen Verhältnissen und Zuständen im Leben des 
Volks abfindet. Ein lebhaftes Interesse hegt Scott aller- 
dings für das Unerklärliche in der Geschichte und im 
Volksleben, und die okkulten Wissenschaften sind in 
manchem Werke Scotts in ihrer Wirkung auf die Men- 
schen geschildert; mit ebenso grosser Spannung folgt 
er den Erzählungen schlichter Landleute über Familien- 
geister und Gespenstererscheinungen ; es ist aber ebenso 
wenig zu bezweifeln, dass Scott seine eigne geistige 
Überlegenheit dabei nie verlor und nie vergass, den 



— 9 — 

Ä.berg]auben als Aberglauben zu behandeln. Was ihn 
anzieht, ist die seltsame Tatsache an sich und das Vor- 
handensein dieser «superstitions », ihr Einfluss auf 
Leben und Volk. So will es ihm denn auch nicht 
gelingen, eine Geister er scheinung zum Mittelpunkt 
eines ganzen Werkes zu machen. Seine « White Lady 
of Avenel s im « Monastery » ist ganz marionnettenhaft 
und es gelingt Scott nicht, seine kühle Überlegung 
ob dem poetisch Wahren solcher Gespenstertraditionen 
zu vergessen, 

Fragen wir nun, wie Walter Scott die Geschichte 
aufTasste und wie er sie verstand, so müssen wir zu- 
nächst feststellen, dass die historische Wahrheit Scott 
über alles ging. Wie er ein Verehrer der Wirklichkeit 
der Gegenwart war. so war er auch stets bemüht, die 
Wirklichkeit der Vergangenheit zu erkennen. Um diese 
war es ihm zu tun, sein ganzer Ehrgeiz ging dahin, 
den Menschen seiner Zeit vor Augen zu führen, wie 
frühere Menschen und Zeiten ausgesehen haben, was ge- 
dacäitundwie gefühlt worden ist. Historische Wahrheit! 
Wir werden später sehen, wie seltsam man davon 
denken kann, wie man sie zu gewissen Zeiten miss- 
kannte und missbrauchte. Und ist es nicht seltsam, 
dass man betonen muss, dass Walter Scott der Erste 
ist, der beim historischen Roman zunächst und vor 
allem an die Geschichte denkt, diese zum Hauptgegen- 
stand macht und als Erster der Wirklichkeit den Vor- 
rang gibt vor der Erfindung? Als erstes Charak- 
teristikum der 6 Waverley Novels a müssen wir be- 
zeichnen, dass das historische Element darin das Wich- 
tigste ist, dem der eigentliche Roman, die Liebesge- 
schichte, überhaupt alles Nicht geschichtliche unterge- 
ordnet werden, Wer kann sich z. B. darüber hinweg- 
täuschen, dass in « Quentin Durward » nicht der junge 
Schotte, sondern Ludwig XI. und Karl der Kühne 



samt itü-er Wirkung auf die Zeit Hauptg-egenatand 
sind, dass es sich darum handelt, den gewaltigei 
Kontrast zwischen den beiden Fürsten zii schildern 
und dass Quentin und alle die andern Gestalten, die- 
vom Dichter erfunden sind, nur dazu bestimmt sind, 
dem Ganzen Farbe und Leben zu geben und zu zeigen, 
wie sich Wesen und Handlungen der Grossen im Volke 
spiegeln'? Die Kunst des Dichters versteht es ge- 
wiss, uns zu interessieren für Quentin und die schöne 
Isabelle von Croye, ihre Schicksale verfolgen wir mit 
Spannung und doch müssen wir sagen : Sie dienen 
dazu, die Geschichte zu illustrieren, sie sind der Ge- 
schichte untergeordnet, nicht auf die Tiefe der Ge- 
fühle kommt es an, sondern auf die Breite des histo- 
rischen Bildes*. Es ist dies ein Grundprinzip der 
• Waverley Novels» und gilt für das eine Werk ao 
gut wie für alle andern. 

In engem Zusammenhange damit steht die Art 
und Weise, wie Scott seinen Bildern aus der Geschichte 
Leben verleiht, das heisst, wie er seine Schildenmgen 
bevölkert. In ausserordentlicher Fülle bewegen sich 
vor unsern Augen die Menschen der von Scott ge- 
schilderten Zeit, und es sind keine vorüberhuschenden 
Schemen, auch keine Tugendbolde oder Teufel in 
Menschengestalt, sondern Menschen, die uns nahe- 
treten, weil sie der Wirklichkeit entnommen sind, die 
fest auf der Erde stehen und von ihrer Zeit beeinflusst 
werden, wie wir von der unsrigen. Lebensfähigkeit 



' Lour grande nouveaut* (der Waverley-Novels) est de donner le 

• pas aux intfirClä g^nirauK et euh passions publiques sui les intirits et 

• les passions exclu^ivcment privis» (Mfligron, p. 83), 

••L'hiatoire o'eat pas un fardeau gtoanl, bon lout aa plu« i 
' alourdir iE rtcil... Au coDtraire. I'aoteut en porte all^grement le poid» 

• d'un boal ä l'auCre du romao, si long qu'il puisse Slre , ■ 

• qui soalieat loutes les patties de Tceuvre, qui les acime, qui les eiptiquc»- 
(M^ron, p. 64.). 



J 




und Wahrscheinlichkeit besitzen sie also. Waswnd 
sie nun im Einzelnen? Einmal müssen wir zugeben, 
dass dank Scotts grosser Vorliebe für originelle 
Gestalten sein Humor an diesen an und für sich 
grosse Freude hat und sich daran gütlich tut. Nie aber 
gibt Scott seiner heitern Laune solche Freiheit, dass 
die historische Wahrheit darunter litte. Sind diese 
Originale nicht notwendig zur Erhellung der Ge- 
schichte, so zweifelt doch niemand an ihrer Lebens- 
fähigkeit auch in der Zeit, in der wir sie leben sehen 
und schliesslich geben sie doch dem Ganzen ein m'- 
höht es oder auch vertieftes Leben. Doch nur von 
wenigen dieser Gestalten könnten wir sagen : Sie illu- 
strieren die Geschichte, ihre Zeit nicht. Sie sowohl, 
wie auch die unabsehbare Menge der übrigen Ge- 
stalten sind Repräsentanten ihrer Zeit, typische Ge- 
stalten, Vertreter der verschiedenen Volksklassen und 
Stände mit den ihnen eigentümlichen Gebräuchen, 
ihrer eigentümlichen Sprech- und Denkweise. Das 
Ergebnis ist natürlich, dass ein Sittenroman auf brei- 
tester Grundlage entsteht, in dem die historischen 
Ereignisse die Sitten und umgekehrt die Sitten di& 
^^^^reignisse und Verwicklungen erklären und bedingen. 
^^^MTenn Scott irgend eine Tendenz mit seinen Romanen 
^^^Hsrhände, also eine Idee zugrunde legte, so wären 
^^^Be ^ Waverley Novels » filghch soziale Romane zu 
^^^Bennen, und täte dies Scott, würde er z. B. sane kraft- 
^^Bnlle Realistik in den Dienst sozialer Ideen stellen, 
so besässe er vielleicht das, was ihn zu einem wirk- 
lich grossen Manne im Sinne Carlyles gemacht hätte. 
Carlyle ' verlangt vom grossen Manne, * that he 
have fire in him to bum up somewhat of « the sins 
of the World, of the miseries and errors of »the- 




•World: wby eise is he there?» Und ferner: «A ^eat 
man is ever, as the Transcendentalists speak, possessed 
■with an idea«. Bei Napoleon findet Carlylc dieses 
Feuer des grossen Mannes, nicht aber bei Scott, 
dem er sagt: « Conscious or unconscious. latent or un- 
« folded, there is small vestige of any such fire being 
4 extant in the inner-man of Scott '. •/> 

Doch bleiben wir bei dem, was Scott ist und 
nicht bei dem, was ihm fehlt. Vielleicht in keinem Ro- 
man Scotts sind die Gestalten in solchem Masse ty- 
pische Vertreter von Volksklassen, wie in vivanhw. 
Maigron * sagt vielleicht etwas übertrieben — man 
denke an Rebecca als Vertreterin einer ganzen Klasse : 
<■ . . . il n'y a pas un personnage qui soit presente 
« pour lui-meme et dont l'auteur n'ait pas fait comme 
* une incarnation d'une classe de la societe d'alors, Le 
« beau drarae et l'interessant spectacle que cette lutte 
« entre le peuple victorieux et la race qu'il opprime, 
« entre les Normands conqucrants et envahisseurs et 
«les Saxons qui ne se soumettent qu'en fremissant et 
« le cceur plein de rage. « 

So ist Cedric, der reiche, sächsische Grundbesitzer, 
der Typus der unterworfenen Sachsen. Er ist beseelt 
von einer leidenschaftlichen Liebe zu seinen Stammes- 
genossen und deshalb durchglüht von blindem Hasse 
gegen die Unterdrücker ; er verachtet sie und bewahrt 
den letzten Abkömmlingen der alten Könige eine 
alles hintansetzende Treue, alles, denn er opfert ihr 
selbst seinen Sohn, der in seinen Augen unwür- 
dig ist, den Blick zu erheben zu Lady Rowena, 
die königlichen Geblütes ist. So denkt Cedric, so 
denken aber auch alle andern Sachsen und seine Ge- 
fühle sind Stamm esgefuhle, um deren Beleuchtung * 



' Carlyle, loc. i 
' p. 85. 



146. 






Scott zu tun ist. Dies schliesst nun gar nicht aus^ 
dass rein individuelle Züge die einzelnen Gestalten 
^^ kontrastieren, im Gegenteil, alle sind abgerundet, er- 
^^Lt-gänzt, sind nicht nur Träger der allen gemeinsamen 
^^B Züge, sondern wirkliche Menschen, Aber das Typische 
^^H ist Grundlage : Cedric, der Herr, Gurth, der Seh wein e- 
^^Bbirt und Wamba, der Narr, alle haben dasselbe Stam- 
^^KÄiesbewusstsein , das bestimmend ist für ihr ganzes. 
^^■■^esen. 

^^H Und wie die Sachsen, so die Normannen. Auch 

^^^sie sind im einzelnen vielfach differenziert, dabei aber 

doch ein Ganzes bildend als Vertreter ihres Stammes : 

« Front-de-Bceuf, de Bracy et tous les courtisans du 

« prince Jean incarncnt avec des nuances diverses les. 

« vainqueurs insolents et lea spoliateurs impertinents ou 
« tyranniques^ « So sind die weltlichen Vertreter der 
P.Normannen, so sind auch die Mitglieder der Kirchef 
I unter andern Aymer, abbe de Jorvaulx, ein koketter, 
f weltlich gesinnter, galanter Priester, ferner der bru- 
Ltale, lasterhafte, kynische und atheistische, dabei kühne 
ind männliche Templer Brian de Bois-Guilbert und end- 
lich ganz andrer Art und doch ähnlich Friar Tuck, der 
^lebensfreudigste aller Mönche, dem Jagd und Kampf 
lüber Messelesen und Beichtehören gehen und der mit 
I « merry out-laws » ein Herz und eine Seele ist. 
So entfaltet sich ein breites vollständiges Gemälde 
Ider Zeit, auf dem auch die vielen Verfolgten, Unter- 
Idrückten, Ausgestossenen und Leibeigenen mit tiefer 
■Wahrheit und gleicher Ausfülirlichkeit gezeichnet sind. 
uMeselbe kraftvolle Hand charakterisiert in Rebecca und 
Flsaak von York die Juden, in Gurth und Wamba die 
I Sklaven und in Robin Hood und seinen c outlaws » 
tjene wackem Räuber, die in einer verworrenen Zeit 

' MaigroD, p. B9. 




aus einer ebenso verworrenen Gesellschaft ausgeetosseti 
sind: — « comme en marge de la societe reguliere, 
4 Robin Hood et ses joyeux " outlaws », vivant de leur 
« chasse et des voyageurs qu'ils detroussent; respec- 
e tueux observateurs de la discipline et du code parti- 
" culier qui les gouverne, braves et fideles, de vrais 
ß Chevaliers qui seraient des bandits'.s Wir bedürfen 
keiner weitern Beispiele, die wir nach Belieben häufen 
können, wir haben festgestellt, dass Scotts historische 
Romane im weitesten Sinne Sittenromane sind, die 
nicht Ausnahmemenschen enthalten, sondern Reprä- 
sentanten der wirklich vorhanden gewesenen Klassen 
und wir gehen nicht fehl, wenn wir die « Waverley No- 
vels » detnokratisch nennen , Schilderer der grossen 
Masse ebensogut wie der Bevorzugten im Volke. 
Und alles dies beherrscht von der grössten Objekti- 
vität, von dem Bestreben, nichts zu beschönigen, nichts 
herunterzusetzen. Scott erkennt die Schönheit der 
Wirklichkeit und macht sie zum Selbstzweck seines 
Werkes. 

Diese Schönheit in der Wirklichkeit bedarf einer 
nähern Deutung, Wir haben gesehen, dass uns Scott 
stattliche Bilder, breite Gemälde schenkt, dass er weder 
philosophisch, noch tendenziös die Zeiten schildert 
Nicht das, was dem Ganzen zugrunde liegt, sondern 
die äussere Gestalt des Ganzen, das interessiert Scott 
besonders und hierin liegt seine Kraft, Dies darf nicht 
missv erstanden werden : Wenn auch Walter Scott 
besonders die äussere Gestalt und Form wiedergibt, 
so tut er dies nicht, weil ihm die tiefen geschichtlichen 
Zusammenhänge verborgen sind und weil er sich mit 
den Äusserlichkeiten begnügen musa. Nein, wir haben 
una die Sache so zu denken : Scott besitzt eine tiefe 



* MaigroD, p. 90. 



Kehntnis der Geschichte, — wir dürfen hier nicht an 
seinen « Napoleon » denken, der aus verschiedenen 
Gründen miaslingen miisste — die Innern Zusammen- 
hänge vergangener Zeiten sind ihm durchaus klar 
und nun, basierend auf dieser innern WirkUchkeit, 
baut sich Scott das dem Auge Sichtbare auf, und 
scharf und sicher zeichnet er die charakteristischen 
Züge. 

Damit hängt ein letztes und wichtigstes Charak- 
teristikum zusammen: Das eigentlich Malerische in 
Walter Scotts Romanen, Dieses hat ganz besondere 
Bedeutung, denn was wäre mehr imstande, historische 
Romane wirksam zu machen, als kraftvolle Farben, 
belebendes Kolorit? Seinen Ursprung hat dieses Ma- 
lerische in der grossen Einbildungs- und Vorstellungs- 
kraft Walter Scotts, im eigentlich poetischen Sehen 
und Gestalten, Wir betonten schon die grosse Intel- 
ligenz, mit der Scott das Wirkliche in der Geschichte 
erkennt und seine Begeisterung für dieses Wirkliche, 
€s bleibt uns aber übrig, zu bestimmen, wie Scott 
dichterisch vorgeht, wie er gestaltet. 

In voller Deuthchkeit erstehen vor des Dichters 
Auge die zu schildernden Zeiten und scharfsinnig er- 
kennt er die äussern und innern Merkmale; es ist 
aber nicht nur scharfsinniges Erkennen, sondern viel- 
leicht in höherm Masse dichterisches Sehen und beide 
zusammen verbürgen einerseits die Richtigkeit, Wahr- 
heit und Wirklichkeit des Erkannten, anderseits aber das 
Leben, die Wärme und Farbenpracht des Gesehenen. 
So erhalten wir den Begrlif des Malerischen in Wal- 
ter Scott. 

Wir erwähnten schon das Demokratische in den 

iVfirley-Novels», Scotts Freude an der Mannig- 
utigkeit des Volkes. An den Leuten aus dem Volk 
lObachten wir denn auch in erster Linie das Male- 





i6 — 



rische, oder ebenso richtig, das Charakteristische. Un- 
zählige sämtlich scharf gezeichnete Personen tummeln 
sich vor unsem Augen, deren jede einen ihr eigen- 
tümlichen Zug besitzt, der uns mit einem Schlag den 
Betreffen den charakterisiert. In voller Deutlichkeit 
stehen sie vor unsern Augen, die ernsten, gewich- 
tigen sowolil, wie die lustigen, fröhlichen Leute und 
sonderbaren Käuze, sie sind deutlich sichtbar und ihr 
Schelten, ihr Predigen und Ermahnen, wie auch ihr tolles 
übermütiges Lachen und Lärmen ist ebenso deutlich 
hörbar. Jede dieser so mannigfaltigen Personen passt 
an ihre Stelle, jede spricht und handelt wie sie kraft 
ihrer Veranlagung muss und jede ist verwachsen mit 
Ort und Zeit, Da ist nichts, kein Mensch, der Scott 
zu niedrig, zu unbedeutend wäre. Alles, was kräf- 
tiges Leben enthält, wird freudig geschildert und in 
durchaus lebendigen, rasch und glücklich gezeichneten 
Typen wird das Wesentliche der Zeit herausgehoben. 
Welche kraftvollen Gegensätze sind da festgehalten, 
die Scott zum Teil noch mit eigenen Augen vor sich 
sah: Die wilden unzivihsierten Highlanders, die zäh 
und fest mit ihrem rauhen heissgeüebten Bergland 
verwachsen sind, und deren Charakter an Grösse mit 
dem des Landes, das sie bewohnen, innig verwandt 
ist, — im Gegensatz dazu die Bewohner der Tieflande,. 
die friedliches Gewerbe und Gelderwerb, überhaupt 
ein geruhiges Leben, verbunden mit starrer Religio- 
sität, scharf abtrennt von den Bewohnern der Berge. 
Ein anderer Gegensatz in « Old Mortality • sind die- 
Covenanters und die regulären königlichen Truppen,, 
die sie zu bekämpfen haben, oder in Einzeltypen der fin- 
stere Fanatiker Burley und dessen Gegner, der stolze 
unerbittliche Grahame of Claverhouse, beide mit gänz- 
licher Unparteilichkeit und in voller Lebenswahrheit 
geschildert Und sichtbar gleichsam werden solche Kon- 




— 17 — 



durch die malerische Behandlung, das sorgfältige 
Herausarbeiten der äusserlichen Merkmale. Doch nicht 
nur die Personen, die grosse Gegensätze repräsentieren, 
werden mit Energie gezeichnet und mit malerisch 
wirksamen persönlichen Zügen versehen, auch we- 
niger notwendig zur Charakteristik der Zeit gehörende 
Einzeltypen erfahren eine sorgfältige Behandlung und 
ein Bailie Jarvie oder ein Andrew Fairservice — 
zwei mit köstlichem Humor geschilderte Käuze — 
sind ebenso ausgeführte Porträte wie Rob Roy, der 
stolze Räuber und Clan-Häupthng, und Rashleigh 
Osbaldistone, der intrigante Katholik. So können wir 
heruntergehen bis in die tiefsten Schichten des Volkes: 
Mucklewrath, bei dem der Fanatismus eines Burley 
Balfour zur hässlichen stupiden Fratze wird (Old Mor- 
tahty), der verschlagene fatalistische Zigeuner Hay- 
raddin, ebenso die Henker Trois-Echelles und Petit- 
Andre (Quentin Durward), Wamba und Gurth (Ivan- 
hoe), allen wird Lebenswahrheit verliehen, bei allen 
wird das herausgehoben, was sich leicht der Erinne- 
ng als Bild einprägt. 

Was nun das Pittoreske der eigentlich historischen 
Personen anbelangt, so ist es hier nicht minder kräfüg 
flgewendet. Innerhalb der Grenzen, die ihm die Ge- 
bichte zieht, versteht es Scott, einen Ludwig XL, 
! Maria Stuart, oder eine EHsabeth von England 
zu schildern, dass sie als historische Persönlich- 
eäten wie als Menschen in ihrer ganzen Eigentüm- 
Akeit erscheinen. Da finden wir keine Seelenana- 
^sen, kein Abwägen der Eigenschaften und vol- 
ißds keine « moralische » Beurteilung. Sie darstellen, 
will Scott, und er kann es, denn er kennt 
jSe gründlich und seine Vorstellungskraft, seine dieb- 
ische Phantasie und sein künstlerischer Geschmack 
historische 



ebensowenig 



ndnmgea VlL Wrager, Hiatoriaclie Bomac 




I 



Grösse wie familiäre Menschlichkeit fehlen. Dies be- 
rechtigt nun allerdings nicht dazu, Scotts Gestalten 
auch plastisch zu nennen, denn ihre grosse Wirksam- 
samkeit beruht mehr auf der Aneinanderreihung ma- 
lerischer Details als auf plastischer Herausarbeitung 
der wesentlichen Züge. Scott schildert mehr, als dass 
er gestaltet. 

Es ist allerdings einzuräumen, dass nicht alle Personen 
der Scottschen Romane wirklich historisch pittoresk, 
wirkhch scharf gesehene Wesen einer bestimmten 
Zeitepoche sind. Das sind einmal, abgesehen von den 
grossen historischen Frauengestalten, die weiblichen 
Personen. Dies rührt daher, dass sie vielmehr dem 
eigentlichen Roman angehören und weniger geeignet 
sind, zur Charakteristik der Zeit beizutragen. Ihr 
Wert und der Grund ihrer Anziehungskraft ist 
anderswo als im historischen Kolorit zu suchen. Er 
liegt in der grossen Feinheit, womit sie gezeichnet 
sind, in ihrer frischen Lebendigkeit und Natürlichkeit, 
nicht aber in ihrer psychologischen Tiefe, was für mo- 
derne reife Leser eine warme Anteilnahme ausschliesst. 
Dennoch; Es fehlt ihnen jede Geziertheit, von Grund 
aus jede Affektation, und auch sie sind unter sich sehr 
verschieden, sind wirkliche Menschen, und keine ein- 
zige — nach bestem Wissen — entbehrt jener Fülle 
an irischer Lebendigkeit, die die Mann er gestalten be- 
sitzen. Ja, diese Mädchen- und Frau engestalten sind 
es geradezu, die der eigentlichen Erzählung Farbe 
verleihen und unser Interesse wachhalten, denn die 
vom Dichter erfundenen Helden des Romans sind, 
fast ohne Ausnahme, die blassesten aller Scottschen 
Gestalten. Dies ist der beste Beweis, wie sehr das 
historische Element alles andere überwiegt, sind 
doch ein Ivanhce, Henry Morton, Frank Osbaldistone 
Roland Greeme und auch Quentin Durward, ja selbst 



— 19 — 

Tressiiian in s; Kenilworth ^ vielmehr nur Wa^zeuge 
in der Hand des Schicksals oder wichtigerer Persön- 
lichkeiten als selbständige, kraftvoll handelnde Men- 
schen. Sie sind, bei den besten Eigenschaften, wehr- 
los gegenüber der Geschichte, die der eigentliche 
Held ist. Scott will nicht einzelne Charaktere in 
den Vordergrund stellen, er hat nicht den Ehrgeiz, 
die Tiefen des menschhchen Herzens zu ergründen, 
sich zu verbreiten über die Probleme der Seele, er 
braucht seine Helden vielmehr, um alle die historischen 
Elemente und Kräfte in Bewegung zu setzen und 
giebt ohne weiteres die Inferiorität dieser seiner Hel- 
den zu. Man sieht es klar, wo nicht ein Zeitgedanke, 
ein Parteigefühl, historische Ideen zu Grunde liegen, 
da felilt die plastisch gestaltende Kraft, und Walter 
Scotts Helden sind daher als Charaktere keineswegs 
sehr ernst zu nehmen. Er ist eben pittoresk und 
nicht psychologisch, die äussere bunte, mannigfaltige, 
vielbewegte Form überwiegt die seelischen Interessen 
weitaus. Carlyle charakterisiert dies sehr scharf': 
t It were a long chapter to unfold the difference in 
t drawing a character between a Scott, and a Shake- 
» speare, a Goethe. Yet it is a difference Uterally im- 
«mense; tliey are of diflferent species; the value of 
» the one is not to be counted in the coin of the 
«other. We might say in a short word, which means 
■^ a long matter, tliat your Shakespeare fashions his 
' characters froyn the heart outwards; your Scott 
« fashions them from the skin inwards, never getting 

■ near the heart of them I The one set become living 
< men and women ; the other amount to little more 

■ than mechanical cases, deceptively painted automa- 
» tons. » 




Auf das Malerische in der Beschreibung weiset* 
wir in zweiter Linie hin. Der Hauptnacbdruck ruht 
hier auf der reahstischen Wiedergabe des Details. 
Maigron ' sagt mit Recht: « Ce ne sont plus les gene- 
4 ralites vagues et impersonnelles d'autrefois, « les yeux 
1 les plus beaux du monde, le visage le plus regulier, 
»un teint de hs et de rose.» Nous saurons la couleur 
0. de leurs cheveux, la gräce particuliere de leur sou- 
«rire; leur allure, leur demarche, leur taille, rien ne 
« sera oublie de ce qui peut les caracteriser. Et comme- 
a le romancier n'embellit pas tout et n'idealise pas tout 
« par Systeme, ils auront des tics quelquefois et des- 
« manies qui nous les feront d'autant mieux recon- 
« nattre. En un mot, nous verrons leur exterieur, parce 
« que !e peintre aura pense ä nous le montrer. Pour 
« le rendre plus sensible, l'ecrivain n'oubliera jamais- 
« de decrire les costumes dans leurs moindres details- 
«■ d'autant plus sür de nous interesser et de frapper 
« notre imagination que ces costumes sont pittoresques- 
« par eux-memes et ne ressemblent pas du tout aux 
f nötres. » 

So macht es Scott mit allem. Der ganze bunte- 
Apparat des Mittelalters wird kraftvoll in Bewegung- 
gesetzt und zwar werden diese an und für sich pitto- 
resken Zeiten nirgends idealisiert. Als Maler der 
Wirklichkeit zeichnet Scott aufmerksam seine Dinge 
und trifft rasch und sicher das Charakteristische. In 
voller Ungezwungenheit, ohne sich durch künstlerische 
Bedenken einschränken zu lassen, verbreitet er sich 
behaglich in der Beschreibung, und die Wiedergabe- 
des Details ist ihm Grundsatz. AUes dies aber ohne- 
nüchtemes Aufzählen, ohne mühsam gelehrte Schwer- 
fälligkeit. Alles lebt, die Personen werden beschrieben^ 









■^^'ährend sie handeln, die Gegenstände stets durch 
gewisse Handlungen mit den Personen in Beziehung 
gebracht, und so durchwirken sich Beschreibung und 
Handlung in geradezu dramatischer Weise. Man darf 
nun bei alledem nicht das Hauptgewicht legen auf 
strenge Korrektheit in Wiedergabe des Mittelalter- 
lichen: Scott verfügt ohne Bedenken über den ganzen 
Apparat und häuft das Interessante nach Belieben, 
■er arrangiert und gruppiert, wenn es ihm notwendig 
scheint und begnügt sich damit, die eigentliche histo- 
rische Wahrheit und Wirklichkeit festzuhalten im 
Geiste der Zeit und in dessen Wirkung auf die 
Menschen. 

Kleider, Rüstungen, Waffen, Burgen, Kerker und 
all das andere Material des Antiquars soll bei Scott 
das Leben vermitteln, und die genaue pittoreske Be- 
schreibung dient dazu, uns mit dem intimen Leben 
und mit den Gegenständen selbst bekannt zu machen. 
Dabei ist Scott gar kein eigentlicher Kenner der 
Kunst — man vergleiche ihn nur mit den deutschen 
Romantikern! — und es wurden der Stimmen viele laut, 
die dem Antiquar und Kunstverständigen Scott die 
Kompetenz absprachen. Wie wenig er z. B. gotische 
Kunst und überhaupt Baukunst verstand, beweist ein 
Urteil Ruskins in n Modern Painters », das uns Mai- 
gron mitteilt ' : « He had some confused love of Gothic 
<i architecture, because it was dark, picturesque, old 
« and like nature ; but could not teil the worst from 
-«the best, and built for himself the most incongruous 
« and ugly püe that gentlemanly modernism ever de- 
«signed; marking, in the most curious and subtle 
< way, that mingling of reverence with irreverence 
« which is so striking in the age : he reverences Mel- 



< rose, yet casts one of its piscines, put a modern 
«Steel grate into it, and makes it his fireplace. Like 

* all pure moderns, he supposes the Gothic barbarous, 

* notwithstanding his love of it ; adraires, in an equally 
« ignorant way totally opposite styles. » Demnach 
liebt Scott nicht sowohl mittelalterliche Kunst und 
Künstler als vielmehr historische Dokumente jeder 
Art, Bauten, Gegenstände und Schriften über Menschen 
in ihrer Eigenschaft als Vermittler vergangener Wirk- 
lichkeiten. Und diese WirkUchkeiten, echtes Leben 
und unverfälschte Kraft, schafft er in Masse herbei 
und setzt es kraftvoll in Bewegung. So wird er pit- 
toresk in jeder Hinsicht: in Charakterzeichnung und 
Beschreibung, in Erzählung und Dialog. Er besass 
eben, was ihm Erfolg bringen musste, einen naiven 
und gesunden Realismus, Von Scott und seinen Wer- 
ken sagt Carlyle: 

« Secondly ', however, we may say, these Histo- 
«rical Novels have taught all men this tntth, which 

* looks like a truism, and yet was as good as unknown 
*to writers of history and others, tili so taught: that 
» the bygone ages of the world were actually fiUed 
« by living men, not by protocols, state-papers, con- 
« troversies and abstractions of men. Not abstractions 
« were they, not diagrams and theorems, but men, in 
-j bufF or other coats and breeches, with colour in their 
« cheeks, with passions in their stomach, and the 

* idioms, features and vitalities of very men. It is a 
« little Word this; inclusive of great meaning ! History 
«will henceforth have to take thought of it. Her faint 
" hearsays of n. philosophy teaching by experience » 

* will have to exchange themselves everywhere for 

* Als Erstes konstatieit Cailyle, dasü die • Waverley Novelsi 
maiiches tta their uUitnatuin aud ciüis> gebracM halten, <so that cliaiige 
becftine ioevibble.! 




Kapitel z. 
Walter Scott und Deutschland. 

I. 



— 21 

lirect inspection and embodiment: this and 

• will be counted experience; and tili once experience 
» have got in, philosophy will reconcile herseif to wait 
1 at the door. It is a great service fertile in conse- 
«quences. this that Scott has done; a great truth laid 

• open by him — correspondent indeed to the sub- 

• stantial nature of the man ; to his solidity and vera- 
t city even of Imagination, which, with all his lively 

tdiscursiveness, was the ckaracteristic of him.'» 
Walter Scott hat für Frankreich, im besondern 
r die französischen Romantiker, fast eine grund- 
legende Bedeutung erlangt, für die deutschen Roman- 
tiker dagegen kommt er wenig in Betracht. Um die 
eigentlich romantische Schule kann es sich schon der 
Zeit ihres Entstehens und Wachsens wegen nicht 
handeln; sie ist auch in ihrem innersten Wesen von 
Walter Scott und seiner Schule getrennt. Auch die 
Heidelberger wussten von Scott noch nichts, als sie 
schon rüstig ihren schönen Zielen nachstrebten, und 
wenn Übereinstimmungen, Geistesverwandtschaft her- 
auszufinden sind, so sind die Gründe dafür nicht in 
gegenseitiger Beeinfiussung zu suchen. An Arnim 
werden wir das nachzuweisen haben. 

Während also Scott in Frankreich auf die jungen 
Romantiker, Victor Hugo, Dumas, Balzac, Stendhal, 
de Vigny, Merimee zündend wirkt und von ihnen be- 
geistert aufgenommen wird, besonders um seiner 

' Critical and miscellaneous Essays, IV, p. 176 — 77. 



— 24 — 

Phantasie und zwanglosen Kraft willen, ferner mcb 
wegen seines Realismus, entwickelt sich in Deutsch- 
land ein gänzlich anderer Prozess: Die ganze ältere 
Romantik liegt schon zeiüich zurück, ist vollkommen 
philosophisch und gewissen Ideen unterworfen, und 
1. Heinrich von Ofterdingen», auch eine Art historischen 
Romans, ist durchaus Traum- und Gedankendichtung; 
die jüngere Romantik, die Heidelberger I,iederbrüder 
Arnim und Brentano, Görres, die Brüder Grimm, auch 
sie schwärmen für bestimmte Lieblingsideen und finden 
Nahrung dafür in Deutschlands Vergangenheit Da 
ihnen diese Vergangenheit ihres philosophischen Ge- 
haltes wegen lieb ist, kennen sie eine realistisch im- 
verfälschte Schilderung in geringstem Masse und un- 
terwerfen die Wirkhchkeit der Idee. 

Dennoch ist liier eine sachliche Annäherung an 
Scott vorhanden, nämlich das Interesse für die mannig- 
faltigen Erscheinungen der Vorzeit und die innigen 
Beziehungen zu Sprach- und Geschichtswissenschaft. 
Diese letztere wird nach den Befreiungskriegen all- 
mächtig, und der Boden ist bereit, den Samen des 
Realismus aufzunehmen. Der Säemann ist Walter 
Scott, und seine historischen Romane fallen in den 
gunstigsten Zeitpunkt. Sie werden denn auch wider- 
standslos mit offenen Armen aufgenommen, und auch 
in Deutschland ist Walter Scotts Sieg nach und schon 
neben der Romantik ein leichter. 

Wir betrachten in rascher Übersicht, wie WaltCT 
Scott in Deutschland Boden gewinnt, und zwar an 
Hand zeitgenössischer Aufsätze, die in dem unter 
Menzels Leitung stehenden < Literaturblatt » erschienen. 
Es ist von vornherein zu sagen, dass, ganz dem 
Geiste der Deutschen zu jener Zeit entsprechend, nichts 
Grosszügiges in der von uns zu betrachtenden Be- 




_ 25 — 

■wegTing zu finden ist; im Gegenteil ruht 
Orossteil der literarischen Artikel jene Gebundenheit 
und Borniertheit, wie sie die Reaktion in Deutsch- 
land bedingte. Dabei muss aber gesagt werden, das» 
dennoch der trotz aller Knechtung kraftvoll erwachte, 
jämmerlich unterschätzte Volksgeist mit Begeisterung 
die nationalen Romane Scotts empfing, und es ist 
anzunehmen, dass die Leidenschaft für Walter Scott 
mehr als blosse Mode gewesen sei. Vielleicht heisst 
es nicht einmal zu weit gehen, wenn den volkstüm- 
lichen Romanen des Schotten ein Einfluss zuge- 
schrieben wird auf das Erstarken des nationalen Geistes. 
Sie konnten aber nicht direkt zu Kampfmitteln werden, 
denn einmal sind sie ohne alle polemische, gegen die 
Bedrücker des Volkes gerichtete Tendenz, sie sind zu 
gelassen, zu harmlos und kommen ferner zu früh, da 
das Jahr 48 noch allzusehr im Dunkel der Zukunft 
liegt. Auch bedurfte es einer andern, aggressivem 
Literatur, um den erhitzten demokratischen Geistern 
Nahrung zu spenden. Nein, die Zeit, da Walter Scott 
in Deutschland seinen Einzug hält, trägt trotz der 
jüngsten kriegerischen Vergangenheit eine Zipfelmütze, 
und auch im Lande der Literatur herrscht eine ent- 
setzliche Seichtheit; so ist es sonderbar zu sehen, wie 
Werke von totaler Wertlosigkeit mit wichtiger Miene 
und hohem Selbstbewusstsein analysiert und kritisiert 
werden. In diese kleinliche Zeit fällt Walter Scotts 
Bekanntwerden, und als kraftvoll Leben spendender 
Dichter und Rom an Schreiber wird er Gegenstand der 
allgemeinen Begeisterung des Lesepublikums, auf das 
er hinreissend wirkt in seiner Frische, seinem Humor 
und seiner Wirklichkeitsfreude. 

Im Jahre 1S17 bringt das « Literaturblatt » zum 
erstenmal eine Notiz über die «Waverley-Novels» in 
seiner Übersicht über die englische Literatur. 



Der 




— 26 



Berichterstatter schreibt": «Herr Forbes, ein junger 

«Schotte von Stande soll der Verfasser all dieser schö- 
• nen Romane sein, welche mit dem grössten Beifall 
«gelesen werden und ihm den Ruhm eines geist- und 
«kenntnisreichen Schriftstellers erworben haben, von 
«dem mit der Zeit noch weit herrlichere Früchte zu 
«erwarten stehen. Man muss jedoch der schottischen 
«Mundart ganz kundig und mit schottischen Gebräuchen 
«bekannt sein, um diese Werke verstehen und ge- 
«niessen zu können. Sie sind daher selbst für den 
■ grüssten Teil der Engländer nur halb verständlich.» 
Diese Notiz, die sich mit den Waverley-Novels als mit 
etwas Neuem, bisher Unbekanntem befasst und ihnen 
nur lokales Interesse zuschreibt, erwartet nichts von 
ihnen für Deutschland, sie ist rein referierend und ihr 
Verfasser ahnt noch nichts von den spätem Erfolgen 
dieser Romane. Selbstbewusster und eingehend beur- 
teilend ist aber ein anderer Aufsatz-, der Scotts «Guy 
Manneringa mit einem Romane der Frau von Genlis 
vergleicht, den «Les Battuecast. Diese Vergleichung 
enthält einige charakteristische Stellen : Rühmend wird 
hervorgehoben, dass der «Engländer» den Leser in 
das Leben, das dem Verfasser zunächst lag, einweihe, 
und nach manchen Bemerkungen über die «klug ver- 
knüpften Handlungsmomente» und die «halb überna- 
türliche Gestalt der Meg Mereli» — bei Scott Meg 
Merrilies — lesen wir: «Die andern Charaktere sind 
«ganz nach englischem Zuschnitt mit nationeller Uber- 
« treibung, aber in sich selbst so wahr und lebendig 
•■geschildert, dass man ihnen in Gasthöfen und Salons 
«glaubt begegnet zu seyn. Vielleicht scheint uns auch 
^Übertreibung, was eine schärfere, feinere, unabhän- 
'gigere Individualität eines von uns nicht in seinem 



' LiL-BUlt 1817, Na, 7. 

' Lit.-BIatt 1817, No, 8. 



A 



— 27 — 

«Lande beobachteten Volkes ist, im Vergleich der sehr 
*.unerhebliche7i, sich im natürlichen Zustand sehr wenig 
taus drückenden des unsem.» Der Rezensent liebt also 
die kräftig sich ausdrückende Individualität und stellt 
nun die Natürlichkeit Walter Scotts dem verschrobenen 
und historisch unwahren Roman der Madarae de 
Genlis gegenüber. Er schreibt: «Indem wir nun die 

• Massen des Beten, Verzweifeln, Unschuld und 
«Abenteuerlichkeit dieses Romans in die eine Wag- 
«schale legen, die anspruchslose Menschheit, ziem- 
*liche Roheit und sorglose Kraftäusserung des eng- 
•lischen Romans in die andere, besinnen wir uns: 
«was uns jenen zu einem Gegenstand gutmütiger 

• Lustigkeit, diesen des genussreichen Beyfalls gemacht 
«hat? Haben wir es nicht, wenn wir die Ursache 
«darinn suchen, dass Guy und seine Welt das Bild des 
«wirklichen Lebens zeigt, und wie esin ihr dem Bösen 
«wohl gelingen kann, er aber keinen Innern Frieden 
«geniesst, der Gute viel Schwächen zeigt, deren Folgen 
«er nicht entgeht; aber ohne aufgedrungene Moral 
«sehen wir's aus den Schicksalen hervorgehen, wie die 
«Geschichte es lehrt, wenn die alten Sänger sie uns 
«erzählen. Frau von Genlis hingegen hat uns eine 
«Moral-Lection aus den Ingredienzen einer phantasti- 
«schen Welt und sehr phantasieloser Persönlichkeit 

I «zusammengesetzt, die, wo sie angewendet würde, nur 
l.*sehr gemüth- und kraftlose Menschen könnte bilden.* 
■ An anderer Stelle werden mehrfach Byron und Scott 
nebeneinander gestellt, und wenn dieser sich nach sol- 
chen Urteilen hätte richten wollen, so hätte er sich nie 
bewogen sehen können, in schlichter Bescheidenheit 
oder auch in besonnener Klugheit freiwillig auf eine 
Konkurrenz mit Byron zu verzichten ^ Über den epi- 



' Siehe bei Brandes, Hauptsiramungen IV: «Der Naturalismus ii 
Et^tand', p. 145. Dasselbe finden wir bei Lockhart. 




I 




sehen Dichter Walter Scott lesen wir unter anderm'; 
«Walter Scott, ein Schottländer, setzt im Gegen- 
«theil die Einbildungskraft in die lebhafteste und an- 
*genehmste Bewegung. Er ist zugleich Barde und 
«Troubadour und stellt die Feudalsitten aufs Anschau- 
« liebste dar. Alles lebt, bewegt sich in seinen Ge- 
■idichten, worin die bizarresten Gewohnheiten jenes Zeit- 
salters wie in einem Spiegel dargestellt sind, so dass 
«der Leser in einer von der jetzigen so sehr verschie- 
«denen Welt sich dennoch wie zu Hause befindet. 
«Personen, Kostüme, Pferde, Banner. Jagden, Kämpfe 
*etc. sind darin aufs Lebendigste gemalilt, und der 
«Grund, worauf eine Menge lichter Figuren hervor- 
«sticht,ist jene wilde Natur, jene Nebel, Tannen, Wasser- 
* falle, Felsen, Seen, welche zusammengenommen die 
«etwas rauhe, in ihrer Art aber dennoch schöne Phy- 
tsiognomie der nordischen Länder ausmachen. . , . 
«Walter Scott ist ein Meister in der beschreibenden 
cPoesie, dem man bloss etwas mehr Feile wünschen 
«möchte, um ihn den Ariost des Norden zu nennen. 
«Die erstaunliche Fruchtbarkeit dieses Dichters, der 
«immer seiner selbst würdig bleibt, reisst nun vollends 
*zur Bewunderung hin. In einem Zeitraum von we- 
«nigen Jahren sind 4 grosse Gedichte von ihm erschie- 
«nen, auch schreibt man ihm einige Romane zu, die 
«jedoch nicht seinen Namen tragen.» 

Die Artikel über Scott folgen dicht aufeinander 
und sind durchwegs lobend gehalten. Besonders ein- 
gehend wird von den «Tales of my landlord« ge- 
sprochen. 

So steht zu lesen": «So wie die Rheingegenden, 
«Franken und Burgund gewöhnlich der Schauplatz 



* Lit.-BUtt tSi7,Nd. i; : •Uebersicht des gegenwactigen Zustandes 
-der englischen LileiatuT.a 

Lit.-Blatt 1S17, No. 10. 



J 





— 2g 



«unserer deutschen Romane und Ritterg'eschic&ten sind,. 
*so verlegen die englischen Romanschreiber den ihri- 
«gen in die noch jetzt in vieler Hinsicht romantischen 
■und von der feinern Kultur unveränderten Gegenden 
«Schottlands und besonders der Hochlande. Die 
«Dichtungen und alten Sagen der Vorzeit, der freie 
«und edle Charakter der Einwohner, die Einfachheit 
*und Verschiedenheit iiirer Sitten und Gebräuche von 
cden heutigen der Engländer, ihre Gastfreyheit und 
(«treue Anhänglichkeit am Alten bieten mannigfaltigen 
[ «und reichen Stoff zu lieblichen Schilderungen dar. 
»'«Unter verschiedenen und oft nicht sehr gelungenen 
piRomanen und Novellen, welche sich mit diesen Ge- 
ftgenständen befassen, zeichnet sich neuster Zeit eine 
K]<FoIge von 3 Romanen, welche zusammen ein Ganzes 
l'tbilden, aus; der Verfasser davon hat sich nicht ge- 
ftnannt, allein aus der Schreibart, dem Styl und innern 
«Gehalte der Werke kann man deutlich schliessen, 
(dass er zu der Klasse derjenigen Autoren gehört, 
I «welche den Produkten ihres Geistes nur deswegen 
f,<das leichte und wohlgefällige Kleid einer Erzählung 
«anziehen, um sie dem Geschmack eines grösseren 
«Publikums anzupassen. Das Interesse, welches Wa- 
;«verley, Guy Maiinering und The Antiquary in dem 
l-«Publikum erregten, war sehr gross, und die Meinung 
[.«mehrerer Recensenten ging dahin, dass der geehrte 
[-«rfichter Walter Scott ihr Verfasser wäre. Diese Ver- 
mutung hat sich jedoch nicht bestätigt; der Verfasser 
I «ist unbekannt geblieben. Aus eben dieser unbekannten 
L «Feder ist auch das gegenwärtige Werk, Tales ofmy 
«Landlord, geflossen. . . . Die Charaktere der han- 
«delnden Personen sind mit viel Wahrheii und Natur 
[ifgezeichnet und flössen lebhafte Eindrücke der Be- 
I «wunderung, Theilnahme oder des Unwillens und des 
«Abscheues ein. Balfour von Burley, der unmensch- 




— 30 — 

«liehe Mörder, ist sehr glücklich dargestellt, sein Cha- 
«rakter ist eine Mischung von Ehrgeiz und Rache, 
«Hinterlist und Grausamkeit, Claverhouse vereinigt 
*den Stolz und die Würde des Anführers und die 
«Ausdauer und Tapferkeit des Kriegers mit der Ge- 
* wandtheitund Klugheit des } lofmanns, vergiesst Ströme 
»von Blut ohne Mitleid, oft sogar ohne Ursache, aber 
«gegen seine Freunde handelt er edel und uneigen- 
«nützig. Die untergeordneten Charaktere sind nicht 
«weniger zart und richtig gezeichnet. . . . In den Be- 
«schreibungen der Schlachten und wilden Auftritte 
«unter den Aufrührern ist der Verfasser bei weitem 
tglücklichers, als in der Liebesgeschichte. Dieses Zitat 
war nicht unwichtig, weil daraus erhellt, wie sehr 
noch der Mensch als solcher Gegenstand der Kritik 
ist, oder wie sehr das Psychologische dem Historisch- 
Pittoresken vorangestellt wird. Trotzdem wird «Wahr- 
heit > und « Natur s rühmend hervorgehoben und 
die jämmerlichen, seichtmoralischen und tränenüber- 
schwemmten Romane der schriftstellernden Damen 
werden schon 1817 derb abgefertigt. Auch ist gewiss 
Scott und seinem gesunden Einfluss folgende Notiz 
über einige historische deutsche Erzählungen zu ver- 
danken, die in der «Cornelia, Taschenbuch für deutsche 
Damen,» erschienen waren*: 

«Gehen wir den Inhalt nach der Ordnung des 
«Verzeichnisses durch, so gibt uns die erste Erzählung 
«Ritter Otto von Kerstlingeroda von Helmine von 
*Chezy» Veranlassung, Einiges zu sagen, das des 
«Grafen von Loeben «Fürstenkinder» und Schreibers 
«Gottesurtheil» auch angeht. In diesen Ritterzeits- 
«geschichten wird das Zeitalter ungefähr so behandelt, 
«wie der griechische Olymp zu Zeiten des alten fran- 



: Tascheobücher. 



a 




«zösischen Hofs zwischen dem sechzehnten und sieb- 
«zehnten Jahrhundert, und wie späterhin von unsern 
»Dichtern die Schäfer- und Idyllenwelt.s Dies wird 
geschrieben mit dem Bewusstsein, wie lächerlich eine 
solche Entstellung der Geschichte sei. 

Neben solchen Artikeln, die wenigstens zum Teil 
dem Wert von Walter Scott gerecht werden und die 
im Schwange stehende Unnatur verwerfen, stehen bor- 
nierte Kritiken genug, die in überlegenem Tone die 
neue «Modea der schottischen Romane abtun wollen. 
Besonders amüsant ist folgende Stelle aus einer kühl 
abweisenden Kritik, eine Stelle, die für die Zeit sehr 
bezeichnend ist'; «Eines inzwischen ist hoch daran 
«zu rühmen und unsern Modeschreibern zur Nachahm- 
«ung zti empfehlen: es ist keine einzige schlüpfrige, 
«den Geschlechtstrieb aufregende Stelle darin. Die 
iKeuschheit selbst kann das Buch ohn' Erröten lesen. 
"Das ist mehr, als sich von gg liunderttheilen deutscher 
«Romane rühmen lässt, und wenn dieser englische 
«ein deutsches Modebuch geworden; so scheint zu 
»folgen, dass unsere Lesewelt nicht so unkeusch ist. 
«als man glauben sollte, wenn man das Bestreben 
«unserer Schreibewelt betrachtet. Kann eine Liebes- 
*geschichte ohne Cantharidentinctur unsre jungen 
*Frauen und Herren vergnügen; so fällt die Schmach, 
«welche in dieser Hinsicht auf unserer Romanenliteratur 
«haftet, einzig auf die Autoren zurück.» Demnach 
scheint Walter Scott die Aufgabe zugefallen gewesen 
zu sein, einen Augiasstall auszuräumen, und wirklich, 
wenn man diese alten Zeitschriften durchblättert, so 
erstaunt man über die Wertlosigkeit der grossen Masse 
der Literatur, die da beurteilt wird. Da ist es ja fast 
freudig zu begrüssen, dass sich obiger Rezensent dar- 



' Lit.-BIatt 1819, No. 55. 



— 32 — 

über beklagt, dass in «Rob Roy» jede «moralische- 
Grrundidee» fehle. Dass die Gesundheit und naive 
Kraft der schottischen Werke die beste Moral und 
beste Sittenlehre war für diese ziemlich wertlose Ge- 
neration des Lesepublikums, erkennt er allerdings 
noch nicht 

So folgen neben lobenden auch tadelnde Berichte 
über Scott, und es ist merkwürdig, wie wenig eigent- 
liche Begeisterung fiir Scott zu Tage tritt ^. Meist 
wird ziemlich kühl abgewogen und verglichen, und der 
richtige Standpunkt wird Scott gegenüber nur selten 
eingenommen. So wird sehr oft die sittliche Tendenz: 
in den Vordergrund gestellt, die bei Scott nicht in 
Betracht kommt im Vergleich zu seinen Hauptvorzügen. 
Gesund sind die Waverley-Novels, aber sie enthalten 
keine Tendenz, moralisch bessern zu wollen. Femer 
wird der historische Roman als minderwertige Zwitter- 
gattung überhaupt verworfen. Dass die warme Wieder- 
belebung vergangener Zeiten in all' ihrer Kraft und 
Fülle an und für sich Hauptsache des historischen 
Romans ist, und die eigentliche erfunden « Geschichte » 
nur zur Verbindung und Vermittlung dient, wird öfter 
verkannt, und wenn gar eine englische Zeitschrift 
Shakespeare und Scott nebeneinander zu stellen wagt,, 
mit Recht in gewisser Hinsicht, so wird eine volle 
Schale des Spottes ausgegossen über den blossen 
Unterhaltungsschriftsteller. Besonders getadelt wird 
die Breite der Scottischen Romane, und «Ivanhoe» 
wird z. B. «ein Haut-relief poetisch lebendiger Anschau- 
ungen lang vergangener Zeiten» genannt, «mit. dem 
Hammer der Prosa breitgeschlfigen». Saure Äusser- 
ungen des englischen Spleen sind ebenfalls zu finden,. 



^ Eine Warnung, in zeitgenössischen Urteilen ein unbedingt rieh« 
tiges Büd vom Einfluss eines Schriftstellers zu erblicken. Scott ist deot 
künftigen Kritikern zu «gewöhnlich 9, zu venig Ideendichter. 



— 33 — 

der Byron, Scott, sowie die gesamte Seeschule mit 
galliger Schärfe ausschilt. So wird in der Monthly- 
Review vom Juli 1830 beklagt, dass an Stelle der «in- 
dividualisierenden Charakter- und Sittenschilderungen, 
der Originalerfindung und Einheit des Plans» bei den 
«neusten Beyfallscandidaten» eine Sucht herrsche nach 
«starken Nationalgemälden mit Lokalbeschreibung und 
dramatischem Contrast», während sie «Plan, Charaktere 
und Material sonst aus der Geschichte entlehnen«. Da 
heisst es weiter * : «Sie haben sich Licenzen in Stil und 
«Plan zu eigen gemacht, die den wilden und üppigen 
«Auswüchsen der Deutschen selbst in ihren düstem 
«und märchenhaften Ritterromanen und in diesen 
«schrecklichen Ausmalungen menschlicher und über- 
«hatürlicher Gefühle manchmal nahekommen, manch- 
«mal sie überbieten.» So wechseln Lob und Tadel. 
Dabei ist nie ausser Augen zu lassen, dass diese zwie- 
fache Beurteilung sich innerhalb des Rezensentenvolkes 
vollzieht, der eigentliche Leser ist gänzlich gefangen 
genommen von Walter Scott, was schon die g^rosse 
Zahl der angezeigten Übersetzungen, manchmal drei 
bis vier zugleich von einem einzigen Roman, beweist. 
Diese Übersetzungen sind sehr verschiedener Güte, 
wie angeführte Beispiele zur Genüge dartun, und wir 
können beobachten, dass Rezensionen, denen Über- 
setzungen und nicht die Originale zugrunde liegen, 
schärfer, kühler, absprechender sind, als wenn die eng- 
lischen Ausgaben besprochen werden. Dies gilt na- 
türlich nicht allgemein, so finden wir 1821 eine fiische 
Klritik in Gesprächsform über «Das Kloster», über- 
setzt von K. L. Methus. Müller. Diese Kritik bezeichnet 
sehr gut die Vorzüge Scotts^: 



* Ut-Blalt 1820, No. 96. 
' lit-Blatt 1821, No. 86. 

Unteniioliiiiigeii YII. Wenger, Hiitoriiolie Romane 




— 34 — 

«Man hat Walter Scott einen vaterülndisckea 
«Dichter genannt. Das ist insofern richtig, als er es 
«liebt, vergangene Zustände des menschen gesell schaft- 
«lichen Lebens in seinem Vaterlande zu poetisch-leben- 
sdiger Anschauung zu bringen, jedoch ohne sie zu 
«überschätzen und zu lobpreisen, wie unsre soi-disant 
«vaterländischen Poeten, die Altdeutschthümler. Nun 
«lassen sich aber solche vergangene Zustände nicht 
abesser anschaulich machen, als wenn man in den- 
«selben anziehende und mit fester Hand gezeichnete 
«Charaktere handelnd und leidend darstellt.? Femer: 
«Scott stellt die Altgläubigen und Neugläubigen nicht 
«wie Teufel und Engel, wie Schwarz und Weiss ein- 
«ander gegenüber. Er malt die Personen, wie sie zu 
aallen Zeiten sind, eine jede schwarz und weiss zu- 
«gleich, nach Art eines preussischen Schlagbaums, 
«und lässt den Sieg der Einen aus einem naturgemässen 
«Gemische von äusserer Notwendigkeit, egoistischem 
«Triebe und sittlicher Freyheit hervorgehen.» Und 
endlich auf die Frage, wie denn der Verfasser schreibe, 
antwortet der Rezensent; «Wie ein Mann; klar und 
«lebendig, mit Verstand und Phantasie, mit Laun' und 
*mit Gefühl, derb und zart, einfach und dichterisch 
«geschmückt; alles nach Mass gäbe des Stoffes, den er 
«eben vorhat, und immer so, dass man sieht, der Stoff 
«beherrsche nicht ihn, sondern er den Stoff.? 

Bevor ich all' die angeführten Stimmen zusam- 
menfasse, soU noch ein Artikel Erwähnung finden, 
der sich vornimmt, " denen, die früher im Lobhudeln 
«kein Maass kannten, ein solches in ihrem Tadeln zu 
«setzen». Lebhaft begrüsst es der Verfasser, dass Scott 
den Zwang des Verses von sich geworfen, und spricht 
begeistert von den Romanen ^ : « Alles ist frisch, wie 



.8!4, No. 71 : Sir Walter Scott. 



3.5 



* aus der Hand der Natur : wenn er ein oder zwey 
1 Jahrhunderte zurück geht, und die Scene in eine ent- 
« fernte, unkultivierte Gegend verlegt, wird Alles neu 
« und wunderbar lebendig. Hochländische Sitten, Cha- 
« raktere, Landschafterey, nordischer Dialekt und Ge- 
« brauche, die Kriege, die Religion und Politik des 
« löten und lyten Jahrhunderts geben der U eher fein e- 
« rung und vertrockneten Schlaffheit der modernen 
« Leser ein reizendes und heilsames Spannmittel. . . . 
« Walter Scott hat gefunden, dass die Wirklichkeit 
«mehr ist als die Erdichtuag; dass es keinen Roman 
« gibt, wie der des wirklichen Lebens, und dass, wenn 
« wir nur erfassen, was Menschen in ungewöhnlichen 
' Lagen fühlen, thun und sprechen, das Resultat leben- 
8 diger, ergreifender ist, als das feine Spinngewebe des 
■* Gehirns. Er beschwört die Personen herauf, mit 
« denen er zu thun hat, und kopirt sie nach dem Leben; 
« er durchsucht die alten Chroniken und Memoiren ; er 
« fragt fahrende Pilgrimme, alte Sybillen um Rath ; 
s er verkehrt mit Lebenden und Todten, und lässt sich 
I ihre Geschichten auf ihre Weise erzählen ; und indem 
« er von andern entlehnt, bereichert er seinen Genius 

< mit steter Mannigfaltigkeit, Wahrheit und Freyheit 
lEr schöpft seine Materialien aus den ersten, echten 
« Quellen und in grossen Massen. Er ist nur der Ko- 

< pist der Natur, der Geschichte, Man kann nicht 

< sagen, wie schön seine Schriften sind, man müsste 
« denn sagen können, wie schön die Natur ist. Der 
4 ganze Theil der Geschichte seines Landes, welche 
« er schilderte, lebt in seinen Werken wieder auf. Nichts 

* fehlt — die Täuschung ist vollständig. * 

Gegenüber solchen verschiedenartigen Ansichten 
deutscher Rezensenten ist es nötig, Scotts Stellung 
zu der Zeit zusammenfassend festzustellen. Diese Auf- 
gabe erleichtert ein Aufsatz Wolfgang Menzels in 




36 



jteratur-BIatt 0, der dann fast unv^aS 
in seine s Deutsche Literatur » überging. Zuerst spricht 
er von Walter Scott und seiner Stellung zum histo- 
rischen Roman und sagt'i «Walter Scott hat un- 
« läugbar das Verdienst, den historischen Roman als 

* eine eigenthümliche poetische Gattung begründet 
« zu haben, wenn er auch noch nicht das Höchste 
« darin geleistet hat. Zwar gab es schon vor ihm 
« genug historische Romane, aber ihre Tendenz war 
«doch eine andere. Das Geschichtliche war nur 
t Vehikel für gewisse philosophische und moralische 
« Ideen. Man bediente sich der Geschichte, um ideale 
« Charaktere daraus hervorzuheben, oder hineinzu- 
« tragen, und um sie gleich der Natur zum blossen 

* Hintergrunde für einzelne Helden- oder Familien- 

* gnippen zu machen. Die Romantik nahm ein histo- 
« risches Gewand an, aber das hatte man noch nicht 
« begriffen, dass die Geschichte selbst eingeborene Ro- 
s mantik sey. , . . Ueberall diente die Geschichte höhern 
»Zwecken, sie wurde nicht selbständig, frey. rein 
« um ihrer selbst willen von den Dichtern behandelt, 
« man suchte darin nur Stoffe, um sie mit einem 
«fremden Geist zu beleben, nicht den ihr eigenen 
« Geist. Walter Scott zuerst wendete den sinnigen 
« Bück von den glänzenden Hauptparthien der Ge- 
a schichte auch auf die unscheinbaren Winkel derselben 
«und suchte nichts besonderes darin, sondern nahm 
« alles, wie es war, und siehe, es war poetisch. , - . 
« Es ist gut und schön, wenn wir uns über die be- 
c schränkten Lebenskreise einzelner Zeiten und Völker 
«zum Idealen erheben können, aber die naive, kind- 
« liehe, gläubige Weltansicht, die in jenem engen Kreise 
< befangen bleibt, die Illusion beschränkter Nationali- 



' Lil.-Blall 1B27, No. I u. ; 
"Wolfgang MgdzcI, II. 164—187. 



• Die deutsche L.ileratui> vod 



— 37 — 

e täten, Gegenden, Climate. Kulturstufen und Zeitalter 
« behält ihren hochpoetischen Werth nicht nur für die 
« Befangenen, sondern auch für alle, die darüber stehen, 
« und gleichsam in die Kindheit des Menschenge- 
«schlechts zurück bh ck en ». Im historischen Roman, 
wie ihn Walter Scott verstand, « ist der Mensch nur 
« ein Produkt der Geschichte, gleichsam eine Blüthe, 
« die aus ihrer Mitte hervorvegetirt, von ihren Säften 
s genährt, und von ihren geheimen Kräften festge- 
« halten. Aber auch die Gottheit ist nicht getrennt 

* von dem in der Geschichte still waltenden Natur- 
« geist, schwebt nicht über dem Leben, sondern ist 

* das Leben selbst, wirkt keine Wunder von oben, die 
«sich unterscheiden von dem gemeinen Leben unten, 
« sondern sie wirkt alles nur von innen, und alles, 
«was sie hervorbringt, oder nichts ist ein Wunder.» 
« Man kann diese Poesie . . . auch durch den Cha- 
f rakter des Demokratischen bezeichnen. . . . Wirk- 
1 lieh ist auch das Volk im Hintergrunde immer zu 
« einer sehr erbärmlichen Statistenrolle herabgewürdigt 
t worden. In dem neuen historischen Roman aber 
« herrscht eben dieses Volk, und was davon in den 

* Vordergrund sich herausstellt, sind immer nur seine 
« Organe, aus seiner Mitte, aus allen seinen Classen, 
«ja aus seiner Hefe herausgegriffen. Darum sind die 
« Helden aller walterscottisirenden Romane niemals 
« Ideale, sondern nur schHchte Menschen, Repräsen- 
1 tanten einer ganzen Gattung, » Der Reihe nach 
spricht dann Menzel vom « Poetischen in der Wirk- 
lichkeit», vom ? historischen Geist », dem «nationellen 
Gepräge», ferner von der i^ Volksseele » nnd von der 
«Objektivität», die für den historischen Roman un- 
erlässlich sei. 

Von besonderer Wichtigkeit ist es, festzustellen, 
welche Stellung das Zeitalter zum historischen Roman 



einnimmt. Wir müssen uns fragen, ob die *Walter- 
Stotterey » nur eine raschlebige Mode war oder ob 
tiefere Bezieiiungen in Kraft waren. Menzel sagt uns: 
</ Niemand zweifelt länger, dass die Richtung des 
« gegenwärtigen Zeitalters eine wesentlich praktische 
«und politische sey. Diess muss auch auf die Poesie 
« Einfluss üben, und wer kann ihn in den historischen 
" Romanen verkennen ? . . . Wie wir selbst aus dem 
■i Schoosse des Friedens und der Familie auf die grosse 
4 politische Laufbahn fortgerissen worden sind, so hat 
«auch unsere Poesie den Kreis erweitert. . . . Unsere 
« poetischen Helden haben sich im Volk verloren, wie 
c die wirklichen. Sind alle grossen Männer der Zeit. 
« selbst der grösste, unter den Völkerriesen erlegen, 
1- die aus dem alten Schlummer erwachen, wie sollte 
« die Poesie dem Geist der Völker nicht auch huldigen? 
K Wir haben diesen Geist über die Weltbühne schreiten 
« sehn, mit eigenen Augen haben wir Revolutionen, 
3 Völkerzüge, wunderbare Verhängnisse, ungeheure 

* Thaten und Leiden gesehn. . . . Soll sich nun die 
ä Poesie nicht schämen, so muss sie der Geschichte 
« nacheifern, und soll sie dem Zeitgeiste huldigen, 
« so muss sie das historische Element in sich aufnehmen. 
' . . . Der historische Roman ist mithin das ächte Kind 

* seiner Zeit. Die Walters cottisir enden Romane reprä- 
" sentiren das Volk, die älteren Heldengeschichten ' 
« die Monarchie oder die Aristokratie. Diese Wechsel- 
i beziehung ist natürlich. Beydes, die neuen Verfas- 

* sungen und die neuen Romane beruhen auf der Wich- 
«tigkeit, welche die Völker neuerdings erlangt haben.» 
Nachdem Menzel dann ausgeführt hat, in welch' har- 
monischem ergänzenden Verhältnis historischer Roman 
und Geschichte stehen und wie sie naturgemäss in 



' Fouqui! 



einander übergehen, spricht er folgendes Schluss- 
wort: 

« Aus allem bisher Gesagten erhellt nun wohl von 
e selbst, warum der historische Roman gerade hi un- 
e serer Zeit und so allgemein und bey allen gebildeten 
«Völkern übereinstimmend kultiviert wird. Obgleich 
« die Engländer den Ton angegeben haben, so versteht 
1 ihn doch nicht bloss das englische, sondern jedes 
« Ohr. Den Engländern gebührte der Vorgang, weil 
«sie von jeher auf Natioiiahtät besser gehalten haben, 
" als andere Völker, Es ist aber hier nicht von eng- 
* lischer Volkspoesie die Rede, sondern von Volks- 
« poesie überhaupt. Man ahmt in Walter Scott nicht 
f den Engländer, sondern den Dichter der Vergangen- 
sheit nach, und jede Nation bat die ihrige. Darum 
«haben gegen Walter Scott alle die nationellen Vor- 
ti urtheile geschwiegen, die sich sonst so laut gegen 
1 andere fremde Dichter geltend gemacht haben. Walter 
e Scotts Manier ist überall nationell, wo eine Nation 
»sich selber fühlt und begreift, und nur aus solchen 
«Ländern vernehmen wir kein Echo seiner Stimme, 
«in denen das Volk unter despotischem Druck noch 
«schläft, noch nichts von sich selber weiss'.» 

Eine notwendige Ergänzung zu dem Gesagten gibt 
eine andere Stimme des Zeitalters, nämlich diejenige 
Heinrich Heines. 

Zunächst bestätigt Heine, dass Walter Scott 
wirkhch der Liebling der Zeit ist. Er schreibt*: «Wie 
«komme ich aber vom «I — A» der Langohrigen und 
«vom «Bäh» der Dickwolligen hu den Werken von 
«Sir Walter Scott? Denn von diesen muss ich jetzt 
« sprechen, weil ganz Berlin davon spricht, weil sie 

Tscheinen iSiy die 



' Trotz Melteroichs edespodscbem Dnick> 
• Promessi Sposi», auch ein Echo Waller Scotts. 

2 Briefe aus Berlin: 2. Brief, Berlin, den 22 



40 



*der *Jungfernkranz » der Lesewelt sind, weil man 

« sie überall liest, bewundert, bekrittelt, herunterreisst 
« und wieder liest. Von der Gräfin bis zum Nähmäd- 
« chen, vom Grafen bis zum Laufjungen liest alles die 
« Romane des grossen Schotten ; besonders unsere 
« gefühlvollen Damen, a Heine spricht dann von einer 
grossen Anzahl von Übersetzungen und erzählt ferner 
von einem Maskenfeste, auf dem a die meisten Helden 
* der Scottschen Romane in ihrer charakteristischen 
« Aeusserlichkeit erschienen. Von dieser Festlichkeit 
« und diesen Bildern sprach man hier acht Tage lang. • 
Der Sohn Walter Scotts, ein englischer Husarenofflzier, 
war dabei anwesend und erschien im schottischen Na- 
tionalkostüm eines Hochländers. Natürlich wurde er 
sehr gefeiert und genoss «den Ruhm seines Vaters t. 
Im Anschluss daran sagt Heine : « Wo sind die Söhne 
« Schillers ? Wo sind die Söhne unserer grossen Dichter, 
« die, wenn auch nicht ohne Hosen ', doch vielleicht 
t ohne Hemd herumgehen ? Wo sind unsre grossen 
«Dichter selbst? Still, still, das ist eine partie hon- 
a teuse. s 

Und nun, wie äussert sich Heine sonst über Walter 
Scott? In den «Englischen Fragmenten*, einem Teil 
der « Reisebilder », spricht Heine davon, dass sich die 
hohen Kreise Englands bestreben, die leichten, tän- 
delnden Manieren der Franzosen anzunehmen und 
dass in diesen Kreisen eine Literatur Platz greife, 
die mit dem Titel eines ihrer Werke, « FUrtation t, 
genügend charakterisiert sei. Im Gegensatz hierzu 
trage der gewerbetreibende Teil des Volkes und die 
Kaufleute ein pietistisches oder selbst puritanisches 
Gepräge und bilde also zu den Adelskreisen den- 
selben Kontrast, wie die Stutzköpfe zu den Kava- 



' Wie der junge Scott als Highlander- 



— 41 — 

lieren, die Walter Scott so scharf schildere. Heine 
glaubt also, dass Scotts rückschliessende historische 
Erkenntnis überschätzt werde. Er habe nur die gegen- 
wärtigen Menschen in alte Gewänder zu stecken ge- 
braucht und habe damit sogleich die richtige Schil- 
derung getroffen. Man brauche nur einen Blick zu 
tun in die Betstuben von Liverpool und Manchester 
und gleich darauf in die fashionablen Salons, so habe 
man den ganzen Gegensatz. 

Scotts viel gerühmte Unparteilichkeit erklärt Heine 
so : « Bedenkt man gar, dass er von der einen Seite 
« selbst als Schotte durch Erziehung und Nationalgeist 
« eine puritanische Denkweise eingesogen hat, auf der 
« andern Seite als Tory, der sich gar ein Sprössling 
e der Stuarts dünkt, von ganzer Seele recht könig- 
« lieh und adeltümlich gesinnt sein muss, und daher 
« seine Gefühle und Gedanken beide Richtimgen mit 
a gleicher Liebe umfassen und zugleich durch deren 
«Gegensatz neutralisiert werden: so erklärt sich sehr 
«leicht seine Unparteilichkeit bei der Schilderung der 
» Aristokraten und Demokraten aus Cromwells Zeit, 
«eine Unparteilichkeit, die uns zu dem Irrtum ver- 
« leitete, als dürften wir in seiner Geschichte Napoleons 
« eine ebenso treue fair-play-Schilderung der franzö- 
t sischen Revolutionshelden von ihm erwarten '. s Diese 
Deutung kann angenommen werden, wie vielleicht 
andere auch, es steht jedoch ganz ausser allem Zweifel, 
dass Scott jede Äusserung seiner persönlichen Gefühle 
aus seinen Werken verbannte, denn die interessanten 
Konflikte als solche sind Vorwurf für Scotts Pinsel, 
und wir können nicht den geringsten Unterschied 
herausklügeln zwischen der Schilderung der Kavaliere 



' Reisebililei IV. Englische Kragiiiec 
Elster ra. 445. 



! in: DieEDgländer (iSzS), 




44 



naturgemäss die falsche Beurteilung Napoleons am 
wenigsten verzeihen kann, den Scott behandelt habe, 
wie der Schlächter den Ochsen. Auch sonst erschienen 
kleine satirische Schriften genug gegen die deutschen 
Nachahmer und Leser des grossen Schotten ', ja selbst 
Walter Scotts Antlitz wird kritisiert, denn einmal lesen 
wir darüber * die klugen Worte : « Das Gesicht des 

* grossen Schotten enthält eine seltsame Mischung von 

* Genialität und einem gevyisscn rohen Ausdruck. Man 
«sieht es diesem Kopf an, dass kein Sophokleisches 
« Trauerspiel, sondern dunkle und breite Romane aus 
«ihm entsprungen sind. » So finden wir Beurteilungen 
der entgegengesetztesten Art und vom verschiedensten 
Werte, wir schliessen diese Erörterungen, indem wir 
noch einer Stimme Gehör schenken, und zwar der- 
jenigen Willibald Alexis', der am ehesten der deutsche 
Walter Scott genannt werden könnte, da seine Ro- 
mane, viel mehr als Hauffs Lichtinstein, nicht nur 
äusserlich, sondern auch in ihrem innersten Wesen, 
besonders in ihrem Humor, dem schottischen Meister 
nahe kommen. Aus diesem Grunde muss Alexis da be- 
rücksichtigt werden, wo er sich theoretisch ausspricht 
über den Roman seiner Zeit*. Natürlich beginnt 
Alexis damit, den Tiefstand der deutschen Literatur 
zu beklagen, die sich in lauter Seichtheit zu ergehen 
drohe, trotzdem Gcethe, Schitier, Jean Paul und Tieck 
zu wirklichen Nationaldichtern geworden seien. Da 
begrüsst er denn Walter Scott als einen Dichter, «wel- 
«cher, wenn seine Erfindungen, seine Gedanken und 
« seine Darstellung den Freund der wahren Poesie er- 



' U. a. 'Dir Vexirte. Walter Scotts nächslet und neuster Roman.. 
I^ndon und LeipEig. iSlJ. Fetnei: In iPenelopei, Taschenbuch auf 
1829 (Th. HeU): •Der grosse VnhekannU, ein Sehet« von Spindlet. 

' Lit.-BIalt 1826, No, 87 über das Tischeobuch «Urania.. 

' Wiener Jahrbücher 1821, III, 105—145 und 1823, II, 1—75. 



— 45 



«freuen, zugleich auch das annoch rohere Interesse 

« der Menge befriedigt. » Bald darauf stellt sich 
Alexis energisch auf den Standpunkt Walter Scotts, 
indem er seine Stellung zum Roman fixiert. Er sagt: 
« Seit « Wilhelm Meister * und schon vor der Er- 

* scheinung desselben kommen die Kunstromane in 
8 Deutschland an die Tagesordnung. Man wollte 
« unter Romanen nicht mehr die Lebe nsbe geben - 

* heiten eines Helden verstehen, sondern die Aufstel- 
« lung und Entwickelung der herrschenden Ansichten 
« über Kunst oder sonst ein Thema des geistigen 
« Lebens. ... So sah man Romane über Musik, Poesie, 
1 Schauspielkunst, religiöse, Maler-, Bildhauer-, wohl 
s auch Handwerk er rom an e. Überall herrschte die Idee 
«vor, weil eben in jener Zeit überall das Absolute 
1 auf dem Wege philosophischer Forschung gefunden 
« werden sollte, ... Es ist hier nicht der Ort zu 
«ihrer Entwicklung, wohl aber um die vom Recen- 
« senten als unbedingt recht anerkannte Ansicht aus- 
» zusprechen, dass der Quell der wahren Poesie nicht 
fdie Idee, sondern die bildliche Anschauung oder die 
« Phantasie. » Dazu passt gut, was Alexis vom künst- 
lerischen Schaffen spricht, er behauptet nämlich — 
ganz unter dem Einfluss Scotts oder in Übereinstim- 
mung mit ihm — * dass das höchste Kunstwerk und 
«zugleich das populärste dasjenige seyn wird, wo das 
« innere Leben ausgeprägt im äussern und die Ge- 
f danken plastisch dargelegt in den Charakteren, deren 
« Handlungen und den Ereignissen erscheinen. Die 
« Poesie mall dem Geiste vor, und der Hörer will mit 
« den geistigen Augen sehen, i Das ist nichts anderes 
als eine Theorie des Pittoresken, das bei Scott solche 
Bedeutung hat. Bei solchen Ansichten ist es nicht zu 
verwundern, wenn sich Alexis heftig gegen die zeit- 
genössischen Romane wendet und schreibt : « Mit Ro- 



— 46 - 

« manen von gleicher Beschaffenheit (wie die verfälscht 
K. historischen Tragödien) überschütteten uns die letzten 
« Decennien, ja, es erscheinen noch jetzt' dergleichen, 
« welche den Meissnerischen nicht unähnlich sind. Na- 
«menthch wird jeder historische Name und seine Zeit 
« von den Schriftstellerinnen jämmerlich zerzaust. Wie 
c in der berühmten Mühle des Garbino werden die 
« Helden der Vorzeit zerschroten und zermahlen, und 
« in zierliche Püppchen eingeknetet. Gigantische Riesen 
« werden zu schmachtenden I-iebhabern, barbarische 
« Tyrannen zu philanthropischen Men sehen beglückem, 
* ein Unsinn, der nie erkannt wird; oder immer wieder 
B unter anderer Gestalt zum Vorschein kommt. » Nun 
geht Alexis ein auf die schlichte aber kraftvolle Wirk- 
lichkeitsfreude der sWaverley Novels », in der er die 
wahre Poesie findet, und fugt bei : « Lebendig sehen 
«wir die Häuslichkeit in der Hütte und im Palaste. 
« Auch der Geist der unbeholfenen Beschränktheit wird 
« uns angezeigt, und es ist nichts aus den hergebrachten 
s Romanen, das wir in diesen historischen vermissen, 
« als die faden-, motiv-, lebens- und wirkungslosen 
4 Diatriben aus der sogenannten Gemüthswelt, wo die 
« gedankenlosen Gedanken und Gefühle unabhängig 
« von allen Handlungen in der erscheinenden Welt 
« sind, oder die gleich faden Unterhaltungen in ver- 
« schiedenen Romanen, die ohne Grund und Zweck 
4 nur um Aussendinge sich drehen und weder an sich 
" Geist besitzen, noch in geistigem Zusammenhange 
' mit dem ganzen Werke stehen, s 

Diese Werke sind um so wichtiger, da sie klar 
und deutlich zeugen von dem läuternden Eintluss Walter 
Scotts, ein Einfluss, der in Alexis verkörpert ist. 



' 1813. 



J 




^^^ Wenn die Innern Zusammenhänge Waker Scotts 
mit Deutschland herzustellen sind, so ist darzulegen, 
in welchem Verhältnis Scott und die deutsche Ro- 
mantik zueinander stehen. 

Nach zwei Richtungen hin bezeichnen nach Georg 
Brandes' die a Waverley-Novels s einen ausserordent- 
lichen Fortschritt — «in Bezug auf die Auffassung 
«des historischen und in Bezug auf die Darstellung 
^Aes bürgerlichen 'Lebens.» Und ferner sagt Brandes' : 
«Dieser Dichter, der keinen tiefen Blick für das 
«Seelenleben des einzelnen modernen Menschen hatte, 
«und welcher der modernen Zeit der freistehenden 
«Persönlichkeiten gegenüber vielfach von den Fesseln 
«und Banden nationaler, monarchischer und religiöser 
«Vorurteile umstrickt war, besass, vermöge seines 
I mächtigen Naturalismus, sobald die Menschen als 
« Clan, als Volk, als Stamm oder Rasse vor ihm 
«standen, den schärfsten Entdeck erblick für die Na- 
«turgrundlage in ihnen.» So erklärt sich Walter 
Scotts Bedeutung für die '. Völkerpsychologie i. , wäh- 
rend Byron dasselbe bedeutet für die «Psychologie 
des einzelnen ». 

Wie lassen sich nun Scotts Naturalismus, seine 
Schilderung des Volkes, seine breit realistischen Dar- 
stellungen wirklichen Lebens vereinbaren mit dem 
deutschen romantischen Geiste? In keiner Weise. Es 
stehen sich im Gegenteil Scott und die deutschen 
Romantiker in den wichtigsten Grundsätzen und An- 
sichten fern. Man braucht sich nur zu erinnern an 
Walter Scotts plastische Kraft, an seine derben Ge- 



I: 



HauptströmimgeD IV: 'Der Naturalismus in Eiii>laDd.> S. 146. 
Ebenda, Seite 147. 



- 48 - 

stalten, an seine ganze lärmende Welt und damit den 
so oft. von allen Seiten betonten mtisikalischen Cha- 
rakter der deutschen Romantik zu vergleichen, durch 
den sie sich auch scharf von der französischen unter- 
scheidet, die denn in ganz anderm Verhältnis zu Scott 
steht. « Die französische Romantik bringt feste Ge- 
€ stalten hervor, das Ideal der deutschen Romantik 
«ist nicht eine Gestalt, sondern eine Melodie, keine 
«einzelne bestimmte Form, sondern ein unendliches 
« Sehnen^. » 

Es ist schon dargetan worden, wie innig Scott 
verwachsen ist mit der festen Wirklichkeit, wenn 
es auch hauptsächlich die der Vergangenheit ist und 
wie er sich auf sie beschränkt, wie er darauf sein 
ganzes Dichten stützt. Tritt davon auch nur eine 
Spur bei den Gründern der romantischen Schule zu 
Tage? Die Heidelberger Romantik nimmt dann schon 
eine etwas andere Stellung ein kraft ihrer deutsch- 
volkstümlichen Bestrebungen, die ältere dagegen steht 
der Wirklichkeit feindlich, verächtlich gegenüber. Die 
Romantiker machen sich nicht gerne gemein, hassen 
Derbheit, Roheit, Lärm, und vor den kräftigen Ge- 
rüchen des Marktes fliehen sie in die feine Atmo- 
sphäre der literarischen Salons. 

Walter Scott ist demokratisch, die deutschen Ro- 
mantiker aristokratisch. Kein Wunder, dass das Er- 
forschen und Schildern des rein Menschlichen alle 
andern Interessen in den Hintergrund drängt und das 
Beispiel der grossen freien Persönlichkeit, das ihnen 
in Goethe leuchtend vor Augen steht, begeisterte 
Nachahmung findet. 



^ Brandes, Hauptströmungen II: «Die deutsche romantische Schulen 
Seite 3. 



i 



IHes führt zu einem letzten Punkte : Walter Scott 
befasst sich in keiner Weise mit Philosophie, er grübelt 
nicht nach verborgenen Ursachen der menschlichen 
Veranlagungen, das Dunkle, Unsichtbare, Metaphysische 
.bewegt ihn nicht. Er hat eine schöne Gelassenheit, 
die seinen Werken den seltenen Charakter heitern 
Gleichmutes verleiht und nur das zweifellos Vorhandene 
und deutlich Sichtbare in seiner malerischen Mannig- 
faltigkeit ist ihm Gegenstand seiner Dichtung. Wie 
anders die Romantiker ! Ihre Neigung zur Abwendung 
von der Wirklichkeit bedingt geradezu das Philoso- 
phische ihrer Dichtung und — neben Herder, Gcethe, 
Schiller — wird Fichte und seine Lehre vom unbe- 
schränkten Ich Zentrum ihres Denkens, Fühlens und 
Dichtens. So stehen sie staunend vor den Offenbarungen 
ihres Innern und lauschen auf ihre geheimsten Einge- 
bungen mit bis aufs höchste gespanntem, ausschliess- 
:Kchem Interesse. So entwickelt sich «die künstlerische 
■Allmacht des Ichs», die kein Gesetz über sich aner- 
!nnt und jene romantische Ironie erzeugt, jenes Spielen 
Dichters mit seinen poetischen Eingebungen, ein 
itand, der vielleicht am meisten es erklärt, dass 
romantischen Kunstwerke meistens Fragmente 
;blieben sind. Daraus folgt ohne Weiteres': «In- 
nun die Lehre und Lebensansicht der Ro- 
imantik solchergestalt durch ein Verschlingen von 
Poesie und Philosophie, durch eine Begattung von 
Di cht er träumen und Gedanke ngespinsten erzeugt 
wird, entsteht sie als ein Produkt rein geistiger 
Mächte, nicht als das Resultat eines Verhältnisses 
:des Menschengeistes zum wirklichen Leben. » Dies 
erster Linie von den altern Romantikern, — 
Luf die Heidelberger werden wir später zurückkom- 



' Blandes, Joe. eil. II. p. 39. 
DatertBcbnngen TU. Wtngtr. HistoriBche Romane. 



^ 




— 50 — 

mert — für die Walter Scott a zu viel Fleisch und Blut 

i und zu wenig Nerven hatte. '■ » Hier wäre also ein 
Übereinstimmen mit Scott nicht zu finden. 

Wir wissen jedoch, dass neben Gcethe und Schiller 
und ihren sich immer mehr emanzipierenden Schülern, 
den Romantikern, eine andere Literatur sich breit 
machte*: « Auf der einen Seite die Gcethe-Schi Her sehe 
nunvolkstiimliche Kunstpoesie und deren Fortbildung 
e in den phantastischen Gebilden der Romantiker, auf 
«der andern Seite die reine Unterhaltungsliteratur, die 
« auf dem Boden der Wirklichkeit steht, auf dem einer 
« spi essbürgerlichen Wirklichkeit jedoch, deren bekann- 
" teste Erscheinungen Lafontaines spiesshürgerlich-rühr- 
e selige Romane und Schröders, Ifflands, Kotzebues 
«volkstümlich - hausbackene Familiendramen sind. * 
Es wäre unrichtig und ungerecht, Scott ohne weiteres 
als mit der zweiten Richtung übereinstimmend hinzu- 
stellen, dazu ist er zu gross, es ist aber nicht zu be- 
zweifeln, dass sich Scotts Publikum in erster Linie aus 
Anhängern der zweiten ärmlichen Richtung zusammen- 
setzte, was erklärlich ist, da die ir Waverley-Novels * 
den anspruchslosesten wie den verwöhntem Leser za 
befriedigen imstande waren. Das verhindert nicht, 
dass die Romane Scotts über die blosse Unterhal- 
tungsliteratur weit hinausragen und zu einem der 
wichtigsten Zeitdokumente werden; es darf nur nicht 
übersehen werden, dass, im Gegensatz zu Frankreich, 
Scott in Deutschland nicht auf die hohe Literatur und 
deren fein kultivierte Anhänger einwirkt, sondern auf 
die stumpfe Lesermasse minderwertiger Produkte, die 
er mit sich fortreisst und aus blöder Gedankenlosig- 
keit zum nationalen Bewusstsein, zur Bewunderung 
kräftiger Wirklichkeit emporhebt. 



' Julian Schmidt, V. | 
' Brandes II, p. 30. 



J 




I 



Es wäre \' er fehlt, anzunehmen, dasa Scott 
deshalb in Deutschland den grossen Erfolg davontrug, 
weil er ein bedeutender fremder Schriftsteller war; 
die Kachahmungswut der Deutschen genügte hlezu 
nicht. Wir finden denn doch Zusammenhänge, orga- 
nische, wenn wir wollen, zwischen der deutschen Dich- 
tung und Walter Scott. Gewisse Traditionen erklären, 
warum Scott fast als Deutscher unter Deutschen emp- 
funden wurde. 

Im Jahre 1788 entstand in Edinburgh eine soge- 
nannte <s German Class », gebildet von einigen Freunden, 
zu denen auch Scott gehörte, mit dem Zwecke, deut- 
sche Sprache und Litteratur zu studieren. Gerade 
damals wurde man aufmerksam auf die deutsche 
Literatur und wurde sich der Verwandtschaft der 
englischen und deutschen Sprache bewusst; die Mit- 
glieder der ä German Class » , die innig vertraut waren 
mit Shakespeare und Milton, vernahmen verwandte 
Töne in deutschen Werken '. Die Einen machten 
sich an Kant, andere lasen die Dramen Schillers 
und Gcethes; unter denen, die sich der populären 
schönen 1-iteratur widmeten und sie mit Begeisterung 
'in sich aufnahmen, waren Scott und seine nächsten 
freunde. Hier erstarkte Scotts Vorliebe für die ihn 
seltsam anmutende deutsche Poesie und eine Über- 

ng von Schillers Räubern von dem (den Mit- 



' Lockhart, p. 56: •Those who 1 
a admire Shakespeare and Milton, beci 
|['^tb a race of poets who had tbe sbt 

g boundaricB of Ihe UDiverse. . ., 
k niDg the pedaDtry oF the imilics, sought, 






iheir youtli acciislomed 
inled for the ßrst time 
lufty ambitioQ lo Epurn the 
dramatists, who, dbdai- 



r scenes of wildest cont 
|_ Theii fictiÜous Darrat 

r lilerature, wtiich ate par 
► ttavagaot and the aupernalurG 
Ihe British ]itera[i.> 



a all 



Iheir 



present lifc □□ the st^e in its 
:s boundleas variety of character . . . 
allad poetry, and olhet branches of 
■ly apt to bear the slamp of the cx- 
gao also lo occnpy the attention of 



•J 



— 52 — 

gliedernder «GermanClass» gemeinschaftlichen) altern 
Freunde Fräser Tytler machte ihm Lust, sich auf 
ähnliche Bahnen zu wagen. Es dauerte auch nicht 
lange, so wagte sich Scott an Übersetzungen und 
im Jahre 1796 kamen solche Bürgerscher Balladen, 
der « Lenore » und des « Wilden Jägers » « in a thin 
quarto » heraus. Femer werden Goethesche Gedichte, 
z. B. aus «Claudine von Villa Bella», auch IfHandsche 
Dramen ins Englische übertragen und Scott wird 
dabei von vielen Seiten unterstützt. Besonders er- 
wähnt werden muss aber die Übertragung des Goethe- 
schen « Götz ». Dieses Drama war ganz nach dem 
Herzen Scotts in all seiner ungebundenen Kraft und 
derben Realistik und wurde ihm gleichsam zum Vor- 
bild für seine eigenen Werke. Walter Scott führt 
also die Traditionen des Sturmes und Dranges des 
jungen Goethe weiter und, während sich Goethe, ab- 
geschreckt durch die üblen Folgen seines « Werther > 
und auch seines «Götz», der den Ritter- und Räuber- 
roman erzeugte, zum klassischen Dichter und exklu- 
siven Geiste entwickelt, vom wichtigeren Einfluss 
Italiens gar nicht zu sprechen, verarbeitet Scott die 
im «Götz» verwirklichten Grundsätze und bewahrt 
sie vor der Ausartung, die sich in Deutschland breit 
machte. Es ist seltsam zu sehen, wie, während sich in 
Deutschland das widerlichste, albernste, unwahrste 
Romangesindel wichtig macht als entartete Nachah- 
mung des « Götz », in Schottland ein kerngesunder 
kraftvoller Geist ersteht, der, im wesentlichen mit Goethe 
übereinstimmend, den « Götz » verarbeitet und selb- 
ständig vorwärtsschreitend die künstlerischen Absichten 
des « Götz » rein erhält. Wenn also Jahrzehnte nach dem 
€ Götz » die Waverley-Novels Deutschland überfluten, 
so ist das Neue, das sie bringen, nichts Fremdes, sondern 
nur etwas Vergessenes, das, von den allgemeinen 




N 



53 



Zeitverhältnissen kräftig begünstigt und durch Walter 
Scott belebt und popularisiert, wieder ans Licht tritt: 
der Sinn für nationale Eigenart einerseits und für 
plastische malerische Wirklichkeit andrerseits. Walter 
Scott tritt im günstigsten Augenblicke auf den Plan, 
wo die jüngste Vergangenheit, die Zeit der Befreiung 
vom Napoleonischen Joch, das Selbstbewusstsein des 
Volkes geweckt hat; die s Waverley-Novels *, für 
Deutschland rein weitergeführte Tradition des Götz, 
sind eine ebenso bedeutende Tat wie der « Götz s 
selbst, und weil ihr Geist im innersten Geiste der Zeit 
wurzelt, sind sie nicht nur literarische Tat, sondern zu- 
gleich ein wichtiges politisches und soziales Element, 
das in der Zeit der Metter nichschen Reaktion die 
Geister nicht ganz versumpfen lässt und in trostloser 
Gegenwart für eine bessere Zukunft stärkt. 

Nach dem Gesagten ist es klar, dass das histo- 
rische Element in der deutschen Literatur nicht ver- 
schwand, als Gcethe sich davon abwandte. Allerdings, 
wenn man danach urteilen wollte, was auch unserm 
Urteil wertvoll erscheint, so müsste die rohe Ge- 
sellschaft der Ritterstücke und Ritterromane im Ge- 
folge des «Götz» gänzlich ausser Betracht fallen. 
Nichtsdestoweniger muss bei Behandlung des histo- 
rischen Romans auf jene historischen Romanschrift- 
steller hingewiesen werden, die nichts weniger als 
historisch sind und eine Afterpoesie schufen, die, ihrer 
falschen Rittertümlichkeit wegen, den Todeskeim 
von vornherein in sich trug. Es bleibt aber doch die 
Tatsache bestehen, dass sie den eigentlich historischen 
Roman vorbereiten halfen. Sie hielten wenigstens das 
Interesse an der Vergangenheit wach, und wenn sie 
diese auch absolut verkannten und durch Walter 
Scott dem schlimmen Lose der Lächerlichkeit ver- 
verfielen, so bewahrten sie doch manches von der 





Kraft, die im «Götz* lebt und Fouqu6, der nun 
besprochen werden soll, gesteht es zu, dass sie ihn 
beeinflussten bei Abfassung seiner Romane. 






Kapitel 3. 

Fouqu^. 
< Die dem « Götz a folgende Flut vaterländischer 
e Ritterstücke fand bei Aug. W. Schlegel zwar wenig 
» Beifall, aber diese ganze, mit Schwert und Harnisch 
«rasselnde, von deutscher Biederkeit stammelnde Li- 
« teratur, Rttterdrama, Ritterballade und Ritterroman 
«hat für die Beliebtheit der romantischen Ritterro- 
fl mane Fouques nicht nur den Boden bereitet, seine 
s eigne Dichtung ist mannigfach von diesen Vor- 

* gängern beeinflusst. Die Verfasserin des Ritter- 
«romans Walter von Montbarry^ (17B6}, Benedikte 
«Naubert, Fr. Chr. Schlenkert (1757 — 1826) und den 
«Verfasser der sieben Bände Sagen der Vorzeit, Veit 
« Weber ^, nennt Fouque selbst als erste ihm * zu- 
« kommende Kunden der vaterländischen Geschichte * 
«und Vorbilder frühester eigner Versuche im dialo- 
« gisierten Romane*. » Fouque ist also gewissermassen 
Fortsetzer der Ritterromäne altern Stiles. 

' In der iLebeosgescllichte des Baron Friedrich de la Molte Fon- 
qai, aufgezeichDet durch ihn selbst, Halle iSifO>, lesen wir daiübec: 

• Im Vorgnmde die edelste Witfienbeirlichkeit aus den Tagen der 
KieuzzUge, im Hintergründe die seeligste, ob aucb einigermassen klöster- 
liche Friedensahnung auf den Hierischen Inseln unter Provenzalischem ^~ 
fkst mOclite man sagen — Edenischem Himmel. > 

yeit tVtber (Bernhard Wächter, 1762—1837) bemüht sieh, der 
Geschichte gerecht zu werden, überliSgt aber auSHJlliesslich modernes 
Wesea in altdeutscheä Kostüm und stellt dichterischen Effekt über schüchlt 
historische Wahrheil. 

Koch, DNL 146 I, p. XXX. 



J 





I 




— 55 -- 

Zu verschiedenen Malen konnten wir Lockharts 
* Life of Sir Walter Scott > zu Rate ziehen und Scotts 
umfangreiche « Diaries » können ohne weiteres als 
untrügliche Quelle benützt werden. Auch Fouque hat 
eine Selbstbiographie geschrieben, und es ist interes- 
sant, sie zu durchblättern. Denn sie beleuchtet klar 
und deutlich Fouques ganze Art zu denken und zu 
dichten, wenn es auch ganz unmöglich ist, durch dieses 
Buch ein klares Bild von Fouques Leben zu erhalten. 
Es ist eigentlich ein ununterbrochenes Staunen und 
Verwundern über all das Seltsame, das eines Menschen 
Seele treffen kann, und Fouque versucht nicht einmal 
eine Lösung dessen, was schwerverständlich ist; er be- 
richtet von seltsamen Ahnungen, die er gehabt und 
in dunkeln Worten spricht er von seinen Dichtungen. 
Man sieht es deutlich und es ist grundlegend für eine 
Beurteilung Fouques; Als alter Mann ist er ebenso- 
wenig über sich klar, wie als Jüngling, und wie etwa 
ein Priester vor seinem Heiligtume kniet, so kniet er 
vor seiner Muse, deren Eingebungen er mit Tränen in 
den Augen empfängt und nicht zu deuten wagt. Über- 
haupt herrscht in dieser Selbstschau zuweilen eine ganz 
widerhche Sentimentalität, die sich auf das gering- 
fügigste Ereignis erstreckt und ganz kläglich erscheint 
neben der heitern Klarheit, mit der Walter Scott auch 
die herbsten Schicksalsschläge betrachtet. Und doch 
kann nicht gesagt werden, Fouque sei weichlich, es 
fehle ihm die männliche Kraft, denn er ist voll der 
minniglichen Ritterstärke, die seine Romanhelden aus- 
zeichnet. Die Manier seines Stiles ist ihm zur zweiten 
Natur geworden und er erzählt von seinen Erlebnissen, 
wie er z. B. von denen Herrn Ott' von Trautwangens 
im t Zauberring » erzählt. Und er ist ein Mensch voll 
heiterer Zuversicht und lächelt über die Verblendeten, 
die ihn zu verspotten wagen, denn er strebt seinem 



Sterne nach, unentwegt und zuversichtlich, und seine 
edle AuMchtigkeit versöhnt mit dem süsslich-minnig- 
lich-ritterlichen Getue, über das er nicht hinauskommt. 
Doch mehr als alles Reden über Fouque bedeutet 
folgende Stelle aus seiner Selbstbiographie: * Ich 
* gab mich sogleich nach gefasstem Überblick ans 
f Werk ', der Muse vertrauend für jeden Schritt, mehr 
c und schöner vertrauend noch dem, welcher die Muse 
« mir gesendet hat zur Geleiterin, ganz in dem Sinne 
« der Einfalt, wie sich's ausspricht in dem Vorwort, 
« dem Werke beigefügt. Oder auch es mit einem 
« lieblichen Stolbergswort auszudrücken, zuversichtlich 
« bittend : 

■ Leite mich &□ deiner Hand, 

• Wie ein Kind am GäDgelbaod. . 

Diese Worte lassen leicht erkennen, was für ein 
Werk der « Zauberring p werden musste. Wohl ge- 
stattet Fouques kindliche Ergebenheit seiner Muse 
gegenüber eine durchaus künstlerische Gestaltung — 
als dichterisches Kunstwerk ist der «Zauberring» zu 
bewundern — aber wie wird es bestellt sein um das 
Historische in diesem wie in den andern Romanen, 
z, B. dem « Thiodulf » ? Es wird sehr schwer sein, dieses 
Historische überhaupt zu finden, denn, wenn auch 
Richard Löwenherz in den « Zauberring » hineinragt, so 
bedeutet dies, da es ganz beiläufig geschieht, durchaus 
nichts. Der ganze « Zauberring » ist nichts als dich- 
terische Verkörperung einer idealisierten Ritterwelt, 
die in überirdischer Tugend und märchenhaftem Glänze 
erstrahlt, und an objektivem Wirklichkeitsgehalt, an 
wirklich historischer Echtheit nichts voraus hat vor 
den Ritterromanen, die vor ihm entstanden waren. 
Nicht in der Richtung des Historischen bildet FouquÄ 



' Den •Zaubemngi, zu dem ihn seine Galtio Biireg(e. 



— 57 — 

den groben Ritterroman weiter, sondern in anderer 
Hinsicht: Sein poetisches Gemüt und seine wirklich 
ritterliche Gesinnung, sein verfeinerter Geschmack 
verstanden es, « den alten Ritterroman der gesellschaft- 
lichen Bildung anzupassen » ^ Der hohe poetische 
Wert der Fouque'schen Muse ward vom deutschen 
Leser empfunden und die süssen Ritterromane wurden 
zur Lieblingslektüre des deutschen Publikums. 

So schritt Fouque seine Bahn, träumerisch seiner 
Laute die melodischen Töne entlockend, schritt immer 
weiter und weiter, zuerst gefolgt von einer grossen 
Menge von Bewunderem, immer mehr aber von ihnen 
verlassen, da die Zeit andere, mächtigere Melodieen 
erklingen Hess. Was musste geschehen ? Mitten unter 
gänzlich anders Gesinnten spielte Fouque selbstver- 
gessen seine veralteten Melodien weiter, unentwegt 
und selig begeistert, und von allen Seiten ertönte es : 
« Don Quijote ! Don Quijote ! » Der freudig Bewun- 
derte und emsig Beklatschte war zum Ritter von der 
traurigen Gestalt geworden. 

Auf diese Weise wandeln sich Anerkennung, Be- 
geisterung, Bewunderung rasch in Hohn und Spott, 
in bedauerndes Achselzucken. Einige der Urteile sind 
von Interesse : Einer von denen, die sich von Fouque 
loslösen und eigne Bahnen gehen, ist Eichendorff. Er 
betont, wie Fouque sich völlig identifiziere mit seinen 
Dichtungen und rühmt die liebenswürdige Aufrichtig- 
keit seiner Schriften. « Überall eine grosse Gutmütigkeit 
« bei einem kleinen Verstände, der von seiner eigenen 
«Affektation nicht einmal eine Ahnung hatte. Um 
« endlich alles zusammenzufassen : bei Fouque über- 
< wältigte die reiche, auf einen Punkt gespannte Phan- 
«tasie, verbunden mit einer ehrlich ritterlichen Inten- 



^ Mielke, der deutsche Romim des 19. Jahrhunderts. 3. Aufl.» p* 55. 




58 



* tion, alle anderen Geisteskräfte, und machte ihn i 
<zum Don Quijote der Romantik'». 

Auch Tück äussert sich verschiedene Male über 
Fouque, in einer Weise, die für Tieck sehr bezeich- 
nend ist. In einem Briefe an Solger' schreibt er: 
«Er hat ja doch (in einem Gedicht, ich weiss aber 
"nicht in welchem) nichts getan, als den neuesten 
« unverfälschten Gespenstergallert erfunden, der gut 
«bei der Toilette einzunehmen ist; und ich glaube 
«immer, wenn ich ihn lese, Holbergs Bramarbas zu 
«zuhören... Wollen Sie einmal recht lachen, so lesen 

* Sie seine * beiden Hauptleute = im « Sommer » . . . 
a und sie werden wissen, was Wüste, Hitze, Freund- 
'schaft, Ehre, Sand und Christentum zu bedeuten 
« haben. » Und R. Köpke teilt uns folgendes ernster 
zu nehmende Urteil Tiecks mit^: * Fouque hat viel 
«Talent, und besitzt eine reiche Phantasie, aber er 
*hat etwas Willkürliches und Unbegrenztes, und ge- 
« fällt sich in Erfindung und Zusammenstellung un- 
« möglicher Dinge . . . Eigentlich ist er dichterisch am 
4 Mangel aller Ironie zugrunde gegangen, er verlor 
*sich vollständig an seinen Gegenstand und verlor 
« darüber am Ende die schöpferische Phantasie selbst 
» Im Mittelalter hatte er die Stoife für seine Poesie 
«gefunden, aber bald begann er sich und seine Li eb- 
« habereien mit dem Gegenstande, den er behandeln 
«wollte, zu verwechseln, und dies hielt er dann für 
' Poesie. So wurde sein Dichten zur Caricatur und 

* er selbst zum Don Quijote der Poesie. Nur hat er 
» nie ein Bedürfnis nach einem Sancho Pansa gefühlt » 

' Eicheadarff : Über die ethische und teligiüse Bedeutung der 
□euern lomaoüeclien Poesie in Deutschland. Leipzig, 1S47, p. 196. 

' Solgers Dachgelassene Schriften und Briefwecbsel, I-eipzig i8a6, 
I, p. J98. 

' R. Köpke: Ludwig Tieck. Leipzig 1855. 



Auch hier also wieder den Vergleich mit dem fah- 
renden Ritter, und auch bei einem Dritten ist er zu 
I finden, bei Heine. 
In seiner « Romantischen Schule » ' schreibt Heine : 
^X)as war es. Die retrograde Richtung, das bestän- 
< dige Loblied auf den Geburtsadel, die unaufhörliche 
«Verherrlichung des alten Feudalwesens, die ewige 
t Rittertum el ei missbehagte am Ende den bürgerlich 
«Gesinnten im deutschen Publikum und man wandte 
«sich ab von dem unzeitgemässen Sänger.» Er nennt 
Fouque einen «ingeniösen Hidalgos, dessen Ritter- 
gestalten nur aus «Eisen und Gemüts bestehen und 
» weder Fleisch noch Vernunft s haben und von Si- 

■gurd sagt er; «Er hat so viel Mut wie hundert Lö- 
jBwen und so viel Verstand wie zwei Esel.» Noch 
Ichärfer spottet Heine an anderer Stelle ' : « Ein deut- 
« scher Baron idealeren Schlages war mein armer 
«Freund Friedrich de !a Motte Fouque, welcher da- 
«mals der Kollektion der Frau von StaSl angehörend, 
«auf seiner hohen Rosinante in Paris einritt. Er war 
pein Don Quijotte vom Wirbel bis zur Zehe; las man 
^seine Werke, so bewunderte man — Cervantes.» 
Heine erinnern femer die Fouque'schen Romane, wie 
diejenigen Walter Scotts, an gewirkte Tapeten, an 
Gobehns, *die durch reiche Gestaltung und Farben- 
«pracht mehr unser Auge als unsere Seele ergötzen.» 
3ies trifft insofern zu, als bei Scott wie bei Fouque 
gliche Psychologie und besonders jede in den Vor- 
argrund geschobene Psychologie fehlt. Die Gestalten 
S'ouques und Scotts sind gänzlich verschieden, so ver- 
Süeden wirkliche Menschen und phantastische Wahn- 
ölde sein können, bei beiden aber spielt das Male- 



Pai 
ei 



ter Bd. 5, p. 337. 
' GesCiiidDisse. EUter Bd. 6, p. 31. 



J 




6o 



3ie, äas Pittoreske eine wichtig"e Rolle una 
Hinsicht können wir wohl von einer Verwandtschaft 
Scotts und Fouques sprechen, ohne im mindesten an 
eine gegenseitige Beeinflussung zu denken. Scott 
kannte Fouque und lobte ihn, zum Beispiel « Sintram 
und seine Gefährten»', die bunte Welt, die Farben- 
pracht Fouques zog ihn an, aber Scott ist der Mann 
der Wirklichkeit, Fouque der phantastischen Ideale 
und ihre Wege gehen im wesentHchen ihrer Werke 
gänzlich auseinander. 

Dass Scott Fouque in den Augen des Publikums 
direkt schadete, ersehen wir aus folgenden Worten 
eines Rezensenten, jedenfalls Willibald Alexis' ' : « Noch 
< etwas tat der Anerkennung Fouques später Schaden. 
« Der Vergleich mit den historischen Dichtungen, 
«welche, durch Walter Scott neugeadelt, mit neuer 
«Bedeutsamkeit, einer, die wohl nicht wieder unter- 
« gehen wird, wenn auch die Form wechselt, so schla- 
*gend und wirksam auftraten. Auch Fouque wollte 
«hier und da historisch sein; aber er war viel zu sehr 
«Poet, um es sein zu können. Er brachte Helden, 
«die über das Volk wie Göttergeschlechter hervor- 
« ragten, aber nichi das Volk selbst. Dieses wollte sich 
t- selbst sehen. Dies tat Scott in schlichter treuer Wahr- 
«heit, trotzdem er ein Tory war und die alte Zeit 
«mit ihrer feudalen Herrlichkeit ebenso liebte und 
«vielleicht genauer kannte als Fouque.» 



' Lockhart, p, 195. Scott schreibt an Terry über die Schwieii^eit, 
deutsche Werke ins Englische zu übersetzen: «There is in the Geraiin 
mode of narratioa an afieclation of dcep metaphysical reflection aad pro- 
Iracted descriptioQ and diicussioo, which the English da not eaaily to- 
lerate. . . For insUncc J lately saw a trnnslation of •Sintram und seine 
GetSbiteni. . . the stary in the world which, \t Ihe plot were insinuated 
into the «boies», as Bayes aays, woidd be most itriiing. , . 
' Blätter Tür lit. Unlethaltung 1842, Nr. 314. 



Kapitel 4. 
Arnim. 



Damit verlassen wir Fouque und seine sösslich- 
kräftige Muse und wenden uns Achim von Arnim zu, 
dessen Verhältnis zur Geschichte und dessen c Kro- 
nenwächter s einer genauem Untersuchung zu unter- 
werfen. 

R Achim von Arnim, der «sonnige Freiherr», der 
e eine grosse Lesergemeinde besessen hatte und 
vor minderwertigen Tagesgrössen zurücktreten musste, 
ist in neuerer und neuester Zeit zum Gegenstand 
Verständnis- und liebevoller Forschung geworden. 
Reinhold Steigs Buch «Achim von Arnim und Cle- 
mens Brentano » ' ist als Quellenwerk unentbehrlich 
für uns, da es uns den unverfälschten Arnim lebendig 
hinstellt und die Briefe der beiden Freunde, die in 
ihrer Lebensfrische das ganze Wesen ihrer Verfasser 
treu wiederspiegeln, in grosser Fülle mitteilt. 

Es ist reizvoll, die Kontraste zu beobachten, die 
Arnim und Brentano von einander unterscheiden und 
«reizvoller ist es, zu sehen, wie leidenschaftlich diese 
zwei Freundesich zusammenschliessen.! Der Einigungs- 
punkt dieser beiden reichen Seelen ist darin zu suchen, 
dass Arnim wie Brentano von der rückhaltlosesten 
Ehrlichkeit beseelt, in uneigennütziger Weise und 
mit der schönsten Leidenschaftlichkeit ihren Genius 
in den Dienst einer und derselben Sache stellen. Im 
deutlichen Bewusstsein, eine heilige Pflicht zu erfüllen, 
versenken sie sich in Deutschlands Vergangenheit, in 
die Uranfänge des deutschen Volkes, mit dem Be- 

' lAchim van AiDim und die Uun nahe staaden.' HeranagEgeben 
TOn Reiohold Steig und Hennan Grimm, i. Band; ■Achim v. Arnim 
und Clemens BieDtano.» Bearbeitet Ton Reinhold Steig. Stuttgart 1894. 




62 



streben, der darbenden Zeit die verborgenen Schächte 

zu öffnen und längst vergessene Reichtümer ans Tages- 
licht zu fördern. 

Damit haben wir den Grundton in Arnims Wesen 
angeschlagen. Die Liebe zur deutschen Vergangen- 
heit, die innige Anteilnahme am Volksleben aller 
Zeiten, die Vorliebe für das kraftvoll Volkstümliche, 
sie bestimmten Arnims Dicht- und Denkweise zu jeder 
Zeit. 

Am 4. November 1808 schreibt Arnim an Bren- 
tano ' : « Was die Leute sich für Sorgen machen, was 
«andere sind und werden könnten! Ich habe gar 
«keine Idee, wie man eigentlich zu einem Gespräche 
«kommen kann, ob ein andrer ein Dichter ist. Der 
«Teufel weiss, ob Gcethe, Tieck u. a. m. Dichter sind, 
« aber einzelne ihrer Werke haben mir vieles gezeigt, 
«was ich im Leben nie zum Stande kommen sah und 
«zum Schuss. Wenn ich andern Menschen auch ein- 
«mal etwas der Art geliefert, so wird es mir Heb 
«sein, und wäre es auch nur gering gewesen gegen 
«die Arbeiten jener. Ich fühle, dass ich einiges der 
«Art in meiner Seele getragen; aber mannigfaltiges 
« Unglück, Zerstreuung, Leichtsinn, haben mich viel- 
e leicht entheiligt, vielleicht wird es hin und wieder 
« durchscheinen, es wird nicht untergehen im ewig 
« liebevollen Herzen, das durch alle Welt schlägt > 
So spricht Arnim voll edler Bescheidenheit von seiner 
Dichtergabe, unabhängig vom Urteil anderer, einzig 
und allein sich danach richtend, was seine Unbe- 
fangenheit ihm eingibt. Diese Sorglosigkeit seiner 
Begabung gegenüber ist ganz besonders wichtig: Nie 
wird sich Arnim mit kluger Berechnung des Erfolges 
wegen zum Trabanten einer Tagesgrösse machen, er 



' Steig, p, 163. 



Ö3 



wird es aber auch nicht tun, weil er aus reichem, 
eigenem Borne zu schöpfen hat und keiner fremden 
Anregung bedarf. Dies können wir vorausnehmen : 
Waker Scott kann, wenn wir nach den s Kronen- 
wächtern » und Arnims eigenstem Wesen m-teilen, 
keineswegs Arnims Meister und Vorbild sein. Arnim 
ist ein Kind derselben Zeit und dies bringt Überein- 
stimmungen mit sich, wenn aber in den Werken 
zweier Dichter der Grundton ein gänzhch anderer ist, 
wenn beide durcliaus sich selbst genügen, so kann 
nicht die Rede sein von tieferer Beeinflussung. Ein 
Vergleich verliert dadurch nichts von seinem Interesse, 
Ein seltsamer Widerspruch diu-chzieht Arnims 
ganzes Wesen. Auf der einen Seite sehen wir blü- 
hende Phantasie, die prächtige Früchte trägt, die aber 
vom Unkraut verworrener Phantastik überwuchert 
wird, auf der andern Seite einen hellen klaren Rea- 
lismus, der die Einzelheit mit erstaunlicher Kraft er- 
fasst und wiedergibt. Über das Ganze aber liegt aus- 
gebreitet der helle Sonnenschein des Arnim'schen 
Humors, die sinnige gemütstiefe Wahrhaftigkeit und 
Unbefangenheit seines Herzens. 

Die seltsame Mischung in Arnims Wesen — poe- 
tisch anschauliche Kraft, beeinträchtigt durch phan- 
tastische Zerfahrenheit — empfanden schon seine Zeit- 
genossen und sie gaben ihren Gefühlen mehrfach Aus- 
druck. So sagt z. B. Wilhelm Grimm im Anfang 
seiner Besprechung von Arnims » Kronenwächtern s 
folgendes von dessen frühern Werken ' : «Sie glichen 
«Bildern, die von drei Seiten einen Rahmen hatten, 
^^can der vierten aber nicht und dort immer weiter 
^Hpbrtgemalt waren, so dass in den letzten Umrissen 
^^^^iimmel und Erde nicht mehr zu unterscheiden waren; 

E 



: Kleine Schriltea, '. 



- 64 - 

«woraus eine ängstliche Ungewissheit für den Leser 
«entsprang.» Und Brentano schreibt in seiner stür- 
misch liebevollen Weise: « Arnim, lieber Arnim, wenn 

* du nur ein wenig streng arbeiten wolltest und nicht 
«so aneinander binden, deine ganze Nation würde 
*dich ihren Dichter nennen und du könntest auf sie 
«wirken und ihr alles zumuten... Ich werde nie in 
«meiner festen Überzeugung irre werden, dass viel- 
« leicht kein Deutscher so von Poesie durchdrungen 
«ist wie du, aber du lässt sie allzusehr als Wildfleisch 
«wachsen.» In ähnlichem Sinne sprechen Görres und 
Jakob Grimm. Arnim war sich seiner Mängel wohl 
bewusst und äusserte einmal Wilhelm Grimm gegen- 
über': «Mit welcher Sehnsucht wünscheich mir oft jene 
•-' Leichtigkeit, alles in Worten nach Mass und Zahl 
szu fassen, ich wollte Dichtungen schreiben, die alle 
»Welt erheben sollten, aber so, fürchte ich immer 
e-mehr, wird das Beste, was ich in meinen Gedanken 

• umgewälzt habe, in meiner Ungeschicklichkeit mit 
«mir zu Grabe gehen.» Dazu bemerkt Wilhelm: 
«Es ist wahr, manchmal war der Becher zu klein 
«und der Wein strömte über, oder er war zu gross 
«und wurde nicht bis zum Rande gefüllt, immer 
«aber war der Duft, der davon aufstieg, rein und 
« erfrischend. » 

Als gewichtigstes Dokument für Arnims Streben 
muss seine « Trost Einsamkeit » hier kurz betrachtet 
werden. In dieser kurzlebigen Zeitschrift Arnims ist 
alles enthalten, was die Heidelberger Romantik cha- 
rakterisiert. 

Arnim, Brentano und Görres schlössen sich in 
Heidelberg zu einem wunderschönen Zusammenleben 



; Vorwort lu Arnims Werken, (>. VIII. Kl. Schrillen, 



m 




- 65 — 

aneinander, denn sie fühlten sich einig in ihren Wünschen 
und beschlossen gemeinschaftliches Streben. Als Kampf- 
organ diente ihnen die «Zeitung für Einsiedlers, die nach 
ihrem Eingehen als * Trost Einsamkeit» von Arnim in 
Buchform herausgegeben wurde. Beide, Zeitung und 
Buch, erschienen 1808. Über Zweck und Ziel von Arnims 
Unternehmen sagt Pfaff^: «Sie (die * Einsiedlerzei- 
*tung») bietet Treu und Glauben der Religion, Lüde 
<deni deutschen Vaterland, hilfreiche Hand der auf- 
• strebenden Altertumswissenschaft, ehrlichen Streit 
«dem Feinde der Romantik, dem Apostel der Auf- 
*klärung und des alleinseligmachenden Klassizismus. 
«... Seltsam, in einer Zeit der allertiefsten Erniedri- 
«gung Deutschlands war der Bildungsphilister der 
x zufriedenste Mann, glaubte es herrlich weit gebracht 
«zu haben und verachtete von seinem erhabenen 
«Standpunkte aus Denken und Handeln seiner Vor- 
^«&hren als «mittelalterliche Finsternis». Die lächer- 
^«lichste Unkenntnis und der lächerlichste Hochmut 
' «waren schön gepaart. Die Romantiker aber wollten 
«beweisen, dass gerade das verschrieene Mittelalter 
« an Schönheit und schöpferischer Kraft über der 
«neuen Zeit stehe, wollten die Hoffnung wecken, dasa 
«eine solche Zeit der Macht auch dem niedergeworfenen 
■ und zerrissenen Deutschland wieder erscheinen könne, 
«wenn es nur wieder beginne, sich als Deutschland 
u fühlen. Solchem Zwecke also diente die Zeitung 
K-nför Einsiedler.» Und sie erfüllte diesen Zweck, in- 
fdem sie Bruchstücke alter Sagen, Auszüge aus Chro- 
l<|lihen, Umarbeitungen einheimischer und fremder, 
tdter und neuer Volkspoesie in zwangloser Folge 
nickte und so zu popularisieren , zu erneuern, 

1 RomaDtik und GermaniEclie Philologie >, von Dr, Friedrich 
Heidelbeig 1866, p. 11. 

Dntennobnngeii VII. Wttiger, Historlsotae Romaiie. 5 



66 



wieder zu beleben suchte. Diese Tätigkeit an der 
Einsiedlerzeitung- war für Arnim eine Vorschule für 
seine spätem Arbeiten, besonders für den «Winter- 
garten » und auch für seine historischen Novellen, denn 
hier erwarb er sich seine genaue Kenntnis älterer 
Literatur, hier legte er den Grund zur plastischen An- 
schauung besonders des i6. und 17. Jahrhunderts in 
ihrer Gesamtgestalt. 

Bezeichnend für Arnim ist seine Art, alte Werke 
zu «restaurieren». Clemens gibt uns hier Aufschi uss. 
Er schreibt an Arnim * : 

«Wenn wir alte Lieder der Zeit näher rücken, 
«müssen wir es ganz gleichmässig, sonst fallen sie 
« um wie Mauern, die aus der senkrechten Lage 
e kommen. Der gothische Stil umfasst auch eine Welt; 
«aber die Schlösser sind anders als die Kirchen und 
ain keiner Raubburg darf eine prächtige Kirchen- 
« Orgel stehen ... Es ist aber in jedem Kunstalter 
« eine überschwengliche Zeit, ein Blütenalter der Emp- 
« findung, und in diesem steht mein geliebter Bruder » 
— Arnim — «mitten inne, ein ganzer Bienenhimmel 
«und so herrlich gelingt ihm auch alle Herstellung 
«solcher Naturberauschter Poesie.. . Was aber am 
«meisten gegen die Gültigkeit deines Zustandes, in 
«dem du restaurierst, spricht, ist, dass er dir nicht 
« gleich ist r kurzum, du dichtest. Und wenn du in 
« Zug kömmst, kannst du nicht glauben, wie angst 
«und bange mir wurde. Denn in einem poetischen 
«Fieber von i8o8 nahmst du hintereinander alle sse- 
« cula vor und gabst ihnen oft wider Willen und 
e ohne Not von deiner Hippokrene. Aber das ist alles 
1 leeres Geschwätz und ist nicht des kleinsten Liedes 
«wert, das du in jenem Atem dichtest. Könntest du 



' steig, p. 241/243. 




^^_ yen 



- 67 - 

die Welt so anhauchen, so wäre goldene Zeit, 
•sdie hat keine Vorzeit und keine Vorurteile von Kritik, 
«Aber in einer Zeit, welche Kritik ausübt, ist Kritik 
< nothwendig. » 

Das Eigentümliche in Arnims Wesen kann nicht 
besser empfunden und ausgedrückt werden, als hier 
durch Brentano. Arnim ist stets versucht, alles ver- 
klärt, in übernatürlichem Glänze zu sehen, und gerade 
an den kraftvollsten Stellen seiner Werke zeigt sich 
diese poetische Vervollkommnung. 

In mancher Hinsicht sind Arnims historische No- 
vellen — wir denken besonders an den < Pfalzgrafen 
als Goldwäschers, « Isabella von Ägypten 9 und «die 
drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber » ' 
— Vorbereitungen auf den historischen Roman, Jede 
enthält Züge, die dann in den « Kronenwächtem > 
vereint und vertieft wiederkehren, Ihr Grundton ist 

verschiedener. Im « Pfalzgrafen » herrscht ein 
■Qcker Humor, in 1 1sabella » eine milde, edle Schwer- 
"inut und im «glücklichen Färbers ein lustiger ge- 
wollt hausbackener grotesk bürgerlicher Ton und in 
allen dreien spielt die Geschichte noch eine unter- 
geordnete Rolle, indem Einzelschicksale um ihrer 
selbst willen im Vordergrund stehen. Allen fehlt eine 
exakte ernste Ausarbeitung, was auch mit dem Cha- 
rakter der Novelle zusammenhängt. 

Vom ^Pfalzgra/ens, wie von den andern Novellen 
auch, können wir sagen und es ist typisch für Arnim: 
als Ganzes ist er untergeordneten Wertes, enthält 
jedoch eine Fülle trefflicher Einzelheiten und Einzel- 
!nen, die in buntem Wirbel vorüberziehen. 

Das Frische, Kernige, keck Mittelalterhche ist 

Bie Ehensclimiede > uad lOwen Tudon sollen im ZusammcD- 
dea < KioDeawücIiterD > ihie Behasdlimg flndea. 




Friedrich dS^^^n 



'3ers gut verkörpert in Pfalzgraf Friedrich "' 
sich in toller Lebensfreude und schrankenloser Gast- 
freiheit den drolligsten, absonderlichsten Küchenhof- 
staat beigelegt hat. Gleich hier haben wir Arnims 
Humor, der vorhandene humoristische Zustände zu- 
spitzt und gleichsam überlebendig macht: sDa stol- 
< zierte neben einem Pariserkoche, der immer mit dem 
»Degen an der Seite seine Feuerlichkeiten besorgte, 
t eine bairische Dampfnudelköchin, deren Magen durch 
*ein Herzschild befestigt war, von silbernen Ketten 
«getragen, während eine schwäbische Köchin, mit 
« langen Doppelzöpfen, zur Bereitung der Suppe nach 
« der alten Methode der Hohenstaufen sich anstrengte, 
■ und eine gewaltige Frau mit dicken Röcken aus 
r den Hansestädten, Seefische und Flussfische, Rinder- 
* braten niedlich, reinlich, schmackhaft durchfeuerte. » 
Dies genügt jedoch dem Pfalz grafen noch lange 
nicht. In seinem « Frohgefuhle » und als «Liebhaber 
der Tafelmusik s hatte er seine Küchenschar ganz 
«eigen dazu abgerichtet, dass sich dieselbe gegen 
*das Ende der Tafel zu allerlei lustigen Trinkliedern 
«in Begleitung zweier "Waldhörner, welche die Han- 
« seatin und die bairische Dampfnudelköchin harmo- 
»nisch dazu bliesen, versammelten, allesamt in mau- 
«rischer Tracht.« Er selbst spielte unter Beihilfe seines 
Mundschenks und Kapellmeisters « etwas sehr Künst- 
«liches», «auch war die Hanseatin auf dem grossen 
«Basse, der französische Koch auf der Flöte, die 
«schwäbische Köchin auf dem Spinet wohlgeübt, so 
«dass seine gute Küche und seine schöne Musik ihn 
«bald zum Abgott vieler trefflicher Männer machte. > 
So ist Arnims Humor meistens grotesk übertrieben, 
aber kräftig, plastisch, pittoresk. So büsst Arnim 
seine Lust an kräftigen Einzelszenen und die einzelnen 
Gestalten tragen individuelle Züge, wenn sie auch 



- 69 - 

nur Skizzen sind, immerhin Skizzen, die mit breiten, 
kräftigen Pinselstrichen das wesenthche festhalten. 
Am 20. Dezember 1822 schreibt Jakob Grimm an 
Görres, es sei Arnim einmal «nicht verliehen, etwas 
ganzes, vollständiges zu erfassen, das vergütet er durch 
tiefen aufrichtigen Blick in manches einzelne '. » 

In s Isahella von Ägypten » zeigt und offenbart sich 
Arnim von einer andern Seite : « Isabella » ist wie keine 
andere Novelle geeignet, uns das Phantastische in Ar- 
nims Dichtung zu zeigen. Reinhold Steig ^ charakteri- 
siert sie so : e Da entfaltet sich . . . , verhüllt vom Dunkel 
«wunderbarer Sage, das wehmütig- trotzige, leidend- 
« un gebändigte Zigeunerleben inmitten einer derbge- 
« sunden, flandrischen Bürgerschaft. Historische Wahr- 
«heit mischt sich willig mit der poetischen. Isabella, 
« ihres Stammes edelste Blüte, wird die erste Jugend- 
« liebe des dereinst zur Herrschaft der Welt berufenen 
«Erzherzog Karl. Schuldlos und treu befunden in 
«ihrem Kreise sühnt sie den alten Fluch ihres Volkes: 
«ein Sohn und Erbe wird ihr geboren, für den sie 
«ihr zerstreutes Volk in die ägyptische Heimat zurück- 
« fahrt.» 

Dies ist der selten schöne Inhalt der poetischen 
Erzählung, der edle Stamm, der von schönen Blüten 
und Ranken umgeben ist, der aber auch vom wu- 
chernden Unkraut wilder Phantastik hart bedrängt wird. 

Heine hat in seiner «Romantischen Schule» ein 
sehr lebhaftes Bild entworfen von Arnim und seinem 
Dichten. Er sucht die Ursache von Arnims geringer 
Popularität — man vergleiche damit diejenige Scotts 
— eben in seiner Phantastik, die mitten unter den 
Alltagsmenschen spukt und deren körperliche wirk- 



I 
I 



' Mitgeteilt durch Koch, DNL. Bd. 146, I, 1, p. CXXX. 
* loc dt. p. 301. 



J 



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wir Arnims 
'' ^'''^ ^^üLTssche Zustände zu- 
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*^ - — ^'^ =»; -.- „^^"^ 




— 7° — 



liehe Existenz in Frage stellt. Jedenfalls im Gedanken 
an 1 Isabella», die er einzig eingehend bespricht, fragt 
Heine ' : « Warum vernachlässigte nun das deutsche 
« Volk einen Schriftsteller, dessen Phantasie von welt- 
« umfassender Weite, dessen Gemüt von schauerlichster 
« Tiefe, und dessen Darstellungsgabe so unübertrefflich 
«war? Etwas fehlte diesem Dichter, und dieses Etwas 
«ist es eben, was das Volk in den Büchern sucht: Das 
»Leben. Das Volk verlangt, dass die Schriftsteller 
«seine Tagesleidenschaften mitfühlen, dass sie die Emp- 
3 findungen seiner eigenen Brust entweder angenehm 
«anregen oder verletzen, das Volk will bewegt werden. 
«Dieses Bedürfnis konnte aber Arnim nicht befrie- 
' digen, s Walter Scott entfernt sich nie aus dem 
Bereich des leicht Verständlichen, jedermann versteht 
ihn, er ist gleichsam auf du und du mit seinen Lesern, 
wenn auch etwas Herablassung dabei ist, Arnim da- 
gegen iebt in einem eigentümlichen Ideenkreise, seine 
dichterischen Eingebungen ordnet er nie und nimmer 
dem gesunden Menschenverstände unter, er würde es 
für einen Frevel ansehen, wenn er seinem Genius 
Zwang antun sollte des leichtern Verstehens wegen. 
Das ist echt vornehm-romantisch und wir müssen es 
gestehen: auch die edle, plastische Wirklichkeit z, B. 
in den «Kronenwächtern» trägt deutlich die Spuren 
von Arnims besonderer Art zu sehen. Bei alledem 
steht dieser scheinbar weltfremde Arnim gelassen über 
der krausen Welt seiner Erscheinungen, wie er auch 
im täglichen Leben von einer edlen gelassenen Be- 
sonnenheit beherrscht war und oft dem viel schärfer 
urteilenden Brentano zur festen Stütze und zum treuen 
Leiter werden musste. Einen ähnlichen Gedanken 
spricht auch Heine aus in einer interessanten Paral- 

' Die romanliache Schule, Elster V. p, 318. 



J 



— 7' — 

lele zwischen Hoffiiiann und Arnim; «Wenn Hoff- 
«mann seine Toten beschwört, und sie aus den Grä- 
«bern hervorsteigen und ihn umtanzen, dann zittert 
* er selber vor Entsetzen und tanzt selbst in ihrer 
«Mitte und schneidet dabei die tollsten Affengri- 
«massen. Wenn aber Arnim seine Toten beschwört, 
«so ist es, als ob ein General Heerschau halte 
«und er sitzt so ruhig auf seinem hohen Geister- 
V«: Schimmel, und lässt die entsetzlichen Scharen vor 
btsich vorbei defilieren, und sie sehen ängstlich nach 
Vi ihm hinauf und scheinen sich vor ihm zu fürch- 
«ten. Er nickt ihnen aber freundlich zu.» Dieses 
« Gespensterige * ' betont auch Wilhelm Scherer • : 
« Arnim versetzt uns oft nicht von vornherein in eine 
4 märchenhafte Atmosphäre , die aller Bedingungen 
«von Raum und Zeit spottet und bei der uns nichts 
«Abenteuerliches mehr zu wunderbar erscheint. Er 
«pflanzt seine mythologischen Wahn gestalten unmittel- 
«bar neben vollkommen lebenswahre Menschen von 
«historischer Bestimmtheit und vollkommener Deut- 
«lichkeit der Erscheinung. « Arnims Gespenster » er- 
« regen auch nicht Furcht und Schrecken, sondern 
«werden von den Menschen, mit denen sie zu tun 
E*haben, wie gleichberechtigte Wesen anerkannt. Da- 
jjcdurch aber machen sie uns die Existenz und Wahr- 
kheit der Menschen selber zweifelhaft und wir wissen 
[toft nicht, ob wir wachen oder träumen.» 

Diese Beobachtung können wir ganz besonders 
ä Isabella von Ägypten" machen. Der seltsamste 
inerhörteste Gespensterspuk treibt sein Wesen, der 
irch den phantastisch- traumhaften Grundgedanken 
: Novelle verstärkt wird. Wenn aber schon das 



' ClemcDS BreotiQo an A. v. Arnim, 12. Juli 1809 {Steig p. iSi), 
" W. Scherer: Achim v. Arnim, DRs. 1894, Bd. LXV. 



Mardienhafte überwiegt, so ist doch das historisdbe 
Element verständnisvoll und mit dem Bewusstsein 
behandelt, Geschichte und Zeitschilderung mOssten der 
Erzählung gleichsam körperUche Existenz verleihen, 
und das derbe handgreifliche Leben tritt in manchem 
farbenfreudigen Bild hervor. So ist das Jahrmarkt- 
treiben bunt and lebhaft geschildert, Bräuche und 
Sitten zu Beginn des i6. Jahrhunderts werden unver- 
ßÜscht wiedergegeben, denn Arnim sieht die in der 
derben ungezwungenen Äusserung eines tatkräftigen 
rührigen Lebensgeistes ruhende Schönheit Dabei ver- 
leugnet er seinen, ihm mit den Romantikern gemein- 
samen Kunstsinn nicht, die sich innig bewegten Herzens 
einem gothischen Dome näherten und leidenschaftlich 
die im Baue ausgesprochene Idee zu verstehen, das 
symbolische Rätsel zu lösen suchten. Arnim sieht 
aber mit echtem Kunstsinne den Zusammenhang von 
Zeit und Kunst, und fühlt, dass die Gedanken einer 
Zfflt, ihre Grundstimmung und Lebensbedingungen 
wieder gespiegelt werden durch die Kunst. Dieseskünst- 
lerische Sehen ist ein Hauptunterschied zwischen Ar- 
nim und Walter Scott. Arnim ist voU des feinsten 
Kunstsinnes, wir werden es auch später noch sehen, 
Walter Scott dagegen steht einem Kunstwerk ver- 
ständnislos gegenüber, das er nur zu würdigen ver- 
steht wegen seines Zusammenhanges mit der von ihm 
geschilderten Zeit, also nur als historisches Dokument 
und als antiquarisches Denkmal. Walter Scott ist aus- 
schliesslich klarblickender Reahst, Arnim kann wohl 
kraftvoll realistisch sein, ist aber zugleich und vor 
allem ein Träumer, Denker und Dichter, dessen Tief- 
sinn ihn vom Alltag und seiner Oberflächlichkeit 
trennt. Damit soll nicht gesagt sein, dass Arnim 
nicht auch Sinn hatte für das Kleine, Anspruchs- 
lose, schlicht Bürgerliche, das Scott mit vollendeter 




z.u\ 

Kert 
b 



— 73 — 

Kraft geschildert. Das ersehen wir aus der nur halb 
historischen Novelle vom »Glücklichen Färber», die 
mit viel Liebe und drolligem Humor vom Niedlichen, 
Kleinen, Zierlichen holländischer Sitten erzählt. Wo 
aber Arnim seine ganze Seele gibt, wird er dunkel 
und geheimnisvoll und die kräftig geschaute Wirk- 
lichkeit wird seltsam durch ihre Berührung mit Ar- 
nims Rätseln. So in «Isabella», in erhöhtem Masse 
in den « Kronen Wächtern », Arnims edlem historischen 
Romane, der voll starken Lebens, aber auch voll 
trüber Geheimnisse ist. 

An Hand der «Kronenwächter» sind nun die 
innem Beziehungen Arnims zu Scott festzustellen. 
Zuvor aber handelt es sich um das Aufsuchen äus- 

: möglicher Zusammenhänge. 

Die Frage, ob Arnim Walter Scott kannte, und 
<h er ihn vor Erscheinen der e Kronenwächter » 
kannte, ist zu bejahen. Arnims Roman erschien auf 
der Ostermesse 1817, zu einer Zeit also, wo s Waver- 
ley a (1814), «Guy Mannering» (1815), «The Anti- 
quary » und die « Tales of my Landlord » — beide 
von 1816 — erschienen waren, von den epischen 
Dichtungen Scotts nicht zu sprechen. Im Jahre 18 17 
war Scott in Deutschland als epischer Dichter hoch- 
geschätzt und wurde geraeinsam mit Byron verehrt. 
Die 1 Waverley-Novels > aber wurden in Deutschland 
erst zu Anfang der Zwanziger Jalu-e zum grossen 
Ereignis von allgemeiner Bedeutung und im Jahre 
1817 wurden die erschienenen Werke des «Unbe- 
kannten » in Deutschland noch als rein schottische 
Werke mit nur lokaler Bedeutung betrachtet; die 
Übersetzungen tauchten auch erst später auf, doch 
kannte Arnim die englische Sprache. Wiederholen 

es: Im Jahre 1817 waren die «Waverley-Novels» 

im Entstehen begriffen, ihr Verfasser war nicht 



^ 




I 

I 



74 



bekannt — verschiedene Vermutungen gingen ganz fehl, 
— und ihr Einfluss begann in Deutschland erst festen 
Boden zu gewinnen. Dazu kommt, dass «Rob Roy», 
«Ivanhce», «Quentin Durward s, von denen die beiden 
letztern im Stoffe zum ersten Male über Schottlands 
Grenzen hinausgingen und den Ruhm der neuen Ro- 
mane verallgemeinerten, noch nicht erschienen waren, 
dass also die « Waverley-Novels » in ihrer imponie- 
renden Gesamtheit noch nicht da waren ; so hat Walter 
Scott von vornherein nicht eine allzu grosse Bedeu- 
tung für Arnim. 

Erleichtert hätte aber einen Einfluss der Umstand, 
dass Arnim England und Schottland aus eigener An- 
schauung kannte und speziell die «Highlands» durch- 
streift hatte. Auch Wales kannte er. « Waverley » 
und die zunächst folgenden Romane Scotts erinnerten 
also Arnim an persönliche Erlebnisse und Eindrücke. 
Auch besitzen wir einige kleine Novellen, die noch in 
Schottland oder kurz nachher entstanden sind. Es sind 
das "Die Ehenschmiede». sOwen Tudor» und eine 
kleine Erzählung über die Flucht des Prinzen Karl 
Stuart, ein Stoff, dem dann Scott, natürlich unabhängig 
von Arnim, in seinem « Waverley » grössere Bedeu- 
tung verlieh. 

Die «Ehenschmiede» — die Novelle muss um 
1804 entstanden sein' — ■ ist das bekannte Gretna 
Green und Arnim erzählt von den wunderlichen Er- 
lebnissen einer deutschen Professorstochter in Schott- 
land im Schlosse eines alten Grafen, dessen Sohn sie 
heiraten soll, Wohl werden « Hochländer » erwähnt 
und beiläufig in die Erzählung eingefügt, als ganzes 
ist aber die Novelle ein tolles Phantasiespiel und viel- 
leicht ist es bezeichnend, dass ein Naturforscher und 



■ Koch, loc, Eit. p. XX. 



J 



— 75 — 

nicht ein Historiker oder Antiquar die Hauptrolle 
spielt: Der Naturforscher ist nämlich Arnim selbst. 
Wäre er geschichtlicher oder ethnographischer Stu- 
dien wegen nach Schottland gegangen, so hätte er 
sich wohl in einem Geschichtsforscher verkörpert. Im 
Jahre 1803 ist es eben noch nicht allzu lange her, 
dass Arnim seine fruchtbaren physikalischen Studien 
der Dichtkunst wegen aufgegeben hatte. Von genauer 
Schilderung der Hochlande und ihrer Bewohner ist 
gar keine Rede. 

In Wales spielt «Owen Tudor^». «Eine schlaue 
*Walliserin erzählt im Postwagen die Liebes- und 
i Ehegeschichte der Witwe König Heinrichs V. mit 
«dem wallisischen Stammvater Heinrichs VTI. und 
t Elisabeths '. » Trotz des gänzlich historischen Stoffes 
ist die Erzählung keine historische zu nennen, denn 
wir erfahren einzig und allein die wunderlichen Schick- 
sale Owen Tudors, ohne dass versucht würde, die 
Zeit historisch deutlich zu machen. Das einzig histo- 
rische sind die Namen und der Kerninhalt der No- 
velle, was, um es paradox auszudrücken, Neben- 
sache ist, da die eigentliche Sittenschilderung, ohne 
von ihrer geschichtlichen Echtheit zu verlieren, auch 
erfundenen Personen und Ereignissen zum Hinter- 
grunde dienen kann. 

Dies sind die für unsern Zweck zu nennenden 
Resultate von Arnims Besuch des schottischen und 
englischen Bodens, 

Es fragt sich nun, ob Arnim gleichsam disponiert 
war, Walter Scott auf sich wirken zu lassen. Auf 
die innern Umstände gehen wir nachher ein, hier 
sollen nur zwei Äusserungen Arnims iiiren Platz 
finden, die von einer gewissen Gereiztheit zu zeugen 




t 



76 



scheinen. Die eine ist eine Anmerkung zur « Ehen- 
schmiede » — vielleicht später beigefügt — worin 
Arnim ausdrücklich betont, dass er die Hochlande 
schon vor Scotts ßerühmtwerden geschildert habe '. 
Die zweite Äusserung steht im Novellenzyklus « Land- 
baiisleben», der letzten Publikation Arnims nach den 
«Kronenwächtern». «In der ersten Erzählung hebt er 
«hervor, wie Walter Scott bei Aufstellung auch der 
« abenteuerlichsten Gewächse und Beiwerke, Staats- 
« aktionen und Hofkarikaturen in unwahrscheinlicher 
«Verwicklung durch die grossartige Geschichte der 
« britischen Völker unsere Teilnahme gewinne °. » 

Dies ist das äussere tatsächliche Material. Es ist 
ziemlich dürftig und entscheidet die Frage nicht, wie 
Arnim und Scott zusammenhängen. Um zu einem 
wenigstens wahrscheinlichen Schluss zu kommen, muss 
nach innerer Verwandtschaft oder NichtVerwandtschaft 
gesucht werden, wobei sich als einziges Hilfsmittel 
Arnims « Kronenwächter» darbieten. 

Da wir die «Kronenwächters in Hinsicht auf 
Walter Scott zu besprechen haben, dürfen wir auf 
den mystisch-dunkeln Grundgedanken der Dichtung 
nur hinweisen. 

Arnims « Kronenwächter » spielen in der Zeit Lu- 
thers; den kaiserlichen Thron hat Maximilian noch 
inne. Schwere Sorge macht ihm die geheime Gesell- 



' Axuims Anmerkung hejsst 
Zeit, wo Napoleon mit einer l^ani 
gastlich waren die Hochlande, ehe 
elegaale Wittähäuser erbaute und Dampfbote 



EizahluDg tritt zurilck in 

ohte. So unwegsam und un 

r Scell Kunstätrassea anlegte 

Bewegung 



die 



das 



hdsBt, ehe seine Schriften das schottische Hochland zum Ziele der Wall- 
fahrten jener Reisenden eihob, welche duich das Eindringen in die Orl- 
lichkeit sich als Mitbürger der phantastischen Welt einzuverleiben hofften, 
ohne diesmal wahrzunehmen, dass jene vereinsamte Nationalität Schott- 
lands durch ihr Kindtingen vGUig aufgehoben wurde.' 
' Koch, p. CXXXV. 



_l 



— 77 — 

Schaft der Kronenwächter, die eine furchtbare gehtime 
Macht besitzen und als Hüter letzter, sorgsam ver- 
borgen gehaltener Hohenstaufen-Sprösslinge den rich- 
tigen Augenblick abwarten, um Habsbm-g zu stürzen. 
In einem rätselhaften Glasschlosse walten sie ihres 
Amtes, das darin besteht, Deutschland zu überwachen, 
um Verräter an ihrer Sache zu vernichten, Freunde 
derselben dagegen zu unterstützen. Die Hohenstaufen- 
sprösslinge, die sie in die Welt senden, übernehmen 
die hohe Pflicht, sich rein von Schuld zu erhalten, 
um der Erfüllung ihrer Aufgabe würdig zu werden. 
Berthold, der Bürgermeister von Waiblingen, ist ein 
solcher Hohenstaufenspross und ist durch die geheime 
Einwirkung der Kronenwächter reich und angesehen 
geworden. In seinen besten Jahren jedoch beginnt 
er hinzusiechen und wird durch den Quacksalber 
Doktor Faust geheilt, der Bertholds mattes Blut durch 
Transfusion mit dem eines kraftvollen Jünglings ver- 
tauscht, wodurch die Leben beider voneinander ab- 
hängig werden. Berthold sinkt tot zusammen in dem 
Moment, wo Anton, dessen Blut er in seinen Adern 
trägt, schwer verwundet zu verbluten scheint. Er wäre 
aber auch sonst nicht würdig gewesen, als Hohen- 
staufe den Zweck der Kronen Wächter zu erfüllen, 
denn es ruht Sünde auf ihm, wenn auch nur Gedanken- 
sünde. Seine Liebe schwankt zwischen Anna, seiner 
Frau, und Apollonia, der Mutter Annens, die er vor 
langen Jahren in Waiblingen als junges Mädchen ge- 
kannt hatte. Auch Anton fühlt sich unbezwinglich zu 
Anna hingezogen. Schwer verständlich bleibt es, was 
Arnim gewollt, es ist ihm nicht gelungen, klar darzu- 
tun, was er im Grunde gemeint. Den Schlüssel dazu 
hatten wir erhalten, wenn die > Kronenwächter » nicht 
Fragment geblieben wären. Auf vier Teile war das 
ganze berechnet, und sollte eine Verherrlichung des 



n 



7» 



deutschen Kaisertums in reinster edelster Gestalt 
werden. Nur der erste Teil, « Bertholds erstes und 
zweites Leben », ist ausgeführt, der zweite Teil ist 
nur « Farbenskizze a und die andern Teile fehlen. So 
blieb das Werk unvollendet, das in seiner Gesamt- 
heit ein Ausdruck der Sehnsucht des deutschen Volkes 
geworden wäre, der Sehnsucht nach Einheit und Grösse, 
wie sie nach den Freiheitskriegen erwachte. Das, was 
wir besitzen, ist von solcher Schönheit und solcher 
von Arnim vorher nie erreichter Kraft, dass es ganz 
einzig dasteht und als historischer Roman nicht zu 
vergleichen ist mit Jenen ungezählten, die Walter 
Scott in Deutschland zehn Jahre später ins Leben 
rufen sollte. Die « Kronenwächter » dürfen ihres an- 
gedeuteten symbolischen Grundgedankens wegen als 
Ganzes nicht auf dieselbe Basis wie die « Waverley- 
Novels» gestellt werden, die mit Absicht jedes Sym- 
bolische, jedes Philosophische meiden und, in ihrer Art 
nicht minder gross, die Geschichte aliein in unver- 
fälschter Gestalt zum Gegenstande haben. Ihrer 
weisen Beschränkung verdanken sie ihre Vollendung. 

Arnim verliert sich aber nicht ausschliesshch in 
seinen seltsamen Ideenkombinationen. Wie früher 
betont wurde, besitzt er grosses plastisches Talent, 
wenn es auch « kurzatmig » ist und auch die « Kro- 
nenwächter* enthalten viel kraftvolle Wirklichkeit. 
Von dieser Seite sind sie zu betrachten. 

Das erste Buch ist der Entwicklung Bertholds bis 
zu dem Momente gewidmet, wo er seine wirkliche 
Mutter, die ihn mit Schmerzen lange Jahre gesucht 
hat, wiederfindet. Es ist eine Welt voll edler Schön- 
heit, in die wir geführt werden, und die Menschen, 
die sich darin bewegen, tun es in schöner Natürlich- 
keit. Künstlerisch gesehene Bilder erstehen vor un- 
Sern Augen, kraftvoll entfaltet sich die Erzählung. 



restalt 1 





— 71, — 

hier finden wir nichts von traditionellen 
stalten, scharf werden sie individuahsiert. Der Prior 
ist * ein kleiner hastiger Mann mit vorstehenden Lippen 
«und Augen, welche letzteren sich in einem roten 
s Kreise von Augenlidern wie in einer Abendröte 
«bewegten, auch trug der Prior ein grünes Schirm- 
9 chen zum Schutze derselben. > Er flucht und tobt, 
trinkt gerne, ist aber ein kunstverständiger Mann. 
Gleich lebendig sind die Äbtissin und der freimau- 
rerische Bauherr, der ernste Begleiter von Bertholds 
Mutter, gezeichnet. Dieser selbst und die Umgebung 
seiner Kindlieit, der alte Martin und Frau Hildegard, 
sie prägen sich fest und deutlich ein, und eine Be- 
schreibung Waibhngens gehört zum Besten des Bu- 
ches, erregte auch besonders das Entzücken Bettinas, 
die gemeinschaftlich mit Wilhelm Grimm das Buch be- 
sprach. Was für das Ganze gilt, gilt auch von diesem 
ersten Buche und unterscheidet Arnim scharf von 
Scott : nicht mit freudig hellem, scharfem Blicke wird 
die wirkliche Gestalt jener Welt erfasst, wie es Walter 
Scotts Art ist, mit dem Auge des Künstlers, des 
Dichters und des deutschen Gemütsmenschen betrachtet 
Arnim seine Welt, seine Schilderung ist in vollen 
tiefen Farljen gehalten, seltsame Lichter, dunkle 
Schatten geben der Wirklichkeit ein eigenartiges Leben. 
Walter Scott ist heiter und gelassen, Arnim ernst, 
oft tiefsinnig, dafür ist seine Freude, sein Humor nur 
um so gewaltiger und seine Gestalten besitzen eine 
künstlerische, durchaus plastische Schönheit, die sie 
aus der platten Wirklichkeit emporhebt. Walter Scott 
gibt das Leben in seiner ganzen färben schildernden 
Breite mit scharfer Charakteristik, Arnim geht in die 
Tiefe und konzentriert es in seinen Gestalten, die nur 
wesenthche Züge an sich tragen. Sie sind mehr wahr 
) wirklich. 




D^ Kingang des zweiten Buches, das uns aus 
der Enge mehr in die Weite, ins bunte Treiben Augs- 
burgs führt, ist bezeichnend für den Künstler Arnim. 
Er tut, was Scott nie täte, er beklagt den geringen 
Kunstsinn seiner Zeit und das Vernachlässigen des 
Vermächtnisses der grossen deutschen und fremden 
Künstler. Er hofft, dass fortgearbeitet werde, wo 
Kranach, Dürer und Raphael ihre Pinsel niederlegten. 
« Ehe aber diese Zeit eintreten kann, muss Alltägliches 
und Sonntägliches, muss Haus und Kirche aus einem 
Stück gebildet sein, wie damals, s Die heutigen Be- 
strebungen, Volk und Alltag mit der Kunst vertraut 
zu machen, hat, wie wir sehen, schon Arnim ge- 
kannt. 

Der originellen Figuren tummeln sich genug im 
zweiten Buche. So der Maler Sixt, dem es deshalb 
schlecht ging, weil ihn der Satanas plagte, die Leute 
immer von der schlechtesten Seite, am hässlicbsten, 
zu malen. Er hat seinen eigenen halbwelschen Stil 
und eine groteske Grandezza. Man könnte leicht 
denken, dass sich Arnim die Anregung zu solchen 
Gestalten bei Scott geholt hat. Arnims grotesker, 
über den Alltag hinaushebender Humor aber, den 
wir überall treffen, erklärt von selbst Gestalten wie 
Sixt. Dieser führt den Dr. Faust bei dem an schlei- 
chendem Siechtum erkrankten Berthold ein. eine der 
besten Arnimschen Figuren, «der Kerl mit dem 
" feuerroten, dicken Gesicht, mit weissblondem Haar 
■r und kahler Platte ausgestattet : der gleich einem 
« Vollmond in dem Zimmer des Bürgermeisters auf- 
" ging. Was trug der Doktor für ausserordentliche 
* rote Pluderhosen, noch nie hatte Waiblingen so etwas 

' Faltenreiches gesehen ; zehn Ehrenketten be- 

« schwerten das schwarze Wams . . . auch einen pracht- 
1 vollen türkischen Dolch trug der feurige Drache, 




« einet) Kranz mit Amuletten um seine HOftert. » 
Faust, sein ganzes Auftreten, sein Wirtschaften 
mit der Transfusionspumpmaschine, alles ist in mar- 
kantestem herbem Stil gehalten, Ja fast übermässig 
plastisch sind diese Schilderungen. Dieses Übermässige 

I finden wir auch in der Gestalt Antons, dessen unge- 
heure Lebenskraft uns fast bange macht. Auch nach 
lier Transfusion bleibt er ein ganz besonders kraft- 
voller Mensch, dessen Kopf «wie ein Engelskopf 
JMter einem Vergrösserungsglas » aussieht. 
Die Szenen in Augsburg sind zu den lebendigsten 
zu zählen. Von der Beschreibung Augsburgs sagt 
Wilhelm Grimm: «Die Darstellung gleicht hier der 
« Malerei guter altdeutscher Bilder, so fleissig. wahr, 
< sorgfältig ist sie, ohne mühselig zu sein, in allem 
«einzelnen, dabei so mannigfach und glänzend. Es 
« gehört eine eigene Sicherheit dazu, die Farben hell 
« und ungetrübt in ihrer Pracht spielen zu lassen. » Und 
hier in Augsburg lernen wir Anna, Bertholds künftige 
Frau, kennen. Sie besonders ist von Arnim in der 
Richtung der plastischen Schönheit idealisiert worden. 
Brandes * findet überhaupt in den Gestalten der « Kro- 
nenwächter» Menschen, «die mit einer derben Kraft 
«hingestellt sind, welche später vielleicht nur Gott- 
« fried Keller in seinen gescfiichtlichen Novellen er- 
s reicht hat. * Von Anna sagt er im besondern : 
fr£ben sie hat am meisten den zarten sinnlichen Reiz, 
«den Gottfried Keller seinen Frau engest alten mitzu- 
I teilen versteht ^» Arnim macht uns so mit ihr be- 
— es ist nach dem Einzug der fürstlichen 
^aut: e Schluchzend, weil sie sich einsam glaubte, 
ing da eine hohe Jungfrau von kräftigem Wüchse, 



* HauptstrCmungeD H, p. 290. 
' Hauptslrümüngen II, p. zgr, 
DnteraBollaiiEen TU. Wtnger, Higtoriaebe BomaD 



82 



«und besah mit Trauern ihr Kleid, an welchem die 
< eine Seite ganz zerrissen ...» Berthold wäre vor- 
über geritten, = wenn ihn nicht die schönen blauen 
ä Augen festgehalten hätten, die gleich Vergissmein- 
= nicht am Bache ihre äussersten Blätter eintauchten 
i. und mit Tropfen füliten, ehe Ke ihm, beschämt ge- 
« sehen zu sein, die langen vierfachen Flechten des 
t dichten, gelbbraunen, sanft gekrausten Haares zuge- 
« wendet hatte. Jetzt konnte er so recht mit müs- 
a siger Lust beschauen die Wölbung des Nackens, 
6 die breiten Schultern, die schlanken Hüften, die 
e weissen runden Arme . . . , die zierhchen Füsse mit 
e hohem Spann, den edlen Gang in der Bewegung aller 
"- Falten, die gleichsam von einem edlen Tanze wieder- 
o hallten. Noch sass der Kranz von mancherlei Feld- 
1: blumen freudenstolz auf dem Haupte der Betrübten, 
-deren Angesicht sich in dem Rosenbusch versteckte, 
« welcher die Mitte des keusch geteilten Busens be- 
« zeichnete. Da war kein Mangel , kein Überfluss, 
« sondern in dem Ebenmass ein rechtes Bild mensch- 
« lieber Zufriedenheit, alles schien an der hohen Jung- 
« frau fest und beweglich zugleich, nirgends Zwang, 
«alles eine schöne Gewohnheit der verhältnisreichen 
1. Gestalt. « Dasselbe edle freudige Pathos, das wir 
bei Walter Scott nirgends finden, herrscht auch in 
der Schilderung des kraftvollen Städte leben s. Voll 
trotziger Kraft ist die I-obpreisung der Städte und 
der Freiheit ihrer Bürger durch Meister Kugler, den 
Metzger, der selbst ein Typus des mittelalterlichen 
Bürgers ist, fest auf seinen Füssen steht und stolz ist auf 
oie Kraft seiner Hände, die Ehre seines Gewerbes. 
Er ist es auch, der Berthold, ApoUonien und Anna 
zum festlichen Tanze ins Rathaus führt, der Kaiser 
Max zu Ehren von der Stadt Augsburg gegeben 
wird. Die ganze Fülle von Gebräuchen wird über uns 



- 83 - 

jn farbenfreudiger Schilderung ausgegossen. Sie ist 
voll des fröhlichsten Humors, besonders die Kuglers, 
der «scharf wie ein G-aul trabte wegen seines hin- 

< kenden Beines '. Berthold erschrak über sein teufli- 
«sches Trampen, aber viele machten es nicht besser.» 
Und der Kaiser will sich zu Tode lachen über die 
« halsbrechende Arbeit s der Männer beim Tanzen. 
Um so schöner tanzen die Frauen, deren Kunst « die 
trabenden tropfenden Männer gar nicht geahnt haben»; 
wie «verzückt» stehen sie herum, «denn die te- 
e bendigste, mannigfaltigste aller Künste, der Mit- 
« telpunkt aller, die lebendige Malerei. Bildrerei, in 
«der nach dem Sinne der Fr;ude und Leidenschaft 
«wechselnde Musikbewegung sich gestaltet, die hoch- 

< herrliche Tanzkunst war ihnen in dieser freudigen 
€ Nacht aufgegangen. » So feiert Arnim mit und 
kann sich nicht genug tun. Gerade hier ist es in- 
teressant, mit Scott zu vergleichen. Man denke an 
das grosse Fest in «Kenilworths und vergleiche es 
mit dem Augsburger Tanzfeste. Der Eindruck von 
Walter Scotts Schilderung ist nicht minder lebhaft, 
die historische Richtigkeit und ausführliche Detail- 
schilderung mag viel grösser sein, die Teilnehmer 
stehen leibhaftig da und doch haben sie etwas nicht, 
was Arnim reichliclj gibt: das freudige Teilnehmen 
des Dichters am Feste, er lacht mit, tanzt mit und 
geniesst in vollen Zügen das prächtige Leben. Walter 
Scott dagegen verliert nie seinen Standpunkt des mo- 
dernen Menschen, von dem aus er mit freundlichem 
Lächeln in die Vergangenheit zurückblickt und hell 
und scharf beobachtet. 

So ist auch Arnim die historische Exaktheit nicht 
erste und letzte Bedingung, erstes und letztes Erfor- 

' Berthold hatte ihn im Turnier vom Gaul gewor 



I 
I 

I 



demis. Wenn Scott willkürlich gruppiert oder poe*- 
tisch ausgestaltet, so geschieht es um der plastischen 
historischen Wahrheit und um erhöhter Klarheit willen. 
Arnim trachtet nach poetischer Schönheit und ver- 
wendet daher eine poetisch so fruchtbare wundervoll 
plastische Gestalt wie sie Luther ist — worüber Wil- 
helm Grimm den Kopf schüttelt — in einer Reihe 
von Umständen, die gänzlich unhistorisch sind. Aber 
kraftvoll charakterisiere ist Luther: «Wie ein Ge- 
tbirge Ströme nach Osten und Westen sendet, so 
«vereinigte der Mann ein Entgegengesetztes, was 
<! sonst nirgends gefunden wird: Demut und Stolz, Be- 
«wusstsein seiner Bahn, und Hingebung an anderer 
< Rat, helle Verständigkeit und blinden Glauben. » 
Und wie deutlich sehen wir den Mann vor uns, wenn 
er, nachdem ihm der kluge Narr Kunz von Rosen 
ein Abschiedslied gesungen hat, ausruft : « So fand 
mein Herz in dem Narren Trost.» Solche wirklich 
grosse Worte finden beide, Scott und Arnim, wenn 
sie auch auf verschiedenem Wege dazu gelangen. 
Der eine auf dem Wege des Verstandes, der andere 
auf dem Wege des Gemütes. Scott sagt uns, wie 
schön und kraftvoll etwas ist, Arnim, wie schön und 
kraftvoll es ihm erscheint. Scott wirft helles, untrüg- 
liches Licht auf das Bestehende, Arnim verleiht ihm 
von seiner eigenen idealisierenden Anschauungskraft. 
Arnims künstlerisches Empfinden betonten wir 
schon mehrmals. Berthold ist in dieser Hinsicht Träger 
der Ideen Arnims, eignet sich auch gut dazu, da er 
viel mehr empfindender, von aussen getriebener, als 
tätig handelnder Mensch ist. In Augsburg ^ wir 
erwähnen es als weitern Gegensatz zu Scott — fer- 
tigt Berthold den Kunstprotzen Stutzer, der ihm und 
Anna prahlend sein in plumpem, schwerem Luxus 
prangendes Haus zeigt, in entschiedener Weise ab. 



J 



Berthold erklärt sich ohne Umschweife gegen den ma- 
lerischen Schein, der fehlende Bauwerke ersetzen soll: 
« Die Schönheit eines Baues liegt wie die Schönheit 
e des menschlichen Antlitzes, in dem Ausdruck innerer 

* Vortrefflichkeit; die innere Wölbung, die Balkenlage 
« will sich auch äusserlich zeigen. Hier ist alles das 
f gemalt, von einer Seite erscheint es herrlich, von der 
« andern wird die Nichtigkeit um so deutlicher und 

* eine platte Wand ohne Architektur gäbe wenigstens 
« keinen Arger, a Wir lernen hier Arnims Vornehm- 
heil des Geschmacks kennen, die eine Geschmack- 
losigkeit geradezu als persönliche Beleidigung emp- 
finden kann, Walter Scott versteht es gut, Kunstan- 
schauungen zu Papier zu bringen. Waverley, Frank Os- 
baldistone, Leicester ', auch der Euphuist im t Monas- 

Etery », alle äussern hübsche Dinge über verschiedene 
i Künste, und auch die Frauen, z. B. Flora Mac Ivor, 
[ ^d kunstsinnig, stets aber spricht Scott davon, um 
Ld'e Personen abzurunden, um ihnen Kolorit zu geben, 
I nie macht er sie zu Vertretern seiner eigenen An- 
rschauungen. Ganz anders Arnim. Durch Berthold, 
i-den beschaulichen, aber echt und vornehm empfin- 
I denden Mann, lässt er seine Kunstauffassung vertreten 
[ ijiid er schildert das ganze mittelalterhche Leben zum 
1 -mindesten ebenso sehr als Künstler, der auf der Suche 
P.nach Kraft und Schönheit ist, wie als Historiker, der 
f^as ganze Leben in seiner unverfälschten, unveredelten 
f-Form und Gestalt oder nichts in der Vorzeit schön 
l'ttnd geeignet zur Beschreibung findet, 

Das dritte Buch, das nicht minder Kraft und 
lies Leben durchströmen, spielt von neuem in Waib- 
ingen und führt bis zur Katastrophe, die den edlen, 

' Auf der Kahnfahrt, die Elisabelh mit ihrem Hof auf der Thenu« 



d 



reinen, aber schwachen Berthold das Leben kostet. 
Anton und Anna, das Eheweib Bertholds, treten in 
den Vordergrund, sie sind einem geheimnisvollen 
Schicksal unterworfen, das sie übermächtig zu ein- 
andertreibt, und die zwei edlen, schönen Menschen 
sehen sich gehässiger Verleumdung ausgesetzt. Es 
ist nicht unsere Aufgabe, das feine Spiel der Leiden- 
schaft zwischen Anton und Anna zu verfolgen, es 
gehört zum rätselhaften Grundgedanken vom Einfluss 
der Kronenwächter, deren mächtiger Faust Berthold 
erliegt 

Auch im dritten Buche lebt es und wirkt es bunt 
durcheinander. Von neu auftretenden Personen sei 
Grünewald, der Sänger, erwähnt, derselbe, den Arnim 
in der Vorrede zum Wunderhorn, die Gosthe gilt, 
verwendete. Er ist der Anlass zu einer der kräf- 
tigsten Szenen, die ohne weiteres mit Walter Scotts 
Wirtshausszenen verglichen werden kann, wenn sie 
auch nicht zur Spiegelung politischer Ideen im Volke 
erfunden ist. Grünewald, der lustige Kerl, der ein 
loses Maul hat und in der Trunkenheit traurig wird, 
wird von den neidischen Hammeln, den Stadtpfeifern 
Waibhngens, zum Rathaus hinausgeworfen, wo der 
Hochzeitsschmaus Bertholds stattfindet. Überhaupt ist 
das ganze Fest prächtig geschildert und meisterhaft 
ist die Kunst, wie Arnim das öfFenthche Gerede über 
Berthold, Anna und Anton einflicht, nämlich durch 
die Unterhaltung der Abwaschweiber am Brunnen. 
Volkstümliche Redewendungen, die Kritik, wie sie 
das Volk übt, die gegenseitigen Gifteleien, Naivetäten 
und plumplistigen Reden, jedes Wort ist der Wirk- 
lichkeit entnommen. 

Ganz eigentümlich realistisch geschildert ist Schloss 
Hohenstock, das Nest verkommender, aber kraftvoller 
Hohenstaufensprösslinge. Nichts von idealisierender 



- 87 - 

Stimmung verschönt die entsetzliche Verwahrlosung- 
des dort hausenden, Berthold verwandten Ritterge- 
schlechtes. Es besitzt noch immer etwas von seiner 
alten Kraft und führt mit wilder Energie sein wüstes 
Leben, so dass Berthold, trotz seines Abscheus, seuf- 
zend an sein eignes schwächliches Dasein denkt. In 
diesen Schilderungen haben wir wieder jenes kühne 
Herausheben des Wesentlichen ; im zweiten Buche 
Anna in all ihrer edl m Schönheit, hier im dritten 
Schloss Hohenstock in seiner dämonischen Hässlich- 
keit. Arnim ist hier so von Grund aus eigenartig 
dass an eine Vergleichung mit Walter Scott nicht 
zu denken ist, Walter Scott gibt uns eine glänzende ] 
Beschreibung des stolzen Kenilworth, der Residenz 
Leicesters; das düstere Schloss, das Amy Robsart's 
Kerker ist, steht vor uns in dunkler Grösse da, ebenso , 
die Burg der Herren von Avenel; seine Klosterbe- 
schreibungen sind voll Schönheit und Kraft, aber et- 
was wie Schloss Hohenstock, wo Arnim seiner un- 
heimlich plastischen Phantastik freien Lauf lässt, kann 
und will Scott nicht schildern. 

Geradezu aufatmen dürfen wir nach dem trotz 
aller Körperlichkeit gespenstischen Treiben auf Ho- 
henstock, wenn wir an die jauchzende Traubenlese 
der Waiblinger denken, zu der Herzog Ulrich von 
Würtemberg geritten kommt. Dieser ist frei von 
aller Tradition gezeichnet und entschieden origineller 
als später bei Hauff. Er ist bei Arnim « ein dicker 
Herr, ganz in grünen Samt gekleidet» Er ritt in 
die Mitte des Marktplatzes, «heftig zankend, und 
«stiess mit seinem rechten Fusse einem Jäger 
« die Rippen, der die Hunde führte und diese nicht | 
«zur rechten Zeit angelassen hatte. Darüber verlor 1 
« der Herr das Gleichgewicht und ein Jäger zog ' 
*ihn mit guter Absicht wieder auf die Mitte des J 



I 

I 



> Pferdes. Die g^te Absicht wurde ihm aber mit 
t Fusstritten vergolten und der Herr wackelte nach 
« der andern Seite über, so dass er ganz gelinde vom 
* Pferd heruntersank und auf die Beine zu stehen 
«kam.» So führt ihn Arnim mit originellem Humor 
ein. Er sucht aber dem Herzog, wie früher dem Kaiser 
Max, in jeder Richtung gerecht zu werden. Arnim 
wünscht keine Puppen, kaiserlich oder herzoglich an- 
gezogen, er erkennt das Interessante im Charakte- 
ristischen, wenn auch nicht immer in erster Linie 
im historisch Charakteristischen. Darum zeigt er uns 
Uhnch von Würtemberg von der schlechten wie 
von der guten Seite. Derb wird der Herzog in seiner 
brutalen Sinnlichkeit geschildert und dem herzog- 
lichen Sünder wird grober Tort angetan von den 
Freunden Frau Annas; dennoch zeigt ihn Arnim nicht 
minder energisch als umsichtigen Führer seines Heeres 
und als leidenschaftlich mutigen Krieger. Darin ist 
Arnim mit Scott zu vergleichen. Auch dieser schafft 
wundervolle historische Bildnisse, die unauslöschlich 
sich einprägen, eben ihrer vollen menschlichen Natür- 
lichkeit wegen. Wie Arnim sich weiter abgefunden 
hätte mit historischen Persönlichkeiten, kann nicht 
genau bestimmt werden; vergleichen wir aber Scott 
und Arnim, so ist Scotts Gerechtigkeit eine im besten 
Sinne historische, die Arnims eine mehr menschliche. 
Damit schliessen wir die Besprechung des ersten 
Teiles der «Kronenwächter*, von dem Wilhelm 
Grimm zusammenfassend sagt: * Überschauen wir noch 
«einmal das Ganze, so scheint ein reichbeschwertes 
" Füllhorn vor uns ausgegossen, ein Gemisch von 
«künstlerischen Kleinoden, seltenen, zum Teil fremd- 
4 artigen Blumen und Früchten ohne ängstliche, für 
idie Zukunft sorgende Sparsamkeit dargeboten. Die 
t Gesinnung, die durch das ganze Buch herrscht, ist 
«edel, rein und liebevoll.» 



mit ^ 




^BLerbi 
Ktärk 



Der zweite Teil, der in nicht endgültiger Form 
ppor uns Hegt, wäre ohne Zweifel einheitlicher ge- 
sn, als der erste, und die Hauptcharaktere, Anton 
und Anna aus dem ersten Teil und der dämonisch 
frevelhafte Seeger, vor allem aber die feine zierliche 
Susanna, der Schutzgeist von Antons edler wilder 
Natur, sind kraftvoll entworfen, so dass wir sagen 
können: wäre der zweite Teil in jeder Hinsicht voll- 
endet worden, so hätten wir ein Werk erhalten, das 
S-ch ebenbürtig neben e Bertholds erstes und zweites 
Leben» hätte stellen lassen und das vielleicht eine 
fTössere Annäherung an die Methode Walter Scotts 
erbelgeführt hätte, da das allgemein Geschichtliche 
P^tärker betont worden wäre. Der symbolische Grund- 
gedanke blieb allerdings und da wir Arnims Zwang- 
losigkeit, sein unbesorgtes Schwelgen in Poesie und 
Schönheit kennen, ist es unwahrscheinlich, dass er sich 
je den strengen Forderungen des historischen Romans 
gefügt hätte. Wir schliessen mit den Worten W. 

Icherers ' : « Arnim beherrscht die einzelne Erscheinung 
mit all ihrem kleinen Detail unumschränkt. In jedem 
seiner Werke lassen sich Szenen auszeichnen, welche 
an Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung keinen 
Vergleich zu scheuen brauchen. Er hätte ein Walter 
Scott der deutschen Nation werden können. Aber 
*es fehlte ihm einerseits das Strenge und Geschlossene 
«der Komposition, andererseits weiss er wie Heinrich 

• Kl^st gewissen Lieblingsabirrungen seiner Phantasie 
«keinen Einhalt zu gebieten. Vollends, wo er ein 
«jenseits der Geschichte liegendes, . , Symbolisches 

* anstrebt, scheitert er wie alle, welche dergleichen 
HJe versucht.» Und noch daraufsei hingewiesen : Arnim 

mte im wesentlichen von Scott nichts lernen, denn 

Wilhelm Scherer: -Jakob Grimm.» 




I 

n 

J 



— go — 

er ging nicht darauf aus zu lernen. Das beweist schon 
seine völlige Komposidonslosigkeit. Seine Originalität 
gerade in den « Kronen Wächtern e aber wird zweifel- 
los, wenn bedacht wird, dass wir Arnim den Poetea 
nie aus dem Auge verlieren, dass das Beste an seinem 
Werk das Klarwerden seiner leuchtenden Persönlich- 
keit ist. Lesen wir dagegen die « Waverley-Novels», 
so denken wir, so lange wir lesen, gar nicht an Scott 
und erst kraft einer na(.hträglichen Überlcguner er- 
kennen wir, wie reich an Wissen, Verstand und dar- 
stellender Kraft der Schotte ist. Arnim strebt kein 
von ihm losgelöstes Kunstwerk an und es ist undenk- 
bar, dass er jemals die Rolle des «grossen Unbe- 
kannten >, in der sich Scott gefiel, hätte spielen 
können. Die nächsten Freunde Scotts kamen nicht 
hinter sein Greheimnis, bis es ihm beliebte, den Schleier 
zu lüften. Arnims Eigentümlichkeit wäre sogleich 
herausgefunden worden, denn wie hätte er es Ober 
Sich bringen können, seinem Werk das Beste zu 
rauben, seine lichte, starke Persönlichkeit? 



Kapitel V. 

Tieck. 

Walter Scotts «Waverley Novels» können Irächt 
als Ganzes betrachtet werden. Es bleibt uns erspart, 
eine Entwicklung in dieser oder jener Hinsicht ver- 
folgen zu müssen, denn, wenn Walter Scott mit seinem 
«Waverley» ans Licht tritt, hat er schon ausgelernt, 
und die Art seiner Produktion bleibt sich gleich vom 
ersten Roman bis zum letzten, «Waverley» ist in seiner 
Art ebenso vollendet wie irgend ein späteres Werk. 
Die « Waverley-Novels s sind also nur das Resultat 
einer vorangegangenen Entwicklung. Das erhellt 



ts Resultat , 
-hellt schon 1 



p— — 

^■oaraus, dass Scott in solch rascher Weise produzieren 
^Hund in kürzester Zeit eine stattliche Reihe guter Werke 
^■'niederschreiben konnte. Und Walter Scott verdankt 
seinen aussergewöhnlichen Erfolg, die rasche Eroberung 
des allgemeinen Beifalls mehrerer Völker nicht nur 
dem günstigen Zeitpunkte seines Erscheinens, sondern 
ebensosehr der vollendeten Abgeklärtheit seiner Werke. 
Ganz anders Ludwig Tieck! Seine historischen 
Novellen und Romane sind nicht einem Geiste ent- 
sprungen, der ausgekämpft hat, der zur ruhigen Über- 
zeugung gelangt ist, gelassen, in heiterer Ruhe und 
Selbstsicherheit schafft und reine Resultate bringt. 
Jede der Tieckschen Novellen, der historischen so gut 
wie der Künstler- und Zeitnovellen, ist ein Dokument 
geistigen Kampfes, dessen Phasen deutlich genug zu 
verfolgen sind. Da Tieck Wandlungen durchmacht 

»und die Zeitdauer seiner Produktion eine ausserordent- 
lich lange ist, müssen seine Novellen untereinander, 
als Zeugen verschiedener Anschauungen und Über- 
zeugungen, verschieden sein. Einzig die edle *Vittoria 
Accorombonas ist das Werk eines gelassenen, ruhig 
und still gewordenen Geistes. So ergibt sich von 
selbst eine Entwicklung in den historischen Novellen 
Ludwig Tiecks. « Der Aufruhr in den Cevennen > 
(1826, 1820 begonnen), der in erster Linie in Betracht 
kommt, neben dem « Hexen sabbath s (1832) und dem 
« Wiederkehrenden griechischen Kaiser 3 (erster Plan 
1804, vollendet 1830), ist von der «Vittoria Accorom- 
bonas (1840) durchaus verschieden. Die Gesinnung, 
der Gesichtspunkt des Dichters, die Stimmung, Stil 
und Ton und Absicht des Ganzen sind bei den beiden 
Werften — dem «Aufruhr» und der «Vittoria» — 
nur schwer in Einklang zu bringen. Dies führt zu 
der Frage, wie sich Tieck seinem Stoffe gegenüber 
verhält, welche Rolle er sich selbst spielen lässt. Und 



I 

I 



hier ist auch der Ausgangspunkt für eine Vergleichun^ 
Tiecks und Scotts als historischer Romandichter. 

Für Waher Scott bedeutet die Geschichte alles. 
Ausschliesslich in ihrem Dienste steht sein ganzes 
Dichten. Er bestrebt sich, die vergangene Wirklich- 
keit in ihrem ganzen Reichtum an Kontrasten zu 
schildern, ordnet seine Ideen, seine Überzeugungen 
von vornherein dem historischen Material \inter, und 
es genügt ihm, mit der ganzen Kratt seiner Phantasie 
die Tatsachen der Geschichte in warmes, farbenbuntes 
Leben umzuwandeln. Scott ist also nicht polemisch, 
keineswegs tendenziös, Zorn und Arger finden keinen 
Raum in seinen Romanen. Dies ist bei Scott der Be- 
weis eines grossen Verstandes und einer klugen Über- 
legtheit; denn in seinem Privatleben ist er politisch 
und auch religiös ein sehr entschiedener Kämpfer, der 
eigensinnig' und heftig seiner Tor y- Überzeugung und 
seinem Hass gegen den Katholizismus Ausdruck ver- 
leiht '. Als Dichter steht er jedoch über den Parteien, 
und seine Katholiken in « Old Mortality », ein Claver- 
house, ein Lord Evandale werden keineswegs tenden- 
ziös entstellt, um ihre wilden Gegner, die Covenanters, 
in ein günstigeres Licht zu setzen. Walter Scott will 
eben als Dichter nicht kämpfen, er bestrebt sich aber 
auch nicht, die Rätsel des menschlichen Lebens zu 
lösen, psychologische, moralische und sittliche Kämpfe 
und Zweifel kennt er nicht, und noch weniger kennt sie 
seine Kunst, Die vorhandenen Formen und Äusserungen 
des menschhchen Geistes, besonders und vor allem 
seine Äusserungen in der Geschichte, die gewaltigen 
Kontraste und Konflikte derselben, sie sind der Stoff 
für Scott, und seine dichterische Gestaltungskraft über- 



' G. BraiiJes, H.iu|iUMöivii.ingeii, IV; -Der Natur.i!i5n 



1 Eng- 



~ 93 — 

schreitet nie die Grenzen des Tatsächlichen, des histo- 
risch Gegebenen. Daraus folgt ohne weiteres, dass 
Scott nichts weiss von Weltschmerz und auch keinen 
Drang und keinen Beruf in sich fühlt, als Dichter die 
verderbte Menschheit zu verlachen oder dem Ursprung 
der menschlichen Leiden nachzugehen. Wohl schildert 
er die Extreme des religiösen Fanatismus, wohl herrscht 
die reichste Mannigfaltigkeit in seiner Menschen Schil- 
derung, Erhabenes und Lächerliches, Edles und Ver- 
worfenes, nicht minder Durchschnitt und Mittelmäsaig- 
keit. Absonderliches und Groteskes, aber stets fragt 
Scott nur nach dem Wie, nie nach dem Warum. Und 
das ist es, was ihm nach Carlyle fehlte, um ein *great 
i, und hier liegt vielleicht auch der Grund, 
warum Scott so leicht und so bald vergessen wurde, 
als die Neuheit des historischen realistischen Romans 
sich ausgelebt hatte. Und dass Scott so unsägUch 
viel, oft und schlecht, besonders in Deutschland von 
Talenten dritten und vierten Ranges, nachgeahmt 
wurde, spricht dafür, dass seine Methode, seine Kunst- i 
praxis, nicht allzuschwer nachzuahmen waren. Sie 1 
waren eben nicht der unnachahmliche, spontane, un- \ 
verkennbare Ausfluss emes sich selber offenbarenden 
Geistes. Dies hindert nicht, dass nur ganz wenige 
Walter Scotts glänzende Charakterzeichnung und auch 
diese nur selten seine Kraft und Schärfe des Dialogs _ 
erreichten. 

Wie stimmen nun mit diesen Kunstanschauungen 1 
und dieser Auffassung der Geschichte diejenigen Lud- 
wig Tiecks überein? Folgender Ausspruch Tiecksj 
fOhrt uns dabei*: «Walter Scott besitzt eine grosse | 
Fähigkeit der Schilderung und Darstellung, er weiss I 

' »Ludwig Tiedij Erinnerungen aus dem Leben des Dichters . . . 
von Rudolf Köpke. 1855. U. p. 226. 




94 



< die Dinge im Einzelnen anschaulich i 

* darin liegt seine grosse Wirkung. Es 
« wenig, um ein wahrer Dichter zu sein ; 
« Wenige reicht gerade hin, um ihn von der höchsten 
« Stufe ausz US chli essen ...» Dazu gehört, was Köpke 
über den historischen Roman sagt, im Hinblick auf 
Tiecks Novellen ' : ' Die Romane des grossen Unbe- 
« kannten, die Waverley -Novellen, hatten einen Ein- 
« druck ohne Gleichen gemacht, und drohten alles An- 
e dere zu verdrängen. Die deutschen Uebersetzer und 

* Buchhändler waren haufenweise zur Arbeit bereit, 
« und die Nachahmer eilten, auf dem neugebahnten 
« Wege zu folgen. Historisches Leben und Charaktere 
«wurden verlangt; Schlachtstücke, Burgen, Costüme 
a bis auf die Strumpfbänder, Alles sollte historisch 
« sein. In van der Velde und Tromlitz war mehr als 
« ein deutscher Walter Scott gefunden, der ebenso 
«schnell produzierte wie der englische, ohne zu be- 
« sitzen, was diesen gross machte, die nationale Grund- 
« läge. — Diesen Erscheinungen der Tagesliteratur 
«fehlte, was allein einen bleibenden Werth verleihen 
« kann, die schöpferische Idee, der tiefere geistige Ge- 
«halt, der das Leben zum Leben macht. Und eben 
B hier lag die Stärke der Novellen Tiecks. » 

Köpke sagt dies von allen Novellen Tiecks, also 
auch von den historischen, rühmt mithin daran die 
a schöpferische Idee s. Damit ergibt sich von vorn- 
herein ein Moment, das Tieck von Scott trennt, denn 
bei jenem ist eben «das Weniges, das Scott fehlt, der 
Ausgangspunkt: die Idee, das Problem, wofür in der 
Geschichte Exempel gesucht werden. Die natürliche 
Folge ist, dass Tieck nicht Geschichte darstellt und 
plastisch verkörpert, sondern vielmehr über Geschichte 



' K5pke n, p. 44/45, 



J 



— 95 — 

schreibt oder besser durchaus moderne Ideen in mo- 
derner Form zum Ausdruck bringt. Auch Scott blickt 
aus seiner Gegenwart in die Vergangenheit zurück 
und stellt sich mit bewusster Absicht über seinen 
Stoff, aber er kritisiert nicht, er sucht nicht mit Ab- 
sicht psychologische Seltsamkeiten kraft seines moder- 
nen Geistes zu ergründen oder durch Beispiele aus 
der Geschichte moderne Anschauungen zu belegen. 
« In allen seinen historischen Novellen geht Tiecks 
* Bestreben dahin, Züge aufzufinden, die ein psychisches 
■ oder culturhistorisches Problem enthalten, die nicht 
« aus sich heraus begriffen werden können, nicht aus 
«der menschlichen Natur im Allgemeinen, sondern 
«nur aus ganz eigenthümlichen Voraussetzungen der 
«Bildung'." Tieek wählt sich also solche Momente 
in der Geschichte, die sich zur Analyse besonders 
eignen und ganz besonders verwickelte Probleme ent- 
, halten. Scott stellt dar, verkörpert vorhandene Tat- 
I Sachen und meidet jedes Analysieren, Tieck aber ana- 
I lysiert sehr oft, was seine Vorliebe für Gesellschafts- 
I gespräche erklärt. In ganz moderner Weisekonversieren 
1. die Tieckschen Personen über die der Novelle, in der 
I sie auftreten, zugrunde liegende Idee, die Gespräche 
illustrieren nicht die geschilderte Zeit, sondern sind 
Reflexionen über die Zeit und darüber, welche Äusse- 
\. rungsform das allgemein Menschliche zu der oder 
I jener Zeit annehmen kann. So gibt Scott das Büä der 
\ Geschichte, Tieck den S'/nn der Geschichte. Das sei 
, als Schluss aus dem Obigen gesagt, dass Tiecks ro- 
mantische Ironie, das Spielen mit Gegenstand und 
1 1-eser, die souveräne Selbstherrlichkeit des Dichters 
I auch in den historischen Novellen zu finden ist Er 
I daldet also keineswegs die Oberherrschaft der Ge- 

' Julian Schmidt V., p. 119. 



4 





96 - 



ue, steht ihr freier, unabhängiger gegeni 
Walter Scott, Tieck würde es auch nie einfallen, 
realistische Volksszenen zu schildern, und tut er es, 
bringt er « Ensemble-Szenen >, so sind sie weit ent- 
fernt davon, um ihrer selbst willen entstanden zu sein : 
Bei Scott gehören sie ohne weiteres zuni Gesamtbild 
der Geschichte, Tieck bringt sie nur als Illustrationen 
zum erörterten Problem, Tieck ist eben in diesen 
Dingen der Träger des romantischen Geistes, dem jede 
Naivetät fehlt und der mehr dem geistreichen Philo- 
sophieren als dem plastischen Darstellen geneigt ist. 

So stehen Scott und Tieck der Geschichte gegen- 
über, und diese Stellungnahme bedingt denn auch die 
eigentliche Technik und Methode der Novellen. In 
gewisser Hinsicht gehören — ausser den früher er- 
wähnten und der « Vittoria » — auch die Künstler- 
novellen Tiecks zu den historischen, doch wollen sie 
nicht historisch sein, und die Gestalten der Künstler, 
eines Shakespeare und mit ihm diejenigen Greens und 
Marlowes, ferner eines Camogns sind, wenn auch lebens- 
wahr gezeichnet, doch als Erscheinungen auf litera- 
rischem Gebiete nicht in erster Linie mit der Geschichte 
ihrer Zeit in Verbindung gebracht. Interessant ist 
jedoch die Tatsache, dass z. B. im ersten Teil des 
ä Dichterlebens» schon religiöse Fanatiker sehr lebendig 
geschildert werden, wie sie dann dem ^ Aufruhr in 
den Cevennen » zugrunde gelegt werden. Durch diese 
Berücksichtigung auch der nicht rein künstlerischen , 
Momente, eigentlich politisch oder religiös historischer I 
Erscheinungen bilden die Künstlernovellen den Über- 
gang zu den historischen. 

Jakob Minor, der Tieck als Novellendichter aus- 
führlich behandelte *, giebt eine ganze Anzahl von Ur- 




— 97 — 

teilen Tiecks über Scott, die beweisen, dass Tieck 
ganz gut von Scott dachte, dass er jedoch — wie auch 
der oben angeführte Ausspruch dartut — durchaus 
nicht für Scott begeistert war, und seine kühlen, vor- 
nehmen Kritiken lassen keinen Zweifel daran aufkom- 
men, dass er es unter seiner Würde gehalten hätte, 
für einen Schüler und Nachahmer Scotts angesehen zu 
werden. Dennoch müssen Tiecks historische Novellen 
als Konzession an den Zeitgeist aufgefasst werden, 
der sich, vor allem unter Walter Scotts Einfluss, mit 
neuer Energie der Vergangenheit zugewendet hatte. 
* Der Aufruhr in den Cevennen » wurde bei seinem 
Erscheinen mit Begeisterung aufgenommen, und als 
sich die Vollendung der Novelle immer wieder ver- 
zögerte, wurde Tieck bestürmt und beschworen, das 
schöne Werk nicht Fragment bleiben zu lassen. Minor 
spricht von glänzend aufgebotenem geschichtlichem 
Pathos und meisterhafter Charakteristik, und da nach 
seinem Ausspruch Tieck im « Aufruhr » sein Bestes 

Iauf dem Gebiet der historischen Novelle geleistet haben 
soU, kommt wohl diese Erzählung in erster Linie 
bei einer Vergleichung mit Scott in Betracht. 
Der Gegenstand des « Aufruhrs » ist ein Bei- 
spiel des religiösen Fanatismus. Die Novelle behan- 
delt den Widerstand der Camisards ums Jahr 1703 
gegen die katholische Regierungsgewalt und — was 
besonders zu betonen ist — enthält, für Tieck be- 
' zeichnend genug, einen Grundgedanken, der die Seele 
' des Ganzen ist, es werden Schlüsse aus dem vor- 

handenen Material gezogen und Tiecks persönliche 
I Stellungnahme festgelegt. Köpke^ gibt darüber aus- ^^ 
fuhrlich Auskunft; und um zu zeigen, wie Tieck an ^^H 
seinen Gegenstand herangeht, soll einiges zitiert wer- ^^M 
' loc dt. ir, p. 50-51. ^H 

TJuterBachuugeii VII, We-ager, Historiacbe Bomane, 7 ^^^| 



"den; ä^Das Verhältnis des Menschen zum < 
1 war der eine Punkt, auf den alles ankam. Früher 
« hatte er dessen Ausdruck in der Legende und Mystik 
» gefunden. Auch jetzt war er weit entfernt, Wunder 
« und Geheimniss anzugreifen, wie man ihn Schuld 
t gab ; vielmehr fasste er es tiefer und unmittelbarer 
« auf. Das Gresetz, von dessen scheinbaren Ausnahmen 

* wir als von einem Wunder sprechen, ist selbst das 
s Wunder, hier liegt das Geheimnis, es umgibt uns, 
ain ihm leben wir, aber wir nehmen es nicht wahr. 
e Darum kann und soll die vereinzelte Thatsache eines 
« Wunders niemals zum ausschliesslichen Mittelpunkte 
1 des religiösen Bewusstseins gemacht werden. Die 
« Offenbarung bedarf dessen nicht, und die unruhige 
e Wundersucht, welche immer nach neuen Bestäti- 
«gungen des Ewigen sucht, ist am Ende Irreligioätät 
(i oder Schwärmerei. Das höchste aller Wunder aber 
« begibt sich in dem Menschen selbst, wenn das Herz 
8 des Bereuenden oder Gleichgültigen sich unwider- 
a Stehlich zu Gott hingezogen fühlt. Denn hier geht 
« der Schöpfungsprocess zum zweiten Mal vor sich, 
« in dieser Wiedergeburt wird aus Nichts Etwas ge- 
s schaffen. » 

Diese Gedanken, die in der Novelle dem Pfarrer 
Watelet in den Mund gelegt sind, verbreiten sich über 
die Schäden der Glaubensexzesse, die entstehen durch 
Verbindung der « höchsten göttlichen Erhebimgen mit 
« den dunklen Naturkräften und dem dämonischen 
« Nichts. » Und, gleichsam als Quintessenz : «Vor diesen 
« Verirrungen bewahrt nur Demut, Entsagung, ein- 
e facher Wandel und Gebet. Das Christentum aber 
ä in seiner unendlichen Milde weist kein wahres Be- 

* dürfhis und keine wahre Sehnsucht ab. Wie es ein 
« Unendliches und Allgemeines ist, so ist es auch für 
«jeden ein Besonderes; darin liegt seine Freiheit. Be- 



I 



— gg — 

mkÜieät ist es, seinen ganzen tiefen Inhalt auf 
eine Silbe stellen und diese Silbe aller Welt auf- 
drängen zu wollen, und Profanation des Heiligen, «s 
unaufhörlich im Munde zu haben.» 

Solche Lehren zieht Tieck aus der Gesdüchte, 
sind ihm Anfang und Ende. So dient ihm der 
Held Edmund dazu, die Schwärmerei und das Unheil, 
das ihr entkeimt, zu beleuchten. Edmund ist fanatischer 
Katholik, wird ebenso fanatischer Camisard und macht 
schliesslich die Läuterung im Sinne Tiecks durch: Er 
bekehrt sich zu den milden Ideen Watelets, des Spre- 
chers Tieckscher Auffassung^. Er ist also mehr Pro- 
gram mfigur als ein abgerundeter, überzeugender 
Charakter. Stets und überall wird die Idee in den 
Vordergrund gestellt. Deshalb ruht der Schwerpunkt 
mehr auf den zwischen den einzelnen Ereignissen 
ruhenden Partien, zum Teil auf Reflexionen über 
eben in Frage stehende Personen, besonders aber auf 
Gesellschaftsszenen, wo lebhaft und eingehend disputiert 
wird. Dabei ist die historische Wahrheit nicht vernach- 
lässigt, sie ist aber, im Gegensatz zu Scott, eine mrfir 
innerliche. So erhalten wir wohl ein klares Bild von 
den Motiven, die die Camisards zum verzweifelten 
Widerstände treiben, und die geistigen Kontraste mit 
den Katholiken sind klar herausgearbeitet, auch wer- 
den die geistigen Zustände der einzelnen Personen 
scharf und im Sinne des Grundgedankens manchmal 
tendenziös geschildert. Von dem äussern Gang der 
Ereignisse aber, von der ganzen körperlichen und 
äusserlichen Wirklichkeit des Aufstandes und der darin 
handelnden Menschen erhalten wir kein deuthches Bild, 

K verstehen die Bewegung, wir sehen sie aber nicht, 
' So wird 



I 

4 



' So wird Watelet von Minor and nacli ihm auch von G. Klee 



das ganze Werk als solches ist nicht ein ini Sinne 
Walter Scotts pittoreskes zu nennen, sein Ideengehalt 
ist viel grösser, seine bildliche Gewalt aber viel ge- 
ringer. Um sich hievon zu überzeugen, braucht man 
sich nur an Walter Scotts « Old Mortality » zu erinnern, 
einen Roman, der einen ähnlichen Konflikt behandelt 
wie die «Cevennen * '. Scott ist weit entfernt davon, 
das völkerpsychologische Element nachdrücklich in den 
Vordergrund zu stellen und noch viel weniger die 
Psychologie des einzelnen oder des menschlichen Gei- 
stes überhaupt. Breit ausgeführt rollen die Ereignisse 
am Leser vorüber, und sie sowohl wie die ausschlag- 
gebenden Typen und Einzelmenschen sind so in voller 
Wirklichkeit wiedergegeben, dass feste, scharfe Um- 
risse entstehen und dass das Verständnis der Bewegung 
der Covenanters gleichsam von aussen nach innen sich 
entwickelt. Für Scott ist der psychologische Zustand 
der Menschen etwas Gegebenes. Feststehendes, und 
seine Aufgabe ist es nicht, Rätsel zu lösen, sondern 
die Äusserungen dieses Gegebenen. Feststehenden in 
voller Lebendigkeit wiederzugeben. Daher die Klar- 
heit Scotts, daher die Möglichkeit, von den breitesten 
Schichten der Gesellschaft verstanden zu werden. Viel- 
leicht kann man schon aus diesem Grunde Scott demo- 
kratisch, Tieck aristokratisch nennen. Für verwöhnte 
Leser musste Scott bald an Reiz verlieren, Tieck da- 
gegen konnte nie jene Popularität erreichen, die Walter 
Scott spielend gewann. Es mag Tieck verstimmt haben, 
hinter einem Manne zurückstehen zu müssen, dessen 
Kunst er zum mindesten der seinen nicht überlegen 

' Ebenfalls hier so neDoen wBten BaJzacs -Les Chouans», ein 
Werk, das seines realistischen Gelialtes wegen auch mit Scott lu ver- 
gleichen ist. Ebenso «Chronique du rigne de Charles IX. von Prosper 
M4riin4e. Es wurde Tieck vorgeworfen, dass er sich in seiner «Vittoria 
AccoromboDBi der franzSsischen Romantik genähert habe. Dann käme 
auch Victor Hugos iNotre Dome de Paris> io Betracht, 



— lOI 



• • 



glaubte, eine Kunst, die trotz geringerer Ansprüche 
und Absichten, die Leistungen Tiecks ^f dem Ge- 
biet der- historischen Novelle übertrifft. 'Wenn Tieck 
gar keinen Versuch machte, pittoresk zu sQin, so 
wären seine historischen Novellen von vornhetifeilL von 
Scott verschieden. Da er aber hie und da verglicht, 
plastisch darzustellen, äusserlich charakteristisch .«ii 
sein und hierin Scott nicht erreicht, so darf in dieser"^. 
Hinsicht von einer Überlegenheit Scotts gesprochefr-^ 
werden. 

Bei Betrachtung einiger besonderer Punkte tritt 
die verscluedene Veranlagung Scotts und Tiecks noch 
schärfer hervor als in der GesamtaufFassung historischer 
Gegenstände uud Probleme. Walter Scott ist z. B. 
überzeugt, dass nur auf Grund detaillierter Schilde- 
rungen der Natur, der Zeit und der Personen ein 
Bild entsteht, und die Kraft der Schilderung, voll 
Phantasie und historischer Echtheit ist eines seiner 
wichtigsten Kunstmittel. Seine Schilderungen der 
Hochlande und seiner Bewohner, der sozialen Ver- 
hältnisse und der einzelnen Menschen sowohl, wie 
auch der Lokalitäten, in denen sie sich bewegen, seine 
detaillierte Zeichnung jedes äusserlichen Momentes, 
das zur Charakteristik beiträgt, kurz, seine streng reali- 
stische Methode der Schilderung ist untrennbcir von 
jedem seiner Werke. Dadurch entstand jene Weitläufig- 
keit, die von Anfang an als lästig empfunden wurde, 
kraft deren Scotts Leser aber eine vollkommene Er- 
kenntnis des geschilderten Gegenstandes erreichte. 

Tieck konnte sich einer solchen Behandlungsweise 
nicht anbequemen, schon deshalb, weil nicht der Gegen- 
stand an sich ihm genügte, sondern die Folgerungen, 
die aus einem historischen Ereignis gezogen werden 
können. Scotts Arbeitsweise war ihm zu derb, was 





ans folgenden "von Minor zitierten Worten hervorgeht': 
« Nur kein*;->raturschilderungen, wie einige vielgelesene 
■ und ber^imte Romanciers sie jetzt Mode gemacht 

• hab€q>..Ohne Stimmung ist keine Natur da, und ob 
«dep .Nebel auf den Bergen oder auf meinem Gemöte 

* liegt,-' ist dasselbe. Diese zusammengesuchte Mosaik 
« fet ebenso lästig wie die gelehrte Kleid erbeschr ei bung 

■■>tfer Personen, oft der unbedeutenden.» Hätte Tieck 
'"-Jenen Sinn för das Malerische, den wir bei Scott fin- 
den und der ausschlaggebend ist für die Wirksamkeit 
eines historischen Romans, er hätte di^e Worte nicht 
geschrieben. In seinem « Aufruhr > spielen denn auch 
die Naturschilder uagen nicht dieselbe Rolle, wie bei 
Scott. Scott braucht Grund und Boden, um die Eigen- 
art der Menschen zu erklären, die Schilderung der 
Natur zeigt uns, warum die Menschen so und tücht 
anders sind, und es ist wohl nicht zuviel gesagt, dass 
Scott eben wegen seiner Schilderung von Grund und 
Boden und des Verhältnisses desselben zum Menschen 
ein Vorläufer der realistischen Bauern gesciiichten ge- 
nannt werden kann. Jereraias Gotthelf soll Walter 
Scott fleis^g gelesen haben ', und vielleicht könnten 
einige Novellen Gotthelfe, z. B. s Der letzte Thorberger > 
und « Kurt von Koppigen i^ zu Walter Scott in Be- 
ziehung gesetzt werden. Die oben angeführten Worte 
Tiecks erlauben aber noch einen andern Schluss'. Er 



* kic. dL p. 14S. Die Woftc stehen im «iJtea Budiei. 

■ In C. MauMtl: <A]beit Bilzias> lesen «li p. ib (Gotthflf be- 
findet sich in Gnitingeii, 1S21): 'Er las . . . ziemlich viel, und zu seineti 
«EiludimgeD geholte acih Hn Leseneiein mit einten Fieunden, in welchem 
(ouDeathch WaiUr Scott beliebt wiu. Wir habet) toq Uoiveibiiätsfteuaiica 
• von Bjtzius die Behauplung gehört, das? die Voriiigc dieses Schrift- 
«EteSers, die Feinheit der Chaiahteiistik, die psychologische Wahrheit, 
inkbt obneEmfiuiE auf Bitmus' Geist gewesen undauck ia leüen Schrifleii 
Bodi DMcbgewitkt hätten, was leicht mißlich isL> AdtilJ BarttU biingt, 
jedenfalls nach Manuel, dieselbe Noitz in seinem 'Jeremias Gotthelfi. 



r 



— 103 — 

verwahrt sich besonders gegen die Schilderung- der 
Kleidung unbedeutender Personen, also z. B. Wambas 
und Gurths in *Ivanhoe» oder Petit-Andres und Trois- 
Echelles' in «Quentin Durward». Er sieht es also 
ofF«ibar nicht für nötig an, die breiten Schichten des 
gemeinen Volkes zu charakterisieren, dazu gibt er sich 
nicht her, und seine Kunst ist also auch hierin aristo- 
kratisch zu nennen; nicht das soziale Gesamtbild, die 
ausserliche Zusammensetzung des Volkes, bedingt durch 
den Boden, den sie bewohnen, und durch die mannig- 
faltigen Lebensgewohnheiten, sondern ein Bild der Welt, 
wie es sich spiegelt im geschulten Geiste des Philo- 
sophen oder den fein gebildeten Köpfen der » Gesell- 
schaft'. Daher bekommen wir weder ein deutliches, 
gleichsam greifbares Bild der Cevennen ', noch der 
einzelnen Camisards, mögen sie im wesentlichen noch 
so historisch richtig gezeichnet sein. Wie anders da- 
gegen Scott, dessen harte, wilde Covenanters den 
stärksten bildlichen Eindruck hervorrufen und fest und 
selbstverständlich auf der Erde ihres I..andes stehen. 
Dies führt zur Betrachtung von Tiecks Charakter- 
zeichnung. Er fasst seine Aufgabe anders auf als Scott. 
Neben den Scottschen Menschen sind die Gestalten 
des »Aufruhrs» durchwegs blass geraten und können 
nicht auf eine Stufe mit den Menschen der Waverley- 
Novels gestellt werden. Es macht sich eben das Vor- 
herrschen der Idee auch hierin geltend. Im Gegen- 
satz zu Scott will Tieck nicht nur kraftvolle, ohne weiteres 
verständliche Menschenexemplare hinstellen, sondern 
die Formen zeichnen, die der menschliche Geist unter 
dem Einfluss aussergewöhnlicher Ereignisse annimmt 
Und da das Problem vorwiegt, unterlägst Tieck die 

' VoD Bedeutung ist auch, dass Tieck die Cevennen gar nidit 
kunle und nkht glaubte, der Ansduauiis der LoballtSI«n lu b«dürfto. 



104 



Abrundung' seiner Gestalten zu Menschen von Fleisch 
und Blut Eines ist aber noch wichtiger und hängt 
mit dem Gesagten zusammen : Das historische Kostüm 
wird bei Tieck nicht mit dem Nachdrucke Walter 
Scotts gepflegt, der ganze Apparat der geschilderten 
Zeitepoche, äussere und innere Zusammensetzung der 
menschlichen Gesellschaft, kurz, der tatsächliche Ge- 
samtzustand von Land und Menschen wird in den 
Hintergrund geschoben. Die Folge ist die, dass wir 
keine plastischen, pittoresken Gestalten erhalten und 
dass die Charakterzeichnung von Typen aus dem Volke. 
Typen, die aus den Zeitumständen entstanden sind und 
den Durchschnitt des Volkes darstellen, entweder ganz 
fehlt oder aber keine körperhchen Menschen schafft, 
da sie wohl den Einfluss einer Idee auf das Volk, 
die Wirkung auf das Volk berücksichtigt, nicht aber 
den allgemeinen Durchschnittszustand desselben zur 
Zeit der Ruhe, die dann durch den Sturm der Ereig- 
nisse zerstört wird. Bei Scott kennen wir das Volk, 
deutlich gemacht durch plastische Darstellung einzelner 
Repräsentanten, wenn es in ausser gewöhnliche Aktion 
tritt, wir kennen das Milieu, wir kennen alle äussern 
und damit alle innem Zustände aufs genauste, und 
aus dem Zustande der Ruhe entwickeln sich kraftvoll 
und selbstverständlich Konflikte und Katastrophen. 
Diese breite Grundlage finden wir nicht bei Tieck, 
im «Aufruhr« noch weniger als z. B. im « Wiederkeh- 
renden griechischen Kaiser», wo wir das Volk als 
solches in einigen lebhaften Szenen selbständig auf- 
treten sehen. Auch im « Hexensabbath» lernen wir 
den Bürger kennen, wenn auch nur oberflächlich, denn 
hier haben wir das für Tieck typische Vorherrschen 
der Gesellschaftsszenen und der damit verbundenen 
Konversation. Im « Aufi-uhr ■» dagegen erfahren wir 
gar nichts über den allgemeinen Zustand des Landes, 



' und ihn zu charakterisieren durch plastisches Darstellen 
einzelner Milieu-Szenen und einzelner typischen Ver- 
treter des Volkes ist Tieck nicht gewillt. Die lobenden 
Worte Minors haben oben erwähnt werden müssen und, 
wenn er die lebhafte Erfassung und feine Zergliederung 
des historischen Phänomens der Camisarden zum Mass- 
stabe des Urteils nimmt, rühmt er mit Recht das « hohe 
g-eschichtliche Pathos». Das Phänomen als solches 
ist meisterhaft erklärt und in allen seinen Abstufungen 
wiedergegeben, verlangen wir aber vom historischen 
Romanschriftsteller, dass er uns Menschen charakte- 
risiere, dass er kraftvoll realistisch eine Zeit behandle, 
so verliert Tieck vieles gegenüber Walter Scott; denn 
es ist nicht leicht, Tiecks Gestalten für lebende Men- 
schen anzusehen. In dieser Hinsicht steht «Der grie- 
chische Kaiser 9 und zum Teil auch der « Hexensab- 
bath » höher, wo wir sehr schöne, wirklich lebendige, 
wenn auch nicht sehr historisch richtige Menschen an? 
treffen, und wenn wir an Gestalten wie Marlowe iml 
« Dichterleben 8 denken, so verblassen die Camisarden' 
und noch viel mehr die Katholiken des « Aufruhrs » 
vollends. Edmund, der Held, der oben Programmfigur 
genannt wurde, überzeugt nicht, und es entsteht der 
Eindruck, er habe als warnendes Beispiel aufzutreten 
und die Schrecken des Fanatismus am einzelnen Men- 
schen zu verkörpern. Er ist blindwütender Katholik, 
wird beim Anblick eines prophezeienden Kindes ebenso 
fanatischer Camisard und wird durch den Pfarrer Wa- 
telet ohne Schwierigkeit für dessen milde Menschlich- 
keit gewonnen. Da sich Tieck nicht genau ausspricht 
über die momentane Gabe der Prophezeihung, sie nicht 
als zweifellose, unantastbare Wahrheit hinstellt, wirkt die 
erste Wandlung Edmunds zum Camisarden nicht über- 
zeugend. Noch weniger ist die zweite Wandlung zu 
begreifen. Er hat die Wunder an sich erfahren, hat 



t 



zu^^_ 

1 



— io6 

sie gesehen, uud nun geniigen die milden, versöhnen« 
den Lehren eines alten Priesters, die Wucht der Tat- 
sachen aufzuheben und Edmund von neuem zu be* 
kehren. Sein äusserst heftiges, leidenschaftliches Ge- 
müt ist nicht zu vereinbaren mit dieser Wandlung*. 
Auch ausserhalb seiner religiösen Anschauungen ist 
Edmund schwer verständlich. Edmund soll doch offen- 
bar ein edler, impulsiver Mensch sein, d^ von seinen 
GefDhlen hin und hergewc^rfen wird, und der alte Haus- 
arzt des Hauses Beauvais, eine der besten Figuren, 
bestätigt es oft. Tieck will die Verblendung des Fa- 
natismus schildern und lässt deshalb Edmund ganz 
falsch, unerklärlich handeln. Christine, Edmunds Ge- 
liebte, ein edles, leidenschaftliches, warmherziges Wesen, 
wirft dem Marschall Montrevel, der eine Frau und ihre 
zwei Mädchen als camisardenfreundlich hatte erschiessen 
lassen, seine ganze Verworfenheit ins Gesicht, so dass 
er wutbebend ihre Gesellschaft verlässt. Edmund nun, 
der sich ebenfalls über die Untat entsetzt hatte, weiss 
nichts Besseres zu tun, als Christine dürre Vcnrwürfe 
zu machen, und wie sie in leidenschaftlicher Erregtmg 
heftige Worte ausstösst gegen die Brutalität der ka- 
tholischen Heerführer und für die Camisardeu als arme 
Verfolgte Mitleid zeigt, verlässt er sie, indem er seine 
Liebe zu ihr verflucht. OflBenbar ist es Tiecks Ab- 
sicht, ihn dadurch als starren Fanatiker hinzustellen. 
Dazu bedürfte er aber wirklich bedeutender kraftvoller 
Züge, die ihm abgehen, die glaubwürdig zu machen 
Tieck nicht gelingt. Solcher Rätsel gibt uns Tieck 
mehr zu lösen. Die Helden Walter Scotts sind bekannt- 
lieh ganz anders. Sie gehören zu den unbedeutend- 
sten Menschen im Roman, w^den geschoben, mehr 
als dass sie schieben, und sind gleichsam der Spie- 
gel der Ereignisse, an ihrer Hand gehen wir von 
Entwicklung zu Entwicklung, und um so wirksamer 



treten die eigentlich hervorragenden Personen nur z«t- 
w«se und doch als Triebfedern des Ganzen hervor, 
Tieek ahmt diese Methode nicht nach, denn Edmund 
ist al« Repräsentant der Grundidee die wichtigste Per- 
son der Novelle. Schliesslich sei darauf aufmerksam 
gemacht, dass Edmund wie das ganze Milieu, in dem 
er sich bewegt und dem er ursprünglich angehört, die 
Gesellschaft der Adligen, der Gebildeten, kein histo- 
risches Kolorit besitzt; sie offenbaren nicht einen 
durch die Zeit bedingten Charakter, sondern könnten 
ebenso gut ihrer ganzen Denkweise und der Art ihres 
WesCTis nach Tiecks eigener Zeit angehören. Es sind 
vor allem Gesellschaftstypen, die über den Grundge- 
danken 6er Novelle zu konversieren haben, und sie 
tun es mit viel Geist und Einsicht, denn hier befindet 
sich Tieck in seinem Element, Das Phänomen des 
Fanatismus wird nach allen Seiten beleuchtet mit einem 
Scharfsinn und einer Feinheit, die gänzlich ausserhalb 
des Gebietes Walter Scotts liegen. Aber die Charak- 
I teristik der Personen leidet darunter, denn sie sprechen 
I mcht sowohl für sich und von sich und nicht in durch- 
r ao» persönlicher Weise wie bei Scott, sondern vielmehr 
als Vermittler von Ideen wie etwa die Teilnehmer 
einer öffentlichen Diskussion, bei der auch von den 
Charakteren der einzelnen nichts bekannt wird. Dass 
L (Bes nicht allgemein der Fall ist, ist leicht verständlich, 
I aber die persönliche Charakteristik geht doch nebenbei, 
I Und wird persönlich charakterisiert, so geschieht es 
I durch Reden, nicht durch Handlungen. 

Wie steht es nun mit den eigentlichen Camisards, 

f besonders den historischen Führern derselben? Es ist 

KTleck die historische Exaktheit nach den vorhandenen 

I Angaben und Zeugnissen nicht abzusprechen. Daher 

C nur zu untersuchen, ob Tieck es versteht, sie in 

3 Geiste lebendig zu machen. Wenn man «Old j 



4 




io8 



Moitalfly> und gleich darauf den cAufi^hr* liest 
and die gebliebenen Eindrücke prüft, macht man die 
Entdeckung, dass man Walter Scotts Covenanters deut- 
lich vor sich sieht und von ihnen sprechen kann, selbst 
wenn man die Namen vergessen hat, die Camisards 
dagegen nur wie durch einen Nebel erblickt Das 
kommt natürlich daher, dass Scott das ganze Leben 
der schottischen Sektierer entwirft, dass er Kampf, 
Lagerleben und Gebet. Zeit und Ort genau berück- 
sichtigt. Burleys Taten entwickeln sich Schritt für 
Schritt, sichtbar und greifbar, Handlung reiht sich an 
Handlung in detailUerter Schilderung, die Helden wer- 
den also durch ihre Handlungen charakterisiert, wo- 
durch sie plastisch und pittoresk werden und als ein- 
zelne Erscheinungen im Gedächtnis haften. Tieck 
dagegen kennt das Pittoreske im Sinne Scotts gar 
nicht, denn seine Camtsarden werden im geringsten 
Masse handelnd vorgeführt. Ausschlaggebend, über 
den Charakter orientierend, sind einzig Ensembleszenen, 
in denen sich die Gesinnung der Sprecher enthüllt. 
Von der Sprache als solcher wird nachher die Rede 
sein; hier sei bemerkt, dass Cavalier, Catinat, Roland, 
Ravanel, die wir nur durch ihre Reden kennen lernen 
— ihre Taten werden uns meist nur durch Dritte er- 
zählt — nichtjeder eineseinem Charakter entsprechende 
Sprache führt, was den Eindruck der Persönlichkeit ver- 
schwimmen macht Es entsteht allerdings zum Schlüsse 
das Resultat, dass Cavalier trotz seiner Tapferkeit milde 
imd sanft, Catinat schonungslos rachedurstig, Roland 
voll besonnenen Ernstes und unerschütterlicher Ge- 
rechtigkeit erscheint und Ravanel endlich in bhnder 
Wut alles zu zerstören imstande ist Die Führer sind 
also charakterisiert, aber sie erwecken in der Phantasie 
keine Vorstellungen, die Einbildungskraft bleibt un- 
tätig und an Stelle körperlicher Menschen von Fleisch 



flut treten doch wieder Vertreter von ( 
jungen. 

Mit diesen Ausführungen über die Charakteristik 
P Tiecks steht in engem Zusammenhang als notwendige 
r Ergänzung die Behandlung der Sprache als Mittel zu 
^ charakterisieren. 

Dass Scott es meisterlich versteht, die Sprache 
I ;äem Sprecher anzupassen, ist bekannt, und er beherrscht 
I alle Abstufungen von der feinsten Hofsprache bis zum 
f'derbsten Kneipenton. Er ist eben Realist, Schilderer 
I der wirklichen Welt und das Anpassen der Sprache 
1 an das Milieu ist ihm selbstverständlich. Es ist also 
Iran freiwilliges Verzichten auf den gleichmässig ge- 
rbildeten Stil des Erzählens, die natürliche Sprache 
Lwird nicht in die Schriftstellersprache umgewandelt, 
l'flondem hingesetzt in unverfälschter Gestalt. Auch 
I dies ist das beste Mittel, pittoresk, historisch richtig 
¥iuid charakteristisch zu sein. Als Beispiel kann auch 
f liier vor allem « Old Mortality s erwähnt werden, denn 
[ nicht nur spricht ein jeder seiner Stellung und seinem 
F Charakter entsprechend, sondern auch die Gesamtheit 
■ ''der Covenanters spricht im gleichen durch ihre leiden- 
Tschaftliche Liebe zur Bibel bedingten alttestam entlichen 
fc Stil, was im höchsten Girade malerisch und charakte- 
{iristisch wirkt. Besonders da die Frivolität und Gott- 

keit der königlichen Soldaten sich nicht minder 
in ihrer Sprechweise ausprägt. So entstehen 
e Kontraste, scharf charakterisierte Abstu- 
ingen. 

Tieck verschmäht dieses Kunstmittel durchaus 

l gewinnt damit an Feinheit, was er an plastischer 

j-aft verliert. Tieck kann gar nicht sprachlich cha- 

I rakterisieren, denn, wo er es versucht, scheitert er. 

l'So da, wo ein Jäger zu Edmund folgende Worte 

(■■Spricht, die volkstümlich sein sollen: « . . einfach sol- 



J 



«len wir an den Herrn denken tun» oder'- 
« es ziemt sich auch nicht, in unserm Jammer jubilie- 
« reo zu tun, » Ebenso unnatürlich, besonders unkind- 
lich spricht stets die kleine EveUne, der Tieck keine 
echte Kindersprache zu geben weiss, wenn er es auch 
versucht. Der Gipfel der Unnatur ist aber erreicht 
in der Sprache der alten Barbe, die stets in einem 
Schwall verdrehter Fremdwörter sich ausdrückt, die 
sie beim Dorfchirurgen, ihrem Manne, aufgeschnappt 
hat. Frau Barbe ist satirisch gedacht, sie persifliert 
die Halbbildung und das Protzen mit nicht Verstan- 
denem. Dies ist bezeichnend: Tieck steht nicht an, 
ironisch-romantisch mitten in die Erzählung hinein eine 
solche nur als Satire denkbare Gestalt zu setzen. Es 
fehlt ihm also jener Sinn für das äusserlich Charakte- 
ristische und jene Achtung davor, die bei Scott so 
bedeutend ist. Die ganze geschilderte Welt hebt Tieck 
in eine feinere Atmosphäre, er verfälscht nicht, aber 
er verfeinert 

«Die Ritter des 13,, die Höflinge des 15., die 
«Dichter des 16., und die Fanatiker des 18. Jahrhun- 
■8 derts empfinden, denken und reden genau auf die- 
lt selbe Weise, wie die feingebildete Theegesellschaft 
« im Phantasus empfindet, denkt und redet In dieser 
fl Disharmonie des Denkens liegt zugleich der Schlüs- 
« sei für die falschen Motive der Handlungen. Tiecit 
« beobachtet zuweilen sehr fein, insofern er für exzen- 
« trische Züge und für kleine Schwächen der mensch- 
« liehen Natur ein scharfes Auge hat ; aber er ist zu 
«subjektiv in seiner Beobachtung; er gibt sich nicht 
« unbefangen den Gegenständen hin, er sieht sie durch 
« das Medium eines poetischen Äthers, der Farbe und 

• Umrisse doch sehr wesentlich verändert. — Im « Auf- 

* rühr in den Cevennen » ist der Fanatismus in seiner 
« Massenwirkung nicht schlecht geschildert aber die 



— III — 



« Seelwibewegung des Helden (Edmund) ist ganz t 

< deutlich Und wie blass und schattenmässig; 

* sehen die Führer der Camtsarden aus, namentlich Ca- 
« valier, wenn man sie mit der kräftigen Farbe in W. 
« Scotts « Old Mortality » vergleicht . . . »^ 

Alle Ausführungen, die bisher gebracht wurden, 
beziehen sich auf den «Aufruhr in den Cevennen». 
Der Hauptton durfte wohl auf diese historische Novelle 
Tiecks gelegt werden, da sie vielfach für das Beste 
angesehen wird, was Tieck « auf historischem Gebiete 
geleistet • ^ habe. Es ist also billig, die \'orangegan- 
geuen Untersuchungen zu ergänzen und zu modifi- 
zieren im Hinblick auf die beiden andern, schon mehr- 
mals angeführten Novellen, den « Wiederkehrenden 
griechischen Kaiser v und den « Hexensabbath». 

Vor allem sei bemerkt, dass einmal das philo- 
sophische Element, das psychologische Problem nicht 
so deutlich und nicht so hauptsächlich in den Vorder- 
grund tritt, wie im « Aufruhr » und dass dem rein 
Tatsächlich en grössere Bedeutung eingeräumt wird. 
Damit ist eine pittoreske Behau dlungsweise im Sinne 
Scotts von vornherein möglich. Und wirklich, die 
Gestalten der beiden Novellen sind viel kräftiger, 
individueller gezeichnet als die des « Aufruhrs «. Im 
» Griechischen Kaiser ^ haben wir schon einen ener- 
gischen Kontrast in den beiden Grossen des flandri- 
schen Reiches, die sich gegenseitig durch Intriguen 
zu stürzen suchen. Der eine glänzend beredt, lebens- 
lustig, gross, stark, mit vollem lebhaft bewegtem Ge- 
sicht, der andere blass, hager, klug berechnend und 
verschwiegen; sie machen einen lebhaften Eindruck, 
wenn sie auch keineswegs vollendete Gemälde, sondern 



' Julian Scbmidt, V., 



J 



nur halbfertige Skizzen sind. Einen ähnlichen Kon^ 
trast bilden die Söhne der Beiden, der eine fein, stiU 
und bescheiden, der andere ein rauher, rücksichtsloser 
Krieger. Diese Kontraste sind gewollte malerische 
Effekte, nach denen Tieck förmlich zu suchen schränt, 
denn der junge Ferdinand, der spätere Erbe des Rei- 
ches und Gemahl der jugendfrohen Johanna von Flan- 
dern, hat. während er noch unerkannt am Hofe lebt, 
als treuen Freund den kleinen hässlichen Ingeram zur 
Seite, ein Verhältnis, das auch die seltsamsten inner- 
lichen Kontraste enthält und das Interesse in hohem 
Grade weckt. So entrollt sich ein körperliches Bild 
der Welt, in einer Breite, die Tieck von Walter Scott 
übernommen und gelernt haben könnte. Die einzelnen 
Wirklichkeitsmomente sind besonnen benutzt und wenn 
sich schliesslich diese Gesellschaft uns deutlich be- 
kannt gewordener Menschen vereinigt in der Schluss- 
szene, wo der falsche Graf von Flandern, ein anderer 
Demetrius ', entlarvt wird, so sind wir in einer Span- 
nung, die der « Aufruhr » nie in uns erregt. IMese 
Schlussszene ist malerisch sehr schön, wir sehen alles 
einzelne genau, Tieck schildert es mit bewusster Kunst 
Die erhöhte Betonung der sichtbaren Welt und der 
äussern Eigenschaften ist einmal dem ganzen Gegen- 
stand, der durchaus politischer Natur ist, zuzuschreiben. 
Die Annahme ist aber ebenso berechtigt, dass die ver- 
mehrten realistischen Elemente und das Zurücktreten 
der Idee durch den Einfluss Walter Scotts oder we- 
nigstens durch dessen bewährte Methode zu erklären 
sind. Als Ganzes mit dem «Aufruhr* verglichen, be- 
deutet der ' Griechische Kaiser t einen Fortschritt auf 
dem Wege des Realismus. Eines aber trennt Tieck 
noch immer schroff von Scott, die Sprache. Tiecks 







e ist von seltener Scbönh^t und feinem 
BSchwunge, und es ist anzunehmen, dass Tieck hier Scott 
aie hätte folgen können und noch weniger hätte folgen 
nroUen; denn der feine ästhetische Duft, der über Tiecks 
Sprache schwebt, ist ihm so eigentümlich, dass man ihn 
jäch nicht wegzudenken vermag. So fehlt also auch im 
w Griechischen Kaiser > die Charakteristik durch die 
Sprache, und auch in der sonstigen Charakteristik neh- 
men wir ein Zurückschrecken wahr vor dem derben, 
mgeschlachten, wenn auch charakteristischen Wesen 
Volkes, an dem Scott, ohne sich gemein zu 
Ktttachen, freudigen Anteil nimmt. Bei alledem be- 
jcommt man jedoch den Eindruck, dass Walter Scott 
■ doch im Gninde strenger moralisch, %'ieUeicht prüder 
wüst als Tieck, denn eine Christine im • Aufruhr», die 
^deutliche Emanzipationsgelüste hat, oder gar eine vö\- 
LÜg fräe Persönlichkeit wie Vittoria Accorombona 
lätte Scott nie geschildert und auch nicht schildern 
ItOnnen. Hierin, im Beurteilen grosser, ungewohnter 
:aktere, die ihm die Geschichte nicht lieferte, musste 
■Scott zurückbleiben und keines seiner Werke bat den 
l'iioben Wert der »Vittoria Accorombona», 

Vom t Hexensabbath > gilt grossenteils was vom 
« Griechischen Kaiser ■ gegolten hat. Auch diese No- 
l*»elle bezeichnet gegenüber dem « Aufruhr > einen 
ftFortschritt in der Betonung der Wirklichkeit, obschon 
jTieck seiner Vorliebe für lange Konversationen keinen 
[Zwang antut. Lieblingsfigur ' Tiecks ist in diesen Un- 
kterhaltungen der kindliche Dichter und Maler Labithe. 
1 Hauptgegenstand der ganzen Novelle ist jedoch der 
RHexenprozess vom Jahre 1459 unter dem Herzog Phi- 
TEpp dem Guten von Burgxmd, und Ziel und Absidit der 
Kovelle die Brandmarkung des priesterlichen Fana- 

* Minor, loc dt p. i6l. 
DotannekiiBgan TU. Wngtr, Historiicbc Bomkne. 



I 
J 



tismus. Der Bischof sowohl wie der Dechant, der eine 
ein bornierter Fanatiker, der andere ein g-e wissen loser 
Streber, sind gut gezeichnet und charakterisieren sich 
ziemlich oft durch Handlungen. Einzelne Auftritte, 
die sich um den Bischof drehen, ganz besonders dann 
auch einige Strassenszenen machen den Eindruck der 
Wirklichkeit, wenn auch keine Detailschilderung zu 
finden ist. Die Tatsache aber, dass Tieck Leute aus 
dem Volk in ihrer Art handeln und reden lässt, aller- 
dings stets mit der oben betonten Einschränkung des 
Derbrealistischen, und dass er die Idee den wirklichen 
Geschehnissen unterordnet, beweist, dass er auch in 
dieser Novelle, was äussere Technik betrifft, über den 
« Aufruhr in den Cevennen » hinausgekommen ist. 

Diese Untersuchungen über Tieck dürfen nicht 
abgeschlossen werden, ohne dass auf seine letzte 
Dichtung « Vittoria Accorombona » wenigstens hinge- 
wiesen worden wäre. Das schöne Werk steht ja auf 
einem andern Boden als die behandelten historischen 
Novellen, denn Tieck ist weit über diese hinausge- 
wachsen und überragt darin zweifellos Walter Scott 
Es sind aber doch Beziehungen zwischen « Vittoria 
Accorombona i und dem frühern historischen Romane 
vorhanden, Beziehungen teils spezifisch Tieckschen 
Wesens, teils zurückgehend auf Kunstanschauungen 
Walter Scotts. Dieser Zusammenhänge wegen, nicht 
infolge ihres eigensten Wesens, gehört « Vittoria Ac- 
corombona» in diese Untersuchung und nur diese Zu- 
sammenhänge sollen angetönt werden. 

Es bestehen ganz bestimmte Verwandtschaften 
zwischen Scott, der französischen Romantik, speziell 
dem französischen, historischen romantischen Roman, 
Alessandro Manzoni und Tieck. Maigron hat in sei- 
nem mehrfach erwähnten Buche über Scott und die 
französische Romantik den starken Einfluss nachge- 



wiesen, den die Waverley-Novels auf de Vigny, Me- 
rimee, Balzac, Victor Hugo ausübten und hebt besonders 
hervor, dass das Pittoresk -Realistische den stärksten 
Eindruck auf diese jungen Geister machte. Diese Eigen- 
schaft, kraftvolle, wahre Gemälde zu schaffen, geht 
also von Scott auf die französischen Romantiker über 
und unter der Wirkung seiner Werke tritt an Stelle 
kalter Eleganz ungezwungene farbensprühende Natur. 
Dies beginnt bei « Cinq-Mars s, erreicht seinen Höhe- 
punkt in der « Chronique du regne de Charles IX, » 
und in den « Chouans s und klingt aus in « Notre- 
Dame de Paris*. Schon das letztgenannte Werk trennt 
sich deutlich vom historischen Roman im Sinne Wal- 
ter Scotts und bildet einzig und vor allem das Male- 
rische weiter, auf Unkosten des Realistischen. Neben 
Scott konnte also die französische Romantik auf Tieck 
ihren Einfluss ausüben bei der Niederschrift seiner 
«Vittoria Accorombona s . 

Der realistische Zug des Zeitalters wirkte aber 
auch in Italien befruchtend, wo Manzoni in seinen 
* Promessi Sposi » ein Werk schuf, das, wenn vielleicht 
nicht direkt eine Nachahmung Walter Scotts, doch 
ganz in dessen Sinn und Geist geschrieben ist. Es ist 
aber von vornherein zu betonen, dass nur die Methode 
des Romans mit Scott übereinstimmt. Das Werk besitzt 
einen fast tendenziös gestalteten Grundgedanken: Die 
Verherrlichung eines edlen Christentums ; « e l'Iliade 
del Cristianesimo » schreibt Giulio Carcano. Da Jedoch 
die historische Wahrheit nicht darunter leidet und das 
Erfundene sorgfältig vom Historischen getrennt ist, 
bleibt das Werk doch ein historischer realistischer 
Roman ', Im Mittelpunkt des Werkes steht die mai- 

' TendCDi, Satire liegt in der Wahl des Stoffes. Manzooi wählt 
eine äholiche Zeit der Erniedrigung, wie seine eigene, die unter Östet- 
reichi Joch seufele, vgl. Wiese und Percopo: > Italienische Liletatur- 
g«Khichte>. 



ländische Pest vom Jahre 1630 und die Behandlung- 
dieses schrecklichen Ereignisses ist das, was hier be- 
sonders in Betracht kommt, neben allem andern tat- 
sächlich Historischen. Manzonis Stellung zur Geschichte 
wird deutlich durch folgende Worte Gcethes zu Ecker- 
mann ': 5 Manzoni fehlt weiter nichts, als dass er selbst 
«nicht weiss, welch ein guter Poet er ist und welche 
« Rechte ihm als solchem zustehen. Er . hat gar zu 
4 viel Respekt vor der Geschichte und fügt aus diesem 
« Grunde seinen Stücken immer gern einige Auseinan- 
« dersetzungen hinzu, in denen er nachweist, wie treu 
« er den Einzelheiten der Geschichte geblieben ». So 
verfährt Manzoni nicht nur in seinen Dramen, die 
Gosthes lebhaftes Interesse erregten und einen persön- 
, liehen Briefwechsel verursachten, sondern auch in sei- 
nen « Promessi Sposi ». Jede Quelle wird angegeben, 
so oft sie verwendet wird, und die Seitennummer darf 
nie fehlen. Diesen Ernst gegenüber den Tatsachen 
der Geschichte teilt Manzoni mit Walter Scott, wes- 
halb in den Werken Übereinstimmungen zutage treten 
müssen. 

In der rücksichtslosen Beschreibung des Schreck- 
lichen, wenn auch mit dem Grund ton einer edlen 
Trauer, geht Manzoni weiter als Scott. Die Schilde- 
rungen der Pest sind durchaus schonungslos, das Bild 
der Pestkranken, der verseuchten Stadt, der überfüll- 
ten Lazarette, wie die brutale tierische Verrohung des 
Volkes ist im höchsten Grade naturalistisch gezeichnet *. 
Ebenso die Gewalttätigkeiten und die gemeine Ge- 



' «Gespräche mit GceÜie», I., p. 225, 

' Dieser Naluralismus macht jedoch Halt vor dem Veiliältnis der 
beiden Geschlechter zueinandet. Wie Scotl meidet Manzoni jede Schil- 
derung, die 'uu moralisch • gefuDden werdeu kOnnte. Die französisch en 
Romuiüker uad auch Tieck wagten es, an Konflikte zwischen Mann 
iiDd Weib auch im historischen Roman heranmgehen. 




I 



— H7 — 

sinnung vornehmer, mächtiger Herren, die rücksichts- 
los und straflos das darniederliegende Volk peinigen. 
In äusserlich seltsamem Kontraste zu diesem starken 
Realismus steht die weiche Gemütstiefe Manzonis und 
seine warme Schilderung des notleidenden Volkes. 
Gleich wie Walter Scott weiss er der Mannigfaltigkeit 
der Volkstypen gerecht zu werden und besitzt auch 
einen ähnlichen Humor, sich lustig zu machen über 
klägliche oder lächerliche Erscheinungen, 

Was am wenigsten überzeugt, ist die Bekehrung 
des mächtigen « Innominato », eines gewalttätigen, ge- 
setzlosen Mannes, dessen Namen kein Chronist über- 
liefert hat. Diese, im übrigen meisterhaft gezeichnete 
Gestalt, scheint eine Konzession an den Grundgedan- 
ken eines edlen siegenden Christentums zu sein. Der 
Vertreter dieses Grundgedankens, Bischof Federigo 
Borromeo, ist aber keineswegs nur Sprecher von Ideen 
Manzonis, sondern eine edle, vollständig abgerundete, 
überzeugende Erscheinung; es kann also nicht ge- 
sprochen werden von Unterordnung des natürlich 
Menschlichen unter das Joch einer Idee. Die eigent- 
liche Erzählung, die sich um schlichte Leute aus dem 
Volke dreht, hat von ihrem Interesse verloren, da man 
sich gewöhnt hat, diese in künstlerischen Werken mit 
demselben Ernste, demselben Nachdruck, wie Leute 
aus höheren Ständen behandelt zu sehen. Doch ist 
die schlichte Unbedeutendheit der Menschen Manzonis, 
einer Lucia, eines Renzo, einer Agnese durch die Zeit 
bedingt, und Gestalten wie der Padre Christoforo be- 
leben und kräftigen das Ganze. Zum Schlüsse dieser 
kurzen Übersicht sei an ein Urteil Goethes erinnert, 
das von seiner Begeisterung für Manzonis Werk zeugt*: 

I I, p. 25/'. (1B27, im Jahre des Erscheinens der 



d 



— ii8 — 

« Ich habe Ihnen » — Eckermann — «zu verkün- 
«digen, dass Manzonis Roman alles überflügelt, was 
« wir in dieser Art kennen. Ich brauche Ihnen nichts 
« weiter zu sagen, als dass das Innere, alles, was aus 
« der Seele des Dichters kommt, durchaus vollkommen 
«ist^ und dass das Äussere, alle Zeichnung von Lo- 
« kalitäten und dergleichen, gegen die grossen inneren 
«Eigenschaften um kein Haar zimicksteht. Das will 
« etwas heissen. ... In diesem Roman sieht man erst 
« recht, was Manzoni ist. Hier kommt sein vollendetes 
« Inneres zum Vorschein. . . . Ich will nun gleich hinter- 
« her den besten Roman von Walter Scott lesen, etwa 
« den « Waverley », den ich noch nicht kenne und ich 
« werde sehen, wie Manzoni sich gegen diesen grossen 
« englischen Schriftsteller ausnehmen wird. Manzonis 
« Bildung erscheint hier auf einer solchen Höhe, dass 
«ihm schwerlich etwas gleichkommen kann; sie be- 
« glückt uns als eine durchaus reife Frucht. Und eine 
«Klarheit in der Behandlung und Darstellung des 
« einzelnen, wie der italienische Himmel selber ! » 

So standen Tieck für seine « Vittoria Accorom- 
bonä» drei Muster zur Verfügung, Walter Scott, die 
französischen Romantiker und Manzoni. Für die Ge- 
stalt der Vittoria selbst kämen ferner die «Emanzi- 
pationstendenzen des jungen Deutschland » ^ in Betracht, 
doch soll hier Tiecks Roman nur von der kultur- 
historischen Seite, als Zeitbild, kurz charakterisiert 
werden. Minor teilt folgende Stelle aus einem Briefe 
des Kunsthistorikers Karl Schnaase an Tieck mit*: 
«Es ist ein historischer Roman im besten Sinne des 
«Wortes mehr als irgend einer. Mehr die Wurzel 
«der Entwicklung als die Breite der Zustände wird 



* Minor, loc. cit., pag. 218. 

* Minor, loc. cit., pag. 219. 



«gegeben. Auch darin ist der Eindruck ein histo- 
« rischer, weil man fühlt, wie nicht bloss der grosse 
« Haufe, dem die Selbständigkeit fehlt, und die Herren 
a und Leiter der öffentlichen Dinge, die sich damit 
« identifizieren, sondern auch die , ausgezeichnetsten, 
f edelsten Gestalten der mittlem Region, des weib- 
« liehen und häuslichen Lebens, ganz von dem ge- 
« schichtlichen Leben ihrer Zeit durchdrungen, mit den- 
s selben verwachsen. * Hierauf ist der Schwerpunkt 
zu legen, Tieck hat es zu seiner Aufgabe gemacht, 
die Personen im Lichte der Zeit und die Zeit in kraft- 
voll wirklicher Gestalt zu schildern. Das ganze Werk 
ist fast nur Handlung, befasst sich durchaus mit dem 
öffenthchen Leben und ist von einer Knappheit und 
zugleich von einer Kraft und Schönheit des Stils, wie 
keine der früher erwähnten Novellen. Hier ist zu fin- 
den, was früher fast gänzlich fehlte, die Eigenschaft des 
Plastisch-Pittoresken, Die Personen charakterisieren 
sich handelnd, ihre äussere Erscheinung strahlt in 
kraftvollen Farben, zum ersten Male schafft Tieck 
grosse, schöne Menschen, die leben und frei und unge- 
zwungen sich bewegen. Nur von der bildlichen Kraft 
dieser Menschen sei hier gesprochen: von Vittoria, die- 
ser leuchtend schönen und wahrhaftigen Erscheinung, 
vom Herzog Bracciano, der dem Auge in dunkler 
Grösse erscheint, von Montalto, dem schlichten Kardinal, 
der sich zum machtvollen Herrscher der Kirche ent- 
wickelt, von allen diesen und den vielen andern geht 
die stärkste Wirkung aus. Und mit demselben Nach- 
druck werden die Verworfenen, Elenden geschildert, 
die Korruption des römischen Staates, die glanzvolle 
gewissenlose Leichtfertigkeit italienischer Höfe, prie- 
sterlicher Cynismus und brutale Eanditenfrechheit. So 
werden alle Abstufungen in ihrer eigentümlichen Ge- 
stalt festgehalten ; diesmal entsteht also auch bei Tieck 



das wahre Bild einer komplizierten, kontrastreichen 
Kultur ep och e, ein historischer Roman im Sinne 
Walter Scotts. 

Darauf soll aber noch hingewiesen werden : Da- 
durch, dass Vittoriß. Accorombona in den Mittelpunkt 
des Werkes tritt, dadurch, dass bei grösster geschicht- 
licher Wahrheit und malerischer Charakteristik die 
menschliche Natur als solche verherrlicht wird, da- 
durch wächst Tieck weit über Scott hinaus. Kein 
Roman Scotts fesselt heute noch als künstlerische 
Leistung wie Tiecks aVittoria Accorombona ». Bei 
Manzoni tritt neben die Geschichte eine ideal christ- 
liche Gesinnung, ohne der historischen Wahrheit Ein- 
trag zu tun. Und ohne die Wirklichkeit der Ge- 
schichte anzutasten, gibt Tieck seiner persönlichen 
Auffassung von der Würde des Menschen, im be- 
sondern des Weibes, den edelsten Ausdruck, und da 
die Verhältnisse die Edelsten seines Werkes ver- 
nichten und vernichten müssen, entsteht ein geschicht- 
liches Pathos, unvergleichlich höher und edler, als in 
jedem seiner frühem historischen Werke. So lange Tieck 
die Realität der Idee aufopferte, so lange er nicht auf 
das moderne Gewand des geistreichen Gesellschafters 
verzichten konnte, stand er als historischer Romanschrift- 
steller tief unter Scott und sein s Aufruhr in den Ce- 
vennen » kann nicht vergHchen werden mit einem der 
guten schottischen Werke ; sobald es ihm aber gelang, 
unbefangen an die Geschichte heranzutreten, sie un- 
entstellt plastisch zu gestalten, und doch den Rätseln 
des Menschlichen nahe zu treten, da überflügelte er 
weit den anspruchslosen Schotten, wenn er ihm auch 
in einzelnen meisterlichen Zügen niemals hätte eben- 
bürtig werden können. Vielleicht ist « Vittoria Acco- 
rombona » auch über die e Promessi Sposi » zu stellen, 
denn sowohl der Grundgedanke, das Recht unver- 



121 



fälschter Menschlichkeit, wie auch die Gesamtheit der 
geschilderten Personen ist auch für ferne Zeiten bei 
weitem wirksamer, als die Welt Manzonis. 

So hat schliesslich doch die Kunstmethode, zu 
der Walter Scott den Anstoss gab und den Grrund 
legte, und die in Frankreich und Italien weitergebildet 
wurde, auch Tieck für sich gewonnen, ohne dass er 
deshalb auf selbständiges Dichten, auf Betätigung 
seiner persönlichsten Talente hätte zu verzichten 
brauchen. 



-1 

i 



Sehlusswort. 



Die Behandlung des Einflusses Walter Scotts 
kann beliebig weit fortgeführt werden. Ein geschlos- 
senes Ganzes ist schwerlich und besonders nicht inner- 
halb des engen Rahmens einer Dissertation zu er- 
reichen. Deshalb sind vorstehende Untersuchungen 
nichts als ein bescheidenes Pragment, und es bleibt 
nur die Hoffnung, dass einige nicht ganz unwesent- 
liche Beiträge zur verworrenen Gescliichte des histo- 
rischen Romans geliefert worden sind. Es liegt in 
der Natur der Sache, dass wir gleichsam unter dem 
Zeichen Walter Scotts vorgegangen sind. Es bedingte 
dies zwar eine breitere Basis, eröffnete aber auch 
manchen Ausblick auf Verwandtes in der ausländischen 
Literatur. So liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit 
nicht auf dem Erstreben einer einheitlich abgeschlos- 
senen Komposition, sondern vielmehr auf der Beleuch- 
tung einzelner innerlich zusammenhängender Momente 
der Literatur des 19. Jahrhunderts. 



I 



Inhaltsverzeichnis. 



Seite 

Kapitell: Walter Scott .,. . i 

Kapitel 2: Walter Scott und Deutschland 23 

Kapitel 3: Fouqu6 54 

Kapitel 4: Arnim 61 

Kapitel 5 : Tieck • . . . 90 

Schlusswort 123 




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