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Full text of "Historische Zeitschrift"

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073 








RilturilAe Seitlärif 


herausgegeben von 


Heinrich von Spbel, 


o. 3. Brofefior der Geſchichte an der E. Lubw.-Mar.-Univerfität in München. 


Fünfter Band. 


München, 1861. 


Literariſch-artiſtiſche Anſtalt 
der 3. ©. Cotieſchen Puchhaudluug. 


162520 





Inhaſts⸗Aeberſicht. 


Seite. 
I Kaiſer Ferdinand II. und fein Seſqhihthreiber Hurter. Bon J. 


Söltl (Schluß) - . . . 1 
11. Kirchenfreiheit und airchenherrſchaft in der beſchichte. Bon g. €. 
Bluntfhli . . . . . . . 46 
1. Katharina II, und ihre Dentwürbigkeiten . . 88 
IV. Coppi'® Annali d’Italia für das Jahr 1848. Ftalieniſche Gonföbe- 
ration. Fremde Truppen. Bon U. v. Reumont . . . 99 
V. Die Kaiſerpolitik Otto L_ Bon Wilhelm Maurenbrecher . 111 
VI. Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860. 
m Allgemeine Weltgeſchichte. 16 
. Alte Geſchichte . . . . . . 1683 
3. Allgemeine Geſchichte bes Mittelalters . . . . 176 
4. Geſchichte der neueren Zeit . . . . . . 201 
5. Deutſche Geſchichte 219 


Beilage. Nachrichten von der hiſtoriſchen Sommilften 6 bei ber ai 
bayer. Akademie der Wiſſenſchaften. Zweiter Jahrgang. Zweites Stück. 
VI. Ueber die Einheit des Menſchengeſchlechtes. Bon Theodor Waitz 289 
VIIL Die Hl. Eliſabeth von Thüringen. Bon Franz X. Wegele . 861 
IX. Georg von Böhmen, der Huffitenlönig. Bon Georg Boigt . 898 

X. lieberfit der Hiforifchen Literatur bes Jahres 1860 (Kortiekung). 


6. Deutſche Provinzialgeſchichte. Echwaben und Oberen . 476 


n Mittelrhein . . . 483 
Niederrhein . . . . 495 
BVeftppalen . . . . 497 
Nieberfachien . . . 503 


Brandenburg. Bommern. Breußen 517 
Oberſachſen. Thüringen. deſen 530 
Franlken . 537 
Bayern . 546 
Die öfterreihiichen Etammlande 552 
Böhmen. Mähren. Schiefiin . 561 
T. Rachträge . . . . . . . . . 579 


Iradfehler. 


©. 256 3. 1». m. lies ſtatt „ber Humanität“ „bes Humanismus“. 

€. 257 3. 11 v. u. muß hinter „vermeint“ eingeichaltet werben ( „ober 
umgelehrt“). 

©. 539 3. 4 v. u. muß heißen: Schannat in ben Vindemiis liter. Bd. 2 
(Collectio Il) im Necrolog n. f. w. 

©. 551 3. 6 v. u. lies fatt „Reitelbrock“ „Beitelrod“. 





..... 


1. 


Kaifer Ferdinand IL und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 
Bon 
J. Söltl. 





(Schluß.) 
XVIII. 


Bald nach feiner Vermählung wollte Ferdinand feinen Kriegs⸗ 
mutb an ten Zürfen erproben, welche Caniſſa genommen hatten. 
Marimilian II. hatte Schloß und Herrfchaft gekauft, weil dieſer Paß 
je widtig fei, daß deſſen Verluft dem Feinde das Land bis Grätz 
öffnen würde. Deßhalb Tieß er den Ort Eunftgerecht befejtigen und 
es wurde eine Befagung hinein gelegt; allein fchon im J. 1581 
Uagte tie fteyerifche Landſchaft, e8 fei cin göttliches Wunder zu nen— 
nen, taß bei folder Vernadläffigung des Sriegsvolfes und feiner 
Bedürfniſſe biefes Vollwert noch nicht dem Feinde erlegen fei. Die 
Mannſchaft zu Fuß und Roß ſehe jih um Nahrung zu fuchen ge- 
nötbigt, den Flecken zu verlaffen. Bei wachfender Gefahr verftärkten 
ſich tiefe Klagen. Erzherzog Ernſt jammerte bei dem Kaiſer, daß 
turch nachläſſige Loͤhnung die Befagung zur Verzweiflung gebracht 

Pißecifge Yeitfärift v. Baur. 1 


200 ne 3. Est, 


werbe;'der Zuftand des Plages troftlos, unhaltbar fei. Darauf kam 
einiggraber nicht ausreichende Hülfe und ver Kaifer beftellte als Be— 
fehlehäber 1594 den Freiheren Georg von Parateifer. Diefer unter- 


. ließ nicht, durch die dringlichften Vorftellungen zu überzeugen (1599 
, ii April), daß Canifja die größte Aufmerkſamkeit verdiene. Aber es 


—* ſchien, als ſollten unabwendbare verderbliche Zufälle zu ernſten An— 
: .. zeichen einer düſtern Zukunft werben. Türkiſche Gefangene legten 


Fener an, welches einen Theil der Kriegsvorräthe und der Feſtung 
verzehrte. Nicht lange nachher ſtürzte ein Theil der Werfe ein, warb 
ein anderer durch Gewitterregen mwefentlich beſchädigt. Paradeiſer ließ 
Zag und Naht an der nothwentigjten Wieberherftellung arbeiten. 
Dabei zeigte fih unter ver Beſatzung jest ſchon Meuterei, verlangte 
ein Theil den Abzug aus dem Kriegsdienſt, ohngeachtet der Feind an 
ber Grenze ftreifte. Am 7. Sept. erfchien vie türfifche Heeresmacht 
vor der Feſtung, die Schwache Befagung hoffte auf Hülfe; am 14. Oft. 
rüdte Herzog von Mercoeur zum Entjage heran; aber ver BVerluft 
ber Zufuhr nöthigte ihn balo zum Abzug, ohne daß es ihn gelungen 
wäre, Mannfchaft oder Lebensmittel in ven beträngten Platz hinein- 
zubringen. Dann ging ein Theil der Ungarn fogar zum Yeinde 
über und verrieth ihm vie Schwäche ter Stadt; die Zurücgebliebenen 
bearbeiteten die Deutfchen, welche zu fejter Gegenwehr entfchloifen 
waren; dieſe Hierauf verweigerten, fo daß Parabeifer feinem Geſchick 
nicht mehr entgehen konnte. Am 20. Dit. 1600 wurde nach A tägi- 
ger Belagerung das mit Waffen fchwer zu bezwingenvde Bollwerk dem 
Feinde überliefert. Am 1. Dez. wurde auf des Kaifers Befehl ein 
Kriegegericht nievergefegt, um Parabeifer’s Benehmen zu unterfuchen. 
Diefes ließ fich in Bezug wenigftens auf Caniſſa und deſſen Befehls- 
baber mehr durch den Einprud ftimmen, ven der Unfall ver Ueber- 
gabe gemacht hatte, als durch Paradeiſer's ausführliche Darlegung 
überzeugen. Er wurde verurtheilt und enthauptet, feine Güter ein- 
gezogen. 

Caniſſa's Befehlshaber war nicht Katholit. ‘Daher konnte ber 
im erften Augenblide gefaßte Verdacht, er babe durch Uebergabe bes 
wichtigen Bollwerk Ferdinand aus Rache in Gefahr bringen wollen, 
leicht in die fefte Behauptung verwandelt werben, indeß die Gefchichts- 
ſchreibung fpäterer Zeit fih auf ehrenhafte Weife hütete, kirchlicher 





Kaifer Ferdinand 11. und fein Gefchichtfchreiber Hurter. 3 


Ueberzeugung zu lieb durch fortlanfendes Fefthalten des Unertwiefenen 
ſich zu befleden. ') 

Kaum batte Ferdinand bie traurige Nachricht vernommen, bat 
er ben König von Spanien, feinen Schwager, ven PBapft und ben 
Kaifer um Unterftügung, ben wichtigen Pla wieder zu erobern. 
Indeß wurden Berathungen gepflogen, Alles beftimmt, von allen 
Seiten ber. famen gute Verheißungen und Ferdinand ließ e8 an all« 
feitiger Zhätigfeit zu Förderung kräftiger Nüftungen nicht mangeln. 
Cr wollte aber dem Unternehmen ſelbſt beiwohnen, das fowohl an 
Zahl ver Mannfchaft als an Stattlichkeit der Ausrüftnng, als feines 
Zweded wegen eines ber bebeutenbften während des langen Krieges 
des Hauſes Defterreich mit der Pforte war. Die Herzoge ven Bayern 
wünfchten ihm Glück zu feinen Vorhaben, und nachdem er fein Tefta= 
ment gemacht, gebeichtet und den Leib des Herrn empfangen hatte, 
übergab ihm ver Nuntius (am 23. Aug. 1601) das Heerbanner, 
worauf er von feinem Bruder Maximilian begleitet ven Feldzug antrat. 

Am 1. Sept. ging das Heer über die Mur, es zählte 23,000 
Mann zu Fuß, 500 zu Roß, mit Allen, was zu einer Belagerung 
erforderlich, aufs Befte ausgejtattet. Der Herzog von Mantua war 
Oberanführer, Carl Formentin aus görzifchem Adel Ouartiermeifter, 
ter aus Lothringen gefommene Drfeo Gulloni Zeugmeifter. Am 
9. Sept. erſchien der Vortrab vor Caniſſa, am folgenden Tage rüdte 
ver Gewalthaufe nad. Die Leitung der Belagerung wurde dem 
Galloni anvertraut, vor deſſen Wohlredenheit die nothwendigere Rüdficht 
auf Fähigkeit vor dem Erzherzog in den Hintergrund getreten war, 
fo daß fein bald nachher erfolgter Tod nicht beflagt werden burfte. 

Ferdinand fette überhaupt bei Mangel an eigener Erfahrung 
unbetingtes Vertrauen in die Anorbnungen derjenigen Kriegsmänner, 
welche die Belagerung führen follten. Diefelben legten aber ihre Un⸗ 


ı), So erzählt Hurter und fügt in der Anm. bei: Cäſar regulirter Chorherr 
erflärt rundweg, es ſei unbefonnen, bieje Uebergabe aus Paradeiſer's Lu- 
therthum abzuleiten, gleich als ob ein Proteftant nicht redlich handeln 
lönnte. Hurter ſelbſt fagt (IV, 358): „in den vorhandenen Alten Tiegt 
der unwiberleglihe Beweis von Paradeiſers Unſchuld.“ Warum fagt er 
dieſes aur in einer Anmerlung? Warum zeigt er feine Unfhulb wit Kar? 

* 


4 3. Söltl, 


fähigkeit oder Unvorfichtigkeit Thon dadurch an den Tag, daß fie dem 
Zelt des Fürften die Stelle an der Spike des Lagers anwieſen wo 
bie meijte Gefahr drohte. Doc bewies Ferdinand unverzagte Feltig- 
feit, indem er bis zum Ente der Belagerung dort ausbarrte. Bald 
zeigten fich, durch, Jahreszeit, Witterung und ungejunde Lage veran- 
laßt, beim Heere viele Erfranfungen; von zwölf Kapuzinern, die mit 
demfelben ausgezogen waren, ftarben vier in ihren feelforglichen 
Dienjte. Der türkifche Befehlshaber in ver Burg beantwortete fchon 
die Vorfchläge zu Unterredungen mit Kugeln. Unter Vorbereitungen 
zu einem Sturm vergingen über anderthalb Monate, und als dieſer 
endlih am 18. Oktober von drei Seiten erfolgte, war eine Brüde, 
über welche Herberjtein mit den Deutfchen den Angriff bewerfftelligen 
fonnte zu kurz, dabei fo ſchwach, daß tie ganze Schaar ins Waffer 
fanf, ınit Noth fich retten mochte, und es fahen fich die Chriften 
überall zurüdgefchlagen. In der Verweijung eines blanfen Säbels 
als Antwort auf die Aufforderung zur llebergabe lag der Wink, weffen 
man fich bei einem zweiten Sturm würde zu verfehen haben. 

Bei allem dem hatte es Ferdinand an nichts fehlen lajfen, was 
der Belagerung ben gehofften Erfolg hätte ſichern können. Er ver. 
wendete feine eigenen Pferte zu Striegefuhren, gab die Zelte zu Sand— 
fäden ber, zum Gewebe für ſolche anjchnliche Gelpfunmen. ') 

Faſchinen waren in folder Menge bereitet worden, daß man 
baraus ein Bollwerk hätte erbauen können, höher als die Feftung felbft. 
Er Heffte fie noch immer zu gewinnen, dafern nur Erzherzog Mathias 
Hülfe fenden möchte Am 7. Nov. ließ dieſer ven Feldmarſchall 
Rußwurm mit 6000 Mann zu Zuß und 2000 zu Roß von Raab 
aufbrechen. Am 14. rüdte er ind Lager ein und erhielt eine Stellung, 
von welcher man dem Feind bie Zufuhr abfchneiden zu können boffte. 
Bereits jedoch zeigten fih in Schnee, Froft und Wind grimmigere 
Veinde denn die Zürfen waren. Schon ließen fih Stimmen hören: 
wolle man die Strieger retten, fo dürfe man auf fo ungünftigem Boden 
bei jo ververblicher Witterung nicht einen Augenblic® Länger verweilen. 
Dem tapferen Rußwurm väuchte dieß ſchimpflich. Allein aus dem 

') Das find die Thaten des Erzherzogs ? War es der Mühe wertb, fie an- 
zuführen ? 





Kaifer Ferdinand II. und fein Gefchichfichreiber Hurter. 5 


Bericht ter zufammengerufenen Befehlshaber 309 er den Schluß, daß 
der PVerfuch eines neuen Sturmes das Volk auf die Schlachtbant 
führen hieße. Kaum war Jeder in fein Zelt zurüd, als ein Schnee 
fiel wie nie feit Dienfchengetenten, dabei ein Sturm und eine Stälte, 
dag nicht cinmal Wachtpoften jich ftehend erhalten konnten. Da auch 
mit tem nächſten Tage Fein Wechjel zum Befferen fich zeigte, blieb 
feine andere Wahl, ale zu retten, was noch möglich. Ferdinand ver- 
kündete den Rüdzug. Er kam Niemanden gelegener als den Stalienern. 
Rußwurnm hoffte noch das Geſchütz zu retten, wozu er und feine 
Dberften einige huntert Pferde hergaben. Da mangelte aber allee 
Zuggefchirr, weil e8 zu andern Sweden verbraucht worden. Es blieb 
nichts übrig, als die Stüde zu zerfprengen; nur einige Wagen mit 
Pulver fonnte Rußwurm zurücführen. 

Am 17. ließ er die Zelte verbrennen und nahm noch die Kranken 
und Verwundeten mit. Wber auch diefe mußte er hinter fich Laffen. 
Eine fleine Meile von der Feſtung fchlug er am Abend das Quartier 
auf. Des Erzherzogs Zelt mit feiner reichen Ausftattung und vielem 
Silbergeſchirr, die Kutfchen, alles Yagergeräthe, der anjehnliche Vorrath 
an Belagerungswerkzeugen, 42 Kanonen, 5 Karthaunen, 14,000 Flin- 
ten, anvere Heeresausftattung, 6000 Kranke oder Verwundete waren 
der Beſatzung als Beute geblieben; ten letteren allen wurden nachher 
in dem Feftungsgraben vie Köpfe abgefchlagen. In einem Sumpf, 
über welchen Herberſtein eine Brüde zu werfen unterlaffen hatte, 
erlitten nach dem Abzuge noch viele Menfchen und Thiere den Tod. 
— Die Heimtehrenden braten aus dem Lager eine Seuche nad) 
Haufe, welcher nachher viele erlagen, und die bald darauf zu Laibach 
auch fein einziges Haus verjchonte. 

Ferdinand zeigte ſich über dieſen unglüdlichen Ausgang feines 
Kriegsunternehmens geraume Zeit niedergefchlagen und ftumm, bis 
ihn einft Wolf von Eggenberg an ver Tafel mit den Worten aufge- 
richtet: Wollen &. D. ſich tröften, nicht der Feind, das Unwetter hat 
Sie von der Belagerung zum Weichen gebracht. 

Die nächften Fahre brachten das Unheil näher, und ber Herzog 
Wilhelm von Bayern fah vie Möglichkeit voraus, daß Ferdinand die 
Seinen in Sicherheit würte bringen müfjen. Deßwegen rieth er 1605, 
derfelbe jolle ven Kaifer um Hülfe drängen, gute Kundfchofter an 


6 I. Söltl, 


ftellen, um gute Leute befonders um Katholiſche trachten, wenn er fich 
auf feine kegerifchen Obriften nicht verlaffen könne, und vielleicht, fährt 
der Herzog fort, fönnten E. L. auch ohne Maßgebung, mit den Ere- 
ceutionen gegen. die Lanbleute ein wenig gemacder thun und biffimu- 
liven, doch weiter felbft nichts damit vergeben. ') 

Der Herzog hatte recht gefehen. Die aufrührerifchen Ungarn 
erichienen auf fteierifchen Boten, plündverten, vermwüfteten, erfchlugen 
viele Menſchen, fchleppten Knaben und Mädchen als Kaufwaare für 
die Türken weg. Aber Johann Tzerklas ven Tilly, der nach einem 
Vierteljahrhundert fo berühmt gewordene Kriegähelt, hatte, während 
ber Erzherzog Ferdinand in Prag mit dem Staifer über des Landes 
Bedrängniß fich berieth, an ber Spige geworbener Haufen und bes 
Aufgebotes des Landes den Feind zurüdgebrängt. Die Noth einigte 
Alles. Nie zuvor, wird bezeugt, hätten die Landleute treuer, williger, 
gehorſamer gegen ihren Fürſten fich erzeigt. 


XIX. 


Zwei für jeden Landesherrn wichtige Gegenſtände befchäftigten 
ben Erzherzog: die Finanzen und Bie Wehrverfaffung des Landes. 
Daß die Gelpnoth nicht gering war, fehen wir aus einer Eröffnung 
besfelben an die Landleute von Steyermarf zur Zeit, da feine Ver: 
mählung bevorftand. „Sie wüßten, fagte er ihnen, wie fchwere 
Schulden von Großvater und Vater her auf ihn fich herabgeerbt hät- 
ten. Diejem feye zur Tilgung vor Jahren das doppelte Zapfenmaß 
bewilligt worden. Der Ertrag besfelben habe biezu nicht hingereicht; 
gegentheils feye fein Vater genöthigt gewefen, neue Schulden zu ma— 
hen, auch mehrere Herrichaften zu verlaufen; taneben hätten ihn 
ungetreue Diener un noch mehrere hunberttaufend Gulden gebracht. 
Beranlafjung zu jenen Schulven läge größtentheild in Vorkehrungen 
für das gemeine Wohl; andere hatten ihren Grund in der anerbornen 
Milde. Sein Begehren gehe dahin, fie möchten an vemfelben eine 
Millien tilgen«. 

Diefer fchlechte Zuftand der Finanzen konnte eben fowohl Fro- 





— — 


') Bd. V, Beil. 180. ©. 400. 


Kaiſer Ferdinand II. und fein Gefchichtichreiber .Hurter 7 


jeftanten ermuthigen, als ihnen geneigteres Gehör verfchaffen. Sie 
famen, aber ihre Vorfchläge waren unausführbare Abenteuerlichfeiten. 
Neben viefem wurden allerlei Anträge auf Erjparniß gemacht, und 
in ter Folge kamen wirklich einige Verbefferungen in ver Verwaltung 
und der Wirthichaft zu Stande. Doch blieb die Verlegenheit des 
Erzherzogs um vie erforderlichen Mittel für die Hofhaltung und vie 
Landeserforderniſſe ſtets die gleiche, Bisweilen mußte er Geld bis zu 
12 Prozent borgen. 

Daß bei folchen Gelpnöthen vie Wehrverfaffung, hätte fie auch 
nicht in anderer Weife an fchweren Gebrechen gelitten, felbft dem 
unausweichlichften Bedürfniß kaum entjprechen konnte, muß wohl ein- 
leuchten. Der ftetd mit gleicher Treue um feines Fürften Anfehen 
und des Landes Wohl beforgte Graf Ambrofius von Thurn gab im 
%. 1602 Vorſchläge ein, welcher Art der verwirrten Froatifchen Gränze 
und dem untreuen Dienen bei Zeit fürzufommen wäre. Ob aber 
bieje® ein wefentliches Ergebuiß zur Folge gehabt habe, wiffen wir 
nicht. 

Eines, ob Eigenthümlichkeit der Perfon des Landesfürjten, ob 
neben viefer auch ver Zeit angehörend, darf nicht Übergangen werben: 
das fittliche Betragen ver Solpaten blieb nicht unberüdjichtigt. Der 
Hauptmannfchaftsverwalter zu Radkersburg erhielt im %. 1608 von 
dem Erzherzog Befehl, diejenigen unter tem dortigen Kriegsvolf, welche 
ein ärgerliches Leben führten, auszubezahlen und abzudanken. 

Für Maria kamen inveffen wieder Tage ver Freude, da ber Kö— 
vig Sigismund von Polen eine andere Tochter, Conftantia, von. ihr 
zur Gemahlin begehrte. Am 23. Oft. 1605 wurde in Gräß ver 
Heiratövertrag gefchloffen und bie Mutter begleitete die Braut nach 
Bolen, mußte aber längere Zeit dort verweilen, weil ihre Gefunpheit 
angegriffen war. 

Indeſſen bereiteten ſich bei dem krankhaften Zuſtande des Kaiſers 
Rudolf wichtige Dinge unter den Erzherzogen, um dem Mathias, dem 
dritten Sohne des Kaiſers Maximilian II., die Nachfolge zu ſichern. 

Stellen wir, fügt Hurter (V ©. 64 ff.), aus mancherlei zer⸗ 
ftreuten Andeutungen und Aeußerungen ein Bild dieſes Erzherzogs 
zufammen, fo finden wir, daß er, wenigitend in ‚jüngeren Jahren 
bie Unfähigkeit mit anfehnlichen Einkünften hauszubalten, mit feinen 


8 . J. Söoltl, 


Brüdern Ernſt und Albrecht gemein hatte, deßwegen eine hohe Stel- 
fung vorzüglich al8 Mittel zu deren Vermehrung betrachtete. Ver: 
anlaßte er früher Zweifel an ver Wantellofigfeit feiner kirchlichen 
Ueberzeugungen ober vermieb er es wenigſtens damals nicht, ven 
Schein auf ſich zu laden, als ſei er die Kirche preiszugeben geneigter, 
denn von einem Gliede des Haufes Oeſterreich durfte erwartet wer- 
den, fo wurde er nicht altein in Anhänglichkeit an fie, fondern felbft 
in Eifer für diefelbe in dem Maße gefeftigt, in welchem er auf ven 
Rath des Bifchofs Klefel hörte, vemfelben nicht bloß überwiegenden 
fonvdern ausschließlichen Einfluß auf fich einräumte. Deswegen er- 
wies er fich in der Folge zu Anerkennung einer rechtlichen Stellung 
ber von der Kirche Getrennten weit zäher als fein Bruder Rudolf, 
welcher zulegt fein Bedenken trug, bie wankende Herrfchergewalt auf 
Koſten von jener zu feftigen. ALS daher Mathias der Forderung ver 
unkatholifchen Stände Oeſterreichs nicht mehr ausweichen konnte, 
fuchte er nach ertheilter „Religions = Affeluranz« bei dem Papft male 
ein gehorfames Kind der Kirchen Freifprechung von der Schuld nad. 

So war auch er es, ver bei feiner Vermählung in die Hausge- 
fege (vermuthlich nicht ohne Stachel gegen feinen Bruder Rudolf) 
bie Beſtimmung einrüden ließ: „daß binfort Fein vegierender Herr 
von Defterreich ohne VBorwiffen und Willen der anderen Allen etwas 
ber Tatholifchen Kirche oder dem geſammten Haus Vorgreifliches zu 
bewilligen oder feftzufegen Macht haben, und, da vergleichen dennoch 
gefchähe, ſolches kraftlos fein folles. Für diefen nun wurbe die Erb- 
folge um fo eifriger betrieben, je mehr der Zuſtand des Kaifers ſich 
verfchlimmerte. (V. ©. 73.) 

Nicht allein wurde Niemand mehr vorgelaffen und durfte von 
keinen Gefchäften gefprochen werben, fonbern es zeigten fich zwifchen- 
ein förmliche Wuthausbrüche, im welchen er ven Nächftftehenben an- 
fiel, verwunbete, zuweilen an fich felbft Hand legen wollte. Noch be- 
venklicher fchien es, daß er Anhänger verfchievener Secten, unter fol. 
chen felbft die gemeinften Leute, an ſich zog, ihnen oft das Geheimfte 
anvertraute, Zufchriften an fie richtete und die Sage veranlafte, bei- 
nahe hätte er durch fie zu heimlichem Entweichen fich bereven laffen. 
Zwei Jahre früher hatte ver Erzbifchof von Prag den Bruber Lau⸗ 
renz von Brunduſio dahin berufen, um gegen bie Unkatholifchen zu 





Kaifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 9 


prebigen und ein Fapuzinerflofter daſelbſt zu gründen. Rudolf hatte 
ihm Hiezu neben dem auserfehenen Ort noch 2000 Thaler gegeben. 
Wie er nun in feinen damaligen Seelenängften ven Cardinal Diet- 
richjtein um Hilfe bat, glaubte diefer fie durch die Gebete der Ka⸗ 
puziner mildern zu können. Hierdurch wurde das Uebel noch ärger. 
Rubdolf zeigte fortan Widerwillen gegen die heil. Meffe, ergoß fih in 
Schmähungen wider die Fatholifche Religion, rief ven Teufel herbei ; 
ibm, ſchrie er bisweilen, gehöre er an, er folle ihn nehmen und weg» 
rühren. Sobald die Kapuziner ihre Gebete begannen, fing er an zu 
wũthen und zu toben; bes Nachts fuhr er aus dem Schlaf auf und fchrie, 
er werte von ihnen gepeinigt. Da forann ihr Nachtgebet auf den 
Tag verlegt wurte, ftellten fich die Ausbrüche vefto heftiger während- 
teilen ein. Deßwegen ging er damit um, viefe Ordensleute aus dem 
Yante zu jagen, was bei dem Widerwillen ver unfatholifchen Land⸗ 
ftänte gegen biefelben ein Leichtes geweſen wäre, wenn fein bamaliger 
Geſchäftseckel ſich hätte entſchließen können, irgend etwas zu unter» 
ihreiben. Dabei tehnte er feinen Zorn auf alle Geiftlichen aus. Nach 
ter Verabſchiedung der Geheimen Räthe Rumpf und Trautfon fprach 
er von teren Hinrichtung oder Landesverweiſung. 


XX. 


Bei ſolcher Lage der Dinge berief Mathias von den Gliedern 
reed Erzhauſes feinen Bruder Marimilian (Albrecht fand ſich an die 
entlegenen Niederlande gebunden) nebft feinen Vettern Ferdinand und 
Marimilian Ernft (ihren Bruder Leopold mochte er vielleicht zu fehr 
tem Kaifer ergeben halten, Carl aber war noch minderjährig) zu einer 
Zufammenkunft nach Wien. Befchwerden über den Staifer bildeten 
ten Inhalt ver erzherzoglichen Eröffnung. Mathias ftellte vor: wie 
ter Kaiſer bei fich erzeigenden Gemütheblöpigfeiten zur Regierung 
ber Königreiche weder geuugfam noch tauglich fich befinde, deswegen 
Fürforge, daß des Haufes, der Länder, ver katholiſchen Religion Er- 
haltung gefichert bleibe, ihnen Allen obliege. Und fie willfahrten fei- 
nem Wunſch und unterfchrieben am 25. April 1606 eine Acte, wo⸗ 
durch fie denfelben, damit des Haufes Macht und Würde nicht Gefahr 
tiefen, zu deſſen Haupt und Säule nach Inhalt des Teftamentes 
Kaiſer Ferdinand's beftellten, Alles genehmigend, was er hierüber wit 


10 J. Str, 


dem Bapft und ihrem Vetter von Spanien verhandeln würde. Dabei 
verhießen fie, ihm mit jeglichem ihnen zu Gebote ftehenden Mitteln 
zur Ermwählung als römifcher König behülflich zu fein. Erft ein bal- 
bes Jahr fpäter trat auf bringendes Anfuchen des Bruders auch Erz: 
berzog Albrecht diefer Verabredung bei '). 

Seit dem Abfchluß der Uebereinkunft war fein voller Monat 
verlaufen, als Mathias bereits eine keckere Sprache über ven Kaiſer 
fih erlaubte. Bei einer Berfanmlung der unteröfterreichifchen Stänte 
börte man aus feinem Munde: es ſei gegenwärtig von dem Saifer 
feine Hilfe zu erwarten, er aber wolle mit ven Ständen Xeib uud 
Leben laffen. Ferner ließ er durch Vertraute die Frage erörtern: 
wie bei des Kaiſers Gebrechen die Erbfönigreihe und Länder zu er- 
balten wären? (S. 97.) 

Yu diefen Schriften werden bittere Anfchuldigungen gegen den— 
felben ausgeſprochen. Er habe, wird gefagt, feinen Sinn von dem 
Haus vergeftalt abgewendet, daß er die Nachfolge weder den natürli- 
chen Erben, noch einem andern Blutsfreund gönnen möge. Durch ihn fei 
zwifchen feinen Brüdern und Vettern Hader geftiftet, der eine von 
ihm bald erhoben, tann wieter zurüdgefegt, zwifchenein Hoffnung 
gemacht worden, er wolle fich nach Tyrol zurüdziehen. Dann wieder 
babe er gleichmäßig bei ven Kur- und Fürften gegen Brüder und 
Bettern Verdacht erwedt. Er fei tergeftalt ven Gett verlaffen, daß 
er von demjelben weder hören noch reden, kein Zeichen besfelben um 
fih leiden welle, bei feiner Predigt, bei feinem öffentlichen Gottes» 
bienft, bei feiner Prozeſſion fich einfinde, fogar diejenigen haffe, welche 
biefen beimohnten. Beicht und Communion ſeien bei ihm zur politi- 
ſchen Gewohnheit geworben, fo daß man ihn zu feiner Zeit jo fchel- 
ten und fluchen höre, fo ungebervig fehe, als an ven Zagen, an wel- 
hen er das heilige Abenpmahl empfange. Daneben umgäben ihn 
Zauberer, Alchymiften, Cabbaliften, rufe er dem Xeufel, wolle öfters 
fih felbft Gewalt anthun, brülle wie ein Ochfe oder Löwe, fchlage 
um ſich, zeige eine Raſerei, als wäre er befeffen. Zuweilen nenne 


ı) Es wird bier bloß bie Erzählung mit Hurters Worten gegeben. Alle 
befien „Sollte — Könnte — Möchte — Dürfte” — zur Bertheibigung 
Ferdinand'e find weggelaffen. 


Raifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 11 


er feine Brüder und Vettern Schelmen, Mörder, Zauberer, Leute, 
bie ihm nach der Krone greifen wollten. Es träten Friften ein, in 
denen er von feinen Geſchäften hören, feine Schreiben Iefen, feine 
Geſandten vorlaifen wolle, mo er fi) abfperre, Vorftellungen dagegen 
mit den Worten abfertige: er könne und wolle nicht helfen. Ver⸗ 
möge er irgend ein Gefchäft nicht abzulehnen, dann zeige er fich voll- 
ende Furiofifch“, fchreie, fehelte, fluche ven ganzen Tag über, probe 
denjenigen, welche etwas vorbringen wollten, ev werde fie aufhängen 
laſſen; ftelle man ihm dann die Dringlichfeit ver Sache vor, fo werbe 
er noch zorniger. Ebenſo wenig fei er zu einem Reichstage zu be- 
wegen. Geld zwar befige er, wolle e8 aber nicht hergeben, den Ere- 
bit babe er durch Wortbrüchigkeit zertört. 

Mögen auch in viefen Schriften die Farben etwas ſtark aufge- 
tragen fein, ven Grundzügen läßt fih Wahrheit nicht abfprechen, fagt 
Hurter. 

Es war aber bei folchen Zuſtänden dahin gekommen, daß von 
Geſammtungarns Grundfläche vier Fünftheile mittelbar oder unmit» 
telbar unter des Türken Hoheit ftanden, ein einziger Yünftheil dem 
rechtmäßigen König verblieb. 

Um viefen zu retten, wurben zu Ende des Jahres 1605 Fries 
vensunterhandlungen eingeleitet, die über des Kaiſers Beharrlichkeit, 
ver katholiſchen Kirche nichts vergeben zu wollen, erſt fruchtlos blie- 
ben, bloß zu einem Waffenftillftand bis in die Mitte des Jahres 1606, 
endlich zu einem Bertrag führten, veffen eilfter Abfchnitt lautet: Da 
Seine Majeftät (Kaifer Rudolf) in Ungarn zu wohnen gehindert, dass 
felbe fomit durch einen Landpfleger zu regieren genöthigt ift, foll die⸗ 
fer nicht bloß den Namen eines folchen führen, fonvern zum Beßten 
der Landeseinwohner auch ınit deſſen Wefen ausgeftattet fein. Dem⸗ 
nach iſt der purchlauchtigfte Erzherzog Matthias als folcher mit uns 
befchränkter Vollmacht einzufegen, biedurch jedes Toftfpielige und bin- 
berliche MWeiterziehen nach Prag zu befeitigen. 

Mit diefer Ernennung war dem Erzherzog zu Stillung ver in- 
neren Unruhen und zu Herftellung des Friedens mit den Türken bie 
Möglichkeit größerer Freithätigfeit eingeräumt. Er ſchloß mit Ste- 
phan Bocskah, der ſich zum Fürften von Siebenbürgen und in einem 
großen Theile Ungarns zum Herrn aufgeworfen hatte, einen Trieben, 


12 I. Söltl, 


gewährte ihm Siebenbürgen und ben weiten Landftrich von Ungarn 
am linken Ufer der Theiß, freie Religionsübung mit der Bedingung, 
daß dieſelbe ven katholifchen Belenntniß nicht zum Nachtheile gereiche, 
Geiftlichkeit und Kirche frei bleibe und was in der Zeiten Sturm ge⸗ 
genfeitig weggenommen worben, an den vorigen Eigner zurüdfalle. 
Kaifer Rudolf beftätigte den Bertrag. Darauf fchloß Matthias Frie- 
den auch mit ven Türken. 

Aber der Kaifer zögerte mit der Beftätigung, erhob darauf neue 
Bepenklichkeiten und vie gegenfeitige Abneigung der beiden Brüder 
fteigerte fih immer mehr. Und es entftand bei ber traurigen Lage 
ver Angelegenheiten in Ungarn bei Matthias die Vleberzeugung, da— 
fern er nicht dazwifchen trete, drohe dem Haufe der Verluſt feiner 
glänzenpften Stronen. 

Die durch Rudolfs thatlofe Gleichgiftigfeit fortwährend fich ver- 
fhlimmernde Lage der Sachen benütten Einige, um den Erzherzog 
wider den Bruder aufzuftacheln. Die Bewegung ver Heiduken er- 
beifchte NRüftungen, vie Matthias alſobald anorbnete.e Daß er bie 
Stände des Landes unter der Enns und von benjenigen ob der Enus 
Ausſchüſſe einberufen habe, um über Vertheidigung ver Länder fich zu 
befprechen, zeigte er dem Saifer an zu einer Zeit, in welcher freilich 
Abſtellung nicht mehr möglich gewefen wäre. 


XXI 

Den drohenden Gefahren in Ungarn, der Stimmung in anvern 
Landſchaften des Kaiſers, der Entfremdung, die länger ſchon beide 
Brüder auseinanderhielt, und der von bed Kaifers Seite unabläfjig 
neue Nahrung gegeben wurde, ben geheimen Entwürfen einer cben fo 
wachfamen als rüftigen Partei, die eigentlich nur für ihre Abfichten 
wirkte, gefellte fid) noch etwas hinzu, wodurch Matthias auf das Em: 
pfindlichſte fich gefränkt fühlen mußte. Der Saifer hatte fhon am 
8. Aug. 1606 einen Reichstag nach Regensburg auegefchrieben, an- 
fangs Willens, venfelben in eigener Perfon zu leiten. Da einer ein: 
getretenen Seuche wegen vie Zufammenktunft um ein Jahr mußte 
verſchoben werben, änderte Rudolf feinen Vorſatz und befchloß vie 
Ernennung eines Stellvertretere. 

Hatte er Matthias fehon zu widerholten Malen dazu erfehen, fo 





Kaifer Ferdinand II. und fein Gefchichtfchreiber Hurter. 13 


durfte diefer bei ver Hoffnung, die fo lange beſprochene Angelegenheit 
wegen der Nachfolge würde endlich ernftlicher zur Sprache kommen, 
um jo zuverfichtlicher erwarten, (daß) die Wahl auf ihn fallen würde. 
Aber Rudolf ernannte, chne dem Bruder auch nur eine Anzeige da— 
von zu machen, feinen Better Erzherzog Ferdinand von Steiermark, 
auf welchen er zu biefer Zeit fein höchſtes Vertrauen fegte'), dagegen 
fih von dem Argwohn nicht losſagen konnte, Matthias möchte es ver- 
fuchen, Bei den Reichsſtänden fo in Gunft fich zu fegen, um ihn felbft 
von ver faiferlihen Würde zu verdrängen. 

Daß die proteftantijchen Fürften biefe Ernennung ungerne fahen, 
läßt fich nach demjenigen, was in Deutfchland über den Erzherzog fo 
emſig verbreitet worben, leicht begreifen. Der Kurfürft von Sachſen 
bemerfte dem Kaifer: Laſſe ſich auch nicht zweifeln, daß der Erzher- 
zog Die Commiffion mit allem Ruhm, Lob uud Ehre verrichten werde, 
fo jei doch zu beforgen, er dürfte allzufehr auf den Rath der Jeſuiten 
horchen, deßwegen ter Reichstag ſich entweder zerichlagen oder doch 
das nicht erzielt werden, weßhalb der Kaiſer denfelben berufen. Wie 
es jcheint gelang es dem Kaiſer nicht, ven Kurfürften zu beruhigen; 
denn derſelbe wiederholte feine Bedenflichfeiten bei obwaltender Ges 
reiztheit der Fürſten durch die hitzigen von den Jeſuiten angejtifteten 
Berfecutionen in des Erzherzogs Landen. Ferdinands Perfönlichkeit 
überwand in der Folge alle Abneigung des Kurfürften gegen ihn. 
Wurde nachher deſſen Ahnung dennoch zur Wirklichkeit, fo lag bie 
Urfache hievon weder in jener, noch in Erwahrung des Bernutheten ’), 
jagt Hurter. 


1) Wie kam ber Kaifer dazu, Berbinanden zu feinem Stellvertreter zu er- 
nennen? Warum febte er auf biefen fein höchſtes Bertrauen? Hurter 
weiß doch fonft gar viele Muthmaffungen anzugeben, und ſchweigt gerabe 
bei dieſem wichtigen Punkte. Nur einmal (V. 109) entfchlüpft ihm bie 
Andeutung: Wußte man zu Prag etwas von der Verabredung der Erz⸗ 
berzoge? War biefes ber Ball, fo dürften Andeutungen darüber durch 
bie Erzherzogin Maria bahingelommen fein. — Aus ben fpäter folgenben 
Briefen wird ber Lefer die Sache deutlich erfennen. Offenbar wurde 
aber das Wichtigfte mündlich verbanbelt. 

2) Was heißt Das? Warum nicht deutlich? 


16 J. Eöttl, 


Bis in den zweiten Monat mußte Jerbinand der Ankunft der Gefant- 
ten harren. Erft am 12. Yan. konnte er in eindringlicher Rede die Verſamm⸗ 
lung eröffnen. Der Hauptantrag beftanb in dem Geſuch um Kriegshülfe, 
bei dem Aufftand der Haidufen und drohenden Friedensbruch der Zürfen 
um fo dringender. Der Vortrag berührte ald Gegenftant der Berathung 
noch Anderes, befonders die fehon feit manchen Jahren zur Sprache 
gekommene Verbeſſerung ver Reichsjuſtiz. Aber vie kirchliche Spal- 
tung (immer mehr den Normalzuftand ver Reichstage ausprägend) 
warf fich, ehe man die Sache zur Hand nehmen wollte, auf die Form. 
Zu allererjt, bieß es, fei feftzuftellen, welchem ver kaiſerlichen An- 
träge in ber Erörterung der Vorrang gebühre? Schon an biefer 
Frage gingen bie Stimmen nach ver Verfchiedenheit des Glaubens 
auseinander. 

Die katholifchen Geſandtſchaften wollten die Türkenhülfe, als dem 
Dringlicheren, die anderen den Reichsfachen, als die inneren Angelegen- 
beiten berührend, den Vorzug einräumen. Die Stimmung war burch 
das, was fo eben mit Donauwörth fich ereignet hatte’), eine gereiz- 
tere geworben; Ferdinands Ernennung zum faiferlichen Stellvertreter 
batte dieſelbe nicht gebeſſert.) Was feine Perfönlichkeit unfehlbar 
müßte bewirkt haben, das ward in den Hintergrund gebrängt durch 
bie frifche Erinnerung wie das ehemalige Verfahren der von der Kirche 
getrennten Reichsfürjten jüngft im eigenen Lande zu deren Gunften ’) 
und zu Rettung des fürjtlichen Anfehens (ob zwar in ungleich milverer 
Anwendung *) tur ihn theilweife fei befolgt worden. 

Diefe Stimmung fund ihren Anbaltspunft und ihre Nahrung in 
den Berwidelungen in Ungarn. .. Die Proteftanten verlangten, ber 
Kaifer folle ven Frieden mit den Türken genchm halten, den Ungarn 


1) Und kein Wort fonft über diefe wichtige Sache? 

?) Dürfte auch ich vermuthen, fo möchte ich behaupten: bie Ernennung Fer⸗ 
dinands habe mit der Sache von Donauwörth einen natürlichen Zufam- 
menbang, der wohl irgendwo auch fchriftlich angebentet if. Oder warb 
dieß Alles mündlich verhandelt? 

2) Zu weſſen Gunſten? Etwa der NReihsfürften ? 

+) Man erinnere fih nur an Obontius, burg welche Mittel er follte belehrt 
werben! 





\ 


Kaiſer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 17 


bie Religion frei ftellen; denn damit gegen dieſe ver Kampf fönne 
fortgejegt werben, wollten fie ihr Geld.nicht hergeben. 


XXI. 


Indeß bemerkte man bei dem Erzherzoge Matthias, ver bisher 
gegen den Kaifer über bie Schranken des Geziemenden nicht hinaus: 
geihritten war, einen Umſchwung in Wort und Schrift. Woher die- 
ſes? Wir irren gewiß nicht, wenn wir benjelben dem erfolgreichen 
Beftreben Illeshazys und feiner Anhänger beimeffen.‘) Er brachte 
zu Preßburg eine Verbrüberung der Ungarn und Defterreicher zu 
Stande und ſchrieb darüber 31. Yan. 1608 dem Kaiſer: Die Ber- 
bindung babe feinen andern Zwed, als ver Landfchaften, des Kaiſers, 
der Chrijtenheit Wohl. 

Aber bald galt ed, offen wider den Kaiſer aufzutreten, und bie 
Ungarn erließen eine Vorftellung an die beutfchen NReichsftände und 
baten nicht allein um Verwendung bei ihrem König zum Feſthalten 
an bem aufgerichteten Frieden, fondern um Verweigerung jeder Tür⸗ 
fenhülfe, vie nur zum Zunder neuen Krieges werden müßte. ‘Durch 
Beobachtung des Friedens werde nicht das Anfehen des Kaifers her⸗ 
abgefegt, nur die Wohlfahrt der Chriftenheit gefördert. — Welche 
Wirkung ein folcyes Verlangen bei einem großen Theil ver dem kaiſer⸗ 
(ihen Begehren ohnehin nicht geneigten Oefandtfchaften in Negens- 
burg haben werbe, das konnten diejenigen, von welchen basfelbe aus⸗ 
gegangen war, leicht ermeffen. Ste bemühten fich aber zugleich, vie 
böhmischen und mährifchen Stände gegen dasfelbe aufzureizen. In 
biefer Abficht richteten fie auch ein Schreiben au den Erzherzog Fer⸗ 
binand, der es feiner Mutter fandte, damit fie durd) die geheimen 
Räthe deifen Beantwortung berathfchlagen laſſe, indeß er felbft an 
demſelben Tage, 14. Februar, dem Kaifer hievon Mittheilung machte 
und fchrieb: „Geſtern den 13. dies ift cin Curier hieher Tommen, und 
bat neben ver gewohnlichen Orbinari von Prag unterfchiebliche Paket⸗ 
len aus Wien mit ſich bracht, die E. Kayſ. Maj. eınpfahen. Cttliche 
find von meines Vettern und Bruders Erzherzogs Matthias Liebven, 


') Nicht vielmehr dem Tiftigen Beſtreben Ferdinands und ber Jefuiten, bie 
den Matthias verbrängen wollten ? 
Hiſtoriſche Zeitfhrift V. Band. 2 


18 g. Eättl, 


die andern vom Kreisoberſten Seifried von Kollonitfh. .. Was an 
mich überfchrieben gewejen, hab ich geöffnet, und weil auf das eine, 
des Kollonitſch Sekretario Thomä Meyer zugehörig und bei den Kurf. 
Sächſ. Gefandten zu erfragen fein folle, nachfolgende Erinnerung ver- 
zeichnet gewefen: Zum Fall ver Mayr noch nicht zu Regenéburg an- 
zutreffen wär, ſolle der Curier das Schreiben aufbrechen und ven 
Einfluß, fo an das ganze Neich lautend und gehörig, wo es ſich 
gebürt gegen einem Recepijfe überantworten,; tem in bes Mayrs 
Schreiben hab er tie mehrer Nachrichtung abzunehmen, aberer, Mapr, 
nirgend ber Zeit allhie zu finden: So ift das Schreiben an ihn gleich- 
falls aufgethan. 

Und fo dann daraus erfcheint, daß von nächit verfchiener Con⸗ 
gregation zu Preßburg au des heil. Reichs Kurfürften, Fürſten und 
Stände ohne Zweifel eben ſolche Sachen wie an mich auch gejchricben 
werben, und ich im Zweifel ftehe, ob8 mit E. Kayſ. Mt. Wiffen und 
Willen gefchehe, zu tem, obs teren allhier anweſenden Reichs⸗Ständ, 
Räth, Botichafter und Gefandten (in Betrachtung, daß es nicht an 
fie, fondern an ihre Herren und Oberen gerichtet) annehmen möch- 
ten ): Als hat mir anders nicht gebüren wollen, als midy hierüber 
por allen Dingen bei E. Kaiſ. M. Beſchaids zu erholen, gehorſamſt 
bittend, da unfchwer zu erachten, daß ter in ven Schreiben begriffene 
Bericht von des Zürkifchen und Ungarifchen Wefens veränderten Zu: 
ftand ber biefigen Reichſtagshandlung ein großes Nachdenken und Ber 
fehrung bringen wird, ja vermuthlich etliche Gefandte mit Fleiß ihre 
Erklärung über E. Mit. wider ten Zürfen gefuchte Hilf fo lang bie 
auf gegenwärtigen Verlauf aufgezogen. . . 

E. M. geruhen mir, je bälder je beifer Ihre Intention, weſſen 
ich mich nun dießorts erhalten ſoll, anzufügen; auch weil in Erzherz. 
Matthias Schreiben an mich Meldung gefchieht, e8 werde in Kurzem 
eine antere völlige Relation hernach fommen, wofern zugleich an bie 
Reichsſtände etwa Briefe und Gefandte mitgefchieftt würden, was dann 


— 


’) Barum hat man denn bie Schreiben der Gejanbten nicht wenigſtens zu⸗ 
erſt gezeigt? Warum bat man fie nicht an bie Fürften und Reicheftände 
Aberjhiht? Aber Hırter fagt: Zur Eröffnung hielt ſich der Erzherzog 
als laiſerlicher Commiſſarius befugter ale einen zwanzigjährigen Jungen. 


Kaifer Ferdinand II. und jein Geſchichtſchreiber Hurter. 19 


in biefem Fall mir zu thun ober zu laffen; auch wenn bes Kollonitſch 
Schretar ver Mayr noch allhier erfcyiene, was ihm anzubefehlen und 
aufzulegen jei.“ 

Mit diefem Schreiben fandte Ferdinand den Freiherrn Siegmund 
driedr. von Trautmannstorf an ten Kaifer, und ertheilte demſelben 
noch bejondere Inſtruktionen, wie er die Sache vorzubringen babe, 
auch zu bevenfen geben folle, ch es gut fei, vie überſandten Briefe 
ganz zu unterbrüden; benn wenn die Ungarn audere Mittel fänden, 
ihr Begehren der Reichsverfammlung noch einmal fund zu thun, und 
die Gefandten dann erfahren, man habe die Briefe an ihre Herren 
unterfchlagen, fo möchte dies großes Mißtrauen erweden. 

Der Kaijer felle vor den Ungarn warnen und alles bisher wegen 
des Türfenfrievens Verhandelte ten Ständen offen vorlegen. 

Die kaiſerliche Billigung der Maßregel Ferdinands war bereits 
in Regeneburg eingetroffen, als erft vie Wotfchafter ver Reichsſtände 
erfuhren, was mit ven Briefen vorgenommen worten. Eie ftellten 
deswegen ten faif. Affiftenzrath Haniwald zur Rebe, ter neben An« 
führung des Haiferlichen Befehles') mit ter feltjamen Ausflucht fich 
behalf: die Briefe wären an bie Kurfürften felbft, nicht an deren 
Abgeſandte überfchrieben gewefen; daher Zweifel, ob dieſe fie nur 
annehmen konnten.) Kine fpätere Erklärung tes Erzberzogs an bie 
Gefandten gab ale Grund jener Maßregel an: daß Briefe an Ihrer 
Majeftät Räthe und Diener nad Wien geſchickt dort ebenfalls feien 
unterbrüdt worden. ?) 

Der Kaifer befahl darauf 23. Febr. feinem Bruder, mit allen 
Neuerungen und Thätlichleiten einzuhalten, alle Zufammmenforderungen 
der öfterreichifchen, hungarijchen und anderer Stänte uud alle Hand» 
fung mit ven Türken einzuftellen, indem er felbft eheftens tie Erzher⸗ 
zoge zu fich rufen und mit ihnen vie Eachen berathen wolle. 

Dem Erzherzog Ferdinand aber fendete er ven Trautmannsdorf 
zurüd und deutete ihm an, er fege in feine Treue und Reblichleit als 


— — — —j — 


3) Wie kounte denn ein ſolcher Befehl von vornherein gegeben werben? 
2) Geltfam aber neunt es Hurter. Aber Ferdinand hatte fich ja biefer Aus⸗ 
flucht in feinem Briefe an den Kaifer bedient! 


2) Melde Ausrede! 9% 


20 3. Sätt, 


eines Familiengliedes die unbetingtefte Zuverfiht. Daß der Kaifer 
ſich hierin nicht täufchte, wird aus dem weiteren Verlauf dieſer Ge- 
fchichte hervorgehen. Auch darin erfcheint Ferdinand groß,') daß 
er im Angeficht ernfter Verwidelungen und fteigender Bebrängniß 
Rudolfs von Entfremtung, bie durch des Kaiſers Heinliches Benehmen 
gegen vie beabjichtigte Vermählung vet Erzherzogin Magdalena (Fer⸗ 
dinands Schwefter) mit dem Erbgroßherzog von Florenz in jeber 
Beziehung gerechtfertigt erfcheinen müßte, niemald auch nur die leifefte 
Spur vurchbliden ließ. Indeß ging Mathias ungenirt feinen Weg 
und entfchuldigte feine Schritte in einem Manifeft: was er bisher 
getban habe, fei nur aus fchuldiger Fürforge zur Erhaltung des Hau⸗ 
jes, der Länder und Leute befjelben mit einhelliger Bewilligung und 
Vollmacht feiner geliebten Brüder und Bettern gefchehen. Dasfelbe 
zu Gottes Ehre und des gemeinen Vaterlandes Beſtem zu vollführen, 
müffe er nunmehr auf allerlei Mittel und Wege denken. 


Seine Schritte bei den Protejtanten am Reichstage in Negens: 
burg fanten folche Gunft, feine Schriften folhe Zuftimmung, daß 
eine Sendung des Grafen Althan im Namen des Kaifers einen Ge 
genbericht wegen tes ungarijchen Verlaufes zu thun ohne Frucht 
blieb, Ferdinand jede Hoffnung, an tiefem Reichstage etwas aus 
richten zu Können, aufgab. Nur die Hoffnung, vem Saifer und ber 
Sache ver Religien dienen zu können, verlieh ihm Ausdauer. Syn 
eben dem Maße aber, in welchem die Spannung zwifchen dem Kaifer 
und feinem Bruder fich mehrte, nahm vie gegenfeitige Spröpigfeit 
zwifchen ben Reichsftänden überhand. 

Noch ehe Ferdinand hiefür einen Beweis haben konnte, hatte er 
geahnet, daß ver Wiener Vertrag zwifchen ven Erzherzogen von Ma- 
thias zur Grundlage und zum Heber aller Wagniffe könnte gemacht 
werden, deswegen nannte er denſelben einen verfluchten Vertrag”). 


') Eudlich hat Hurter eine Belegenheit gefunden, feinen Helden groß zu 
nennen. 


*) Dabei citirt Hurter ben Brief Ferdinands an feine Mutter vom 20. Febr. 
— 34 las den Brief (V. 432) und las ihn wieder und fand die ange- 
zogene Wenfjerung nicht, endlich aber: „Weiln auch der geweſte obrifte 





Kaifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurte. 2 


Mathias aber bemühte fih, Jedermann von der Neblichfeit feiner 
Abſichten zu überzeugen, ſchickte deshalb Geſandte nach verfchienenen 
Richtungen, auch an vie Erzherzogin Maria, daß fie ihren Sohn zum 
Beitritt vermöge. Allein fie war zu umfichtig, ald daß der Bote 
einen beftimmten Befcheid hätte zurückbringen können. Ihre Antwort 
lautete ſehr jein. Sie berührte ven eigentlichen Antrag gar nicht, 
ſendern machte nur den Erzherzog auf feine Stellung zu dem 
Kaiſer aufınerffan und bemerkte: fie zweifle nicht, ex werde Alles zu 
des Kaiſers als nes Vaters bes Haufes beſtem Wohlgefallen verfügt 
baben. — ben fo ausweichend antwortete fie auf ein neues Schrei- 
ben: Sie könne dabei nichts thun, als mit ihrem armen Gebet Gott 
aufleben, er wolle die Herzen zu feiner Ehre, ver Chriftenheit zum 
Beften und dem Haufe zum Nußen vereinigen. Aber fügt fie bei, 
lafien Sie ſich doch vor Allen die Religion anbefohlen fein; benn ben 
Ketzern iſt nichts zu viel um baffelbe nicht zu begeben. 

Mathias fuhr indeſſen fort, für feine Sache zu werben in Nom, 
in Deidelberg, bei allen protejtantiichen Fürften und Neichsftänven, 
und feine Briefe wurden in Regensburg glüdlich abgegeben. Als er 
aber einen neuen Boten mit Briefen dahin abfandte, wurde berfelbe 
angehalten, die Briefe ihm abgenommen und von den Affiitenzräthen 
eröffnet. Das Erſte, was darin auffiel, war eine beglaubigte Ab⸗ 
fchrift res Wiener Vertrags. Bei dem Ableſen erfchraden die An- 
wefenden. Der Landgraf von Leuchtenberg begab fich mit ven Ajfi 
ftenzräthen fogleih zu Ferdinand und ſprach zu ihm fcharfe Worte 
von Berfhwörung, von Pflicht und Eid, welche ihnen mit Sr. Durdh- 
laucht ferner im Rath zu figen verböten, es wäre benn, daß er al8- 
bald bei dem Kaiſer fich entjchulpige, mit ihm fich ausföhne, worüber 
fie jeine Entfchlieffung erwarten wollten. Das ging dem Erzherzog 
fo zu Berzen, ?) daß er in helle Thränen ausbrady und mehrmals bie 


von Hermbflain bei biefen verfludhten conventum geweſen“ — Und dazu 
yeißt die Rote: Die Zufammenkunft in Preßburg. — 

Run frage ih, wer hat bie Urkunde abgefchrieben, wer hat bie An-, 
merkung bazıı gemacht? Wer hat das Bud — die Geſchichte gefchrieben 
und wie bat biefer die Urkunden benitt? So fchreibt man Geſchichte! 

1) Warum? Weil feine Zweideutigleit an ben Tag kam! 


22 g. Sätt, 


Worte vernehmen ließ: fein Vetter gebe durch Tiefe Kundmachung des 
Vertrages fchelmifch und verrätherifch mit ihm um. Durch mehrere 
Stunden äußerte er den einzelnen Räthen feinen Kummer, fo daß fie 
Mühe hatten ihn zu tröften. Wäre ihm, fagte er, in dem Augenblid, 
da ber Landgraf die Sade vorgetragen, ein Meſſer in das Herz ge: 
ftoffen werten, er glaube, ver Echreden würde das Blut zurüdgehalten 
haben. — Die Meinung der Räthe lautete: die Erzherzoge hätten 
feine andere Wahl, als fih von Mathias zu treunen. 

Südlicher waren andere Abgefantte des Mathias nach anderen 
Gegenden. Dur vie Beröffentlihung der Wiener Uebereinkunft, 
wodurch vie anderen Erzherzoge als Mitſchuldige konnten dargeitelit 
werben, erfchien er als bloßer VBollftreder eines längit [chen von ihnen 
ausgegangenen Beſchluſſes.“) Die Faiferlihen Affiftenzräthe hatten 
pflichtgemäß die gemachte Entdeckung nach Prag zu berichten. Damit 
blieb Ferdinand, um feine und feines Brubers Ehre zu retten, feine 
andere Wahl, als eine offene Darlegung. Sogleih mußte Traut- 
mannsborf wierer nach Prag abreifen und die Entſchuldigung ſchrift⸗ 
ih und mündlich überbringen. Ferdinand ſchickte auch einen ver- 
trauten Diener an Erzherzog Marimilian nach Innsbruck und evöff- 
nete ihn, wie ihn die gemachte Entvedung im Innerſten betrübt, wie 
er nicht umhin gekonnt habe, ta Alles zur Kenntniß ter Affiftenz- 
räthe gekommen fei, bei dem Kaijer ſich zu entfchuldigen. Ferdinands 
Mutter aber legte, febald fie deſſen Wittheilung erhalten hatte, eine 
Fürbitte bei dem Kaifer für vie beiten Söhne ein. 

Mathias war über die Verhaftung feines Voten böchlich entrüftet 
unb jchrieb drohend an Ferdinand; ber Kaifer aber fand an des 
Vetters Dienftbeflijfenheit großes Wohlgefallen und zeigte fich durch 
deſſen Entſchuldigung im Betreff des Wiener Vertrages vollkommen 
befriebigt. | 





') Offenbar wollte Mathias gegen Ferdinand wirfen und ihm bas Bertrauen 
bes Kaifere und ber Fürften entziehen und bie Wahl beffelben zum römi- 
ſchen König hindern. Die Wictigleit nnd Gefährlichkeit der Sache fahen 
die Mutter Ferdinande und die Räthe wohl ein. 


Kaifer Ferdinand II. und fein Gefchichtfchreiber Hurter. 23 


XXI. 


Aber Ferdinands Anfichten über die bisherigen Schritte feines 
Better Mathias und feine eigene Gefinnung erhellen aus feinen 
driefen. In ihnen bewährt fih, fagt Hurter, in dem ungetrübteften 
Kichte feine richtige Einficht, feine wankelloſe Treue gegen den Kaiſer, 
fowie mit dem fefteften Gottvertrauen verfchmolzene Redlichkeit und 
fein entfchievener Wille, lieber das Aeußerſte zu leiden, als zu Wider⸗ 
rechtlichem die Hand zu bieten. Zwiſchendurch Teuchtet dabei in dem 
glänzenbften Lichte ver Mutter verwandte Gefinnung ') in Verbindung 
mit ihrer durch höhere Ueberzeuguugen ’) veredelter Klugheit.) Die 
Briefe, die der Sohn von dem Reichstage an biefelbe richtete, zeigen 
uns einen fledenlofen Charafter, einen folchen Seelenabel, dem in ver 
Folge der Glanz ber erften Krone der Welt nur als wohlverbiente 
Beigabe dienen fonnte. *) 

Zuerit folgen denn bier die gewechfelten Briefe wegen der Der: 
baftung ver Boten bes Erzherzogs Mathias. 

1. Ferdinand an den Kaifer. Regensburg 3. März 1608. 

Gnädigſter geliebter Herr Vetter und Herr Vater! 

Cuer faiferl. Dit. werben verboffentlich an mir bisher Anderes 
nichts, als allen jöhnlichen Gehorfam und daß ich mich jeberzeit dero 
gnädigften Willens eifrigft beflieffen, im Werk gefpürt und erfahren 
haben, da ich dann (mit Gott bezeugend) für E. K. Mt. va es bie 
Noth erfordert, Leib und Leben, Gut und Blut darzufegen keine Scheu 
gehabt hätte und noch . . . Dieweil ich aber erfinde, daß Erzherzog 
Mathias fi an dem, daß er fih E. Dit. für feine Perfon thätlich 
widerſetze, nicht erfättigen läßt, fontern auch mich und andere Erz« 
berzoge bei Derjelben in Ungnad vielleicht zu bringen gedenkt: fo 
kann ich nicht unterlaſſen ... fürzufonmen mit dieſem meinem ge— 
borfamen Schreiben. Und foll Derfelben nicht verhalten, als ich 
geftern erfahren, daß ein Kurier von Erzberz. Mathias an Genffofler 


— — — — — 


) Wie wir fie bereits aus ben früher mitgetheilten Briefen lennen! 

?) Was heißt Dies? Hatte fie eine höhere Ueberzeugung als ihr Sohn? 
3) Beredelte Klugheit! Ihre Briefe zeugen davon ?! 

) Eagt Hurter. 


24 I. Sditl, 


abgefertigt worben, alihier angelommen, daß ich mit den Affiftenz- 
räthen für rathſam ermeſſen, denſelten anzuhalten') und nach Gele- 
genheit der Sachen auch die bei Handen habende Brief zu öffnen, 
wie dann durch die Affiftenzräthe geſchehen ... Und Bat ſich ... 
eine authentifche Abfchrift gefunten beffen, was wir Erzherzoge und 
auf fein Erfordern nah Wien im April 1606 mit einander verglichen. 

.. ohne Zweifel dahin angefehen, daß er Solches zu einem Ded- 
mantel feiner jest angemaßten ungebührlichen Attentaten zu gebrauchen 
vermeint . . . welches Alles mich nicht unbillig in eine ſolche Betrüb- 
niß und Belümmerniß gefeßt, dergleichen Id) die Tag meines Lebens 
niemals überftanben. 

(Folgt die Entfchuldigung, Ferdinand habe gemeint, er werbe 
nach Wien gerufen, wegen ber döjterreichifchen Lande und Ungarn.) 
Da wir tahin gelangt, hat uns .. Mathias Eurer Kaif. M. Leibee- 
Indispoſition, fonbern auch Gebrechlichfeit an Sinn und Gemüth 
mündlich und fchriftlih . . . fürgetragen und die Gefahr, welche allen 
Defterreichifchen Landen daraus bevorftünde, vermaffen für Augen, 
bag wir uns (weil wir dafür gehalten die Sachen feien alfo befchaffen) 
mit ihm dahin verglichen, allen möglichen Fleiß anzuwenden, bamit 
©. L. ald nah E. Kaiſ. Mit. ver ältefte von unferem Haus, zu einem 
römischen König möchte erwählt und E. K. M. Derfelben fchwere 
Loft mittragen zu helfen abjungirt werden, welches ich (ohngeachtet 
ich mich deſſen lang geweigert) doch zulegt auf S. 2. Anhalten darumb 
deſto lieber gewilligt, damit S. L. der Verdacht darin Sie mich jeber- 
zeit gehabt, als wollte ich nämlich die Krone an mich bringen und 
©. L. daran verhindern, aus dem Sinn genommen würde... Da- 
mals habe ich mir die wenigften Gedanken gemacht, daß ©. 8. unfern 
Bergleich wider E. K. M. auf einen folchen Weg, wie nunmehr leider 
am Tage, mißbrauchen follte. Wie wir uns denn damals ftark gegen 
einander verbunden, daß die Suchen im höchften Geheim gehalten und 
außer unfer aller Verwilligung Niemand eröffnet werden ſollte ... 

Wann dann mein und meine® Herren Bruders Meinung am 
wenigften nicht gewefen, durch dieſen Vergleich des Erzherz. Mathias 
1) IH — Ferdinand — habe ben Boten angehalten Der Lefer wolle 

bieß merlen. 








Kaifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 95 


8. zu einer ungebührlichen Praktik Vorſchub zu geben, fondern Dies 
Alles auf ten empfangenen Bericht allein von des Beßten wegen und 
Kur. 8 M. felbft, wie e8 neulih zu E. M. von mir und meiner 
dran Mutter geſchickt worden, zu Guten von uns angefehen gewefen... 

2. Regensburg, 4. März 1608. 

Nachdem E. Kaif. Mt. nun etlihemal und noch erſt neulich 
tur Trautmannsdorf . . . auferlegt, ich folle auf alle aus Defter- 
reih und Ungarn abgehende Briefe, auch was wieder darauf erfolge, 
fleißig Achtung geben, ... . jo habe ich nicht allein meines Vettern .. 
Mathias und ter Preßburgiſchen Ungarifchen Verfammlung vorige 
Schreiben aufhalten und E. M. zufertigen laffen, ſondern auch erft 
den 2. März wieder einen Eurer Mt. Diener, ver von Wien auf 
Yinz alder gelangte und zum Zacharias Gaitzkoffler reiten ſollte, arres 
ftire, ') bei welchem fich feltfame folche Schriften gefunden, bie in 
E. M. Kaiſerl. Affiftenz-Rath gelefen worden, und ich nimmermehr 
gemeint, daß jie Erzh. Mathias zu dem Intent gebrauchen, oder auch) 
dem Geitzkofer an die Hand gehen follen ... Aufm Paket iſt Feine 
Ueberfchrift gewefen, cb im verpetfchirten Handbriefl ein Mehreres 
begriffen, weiß ich nicht. Mir zu eröffnen ift aus erheblichen Urfachen 
bedenklich. Der Arreftirte wird Seerauer genannt, fein Felleifen ift 
durchfucht, finde darin weiter nicht. 

... Herzog Mar in Bapern hat auf mein Erfuchen und Zu: 
fhreiben gegen E. Mt. fidy erboten, daß er bei jetzigem fehwierigen 
Zuſtand in allen feinen Landen und Gebieten einen Jeden, ver Eur. 
Mt. zumider, auffangen und nieberwerfen laſſen wolle,“ wenn id) 
mr 5. 8. deswegen Abifire. Es ift deshalb fehon an allen Grenzen 
und Päſſen Fürſorge gefchehen. u. f. w. 

Schreiben der Erzberzogin Maria an Kaiſer Rudolf. 

3. Gräg, 12. März. 

Mein Schn Ferdinand berichtet mich, was fich zugetragen zu 
Regensburg mit dem ind Reich abgefandten Eurier ... . in biejer 
Anhörung (bin) ich von Grund meines Herzens erfchroden und 
hätte des Erzh. Mathias L. nimmermehr zugetraut, daß er meine 





) Ferdinand gefteht und rühmt ſich hier wieber, er habe es gethan. 
N) Wie weit konnte das gchen! 


26 3 2ött, 


zwei älteren Zähne tiefer Geftalt einrühren ſellt, was im bödchfter 
Geheim rerkintlid und nur amt einem Hall, ver fi aber Gottleb 
nicht ;ngetragen, auch verbeifentlidy nimmer begehen wirt, verglichen 
werten. Run fann id mit Gott und ter Wabrheit wohl bezeugen, 
raß werer ich nech meine Söhne das Wenigfte nicht gewußt, warum 
fie nah Wien erbeten werten, wie ſie venn jeldde Reije ungern für- 
genemmer, ich ihnen auch tiejelbe nimmermebr zeftattet hätte, 
wenn mir was vergleichen vergekemmen wäre. Neben vem bat ſich 
auch Ener Kai. Mt. wehl zu erinnern wilten, was ih Ihr ver 
Tiefem etliche Mal von tiefer Materie ſowohl jchrift- ale männlich 
in Untertgänigfeit anteuten hab laſſen, und daneben gebeten, Sie 
wollen Ihr ven meinen Söhnen nichts Wirenwärtiges einbilten laſſen,“) 
weil wir ihr aufrechtes Gemüth und ver gegen ©. K. Mt. ſchuldiger 
Geherfam vor Anteren gar wohl bewußt. Welches dann E. Mt. 
mit Gnaden vermerkt und felbft hoch vernünftig befunden, daß fie an 
tergleihen Zufammentunft und Berathichlagung kein Schuld tragen. 
Weil nun die Sade . . . ausgebreitet werden will und Soldes E. M. 
vielleicht zu einer mehreren Offenſien Urſach geben möchte, hab ich 
Diefelben in aller Demuth bitten wollen, daß Sie deſſen meine zwei 
liebe Söhne mit Ungnaden nicht entgelten laffen u. ſ. w. 


In einem Schreiben vom 17. März an ten Erzherzog Mathias 
entſchuldigt fih Ferdinand wegen des mit dem Curier Borgefallenen 
und fchiebt alle Schuld auf die Affiftenzräthe”).. Darauf antwortet 
Mathias ven Wien 4. April, daß tie gefängliche Einziehung feines 
Abgefandten, ter in Saucen gemeiner Ghriftenheit nnferes löklichen 
Haufesé u. ſ. w. geſchickt worten fei, eine wahre Berlekung des Ge 
fandten» und Völkerrechtes jei, da dies Alles auf einem allgemeinen 
freien Reichstag gefchehen, ver allen Zu⸗ und Abreifenden perse fein 


, Alſo Maria hat über ben Wiener Bertrag mündlich und ſchriftlich dem 
Kaifer Andeutungen machen lafjen und zugleich ihre Söhne entſchuldigt. 
Wie nun, waren dieſe Andeutungen Urſache, daß nicht Mathias fondern 
Ferdinand nach Regeneburg gefchidt wurde? 

’) Während er in feinen Schreiben an deu Kaifer feine eigene Thätigleit 
rühmte ! 





Kaifer Ferdinand II und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 97 


frei fiheres Seleit gibt. Es kann aber, fährt er fort, nicht wohl 
kim, daß fih E. 2. über folchen geführten Prozeß, welcher nicht al- 
lin durch tie Kaiſ. Alfistenzräthe, fondern Inhalt Ihrer dem erften 
Kurier gegebenen Kundſchaft von Ihr jelbjt begangen worden, ent⸗ 
ſetzen fellen. 

Obwehl Ihre 8. fürgeben, taß Sie deſſen von Ihrer M. 
ernftlichen Befehl empfangen und dies Alles von ben Affiftenzräs 
then gefchehen: (fo) iſt doch Euer 8%. Kundſchaft, die Sie dem 
Enrier eingehäntigt, verhanten, darin Sie felbft befennen, daß Sie 
tie Brief, fo er bei fich gehabt, ton ihm abgeforvert haben... . ') 

Dann führt Mathias an, daß fie zwar 1606 beſchloſſen, vie 
Berbrüterung Damals noch geheim zu halten... . wie aber Eols 
des gar nicht dahin gemeint werten, daß es in ewiger Stille und 
Serfchwiegenheit bleiben, fondern zu feiner Zeit publicirt und an ten 
Zag kommen folle.... Alſo kann ich nicht beftehen, daß tiefe 
Publication ven mir umzeitlich nnd zuwider unferer tarin begriffenen 
ausdrücklichen Intention gefchehen . 

Ueber biefen Brief fchreibt Ferdinand an feine Mutter 12. Aprit. 
Iſt mir vie Erklärung des Erzherzogs Mathias auf mein Schreiben 
zuienmmen Was er mir für eine fchöne holdſelige Antwort gibt, Las 
baken ©. 2. Di. aus ten beiliegenten Original zu vernehmen ... 
Ift daraus leichtlih abzunehmen, daß er Leut um fich bat, fe tie 
Ferern fchärfen, Die Unwahrheit auch auf das Papier zu bringen fich 
nicht ſchämen). Nun babe ich rer Sachen mit dem Kanzler Herrn 
Waldhanſer (einem der Affiftenzräthe) nachgedacht, Solches auch mit 
tem Grafen Helfenjtein und tem Rath communizirt und die Sachen 
dahin beracht, dag waun ich mich in weitläufige Verantwortung ein- 
laſſen wollte, weil ich nicht umgehen würte können, basjenige cate- 
gorice zu wwiberfprechen, deſſen ich mich nicht zu erinnern wüßte, 
viel weniger aber baffelbe beftehen oder Ja dazu fagen könnte, taß 
daraus nichts als mehrere Verbitterung erfolgen würde: Alfo haben 
wir gleidy auf ein Concept gedacht, damit res Erzh. Schreiben nicht 


3, Matthias hatte alfo am Laif. Hofe Leute, bie ihm die Sache mittheilten. 
Zu weldem Lichte aber erjcheint Ferdinand?! 
?), Wer bat ſich denn bisher ale unwahr bewieſen? 


28 3 Söll, 


unbeantwertet bleibe, welches €. 5. Di. ebenfalld hiemit empfangen, 
das wofern e8 gefallen würde, alſebald E. F. Di. nah Wien beför- 
dern könnten... . . 

Sonſt aber nur dero gnädizite Meinung erinnern, wie ich bes 
Erzh. Schreiben beantworten folle '). 

In einem andern Schreiben vom 18. April über diefe Sache 
erklärt aber Ferdinand wieder: es ift eigentlich Alles durch tie Aifi- 
ftenzräthe gefchehen. Und wann ich mich fchon in dem einen und 
dem antern Weg geirrt hätte, jo hab ichs nicht aus meinem eigenen 
Kopf’), fonvdern mit aller damals anwejenden Ajliftenzräthe getban. 
Einige Andere aus Ferdinand's Briefen mag feinen Charakter ncch 
näher bezeichnen: 

4) 4. Febr. 

Freut mich vom Herzen, daß der Landeshauptmann (einer der 
nicht katholiſchen Landleute) fich fo geberjamlih und willig erklärt, 
wie id) denn an jeiner injenverheit meiner anderen Steprer Treu und 
gehorfame aufrechter Affektion nie wicht gezweifelt. 

5) 16. Febr. 

Die Proteftirenden wollen, man felle in den Reichsabfchiev den 
Religionefrieden aufs Nene beftätigen. Da werden die Katholifchen 
(wie ich ihnen anveuten laffen) darauf fügen: fie feien es zufrieven, 
man folle aber hinzufegen, daß Alles wieber in diefen Stand gerich- 
tet und das reftituirt werde, fo jeit tem Neligionsfrieden den Katho- 
lifchen unbilligerweife abgebrungen und genommen worven ...... 
Geftern hat ver Hannebald in einem Heinen Räuſchl zu mir gejagt; 
er befürchte fich gar hoch, daß nicht ber Kaiſer ven Erzh. Matthias 
heimlich aufreiben laſſe, ta nicht Leute mangeln, vie fich gar gern und 
willig dazu würden brauchen lajjen. 

7) 25 Febr. 

Des Erzherz. Matthias Procediren ift gewiß feltfam zu verneb- 
men und faun ich nicht glauben, daß er's für fich felbft gethan habe. Al⸗ 
len katholifchen Ständen gefällt es fehr übel, vie Qutherifchen aber 





’) Welch einen Blick gewähren biefe Briefe in die Aufrichtigleit, Fähigkeit 
und Yreithätigleit des Erzherz. Ferdinand! 
?) Damit vergleiche man bie folgenden (10 und 14) Briefe. 





Kaiſer Ferdinand II und ein Geichichtfehreiber Hurter. 29 


riumphiren jehr darüber... E. L. Dt. feien ficher, daß ich ſowohl 
af meine Reben, als fürnämlich aber auf mein Gewilfen gut ch: 
tang geben will. Eolle, wie Gott will, der Religion nichts verloren, 
jendern wo möglicy eher etwas dazu gewonnen werben, und wollte 
ih lieber fo tief unter als ob der Erve fein, wenn Lie Religion etwas 
leiden ſellte. Ya ich ſags Har, daß ich eher den Reichstag wollte 
zerſtofſen, als der Religion ein praejudicrum gefchehen lajjen '). 

8) 28. Febr. ZZ 

Cs Hat in Wahrheit dies Ungariſche oder Preßburgifche Werfen 
em ſchenes Ausſehen. Wie mir auch der von Trautmannsdorf an⸗ 
#igt, jo dürfte e& dazu kommen, daß mich J. M. in biefem gefähr- 
lichen negotio brauchen und allein Ihr Hoffnung, ſolches Unweſen 
zu ſtillen in meine Perſon ſtellen vürften : ... Ich beſorge gewiß, 
daß man mich in dieſes Spiel führen will. Derohalben bitte ich 
schmal, mir mütterlicy, brüderiich und treulich hierin zu rathen . . . 
9), 1. März. 

Daß der Landeshauptmann und die audern meine getreue Land—⸗ 
lente fich bis in den Tod bei mir beſtändig zu bleiben anerboten, das 
hab ich mit Freuden verftanden. Ob fie gleich Ketzer find, habe ich 
dech nie am ihrer Treue gezweifelt und zweifle noch im Wenigiten 
nicht *). 

Wenn ter Erzh. Matthias jett ſchon mit unferm zu Wien an- 
gitellten und aufgerichteten Vergleich herfür wifchen wollte, weil ich 
m Zeit in gar guten Gnaden bei J. M. bin, fo wühte ich mich, 
ſchon herauszuziehen?). 

Ob der Herr Vetter Wilhelm noch zu mir dieſe Faſten kommen 
zırt oder nicht, kann ich nicht eigentlich wiſſen, wenn es aber ge⸗ 
ſchieht, will ih E. 3. D. Befehl in Allen geborjfamft nachkommen 
mit Grüffen, Trunkbringen und Allem, fo mir E. 3. D. auferlegen 
un befeblen' ). 

", Wie feine Mutter „lieber follte das Reich verderben“. 

?) Wieder ein ſchönes Lob für die Ketzer! 

, Mau vergleihe damit die Entſchuldigungen Ferdinand's, bie oben mit- 

setheilt wurden. 

*, Bar denn Ferdinand fo gar unfelbftfländig, baf er Mies nur aul und 





30 3, Söltl, 


10) 7. März. 

Die Affiftenzräthe haben ven Curier des Erzh. Matthias anhal⸗ 
ten laſſen ... man bat auch tie Abfchrift des zu Wien gemachten 
Vergleich gefunden, ob welchen fie gewaltig erjchroden, und damit 
zu mir herauf kommen, haben auch fehier nicht gewußt, was zu thun 
oder zu laſſen jei, uud find gleichfam darob erftarrt. Nach langem 
bin und ber Gedenken Haben ich und fie nicht® befferes befunden, als 
alle Schriften bei einem eigenen Abgefandten Ihrer Mt. zu ſchicken 
und ift das Loos wieder auf den Zrautinannsborf gefallen (ver) mid) 
auch mit Grund der Wahrheit viefes zu Wien fürgelaufenen Verlaufs 
entfchuldigen folle; ta ich aus ten Cinfchlüffen gefpürt, daß dieſes 
unfer Werk durch das ganze Deutfchland, Welfchland und Spanien 
ſowohl bei Keßern als Katholifchen foll publicirt werten, mich auch 
beforgen müßte, wann ich's ſchon vertufchen wollte, daß es doch au- 
vers woher an J. M. kommen und bie mir zugeorbneten Aſſiſtenz⸗ 
räthe Pflicht halber nicht anders thun Könnten als Solches bei J. M. 
anzugeben. Habe ich mich derohalben zur Rettung meines und mei- 
nes Herrn Bruders Ehre entfchlejfen, tiefes hiebei copei weiß lie- 
gente Schreiben an J. M. bei dem von Zrantmannsberf abgehen zu 
laſſen und ihm mehreren mündlichen Befehl gegeben. Ach bin zwar 
ungern daran kommen, aber zur Sccurirung meiner und meines Bru⸗ 
ders Unschuld Habe ich einmal ter Zeit nicht anders thun Fönnen, 
tamit auch J. M. mein zu berofelben bebarrlih tragenden treuen 
Gemüth deſto Mehreres verfichert werben. Ich beforge mich wohl, 
daß ver Erzh. Matthias Solches gegen mid) ungeabntet nicht wird 
fürüber gehen Laffen, bitt derehalben E. F. D. die wollen die Sachen 
mit beratbfchlagen . . . weſſen ich mich zu ber Verantwortung zu ver« 
halten Habe... . Der Hamnibald vermeint, E. 5. D. die follen 
mich und ten Herrn Bruder auf das Beßt bei J. M. entfchuldigen 

. und nuter andern vermelten, tab E. F. D. unwiſſend dieſer 
Vergleich für gelaufen ſei; da es E. F. D. auch gewußt hätten, daß 
wir in dergleichen Sachen ſollten zuſammeulommen, fo würden Sie 





nach bein Geheiß der Mutter thun mußte ober lonute? Wie oft kommt 
Aehnlichet im den Briefen vor! 





Kaifer Ferdinand 11. und fein Gefchichtichreiber Hurter. 31 


ſee) und nimmermehr geſtattet Haben!) Ich befürchte mich nur, 
tab nicht ich und ver Erzh. Matthias deswegen ineinander kommen, 
me daß er mir nicht durch der Ungarn und Defterreicher Anftiftung 
etwa Voſſen mache. Ich will aber gern von Gottes, ter Religion 
une gerechten Sachen willen Alles ja ten Tod leiden. 

ll, 10. März. 

Mein Beichteater ift allbereitd von München wieder zurüd konz: 
men unt haben ter Herr Bruder (Mar von Bayern) und ich ung 
mit einanter verglichen, daß wir auf den 17. dies zu Leonjperg zu—⸗ 
iammentemmen follen, allda wir uns ver Notburft nach unterreven 
werten, wie tem Ungarifchen und Oeſterreichiſchen Wefen zu helfen 
jein wird. Morgen kommt ber Herr Vater bieher in tie Carthaus 
Herz. Wilhelm) und werde ich gar gute Gelegenheit haben, vie Sa⸗ 
ben zuvor mit feiner Lieb abzudrejchen. 

Ich beſorge mich gewaltig, daß der Erzh. Matthias gegen mich 
gar ahnden wird, taß feine Leute alfo aufgehalten werben, weil aber 
ch und vie Alfiftenzräthe folchen gemejjencen Vefehl ven J. M. Haben, 
Sie mir auch deswegen ftark zufprechen, jo kann ich ihm einmal nicht 
andere thun.... Wenn man fich nicht drein fchlägt und fich bes 
fleißt, den Erzh. Matthias mit tem Kaifer zu vergleichen, fo tarf 
ein böjes Feuer daraus entſtehen, fo nicht leicht zu löfchen fein wirt. 
13, 14. Mürz. 

Se viel nun die burh E. 3. Dt. gehaltene Berathfchlagung ans 
kelangt, haben GE. 5. D. gar recht und wohl gethan, daß Sie lieber 
ten Herrn Statthalter (Bifchor von Lavant) auch zugezogen haben ?). 
Kir gefällt ter Räthe Meinung in Einem und tem Audern gar wohl, 
will mich gewiß hüten, mich weder in Einen noch dem Andern zu weit 
emzulaſſeu, und vie Sachen jeter Zeit wohl bedenken, und nichts 
Schließliches ohne E. 3. D. Rath mich refolviren, ba ich gewiß wohl 
auf mich zu ſehen babe, weil, wenn ich mich zuviel des Erzherz. au« 
sehmen fellte, dadurch Ihre Mt. höchlich offendivt würde; erzeige ich 


—N 


‘) Maria ſchrieb wirklich in dieſem Sinne an den Kaiſer, wie oben mit⸗ 


getheilt wurrbe. 
', Zur Beratung wegen bes Eutihnidigungsbriefes an den Kaiſer? 





32 3. Eittt, 


mich gar zu gut kaiſerlich, fo Iade ich mir ven Erzh. Matthias (wel⸗ 
hen ich für deperat halte) über meinen Hals. Habe deswegen wohl 
Urfadde, Gott um nad und Berftand zu bitten, damit ich bei dieſen 
gefährlichen Zeiten das recht Mittel finde... . deswegen auch ich 
mit dem Herrn Vater Wilhelm und Herz. Marimilian jest Fünftigen 
Montag zufanmen kommen werben. 

E. 8. D. feien verfichert, daß ich mich von dem SKaifer nicht 
leicht werde auf ein Eis führen lafjen, fonvern ich will allzeit, wie 
man pflegt zu fagen, a pallı chiarı handeln. 

14) Ohne Datum. 

Die Keker bleiben ihrem alten Gebrauch nach Keter und tätige 
Efel, wie fie denn böfer und ftätiger find, als fie noch nie gewefen, 
wie €. 3. D. mit Mehreren von meinem Kanzler vernebinen werben, 
und läßt fi) in Wahrheit die Sache nicht ungleich anfehen, ale wenn 
der Reichötag eher zurüd als für fich gehen folle. Beffer ift, man 
laffe ven Reichstag zerftoffen, als etwas Geführliches und ver Reli« 
gion Schäpliches gepraktizirt werde. 

Was unfern Vergleich zu Wien anlangt, werten E. F. D. alle 
bereit bei dein Paul Kurier vernommen haben, was ich besiegen 
für eine Gntfchulrigung bei Ihrer M. eingebracht. Ich Habs zur 
Rettung meiner Ehr anders nicht thun Fönnen, weil ed alfo unter 
bie Affiftenzräthe kommen, und von ihnen Ihrer M. wäre palefirt 
werden. Dazu hat es nie nicht die Meinung gehabt, daß ſichs der 
Erzh. dergeftalt gebrauchen folle, fonvern im Fall ver höchften Noth 
und mit unferm Vorwiſſen. Weil er aber nicht dem Vergleich ges 
mäß fich verhalten, fo kann er mirs auch nicht für übel halten, weil 
ers und nicht ich publiziert, vaß ich mich alfo bei J. M. entfchulpige. 
Ich bin froh, daß ich und mein Bruder cine folche Gelegenheit ge- 
funden, und aus dieſer Halfter und ſchier unverantwortlichen Tractat 
gezogen haben ... ch weiß mich anders nichts zu erinnern, fo ich 
tem Herrn Vetter Marimilian gefchrieben, denn daß ich ihn ermahnt, 
stark ob dem tivolifchen Receß zu halten, und ſich davon nicht treiben zu 
laffen, wie ich dann in diefem Fall und (in) allen billigen Sachen be- 
ftänbig bei und mit ihm halten will, desgleichen ſolle audy er thun ... 
dieſes und fein Anderes habe ich mich gegen ihn verobligirt und hoffe, 
daran nicht gefehlt zu haben. Wann ich aber unrecht gehandelt, will 





Raifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 33 


ich mih gern E. 5. D. mütterlichen Straf hiemit nuterworfen ha⸗ 
ka une E. F. D wolle vergewilfert fein, daß ich wohl mit Reden 
md Schreiben gewahrfam fein will und mich wohl hüten. 

bb) 29. März. 

Gott ver Herr wolle den Landeshauptmaun und meine Steyrer 
“jo in ihrer geherfamen Affeftion beſtändig erhalten. Will auch 
zeherſamſt gewärtig fein, wae E. F. D. wegen Beivehrung des Land- 
dells mir ferner werden zufommen fallen. Ich bin noch der Dieis 
sung, daß bei dieſen gefährlichen Zeiten vie höchſte Nothdurft Sols 
des erfortere. Doch will ich meinem eigenen Kopf nicht folgen, fon» 
dern mich gern mit Berjtändigeren Meinung vergleichen . . . 

Weil Ihre Mt. das Bertranen wieder zu mir befommen, fo ver« 
beite ich, daß ich dadurch nicht wenig Nus dieſem ungarischen Weſen 
werte ſchaffen können. 

Tas Concept des Schreibens an Erz. Matthias babe ich mit 
ten Herrn Bater, Herrn Bruder und Hannebald commmmizirt, und 
baben ihnen Solches wohl gefallen laſſen, allein hat ver Herr Vater 
liche wenige Wort ausgejtrichen. Sonjten habe ichs ulfobald bei 
anem eigenen Curier nach Wien ablaufen lafjen. Ich Habe viel mit 
ten Herzog Max taraus geredet, der Hat zu mir gefagt: meine Hers 

ven, ihr hättet wohl behutfamer mit dieſer Sache ungehen können; 
aber ru haft recht gethan, daß du dich bei Ihrer Dit. deswegen ent- 
ihufeigt haſt, quoniam prudentis est, consilia mutare. 

Wie ich berichtet bin, fo wird ſich Erzherz. Albrecht nicht allein 
tarh Schreiben, fontern gar durch einen eigenen Abgefandten bei 
Ibrer Mit. des Wienerifchen Tractats halber entfchuldigen, fo ver» 
beife ich auch, daß es ter Erzh. Max ebenfalls thun wird, wofern 
ea anters feinem Gebrauch nach nicht ftätig ift. Alfo wird ver gute 
Erzb. Matthias im Pfeffer liegen bleiben '). 

E. 3. D. die mögen fich gewiß von mir verfichern, daß ich mich 


'ı, Wie edel gedacht und gehantelt! — Aber Hurter fagt von Yerbinand 
(V. 310): Und eine folhe edle offene Gemüuthéôart kann beharrlich 
maßlojer Herrihfucht und im Dienfte derſelben ber verzwidteften Ränke 
bezädtigt werden! — Kann mau denn glauben, Hurter habe bie Briefe 
Ferdinand'e gelefen? 

Dißerife Yeitfhrift v. Band. 3 


34 , 3. Site, \ 


in biefem des Erzh. Mathias Handel mit dem Kaifer gewahrfam - 
halten und nichts Schließlichs und Eigentlihs auffer E. F. D. und 
der Räthe Vorwiſſen und Rath tun, mich auch hierinnen von Nies 
mand, wills Gott, verführen laffen will. 

(Dies wiederholt ev noch öfter.) 

Hier mag füglich eingefchaltet werten, was Marin bereits am 
1. März an ihren Sohn Ferdinand fehrieb wegen tes Ungarifchen 
Wefens und des Preßburger Vergleiches, wegen welcher Angelegenheit 
der Erzherzog Mathias den Herrn von Harrach an fie gefchickt hatte: 

Dies Wenige Hab ich dir melden wollen, bamit vu Eins und 
Anders fleißig erwägen, und weil die Sache an fich felbft zart, hitzig 
und gefährlich ift, dich zwijchen dieſen beiven uns fo nahe angelegenen 
Barteien forgfältig und anf billiger Wage halten wolleft. Wäre des« 
wegen mein getrener Kath und Meinung, du gäbeft gegen ven ven 
Harrad feinem Herrn dem Erzherz. nicht recht, auch nicht in Allem 
unrecht, ſondern erbieteft vich bloß foviel, daß du all vein Vermögen 
und Fleiß gern dahin amwenten wolleft, damit Ihre Mt. und der 
Erzherzog aus diefem Diß- in einen andern Verſtaud wiederum ges 
gebracht und durch terfelben Einigkeit die Erhaltung fowehl der Krone 
Ungarns als diefer Lande aller befördert und unfer Haus vor einem 
fo beproheten Bruch bewahret werte. Du weißt, wie wankelbar bie 
Welt ift, und wie bald böſe oder oft umverftändige Miniftri die Ge- 
müther ber Herrn verändern können. Deswegen ift ſich noch diefer 
Zeit an feine Partei ganz und gar zu hängen und dadurch die antere 
fo grob anzuftoffen, fondern weil der rechte Grund noch nicht genug 
am Tag, von beiden Theilen viel pro und contra kann gehalten wer« 
ben, und demnach bie befcheibene, vernünftige und verſchwiegene Neus 
tralitit noch Liefer Zeit das Beßte, unterdeffen wird tie Zeit den 
rechten Grund ter Wahrheit herfür bringen und uns zu ferneven Re⸗ 
folntionen Urfach und Wegweis geben. 

Mein Kind! der von Harrach mache je gut, und tie Wahrheit 
zu bekennen ijt ihm ja alje, daß einmal ver fromme Kaifer viel zu 
langjam im feinen Sachen, denn foldhe Sachen wollen inımer Eil ha— 
ben. Das ijt einmal wahr, dag man um Land und Leut wird kom— 
men. Ich fürchte nur, daß nicht der Kaifer bir viel verheiße, damit 
er dich wirer den Erzherzog Matthias verhege, und läßt dich danach 





Kaiſer Ferdiuand II. und fein Gefchichtichreiber Hurter. 35 


heden. Was ijts, wenn er dich zum vömifchen König macht und gibt 
fir nichts dazu? In Sunmma, es ijt eine gefährliche Sache, vie ge- 
wi wohl Berenfens bedarf. Der von Harrach wird dir alles fein 
jagen; ſieh nur, daß bu dich nicht verrebeft, iſt bald gefihehen. Er 
seht Den Vergleich zu Wieh Hoch an, verſchmacht ihm gar hart, daß 
tu durch ven Edenberg begehrt Haft, daß man (denſelben) verbrennen 
jet‘). In Summa, ich befind fo viel, daß der Erzherz. M. dieſen 
Krgleich gewiß wird fürbringen. Das wär das Beßt, daß man fich 
tarein fchlüg. Geſchieht's nicht, wird nichts Guts daraus und fürchte 
id mich, daß nicht Alles über uns ausgehe. 

13, 1. April jchreibt Ferdinand: 

Das Verzeichniß des ungefallenen Wilobräts habe ich auch em⸗ 
rfaugen. Es iſt ziemlich viel, aber die Wahrheit zu bekennen, habe 
ih mich cines viel größeren Schadens beforgt. Ich wollt wünjchen, 
vb ſo viel Prädikanten oder vebellifche Rädlführer dafür verredt 
wire ’). 

19) 5. April. 

E. 3. D. werben fehen aus Hannebalds, fo wollen Ihre Mt. 
ten Reichstag werer aufheben noch verſchieben, entgegen wollen bie 
Stände auch nichts thun, und gefchieht deren feines, fo fehe ich kein 


— — — — —— 


) Durch dieſen Brief wird Alles klar: Ferdinand hatte ſich bei dem Kaiſer 
is Guuſt geſetzt zumeiſt durch feine Mutter, die eben nur Einiges vom 
Wiener Vertrage andeutete, wie fie ſelbſt in ihrem Entſchuldigungsſchrei⸗ 
ben ſagt; es war wirklich darauf abgeſehen, daß Ferdinand die römiſche 
Kõuigekrone erhalten ſollte, weil aber im Wiener Vertrag dieſe Krone 
zunächſt dem Erzherz. Matthias war gleichjam verfiyert worden, und 
Kerbinand felbft feine Zuſtimmuung md Unterfchrift gegeben hatte, fo 
wellte er, daß dieſer Bergliid — die Urkunde — vernichtet würbe. 
Matthias aber machte ihn eben wegen bes — zweidentigen — VBetra- 
gen3 des Erzh. Ferdinand belamm. Dies wird Jedem Mar, ber bie 
Briefe unbefangen lieſt und nicht geradezu als Sachwalter Ferdinand's 
anftreten will. Gin ſolcher freilich muß Alles durcheinander werfen und 
zu verwirren ſuchen, er führt aber eine ſchlechte Sache um fo ſchlechter. 

*) Hat Hurter biefen Brief gelefen und dieſe Aeußerung feines Helden ger 
fanut? ' 

5% 


36 9. Sit, ° 


Mittel, wie ich aufjer groffen Spotts von hinnen weg kommen kann. 
20) 10. April. 

Ich fürchte, es werde nicht Alles, inſonderheit mit Succeſſion 
des Reichs geſchehen, denn wie mir der Obriſte angezeigt, ſo ſollen 
etliche Kurfürſten vermeldet. haben: ſie ſehen wohl, daß wir die Erz⸗ 
herzoge vermöge des 1606 aufgerichteten Vergleichs das hl. röm. Reich 
wollten erblich machen, ſie würden aber ſehen, daß ſie dadurch den 
Strich machten. Darf alſo wohl der gute Erzh. erurſechen, daß die 
Succeſſion des Reichs von uns kommen bürfte . 


Herzog Max (von Bayern) iſt noch gar willig auf Ihrer Mt. 
Erforderung gegen Prag zu erfcheinen und gute officia zu präftiren. 
..& 5%. Dt vie werdens gnädigſt erführen, daß ers gewiß mit 
treuem Herzen in dem Werk erzeigen wird, denn er ift einmal ein 
guter Mar)... Der Obrifte vermeint, daß es in biefer Prageris 
Shen Zufammenktunft gewiß allerlei tractationes abgeben wirt. Bitt 
berohalben unterthänigft, die Suchen berathichlagen zu laffen . . . ine 
fonderheit aber wäre dieſes zu bevenfen, ob nicht zu begehren wäre, 
baß wie der Erzh. Matthias vellmächtiger Gubernater in Ungarn 
fein wid, daß ich ebenfall® vollmächtiger Gubernator in Groatien und 
Windifchland zu fein begehrte... . Ich hoffe zu Gott, daß noch 
wehl Mittel follen gefunven werden zur Dämpfung viefes Feuers, 
wenn wir nur einmal zufanmenfommen. ‘Denn es ift gewiß , baß 
Ihre Dit. in Vielen wider den Matthias gefündigt haben, fo fie wohl 
hätten unterlaffen können. 

16) 26. März. 

Wenn mid Ihre Dit. etwa in fein Gubernament gegen Prag 
gebrauchen wollte, jo will ih mich gewiß auffer E. 5. D. Vorwiſſen 
und Rath nicht einlafien. Da es dazu kommen follte, daß (er) ver- 
gleichen an mich begehrte und ich von E. F. D. Rath erhalten würbe. 


1) Im Briefe heißt es ausbrüdiih Herzog Mar, und es kann nur bie= 
fer gemeint fein, denn er follte auf das Drängen Berbinande nah Prag 
zum RKaifer geben, um wegen bes Wiener Vertrages u. A. zu wirten. 
Aber in der Gedichte (V. 305) redet Hurter vom Erzherzog Marie 
milian. 


j . 
N 


Kaifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 37 


XXIV. 


Indeſſen jchleppten fich vie Verhandlungen am Reichstag zu Res 
geneburg träge dahin. Ferdinand wurbe des Aufenthalt dert von 
Tag zu Tag überbrüffiger. Unvermerkt fah er fih ver fo beſchwer⸗ 
lichen Stellung durch das Auseinandergehen ver noch zurüdgebliebenen 
tathelifchen Geſandten des Reichstags in ven eriten Tagen des Mai 
endlich enthoben. Die Sefandten der unfatholifchen Fürften hatten fchon am 
26. April eine Schrift übergeben, die als Ablehnung der beantragten 
faiferlichen Geſchäftsordnung fich betrachten ließ. Wohl vier Monate 
hatte ver Reichötag unter lauter Zanfen gedauert. Die Einen meinten: 
in dem leßten Bers des fiebenten Kapitels tes Evangeliums Johannis 
fei das Wirken tiefer Verſammlung bezeichnet; die Andern fanden: 
ſchleppend, ftürmifch, Krieg drohend habe fie fich erzeigt. Diefen Cha- 
ralter gewann der Reichstag beſonders von dem Augenblid an, da 
durch das Begehren der PBrotejtanten, eine Beftätigung des Religions⸗ 
frievens in ven Abfchied aufzunehmen, Bayeru zu den Gegenforderungen 
ih veranlaßt fah: Alles wieder in denjenigen Stand zu fegen, darin 
es zur Zeit des Paffauer Vertrags geftanden, womit die Rüderftattung 
manches geiftlichen Gutes, veffen jene feit einem halben Jahrhundert 
fih bemüchtigt, hätte erfolgen müſſen. 

Das ift gewiß, daß durch tiefen Ausgang des Reichstages die 
Stimmung in Deutfchland bitterer und gereizter warb, bie längſt vor« 
handene innere Zertheilung fofort eine änffere Geftaltung gewann, in 
ber erften Zufammenkunft ver unfathelifchen Gefandten unter ber 
Benennung evangelifcher Correfponvenzrath die Anfänge des nachheri« 
gen Corpus Evangeliorum erfchienen, durch welches tie gemeinfamen 
Reiheangelegenheiten immer mebr ver confeffionellen Spaltung verflelen. 

Kauui hatten die Reichstagsgeſandten Regensburg verlaffen, fo kamen 
die Brandenburgifchen Markgrafen und ber von Baden, ver Kurfürft 
von der Pfalz und der Pfalzgraf von Neuburg, der Landgraf von 
Heſſen⸗Kaſſel, der Herzog von Würtemberg, der Zürft Chriftian von 
Anhalt nebft einigen andern Yürften und Grafen und den Bevoll⸗ 
mächtigten mehrerer Städte in tem vormaligen Klofter Ahaufen in 
Franken zufammen und fchloffen am 4. Mai, weil man von allerlei 
Kriegsräftungen höre, einen Bund zur Vertheidigung. 


38 J. Est, 


Noch während Ferdinand zu Regensburg weilte, war feine Mutter 
Maria geftorben, 29. April 1608. Auch nach ihrem Tode wellte 
fie noch ihrem geliebten Sohn mit Rath beijtehen und in ihrem letzten 
Willen (Beil. 225) wiederholte fie ihre früheren Ermahnungen wegen 
der Religion, da er und feine Brüder in dieſer Hinficht durch den 
Vertrag des Vaters nicht gebunden feien. Diefer habe ſich dermaſſen 
in feinem Gewiſſen bejchwert gefühlt, daß er ſich darüber zu Nom 
vom Bupfte abfolviren ließ, und er hat mit feiner eigenen Hand bie 
Worte »unfern Erben“ ausgeftrichen. Weil vu, führt fie fort, alfo 
hiebei fichit, daß es ihn aljo venete, fo hüte dich tavor, fo lieb dir 
deiner Seele Scligfeit iſt, uud laß dich weder mit guten füßen noch 
ſchmeichelnden, noch Droh- oder Zrugworten oder Schriften bewegen 
zu einer folchen Bewilligung over Verheißung, wie denn dies auch 
nicht in deiner Macht oder Gewalt fteht, ſondern eine folche Suche 
ift, die allein ter päpftlichen Heiligkeit und dem geijtlidden Stande 
gebührt und nicht div als cinem Laien. Das bitte und evmahne ich 
dich ganz mütterlid, daß du mit deinen drei Landen und Unterthanen 
alle gütige, guädige milde Grmahnung gebrauchen wolleft, was nur 
menfchlich und möglich iſt thun, damit du fie mit Güte zu dem alleins 
feligimachenten latholiſchen Glauben bringen kannſt, durch was Hilf 
und Mittel es immer fein Fanır. 

Hurter wirmet dem Andenken der Erzherzogin ein lauges Kapitel 
(XLVIII.) und jehilvert ihre ganze Perfönlichkeit, ihre Zuneigung zu 
ven Geiftlichen, ihre Frömmigkeit, wie fie fich in ihrem Land allen 
Bruderſchaften, anch andern außerhalb vesfelben einverleiben ließ. 
Eine große Anzahl von Indulgenzen für Roſenkränze, von Päpften 
geweiht, für Agnuspei, für Medaillen mit päpftlichen Vergünftigungen 
ausgeftattet, beweijen, daß ihr frommer Glaube gerne Alles um fich 
vereinigte, was nach der Yehre ber Kirche dem innern Veben als Hilfe- 
mittel dienen kann. Deßwegen hatte für fie nichts einen fo hohen 
Werth, wie Ueberrejte der Heiligen, ob nun von deren Yeibern ever 
Gewändern. Bon allen Orten ber fuchte fie dergleichen fich zu ver; 
Schaffen; noch im legten Fahre ihres Lebens mußte Ferdinand feinen 
AufentHalt in Regensburg dazu benügen, nm aus St. Emerams Abtei 
ein Theilchen von dem Yeib des heiligen Biſchofs Wolfgang für fie 
zu erbitten, und der Ausprud der Dankbarkeit gegen venfelben für ven 


Kaifer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hutter. 39 


Erfolg feiner Verwendung ift zugleich berjenige ber Freude, ihren 
Wunſch erfüllt zu fehen. Wie werth ihr bie durch Clemens VIII. 
erhaltene Vergünſtigung müſſe gewefen fein, vergleichen heilige Ueber— 
refte in allen Klöftern und Kirchen Italiens verlangen zu bürfen, 
läßt fich dem reichen Verzeichniß folcher entnehmen, bie ihr einzig in 
Mailand überlaffen wurben. Ihre Ehrerbietung gegen viefelben be⸗ 
währte ſich dann durch die Faſſung, mit denen fie fie ausſtatten ließ. 
Hiezu- gab fie mit freudigem Sinn Perlen, Edelgeſteine, Arm- und 
Halszierden und die foftbarften Kleinovien her. So vereinigte fie in 
ihrer Kapelle, vie feit der erjten Zeit ihres Aufenthaltes in Gräg 
mit Recht ihr Augapfel konnte genannt werben, welcher fie fo eifrige 
Sorgfalt und Liebe ftetS angebeihen ließ, zweierlei Schäße: diejenigen, 
welche nur der Glaube würdigt und ſolche, die vor ver Welt ihre 
Geltung nie verlieren werben. Die Mehrung von beiven Tieß fie ihr 
ganzes Leben durch fich angelegen fein. 

Er rühmt ihre Klofterftiftung in Gräg und wie fie häufig ge- 
meinfchaftlich mit ihren Töchtern manchen Tag in bemfelben zubrachte. 
Und obwohl fie ſich im Kloſter zwei Gemächer mit ausgezeichnetem 
Seräthe hatte berrichten laſſen, in denen fie gewöhnlich dann, wenn 
fie die Erzberzoginnen mitnahm, des Tags über ſich aufhielt, wählte 
fie doch für die Nacht eine gewöhnliche Novizinenzelle in dem gemein» 
famen Schlafhaus, an deren Thüre von Außen das gewohnte Täfel 
hen Hing mit der Auffehrift: 1603. Schwefter Maria, Erzher- 
zogin. Dann ftand fie um eilf Uhr auf, ging mit ven Andern in 
ven Chor und trug, wenn die Kammerdienerin nicht fogleich zur Hand 
war, ihre Laterne felbft, duldete auch nicht, daß eine Slofterfrau ihr 
feuchte u. f. w. Darauf fchilvert Hurter ihr Bemühen zu befehren: 
fie begab ſich bisweilen felbjt in adeliche Häufer mit einem Bilde ber 
heiligen Jungfrau verfehen und ftellte mit beweglichen Worten dar 
wie man doch den alten Glauben verlaffen und Diefe ') unter bie 
gemeinen Weiber herabwürdigen könne? Bei allem dieſen Eifer war 
fie von Bitterfeit und Härte gegen biejenigen frei, die fich nicht über- 
zeugen ließen’). So geftattete fie den Hammermeiftern, welche bie 





I) Die heil. Jungfrau. 
2) Diefes wagt Hurter zu behaupten Augefichts der von ihm mitgetheiften 
Briefe Mariens an ihren Sohn! 


40 3. Sölil, 


Auswanterung tem katholiſchen Glaubensbekenntniß verzogen und body 
ihre Gewerke nicht verkaufen feunten, einen allmonatlichen Beſuch ber- 
felben, um anordnen zu können, was zu teren Betrieb erforderlich. 


Hurter meldet, wie wohlthätig jie gewejen, was fie in&bejondere 
für die Kirchen gethan, wie demüthig und dankbar und Gott ergeben, 
wie thätig und aufmerkſam auf bie Yandetangelegenheiten ') fie ge 
wejen. 

Dann ſpricht und rühmt er viel von ihrem Briefverkehr und 
preift ten Ton ihrer Briefe’), und wie man ans ihnen alle Eigen⸗ 
Schaften ver Schreiberin herausleſe, und tiefe ftellen fi dar mit 
einer Natürlichkeit, mit einen Bollgepräge, zu dem die Handlungen 
nur wie nachträgliche oder ergänzente Belege ſich verhalten), Der 
natürliche Grundton (ter Briefe) war Zartheit, Wohlwollen, Herzens⸗ 
güte, fagt Hurter. And fo wird denn durch den Verfaſſer Alles auf- 
gefucht und aufgefunden, was der Erzherzogin zum Ruhme nach feis 
nem Sinne gereihen mag. ALS leiſer Tadel klingt aber das 
Folgende. 


) Uub dieß iſt wahr. 

2) Der Leſer bat ihn kennen gelernt dieſen Ten. 

?) In der That, dies if fo! Zum Ueberfluffe mögen hier noch Auszüge 
aus zwei andern Briefen folgen, welde fie auf ihrer britten Reife nad 
Polen an Ferdinand fhrieb (IV. 536): 

Dem ewigen Gott fei Lob, baß er dir beine Feinde in bie Hände 
gegeben; tu biſt ibm Dank jhuldig und wir Alle. Das wäre ein 
Haushalten geweſen. Aber unfer Herr flieht denen kei, bie ihre Hoff— 
nung zu ihm haben. Ich erwarte mit großem Verlangen, wie der Ga⸗ 
belhofer pfeifen wirb (einer ber Abgeorbneten nach Prag und gefangen), 
Nur bie Präbifanten alle gehenlt, denn fie find an biefem Allen ſchuldig. 

Hab ich gern vernommen, wie man mit den Eiſenärztern umge⸗ 
gangen und laß mir Alles wohlgefallen. Allein Eines geht mir ab, daß 
ih nicht erfahren hab, wie man mit den Raͤdelsführern umgegangen. 
Denn bu weiſt wobl, daß die Lutherifchen nicht an bie Heiligen glauben, 
fie then denn Beiden. Wollte beshalb gern wiffen, ob nicht etliche 
Köpfe quitt gegangen, damit bein Gifer und Ernft befto mehr befräftiget 
werde. 





Kaifer Ferdinand 11. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 41 


Bei aller Cinfachheit, beren tie Erzherzogin in ter Zeit 
ihres Wittwenftandes für ihre Perfon fih befliß, fehlt es nicht 
an Spuren, daß fie des Vaters und bed Bruders Neigung zu einer 
glänzenven Hofhaltung theilte, und einer Wirthfchaftlidyfeit, wie Zeit: 
verhältniffe nnd die Lage des Landes fie gefordert bitte, nicht immer 
fih zu fügen wußte. Gingen auch anſehnliche Summen in Wohl« 
tbaten jeglicher Art auf, fo beweilt doch ihre Forderung von 45,000 fi. 
zum Unterhalt ihrer dev Mehrzahl nach minderjährigen Kinder, daß 
fie rem Hinblid auf das Rangverhältnig vor derfelben demjenigen auf vie 
feit Menfchengeteufen veranlaßten Bebrängniffe durch vie ftete Tür: 
kengefahr das Uebergewicht einränmte. Den Winfen, welche Erzh. 
Ferdinand von Zyrol den Kaijer bierüber zugehen ließ, mögen wir 
entnehmen, dag nad) feines Bruders Ableben am Hofe zu Gräß eine 
ziemlich unerbentliche Wirthfchaft geführt wurde, welcher die Erzher⸗ 
jogin, wenn auch diefelbe nicht gerade auf ihre Rechnung geftellt wer: 
den kann, doch feinen Einhalt thun wollte „Er höre, fchrieb er nach 
Prag, daß des Anjchaffens und Ausgebens Fein Ente ſeye. Er müſſe 
fih endlich erklären, damit dem unordentlichen Befehlen ein Ziel 
gejegt, vem jungen Herrn etwa& erhauſet werde» u. f. w. 

Bald darauf erneuerte er feine Borjtelluugen: mes feye unerliß- 
lich, der Kammer anzubefehlen, daß fie ohne Borwiffen des Erzh. Ernft 
durchaus nichts gewähre, was die Erzherzogin oder in beren Namen 
Anvere bejehlen möchten. Man habe in ver Zwijchenzeit, bis tie 
Summe auf die Kinder aufgeworfen worben, bier ohnedem nur allzu: 
viel gejchehen lafjen«. 

Sie war eine große Freundin der Jagd, welcher fie auch nach 
dem Tode ihres Gemahls mit Vorliebe pflegte, und Hurter, ver fel- 
ten einen Tadel wagt, befennt doch: Das durfte mit Recht gerügt 
werben, daß im Verhältniß zu den fürftlichen Einkünften und unter 
ten unaufhörlichen Verwendungen auf die Gränze der Aufwand auf 
das Jagdweſen ein allzugroßer gewefen fei. — Und ihr Hofmeilter 
fchrieb ihr mit ehrenhafter Freimüthigfeit, va fie an ter Gräuze allzu 
lange dem Waidwerk oblag, fte thäte beijer, früher zurüdzufehren, nicht 
Feindesgefahr mache folches räthlich, ſondern ver Leute Gerede. Es 
möchte ſonſt heißen, an der Jagdluſt wäre Ihrer Durchlaucht mehr 
gelegen, als an des Landes Gränzen und Bewohnern. 


42 J. Söltl, 


Nachwort. 


Ich bin am Ende der erſten fünf Bände des Hurter'ſchen Wer- 
tes angelangt. Mit welcher Sehnſucht ich mach diefem Ende blickte, 
kann ich nicht fagen; war mir Doch oft während bes Leſens zu Muthe, 
als wandere ich durch eine dürre Wüſte ohne Baum und Straud, 
ohne Duelle und Than. 

Zuweilen zwar glanbte ich, jegt müſſe fich eine Dafe zeigen, eine 
edle, wahrhaft große That, ein großfinniges Streben; aber als ich 
näher kam, zerfloß das Trugbild vor meinen Augen und eine gränzeu⸗ 
lofe Wüfte ftarrte mich an. Doc zolle ich dem Verfaffer meinen 
aufrichtigen Danf dafür, daß er mir und der Welt durch das Bud) 
ben Harften Beweis geliefert hat, daß eben da nur eine leere Wüſte 
fei, wo jo Manche noch ein ſchönes Land herrlicher Thaten und hoher 
Geſinnungen vermutheten.  Breilih wenn man nur Hurters Dar» 
ftellung felbft, feine Erzählung lieft, da fieht man ein reiches ſchönes 
Land und darinnen bie edeljten Männer und Frauen walten, geſchmückt 
mit allen Tugenden; Lieft man aber die fo freigebig mitgetheilten Ur« 
funten, ach! va löſt fih das fchöne Bild in eitel Dunft und Dich— 
tung anf und die gemeine Wirklichkeit gähnt den Forſcher an, und 
man begreift nicht, wie es möglich war, fünf Bände zufammenzu« 
Schreiben über folche Perfonen und Zuftände, wie diefelben dem klaren 
Blick wirklich erfcheinen und aus den gegebenen Briefen und Urkuns 
den erſcheinen mülfen, fo daß feine Täuſchung mehr möglich ift. 

In der Borrede (XVII) jagt Hurter: „In unferer Zeit wird 
oft großes Gewicht darauf gelegt, durch künſtliche Zufammenftel+ 
lungen aus fcharjjinnigen Vermutdungen, gewagten Borausfegungen 
und Schlußfolgerungen vie Gefchichte zu cenftruiren und ver fubjectis 
ven Meinung des Schreibenden gemäß für bie Ereigniffe Beweggründe 
oder Abfichten anzunehmen, oder einen Zuſammenhang des Gejchehenen 
zu ertlügeln, wie dies Alles wohl hätte fein können, felten aber fo 
gewefen ift. Das läuft mehr auf Gefchichtmacherei als auf Hiftorio- 
graphie hinaus. Jene ift dem Verfaffer fremd; hHinfichtlich dieſer 
hätt er fih an den Satz der Nechtögelehrten: quod non est in ac- 
tis, non ext in mundo«, — Ya, Herr Hofrath, tie feile Geſchichts— 





Kaifer Ferdinand II. und fein Gefchichtfchreiber Hurter. 43 


macherei ijt wie eine feile Dirne, welche Geift und Leib verführt; Die 
wahre GSejchichtjchreibung, weldye cben nur die Wahrheit fucht uud 
gibt, welche eben nur durch die Wuhrheit belehrt und beffert, obne 
daß fie dieſes gerade anjtrebt, vie wahre Geſchichtſchreibung ift Eur 
und einfach und feifelt durch ihre ungefchmücdte Einfalt. Aber die 
Geichichteinacherei liebt Pomp und Berhüllung, fie zeigt fich geſchmückt, 
und wie cin fchlechter Anwalt einer fchlechten Sache will fie den Yejer 
und Hörer verloden, von der Wahrheit abbringen und anf Neben- 
wege führen, daß er der Hauptſache vergeffe. Ich frage nun: Wollte 
Hurter einfach Geſchichte ſchreiben? Tritt er nicht vielmehr bei jeter 
Gelegenheit, deren ce felbjt viele geflijfentlich jucht, als Anwalt md 
Bertheidiger des Erzherzogs Ferdinand und feiner Mutter auf, ftntt " 
einfach ihn handeln, und aus feinen Briefen ihn Fprechen zu laffen ? 

Wie oft fchreibt er nicht ganze Abhandlungen, um die Vorfch- 
rungen desſelben zu rechtfertigen, den Einfluß der Jeſuiten und der 
Mutter auf ihn zu läugnen oder fo gering als möglich darzuſtellen, 
dagegen vie freie Selbjtthätigfeit zu beweijen, während doch alle Bricfe 
Ferdinand's felbft. vom ©egentheile Sprechen? — In welchem Lichte er- 
fcheint ter Charakter feiner Mutter in ihren Briefen, über welche 
Hurter nicht Worte Des Lobes genug finden kann? Glaubte er den 
wirflich, Niemand werde biefe Briefe felbjt leſen, ſondern Feder werde 
fegleich feiner Schilderung beipflichten ? 

Mit welcher Kühnheit mochte er den Sat ansfprechen und gel— 
tend zu machen ſuchen: quod non est in actis, non est in mundo 
(Borrede XVIL), da er doch aus den mitgetheilten Driginalbriefen 
Marien's und Ferdinand's wiffen mußte, daß gar Vieles und zuver— 
läßig nicht das Umwichtigfte durch Gejandte oder bei perfönlichen Zu- 
fammenfünften münblich verhantelt wurde? 

Kein, dem Herrn Hofrat) war e8 nicht um die Ermittelung ber 
Wahrheit, fonvdern um tie Vertheidigung Ferdinand's zu thun; er 
übernahm die Suche als ein Anwalt und ſuchte dieſelbe, fo 
gut ed anging, mit allen Künften eines Anwalts zu führen. 
Daher die Langen WÜbfchweifungen von der Hanptfache, bie 
Irr⸗ und Seitengänge, die er den jchen ermübdeten Nejer führt, vie 
troftlofe Breite der Darjtellung, und ter Wortſchwall, der nur bes 
täubt. So handelt nicht ver wahre Gefchichtfchreiber, der als un- 


44 J. Söltl, 


partheiiſcher Richter im Namen und gleichſam im Auftrage der ge⸗ 
ſammten Menſchheit die Sache vorträgt und ſelbſt entſcheidet, oder 
Anderen daun die Entſcheidung überläßt; mißkennt auch er ſeine hei⸗ 
lige Pflicht, fo richtet über ihn ſelbſt und über den von ihm darge⸗ 
ſtellten Mann eine ſpätere Zeit, welche auf's Neue zu Gericht ſitzt 
und das Urtheil fällt, wenn dieſes nicht ſchon die Gegenwart durch 
ihre edelſteu Männer übernimmt, wie durch Geſchworne. Dieſem 
Gerichte wird auch Hurter verfallen, oder iſt es ſchon nach der Art 
und Weiſe, wie er ſeinen Helden ſelbſt zu zeichnen verſuchte, und nach 
den Belegen, die er mittheilte. Denn nach dem, was er ſelbſt drucken 
ließ, wird er es nicht mehr wagen, zu behaupten, er babe vie Zeich- 
nung Ferdinand’s aus den Urkunden entworfen Har und wahr. 

Er hat es gemacht, wie ein Vertheibiger, ber bei ganz Haren 
Beweifen des gefchehenen Unrechtes feinen felbftgeftindigen Schügling 
(und das ift Ferdinand in feinen Briefen) noch als einen Unfchuldigen 
darftellen will, ftatt ihn der Milde der Richter zu empfehlen und bins 
zumweifen, wie er durch Umſtände zu folchen Thaten veranlaßt und 
gebracht wurde. Und bei Ferdinand wirkten Erziehung, Mutter und 
Jeſuiten miteinander auf fein Thun ein, bier hemmend, dort brän- 
gend, und was Maria vom Stönige von Spanien fagt in ihrem 41. 
Briefe: „Mit einem Wort ift ver König in der Zucht wie der Mar, 
daß er nichts reden oter thun darf ohne Wiſſen des Marquis von 
Denia, er ift halt noch wie ein Kind, traut fich nicht zu reden; ein 
fremmes Herz ift er, aber darfs nicht zeigen« — Tas darf nıan in 
ber That von Ferdinand fagen. Gibt er doch felbit feinen Nuthera- 
nern das Zeugniß ver Treue und des Gehorſams; aber Mutter und 
Jeſuiten drängen und drohen, er darf fie nicht nach ihrem Glauben 
leben laſſen, er muß fie verfolgen, wenn fie fich nicht Fatholifch ma⸗ 
chen laffen! 

Und weiter fagt Hurter: „Je Harer vie ſich häufenden Wahrs 
nehmungen unferer Tage es berausftellen, daß die Weltgefchichte feit 
ber Menſchwerdung des Eingebornen eigentlich nur ein fortlaufenber 
Kommentar zu ven Worten fei: und die Finfterniß bat das Yicht nicht 
begriffen, deſto unerläßlicher wird es für den Einzelnen, bevorab für 
den Schriftjteller, für ven Sefchichtfchreiber aber zu allererft, daß er 
auf die eine oder die andere Seite fich ftelle; für das Licht, deſſen 


Kaiſer Ferdinand II. und fein Geſchichtſchreiber Hurter. 45 


Zräger das Chriftenthun (freilich nicht das zur Gejtaltlofigfeit ver- 
achte und zur Farbloſigkeit verſchwommene) oder für die Finjterniß, 
für das mit der Materie zufammengefoppelte Leben fich erkläre; mit 
dem Hinken zwifchen beiden (fo lange und jo laut als duftige Blüthe 
hoher Lebensweisheit angepriefen) wird fih je länger deſto weniger 
durchkommen laffen«. 

So fagt Hurter. Auf welde Seite er fich geftellt hat, wird aus 

feiner Schrift Jedem Mar werden, ter fie mit Aufmerffamfeit Lieft; 
far wird Jedem werben, daß er vie Würde, die der Gefchichte und 
dem Gefchichtfchreiber ziemt, nicht kenne oder doch nicht bewahrt habe. 
Man mag €8 verzeihlich finden, daß er von Eliſabeth, der Königin 
ven England, fagt: "Graf Leicefter reichte ihr das Hemd, wenn jie 
im Bette lag«, denn er feßte diefe Stelle doch nur unter die Anmer— 
tungen; aber was foll man denken, wenn man folgende Stelle in der 
Geſchichtserzählung felbft Lieft: „As Georg Scherer den Erzherzog 
1575 auf feiner Reife nach dem Küſtenlande begleitete, warb er in 
einem Heinen Orte mit Antern des Gefolges dem Iutherifchen Prä— 
difanten in die Herberge gelegt. Mit viefem kam er darauf zu fpres 
hen, wie Luther den Su aufftelle: wenn die Frau ihrem Manne 
bie eheliche Pflicht nicht gewähren wolle, folle er biezu die Magd ru— 
fen. Scherer ſchlug des Hausherrn Zweifel hierüber damit nieter, 
daß er bemjelben in Luthers Schriften die entfprechenve Stelle nad)- 
wies. Damit bewirkte er, daß diefer treue Schüler noch am gleichen 
Abend den Rath des Meifters befolgte, alfo, daß das Hofgefinde am 
frühen Morgen die Magd in unverfennbarer Andeutung des Vorge— 
gangenen aus des Pfarrers Schlafflammer hervorgehen ſah, die über 
der unwillkommenen Gntvedung in folche Beftürzung gerieth, daß fie 
fih, fo lange jenes noch bort verweilte, nicht mehr bliden ließ«. 1. 
©. 582. 
Hat Hurter bei tem Nieberfchreiben dieſer Erzählung nicht ges 
fürchtet, die Feufchen Ohren und Augen der Lefer zu beleidigen, ober 
technete er vielleicht anf deren Beifall? Welche jonderbare Anficht hat 
Hurter von der Gefchichtfchreibung! 


II. 
Kircheufreiheit und Kirchenherrſchaft in der Geſchichte. 


Von 
J. C Bluntſchli. 


F. Laurent. lglise et l’etat; le moyen äge. Bruxelles, 1818. La 
reforne. Bruxelles 1860. 


F. Laurent, Ftudes sur l’histoire de l’humanite. La papaute et 
l’empire. Bruxelles et Leipzig 1860. 


Seit ungefähr zwanzig Fahren fehen wir überall in Dentfchland 
firchlicyepolitifche Parteien fich bilden, welche im Stillen ſich ausbrei» 
ten, einen fpürbaren Einfluß anf die Sefeßgebung und auf die Praxis 
gewinnen und ernſte Kämpfe mit dem merernen Staate wagen. Tbs 
wohl fie anfangs von der Mehrzahl ver Gebifteten ignorirt mid von 
Vielen verachtet werten, finten fie doch bald in allen Schichten ter 
Bevölkerung Anhänger und Freunde. In den höchſten Kreifen ver 
Höfe und der Regierungen erhalten fie mächtige Gönner. 

Achtung der Neligien und firchliche Freiheit find vie Loſungs⸗ 
werte, die fie anf ihre Fahnen fihreiben. Die Vereinsfreiheit der 
neueren Zeit benngen fie in ansgedehntem Maße und mit großem Ger 





Kicchenfreipeit und Lirchenherrſchaſt in ber Geſchichte. 47 


ſchick. Sie ſtützen fich zugleich auf. die alten Maximen und auf bie 
suen Grundrechte; und verftehen es, die fromme Gefchäftigkeit ver 
grauen und den Ehrgeiz der Männer, die aufopfernde Hingebung der 
einen und vie herrfchfüchtige Berechnung ver andern anf ihre Ziele 
binzulenfen. Ueber alle Erwartung gelingen ihnen erfte Erfolge, und 
ieter Erfolg wird zu einer Borftufe gefteigerter Auſprüche. Scon 
fiimen unter ihnen Hoffnungen auf, daß bie revolutionsmüden Völker 
ihrer Führung zufallen und der geremüthigte Staat an fich felber 
wrweifelud der Erneuerung der Firchlichen Herrfchaft ſich ergeben 
werde. 

Aehnliche Erfcheinungen zeigen ſich in allen deutſchen Ländern, 
aber den höchſten Aufſchwung haben dieſe kirchlich-politiſchen Parteien 
in den größten deutſchen Staaten in den letzten Fünfzigerjahren ge— 
nemmen. Der König von Preußen und der Kaiſer von Oeſterreich 
ſchienen ihnen vorzüglich gewogen und in der Allianz mit ihnen cine 
Stärkung der eigenen Autorität zu ſuchen. Wir beobachten ihr Wachs: 
thum in proteftantifchen und in Fatholifchen Völkern; aber mächtiger 
une nachbaltiger erweist fich die Fatholijch- firchliche, vie ſogenannte 
ultramentane Partei. Da vie Reformation tie alte Kirchenherrfchaft 
gebrochen und bie moderne Staatoherrſchaſt vorbereitet hat, fo gera« 
then vie proteftantifchen Parteien der Art in Wiverfpruch mit der 
Geſchichte und mit den Xorbiltern ihrer Conſeſſion, und das macht fie 
ihwach und unficher. Die ultramontane Partei aber der neuen Zeit- 
fennt dieſen Wiverfpruch nicht. Im Gegentheil: in den großen Päps 
ften des Mittelalters und in ver früheren Weltherrfchaft ver Fatholis 
ſchen Kirche findet fie das ivenle Vorbild, das fie zu ihrem Streben 
begeiſtert. Der feftgeglieverte Breite Organismus ihrer Kirche und. 
tie bergebrachten Ordensverbindungen geben ihr einen ſichern Halt und 
weit umber reale Hülfe. Wenn fie in cinem Lande ins Gedränge 
lemmt und gefchlagen wird, fo darf fie auf Villigung und Unter: 
ftützung in autern Yändern vechnen und bie dortige Niederlage kann 
bier zu neuem Siege führen. 

Ihren größten äußerlichen Triumph hat Diefe Partei in Oeſter— 
reich gefeiert, als der Kaiſer Frauz Joſeph mit dem Papfte 
%ins IX. im Auguſt 1855 das Konkordat abſchloß. Seitdem es 
ine mederne Staatenentwicklung gibt, Hatte niemals der Staat fich 


48 I. €. Bluntſchli, 


fo demüthig, niemals fo ergeben ter kirchlichen Autorität gezeigt. Erft 
dieſes folgenfchwere Creigniß wirkte wie ein derber Schlag auf bie 
öffentliche Meinung. Nun bemerkte man, wie hoch fchon die Au⸗ 
Sprüche ver Eirchlichspolitifchen Parteien gejtiegen feien, welche Macht 
‚ fie bereits ergriffen haben. Man fragte fich wieder: Wo ftehen, wo⸗ 
bin gehen wir? Von tiefem Augenblide an beginnt eine Wendung. 
Die Reftauration hatte ihren Höhepunkt erreicht und ihre Grenze ges 
funden. Bis dahin fehritt fie erobernd vorwärts, nun muß fie Die 
angefochtene Stellung vertheitigen. Die Konkordate von Württemberg 
und Baden mit dem heiligen Stubl fine nur abgeſchwächte und ere 
mäßigte Nachbildungen tes öfterreichifchen Konkordats, und felbjt dieſe 
matten Copien erblajjen völlig und werden verworfen, febald fie an 
das Sennenlicht der öffentlichen Verhandlung gezogen und der Ab- 
ſtimmung der Volksvertretung unterbreitet werben. 

Unzweifelhaft ijt dev Grundcharakter des XIX. Jahrhunderts 
mehr politiſch als religiös. Die Rechtsideen der perſönlichen 
und der nationalen Freiheit üben in unſerer Zeit eine viel größere 
Gewalt über die enropäifchen Völker aus, als alle kirchlichen Streite 
fragen, und mindeſtens cine eben jo große, als im XVI. Jahrhun⸗- 
dert vie Vehre von ver Glaubenskraft und der Gnadenwahl. Das 
Blut ver heutigen Menjchen pulfirt beftiger, wenn ihre Staatever« 
fafjung ald wenn das Dogma der Transjubitantion angegriffen wird, 
und fie find vafcher entfchleffen, für ven Ruhm ihres Vaterlandes ale 
für die Chre ver umbefledten Empfängnip in ven Kampf zu geben. 
Das Parlament fintet allgemeinere Theilnahme ald die Synode. Die 
Berichte und Das Raiſonement der politiichen Preſſe haben eine wiel 
mafjenhaftere Berbreitung als vie Ermahnungen und Mittheilungen 
der kirchlichen Blätter. Auch die Heineren Fürſten und Regierungen 
befigen in ihren Ländern eine fo intenfive Macht, daß feine Drohung 
ber Stirchenanterität fie zu erjchüttern vermag, wenn fie ihren poli— 
tiichen Beruf erfüllen. Die großen Entdeckungen, teren ſich unjere 
Zeit berühmt, und die das Äußere Yeben ver Individuen und ter 
Bölfer umgeſtalten, gehören ſämmtlich nicht ter Theologie fondern der 
Mechanik, ver Phyſik, ver Chemie an, Die wie alle Naturwilfenfchaften 
ſchon feit Menfchenaltern ver kirchlichen Bevormundung entwachſen 
find. In den mannigfaltigen Werken der Geſchichte und der Philo⸗ 





Nirchenfreiheit und Kirchenherrfchaft in ber Geſchichte. 49 


jopbie, im jeder Wiffenfchaft überhaupt, in der gefammten Literatur 
und in ter Kunft ift das Bewußtjein menſchlicher Geijtesfreiheit mit 
einer Stärke Ichendig geworben, die feine kirchliche Macht zu überwäl— 
tigen vermag. Zwar ijt die Gegenwart nicht arm auch an Werfen 
der Barınherzigfeit und religiöjer Liebe und Hingebung, aber fie iſt 
dennoch viel reicher an weltlichen Tugenden, an gemeinnüßigen Arbei- 
ten und Opfern, an politifchen Thaten. ‘Die moderne Wiſſenſchaft 
und der moderne Staat find demnach die Hauptmächte der Neuzeit, 
bie fortwährend in rieſenhaften Verhältniſſen aus dem Individualgeiſt 
und aus dem Volkoleben herauswachſen und täglich weitere Gebiete 
turchoringen und neue Werke bervorbringen, während die Neligion 
und die Kirche ihre Ideale in früheren Jahrhunderten erbliden und 
mühſam den Höhen nachjtreben, die fie vormals erftiegen hatten. Es 
it harakterijtifch für die heutige Denkweife, daß der Papſt Pius IX. 
jo lange von ven Völkern gefeiert wurde, als fie von ihm vie poli- 
tiſche Befreiung Italiens Hofften, und daß er fofort unpepulär wurde, 
als er anfing, die politifche Entwicdlung feines Vaterlandes ten kirchli⸗ 
chen Ueberlieferungen und Neigungen des Papſtthums unterzuorpnen. 

Aber weniger noch al8 ein einzelner Menſch Kann fich ein Volk 
immer nur Einer Richtung ergeben. Die Bielfeitigfeit feiner Natur 
verlangt nach Berücdfichtigung ver Gegenſätze, die in ihm verbunden 
find. Bon Zeit zu Zeit tritt das Bedürfniß eines Wechjels ein von 
Ruhe und Bewegung, von Arbeit und Genuß, von Geijtesthätigfeit 
und gemüthlicher Hingabe. Wenn das Volk von den politischen Auf- 
regungen ermüdet und unbefriedigt ift von den geringen Nefultaten 
feiner Kämpfe, wenn die Neue über feine Haltung in feinem Herzen 
nagt und die Angſt e8 ergreift, wenn es das Vertrauen verloren hat 
auf feine Führer, und feine Hoffnung auf vie Zukunft in der dunkeln 
Roth der Gegenwart untergegangen ift: dann ift es auch im einem 
politiich bewegten Jahrhundert hungrig geworden nad) den Zröftungen 
ber heiligen Religion. Bon dem Segen ter Kirche erwartet es dann 
eine reinere Befriedigung. In Gott und in dem ewigen Dingen fucht 
es dann einen fejleren Halt und eine ftärfere Zuverſicht. Um deß— 
wilfen folgen auf bie politifhen Revolutionen regelmäßig in 
turzer Zeit religiöfe Reactionen. Deshalb auch war tas Wachs: 
thum der kirchlich-politifchen Parteien in Deutſchland beſonders ſtark 

Diſtoriſche Zeitſchrift V. Band. 4 


60 I. €. Bluntfäfi, 


nach ten unfruchtbaren Verfaſſungswehen ver veutfchen Revolution 
von 1848 und 1849. Aus venfelben Urfachen lag es nahe, daß mit 
der firchlichen Reaction fich die politifche Reaction verbüntett, mas 
denn auch wirklich gejchehen if. Die neueren Konkordate find bie 
fauren Früchte dieſes Bündniſſes. 

Achnliche Erfahrungen wie Deutfchland Hatte Belgien gemadt. 
Auch in Belgien war zu Anfang ver Fünfzigerjahre eine Kirchlich-por 
litifche, tie fogenannte Fathelifhe Partei von der Zeitftrömung 
empor gehoben worten und hatte fich der öffentlichen Gewalten zu 
bemächtigen gewußt. Der hiftorifche Boden in Belgien und die Grund” 
rechte der belgischen Berfaffung waren ihr günjtig. Belgien war nicht 
wie Deutjchland durch zwei oder drei Confeſſionen gefpalten. “Die 
reformaterifchen Neigungen des XVI. Jahrhunderts waren in ber 
belgijchen Bevölferung von den Spaniern mit Feuer und Schwert gründ« 
lih ausgerottet worven. Während Jahrhunderten jtand Das ganze Land 
in dem Ruf jtrenger fatholifcher Geſinnung. Die Revolution vom 
Fahre 1830 war das gemeinfame Werk der Fatholifch ultramontanen 
Partei, welche die refermirte Regierung von Holland haßte, und ber 
rabifal liberalen Partei, welche den Ideen des franzöfiichen Conſti⸗ 
tutionalismus huldigte. Die erjtere Partei hatte die bectrinäre Neie 
gung der legtern Klug benugt, um möglichjt abjtracte Freiheitsbegriffe 
in der Berfaffung zu ſanctioniren, die fie fpüter wider Die gefchwächte 
Staatsinacht kirchlich auszubeuten verjtand. 

In Belgien zuerſt wurde e8 wieder klar, daB auch heute noch 
bie ultramentane Partei unter ter Freiheit der Kirche die Herr- 
ichaft der Kirche verjtehe. Wit Berufung auf tie Freiheit der 
Nticche wagte es der Biſchof von Gent bereits, bie Freiheit der Wij- 
fenfchaft anzugreifen und die Hülfe der Stuatsgewalt gegen ven Pro- 
feſſor Yaurent in Gent wegen Hiürefien in Auſpruch zu nehmen. 
Der Kultusminiſter trante ſich freilich noch nicht, die Begehren des 
Bilchofes zu erfüllen, aber ebenfo wenig, fie, wie e8 feine Pflicht war, 
energijch zurück zu weifen. Die Gefahr für vie Lehrfreiheit an ver 
Stantsuniverjität und für die wiljenfchaftliche Freiheit überhaupt war 
unmittelbar nahe gerücdt und drohend genug. Damit aber war ver 
Lebensnerv des modernen Veifteslebens getreffen. Schen hatte ein 


anderer Profejjor vor der kirchlichen Macht furchtfam die Waffen ges 


“ 


Kirchenfreiheit und Kirchenherrfchaft in ber Gefchichte. 61 


ftredt. Aber Laurent wurde durch die Gefahr nur zu entfchloffenerem 
Vorgehen gereizt. Die ultramontane Partei hatte c8 fehr zu bereuen, 
daB fie gerade an tiefem Manne die freie Wiffenfchaft anzugreifen 
gewagt hatte. Er ließ fie feine geijtige Ueberlegenheit und feinen ſitt— 
lichen Zorn ſchwer empfinden. Als das belgiſche Volk gewahr wurde, 
daß es zugleich in ſeinem Geiſtesleben und in feiner Vermögens» und 
Familienſache bedreht werde, da erhob es fich im Mai 1857, und in 
ten Sturme, der damals durch die belgifchen Städte wüthete, ftürzte 
die ultramontane Herrfchaft haltlos zufanmen, als wäre fie ein Iuf- 
tige Kartenhaus ').. 

Das Werl Kirche und Staat, das wir in ber Ueberfchrift 
zuerjt genannt haben, darf wohl ald eine reife Frucht der belgischen 
Kämpfe infoferne betrachtet werben, al& der berühmte VBerfaffer in venjel- 
ben ven Antrieb eınpfing, jeine Studien über das gefchichtliche Verhältniß 
von Kirche und Staat in einem überfichtlichen Geſammtbilde der Welt 
vorzuführen und als in dieſem Buche vie polemijchen Schneiden fchär- 
fer gefchliffen find, al in vem größern Werke, ven Studien zur Ge- 
Ihichte der Menſchheit, oder wie diefelben früher genannt waren, der 
Geſchichte des Völkerrechts, deren jechfter Band die mittelalter- 
lihen Kämpfe des Papſtthums und des Kaiferthums 
ſchildert. 

Laurent iſt in eminentem Sinne ein philoſophiſcher Geſchichts⸗ 
forſcher und Geſchichtſchreiber. Die äußeren Ereigniſſe haben für ihn 
nur inſoferne ein Intereſſe, als in ihnen die Ideen ſich entwickeln 
und offenbar werden, welche für die vielſeitige Darſtellung des menſch⸗ 
lichen Geiſtes von Bedeutung ſind, und um die Beweggründe der 
handelnden Perſonen kümmert er ſich nur fo weit, als fie im Zuſam⸗ 
menbang ſtehen mit dem großen allgemeinen Entwicklungsproceß, ven 
wir Weltgejchichte heißen. Er ift von dem Glauben erfüllt, daß dieſe 
Weltgefchichte fein zufälligesSpieleitler Kraft jei, fondern daß unter Gottes 
Führung des Geſchickes der Menſchengeiſt ftufenweife fortfchreite in 
Selbfterfenntnig und Vervollkommnung. Er wendet daher all’ feinen 


') Bgl. die fehr intereffante Schrift: Der Kampf ber Tiberalen und ber 
katholiſchen Partei in Belgien, eine Warnung für Deutſchland. Zürid, 
1857. 

4% 


53 % C. Bluntſchli, 


Fleiß und Scharfblick dahin, um die Ideen zu erkennen, welche das 
Völferleben in den verſchiedenen Zeiten der Geſchichte bald inſtinctiv 
bald bewußt erfaſſen und bewegen. Indem er dieſe Ideen in ihrer 
hiſtoriſchen Beziehung zu dem Gange ber Weltgeſchichte betrachtet, und 
ihren logischen Zujammenhang mit ver Harınenie des Menſchengeiſtes 
prüft, gelangt er zu einem Urtheil über ihren vorübergehenden oder 
bleibenden Werth. Indem er vie Lebend- oder Handlungsweife ver 
Vienfchen, vie als Vertreter tiefer Ideen gelten, und vie realen Wir- 
fungen verfelben auf vie gemeinen Zuftände nach den Anforderungen 
und PVerheißungen jener Ideale bemißt, hat er auch einen Maßſtab 
gerechter Beurtheilung ſowohl über die hanteluden Menfchen als über 
die Ausführbarfeit ihrer Gedanken gewonnen. 

Der Standpunkt, von dem aus Laurent diefe Entwicklung über- 
fhaut, ift werer ein Fatholifcher noch ein proteftantifcher, überhaupt 
fein confeffioneller, nicht einmal ein chriftlicher, ſondern ein wiſſen⸗ 
fchaftlich menfchliher. Er fteht auf einer der Bergeshöhen, deren 
eine auch Leffing jene entzückende Ausſicht gezeigt bat, von der er in 
der „Erziehung des Deenjchengefchlechtes« ver Welt einiges mittheilte. 
Auch Laurent hat diefe Höhe nur mit ſchwerer Arbeit des Forſchens 
und bes Denkens erjtiegen, aber nun fühlt er fich anf verfelben 
auch frei und licht, und hat den Muth, was er ba gejehen, denen zu 
fagen, weldye die Kraft nicht haben, ſich ebenſo hoch emiporzuarbeiten, 
und dennoch wiſſen möchten, was ein aufrichtiger Weijer erfchaut bat. 

Wie er in dem vierten Bande feiner Gefchichte des Völkerrechts 
das Chriſtenthum betrachtet, und in dem fünften die beiden entfchei- 
denden Mächte zur Zeit des erjten Mittelalters, ven Katholicismus 
mit feiner erziehenden Miſſion und die noch barbarifchen Germanen 
mit ihrer Miſſion die Welt zu erfrifchen und zu befreien dargeſtellt 
bat, fo behandelt er in dem fechiten Bande „das Papfttbum und tas 
Kaifertfumu zur Zeit bes zweiten, eigentlichen Mittelalters. Gr tbeilt 
den Stoff in drei Bücher. Das erfte befpricht die chriftliche Einheit 
in bem Papjttfum und in dem Kaiſerthum, vie Mijjion des Papſt⸗ 
thums, die geiftlihe Macht vefjelben, die Reformen und Anfprüche 
Gregor's VIL, die angeftrebte weltliche Macht ter Päpfte, die Idee 
des Kaiſerthums und des teutfchen Reiche. Tas zweite Buch ftellt 
den Kampf ter beiden Hauptmächte dar, zunächit den Kampf zwijchen 


Kicchenfreigeit und Kirchenherrſchaft in der Befihichte, 53 


Heinrich IV. und reger VIL, tie Stellung Heinrich's V., 
dann bie geiftig bewegtern Kämpfe ber Hohenftaufen Zeit, Frieb- 
rich's I. mit Alexander TIL, ver Weltmonarchie Innocenz III, 
Friedrich II. gegen Gregor IX. und Innocenz IV. In dem 
pritten Buche wird ber Verfall des veutfchen Reiches und König— 
thums, aber auch ber Verfall des Papſtthums, das Schisma, vie be- 
ginnende Erhebung der Nationalitäten und bie erjten Negungen ter 
Gedankenfreiheit gezeichnet. 

Ueberall belegt er vie behaupteten Thatſachen und die berichteten 
Aeußerungen mit Quellenzeugniffen. Ein mit der Gefchichte des Mittelal⸗ 
terö vertrauter Leſer wird gelegentlich Diefe oder jene Ergänzung des Bil- 
des vermiffen, da oder dort eine Berichtiguug wünfchen, aber er wird 
nie eine Spur von Unmahrhaftigfeit entveden und mehr ncch als den 
rühmlichen Fleiß die freie Ummficht bewunvern, womit der Autor aus 
ber Mafje der Wuhrnehmungen das für die Hauptaufgabe feines 
Werkes Erhebliche heranszufinden und zu ordnen weiß. Auch wer an 
ber bifterifchen Kritif ver Begebenheiten Manches auszufegen weiß, 
wird doch von ver logifchen und ımoralifchen Kritik ver mittelalter- 
fihen Ideen und Zuftände vie reichfte Anregung und Belehrung er- 
fahren. In feltener Weife finden wir in Laurent viele löbliche Ei- 
genjchaften und Dinge vereinigt, welche meiftens nur in einfeitiger 
Richtung fich finden, ven fpefulativen Weitblid des Philoſophen und 
ten fondernden Scharfblid des Yuriften, den religiöfen Glauben an 
bie göttliche Weltleitung und bie freiefte Kritik aller religiöfen Offens 
barung, Fleiß des Forfchens und anmuthige Schönheit im Aus» 
druck, wiffenfchaftliche Größe und hohen perjönlichen Muth, ſchneidende 
Schärfe ver Polemik nud zugleich humane Milde des Urtheile. 

Anch in feinem größeren Hauptwerfe, wovon ber bezeichnete Band 
nur einen Theil bilvet, verfolgt Laurent in gewiffen Sinne ein In— 
tereffe menſchlicher Vervollſommnung. Er hat das Alterthum und 
das Mittelalter nicht aus Vorliebe für diefe Zeiten burchforfcht, fon» 
dern er bat fich im ver Vergangenheit ungefehen, um in ihr Lehren 
für die Gegenwart und vie Zukunft zu finden. In höherem Grabe 
noch zeigt fich dieſes praftifche Streben in ver Schrift über Kirche 
und Staat, die wir in biefer Studie vorzüglich beachten. Das 
Ganze ift auf drei Abtheilungen angelegt, wovon aber vorerit wur ir 


54 9. €. Bluntſchli, 


beiden erften erfchienen find, welche Kirche und Staat im Mittelalter, vie 
Reformationdzeit inbegriffen, betrachten. Die dritte Abtheilung foll 
dann fi unmittelbar mit der Gegenwart befchäftigen und fo bie 
Spite bed ganzen Buches werben. Die eriten biftorifchen Abtheilun- 
gen dienen zur Orientirung. Sie veranfchuulichen die Gegenfäge des 
Mittelalters und der modernen Zeit, fie bezeichnen bie Uebergangs⸗ 
ftufen aus jenem in biefe und ſchildern im Bilde der Gefchichte vie 
Gefahren, in welche ein falſcher Weg in verlehrter Richtung die heu⸗ 
tigen Völker verwickeln würde. 

Indem wir nun ſeinem Vortritte nachgehen und ſeine Darſtel⸗ 
lung nachzubilden verſuchen, ſehen wir uns ſofort in eine von der 
heutigen völlig verſchiedene Weltanſchauung verſetzt. 

Dem Mittelalter ſchwebte das Ideal eines heiligen Chri— 
ſtenereiches als das Ziel der Weltgeſchichte vor. Die ganze Chris 
ſtenheit wurde aber als Eine Perſon betrachtet, deren geiſtige Poten⸗ 
zen in der Kirche ihre Ordnung und ihren Ausdruck finden und deren 
leibliche Bedürfniſſe in dem Staate ihre Befriedigung ſuchen. Wie 
die Seele über den Leib erhaben iſt, wie die Seele der Herr und 
der Leib der Diener iſt, ſo wurde in der mittelalterlichen Theorie 
der ideale Vorzug der Kirche über den Staat dargeſtellt. 

Dieſem Grundgedanken eutſpricht die Scheidung des Klerus und ver 
Laien, und die Erhebung des erftern über die legtern. Die faljchen 
Decretalen führen tiefe für pas Verſtändniß der mittelalterlichen Kämpfe 
fo wichtige Unterfcheidung auf die Autorität des Apoſtels Petrus zu- 
rüd. Die Kleriker find die Männer des Geiftes, die Laien fine 
die Männer des Fleifches. Jene find die Hirten, beren Beruf es 
ift, diefe als die Schafe zu leiten. Jene werten dem Golde, dieſe 
dem Eifen verglichen, wie tie päpftliche Gewalt ter Sonne ‚und bie 
kaiferliche den Monde. „Der verworfenfte der Klerifer, fchrieb Pi⸗ 
lichborf gegen vie Waldenjer, bejigt dennoch eine höhere Würbe ale 
der beiligfte ver Laien“. ALS das ideale Haupt der Chriftenheit wird 
Ehriftus verehrt, und die Priefter find feine Stellvertreter auf ber 
Erde. Bis zum Wahnfinn erbigt fich tiefer geiltliche Hochmuth in 
fonft verftändigen Männern. 

Das war nicht etwa nur die Meinung einzelner Eiferer und 
eitler Narren. Es war die gemeine orthobore Lehre aller Schulen. 





Kirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in der Geſchichte. 55 


Man wagte es wohl, vie Confequenzen der Theorie zu beftreiten und 
ihre Anwentung zu ermäßigen. man entzog fich ihr Häufig im praf- 
tichen Leben und lich nicht felten auch bie Geiftlichkeit die Ueber— 
macht des weltlichen Arms empfinden; den eigentlichen Grundgedan— 
fen, vie geiftige Natur rer Kirche und die leibliche Natur des 
Staates, wagte man nicht ernftlich anzugreifen. Der Firchlichen 
Lehre, daß Gott die beiten Schwerter erjt dem Papfte verliehen habe, 
damit dieſer das weltliche Schwert dem Kaiſer übergebe, feßte bie 
faiferliche Partei die Meinung entgegen, daß Gott felbft das welt: 
lihe Schwert dem Kaifer verleihe wie das kirchliche dem Papſt. Aber 
vie Gibellinen waren ebenjo wie die Guelfen geneigt, unter dem Gott, 
von dem fie die firchliche und die ftaatliche Macht ableiteten, fich Chri— 
ftus zu denfen und dieſem Gotte ftand ver Papſt um feines religiöfen 
Berufes willen offenbar näher als der weltliche Kaiſer. Die Erin 
nerung freilih an ven einen weltbeherrfchenden Römerftaat, deſſen 
Haupt der Kaifer und veffen Unterthan der Papft gewefen, war nie 
ganz erlofchen und die Ahnung, daß ver Staat etwas Anveres und 
Höheres fei ala der Diener der Kirche, lebte wohl fort in ven Ge— 
müthe der politiichen Männer; aber man wußte doch nicht dem Firch- 
fihen Grundgedanken gegenüber die höhere Natur des Staates in 
einem burchgreifenden Worte zu bezeichnen; und weder die Philofo- 
phie noch die Rechtswiffenfchaft waren bewußt und ftarf genug, um 
von ber bindenten und hemmenden Autorität der Theologie fich ganz 
zu befreien. | 

Man muß es anerkennen, die Erhebung des Klerus über die 
Laien und ver Kirche über den Staat hatte im Wittelalter einen 
Sinn und eine gewiſſe Berechtigung. Die Geiftlichfeit war damals 
ben Laien in der That geiftig fehr überlegen. Faſt alle Bildung, ins⸗ 
befonvere die wiffenfchaftliche Bildung, war in ihr concentrirt, die 
Traditionen der antiken Givilijation wurden durch fie vornehmlich er: 
balten, fie bewahrte die Einheit der europäifchen Eultur während der 
Auflöfung des fränfifchen Reiches in fendale Anarchie; fie war ber 
Zräger der religiöfen Dogmen und der Vertreter der chritlichen Mo⸗ 
ral; ihrer Erziehung ergaben fich die Fürjten und vie Völker, deren 
wilde, trogige Roheit nur durch eine göttliche Autorität allmählich ges 
zaͤhmt werben fonnte. Verglichen mit der brutalen Gewalt, welche 


96 IE Bluctchli, 


das raufluſtige une auéſchwcifende Treiben ver mittelalterlichen Ari⸗ 
ftefratie charalteriſirt, ericbeint ter tamalige Klerus trotz aller feiner 
Mängel une Sunden teb wie ein Wehlthäter des Volkes. Seine 
Macht war unentbehrlich, um tie Welt ver rem Rückfall in tie Bar- 
barei zu retten. 

Nah allen Richtungen breitete die Kirche damals ihre Macht 
aus; und merhrörtiger Weiſe mit beſenderem Fleiße unt nie erjchlaf- 
feneer Zäbigkiit, daher wit größtem Erjolge auch in ter Richtung, 
welche ihrem geiſtigen Berufe am ferniten jtebt, auf Vermögens⸗ 
erwerb. Sie ſammelte unermeßliche Reichthümer und vertheibigte 
dieſelben auf das tapierſte wider die Speliationen und Säculariſa⸗ 
tionen, welche ven Zeit zu Zeit ihren materiellen Beſitz bedrohten. 
Wie die Fluth und Die Ebbe wechjelt vie Strömung, welche bald 
die Schätze ver Kirche anfüllt, bald wierer entleert, und ver Kampf 
des Nlerus mit ten Yaicn um den Beſitz auch ter irbifchen Güter 
hört während des ganzen Mittelalters big auf Die neuefte Zeit nie 
ganz auf. Tie Klagen ver alten Frankenkönige über das furdhtbare 
Wachsthum des kirchlichen Grundbeſitzes werten neh im XVI. Jahr: 
hundert ven den katholiſchen deutſchen Fürſten und im XVII. von 
der Republik Venedig erneuert, und die Säculariſation der Kirchen⸗ 
güter, welche von den karolingiſchen Fürſten im VIII. Jahrhundert 
vollzogen werten, wird in der europäiſchen Säculariſatien des XVIII. 
und XIX. Jahrhunderts in größeren Dimenfienen und principieller 
begründet wiererbelt. 

Tas Eigenthbum als römischer Nechtsbegriff ift vie abfolute 
Herrſchaft res egeiftifchen Zelbftgefühle. Der Eigenthümer will vie 
irbifchen Tinge für ſich haben mit Ausjchließung alles Antern. 
Wenn tie Kirche Tem religiöfen Princip der Liebe und der Opfer 
treu blieb, das fie befannte, fo fennte fie am wenigften an biefem 
Begriff Gefallen finden. In ver That in der itealen Deftrin, welche 
fie errachte, um ibren Vermögenserwerb zu rechtfertigen, bat das rö⸗ 
miſche Cigenthum feinen Raum. Lie will fein Eigenthum für fich 
an ben Gütern, Lie fie verachtet, fie entziebt nur tiefe Güter ber 
Habſucht und tem Geize der Laien und verwaltet fie nur zu Gunften 
der Armen, ver Eigenthumslofen. Das Kirchengut gehört nicht mehr 
dem falten herzloſen Egoismus der Eigenthümer an, es iſt gebeiligt 





Kirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in ber Gefchichte. 47 


did. Sie fügen fich zugleich auf. die alten Marimen und auf die 
neuen Grundrechte; und verftehen es, die fromme Gefchäftigfeit ver 
Frauen und den Ehrgeiz ver Männer, die aufopferude Hingebung ver 
einen und bie herrfchfüchtige Berechnung ver andern auf ihre Ziele 
hinzulenken. Weber alle Erwartung gelingen ihnen erftc Erfolge, und _ 
jeder Erfolg wird zu einer Vorſtufe gefteigerter Aufprüce. Schon 
feimen unter ihnen Hoffnungen auf, daß die revolutionsmüden Völker 
ihrer Führung zufallen und der geremüthigte Staat an fich felber 
verzweifelnd der Erneuerung der firchlichen Herrfchaft fich ergeben 
werte. 

Aehnliche Erfcheinungen zeigen fih in allen veutfchen Ländern, 
aber ven höchſten Aufſchwung haben diefe Eirchlich-politifchen Parteien 
in den größten dentjchen Staaten in den legten Fünfzigerjahren ge: 
neinmen. Der König von Preußen und der Kaiſer von Oeſterreich 
fchienen ihnen vorzüglich gewogen und in der Allianz mit ihnen cine 
Stärfung der eigenen Autorität zu fuchen. Wir beobachten ihr Wachs⸗ 
tbum in proteftantifchen amd in Fatholifchen Völfern; aber mächtiger 
und nachhaltiger erweist fich die Entholifch= Kirchliche, Die fogenannte 
ultramontane Partei. Da vie Reformation vie alte Kirchenherrfchaft 
gebrochen und die moderne Staatsherrfchaft vorbereitet hat, fo gera— 
then tie proteftantifchen Parteien ter Art in Widerfpruch mit der 
Geſchichte und mit den Xorbiltern ihrer Gonfeffien, und das macht fie 
ihwach und unficher. Die ultramontane Partei aber der nenen Zeit- 
kennt dieſen Widerfpruch nicht. Im Gegentbeil: in den großen Päp— 
ften des Mittelalters und in ter früheren Weltherrfchaft ver Fatholis 
ſchen Kirche findet fie das ideale Vorbild, das fie zu ihrem Streben 
begeiftert. Der feftgeglieverte breite Organismus ihrer Kirche und. 
tie hergebrachten Ordensverbindungen geben ihr einen ſichern Halt und 
weit umher reale Hülfe. Wenn fie in einem Lande ins Gedränge 
lommt umd gefchlagen wird, fo darf fie auf Villigung und Unter: 
ſtützung in andern Ländern rechnen und die dortige Niederlage kann 
bier zu neuem Siege führen. 

Ihren größten Äußerlichen Zriumph hat viefe Partei in Defter- 
reich gefeiert, als der Saifer Franz Joſeph mit dem Papſte 
Bins IX. im Auguſt 1855 das Konkordat abjchloß. Seitdem es 
eine moberne Staatenentwidhung gibt, hatte niemals ver Staat IR 


58 ZI inurl, 


und jegar zu drei Biertheilen ver Kirhe eferte, une im tem meijten 
bejaß fie minzertend ein Biertsetl eder ein Drittdeil ces Landes. 

Mar veritch: ed, weRsule hen ver ter Refermitien manche 
Staaten es wagten, ben Erwerb »Ter tedten Pant gefeglich zu 
bejhränten. Die Rerublik Yuzertg but idden 1535 cm ſelches Ge- 
jeg erfaften, wie ned früber tie deuticgen Rechitieee Augsburg ( 1305) 
une Regeneburg (IF. Tue im Jubre IM erweiterte Geſetz von 
Benerig wurde freilib ven ter Kirche als toramiſch und ungiltig an⸗ 
gefechten, weil es wider tie kirdliche Freibeit gerichtet ſei. Aber vie 
Republik beharrte nur ibr Verkämrier in dem Nampie mit ben Papft 
Paul V., der Bruder Raul Sarpi. sub ven im Wittelalter ein⸗ 
leuchtenden Gruner dafũr an: Wernn man der Kirche tie unbeſchränkte 
Freiheit tes Vermẽgenserwerbs geĩtattet, je wird ſie unzweifelhaft 
ſich nach und nah alter Güter bemächtigen, und die Laien werden zu 
Hörigen rer Kirche werten”. Seine Begrümdnung wurde auch durch 
tie wunderliche Entgegnung tes Cardinals Bellarmin cher beſtä⸗ 
tigt ale widerlegt: »Die Kirche bat zwölf Jahrbunderte gebraucht, 
um eisen Viertheil tes Bodens ;u erwerben, fie bat daher wieder 
zwölf Jahrhunderte nötbig, um einen zweiten Viertheil fich anzueig- 
nen; aber je lange tauert vie Weit nicht, deren Ente nach ter Ber- 
ſicherung ver Apoſtel nahe iſt.“ Denn in tiefer Erwiederung ijt das 
Zugeftäntnig eines unaufbaltjumen Wachsthums des Kirchennermd- 
gens weit ficherer ale tie Ausſicht auf das nahe Weltente, welches 
auch viefem Befige ein Ente machen würte. 

Tie hundert Beſchwerden ber teutjchen Nation, welche 
von ten katholiſchen Reichsſtänden auf dem Reichsſstage zu Nürnberg 
im Jahre 1523 fermulirt worcen find, werfen ein grelles Streiflicht 
auf tie firchliche Praris nicht blos des XVI. Jahrhunderts: „Die 
(Heiftlichen benugen, chne alle Noth, lediglich um ihr Vermögen zu 
erweitern und ihre Zinſen zu vermehren, jeve Öclegeubeit, um Yaien- 
güter durch Ankauf over auf jedem möglidyen anveren Wege dur) 
unzählige VBerlodungen an ſich zu bringen“. (Art. 60.) „Von dem 
arınen Volke fordern fie, preilen fie aus und faugen fie aus, was das⸗ 
felbe mit äußerjter Anftrengung kaum berichaffen kann, und täglich 
wachfen ihre Anſprüche. So jämmerlich beuten dieſe Hirten die ihnen 
anvertranten Schafe aus⸗. (Art. 86.) „Alle Heilmittel der römischen 


Kircpenfreipeit und Kirchenherrſchaſt in der Geſchichte. 47 


ſchick. Cie ftügen fich zugleich auf. die alten Maximen und anf die 
neuen Grundrechte; und verftehen es, die fromme Gefchäftigkeit ver 
Frauen und ven Ehrgeiz ver Männer, die aufopfeınde Hingebung der 
einen und tie herrfcpfüchtige Berechnung der andern auf ihre Ziele 
hinzulenken. Ueber alle Erwartung gelingen ihnen erfte Erfolge, und 
jerer Erfolg wird zu einer Vorftufe gefteigerter Anſprüche. Schen 
feimen unter ihnen Hoffnungen auf, daß die revolutionsmüden Völker 
ihrer Führung zufalfen und ber geremüthigte Staat an fich felber 
verzweifelnd der Ernenerung ber Firchlichen Herrſchaft ſich ergeben 
werte. ö 

Aehnliche Erfcheinungen zeigen ſich im allen deutſchen Yändern, 
aber ten höchſten Aufſchwung Haben dieſe kirchlich-politiſchen Parteien 
in ven größten deutſchen Staaten in den legten Füufzigerjahren ge: 
nemmen. Der König von Preußen und der Kaifer von Oeſterreich 
fehienen ihmen vorzüglich gewogen und in ber Allianz mit ihnen cine 
Stärkung der eigenen Auterität zu fuchen. Wir beobachten ihr Wachs 
thum in proteftantifchen und in fathofifchen Völfern; aber mächtiger 
und nachhaltiger erweist fich die katholiſch- kirchliche, bie ſogenanute 
ultramentane Partei. Da vie Reformation bie alte Kirchenherrfchaft 
gebrochen und die moderne Staatcherrfcpaft vorbereitet hat, fo gera« 
then die proteftantifchen Parteien der Art in Widerfpruch mit ber 
Geſchichte und mit ben Vorbildern ihrer Gonfeffien, und das macht fie 
ſchwach und unficher. Die ultramontane Partei aber ber neuen Zeit 
fennt diefen Widerfpruch nicht. Im Gegenteil: in den großen Päps 
ften des Mittelalters und in ver früheren Weltherrfchaft dev katholi- 
ſchen Kirche findet fie das ideale Vorbild, das fie zu ihrem Streben 
begeiftert. Der feftgeglieverte Breite Organiemus ihrer Kirche und 
die hergebrachten Orbensverbintungen geben ihr einen ſichern Haft amd 
weit umher reale Hülfe. Wenn fie in einem Lande ins Gedränge 

, femme und gefcplagen wird, fo darf fie auf Villigung und Untere 
ftügung in andern Ländern rechnen und bie dortige Niederlage kann 

hier zu neuem Siege führen. 

Ihren größten äußerlichen Triumph Hat dieſe Partei in Orfters 
gefeiert, als ber Kaifer Frauz Jeſeph mit deut Papfte 
IN. i bicleh Seittem es 

dr Staat ih 







zeich 


60 3 C. Bluntſchli, 


die von ihr behauptete Miſſion, ten weltlichen Eigennutz und bie ir- 
diſche Genußſucht zu überwinden, tie Ungleichheit der Glücksgüter 
billig anszugleichen, die Armen zu fättigen, dem Elend zu helfen, bie 
Segnungen ter Keligien und der Gultur zu verbreiten? Gewiß ger 
ſchah Manches auch in dieſer Richtung. Die prachtvollen Kirchen⸗ 
bauten des Viittelaltere, die reiche Entfaltung bes öffentlichen Cul⸗ 
tus, die zahlreichen Armen» und Straufenanftalten aus alter Zeit, die 
Gründung gelchrter Schulen, die Veredlung ter Landwirthſchaft an 
manchen Orten, die Yörterung ber Kunſt waren großentheils eine 
zweckgemäße Verwendung bes Firchlichen Reichthums. Aber dieſe Lei⸗ 
ftungen ſtehen doch weit zurüd hinter der Ergiebigfeit der kirchlichen 
Hülfsquellen; und fein Urtheilefähiger kann es beftreiten, daß ter 
weit größere Theil des Firchlichen Ueberflufjes für den weltlichen Lu- 
zus der Kirchenfürften und Prälaten verbraucht wurte, welcher zu 
dem religiöjen Ideal in feiner Beziehung paßte Für gemeinnügige 
Zwecke geſchah fo wenig als möglich. Waren öffentliche Bedürfniſſe 
zu befrierigen, fo bezog ſich die Kirche auf ihre Steuerfreiheit, um 
jeden Beitvay zu verweigern und alle Koſten wierer ben Laien auf« 
zubürben. Ihre Almoſen aber halfen ver Armuth nicht, fie beförder- 
ten vichnehr die Trägheit und tie Bettelei. 

Die Reaction ver Yaien gegen das Umſichgreifen des Firchlichen 
Erwerbs trat im Wittelalter häufig in den robuſten Formen des Rau- 
bes, der Gewaltthat und ter Zerftörung auf. Erſt gegen Ente des 
Mittelalters erhält fie einen civilifirteren Ansorud. Die Säcularie 
ſation ber Stirchengüter wurbe im XVI. Sahrhuntert mit religiäjen 
Metiven, im XVIII. une XIX. mit voltswirthfchaftlichen und na- 
turrechtliden Gründen vertheidigt. Damals wollte man vie Kirche 
anf ihre religiöe-fittliche Aufgabe zurücführen und fie von ten Ber» 
irrungen und Mißbräuchen reinigen, zu welchen bie Gier nach irbi- 
ſchen Gütern und Genüſſen fie verleitet hatte. Später wollte man bie 
wirtbfchaftlichen Volkskräfte von tem Drud befreien, ven das Kirch 
liche Syſtem geübt hatte, und tie Pflichten des Staates für die öf- 
fentliche Wohlfahrt erfüllen. Der Staat übernahm die Nulturpflege 
und Die Sorge für die Armen, In Felge veffen vehnte er feine Auf: 
ficht über die dem Kultus gewidmeten Güter aus und unterwarf bie 
für die Armen geſammelten Güter feiner Verwaltung. 





Kiirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in ber Geſchichte. 49 


ſophie, im jeder Wiſſenſchaft überhaupt, in der geſammten Literatur 
md in ter Kunjt iſt das Bewußtſein menjchlicher Geijtesfreiheit mit 
einer Stärke Ichendig geworben, bie feine kirchliche Macht zu überwäl- 
tigen vermag. Zwar ift die Gegenwart nicht arm auch an Werfen 
ver Barınherzigkeit und religiöfer Liebe und Hingebung, aber fie it 
dennoch viel reicher an weltlichen Tugenden, an gemeinnügigen Arbei- 
ten und Opfern, an politifchen Thaten. Die moderne Wijjenjchaft 
und der moderne Staat find demnach die Haupturichte der Neuzeit, 
bie fortwährend in riefenhaften Berhältnijjen aus dem Individualgeiſt 
und aus dem Volksleben herauswachfen und täglich weitere Gebiete 
durchdringen und neue Werke hervorbringen, während Die Neligion 
und die Kirche ihre Ideale in früheren Jahrhunderten erbliden und 
mühjam ten Höhen nachitreben, vie fie vormals erjtiegen hatten. Es 
it charafterijtifch für die heutige Denkweife, daß der Papſt Pius IX. 
jo lange von ven Völkern gefeiert wurde, als fie von ihm vie poli- 
tiiche Befreiung Italiens Hofften, und daß er fofort unpepulär wurde, 
ald er anfing, die politifche Eutwicklung feines Vaterlandes ven kirchli⸗ 
ben Ueberlieferungen und Neigungen des Papſtthums unterzuorpnen. 

Aber weniger noch als ein einzelner Menjch kann fich ein Volt 
immer nur Einer Richtung ergeben. Die BVielfeitigkeit feiner Natur 
verlangt nach Berückſichtigung ver Gegenſätze, die in ihm verbunden 
find. Bon Zeit zu Zeit tritt das Bedürfniß eines Wechjels cin von 
Ruhe und Bewegung, von Arbeit und Genuß, von Geijtesthätigkeit 
und gemüthlicher Hingabe. Wenn das Volt von dei politifchen Auf— 
regungen ermüdet und unbefriedigt iſt won den geringen Nefnltaten 
feiner Kämpfe, wenn die Neue über feine Haltung in feinem Herzen 
nagt und die Angſt e8 ergreift, wenn es das Vertrauen verloren hat 
auf feine Führer, und feine Heffnung auf die Zukunft in der dunfeln 
Neth der Gegenwart untergegangen iſt: dann ift es auch im einem 
politiich bewegten Jahrhundert hungrig geworden nach den Zröftungen 
der beiligen Religion. Von vem Segen der Kirche erwartet es dann 
eine reinere Befriedigung. In Gott und in dem ewigen Dingen fucht 
ed dann einen fejleren Halt und eine ftärfere Zuverficht. Um deß— 
willen folgen auf die politifhen Revolutionen regelmäßig in 
furzer Zeit religiöfe Reactionen. Deshalb auch war das Wachs— 
thum der Kirchlich-politifchen Parteien in Deutfchland beſonders ſtark 

Diſtoriſche Zeitſchrift J. Band. 4 


62 3. C. Bluntfäli, 


Energifcher als die Könige machten im Mittelalter oft tie Räthe 
und Bürgerfchaften ver Stätte die Steuerpflicht auch der Geiltlichkeit 
geltend. Auf dem engen Gebiete wurte von beiden Seiten mit aus⸗ 
dauernder Zähigfeit und heftigiten Cifer gekämpft. Jede Partei er- 
probte ihre äußerften Zwangsmittel. Der Rlerus verweigerte bie 
firchlicyen Gnaten und jtrafte mit ber Ercommunifation und bem 
Interdiete. Die Bürger verbannten die Geiftlihen, welche fid) dem 
Gottesbienfte entzogen, oder ſprachen tie bürgerliche Acht über fie aus: 
„Niemand follte ihnen Lebensmittel oder Handelswaaren verlaufen 
dürfen, alfer bürgerliche Verkehr mit ihnen abgebrochen werten“. In 
mehr als Einer deutjchen oder italienifchen Stadt verloren bie Bann 
ftrahlen der kirchlichen Autorität ihre Schreden. Die Bürger fingen 
an barüber zu fpotten und gewöhnten ſich daran, vie kirchliche Hilfe 
als entbehrlich auzujehen. Der Klerus mußte fich meiftens doch bes 
quemen, Steuern an die Stadt zu zahlen. 

An dieſem financiellen Intereſſe erjtarkte das Selbjtgefühl des 
Staates ver Kirche gegenüber zuerft wieder. Die franzöfifhen Könige 
griffen von Zeit zu Zeit willfürlich in die Kirchengüter ein, um ihre 
Fiuanznoth zu erleichtern. "Der eifrig fatholiicheHabsburger Philipp IL. von 
Spanien verhinterte troß feiner Verehrung für ben heiligen Stuhl 
bie Berfüntigung ver Bulle: In coena domini, weil darin die Steuer- 
freiheit des Klerus als ein heiliges Recht behauptet war, und nöthigte 
ben fpanifchen Klerus im einzelnen Fällen zu Beifteuern. Zuletzt 
tagte es vie Kirche felbit nicht mehr, von tem modernen Staate jene 
Steuerfreiheit zu begehren, für welche fie im Veittelalter fo hartnädig 
und mit principiellem Erfolge gekämpft hatte. 

Zu der Zeit, als fie jede Steuerpflicht ablehnte, machte fie ihrer: 
jeit8 ein inhaltjchweres Steuerrecht gegen die Laien geltend. Schon 
in ven erften Jahrhunderten tes Chrijtenthums werden die Gläubigen 
ermahnt, für bie kirchlichen Bedürfniſſe und zu Gunften ver Armen 
die Zehnten von ihren Einkünften Binzugeben. Das war aber eine 
freiwillige Gabe ver Frommen und Mildthätigen. Aber im Meittel- 
alter veränderte fih der Charakter der Zehnten. Karl ter Große 
breitete bie Zehentpflicht als Steuer über ganze Länder aus, und vie 
firchlichen Autoritäten erklärten die Zehnten für eine allgemeine 
und von Gott felbjt geordnete Kirchenfteuer. Das kirch—⸗ 


* 


Kirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in der Geſchichte. 51 


ftredt. Aber Laurent wurde durch die Gefahr nur zu entſchloſſenerem 
Bergehen gereizt. Die ultramontane Partei hatte es fehr zu bereuen, 
daß fie gerate an biefem Manne die freie Wiffenfchaft anzugreifen 
gewagt Hatte. Er ließ fie jeine geijtige Weberlegenheit und feinen ſitt— 
lihen Zorn ſchwer empfinden. Als das beigiiche Volk gewahr wurde, 
daß es zugleich in feinem Geiftesleben und in feiner Vermögens» und 
Familienſache bedreht werde, da erhob es fich im Mai 1857, und in 
dem Sturme, ver damals durch die belgifchen Städte wüthete, ftürzte 
bie ultramontane Herrfchaft haltlos zufanımen, als wäre fie ein Iuf- 
tiges Kartenhaus '). 

Das Wert Kirche und Staat, das wir in der Ueberfchrift 
zuerft genannt haben, darf wohl als eine veife Frucht der beigifchen 
Kämpfe injoferne betrachtet werden, als ver berühmte Verfaſſer in venjel- 
ben ven Antrieb empfing, jeine Studien über das gefchichtliche Verhältniß 
von Kirche und Staat in einem überfichtlichen Geſammtbilde der Welt 
vorzuführen und al& in dieſem Buche die polemifchen Schneiden ſchär⸗ 
fer gejchliffen find, ale in dem größern Werke, ven Stubien zur Ge- 
ichichte der Menfchheit, eder wie diefelben früher genannt waren, ber 
Gefchichte des Völkerrechts, deren jechiter Band die mittelalter- 
lihden Kämpfe des Bapftthbums und des Kaiferthums 
ſchildert. 

Laurent iſt in eminentem Sinne ein philoſophiſcher Geſchichts⸗ 
forſcher und Geſchichtſchreiber. Die äußeren Ereigniſſe haben für ihn 
nur inſoferne ein Intereſſe, als in ihnen die Ideen ſich entwickeln 
und offenbar werben, welche für die vielſeitige Darſtellung des menſch⸗ 
lichen Geiftes von Bedeutung find, und um die Beweggründe der 
handelnden Berfonen kümmert er fih nur fo weit, als fie im Zufaıns 
menhang ftehen mit dem großen allgemeinen Entwidlungsproceß, ben 
wir Weltgejchichte heißen. Er ift von dem Glauben erfüllt, daß biefe 
Beltgefchichte kein zufälliges Spiel eitler Kraft jei, ſondern daß unter Gottes 
Führung des Geſchickes der Menjchengeijt ftufenweife fortfchreite in 
Selbfterfenntnig und Vervollkommnung. Er wenbet daher all’ feinen 


') Bgl. die fehr intereffante Schrift: Der Kampf ber liberalen und ber 
katholiſchen Partei in Belgien, eine Warnung für Deutfhland. Zürich, 
1857. 

4% 


64 3. C. Bluntſchli, 


lung in Anſpruch, fo ſuchte fie nicht minder ſich der Rechtsherr⸗ 
Schaft des Staates zu entziehen und ihre cigene Rechtsherr— 
ſchaft auszubreiten. 

Die Immunität der Geiftlichfeit von ber weltlichen Juſtiz 
folgt faſt mit logiſcher Nothwendigkeit aus dem katholiſchen Grund» 
getanfen. Wenn vie Alerifer die Männer des Geiftes und vie Laien 
tie Männer des Fleiſches find, wie kann fih da das Fleiſch erfrechen, 
über ten Geiſt zu Gericht zu figen? Wenn vie Geiftlichen die Or⸗ 
gane Gottes find und ihre Sachen göttliche Saucen, wie barf der 
übermüthige Menſch ſich unterftchen, über Gott zu richten? Eo ab« 
ſurd uns heute tiefe Sclbiterhögung tes Klerus vorfommt uud fo 
unnatürlich die Beengung des Staats anf feinem eigenften Gebiete, 
fo war doch auch tiefes Vorrecht im Mittelalter nicht ohne Sinn; 
denn bie Geijtlihen waren in Bildung und Moral ten Laien in ber 
That fo überlegen und dieſe jo gewaltthätig und roh, daß tie Bes 
ſchräukung der Paienjuftiz auf Laieuparteien im Intereſſe der Hüma⸗ 
nität lag. 

Daburch werten freilich die unehrlichen Mittel, womit der Kle- 
runs feine Immunität zu begründen und als altes Recht varzuftellen 
fuchte, — bie Fälſchung der Gefchichte und die Fälſchung ver Gefeke 
— nicht entſchuldigt, und der Hochmuth, ver fih in den fpätern Kir- 
chengeſetzen ausſprach: „Niemand zwinge einen Geiftlichen oder Möuch 
vor ein weltliches Gericht zu treten, denn das wäre ein Raub und 
Schändung des Heiligen» — nicht gerechtfertigt. Aber wir nehmen 
in Erwägung jener Grünte weniger Anftoß daran, wenn wir feben, 
daß Kaiſer Friedrich II. im Jahr 1220 ven Grundfag, daß feine 
ficchliche Perfon weder in Straf- noch in Civilproceſſen von einem 
weltlichen Gerichte belangt werben dürfe, als allgemeines Geſetz ans- 
ſprach. 

Auch dieſes Recht nahm die Kirche als ein göttliches in An— 
ſpruch. Noch im XVI. Jahrhundert wurde es von einem Concil im 
Lateran beſtätigt. Aber inzwiſchen hatten ſich die Verhältuiſſe geän« 
dert. Was eine Zeit lang erklärlich, vielleicht ein Segen geweſen 
war, das war unter anderm Umſtande unnatürlich und verderblich 
geworden. Die ftaatlihe Reaction, von ten vechtsgelehrten Laien 
geleitet, blieb nicht aus, und in dem Fortſchritt der Jahrhunderte 





Kirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in der Geſchichte. 65 


wurde nach und nach in allen Ländern das frühere Privilegium 
des Klerus als veraltet zur Seite geſchoben. 

Daſſelbe hatte vorher zu den ärgſten Mißbräuchen geführt. Die 
ideale Meinung der Kirche haßt zwar die Sünde, aber ſie iſt geneigt, 
dem reuigen Sünder zu verzeihen. Sie will nicht den Tod des Sün— 
ders, ſondern daß er ſich bekehre und lebe. Während die ſtaatliche 
Gerichtsbarkeit früher ausſchließlich den Verbrecher ſtrafen wollte, um 
an ihm die Macht der Rechtsordnung zu bewähren, ohne ſich um 
ſeine innere Reinigung und Beſſerung zu bekümmern, und während 
ſie auch heute noch zuerſt dieſe Gerechtigkeit erfüllt und erſt in zwei— 
ter Linie auf Beſſerung Rückſicht nimmt, ſo iſt die Liebe die erſte 
Pflicht une Sorge der Kirche und betrachtet fie die Strafe nur als 
ein Erziefungsmittel zur Heiligung. Das Firchlice Ideal ftand fo 
im Gegenſatz zu ven Zielen ber weltlichen Gerichtspraris, und deckte 
ihre Mängel auf. Es diente auch dazu, die weltliche Rechtsentwick— 
fung zu verebeln. Aber in ver Praris ver kirchlichen Gerichtsbar- 
feit artete es feinerfeits in eine unleivliche Begünftigung verbrecheri= 
ſcher Geiſtlichen aus, durch welche vie gemeine Rechtsordnung befleckt 
und durchlöchert ward. Sie führte zu thatſächlicher Straflofig- 
feit des Klerus. 

Schon auf der Höhe des Mittelalters erhob fich hier und ba 
ein energifcher Widerſpruch des beleidigten Gefühls für Gerechtigfeit. 
Der Streit zwifhen tem Könige Heinrich II. von England und 
dem Erzbiſchof von Banterbury, Thomas Becket, im XII. Yahr- 
hundert ift befannt. Damals fchen wurde vie Straflofigfeit der Kle— 
rifer, die im äußerften Fall Gefahr liefen, degradirt oder in ein Stlofter 
eingefperrt zu werben, als ein Landesübel empfunden. Die Verbrechen 
der Kleriker in Diebſtahl, Betrug, Fälſchung, Ehebruch, Mord hatten 
furchtbar überhand genommen. Um hier Ordnung zu ſchaffen, erließ 
der König mit Beirath der Großen des Reichs ein Statut, welches 
vorſchrieb: „die eines Verbrechens angeklagten Geiſtlichen ſeien ver— 
pflichtet, vor dem königlichen Gerichtshofe ſich zu verantworten und 
die weltlichen Richter ſollen in ſolchen Proceſſen ſich mit ven geiſt— 
lichen Richtern ins Einverſtändniß ſetzen. Geſtehen die Angeſchuldig— 
ten ihr Verbrechen ein oder werden ſie überwieſen, ſo ſoll die Kirche 
ihm feine Hilfe gewähren«. Thomas Becket und die übrigen Biſchöfe 

diſtoriſche Zeitfärift V. Ban. y 


66 9. €. Bluutſchli, 


beſchworen anfangs jelbft das Statut. Dann erflärte jener es aus 
geiftlicher Machtvollfommenheit für null und nichtig, weil es vie Frei⸗ 
heit und die Würde ver Kirche werlege. Der normannifhe Könige 
ſtolz und der römifche Priefterftolz geriethen nun in einen heftigen Streit, 
welcher die Aufmerffamteit von Europa auf fi) zog. Thomas Becket 
felbft wurde das Opfer feines trogigen Widerſpruchs; aber die Kirche 
verehrte in ihm einen Märtyrer ihrer heiligen reibeit, und ber König 
ward doch genöthigt, zwar nicht das Statut von Clarendon, wohl aber Die 
Nechtsübungen zu witerrufen, „welche wider die Freiheit der Kirche 
in England eingeführt wurden“. Ganz beugte fich freilich das eng⸗ 
lifche Staatsgefühl nicht mehr unter das kirchliche Immunitätsgebot. 
Auch im XIII. Jahrhundert ergriffen die weltlichen Richter doch in 
zahlreichen Fällen angeflagte Geiſtliche, und ließen fie — trotz alles 
Einſpruches der Kirche — hängen. 

England war vorausgegangen in ver Bekämpfung ber klerikalen 
Immunität. Auf dem Stontinent wurde viefelbe im Princip zwar 
überall anerkannt; aber die Praris entfprach auch da nicht ver Theo⸗ 
rie. Die Klage ter Geiftlichleit, daß ihre Freiheiten nicht vefpectirt 
werben, verſtummte nie völlig. In Frankreich und in “Deutfchland 
waren Ausnahmen, in denen vie weltlichen Nichter einzelne Geiftliche 
an Gut, Freiheit und Leben ftraften, nicht felten; die Italiener ge- 
fielen fich tarin, indem fie jcheinbar vie firchliche Yuftiz ehrten, die 
auf der verbreiherifchen That ergriffenen Geiftlichen unter möglichft 
großem Volkszulanf und allgemeiner Verhöhnung ihren Obern zuzu- 
führen. 

Aber fo lange die Negel anerkannt blieb, waren auch bie ärgs 
ſten Mißbräuche nicht zu vermeiden. Selbft viele Laien entgingen 
ber Strafe, indem fie ſich betrüglich für Kleriker ausgaben, ober gar 
in aller Eile zu Klerifern weihen ließen. Die Befchwerve der Deut» 
ihen, daß faft niemals die geweihten Verbrecher ihre verdiente Strafe 
ertulteten, hatte doch noch mehr Gewicht, als die Klagen des Klerus 
über die Mißachtung feiner Vorrechte. 

Endlich wurde tie Regel ſelbſt angegriffen. Seit bie leitenden 
Ideen ſich änderten, nicht früher, wurde die Verbefferung ver Pragie 
burchgreifend und nachhaltig. An diefer Umwandlung baben die Ju—⸗ 
riften einen großen Antheil. Bor allen der Franzufe Karl Dus 


Kirhenfreiheit und Lirchenherrſchaft in der Geſchichte. 67 


monlin, der berühmte Zeitgenojje von Eujaz und von Luther. “Der 
Bapft Siemens VIII. verurtheilte die fämmtlichen Schriften Du⸗ 
moulin's, auch die am fich unverfänglichen, auch wenn fie „von Irr⸗ 
tbümern gereinigt« werden follten, zum Untergang; aber biefe Schrif- 
ten blieben in den Händen ver Juriſten und wirkten fort bis auf bie 
Rapoleonifche Geſetzgebung. Dumoulin wird von den Franzoſen als 
ber eigentliche Begründer ihrer nationalen Yurisprudenz verehrt. Der 
päpftliche Haß und die Vorliebe ver Franzoſen für die Werke Du⸗ 
moulins erklären fich großentheil® aus der Energie, mit welcher ‘Du- 
moulin das werdende Recht des Staates auch der Kirche gegenüber 
fowohl in feinem Leben als in feinen Schriften vertrat. 

Mit Verachtung und Hohn wies Dumoulin tie hergebrachte 
Ueberorpnung der Geiftlichen über vie Laien ab. Er fchrieb: "Much 
in den geiftigen Dingen find die Laien nicht weniger befähigt, als bie 
Geiſtlichen-, und züchtigte die unfittlichen Vertheidigungsmittel des 
Klerus, ver fich auf gefälfchte und falfche Geſetze berufe, und ben 
Aberglauben audbeute, mit zornigen Hieben, wie fie nie fchneidiger 
gefallen war. Er verwarf geradezu alle Gerichtsbarkeit ver Kirche, indem 
jedes Gericht feiner Natur nach ftaatlich fei. Er ließ feinen andern 
Unterfchied des Klerus und der Laien gelten, ald den ver Beruf- 
pfliht. Er fpottete des göttlichen Rechts, auf Das fich ver Klerus 
berufe, al® einer Erfindung des Klerus felbft, um die Välfer zu bes 
trügen. 
Die Gedanken. Dumoulins konnten unter einem Volke, welches 
in jeiner Mehrheit der veutjchen Kirchenreform widerſtrebte, damals 
noch nicht verwirklicht werden. Aber auch die fatholifchen Juriſten 
und die Regierung von Frankreich waren doch von jeher geneigt, die 
Rechte des Staates hoch zu fchäten, und bie kirchliche Anmaßung zu 
befchränfen. ‘Der Anftoß, den Dumoulin gegeben, brachte beide in 
diefer Richtung vorwärts. Die Juriſten erfanden einen Unterfchied 
zwijchen „gemeinen Vergehen ver Geiftlihen« und »privilegir— 
ten Vergehen», die erjteren überließen fie noch ber firchlichen Ge— 
richtsbarfeit, die letteri zogen fie vor das weltliche Gericht. Ihre 
Auslegung des Unterfchiedes führte aber allmählig dahin, nur bie 
Disciplinarfälle noch für „gemeine Vergehen“ zu erllären, alle 
fhwereren Fälle aber als »privilegirtes zu behandeln. So wurde zu- 

5* 


68 3. €. Bluntſchli, 


legt die Regel umgebreht, und das fogenannte gemeine Recht wurde 
zur Ausnahme, das privilegirte Recht zur Negel. Unter allen Ver⸗ 
gehen wurde nur noch ver Concubinat der Kleriker den geiftlichen 
Gerichten zur Beftrafung überlaffen. Vergeblich beriefen fich die 
Beiftlihen auf die Nirchengefege und tie päpftlichen Bullen. Die 
weltlichen Parlamente beharrten auf ihrer Jurisprudenz und behan- 
delten jeve Abweichung ale nicht zu tuldenden „Mißbrauch. 

Ebeufo bekämpfte Paul Sarpi in den großen Streite zwifchen 
ver Republik Venedig und dem Bapfte die Immnnität der Kleriker 
mit principiellen Waffen. Jener Streit war entbrunnt, weil die Re 
publik zwei Geiftliche gefangen gefett hatte, den einen, auf dem bie 
Anklage zahlreicher Giftmorde laftete, ven andern, weil er die Staats⸗ 
fiegel erbrochen und einer Fran aus gutem Haufe in fcandalöfer Weife 
nachgeftellt hatte. Der Papft Paul V. wollte das nicht dulden, 
und ercommmnicirte alle, welche ſich an ben Geweihten Gottes ver- 
griffen oder dazu gehelfen hatten. In feinen Streitfchriften erwie⸗ 
verte Sarpi: «Will man einen einleuchtenden Beweis dafür haben, 
daß die Immunität ver Kleriker fein göttliches Necht fei? Wir ken⸗ 
nen bie Geſetze, welche fie der weltlichen Gerichtsbarfeit entrüden, es 
find das Privilegien, die, wie alle menfchlihen Gefege, nach und nad 
und je nach den Zeitverhältnijfen gegeben werben ſind. ber diefe 
Eremtionen find nur mit Beſchränkung, nicht unbedingt gegeben. Sie können 
gar nicht allgemein fein; denn der Geiftliche muß Staatsuntertban 
bleiben, oder die Obrigkeit hört auf Obrigkeit zu fein. &8 gibt keine 
Souveränität, feine gefellfchaftlihe Orpmung mehr, wie e8 im Staat 
eine zahlreiche und ınächtige Claſſe von Leuten gibt, die einen andern 
Sonverän haben. — Die kirchliche Gerichtsbarkeit bietet auch der Ges 
ſellſchaft keine Garantien. Kleriker werden, auch wenn fie die entfeß« 
lichjten Verbrechen begangen haben, von ihr nie mit tem Tode 'beitraft, 
jondern in ein Kloſter gefperrt, aus dem fie leicht entfpringen, und 
ihre Straflofigfeit wird zum Anreiz für nene Xerbrechen. Auch hat 
die Kirche immer nur ihr eigenes Intereſſe vor Augen. Die Ver: 
ihwörung gegen die Autorität eines Biſchofs gilt ihr als ein unend- 
lich fchwereres Verbrechen als der Mord eines Laienu. 

Die Cardinäle Bellarmin und Baronius, welde die Sache 
der Päpſte führten, beriefen fi mit größten Nachrrud auf Das gött- 





Kirchenfreiheit und Kirchenberrichaft in ber Geſchichte. 69 


lie Recht der Kirche: „In Wahrheit find bie Kleriker — die Hirten, 

die Laien, auch die Fürften — die Schafe, die Geiftlichfeit find vie 
Väter, vie Laien die Rinver. Das Schaf aber ift Unterthan ven Hir- 
ten, ver Vater nicht Unterthan dem Sohne. Wenn vie Gefee des 
Staates Benedig tiefem göttlichen Rechte widerftreiten, fo find dieſe 
Geſetze nichtig von Rechts wegen.» In der That der Papſt felbit er- 
Härte alle widerſprechenden Gefege der Republif für ungültig und 
caffirte diejelben Fraft-feiner geiftlichen Machtvollkommenheit. Aber ver 
Bapft und feine Garbinäle Hatten ſich in ver Zeit geirrt. Sie glaub: 
ten im XII. Jahrhundert zu fein und fie lebten im XVII. Die welt- 
liche Rechtsidee war mächtiger geworben und die Staaten fühlten ihre 
Hoheit. Venedig widerftand, und als ver Papſt das Interdict auf die 
Stadt legte, erklärte ver Doge Leonardo Donate das Interdiet für 
null und nichtig, weil e8 dic Souveränität der Republik verlege. 

Auch in den Frieden, der unter ber Vermittlung Frankreichs 
zwiſchen Venedig und dem heiligen Stuhl endlich zu Stande kam, 
wurde Das Stautsgefe nicht aufgegeben, das Firchliche Privilegium 
nicht anerkannt. Die Verweifung der “Yefuiten, welche für die An- 
ſprüche ver Kurie am eifrigiten gelämpft hatten, aus Venedig ward 
trog der Verwendung der franzöfifchen Diplomatie nicht zurüdigenom- 
men. Das einzige Zugeſtändniß, welches die Republik dem Bapite 
machte, war daß fie die beiden gefangenen Geijtlichen dem »fehr chrift- 
lihen Könige⸗ von Frankreich auslieferte, aber mit dem ausprüdlichen 
Borbehalt, daß fie dadurch ihrem Rechte, auch über Klerifer zu richten, 
nicht® vergeben wolle. In tem Jahre des Friedens noch wurden Mönche 
und Weltgeiftliche zu Venedig wegen Vergehen gefangen gefegt und 
von ben weltlichen Gerichten öffentlich beftraft. Die Kirche hatte ven 
Muth nicht mehr, den Principienftreit zu erneuern. Sie änderte ihre 
Doctrin noch nicht, aber fie gewöhnte ſich daran, ihre Doctrin für 
nicht mehr ausführbar zu halten. Auch in romanifch-kathelifchen Län⸗ 
dern war noch vor der franzöfifchen Revolution die entgegengejeßte 
Staatslehre herrſchend geworben. 

Waren im Mittelalter vie Geijtlichen von der weltlichen Gerichts⸗ 
pflicht befreit worben, fe machte diefe Befreiung hinwieder bie Ein- 
fegung kirchlicher Gerichte nothwendig, und gab es mit Rüdficht 
auf den Klerus kirchliche Gerichte, jo war bei der herrichenden Stellung, 


10 I. €. Bluntihft, 


ver Kirche tie Ausbreitung der kirchlichen Gerichtsbarkeit über 
die Laien nicht aufzuhalten. | 

Zwar hatte Ehriftus jedes irpifche Nichteramt ausprüdlicd von 
fih abgelehnt und fich nur das jenfeitige Weltgericht vorbehalten. Das 
Hinderte aber tie Kirche nicht, zur Begründung ihres Richteramtes 
nicht bloß auf die Mofaifch-jünifche Verfaffung, fondern auch auf bie 
Autorität des neuen Teſtamentes fich zu berufen. Leichter war es noch 
die neue Ynftitution von ber einmal angenommenen Uuterjcheidung bes 
Klerus und der Laien aus philofophifch zu rechtfertigen. Da alle Ge 
rechtigfeit von Gott ausgeht, fo find vie gottgeweihten Priefter fähiger 
biefelbe zu handhaben al& vie Gott ferner ftehenten Laien, und da bie 
geiftlichen Dinge auf das Ziel der Menſchen, die weltlichen nur auf 
die Wege zum Ziel Bezug Haben, fo zieht die Macht ver Kirche in 
geiftlichen Dingen als das Wefentliche vie Befugniß berfelben, über 
weltliche Dinge zu urtheilen, als das Untergeordnete uach ſich. So: 
gar das römische Necht, welches vor allen auch vie ausſchließliche Ge⸗ 
richtsbarfeit des Staates behauptet, mußte feine Zeugniſſe entitellen 
laffen, damit fie den kirchlichen Ansprüchen als Autorität dienen. Die 
weitefte Auspehnung erreichte das Princip der kirchlichen Gerichtsbar⸗ 
feit zur Zeit Junocenz TIL, der geradezu der Kirche dae Recht zu- 
fprach, über alle Sünden zu richten. Damit war die Firchliche 
Sompetenz über das geſammte Procekgebiet ausgebreitet, venn in jeder 
Nechtöverlegung war anch eine Sünde zu erkennen. 

Die Wirklichkeit entfprach freilich auch bier dem firchlichen Ideal 
nicht. Die weltlichen Gerichte unterwarfen fich doch nicht ver höheren 
Autorität der firchlichen Gerichte, und fuhren fort, ihre Gerichtsbar- 
feit in weltlichen Sachen ſelbſtſtändig und ausfchließlich zu handhaben. 
Aber in den geiftlichen Sachen wichen fie vor ter ausschließlichen Com⸗ 
petenz; der Kirche befcheiren zurück. Es gelang der Kirche doch, unter 
dem Titel der geiftlichen Suchen tie Streitigfeiten und Klagen über 
Berlöbniß und Ehe, über gefchlechtliche Beziehungen, über vie Recht- 
gläubigfeit und Steerei, über Vermächtniſſe, über den Wucher vor ihr 
Forum zu bringen und fie übte in Folge beffen eine unabwendbare 
Macht aus über alle Familien und alle Individuen. 

Proceffe fchlichten und richten paßte im Grunde doch nicht zu 
dem eigentlicyen Beruf des Klerus. Derfelbe erwies ſich baher zu jener 





Kirhenfreipeit und Kirchenherrſchaft in ber Geſchichte. 71 


Arbeit durchaus untauglid. Mochten auch während bes Mittelalters 
die Geiſtlichen um vieles gebildeter ſein als die Laien, ihre Gerichte 
waren doch nicht beſſer als die Laiengerichte, und bald auffallend jchlech- 
ter als dieſe. Ueber die Habfucht und Beftechlichfeit ver geiftlichen 
Richter wird allenthalben im Mittelalter heftig geklagt ; vie Gerichts- 
barkeit der Kirche wurde nad allen Richtungen ausgebeutet, um ven 
Parteien in den mannichfaltigften Formen Geld und Gaben abzupreffen, 
der Firchliche Proceßgang erleichterte mancherlei Ausflüchte und begün- 
fiigte die langwierige Berfchleppung; der enbliche Ausgang war völlig 
unficher. Der Vergleich der Firchlichen mit den Taiengerichten fiel ſchon 
ſehr früh zu Gunſten der letzteren aus: 


Mais l'on ne verra ja tant faire 
D’abus, d’exces, d’extorsions, 

Es layes juridictions 

Comme l'on fait aux cours d’Eglise. 


Vorzüglich aus eigennügigen Gründen erflärt fich die befondere Sorge, 
welche die Kirche ven Teftamenten wihmete. Die Concilien ſchrei— 
ben vor, daß ein Priefter zugezogen werten folle, wenn “Jemand eine 
legte Willensordnung machen wolle, angeblich im Intereſſe der Frei⸗ 
heit des Teſtators und feines Seelenheild, in Wahrheit, um ihn zu 
Bermädtniffen an die Kirche zu verleiten. Hatte ver Sterbenpe es 
verfänmt, folche Seelgeräthe zu machen, fo ergänzte die Kirche auch 
wehl diefen Mangel, indem fie ohne legten Willen einen Theil bes 
Rachlafjes "für Fromme Zwedes in Anſpruch nahm. Ein Concil fieht 
den Fall einer fo dürftigen Verlaffenfchaft voraus, daß die Wittwe und 
die Kinder des Verftorbenen auf das Almoſen angewiefen werben, wenn 
die Kirche die frommen Vermächtniffe beziehe, vie ihr gebühren. Dan 
ſollte denken, in ſolchem Falle verzichtete die Kirche auf das Gelb ver . 
Armen. Keineswegs, das Concil verorpnet für folche Fälle: "bie Kirche 
ſolle fi) mit dem Drittheil der Verlaffenfchaft begnügen, wenn Waifen 
da feien, und die Hälfte beziehen, wenn nur eine Wittwe vorhanden 
fei.” Darf man es tadeln, wenn ber berühmte Nechtögelehrte Peter 
von Cugnidres den Klerikern vorwirft, ihre Sorge für Wittwen 
und Waifen bedeute Verlangen nach dem Gute derfelben, und wenn 
der gelehrte Du Gange fie beſchuldigt, daß Hinter ber Sorge für 


12 . I. €. Bluntſchli, 


das Seelenheil ver Abgefterbenen die unerfättliche Gier nach dem hin⸗ 
terlaffenen Vermögen laure. 

Die Staatsauterität äußerte fi im Mittelalter vorzugs⸗ 
weife in Form der Gerichtsbarkeit. Ward die weltliche Gerichte 
barkeit von ber geiftlichen verträngt oder unterworfen, fo war bie 
hergebrachte Zweiheit von Kirche und Staat aufgehoben, und es gab 
nur noch tie Eine fouveräne Macht ter Kirche. Der Witerftand des 
Staates gegen bie Lebergriffe ter Kirche durfte daher nie aufhören, 
wenn nicht der Staat ſich felber aufgeben wollte. Am lebhafteſten 
wurde der Kampf in Frankreich geführt. Anfangs galt e8 vie Be 
ſchränkung der Tirchlichen Gerichtsbarkeit, fpäter ihre Befeitigung. 
Shen im XII. Jahrhundert ſah fih der fromme König Lud⸗ 
wig IX. genöthigt, eine beſchränkende Verordnung zu erlaffen, welche 
den Zorn Gregers IX. erregte; und die franzöfifchen Barone ver- 
bünteten fich, um tie Klerifer, welche fich der weltlichen Gerichtsbar⸗ 
feit völlig zu bemächtigen drohten, auf ihren göttlichen Beruf zurüd 
zu weifen. Selbſt die Drohung der Ercommunication hielt die Ba⸗ 
rone nicht ab, aber bie Verflechtung ihrer Familienintereſſen mit ven 
Kirchengütern, vie Rüdficht auf tie Verforgung der jüngeren Söhne 
mit Pfründen und Kloſterſitzen ſchwächte ihren Trotz und jchließlich 
löste fih das Bündniß wieder auf, ohne die Zuftände gründlich ges 
beffert zu haben. 

Viel gefährlichere Feinde der firchlichen Gerichtsbarkeit als bie 
Barone waren die Juriſten. Zwifchen ben Stlerifern und den Zu- 
riften beſtand ven jeher eine inftinftive Abneigung. Der Gegenſatz 
beruhte auf ihren Studien, auf ihrem Berufs- und Xebensziele, auf 
ber ganzen Geijtesart. Die einen gingen von der Bibel, tie andern 
von dem römijchen Gefegbuch aus; die einen fuchten die Kirche und ihr 
Haupt, ven Papjt, auch über die Yürften zu erheben, die anderen ar- 
beiteten für ben Staat und erkannten in dem Landesfürſten das ein- 
zige Staatsoberhaupt; die einen beriefen fi auf das göttliche Recht, 
bie andern auf das gefchriebene menfchliche Recht und die guten Lane 
besbräuche. Die Religion begeifterte die einen, bie teen des Rechté, 
des Staates, ber bürgerlichen Gefellfchaft tie andern. Wenn bie 
„Juriſten böfe Ehriften« gejcholten wurden, fo war in dem Vorwurf 
einige Wahrheit, obwohl e8 unter den Juriſten auch gute und auf 





Kirchenfreipeit unb Kirchenherrſchaft in ber Geſchichte. — 73 


nhtige Ghriften gab. Die Yurijten konuten aber mit ebenſo viel 
Erund erwietern: "Pfaffenrecht erbärmlich Recht» und „Pfaffenregi- 
went Vollsverderb⸗, wenn gleich es auch manche Kirchenfürften gab, 
ter teren Krummſtab es fich gut wohnen ließ. 

Schon im XI. Jahrhundert wenven fich die franzöfifchen Bi- 
ſhefe mit Klagen an den König über die Lezijten: „dieſe Vipern, wel⸗ 
he das Eingeweide der Kirche zerbeißen, dieſe aus dem Fleiſche ges 
bernen Läufe, welche an ihrer Mutter nagen. Durch alle Mittel 
ischen fie vie kirchliche Gerichtsbarkeit zu zerſtören. Die Vögte ver⸗ 
Nieten ven Laien, einen Laien vor den Official zu bringen und erfin- 
kn taufend Plagen gegen bie, welche e8 doch thun. Die weltlichen 
Kichter wiſſen aus allem Realklagen zu drehen; und wie in derjelben 
Sache ee zwei Urtheile gibt, eines des geijtlichen und ein anderes bes 
weltlichen Gerichte, jo fichern fie immer dem legtern den Vollzug ; jo 
wenig Ehrfurcht haben fie vor der Kirche, daß fie an die Ueberbringer 
ripftlicher Briefe Hand anlegen, fie mißhandeln und einferfern, ihnen 
ihre Briefe wegnehmen oder gar fie zwingen, viefelben aufzueljen. 
tie Bögte fpetten ter Excommunication und erwiedern diefelbe mit 
ter Sperre ter bifchöflifchen Einkünfte, ſogar die Zehnten belegen fie 
zit Beſchlag und ertnen Wachen in tie Wohnungen der Prälaten, 
je daß tiefe nirgends Ruhe finden: und wenn tie Beſchlagnahme auf- 
#beben wird, jo fordern fie uoch Gebühren für ihre Mißwirthſchaft.“ 

Im Fahre 1329 wurde eine Verſammlung der franzöfifchen Prä- 
ten veranftaltet, damit fie auf die Beſchwerde der Juriſten antwor- 
a. Der Advokat des Könige Beter von Eugnidrce zeichnete in 
itarfen Umriſſen die Mißbräuche und Ausfchreitungen ver geiftlichen 
Werichte, und ließ drohende Worte fallen. Er ſprach von Rechten, 
auf tie ver König nicht verzichten könne, weil fie zum Wefen des Kö— 
nigthums gehören. Die Prälaten hatten einen jehweren Stand. Doch 
bielten fie jeſt an ihrem Princip, daß ihre Gerichtsbarkeit göttliches 
Recht jei und daß fie ihrerjeits nicht darauf verzichten können. Die 
Verhandlung entigte ohne Entſcheid. Der König felbit war ſchwan— 
tene zwijchen ben beiden Autoritäten. Aber von Peter ven Eugniöres 
tatiren die franzöfiichen Zuriften das Verfahren „wegen Mißbrauch 
ter kirchlichen Gewalt“, in deſſen Ausbildung bie gerichtliche 
Therheheit des Staates über die Kirche ſich bewährte. 


74 3. €. Blunitſchli, 


‘ 


Es gab doch auch im Mittelalter innerhalb der Kirche fromme 
Diener, welche jeve Ausdehnung ver kirchlichen Gerichtsbarkeit auf 
Dinge von irvifchem Werth als ver Kirche unwürdig verwarfen. Der 
heilige Bernhard von Clairvaux und der Biſchof Heinrich von Gent 
Sprachen fich in dieſem Sinne aus; ver legtere äußerte fogar Zweifel, 
ob nicht das (vermeintliche) Geſchenk Conſtantins eher ein Gift ale 
eine Wohlthat für die Kirche fei. 

Der philojophifhe Mönch Roger Bacon, ber freilich über ſeine 
Zeitgenoffen hinaus fah, berauerte, daß in das kanoniſche Hecht fich 
die Juriſterei eingefchlichen habe, und meinte, das firchliche Recht folfte 
nur aus dem Evangelium gefchöpft werten. Ohne e8 zu wiffen, Bat 
er damit den Nechtebegriff felbjt ale einen untirchlichen bezeichnet, 
denn auf die Evangelien läßt fich wohl eine Morallehre aber keine 
Rechtslehre begründen. Es war nicht unfirchlich, daß die Verfolgung 
von Berbrechern vor den firchlichen Gerichten zur Straflofigfeit der⸗ 
felben führte, wenn fie reuig erjchienen und die Berföhnung der Kirche 
anriefen. Aber es war tas bie Berneinung des Strafrechte. Die 
Gerichtsbarkeit ift ihrem Wefen nach der Auspruc der nationalen 
Souveränität; fie erſtreckt ſich nothwendig auf alle Perfonen und auf 
alle Dinge, welche der menfchlichen Gemeinfchaft angehören, und fie 
bricht mit Gewalt jeden Widerſtand, vem fie begegnet. Das Tann bie 
Kirche nicht, denn fie bat dieſe äußerlich zwingende Gewalt nicht. Deß- 
halb mußte jie fih das Schwert des Staates dienſtbar machen. Aus 
biefem Grunde erhob fie tie Forderung, taß auf den Kirdenbann 
bie ftaatliche Acht folgen ſolle. Kaiſer Friedrich TI. hatte 
anch dieſes Begehren zugeftehen müſſen, aber an eine Durchführung 
dieſes Gefeges war doch auch nachher nicht zu venten. Die Mächti: 
gen fanden Mittel, dieſe Folge ber Ercommunifation zu behindern ; 
tie weltlichen Gerichte waren ihm nie günftig; und das Webermaak 
ter jchwerften Kirchenſtrafen, zu dem die kirchliche Gerichtsbarfeit ge- 
drängt warb, offenbarte nur die Ohnmacht derfelben. Man glaubte 
im Mittelalter an vie firchliche Gewalt, und man erfuhr doch auch 
damals, daß die geiftliche Gewalt einen logiſchen Widerſpruch in fich 
Schließe. Als die franzöfifchen Bifchöfe von Ludwig dem Heiligen 
verlangten, er folle feine Gerichte anmeifen, tie Acht über die Gebann- 
ten nach Jahr und Tag auszufprechen, beharrte ber König tarauf, 





Rirhenfreipeit und Kirchenherrſchaft in der Geſchichte. 77 


ee dürfe folches nur unter ber Boransfeßung gefchehen, daß die welt- 
iten Richter ſich von ver Strafbarfeit der Gebannten zuvor über: 
wagen. »Es wäre wider bie Vernunft, bemerkte er, wenn ich biejeni- 
gr zwingen wollte, ſich ver Kirchenbuße zu unterziehen, venen viel: 
leicht Die geiftlichen Richter Unrecht gethan haben, und es wäre Un- 
echt, wenn ich ihre Berufung auf ihr gutes Recht nicht anhören 
zelite«. 

Von ter Reform bes XVI. Jahrhunderts erhielt ver Kampf der 
tathelifib geblichenen Legijten gegen bie Kirchliche Gerichtsbarkeit einen 
neuen Jmpuls. Ihre Angriffe wurden fräftiger, ihre Erfolge waren 
zrößer. Allmäplich drängten fie viefelbe auf ein immer kleineres Ger 
Ket zurüd, bie zulegt ter volljährig gewordene Staat alle Gerichts- 
barkeit ale fein gutes Recht an fich 309. 

Eine Zeitlang wurde vie kirchliche Gerichtsbarkeit noch gebufbet, 
aber vie Juriſten gaben nicht zu, daß das göttliches Necht fei, das 
Edangelium wiſſe nichts von folcher Gerichtegewalt. Sie leiteten bie- 
idbe ber aus Fönigliher Zerleibung, und waren der Meinung, ver 
König Habe das Recht, viejelbe einzufchränfen oder ganz zu be- 
kitigen. Nur in „rein geiftlichen Sachen« fellte tie Kirche noch über 
Yaien richten türfen. Wenn irgend ein "realedu Element in dem 
Streit zu fingen war, fo behanpteten bie weltlichen Gerichte ihre 
aueſchließliche Competenz. Ein königliches Erift erklärte als geiftliche 
Sachen nur die Saframente, die religiöfen Gelübve, ven Gottesdienſt 
und tie Kirchendisciplin. Selbft die Streitigfeiten über tie Che 
wurten in ben meiften Fällen an vie Taiengerichte gebracht, und ebenfo 
tie Prozeſſe über tie Kirchenpfrünten. Die Beſchwerde wegen Miß- 
brauche. und tie Befikesfrage gaben ven weltlichen Gerichten ben 
Anlaß einzugreifen. Tie Bulle: In coena domini, weldye vie fird- 
liche &erichtebarfeit vertheitigte, wurbe in Frankreich nicht anerkannt. 
Tie Parlamente erkannten auf Eperre ter bijchöflichen Einkünfte, 
wenn ein Biſchof fie publicirte. Vergeblich erwirkten ultramentane 
Diſchöfe eine Fäpftlihe Bulle, welche alle die von Rechts wegen er- 
cemmunicirte, bie unter dem Vorwand ver Beſchwerde wegen Miß- 
brauchs tie firchliche Gerichtsbarkeit mit Hilfe ber weltlichen Gerichte 
zu entfräften fuchten. Auch dieſe Bulle wurte von den königlichen 
Gerichtshofen als „Mißbrauch. behandelt: und als ver eifrige Biſchof 


716 ’ 3. C. Bluntſchli, 


von Angers ſich um bie Decrete ver weltlichen Gerichte nicht küm⸗ 
merte, bewährte fich die Kraft des weltlichen Mittels dev Güterfperre 
auch an ihm. Der franzöfifche Klerus felbft Iernte das Staategefühl 
achten, deſſen Organ bie Gerichte waren: und die gallicanifche 
Kirche unterfchied ſich ebendadurch ven ver Fatholifchen Kirche in an« 
bern Ländern, daß fie ſich den jejuitifch-ultramentanen Docirinen nicht 
hingab, jondern mit dem Fortſchritte der ſtaatlichen Entwicklung im 
Frieden bleiben wollte Niemals erkannte fie die „Unfehlbarkeit ves 
Papftes« an, fie verwarf ben Sag vielinehr als unnatürlich, unchrift 
lich und unwahr. 

Die gallicanifche Kirche hielt an dem Sage feit: Sein Kanon 
und feine firchliche Verordnung erwirbt in Frankreich gefegliche Kraft, 
wenn fie nicht von der Staategewalt autorifirt find. Zu feiner Zeit 
beftritt mıan das Recht ter Kirche zur Ercommumication. Den- 
noch behaupteten die Juriſten fogar in diefen Dingen das Recht ver 
ftaatlihen Controle. "Die Ercommunication,« fagten fie, „kann ges 
mißbrancht werden, um tie Ehre eines Unterthans widerrechtlih ans 
zugreifen, und Unterbrüdung zu üben.“ Die Parlamente behielten 
jich vor, Klagen darüber an tie Hand zu nehmen, und die Ercom- 
munication im einzelnen Fall als mißbräuchlih zu kaſſiren. 

Die Legiften gingen weiter. Sie verfodhten ven Gruudſatz, daß 
bie Könige von Frankreich überhaupt nicht ercommunicirt wer 
ven können. Einzelne Pärfte wollten ven franzöfifchen Königen dieſes 
Privilegium verleihen. Die Zurifien waren damit nicht einverftanden. 
Sie behaupteten das Recht als ein nothwendiges, aus ter Natur des 
Staates folgenves, das fein Papjt entziehen, auf das fein König ver- 
zichten dürfe. Sie dehuten das Recht auf alle Beamten aus mit 
Bezug auf ihre Amtshandlungen, denn infofern jeien die Beamteu⸗ 
Organe des Königs, und wie dieſer unverleglicy und unerreichbar für 
die geiftlihe Strafe. In alter Zeit hatte Frankreich vie Noth des 
Interdicts erfahren. Junocenz III. hatte mit dieſem Mittel den 
König Philipp Auguft gezwungen, feine verftoßene Gemahlin wieder 
zu nehmen. Nun war auch diefe Waffe fraftlos geworden. Die 
Juriſten erklärten das ganze Inſtitut des Interdicts als „Mißbrauch.« 

Im Mittelalter war das Stautsgefühl unficher, das Staatsbe⸗ 
wußtjein unflar, die Stantseinheit durch das Lehensweſen gefpalten, 





Eirchenfrei helt und Kirchenherrſchaft in der Geſchichte. 77 


des Staates Organiſation bürftig und unbeholfen. In allen dieſen 
deziehungen beſaß die damalige Kirche günſtigere Bedingungen ihrer 
Hat. Wenn ſeit Gregor VII. ihre größten Päpſte ven Anſpruch 
ef Weltherrſchaft erhoben, fo konnte das auch vie zeitgenöffifchen 
Yaien nicht befremden. Wer ven Geift ver Wenfchen beberrfcht, ver 
befugt vie wirkſamſte Herrfchaft über die Menſchen: und die Kirche 
ifte damals eine allgemein verehrte und ftrenge Geiftesherrfchaft über 
die europäifchen Bölfer aus. Bor einer folchen idealen Hoheit mußte 
ke Hebeit des Staates in den Staub finfen. 

Die päpftliche Lehre von den Verhältniß der Kirche zum Staat 
trägt ganz tiefes Gepräge der Herrichaft dev Kirche auch Über den 
Staat. „Der Stuhl des heiligen Petrus bat die Macht zu binden 
mb zu Löfen in geiftigen Dingen; um wie viel mehr bat er vie 
Nacht auch über tie zeitlichen Dinge. Indem Gott dem Bapfte das 
Recht verliehen hat, zu binden und zu löfen im Himmel und auf ver 
Erre, hat er Niemanden ausgenommen von diefer Diachtwirkung; er 
het ihm ale Fürſtenthümer auf der Erde unterthan gemacht, wer hat 
a zum Fürſten über alle Zürften gefeßt.« Gregor VII., ver viefe 
Säge aufftellte, verfuchte e8 auch, dieſelben praftifch auszuführen, 
6 er feinen legitimen Oberherrn, ven Staifer Heinrich IV. entfegte. 
Gregor war fo fehr von den unvergleichlichen Vorzügen ver Kirche 
über Ten Staat erfüllt, daß er das weltliche Fürftenthum aus ven 
Einfläffen ter dämoniſchen Kräfte erklärte, und nur die Kirche ale 
Ne wahre Offenbarung res Gottesreiches betrachtete. 

Richt in diefer Weife, wie der mönchiſch erzogene Gregor VII. 
aber mit nicht acringerem Hochmuthe jah der juriftijch gebilvete In⸗ 
secenz III. auf die weltliche Gewalt herab: "Das Priejterthfum be- 
rabt auf göttlicher Einſetzung, das Königthum auf menfchlicher Noth 
mr Gewalt. Die Fürften haben Macht auf der Erbe, die Priefter 
haben Macht im Himmel und auf ver Erde. Die Könige beſitzen 
Gewalt über den Leib, die Priefter über Seele und Leib.“ Inno⸗ 
cenz III. liebt e8 die Kirche mit ver Sonne und den Staat mit dem 
Mend zu vergleichen: „Wie die Sonne am Tage leuchtet, jo werden 
vie Seelen ber Wenfchen von dem Papftthun geleitet, und wie ber 
Mend vie nächtlichen Wege erhellt, fo werben die Körper von dem' 
Rönigthum geführt. Der Kleinere Mond empfängt fein Licht von ber 


18 I. C. Bluntichli, 


größeren "Sonne. So empfängt vie fönigliche Gewalt ihren Glauz 
und ihre Würde von ver Autorität des Papſtes. Der König ber 
Könige hat den Bapft zu feinem Stellvertreter auf ver Erbe gemacht, 
und damit zum Einem Haupt der Kirche und der Staaten. Die 
ganze Welt fchuldet ihm Gehorſam. Er iſt nicht eines Menfchen, 
ſondern des wahrhaften Gottes Statthalter.“ 

Sp ftolze Kehren mußte von den Päpften feiner Zeit ein Fürſt 
wie Friedrich II. von Hohenftaufen vernehmen, und ver geiftweiche 
König und Kaiſer, deſſen politifches Bewußtjein in ver Schule ber 
Römer gebildet und durch die Traditionen feines Hauſes geftählt worden 
war, mußte fich Jahre lang mit heimlichen Vorbehalten in fcheinbarer 
Demuth venfelben beugen. Als er jpäter die Faiferliche Gewalt eben- 
fo wie die päpftlihe unmittelbar von Gott ableitete, und auch für 
jene Unabhängigkeit verlangte, als er fogar ſich darauf berief, daß 
die Macht des Staates älter jei als tie der Kirche, fo erwieberte 
ihm noch vell Entrüftung der Papſt Innocenz IV.: "Vor Jeſus 
Chriftus war die weltliche Herrichaft principiell eine Tyrannei ohne 
Regel und Map. Chriſtus Hat zugleich die königliche und bie Prier 4 
fterherrfchaft begründet: er hat dem heiligen Petrus das Reich ans 
vertraut im Himmel und auf der Erve. Gonjtantin hat feine Kaiſer⸗ 
Gewalt in die Hänte ver Kirche nierergelegt und fie von ihr in ges 
reinigter legitim gewordener Form zurüdempfangen.« 

Es fällt ven heutigen Menſchen jchwer, anzunehmen, daß fo ab» 
gefhmacte Fabeln fogar von denen nur wenig bezweifelt wurden, 
welche fie vortrugen, und won der Maſſe der Gläubigen unbevenklich 
für wahr gehalten wurben. Aber die Macht der Einbildung war ba» 
mals viel größer als die Macht ver Kritik. Tas hiftorijche Coſtume 
diente ebenjo wie die eftirne des Jirmaments dazu, um ba6 geliebte 
Ideal ver Tirchlich erregten Phantaſie aufzupugen. Jede hiſtoriſche 
Forſchung galt als gefährlich, jede Prüfung als ein Irrweg, ber zur 
Ketzerei verleite. Die firchlicde Theorie wurde zwar nie praktiſch, 
weil fie im Wirerfpruch war mit der Natur des Menſchenlebens und 
die realen Machtverhältuiiie ihr wiberftrebten. Aber fie wurde von 
der großen Mehrzahl der unterrichteten Leute damals für richtig und 
nawiderlegbar gehalten und heute noch herrſcht jie, nur wenig mobi» 
fleirt, in ven ultramontanen Schulen. 





Kirchenfrei heit unb Kirchenherrſchaft in ber Geſchichte. | 77 


des Staates Organiſation dürftig und unbeholfen. Sn allen biefen 
Beziehungen befaß die damalige Kirche günftigere Bebingungen ihrer 
Macht. Wenn feit Gregor VII. ihre größten Päpfte ven Anſpruch 
auf Weltherrſch aft erhoben, jo konnte das auch die zeitgenöffifchen 
Laien nicht befremden. Wer ven Geift der Menfchen beherrfcht, ver 
befist vie wirkſamſte Herrfchaft über die Menſchen: und bie Kirche 
übte damals eine allgemein verehrte und ſtrenge Geiftesherrfchaft über 
alle europäifchen Bölfer aus. Bor einer folchen idealen Hoheit mußte 
die Hoheit des Stuutes in den Staub finfen. 

Die päpftliche Lehre von dem Verhältniß ver Kirche zum Staat 
trägt ganz dieſes Gepräge der Herrichaft der Kirche auch Über den 
Staat. „Der Stuhl res heiligen Petrus hat tie Macht zu binden 
und zu löfen in geiftigen Dingen; um wie viel mehr Hat er die 
Macht auch über vie zeitlichen Dinge. Indem Gott dem Papfte das 
Recht verliehen hat, zu binden und zu löfen im Himmel und auf der 
Erte, hat er Niemanden ausgenommen von dieſer Machtwirkung; er 
bat ihm alie Fürftenthümer auf der Erde unterthan gemacht, er hat 
ihn zum Fürſten über alle Zürften geſetzt.“ Gregor VII., ver dieſe 
Sätze aufftellte, verfuchte es auch, viefelben praftifh auszuführen, 
als er feinen legitimen Oberherrn, den Kaiſer Heinrich IV. entfette. 
Gregor war fo fehr von den unvergleichlichen Vorzügen ver Kirche 
über ben Staat erfüllt, daß er das weltliche Fürftenthum aus ven 
Einflüffen der dämenifchen Kräfte erflärte, und nur die Kirche als 
die wahre Offenbarung bes Gottesreiches betrachtete. 

Nicht in diefer Weife, wie ver mönchifch erzogene Gregor VII. 
aber mit nicht geringeren Hochmuthe jah der juriftiich gebilvete In⸗ 
nocenz III. auf die weltliche Gewalt herab: „Das Priefterthfum be⸗ 
ruht auf göttliher Einfegung, das Königthum auf menfchlicher Noth 
und Gewalt. Die Yürften haben Macht auf der Erbe, die Priefter 
haben Macht im Himmel und auf ver Erde. Die Könige befigen 
Gewalt über den Leib, vie Priefter über Seele und Leib.» Inno⸗ 
cenz III. liebt e& die Kirche mit der Sonne und ven Staat mit dem 
Mond zu vergleichen: "Wie die Sonne am Tage leuchtet, fo werben. 
die Seelen der Menfchen von dem Papftthunt geleitet, und wie ver 
Mond die nächtlichen Wege erhellt, fo werten bie Körper von beim 
Rönigthum geführt. Der Heinere Mond empfängt fein Licht non ver 


n 


80 3. €. Bluntſchli, 


niedriger als die leßtere und ihr untergeortnet. Die weltliche Macht 
ift nicht gehindert, ihre eigene Wirkſamkeit zu bethätigen, aber wenn 
fie der geijtlihen Macht in ven Weg tritt, dann ift biefe berechtigt, 
fie mit allen Mitteln zu unterbrüden.« 


Man jieht, die indirecte Hoheit des Papftes über die welt 
lichen Dinge kommt praftifch mit ver dire cten Doppelgewalt deſſel⸗ 
ben, wie fie von Gregor VII, Innocenz III, Bonifaz VIII. behauptet 
wurde, auf daſſelbe Ziel hinaus, auf die vollftäntige Erniebrigung 
und Unterwerfung des Staates. Die klerikale Herrjihfucht bat eine 
beſcheidenere Formel bervorgebradht, um ihre Anmaßung bejjer zu 
verdedfen. Dennoch gefiel dem Papfte Eirtus V. vie Beſcheiden⸗ 
beit jener Formel fo wenig, vaß er trog aller Bitten und Beſchwe⸗ 
rungen der Sefuiten und vieler Garbinäle die Schrift Bellarmins auf 
den Inder der verbotenen Bücher fegen ließ. Er wollte auch nicht 
zum Scheine auf feinen Anfpruch verzichten: der König ber Könige⸗ 
zu fein. 


Indeſſen der Aenderung der Zeit konnte audy das unveränder- 
lihe Papſtthum fich nicht entziehen; und Bellarmins Lehre von ber 
irdifehen Gewalt ver Päpfte über die Könige wurbe bald nachher vom 
ver ultramentanen Partei allgemein recipirt. Es konnte dieſer nicht 
verborgen bleiben, daß tie offene directe Weltherrfchaft der Päpfte 
nirgends mehr Glauben finde und feine Ausſicht ınchr auf Verwirk⸗ 
lichung habe, daß jelbft vie inbirecte Hoheit zu vertheirigen die größte 
Anftrengung erfortern werve. Man muß es dem Jeſuitenorden nach⸗ 
fagen : er hat mit außergewöhnlichem Geſchick, mit zähefter Auédauer, 
und mit nie ermattendem Eifer fich bemüht, die Reftauration der mittelalter- 
lichen Papſtherrſchaft ven Fürſten, ſoweit Diefelbe irgend noch möglich fchien, 
annehmbar zu machen und ven Völkern aufzunöthigen. Ihre Bemü- 
bungen waren nicht ohne allen aber von feinen tauernden Erfolg. Es 
gelang ihnen im manchen Ländern, bie Fortſchritte des Geiſteslebens 
auf Jahrhunderte hin aufzuhalten, in ſchiefe Bahnen zu treiben, zu 
untertrüden. Aber es gelang ihnen nicht, das emporſtrebende Wach6« 
thbum ber Staatsimacht zu hemmen. Sogar ihre Erfolge wenbeten 
ſich meiften® wider fie. Ihre Fortfchritte reizten ben uralten Haß der 
Laienwelt gegen ben römifchen Klerus zur Wuth. Ihre Trinmphe ga- 





Kicchhenfreiheit und Bircpenberrfcaft in ber Geſchichte. 81 


ben den Anftoß zu Ausbrüchen ter Revolution, welche vie mühfamen 
Fflanzungen ver Herifalen Herrfchaft mit ihrem Schutt bebedte. 


Auf tem Goncilium von Trient wurde noch ein fühner BVer- 
ſuch gewagt, die Hoheit der Kirche über den Staat in neuer Form 
zur Anerlennung zu bringen. Der sivchenverfammlung wurde ber 
Entwurf einer „Fürſtenreform- (reformatio principum) vorgelegt, 
welche ‚tie alte Kirchenfreipeit erneuern follte. Darin wurde ven 
dürften zu Gemüthe geführt, daß "Gott ihnen das Schwert gegeben 
babe, damit fie die Kirche fügen und ihre Unterthanen zum Gehor— 
jam gegen die Kirche anhalten.u Sie werden an ihre Pflicht erinnert, 
„jelbft ven heiligen Gefegen der Päpjte und ver Concilien zu gehor- 
hen und die von Gott georbnete Immunität ver Geiftlichfeit zu meh— 
ren und ihre Beamten zu folder Achtung anzubalten. Niemand foll 
fih unterſtehen, Eirchliche Perfonen vorzuladen ober gegen fie vorzu— 
gehen, auch nicht aus dem Vorwand des öffentlichen Wohle und des 
Königlichen Dienfted, ohne vorher von tem Firchlichen Ordinariat er 
mächtigt worben zu fein.s Wer dagegen hantelt, wird mit der Er- 
communication bedroht. Das Kirchliche Recht wird insgeſammt der 
Verehrung der Fürften als „göttliche Borfehrift« empfohlen, und ihnen 
bas drohende Verbot entgegen gehalten: "Niemand, wie hoch feine 
Würde fei, auch nicht die Könige und die Haifer dürfen irgend welche 
Ordnungen, Vorfchriften over Gejege aus eigener Machtvollfommen- 
beit erlaffen, welche ſich auf vie kirchlichen Angelegenheiten, Streitig- 
feiten oder Perfonen beziehen, noch in ſolchen Dingen irgend welche 
eigenmächtige Maßregel verfügen. Sie dürfen fich nicht einmifchen in 
vie firchliche Gerichtsbarkeit und find vielmehr ſchuldig, deren Urtheile 
zu ehren und wo es nöthig wird, mit dem weltlichen Arm ber Kirche 
zu Hülfe zu kommen. 


Diefe Fürftenreform fand zwar großen Beifall bei den ehrwür- 
digen Bätern. Aber fie entfprah doch zu fehr ihren mittelalter 
fihen Idealen und zu wenig dem Geift des XVI. Jahrhunderts 
und den Anfichten ber weltlichen Mächte. Sogar ver fanatiſchſte der 
Könige Philipp II. von Spanien befchwerte fich lebhaft, daß durch 
den Entwurf die königliche Majeftät verlegt werde. Sein nicht minder 
orthoborer Oheim, ber deutſche König und römifche Kaifer Fexdivovv 

Hiſtoriſche Zeitſchrift V. Band. 6 


a) 


82 9. €. Blauthhli, 


fchrieb den heiligen Vätern, daß ihre Vorfchläge eine vollſtändige Zer 
ftörung der weltlichen Autorität zur Folge hätten und mit dem herge⸗ 
brachten Rechte unverträglich feien. Er drohte, wenn biefelben ange- 
nommen werben, jo würde dadurch ein furchtbarer Aufruhr ver Laien 
entzündet, und die Kirchen von dem Grimm ber Laien bis auf den 
Grund zerftört werben. 

Der König Karl IX. von Frankreich erklärte dem Concil ge 
radezu: „Er wolle feine Kronrechte unverfehrt erhalten, und geftatte 
nicht, daß bdiefelben in Zweifel gezogen werben; auch gebenfe er 
nicht, vor dem Concil darüber Rede zu ſtehen.« Sein Gefanbter, ber 
Juriſt Serrier, ergriff dieſen Anlaß mit Vergnügen, um ben geift- 
lihen Herren bittere Wahrheiten zu fügen: „Die Defrete über bie 
Fürftenreforin haben die Beraubung ter KHönigsmajeftät und ben Un- 
tergang ber gallicanifchen Slirchenfreiheit zum Ziele. Die fehr chrift- 
lichen Könige haben nach dem Vorbild Conftantind wiederholt Gefege 
über die Kirche erlaffen und dieſe Gefege find fogar in die Sammlung 
der fanonifchen Rechtsbücher aufgenommen worden. Sie find mit ben 
religiöfen Dogmen nicht im Widerſpruch, noch mit den Befchlüffen ver 
alten Concilien, und fie refpectiren die Freiheit der Bifchdfe, ihren 
geiftlihen Beruf zu üben; fie find fein Hinderniß für die Bifchäfe, 
fogar mehr als 8 bis 9 Monate, wie das Concil von Trient es for- 
bert, in ihrem Sprengel zu wohnen; fie türfen das ganze Jahr 
hindurch bei ihrer Heerde wohnen und biefer das Beifpiel eines from- 
men und fittenreinen Lehrers geben; nichts darin hindert fie jede eban⸗ 
gelifhe Tugend zu üben; fie dürfen bie kirchlichen Einkünfte ohne Ge⸗ 
fahr für die Armen verwenden, die wahren Eigenthümer der Kirchen⸗ 
güter. Aber wenn die Bifchöfe ihre Freiheit haben, jo Hat auch ver 
Staat feine Rechte. Er läßt die Befchwerde wegen Mißbräuchen zu, 
um bie Anmaßung bes Stlerus zu bejchränfen, und verweigert fein 
Placet den Bullen, welche feine Macht angreifen, er befteuert ben 
Klerus, wenn die öffentliche Wohlfahrt e8 verlangt. Die Könige von 
Frankreich werden nie auf dieſe Rechte verzichten, die ihnen von Gott 
verliehen find.« Am Schluß feiner Rebe fpricht der Geſandte ven 
frommen Vätern fein Erftaunen darüber aus, daß fie, zufammengelom- 
men, um bie Mißbräuche ver Kirche abzuftellen, nun auseinanber geben 
wollen, ohne etwas Ernſtliches dafür gethan zu haben, aber fogleich voll 





Kirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in ber Geſchichte. 83 


Eifer feien, die fürjtliche Gewalt zu reformiren, welcher fie nach ver 
heiligen Schrift „Gehorſam fehulven.« 

Troß ihres Unwillens über tiefe frechen und nach Ketzerei rie⸗ 
chenden Reben des franzöfifchen Gefandten mwagten die verſammelten 
Biter es doch nicht mehr, ven Entwurf der Fürſtenreform anzuneh- 
men. Sie begnügten fih, in vagen Ausdrücken und in weniger impe⸗ 
ratoriſchem Styl tie kirchliche Immunität für göttliches und kanoni— 
ſches Recht zu erklären und die Heiligkeit des Kirchenrechts der Ehr- 
furdht und dem Schuge ver Staategewalt zu empfehlen. Aber troß 
ber blafjen Färbung wurten tie Defrete des Concils doch von ben 
latholiſchen weltlichen Mächten nur theilweije oder nur mit Vorbehal- 
ten anerfannt und eingeführt. 

Es war bereitd eine Umwandlung ber Grundgedanken über das 
Berbältniß von Staat und Kirche theils eingetreten, theils im Anzug 
begriffen. Innerhalb ver Kirche waren fogenannte Härefien entftan- 
den, welche mit immer ftärferem Nachdruck ter Tirchlichen Hierarchie 
tie nationale Idee entgegen hielten. Schon hatten Arneld von Bres⸗ 
cia in Rom felbjit und Suponarola in Ylorenz, die Engländer 
Decam in Paris und Wykliff in Orford, Maſſil von Padua in 
Stalien und Deutfchland, Johann Huf in Prag die fchärfiten Un- 
griffe anf die Meltliche Herrfchaft ver Kirche gewagt. Als durch Mar⸗ 
tin Zuther und Ulrich Zwingli in Deutichland und in ber 
Schweiz, durch Joh. Calvin in Wefteuropa die proteftantifche Kir: 
chenreforin des XVI. Yahrhunderts ins Dafein gerufen ward, hatte, 
den Reformatoren nur wenig bewußt, die national-politifche Be— 
weguug fihon einen großen Antheil daran. Die Reformatoren gaben 
zwar bie Idee der Kirche, als einer Gemeinſchaft der Gläubigen, nicht 
auf, fie betrachteten dieſelbe noch als eine göttliche Inſtitution; aber 
fie orbneten die äußere Erfcheinung der Kirche willig tem Staate 
unter und erkannten auch in dem Staate eine inwohnende fittliche 
Natur und Beitimmung. Sie fehrieben alle zwingende Macht und 
daher alle Geſetzgebung, Regierung, Gerichtsbarkeit ausfchließlich dem 
Staate zu. Der proteftantifche Staat war noch nicht völlig von 
der theologifchen Doctrin, aber er war ganz von ber Herrichaft ber 
Kirche emancipirt; dem Wefen nach war er ein erjter noch unklarer 
Verſuch des modernen Staats, der fich endlih auch von ber 

* 


84 I. € Bluntſchli, 


Befchränfung der Eonfefjion und von ber Autorität der Theologie be 
freit hat. 

Die mittelalterlich-tatholifche Fdee der herrſchenden Kirche ift 
für immer untergegangen. Wenn auch im XIX. Jahrhundert die 
ultramontane Doctrin fie von neuem zu veftauriren verfucht, fo wird 
das zeitwirrige Streben ber Kirche ſelbſt verderblich, deren Obmacht 
über den Staat e8 vergeblich wiererherftellen will. Die politifche Vor⸗ 
wärtsbewegung, welche der Eirchlichen Reaction jedesmal folgt, erweift 
ſich auch jedesmal ftärfer und nachhaltiger als dieſe. Die civilifirte 
Welt ift nunmehr einig darüber, daß ver Klerus weder geiftig noch 
moraliſch höher ftehe als vie Laien, einig darüber, daß alle Rechtshohelt 
in Geſetzgebung und in Gerichtebarfeit urſprünglich und ausfchließlic dem 
Stuate gebühre, einig tarüber, daß tie Geiftlichkeit ven Staatsgefegen 
und Staatsgerichten in gleicher Weife unterthan fei, wie alle anderen 
Claſſen ver Bevölkerung. Wenn heute noch Ausnahmen gemacht wer⸗ 
den, wie z. B. in der Befreiung der Geiftlichen von ver Militärpflicht 
oder in ver confeſſionellen Behandlung des Eherechts, fo beftehen auch 
diefe Ausnahmen nur, weil fie von ver Staatsautorität ale 
wohlbegrünret angefehen und anerfaunt, und nicht weil fie von dem 
fanonifchen Recht gefordert und befohlen werben. 

Aber wenn die heutige Welt über diefe Folgerungen des moder⸗ 
nen Staatsrechts einig ift, fo iſt fie noch nicht ebenfo Har über vie 
Begrüntung berfelben und nicht eben fo ſicher in der Vegränzung ber 
ftaatlichen Hoheit. 

Beharrt man mit den gallicanifchen Theologen und Juriften anf 
dem Princip, die Kirche als ein geiftiges und den Staat ale ein leib- 
liches Reich zu betrachten, fo bleibt es unerflärlich, wie der Staat ale 
der Leib der Kirche ala dem Geift übergeorpnet fein fol. Die Lehre 
der Jeſuiten, welche umgekehrt Die geiftige Hoheit der Kirche über vie 
leibliche Gewalt des Staates fegt, erjcheint dann als logifch allein 
richtig. Die Theorie der erſtern iſt alſo logiſch inconfequent, aber 
praltiſch ausführbar, vie ver legtern logifch confequent aber praßtifch 
untauglih. Ganz ähnlich verhält es ſich mit den proteftantifchen Leh— 
ren. Sie erkannten die Unterfcheivung von Staat und Kirche ale 
zweier Neiche an, aber fie vertrauten dem Staatöhaupte zugleich die 
Bunctionen des Kirchenregiments an, und erflärten das Etaatshaupt 





Eirchenfreiheit und Kirchenherrſchaft in ber Geſchichte. 85 


bamit zugleich als Kirchenhaupt, womit ein monftröfer Organismus 
— zwei Weſen mit Eine Kopf — gefchaffen war. Sie brachen nicht 
wlig mit ter fathelifchen Ueberlieferung, fie verglichen doch auch bie 
Kirche tem Geiſt, und ten Staat dem Leib und wurden ebenfo Togifch 
inconfequent, wie die Gallicaner, indem fie die Macht ver Realität 
praftifch anerfannten und troß jener Anſchauung dem Staat auch bie. 
Hebeit über die Kirche einräumten. 

Wenn eine Theorie völlig unausführbar ift, dann ift das ein 
ſicheres Zeichen, daß biefe Theorie nichts taugt; wenn vie Macht der 
Realität und bie welthiftorifche Logik der Thatfachen der herföinmlichen 
Lehre Danerndb und von Grund aus widerfprechen, dann ift e8 Zeit, 
bes nene PBrincip aufzufuchen, welches bie Erfcheinung auch Logifch 
allärt. Die alte Borftellung der beiten Gewalten, ber geifti« 
gen umb der leiblichen, kann nicht richtig fein, weil fie von ber 
Beltgefchichte thatfächlich überwunden ift. Die Kirche kann nicht das 
geiftige Heich fein im Gegenfag zum Staat, als vem leibli⸗ 
den; venn es ift unläugbar, daß in dem Staate mehr geiftige Kräfte 
virkſam find als in ter Kirche, und daß das politifche Selbſtbewußt⸗ 
kin tes Staated mehr männliche Energie und höhere Geiftesfreiheit 
bewahrt als das religiöje Gefühl ver Kirche. 

Indem Laurent jene Widerſprüche zwifchen Theorie und Praxis 
ent zwiſchen alter Kirchenautorität und neuem Staatsrecht hervor- 
hebt, ift er, wenn ich ihn recht verftehe, geneigt, die Löſung tarin zu 
finten, daß er den Begriff der Kirche felbit als einer felbit« 
ſtaäͤndigen Geiſtesmacht verwirft und in vem Einen Staate auf: 
(äft. Wie der antite Staat das Gefammtleben des Volkes nach allen 
Seiten darſtellt und beherrſcht, fo verlangt er von dem moternen 
Etsate, daß feine Macht fich über alle gemeinfamen Beziehungen 
gleichmäßig ausbreite. Die Religion erfcheint ihm als eine fehr wiche 
tige und einflußreiche Seite des Dienfchenlebens, aber nicht andere 
ao vie Wiffenfchaft oder bie Kunjt oder die Wirtbichaft. Dem Staate 
überweift er baber bie Yeitung ber religiöfen und der moralifchen In⸗ 
terefien wie aller andern Nationalintereffen. 

Freilich verneint er die Macht der Kirche nicht in der Meinung, 
sm nun bie Gtaatögewalt für abfolut zu erklären. Er will nur 
Gin Rei mit Einer Souveränetät, keine Spaltung in zwei 


86 3. €. Bluntſchũ. 


Reiche; aber auch dieſe Eine Sonveränetät barf nach feines Ueber- 
zeugung nicht mehr eine fchrantenloje fein. Der Sonveränetät ber 
Gemeinfchaft ftellt er tie Souveränetät ver Individuen, ober beffer 
ausgebrüdt, die individuellen Menfchenrechte gegenüber, und 
das Staatsrecht wird fo durch das Privatrecht befchräntt. Er will 
nicht, daß ver Staat tie Erbfchaft ver Kirchenantorität in Glaubens⸗ 
fachen antrete und fortfege, aber er belämpft auch tie Meinung berer, 
welche die Yrreligiofität für eine wefentliche Eigenfchaft des Staates 
balten und einen atheiftifchen Staat verlangen. Er weiß wohl, daß 
die Unterſcheidung von Staat und Kirche nicht bloß eine ultramen« 
tane Lehre ift, fonvern auf dem ganzen Wefen und auf ber Gefchichte 
des Chriftentgums beruht. Aber er will licher ber chriftlichen Au—⸗ 
torität wiberfprechen als eine Wahrheit verläugnen, von ber er fich 
durch ernfte wilfenfchaftliche Prüfung überzeugt hält. 

Obwohl ich das Recht der Wilfenfchaft, ten Ausſpruch auch ber höch⸗ 
ften religiöfen Autorität zu prüfen und nöthigenfalls vemfelben zu 
widerfprechen, vollftäntig anerfenne und für den Freimuth bes mit 
Recht hochgenchteten belgiſchen Gelehrten Tebhafte Sympathie em- 
pfinde, und obwohl ich in fehr vielen und wefentlihen Dingen feine 
Anfichten theile, fo Tann ich Loch in biefer Auflöfung ver Kirche im 
Staat werer eine Erklärung ter welthiftorifchen Entwidlung noch vie 
leitende Idee der Zukunft erkennen. 

Die Unterfheibung von Staat und Kirche ift allen 
dings erft mit dem Chriftentyum und durch das Chriftentbum in bie 
Welt gelommen; weber bie orientalifche Theofratie noch ber enropäifch- 
antife Volksſtaat kannten fie und auch der fpätere Islam begriff fie 
nicht. Aber die Anfänge und Keime der Unterfcheibung find in ven 
uralten Gegenfägen des Prieftertfums und des Königthums wohl zu 
entveden. Indem Chriftus fchärfer als alle vor ihm und faft alle 
nach ihm vie Religion und die Politit, das göttliche Reich und das 
menschliche Reich unterfchied und den Anftoß gab zur Bildung einer 
Kirche, im Gegenfaß zum Staat, vollzog er meines Grachtens eine 
That nicht blos von vorübergehender, fonvern von bleibender Bedeu⸗ 
tung für die Weltgefchichte. Er brachte einen urfpränglichen Gegen- 
fa aus ter Tiefe ber menjchlichen Natur an das Licht der Erfchei- 
nung und lehrte die Menfchheit, ihr gemeinfames Leben je nach den 


Kirchenfreigeit und Kirchenherrichaft in ber Geſchichte. 87 


keiten Srunbprincipien in zwei verfchievenen Geftaltungen ausprägen. 
Die Zweiheit der Kirche und des Staats ging von da an nicht mehr 
verloren. Sie ward ver Haupthebel, weicher das Schickſal der europäifchen 
Lätter bewegte und ihre Entwidlung förberte. Auch in unferm Jahr⸗ 
hauberte iſt jeber große Fortſchritt durch dieſe Zweiheit betingt, welche 
endlich über das Gebiet des Chriſtenthums hinaus auch in die Reiche 
ver Muhammedaner einbringt. 

Die große Frage ift daher nicht, Zweiheit ober Einheit? fon« 
bern: von welcher Art ift die nothwendige Zweiheit? In welchem 
Berhältniß ftehen die beiten Geſammtweſen Staat und Kirche zu ein» 
ender? Die Auflöfung der Kirche ift heute und morgen ebeufo un« 
befriedigend, als im Mittelalter ver Verſuch war, ven Staat ber 
Kirche einzuverleiben. Die Sonderung, nit die Mifchung ber 
keiten Gebiete ift das Streben unfers Jahrhunderts. 

As Tas Mittelalter fi die Menfchheit ale Eine Perfon 
vachte, beſtehend aus ber Kirche und dem Stuate, wie der Menfch aus 
Geiſt und Körper befteht, jo mußte tiefer Gedanke eine logische Ver- 
wirrung erzeugen. Im einzelnen Menſchen nemlich ftehen fich Geift 
und Körper nicht ale zwei Wefen, fondern nur als zwei zufammen 
gehörige Eeiten Eines Weſens gegenüber. Kirche und Staat aber 
waren trotz jener Theorie zwei Weſen, deren jedes einen ihm eigenen 
Körper, feine Verfaffung hatte und ven einem ihm eigenen Willen 
bewegt ward. Man konnte tie geijtige Seite des Staates gelegent- 
lich läugnen, aber fie wirkte in ver Praxis fort, und man konnte bie 
leibliſche Seite ver Kirche überfehen, ihr Schwergewicht wurde trotzdem 
ventlich empfunden. Die Einzelnperfon bedarf, um als Ein Wefen 
m leben, ver Einheit des Willens und des Gedaukens. Suchte man 
viefe Einheit in ber Kirche, fo wurde ber Staat zum Diener ber 
Kirche; fuchte man fie in dem Staate, fo wurde die Kirche zur Die- 
serin des Staates. Aber ver Staat konnte der Kirche nicht auf die Dauer 
dienen, weil bie Selbſtſtändigkeit des Nationalbewußtfeins dieſe Knecht— 
ſchaft verwarf; und die Kirche kann nicht vie bloße Magd des Staa- 
tes fein, weil fie nicht von der Staatsautorität, jondern von der Au⸗ 
terität Gottes ihre Miffion ableiten muß. 

Die Macht der Realität nöthigt alfo ven Staat und die Kirche 
6 zwei Berfonen zu begreifen, deren jede Geiſt und Körper 


88 3. €. Bluntſchli. 


bat. Erſt wenn das gefchieht, verliert die Vergleichung der Kirche 
mit dein Geift und des Staates mit dem Körper alle Bedeutung und 
ift die Meinung des Mittelalters, welche in den Öeiftlichen die Män- 
ner des Geiftes, in den Laien die Männer des Fleiſches erkannte, des 
finitiv überwunden. Wie die beiven Gemeinjchaften in zwei Drganiss 
men, die eine in ber Staatsverfajlung, die andere in ber Ktirchenver- 
faffung körperlich erfcheinen und jede von beiden von einem ande— 
ven Geiſte erfüllt und bewegt wird, der Staat von dem menjchlich 
bewußten Geifte ver Humanität und der Nationalität, die Kirche von 
dem religiöfen Glauben an vie göttliche Offenbarung und von ber 
Hingebung an ven göttlichen Willen: fo gibt und biefe vollere Auf- 
faffung ver zwei Perfonen auch einen befrierigenden Aufjchluß über 
ihr wechfelfeitiges Verhältnig. Cine jede derfelben ift felbftftändig in 
fih, und doch auf Ergänzung durch die andere angewiefen; eine jebe 
umfaßt von ihrer Seite her das gefammte nienfchliche Dafein, und 
doch kommt tasfelbe nur in ter Verbindung beider zu volljtändiger 
Erſcheinung. Vergleichen wir viejelben mit den Erfcheinungen ver or» 
ganifchen Natur, fo ift es nicht das Verhältniß von Geift und Kör— 
per in Einem Menfchen, welches vie nächfte Achnlichleit bietet, ſon⸗ 
bern das Verhältniß ber beiten Gejchledhter, vie in dem ehelichen Bunte 
ihre engſte Vereinigung finten. In ber Durchführung aber biefes 
Bildes weift nicht bloß die moterne Eutwidlung, fondern die Spradye 
und fomit die Anfchauung aller europäifchen Völker, dem Staate 
bie männliche, zer Kirche die weibliche Seite zu, und fpricht 
bamit zugleich die üußere Uebererpnung des Staates über 
die Kirche und tie Innere Cbenbürtigfeit ber beiden Gefammt- 
perfonen aus. 





II 


Katharina U. uud ihre Denkwürdigleiten. *) 


ſtatharinen's Denkwürbigkeiten, die jeßt vor zwei Jahren erfchie- 
nen find, haben mit Recht großes Auffehen erregt. Man batte lange 
vorher dann und wann munfeln gehört, daß vergleichen vorban- 
ten wäre; aber niemand konnte etwas Näheres angeben; over wer 
es Tonnte, ſchwieg wohlweislih. Dem Flüchtling, der ven den Ufern 
der Themſe aus fein Vaterland mit fliegenden Blättern, Zeitjchriften 
und Büchern überfchwemmt, vie ihren Weg, wie ınan weiß, bis in bie 
höchften Regionen finden, dem betriebfamen Wanne, ver fchon fo vies 
les Berjtedte aus Rußland zu Tage geförvert, verdankt auch jene 
merkwürdige Schrift ihren Eintritt in die Deffentlichkeit. 

Kaifer Baul fand diefelben, wie A. Herzen erzählt, unmittelbar 
nad dem Tod der Kaiferin unter den geheimen Papieren, die er ver- 
fiegeln ließ. Das Manufeript lag in verfiegeltem Umfchlag , deſſen 


') Memoires de l’Imperatrice Catherine II., Scrites par-elle-m&öme, et pre- 
cödes d’une pröface par A. Herzen. Londres 1859. 


90 Katharina 11. 


Auffchrift an ihn, ven Thronfelger, gerichtet war. Paul hielt das 
Werk feiner Mutter ſehr geheim und hatte, wie beffen Inhalt be⸗ 
weit, alle Urfache dazu. Was für Urfuche aber Hatte Katharina ge 
habt, ihre Denfwürtigfeiten aufzufegen? 

Wir wiffen, dag auch Cäſar Denkwürdigkeiten gefchrieben hat, 
nicht etwa, fih in Mußeftunvden angenehm zu befchäftigen. Denn 
Mußeftunven kannte er am wenigiten, al® er vie Commentarien über 
bie gallifchen Kriege unmittelbar nach deren Beentigung fchrieb. Ihm 
kam es vielnichr,, als er den Kampf mit ber Gegenpartei übernahm, 
vorzugsweiſe darauf an, die römische Welt mit feinen großen Berbien- 
ften um ven Staat und mit den Heldenthaten befannt zu machen, bie 
ihm das Vaterland eben auf Betrieb von Niedern und Feinden fchlecht 
zu vergelten brohte. ‘Dagegen fellte vie folgende Schrift, die er über 
den Bürgerfrieg verfaßte, ihm mithelfen am großen Werk ter Ber: 
föhnung entgegengefegter Parteien, das er fich zum Ziel gefett hatte. 
Wie der große Friedrich oft das Schwerbt mit der eher vertaufchte, 
und wo das eine nicht ausreichte, die andere in Bewegung fegte, wieer 
fie als Abwehr und als Angriffewaffe zu benußen wußte, ift ung befannt. - 

Nicht minder verftand es Katharina, die Fever zu ihren Zweden 
zu banchaben, fei es, daß fie vertrauliche Zeilen an Freunde, ober 
geiftreiche Briefe an Voltaire und die Enchelopätiften fehrieb, bie ihr 
Lob auspoſaunen follten, oder daß fie Heine Stüde für ihre Hofbühne 
binwarf, ober auch, daß fie eine Staatejchrift abfaßte, wie cffenbar 
jene Denfwürbigfeiten find. 

Beim Erfcheinen derfelben wollte man vielfach ihre Aechtheit an⸗ 
zweifeln; aber ber Zweifel verſtummte gar bald, als man fie näher 
anſah. Ta ftellte fich gleich, was die Sprache betrifft, das Molierifche 
Franzöſiſche heraus, das Katharinen’s Briefen jo fchön anfteht; es fiel 
bie Anmuth, Friſche und Lebhaftigkeit der Darftellung auf, welche nach 
ben Urtheil der Zeitgenoffen ihrer mündlichen Unterhaltung einen fo 
eigenthümlichen Reiz verlieh; man fühlte ſich mitten in bie Zuftänte 
verfeßt, die fie dem Lefer vorführen wollte. Den möchte ich fennen, 
ber in einer abfonderfihen Sprache, die fo ganz Katharinens Charak⸗ 
ter an fich trägt, das Leben, durch welches die merfwürbige Fürftin 
ſich durchwinden mußte, in großen Zügen und mit feinen Strichen fo 
zu ſchildern vermocht hätte, daß man ihm bie Wahrheit fegleich anfähe. 


umb ihre Dentwärbigleiten. 91 


Daß Katharina ihre Denfwürbigfeiten nicht fo ohne weiteres 
bingeworfen, oder zum Zeitvertreibe gefchrieben habe, bezeugt ſchon 
ire Einleitung dazu. Das Glüd, fo beginnt fie, fei nicht fo blind 
als man ſich's vorftelle. Es fei oft ein Erfolg richtiger und genau 
beftinnmter Maßregeln, die vom großen Haufen nicht bemerkt, dem 
Creigniffe vorausgingen. Es fei noch insbefonvere ein Erfelg von 
Gigeufchaften, Charakter und perfönlichem Benehmen. Zwei ſchlagende 
Beifpiele davon feien fie felbft und ihr Gemahl.⸗ 

Allerrings folgt nun eine fehr lebendige Echilverung von Beider 
rerfönlichen Eigenfchaften, Charakter und Benehmen, bie, wenn fie 
rei Jahre weiter geführt werden wäre, Peter's III. Verſchuldung 
an feinem eigenem Unglüd, und das verbiente Glück feiner Gemahlin 
von felbit als Nutzanwendung ergeben hätte. Leider bricht fie indeß 
mm tie Witte tes Jahres 1759 plößlich ab. Es verlautet noch von 
serftrenten Rotizen, bie vorhanden gewejen wären. Kaiſer Baul warf 
ke jeroch, wie einige behaupteten, ins Feuer. Das wäre num freilich 
ſchwer zu begreifen, da jene Notizen kaum irgend etwas für Raul 
Schlimmeres ausgefagt haben möchten, als das Manuſcript bereite 
enthielt. Warum aljo das Manufceript aufbewahrt, dagegen alles 
Aubre verbrannt? Tod gewöhnte ber junge Kaiſer gar fchnell tie 
Belt, ſich über nichts zu wundern, was er that. 

Dem fei, wie ihm wolle, das Manuſcript war, wie ber Umfchlag 
kefagte, ven der Mutter an ven Schn gerichtet, dieſer jedoch nicht 
augerevet. Vielmehr hält fich die Schrift ganz objectiv, ald wäre von 
ige das große Publikum gemeint, das auch fogar mehrmals angeben- 
tt wire.') Aber wer, der irgend Katharinens Eigenthümlichkeiten 
tennt, möchte glauben, daß fie vor ver Welt fich in ihrer ganzen Blöße 
hätte aufdecken wollen? Sie erlaubte fih, das willen wir, zumal als 
mächtige Raiferin Alles, was ihr gefiel, oder wonach ihr gelüftete; aber 
feinem Dienfchen lag e8 mehr am Herzen als ihr, die Dehors, wie bie 
rernehme Belt e6 nennt, zu wahren. Daher bauptjächlich ftammte 
tie Duplicität, in ber fie beinahe durchweg erfcheint. Sie war von 
greßen Gebanten, von ftarfen Gefühlen erfüllt, und hatte faft immer 
ven Muth, beiden den Ausdruck zu geben, nicht etwa burch Worte, 


N) Bel befondere Memoires etc. p. 271. 


92 Katharina II. 


fondern durch die That. Dabei konnte ſie's aber kaum je fich verfa- 
gen, dem Schein zu buldigen, ven fie gern vor der Welt retten mochte, 
denn fie war ein vollftändiges Weib. Gerade was fie den brutalen 
Männergeftalten gegenüber, mit denen fie fi) umgab, fo gewaltig und 
ſtark machte, Tieß fie hinwieder nicht felten unentlich ſchwach erſchei⸗ 
nen. Nur wußte fie immer, was fie wellte. 

Was wollte fie alfe, oder welche Abfichten begte fie bei Abfaffung 
biefes Werkes? Denn jo können wir füglich, wenn fie auh Fragment 
geblieben find, ihre Denkwürbigfeiten nennen. Wäre die Zeit, warn 
fie diefelbe abfaßte, uns bekannt, fo fiele e8 wahrfcheinlich nicht ſchwer, 
aus bein, was damals mit ihr und um fie vorging, auf bie Haupt 
abficht zu fchließen, welche fie dabei verfolgte. Doch beipricht fie weder 
bie eine, noch bie andere. Nur beiläufig kommt die Erwähnung eini⸗ 
ger Momente vor, aus denen wir die Zeit der Abfafjung ungefähr 
zu errathen im Stante find. Die Kaiſerin erzählt‘) aus dem Some 
mer 1749 ein anmuthiges Gefchichtchen, über das fie etwa zwanzig 
Jahre fpäter mit dem Gegenftanv verjelben, tem Hetman Rafumowelt, 
fih unterhalten habe. Nachher befpricht fie den öfterreichifchen Geſand⸗ 
ten Grafen Bernis, und erwähnt ihres Geſprächs über benfelben im 
Fahre 1780, als fie in Mohilev ihre erfte Zufammenkunft mit Kaiſer 
Joſeph II. Hatte.?) Hienach konnte die Schrift nicht vor der zweiten 
Zuſammenkunft gefchrieben fein; diefe fand befanntlih Bald darauf in 
St. Petersburg ftatt. Damals jtand Graf Rumänzow im vollen Glanz 
feines Ruhmes; und wenn bie Ktaiferin gleichzeitig etwas wegwerfend 
von ihrem bekannten Feldherrn fpricht, fo fegt fie mit Recht Hinzu ): 
„troß feiner jetigen Berühmtheit und feiner Siege.“ 

Alles wohlerwogen, dürfte in diefelbe Zeit, d. 5. in ben Anfang 
der achtziger Fahre, die Abfajfung der fraglichen Schrift fallen. Für 
Katharina waren dieß gewitterfchwangere “Jahre, in denen fie, unges 
achtet ihrer leivenfchaftlichen Hingebung an vie Günftlinge, beinahe 
mehr als je vie Springfedern ihres reichen und thatkräftigen Geiſtes 
fpielen ließ. Sie zerriß das Gewebe, mit dem fie achtzehn Jahre Lang 





1) Mömoires p 112. 
') M&moires p. 136. 
3) Ebendaſ. p. 298. 





unb ihre Denkwärbigfeiten. 98 


bes großen Friedrich's ſchlauer Geift und einfchmeichelnde Perſon um⸗ 
Iponnen Hatte, fie fchloß zugleich einen geheimen Bund mit Defterreich, 
dem fie ihren ältejten Buntesgenojjen und den treuften Vertreter ihrer 
auswärtigen Bolitif opferte. Zu Panin's Sturz benugte fie nicht 
minder ven Haß Potemfin’s, ale die Ränke und Umtriebe des gewal- 
tigiten Unterhändlers, welchen ihr England je gefhicdt hatte, des Sir 
James Harris, den zum Trotz fie gleichzeitig die bewaffnete Neutrafi- 
tät ver kleineren Seemächte durchſetzte. Dem alten Miniſter ven 
Boden zu entziehen, auf vem er ihr entgegen noch ferner Ränke fpin- 
nen Könnte, fowie dem öjterreichifchen Bündniß eine feftere Grundlage 
zu geben, befchloß ſie den Thronfolger auf Reifen ind Ausland, zu⸗ 
nächſt nach Wien zu fchiden. Nur follte Paul's argwöhnijches Gemüth 
wie von felbjt auf ven Wunfch zu reifen fommen, ohne zu merken, 
wozu er gebraucht werde. 

Ihr Plan gelang, aber der fchlaue Panin vurchfchaute bald vie 
Abfichten der Staiferin und hettte gegen fie ven Örokfürjten und veffen 
Gemahlin auf, die er beide als feine einzigen Stüßen um jeden Preis 
zurückzuhalten ſuchte. Ränke aller Art wurden in Bewegung gefekt; 
man ſprach von Paul's Enterbung; noch jchlimmere VBerdächtigungen 
gingen von Panin aus, Ter ganze Hof gerieth aus einer Aufregung 
in die andere. Diefe theilte fich fogar tem Volke mit, das bei ber 
enplichen Abreife des Scheivenden laut feine begeifterte Theilnahme 
bewied. Darüber fhwoll Katharina’ Herz vor Aerger und Unmut, 
welchen das Benehmen ihres Sohnes im Ausland zu befchwichtigen 
nicht geeignet war. Er trat ihren Plänen und Abfichten oft fchnurs 
itrads in ven Weg. Die Intriguen fpielten beftändig zwifchen ihm 
und St. Petersburg fort. Dieß entging Katharinens Scharfblic nicht 
und entflammte dermaßen ihren Zorn, daß fie Paul's VBertrauensmann 
und Hauptvermittler ſeines Briefwechfeld nach Sibirien bringen ließ. 

Welhe Stimmungen fi) ver Kaijerin in folcher Lage bemächtig« 
ten, ijt leicht zu begreifen. Sie war gewohnt, daß fich Alles vor ihr 
beugte, und bier verfagten ihr gerabe die Nächiten ven Gehorſam. Aber 
fie war ein wunderbares Wejen, das fich beftäntig in den ftärfften 
Gegenfägen bewegte; bald fenerjprühend wie ein Vulkan, bald kalt 
wie Eis; bald bingebend voll Theilnahme, bald voll Hohn abftogend, 
ein harmloſes Kind unter Kindern, und Fühn und entfchloffen, wo es 


9 LKatharina 11. 


galt, unter Männern. Dabei ragten beſonders zwei gewaltige Eigen⸗ 
fchaften berver, ein eiſerner Wille und ein unglaublicher Tact in gro- 
Beu wie in Heinen Dingen. Von beivem konnte fie wenig an ihrem 
Sohn veripüren. " 

Auh war ver Muth feine ſchwache Seite. Daher trieb er be- 
ftäntig ohne fefte Anfichten, wie ein Schiff ohne Ballaft, anf den ber 
wegten Wogen des Lebens umher. Er warb ein Sonberling und ge- 
rieth von einem Einfall auf ven andern. Dieß fonnte ihm am we⸗ 
nigften die Achtung der Mutter gewinnen, teren Liebe er längft ver- 
loren hatte. Sie ihrerjeits litt Mangel an gutem Gewiifen, und warb 
von brennendem Ehrgeiz verzehrt. So gab er ihr feit feiner Mün⸗ 
bigleit, feit einem Jahrzehend, oft genug Beranlafjung zu peinigenden 
Beforgnijjen. Ya, feine erfte Gemahlin beste ihn dermaßen gegen bie 
Mutter auf, tab Zeitgenojjen, welche Einjicht gewannen in das Ge 
triebe, die Meinung ausjprechen, e8 würde zu argen Dingen gekommen 
fein, wenn vie Großfürftin nicht im erjten Wochenbette geftorben wäre. 

Vorher und nachher tauchten bejtäntig Gerüchte auf von Ber 
ſchwörungen zu Gunjten des Thronfelgers, welche tie Kaiferin jedes⸗ 
mal mit dem ihr eigenen Geſchick niederzufchlagen wußte. Als nun 
ihr Sohn im Ausland meijt ihren Abjichten und Wünfchen zuwider⸗ 
handelte, mochte jie wohl in Gedauken zu ihm fagen: 

„Mein Sohn! was fällt dir ein, nach meiner Krone zu trachten ? 
Rollte fie etwa, als dein Vater vom Thron ftürzte, bir von felbft 
aufs Haupt? oder mußte nicht vielmehr ih mit entjchloffener Hand 
zugreifen, damit fie nicht in alle Winde ginge? Wollte bein Vater 
doch eben mich ins Klojter verftoßen, und dich zum Baftarb ftem- 
peln! Bin ich nicht Schmied meines eigenen Glück's? Habe ich 
nicht lange fchrediihe Jahre gelitten und gerungen, bie ich enblich 
ans Ziel gelangte? Man hatte mich armes ſchutzloſes Kind am diefen 
damals verpefteten Hof gefchleppt, und mein Schidfal an die Lauuen 
eines im Kern verborbenen Knaben gefchmieret, ver mich ebenfo wenig 
liebte, als ich ihn lieben mochte. Wie ein verfolgtes Reh gebekt, bielt 
ih mich deunoh ein Jahrzehend hindurch mitten unter den Laſtern 
aufrecht und fromm, bis auf allerhöchiten Befehl meine Unjchuld er⸗ 
log. Ta ward ich freilih Weib, ward Mutter von dir, und bie 
Gluthen ver Keidenfchaft durchzuckten mich; aber ich wußte mich zu 





und ihre Denlwärdigkeiten. 095 


faffen, wich zu fügen, und ich lernte dienen, damit ich herrfchen lernte. 
Das lern’ auch du. ch Hielt unverzagt unter allen Kränkungen und 
Zemüthigungen den Blid auf die Krone gerichtet; hatte ich fie body 
als Tas Inſtrument erlanıt, auf dem ich der Welt eines auffpielen 
tönnte, wie kaum einer zuvor. Und ich vente, ich hab's geleitet. 
Zwei Jahrzehnte ver Ehren und des Ruhms, wie fie Rußland noch 
nicht erlebt hatte, find, feit ich vie Krone trage, bahin gegangen. 
Danle tu auf den Snieen veinem Schöpfer, daß er mich dir zur 
Mutter gab, die Kronen vergeben und verweigern kann. Dein Vater 
bütte dir fcine ertheilt«. 

Dieß ungefähr mochte der Kern deſſen fein, was Katharina in 
ihren Denkwürdigkeiten tarzuftellen beabjichtigt. Sie fpricht nach 
ihrer Weije die Abficht nirgend geradezu aus; aber wer ihrem Gedan⸗ 
tengange folgt, erräth fie alebald. Es Herrjcht Durch das Ganze eine 
Kiarheit und Durchfichtigkleit, die allenthalben vom feinen fcharfen 
Geijt ver großen Fürftin zeugt. Das Porträt des eigenfinnigen, in 
ven Grund verborbenen Prinzen, ver fpäter ihr Gemahl werden follte, 
eröffnet die Galerie der köſtlich gehaltenen Genrebilver, vie fich all- 
mählig zu bifterifchen Gemälden erften Ranges erheben. Sie felbit 
erfcheint dabei vorübergehend als zehnjühriges Kind, und tritt nicht 
rolle fünf Fahre nachher beim Hof in Moskau mit ihrer Mutter auf. 

Ihre kurze Schilderung verjett uns fogleich mitten in bie beiden 
Barteien, vie ſich dort unter Elifabeth bekämpften. Katharina follte 
bald felbit ein Spielball verfelben werten. Es war nahe daran, daß ınan 
die junge Braut mitfammt der Wutter wieder heunfchidte. Kaum 
war fie aber vermählt, fo pierchte man fie mit dem unliebenswürbi« 
gen Wanne förmlich ein, ober hielt fie wie ein gefährliches Thier uns 
ter Berfchluß, dem niemand außer Vertrauten ver herrſchenden Partei 
nahen durfte. Ihr liebebebürftiges Herz kam jedem entgegen, ber 
ir Theilnahme bewies; aber gar bald mußte ſie's erleben, daß ihre 
Gunft jedem Berberben brachte. Ehrendamen, Hoffräulein, Kammer 
frauen, Zofen, Diener, alle, denen fie fich beſonders gnädig bewies, 
verfchwanven wie ter Blig, plöglich verheiratbet, oder heimgefanbt, 
ever auch wohl eingelertert, unter ferne Regimenter geſteckt, jogar in 
die Verbannung geſchickt. 

Bor unfern Augen thut fich immer weiter ein wahrer Höllen« 


96 Katharina 11. 


pfuhl auf, je weiter wir im Leſen ver Schrift vorrüden. Und das 
nannten neuerdings Ruffomanen die wahrhaft ruffiiche Negierung ber 
milden Elifabeth. Der junge Fürſt fchüigte fo wenig feine bedrängte 
Gemahlin, daß er fich vielmehr meift ihren Wibderfachern anfchloß, 
und fie wohl mit eigenen Fäuſten mißhanvelte Jähzornig, feige, 
boshaft, benimmt er fich zugleich fo kindiſch, daß er halbe Nächte. 
durch mit Puppen fpielt. Aber er bett auch in den Wohnzimmern 
feine Hunde ein, treibt die Diener und Stalffnechte mit Hetzpeitſchen 
umber, zecht und raucht tann wierer mit feinen Genoffeu, bis er bes 
trunfen ins Bett füllt. 


Wir glauben dem gefränkten Weibe gern, daß ſie fich vornahm, 
ihren Gemahl nicht zu Lieben, „weil fie jonjt ein folder Menſch zu 
unglüdlich machen würbes. Nur vie fefte Hoffnung auf die Krone, 
fo lautet mehrmals ihr Geſtändniß, hob fie über all diefen Jammer 
hinaus. Eliſabeth hing zu fehr ihren Gelüſten nach, als daß fie fich 
viel um das unglüdliche Weib gekümmert hätte. Aber endlich fiel 
ihr ein, daß noch immer die Nachlommenfchaft ausbliebe. Dafür 
fchalt fie die Ehrenvame aus, welche feit Fahren vie Aufficht über 
bie junge Großfürftin führte, Es war ber Kaiſerin eigene Bafe, ge 
borne Gräfin Hendrickſon, jegt an ten Oberceremonienmeifter Tſcho⸗ 
glefow vermählt. Der gejchäftigen Gräfin lag nun nichts jo fehr 
am Herzen, als daß fie den deutlichen Wink, over vielmehr Befehl ver 
Kaiſerm, zur Ausführung bringe. 


Bereits feit längerer Zeit hatten zwei junge Hofcavaliere fich 
an die Großfürſtin herangedrängt, offenbar von oben begünftigt oder 
beſchützt. Sonjt hätten fie wohl kaum gewagt, ein fo gefährliches 
Spiel mit ihr zu treiben, als infonderheit Sergei Saltitow fich ver 
maß. Zwifchen beiven Männern ließ ihr die Gräfin die Wahl. Ka- 
tharina hatte bereits gewählt; erſchien ihr duch längſt Saltikow »fchön 
wie der Tag“, und wenn ſchon voll von Ränfen, doch höchſt unterhalten 
‚und graziös. Das Verhältniß des liebenden Paares zieht fich durch 
ein Drittel der Echrift, bald halb verftedt und wie insgeheim, bald 
fharf und Mar hervortretend, bis es urplötzlich die Niederkunft ber 
Sroßfürftin im Herbſt 1754 auf immer zerreißt. Saltitow ward ale 
Ueberbringer ver Botjchaft, daß ein Thronfolger geboren ſei, nad) 





und ihre Denkwurdigkeiten. 97 


Schweden geſchickt, dann als Geſandter nah Hamburg, und fpäter 
nach Paris. 

Gin Dichter möchte kaum feiner und zarter jenes Verhältniß 
tarftellen, als Katharinens Schilderung es ihrem Sohn gegenüber 
that. Sie warf dem Ganzen ten leichten Schleier um, der einen 
Reiz mehr verleiht, ohne daß er dem Sohne verftedte, was biefer 
wiſſen ſollte. Paul erfuhr mehr, als er wünfchen mochte; und blieb 
ihm noch ein Zweifel, jo mußte ihm eine unvorfichtige Aeußerung, 
zu ter fich ter Großfürſt Peter binreißen ließ, venfelben vollends be» 
nehmen. Als nämlich im Herbft 1758 die Großfürftin wieder fchwans 
ger ging, rief er einft im Kreiſe feiner Genoffen ärgerlich aus: 
"Weiß Gott, woher meine Frau zu ihren Schwangerjchaften kommt !u 

Katharina ftopfte ſogleich dem gefchwägigen Herren Gemahl auf 
igee fchlagende Weile den Mund; aber der Ausruf fiel ihr ſchwer 
aus Herz. Ihr Scharjblid erkannte die furchtbare Gefahr, in ber 
fie ſchwebte. Es galt, fchreibt fie '), mit ihm oder durch ihn zu 
Grunte zu gehen, oder aber mich ſelbſt, meine Kinder, vielleicht auch 
ten Staat vor vem Schiffbruch zu retten, ben bie geijtigen und kör⸗ 
rerlichen Gigenfchaften des Großfürſten in Ausſicht ftellten. ‘Diefer 
texte Entjchluß ſchien mir der ſicherſte/ Ihm gemäß betrat fie kühn 
ten Weg, ter allein zum Ziele führen Eonnte. 

Fit nun Obiges, wie wir auseinander fegten, der Kern von Ka⸗ 
!tbarinens Denfwürbigkeiten, fo begreifen wir, weshalb fie aller Wahr 
’heinlichleit nach dieſelben gerate nieberjchrieb, als ihr währenn ver 
Reife im Auslande Sohn und Schwiegertochter fo vielfachen Verdruß 
kereiteten. Die junge fehöne Großfürftin war, wie e8 damals ber 
zanzen vornehmen Welt erging, von Frankreich, deſſen Moden und 
Manieren bezaubert: fie hatte einen ununterbrochenen Briefwechfel 
mit Mile. Berten und antern Modehändlern verabredet, fogar 200 
Kitten mit ausgeſuchten Motewaaren vorausgefchict, auch neue Kam⸗ 
merriener mitgenonmen, und ven fühnen Plan gefaßt, eine Umwäls 
zang im Kopfputz herbeizuführen. Aber vie Schwiegermutter kam ihr 
‚sser. Sie erlich einen Ulas gegen tie Moden, der befonbers fchwer 
2 YJırbalt jener 200 Kijten traf. "ch bin gewiß, fagte ver große 


!, Mdmoires etc. p. 301. 
bA iiqe Yeltfkrift v. Bam. 1 


98 Katharina II. 


Britifche Diplomat, dem wir jene Nachricht verdanken, daß wenn bie 
Sroßfürftin in Riga das Verbot erfährt, fie tarüber fich mehr är⸗ 
gert, al8 wäre irgend ein Unglüd dem Ruhme oder dem Wohlfeln 
des Reiches begegnetw. 

Fünf Wochen fpäter — den 17. December 1782 — fchreibt ber. 
felbe Sir James Harris: „Das Benehmen des Großfürften und ber 
Großfürftin war feit ihrer Rückkehr vernünftiger, als man's erwarten 
fonnte. Sie leben beinahe ganz vereinfamt, fie haben von ihrer Ges 
fellfchaft ihre früheren Günftlinge ausgefchloffen, und man follte mei⸗ 
nen, fie wünfchten binfort nichts weiter, als fi nur nach der Kat 
ferin Willen zu verhalten. Es ift fchwer zu fagen, welchem Grund 
man diefen Wechfel des Benehmens zufchreiben müfleı. Sir James 
zerbricht fich ven Kopf, Gründe dafür zu finden. Denen wir uns 
aber, Katharina hätte dem ftörrifchen Sohn jene Denhvürbigteiten 
mitgetheilt, fo wäre das ein Grund, fchlagender als Alles, was ber 
Muge Diplomat erfinnen mochte. Ihre Klugheit würde, wie ſich von 
felbft verfteht, dafür geforgt haben, daß Paul allein die Schrift Läfe, 
und feine Abfchrift nähme. Eine ſolche Mittheilung möchte ihm aber 
fo ſchwer in bie Glieder gefahren fein, daß er fich Hinfort gern ruhig 
verbielt. 





IV. 


Capis Amali d’italia für das Jahr 1848. Italieniſche 
Gonföderation. Fremde Truppen. 


Bon 
Alte von Reument. 


Der Abate Antonio Coppi in Rom bat feine italienifchen Jahr⸗ 
bücher, tie Ergänzung ber mit dem Jahre 1749 endenden Muratori- 
fen, welche fchon, vor nunmehr achtundzwanzig Jahren, Heinrich Xeo 
rries, bis zum Schluffe des Jahres 1848 fortgeführt und fomit bei- 
nahe einen hundertjährigen Cyclus vollenvet. Dem kürzlich erfchiene- 
zen ftarfen Bande, der das verhängnißnolle Jahr enthält (Annali 
dImlia dal 1750 compilati da A. Coppi. Tom X. 1848. Florenz 
135). XXIV u. 816 ©. 8.) merkt man wahrlich feine Ermattung 
a. Das Buch ift in einem nicht minder verhängnißvollen Moment 
eridienen als bie Zeit war, welche es fchilvert; in einer Zeit wie dieſe 
m e6 von boppeltem Intereſſe auf jenes Jahr 1848 zurüdzubliden, 
tas fo manche Saat ausgeftreut bat, die wir heute auffprießen fehen, 
— ein Fahr, deſſen ernfte Lehren leider in ven zunächft folgenden 
theils nicht verftanden, theils nicht beachtet worben find, während bie 
Befrietigung legitimer Forderungen bes Nationalgefühls, freilich von 
verneberein fehr erfchwert durch das Verhältniß zwifchen Defterreich 
zb Piemont, der im Stillen fortichreitenden und von mehr denn 
einer Seite her genährten Revolution vielleicht Hätte Halt gebieten, 

7 “ 


100 Alfreb von Reumont, 


jedenfalls einer künſtlich und eiufeitig verkehrten, einem Theile und 
nicht vem Ganzen frommenven, tem Genius wie der Gefchichte Ita⸗ 
liens witerfprechenten Richtung hätte entgegenarbeiten können. 

Dies Intereſſe rechtfertigt die ausführlichere Behandlung, welche 
ter Berfaffer, während er im liebrigen Form und Einrichtung feine® 
Wertes beibehält, Diesmal für gut befunden hat. E8 rechtfertigt biefe 
größere Ausführlichleit umfomehr, als alle bisherigen Bearbeitungen 
ver Gefchichte des Jahres 1848, foweit fie mir bekannt geworben, 
mehr oder minder vom Parteiftantpunfte ausgeben, ver bei ben in- 
ländiſchen Darftellern einer fo naheliegenten Epoche kaum zu vermeis 
den ift und auf welchen einige Ausländer ſich beinahe noch entfchiebes 
ner geftellt Haben. Es rechtfertigt die größere Ausführlichkeit noch ba- 
durch, daß nur Durch VBergleichung vicler ſcheinbar oft geringfügiger Facta 
ein vollftändiges Bild, wie tie interefjanteften Vergleichungspunkte zur 
Beurtheilung ver Gegenwart nach ihren Tendenzen und Perfonen ges 
wonnen werben können. Wie oit finden wir ba Gleichartiges ungeachtet 
äußerer Unterſchiede, wie oft radicale Unterſchiede bei Gleichheit der 
Namen, wie oft Sinnesänderung ber bie und dert handeluden Perſo⸗ 
nen! Der Abate Goppi bejpricht nicht und beurtheilt nicht; er er 
zählt und berichtet fu einfach und ſchmucklos wie möglich; er hält ſich 
an die Documente verfchiedenfter Art, deren Hauptftellen er citirt; er 
nimmt Rückſicht auf Die wichtigeren unter ven zahlloſen Publicationen 
von Sleichzeitigen und Mitbetheiligten. Die Gazzetta di Nema und 
Pepe's Histoire de la revolution et de la guerre d’Italie, die Ge- 
fegfammlungen ber verfchiedenen Staaten und Majfaris Cası di Napoli, 
die Denkſchriften der Civiltä catholica und Zobi's Storia civile della 
Toscana, der Gräfin Spaur Viaggio a Gaeta und Dela Varenne's Au- 
trichiens en Italie, Schönhals’ und Willifen’s Feldzüge von 1848, 
nnd General Bava's Bericht über die militärifchen Operationen , bie 
piemontefifhen Kanımerverhandlungen und Gioberti’8 Rinnuovamento 
d’Italia, alles dies und hundert andere ber verfchiebenartigften Drud- 
fachen find in dem Buche benugt, und zwar fo, daß man in jebem 
Einzelfall ſich Raths erholen fanı. Mau fühlt des Verfaſſers An- 
fiht und Urtgeil durch, in ihrem verftäntigen patriotifchen Sinn; 
aber nirgend bringt er fie und fich feinen Lefern auf, wie er nirgenb 
einer Tagesmeinung fchmeichelt oder einem Uebermaß Recht giebt. Ee 





Coppi's Annali d’Italia für das Jahr 1848 ıc. "101 


ift eine durchaus ruhige ftreng pragmatifche Darftellung, von unfgäg- 
barem Werthe für die, welche einft diefe Gefchichte in ihrem Zufän-. 
menhange zu ſchreiben Haben und weder durch Ranalli's fonft vielfach 
(ebenswerthe Schilderung ter Begebenheiten ver Jahre 1846-48,. 
noch durch Farini's intereffante aber parteigefärbte und keineswegg 
überall aufrichtige Gefchichte des Kirchenſtaats, noch viel weniger aber: 
durch die zahlreichen perfönlichen Denkwürdigkeiten befriebigt, over gar 
ben hiftoriſchen Romanen des Paters Bresciani auf’8 Wort glaubend, 
hier einen zuverläßigen Wegweifer durch das Labyrinth von Thatfachen 
und durch den ſchwer burchtringlichen Wald von Drudichriften finden. 

Auf ein ſolches ans Tanter Facten beſtehendes Buch referirend 
einzugehen ift nicht gut möglich, wenn man nicht etwa die Gefchichte 
dieſes Zeitraums felbft fchreiben will, was begreiflichermweife nicht bie 
Aufgabe gegenwärtiger Zeilen fein kann. So möge denn bier nur eine 
Phafe dieſer vielgeftaltigen Bewegung betrachtet werben, eine Phaſe, nicht 
ohne Wichtigkeit für die Beurtheilung der damaligen, wie, vergleich» 
weite, der heutigen Zuftände, Richtungen, Strömungen. Es find bies 
bie Geſchicke der Törerationsbeftrebungen — Beftrebungen, angeregt 
ven Dem, der fo vieles in Italien angeregt und in biefem Falle, wie 
in manchen andern, ven ſchnödeſten Undank geerndet bat, von Bapft 
Bius IX. Es ift hier nicht der Ort in vie Gefchichte ber älteren 
Fõderationsverſuche einzugehen — wer etwas von italienifcher Ge⸗ 
fhichte überhaupt weiß, kennt fie. Er weiß, daß in dem legten Zeit- 
raum, in welchem Italien noch eine nationale Politik hatte, das heißt 
ver dem Einfall der Sranzofen im Jahre 1494, ver Verfuch einer 
ſolchen Föberation, fo unvollkommen er immer fein mochte, gelungen 
war, daß Neapel, Florenz und Mailand, zufammenhaltend, ben Grund 
zn einem politifchen Syſtem legten, welches, weiter ausgedehnt und 
veroolffemmnet, der Halbinfel jene Nationalität hätte fichern müſſen, 
weiche Carls VIII. Heerzug vernichtete und welche weber ein großer 
Bapft mit feinen faori il barbaro, noch ein großer Schriftfteller mit Fürſten 
nach der Art des Cãſar Borgia wiederzugewinnen im Stande war. Er weiß, 
daß dieſe Föperationsverfuche unter mancherlei Formen auflebten, felbft 
im Hirn eines Cardinals wie Orfini von Gravina in ber zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Er weiß auch, daß man in jüngern 
Zeiten -fo Heinmüthig geworben war, daß felbft ber blotze WR 


109 --. Eu Alfeeb von Reumont, 


.. .*., 


einge Zollvereins , als erſte Stufe zu einem Bündniß, die Wünſche 
itec großen Zahl vollſtäͤndig befriedigt Haben würde, während bie ita⸗ 
Herifchen Regierungen fo wenig das naheliegente Bebürfniß und bie 
+. billigften Forderungen erfannten, daß nicht zwei von ihnen fich bier- 


.., "über einigen Ionnten und ein wahres Babel von Zolllinien und Ta- 
.- rifen, wie von Dlünzen, Maßen, Gewichten beftehen blieb und alle Bes 


ziehungen von Staat zu Staat auf bie unerträglichite Weile erfchwerte. 

Ein Zollverein war es, womit die italienifchen Yundesbeftrebun- 
gen begannen. Im September 1847 ſandte Pius IX. einen vertrau« 
ten Prälaten, Giovanni Corboli Yuffi, nah Zurin, wo am 3. No 
vember die Zolleinigung zwifchen Ren, Piemont und Toscaua zu 
Stande fam. Die drei Souveräne, fo hieß es in ber gemeinfamen 
Erklärung, feien von dem jteten Wunjche belebt, durch ihre Ginigfeit 
zur Steigerung des Anſehens wie des Wohlſtands Italiens beizutra- 
gen, überzeugt daß die wahre und feſte Bafis italienifcher Einheit durch 
die Verfchmelzung der ınateriellen Intereffen der verfchievenen Staaten 
gewonnen werben könne, während der Fortſchritt von nationaler In⸗ 
buftrie und Handel baburch gefichert werben müffe. Sie feien in dies 
fer Anficht noch beſtärkt durch die Hoffnung, aubere Staaten ſich 
ihnen zu gleichem Zwecke anfchließen zu fehen. Der PBapft äußerte 
fi) im folgenden Jahre über die Gefinnungen und Abfichten, vie ihn 
geleitet. Bom Anfang feines Pontificats an, ließ er in feinem Namen 
erflären, habe er bie Zuftänte fo des Kirchenftants wie ber übrigen 
Staaten Italiens in Betracht gezogen, ale gemeinfamer Vater 
von Fürften und Völkern auswärtigem Kriege nicht minder wider: 
ftrebend als innern Zerwürfnifjen. So babe er, um das wahre 
Gluck Italiens zu fördern, Verhandlungen in Betreff eines Bänbniffes 
zwiſchen ten Fürſten der Halbinfel ſich vorgefegt und unternommen, ale 
das einzige Mittel zur Befriedigung ver Wünfche der Nation ohne Ber 
legung der Rechte ber Fürften, wie ohne Beeinträchtigung der Ten- 
venzen ber Völker zur Erzielung verftändiger Freiheit. So war ber 
erfte Schritt gethan, und namentlich in Rom war man thätig für die 
Verwirllichung und Erweiterung bes Plans, fo der Idee nach wie 
durch Heranziehung anderer Theilnehmer. 

In den erften Monaten von 1848 war wirklich bie Mehrzahl ver 
italienifchen Regierungen ernftlich darauf bedacht, zum Abſchluß eines 


Coppis Annali d'Italia für das Jahr 1848 sc. 103 


eigentlichen Bündniſſes zu gelangen. Ceſare Balbo, als er zu Anfang 
März in Zurin fein Minifterium bilvete, fchrieb im Entwurf des 
Programms: „Politiſches Bündniß mit den drei anderen italienifchen 
Fürften. Neapel uud Toscana, jenes unter dem Minifterium des Fürs 
fien von Cariati, dies unter dem bed Marquis Rivolfi, fandten zu Ende 
des Winters Bevollmächtigte nach Rom, wohin felbft von Seiten bes 
revolutionären Gouvernements von ‚Sizilien und der gegen Defterreich 
limpfenden Lombarbijch-Venezianifchen Provinzen Unterhänpler kamen. 
Der Bapft, in feiner wieberholt geltend gemachten Stellung als ges 
meinfamer Vater der Eatholifchen Welt, wünfchte, damals wie jeder- 
zit, ein Defenfiobünpniß, und fandte Monfignor Eorboli nochmals nach 
Turin, wohin von Neapel P. Fr. Leopardi ging, defjen Inſtructionen 
fpeziell die italienifche Conföderation zum Gegenftande hatten, „welche, 
wenngleich unter ven bejtebenden Umſtänden noch nicht vertragsweife 
abgefchloffen, doch in ver That zwifchen den vier conftitutionellen Fürften 
ſchon beitehe.” Ya, König Ferdinand ſprach am 7. April von diefer 
Confoͤderation als bereits gefchloffen durch die allgemeine Zuftimmung 
von Fürften und Völkern, und von dem Congreß, der in nächjter Zeit 
zur Regelung berfelben in Rom zufammentreten follte. Der italienis 
ſche Bund follte einen Bundestag (dietas) haben, zufammengefegt aus 
den Repräfentanten der Parlamente ver einzelnen Staaten, zur Ent- 
fcheivung über nationale Fragen und Kriegsangelegenheiten, deren Lei⸗ 
tung inbeß momentan dem Könige von Sardinien anheimgeftellt bleiben 
ſollte. Wo ftieß viefer Plan auf Hinderniſſe? Beim Könige von 
Sarvinien. Don der Lombardiſchen Ebene aus erklärte tiefer, es fei 
jet feine Zeit zum Unterhandeln und Bünbnißfchließen, fondern zum 
Kämpfen. Wäre erft ver Fremde vertrieben, fo könne man weiter 
barüber reden. Ob Carl Albert Recht hatte, mag bahingeftellt blei- 
ben. Genug, die Sache wurde bei Seite gelegt, und die neapolitani« 
ſchen und übrigen Übgeorbneten kehrten nach Haufe zurüd. 

Darım aber gab man das Project nicht auf, fo ungünftig fich 
auch bald darauf die Umftände änderten. Das Toscaniſche Dlinifte- 
rium bielt beſonders feſt daran. In der Thronrede vom 26. Juni 
ward ſchon der conföderirten Staaten Italiens erwähnt, und die Zoll⸗ 
einigung wurde als Vorbereitung zum national⸗politiſchen Bündniß 
bezeichnet, an deſſen Verzögerung, hieß es, die großherzogliche Re⸗ 


104 Alfred von Reumont, 


gierung nicht Schuld trage. Seinerfeits entwidelte ter florentinifche 
Senat in der Aoreffe tie Idee des Bundes näher: „Der föderative 
Pakt, indem er jedem Cinzelftaate feine Perfönlichkeit Taffe, werde bie 
politifche Uebereinftimmung alfer herbeiführen und durch ihre Vertre⸗ 
ter bie gemeinfamen Rechte und Intereſſen fördern, um ber italieni⸗ 
ſchen Nationalität Kraft und Achtung zu fihern, aus dem Bündniß 
zur Erlangung der Unabhängigkeit werte der Bund zu beren Er⸗ 
baftung, und bamit die natienale Einheit ermachlen.« Bon Rom ans 
wurden um dieſe Zeit durch das heterogene Mamianiſche Minifterium, 
das Produkt der gegen des Papftes friedfertige Allocution vom 29. 
April gerichteten Unruhen, im Einverſtändniß mit Toscana bie Unter⸗ 
bantlungen in Turin wieder aufgenommen: „Die drei Staaten, fchen 
durch einen Zollverein miteinanter verbunten, follten vor Italien und 
Europa erklären, daß ein pelitifches Bündniß zwifchen ihnen beftehe, 
welches ven erhabenen und unfterblichen Bapft Pius IX. zum Begründer 
und Vermittler habe.u Die Bevollmächtigten der drei Staaten follten 
fih in Rem verfammeln, Daß ver vierte Staat, Neapel, nicht mehr 
zu ben centrahirenden gehörte, war ein fchlimmes Zeichen; an wem 
aber lag die Schul? Der 15. Mai, mit feinen Anläffen wahnwigig 
und felbftmörberifch revolutionärer Ueberſtürzung und Ungenügfamtelt, 
mag auf die Frage Antwort geben. Und woran fcheiterten auch bie 
Bemühungen Rom’s und Zoscana’3? Zu Ende Yuli trat das ſchon 
fange wankende und überholte Balbo’fche Minifterium ab, und vie 
Bündniß-Unterbantlungen blieben, wie tie NRömifche Zeitung verfüns 
bete, in Turin „aufs neue liegen.“ 

Der Kampf, auf welchen Carl Albert hingewiefen hatte, war nun 
beenbigt. Sein Zwed war nicht erreicht worden, und in den Staaten, 
welche unter verfchievdenen Formen ſich taran betbeiligt hatten, war 
eine Gährung zurüdgeblieben, welche tie Regierungen mehr und mehr 
erfaßte und ven normalen Bahnen abdrängte. Unter dieſen ungünftigen 
Berhältniffen nah nun das piementefifche Gonvernement feinerfeits 
die Bundesangelegenheit auf. Das Veinifterium Alfieri, welches am 
19. Auguft auf das Eintage-Cabinet des Grafen Gafati folgte umb 
fpäter als Minifterium Perrone-Pinelli modificirt fich fefter geftaltete, 
verhieß fogleich bei feinem Antritt tie „Verwirklichung ber Zolleini- 
gung wie des politiichen Bündniſſes der italienifchen Staaten. Schon 





Coppi's Annali d'Italia fir dae Jahr 1848 ıc. 105 


Safati Hatte den Abate Antonio Rosmini, den frommen Theologen 
und eminenten Philoſophen, ver tamals gleich fo manchem Antern 
mvita Minerva in tie praftifche Politik hineingezogen warb, nach Rom 
gefanet, um für befagten Zweck zu wirken. An dieſen gingen nun, 
unter tem 9. October, Inſtructionen folgenten wejentlihen Inhalts: 
"Das Bündniß habe ven Hauptzwed, die Nationalität und Autonomie 
Staliens zu fihern, wie die Garantie des Territorialbeitandes jedes 
einzelnen Staates, bie Randesvertheidigung mittelft der von jeder Macht 
zu ftellenten Gontingente, tie Erhaltung der durch die Verfaffungen 
gewährleifteten Nechtszuftänte, tie Fortbildung und den Schuß bir 
pelitifchen Freiheiten. Daſſelbe folle die mercantilen und abminiftra« 
tiven Beziehungen zwifchen ven Einzelſtaaten erleichtern mittelft ter 
Zolleinigung und der Identität der Poſten, Münzen, Maße und Ge: 
wichte, wie auch, foweit als möglich, durch ein übereinftinmendes Sy⸗ 
ftem der Geſetzgebung, der Verwaltung und tes äffentlichen Unter- 
richte. « 

In Betracht der verworrenen Zeiten war dieſe Baſis viel zu 
breit; unmöglich Tonnte man auf berjelben zum Ziele gelangen. Man 
vente fich die Confufion in beinahe allen itaficnijchen Staaten im 
Spätfemmer viefes Yahres, das precäre Verhältnig Piemonts zu 
Defterreich währen tes Wuffenftillitandes, das tolle Treiben der durch 
bie zahlreichen lombardiſchen Ausgewanderten verftärkten turiner und 
genuefer Ultraliberalen, welche leider an dem genialen aber völlig un— 
praftifchen Gioberti eine Stübe fanden, tie Schwäche der Autoritüt 
in Zoscana, das fterile Erperimentiven zu Rem im Uebergang ven 
einem Club-Minifterium Mamiani zu einem impotenten Minifterium 
Fabbri, tie Verwirrung in den Legationen, wo an Bologna's Thoren 
mit den Defterreichern gekämpft ward, die Zuftände im Königreich 
Neapel, wo innerhalb zweier Monate die Scammern fich nicht über 
Einen Gefegentwurf zu einigen vermochten, und, mit ficifianifcher Uns» 
terftüßung, Aufſtände in Calabrien und in der Provinz Salern aus- 
brachen — man denke fich dies alles und urtheile dann, welche Chan— 
cen bie piemontefifchen Bündniß⸗Ideen hatten! Das päpftlie Gou⸗ 
vernement, an beffen Spite zur Zeit wo dieſe Vorfchläge gemacht 
wurben, bereits Pellegrino Rofji (16. September) getreten war, hatte 
volflemmen Recht, indem es unter folchen Terhältniffen an ber Idee 


106 Alfred von Roumont, - 


eines Defenfiv-Bünbniffes feithielt und ruhigeren Tagen vie allerdings 
wünſchenswerthe Verwirklichung der Turiner Pläne anheimftellte. Wäh- 
vend man legtere aber in Rom, nach Maßgabe ver Erfahrungen eines 
theoretijch wie praltifch bedeutenden und geübten Staatsmannes, zu 
umfaffend fand, war man in Toscana fcehon weit über diefelben hin⸗ 
ausgegangen. In demjenigen Theil der Halbinfel, wo Phantafterei 
vorzugeweife eine exotiſche Pflanze ift und gefunder Sinn zu über- 
wiegen pflegt, verjuchte man die Idee einer allgemeinen Demofratis 
firung Italiens feltfamerweife unter Theilnahme ber beftehenden Re⸗ 
gierungen, auf Bundeswege mitteljt einer allgemeinen Conftituante zn 
erreichen. Der pifanifche PBrofeffor Montanelli, welchen das Stubium 
ber Rechte nicht auf Eare Begriffe und Logifche Folgerungen hinzu⸗ 
leiten vermocht hatte, führte am 8. October vor dein wider ben Groß» 
berzog und das conftitutionelle Minifterium Capponi, die Erben Ri⸗ 
bolfifcher Schwierigkeiten und Verwiclungen, empörten Livornefer Volle 
das fantaftifche fogenannte „demokratiſch⸗chriſtlich⸗ nationale⸗ Luftgebäube 
auf, das als „Incarnation ber chriftlichen Idee auf breitefter Grund⸗ 
lage« bie europäifche Geſellſchaft zu retten beftimmt war. Die eiu⸗ 
zelnen italienifchen Regierungen follten nämlich mittelft einer nationalen 
conftituirenden Verfammlung weinen permanenten Bundestag als les 
bendige Perfonification Italiens gründen, eine Regierung ver Regie 
rungen, eine Konjtitution der Conftitutionen.« Als das großherzogliche 
Minifterium dem Ruf: Es lebe die Conftituante! wich, und Leopold IL. 
fi, wie man es ausbrüdte, ver reinen Demokratie in die Arme warf, 
d. b. ale amı 22. October verfelbe Montanelli mit dem alten Xivornefer 
Demagogen und Geheimbünbler Guerrazzi ans Ruder fam, da wurden 
zu Anfang November die vemokratifch:chriftlich-nationalen Ideen den 
andern italienifchen Regierungen vorgelegt. Von Neapel und Rom 
tum gar feine Antwort; von Zurin aus erwiederte man, faft wie im 
April: es Handle ſich jet darum an ben Krieg zu denken, nicht an eine 
Conftituante. Doch kam man dann, um etwas zu thun, auf das fchon 
am 8. October vorgelegte Schema des Bundes zurüd. 

Auf folche Abwege war man, während noch fogenannte vegel- 
mäßige Gouvernements beftanden (wenn man ja dad toslanifche dazu 
rechnen will), mit ver urfprünglich einfachen Bundes⸗Idee gerathen. 

Neben den Minifterien hatte währenddeſſen noch eine zweite Re 





Coppi's Annali d’Italla für tus Fahr 1848 :c. 107 


sierung, bie der Clubs, geſeſſen. Wenn nicht die Minifter felbft 
Elubiften waren, und als Clubiſten die Rebenregierung zum Sporn 
wie zur Eontrole ver officiellen und verantwortlichen felbft einrichtes 
ten, fo conftituirten die Clubs fich eigenmächtig dazu. Neben Mon⸗ 
tanelli in Florenz, neben Gioberti in Turin, ift ver Graf Mamiani 
als das Muſterbild eines boctrinären Diinifterclubiften zu bezeichnen; bie, 
um nicht einen andern Ausdruck zu gebrauchen, ärmliche Rolle, welche 
biefer ſonſt vielfach begabte und Ienntnißreihe Mann an der Spite 
ver Gefchäfte gefpielt hat, wie feine fchon während feines erften Mi- 
nifteriums (Mai — Auguſt) zweideutige Stellung, ift zumeift dem 
Umftande zuzufchreiben, daß er durch die Faction und deren Organe, 
die Clubs, gehoben und gerufen, der Faction bienftbar und ein Organ 
ver Clubs war, und gewiſſermaſſen in ſteter Confpiration gegen fei« 
nen Souverän fich befand, deſſen Befehle er ausführen jollte, ven er 
jeboch, nach feinem eigenen naiven Geftänpniß in der berühmten Par- 
(aments-Eröffnungsreve vom 9. Juni, in die hohe Sphäre feiner geift- 
lichen Autorität und des feligen Friedens des Dogmas zum Beten, 
Seguen und Verzeiben verfegen wollte, während er mit feinen Col⸗ 
legen und feinen Freunden vom Club im Weltlihen gemüthlich fort- 
regierte. Mamiani's damaliger Unterftaatsfecretär, ver nachmals 
vielgenannte Luigi Carlo Yarini, müßte fi, wenn fein Gedächtniß 
treuer wäre, als es nach einer Stelle in feinem Buche über den rö—⸗ 
wifchen Staat zu fein fcheint, ter Worte erinnern, womit Bius IX. 
ihm den nicht= gutgebeißenen Entwurf der Rebe zurädgab: „Ich bin 
Souverän wie andere Souveräne«. Doch kommen wir wieder auf die 
Wirkfansfeit ver Clubs, Schon am 22. März, am Tage nad) der 
Zerftörung der öfterreichifchen Wappenfchilver, wodurch ter Frühlings⸗ 
anfang gefeiert wurbe, befchloß der Circolo Romano dem päpftlichen 
Minifterium, damals noch, vem Namen nach, unter Cardinal Antos 
nelli, zu Hülfe zu fommen, um reine fefte Grundlage der Nutionali- 
täts zu legen, mittelft eines allgemeinen Buntestags, eines in Non 
zufammentretenden Nationalparlaments, welches, ohne fih in das 
Berfaffungswefen ter Einzelftaaten zu mifchen, die allgemeine Politil 
der Ration beftimmen und deren gemeinjame Intereſſen vertreten 
würde. Daß die päpftliche Regierung, dem Andrang biefer Idee ges 
genäber, an bem einfachen föberativen Projekt fefthielt, welches auch, 


108 Alfred von Reumont, 


nach Maßgabe ver tamaligen Lage, das allein praftiiche war, ift ber 
reits oben bemerkt worden. Wie dann das Clubweſen auf eigene 
Hand weiter agirte; wie bie unter bem Schutze ver neugebornen 
franzöfifchen Republif am 5. März unter Mazzini’s Vorſitz in Paris 
gebildete Aifociazione nuzionale Ytaliana, als Yortfegung ter im 
vorhergehenden Jahr in London geftifteten „internationalen Ligue ber 
Bälfer«, den Brüdern auf der Süpfeite ver Alpen, durch ihre Emiſ⸗ 
färe und Amneſtirten längft verftärft und erleuchtet, bie Hand reichte; 
wie am 6. September unter dem Bräfivium Gioberti’$ in Turin bie 
Societa nationale begründet ward, welche tie Erfämpfung ber Unab- 
hängigkeit zugleich mit ver „Erhaltung der territorinlen Integrität 
und ber politifchen Prärogative der verfchiedenen conftituirten italteni« 
fhen Staaten“ auf ihr Banner ſchrieb: jene Verfanmlung, zu deren 
Stiftern der des beabfichtigten Königsmords überwiefene Gallenga, ver 
Graf Camillo Exvour und Angelo Brofferio gehörten, in welcher ver 
Römer Pietro Sterbini im October als Abgeordneter des römifchen 
Volksclubs ſaß, und wo die am 5. November von demſelben Ster- 
bini und dem Fürften von Canino in Florenz verlündete »Nothwen⸗ 
pigkeit, den Grafen Roffi ans dem päpftlichen Minifterium zu ent- 
fernen«, zur Sprache fam — auf alles dies kann bier nur bingebentet 
werben; bie Details möge man in Coppi's Buche nachlefen. Als 
dann der gehaßte Miniſter ans dem Miniſterinm ventfernt« war, 
verhieß tie bem Bapfte von ter Empörung während bes Angriffe auf 
den Quirinal aufgebrungene Berwaltung vom 16. November zugleich 
mit der conſtituirenden Verſammlung in Rem vie Förderung bes 
„föderativen Pakte⸗, nach der vom Volksclub am Abende nach Roſſi's 
Mord angenommenen Faſſung. Es wurde hinzugefügt, daß bie Zu⸗ 
ftimmung des Königs von Eartinien zu biefer Föderation erlangt 
ſei. Nachdem endlich Pins IX. fih aus ver Gewalt feiner Beprän- 
ger gerettet hatte, proclamirte am 1. Dezember der Graf Mamiani, 
als DOuafi« Chef des monftruäfen Minifteriums, vie Eonftituante, 
"welche die Aufgabe haben follte, einen Bundespakt zu entwerfen, 
welcher, während er bie Erijtenz ter Cinzelftaaten achte und ihre Ne 
gierungeform nund Grundgeſetze -unangetaftet laffe, die Freiheit, Einig- 
feit und abfolute Unabhängigkeit Italiens zu fihern und das Wohl 
ber Nation zu gewährleiften ine Stande wäre⸗. Die in Forli abges 


Coppis Anmali d'Italia des Jahres 1848 ıc. 108 





haltene Berfammlung ber Deputirten von etwa zwanzig romagr'oli⸗ 
ſchen Städten, das heißt ihrer Elubs, vie fi) dann mit dem damals 
deminivenden Club ter Hauptſtadt, dem Circolo popolare ober nazios 
nale, durch Adreſſen in Verbindung ſetzten; bie Sitzungen bes letztern 
im Palazzo Fiano, und Sterbini als politiſcher Erleuchter der auf 
Piazza Santi Apoſtoli zuſammengetrommelten Bürgergarde, welche 
ganz Werkzeug in den Händen der Faction wurde, förberten hierauf 
bie Intereſſen der Eonftituante, wegen beren man fih mit Toscana 
und Piemont zu verftänbigen fuchte, in einem Maße, das die Revo- 
lution auf ihren Höhepunft, das beißt zur Republif und zur Dictatur 
Mazzini führte, während in Florenz und in Zurin „demofratijche« 
Minifterien dort die Entfernung des Großherzoge, bier nochmaligen 
Krieg mit Dejterreih zur Folge hatten. So ijt es im Jahr 1848 
wit ver italienifhen Bunbesjrage bei Regierungen und Clubs gegan⸗ 
gen. Die vor uns liegenten Annalı d’Italia enthalten an verfchie 
denen Stellen alle der Aufzeichnung würdigen Enzelheiten ver Ges 
ſchichte dieſer heterogenen Beitrebungen, deren Grundzüge bier im 
biftorifchen Zuſammenhang vorgeführt worden ſind. 

Noch über eine andere Frage fordert dies Buch zu einer kurzen 
Betrachtung auf. 

Das Cavourſche Ultimatum vom 7. September 1860 nahm die 
Gegenwart fremder Truppen unter den Fahnen des Papftes zum Vor⸗ 
wande des Tags darauf begonnenen Einfalls in Umbrien und bie 
Marken. Zu Ende Juli 1848 dagegen, nachdem die Piemonteſen 
durch Radetzky aus der Lombardei verdrängt worden waren, und zur 
Zeit in Rom die Revolution mehr und mehr um ſich griff, machte 
der dortige Miniſter Mamiani, hente College des Grafen Cavour, 
einem gewählten Kreiſe von Deputirten den confidentiellen Vorſchlag, 
neben der Aushebung von Freiwilligen 12,000 Mann Fremdentruppen 
unter die Fahnen zu rufen, das Commando einem fremden General 
zu übertragen, und zur VBeftreitung der Keſten zwei Millionen Scudi 
Papiergeld mit Zwangscurs auszugeben. Am 1. Auguſt votirte bie 
Deputirtenfammer, tem Vorſchlag beiftiimmend, eine darauf Bezügliche 
Adreſſe an den Papft, welcher erwieberte, eine fo wichtige Sache heis 
ſche reiflichfte Ucberlegung und müſſe jedenfalls zunächft an bie erjte 
Kammer zu gleichzeitiger Berathung verwiefen werben; ber qräßte 


110 Ulfreb von Steument. 


Feldherr des Jahrhunderts babe übrigens nicht mit frifch angewor⸗ 
benen Recruten gefiegt. Cine Antwert, welche von ber auf Monte⸗ 
cavallo wie gewöhnlich zufamengelaufenen Menge mit den Rufe Tod 
den Cardinälen und Priefterns! entgegengenommen ward. Am fols 
genden Tage nahm Pius IX. die von dem Grafen Mamiani und 
feinen Gollegen angebotene Entlafjung au. Schon im Auguft des 
vorhergehenten Jahres 1847 war dem Bapfte ein ähnlicher Borfchlag 
gemacht worben. Boluifche Deputirte, vielleicht im Zufammenbange 
mit ter bereits erwähnten Lontoner internationalen Bölterligue, welche 
mit ber polnifchen bemofratifchen Gefellfichaft zufammenhing , beten 
damals 5000 Mann an, die je nach Bedürfniß vermehrt werden könn- 
ten. Der Vorſchlag ward ebenfo wenig angenommen. Es war bie Zeit, 
wo Mazzini mittelft eines Schreibens Bius IX. ermnnterte, It alien 
zu unificiren. Der Papft brauche gar nicht felber dabei thätig 
zu fein: er brauche bios Die zu fegnen, welche für ihn und in ſei⸗ 
nem Namen handelten. Es hange ven Ihm ab, die beiden Worte 
des Wahlſpruchs "Gott und das Volko, in die fchönfte umd heifigfte 
Harmonie zu bringen und fo das Loos der Nation zu beftimmen. 





V. 
Die Kaiſerpolitik Otto J. 


Von 
Wilhelm Manrenbrecher. 





1. 


Wie die Erneuerung des römifchen Kaiſerthumes durch Karl den 
Großen der ganzen mittelalterlichen Gefchichte ihre Richtung gege- 
geben, fo erfcheint die Verbindung ter römiſchen Kaiſerkrone mit der 
beutfchen Königswürde durch Dtto den Großen in Wahrheit als der 
folgenreichfte und inhaltfchwerfte Moment der veutfchen Gefchichte. Von 
der Auffaffung dieſes Ereigniſſes geht jede ‘Darftellung dieſer Epoche 
ans, die mehr als eine blos ftoffliche Compilation fein will; von dem 
Wertbe, ven man ihm beimißt, wird das Urtheil über jene Zeit und 
bie ganze politifche, fociale und religiöfe Entwidlung unfers Volles 
abhängig gemacht. Der Gegenfat der individuellen Anftchten und ber 
Widerftreit der politifchen Tendenzen hat fi) bis auf die neuefte Zeit 
grade an diefem Punkte zu ſtets lebhafterem Kampf entzündet; Politik 
und Moral, Religion und Wiffenfchaft haben die Waffen zum Streite 
liefern, und ven augenblidlihen Sieg im Bemwußtfein einer jeden Tages⸗ 
meinung entfcheiden müffen. Wenn nun überhaupt eine endgültige Ver- 
ftänpigung angebahnt werben foll, dann wird man den Weg einzulchla» 


112 Wilhelm Maurenbrecher, 


gen haben, daß man bie Erneuerung des abendländifchen Kaiſerthums 
mehr als bisher gefchehen in dem Zuſammenhang der politifchen Er⸗ 
eigniffe und der thatſächlichen Verhältniffe jener Zeiten aufzufaffen 
fucht. Dazu iſt aber ein Doppeltes erforderlich. Zunächſt haben 
wir und don ten fubjectiven Stimmungen zu befreien, die uns aus 
der heutigen Weltlage in Politit und Religion erwacfen. Im 19. Fahre 
hundert kann man von ver Nothwentigkeit einer veutfchen Garnifon in Ver 
nedig fehr durchdrungen fein, man wird aber einräumen müffen, daß davon 
ganz unabhängig bie Frage ift, ob im 10, vie deutfche Herrfchaft über 
Rom eine Wohlthat für Deutſchland war. Sodann iſt es nothwen- 
big, daß wir zwar in der Erkenntniß der einzelnen Facta uns metho- 
diſch und genau, wie es ter heutigen Forſchung gebührt, an die gleich. 
zeitigen und Ächten Quellen halten, daß wir aber in ter Beurthei— 
lung der Ereigniſſe und Zuſtände nicht die Autorität auch bed Bes 
ſten jener Mönche böber ftellen, als tie Geſetze ver Logik und das 
Zeugniß des Erfolges. In der alten Gefchichte denkt niemand mehr 
daran, fein Urtheil über Lykurg und Eolon, über vie römische Plebs 
oder die Gracchen nach den Autoren zu richten, aus denen wir bie 
Kenntniß der betreffenden Ercignijfe fchöpfen; es iſt diefelbe Beſugniß, 
oder beffer viefelbe Verpflichtung jelbjtjtäntigen Urtheils, welche wir 
biev ſür unfere vaterländiſche Gefchichte in Auſpruch nehmen. 

Werfen wir bienach zuerft einen Blid auf die Reihe der neueren 
Darfteller, um bie verjchierene Gejtaltung Liefer vorwiegend fubjectiven 
Auffajfungen zu überfehen! — 

Aus den antiquarifchen und ftantsrechtlichen Streitigfeiten ber 
Reichspubliciſten heraus kam die deutſche Gefchichtichreibung erft zu 
einer würbigeren Stellung durch Leibnig’s großartiges Annalenwerf 
des abendländiſchen Reiches. Mit ter größten Velljtäntigfeit des Mas 
teviales, muſterhafter Handhabung der hiſtoriſchen Kritik, weiten 
ſtaatsmänniſchen Blick umfaßt v. gleich ſicher und gleich beſtimmt alle 
Gebiete des abendländiſchen Kaiſerreiches, und erörtert alle ſtreitigen 
Punkte mit gleicher Meiſterſchaft md gleichem Erfelge. ‘Der üblichen 
Entſtellung der Thatſachen durch vie päpſilich geſinuten Schriftſteller 
tritt er mit Entſchiedenheit und größteutheils mit Erfolg entgegen, 
Beſtochen durch die gewaltigen Kaiſergeſtalten, deren Größe er neu 
feſtgeſtellt nnd von alten Makeln neu gereinigt hat, begeiſtert durch die von 





Die Laiſerpolitik Otto I. 113 


ihm erfannte Macht der Ottonen gelangt er dann zu einer folchen 
Hingebung und Bewunderung für bie kaiferlide Würde, daß ihm nes 
ben dieſem Streben alles andere Handeln und Treiben der Fürſten 
Fipfte und Vollkskräfte Berechtigung und Ehre verliert. Das fo oft 
geihmähte 10. Jahrhundert ift ihm das goldene Zeitalter der deut- 
ſchen Geſchichte; Ottos Größe überftrahlt alle Kaifer und Könige, 
felbft Konftantin und Karl müffen vor feinem Glanz erbleichen; feinen 
Rechte gehört der Erpfreis und feinem Befehl mußten Papft und 
Kirche gehorchen. Diefe freudige Empfänglichfeit für die vaterländi« 
Ihe Bergangenheit durchathmet alle Theile des großen Werkes. Hier 
ift ohne Zweifel ein fubjektiver Enthufiagmus von böchitem Einftuk 
anf die Hiftorifche Auffaffung, ganz entjprechend ven politifchen Be⸗ 
ftrebungen, welche Leibnig fonft verfolgt hat. Und doch müffen wir 
fagen: ein unerjeglicher Verluft für die Forſchung ift doch das Ver⸗ 
borgenbleiben ver Annalen gewefen. An ber Hand biefes fichern Füh⸗ 
rers würde die Erfenntniß ver Vergangenheit die beiten Fortfchritte 
gemacht unb jene allzu eifrige Bewunderung der Kaifer wohl bald 
fi gemäßigt haben. Statt veffen mußte man jet mühfam Schritt 
für Schritt das Material berbeifchaffen und die einzelnen Steine erft 
forgfältig behauen, ehe ein ähnlicher großartiger Bau in Angriff ge 
nommen werben fonnte. 

Hahn unternahm mit großer Gelehrſamkeit dieſe vorbereitenden 
Arbeiten; feine „Kinleitung« ift „Leine Hiftorie des beutfchen Volkes, 
fondern ver deutſchen Kaifer, der deutſchen Könige, mit einen Wort 
des deutſchen Reiches; es iſt eine vecht fleißige nur etwas ſchwer⸗ 
fällige Sammlung des Materials, die feinen Anjpruch auf geiftige 
Durchoringung oder politifche Belebung des Stoffes macht. Auch 
Maskov in feinen „Kommentarien« ftellt mit ficherer Kritik, ohne 
Conjecturen und Combinationen in einfacher und präcifer Sprache den 
objectiven Thatbeſtand feft, wobei er einzelne ftaatsrechtliche Fragen 
oder biplomatifche Beziehungen mit’ feinem Blick und ſcharfem Urtbeil 
erörtert; eine innere Verarbeitung aber und politifch-philofophifche Ge⸗ 
ftaltung des Stoffes lag nicht in feinem Plane. 

Auf diefen breiten Grundlagen baute ſich bald die Geſchichtsdar⸗ 
ftellung auf, die, wefentlich verfchieven von der Barteinahme Leibnigen’s 


für die Kaifer, ſich zwar nicht gerade zu ven Gegnern hielt, aber doch 
Hiferifge Zeirfärift V. Ban. 8 


114 Wilhelm Ranrenbredier, 


alles Unheil und allen Berfall Deutfchlantg aus Tem vertehrten Stre- 
ben jener Kaifer, insbefontere ven fortgefegten italienifchen Kriegezä- 
gen berleiten wollte. Dieſe Richtung erfüllt die ganze Literatur ber 
zweiten Hälfte tes 18. Jahrhunderts. Ihr namıhaftefter Vertreter ift 
Michael Ignaz Schmibdt, ver in feiner »Geſchichte der Dent- 
ſchen⸗ allen Nachdruck auf die Erfenutniß der Volkszuſtände legt und 
mit fteter DBerüdjichtigung der nationaler Putereifen bie italienifchen 
Züge ald politifches Unglüd unferes Naterlandes vertammt. Gelme 
Abneigung gegen den Urheber dieſes Strebens nach Italien, gegen 
ben großen Otto, geht bis zur völligen Verkennung aller perfönlichen 
Größe, fo daß kei ihm Nichts mehr bleibt, als ein roher Krieger und 
folvatifher Eroberer. 


Bon diefer patriotifchen Gefinnung ift auch Eihhorns großar- 
tige muftergültige „deutſche Staats- und Rechtögefchichte erfüllt. 
Einem Mann, der ganz von nationalen Einn für deutfche Verfaffungs- 
und Rechtsentwidlung durchathmet, das Elend ver Zujtänte Deutſch- 
lands tief in ver Seele fühlt, mußte das Veftreben ver Kaifer, aus⸗ 
wärtige Eroberungen zu machen, höchft verderblich für die inuere Ent 
wicklung erfcheinen. Die Verfchleuderung ver deutfchen Kräfte in den 
„unglückſeligen“ italieniſchen Zügen wird ald Grund des inneren Der- 
falles für die fpätere Zeit ſtets deutlicher betont. 





Die Darftellung der aiferzeit, wie fie hier auf nationaler Grund⸗ 
lage beruht, gipfelt endlich in Ludens großer adeutſcher Gefchichteu. 
Hier zeigt ſich Dicht neben einander die Stärke und bie Schwäche aller 
fubjettiven Gefchichtsbetrachtung. Weit entfernt in ter Erlangung ver 
römifchen Kaiſerkrone ein Heil für Deutfchland zu fehen, ftellt er alle 
traurigen Folgen der oft wohl blendenten Siege, alles Verderben ber 
italienifhen Züge ſchon bei Ottos erften Verfuchen in biefer Richtumg 
dar. „Des dentfchen Reiches citele Größe und gebrechliche Herrlich 
keit“ iſt das Motto des Abfchnittes, ter Ottos Kaiferzüge fchilvert. 
Abgefehen von ver mangelhaften Begründung biefer Auffafjung bat 
bie ganze Sache bei Luden, wie überhaupt bei allen ähnlichen Schrif- 
ten, die micht aus jtrenger Kritik berausgearbeitet find, ſtets einen 
perjönlichen Charakter; es fpielt fich, fo zu fagen, ein Familiendrama 
des kgl. fächfifchen Herrfcherhaufes ab, an dem die Nation, trog allen 





Die Kaiſerpolitik Otto I. 115 


nationalen Verficherungen des Autors wenig Antheil nimmt und höch⸗ 
ftend den maſſenhaften Chor ver Handlung abgiebt. 

Eine neue Richtung begann mit dem neuen Aufblühen der bifto» 
riſchen Studien. Die zulegt von Luden und neben ihm von mehr 
populären Darftellungen angeftimmte Verurtheilung ver Raiferzeit hatte 
bald alfen fichern Boden verlafjen; es bedurfte einer genauen und all- 
feitigen .Feftftellung der Zhatfachen, einer unerfchütterlichen Baſis, 
von der aus bie geiftige Durchbringung des Stoffes ermöglicht würde. 
Für die Regierung Dtto I. ift diefer Fundamentalbau von Köpke 
and Dönniges mit fiherer Hand aufgeführt worden; der thatjäch- 
liche Hergang liegt jest faft vollftändig flar und gejichtet zu Tage. 
Später hat Dönniges in feinem „deutfchen Staatsrecht und deut⸗ 
fher Reichsverfaſſung- aus diefem fo zubereiteten Waterial ein Bild 
der ottonifchen Regierung entworfen, das ebenſowohl ver Berfönlichkeit 
des großen Kaiferd als feinen politifchen Plänen gerecht zu werben 
verſucht. Mit größter Klarheit wird hier die Herrfchaft Ottos über 
die Kirche, über deutſche Bischöfe und römische Päpfte hervorgehoben ; 
mit vollem Bewußtſein wird bie faiferliche Weltberrfchaft nicht nur 
als kühner Gebanfe Ottos, fondern auch als eine Nothwendigleit für 
pie deutfche Entwiclung gefeiert. „Daß bie Völker für die Idee eines 
ſolchen Kaiferftaates noch nicht gebildet waren,“ ift ihm nicht verbor- 
gen geblieben; die trennende Tendenz der Nationalitäten ift ihm nicht 
entgangen; aber dennoch ift es Ottos Verdienſt, „die Idee eined völ- 
terrechtlichen Staates in die Gefchichte eingeführt zu haben. 

Bon diefen Anfchauungen ift Gfrörer nun himmelweit entfernt; 
er ift es, der fich mit voller Entfchievenheit und in dem Bewußtſein 
aller Sonfequenzen auf den nationalen Standpunkt ftellt und dabei 
doch die Verehrung für die katholifche Kirche vollſtändig zu bewahren 
verfteht. Ihm erjcheint das planmäßige Streben der Ottonen nad) 
der Kaiferkrone al8 ein vollftändiger politiſcher Mißgriff; die langen 
Kämpfe um biefelben hatten ebenfowohl ihren Grund in ver energi- 
fhen Oppofition aller Nationen, al8 in dem tiefen Mißtrauen, das 
ſtets ber Eatholifche Klerus, als Förderer alles wahren Wohles ber 
Menfcheit, ven Kaifern entgegenfegte. Wie nun in jenem confequent 
feſtgehaltenen "Gegenfag der Kaiferbeftrebungen und des National- 
willens« ein großer Fortfchritt nicht zu verkennen ift, ebenſo entſchie⸗ 

8 * 


116 Wilhelm Maurenbrecher, 


dene Einfprache muß man gegen jene bierarchifche Tendenz des Autors 
erheben, ebenjo lauten Tadel gegen feine gewaltthätige Duellentritif 
und feine Willfür in Aufuahme von unbegründeten Borausfegungen 
nnd gewagten Hypotheſen richten. Dieſe legten Eigenfchaften haben 
“denn auch ein ftarkes Mißtrauen gegen alle Behauptungen und Aus— 
führungen Gfrörer’s erregt, das felbit in ſolchen Fällen nicht ausge⸗ 
blieben ijt, wo es in der Hauptſache nicht gerechtfertigt war. 

Eine katholiſche Gefchichtsauffajfung, die nur dem Charafter aus⸗ 
fchließlicher Kirchlichkeit mehr entfpricht und ſich von Gfrörer’s oft füß- 
nem Urtbeil über heilige Kirchenfürjten weit entfernt bält, liegt auch 
dem Werte Damberger’s zu Grunde Auf eine Duellenkritif, vie 
man nur als vollftändige Kritikloſigkeit bezeichnen kann, ift eine ganz 
geiftlofe Verherrlibung Ottos geftügt, deſſen beiliger Miffion lediglich 
felbftfüchtiger Ehrgeiz ver Fürften oder revelutionärer Sinn der Waffen 
entgegengeftrebt haben fol. Ihn ſolchen Anfchauungen berührt fich 
mit ihm Leo in feinen „Vorlefungen über vie Gefchichte des deutfchen 
Volkes und Reiches⸗. Während er die Zhatfachen in lebendiger Er⸗ 
zählung und Harer Darftellung verführt, geht er von unverbehlen aus⸗ 
gefprochener Vorliebe für mittelalterliche Feudal⸗ und Kirchenweſen 
aus; vie Faiferliche Herrfchaft über Italien ift fo fehr ſtillſchweigende 
Vorausfegung, daß er über die Erneuerung derfelben durch Otto kaum 
ein eingehendes Urtheil abgiebt. Bon Gegenſatz und Berechtigung der 
Nationalitäten zu fprechen, heißt ihm vunvertaute eitele Anfichten« ; über- 
haupt vein nationaler Standpunkt ift viel zu Hein für den Ehriften, 
beffen Augen weit hinausbliden über die Heinen Könige der Welt.“ 
In diefem Sinne erfcheint er ſtets als Parteimann der kirchlich⸗päpft⸗ 
lihen Richtung; bemerfenswerth iſt befonders für die früheren Zeiten 
eine häufige Uebereinſtimmung mit NRejultaten, wie fie Gfrörer’s 
aſtrenge biftorifche Kritik“ zu Tage geförvert hat. 

Nachdem fo die verfchiedenen Aufchauungen in oft geradezu ent- 
gegengejegtem Urtheil, bald mehr auf perfönfichem Gefühl, bald mehr 
auf Fritifcher Forſchung beruhend, fich geltend gemacht, vie Vorliebe 
für das mittelalterliche Kaiſerthum aber ſich immer mehr Bahn ge- 
brochen, hat endlich auf die umfaſſendſten Studien geftügt Giefe- 
brecht tie Darftellung der Kaiferzeit begonnen. Stolz auf die Ver- 
gangenheit des deutſchen Volkes und Reiches, wie Yeibnig, ohne in 





Die Raiferpofitit Otte 1. | 117 


ame ungemefjene Bewunderung zu verfallen; erfüllt von deutſchem Na⸗ 
Genalfinn, wie Eichhorn und Luden, ohne doch biefen allein zum ent» 
ſcheidenden Maßſtab zu erheben, fiebt ©. in ter Railerpolitif des 
rohen Dtto eine Nothwendigkeit für unfere veutfche Entwidlung; zu 
Ottos italifchen Zügen drängte Die ganze Vergangenheit bes beutfchen 
Lelfes hin, von ihnen empfing. die Zukunft lebendigen Anſtoß und 
fruchtreifende Bewegung. Wenn auch die anderen Nationen Europas 
ſich ſchwer unter das deutfche Joch fügen wollten, für die Deutfchen 
zar dieſe Beherrſchung Eurcpas eine heilfame Fügung, die deutfchen 
Stämme zu einer Bollseinheit zu einigen. Einen Widerftand ver Na- 
tion gegen biefe Pläne durfte alſo ©. nicht anerkennen; der ludolfiniſche 
Anfttanp ("der Krieg der Söhne gegen ven Vater“) ift nur ein Fa⸗ 
wilienzwift des ottonijchen Haufes, bei deſſen Eintracht allein die Welt⸗ 
kerrichaft zu behaupten möglich gewefen wäre. 

Diefe Darftellung Dttos und feiner Zeit, die bier durch voll- 
Kinbige Kenntniß des Eritifch geivonnenen und gefichteten Stoffes be» 
gäudet iſt, führt zu einer hingebenden Bewunderung der ganzen Stat» 
ferpelitif, die eben weil fie auf nationalem Sinn beruht, den größten 
Auſpruch auf tie Zuftimmung ver beutfchen Nation zu haben fcheint 
uud in der That von vielen Seiten gefunden hat. Eine gleich um» 
faſſende, auf gleicher Baſis beruhende, aber zu geradezu entgegenge- 
item Schiuffe gelangenve Auffaffung enthält dagegen Sy bel's Rede 
über die KHaiferzeit. Hier wird aus bemfelben nationalen Geſichts⸗ 
sanft die antinationale Grundlage und antinationale Tendenz des Kai⸗ 
ierthums, die in Dtto neu auflebte, als Grund ver politifchen Zer⸗ 
rattung Deutfchlands anerkannt, und von bem Streben nach einer 
wealen Weltherrfchaft über Kirche und Staat die Vernichtung des na- 
tienalen veutfchen Königthums abgeleitet. 

Tiefe beiden Auffafjungen, welche die ganze gefchichtliche Ent- 
vicklung Deutfchlands in einem Blick umfpannen, ftehen fich fo dia⸗ 
metral entgegen, daß eine Verftänpigung eine völlige Unmöglichkeit zu 
jein fcheint. Aber, wenn auch das politifche Enburtheil einjtweilen 
ech ungefprochen bleiben mag — die hiftorifche Forſchung, glaube 
xb, wird für die einzelnen Momente zu fichern Refultaten binführen 
mp fo einer möglichen Einigung der Auffaffungen vorarbeiten können. 
Jener Gegenſatz wird fich gerade bei Ottos Regierung am entfchieden« 


118 | Wilhelm Maurenbreiher, 


ften herausftellen, — und doch denke ich, kann man hier nad) ven bi6- 
berigen Vorarbeiten zum Abſchluß gelangen, fobald die Quellenkritit 
vollftändig angewendet, ſobald die politifche Lane der Zeit zu einem 
Geſanmtbild vereinigt, fobald endlich auf ten innern Zufammenhang 
der Einzelnheiten aller Nacherud gelegt wirt. 

Indem bier eine kurze zufanmenfaffenve Darftellung der Politil 
Ottos nach biefen Srundfägen verfucht werben foll, tarf ich für bie 
thatfächliche Grundlage mich wobl auf die „Jahrbücher bes deutſchen 
Neichesu berufen und an Siefebrechts Darftellung anfchließen. 


2. 


Sobald man die wahre Bedeutung des italifchen Zuges Dite’s, 
auf dem ihm vie Kaifertrone als glänzenver Lohn für alle Mühen im 
Rom entgegenwinkte, recht ins Auge faffen will, wirt man fich bie 
Frage vorlegen müſſen: aus welchen Motiven ift der Gedanke biefes 
Zuges entftanben? war cs ctwa eine perjönliche Sehnfucht des Herr» 
fchers oder der Hilferuf des italienischen Volles? war es im Intereſſe 
der deutſchen Nation oder ein politifche® Shftem des Eroberere, das 
Otto tahinführte? ‘Die tiefere Erforfchung des gefammten Zeitalter 
wird kaum einen Zweifel übrig laffen, daß jene Züge von politifchen 
Motiven herzuleiten und aus politifchen Plänen zu ertlären find. Man 
überfchaue Alles das, was Otto in Deutfchland, in Burgund und Frank 
reih, was er gegen Dänen, Wenden, Ungarn und Griechen unter 
nommen, unb man wird feinen Augenblick anftehen, Otto ein großar⸗ 
tiges politifches Syſtem zuzufchreiben. Man vergleiche dann feine Ten- 
denzen mit der Bolitif König Heinrich I., und man wird in jeber Be- 
ziehung dem völligen Gegenfag ihrer Ziele wahrnehmen: bei Heinrich 
eine fejte maßvolle Beſchränkung auf eigene, bei Dtto eine unermüd⸗ 
liche allfeitige Einmiſchung in fremde Angelegenheiten. 

Der Zufammenhang ver Ereigniffe in Otto's Regierung, bie 
Hleichzeitigkeit und Folge feiner Handlungen legen fein politifches Sy⸗ 
ftem offen dar und zeigen eine Stette von politifchen Entwürfen, bie 
fi über ganz Europa hin ausdehnt. Obwohl nun diefe planmäßige 
Politif in den Quellen des 10. Jahrhunderts nicht offen zu Tage 
tritt, wohl cher durch perfönliche Neigungen und äußerliche Beran- 
laſſungen verkedt wird; fe ift doch der Schluß auf tie treibenten 





Die Kaiferpolitif Otto 1. - 119 


Beweggründe ebenfowohl aus ver rein äußerlichen Kette ver Thatfa- 
den geftattet, ale durch die befondere Eigenthümlichkeit aller Quellen 
geradezu geboten. Auf das legtere Moment, glaube ich, wird nech bes 
fonderer Rachtrud gelegt werden müſſen; ver eigenthümliche Charakter⸗ 
zug aller dieſer Schriftiteller der ottonifchen Kaiferzeit muß fcharf in’s 
Ange gefaßt und bei der politifchen Beleuchtung des Stoffes auf dus 
beftimmtefte berüdjichtigt werben. 

Alle gleichzeitigen Berichte über die Regierung Heinrich's und 
Otto's geben nur wenig Auffchluß Aber bie politifchen Ziele und Mo- 
tine ihrer Helden; eine pragmatiiche Verknüpfung der Thatfachen aus 
politifchen Gefichtspuntten, einen Stanbpunft, ver fich von rein per- 
fönficher ober religiöfer Motivirung frei macht, fucht man bei ben 
Hiftorifern des 10. Jahrhunderts vergebens; ihnen genügt, es anzu 
merfen: jener Fürft war muthig, tapfer, fromm; er handelte für das 
Heil ver Kirche, für die Verbreitung bes göttlichen Namens, ihm 
ſtand Gottes Hülfe fiegreich zur Seite. Wie fehr man auch dieſes 
fromme Bemwußtfein ver Zeit in jedem Worte anerkennen, wie fehr 
man fi) an ter Innigkeit der Ueberzeugung, ver Reinheit ver Be> 
wunberung, dem oft poetifhen Schwung ver Darftellung erfreuen 
mag, ebenfo ſchmerzlich wird man ben politischen Blick auf die Zeit 
vermiffen, und ebenfo unjicher wird man dieſe Berichte nennen, wenn 
fie als Grundlage einer politifchen Betrachtung dienen follen. 

Sehen wir ab von den kurz abgeriffenen Jahrbüchern, vie mit 
wenigen Worten bie Greigniffe jedes Jahres notiren, fo ift der eigent- 
lichen Geſchichtsdarſtellung aller Zeitgenoffen dieſer Zug als charak⸗ 
teriftifches Merkmal aufgeprägt: jie alle fcheiden die Politik nicht von 
ver Moral, alle urtheilen nur nach religiöfen und moraliſchen Prin- 
zipien, alle gehen von ber Bewunderung ber kaiferlichen Größe aus. 
Alle Gefchichtöwerfe, die das Bild ihrer Zeit beftimmt haben, find zu 
einer Zeit gefchrieben, als Dtto im Glanz feiner Thaten, gejchmüdt 
mit dem römifchen Kaiferbiadem, an ber Spige der abenplänbifchen 
Ehriftenheit ftand; fie find von Männern gejchrieben, die entweber 
nachweislich mit dem ottonifchen Hofe in Verbindung geſtanden ober 
doch von tem Glanz der Hoffonne erleuchtet und geblenvet waren. 
Nichts ift und von deutfchen Quellen erhalten, das von entgegenitre- 
benden Tendenzen beeinflußt, die Anfichten ver Gegner im Zuſam⸗ 


130 Wilhelm Maurenbrecher, 


menhange erkennen ließe. Die religiöſe Stimmung und die bewun⸗ 
dernde Hingebung an Otto's Größe find alfo die Eigenthümlichkeiten, 
die alle Quellen gemeinfam haben und beren Einfeitigleit fcharf be- 
tont werden muß, fobald man die Politif der Kaifer und Fürften, 
fowie die Stimmung der Völler in ihrem wahren Lichte fehen will. 
Bei einer ſolchen Unterfuchung ber einzelnen Schriften ergibt ſich 
innerhalb jenes allen gemeinfamen Charakters eine große Mannigfal« 
tigfeit von Nuancen bei ven Einzelnen; eine feltfame Miſchung von 
ruhiger Erzählung und leidenfchaftlichem Parteiurtheil, von religiäfer 
Begeifterung und eigenem Stammesgefühl tritt bald offener, bald 
verhüllter bei ben Einzelnen hervor. Einige Turze Bemerkungen über 
biefe Eigenthümlichkeiten der verfchievenen Duellen mögen unjere Auf 
faffung ver ottonifchen Politik und ihrer Gegenfäge rechtfertigen. 

Auf das traditionell überlieferte Bild des 10. Jahrhunderts und 
das Gefammturtheil über vie deutfchen Könige Heinrich und Dtto hat 
fein Schriftteller größern Einflink ausgeübt, als der Korvehyer Mönch 
Wipufind, der von feinem Slofter aus bie Kriegszüge feiner Sach⸗ 
fen friſch und lebendig erzählte. Wenn bei ihm ber fpecififch religiöfe 
Sinn nicht fo ſtark hervortritt, ganz frei von den Anfichten eines 
Mönches ift er doch nicht geblieben. Dem Zanber ber ottonifchen 
Größe dagegen ift er in ſolchem Maße bingegeben, daß feine wfäch 
ſiſche Gefchichten zur Verherrlichung des Kaiferhaufes wird, und feine 
Darftellung fi in eine Lobrede auf Otto's Erfolge verwandelt. Zum 
Zeit der höchſten Blüthe ver ottonifchen Kaiſermacht gefchrieben, und 
ber Tochter des Kaiſers gewidmet, ift fein Werk nicht ohne gute ftoff- 
liche Unterftägung vom Hofe, nicht ohne Beeinfluſſung durch bie An- 
Shauungen des Hofes geblieben. Der Stolz; und Jubel des Sachfen 
über die mächtige Stellung des Sachfenfürften leuchtet überall her⸗ 
vor; die Weltherrfchaft, die ihnen nicht durch päpftliche Krönung, 
ſondern vermöge des Rechtes ihrer Thaten gebühre, habe Heinrich 
begründet, Otto gegen äußere und innere Gegner befeftigt und zum 
Heil der Ehriftenheit gegen die Heiden behauptet. Anf ven erften 
Blick fieht man, daß hier eine einheitliche Auffaffung zu Grunde liegt, 
eine beftimmte Anficht feftgehalten und durchgeführt ift. Wie weit 
darauf der Hof eingewirkt, ift im Einzelnen kaum zu fagen; jeben 
falls mußte das die Meinung des abendländiſchen Kaiſers ausbrüden, 





Die Ratferpolitif Otto 1. 121 


ze der mit ihm emporgelommenen PBarteirichtung entfprechen. Hält 
man dies feit, fo wird man bie von Wibulfind überlieferten That» 
ſahen meiften® als richtig bezeichnen können; denn eine abfichtliche 
Serprebung ver Geſchichte lag ihm fern; was er nicht genau weiß 
ter mitzutbeilen Bedenken trägt, deutet er nur vorfichtig und in all 
gemeinen Umriſſen an; auch fein perfönliches Urtheil ift immer be- 
betfam und gewiß ſchonend ausgebrüdt. So tft Widukind uns durch 
feine thatfächliche Ueberlieferung von großem Werthe, aber noch ale 
Perteimann der kaiſerlichen Politik Otto's anzufehen, deren Berechti- 
gung für ihn feftiteht, teren Entwicklung im Einzelnen aljo für ihn 
sum nöthig war '). 

Unter der Regierung Heinrich II. faßte ver Biſchof Thietmar 
fin Geſchichtswerk ab, wozu er den von Widukind gegebenen Stoff 
beuugte und aus münblicher Tradition noch Einiges hinzufügte. Es 
ft intereffant zu fehen, wie fich hier das religiöfe Gefühl, das bei 
Birufind eng mit ber Kaiferbewunderung verknüpft it, weiter ver- 
reitet und den ganzen Bilde eine etwas andere Färbung gegeben 
bit. In feiner Erzählung nämlich, die von moralifchen Reden, er- 
baulichen Anefooten, prebigermäßigen Nutanmwendungen unterbrochen 
wirt, fteigert er Widukind's Bewunberung zu der Erflärung, daß 
rurch Otto das golvene Zeitalter ber Menfchheit herbeigeführt fei; 
mmittelbar fei Otto durch die göttliche Gnade erleuchtet, von Gottes 
eft jegnenter, oft ftrafenver, ſtets gegenwärtiger Hand geleitet und 
füsrt. Eben dies Borwalten des religiöfen Tones führt ihn dann 
mch oft zu einem felbftftändigeren Urtheil, das oft unverhohlenen 
Tatel über einzelne Fehler Dtto’8 ausfpricht, aber nie die Nutzan⸗ 
werbung für ten frommen Lefer vergißt. So hat ſich auf ver Grund- 
lage Wivukind's im Laufe weniger Yahrzehnten das Bild Dtto’e, 
war mit einigen Nuancen, aber im Ganzen das Gleiche feftgeftellt; 
tenn die religiöfe Betrachtung, wie fie bei Widukind etwas zurückge⸗ 
treten, von Thietmar ftärfer betont war, war ver ottonifchen Zeit 
micht fremd; Darftellungen.aus jener Zeit tragen deutlich dieſen Stempel. 

Es find beſonders die vielen Biographien der Heiligen und Bi⸗ 
f&böfe, die dieſen vorwiegend religiöfen Charakter an fich tragen: Er⸗ 
bauung bes Leſers, Ermahnung zu gottfeligem Wandel durch das 
Beifpiel diefer Sottesfämpfer ift ihr Hauptzweck, vor dem bie rein 


122 Bilpelm Maxrenbrecher, 


gefchichtliche Tarftellung fehr in den Hiutergrunt zurüdtreten muß. 
Bor allen andern iſt für Ttto’s Regierung von der größten Bebeutung 
das Leben des Bruuc, von vem Kölner Mönch Ruotger bald nad 
Bruno's Ted verfaßt une tur tie Beziehungen des Verfaſſers zu 
Bruno’s Nachfelger Folkmar mit guten Nachrichten ausgeftattet. R. 
ichreibt nun von ganz beſchränkt mönchiſchem Staudpunlt aus zur 
Erbauung fremmer Chrijten. Die großartige pelitifche Bereutung 
Bruno’s jcheint ihm felbftjtändig Taum zum Bewußtſein gekommen 
zu jein. Denn fobald er, ven Boten der Kirche verlaſſend, feinem 
Helden in das politifche Leben folgt, verfällt er in jenen ſtereotypen 
Zon ver Bewunderung für den vorgejekten Bifchof. Trotzdem aber 
— und das hat ben Ruotger manchen Lobſpruch neuerer Forſcher 
eingebracht und das empfiehlt ihn auch wirflid — gibt er hier man⸗ 
ches Korn einer guten thatfächlichen Ueberlieferung, und bringt man⸗ 
ches neue ſchätzbare Detail über vie Iubolfinifche Empörung und Bru⸗ 
no's Thätigkeit in Lothringen bei, das zur Charakteriftif ver ganzen 
Situation und der Lage ver Parteien trefflich dient. Abgefehen von 
jenen einzelnen Veittheilungen, vie bei unferem lüdenhaften Quellen⸗ 
material von größten Werthe find, ift feine Schrift nur ein in 
ziemlich gutem Latein gefchriebenes Erbauungsbuch, das in biographi- 
ſcher Form Die Heiligkeit und Erhabenheit des chriftlihen Mannes 
zu feiern und ale Wufter für jeden Lefer zu eipfehlen weiß’). Die 
jelben religiöſen Tendenzen liegen auch dem Leben des Biſchof Udal⸗ 
rich von Augsburg und dem Yeben ber Königin Mathilde zu Grunde. 
Diefe und alle ähnlichen Schriften, anch wenn fie einzelne gute No— 
tigen mittheilen, gehen alle won Gefichtspunften aus, wie fie dem kirch⸗ 
lichen Yeben natürlich fine, aber von einer ächten Gejchichte immer 
weiter abführen müffen. Intereſſant ift e&, zu beobachten, wie bie 
herrſchende Anficht des lönigl. oder kaiſerl. Hofes auch auf viefe geiſt⸗ 
liche Yiteratur cingewirtt bat. Seine von allen jenen Biographien 
feiert einen Mann, ber im Gegenfag zum Hofe geftanden: Erzbiſchof 
Friedrich bat feinen Gejchichtfchreiber gefunden; nur bie politifche 
Richtung der Ottonen dat ihre Heiligen und Bijchöfe dem Andenken 
der Nachwelt überliefert. Die politifche Beeinfluſſung am Hofe it 
fe weit gegangen, daß man Das „Veben der Königin Mathilde» unter 
Heinrich II. nah den Sefichtspunkten umarbeitete, tie damals im 
Schwunge waren. 


- 


Die Raiferpofitit Otto 1. 123 


Während fo vie Bewunderung ber Kaiſergröße ſich überall mit 
religisfer Stimmung gepaart bat, tritt noch eine dritte Art von Bes 
rigten hinzu, bie wir als geradezu von Hofe hervorgerufen, als nin- 
krirt« bezeichnen müffen. Nicht genug, daß ver Autor mit ven 
Zendenzen ver böfifchen Bolitif übereinftimmt oder vom Hofe mit 
Rachrichten unterjtägt wird: die Darftellung als Ganzes und in allen 
Einzelnheiten ift vom ottenifchen Hofe eingegeben und geleitet. Dort 
afaıb man wohl das Berürfniß auf bie Zeitgenoffen fowohl als 
af dae Urtheil der Nachwelt zu wirken, irrigen Deutungen vorzus 
beugen und falfche Darftellungen durch Darlegung des Sachverhaltes 
ja berichtigen. Alle ſolche offiziellen und offiziöfen Berichte bringen 
sum tie Wahrheit oft, aber nicht immer zu Zage; recht häufig ift 
es auch nur ihre Abficht, eine beftimmte Anficht des Gefchehenen, vie 
8 Intereſſe und vie Ehre des herrfchenden Syſtemes erforbert ober 
wänfchenewerth macht, zu verbreiten und dem tFernerftehenden aufzu« 
nsthigen. Während in dieſer Weife der libellus de imperatoria po- 
testate die faiferliche Gewalt, die Otto's Vorgänger, Karl ver Große, 
m Rom befeffen, durch eine gefchidte Darftellung der Vergangenheit 
ale politifche Notwendigkeit für die Gegenwart nachweift; begann 
u Deutſchland die Nonne Roswitha die Thaten Otto’s im Auftrage 
uud nach Berichten des Faijerlichen Haufes aufzuzeichnen. Hier er- 
ſcheint tann Otto ftets im fledenlofeften Glanze, „ein neuer David“; 
tie Oppoſition mehrerer Glieder der kgl. Familie muß, fo gut es 
eben geht, bemäntelt und vertufcht werben. Indem R. fo hin und 
wieder ihre offiziellen Berichtigungen und Verbefferungen ver üblichen 
Daritellung anzubringen weiß, gibt fie uns zuweilen auch Thatſachen 
me Motivirungen an, bie, wenn auch nicht immer ftichhaltig, doch 
derchgehends aus guter Duelle fommen, immer aber die Auffafjung 
ter Hofpartei anzeigen ?). Eine von der faiferlichen Partei ausgehenve 
Durftellung ter Häntel Otto's mit dem Papjte zeigt Yiutprand’s 
„Geſchichte Otto's“. Einem Gefchäftsmann ver faiferlichen Regie— 
rung, Der gerade in den von ihm erzählten Angelegenheiten thätig war, 
ft wohl eine vollftändige Kenntniß der Sachlage und der Ereigniffe 
m;utrauen; ihm haben die Alten felbjt vorgelegen; und fo ift feine 
Derftellung ftellenweife von urkundlichem Werthe; doch wird man an 
einzelnen Urtheilen und gelegentlichen Bemerkungen die politifche Par⸗ 


124 Wilhelm Maurenbrecher, 


teiftellung des Autors nicht verfennen. Noch mehr tritt das zu Tage 
in einer andern Schrift Liutprand’s, die er "Buch der Vergeltungen« 
betitelt Hat und die mın füzlih als feine „Memoiren‘ anfehen 
kann. Mit all!r Yeidenjchaftlichleit der Sprache, die dem Italiener 
zu Gebote fteht und dabei aller Gelehrſamkeit, vie ſih ein Biſchof 
des 10. Jihrhunderts erwerben konnte, entwirft 8. eine Sfizze ber 
Bergangenheit, die voll des größten Xobes für das fächlifhe Herr- 
fchergefchlecht, voll von Bitterkeit und Haß gegen bie italienifchen 
„Tyrannen“ die Einmifhung Otto's in Italien rechtfertigen foll. 
Wenn nun auch bie ungemeifenen fchranfenlofen Ergüffe feiner erreg⸗ 
ten Beredſamkeit ſtets mißtrauifch angefehen und als fubjeltive Zu⸗ 
thaten des Schreibenten entfernt werben müſſen, fo ift doch 2. in 
ben wichtigiten thatfächlihen Mittheilungen volljtändig gegen allen 
Zweifel gerechtfertigt werden; immer aber wird ein Urteil, das nur 
auf feinem Zeugniffe ruht, mit dem größten Mißtrauen aufzunehmen 
fein. Kurz, wir haben es mit einem Manne zu thun, ber inmitten 
bes politifchen Lebens ſtehend, ter beftimmten pelitifchen Partei der 
Faijerlichen Herrfchaft huldigt, dieſe feine Weberzeugung in jeder Wen⸗ 
bung feines Werkes bekundet und feine politifchen Gegner mit allen 
Waffen ver politifchen Praris und ver biftorifchen Darftellung be⸗ 
kämpft ®). 

Den wohlthuendſten Gegenſatz zu dieſen trüben Quellen bilvet 
eine Reichsgefchichte, die im Nlofter St. Marimin in Trier gefchrieben, 
unter dem Namen ver „Fortſetzung Reginos“ bekannt iſt. Wäh- 
rend in allen bisherigen Darjtellungen vie politifchsreligtöfe Auffaffung 
ber ottonifchen Kreiſe veutlih zu Tage tritt, finden wir bier eine 
ziemlich objectiv die Thatſachen begleitende annaliftifhe Erzäh—⸗ 
lung, die in ihrem weitern Verlaufe ftets betaillirter und zuverläffiger 
wird. Der Berfaifer verfelben, wahrfcheinlich ver fpätere Erzbifchof 
von Magdeburg, Adalbert, ift zwar nichts weniger als ein Gegner 
Otto's, allein feine Webereinftimmung mit Otto’ Politit hat ber 
Freiheit der biftorifchen Auffafjung wenig Eintrag gethan; feine Er- 
zählung ift unentftellt von dem üblichen panegyrifchen Schwung, und 
frei von dem mönchiſchen Predigerton, der, ftatt zu erzählen, ecbauen 
will. Wenn uns mehrere folche Darftellungen zu Gebote ftänden, 
würde das Bild der Zeit viel Harer geblieben fein; alfein jene fub- 





5 ’ 


Die Kaiferpofitit Otte 1. 196 


jettiven Anfchauungen find den Quellen felten fo fern geblieben, als es hier 
ter Ball ift. Welchen ververblichen Einfluß aber dieſe Tendenzen ber 
Darftellung ausüben, zeigt fi) uns noch anfchaulicher an dem Ver⸗ 
bältnig zweier Quellen, die zwar Deutfchland felbft nicht angehören, 
über deutfche Verhältniſſe aber viel Licht verbreiten: ich meine ven 
Flodaard und Rider. Während Fl. in feinen Unnalen vie Ereig- 
niffe der franzöfifchen Gefchichte und ihre Berührung mit ber deutfchen 
in Lothringen in kurz abgeriffenen Notizen, aber vollftändig, treu mit 
beinahe urkundlicher Gewiffeubaftigfeit verzeichnet; geht Richer von 
biefen Mittheilungen Flodaards aus, weiß aber Allem eine andere 
Geſtalt zu geben: ftatt Otto ift es ber Carolinger, dem die Herr- 
ihaft gebührt, ihm fteht Otto in Allem nach und leiftet ihm nur 
bie gebührende Hülfe. Wie fehr dieſe Anfchauung aller wirklichen 
Geſchichte widerftreitet, braucht kaum bemerft zu werden. Da man 
nan in biefen franzöfifch - gefärbten Berichten vie Gefährlichkeit ver 
fubjeltiven Tendenzen fieht, ermißt man erft, wie behutfam unfere 
deutſchen Duellen zu gebrauchen find, die alle mehr oder weniger eine 
ottonifche Auffaffung und Faiferliche Färbung verrathen. In jenem 
nationalen Ehrgefühl, daß fich gegen vie Herrfchaft des Ausländers 
ausfpricht,. berührt Richer fih mit italienifchen Quellen feiner 
Zeit. Während dort fchon in der Ehronif von Salerno ein italienis 
cher Patriotismus durchklingt, ift die Chronik des Mönches Benedikt 
vom Klofter St. Andrea auf Sorafte ganz erfüllt von den Gefühlen 
des Haffes gegen die fremden Eroberer, ver Trauer um die verlorne 
Größe Roms, der Erbitterung über vie Schmach Italiens; ein merk⸗ 
würbiger Gegenfag zu den deutſchen Geſchichtsbüchern, in denen ſtets 
ver Einfluß des Hofes mit dem Eifer des chriftlichen Prieſters eng 
verbündet ift. 

Wie viel uns in biefer Duellenliteratur, bie wir bier kurz ge 
muftert, auch geboten fein mag; große Lücken bleiben unausgefüllt 
und können auch durch Darftellungen ähnlichen Charakters fchwerlich 
genügend vervollftäntigt werden. Wie unfer Duellenbefund nun ein« 
mal fteht, ift eine genauere Kenntniß der Politif jener Zeiten nur 
möglih, wenn jene Nuancen innerhalb des allgemeinen Charakters 
der Schriftfteller ftetS feftgehalten und berüdjichtigt werten. Aus ven 
Wiverfprüchen ver höfiſchen Roswitha und des objektiveren Fortſetzers 


126 Wilhelm Manrenbrecher, 


Regino's, dem ſcharf ausgeſprochenen mönchiſchen Sinn Ruotger's ne⸗ 
ben dem rückhaltloſen ſächſiſchen Stammesgefühl Widukind's müſſen 
wir die Berichte der Oppoſition ergänzen, und hierzu in den einzelnen 
Andeutungen das Material herbeiſchaffen. Wird eine ſolche Quellen⸗ 
kritit aus dem Geſichtspunkt einer politiſchen Betrachtung ſtreng feſt⸗ 
gehalten, ſo wird ſich im Zuſammenhang der überlieferten Thatſachen 
das Bild der ottoniſchen Zeit in allen weſentlichen Punkten deutlich 
herausſtellen. Auf ver einen Seite wird das planmäßige Streben 
Otto's nach) Beherrſchung der europäifchen Chriftenheit in Staat 
und Kirche feititehen; auf der andern Seite wird ber Gegenfaß bie 
fer Tenvenzen zu ven Wünfchen ver beutfchen Nation beftimmt ber- 
portreten. 


3. 


Die gewaltige Herrfchaft Karl’s des Großen über vie ganze 
abendlänbifche Chriſtenheit ftürzte nach feinem Tode durch die umpider- 
ftehlih trennende Kraft der Nutionalitäten in Trümmer. Die taifer- 
liche Diacht in den Händen feiner ſchwachen Nachfolger war nicht im 
Stande, dieſem Zerfall vorzubeugen, und fchen bald zum fchwachen 
Schatten von Karl's Hoheit abgeblaßt. In dem allgemeinen Chaos 
der Völkerkräfte begannen gegen das Ente des 9. Jahrhunderts fich 
überall Heinere Gruppen zu fanmeln und um größere oder Heinere lofale 
Mittelpunkte fich zu neuen nationalen Staatenbildungen zu einigen. Wenn 
e8 auch von Bayern aus Arnulf noch einmal gelang, wenigftens vie 
Idee des alten Kaiſerthums zu retten, konnte doch durch ihm die Rei⸗ 
bung ber einzelnen Theile, ver Zerfegungs- und Neubildungsproceß 
nicht aufgehalten oder verhindert werten. Mit zwingender Gewalt 
trieb die Zeit zur Trennung ber verfchiedenen Nationen, zur ſelbſt⸗ 
ftändigen Geftaltung der einzelnen Völker. 

Im Beginn des 10. Jahrhunderts war die zukünftige Geftalt 
Europas jihon nicht mehr zweifelhaft: Frankreich, Burgund, Italien 
und Deutfchland hatten ihre Keime angefegt, zu deren Reifen es nur 
ber Zeit beturfte. Fraglich blieb allein, welcher von jenen Trümmern 
ber alten europäifchen Weltmonarchie zuerft die Bildung eines nenen 
felbftjtänpigen Staates vollendet haben würde. In Frankreich tobte 
der Streit zwifchen ven Weiten ver farolingijchen Familie und den 





Die Raiferpofitit Otte 1. 19 


großen Bafallen, unter denen die nachmaligen Rapetinger vor alfen 
bebeutenb geworden, zu welchen dann das mächtige Rormannengefchlecht 
nen binzugetreten war. em einft vie Verfchmelzung des Landes zu 
einem einheitlichen Staute gelingen und damit vie Herrichaft über das 
Ganze anheimfallen wärte, war allerdings noch nicht abzufehen; vie 
Möglichkeit ftand einftweilen noch jeder Partei offen. In Burgunt 
waren die Barteilämpfe im Innern nicht geringer, und von Außen 
drohte von zwei Seiten die Gefahr der fremden Einmifchung; das 
Schidfal dieſes Landes alfo war noch ganz zweifelhaft. Die nächfte 
Ausſicht zu einer nationalen Einigung hatte Deutfchland; die An- 
bahnung berfelben wurde in Italien nicht minder kräftig verjucht; 
in beiden Ländern zeigte fich ber befte Fortfchritt zu dieſem Ziele, als 
Ottos große Perfönlichkeit in vie Regierung eintrat und in andere 
Bahnen einlenfte. 

Die beutfchen Stämme, die nach dem Verduner Vertrag zu einen 
Reich verbunden gewefen, in ven traurigen Wirren der Folgezeit aber 
faft vereinzelt Jeder fich Selbftjtändigfeit errungen hatten, waren erft 
durch des Sachſenherzogs Heinrich Bemühungen wieder zur Staats- 
einheit vereint, und durch feine geſchickte vie Wirklichkeit dev Verhäftniffe 
ftets fein beachtende Bolitit ver Srunpftein eines neuen Reiches feft 
und ficher gelegt worden. Während er im Innern mit richtigen 
Blick für das einftweilen Erreichhare eine Vermittlung zwifchen ber 
Einheit des Reiches und ber Autonomie ter Stämme zu finnen wußte, 
bie doch fo ungelegt war, daß eine engere Verbindung, eine Stärfung 
des Föniglichen Anfehens ftet8 mehr und mehr ſich anbahnen mußte: fo 
zeigte er dieſelbe maßvolle Zurückhaltung und Befchränfung auf feine 
Sphäre auch in dem Verhältniß zur Kirche. Weit entfernt von jener 
im farolingifchen Staatöwefen begründeten halbgeiftlichen Auffaffung 
des Königthums, die unwillkürlich zur Beherrfchung ber Kirche und 
zu Eroberungen nad Außen binzuführen fchien, wies er gleich beim 
Antritte feines Regimentes die priefterliche Salbung entfchieten zu⸗ 
rück und fuchte eine beftimmte Auseinanderfegung ver weltlichen und 
geiftlichen Befugniffe während feiner ganzen Regierung anzubahnen. 
So feft und Har feine Politik hier auf alle Verhäftniffe mit Scho- 
nung des Beftehenden einzuwirken verfuchte; ebenfo deutlich und ebenfo 
conſequent feſtgehalten treten feine Pläne nach Außen Hin zu Tage. 


128 Büheln Maurenbreder, 

Das deurfche Lothringen, das jib unter Kenrad von Deutſchland 106 
gelöjt, wußte er bald wierer berkeizubringen; mit dem Könige von 
Italien jtellte er jich auf einen freundſchaftlichen Fuß; in die franze- 
ſiſchen und kurguntifchen Händel ließ er jich nur jo weit ein, als es die 
Sicherung Deutſchlands, vie Vefeſtigung in Lothringen erforderte, ent» 
hielt jich aber aller Einmiſchung in tie innern Angelegenheiten biefer 
Länder und juchte, von ten Parteien berbeige;egen, nur allfeitigen 
Frieden zu jtiiten, indem er je auf jede Art von Oberherrlichkeit über 
jene den Teutjchen an Givilifation ebenbürtigen Nationen verzichtete, 
wies er ter Kriegeöfraft res Volfes tie Bahn nach Tften, wo deut⸗ 
ſche Miſſion und Colenifation ven jchönften Boten fand, wo es galt 
die Neichegränze gegen vie halbbarbariichen Ungarn, Slaven und Di- 
nen zu fehügen.°) Dieſe Thätigfeit Heinrichs trug Deutichland bie 
ichönften Früchte, überall begann feine Pflanzung zu blühen und zu 
reifen, überall jtärkte fi) das deutſche Weſen; feinem Sohne hinter 
ließ er das Neich in blühendem Zujtant voll Ausficht auf eine ſegens⸗ 
reihe Zufunft. 

In Italien warb zu tverfelben Zeit ver gleiche Verfuch gemacht, 
die Einheit und Unabhängigkeit ver Nation jicherzuftellen. Hier traten 
der nationalen Sammlung nicht minder gewaltige Hinderniſſe ent- 
gegen. Abgeſehen ven ven tiefgehenden Parteizerrüttungen, von ben- 
Kämpfen der Öroßen unter fich und gegen jeden etiwa® mächtiger auf 
tretenden Herricher, abgefehen auch von den lofalen Gegenfägen, bie 
bier fehr ſcharf ausgeprägt waren, bildete befonderd das vömifche 
Papſtthum ein Moment von ver größten Bedeutung auch für die po 
litifche Entwidlung des Landes. Die univerfale Stellung, die ber 
Stuhl Petri, als das geiftliche Oberhaupt ver ganzen Chriftenheit 
fortwährend in Anſpruch nahm und zeitweife ſchon mit großem Er⸗ 
folge turchgefegt Hatte, und ein gewifjer von ihm beftänbig ausge 
übter Einfluß auf bie unmittelbare Regierung ver Statt Rom machte bie 
Dejegung beffelben zum Gegenſtand ver beftigften Parteikämpfe. Da 
ber römiſche Land- und Stadtadel das größte Intereſſe hatte, ſich 
ſeiner zu verſichern, ſo bildete ſich hier ein politiſches Treiben localen 
Charalters, welches aber durch die weiten Verbindungen des Papſt⸗ 
thums bald auf alle italieniſchen Verhaͤltniſſe einwirkte, und jeder 
Einigung der Nation um einen andern Mittelpunkt den heftigſten 


Die Kaiferpofitit Otto 1. 129 


Biderftand entgegenfegte. Troß aller biefer Hemmnijfe aber war Hugo 
Graf ven der Provence im Kampfe ver Parteien, mit Unterftäßung 
des Papſtes Johann X. zunächſt in ber Lombardei emporgelommen, 
md ftrebte dann mit allem Eifer eines thatkträftigen Mannes feine- 
Inigliche Gewalt über den Parteien zu behaupten und ganz Stalien 
feinem Scepter zu unterwerfen. Es würde bier zu weit führen, aus» 
füßrlich im Einzelnen zu zeigen, wie das Bejtreben Hugo’s auf Ein- 
heit und Unabhängigkeit Ftaliens vom Glücke begünftigt war, wie er 
alle Empõörungen niederjchlug und fich allmälich immer ftärler und 
hoffnungsreicher in der Gewalt befeftigte.‘) Wenn auch feine Pläne 
auf Rom fehljchlugen und im Gegenfag zu ihm dort Alberich fich der 
Gewalt bemächtigte und das Papſtthum von feinem Willen abhängig 
hielt; Hugo unterließ es feinen Augenblid, feine Thätigfeit auf Rom 
binzuwenben, und ohne Zweifel würde er ohne die auswärtigen Ver- 
wicklungen, welche ihn mehrmals im entjcheidenden Augenblide hemm⸗ 
ten, das erfehnte Ziel erreicht haben. Außerhalb Roms hatte er 
olfe inneren Factionen mit Strenge unterprüdt, fich aller äußern Ans 
griffe, theils durch kluge Unterhandlung, theild durch das Glück ver 
Waffen erwehrt, die enge Verbindung mit ſeinem Heimathlande Bur⸗ 
gund anfangs beibehalten, dann nothgedrungen eine Zeit lang aufge⸗ 
geben, endlich theilweije erneuert, zulegt auch mit Glück gegen vie 
ESaracenen in ven Alpen gekriegt: da, als er feine Macht vauerhaft 
befeftigt glaubte, brach das Ungewitter vernichtend über ihn herein, 
‚ das ihm ſchon lange von Deutfchland aus gedroht Hatte. Dtto, ber 
feinen europäifchen Siegeszug begonnen, hielt ven Augenblick für ge« 
eignet, den Angriff auf Stalien ins Werk zu fegen, zu dem ſchon 
längft Alles vorbereitet und den Hugo's fortgefegte unterthänige Ge- 
ſchenke weniger al8 Ottos anderweitige Beichäftigung bis dahin zu« 
rüdgebalten hatten. 

So wurde die Entwicklung Italiens durch Otto's Angriff untere 
brochen und eine Verbindung mit Deutfchland eingeleitet, Die, hervor⸗ 
gerufen durch Otto's Richtung auf fehrantenlofe Weltherrichaft, bie 
natienale Geftaltung beider Länder in gleichem Maaße gefährven 
mußte. Sehen wir jetzt, wie fich dieſe Politit Otto's planmäßig ent- 
widelt und Europa zu beherrfchen begonnen hatte! — 

Diſtoxiſche Zeitſchrift J. Band. 9 


130 Wilhelm Maurenbrecher, 
4. 


Während König Heinrich bei der Krönung bie feierliche Anerken⸗ 
nung durch das verfammelte Volt für genügend erachtend, bie Sul- 
bung durch Briefterhand abgelehnt batte, war e8 Otto's Bemühen mit 
möglicht großem Pompe biefe heilige Handlung vernehmen und fich ine 
mitten ver Vertreter des Fürſtenſtandes und ter höhern Geiftlichleit 
frönen und falben zu laſſen. Die ganze geijtliche Natur des König- 
amtes ift hiermit erneuert. Otto ijt ber Herr der Chriftenbeit, nber 
zur Verbreitung ber wahren Religion, zur Vernichtung der Heiden und 
Ketzer, zum Schutz ter Diener Gottes eingefeßt, zu dieſen Zwecken 
ron Gott Macht und Anfeben empfangen bat.“?) Der ganze Ges 
genfaß, in den Otto zu feines Vorgängers Auftreten im Innern 
und nach Außen Hingeführt werten mußte, ift bier fchon im Keime 
enthalten und bie Cigenthümlichkeit feiner Erfcheinung deutlich zu er- 
kennen. Seine geniale Perfönlichkeit, feine weitfliegenden Entwürfe, 
die aller Schranken fpotten, feine religiöfen Neigungen, die immer 
mehr das Kirchliche Leben bevorzugen, alle tiefe Cigenfchaften des 
großen Otto fejjeln das Auge tes Betrachters in hohem Maße. Ueber 
fieht man bie Tragweite feiner Plane, die confequente und fcharf fefte 
gehaltene Energie ter Ausführung, tie berechnende Feinheit der Une 
terhandlung und im kritifchen Moment das verwegene Dreinfchlagen 
mit tem Schwerte, endlich tie überaus zwedmäßige Wahl feiner 
Mittel und Werkzeuge: dann wird man zugeben müffen, feine Perfän- 
lichfeit war ber höchſten Bewunterung, bie fie gefunden, nicht unwerth; 
ber blentente Zauber einer ſolchen Erfcheinung war wohl geeignet, vie 
näherſtehenden Genoffen zu feſſeln und bie Schriftjteller an die Vers 
berrlichung feines Strebens zu gewöhnen. 


Nach ter impojanten Feierlichkeit zu Aachen regte fich bald bie 
Giferfucht ter Stämme gegen einander; aber bier zeigte Otto feine 
Meiſterſchaft den Wiverjtand zu überwinden und alle Vortheile für 
jeine Zwede auszunützen. Mitten ans jenen innern Fehden ragte ſchon ver 
Gedanke an die Unterwerfung der Nachbarländer hervor; hier ſchon zeis 
gen ſich Spuven jeiner Alles beſtimmen wollenden, überall tbätigen, überall 
eingreifenten Politif. Während ter König von Tag zu Tag im In⸗ 
nern glüdliche Fortſchritte machte, begnügte er fich durchaus nicht mit 





⸗ 


Die Kaiſerpolitik Otto J. 131 


dem Reiche ſeines Vaters; auf Burgund und Frankreich richtete ſich 
zunächſt ſeine Thätigkeit. 

Die Kämpfe der franzöfifchen Parteien, die Reibungen der einzel: 
nen Iocalen &ewalten hatten die wejtfräntifche Königsmacht zur tiefs 
ften Srniebrigung herabgebracht. Als im Januar 936 der Königs— 
tbron erlebigt war, lag die wirkliche Gewalt in den Händen des großen 
Herzog Huge ven Francien, der allein ber Krone wieder einigen Halt 
hätte verleihen Können. Derfelbe leufte die Aufmerkſamkeit ter Großen 
auf ven legten Sproß der Larolingijchen Familie, der unter angelfüch- 
ſiſchem Schuß in England Ichte. Bon bert kam Ludwig, „ber Ueber 
ſeeiſche⸗ genannt, und erhielt unter Hugo's Leitung die Krone des 
Reiches. Der Sinn des muthigen Jünglings aber ftaud auf Höheres, 
als nur auf den Königenamen, ven allein ihm Hugo überlafjfen wollte; 
er begann fich wirkliche Macht anzueignen und von Hugo's Leitung fich 
unabhängiger zu fühlen. Hierdurch entjtand zwifchen dem Könige und 
den Vaſallen, tie ihm erhoben, eine heftige Spannung, die envlich zu 
offnen Kämpfen führte. ‘Diefe Lage der Dinge war zu lodend für 
Dtto’8 vortringenden Ehrgeiz, ald daß er eine Einmifchung nicht Hütte 
verfuchen follen; fein erjter Schritt war eine Verbindung mit den 
rebellifchen Bafallen, Hugo erhielt ſchon 937 Otto's Schweiter Ha⸗ 
thuvin zur Semahlin und damit ein Unterpfand dev deutjchen Hilfe 
gegen feinen Herrn. 

Weit ſchneller und energifcher noch als in Frankreich entwidelten 
ſich Otto's Abfichten in Bezug auf Burgund. Nachdem König Rus 
belf, ver fowehl mit Deutfchland ein gutes Einvernehmen erhalten, 
als fich mit dem italienischen Hugo zu beiverfeitigem Vortheil ausein- 
anderzufegen gewußt hatte, am 4. September 937 geftorben war, ent« 
ftand ein Wettkampf ver veutfchen und italienischen Politif, um bie 
Bormundfchaft über den jungen König Konrad und die Herrichaft 
bes Lantes. Beide Parteien errangen theilweifen Erfolg, Während 
Hugo die Wittwe Bertha ehelichen, ihre junge Tochter Adelheid feinen 
Sohn Lothar verloben und die 933 algetretene Provence wieder nit 
feinem italienifchen Reiche vereinen konnte, gelang es Otto fich ver 
Berfen Konrad's und feines Reiches zu bemächtigen und das König— 
reich Burgund förmlich zu feinem Vafallenftaat zu machen. Durch 
diefe rnergiſche Ausdehnung wurde fofort auch das Verhältniß zu Ita⸗ 

9* 


132 Wilhelm Naurenbrecher, 


lien ein gejpanntes, wenn gleich Otto einftweilen mit rückhaltender 
Miene in zuwartenver Stellung verharrte. 

Hatte Dtto feine gewaltthätigen Croberungsgelüfte biemit gegen 
Weften beutlich angezeigt, fo bewährte er fich gegen Often als ber 
beutfchen Gränze tapferen Schirmberru, ber chriftlichen Kirche wadern 
Kämpfer, und fette allen innern Empörnngen unverlegt und muthig 
ven königlichen Sinn entgegen, ver alle Wiverwärtigfeiten zu über⸗ 
winden vermag. Wie fehr man bie Gefährlichkeit dieſes jungen aufe 
ſtrebenden Eroberers erfannt hatte, beweijt die Verbindung, in die fich 
König Ludwig mit den beutfchen Rebellen 938 und 939 einlieh. Sein 
Beitreben aber hatte jchlieglicy nur den Erfolg, dag Otto's Beziehnn- 
gen zu der franzöfifchen Fürftenoppofition ftetS enger wurben. In der 
gefährlichen Tage, in bie ven deutſchen Herricher die lothringiſch⸗frän⸗ 
fifche Empörung gleichzeitig mit dieſen Angriffen Ludwig's verfegte, 
leuchtet uns Dtto’8 Größe im Feld und in ver Unterhandlung beil 
entgegen. Bald Waffenftilljtand mit den auswärtigen Feinden verfu- 
chend, bald gegen die Aufſtändigen ſiegreich kämpfend, überwindet er 
alle Gefahr; durch den Sieg bei Andernach ift feine Krone gefichert 
und der Rachezug gegen Ludwig erinöglicht. Der eidliche Vertrag mit 
ven franzöfifchen Großen ftellt ſich 940 als eine förmliche Anerten- 
nung der berhoheit Dttos überWeftfrancien heraus. Rache 
ten er zu Attigny vie Hultigung der Großen entgegen genommen, 
zwingt er Herzog Hugo den Schwarzen von Burgund, Lubwig’s 
Danptftüte, die Waffen nieterzulegen und mit Otto's Schüglingen 
Frieden zu halten. Allerdings aber bemerfen wir an dieſer Stelle, 
daß er, nachdem er fo viel erreicht, Weiteres gar nicht erftrebt. ‘Den 
franzöſiſchen König Hat er gebemüthigt, aber feine Vernichtung bat 
er nicht im inne; den Herzog Hugo als Führer der Oppofition bat 
er nterftügt, aber zum ftarken Haupte einer neuen Regierung will 
er ihm nicht machen. Sein Ziel ift die Verewigung des Zwiſtes, 
und damit des eigenen herrſchenden Einfluffes. Während er auf viefe 
Art Frankreich gefpalten und abhängig erhält, verfolgt er noch auf 
einer andern Seite diefelbe Politit eines in der Ferne angezeigten 
einjtweilen vorfichtig zurückgehaltenen Einſchreitens, das den Herrn 
Europa's fennzeichnet. — Wenn auch die Nachricht eines von Otto 
bei der Papftwahl 939 geltend gemachten Einfluffes einftweilen als 





Die Kaiferpolitif Dito I. 133 


hechſt unficher dahingeſtellt bleiben mag *); eine feindliche Haltung 
gen König Hugo tritt beutlih zu Tage. Als Berengar, das letzte 
giährlihe Haupt einer etwaigen Oppofitien, Hugo's Verfolgungen 
Ah durch bie Flucht entzogen und burch Vermittlung des Herzogs 
fermann von Schwaben bei Otto Aufnahme gefunden; wird die von 
Su fo Tringend gewünfchte Auslieferung des Flüchtlinge mit ber 
ſtelzen Erklärung zurüdgewielen: Otto werde Niemanden verrathen, 
ver fih zu ihm geflüchtet; gern aber werde er vie Verſöhnung beider 
Theile vermitteln. Berengar alfo bleibt am Hofe Otto's und muß 
sh einjtweilen ruhig verhalten und abwarten, warn Otto die Zeit 
im jene „Berföhnungsverfuches geeignet finden werte. Denn in ber 
süchtten Zeit Hatte er ſowohl im Innern eine drohende Gefahr für 
ihren und Leben abzuwehren, als auch in ten franzöfifchen Verhält- 
sten ſtets Gelegenheit und Antrieb zu neuer Einmiſchung und neuen 
dertichritten gefunden. Ohne auf ten Berlauf ber franzöfiichen 
Ertwicklung, ter wechfeljeitigen Verhanklungen und Treffen näher 
einzugeben, genüge e8 zu bemerken, daß Herzog Hugo und feine 
Partei, ſtets von Otto's Waffen unterjtügt, gegen ven fchwachen 
Lenig einen Vortheil nah dem andern erringen; entlih 942 Bes 
gan man, von allen Seiten am Friedenswerk zu arbeiten, 
das zu Vouzieres an der Maas zu Stunde kam. Hierauf waren 
vie Bemühungen des Papftes Stephan IX. und feiner Yegaten von 
geßem Eiufluß gewefen. Während es in Italien dem von allen 
Zeiten bochgeehrten und tem päpftlichen Stuhl treu ergebenen Abt 
Dro von Clugny gelungen war, ein Abkommen zwijchen Alberich von 
Rem und Hugo zu vereinbaren, Hugo von Rom zu entfernen und jo 
tie Spaltung bes Landes mit allen ihren Conſequenzen zu erhalten: 
hatte ter Papſt in Frankreich zu Gunften Ludwig's eine geijtliche Ein- 
wirfung auf tie Vaſallen verfucht, und fo warb entlich bie gegenſei— 
tige Anerkennung aller Parteien burchgejegt. Wenn wir jenen PBapft 
Stephan wirklich als unter deutfchem Einfluß erhoben anfehen bürfen, 
wenn wir dann tie fpäteren Berbintungen Otto's mit Nom berüd:» 
fichtigen, die er ſtets zu feinen Sweden benuste: dann bürfen wir 
weht ten Schluß ziehen, daß diefe Vorkommniſſe in Italien und in 
Aranfreich nicht® anderes als ein Hug berechneter Schachzug ter otto⸗ 
nifchen Bolitit gewefen find. Wie dem aber auch fein mag, Otto's 


134 Wilhelm Maurenbrecher, 


mächtige Stellung in Frankreich wird durch dieſen Frieden nur ver⸗ 
ftärkt und feine wahren europäiſchen Pläne treten von jet an immer 
offener zu Tage. Die nen entbrannten Umtriche ver franzöfifchen 
Barteien führen nur feine fortgejeßte Unterftügung ter Herzege her⸗ 
bei; Ludwig's Pläne gegen Otto's Leben erzielen nur Veftrafung ber 
Werkzeuge des chnmächtigen Karolingers: kurz, Otto's fihiedsrichtere 
liche Stellung über den Parteien zeigt ſich in vollem, Glanze auf dem 
Hoflager zu Aachen im Juli 944, wo vor ſeinem Thron König und 
Herzog aus Weftfranfen ihr Recht ſuchen und Otto's Befehle ent- 
gegennehmen. 

In dieſer Zeit bereitet ſich nun eine Veränderung in ber ottoni« 
chen Politik vor, Die zwar ftetd beufelben Zweck verfolgte, aber bie 
bisherigen Mittel und Wege mit einer nenen Richtung vertaufchte und 
durch eine ſchuelle Wendung ihrem entlichen Ziele näher Fam. Es 
war dies der entfihiedene Barteiiwechjel in Frankreich und das Heraus 
treten ans der bisherigen zuwartenden Stellung gegen Italien. Beide 
Ereigniffe, gleichzeitig vollzogen, fallen unter venfelben Geſichtspunkt 
und fließen aus demſelben leitenden Motive. 

Wenn fchen auf dem Hoflager in Aachen fich deutſche Stimmen 
für die Sache König Ludwig's hatten vernehmen laffen, aber durch 
Otto's gebieterifchen Spruch zum Schweigen gebracht worden waren: 
fo gewann jeit 945 diefe Partei eine raſch heranwachſende Bedeu⸗ 
tung. An ihrer Epige ſtanden Konrad, der neue Herzog von Lothrin⸗ 
gen, und deſſen vertrantefter Freund Heinrich, des Königs Bruber, 
ter allen alten Plänen gegen Otto's Krone und Leben entfagt Hatte, 
und ein entſchiedener Vorkämpfer ber ottonifchen Eroberungspolitik 
geworden war. Tu König Ludwig in dic Gefangenſchaft der Nor— 
maunen und dann in die Hände ſeines Gegners Hugo gerathen war, 
ſo ſchien die karolingiſche Krone verloren und Otto's Schützling jetzt 
im Einvernehmen mit den Normanen die volle Hoheit über das ganze 
Land zu beſitzen. Seine Schritte bei Otto zu rechtfertigen, eilt Her- 
zog Huge nah Deutſchland, aber bier empfängt ihn nicht der König 
felbft, fonvdern Läßt ihn Durch Herzog Konrad abfertigen. Damit war ihm 
bie deutſche Feindſchaft erklärt, die ganz confequent eintreten mußte, 
feit er tie volle Macht in Frankreich zu erlangen, tie Einigung des 
Landes unter einer ftarfen Herrfchaft zu vollenden fich anfchidte. — 


Die Kaiferpolitil Otto I. 135 


As ferner in Italien König Hugo nach vem Frievensfchluß von 942 
feine ganze Macht gegen vie Saracenen in den Alpen gewendet und 
943 diefelben der vollftändigen Vernichtung nahe geführt Hatte: da 
hielt ihn vom legten vernichtenven Schlag die plögliche Nachricht zu. 
rüd, daß von Deutfchland aus Verſuche unternonmen würden, eine 
Erhebung gegen ihn anzuregen. Berengar hatte feine Spione ent» 
ſendet, welche die Stimmung des Landes erfunden, und ven Boden für 
ein beabfichtigtes Unternehmen vorbereiten follten. Im Frühjahr 945, 
kurz vor dem Bruche mit den franzöfifchen Großen, traf dieſer Schlag, 
ver fchen 943 in Deutjchland beabfichtigt gewefen fcheint, mit ver: 
nichtender Gewalt das Königthum Hugo’s. Bon fehwäbifchen Schaa- 
ren begleitet, von beutjchem Einfluß unterftügt, und was ung das 
Wichtigſte bedünkt, als Lehensmann Dtto’s ) wagte Berengar 
den Einfall in Italien, der über alles Erwarten glückte und im erſten 
Anlauf die ganze Schöpfung Hugo's über ven Haufen warf. Man 
fiebt deutlich, was Otto beabfichtigte uud was feine Pläne gegen ben 
Nachbarn waren. In Italien durfte die Einheit ver Halbinfel unter 
einer ftarfen Regierung nicht vollendet, Hugo’3 Königthum nicht be= 
feftigt werben; ſondern Berengar, ter Bafall Otto’s, follte eine neue 
Gewalt errichten, die im Lande noch nicht feſtgewurzelt, natürlich von 
Dtto um fo abhängiger blieb. In Frankreich aber durfte die Macht 
ber Herzoge, die Otto's Oberberrlichkeit anerfannt hatten, nicht aus» 
ſchließlich herrſchen und tie Gewalt der Krone ganz verbrängen: fon« 
dern es folite auch bier die Einigung der Monarchie verhindert und da⸗ 
burch beite Parteien zur Anerkennung von Otto's Hoheit gezwungen, 
von feinem Willen abhäugig erhalten bleiben. Mit Bewunderung 
nimmt man vie Klugheit wahr, mit welcher Dtto bie eigenthünlichen 
Berhältniffe eines jeben Landes und die Schwächen ihrer Entwidlung 
auffaßte und in mannigfaltiger Anwendung für feine Zwecke zu be- 
nugen wußte. Sehen wir zu, wie weit es für den Angenblid gelang, 
feine Pläne burchzufegen. 

Schon im Fahre 946 unternahm Dtto einen gewaltigen Kriegs⸗ 
zug zur Unterftügung dee nun wieder freigelafjenen Königes gegen 
Herzog Hugo von Francien und die von bänifchen Kriegsſchaaren une 
terftügten Normannen. Obwohl derſelbe nicht unglücklich geführt 
wurde, errang boch Dtto nicht völlig die Erfolge, die er erwartet 


136 Wilhelm DMaurenbredger, 


hatte. Defto wirkjamer zeigte fir) das nun angewandte Mittel einer 
Einwirtung auf und durch vie Geiftlichkeit; bie jchon früher unter- 
haftenen Verbindungen mit Rom wurden durch das biplomatifche Ge⸗ 
ſchick des Abtes Hatamar ven Fuld zu einer Demüthigung ber fran- 
zöfifchen Rebellen benugt, und nad Ueberwindung eine® augenblid« 
lichen Mißverſtändniſſes ver ganze päpftliche Einfluß aufgeboten, um 
in Frankreich dem Karolinger und feinem beutfchen Schugherrn Ge⸗ 
borfam zu verjchaffen. So erjcheint denn zulegt — für die Details 
genügt es, auf Giejebrecht hinzuweiſen — auf dem Eoncil von Ingel⸗ 
heim König Ludwig als willenlofer Schügling Otto's, von deſſen Befehlen 
er und die ganze Synode abhängig find. Otto's Stellung als Schieb6- 
richter der franzäfifchen Häntel, als Beichüger des Königthums und 
Herr der Bafallen, als Gebieter des gallifhen Bodens iſt KO zur 
allfeitigen Anerkennung gebracht, fo taß von Lothringen aus Weftfrancien 
al8 „Provinz« in Otto's Auftrag verwaltet wird. Cinen gleichen 
Erfolg Hatte Otto auch nach anbern Seiten. 947 ereilte fein ftra- 
fender Arm die Dänen, die ihren normannifchen Stanımverwanbten gegen 
Ludwig beigeftanden Hatten; mit mächtigem Zuge, im Einverſtändniß 
mit den Angeljachfen, trang er in Jütland ein, erzwaug Unterwerfung 
der Dänen unter feine Oberhoheit und Aufnahme ver chriftlichen 
Miffion aus den neu errichteten nordifchen Bisthüimern °) In ber 
felben Zeit machten bie flavifchen Kriege bedeutende Fortfchritte, und 
unterwarf ſich der Böhmenfürft Boleslav dem Scepter Otto's. 
Während fo Alles fich feinem Gebote fügte, überall feine auf 
bie allgemeine Herrfchaft gerichteten Entwürfe mit großem Erfolge 
fih verwirflichten: hatte Italien allein fich wierer ihm entzogen und 
ber 945 geführte Schlag dort die beabfichtigte Wirkung verfehlt. Ale 
vor Berengar's Schaaren und noch mehr vor feinen feinen diploma» 
tiihen Künften Hugo’8 Herrſchaft zufammenzuftürzen drohte: da bes 
gann ein merkfwürbiges Spiel der Antrigue, das zu ganz unerwarte- 
ten Refultaten führte. Berengar, der wohl ftets auf eigene Herr- 
ſchaft gezielt und Otto's Hülfe nur zu dieſem Zwecke als Mittel ge- 
braucht hatte, erkannte vem Namen nach Hugo und feinen Sohn Kor 
thar als König an und begnügte fih mit der thatfächlichen Leitung 
ber italienifchen Regierung, mit der königlichen Macht ohne königlichen 
Namen. Otto, der in andern Unternehmungen befchäftigt, nach ans 


Die Kaiferpolitil Otto 1. 137 


dern Seiten feine Pläne verfolgte, ſah einftweilen biefem Beginnen 
rubig zu: gegen bie von feiner Seite etwa drohende Gefahr fuchte 
Berengar in der Verbindung mit dem griechiichen Kaiferreiche Rück⸗ 
halt, während er nach Innen in unnachfichtiger Strenge gegen etwaige 
Aufftandsverfuche fein Anjeben zu befejtigen ftrebte. Wenn aber auch 
Dtto einftweilen nicht an Italien zu denken fchien: das ift gerade bei 
ihm das charakteriftifche Merkmal des großen Staatsmannes, daß er 
von ferne die Ereigniffe einzuleiten und für den Augenbli ber rafch 
bervorbrechenvden nachdrucksvollen Handlung Alles vorzubereiten wußte. 
Bie er vorher den Angriff gegen Hugo planmäßig feit 940 ins Wert 
geſetzt hatte: fo legte er jett gegen Berengar die Bebingungen und 
Mittel zurecht, fich den endlichen unmittelbaren Eingriff in Stalien 
möglichft zu erleichtern. 

Durh ren Abt Hadamar fnüpfte er 947 und 948, wie fchen 
erwähnt, engere Beziehungen zu Rom an, wo man buffelbe Intereſſe 
hatte, Berengar's Macht nicht allzu fehr anwachſen zu laffen. Auf 
der andern Seite drang Herzog Heinrich, ven er feit Ende 945 in 
Baiern eingejegt hatte, auf feinen wiederholten glüdlichen Ungarzügen 
wahrfcheinlich 948 in Oberitalien ein, bielt Aquileja und damit ven 
Eingang in Italien befegt und erwarb fich in ben Stäbten des ober 
Italiens durch geſchickte Agitation eine einflußreiche Partei, die einen 
etwaigen Kriegszug der Deutfchen fehr erleichtern mußte "'). 

Nachdem Otto fo Alles gegen Berengar vorbereitet, beburfte es 
nur eines äußern Anftoßes, und es wurbe als verlodendes Beifpiel 
für alle Folgezeit ver italienifche Zug in Scene gefekt. 

Die Gelegenheit bot fih, wie von felbft, im Jahre 950. 


5 


Es ift fchon mehrfach, zuleßt von Gieſebrecht, ausführlich erör⸗ 
tert und dargethan worden, wie Otto's Stellung fich bis zum Jahre 
950 fo mächtig entwidelt hatte, daß in ihm, dem factifchen Beherr- 
fcher des ehemals Farolingifchen Staiferreiches, der Schwerpunft ber 
"enropäifchen Lage ſchon damals zu ruhen fchien. Burgund und Franl- 
reich, Böhmen und Dänemark waren ihm unterthan; vor ihm beugten 
fih die flavifchen Fürften; zu ihm famen vie Gefandten ver Angels 
fachjen und Griechen. Den Kreis des Abendlandes zu erfüllen, fehlte 


158 Wilhelm Maurenbrecher, 


nur noch Die Unterwerfung Italiens und bie dauernde Beeinfluffung 
des päpftlichen Stuhles; ver factifchen Herrſchaft mangelte nur noch 
bie Zierde des äußeren Glanzes, das ftrahlende Symbol der römi« 
chen Kaiferkrone. Auch in Deutfchland felbft war es ihm gelungen, 
bie Stammesgewalten ber Herzoge mit mächtiger Stärkung bes kö—⸗ 
niglichen Anfehens in Schranken zu halten. “Die Krone felbft fchien 
befeftigt : Otto Tonnte feinen Schn Ludolf als Nachfolger bezeichnen, 
ihm huldigen Tafjen und fo den Fortbeſtand des einigen Deutfchland 
beim Thronwechfel ficher jtellen. Daneben fammelte der König in 
ber Geiftlichfeit fich eine Macht, die, von feiner ftarfen Hand geleitet, 
die mächtigfte Stüße des Throns, und der gewaltigfte Gegner des 
Particulariemus zu werben verſprach. ben fowohl aus religiäfer 
Neigung als aus politifcher Erfenntniß fühlte und zeigte Dtto je 
länger je ftärfer eine tiefe Vorliebe für die Kirche, ver er neue Ge- 
biete der Miffion in ven Slavenlanden eröffnete, die er im heimi⸗ 
fhen Reiche mit Gütern und Gejchenfen überhäufte. In feiner gan» 
zen Politit fand der König die größte Unterftägung bei feinem jünge 
ften Bruder Bruno, ver alle Regierungshanvlungen leitete und bald 
bie Seele der Reichsregierung wurde, Die wichtigften Genoffen im 
Kriege und bie eigentlichen Vorkämpfer feiner Heere waren jetzt fein 
Bruder Heinrich und deſſen Fremd, der löwenmutbige Herzog Kons 
rad von Lothringen, der Verwalter Sachjens, Hermann Billung, und 
der Markherzog Gero; ihre Treue gegen ven König fchien feft gefichert. 
Segen die am Hofe mahgebente Richtung war unter Allen bisher 
nur Ein Mann confequent aufgetreten, ber Erzbiſchof Friedrich 
von Mainz, veffen Wild in ven Quellen der Zeit aber fo unbeftimmt 
gezeichnet ijt und deſſen Ziele uns fo unklar Bleiben, daß wir von 
ihm nur Eins fefthalten können: er war ein frommer, vortrefflicher 
Dean, aber ein bejtinbiger Gegner alles deſſen, was Otto wollte. 
Er bat ftet8 den Mittelpunkt aller Oppefition gebilvet, er iſt ftets ver 
Freund ter Feinde Otto’8 gewejen; am beftigften trat fein Wider⸗ 
ſtreben jeßt bei ven italienifchen Creigniffen hervor. 

Dies war die Lage Otto's und Deutſchlands, dies das Rejultat 
feiner Bolitit, als er ven lebten kühnen Schritt zum Ziele unter- 
nabın, als er ven Krieg gegen Italien eröffnete. 

ALS dort ver Erbe von Hugo's gebrochener Herrichaft, Lothar, am 


Die Kaiſerpolitik Otte 1. 139 


22. Nonember 950 plöglich geftorben war, hatte VBerengar mit ra- 
her Hand fi und feinem Sohne tie italifche Königefrone auf's 
Haupt zu feßen gewagt. Hiermit war der Dtto geleiftete Treueid 
völlig gebrochen, vie Verbindung mit dem beutfchen Herrfcher ent- 
ſchieden zerrijfen. Wenn Otto die in Anfpruch genommene Herrfcher- 
ftellung in Europa wahren wollte, dann mußte ben Ufurpater bei 
biefer widerrechtlichen Anmaßung fein Nächerarn ereilen. So 
wird denn auch im Rathe ver deutſchen Fürften ber Ktrieg gegen 
Berengar, und als weiteres Ziel ver Zug nah Rom befchloffen und 
bie Rüftung angeortnet. Kin merkwürdiger Zwifchenfall ftörte auf 
einen Augenblid tie Harmonie des Ganzen. Der zukünftige Thron» 
erbe und tamalige Herzog von Schwaben, Dtto’8 eigener Sohn Yur- 
bolf unternahm 951 noch während der NRüftungen feines Vaters ges 
gen Berengar einen rafchen Zug, der nur an den Intriguen feines 
Oheims Heinrich im obern Italien felbft ſcheiterte. Diefes Unter— 
nehmen war gegen ven Willen Otto's gefchehen und gegen feine yeli- 
tiichen Plane gerichtet. Die Einmifhung Otto's in Italien follte 
baburch überflüffig, ver Zug nach ver Kaiſerkrone unmöglich gemacht 
werven. Wir fehen alfo, daß Herzog Ludolf ter Kaiſerpolitik entgegen: 
zutreten und fich einer Oppofitionspartei zu nähern begann '*). 

Nach viefem unglüdlichen Vorſpiel fegte fich das impofante Hanpts . 
beer unter Otto, Heinrich und Konrad in Bewegung, und bereitwillig unter» 
warf fih das Land ten Deutfchen. Berengar’8 unbefejtigte Regierung 
vermochte feinen Wirerftand im Felde zu leiften; er felbjt wurde in 
die Bergfeſtunzen verjagt. Otto, „ber Deutfchen und der Longobar⸗ 
ben Könige» hbeirathete vie Königswittwe Adelheid und unterhandelte 
nit der römijchen Regierung über die Kaiferfrönung. Das Ziel, das 
er fünfzehn Jahre unabläßig verfolgt hatte, lag dicht vor ihm: ber lete 
noch übrige Schritt war nur unbedeutend, ohne Gefahr und Mühe. 
Wenn man fi) auch in Rom widerſetzen wollte, fonnte es nur einen 
Augenblick zweifelhaft fein, daß Otto den Heinen Gegner vernichten 
würte? Da, ale dein Gebäude der Weltmonardhie ver Schlußftein 
aufgefeßt werben follte, wanften vie Fundamente des kühnen Baues, 
erzitterte der heimifche Boden, auf dem Alles ruhte. 

Wenn in jenem fchnellen Streifzug Ludolf's, wie ich meine, das 
Aufleuchten einer bisher zurückgedrängten politifchen Richtung fichtbar 


140 Wilhelm Maurenbrecher, 


wird, wenn ſchon vorher ſich Erzbiſchof Friedrich wiederholt ben otto- 
nifchen Plänen entgegengejegt hatte: fo tritt jeßt biefe Oppofition 
unter der Führung Ludolf's und Friedrich's vorfichtig aber mit rück⸗ 
fichtslofer Deutlichkeit ihrer Ziele der bewußten Politit Otto's ge 
rabezu in den Weg. Friedrich, eben mit ver ablehnenden Antwort 
aus Rom zurüdgelehrt, verläßt in Begleitung Lubolf’8 eilig den itar 
lienifchen Hof und begibt ſich nach Deutfchland; hier verfammeln fich 
im fächfifchen Saalfeld alle in Deutfchland anmwefenden Fürften und 
erheben gegen Otto's Politik energifche Einfprache. Die Nachricht 
von biefer Drohung in der Heimath zwingt Otto, in Stalien ver- 
länfig Altes aufzugeben; er läßt den Herzog Konrad zum Schuß ber " 
Kombarbei gegen Berengar mit einem Heere zurüd, eilt fchleunig 
über die Alpen und fucht die Gährung in Deutfchland zu befchwich- 
tigen. 

Während hier zwifchen beiden Parteien vie Spannung ber ent- 
gegenftebenben Tendenzen täglich wächlt, tritt auch in Stalien eine 
überrafchenne Wendung ein, bie Otto's Pläne gewaltig verfürzt im 
die Wirklichkeit treten läßt. Herzog Konrad von Lothringen, Dtto’s 
waderer Kriegsheld — wir wiſſen nicht aus welchen Gründen over 
durch welchen äußern Einfluß bewogen — hatte Berengar die Hand 
zur Berföhnung geboten, ihm die Anerkennung als König von Italien 
unter deutſcher Hoheit zugefagt und ihn fo zur freiwilligen Unters 
werfung bewogen. Friedlich eilten Beide nach Deutfchland zu Otto, 
ben fie in Magdeburg antrafen. Hier begannen Unterhandlungen 
und Streitigfeiten der Parteien über das Schidfal Ytaliens’’) Es 
mußte der Bartnädigfte Widerſtand Herzog Heinrich’8 gegen alle Con⸗ 
ceffionen und der Haß ber Königin Adelheid gegen ihren Bebränger 
überwunden, es mußte bie alte Feindſchaft zwifchen Erzbifchof Friedrich 
und Herzog Konrad beigelegt und beider Verbindung mit dem Thron- 
erben gegen Dtto’s Pläne offen verfündet werden. Da erft gab 
Otto nah, und kam ein Compromiß zu Stande. Berengar 
leiftet im Auguft 952 feierlich zu Augsburg ven Pehneeid für das 
Königreich Italien und tritt Aquileja und Verona förmlih an Her- 
zog Heinrich ab; dafür bequemt ſich Otto, für jegt auf die unmittel- 
bare Regierung Italiens zu verzichten, und ven bereits angenommenen 
Zitel eines Königs der Longobarden fahren zu laſſen. Trotzdem mwächft 





Die Kaiferpolitif Otto 1. 141 


bie Spannung zwifchen Heinrich und Ludolf, und durch Konrad's Bei⸗ 
tritt verftärkt, dauert die Oppofition fort. Denn das war Allen Kar 
geworden: man hatte von Dtto nur ein augenblidliches Zugeftänd« 
niß erzwungen, Stalieng Einverleibung war und blieb fein Ziel. Wäb- 
rend nämlich Herzog Heinrih, mit der Marl Verona belehnt, zur 
beftändigen Drohung an den Eingang Italiens geftellt war, hatte 
Dtto im Vertrag von Augsburg dem König Berengar große Milde 
gegenüber feinen Unterthanen geboten und im entgegengefeßten Fall 
mit Entfegung gedroht; eine Klauſel, vurch die in jedem Augenblid 
die Intervention herbeigeführt werden konnte"). Bei biefer fortge- 
festen Neigung ber ottonifchen Politik, über bie kein Zweifel obwal⸗ 
ten kann, iſt es fehr erflärlich, daß auch die Oppofition, welche hie⸗ 
mit ftet6 neuen Grund zur Unzufrierenbeit fand, von einem Schritt 
zum andern weiter vorgehend enplich zur offenen Empörung gelangen 
mußte. 

Wenn wir auf diefe Weife den Iudolfinifchen Aufſtand, ver von 
Giefebrecht als der Krieg der Söhne gegen den Vater“ hervorges 
gangen aus perfönlicher Kränkung, beleivigtem Ehrgefühl oder fchlauer 
Ränkefucht aufgefaßt wird, aus tiefer liegenven Gründen herleiten, 
bei den Aufftänpifchen einen nationaldeutfchen Charakter, in ihrer Er⸗ 
bebung die Regungen einer nationaldeutfchen Politik erbliden: fo 
zwingt uns, wie ich meine, zu dieſer Auffaffung der innere Zufam«- 
menbang aller Ereigniffe, wie er troß unferer einfeitig gefärbten Quel⸗ 
lenberichte in den Zhatjachen felbft zu Tage tritt. Wer unferer Dar⸗ 
ftellung der ottonifchen Politik zuftimmt, wer in verfelben das planmäßige 
Streben nach Herftellung des Kaiſerthums Karl's des Großen, db. h. 
ber Unterjochung aller europäifchen Nationen erfennt: für ten wird 
ein Aufftand, ber gerade bei dem letzten entfcheidenden Schritt biefer 
Bolitit ausbriht, und deſſen Führer zum Theil der völligen Unter- 
jochung Italiens entgegen gearbeitet haben, nothwendig ven Charakter 
eines Widerftrebens gegen eine folche Weltberrfchaft annehmen. Denn 
bie ungeheure Betheiligung der Dlaffen, ja des deutfchen Volfes aller 
Stämme, wird kaum aus jenen lediglich perfönlichen Wotiven erklärt 
werben können, die man den Führern beizulegen gewohnt ift. Was 
batte der Bayer für ein Intereſſe an einer Ehrenkränkung Konrad's? 
Welchen regeren Antheil nahm ver Fraule an Gränzftreitigfeiten zwi⸗ 


142 Wilhelm Maurenbrecher, 


fchen Rudolf und Heinrih? Auf diefe fo überaus merkwürdige Theil- 
nahme der Volksmaſſen und der Städte für die Sache ver Empörer 
iſt aller Nachdruck zu legen; auf das Gefühl, das dieſe Elemente 
bewegte, kommt Alles an. Man wente nicht ein, daß dieſe allgemeine 
Oppofition hervorgerufen fei durch die ftarfe Königliche Gewalt, vie 
ſich Otto über die Stunmesher;oge beilegte, daß alſo das Stammes⸗ 
gefühl der einzelnen Provinzen den Aufſtand auf tiefe Höhe getrieben 
babe. In Bayern war der Vertreter ver Provinz, Derzog Heinrich), 
für den König, der Adel aber und das Volk mit höchſtem Kifer für 
den Aufitand. Umgekehrt war der Herzog von Lothringen ein Führer 
und Urheber der Empörung, während ber größte Theil des Adels 
träftig zu dem Könige hielt. So ijt es unmöglich, ten PBarticularie- 
mus der Provinzen als erflärenden Grund einer Bewegung aufzufaffen, 
welche nicht bei einem Acte innerer Politit, ſondern bei den italieni« 
fhen Plänen Dtto’3 auebricht und fie zu vereiteln fucht: was An⸗ 
laß zur Oppofition gegeben bat, das iſt auch Urfache des Aufſtandes 
geworten. Wie nufere von fo bejchränft Eaiferlich-religiöfer Partei⸗ 
ſtimmung geivagenen Duellen doch deutlich erfennen laffen: überall 
fand die Sache ver Empörer Beifall; felbjt in Otto's Heere regten 
fih Stimmen, daß ihre Abſicht eine lautere fei; und unfere mönchie 
ſchen Berichteritatter felbjt wagen es kaum, ein Verdammungsurtheil 
über den Erzbijchof Friedrich, Otto's harinädigiten Gegner, laut wer⸗ 
ben zu lafjen ’°). 

Berfolgen wir kurz die Gefchichte des Aufſtandes, die unfere 
Auffaffung in allen Punkten beftätigen wirt. 

Wührend im Verlauf des Jahres 952 ber Unmuth ber Oppo« 
fition fih nach dem Reichstag zu Augsburg nur in ver Stille ges 
ſammelt und überallhin feine Principien verbreitet hatte, verfuchten 
953 die Häupter derjelben offen auf ven Sinn des Königs zu wir 
fen und ihn von feiner Richtung abzulenken. Erzbiſchof Friedrich, 
Ludolf und Konrad erjchienen in Mainz vor Otto, ver wehr- 
[08 in ihrer Mitte und durch die drohenden Seichen ver 
Empörung gefhredt, ihrem Wegehren wilfahrte und ihre Pläne 
billigte. Aber kaum fühlte er ſich in Sachfen auf ficherem Bo— 
ben, als er alle Zugeftändnifje widerrief und, tie Majeſtätsbeleidi⸗ 
ger zu ftrafen, einen allgemeinen Reichstag nach Fritzlar anfagte. 





Die Kaiſerpolitik Otto 1. 143 


Die kaiferliche Partei, die bier in der Mehrzahl war, benugte tiefen 
Boribeil mit aller Energie und Härte. Aber die offen ausgefprochene 
Rückkehr zu den alten Plänen, die enge Verbindung mit Herzog Hein« 
rich und bie rüdfichtslofe Beitrafung aller entgegenſtrebenden Tenden⸗ 
zen gab jett das Signal zu allgemeiner Empörung in Franken und 
Schwaben, und zum blutigen Parteikampf in Lothringen. ALS all- 
mälig die Sache ter Empörer einige Bortheile errang, warf fid) Otto 
mit feinem Heere auf Mainz, das von Ludolf felbjt vertheitigt wurde. 
Nachrem zwei Monate lang alle Angriffe zurücgefchlagen worven, 
unterbandelte man über einen Waffenftillitand und bald über einen 
Frieden. Während ven Dtto den Häuptern des Aufſtandes Straf. 
lofigfeit für ihr Beginnen zngefihert, und alle Mittel der Drohung 
und Schmeicdhelei, ver Religion und Diplomatie in Bewegung gefegt 
wurden, wiefen Zubolf und Konrad hartnädig alle Anerbietungen zu⸗ 
rũck und beharrten ftanbhaft bei ihrem Priucip. So zerſchlug fich 
die Ausficht auf friebliche Beilegung des Streites, die Waffen muß- 
ten entſcheiddn. War nun bisher fchon der Krieg ven Seite Dtto’s 
ohne Erfolg geführt worden, fo fticg jegt die Woge der Empörung 
zu fo bebrohlicher Höhe, daß Otto in die größte Gefahr für Thron 
und Leben gerieth. Babern gefellte fich volljtäntig zu den Aufjtändis 
fchen und fonnte durch Feine Bemühung zur Unterwerfung unter Here 
zog Heinrich gebracht werven. Das fächfifhe Hilfsheer wurde für 
Ludolf gewonnen und in Sachfen felbjt dielinrugen nur durch bie 
größte Anjtrengung des Herzogs Herrmann nievergehalten. Ende 
des Jahres 953 mußte das königliche Heer unverrichteter Dinge nach 
Haufe entlaffen werden; Otto war jegt fuft feines ganzen Reiches 
beraubt, und nur durch die theilmeifen Erfolge in Lothringen hielt 
fich feine Sache. Dort hatte der neue Erzbifchof von Köln, Otto's 
treuer Bruder Bruno, zum Herzog des Landes beftellt, mit Aufbie- 
tung aller Energie und aller Feinheit eine Verbindung ver königlichen 
Sache mit dem Wiverwillen des Adels gegen Konrad zu Stande ges 
bracht; alle bewaffneten Unternehmungen Kourad's fowie alle Unter- 
banblungen mit Bruno waren gefcheitert; biejer befeftigte durch Kluge 
Conceſſionen feine Stellung als Bifchof und Herzog und drängte durch 
die Verbindung mit der nationalslothringifchen Partei den Herzog 
Konrad vollftändig aus dem Lande '*). 


144 Wilhelm Manreubrecher, 


Wie bier den König Bruuo's Thätigkeit vor dem Untergang 
rettete, fo führte in ven andern Landestheilen der Ungarneinfall dem 
Könige neue Kräfte zu und bob feine Sache wieder zur vollethüm- 
lichen empor. Die Kunde von ven tiefen innern Zerrüttungen Deutfche 
lands ift es wohl gewefen, bie jene unrubigen benteluftigen Raubs 
fchaaren berbeizog. Als fie in Yahern einbrachen, war dort Ludolf's 
Partei fiegreich aus ten bisherigen Kämpfen hervorgegangen und im 
ganz Eüd- und Mittelveutfchland die Sache der nationalen Oppoſi⸗ 
tion im Uebergewicht. Diefe fchönen Erfolge nicht geitört zu fehen, 
fonvdern die Wucht des fremden Angriffs auf dad Gebiet der einhei- 
mifchen Gegner zu wälzen: eine folhe, wenn erflärliche, doch nicht 
zu rechtfertigeude Erwägung führte eine Verftändigung Ludolf's mit 
ben Nationalfeinven herbei’). Während er fie durch Geldzahlung 
von Bayern abzuwenden verfuchte, machte Konrad fich erflärtermaßen 
zu ihrem Führer und Haupt gegen Lothringen. Seit viefen Ent- 
fchlüffen war ihre Sache verloren, vie Unterjtügung des Volles ver- 
fcherzt, vie Sache Otto's im Steigen bei der Nation. Raſch vollzog 
fih der Sturz der noch eben fo mächtigen Herzoge. Wie vordem bie 
Neigung des Volles zu Ludolf's nationaler Politik ven Aufjtand fieg« 
reich ausgedehnt Hatte, fo warf jegt die Entrüftung der Nation gegen 
die Ungarnfreunde bald allen Wiverjtand zu Boden; Erzbifchof Fried» 
rich und Konrad mußten fich demüthig dem Könige unterwerfen; nur 
Ludolf vermochte fih ned eine Zeit lang in Baiern zu behaupten. 
Aber der große Charakter des Aufitandes iſt erjtidt; ein trauriges 
Nachipiel von blutigen Schlachten gewährt num ven Anbli eines 
verzweifelten Waffenganges gegen überlegene Feinde, und endet mit 
ber bußfertigen Unterwerfung unter Otto's gnädige Heheit. 

Wenn durch dieſen zweijährigen Kampf die nationale O:ppofition 
auch nicht in ihren Wurzeln vernichtet war, ſondern fich fpäter auf's 
Neue und mit immer wachſender Kraft erheben konnte, fo war boch 
für Dtto’8 Zeit der Sieg des Könige, vollftändig und bie Möglichkeit 
zur SFortfegung der alten Uuiverfalpolitit gegeben. Nachdem dies 
Streben nad der Weltherrfchaft fchon einmal nahe am Biel gefcheis 
tert war, galt e8 jest, nach erneuerter Befeitigung der Monarchie, 
mit doppelter Vorſicht und Energie den Griff nach ver Kaiferkrone 
zu wiederholen. Diefer zweite italienifche Eroberungszug führte 


Die Kaiferpolitit Otto I. 145 


Idneller zum Ziele und liegt auch den Blicken ber Forſchung beut- 
lider zu Tage. Es genügt daher, ganz kurz bie wejentlichiten Punkte 
anzubenten. 


6. 


Während im allgemeinen Aufruhr des Bürgerfrieges alle weltli« 
den Stügen der Föniglichen Herrfchaft wankten und tie ganze Vers 
bindung der Krone mit den einzelnen Stämmen zu zerveißen drohte, 
wurd die Berbindung mit dem Klerus immer mehr das leitende Brin- 
cip der ottonifchen Staatsfunft. „Wie durch des allmächtigen Gottes 
Gnade das Königliche Priefterthpum dem bebrängten Kaiſerthum bei« 
geftanden«, fo übertrug Otto jett alle feine Huld auf das Bisthum, 
das er mit treu ergebenen Männern ver „Laiferlichen« Partei zu be« 
fegen wußte, das bie Leitung des ganzen abendlänbifchen Reiches zu 
übernehmen berufen wurde '*). Diefe geijtlich politifche Richtung hatte 
bald Gelegenheit, ihre Kräfte zu zeigen. Durch das Schwert eben 
ſewohl als durch die Predigt des göttlichen Wortes warb ver Kampf 
gegen Siaven und Ungarn entfchieden; hier erwarb man ficd) zugleich 
biutige Lorbeeren und geiftliche Verdienſte; man ftritt und fiegte zu- 
gleih für den irbifchen Herrfcher und für das Reich Gottes. Nach ver 
hırzen Zeit von zwei Jahren war Dtto wieder der mächtige Gebieter 
des Abenplandes, ver feine Eroberungen gegen die heidnifchen Slaven 
durch Gero und gleichzeitig die Beherrichung des chriftlichen Frank⸗ 
reichs durch Bruno leitete, der enplich feinen Blick wieder auf 
Italien richten Tonnte. 

Es war dort eine unruhige Zeit haltlofer Regierungen und ewi- 
ger Fehden eingetreten. Wie es zu erwarten gewefen, hatte Berengar, 
von ber deutjchen Oberhoheit wenig bejchränkt, die Ausdehnung feines 
Reiches über feine Grenzen, und bie Unterwerfung aller mächtigen 
Großen begonnen und mit rüdfichtslofer Härte durchzuführen ver⸗ 
ſucht. Diefes Unterfangen konnte jo lange auf Erfolge rechnen, ale 
Otto in Deutfchland befchäftigt war. Sobald er hier zu Kräften 
gelommen, hörte er gern die Klagen ver longobardiſchen Flüchtlinge 
an, die feine Intervention forderten, und trat in Verbindung mit ber 
localen Regierung zu Nom, die gegen Berengar’s Streben ftet8 ebenjo 
antämpfte, wie fie früher gegen Hugo’s Herrjchaft ein mächtiges Hin⸗ 

diſtoriſche Zeitſchrift J. Banr. 10 


146 Bilfelm Maurenbreiter, 


terniß geweſen. 96 gewann Otto Zeit und Gelegenheit zu einem 
Angriff auf Berengar's Reich, und hierbei feierte tann Bruno's diplo⸗ 
matiſche Gejchicdlichfeit ihren größten Triumph, ta es ihr gelang, 
ten tiefgebeugten Ludolf anfzurichten, und durch freundliches Zureten 
ihn in des Vaters Pläne bineinzuziehen'’). Mit ven Reiten feiner 
alten Gerofjen und ven ſächſiſchen Truppen unterftügt, drang Ludolf 
in Italien ein, das jich dieemal ihm bereitwillig unterwarf und ben 
"„Tprannene Berengar vollſtändig verließ. Als Ludolf eben mit ber 
Verwaltung des italienifchen Königreiches betraut war, raffte ihn ein 
früher Tod hinweg und das führerleje deutſche Heer eilte, den italies 
nifchen Boden zu verlaffen. 957 war Berengar wierer Herr det 
Landes, aber auch jegt nicht gejicherter ala vorher. Diefelbe Wiver⸗ 
feßlichkeit ver Großen, unter venen Otto fortrauernd Parteigänger 
zählte, und dieſelben Zwiftigfeiten mit Rom, wo man bie entfernte 
Herrichaft eines Ausländers der jtetS gegenwärtigen eine® nationalen 
Fürſten vorzog, danerten fort, und führten entlich den entſcheidenden 
Schlag herbei. Der Hilferuf Barft Johann XII. und ver »Schmer⸗ 
zensſchrei⸗ Italiens traf Otto bereit, entlich mit der ganzen Wucht 
feines Reiches ven treulofen Vaſallen zu jtrafen und Italien von 
Berengars Unthaten zu „befreien“. Nachdem mit ter größten Vor⸗ 
fiht und Umficht alle Verhältniſſe des deutſchen Staates und ber 
beutichen Kirche georpnet waren, unternahm Dtto im Frühjahr 961 
mit einem ftattlihen Heer ven zweiten italienijchen Feldzug. Wie 
ſchon früher ter Gewalt deutſcher Waffen kaum jemals in Stalien 
ein erfolgreiher Widerjtand geleitet werten war: fo wurte auch die 
fesinal tie Eroberung des Landes in kurzer Zeit vollendet, der Zug 
nah Rem in UÜebereinftimmmmg mit tem piäpftlichen Hofe ausge⸗ 
führt und Otto am 2. Februar 952 mit ver römifchen Kaiferfrone 
gefhmüdt. So war das Ziel feiner Politif, fo war nach langer 
Mühſal ver glänzende Lohn feines Strebens erreicht; Otto, "ber 
heilige Kaijer«"), ftand an der Spitze des chriftlichen Europa. 
Alles, was Otto jet unternahm, war nur der Ausbau der kai⸗ 
ferlichen Macht, die Erhaltung une Vefeftigung des Gemonnenen, bie 
Confeguenz der bisherigen Politi. Wenn cr fi tem griechifchen 
Kaiſerthum ebenbürtig bünfte nnd ihm gegenüber die Hoeheit des 
Abendlandes behaupten wellte, fo ınußte er nicht nur die Anerken⸗ 


Die Kaiferpolitit Otto. J. 147 


nung feiner Würde in Konftantinopel erftreben, fondern auch, um das 
abenpländifche eich zu ergänzen, nach dem Erwerb ver unteritalienis 
ſchen Gebiete des öſtlichen Kaiſerthums trachten. 

Wenn er fih als Herrn der Chriftenheit fühlte und feine Stel- 
lung über ven Nationen zur Sinigung des chrijtlichen Europas er» 
beben wellte, fo mußte er tem Islam gegenüber die Vertretung des 
Chriſtenthums übernehmen und fich mit den Arabern anseinanberfeßen. 
Beun er endlich als höchſte von Gott eingeſetzte irdifhe Macht auf 
Erden throuen wollte: durfte er weder die Sittenlofigkeit und will 
türliche Beſetzung des römiſchen Stuhles dulden, noch die Heiden⸗ 
miffion außer Acht laſſen. In ver That, von feiner Macht bing 
das über „ven Knaben auf Petri Stuhl« rvichtende Concil ab; von 
ihm empfing vie Kirche Europa’s ihren Oberbirten, von ihn endlich 
erbaten fich die Ruſſen ihre Prediger. Als Regent der heiligen Kirche 
und des europäifchen Staates ordnete Otto Alles, Weltliches und 
Geiſtliches, Croberung und Miſſion, Aeußeres und inneres. nAlles, 
was Gottes Wille ift, weiß, unternimmt, liebt unfer Kaiſer. Kirche 
md Staat ſchützt er mit feinen Waffen, verherrlicht er durch feinen 
Charakter, beffert er durch feine Gefeken. 

Was jo einen hochfliegenden, gewandten und energifchen Geift 
tretz aller äußern Feinde und gegen ten Wiverftand feiner eigenen 
Nation durchzufegen gelungen war, wird Das ver Nachfolger oter 
werden es die jpätern Regenten zu behaupten und gegen äußere und 
innere Gegner zu vertheivigen im Stande fein? 

Die Gefchichte des deutſchen Volles Hat auf diefe Frage eine, 
wie ich meine, unzweifelhafte Antwort gegeben, und jene ottonifche 
Politik zu Den verunglüdten Verfuchen eines ivealen, aber ver Natur 
der Dinge nicht entjprechenden Ehrgeizes geſtellt. 

Das Syitem konnte in Europa nur fo lange und in fo weit 
feine Geltung behaupten, als es mit fchwachen, umneinigen ober bil 
bungslofen Nationen zu tun hatte. Jede Spur von innerem Ges 
deihen und fortjchreitender Bildung bei einem der unterivorfenen Völ⸗ 
fer war eine Gefahr für das Kaiſerthum. Por Allem aber fand 
Deutfchland felbft Feine Befriedigung in den idealen Gebilden feiner 
Herrſcher. Vorübergehend konnte wohl ein Erfolg verfelben im Lande 
das Echo des Beifalls erweden, und dem rohen Stolze einer mäch- 

10* 


148 Wilhelm Maurenbrecher, 


tigen Volkskraft konnten momentane Triumphe ſchmeicheln — aber 
immer zeigt ſich in ber Tiefe doch eine Strömung, die ſich ſol⸗ 
chem Streben ver höchſten Herren entgegen ſtemmt, und dem ivealen 
Flug über Europa hin heinmend in ben Weg tritt. Noch unter ber 
fächfifchen Dynaftie werten vie Folgen des Widerſtandes fühlbar. 
Wenn fchon in ves großen Otto legten Lebensjahren bei feinem lan- 
gen Aufenthalte in Italien fich vie Mipjtimmung ver füchfifchen Großen 
regte; fo mußte Otto II. erft 6 Jahre lang gegen bie Factionen im 
Innern, fowie gegen die rebelliichen Nachbarn in Frankreich, dem Nor⸗ 
den und Oſten kämpfen, ebe er das Kaiferreich feines Vaters berzu- 
ftellen vermochte. Als er dann mit energifcher Conſequenz trog ber 
Warnungen feiner alten Rathgeber feinen Angriff auf Unteritalien 
eröffnete, trat der Mangel an ausreichender beutfcher Unterftügung 
von Anfang an, und bei’ jevem Schritte immer fühlbarer zu Tage. 
Nach dem furchtbaren Schlage, welchen endlich die Araber feinem 
Heere verfegten, gährte e8 überall im weiten Reiche; überall erlitt 
deutſche Herrfchaft und Gelonifation den gefährlichften Rückſchlag; 
der Wucht dieſes Unglüdes erlag Otto's Kraft. Während der Min» 
verjährigfeit Dtto IL. geſchah nur Unzureichendes, die angeftrebte 
Monarchie feftzuhalten; die localen Gewalten gewannen immer mehr 
Boden, die Stavenkriege blieben immer ohne dauernden Erfolg, in 
Frankreich fegten nach fo vielen mißlungenen Verjuchen die Capetinger 
ihre Thronbefteigung durch, und machten dem beutfchen Einfluffe auf 
ihren Staat für immer ein Ende. Als nun Otto felbft mit jugend» 
lihem Enthufiasmus, ungezügelter Phantaſie, muftifch-ascetifcher Re⸗ 
ligiöfität jene ererbten Kaijerpläne aufgriff und den realen Boden ver- 
lajfend, des großen Otto Kaiſertraum nachzuträumen begann, da ftellte 
fih auch der Widerſtand, ven einft ver Ahnherr gefunden, vem Entel 
mit erneuter Energie entgegen; die Symptome vefjelben nehmen ge 
gen das Ende feiner Regierung in jo erftaunlicher Weiſe zu, daß 
jelbft der moderne Bewunderer ver Kaijerpolitif ihre Bedeutung bier 
nicht verfennen fann. Das Zild, das und Giefebrecht von dem Zus 
ſtande Deutſchlands nach Otto's Tod entwirft, zeigt der Webelftände 
fo viele, ftellt „ben unfihern Grund, auf welchem das Rai- 
ferreih ruhte«, in ein fo klares Licht, daß man die Verderblich⸗ 
teit der ganzen Kaiferrichtung bier in einem Blide überfieht. Trot 





150 Wilhelm Maurenbrecher, 


Anmerkungen. 


i) Zur Kritik Widukind's vergleiche Wattenbach „Deutſchlands Geſchichte⸗ 
Queſlen“ p. 168 ff. — Es wird noch nöthig fein, das Verhälmiß jener 
Sefammtauffaffung zu den einzelnen Berichten genaner zu prüfen. Vor⸗ 
läufig möchte ich befonders darauf aufmerffam maden, daß Wid. mit 
der Bezeichnung „imperator“ wohl eben jene Weltftellung meint. Denn 
eine befondere Verleihung biefer Würde kennt er nicht; ſchon von Hein- 
rich fagt der Nerbeude Konrad: vere rex crit et imperator multorum 
populorum. Der Gebraud beider Worte wechſelt ab; nad ber Ungarn⸗ 
ſchlacht 933 wird H. ale imp. vom Heere begrüßt; Oito erbält biefen 
Titel fchon vor ber Begrüßung während ber Schladht von 955, gleich⸗ 
zeitig mit jener Rebe, die fo Fräftig das Gefühl der ſachſiſchen Weltherr⸗ 
ſchaft auefpricht (III. cap. 46), von da an fiihrt er befländig (mit einer 
Ausnahme) diefen Titel. Dan fieht beutlih, daß durch biefe Bezeich- 
nung, die Heinrich gleihmäßig wie Otto beigelegt wirb, beide Fürfien 
ale gleichftehend ericheinen, als Fortſetzer ber alten Kaifermadt. Sollte 
durch diefe Geſchichtsauffaſſung, die wohl am ottoniichen Hofe maßgebend 
war, jene benfwürdige Etelle über Heinrich's Romfahrt (1. 40) veran- 
laßt fein? — 

?) Gegen biefe Meinung vom Charalter des Ruotger wird fih kaum eim 
gegrüubeter Einwand erheben lafien; fchon ein Blick auf bie äußere Ber- 
theilung tes Stoffes zeigt feine Tendenz an. Was feine thatfädhlichen 
Mittheilungen über ben Iubeolfinifchen Aufftand betrifft, fo geben une 
biefe ein ziemlich Mares Bild ber Verhandlungen zwifchen ber Laiferlichen 
Bartei und der Oppoſition. Bruno's Reben (cp. 18) laſſen cinen Blick 
binter die Eoufiffen thun, den man bei einem Parteiginger Otto's kaum 
erwarten follte. Eehr merkwürdig ift eine Etelle in cap. 17. Trop- 
bem baß Dtto durchgehende fchon als imperator bezeichnet wirb, heißt 
e6 hier, daß Niemanb unter den Empörern bie königliche Hoheit (regia 
majestas) habe angreifen wollen, fondern Jeder habe Kampf gegen Hein- 
ri vorgegeben, in Wahrheit aber, bemerlt R., gegen alle Treuen des 
Kaiſers (imperator). Es flingt dies faft wie cine Aenßerung der Op⸗ 
pofition feleft, die uns bier wie au cap. 16 überliefert iſt. Es fcheint 
auch nicht bloßer Zufall zu fein, daß die Bezeichnung ber königlichen 
Würde bisweilen flatt des üblichen imperator eintritt, und zwar flete ba, 
wo ein Gegenfaß beider Bezeichnungen zu vermuthen ift (vergl. capp. 11, 





152 Wilhelm Maurenbrecher, 


?) Widnkind II. 1 überliefert bie Formeln bei der Krönung. Wenn fie auch 
nicht autbentifch fein follten, fo iſt doch Otto's Auffaffung feiner Würbe 
hierdurch ficher geftellt. 

*) Diefe Nachricht beruht, abgeſehen von fpätern unächten Zengniffen, auf 
einer Mittheilung bei Baronius. Ob bie Grundlage berielben von Werth 
fei, muß fo lange dabingeftellt bleiben, als bie Baronius zu Gebot ge- 
ſtandenen ungebrudten römiſchen Duellen nicht belanmt find. Einſtweilen 
darf die gewifjenhafte Forſchung nur die Möglichkeit jener Nachricht ber 
baupten. 

*) Diefen wichtigen und für die ganze Auffaffung ber ottonifhen Politik fe 
entfcheibenden Umſtand haben alle Yorfcher, fo viel mir befaunt gewor- 
den, überfehen. Man fpricht wohl von Verpflichtungen Berengars gegen 
Otto — Maslou auch von einer clientela — aber für ben Lehens- 
eid läßt fih kaum ein pofitivere® Zeugniß verlangen, ale es in ber 
Stelle Wibufind’s 111. 11 vorliegt, bei Gelegenheit bes 952 zu Auge 
burg geleiteten Eides: .‚ubi Bernharius manus filii sui Adalberti ma- 
nibus suis implicans, licet olim Hugonem fugiens regi sub- 
deretur, tamen renovata fide coram omni exercitu famulatui 
regis se cum filio suo subjugarit. Ihre Belanntſchaft mit biefen Ber- 
hältniffeu verräth auch Roswitha, in Otto's Neflerionen. (Bere 602 ff.) 

10) In dieſes Jahr fee ich mit Köpke den bänifhen Zug Otto's: bie tref- 
fenbe Beweisführung deſſelben ſiehe Jahrbücher I, 2. p. 104 ff. 

11) Heinrich's merkwürdigen Zug nach Stalien in Verbindung mit feinem 
Sieg über die Ungarn, überliefert Wibulind II, 36. Fraglich bleibt das. 
Fahr dieſes Krieges. Zum Jahre 948 und 950 werben Niederlagen 
der Ungarn berichtet (Annales Emmerami und Ann. Hildesheimensss). 
Glaublich fcheint e8 mir nun, baß der italienische Zug in das Jahr 948 
fällt, welche Bermuthung durch Contin. Regin. ad ann 951 beflärkt wird. 
Hier heißt es ven Ludolf's italienifhem Etreifzug, berfelbe fei verunglüdt 
wegen ber Umtriebe Heinrich's: .‚paternus enim Henricus dux de Ba- 
varia per triennium legatos suos praemisit in Italiam. — „per 
triennium“ if eine handſchriftliche Variante für „per Trientum“, bie 
ih aufzunehmen fein Bebenfen trage. 

') Bergl. Contin Regin. ad ann. 951 und Roswitha. — Das, was Erfterer 
mittheilt, wirb durch die Lage der Dinge ſowohl ale durch bie ſpätern Ereig- 
nifje als relativ befte Ueberfieferung beglaubigt. Im ber bezlglichen 
Stelle nahm ih die Lesarten zu.Hülfe, die ber Wiener Cober (bei 





Die Kaiferpolitik Otto 1. 1853 


Berk N. 7) bietet und bie von guter Außerficher Autorität unterftütst, 
das ganze Verhältniß ſcharf und nachdrücklich bezeichnen. 

„Quod ita (sc. Ottonis in Italiam) filius ejus Liutolfus cum Ala- 
mennisanticipans, patremque, siquid ibi ad ingressum suum fortiter 
ageretur, placare desiderans, nihil tale quod speraverat peregit, se 
potius inconsultum patri ostendens totius in so bellionis et discordiae 
seminarium sumpsit ‘. 

Eine inbireete BeRätigung ber oben gegebenen Motivirung gibt uns 
bie höſiſche Darfteflung ber Roswitha mit ihren offiziellen Berichtigungen. 

13) Auch Hier tritt bie Differenz zwiſchen Widulind, Cont. Regin. und Ro6- 
witha hervor. Der thatiächlihe Borgang it Mar. Alle perfönlichen 
Motive, die man ben Häuptern der Oppofltion umterzufegen pflegt, tre- 
ten bier auf und mögen Bier verglichen werben. — Sebenfalle find ſolche 
nur don nutergeorbnetem Werthe. 

1) In diefem Lichte erſcheint die Ermahnung zur Milde bei Roswitha, bie 
ansbrädlich verfihert: eine Abſetzung VBerengar’s würde gleidy auf feine 
Tyrannei erfolgt fein, wenn Otto nicht verhindert geweien wäre. — 
Bergl. and) Mason. 

35) Ruotger überliefert uns Cap. 15—21 eine Reihe von Einzelnheiten, aus 
denen bie Gründe ber Oppofition, bie Reben ihrer Wortführer fich zu- 
fammenftellen faffen. Bergl. auch Wibulind III. 13—40. 

Widukind IN. 15 und Ruotger 16 ftellen das Urtheil über Erzbifchof 
Friebrih Gott anheim Contin. Regin. urtheilt in feiner Weife Har 
und beflimmt: „er war ein waderer und höchſt rühmenswerther Mann, 
wenn er nur darin nicht zu tabeln gewefen wäre, daß er fobalb fih nur 
ein Feind bes Königs erhob, fogleich ſich ale zweiten zu dieſem gefellte”. 

3%) Ueber Thietmar 11, 15 und Contin. Regin. ad a 954 ift viel geftritten, 
die ganze Gefchichte von Bruno's Untreue zulegt von Gieſebrecht als „als 
bern“ verworfen worden. Dennoch glaube ich eben fowohl an ber Zu⸗ 
fammengebörigfeit beider Nachrichten als an einem zu Grunde liegenden 
Schwanken Bruno's feftyaften zu müſſen. Aus Rather's Andeutungen 
fheint hervorzugehen, daß man fid) etwas vorzuwerfen hatte (opera ed. 
Ballerini p. 251), aud was Folkuin mittheilt, flimmt dazu. Die Bor« 
gänge in Lothringen waren dann etwa folgende. 

&s gab dort eine ftarke nationale Partei unter Graf Ragenar und 
daneben einige wenige Anhänger Konrab’s. 953 tritt nun gegen Konrab, 
der als Fremder von ben ächten Lothringern gehajt war, ala königlicher 
Gtelivertreter Erzbiſchof Bruno auf und fucht fih zwiſchen ben Parteien 


154 


ı 
19) 


Wilhelm Maurenbreiier, 


feſtzuſezen. Die Einfegung Hather’s verletzt die ganze Partei Magenar's. 
Diefen Augenblid ergreift Konrad zu Berfucen, fi bei jeber Bartel 
Verbindungen zu eröffwen: hierhin gebören feine Unterhandlungen mit 
Bruno, der Eube 953 — we Dtto’s Eade fa Aberall verloren war — 
barauf einzugehen wagt. Rah kurzem Schwanken rafft fi aber Bruns 
zu energifchen Handeln auf. Seinen Parteigänger Nather preisgebeub, 
fnüpft er eine enge Berbindung mit Ragenar an, und fo wird Konrab 
vollſtändig vertrieben. — Der Lobrebner Brune’s barf natürlich wichte 
von fokhen Dingen wiflen; feine ansbrädiihen Berfigerungen ber ber 
ſtändigen Trene Bruno’s find verbädtig; er hat auch won üblen Ge⸗ 
rädten gehört (vergl, Kap. 15): fein Schweigen über biefe Gedichte 
beweiſt alfo Nichte. 

Bidafind III 30. Flodoard ad a. 954 und Contin. Regin. — Die 
Meldung, daß Ludelf die Ungarn gerufen, nach Ruotger 19 und Thiet⸗ 
mar if wohl nur fpätere Barteiverfäumbung. Wie ficht es aber mit 
Lubolf’6 Behauptung, daß dieſelben gey en ihn berbeigejogen feien? 
Dies Brincip war ſchon ben Zeitgenoffen ler, vergl. Nnotger 20. 

Die richtige Darftellung biefes Zuges gibt Cont. Regin. — über Bru- 
no's Bermittinug vergl. Ruotger 36 — auch das Fragment ber Not 
witha zeigt eime richtige Auffaflung. 


20, „sanctus imperator“ Liutprand hist. Ottonis oap. 5. 





VII. 


Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur des Jahres 1860. 


1. Weltgeſchichte. Allgemeines. 


Dr. Unt. Gindely, Lehrbuch ber allgemeinen Geſchichte für 
Eymnafien 1. Bd. Brag, Bellmann. 1860. 354 ©. 8. 


Dr. Joh. Bnmüller, die Weltgeſchichte im Ueberblid für Gym⸗ 
mfien, Real» u. höhere Bürgerfchulen n. zum Selbftunterricht. Frei beach. Aus 
3 aus des Berf. größerem Werke (In 3 Abtheilgn.) 1 Abtb.: Geſchichte ber 
sen Belt gr. 8. (VI u. 210 6 m 2 Tab. in Imp.-Zol.) Freiburg im Br., 
Serter, 1860.. 


Th. B. Welter, Gymn.-Brof, Lehrbuch der Weltgeſchichte für 
Gpmmafien u. höhere Bürgerihulen. 1 Thl.: Die alte Geſchichte. 19. verm. u. 
verb. Hufl. gr. 8. (XVI u. 388 ©.) Münfter 1361, Coppenrath. 


Dr. & Bernitfe, Oberlehr, die Geſchichte der Welt. 2. verm. u. 
verb Aufl. 5. m. 6. Halbbd. Ler-8. Berlin, 1860, A. Tunter. 
Inhalt: (3. Thl.) Die Gefchichte der Neuzeit. (1. Abth VIII u. 608 ©.) 


Rudolf Dietfh, Lehrbuch der Geſchichte für die oberen Klaſſen 
bez Oyımnafien und zum Eelbſiſtudium. Zweite vollſtändig neubearbeitete Auflage 
Ehen Bandes erfie Abtheilung: Die Geſchichte bes Orients und Sriechenlande. 
leipzig, Teubaex, 1860. VII, Bil ©. 8. 


156 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


® Büp, Gymn.-Oberl., Grundriß zur Geographie und Ge- 
ſchichte ber alten, mittleren und neueren Zeit für bie obern Clafſen der 58- 
bern Lehranftalten. 1. Bb.: Das Altertum. 10. verb. Aufl. Coblenz, O4 
beder, 1860. VIII, 382 ©. 8. 


Dr. Johe. Miller, die allgemeine Weltgefchichte, dem beutfchen 
Volke treu, wahr und Mar erzählt. 6. u. 7. Hft. Leipzig, Ruhl, 1860. gr. 16. 

Inhalt: (10. Bd.) Die Gefchichte der neueften Zeit bis auf bie Gegenwart. 
(1. Th S 161-320). 


Rob. Springer, allgemeine Weltgeſchichte von ben älteften Bei 
ten bis auf die Gegenwart. Für alle Stände. 24 u. 25 Lg gr. 8 (3. Bd 
vn S n. 353—455 u. 4. ®b. S. 1-16) Berlin, Hafelberg, 1860. 


Dr Heinrich Dittmar, Die Geſchichte der Welt vor nub 
nad Chriſtus mit Rückſicht auf bie Entwidiung bes Lebens in Befigien 
und Politik, Kunft, und Wiſſenſchaft, Handel und Induſtrie ber welthiftorifchen 
Bölter. Für das allgemeine Bildungsbebürfuiß bargeflellt. In ſeche Bänden. 
Neue verbeflerte und vermehrte Ausgabe. 1 bis 4. Liefg. Bd. 1. 641 6 
Heidelberg, Karl Winter 1860. 8. 


Dr. Karl v. Rotted, Hofrath Brof., allgemeine Weltgeſchichte f. 
alle Etänbe von den früheften Zeiten bis zum SI. 1860. Mit Zugrundelegung 
feines größeren Werkes bearb u. heransg. 7. Drig -Aufl. Sorgfältig burchgefehen 
und bis auf bie neuefte Zeit fortgeführt von Dr. Wil Zimmermann. (Mm 
30 Ffgn.) 1.—11. Lg. 8 Boe 480, 575, 480 ©. m 4 Etahlſtichen. Stutt- 
gart, Rieger, 1860. gr. 16. 


Karl v. Rotted’s allgemeine Geſchichte vom Anfang ber hiſtori⸗ 
ſchen Kenntniß bis auf unſere Tage 23 Aufl In 45 Liefgen. mit 24 Stahlſt. 
1--20. fg. Bd. 1-7. Brannſchweig, Wefermann, 1860. 8. 


CE Br. Beder's Weltgeſchichte. Achte, neubearbeitete, bis auf bie Ge⸗ 
genwart fortgeführte Ausgabe. Derautg. von Adolf Schmidt. Mit der Fort⸗ 
feung von Ednard Arnd. Bb. 1. u. 14. 504 u. 27% ©, Berlin, Dunder 
nnb Humblot, 1860 8. 


Dr Ger. Weber, Brof. u. Schulbir , allgemeine Weltgeſchichte 
mit befonderer Berädfihtigung bes Geiftes- n. Eulturlebens ber Völler n. mit Be- 
antung ber neueren geſchichtlichen Forſchungen für bie gebilbeten Stände bear. 
8. 3b U. u d. T.: Geſchichte ber alerandrinifch-hellenifhen Belt nnb ber ri 
miſchen Republik. 1. Hälfte. S. 1 — 400. Leipzig, Engelmann 1860. 8. 





Augemeine Weligejchichte. 157 


Es iſt in dieſer Zeitſchrift ſchon wiederholt aus Anlaß der Anzeige 
ber früheren Bände die große Berbienftlichleit von Weber's Weltgeſchichte 
hervorgehoben worden. Der Berf. entfaltet einen ungemeinen Fleiß und 
großes Geſchick die Refultate der neueren Forſchungen zu popularijiren,, 
. Und e8 ift dieſes Verdienſt um jo höher anzufchlagen, va viefelben oft 
viel länger Zeit brauchen als man gemwöhnlid annimmt, bis fie in's 
größere Publicum dringen. Die vorliegende erfte Hälfte des dritten Ban- 
des behandelt die römijche Geichichte bis zum erften punifchen Krieg, 
bie Geſchichte des Hellenismus dagegen führt fie großentheild weiter herab 
bi8 zu den ben einzelnen Abjchnitten entſprechenden Endpunkten. 
Daß gerade die die römijche Geſchichte der Älteren und älteften Zeit bes 
handelnden Abjchnitte oft genug und aud nicht blos in controverjen 
Punkten zum Widerſpruch herausfordern, wird niemand verwunbern. 
Eine Unterfheivung 3. B. wie die S. 21 zwijchen Dii und Divi einer- ' 
feits, Dämonen anbererjeitd gemachte, wiberlegt fih nicht nur durch 
tie Sache, fondern aud durch die anderweitige Darftellung des Verf. 
ſelbſt. Es ift freilich in diefen Dingen noch fo Bieles nicht abfchließenn 
feftgeftellt,, daß man einem Werte von ver Art des vorliegenden einzelne: 
Irrthümer leicht zu Gute hält. In der zweiten Hälfte würbe Ref. 
3. B. gleich gegen die Darftellung des Harpalifchen Proceſſes nicht bloß 
ans einem Grunde Einſprache erheben müſſen. Uebrigens erjcheint 
tiefer Theil des Werkes durchweg beſſer gelungen, wie denn die darin 
gelöfte Aufgabe, fowie die Dinge gegenwärtig ftehen, in einem folchen 
Werke ungleich danfbarer genannt werden muß. Im Allgemeinen wird 
Weber's Weltgeſchichte auch in dieſem Banve ihren ehrenvollen Rang 
unter ähnlichen Werten behaupten. A. P. 


F. C. Schlosser, Allgemeene geschiedenis onder mededewer- 
king van G. L. Kriegk uitgegeven. Uit het Hoogduitsch vertaald door 
D. van Hinloopen Labberton en J. L. Terwen. X, 2. Xll, 2. Rot- 
terdam, Petri, 1860. 8. 


— — —, Werldhistoria. Nionde bandet. Stockholm, Hell- 
sten, 1860. 8392 8. 8. 


A. W. Engelon, Allgemeene geschiedenis der wereld. Be- 
dee. Nieuwe geschiedenis. 3e druk. Groningen, Wolters, 1860. 6888. 8.. 


158 Ueberficht dee hiſtoriſchen Literaiur won 1860. 


J. Moeller, Cours dldmentaire d’histoire universelle. 3 
vols. Bruxelles, 1860. 242, 310, 260 8. 18. 


Ed. W. d’Halluwin, Les deux yeux de l’histoire, ou Guide 
chronologique et geographique de l’histoire universelle Moyen Age. Tome 
2. Paris et Lyon, 1860. 623 8. 12. 


Le Monde, Histoire de tons les peuples depuis les temps les plus 
reculds jusgn’ & nos jours; par Saint-Prosper, de Sanrigny, Duponchel, 
le baron Korff, Belloc et l’abbd Martin; revue et continude par C. de 
Lostslot-Bachoue. Edition illustrie de 140 belles gravures. Paris 1860, 
20 vols. 5323 p. 8 


Joseph Haydn, A dictisnary of dates relating to all ages and na- 
tions for universal reference; comprebending remarkable occurences, an- 
cient and modern; the fundation, laws and government of countries etc, 
particularly of the British empire. 9th edition revised and greatly enlar- 
ged by Benjamin Vincent. London, Muxon, 1860. 740 8. 8. 


Jobs. Scherr, allgemeine Geſchichte der Literatur. Ein Hau» 
bud. 2. umgearb. u. erweiterte Aufl. Stuttgart, 1861, Brandt. VII m. 
6836 8 


5 U Körner, Prof, Lehrbuh der Handelegeſchichte. 2 thlgu. 
Prag 1861, Erebner. 1. Abth. 160 ©. 8. (Ohne Werth.) 


Beer, Ubolf Dr., Brofeffor. an ber Wiener Handelsalademie. Allg e⸗ 
meine Geſchichte bes Welthandels. Krfte Abtheilung. Wien, Bram 
müller, 1860. X u. 277 S. 8. 

Das lebhafte Intereſſe womit vie heutige Forſchung, fich der Er⸗ 
fenntniß auch der materiellen Öruntlagen des Lebens und ihrer Ent» 
widelung zugewandt bat, ift ein jprechendes Zeugniß für den gejunden 
Boden, auf welchem unjere biftoriihe Wiſſenſchaft fteht und wählt. Die 
Geſchichte des Handels namentlih bildet ven Gegenftand vieljeitigfter 
Ferihung; Werte wie Fallke's Geichichte des deutſchen Handels, wie bie 
mufterhafte Monographie Hirſch's über Danzig, wie die Publikation von 
Tafel uud Thomas über Venedig, fo Mandes auch was im Ausland 
nach derſelben Richtung Hin geleiftet wird, haben dieſen Zweig der Er⸗ 
kenntniß in jüngfter Zeit um ein Bedeutendes erweitert und gefördert ; 
für vie Kenntniß der deutſch⸗ nordiſchen Hanvelöverhältnifie ſtellt ti: von 





Ulgemeine Weltgefchichte. 169 


der hiſtoriſchen Commiffion unter Lappenberg's Leitung unternentmene 
Sammlung der hanfentifchen Receſſe eine großartige Bereicherung in Aus⸗ 
fiht. Neben Forſchungen diefer Art darf auch das in feinem eriten Band 
vorliegende Werk Beer's rühmend genannt werben. Der Berf. warb zur 
Bearbeitung deſſelben zunächſt durch ein praktiſches Bedürfniß geführt 
welches ſich ihm bei ſeinen handelsgeſchichtlichen Vorträgen an der Wiener 
Handelsakademie ergab; nächſtdem aber wollte er zugleich ein „Leſebuch für 
weitere Kreiſe geben, um auch dem größeren Publikum die Reſultate han⸗ 
delsgeſchichtlicher Studien in einem lesbaren Gewande zugänglich zu 
machen.“ Bir haben bier natürlich nur den letzteren Geſichtspunkt ine 
Ange zu fallen und glauben, daß ter Verf. venfelben ebenjo mit Hecht 
ergriffen ald mit Süd und Geſchick vurchgeführt hat. Innerhalb ver 
durch den Plan des Ganzen geftedten Grenzen erhalten wir in dieſem er- 
fien Band eine lichtvolle Darftellung der beiden erften Epochen der Hans 
belögeichichte, im Alterthum und im Mittelalter, nad ihren Hauptträgern 
und verzäglichiten Mittelpunften; der Verf. zeigt an allen Stellen eine 
ſehr eingehende Kenntniß der einichlagenven Literatur bis zu den jüngften 
Beröffentlihungen, und indem er vor jevem einzelnen Abjchnitt die äl⸗ 
teren und neueren ihn betreffenden Hauptwerfe und Quellenſammlungen 
aufführt, erleichtert ex dem minder Erfahrenen ven Weg zu eingehenverer 
Belehrung. Der gegenwärtige Band fchließt mit ver Darftellung ber 
Berhältuifie, welhe im 15. Jahrhundert zuerft die Macht der großen 
deutſchen Hanſa untergruben — die Einleitung zu dem großen Umfchwung 
des Welthandels im 16. Jahrhundert. Wir fehes mit Vergnügen ver 
Fortfetzung bes Werted entgegen. B. E 


Die gefhihtlihe Entwidelnng der National-Delonomil 
und ihrer Literatur. Bon Dr. Julius Kautz, Profeſſor am Polytechnikum 
in Ofen. Bien, 1860. 9. u. d. T. Tpeorie und Geſchichte der National» 
Oetonomit. 2. Theil. 


Der Berfafler hat fi) die Aufgabe geftellt, vie natienalsölonomifchen 
Anfihten, Ideen und Theorien in ihrer geichichtlichen und literarifchen 
Entwidlung von der äfteften Zeit bis auf die Gegenwart zu ſchildern. 
Die gelieferte Arbeit documentirt im Allgemeinen jeine Befähigung zu 
diefem allerdings fchwierigen Werke. Aehnliches ift ſchon früher, aber 
nie im einem fo weiten Umfange verjucht worden, Obenan flanben auf 


160 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


tem Gebiete ter allgemeinen Geſchichte ver politiſchen Delonomie län- 
gere Zeit die Sranzejen, nur einzelne Partien wurden von deutſchen Volls⸗ 
wirthſchaftlehrern bearbeitet: fo von Roſcher, veflen Arbeiten freilich 
geradezu epochemachend waren. Bortreifliche Gejichtspuntte für eine allgemeine 
Geſchichte ver Vollswirthichaft giebt auch Karl Anies in feinem tüchtigen 
Werte: Die politiiche Delonomie vom Standpunkte der geichichtlichen Me⸗ 
thode, Braunſchweig 1853, der auch augenicheinlih Hrn. Kautz die An« 
regung zu feinem Werke gegeben; tiefer lehnt ſich wenigftens überall am 
jenen an und ſucht die Winke und Andeutungen zu verwerthen und aus 
zubeuten,. In der Einleitung behantelt Hr. 8. Weien und Aufgabe ver 
Geſchichte und Nationalökonomit, Bedeutung und Zwed verfelben, ven 
Zufanmenhang feciafer Theorien mit ter geſchichtlichen Entwidlung ver 
Bölfer. Er ſchildert forann in einer Ueberfiht ven Entwidlungsgang ber 
Nationalökonomik und vie Titerarifchen Hilfsmittel einer Geſchichte ver 
Bollswirtbichaft. Das Wejentlichfte von dem bier VBorgetragenen findet 
man bei Knies und bei Mohl: Geſchichte und Literatur der Staatswifien- 
haften Bd. I und IM. Aber vie Zujammenftellung und Ausführung mandyer 
Punkte, die in den genannten Werken nur angedeutet ſind, verdient alles Lob. 
Das erfte Buch behandelt fodann die voltswirthichaftlichen Ideen und Anjichten 
in Alterthum. Dieſe Partie ift wohl eine der ſchwächſten, was nur zum Theil 
durch den Mangel an Vorarbeiten entjchuldigt werben kann. Genügenves 
kann bier nur geleiftet werten, wenn man auf die Quellen zurüdgeht und 
aus den Maffifchen Schriftftellern jelbft ein Bild des geſammten wirths 
ſchaftlichen Lebens des Alterthums zu zeichnen verjucht. Dies hat Hr. R. 
nicht gethan. Gr begnügt fich vie in hifterijchen und andern Schriften 
niedergelegten Bemerkungen zu einen einheitlichen Ganzen zu verarbeiten. Die 
Mangelhaftigleit der Quellenſtudien ift aber aud die Urſache vieler irriger 
Bemerfungen, die aus anderen Büchern herübergenennnen worten find. 
Der Bf. bejchränft fi) Übrigens nicht blos anf das klaſſiſche Alterthum, er 
fucht auch den Orient in feine Darjtellung hineinzuziehen und vie trämmerar- 
tigen Ueberlieferungen zur Schilderung der eigenartigen Entwidlung deſſelben 
zu benützen, wobei e8 aber nicht zu billigen ift, wenn er neben andern 
Ierthümern z. B. S. 9 die alten Iranier, Baltrer, Meder und Perſer 
zufammenwirft, während eine Scheidung Noth thut. Der Abſchnitt über 
die Sebräer ift wieder viel zu pürftig ; ter Verf. hätte hier tiefer eindringen und 
feine Refultate beffer begründen müffen. In der Auseinanderſetzung des 


Allgemeine Weltgeſchiche. 161 


wirthichaftlichen Bolfslebens der Griehen und Römer vermijfen wir be- 
ſenders die ſcharfe Scheidung der Zeiten und Stämme; dieſe find unter- 
ſchiedlos zujammengeworfen. Das zweite Buch ©. 180 ff. behandelt die 
volkswirthſchaftlichen Anfihten und Ideen des Mittelalters. Auch hier 
wird eine Nachleje zu den folgenreichften Nejultaten führen; der Stoff ift 
bier noch nicht gejichtet, das Material nicht vollftändig zu Lage geförvert, 
indem die Hifteriter bisher dem materiellen Leben ver Völker viel zu wenig 
Aufmerktjamkeit gejchenkt haben. Mau muß anerfennen: Hr. K. hat fich 
bemüht mit einigen Zügen die mittelalterliche Wirthichaftsentwidlung zu 
zeichnen. ur ift manche Partie viel zu dürftig und hätte jelbft nad 
ten vorhandenen Hilfsjchriften viel tiefer erörtert werben fünnen, fo ©. 
219 ff. was über Araber und Juden im Mittelalter gejagt wird, die in 
ten materiellen Lebensfragen diefer Epoche eine große Rolle jpielen; auch 
tie Volkswirthſchaft der Italiener iſt ftiefmütterlich behankelt. 

In feinen Elemente befindet fi der Berf., wenn er im MI. Buche 
auf die neue Zeit bis auf Adam Smith zu jprechen kommt. Ex theilt 
dieje Epoche in vier Abjchnitte: 1) den Merkantilismus, 2) die frühefte 
Reaction gegen ven Merkantilismus und die Anfänge der wiflenichaftlichen 
Rationalöfenomit, 3) das Syſtem ver Phyfiofraten und 4) die unmittele 
baren Vorgänger Adam Smith's in England, Deutichlaud und Italien. 
Tie Bereutung des Merkantiljuftems, deſſen Schriftfteller ſich durch vie 
Beſchränkung und Bejeitigung der Yeutaleinrichtungen und feudalen Zu- 
ftänvde bereutende VBerdienfte erworben haben, wird gehörig gewürdigt, und 
jelbft der genauefte Kenner der Nationalökonomik wird in diefer Partie 
manches Rene finden, anderes wieder weiter ausgeführt, was bei Nojcher, 
Knies u. A. nur angedeutet ift. Anerfennenswerth ift namentlich die Her⸗ 
beiſchaffung des bibliographiſchen Materials, welches man nirgends fo 
reihhaltig findet. Im IV. Buche wird die Nationalölonomit ver 
neueften Zeit fett Adam Smith einer genauen eingehenden Schilverung 
unterzogen. Tiefer Abſchnitt nimmt vie Hälfte des Werkes ein, etwa 
WO Seiten. Die Darjtelung der Smith'ſchen Ideen, die revolulionair 
in der Wiſſenſchaft und im Peben gewirkt, wird gewiß befriedigen; mit 
der Kritik des Smithianismus ©. 465 dürfte man weniger einverftanden 
jein. Hier hätte Hr. 8. die Fingerzeige von Knies S. 188 ff. mehr bes 
nügen und ausbeuten ſollen. Dafjelbe jcheint uns bei Ricardo und Mal⸗ 
thus der Ball zu fein. Anerkennung vervient der Abfchnitt „vie Nattonals 

Piſtexiſche Zeitfärift V. Com, 11 


162 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Oekonomik in Deutſchland von der Zeit Adam Smith's bis auf die 
Gegenwart“, ſelbſt wenn man dem Urtheile des Verfaſſers nicht überall 
beiſtimmen kann. Hr. K. ſucht überall das juste milieu zu vertreten, was 
einer ſcharf zergliedernden Kritik Eintrag thut. Mit großer Vorliebe 
iſt der Abſchnitt über Roſcher gearbeitet, der dem Kopfe und Herzen des 
Verf., der in Roſcher ſeinen Lehrer und Meiſter anerkennt und feiert, 
gleichmäßig zur Ehre gereicht. Wie allſeitig Hr. K. ſeinen Stoff behan⸗ 
delt zeigt der fünfte Abſchnitt, wo nicht nur die Bollswirthichaftstheorien 
in Stalien, Holland, Belgien, Spanien, Portugal auseinindergejetst wer⸗ 
den, jondern auch den Nationalöfonomen in Polen, Rußland und Ungarn 
Aufmerkſamkeit gejchentt wird. ©. 740-782 findet man überfichtlich bie 
focialiftifchen Syſteme dargeſtellt; einige aber viel zu dürftig. — Die Dars 
ftellung ift überall! ſchwungvoll, manchmal zum Nadjtheile des Werkes, 
das bei einer nüchternern Behandlung gewonnen hätte, was man aber 
entfchuldigen wird, wenn man berüdfichtigt, daß der gelehrte Berfafler 
Ungar ift. Hierin finden audy die Mängel und Härten des Styls ihre 
Erflärung. Wir vermiflen einen Index, der den Gebrauch des Buches im 
jeder Hinficht erleichtert hätte, Dem wir Übrigens bie Anerkennung, welche 
die fchwierige Arbeit gewiß verbient, von Herzen wünſchen. A. B. 


K. Hildenbrand, Geſchichte u. Syſtem ber Nedts- m. Staate⸗ 
Bhilofophie. 1. Bd. Das klaſſiſche Alterthum. Leipzig, Engelmann. XX, 642 
©. 8. 


Dr. Ludw. Philippfon in Magdeburg, Ueber die Refultate im 
ber Weltgeſchichte. 6 Vorlefungen. Leipzig, Baumgärtner, 1860. 1896. 8. 


Alex. Alison, The philosophy and history of Civiliss- 
tion. London 1859. 480 p. 8. 


Clavel, les Races humaines et leur part dans la oivili- 
sation. Paris, 1860. 435 p. 8. 


Paul Eaffel, Brof. Lic. Th, Weltgeſchichtliche Vorträge. Erſte 
Abtheilung. (Einleitung. — Das Ringervoll. — Die WMaflabler. — Ierufa- 
lem und Rom. — Der Mibrafh und bes Geſetzee Ende. — Aliba und ber 
Gternenfohn.) Berlin, Martin Berendt, 1860. 110 ©. B. 


Friedrich v. Raumer, Hiforifg-politifhe Briefe Aber bie 





Augemeine Weltgefchichte. 168 


gefelligen Berhäftniffe der Menſchen. Leipzig, F. A. Brodhans, 
1860. X, 460 © 8. 


Albr. Kretſchmer und Dr. Karl Rohrbach, Die Trachten ber 
Söller vom Beginn ber Gedichte bis zum 19. Jahrhundert. In circa 20 
tif. 1. m. 2. Lief. 4 S. 1-24 m. 10 Chromolith. Leipzig, Bad, 1860. 


98. Klemm, jan., Berindh einer Urgefhichte des Koſtüms mit 
Beriehung auf das allgemeine Caulturleben ber älteften Böller der Erbe. Mit Ab» 
bidungen nach Denkmälern ber Vorzeit (auf 6 Stein- u. 3 Holzfchutaf.) Dres- 
den, Klemm, 1860. VII u. 136 8. 16. 


8.Dor. Berlad, Sage und Forſchung. Ein Vortrag. Bafel, Bahn⸗ 
maier, 1860. 32 © 8. 


9. Grätz, Geſchichte der Juden von dem älteften Zeiten bie auf bie 
Gegenwart. Aus den Quellen neubearbeit. 5. Bd. A. u. d. T.: Geſchichte ber 
Juden vom Abfchluß des Talmud (600) bis zum Aufblühen ber jüdifch - [pani- 
ſchen Euftur (1027) Magbeburg 1860. X, 566 ©. 8. 


v. Pawlikowébki, Ef. Ritter Cholemwa, hundert Bogen aus mehr als 
fünfhunbert alten und neuen Büchern über bie Inden neben ben Chri— 
Ren. Gin fiter.-hiftor. Beitrag zur Gefchichte der Juden feit Chriſtus. Zufammenge- 
ſtellt und mit den nöthigen Negiftern verjehen. 1. Abth Freiburg im Br., Her- 
der 1860. LIX, 926 ©. 8. 


J. Bedarride, Les Juifs en France, en Italie et en Es” 
pagne; recherches sur leur 6tat depuis leur dispersion jusqu’ & nos jours, 
sous le rapport de Is légialation, de la littörature et du commerce. 2. éd., 
revue et corrigee. Paris, 1860. VIII, 616 p. 8. 


KR. Schmidt, Die Geſchichte der Pädagogik in weltgeſchichtlicher 
Entwidelung und im organifhen Zufammenhange mit bem Culturleben ber 
Bälfer bargefiellt. 2. Bd. U. m. d. T: Die Geſchichte der Pädagogik in ber 
Arinfigen Zeit. 1. Abth: Die Geſchichte der Pädagogik von Chriſtus bie zur 
Reformation. Cöthen, Schettler, 1861. XII, 446 ©. 8. 


2. Alte Gefchichte. 
M. Dunder, Geſchichte des Altertgume. 5. u. 4. Bd. 2. Auflage. 


Serlin 1860. Dunder und Sumblot. VII, 627; VII, 907 ©. 8. 
11* 


164 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1860. 


Bon beiden Bänden, welde vie griechifche Gefchichte behandeln, if 
blos der erfte mit Benugung ter neueften Hülfsmitteln umgearbeitet wor» 
den, ter zweite dagegen unverändert geblieben. 


Dr. 9. Elemen in Lemgo, Handbuch der alten Geſchichte 
Halle, 3. Fride. 1859. 328 ©. 8. 


Audr. Deberih, Gumnafial-Oberl., Handbuch ber Geſchichte ber 
Staaten des Altertbums f. Gymnafien. Leipzig, Fr Fleiſcher. IV, 282 6.8, 


Bunsen, Egypt’s Place in Universal History; translated 
from the German by C. Il. Cotterill. Vols IIl and IV. London, 1859 — 1860. 8. 


Sm. Sharpe, The History of Egypt from the Earliest Times 
till the Conquest by the Arabs, a. d 6410. 4. edit. 2 vols. London, 1860. 8. 


9. Brugfh, Geographiſche Infhriften altägyptifger Denk 
mäler gefammelt während der auf Befehl Sr. Majeftät bes Könige Friebdrich 
Wilhelm IV. von Preußen unternommenen wiffenfchaftlihen Reife in Agyptem, 
erläutert und herausg. 3. 2b. A. u d. T.: Die Geographie ber Aegypter nad 
den Dentmälern ans ben Zeiten ber Ptolemäer und Römer nebft einem 
Nachtrage zur GBeographie der alten Wegypter nach ben ägyptiichen Denk 
mälern. Mit 17 Zafeln u. 1 Karte, nebft vollfänbigen Regiftern zu bem ga 
zen Werle. Leipzig 1860, Hinrich's Berl. XII, 125 ©. 4. 


Dr.Henri Brugsch, Histoire d’Eg ypte des les premiers temps de 
son existence jusqu’& nos jours. Ouvrage accompagn6 de planches lith. et 
d’un atlas, de vues pittoresques. (En 2 parties). 1. Partie: L’Egypte sous 
les rois indigtnes. gr. 4. IX, 295 S mit 19 Steintafeln in gr. 4 qu. Fol 
u. Imp. Fol) Leipsig 1859, Hinrich’s Verlag. 

Aegypten ift das Pant, deſſen Räthjel zu löſen in ven legten Jahr⸗ 
hunderten wohl am meiften verfucht wurbe, Gleichwohl war der Erfolg 
bis zur Entzifferung der Hieroglyphen nur ein geringer. Auch wer Bunfen’e 
Werk vurdhgearbeitet, fchied von den Hypotheſen und Conftructionen der 
Geſchichte mit dem Gefühle, daß von dem Buche mit fieben Siegeln noch 
wenige gelöft feien. Aber die Schuld lag mehr am Berfafler, als an 
dem Zuftande ver hieroglyphiſchen Forſchung. Noch nicht zwei Yahre 
zehnde liegen zwiichen Bunſen's erften Bande und obgenannten Werke, 
das und auf etwa treihundert Seiten die ägyptiſche Geſchichte von ven 
älteften Zeiten bis 340 v. Chr, Har darlegt. Man erflaunt über 





Alte Gefchichte, Aegypten. 165 


die Fülle des Inhalts: denn nicht allein die ganze politifche Geſchichte, 
unter ver die Darftellung ver 8. bis 11. Dynaſtie, und bie der Hykſos⸗ 
zeit chronologisch befonverd wichtig; Die der 12. vor berfelben, und ber 
18. bis 20. Dynaſtie nad ihr mit ihren Ummälzungen und ruhmreichen 
Herrſchern Sethos, Ramſes II. u. 111. beſonders anziehend und durch 
Monumente anfhaulich gemacht find; ſondern auch eine an paſſenden 
Stellen eingeflochtene Culturgefchichte, welche die religidfen Zuflände und 
Beränderungen, die kunſt⸗ und felbft literärgefchichtliche Entwidlung Aegyp⸗ 
tens auseinander legt, findet auf dem engen Raume Plag. Freilich find 
die einzelnen Ergebniſſe durch viele Vorarbeiten feitgeftellt gemwejen; ber 
Berf. jelbft hatte in zahlreichen größern und Heinern Werten jehr viel dazu 
beigetragen. Aber die Hare, durchſichtige ‘Darftellung, fortlaufend anf 
monumentale Ueberlieferung geftüßt, deren Verhältniß zu der fchriftlichen 
Tradition überall beleuchtet wird, ohne daß der Derf. mit Hhpothefen 
Schwierigkeiten zu löſen fuchte, zu deren Entwirrung man noch Dent- 
mäler erwarten muß, eine Darftellung, von deren Lectüre jeder Leſer ein 
anſchauliches Bild der äußern und innern Entwidlung Aegyptens mit fort 
nehmen wird, darin beruht das große Verdienſt des vorliegenden Werkes. 
Eine ſolche Arbeit fehlte bis heute; vor der Räthſelhaftigkeit Aegyptens 
war das große Publitum ftaunend ftehen geblieben; ein wirkliches In= 
texefie für feine Gefchichte im weitern Kreiſe darf man feit diefem Buche 
datiren. -cke. 


A. Andtel, Cheope ber BPyramidenerbauer und fein Nachfolger. 
Nochmalige gründliche und allfeitige Erörterung ber Bragen: was es mit dem 
Einfalle der Hirten in Aegypten, dem Pyramidenbau, der Glaubwürdigkeit Ma- 
netho’8 2c. für eine Bewandtniß habe. Leipzig, Dyk, 1861. X, 130 ©. 8. 


Thornley Smith, The History ofMoses viewed in connection 
with Egyptian Antiquities and the customs of the Times in which he li- 
ve Edinburgh, 1800. 8300 p. 8. 


Guf. Unrub, Der Zug ber Israecliten aus Egypten nad 
Canaam Ein Beitrag zur biblifhen Länder- und Völlerkunde. Laugenſalza, 
1860. VIL, 159 ©. 8. 


Dr. Wilhelm Roßmann, Die madabäifde Erhebung. 
Bortrag anf der Rofe zu Iena gehalten. 47 ©. 8. Leipzig, Beit & Com. 


166 Ueberfiht der hiftorifchen Literatux von 1860. 


Heine Ewald, Geſchichte des Volles Israel. 2. Ausg. 7. m. 
fetter Bd. U. u. d. Titel: Gefhichte der Ausgänge des Bolles 
Israel und des nahapoflolifchen Zeitalters. Mit ben Regiftern zu 
allen 7 Bänden und ben Altertpümern. Göttingen, Dieterih. XXIV., 542 ©. 8. 


Jahrbücher der bibliſchen Wiffenfhaft von Heinrih Ewalb, 
Zehntes Jahrbuch 1859 — 1860. Göttingen, 1860. 374 ©. 8. 


Vom allgemeinen hiſtoriſchen Standpunkte dürfte daraus hervorzu⸗ 
heben feyn: die Abhandlung ©. 29—45: über vie Wentung aller Ge- 
ſchichte Israels in ihrer hohen Mitte. Im ter Ueberſicht ver 1859— 60 
erichienenen Schriften zur biblifchen Wiſſenſchaft finden fi auch Bemer⸗ 
kungen über einige Schriften, vie das bibliihe Land und bie mit ber 
biblischen ſich berührenve alte Geſchichte behandeln. S. 137 — 175. 


Wilhelm Kellner, De Fragmentis Manethonianis, quae 
apud Josephum contra Apionem ], 14 et I,26 sunt. Dissertatio inaugu- 
ralis. Marburgi Cattorum. 1859. 63 8. 8. 


Hegesippus, qui dicitur, sive Egesippus, de bello Judaico ope co-. 
dicis Cassellani recognitus. Edid C F. Weber. Fasc. 4. Marburg, 1860 
Elwert. p. 109 — 220. 8. 


A. Müller, PhHarifäier und Saduzfäer oder IJudaiemns 
und Mofaismus Kine hHifterifch » phifofophifche Unterſuchung als Beitrag 
zur Neligionegefhichte Vorberafiens. In den Situngsber. ber kaiſerl. Atab. 
ber Wiſſenſch. zu Wien. Phil. - Hiftor Claſſe Jahrg 1860. XXXIV. Bo 
&. 95 — 165. 


Derfelbe, Bier ſidoniſche Münzen aus ber röm. Kaiferzeit. 
Eine numismatifch - phönizifhe Studie als Beitrag zur phöniz. Gefhichte. (Ans 
ben Gitsungeber. 1860 db. f. Alab ber Wiſſenſch) Ler. 8. (206. m eins 
gebr. Holzſchn) Wien, Gerold’s Sohn in Comm. geb. 


The history of Herodotus: sa new english version, with 
copious notes and appendices, illustrating tlıe history and geography 
of Herodotus, from the most recent sources of information, and embodying 
the chicf results obtained in the process of cuneiform and hieroglyphica! 
discovery. By G. Rawlinson, assisted by H. Rawlinson, and J.G. 
Wilkinson. Vol. IV, London, 1860. 570 8. 8. 





Aue Geſchichte, Griechenland. 167 


Carimann Flor, Dr. u. Brof., ethnographiſche Unterfuchung 
iber bie Belasger. Klagenfurt, 1860. 133 ©. 8. 


Dr ®. Boltmuth, Prof. der Philofophie zu Poſen, die Belasger als 
Ermiten Gefchichtsphilofophifche Unterfuchungen. Schaffpaufen. Fr. Hurter’fche 
uhhanblung. 1860. VIII. 324 ©. 8, 

Ch. Lenormant, Les Grecs et les Scythes au Bosphore cimmerien. 
Paris. Didot, 1860. 21 8. 4. 


Kuror. Ilaragönyonovlos, Ictogıxai moayuareiaı. Athen, 1858. 
rm, 370 3. 8. 


GSriechiſche Mythologie und Antiquitäten nebft dem Kapitel 
iter Somer und auserwählten Abfchnitten über bie Chronologie, Literatur, 
Lauf, Mufit u f. w., überfeht aus G. Grote's Griechiſcher Geſchichte 
ven Thor Fiſcher. 4. DD Leipzig, Teubner, 1860. 550 S. 8. 


Eruſt Guhl und Wilhelm Koner, Das Leben der Grieden 
zur Römer nad antilen Bilbwerfen bargeftell. 1. Hälfte: Griechen Mit 
317 in den Tert gebrudten Holfhn Zeihnung und Schnitt von K Baum. 
Berlin, 1860. 8. 

Eine populäre Darftellung des Lebens der Griechen aus den mo- 
sumentalen Quellen, welche vorzüglich geeignet ift, den Werth des Stu- 
name ver claſſiſchen Kunſtdenkmäler für eine lebendige Geſammtanſchau⸗ 
ung des Alterthums in weiteren Kreijen geltend zu machen, und fid als 
Ergänzung ver bekannten Weidmann'ſchen Handbücher befonvers für Schu- 
in empfiehlt. Der erfte Theil der vorliegenden Hälfte, der ven 
sibit die den Römern gewibmete zweite Hälfte nachfolgen wird, 
ichildert vie baulichen Alterthümer ver Griechen in ihrem ganzen Uns 
fange, ter zweite Theil umfaßt alle fonftigen äußeren Formen und Er» 
iSeinungen des Lebens, Sitte und Tradıt, Handel und Wandel, Spiele, 
defte, Opfer und Peichenbeftattung. Wie von der wiflenfchaftlichen Ge⸗ 
tiegenbeit der beiden Berf. nicht anders zu erwarten war, gründet fich 
rad Game auf eine felbftftändige Durchforfhung des betreffenden Stof- 
fes, wie fich tiejelbe namentlich in ver geſchickt und reich angelegten Holz⸗ 
Meittilluftration in fehr angenehmer Weife fühlbar macht. ‘Die Darftellung 
bet im Allgemeinen unter ver Theilung der Arbeit nicht gelitten; nur 
mödten wir dem erſten Abſchnitt hie und da eine größere Kürze und 
Tricifion des Ausdrucks wünſchen. iz 


1 Ueberficht ter Iierikhen Tirratur won 1860. 
Jul Girard, Essai sur Thuceydide Paris, 1860 8. 352 ©. 


Srifſich, Zur Iszrzfeeritit Des Berikles und Cleon. 
Sun - Pref Driez, 189. 4 


8. Breck, Tırer, Zur Beurteilung Tleens, bes Athenien⸗ 
fere, Symn - Frei. Tele, 1359. 3514 


"NIer Adsti, rn uErpı Pikiazor apzeie igrogia 155 


Maxztdovia;. Metrageasdtica, vıo Mapyagırov T. Aruiıca 
Leirzig. 1860. Tenbnee XX, 317 p. 8 


Dr O. Haupt, Tat leben und kzardminniide Wirken bes 
Demeſtbenet, nı$ den Ouellen targefelt Mir dem lith., Bertrait des 
Demeſtbenes. Fein, MRerzkad, 1851. X. 310 & 8. 

Keine neuen Ergebniite eder Fortichritte in ter Forſchung, aber cine 
fittlih warme und anidaulibe Taritellung. 


K. Acwniov Aoyos dai ı75 devriga; avıov ngvrartia; €x veor 
vos usıa eixororgageor Exdıdoueros. Adırıa, 1858 I IN, 556 p 8. 
(Rede über Mleranter ben Großen ven 8. Aicpick.) 


Alois Richter, Pelobins Leben, Bbilojophie, Staat 
Lehre; letztere im Zujammenhange mit ben pelitiiden Theorien von Bla- 
ton, Ariftoteles, Cicero und Zacitus, nebſt einer Einleimug über die Bedeutung 
des Haffifhen Studiums im Allgemeinen und für die Theologie insbefondere. 
Landehnt, 1860 Thomann. XVI, 427 ©. 8 


Dr Thabdäus Lau, Tas Leben des Eyralufaners Dion. 
Eine gekrönte Preieſchriſt. Prag, 1860. 119 ©. 8. 


W. Trumann, Die Arbeiter und Communiften in Griedhen- 
Ianb und Rom. Nah den Duecllen. Königsberg, Bornträger, 1860. VI, 
3466 8. 

Ter berühmte Berf. ter „Geſchichte Roms“ kietet uns bier in ver 
anjpruchelofen Geftalt einer Stellenſammlung einen jehr dankenswerthen 
Beitrag zur Kenntniß der national öfonemijchen Verhäftniffe des Alter- 
thums. Der Titel erwedt von dem Reichthum des Zuhalts eine viel zu 
beſcheidene Vorſtellung; die unmittelbar aus einer coloffalen Belejenbeit 
gefloffene und mit feinen fachlichen Bemerkungen durchflochtene Darſtel⸗ 
lung unifaßt das ganze gewerkliche, künſtleriſche und merkantile Leben ter 





Alte Geſchichte, Rom. 169 


Alten, jeweit daſſelbe aus ‚den literarifchen Quellen zu erkennen ift. Bon 
ver Denntung ver einjchlägigen gelehrten modernen Fiteratur hat fi der 
Lerf. ver compilaterijhen Anlage ter Schrift gemäß gänzlich fern ges 
belten. tz. 


Dr L. Schmitz, A manual of ancient history, from the re- 
melest times to the overthron of ths Western empire, A. D. 476. With 
eopious chronological tables Vol. 2, Rome, Sicily, Carthage ctc. 
London, Riringtons, 1859. 8. 


B. C Niebuhr, The history of Rome: translated by J. Ch. 
Hare and Connop Thirlwall New edit. 3 vols. London, Walton 1859- 
2500 S 8. 


Fr. Dor Gerlach, Prf. Dr., Dererum Romanorum pri- 
mordiis. Balel, Ehweighäufer, 1860. 45 ©. 4. 


G. L. Taylor, On the Stones of Etruria and Marbles of 
Ancient Rome. London, 1859. 4. 


Zum Römifhen Kalender Cine Entgegnung auf Th Momm- 
ze a'e Angriffe von DO. E. Hartmann, Dr., Pıf. d. R zu Halle, Göttin⸗ 
sem, Ranbenheed Rupreht's Verlag 1860. 31 ©. 8. 


Rommfen, Tb. Geſchichte des römifhen Münzweſens. Ber- 
Im. Weidmann’ihe Buchhandlung. gr. 8. XXXI u. 900 ©. 


Hobler, Francis, Formerly secretary of the Numismatic Society 
of London, Records of Roman history from Cnaeus Pompeius 
to Tiberius Constantinus, as exhibited on the Roman coins 
eolleeted. 2 volumes. Westminster, 186). 4 XI. u. 862 8. 


Ueber ein halbes Jahrhundert hat im Grunde Eckhel's doctrina num- 
moram veierum in ver Numismatik geherriht. Nach ihm haben vor an- 
vera Böckhh's meifterhafte metrologiſche Unterjuchungen auch auf dem Ge- 
Ka ver alten Munzkunde neues Licht verbreitet, jo jedoch, daß fie bie 
Münzen nur nad einer Seite betrachteten, als Werthmeſſer. Es ift dieß 
cam Feld, welches vie eigentlichen Numismatiter und ausgejprochenermaßen 
mh Echel mehr zur Seite hatten Liegen laflen. Bon Mommſen's 
ſchen früher veröffentlichten einſchlagenden Abhandlungen und jett von 
dem vorliegenden Buche wird nun aber eine neue dem Stanbpunct ber 


170 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


heutigen biftorischen Wiſſenſchaft entſprechende Behandlung nicht bloß ber 
römifchen Numismatik datieren. Der Unterſchied ſpringt grell genug in 
bie Augen, wenn man die oben gleichfalls genannte in ihrer Art ver⸗ 
pienftliche, Übrigens an Wiffenfchaftlichkeit Hinter Eckhel's doctrina weit 
zurückſtehende Schrift des Engländers Hobler, auf die bier aber nicht 
näher eingegangen werben kann") betrachtet. ‘Die doctrina nummorum bat 
ſich nunmehr, um Alles mit einem Wort zu fagen, durchweg in eine Ge⸗ 
ſchichte des Münzweſens zu verwandeln. 

Es werden in Mommſen's Geſchichte des römiſchen Münzweſens einmal 
bie metrologiſchen Unterſuchungen Böckh's in Hauptpunkten weſentlich be⸗ 
richtigt und zwar auf dem ganzen Gebiet der Metrologie, ſoweit ſie auf 
die Münzen Bezug hat. Der erſte Abſchnitt behandelt die aſiatiſch⸗ 
griechifchen Münzſyſteme in einer Weiſe, daß nunmehr im Ganzen ihr 
gegenjeitiges Verhältniß, ihre Gebiete und die Gefchichte der Veränderungen 
Kar und plan vorliegen. Der zweite Abſchnitt weist die Einführung der⸗ 
felben in Sikelien und Großgriechenland nah und die Combinationen jener 
Syſteme mit den Kupferlitren der Autochthonen, dann dieRebuctionen biefer, 
die Verbreitung, Umbildungen, Anstaufchungen ber Münz-Syſteme. Es 
folgt das älteſte latiniſche und etrusciihe Münzweien. Mit biefem 
Abſchnitt geht ver Verfaffer zu feinem Hauptthema felbft über. In Etru- 
rien folgt merkwürdig genug nicht nur die Goldprägung dem milefijchen 
Fuß, jontern es ergibt ſich auch (j. Berichtigungen und Nachträge S. 860) 
bie wichtige Thatſache, daß Etrurien nicht ausſchließlich auf attifchen Fuß 
Silber gemünzt Hat, ſondern aud) auf denjenigen, den wir ven perfifchen 
Eilberfuß genannt haben und der in ganz Kleinafien bie primitive Silber- 
währung gewejen zu fein jcheint. Dagegen ift, während eine Einwirkung 
ber etruscifchen Silberprägung auf vie römiſche allerdings anzunehmen 
fein wird, Die etrusciſche Schwerkupferprägung nah M. jünger als vie 


e) Nur folgende Worte aus der Borrebe mögen ale Beitrag zur Cha⸗ 
rakteriſtikl noch hier fliehen: My Cabinet was formed on the principale 
ofem'oedying as nearly as possible, the principal events in the life 
and reign of each of the Roman Emperors — that are to be found 
on tho Larg Brass series of coins, but J. found the L.B. series at 
times too rostrictive for historic purposes etc. und fo nahm er alfo 
denn boch aud andere auf. 


Alte Gefchichte, Rom. | 171 


latiniſche. Bon dieſer vornemlich handelt nun eben der folgende Abfchnitt, 
Iene früheren Auseinanverfegungen waren trot der relativen Selbitftändig- 

keit der römiſchen Münzprägung nicht bloß dadurch nothwendig, daß aud 
bie völlige Einfiht in fie erft durch die Erfenntniß jener möglich ift, 
ſondern auch weil die Prägung in den von Rom factifch abhängigen aber 
formell ganz oder auch theilweife felbftftändig gelaffenen italienischen Ge— 
meinden („mit dem Namen von Paflivbürgergemeinven bezeichnete Münzen 
haben wir lediglich) von Capua nebft Calatia und Atella“) zum Theil früheren 
Prägungen folgt oder die römiſche mit früheren combinirt. Die Yeltftellung 
des für Sitelien und Italien in ver älteren Zeit geltenden Werthverhült- 
niſſes zwijchen Silber und Kupfer (1: 250) Half mit zu ber endlichen 
richtigen Feſtſetzung der urjprünglichen Gleichung von Silber und Kupfer 
auch in Rom, woran fi dann in meifterhafter Ausführung die weitere Ges 
ſchichte des republicaniſchen Münzweſens und an dieje des katjerlichen reiht. Yu 
den Kreis diefer Unterfuchungen find nun aber die geichichtlich wenigftens 
eben jo wichtigen Fragen über die Münze als Verkehrsmittel, ihre Um⸗ 
lanföberingungen und ihr endliches Verſchwinden, ferner die wichtigen und 
ſchwierigen Fragen über das Münzwejen als Theil des Staatorechts, fein 
Verhältniß zur Autonomie und zu der Theilung der Staatsgewalt mit 
bineingezogen worden. Sie erftreden fi nicht bloß auf die Prägung 
jener italieniichen Gemeinden, bis venfelben nah und nach mit der for« 
mellen Selbftftänpigfeit au das Münzrecht, allgemein vollends 665 f. 
db. St. genommen wurde, fondern wir erhalten auch eine Ueberſicht über 
biefelbe in ihrem Verlauf in allen Provinzen unter der Republik und 
unter ven Kaijern, wo nun aud nicht autonomen Gemeinden Prägecon> 
ceffionen ertheilt werden konnten, eine Ueberficht, wie fie hinwieverum eben 
durch die grundlegenden Unterfuchungen über afiatifch>griehifche Munzſyſteme 
erft möglich geworben ift. 

Man fieht ſchon aus diejen wenigen Andeutungen, von welder Be- 
beutung eine ſolche Numismatit für vie biftoriiche Wiſſenſchaft ift, für 
die Geſchichte des Staatörechts, für bie politifche Gejchichte in ihrer erft von 
unferer Zeit, ber biefe ragen freilich nahe genug liegen, erfannten engen 
Zuſammengehörigkeit mit der Geſchichte der Volkswirthſchaft und bes 
Rationalreihthums. Ich erwähne nur im Vorbeigehen vie Erklärung des 
8.C., das in der Kaiſerzeit das unfehlbare charakteriftiiche Kennzeichen ver 
Reichslupfermünze iſt. Das Kupfer war ja längft Creditmünze und «8 


172 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


fonnten dabei zu allen Zeiten auch große Summen in Kupfermünzen ges 
zahlt werden. Merkwürdig genug war alfo bie Crebitmünze „unter bie 
Controle der Publicität und des Staatsraths geftellt worden“ und ift 
denn auch ter Verfall des römiſchen Munzweſens nicht von dieſer Credit⸗ 
Kupfermänze, ſondern vom Silbergeld ausgegangen. Ebenſo können bie 
ſcharfen Pichter nım angedeutet werben, bie auch von biejer Seite ber auf 
den Verfall der antiken Cultur im dritten Jahrhundert fallen, mit feinem 
Silber, das (weniger der Denar als die Hauptfilbermünze biefer Zeit 
ber argenteus Aurelianus oder Antonius) allmälig völlig zur Kupfermünze 
herabſinkt, während ber Staat — in ver That ein Jahre langer Bankerott⸗ 
zuftand — die Entrichtung der Abgaben nur in Gold mehr geftattet. 
Auch hier wird dann die Reftauration unter und feit Diocletian unter» 
nommen, und hierauf burchgreifender unter Conftantin d. Gr. M. vers 
folgt auch das byzantiniſche Munzweſen noch weit herab bis nach Juſtinian 
und nicht ohne auch das vandaliſche, oftgothifche, fränkiſche u. |. w. zu 
berüdjichtigen. Referent kann dabei nicht verweilen. Erwähnung muß 
aber endlich noch finden außer ven für vie metrologiſchen Unterfuchungen 
nöthigen Ueberfichten über Münzen anderer Syſteme mit ihrem Gewicht, 
dem Aes grave, u. |. w. das PVerzeihniß ver römiſchen Kupfer⸗, Silber 
und Goldmünzen von Einführung des Denars bi8 auf Cäfar mit einer 
Fülle der werthvollſten Beiträge zur hiftorifchen Kunde dieſer Zeit. Für 
die Chronologie des Münzweiens der Kaiferzeit konnte Mommſen noch auf 
Edel verweijen, deſſen gerade in dieſem Abfchnitt vor allem mufterhaftes 
Wert auch heute noch weentlich genügt. Beiträge von Werth zim Ver⸗ 
zeihnig des Münzwefens ver Kaiferzeit enthält auch Hobler's Arbeit, deſſen 
Standpunkt freilich im Uebrigen nichts weniger als ber ber moternen hi⸗ 
ſtoriſchen Kritit if. Die fog. Familienmünzen hatte auch Echhel nach 
gentes und familinse geordnet. Unterdeſſen haben vorzüglid Borgheſi's 
und Cavedoni's Arbeiten für die Einführung tes hiſtoriſchen Princips auch 
in tie Ordnung dieſer Münzen Bedeutendes geleiftet. Erſt bier aber 
erhalten wir endlich das längft von jedem Numismatiker, für den bie 
Numismatif mehr als Piebhaberei if, fowie von jevem, veffen Stubien fich 
auf bie Zeit der Republik beziehen, erjehnte hiſtoriſch geordnete VBerzeichniß, 
foweit es jett möglich ift. 

Eine Anfangs verfuchte gevrängte Ueberſicht über die wichtigften Res 
jultate von Monmſen's Forſchungen mußte unterbleiben, weil viefelbe, 





Alte Geſchichte, Rom. 173 


wenn fie auch nur einigermaßen allgemeiner verftänvlich gehalten werben 
follte, bier bei weiten zu viel Raum in Anjpruch genommen hätte. Wenn 
ein folches Wert zugleich felbftverftänplih dem Philologen wie dem Archäo⸗ 
logen, dem Mythologen und dem Antiquar in der vieljeitigften Weife Bes 
lehrung, Anregung und Stoff bietet, fo follte an dieſem Orte zunächſt 
wenigftend die Bebeutung für den Hiftorifer mit einigen Streichen 
angedeutet werben. ‘Der Berf. fpricht felbft einmal in Betreff des von 
ihm nur im Berlauf anderer umfafjenderer Unterfuhungen behandelten 
Brovincialmünzwejens (bei deſſen Erwähnung bier noch gelegentlich bie 
durchgängige BVerfchievenheit in Behandlung des Orients und Occidents 
durch die Römer, fowie die Sonderitellung Aegyptens auch im Münz⸗ 
weſen berührt werben mag) die Hoffnung aus, daß feine Arbeit vielleicht 
dieſen Forſchungen frifche Kräfte zuführen helfen werde; gewiß wird ein 
ſolches Werk, indem es Ziele und Wege zeigt, andere zu ergänzenden 
Forſchungen anregen, die natürlich theilweiſe auch berichtigend ſein werden. 
Referent kann aber nicht ſchließen, ohne auch noch, nachdem er vor einem 
Jahr erſt in diefer Zeitichrift über Mommſen's römische Chronologie be» 
richtet bat, feine Bewunderung gegenüber ver Urbeitsfraft eines Mannes 
ansgefprochen zu haben, die in ver That an die Zeiten eines Scaliger 
erinnert. A, P. 


P. J. Roeckerath, Foedera Romamorum et Carthagi- 
niensium controverss critica ratione illustrantur. Dissertatio Historica. 
Monasterii 1860. 74 ©. 8 


Schneiderhan, Prf. Dr, Die Politik des Eajus Julius CA 
far in feinem erſten Conſulate nad ben Duellen dargeſtellt. Rottweil (Tits 
Bingen, Fues), 1859. IV, 81 © 4. 


A. v. Bdler, Caͤſars gallifher Krieg i. 3 51 v. Chr. Nah 
des Hirtins bell. gall. lib. VIIL bearbeitet nebft Erläuterungen über das rö⸗ 
miſche Kriegsweſen zu Cäſars Zeit. Mit 1 Karte und 1 Plane. Heidelberg, 
I. € 23. Mohr, 1860. VII, 80 ©. 8. 


Fr A. v. Söler, Generalmajor, Cäſars gallifher Krieg in 
bem 3. 52 v. Chr. Avaricum, Gergovia, Alefia. Nach Cäfars bell. gall. 
lib. VII bearbeitet. Mit 3 lith. Tafeln in Fol. Carlsruhe, Braun, 1859. VII, 
28 8. 


174 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1860. 


H. Taine, Essai sur Tite Live. 2. edition. Paris, 1859. 
VIII, 352 ©. 8. 


A Arnolb, das Leben bes Horaz und fein philoſophiſcher, fitt- 
fiher und bichterifcher Charakter. Halle, 1860. Pfeffer. XVI, 180 ©. 8. 


Sievers, Dr. ©. 8, Zur Geſchichte des Nero unb bes 
Galba. Hamburg, D. Meißner, 1860. 57 ©. gr. 4. 


€. Böller, De imperstoris M. Ulpii Nervao Trajani 
vita. Particula prior. Gymn.⸗Progr. Elberfeld, 1859. 20 ©. 4. 


No&l de Vergers, Essai sur Marc- Aurdlc, d’aprts lee⸗ 
monuments öpigraphiques , pröc&d6 d’une notice sur le comte Bart. Bor- 
ghesi. Paris, 1860. XXXII, 188 S. 8. 


Ferd. Walter, Geſchichte bes Römifhen Rechts bis anf 
Jufinian. 2 Toeile. 3. fehr vermehrte Aufl. Bonn Weber, 1860. 8. 


Corpus legum ab imperastoribus romanis ante Justinis- 
num latarum, quae extra constitutionum codices supersunt. Accedunt res 
ab imperatoribus gestae, quibus romani juris historia et imperii status il- 
lustratur. Ex monumentis et scriptoribus graecis latinisque, ad temporis 
rationem disposuit,, indicibus, qui codices quoque comprehendunt, consti- 
tutionum, rerum, personarum, locorum instruxit Gst. Haenel. Fasc. II. 
Leipzig, 1860 Hinrich's Vlg. 4. p. 275 — 282 nnd indices 287 p. 


H. van Herwerden, Specilegium vaticanum continens no- 
vas lectiones in historicorum graccorum excerpta, quas primus edidit An- 
gullarius, prolstum e palimpsesto vaticano denuo excusso, additis commen- 
tariis criticis cum in reliquorum tum in Diodori, etiam quae alibi ex- 
stant,, eıcerpta. Leiden, 1860. XII, 232 ©, 8. 


Aus philologiſchen Journalen und akademiſchen Ecqhriften. 


Rheiniſches Muſeum für Philologie, herausg. von F. G. Wel⸗ 
der und F. Ritſchl. Neue Folge. 15. Jahrg. 4 Hefte. Frankf. a. M. 
1860. 

E. Kuhn, die griechiſche Komenverfaſſung ale Moment ber Entwiclung 
des Stäbtewefens im Altertfum. S. 1— 88. — Theobor Mommfen, bie 
zdmishen Eigennamen. ©. 169—210. — 2. Shmibt, bie Politil bes Des 





Alte Gefchichte, Zeitfchriften. 175 


meftbenes im ber Harpaliſchen Sache. S. 211-258. — A. v. Gutſchmied, 
der zehnte Begenlänig im Bnch Daniel. S. 316—319. — A. Schäfer, zur 
Geihichte von Karthago. ©. 391 — 400, mit einem Nachtrag 5. 488. — R. 
Stein, Die vömifhen Meilenfleine in ben Rheingegenden. S. 489—507. 


Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, begrüntet 
ven Jahn, hreg. von R. Dietfh und Alf. Fleckeiſen. Bd. 81 und 82, 
12 Hefte. Leipzig, 1860. 

9. Stein, Ueber die neueren Auſichten von ber Lyfurgifhen Lanbver- 
theilang Bd. 81. ©. 599-607. — A. v. Gutſchmied, Ein Beitrag zu 
bez Fragmenten der griechiſchen Hiftorifer. S. 703 — 708. Es handelt fid 
zu gewifle Stellen der Kirchenväter Juſtinus, Tatianus, Klemens und Africa 
„28. — W. Rein, Die neuere Literatur der römifchen Staats⸗ und Rechts⸗ 
altertbämer. 8. 709-728. — A. Schäfer, Zum Geburtsjahr des Demoſt⸗ 
henes. ©. 864. 


BHilologns, Zeitfährift für das klaſſiſche Alterthum, bereg. v. Ernſt v. 
Leutid. 16. Jahrg. 4 Hefte. Göttingen, 1860. 

K Keil, Friecechiſche Inſchriften. S. 1- 89. — 8. Herbft, Jahresbe⸗ 
ruhe über Thukydides. S. 270— 351 — BP. W. Forchhammer, Ter Urs 
fyrung der Mythen. S. 385 — 410. — Unter den einem jeden Heft beigege- 
benen Witcellen finden fi Auszüge ans Echriften und Berichten ber gelchrten 
GSeſel ſchaften fowie ans Zeitfchriften mit Rüdficht auf das Ausland. 


Ia ben philologifhen und hiftorifhen Abhandlungen ber £ 
Alstemie der Wiffenfchaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1858, Berlin, Dümm⸗ 
er, 1859, findet fi eine Abhandlung von Parthey: Aegypten beim Geo- 
geapden von Ravenna, S. 115—147, und von bemfelben: Zur Erdkunde des 
alien Aegyptens, S. 509 — 638. 

Uns dem Jahrgange 1859 (S. 1 — 92) war ſchon vor einem Jahre bie 
Abhandlung von Lepfins über einige Berührungspunfte der ägyptiſchen, grie- 
Sen und römifchen Chronologie befonders erſchienen. — Im eben biefem 
Yehegange handelt Gerhard S. 41.9—483 über bie Metallipiegel ber Etrusker. 

Monatsberichte der k. preuß. Afabemie ber Wiffenfchaften zu Berlin, 
Derſin, 1860. 8. 

Darin: Beder’s Barianten zum Joſephus, ©. 224—230. — E. Hüb- 
ner, Eigraphiſche Reifeberichte, © 325-332 — Fortſetzung, ©. 4232 —450, 
— Rommfen, Ueber in dem alten Falerii aufgefundene archaiſche Zuſchriſ⸗ 


176 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ten. — Kiepert, Ueber die Schiffahrt ter Alten von Indien bis China, 
©. 460-4162. — Kirhhoff, Ueber Infhriften von Cyzikos, S. 493 — 497. 
Die beiden letzten Hefte liegen noch nicht vor. 


Berichte über die Verhandlungen ber k. fähfiihen Geſellſchaft 
der Wiffenfchaften zu Leipzig. Philologifch » Hiftorifche Claſſe. 11. Bd. Ihrg. 
1859. Leipzig, Hirzel 8. 

Burfian, Mittheilungen zur Topographie von Boiotien und Euboia 
6. 109-152. 


Sigungsberichte ber kaiſerlichen Alademie ber Wiffenfchaften. Phi⸗ 
loſophiſch · hiſtoriſche Claſſe. 33.35. Oh. Januar bie Juli 1860. Wien, in 
Kommiſſion bei Karl Gerold's Sohn. 

Bd. 35: Aſchbach, Ueber bie römifhen Mifitärftationen im Ufer- Ro 
ricum, zwiſchen Lauriacum und Bindobona, nebft einer Unterfuhung Aber bie 
Lage der norifshen Stadt Baviana, & 3-32. - Die Abhandlungen von Alois 
Müller in Bd. 33 u. 35 f. oben S. 166. 


3. Allgemeine Gefchichte des Mittelalters. 


Bergmann, Fredderic-Guillaume, Prf. etc, Les Götes ou 
la filiation gendalogique des Scythes aux Gödtes et des G» 
tes aux Germain» et aux Scandinaves demonstree sur l’histoire 
des migrations de ces peuples et sur la continuitd organique des pheno- 
menes de leur état social, moral, intellectuel et religieux. Strasbourg unb 
Paris, 1859. XV, 306 €. 8. 


— — Les Scythes les ancttres des peuplos germani- 
ques et slaves; leur dtat socaal, moral, intellectuel et religieux; es- 
quisse ethno-gendalogique et historique. Deuxieme edition. Halle, 1860. 
XVI, 80 S. 8. 


Beide Schriften, von denen die zweite ſchon im Jahre 1858 er⸗ 
ſchien — die vorliegende Ausgabe iſt blos als eine neue Titelauflage 
zu betrachten — enthalten die wunderlichſten Dinge über die Urwande⸗ 
rungen und Berwandtihaft der Völker. Die Sprachforſchung, auf bie 
fih der Berf. hauptſächlich ftügt, ift nichts ale eine klägliche Wortſpie⸗ 
ferei, welche man bei dem gegenwärtigen Stand ver Wiflenjchaft unbe 
greiflich finden muß. 





Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 177 


Bietersheim, Dr. Ed. v., Geſchichte der Bölkerwanderung. 
2 Ed. Leipzig, T. O. Weigel, 1860. XI und 384 ©. 8. 


Valentin Smith, Notions sur l'origine et le nom des Bor- 


gondes et sur leur premier etablissement dans la Germanie. Lyon, 1860. 
60 p. 8. 


Jordanis seu Jornandis de rebus Geticis libr. cap. 1—3, 
ed. Rect. Dr. C. Stahlberg. Hagen, 1859, Butz. 24 p. 4. 


Jordanis de Getarum sive Gothorum origine et rebus 
gestis. BRecognovit, adnotatione critica instruxit et cum varietate lec- 


üenis edid. Carol Aug. Closs. 2 Hfte. (1 Hft. 64 8.) Stuttgart, 1861, 
Fischbaber. 8, 


Gu. L. Krafft, De fontibus Ulfilae Arianismi ex fragmentis 
bsbiensibus erutis. Bonn, Marcus, 1860. 20 p. 4. 


Peigne-Delacourt, Recherches sur le lieu de la bataille 
d’Attila en 451, orndes d’une carte geographique et de planches chro- 
molithographiques, representant: 1. les armes et ornements attribudes à 
Theodoric, et qui font partie du cabinet d’antiquites de Sa Majesté l’em- 
pereur. 2. les armes et ornements du roi Childeric, conserves au muséo 
de Clany. Paris, 1860. 56 p. 4. 


Dr. C. G. Klapper, Theodorici magni Ostrogothorum 


regis, contra calumnistorum insimulationes defensio. Gymn.-Prgr. Aachen, 
1358. 10 p. 4. 


Ravennatis anonymi cosmographia et Guidonis Geo 
grapbiae. Ex libris manuscriptis ediderunt M. Pinder et G. Parthey. 
Accedit tabula. Berlin, 1860. Nicolai. 8. XXIII, 677 8. 


Adf. Thierry, Recits de l’histoire romaine au oinquitme 


sieele. Derniers temps de l’impire d’Occident. Paris, 1860. XXIII, 
s2u p. 8. 


Döllinger, Joh. Joſ. Ign. v., Chriſtenthum und Kirche in 
der Zeit ber Gruandlegung. Regensburg, Manz, 1860. VIII, 480 8. 


Erdr. Böhringer, Die Kirche Chrifi und ihre Zeugen. 
1. BB. 1. Mhl.: Die Kirchengeſchichte der 3 erfieu Jahrhunderte in Biogra⸗ 


rien. 2. big wngearb. Aufl. 1.— 8. 2fg. Zürich, Meyer nnd Zeller'6 Verl., 
1661. 6168. 8. 


Pipotiiqͥe Seitfärift V. Bam, 12 


178 Ueberſicht ber hiſteriſchen Literatur nom 1860. 


Ed. Reuss, Histoire de la th6ologie chretienne au 
sieole apostolique. 2. edition, revue et augmentee, 2 vol SBtras 
bourg, 1860. XVI, 1118 p. 8. 


Milo Mohan, A Church History of theFirst ThroeCentu- 
ries from the 30 th to the 323 th Year of the Christian Era. New-York, 
1860. 428 p. 8. 


U 


W. D. Killen, The Ancient Church: its History, Doetrine, 
Worship, and Constitution traced for the First Three Hundred Years. 
London , 1859. 690 p. 8. 


Henrion, Histoire ecclesiastique depuis la er6ation junge’ 
su pontificat de Pie IX; publiece par J. P. Migne Tome XVI. De 
puis le concile general de Chalcddoine jusqu’au pontificat de saint Grd- 
goire le Grand. Paris, 1860. VI, 770 p. 8. 


8. Sraul, Die Hriflide Kirche au der Shwelle des Ire⸗ 
näiſchen BZeitalters. Als Grundlage zu einer kirchen- unb bogmenge- 
ſchichtlichen Darſtellung des Lebens und Wirlene des heiligen Irenius. Leiy- 
zig, 1860. Dörffling unb Franle. XV, 1686 8. 


W. Bright, A history ofthe church from the Edict of ME 
lan, a. d. 313, to the Council of Chalcedon. London, 1860. 440 p. 8. 


Dr. Pif. A Hilgenfeld, Der Paſchaſtreit der alten Kirche ned 
feiner Bedentung für bie Kirchengeichichte und für die Evangelienforſchung nr» 
kundlich dargeſtellt Halle, C. E. W. Pfeffer, 1860. X, 410 ©. 


Jakob Bernays, Ueber bie Chronik des Sulpicine Se— 
verne. Ein Beitrag zur Geſchichte der klaſſiſchen und bibliſchen Studien. 
Berlin, Hertz 1861. 73 ©. 4. 

Der Berfafler gibt zunächft eine kritiſche, durchgreifend aufrän- 
menbe und beſſernde Darftellung ver kirchengeichichtlichen Vorgänge, 
weldye fi an die Keberei des Priscillianus knüpfen, er zeigt dann, welche 
Stellung Severus dazu genommen, und wie dadurch fowohl die fiyli- 
ſtiſche Form der Chronik wie die Auswahl und ſachliche Behandlung 
ihres biblifchen Stoffes bedingt worden iſt. Indem ver Berfafler dieſes 
Berhältnig mit ſcharfem Blide und feinem Geihmade im Einzelnen nach⸗ 
weilt, wirb ihm bie Chronik zu einem Lebensbilve ihres Autors, und 
während fie über die von ihm behandelten Zeiten wenig Neues beibringt, 





 Uligemeine Geſchichte des Mittelalters. 179 


ja einer intereffanten Quelle für vie Culture und die Tentenzen ihrer 
Entftiehungszeit. Als erften charakteriftiihen Zug des Werkes bezeichnet 
Bernays tie abjichtlihe Nachbildung des Eaffiichen hiſtoriſchen Style, 
turch welchen ter bibliiche Stoff dem gebilteten Aquitaniſchen Publicum 
ihmadhafter gemacht werten follte, als zweiten die Hervorhebung des 
zän geſchichtlichen Beſtandtheils des alten Zejtaments, unter Zurückdrän— 
gung des prophetiſchen Beſtandtheils, mit fehr fpärlihen Hindeutungen 
triſcher md dogmatiſcher Art, und unter gänzlicher Ausichließung der 
zenteftamentlichen Ereigniſſe — auch dies mit den Dinblide auf Leſer, 
tie noch nicht gläubig waren, fondern es erſt werben follten. Neben ven 
bibliſchen Büchern benutzte Severus bie und da profane Quellen; es ift 
ebenio überrafhend wie nad unſerem Dafürhalten unwiderleglich, wie 
Sernays aus ven betreffenden Notizen feines Autors eine Widerlegung 
ver Joſephiſchen Darftellung der Zerftörung von Jeruſalem und zugleich 
ein jenft verlorenes Bruchſtück der Hiftorien des Tacitus gewinnt. Con⸗ 
jecturen, Ergänzungen und Berbefferungen von ähnlicher Art, wenn auch 
xicht ven gleicher fachlidyer Bedeutung, enthält vie Abhandlung in großer 
Menge; fie zeigt überhaupt eine feltene Verbindung philologifcher Gelehr- 
iamfeit mit äſthetiſchem und hiftoriichem Sinne, tie nichts mehr wünfchen 
ft, als die Anwentung eines ſolchen Talentes auf einen großen ge⸗ 
ichichtlichen Gegenſtand. 8. 


I. Bapt. Braun, Das kirchliche Vermögen von den älteſten 
Zeiten bis auf Inſtinian I]. mit beſonderer Rüdſicht anf die Verwaltung 
tefiefben gegenüber dem Etaate. Gießen, Berker, 1860. VII, 80 p. 8. 


Ceillier Remy, Hintoiro g6endraleo des auteurs sacrds et 
eecelesiastiques, qui contient leur vie, le catalogue, la critique, le 
‚agement, la chronologie, lanalyse ct le denombrement des differentes 
editions de leurs ouvrages, ce qu'ils renferment de plus interessant sur le 
dıgme, sur la morale et sur la discipline de l’Eglise, l’histoire des con- 
les tant generaux que particaliers, et les actes clıoisis des martyrs. Nou- 
vells dditien, soigneusement revue, corrigee et complätee, et termindd par 
uns table gendrale des matieres, par un dircceteur de grand sdminaire, 
Tome V, eentenant les actes des martyrs au 4. siecle jusqu’ aux conciles 
da 5. aitele inelusivement. Paris, 1860. VII, 676 ©. 8. 


Thoodoreti Cyrensis episcopi opera ommia post recen- 


12* 


180 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


sionem Jaobi Sirmondi edidit graece, e codicibus locupletavit, antiquiores 
editiones adhibuit , versionem latinam recognovit, lectionum varietatem, 
amplissimos indices adjecit I]. L. Schulze. Accurante et denuo recog- 
noscente ]. P. Migne. T. V. Paris, 1860. 642 8. 8. 


Sozomeni ecclesiasticn historia. Edidit Rb. Hussey. 8 vols. 
London, 1860. 1280 p. 8. 


Monumenta sacra inedita. Nova Collectio. Vol. II. X. m. b. T. 
Fragmenta ÖOrigenianae octateuchi editionis Cum fragmentis evangelicorum 
graecis palimpsestis. Ex codice Leidensi folioque Petropolitano quarti vel 
quinti, Guelferbytano codice quinti, Sangallensi octari fere aaeculi eruit 
atque edidit Aenoth F. Cst. Tischendorf. Leipzig, Hinrich’'s Ver- 
lag, 1860. XL, 300 p. 4. 


Chronicon paschale, a mundo condito ad Heraclei imp. Ann. XX. 
Opus hactenus fastorum siculorum nomine laudatum, deinde chronicae tem- 
porum epitomes, ac denique chronici Alexandrini lemmate vulgatum oto Ac- 
cedunt Georgii Pisidae opera quae reperiri potuerunt omnia. Accurante 
J. P, Migne. Tomus unicus. Paris, 1860. 896 p. 8. 


Xpovızoy avrrouor dx ÖLapopwr xpovorgaywr 1a zal dEryutey evl- 
ieyiv xal ouyrediy vno Tewpyiov Auapıwlo®v Movayov. — Georgi 
Monachi, dicti Hamartoli, Chronica ab orbe condito ad annum post Chr. 
n. 842 et a diversis scriptoribus usque ad annum 1143 continuata nune 
primum ad fidem codicis Musquensis, adjecta passim varietate seliquorum 
codicum nec non Leonis grammatici ot Cedreni et annotatis locis s. scrip- 
turae, patrum ecclesiasticorum et ceterorum scriptorum laudatis annisque 
et post Chr. in margine adscriptis. Edidit E, de Muralto. Petropoli, 1859. 
LII, 1016 p. 4. 


C. Haas, Gedichte der Päpſte nah ben Ergebniffen ber neuefen 
Sorfhungen verfaßt. Tübingen, Laupp, 1860. XV, 743 ©. 8. 


Th. Greenwood, Cathedra Petri. A political History of the 
great latin patriarchate. Vol. Ill. Books 6, 7 and 8, from the middle 
of the ninth to tho close of the tenth century. London, 1860. 600 p. 8. 


P. Lanfrey, Histoire politique des papes. Paris, 1860. 
436 ©. K. 


Bullarum diplomatum et privilegiorum sanotorum ro- 





Ngemeise Geſchichte bes Mittelaftere. 181 


manorum pontificum Taurinensis editio locupletior facta col- 
lectione novissima plarium brevium, epistolarum, directorum actorumgue 
5. sedis a S. Leone magno usque ad praesens curs et studio collegii ad- 
lecti Romae virorum S. theologise et 88. Canonum peritorum quam D. N. 
Pius Pape IX. apostolica benedictione erexit auspicante eminentissimo ac 
rererendissimo domino 8. R. E. cardinali Franzisco Gaude. Tom. V. ab 
Eugenio IV. (anno 1431) ad Leonem (anno 1521) Augustae Taurinorum, 
1860. VIII, 821 p. 4. T. VI. ab Hadriano VI. (anno 1522) ad Pau- 
lum IV. (anno 1559). Ibid. VIII, 614 p. 4. 


Hagenbach, Prof. Dr. 8.8, Borlefungen über bie Kirden- 
Geſchichte des Mitttelaltere. (In 2 Thln.) 1 Thl. Bon Gregore 
des Großen Tob bis auf Immocenz Il. X. u. db. T.: Die chriſtliche Kirche 
vom 7. bis zum 12. Sahrhunbert. Leipzig, Hirzel, 1860. XI. u. 334 ©. 
gr. 8. 


Hefele, Dr. Karl Soſ, Eonciliengefhihte Nah den Quellen 
bearbeitet. Freiburg i. Br. Herber 1860. 4. Bb. VIII. 864 ©. 8. 
Diefer neue Band der Conciliengeihichte umfaßt den Zeitraum von 
dem Tode Karl's des Gr. bis zum 9. 1073, in welchem Gregor VII. 
den päpftlihen Stuhl beftieg, etwa zwei Drittel beffelben aber fallen als 
lein auf das 9. Jahrhundert, während das zchnte eine ganz beſonders 
ſchwache Ausbeute gewährt. Den größten Raum nehmen unter den man⸗ 
nichfaltigen firchlichen Hänveln dieſer Zeit vie Lehrftreitigkeiten der grie⸗ 
hifchen und römiſchen Kicche ein. Den Standpunkt des Verfs. und bie 
Anforderungen, die billiger Weife an fein Werk geftellt werben Fünnen, 
haben wir fchon früher bei Gelegenheit des dritten Bandes erörtert (f. 
Bd. I. 223 dieſer Zeitfchr.) und finden unfer damals gefälltes Urtheil 
durch die vorliegende Fortſetzung in jeder Hinſicht beſtätigt. Es ift auch 
hier rühmend anzuerkennen, daß die katholiſche Geſinnung, von der das 
ganze Werk getragen wird, auf die Benutzung der Quellen und Hilfs, 
mittel leinen maßgebenden Einfluß ausübt: der Verf. iſt nüchtern und 
beſonnen genug, Damberger und GEfroͤrer, die er öfter ausdrücklich be⸗ 
kãmpft, auf den ſchlüpfrigen Boden ihrer leichtfertigen Geſchichtsmacherei 
meiſt nicht zu folgen, die Schriften Neanders, Gieſebrechts u. a. prote⸗ 
ſtantiſcher Gelehrten werden dagegen von ihm nach Gebühr gewürdigt 
und benutzt. Es fehlt auch nicht an ſelbſtſtändigen, kritiſchen Ausführuns 


182 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


gen, die zu neuen und fruchtbaren Ergebniffen geführt haben ober ben 
Ergebnifien früherer Forſcher zur Beftätigung dienen: fo find S. 253 
mehrere Briefe des Papſtes Nikolaus richtiger angeordnet, als in Yafle’s 
Hegeften, wie überhaupt ver Ehehandel Lothar's zu den am fleigigften 
bearbeiteten Partien des Buches gehört; überzeugend iſt S. 517 ver 
Nachmeis der Unechtheit eines von Richter evirten Attenftüdes vom 9. 
878 geführt, ©. 793 entjcheivet fi der Verf. hinfihtlih der Synode 
von Mantua im J. 1064 für die von ©iejebrecht gefundene Zeitbeftim- 
mung amd ſucht dieſelbe noch weiter zu begründen, hyperkritiſch iſt da⸗ 
gegen S. 293 die Vermwerfung der Synode von Papia im 3. 866. 

Bei der Schnelligleit, mit der dieſer Band unverkennbar ausgear⸗ 
beitet ift, laufen natürlich auch manche Ungenauigleiten mitunter und es 
wäre gewagt, fih auf alle Einzelnheiten des Verfs. unberingt zu ver- 
laſſen. So wird ©. 53 n. 2 Wala irrig Arjenius genannt, während 
fein Bruder Adalhard diefen Beinamen führte, S. 262 läßt er Johann 
von Ravenna und Hagano auf der römiſchen Synode von 863 verur⸗ 
theilt werben, wiewohl dies ohne Zweifel fchon vorher geichehen war; 
was S. 264 über Hiltuins Eindringen in bie Peterskirche erzählt wird, 
widerfpricht 3. Th. geradezu dem Berichte Hinkmars, auf den Hr. Hefele 
fih ftägt; ©. 555 läßt er Arnulf von Baiern mit den Ungarn einen 
Einfall in Deutfchland machen, von dem vie Quellen nichts wiſſen, 
S. 633 wird im Widerfprucdhe mit Giefebrecht, auf dem doch fonft hier 
die Darſtellung des Berfs. beruht, Biſchof Megingaud von Eichſtädt irr⸗ 
thümlich zu einem Begänftiger ver Gründung des Bisthums Bamberg 
gemacht. Rothad von Seiffens heit bei Hefele ſtets Rothadius, wäh. 
rend ihn bie Zeitgenoffen nie anders als Rothadus nennen, für ten Bei- 
namen malus, der ben Könige Hugo von Italien beigelegt wird (S. 572), 
ift dem Ref. kein Quellenzeugniß belannt. Die Benennung Heinrich ber 
Finkler (S. 638 n. 2) follte billiger Weije in keinem wiffenfchaftlichen 
Werte mehr vorkommen. Der Fleiß des Verfs. im Zuſammentragen des 
Moterinles ſowie in der Benukung ber neueren Silfsmittel verdient alle 
Anerkennung und wird ihm in dieſer Hinficht nicht wiel des Wefentlichen 
entgangen fein. Zumal für vie im Ganzen noch fo wenig bearbeitete 
karolingiſche Periode ift feine Zufammenftellung recht danfenswerth. Ueber- 
gangen find in diejer Zeit alle auf ven h. Method und auf vie flavifche 
Liturgie bezäglihen Verhandlungen, namentlicd eine bairiihe Synode, 


Mägemeine GefGicte des Mittelcftere. . 183 


wehefigeintich im 3 871, über welche die pannonifche Legende Auskunft 
gibt, ferwer eine zweite bairiſche Synode im J. 900, deren Schreiben 
an Papft Yohann IX. fi erhalten hat, ſowie das Rationalconcil vor 
Salona unter Johann X., deſſen Alten wir durch Farlati kennen. Für 
das Concil von Tribur im I. 895 hätten (S. 531) die Mittheilungen 
von Waſſerſchleben (Beitr. zur Geſch. der vorgratian. Kirchenrechtsquellen 
©. 167) benutzt werben müflen, bei der Synode von Dingolfing im 
3. 932 bat der Berf. überfehen, daß bie Alten verjelben ſchon vor Witt 
mann im Archive für ältere deutſche Geſchichtskunde, VII, 826 erſchienen 
fab (5. 566). Das Schreiben des Photins an den Erzbiſchof von 
Aquileja ift, wie Yarlati (Illyricum sacrum III, 78— 79) wahrjceinlich 
gemacht hat, an Walber gerichtet (5. 468 n 3). Für die Kritik Liud⸗ 
prauds, dieſes beliebten Stihblattes aller katholiſchen Hiftorifer (S. 539), 
bat der Berf. die trefflihe Abhandlung Köple's überſehen. Trotz vieler 
Mängel im Einzelnen wird man das Werl des Hrn. Hefele, fo wenig 
es eine umfaſſende Kirchengeichichte zu erjetgen vermag, immerhin als ein 
nügliches Nachſchlagebuch auch in dieſem neuen Bande betrachten dürfen, 
D. 


Gfrörer, U.%., Papſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 5. 
Sb. 2. Hälfte and 6. Bd Echaffhauſen, Hurter, 1860. 5. ®b. XL, 545 bis 
939 unb 6. Bb. XXX, 887 ©. 8. 


Reuter, Hermann, Gefhihte Aleranders des Dritten 
nub ber Kirche feiner Zeit. Erſter Band. Zweite völlig nen ausgear- 
beitete Ausgabe. Leipzig 1860. XVI. 588 &, Zweiter Band. Ebd. XIV. 
6936. 8. 

Der Berf. hat in diefen Bänden die große biographifche Arbeit, vie 
ee vor 15 Yahren mit ver erften Ausgabe des erſten Bandes begann, 
durchaus von Neuem anfgenommen und weiter geführt, bis jet bis zu 
den Tode Thomas Becket's. Er jagt Bo. I. p. IV. „Zu meinem Be⸗ 
dauern Habe ich als theologiicher Kicchenhiftorifer das Gefühl der Ver⸗ 
einſamung auf biefem Gebiete gehabt. — Während die Dogmengeſchichte 
durch die emfigften Studien fort und fort angebaut wird, erſcheint die 
politifche Partie ver Kirchengefhichte in bedenklicher Weiſe ſeit ven legten 
15 Jahren von theologifchen Talenten vernachläßigt. Es ift ein beichä- 
mendes Gefühl, das mich ergreift, indem ich erkläre, vie politiichen Hiſto⸗ 


184 Ueberſicht ber hiſteriſchen Fiteratur von 1860. 


rifer Gaben in viejer Zeit — abgeſehen von tem, was für bie Erfor⸗ 
fhung ter erften chriſtlichen Jahrhunderte geiheben it — mehr für die 
Kirdyengeihichte geleiftet als tie Theologen. Oder jellte dieſelbe vom 
und etwa in die Grenzen eingejchleilen werten, die Neander innegehalten? 
— dis hieße nichts Anderes, als tie Vetrachtung der großartigen welt 
hiftoriichen Bewegung rer Kirche jener mititrebenten Genoflenichaft ber 
politischen Hifterifer überlaften, venen wir doch die Ueberzenugung lichten 
müffen, tag vie togmatiihe Bildung allein vie rechten Kriterien an bie 
Hand gibt, an tenen die kirchenbiſtoriſchen Facta richtig zu ſchätzen find“. 
Wir müſſen befennen, daß ver Verf. mit grofartiger Energie die Auf- 
gabe, vie ihm vorſchwebte, zu löſen verjudt bat. Er tringt von Anfang 
an mitten in das Getriebe ter pelitiihen Berbandlungen ein, in denen 
vie Kirche nah allen Seiten jih tamals zu behaupten hatte. Bieten 
namentlich tie neneren engliichen Publicationen für jene Periode ein über» 
aus vellftäntiges Material vertrauter und officieller Correſpondenz, fo if 
er bemüht geweſen, tier in feiner ganzen Fülle bis in das änßerſte Des 
tail zu verwertben. Die jedem Bante binzugefügten fritiichen Beweis⸗ 
führungen, voll von Scharfſinn und ter größten und prompteiten Belejen- 
beit, zeigen allertings, ta an manden Ctellen am Ende nur eine Ver⸗ 
muthung das legte mühjame Nejultat bleibt, aber im Großen und San 
zen ift nach der einen Zeite hin tie Darſtellung doch von einer außer- 
ordentlihen Sicherheit und Cintringlichkeit. Uns wenigftens ift noch nie 
der Ton der damaligen politiihen Verhantlungen fo lebendig vor Augen 
getreien, wie in tiefer Erzählung. Bei ver ganzen Art ver damaligen 
ſchriftlichen Mittheilung, ihrer Unficherheit nad) außen, ihrer inneren Mis 
hung von Contemplation und Tiplomatie fucht ter Verf. doch den ein» 
zelnen Individuen pfychelegiih wo möglich bis an’8 Herz zu bringen. 
Gewiß wird er ta manchmal fehlgegriffen haben, für vie engliich » fran- 
zöfifchen Berhandlungen müſſen wir uns außer Stande beiennen, ihn im 
Einzelnen zu controliren, aber gerade hier ijt ber Eintrud des Geſammt⸗ 
reſultats von einer überrafchenven und erjchütternden Unmittelbarteit. 
Nicht ganz fo bei ver Tarftellung der Verhandlungen mit dem Kai⸗ 
fr. Tas Material ift lange nicht fo reich, dann aber hat der Berf. 
bier offenbar doch von vornherein das Verhältniß der widhtigften Perſön⸗ 
lichkeiten verſchoben: daß er bie oft befprochenen Briefe über das beutjche 
Patriarchat nochmals als ächt Hinftellt, dafür dürfen wir, wie Ref. weiß, 





Wäpenteine Gefihichte des Wittelalters. 185 


fine Beweisfährung noch erwarten, aber gerade bei dieſer Anficht fällt 
es auf, daß er troß Ficker's Debuctionen die volle Initiative der kaiſer⸗ 
lichen Bolitit ganz allein oder faft ganz allein Friedrich zutheilt. Wir 
mäflen geftehen, daß uns bier feine halbe Polemik gegen Ficker durchaus 
nicht überzeugt hat. Iſt denn Friedrich's auffallenne Haltung Eberhard 
von Salzburg gegenüber nicht ebenfall8 Beweis dafür, daß er dem rös 
mihen Stuhl gegenüber keineswegs fo entſchieden war, wie ber große 
Kiiniihe Staatsmann? Die fecundäire Stellung dieſes letteren ift für 
ms mit das Auffallenpfte in der ganzen Darftellung gewejen. Hält man 
die Sachlage feft, wie wir fie von Ficker richtig hervorgehoben glauben, 
fo zeigt fi Damals eben überall das Uebergewicht der kirchlichen Bil 
tung und ihre verwegene Kühnheit auf allen Seiten des großen Parteis 
Impfes. Diejer ftaatsmänniiche Trieb auf die weltlichen Geſchäfte wird 
aber freilich erft dann vollftändig verftändlich, wenn man außer ven di⸗ 
Nomatifchen Berhandlungen die adminiſtrative Richtung der Kirche in's 
Ange faßt. 

Wir wiffen nicht, wie weit der Berf. die inneren Verhältniſſe und 


- Bewegungen ber Kirche nach dieſer Seite hin noch in's Auge zu fallen 


gedenkt. An einer Stelle ift uns allerdings vie Nichtbeachtung berjelben 
ſchr bemerklich geweſen, im 5. Kap. des 3. Buches, wo er von bem 
Machtgebiet des ſchismatiſchen Papſtes und dabei auch von der dentichen 
Kirche handelt. Daß es fich bei der Stellung bed norddeutſchen Epijlo: 
pats mejentlid um die Ausfichten handelt, die Norbert vemjelben einſt 
eröffnet und die feine Anhänger in größerer over geringerer Eutſchieden⸗ 
heit feftzubalten fuchten, davon findet fich hier feine Spur. Und doch, 
bie ganze Bolitif Heinridy’8 des Löwen erhält erft ihr volles Licht, wenn 
man diefe Prämenftratenfijche Richtung an der ſächſiſchen Gränze nicht 
äberfieht. 

An einer anderen Stelle hat Ref. im Allgemeinen feine Arnficht 
über den Einfluß folder Bewegungen auf den damaligen Gang der Welt. 
verhältniffe anzudeuten verſucht. Er muß fügen, daß auch vie Darſtel⸗ 
lung des Berf. im Großen und Ganzen ihn in feinen Wahrnehmungen 
» 2. über die Stellung Frankreichs in 12. Jahrh. nur befeftigt bat. 
Hier weiter darauf einzugehen, fehlt tem Nef. Zeit und Raum. In wie 
weit ſolche Unterſuchungen ver Arbeit des Verf. entiprechen möchten, dar⸗ 
Äber zu urtheilen, müſſen wir erft vie Fortſetzung des Werkes erwarten, 


186 Ueberſicht der hiſteriſchen Literatur won 2860. 


zu welcher wir ihm mit ber wärmften Theilnahme Kraft und Friſche Daß 
Geiſtes wünſchen. Nitzsch. . 


I. 5 Damberger, Exproſeſſor, ſynchroniſtiſche Seſchichte ber 
Kirche und ber Welt im Mittelalter. Kritifh aus ben Quellen bear 
beitet mit Beihilfe einiger gelehrten Frennde. 15 Vd. (7. Zeitraums 5. Ab⸗ 
ſchniit) 1. Heft. Negeneburg, Puſtet, 1860. VI, 322 €. 8. 


de Montalcmbert, LesMoinesd’Ocoident, depuis Baint Beuel 
jusqu’ & Saint Bernard. Tomes I unb IL Paris, 1860. CCXlI, 885 pn 


Montalembert, Graf v, die Mönche des Abenblaundes wow 
hl. Benebitt bie zum bi Bernhard. Bom Berf. genehmigte beutiche Autg. ©. 
P. Karl Brandes. 2 Bd. gr. 8. 616 ©. Regensburg, Man. 


Petri Abaelardi opera. Hactenus seorsim edita nunc primum 
in unum collegit, textum ad fidem librorum editorum scoriptorumque r® 
censuit, notas, argumenta, indices adjecit Vit. Cousin, adjuvante C. Jour- 
dain. Tomus Il. Paris, 1859. 334 &. 4. 


Scholl, Earl, Bernhard der Heilige in Breiburg im 


Breisgau. ine geichichtlihe Erinnerung. Carlsruhe, Ereuzbauer, 1860. 4 


Recueil des historiens des oroisades, publi6 par les soims 
de l’Acaddmie des inscriptions et belles lettres. — Historiens occidentaux 
T. I. Paris, 1859. X\XVI, 828 ©. fol. 


Im Anfang der vierziger Jahre vereinigten fi befunntlich einige | 


franzöfiiche Gelehrte zu einer in ver That fehr wünſchenswerthen neuen 
Ausgabe der Quellenſchriften der Kreuzzüge. Es erfchienen darauf unter 
obigem Titel bis zum Jahre 1844 zwei Bände, welche als erfter Theil 
des projectirten Werkes auf quergejpaltenen Seiten untereinander gebrudt 
die jerujalemitiiche Gefchichte Wilhelm’ von Tyrus und feine altfranzd« 
füihe Ueberfegung unter dem Titel: L’estoire de Eracles empereur et ia 
conqueste de la terre d’outremer, c’est la translation de l’estoire de 
Guillaume arcevesque de Sur. enthielten. An Bariantenverzeichniffen und 
Regiftern fehlte es nicht, und ſomit kündigte fi bie Edition als eime 
höchſt breite und ftattlihe Unternehmung an; ja man burjte fogar zwei⸗ 
feln, ob der Drud jener umfangreichen Weberjegung den bamit verbun⸗ 





Aigemeine Geſchichie des Mittelalters. 187 


een Aufwand jeder Art lohnen werte. Leider verzögerte fich die Fort⸗ 
ierena des Werkes jehr erheblih. Es erſchienen zwar noch 1851 und 
1653 zwei Yünte „Lois“. unter demſelben allgemeinen Titel, von denen 
fer erjte Assises de la haute cour, ter untere Assises de cour des bour- 
geots enthielt: die Edition der „.historiens‘“ aber ſchritt erft im Jahre 
1°59 mm einen neuen, ben oben angezeigten zweiten Theil, vor. Tiefer 
Miet Die Fortſetzungen ver Gejchichte Wilheln’s von Tyrus Bis zum 
Jahre 1261 nach umfaſſendſter Benutzung des hantichriftlihen Materials. 
Sir tegräßten ihn mit großer Freude, da dieſe Yortjeßungen wichtiges 
Keeriihed Material enthalten, was bei jener untern Hälfte des erften 
Tbeiled kaum der Fall war. Auch tiefer Theil tritt mit ylänzendem 
zieren Apparate auf, denn eine Beichreibung der behandelten Manu⸗ 
Kite Mebt an ter Spite; ungemein zahlreiche Lesarten und Noten bes 
gesten ven Tert; eine chronologiſche Analyje Wilhelm’s von Tyrus und 
feiner Fertſetzer, ein Gloſſarium und ein Regiſter folgen — dieſe leß« 
ren Veigaben auf nahezu 200 Großfolioſeiten. Ob tie Tüchtigleit der 
Arden dieſer äußeren Erſcheinung entjpricht, bedarf einer umfafjendern 
Emeriuhung: zu nicht unerheblichen Zweifeln aber regt es an, wenn wir 
u ter chrenologiſchen Analyſe p. 664 ven Aufbruch König Konrad's 
ze zweiten Kreuzzuge und jeinen Marſch durd) Baier, Oeſterreich, Uns 
zarn, Pannonien, Möſien, Dacien (N) nah Wil. Tyr. zu 1146 gejeßt 
"uren, ehne daß tie richtige Jahreszahl (1147) vaneben geftellt it; over 
zeau wir p. 665 zu 1148 vor der Verſammlung zu Alkkon und vor ber 
Reigermg von Damask nad Wil. Tor. citirt finden: Baudouin III et 
ke petriarche vont au devant de Louis VII. und dann: Louis VII. a Je- 
rumiem. während wir (vgl. Jaffé's Geſchichte des dentſchen Reiches unter 
Kerrad tem Tritten p. 137 ff.) wiſſen, daß Ludwig erft nach der Bes 
byrung von Damask nach Jeruſalem gelommen ift; ober menn wir 
geh rarauf laut Wil. Tyr. die „Reunion des troupes a Tiberiade“ auf 
ven 25. Mai angefegt finven, während ſchon eine große Anzahl Kreuz: 
mösgeichichten dieſes Ereigniß zur richtigen Zeit, im Juli 1148, gebracht 
bet; oter wenn wir außer den angeführten Daten etwa 30 der hervor« 
ragenteren Creignijje des zweiten Kreuzzuges in der Analyje aufgezählt er- 
babe, welche mit Ausnahme ver wenigen, die Wil. Tyr. mit einer nä- 
beren Zeitkezeihnung verjieht, eben mur zu ihrem Jahre hingedrudt find, 
ebzleich die Mehrzahl berjelben aus ven Briefen der Kreuzesfürſten und 





188 Uceberficht ber hiſtoriſchen Lueratur ven 1860. 


ben übrigen ſichern Quellen bis anf den Tag Hätte feftgeftellt werben 
können. Doc genug, wir müffen bie weitere Ergründung bes wirklichen 
Werthes der vorliegenden Evition einer andern Hand überlaſſen. B. K. 


A. Ingerslev, Peter Fra Amieons og det förste korstog. 
Kjöbenhavn, Gyldendal, 1859. 24 p. 8. 


Ä Hody, baron de, Godefroid de Bouillon et les rois latins 
de Jerusalem. 2. edit. Tournai, 1859. 8. 


Beiträge zur Geſchichte der Krenzzüge, aus armeniſchen Quellen 
von H. Betermann. Aus den Abhandlungen ber Igl. Akademie ber Wiſſen- 
ſchaften zu Berlin 1860. Gelefen in ver U. d. W. am 29. März umb 14. 
Mai 1860. Berlin, 1860. 4. 

Da die meiften armenifchen Gefchichtfchreiber bis jet unbenutzt umb 
anbelannt geblieben waren, während fie für die Gefchichte ber Krenzzüge 
troß der anderweitigen reichhaltigen Quellen manche Belehrung und Be 
ridhtigung bieten, fo können wir dem Verf. Dank fagen, daß er, ohne 
bie Beendigung der begonnenen weitjchichtigen Editionen abzuwarten, nad 
dem vorliegenden Material eine überfichtlihe Darftellumg unternommen 
hat. Er ftütt fich hiebei vornehmlich auf die Parifer Arbeiten des War- 
dapet Schahnazarean und des Mr. Dulaurier, welde fchon im vergan- 
genen Decennium veichlihe Früchte getragen haben und noch mehrere 
hoffen laſſen. Die Hiftorifer, welche er, großentheild bisher nur wenigen 
Fachmännern bekannt, feinem Vortrag zu Grunde legt, find folgende: 

Johannes Sarlavag d. i. Dialonus, der im Yahr 1129 n. Er. 
ſtarb. Bon feiner armeniſchen Geſchichte find bis jet nur einzelne Frag⸗ 
mente bekannt geworden. Matthäus Urhajeti, ver befannte Chronift ans 
Edeſſa; fein Werk reiht von 952 — 1136/7 n. Chr. Sein Fortſetzer 
Grigor fchreibt bis 1162/3. Nerfes Clajenfis (F 1173) und fein jüngerer 
Beitgenoffe Samuel Jerétz. Michael d. Große, der jacobitifche Patriarch 
von Antiochien mit feinem Fortſetzer, dem Warbapet Barden. Johannes 
Banalan (+ 1251), deſſen Chronik verloren ift, mit feinen Schülern, 
dem Warbapet Kirakos und Wardan dem Großen (t} 1271). Sem⸗ 
bat Gundeſtabl (d. h. Connetable), der von 1208--1277 lebte. Sein 
Wert ift bis 1331 fortgeſetzt. Wahram Urbajenfis over Sifenfis, 
beffen Reimchronik bis 1280 reicht. Stephanos Orpeleom oder Orbe- 
leom, ber eine Gefchichte von Großarmenien bis Ende des 13. Jahr⸗ 


1 


Ulgemeine Geſchichte des Mittelalters. 189 


mudert® ichrieb. Hethum's Buch über die Tataren. Nerſes Palienk 
Kite nes 14. Jahrhunderts ꝛc. 

Sir erhalten nun, wie diejes Verzeichniß erwarten läßt, imuntcherlet 
Arflärung über ten Zujtand der armenifchen Landſchaften vor dein Bes 
am der Kreuzzüge, über das Verhältniß der erften Krenzfahrer zu ben 
Armeniern, über die erften Tecennien der chriftlihen Reiche in Syrien 
ze tie Kataſtrophe von Edeſſa, nichts Nennenswerthes iiber den zwei⸗ 
wu Kreuzzug. Reichlicher fliegen die Quellen wieder in ber zweiten 
Säfte res 12., im 13. Jahrhundert und über das Abjterben des la⸗ 
zurihen Einfluſſes in Syrien hinaus bis tief in's 14. Jahrhundert. 

B. K. 


Keil, ©. Dr., Geſchichte der Chalifen. Band 4 Etuttgart, 
Beyieriike Buchhandlung, 1860. 8. 

ir jahen im tritten Band, wie Bagdad, das Kom des Islam, 
= tz Hänte ter Mongolen gefallen war. Die Vereinigung bes veligiö- 
“a un? jtaatlichen Elements im Chalifate hatte jih zwar ſchon längſt 
au ich jeibft gericht; damit war auch ter lehte Reſt ter Scheinherrſchaft, 
am immer enger werdendes Territorialgebiet, verloren gegangen. Nun 
ichen wir zimar das Chalifat in Aegypten wieder hergeftellt; aber in die— 
im Erile chne LYandbefig und kaum zu etwas mehr, als um die Uſur⸗ 
sıtscn nach ihrem Willen zu legitinifiven. Die Scheineriftenz berech⸗ 
age den Verfaſſer, dieſen Band unter demjelben Titel ven übrigen ate 
zihliegen. Toch über die Nebenjache des Ziteld gehen wir zum Inhalt, 
icer reiten Keichhaltigfeit eine Kurze Ueberſicht am beften anjchaulid) ma⸗ 
den wirt. 


Nach ter vergeblichen Reaction ver Ejjubitar gegen Aibek und Ku⸗ 
= ũchert ſich Beibars (S. 20) den Thron und bringt durch glüdliche 
Rimrie gegen Chriſten, Mongolen, Aſſaſſinen, Kleinarınenier, in Nubien 
ae Darla, Melta und Iemen Aegypten auf den Höhepunkt feiner Macht 
zöbrend der Zeit der Bahritenjultane, zugleich für jeine Eritarfung im 
Jerern durch kluge Beherrihung der Emire ſorgend. Seine beiden 
Ssime S. 104) können ſich nicht lange halten. Tem Ehrgeiz ver Emire 
wat erſt Kilawun (S. 113) mit Glück entgegen, der jeine Feinde ein- 
in beſiegte, erft feine Gegner im Innern, dann die Mongolen, die ſüd⸗ 
bhen und Öftlihen Nachbarn Aegyptens, endlich die Chriſten, auch er 


190 Ueberficht ber hiſteriſchen Literatur von 1860. 


für das Wohl des Staates durch weile Mäßigung in Abgaben bebacht. 
Seine Pieklingsiree, tie Franken ganz aus Syrien zu vertreiben, fübels 
fin Sohn Galil (S. 174) zu Ende durch Eroberung von Alle und 


Beirut. Cr fällt aber bald, ermordet in Folge der Unzufriedenheit feines 


Emire. Seinen minorennen Bruder Naßir (S. 191) entiegen fie bay . 
und nun felgen ſich raſch die Ujurpatoren Ketsbogha (S. 199) und Gwe | 
fam eddin Yubjin (S. 204). Nach ihrem durch ihre Willtürlichleitem 
beichleunigten Ende berufen die Emire wieder Kaßin (S. 221), Dee - 


Mongolen hatten vie innere Spaltung zu einem glüdlihen Zuge bee 


nutt, der erſt fpäter gerächt wurde. Naßir ift in der Regierung fo ber 


ſchränkt, daß er 1309 eine Abdankung vorzicht. Beibars (S. 280) folgt 
ihn, ver erjte Circajjier auf Aegyptens Thron, verliert aber bald wieber 
die Herrihaft an Naßir, teilen jchledhter Charakter fih nun entwidel. 
Die großartigfte Selbitjucht, vie jih in Argwohn und Rachſucht, im 
Habgier und Verſchwendung oft genug zeigt, liegt allen feinen Maßre⸗ 
geln zu Grunde, vie freilich manchmal zum Beten des Landes ausſchla⸗ 
gen. Zum Glück waren die Feinde von Außen feleit fo ſchwach, daß 
Aegypten wenigſtens nichts verler. Von feinen Söhnen (S. 412) hatte 
feiner die Kraft, dem ausgejogenen Lande wieder aufzuhelfen, over ſich 
gegen die immer mehr übergreijenve Softatesfa zu behaupten. Balb 
feßten die Gewalt habenden Emire nur noch minderjährige Prinzen auf 
den Thron. So reihen ſich bis 1382 in rajcher Folge 12 Regierungen 
von Söhnen und Enkeln Naßir's an einander, während welcher bie Gefchichte 
fi um vie Befehdungen ter Emire untereinander dreht. Da ergreift 
einer derſelben, Berkuk, (5. 541) die Zügel ter Regierung. Zwar ver 
lor er gegenüber einer andern Cmirspartei und in Folge eigener Rath⸗ 
loſigkeit over Feigheit 1389 dieſe wieder gegen den letzten Bahriten Hubji. 
Aber im Jahre darauf machte er ſich von Korak aus eine neue Partei, 
und mit ihr einen neuen Verſuch zur Eroberung ter Krone. Im Februar 
1390 zog Berkuk in Kahira ein. Die Bahriten hatten nach beinahe an- 
derthalbhundertjähriger Herrſchaft das Schickſal jo vieler Dynaſtien ges 
theilt, die ihre Sicherheit in einer ſclaviſchen Soldateska zu finden meine 
ten, ter fie aber zuerft, jich ihrer Treue zu verjichern, einfluftreiche Stel 
In im Staate, bald bie Regierung, endlich ven Thron überlaſſen 
mußten. 

Schon biefe lurze Ueberſicht, bei ver die ganze Reihe der Befehdun⸗ 





lgemeine Geſchichte des Mittelalters. 191 


gm ber Euire unter einander, fo vielfach fie auch auf vie Politik gegen 
Sagen infinizen, unberädiihtigt bleiben mußte, gleichwie bie ‘Digreffionen 
bed Berfaflerd, in denen er eben fo Mar als bündig die Verhältniffe Per 
end andeinanderſetzt, die die Kriege beiver Länder hauptjächlich bebingen, 
we auch ein näheres Eingehen auf die Zufanmenftellung ver biploma- 
hen Bezüge, bei denen fo mandes intereflante Actenſtück zum erften- 
male überfest wurde, unterbleiben mußte: dieſe Ueberficht wird ein Vild 
bei zeichen Stoffes des Bandes gegeben haben, der gern manche Uneben- 
keiten tes Stils überſehen läßt. Die gelöfte Aufgabe ericheint boppelt 
Iuuienöwertb bei Betrachtung der vorhanden geweſenen Vorarbeiten und 
be} Zuſtands ver zu benugenten Quellen. — An einer europäiſchen Ans 
werunzen an Geichichtstarftellung entjprechenven Arbeit mangelte es 
eimfih; denn Marcel's kurzer Abriß in dem Univers pittoresque ift 
ſchen wegen feiner Kürze faum zu nennen und bei dieſer alles eher als 
Iehlerirei. Makrizi, wie die Bergleihung der andern Quellen lehrt, ohne» 
ba mit Berficht zu benugen, ift zwar von Ouatremere überjegt, ohne 
aber ans feinem handſchriftlichen Material viel zur Kritik der Geſchichte 
kegugeben. So war bieje, aljo ver Schwerpunkt aller hiſtoriſchen For⸗ 
hanz, lediglich Aufgabe des Verfaſſers. Die benütten Quellen find 
Keils ven Zeitgenefjen gejchrieben, ein Umſtand, der oft der Kritik die 
Sache eher erichwert, als erleichtert; denn wenn die Verfaſſer auch nicht 
gerate fälihen wellen, fo übergeben fie doch oft für ihren Sultan un⸗ 
übliche Thatjachen und trüben fo ven Gang ver Geſchichte. An abe 
ſihelichen Fälſchungen fehlt es übrigens auch nicht. Der Verfaſſer läßt 
w ren Anmerkungen durch Zufammenftellung feines Materials an frag⸗ 
khen Punkten einen Blid thun in die Gewiſſenhaftigkeit, mit ver er fich 
wiser Prüjung unterzogen, ımb man barf überzeugt fein, daß er unter 
verjchiedenen Verſionen die den Übrigen Ereigniſſen angemeflenjte angenom- 
men bat. Wo eine Entſcheidung noch nicht möglich war, ftellt er die ver- 
jhiedenen Berfionen unter dem Terte zuſammen; vieles Licht hätte wahr. 
iheiaſich die von der Wiener Bibliothek mit einer in wiflenfchaftlichen 
Tuugen wicht genug zu tabelnden Illiberabilität verweigerte Hauptquelle 
ve Ibn Fura in vielen Punkten gegeben. 

Sell mau noch einige Wünjche ausſprechen, fo vermißt man ungern 
ame gevrängte Darftellung des Hofitaats, der Finanzverwaltung und ähn- 
Ber Dinge, auf die fo oft Bezug genommen werben mußte. Ihre aus⸗ 


1% Ueberſicht ber Hifterifchen Literatur von 1860. 


führliche Tarftellung gebört freilich nicht in ein Buch, das bie äußere 
Entwidlung des Staats zur Aufgabe bat; ta aber noch andere Arbeiten 
darüber fehlen, ift das Verlangen kaum unbillig zu nennen. Schwerkich 
möchte ter Paie mit ten überjepten Benennungen der Hofchargen sc. bei 
richtigen Begriff verbinden, fo lange eine ſolche Cinleitung fehlt. Zuden 
kann bei ter linvellftäntigfeit der edirten Quellen nur ver Kenner bee 
nicht edirten, vor Allen alje wehl der Verf. dieſes Buches, das wöthige 
Material zujammenftellen. Die vielen, gelegentliben Anführungen im 
Quatremere's Mafrizi geben neh lange fein volljtäntiges Bild. Dei 
Dceiventalen wäre wohl auch eine ausjührlihere Darlegung ber Ber 
hältniffe zu ten Kreuzfabrern in Syrien erwünjcht geweien, ba er gerabe 
aus orientaliſchen Quellen in vielen Punkten Klarheit zu gewinmen befft. 
Tamit fei inter nicht gejagt, daß ein weientlicher Bunft übergaugen wäre. 
Demnach haben wir in vorliegenden Bande ein gutes Gtüd Ges 
ſchichte in neuer, Mritifdher Bearbeitung und türfen nur wünſchen, bag 
ter noch fehlente Band über tie Herrſchaft ver Circaſſier, foweit es bie 
unfaffenren Borarkeiten erlauben, bald vieje Abtheilung ber Chalifenges 
ſchichte ſchließen möge. -che. 


Dr. Ferd. Wilde, Cherpreb. , Geſchichte des Ordens der Te 
pelherren. Nebſt Bericht über jeine Beziehungen zu ben Freimaurern umd 
den neuern parifer Templern. 2. durchaus umgearb. und verb Ausg. (Fm 
12 Liefgn.) 2 Bünde. Halle, Schwetſchke's Berl. 18650. 8. 


Schwammel, Pıf. Ed. Joſ, Ueber bie angeblihe Mongolen⸗ 
Niederlage bei Olmütz. (In ber Nadit vom 24. anf ben 25. Juni 1241 
Aus ten Eitungsberidten 1860 d. k. Alab. ter Wiſſenſch.) Lex. 8. 42 ©. 
Wien, Cerold's Echn in Cemm. 


Beneto-Byzantinifhe Analelten. Ten Tr. Karl HSepf, a. 8. 
Brofeffor der Geſchichte an ber k. Univerſität zn Greifswalde Wien, 1860. 8. 

Hatte tie Einnabme Vernjalemes durch die Kreuzfahrer dem abend» 
läntijchen Fürften- und Ritterthum jattfame Gelegenheit geboten, auf un« 
termorfenem Gebiete ſich, wenn and unſichere und gefährbete Baronien 
und Herrſchaften zu grünten, ſo gab der Fall ven Byzanz im Lateiner- 
zug dieſem mejentlichiten Antrieb ver heiligen Kriege, ver Raubgier und 
Sroberungsinft, ein noch viel gelegeneres großes und ausgedehntes Reich 
zum reis. 





Allgemeine Geſchichte bes Mittelalters. 198 


Tie Theilung des gräco-bizantinifchen Kaiſerthums, des “imperii Ro- 
menise’ beichäftigte vie damaligen Kreuzfahrer ganz anders als die Noth 
im Jerufalem und bie Drobbullen Roms, felbft eines Innocenz 111. Der 
berühmte Theilungsvertrag iſt erft Durch die monumentale Arbeit des fel. 
©. Tafel in den Dentichriften ver bifter. Claſſe der baier. Akademie d. 
Bf. verftänplich gemacht worben, und liegt nım ned) correcter in dem 
„Urkandenbuch ver Republik Venedig“ vor. Möchte darnach ein Kie- 
"yet ein cartographiſches Bild entwerfen. 

Die Mugen Benetianer nahen aus ver ftattlihen Bente nicht for 
wehl die großen als tie vortheilhafteften Plätze. Sie behielten, was fie 
m ihren Intereſſen als Handelsſtaat ausgejucht, auch jpäter, nachden bie 
Ungekbidlichleit und Zwietradht ver occidentaliſchen Eindringlinge ven 
Efigeren Palãologen die Wievereroberung des Reichs erleichtert hatte. 

- Die Benetianer erkoren ſich, wie früher in Syrien, fo jett an ben 
bielgewundenen Küjten und Buchten von Hellas dienliche Häfen und 
Stappelplãtze. Zugleih war ihnen der griechiiche Archipelagus ftark in 
ben Yngen. 

Diele griechiiche Injelmelt diente namentlich ven Nobili zum Erwerb 
Rattlicher und einträglicher Reſidenzen. Wurte tas wichtige Kandia durch 
eine ganz merfwürbige Militärcolonie nady altrönifcher Art zu behaupten 
gincht, ſo flochten die venetianiſchen Grundherren auf ven griechiichen 
Iufeln ein weites und feſtes Net der Herrſchaft, unter ber Wegide und 
za Dieniten der Mutterſtadt. 

Die Gejchichte dieſer venetianiichen Theilfürften und Herren iſt nicht 
bloß für die Republik felbit, jondern ebenſo jehr für die ganze Beziehung 
des Occidents und Orients in ber zweiten Hälfte des Mittelalters von 
weientlichem Belang. 

Es ift aber eine ſolche erjt die Frucht (angwieriger und müheſeliger 
Unterjuchungen in ardivaliihen Quellen, die erft vie jüngfte Zeit zu ver⸗ 
öffentlichen begonnen hat. 

Hervorragende Berdienfte duch Beleuchtung dieſer Familiengeſchich⸗ 
in erwarb fich der edle Gavaliere Em. Ocogna, ver felbft eine aus» 
gezeichnete Sammlung bandjchriftliher und anderer Werke beſitzt. Die 
fpeciefle Bearbeitung jener Theilfürftenthiimer aber hat ſich ein veuticher 
Veriher, Herr Hopf, früher in Bonn, nun in Greifswalte, zur Aufgabe 
genommen. Es iſt ein erfreuliches Zeichen, daß fich gerade in vielem 

Hißerifge geitſchrift V. Band. 183 


194 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur 


Theil ver italieniſchen Geſchichte Deutihe und Italiener ſchon feit Jahren 
Die Hände reihen. Referent erwähnt bier nur der gründlichen Abbau 
lungen, welde ver Stuttgarter Bibliothelar Herr Prof. Heyd in ng 
Tübinger Zeitichrift über vie italienijhen Handelscolonien im Orig 
niebergelegt hat, und wie wir erwarten, noch ferner nieverlegen wir, 
Mit nicht geringerem Fleiße, und fo weit wir ſehen, mit genaner Zuch⸗ 
läßigfeit arbeitet auch Herr Hopf auf diefem mit Schwierigleiten exfüßle 
ten Gebiete, nachten er ermünjchte Gelegenheit gefunden, ſich periduli 
des nöthigen Stoffes in ven venetinnijchen Bibliotheken und Archiven 
zu bemädhtigen. , | 

Seiner „Geſchichte ver Injel Andros und ihrer Beherricher im dem 
Zeitraume von 1207— 1566“ mit einem Nachtrage „Urkunden und Zu⸗ 
füge” folgen nun obengenannte „Beneto-biyzantinijche Analelten“, gleich⸗ 
falls, wie jene, aus den Sitzungsberichten der kaiſ. Akademie in Wien 
beſonders abgebrudt, 


Diefe Analekten behandeln die „Barozzi von Santerini und Tee 
rafia und vie Piſani von Eanterini, Anaphi, Nie und Antiyare* — 
ritig Teitet Herr Hopf Sunterin ab von Sancta Irene, vgl. Bene. 
Urkundenbuch III, 185 —; ferner die „Midhieli von Zia und Seriphos“, 
die „Premarini von Zia“, die „Örimani von Amorgos, Stampalia und 
Sifante*, die „Quirini von Stampalia und Amorgos“, bie „Sormass 
von Starpanto”, die „Navigajofi, Oroßberzege von Lemnos“, die „eb 
colo von Namfio“ und endlich „venetianiiche Bürgergeichlechter (famiglie 
eittedine) im Ardipel; die Schiavi von Nio und Amorgos, die Caſtelli 
von Thermia und tie Bevazzoni von Nilaria“. 

Mehrere Urkunden und genealogiihe Tafeln erhöhen ven Werth bie 
fer Abhandlungen, bie fi ihrer Natur nach nur eines Heineren Kreiſes 
von Kennern erfreuen. 

Außer tem fpeciell » venetianifchen hat der Vf. noch eine intereffante 
Notiz zu Ramon Muntaner beigebracht, und eine gleihe am Ein⸗ 
gang feiner Schrift Über die Bejigungen des deutſchen Ordens im 
Griecheunland. 

Wenn die Deutſchherren noch im J. 1736 neben ben anderen vom 
einer Provinz Achaia und Romania fprechen, fo möchte weder letzteres 
wie einige Öelehrte meinen, für vie heutige Romagna zu nehuen, noch Achaje 

















Wägemeine Gefcjichte des Mittelaltere. 185 


kine Beweisfäßrung noch erwarten, aber gerade bei dieſer Anficht Fällt 
es auf, daß er troß Ficker's Debuctionen die volle Initiative der kaiſer⸗ 
fihen Politit ganz allein oder faft ganz allein Friedrich zutheilt. Wir 
müffen geftehen, daß uns bier feine halbe Polemik gegen Fider durchaus 
nicht überzeugt bat. Iſt denn Friedrich's auffallende Haltung Eberhard 
von Salzburg gegenüber nicht ebenfalls Beweis dafür, daß er dem rö⸗ 
miihen Stuhl gegenüber keineswegs jo entſchieden war, wie ber große 
klniide Staatsmann? Die fecundäre Stellung dieſes legteren ift für 
uns mit das Auffallendfte in der ganzen Darftellung gewelen. Hält man 
vie Sachlage feft, wie wir fie von Ficker richtig hervorgehoben glauben, 
fo zeigt fih damals eben überall das Uebergewicht ver kirchlichen Bil: 
bung und ihre vermegene Kühnheit auf allen Seiten des großen Partei⸗ 
lampfes. Diejer ftaatsmännifche Trieb auf die meltlihen Geſchäfte wird 
aber freilich erjt dann vollftändig verftändlich, wenn man außer ben di⸗ 
plomatiſchen Verhandlungen die adminiſtrative Richtung der Kirche in's 
Ange faßt. 

Wir wiffen nit, wie weit der Berf. die inneren Berhältniffe ud 
Baregungen ver Kirche nach diejer Seite hin noch in's Auge zu faſſen 
gedenkt. An einer Stelle ift uns allerdings vie Nichtbeachtung berfelben 
ſehr bemerklich geweſen, im 5. Kap. des 3. Buches, wo er von dem 
Machtgebiet des ſchismatiſchen Papſtes und dabei aud von der deutſchen 
Kirche handelt. Daß es ſich bei ver Stellung des norddeutſchen Epijto- 
pats weientlih um vie Ausfichten handelt, die Norbert vemjelben einft 
eröffnet und die feine Anhänger in größerer oder geringerer Entſchieden⸗ 
kit feftzubalten fuchten, davon findet fich hier feine Spur. Und doch, 
tie ganze Politik Heinrich's des Löwen erhält erft ihr volles Ficht, wenn 
man tiefe Prämonftratenfiihe Richtung an ver fächfiichen Gränze nicht 
äßerfieht. | 

An einer anderen Stelle hat Ref. im Allgemeinen feine Anficht 
über ven Einfluß folcher Bewegungen auf den damaligen Gang der Welt. 
verhältniſſe anzudeuten verfucht. Er muß jagen, daß auch die Darftel- 
lung des Berf. im Großen und Ganzen ihn in feinen Wahrnehmungen 
. 3. über die Stellung Frankreichs im 12. Jahrh. nur befeftigt hat. 
Hier weiter darauf einzugehen, fehlt vem Ref. Zeit und Raum. In mie 
weit ſolche Unteriuchungen ver Arbeit des Verf. entſprechen möchten, dar⸗ 
äber zu urtheilen, müſſen wir erft die Fortſetzung des Werkes erwarten, 


1% Ueberſicht ber hiſteriichen Literatzr von 1860. 


et autres monuments religieux; par une societe d’archeologues. Ornd i 
90 gravures. Paris, 1860. 8. 320 p. 


5. Serpe, Tas Ehulmeien bes Mittelalters unb beffe 
Reform im 16. Jahrb. Mir einem Nbtrud von Bugenhagen 
Echulerdunug ter Etadt Lüked. Marburg, Elweit 1860. V, 96 S. 8. 


Kiefjelbah, Wilheln, Der Gang des Belthbandels und b 
Gutwidelung bes eurepäiiden Bälleriebens im Rittelalte 
Stuttgart 1860. €. 322. 

Ter Arkeiten, welde tie wirtbihaftlihen Zuftände und Entiwidiung 
ftufen ver Bölter mit ven geſammten übrigen Manifeflationen des Boll 
lebens im Zulammenbange auftaflen, giebt e8 wenige. Es läßt fi mi 
längnen, daß e8 auch tie Aufgabe des Hifterifers iſt, dem Geiftesieh 
einer Nation eben dieſelbe Aufmerkjamteit zu jchenfen wie ven politifdi 
und religiös geſchichtlichen Momenten, um fe mehr, da alle dieſe Factore 
welche das geichichtliche Leben einer Nation betingen, mit einander i 
Zuſammenhange ftehen. Nur auf tiefe Weiſe iſt e8 möglih, bie we 
ſchiedenen mannichfachen Kräfte, welche auf ven Lebensorganiämms ein 
Volles mächtig einwirken, tennen zu lernen und bloszulegen. Die Aufga 
aber ift fruchtbar aber allervings ſchwierig. Sie erfordert eine Maſſe 
baftigkeit des Wiſſens in verjchievenen Gebieten, die wenigitens jetzt ſelt 
fi vereinigt finvet: die vieljeitigfte hiſteriſche Bildung nebft einer genam 
Kenntniß ter Vollswirthſchaft. Herr Kieſſelbach hat fich feit längerer Z 
mit viefem Gegenſtande beichäftigt und ſchon ver Jahren einen Verfu 
einihlägiger Art: „Cinleitung in die europäiſche Handelsgeſchichte, U 
1852“ veröffentliht. Auch in ber deutſchen Vierteljahresſchrift find 
fi eine Anzahl Aufjäge, welche Theile der gegenwärtig vorliegenden Ach 
kilden und genügjam zeigen, wie intenfiv ih der Berfafler mit feime 
Stoffe beihäftigt hat. Bon der richtigen Anficht ausgehend, daß 
Formen des ftaatlihen Lebens in einer beſonderen Wechſelwirkung 3 
Wirthſchaft ſtehen und die politiſchen und ökonomiſchen Zuſtände Reſulte 
derſelben concreten geſchichtlichen Entwicklung find, erörtert der Verf. 
mannigfachen blonomiſchen Hebel, welche für das Staatsleben und deff 
Gebilde mächtige Impulſe abgeben. Auf dieſer Grundlage beruben fei 
ſocial⸗politiſchen Studien. Er will in diefem Bude blos — wie er fl 
ausdrückt — die losmiſche Perfpektive feftftellen, welche zum Verſtändui 





Allgemeine Geſchichte des Mittelalters. 197 


ver concreten und individuellen Entwicklung der verichievenen Nationen 
kitragen fell. Es iſt ihm bloß um die allgemeinen national-ölonomijchen 
eiere und ihre Einwirkungen auf die ftaatlichen Verhältniſſe zu thun, 
me übertieß in jevem Lande nad) feiner territorialen Bejchaffenheit, der 
Rubrigleit und Begabtheit feiner Bewohner ſich ſpecifiſch verſchieden aus⸗ 
ꝓtildet haben. 

Die Borzüge und Mängel des K. Buches finden in ver befolgten De, 
tiere ihre Erflärung. Sehr viel Wahres und Treffendes ſteht neben mancher 
Unihtigfeit. Der geiftvelle Berfailer ift manchmal zu geiftreih und fucht 
kieles auf eine unfruchtbare Weije zu combiniren und zu erklären, was 
chse ren Dingen Gewalt anzuthun, auf leichtere Art hätte erzielt werten 
Emm. Die Arbeit fordert durch geiftreihe Behauptungen und durch 
erstere Hypotheſe vielfach zum Wiverfpruche heraus; fie iſt jedoch 
äberall anregent. Dan wird manche gefchichtliche Anſchanung mangelhaft 
feren aber zugeben müſſen, daß K. rein wirthichaftliche Verhältniffe vor- 
trerẽlich aufzufajien und tarzuftellen verfteht. Einzelne Partien feiner 
Liber gehören zu tem Beften, mas wir über berartige Gegenftänte ges 
en haben. Es nicht alles neu, was er jagt, aber ſelbſt das Allbekannte 
Rücht er wenigſtens in eine neue Form umzubilven und umzumodeln. 
Freilib iſt auch Manches breit und manierirt, und es wäre zu wünſchen, 
tat ras Streben tes Verfaſſers, alles logiih und jprachlich zuzuſpitzen, 
zeriger hervorgetreten wäre. 

Zir können und nicht in eine Kritik und Widerlegung einzelner An- 
Ähten, die im tem Buche wietergelegt find, einlaffen. Das hiege ein Buch 
si tas Buch piropfen. Wir verſuchen es blos ven Gang ter Entwidlung 
tırmlegen und auf einige Einzelnheiten aufmerkjan zu maden. Hr. K. 
ainert Z. 1— 29 ten afiutifhen Urjprung des Welthandels und jucht 
veiennerö jene Momente hervorzuheben, welche die innige Verbindung des 
wrrbihajtlichen Lebens tes claffiihen Alterthums mit den Oriente docu⸗ 
satiren. Vortrefflich ift das Bild, welches K. von Welthandel in ver 
eim Hälfte des Mittelalter8 und vom Umſchwunge besjelben durch bie 
kazzüge zeichnet. Nur hätten wir gewünſcht, daß ter Hr. Verf. eine 
arere Gruppirung der Thatjachen angeortnet hätte. Tie handelsgeſchicht⸗ 
ie Miffien ver Juden im Mittelalter, welde Tas bewegliche Eigenthum 
tem ſtarren Aderbauftaate gegenüber vertraten und bei dem deutſchen 


198 Ueberſicht ber hiſteriſchen Literetar ven 1860. 


Bürgertbum Patbe ſtanden. ift geiſtrell bebandelt. Tas bewegliche Eigene 
thum war in Folge ver Nranzüge erftarft und ein bedentendes Agens für 
vie kulturgeihichtlihe und peliniche Weiterenwicklung. K. verindht es nun im 
pen jelgenten Abichnitten „tie pelitüche Gliederung des Aderbauthums im 
Europa“: „tie ſeciale Bedeutung des Chrüitentbums*; „tie beiten Schwerter 
Ghettes auf Erten“, vie das mittelalterlihe Leben bedingenden Factoren 
berverzubeben. Dieſe Partien werten wehl viel Widerſpruch erfahren. 
Aber fie geben dem Tenter viel Stoff, namentlih um vie eingreifende 
Thätigkeit der Religion une ter Kirche auf tie wirthſchaftlichen Berhäft- 
niſſe kennen zu lernen. Tie Partie über das ſtädtiſche Leben im Mittel 
alter hätte füglich gekürzt werden küunen; es iſt manches nicht hieher Ge⸗ 
börige aufgenemmen werten. Bas ter Verf. S. 217 fi. über Meflen 
und Märkte jagt, ift zwar nicht neu — Tas Meiſte findet man im bem 
betreffenten Arkeitn Hüllmann’d — aber trefflih bargeftelt. Das 
europätiche Handelsleben jeit ter Wietereröffuung ver Levante, der Begium 
der Nationaljtaaten, vie Enttedung Amerikas und des Seeweges nad 
Indien bilden vie letzten Abjchnitte des Buches. Wir haben mandhes 
vermißt. So z. B. genauere Auseinanterjegungen über Wechſel, Baus 
belöreht, Geld und Diünzmeien. 

Die Bereutung tes Buches beruht ausjchliegli in deſſen foctal-polis 
tiihen ever nationalökonomiſchen Partien. Die hiſtoriſche Forſchung — 
und dies lag auch nicht in ter Abſicht des geehrten Berfaſſers — bat 
feine Bereicherung erfahren. Die rein gejchichtlichen Abichnitte find all» 
gemein befannten Werfen entnommen. Tie Auffaffung ift mandmal nen 
und originell. Manches ift unrichtig oder ungenau, fo z. B. daß eime 
Yudencolenie [hen um 500 v. Chr. in Malabar anfäßig war (fie famen 
erft nad) der zweiten Zerſtörung des Tempels hin, vgl. Ritter, Erdkunde 
V, 597 ff.), daß jene römijchen Kaufleute, welche unter ven Markomannen 
in der Statt Marbors fi niederließen, ficher Juden find, dag in Ale 
randrien die Gemara und Miſchnah abgefaßt worben. Die Entvedung 
und Devölferung Islands wird in's Jahr 870 gejegt; erſtere felgte jedoch 
ſchon 867, letztere 875 (ſiehe Peichel, das Zeitalter ver Entdeckungen 
S. 102). — Die Anfiht, daß in Indien Gold und Silber zum Gelb» 
ftoffe erhoben worben find, ift nicht begründet. Movers hat unferes Er⸗ 
achtens unzweifelhaft dargethau, daß Silber ale Geld blos auf die ſemi⸗ 
tiſche Welt in der älteſten Zeit beſchränkt geweien fei. (Movers, Phönizier 





Allgemeine Geichichte bes Mittelalters. 199 


m. 1, 8.29 ff. u. 56 ff). Die von Movers beigebrachten Beweisſtellen 
erbeten dies zur beinahe vollſtändiger Gewißheit, freilich blos ſoweit bie 
biterifche Ueberlieferung reiht. Dies ift aber für den Hiftorifer das 
Surende. Wir glauben nicht, daß die Händel unter den Juden im Alter- 
Sem je ein enticheidendes ftaatliches Moment geweſen find, wie dies 
5. 20 behauptet wird. Der Betheiligung der Juden an dem Handel von 
Extb une Eziongeber nach Indien in Verbindung mit den Phöniziern 
kenn Sein ſolches Gewicht beigelegt werden. (Bergl. Saalfeld, Archäologie 
se Hebrãer.) Wir könnten noch einiges beibringen, dies möge jedoch 
zuüxn. A. B. 


Des Ritters Arnold vou Harff Pilgerfahrt von Köln durch 
Ken, Eyrien, Aegypten, Arabien ıc., wie er fie in ben Jahren 1496 bis 
1499 velendet, beſchrieben und durch Seichnungen erläutert bat. Nah ben 
üshen Oaubichriften und mit deſſen 47 Bildern in SHolfchnitten. Hereg. von 
€ » Srecte. GCöln, 1800. LI, 280 ©. 8. 


Ed. Brintmeier, Glossarinm diplomaticum zur Erläu- 
weung ſchwieriger, einer biplomatifchen, biftorifchen, fachlichen, oder Worterllä- 
sun; bebürftiger , Tateinifcher,, hoch⸗ und nieberbeuticher Wörter unb Formeln, 
zehhe ſich in öffentlichen und Brivaturlunden , Capitularien, Geſetzen ac. bes 
gieumten beutihen Mittelalters finden 2 Bd. 9. Heft. Gotha, Perthes. 
&L E. 105 — 452. 


TE Sickel, Monumenta graphica medii aevi ex archivis 
& bikliotheeis imperii Austriaci collecta edita iussu atque auspiciis mini- 
serii cultus et publicae institutionis caes. reg. Vindobonae ex officina cae- 
mes regia typographica aulas et status 1858—6). Fasc. I—IV. 

Die Texte der in den Monumenta graphica medii aevi enthaltenen Schrift- 
ulm, Keramagegeben von Dr. Th Eidel, k. f. a o. Profeffor in Wien, aus 
ber L. Hef⸗ und Etaatöbruderei. 1. Lief. 1859. 2. Lief. 1860. Bol. 

Dieſes vortrefflihe Werk befriedigt ein altes Bedürfniß in neuer 
Bee. Es hat ſchon lange an Schrifttafeln gefehlt, welche für den Ge⸗ 
kan des Unterrichts die Stelle ver Originalien vertreten konnten. Denn 
mau darf fi darüber nicht täuſchen: Zchriftproben mögen noch jo ges 
zes aufgefagt und noch jo forgfältig nachgebildet fein, immer bleibt der 
keite Steindruck oder Kupferftich hinter dem Urbilde zurück. Die Auffaflung 
vr Charaktere if ſchon bedingt durch die geiftige Dispofition des Sub» 


200 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur won 1860. 


jetts, das fie lieft, und jelbft ven zwei guten Kennern, bie hinter einander 
daſſelbe Stück betrachten, kann, von der Erklärung abgejehen, ver leiste 
einen Zug erjpäben, ter dem erſten ganz entgangen iſt. Dieſelbe Zufäl⸗ 
Iigleit herrſcht natürlih in no böherem Grade in Anjehung des nude 
bildenden Künftlere. Um Paläographie zn lehren, dazu eignen fich eben 
am jicherjten vie Triginale. Ta dieſe nicht immer leicht zu beichaffen find 
und durch zu häufige Verwendung im Unterricht jelbft Gefahr laufen, fo 
mußten Yehrer und Schüler dabei leiven. Diejer Schwierigleit ift man 
bier in durchaus gelungener Weije abgeholfen. Der Aueweg it nicht bie 
fünjtlerijche, jontern die photographiſche Nachkiltung. Die Originale find 
erſetzt. Man bat jie in Paris für tie Ecole de chertes, wo auch ber 
Herausgeber (ver jetzt das paläographiſche Seminar in Wien leitet) jeime 
Bildung empfing, ſchon in Uebung gebabt, aber chne fie für weitere Bers 
hreitung zu beftimmen. Hier nun haben wir bie erfte umfaflende Anwen⸗ 
bung für ein ſolches Werk in Deutſchland, und glei ift nicht blos das 
zunächſt in's Auge gefaßte Inſtitut, fentern auch das Publikum bedacht 
worden, dem tie Anſchaffung eröffnet iſt. Die Ausführung der Tafeln iſt 
fo ausgezeichnet, wie fie von ter k. k. Hof» und Staatebruderei zu er⸗ 
warten mar. Ihre Auswahl beſchränkt fi zwar auf ven Umfang ver 
Arhive und Bibliotheken des Kaiferftaats (vie Pombartei mit Mailand 
eingeſchloſſen), aber bei teren Reichhaltigkeit und bei der eigenthümlichen 
nationalen und geographiihen Zujammenjegung dieſes Gebiet fünnte nicht 
leicht irgendwo eine territeriale Sammlung veranftaltet werten, Die uni⸗ 
verjeller wäre als viele, nur Die Merovinger fehlen ganz. Neben ven Ta- 
feln geht ver volle Tert in moderner Schrift ber, in eigenen Heften. Der 
Abtrud geſchah fe, daß aus ihm jedes Schriftzeichen des Urtertes in ſei⸗ 
ner Öejonvertheit, namentlich jever Einzelbuchſtabe des Facſimile's feinem 
Werthe nad) richtig erfannt werten kann. Tie beftinmten Regeln, nach 
weldyen Bei diefer verwwidelten Aufgabe verfahren wurte, gibt die Ginlei- 
tung näher an, fie find nicht nur durchaus wiffenichaftlih, ſondern auch 
durchaus praktiſch: ängſtliche Gewiſſenhaftigkeit und Mare Durchſichtigkeit 
durchdringen ſich gegenſeitig. Künftighin werden, wenn alle Lieferungen 
der Facſimile's erſchienen find, auch noch vollſtändige Erklärungen ver 
vorliegenden Monumente gegeben werden. Das Werk wird ſich überall 
als für den Lehrzweck fortan unentbehrlich erweiſen, auch für den Selbſt⸗ 
unterricht iſt es in jeder Beziehung ausreichend. Es iſt zu wänfden, daß 





Allgemeine Geſchichte bes Mittelalters. 201 


dee Lieferungen fi) raſch folgen und ber Wechfel der Miniſterien feine 
Verinverung in der dieſem werthvollen Unternehmen zugewenveten Gunft, 
terd tie es bei den bedeutenden Herftellungstoften allein ſich halten kann, 
eintreten möge. Wir können noch einen weiteren Wunſch nicht unterdrücken. 
Ja der fyiyſtematiſchen Bearbeitung des viplomatiichen Zweigs ver hiftori» 
ſchen Hilfemillenichaften iſt Deutichland in neuerer Zeit von den Franzofen 
entichieven überholt worden. Wailly hat aber zu fehr die nationalen 
Awede im Auge, als daß er uns daſſelbe fen könnte, wie feinen Lands⸗ 
enten Der Gerandgeber der monumenta graphica follte die Ergebniffe 
mer Studien, welche, wie ſich ſchon aus ver kurzen Einleitung des ers 
fien Tertbeftes mit Sicherheit erkennen läßt, viel Neues und Werthvolles, 
vie ganze Wiſſenſchaft Förderndes enthalten müſſen, gleichfalls veröffent- 
chen, und zwar eben in ſyſtematiſcher Form. Wenn irgendwo in unſe⸗ 
rom Baterlande, fo muß bier ver volle Beruf für tiefe ſchwierige Auf 
gabe anerkannt werben. W. 


4. Geſchichte der neuern Zeit. 


E. Lefranc, Histoire moderne, depuis le grand schisme d’Oc- 
eident (1378) jusqu’ & 1789. 2 vol. Paris, 1860. 1016 p. 12. 


Fıdr. Kortäm u. Karl Alb. Schr. v. Reihlin-Melbegg, Prof, 
Geſchichte Europa’s im Uebergange vom Mittelalter zur Nenzeit. In 2 Bon. 
1. Be. Leipzig, T. D. Weigel, 1861. XXIV u. 503 © 8. 


I. 9. Merle VvAubignd, Geſchichte der Reformation bes 16. 
Zahrpumberts. Aus b. Kranz. übertragen. 2. verb. Aufl. In 6 Bon. 1. 8b. 
Etutigart, 9. F. Steinlopf, 1861. 428 ©. 8. 


Jul. Jolly, Histoire da mouvement intollectuel au XVI. 
sieele et pendant la premitre partie du XVII. 2 vol. Paris, 1860. XVI, 
991 p. 8. 


Leben und ausgewählte Schriften ber Väter nub Begründer 
der reformirten Kirche. Herausy. von I. B. Baum, R. Chriftoffel, ©. 
R. Hagenbach, C. Peſtalozzi, C. Schmidt, E Stähelin, C. Eubhoff. Eingeleitet 
ven C. R. Hagenbach. 3. u. 4. Th. 1. Hälfte, I Thl. 1. Hälfte. Eiberfeld, 


Friedriche, 1860. 8. 
Iupalt; 8. Theil Capito und Buher, Straßburgs Reformatoren. Nah 


202 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ihrem handſchriftlichen Brtefichage, ihren gedruckten Schriften und anderen gleich 
zeitigen Quellen bargeftellt von Prof Pred Joh. Wild. Baum (XIX, 611 ©.) 
— 2. Th 1. Hälfte: Johannes Calvin, Leben u. auegewählte Schriften. 
Bon Pfr Lic- E Stähelin 514 ©. — Johannes a Lasco. Bon Bat. 
Beter Bartels. 72 S. — Leo Judä. Von Carl Pefalozzi. 106 ©. 
Franciseus Lambert von Avignon Bon Dr. 8. W. Halfenlamp. 
63 S. — Wilhelm Forel u. Beter Biret. BonDr. C. Schmidt. 716. 


Hugo Lämmer, Dr. theol. u phil. Weltpriefler ber Didcefe Ermlaub. 
Analecta Romana. Kirchengeſchichtliche Forſchungen in römifhen 
Bibliotheken und Arhiven. ine Denkſchrift. Schaffhauſen (Hurter) 
1861. VIII. u. 158 €. 8. 

Der durch mehrere belobte kirchenhiſtoriſche Arbeiten ſowie durch 
ſeinen Uebertritt zur katholiſchen Kirche, oder, wie er es nennt, ſeine 
Heimkehr in's Gremium der una sancta, bekannte Verf. legt in dieſer 
Denkſchrift ausführlich (nachdem eine kürzere Ueberſicht früher in der 
Tübinger theolog. Quartalſchrift 1860 IM. 387 ff. gegeben werben war) 
bie Rejultate der Forſchungen vor, vie er für verſchiedene Gebiete ber 
Kirchengeſchichte in ven Archiven und Bibliothefen Roms angeftellt hat. 
Neben gewiſſen bandjchriftlichen Ergänzungen für jeine Euſebianiſchen 
Studien fette fih Herr 2. als Mittel- und Zielpuntt feiner Unterjud- 
ungen des 16. und 17. Yahrhuntert, die Reformation und den Kampf 
der römijchen Kirche gegen viejelbe; freilich wählt da Referent die Aus- 
drücke, welche bei uns für dieſe Ereigniffe im Gebraud find; die am Feſt des 
h. Bonaventura in Rom unterzeichnete Borrede des Bf. bedient fich einer 
ganz anderen Terminologie, wonach fid) an die Eujebianifhen Studien 
„die Beröffentihung und Verwerthung zumal der vaticaniihen Monu- 
mente für Geſchichte ver ewig beflagenswerthen Härefie des 16. Jahr⸗ 
hunderts in Anfang und Fortgang ihrer vergeblichen Auflehnung gegen 
bie Petra Petri, Beiträge zur Kirchengeſchichte des 16. und 17. Jahr⸗ 
hundert, aus hantichriftlihen Quellen Roms und die Monographie 
über Baronius und fein Zeitalter anfchliegen fol.“ Auch ift es nicht 
gerade im Dienfte der Wiflenfchaft, daß der Berfaffer feine Stutien 
unternahm, ſondern — „Alles für Chrift ten Herren, den himmliſchen 
Bräutigam der über ihre Feinde insgejammt fchließlih ſiegrei⸗ 
hen Kirche“; vie Wiffenihaft gilt ihm überhaupt nicht, wenn 
fie nicht im Bunde mit ver Askeſe ficht, „und wiflenfchaftliche ohne 





Geſchichte ber ‚neueren Zeit. 903 


atceruche OGrõße hat allweg nur als Futter für Eitelfeit zu gelten, dient 
sicht zur Berherrlichung deſſen, in vem alle Schäge ver Weisheit ver« 
bergen, jonteru führt zum paganiftiichen Geniusenlt“. 

Wir haben es in summa nit einer förmlihen Kriegserklärung gegen 
ie Refermation und gegen tie proteflantiihe Auffafjung verjelben zu 
tem, und „die Zerftärung der Phantome gegnerijcher Geſchichtsverdreh⸗ 
my ift des Krieges Zweck. Das Ziel ift nicht eben neu und fchon 
mehrfach angeftrebt worden. Neu dagegen find die Mittel, vie hier ins 
teld geführt werben jellen, neu, daß ein Kämpfer auftritt, ver „täglich 
auf rem Tempelberg ver bi. Kirche fichend feine proteftantiiche Vergan⸗ 
zenheit jest erft in dem rechten Lichte betrachten und an ihre Beurthei⸗ 
bag ven rechten Maßſtab anlegen fann“, und welden die Hüter ver 
«ebeimiten archivaliihen Schäge ter römischen Curie jelber fein Rüſtzeug 
augelegt haben. Infofern wird c8 von einiger Wichtigkeit fein von dem 
arten Kenntniß zu nehmen, weldhe tiefer erwählte Kämpfer Roms ges 
gen die deutſche proteftantiiche Wiſſenſchaft führen wird, wohl and von 
ver Art, wie er fie führt. 

Wenn Her L. im Eingang feiner Denkſchrift mit feinem Wehrzeug 
zewaltig raflelt, jo fanı man ihm das nicht ganz verargen. In ber 
That tritt er mit Materialien auf, vie in ihrer Art völlig neu find. 
Tie römijhen mehr oder minder öffentlichen Bibliotheken find bekanntlich 
ehne allzugreße Schwierigkeit jedem Forſcher zugänglich; es hätte daraus 
ſchon lange auch von deutſcher Seite für die Geſchichte des Reforma⸗ 
tienszeitalters manches Wichtige eruirt werden können; im Verhältniß zus 
dem. was ba zu thun wäre, war das bisher Gethane bei weiten nicht 
ausreichend; zumeiſt wandte man fich den älteren Zeiten ber beutichen 
Eeichichte zu. So fand der Verf. hier ein noch wenig bearbeitetes Ge⸗ 
kit. Aber ihm war auch gegeben, was, abgejehen ven ten officiellen 
Hifteritern der Curie, wie Baronius, Pallavicini u. A. vielleicht noch 
Keinen, am wenigſten einem ‘Deutfchen , geftattet und in tiefem Umfang 
geitattet werden iſt — Die Benugung des geheimen Vaticauiſchen Ars 
chivs; für das zweite, dritte, vierte und fünfte Decennium bes 16. Ihdt. 
bat er in jenem jenft unerreichburen Ziel ver Sehnſucht für jeden Hi- 
Rerifer 21 Altenbände benußen, aus ihnen ercerpiren und copiren dür⸗ 
ſen; tie Ausbente ver Vaticaniſchen und anderer Bibliethefen kam hinzu 
zud fo verfügt Herr 2. über ein aftenmäßiges Material für bie Ge⸗ 


304 Ueberfiht ber hiſteriſchen Litersiur won 1860. 


fchichte des 16. und 17. Ihdis. und für vie Vegiehungen der Curie zu 
Deutihland (taneben aber anch zu Frankreich, England, Polen, Spa- 
nien, Pertugal u. a.), welches in ter That einzig genannt werben darf, 
und welches man, and) chne vie janguinijchen Hoffnungen bes glüdlichen 
Sammlers zu theilen, nit in Berinhung kommen wird zu unterichägen. 
Da ver größere Theil ver vorliegenten Denkſchrift fi damit beichäftigt, 
biefe Materalien nach ven verſchiedenen Kutegerien ihrer Provenienz aufs 
zuzählen unt zu charakteriſiren, je kann ter gegenwärtige kurze Bericht 
natürlid) nur auf die Hauptpunkte hinweiſen. Yür bie erften Jahrzehnte 
ber Reformation ijt natürlich tie Ausbeute aus tem geheimen päpftlichen 
Archiv, ſchon weil in ſich zujammenhängend, weitaus am wichtigften ; 
bieje Yuftructionen und Öutacdhten, vieje mit dem 9. 1521 beginnenben 
und bis in die 40er Jahre reichenven fortlaufenden Nuntiaturberichte und 
die Correjpontenzen ver Legaten unter einander müſſen allertinge von ver 
böchften Wichtigkeit jein, und es ijt nur zu wünſchen, baß Herr 2. fie 
bereinft alle in forma vorlegen möge, wie er e8 in den Beilagen bier vor⸗ 
erſt mit einigen Proben gethan hat. Der Inhalt des zweiten Abjchnittes, 
welcher das in Bibliothefen gejammelte Material jpecificirt, ift natürlich 
weniger zujammenhängend und erſtreckt ſich über ein weiteres zeitliches 
und jachliches Gebiet; Für die wichtigften Länder ver Chrijtenheit finden 
fih bier Relationen aus verſchiedener Zeit; die Summlung püpftlicher 
Inftructionen wird ergänzt, Memoiren verjchievenfter Art, in ver Batis 
kaniſchen Bibliothek die wichtige Sammlung von Akten zur Geſchichte bes 
Tridentiner Concils u, f. f. ine dritte Abtheilung endlich enthält vor⸗ 
nehmlich ven Nachweis vesjenigen, was Herr 2. für vie von ihn beab⸗ 
fihtigte Biographie des Baronius gejammelt hat; in ver Bibliothek ber 
Draterianer in S. Maria in Ballicella, weldye ven handſchriftlichen Nach⸗ 
laß des Baronius befist, fand er das gefammte Material bei einander. 
Zuletzt wird in 20 Beilagen eine Auswahl von Altenftüden aus bem 
ganzen Umfang der von tem Berf. in's Auge gefaßten Epoche gegeben, 
und bei allem Intereſſe, welches jene Nachweiſungen bieten, ift für's er. 
fte diejer Theil doch bei weitem der widhtigfte. Wir erhalten dieſe Ak⸗ 
tenftüde nad forgfältigen Abſchriften, an venen wenig auszuſetzen iſt; 
Ref. bemerkt höchſtens, daß befenvers in einigen italieniſchen Stüden 
die falſche bisweilen finnftörente Interpunktion der Handſchriften hätte 
befeitigt werben bürfen (3. B. ©. 98 3. 20); von Schreibfehlern fiel 





Geſchichte der neneren Zeit. 206 


ihm im Leſen bis jet nur einer (auf ©.89 3. 6), wo ftatt condilione 
umweifelhaft cognitione zu lejen if. — 

Was den fahlihen Inhalt dieſer Materialien betrifft, fo gefteht 
Ref. dieſelben neben vem allgemeinen Intereſſe, welches fie natürlich ge⸗ 
währen, vorzüglid auch mit Rückſicht auf die ausgelprochene polemijche 
Tenvenz Herrn 2.8 durchgeleſen zu haben; er konnte nicht umhin ſich 
zu fragen, weldes wohl nun im Einzelnen „pie Phantome gegnerifcher 
Geſchichtsverdrehung“ fein würden, welde vor der Sonne dieſes erften 
Specimen von Aufflärungen verſchwinden follten; bei der Lectüre ber 
mitgetheilten Nuntiaturberichte mußte er unwillkürlich verfuchen, darin 
die verjprochenen „glänzenpften Belege“ zu finden „von ber liebenben 
Mutterſorgfalt ver Kirde, deren Lebensprincip die Charitas ift und 
bleibt, für die in ver Gefahr des Abfalls Schwebenven oder von ber 
Einheit bereits innerlich und äußerlich Getrennten und den Sclingen 
der Härefie Berjallenen“. Er muß befenien, daß er bei mannigjacher 
Belehrung werer Phantome verſchwinden ſah, noch das Berhältnig ver 
Curie zu unſrer Nation ihm in einem anderen Lichte erjchienen ift, als 
bisher. Oper meint Herr L. wirtlih, daß etwa jenes Gampeggi’jche 
Memorial an Carl V. vom 2. Juni 1532 (S. 89 — 95), worin er in 
wiberlichfter Weife den Kaifer gegen vie proteſtantiſchen Stände aufhett 
und den im Intereſſe des Kaiſers liegenden wenigftend temporären Frie— 
densftand zwiſchen Proteftanten und Katholifen begeifert, ein Document 
für die Charitas der una sancta fein foll? Freilich für ähnliche Stüde 
bat er dann wohl die ſehr charakteriftifche Bezeichnung: „ein herrliches 
Specimen ächt⸗- kirchlicher Diplomatit, die Schlangenklugheit allweg mit 
Taubeneinfalt verbindet”. Oder meint Herr L., daß wirklih außer ihm 
Jemand in jenem Discursus quo humani opus consilii non esse ponti- 
Rcatum docetur (S. 121—125) einen Beweis finden wird für die Ein⸗ 
wirfung des hi. Geiftes bei der Bapftwahl und „eine ſchlagende Wiber- 
legung derer, die — weil fie vom göttlihen Geſchichtspragmatismus 
nichts verftehen () — im DBerlauf und Erfolg der Bapftwahlen das 
Meiſte entweder „pertinaci partium studio‘ oder „ambitiosae prehensantium 
industriae‘“ zujchreiben ? 

Bir wollen vergleichen Beijpiele nicht häufen. Was Herrn L.'s 
Standpunkt vorzüglich kennzeichnet, ift eine blinde und fanatijche Einſei⸗ 
‚tigfeit diefen feinen Materialien gegenüber, deren Werth er aus purer 


206 Ueberſicht ber Hiftorifcheu Literatur von 1860. 


Ehrfurcht vor ihrer Duelle bei weiten überſchätzt. Nirgends zeigt 
ſich dieß auffallender als da, wo er es für geeignet hält, einen Ver⸗ 
gleich zwiſchen ven päpſtlichen Nuntiaturberichten und ven vielfach be⸗ 
nutzten Venetianiſchen Relationen zu machen. Daß ihm die letzteren mit 
ihrer ausgeprägt ſtaatsmänniſchen Auffaſſung der Dinge höchſt verdäch⸗ 
tig ſind, daß er in den bekannten von Alberi publicirten Relationen „eine 
theilweiſe Auticipation des Sarpi'ſchen Geiſtes, eine widerlich räſonni⸗ 
rende Krämerpolitik über kirchliche Fragen“ findet, mag man begreifen; 
der Werth, den die eigenthümliche politiſche Stellung Venedigs gerade 
dieſen Berichten gibt, muß natürlich dem entgehen, dem alle Geſchichte 
ſich in Geſchichte der Römiſchen Kirche auflöſt. Aber man dürfte doch 
verlangen, dag, wenn Herr L. Vergleiche auftellen will, er ſich auch des 
Unterſchiedes bewußt wäre, der zwijchen ven jegenannten Relationen und 
zwijchen Depeichen befteht, vie im Verlauf des diplomatiſchen Geſchäftes 
geichrieben murben. Daß die Berfaffer ver Veneziauiſchen Relationen, 
wenn fie nad Beendigung ihrer Ambaſſade dieſelben verfaßten, neben 
dem Inhalt auch auf die Form achteten und z. Th. an eine literarifche 
Berbreitung und Benutzung dachten, muß anerfannt werden, liegt aber 
ganz in dem Charakter der literarijchen Verhältniſſe der Zeit und ift bei 
römiſchen Attenftüden ähnlicher Art genau ebenjo ver Fall; vie Depe 
hen tagegen wurden ebenjo bier wie dort „aus ber lebenvigen Unmittel⸗ 
barkeit, ex abundantie cordis““ gejchrieben, freilich von recht verſchiedenem 
Standpunkt aus ; aber wenn Herr 2. zufällig feine vengianijchen Ge⸗ 
ſandtſchaftsdepeſchen kannte (es find deren nur wenige gedruckt), fo bes 
rechtigt ihn die nicht einen Bergleich zwiſchen ven Depeſchen ver Nuntien 
und ven Relationen ver Venezianiſchen Oratoren anzuftellen, welche eben 
beterogen find. Es macht daher, wenn man zufällig in der Tage ıft, 
auch viele venezianiſche Depeſchen gelejen zu haben, einen ſehr komiſchen 
Eindrud, wenn der Verfaſſer S. 19 not. 38 eine Tepeiche Aleranders 
aufführt, worin dieſer fügt, daß er Über gewiſſe Einzelnheiten nichts be⸗ 
richte, weil — non son aucora ben securalo, per cio non le scrivo, uub 
wenn er ſich durch dieſe höchſt einfachen Worte zu ver originellen Be⸗ 
merkung begeiftern läßt: „wie wohlthuend ift dieſe leuſche (!) Zurüde 
Baltung im Vergleich zu dein geichwägigen Weſen jo mancher auf Effect 
macherei bedachten Venezianiſchen Relatoren !« Man fieht, Herr 2. 
‚macht es jeinen Untoren leicht, ihm in Begeifterung zu verfeten. Referent 





Geſchichte der neueren Zeit. 207 


wäre wohl in der Lage, ihn ven gleichen „wohlthuenden” Effect diploma⸗ 
tiicher Keufchheit mit einer Menge von Stellen aus Venezianiſchen und 
anderen nicht päpftlihen Depeſchen viejer Zeit zu bereiten, wenn er nicht 
Bedenlen trüge, an. biefer Stelle Dinge aufzuführen, die fi” jür jeben 
Berftändigen von ſelbſt verſtehen. 

Auf eine Auseinanderjegung über die einzelnen Aktenſtücke wird Re⸗ 
ferent fich hier natürlich nicht einlaffen; einige Punkte mögen genügen, 
um jeine Zweifel an der vurchgängigen „Zaubeneinjalt” namentlich der 
intimſten Depeſchen der päpftlichen Nuntien zu motiviren, und um an« 
zubeuten, wie Kritit und kritiſche Interpretation doch auch dieſen von 
Herrn 2. jo hoch geſchätzten Aktenftüden gegenüber noch am Plate fein 
wird. Im dem Bericht des Biſchofs von Aquila an den Cardinal Yar- 
neje ſchließt S. 105 die Erzählung über den Berlauf des Wormijer Re⸗ 
ligionsgeſprächs 1540 mit den Worten: Melanchthone et Bulzero confes- 
sarno lo articolo sempre firmato et tenuto dalla Ecclesie esser il vero — 
quod nullum remaneret peccatum. Diele Behauptung einer fo rüdhalts- 
loſen Rachgiebigkeit von Seiten der Proteftanten ſtimmt mit feinen ver 
fonftigen Berichte über dieſe Verhandlungen und iſt einfach nicht richtig, 
wie aus den Akten im Corp. Reform IV. p 38 — 91 hervorgeht; wenn 
aber der Bildyof von Aquila bei dem Gejpräch zugegen war und den⸗ 
noch eine foldhe bare Unrichtigfeit, die fein Verſehen fein kann, berichtet, 
fo muß dies wenigftens auffallend genannt werden. ©. 128—136 theilt 
Herr 2. den Brief P. P. Vergerio's mit (d. 12. Nov. 1535), aus 
welchem ſchon Pallavicini Conc. Trid. Lib. III cap. 18 8. 9 einen kurzen 
Auszug gab; er enthält den Vericht über die bekannte Zuſammenkunft 
Luthers und Bergerio’8 in Wittenberg, und fomit liegt nun das authens 
tiſche Document, aus welchem vie römiſche Darftellung floß, zum Ver⸗ 
gleiche vor mit dem deutſchen Bericht (in Luthers Werk.) und ven Sar⸗ 
pi's (Conc. Trid. Lib. 1). Ref. will hier weder dieſen Vergleich aus« 
führen, noch eine kritiihe Unterjuhung über die Glaubwürdigkeit ver 
brei Berfionen anftellen, wie fie nch jüngft von Sixt (PB. P. Verge⸗ 
runs p. 45 ff.) verjucht und vielleicht etwas zu leicht zu Gunſten Sar⸗ 
ps entſchieden worden ift; da der Herausgeber des Vergerio'ſchen Brie⸗ 
je vemjelben höchſt wahrſcheinlich unbevingten Glauben beimef- 
fen wird, wie Pullavicini, fo will Re. bier nur auf einen Bunkt 
‚aufmerkjam machen, der bei der Unterjuchung über die Glaubwürdigleit des 


208 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur Yon 1860. 


Bergerio jehr in Betracht kommen muß. V. ſchreibt an den päpftlicden 
Protonotar Ricalcati, an eine Stelle aljo, an welche er mit vollftäntiger 
Offenheit und Rüdhaltlofigkeit berichten durfte und follte; da ift nun aufs 
fallend, daß er fein Zufammentreffen mit Luther, überhaupt feine Reife 
nah Wittenberg ald ganz zufällig darftellt; angeblih aus Furcht vor 
dem Fanatismus des fegerifchen Landvolkes nimmt er feinen Weg von 
Halle nach Berlin durch ſächſiſches Gebiet über Wittenterg; von hier 
fteht er eben im Begriff weiter zu reifen — et ecco entrar il locotenente 
(der ihm zur Begleitung beigegebene jächfiihe Vogt) con Marlino Luthero 
et con Pomerano — und dann: io non puoli mostrarme altro che com- 
sentiente, essendo dove io era et ascoltai Fra Martino et quel altro. 
Hiernach aljo erjchiene es, als jei den Nuntius die Unterhaltung mit Lu⸗ 
ther anfgenöthigt worten, während es nach allen anteren Berichten un- 
zweifelhaft ift, daß er Luther zu ſich beſchied; einen vollſtändig offen⸗ 
herzigen Bericht haben wir aljo feinesfall® vor und; Vergerio hatte 
irgend ein Interefie dabei, ven Protonotar feine Reiſe nach Wittenberg 
und feine Unterrebung mit Luther als etwas ganz Zufälliges darzuftellen, 
was jedenfalld weder das eine, noch das andere war. Wir können uns 
dafür nım zwei Gründe vorſtellen: entweber eine ganz perjönliche ge 
beime Infteuction Pauls III., von ver Ricalcati nichts wußte und wiflen 
follte; dies ift, obgleidy manche e8 angeben, fehr wenig mwahrfcheinlid) ; 
aber — wenn man died annimmt, fo gewinnt die Aechtheit jener ges 
heimen Unterhaftungen, welde Sarpi aus unbelannter Quelle mittheilte, 
ganz erftaunlih an Chancen. Over, und dies ift wahrfcheinlicher, man 
nimmt an, daß Vergerio in der That diefe Reife zu Luther auf eigene 
Verantwortung, vielleicht von dem gerate bei ihm piycholegiich ſehr er- 
Härbaren Verlangen getrieben, dem deutſchen Reformator perſönlich gegen» 
über zu treten, unternommen bat; alsdann aber leuchtet ein, warım er 
Die ganze Begegnung in das Licht des Zufalls zu fegen fuchte, und zu⸗ 
gleich, daß er über diejelbe nur das berichtete, was ihn nicht comproe 
mittiven fonnte; aber auch in dieſem Falle bleibt vie Möglichkeit gewahrt, 
daß der Sarpi’fche Bericht doch vie Wahrheit enthält, und ganz dazu 
paſſend ift die ängſtliche Beſorgniß, womit Vergerio ten Protonotar Bit« 
tet (©. 136) zu verhüten, daß nicht etwa eine Abjchrift feines Briefes 
nad Deutſchland gelange. In dieſe Alternative ftellt ſich jett, wie Ref. 
ſcheint, dieſe Streitfrage ; aber in feinem von beiden Fällen ift Vergerio’6 





210 Ueberſicht der biflerifchen Literatar von 1860. 


das Urtheil von Baronius’ großem Zeitgenoffen Paolo Sarpi für nahezu 
gleihgewichtig halten mit dem Enthuſiasmus ſeines jeht zu erwartenden 
Biographen. Sarpi aber fchrieb über Baronius an Caſaubonus: Fge 
illura Romae novi, entequem honoribus manum daret et prurigine soribendi 
tentaretur, cum solius animi trenquillitati et puritati oonseioaliae dares 
operam. Nunquam kominem vidi simpliciorem quem unico verbo tibi ex- 
primam. Nullas habebat opiniones proprias, sed ens e conversationibus 
sine deleciu sumebat, quas tamen quasi proprias et bene perfectas perti- 
‘asciter defendebat, doneo alias iussus potius fuisset quam edoctus. 
B. RE. 


Legationes Alexandrina etRuthenica ad Clementem VII, 
pont. max. pro unione et communione cum sede apostolica, anno Domini 
1595, die 15 januarii et 23. decembris, nunc separatim excussau studio 
Augustini ex principibus Galitzinorum. Paris, 1860. XI, 142 p. 8. 


Eug. Alböri, Le relazioni degli Ambasciatori Venetä 
al Senato durante il secolo decimosesto, raccolte ed illustrate. Serie L 
Vol. IV. Firenze, 1860, 467 p. 8. 


Relasioni degli Stati Europei lette al senato dagli ambas- 
oiatori Veneti nel secolo decimosettimo raceolte ed annotats da Nie. Ba- 
rozzi e Gu. Berchet. Serie I. — Spagna. Fasc. 10. Venesis, 1860. 
2. Bd. p.1—80.— Serio Il. Francia. Fase. 4—13. Venesia, 1859-60. 8. 


Arnim, vertraute Gefhichte ber enropäiſchen Höfe u. Eta» 
ten feit Beendung bes 30jähr. Krieges. Neues Licht aus geheimen Uxrchiven. 
1. Abth.: Vertraute Geſchichte bes Preußifchen Hofe u. Staatt. In 20 Ligen. 
1. 8b. 5 on. u. 2. ®b. 2 2fg. 1.86 VIII u. 812 © u 2.89% ©1098 
128. Berfin, J. Abelsborffe Berl., 1860. 8. 


89. Schultz, Geſchichte des Kriedens von Dliva vom 8. Mai. 
1660. 82 ©. Labiau. Königsberg, Gräfe u. Umger, 1860. 8, 


H. Prat, Etudes historiques. Dix-huititme sidcle. 1. partie, 
Paris, 1860. 354 u. 875 p. 8. 


Oeuvres de Leibnitz, publides pour la premibre fols d’aprös les 
manuscrits originaux, avec notes et introduetions par A. Feucher de 
Careil. T. 11. Lettres de Leibnitz, Bossuet, A. Ulrich, la deshemss Be- 


u ME EUEOAÄ9u 





Geſchichte ber neueren Zeit. 211 


phie, Mine. de Beinon, pour la rdunion des protestants et des catholiques. 
Paris, 1860. CVIII, 603 p. 8. 


Er. Gomıpe, Geſchichte der religidfen Bewegung ber nenern 
Zeit. 4. Bd. Leipzig, Wagner, 1860 XII, 876 p 8. 


Adolph Stern, Bier Zitularlönige im ahtzehnten Jahrhun— 
dert. Jakob IN und Karl Ednard von England, Theodor von Corſika, Sta⸗ 
aittaus Leneinstgn. Dresden, Carl Hödner, 1860. XIII. 168 ©. 


Dr. F. €. Schloſſer, Geh. R. u. PBrof., Geſchichte d. 18. u. 19. 
Jahrhunderte bis zum Sturz d. franzöfifhen Kaiferreihe. Mit 
kefend. Rüdfiht auf geiftige Bildung 8. (Schluß-) Ob. Bis zum 9. 1815. 
6%. wargane verb. Aufl. Heibelberg, I. C. B. Mohr, 1860. XI, 635 ©. 8. 


De. F. C. Schlosser, Geh. R., Prof., Geschiedenis der acht-. 
tionde senw en der negentiende tot op den ondergang van het Fransehe 
keisserijk. Gosdk. uitgaaf. 2e druk. Gedeeltelijk op nieuw uit de 4e of 
Instste seer veel verb. en verm. Hoogd. uitgaaf vertaald, en geheel herzien 
door P. v. Os. 34e—4le afl. Sneek, vr. Druten & Bleeker. V. u. 3845. 8, 


Bolfgang Menzel, Die legten 120 Jahre ber Weltgeſchichte 
(1740—1860). Etutigart, Krabbe, 1860. 6 Bbe. 8. 


Carl Lubwig Michelet, Die Geſchichte der Nenſchheit im 
item Sutwidiungsgange feit bem Jahre 1775 bis anf bie neueften 
Zeiten, 2. TU. Berlin, %. Schneider, 1860. IV, 616 S. 8. 


Edw. Kust, Annals of the wars of the eighteenth cen- 
taury, compiled from the most authentic histories of the period. Vol. 5. 
1795 — 1799. London, 1860. 8. 


Heinz. v. Sybel, Geſchichte der Revolutionszeit von 1789 
bis 1795. 3. 3b. 2. Abt. Düflelborf, Buddeno' Berl., 1860. XVI 
€, 343 -5%. 8. 


Archibald Alison, Baronnet, Histoire de l’Europe durant la 
nvolufion et les guerres de la republique de 1789 A 1797. Préoédéo 
dene introduction par Nestor Considerant. 2. edition. T. 1. Bru- 
zeiles. Leipzig, Dürr, 1860. 311 p. 8. 


Gerzespendence diplomatique de Joseph de Maistre, 


14* 


212 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur won 1860. 


1811 17, rec. et publide par Alb. Blanc. 2 vols. Paris, 1860. VIII, 
806 p. 8. - 


. Heintr. v. Sybel, Die Erhebung@uropa’'s gegen Napoleon I. 
Drei Borlefungen, gehalten zu Münden am 24., 27. u. 30. Mär; 1860. Mun 
chen, literar.-artift Anftalt. VI, 146 © 8. 


Srlebniffe eines Beteranen ber großen Armee während bes 
Feldzuges in Rußland 1812, herausgegeben von beffen Sohne Riharb von 
Moorheim, k. fähf. Hauptmann. Dresden, Meinhold u. Söhne, 1860. 8. 


Diefe „Erlebniffe” bringen nichts weientlih Neues, was nicht ſchon 
durch die jüngften Bearbeitungen des Feldzuges von 1812, namentlich 
aber dur die fo interefjanten „Dentwürbigleiten Toll's“ von Th. v. 
Bernhardi, drittes und viertes Buch, zur Geuüge bekannt geworben 
wäre. Leſenswerth, als von einen Augenzeugen und perjönlichen Theilneh⸗ 
"mer berftammend, ift etwa nur die Schilverung der Gefechte, in welche 
die tapfere fächfliche jchwere Kavallerie - Brigade Thielmann während 
der Schlacht von Borodino verwidelt wurde und des glädlichen Angriffes 
derfelben auf die Rajewsky⸗Schanze. L. H. 


® G. Bervinus, Gefhichte des 19. Jahrhunderts feit dem 
Wiener Verträgen. 4. Bd. 2. Hälfte Leipzig, Engelmann, 1860. VI. ©. n. 
441 ©. 8. ©. unfere Zeitihrift Bd. 111. ©. 506 ff. 


Die Kämpfe in Europa In den letzten zwölf Jahren (1848 
— 1859), ein Cyklus von Gefechtsbildern unb biographiſchen Gkiggen von Mar 
Biffart, k. württ. Oberlieutenant. Stuttgart, Gebr. Scheitlin, 1860. 8. 

Ein mit gründliher Sachkenntniß, vollkommener Unparteilichleit und 
wohlthuendem Freimuthe gejchriebenes Buch, welches die politifch«militäri» 
hen Ereigniffe in Europa feit 1848 in funzen aber veutlihen Zügen 
ſchildert, und als Gedächtnißhülfe für viefen Zeitraum Jedermann em- 
pfohlen werben kann. Auffallend ift nur, daß in ven „Kämpfen in Eu- 
ropa“ der Belagerung Venedigs und feines bewunderungswürdigen Wider 
ftandes in den Jahren 1848 und 1849 nur fo obenhin Erwähnung ge 
ichieht. L. H, 


B. F. de Cussy, Consul-gendral, Precis historique des dre- 
nements politiques les plus remarquables qui se sont passes depuis 
1814 & 1859; ou exposd des changements principaux qui se sont produits 





Geſchichte ber. neueren Seit. | 213 


pundant cette epoque dans la situation respective des dtats souverains; 
— des changements prinoipaux qu’ont subi les relations internationales 
des dtats; — des modifications apportdes aux principes du droit des gens 
par les trait6s publics conclus par cette dpoque. Leipzig, Brockhaus, 
1859. VIII. 462 p. 8. 


Hinter ben Eouliffen Hiftorifh-politifche Bilder ans der Neuzeit. 
L ZU Bom Oktbr 1847 — Mai 1848. Genf, 1859 (Zürich, Schabelik). 
N, 139 8. 16. 


Documents et pieces authentiques, laissdes par Daniel Ma- 
aim, president de la republique de Venize Traduits sur les originaux 
et annotes par F. Planat de la Faye. 2 vol. Paris, Furne et Ce,, Edit., 
1860. 8 “ 

Bir haben hier ein Werk vor uns, welches bem Anpenfen eines 
berääimten Todten gewidmet ift, dem Anvenfen von Daniel Manin, Dic- 
tster Benedigs, währen ver Zeit feines verzweifelten Unabhängigfeits- 
fampfes in ten Jahren 1848 und 19. Die binterlaflenen Papiere des 
Serfterbenen, von deſſen Familie ven Herausgeber zur Veröffentlichung 
avertraut, find die hauptfächlichfte Quelle dieſer Schrift. Es find theils 
fficielle Dokumente, welhe Manin mit fih in's Eril flüchtete, theils 
Vene Privatcorrefpondenz. Der Herausgeber wurde von der, wie une 
ſcheint, richtigen Anficht geleitet, daß dieſe urfprünglich in englifcher, fran- 
zfiicher, italienischer, ja felbft veutjcher Sprache abgefaßten, unzweifel⸗ 
haft wichtigen Atenftüde und Dokumente eine ungleich weitere Verbrei- 
tung erlangen müßten, wenn fie auch in der am weitelten verbreiteten 
Sprache, der franzöfiichen, ter Deffentlichleit übergeben werten Könnten, 
wur bat deßhalb ſämmtliche mit ängftlicher Gewiſſenhaftigkeit in dieſes 
Jriom übertragen. Er that dieß, wie wir meinen, in einer boppelten 
Arficht, nicht nur um ihnen leichteren Eingang überhaupt zu jichern, ſon⸗ 
dern auch um gerade im gegemmärtigen Augenblide und nantentlich bei 
femen Landslenten, vie Blide mit gefteigerter Erwartung auf die noch 
immer verfchleierte Zukunft der Lagunenſtadt zu firiren. Wenn, woran 
wir nicht zweifeln, das Erftere gelingt und das Buch in weiteren Kreiſen 
Anfuahmıe findet, jo verwirklicht fich Die andere Abficht naturgemäß von 
ſelbſt. Dem wir hören bier zum erftenmal die Stimme eines Mannes, 
ber wie fein anderer in die geheimen Berhältniffe jener Zeit und jenes 
Ortes eingeweiht gewefen, — eined Mannes, deſſen Namen zwar du® 


214 Ueberſicht ber Yierifihen Literatur bon 1860. 


Befungewert einer pelitikhen Partei iR, am beffen Gharatter aber ſelbſt 
ver eutidyievenfte Gegner feinen Malel zu finden vermag. 

Nicht alle Iinterlaflenen Papiere Manin's werten hier dem es 
ſchichtsferſcher dargeboten: von ven Decreten und officiellen Aftenftäden 
der venetianifben Regierung find mit fluger Umſicht nur jene in vie 
Sammlung aufgenommen, welde in tirecter Beziehung zu den Ereig⸗ 
niſſen fiefen. Daher finten fi darin an Grlaflen über bie innere Bex- 
waltung ver Republik, an militäriihen Berichten unt Berfügungen ver 
bältnigmäßig nur wenige, währent tie viplematiihe Correipondenz, nas 
mentlich mit ter franzöjiichen Republik, ven wichtigſten und wejentlichften 
Inhalt bilvet. Um endlich aud dem objectiven Beobachter gerecht zu wer⸗ 
den, ift eine nicht unbeträchtliche Anzahl amtlicher Berichte beigefügt, 
welche von den franzöfiichen und engliichen Confuln in Venedig während 
tiefer Periode an ihre Regierungen erftattet wurden. Als Princip ıR im 
biefer Zuſammenſtellung tie chronologiſche Ordnung feitgehalten; das 
Geſanmibild gewinnt dadurch mehr an Klarheit, obgleich zu bedauern iſt, 
daß der Mangel eines Inder die Orientirung einigermaßen erſchwert. 

Wie ſchon aus dieſer allgemeinen Ueberſicht hervorgehen mag, ge⸗ 
bührt ven Herausgeber das Verdienſt, bie große Maſſe des vorhandenen 
Materiales mit richtiger Erkenntniß des Wejentlichen gefichtet und zw 
einem leicht überjehbaren Ganzen zufanmengefaßt zu haben, eine Auf 
gabe, die in der Regel nur von Wenigen glücklich gelöft wird. 

Das ganze Werk zerfällt in ſechs Epochen, von denen jede eimem 
für die kurze Geſchichte der Republik beveutjamen Abſchuitt umfaßt. 

Mit den wichtigſten Attenftüden des geieglihen Kampfes, welden 
Manin, Tommaſeo und Avefani zu Ende des Jahres 1847 gegen bie 
herrſchende Gewalt eröffneten, beginnt bie erſte Epodhe. Bon Maniz 
zur Beröffentlichung beftimmte, von der kaiſerlichen Ceuſur aber geftri» 
chene Zeitungsartitel, Memoires von Manin und Avejani an die Central 
Gongregation von Venedig gerichtet, ein Schreiben Tommaſeo's an ben 
Minifter Kübel, ein ſolches an den Erzbifchof von Udine, Berichte bes 
engliichen Conſuls Dawkins an Lord Balmerfton, die geheimen Zuſtruc⸗ 
tionen für ben Gouverneur Grafen Spaur, endlich die Öefangennehmung 
Manin’d und die Inftruction der Anklage gegen ihn, bilden das Bor: 
ſpiel ver Tragödie, deren erfter Akt fi in der raſchen und unbiutigen 
Revolution vom 17.— 22. März 1848 vollzieht. Manin, durch das 





2 Echerhr ber iziäler Smzmtzz von 1860. 


un x Ir. I x Aiiertffine eu 9 Sal 1942 ee er 
in Peaı 2 Yemru ru D3 Te Exurr te Feliserlieni, am- 
ser Ba au „riteiter Ir ed Smart, we Me Pe 
terärr 2m: nr Eiurtltor er. mem ee Mami ter 
a »e File, um iiber u nie Lemma wur im ;= Veimem 
Lex, ex Im, :»: Roos te Beamer , Du 
ia ee Üclewz, de ter 24 © m rar zn tie Detail— 
kim, ar Sex ar zn tler Zr zer ve u Monie, 
Armııl Orr zur Ik Seal r24 mem Ürmerernement ges 
Eitzet. 

Un wierer Sezıen mun 2: Serbea um te Umeffürmg Franl- 
reichs une tie Mithilie Enalaure, nur un tie Sieterfebr tes verbußten 
Oeſterreichs atzmenren. Aber Ale wur vergebenẽ?. Tue umerkittfiche 
Echidial verichzte mmaufbalriam feinen intern Ganz. Tie anzlii:fran- 
zefiihe Vermittlung wirkte mm ten zuten Ratb ;u geben: ..d’enirer en 
errangement avec le gouvernement sutrichien . Se klick tenn auch für 
Beneeiz nichts mehr übrig ale ver Xampi ver Verzweiflung. 

Ter uns hier nur karg zugemeiiene Raum geftattet nicht, ſelbſt nur 
in kurzen Zügen ten Patrietisnus umt tie Tapferkeit, tie Anfopferung 
und Totesverachtung zu zeichnen, in welcher Alt ımt Jung, Arm und 
Reich, Bernehm une Nierrig bei rer Vertheidigung Venedigs wetteifer- 
ten. In Mitte einer furchtbaren Belagerung, ven ver Cholera dezimirt, 
von Hungersnoth aufgerieben, witerftanten vie Venetianer ımter ibrem 
großen Mitbürger mit bewunterungswürtigem Heltenmuthe, bis fernerer 
Wiverftand unmöglih wurde. Am 24. Auguft kapitulirte Venedig. 

Welcher politiihen Anfiht man auch immer huldigen mag, tes Cinen 
find wir, bezüglich dieſes „Blaubuches“ ver Republik Venedig, ſicher, daß 
Niemand bei Durchleſung dieſes Werkes den Venetianern ſein Mitleid, 
Manin aber ſeine Bewunderung wird verſagen können. Es iſt der chr⸗ 
liche, opferfreudige, begeiſterte Republikaner, der uns hier lebendig und 
wirfend entgegentritt, ein Charakter, welcher eine ruhmvolle Stelle in der 
Geſchichte bewahren, ven aber, vom Strahlenfranze höchſter Bürgertugen- 
ben umleuchtet, fein Vaterland vor Allen und für alle Zeiten verehren 
wird. L. H. 


C. Court, Tabloaux synoptiques et chronologiques de 





Gejſchichte ber neueren Zeit. 217 


lbistoire universelle oontemporaine, donnant mois par mois 
& presque jour par jour la situstion politique de tous les dtats connus 
du globe, faisant suite & latlas de Le Sage. I. partie depuis la revo- 
ktion de fevrier 1848 jusqu’ au congres de Paris, 1856. I. livraison. 
inee 1848. Paris, 1859. XVI, 79 p. 8. 


Charles Samwer, Recueil, nouveau, general, de traites, 
savertions et autres transactions remarquables, servant & la connaissance 
des relations dtrangeres des puissances et états dans leur rapports mutuels. 
RBedig€E sur copies, collections et publications authentiques. Continuation 
da grand recueil de G. Fr. de Martens. Tome XVI, Partie II. — A. s. le 
t: Recueil general de traitds et autres actes relatifs aux rapports de droit 
international Tome III, Partie Il. Göttingen, Dietrich, 1860. 641 p. 8. 

Durch ben vorliegenten Theil dieſes durch Vollſtändigkeit, Correkt⸗ 
beit, bequeme Einrichtung und Ausſtattung hervorragenden Werkes Liegt 
der 16. Band (der erſte Theil erſchien im Jahre 1858) vollendet vor. 
Ter Raum geſtattet und nicht, bier alle die wichtigen Aktenſtücke, welche 
wir in temfelben finven, zu nennen, und fo heben wir aus ber reichen 
Sammlung, die uns darin geboten wird, nur einige wenige hervor. Das 
zuerft abgetrudte Altenjtüd vom 10. Juli 1855 ift ter Vertrag zwijchen 
England und Frankreich über die Art und Weije ter Theilung, der von 
ihren Heeren gemeinjam im orientalischen Kriege zu machenden Beute, 
weran ſich die Accejjionserklärungen von Sardinien unt ter Pforte an» 
fliegen. Hierauf folgt eine ganze Reihe von Verträgen und Aktenftüden, 
ie Direlt oder indirekt mit den Parijer Frieden vom 3. März 1856 zu: 
iammenbhängen, von denen wir bejonters auf bie Protocolle der Partjer 
Cenferenzen vom Jahre 1858, tie Moldau und die Walachei, aud die 
Tenaumüntungen betreffen, und vie fich hieran ſchließenden Verträge 
über lettere Angelegenheit zwifchen einigen deutſchen Staaten und ver 
Bierte, anfmerkſam machen wollen. Dit ver dann folgenden Erklärung 
tee Senats der jonijchen Infeln vom 6. Juni 1854, in Betreff eines Krieges 
ven Großbritannien, ift dann die Reihe ver Aktenſtücke, welche ſich auf tie 
eriemtaliiche Frage beziehen, gefchlofien, und es folgt nun in unjrer Sammlung 
eine Menge von Heinen und größeren Handelsverträgen zwiſchen europäiſchen, 
afiatiſchen und amerifaniichen Staaten, jowie Verträgen des Zollvereins 
mit Berfien, Mexiko, der argentinischen Conföderation u. a, weran fi 
denn nech Verträge des Zollvereins mit Sardinien und den joniſchen 


318 Ueberfiht der hiſteriſchen Literatur den 1860. 


Inſeln anſchließen. Hierauf finden wir die intereflanten Wätenftüde über 
die Abſchaffung des Sundzolles aus den Jahren 1856 und 1857, wors 
anf die Handelsverträge Japans mit England, Frankreich, Rußland und 
den Rieterlanden aus ten Jahren 1855 bis 1858 folgen. Nachdem 
nun noch der Vertrag Preußens mit Oldenburg über ven Jahdebuſen 
vom 20. Juli 1853, nebft einer nachträglichen Beſtimmung dazu vom 
1. December beilelben Jahres und die Urkunde über vie Befigergreifung 
bed erworbenen Landes vom ö. November 1854 mitgetheilt iſt, folgt 
ber Münzvertrag zwiichen Preußen und anvern beutichen Staaten vom 
7. Auguft 1868. Weiter beben wir noch hervor die Schug- und Trutz⸗ 
Bundniſſe zwiſchen Tefterreih und Modena vom 24. December 1847 
und zwifchen tem Kaiferfinate und Parma vom 4. Februar 1848, mit 
denen auf Seite 500 tie auf vie italienijche Angelegenheit Bezug haben⸗ 
den Urkunden beginnen. Von viejen nennen wir das Programm Oeſter⸗ 
reichs in Betreff eines Congreſſes ver Großmächte vom 29. März 1859, 
ferner vie Proflamationen und Manifeſte ver Kaiſer von Defterreih aub 
Frankreich, den Waffenſtillſtand zu Billafranca, ven Frieden von Zürich umb 
die Documente, welche hiermit iu Zufanmenhang ftehen, aljo vor allen bie 
über die Abtretung ter Yombardei, Nizzad und Savoyens. Schließlich 
finden wir dann noch, abgefehen von vielen andern wichtigen und intereſ⸗ 
fanten Attenftüden, ven berühmten Handelsvertrag zwiſchen Großbrittan⸗ 
nien und Frankreich vom 23. Januar 1860, und andere Verträge, bie 
fi) hierauf beziehen. abgetrudt. Cine „Table chromologique“ und eine 
„Table alphabstique,“* bie beine bei dem reichen Inhalte wohl nicht zw 
entbehren fein würden, ſchließt wie bie frühern, jo auch viefen Theil. U. 


Wolfg. Menzel, Supplement zu ber Geſchichte ber Ic 
ten 40 Jahre (1816 — 1860). U. u. d. T.: Geſchichte ber neueſten Zeit 
(1856 — 1860). Stuttgart, Erabbe, 1860. VIII, 392 ©. 8.*) 


*) Die zahlreihen Schriften, welche ber öfterreicyifc »italienifch » Frampöftiche 
Krieg im 3. 1859 hervorgerufen hat, dürfen hier übergangen werben. 
Man findet fie, nebf ber ganzen Literatur ber itafienifchen frage, in 
großer VBollſtäubdigkeit in der Bibliotheca historico-geographica von Dr. 
Guſtav Schmidt (bei Bandenhoed und Rupredt in Göttingen) ver- 
zeichnet. Wir benntzen gern bie Gelegenheit, um biefe verbieuflichen Ka⸗ 





Geſchichte der neneren Zeit. 219 


b. Deutfche Gefchichte. 


1. Ullgemeine veutfhe Geſchichte. 


dorſchnugen zur dentſchen Geſchichte. Herausgegeben von ber 
lijeriſchen Commiſſion bei ber Tl. bayeriſchen Akademie ber Wiſſenſchaften. Erſten 
dedes erſtes Heft. Söttingen, 1860. 8. 

Ce wird kaum nothwendig ſein, über den Zweck ver „Forſchungen 
zu teuticgen Geſchichte“, deren erſtes Heft hiermit vor und liegt, une 
md weiter auszulaſſen und das Bekannte zu wieberholen, aber kein Zwei- 
jd kaum darüber beftehen, ver Beſchluß der hifteriihen Commiſſion, dem 
Se Ferſchungen ihr Dajein verbanfen, gehört zu ven zeitgemäßeften, vie 
iterhaupt von ihr gefaßt werden fonnten; es ift damit einem brin- 
yaren, lange gefühlten Bebürfuiffe in würdiger Weiſe abgehols 
km. Das vorliegende Heft enthält fieben Aufjäge, vie fi in ben 
rerſchieden ſten Jahrhunderten der beutjchen Geſchichte bewegen und deren 
ren man einen beitinumten Werth, eine unverfennbare Förderung bes 
behandelten Gegenſtandes nachrühmen mug. — Hr. Prof. Waitz unter 
wirft Die Nachrichten über „vie Niederlage ver Burgunder durch bie 
Omen“ — in Folge welcher die erfteren aus ten Rheingegenden nad 
Sekrupin verpflanzt wurten — und bie Anfichten ber Forſcher über die⸗ 
ies Ereigniß, tie in Beziehung auf Zeit und Umftänte jehr von einander 
abweichen, einer neuen eingehenven Unterjuchung, die mit der Schärfe und 
Sicherheit geführt ift, wie wir fie an biejen: Forſcher gewöhut find. Es 
handelt ji) nemlid darum, ob die in Rebe ſtehende Kataſtrophe im J. 
se bei dem bekannten Einfall Attila's in Gallien oder vorher in einem 
beicntern Kriege erfolgt if. Man wird zugeben, es ift das eine für 
untere ältere Geſchichte und auch für unjer nationales Epos nicht gleich- 
jittige Frage. Beide Annahmen haben auch in älterer und neuerer Zeit 
Arhãnger gefunten, chne daß aber bis jegt eine terjelben über die andere 
ten Sieg bavengetragen hätte. Waig ftellt fi num ganz entſchieden auf 


taloge, bie wit fo viel Sorgfalt und Fleiß zufammengeftellt werben, ben 
deennden ber biftorifchen Literatur zu empfehlen. Es wäre jebenfalls zu 
bebanern, weun, wie wir hören, bem Fortzaug bes Unternehmens Hin⸗ 
derniſſe entgegemfänben. 


220 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literater von 1860 


Seite ter legtern ter beiten Anlichten und faßt das Refultat jeiner Un⸗ 
teriubung in felgente Worte zujammen: „Im Jahre 137 erlag ber 
König Gundicar ter Burgunder, ter am linten Rheinufer berrichte, mit 
einem großen Theil jeined Volkes einem Angriif ver Hunen, wahrſchein⸗ 
lich ſelcher, die damals in Gallien umberzogen. Sechs Jahre ſpäter 
wurde der Reſt des Volkes nach der Landſchaft Sabaudia verpflanzt. Hier 
herrſchte Gundioch über ſie, der Ahuherr Der ſpäteren Könige, und ven 
bier aus gelang ihnen bei der Auflöſung des römiſchen Reichs die Ans⸗ 
dehnung ihrer Herrſchaft über den Südoſten Galliens““. Bir zweifeln 
nicht, daß dieſe Ausführung, beſonnen und ſorgfältig, wie ſie iſt, allen 
andern gegenüber den Vorzug erhalten wird. — Eine zweite Abhandlung 
(ron Ed. Winkelmann) beſchäftiget ſich mit der „Wahl König Hein⸗ 
rich's VII., feinen Regierungsrechten und ſeinem Sturz”. Wer ſich mit 
der Geſchichte der Staufer irgendwie näher eingelaſſen hat, weiß, wie 
dieſe Periode unſerer Geſchiche — wenige Momente ausgenommen — 
zu ten vernachläſſigſten gehört, obwobl wir uns gerade auf fie je viel 
zu gute thun, und obwehl wir darüber ein ausführliches Geſchichtswerl 
beſitzen, das drei Auflagen erlebt bat und berühmter als faſt alle übrigen 
geworten ift: von den Arbeiten von Jaffé, DO. Abel und Yider abge 
jeben, ift in Wahrheit vie Hauptſache big jetst tech nur in tem Regeften- 
werfe Böhmer's — ſoweit es fich erftredt — geleiftet werten. Bei tie 
fer Zuchlage hat namentlih auch die Geſchichte König Heinrich's VII. 
gelitten, die doch gerade für die deutſche Reichsgeſchichte je unendlich 
wichtig geworben ift, weil man ſich ſeit Raumer gewöhnt bat, das gang 
Intereife auf Die italieniihen Vorgänge zu vereinigen. Es ift bier wohl 
der Ort, e8 zu bemerfen, daß ter fel. O. Abel jeiner Zeit die Geſchichte 
diejes Königs zum Gegenſtande einer Jugendarbeit gemacht hat, vie fid 
feit Jahren in unjern Hänten befindet und die, wenn es von uns allein 
abgehangen hätte, ver Oeffentlichkeit nicht vorenthalten geblieben wäre, 
eben weil fie, zwar turchaus nichts erfchöpfentes und vollkommenes, im⸗ 
merhin bis in vie jüngfte Zeit tie vergleihungsweiie beſte Bearbeitung 
dieſes Gegenſtandes gemeien iſt. Nun freili, mit dem Grfcheinen ver 
Unterfuhung Winfelmann’s, vie zwar nicht Die ganze Geſchichte König H. VII. 
aber doch tie entjcheirenden Fragen, zum Vorwurfe bat, wäre eine ſolche 
Beräffeutlihung faun noch am Plate, zumal nicht geläugnet werben kann, 
daß die neuere Bearbeitung, wie Das nicht anders fein fonute, jene frühere 





Geſchichte ber neneren Zeit. 221 


tea Abel, die gewiß ſchon fünfzehn Jahre alt ijt, in jeder Beziehung 
aitertriift. Hr. Winkelmann bat befanntlich ſchon vordem eine Probe 
ar Befähigung für hiſtoriſche Forſchung, gerade auch auf tem Gebiete 
dee Gejchichte ver Staufer, geliefert; feine gegenwärtige Peiftung ift eine 
anhievene Bereicherung verjelben und zeugt von der beiten Schule. Nur 
= Ein Rejultet feiner Unterjuhung aber wollen wir hier ausdrücklich 
bimeifen, daß nemlih K. Friedrich II. bei viejen Vorgängen hier in 
amem viel günftigeren Yichte erſcheint, als dies ſonſt ver Fall tft, eben . 
weil ver Berf. bloß von einer umfaſſenden und gewiſſenhaften Benutung 
der betreffenden Quellen ſich leiten läßt und einen wirklichen bijtorijchen 
Emm befist. Und ähnlich wire es wohl mit 8. Fr. I. in den meiften Fällen 
azchen, wo nicht tie Leidenſchaft und ein nicht zur Sache gehöriger (Eis 
kr das Urtheil trüben. — Zwei ber folgenden Aufjäge bejchäftigen 
ũch mit Kaiſer Ludwig tem Bayern, und beide enthalten zwar nicht 
vejgreifende, aber doch erwünjchte Bereicherungen jeiner Geſchichte. 
Be. 2. Delsner führt den altenmäßigen Beweis, daß in dem Kampfe 
8. Larwigs mit dem Papſte auch deutſche Dominicaner fehr warmen An⸗ 
Keil an ver Sache des Königs genommen, die mehr oder weniger auch die 
peutihe Sache war, und daß diefe Oppojiticn nur ſehr gewaltſam un⸗ 
wırrrädt werten tft: während man bisher immer nur von den Anſchluſſe 
ver Arancisfaner an Ludwig zu erzählen wußte Hr. Dr. Pfannen- 
tmin unteriwirft die Frage: „ob den Papſte Johann XXII. vie Wahl- 
Zerrete ver Gegenkönige Ludwig bes Bayern und Friedrich des Schönen 
serzelegt werten ſind?“ einer eingehenden Unterjuhung. Es ift im 
Grm zum erſten Male, tag dies gejchicht — auch Kopp ift raſch da⸗ 
räber binmweggegangen — und doch ift jie von der größten Bedeutung. 
Cr. Bfannenſchmid gelangt nun zu tem plaufiblen Ergebniß, daß ge- 
sahte Wabldecrete allertinge tem Papſte vorgelegt werden fint, da 
scier aber Anftant nahm, einen oder ten andern ter beiten Könige als 
ehtmäßigen unzuerfennen und Das Richteramt über die Giltigkeit oder 
Umzurigfeit ber Wahl überhaupt prätenbirte, jo habe er die gedachten De- 
zue nah genommener Kinjicht wieder zurüdgegeben, vie fid) ja aud) in deu 
ren. Archiven zu Wien und Münden befinden. —- Um nun auf ben 
xech übrigen Inhalt des erſten Heftes ver Forſchungen einzugehen, jo ſei 
zaihft eines Beitrages von Stälin über die Zeitbeftimmung ter Ans 
zahme der Kaijerwürte durch Vlarimilian i. 3. 1508 gedacht. Noch 


292 Ueberſicht der hiſtoriſchen Litersine don 1860. 


Ranke in: feiner d. ©. im Zeitalter der Reformation (3. Ausgabe, Op, I 
&. 135) gibt den zweiten Februar als den Tag an, an dem jene Am 
nahme zu Trient gejcheben fei; Stälin teilt nun aber ein Schreiben 
zweier Yugenzeugen, Unführer des Eßlinger Zuzugs beim Reichcheccc 
an die Stadt Eßlingen mit, woraus mit Beſtimmtheit hervorgeht, baf 
jene Thatfache am vierten Februar geichehen if. — Der Aufſatz bes 
Herrn Onno Klopp: „das Neftitutionsebikt im nordweſtlichen Deutſch⸗ 
. land“ — ber umfangreichite des ganzen Heftes — beichäftigt fich mit 
einen der verwideltften und verhängnißvollſten Vorgänge des breißigjäße 
rigen Krieges und muß, auf urkundliches Material geſtützt wie er iſt — 
gewiß mit Dank bingenommmen werden. Das Bedeutend ſte hievon finb 
offenbar bie Mittheilungen, die den Durchführungsverfuch des Reſti⸗ 
tutionsebictes in der Stadt Osnabrüd betreffen ; das Bedeutendſte, Lebe 
veichfte, wenn auch nicht Erbaulichfte. Gegen ven Standpunkt des Berfaflerd 
— der in Ganzen jchon aus früheren Leiftungen deſſelben befannt iſt — 
ließe fich freilich Manches einwenden, im Allgemeinen und im Einzelnen. 
Indeß bat bereits vie Redaction in biefer Beziehung eine Andentung ge⸗ 
geben und zu Erörterungen fpecieller Fälle ift hier fein Platz Es wäre 
übrigens in ver That wünſchenswerth, daß enblich einmal die Geſchichte 
des breißigjährigen Krieges von einen hiezu Verufenen und mit ber gaus 
zen nothwenbigen Kraft und Höhe des Geiſtes und des nationalen freien 
Geſichtspunktes gejchrieben würde. Werke wie das von Berthold oder 
Gfrörer, engherzig und bornirt wie fie find, können nur verwirrend wit 
fen. — Zum Schluſſe ſei noch der Unterjuchungen über die erften Un 
fänge des Gildenweſens“ von O. Hartwig erwähnt, bie eim oft ange 
faßtes aber nie erledigtes Thema wieder aufnehmen und denen man außer 
der wiſſenſchaftlichen Haltung nicht beftreiten kann, daß fie die jchwierige 
Frage offenbar gefördert haben. — J. — 


Quehlen zur bayeriſchen und dentſchen Geſchichte. Herantg. 
auf Beſehl und Koſten Sr. Majeſtät bes Könige Maximilian II. VIIL Wr. 
U. u.d. T.: Quellen und Erdrterungen u. f.w. Quellen VIII. ®. 
Münden, 1860, bei Georg Franz. 418 ©. 8. 

Die größere Hälfte, 312 S., füllt Erhard Shürftab’s Be 
fhreibung tes erften markgräflichen Krieges gegen Nürn⸗ 
berg. Der Herr Herausgeber Joſeph Bader eörtert in emer Eim 
keitang vie Urfachen des Krieges und in einem Nachtrag ©. 132 — 144 





294 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Aus der Nachricht über die Thätigfeit der Commiſſion zur Heraus 
gabe der Acta Conciliorum entnehmen wir mit Vergnügen, daß ter Trud 
des Johannes de Segovia, welcher 2 Bände ausfüllen wird, im Herb 
v. J. beginnen konnte. 


Bfahler, Geſchichte der Deutfhen von ben älteſten Zeiten bid, 
auf unfere Tage. 5. %fg. Stuttgart, Gebr. Sceitlin, 1860. 1. ®b. ©. 321 
— 400. 8. 


Dr. 3. ©. X. Wirth, Gefhichte der Deutſchen, New burchgeichen 
und fortgefett bis auf bie Gegenwart von Dr. ®. Zimmermann. 4. Auf. 
In ca. 20 Pfgn. Stuttgart, Hoffmann, 1860. 1. Lg. 1. Bb. S. 1-%. 8. 


Mar Wirth, Deutihe Geſchichte von ber äftefien Zeit bie zur 
Gegenwart. 1. fg. Kranffurt a M, 1861. 1 ®b. 8. 1—112. 8. 


Sporſchill, Geſchichte der Dentfhen von den älteflen Zeiten is 
auf unfere Tage. 2. Aufl. Mit 1 Stahlfl. u. mehr als 100 eingebr. Holze 
ihn. Regensburg, Manz, 1859. 2. Hft. 1. Bb. ©. 145—272. 8. 


Dr. ®. Wachsmuth, Prof, Geſchichte deutſcher Rationalität. 
2 Th. A. u d. T.: Geſchichte der deutſchen Volksſtämme aus dem Geſichts⸗ 
puncte der Nationalität 1. Hälfte. Die Stämme niederdeutſcher Zunge u. bie 
Heflen. Braunfhweig, Schwetſchke u. Sohn, 1860 Vill, 8841 S. 8. 


G. Th. Dithmar, Deutfhes Hiftorienbud. Eine Sammlung von 
Erzählungen aus ber beutihen Geſchichte. 2. verm Ausg. Frankf. a. M., 
Brönner, 1860. XIV, 510 S. 8. 


Dr. Sr. Bülau, Brof., Die deutfhe Gefhichte in Bildern, nad 
Driginalzeihnungen deutſcher Künftler, mit erläuterndem Zerte. 2. Bd. Dree⸗ 
den, Meinhold, 1859 u. 60 4. 


Dr. ®. Buchner, Deutihe Ehrenhalle, bie großen Männer bes 
beutichen Volles in ihren Dentmalen. 8.- 10. Lig. Darmfladı, Köhler, 1860, 
©. 225 - 520. 8 


Georg Waitz, dentſche Berfaifungsgefhichte. 8. 8b. Kiel, Cru 
Somanı, 1860 X. 534 S. 8 

Waig’ deutſche Berfaffungsgeichichte ift aus tem immer mehr fid 
aufdrängenden Bebürfniß hervorgegangen, die feit C. Fr. Eichhorn's deut⸗ 
ſcher Staats⸗ und Reechtsgeſchichte weiter geführte wiſſenſchaftliche For⸗ 








296 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Litetatur von 1860. 


Hof und die Reichsverſammlung“ kehrt Die Betrachtung wieber zu: ben 
centralen Negierungsfunctionen zurück und vermweilt am längften bei ven 
Hofämterr und bei den Formen der Heichögejeßgebung. 

Nur weniges Einzelne läßt fid) hier aus fo reichhaltigen Stoff ker 
vorheben; wir wählen einige fchwierige und controverfe Themata aß, 
um die Anficht des bewährten Forſchers hierüber zu vernehmen. 

“ Im dem fchlieflihen Urtheil über Karl’8 des Großen Gejehgebung 
und Regierungsthätigfeit weichen befanntlih die Meinungen der neueren 
Hiftorifer weit von einander ab. Wait ftellt fie, feiner Methode auch hier 
getreu bleibend, in einer Anmerkung ©. 286 ff. zufammen ; fein eignes 
Urtheil aber Hält ſich vermittelnd zwiſchen den Gegenſätzen einfeitiger De 
wunberung und Berwerfung. „Karls Einrichtungen, fagt er, jchließen alle 
an altbegründete Verhältniſſe an, pre fie weiter bilden, nicht aufheben nd 
zerftören; fie zeigen das Streben in die Mannichfaltigleit und Regelloſigkeit 
ver Zuftänve eine beftimmte Ordnung zu bringen, — ber Macht ve 
Herrſchers neue Stügen zu geben; aber dieſe Macht, jo groß und durch⸗ 
greifend fie fein mochte, ging nicht darauf aus, den Willen und bie Will⸗ 
tür des Einzelnen zum Geſetz für vie Geſammtheit zu machen; fie bes 
wegte ſich innerhalb beftimmter Schranfen ; fte handelte, eben weil fte eime 
germanijche war ımb blieb, nur in Gemeinſchaft mit anderen berechtigten 
Gewalten; fie unterbrüdte nicht die Freiheit des Volles, fondern ließ ihr 
Raum der Bewegung in ven einzelnen Kreifen und &emeinven, über bie 
fie gewiffermaßen nur das weite Dach einer allgemeinen Reichsregierung 
zu breiten juchte; fie hatte, weil fte zugleich eine chriftliche fein wollte and 
fih auf's engfte mit der Kirche verband, das Heil des Bolls, die Erfül- 
fung nicht blos feiner fittlichen, auch feiner religiöfen Lebensaufgaben im 
Auge und fuchte beive nach dem Maß der jener Zeit gegebenen Einſicht 
zu löſen.“ 

Waitz nimmt Karl den Großen in Schu gegen ben gewöhnlichen 
Borwinf, daß er zu viel habe regieren und künſtlich fchaffen, ge 
waltfam das Volk in eine beftimmte Richtung habe führen wollen; doch 
ericheint auch ihm das Ziel, welches Karl und feine Freunde erftrebten, ” 
als ein verfehltes und unerreichbares, weil „es überhaupt unmöglich war, 
dem Geſetze aller ftaatlihen Entwidlung und beſonders der ber germani- 
ſchen Völker entgegen eine ftaatlich Kirchliche Gemeinfchaft aller in dem⸗ 
jelben Glauben und unter derſelben Herrihaft vereinigten Nationen zu 





Dentfhe Gedichte. 227 


keründen unb auf die Dauer zu fihern.” Und hiemit ift gewiß das Rich⸗ 
te getroffen, wiewohl auch Diejenigen nicht irren, welche eben deßhalb 
kan, daß Karl in der Richtung einer unausführbaren Idee zu viel ge- 
welt und tem pelitiichen Leben der Bölfer Gewalt angethban habe. Ein 
Jmbum wäre ed nur, zu glauben, daß chne ven Durchgangspunkt der 
Reiche gemeinſchaft wie der kirchlichen Bereinigung, welcher Karls des 
Orejen Regierung bezeichnet, die Entwidlung ver romaniſchen und ger- 
nanijchen Kationen eine erjprießlichere gewejen wäre. — 

Die Einziehung und Verleihung von Kirchengut ald Benefictum durch 
die carelingifchen Herricher war befanntlic von großer Bedeutung für bie 
Unstiivuny des Lehenweſens. BP. Roth hat in jeiner Geichichte des Be- 
aehcialmejeu® gegen Die herlömmliche Meinung, dag der hauptſächliche 
Exgriff in das Kirchengut duch Karl Martell gejchehen fei, und daß 
zehn Söhne, Karlmann und Pippin, der Kirche einen Theil des Raubes 
ærũckgegeben hätten, bie Anficht aufgejtellt, daß bie Sücularijation des 
Kichenzuts im Öegentheil erft durch die Söhne Karl Martell's erfolgt 
ki Baig vertheidigt tm erften Abjchnitt dieſes Bandes (5. 15 ff. 35 ff.) 
ze ältere Auffaflung, wie er dies auch ſchon in jeiner Abhandlung über 
ve Anjänge ver Bafjallität gethan hat. Bei ver Theilung des Kirchens 
gi, wie fie Karlmann's Capitulare von Piftinä 743 und Pippin’s von 
Enenſiones 744 beitimmt, jei nicht von ver Einziehung, fontern vielmehr 
zen ver Rückgabe eines Theils des jeit Karl Martell's Regierung einges 
ggmen und in weltliche Hände übergegangenen Kirchenguts vie Rebe. 
„Die Maßregeln Karlmann's und PBippin’s, jagt er, haben nur Sinn und 
Bevemtung dadurch, daß das Kirchengut ſich vorher jo gut wie vollftän- 
Ri in den Händen ver Weitlichen befand;“ aljo nicht eine Verjchlimmes 
zung für Die Rage der Stiche fieht W. darin, ſondern im Gegentheil eine 
Berkeilerung. 

Auch mir jcheint Roth zu weit zu gehen in dem Eifer, womit er 
Kl Martell gegen jeinen ungeblihen Verläumder und „Fälſcher“ 
hiacmar in Schug nimmt; gibt er doch jelbft nachher wieder die Haupt⸗ 
sche zu: „Karl Martell behandelte die Kirche ebenſo gewaltſam, wie 
ke Söhne, jein Verfahren war ſogar nadtheiliger, indem es von einer 
zöfigen Auflöjung der Kirchenzucht begleitet war"; denn er wernichtete 
Be Selbſtſtändigkeit der Kirche, vergab die Bisthümer an Yaien oder ließ 
je mubeiegt; aber, meint Roth, dies war doch feine Säcularifation, keine 

15* 





228 Ueberficht ber Hiflorifchen Literatur von 1860. 


gejelihe und allgemeine Einziehung eine® Theild des Kirchenguts durch 
ven Staat, und, fügt er weiter hinzu, es beburfte derſelben auch nicht, 
„ba die verweltlichten Bijchöfe unter Karl Martell den Bedürfniſſen ver 
Regierung durch große freiwillige VBergabungen entgegen famen“ (Geld). 
des Beneficialweſens ©. 333 f.). Alfo auch nad) dieſer Auffeffung wäre 
doch der frühere Zuftand vor der divisio, wenn ich Roth recht verftche, 
der jchlimmere für die Kirche geweſen; denn Karl Martell verfügte Lieber 
ganz nah Willfür über die geiftlihden Stellen und das gefammte Kir⸗ 
chengut, als daß er, wie feine Söhne, eine gefeliche Theilung mit ber 
Kirche vorgenommen hätte, 

Dennoch jagt Roth von diefer divisio: „fie war in jeder Hinficht 
ein Gewaltftreih, dem ſich die Kirche fügte” (a. a. D. ©. 315); aber 
er berichtigt fich weiterhin felbft wieder, wenn er in dieſer Maßregel viel» 
mehr ein Compronig zwiſchen Kirche und Staat erfennt und fie info 
fern für gerechtfertigt erklaͤrt, als bie Geiſtlichkeit im Allgemeinen bei⸗ 
ſtimmte, wie denn auch nirgends eine Spur eines Proteſtes von Boni⸗ 
facius dagegen zu finden ſei (S. 359). Mit dieſer letzteren Auffaſſung 
von Roth ſtimmen wir ganz überein; nur daß auch mir, gleichwie Waitz, 
der von Roth gebrauchte Ausdruck Säculariſation mißfällt, da doch ſelbſt 
für den von der weltlichen Gewalt zurückbehaltenen Theil des Kirchen⸗ 
guts Das Eigenthumsrecht der Kirche durch Precarium und Zins aus—⸗ 
drücklich anerkannt wurde. Und wie großen Werth die Kirche gerade 
hierauf legte, erhellt aus der hierauf bezüglichen Aeußerung des Papſtes 
Zacharias in ſeinem Brief an Bonifaz (Bon. Ep. ed. Giles No. 60, 
Würdtwein No. 87), worin er ſich höchſt erfreut und dankbar darüber aus⸗ 
ſpricht, daß Bontfacius Died wenigſtens durchgeſetzt habe. 

Es iſt hier nicht der Ort, näher auf den Gegenſtand einzugehen; 
nur ſo viel ſei noch bemerkt, daß ich übrigens Waitz nicht beipflichten 
kann, wenn er die auf das Kirchengut bezüglichen Beſtimmungen der 
Synode von Soiſſons für gleichbedeutend hält mit denen der Synode 
von Leſtines; ich hege vielmehr die Anſicht, daß das Verfahren des kirch⸗ 
Mlich geſinnten Karlmann und das von Pippin, der bie kirchlichen Dinge 
nur nad) politiſcher Zweckmäßigkeit behandelte, auch in Beziehung auf 
das Kirchengut ein verfchievenes war. Gleich auf dem erften concilium 
Germanicum von 742, wozu Karlmann den Bonifaz und feine Mitbis 
jchöfe berief, konnte ex von fig rühmen: Et fraudatas peounias eccle- 





Deutiche Gefchichte. 229 


serum restituimus et reddidimus. “Daß aber Pippin noch eine Zeit lang 
Fe auf Karl Martell's Wegen fortging, beweijen vie Fälle, welde Roth 
2. 337 ff. aufgeführt hat, wenn auch nicht alle gerade nur auf Pippin 
mat nicht auch auf Karl Martell zu beziehen wären. Erſt jpäter im 9: 750, 
mean wir ten Ann Bertiniani Ölauben jchenfen wollen, verſprach Pip- 
pa tem Bonifaz eine allgemeine Keftitution an die Bisthümer; vamals 
wwerbantelte er mit tem Papft über die Errichtung feines neuen König— 
kame; in tem Gapitular von Soiffens 744 ift nur erſt von dem noth- 
tärttigen Unterhalt ver Mönde und Nonnen die Rede. — 

3m Gegenjag zu den überſchwänglichen Vorjtellungen, ven „Phan⸗ 
sen“ von Öfrörer und Leo über Bonifacius’ Berbienfte um tie Eini- 
ganz des deutſchen Volkes, macht Waig die fehr richtige Bemerkung 
S. 41), Daß „die kirchlichen Inftitutionen, welche Bonifacius in's Leben 
rief, vielmehr jelbit erft möglich wurden durch das, was vie fränfifchen 
Fürften eben damals in neuen Kriegen gegen bie beutjchen Herzoge er- 
rengen batten, und daß fie nachher nur dazu beitrugen, das Gewonnene 
a fichern und ihm eine weitere Berentung zu geben”; und was die an: 
geblich durch Bonifacius hergeftellte deutſche Kircheneinheit betrifft, meiet 
er auf vie Thatſache hin, daß dem Erzbisthum tes Bonifactus in Mainz 
die Bisthümer ven Bayern und Alemannien nicht untergeben waren (j. 
uch meinen Bortrag über vie Einführung des Chriftenthums bei ben 
Germanen S. 21 mıd Note ©. 3°). — 

Tas große Ereigniß ver Errichtung des zweiten fränfiichen König- 
thums möchte Waitz (S. 67) nicht als eine Thronrevolution, jondern nur 
als ven Abſchluß einer Entwicklung, welde vor einem Jahrhundert be> 
zennen, bezeichnen. Bei ter Unbeſtimmtheit dieſes Auspruds läßt ſich 
nicht wohl über die Sache ftreiten, der Abſchluß war eben bie Thronver⸗ 
änterung. (Nur das Citat: Hegel, Stäbteverf. I. ©. 209 ift zu berich⸗ 
tigen in Hegel, Tortrag Über vie Einführung des Chriſtenthums ꝛc. ©. 21.) 
Yu Betreff ver Mitwirkung des Bonifacius bei diejem Ereigniß beſchränkt 
sh Waitz auf die Bemerkung, daß es bei der Stellung, welche Bonifaz 
aznahın, kaum wahricheinlich fer, daß eine Angelegenheit von viejer Be⸗ 
deutung ihm fremd geblieben (5. 60); und geſtützt auf ben fpäteren 
Sexicht ver Ann. Laur. maj. nimmt W. auch die Anmejenheit und Bes 
theiligung des Bonifaz bei der Salbung Pippin’s an. Doch fteht dem 
Zengniß der Loricher Annalen das Schweigen des näher ftehenden Willi- 


230 Meberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


bald im Leben des Bonifaz gegenüber; od) mehr Gewicht lege ich aber 
mit Nettberg, was die Stellung des Bonifaz zu Pippin angeht, auf feine 
beiden faft gleichzeitigen Briefe an ven Abt Fulrad von St. Denys und 
an den König Pippin ſelbſt v. 9. 752 (Ep. 79, 80 bei G., 90 u. 91 
bei W.) Mag Bonifacius an der Salbung Theil genommen haben, we⸗ 
nigftens an eine einflußreihe Stellung bei Pippin und an eine weſent⸗ 
liche Mitwirkung bei deſſen Thronerhebung ift im Hinklid auf dieſe Briefe 
unmöglich zu denken. Doc möchte ich auf der anderen Seite ebenjo we⸗ 
nig der weiter gehenden Bermuthung Rettberg's beiftunmen, daß Bonifaz 
ber Thronerhebung Pippin's entgegengewirkt habe, die Sentung des Pullus 
im 9. 751 an ven Papſt Hatte, wie aus dem Schreiben des letzteren 
(Ep. 76 G.) hervorgeht, eine ganz andere Abſicht, und Bonifacius hatte 
nach feiner ganzen Sinnesrichtung und der Art feiner Wirkſamkeit mit ver 
Politik des fränfifchen Königs gar nichts zu Schaffen; nur dem kirchlich 
gefinnten Karlmann ftand er nah; zu Pippin trat er nie in ein ähnliches 
Verhältniß. 

Völlig erſchöpfend handelt Waitz S. 169 ff. von der Aufrichtung 
des Kaiſerthums durch Karl den Großen. Alle Momente, welche hierbei 
zuſammen wirkten: die thatſächliche Macht des fränkiſchen Herrſchers, die 
ſtaatsrechtlichen und kirchlichen Ideen der Zeit, die äußeren politiſchen Be- 
ziehungen werden nach einander vorgeführt und bringen die Ueberzeugung 
hervor, daß die ganze Lage der Dinge auf dieſes Ereigniß als auf einen 
nothwendigen Abſchluß der bisherigen Entwicklung des fränkiſchen Reichs, 
wie der Regierung Karls des Großen ſelbſt, hindrängte. Ueber die Kai⸗ 
ſerkrönung ſagt Waitz S. 173: „Es ſcheint, daß von den Geiſtlichen in 
Karls Umgebung der Gedanke ausging, den dann der Papſt aufnahm 
und zur Ausführung brachte,“ und er will auch die Verſicherung Ein⸗ 
hard's, daß Karl auf den Vorgang am Weihnachtstage 800 nicht vor⸗ 
bereitet geweſen, nicht in Zweifel ziehen, freilich nur in dem Sinne, „daß 
der König an dem Tage überraſcht warb”; denn daß er ſich ſchon vorher 
mit dem Plane trug, ſei nicht zu bezweifeln. Auch hier, wie überall, 
zeigt der beſonnene Hiſtoriker dieſelbe Zurückhaltung und Vorſicht im Ur⸗ 
theil, indem er im Hinzuthun eiguer Combination ſich auf das Natürliche 
und Nächſtliegende beſchränkt; er will nicht die authentiichen Zeugniffe be- 
richtigen, jondern fie ergänzen und verbinden. Effectvoller und verführert- 
ſcher ift freilich die andre Methode, geiftreihen Einfällen zu Liebe, aus 


1 


mu om — as — 





Deuiſche Geſchichte. 231 


a Uuellen oft gerade das Gegentheil von dem, was fie ſagen, zu inter⸗ 
meiiren, aber um jo unfruchtbarer für wirkliche Hiftorifche Einficht und 
Scdzung. — 

Su dem folgenden 4. Bande, ber die carolingifche Zeit abſchließen 
wat, veripricht Waitz noch beſonders zu betrachten: die Finanzverwaltung, 
bed Heerweien, womit die Berhältnijfe ver Baffallität, und das Gerichts- 
aden, wemit bie ter Immunität in Verbindung ſtehen. Man wird dort 
see Zweifel noch mehr Einblid in das innere Verfaſſungsleben gewin- 
mm. während und bier mehr nur die äußeren Kegierungsformen dargelegt 
merden find. Rachdem man bie Iuflitutionen in Form und Bedeutung 
immen gelernt bat, verlangt man zu wiffen, wie fie wirkten, und warum 
3 ie wirkten? ob jie vie Abficht des Geſetzgebers erfüllten oder zu anderen 
Egknifien führten? Namentlich die Baffallität und die Immunität ent- 
halten Tie Keime der künftigen Entwidlung der politiſchen und kirchlichen 
Xcichsverfaffung, melde ung Wait gleichfalls noch ausführen will. 

K. Hegel. 


Dr. 4. v. Daniels, Obertribunalrath, Handbuch ber beutfhen 
Reichs⸗ und Gtaatenrehtsgefhichte. 1. Theil, Tübingen, 1859 &.597. 
2 Theil. Band 1, 1860. ©. 548. 8. 

Im Plane des Verfaſſers liegt es, in 4 Bänden eine Geſchichte ber 
SHrung des deutſchen Reichs und jeiner Territorien, fowie des in den⸗ 
jeben erwachjenen öffentlichen Rechts zu liefern. Der bereits im I. 1859 
ajchienene erfte Theil enthält von S. 12— 107 einen Abriß ver Schid- 
iele ver verſchiedenen germanifchen Völkerſchaften bis zur Auflöfung des 
gehen Träntijchen Heiches, und von S. 313—597 eine Darftellung des 
Sefjetfungsredhts Bis zu biejem Zeitpunkt. S. 107— 313, alſo volle 
Kr) Seiten, nimmt eine ſehr ausführliche Unterjuchung über bie alten 
Beilsrehte und die fränkischen Reichsgeſetze ein, bei welcher fid) vieles 
game kürzer fallen laſſen. In einer Reihe von Lehren ftellt ver Verf. 
nme Anfichten auf, gibt fi aber zuweilen gewiß aud) unnöthigen Be- 
venlen hin, 3, DB. wenn er S. 10% meint, die Aechtheit der Germania 
BB Tacitus fei „nicht über Zweifel erhaben“, es könne jie möglicherweiſe 
am beuticher Fiterat nachträglich fakricirt haben (!). Die bier und ba 
seriuchten Etymologien, 3. B. ©. 52 Alamannen von alu. manig, ©. 51 
üxanlen von vringen, vrangen, ©. 560 Sceffen von jhauen, S. 17 


232 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Germanen von dem Iateinijchen germanus, find ebenfall® nicht glädfich 
zu nennen. 

Des zweiten Theiles erfter Band, welcher auf allen 544 Seiten bie 
unnöthige Weberjchrift „Einleitung“ trägt, enthält von S. 3 — 229 eine 
Aufzählung der Quellen für Geichichte des deutſchen Reichs und ber ein 
zelnen Reichsländer, fowie ter darauf bezüglichen Literatur. Auch bie 
zu irgend einer Zeit mit dem deutſchen Reich in Verbindung oder Bes 
ziehung geweſenen Länder, und dahin gehören freilich foft alle Staaten 
Europa’s, find berüdfichtig.. ©. 229 bis zum Schluß folgt dann eime 
„ſynchroniſtiſche Ueberſicht der Reichs⸗ und Stantengeihichte” vom $. 
887— 1272, deren Yortjegung bis auf unfere Zeit einen folgenden Baud 
füllen wird. Wir glauben, daß fi) namentlich gegen den Werth vieler 
Pſeudo⸗Regeſten Bieles wird einwenven laſſen. F. Th. 


Dr. 30. Fror Schulte, Brof., Lehrbuch der dentſchen Reicht⸗ 
und Rechtsgeſchichte. In 3 Lfgn. Gtuttgart, Nitzſchle, 1860. 1. Mg. 
VI, 1466 8. 


Geſchichte des deutſchen Rechte, in 6 Bänden. Bearbeitet von ©. 
Befeler, H. Hälſchner, 3.8. Bland, A. 2. Richter u. DO. Stobbe 
1. Bd. In 2 Abthl. Braunfchweig, 1860. 8. 


Inhalt: Geſchichte ber beutichen Rechtsquellen. Bearb. von D. Gtobbe. 
1. Abthl. XI, 655 ©. 


Dr. 9. Zöpfl, Prof., AlterthHämer bes deutſchen Reicht und 
Rechts. 1. Bb. Leipzig m. Heidelberg, 1860. ©. 398. 8. 2. Gh. chem 
daſ. S. 499. 

Diefe beiden Bände, welchen nod ein britter nachfolgen fol, verei- 
nigen eine Anzahl von Abhandlungen, Recenfionen und Urkunden, welde 
vom Berf. bereits früher in verjchievenen Zeitfchriften zum Abdruck ge 
bracht worden waren; fie enthalten aber aud ein gutes Theil neuer Un- 
terſuchungen. Zu ben letzteren gehört eine umfangreiche Ausführung in 
Bd. 1, welde darthun fol, daß der deutſche Herrenſtand“ feine „Wiege“ 
in den Dinghöfen gehabt habe, und daß tiefe Tinghöfe „Ausgangspunkt“ 
oder „eriter Ausgangspunkt“ ver Landesherrlichkeit geweien fein, das 
ſoll heißen, daß fih aus bloßen Grundbeſitzern wirflide Obrigleiten, 
Grafſchaften, Fürſtenthümer gebilvet hätten. ‘Der Verf. verfpridht in ver 
Aufichrift, dieß an einem beſtimmten Beifpiel, an dem Dinghof der Her⸗ 


—— NG 





Dentſche Geſchichte. 233 


ren Bödlin von Bödlinsau zu Ebersheim im Elfaß nachweiſen zu wollen, 
hiuft aber ſtatt deſſen aus anderen namentlich eljafliichen Weisthümern, 
and Urfunten, Rechtsbüchern, Capitularien, fo viele Argumente, daß 
er ſeines Beiſpiels faft darüber vergigt. Die geitellte Aufgabe zerfiel 
jachgemäß in zwei Theile, einmal darzuthun, welde Natur die Dinghöfe 
batten, ehe fie in Landesherrlichkeit umſchlugen, und dann durch welche 
Uriachen und wann ſich vie Landesherrlichkeit daraus entwidelt habe. Der 
Berfaffer hat aber viele Fragen keineswegs jcharf gejonvert, und bei ber 
Beweisführung überhaupt fo wenig Syſtem angewandt, daß es fehr ſchwer 
wird zu ermitteln, worauf feine Annahnıen binauslaufen. S. 132—170 
wird um wejentlichen richtig aber unvollftändig ausgeführt, daß nach frü⸗ 
berem deutſchen Recht ein Eigenthlimer, welcher gegen Zins an linfreie 
eder Freie Lant zum Bauen überließ, berechtigt war, biefen Zins ohne 
Hilfr̃e des Boltsrichters mittelit Pfändung beizutreiben, daß über bie 
Erreitigfeiten zwiſchen Eigenthümer und Zinsbauer die Geſammtheit ber 
Zinsbauern (Hubner, Hofhörigen) oder eine ausgewählte Zahl verjelben 
ı Scheifen) urtheilten, ebenfalls ohne Dazwiſchenkunft des Volksgerichts 
=. ſ. w., wie dieß Alles in ähnlicher Weife auch bei Streitigfeiten zwi⸗ 
ſchen Lehnherr und Bafallen ver Fall war. Obwohl der Verf. ©. 66 
jelbſt zugefteht, daß es „Leine“ Dinghöfe gegeben babe, bei welchen ſich 
tie Gerichtsbarkeit des Herrn hierauf beichränft habe, fo ftellt er tod) 
tie durchaus neue Anficht auf, die Befugniffe des Hofherrn feien in der 
Regel (Ausnahmen erklärten fih aus einem fpäteren Sinken ver Bedeu⸗ 
tung ver betr. Dinghöfe, ©. 11 u. 162) urjprünglidy weiter gegangen. 
Er babe das Recht gehabt, auf frevelbafte Handlungen irgend welcher 
Art eder rechtöwibrige Unterlaffungen der Hubner Geldſtrafen zu ſetzen 
(5. 22), und zwar bis zu 30 Scillingen, aljo der Hälfte des Könige: 
banns (S. 26 u. 27); er jei berechtigt gemweien, wenn ver König ben 
Heerbann verfündigte, feine Hinterjafien (auch die unfrein?) als ihr Se- 
wier ammführen (S. 19), mas ſich fpäter in ein Beſteuerungsrecht um- 
wantelte (5. 20). Namentlich aber habe dem Herrn die Gerichtsbar⸗ 
keit in allen bürgerlichen und in ven meiften Strafjachen zugeftanden 
(S. 11 — 13), mit Ausnahme nur ter jog. vier hohen Rügen, 
nämlich Nothzucht, Diekftahl, Mord und biutende Wunden (5. 66), in 
welchen Fällen ver Verbrecher an das gewöhnliche Gericht des Grafen 
Gabe abgeliefert werden müflen (S. 70). Den auf handhafter That er» 


234 Meberficht der hiſtoeriſchen Literatur won 1860. 


griffenen abzunrtheilen und jelbft ben Tod über ihn zu verhängen, jet 
jedoch zur niedern (!) Gerichtsbarkeit gerechnet worden, unb baber auch 
dem Dinghofherrn zugelommen (S. 75), was fi jedoch jeit dem 14. 
Sahrhundert geändert babe (!) (S. 78). Dieje hofherrliche Jurisdiction 
treffe überein mit derjenigen ber alten Zentgrafen (bevor ſich das Zent- 
gericht im 12. Jahrh. zu einem eigentlichen Criminalgericht umbildete, 
(S. 74), ſei ihr coorbinirt gemejen (S. 70 u. 74). Die Oüter ver 
weltlichen Hofherren hätten aljo einen Immunitätsbezirk ausgemacht, wie, 
vermöge königlicher Privilegien, vie Befigungen ber Kirchen (S. 11 u. 39). 

Den Beweis für dieje feine Behauptungen ift ber Verf. durchgängig 
ſchuldig geblieben. Daß die Privatbefigungen weltlicher Herren Immmmi⸗ 
tät genoffen hätten, läßt ſich doch nicht mit Beiſpielen darthun, wo ber 
Eigenthümer nicht ein weltlicher Herr, fondern eine vom König mit Im⸗ 
munität oder gar mit Grafſchaft bejchentte bifchöfliche over klöſterliche 
Kirche iſt. Und doc benutzt folhe ver Verfaſſer überall für feine Be 
weisführung, wie er auch nicht weiter darnach fragt, ob ber weltliche 
Inhaber eines Dinghofs dieſen zu eigen bat, und nicht etwa von einem 
mit Immunität oder Grafichaftsredyten beſchenkten Biſchof, Abt ober 
Propft zu Lehen trägt. So wird S. 13 zum Beweis, daß in manden 
„Dinghöfen“ über Hals und Haupt geurtheilt worden fei, ein Weiätkem 
v. 3. 1482 über die Dörfer. Hornau und Kelchhein im Naſſauiſchen, 
gebrudt bei Grimm, 1, 561, anggogen; allein das dortige Gericht der Herren 
von Erpenftein war nicht ein grunpherrliches, jondern Immunitäte » ober 
Grafſchaftsgericht einer Kirche, nämlich des St. Bartholomänsftifts zu 
Frankfurt, von weldhen die Eppenfteiner feit dem I. 1367 Vogtei und 
Blutbann zu Lehen trugen (Böhmer, cod. dipl. Moenofr. p. 723). Dies 
ſes Weisthyum muß auch ferner S. 19 ven Beweis, und zwar ben ein» 
zigen, dafür abgeben, daß bie Hofhörigen Landfolge hätten leiiten müſſen. 

Eigenthümlich ift, wie nun der Verfaſſer weiter ausführt, in welcher 
Art die Dinghöfe Wiege des Herrenftandes geworden jeien. Seit Ent- 
ftehung der Fräukiſchen Monarchie jei das urſprünglich allen freien 
Grundbeſitzern zugeftanvene Immunitätsrecht für ihre Haus eingeſchränkt 
worden auf die größeren und edlen (deren es aljo ſchon uranfünglich vor 
Eriftenz ver Dinghöfe gab), Grundbeſitzer, und bei dieſen zugleich ausgedehnt auf 
ihr ganzes gejchloffened Grundeigenthum (S. 40 und 111). Diefe Be⸗ 
vorzugten jeien fo zum Stand geworben, domini terrae un alten Siun 


Dertſche Geſchichte. 235 


anmer, deren auszeichnendes Vorrecht gemeien jet auf ten Reichstagen 
a eribeinen. (S. 88 u. 2395. Tieier Stand babe im 13. Jahrbun- 
tert feinen Abſchluß gefimden; wenn einige ter freien Herren nachber 
rarch Femiglihe Belohnung größere Rechte erlangten als ibre alte Im⸗ 
mitãt in fich ſchleß, jo thue dieß tem Stantesrecht rer übrigen feinen 
Akbruch /S. 106 unt 67): auch dadurch ſei daſſelbe nicht für fie vers 
teren gegamgen, daß fie ven ihrem Recht, auf ten Reichstagen zu er- 
iceinen, keinen Gebrauch mehr machten (S. 89). Wenn e8 jih alle 
für eine Familie, z. B. tie Bödlin ven Böcklinsan, um ten Nachweis 
wer ASugebcrigleit zum hohen Adel handle, jo brauche nur erwieſen zu 
werten, daß fie (aber Doch wohl ver tem 13. Jahrhundert!) einen 
Tmgbef mit Immunität als Allod bejeilen habe, ver Nachweis der geüb- 
en Reicheſtandſchaft ſei erlaffen () (S. 106 unt 239). 

Wo erbringt nun aber ver Verfafler wenigftend ten aud nach fei- 
zer eignen Iheorie nöthigen Beweis, daß vie Böcklin von Böcklinsau, 
re Den Dinghof zu Ebersheim, dem Anjchein nach jeit dem 17. Jahrh., 
rem Klefter Ersheim zu Lehen tragen (5. 241), vor tem 13. Jahrh. 
allediale Beliger deſſelben gemeien fein? Darnach forſcht man vergebene. 

Nech ſeltſamer ſind die für Entwicklung der Landeshoheit aus Pri- 
eatgrumnbejitrechten beigebrachten Gründe. Wir überlaſſen, weil der ver⸗ 
gennte Raum ein mehreres nicht geſtattet, unſeren Leſern, auf S. 80, 
57, 38, 68, 123, 124, 324 und 355 ſelbſt nachzulefen. Wir würden 
auch Die Übrigen Aufftellungen ves Berfaffers nicht jo ins Einzelne verfolgt 
baden, wenn er nicht (©. 304) ausdrücklich darauf hinzumeijen für gut fände, 
ak tietelken für tie rechtliche Stellung ver mediatiſirten Gerichtäherren 
ven hohem und nieverm Adel in der Gegenwart „ven größter Bedeu⸗ 
ung“ werten fünnten Es erſcheint in Teiner Weiſe wünſchenswerth, ir- 
gendwo imglüdliche Illuſionen anftonmen zu laſſen. Auf die zahlreichen 
Unrichtigkeiten, tie fich im dem Aufſatz vorfinden, ift bereits von Konr. 
Maurer in ter Krit. Vierteljahrejchrift, 1860, S. 269 im Einzelnen 
eufmerfiam gemacht worden; wir notiven unter andern noch Die irrigen 
Erflirungen ven gescheid (5. 12), von wortzins (5. 131), von ban- 
nes allodii als „lateiniſcher“ Ueberſetzung von Eigengerichtsbarkeit (S. 47), 
ven ..emf rechten vnversprochen mannen* (S. 322), da zu lejen ift: 
„wufrechten“ v. m., das heißt aufrichtigen, ftraden, geraten, rechtlich ge⸗ 
finnten Penten, vgl. Grimm, deutſches Wörterb, „aufrecht“. F, Th, 


336 Ueberficht ber hifterifchen Literatur von 1860. 


Friedrich Thndihum, Die Sau- und Marktverfeffung im 
Dentfhland Gießen, 1860. ©. 344. 8. 

Diejes Wert iſt ver Beachtung von Seiten der Germaniften im bo» 
ben rate zu empfehlen, weil ver Herr Berf. auf Grund feiner umfang» 
reihen Forſchungen in größtentheil® ungebrudten Urkunden und ardiva- 
liſchen Ueberlieferungen in principiellen Fragen Säge aufftellt und zu bes 
gründen fucht, welche mit den ehren ber berufenften Rechtshiſtoriler im 
erflärtem Widerſpruche ftehen. Es verbietet und leider der knapp zuge⸗ 
mefiene Raum des Näheren auf den Inhalt dieſes ſchon um der Neuheit 
des darin enthaltenen Materials willen höchſt interejlanten Buches einzu 
gehen, wir wünſchen aber, daß dasſelbe von ganz competenten Seiten ber 
einer kritiſchen Beiprechung fich zu erfreuen haben möge, veren es im 
Intereſſe ver Fortbildung unſerer teutichrechtlichen Kenntniffe durchaus 
würdig if. Se ftellt der Verfaſſer, um nur ein paar Bunte bervorzu- 
beben, in erften Theile die zwar nicht neue, aber doch nicht zum Durch⸗ 
bruche gelommene Behauptung auf, daß es ein Gauding, bei weldem 
alle freien Einwohner des großen Gaues — Deutichland zerfällt nemlich 
nad dem Berfafler bereits im 8. Jahrhunderte in einige Hundert großer 
Bezirke (große Gaue), weldye felbft wieder durchgehends in Kleinere Be 
zirfe (Untergaue, Zenten) getheilt find, von denen jever aus durchſchnitt⸗ 
ih 12 Ortsgemeinten (Torf« oder Bauerjchaften) befteht; vielen terri- 
torialen Volksverbänden kommt auch eine verfchievene politifche Bedeutung 
zu — zu erjcheinen verpflichtet geweſen feien, niemals gegeben habe, weder 
vor Karl dem Großen noch nad dieſem. Vielmehr jeien die ungehotenen 
Zentdinge zu allen Zeiten bie regelmäßigen Verſammlungen aller Freien 
gewejen; an ber altehrwürbigen Maljtätte jeder Zent fei unter dem Vor⸗ 
fige des großen Gaugrafen, welcher daher von einer Zent zur andern 
innerhalb feiner Grafſchaft umberzog, über alle ſchweren Verbrechen oder 
Bergehen, Yreiheit, Rechtsfähigkeit und Örunbeigenthun gerichtlich ver⸗ 
handelt und entjchieden worden. 

Ter Zentenar habe nur in den fogenannten wöchentlichen Gerichten, 
wo über die geringeren Sachen erkannt wurde, den Vorfig geführt. Bon 
einer Aenderung ter Gerichtsbarkeitsverhältniſſe will unfer Autor gar 
nichts bemerkt haben, fo daß er dem Beweis zu führen unternimmt, „daß 
Zent und Grafſchaft, Zentgericht und Pandgeriht, Zentgraf und Yand- 
richter, Zenticheffe und Land« over Bergicheffe, Zentvolt und Landvolk 





Deutſche Geſchichte. 237 


eines und dasſelbe ſeien“. Der Unterſchied, welchen die Rechtshiſtoriker 
bezũglich ter „Landgerichte“ und „Zentgerichte“ ſtatuiren, beruht nach 
Thurihem nur in einer Verwechslung der Conpetenz des Zentgerichts 
mit ter Amtsgewalt tes Zentgrafen: alle Zentgerichte hatten höhere 
uup miedere Gerichtsbarkeit, je nachdem fie vom füniglichen Grafen ober 
ren Tem durch dieſen legteren ernannten Zentenar abgehalten wurden; 
Landgerichte, welche über ven Zentgerichten geſtanden und beziehungs- 
weile an von dieſen leßteren verſchiedenen Malftätten abgehalten werben 
feien, Habe es gar nie gegeben. — Schon dieſer eine Punkt wirb zwei⸗ 
felle® erheblichen Widerſpruch erfahren. Wir find einverftanden mit dem 
Sage, daß es feine ſogenannte „Gaudinge“ gegeben habe, und halten 
dafñr, daß die angeblihe Aenderung Karl's des Großen fid) Darauf bes 
ſchränkte, daß er alle wichtigeren Criminal» und Civilrechtsſachen aus« 
ihlieklih der Eompetenz tes Grafen unterftelltee Aber ver Meinung, 
ls feien tie Zentgerichte allzeit die alleinigen Öerichtsftätten geblieben, 
innen wir ums nicht anjchliegen. Um von anbern Bebenfen zu 
fhweigen, jo müßte doch vor Allen die Stelle des befannten Utinenfijchen 
Reichögeieged von 1232 ‚item ad centas nullus synodalis vocetur“ 
im befrietigenter Weije bejeitigt werten, was aber der Herr Verf. gar 
zicht gethan habe, Synodalis heißt ſendbarfrei (corrumpirt, „ſemperfrei“), 
ihöffenbarfrei. Wenn nun ber Kaiſer befiehlt, es dürfen vie jentbars 
freien Lente nicht zu ten Zentgerichten gerufen werben, jo muß es für 
Mejelben doch offenbar andere Gerichte gegeben haben, welche nicht Zen—⸗ 
ven hießen und eine jubjective höhere Competenz hatten als dieſe. Wir 
halten darum für die Zeit des 13. Jahyr)yunderts vorerjt noch feit an 
dem Gegenjage von Yandgerichten ala den höheren und Zentgerichten als 
ten nieberen Gerichten eines Territoriums, injoferne als bei jenen über die 
Rechtsſachen ter Schöffenbarfreien allein, bei diejen über tie der per» 
ienlich freien, aber tinglih abhängigen Leute entjchieren wurde. Die 
Aenterung, welche in ven Gerichtsbarkeitsverhältniſſen eingetreten ift, liegt 
nach unjerem Dafürhalten tarin, daß früherhin die Competenz ver Ges 
rihte nach ter causa fich beftinmmte, — intem für tie wichtigeren Seas 
hen nur ber große Gaugraf, für die geringeren aber der Zentenar comes 
petent war —, jpäter uber nach dem Stante der Parteien, jo daß man 
keinen Unterſchied mehr machte zwilchen den causae majores und minores 
fendern beim Lanbgerichte und beim Zentgerichte gleihmäßig über beide 


2838 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


entſchied, dort aber nur in Sachen ver Schöffenbarfreien, hier ia Sachen 
der übrigen Gerichtöpflichtigen.. Soviel läßt fih and ven Reichsgeſetzen 
und Rechtöbüchern des 13. Jahrhunderts zur Genüge erfennen. 

In der zweiten Abtheilung feines Werkes führt Thudichum im fehr 
anichaulicher Weife die Behauptung durch, daß Zent und Mark ſich decken 
(„eve Zent ift eine Mark“), daß aus der Zentalmeinde erft vie Dorfe 
almeinde und aus dieſer das Sonbereigen im Laufe ver Zeiten ſich ab» 
gelöst habe. Zuerft ging nach der Völkerwanderung das Zentackerland 
in ben Beſitz der einzelnen Dorfichaften über; dann folgen einzelne Wie 
fen- und Weideflächen, ſelbſt Waldſtücke: das Uebrige aber, Wald, Waf- 
fer umd Weide, blieb Zentalmeinde, bis im jpäteren Mittelalter die Zeut⸗ 
alnıeinden allmälig in Dorfalmeinven oder in landesherrliches und Pri⸗ 
vateigenthbum verwandelt wurden. Die Geſchichte ver Ausbildung des 
Sondereigenthbums an Grund und Boden, fowie der Jagd und Fiſcherei, 
die Abjchnitte über vie Gemeinde und über das Eigenthum an der Al 
meinde find reich au polemifirenden Bemerkungen und jelbftitändigen 
Rechtsausführungen. B. 


Ed. Oſenbruggen, Prof., Das alamanniſche Sttrafrecht 
im dentſchen Mittelalter. Schaffhauſen, 1860. ©. 419. 8. 

Da die von Wilda bereitS vor Jahrzehnten begonnene Geſchichte des 
Germauiſchen Strafrechts bein erften Bande unvollenvet ftille ftehen 
mußte, fo unternimmt e8 ber Berfajler des vorliegenden Werkes, viefe 
Geſchichte nah Wilda's Syſtem theilweiſe durch's Mittelalter bis auf 
die neuere Zeit berabzuführen. Die Beſchränkung der Unterſuchungen auf 
das Alamannische Recht machte es ihm möglich in biejem beftimmten 
Kreife alle vorhandenen Quellen, jeien es Rechtsbücher, Stadtrechte, Ge⸗ 
riht8ordnungen, Urkunden, Chroniken, erſchöpfend zu benuten und zuver⸗ 
läffig zu erklären, auch die gewonnene Theorie durch kurze Mittbeilung 
zahlreicher wirklicher Criminalfälle zu beftärfen over bie bejonvere Art 
ihrer Anwendung zu zeigen. ‘Damit ift venn ein fefter Boden gewonnen 
für die Bergleihung mit ſächſiſchem und fränfiichem Recht, wenn dieſe 
einft eine gleiche Behandlung erfahren haben werden. Daß der Berfaffer 
ftreng der Verſuchung widerſtand, diefe Dergleihung ſchon jet anzuftel« 
len, ift feinem Werke nur zu gute gekommen. Daffelbe wird nicht nur 
bei den eigentlichen Fachmännern, fondern, zumal es höchſt einfach und 





Deutiche Geſchichte 23 


anziebend geichrieben ift, ſondern auch bei allen Alterthums⸗ und Gefſchichts⸗ 
trennen freubige und dankbare Aufnahme finven; ift ja doch gerade das 
Etrafrecht und Strafverfahren eines der wichtigften Kennzeichen vor- ober 
zrädihreitender Cultur und des ganzen Nechtlebens bei einem Bolt. Bei 
riejer Gelegenheit zeigt ſich endlich auch wieder von Neuen, wie vieles 
Licht vie alten Bolksrechte und Capitularien gerade aus den jüngeren 
nellen empfangen können, wie vieles höchſt Alterthüntliche ſich nament» 
ch in tem abgelegenen freien Bergen ver Schweiz faft bis zur Schwelle 
maferer Zeit erhalten hat. F. Th, 


Müller, Dr. Joh. H., Deutfhe Munzgeſchichte. Erſter Theil: 
Dentſche Munzgeſchichte bis zu der Ottonenzeit Leipzig. I. D. Weigel, 1860. 
XIV. 376 S. 8 

Das Buch von Müller ift ſchon feit längerer Zeit in ben Händen 
aller Derer, vie ſich für den Gegenſtand intereifiren, und auch öffentliche 
Urtbeile find ſchon mehrfach über vafjelbe ausgeſprochen. Sie erkennen 
alle das Bervienit an, das der Verfafler ſich chen dadurch erworben, 
tab er den Gegenſtand überhaupt zuerft eingehend und umfajjend bear» 
beitet, dann den Fleiß in der Zujammenbringung des bürftigen und big« 
ber ſehr zerftreuten Material, das Streben, daſſelbe unter allgemeine 
Geſichtspunkte zu bringen, überhaupt die befondere Aufgabe im Zuſammen⸗ 
bang mit der allgemeinen Geſchichte zu behandeln. In Frankreich ift das 
Höher jedenfalls mehr als bei uns in Deutſchland geſchehen, und da es 
nh in dieſem Bande hauptſächlich um die fränkiſche Münzgeſchichte hans 
deit, jo kommen bie Arbeiten franzöjijcher und belgiſcher Gelehrten*), welche 
m ven legten Yahren mit großem Eifer ſich dieſem Gebiete zugewandt 
baten, bier verzugsweile in Betracht. Dieje, vie theils in den beiven 
Bevne de numismatique,, der franzöjiichen und belgiſchen, theils in bejon- 
teren Menographien veröffentlicht find, in Deutſchland allgemeiner, und 
namentlich aud) anderen als den eigentlichen Numismatikern, den Hiftorie 
tem und Yuriften, näher gebradht zu haben, bürfte em Hauptverdienſt 
rieſes Buches jein. er, wie eben vorher ich, verjucht hat, auch mit ben 
Hälfsmitteln einer Vibliothek wie die Göttinger, ſich auf dieſem Gebiete 





*) I nenne außer Sucrarb hier namentlih Petigny, Lenormant, Long- 
perier, Fillon, Robert, Barthelemy, Thomas; in Belgien Cofter u. a. 


240 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


zu orientiren, weiß in vollem Maße anzuertennen, wie ſehr dieß Werl die 
Benutzung der numismatiſchen Literatur für hiſtoriſche Zwecke erleichtert. 
Freilich habe ich dann auch wohl Gelegenheit gehabt zu bemerken, wie 
der Verf. einigen ſeiner Vorgänger zu ſehr vertraut, ober, von ber Neigung 
der Franzoſen, umfaſſende Combinationen und weitreichente Bermuthungen 
aufzuftellen, angeftedt, ſich auch ſelber manchmal in Ausführungen ge 
ben läßt, benen bie fichere Grundlage fehlt. Auch ift ihm nun doch 
ein oder das andere in der neueren Yiteratur entgangen oder nicht zu⸗ 
gänglich geweſen. Ueber einige ſolche Punkte werde ich, theils in ver Ber- 
faffungsgeichichte, theil8 in einer bejonderen Abhandlung zu jprechen, Ge⸗ 
legenheit haben. Anderes wird wahrſcheinlich eine eingehente Beurtheilung 
eines gelehrten Numienatifers berausftellen oder tie Vergleihung mit 
einer Reihe von Abhandlungen, die der ausgezeichnete Nationalölonom Dr. 
Soetbeer über das Ältere Münzweſen ver Deutjchen in den Forſchungen 
zur beutichen Geſchichte veröffentlicht, ergeben. Immer wird uber bie 
große Brauchbarkeit der vorliegenten Arbeit dankbar anerkannt werben, 
die durch eine etwas andere Anordnung, die weniger Verweiſnngen oder 
Wiederholungen nöthig gemacht hätte, noch gewonnen haben würde. Auch 
etwas mehr Präcifion virfte man wünſchen. Mean fieht wohl, daß der 
Berf. des Stoffes doch nicht gleid, jo ganz Herr geiworten if. Einem 
jelbftftändig bahnbrecheuden Werk, wie der etwas fpäter erfchienenen rö⸗ 
mischen Münzgeſchicht Mommſen's, wird Müllers Bud freilich nad 
feinen eigenen beicheivenen Aeußerungen nicht verglichen werten türfen. 
Aber neben ſolchen ift Raum für manche andere vertienftlihe Ar⸗ 
beit, und wie die Numismatiker diejes bereitwillig anerlannt haben, (Re- 
vue de numismatique Belge 1860 p. 399 ff.), je ift gewiß für andere da⸗ 
zu doppelt rund. Und wenn jhen nad Guerart’s Arbeiten, tie bier 
Übrigens nicht in allen Punkten Zuſtimmung finden, und mitunter auch 
da nicht wo fie fie doch wohl auch jetzt noch vertienen, es nicht wohl 
zu rechtfertigen war, wenn deutſche Rechts- und Geſchichtsforſcher in ven 
Mün- und Seltverhältniffen ter älteren Zeit die wunterlichfien Irr⸗ 
thümer fih zu Schufven konmin ließen, jo ift jegt vollends Derartiges 
als nicht mehr ftatthaft und hoffentlich auch als nicht mehr denkbar zu 
bezeichnen. G. W: 





Dentſche Geſchichte. 241 


Dr. Johannes Falke, Geſchichte des deutſchen Handels. 2 
Bye Leipzig, Mayer, 1859 u. 1860. 314, 423 ©. 8. 

Zeit Jahren hat es Niemand verjudht, eine Öejanmtdarftellung ber 
Eeichichte des deutſchen Handels zu liefern; nur die Gejchichte der 
Haaia but Durch die epochemachenden Werke von Satorius und Lappen» 
serg und durch einige Monographien jüngerer Zoricher gewonnen; Mono⸗ 
Fadhien find hier zunächſt am Plage. Indeſſen ift es anzuerfennen, daß 
Er. Falle, ver durch einige Aufjäge in der Zeitjchrift für Culturgejchichte 
ah dekannt gemacht bat, ven Verſuch wagte eine Geſchichte des deut⸗ 
hen Handels von ber älteften Zeit bis auf die Neuzeit zu fchreiben. 
Ser mit ter Schwierigleit des Gegenſtandes einigermaffen vertraut ijt, 
zrt zugeftehen müjjen, daß Herr Fallke billigen Anforderungen entjpro- 
3& bat. Tine Bereicherung der Quellenforſchung ift das Buch nicht, 
zeue Rejultste wird man wenigftens im eriten Bande wenige finden. 
za Berfafier hat es verſchmäht, Nachweiſe und Belege zu liefern, die nur 
üser tie Benugung ter Hilfsjchriften Singerzeige gegeben hätten, was wir 
rerchaus nicht billigen können. Referent, der jich zufälliger Weile in letz⸗ 
er Zeit mit demſelben Gegenſtande beichäftigt hat, und daher in 
ser Lage war, dem Herrn Verfaſſer nachzugehen, konnte fi übrigens bie 
Ueberzeugung verichaffen, daß er die Arbeiten auf dem Gebiete der beut- 
den Handelsgeſchichte kennt und benügt hat. Das Neue, was Re- 
zent im eriten Bande gefunden, beſchränkt fi) auf einige Nürnberg 
sat andere Städte betreffenve Notizen. Auf Einzeluheiten fünnen wir 
z5 nicht einlaſſen und erlauben uns nur bervorzubeben, daß 
»# Buch durch eine andere Öruppirung und Periodiſirung des Stoffes 
zı Ueberfichtlichleit gewonnen hätte. Der Handel und Verkehr ver Hanja 
bitte von dem tee gejanmuten übrigen Deutſchland geſchieden werten jollen, 
m io mehr, da vie Verfehrölinien andy ganz antere waren. Einige irr- 
dũmliche Behauptungen find aus anderen Werfen entlehnt, in den eriten 
Fartieen namentlih vielen Stellen mittelalterliher Chroniften, vie über 
Berfehr und Handel ſpärliche Nachrichten geben, viel zu viel Gewicht bei⸗ 
gelegt worden. In der zweiten Abtheilung behandelt Hr. Falke Die Handels⸗ 
Armen und Einrichtungen: den Oroßhandel, ven Ntlein- und ven Geld⸗ 
Haadel. Jene charakteriſtiſchen Momente, welche auf die Entwidlung des 
Handels im Mittelalter überhaupt einen großen Einflug ausgeübt, find 


as zu wenig ſcharf hervorgehoben und betont worven. Ref. muß ge- 
Diſexiiqe Zeisfrift V. Bauv. 16 





242 [ Ueberficht der hiſtoriſchen Piteratur von 1860. 


ftehben, daß ihm ver zweite Band meit beſſer al8 ver erfte zu fein, 
und auf jelbftftändigen For ſchungen zu beruhen ſcheint. Eine Fülle des 
werthuollften Materials hat Herr Falfe bier zujammengeftellt und ver- 
arbeitet. Wünjchenswerth wäre gewejen, tie Inpuftrie und ven Ader- . 
bau, melde doch die Grundlage einer jeven Hanbelsthätigfeit bilven, et = 
was ſelbſtſtändiger herwortreten zu laffen und nicht in die allgemeine Dar- 
ftellung zu verweben; wir wilrden ein Flareres, überſichtlicheres Bild er- 
halten. Hr. Falke nimmt zwei Perioden in ver neueren Zeit an; bie erfte reicht 
bis 1620, die zweite bi8 auf die Gegenwart. Warım gerade das Jahr 
1620 einen Abfchnitt bildet, konnte fih Ref. nicht erflären. Eine Fülle 
biftorijcher und theilweiſe auch volfswirthfchaftlicher Kenntniffe wird man 
nirgends vernifien, und die Darftellung ift meift dem Stoffe andemeſſen. 
Ueber manche national öfonomijhe Behauptungen ließen ſich Eimwenbun- 
gen machen. A. B. 


Johannes Scherr, Geſchichte der beutfhen Frauen. In drei 
Büchern nad den Duellen. Leipzig, Verlag von Otto Wiganb, 1860. VIII 
und 478 ©. 8. 

Ein jehr lesbares Bud, welches ein großes Material ftattliher Be⸗ 
lejenheit in anſchaulicher Weiſe zujammenftellt, nicht ven Anſpruch auf 
ſyſtematiſche Erichöpfung oder vollftändige Darftellung des Stoffes madıt, 
wohl aber aus den Quellen, oft in wirklichen Excerpten, eine Reihe cha» 
rafteriftiicher und bezeichnender Bilder des deutſchen Frauenlebens gibt, 
und damit einen Beitrag für die nationale Culturgefchichte Liefert, deſſen 
Ausführungen fih duch alle Schichten ver Gejellihaft und alle Sphären 
der Bildung verzweigen. Hier und da fünnte man rechten, ob die ge- 
wählten Berfonen und Sittenzüge den richtigen Begriff von dem Durch⸗ 
fohnittszuftand der Epoche, des Standes, des Inſtitutes geben; im Allge⸗ 
meinen wird man fid der gejunden Geſinnung und ver frifhen Form 
des Buches erfreuen, und dem Verf. für jeven ähnlichen Beitrag zur 
Qulturgeihichte dankbar fein. S. 


9. Schreiber, Die Schlachten ber Deutſchen. 1. Thl. Lau 
genfalza, Schulbuchh. d. Thür. L.VB, 1858. IV, 204 ©. 8. 


v. Beuder, General, Das beutfhe Kriegsmwefen ber Urzeiten 
in feinen Verbindungen und Wechlelwirfungen mit bem gleichzeitigen Staats- 
und Vollsieben. 2 Thle. Berlin, Deder, 1860. XIX, 1004 ©. 8. 





Dentſche Geſchichte. 243 


Bernhardus Ed. Simson, De statu quaestionis sintne 
Einhardi necne sint quos ei ascribunt annales imperii specimen. Diss. 
imaug. hist. Begimonti, Hartung, 1860. 8. 

In Tiefer lobenswerthen Arbeit follen die Annalen nad Freſe's Vor⸗ 
zang tem Einhard wierer abgejprechen werden. Yebterer hatte behauptet, 
ne Vita ſei nur ein flüchtiger und fehlerhafter Auszug aus den Sahrbü- 
dern: Das wird in unferer Schrift bejtritten, und die Nachweijung, daß 
Exrhard bei der Abfaſſung der Vita die Annalen kaum vor fich gehabt 
baben Künne, geſchickt geführt. Die Unterſuchungen über die chronologiſchen 
wur ſachlichen Beziehungen der jo enge zufummenhängenden beiden Anna⸗ 
m und ver Vita find im Einzelnen forgfältig und durchdacht, aber die 
Hauptirage möchten wir doch damit noch nicht für abgemacht halteı. 
Justeientere tie übrigens mit Bejcheivenheit ausgejprochene Vermuthung, 
ah ter jyertieger ter Lorſcher Jahrbücher in ver Diöceſe von Tull ges 
ietr babe, beweift nicht gegen Einhard; denn dieſe Bermuthung ift felbft 
ter Luftig, and noch müßiger tie weitere, es jei ber Biſchof Frothar. 
Dam wir das Streben des Verf. anerteimen und weiteren Arbeiten des⸗ 
weißen gerne entgegen ſehen, jo wünjchen wir zugleih, daß er ſich etwas 
künziger fallen und feinen Styl Lefjern möge. W. 


5 8. v. Raszek, Oberl., Salomo Ill, Bifhof von Konftanz u. 
Zr von Gt. Gallen. Gin Beitrag zur beutichen Geſchichte am Ende bes 
9. web im Anfange des 10. Jahrh. 1. Tbl. Gymn-Progr. Glogau, 1858. 
ne. 4. 


Die Geſchichtſchreiber der deutſchen Vorzeit, in beutiher Be⸗ 
ebeituug, herausgegeben ven Berk, 3. Grimm, Lachmann, Kante, 
Ritter. 38. Lieferung. Berlin, Beſſer'e Verlag, 1860. XII u 55 © 8. 

Zubalt: X. Jahrhundert, 5 Band: Der Hrotſuitha Gedicht über Gan- 
ersbeim’6 Gründung und bie Thaten Kaifer Oddo 1., überf. von Dr. Th 
®. Pinnb. 

Ven Dielen beiten berühmten Gedichten ver ottonijchen Zeit lag bis⸗ 
ber nur das über vie Gründung von Gandersheim in einer Ueberjegung 
ser, ein Grund, weshalb uns die obige ebertragung, vie im Allgemeinen 
st. tem lirterte, jo meit e& bie möglichfte Beibehaltung ter rhythmiſchen 
Fermen zuließ, getreu ift, boppelt willkommen ſein muß. Die Vorrede 
der Ueberjegung ftellt zwar die Nachrichten über die Dichterin vollſtändig 
wiammen, bat jedoch, da fie weber neue Geſichtspuntie Ni die Erken⸗ 


244 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


nımg der Werfe ver Hrotjuitha, noch eine vollftänbige Angabe ber bis⸗ 
ber gewonnenen Rejultate gibt, feinen eigenthümlichen Werth. U. 


Markgraf Gero. Eine Hiftorifhe Monographie von D. v. Heinemann. 
Braunfhweig, C. R. Schwetichle u. Sohn, 1860. XlI u. 174 ©. 8. 

Die Reitauration der alten und merfwürbigen Gernroder Kirche hat 
dem Berf., wie er jagt, „Lie innere Beranlaffung zu ber vorliegenden hiſto⸗ 
riihen Schrift“, ver Geichichte ihres Gründers, des berühmten Markgras '. 
fen Gero, gegeben. Cie darf aber nicht in vie Reihe anderer bei ſolchem 
oder Ähnlichen Anlaſſe gejchriebenen Bücher geftellt werten. Obſchon er 
Verf. -hinzufügt, daß er zunächſt feine Yanbsleute im Auge gehabt, umb 
beicheiven nur bemerkt, wie er hoffe, daß auch über die Grenzen Auhalts 
hinaus der Gegenftand einiges Intereſſe finten werde, fo ift doch anzu⸗ 
erfennen, daß das Buch einen durchaus wiſſenſchaftlichen Charakter am. 
fih trägt und als eine gelehrte Monographie von felbftftänviger Bedeutung 
bezeichnet werben muß. Der Berf. ift vollkommen vertraut mit bem ges 
genwärtigen Stand ter Forſchung auf dieſem Gebiete, benützt die einfchla- 
gende Piteratur und geht dabei auf Grund eigenen Studiums der Quel⸗ 
len feinen jeldftftäntigen Gang. In jeiner Stellung als Archivar des 
Hauptarchivs zu Bernburg hat er die Gernrodiſchen Urkunden zur Dispoſition 
gehabt und giebt neue zuverläffige Abprüde derſelben in ven Beilagen 
(freilich nah Grundſätzen, wie jie ver Aufſatz im legten Heft dieſer Zeite 
ſchrift nicht billigen Tonnte), zeigt aud) eine genaue topographiiche Kunde 
ter Öegend, in welcher Gero's Beſitzthum lag, und gewinnt taraus manche 
beſonders intereffante Kejultate über jein Hertommen, feine und feiner 
Familie Stellung. Dazu iſt das Bud) leicht und angenehm geichrieben: 
während das gelehrte Detail in den Noten abgehandelt wird, hat die 
Darſtellung eine aud für weitere Kreife anſprechende und doch nie von 
der Würde einer wilfenjchaftlihen Arbeit herabfteigende Haltung. Es ift 
bie8 namentlid ein erheblicher Unterſchied gegen vie frühere, fehr ge 
lehrte und in mancher Beziehung bahnbrechende, aber auch an Wunderlichtei« 
ten reiche und wenig genießbare Arbeit von v. Leutſch. Dagegen glaube 
ih dann freilih, Daß der Berf. nianchmal feine Erzählung zu zuverſicht⸗ 
lid vorträgt, der Combinatien und Bermuthung zu viel vertraut, auch 
wohl manches in die Darftellung hineinzieht was nicht eigentlich zur Sache 
gehörte. Ich nenne in dieſer Beziehung z. B. die Schilderung des ſlaviſchen 





Deutihe Geſchichte. 245 


Heidenthums (S. 52—57) meilt nach 2. Giefebreht. Als eine unfichere 
Annahme aber erfcheint mir z. B. was über eine erſte Reife Gero's nad 
Rem im Zuſammenhang mit Otto's Plänen auf Italien (S. 64), über 
ven Beriuch Lindolf’8 Gero zu beitechen (S. 71), da vie Urkunde, auf 
die ſich dieſe Anjicht ſtützt, doch auch ganz anders ausgelegt werben fann 
One farın feinen Sohn zu der Abtretung jeiner Güter genöthigt haben), 
über tie Gründe, tie Otto beſtimmt haben follen, Hermann Billung und 
abt Gero das jächjiihe Herzogthum zu geben (S. 105), gejagt wird. 
Unb die Erörterungen über dic ftaatsrechtlihen Verhältniſſe Gero's, na» 
mentlich tie Beziehung feines Herzogthums auf eine Vogtei über die neu 
begrünteten Bisthümer Havelberg und Brandenburg, befriedigen mich 
nicht, und manche Einzelheit, vie ver Verf. abweichend von dem, was ich 
früher ın ven Jahrbüchern des D. R. unter dem ſächſiſchen Haus over 
m ver Ausgabe des Widukind angenommen habe, feftftellt, 3. B. gleich 
a Anfang die von ihn behauptete Verſchiedenheit des Legaten Siegfried 
sen dem Bruder Gero's tiefes Namens, ſcheint mir wenigftens noch zu 
wetteren Crörterungen Raum zu geben. Daſſelbe ift ter Fall bei der 
Frege nad) der Echtheit oder Zeitbeftimmung einiger der mitgetheilten 
Urfenten. Hierauf ift aber an tiefer Stelle nicht einzugehen In ber 
Semuthung, daß ter Annaliſta Saro nah Nienburg an ber Saale 
xböre, begegnet ver Verfaſſer fi) mit Lerebur (Aufjeß, Anzeiger 1860, 
2. 2); dech iſt, was man geltend macht, wehl von der Benutung 
Nienburger Nachrichten durch jenen Autor zu erklären. — Cine Karte 
äßer Die Befitungen und Gaue Gero's ift eine angenehme Zugabe. 
G. W. 


Dr. Karl Enler, Ahjunct in Pforta, Erzbiſchof Willigis von 
Reinz im den erſten Jahren feines Wirkens. Geſchichtliche Abhandlung Naum⸗ 
Siegling, 1860. 46 ©. 4. 


Bilh. Gieſebrecht, Geſchichte ber deutſchen Kaiferzeit. 2, 
En. Blüte bes Kaiſerthums. 2. veränderte Auflage. Dit 1 Kunſtbeilage v. 
8. Diez Braunſchweig, Schwetidte u. Sohn, 1860. XX, 671 ©. 8. 


Jos. Scholz, Vita St. Norberti, institutoris ordinis Praemon- 
üratensis, postes archiepiscopi Magdeburgensis, Pars I. Diss. inaug. 
Bussiau, 1859. At p. 8. 


246 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Guilelmus Volkmann, De Ottone J., episcopo Bamber- 
gensi. Pars prior. Dissertatio inauguralis historica. Regimonti Pr., 1860, 
40 p. 8. 


Killian, Beiträge zur Geſchichte ber erfien Hohenflaufen. 
Gymn.-Broge. Mainz, 1859. 156 4. 


Theod. Toeche, De Henrico VI. Romanorum imperatore, 
Normannorum regnum sibi vindicante. Dissertatio inauguralis gr. 8 
II! und 79 ©. Berlin, Mittler und Sobn. 1869. 

Borliegende Heine Schrift, welche Ranke gewidmet iſt, beichäftigt fich 
mit der Heirath König Heinrich's VI. und Conſtanze's von Sicilien und 
mit den aus biejer Verkintung bervorgegangenen Kämpfen bis zur Krö⸗ 
nung Heinrich's in Palermo. Es berichtigt unter Anterm tie Chronologie, 
welche Otte Abel für vie auf jene Heirath bezüglichen Creigniffe auf- 
geftellt hatte, p. 9; dann behandelt es einen eigenthümlichen, bisher nicht 
beachteten Plan, für ten Friedrich Barbaroſſa furz vor feinem Aufbruche 
gegen den Trient ten Papft gewonnen hatte, den (jeit 1169) dent⸗ 
fchen König Heinrih in Ron zu frünen, wie der Berf. meint — zum 
zweiten Mal als König, p. 23—28. Die ganze Angelegenheit ift vom 
großen Intereife und fichert vem Berf. ven Dank ver Fachgenoſſen; nur 
dieſer letere Punkt, das höchſt auffallenne Begehren einer erneuten Koö⸗ 
nige⸗, nicht Kaiferfrönung, türfte wohl nicht ganz ausreichenn feftgeftellt 
fein. Zwar kannte das deutſche Stautsrecht des Mittelalters feine kaiſer⸗ 
lichen Mitregenten, tod) erwähnt auch der Berf. das VBorlommen von Aus: 
nahmen in Lothar I. und Otto II, welche bei Lebzeiten der Väter zu Im⸗ 
peratoren ernannt wurden. Zwar hatte Papſt Lucius im Jahre 1184 
ertlärt, „non rosse simul duos imperatores regnare.“* aber Friedrich 1. 
batte damals die Erhöhung Heinrih’® zum Imperator gewünſcht, und 
ſollte jegt unter ungleich günftigeren Berhältniffen feine Forderung bie 
zum Künigstitel ermäßigen, jollte jelber ven Verdacht erweden, als ob die 
Königlichen Rechte und vie Machtſtellung ſeines Schnes durch bie erfle 
Krönung nicht genügen gefihert wären! Die Interpretation ber betreffen» 
ben Quellenausfagen, welche ver Verf. vornimmt, ift wohl nicht im Stande, 
biefe Zweifel völlig zu zerftreuen. 

In den Kämpfen um die wirkliche Erwerbung des fühitalienifchen 
Königreiches betreffen vie kritiſch bedeutenpften Abſchnitte die Auslieferung 





Dentſche Geſchichte. 247 


aut gãnzliche Zerſtörung von Tusculum bei Gelegenheit der Krönung Hein, 
riche, tie Gefangenſchaft Konſtanze's und die viel erzählten, bellagten und 
sertammten Grauſamteiten, welche Heinrich während feines Aufenthalts 
a Zictlien begangen haben jell; fie werden auf ihr rechtes Maß zurüd- 
yröhrt. Das Schriftchen ift eine rühmliche Probe des Fleißes und der 
kriihen Bildung tes Verfaſſers; wir können daher feiner Berrbeitung 
se ganzen Geſchichte Heinrich's VI, auf die er hindeutet, gern entgegen: 
jchen. B. K. 


Der Cardinal und Erzbiſchof von Mainz Conrad J., Pfalz, 
zraf von Eheyern-Witteldbah Ein Lebens- und Charalterbild. Miün- 
ie 1860, Ich Palm'e Hofbuchhandlung. S. VI u. 250. 8. 

Das Buch will vie geichichtlich woichtigften Momente aus dem Leben 
des Cardinals unt Erzbiſchofs Conrad I. von Mainz, Bruder Des Bayern» 
kerzege Otte I. von Wittelsbach behandeln. Ter ungenannte Verfaſſer 
geht in ter Einleitung zu, daß die Bearbeitung jeines Helden einer weit 
zeãbteren Hand beturft hätte ala vie jeinige jet und wir müſſen und mit 
dieier beicheirenen Bemerkung ganz einverftanden erklären, denn ven Verf. 
ichtt unter anteren Eigenihaften ver allem vie wiſſenſchaftliche Bildung; 
er weig gar nicht worauf es Lei ciner Aufgabe hiſtoriſcher Wiſſenſchaft 
ıtemmt, und ift alſo von vorn herein nicht im Stande fie zu löſen. 
Ber irgend einem hervorragenden Manne ein biographiihes Denkmal 
‘gen will, muß doch zuerit die Handlungen deflelben zuſammenhalten und 
art ihnen jich ein Urtheil über einen Charakter und jeine geijtigen Eigen» 
ichaften zu bilven fuchen. Unjer Verfaſſer verführt aber gerade umgefehrt: 
& nimurt bei Conrad Biederſinn und Klugheit von vornherein an und 
kemübt ſich bei allen Handlungen des Gefeierten nachzuweiſen, daß fie 
s2# vollkommen guten und evlen Motiven hervorgegangen jeien. Für Die 
Ehbwihen und Fehler des Kirchenfürjten hat er fein Auge, und wenn 
7 ten Buch mit anderen Büchern vergleichen, in tenen Conrad's oft 
meirentized Benehmen gegen Kaiſer und Papſt und jeine vielfachen Yır- 
rizuen gegen Friedrich Barbaroſſa und Heinrich VI. erzählt werten, fo 
zäfen wir beinahe zu ver Meinung kommen, daß ber To verichietenartig 
Targeftellte gar nicht ein und terjelbe Mann ſei. Wir müſſen dem Verf. 
tichtecen widerſprechen, wenn cv behauptet, daß Otto von Witteldbach, 
der trene Kämpe tes Kaifers, hauptjüchlich ven Verdienſten jeines Bru- 


248 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ders Conrad das Herzogthum Bayern zu verdanken hatte; oder, daß Con⸗ 
rad’8 Beweggrund, warum er den vom Papfte erhaltenen Auftrag das 
Schisma im Salzburger Erzftifte beizulegen abgelchıt babe, hohe Staates 
klugheit gemefen fei. Wenn der Verf. mit großem Pathos über den Ges 
gen beclamirt, welchen Conrad's Oppofition gegen die Pläne Heinrich's VI. 
auf ein Erbkaiſerthum über Deutichland gebracht, fo hat er nicht eimmal 
bemerkt, daß die von ihm wiederholten Reden Heinrich's und Conrab’6 
nichts anderes als freie Compofitionen Raumer's find. Um jo weniger 
lönnen wir und wundern, daß er Trithem und Aventin in einem them 
mit gleichzeitigen Quellen benutzt, daß Ungenauigfeiten im Einzelnen im 
großer Menge unterlaufen, daß 3. B. der Baf. ven Wortlaut feiner 
Duelle S. 190, Note 14: „reliqui abire permissi sunt“ im Text S. 88 
überjett: „bie Zurüdgebliebenen wurben feitgenommen und eingelertert !* 
u. ſ. w. u. 


Saiffer, Prof., Charakteriſtik d. Biſchofs u. Chroniken Otto u. 
Freifingen. Rottweil. Tübingen, Yues' Gort., 1860. 82 ©. 4. 


J. L. A. Huillard-Breholles, Historia diplomatica Fri 
derici Il. sive constitutiones, privilegia, mandats, instrumenta quae guper- 
sunt istius imperatoris et filiorum ejus. Accedunt epistolae paparum «& 
documenta varia. Auspiciis et sumptibus H Alberti de Luynes. T. VI 
pars I. Paris, 1860. 4. VII, 1—547 ©. 


Ed. Winkelmann, de regni Siculi administratione, qualis 
fuerit regnante Friderico II. Romanorum imperatore, Jerusalem et Sicilise 
rege. gr. 8. 52 S. Berlin, Mittler et Sohn. (5. Zeitſchrift III, 322.) 


G. Homeyer, Die Stadtbüher bes Mittelalters, insbefonbere 
das Stabtbud von Quedlinburg. (Aus den Abd. d. k. Alad. d. Wiflenfch. zu 
Berlin.) Berlin, 1860. 4. 

Dieje wichtige Schrift fucht vorerft jene mannicdhfaltige Reihe von 
Aufzeichnungen, welche unter dem Namen „Stadtbücher“ begriffen werben, 
in Öruppen zu fonvern; dann geht fie im Bejonderen auf diejenigen über, 
in welche privatrechtliche Verträge zum Zwecke gerichtlichen Beweiſes ein- 
getragen wurden. Bon folhen wird ein Verzeichniß gegeben, foweit das 
Moterial gebrudt vorlag und die Kunde von Handſchriften reichte. Daß 
viefe Zufammenftellung noch vielfach (namentlich für ven Suden Deutſch⸗ 





Dentſche Geſchichte. 249 


land') einer Bervollſtändigung fähig iſt, liegt in der Natur ver Suche. 
En Stadibuch dieſer over jener Art hatte wohl jedes ſtädtiſche Gemein- 
weien tereinft anfzumeifen; manche davon find nicht bis auf unfere Zeit 
eicmmen, von ten meiften ift feine oder nur beiläufige Kunde in bie 
CTeffemlichkeit gelangt. Um fo ermwünfchter erjcheint jete Bereicherung 
wüerer Kenntniß auf viefem Gebiete, wozu der Verf. in ver zweiten Abs 
theilnug feiner Schrift einen werthvollen Beitrag lieferte. Dieſelbe ent» 
bit ven tbeilmeiien Abdruck eines bisher unbelannten Stadtbuches von 
Cnetlinkurg, aus dem 14. Ihrhdt., das, wie ver Verf. felbft bemerkt, 
wicht eigentlich in bie Reihe der oben bezeichneten im übrigen Theile der 
Schrift vorzüglich in's Auge gefaßten Stadtbücher gehört. Sein verichie- 
denartiger Inhalt gemährt dagegen reichhaltige Aufſchlüſſe über die poli⸗ 
üihe, die Berfaflungs- und Rechtsgeſchichte der Stadt. Beſonders möch⸗ 
im mir ben (platt«) deutſchen Bericht über tie Eroberung ver vor ber 
Etart gelegenen Güntekenburg durch Biſchof Albrecht von Halberftabt 
im J. 1325) hervorheben, woraus ſich ergibt, daß damals und in Folge 
jenes Kampfes die Vogtei über die Altſtadt von dem Grafen von Regen⸗ 
kan an den Biſchof überging (S. 65 - 67). — Wie es von dem Verf. 
= ermarten war, gewährt die Schrift wichtige Notizen auch über die 
Startbücher im Allgemeinen, und faßt die für ven beſonderen Zweck tes 
erften Theils gewonnenen Reiultate in ven „Ergebniffen” (S. 36 — 50) 
su’baulich zujammen. Th. K. 


8. F. Stumpf, Zur Kritik dbeutfher Städteprivilegien im 
XI Jahrhundert. (Situngsberidhte ber kaiſerl. Alab. der Wiffenfchaften. 
Sileſephiſch⸗hiſtoriſche Claſſe Ob. XXXI. Jahrg 1859. S. 603 — 638. — 
Beionderer Abbrud , Wien 1960 

Teer VBertaffer, welcher eine „Kritit ter deutſchen Stadtprivilegien 
tea zehnten eliten und zwölften Jahrhunderts“ zur Herausgabe vorbereitet, 
bit in dieſer Abhandlung zunächſt zwei Documente geprüft, welche bie 
et zu den wichtigften urkundlichen Grundlagen für die ftädtijche Ver— 
wfungegeichichte des 12. Jahrhunderts gerechnet worden ſind. 

Es iit 1) die Urkunde Friedrich J. vom 20. Octbr. 1156 (Böhmer 
Beg. 2365), in welcher er ter Stadt Worms „feinen kaiſerlichen Frieden“ 
releiht, Yeftimmungen über Verletzungen deſſelben trijft und zur Aufrecht⸗ 
baltung teflelben eine aus 12 biſchöflichen Miniſterialen und 28 Bürgern 


250 Ueberficht ber Hiftorifhen Literatur von 1860. 


beftehenve Behörde einſetzt; 2) tie Urkunde des Erzbiſchofs Philipp vom 
Köln vom Mai 1169 (Yacomblet, Urkb. I, 433, jetzt auch Quellen zum 
Geſch. ver Start Köln I, S.554), in welcher er den Inhalt eines „ur 
alten, kaum nod) lesbaren Privilegs“, das ihm Bürgermeifter mıd Schöffen 
von Köln und die Mlitglieder der Hicherzecheit auf jeine Frage nach dem 
dem Burggrafen und dem Vogte von Köln zuftehenden Rechten vorlegen, 
erneuert und beftätigt. — Der Verf. beichränft fih auf eine Unterjuchung 
ver heiten Urkunden nach den äußeren Striterien ber biplematiichen Forn 
und ter paläographiichen Geftalt und kommt zu dem ejultate, daß beide 
gefälicht find. Zugleich unternimmt er e8 aber pofitio, die Mufter, welche 
vorgelegen haben, jowie tie Zeit und ven Zwed der Fälſchung nachzu⸗ 
weijen. Schon tie Prüfung ter viplomatiihen Yorm bat bei beiden zu 
entiheitenden Ergebniſſen geführt; in beiden kann eine Reihe von Zeugen- 
unterjchriften in feiner Weile mit der Datirung in Einffang gebracht wer⸗ 
ben. Bei dem wormſer Privileg läßt ſich überhaupt feine Zeit ermitteln, 
in der die aufgeführten Zeugen zujammen auftreten könnten. Die Einſicht 
des im Archiv ver Stadt Worms aufbewahrten Originals bat dem Verf. 
zugleidy die Gewißheit ver[hafft, daß jene unmöglihe Zeugenzuſammen⸗ 
ftelung nicht etwa eine fpätre, ter Aechtheit ver Urkunde felbft keinen Ein⸗ 
trag thuende Hinzufilgung ift; fie bat überhaupt ten Verdacht gegen bie 
Aechtheit ver Urkunde Leftätigt, da Die Schrift ihrem Geſammteindrucke 
nad) mie nach ter Form einzelner Buchftaben nicht früher als in das 
Ente des 12. oder in den Anfang des 13. Jahrh. geiett werden kann. 
— Tie pofitive Ausführung wirft allerdings nicht in gleihem Maße 
überzeugend"); doch fcheint das für die Entftehungszeit der Fälſchung zwi⸗ 
ihen 1184—1208 gelten gemachte Argument durchſchlagend. Das Bri- 
vileg Friedrich I. für Worms (Böhmer Reg. 2619) vom J. 1184 (jo ift 
das Uriginal im wormjer Stabtardiv batirt, Stunpf S. 611; Arnold, 
Freiſtädte I, 247) will als eine „renovatio et confirmatio‘“‘ alle früheren 





*, Der Fälſcher fol feine Zeugenreihe faſt ganz aus ben Unterſchriften 
zweier ächten Urkunden combinirt haben, 15 feiner 21 Zeugen finden 
fih allerdings unter einer zu Worms ausgeftellten Urkunde Friedrich 1. 
a 1165 wieder (Mon Germ. LL. 11,138), 3 andere follen ben werm- 
fer Privileg von 1184 entnommen fein, doch weifen bie Abbrüde bes- 
ſelben nur einen jener Namen auf. 





Deutiche Gefchichte. 251 


taiterlihen Rechtsverleihungen unfajlen, läßt aber gleichwohl jene wichtige, 
ven Stadtfrieden aufrichtende Urfunte deſſelben Kaiſers unerwähnt, wäh⸗ 
rear das Privilegium Otto IV. a. 1208 eine ausdrückliche Anführung und 
Arrätigung veilelben enthält. Sollte übrigens Die hier gebrauchte Bezeich- 
zung „privilegia a divis augustis nostris predecessoribus eis concessa am 
de pacis ipsorum confirmatione quam....“* jowie ter an bie hier 
muterhbolte Abſchaffung bes Zweikampfes, welche eben in jenem Privileg 
sen 1156 verfügt war, ſich knüpfende Sat: „alie quoque jura qualiacun- 
we et bonas consuetudines privilegiatas eis confirmamus ... .* 
zo darauf hinweiſen, wie das auch tie einzelnen Deftimmungen des 
Zratrfrierens vermuthen laſſen, dar bier einem Erzeugniß ſtädtiſcher Au— 
zacmie zu größerer Sicherheit und Unverbrüchlichteit ver Schein eines 
sem Kaiier berrührenten Privilegs gegeben iſt? — Der Verf. macht dar- 
a2 animerfiam, dag Die worinjer Privilegien den der Start Speier er- 
alten von gleihem Inhalte immer ſchrittweiſe nachfolgen, und fucht das 
zu ver Entjtehuugezeit der Fälſchung noch näher zu kommen. Durch das 
Fririieg Heinrich V. a. 1111 werten bie Speirer von biteil befreit, bie 
Sum Worms Durch die Priv. von 1112 und 1114: Friedrich I. dehnt 
1182 tie Freiheit von hofrechtlichen Leiſtungen für Speier aud auf das 
Hauptrecht“ aus: daſſelbe gefchieht für Worms durch das oben ange- 
führte Priv. von 1184. Ebenjo meint der Verf. jet rem Priv. von 1198, 
weiches ven Speirern tie Einſetzung eines Raths gewährt, alsbald eine 
zermier Urfunde über eine Errichtung eines ſtädtiſchen Raths nachgebildet 
zz als eine längjt in Gültigkeit ſtehende Rechtsverleihung dem König 
Tre IV. zur Beftätigung vorgelegt. Das fei die Bedeutung jened an⸗ 
ætlichen Priv. von 1156. 

Zie zweite von Hrn. Stumpf geprüfte Urkunde hat ſich ſeit langer 
3er großer Beachtung erfreut. Bei ten Mangel an älteren Privilegien 
> Statuten der Stadt Köln fab jid die Verfaffungsgeichichte in Bes 
zen dieier für fie jo überaus wichtigen Statt allein auf Urkunden ange: 
zieten, und gerate dieſe Urkunte jchien ſich beſonders dadurch zu empfeh⸗ 
a, daß ſie durch ihre Form als Weisthum von ven zufälligen und in— 
Serruellen Beſtandtheilen, welche ſonſt den Gebrauch tes Urkundenmate⸗ 
rals für rechtsgeſchichtliche Zwecke erſchweren, frei war. Trotz ter allge: 
zeinen Benutzung ver Urkunde iſt fie bis jetzt hinſichtlich ihrer außern Zuläßigkeit 
zugerrüft geblieben. Nur Bondam (Charterb. S. 244, Note h) hatte 


252 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatr von 1860. 


auf die Unvereinbarkeit der Unterjhrift des „.Olto comes Gelrensis‘ mit 
dem Ausftellungsjahr 1169 hingewiefen. Br. Stumpf zeigt daſſelbe an 
andern Zeugenunterjchriften, jo gleiih an ber eriten: „Adolfus major deca- 
nus et archidiaconus*, denn ſowohl ver als nah diefem Jahr wird im 
den Urkunden ver Domdechant Hugo genannt. Ber anderen Perjonen ſtim⸗ 
men vie ihnen beigelegten Titel nicht mit den zu jener Zeit gebräuchlichen 
überein; jo fol tie bier gebrauchte Bezeichnung .‚dux Brabantie* fon 
nicht vor vem I. 1194 vorfommen. Für die Würde des im Tert ber 
Urkunde erwähnten Burggrafen finden fi in ben fölner Urkunden bie ver» 
ſchiedenſtei Namen nad einander; der hier gebraudte Titel „burgravius“ 
kommt aber nicht vor dem 9. 1180 vor, von wo ab er allerdings bie 
gewöhnlichfte Bezeichnung wird. — Ganz biefelben Zeugenunterjchriftes 
wie dies jog. Weisthum enthält eine andere, die Vogtei ver Stadt Köoln 
betreffende Urkunde des Erzbiſchofs Philipp, welche die ſpäteren Abſchrif⸗ 
ten, aus denen wir fie allein fennen (bie ältefte ift aus dem Ende bes 
15. Jahrh. und felbit wahriheinlih einen alten Copiarium des Domftifts 
entnommen), gleichfalls in Das Yahr 1169 jeken. Bontam, ver biejer Ur⸗ 
kunde eine eingehende Unterfuchung widmet, ftellt fie hauptſächlich nach ber 
einen hervorgehobenen Zengenunterjchrift in die Jahre 1182—83, mährend 
Hr. Stumpf als tie möglihe und wahricheinliche Zeit für ein Zuſammen⸗ 
fein der aufgeführten Zeugen die J. 1187—89 berechnet. Aelter Tann 
mithin auch das Weisthum nicht jein. Die Prüfung des im kölner Stabts 
archivs aufbewahrten Originals ſchloß auch bier vie Annahme einer ſpäte⸗ 
ven Gorrectur des Datums aus; die Pergleihung jeiner paläographiichen 
Geſtalt mit der unterer Urkunden des Erzbiſchofs Philipp ergab beden⸗ 
tende Verſchiedenheiten und machte vie Entftehung des Weisſthums in ber 
erften Hälfte des 13. Jahrh. wahrſcheinlich. ine genauere Zeitheftim- 
mung ſucht ver Verf. aus der neueren Geſchichte ver Start Köln zu ges 
winnen. Die Ermordung des Erzbiſchofs Engelbert (1225), der bie era 
bifhäflichen Rechte mit Kraft ver Stadt gegenüber zur Geltung gebracht 
hatte, gab den Bürgern dae Zeichen, die Wiederherftellung ihrer echte 
zu verlangen. Sein Nadfolger Heinrih 1. verfteht fich auch fofert Bei 
Antritt jeined Amts dazu, ihnen „alle Rechte, Freiheiten und gute Ges 
wohnheiten” zu beftätigen, welche fie bis zur Erwählung feines Borgängers 
bejeflen haben.” (Urk. v. 1226, Yaccmblet II, 136.) In diefer Zeit, fo 
lautet das Refultet des Berfs., habe man umter Benügung der Zeugen- 





Dentſche Geſchichte. 258 


mterichriften der ächten Urkunde des Erzbiſchofs Philipp Über die Vogtei 
das ſog. Weisthum gefälſcht, um es als ein aus dem Anfange ver Re⸗ 
zerung des Erzbiſchofs Philipp herrührendes, uraltes Hecht erneuerndes 
Tecument dem Erzbiſchof Heinrich zur Beſtätigung vorzulegen. Ob dieſer 
seftine Nachweis gelungen jei, mag auch hier bezweifelt werben; dem Ges 
wit der von Hrn. Stumpf geübten negativen Kritif wird ınan fich ſchwer⸗ 
Eh entziehen fünnen. Doch ift e8 wehl erflärlih, wenn man fih nur 
zaxm und zögernd entjchließt, ein jo lange Zeit ohne allen Verdacht und 
"kr ſe wichtige Beweisführungen gebraudytes Document aufzugeben, wenn 
azmentlih von Seiten ter Kölner vie angegriffene Urkunde zu vetten ver- 
mt wirt. Der Archivar ter Statt Köln, Hr. Dr. Ennen, hat alsbald 
sıh rem Bekanntwerden ber Stumpf'ſchen Abhantlung in einen (al® 
Ric. verfantten) Aufſatze: Der Kölner Schiereiprud vem J. 1169, eine 
At. Unterfuchung über vie Nechtheit deſſelben (13. S.)“, eine Wirerlegung 
der diplematiſchen wie der paläographiſchen Ausjtellungen verjelben unter- 
zemmen. In dem neuertings erichienenen I. Bante ver Quellen zur Ge— 
dichte ter Stadt Köln (S. 554, Note 1) ift die Vertheidigung gegen 
tie Angriffe lesterer Art wiederholt. 

Tie ſchwerwiegenden ben Zeugenunterjchriften entnonmenen Gründen 
"een uns unmiberlegt. Bon der Unächtheit aus paläographiſchen Grün- 
den hat ſich feittem auch Hr Prof. Waitz durch Einjicht des angeblichen 
Triginals überzeugt (Forſchungen zur deutſchen Gejchichte I, S. 162 Note) 
za ſich Für eine Entftehung tveilelben zu Anfang des 13 Jahrhunderts 
szögeiprechen. 

Den beiden hier unterjuchten Urkunden wird mit dem Nachweis ihrer 
daichrheit zwar nicht alle Örauchbarteit für die ftäntiiche Verfaſſungsge— 
iSibte entzogen fein; doch wird ihre Benutzung eine wejentlich andere 
serten müjfen. Das Vertrauen in die älteren ſtädtiſchen Privilegien wird 
Ser nach dieſem Porgange immer in etwas erſchüttert jein, und man 
zirt es daher bringen wünſchen müſſen, daß Hr. Stumpf, dem man für 
de eingehente Unterfuchung der beiden Urfunven zu großem Danke ver: 
Michter ıft, recht bald mit der angefünkigten umfaſſenden Kritik ter älte- 
a Stäptepririlegien hervortrete. F. 

Otto Franklin, i. u. D. et priv. doc., De iusticiariis curiae 
‚aperialis. Vratislaviae, typis et sumptibus Gi. Th. Korn, 1860. XVI, 
127 p 8. 


254 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1860. 


Nach einer Anzeige in Haimerl's öſterreichiſcher Bierteljahrsichrift 
für Rechts⸗ und Staatswijienfhaft Br. VI S.54 ff. ein wichtiger Bei⸗ 
trag zur Geſchichte der Reichsverfaſſung. Die Einleitung handelt vom 
dem königlichen Gericht im Frankenreiche und dem Amt des Hofpfalzgra⸗ 
fen. Sodann wird das Hofridhteramt, wie es 1235 gejchaffen wurde, 
feine Competenz und fein Verfahren erörtert und die Perjönlichleit ver 
einzelnen Hofrichter bi8 zum Jahre 1400 gejchilvert. 


E. 5. Menzel, Zweiter Beitrag zur Geſchichte bes Theini- 
{hen Städtebundes in ber zweiten Hälfte bes 13 Jahrhunderts. Gymm.⸗ 
Progr. Ratibor, 1859. 16 ©. 4. 


K. Schwartz, Der zweite Feldzug Rudolf's von Habsburg 
gegen Ottolar von Böhmen, nah ben Quellen bargefiellt. Syımn -Proge. 
Hadamar, 1859. 20 ©. 4. 


Dr. Sr. v. Weech, Kaifer Ludwig ber Bayer nnd König Io 
bann von Böhmen Mit urkunblihen Beilagen. Smaugural-Tiffertatiew 
Münden, Kaifer, 1860. X, 136 S. 8. 

Dieſe Schrift ift eine Erftlingsarbeit, hat aber fiher das Berbienfl, 
daß jie ein fo complicirtes und bedeutendes Verhältniß wie das Kaifer 
Ludwig's des Bayern und König Johann's von Böhmen ſelbſtſtändig, 
klar und fcharf zufanmengefaßt und namentlich im V. Abjchnitt manche 
nene Thatjache oder Anfchauung entwidelt. Auch ter nationale Stand» 
punkt, ven der Verf. bei feiner Darttellung mit edler Wärme feithält, iR 
um fo mehr hervorzuheben, als gerade bie neueſte und gelehrtefte Bear⸗ 
beitung ver Geſchichte Ludwig's des Bayern in fo jhmerzlicher Weije bar 
von verlaffen ift. -g- 


Dr. 9. ©. Gengler, Ueber Aeneas Sylvius im feiner Bedentung 
für die Rechtsgeſchichte. Erlangen, Bläfing, 1860 XLI, 108 © 8. 


Der Verf. hat die Schriften tes Aeneas Sylvius als Yurift gelefen, 
zugleidy aber ten Geſichtskreis feiner Notate beveutend nach der culturs 
geihichtlihen Eeite hin ermeitert. So entwirft er denn in kurzen Zügen 
ein „Culturbild“ Deutſchlands, fomeit es fih aus Aeneas' Aufzeichnungen 
zufammenftellen läßt. Der etwas bunte und zerfahrene Stoff gewinnt erft 
da mehr Zujammenhang, wo von ben ftaatsrechtlichen Injtitutionen Deutſch⸗ 
lands tie Rebe ift; das Privat« und Criminalrecht geben ver Natur ber 





Dentfche Geſchichte. 255 


Eache nach faſt völlig leer aus. Was die Stellung tes Piccolomini zum 
Welaftiihen Jus betrifft, jo iſt fie keineswegs eine eigenthümliche und in 
rer Folemit erft bei Hutten in ähnlicher Weiſe wiederfehrente (Anm. 5), 
jendern vie wigelnte Verachtung der gloſſatoriſchen Gelehrtheit und ver 
exbebülflichen Diction ver Schuljuriften, ferner Die Hervorhebung des na— 
weichen und ethiſchen Rechtes ift den meiſten Humaniften gemeinfam und 
m Poggio am Glänzendften vertreten. Die ftaatsrechtlidhen und jtaate- 
rtileſephiſchen Anfichten des Aeneas wollen ſich nicht vecht in ein Syſtem 
Irinzen laſſen, ihr Interefie ift mehr ein fubjectives als ein ſachliches, fie 
Wrrinfen daher bedeutend je nad der Situation, wie denn 3. B. Die 
Statsichrift von 1446 nur aus derſelben zu erklären ift. Unter den In⸗ 
ſtantienen hätte vie Einrichtung und ter Geſchäftsgang der Reichscanzlei, 
tie Ref. im erften Bande feiner Biographie S. 278 nad einem unge- 
tradten Briefe geichilvert, wohl eine Stelle verdient, denn hier hatte Aeneas 
tie beſte Kenntniß und iſt unjeres Willens die einzige Quelle. — Auf 
glädliher Spur verfolgt dann ter Verf., wie fi) an Aeneas Sylvius 
tie einſt fe beliebten euchklopädiſch-kosmographiſchen Werfe unlehnen, die 
Sckaftian Frank, Sebaſtian Münfter, Matthias Quadt von Kinkelbach 
za, die man wohl wie einen abrupten Literaturzweig beſprechen hört, 
mp wie diefe Männer wieder fruchtbar für tie Anregung deutjd) = rechte: 
geſchichtlicher Forſchungen gewerten. Auf den faſt zu geträngten Tert 
felgen, mehr als zwei Drittheile des Buches einnehmend, Anmerkungen, 
tie ven reicher Beleſenheit zeugen und manchen gelehrten Nachweis brin- 
xa, ten man freilich bei ter großen Mannigfaltigkeit ver Mlaterien hier 
mer Leicht ſuchen würde. Wir machen auf Anmerk. 41 über ven ſchwar— 
zu Ter von 1348 und ähnlidhe Seuchen und bejenvers auf Die Noten 
137 und 148 über die deutſchen Reihsinfignien aufmerffan.  —i— 


Eammlung beutiher Rechtsquellen. 2. Bd. Jena, Frommann, 
1550. VI, 377 S. 8 Enthält das Rechtebuch Ich. Burgoldt's nebft 
kuutariihen Rechten von Sotha u. Eiſenach. Hrsg. v. 5. Ortloff. — (Ter 
1. Dd., das Rechtsbuch nach Diftinctionen, erſchien ſchon 18306.) 


8. Waſſerſchleben, Sammlung beutfher Rechtsquelllen. 
1. ®&v. Gieſſen, Deyer, 1860. XXI. 452 S. 8. Enthält eine Reihe von 
Onellen Magdeburger Redıts. 


Dr. Georg Martin Thomas, Ueber einen Staatsbrief bes 


256 Ueberſicht ber hiftorifchen Literatur von 1860. 


Dogen Leonardo Loredano v. Benedig an ben Bürgermeifler umb 
Rath von Ulm vom 16 Juli 1509. Ein Beitrag zur Gefchichte des beutichen 
Bürgerthums jener Zeit. Münden, Giel, 1860. 19 ©. 8. 


J. W. Kampſchulte, Die Univerfität Erfurt in ihrem Bew 
hbältniffe zu dem Humaniamus und der Reformation. Erſter Theil: 
Der Humanismus. Trier 1858. Zweiter Theil: Tie Reformation. 1860. 

Der Gegenftand dieſes Werkes ift nicht eigentlich die Univerfität Er⸗ 
furt, fondern der Erfurter Humanismus während bes erften Jahrhunderts 
des Beftehens der Univerfität, und insbejondere des Kreifes der Humani» 
ften, welche in den erften Decennien des 16. Jahrhunderts fih in Erfurt 
vereinigt und unter der Yührung des in dem nahen Gotha weilenten Ca⸗ 
nonicus Mutianus Rufus, in der geſammten gelehrten und nicht bloß im 
der gelehrten Welt Europas als ordo Mutiani ſich einen gefeierten und 
gefürchteten Namen erworben, in die Kämpfe ber Zeit lebendig eingegriffen 
hat und zuleßt ein Opfer berjelben geworben ift. Die Schidfale der Uni⸗ 
verfität, auf welche diefe Männer und vie von ihnen vertretene Richtung 
einen jo großen Einfluß übten, und die eng mit jenen verflochtene Ges 
fchichte der ftäptiichen Ummälzungen bilden den Hintergrund zu ber zahl 
reihen Gruppe ftreitbarer Poeten, deren wechjelvolles Leben und Wirken 
ver Verfaſſer uns verführt. Diefe Arbeit, deren VBorbedingung die Samım- 
lung und Sichtung eines nur mit großer Mühe zu erreihenten, aufßer- 
ordentlich zertreuten und weitichichtigen Materials, einer Maſſe von jelten 
gewordenen Druckſchriften, von tauſenden gebrudter und ungebrudter Briefe 
war, deren nody größere Schwierigkeit aber in ver peinlich zeritreuenden 
Verfolgung einer Menge verfchievenartiger Lebensläufe und geiftiger Ent⸗ 
widlungen und in der Bereinigung zahlreicher und oft fpröter Fäden zu 
einem einheitlichen .tunjtwollen Gewebe lag, hat ver Verf. in einer Weile 
ausgeführt, die jein Wert zu einem Ehrendenkmal deutſchen Fleißes und 
Scharfjinnd machen würde, ſelbſt wenn die Bedeutung der gewonnenen 
Nefultate der aufgewandten Mühe nicht entfpräche. Aber es ift fein um. 
dankbarer Stoff, an ven er jeine Mühe verjhwenbet hat. Denn jener 
Gotha-Erfurter Kreis fteht in der That in Mitten und auf dem Höhe⸗ 
punkt der deutichen humaniftiichen Bewegung, und wir freuen uns, daß 
der Verf. mit richtigem Blid fi gerade dieſen Gegenftand zur Behand 
fung ausgewählt hat, ver, ohne allzujehr in's weite zu führen, alle wich⸗ 
tigften Beziehungen der Humanität zu dem allgemeinen Leben der Nation 





258 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1860. 


und e8 bat fih ihm ergeben, daß man in biefem Berein nicht allein ſo⸗ 
fort für Reuchlin Partei nahm, über ven Verlauf des Streits fi fort 
während in der genaueften Kenntniß zu halten ftrebte, in immer wachſen⸗ 
ber Aufregung ſich gegenfeitig in der Bewunderung für Reuchlin und im | 
ber Erbitterung gegen feine Feinde zu überbieten fuchte; fonvern daß ber . 
reits 1512 hier der Gedanke auftaucht, mit eigner That in den Kampf | 
einzugreifen; daß fodann während der Jahre 1513 und 1514 die brief . 
liche Unterhaltung zwiſchen Mutian und einigen Auserwählten häufig in 
dunkeln Ausprüden ſich um fatiriiche Schriftftellerei dreht; daß diefelben den . 
anonynıen Triumphus Capnionis, der ten gleichen Zwed wie bie Epistolee . 
und mit ben gleichen Mitteln verfolgt und durch Anfpielungen auf die 
Epistolae ihr mwenigften® partielles Daſein und die Kenntniß von ihrem | 
Inhalt verräth, ſchon 1514, lange vor feiner Herausgabe und che er . 
irgendwo befannt geworben, einander zur Durchſicht zuſchicken; daß im 
Unfang des Jahres 1515 Reuchlin ein im Namen des ordo Mutieni m 
hohem Ton gejchriebenes Hülfsverfprechen empfängt, welches nicht wohl 
auf etwas anderes als auf fatiriiche Schriftftellerei bezogen werden kann 
und buch ein gleichzeitige8 Schreiben aus vemfelben ordo aud unver 
kennbar als folche bezeichnet wird. Zu all dieſen Momenten tritt bamm 
enticheidend der Umftand, daß nach dem Erjcheinen des erften Theils der 
Epistolae, während durch ganz Deutichland der lautete Jubel der Huma⸗ 
niften ertönt, in den Briefen Mutian’d und feiner Yünger ihrer mit kei⸗ 
nem Wort Erwähnung geichieht, ein Schweigen, welches nur durch ihre 
Autorichaft, aber durch dieje volllommen erklärt wird. 

Der andere Punkt, welchen ich hervorheben will, betrifft eines ber 
Hauptereigniffe der beutichen Geſchichte, nämlich den verhängnißvollen Um⸗ 
ſchwung in Luthers Richtung und Hunblungsweife währen bes Jahres 
1520, durch welchen ver Reformator den wirfjamen Anftoß zu der großen 
evangeliihen Volksbewegung ver folgenten Jahre gegeben hat. Auf den 
Antheil Hutten's an diejer Wandelung, weldhen Strauß in ter Biogra⸗ 
phie befielben vernachläßigt, obwohl er unleugbar der bei weiten folgen- 
reichſte Theil feiner ganzen Wirkjamfeit gewejen ift, haben Frühere bereits 
aufnerfjam gemacht, jet wieder ausführlih Vorreiter in einer zugleich 
mit Kampſchulte's zweiten Band erjchienenen, fehr beachtenswerthen Schrift 
über „Puther’s Ningen mit ven antichriſtlichen Principien der Revolution“ 
(Halle 1860), und Kampſchulte kann hierin nur das Verdienſt in An- 





Deuiſche Geſchichte. 259 


fruch nehmen, mit größerer Quellenfenntuiß und darum vollitändiger als 
bie anderen den im allgemeinen befannten Berlauf ver Dinge dargelegt zu 
ſaben. Bolltommen neu aber ijt die Aufvedung einer anderen außer- 
erdentlich wichtigen Seite des Ereignifjes, welche wir ihm verbanten. Sein 
Bert liefert nämlich den unerwarteten und überrajchenden Nachweis, daß 
Eretus Rubianus damals in derjelben Richtung und im Einverftändniß 
mit Hutten mächtig auf Luther eingewirft Hat, und dag, wenn Luther in 
gner Zeit auf kirchenpolitiihem Feld in Hutten’d Spuren eintritt, er zu- 
gleich in der theologiihen Polemik unter dem herrſchenden Einfluß bes 
Erstiniichen Geijtes fteht. Die Hauptgrundlage zu diefer Eutveduny bil 
ven die höchſt merkwürdigen Briefe von Erotus an Luther, welche Böcking, 
zum Theil zum eritenmal, zum Theil zuerjt in leöbarer Geftalt, in dem 
1859 erjchienenen erften Band feiner preiswürbigen Ausgabe von Hut- 
ten’8 Schriften veröffentlicht hat. 

Der Hr. Verf. bat in der Borrete zu jeinem zweiten Bande den 
Wunſch geäußert, dag man bald an die Sammilung der zahlreichen, noch 
ungerrudten Briefe aus der Neformationszeit Hand anlegen möge. Gein 
Berk ift der nachdrüdlichite Beweis dafür, daß die hiſtoriſche Wifjenfchaft 
von einem folchen Unternehmen ven größten Gewinn zu erwarten haben 
würde. C. A, Cornelius, 


D. 5%. Strauß, Ulrid von Hutten 3. Theil. U. ud T.: der 
ſpraͤche von Ulrich v. Hutten, überſetzt und erläutert. Leipzig, Brockhaus, 1860. 
LVIII, 418 ©. 8. 


U. Huttenl, equitis germani, opera quae reperiri potuerunt 
omnia. Edidit Ed. Böcking. Vol. IV. Dislogi item pseudohuttenici non- 
nalli. A. u d. T.: Ulrich's von Hutten Schriften hreg. v. Ev. Böding, 4. 
Bd. Ulrich'e v. Hutten und irrig ihm zugeichriebene Geſpräche. — Driginalien 
und gleichzeitige Ueberfetsungen, hrsg. und mit Aumerf. verſehen. Leipzig, 
Teubner 1860. X, 692 ©. 8. (Der 3. Bd. foll fpäter erjcheinen; bie bei- 
den erſten erichienen 1859. Vergl. Zeitfchrift Bd. III S. 219 ff.) 


E. de Bouteiller, Histoire de Frantz de Sickingen, Che- 
valier allemand du seizieine sitcle. Metz, 1860. XI, 339 p. 8. 


Hlerander Brüdner, Zur Geſchichte bes Reichsſtages zu 
Borme 1521. Die Verhandlungen über das Regiment. SHeibelberg, 1860. 
11* 


260 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Diefe Inauguralpifiertation ftellt fich die Aufgabe, vie Verhandlun⸗ 
geu zu erzählen und zu charakterijiren, welde auf dem Wormfer Reiches 
tag 1521 über die durch die Wahllapitulation Karl's V verbürgte Ein» 
fegung eines Reichsregiments zwifchen dem Kaifer und ben Reichſtänden 
geführt wurden. Diefer Verlauf, ſowie die principiellen Gegenjäge zwiſchen 
den auf die Regimentsordnung vom 3. 1500 zurüdgreifenden oligarchi⸗ 
fchen Tendenzen der Kurfürftenpolitit und der monarchiſchen des Kaifers 
werden an der Hand der bereitS befannten Wechjelichriften Far und bins» 
dig auseinandergeſetzt, wobei fich der Verf. in der politifchen Beurtheilung 
weſentlich an die von Droyjen ausgeführten Grunbfäge hält. Daß ſchen 
von 1521 an das Regiment nur ein „faiferlicher Staatsrath“ geweſen 
fei, läßt fih dem Berf. nicht wohl zugeben; um nichts anderes anzu⸗ 
führen, genügt ſchon die Stellung, welche das Regiment und die Reiche 
tage von 1522 und 1523 zu ber Iutherifhen Sache und zu dem Edilt 
von Worms einnahmen, um bei der Auffafjung Ranke's zu verbleiben. 

B. E. 


Corpus Reformatorum. Post C. Gli. Bretschneiderum ed. H. R 
Bindseil Vol. XXVIll. A. u. d. T.: Phil. Melanthonis opera, quae super 
sunt omnie. Vol. XXVIll. Braunschweig, 1860. XVIII, 574 Sp. An- 
nales vitae et indices XIV, 378 Sp. 4. 


Dr. 9. Heppe, Philipp Melanchthon, ber Lehrer Dentſchlande. 
Ein Lebensbild dem deutſchen Bolfe bargeftellt 1. n. 2 Aufl. Marburg 1860, 
Koch. VIII. u. 224 ©. 8. 


Dr. A. Pland, Dialon, Melanchthon, praeceptor Germaniae, 
Eine Denkſchrift zur britten Säcularfeier feines Tobes. Nördlingen 1860, Bed. 
vi, 184 ©. 8. 


Bernd. Czerwenka, Pfr., Philipp Relanchthon nad feinem Le 
ben und Wirken Zur feier ber 300jähr. Wieberlehr feines Xobestages 
rag. Mit Melanchthons Bildniß (in Kpfrfl.), nebſt anderen Abbilbgn. (auf 1 
Steintaf.) u. 1 Gtammtaf. in qu. gr. 4. Grlangen, Bläfing, 1860. XII, 
2286. 8. 


M. Joh. Ernſt Bolbeding, Philipp Melanchthon, wie er leibte 
und lebte. Ein Lebenebild aus dem Zeitalter ber Reformation für Leier ame 
allen Ständen. Nebſt 2 Anhängen: Grläuterungen und Zuſätze zn bem Cha⸗ 





963 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860, 


tipp Melanchthon's in ber Aufa bes Fönigl. Gymnaflums zu Gisleben am 
19. April 1860 gehalten. Eisleben, Reichardt, 1860. 47 ©. 8. 


®. ©. H.Raspe, zum Gedächtniſſe M. PhilippMelaudtihon’s. 
Rebe, gehalten im Hörfale der Domſchule zu Güſtrow am 19 Mpril 1860. 
Güftrow, Opi u. Co, 1860. 17 S. 8. 


Lubw. Frege, Philipp Melanchthon In feinem Wirken dargeſtellt 
nach dem Urtheil feiner Zeitgenoffen Ein Bortrag. Berlin, Hayn, 1860. 22 S. 8. 


Philipp Melanchthon, der Lehrer Deutihlande. Zum 8O0Ojährigen 
Gedähtniß feines Todes, bem beutfchen Volle wieber vor bie Augen geſtelt. 
Berlin, Küntzel u Bed, 1860. 486 8. 


F. Schaubach, Ret., Das Leben PhilippMelanchthon's. 1.n.2. 
anveränd. Aufl. Meiningen, v. Eye, 1860. 64 ©. 8. 


E. €. 5. Schultz, Superint. Pred, Melanchthon'e Leben u. Wir 
fen. Mit Bezug auf den 19. April 1860, feinen 300jähr. Todestag, f. Jeber⸗ 
mann bargeftellt. Berlin, Nicolai's Sort., 1860. 72 S. m Port. in Holzſchn. 8. 


Henr. Keil, Prof, Laudatio Philippi Melanchthonis, Over 
tio ad memoriam Melanchthunis ante 300 annos mortui celebraudam. Er- 
langen, Bläsing, 1860. 20 p. 8. 


Adph Kottmeier, Kect., Philipp Melanhthon, ber Lehrer Dentſch⸗ 
lands. Gin Lebensbild, auf Veranlaſſg. der 300jähr. Wieberfehr feines Tobet- 
tags entworfen f. Echufe u. Haus. Harburg, Tandwerts, 1860. 40 ©. 12. 


E. Schuhmacher, Enperint., Characteriſtik Melanchthon'e in 4 
Zeichngn Anclam, Dietze, 1860. 39 S 8. 


K. F. Th Schneider, Lic. Semin-Dir., Luther's Promotion zum 
Doctor und Melanchthon's zum Baccalaureus ber Theologie. Nebſt 2 bisher 
ungebrudten Briefen Melanchthon's. Neuwied, Heufer, 1860. IV, 58 ©. 8. 


Dr. & W. Löhn, Dr. Saspar Creutziuger oder Eruciger, ber 
Echüler, Freund und Amtegenoffe Luthers und Melanchthon's. Nach ungedrude 
ten u. gebrudten Quellen. 2. umgearb. u. vermehrte Aufl. Leipzig u. Dresben, 
Naumann in Comm. 1859. VII, 62 ©. 8. 


Osw. Slo. Ehmidt, Nicolaus Hausmann, ber Freund Lu 


ther's. Nah geihichtlihen Quellen bargeftellt. Leipzig, C. F. Bleilder 1860. 
IV, 2 6 8. 





Deuiſche Geſchichte. 263 


. Mari. Herg, Helius Eoban Heſſe. Ein Lehrer⸗ u. Dichterleben aus 
der Refermationsgzeit. Ein Bortrag. Berlin, Her, 1860. 33 S 8. 


€. 4. Cornelius, Gefhichte des Münfterifhen Aufruhrs, in 
mei Büchern Erſtes Buch: Die Reformation. Leipzig, 1855. Zmeites Bud: 
De Biebertanfe. Leipzig, 1860. VI, 297 und VI, 413 ©. 

Was vor Jahren einmal Ranke, von den Wiebertäufern handelnd, 
3 Munich ausgejprochen hat: „es wäre wohl der Mühe werth, viefen 
gimtrijchen Biltungen weiter nachzuforſchen, die jeltenen Schriften, in 
zexen fie ſich ausgeiprochen haben, zufammenzujudgen, ihrem inneren Zus 
wemenhang nadzuipüren”, dem wird bier zum erftenmale in einer dem 
Saricht des Gegenſtandes entiprechenden Weije Genüge gethan; jenes 
»örichtige Stüd in der Entwidelung der deutſchen Neformation, vie 
Selbftũberſtürzung des evangeliichen Geiftes in die Ertrene des religidjen 
am relitiichen Myſticismus, des Communismus gipfelt fi in dem zeit- 
zelisen Siege, in der etlichen Kataftrophe, wozu dieſe Tendenzen in 
Röntter gelangten. Der auf dem Gebiet ter niederdeutichen Geſchichte 
teräbrte Verfaſſer, ver gerade den Munſteriſchen Angelegenheiten ſchon 
zdrıh teine Aufmerfjamteit geſchenkt, hat nun begonnen, dieſen hervors 
zazendſten Punkt in ter Geſchichte jener Stadt auf kreiter Grundlage 
ztomend tarzuftellen. Bon den beiden bis jett erjchienenen Büchern 
ebilt das erfte, gleichſam als Einfeitung, die Geſchichte des Eindringens 
der Refermation in Weſtphalen, ven den erſten Kämpfen im J. 1525 
= bis zu dem Siege Münſters über ven Biſchof in dem durch Heſſen 
vermittelten Friedensvertrag von 14. Felr. 1533; das zweite gibt nas 
zenlih die Geſchichte der wiebertäuferiichen Lehre und ihrer Träger bis 
= dem Moment, wo von den Nieterlanden her vie eraltirteften Elemente 
= Sekte auf tem mwohlvorbereiteten Boden von Münfter fi zujanmen- 
en. Cornelius hat früher in einem bejontern Aufſatz (Geſch. Uuellen 
ss Bisth. Münfter II p. IX — (XVIII.) die Unzulänglichkeit ter bisher 
eis Tuellen benutzten Autoren für tie Gejchichte des Münſter'ſchen Auf— 
sure nachgewielen; er hatte erfannt, daß jeine Arbeit faft durchweg auf 
ndere®, zum großen Theil erft zu findendes Material, auf archiwaliiche 
Ouellen gegründet werden mußte und ter nun vorliegende Theil derſelben 
zibt uns tie Rejultate ter umfaſſendſten archivaliſchen Stubien, tie ber 
Seri. mit liebevollem Fleiß in ven wichtigften Archiven une Bibliethefen 


264 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Deutſchlands und 3. Th. des Auslands von Kaflel und Weimar, Berlin. 
und Münden bis nad Straßburg, Amfterdam und Brüffel, vor allem’ 
in den weftphäfifchen Städten jelbft angeftellt hat; überbies wirb in bei⸗ 

den Bänden eine reihe Auswahl intereffanter Stüde anhaugsweife mit⸗ 
getheilt; von großem Intereſſe find u. a. namentlid die Jülich'ſchen und 

Ravensbergiſchen BVifitationsaften vom 9. 1533 (Bd. I. Beil? ©. 216 

— 248). Die Bereicherung, welche nad) diejer Seite der Reformations« 

gefchichte hin unjere Kenntnig im Allgemeinen und vornehmlich im Detail 

der Borgänge und Perjönlichkeiten durch dieſe Forſchungen gewonnen bat, 

ift jevenfalls beveutend und dankenswerth; die fritifche Haltung, welde 

der Berf. als Katholik den Auswüchſen des Proteftantismus und vbiefem 

felbft gegenüber einnummt, ift maßvoll und würdig; man dürfte fie man⸗ 

chem feiner Glaubensgenoſſen als Mufter aufftellen; fie zeigt durchweg, 

daß es dem Verf. mit ven Worten feiner Vorrede Ernft war, „daß es 

ganz und gar nicht auf meine Meinung, fonvdern überall nur auf bie 

Sache felbft ankomme“. Ein ſchöner, fnapper, alles Fremde, aber nicht 

einen angemeflenen Redeſchmuck fern haltender hiſtoriſcher Stil verleiht 

dem Buche auch ven Weiz anzichender und wohlthuender Form. Als bes 

fonder8 gelungene Partieen find uns u. a. bie Beichreibung der Stabt 

Münfter und ihrer inneren Verhältniſſe, und die burch verſchiedene Ab⸗ 

ſchnitte ſich Hindurchziehende pſychologiſche Charakteriftit Bernt Rothinanns 

erjchienen. B. E. 


€. Hafe, Das Neih ber Wiedertäufer. Zweite verbefferte Auflage. 
Neue Propheten 3. Heft. Leipzig, VBreitlopf u. Härtel, 1860. 174 ©. 8. 


Carlo Caraffa vescovo d’Aversa. Relatione dello stato dell’ im- 
perio e della Germania fatta dopo il ritorno della sua nuntistura appresso 
l'imperatore 1628. Herausgegeben von Joseph Godehard Müller, Prof. 
in Hildesheim, im Archiv f. Kunde öster. Gesch. 1860. Bd. 23. 


Herr Prof. Müller hat ſich ein auferorbentliche® Verdienſt durch die 
forgfältige kritifche Ausgabe von Caraffa's fogenannter Relation erwor⸗ 
ben. Es find drei Handſchriften verglichen worden, die Noten zu dem 
Zerte enthalten alle wünſchenswerthen Aufflärungen in fachlicher und 
ſprachlicher Hinfiht, tie hinzugefügten Gapitelüberjchriften erleichtern bie 
Veberfiht unt machen das vielfach ungeordnete Material, das fich collecs 
taneenartig zujammenhäuft, der Benützung zugängliher. Es ift hier eine 





266 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


zufchlagen vergeflen, und meinte getroft, daß e8 „mehr als naiv fei, fol» 
hed Zeug dem gebilveten Publitum vorzulegen“. Hrn. Müller’8 Publi- 
cation zeigt nun, daß die im Vatikan aufbewahrte Relation des Card, 
Caraffa in der That wörtlid in das vorliegende Werk verarbeitet, aber kei⸗ 
neswegs ibentiich ijt mit dem ganzen Werfe ſelbſt. Sie bildet vielmehr 
nur einen ganz Heinen Theil vejlelben, und ift in unferer Ausgabe von 
©. 258 bis 324 wörtlich zu finden, nur iſt aud bier manches dazwi⸗ 
ſchen erweitert oder weggelaffen. 

Betrachtet man nun diejen Theil als jelbitftändige Relation, fo ent⸗ 
ſpricht dieſelbe allerdings weit mehr ven Begriffen, vie man fonft vom 
Sejanptichaftsberichten hat. Auch erklären ji nun die mancherlei Wie⸗ 
berholungen, die hier und im erften Theile des Wertes vorlommen. Biel 
leicht ift es geftattet, noch einen Schritt weiter zu gehen; wie ſich uns 
aus dem Geſammtwerke eine einzelne Relation Caraffa's herausgeſchieden bat, 
jo dürften auch noch andere Theile als felbftjtändige, von ver andern 
unabhängige Relationen herausgehoben werben können. ALS eine ſolche 
ift unzweibeutig jchen dem inneren Zuſammenhange nah S. 211 — 232 
zu betrachten. Es iſt dieß vermuthlih die Relation des Jahres 1629, 
die aber fchwerlih von Garaffa herrührt, und von welder Ranke als 
von einer eigenen Relation geſprochen hat. Endlich ift die Schilderung 
der Zujtände von Böhmen S. 232 — 258 offenbar wieder etwas jelbft- 
ftändiges, woraus wir unter anderm die wichtige Notiz erhalten, daß ber 
Feſttag des Johann Huf in Böhmen noch im Jahre 1622 öffentlich ge- 
feiert und erft damals auf Verlangen des päpftl. Peguten aus dem Ka⸗ 
leder geitrihen worden ilt. 

Faſſen wir nun aber das Ergebniß der Betrachtung über das un» 
ter dent Namen einer Relation von Müller herausgegebene Werk zu⸗ 
ſammen, fo zeigt ſich, daß wir genau ba ftehen, wo wir nad Ranke's 
Morten ftanden: „Auf jeven Fall vervient die Arbeit auch in dieſer Ge⸗ 
ftalt alle Aufmerkſamkeit. Die Relationen, die fie aufgenommen und 
mehr oder minder verarbeitet bat, finp von hohem Werth“. 0. L. 

Tilly ou La Guorre de trente ans de 1618 & 1632 par le ' 
Comte de Villermont Paris u. Tournay, 1860. 2 Vol. 8. @ine deutide 
Ueberſetzung ift bei Hurter in Schaffhaufen erfchienen. 

Daß der Graf Johann Tjerclaes von Tilly einer Biographie wirbig 
ift, wird fein unbefangener Proteftant läugnen. Es iſt natürlih, daß 





Deutihe Geſchichte. 267 


an Kathelik durch Die Sympathien für den Verfechter feiner Kirche vor: 
zaeımeie zu einer ſolchen Arbeit ſich geträngt fühlen wird. Sit ders 
sie unbefangen, kann er fid zu ten Verſtändniſſe. und zu der ner: 
ſennung ter bilteriihen Berechtigung der Gegenjüge der damaligen Zeit 
abeben, je wird man eine in dieſem Geiſte gejchriebene Biographie, wenn 
Re ienſt in ver Forſchung und Tarjtellung tem gegenwärtigen willen- 
‘burrliben Standpunkte entipricht, willtonmen heißen müſſen. Bedauerlich 
#, daß man dieß von dem eben genannten, im mancher Beziehung bes 
adtenswerthen Werke tes Hrn. v Billermont nicht jagen kann. Er ift 
Erchlich befangen, je daß er den Gegnern nicht gerecht werten kann. Um 
dieie Behauptung zu beweijen, greifen wir einige bezeichnente Aeußerungen 
reñelben heraus. Der belgiihe Graf beklagt Die Theilmahme des Vaters 
sen Tilo an der Erhebung der Geuſen gegen Spanien. Er fpriht mit 
Zexeifterung Davon, dag Tilly von den Jejuiten erzogen worden und jein 
Yeven lang ihr Freund geweſen jet. Vom Kurfürſten Mar beißt es: II n’a 
poat de rival parmi les princes de son temps ponr les talents et ne le 
cede pour la grandeur et la mäle energie du caractère qu’au seul Fer- 
daand 11.: da wire tod für den in wielen Beziehungen ausgezeichneten 
Kr rer Mund zu vell genommen und die Gloriſication Ferdinand's iſt 
zeradesu lächerlich. An Tilly rühmt der Verf. ganz beſonders la devo- 
kon particuliere pour la Sainte Vierge, cette devotion naturelle aux ämes 
pares et genereuses. Bei ten donauwörth'ſchen Händeln find die Ka— 
Selten natürlih ganz im echte. Die veutihen Fürften, welde für 
irre Kirche tem Kaiſer widerſtrebten, ſind alle verblendete Rebellen: ihnen 
scıenüber bat ter Sailer allemal Recht. Guſtav Adolf iſt bei aller Ans 
!ernung feiner Begabung, dem Hr. v. Villermont nichts weiter als ein 
keuchleriicber und ũbermũthiger Egoift, teilen Yiebenswürbigfeit nur das 
Feiultat ter Berechnung gemeien ſei. Man fieht demnach, ver Graf v. 
Serment fteht auf dem ultramontanene Stantpunfte, auf tem das Bes 
zreiien der Geſchichte unmöglich iſt. Doch läßt jih nicht läugnen, daß 
a :m Ganzen in ſeinen Urtheilen, wie in Faſſung ſeiner Gedanken wer 
niger leidenſchaftlich und anſtäudiger iſt, als die Ultramontanen gewöhn— 
hen Schlages in unſerer deuntſchen Geſchichtſchreibung. Am auffälligſten 
ta dieſer Beziehung iſt, daß er das Reſtitutionsedikt als höchſt unpolis 
ih beklagt. Hätte er dieſen Geſichtspunkt ver Augen behalten, jo würde 
er freilich zu der unparteiiichen Tarjtellung gekommen ſein, ohne jeinem 
Leiten etwas zu vergeben. 


268 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Was die Forfchung betrifft, fo hat der Verf. die beilgifchen Archive 
benützt. Freilich ift Die Ausbeute, wenn auch für das biographifche Des 
tail nutbar, doch im Großen und Ganzen nicht ſehr ergiebig. Beſon⸗ 
bers hätten die Beilagen ungebrudt bleiben können, da fie mit wenigen 
Ausnahmen, welche intereflanteren aber befannten Inhalts find (wie ©. 
264, 399, 437, 443 des 2. Bundes), die für den Krieg ziemlich wenig 
beveutenden Beziehungen Tilly's zur Infantin Iſabella betreffen. Außer 
dent benußt 9. v. DB. vorzugsweiſe die Schriften feiner Gefinnungsge- 
nofjen, des Hurter, Ofrörer, Benjen u. |. w. Bei folder Einfeitigfeit 
wird manches unerwähnt gelaffen oder verwiſcht, was ber Hiftorifer an⸗ 
führen und hervorheben muß, wenn er ven fich befämpfenten Parteien 
gerecht werden will. Auch bat ver Berf. fein Bedenken getragen, ſehr 
unkluge und gehäjfige Aeußerungen, die Zilly nad einem vom ef. ges 
gebenen archivaliſchen Berichte kurz vor feinem Einfalle in Sachſen gegen 
den ſächſ. Geſandten von Miltitz gethan bat, als jevenfalld von Miltig 
mißverftanden oder übertrieben zu bezeichnen. Diefe Art von Kritik über 
das, was nicht in den Kram paßt, ift freilich nicht Hiftorifh, kann aber 
bei einem Barteijchriftiteller nicht auffallen. 

In einer Beziehung fteht aber H. v. V. weit über den meiften 
deutſchen Schriftftellern feiner Partei, nämlid in ver Klarheit und Ele 
ganz ver Darftellung, vie ein franzöfifch fchreibender Schriftiteller freilich 
nicht vernadjläßigen darf, wenn er nicht fofort fasco machen wil. Man 
betrachte 3. B. die Charafteriftifen der Notabilitäten der Zeit, die in ber 
Darftellungsweife einen jehr gefälligen Einprud machen und da, wo nicht 
befangenes Urtheil das Bild unähnlih macht, 3. B. in ber Schilderung 
des Herzogs von Friedland durchaus befriedigen. 

Die Ultraniontanen fchreien noch immer Zeter darüber, daß Tilly 
von der proteftantifchen Geſchichtſchreibung ſchändlich verläumbet werde. 
Sie willen es entweder nicht ober wollen es vielmehr nicht wiflen, daß 
ihre enjchiebenften wifjenjchaftlichen Gegner dem Zilly längft gerecht ge⸗ 
worten find. Gern werben dieſe dem H. v. V. zugeben, daß Tilly fidh 
durch Einfachheit, Nüchternheit, Uneigennügigfeit und Gewiſſenhaftigkeit 
vor vielen Heerführern damaliger Zeit ausgezeichnet habe, fie werden ihm 
zugeben, daß Tilly's Verfahren vor Magdeburg ganz correct geweſen 
fei und ihm nicht die Brutalität der Soldatesfa zufchieben, tie Magde⸗ 
burg zu Grunde richtete. Sie wifjen recht wohl, daß der wilde, fana⸗ 





270 Ueberficht der Hiftorifchen Fiteratur von 1860. 


Erklärung finden. Magdeburg mußte, nachdem es mit Reaction bebroßt 
den leider nichtsnutzigen Aominiftrator aufgenommen hatte, fich wehren, 
Tilly mußte ven Wiverftand zu brechen fuchen, — das lag in ten Ge 
genjäten, die hier zu dem furchtbarften Conflicte famen. Aber vie Beftia- 
Iität ver Sieger und ber brutale Siegesjubel Pappenheimd wird nad 
aller Reinigung viefer Geſchichte durch vie hiſtoriſche Kritik den bentjchen 
Proteftanten ftets eine witrige Erinnerung bleiben, melde die Gegenpartei 
nicht durch gehäſſige hiftoriiche Sophiftit wieder lebendig machen follte. 
Uebrigens wird ein Hauptftüßpunft bei tiefer Kataftrophe, ob Magdeburg, 
wie Guericke jagt, „in Folge des hiftorijch beglaubigten Befehls Pappen- 
heims, zur Perturbation der Einwohner einige Teuer einzulegen, worin 
die Soldatesfa nachher Feine Discretion und Aufbhören gewußt haben,“ 
oder durch die von Faldenberg gelegten Minen, over endlich durch das 
verzweifelte Gefintel ver Stadt, Lei tem nachher ausbrehenten Sturm 
winde vernichtet worden jei, ſchwerlich jemals entſchieden werten. Wer je 
Augenzeuge einer bedeutenderen ſtädtiſchen Volksbewegung war, weiß, wie 
ſelbſt vie ehrlichften Berichterftatter, die nicht überall jein können, in ber 
Aufregung getäujcht werten und in ihren verjchievenen Kreijen tie einans 
der wiberjprechenpften Gerüchte vernehmen und berichten. Auch officielle 
Berichte haben bekanntlich fein Brivilegium der Unträglichkeit. Es iſt dem⸗ 
nach perfid, nur den ter Purteianficht entiprechenven Bericht gelten zu 
laſſen und darauf für Geichichte ausgegebene Hypotheſen zu kauen, wie 
z. D. den Könige von Schweren das abfichtlihe Preisgchen Magdeburgs 
angerichtet und Yaldenberg zum Mordbrenner in Magdeburg gemacht 
worten ift. Tilly hat Magdeburg nicht verbrennen wollen — Died wird 
jeder vernünftige Hifterifer zugeben, und mit diejer Nechtfertigung des Feld⸗ 
herrn ınögen fidy die Gegner begnüzen, ohne, wie es Heiſing tbut (5.113), 
ten Magteburgern zumuthen zu wollen, dem Tilly ob feiner Güte und 
Geduld in ver Statt ein Denkmal zu feet. Hb. 


Lettres de Gustaphe, Roi de Su&de, adressdes A son Gendral 
Dodo von und in Kniphausen en 161, 1632. publides par H O Feith, 


Doct en droit, Archiviste de la province de Groningue etc. Groningue, 
1860 8. 


Cine Eanımlung von 42 Briefen Guſtav Adolf's aus Dem GOrö⸗ 
ninger Archiv, die ſich faft alle auf vie Operationen beziehen, durch welche 





212 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


jener Schluß in einer vorläufig von Ilow den Offizieren gemachten Pros 
pofition wirklich geftanden hat, aber in dem von Neumann nach jener Propoſi⸗ 
tion aufgeſetzten und vor ber Unterfchrift laut verlefenen Schreiben weggelaffen 
worden iſt. Yür diejenigen, welde die Geſchichte Wallenfteine nicht ge 
nau fennen, hat Hr. Dudik des Kaiſers Verfahren vor der Ausfertigung 
bes erften Patentes, den 14. Januar, bis zur Unterzeichnung des zweiten 
Patentes, den 18. Yebruar, nicht Har genug dargeſtellt. Falſch iſt S. 22, 
daß Wallenftein im Februar mit Sachſen und Brandenburg unterhandelt 
babe. Die geheime Aufforderung an Sachſen war im “December 1633 
geihehen und ver zur einftweiligen Beſchwichtigung des Herzogs nach Pil- 
ſen geſendete ſächſiſche Feldmarſchall Albrecht von Lauenburg ſchickte ſangni⸗ 
niſche Briefe über die Situation in Pilfen nach Dresden. Aber Arnim 
ber eigentliche füchfiiche Bevollmächtigte, wurde von Wallenftein in Pilfen 
und Eger bis zum Ende vergeblich erwartet; da Arnim erft kurz vor des 
Herzogs Tode feine Inftruction erhalten hatte. Der Kurfürft von Bram» 
denburg dagegen hatte die von Arnim gewünjchte Theilnahme an Separat- 
Berhandlungen mit dem Herzog abgelehnt. Hb, 


Bidrag till Historien om konung Gustav Adolfs AfS. 
F. Hammarstrand. Upsala, 1859. 


S. F. H --d, Bidrag till det trettioarige krigets historien 
Gustaf Adolf i Tyskland, ar 1630. Upsala, 1859. 53 p. 16. 


Dr. 8. D. Haßler, Brof., Die Beziehungen Guſtav Adolph'e 
zu der Reihsftabt Ulm. Urkunbfihe Darlegung. Ulm, Stettin, 1860. 4. 


Bogislaff Ph. v. Ehemuik, Königlichen Schwediſchen, im 
Teutſchland geführten Kriegs. 7. Lig. 4. Thl., worin beffen völliger 
rechter Berlauff unter ben Feld Marfchalln Leonhard Torſtenſon's ꝛc Kriege- 
birection, von bes Feld Marjhalln Joh. Banners sc töbtlicden hintritt bie auf 
erfigemelbten Feld Marſchalln abreifen aus Teutſchland beichrieben wird. 6. Bud. 
Nach der Handichrift des Verfaſſers herausgegeben. Etodholm, Bounier, 1860. 
VIII, 200 ©. 


DOnno Klopp, Der König Friedrich II. v. Brenßen m. die bemt- 
(he Nation. Schaffhaufen, Hurter, 1860. XVII, 508 ©. 8. 


4. v. Losn, Die Kriegsverfaffung bes beutfhen Neihes 





— 


.................1 ——————————————— >” u 


Dentfhe Geſchichte. 273 


and des deutfchen Bundes (1668 — 1860). Deſſau, Aue, 1860. IV, 
me 8. 


Kranz Kugler, Geſchichte Friedrich's des Großen. Gezeichnet v. 
SE. Menzel. Neue durchgeſ. Aufl , verm. durd 6 Abbildgn der den Beld- 
besten Friederich'e in Berlin errichteten Standbilder, durch Schlachtpläne und 
am von Dr. H Lange entworfene Ueberfichtslarte des Tjühr Krieges. Mit ein- 
ger. Schjihen. u. Holzichntaf. Leipzig, Menbelsfohn, 1860. XIX, 513 ©. 4. 


Dr. 8 5. Reihe, Friedrich der Große und feine Zeit. Nach 
Kr bdeſten Tuellen bargeftellt. 2. Ster..Ausg 3 bie 12. Tg. m. 2 Stahlſt. 
Yarig, KeIImann, 1860. VIM, 8. 97—558. 8. 


Dr. Karl Ramshorn, Dir, Maria Therefia und ihre Zeit. 


2 %g. m. eingebr. Holzſchn. u 1 Holzſchntaf. Leipzig, Boigt und Giüuther, 
IS. 8. 65-128. 8. 


3 8. v. Arhenholz, vorm. Hauptm , Geſchichte bes fiebenjäh- 
rigen Krieges in Denutfhland. 7. unveräuterte Auflage. Heg u. m. 
e 2ehensabriß des Berf. u. e. Regifter verichen v. Dr. Aug. Potthaſt. Mit 
vom Bildniß Friedrich II. in Stahlſt u. 1 lithogr. u. color. Karte des Kriegs- 
wazplages in gr Bol 1. u. 2. Lig. Berlin, Haude und Epener, 1860. 
E. 1—160. 8. 


Dr. A Sammter, Die Schlacht bei Liegnitz am 15. Auguf 
1160. Zur 100jähr. Erinnerung verfaßt. Liegnig, Kuhlmey, 1860. 18€. 8. 


3. Chr. U. Bürger, Borgänge in und um Torgau während 
! Tjährigen Krieges, namentlid bie Schlacht bei Süptig am 3. Novbr. 
160. Bei Belegenheit der 100jähr. Erinnerungstage e. f. Preußen ruhmreid) 
gexerdenen Krieges geichrieben. Zorgau, Wienbrad, 1860. IV, 1208. 8. 


6. Berghans v. Gröſſen, Deutſchland feit hundert Jahren. 
deichictte ver Gebietseintheilung u ber politifhen Verfaffung bes Baterlandes. 
1. Abth. U. u. db. T.: Deutihland vor huntert Jahren, 2. Bd. Leipsig, 
ig. 7, 440 ©. 8. 


Ernk Hellmuth, Kaifer Joſeph 11. Ein Bud für's Boll. Mit 
„-80 luft. (in eingebe. Holzihn) v. 3. Lanfberger u. K. Swoboda. Im 
°-10 Yan 1. Lg. 2 Aufl. Prag, Kober u. Markgraf, 1860. S. 1-10. 4. 


Bring Friedrich Joſias von Coburg-Saalfeld, Herzog zu 
Eabien, K. K. und bes hi. röm. Reiches Feldmarſchall, von U. v. Wisleben. 
Sheriige Zeitſrift V. Bam. 18 


274 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


3 Theile mit Karten und Plänen. Berlin, Beriag ber k. geb. Oberhofbuch⸗ 
dDruderei (R. Deder), 1859. 8. 

Tiejes Werk ift, wie fih von jelbit verfteht, ver Allem in friege- 
geihichtlicher Beziehung intereffant; aber auch für ven Hifterifer von Sad 
bietet dafjelbe höchſt ſchätzenswerthes Material über vie politischen Ber- 
hältnifje des deutſchen Reiches und des üjterreihiichen Staates, nament⸗ 
(ih in den verhängnißvollen Jahren 1793 und 1794. Allervings findet, : 
fid) darin manches Bekannte und bereits Verarbeitete noch einmal vorge» 
tragen, aber doch nur injoweit, um einen Hintergrund herzuftellen, auf 
welchem dann die Perfünlichfeit des Geſchilderten mit all’ jeinen trefflichen 
Geiſtes- und Charaftereigenjchaften, mie auch mit jeinen Schwächen und 
Mängeln klar und mit plaftiicher Deutlichkeit herwertritt. Jedenfalls darf 
fi ter Verfaſſer jchmeicheln, die Aufgabe volltommen gelungen geläft zu 
haben, weldye er in der Vorrede als jene eines Biographen bezeichnet, 
nämlich „mit der Yebensbejchreibung gleichzeitig Tinen Beitrag zur Welt: 
gejchichte zu geben.“ 

Wir begleiten ven Prinzen von jeiner Geburt 1737 durch eine fröh⸗ 
lihe Yugentzeit und ein vielbewegtes, prüfungreihes Mannesalter bis zur 
Rückkehr des Greiſes nach ver Heimath und feinem ruhigen, gottergebnen 
Hinſcheiden 1815. Während 38 Dienftjahren, welche er in ter kaiſerli⸗ 
hen Armee verbrachte, nahm er an 13 Feldzügen ehrenvollen Antheil. 
Bon 16 Schlachten, die er mitkämpfte, ftund ber Prinz in 10 an ver 
Spitze jeined Heeres als Oberbefehlehaber; in ſechs von ihnen (bei Fed» 
ſchan und Martineſtie 1789, bei Neerwinden und Famars 1793, be 
Landrecies und Kateau Kambreſis 1794 war er Sieger; bei Wattignies 
1793, bei Zuurnay und Fleurus 1794 blieb das Glück der Waffen un⸗ 
entſchieden, und nur bei Zourcoing, dem eigentlichen Wentepunft des Feld⸗ 
zuges von 1794, wurde er gejchlagen. Bon acht Feſtungen, bie er bela- 
gerte, widerftanden nur zwei: Giurgemo 1790 und Maubeuge 1793 jei- 
nen Angriffen, auf die Zinnen von Chotin 1788, Orjema 1790, Balen- 
ciennes und Te Quesnoy 1793, Yanprecies und Menin 1794 pflanzte feine 
Hund ven kaiferlihen Doppeladler. Seine militäriihe Geſchichte umfaßt 
beinahe wie gejammıte Gejchichte des üfterreichiichen Heeres von 1756 bie 
1794, aber nicht dieſe ift es, welche uns dieſe Biographie fe merkwürdig 
madt. Cs ift vielmehr der jchroffe Gegenjag zwiſchen dem gejunten po» 
litiſchen Takte eines einfachen ehrlihen Soldaten und ber egoiftiichen, für 





Dentſche Geſchichte. 275 


Srzarämeisheit geltenden Raãnkeſucht eines intriguanten, gewiſſenloſen 
Tiplematen, der ſich uns hier wieder auf's Neue aufdrängt. Das ganze 
Sewicht der habſüchtigen und grundſatzloſen Perſönlichkeit des Miniſters 
Ihuaut drückt mit bleierner Schwere auf jede Bewegung ver ihren Geg- 
sa an inneren Werthe weit überlegenen Armee des Prinzen Joſias. 
3: Hemmungen, welche ſich durch die Natur eines Bündniſſes den Ope⸗ 
ratienen alliirter Heere entgegenftellen, wurden bis ins Unüberwindliche 
sekeigert durch dad tem Freunde mehr als dem Feinde Gefahr drohende 
&chen im Trüben von Seite des Wiener Hofes. „Ausgerüſtet mit um» 
linglihben Ztreitmitteln, den G©ewaltanjtrengungen eines fanatifirten 
Zeltes gegenüber, gefreust auf jedem jeiner Schritte durch eine undgil- 
sede Politik und gelähmt turd eine von Haß und Neid erregte Kama— 
ala, vermedhte es der Prinz von Coburg trog mannhaften Ringens 
sicht, Dad durch innere Zwietracht berbeigeführte Unheil dauernd von 
Zeamblant abzuwenden“. 


Am empfindlichſten tritt ver verderbliche Einfluß Thugut's in ven 
Srlsften hervor, welche der wegen feinec Herzensgüte jo oft gepriejene 
Kaiſer Franz im April und Mat 1793 an ven Feldmarſchall ergehen 
zer Mit Bezug auf die befannte Unterredung Coburg's mit Doumouriez 
a Yıb, und vie nad) des legteren Flucht durch Mad vermittelten Unter: 
Szebiungen mit Dumpierre, enthalten tiefe Erlaſſe, namentlih aber das 
tiierlibe Hantichreiben vom 6. Mai, eine in Wort und Ton jo rild» 
sheäleie und herbe Zurechtweiſung, daß fie einen treuen Diener, ver 
ren Kaiſerhauſe jo erhebliche Dienfte geleijtet und ihm je eben das ver- 
ren gegangene Belgien durch jeine Siege wieder erobert hatte, auf's 
Tieiſte verlegen mußte. Mit Hecht bemerkt hier ter Verfaſſer: „Wenn 
3 aber noch eins Beweiſes von der unbegränzten Hingebung tes Prin> 
a für das kaiſerliche Haus beturft hätte, man würde feinen überzeugenderen 
rsien können, als daß Coburg nad einem ſolchen Schreiben das Com— 
zııte noch weiter fortführte” (Br. II. p. 177). Welche nachtheilige 
Felgen jedoch diejer blinde, unverſöhnliche Haß des öſterreichiſchen Mints 
ſers gegen jeden ſelbſtſtändigen, von uneigennützigen Motiven geleiteten 
Tharakter, wie ter Coburg's war, auf den Gang der Kriegsführung 
asüben mußte, mag 3. B. aus dem Umſtande hervorgehen, daß der 
finz, ter Oberfeloherr des Kaijers, im Donate Juli 1793 ten Ver: 
uch machte, durch Bermittlung eines fremden Monarchen, des Könige 

18* 


276 Ueberfift ber biſteriſchen Fiteratar wen 1860. 


von Preußen, ven ieinigen zur Annabme eines nenen Feldzugplanes zu 
bewegen, weturd tie unielige, nur durch enaliichen Eigennutz viftirte Be» 
lagerung ven Züntirben beieitigt werten wäre. 

Auch rer Blick ins greße Haurtauarnier ven 1794, in tie Umge- 
kung tes damals an ter Zrige ſeines Heeres befindlichen Kaiſers, wel 
hen uns ter IV. Akichnitt ver 11. Abtheilung ves vierte: Buches (Bo. I 
p. 155 u. f.) geftattet, it hẽchſt bemertenswertb. Allen Entwürfen Co» 
burgs, welde mehr als tie netbmentige Abwehr tes Feindes beabſich⸗ 
tigten unt eine Entſcheitung berbeirübren kennten, begegnete ter princi⸗ 
pielle Wideripruch Thugut's und Waldechs, während Rollin (ter chema- 
lige. Erzieher des Kaiſers Franz, dasjenige, was er als militäriſch 
richtig anerkannte, mit Nachrrud beim Kaiſer durchzuſetzen ſuchte, dabei 
aber, we es irgend anging, ter Anſicht von Coburg und Mad entgegen 
trat. Obwehl tiefe Lage des Prinzen als eine faum zu ertragente er⸗ 
iheinen mag, jo fühlte er ſich dennoch glüdlih, jest ten Kampf mit 
jeinen Gegnern Aug’ in Aug” auskämpfen zu können, anjtatt wie früher, 
als er nur im Schriftverfehr mit tem Kaiſer fiand, ihrem Treiben ge⸗ 
genüber faft wehrles tuzuftehen. 

Es würde uns zu weit führen, alle interefianten Stellen viejes 
ihägenewerthen Werkes auch nur anzudeuten; es genügt zu fagen, daß 
es nad) unjerer Ueberzeugung dem Verfaſſer geglüdt it, das Bild ves 
Prinzen Joſias von dem Roſte zu befreien, mit welchem Parteijuht, Neid 
und Unfenntnig das Antenten dieſes nit großen aber wadern und recht⸗ 
ſchaffenen Mannes umzogen haben. j 

Bon ten tem Verfafier zu Gebote geitandenen, bisher größtentheils 
noch unbenügten Quellen find die merfwürbigften vie im Coburger Ar- 
dive enthaltenen hinterlafjenen Papiere des Prinzen: feine Tagebücher, 
feine Berichte an Joſeph II., Leopold I. und Yranz II, fein Briefmechiel 
mit biejen Fürſten, dann mit Potemlin und Souworov; ferner find von 
Wichtigfeit: ter Briefwechjel ter preußiſchen Militärbevellmädhtigten, Gras 
fen Tauentzien und Dünhoff, mit dem Könige und dem Kriegsminifterium, 
jener des Feldzeugmeiſters Fürſten Hohenlohe mit jeinem Bruder, endlich 
die dienſtliche Korreſpondenz des Herzogs von York und des Erbprinzen 
ven Oranien mit ihren Regierungen. 

Was die Ausftattung des Werkes betrifft, jo iſt fie in jeder Bes 
ziehung zufriedenftellend und Laffen namentlich die nach den Originalplänen 





Deutſche Geſchichte. 277 


geitechenen Karten (17 Blätter) weder hinfichtlich der Schönheit noch ver 
Eenauigkeit ver Ausführung faum Etwas zu wünjchen übrig. L. H. 


Frbr. v. Fiſcher, Major, Rückblicke auf die Heldenlaufbahn 
weil Sr. kaiſerl. Hoh. d. Erzh. Karl v. Defterreidh, am Tage ber 
Tabüllung höchſtdeſſen Monuments zu Wien am 22. Mai 1860. (Abdr. aus 
t. äferreich. militär. Zeitfihr.) Wien, Gerold's Sohn, 1860. 35 ©. 8. 


5. Steger, 1792 — 1813, Deutfhlands Erniebrigung durch 
KRapeleon Bonaparte Ein Spiegelbild für bie Gegenwart. Leipzig, O. 
RBizmb, 1860. IV, 191 ©. 8. 


Adf. Telllampf, Die Franzoſen in Deufdland. SHiftoriide 
Eder. Hannover, Riimpler, 1860 VIII u 358 &. 8. 


Bilb. Baur, Das Teben des Freiherrn v. Stein. Nah Pert 
erzähle Mir Stein’s Portr. in Stahlſt. Gotha, Beller, 1860. IV, 316©. 8. 


Heinr. Erdr. Karl Frhr. v. u. 3. Stein. Hrsg. u. verlegt von dem 
Hanpreerein für chriſtl. Erbauungsihriften in ben preuß. Staaten. Berlin, 
Künkel u. Bed, 1860. 48 ©. 8. 


Die Beſchuldigung Wrede’s durch E. M. Arndt Gin Wort 
der Beriheibigung v. e bayer. Offizier. Münden, Yranz, 1860. XII, TIE. 8. 


G. Bäürſch, Ferdinand v. Schill's Zug und Tod im 93. 1809. 
Sr Erinnerung au ben Helden und an bie Kampfgenoſſen Mit Schill's Bild- 
z, 1 Karte und 4 Plänen. Leipzig, Brodhaue, 1860. VII, 343 ©. 8. 


Ferdinand vo. Sdill, Ein militärifh-politifhes Charakters 
site. Nebſt Beilagen, enth. die wichtigſten officiellen Actenftüde aus dem 9. 
1909 Botstam, Niegel’ihe B., 1860. 143 5. 16. 


9. v. Sranfenberg-Lubwigsborff, Sec. -Lieut, Erinnerungen 
ı2 das Schwarze Corps, welches Herzog Friedrich Wilhelm v. Braun- 
Kmeiz- Dels im 3. 1309 errichtete. Aus dem Tagebucke eines Beteranen. 
Sraunihweig, Echwetichle u. Sohn, 1859. 78 5. 8. 


Dr. Heint, Beible, Major a. D. Gefhichte der deutſchen Frei- 
heitefriege in ben 9. 1818 u 1814. 2. verb Aufl. 3.—8. Lig. Ber⸗ 
ſin, Dunder u. Humblot, 1860. 1. 8b XVI u. 8. 321 — 604 u. 2. 8b. 
MU w 681 © 8. 


218 ____  Meberflht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Joh. Sporfhil, Die Freipeitstriege ber Deutfhen in ben. 
1813, 1814, 1815. 7. Aufl. 9 Bde. Mit 12 Etahlſt. n. 22 (lith. n.) color. 
Echlachtplaͤnen. Braunfchweig, Weftermann, 1860. 2683 ©. 8. 


Dr. Frdr. Förſter, Geſchichte der Befreiungslriege 1813, 
1814, 1815. Nah theilmeife ungebr. Duellen u. mündl. Aufihläffen be 
bentender Zeitgenofjen 2c. bargeftellt unter Mittheilung eigener Erlebniſſe 71. 
—75. Lg. Mit 1 Eteintaf. Berlin, Hempel, 1860. 3. Bd. &. 361—960. 8. 


Die Schlußacte der Wiener Minifterial-Conferenzen zur 
Ausbilbung und Befefigung bes dentſchen Bundes. Urkunden, Ge 
ſchicht und Kommentar von Ludwig Karl Aegidi. Erſte Abtheilung: Die 
Urkunden. Berlin, Drud u. Berlag von Georg Reimer 1860. ©. 452. 8. 


Belanntlih hat über die Entftehung der Wiener Schlußacte bisher 
völlige8 Dunkel geherrſcht. Erſt jest, vierzig Jahre nach jenen verhäng⸗ 
nißvollen Vorgängen, ift e8 einem um die Geſchichte der neueften dentſchen 
Rechtsentwicklung vielfach verdienten Forſcher gelungen, in ven Belig aller 
jener Urkunden und Aftenftüde zu gelangen, aus denen fi) uns ein voll» 
ftändiges Bild der von den deutſchen Minijtern damals zu Wien gepflo- 
genen Verhandlungen varftellt. Diejelben find bier in größter Bollftän- 
digkeit zum Aborude gebracht worben; nicht bloß die Protocolle der vier 
und dreißig Sigungen, in denen der gewandte Stil von Gent unverlenn» 
bar ift, fonvern auch zahlreihe Beilagen, enthaltend Dentichriften und Er⸗ 
kläruugen aller Art; nur wo es behufs ver Tagespolitif fachlich geboten 
war, find von dem Heransgeber Anmerkungen binzugefügt worden, und 
wenn biejelben ſich nun auch nicht gerade von fubjectiver Färbung überall 
freihalten, fo ift das durchaus fein Nachtheil; e8 wirb wenig Lejer geben, 
die nicht mit dem Inhalte derſelben übereinftinnmen. 

Es mag nun in mander Peziehung auffallend erfcheinen, wie es 
mögfich geweſen iſt, daß em folches Geheimniß bei der großen Zahl derer, 
bie an demſelben Theil hatten, jo lange Zeit hindurch wirklich bewahrt wor⸗ 
ven ift. Es zeigt ſich indeſſen bei einer Einficht in jene Verhandlungen deut⸗ 
(ich genug, daß man allen Grund hatte, ven Zwiefpalt unter ben beit» 
hen Regierungen, ver hinjichtlih ver Auffaflung ver Aufgaben und Zwecke 
bes Bundes obwaltete, ven Augen des deutſchen Volkes zu verbergen, daß 
es wenigſtens das hüchfte Intereſſe von Metternich erheiichte, in bie 
Ständelammern feine Kunde tavon gelangen zu laffen, wie wenig man 





Dentihe Geſchichte. 279 


ea manden Urten mit ver bekannten öfterreichiichen Auffaffung von ven 
"eispren Der Revolution und der Berverblichkeit landſtändiſcher Einrichs 
ungen übereinftimnite. 


Dr. 2. Fr. Ilſe, Frofeffer, Protokolle ber deutſcheu Minifte- 
sis: Qonferenzen, gehalten zu Wien iu den J. 1819 u. 20. 1 —3. 2fg. 
Artur a M, Auffarth, 1860. 1688 8. 


Terfeike, Geſchichte ber beutihen Burdesverfammlung, insbe 
satire ibres Verhaltens zu ben National-Intereffen. Bd 1. Dlarburg, 1860. 
2 XXVII u 799. 8b. 2. Lief. 1. 


Derielbe, Geſchichte ber porit. Unterfuhungen, melde durch bie 
zixe ber Bunb:everfammlung errichteten Commilfionen, der Central-Unterfu- 
2238. Jommiifienen zu Mainz und ber Bundes⸗Centralbehörde zu Frankfurt in 
ta 3 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt find. Frankfurt a. M., 
Arbinzer Schu u. Co, 1860. IX, 717 S 8. 

Ilie's Ausgabe der Wiener Schlußakte ſtimmt mit ber Aegidi'ſchen 
2 allen Punkten überein. Jedoch befindet jih Ilſe im Beſitz eines nod) 
2r ciel größeren Materials, injofern ihn die ſämmtlichen Protocolle ver 
Icxererfammlung zur Benützung vorliegen. Der Gebrauch, ten die 
Srnemihaft bisher davon machen fennte, war ein beichräufter. Nur in 
te Jahren 1816 bis 1828, und dann wieder im meuefter Zeit hat eine 
Immgung ter Derhandlungen in ter befannten Quartausgabe ver Bun— 
sspretscolle ſtattfinden fünnen, tie Jedermann zugänglich, aber tod) injofern 
=z unrellfommen war, als darin nur Auszüge der wirklichen Verhand—⸗ 
ya gebeten wurden, Auszüge, welche bejonters von 1821—--1828 ter 
3 keihaffen waren, Daß fie nicht das geringfte Intereſſe darbieten, 
zen darin beſonders nur über Begräbnißfeierlichkeiten beim Zope der 
deAdestagsgeſandten, über Bücher und antere Ghegenftänte, bie ver Bun- 
tederſammlung zum Geſchenke vargeboten werden, gehantelt wirt. Wäh— 
as der ganzen Periode von 1928 bis jegt, und wenn es jih um ge 
were Nachferichungen handelte, auch während ver früheren Zeit, ijt man 
2: Infermation einzig und allein an tie officielle Ausgabe ver Yuntess 
sretecclle veriwieien, die in folio loco dietaturae in nur 170 Exemplaren 
ztrudt und eigentlid) wur zur Meittheilung an vie Geſandten und 
R:zierungen beftimmt iſt. Es findet jid nun wehl, daß dieſe Ausgabe 
iin an öffentliche Bibliothefen verliehen wirt, aber wie es ſcheint nur 





280 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


um bort zur Verhöhnung berjenigen zu dienen, welche fie einjehen wollen 
und außerdem zur fortwährenden Beunrubigung derjenigen Bibliothets- 
Beamten, denen die Bewachung unter Androhung furchtbarer Strafen 
aufgetragen ift. Es wird übrigens als ein Beitrag zur signatura temporis 
die Zurüdweifung, welche ver berühmtefte Staatsrechtslehrer Deutſchlands 
in diejer Beziehung in den jchlimmften Zeiten der Reaction erfahren hat, 
von bleibenden, wenn aud) Iraurigem Intereſſe fein; glüdlicherweije bringt 
e8 die Zerjplitterung Deutſchlands mit fi, daß eine Benützung in ei- 
nem gewiflen Umfange zu allen Zeiten irgendwo burdhzujegen gewelen ift. 

In der umfaſſendſten Weife fliegt nun Ilſe das gefammte Material der 
Gejchichte der Bundesverſammlung feit einer Reihe von Jahren vor, und 
zwar fo, daß ihm ſelbſt eine große Anzahl ver gefchriebenen Protocolle, 
ferner der Verhandlungen und vertraulichen Sigungen nit unbekannt 
geblieben find, daß ihm jogar 25 Protocolle der Bundes⸗Militär⸗Com⸗ 
miffion, die ungefähr in derſelben Stärke, wie die fonftigen Protocolle in 
einen Foliobande erjchienen, zn Gebote geftanden fint. Uebrigens follte 
nur dasjenige mitgetheilt werden, was im Intereſſe des deutſchen Bolts 
veröffentlicht werden könne, eine Rechtsbeſchränkung, die wohl nur hinſicht⸗ 
lich ver Mifitärverhältniffe, namentlih der Bundesfeſtungen gerechtfertigt 
fein wird. 

Die Gefchichte der Bundesverjammlung, die num der Verf. auf Grund dieſes 
Materials zu fchreiben unternommen bat, fol, wie fich beinahe von ſelbſt ver- 
fteht, eine beſtimmte Beziehung auf bie großen deutſchen Nationalintereffen 
baben,. in ver Weiſe, daß folche Angelegenheiten, vie für das allgemeine 
Intereffe nur einen untergeorbneten Werth befiten, wie 3. B. die über: 
rheiniſche Suftentationsjache, das Reichskammergericht, die Verhältniſſe 
des deutſchen Ordens von der Darftellung ausgefchloffen bleiben, während 
auf der andern Seite, was gewiß gleichfall8 zu billigen, auch ſolche Ber- 
bandlungen, die zwar außerhalb der Bundesverſammlung vor fi gegan- 
gen find, wenn fie nur mit den hier in Betracht foınmenven Materien im 
Zufammenhange ftanden, hier herbeigezogen werden, wie namentlich bie 
Verhandlungen ver füdweſtdeutſchen Staaten, die in dem Jahre 1818 und 
ben folgenden behufs der Umgeftaltung ver katholiſchen Kirche am Site 
ver Bundesverſammluug abgehalten wurde. Die Methode, in welcher dann 
ber fo begrenzte Stoff zur Darftellung gebracht wird, ift nicht die chro- 
nologifche, ſondern vie fynchroniftiihe, in der größere Perioden gebilvet 





282 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


daß das Publikum einigermaßen über den Plan aufgellärt würde. Auch 
follten den einzelnen Bänven zur beſſern Ueberſicht Regifter zugefügt wer⸗ 
den, von denen fid jest feine Spur findet. 

Endlich iſt noch als ein beſonderes Wert cin Gegenſtand abgeſon⸗ 
dert worden, welcher nad dem urſprünglichen Plane einen iutegrirenden 
Theil der Gejchichte der Bundesverſammlung bilden follte; es ſind das 
die politiiche Unterjuchungen ter Gentralunterjudhungs » Gommiilien zu 
Mainz und das, mas damit im Zujammenhange ſteht. Es jcyeint mir 
nicht, als ob es zu tadeln wäre, daß fich der Verf. gerade hier beſonders 
bat geben lajlen. Denn jo widerwärtig auf ver einen Seite dieje Dinge 
auch find, in denen fi der ganze Jamnmier einer politiih abgeipannten 
Zeit zeigt, fo haben fie doch für die ernfte hiftorifche Betrachtung ein 
eigenthümliches Intereſſe, welches um jo mehr zu jeinem Rechte wird 
fonımen dürfen, als jett die Bahnen verlaffen find, die damals zum tie 
fen Schaden ver Entwidlung unjerer öffentlihen Rechtszuſtände einges 
ihlagen wurden. E. M. 


5. Blönner, Zur Gefhihte der Beftrebungen der preuß. 
Regierung für eine politiihe Reform Dentichlanbe, vom Mai 1849 bis An- 
fang November 1850. Mit beigefügten Anlagen. Berlin, Mittler's Eortim., 
1860. VL 290 © 8. 

9. Heppe, Geſchichte des deutſchen Volkeſchulweſens. 5. Bb. 
Gotha, Perthes, 1860. VII, 456 S. 8 (Schluß.) 





R. Birchow, Zur Geſchichte des Ausſatzes und ber Spitäler, 
befonders in Deutfhland 4 u 5. Artikel. (Eeparatabbrud aus Birs 
chow'e Archiv für pathofogifhe Anatomie und Phyſiologie und für kliniſche 
Medicin. 20 Band.) Berlin, G. Neimer, 1860. 8. 


%. © 8 Hefeliel, Repertorium für Adelsgeſchichte. 1. Eräd 
Berzeihniß von Monographien über bie Geſchichte nicht jonveräner, fürfll., gräfl., 
freiherrl u. abeliger Geſchlechter. Berlin, Heinide in Fomm, 1860. 338. 8. 


Stammbuh bes blühenden uud abgeftorbenen Adele im 
Deutſchlaud, heraueg. von einigen beutihen GEdelleuten. (In 4 Ben.) 1. Bd. 
A-F., enth. zuverläßige u. urkundliche Nachrichten über 9898 Adelegefchlechter 
Kegensburg, Manz, 1860 X, 409 ©. 4. 


Die AltertHämer unferer Borzeit. Nah ben in dffentl. w. Pri⸗ 





Deuifhe Geſchichte. 283 


setiamıminngen beſindl. Originalien zufammengeftellt u herausg. von bem rö- 
mud-germ. Gentralmufeum in Mainz burch deſſen Confervator 2. Linpen- 
(Hmitt. 6. Hft. 8 Steintaf. m. 8 BL Erläuterungen. Mainz, v. Zaberı, 
1860. 8. 


9. Haas, Die Nibelungen in ihren Beziehungen zur Ge 
ſhichte des Mittelalters. Erlangen, Bläfing, 1860. XIII, 114 ©. 8. 


Dr. A. v. Eye u. Jak. Kalle, Kunf und Leben ber Borzeit 
vew Beginn des Mittelalters bis zu Anfang bes 19. Jahrh. in Skizzen nad 
Crig.-Deufmälern. 2. nad chronolog. Reihenfolge zufammengeftellte Ausg. in 
3 Ben. 2. Bd. 1. u. 2. Heft. 31 Kpfe.- u. 1 Steintaf. m. 32 DB. Tert. 
Nürnberg, Bauer u. Raspe, 1860. 4. 


Alb. Beip, Jacob Böhme, der deutſche Bhilofoph, ber Bor- 
kinter chriſtiicher Philoſophie. Leipzig, Hirſchfeld, 1860. III, 260 ©. 8. 


F. Bovet, Le Comte de Zinzendorf. 2 vol Paris, 1860. VII, 
tip. 8. 


Guſt. Freytag, Bilder aus ber beutfhen Bergangenbeit. 1. 
22 Thl. 2. Aufl. Leipzig, Hirzel, 1860. 382 u 413 ©. 8. 


Ed. Behſe, Geſchichte der deutſchen Höfe feit der Reforma- 
tien. 48. Bd. A. u. d T: Gecſchichte der beutfchen Meinen Höfe. 14. Thl. 
Lie geiftlihen Höfe. 4. Th. Hamburg, Hoffmann u. Campe., 1860. VIII. 
319 8. (Edhluf.) 


Jod. Jerem Kummer, Pred., Teftament Friedrich's b. Gro⸗ 
fen cd. Epifiel aus Erfurt 1757 an den Marquis d'Argens. inleitung, Ur- 
kirift m. Ueberſegg. Eine Borlefg. Erfurt, Müller, 1854. 96 ©. 8 


Johs. Scherr, Drei Hofgefhichten. Leipzig, DO. Wigand, 1860. 
in, 331 ©. 8. 


Heinr Dünger, Göthe u. Karl Auguft während ber erften fünf- 
on Jahre ihrer Berbinbung, Studien zu Göthe's Leben. Leipzig, Dyd, 1861. 
mn. 476 8. 


Blaten’s Tagebud, 1796—1825. Hrég v. Karl Bfeufer. Gtutt- 
gert, Cotta, 1860. XIV, 28865 8 


Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen. 2. Aufl 1. ©. Don 


284 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Schleiermacher's Kindheit bie zu feiner Anftelung in Halle, Octob. 1804. 98. 
Bd. Bon Schleiermaher’s Anftelung in Halle, Oct. 180% bis an fein Lebens 
ende ben 12. Kebr 1834. Mit Schleiermacher's Bildniß. Berlin, &. Reimer, 
1860. VI, 407 u. 413 S 8. 


Jof. 9. Görres, Geſammelte Schriften. Hrsg v. Marie Gör- 
res 1. Abthl 6. Bd. A. u. d. T.: Bolitifhe Schriften. Münden, liter. art. 
Anftalt, 1860. YI, 542 ©. 8. 


Aler. v. Humboldt, Briefe an Barnhagen v. Enfe aus ben 3. 
1827 —58. Nebft Auszügen aus Varnhagen's Tagebüchern, und Briefen vom 
Barnhagen u. Andern an Humboldt. 1-4 Aufl Leipzig, VBrodhaus, 1860. 
XXI, u. 400 S 8. 


Humboldt, Lettres of A. v. Humboldt written between the 
years 1827 and 1858 to Varnhagen v. Ense, together with Extracts from 
Varnhagen’s Diaries and Lettres from Varnhagen and others to Humboldt. 
Authorised Translation from the (ierman with explanatory. Notes and a 
full Index of Names. London, 1860. XXVI, 334 p. 8. 


Barnhagen v. Enfe, Briefe an eine Freundin. Aus ben Ja 
ren 1844-53. Hamburg, Hoffmann und Canıpe, 1860. 2988 8, 


Dr. Gerd. Eilers, Geh. Reg. -R., Meine Wanderung burd's 
Leben. Ein Beitrag zur innern Geſchichte der erften Hälfte bes 19. Jahrh. 
5. Thl. Leipzig, Brodhaus, 1860. XIN, 3128 8. 


Ernf Morig Arndt. (Abgebrudt aus dem 5. Bbe. ber preuß. Jahr⸗ 
bücher.) Berlin, © Reimer, 1860. 45 S. 8. 


Dr. G. Befeler, Zur Geſchichte d. dentſchen Ständerechts. 
Berlin, Hertz, 1860. 10 S. 4 


Dr. Ferd. Kampe, Geſchichte ber religidien Bewegung ber 
neueren Zeit. 4. Bd. Leipzig, Wagner, 1860. XII, 376 &. 8. 

Inhalt: Geſchichte des Deutichlatholiciemus und freien Preteflantiemus in 
Deutfhland und Norbamerifa von 1848 1858. 


Uns dentſchen Zeitſchriften. 


Götting iſche gelehrte Anzeigen 1860. 
Bir notiren aus dieſem hervorragenden kritiſchen Organ zunächf drei 





Deutiche Geſchichte. - 285 


Anzeigen des Hrn. Prof. Waitzz, welche fih über ausläindifhe Werte aus 
kütren Jahren, bie aber als Beiträge zur Literatur der germaniſchen Geſchichte 
kerrachtet werben können, verbreiten: Geographie de Grögoire de Tours von 
Alfred Jacobs (Paris 1858), Collection des Cartulaires de France, Tom. VIII, 
R Paris 1857) uub Codice diplomatico Longobardo, von Carlo Troya 
-Nespel, 1855) — in Rr. 89, 146 -— 152. — Ju Nr. 85-88 gibt Hr. 9. 
Istn eine eingehende Receufion von Otto Opel's Chronicon Montis Sereni, 
ak, 1359. — Hr. 3. Köſtlin beipridht in Nr. GL u 62 eine Schrift von 
Dr. 9. Brandes: Luthers Reife nah Rom, ober ift e8 wahr, daß derſelbe 
bear tie Erufen ber Peterstirche erftiegen hat. Lemgo, 1859. 


Zeitichrift für deutſches Recht und deutfhe Nechtswiffenihaft, bag. 
wz Befeler, Reyſcher und Stobbe. Tübingen, 1860. 20. Bd. 1. und 
2 Eeft 

Kir maden befonders auf bie verbienftliche Abhantlung ven Fr. Thudichum 
er „dus vormalige Reihslammergericht und feine Schidfale” S 148 — 222 
srefiam. 

Kritifhe Bierteljahresjchrift für Geſetzgebung und Rechts- 
ziffenfhaft von 3. Pözl. 2. Br 1.—3 Heft. Münden, literar.-artift. 
Isüalı, 1860. 

In vem Artikel „zur vergleichenden germanijchen Rechtsgeſchichte“ 
£. 755 — 122 gibt der gründliche Kenner der nordiihen Rechtsquellen 
Fr 8. Maurer, anfnüpjend Kritik, Abhandlung des Dr. Fr. Rive de 
llorum et mulierum tutela in antiquo Scandinavorum jure (YVratislaviae, 
59, höchſt beachtenswerthe Winke über vie Cinfeitigkeit und Unrichtig- 
z rer Wilda'ſchen Methode in der Behantlung ver altgermanifchen 
Ichtögucllen. Hr. Maurer beftreitet, daß wir ven Inhalt unjerer deut⸗ 
em Rotfärechte ohneweiters für moderner als den der nordiſchen Nechte 
Sieden türfen und gefteht unter diejen keineswegs den norwegiichen und 
4 meniger ven isländiſchen Rechtsquellen einen alterthüntlicheren Chn- 
ter zu, als den mit dem deutſchen am meilten verwandten bänifchen 
Kehre. Es genügt, auf die Fruchtbarkeit diefer Gedanken für die rich— 
+ Erfenntniß der älteften deutſchen Rechtszuſtände hinzuweiſen. 


Zeitſchrift für die biforifhe Theologie. In Verbindung mit 
= 5heriihetheologifhen Geiellichaft in Leipzig, herausgeg von Dr. th. Chri⸗ 
Ts Bithelm Niedner. Gotha, Verthes, Jahrgang 1860. 4 Hfte. 634 ©. 8. 

Sch 1: Zur Geſchichte der firaßburgifchen Wietertäufer in ben Jahren 


286 = Ueberfſicht ber hiſtoriſchen Literafur von 1860. 


1527 bis 1548. Aus ben Berzihtblidern und anbern ardivaliihen Quellen 
mitgetheilt von T. W Röhrich, Pfarrer und Präſident bes Konfifioriums ze. 
6 3 — 121. — Die Entfiehung ber helvetiſchen Sonfenfus- Formel, aus Zu⸗ 
rich's Epezialgeſchichte näher befeudhtet. Bon Dr. th. Alerander Schweizer, 
Kirchenrath 2. S. 122 — 148. 

Heft 2: Mittheilungen ans ber proteftantiihen Sectengeſchichte in ber heſ⸗ 
fiihen Kirde. Bon 8. W. H. Hochhuth, Pfarrer. Schluß der zweiten Ab⸗ 
iheilung (Iahrgang 1859. ©. 210 — 234). ©. 258 — 284. — Zacobus 
Spreng, genannt Probſt, in ber Anfangszeit ber Reformation. Bon 8. 
Kloſe. 

Heft 3: Das chriſtliche Maͤrtyrerthum in ben erſten Jahrhunderten umb 
deſſen Idee. Bon Dr. th. F. W. Gaß. Zweiter Artikel (vgl. unſere Zeit⸗ 
ſchrift S. 315 — 381). — Drei Urkunden zur Reformationsgeſchichte Mitge⸗ 
theilt von Dr. Theod. Muther. ©. 452-469. Die 3 Urkunden flammen 
aus dem Weimarer Geſammtarchiv. Die beiden erften „beziehen ſich auf bie 
neue Orbnung des Gottesbienftes in ber Stiftsfirdye Allerheiligen in Wittenberg, 
welche 1525 für bie an der alten Liturgie fefthaltenden Canoniker eingeführt 
wurbe und find ale Ausgang ber feit 1525 begonnenen auf Abſchaffung ber 
Mefie gerichteten Bewegung nicht blos im biftorifcher, fonbern auch Titurgifcher 
Beziehung fehr wichtig". Die britte enthält den Entwurf einer Cheorbuung 
für das damalige Kurfürftenthum Sachſen, wie ber Herausgeber vermutbet, aus 
bem Anfang ber vierziger Fahre bes 16. Jahrhunderts. 

Heft 4: Luther's Grundbefig, bargeftellt von 3. C. Wibemann, 
©. 475-570. ine fehr gelehrte, nicht blos für bie Kenntniß ber ökonomi⸗ 
[hen Berhältnifie des Reformators wichtige Abhandlung — Celio Secunde 
Eurioni, bargeftelt von Dr. & Schmidt, Prof. ꝛc. ©. 571 - 634. Um 
ziehendes Tebensbild eines auagezeichneten italienifhden Qumaniften, ber frühe 
der römiſchen Kirche entfremdet, nad manchen Gefahren bicfjeits der Alpen, im 
Laufanne und Bafel, „Freiheit für feinen Glauben ſuchte“, und auch als Edhrift- 
ſteller für bie reformatorifhe Bewegung wirkte. 


Hiftorifh-politifhe Blätter für das katholiſche Deutſchland, redi⸗ 
girt von Edmund Jörg und Franz Binder. Münden, 1860. Bd. 45 
und 46. 

Im 45. Bde. finden fih u. a. folgende hiftorifche Abhandlungen: „Der 
alte Görres als Rämpe für Deutfhlands Ehre und Recht“ in 
ſechs Artileln S. 161, 249, 349, 517, 721, 801 u. ff. — Die mittelalterfichen 
Miffionen in Afrika. (Die Miſſionen in der Berberei im 13. unb 14. Jahrh. 
und in Marollo im 13. und 14. Jahrh.) ©. 81, 177 fi. — „Die geifigen 





Deutihe Geſchichte. 287 


Irregungen in Böhmen vor Beginn des Huffitismus“ in 3 Arikeln, fortge- 
ee in 2 Artikeln des folgenden Bandes. — Bd. 46 enthält noch außerdem: 
* Irtifel über „Herzog Georg bei Bärtigen von Sachſen und die Reforma- 
tea“, fc wie in den beiden legten Heften eine noch nicht abgefchloffene Abhand⸗ 
Enz über: „Magdeburg, Zilly und Guſtav Adolf“. — Andere Auffüte find 
He Auszüge neu erfhienener hiſtoriſcher Schriften ober fürzere Anzeigen 
derelben. Außer ber eingehenden Beiprehung von Hefele's Conciliengeſchichte 
m 46. Bde., die fhen wegen einiger Beridhtigungen notirt zu werben ver- 
Ken, heben wir nur noch bie beiden Artikel des 45. Bandes: „Zur Geſchichte 
det lemkarbiichen Wunicipalitäten, bie fih an das vor ein paar Jahren er- 
zuame Werk von Posper de Hauteville (Paris 1857 — 1858) auſchließt, 
wrxcr. 


Preußiſche Jahrbücher, herausgeg. von R Haym 5. u 6. Bd. 
kerlin, 1860 ; Georg Reimer. 8. — Wir heben aus dieſer gediegenen Zeit: 
'gir telgente Aufjäge als Bereicherungen der hiſtoriſchen Literatur hervor: 
Senrih Theodor von Schön“ in 3 Artikeln des 5. Bandes. In eben die- 
m Bande: „Der preußifche Staat während der territorialen Zeit” (im An- 
Elaß an den 2. Theil von Droyſen's Geſchichte ber preußiſchen Politik), ferner 
Pe Lebentikizzen über „Karl Ritter” und „Ernſt Moriz Arndt”, und von ben 
%:rfein unter der Rubrit: „Alte und neue Nechtszuftinde in Preußen“ die 
katın erften, welche fid mit den „Grundzügen der Reformen unter Friedrich Il. 
ze mit den „Reformen der Yuftizverfaffung unter Friedrich 11” inebefondere 
bkeitiftigen. — Die größern geſchichtlichen Aufiäge bes 6 Bandes behandeln 
ssrziezend Perfönlichkeiten und Zuſtände des Auslander, fo die: „Studien zur 
-sg;öhicken Literatur- und Culturgefhichte” , der Artikel über „Olivier Eron- 
wel" und ter ausgezeichnete Aufjat über „Thomas Babington Macaulay“. 
Arnſerdem mag neh ein bisher ungetrudter Brief „Göthe's an den Herzug 
zca Feimar“ (vom 28. Oktb. 1847) erwähnt werden, von dem der Heraus» 
seter mit Recht bemerkt, daß kaum ein Document aus jener Zeit befannt fein 
verhe, das uns einen fo fhönen Einklid in das Verhältniß Göthe's zu feinem 
srpfihen Freunde geftattete. — 


Die Grenzboten, herausgeg. von Guſtav Freytag und Julian 
Ehsmidt. 19. Jahrg Leipzig, Herbig, 1860. 5 Bde. 8. — Die rei 
azeuge Zeitichrift, welche der Bolitil wie der Literatur in weiten Umfange ges 
winner iR, brachte aud) in dem letzten Jahrgange eine Reihe werthvoller Bei⸗ 
ige zur Geſchichte. Wir notiren folgende: I. Bd. „Briefe des Herzogs Fried⸗ 
rich Bilhelm von Braunfhweig-Del® aus ber Kampagne von 1793.” Diefe 


288 | Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


interefjanten Echriftfüde , welche über bas erfle Auftreten bes fpäter fo be 
rähmten Kriegefürften Licht verbreiten und zugleich als ein Beitrag zur Ge⸗ 
ſchichte des Feldzuges von 1793 angejehen werben können , werben bier zum 
erfieu Male und zwar von dem Original veröffentliiht. S 27, 57 ff. Altien- 
Gefellihaften im Alterthum S. 382. 

Br. 11 giebt S. 7 und 58 ungebrudte Briefe Gneifenaus. „Bieten 
diefe Briefe (18 an der Zahl, ans ben Jahren 1816 — 1828) aud fein 
anfergewöhnliches Material für bie Beurtheilung jener Jahre, jo Kiefern fie 
doch in Keinen Zügen und Anmerkungen, in Urtbeilen und Ausiprühen in⸗ 
terefiante Specialitäten und zugleich den Beweis, welche politiich-fociale Partei⸗ 
richtung ſelbſt die hellſten Köpfe beherrſchte; fie bezeugen ferner bem berühmten 
Berfaffer die höchſte Biederleit des Charakters.” Uuter bem Titel: „Bilder aus 
der deutfchen Vergangenheit" &. 329 ff. wird die „Zortuna eines Bürgerlichen 
nad dem breißigjührigen Kriege“ nad ber erſt jet zum Drud beſtimmten 
Selbſtbiographie eines ſchlefiſchen Bürgerſohnes, der als Brandenburgifcher Rath 
ſtarb, geihildert. Berner S. 385, 427, 457 ff. „ungebrudte Briefe von Stä- 
gemann“, wie bie Gneiſenau's an den Prof. Beuzenberg gerichtet uud gleich 
falls aus den Jahren 1819 — 1826. „Ein gefhichtliher Beitrag zu dem wahren 
Bilde jener Zeit.“ 

111. Bd. Bilder aus der deutſchen Vergangenheit. Pfefferſäcke u. Krippenrei- 
ter um 1660. ©. 1. Bilder aus der Geſchichte des Pietismus S. 161, 489, 
497, 499. Bier werden 3. 3. Mofer, 3. Ch. Edelmann und Albrecht von 
Haller von Yulian Schmidt in höchſt intereffanter Weile auf Grund ihrer 
eigenen Zeugniffe nad) ihrem inneren religidfen Leben geſchildert. — S. 330 
gibt Helbig nad der noch nicht gebrudten Aufzeichnung eines bayeriichen 
Sofcavaliers aus dem Jahre 1680 ein Bild aus dem beutihen Hofleben. — 
S. 361 — 372 die Polizei bei Griehen und Römern. 

Bd. IV. ©. 161, 201 ff : Leibnitz und bie Kirchenvereinigung von Yu- 
lian Schmidt. Cine werthoolle Abhaublung, bie fih an die jüngft zu Paris 
erfhienenen ;: Oeuvres de Leibnitz , publides pour la premiere fois d’aprös 
les manuscrits originaux par A. Foucher de Careil, T. 1 und 2 anlehnt. 
S 435 ff. Raifer Leopold und feine Minifier. Gin Bild aus der Ber 
gangenheit zum Vecrgleich mit ber Gegenwart von Helbig, mit Benugung 
der im Dresdener Ardiv befindlihen Kopie eines handſchriftlichen Berichtes 
eines ſchwediſchen Geſandten aus dem Jahre 1675. — Das Handwerl im 
Altertum &. 53, 94, 128 fi. — u. Kludbohn. 


Drud von Dr. C. Wolf 4 Eohn. 





4 


Nachrichten 
von der 
ſikeriſchen Commiffion 
bei der 


Aöniglich Zaptriſchen Ikademie der Millenſchaften. 
(Beilage zur Hiſtoriſchen Zeitſchriſt heransgegeben von H. v. Sybel.) 


Zweiter Jahrgang. 
weites Htüd. 


Münden, 1861. 


Literariſch-artiſtiſche Anftalt 
ber 3. G. Cotta’fhen Buchhandlung. 
Drua son ir. CE. Wolf & Bohn. 





Vu. 


Hericht über den Stand der Arbeiten zur Herausgabe der 
dentſchen Reichstagsalten. 


Von 
Inlins Weizſäcker. 


Der Bericht des Prof. Voigt vom vorigen Jahre über die Her« 
atgabe ver Reichetagsalten hat die wefentlichen Grundzüge für das 
Usternebmen, die Öefichtspunfte für die Aufnahme des zu gewinnenden 
Aateriaols und tie Art feiner Bearbeitung fejtgefegt, und vie erfte 
Racyricht gegeben von den damals feit einem Jahr und einigen Mo⸗ 
naten begennenen Arbeiten. Nach dem Abgang des damaligen Bericht⸗ 
erftattere auf einen andern ehrenvollen Wirfungsfreis liegt es mir 
als jeinem im März v. 8. eingetretenen Nachfolger ob ten heute 
(Sept. 1860) gewonnenen Stand ver Sache überfichtlich darzulegen. 

Neben Dr. Kluckhohn, weldhem außer anterweitigen burch ben 
Ganz des Unternehmens geforderten gemeinfamen Arbeiten hauptfüch- 
lich die Auobeutung der Codices der biefigen Bibliothek und ber mit 
ver Bezeichnung Fürſtenſachen verfehenen Actenfascifel des hiefigen 
Staatsarchivs zufiel, ift feit 2. Dezember v. Is. Dr. Büpinger in 
Bien ale Mitarbeiter eingetreten, welcher aus ven ihm zu Gebote 
kehenben Quellen die Bearbeitung der Zeit Friedrich's III. übernom⸗ 

6* 


62 Bericht über ben Stand ber Arbeiten 


men bat und zu tiefem Zwecke das dortige deutſche Neichsarchiv und 
insbefontere bie Neich8-Regiftraturbücher vurchforfcht, da biefe letzteren 
in einer Reihe von Bänden merkwürdige noch unbenugte, zum Theil 
ſehr ſchwer zu lejente Concepte zu Stüden, deren Copirung ober 
Beränterung bert unterlajjen wurte, zum Theil unvollzogene, aber 
font in aller Form ausgeftellte Triginalurfunden enthalten; außer⸗ 
ven hat er tie Handſchriften ter k. k. Hofbibliothel vorgenommen, 
und in dem vor mehreren Jahren aus dem Deutfchordenshaufe zu 
Frankfurt aus unbekannten Grünten nach Wien abgegebenen Kurerz- 
kanzlerarchiv tie officiellen Exemplare ber friebericianifchen Abfchiebe 
aufgefunden, welche bei ver Erition werten zu Grunde gelegt werben 
müſſen. Prof. Sickel in Wien, welcher fchon begennen hat, mitzu⸗ 
arbeiten, wird tie zur Crgänzung höchſt willlemmene Regiftratur 
Eigmund’8 vornehmen. Dr. Ertmannsdörffer fohildert feine 
italienischen Borjchungen in einem cigenen Reiſebericht. Im übrigen 
find tem Unternehmen für bie laufenden Gejchäfte auch jüngere Kräfte 
in erfreulicher Weiſe zugewachfen. 

Die Einrichtung des aus einzelnen Zetteln beſtehenden, rein chro⸗ 
nologifch georbneten Repertoriums über alle bicher gehörigen 
gebrudten und ungebrudten, copirten oder bloß notirten Stüde bat 
fih al8 höchſt zwedinäßig bewährt. Die Erweiterung tiefer Regiftratur 
durch literarifchen und ardhivaliichen Zuwachs ift fortgefchritten. Die 
Seite ihrer Beftimmung, wonach fie als Regeſtenwerk für vie in 
irgend einer Beziehung zu den Reichstagen ſtehenden und doch nicht 
zur Edition geeigneten Etüde zu dienen hat, wird fich mit dem Fort⸗ 
fohritte ter Arbeiten beſonders für die fpätere Zeit immer mehr 
geltend wachen, we eine forgfältige Ausjcheidung in dem fich maſſen⸗ 
weife berandrängenten Stoffe immer nethwenbiger wird. “Dinge, bie 
wiederholt auf Neichstagen vorkommen, wie verfchiedene Streitigkeiten 
deutſcher Fürſten unter fi im 15. Jahrhundert, Laffen ſich in ihrer 
weitern Entwicklung werer ganz umgehen, ned auch in anderer als 
als in Regeſten- over Notizen-Yorm bei der künftigen Ausgabe ver- 
wenden. 

Zunäcjt find vie hieſigen Schäge im FT. Reichs⸗ und im 
t. Staatsarchive weiter ausgebeutet worden, vor allem bie ergie⸗ 
bigen, im Neichsardhive aufbewahrten Regensburger und Nörb- 





zur Seransgabe ber beutfchen Heichstagsaften. 63 


linger Reichstagsakten bis zu den fiebziger Jahren, dann Bis auf 
eine Kleinere Nachleſe ver feinem Inhalte nach höchſt beveutenve 5. Band 
vr Brandenburg-Anebahifchen. Die vorhergehenten Bände 
ter letzteren nebft ben drei nachfelgenten find von dem Archivconfervato- 
rum zu Bamberg für tie Dearbeitung eingeliefert worten (vie kaiſer— 
Ixhen Bücher) und verfprechen eine ebenſo reiche Ernte an amtlichen 
Itenftüden, Korrefpondenzen, Relationen, Inſtructionen, Staatsfchrif- 
ten m. dgl., wenn gleich tie Hoffnung, aus ven früheren Bänden biefer 
Eerie für bie Zeit vor den fechziger Jahren ein ten leßteren an Fülle 
entiprechenbe® Material zu gewinnen, ſich nicht beftätigt bat. Die 
mt Staatsarchive befintliche Serie von Reichstagsaften kurpfäl— 
ziſben Urfprungs ift bereite in Angriff genoınmen worben, ebenfo 
hebt nie baheriſche Serie aus demſelben Archive in fortfchreitens 
ver Yearbeitung; beide zeigen fich theilweije auch für die ältere Zeit 
au wertbuollen Documenten ergiebig. Dazu kommi eine bedeutende 
Keibe von Fafcileln mit ter Bezeichnung Fürſtenſachen aus tem 
L Reichsarchive, wovon ein Theil ver mehr territorialen Beſtimmung 
tieſer Sammlung nach mit geringerem, aber immer noch ſchätzbarem 
Grielge bereits turchforjcht ift. Außerdem wurde die Ansbeutung von 
Cerice® ver biefigen Hof- und Staatsbibliothek in fruchtbarer 
Reife fertgeſetzt In Bälde wird dann die lange Reihe von Neu: 
targer Copialbüchern unterfucht werben, tie neben vielem, was 
fir unfere Abfichten ohne Bedeutung ift, die wichtigften Stücde zur 
Reihetagsgefchichte auch der früheren Zeit darbieten. Bereits kann 
vet mit Rüdfiht auf tie kürzlih von mir unternemmene Er— 
bekung im einer Anzahl anderer bayeriſcher Archive außerhalb 
Rünchens zu planmäßiger Ergänzung ter hiefigen Schäte auf dieſe 
auswärtigen Funde vergegriffen werben, was bei den unter der Dire- 
ctien tes hieſigen Reichsarchives ftebenten F. Provinzialarchiven durch 
ie äußerft zwedmäßige Gentralifirung dieſes Tienftzweigs und bie 
perfönliche Gefälligkeit feiner Beamten befonters erleichtert ift. 

Bis jetzt ſchon bat jich herausgeſtellt, daß, was Die Frucht— 
karfeit für bie verfchiedenen Zeiträume betrifft, unter ten 
m München vorhantenen Reichstagsaften die größere Ausbeute erft 
mit ten fechziger Jahren beginnt. Dagegen wird ter bie jegt ned) 
fpärlicgere Zufluß für bie frühere Zeit, wie. wir theils wiffen, theile 


64 Bericht über den Staub ber Arbeiten 


mit Sicherheit hoffen, durch anberweitige Funde gefteigert werben, 
obfchon von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vorauszufehen 
ift, daß bier tie Ernte immer bie reichite, von ver bes 14., daß fie 
bort immer die verbältnißmäßig ſchwächſte bleiben wird, weswegen 
für die legtgenannte Zeit in der Aufnahme von Documenten, welche 
in irgend einer Beziehung zur Geſchichte der Reichstage ftehen, eim 
weiterer Spielraum wirb verftattet fein müſſen. Es wird möglich 
fein, da wo eigentliche Zufammenftellungen von Reichstagsakten fehlen, 
durch Auffuchung vereinzelter nud zerftreuter Aftenftüde auch für biefe 
Zeiten eine gewiſſe VBellftäntigfeit und einen genügenden Zuſammen⸗ 
hang in ber Sollection zu Wege zu bringen, wie fi) denn auf ber 
biefigen Bibliothek für ven Reichstag ven 1442, in feinem Verhält⸗ 
niß zum Bafeler Eoncil, in Betreff ver Neutralität eine Reihe von 
Reben und die ganze einleitende Correſpondenz Friedrichs III. mit 
ven ÄAbrigen europäifchen Fürften vorgefunden hat, einiges ſchon bei 
Würbtwein gebrudt, das andere neu, und wie fich auch unter bem 
bayerifchen Fürftenfachen eine anfehnliche Reihe neuer Aftenftüde zur 
Geſchichte Sigmund's vorgefunden haben. 

Ziemlich vollftändige Bilder der Reichstage, ihrer 
inneren Vorgänge und auswärtigen Beziehungen, theilweife mit allem 
Beiwerk ihrer äußeren Erfcheinung und ihres Ceremoniels, haben wir 
jhen jeßt, wie bieß bereits im vorjährigen Berichte hervorgehoben 
war, für eine Anzahl von Verſammlungen. So der Huffitentag 
zu Nürnberg ven 1431, die Landfrievend- und Türkentage zu Ulm, 
Nördlingen und Nürnberg 1466, Regensburg 1471, Augsburg 1473 
und 1474. Die Nörblinger und Nürnberger Tage ven 1466 find 
mit neuem Material für die Gefchichte des Landfriedens, für welche 
überhaupt ziemlich viele Nova zuſammengekommen find, und mit einem 
intereffanten Fürftenprojecte zum Türkenzug bereichert worten. Durch 
baperifcye und brandenburgiſche Infiruftionen hat ver Regensburger 
Tag von 1471 weſentliche Erläuterungen erfahren, aus einer Miscellan⸗ 
Handſchrift des deutſchen Reichsarchivs zu Wien Tennt man jet aufer 
dem Heinen auch ven bei Müller nur fummarifch erwähnten großen 
Anjchlag in fpecialifirter Faſſung; aus den bayerifchen Fürftenbricjen 
ift das Verhältniß tes Pfalzgrafen Friderich zum Kaiſer und find 
beſonders bie auf dem Tegtgenannten Tag verhanbelten Streitigleiten 





zur Serausgabe ber beutihen Reichetagsaften. 65 


wer baperifchen Herzoge unter einanver beleuchtet werben. Die Vors 
bereitumgen ter Augeburger VBerfammlung von 1474, die Reife tes 
Raiiers von Trier dahin nebſt dem Zufammenbang der burgunbifchen 
diege, bie Verhältniſſe ter böhmifchen und polnischen Gefandtfchaft 
haben durch tie brantenburgifchen Relatienen eine fehr lehrreiche und 
kaillivte Schilderung gewonnen. 

In zweiter Linie ver Vollſtändigkeit treten dann hervor, 

vie für die Tirchlichen Angelegenheiten fo wichtigen Zage von Frank 
mt 1442, von Nürnberg 1443 und 44, vie Verfammlungen zu Nürn« 
lerg 1467 und Regensburg 1467—68, die im Jahre 1469 zu Regens⸗ 
burg um 1479 zu Nürnberg gehaltenen Reichötage, der Türkenconvent 
usa Freifing 1479, der Nürnberger Tag von 1480. Für jene Verſamm⸗ 
mgen an ven bierziger Jahren find aus den baherifchen Alten, aus 
Eopices ver Bibliothefen zu München und Wien Beiträge gewonnen 
werten. Die Reichétage von 1467 und 1469, das Verhältniß zu 
Aöpmen, tie brantenburgifche Politik find wefentlich erläutert; zu dem 
Regensburger Sejandtentage um Georgii 1469 haben bie brandenburg- 
anabachiſcheu Alten wichtige, noch unbekannte Stüde geliefert. Aus 
ner bayeriſchen Serie hat ſich für den Türkenkonvent zu Zreifing 1479, 
aus der baheriſchen und Eurpfälzifchen für den Reichstag zu Nürnberg 
am Luciä 1479 neues und fehr interejfantes Material ergeben, befon- 
vers für tie traurige Bloßſtellung ver deutſchen Schwäche vor ben 
Aremben in der orientalifchen Frage. 

Endlich ift auch der Frankfurter Tag von 1427 aus bayerifchen 
Aften, ter Rurfürftentag zu Mainz von 1441 und das Verhältuiß ber 
earepãiſchen FZürjten und Herzog Albrecht's ven Bayern insbefondere 
;a Bapft und Eoncil aus derſelben Quelle wefentlich erläutert worten. 
Die wegen ihres intendirten Charafters ebenfalls hieher gehörige Mainzer 
Trewinzialfynode von 1456 ift aus ven brandenburg⸗ ansbachiſchen Akten 
tarch Aviſamenta und antere Stüde über ven Zürfenzebenten und 
tie Üppofition gegen bie Curie, die Gefchichte ter Kurfürftenverfamme 
lung deſſelben Jahres zu Frankfurt iſt aus tenfelben und ben bayeri⸗ 
ſchen Alten bereichert. Die obfchen nicht unbekannten Verhandlungen 
des Könige Georg von Böhmen mit den Kurfürjten und mit Herzog 
Yarwig von Bayern wegen feiner Wahl zum römiſchen König, nieder⸗ 
gelegt in den vorläufigen Bertragsentwürfen über bie für beide Seiten 


66 Bericht über den Stand der Arbeiten 


zu geiwinnenden Vortheile, wurben aus den brandenburg-ansbadhiichen 
Reichstagsakten gezogen, und ebenda fanb ſich eine umfangreiche 
Staatsfchrift von Martin Meder für venfelben König und benfelben 
Zwei aus dem Jahre 1460, bisher unbelannt, aber vom hechſten 
Intereſſe, ganz geeignet, das überrafchennfte Licht auf den Charalter 
dieſes Fürften und auf feine gefammte Bolitit, fowie insbeſondere auf 
fein Verhältniß zu Religion, Kirche und Papft zu werfen und bas 
biftorifche Urtheil über ihn endgiltig feftzuftellen. Die bayerifchen 
Neichstagsalten haben eine ganz unbelannte, fehr merkwürdige In⸗ 
fteuction der Gejanbtfchaft des Biſchofs von Augsburg und der Herzege 
Johann und Sigmund von Bayern an den Pfalzgrafen Friedrich in 
Betreff des Nürnberger Tags von Georgii 1468 ergeben, wie über 
haupt die Stellung des letzteren Fürſten zum taiferlichen Hofe durch 
wichtige neue Aktenftüde der brandenburg⸗anebachiſchen Serie aufger 
Hört wurde. Das Wiener k. k. geheime Archiv hat einen bisher un» 
gebrudten Landfrieden von 1465 geliefert. 

Was fchon in dem vorjährigen Berichte von den juriftifchen 
and thbeologifhen Gutachten des 16. Jahrhunderts, wo ber 
Umfang der Schriftftüde der Unbedeutendheit ihres Gehaltes gleichkommt, 
als Regel aufgeftellt wurbe, das dürfte auch auf eine Reihe ſolcher 
Reden und Butacdhten aus ver Zeit der Eoncilien übertragen werben, 
daß nemlich hiebei die Form von Ercerpten anzuwenden iſt. Es ift 
dies gleich fehr durch den Gefichtspunkt der Ermöglichung der Edition 
unferer ganzen Sammlung wie durch ben ihrer künftigen Brauchbar- 
leit für den Forſcher nahe gelegt. 

Auch dem Gefhäfte der Sollationirung wird eine noth- 
wendige Grenze zu feen fein. Bei der großen Anzahl von Archiven 
und Bibliothelen in deren Alten und WManufcripten viefelben Stüde 
unaufhörlich wieberfehren, würde biefe Arbeit, vollftäntig durchgeführt, 
ebenfo endlos wie nutzlos werben; denn bei ter Einrichtung bes 
Schreibereiwefens auf ven Reichötagen ift, wenn, wie gar oft, ja in 
ben meiften Fällen, die zu Grunde gelegte Conception nicht mehr zu 
ermitteln ift, von ben einzelnen bictirten Protofollabfchriften nicht 
zu fagen, daß eine vor ber andern in irgend einer Beziehung ben 
Vorzug der Authenticität hätte, und wenn bei genauer Bergleichung 
von 6 — 10 folder, an Werth gleichftehenner Exemplare berfelben 


zur Seranegabe ber beutichen Reichstagsakten. 67 


Ütenftüde ein vollkommen richtiger Text fich mit Sicherheit ergeben 
het, fo wird Bei Wuffindung weiterer Abfchriften des gleichen Inhalts 
eine einfache Durchſicht genügen, zu dem Zwecke ber Crinittelung, ob 
mößere oder wefentlichere Abweichungen ftattfinden oder nicht. 

Um die Arbeiten an den verſchiedenen Orten, bie 
gleichzeitig ftattfinten, zu conformiren, erfcheint es, namentlich bei 
Hnftiger Bermehrung ter Arbeitskräfte, als das zweckmäßigſte, daß 
un den Stellen außerhalb Münchens bie einzelnen Mitwirkenden fich 
merft anf vie Anlegung von Regeſten befchränfen, dieſe hieher mitthei- 
im und von hier aus nach ber bloß mit ven hiefigen Mitteln mögli— 
en Lieberficht fiber das fümmtliche Material die Anweifung zur 
Aſchriftnahme oder zur Sollationirung mit ten auszuſendenden bereits 
genommenen Copien cber zu bloßer Regiftrirung erhalten. 

Es liegt mir nunmehr neh ob, Mittheilung zn machen 
von den Ergebniffen einer im Auftrage der hijtorifchen Com- 
miffion im September d. J. unternommenen archivalifchen Reife. 
Ohne zn fofortiger Abfchrift des Aufgefunvenen jhreiten zu wollen, 
war dabei die Abficht: theils im Voraus einer gewiſſen Menge ver: 
banbenen Stoffes ficher zu werten, theil® tie Münchener Arbeiten 
der nächften Zeit in Einklang zu bringen mit tem, was von ben be» 
treffenden ausmärtigen Stellen zu erwarten ift. Beſonders bie ältes 
ren Etüde ans ber zweiten Hälfte des 14. und ber erften des 15. 
Jahrhunderts müfjen erwünſcht fein, ba von ter Erreichung einer 
gewiffen Vollftänbigleit in biefer Zeit ber Beginn des Drudes ab- 
bängig ift. Hatte fich jedoch ſchon bei ben Münchener Borräthen 
gezeigt, Daß die eigentliche Auabeute meift erft mit ben wierziger Jah— 
ren bes 15. Jahrhunderts anhebt und erft mit Beginn ber jechziger 
umfänglicher wird, um von ba an rafch zuzunehmen und mit ben 
neunziger Fahren fehr meffenhaft aufzutreten, jo war dieß auch das 
Ergebniß für die auf tiefer Rundreiſe befuchten Orte: ganz wenig 
ans dem 14., verhältnißmäßig wenig aus der erften Hälfte des 15, 
Yahrhunderts, dagegen reichliches Zufträmen von Stoffen aus ter 
zweiten Hälfte dieſes Säculums. Es ſcheint, daß nur felten vor ber 
Mitte veffelben an eigentliche Sammlungen von Reichstagsakten gedacht 
wurde, häufig erjt mit dem letzten “Drittel des Jahrhunderts over in deſſen 
Berlaufe. Wo diefe fich alfo nur fehr fpätergeben, iftunter andern Ziteln zu 





68 Bericht über den Stand ber Arbeiten 


fuchen. Bieles mußte verloren gehen aus ber Zeit, wo nicht gefam- 
melt wurde. Aber gleichwol ift eine zufammenhängende Reihe noch 
berzuftehlen. Solange befendere Sammlungen nicht angelegt wurden, 
finden fich die auf Neichstage bezüglichen Aktenſtücke mitten unter 
biejenigen fchriftlichen Aufzeichnungen eingejchoben und zerftreut, welche 
fih anf die faft wichtiger erjcheinenden befonberen Beziehungen eines 
Neicheftandes richteten oder aus benfelben hervorgegangen find, mitten 
unter Stüden, bie es mit engeren politifchen Kreifen ober [peciellen 
Nechtsverhältniffen und Privatgefchäften zu thun haben und fchen 
früher in Sammlungen vereinigt wurden. Bei ven Städten müf- _ 
fen daher bie etwaigen Collectionen von Akten der Stäbtebüntniffe 
befonvers beachtet werben, weil fie bald auch Neichetage aufgenommen 
haben; tann ihre Correfpondenzen in den Miffivbüchern, welche bie 
bon den Magijtraten ausgegebenen Schreiben enthalten, während bie 
eingelaufenen meift nicht eingetragen wurden und fich deßhalb in ge- 
ringerer Anzahl vorfinden, weil fie zu verjchleudern durch ihre Ver 
einzelung erleichtert war; weiterhin bie Rathöprotofolle, vie zwar 
meift nur private Rechtögefchäfte enthalten, mitten darunter aber auch 
ifolirte Neichsfachen in ganzen Altenftüden; daneben die Ratheverläffe, 
in denen wenigftens Furze Notizen niedergelegt find; endlich die ftädtis 
Shen Nechnungsbücher die theilweife fehr weit zurüdteichen und durch 
vie für Gefandtfchaften und bei feierlichen Gelegenheiten veraufgabten 
Summen fehr fichere Anhaltspunkte bieten von einer mit ihrem Alters 
thum wachſenden Bebentung, wenn auch öfters nur für die Chrono⸗ 
logie. Die Geſchlechterbücher und bie Archive einzelner patricifchen 
Familien dürfen gleichfalls nicht übergangen werben. In ten fürfts 
lichen Archiven, geiftlichen und weltlichen, iſt es im Wefentlichen 
biefelbe Erſcheinung; in den Grund⸗ und Gemeinbüchern, in ven Lehn⸗ 
und ugroffaturbüchern, in den Sammlungen ber - Eorrefpondenzen 
finden fich mitten unter Kaufs- und VBerfaufs- und andern Urkunden, Ver 
gleichen und Urfehten, Specialbünbuiffen und einfachen Notariatsinfteus 
menten, Lehnbriefen und Schenfungent bie wichtigften politifchen Aftenftücte 
für die Gefchichte des Reichs und der Keichetage eingefchaltet und 
bei vielfach unfruchtbarem Suchen ftößt man plößlich, wo man es am 
Wenigften mehr erwartet, auf bie intereffanteften, oft ganz unbefann- 
ten Aufzeichnungen. 


zur Herausgabe ber bentihen Reichétagsalten. 69 


Meine Reife dauerte nur kurz, vom 1./2. bis zum 26. Sep⸗ 
tember incl. Sie erftredte ſich auf die meiften terjenigen ſchwä— 
biihen Reichsſtädte, die jegt ber Krone Bayern einverleibt fine: Augs- 
bg, Memmingen, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, dann in Franken 
af Würzburg, Bamberg, Nürnberg. Bei ter zuvorlommenden Art, 
mit der ich an ben meiften Orten aufgenommen wurte, Fonnte es 
nicht fchwer fein, auch in tiefer befchränften Zeit ten biesmaligen 
Zweck zu erreichen, einen allgemeinen Weberblid über dasjenige zu 
gewinnen, was bei ven einzelnen Stellen vorhanden ift. 

ALS gänzlich auegeleert erwies fih Kempten, ein bei ber ein- 
figen Bebeutung bes Ortes unerwartetes Ergebniß. Die Reichötage- 
alten find in München zum Gebrauche bereit, und ein locales Archiv 
ft nicht mehr vorhanven. Kinige Notizen aus cinem Gopialbuh, 
das fich meiſt auf kaiſerliche Privilegien und Regalien befchräntt, aus 
einer Shronif des Orts von 1543 bis 1599, vielleicht auch aus einem 
Aftenfascifel über die Wiedertäufer werben künftig ter ganze Gewinn 
von bortber fein. 

Ebenſo wenig findet fih in Kaufbeuren cin eigenes Archiv 
ber Stadt. Ein Theil der Regiftratur tes chemaligen ftäptijchen 
Archivs ijt durch Das fatholifhe Stadtpfarramt gerettet werben, ver- 
faßt von dem Ehroniften der Stadt W. 2. Hörmann 1739, woraus 
fih ergibt, daß einſt Neichetagsakten und Reichetagsfchlüffe ven 
Ende tes 15. und Anfang tes 16. Jahrhunderts an vorhanden ge» 
weien find. In dem Kirchenarchiv des evangelifchen Stabtpfarrantes 
finden fich einige Schreiben über Reichetage im Nefermationszeitalter, 
Acta von 1556 und 1557 u. f. f., auch aus dem 17. und 18. Yahr- 
hundert, für bie ältere Zeit nichte. In ver bantfihriftlichen Stabt- 
hronif des kai. Rathes Hörmann find verfchiedene Faiferliche Briefe 
und Urkunden, auch Aftenftüde in Reichsſachen aus bem ftädtifchen 
Archive citirt; darunter bie Verbindung Karl’s IV. mit ter Bürger: 
haft in Betreff ver Königswahl Wenzel's; eigentliche Reichstagsakten 
ans früherer Zeit Hat fihtlich auch Hörmann ſchon in feinen Lagen 
in Kaufbeuren nicht gefannt, die gerettete Regiſtratur mag alles einft 
verhandene anzeigen; es wird nie etiwas weiteres ba gewefen fein, ba 
ie Stabt bei ihrer Stleinhrit, objchon fie in ber Zeit ber Reforma— 
tion ein bewegtes geiftiges Leben entfaltete, fich vielfach durch andere 





70 Bericht über ben Gtanb ber Wrbeiten 


Städte, wie Augsburg und Nürnberg auf den Neichstagen vertreten 
Tief. 

Bedentende Hoffnung hatte ih auf Lind au gefegt: feine infu- 
lare Page, die alten Beziehungen zur Schweiz, die Stellung der Stabt 
ale Sit des großen Reichstags von 1496 Tieß manches erwarten. Aber auch 
hier ijt vieles zerftärt und zerftrent worden. Die Stadtbibliothek ent» 
hält, ſoviel ich in ber kurzen Frift, die mir zur Durchficht vergänut 
war, fehen lonnte, nichts für unfern Zweck erhebliches, der nachher 
zur Unterſuchung verabreichte Katalog ergab in feinem Manufcripten- 
Verzeichniß keinen weiteren Zroft. Die in biefer Bibliothek früher 
vorhanden gewefenen Reichötagsakten gingen doch nur von 1700 bis 
1791, faft ohne Unterbrechung, mit ven Beigaben 218 Bände; dieſelben 
wurten 1819 an das k. Landgericht abgeliefert. Indeſſen, es tft auf 
tem Rathhauſe ein ziemlich umfangreiches ftäbtifches Archiv vorhanden. 
Hier finden ſich nun allerdings Reſte von Neichötagsakten, doch nicht 
vor 1530. Die einzige Ausnahme davon macht ver Reichstag von 
Lindau 1496, der fih in einem gebunvenen, trefflich erhaltenen, ziem- 
lich ftarfen Faſcikel von ſchöner gleichzeitiger Hand vorfand. Politifche 
Correfpondenzen eriftiren, auch auf Reichstage bezügliche aus dem 16. 
und dem legten Drittel des 15. Jahrhunderts. Die NRatheprotofolfe 
erſcheinen al® ganz unergiebig. 

Am meiften Ausbeute war unter biefen Heineren ſchwäbiſchen 
Neicheftäbten in Memmingen zu finden. Das ſtädtiſche Archiv im 
Steuerhaus birgt eine Serie von Reichstagsaften in c. 20 Bänden, 
ber erfte enthält die Fahre von 1486—1512, der Schluß der Reihe 
fällt in den Anfang des 17. Zahrhunterts. Außerdem find die Neiche- 
tagsabjchiede von 1496 bis 1559 in zwei befonveren Faſcikeln zufam« 
mengeftellt. Cine Serie von Städteakten betrifft die Zeit von 1471 
bis 1583 in 16 Faſcikeln. Weitere politifche Alta befchäftigen ſich 
zwar auch mit Reichsfachen, aber erft vom 16. Jahrhundert an. So⸗ 
mit wäre hier gerade für die ältere Zeit die Unterfuchung nicht fehr 
ergielig gewejen, wenn nicht noch zwei ziemlich wichtige Funde hätten 
gemacht werben können. Der eine betrifft einen älteren Cober von 
Stäbteaften, copia nous confederacionis ciuitatum imperialium 
von 1382 an. Es find zunächft Städtebünbniffe, dann aber auch un⸗ 
gedruckte Taiferliche Landfrieven aus ver Zeit Ruprecht's und Sig- 





zue Serausgabe ber deutſchen Reichstazsalten. 71 


mund's; die Reichsconſtitution Albrecht's von 1438 und deſſen Land⸗ 
friede von demſelben Jahre hier zum erſtenmal für uns in gleichzeiti⸗ 
ger Abſchrift aufgefunden; ebenſo mehrere Sigmund'ſche Alten vom 
Nürnberger Reichstag 1431, dann der gemeine Friede von 1474 mit 
ben fich daran Inüpfeuben Verhandlungen, und das Ediet Friedrich's III 
von Regensburg 1471. Noch unerwarteter, aber auch bebeutenter 
war ber zweite Fund, die noch unebirten Acta concilii Constantien- 
sis collecta a Joanne Andrea Ratisbonensi. Der Berfaffer bezeich⸗ 
net ſich in ver Vorrede als ven Autor ber unter feinem Namen längft 
befannten Shronif; er fei aber, fo fagt er, durch feine Geſchichte tes 
Concils erft zu feiner Chronik geführt worden, und die erjtere fei fein 
Hauptwerl. Dies ift bie bier in zwei ſtarken Foliobänden vorliegente 
Schrift, allerdings nicht in ihrer urfprünglichen Vollftäntigfeit, ſondern 
in einem Auszug erhalten, welchen Uffenbah im Jahre 1717 pur 
einen Schreiber veranftalten lieg, nach tem Codex eines Mainzer 
Kloſters, und fo daß alle diejenigen Akteuftüce weggelaffen wurden, 
bie fchon bei H. von der Hardt ftehen. So wie dad Werk nun hier 
vorliegt, ift e8 eine nicht ſehr chronologifche Saumlung von diplema- 
tifchen Dokumenten aus jener Zeit, hauptſächlich das Concil von Kon: 
ftanz, aber auch fchon das von Pija betreffend, Briefe der verjchieden- 
fien Perſonen, Gutachten, eigentliche Altın des conc. Const., Reben 
und Verhandlungen, bie dort gepflogen wurden, dazwiſchen hinein 
verftreust rein erzählende Partien (befonders die Huffitenkricge und die 
darauf bezglichen Reichstage angehend), an die fich dann bie Alten- 
ſtücke anjchließen. Für unfere Zwede ergeben fi) daraus eine Reihe 
ungebrudter Schreiben geiftlicher und weltlicher Fürften. Das Ver: 
hältniß Ruprecht's und Sigmund's zu den Goncilien und zur Kurie 
wird dadurch wefentlich beleuchtet. Der Frankfurter Reichstag von 
1409, die Neichöbeftenerung zum Kampf gegen bie böhmijchen 
Keber, die Nürnberger Verjammlung von 1422, ver Frankfurter 
Konvent von 1427 und feine Grecution, die ganze Wirkfamteit 
Sigmund’ gegen die Huffiten findet die willlommenſten Belege und 
Erlänterungen. 

In Augsburg beginnen die Reichstagsakten leider auch ecft 
ziemlich ſpät mit 1413, und ſelbſt von ta an fegen fie fich bis in bie 
neunziger Fahre nicht ſehr umfangreich fort, werden dann aber immer 


66 Bericht über ben Stand ber Arbeiten 


zu gewinnenben Vortheile, wurden aus den brandenburg-ansbachifchen 
Neichstagsakten gezogen, und ebenda fand fich eine umfangreiche 
Staatsfchrift von Martin Meyer für venfelben König und venfelben 
Zwei aus dem Jahre 1460, bieher unbefannt, aber vom böchften 
Intereſſe, ganz geeignet, das überrafchenpfte Licht auf den Charakter 
biefes Fürften und auf feine gefammte Politik, fowie insbeſondere auf 
fein Verhältniß zu Religion, Kirche und Papft zu werfen und das 
biftorifche Urtheil über ihn endgiltig feftzuftellen. Die bayerifchen 
Neichstagsalten haben eine ganz unbelannte, fehr merkwürdige In⸗ 
ſtruction der Geſandtſchaft des Pifchofs von Augsburg und ber Herzege 
Johann und Sigmund von Bayern an den Pfalzgrafen Friedrich im 
Detreff des Nürnberger Tags von Georgii 1463 ergeben, wie über. 
haupt die Etellung des letzteren Fürſten zum kaiſerlichen Hofe durch 
wichtige nene Altenftüde der brandenburgsansbachifchen Serie aufge⸗ 
Härt wurde. Das Wiener k. k. geheime Archiv bat einen bisher um- 
gedruckten Lanbfrieven von 1465 geliefert. 

Was fchon in dem vorjährigen Berichte von den juriftifhen 
und theologifhen Gutachten des 16. Jahrhunderts, wo ber 
Umfang der Schriftftüde ver Unbedeutendheit ihres Gehaltes gleichkommt, 
als Regel aufgeftellt wurbe, das dürfte auch auf eine Reihe folder 
Reden und Butachten aus der Zeit der Goncilien übertragen werben, 
daß nemlich hiebei vie Form von Ercerpten anzuwenden iſt. Es iſt 
dies gleich ſehr durch den Geſichtspunkt der Ermöglichung der Edition 
unſerer ganzen Sammlung wie durch den ihrer künftigen Brauchbar⸗ 
leit für ven Forſcher nahe gelegt. 

Auh dem Gefhäfte der Sollationirung wird eine neth- 
wenbige Grenze zu feen fein. Bei der großen Anzahl von Archiven 
und Bibliothelen in deren Alten und Manufcripten viefelben Stüde 
unaufhörlich wieberfehren, würde biefe Arbeit, vollftändig durchgeführt, 
ebenjo endlos wie nutzlos werben; denn bei ber Einrichtung tes 
Schreibereiwefens auf ben Neichstagen ift, wenn, wie gar oft, ja in 
ben meiften Zällen, bie zu Grunde gelegte Conception nicht mehr zu 
ermitteln ift, von ben einzelnen dictirten Brotokollabfchriften nicht 
zu fagen, daß eine vor ber andern in irgend einer Beziehung ven 
Vorzug ber Authenticität hätte, und wenn bei genauer Bergleichung 
von 6 — 10 folder, an Werth gleichftehender Exemplare berfelben 





zur Seransgabe ber beutfchen Reichstagsakten. 67 


Mtenftüdle ein volſtommen richtiger Tert ſich mit Sicherheit ergeben 
bet, fe wird Bei Auffindung weiterer Abfchriften des gleichen Inhalts 
einfache Durchficht genügen, zu tem Zwecke ber Ermittelung, ob 
gißere oter wefentlichere Abweichungen ftattfinden over nicht. 

Um die Arbeiten an den verſchiedenen Orten, vie 
Jeichzeitig ftattfinten, zu confermiren, erfcheint es, namentlich bei 
eftiger Bermehrung ter Arbeitöfräfte, als das zweckmäßigſte, daß 
ren Etellen außerhalb Münchens vie einzelnen Mitwirkenden fich 
werft auf tie Anlenung von Regeften befchränfen, dieſe bieher mitthei- 
ien und von bier aus nad) ver bloß mit ben hiefigen Mitteln mögli— 
den Vieberficht fiber das fürnmtliche Material vie Anmeifung zur 
Vchriftnahme oder zur Sollationirung mit ben auszufendenben bereits 
genemmenen Scpien ober zu bloßer Negiftrirung erhalten. 

Es liegt mir nunmehr nch ob, Mittheilung zu machen 
ven ven Ergebniffen einer im Auftrage ber hijtorifchen Gom- 
miffien im September d. %. unternommenen archivalifchen Reife. 
me zu fofortiger Abfchrift des Aufgefunbenen ſchreiten zu wollen, 
war tabei tie Abficht: theils im Voraus einer gewiſſen Menge ver- 
baudenen Stoffes ficher zu werten, theils tie Münchener Arbeiten 
ver nüchften Zeit in Einklang zu bringen mit tem, was von ben bes 
treffenten auswärtigen Stellen zu erwarten ift. Beſonders bie älte 
ven Stücke and ber zweiten Hälfte des 14. und ter erften tes 15. 
Jahrhhunderts müffen erwünfcht fein, ta von ter Erreihung einer 
gewiffen Bollftäntigleit in tiefer Zeit ber Beginn des Druckes ab- 
hängig ift. Hatte ſich jedoch ſchon bei den Münchener Vorräthen 
gezeigt, daß die eigentliche Auebeute meift erft mit den vierziger Jah— 
rem des 15. Jahrhunderts anhebt und erjt mit Beginn ber fechziger 
muufänglicher wird, um von dba an rafch zuzunehmen und mit ben 
neunziger Jahren fehr meſſenhaft aufzutreten, fo war dieß auch das 
Ergebuiß für die auf tiefer Rundreiſe befuchten Orte: ganz menig 
6 dem 14., verhältnigmäßiy wenig aus der crjten Hälfte des 15. 
Jahrhunderts, dagegen reichliches Zuftrömen von Stoffen ans ter 
zweiten Hälfte dieſes Säculums. Es ſcheint, daß nur felten ver ber 
Mitte veffelben an eigentliche Sammlungen von Reichstagsakten getacht 
wurbe, häufig erſt mit dem letzten Drittel des Jahrhunderts ober in deffen 
Verlaufe. Wo diefe fich alfo nur ſehr fpätergeben, iftunter andern Ziteln zu 


68 Bericht Über ben Stanb ber Arbeiten 


ſuchen. Vieles mußte verloren gehen aus der Zeit , wo nicht geſam⸗ 
melt wurde. Aber gleihwol ift eine zuſammenhängende Reihe noch 
berzuftellen. Solange befondere Sammlungen nicht angelegt wurden, 
finden jich bie auf Neichötage bezüglichen Wftenftüde mitten unter 
biejenigen fehriftlichen Aufzeichnungen eingeſchoben und zerftreut, weldhe 
fih auf die faſt wichtiger erfcheinenden befonderen Beziehungen eine® 
Reichsſtandes richteten oder ans benfelben hervorgegangen find, mitten 
unter Stüden, die e8 mit engeren politifchen Kreiſen ober fpecielleg 
Nechtsverhäftniffen und Privatgefchäften zu thun haben und ſchon 
früger in Sammlungen vereinigt wurden. Bei den Städten mäſ⸗ 
fen daher die etwaigen Collectionen von Alten der Stäptebüntniffe 
befonters beachtet werben, weil fie bald auch NReichstage aufgenommen 
haben; dann ihre Correfponvenzen in den Miffivbüchern, welche vie 
von den Magijtraten ausgegebenen Schreiben enthalten, während bie 
eingelaufenen meift nicht eingetragen wurben und fich tekhalb in ger 
ringerer Anzahl vorfinten, weil fie zu verfchleudern durch ihre Ver 
einzelung erleichtert war; weiterhin die Rathöprotofolle, bie zwar 
meift nur private Rechtögefchäfte enthalten, mitten darunter aber auch 
iſolirte Reichsfachen in ganzen Aktenſtücken; vaneben die Ratheverläffe, 
in denen wenigitens kurze Notizen niedergelegt find; eudlich die ſtädti⸗ 
ſchen Rechnungsbücher die theilweije fehr weit zurüdreichen und durch 
bie für Gefanbtfchaften und bei feierlichen Gelegenheiten verauegabten 
Eummen fehr fiihere Anhaltspunkte bieten von einer mit ihrem Alter⸗ 
thum wachſenden Bedeutung, wenn auch öfters nur für bie Chrono» 
(ogie. Die Gefchlechterbüdher und die Archive einzelner patricifchen 
Familien Dürfen gleichfalls nicht übergangen werben. In ven fürfts 
lichen Archiven, geiftlichen und weltlichen, iſt es im Wejentlichen 
biefelbe Erfcheinung; in den Grund⸗ und Gemeinbüchern, in ven Lehre 
und Ingroſſaturbüchern, in den Sammlungen der Correfpondenzen 
finden fich mitten unter Kaufs- und VBerfaufds und andern Urkunden, Ver⸗ 
gleichen und Urfehden, Specialbünpniffen und einfachen Notariatsinftrus 
menten, Vehnbriefen und Schenkungen bie wichtigjten politifchen Altenſtücke 
für die Gefchichte des Reichs und der Reichetuge eingefchaltet und 
bei vielfach unfruchtbarem Euchen ſtößt man plößlich, wo man es am 
Wenigften mehr erwartet, auf die intereffanteften, oft ganz unbelann- 
ten Aufzeichnungen. 





jur Herausgabe ber bentihen Reichetageaften. 69 


Meine Reife pauerte nur kurz, vom 1./2. bis zum 26. Eep- 
ttaber incl. Sie erftredte fich auf bie meiften berjenigen ſchwä— 
liſchen Reicheftänte, die jegt der Krone Bayern einverleibt find: Augs— 
kg, Memmingen, Kaufbeuren, Kempten, Linbau, dann in Franken 
si Bürzburg, Bamberg, Nürnberg. Bei ter zuvorlemmenden Art, 
mt der ich an ben meiſten Orten aufgenommen wurde, konnte es 
zit fchwer fein, auch in tiefer befchränkten Zeit den biesinaligen 
Zeeck zu erreichen, einen allgemeinen Ueberblid über basjenige zu 
gewinnen, was bei ven einzelnen Stellen vorhanden ijt. 

Als gänzlich auegeleert erwies fih Kempten, ein bei ver ein— 
Bigen Bedeutung bes Ortes unerwarteted Ergebniß. Die Reichötags- 
den find in Mündyen zum Gebrauche bereit, und ein locales Archiv 

R wicht mehr vorhanden. Kinige Notizen aus einem Copialbuch, 
das fih meiit auf Taiferliche Privilegien und Regalien befchräntt, aus 
amer Shronif des Orts von 15-43 bis 1599, vichleidht auch aus einem 
Menfascilel über bie Wiedertäufer werben künftig ter ganze Gewinn 
zew dorther fein. 

Ghenfo wenig findet fid in Kaufbeuren ein eigenes Archiv 
ver Statt. Gin Theil der Regiftratur des cheinaligen ſtädtiſchen 
Ardyive iſt Durch das fatholifche Stabtpfarramt gerettet worden, ver 
tagt von dem Chroniſten ver Stadt W. 2. Hörmann 1739, woraus 
ap ergibt, daß einft Reichstagsalten und Reichetagsfchlüffe von 
Ente bes 15. und Anfang tes 16. Jahrhunderts au vorhanden ge— 
weten find. In dem Kirchenarchiv des evangelifchen Stahtpfarramtes 
Auren fich einige Echreiben über Reichstage im Refermationszeitalter, 
Acta von 1556 und 1557 u. f. f., auch aus bem 17. und 18. Jahr⸗ 
kunvert, für bie ältere Zeit nichte. In ter hantfihriftlichen Stabt- 
deosif des fall. Rathes Hörmann find verfchievene Faiferliche Briefe 
ut Urkunden, aud Altenftüde in Reichsſachen aus dem ftäbtifchen 
Archive citirt; darunter die Berbintung Karl's IV. mit ter Bürger: 
haft im Betreff ver Königswahl Wenzel’3 ; eigentliche Reichstagsalten 
a früherer Zeit hat fichtlih auch Hörmann jchen in feinen Tagen 
x Kanibeuren nicht gekannt, die gerettete Regiſtratur man alles einft 
serbanbene anzeigen; ed wird nie etwas weiteres da gewefen fein, ba 
rie Statt kei ihrer Kleinheit, objchon fie in der Zeit ver Reforma— 
tem ein bewegtes geiftige® Leben entfaltete, fich vielfach durch andere 


70 Bericht über den Staud ber Arbeiten 


Städte, wie Augsburg und Nürnberg auf den Neichötagen vertreten 
ließ. 

Bedeutende Hoffnung hatte ih auf Lind au geſetzt: feine inſu⸗ 
lare Page, die alten Beziehungen zur Schweiz, vie Stellung ber Stabt 
als Sit des großen Reichstags von 1496 ließ manches erwarten. Aber auch 
bier ift vieles zerſtört und zerftreut werben. Die Stabtbibliothet ent⸗ 
hält, ſoviel ich in ber kurzen Friſt, bie mir zur Durchficht vergämmt 
war, fehen Tonnte, nichts für unfern Zweck erhebliches, ver nachher 
zur Unterfuchung verabreichte Katalog ergab in feinem Manufcripten 
Verzeichniß keinen weiteren Troft. Die in biefer Bibliothel früßer 
vorhanden gemwefenen Reichstagsakten gingen doch nur von 1700 66 
1791, faft ohne Unterbrechung, mit ben Beigaben 218 Bände; biefelben 
wurben 1819 an das f. Landgericht abgeliefert. Indeſſen, es ift auf 
dem Rathhauſe ein ziemlich umfangreiches ftäbtifches Archiv vorhanden. 
Hier finden fi nun allerdings Refte von Neichötagsalten, doch nicht 


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vor 1530. Die einzige Ausnahme davon macht ter Reichstag von ' 


Lindau 1496, der fich in einem gebundenen, trefflich erhaltenen, ziem⸗ 
lich ftarfen Faſcikel von fchöner gleichzeitiger Hand vorfand. Politiſche 
Correfpondenzen exiftiren, auch auf Neichetage bezügliche aus tem 16. 


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und dem legten Drittel des 15. Jahrhunderts. Die Rathoprotololle 


erfcheinen als ganz unergichig. 
Am meiften Ausbeute war unter dieſen Heineren ſchwäbiſchen 


Neichsftädten in Memmiugen zu finden. Das ftäbtifche Archiv im 
Steuerhaus birgt eine Eerie von Reichstagsakten in c. 20 Bänden, 


ber erfte enthält die Fahre von 1486—1512, ter Schluß der Reihe 
fällt in ten Anfang des 17. Jahrhunderts. Außerdem find die Reiches 
tagsabſchiede von 1496 bis 1559 im zwei befonveren Faſcileln zufam- 
mengeftellt. Cine Serie von Städteakten betrifft vie Zeit von 1471 
bis 1583 in 16 Fafcifeln. Weitere politifche Alta befchäftigen ſich 
zwar auch mit Neichsfachen, aber erft vom 16. Fahrhuntert an. So⸗ 
mit wäre hier gerade für bie äftere Zeit die Unterfuchung nicht fehr 
ergiebig gewefen, wenn nicht nech zwei ziemlich wichtige Funde Hätten 
gemacht werben können. Der eine betrifft cinen älteren Codex ven 
Stäbteaften, copia noua confederacionis ciuitatum imperialium 
von 1382 an. E3 fine zunächſt Städtebündniſſe, dann aber auch une 
gedruckte kaiſerliche Panbfrieven aus ber Zeit Ruprecht's und Sige 


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zur Herausgabe der beutichen Reichttagsalten. 71 


aund's; Die Reichsconſtitution Albrecht's von 1438 und deſſen Land⸗ 
Tiere von demſelben Jahre bier zum erſtenmal für uns in gleichzeitis 
za Abſchrift aufgefunden; ebenſo mehrere Sigmund'ſche Alten vom 
Gnrberger Reichstag 1431, dann ver gemeine Friede von 1414 mit 
tan ſich daran Inüpfenten Verhandlungen, und das Ediet Friedrich's II 
wa Regensburg 1471. Noch unerwarteter, aber auch bedeutender 
mr ber zweite Fund, bie noch unedirten Acta concilii Constantien- 
ss collecta a Joanne Andrea Ratisboneusi. Der Verfaſſer bezeich— 
ut ſich in ver Vorrede ald ven Auter der unter feinem Namen längſt 
klannten Chronik; er fei aber, fo fügt er, durch feine Geſchichte des 
cencils erſt zu feiner Chronik geführt worden, und die erſtere fei fein 
fuuptiverl. Dies ijt bie hier in zwei ſtarken Foliobänden verliegente 
Schrift, allerdings nicht in ihrer urjprünglichen Vollſtändigkeit, fondern 
a einem Auszug erhalten, welchen Uffenbach im Jahre 1717 durch 
esen Schreiber veranjtalten ließ, nach tem Goter eines Mainzer 
XRloñers, und je bag alle diejenigen Akteuftücke weggelafjen wurten, 
sie ſchen bei 9. von ter Hardt ftchen. So wie das Werk nun hier 
sertiegt, iſt es eine nicht jehr chronologiſche Sammlung von diploma— 
tiſchen Dokunienten aus jener Zeit, hauptjächlich tas Concil von Ken: 
ren; uber auch ſchon das von Pija betreffend, Briefe ter verfchieten- 
ten Perſonen, Gutachten, eigentliche Akten dcs conc. Const., Reden 
ae Verhantlungen, die dort gepflogen wurden, dazwiſchen hinein 
verftreut rein erzählende Partien (bejonvers die Huffitenkriege und vie 
Zauf Bezüglichen Reichstage angebend), an die fich daun vie Aften- 
ade anſchließen. Für unfere Zwede ergeben ſich taraus eine Reihe 
ezetrudter Schreiben geiftlicher und weltliher Fürjten. Tas 2er: 
aälmiE Ruprecht's uud Sigmund's zu ben Goncilien und zur Kurie 
ze radurch wefentlich beleuchtet. Der Frankfurter Neichstag von 
39, vie Reichebejteuerung zum Kampf gegen die böhmijchen 
zzer, tie Nürnberger VBerfammlung von 1422, ter Frankfurter 
xezpent von 1427 und jeine Grecution, die ganze Wirkſamkeit 
Zigmunt's gegen tie Huſſiten findet die willfenmenjten Belege und 
Srläuterungen. 
In Augsburg beginnen tie Neichstagsaften leiter auch eejt 
mlich ſpät mit 1413, und felbjt von ta an feßen fie fich bis in die 
seunziger Jahre nicht ſehr umfangreich fort, werden banıı aber immer 


12 Bericht über ben Stand ber Arbeiten 


inhaltvolfer bis ins 16. Jahrhundert und befonbers in biefem ſelbſt. 
Aus der frühern Zeit erwedt ein vwereinzeltes Schreiben von 1444, 
bisher unbelannt, großes Intereſſe: ein Brief rer Stadt Moinz am 
Augsburg über ven Nürnberger Reichstag, ten Reichöconvent zu Speier 
wegen der Branzofen, bie Friedensverhandlungen mit dem Dauphin 
durch den Markgrafen Albrecht von Brandenburg. Die Reichstagé⸗ 
aften felbft enthalten gleich ven 1473 an erfreuliche Inedita und ſchon 
für den Augsburger Reichstag biefes Jahres finten wir tie Empfang 
feierlichfeiten der Stadt beim Einzug des Kaiſers, cin Verzeichniß ber 
Gefchente, welche fie bei dieſer Gelegenheit ven hoben Herrfchaften 
gemacht hat; fo auch tie Voranſtalten zun felgenten Reichstag daſelbſt 
im Jahre 1474 und andere wichtige Aktenſtücke. Man empfindet 
ſogleich, daß man in das Archiv einer Statt eingetreten ift, bie für 
diefe Dinge von Bedeutung war. 

Die Norrefpondenz berjelben bietet einen ſchönen Erſatz für ben 
fpäten Beginn der eigentlichen Sammlung von Reichstagshandlungen 
in einer Serie von 9 Bänden Miſſivücher, lauter Echreiben, bie 
beim Abfchiden, alſo gleichzeitig in diefe Bücher eingetragen wurden, 
faft unmmterbrochen von 1413— 1490. Der Gebrauch iſt ſehr erleichtert 
durch die gewiſſenhaften archivalijchen Inhaltoverzeichniſſe und alphabetie 
ſchen Namenregifter über vie einzelnen Bände. Hier ijt bei genauerer 
Durchforſchung eine Anzahl intereffanter Inedita zu erwarten, eben 
auc für bie ältere Zeit, wie denn ein folches Schreiben gleich von 
1416 (Augsburg au Regensburg) die Mittheilungen eines ftäbtifchen 
Rathsboten als Augenzeugen über ven Aufenthalt Sigmund's in Eng⸗ 
land, ten englifch-franzöfifchen Frieden, bie offizielle PVerfünbigung 
desfelben durch ben römiſchen König am die amvefenden Fürſten und 
Stüpteboten, Dad Project ter Zuſammenkunft ter drei Herrſcher von 
Deutſchland, England und Frankreich und die Vernittlerrelle Sig« 
mund’s enthält. 

Dazu kommt dann neh tie eingelaufene Correſpondenz, vie 
in einzelnen Stüden aber nidt fo vollſtändig wie bie ausgegebene 
erhalten ift, unter den Pergamenturfunten eine ziemliche Anzahl von 
Kurfürftenbriefen und Fniferlihen Schreiben, namentlich auch aus dem 
fetten Viertel Des 14. Jahrhunderts und ſpäter. Beſonderes Suter: 
eife wird künftig bie Unterfuchung der Peutinger'ſchen Gorrefpontenz 





zur Herausgabe ber beutfchen Reichstagsalten. 13 


bieten; fie ift von 1473, wo tie Reichstagsakten Leginnen, noch mager 
Ds in die neunziger Jahre, von ba an aber fehr bereutend; es find 
guy Reiben von Berichten aus tem 16. Jahrhundert ta, hunderte 
u Briefen des Georg Fröhlich aus der Zeit des ſchmalkaldiſchen 
Sunves. Beſonders für die Anfangszeit der Neformation wird diefe 
Gefanptichafts-Korrefponten; fo erwünfcht wie ergiebig fein. 

Richt zu vergeffen find auch die ebenfalls wohl repertorifirten 
Bechannzen der Stadt, beſonders sub tit. generalia, generalia di- 
stributa, legationes, wichtig für die Daten der Reichstage vornehm⸗ 
Gh ver ältern Zeit und vie Abſendung ver Stäpteboten dahin, werth- 
sel wegen ver Sicherheit ihrer Angaben. Und gerate für das 14. 
IAhrhundert find dieſe Rechnungen ſchon fehr vollſtändig; eine Lüde 
MR zwijcben 1331 und 1363, dann folgen fie ohne Unterbrechung bis 
1379, Träter erjt wider von 1388 bis 1398 ıincl., weiterhin von 1400 
Bi 1460) ziemlich vellftändig. 

Künftig werden dann auch, falls Hoffnung zu deren Eröffnung 
ve ift, tie Archive der Familie Fugger zu unterfuchen jein, ta bie 
bedeutende Stellung derfelben auch für unſere Zwecke Dort cine Aus- 
beute verheißt. 

Anh in Würzburg beginnen die Reichstagsakten erjt mit dem 
Yale 1471. Sie laufen dann in vielen Faſecikeln bis 1778 fort. 
Men ertennt mit Bedauern an dem Werthe des Crhaltenen, wie viel 
m tens Berlorenen verloren iſt. ‘Denn gleich ter Regensburger 
eichetag von 1471 ift Hier in einer bisher unbelannten Vollſtändig— 
kit vorhanten. Er beginnt mit einer bijtorifchen Notiz über ten 
säpftlichen Legaten Franz Piccolomini und einer Art Grundriß für 
tie Auetheilung der Pläte an bie Potentaten und Fürſten, vie fie 
neben Kaiſer Friedrich III. geſtanden⸗, nach einem gleichzeitigen Main: 
sr Gemälde. Auf das Faiferliche Ausfchreiten und die Präfenzlifte 
felgen tie eigentlichen Reich8tagshandlungen. Cie beginnen mit einem 
Geiantifchaftsberichte der Würzburgiſchen Legation über tie erften 
Amtien;en, bie fic gehabt, und fahren dann in Geſtalt eines Diariuns 
iert. Die Gefandten bemerken zu jepem einzelnen Tag, was jie an beinjelben 
gethan, und bie Pünktlichkeit ift jo weit getricben, daß fogar jeter Tag 
beſenders notirt wird, au dem nichts gehandlet werden. Da finden ſich 
ven intereffante Beobachtungen über das Parteiwefen auf dem Reichs⸗ 


14 Bericht über ven Stand ber Arbeiten 


tag, cingebente Aufzeichnungen über tie Richtung ver Würzburgiſchen 
Belitit, vie Beſchreibung ver Eröffaungefeierlichleit und ebenfalls ein 
eingezeichneter Seſſiensplan für tie Rangertuung ber verichiebenem 
Stände. Wie tanı die Verhandlungen felbjt protelellarifch berichtet 
werten, geſchiebt dies mit einer Reicbhaltigfeit, wie fie noch iu feiner 
ter ven uns kenügten Scrien bemerit wurte. Ebenſo dann für 
tas Jahr 140, we auch ter Auſchlag jenes Mineriten zur Loſung 
ber orientaliſchen Frage mitgetbeilt wird, ter auf nichte Geringere® 
ausging, ald die Aushebung einer Armee ven 144,000 Monchen umb- 
tie Belehrung aller Türken. Dazu mehrere unbelanute Städe zum 
Nürnberger Reihstag von 14. Beſonders reich werten tiefe Fat—⸗ 
citel daun ven ten neunziger Jahren an. Bei ver fchulmäßigen fyfler 
matifhen Art Liefer Wärzburgiſchen Gejandtfchaftsberichte ift auch 
abgejehen ven ter biſtoriſchen Ztellung tiefes biſchöflichen Regiments 
mir Sicherbeit anzunehmen, daß fie nicht erft damals fo geweſen find, 
fonvern in ähnlicher Weiſe einft viel weiter hinaufgereicht haben: eime 
ſelche jüchere Manier entjtcht nicht mit einem Wale, fie bildet ſich er 
und wirt traditionell. Der Verluſt des älteren Theild der Arbeiten 
Liefer geiftlichen Diplomatie ift nicht genug zu beklagen. 

Die Urkunten enthalten viel Material über ven Yandfrieben und 
bie Landfriedens⸗Einungen und fine daher, foweit tiefe Reichstagoſache 
waren, auch für unfere Zwede zu verwerten. Es erfcheinen hier bie 
Beziehungen Wenzel's zum päpfilichen Stuhle, die Königewahl vom 
1410, ver Anteil tes Biſchofs Jchann an ver römifchen Königewahl 
von 1411, vie Wahl Albrecht'S, tie Exrbvereine Böhmens mit Mainz 
une Würzburg von 1366, 1373, 1419, 1422, 1459 und bie Verwer⸗ 
fung tur ten Papft 1466, Das Verhältnig tes Bistums zum Ba⸗ 
feler Concil, das des Papftes zum Pfalzgrafen von 1472. Sicher ift 
hier noch Manches zu finten, was directe over invirecte Beziehung 
auf bie Heichstage hat, beſonders da tie Mainz: Afchaffenburger Vor⸗ 
räthe mit ben Würzburgern bier vereinigt find. 

Tie Mainz -Ajchaffenburger Ingreffaturbächer enthalten meift 
privatrechtliche Verhaͤltniſſe, aber dazwifchen hinein vie wichtigften 
politifchen Altenftüde; jo zeigt Jich in dem des Bifchof Joham II 
in gleichzeitiger Abfchrift ein bereutendes Stück tes Mainzer Tags 
von 1406, das fi) auch im Branffurter Stabtarchiv erhalten bat. 





zur Herantgabe ber deniſchen Reichstagsalten. 75 


übenje beachtenswerth find dann auch bie libri diversarum formarum, 
Rärsburger Kepialbücher des bunteften Inhalts. 

Tas Bamberger Provinzialarchiv hat drei verfchiebene Serien 
ws Reich6tagsalten aufumweifen : 

1) Die Brandenburg -Ansbachifche des Plajjenburger Archivs, 

ta vortere Bünde das fogenannte faiferliche Buch enthalten. Die 
sht eriten Bände find bereits hieher eingefanbt (j. auch oben). Vom 
biſerlichen Buch ift aber in Bamberg felbjt noch cine faubere, größ⸗ 
zutheil8 gleichzeitige Sopie in drei Bänden mit einem alten Inder 
serhanten und bazu kommt noch ein ziemlich ſtarker Faſcikel, bezeich- 
æt ale zum faijerlichen Buche gehörig, Hofrath Schneider's collectanea, 
Reichstagthantlungen, Reichsanſchlãge und Yanbfrieten Ketreffend, zu 
zu ‚Jahren 1431, 1446, 1454, 1467, 1471, 1474, 1481, zwar lauter fpä« 
zre Abichriften und von Höfler theilmeije auägebeutet, aber immer 
nech des Bereutenden und Neuen genug bietend. Glücklicher Weife 
ergänzen tie Stüde vom Huffitentag zu Nürnberg 1431 theilweife 
rie im Wemminger Archiv gefunden, ebwohl auch fo noch nicht das 
Ganze hergeſtellt ift. Beſonders bereichert werten bie Zage von 1471, 
14:4, 1481. 

2) Die bambergijch- Hochftiftifche Serie. Die 7 erjten Zafcikel 
rzıhalten Tolumente von 1196 bie 1512, aber von ber frühern Zeit 
ur wenig. Der 1. Band (Sign. Y,) fpringt nach ver ſchon befann- 
za Frietens-Einigung Wenzel's von 1383 auf die Regierung Fried⸗ 
he LIL über und zwar mit bem nächlten uns berührenden Stüde 
zieich in das Jahr 1488. Der 2. Band (Eign. 1) und bie felgen« 
tem beichäftigen fich dann bereits und zwar in fehr ausgicbiger Weife 
'zie überalf für diefe Zeit) mit ven neunziger Jahren des 15. und 
aut rem beginnenten 16. Jahrhunderte. 

3) Die bahyreuthiſchen Weichstagsaften fine in einer langen 
Reihe von Faſcikeln aufgejtellt, aber leiter fcheint bier bag ganze 
13. Zahrhuntert fammt dem 16. abhanden gekommen zu fein. ‘Die 
Signaturen ber Bände find nur formell und geben nichts von Zeit 
acr Inhalt an, es muß tie Aufgabe einer umfaſſenderen Unterſu⸗ 
Jung werden, ald mir dießmal durch die Kürze der Zeit möglich war, 
wen einzelnen der zufammmengebundenen Faſcilel durchzunehmen; aber 
jeweit ich fehen kennte, iſt nur das 17. und 18, Jahrhundert vertreten, 

7 


4 





76 Bericht über ben Etanb ber Arbeiten 


Es wird, befonders für die ältere Zeit, nothwenbig fein, bie 
Semeinbücher zu unterfuchen, welche von den Markgrafen zahlreich 
vorhanden find und politifche Verhäftniffe mit enthalten, wie eine 
kurze Einficht zeigte, tann die Urkunden und Alten über das Berbält- 
niß der Markarafen wie des Bistums Würzburg zu andern Reiche 
ftänden und fremden Mächten, endlich bie Banıbergifchen unb Babe 
reuthiſchen Abfchriftbücher. 

In Nürnberg beginnt die eigentliche Serie ber Reichſtagsalten 
erft mit 1495 und gleich barauf tritt eine große Lücke ein bie 1500; 
es folgen darauf bie Jahre 1500, 1512, 1522—24, 1542, 1547, 1652, 
1555 und ununterbrochen Läuft dann die Reihe von 1557-1806. Gtüd- 
licherweife findet fich taneben noch ein vereinzelter fehr ftarler Band, 
wie es fcheint, gleichfalls von Nürnbergijchem Urfprung, es find neben 
ausführlichen Erzählungen von Friedrich's III. Römerzug von 1402 
und von feiner Brautwerbung um Eleonore, meift Reichstagsjachen, 
und zwar noch vom Jahre 1442 die Ausgaben ver Stabt bei Fried- 
rich's Erfcheinen in Nürnberg (ohne Zweifel auf ber ‘Durchreife zum 
Srankfurter Tage) und bie von der Stabt aufgewendeten Koften bei 
feiner Ankunft im Jahre 1444 (offenbar zum Nürnberger Reichstag 
von biefen Jahr), beides fehr inftructive Stüde; dann eine längere 
Stantsfchrift des Nikolaus Cuſanus 1452 mit Reichetagsbeziehungen, 
weiterhin die Tage von 1454 und 1455, Aftenftüde vom Congreß zu 
Mantua, die Tage von 1460, 1466, 1467, 1468, 1469, 1471, 1474; 
von biejem Material ift uns das meijte fchon zuvor durch handſchrift⸗ 
liche oder getrudte Quellen zugänglich gewefen, namentlich ein großer 
Theil durch Könige Nachlaß, vieles aber begegnet uns bier doch hand⸗ 
fhriftlih zum erftenmal, einzelne® war bisher überhaupt noch unbe- 
kannt geblichen. 

Nürnberg befigt aber außerdem eine äußerft reichhaltige Samm⸗ 
lung von Briefbüchern. Sie beginnen nach Verluft der 6 erften 
Bände mit dem Jahre 1404, und fchon eine flüchtige Durchficht ge- 
nügte, die Wichtigfeit biefer Collection zu conftatiren: auch hier iſt 
wieder ber Mainzer Zag von 1406 vertreten. ‘Die einzelnen Bände 
umfafjen immer nur wenige Jahre. Schon mit der zweiten Hälfte 
bes 15. Jahrhunderts begegnen uns ziemlich zahlreiche und umfänge 
liche Inſtructionen für bie Stäpteboten zum Reichstag, in ber erften 





zur Herausgabe ber deutſchen Neichstagsaften. 17 


zeit des Siculums find jie mager und befchränfen jich mehr auf for: 
zele Rotizen über vie Beihidung dieſer Verſammlungen. Die Serie 
zrrart im Ganzen 359 Bände, bis zum Jahre 1738, es find Mif- 
früher, wie tie Augsburger; die Anzahl ter außerdem erhaltenen 
eszlaufenen Schreiben ijt ziemlich dürftig. 

Tie Rathsbücher find verhanten von 14601 bis 1610 und 11. 
Tirie pelitiſche Protokolle enthalten fie freilich nicht, aber Doch cinzels 
ze& Werthvolle. Pelitiiche Rathsverhandlungen ſcheinen damals über: 
saupt bier und in andern Städten nicht genauer protokollirt worden 
a fein, inrem man fich begnügte, vie JInſtructionen für die Geſand— 
ze aach ihrer Durchberathung in tie Miſſivbücher einzutragen, bie 
ressalb bedeutender jint. 

Während tie Rathebücher ausführlichere Akta enthalten, geben 
tie jegenannten Ruthöverläße meijt nur kurze Notizen mit flüchtiger 
Hand, berühren aber weit mehr einzelne Dinge aus den Verhandlun⸗ 
zen des Rathes auch über Sachen des Reichs. Cie beginnen mit 
1449 un? ſetzen ſich dann nach einer längern Lücke erſt in ven jechzie 
ger Jahren wieder fort, von ta ohne Unterbrechung bis zur Media— 
tijatien. 

Die Rechnungsbücher ſind ziemlich lückenhaft, beginnen aber ſchon 
rit 1377. — Föormliche, auf Reichstage bezügliche Aktenſtücke, Staats— 
jTriften und Präſenzverzeichniſſe finden ſich hie und da zerſtreut auch 
3 zen Geidhlechterküchhern, vie ſich übrigens meiſt mit heraldiſchen 
Tingen beſchäftigen. Die Archive ter Nürnberger patricifchen Häufer 
särfen, jefern jie zugänglich find, nicht übergangen werten. 

Zwar iſt Dad Ergebnig tiefer ſämmtlichen archivalifchen Erhebun— 
zen für vie ältere Zeit nicht jo günftig geweſen, wie für tie fpätere, 
25d nicht alle gehegten Hoffnungen jind erfüllt. Gleichwohl haben 
rs auch für jene Periode wichtige Ergänzungen unjerer Sammlung 
erzeben und c8 find an anteren Stellen noch mehr Aufſchlüſſe tar 
ser mit Sicherheit zu erwarten. Die Verarbeitung des gewonnenen 

Stoffes in Terbindung mit den großen, noch nicht erjchäpften Vor: 
räthen Der Münchener Archive wird bie nächſte Aufgabe bilten. 


.— 


7. 


VII. 


Bericht über eine im Auftrag der Hifterifhen Commiſſion 
unternommene Reife nad) Stalien. 


Bon 


Dr. 8. Ertmannsdörffer. 





Die Reife, welche ich im Laufe des verfloffenen Jahres im Auf 
trag der bijtorifchen Gommiffion turch einen Theil Italiens unter 
nahm, hatte zum Zweck, tie Sammlung des Materials, welches in 
ben dortigen Archiven und Bibliothefen für bie dentſche Gefchichte vom 
ber Mitte des XIV. bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts ſich fine 
bet und Speziell desjenigen, welches für das von der Commiffion une 
ternonmene Werk der Herausgabe ver deutſchen Reichstags-Alten von 
Belang fein konnte. j 

Wenn etwa von der Zeit ver goltenen Bulle au, und mehr und 
mehr im XV, Jahrhundert bie Reichstage bie Grundlage des pefiti« 
chen Lebens in Deutfchland wurten, fo ging ein Stüd von ter Erb- 
Schaft der alten menarchifchseingeitlichen Negierungsgewalt im Großen 
und Ganzen doch nicht mit auf fie über — die Bezichungen zu den Reich 
jenfeit8 ber Alpen. Die Praxis verfelben verblieb im Allgemeinen 
eine Domaine des Kaiſerthums, nnd je ftärker und felbftftändiger in 





Qericht über eine im Auftrag ber hiftorifhen Commiſſion ac. 79 


Italien nationale politifche Bildungen fich erheben, um fo mehr nah— 
zen tie Beziehungen des Reichsoberhauptes zu den Neichsfürften und 
Sonmunen in Stalien ven Charakter auswärtiger Politif au. Die 
ereute Herbeiziehung Italiens zum Weich fchien nothwendig; aber 
wıner butte e8 eine jehr geringe und wenig nachhaltige Bereutung, 
wenn bin und wieber, jei es unter Wenzel oder Ruprecht ober Maris 
artlian, Die deutſchen Stänte auf den NReichätagen den Verſuch mach» 
sen, auf tie Ausübung der Neichspolitif in Italien einen beftimmen- 
ten Einfluß zu üben. Die wäljchen Füriten und Gommunen anders 
tete vermieten es gern, von ihrem theoretifchen Recht zur Beſchickung 
Ber Reichstage Gebrauch zu machen, um nicht dadurch zu ben bamit 
in Rerbindung ſtehenden Pflichten jich zu befennen, und für nicht zu 
zuzebente Gefchäfte zogen fie es vor, fich direct an ven Hof des Kai— 
ſers zu wenten ober jeine gelegentliche Anwejenheit in Italien zu be= 
zogen. In ter That mußte zumeift noch ein beſonderer Grund hin- 
sutemmen, wenn in einzelnen Epochen die deutſchen Reichstage auch 
rar tie Staaten Italiens von erhöhtem Intereſſe wurden, und muß- 
ten ea Gründe jchr allgemeiner umfafjenrer Art fein. Solche Anläffe 
Eerer das KV. Jahrhundert in feinen Verlauf namentlich zwei von 
tr größten Dereutung: in feinen erjten Jahrzehnten vie Concilien, 
ant weiterhin die Türkenfrage. Beide geben den Berathungen. ber 
rentſchen Reichsſtände mehrfach ben Charakter europäifcher Entjchei- 
sangen, unt mit ber großartigen Erweiterung ihres Wirfungsfreifes 
serkant ſich ein verftärftes Intereſſe an ihnen in weiteren Streifen, 
bejenders auch in Italien. Nach tem Abbruch ver conciliaren Be— 
wegung und nachdem die türkiſche Frage aus einer brennenden zu 
einer ſtehenden geworben war, hielt vornehmlich bie Gurte an dieſen 
isren Beziehungen zu den teutjchen Reichötagen fejt; dieß währte bis 
me XVI. Jahrhundert, wo tie religiöjen Angelegenheiten hinzutra— 
ten und tamit den apoſtoliſchen Geſandten eine jtehente Rolle bei ten 
Zerfamnilungen ter Reichsftänte zufiel. Für die übrigen Staaten 
Italiens lag in der zweiten Dälfte des XV. Jahrhunderts, abgeſehen 
ten ber hin nnd wieder angeregten Türkenſache, wenig ver, was fie 
vermecht baben könnte, von dem böchft bewegten eigenen politiichen 
reben ten Bli nach den deutſchen Neichstagen hinzulenken. Mailand 
und Benebig mochten aus naheliegenden Gründen bie zu einem ges 


80 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Eonneifflon 


wiffen Grab eine Ausnahme machen, einen allgemeinen Umſchwung 
aber mußte der Eintritt Marimilians geben und vor Allem der Nach⸗ 
drud, womit er wieder bie auswärtige, befonvers bie italienifche Po⸗ 
litik erfaßte. In demfelben Grave als die ftänbifchen Elemente in 
Deutfchland mit der Kraft neuer Ideen ven Plänen biefes Kaiſers 
controllirend zur Seite oder in ben Weg traten, in bemfelben wurden 
die Neichstage auch für bie italienifchen Staatsmänner oft Tage ber 
wichtigften Entfcheivungen; Mailand und Venedig vorzäglid, Rom 
nicht weniger, und bald auch Frankreich als italienische Macht muß⸗ 
ten fie als beachtenewerthe Factoren in ihren Gefichtöfreis aufnehmen. 
Unter Karl V. waltete ein ähnliches Verhältni ob; abgefehen Davon, 
daß einzelne italienifche Fürften, wie ber Herzog von Savohen durch 
die Macht des Kaifer und durch die Chancen ver großen Bolitit 
wieder in bie engeren Kreife des Reichs und damit zu den Reichs⸗ 
tagen herangezogen wurden — war bie durch bie Reformation her⸗ 
beigeführte Spaltung der Nation, wie das größte Hinderniß ver fai- 
ferlichen Pläne, fo der Gegenftand des verfchievenartigften Intereſſes 
nach allen Seiten hin. Auf den Neichstagen aber war es vornehm⸗ 
lich, wo bie Gegenfäte auf einander trafen. 

Zeit, Ort und Art des Materials, welches von einer italienifchen 
Neife für die Gefchichte der deutſchen Reichstage zu erwarten tft, läßt 
fih aus dieſen Bemerkungen im Ungefähren und Allgemeinen vor- 
weg vermuthen. Im Einzelnen treten taufend Zufälfigkeiten modifici⸗ 
rend hinzu. 

Ich begann meine Studien Ende Novembers 1859 in Florenz. 
Das reiche und durch Herrn Bonaini jet wohlgeorbnete Archiv ver- 
fprach durch feinen vielfeitigen Reichthum auf den erften Anbfic doch 
mehr, als es dann für meine Zmwede mir Teijtete. Die Beziehungen 
der Stadt zu Karl IV. treten aus den vorhandenen Originalurkun⸗ 
ben und aus ben Libri dei Capitoli Mar hervor; ‘aber von Wenzel 
an werden die Nachweife fpärlicher; unter Friedrich III. ift hier (was 
fih in Zurin ähnlich wiederholt) faft völlige Ebbe. Die Rubrik ver 
gefandtfchaftlichen Depefchen ift hier reicher als ich fie irgentfonft 
fand; fie beginnt mit einzelnen Bänden fchon in ven Iegten Jahr⸗ 
zehnden des XIV. Yahrhunderts; für das XV. befitt man eine 
Höchft anfehnliche Reihenfolge. Die Ausbeute aus benfelben für bent- 





unternommene Reife nach Stalien. 81 


ſche Geſchichte ift freilich ebenfo geringfügig, als in biefer Zeit bie 
Peziehungen von Florenz zum Reich waren; jene Gefanbtfchaften be⸗ 
wegen fich vorwiegend in ausfchlieglich italienifchen Angelegenheiten 
ſehr fpecieller Natur; nach tem Ausland bin erfcheinen die Bezie⸗ 
bangen zu Frankreich als die wichtigften’); die Verbinvung der Per 
publik mit K. Ruprecht ift allein turch die auch bei Chmel verzeich- 
neten Altenftüde vertreten; die Beziehungen zu Sigismund betreffen 
namentlich nur deſſen Verbältniß zu Venedig (f. u. unter d. J. 1426); 
oft mit Maximilian tritt eine Aenderung ein, und wenn auch Flo⸗ 
sentiner Geſandte auf feinem ver Reichötage tiefer Zeit anmwefend wa- 
sen, fo finden fich doch in mehreren ver hierher gehörigen Bände aus 
britter Hand viele bemerkenswerthe Nachrichten über biefelben. Cine 
Ledung für Florenz zu einem Reichstag findet fich nirgends; doch 
wird es zu den Zagen unmittelbar nach ber Einnahme von Gonftan- 
tinopel. wohl ebenfo geladen werben fein, wie Siena und Lucca. 

Bon den zahlreichen öffentlichen Bibliothefen von Florenz war die 
Paurenziana mir bei weitem bie ergiebigſte. Neben einigen wichtigen 
Handfchriften für das Basler Concil boten ſich hier unebirte Briefe 
des Aeneas Sylvius von ven Reichstagen von 1454 und 1455, fowie 
Kiniges für die Legation Beſſarion's i. 3. 1460. Die Niccarbiana 
bet mir trog ihrer fchönen Sammlung ton Sumaniftenbriefen doch 
nichts für meinen nächften Zwed; die Magliabecchiana nur wenig, 
Einiges bie mir durch die freumpliche Vermittlung bes damaligen preu- 
kifchen Minifterrefiventen 9. v. Reumont zugänglich gemachte Privat« 
bibliothef des Vlarchefe Gino Capponi. 

In Bifa genügten einige Stunden, um mich zu überzeugen, baß 
für bie Zeit nad) Heinrich VII. keinerlei Ausbeute zu machen war; 
bie auf dieſen Kaifer bezüglichen Akten aus dem Archiv der Familie 
Roncioni fteht Herr Bonaini im Begriff zu veröffentlichen. In Lucca 
fanden fich in dem leiter eben in einer Neuordnung begriffenen Archiv 
einige birelte Reichstagsſachen; in ver VBibliothef der Canonici von 


1) Aus biefen Depeihen ftammt ber größere Theil bes vor zwei Jahren 
erfchienenen erfien Bandes ber Neguciations diplomatiques de la France 
avec la Toscane — gejammelt von Ganeftrini, herausgegeben von 
Desjarbins. 


89 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commiſſion 


S. Martino konnte ich von einigen intereffanten Handſchriften leider 
nur eine flüchtige Einſicht erlangen. Tas Archiv und die Bibliothek 
von Siena ſah ich nur beiläufig auf meiner Durchreiſe nach Rom; 
wohl nur die Verbindung mit Aeneas Sylvius dürfte etwas auf Reiche 
tage Bezügliches hieher geführt haben; einige Etüde dieſer Prove⸗ 
nienz lohnten meinen kurzen Beſuch. 

Am März begab ih mih nah Rom. Die Heffnung aus dem 
vaticanifchen Archiv das ermwünfchtefte Weaterial‘ zu erhaften, wurde 
feier getäufcht. Ich bin dem fönigl. bayerifchen Geſandten in Rom, 
Herren Baron ven Berger, für feine mehrfachen nad dieſem Ziele 
bin angeftellten Bemühungen, wenn gleich fie vergeblich blieben, zu 
anfrichtigem Danfe verpflichtet. Dagegen warb mir vie Benutzung 
der vaticanischen Bibliothek in dankenswerther Weife geftattet, und ber 
erfte Bibliothekar, Monf. ti San Marzano, erleichterte mir mehrfach 
perjönlich mit der gefälligiten Zuvorflommenbeit die Auffindung mei⸗ 
nes Materials, welche durch bie gefetliche Vorenthaltung tes Kata⸗ 
logs fo fehr erfihwert wire. Weber tas Material, welches ich bier 
fan, iſt werer nöthig noch thunlich, etwas Allgemeines zu fagen; ver 
lange Zeitraum, den id in's Auge zu fallen hatte, ebenfo wie bie 
Weiſe der italienifchen Bibliethefen in Miscellaneenbänden cft tas 
heterogenfte zu vereinigen und die befchränfte, nur zu oft unterkro- 
chene Arbeitszeit zwang zu ſporadiſchem Ergreifen Alles deſſen, was 
und wie es fih tarbet. Man wird in ber unten folgenden Zuſam⸗ 
menftellung bemerken, daß nicht der unwichtigſte Theil meiner Mate⸗ 
rialien aus dieſer Bibliothek Der Bibliotheken ftammt. Die Samm- 
lungen, welche ich außer ter Vaticana in Rom benußgt habe, fine vie 
Corfiniana, die Angelica, die Cafanatenfis, die Vallicelliana und bie 
Chigiana. In allen fand ich eine banfenewerthe Bereitwilligkeit; nur 
in der (nicht Öffentlichen) Chigiana wurde mir von ihrem Biblio» 
thefar eine fo knapp zugemejjene Friſt gefett, daß ich leider von ben 
Schätzen diefer wichtigen Vibliothef nur eine flüchtige Anfchauung 
erlangen konnte. 

Tas Turiner Archiv, dem ich auf ver Rückkehr von Rom noch 
einige Wochen witmen durfte, ift befanntlich eines der reichten, und 
bie8 nicht minder als die liberale und entgegenkommende Weife, wo» 
mit man es mir zur freicften Benutzung bot, hat mir die Arkeit in 





unternommene Reife nah Stalieıt. 83 


temjelben zu ber angenebinften gemacht. ‘Dem eigentlichen ſavohiſchen 
Hauptfteck find mehrere andere urfprünglich felbitftänbige Archive jett 
Incerporirt; fo namentlich das ver Markgrafen von Meontferrat, fo- 
wie das von Saluzzo; in einer befontern Abtheilung findet fich eine 
Ihene Sammlung Mailänder Archivalien vereinigt; über alle Theile 
rertrefflih angelegte Inventarien. Neben dem Staatsarchiv war 
früber auch das Archiv der Rechnungskammer (Camera dei Conti) 
zen Wichtigkeit; ein jeßt angeftelltes Nachſuchen zeigte, daß dort wohl 
michts mehr von ullgemeinerem Intereſſe namentlic, für auswärtige 
Peziehungen zu gewinnen ift; nachträglich bemerkte ich, daß bie von 
Guichenen in ven Preuves der Histoire genealogiques de la R. 
Marson de Savoie an® der Camera dei Conti aufgeführten Stüde, 
foweit fie vie Aeziehungen zum Reich angehen, fich jet alle im Etaate- 
archiv befinten. Aus ter unten folgenden Zufanmenftellung ift er—⸗ 
whtlich, wie lebhaft in verfchievenen Epochen der Verkehr Savoyens 
wit rem Reich und z. Th. felbft mit den Reichstagen war; abgefchen 
Keienter6 von der Ebbe unter Friedrich III. ergibt jich bier eine ge— 
wife Continuität. Auffallend war es mir für vie Zeit bes Herzogs 
Ymereo VIII (Papſt Felix V.) und des Basler Cencils nur wenig 
zu finden; bie biplomatifche Correſpondenz jenes Herzogs fehlt fait 
ganz. Die vorhandenen acht Bände Bullarıum Felicis V. pp., welche 
tem König von Sartinien im J. 1754 von Genf zum Geſchenk ge» 
macht wurden, laffen auf ven Ort jchließen, wo dieſer Defect zu cr= 
zinzen fein würbe, und diefe Vermuthung beftätigt ſich Durch bie Mit— 
fheilungen, welche Sickel (vie Ambrofianifche Republif und das Hans 
Sreoyen im XX. Bd. der Situngeberichte ter Wiener Afabentie 
p- 185) aus dem Genfer Santonalarchiv gemacht hat. 

In ber Biblioteca reale fintet fich nach ber Berfüherung des 
Sibliothelars Cav. Promis für deutiche Beziehungen nichts außer ter 
unten befchriebenen intereffanten Sammlung Gattinara'ſcher Papiere. 
Tie Univerjitätsbibliothet konnte ich wegen ber Serien nur ziveimal 
auf kurze Zeit befuchen; einige unten zu bezeichnende Sanpfchriften 
terielben find nicht ohne Werth. 

Ich gebe In dem folgenden eine, joweit thunlich, chrenelegiiche 
Ueberficht über das von mir benußte Material; es wird keiner Recht 
fertigung bebürfen, wenn biefelbe bie engen Grenzen ber biegen Reichs⸗ 


84 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Conmiſſien 


tags⸗Geſchichte nicht allzugenan einhält. Der Nachweis des Berbält- 
niffes zu bem fchon gerrudten Material macht wenigftens auf voll⸗ 
ftändige Genauigkeit feinen Anſpruch, da die Bibliothek, welche mir 
gegenwärtig zu Gebote fteht, mich bisweilen in empfindlicher Weiſe 
im Stich läßt. 

Jena im Januar 1861. 


Karl IV. und Wenzel. 

Florenz Archivio di State. Lib. XVI dei Capiteli — fol. membr. Zahl 
reiche Schreiben Karl's IV. an die Commune von Florenz nom 
9. 1350 an, welde die Stellung der Commune zum Reich feit 
dem Pijaner Vertrag vom 21. März 1355 dharalterifiren (Mab- 
teo Villani bei Muratori Script. XIV p. 290; von ber ibid. p. 291 
erwähnten Beftätigung des Vertrags nad ber Ruücklehr Karl’s 
aus Rom findet fi die Originalurfunde mit goldener Bulle un» 
ter den Dimplomi Imperisli; danach ift das Datum bei Billaui 
zu corrigiren, Siena 5. Mat 1355). Die Mehrzahl betrifft vie 
von Florenz an die Reichskammer zu leiftenden Zahlungen, na- 
mentlih tie auf 4000 for aur. beſtimmte jährliche Heichöftener. 
In Bezug auf dieſe correjpondirt und ergänzt : 

Liber XLVII dei Capitoli, welches vie Notariatsafte Üiber bie 
einzelnen Auszahlungen enthält. Es geht bis zum Tod Karl's IV. 
(Nov. 1378); das legte Stüd vom 31. Mär; 1379 ift eine 
Erklärung von Prioren und Öonfalonier, daß fie die von Karl IV. 
ber noch ſtehenden Reſte der (unterveß auf 4250 1. aur. erhöh⸗ 
ten) Steuer nachzahlen wellen. Für die Fortdauer des Berhält- 
niſſes unter Wenzel zeugt u. a. eine Originalurkunde auf Perg. 
dat. Florenz 27. Aug. 1381: Decret der Signorie über Abfen- 
dung ven drei Oratoren an 8. Wenzel zur Hulvigung und zur 
Verhandlung über vie jährliche Reichsſteuer, wobei fie bis zur 
Bewilligung von 4300 fl. sur. Vollmacht erhalten. Bon einzel- 
nen Stüden notire ich beiſpielweiſe 

1350) Karl IV. zeigt den Florentinern an, daß er nad) erjelgter Aus» 
ſöhnung mit Ludwig von Brandenburg demnächſt einen RT. zu 
Nürnberg halten und dann feinen Römerzug antreten werde (o. D. 
— um Üftern 1350) Lib. XVI. fol, 1. 





unternommenen Reife nach Stalien. 85 


1355. 20. Tec. Nürnberg. Karl IV. weift dem Garbinal von Oſtia 
als Dank für feine Bemühung kei feiner Krönumg 1000 N. aur. 
jährliche Penſion auf die Reichsſteuer von Florenz an. (Lib. XLVII. 
fol. 2.) 

1356. 12. April Prag. Karl IV. zeigt ven Florentinern an, daß er 
vie flreitenden Parteien in ver Pombardei zum Ausgleich auf den 
RT. nah Metz beſchieden habe (Lib. XVI. fol. 82). 

1356. 1. Tec. Metz. Ernenerung der Anmeifung für den Cardinal 
ven Oſtia (Lib. XLVII. fol. 2). 

1376. 26. März Nürnberg. Karl IV. mahnt die Florentiner, von ihren An: 
griffen gegen tie Kirche abzulaflen und weiſt anf ten bevorftehen: 
ven RT. bin (Originalbf. auf Berg. bei den Diplomi Imper. ada). 

1390. 5. Aprii Münden. Practica quam habent comunia Florencie 
et Bononie cum Ilkıstri Principe d. Stefano Duce Bavarie. 
Gontetta des Herzogs Stephan von Bayern zum Kampf gegen 
Gievanni Galeazzo Bisconti von Mailand (pro  destruclione 
et exterminio comitis Virtutum) auf 6 Monate, in eigener Perjon 
(Lib. XIV dei Capit. fol. 161 seq.). ine ähnliche Condotta v. 
3. 1364: vie Grafen Iohanı und Rudolph „de Abespurg“* tre: 
ten für 6 Monate in den Tienft von Florenz für 600 N. aur. 
monatlihen Sold; dat. Gonftanz VII Id Jan., und ähnlid für 
ren Grafen Wolfhard von Veringen, dat. Conſtanz 13 Kal. Jan. 
1364 (Florenz; Archiv CL. XI dist. 1 Num. 22 fol. 198 sq.). 

In Lib. XVI. dei Cop. zahlreiche Briefe von Cola Rienzi an tie 
Flerentiner v. J. 1347. 


Teria Archivio del Regno. Außer ven Abtheilungen: Diplomi Imperiali 
und Lettere Principi bejenver8 Liber Litterarum Imperialium fol. 
chart.; eine im XV. Jahrhundert begonnene une bis ins XVI. 
fertgeführte Sammlung von Abſchriften kaiſerlicher Diplome und 
Briefe, welche oft die nicht mehr vorhandenen Originale ergänzt. 

1354. 3. Juni. Kaiſerliches Mandat an Grafen Amedeo von Savoyen 
von dem unmittelbar unter das Reich gehörigen Wallis abzulaſſen 
(Lib. Liti. Imp. fol. 67). 

1355. 10. Ian. Mailand. Weiſung Karl's IV, an die kaiſerlichen Vögte 
in Wallis, Peter von Arberg und Burkard Monachi von Baſel, 


86 


1356. 


1361. 


1362. 


1372. 





Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Eommifflon 


bis auf Weiteres mit den: Grafen von Sav. Waffenſtillſtand zu 
halten (Ibid. fol. 68). 

Snveftiturbriefe von 14 Kal, Jul. 1355 Cremons und 16 Kal. 

Aug. Prag (ibid. Fol. 68. 69); dazwiſchen liegt eine von Met wäh- 
vend des RT. ausgehende Aufforderung an den Grafen, Gejaubte 
zum Kaijer zu fjchiden, dat. Met 4. Jan. 1356 (Lettere Principi 
ad a.) uud ber Seleitöbrief für bie heimkehrenden Gejandten, bat. 
Prag 24. Yuli 1356 (Lib. Litt. Imp. fol. 69). 
12. Kal. Aug. Prag. Uebertragung ber Appellation von geiftlichen 
Gerichten in ver Grafihaft Savoyen auf den Grafen (Ibid. fol. 70 
und Dipl. Imp.; gedruckt b. Lünig Cod. It. Dipl. I, 663 und befler 
bet Guichenon Preuves p. 200). 


5. 31. Aug. Aquiani. Entſprechendes Mauifeſt des Grafen Amebeo, 


daß man binfort an ihn zu appelliven habe (Ibid.). 

5. Mai Prag. Karl IV. erimirt die Grafihaft Genf von dem 
Reichsvicariat des Grafen von Savoyen und erflärt biejelbe un⸗ 
mittelbar unter dem Reich ftehend (Ibid. fol. 200). Und eine Wie⸗ 
terholung dieſer Erklärung dat. Lucca 10. Febr. 1369 (ibid. 
fol. 205). 

17. Mai Prag. Manifeft Karls IV., womit er bie Grafſchaft 
Savoyen und alle im Bereich des Königreichs Urelate gelegenen 
Territorien deſſelben aus allen Verband mit dieſem eximirt und 
piefelben für fortan dem Reich unmittelbar verbunden (incorpora- 
mus, adunamus, annectimus © . 2... .. et unimus) erklärt. Da- 
bei der Brief d. d. 20, Mai 1361, womit Karl dem Grafen das 
Toenment unter goldener Bulle überſchickt (Diplomi Imp. ad a.). 
Ber Guichenon fehlt dieſes Stüd; auffallenver iſt, daß auch ber 
neueſte Geſchichtſchreiber Savoyens, 2. Cibrario, eine Notiz davon 
nimmt. Zu bemerken ift übrigens, daß immerhin fpätere auf Sa⸗ 
voyen bezügliche Dokunente Karl's IV. vom Erzbiſchof von Trier 
als Kanzler für Arelate unterzeichnet find. 

21. Juni. Graf Auedeo von Savoyen verpflichtet ſich dem Kai⸗ 
jer zur Heeresfolge überall — precipue tamen in Alemanie Vtolie 
et Galliarum partibus — und zwar „ad vitam ipsius domini nostri 
Imperatoris et non ultra“ (Lib. Litt, Imp. fol. 78). 

23. Nov. ...... Kaiferliche Erflärung, daß das Reichsvica⸗ 





nnternommene Reife nach Italien. 87 


riat tes Grafen von ©. „se extendit ad terras dumtaxat Berna- 
boris et Galeas Vicecomitum Mediolani, complicum colligatorumque 
en ... suorum et non ulterius (Ibid. fol. 98). Vgl. dazu 
Dumont C. D. Tom. II. P. I. 89. 

33. 26. Sept. Nürnberg. 8. Wenzel belehnt ven Grafen von Sav. 
/tbid. fol. 102). 

S1. 16. Dec. Mainz. Derjelbe befiehlt vemfelben, nach dem Beſchluſſe 
des RT. von Frankfurt Urban VI. al8 wahrhaft katholiſchem Papit 
O berienz zu leilten (Ibid. fol. 103). 

8. 13. März Yvodii (1voy?). Verſchiedene Edikte K. Wenzels über 
vie Verwaltung ver Grafihaft Savoyen während ver Regentſchaft 
für ven minterjährigen Amebeo VII. (Ibid. fol. 104. 105). 

395. 23. Dec. Prag. Mandat HK. Menzel’ an Vaſallen und Unter- 
thanen ver Grafſchaft Genf, ten Humbert ve Billarti zu geher- 
chen, ven er nad tem Tod tes Grafen Peter damit befehnt habe 
(ibid fol. 217). 

40. 5. Juli Prag. Wiberruf tiefer Belehnung und Uebertragung ter 
ſelben auf Humbert ve Altari (Ibid. fol. 266). 

1400. Acta Concilii Pisani. Cod. Ms. chart. fol. Saec. XV. 532 Bl. in 
2 Golumnen berieben — im Anfang fehlen mehrere Blätter 
(Turin Univerfitätsbißl. Cod. Num. 238). Leider fonnte ich die 
Hei. nur furze Zeit benußen. Cine Befchreibung gibt Paſini in 
rt. gedrudten Katalog der Hpf. dieſer Bibl. pag. TV. Von ft. 
Wenzel finten fi fol. 94. 95. 

1409. 16. Febr. Prag. Wenzel erflärt ſich gegen den Cardinal Lars 
tulfe ven S. Nicolo in carcere zu Gunften des Concils (S. Pet 
ze, 8. Wenzel Urkundenb. 218). 

149. 15. März Prag. Wenzel ernennt 5 bevollmächtigte Kommiffarien 
zum Concil. 


Sigismund. 

1412. 2. Juli Ofen. K. Sigismund belehnt ven Grafen Amedeo VII. 
ven Supoyen (Turin Archiv. Lib. Litt. Imp. fol. 111. 179. 
1414. 6. Juli Bern. Mantat 8. Sigismunds an vie barones et bannereti 
ver Grafihaft Sav. tem Grafen Amedeo zum Reeichsdienſt gegen 

die Rebellen in Italien Zuzug zu leiften (Ibid. fol. 43). 


88 Bericht Aber eine im Auftrag ber hiſteriſchen Commiſſion 


1415. 10. Sept. Lucca. Paolo Ouinigi, Herr von Lucca bringt bem 
8. Sigismund j. Glüdwänjche zur Krönung ie Aachen (Lucca 
Archiv, Copialbuch von P. Guinigi). 

1416. 2. Febr. Lyon. Quittung des Probſtes Benedikt von Stuhl⸗ 
weißenburg über 3000 Scuti, vie er von dem Grafen von Gas 
voyen für ven Köuig in Empfang genommen (Tarin I cit. fol. 144). 

1422. Reichstag in Nürnberg. 

25. Auguft. Belehnung des Herzogs Amadeo von Savohen mit 
ver Grafſchaft Genf (Dipl. Imp. ad a. dabei ein Notariatsinfiru- 
ment tat. Chambery 8. Nev. 1465, wodurch das Vorhandenſein 
dieſer Urkunde konftatirt wird). 

25. Auguft. Erklärung 8. Sigismund’s, daß er in dem bei dem 
Fiscalprocurator anhängigen Proceß über die Grafihaft Genf alle 
feine Anfprühe zu Gunften des Herzogs von Sav. nachlaſſen 
werde (Ibid.). 

25. Auguft. K. Sigismund verbietet den Unterthanen des Her⸗ 
3098, von feinen Gerichten an den Kaifer zu appelliven (Ibid.). 
26. Auguft bis 15. Oft 1423. Cine Anzahl von Urkunden über 
eine von dem Herz. von Sav. (ex veris certis indubitelis iustisgue 
causis) an ben Kaiſer zu leiftende Zahlung von 12,500 veneziani- 
ſchen Dukaten (Turin Materie d’Impero 4“ categ. ad a.), 

1423. 14. Dct. Ofen. NRatification der Belehuung mit Genf (Lib. Liv. 
Imp. fol’ 126). 

1424. 29. Mai. Ofen. K. Sigismund verbietet dem Ludwig v. Oran⸗ 
ges, fih Grafen von Genf zu nennen (Ibid. fol. 128). Weitere 

Schreiben an venjelben fol. 130 — 141. 

1426. Reihstag in Wien. 

Legazione di Rinaldo di M. Maso degli Albizzi all’ Imperatorc dal 
1. Febr. 1425 al 26. Genn. 1426 (Florenz Arch. di Stato Classe X 
dist. 2 Num. 15. Depeigenband von 317 BU. Kopie). Haupt- 
inhalt die Vermittelung der Florentiner zwijchen dem Kaifer und 
Benedig. Daraus 

1426. 16. März Wien. Bericht des florentinifchen Gejandten über ven 
RT., nebft einem Verzeichniß der anweſenden Reichöftände. 

1426. 5. Sept. Instruzione di quello dovra dire Lancelotto Grotti Ora- 
tor del Duca Filippo Maria Visconti appresso l’Iimp”. Sigismondo 





unternommene Reife nach Stalien. 89 


per dimostrere il pericolo in cui si ritrova il suo stato invaso 
delli Venezieni collegati co’ Fiorentini, Duca di Savoia, Marchese 
d’Este, Duca di Mantova (Turin Mailänter Suchen Marz 2 
Num. 5). 

431. Reichstag in Nürnberg. 

Die bei Guichenon Preuves p. 279. 280 und Yünig Cod. It. Dipl, 
11. 2295. 2327 mit manden Fehlen abgebrudten Stüde (Turin 
Zriginale auf Perg. unter d. Lettere Princ.). 

432. 6. Febr. Herzog Amedeo quiktirt über 12,000 fl., welche ver Adel 
und die Communen von Piemont ihm ald Erben feiner beiden 
heime, Ameteo und Ludwig von Achaja jchultig waren, mit dem 
Zuſatz, daß das Geld verwendet habe — nelle spese della guerra 
in sassidio cell’ Imperatore (Turin Arch. Minutari Ducati num, 73). 

1434. Reichstag iu Baſel. 

26. April. 8. Sigismund befieblt ven H. Amedeo von Sav. in 
feinem ante die nad der Krönung in Rem übliche Judenſteuer 
für den Kaijer einzutreiben (Lib. Litt. Imp. fol. 145). 

11. Mai. Defielben Aufforderung an benjelben zur Silfleiftung 
gegen Diuiland (Lettere Principi ad a. Conf. Guichenon p. 286). 

1434. Reichstag in Ulm. 

21. Yuni. K. Sigismund notificirt dem H. Amedeo den bevor—⸗ 
ſtehenden Keichökrieg gegen Burgund (Lib. Liit Imp. fol 146). 
9. Yuni. Derſelbe ſchreibt an |. Geſandten bei dem H. von Sar. 
Graf Wilhelm von Montfort und Ritter Hemman v. Offenburg 
über tie von dem Herzog verfuchte Vermittlung bei dein Herzog v. 
Mailand, über den Sieg über die Hujliten, über die Judenſteuer 
u. a. (Originalbf, in deuticher Sprache bei ven Dipl. Imp. ad a. 
nebit lat. Ueberjekung). 

1437. Reichstag in Eger. 

31. Juli. Aufforderung an ven H. von Sav., ſich gegen Minis 
(and zu erflären (Lib. Lit. Imp. fol. 147). 

11. Juli. Schreiben des ſavoyſchen Gejantten am RT., Chriſto⸗ 
forus de Bellate an d. H. Amedeo, beſonders über einen beim 
Kaiſer anhängigen Streit zwiichen ihm und dem Herzog Philipp 
von Bourbon über gewiſſe Reichslehen in der Herrichaft Beaujeu 
(baronia Belioci) (Ibid. fol. 148). 


Bericht Über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commiſſion 


18. Juli, Derjelbe an denſelben; jhidt ihm Abſchrift der von 
dem Geſandten des Herzogs von Bourbon beim Kaifer eingereich- 
» ten Supplif (Ibid. fol. 149). 

1139. 11. Juni Ofen. Verſpricht K. Albrecht II. nem Herzog von Sur. 
jeine Gunſt in dieſer Angelegenheit (Ibid. fol. 148). 

Die Ausgleihung des Streites erfolgte jpäter 1441, ohne ven 
Kaiſer. Guichenon 1. 506. 
Concil von Conſtanz. 

Cod. Vatic. lat. Num. 1335, gr. fol. Pergament und Papier gemiſcht. 
Einband neu; auf dem erften Blatt unten das Wappen ber Fa—⸗ 
milie Rovere. Inc. fol, 1. 

ia nomine sancte et individue trinitatis, Hic liber continet Or- 
dinationes statuta Constitutiones Decrela et alia Acta el gesta in 
generali Constanciensi Concilio presidente Sanct”° in Christo palre 
et domino nostro domino Johanue divina providenlia papa Vice- 
simo terlio. Recollecta visa et ordinata per nos Prothonotarios No- 
tarios et Scribas infrascriplos ad id per. eundem dominum nostrum 
papam ipso approbante Concilio deputatos. Sub annis domini.... 
inferius annotalis. 
Folgt der nach Seſſionen georbnete Inder; auf dem legten Blatt: 

Finitus est iste liber per me Conradum Richardi de Witzenhusen, 


Aus obiger Ueberichrift ergibt ih, daß dieſer Coder wohl ven ver 
gleichen Redaction ift mut den bei v. d. Hardt (T. IV. Proleg. p. 14) 
bezeichneten Braunjchweiger, Yeipziger und Gothaer Hoſſ., welche pas 
officielle Protofol der von Johann XXIII. eingejettten Notare enthalten ; 
fol. 6 findet jih das bei v. d. Hardt T. IV p. 94 aus ter Gothaer 
u. Leipziger Hr. gegebene Stüd; fol. 16 ftimmt mit ven 3 genannten 
Hoſſ. bei v. d. Hardt ibid. p. 159; fol. 128 ff. mit dem bei v. d. Hardt 
T. V. p 76 aus ver Peipziger Hdf. gegebenen über den Raugftreit zwi⸗ 
ſchen ter franzöſiſchen und englifchen Nation. Bon fol. 150 au folgen 
die Proceßacten gegen Benebict Xlll. Courad von Wigenhaujen jcheint 
nur der Abjchreiber dieſes Exemplars zu jein. 

Rom. Bibl. Casanatensis Cod. chart D. 1. 20. Varia saec. XV. 

Fol, 275 Petrus de Alliaco, de tribulatione et reformatione 

ecclesie ad papam, 








92 Bericht über eine im Auftrag der biftorifden Commiſſion 


Rom. 2 Kal. Apr. a, quinto. An die Aebte von Mölt und 
Neuburg gerichtet. 
Inc. Ad preclara devocionis et fidei merita. 

Fol. 35. Citatio Johannis Comitis Armeniaci. Dat. Rom. X. Kal. Dec. 
a. sexto (1423). 

Fol. 44, Eadem citatio paullo tamen aliter concepta. Dat. ut s. — 
Graf Johann von Armagnac war der legte Anhänger Be 
nedict8 XIII. (Platina vita Joh. XXI). 

Cod. Vatic. Num. 3934. Chart. fol. Varia saec. XV. 

Fol. 171. Statuta provincielia Rev”! in Christo patris et Domini d. 
Eberhardi archiepiscopi Salezhurgii Ap“* sedis Legato, edita 
sub a. d. M® CCCC° XVII? mensis Novembris .. .. . — 
Gedruckt bei Yabbe, Coneil. T. XII. p. 308 mit dem Da⸗ 
tum „circa annum domini 1420° und b. Martene VIII. 977, 
wo die Note zu vergl. 


Concil von Bafel. 

Codd, Vatic. Regin. Num 1017 — 1020. 4 Bde, fol. chart. Saec. XV. 
Der erfte dieſer 4 einft ver Königin Chriftine gehörenden Bände 
ift eine Art von Tagebuch vom Concil mit zahlreichen beigefügten 
Aktenftücden vom Beginn des Concils bis Ende 1434. Die ans 
bern 3 Bände enthalten nur einzelne Stüde ohne Erzählung; doch 
gehören nad) Schrift und Papter alle 4 zujammen. Vol. I. führt 
die bejondere Aufjchrift: Epistole et Responsiones synodales S. 
Bas. gen. Concilii. Aus Vol. I und II dürfte das Meifte bekannt 
fein; ich notire nur 

Vol. Il. Fol. 226. Hanc cedulam dedit quidam monachus pro voto 
suo (0. D.) Inc. Olim antequam Greci a Latinis separaban- 
tur Romanus pontifex non sic exaltabatur. — Es handelt 
fih um Abfaffung eines Schreibens, worin, wie es jcheint, 
die Titulatur: „Beatissime pater-“ gebraucht werben follte; 
der Votant proteftirt gegen diefe „Sanctification“ ; die Kirche, 
das Goncil darf fi vor dem Papft nicht fo bemüthigen. 

Vol. IH. Fol. 1—9. Responsio data Ambassiatoribus illust- 
rium principum Electorum S. R. J. per Rev‘ d. 
Ludovicum de Roma ap“ sedis prothonot. 





unternounnene Reife nach Italien. 93 


Inc. P.P. ... . Oratio vestra in medio nostri sacri celus 
proposita tres habet effectuales particulas. 

Expl. — supra pelram est non quassatur. Explicit respon- 
sio synodalis .. . . . a. d. 1438 d. 28. Dec. 

Fol. 9—22. Proposilio facta Francophordie coram 
I11®' principibus S. J. R. Electoribus per R”'* in 
Christo patrem et dominum d. \ycolaum Syculi 
Dei et ap“ sedis gratia archiepiscopum Panor- 
mitanum vulgariter nuncupalum. (Bgl. Würbtwein 
Subj. dipl. 98.) 

Inc. Mecum tacitus sepenumero cogitavi — 
Expl. — sue dilectissime sponse concedere dignetur. Amen. 

Fol. 73 — 97. Tractatus domini S. Martini de neu- 
tralitate. 

Inc. „Quis dabit me in solitudinem diversorum viatorum‘*.. 
Expl. — Jesu Christi et sponse eius ecclesie collecte. Amen. 

Der Inhalt ift vorzugsweiſe theologifch; mehr won Kirche 
unt Goncil als von der Neutralität. 

Fol. 97 — 120. Tractatus d. Joh. de Segobia contra 
neutralitatem 
Inc. Allegacio facta contra neutralitatem quam nonnulli dicebant — 
Exp. — subiiciendo omnia debite correctioni cuiuslibet me- 

lius sentientis. 

Fol. 120—125. Consilium universitatis studii Vien- 
nensis ad Archiepiscopum Saltzeburgensem su- 
per intelligentia sive unione Electorum Impe- 
rii circa celebracionem concilii generalis, 

Inc. Circa maleriam unionis quam inieruns R”' patres et 
IN” principes S R. S. Electores 

Exp. — vel per talem principum unionem 
Ein Tractat für das Concil gegen die Neutralität. 

Fol. 125— 131. Cousilium universiltatis studii Er- 
phordensis ad d. Archiep. Magunlinum ...... 
contra olim Eugenium et contra neutralitatem 
principum Electorum ad Concilium provinciale 
in Aschaffenburg nuper ... inchoatum in presenti 


8* 


94 





Bericht über eine im Auftrag ber hiſteriſchen Eommiffion 


anno 1440. Inc. P.P. Nedum per organum ven’ mag”“ 
Henrici Laybyng Expl. — vivit et regnat. Amen. 

Es wird das nah Würbtwein Subs. dipl. VII p. 5—28 
citirte Öutachten fein; dieſes Werk ift mir gegenwärtig nicht 
zugänglich. 

Fol. 319— 332. Opusculum de ruina et desolacione 
super ecclesiam futura tempore scismatis editum, 
De abusibus Romane ecclesie. 

Inc. Quum hesterno die sacrorum eloquiorum codicem ar- 
ripuissem. 

Fol. 335—398. Tractatus sive proposicio D. Joh. de 
Ragusio facta coram Rege Rom. Vienne in defen- 
sionem S. Concilii Basiliensis contra papam Eu- 
genium. 

Inc. Convenit ecclesia magna cogitare quid facerent fratri- 
bus suis. — Das Explicit gibt auch das Datum, ven 

15. Mai 1438, tempore quo prefato Regi per ambassia- 

tores Electorum offerebatur regni Romanorum electio, qui 

et post acceptationem prefate interfuerunt proponi unacum 
magistris et doctoribus universitatis Viennensis. 
Vol. IV. Fol. 31—44. Tractatus de modo electionis Relicis 
pape quinti. 
Inc. Apprehendit dominus arma et scutum et exsurrexit 
Exp. — laus et gloria sit deo in secula seculorum. 

Fol. 45—56. Tractatus utrum papa peccaverit dissol- 
vendo Concilium Basiliense, 

Inc. Quoniam ab aliquibus revocatur in dubium et obicitur 
contra C. B. | 
Exp. — videtur necessarie per Concilium intendi debere. 

Fol. 56 — 61. Propositio dom. Abbatis de Scocia 
facta Maguncie in quadam dieta ibidem servata 
a. d. 1439 de mense Augusti. 


Inc. P. P.. . . Sacrosancta Synodus Bas. ... . vestras 
R”“ paternitates..... salutat cum omnipotentis dei 
benedictione, 


Exp. — qui sine fine regnat, Amen. 





uuternonmmene Reife nach Italien. 95 


Das Stüd gehört zu dem Kurfürftentag vom 6. Auguſt 
(auf ©. Sirt) in Mainz, auf welchen die Neutralität ver- 
fängert wurde. Drei Concilgefandte Johann von Segobia, 
Ich. Bachenftein und der Redner überreichen ein Schreiben 
tes Concils (o. D.), worin die Kurfürſten gedrängt wer: 
den, fi) offen gegen Eugen IV. zu erklären. Perſönlich an— 
weiend war nur der Kurfürſt von Mainz; an dieſen und 
an die Mainzer Provinzialiynove ift die folgende Rede ge- 
richtet. 

Fol. 61 —63. Propositio dom. Abbatis de Scocia 
oratoris S. B. C. facta in provinciali synodo Ma- 
guntina celebrata ibidem a. d. 1439 et iij men- 
sis Augusti. 

Auch hier Überreiht der Geſandte ein Schreiben des 


Concils. 
Inc. Daum gloriam incontaminati sacerdocii intenta mente 
considero — 
. Exp — qui sine fine vivit et regnat. Amen. 


Fol. 63—70. Propositiones verjchiedener Drateren des Con: 
cils an B. Felir . 

Fol 70—9W. Berhandlungen des Concil mit England und 
Frankreich. 

Fol 90 — 92. Instrumentum in quo continetur ce- 
dula avisamentorum data per ambassiatores Ro- 
manoram et Francie Regum pro extirpatione 
scismatis. 

Es iſt das Stüd vom Mainzer NT, 1441, welches bei 
Mäller RT. Th. 1. 52 ff. ſehr mangelhaft gedrudt ift. Vor— 
aus geht ein Notarintsinjtrument, dann folgen die Aviſa— 
menta felbft, wobei genauer als in der Ueberſchrift auch bie 
Mitwirkung ver Kurfürften angegeben iſt. 

Fol. 97 — 98. Ista est responsio que facta fuit in 
Nurenberga oratoribus Concilii in festo 8. 
Margarethe super hiis que proposita fuerunt ex 
parte C. B. coram rege Romanorum, 

Ino. Ad ea, R”' paires, que ex parti S. B. C. a Ser"” 
D. N. Rom. Rege. 





Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commifſion 


Expl. — merito grate future sit et accepte. 

Diejes wie die nächftfolgenden Stüde gehört zu tem „Mar: 
garethentag” in Nürnberg 1438. 

Fol. 98— 117. Responsio concepta per unum ex 
oratoribus S. B. C. ad oratores Invict” Regis 
Rom. in dieta Margarete a. d. 1438 Nurenborge. 
Sed non exhibita fuit, 

Inc. Quoniam in hiis que fidei sunt gravis culpa censetur. 

Exp. — parata semper sit reddere rationem. 

Fol. 117 — 118. Cedula prima presentata dominis 
deputatis per ambassiatores Regis Romanorum, 
principum Electorum et aliorum Almannie pre- 
tatorum, 

Inc. Primo quod sacrum Concilium sui auctoritate aliquem 
alium locum in Germania nominet — 

Exp. — ut nulla machinacione ycumenici concilii sepedicti 
valeat celebracio impediri. 

Fol, 118— 121. Sequitur cedula dominorum depu- 
tatorum (Antwort auf das vorhergehende). 

Inc. Videtur dominis deputatis, quod pro pace universalis 
ecclesie .... procuranda et servanda potest per hoc S. B. 
C. condescendi peticioni — 

Exp. — hic sancta Synodus dinoscitur obligata. 

In diefem Stüd zeigt fih, daß ſchon hier Frankreich mit 
unterhandelte, nicht erft bei den Verhandlungen in Bafel 
im December 1438, wie man bisher annahm, wenigftens 
wird bie obige Cedula prima bier genannt — oblata pro 
parte Ser”! d. Regis Rom. ac Christ”! d. Regis Francorum. 

Fol. 123 — 138. Sequuntur raciones quibus depußati 
8. Concilii moti fuerunt, ut cedulam suam ita prout 
jacet avisaverunt, 

Inc. Veneris quinta Decembris et duodecima ejusdem . . . 
(Einleitung; dann:) constat ex gentis hujus S. B. C. ac’ 
litteris summi Pontificis et notam est toto orbe — 

Exp. — quia non est abreviala manus domini, 

Fol, 138— 152. Sequuntur difficultates mote per 





unternommene Reife nach Italien. 97 


ambassietoresS.B.C. et quibus provideri debebat 

antequam terciuslocus eligeretur indietaNurem- 

burgensi in die S. Galli celebrata. . 

Inc. In dieta Nuremb. de festo S Galli a. d. Millesimo... 
(1438) per dominos relatores depulatos a tota inibi exi- 
stente congregacione .. . 

Exp. — quia alibi locus se offert ad hujus modi consideracionem. 

Fol. 153 — 158. Rede eines deutihen Öejandten an 
das Concil — ohne Namen und Datum. Der Zuſammen⸗ 
bang weist fie zu den Verhantlungen, die im De. 1438 
und Yan. 1439 zwiſchen dem Concil und dem vom „St. 
Gallen⸗-Tag“ nad) Bafel geihidten Geſandten gepflogen wurden. 
Inc. Cum hodierno die hunc cetum sacrum pro pace eccle- 

siastica conservanda. — 

Fol. 162 — 177. Incipiunt probaciones, quod C.B. non 
sit translatum nec dissolutum facte in Maguncia 
ab Ambassiatoribus C. B. 

Inc. Ad ostendendum evidenter, quod s. generale C. B. u. 
e. r. non sit translatum. — Gehört wohl zun RT. von 
Mainz 14141. . 

Fol. 197— 199. Tractatulus de neutralitate secundum 
studium Coloniense, 

Inc. Ad requestam R'"' d. Theoderici Archiepiscopi Coloni- 
ensis d. deputati Universitatis Coloniensis sicut prima facie 
potuerant non auditis particularibus motivis parcium scisma 
presens inducencium visum est conveniencius in tribus 
propositionibus quibus super hac requisicione respondendum 
est. Sequitur prima proposicio ... . 

Exp. — simulatores et callidi qui provocant iram Dei. — 

Fol. 199 — 212. Tractatus super neutralitate princi- 
pum, per quendam religiosum fratrem Ordinis 
Carthusiensis, apud Coloniam sacre Tleologye 
professorem compilatus a. 1440. 

Inc. ....modestia imperantis paterne jussionis cui resistero 
non licebat — 

Exp. — in secula seculorum benedictus, Expl. XVI pro- 


98 Bericht über eine im Auftrag ber hiſteriſchen Sommilfion 


posiciones super neutralilate principum tollende. a. d. ete_ 
(zu Gunſten des Concils). 
Mit tiefem Stüd ſchließt ver vierte Band dieſer Sammlung. 
Cod. Vatic. Num. 3934 fol. Saec. XV Varia. 
Fol. 82. Hec suntpuncta formata per dominum nosirum 
papam. — 14 polemiſche Punkte gegen Schisma und Concil : 
Fol. 131. Avisata super petendis a S”. D. N — . 
Dat. Frankfordie ®. Oct. 1446. — Bgl. Koch Sanclio prag- 
mat. p. 176. Am Schluß von anderer Hand: Auscultals 
est hec presens copia ab originali per me Jacobum Wider 
Registratorem litterarum Imperialium que concordat omnino 
cum originali. — 


Fol. 166. Act» concilii provincialis Magdeburgen- 
sis. — Tie einzelnen Decrete Diejes von Nicolaus von Cuſa 
gehaltenen Concils: de concubinariis — de statutis eccle- 
sierum in introilu ad beneficie vero solvendis — de Judeis 
— de modo se habendi in choro — execuloria super pre- 
missis — declaracio circa absolucionem pretacti juramenti — 
de exercicio jurisdiccionis archidiaconorum et ceterorum iu- 
dicum — de sacramento Eucaristie nun patile portando — 
Dieje alle dat. Magdeburg, 25. Juni 1451 jollen in einer 
Bulle gefaßt werben; eine bejonvere Yulle für das folgende 
— quod hostie transformate non ostendantur dat. Hulberftadt, 
4. Juli 1451. — In den Cod. ver Bibl. Casanatensis C. IN. 
24 Fol. 140 finven ſich hiezu noch mehrere andere Decrete 
3. B. de oracione pro papa et episcopo facienda. — In 
Cod. Vatic. Num. 362 fol. 89 finden fi die Verordnungen 
deffelben Cardinals für tie Reformation in der Diöceſe 
Rürzburg, dat. Würzburg, 22. Mai 1451, und fol. 126 
die Acta concilii Maguntini deſſelben Jahres, wie bei Martene 
Vlll. 1005. 


Fol. 137. Propositio mag. Thomae Corserii ad do- 
minos congregatos in dieta Nurebergensi pro 
parte illorum qui in Basiles sunt. 





unternommene Reife nach Italien. 99 


Inc. Explicaturi que nobis a S. Synodo iniuncta sunt a verbo 
divini apostoli sumemus exordium (Ephes. cap. 4) — 
Exp. Fol. 143 bricht e8 ab — hic deficit ultra unam cartam. 
Scheint zım St. Sallen- Tag in Nürnberg Okt. 14138 
zu gehören. 
4. Vat. Ottobon. Num. 698. Acta aliquot Concilii Basiliensis. 
Nembr. 4. 142 Bil. — Ex codd. Joannis Angeli Ducis ab Altaemps. 

Fol. 1— 108. Verſchiedene einzelne Stüde von Concil, nanıent: 
Ih viele über die Verhandlungen mit ven Böhmen: ſonſt 
meiſt Bullen und Breven Engens IV. — 

Dann folgt angebunven ein Traktat — de amore et di- 
lectione dei et proximi. 
»d. Yat. Ottobon. Num. 571. fol. chart. Varia. 

Fol. 1— 107. Das befannte Summarium C. B. — editum per 
me Augustinum Palricium . . . . jussu Francisci Piccolominei 
Cardinalis Senensis a. s. 1480 mit alphabetiſchem Inder. 

Fol. 117 — 132. Die Rede Ceſarini's Leim Empfang ver 
Böhmen in Baſel 9. Ian. 1433. 

d. Va. Ottobon. Num. 497 fol. chart. 355 BI. —- Abjchrift des XVI. 
Jahrhunderts. — 
Sieben Traftate ven Joh. de Turrecremata. 

d Num. 312 der Bibl. der Canonici von S. Martino in Lucca. 

Fol. 188— 196. Propositio Mag. Jo. de Turrecremata cum 
esset Orator ad dyetam Maguntinam ex parle S. D. N. Eı- 
genii pape. 

Inc. Puritatem et iustitiam D. N. S. summi Pontificis D. Eu- 
genii pepe iiii ex injuncto pro parte explicaturus, 
Exp. — post lacrimalionem et fletum infundere exaltationem, 

Fol. 196 — 202. Rebe veilelben an ten Staifer: 

Inc. Si fuit clarissime Rex et virtuosissime Cesar unquanı 
dies in quo oplassem — 
Exp. — qui princeps est Regum terre Jesus Christus. Amen. 
Amen. Amen. 
we, Bibl. Angelica Cod. A. 8. 2. Chart. fol. Saec. XV. — von ver- 
fchierenen Händen gefchrieben; unpaginirt. Auf ver erften Seite ein 
Cardinalswappeu, welches bei Ciaccon. Vitae Pontiff. unter Pius 11. 


100 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Eommiffion 


als das des Joh. Balues Gallus, episc. Andegaviensis, Presb. Card. 
tt. S. Susanne, post episc. Albanensis — erjcheint. 

Fol. 1 seq. Rebe des Ludovicus de Urbe (Pontanus) als Ge- 
fandter des Concils an den Herzog Amedeo VIII von Savoyen. 
Deifelben Tractatus de auctoritate ecclesie — Basilee con- 
cilio generali in oclavo eius anno ibidem perdurante editus. 

Fol. 26. Collatio facta per Rev. d. Archiepiscopum Panormi- 
tanum olim abbatem Syculum coram Principibus Electoribus 
in Frankfordia pro electione Romanorum Regis congregalis. 
Qui Archiepiscopus una cum Patriarcha Aquilegiensi .. . . 
missi fuerunt a S. Concilio generali Bas. ad dictos principes 
ut supra congregatos. A. D. 1438 de Mense Marcii. 

Inc, Mecum tacitus sepenumero cogitavi — 
Iſt jevenfalls vie Rede, weldhe aus Würdtwein subst. dipl. 
vi. 98 citirt wird, wo fie ohne Datum ift. 

Fol. 27. Gersons Traktat de protestate ecclesiastica. Dann: 
Allegationes d. Episcopi Gadicensis Hyspani de potestate Con- 
cilii, facte tempore dissolucionis Concilii Basiliensis. 

Tractat bes Marianus Sozinus von Siena de Surtilegiis, an 
den Cardinal Beifarion. ’ 
Tractat de Virtutibus Moralibus. 

Defensio sentencie late per s. gen. C. B. contra D. Euge- 
nium papam per doctores disputata Bononie. — Der Tifputaut 
Nicolaus Sancti de Raymondis ſchickt eine Copie ter am 8. 
Auguft 1439 gejchehenen Dijputation an das Concil mit der 
Bitte fie Öffentlich zu verlefen und Abſchriften an vie benach> 
barten Univerfitäten zu ſchicken. Ein Abjchnitt betrifft auch 
bie politiichen Suünden Eugens IV. in Italien, we er u. a. 
jagt — non tamen pretereo Joannem Vitelescum de Corneto 
quem Cesarem appellat, cuius hominis conditio apud omnes 
manifesta erat etc. 


Rom. Bibl. Angelica Cod. B. 3. 10. Fol. chart. Saec. XV. Acta Manu- 
scripta ad C. B. spectautia et alia. — Enthält 71 Stüde; ein ſpäter 
gemachter Inder bezeichnet bie bei Harduin gebrudten; auch die übrigen 
ftehen meift bei Mansi und Martene. 





unternommene Reife nach Italien. 101 


peg. 59—68. Quod in Concilio procedendum sit 
per naciones et non per deputaciones suadetur 
primo antiquorum et modernorum Conciliorum auctoritate etc 
— Bricht fol. 68 unvollendet ab, Die gleiche Forderung 
ftellt 8. Sigismund, 4. Dec. 1434 bei Martene VII. 777. 


pag. 79 seq. Hic continetur materia Hussitarum. — 


Beſchreibung des Einzugs der großen böhmiſchen Geſandtſchaft 
in Baſel am 4. Jan. 1433. Meiſt bekannte Sachen; das 
Mandat der böhm. Geſandten (pag. 95 — 99) iſt bier vom 
1. Sept. batirt; vgl. Martene VIII. 247. 
pag. 123 — 125. 8. Heinrih von England f[hreibt 
an die Oratores Germanice nationis auf vem B. C. 
und dankt ihnen, daß fie durch ihre Stanthaftigfeit gemein» 
ſam mit den englijchen Oratoren die Kirche vor dem Schioͤma 
gerettet. Tat. Weltminfterpalaft 23. Juli 1433. 
pag. 141. Capitula advisata pro concordia D. R. S. 
Pontificis ad presens S. Concilium super dif- 
ferenciis sequentibus. (o. D.) 
Zwölf Punkte: 3. B. Num. 5: item quod pro presenti de- 
linquant sedi ap“° usum reservacionis et confirmacionis maiorum 
ecclesiarum cum suis dependenciis. 
pag. 112. Isti sunt tres modi pulcerrimi tractandi 
concordiem inter S D. N. Eugenium et C. B — 
Dat. Basel 1433 de mense Augusto. 
Inc. Novit mundus, R”' patres et domini ... „ . vestrisque 
amplissimis palernitatibus luce clarius innotescit. — 
peg. 119. De electione civitatis ubi Concilium 
debet celebrari. 
Inc. S. D. N. erit contentus quod in civilate Senarum, sivo 
. Bononie. sive Mantue concilium conlinuelur in quo S'“ 
sua intendit adesse . . . 
Expl. Item dabit subsidium circa expensas (tiefe Worte 
groß geſchrieben). 
Die beiten letzten Stücke find Vermittelnungsvorſchläge ber 
Geſandten Eugens bei ihren Verhandlungen mit dem 
Concil im Jahre 1433. 


102 


Rom. 


Rom. 


Rom. 


Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commiſſion 


Fol. 333. Aeneae Silvii Senensis De potestate Concilii supra 

papam Liber unus 

Bibl. Angelica Cod. S. 1. 1. Fol. chart. Anfang Saec. XVI. un: 
raginirt. Eine Sanımlung ven allerhand Papieren aus dem Nachlaß 
des Cardinal Francesco Piccolomini (Pins II), welche hier chne jede 
fachliche ever zeitliche Ordnung in einen ſtarken Folioband zufammen- 
fopirt wurden. Daraus gehört hieher: 

Fol. 19 seq. Manifeft des Erzbiſchofs Frievrih ton Salzburg, 
wonit er das Wiener Concorvat vom 17. Febr. 1448 ver: 
fündig. Dat. Salzburg 22. April 1448. — Dies ift ſomit 
bie frühefte Verkündigung tes Concortats von einem deutſchen 
Prälaten; dann folgt Mainz erft im Juli 1449 (Koch Sancı. 
pragm. p. 244). 

Bibl. Angelica Cod. S. 5. 24. Cod. membr. 4. Saec. XV; ohne 
Titel und Aufſchrift. Die Einleitung fagt: . . . . hinc est igitur 
quod in subscriptis continentur et sunt de verbo ad verbum inserta 
decreta constituciones acta ordinaciones ceteraque gesta in sacro ge- 
nerali B. C. presidente in eodem auctoritate ap“* Rev”° in Christo 
patre d. Juliano miseracione divina sacrosancte R. E. sancti Angeli 
dyacono Cardinali apee sedis Legate, collecta visa et ordinata per 
nos prothonotarios notarios et scribas infrascriptos ad id per dictum 
d. presidentem sacro eodem approbante Concilio deputatos, sub annis 
ee. — Der gut aber ſchmucklos gejchriebene Band ift wohl original; 
er geht nur bis zur XX. Sitzung und fliegt mit dem Abjekunge- 
Tecret vom viiij Kal. Febr. 138. Ueber vie Cinleitung zum 
Concil und die erfte Sitzung ganz ſummariſche Erzählung; von va 
an bloß die Hauptaktenſtücke. 

Bibl. Casanatensis C. III. 24. Varia. Bon fol. 77 an Alten ves 
C. B. nad Seffionen geordnet; Tinte und Schrift zeigen bei jeder 
Seſſion Unterjhiere. Vom J. 1442 fpringt e8 fol. 160 gleich auf 
1148 über mit dem Beſchluß das Concil nad) Yaufanne zu verlegen. 
Dann Acta et Decreta in Concilio Lausanensi — die befannten ; zulept 
Copia cassatorum processuum post cessionem D. Felicis. Am Schluß 
tes Bandes (unpag.) Brevis informacio de causa ecclesie quam pro- 
sequitur S. B. C. contra Eugenium olim papam ilij. 








104 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commiſſion 


Entwurf der Geſandten. — Dieje Gefanttfhaft des kurf. 
Colleges nad) Rom ift, ſoviel ich fehe, noch nicht bekannt; 
der Entwurf ift o. D.; doch ergibt Orſini's Einleitung dazu 
bie angegebene Datirung. 

Fol. 19. 20. 67. 76. Mehrere Privatbriefe aus Teutjchland 
über das Goncil i. 3. 1432. 


Fol. 107. Bericht zweier venetianijcher Geſandter vom Concil. 
Baſel, 14. Oct. 1433. 


Fol. 84. 85. Inſtruction K. Sigismunds für feinen Geſandten 
aus Rom an das, Concil. — ohne Datum und Namen. 
Aus dem Tert ergibt fih, daß es die Yuftruction für den 
Biſchof Ich. von Chur, Hartung Klur und Ricolaus Stod 
jein muß, die gfeih nach der Krönung in Rom an das 
Concil abgingen (Ihr Grevenzbrief vom 7. Juni 1433 b. 
Martene Vıll. 607). Die plöglihe Umkehr Sigismunds 
gegen das Concil ſpricht ſich hier jchärfer aus, als in einem 
andern bekannten Aktenftüd. 

Fol. 104. Schreiben ver Kurfürſten an das Council dat. Frank⸗ 
furt, 7. Sept, 1433 — bei Martene VIII, 636. 


Fol. 347. 348. Ausſchreiben K. Sigismunds an die Reiche: 
flände, worin er bie Wirren am Concil wegen ver verjuchten 
Verlegung nad) Avignon fchilvert und in fehr erregter Weiſe 
alle auffordert nah Bajel zu fommen ober zu fchiden, um 
dieje Intrigue ver Franzoſen zu vereiteln. Dat. Eger... 
— Das Ausichreiben ift noch auf dem Rt. von Eger 1437 
verfaßt; ſpäter ale der Bf. von 5. Juli 1437 an d. Biſchof 
Paulus von Stragburg (Martene VIll. 940), aber vor der 
Citation des Papſtes am 31. Juli. — 


Florenz Bibl. Laurenziana. Plat. XVI. Cod. 11. fol. membr. saec. XV. 
Acta in Concilio Basiliensi. Iſt ter zweite Band eine® großen Tage: 
buchs von Concil, das aus 3 Bänden beſtand;' der erfte und dritte 
fehlen. Ueber ven Verfaſſer ijt nichts zu ermitteln. Der vorhandene 
Band umfaßt die Fahre 1438— 1443. Die einzelnen Aktenftüde ſind 
bei Bandini Catal. Cod. Lat. Bibl. Med-Laur. T. I. p. 189 seq. auf« 





unternommene Reife nach Italien. 105 


gezählt; viele von ihnen trifft der Uebelſtand, daß ter Verfaſſer fie 
nicht in ter originalen Form gibt, ſondern fie paraphrafirt. 
Florenz Archivio di Stato. Das von Mehus I. c. erwähnte Regestum Ar- 
chivi Palatini, woraus er T. I. p. 235 ff. mehrere auf das Goncil 
bezũgliche Briefe des Leonardo Bruno edirt hat, fteht jet unter ber 

Zignatur Classe X dist. 1 Num. 34. Das Wicdhtigere daraus hat 

Mehus publicirt; fonft: 

Fol. 70. Uebereintunft der Prioren und des Gonfalonier von 
Florenz mit den Cardinälen Eugens IV. über vie Aufnahme 
des Concils. Dat. Florenz 28. Aug. 1436. 

Unter anderen Schreiben, tie ven Eifer ver Florentiner für das 
Cencil in ihrer Stadt zeigen, eines an das Basler Concil, worin fie gegen 
gewifie „‚litteras diffamatorias** protejtiren, welche von dorther gegen Florenz 
als Ort eines Concils andgegangen jeien. Dat. Florenz, 15. Yuli 1437. 





— — |. 


Terin Archivio del Regno. Materie Ecclesiastiche. — Bullarium Felicis V 
pspe. 8 Binde nebft einem Inderband. Diefe Sammlung befand 
fh bis zum 9. 1754 in Genf, und wurbe, wie ein dem Inder 
vorangeſetztes Memoire angibt in diejem Jahr ven dem Rath von 
Senf vem König von Sardinien zum Gejchent gemacht. Nach über- 
ſchlägiger Zählung mögen alle 8 Bände zujammen etwa 3000 Bullen 
enthalten, welche faſt ausſchließlich kirchliche Verwaltungsſachen ent: 
halten und ſich namentlich auf einen Theil Oberitaliens, Sütfranfreid, 
die Schweiz und einige deutſche Diöceſen bezichen. Bei den 8. Bd. 
liegen noch 12 nicht unwichtige Originalbullen des Concils in Baſel 
und Paujanne und ver beiven Päbjte Felix V und Nicolaus V, die 
3; Th. ungedruckt find. 

Ben Einzelnen notire ih aus tiefem Archiv ned: 

1446 13. April. Bajel. Crevenzbrief des Concils für den Cardinal von 
Arles, der von dem RT. in Frankfurt zurückgekehrt an P. Felix V 
und an jenen Schn Herzog Ludwig von Savoyen geſchickt 
wird, um ihnen Bericht von jeiner Sendung zu geben (Mat, 
Eccles. Categ. 45 Mazzo 13. Num. 14. Orig. auf Perg.) 

1446 16. April. Baſel. Tas Concil fordert den Herzog Ludwig von 


106 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Eommiffion 


Savoyen auf bei den Eidgenoſſen dahin zu wirken, daß fie ſich 
zu den Kurfürſten halten (!bid. Num. 15.) 

1445. 1446. Verſchiedene Briefe den Krieg ver Eidyenofien mit Herzog 
Albrecht betreffend (Ibid. Num. 17. und bei ven Briefen des 
Herzog Ludwig). 


Lucca Bibl, di S. Martino Cod. Num. 160. ” 

Sermo D. Nicolai Siculi Archiepiscopi Panormitani habitus in C. B. 

Ino. Maximum onus — Gegen die Auflöjung des Concils. 

Ebenda fül. 275 — 312. Bon demſelben Sermo de Superioritate 
Concilii . . . coram Sigismundo Imperalore premissa narra- 
tione gestorum in C. B. et electionis anlipspe contra Eu- 
genium IV. 

Lucca Bibl. di. S. Martino Cod. Num. 204. — Tractatus Petri de Monte 
Episcopi Brixiensis contra impugnautes Sedis ap'‘ auctorilatem 
ad beat" patrem et clement"”* principem Eugeuium pp. IV. — 
Inc, Maiores nostri beatissime pater. 

Ibid. Cod. Num. 224. — Petri de Monte Veneti, de summi Pontifcis et 
generalis Concilii nec non de Imperatorie M'* origine et po- 
testate. — Dabei die Notiz — adscribebatur olim hic tractatus 
fratri Johanni de Capistrano cum titulo Monarchia, sed a qua- 
dam apostilla in margine aliena mauu scripta suo vero auctori 
Petro de Monte tribuitur et additar proemium quod in originali 
deficiebat.. In fine tractatus adest hec nota: dixit mihi cele- 
bratissimus reprehesentator frater Robertus, quod Petrus de 
Monte fuit auctor huius tractatus vir docius et repulatus in curia 
et episcopus Brixiensis compilator famosi Repertorii (NB. ein 
Repertorium utriusque iuris, was gebrudt iſt) — es wirb bann 
weiter erzählt, wie diejer nahe daran war von Eugen IV. ten 
Cardinalat zu erlangen, aber durch die Eiferſucht jeines Yande- 
mannes, des Cardinals Barbo (dann P. Paul II.) verbrängt 
wurde und bald nachher aus Kummer darüber ſtarb. — 


Friedrich I. 
1440. 21. Mai, Wien. Einladung an K. Karl Vil. von Frankreich zum 





108 Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commiſſion 


macht und in Umlauf gefeßt worven ift, ergibt fi aus einem 
andern Eremplar verjelben im Vatikan. 

Cod. Vatican. — Ottobon. Num. 347 membr. fol. Ex. codd. Johannis 
Angeli Ducis ab Allaemps. 

Noch prächtiger ausgeftattet al8 die vorige Hbi.; hier find 182 
Numern, indem zwiſchen Nr. 173 u. 174 die Oratio adversus 
Austriales eingejchaltet ift; angebunden ift vie bekannte Schrift: Super 
dicteriis Antonii Panormitae Apotegmata (sic), wie fie die Edit. Ba- 
sil. p. 472 mit etwas verfchievenem Titel hat, nur daß in ber 
Hof. vie Oratio ad Alphonsum am Schluß fehlt. Auf dem erjten 
Blatt: Aenene Sylvii Epistolae transcriptae Neapoli MCCCCLYj. 

Die Herausgabe muß aljo fehr bald erfolgt fein, da vie 
Briefe Schon 1456 in Neapel copirt wurten. Ob viefe Fublifa- 
tion der Reichstagsbriefe — in denen das Verdienſt des Aeneas 
felbft nicht in den Schatten geftellt wird — vielleicht den Sinn 
einer feinen nach Rom adreſſirten Reclame des Biſchofs von Siena 
hat, der noch immer nur Biſchof war, ift hier nicht zu unter« 
juchen; daffelbe würde dann auch die Tendenz ber in viefelbe Zeit 
fallenden Schrift fein, die er in Form eines Briefed an den Erz 
biichof von Warasdin noch beſonders über den Regensburger 
RT. veröffentlichte (gebr. im 3. Bd. ver Manſiſchen Ausgabe). 
und deren Ausführlichkeit und fergfältige Ausarbeitung etwas 
Auffälliges hat. — Im December 1456 wurte Aeneas übrigens 
zum Cardinal creirt. 

Ich füge hier bei, was mir fonft von Handichriften des Aeneas 
vorkam. 

1454. Mehrere Schreiben von und an den Rath von Siena, die RTT. 

dieſes Jahres betreffend Siena (Bibl. publ. und Lucca Archiv.) 

1454. 15. Okt. Die Rede auf dem RT. in Frankfurt — meiſt fehr feh⸗ 

lerhaft gedruckt — eine ziemlid gute Abſchrift Cod. Vatic. 5382 
Fol. 65— 88. 

Cod, Vatic. Num. 5667 membr. Fol. saec. XV. Cine Sammlung ver- 
fchievener bekannter Reden des Aeneas, 1464 vom Cardinal Fran⸗ 
ce8co Piccolomini veranftaltet und für den Biſchof von Cremona, 
Jakob Silverio Piccolemini beftimmt, nach deſſen Tod fie in die 
Bibliothek des Cardinals zurückkam. Sehr ſchön ausgeſtattet. 





110 





Bericht über eine im Auftrag ber hiſtoriſchen Commiffion 


weiter eine Anzahl von Schriften dafür und dawider; dar⸗ 
unter : 

Fol. 499. Ein Dialog des Aeneas über die fäculare Gewalt 
des Papftes; Fragment. Interlocutoren find Bernarbinus, 
Petrus und Aeneas; letzterer ift jchen nicht miehr Laie und 
ftimmt für ven weltlihen Beſitz. (Inc. Places mihi Bernar- 
dine — Expl. -- unius mensis ilinere — —) 


Ibid. Cod. Num, 544. Chart. Miscell. Fol. XV, even des Aeneas (Fol. 


1— 187), namentlich die von Manfi evirten, weiterhin Briefe, Reden 
u.a. vom Cardinal Francesco PBiccolomini, Campanus, Yilelfus, 
Ambroſius Camaldulenſis (Traverſari) u. 4. Angebunvden find 
mehrere jehr alte Drude von Aeneas (der Belehrungsbrief an den 
Sultan in einem Drud von 1475 in Cod. Vatican. 5109 Fol. 
109 seq. mit der Angabe: MCCCCLXXV XI. Augusti G. F. 
Tarvisii). 


Rom, Bibl. Chigi. Cod. sign. J. VI. 208., chart. 4. saec. XV. Epystolae 


seculeres Enee Sylvii de Piccolominibus Senensis Ser” domini 
Friderici Romanorum Regis secretarii. — Dieje intereffante Hoſ. 
it, wie e8 jcheint, autograph., d. h. ein Conceptbuh ven ver 
Hand eines Schreibere des Aeneas mit feinen eigenhänvigen Cor- 
vecturen; und zwar das Gejhäftsjournal des kaiſerlichen Secretärs 
in d. 9. 1443 und 1444, worein die Concepte aller Briefe ein- 
getragen wurden, die A. theils in eignem Namen, tbeil® in dem 
des Kaiſers oder des Kanzlers Schlick jchrieb; faſt alle nur gejchäft- 
lich (seculares). Es ſcheint, daß A. ſelbſt nach dieſer Hdſ. eine 
zu publicirende Abſchrift nehmen ließ, indem er eigenhändig die 
Numern, deren Abſchrift er nicht wollte, mit einem ‚dimitte“ am 
Hand bezeichnete, auch ſonſt viele Correcturen anbrachte. — Cine 
neuere vorangeſetzte Notiz (mahrjcheinlih von dem älteren Year) . 
bezeichnet 94 Briefe als ungedrudt; doch ift dies nicht genau; es 
jind weniger. — Die Hodſ. gehörte dem bekannten Agoftino Pa- 
trizzi; von ihm mag jie ſchon früh in die gleihfalls ſaneſiſche Fa⸗ 
milie Chigi gefommen fein, veren Wappen der Einband zeigt. 

Zwei andere ſchöne Aeneas - Hpil. derjelben Bibliothek, vie eine 
Briefe (J. VII. 287), die andere Reden (J. VIII. 284) enthaltend 
fonnte ich leider nicht näher unterjuchen. 





112 


1470. 


1471. 


1471, 


1471. 


Bericht über eine unternommene Reife nad Stafien. 


ſchiedene Forderungen K. Friedrich's II. an den Papft — wahrs 
icheinlih während feiner Anmejenheit in Rom vom Tecember 
1468 an aufgeftellt. (Cod. Vat. 3934 Fol, 135. 136.) 
Verhandlungen eines rheiniihen Kurfürftentage in Bacherach mit 
franzöfiihen Geſandten über ein von dieſen vorgejchlagened neues 
allgemeines Goncil in yon. (Cod. Vat, 3934 Fol. 54 seq.). 
Der Tag iſt mir fonft nicht bekannt; die Datirung auf 1470 
ift nicht ganz ficher. 

Inftruction eines päpftlichen Legaten nad Deutſchland, Böhmen 
und Ungarn in Sachen ver böhmijchen Thronfolge (Rom. Bibl, 
Angelica Cod. S. 1. 1. Fol. 21 — 24) Wahrſcheinlich für den 
Cardinal von Siena, der als päpftlicher Legat auf vem RT. im 
Regensburg war. 

Aufzeichnung der Seffionsortnung auf dem RT. von Regensburg 
(Rom. Bibl. Casanatensis Cod. X. IV. 47 Fol. 106 — 109 unter 
Verſchiedenem von Mameranus). 

Reichsabſchied vom Türkenanſchlag in latein. Ueberſetzung mit 
einem erläuternden Brief an einen Prälaten in Rom (Cod. Vet. 
3934 fol, 162). 


1472. P. Sirtus IV. empfiehlt ven 9. Sigismund von Tefterreich we 


gen feines Berhaltens auf dem RT. in Regensburg einem bes 
nachbarten deutſchen Fürſten (Rom Bibl. Angel. Cod. S. 1.1 Fol. 108). 


1472 seq. Eine Sammlung von Inftructionen für päpftlihde Nuntien im 


der Zeit von Sirtus IV. bis Julius I. (Florenz Bibi. des 
Marchese Gino Capponi Cod. XXII, und biejelbe Sammlung vell- 
ftändiger und correcter in Rom Bibl. Corsiniania Cod. 818. Beite 
Fol. chart. und Gopien bes fpäteren XVI. Ihot.) — Die Inftruc- 
tionen für Nuntien nad Deutſchland bieten beſonders für das 
Verhältniß Friedrich's III. zur Curie vieles Neue. 


Rom. Bibl. Angelica Cod. S. 1. 1. Dieje ſchon erwähnte Hp. enthält für 


bie legte Zeit Friedrich's und für Marimiliau I. noch eine ziemliche 
Anzahl Briefe, Bullen, Reden ac. 





IX. 


Bericht über die Ergebniſſe aus der k. k. Hofbibliothet und 
dem 1. TE. geh. Haus: Hof- und Staats- Archive zu Wien. 


Bon 
Mar Büdinger. 


ALS ich mit dem Anfange des Dezembers 1859 die Mitarbeiter 
fdaft für vie Herausgabe ber veutfchen Reichstagsakten übernahm, 
fahıte ich mich zuerft .über das an ver F. k. Hofbibliothef befindliche 
zugeerudte Material zu orientiren, foweit dasſelbe für die Regierungs- 
git Kaiſer Friedrichs III., welche ich zumächit in Angriff zu nehmen 
kakfichtigte, von Wichtigkeit wäre. Da ein erfter Anlauf in ten 
Latalogen nur geringe Ausbeute gewährte, fo waren mir Mittheilungen 
ven Brofeijor Voigt jehr erwünfcht, welcher während feiner Studien 
iter Enea Silvio auf eine Anzahl für unfer Unternehmen wichtiger 
Etüde gefteflen war. Bor Allem bot bier das Autographen Enca’8 
kikft (cod. 3389 olim Salisb. 32”) für die Jahre 1453 und 1454 
fe reichlichfte Ausbeute an projektirten und vollzogenen Ausfchreiben, 
en eificiellen und geheimen Correſpondenzen; nur für einen geringen 
Theil genügten bier Excerpte. Demnächſt wurde der liber regum 
Romanorum (n. 3423 ol. rec. 2072) des Thomas Ebentorffer von 
Hafelbach vorgenommen, welcher für bie Verhandlungen mit bem 


114 . Bericht über bie Ergebniffe 


Baſeler Concil wichtig ift und auch anderweitige unbelannte Nachrichten, 
namentfich aber für ven Reichstag von 1442 eine ganze Reihe von Reben 
vollftändig bringt. Ein ausführlicher, einer Abſchrift ver goldenen 
Bulle angehängter Bericht über das bei Friedrichs III. Krönung 
beobachtete Ceremoniale ſammt ten von vemjelben gebrauchten Eides« 
formeln (n. 8065) ergänzte das aus Windeck Belannte in erwünfchter 
Weile. Für die Gefchichte ver dem Wiener Concordate verangegans 
genen Bemühungen zeigten fich die Verhandlungen einer in Afchaffen- 
burg gehaltenen Mainziſchen Provinzialfynore vom Intereſſe (n. 5180 
rec. 264) und wurden theils copirt, theils excerpirt. Da die Brief⸗ 
fammlungen böhmijcher und ungarifcher Könige, welche ſich früher 
auf ter Hofbibliothel befanten und aus tenen ſich einige Ausbeute 
erwarten läßt, jet in ta® Archiv übertragen find, fo blieb für vie 
Regierungszeit Friedrichs III. auf ter Hofbibliothek noch eine Nachlefe 
in ven fonftigen Handſchriften des Enea Silvio übrig; nachdem ich 
aber eine berfelben ohne Ergebniß durchgegangen hatte, verfparte 
ih diefe Arbeit auf eine fpätere Zeit, um zuvor kie auf dem 
k. k. geh. Haus-Hof- und Staatsarchive mögliche Ernte zu balten. 
Auf der Hofbibliothet habe ich nachträglid mit Hrn. Cuſtos Birk, 
welchem die Herausgabe der Alten des Bafeler Concild von ber kaiſ. 
Akademie übertragen ift, noch eine Verabretung terart getroffen, 
daß verfelbe und aus feinen Sammlungen mittheilen welle, was für 
unjere Zwede Intereſſe Haben könne, während ihm aus unferen Mün— 
chener Sammlungen alle auf das Bajeler Woncil felbft bezüglichen 
Nachrichten von Werth und Abfchriften zukommen follten. Leider 
baben fich bis jegt auf beiden Seiten feine Stüde gejunten, wie man 
fie bei zwei fo parallel gehenden Unternehmungen hätte hoffen dürfen. 
Eine Handſchrift (n. 4701 olim cod. univ. n. 116), welde ich vor 
biefer Verabredung neh vorgenommen und in einigen Reden (fol. 
412* sqq.) ter königlichen Gejandten von 1444 eine ermwünfchte 
Schilverung der Beziehungen des Reiches zum Concil enthält,, bleibt 
noch zum guten Theile auszunügen. Erledigt wurte fofort eine ns 
ftruction des Könige, welcher bie mündlichen Aufträge für die Geſand— 
ten noch eingefügt find; Gerbert, ver fie kannte, hat alles ſchwer zu 
Leſende — eben das Intereſſanteſte — fortgelafjen. Inzwiſchen Hatte 
Herr Birk ferner die Sefälligfeit, einige Stüde, welde Herr Dr. 








116 Bericht über bie Ergebniffe 


beiden Panbfriebenserflärungen von 1465, 2. Februar, und 1471, 
1. October, die patriotifchen Plakate Albredhte von Branbenburg in 
feinem Streite mit Herzog Ludwig von Bayern (1461) und eine 
merhvürbige Bulle Papſt Pauls II, durch welde Herzog Sigmund 
von Tirol aufgetragen wird, anf vem wegen bes Türkenkriegs berufe 
nen Reichstage zu erjcheinen. 

Wenn vie Ausbeute an bisher unbekannte Stoffe in der Haupt⸗ 
fammfung des E. E. geh. Haus» Hof» und Staatsarchivs eine geringe 
war — tenn bei weitem die meijten von mir copirten, noch ungedrude 
ten Stüde waren wenigftens in Regeftenferm befannt — jo brachte 
eine Filialfammlung tiefes Archives over, wenn man will, ihrer zwei 
um fo mehr lnbefanntes. In dem deutſchen Reichsarchive nämlich, 
beifen ununterbrochene Sammlungen von Reichötagsakten freilich erft 
mit dem Jahre 1530 beginnen, fanden fich zwei gebeftete Convolute 
aus Älterer Zeit, teren eine® für die ven mir zunächſt in Angriff 
genommene Periode von großer Wichtigkeit iſt. Es enthält basfelbe 
(Deutsches Reichsarch. ins. n. 7) eine Reihe von Reichsanſchlägen 
ven 1467 bis 1489, zum Theil Goncepte, vollendete und unvollenvete, 
die auf den Reichstagen felbjt entftanven, zum Theile mit flüchtiger 
Teer angefertigte Copien; unter den Anfchlagentwürfen ift ohne Zwei⸗ 
fel der interejjantefte einer von 76600 Mann zu Regensburg 1471 
vorgelegt, welcher Lie Waffenfähigfeit des Reiches in ganz anderer 
Weife als vie bisher bekannt gewortenen erfcheinen läßt. Neben den 
Anfchligen felbft und den Entwürfen terfelben enthält aber ber Band 
auch Verhandlungen über viefelben, insbefontere für ben Neichstag 
ven 1471; ein Concept zu einer Rede bei dieſer ©elegenbeit, wahr» 
Scheinlich während ver Verhandlungen felbft gefchrieben, faßt in einigen 
wefentlichen Zügen, zum Theil mit terben Worten, bie Hauptfragen 
zufammen. 

Neben dem deutſchen Reichsarchive und vemfelben vorläufig ein- 
verleiht befindet fich aber als Filialabtheilung des k. k. geh. Haus 
Hof: und Etaatsarchives Hier auch das früher in Sachſenhauſen 
aufbewahrte Kurerzkanzlerarchiv, welches entlih nad) fo manchen 
Trandporten — von denen zu Waffer legen nicht wenige Etüde noch 
heute ein fehr unwillflommenes Zeugnig ab — in Wien Ruhe und 
Ordnung gefunden bat. Der erfte Archivar des geb. Archivs, laiſ. 





aus ber f. I. Gofbibliothel ac. zu Wien. 117 


Kath Dr. von Meiller, en welchen ich für meine Arbeiten fpeciell 
geiwiefen war, hatte fich freumblichft ter Mühe unterzogen, aus diefer 
Sammlung tes Kurerzfanzlers alle auf bie Reichetagsangelegenheiten 
des 15. Jahrhunderts bezüglichen Stüde zufammenzuftellen und eine 
ganze Reihe terjelben gefunten, meiſt Foliebände. Die Stüde find 
verfchietenen Urfprunges, aber wie mir jcheint, alle von großem Werthe. 
Das erfte Stüd, welches ich vornahm, war eine auf Pergament in 
Großfolio ſchön gefchriebene Protokollaufnahme über die Königskrönung 
von 1486, dasſelbe Stück, welches Müller mach einer ſchlechten Copie 
(ſowie mit Einſchiebung von Eidesformeln, deren Provenienz ich nicht 
lenne) vorgelegen hat. 

Die folgenden Bände, zu welchen ich alsdann überging und deren 
Inhalt bis jetzt erſt zum Theile ausgebeutet iſt, haben das Gemein⸗ 
ſame, daß ſie eine nach beſtimmten, wiſſenſchaftlichen oder politiſchen 
Geſichtspunkten angelegte Sammlung bilden. Zum Theile hat man 
bie erhaltenen gleichzeitigen Stüde — wie jih denn bier foldye in 
Originalen fowohl, 3. B. an Nürnberg gerichtete Briefe, als in Con 
cepten ber Mainzer Kanzlei finden — mit Abjchriften wenig jüngerer 
Hand zuſammengebunden, wie das in dem loc. XIII n. 1 bezeich- 
neten Banbe der Fall ijt, welcher großentheild Stüde des Reichstages 
ven 1467 enthält; zum Theile find es blos Copien aus dem Ente 
des fünfzehnten Yahrhunderts, welche, nach tem Inhalte zu fchliehen, 
großentheils nach Altenftücen des Nürnberger Rathes angefertigt 
wurden, wie das in dem Dante loc. XIII n. 3 ter Fall it. Gin 
anderer Band (n. 5), ben ich in Händen gehabt habe, ijt gar erft 
in ber zweiten Hälfte des fechzehnten Jahrhunderts gefchrieben, wie 
ber Zitel ausprüdlich bejagt. ch fere dieſen Titel hierher, weil er 
für ven Charakter ver ganzen Sammlung bezeichnend ift: Acten, 
abschiedt und handlungen des widerstandts gegen des Turckhen 
einbrechen zu Nurnberg, Regensburg, Ileidelberg und Augs- 
burg auch der eilenden hilff gegen konig Mathias von Ungern, 
gemainen pfennigs und letzstlichen des camergerichts halben 
zu Nurnberg, Lindaw, Worms etc. auff erfordern des hoch- 
würdigsten meines gnedigsten churfürsten und herrn, herrn 
Daniels ertzbischouen zu Meintz (1555—1582) churfürsten, von 
einem ersamen rath der stat Nurnberg irer churfurstlichen 


116 Bericht über bie Ergebniffe 


beiden Panbfrievenserflärungen von 1465, 2. Februar, und 1471, 
1. October, die patriotifchen Plakate Albrechte von Brandenburg in 
feinem Streite mit Herzog Ludwig von Bayern (1461) und eine 
merfwürbige Yulle Papft Pauls II., durch welche Herzog Sigmund 
von Tirol aufgetragen wird, auf dem wegen des Türkenkriegs berufe- 
nen Reichstage zu erjcheinen. 

Wenn vie Ausbeute an bisher unbefannte Stoffe in ber Haupt⸗ 
ſammlung bes E. E. geh. Haus» Hof» und Staatsarchivs eine geringe 
war — denn bei weitem die meijten von mir copirten, noch ungebrude 
ten Stüde waren wenigftens in Regeftenform befannt — fo brachte 
eine Filialſammlung tiefes Archives ober, wenn man will, ihrer zwei 
um fo mehr linbelanntes. In dem veutfchen Neichsarchive nämlich, 
beffen ununterbrocdhene Sammlungen von Reichdtagsalten freilich erft 
mit den Jahre 1530 beginnen, fanden fich zwei gebeftete Convolute 
aus älterer Zeit, teren eines für bie von mir zunächſt in Angriff 
genommene Periode von großer Wichtigkeit iſt. Es enthält basfelbe 
(Deutsches Reichsarch. Ins. n. 7) eine Reihe von Reicheanfchlägen 
von 1467 bis 1489, zum Theil Concepte, vollendete und unvollenvete, 
bie auf ven Reichstagen ſelbſt entftanven, zum Theile mit flüchtiger 
Feder angefertigte Copien; unter den Anfchlagentwürfen ift ohne Zwei⸗ 
fel ter interejjantefte einer von 766U0 Mann zu Regensburg 1471 
vorgelegt, welcher tie Waffenfähigfeit des Reiches in ganz anverer 
Weiſe als bie bisher bekannt gewortenen erfcheinen läͤßt. Neben ben 
Anfchlägen felbft und ten Entwürfen terfelben enthält aber ter Band 
auch Verhandlungen über viefelben, insbefontere für ven Neichetag 
ven 1471; ein Concept zu einer Rede bei dieſer Gelegenheit, wahr» 
ſcheiulich während der Verhandlungen felbft gefchrieben, faßt in einigen 
wefentlihen Zügen, zum Theil mit verben Worten, tie Hauptfragen 
zufammen. 

Neben dem beutfchen Reichsarchive und bemfelben vorläufig ein- 
verleibt befindet fih aber als Filialabtheilung des Ef. E. geb. Haut 
Hof: und Ctaatsarchives Hier auch das früher in Cachfenhaufen 
aufbewahrte Kurerzkanzlerarchiv, welches entlih nach fo manchen 
Trandporten — von denen zu Waffer legen nicht wenige Ctüde noch 
heute ein fehr unmillfommenes Zeugnig ab — in Wien Ruhe und 
Ordnung gefunden hat. Der erfte Archivar des geb. Archivs, kaiſ. 





aus ber f. k. Hofbibliothel zc. zu Wien. 117 


Ratb Dr. von Meiller, en welchen ich für meine Arbeiten ſpeciell 
gewieſen war, hatte fich freuntlichjt tev Mühe unterzogen, aus dieſer 
Sammlung tes Nurerzfanzlers alle auf die Keichötagsungelegenheiten 
des 15. Jahrhunderts bezüglichen Stüde zufammenzujtellen und eine 
sense Reihe derſelben gefunden, meiſt Folioebände. Die Stüde find 
derſchiedenen Urſprunges, aber wie mir ſcheint, alle von großem Werthe. 
Das erſte Stück, welches ich vornahm, war eine auf Pergament in 
Ereßfolio ſchön gejchriebene Protofellaufnahme über Die Königskrönung 
ven 1436, tasfelbe Stüd, welches Müller nach einer Tchlechten Cepie 
ijewie mit Einſchiebung ven Eidesfermeln, deren Provenienz ich nicht 
tenne) vorgelegen Bat. 

Die folgenten Bände, zu welchen ich alsdann überging und deren 
Inbalt bis jegt erjt zum Theile ausgebeutet ift, haben das Gemein— 
jame, daß fie cine nach Bejtimmten, wiſſenſchaftlichen ober politiſchen 
Geſichtspunkten angelegte Sammlung bilden. Zum Theile bat man 
tie erhaltenen gleichzeitigen Stücke — wie ſich Leim bier folche in 
Criginalen jewehl, z. B. an Nürnberg gerichtete Briefe, als in Con— 
cepten ber Mainzer Kanzlei finden — mit Abjchriften wenig jüngerer 
Hand zufammengebumten, wie das in dem loc. XIII n. 1 bezeich— 
neten Bande der all iſt, welcher großentheils Stüde des Reichstages 
zen 1457 enthält; zum Theile fine es bles Copien aus dem Cute 
tes jünfzehnten Jahrhunderts, welche, nach tem Inhalte zu ſchließen, 
greßentheils nach Aktenſtücken des Nürnberger Rathes angefertigt 
wnten, wie das in tem Bande loc. XIIIn. 3 ter Full iſt. Kin 
aerer Band (n. 5), den ich in Händen gehabt habe, ijt gar erſt 
in rer zweiten Hälfte Des jechzehnten Jahrhunderts gejchrieben, wie 
ter Titel ausprüdlich beſagt. Ich fere dieſen Titel hierher, weil cv 
nr ten Charakter ter ganzen Sammlung bezeichnend tft: Acten, 
abschiedt und handlungen des widerstandts gegen des Turckhen 
äinbrechen zu Nuruberg, Regensburg, Heidelberg und Auss- 
burg auch der cilenden hilff gegen kunig Mathias von Ungern, 
zemainen pfennigs und letzstlichen des vamerzgerichts halben 
sa Nurnberg, Lindaw, Worms etc. auff erfordern des hach- 
würdigsten meines gnedigsten churfürsten und herrn, herrn 
Daniela ertzbischouen zu Meiutz (1555 — 1582) churfürsten, von 
einem crsamen rath der stat Nurnberg irer clhurfurstlichen 


118 Bericht über bie Ergebniffe aus ber k. k. Hofbibfiothel zu Wien. 


gnaden communicirt, gehalten und furgangn in jarn 1460, 
1467, 1468, 1470, 1471, 1472, 1484, 1487, 1496, 1497. So habe ih 
denn in der That in den bißher vorgenommenen Bänten Liefer Samm- 
lung tie auf Türkenfrieg und ungariſche Verhältniffe, auf Yandfrieven, 
Neichegericht, gemeinen Pfennig und Kriegsanfchläge bezüglichen Bes 
fchlüffe und mancherlei Verhandlungen, aber mit Ausnahme zweier 
Hilfenefuche aus Böhmen vom Jahre 1466 Feinen anderen auf ben 
Neichetagen verhandelten Gegenftand erwähnt gefunden, es fei denn 
in Echriftftüden, welche mit ven erwähnten Punkten in Verbintung 
ftehen. In diefer Art bot z. B. vie erwähnte Hanbfchrift XIII n. 
1 für die Reichetage von Martini 1465 und Kiliani 1467 die Reden 
und Gegenreden ver Etäpteboten der furfürftlithen und fürftlichen 
Näthe, der Faiferlichen und ungarifchen Bevollmächtigten wegen tes 
Zürfenzuges fowie im Landfriedensprojekt, deſſen Einleitung von ver 
befannten wefentlich abweicht; von allem anderen auf dem Neichstage 
von 1467 Verhandelten findet fich aber nichts. Ein anderer ganzer, 
ziemlich ftarfer Band (n. 4) bringt nur die Verhandlungen des Res 
genskurger Neichstaged von 1471, welche ſich unmittelbar auf bie 
Zürfen bezichen, fammt einer jehr vetaillirten Herbergslifte in wabhr- 
ſcheinlich gleichzeitiger Copie — von allem Anderen enthält er aber 
nichts. 

Mit ver Erledigung diefer Sammlung aus dem Kurerzkanzlerarchive, 
welche für die Regierungszeit Kaifer Friedrichs III. in naher Aus⸗ 
ficht fteht, bürfte das in Wien für Diefen Zeitraum vorhandene Material 
fo ziemlich erfchöpft fein. Denn die auf das Baſeler Concil bezüg—⸗ 
lichen Handſchriften ver Hofbibliothef, zu welchen auch bie bereits oben 
(S. 114) erwähnte von 1444 gehört, werten nad) ter mit Herrn 
Birk getroffenen Berabretung von diefem auch zu unferem Vortheile 
auegebeutet werten. 

Für die Periode von 1493—1518 liegt in den Reicheregijtratur- 
büchern zunächft ſchon ein ungemein umfangreicher, wenn auch ver« 
muthlich nicht in gleichem Grave ergiebiger Stoff ver. Da das Ar- 
iv aber für die Regierung Marimilians au Driginalien und authen⸗ 
tifchen Kopien fhen viel reicher als für Die verhergegangene Regierung 
ift und das Kurerzlanzlerarchiv vermuthlic” auch manche Ausbeute 
liefern wird, fo läßt fich ein nicht unbedeutendes Ergebniß erwarten. 





X. 
Geſchichte der Wiffenfhaften in Deutſchlaud. 


Nachdem Brofeffor Ranke in der Sitzung ber hiſtoriſchen Com— 
silfien September 1859 den im erſten Stücke dieſer Nachrichten 
zitzetheilten Plan vorgelegt Hatte, entſpann fich eine längere Diecufs 
fen vornehmlich über die Frage, wie die Das Mittelalter betreffenden 
Abſchnitte des Werkes zu behanteln fein. Man war einjtimmig in 
der Anerkenuung des Grundgedankens, wie erheblich) uud Tehrreich eine 
hiſtoriſche Betrachtung des wijjenfchaftlichen Lebens in Deutfchland 
kin müjfe, wie lüdenhaft das bisher vorhandene Material über dieſen 
Gegenftand fei, welch ein Intereſſe insbeſondere eine Darjtellung ge 
währen werde, die nicht bloß ein ftoffliches Repertorium für ven Fach— 
zenoſſen bilde, ſondern ven Inhalt als Theil der großen ulturent- 
zidlung auch dem gebildeten Yaien vergegemwärtige. Man war ferner 
sicht im Zweifel, daß für die fetten Jahrhunderte der Stoff nach 
dächern geordnet und zur Bearbeitung jedes Faches ein möglichſt 
hervorragender Genoffe deſſelben aufgefordert, für bie Gejchichte alfo 
der Phyſik ein Phyfifer, für die ver Medicin ein Mediciner u. f. w, 
gewonnen werben müſſe. Getheilt aber waren die Meinungen über 
bie Frage, ob dasſelbe Verfahren auch für die früheren Perioden an« 
wentbar ſei. Es wurte einerfeits geltend gemacht, daß auch für jene 
Zeit die Gefchichte ver Mathematik nur von einem Mathematiker, daß 


120 Geſchichte der Miffenfchaften in Deutichland. 


überhaupt die Gefchichte jerer Disciplin nur in ihrem velljtäntigen 
Zufammenhange targejtellt werten Eönne, daß überall die Zufammen« 
faffung aller Miffenfchaften in einen einzigen Rahmen und unter einem 
einheitlichen Gefichtspunfte ber Unbefangenheit uud Objectivität ter 
Darjtellung nicht fremmen werde. Anvererfeits wurte tagegen bes 
merkt, daß freilich in ter neueren Zeit bie einzelnen Fächer felbititin- 
big und die Trenmung turdhgreifenter geworden, daß aber im Mittel- 
alter die Einheit tea Studiums überwogen habe und folglich auch 
Einheit der Darftellung erforderlich fei, tag man alje tert ven Stoff 
nicht nach Fächern, ſondern nach Perieten zu fendern und zur Bear⸗ 
beitung jeter Periode einen Hifterifer einzuladen Babe, ter dann im 
Einzelnen ven Beirath kundiger Suchfenner beranzichen ınöge. Die 
Commiſſion bejchleß endlich, den Plan tur ihr Bureau weiter in⸗ 
ftruiren zu laſſen und erft in ter folgenten Sigung im Herbjte 1860, 
zu einer befinitiven Beſchlußnahme zu fchreiten. 

Als Sc. Majeſtät ter König voft Liefer Sachlage unterrichtet 
wurte, erfolgte ſofort eine Allerhöchite Entfchließung, ven Könige liege 
tie Durchführung gerade dieſes Werkes fo jehr am Herzen, daB er 
die Commifjion anmweife, das Nöthige zum möglichjt baldigen Beginne 
teilelben chne Zögern vorzufehren, und daß er, falls die regelmägigen 
Mittel ter Commifjien bier nicht ausreichen follten, ferneren Anträgen 
zur Deckung ter Koften entgegenfehe. Durch tiefen neuen Beweis ter 
thätigen Fürſorge unferes erhabenen Beſchützers wurde es möglich, 
ohne Aufenthalt zur Inangriffnahme des Theiles, über welchen in ver 
Commiſſion alle Anjichten übereingejtimmt batten, ter Gejchichte ver 
einzelnen Wijjenfchaften in Deutſchland während ber legten Jahr⸗ 
hunderte zu fchreiten, und neh im Laufe bes fchten Sommers Bear⸗ 
beiter für einzelne derſelben zu gewinnen. 

Im Oktober 1860 nahm darauf dic Plenarfigkung der Commif- 
fion die Tiscujfion des Geſammtplanes wierer anf. Indem man ven 
der Sonterung ber mittleren und neueren Zeiten ausging, ergab fich, 
daß die Scheidelinie derjelben bei ven einzelnen Wiffenfchaften fehr 
verschieben iſt, daß bei einigen die moderne Entwicklung im 15., bei 
andern erjt im 17. eter 18. Jahrhundert beginnt. So fam man zu 
dem Wefchluffe, zunächſt nur Die neuere Zeit nach den einzelnen 4 
bern in Angriff zu nehmen, jevem Bearbeiter die Yeftjtellung ver 





Gerichte ber Wiffenfchaften in Deutfchland. 121 


fangs- und Schlußepoche nach dem Entwicklungsgange des Faches 
überlaffen und erft, wenn im Fortgang dieſer Ausarbeitungen vie 
grenzung tes noch rüdjtändigen Stoffes beftimmt erhelle, die Ver⸗ 
Unng ter Arbeit für dieſen in Betracht zu ziehen. Nachdem dann bie 
ige Der einzelnen Fächer feitgeftellt, wurven für tie Hanptabtheilung 
rneueren Gejchichte ver Wiffenfchaften in Deutfchland 
Einladungen an tie Mitarbeiter erlaffen und find in Folge deffen 
6 heute folgende Zufagen in der Art eingetroffen, daß bie Publica» 
m ver einzelnen Werke in den Zuhren 1862 bis 1867 mit Sicherheit 
wartet werben kann: 

Proteſtantiſche Theologie: Profeſſer Dorner in Göttingen. 

Yurisprudenz: Prof. Zhering in Gießen. 

Medicin und Phyſiologie: Prof. Birhow in Berlin. 

Nationalöfonomie und cameraliftiiche Fächer: Hofrat Ro⸗ 

ſcher in *eipzig. 

Eantwirtbfchaftslehre: Prof. Fraas in München. 

Technologie: Director Karmarjch in Hannover. 

Politik u. allgemeines Staatsrecht: Prof. Bluntſchli in München. 

Kriegswiſſenſchaft: von Bernhardi in Berlin. 

Philoſophie: Prof. Zeller in Marburg. 

Aeſthetik: Prof. Loge in Göttingen. 

Mathematik: Prof. Gerhard in Eisleben. 

Altronomie: Director von Littromw in Wien. 

Phyſik: Prof. Jolly in München. 

Chemie: Prof. Kopp in Gießen. 

Zoolegie: Hofrath R. Wagner in Göttingen. 

Botanik: Prof. Nägeli in München. 

Mineralogie: Prof. von Kobell in München. 

Glaffiihe Philologie: Prof. Sauppe in Göttingen. 

Sprachwiſſeuſchaft und orientalijche Philologie: Prof. Ben 

fey in Göttingen. 
Geograpbie: Dr. Oskar Peſchel in Augsburg. 
Ueber vie Fächer der fatholifchen Theologie, ver Gefchichte und 

2 Geologie find theils die Antworten der aufgeforverten Gelehrten 
ich nicht eingegangen, theild wegen erfolgter Ablchnung oder einzelner 
ebeufen weitere Beſchlüſſe zu faſſen. 


⁊ 


122 Geſchichte der Wiffenfchaften in Dertſchland. 


Wir freuen und, biefe Angaben mit der Meldung fchließen zu 
können, daß Seine Majeftät der König, um die Verwirklichung nes 
Unternehmens in pecuniärer Beziehung ein für alle Mal zu fichern, 
ber Commiſſion hiefür, unabhängig ton ihrem ordentlichen Fond, tem 
Betrag von 50,000 fl., aus Allerhöchſt Ihrer Cabinetscajje zum 
Berfügung geftellt bat. 





VII. 
Ueber die Einheit des Menſchengeſchlechtes. 


Von 
Theodor Waitz. 


Anthropologie ber Naturvölker. Erſter Theil. Ueber die Ein- 
heit nes Renſchengeſchlechtes unb ben Naturzuftand des Menfchen, von Th. 
Beig. eipig, 1859. 

Die Trage nach den Menjchenracen, ihren Eigenthümlichkeiten 
sub ihren Verhältniſſen zueinander, in Deutfchland hauptſächlich durch 
Blumenbach angeregt und erfolgreich bearbeitet, nahm im Anfange 
nufers Jahrhunderts das allgemeine Intereſſe in hohem rate in 
Unfpruch. Mit großer Vorliebe beſchäftigte man fich beſonders mit 
ven Echilverungen des Lebens und Treibens ber fog. wilden Völker, 
weihe durch die Entredungen Cool's und anderer fühner Seefuhrer 
ertt ſeit kurzer Zeit in den Gefichtäfreis ver civilifirten Welt einge- 
treten, durch die große Verfchiedenheit ihrer ganzen Denfungsart und 
Kebensweife für das Auge des Europäers ein anziehendes Schanjpiel. 
berbeten und ihn zu den mannigfaltigften, theils unterhaltenten, theils 


ernften und fehrreichen Betrachtungen veranlajjen mußten. 
Sherifge Zeitiärift v. Baur. 19 





292 Theodor Weit, 


fcheinen, während e8 nur wenigen Stämmen gegeben war, zu einer 
biftorifchen Entwidelung zu gelangen; und wer feinen Blick ernftgaft 
und ausdauernd auf das Studium diefer Frage richtet, wirb ihn da⸗ 
purch fchärfen für die Beantwortung ber anderen, wo und worin bie 
Beringungen alles Yortfchrittes ber Givilifation überhaupt zu fuchen 
find. Gegenfäte beleuchten nicht nur einander oft durch den Eontraft, 
fondern erleichtern auch vielfach das Verſtändniß, ja fie fchließen es 
- bisweilen erft auf, und wir zweifeln faum, daß es fich in dieſem Falle 
vielfach fo verhalten wird. Uns ftellt fich die Eivilifation und ihr 
Fortschreiten Teicht al® eine Erjcheinung bar, die fo natürlich und 
nothwendig von dem Menſchen hervorgebracht wurbe, daß fie ſich ges 
wiffermaffen von felbjt verfteht und im Grunde gar keiner Erklärung 
bedarf. Die aufmerkſame Betrachtung culturlofer Völker ift geeignet, 
uns von dieſem Irrthume zu heilen, und damit zugleich vie wichtige 
Frage ung näher zu rüden, was es denn eigentlich ift, woburdh ein 
Volk fich Hiftorifch fertbewegt, ob ein ihm inwohnender allgemeiner 
Geiſt, der fih zu einer bialeftiichen Entwidelung genöthigt findet, ob 
feine phyſiſche oder feine pfychifche angeborene Naceneigenthümtichkeit, 
ob feine Gemeinschaft und Mifhung mit andern Välfern, ob feine 
Naturumgebung und äußere Lebenslage, ob ein innerer Trieb oder 
eine befondere Kombination von Umftänden ber verfchiedenften Art, 
over dieß Alles zufammengenonmen und in welchem Maaße? Möge 
lich, daß fich auf biefe Fragen bei dem gegenwärtigen Stande unfers 
Wiffens überhaupt keine befinitive Antwort geben läßt, möglich, daß 
fie fich nicht im allgemeingiltiger Weife geben läßt, fondern daß Me 
Gulturbewegung eines jeden Volles auf individuell eigenthümliche Weiſe 
motivirt ift, jedenfalls ift e8 von Wichtigkeit, Alles anfzubieten, was 
über tiefe Probleme einiges Licht zu verbreiten vermag, wenn bie 
Stlarbeit, die wir dadurch gewinnen, vielleicht auch nicht bie de8 Son⸗ 
nenlichtes iſt. 

Wolfen wir. auch nicht behaupten, daß eine gewiſſe Befchränft- 
heit des Blickes eine nothwendige Folge bavon fei, wenn man fich ber 
näheren Betrachtung culturlofer Völker entfchlagen zu Können meint, 
fo unterliegt es doch keinem Zweifel, daß Eultur und Uncultur im 
Leben der Völker ein Continuum bilden, fo taß fie in ununterbros 
chenem Zufammenhange ineinander, über-, und auseinander hervor⸗ 





Leber bie Einheit bes Menfchengefchlechtes, 291 


Verf er das Jutereſſe beeinträchtigen, das wir an erufthaften und 
fergfältigen Löfungsverfuchen verfelben zu nehmen geneigt find. 

Bir können beshalb bie jet vielfach verbreitete Anjicht nicht 
Meilen, welche die in neuerer Zeit jo reichlich eingehenden Berichte 
Ber die äußeren und inneren Eigenthünmlichleiten culturlofer Völker 
mr in die Klaffe der Tagesneuigfeiten und Merkwürdigkeiten wirft, 
"er itznen höchitens ein gewiſſes geogruphijches Intereſſe zugefteht. 
GbR der Linguiftifche Werth, welchen Sprachproben befigen, aus de⸗ 
sen anf die Verwandtſchaft der Völker zu fchließen fo vielfach geftat- 
it iR, und der naturhiſtoriſche, welcher forgfältigen Meſſungen ber 
Ghävel und Körpertheile zufommt, aus benen die anatomifche Cha⸗ 
salteriitit der Bölfer hervorgehen foll, fcheinen uns nicht den wichtig« 
Ben und wefentlichften Gefichtspunft zu bezeichnen, unter welchen vie 
Renutniffe fallen, die wir von jenen Völkern erwerben, vielmehr Liegt 
dieſer darin, daß wir durch fie eine äußerſt ſchätzbare Ergänzung ber 
Gefchichte ver Menfchheit erhalten. 

Dan kennt den Menſchen nur Halb, wenn man ihm immer nur 
iss cinilifirten Zuftande vor Augen gehabt hat. Eo wahr es auch 
R, daß das Hanptinterefle der Gefchichte überall barauf ruht, baß 
mem im ihr die Givilifation der Völker, und zwar bei einem jeden 
berfelben auf feine eigenthiunliche Weife ſich entwideln und geftalten 

(ehe, fo unmahr und dem Intereſſe der Gefchichte felbft zuwider ift 
sie oft gehörte Behauptung, daß Völker ohne fortfchreitende Civilifa- 
Gen, weil fie in diefem Sinne feine Gefchichte haben oder doch feine 
zu haben fcheinen, dem Hiſtoriker gleichgiltig fein dürften. Wir wol 
les nicht geltend machen, daß eine ganze Reihe von Völkern, vie aus 
wiefem Grunde vernachläßigt zu werten pflegen, keineswegs einer ges 
wihten Givilifation ermangeln, veren Geſchichte nur noch in tiefes 
Duntel gehällt ift, wie 3. B. die riejenhaften und wunberbaren Baus 
werte in Central⸗Amerika, die monnmentalen Reſte von Peru, Merico 
zum eines großen Theils ven Nord⸗Amerika, tie Berichte ver fpanie 
ſchen Eroberer und Seidenbefchrer viefer Länder unwiterlegbar be» 
weiten. Eine Hiftorifch intereſſante Erfcheinung find vie culturlofen 
Götter eben durch ihre Culturloſigkeit, infofern ſich nämlich an dieſe 
ieytere die Frage Inüpft, wie es möglich war und woraus es zu er⸗ 
Ligen ift, daß fie auf jener nietern Stufe unveränderlich zu beharren 
19* 











902 Theobor Waitz, 


foheinen, während es nur wenigen Stämmen gegeben war, zu einer 
hiſtoriſchen Entwidelung zu gelangen; und wer feinen Blick ernfthaft 
und ausbauernd auf das Studium diefer Frage richtet, wirb ihn da⸗ 
durch fchärfen für die Beantwortung der anderen, wo und worin bie 
Beringungen alles Yortfchrittes der Givilifation überhaupt zu fuchen 
find. Gegenfäte beleuchten nicht nur einander oft durch den Eontraft, 


fonvern erleichtern auch vielfach das Verſtändniß, ja fie fchließen es 
bisweilen erft auf, und wir zweifeln faum, daß es fich in viefem Falle 
vielfach fo verhalten wird. Uns ftellt fich die Eivilifation und Ir 


Fortfchreiten leicht al8 eine Erjcheinung bar, die fo natürlich umb 
nothwendig von dem Menſchen hervorgebradyt wurbe, daß fie fich ge⸗ 


wiffermaffen von felbft verfteht und im Grunde gar feiner Erklärung ° 


bedarf. Die aufmerkfame Betrachtung culturlofer Völfer ift geeignet, 
uns von diefem Irrthume zu heilen, und damit zugleich tie wichtige 
Trage uns näher zu vüden, was es denn eigentlich ift, wodurch ein 
Bolt fih Hiftorifch fortbewegt, ob ein ihm inwohnender allgemeiner 


Geiſt, der fih zu einer dialektiſchen Entwicelung genötigt findet, ob - 


feine phyſiſche oder feine pfychifche angeborene Naceneigenthümlichkelt, 
eb feine Gemeinfhaft und Mifhung mit andern Bälfern, ob feine 
Naturumgebung und äußere Lebenslage, ob ein innerer Trieb over 
eine befondere Gombination von Umftänden ber verfchiedenften Art, 
ober bieß Alles zufammengenommen und in welchem Maaße? Wög- 
Lich, Daß fich auf diefe Bragen bei dem gegenwärtigen Stande unſers 
Wiſſens überhanpt Feine definitive Antwort geben läßt, möglich, daß 
fie fih nicht in allgemeingiltiger Weife geben läßt, fondern daß Ne 
Culturbewegung eines jeden Volkes auf individuell eigenthümliche Weiſe 
motivirt iſt, jebenfalls ift e8 von Wichtigkeit, Alles anfzubieten, was 


m u BO WS PR 


—— "Ver ” Zee Zur  - aAar - . 


fiber bieje Probleme einiges Licht zu verbreiten vermag, wenn die : 


Klarheit, die wir dadurch gewinnen, vielleicht auch nicht die des Son⸗ 
nenlichtes ift. 

Wollen wir auch nicht behaupten, daß eine gewiſſe Beſchränkt⸗ 
heit des Blickes eine nothwendige Folge davon fei, wenn man fich der 
näheren Betrachtung culturloſer Völker entfchlagen zu können meint, 
fo unterlient e8 doch keinem Zweifel, daß Cultur und Uncultur im 
Peben ber Völker cin Continuum bilden, fo taß fie in ununterhros 
chenem Zujammenhange ineinanver, über, und auseinander hervor⸗ 








Ueber bie Einheit des Menſchengeſchlechtes. 293 


gehen, mag man num Unbildung und Rohheit als ben wahren Naturs 
wand der Menſchen over erit als Folge ihres Verſinkens anzufehen 
geneigt fein. Und darf barum ber Hiftorifer, welcher bie eine Geite 
bed Lebensbildes der Menſchheit der Unterfuchung unteriwirft, die an⸗ 
bere nicht überfehen und igneriren, fo zeigt ſich dieß als um fo un— 
elätlicher , wenn man beachtet, daß die Nacht hiftorifcher Zeiten, in 
weiche weber Denkmäler noch Traditionen zurüdreichen, nur burch bie 
Smlogieen in etwas erhellt werben kaun, welche die Zuftände ber 
zit in das Reich der Gefchichte eingetretenen Völker an die Hand 
wien. Daß diefe Analogieen im Allgemeinen nicht unberechtigt find, 
bafür bürgt eben jene Sontinuität der Lebensentwidelung, die wir bei 
bau ganzen Wenfchengefchlechte vorausfegen müſſen; aber mit großer 
Serficht werben fie allerdings gezogen fein wollen, damit man fich 
kiner Berwechfelung zwifchen geſunkenen Völkern und Naturvölfern 
IHulvig mache. Indeſſen wird fich, welche Vorſtellung man fich vom 
Meturzuftande des Menfchen auch bilden mag, doch allgemein behaup- 
wa laflen, daß alle Civilifation fich erft im Laufe der Zeiten langfam 
eutsnidtelt habe, nichts Primitives, fontern etwas Secundäres, Abges 
isitetes fei, woraus ſich ergibt, daß wir alle Analogieen für die Zei— 
eu uub Lebenszuſtände ber Völfer, welche ber Hiftorifchen Entwickelung 
Lexfelben vorausgegangen find, nur bei denen zu fuchen haben, die 
er GSinilifation ermangeln. 

Wenn es enblich für ben Gefchichtsforfcher von Intereſſe ift, 
eisen tieferen Blid in die angewandte Piychelogie zu thun, um das 
Gemüthöleben, die Motive und Charvakterzüge, die ihm in ber Ge⸗ 
ſchichte au den Menſchen fo oft in unentwirrbarer Berwidelung und 
m rätbfelhafter Verflechtung entgegentreten, nach ihrem natürlichen 
mweren Zufammenbange fernen und verftchen zu lernen, fo bietet 
Gh ihm für dieſen Zweck Fein geeigneteres und fruchtbringendercs Etus 
yarmı dar ald das bes Lebens und Treibens culturlofer Völker. An 
dieſen tritt fo vielfach unverbüllt und ungefchminkt auf was in dem 
Kreife ber Eivilifation nur verſchämt, verfchleiert, verftellt jich zeigt 
zup, obgleich verborgen, doch mächtig wirkſam, nicht zu Tage zu 
tzeten wagt. Einfachere Verhältnijfe, in denen bie Verftellung und 
Berküllung entiweber nicht der Mühe Ichnt oder noch ver Feinheit 
ub weiten Borausficht unfähig iſt, erleichtern die Einjicht in das, 


994 Theobor Waitz, 


was den Menfchen innerlich bewegt, beſonders taturd daß fie das 
Urtheil weit feltener irre führen. Die eindringende Betrachtung der⸗ 
felben führt insbefonvere zu dem überraſcheüden Nefultate, daß bie 
Sivilifation nur mweniges fpecifiich Neue im inneren Leben tes Men⸗ 
fchen fchafft, Weniges zu dem fich nicht das Urbilb oter das Zerr⸗ 
bild auch bei dem fogenannten Wilden finven ließe, daß feinem We⸗ 
fen nach der Menſch überall verfelbe ift. 

Bielleicht glaubt man aus dem Sturinm ter rohen Maffe, des 
Pöbels, ver fich innerhalb civilifirter Völfer findet, venfelben Gewinn 
ziehen zu können, ben man ſich von der näheren Kenntniß cnlturlofee 
Stimme verfprechen darf. Man würte fih täufchen; benn felbft we 
Cultur fehlt, gibt e8 Motive der Ehre, der Eitte und beu 
Rechtes, die ſich kräftig wirkſam erweifen, gibt es eine äfe 
fentliche Meinung, teren Gewalt ber Ginzelne oft ſchwer em 
pfinden muß, gibt e& Bande ter Familie und ber Ratiewee 
lität, die ihre Rechte geltend machen, gibt es religiöſe Vorftellungen, 
benen machzuleben als heilige Pflicht geachtet wird; und wenn auch 
Vieles davon uns nicht felten fo verkehrt und wunberbar mißbilbes 
erfcheint, daß wir uns bald eines Lächelns bald eines mitleivigen Ach⸗ 
felzudens nicht erwehren können, fo find wir doch genöthigt, anzuere 
fennen, daß hier gefellfchaftfiche Zuftände vorliegen, bie auf eigenthüm⸗ 
lihe Weife geftaltet, ihre Hegel und ihr Maaß haben; und find biefe 
Regel und diefes Maaß auch nicht die umfrigen, fo beweift ihre Machl 
über ben Einzelnen und über die Maffe doch ſchlagend genug, ba 
Uncultur eines Volkes weit vwerfchieden ift von der Zügellofigfeit und 
fittliden Verderbniß derer, die nur ben Auswurf eines folchen bilden. 


1. 


Die große Menge ver Völfer ohne Gefchichte gegenüber ber 
Meinen Zahl wahrer Culturvölker hat vielfach ernfte Zweifel tarüber 
erregt, ob es nicht fpecififche Unterfchieve unter den einzelnen Men⸗ 
fhenftännmen gebe. Diefe Zweifel werben dadurch unterftüßt, daß 
bie vielen und zum Theil angeftrengten Verfuche, die man gemacht 
bat, um niebrig ftehente Völfer einer höheren Stufe ver Entwidelung 
entgegenzuführen,, faft chne Ausnahme gefcheitert find und daß ſelbſt 
bie dauernde Berührung, in welcher jene in vielen Fällen mit civili» 





Ueber bie Einheit bes Menfchengefchlechtes. 995 


ten Menfchen gelebt hatten, wenig ober nicht® für biefen Zweck ge- 
kißet Bat. Wie Lehre und Beifpiel, fo find felbft bie eigenen bitteren 
Gfahrungen, vie ſelche Völker oft in vollem und übervollem Maaße 
za machen gehabt haben, fpurlos an ihnen vorübergegangen und ba- 
ben fie zu feiner Art von kräftiger Thätigkeit zu fpornen vermocht, 
weh bie fie fich aus dem Elende herauszuarbeiten oder wenigftene 
wa dem Untergange zu retten im Stande gewefen wären. Auf biefe 
Detjache bauend bat man einen Unterfchied zwifchen activen und 
sfmen Menfchenftänmmen machen zu mülfen geglaubt, beren erftere 
u eigenem inneren Triebe und mit felbitftändiger Kraft vie Arbeit 
we Ginilifation übernehmen und in fpontaner Entwidelung die Ur⸗ 
uber alles geiltig Großen und Bedeutenden find, das je von bem 
„ Beufchengeichlechte zu Tage gefördert werben ijt, während bie andes 
zum von Natur und darum unveränberlich geiftesträge und apatbifch 
summer in bemfelben tbieräßnlichen Zujtande verharren, oder höchſtens 
suueh ver Antrieb jener höheren Menſchenklaſſe jo weit in Bewegung 
get werben, daß fie fich die ihnen dargebotenen oder vielmehr aufs 
giszungenen Gulturelemente in befchränttem Wange aneignen (Klemm, 
L Butitle). 

Zu biefen piychologifch -biftorifchen Gründen gegen vie Einheit 
des Mexſchengeſchlechtes als Art kommen einige Rejultate Linguifti« 
fer linterfuchungen, die wenigitens eher geeignet find, fie noch zu 
wezRärten als abzufchwächen. Die Zeit ift vorüber, ta man noch 
nach einer gemeinfamen Urfprache ter Menfchheit fuchte und dieſe 
esse ism Hebräifchen zu erfennen glauben fonnte. Zwar ift wohl 
mech Lange nicht bie Hälfte der Sprachen ber Erde in feſte Claſſen zu 
echnen uud ihre Verwandtſchaftsgrade zu beftunmen gelungen, aber 
wie Berſchiedenheit des Baues in allen wejentlichen Punkten, vie fich 
am eimer größeren Anzahl verfelben nachweiſen läßt, bevechtigt den 
Syrachforſcher zu dem Urtheile, daß jeder Verſuch, fie aufeinander zu⸗ 
sulzmführen ober aus einer einzigen Duelle abzuleiten ein thörichtes 
Unternehmen fein würde, und zwar ift e8 nicht fowohl der Mangel 
am gänzlicher Uebereinftimmung in ben Wörtern ber verichiebenen 
Srrachen welcher dieß als unmöglich erjcheinen Läßt, als vielmehr bie 
guubverfchiebene Art und Weife, auf welche biefe in ihnen zum Aus⸗ 
kunde des Gedanlens im Sage verwendet werten — eine Verſchie⸗ 


996 Theobor Waitz, 


denheit, bie weit tiefer greift al8 bie der Wörter allein, ba bie Art 
der Veränderung und Verbindung ber lchteren zum Zwecke des Ge⸗ 
danfenausprudes in jeder Sprache etwas weit Fefteres und Beftän- 
bigeres fein muß als tie Wörter felbft. 

Endlich fehlt e8 auch nicht am einer Reihe von anatomijch » na« 
turhiftorifchen Gründen, welche die Einheit des Menfchengefchlechtes 
als unannehmbar Haben erfcheinen Lafjen. Die Differenzen, durch 
welche fich vie phyſiſchen Charaktere der einzelnen Hauptftänme von 
einander unterfcheiven, find, wie manche Naturforfcher glaubten, ber 
beutenb nud conſtant genug, um fie für fpecififch erflären zu dürfen. 
Namentlich gilt vieß von dem Schätel, deſſen Typus in Folge feiner 
nahen Beziehung zu dem Gehirn und den Geiftesthätigfeiten, obme 
Frage unter bie wwichtigften anatomifchen Kennzeichen des Menfchen 
gehört. Der feitlich platte, von oben nach unten lang geftredite Schä- 
bel des Negers mit vorftehendem Untergefichte, ver maſſiv vieredige 
des Mongolen mit breitem Gefichte, der zum fchönen Oval abgeruns 
bete bed Europäers bezeichnen die Außerften Verfchievenheiten, die fich 
unter allen Berhältnijfen gleichmäßig zu repronuciren fcheinen. Zei⸗ 
gen ſich Hautfarbe und Haar vielleicht auch nicht ganz fo unverän⸗ 
derlich, als die Schätelform , fo ift doch der Grab ihrer Beharrlich- 
feit auch unter veränderten Umftänden fehr beträchtlich und ihre Ber 
fchievenheit bei den einzelnen Menſchenſtämmen belanntlich fehr bes 
beutend. Man bat ferner darauf bingewiefen, baß weit erbeblichere 
Unterfchiete, die fich innerhalb einer Xhiergattung finden, für hinrei⸗ 
chend gelten, bie Annahme ber Artverfchievenheit zu rechtfertigen. 
Das bisweilen vorkommende ſpontane Ausjterben der Mifchlinge ver 
ſchiedener Menſchenſtämme und ihre freiwillige Nücfehr zu ven Stamm» 
typen, ter fogenannte Rüdfall, fellte nicht minder für einen ſpeci⸗ 
fiſchen Unterſchied ſprechen als bie Unfühigfeit mancher ungemifchten 
Völfer der Verſetzung in ein anderes Alima auf die Dauer zu Wis 
berftehen, wie man namentlich von dem Neger und Norbeuropäer bes 
hauptet hat, wenn fie ihre Wohnfige mit einander vertaufchen. Yegte 
man endlich noch die offenbare mannigfaltige Affenähnlichleit des Ne⸗ 
gers in die Wagfchale zu Gunften ver Artverfchievenheit, fo fchien 
biefe, namentlich bei dem Mangel eines zweifellos und allgemeingiltig 
feftgeftellten Begriffes ver Art im zoologiſchen inne, ein ganz ent⸗ 
ſchiedenes Uebergewicht erhalten zu müffen. 





Leber bie Einheit bes Renſchengeſchlechtes. 297 


Die nähere Prüfung ber angeführten Hauptpunfte, auf bie wir 
a6 bier allein befchränfen, foll unfere fernere Aufgabe fein. 

Die angegebenen Gründe gegen die Einheit tes Menfchenge- 
ſchlechtes mögen auf den erſten Blick als fchlagend genug erfcheinen. 
Eier üben ſich großentheils auf hinreichend ficher ſtehende Thatſachen, 
beuen fich andere, welche für bie gegentbeilige Behauptung fprächen, 
iwerlich in gleich augenfälliger Weile gegenüberftellen laffen wer⸗ 
den — unb bo wird eine genauere Unterfuchung zeigen, daß vie 
üptere, die Ürteinbeit, mehr für fich bat als bie Artverfchiedenheit. 
Zhetfachen find nicht immer unzweidentig, ihre Beweiskraft ändert 
Bi nicht felten bei verfchievener Beleuchtung, und vieles hängt babei 
som den Gefichtspuntten ab, unter welche man bie Hauptfrage ftellt 
‚ uf wie fie Antwort geben follen. 

So verhält es ſich bier. 

Die Unterfuhung über vie Einheit des Deenfchengefchlechtes muß 
see Allem bie Einheit bes Urjprunges, bie Abſtammung von einem 
Baare , von ver Einheit ber Art unterjcheiden. Qeive, obgleich oft 
uezwechfelt, find nicht nur nicht iventiich, ſondern verhalten fich zu ei» 
nasder wie Beſonderes und Allgemeines: man ift befugt ven der er» 
eren anf die letztere zu fchließen, nicht aber umgekehrt von biefer 
uf jew. Gtammen alle Menfchen von demſelben Elternpaare, fo 
Inen Bein Zweifel darüber fein, daß es Feine fpecififchen Verfchiebens 
Geiten unter ihnen gibt, und wenn wir jenes darthun könnten, wür⸗ 
Leu wir badurd alle Thatſachen, bie man für die Artverfchiebenbeit 
anführen möchte, durch einen pofitiven Gegenbeweis entlräften. Schwer⸗ 
ch aber wird fich ein folcher jemals entveden laffen, ja es läßt fich 
vie Einheit der Abſtammung überhaupt kaum wahrjcheinlich finden. 

Kinder Haben feine Erinnerung von ven Umſtänden, welche ihre 
Geburt begleiteten, e8 müſſen erſt Jahre verfließen, bis fie dahin ges 
Ksugen, einige Ereigniffe ihres früheren Lebens in ter Erinnerung 
feRzubalten — und doch hat man gemeint in den Zraditionen über 
Sie Abſtammung von einem Elternpaare und über große Wafferflu- 

then in alter Zeit, wie fie fich bei fehr vielen Völkern gleichmäßig 
über, eine Erinnerung an ihre Urgefchichte und an tie Schöpfung 
ſeſbſt erfennen zu mülfen, wie fie von ben mofaijchen Büchern erzählt 
wird. Aber abgefehen von ver Abenteuerlichkeit einer ſolchen Annahme, 


298 Theodor Wait, 


abgeiehen auch von ter Dunkelheit und Unbeftunmtbeit, bie folchen 
Sagen fat immer eigen ift, kann bie Lebereinftimmung wohl eben 
nicht wundern, mit weldyer viele Bölfer von einen erjten Menjchen- 
paare abjtammen wollen, während eben fo viele andere vom Raben, 
vom Wolfe, von einem Baume, aus einer Erbhöhle u. f. f. ihrem 
Urfprung herleiten. 

Uekerall wo verwidelte Erjcheinungen erklärt werben follen, iſt 
es unfer natürliches und nothwendiges Beſtreben, nach möglichit ein⸗ 
fachen VBorausjegungen zu fuchen, aus denen fie fich ableiten laſſen. 
Wir neigen uns darum immer am leichteften und liebften ben Ans 
fichten zu, welche in ihrem legten Grunde zur Einheit und Einfach⸗ 
heit zurüdjühren. Diefe fubjective Maxime, welche unjere Liebe zur 
Epjtematifirung ter Gedanken zu befriebigen verjpricht und vor Al⸗ 
lem für vie wiljenfchaftliche Heuriftit von hohem Werthe iſt, ſtürzt 
uns, wie ſchon Baco von Berulam fehr treffend gezeigt bat, vor⸗ 
eilig und unbehutjam angewentet, in bie muannigfaltigften Irrthümer. 
Wir werden fchwerlich irre gehen, wenn wir ihr nächſt ber bibliſchen 
Erzählung ten hanptfächlichiten Antheil an dem Umſtande zumeifen, 
daß man auch in ver Wiſſeunſchaft fich einer gewiſſen Vorliebe für die 
Abſtammung ven einem Paare bis in bie nenefte Zeit nicht Hat 
entfchlagen können. An Thatfachen und felbjt an Analogieen, durch 
bie fie fich unterftügen ließe, fehlt es gänzlich, wie fich dieß nach ver 
Natur des Gegenftanves nicht anders erwarten läßt. Im Gegentheile, 
es fcheinen ihr eher die uns bekannten Analogicen zu wiberftrcben, ob» 
wohl zugleich eingeftanden werden muß, daß biefe lettteren eben nicht 
ſehr fchwer ins Gewicht fallen. Der Stand ber Sade ift nämlich 
folgenter. 

Die Annahme, daß vie Eontinuität der Naturentwidelung im Gan- 
zen und Großen irgenpwo und irgentwann einmal unterbrochen ge⸗ 
wefen fei, widerftreitet ver Natur unferer Erkenntniß cbenfofehr ale 
bie beſchränktere Beransjegung, daß in irgend einem einzelnen Yale 
der nothwendige Zuſammenhang zwifchen Urfahe und Wirkung feble. 
Deßhalb müjfen wir an dem Sage unberingt fejthalten, daß ber 
Menſch, obgleich feine Entftehungsweife uns gänzlich unbelannt ift, 
einen natürlichen d. h. einen foldhen Urfprung gehabt habe, welcher 
durch ten auch fonft in ver Natur herrſchenden Cauſalzuſammenhang 





Ueber bie Einheit bes Menfchengeichlechtes. 299 


dein bewingt war, und wenn wir von einer Schöpfung des Menfchen 
wen, fo Saum bieß wifienfchaftlich nur fo verftanden werben, daß 
wie eimerfeitd unfere vollſtaͤndige Umvijjenheit über bie Entftehung des 
Senjchen dadurch bezeichnen, und anbererfeits, wie für Alles in 
ver Natur, was uns beren weiſe unb unjere Begriffe weit übers 
feigente Planmäßigleit ahnen läßt, fo auch bier eine höchfte Intelli— 
gez als Geſammturfache anzuertennen und gebrungen fühlen. Schließt 
mu dieſes Letztere das Beſtreben nicht aus, nach dem Zuſammen⸗ 
fange ver uatürlichen Urfachen zu forfchen (mas von jeher nur von 
ber Faulheit behauptet worben ift), unt ift diefer Zuſammenhaug 
kmedhgängig ein ununterbrochener, continuirlicher, fo fcheinen wir ber 
Beigerung nicht entgehen zu können, baß die Meufchen zunächft von 
beu Affen ftanımen al8 von den menfchenähnlichften Wefen ver Erde. 
Gewiel Demüthigendes und vielleicht ſelbſt Nieverjchlagenves cine 
ſeiche Genealogie für manchen auch haben möchte, fo viel weniger an« 
mutenbar würde es doch in jeder Nüdficht fein, ven „Herrn ter 
Gihöpfung‘‘ etwa von einer andern Klafje von Thieren ober gar aus 
u Schlamme ftammeu zu Laffen. 

Gegen eine foldye Anficht, bei welcher natürlich vou einem er⸗ 
Ren Efternpaare keine Rede mehr fein könnte, fpricht inbeflen mehr 
eis bio unfer Gefühl. Zwar hat neuerdings ein bedeutender engli⸗ 
fer Raturforfcher *) mit eingehenten Studien zu beweiſen gefucht, 
zu alte jeigt noch vorhandenen Thierarten nur durch Umwandlung älterer 
Typen entftanven feien, indem gewifle Individuen, vie den legteren 
angehörten, in Folge einer Veränderung ihrer Lebensweife, welche ih⸗ 
mem durch veränderte äußere Umſtände anfgebrungen wurde, felbft or⸗ 
genifcdy umgebiltet und fo zu ven Stammeltern neuer Arten wurden 
— eine Lehre, welche die Abftammung des Menfchen von den Affen 
wmö felgeweife an die Hand gibt und weiterhin zu dem allgemeineren 
Eske führt, daß alle organifchen Wefen urfprünglich „von einem 
Frimerbialgebilve herſtammen, welchem zuerſt Leben eingehaucht 
wurde.“ Indeſſen finden tiefe Anfichten, fo groben Beifall bem 


©, Darwin, On the origin of species by means of ratural selection, 


London , 1859. 


802 Theobor Waitz, 


Nimmt man envlich noch bie Grundverſchiedenheit bes Sprach 
baues, die erheblichen Differenzen ber Körperformen und bie Ge⸗ 
jchiebenheit der weißen und ſchwarzen Race durch das Klima Hinz, 
bie wir früher erwähnten , fo wird man bie Einheit des Urfprunges, 
wenn auch nicht für unmöglich, doch für unwahrfcheinlich erflären 
müſſen. 


Anders ſteht es mit ver Frage nach ver Einheit bes Menſchen- 
gefchlechtes als Art. Wir wollen mit Rückſicht auf fie die früßer 
angegebenen Einwürfe jegt einzeln turchgehen. 

Zuvörderſt dürfte allgemein zugegeben werben bag, wenn es ac« 
tive und paffive Völker in dem Sinne gäbe, daß die einen fi ans _ 
eigenem Triebe und eigener Kraft civilifiren, die anderen aber ohme 
freimde Anregung ewig im Zuftande der Rohheit beharren, wirllich 
zwei verjchievene Menſchenſpecies vorhanden wären. Denn e6 wird 
ſich nicht beftreiten laſſen, daß dieſer Unterfchied zwifchen ihnen ein 
höchſt wefentlihes Merkmal träfe, ja wir dürfen behaupten, er träfe 
das wichtigfte von allen, weil das Wefen bes Menfchen vor Allem im 
ber Höhe feiner geijtigen Entwidelungsfähigfeit zu fuchen iſt, umb er 
träfe auch das unzweideutigſte, weil es unzweifelhaft für die Einheit ber 
Art maaßgebend wäre, gleichviel mit vielen Schwierigfeiten im Allge⸗ 
meinen bie Feitftellung des Artbegriffs verbunden fein mag. 

Es ergibt fi) Hieraus von felbft, wie einfeitig unb ungenügend 
die Behandlung der Trage nach ber Einheit des Menfchengefchlechte® 
ausfallen muß, wenn man fie, wie bieß fo oft gefchehen iſt, als ein 
Problem anficht, deſſen Löſung ausſchließlich ver Zoolcgie zuftehe. 
Allerdings ift es richtig, daß vie Icktere einen Beitrag zu bemfelben 
zu liefern bat, ver durchaus unentbehrlich ift, nicht minber, daß es 
bisher vorzugsweife Zoologen und andere Naturforfcher gewefen find, 
bie fich mit dieſem Gegenſtande befchäftigten — faft könnte man 
fagen, daß fie ſich veffelben bemächtigten; aber ohne die Ver⸗ 
bienfte zu verfennen, die fie ſich auf viefem Gebiete erwor⸗ 
ben haben, muß doch Hervorgeheben werben, daß durch eben 
diefen Umſtand der Mangel an Bielfeitigfeit herbeigeführt wor⸗ 
ben ijt, an welchem vie Betrachtung dieſes Gegenſtandes bis jet ge⸗ 





Weber die Einheit des Menſchengeſchlechtes. 308 


Kitten bat. Die faft gänzliche Vernachläffigung der pſhchologiſch⸗hiſto⸗ 
tichen Seite deſſelben konnte nicht ausbleiben, da Gefchichtsforfcher 
ſich en biefer Unterfuchung bisher faft gar nicht betheiligt haben, ob» 
eich, wie wir bemerkten, ver Natur der Sache nach die Hälfte die⸗ 
fer Aufgaben ihnen zufällt; venn wie Immer die Entſcheidung über 
ven zeofogifchen Speciesbegriff und deſſen Anwendung auf bie ver 
ſchiedenen Menfchenftämme auch ausfallen mag, ob die Mienfchen alle 
eines ober verfchiedenen Wefens feien, dieß wird zulegt doch nur bas 
son abhängen, daß fie bei gehöriger Berüdfichtigung von Zeit und 
Umftänven als Böller entwever zu nahe gleichen oder nur zu ſehr 
umgleichen geiftigen Leiftungen befähigt erfcheinen. 

Aus dieſem, wie uns jcheint, fchlechthin unmiverleglichen Satze 
ergibt ſich von ſelbſt die matürliche Folge, in der wir die ver 
Gigiebeuen Seiten der Frage zu betrachten haben. Wir prüfen zuerft 
Die Gründe, welche bie zoolegijche und naturhiftorifche Unterfuchung 
ga Uefern vermag, werfen dann einen Blick auf die linguiftifche Ent 
widelung, und gelangen zum Abfchluß durch die Erörterung der pite 
elogifch-Hiftorifchen Momente. 

Bei der erften, der natur-biftorifchen Frage, find es vor Allem 
wie Schwierigkeiten des Artbegriffes, welche der Löfung des Problems 
un Wege fliehen, und auf die wir alfo unfere Aufmerkſamkeit zunächft 
sichten mülfen. | 

Allgemein zugegeben ift, daß ven Anfang einer jeden Art bie 
(äsuumtlichen Individuen auamachen, welche in allen ihren weſentlichen 
Merkmalen einander gleich find, und daß daher ver Artbegriff die con« 
Raute Berbindung der letteren oder die feite typiſche Form bezeichnet, 
ya weldyer wir die wefentlichen Merkmale in der Natur immer ver- 
einigt fehen. Mögen wir uns nun biefe Feftigfeit des Typus als eine 
deln, cder mit Darwin nur als eine relative denken, fo daß bie 
Urten felbft erft im Laufe ver Zeit durch Umbildung auseinander ber- 
vorgegangen wären, ter Begriff ber Art bleibt derſelbe, nur bie 
Gyhäre feiner Anwendung ift in beiden Fällen verfchieven, benn vie 
wäatine Unveränderlichkeit der Typen, welche gegenwärtig beftehen und 
EM unter den jekigen Verhältniſſen gleichmäßig forterhalten, bleibt 
debel unerfchättert, 

FR num zwar ber Begriff ver Art als des conftanten Complexes 








304 Theodor Waik, 


wefentlicher Merkmale, die in ver Natur miteinander verbunden vor⸗ 
kommien, an ich ohne Schwierigkeit, fo geftaltet fich bie Sache doch anders, 
fobald e8 fich um feine Anwendung handelt. Es befigen nämlich felbit die ühn- 
Lichften Individuen gewiſſe Verſchiedenheiten und ftellen die typifche Form 
ber Art immer anf eigenthümlich nüancirte Weife dar — es gibt Varie 
täten —, und biefe Abweichungen zeigen im Laufe ber Generationen 
nicht felten eine gewiſſe Dauer und Feſtigkeit — es gibt Racen in⸗ 
nerhalb der Art. Um daher in einem bejonderen Falle angeben zu 
können, welche Individuen zu verjelben Art gehören, müjjen wir wife 
fen, an welchen Kennzeichen vie lettere von ber permanenten Varie⸗ 
tät oder Race zu unterjcheiven ijt. Ein folches Kennzeichen hat mar 
häufig in ven Artbegriff felbft aufnehmen zu müffen geglaubt, und 
erſt dadurch ijt er ſchwierig geworben. 

Eine fernere Schwierigkeit entfteht, wenn man, wie feit Cuvier 
und auf Beranlaffung des von ihm aufgeftellten Artbegriffes häufig 
gefcheben iſt, die Frage nach gemeinfamer Abſtammung in bie nad 
der Art hineinzieht und dadurch eine Verwidelung fchafft, die nicht 
nur unnöthig iſt, ſondern auch bie Unterfuchung diefes Gegenftanbes 
auf eine falfche Bahn lenkt. 

Nah Eupier nämlich ift die Art ter Verein aller ber Indivi⸗ 
buen, welche voneinander oder von gemeinfamen Eltern abftammen usb 
berer, bie ihnen fo ftarf gleichen, als dieſe einander felbft, d. h. fo 
ftart als Eltern und Kinter. Diefe Auffaffung des Artbegriffes, 
welchem die größte Anerkennung und Verbreitung zu Theil geworten 
ift, bringt von Baer, ver fie ebenfalls adoptirt, auf ben einfachflen 
Ausdruck, indem er jagt, die Art fei „bie Eumme von Individnen 
welche durch Abſtammung verbunden find oder fein könnten”. Folgt 
nun zwar aus Einheit der Abſtammung Cinheit der Art, fo würde 
ſich doch über die legtere in allen Fällen fait gar nichts Beſtimmtes 
fügen laſſen, wenn die Entfcheitung über fie von ber erfteren allein 
abhinge, deun über vie erſten Stammeltern ber jegigen Thier⸗ und 
Menfchengejchlechter willen wir nichts, und überhaupt verbient es 
entſchiedene Mißbilligung, daß man die Vegriffe von Stumm und Art 
in der bezeichneten Weife miteinander iventificirt, weil bie Einheit des 
Stanmmbaumes mit der Gonjtanz der wefentlichen Merkmale oder ver 
Typen überhaupt nur infofern etwas zu fehaffen hat, als die Erfah 





Weber die Einheit des Renſchengeſchlechtes. 305 


zung lehrt, daß e& tie Fortpflanzung ift, vermittelft deren fich vie letzteren 
erhalten. Dabei bleibt e8 aber nicht allein fehr wohl denkbar, ſon⸗ 
bern iſt nicht einmal unwahrſcheinlich, daß Wefen von gleichem Typus 
am verfchiedenen Orten und zu verfchiedenen Zeiten, alfo ohne alle 
Etammverwandtfchaft, entſtanden find. Der Zufaß aber, daß Indi⸗ 
söpmen, vie zu terfelben Art gerechnet werben fellen, einander fo ftarf 
gleichen follen als Eltern und Kinder, ijt zu vag und unbeftimmmt, 
wm eine präcife Anwendung zuzulajjen, und erregt bie fir jene Mufe 
faffung fo bevenklihe Frage, ob denn ſtammverſchiedene Individuen, 
wenn fie dieſen hohen Grab ber Aehnlichkeit dennoch beſitzen, zu ber» 
ſeſhen oder zu verfchiedenen Arten gehören follen? 

Es fcheint demnach dringend nöthig, tie Begriffe von Stamm 
u Art fireng zu fondern. Nur fo ift es möglich, der Unterfuchung 
wie erforderliche Klarheit zu erhalten. 

Die fernere Aufgabe, ein Stennzeichen zu finden, das uns in ven 
Staub feße, tie Art von ker Race mit Sicherheit zu unterfcheiden, 
Mt Ewier's Beitimmung unberührt. Dan Hat fie anf mantcherlei 
Eeiſe zu Löfen verfucht, boch ift e& bis jeßt nicht auf allgemein bes 
friedigende Weije gelungen. 

Den meiften Beifall findet noch jeßt das von Buffon aufgeftellte 
Kriterium: , vie unbejchräntte Fruchtbarkeit: alle Individuen, die mit- 
eimanber fruchtbar find, und Nachkommen erzeugen, welche in berfelben 
Weite befähigt find, ein Geſchlecht von unbegrenzter Dauer zu be- 
gräuben, find demnach höchſtens als racenverſchieden, nicht als artver- 
ſchieren anzuſehen. Der entjchietenfte Gegner dieſes Satzes iſt ge— 
gmwärtig Agaffiz*), welcher in ihm eine petitio principii zu ſehen 
Jaubt. Der Zweifel, meint er, treffe eben bie Frage, ob nicht trotz 
mmubefchränkter Fruchtbarkeit, bie fich mijchenten Typen wejentlich ver 
fhieden fein und aus ihrer Mifchung neue permanente typijche For- 

men hervorgehen könnten. An biefe Möglichkeit aber wollen tie mei— 
8 Naturforſcher nicht glauben, und Agaſſiz ſelbſt iſt dieſer Annahme 
nicht einmal zugethan, ſondern hält daran feſt, daß die Charaktere der 
Arten unweränderlich ſeien. 


®, Essay on classification. Lond. 1859. 
- Diderifge Zeitſchrift. J. Band 20 


806 Theodor Waitz, 


Er thut daher jehe unrecht, feinen Einwurf gegen jenes Krite⸗ 
rium fo ſchneidend auszubrüden, denn es iſt eben nicht ein tbeereti- 
ſcher Lehrſatz, ſondern eine Thatſache ver Erfahrung, daß tie organi» 
fchen Wefen ihre conftanten Typen nur durch unbeſchränkte Forte 
pflanzung erhalten, und die Gonftanz verfelben würde unbegreiflidh 
fein, wenn Mifchlinge verfchievener Arten (Baftarde) in der Natur 
nicht allein häufig entftänden, fondern auch ihren eigenen Typus dauer⸗ 
haft zu vererben im Stande wären. Dagegen pflegen fi ſogar in⸗ 
nerbalb derfelben Art in ver Freiheit vorzüglich die Thiere zu paaren, 
die einander individuell am ähulichften find, bie Erzeugung von Bas 
ftarden aber erfordert abnerme Uınftäude, und die Regel ift, daß fie 
ausfterben in Folge von Unfruchtbarkeit. 

Iſt demnach das Striterium ver Fruchtbarkeit allertings von ho⸗ 
hen Werthe, fo kann doch nicht geläugnet werben, daß es auch feine 
Mängel hat. Sie liegen wohl weniger in dem Zweifel über das Ver 
halten der Baſtarde in Blefer Rüdficht, als darin, daß es vielleicht 
auch Racen und gewiß bloße Varietäten gibt, bie feine unbefchräntte 
Fruchtbarkeit untereinanter befigen, Daß unter Umſtänden auch Artem 
durch Unfruchtbarkeit gänzlich ausfterben, und daß endlich fich nicht 
angeben läßt, durch wie vicle Generationen fich die Sruchtbarfeit bes 
währen müſſe, um zu dem Schlufje zu berechtigen, daß bie betreffen« 
ben Individuen zu derfelben Art gehören. 

Daher muß es willfommen fein, in dem fogenannten Rückfalle 
noch ein weiteres unterfcheidendes Merkmal von Art und Race zum 
finden. Da nämlich überhaupt vie im Laufe ver Zeit entftandenen 
Abweichungen vom Typus der Art unter veränderten Umftänden wies 
ber zu verfchiwinten pflegen, ift man berechtigt nur diejenigen Typen 
als Arten anzufehen, welche ihre Selbſtſtändigleit dadurch beweifen, 
baß andere, die bloßen Varietäten, uuter gewiſſen Verhältnifien in fie 
zurüdfallen, während fie ihrerjeits unter Teinen Umſtänden in antere 
Formen übergeführt werden können. Gegen ven Rüdfall als Kenn- 
zeichen won Art und Race ift, wo er wirklich eintritt, allertings nichts 
einzuwenten, aber er ift nicht häufig genug, um eine mehr als bes 
ſchräulte Anwendung zuzulaffen, und außerdem bleibt e8 möglich, ba, 
wie 3. B. v. Baer anzunehmen geneigt ift, bloße Varietäten, die un⸗ 
ter beſonderen Umſtänden entjtanten find, vie Feftigfeit und Dauer 





308 Theodor Waitz, 


und andere modificirende Umſtände an ihnen hervorgebracht werden 
oder nur nahezu ebenſo groß, ch und wie weit fie ſich conſtant 
zeigen over nicht, ob bie vorhanbenen Kriterien von Art und Rare 
der Arteinheit oder ver Artverſchiedenheit günftiger find. 

Beginnen wir von dem legten Punkte, fo kann wenig zweifefßaft 
fein, daß er weit ftärker für die Einheit ver Art als gegen fie ſpricht. 

Daß im Allgemeinen vie verfchievenen Menjchenftänme unter ſich 
unbefchränft fruchtbar find, feheint die große Zahl von Mifchlingen 
und Mifchlingsvölfern zu beweifen, tie fich allerwärts finden. Sie 
ift fo bedeutend, daß man nicht chne Grund zweifeln fann, ob es ein 
wahrhaft ungemijchtes Volk überhaupt auf ver Erbe gibt, und follte 
dieß der Fall fein, fo ift zu vermutben,, daß es fich in dieſem Zu⸗ 
ftande nicht lange Zeit mehr wire erhalten können. Dazu kommt 
noch, daß bie Ueberführung der verſchiedenen Typen in einander durch 
fortgefegte Diifchung der Stammracen vollkommen gelingt, wie eine 
Menge unbeftrittener Erfahrungen beweijen: die Wifchlinge zeigen 
alfo nicht das Verhalten der Baftarde fontern Das der Rachlemmen 
verjchievener Racen, und die Stammtypen beſitzen nicht die feite Con⸗ 
ftanz und ftrenge Gefchiedenheit der Arten, ſondern find durch fläfe 
fige Uebergangeformen mit einanber verbunden, welche darauf biste 
weifen, daß wir fie vielmehr für Varietäten verfelben Art zu halten 
haben. Wenn fich nicht alle Veifchlingsracen gleich lebensfräftig er⸗ 
weifen, fo ift dieß fein Einwurf gegen die eben ausgefprochene Ans 
ficht, denn ganz daſſelbe gilt von ven einzelnen Menfchen und vom 
ganzen Völkern auch ta, wo wir feine Urfache haben, dieß etwa ale 
eine Folge der Miſchung anzufehen, und überdieß ift ver Sachverhalt 
diefer, daß feineswegs alle, ſondern nur einige Arten von Mifchlin- 
gen der förperlichen Rüſtigkeit ermangeln, turd welche andere ſich 
auszeichnen. Daß es folche Ancompatibilitäten unter Völtern gibt, 
fanıı fo wenig wuntern, als daß fie unter Individuen vorkommen. 
Jedenfalls find fie verhältnigmäßig felten uud wie man das Menfchen- 
gefchlecht auch eintheilen möge, nie werten fich zwei Hauptabtheilun⸗ 
gen finten laſſen, von deren Miſchung vieß als Regel gälte. 

Man bat mehrfach die Behauptung aufgeftellt, daß fich eine 
Mulattenbevölferung auf die Dauer nur zu halten vermöge, wenn 
fortwährend eine Auffrifhung Des Blutes aus ben Stanımracen (Eu⸗ 





310 Theodor Waitz, 


fähig find, und ähnlich fcheint es fich überall mit ven Mifchlingen zw 
verhalten, wo folche in Menge aufgetreten find und für ihre befonvere 
Sonftitution einigermaffen günftige Lebensverhäftnijfe vorgefunden haben. 

Will man mit Gobineau in ber Mifchung verfchievdener Stämme 
den Keim eines naturnothwendigen Verderbens fehen, ber tem Leben 
ver Völker eingeimpft werde, jo muß man gejtehen, daß dieſes Ver⸗ 
erben gnroßentheild mit einer völlig unmerklichen Langſamkeit forte 
fchreitet; will man mit Nott vie eigene Lebensfähigkeit der Miſch⸗ 
linge ganz in Abrede ftellen, fo läßt fich doch nicht leugnen, daß ihr 
Aussterben große Zeiträume erforvert, weit größere, als das Ver⸗ 
ſchwinden anderer Baſtarde. Bejteht man nun gleichwohl auf einer 
fpecififchen Verſchiedenheit zwifchen ven Hauptabtheilungen des Men⸗ 
fchengefchlechtes, jo behält man nur Die Wahl zwifchen zwei Behaup« 
tungen, tie mit diefer Annahme felbft gleich unverträglich fine, daß 
nämlich entwerer demnach das Klima, die Lebensweiſe und andere 
äußere Einflüße mächtig genug feien, um bie fpecifilchen Charaktere 
der einzelnen Menfchenarten in alle die verfchievenen Typen umzu⸗ 
bilden, welche ven Völkern der Erde eigen find, oder daß dieſe Tee 
teren größtentheils einer fruchtbaren Mifchung verschiedener Menfchen- 
Species ihren Urfprung verdanken. 

Tragen wir weiter, ob die Eigenthümlichkeiten ver Arten, im 
welche man die Menfchen eintheilt, fich in ſolchem Grade feft und un« 
veränderlich zeigen, daß es gerechtfertigt erfcheint, fie als fpecifiich une 
terfchieben zu betrachten. Zuerft muß in Bezug bierauf ſchon ver 
Streit ein ungünftiges Vorurtheil erweden, ter darüber berricht, 
welche Glieder der Eintheilung als vie hauptfüchlichften anzufehen 
und wie viele berfelben anzunehmen fein. Blumenbach's 5 Racen 
(Neger, Malaien, Kaukaſier, Americaner , Mongolen) finven fich von 
Cuvier auf 3 Hauptformen reducirt (Neger, Mongolen, Europäer), 
von antern zu fechs, fieben, elf und mehreren angeblichen Species ers 
weitert, bis endlich von Ginigen, Die wo möglich aus jedem beſonde⸗ 
ven Volfe eine eigene Menſchenart machen möchten, eine noch gar 
nicht gezählte Menge behauptet wird. Die lettgenannte Anficht, durch 
ihre Unbeſtimmtheit Bequem und jchwer angreifbar, läßt fi nament- 
lich mit den Refultaten ver Sprachforſchung nicht vereinigen, welche 
abgefehen von Europa in einem großen Theile von Afien, in Sübd« 





312 Theobor Walk, 


artige Menſchen finden, die Hanptoöller aber, bie dem Kafferſtamme 
zugehören, eine Körperbiltung zeigen, bie fich bald durch fchöner ges 
wölbten und weniger feitlich platten Schäbel, bald durch minder wol⸗ 
lige8 Haar, wenig oder gar nicht platte Nafe, geringen Prognathis⸗ 
mus und oft turch mehrere dieſer Eigenthümlichleiten zufammenges 
nommen cben fo ftarf von Negercharalter entfernen, als fie fich dem 
des Europäers nähern. In ven wahren Negerländern, die fi auf 
das Gebiet zwifchen Senegal und Niger nebjt ven Reichen im Often 
des Tſad⸗See's befchränfen, begegnen wir ebenfall8 einer großen Menge 
von Völkern, die feine eigentliche Negerphhfiognemie, fondern weit ed⸗ 
lere Formen bejigen, fo namentlich die Jolofs, Fulahs und ein großer 
Theil der Mantinges. Eine große Menge anderer trägt zwar ben 
allgemeinen Typus des Negers in leicht Fenntlicher Ausprägung, aber 
bie fümmtlichen Eigenthümlichkeiten, turch welche man tiefen charak« 
terifirt glaubt, finden ſich auch bier nicht Häufig beifammen. Am 
weigen Nil fürlih von 6—8° n. 2. verſchwinden die Eigenthümlich- 
feiten ter Neger mehr und mehr, und mit Ausnahme ver Hautfarbe 
tritt eine immer ftärfere Annäherung an eurcpäifche Formen hervor. 

Der Negertypns ift aljo Feine feit abgegrenzte, fpecififch bes 
ftimmte, fontern eine fließente Korm*), deren einzelne Züge zuſam⸗ 
mengeſtellt, ein Extrem bezeichnen, das zwar in ber Wirklichleit mehr⸗ 
fah vorkommt und ſich fogar im Hottentoten und im Negrito ber 
oſtindiſchen Juſeln gewiſſermaſſen karrifirt findet, in reiner Ausprä⸗ 
gung aber eben fo felten ift als die mannigfaltigften Variationen und 
Abwandlungen deſſelben Häufig find. Ein großer Theil diefer Varia- 
tionen ift zugleich jo befchaffen, daR er Uebergangéeſtufen zu anderen 
Hauptformen, namentlic) zu ter des Europäers barftellt, und e6 
würde nicht ſchwer fein, fie fo zu ordnen, daß daraus die Flüffigkeit 
ber Unterſchiede vollkommen erfichtlih wäre. Wie man dieſe That⸗ 
fache auch veuten möge, man wird entweder den Mangel jo feiter 
Formen wie fie den Arten eigen jind unmittelbar eingeftehen, ober 
die Völker von mittlerem Typus für Miſchlingsvölker erklären und 





*) Tie genaueren Nachweife über mehrere ber bier und im folgenden auf. 
geftellten allgemeinen Site laffen fih an dieſer Stelle nicht geben. 





814 Theodor Waitz, 


Hauptrace in vereinzelten Beifpielen innerhalb einer anderen vor⸗ 
kommt. Darf man vieß nicht fo verftehen, als ob bisweilen volllem⸗ 
mene Neger unter den Mongolen oder Europäern geboren würten, fe 
treffen wir doch bei ven Tegteren und durch Stammverwandtſchaft mit 
“ ihnen verbunden nicht felten Menfchen, welche die Kennzeichen ber Ne⸗ 
gerrace mehr ever weniger volljtänvig an fich tragen und, abgefehen 
von ver Hautfarbe, in den Grabe negerähnlih find, daß fie vom 
jevem Beobachter ver ihnen in Afrifa begegnete, für wirkliche Neger 


gehalten werben müßten. Unter ven Chinefen und Tunguſen lommen 


bisweilen europäifche Phyjiognomicen vor, bei dein Botokuden in Süds 
amerifa und bei ven Bolen dagegen ift man öfters auf Menſchen ger 
ftoßen, welche eine entfchierene Chinefenähnlichkeit zeigten, und ber 
Neu⸗Zealänder gleicht oft in allen Hanptzügen ven Eingeborenen von 
Nordamerika. Blondes und rothes Haar, blaue, grünliche und licht⸗ 


.—— -_ . _—.- 


braune Augen, heller Teint gehören ver Regel nach ausfchließlich ver . 


weißen Race an, währent allen übrigen fchwarzes oder buntelbraunes 
Haar, Augen von gleicher Farbe und gelbe bis ſchwarze Haut eigen 
ift; aber auch in dieſer Hinficht finden fich Ausnahmen, wie es fcheint, 
bei allen Völkern. Es fehlt auch hier an ver feften Abgrenzung, welche 
allein berechtigen könnte, einen fpecifiichen Unterſchied anzunehmen, 
denn nirgends in ber Natur befteht unter den verjchievenen Arten 
berfelben Gattung ein folches Verhältniß, daß die Eigenthümlichkeit 
ber einen ausnahmsweiſe fich bisweilen innerhalb der anderen zeigte, 
und wer bad Menfchengefchlecht in mehrere Arten trennt, ift deßhalb 
zu ber Ausflucht gendthigt, die gar nichts für fich hat, daß die ges 
nannten und alle ähnlichen Beifpiele aus einer verborgen gebliebenen 
Miſchung verfchievener Typen zu erklären fein. Nur eine ſchwache 
Stütze gewinnt dieſe Anjicht darin, daß nicht die einzelnen Merkmale 
einer jeden Art, fondern nur ihre Vereinigung ben Artcharakter ause 
machen, denn wenn jene einzeln genommen bieweilen fehien können, 
und zivar ein jedes von ihnen, fo ift ihr Complex felbft nicht feit und 
conftant, ſondern veränberlich. 

Die verfchievenen Thiere und Pflanzen, welche auf der Erbe le⸗ 
ben, laſſen fich nicht uffe auf vemfelben Boden, an einem beftimmten 
Orte als Mittelpunkt entjtanden denken, von tem fie ausgegangen 
wären und fich allmählig über alle Theile ver Erte verbreitet hätten. 





Ueber die Einheit des Menfchengefchlechtes. 315 


Birle verfelben befigen weder felbft tie Fähigkeit zu fo ausgebehnten 
Banberunugen — fie würven den Hinvernijfen haben erliegen müffen, 
bie ſich ihhnen entgegenftellten —, noch konnten fie fich paſſiv an ihnen 
betheiligen und von anderen mitgenommen werten, auf ähnliche Weife 
wie Bözel oft Pflanzſamen verbreiten oder wie dieß durch Flüſſe 
mus Meeresſtrömungen gefchieht. Die ftrenge Gebundenheit ver mei« 
Ren au Beitimmte klimatiſche Verhältniffe fett ihrer Verbreitung un⸗ 
überfchreitbare Grenzen. Nach Anleitung viefer und ähnlicher That⸗ 
jechen bat man tie Erde in eine Anzahl von zeologifchen und botanis 
ten Provinzen getheilt, deren jede einen befonteren Mittelpuntt ber 
Bertreitumg, ihr befonderes Schöpfungecentrum hat. Eine zwar bie Gren⸗ 
zu dieſer Provin;en bei ver Schwierigkeit des Gegenſtandes meijt noch 
nicht hinreichend feitgeftellt, fo ftehen Doch die wefentlichen Verhältniſſe 
außer Zweifel, anf welche fich tiefe Anficht grüntet. Ihre Betrachtung hat 
wie uatürliche Beranlaffung dazu gegeben, daß man jich auch die Mien- 
ken von jenen Mittelpunften urfprünglich ausgegangen dachte und bie 
wrichierenen Hauptformen ihrer Körperbildung damit in Beziehung 
ſetzte; und wie man fein Bedenken trägt Die Verſchiedenheit zweier 
Secies im Thier⸗- oder Pflauzenreiche anzuerfennen, wenn ihre Uns 
wfchiede auch noch fo gering, fie felbjt aber zu größeren Wanderun⸗ 
gu unfähig find und in getrennten Provinzen leben, fo hielt man ben 
pecififchen Unterſchied auch unter den Dienfchen für jicher, welche Län⸗ 
term mit verfchicdener Fauna und Flora als Eingeborene angehören. 
In neuerer Zeit bat hauptſächlich Agaſſiz dieſe Analogie geltend 
macht und burchzuführen verſucht. Indeſſen ift er fich in feinen An⸗ 
ichten über tie Anzahl und Ausdehnung der zoclogiichen und botani« 
fen Provinzen ber Erte fo wenig gleich geblieben, daß wir ſchon 
ws dieſem Grunde fein großes Zutrauen zu der Präcifion feiner 
Eintheilung tes Dienjchengefchlechtes in mehrere Arten faffen Fönnen. 
Res man aber auch von tiefer halten möge — daß die Menſchen 
zur innerhalb befchränkter Räume gewandert feien uud jich meift nur 
wenig von ihren Urfigen entfernt hätten, ijt neterifch unrichtig, und 
ielbft wenn fich anegetehnte Wanterungen nicht mit Beftimmtheit 
nachweifen ließen, würte doch die ganze Ausftattung, bie ber Menſch 
den der Natur erhalten hat, gegen ven Vergleich teffelben mit einer 
Manze fprechen, die an den heimifchen Boden oder mit einem Thiere, 


316 TTheodor Waitz, 


das an ein beſtimmtes Klima gefeſſelt iſt; feine Fähigkeit zur Wan⸗ 
derung über ausgedehnte Länderräume iſt nicht nur die größte, ſon⸗ 
dern die Natur, die ihn umgibt, und vie geſellſchaftlichen Verhältniſſe, 
in denen er lebt, ertheilen ihm auch die mächtigften Antriebe, fie im 
unfangreicher Weife zu benugen. Laſſen wir aber felbjt die grobe Un⸗ 
wahrfcheinlichleit bei Seite, bie in der Annahme einer folchen Feſt⸗ 
fäßigfeit der Menfchen auf ihrem beimifchen Boden im Großen unb 
Ganzen Liegt, fo verbietet und die Art der Vertheilung verfelben über 
die Erde uns jene Anficht anzueignen. Es findet feine Gefchiedenheit 
ſelbſt nur ver Hauptracen durch das Klima ftatt, und ihre Verthei⸗ 


pP — BR a 


lung entſpricht nicht einmal in der Hauptſache den zoologiſchen und 


botaniſchen Provinzen, wie man dieſe letzteren auch näher beſtimmen 
möge. Die Polarvölker, bisweilen unter dem Namen einer beſonderen 


hyperboräiſchen Race zuſammengefaßt, reichen weit nach Mittelafien 


hinein, die Mongolen mit ihren Stammpverwanbten erftreden fich vom 


Eismeere bis unter die Tropen, bie indogermanifchen Bölfer von Ye 


land bi® jenfeits des Indus, und in Oſtindien Teben in nicht allzu 
großer Entfernung von einander Menſchen, welche ven verjchiebenften 
Typen angehören, vie überhanpt auf der Erbe vorkommen: Hinbus, 
Negritos, Malaien und Mongolen, Auftralneger und Papuas bewohnen 
mit Völfern von malaiifher Race zuſammen viele ver benachbarten 
Snfeln, und dieſelben ober doc fehr ähnliche Formen finden füch im 
Umerifa unter ven verfchiebenften Preiten. 

Aus unferer bisherigen Betrachtung geht hervor, daß bie großen 
Hauptſtämme weder durch fefte Äußere Kennzeichen noch durch klima⸗ 
tifche Verhältnijfe fo deutlih und Scharf gefchieven find, wie wir er» 
warten müßten, wenn ihre Unterfehiete für fpecififch gelten follten. 
Auch die Merkmale, welche dazu dienen können, Art und Race aus- 
einanderzubalten, zeigten fich ter Arteinheit entfchieren günftiger ale 
ihrem Gegentheil. Es ift noch übrig bie Frage näher in’d Auge zu 
faffen, ob vie Verſchiedenheiten, die innerhalb tes Menfchengefchlechtes 
auftreten, fich mit Wahrfcheinlichfeit als eine Wirkung des Klimas, 
ter Lebensweife und anderer wechjelnder Umſtände betrachten laſſen, 
benn nur in dieſem Falle find wir berechtigt bie Einheit der Art für 
velljtändig erwiefen zu balteı. 

Haben zwar die Beifpiele der geringen Strenge, mit welcher bie 





318 Theodor Waitz, 


unter ihnen unfere Anfmerkſamkeit auf einen wichtigeren Bunkt, indem 
fie nämlich darauf hinweiſt, wie unftatthaft es ift, der Xehre von ber 
Arteinheit und von ver Vuriabilität der Formen mit dem Einwurfe zu 
begegnen, ob man benn glaube, daß Europäer wirklich jemals zu Negern 
oder dieje zu weißen Menfchen werten könnten? Dieſes Letztere ift feine 
nothwendige Confequenz, denn es genügt zur Erklärung der vorhande⸗ 
nen Erjcheinungen die Annahme, daß ter Einfluß ber Äußeren Um— 
ftände groß genug fei, um aus irgend einer mittleren Form bie extre⸗ 
men Formen (Neger und Weißer) durch allmählige Umwandlungen ver 
verfchiedenften Art hervorgehen zu laffen, wogegen die mögliche Umbile 
dung einer extremen Form in bie andere gar nicht in Betracht gezogen 
zu werben braucht. 

Die Mächte, welche fih hauptſächlich an dieſer Umgeſtaltung bee 
theiligen, find das Klima, die Nahrung und Lebensweife, ver Fort⸗ 
fchritt der geiftigen Bildung, endlich die fpontane Entftehung und Ver 
erbung gewifjer neuen Kigenthümlichkeiten. Die Größe der Wirkfame 
feit im Einzelnen anzugeben, welche einem jeven dieſer Factoren zuge» 
fchrieben werben darf, ijt meiftens fehr fehwierig oder unmöglich, weil 
ſich nur in änßerft feltenen Fällen ihre Zhätigkeit und teren Erfolge 
ifolirt beobachten laffen: unvollkommener Schuß gegen klimatiſche 
Scädlichkeiten, Mangel, geringe Mannigfaltigfeit und unverftändige 
Wahl der Nahrungsmittel, ungefunde und frühzeitig aufreibende Lebens» 
weife pflegen entweder alle oder doch zum Theil fo vorzugsweife mit 
einem nietrigen Stande ber intellectuellen Bildung zuſammen zu treffen 
und in berfelben Richtung auf die Entwicdlung des leiblichen Lebene 
zu brüden, taß fich nicht leicht entfcheiden läßt, wie ver Antheil zu 
begrenzen ijt, ten jene einzeln genommen am Nefultate haben. Faſt 
nur dieß kann als ficher gelten, daß diejenigen Unrecht haben, welche 
überhaupt in Abrete ftellen möchten, daß die Körperbildung des Men⸗ 
ſchen durch jene Einflüſſe beträchtlich verändert werde. Zum Bewelje 
dafür hat man ſich Häufig auf vie zähe Beharrlichkeit berufen, die der 
Typus der Juden unter allen Verhältniffen bewahrt hat. Freilich find 
es nicht etwa genaue Meſſungen namentlich des Schädels, aus wel« 
her fich tiefe ausnahmsloſe Gleichförmigkeit ergeben hätte — ſolche 
Meffungen fcheinen vielmehr für das Gegentheil zu fprechen (Sandi⸗ 
fort) —, fonbern nur die fichere SKenntlichleit ihre® ganzen Habitus, 


-.—— _ 





Ueber die Ginheit bes Dienfchengefchlechtes. 319 


wo er auch vorkommen mag, hat tiefe Bolgerung an vie Hand geges 
ben. Indeſſen auch ver leßtere variirt beträchtlich: in Sibirien von 
Keller Daut und lichten Haar, durchlaufen die Juden von England 
ww Deutichland an, über Spanien und Portugal nach Marokko, Sys 
zen, Oſtindien und Congo hin alle Nüancen ver Farbe der Haut 
wm des Haares, die fich in tiefen Ländern irgend finden, und es 
Seheint, daß wir in diefer Abitufung vorzüglich eine Wirkung des Kli« 
mes zu erfennen Gaben, da gerade dieſes Volk in allen Welttheilen 
abgeſondert von der übrigen Bevölkerung gelebt, feine Religion und 
Eitten feitgebalten hat und feiner Lebenseinrichtung und Eigenthüms 
Bhleit -in jeder Rũckſicht treu geblieben ij. Eben deßhalb aber kann 
mau fich kaum wunder, daß es fich auch im Aeußern nicht jo durchgrei⸗ 
es veränbert hat wie fo viele andere Vülfer. Wenn man ferner aus 
zen altäghptiichen Denfmäleın den Schluß gezogen hat, daß viefelben 
Seuptfermen ſich feit ven älteſten Zeiten unverändert durch äußere 
Guflübe erhalten hätten, fo ſteht es um dieſen Beweis nicht beifer. 
Mächte auch zugegeben werten, daß vie heutigen Fellahs, Neger und 
Yauven mit voller Sicherheit in den altägyptiſchen Bildwerken ſich uns 
kricheinen Laffen, fo wird man doch aus Durftellungen, welche offene 
ie umr beitimmt find, einige typiſche Haupteigenthümlichkeiten ver 


, Süller deutlich herauszubeben, nichts weiter folgern dürfen, als daß 
ss ſchon in jener Zeit Menfchen gab, vie dieſe Charaktere an fich 


tmgen. Und wem kann es noch einfallen zu zweifeln, daß ſchon da⸗ 
mes Reger in Afrika lebten, bie ven heutigen Neger glichen ? ober 
vog Die Aegypter fich von jenen wejentlich unterſchieden? oder daß bie 
Iden ſchon zu jener Zeit ihren feit ausgeprägten Typus befaßen ? 
Dieß Alles beweilt fo gut wie nichts für tie Unveränderlichfeit der 
menfchlicheu Körperformen durch äußere Einflüße. Die Zeiträume, 
auch denen wir unfere Sulturgefchichte zu meſſen vermögen, find obnes 
bin verſchwindend Hein im Vergleich mit denen, nach welchen bie Ges 
jchichte wer Erde zählt, und vermuthlich bejteht ein ähnliches Verhält⸗ 
nij verfelben zu bein Zeitraume, ber feit bem erjten Auftreten bes 
Renſchen anf ber Erbe verfloſſen ijt. 

Gehen wir jet kurz bie einzelnen Haupteinflüſſe durch, welche 
ia ber Umbildung der menfchlichen Organijation mitwirken. 

Wenig beftritten ijt die modificirente Einwirkung des Klima's 





320 Theobor Weit, 


auf die Größe und die fehnelfere over langfamere Entwidelung bes 
Körpers: in höheren Breiten wie in Berggegenden find die Menjchen 
beffelben Stammes gewöhnlich von kürzerem gebrungenerem Baue ale 
in wärmeren Klimaten und Tieflindern, doch ſcheint bie Abftanımung 
hierauf von noch entfchievenerem Einfluffe zu fein. Berner ift be 
kannt, taß unter den Tropen vie körperliche und geiftige Reife beden⸗ 
tend früher eintritt als in der gemäßigten Zone und in biefer früßer 
als in der falten. Die Ansnahmen von tiefer Regel erklären fi 
theild aus der Nahrung und Lebensweife, theild aus der Stammes⸗ 
eigenthümlichfeit, welche über die Wirkung des Klimas in vielen Fäl- 
len das Uebergewicht behält. Sicherer als auf die Fruchtbarteit iſt 
der Einfluß des leßteren auf die Hantfarbe, mit welcher die Farbe 
des Haares und der Iris in einer gewillen Correfpontenz zu ftehen 
pflegt. Allerdings entfpricht vie Hautfarbe in fehr vielen Fällen 
nicht genau der geographifchen Breite, doch folgt daraus noch nicht, 
baß fie vom Klima unabhängig ſei. Daß Bergbewohner unter übri⸗ 
gens gleichen Umſtänden heller find als vie Bewohner vor Ziefebenen 
und bie Bevölkerung fälterer Länder im Allgemeinen heller als bie 
wärmerer, läßt fich nicht wohl bezweifeln; nächftvem kommt babei im 
Anſchlag, wie fehr fich die Menfchen vor ven Witterungseinflüffen 
zu ſchützen wiffen, und wie ftarf ihre gewöhnlichen Beichäftigungen 
fie diefen ausſetzen. Heiße und feuchte Länder fcheinen bei man⸗ 
gelndem Schuge durch Wälder das Dunkeln der Haut am ftärk- 
ften zu begünftigen. Hänfige Wechfel ver Temperatur, befonbers 
auch Wechfel von großer Zrodenheit und Näffe der Luft wirken 
vorzüglich ftark in biefer Richtung. Die angeftanımte Hautfarbe, bes 
fonver8 der dunkleren Racen, widerfteht äußeren Einflüffen öfters mit 
Beharrlichkeit. Endlich fcheint auch die Nahrung auf fie mobiflcirend 
zu wirken. Das Temperament wird vom Klima wahrfcheinlich eben- 
falls mitbeftimmt. 

Wie jehr von der Nahrung und Lebensweife die Verlümmerung 
und das Gedeihen des Körpers abhängt und in wie hohem rate 
biefe letteren auf die Energie bes geiftigen Lebens zurückwirken, be⸗ 
darf Feines ausführlichen Beweifes. Dagegen ift weniger anerfannt 
und beachtet, daß auch bie höhere Entwidelung ver geiftigen Thätig⸗ 
feit von großem Einfluß ift auf die Ausbilvung des Leibes, im wels 





322 Theoder Waitz. 


bleß ven ven Eigenthümlichkeiten, tie dem Kreiſe bes leiblichen Le⸗ 


bens angehören, ſendern erſtreckt ſich auch auf das geiſtige Gebiet, 
fo daß tie Gaben und Güter tes Geiſtes, welche tie Eltern erarbei⸗ 


teten, wenn fie auch nicht ungetbeilt und unmittelbar auf tie Kinder . 


von ihnen übertragen werten konnen, tech keineswegs vellitändig ver⸗ 
loren geben, fentern ten jräteren Generationen mittelbar zu Gute 
fommen. Findet aber unter günftigen lmfjtänten eine regelmäßige 
Vererbung ven rein individuellen Eigenſchaften jtatt, und zeigen ſich 
dieſe legteren felbit wicter merificıbar turch das, was ven ben Ei 
zelnen im Yaufe ihres Lebens erjt erwerben und ihnen angebilvet wird, 
fo gibt uns dieß von felbft an vie Hand, wie wir die Entſtehung ber 
Racen anzufeben und zu erflären baben. Gleichwohl müſſen wir hiew 
bei ausdrücklich hervorheben, daß tie beiprochenen Berbältnijje une 
zwar feinen Aufſchluß darüber geben, auf welche Weije die Menſchen⸗ 
racen und ihre Verſchiedenheiten wirklich entitanden find, noch ob fie 


auf tem angeteuteten Wege fich entwickelt haben, aber auf der andern 
Eeite werten wir auch das Eingejtäntniß fordern dürfen, daß biefe . 


Anficht ven der Sache ınit ten befannten TIhatjachen nicht nur wohl 
vereinbar, fentern auch vie einfachite und wahrfcheinlichite fei. 

Faſſen wir nämlich jegt Die bebeutenpiten anatomijchen und phe 
fiologifchen Unterfchiete ins Ange, die unter den einzelnen Menſchen- 
ſtämmen vorkommen, jo tritt leicht bie bekannte Affenähnlichleit bes 
Negers als ver Punkt hervor, anf welchen jich die Annahme mehrerer 
Dienfchenarten am jtärkten ftügen faun, beun bie gejchwänzten Men 
ſchen, tie an den verfchiebenften Drten ver Erde bis in vie neuefte 


— en DE — 49 [7 — 


Zeit immer wieder aufgetaucht ſind, ſcheinen vor dem helleren und 


unbefangeneren Blicke des Beobachters ebenſo verſchwinden zu ſollen, 
wie dieß mit den Rieſen- und Zwerggeſchlechtern älterer Reiſenden ge⸗ 
ſchehen iſt. 

In Rüdfiht ver Eigenthümlichkeiten des Negers nun, deren An⸗ 
näherung an den Affen in mehrfacher Beziehung nicht zu läugnen iſt, 
hat man nur ſelten Die nöthige Vorſicht Des Urtheils beobachtet. Zu- 
erſt iſt die Aehnlichkeit überhaupt nicht der Art, daß davon die Rede 
fein könnte, den Neger eher zu den höchſten Affen als zu den Men⸗ 
ſchen oder etwa in die Mitte zwifchen beite zu jtellen: dieß verbieten, 
um bei ben anatomifchen Hanptcharakteren bier allein ftehen zu blei- 


+ Lo au. 





Ueber die Einheit bes Menſchengeſchlechtes. 323 


ben, die Entwidelung bes Gehirns und Gefichtd, die Zahn⸗ und 
Bedenbilbung, vie Größe und Gejtalt der Extremitäten und ber Wir- 
belfäule, welche den Affen mit phyſiſcher Nothwendigkeit zum Klettern, 
ben Neger zum aufrechten Gang bejtimmen. Die Affenähnlichkeit dee 
Regerkopfes befchräntt ſich, wie es fiheint, auf vie allgemeinen Um⸗ 
tiffe feiner Geſtalt, pas ſtark vortretende Untergejicht und das etivas 
sngänftigere Verhältniß der vom Gehiru entjpringenden Nerven zu 
ver Maſſe veifelben. Iſt felbft hiervon manches noch ftreitig, fo läßt 
ich Dagegen Anderes, wie ;. B. die nicht ganz fenfrechte Stellung 
ver Vorderzähne aufeinander, veshalb nicht am Neger bejonders ber- 
rorheben, weil es ihm nicht ausfchließlich eigen tft, fondern auch bei 
ubern Racen bisweilen vorkommt. Dahin gehört ferner das uns 
inftigere Verhältnig unter den Abfchnitten des Arınes, ter Mangel 
ver Waden, die Biltung des Fußes und die Stellung ter Zehen, 
welche ihn öfters befähigt, fich derfelben in ähnlicher Weife zum Um— 
faffen und Aufheben von Gegenjtänden zu bedienen, wie wir bieß mit 
ver Hand thun. Und fo bleibt denn fajt nur noch Lie etwas geritte 
gere Biegung der Wirbelfäule nebft der engeren und mehr keilförmi—⸗ 
gen Seitalt des Bedens übrig, die fih in jener Hinficht geltend ma— 
Gen Taffen, da viele der Eigenthümlichkeiten, durch welche ſich ter Nes 
er von anderen Racen unterfcheivet, keineswegs von der Art find, 
daß man in ihnen eine Verwandtſchaft zu den Affen erbliden könnte, 
Dieß gilt von der Befchaffenheit des Haares, das fich von thierifcher 
Wolle fpecififch unterfcheivet, von ver Farbe der Haut und ihrer übel« 
tiechenden Ausbünftung, vou den wuljtigen Lippen u. f. f. Will man 
bie Affenähnlichleit des Negers nicht übertrieben hoch anfchlagen, fo 
wirb man ihr Fein großes Gewicht in ver Entſcheidung der Racen⸗ 
frage beilegen föunen. 

Die phyſiologiſchen Unterfchiede geben, wie fih von felbit ver» 
fieht, im Allgemeinen ten anatomifchen parallel. ‘Das weit rafchere 
Wachéthum des Affen und in Verbindung bamit feine Lebenspaner 
bon etwa 30 Jahren, feine weit größere Beſchränkung im Klima und 
in der Nahrnug reichen hin, um bie Größe des Unterſchiedes erkennen 
zu lafien, ver zwifchen ihm und dem Vienfchen beitcht. Achnliche Dif— 
ferenzen finden ficy innerhalb des Menfchengefchlechtes nirgends. Die 
Einrichtung der thierifchen Dekonomie und die wefentlichen phyſiolo⸗ 

21 * 





3924 Theobor Waits, 


gifchen Functionen find bei allen Racen foweit tiefelben, als nicht 
Klima und Lebensweife Abweichungen ven bem herbeiführen, was 
anderwärts als Regel gilt. Dieß trifft namentlich den Eintritt ber 
Bubertät, wie fehon früher erwähnt, ferner die Leiſtungen ver Ver⸗ 
dauungsorgane und die Muskelkraft, welche fich überhaupt von [pe 
ciellen Lebensgewohnheiten fehr abhängig zeigen, die Lebensdauer, auf 
deren Verkürzung verkehrte Eitten, Aberglauben und Unwiſſenheit 
vielfach hinwirfen, und die Schärfe der Sinne, weldye durch beftän- 
dige Uebung oft beveutend gefteigert und in eigenthümlicher Weiſe 
entwidelt wird. Alles Uebrige, worin fonft Weſen derfelben Art mit» 
einander übereinftimmen, wie bie mittlere Körperwärme und Yulsfre- 
quenz, tie Duuer der Gefchlechtsthätigkeit und ver Schwangerfchaft, 
bie Fruchtbarkeit und vie periodifchen Veränderungen bed Organis- 
mus überhaupt, treffen bei ven verfchiedenen Menfchenftämmen nach 
ben Bis jeßt vorliegenden Beobachtungen fo nahe zufammen , als fich 
bei ver Verfchievenheit der Verhältniſſe, unter venen fie leben, irgend 
erwarten läßt. Als einigermajjfen erhebliche Abweichungen von dem, 
was bei und gewöhnlich ift, läßt ſich nur Weniges nennen: anges 
borene Deformitäter waren bei der Mehrzahl der culturlofen Völler, 
ehe fie in nähere Berührung mit den Europäern famen, verhältniß- 
mäßig felten; vie Zeichen höheren Alters, namentlich granes Haar 
und fchlechte Zähne, traten bei vielen derſelben erjt beträchtlich fpäter 
ein al& bei uns, troß des vafchen Verblühens ver Jugend, das bie 
natürliche Folge befchwerlichen Lebens und unvollfommenen Schußes 
gegen die Einflüffe ter Witterung war. Ebenſo weifen die zahlrei⸗ 
hen Beifpiele außerordentlicher Naturbeilfraft, die ihnen bei äußeren 
DVerlegungen zu ftatten Fam, bei den meiften auf eine ungewöhnlich 
ftarfe Conftitution und fehr bedeutende Lebensenergie bin, welcher ger 
genüber ber oft behauptete Mangel an Lebenskraft und das angeb« 
liche fpontane Ausfterben ver eingeborenen Americaner und vieler Vol⸗ 
fer der Südſee fchwer zu Halten fein würde, felbft wenn nicht eine 
lange Reihe von Zhatfachen vorläge, aus denen fich diefe Erfcheinung 
hinreichend erklärt. Allerdings hat vielleicht jede Race befonvere bei 
ihr einheimifche Krankheiten, tie Difpofitionen ber einzelnen Völlker 
zu bejtimmten Krankheiten und daher deren Häufigkeit und Tödtliche 
feit mögen verjchieben fein, daß aber manche ver einen oder andern 








326 . Theodor Waitz, 


feßung in fältere Klimate ebenfo ſtark gefährbet ift als ber Weiße 
durch die entgegengefegte, jo wirb man dieß in verfelben Weife aufs 
zufaffen haben; und felbft Die große, faft unverwüſtliche Lebenekraft, 
zu der fich der cerjtere in manchen Ländern entwidelt, in benen ber 
andere mühſam ein fchmwächliches und fieches Leben friftet, fcheint eben 
nichtS weiter zu beweifen, als daß nur die Himatifchen Verhältnifſe 
in denen ein Volk feit Jahrhunderten eingewohnt ift und benen fich 
feine phyſiſche Gonftitution nach und nach möglichit vollftänbig ac» 
comobirt hat, feinem Gedeihen günftig find. 

Kommen wir ſchließlich auf vie Frage zurück, von ber wir aus⸗ 
gingen, ob bie Verfchietenheiten, welche fich innerhalb des Menſchen⸗ 
gefchlechteS zeigen, eben nur fo groß find, daß fie mit Wahrfcheinlich" 
feit als Wirkungen des Klimas, der Lebensweife und anderer wech⸗ 
felnden Umſtände angefehen werben können, fo läßt fih das gewon— 
nene Reſultat als Fein völlig befriebigendes bezeichnen, da fich nicht 
beweifen läßt, daß dieſe Einflüffe fo verfchiedene Körperformen wirt. 
lich) hervorzubringen im Stande find. Es erklärt fich dieß zum Theil 
baraus, baß erft jeit wenigen Jahrzehnten forgfältigere Beobachtungen 
in diefer Nichtung gemacht und gefammelt werben, und daß aus ver 
langen Vergangenheit, die das Mienfchengefchlecht binter fich haben 
mag, eine verhältnißmäßig nur fehr Heine Anzahl von Thatſachen 
uns anfbehalten worden ift, bie über dieſen Gegenftand einiges Licht 
verbreiten. Bleibt e8 uns aber auch verfagt, über bie Entftehunge« 
weife der Menſchenracen eine einigermaffen wiſſenſchaftlich begrün« 
bete Anficht zu gewinnen, bleibt e8 felbft zmeifelhaft, was für eine 
Rolle die äußeren Lebensbebingungen, unter welche vie menfchliche Or⸗ 
ganifation geftellt ijt, überhaupt hierbei gefpielt haben, fo dürfen wir 
doch an ber Einheit des Menfchengefchlechtes als Art mit einem bo- 
hen Grabe von Sicherheit fefthalten. 

Die Annäherung der am meilten thierähnlichen Körperbildumg, 
die fih beim Neger fand, an den Affen war weber fo ftark und 
burchgreifend noch fo auefchließlich, daß es gerechtfertigt wäre, bie 
Ihwarze Race für eine befondere Species zu erflären; bie phhfiolos 
gifchen Unterfchiede, welche die verfehievdenen Stämme barbieten, wa- 
ren dieſer Anficht entfchieden ungünftig und eine feſte Scheibung der⸗ 
jelben durch das Klima fchien nicht ftattzufinden. Daß bie jest be 





Ueber bie Einheit bes Menſchengeſchlechtes. 327 


Pehenten Haupttypen, wie man von fpecifilchen Charakteren voraus⸗ 
jegen müßte, durch das Klima, durch Nahrung und Lebensweife, durch 
ſert⸗ ober rüdichreitenre Eultur feine Veränderungen erlitten, ließ 
Ki ebenfall® als unrichtig nachweifen, und das ununterbrochene Her- 
sertreten neuer Eigenthümlichleiten an ven Individuen, vie fich biß- 
weilen mit Bebarrlichkeit vererben, deutete auf ven Weg bin, auf 
weichen allmälig felbft beträchtlich von einander abweichende Racen⸗ 
Saraltere entfteben und fich firiren köͤnnen. Werner ließ fich zeigen, 
voß die Hauptformen nicht auf die Weife von einander gefondert und 
abgeſchloſſen für fich beftehen, wie bieß mit verfchievenen Arten ber 
Ball ift, ſondern daß jede derfelben in eine Menge von Nebenformen 
ateinandergeht, daß auch dieſe leicht in Reihen einzuorbnen find, 
weiche vie Unterfchiebe ver Haupttypen als flüffig erfcheinen laſſen — 
seh innerhalb der einzelnen Menfchenarten, fo viele over fo wenige 
man deren auch annehmen möchte, kaum eine geringere DBariabilität 
Bettfiuben würbe, als unter jenen felbjt —, entlich daß bie allgemeine 
wi wie es foheint unbefchränfte Fruchtbarkeit der verfchiedenften 
| Geimme mit einanber und das Verhalten ber Miſchlinge durchaus 
: 3 Gunften ver Arteinheit vevet. 


Gehen wir nun zur näheren Betrachtung ver Linguiftifchen Gründe 
über, mit denen fich, wie früher bemerkt, vie Einheit des Menfchens 
sekblechtes befämpfen läßt, fo kann fich dieſe auf wenige Bemerkuns 
gen beichränten, nicht weil jene Gründe überhaupt ven geringerem 
Gewichte wären, ſondern vielmehr, weil fie allerdings das größte be- 
fiten, dann aber eine genauere Prüfung fofert deutlich macht, daß fie 
gear gegen bie Einheit ver Abjtammung, zugleich aber für bie Arts 
anheit ber Menichen Zeugniß geben. 

Es mißlingt, die fünmtlihen Sprachen auf eine Urſprache ober 
auch nur auf einen gemeinfchaftlichen primitiven Typus zurüdzuführen. 
Damit wird die Stammeseinheit, wenn auch nicht geradehin unmög— 
I, doch in ein Zeitalter binaufgerüdt, das aller hijtoriichen For⸗ 
Mang unzugänglich bleibt, in vie Zeit vor ber Entjtehung ber 
Srrache. Einige Sprachforſcher glauben allerdings cine allmälige 
Extwidelung der Sprachtypen auseinander annchmen zu dürfen, näm⸗ 





398 Theobor Waitz, 


ih fo, daß eine ftufenweife Umbildung einfilbigee Sprachen in ag⸗ 
glutinivenve und biefer in flectirende ftattgefunden hätte, währen an- 
dere einen folchen Uebergang nicht für wahrjcheinlich Halten. Jeden⸗ 
falls fehlen bis jett nähere wifjenfchaftliche Rachweifungen barüber, 
daß die erftere Anficht mehr fei als ein blendender Schematismns, 
und es fcheint von ihr ungefähr tafjelbe zu gelten, was wir über bie 
oft verficherte Herkunft des Menfchen von dem Affen anführten: es 
fehlen beftimmte Thatfachen und Analogieen, aus venen ſich ein Schluß 
ziehen ließe, wie für fo Vieles, was an ben Grenzen ver Gebiete 
liegt, die eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung zulaffen. 

Je weniger aber die Linguiftif für bie Einheit bes Urfprunge® 
aller Menſchen mit beſtimmten Gründen zu ftreiten im Stanve if, 
befto entjchiedener kann fie für ihre Zuſammengehoͤrigkeit zu einer Art 


in die Schranken treten. Co mannigfaltig und verfchiedenartig bie . 
Mittel im Einzelnen auch find, teren fi) Sprachen von wefentlich | 


ungleihen Baue zum Ausdrucke des Gedankens bevienen, fo läßt ſich 


boch nicht behaupten, daß die einen dieſen Zweck auf gefchidtere, fidyer _ 


rere md allgemein verftändlichere Weife erreichten als vie anderen. 
Es läßt ſich nicht nur derjelbe Gedankeninhalt, infofern er überhaupt 
in ben Gedanfenfreis tes betreffenden Volkes eintreten fann, nach feiner 
bermaligen Bildungsftufe, gleich gut, wenn auch eigenthümlich nüan- 
“cirt, in jeder Sprade wievergeben, fonbern es find auch im Wejent- 
lichen überall biefelben logiſchen Abhängigfeitöverhältniffe und Bezie⸗ 
Hungen der Vorftellungen zu einanter, tie dabei jevesmal dem Geifte 
vorfchweben, und das Verſchiedene beſchränkt ſich auf die Hilfsmittel 
ihrer Äußeren Bezeichnung und Darftellung allein. Dieſe Berſchie⸗ 
benheit aber, welche aus ter Unabhängigkeit und Selbftftändigkeit fich 
erklärt, in welcher bie einzelnen Sprachſtämme fich entwidelt haben, 
iſt offenbar Keine fpecififche, fendern zeugt gerade umgelehrt für bie 
Identität Des pſychiſchen Lebens ver Menfchen in allen wefentlichen 
Punkten. — 

Wir gelangen hiemit zu ver legten, und wie früher bemerkt, ent« 
ſcheidenden Unterfuchung, zu der Frage, ob die pfuchologifch-hiftorifche 
Forſchung eine fefte Verfchievenheit zwifchen ven Vöolkern und Racen 
in Bezug auf ihre geiftige Begabung und Bildungsfähigkeit nadh- 
weift, oder cb auch Hier nur flüffige und grabuelle Unterfchieve an- 
zuerkennen find. 





830 Theobor Waik, 


halb nur feine fecundären Fähigkeiten, d. 5. ben Kreis von Leiſtun⸗ 
gen barunter verftehen, welche ihm zu einer beftimmten Zeit und uns 
ter gegebenen Umftänden möglich find, fo wie wir 3.8. einem Menſchen 
die Fähigkeit zufchreiben ein Auch ven wilfenfchaftlichem Inhalte zu ver⸗ 
ftehen, nachdem er nämlich gewiffe Kenntniſſe fich angeeignet hat; alle 
Fähigkeiten in viefem Sinne find nichts Angeborenes, fondern etwas 
Erworbenes und ändern jich im Laufe ver Zeit, nach Maßgabe ber 
Erziehung und ver Lebensfchicjale, die ein Einzelner ober ein Boll 
erfährt. Ihre Befähigung ift zu jeder Zeit das Nefultat ihrer Ger 
fchichte. 

Unachtſamkeit auf jenen Unterfchied zwifchen primitiven und fecums 
tären Fähigkeiten hat oft zu voreiliger Verurtheilung der culturlofen 
Völfer geführt; man ftellte die geiftige Regſamkeit und vie hervor⸗ 
ragenben Leiftungen des Europäers der Apatbie und ftationären Uns 
cultur des Negerd gegenüber, und glaubte daraus auf einen rs 
fprünglichen Unterfchied der Geijtesgaben fchließen zu dürfen. Es wird 
nicht fchwer fein durch eine genauere Betrachtung ver Sache biefe 
Folgerung zu erfchüttern. 

Zuerft läßt fich nachweifen, daß ber größte Theil der culturlofen 
Völker in PVerhältniffen lebt, unter denen eine fortfchreitente Cul⸗ 
turentwidelung gar nicht ftattfinden kann, felbit für Menſchen, welche 
mit den beften Fühigfeiten ausgeftattet wären, in Berbältniffen, vie 
felbft tem im Schooße ber Givilifation erzogenen Europäer es un⸗ 
möglich machen würden, bie erworbenen geiftigen Güter zu bewahren, 
gefchweige denn fie in noch größerer Fülle durch eigene Thätigleit zu 
entwideln. Iſt dies aber der Fall, fo läßt fich nicht läugnen, daß 
ein ungünſtiges Urtheil über die Fähigkeiten ver erfteren nicht auf ihr 
Beharren in einem Zuftande der Unbildung und Rohheit gegründet 
werben fann. 

Ein Yand das keine dichte Bevölkerung hat ober nicht einmal eine 
folde zu tragen im Stande ijt, kann nicht Die Wiege einer höheren 
Cultur werden, böchftens kann e8 fich paffiv an der Civiliſation bes 
theiligen, indem ed von civiliſirten Menfchen ausgebeutet und nutzbar 
gemacht wird, fo meit feine eigenen Schäße und deren Zugänglichkeit 
es geftatten. Ye größer die Zerftreuung ift, in welcher die Dienfchen 
leben, fei es einzeln oder familienweije, befto bilflofer find fie und 





Ueber bie Einheit bes Menſchengeſchlechtes. 331 


deſto Häufiger fallen fie fchäplichen Naturgewalten zum Opfer. Die 
Lraft wird aldtann entweder verbraucht im Kampfe mit der Natur, 
zum das eigene Leben zu fchügen und vie dringendſten Lebensbedürf⸗ 
miffe zu befriebigen, ober fie entbehrt des nöthigen Spornes zur Thä- 
Sigfeit und läßt den Menſchen in Stumpffinn und Faulheit verfinken. 
Seicher Race er auch angehöre, die Iſolation tödtet alle höheren Be⸗ 
Arekuugen in ihm ober erſtickt fie im Seine, denn welche Ziele follte 
die Huftrengung der Kraft auch verfolgen, wenn jich bie Ausficht in 
We Zukunft nicht über die Länge bes eigenen Lebens hinauserftredt, 
wenn tie Gefahren, bie biefes umgeben, ihm fait täglich ben Unter—⸗ 
gung vroben, wenn felbft ver Beſitz des Unentbebrlichften für vie 
Buluuft fehr zweifelhaft ift, wenn das Zufammenichen mit Anvern 
we die Vereinigung ber Kräfte, jo weit fie möglich ift, zu feiner Bes 
friebigung des Chrgeizes und faft zu feiner Art gefelliger Freude, fons 
dern nur zu einer gemeinfamen Betheiligung an ten Mühen um 
Laften des Lebens führt? Nicht daß fie gemeinfam leiden, fontern daß 
fe gemeinfam handeln wird für die Menfchen ein müchtiger Hebel ver 
Gieung. Wetteifer, Streben nach Einfluß und Geltung, nach Macht 
mb Herrſchaft ift zu allen Zeiten und bei allen Völkern, wenn aud) 
im verfchiedener Weife bei rohen uud bei civilifirten, einer ber mächtig» 
Ren Untriebe zu großen Kraftanftrengungen gewefen und ift es noch 
zu Wo ſolche Motive zu keiner Wirkſamkeit gelangen, wo fie gur 
nicht einmal entftchen können, weil die Menfchen zu zeritreut leben 
und jeder nur an fich zu denken und für fich zu forgen genöthigt iſt, 
va kann ein Fortſchreiten der Gefellfchaft gar nicht erwartet werten, 
In ſolchen Verhältniſſen befand fich aber eine große Menge ver 
Beller, welche feit dem Ende bes 15. Jahrhunderts in Amerika und in 
Billen Ocean aufgefunven worden find, und es ijt begreiflich genug, 
daß Die erften Entveder, wie fpätere Nachforfchungen ergeben haben, 
vielfach die Größe der Bevölkerung jener Länder überfchägten, nicht blos 
im Raufche der Freude und in Folge bes Neizes ter Neuheit, ſondern 
haurtfächlich weil die Eingeborenen, unter beuen fich bie Kunde von ihrer 
Uukımıft ſchnell verbreitete, felbit aus entfernten Gegenden nach ver 
Rüfte zufammenliefen, um tie merhwürbigen Fremdlinge zu fehen, bald 
uch um von ihrer Anwefeubeit Nuten zu ziehen oder fie zu vertrei- 
ben. Nur Afrila macht in mancher Beziehung bievon eine Ausnahme; 


332 Theobor Waitz, 


man bat dort mehrfach eine bichte, aber gleichwohl culturlofe Bevol⸗ 
ferung gefunden, wogegen in Amerika, wo die Vollsmenge am ftärkiten 
war, namentlich in einigen Theilen von Mexico und Peru, auch größere 
geordnete Reiche beſtanden. 

. Ein höherer Grad von Dichtigkeit der Bevöllerung iſt, wie ſich 
von felbft verfteht, niemals ein Nefultat freier Wahl. Mehrere Völler 
befegen nie frievlich ein und baffelbe Land, etwa um bie Antriebe zu 
focialem Fortjchritt fich zu Nugen zu machen, die alsdann auf fie 
wirken und fie zur Anftrengung fpornen würden, und abgefehen vom 
ten Ländern, welche nugbare Probufte in großen Ueberfluffe barbies 
ten, find Noth und Kämpfe immer die unvermeibliche nächjte Folge 
fo naher Berührung der Menfchen miteinander. Völfer wandern nur, 
wenn fie müffen. Jeder liebt den heimifchen Boden oter findet ſich 
doch am ihn gefeffelt, vor Allem, weil er feine ſämmtlichen Lebensge⸗ 
wohnbeiten nur bier mit Sicherheit feft halten und fortfegen zu kön⸗ 
nen ſich bewußt ift, weil die unbelannte Ferne befonders von rohen 
Bölfern als gefährlich und grauenhaft vorgeftellt zu werben pflegt, 
weil fie fih Häufig von Feinden rings umgeben fehen, bie feinen Durch» 
zug geftatten, weil fie endlich meift voll Pietät für das Land ihrer 
Väter find. Der Esfimo im unwirthbaren Norden, der elende Feuer⸗ 
Länder auf feinen Felſeninſeln, ver WAuftralier in feinem waſſerarmen 
Lande, ver Neger in ven ungefunden Sümpfen von Wadai und in Wis 
gerbelta, — jeter befindet fi) wohl auf feine Weife, und wenn er 
nicht, was indeffen auch oft genug vorkommt, fein Land für das glück⸗ 
lichfte der Erbe Hält, jo mag er e8 doch nicht verlaffen, fo lange ihm 
freie Wahl gegeben ift. 

Wanderungen aber und bie Kriege, welche aus ihnen zu entftehen 
pflegen, find in mehr als einer Beziehung für den Fortfchritt fehr 
wichtig; nicht blos infofern als fie zu erheblichen Kraftanftrengungen 
führen und das Feld der Kenntniffe und Erfahrungen dadurch berei⸗ 
ern, daß fie Die Menfchen nöthigen, fih in eine andere Naturums 
gebung finten und fie benügen zu lernen, fontern haupfächlich auch, 
weil fie zu einer Mifchung verfchiedener Stämme nöthigen, die in 
vieler Rückſicht vortheilhaft wirken fan: zuerſt fchon phyſiſch, indem 
fie die Elemente ter Bevölkerung durcheinander wirft, denn es tritt 
allem Aufcheine nach in Folge langen ungemifchten Beifammenbleibeng 





334 Tdeodor Waik, 


ih zu brechen, fo daß umgefehrt vie Naturmächte im größten Um— 
fange dem menfchlichen Willen vienftbar werben. Werben wir dadurch 
in den Stand gefegt unfere ganze Tebenseinrichtung und Befchäftigung 
faft beliebig zu wählen, fo wird fie jenen bagegen von ber Natur vor⸗ 
gefhrieben, fie werben von ihr bei einer gewiffen Xebensweife und das 
mit auf der nieveren Culturftufe, auf ber fie fteben, mit großer Ge⸗ 
walt feitgehalten. 

Wir können uns jene Abhängigkeit Taum groß genug vorftelfen. 
Die Nahrung richtet fich meift nicht nach zwedmäßiger Auswahl und 
bält keinen fo vielfachen Wechfel ein, als zur Erhaltung und Kräfs 
tigung der Geſundheit erforvert wird, ſondern bleibt auf das befchränft, 
was die Natur unmittelbar barbietet, und felbft deſſen Gewinnung 
erfordert oft Anjtrengungen, die bis zur Äußerjten Erfchöpfung ber 
Kräfte gehen. Die Kleidung wird ebenfo unmittelbar der umgebenden 
Natur entnommen, und wenn ihre Verfertigung oft auch mühſam ge 
nug ift, fo leiftet fie doch zum Schuß gegen Kälte, Näffe und Sonnen- 
brand meift weit weniger al8 die Abhärtung bes Körpers, die fo viele 
fach die Begnemlichkeiten des Lebens nicht ſowohl erjegen, als ent- 
bebrlich machen muß. Geräthe und Werkzeuge aller Art, zum Theil 
die Früchte einer bewundernöwerthen und faft unglaublichen Geduld, 
gewähren auch für die einfachften Verrichtungen nur eine geringe ums 
geichidte Hülfe, und wo e8 Arbeit von vielen Tagen koftet einen mäßi« 
gen Baum zu füllen, kann der Hausbau keine Yortfchritte machen. 

Abgefehen von Peru, das im Befike des Lama und feiner ver⸗ 
ſchiedenen Arten war, hatte Umerifa vor ber Aukunft der Europäer 
befanntlich feine größeren Thiere, welche ſich zu Hausthieren eigneten, 
und feine hauptfächlichften Nahrungspflanzen waren Mais und Mas 
nioc; die tropifchen Bewohner der Südſee aber befaßen außer einigem 
Hansgeflügel nur das Schwein, welches zum Lafttragen und zur Hülfe 
beim Landbau nicht brauchbar, ebenjo wenig wie der Hund in Be 
tracht kommen kann, wenn es ſich um eine lnterftügung der erften 
Schritte handelt, die in ver Richtung ver Civilifation gefchehen ſollen. 
Ob Völker von weißer Race bei ſolcher urfprünglichen Beſchränkung 
durch Die Naturumgebung dieſe erften Schritte gemacht und fie wit 
nachhaltigen Erfolge gemacht Haben würden, läßt ſich füglich bezwei⸗ 
feln. Iſt auch die Viehzucht wohl nicht für alle Völler ohne Unter« 





336 Theodor Waitz, 


Volker. Durch verfchiedene Klimate hindurchgewandert ehe er in feine 
beutigen Sie einzog, mußte er fich fehr verſchiedenen Raturverhält 
niffen anbequemen und dadurch vielfach aus Erfahrung lernen; bie Ber 
völferung dieſes Erdtheiles genießt ferner bie phyfifchen und geiſtigen 
Bortheile einer vielfachen Mifchung verfchievener Stämme, einer dich⸗ 
ten Bevölkerung und eines Klimas, das zu fortgefegten, aber geinäßig« 
ten Anftrengungen nöthigt; ihre einheimifchen Thiere und Nugpflauzen 
find fo befchaffen, daß fie der Eulturentwidelung alle Förderung ame 
gebeihen ließen, die von biefer Seite her irgend geleiftet werven fann. ‘ 
Wir unterlaffen es hierbei noch auf andere Verbältniffe, namentlich auf 
die Bodengeftaltung felbft Hinzuweifen, weil fie und erſt der fortgefchrit« 
tenen Civilifation und veren fernerer Ausbiſdung zu gute zu kommen 
fcheinen, nicht aber ihrer primitiven Entftehung, mit welcher wir e6 
bier allein zu thun haben. 

Waren für eine große Zahl von Völkern die Hinberniffe zu bes 
beutend, welche ver Entjtehung einer einheimifchen Kivilifation ent» 
gegenftanden, als daß aus teren Mangel ein ungünftiger Schluß auf 
ihre geiftige Begabung geftattet wäre, fo kann doch ein folcher aus ber 
befannten Thatſache hervorzugehen fcheinen, daß die Bemühungen ver 
Europäer für bie geiftige Erhebung ſolcher Völfer und das längere 
Zuſammenleben beider miteinander fast ausnahmslos fchlechte oder gar 
feine Srüchte getragen haben. Indeſſen auch dieſe Folgerung glauben 
wir zurüdweifen zu müffen. 

Nene Bildungselemente fich anzueignen gelingt am leichteften unb 
wirft am folgenreichiten in der Kinpheit; fo fehr aber auch in mandher 
Bezichung eulturlofe Völker den Hintern gleichen, fo würde man fich Loch 
fehr täufchen, wenn man glauben wollte, daß dieß in der angegebenen 
Rückſicht der Fall wäre. Es ijt eine der bervorftechendften und werth⸗ 
pollften Eigenthümlichkeiten des Gebilveten, daß er auch verftehen unb 
für ſich nutbar machen lernt, was feinem eigenen individuellen Wefen 
in hohem Grade entgegengefegt ift und wideritrebt. Der Ungeb Ivete 
vermag dieß nie. Was ihm fremd, feiner Denkweiſe und feinen Sit- 
ten zuwider it, findet er nur dumm und lächerlich oter unbegreiflich, 
ftaunenewerth, wuiberbar. Seine Individualität ift nicht offen und 
zugänglich für fremde Einwirkung, fondern in jich fertig, abgefchloffen 
und unbeweglich zähe. 





Ueber bie Einheit bes Menſchengeſchlechtes. 337 


Bemerken wir am Engländer im Auslande ein ähnliches erclufi- 
ves Wefen gegen alles Fremde in einem gewilfen Grade, fo werben 
wir dieß auch an ihm, wie c8 feiner Bildung feinen Vortheil bringt, 
sur als einen Mangel an Vielfeitigfeit und geiftiger Beweglichkeit betrach- 
ten können. Bildſam in höherem Grade ijt nur das Sind. Daher 
lann es nicht wundern, daß Verſuche einem Volke eine gewilje Art 
ter Cipilifation einzuimpfen und anzubilven, faft immer fcheitern, haupt» 
fählih aber dann, wenn dieſes mit culturlofen Völkern gefchehen fell, 
wenn die dargebotenen Bildungselemente fich im feindſeligſten Gegen- 
jage zu ben Eigenthümlichfeiten derer befinden, bie fie in fich aufneb- 
men fellen, und e8 hierzu an jedem Anknüpfungspunfte fehlt, wenn 
ie Träger ber neuen Bildung fich mit der eingeborenen Bevölkerung 
werer äußerlich noch innerlich zu einem Ganzen verbinden und in’s 
Gleichgewicht fegen, fondern tiefe nur ausbeuten, unter bie Füße tre- 
ten, zu Grunde richten oder vertreiben, fo daß es auf die Dauer höchftens 
burch die Gewalt des Stärkeren zu einem äußerlich frieblichen Ver: 
hältniß zwijchen beiden fonımt, während Abneigung und Haß zwar 
gerämpft werben, aber niemals wirklich verläfchen. 

| Mit diefen wenigen Worten ift das Verhältniß bezeichnet, in 
welches bie Europäer fait allerwärts zu den Eingeborenen neu entdeck⸗ 
ter Länder getreten find. Als Götter oder Halbgötter in vielen ders 
felben empfangen und aufgenommen, würben fie für bie Verbreitung 
ber Givilifation häufig den fruchtbarjten Boden gefunden haben, ben 
fie fich irgend wünfchen konnten, wenn fie dieſen Zweck, der freilich 
oft genug als Maske von ihnen gebraucht worden ift, wirklich hätten 
verfolgen wollen. Statt deffen waren c8 vielmehr die überfpanntejten 
Träume von unerfchöpflichen Schäten, welche vie große Mehrzahl ver 
Spanier in die neue Welt trieb, c8 war die Ländergier und Geldnoth 
der Könige, vie fie dorthin ſchickte. Selbſt ver Durft nach Kriegsruhm 
und abenteuerlichen Heltenthaten, der den Bewohnern jener Länder fo 
tbeuer zu ſtehen gekommen it, nimmt als Motiv bei den Eroberern 
erft die zweite Stelle ein. Die Verbreitung des alleinfeligmachenden 
Glaubens hat den dritten Platz. Sie geſchah mit Feuer und Schwert. 
Die Ausrottung der „verfluchten Heiden“ galt jener Zeit für ein ver 
bienftliches Werk, und felbjt die friedlichen Mönche, die den Conquis 


faboren meift auf dem Fuße folgten und zum Theil mit der bewun- 
Diſtoriſhe Zeitfgrift V. Baud. 2 





338 Theobor Waitz, 


bernöwertheften Aufopferung für das lebten und ftarben, was fie ale 
ihren Beruf erkannt Hatten, Eonnten für den Fortfchritt der Eultur 
nur felten Bedeutenderes leijten; bald wurde ihre Wirkfamfeit völlig 
gelähmt durch vie ihmen nachdringenden beuteluftigen Groberer, vie 
abzuhalten ihnen nur felten gelang, bald forderten fie felbft von ven 
Eingeborenen nur ein äußerliches Bekenntniß und einen rein paffiven 
Gehorſam, fo daß dieſe fpäter fich felbft überlaffen mit fchnelfen 
Schritten der Verwilverung wieder entgegengingen. Nicht befjer, eher 
noch fehlimmer als vie Spanier trieben e8 die Portugiefen in Brafl« 
lien, und bie Thaten der Deutfchen in Venezuela bilden leider auch 
feine Lichtfeite des fchauerlich vüfteren Gemäldes. Es war eben nicht 
der individuelle Charakter der europäifchen Völker und noch weniger 
die Individualität der Einzelnen, fontern der Charakter bes Zeitalters, 
deſſen gänzliche Unfähigkeit zur Verbreitung feiner Civilifation über tie 
Völker ver neuen Welt fih darin bewies. Auch nach der Eroberung 
ging die völlig rücfichtslofe Ausbeutung ber Länder, die Knechtung und 
Mißhandlung ihrer Lirbewohner, die fcharfe Scheidung und innere 
Veindfeligfeit ver Nacen und Saften ihren Gang fort, und es ift bes 
greiflich genug, daß im Großen und Ganzen weder bie wohlwollenven 
Sefete der Könige von Spanien, noch die berühmte Bulfe Paul's III, 
noch der Fleiß und die Berufstreue jo vieler Mijfionäre an biefem 
Gange etwas zu ändern vermochten. | 

Nah Neu-England freilich kamen Protejtanten, nicht gofoburftig 
noch beuteluftig, fonvern ein Aſyl fuchend in der Wildniß für ihren 
Glauben. Sie fanden e8 dort. Aber argliftig ſchon anfangs, oft im 
Gefühl der Schwäche und aus eigener Noth, maßten fie fi) nad 
furzer Zeit, gedrängt durch Zuwachs von außen und innen, eine Herr⸗ 
fcherftellung den Eingeborenen gegenüber an, von denen fie natürlich als 
Eindringlinge betrachtet und befriegt wurben. Von ber Ausbreitung 
ihres Glaubens unter ihnen redeten bie frommen Puritaner zwar nicht 
jelten, thaten aber nur wenig für ihn. Je mehr die Macht der englifchen 
Kolonieen wuchs, deſto offener und fhftematifcher wurben Betrug und 
Zreulofigfeit und Gewaltthätigkeit gegen bie einheimifche Bevölkerung 
geübt, und fchon vor dem Ende des 17. Jahrhunderts war der in- 
telligentere Theil der letzteren mit ſich darüber im Klaren, daß fie bie 
Weißen als ihre Todfeinde anzufehen hätten und dem Untergange ge 





Weber die Einheit bes Menfchengefchlechtes. 339 


weiht feien, wenn es nicht gelänge, fie gänzlich zu vertreiben. Kinge- 
yeekt pwiſchen Franzoſen und Engländer, hatten fie von den Kämpfen 
heißer miteinander immer am ftärfiten zu leiden, welche Bartei fie auch 
ergreifen mochten. In Friedenszeiten fajt nur von dem Ausmwurfe der 
eurepäifchen Menfchheit aufgejucht, ftanven fie in einer Berührung mit 
ser Eimilifation, tie ihnen nur ververblich werven fonnte. Darf man 
Wh wandern, daß ber beijere Theil berjelben fich mit Abfcheu von 
kiefer abwenbete, und baß ber fchlechtere bereitwillig nur alle Lafter 
zen ihre fich aneignete? Man weiſt jo oft baranf hin, daß culturloſe 
Wer nur vie Lafter, nicht die Tugenden bes civilifirten Menſchen 
amehmen. Die Antwort liegt nahe: das Cine ift leicht, das Andere 
Mauer, Tas Eine macht ſich von felbft, das Antere forbert Kraft 
er Erfenntniß und der Selbſtbeherrſchung. 

Kaum fcheint es nöthig, auch noch die Neger und tie Südſeevöl⸗ 
kr beſonders in's Auge zu fallen. Uehnliche Urfachen haben auch hier 
Seliche Wirkungen hervorgebracht. Den erfteren, für welche die Mife 
fa erft feit kurzer Zeit in einigem Umfange thätig ift, hat vor Allen 
we Etlavenhandel, deſſen Wirkungen alle Yebensverhältnijje zerrüttend 
5 tief in’8 Innere von Afrika reichen, vor ber europäifchen Eivilifa« 
fen einen gründlichen Abfcheu beigebracht, und der Name eines Ehri« 
fen gilt Dort noch Heute in vielen Rändern, bejonbers im Vergleich mit 
em des Muhammedaners, als ter Inbegriff der Habſucht, Härte 
mb Unmenjchlichleit. Die Einwirkung der Europäer auf die Völfer 
ver Sütfee ift größtentheils von fo neuem Datum, baß fich entjchei- 
veute Kefultate noch nicht erwarten Laffen. ‘Der Einfluß von Vaga— 
ten und Glücksrittern, Walfifchjägern und Seeleuten aller Art ift 
Auen vielfach ververblich geworden. Der Streit katholiſcher und pros 
waztifcher Miffionäre hat auf mehreren Inſelgruppen Unſrieden ge 
let und bie übertriebene Strenge ter Methodiſten die leichtjinnigen 
Velmefier zur Heuchelei geführt. Anverwärts Hat man Verbrecher: 
Isuieen angelegt, wenn auch nicht in ter Abficht, vie Eingeborenen in 
fe Rachbarichaft civilifirter weißer Menſchen dadurch zu bringen. 
Biete Inſeln find bekanntlich zu verſchiedenen Zeiten der Spielball ver 
awepälfchen und amerifanifchen Politik gewefen, bie ſich dort durch⸗ 
Iuten. Sie find es zum Theil noch — und bei dem Allen vebet 
max, troß der gebeihlichen Anfänge, bie in ver Südſee hier und da 


ME 





340 Theodor Walz, 


zu bemerken find (Sanbwichinfeln, Neu» Zealand) und bie man in 
Amerika abfichtlich wieder zerftört hat (bei ven Cherofee®), von ber 
Unfähigkeit der fogenannten niederen Nacen fich das Beifpiel der Ci⸗ 
vilijation zu Nutze zu machen, das fie täglich vor Augen haben! 

Noch Vieles, fehr Vieles wäre über dieſen Gegenftand zu fagen, 
boch wir brechen bier ab, da unferes Bedünkens das Vorſtehende wohl 
erwogen, zu dem Beweiſe genügt baß unfere Civilifation den Einge⸗ 
borenen jener Länder nur als eine gleisnerifche Maske erfcheinen mußte, 
bie ihren Haß und ihre Verachtung herausforberte und felbft dann 
herausgefordert haben würbe, wenn ihre Leiftungen ihnen nicht, wie 
fie e8 waren, völlig unbegreiflich gewefen wären und nur ein ftummes 
Staunen eingeflößt hätten. Nimmt man noch hinzu, daß das Wenige, 
welches jie von biefen Leiftungen allmälich verjtchen lernten, ihnen 
felbjt in ihrer Lage kaum etwas nügen und ihre Bedürfniſſe, bie 
ohnehin gering genug waren, nicht beffer, einfacher und ficherer be 
friedigen konnte, als fie dieß für fich fhon zu thun vermochten, daß 
fie ihre ganze LXebensweife und ihren ganzen Geranfeufreis erft hätten 
umbilven müffen, um an ven Beftrebungen ber Europäer theilnehmen 
zu können, fo wird man nicht mehr geneigt fein, ihnen geringere Fähig⸗ 
feiten als ven legteren deßhalb zuzufchreiben, weil fie diefen gegen. 
über im Wefentlichen auf ihrer früheren Stufe der Bildung bie 
jett beharrten. 

Indeſſen folgt aus ver Widerlegung jener Gegengründe noch nicht bie 
Richtigkeit der pofitiven Behauptung, daß bie Begabung ver verfchier 
benen Menfchenftämme gleich fei, und für biefe felbft find wir nicht 
einmal gefonnen, in unbebingter Weife, nämlich in dem Sinne ein- 
zutreten, daß bie heutigen Europäer abgefehen von Erziehung und 
Unterricht überhaupt nichts voraus hätten vor ben heutigen Negern 
und eingebovenen Amerikanern. Dürfte vielmehr das Lektere Leicht 
zuzugeftehen fein, fo ift doch in Bezug darauf zu erinnern, daß man 
die Frage gänzlich verfchoben bat, wenn man fie auf biefe Weiſe 
ftellt, venn e8 wird alsdann ftillfchweigend vorausgefegt, daß bie Ber 
gabung ber Hinter, die vemfelben Volke angehören, wenn biefes in⸗ 
zwifchen feine fremden Elemente in ſich aufnimmt, zu jeder Zeit bie- 
jelbe ift, mag biefes Volk in der Civilifation fortfchreiten,, zurückgehen 
oder ftille ftehen. ‘Daß es fich in ber That fo verhalte, ift Taum wahr- 








342 Theodor Waitz, 


des Aufenthaltes und der Umgebung, einen Trieb zu vielfachen und 
leidenſchaftlich heftigen Bewegungen urſprünglich mit, der es ihm, wie 
ſo viele vergebliche Verſuche gezeigt haben, unerträglich und faſt un⸗ 
möglich macht ſich an regelmäßige Ausdauer und gleichförmige Ruhe 
in ſeinen Thätigkeiten zu gewöhnen und in beharrlich ſtillem Fleiße 
etwa mit unſerem Landmanne oder Handwerker zu wetteifern. Die 
ſprichwörtliche Faulheit des Negers wird aus demſelben Grunde nicht 
mit der Entſchiedenheit, mit welcher es ſo oft geſchehen iſt, gegen 
ſeine Befähigung geltend gemacht werden dürfen. 

Heben ſich aber die Fähigkeiten der Kinder allmälich den Fort⸗ 
ſchritten der Cultur ſelbſt entſprechend, ſo läßt ſich aus einer gerin⸗ 
gen Begabung culturloſer Völker, ſelbſt wenn ſie vollkommen erwie⸗ 
ſen wäre, noch nicht ſchließen, daß eine feſte geiſtige Verſchiedenheit 
unter den Menſchenſtämmen beſteht, es ſei denn daß bie Culturun⸗ 
fähigkeit jener aus anderen Gründen vorher ſchon feſtſtände. Behaup⸗ 
tet hat man dieſe freilich oft genug, aber die Thatſachen ſprechen für 
das Gegentheil. Die geiſtige Befähigung der Neger insbeſondere, die 
im Ganzen doch noch etwas höher zu ſtehen ſcheint als die der mei- 
ften Amerikaner, hat man häufig kaum ber Gelehrigfeit des Hundes 
und Pferdes gleichitellen wollen. 

Solchen Anfichten gegenüber genügt es, tarauf binzuweifen, deß 
bie geiſtigen Hauptcharaftere des Menſchen ſich bis jetzt an jedem 
auch dem elendeſten Volke gefunden haben, das die Erbe trägt, und 
daß dieſe Charaktere felbft, wo fie fich zeigen, einen Unterfchieb auch 
von den höchſten Thieren begründen, der fich noch nirgends durch alls 
mäliche Webergänge ausgefüllt gefunden bat. 

Ueberalf befinden fich die Menfchen im Beſitze der nothwendigften 
Künfte und Kenutniſſe, durch welche fie fich vie Natur Dienftbar machen, 
und wenn und diefe oft plump und armfelig fcheinen, fo überfehen 
wir dabei nur zu leicht, daß äußerft geringe Hilfsmittel von cultur- 
Iofen Völkern oft auf Die finnreichfte und gefchicktefte Weife benütt 
werben. Beifpielsweife mag bier nur daran erinnert werben, daß 
einft ein Engländer mit feinem complicirten Apparat auf den Fifch- 
fang auszog an dem Columbia, in der Veberzeugung, daß feine Aus⸗ 
räftung weit mehr werbe leiften können als bie elenden Geräthe ver 
Eingeborenen — er fand aber bald, daß er mit dieſen nicht concurriren 





ET Tetor Buy. 


zrsmmaniher Zersiluine mr Karameı Setrift,, e icheinen vie Spra- 
Ken ulzrtsrer Pilker uh Part eurägingg fer wohl mit tenen ber 
eulitrer eñen ar Komet. 

Raser er Sorude Sr ed drum aäthig, mb tie weitere aue- 
æichne: e Zigenthurt des Mader jr rwiter. daS er überall durch 
ZJaseı ze Termin 2e Gegemtame feired tieferen Jatereited auf 
rie Tauer ;e eiren DIE te weit es im feiner Mı$e steht, zu ver 
enigen Serriät ft: er malt ꝝenigſtens rehe Bilder, ım tie Crime 
rag ricbttge Derebergisr felsit Feftzusuiten eder Andern durch 
Re ette Rıtriäe ven NS gr geben, er zrlanzt gewiñe Mertzeicheu 
auf vie Mriber Vziter Teetea, er Arche durch eigene Arbeit etwas zu 
ſchafñ̃en, weturh em Arteıfer auf tie Nachwelt ih danernd ver⸗ 
erke une certzär ärteriih abzubilden, wa: ibm in ter Natur ent- 
gegentritt ner wa :ı feiner Fbantañie lebendig wirt. Wit tiefem 
Trange zur Tarftelizzg ſeines Inneren fteht in nachher Verbintung 
jeine Liebe za Buz ur Schmuck, durch vie er Anderen auf eine wohl- 
gerällige eder umpenitente Beie erfjheinen, ver ihnen ſich auszeich⸗ 
um une auf fie einen Eintruck machen will. 


Ein fermerer Kaurthurafter tes Meniten, tem wir überall wie 
ter begegnen, Eefteht in ter Wertigkeit ter Familienbande, ten Abit 
jungen des Ranges innerhalb ver Geſellichaft und einer getwijien Ort 
nung ter Rechtärerbältniife tuch vie Sitte. Daß Gewalt tie Schran- ' 
fen des Rechtes rurbbriht, ift eine Erſcheinung, welche kei culture ı 


loſen Pöltern natürlih häufiger verkemmt ald Bei civilijirten, aber 
eine nähere Kenntnis terielben lehrt, tab jie ven ihnen in gleicher 
Weiſe als Unreht verurtheilt wire. Ter Mangel gefchrichener Ge: 
fege hat flũchtige Beebachter in unzähligen Fällen tie beſteheuden fe- 
ften Rechtsgewohnheiten überjehen lajjen, ter geringe Umfang und 
Werth des Privateigenthums und tie eft unbegrenzte Freigebigkeit 
mit ber es verſchenkt wirt, haben jie verführt, deſſen Grijtenz zu leugnen. 
In derfelben Weiſe hat tie Pelygamie zu ter Behauptung Veran⸗ 
laſſung gegeben, daß es eine eigentliche Che. bei ihnen gar nicht gebe, 
und bie grundſätzliche Ungebuntenbeit, in welcher viele Völker ihre 
Kinter, befonvers tie Knaben aufwachjen laſſen, hat zu dem Glauben 
verleitet, daß bie Familie alles fejten Zufammenhaftes entbehre. Der 
größte Theil diefer Anfichten ift durch vie genaueren Berichte witer- 


A Zr ” DR Zu , Pe 





Ueber die Einheit des Menfchengefchlechtes. 345 


fegt, welche wir ber Sorgfalt neuerer Mifftenäre und Reiſenden ver- 
tanken. Die feften Rangverhältniffe in ver Gefellfchaft, bald durch 
tie Geburt bald durch Kriegsthaten vorzüglich beftimmt und gewöhn« 
ſich dem Gingeweihten an gewijjen äußeren Abzeichen auf ven erften 
li kenntlich, pflegen, wo fie vorhanden find, mit großer Eiferfucht 
überwacht und aufrecht gehalten zu werben, 

Entlich hat eine forgfältige Unterfuchung noch heransgeftelft, daß 
es feinem Volle an religiöfen Vorjtellungen gänzlich fehlt, wenn wir 
uster dieſen nämlich bie Ueberzeugung verftehen, daß es außer ben 
materiellen finnlichen Dingen und unabhängig von ihnen höhere geijtige 
Mächte gibt, die ihnen gebieten und dadurch das Schidjal der Mien- 
ſchen und jeldft deren Eriftenz in ihrer Gewalt haben. Nicht alle 
wear glauben an einen Schöpfer und Lenfer ber Welt oder überhaupt 
au einen Gott in ver Bereutung, welche wir tem Worte beizulegen 
gewehnt find, aber von feinen: fcheint geleugnet zu werden, daß es 
Geifter gibt die den Lauf der Welt nach ihrem Willen lenken. Nachs 
richten, welche das Gegentheil verfihern — und es gibt beren aller- 
tings manche — find ver Ungenanigfeit und des Mißverſtändniſſes 
rerrächtig. Gewiffe Eultushanplungen und eine Art von Opfer fin— 
den fich daher auch faft turchgängig, minder allgemein beftinmmte Stät- 
ten für die Verehrung, ein beſonderer Priefterjtand und Gebete; ver 
Haute an ein Fortleben nad dem Tode fcheint tagegen faſt ohne 
Antnahme vorzukommen. 

Man darf im Hinblid anf die vorſtehenden Haupteigenthüm— 
Kichkeiten, tie der Menfch nirgends auf ber Erbe verleugnet, wohl 
fragen, ob fich noch eine fpecifiiche Verfchievenheit zwifchen niederen 
und höheren Menfchenjtämmen annehmen läßt, oder ob nicht vielmehr 
tuerch vie angegebenen Charaktere, vie fie mit einander gemein haben, 
tie Gulturfähigfeit aller verbürgt ift und nur noch eine graduelle Ber- 
ſchiedenheit übrig gelaffen wird, die durch allmäliche Uebergänge ver: 
wifchbar fein muß. Verenfen wir noch, daß die Sprache eines jeden 
Belkes uns vellfommen verſtändlich ift, febald wir nur auf ihre Er- 
lernung den erforderlichen Fleiß wenten wollen, daß wir in ihr wie 
ia ven Mienen und Geberten des Wilden dieſelbe Weiſe ver Auffaf- 
faug der Außendinge, diefelbe Art der Verknüpfung ver Vorjtellungen, 
diefelben Gefühle, Motive, Neigungen und Leidenfchaften mit volliter 


846 Theodor Waitz, 


Evidenz wiebererfennen, von denen wir und bewußt find, daß fie auch 
uns innerlich bewegen und zum Handeln treiben, fo ſchwindet jeder 
Zweifel darüber, daß wir, wenn auch auf verfchievenen Stufen ber 
Entwidelung, in allen Hauptzügen ein getreues Ebenbild von dem 
Typus unferes eigenen geijtigen Lebens, daß wir Wefen berfelben 
Art vor uns haben. 

Diefen Schluß beftätigen noch mehrere wichtige Umſtände, bie 
bier wenigftens beiläufig Erwähnung finden mögen. 

Auch hei den fog. nieveren Racen gibt es DBeifpiele, welche zei- 
gen, taß fie einer Fortbildung zugänglich find. Das alte Merico, 
Yucatan, Guatemala und Peru befaßen eine Eultur, die höchſt wahr- 
fcheinlich im Wefentlichen ganz auf amerifanifchem Boden gewachfen 
iſt. Die Fortfchritte, welche vie Cherofees in neuerer Zeit nach dem 
Vorbilte der Weißen gemacht hatten, waren beträchtlich genug, 
und mehrere Nachbarvölker fchienen ihnen darin felgen zu wollen. 
Unter den Negerftämmen haben fi) namentlich bie Außerft thätigen 
Krus an der Körnerkälte den Europäern angefchloffen und ihre Lei« 
ftungen als Seeleute haben alle Anerkennung gefunden. Im Innern 
von Africa hat der Iélam mehrere Völker auf eine beträchtlich Höhere 
Stufe gehoben, als fie früher einnahmen, und bie Kolonie von Lis 
beria verfpricht, wenn fie gehörig gefchont und unterftügt wird, einen 
glüdlichen Fortgang zum Beſſern. Nur muß man, eingevent des lang⸗ 
ſamen Ganges aller Civilifation, befonders iu ihren Anfängen, keinen 
unverftändigen Erwartungen fi) bingeben und fich nicht einbilven, 
daß ein zufammengeworfener Haufe von Negern, wenn man ihnen 
nur die Wohlthat erzeigt, fie nicht auf’8 Neue in tie Sklaverei zu 
fchleppen, fich felbft Aberlaffen nach einer friedlichen inneren Entwide- 
lung von einigen Jahrzehnten in Nüdficht jeiner Leiftungen einen 
Bergleich aushalten werde mit einem europäifchen Culturvolke. 

Wo ınan fich Die Mühe genommen Hat, die Lern- und Bildungs- 
fähigkeit ter Kinder culturlofer Völker genauer zu unterfuchen, wie dieß 
burch Miſſionäre vielfach gefcheben ift, hat fich bis jeßt noch immer 
gezeigt, daß fie größer war, als man erwartet hatte, und es wird 
häufig verfichert, daß jene in allgemeiner Begabung hinter europäifchen 
Kindern kaum zurüdjtehen. Am beften ausgeftattet fand fich meift 


— —— 





348 Theobor Walk, 


einanber zeigen, nicht von ihnen vwerfchieben waren. Wir nennen bies 
fen früheften, relativ gleichen Zuftand, in welchem fich auch bie äfte- 
ften Eulturvölfer einmal befunden haben müffen, den Raturzuftand, 
ohne uns freilich auf ven Nachweis der Berechtigung dieſes Namens 
hier einlaffen zu Können. Wer freilich nur eigentlich Hiftorifche Be⸗ 
weife für dieſen Gegenftand zugulaffen gefonnen wäre, würbe leicht 
dazu fommen, einen folhen Naturzuftand ganz zu läugnen, er würbe 
fich aber mit feinem NRaifonnement auch nothwendig im Kreife breben, 
denn daß es beglaubigte Nachrichten oder Denkmäler aus einer Zeit 
nicht geben kann, bie der Entftehung aller Eultur vorherging, verfteht 
fih von felbft. Nur ven wichtigen Umſtand bier anzuführen, wollen 
wir nicht vergeffen, daß Einzelne, die aus der civilifirten Gefellfchaft 
ansfcheiden und fich ifoliren, durch ihre Hülflofigleit der Uebermacht 
der Natur gegenüber fehr fchnell in einen Zuftand zurädfinten, ver 
fih dem Leben ver fog. Wilden unvermeidlich nähert, und daß es eine 
große Anzahl von Beifpielen gibt, in denen Europäer die längere Zeit 
unter einem culturlofen Volle lebten, fich bis zu gänzlicher Unkennt⸗ 
lichkeit diefen verähnlicht hatten, während ber umgefehrte Fall, daß 
ein in der Wildniß geborener Meufch ganz in bie civilifirte Welt fich 
bineinfebte, verhältnigmäßig nur felten vorgefommen iſt. 

Dürfen wir hierans zwar nicht fchließen, daß das civilifirte Le⸗ 
ben nur ein dem Menſchen aufgebrungener Zuftand fei, in welchem er 
feiner Natur zuwider bloß durch künſtliche Mittel feftgehalten werbe, 
fo ift doch fo viel richtig, daß feine ftärkften Naturtriebe, vie fich auch 
im Schooße ver Eivilifation fortvauernd geltend zu machen ftreben, 
ben Tendenzen ver letzteren entgegengefegt find und von ihr fortwäß- 
rend unter einem ftarken Drucke gehalten werden. Sie breden mit 
unbändiger Gewalt hervor, fobald diefer Drud zu irgend einer Zeit 
zu ſtark nachläßt oder ganz aufhört, und wir dürfen deßhalb behaup⸗ 
ten, daß alle Kolonieen ver Europäer in überfeeifchen Ländern, auch 
abgefehen von der Bedrängniß durch die Urbewohner höchft wahr: 
fheinlich nach kurzer Zeit in die Verwilderung wieder zurüdgefunfen 
fein würten, welcher ber Einzelne unter ähnlichen Limftänven unver 
meidlich verfällt, wenn ihnen nicht die Zufuhr von Menfchen und 
Hilfsmitteln aller Art aus dem Mutterlande die Möglichkeit gewährt 
hätte, fich auf der Höhe der von Haufe mitgebrachten Eivilifation zu 





360 Theodor Waitz, über bie Einheit bes Menfchengefchlechtes. 


Folgenreiche der Unterfuchung doch erft, wenn wir im Einzelnen 
uns genauere Rechenfchaft darüber zu geben verfuchen, wie groß 
biefe Unterſchiede in Wirklichkeit find, wovon fie abhängen, wie 
fie fich zu einander verhalten und auf welche Weife fie vielleicht ver⸗ 
ringert ober ausgeglihen und allmälih zum Verſchwinden gebracht 
werben Tönnen. 





VIL 
Die Hl. Elifabeth von Thüringen, 


Bon 


Franz X. Wegele. 


Die Landgräfin Eliſabeth von Thüringen nimmt unter den ge= 
Khichtlichen Frauengeftalten des Mittelalters eine Stellung ohne glei- 
gen ein. Einer in fich abgefchlofjenen Zeit, die weit hinter uns Al⸗ 
im liegt, angehörend, einer religiöfen Stimmung, von ber ein 
Theil ver Chriſtenheit fich abgewenvet und ber ber andere nicht 
mehr zu folgen vermag, im eminenten Grade Hingegeben, ift es 
ihr gleichwohl gelungen, über die Schranfen ihres Jahrhun⸗ 
derts binweg in das Gefammtbewußtfein der fonft gerade in dieſen 
Fragen getheilten Menfchbeit einzutreten und unter deren „He⸗ 
roen⸗ aufgenommen zu werben. Etwas ähnliches kann von feiner 
andern Erfcheinung der Art behauptet werden. Denn was Bewun- 
bertes und Ideales für alle Zeiten und Völker in Eliſabeth liegt, 
fptelt nicht auf dem geräufchvollen Schauplat der großen Gefchichte, 
und ift mit feiner ver blendenden Epochen over Kataſtrophen berfel- 
ben vertettet, — fte hat feine Nation zum Siege und zur Erlöfung 
geführt wie Jeanne D’Arc —: auf den Höhen ber Menfchheit ge« 


3562 Franz X. Wegele, 


boren und wandelnd, eines Königes Tochter und eines deutſchen Für⸗ 
ſten Gemahlin hat ſie vielmehr Alles, was ihre Zeit Herrliches und 
Begehrenswerthes bot, weit von ſich geworfen und ein Leben ber Des 
muth, der Entfagung, der Selbjtverläugnung und zulegt der Selbite 
entäußerung geführt, das auch damals manchen als ein Gräuel oder 
eine Thorheit erfchienen iſt. Allervings auf bie Waffe ihrer Zeitge 
noffen und die zunächft darauf folgenden ©efchlechter Hat fie einen 
überwältigenden Eindrud hervorgebracht; fchon bei Lebzeiten wurde 
fie al8 eine Heilige verehrt und nur wenige Jahre nach ihrem Tode 
von der Kirche feierlich und unter der lauten Zuftimmung der ge 
fammten chriftlichen Welt als eine folche verfündigt; die fromme Lie 
teratur aller Völker Europa's bemächtigte fich ihrer, Taum daß füch 
das Grab über ihr gefchloffen, und trug, von Jahrhundert zu Fahre 
hundert wachjend, und kaum geftört turch den Sturm der Reforma- 
tiongzeit und ver Aufflärung, ihr Bild unverfehrt bis an die Schwelle 
der Gegenwart, bie ihrerſeits nicht müde wird, vie Gefeierte 
durch Kunſt und Poefie und Gefchichte immer wieder auf's Neue zu 
feiern. Wird doch eben jeßt der herrliche Münfter zu Marburg, ber 
vor fechs Jahrhunderten, zugleich als ein erhabenes Denkmal deut⸗ 
ſcher Kunft, fi über den Gebeinen der Heiligen erhob, im Innern 
wieberhergeftellt, und ließ vor Kurzem ein edler deutſcher Fürſt an 
ber Stelle, wo dieſelbe ihr reinjtes Glück genoffen und aber auch ven 
Becher des Leids bis auf die Neige geleert, ihr Andenken in finni« 
gen Bildern von Meifterhand erneuern; und kaum ein Jahr ver 
geht, ohne daß ihre Literatur "in irgend einer Weife vermehrt würde. 
Aus dieſer Thatfache allein ergibt fich wie von felbft, daß tie merk⸗ 
würbige Erfcheinung, mit welcher wir es bier zu thun haben, 
feine fkünftlihe, Leine bloße Ausgeburt frommen Wahnes, ſchwär⸗ 
merijcher Bewunterung oder mönchiſcher Propaganda fein kann — 
bie bier übrigens allerdings alle ihre Kräfte in Bewegung gejegt ha- 
ben —: es muß etwas tiefercd, größeres und allgemein giltiges 
zu Grunde liegen, wenn die verfchievenften Zeiten und Anfchauungen, 
trog der Kluft, die fie fenjt trennt, im der Anerkennung und Berch- 
rung derſelben umwillfürlich zufammentreffen. Das ift denn auch in 
Wahrheit der Fall, ohne daß man jedoch fangen könnte, daß vie bisheri- 
gen zuhlreihen Biographen der Heiligen gerade in den Hanptfragen 





Die HI. Elifabeth von Thüringen. 353 


igre Aufgabe vollſtändig und in jeder Bezichung gelöſt hätten. Dies 
wird aber auch nur dann möglich fein, wenn man mit Sritif und forg« 
tültiger Bietät zugleich und ohne alle Vorurtheile an die Betrachtung die— 
166 Phänomens gebt und ven Muth bat, das Leben und ven Charakter ver 
Kautgräfin, wiefie in der Wirklichkeit geworden und gewefen find, wieder— 
berzuitellen. Unter diefen Umſtänden liegt vie Berfuchung nahe, ferne von 
allen Nebengedanken, die ächten Zeugnijje und Quellen an ver Hund, hier 
tie Gefchichte ter Heiligen auf's Neue zu unterfuchen und ſie von ben Zus 
taten zu befreien, womit guigemeinter Eifer, allzulebhafte Phantafie oder 
mangelnde Eorgfalt der Forfchung das urfprüngliche Bild ver reinen les 
bentigen Berjönlichkeit von Anfang an verrunfelt haben. Alles Weiz 
tere wirb fich daraus von felbjt ergeben. Cine feldye Prüfung 
mäiten fich alle gefchichtlichen Größen gefallen laſſen, und je bes 
grändeter ihr Ruhm iſt, um fo leichter werten fie biefelbe ertragen, 
mu fo geficherter werben fie ‘aus berjelben hervorgehen. Die wahre 
Gröge wird niemals dadurch gefährdet werten, Die fülfche fällt beſſer 
hente als morgen. — — 


Es wird für unfern Zweck wohlgethan fein, zunächſt einen Blick 
anf die Quellen und auf bie Literatur zur Gefchichte ver Hi. Elifa« 
bag zu werfen. Der ächten Ducllen find eben nicht viele, doch 
reichen fie, in Verbindung mit andern fecunvären Hilfsmitteln, gerade 
ums. Das ältefte Zeugniß ift ver bekannte Vrief, ten Konrad von 
Marburg, Eliſabeths Gewiſſensrath und Zuchtmeijter, behufs ihrer 
Sanonifation an Papſt Gregor IX, gerichtet hat!). Indeß iſt der 
Inhalt des Briefe, was Das Leben der Landgräfin angeht, in auf— 
Fallender Weiſe türjtig und einfylbig, während doch gerate dieſer Mann 
ums die reichiten und wichtigften Aufjchlüffe Hätte geben können. Die 
Daltung des Briefes ift übrigens nüchtern und in Feiner Weiſe über— 
tpannt, und nur in einem einzigen Punkte — auf den wir zurüd- 
tommen werden — erregt er kritiſches Bedenken, weil feine Ausfage, 
mit einer ander, an fich ebenſo glaubwürtigen, im Wiberfpruche jteht. 
Der größere Theil der Mittheilungen Konrads an den Rapft ift von 


1) Gebrudt in Leonis Allatii Fvuuırıa, Köln 1653 p. 259 sqq. und 
in Suchenbeders Analecta Hasiaca Coll, IX. 
Hiferifge Zeitſchrift V. Band. 93 


354 Branz X. Wegele, 


der Erzählung der Wunder ausgefüllt, die nach Eliſabeths Tode an 
ihrem Grabe gejchehen feien; von Wundern während ihres Lebens er⸗ 
wähnt er nichts. ine zweite, unendlich reicher fließente und wichti⸗ 
gere Duelle ift der fogenannte libellus de dictis IV ancillarum 8. Eli- 
sabethae '), bie befchworenen Ausfagen ber vier ‘Dienerinnen ber 
Landgräfin, die im Jahre 1234 behufs ihrer Heiligſprechung 
über das Leben ihrer Herrin aufgenommen worden find ; fie haben, 
richtig verftanden, im Wefentlichen auf volltommene Glaubwürdigkeit 
Anſpruch. Endlich ald dritte Hauptquelle Haben wir bie in bie Nein⸗ 
barbsbrunner Annalen verarbeitete vita Ludovici, d. 5. das Le 
ben des Landgrafen Ludwig IV. von Thüringen, Gemahles ber h. El» 
fabeth, zu betrachten, veren Verfaffer Bertold, Neifelaplan des Lane 
grafen und Mönd im Kloſter Reinhardsbrunn“), gewefen iſt. Bei 
der maßgebenven Stellung, welche der Landgraf in dem Leben feiner Ge⸗ 
mahlin einnimmt, ift dieſe feine vortreffliche Biographie von höchſter 
Bedeutung; fie ijt e8 aber ganz befonvers darum, weil ber Unter 
das ifo wichtige Verhältnig beider Gatten wohl in’s Auge faßt uud 
mit feinem Verſtändniße in feiner Erzählung barzuftellen verfteht. Das 
mit find, wenn wir noch einige Urkunden, die bei Schultes?) ver zeich⸗ 
net find, binzurechnen, die Quellen erften Ranges bereits erfchöpft. 
Was fonjtiwie unter diefer Kategorie aufgeführt wird, muß entſchie⸗ 
den zurücgewiefen werten. Die ältefte Lebensbefchreibung ber Heili- 
gen von Cäſar von Heifterbach liegt zwar nur zum geringften Theile 
gedrudt vor uns’), aber es geht daraus hervor, daß fie troß ihres 
hohen Alters des Originalen nur weniges enthält und ſich vor Al⸗ 
lem an die erwähnten Ausfagen ber vier Dienerinnen anlehnt. Ein 
anderes, berühmteres Leben der hl. Lanbgräfin von Dietrid vom 
Apolda i. J. 1289 und zwar in lateinifcher Sprache gefchrieben,, if 


1) Bei Menten, 88. Germ. II, p. 2077. 

2) ©. Thüring'ſche Gefchichtsquellen Bd. I. Jena, 1854. — Deutide 
Ueberfegung von Fr. Ködiz von Salfeld aus ben Jahren 1315 — 1328, 
herausgegeben von H. Rüdert, Leipzig 1851. 

?) Direstorium diplomaticum ber oberſächſiſchen Geſchichte. Bd. 11. 

) ©. Etädler's Ueberſetzung des Lebens ber bi. Elifabeth von Montalem- 
bert. Zweite Anflage (1845), ©. 568. 





Die hl. Eliſabeth von Thüringen. 365 


vie Längfte Zeit ungebührlich überfchägt und Leider die Grundlage aller 
fpäteren Biographien der Heiligen geworben’). Stofflich angefeben, 
wiererholt fie theilweiſe die Ausfagen ver Dienerinnen und namentlich 
auch die vita Ludovici, deren in bie NReinharbsbrunner Annalen nur 
verftämmmelt übergegangene Text gerade durch fie zum guten Theile 
wieberbergeftellt werten lann. Was die Schrift außerdem enthält, 
hört in das Gebiet ver Sage, wie fie fich feit einem halben Jahr⸗ 
Gunberte üppig genug um das Grab der Heiligen entfaltet hatte. 
Jene gedankenloſe Verquickung aber des nicht Gefchichtlichen und bes 
fagenhaften Elementes hat wie ſchon angedeutet viel Unheil angerich- 
tet und wirft bi8 zur Stunde nach. Ein fpecifijcher Mangel der vorlie- 
genden Biographie ift übervieß bie Ungenauigkeit der chronologis 
ſchen Beſtimmungen, und doch verſpricht Dietrih in ber Eins 
kitung , gerade biefem Momente jeine befondere Anfmerkfans 
kit zuwenden zu wollen. In dieſer Beziehung ijt übrigen 
u jetzt noch Vieles zu Teiften, wie wir hören werten. 
Sell enblih das Wert von Wadding, bie Annales Minorum ?), 
bier erwähnt werben, fo kann ich nicht umhin, in Bezug auf unjern 
Ball, es aus ter Reihe ver eigentlichen ächten Quellen auszuſchließen. 
Belsuntliy nimmt in dieſem Werke das Peben ver hl. Elifabeth 
eisen Breiten Raum ein und werben namentlich die angeblichen Be— 
ziehungen berfelben zu Franziskus von Affifi und dem von ihm ges 
gränbeten Orden berichtet: jedoch fo lange das Manufeript des Frans 
zulanerbruders, vem Wadding und fchon lange vor ihm Jakob Mon⸗ 
tanus *) ihre betreffenden Nachrichten entnommen haben follen, nicht 
wor une Liegt und kritiſch unterfucht ijt, jehen wir uns gezwungen, 
jenen Rachrichten die Authenticität abzufprechen und in ihnen vorläufig 
nicht als vie im Laufe der Zeit innerhalb bes Ordens über bie be 
rügmte Seilige, die fein Kleid getragen und feinen Namen verherr⸗ 
licht Hatte, entftandene und gepflegte Trabition zu erfennen. — Was 


) Gebrudt in Canisius lectiones antiquac cd. Pasnage T. IV. womit 
zu vergleihen bie Zufäge bei Menken, 1. c. p. 1988 sqgq. 

N) Bweite Unflage, Rom 1732. 

2) Vitae illustris Sanctae divae Elisabeth, in ber großen Sammlung von 


GSurins T. VL Cdin, 1781. 
23* 


866 Franz X. Wegele, 


die betreffente Lite ratur anlangt, fo iftfie faft unüberfehbar, indeß 
meift erbanlicher und Tegenvenhafter Tendenz, und find es nur wenige 
Leiftungen, die auch heut zu Tage noch vor das Forum der Willen 
fchaft gezogen zu werten verbienen. An ver Spige fteht 8. W. 
Juſti, der noch im vorigen Jahrhundert angefangen Hatte, ſich weit 
der Erforfchung des Lebens der Heiligen zu befchäfrigen ') und acht⸗ 
undbreißig Jahre fpäter diefe feine Studien abgefchloffen hat *). Dieſer 
Autor ift es nun, der zunächit das Vervienft hat, auf fpecififch litera⸗ 
rifhem Wege das Gedächtniß der Laudgräfin erneuert zu haben, nach 
dem allerdings Winkelmann’) Hundert Jahre vorher ihm vie Babe 
geebnet hatte. Juſti fehreibt als Proteſtant und Wationalift, um 
kann ſich in die Zeit, der feine Heldin angehört, gar nicht finden, 
bedauert e8 auch mehrmals ausdrücklich, Daß biefelbe nicht das Glück 
gehabt Habe, in einem „beſſeren und helleren“ Zeitalter zu leben, (wäß« 
rend boch, fo wie fie war, eben nur das ihrige fie hervorbringem 
fonnte): aber er hat doch hiſtoriſchen Sinn und wiugetrübtes Urtheil 
genug , das Große und Aufßerorbentliche jener Erfcheinung einzuſehen 
und fich Taut dazu zu befennen, wenn auch die Achtung, die fie ihm 
abzwingt, oft gerade in ven bebeutenditen Momenten eine unfrele 
willige ift. Als Werk der Forſchung und Kritik betrachtet, läßt vie 
Arbeit Juſti's dagegen noch vieles zu wünfchen übrig. Urfprünglidhe 
und abgeleitete Quellen werben fait gar nicht unterfchieven unb im 
principlofer Verwirrung und in ber bunteften Reihe das Verfchiebenfte 
neben einander aufgeführt und benützt. Von dieſem Gejichtspuntte aus 
angefehen berührt fih Yufti mit Diontalembert, vefien Leben ber 
bl. Elifabeth gleich anfangs fo außerorventlichen Beifall geärntet dat 
Da der edle Graf es felbjt ausgefprochen bat, daß er feine eigent 
liche Gefchichte, fondern nur eine „Legende aus dem Jahrhundert des 
Glaubens‘ zu Tiefern beabfichtiget habe, jo könnte man fich dabei viel⸗ 
leicht beruhigen, und wir in unferem alle, wo es fich gerade um bie 
legenbenhaften Darftellungen nicht handelt, darüber hinweggehen: allein 
das Buch ift einerfeits, was die Compoſition anlangt, zu bedeutend, 





) Eliſabeth bie Heilige, Lanbgräfin v. Thüringen m Heflen ꝛc. Zürd, 1797. 
) ©. die zweite Ausgabe feines Lebens ber Hi. Eliſabeth. Marburg, 1835. 
2) S. Beſchreibung der Fürſtenthümer Heſſen und Hersfeld, 1698. 


Die hl. Eliſabeth von Thüringen. 357 


unb das Berl eines zu bebeutenben Mannes, und anbererfeits in weiten 
ſtreiſen gerabe ale Gefchichtswert zu vorbehaltslos hingenommen 
werben, als daß es erlaubt wäre, bie eigene Anficht darüber zurückzu⸗ 
beiten, felbft wenn fie nichts Neues vorzubringen hat. Welcher Lefer 
Hätte es nicht an fich erfahren, jenes Buch ift mit einer Kraft ter 
Weberzeugung und der Degeifterung gejchrieben, die augenblicklich Alles 
mit ſich fortreißt: aber es ift eben ein Gedicht und nur als ein fol- 
des kaum ver unbetäubte Berftand es gelten lafjen, und als folches 
ſchlechthin Hätte es fich ausbrüdlich geben ſollen, ftatt fich mit einem 
genzen Ballaft gelehrten Rüftzenges zu befchweren und boch keinen 
Uzterfchieb zu Tennen zwifchen ven Ansfagen ber Dienerinnen und den 
Träumen tes Baffionals, zwifchen ven Zeitgenoffen Bertold und 
sm B. Martin von Kochem! Um fo größer ift das Vervienft von Monta⸗ 
imbert® beutfchem Ueberſetzer, J. bh. Städler, welcher die Schwächen 
des Originals recht gut erkannt und biefelbe durch feine Anmerkungen 
www Zuſaͤtze auszugleichen gejucht hat, die auch einen bleibenten Gewinn für 
vie GSefchichte der Hi. Elifabeth bilden und durch deren Sorgfalt und 
Gewifſenhaftigkeit vie Glorie der Heiligen doch wahrlich nichts ver⸗ 
leren Bat’). Die nenefte Lebensbefchreibung der Landgräfin endlich, 
von ver hier gefprechen werben foll, rührt von ©. Simon ber, 
mub wir fteben nicht im geringften an, ihr ven Preis vor allen ähn⸗ 
Eichen Berfuchen ber Art zuzufchreiben ?.., Die Schrift ſcheint bei 
rem Erſcheinen vor ſechs Fahren nicht die Aufnahme und Verbrei— 
tung, bie fie denn doch verbient, gefunden zu haben, und mit um fo 
mehr Nachdruck möchten wir darum bier auf fie Hingewiefen haben. 
Richt als Hätte nicht auch fie ihre Mängel, und als fei mit ihr vie- 
fem Stoffe auch das letzte Recht gefchehen ; das einleitente Kapitel z. B. 
ft ziemlich ſchwach, die Kritik in mehreren Fällen, die wir namhaft 
machen werben, zu zahm; die chronologifchen Beftimmungen lajjen 


») ©. bie zweite Auflage ber beutfchen Ueberſetzung. Achen u. Leipzig, 1845. 

?) ©. Lubwig IV., genannt ber Heilige, Landgraf von Thüringen und Heſ⸗ 
fen und feine Gemahlin, bie bi. Eliſabeth von Ungarn. Ein geichicht- 
liches Lebensbild aus dem Zeitalter K. Friedrich II. von ©. Eimon, 
eo. Inth. Oberpfarrer zu Michelſtadt. Frankfurt a. M., 1854. 


358 Fr. X. Wegele, 


auch bier zu wünſchen übrig, und fo manche Frage, die ſchwer zu um 
terbrüden, wirb nicht aufgeworfen; auch das könnte man bem Ber 
faffer, wollte man unerbittlich fein, mit Bug zum Vorwurfe machen, 
taß er ſich mit der deutſchen Weberfegung der Vita Ludovici bes 
gnügte, während ihm bie Eriftenz ver damals noch ungebrudten Rein⸗ 
hardsbrunner Annalen vecht gut befannt war: aber diefen unlengbaren 
Mängeln ftehen, namentlich im Vergleich mit feinen Vorgängern, body 
ganz entfchiedene Vorzüge gegenüber. So ver Fleiß und die Sorge 
falt ver Forſchung, die Auseinanderhaltung ber Achten und ber abges 
leiteten Quellen, des Mythus und der Gefchichte, die Unbefangenpeit 
und der glückliche hiftorifche Takt, womit er ber Zeit und dem We⸗ 
fen ver bi. Elifabeth,, ja fogar eines Konrad von Marburg gerecht 
zu werben weiß, und namentlich auch die Erfenntniß, der gemäß ex 
feine ‘Darftelung auch durchgeführt Hat, daß vie Biographie 
feiner Heiligen nur in der innigften Verbindung mit ver ihres Ge⸗ 
mahls erfaßt und gefchrieben werben kann, was allen feinen Vor⸗ 
gängern ftet8 mehr nur dunkel und ahnungsweiſe vorgefchwebt Hatte, 
So hat durch Herrn Simon's ſchlichte, von aller Kunft der Sompofition end 
fernte, und keineswegs vollfommene Ausführung die Gefchichte ver 
Landgräfin unendlich mehr gewonnen, als durch die glühende um 
betäubende Rhetorik cined Miontalembert, und wir find überzeugt, ba 
auch warniſchlagende Herzen fich von der befonnenen, von verftänbiger 
Pietät getragenen Erzählung des genannten Autors werben angezee 
gen und befriedigt fühlen. An uns aber ift es nun, in Hinblick auf 
bie befprochenen Werfe und ihre angebeuteten Mängel, das Leben umb 
die Charakterijtif der Landgräfin einer Reviſion zu unterziehen umb 
befonders die Momente zu berüdfichligen, die bisher entweder gar 
nicht oder nicht in der rechten Weife Berüdfichtigung gefunden haben. — 


Nicht die geringfte Anzahl von Srrthümern und falfchen Anga⸗ 
ben, bie fich in die Gefchichte ver Hi. Elifabeth eingefchlichen, verbanft 
ihr Dafein dem offenbaren Beftreben, das Leben ver Heiligen, das 
auf ihre Zeitgenoffen und ihr Jahrhundert den Einprud eines Wun⸗ 
ders gemacht hat, in aller und jeber Beziehung dem Bereiche des 





360 Franz X. Wegele, 


noch den Satz Hinzufügen, daß es fich fehr leicht erweiſen Tiehe, 
daß die ungarifchen - Gefchichtequellen von dem Dafein Klingeor's 
gar nichts wiffen, und was dort fpäter von ihm erzählt wird, erft 
ans Deutfchland und namentlich aus ben Legenden ver bi. Eliſabeth 
eingeführt und verarbeitet werben ift. Man braucht blos bie betrefe 
fenden ungartfchen Hifterifer fich darauf genau anzufehen, um fich von 
ver Wahrheit diefer Behauptung zu überzeugen. Damit fällt denn 
jene anmuthenbe Ueberlieferung im nicht8 zufammen, und haben wir 
uns vorläufig mit der ZThatjache zu begnügen, daß Elifabetb im 5%. 
1207 auf dem Schloffe zu Preßburg geboren worden ift, ohne daß 
e8 ver Welt zum voraus geweiffagt war, als welch ein wunderbares 
Geftirn fie fünftig leuchten würbe, oder vaß fie einft Lanbgräfin von Th 
ringen zu werben beftimmt fei '). Ihr Vater war K. Andreas IL vom 
Ungarn (1205—1235), aus dem Stamme ber Arpaten, ber wegen 
eine® nicht gerade mit befonderer Leidenjchaft oder glänzendem Gr» 
folge unternommenen Kreuzzuges den Beinamen des Hierofolymiters 
erhalten hat; nach der Krone begehrend, jo lange fein älterer Bruder, 
K. Emmerich, lebte, und als fie ihm geworden, ein Spielball ver 
Parteien und ausländifcher Einflüffe, ohne wahre perſönliche Würde, 
bem dann auch von dem unbänpigen Abel jene magna charta abge 
rungen wurde, die die Grundlage ver berufenen Freiheiten der Ma- 
gyaren geworben ift. Ihre Mutter war Gertrud, aus bem Haufe 
von Meran⸗Andechs, das nebft ven Staufern und Wittelebachern das 
mächtigfte in Süddeutſchland war, beffen reiche Befigungen und Rechte 
weithin über Zirel, Bayern, Franken, das Voigtland, Kärntben, 
Sitrien und Burgund ausgebreitet Tagen. Gertrud's Vater war Bers 
thefo III, Herzog von Meran, d. h. Dalmatien, Graf von Anbeche, 
Markgraf von Kärnthen und Iſtrien, der getreue Anhänger K. Fries 


') Es hat uns nicht gelingen wollen, mit Sicherheit aufzufinden, woher 
Eliſabeth ihren Taufnamen erhalten bat. Ihre väterlihe Großmutter 
war Agnes, Tochter Boemund III., Fürften von Antiochien, ihre mütter⸗ 
liche hieß ebenfalls Agnes, und war Tochter bes Markgrafen Dedo von 
Rochlitz. Indeß find wir fiberzeugt, daß fih ber Name Glifaberh in 
einer der beiden betreffenden Genealogien irgenbwo findet. Die Elifa- 
beth bei Fehler Geſch. v. Ungarn I., Genealg. Tafeln J. ift unhiſtoriſch. 





Die hl. Eliſabeth von Thüringen. 361 


berich I., der im %. 1209 geftorben ift und acht Kinder Hinterlaffen 
bat, die alle in ver Gefchichte ihrer Zeit mehr ober weniger bedeutend 
geworden find. So von den Söhnen Ebert, Biſchof von Bamberg, 
Bertold, Patriarch von Aquileja, Otto, der Große genannt, Herzog 
von Meran und Pfalzgraf von Burgund, Heinrih, Markgraf von 
Andechs nnd Iſtrien. Don ven Töchtern, außer Gertrud, Hebivig, 
vermäßlt mit Herzog Heinrich dem Bärtigen von Schlefien, und fpä- 
tee heilig gefprochen, Agnes, berühmt durch ihre Ehe mit K. Phi- 
App Auguft von Frankreich, und endlich Mathilve, Aebtiffin von Kigin- 
gen, ber älteften und bedeutendſten Frauenabtei Frankens ). Clifabeth 
war kaum ein Jahr alt, ſo erſchienen zwei ihrer Oheime, Biſchof 
Ebert von Bamberg und Markgraf Heinrich von Iſtrien, als Flüch⸗ 
tige und Geächtete am Hofe ihres Vaters, bezüchtigt, Mitſchuldige 
an der Ermorbung 8. Philipp's von Staufen zu fein. “Der Königin 
Gertrud dritter Bruder, Bertold, ter fpätere Patriarch von Aguileja, 
war ſchon früher dorthin gelommen, und ift durch ven Einfluß 
feiner Schwefter, ver Königin, die offenbar ihren ſchwachen Gemahl 
beßerrfchte, zur Würde eines Erzbifchofs won Kolocza und Banus von 
Eroatien emporgeftiegen. So bilvete fi) in Ungarn eine wenn auch 
Meine aber mächtige deutſche Partei, die jedoch nach allem ihre Stellung, 
nicht ohne fie zu mißbrauchen, ausbeutete, und zulekt den leidenſchaftlichen 
Haß der Nationalpartei gegen fich hervorrief, als deſſen erftcs Opfer 
feiner Zeit vie Königin ſelbſt untergegangen ift. Ehe es aber dahin Fan, 
war Bereits über vie Zukunft ber jungen Elifabeth das Loos gefallen. 
Im %. 1211 erfchien eine glänzente Gefandtfchaft des Landgrafen 
Hermann von Thüringen, um fie, bie eben erft vier Jahre zählte, 
ale die Verlobte feines Schnes und Nachfolgers Ludwig nach Thü⸗ 
fingen und auf die Wartburg zu geleiten, eine Eitte früher Chebe- 
rednng, die im Mittelalter bekanntlich nichts ungewöhnliches war. 
Aus der Zeit zwifchen Eliſabeth's Geburt, und ihrer Verpflanzung 
an ben thüringifchen. Hof ift uns über fie nichts irgentwie glaubwür⸗ 
diges überliefert; ihre fpäteren Biographen — darunter Montalem- 
dert — wiffen aber doch mit einer Beftimmtheit, als wenn fie felbft 





1) Ueber das Geſchlecht der Herzöge von Meran ſ. Hormayr fämmtliche 
Bere, Bd. 11. (Stuttgart und. Tübingen, 1822.) 


362 Franz X. Wegele, 


babei geivefen wären, zu berichten, baß das Kind eben in ben betref⸗ 
fenden Jahren eine fo große Frömmigkeit und Heiligkeit an ben Tag 
gelegt, daß fich ganz Ungarn daran erbaut und ben reichften Segen 
davon empfangen habe. Stein Fluchen, kein Schwören, fein Streit 
fei wührend biefer Zeit in Ungarn vorgefommen; — eine Erdichtung, 
bie einen bejonders wohlthuerden Eindruck macht, wenn man tie ver⸗ 
worrenen, halbbarbarifchen, unrubigen Zuftände Ungarns jener Jahre 
nur einigermaßen kennt. Nun behauptet, und wir haben fchon daven 
gefprochen, die Ueberlieferung aber zugleich, der angebliche Klingser 
babe auch die Verbindung der ungarifchen Königstochter mit bem jun⸗ 
gen Landgrafen von Thüringen eben damals in Eifenach vorher vers 
kündigt, als er Eliſabeth's Geburt geweiffagt hat. Mit der Beſeiti⸗ 
gung jenes Propheten als einer gefchichtlichen Perfönlichkeit fällt in⸗ 
deß zugleich bie in jener Prophetie enthaltene Erklärung der in Frage 
ftehenden Verlebung, und wir müfjen uns wieberum mit der Annahme 


eines ganz natürlichen und gewöhnlichen Hergangs begnügen, wie 
er in hundert andern Fällen ter Art auch ftattgefunden Hat; es 


ift uns übrigens höchſt wahrfcheinlih, daß DB. Efbert von Bam⸗ 
berg, Eliſabeth's mütterliher Oheim, deſſen Zurüdberufung gerabe 
im J. 1211 unter entjchievener Mitwirkung bes Landgrafen Hermann 
von Th. betrieben wurbe, ber Vermittler und intellectuelfe Urheber 
biejer Verbindung gewefen ift '). Genug: tie junge Eliſabeth ver⸗ 
ließ neh im %. 1211 ihr ungarifches Vaterland und wurbe, vom 
ihren Eltern königlich ausgeftattet, von der erwähnten glänzenten Ge⸗ 
fandtichaft nach Thüringen und der Wartburg geleitet. 

Allerdings ein Wechfel der äußeren Umgebung, ber nicht größer 
hätte fein können. Thüringen burfte im Vergleich mit Ungarn von 
bamal® ohne Webertreibung ein bochcultivirtes Land genannt wer⸗ 
den, und ver landgräfliche Hof gehörte chne Zweifel zu ben glän« 
zendften im deutſchen Neiche. Landgraf Hermann hatte es verftanden, 

) €. Godofredus Coloniensis zum J. 1211: Sifridus Maguntiensis ar- 
chiepiscopus, cum Hermanno Landgravio et rege Boemise et quibus- 
dam principibus et nobilibus terrao apud Bavinberg colloquium ha- 
buit, ubi cpiscopum ipsius civitatis, propter nocem Philippi regis 
expulsum, restituerunt. 


— Ey mn- zn Dr 





- Die hl. Eliſabeth von Thüringen. 363 


Ihre hindurch die Wartburg zum Mittelpunkt der höfifchen Bildung 
‚ wie ver Dichter jener Zeit zu machen, und biefe wieder hatten fein 
' 6 aus allen Tönen und weithin erfchallenb gepriefen. Weniger 
Aqen Freilich, und wohl mit vollem Rechte, hat er durch feine Hals 
ung afS Neichefürft und im Kampfe des ftaufiichen und welfifchen 
Heuſes um die deutfche Krone geerndtet, eine Haltung bie, von nad 
ur mupatriotifcher Selbſtſucht dictirt, fchlechthin als politiiche Cha» 
nüterlofigfeit bezeichnet werden muß, und zugleich über fein fchö-- 
us Baub das volle Maß wiederholter Verwüſtung und jchwerer Hein 
hung verhängt hat. Landgraf Hermann war jet zum zweiten 
male verheiratbet. Seine erjte Gemahlin, Sophie, aus dem Haufe 
ver Pfalzgrafen von Sachſen“), war im J. 1195 gejtorben und hatte 
Im zwei Töchter Hinterlaffen, deren eine, Jutta, in erfter Ehe ven 
Yitern Markgrafen Dietrich von Meißen geheirathet hat, und fo vie 
Gtammimmntter der noch blühenden Wettiner geworben it; Hermann's 
| surite Gemahlin und zukünftige Schwiegermutter der Heinen Elifh- 
bech hieß ebenfalls Sophie und war eine Tochter des Herzogs Otto J. 
men Bayern. Sie hat tem Landgrafen Hermann zwei Züchter und 
ser Söhne geboren, darunter Ludwig, den künftigen Gemahl der un« 
gurifchen Rönigstochter. Die Landgräfin Sophie fcheinteine Frau ber beiten 
Ust gewefen zu fein, wie fie vie damalige herrſchende, etwas oberflächliche 
Bilvung und Sitte bervorzubringen im Stande war, aber einen höhern 
Sendpunkbkt einer ungewöhnlichen Erſcheinung gegenüber hat fie nicht 
zu finben verftanden, und vie Tiefe tes Gemüthes und Hoheit des 
Geiftes , ohne bie eine ſolche Forverung allertings nicht erfüllt wer- 
ven konnte, find ihr fremb geblieben. Ihr ähnlich war, in joweit wir 
mus ein Bild davon machen können, ver ganze lantgräfliche Hof ges 
Kimi: mehr nach außen gelehrt, Genuß liebend und bietene, auf 
ver DHöße der Zeit unb ihrer weltlichen Bildung ftehend, aber von 
einer gewiffen Oberflächlichkeit auch nicht frei zu Sprechen. Das war 
ver Boden, an ven Glifabeth’8 ferneres Schidjal geknüpft wor⸗ 
ven ift. 






— — — — 


2) Nicht wie auch Simon (S. 9) wiederum behauptet, eine öſterreichiſche Prin⸗ 
zeſſin (vgl. Ann. Reinhardsbr. p. 47, 14, und Anm. 1.) 


364 | Franz 3. Wegele, 


Es ift wohl möglich, daß auf dieſe eigenthümlich organifirte, 
von Haus aus auf eine ernſte Lebensauffaffung und inftinctive Hin⸗ 
neigung zu dem Göttlichen angelegte une offenbar frühreife Natur gerade 
ber Gegenfaß der Umgebung, in bie jeßt fie geftellt war, fteigerub 
mit eingewirkt bat. Zwar befonders auffallendes oder ungewöhnliches 
hören wir in ben erjten Jahren ihres Wufenthaltes auf ber Wart« 
burg von ihr nicht, obwohl wir durch die Ausfagen ihrer Dieneriunen 
gerade auch über bie Zeit ihrer Kindheit hinlänglich genau unter 
richtet find. Sie war ein beiteres Sind, das gerne fpielte und fcherzte 
und tanzte, wie andere Kinder namentlich ihres Gefchlechtes, in veffen 
Spielen aber allerdings ſchon die ernſte Richtung, die dann in ber 
nächften Zeit in ganzer Kraft durchbricht, von Anfang an zu erkennen 
ift. Und dann kam bald genug mancherlei Hinzu, was biefe ihre An⸗ 
Tage zeitigte. Im J. 1213 wurde ihre Mutter, vie Königin von 
Ungarn, von einem ber Führer. der Nationalpartei ermorbet, und fo 
jteng Elifabeth noch war, fo ferne fie dem Schauplag diefer Vorgänge 
gerückt war, bas Ereigniß mußte einen dunklen Schatten auf ihr junges 
Leben werfen. Am lanpgräflichen Hofe felber bilvete ſich rafch eine Partei 
gegeu fie, fobald man fich über ihre, die Güter tiefer Welt verachtenbe 
Stimmung nicht mehr täufchen konnte, und fi von ihr, wenn fee 
zur Herrſchaft gelangte, ver herlömmliche heitere und vielleicht etwas 
leichtgefchürzte Ton des Hofes und der Höflinge in feinem Daſein 
bedroht ſah; zumal man fich, und barauf werden wir ſogleich zuräd- 
fonımen, darüber faum mehr täufchen konnte, daß Eliſabeth's künfti- 
ger Gemahl, der junge Landgraf Ludwig, in ter Beurtheilung bes 
fie umgebenden Zreibens und in der ftrengern Auffaffung des Lebens 
mit ihr entfchieden ſympathiſirte. Sogar die Landgräfin Sophie ſchloß 
fi jener Oppofition an, vie jeßt, je näher bie Zeit ver wirklichen 
Heirath rüdte, fih um fo mehr anftrengte, unter verfchievdenen Bor» 
wänden biefelbe zu vereiteln. Nicht unmöglich, daß fich dieſe Abſicht 
verwirklicht Hätte, wenn nicht ver unbeltechliche Tod ven Landgrafen 
Hermann J. gerade in dem Augenblide abgernfen hätte, wo er eben 
im Begriffe war, bie kaum ergriffene Sache K. Friedrich II. wieder 
zu verlaffen (1216) '). 





') Das Tobesjahr des Landgrafen H. I. wurde zwar früher häufig, unb 





Die hi. Eliſabeth von Thüringen. 365 


Diefer Tobesfall änterte mit einem Schlag die ganze Lage ber 
Dinge auf der Wartburg, und ein volljtänbiger Syſtemwechſel trat 
em: der junge Landgraf Ludwig IV., Eliſabeth's Verlobter, folgte 
ſänem Bater als Regent in ter Lanpgrafichaft Thüringen und ber 
Welzgrafichaft Sachien. 

Diefer Ludwig ift eine unendlich liebenswürdige Perjönlichkeit, 
ietentenb und tüchtig durch und durch, daher auch alle Biographen 
ter bi. Eliſabeth unwillkürlich feine Lobredner geworden find, wenn 
gleich fie ihm im Leben verfelben nicht die Stelle anwieſen, die ihm ge= 
rt. Geboren im %. 1200, zählte er jett beim Tode feines Va⸗ 
6 zwar erit fechzehn Sabre, aber gleichwohl erkannte ihn K. Friebe 
sh II. gegen das Herlommen als volljährig an, uud follte er zu« 
eig die Vormundſchaft über feine beiden jüngern Brüder, Heinrich 
Reöye IV. und Konrad, führen, jo gut war tie Meinung, bie über- 
dd von ihm gehegt wurbe und vie er auch nicht zu Schauen ge« 
muiht, fonbern cher übertroffen hat. Sein Biograph und Reifecapları 
Berteld entwirft ein veizendes und gewiß ähnliches Bild feiner Per- 
Hulichleit, deſſen Eindruck fih wohl Niemand entzichen kann. Es 
ib eben bie harmonifhe Entwicklung und der turchaus ethifche 
Gennbton feines Charakters, welche diefe Wirkung hervorbringen; bazu 
San dann ber frühe Tod, ver einen bleibenden Glanz auf fein kurs 
28 «ber inhaltreiches Leben zurückwarf. Einen größeren Gegenfaß, 
6 zwiſchen ihm und feinem Bater in faft allen Beziehnn⸗ 
gen befteht, kann man fich kaum denken. Während an Hermann’s 
Hefe ein heiteres etwas leicht gehaltenes Leben voll Luſt und Liedern 


noch in neuefler Zeit von Simen (l. c. S. 242, Anm. 14) in bas I 

1218 geſetzt. Jedoch mit Unrecht. Die authentiſchen Quellen jener Zeit 
nmennen Alle das 3. 1216, fo baß darüber fein Zweifel erlaubt if, und 
Landgraf H. I. verfhwinbet in der That von biefem I. an aus 
der Geſchichte feines Landes und bes D. Reiches, nirgends wird er 
mehr als lebend erwähnt, und bas allen ift, denke ih, enticheibend. 
Anßerdem werben alle Einwürfe burd bie Thatſache geheben, baß Lub- 
wig, als wirlliher Landgraf hanbelnd, bereits am 15. Januar 1217 ur- 
tundlich auftritt. Bgl. Thur. Sacra p. 279. Schultes, Dir. Diplom. 
11, 516. 





366 Kranz X. Wegele, 


berrichte, führt Ludwig einen ernften Ton ein; bie fröhlichen ſchutz⸗ 
bebürftigen Sänger verfchwinden, und ſelbſt ein Mann wie Walther 
von der Vogelweide, der doch auch vordem nicht alles gelobt hatte, 
fpricht feine Unzufriedenheit mit ber eingetretenen Veränderung unb 
der Art und Weife Ludwigs offen und fpottendb aus’). Während 
Herrmann als Neichefürft eine felbftfüchtige und unrähmliche Rolle 
fpielte, hielt Ludwig unerfchütterlich zu tem ftaufiihen Haufe und zu 
K. Friedrich II., und wenn es damals auch feinen Gegenkönig gab, 
fo fehlte es doch nicht an DOppofition. Während Hermann 
durch feine politifche Wandelbarkeit fih aus einem Kriege in 
ben anbern ftürzte und über Thüringen bie volle Schale ber 
Verheerungen und des Elendes ausgoß, iſt Ludwig in beivufße 
ter Abſichtlichkeit der Mann des Friedens, der nur zum Schwerte 
greift, um fein gutes Recht zu wahren, Unrecht zu ftrafen und den 
Frieden für alle zu fchüten. Er bat ſich, finnig wie er wer, im 
Gegenfaß zu feinem Water, wohl felbjt einmal mit Salomon bem 
Sohne David’ verglichen, dem Gott ruhige und friebliche Zeiten 
gefehentt und dem es fo verliehen war, bie dem Lande gefchlagene 
Wunde zu heilen’). in getreuer Sohn feiner Kirche in ver vollen 
Bedeutung des Wortes, wie- wir noch weiter hören werben, beftmmt 
er fih doch feinen Augenblick, einen mächtigen Kirchenfürften (bem 
Erzbifhof Siegfried von Mainz), der in einer Streitfrage profauer 
Natur, wie fie zwifchen Mainz und den Landgrafen von Thüringen 
nie fehlten, die geiftlihe Waffe des Kirchenbanns gegen feinen tobten 
Bater und ihm felbft fehleuverte, mit den Waffen in ber Hand zur 


1) Bl. Lach mann's (zweite) Ausgabe der Gedichte Walthers, Berlin, 1848. 
Das Gediht S. 32 gegen Rolle (Ludwigs Schreiber ?) und bas ©. 85 
3. 17 — 24, welches gegen ben jungen Landgrafen ſelbſt gerichtet if. 
Dazu Halte man pie Erllärung ber beiden Gedichte, bie W. Wader- 
nagel in Simrod’s Ueberfegung ber Gedichte Walthers gibt (Ans 
gabe v. 3. 1833, Th. 2. ©. 164 unb ©. 184). 

?) Bergl. Ann, Reinhardtsbr. p. 199, die Abfchiebsrebe Ludwigs vor bem 
Landtage zum Kreuzzuge, beim Antritt bes Kreuzzuges: „Mihi vero tam- 
quam Salomoni, filio David 'regis, concessit Deus tranquillitatem tem- 
porum et quietem, et mox pacata sunt omnis, ut cernitis, ipso 
pacem concedente,.“ 





Die hi. Efifabeth von Thüringen. 367 


Befinnung zu bringen. Weberhaupt, fo ivealiftifch fonft feine Natur 
angelegt erfcheint, in politifchen Dingen und in ven Intereſſen feines 
Haufes iſt er entfchierener Nealift, wie das namentlich aus feiner 
Haltung in ber meißnifchen Angelegenheit hervorgeht; nicht bloß, daß 
er nach dem Tode feines Schwagers, des Markgrafen Dietrich, bie 
ihm übertragene VBormundfchaft über feinen Neffen Heinrich (ven Er⸗ 
fa uchten) mit rühmlicher Energie führte und dabei alle die Negenten- 
tugenden entfaltete, unter deren Einwirkung Thüringen ſelbſt fich be» 
neidenswerth rafch erholte; er tauchte vielmehr auch bei Zeiten daran, 
ſich ver Sterblichkeit feines Neffen gegenüber die eventuelle Belehnung 
mit ben meltinifchen Haus⸗ und Reichslanden zu fichern, und bei 
den Gefinuungen K. Friedrich I. für ihm ift ihm dieß nicht ſchwer 
geworben — obwohl das enbliche Refultat ein geradezu umgelehrtes 
geworben ift und jener verwaiſte Heinrich fchließlich das mit Ludwigs 
Bruder, Heinrich Raspe IV., erlöfchende-Haus ter alten Landgrafen 
son Thüringen i. J. 1247 beerbt hat. 

Das alſo war der Mann, ver über Eliſabeths ferneres Schidfal 
zu entſcheiden hatte und von dem es abhing, ob bie Abfichten ihrer 
Gegner fich verwirklichen würden oder nicht. Und da genügt es 
une, nach dem Zeugniffe Bertold’s, auszufprechen, daß Ludwig von Ans 
feng an auf Seite feiner Verlobten geftanven und daß er von einer ihr 
gleich geftimmten Natur war. Die Einflüfterungen ver Höflinge, ver 
effene Tadel, den felbft folche gegen Elifabeth auefprachen, die ihm 
fonft die theuerften waren, vermochten es nicht, ihn in feiner Neigung 
irre zu machen. Ludwig war bis jegt rein burch’8 Leben gegangen 
md bat fich diefe Neinheit fein freilich kurzes Leben Hinburch unents 
weiht zn bewahren verſtanden. An Verſuchungen der verjchiedenjten 
Art bat e& nicht gefehlt, und fein Reifefaplan hat uns einige ein« 
fHlägige vecht hübſche Geſchichtchen überliefert, die auf bie herrſchende 
Eitte ber vornehmen Gefellfchaft jener Zeit ein bebenkliches Licht 
werfen und keinen erbaulichen Beitrag zur Sittengefchichte des noch 
Immer gerabe auch von biefem Gefichtspunfte aus von folchen, die e8 
nicht kennen, gepriefenen Mittelalters, und zwar anf feiner Höhe, 
liefern’). Ludwig liebte die Verlobte feiner Jugend, er liebte fie ge- 


1) ©. Annal Reinhardsbr. p. 148, 151, 152. Namentlich das ber Reihe 
nach erſte Geſchichtchen auf p. 151 ift fehr bezeichnend. 


368 Gr. X. Wegele, 


rabe auch um beffen willen, was ihre Gegner an ihr haften, uub 
feiner Zreue und Stanphaftigleit muß es zugefchrieben werten, baß 
fie nicht, wie die Landgräfin Sophie und der größere Theil des Hofes 
unter verſchiedenen Vorwänden e8 wünfchten und verlangten, in ein 
Klofter verwiefen oder ihrem Vater zurückgeſchickt wurde, was in ähn⸗ 
lichen Fällen in jener Zeit oft genug gejchehen if. Nun wird man 
vielleicht meinen, eine PVereitlung ihrer bevorftehennen Ehe unb 
der Schleier ftatt tes Myrthenkranzes müßten ja gerade im inne 
Eliſabeths geweſen fein — bie, wie ihre from men Biographen faft 
obne Ausnahme nicht müde werben zu erzählen, nur ungern vem 
iungfräufichen Stand verlaffen und fpäter, noch bei Lebzeiten ihres 
Gemahls, dem Konrad von Marburg, ihrem Gewiſſensrathe gegenüber es 
ausdrücklich bereut hat, in die Ehe getreten zu fein ? In ber That, 
e8 ift das ein Moment, tas bei ter DBeurtbeilung bes Charafters 
ber Heiligen ſchwer in die Wagfchale fällt und bem wir unfere befonbere 
Aufmerkfamteit zu fchenfen haben. Und da haben wir benn zu-⸗ 
nächſt das Eine zu erwiedern, daß die gefchichtliche Wahrheit nicht 

ftärfer entjtellt werden fan, ala es bie mönchijche Weberlieferung in dieſem 
Bulle that, die natürlich in der Verachtung der Ehe ein Verdienſt und iu ber 
Ehe felbjt nur ein nothwendiges Uebel zu erbliden vermochte. Die Sache 
fteht vielmehr anders. Gewiß, Eliſabeth hat ſchon jett, wein auch innere 
halb engerer Schranten, all tie menfchlichen und chriftlichen Tugenden der 
Demuth, ver Barmherzigkeit, ver Hingabe au Gott geübt, durch bie 
fie jpiter die Bewunderung ver Welt auf fich gezogen hat. Aber ba- 
rüber hinaus ijt fie jegt und im den nächſten Jahren noch nicht ges 
gangen; erſt als Konrad von Marburg fie in feine Zucht nimmt, 
und im wahren Grunde erft nach ihres Gemahles Tode, tritt jenes 
zweite Stadium ihrer inneren Entwidlung ein, in welchen fie mit 
ihrer Vergangenheit fo zu fügen bricht und zu ihren früheren Tu« 
genden auch Lie ver Askefe, ver ESclbftpeinigung, der Selbjtabtöbtung 
fügt. Diefe Unterjcheidung zu machen haben alle ihre Geſchichtſchrei⸗ 
ber unterlaffen und doc) fordert Alles dazu auf. in innerer Kampf 
der in ihr mit einander vingenden zwei Naturen mag bei ihr von 
Anfang an vorhanden geweſen fein, fie hat aber unzweifelhaft das Gleich⸗ 
gewicht terfelben lange zu erhalten gewußt, und erſt ein plößlicher 
Wechſel in ihren äußeren Verhältnijfen hat dann in die eine Schale 


Die Hl. Slifabeth von Thliringen. 369 


das ganze Gewicht fallen Laffen. Alfo, um darauf zurüczufonmen, 
Elifabet5 war in Wahrheit fo weit davon entfernt, eine Auflöfung 
res Eheverlöbnijfes mit Ludwig zu wünfchen, taß fie vielmehr das 
Gelingen ber erwähnten Abfichten ihrer Gegner aus voller Ecele fürch- 
we. Kurz, fie bat ven Landgrafen gelicht, wie ein reines, edles, 
Iessfränliches Herz nur lieben kann, in ter ganzen Innigkeit und 
Demuth ihrer Seele. Folgende liebliche Erzählung, bie Ludwigs Biogras 
We uns aufbewahrt hat, mag beweifen, ob wir zu wiel behaupten. Als 
We Rochinationen ver Gegner Elifabeths immer offener auftraten, beſchloß 
einer ihhrer wenigen Freunde anı Hofe, ver ehrenwerthe Ritter Wulther von 
Bergula, ver fie einſt von Preßburg nach der Wartburg geleitet hatte, fich 
über vie Geſinnungen Ludwigs zu vergewiſſern, und richtete bei einer 
Kpidtichen Gelegenheit und als er allein mit ihm war, folgende Frage an 
venfelben: „Lieber Herr, was ift Eure Abficht mit des Königs von 
Bugarı Tochter? Wollet ihr fie zur Ehe nehmen ober wieder heim— 
ſenben zu ihrem Vater?“ Da wies der Fürft auf einen hohen Berg, 
ben fie vor Augen hatten, und ſprach: „Siehſt bu ven großen Berg 
wer une liegen? Wäre er von Gold vom Gipfel bis zur Tiefe, doch 
weelit” ich lieber und leichter auf ihn verzichten als auf tie Che mit 
Eiifebett. Mögen manche nach ihrer Art Eitles reden, ich liche fie 
web will von ihr nicht laſſen.“ Und ber Bitter fragte wieder: „O 
mein Gebieter, darf ich ihr dieſe Nachricht fagen?“ Und ver Fürft 
exwieberte: „ Sauge fie ihr und bring’ ihr als Wahrzeichen dieſes.“ 
Mn er 309 einen koſtbar gefaßten Spiegel hervor, deſſen eine Seite 
mit einem einfachen Glaſe verjehen, und auf teifen anderer der ges 
Ssemigte Chrijtus gemalt war. Als ver Ritter nun an Clifabeth 
jene Botfchaft und das Geſchenk brachte, da ergriff fie vorfichtig den 
Spiegel, gerieth in große Freude und erzählte, zur Beſchämung ihrer 
WBiverfacher, unter dein lieblichjten Lächeln das Vernommene weiter ').“ 
— Mit verfelben Wärme und rein menjchlichen Empfindung bat fie 
ven Landgrafen in ver Ehe geliebt, das beweiſt Alles, was wir bus 
rũber willen, das Größte und das Kleinjte, das beweift namentlich 
auch ihre fchmerzliche Ueberraſchung, als jie zufälliger Weije erführt, daß 
er das Kreuz genommen ; das beweijt ver rührende Abjchieb, den fie von 


1) ©. Annal. Reinhardsbrunn. p. 167 — 109. 
Pißszifge Zeitſchriſt. V. Band 94 


370 Franz X. Wegele, 


ihm nahm, als er ven Kreuzzug antrat; das beweiſt ihr lauter thränen« 
reicher Schmerz, der fie bei ber unbe von feinem Tode überwäl⸗ 
tigt; das beweijt tie gottergebene Wehmuth, die fie bei dem Wieder⸗ 
fehen ver Gebeine Ludwigs in Bamberg ergriff! Möglich, taß fie 
unter Taufenden von Männern gerade nur biefen Einen und in bies 
fem Grave zu lieben im Stante war; das Glück foll aber nicht 
binweggelängnet werben, das fie in diefem Bunte gefunden bat. Die 
Ehe wurde i. J. 1221 wirklich vollzogen, als Ludwig 20, Elifabel 
14 Jahre zählte. Daß man unter biefen Umftänden und ben äch⸗ 
teften Zeugniffen gegenüber behaupten Tann, Elifabeth babe wider if» 
ren Willen diefen Schritt gethan, muß mit Necht befremben; daß ein 
Zeitgenoffe Elifabeth’s, ihr ältefter Biograph, Cäfar von Heifterbach, 
mit dürren Worten fagen kann, fie fei „gegen ihres Herzens Wunſch⸗ 
mit dem Landgrafen verheirathet worden, richtet fich bamit von felbft') 
Auf die Aeußerung Konrads von Marburg in feinem Briefe an P. 
Gregor , Elifabeth habe in fpäteren Fahren ihr Bedauern über ihre 
Verehelichung ausgefprochen, werben wir weiter unten zurückkommen 
und fie auf ihren Werth zurüdjühren. 

Die Heirath Eliſabeths eröffnet vie zweite Periode in ihrem Ber 
ben, die dann bis zum Tode ihres Gemahls fich erftredt, innerhalb 
welcher jedoch wieber die Zeit vor und nach ihrer geiftlichen Unten 
werfung unter Konrab von Marburg unterfchieben werden muß. Die 
durchgängige Unterlajjung tiefer Unterfcheidung bat manchen Irrthum 
zur Folge gehabt und das Bild, das wir uns in diefen Jahren (1221 
bis 1225) von der Heiligen machen müjjen, in mehr als einem wer 
fentlihen Momente entſtellt, indem fo mancher Charafterzug, ber erſt 
feit und durch das Auftreten Konrads am landgräflichen Hofe im 
berjelben hervortritt, unkritifcher Weife ſchon vor baffelbe gefegt wir. 


) ©. die Fragmente aus Käfer von Heifterbah bei Städler (Ueberieh. 
des geb. Werfes Montalembert'8 im Anhang, p. 572,) wo es heißt: 
Cumque beata et venerabilis virgo Elisabeth ad nubiles annos per- 
venissct, contra cordis sui desiderium nobilissimo prim6ipi 
Ludovico Landgravio desponsata est et matrimonio juncta.“ — liebri- 
gens hat Städler bereits felbft in einer Anmerlung (1. c ©. 45) bie 
Unbaltbarkeit diefer Notiz Cãſars von H. hervorgehoben. 


Die hi. Efifabeth von Thüringen. 871 


Bon äußeren Begebenheiten in Eliſabeths Leben in dieſen Jahren ift uns 
wenig überliefert — ein Befuch aus d. J. 1222, den fie mit ihrem Ge« 
mahl und einem glänzenden Öefolge bei iprem Vater in Preßburg abgejtat« 
tet hat. Bald nach der Rüdkehr ') gebar fie zu Kreuzburg ihr erſtes 
Kind, einen Sohn, der feinem Großvater zu Ehren ten Namen Hermann 
empfing, dem aber, wie wir hören werden, bie Tugenden feiner Mutter 
zu Gute kommen follten. Ihr zweites Kind, eine Tochter, die als 
Herzogin Scphie von Brabant befannt geworben ift, erblidte im 
März; 1224 auf der Wartburg das Licht ter Welt, und ein drittes, 
Gertrud, die fpätere Aebtijjin von Altenburg bei Wetlar, ift erft 
nach Ludwigs Tode ebenvafelbit geboren worben?). Das cheliche Vers 
bältniß zwifchen Ludwig und Clijabeth iſt in allen Beziehungen ein 
mujfterbaftes, ein inniges und anmuthiges. Eliſabeth erfcheint überall 
treg ihrer zunehmenden erniten Lebensanfchaunng und religiöfen Vers 
innerlichung als das treue zärtliche Weib. Es wurbe ihr fchwer, fich 
überhaupt von ihrem Gemahle zu trennen, in welchem fie mit Recht das 
Ideal eines Mannes und eines chriftlichen Fürſten erblidte Auf 
feinen häufigen Reifen im Lande umher pflegte fie ihn zu begleiten 
und ließ fich babei von feiner Bejchwerlichkeit abfchreden. Zog er 
aber in weitere Ferne und in den Krieg, wohin fie ihm nicht folgen 
lennte, fo legte fie allen Schmud ab, der in ihren Augen feinen 
Berth hatte, Heivete fich einfach und wie eine Wittwe. Erwartete 
fie ihn dann zurüd, fo ſchmückte fie fich wieder, um ihrem heimfch- 
renden Manne, wie fie ausprüdlich hervorhob, nicht zu mißfallen und 
ihm Seine Veranlajjung zur Sünde zu geben. „Mich allein ſoll ex im 
Herrn lieben mit ehelicher Zreue und Neigung, damit wir von dent, 
dee die Ordnung ber Ehe geheiligt hat, einjt zufammen das ewige 
Leben erwarten können ’).” Sie malte fich in Gedanken wehl auch 
mit reizender Naivität das Glüd aus, ferne vom Getümmel der Welt, 


Am 12. Dezember 1222. 

2) Am 27. September 1227. 

?) ©. Dicta ancillarum, p. II. (Mencken, 1. c. p. 2016, A.) — 
Sed me solam in Domino sic diligat effectu maritali et debito, nt 
ab eo, qui legem matrimonii sanetificavit, acternae vitao meritum 


paritu exspectemus.“ 
24* 


872 Franz X. Wegele, 


mit Wenigem zufrieden, allein Gott und ihrem Gemahl Ichen zu tür- 
fen. „Herr, fagte fie in einer traulichen Stunde einft zu Lubwig, 
ich dachte ſchon oft daran, wie wir ein Neben miteinander führen könn⸗ 
ten, daß wir Gott wohlgefällig würben.“ — „Nun, antwortete der 
Landgraf, was für ein Leben wäre dies?“ Und fie erwieberte: „Ich 
wollte, wir hätten ein Gütchen, das man mit einem Pfluge bes 
bauen könnte und zweihundert Schafe: dann könnteft du mit deinen 
Händen den Uder pflügen und ich die Schafe melken.“ — „Ei 
liebe Schwefter, gab Ludwig lachend zur Antwert, wenn wir ein Gut 
hätten, das man mit einem Pfluge bebauen könnte und zweihmdert 
Schafe, dann wären wir nicht arm, fondern reich‘). — Das 
Glück, die Befrierigung, die fie in und an ihrem Gemahle fand, 
wurben ihr wehl auch zur Veranlaffung bitteren Seelenſchmerzes, 
reuiger Zerfnirfchung, aber nicht, weil fie dieſem Güde fich über» 
haupt, fondern nur zur Unzeit überließ, wie damals, al® fie während 
der Meſſe ihre Augen wohlgefällig auf ihrem Gemahle zu lange ru» 
ben ließ’). Der hohe Grad und die Nechtfertigung biefer ihrer Ber 
friedigung in dieſem Verhältniffe Tag, von ben perfönlichen vertreffe 
lichen Eigenfchaften des Landgrafen abgeſehen, gewiß vorzugsweife in dem 
Umſtande, daß biefer ihren Gewohnheiten und Tugenden ter Demuth, 
ber Barmherzigkeit, ver Weltverachtung, der Abtödtung, der ungetheil⸗ 
ten Hingabe an Gott unbedingte Billigung fchenkte, auch wo er ihr 
nicht folgen konnte, während nach wie vor tie Verftimmung des in 
feiner Lebensluſt dadurch geftörten Hofes fortpanerte. Jene Tugenden und 
Triebe wareı, je mehr ver Geijt der Kirche biefe Richtung begünftigte, 
in Glifabetb immer mächtiger bervorgetreten und machen ja gerabe 
das Große, Wunderbare an ihr aus, namentlich die Tugend ber ‘Des 
muth, der Barmherzigkeit, ver Wohlthätigfeit, Die praftifche Seite ih- 
rer Froͤmmigkeit, die befonders darum foviel Eindruck machten, weil fie 
in diefem Umfange, in dieſer Anfpruchlofigfeit, in dieſer Rückhalts⸗ 


) ©. Städlers Ueberfegung, Anhang XII, p. 573. (Fragment aus 
Cifar v. H) 

?) S. Annal. Reinhardsbr. p. 152, 17 und p. 153. Die ſog. Biſion, 
it fo ganz im Geifte jener Zeit gehalten, daß man zur Erklärung feiner 
fünflihen Annahme bedarf. 





Z14 Sm; E Sep, 

Umnst iberzi, bis te meze Bereir ter afigrmeinen Reth ein Ente 
machte. a Eiienzd Ita Hirte we ein Heiritel für 24 burd 
Alter uxe Kraulteit SGekrechſiche uk überncten zmyleich perjönlich vie 
Gestrele wer eimen Theil ver Filege in remiclben Ges if kein 
Zweite, tab diejes hehe Mark, in tem vie Zugene ver Barrcherzig⸗ 
leit nud Beltveracktung in ihr Gewalt gemuue, mit tem Geifle zu- 
faumenhing, ter nit lange verber tur Fran; ron Alfıfi von Ita⸗ 
lien antgezangen war, wie es auch eine Thatjache ift, daß Eliſabeth 
in ven tritten Grar tiefes Urten& eingetreten, unb in Gifenach eines 
der erftien Möfter d. C. in Tentfchlaue gegrüntet worben ift; auf 
ber anutern Eeite loͤnnen wir aber nur wiererhelen, daß bie vorgege- 
benen perfönlichen Beziehungen zeifchen S. Franzitcut und Elifabeth vor» 
erft mit antbentifcheren Beweiſen antgeftattet werten müſſen, che fie auf 
Glaubwärtigteit Anſpruch machen lönnen. 

Bir haben hier nun ver Allem tas Eine berverzußeben, daß biefe 
von uns nur ſchwach angerentete eminente Lebung ber Werle ver Darm 
berzigfeit fih ter ausgefprochenen Zuſtimmung ihres Gemahles erfreut 
hat. Keine Spur tavon, daß fie irgendwie von ihm barin beengt wer- 
ben wäre. Als Ludwig im Sommer 1226 zu feiner Gemahlin unentlicher 
Freude und Genugthuung woehlbehalten aus Italien zurücklehrte unb 
Elifabeth’8 Gegenpartei fofort über ihre fogenannte Verſchwendung 
Beichwerve erhob, gab er die bünbige Antwort: „Laſſet fie ben ar» 
men Leuten un Gotteswillen Gutes thun, wenn und nur die Wart⸗ 
burg und die Neuenburg zu unferer Herrfchaft bleiben“ ')., Darant 
ergibt fich ſchon von felbft, daß Ludwig's Gemahlin in ihrem Wohl 
thätigkeiteerange fich nie vor ihm zu fürchten und zu einer frommıen 
Nothlüge zu greifen veranlaßt fein konnte. Die liebliche Sage von ber 
wunderbaren Zerwandlung von Speifen, die Elifabeth im Korbe ven 
Armen bringen wollte, in füß buftende Rofen, ift eben nicht® als eine 
Cage, bie fpäter hinzugebichtet oder auf fie übertragen worden ift, 
und fein glaubwürbiger authentifcher Bericht erzählt fie. Ueberhaupt 
beruben alle die Wunder, die der Landbgräfin als bei ihren Lebzeiten 
gefchehen zugefchrieben werben, darunter auch bie fogen. Kleiderwun⸗ 


) &. Kun. Reinh. 





5m Sram, X. Wegele, 


Ir tale es bereitẽ eben angedeutet, in ber Lebensperiode ver 
N C:takurd, die seid idrer Serbeirathung und dem Tode ihres Gemah⸗ 
rs ixgr. dadet des Aritreten M. Konrad's von Marburg auf 
der Burrerrg einen wichtigen Abſchnitt, deſſen Bedeutung für vie im 
are Errmikleng derielben, ſo viel ich fehen Tann, alle Biographen 
na EN cart lanen. Und dech kann bie in feinem Auftreten 
wien Fürtarı miht wichtig genug genommen - werden. Um es 
berz zu das: eritramd Kenrar'd unmittelbares Zuthun und fuftematifche 
Fomtang ertæxicelt ñch in Eliſabeth jene eminent ascetiſche Richtung, 
dee dera in idren legten Ichenejahren ben Höhepunft erreicht, bie, 
ir ĩeit Bid moglich. zu einem Brauch mit ihrer Vergangenheit führte 
art ihr dad Yeden und Thun ver dem Tode ihres Gemahls ale etwas 
darcdous Ungerſgenades, ale etwae, wofür fie Buße zu thun habe, ale 
ctmwad, weten ite alle Erinnerung aus;ulöjchen habe, erfcheinen ließ. Man 
mag über dieſe Ummandlurg veufen wie man will, uns ift e8 der gefchicht« 
tiben Wabdrdeit gegenüber zumächit nur darum zu thun, bie Thatfache zu 
ceritativen, und wir werten die Beweiſe dafũr nicht ſchuldig bleiben. Diefe 
Umwantlung, zu ter tie Keime allerdings in ihr gelegen haben, hat M. 
Kenrad berkeigcfübrt, un? es bat dann an äußern Umſtänden nicht ge⸗ 
feblt, die Eliſabetb in dieſer Richtung auf's äußerſte trieben. Wir können 
nicht umbin, ed auszuiprechen, M. Kourad hat einen Zwieſpalt in ihr Ins 
neres geworien und Die ſchoͤne Harmenie ihrer Seele geftört. Jenem Zwie⸗ 
jpalt ift nur buch ben früben Tot tes Landgrafen fein gefährlichiter 
Stachel genommen werten, und im übrigen hat fie ihn zulegt aller» 
tings beſiegt, aber nur, indem fie alles, was ihr font lieb und theuer 
war, voran Die Pflichten gegen ihre Kinter, vie natürlichite und hei⸗ 
ligſie aller menjchliiben Empfindungen, tie Wutterliebe, und, wir bes 
fürchten es, bie beſeligende Grinnerung an ten doch fo heiß geliebten 
Mann ihres Herzens zum Opfer bradıte. Dies war das Werk M. 
Konrad's: dagegen jene herrlichen Tugenden ber Demuth und ber 
Barmherzigkeit, um deren willen fie mit Recht zu allen Zeiten ale 
ein unerreichtes Muſter verehrt wird, an ihnen hat Konrad keinen 
Antheil, fie hatte fie im höchſten Maße geübt, ehe fie unter feinen 
Einfluß gelangte, und wir werben hören, er hat fie in dieſer ihrer 
Leidenſchaft — bie einzige, die fie hatte, wenn biefes Wort einer jol- 
hen Zugend gegenüber gebraucht werben darf — wie er felbft cr- 





Die Hi. Eliſabeth von Thfringen. 377. 


st, — vielmehr zurückzuhalten und zügeln zu müſſen geglaubt, in 
Neier Leidenſchaft, um deren willen fie von Anfang an zum Gefpötte 
ver Beltlinver geworben ift und die Verfolgung und ten Haß ihrer 
Umgebung auf fich gelaben hat. Wir fegen hier tie Bekanntſchaft 
mit Konurad's Berfönlichkeit und Charakter im Allgemeinen voraus, 
Reine Frage, er war eine bebeutenbe, eine innerhalb feiner Kirche damals 
zum Siege brängende Richtung in einer gewiffen Vollenvung re« 
präfentirende Natur. Gelehrt, berert, umeigennüßig, ber Sache, 
ber er biente, mit ganzer Ueberzeugung zugethban, unfträflichen 
Banbels, und es ift abfurd, in tiefer Beziehung irgend einem Zweifel 
Raum zu geben, wie gefiheben ift. Aber er war zugleich eine durch⸗ 
6 einfeitige, herrfchfüchtige, in feiner Heberzeugung maßloſe Natur, 
die auch von ben äußerften Gonfcquenzen ihres Etandpunftes nicht 
urücdhchredte und nicht bloß, allertings im Einklange mit dev Lehre 
der Theologen feines Jahrhunderts die mönchijche Asfefe und die Los⸗ 
Wang ven ter menſchlichen Geſellſchaft für vie hüchfte Leiftung 
ves Chriften bielt, ſondern aud ter Meinung war, jede Ab» 
weichung von ben Öruntfägen ber Kirche müſſe mit Feuer und Schwert 
eines beifern belehrt werden. Bekanntlich war jeit dem Anfange des 
13. Jahrhunderts zunächit in Südfrankreich die Häreſie Der Albigenfer 
uud Waldenſer in rajcher Verbreitung aufgetreten, ähnliche Erfcheis 
zungen waren im oberen Italien aufgetaucht, und auch in Deutſch⸗ 
land drohten fie um fich zu greifen, und bier wie überall follte fie mit 
allen Mitteln erſtickt werden. Unter biefen Umftänden war M. Konrad 
kereitö im J. 1214 von B. Innocenz III. zum Inquiſitor in Deutsche 
land ernannt, und P. Gregor IX. hatte dieſes Mandat erneuert 
und erweitert. Konrad hat fich vom Anfang an dieſem Auftrage mit ber 
ganzen Energie feiner kräftigen Seele hingegeben, und es dauerte nicht 
lange, fo loderten auch in Deutjchland einzelne Ccheiterhanfen '). 
Es ift bekannt genug, daß einerjeits die Gefahr übertrieben war, 


) S. ,. B. ba8 Chronicon 8. P. Erford. (bei Menken III. ad a. 1222) 
demnah iR Eimon zu berichtigen, ber (1. c. €. 135— 6) ben Landgrafen 
gewifjermaffen mit ber Bemerkung entſchuldigen will, jene Thätigleit M. 
Konrad'e habe erſt kurz vor Ludwig's Tode den Anfang genommen. 


378 Gran; Z. Biegele, 


uub baß audrerſeits gerabe gegen das allzweifrige Borgeben Kcnran’6 
zulegt eine heftige Reaction eintrat, der er, einige Jahre nach dem 
Tote der bi. Eliſabeth, zum Opfer gefallen ift. 

So befchaifen war ver merfwürbige Mann, welcher ver Entwidelung 
umferer Heiligen die gefchilverte felgenreiche Wendung gegeben hat. 
Konrad kann nicht lange ver tem Sabre 1226 in feiner Stellung als 
Gewiſſensrath Clifabeth’6 eingetreten fein;') wir betonen viefe Zeit 
beftimmung, weil fie für unfere bereit ansgeiprochene Auffaffung nicht 
gleichgültig if. Ob, wie von fpätern berichtet wird, von Rom ans 
Konrad zu diefem Poften empfohlen worben ift, müffen wir dahin ges 
ftelit fein lafſen; unmöglich ift es nicht, ba ein ſo kirchlich gefiunter 
Hof, wie damals der landgräfliche war, gewiß früh vie Aufmerkſam⸗ 
leit der römifchen Enrie auf fich gezogen bat, und es in ihrem In⸗ 
tereffe lag, ſich einer fo wichtigen Bofttion in jeder Weiſe zu verfichern. 
Wie dem aber auch fei, die Berufung des Mannes nad) ver Wartburg, 
ber als Inquiſitor bereits der Schreden von Deutfchlanb gewor⸗ 
den war, deſſen excluſive Gefinnungen fein Geheimniß fein konnten, 
zeugt vor Allem für vie hochlirchlichen hingebenden Aufichten des 
regierenden Yandgrafen felbft. Freilich hat man viefes Verkältuiß 
von Vebertreibungen nicht frei zu erhalten verftanten, und wir hal 
ten uns verpflichtet, ein bamit zuſammenhängendes Mißverftänteiß, 
deffen fich alle Biographen Ludwig's und feiner Gemahlin ohne Ans- 
nahme ſchuldig gemacht”), mit dem viele fogar groß gethan haben, 
der Wahrheit gemäß, wie es fich gebührt, aufzullären. Es wirb näms- 
lich erzählt, das Vertrauen des Lanbgrafen zu M. Konrad wäre fo 
weit gegangen, baß er ihm die Befegung fämmtlicher geiftlichen Bene⸗ 


1) M. Konrad fazt das ſelbſt im feinem Briefe an Papſt Eregor IX. 
(bet Leo Allatius, 1. oc.) : „Duobus annis, antequam mihi com- 
mendaretur adhuc vivente marito suo, Confessor ejus existens, eto.“ 
Da der Landgraf im Sept. 1227 geftorben ift, unb Konrad fagt, er fei 
zwei Jahre vorher Eliſabeth's Beichtvater geweſen, fo werben wir feinen 
Eintritt in biefe Stellung in bie zweite Hälfte bes 3. 1225 zu ſetzen 
haben. 

?) Auch Hr. Simon if bier ſchlechthin ber herkömmlichen Weberlieferung 
gefolgt. 





880 Franz X. Wegele, 


zunächſt und vorzugsweiſe gerufen war. Bei einer geiſtigen Organi⸗ 
ſation, wie wir fie an Eliſabeth kennen, bei der adtetifchen Tendenz, 
wie fie eben jegt in den maßgebenden SKreifen ber Kirche durch 
bebeutenve, ja große Männer gefchaffen und begünftigt wurbe, wer 
wollte fi wundern, wenn eine fo empfängliche Natur, wie bie ber 
Lantgräfin, fehrittweife unter jenes Syſtem der Aslefe und Selbfter- 
tödtung gebeugt wurde, das damals als die evelfte Blüthe des Glau⸗ 
bens gepriefen wurde? Es bauerte nicht lange, fo gelobte fie ihrem 
eifernben Beichtiger förmliche und feierlide Obedienz, und ber Laud⸗ 
graf gab feine Zuftimmung dazu und behielt ſich nur ausprüdlich feine 
Rechte als Eheherr vor’), fo daß fie von uun an"im Gruube zwei 
Herren zu geborchen hatte; ein Verhältniß, in dem offenbar und uns 
vermeiblich die künſtliche Schöpfung eine Zwieſpaltes für ihre 
Seele lag. Die geleiftete Obedienz war identifch mit ber Unterordnuug 
unter die Vorfchriften ihres Meifters, dem es voller Ernft mit ber 
Durchführung feiner Anfichten war. Zwar die zwölf Denkſprüche ober 
Lebensregeln, vie er Elifabeth fpäter gab, haben durchaus nichts Ueber⸗ 
ſpanntes an fi, zumal wenn man fie nad) der Zeit und ven Um⸗ 
ftänden ihrer Entftehung beurtheilt *), aber feine Praris geht doch uns 
endlich weit über fie hinaus. So war eines der erften Geſetze, deren 
Defolgung Konrad von feinem Beichtfinde verlangte, daß fie fortan 
an ihrem Tiſche nur von rechtmäßig und nicht auf Kojten anderer, 
zunächſt der Kirche, erivorbenen Güter ftamınenden Speifen efjen vürfe’). 
Sie gehorchte freudig dieſer Vorſchrift, obwohl fie bei der jtrengen 
Auslegung ber „Rechtmäßigkeit“, die Konrad aufitellte, Häufig in bie 
Lage kam, hungern ever mit trodnem Brode fich begnügen zu müflen, 
und auch dieſem Geſetz gab ihr Gemahl feine Zuftimmung. Konrad 
dehnte aber dieſe Borjchrift fegar dahin aus, daß fie auch an fremden 
Tafeln feine Speije genießen bürfe, ehe fie fich von beren rechtmäßiger Er» 
werbung überzeugt habe *), eine Forderung, in welcher denn doch eine un⸗ 
läugbare Forcirung und Ueberſpanntheit liegt, ſchon weil fie nicht zu er- 





1) Diet. ancill. L. c. p. 1014 sq.: „— salvo tamen iure mariti sui.“ 
2) ©. Jufti, L c. p. 162, Anm. 3. 

3) Dieta ancill. P. 1], p. 2014, c£. A. R p. 169, 24. 

9) Dicta ancill. 1. c. 





Die Hi. Eliſabeth von Thüringen. 881 


füllen war. Erft jeßt ferner hören wir von jenen häufigen körper⸗ 
ſihen Züchtigungen, die zur Nachtzeit ihre Dienerinen ihr ertheilen 
uehten.’) Die körperliche Züchtigung hielt Konrad ganz im mönchijchen 
Geifte feines Jahrhunderts überhaupt für ein fehr wirtfames Mittel 
kr Kuße und zur Seligfeit, wenbete fie Eliſabeth gegenüber aber, fo 
lmge ihr Gemahl lebte, doch nicht an. Als fie einmal durch Vers 
ſinniß einer Prebigt feinen frommen Zorn befonders gereizt hatte, 
leſtrafte er fie mit feiner Ungnade, dagegen ihre Dienerinen, denen er 
Ne Schuld ver Verſäumniß beimaß, wurden, bis aufs Hemde entklets 
bet, empfindlich gezüchtigt.”) Der Hauptangriff Konrad's war aber 
seen das eheliche Verhältniß der Landgräfin gerichtet, — ba bie 
Theorie, vie derſelbe verfocht, in ven ehelofen Stund und ber feger 
zanunten Enthaltfamkeit den wahren und nächſten Weg zum Himmel 
erfannte. Freilich konnte es fih Konrad nicht beikommen lafjen, Eli 
fateth von ihrem Gemahle losreißen zu wollen, und fie mußte bei ver 
erachten Dbedienzleiftung ihm zunächſt nur das Gelöbniß ablegen, 
falls fie den Landgrafen überleben follte, nicht wieder zu heirathen. ?) 
Über Konrad fchreibt nach ihrem Tode an den Papjt, Clijabeth habe 
im feinee Gegenwart ihr Bedauern darüber ansgefprochen, daß fie 
überhanpt verheirathet worden fei und nicht als Jungfrau das Leben 
babe beichließen Können. *) Wir find meit entfernt, die Slaubwürbig- 


5) Dicta aneill. 1. c. p. 2015—16: „Item surgens & viro, in secreta 0#- 
mera fecit se fortiter verberari per manus ancillarum .. . . et hoc 
fecit frequenter, postquam fecit obedientiam Magistro 
Conrado.“ 

®) Diet. aneill. 1. c. p. 2017, B.: „— et ancillac, quibus M. Conradus 
eulpam imposuit, usquo ad camisiam spoliatae, bene sunt adeo ver- 
beratae.‘“ 

2) Dicta ancill 1. c. p. 2014: „— ct promisit in manns Magistri sui 
Conradi, quod sorvaret perpetuam continentiam, si contigeret cam 
supervivere mortuo marito suo.“ 

%) ©. Epistola M. Conradi ad papam (I, c. p.270): „Dnobas an- 
nis antequam mihi coınmendaretur, adhuc vivente marito suo, Con- 
fessor ejus existens, ipsam querulantem reperi, quod aliquando 
fuerit conjugio copulate, ct quod in virginali flore vitam prescutem 
non poterat terminare.“ 





882 Franz X Wegele, 


keit dieſer Nachricht in Zweifel zu ziehen, behaupten aber doch, daß 
dieſe Aeußerung nicht die wirkliche Ueberzeugung Eliſabeths geweſen 
iſt und daß ſich, indem ſie dieſelbe that, von außen bearbeitet wie ſie 
offenbar war, über ſich ſelbſt getäuſcht hat. Oder wird jemand, ange⸗ 
ſichts des erwieſenen innigen und zärtlichen Verhältniſſes zu ihrem Ge⸗ 
mahle, das wir auch nachher unverändert finden, die Stimmung, aus 
der eine ſolche Aeußerung hervorgehen konnte, für ihre normale aus⸗ 
geben wellen? Das ift es eben, was wir oben ben Zwieſpalt nann« 
ten, den Konrad in ihrer Seele aufregte, und darüber können wir nicht 
hinaus. Allerdings war Elifabeth’8 Gemahl namentlich feit 1225 auf 
feinen verfchiedenen, im eigenen und im Intereſſe des Reichs unter» . 
nommenen Zügen und Reifen jo häufig von der Wartburg abwefend, 
daß eine Anfchauung, wie bie in Rebe ftehende, unter den gegebenen 
Berbältniffen, in einer Natur wie fie einmal war, vorübergehend 
Kaum finden konnte;’) was aber, ich fage nicht über die Ehe übers 
haupt, fonvdern in Bezug auf ihre Ehe die wahre Meinung ber Land⸗ 
gräfin geweſen fet, das iſt fehon in der nächjten Zeit, und wie un 
fcheint in unwiderſprechlicher Klarheit, zu Tage gelommen. 

Am 11. Septbr. 1227 ftarb Eliſabeths Gemahl, Landgraf Lud⸗ 
wig IV., ferne von ihr in Otranto in Apulien, als er eben im 
Begriff war, mit K. Friedrich IL von dort aus ben Kreuzzug 
anzutreten, der für den Saifer, eben weil er nicht ausgeführt wurbe, 
bie Quelle fo heftiger Anlagen von Seite des Papftes Gregor gewor- 
den ift. Für den Landgrafen hatten zwei Momente zufammengewirft, 
ihn zur Theilnahme an viefem Zuge zu ‚beftimmen, auf ber einen 
Seite fein eminent frommer und kirchlicher Sinn, auf der andern feine 
treue Gefinnung gegen Friedrich. Aus liebevoller Rüdficht für feine 
Gemahlin, die eben gefegneten Leibes war, hatte er ihr dieſen feinen 
Entſchluß längere Zeit verheimficht und das Kreuz nicht, wie es Sitte 
war, an feinem Oberkleive angebeftet, fonbern trug es in feiner Ta⸗ 
fche; fie entdeckte es aber gleichwohl früher, als er es gewünfcht hatte, 
und erſchrak bei deſſen Anblic jo heftig, daß fie darüber in Ohnmacht 


3) Wir bemerken hier, daß bie fraglihe Aeußerung Eliſabeth'e in dem Zur 
fammenbhange, in dem fie M. Konrad vorträgt, offenbar in bie Zeit der 
Reife des Landgrafen zu Kaifer Friedrich II. (im J. 1226) zu fehen if. 





884 Franz X. Wegele, 


Dtrant, wie erwähnt, hinwegraffte.‘) So ftarb er in ber Bläthe 
ber Mannesjugend, einer ver ebelften deutſchen Fürften, die je gelebt, 
ein theures Opfer jenes Enthuſiasmus ber Kreuzzüge, dem es wie nur 
den Wenigften gelungen war, Gott zu geben, was Gottes, dem Kai⸗ 
fer, wa® des Kaiſers, und dem ficher bei längerem Leben noch eine 
große Rolle in den bald beginnenden Verwidlungen im beutfchen 
Neiche befchieden gewefen wäre. Sein Tod war aber beſonders für 
feine Hausländer eine Calamität, denn feine fchlinmen Ahnungen ha⸗ 
ben fich nur zu bald und in umfaffender Weife erfüllt; eine Calamität 
insbefondere und noch vielmehr für fein Haus, das dadurch um eine 
in Ausficht ftehende große Zukunft betrogen ward und auf bem feit 
feinen Weggang kein Segen mehr gerubt hat. Man muß daher wohl 
fagen, daß in die Geſchicke Feines deutſchen Fürftenhanfes die Kreuz- 
züge fo verhängnißvell eingegriffen haben, al& in das Haus Lubwig’s 
bes Bärtigen. — 

Aber auch für Elifabeth ift ihres Gemahles früher Tod entfcheis 
dend, auch für fie verbängnißvoll geworben; er bildet die Peripetie im 
dem Drama ihres Lebens und eröffnet den dritten und letzten Alt 
deffelben. In innigem Bunde mit Ludwig hatte fie bie höchften menſch⸗ 
lichen und religidfen. Tugenden entfaltet und das Gleichgewicht ber 
Kräfte und Anlagen bewahrt, aus denen ihre fo bedeutend und eigen- 
thümlich erganifirte Natur zufammengefegt war. Eine Folge von Zube 
wig's Tod aber iit, daß fie dieſes Gleichgewicht verliert und bie 
einfeitige ascetifche Richtung, in vie fie noch bei Lebzeiten deſſelben 
unter Einwirkung ver Zeitjtimmung und insbefondere M. Konrad's, 
wenn anch noch unentfchieden, eingelenft Hatte, in nicht langer Zeit 
vollftändige Gewalt über fie gewinnt. 

Elifabetb war nach dem erwähnten fchmerzensvollen Abfchiete von 
ihrem Gemahle nach der Wartburg zurüdgefehrt und Hatte ſofort Witt- 
wenfleiver angelegt. Ueber bie nüchftfolgenden Pionate ihrer Cinfamleit 
find wir fo gut als gar nicht unterrichtet; beſonders troftreich wird 
dieſe Zeit nicht für fie gewefen fein, da ihre Schwiegermutter und ihre 
beiden Schwäger, teren Einfluß naturgemäß bei ver Abweſenheit des 
Landgrafen fteigen mußte, aus uns befannten Gründen ihr keineswege 


) S. A. R. p. 205-207. 





Die Hi. Efifabeth von Thüringen. 385 


freundlich gefinnt waren. Wir willen nur bas Cine mit Gewifheit, 
tag fie in diefen Monaten ihr drittes Kind (die jpätere Nebtiffin Gertrud 
von Altenburg bei Wetlar) geboren hat und noch leidend war, als in Ver⸗ 
Lanfe nes Oftcbers (1227) vie Botfchaft von dem unerwarteten Ableben ih- 
res Gemahls auf ver Wartburg anlangte. Elifabetd war auf cine foldhe 
Kunde nicht gefaßt und wurde von ihr zunächft vollſtändig übermältigt. 
„Als fie die Worte: er ijt todt! hörte — erzählt Kaplan Bertold — 
Tchleß fie die Hände frampfhaft zufammen, legte fie mit gebeugtem 
Haupte auf ihre Kniee und rief aus: „Todt, todt ijt mir nun auch 
rie Welt mit ihrer Luſt und Freude!“'), dann ſtand fie auf, irrte wie 
ander fih und laut weinend in fchmerzhaftem Ungeftim im Zimmer 
Yin und her und Hammerte fi) an den Wänten an, bis fie zulegt wic« 
ver Befinnung und Fafjung gewann.” Wir knüpfen hieran im Vorbeigehen 
vie Frage, ob die eben gefchilvderte Haltung ver Heiligen bei der 
Nachricht ven ihres Gemahles Tore nicht ein redenter Beweis für 
unfere Auslegung und Würkigung jener Yemerlung M. Konrads in 
feinem Briefe an ten Papft ift? Gewiß, über tie Che im Nilgemei« 
nen hat Elifabeth ficher und ohne Beſchränkung die Anſchauung ihres 
Meifters und der Theologen jener Zeit getheilt, wir wiederholen aber uns 
fere Behauptung, daß fie in Bezug auf ihre eigene Ehejene gedachte Aeuße⸗ 
rang nur in einen fchwachen Augenblide und gegen ihre normale 
und wahre Empfindung gethan hat. Es verging doch auch nach 
Lupwige Tod noch einige Zeit, bis fie auf dieſem Standpunkte ans 
langte: denn angelangt ift fie in der That auf demſelben. Gleich bie 
nichften Greigniffe, vie fie trafen, Haben in Verbindung mit dem 
fur; zuvor erlittenen unerwarteten und umnerfeglichen Verluſte 
tie Zeitigung tiefes ihres letzten Entwickelungsſtadiums  befchleu- 
tigt. Die Nahriht von tem Ableben tes Lanbgrafen hatte 
nemlich auf ter Martburg einen Syſtem⸗ oder Parteimechfel zur 
Felge, der fih vor allem gegen deſſen Wittwe fehrte. Der Iegitime 
Erbe und Nachfolger Ludwigs war nach der bisher im landgräflichen 
Saufe beobachteten Praxis ohne Zweifel deſſen Erftgeboruer, Her» 
mann (II.); da biefer aber erft vier Fahre zählte, fo fiel Ludwigs 


) S. A. R. p. 208: „Mortuus, mortuus est et mihi mundus et omne 
quod in mundo blanditur.“ 


diterifäe Beitfärift V. Band. 25 


386 Sranz X. Wegele, 


jüngerem Bruder, Heinrich Raſpe IV., die Vormundſchaft und 
Regentſchaft zu. Indeß iſt es gewiß, daß im gegenwärtigen Falle 
dieſe Praxis verlaſſen oder verletzt wurde: Heinrich Raſpe nahm ſtatt 
der Vormundſchaft und Regentſchaft vie landgräfliche Würde ſelbſt 
an ſich, ließ auch ſeinen jüngeren Bruder Konrad, (ten ſpäteren 
Hochmeiſter des Ordens) an dieſer Würde theilnehmen, der junge Her 
mann endlich wurde nur als der Dritte im Bunde betrachtet und 
zunächft mit Heſſen abgefunden. Die Verſuchung an eine Uſurpation 
von Seite ver Oheime bes legitimen Erben zu venlen, liegt nahe, wenig⸗ 
ftens ijt es unzweifelhaft, daß Landgraf Ludwig IV. vor jeinem Tode feine 
derartige Anerbnung getroffen und nur in feinem Schne feineu 
zukünftigen Nachfelger erblidt dat‘). Zwar waren bie Zuftänte im 
Neiche im Augenblide noch nicht jo verwirrt, daß man eine ſolche 
Rechtsverletzung für jo leicht tenkbar und möglich Halten Lürfte: indeß 
läßt fih der ganze Hergang in jeiner Anomalie auf antere Weife 
faum erklären und jtcht überdieß mit dem Charakter Heinrich 
Raſpes' nach allem, was wir ſonſt davon wiſſen, in keinem Widerſpruch. 
Die fpätere Anerkennung dieſer Ujurpation von Seite des Kaiſers 
muß dann allerdings Hinzugetreten fein, inteß biefe bot, wie bie Dinge 
lagen, wohl die geringjte Schwicrigfeit, und ijt offenbar auch erfelgt, 
da jene Abweichung von der herkömmlichen Succejjiensortnung nie 
mals angefochten worden ijt ‘). Nur durch die Annahme einer Ufjurs 
pation wird ver Schlag begreiflih, der noch i. J. 1227 gerade von 
Heinrich Raſpe auf Elijabeth und ihre Kinder geführt worten ifl. 
Die Oppefition gegen Elifabeth und ven ven ihr angegebenen Ton 
hatte, fo lange ihr Gemahl gelebt, ſchweigen mülfen, brach aber jet 
mit um fo leidenfchaftlicherer Gewalt wierer hervor. An der Spige 
berfelben ftanven die beiden Brüder des verjterbeuen Yantgrafen, eben 
jener Heinrich und Konrad: ver erftere ein zweideutiger Charakter, ber 





’) Es geht das gleich aus ber Urkunde 8. Fried rich I. v. Eept. 1227 
(Spieß archivaliſche Nebenarbeiten, I. p. 147) hervor, worin berfelbe dem 
bei ihm weilenden Landgrafen Ludwig IV. zm Liebe aud beffen Sohn 
und Erben eventuell mit Meißen belehnt. 

2) ©. über diefen dunklen Hergang auch Ficker: Vom Reichefürftenfand, L 
©. 250 — 201. 





Die hl. Giſabeih von Thüringen. 887 


fh nach feiner Seite hin ein gute® Andenken zu fchaffen verftanven 
Sat, ber andere eine heißhlütige, wilde Natur, aber offenbar von uns 
enblich tieferem Schalte als fein Bruder, er bat auch fpäter, wie be« 
Bamnt, bie befferen Seiten feines Wefens malten laffen und vie Erin- 
zerung an feine ungebänbigte Jugend durch rühmliche Selbftüberwin- 
bung auegelöfht. Diefe Partei hatte in ihren Abfichten um fo 
leichtere Spiel, als ein guter Theil tes thüringifchen Avels und ter 
fantgräflichen Dienftmannfchaft, darunter die ohnedem nicht zahlreichen 
Unhänger Elifabeths, vom Kreuzzuge noch nicht heimgefehrt waren. 
So war fie ſchutzlos und wehrlos dem Haffe ihrer Gegner ausge 
Liefert , die für eine Erſcheinung wie tiefe war nie ein Verſtändniß 
gehabt und, ihrer Meinung nach wenigjtens, unter ihrer Herrichaft zu lei⸗ 
ven gehabt hatten, ja, und dieß vielleicht nicht ohne einen gewilien Schein 
ver Wahrheit, fich einredeten, das Intereſſe des Haufes und Landes 
verlange es fogar, die Verſchwenderin unjchäblich zu machen. Das 
Ergebniß diefer Stimmung war danu jene Ujurpation und Die Bere 
treibung Eliſabeths und ihrer Kinder von der Wartburg; wie 
eine Bettlerin wurte die Königstochter roh und mitleivlos in winter- 
Giher Jahreszeit vor die Thüre gejtojfen. Auch diefer Hergang ift 
etwas dunkel und munche Frage, bie fich aufträngt, bleibt unbeant» 
wortet; im Wefentlichen wird man aber über die Gegenſätze zweier 
amverföhnlicher Pebendauffaffungen und vie Anwendung roher Gewalt 
wicht hinauskommen. M. Konrad jcheint während dieſer Kata— 
ſtrophe abweſend gewefen zu fein, und vie Schwiegermutter Eliſabeth's 
Rand ja auf Seite ihrer Feinde ; nicht einmal das unläugbare Anrecht 
der Vertriebenen auf ihr vertragsmäßiges Witthum wurde anerkannt: 
uud es will uns taher bedünken, wenn eine ſolche Beraubung und 
Berftoßung gegen alles Recht gefchehen durfte, fo gehörte auch bie 
Ufurpation nicht zu den unmöglichen Dingen. Eliſabeth brachte bie 
nächſten Monate in Eifenach unter ven äußerſten Entbehrungen und 
Demüthigungen zu und mußte bier die bittere Erfahrung machen, vaß 
vie Bevölkerung ver Stadt, die von ihr in der Zeit ihrer Macht mit Wohl⸗ 
thaten überfchüttet worden war, aus Furcht ver dem neuen Herrn es nicht 
wagte, in ihrem gegenwärtigen Hilflofen Zuftante ihr Theilnahme und 
Mitleid zu bezeugen, ja daß fie felbit ven folchen mißhantelt und 
verhöhnt wurde, an benen fie fich in befonderem Grate barmherzig 
2b * 


388 Franz X. Wegele, 


bewiejen hatte. Und nun wird es uns kaum wundern, wenn viefe 
Wendung ihres Schickſals eine Krifis iu ihrer Seele zur Folge Hatte, 
bie im Zuſammentreffen mit der urſprünglichen Stimmung ihrer Na- 
tur und allem Vorausgegangenen mit einer velljtäntrigen Ablehr 
von ber Welt und allem, was fie noch an biefe gefefjelt hatte, und 
mit einem abfeluten Aufgehen in ten Theorien M. Konrads enbigte. 
Die Nichtigkeit des irdiſchen Glüdes war mit und feit dem Tode 
ihre® Gemahls zu überwältigend über fie hereingebrochen, ale daß 
man erjtaunen dürfte, wenn fie bie von ver Kirche gerade damals mit 
ho nachtrudsvollem Eifer geprebigte Lehre von jener Nichtigkeit auch 
in ben legten Conſequenzen zu aboptiren nun geneigt wurde. 
War fie vorläufig doch in eine Lage verfegt, in ver fie nicht einmal 
ihre einzige Leidenfchaft, das Elend ihrer Mitmenſchen zu lindern, 
zu befriedigen vermochte. So ergab fie ſich denn mit rührender Faf- 
fung in das über jie verhängte Loos und banfte ihrem Gotte für bie 
Heimfuchung, mit ber er fie begnabete. In diefe Zeit fällt jene Bi⸗ 
fion, die ihre Dienerin Gijentrud erzählt’), und bie, auf ihren Kern 
zurückgeführt, ihren jegt gefaßten Entfchluß, fortan Gott ausſchließlich 
angehören zu wollen, jo bezeichnend ausprüdt. Diefe fogenanuten Bir 
fionen kehren ven nun an häufig bei ihr wieder und find als das Er- 
zeugnig ihrer durch das Unglück gehobenen und gejteigerten, inneren 
Erregung aufzufaffen. Es gehört übrigens zur Charakteriſtik ver 
Heiligen, daR fie, wie ihre cben genannte Dienerin verfichert, faft nie 
zu bewegen war, ten Inhalt ihrer fubjectiv glaubwürbigen Vifionen 
zus offenbaren, was bie eifrige Nachwelt (db. h. die Bollanviften) freilich 
nicht abgehalten hat, ein ganzes Buch über bie ihr angeblich zu Theil 
gewordenen Gefichte zu jchreiben. 

Während fo Gfifabeth in ihrer Bedrängniß in Thüringen keine hilfe 
reihe Hand fand — und es wirft diefe Thatjache doch ein bebenfliches 
Licht auf jene Verhältnijfe und Menfchen — traten enblich ihre müt⸗ 
terlihen Verwandten wenigftens in fo weit für fie ein, baß fie bie 
Verlaſſene zu fih nahmen. Ihre Tante Mathilde, Aebtiffin im Klofter Ki⸗ 
Bingen in Franken, lich fie im Frühjahre 1224 nebft ihren beiden Diene⸗ 
rinnen zu fich abhelen, während die Kinder, es ift nicht au&gemacht wo, 


') Dicta ancill. 1 c. p. 2020. 








Die Hi. Efifabeth von Thüringen. 389 


jurädblieken '). Bon Kitzingen rief fie ihr Oheim, Biſchof Efbert, von 
Yamberg, der feit längerer Zeit wieder in feine Ehrenund Würben einges 
fegt war, zu ſich und wies ihr das Schloß Pottenftein zum Wohnfige 
an. Hier nun wurde ihre Zukunft ernfthaft erwogen. ‘Der Bifchof, der 
sen ihrem Seelenzuftand nur fehr im Allgemeinen unterrichtet ges 
wefen zu fein fcheint, bätte fie am liebften wieder verheirathet, um 
fo ihrer ungewiſſen und wie ihm fchien unmürbigen age ein gründ« 
liches Ende zu machen!). Aber tiefe Zumuthung wies Elifabeth mit 
ver entfchleifenften Entfchiebenheit von fich: jetzt mehr als je war jes 
mes Sclöbnif, das fie noch bei Lebzeiten ihres Gemahls in M. Kon⸗ 
rads Hände abgelegt hatte, für fie von bindender Kraft, und gewiß 
ehne daß dabei irgend eine Selbftüberwindung für fie nöthig war. 
Sie war entfchleffen, einer folchen Zumuthung „mit Wort und That“ 
ju wiberftehen und, wenn ihr nichts anderes übrig gelajfen würde, 
Reber durch Selbſtverſtümmelung einer folchen Gefahr zuvorzukom⸗ 
men ?). Diefe Stimmung hielt fie übrigens noch nicht ab, bie Grinnerung 
an ihren Gemahl nach wie vor heilig zu halten. Eben jetzt kamen 
die Begleiter Lubwigs vom Kreuzzuge, ven fie ihrerfeits wirklich aus⸗ 
gefühert Hatten, mit den Gebeinen deſſelben auf tem Wege nach ver 
Heimath durch Bamberg, wo fie feierlich empfangen wurben. Die Ges 
beine wurben im Dome auegeftellt, Elifabeth war aus PRottenftein her: 
beigernfen werben. Ihre Haltung bei dieſem Wiederſehen ift für 
aufere Auffaffung ihres Verhäftnijfes zu ihren Gemahle von befon« 


N Daß auch die Kinber Eliſabethe mit nach Franken genommen worben 
feien, wie noch Simon, (l. c. &. 115) erzählt, habe ich in ben glaub- 
wärbigen Quellen nicht finden lännen. 

2) Die Ueberlieferung , daß 8. Friedrich 11. Elifabeth zur Gemahlin be- 
gebrt habe, iR zu jung und leibet au an zu vielen äußeren und in- 
neren Unwahrfcheinlichleiten, ala baß fie Glauben verdiente. 

”) ©, Dicta ancill. P. III. p. 2021. „— quia non conditionaliter, 
si amicis meis placcret, sed absolute vovi integerrimam Cuntinentiam 
post mortem mariti mei, ct si avunculus meus me invitam alicni 
tradiderit, animo et verbis dissentiam, ct si aliam vinm evadendi 
non haberem, secrete proprium nasum meum truncarem, 
et sic nullus curaret me tamı deformiter mutilatam.“ 


390 Franz X. WBegele, 


berer Wichtigkeit, und glüdlicher Weife find wir Durch zwei Augenzeugen 
zur Genüge davon unterrichtet *). Der faum bezähmte Schmerz erwachte 
wieder, und die Empfindungen, tie fie bei diefem Zufammentreffen 
geäußert hat, athmen theilg eine unbedingte Ergebenheit in den Rath» 
ihluß ver Vorfehung, teils bezeugen fie ihre Liebe und ihr in biefer 
Liebe gefundenes Glück in einer Beſtimmtheit, die gegen jene öfters 
berührte Acußerung M. Konrads, injoferne fie als ber Ausprud ihrer 
normalen Anſchauung gelten foll, unwiderſprechlichen Proteft einlegt. 
„Herr, — fofprac fie u. a. — du weißt wehl daß ich, fall es dein 
beiliger Wille gewefen wäre, fein (Ludwig's) Leben und fein liebliches, 
fröhliches Angeficht aller Freude und Wonne tiefer Erbe vorgezogen 
hätte. Gerne würde ich die ganze Zeit meines Lebens in Armuth 
und Dürftigfeit hinbringen, wenn ich mit deinem Willen feinen Um— 
gang hätte "genießen können. Nun aber befehle ich ihn und mich dei⸗ 
ner Gnade und möchte ihn gegen deinen Willen auch nicht mit vem 
Heinften Baare meines Hauptes in's Leben zurückrufen.“ — Die 
thüringifchen Herrn, bie die Gebeine des Landgrafen nach Haufe ges 
leiteten,, und voran ver ritterliche NMutolf von Vargula, prüdten nun 
ihren Wunfch aus, Elifabeth möge mit ihren beimziehen, und Bifchof 
Ebert geftattete dies gegen das ausbrüdliche Verfprechen, daß fie 
feiner gefränften Nichte zu ihrem Rechte verhelfen wollten So ging 
denn bie vertriebene Fürftin unter dem Schutze jener Braven wierer 
nah Thüringen zurüd: mit ver NReclamirung ihrer zu Recht begrün- 
beten und jo ſchwer gekränkten Anſprüche war fie durchweg einver- 
ftanden. Im Kl. Reinharpsbrunn, wo unter zahlreichem Zuſam⸗ 
menfluß von Theilnehmenden die Beerdigung ver Gebeine Ludwigs jtatt- 
fand, hat dann ver Schenf Rudolf fein verpfündetes Wort eingelöft und dem 
Landgrafen Heinrich in muthigen Worten bag an der Wittwe feines Bru- 
ders begangene Unrecht wenigſtens mit fcheinbarem Erfolge zu Gemüthe 
geführt. Elifabeth wurde, wie fiedas wünfchte, in ihr Leibgeding und Wit⸗ 
thum eingefegt und follte auf ver Wartburg mohnen : obauch die Anfprüche 
ihres Sohnes bei diefer Gelegenheit betrieben werten find, darüber 
find wir in keiner Weife unterrichtet. Indeß vie guten Vorſätze tes 





) ©. A. R. p. 210 und Dicta ancill. P. 11. (l. c. p. 2021, B.) 





Die HL. Eliſabeth von Thüringen. j 391 


Landgrafen Heinrich R. haben nicht lange nachgehalten; auf bie 
Wartburg mit ihren Kindern zurücigefehrt, ſah Elifabeth fich bald genug 
wieder ter drüdentiten Dürftigkcit und Zurückſetzung preisgegeben, 
wie das eine ihrer Dienerinnen ausprüclich verſichert'). Wohl mög« 
Lech, daß ihre früheren Gegner am Hofe es dem charakterlofen Fürften 
um jo leichter wieder abgewannen, als Elifabeth, in Folge des in ihr 
nach Tem Tore des Geinahls eingetretenen Wnfchwunges, den wir im 
Auge behalten müffen, jest in gefteigertem Grade ſich den Urfachen 
ügrer früheren Berfolgungen, ver Weltverachtung und den Tugenden 
ver Darmberzigfeit Hingab. Ich darf hier nicht unterlaffen zu bes 
merten, daß tiefe mißgünftige Behandlung Klifabeths nicht bloß dem 
böfen Willen der Betreffenden zugefchrieben werben darf; eine fo ano» 
male ud biegewöhnlichen Yebensanfichten in fo ungewöhnlicher Weife zu— 
rũckweiſende Erfcheinung durfte doch faum darauf hoffen, von den ges 
wöhntichen Menfchen, die fich bekanntlich ftets in ftarler Majorität befins 
den, verſtanden oder gebultet zu werben. Indeß fcheinen gerade in biefer 
Zeit ihre auf's Neue bedrohten öfonomifchen Angelegenheiten radical und 
ein für allemal georonet worben zu fein, und zwar ijt diefer Akt zunächft 
von M. Konrad. M. und, wenn michnicht Alles täufcht, unter Bermit- 
wlıng P. Gregor IX. purchgeführt worden“). Wir erinnern ung, wie 
man höchſt wahrjcheinlicher Weife ſchon früh, noch unter P. Honos 
sin 6 IIL, ven Rom aus den ergebenen thäringifchen Hof, und vor 
allem tie fromme Landgräfin in's Auge gefaßt hatte; daß Gregor IX, 
darch M. Konrad veranlaft, für Elijabeth perfönliche Theilnahme bezengt 
bat, ift eine ausgemachte Sache. Sicher erfannte er die Zierbe und den 
Ruhm, der in ihr ber Kirche heranwuchs, und hatte darum befchlofe 
fen, im ©eijte feiner Zeit und feiner Kirche nichts zu unterlaffen, was 
vie Potenzirung dieſer außerordentlichen Erfcheinung beförtern konnte. 
Es macht in der That den Eindruck, als follte im Sinne des Papftes 
am Eliſabeth ein Meiſterſtück chriftlicher Volltommenheit geliefert wer« 
ven. Daher fette Gregor jetzt ihren früheren Beichtvater — natür« 
lich mit ihrer abfolut freien Zuftimmung — mit unbefchräntter Ges 


ı) Dicta ancill. ©. III. p. 2021. C. 
N Dicta ancilL (l. c.) ©. Ill. p. 2022. B—C. 


392 Franz X. Wegele, 


walt als Vormund in weltlichen und geiftigen Dingen über fie, ale 
Führer , dem fie unbebingt zu gehorchen und dem gegenüber fie feinen 
Willen mehr haben vürfe, ber ihr nach eigenem abfoluten Ermeſſen 
den Weg zum höchjten Ziele zu weilen babe’): fo wenigftens hat 
M. Konrad fein Mandat aufgefoht. Es muß indeß hervorgehoben 
werben, daß Elifabeth in ver Abficht, wie es mit ihrem ferneren Les 
ben gehalten werben folle, nicht ganz mit M. Konrab übereinftinmte. 
Sie hätte fih am liebften in ein Recluſorium eingefchloffen oder wäre 
als Bettlerin von Thüre zu Thüre gezogen. Das erzählt M. Kon 
rad in feinem Briefe an den Papft felbft, fügt aber anch hinzu, daß 
er ihr das, obwohl fie ihn unter vielen Thränen darum bat, nicht er⸗ 
laubt habe. Und num erjt habe fie (am Charfreitag 1229) feierlich 
in ber Minoritenlirhe zu Eiſenach dem eigenen Willen und ber 
Welt und allen ihren Freuden entfagt —, d. h. fie that, was M. Kon⸗ 
rad zuließ — und hätte auch ihren Befigthümern entjagt, wenn er 
es zugegeben hätte. 

An dieſe feierlihe und wenn auch nur fubjectio bindende 
Unterordnung unter einen fremden Willen fchließt fi bie Ueber- 
fierlung Clifabet58 nah Marburg im Verlaufe des Jahres 1229 
an. Angefichts tiefer Thatſache ſtößt uns nur ein Bedenken 
über bie intelfectuelle Urheberſchaft viefer Weberfiebelung auf, 
das in zwei verfchieden lautenden und doch gleich glaubwür⸗ 
digen Nachrichten feinen Grund bat. M. Konrab nemlich er⸗ 
zählt in feinem Briefe an ven Papſt, Klifabeth fei ihm wi- 
der feinen Willen nach Marburg gefolgt”); dagegen ihre Die- 
nerin Eifentrud hat bie befchwerene Ausfage gethan, ihre Her⸗ 
rin ſei auf M. Konrad's Geheiß nah Warburg übergefiebelt’). 
Bon diefen von einander abweichenden Angaben Tann offenbar nur 
Eine wahr fein, uud man wird fich für die Ausfage Konrads oder 
ber Dienerin entfcheiden müfjen, eine vermittelnde Auslegung ift un« 


) ©. ben öfters angeführten Brief M. Konrads an ben Papſt, worin R. 
feine frühere unb fpätere Stellung bei Elifabeth felbft Deutlich unterfcheibet. 

?) ©. Epistola M. Conradi de M. 1. c. p. 271 (unten) „— me, licet 
invitum, secuta est Marburch.“ 

2) Dieta ancill. 1. c. P. 11I. p. 2021. C. „— donec ad mandatum 
M. Conradi Marburch se transtulit.“ 





Die Hl. Eliſabeth von Thüringen. 3093 


möalich. Sollen wir unfere Anficht äußern, fo können wir nicht 
smbin, ber Angabe der Gifentrud in dieſem alle den Verzug 
ud tie höhere Glaubwürdigkeit einzuräumen. Nachdem einmal Elis 
fabet& ihren eigenen Willen abgefchworen,, nachtem M. Konrad, wie 
wir eben gehört, ihr zweierlei Yebensweifen, bie fie nacheinander hatte 
wählen wollen, kraft feiner Autorität verboten hatte, ift e8 nicht wahr⸗ 
fcheinlich, daß fie witer feinen anegefprochenen Willen ihm von ber 
Wartburg hätte nach Eifenach folgen können; das um fo weniger, 
als eine entgegengejegte und durch nichts fich widerſprechende Nachricht 
verliegt, zu ſchweigen davon, daß es nicht recht klar ift, was Konrad, 
obwohl er wahrfcheinlich ans Warburg ftamnıte, außertem plöglich hätte 
keftimmen können, auf Jahre hinaus vafelbft feinen bleibenden Aufenthalt 
zu nehmen, während e8 fehr nahe lag, daß er Marburg als einen geeignes 
ten Aufenthaltsort für die verwittwete Landgräfin hielt, da diefer Ort ihr 
als Leibgebinge vertragemäßig ftipulirt war. Indem alfo Konrad 
einige Fahre fpäter in der erwähnten Weife an ven Papſt ſchrieb, 
muß er fich in einer Selbfttäufehung befunden haben, tie ihm übrie 
gene nicht mißdeutet werben darf, ba nicht einzufehen ift, zu welchem 
Zwede er abfichtlich hätte tie Wahrheit entftellen follen, und auch 
außerdem gegen feine (jubjeftive) Wahrhaftigkeit Teinerlei Zweifels⸗ 
grũnde vorliegen. 

Was nun den Aufenthalt ver Hi. Elifabeth in Marburg anlangt, 
fo können wir uns tarüber furz fallen, ta feine Beranlaffung zu 
thatfächlichen Berichtigungen geboten ift und derſelbe hei aller Eigen» 
thämlichleit Mar vor uns Liegt. Sie hat über zwei Jahre tafelbft 
sugebracht,, etwa vom Sommer 1229 bis zu ihrem Tere (19. Nov. 
1231). Ihr Leben in viefer Zeit, das ihren Ruf bei ter Mitwelt 
aufs Höchſte gefteigert hat, bewegt fich in zwei Richtungen, deren 
Einien, im Grunde von einander unabhängig, neben einander laufen. 
Die eine ift die Lebung ter Werke und Tugenden ber Barmherzig⸗ 
keit, zu ber fie jegt und zwar im potenzivten Grabe und mit einer 
Aufopferung und Hingebung ohne gleichen zurüdfchrte. Sie hat gleich 
anfangs in Marburg aus cigenen Mitteln cin reich ausgeſtattetes 
Sefpital gegründet und deſſen Yeitung felber übernemmen. In dicfer 
Zeit Kat fie auch die weltliche Kleidung, die fie bis jegt noch trug, 
abgelegt und zugleich mit ihren Dienerinnen das graue Gewand ber 


394 Franz X. Wegele, 


Schweſtern des hl. Franziskus angezogen. Sich ſelber bat fie vie 
höchſten Entbehrungen zugemuthet, dagegen Alles, über was fie an 
Geld und Gelveswerth verfügen kounte, an die Armen unb Yeirenden 
vertbeilt. Bereutente Summen ohne Zweifel: man wird aber doch 
gut thun, die überlieferten bechgehenden Zahlenangaben etwas vor: 
fichtig hinzunehmen. Immerhin aber bleibt gewiß, im Gefichtepuntte 
der praftijchen Nüchftenliebe bat Eliſabeth das Höchfte erreicht, was 
im Veittelalter von einer einzeln ftehenven Berfänlichkeit, namentlich 
einer ſchwachen Frau, auf diefem Gebiete geleitet worven ift. 

Ihre andere Richtung biefer Zeit anlangend, fo ift dieſe a&cetifcher 
Natur, nicht Selbftverläugnung fondern Selbitertöbtung, und gränzt 
nahezu an einen Bruch mit ihrer Vergangenheit. Daß biefe Richtung, 
zu der es ihr an Prätifpofition zwar kaum gefehlt hat, burch beſon⸗ 
ders hinzutretende Umftände und namentlich durch bie ſyſtematiſche 
Einwirkung M. Konrad's in ihr bis zu einem fo hohen Grab ent- 
widelt worten ift, darf, fo weit wir fehen, nicht wohl bezweifelt wer- 
ten. Konrad fette feinen Willen geradezu an die Stelle des ihrigen 
und führte bie Rolle eines Zuchtmeifterd zur chriftlichen Vollendung 
im ganzen Unfange und unerbittlic durch. Wir haben es fchon ein⸗ 
mal angebeutet: die edle Neigung Eliſabeth's, Alles dem vürftigen 
Nächften hinzugeben, hat er, fpontanerer Natur wie diefelbe war, in 
feiner Weife gepflegt, er hat fie vielmehr zurüdgehalten und, wie er 
das felbft erzählt, verhinbert, vaß fie fich nicht von allem Befigthum, 
das ihr noch übrig war, losfagte; er legte ferner ihrer perfönlichen 
Aufopferung gegenüber ven Kranken mit rauher Hand den Zügel an: 
dagegen in vie äußerſten Gebiete ver Afcefe, der Selbſtvernichtung, 
bat er fie ficher hineingelenft, chne daß fie freilich auch hier ſchwer 
zu lenken war. So hat fie fich denn widerſtandelos und mit volle 
ſtändiger Selbftbefriedigung ergeben. Selbft ihre Kinder, die jie mit 
nah Marburg genommen hatte, gab fie von fi, und brachte es 
dahin, fie nicht mehr als ihre eigenen, fie mit feinem anderen 
Gefühle als jeden anderen Menfchen zu betrachten‘), eine Re— 


1) 5. Dicta ancillarum S. Ill p 2022. D. „Itcm Deco teste pueros 
meos curo ut alium pruximum“; Doo commisi eos, faciat de eis 
quod sibi placcat. 





Die Hl. Eliſabeth von Thüringen. 395 


fignatien, bie freilidy für ihren Erftgebornen fchlimm ausgeſchlagen hat, 
der unter liebevoller mütterlicher Erziehung uud Uecberwachung wohl 
nicht das Opfer freinver Gleichgiltigfeit und wie es fcheint, ber 
Berführung geworten wäre. War Elifabeth ja überhaupt auf dem 
Standpunkte angelangt, daß fie ihr früheres Leben, das fie zur Zeit 
ihres Gemahls als Laudgräfin geführt, dieſes Leben voller Tugenden 
und Aufopferung, durch Buße und Abtödtung auszugleichen habe '). 
Die Bermuthung liegt nahe, daß fie bei diefer Stimmung, und nach 
ver Hingabe ihrer Kinder auch bie tröftende Erinnerung an ihren 
Gemahl Hingeopfert, und daß audy Er ihr nur mehr fo viel wie jeder andere 
IKenjch beveutet habe. Ein Umſtand übrigens zeugt Doch wicher für ihre 
außerortentliche und merfwürtig angelegte Natur. Sie hat nie die Hei« 
terfeit ihres Geiftes verloren und ift bei allem Ernſt ihrer entjagen- 
ven Lebensanfchauung niemals in wiberlichen Trübſinn verfallen. M. 
Konrad war ein ftrenger Führer: in tem Beftreben, ihren Willen 
vollſtändig zu brechen, griff er, getreu ber Gewohnheit jener Zeit, wo 
er jeine Vorjchriften verlegt jah, in ber Regel zu ter Strafe ber 
törperlichen Züchtigung, tie er Eliſabeth gegenüber zu Zeiten ihres 
Gemahls und aleihr bloßer Gewiſſensrath nech nicht angewendet hatte. Ba⸗ 
denftreiche, tie er ihr ertheilte, waren ver häufig ſich wiederholende Aus» 
druck jeiner Mißbilligung irgend einer auch an fich guten, aber von ihm ver« 
pönten Hantlung, Stodjchläge und Geißelhiebe auf dem entblößten Rüden 
tie Strafe für die Uebertretung einer von ihm gegebenen Vorſchrift. Ein 
ienender Qruter vollzog in ſolchen Fällen vie Exekution und M. 
Konrad fang Das Miferere dazu Zuletzt, um das Gedächtniß an 
isre frühere Zeit volljtäntig todt zu legen, entfernte er fogar ihre 
beiten Dienerinnen, die von jeher durchweg mit ihr fympathifirten, 
ven ihrer Scite und erfegte fie mit zwei ältlichen wirermwärtigen 
drauen, dic es verftanden, ganz in feinem Sinne, ihre Geruld auf 
vie fchwerften Proben zu ftellen. Wenn unter biefen Umſtänden von 
tem Fanatismus ihres Meifters etwas auf Elijaberh übergegangen ift, tür« 
) S den Brief M. Konrad's von M. an ten Papſt, 1. o. p. 472 — „et 
quasi mulicr indubitanter prudentissima, vitam suam ante actam 
mihi recolligens dixit, sibi necesso case, talitcr contraria Contrariis 
curare‘‘. 


396 Franz X. Wegele, 


fen wir uns nicht wundern. So lefen wir wirklich, baß fie z. B. iu 
biefer Zeit gegen eine alte Frau mit Ruthenhieben mit eigener Hand 
einfchritt, weil viefelbe nicht zur Beichte gehen wollte. Andererſeits 
wieder erhob fie fich in Folge des ihr innewohnenden und nicht zu er⸗ 
ftidenven gefunden Idealismus über fo manches Vorurtheil ihrer Umges 
bung. So wurde fie einmal aufgeforvert, ein gewifjes gerühmtes Bild in 
irgend einer Kirche anzufehen, fie aber gab zur Antwort: „Ich bebarf 
eines folchen Bildes nicht, weil ich die Suche in meinem Herzen trage«. 
Ein andermal befuchte fie eine Kirche der Minoriten, und als fie bie 
Mönche auf die fchönen mit Gold gefchmüdten Bilder aufmerffam 
machten, erwiderte fie: „Ihr hättet Doch eigentlich beffer gethan, viefe 
Summen für eure Nahrung und Kleidung, als auf diefe Wände zu ver- 
wenben; ben Gegenftand biefer Bilder müßt ihr im Herzen tragen“. — 

Wir werben kaum Hinzuzufeten haben, daß eine Erfcheinung, 
wie fie Eliſabeth feit ihrem Aufenthalt in Marburg bot, bet 
dem tamaligen Auffchwung ber Kirche, wie ihn bie beiden 
nen geftifteten Orden des Franziskus und Dominikus hervor⸗ 
riefen und vorſtellten, einen außerordentlichen Eindruck hervorbrachte. 
Sie wurde noch im Leben als Heilige verehrt und von nah und 
fern aufgeſucht. Als fie dann endlich im November 1227 in ver 
Blüthe des Lebens — fie zühlte eben 24 Fahre — bereits gänzlich 
von der Erde abgezogen ftarb, da konnte e& bei der damals herr⸗ 
fhenden Stimmung und Macht der Kirche nicht ausbleiben, daß ihr 
Auf fich über bie ganze Chriftenheit in nie gefehener Rapidität aus« 
breitete, und nicht fehlen, daß, wo der Glaube an das Außerorbent- 
liche fo Start war, M. Konrad fchon wenige Jahre nachher eine zieme 
liche Anzahl an ihrem Grabe gefchehener Wunder an den Papft mel- 
ben durfte, um bamit feinen Antrag auf die Heiligfprechung feiner 
Schülerin zu begründen). Das größte und wahre Wunder aber, 
das ihr mit Necht zugefchrieben wird, war ber allgemeine Sieg, den 
fie, die Heldin der Demuth und Selbftverläugnung, fterbend und im 
Tode über alle auch über ihre alten Gegner erfocht. Sie alle ohne Ausnahme 


1) Ich wieberhole, daß M Konrad von Wunbern Eliſabeth's, die fie Bei 
Lebzeiten verrichtet haben fol, nichts vworiß; bie Legende freilich weiß um 
fo mehr. 





Die Hl. Slifabeth von Thüringen. 397 


haben fich zulegt vor ihr gebengt, felbft der wilde Landgraf Konrad 
ift aus ihrem offenften Widerpart befanntlich ihr glühenpfter Ver⸗ 
ebrer geworden, bat ein neues Leben begonnen und zur Ehre ihres 
Namens den Grund zu jenem herrlichen Münfter gelegt, ver fich jpä« 
ter über ihren Gebeinen erhob. 

Bir find zu Ende Die gefchichtliche Bedeutung ter hl. Elifabeth 
führt fi) nach unferer Darftellung auf zwei Momente zurücd, bie 
ver Reihe nach den zwei Hälften ihres Lebens ben Stempel auf- 
drüden; das eine ift allgemeiner, das andere fpecieller Natur. In 
dem letzten repräfentirt fie in ungewöhnlicher Vollkommenheit eine 
Richtung, tie in der Kirche ihrer Zeit gerade mit beſonderer Energie 
auffam, aber doch nur eine vorübergehende, die einer beſtimmten Zeit und 
höchft einfeitigen Stimmung angehörte ; das ift ihre ascetifche Anfpannung. 
Das andere aber, wodurch fie allen Zeiten und allen Völkern ange⸗ 
hört, das ift die Elifabeth ver Wartburg, vie bei der aufopferntiten 
Rächſtenliebe zugleich ben reinjten menſchlichen Empfindungen nicht 
den Krieg erklärte, die Tugenden ver Demuth und Zarınherzigkeit in 
faft beifpiellofer Energie ausübte und doch nicht aufhörte, liebende 
Gemablin und Mutter zu fein. In dieſer intenfiven und feltenen 
Berbindung der ebelften menfchlichen und höchſten chriftlichen Tugen— 
ten liegt das eigentliche Geheimniß des univerfellen Rufes, der un« 
befhränften Popularität unferer Heiligen, aber nicht in den Geißel⸗ 
hieben und Badenftreichen ſonrad's von Marburg und eben fo 
wenig in ber Ueberlaſſung ihrer Kinder an fremve Hände und an ven 
mmberechenbaren Zufall. Der deutſche Meeifter, der in neuelter Zeit 
dernfen war, das Gedächtnig der Yandgräfin auf ver Wartburg zu ers 
zenern, bat mit glüdlichem Zact jenes Geheimniß entdeckt und es in 
das anmuthige Werk feiner Kunft eingegraben. In tiefer Geftalt 
wird Clifabeth auch in dem Andenken aller guten und edlen Men⸗ 
ſchen in Lie entfernteiten Zeiten fortleben. 


— — —— — 





RX. 


Georg von Böhmen, der Huffitentönig. 


Bon 
Georg Voigt. 





Franz Palady, Geſchichte von Böhmen. Größtentheild nad) Urkunden 
und Handfchriften. Band IV. Tas Zeitalter Georgs von Podéèbrad. Abth 1. 
Die Zeit von 1439 bis K. Ladisiaw's Tod 1457. 514 ©. Abth. II. 8. 
Georg's Regierung 1457 — 1471. 704 ©. Prag, Tempsty, 1857. 1860. 8. 


Fontes rerum Austriacarum. Defterreihifhe Geſchichtequellen. 
Serausg. von der hiſtor. Commiſſion der kaiſ. Alab. der Wiſſenſch. in Wien. 
Abth. II. Diplomataria et Acta. Band XX Urkunbliche Beiträge zur Geſchichte 
Böhmens und feiner Nachbarländer im Zeitalter Georg's von Podiebrad (1450 
— 1471). Gefanmelt und herausgegeben von Sram PBalady. Wien, 1860. 
XVI, 665 ©. 8. 


Zeugenverhör über den Tod König Ladislaw's von Ungarn und Böh- 
men im Sabre 1457. Eine kritifhe Zufammenftellung und Würdigung ber 
darüber vorhandenen Duellenangaben von Franz PBalady. (Aus den Ab- 
handlungen ber T böhm. Gefellichaft der Wiffenih. V. Folge, I Bd.) Prag, 
Calve, 1856. 71 S. 4. 





Georg Boigt, Georg von Böhmen, ber Huffitentönig. 899 


Die E. böhmiſche Gefellichaft der Wiffenfchaften ftellte in einer 
Sigung vom 25. Juni 1826, um eine vaterländijche Gefchichte vom 
kritiſchen Standpunkte aus anzuregen, eine ausführliche Würbigung 
ber böhmiſchen Gefchichtfchreiber, vom erften derjelben bis zur Hajek⸗ 
jhen Chronik herab«, als Gegenftand einer Preisaufgabe hin. Kaum 
darf uns gefagt werben, daß ber Urheber des wohlüberlegten Planes 
ber Gejellichaft der tüchtige Joſ. Dobrowely war. Erſt nachdem ver 
Zermin, der anfangs fchon auf ven Schluß ves Jahres 1827 feftge- 
fegt war, bis zum März 1329 verlängert worden, licf eine Abhand⸗ 
lung mit der Devife Plus ultra ein, vie vollftändig ten Anfprüchen 
der Gefellfchaft entfprach und am 24. Januar 1830 gekrönt wurde, 
As der Verfaſſer erwies fih Herr Franz Balady, Redaltenr ver 
beiden Zeitjchriften des böhmifchen Muſeums. Seine gefrönte Preis- 
fchrift wurde unter dem Titel "Würdigung ter alten böhmifchen Ges 
ſchichtſchreiber⸗ ver Deffentlichkeit übergeben. Die Grundlage für ein 
Werl erjten Ranges war gewonnen. Obwohl Herr P. ſchon feit 
jungen Jahren dem Studium. der böhmifchen Geſchichte und Litera- 
tur obgelegen und bereits mannigfache Beiträge dazu aus Archiven 
und Bibliothelen zuſammengebracht, fo erfihien es doch als eine mäch- 
tige Förderung feiner Studien, al8 ein Befchluß der Stände des Kö⸗— 
nigreiche Böhmen vom 7. März 1831 ihm den Auftrag ertheilte, eine 
umfaflende Gejchichte Böhmens zu bearbeiten. Wir haben hier nicht 
bie perfönlichen und politiichen Umftände zu erwägen, unter benen 
der Hiftoriograph Böhmens feit mehr al8 30 Jahren fich feiner Les 
bensaufgabe gewidmet. Nur wenige Momente, auf vie wir ohne In⸗ 
biscretion binweifen bürfen, mögen bezeugen, daß fein patriotischer 
Weg auch auf dem Gebiete der reinen Wifjenfchaft nicht immer ein 
ebener war. Er findet zu Hagen (Hiftor. Zeitfchrift Bv. II. S. 109), 
daß die Schätze des böhmijchen Mufeums für ihn feit 1852 ein mit 
SO Siegeln verfchlofjenes Buch geworben, und fchon in ben Editionen 
böhmifcher Zunge im Casopis tesk&ho Museum und im Archiv 
cesky hören wir mit Erftaunen von »„Genfurlüden«, einer Erfindung, 
son der wir die Documente des 15. Jahrhunderts im 19. verfchont 
glaubten und zu der wir ein würbiges GSeitenftüd nur in ver barbas 
riſchen Vernichtung zweier Bände des Codex dipl. Poloniae im vo- 
rigen Jahrhunderte wüßten. Welche Geftalt auch die Verhältuiffe 





400 Georg Boigt, 


des beutfchen Kaiferftante®, die uns der Augenblick im bebenflichen 
Auseinanderweichen zeigt, einft annehmen mögen, vergleichen Berbre- 
chen gegen die Wiljenfchaft würde fich felbft ein Regiment von lauter 
Feudalherren und Erzbifchöfen kaum mehr erlauben. Kein Wunber, 
wenn evle Gefühle unter felhem Drude zuweilen krankhaft über- 
reist werden, wenn bie gemißhandelte Gefchichte eines Volles ftatt 
des reinen Spiegel® zuweilen Srrlichter und Truggeſtalten zeigt. 

Seit vem Jahre 1836, in welchem ver erfte Band ven Balady’s 
Geſchichte von Böhmen erfchien, bis zu viefen Tagen, in weldyen wir 
die 2. Abtheilung des 4. Bandes erhalten, ift der Aufban des Na⸗ 
tionalwerfes bis zum Tode des eingebornen Könige Georg am 22. 
März 1471 gediehen. Wahrlich ijt es nicht hoch genug anzufchlagen, 
wenn tie Arbeitskraft und Fülle eines ganzen Menfchenlebens einem 
folchen Werfe gewidmet wird; will es boch fcheinen, als fei der jün- 
geren Generation der Muth, nach fo fernen und umfaffenden Zielen 
zu ftreben, in geringem Grade eigen, als fterbe jene Affipuität im⸗ 
mer mehr aus, tie treu und feit ein Jahrzehent nach dem andern 
einer und derſelben großen Aufgabe fich Hingibt und in dem Gedan⸗ 
fen der Jugend noch bie Freude des höheren Alters zu finden wünfcht. 

Herr P. hat wohl einmal geklagt, er babe ſich in unzähligen 
Fragen der böhmifchen Gefchichte erjt felbjt die Bahn brechen, Hand⸗ 
langer und Baumeiſter in einer Perfon machen müſſen. Doch ift 
es eben das, was feinem Werke am Meiſten zu Gute gelommen: nur 
wer das Material felbit erhebt, kennt e8 auch ganz, nur ihm fpres 
chen vie Zeugen unmittelbar; er weiß, was ihm nützt, und er lernt 
fuchen, während er findet. Dann aber bedarf ed, um eine® oft fo 
zerjtreuten und bunten over auch Fargen Stoffes Meifter zu werben, 
eines Reichthums von fprachlichen, genealogifchen, Tocalen und ähn⸗ 
lichen Vorkenntniſſen, ven gleichfall® nur ein langer Umgang niit den 
originalen Quellen erwerben kann. Diefe Sicherheit in ver Behand⸗ 
fung des Materials, dieſe Vertrautheit mit den Zuftänden und Werber 
proceſſen feines Vaterlandes glauben wie mit jevem Bande wachfen 
zu feben. Fügen wir noch Hinzu, daß ver Verf. die bei Werken ber 
Art, welche auf einer Fülle von Stoff ruhen, übliche Weitfchweiflg. 
feit mit glüclichem Tacte zu vermeiden weiß, daß er mit Strenge 
jein Ziel fefthielt, eine Gefchichte des Koͤnigreiches zu fchreiben, bei 





Georg von Böhmen, der Huffitenfönig. 401 


welcher tie territorialen Befonderheiten zurückſtehen müffen, daß er in 
ebler Form erzählt und zugleich für ven minder kundigen Lefer bie 
großen Zufammenhänge und Gejichtspunfte andeutet, erwägen wir 
endlich, wie gewaltig die Stellung Böhmens in den bisher behandel« 
ten Perioden auf die Gejchichte des deuntſchen Reiches, fowie ber rö— 
mifchen Hierarchie einwirtte — dann verjtehen wir wohl, wie bier 
ein Werk entftehen fonnte, das in böhmijcher Sprache gefchrieben als 
ein nationaler Schag betrachtet, in teutfcher Sprache als eine vor⸗ 
zägliche Bereichernung der deutſchen Gefchichtswifjenfchaft anerkannt ift. 

Bevor wir aber auf ten Inhalt eingehen, wiünfchten wir ben 
Leier mit der Natur bes Materials befannt zu machen, welches ben 
beiven neueften Bänten dieſer Gejchichte von Böhmen zu Grunde 
liegt. Der neue, zum großen Theil noch nicht veröffentlichte Stoff 
wuhe Herrn P. in großartiger Fülle zu, feitvem er überhaupt in 
die huſſitiſchen Zeiten trat. Er Hat die Auffaffung derſelben nicht 
nur berichtigt und umgebilvet, fonbern völlig neu gefchaffen. Es ijt 
meistens unmöglich, ihm in die Quellen zu folgen. Schon Alles, was 
im Archiv tesky und im Casopis tesk. Museum in den Drud ger 
gegeben wurde, ferner Editionen wie die huſſitiſchen Gefchichtjchreiber 
und die Stari letopisow& (die böhmischen Annaliften des 15. Jahr⸗ 
hunderts) bleiben außerhalb Böhmens ven Meiften unverftinblich. 
Außerdem aber bat ver Verfaffer aus den Archiven und Bibliotheken 
zumal Böhmens, aber auch Schlefiens und Mährens, aus München, 
Bien, Berlin, Dresven und Leipzig, Paris, Rom und Venedig eine 
Maife von Documenten uud Metenftücen zuſannnengebracht. Im 
Befige eines folchen Reichthums, ven erſt ein jahrelanger Fleiß er- 
werben mußte, hat Hr. P. gewiß ein echt, über die VBernachläffigung 
der allgemeinen beutfchen Geſchichte des 15. Jahrhunderts zu Hagen, 
die er zumal in ter Zeit zwifchen 1460 und 1470 dunkel fand, ver- 
muthlich aber in ven felgenten fünf Decennien noch dunkler finden wird. 
Bor ihm hatten Ranke und Tropfen zunächſt wenigftens die großen 
Umriffe gezeichnet und das Intereſſe für tiefe Zeiträume geweckt, 
mb dann fell bier auch des unabläßigen Fleißes, ven ber leider da⸗ 
bingegangene Joſ. Chmel den Zeiten Friedrich's und Marimilian’s 
gewidinet, in Ehren gedacht werben. Nun fteht zu erwarten, daß bie 


Edition der Reichetagsacten eine großartige Grundlage für die Reichs⸗ 
Hiftoriſche Zeitfärift V. Bann. W 





402 Georg Bolgt, 


gefchichte jener Zeiten bilden wird. Möchten fid) auch tie »Faifer- 
lichen Bücher», wir meinen die anf vie äußere Politik bezfiglichen 
Actenſtücke der einzelnen weltlichen Särftenhäufer, der Bisthümer und 
der Reichsſtädte herumreihen! 

Dazu gibt nun der ſtattliche Band der Fontes, den Herr P. 
uns bereitet, einen willkommenen Beitrag, ber ſich den Editionen ans 
dem brandenburg⸗ansbachiſchen „Kaiſerlichen Buchen, das leider ſchon 
in dreifacher Zerſplitterung und doch nicht vollſtändig vor uns liegt, 
zur Seite ſtellt. Was der fleißige Forſcher in nicht weniger als 36 
Jahren zur böhmiſchen Geſchichte von 1450—1471 zuſammengebracht, 
erſcheint hier veröffentlicht, zum größeren Theil in vollſtändiger Form. 
Etwaige Mängel hat er ſelbſt im Vorbericht faſt ſchärfer hervorge⸗ 
hoben, als ver Sritifer es thun würde. Die Documente und Briefe 
wurden zunächjt zum Zwecke ter Verarbeitung, nicht: zu bem ber Edi⸗ 
tion gefaminelt; fie mußten dann in ber Form gegeben werben, in 
welcher ver Summtler fie eben beſaß. Er begnügte fich öfters mit 
Auszügen, bald weil ven Reiſenden wohl die Zeit prängte, bald weil 
der Bezug zur böhmifchen Gejchichte ein entfernterer war. Solche 
Auszüge von fundiger Hand lajfen wir uns gern gefallen; ein Ber- 
fehen bemerften wir nur bei Nro. 309: im Vertrage zwifchen dem 
Kaifer und Herzog Sigmund von Oefterreich trat vielmehr der Her 
zog dem Kaiſer fein Drittbeil von Defterreih ab. Auch auf das 
Schwanfen ver Orthographie, wegen veffen ver Herausgeber fich ent 
fchuldigt, legen wir feinen gar zu hoben Werth. Daß einzelne Stüde 
bereits an entlegenen Orten gebrudt waren, wollen wir ebenfo wenig 
betonen; nur Nro. 294 könnten wir entbehren, ba Herr P. felbft ber 
reitd Das Stüd aus berjelben Handfhrift in ten Situngsberichten 
ber phil.=hiftor. Klaſſe der faif. Akad. ver Will. Br. IX. ©. 305 
mitgetheilt hatte, und da es ſchon damals nicht umebirt war. Daß 
er manches noch einmal gab, was Thomas Pesina int Mars Mors- 
vicus mit frappanter Willkür verunftaltet, Finnen wir ihm nur danken. 
Ueber bie Eorrectheit der Texte ift im Allgemeinen das Urteil fchwer. 
Soweit aber die bloße Lectüre einen Schluß geftattet, fcheinen bie 
reichen Mittheilungen aus ben Bibliothefen Prag’s, aus Scultetus 
u. f. w. ben Stempel ver völligen Zuverläffigkeit zu tragen. Bon 
benjenigen Stüden, die aus ferneren Archiven — wie P. felber ent- 





Georg von Böhmen, ber Huffitenlönig. 403 


ſchuldigend fagt, vor mehr ale 30 Jahren — gefchöpft wurten, gibt 
uns nur eine Reihe von 6 Nummern aus dem Berliner K. Haus⸗ 
Archive zu Bedenken Anlaß, die ziemlich gleichzeitig auch in Riedel's 
Cod. dipl. Brandenb. Hauptth. III. Bd. I. aus genau benfelben 
Archipalien gedruckt wurden. Die Zahl der verfchieden gelefenen 
Werte ift doch wicht unerheblich, indeß türfte eine Hälfte der Sünten 
auf den Berliner Drud fallen. So las Riedel in Nro. 194: vestram 
INustralitationem (welcher Pleonasmus in ver Loſung ver Abbreviatur!) 
supplicamur, Palady in feiner Nro. 46: vestram illustralitatem de- 
precamur. Nach ex parte fehlt bei R. predicti, welches P. hat. 
Nr. 205 bezeichnet R. als einen Bericht an den Kurfürften (von Bran⸗ 
benburg) nach dem Driginal des K. Hausarchivs, P. feine Nro. 156 
«is einen Bericht an ven Markgrafen Albrecht von Brantenkurg nad) 
der Abjchrift in demſelben Archiv. Doc hatten Beide daſſelbe Stüd 
vor fih, wenn auch R. in Zeile 10 hinter gelabin tie Worte vnd 
sweren, und dafür P. ebendaſelbſt Hinter krocnen die Worte vnd 
sslben ausgelaffen hat. Die Werte bei R. das der achiir schire 
dar auff wirt slaghen find unverjtänblih, P. las ftatt schiir wohl 
richtig schue. Tas Datum des Berichtes aber hat R. richtig (17. Mai), 
$. auch in der Gefchichte von Böhmen S. 41 irrig (9. Mai) gelöſt. — 
Uebrigen® finden fid) in dem Cod. diplomat. etwa ein Dugend Num—⸗ 
mern, welche Herrn P.'s Sammlung vervolljtäntigen , ohne indeß die 
Hauptpuulte feiner Darjtellung modificiren zu können. 

Es ift unglaublih, wie wichtige Hauptwerte über tie beutfche 
Gefchichte jener Zeit noch ter Edition harren und fomit der Mög- 
lichkeit eines völligen Unterganges preidgegeben find, felbjt folche, vie 
verbältnigmäßig leicht zu erheben waren und Yanpfchaften angehören, 
im denen durch vie hiltorifchen Vereine jeves Jahr Publicationen von 
ungleich geringerem Werthe geförtert werten. Wir nennen hier vor 
Alem die Breslauer Geſchichte des Peter Efchenloer. hr Uns 
glüd wear, daß eine mangelhafte Abjchrift des veutjchen Textes in un- 
geeignete Hände fiel und wirklich ebirt wurde‘), Man gibt fich in 
diefen Falle gar zu leicht zufrieren. Für die Forſchung iſt ohne 


) 8. Eſchenlhoer, Geſchichten der Stadt Breslau. Herausg. v. Kuniſch. 
2 Bde. Bretlau, 1827.- 
26* 





404 Georg Voigt, 


Zweifel das Tateinifche Werk, welches Efchenloer zuerft verfaßte, die 
Historia Vratislaviensis, wichtiger als die fpätere beutfche Bearbei⸗ 
tung. In jener fanımelte ver Stabtfchreiber die Documente, bie ihm 
reichliher al8 Anderen in die Hand fielen, ja zum guten {heile von 
ihm felber abgefaßt wurden. Daß er fie indeß auch Hier nicht ohne 
verbindenve Erzählung ließ, gebt aus einzelnen Anführungen in Klo⸗ 
ſe's tocumentirter Gefchichte und Befchreibung von Breslau hervor. 
Die Gefchichte der Zeit von der Geburt bis zur Krönung bes Koö⸗ 
nigs Ladislaw fell aus des Aeneas Sylvins Gefhichte von Böhmen 
entnommen fein. Als unmittelbarer Zeuge erzählt Eſchenloer die Ber 
gebnijfe von 1455, in welchem Jahre er als Stabtfchreiber von Bres⸗ 
lau eintrat, bis 1472. In der deutjchen Bearbeitung find die Do 
cumente und Briefe theil8 unbehelfen überfegt, theil® auch ganz weg⸗ 
gelaffen ; tafür ift die Erzählung umſtändlicher, eigenthümlicher, fer- 
ner bis 1479 fortgefett. Die Iateinifche Originalhandfchrift befindet 
ſich auf der Rhediger'ſchen Bibliothek zu St. Elifabeth: auch hörten 
wir, baß vor einiger Zeit ein befjerer Codex der beutfchen Bearbei- 
tung aufgefunden fei, vielleicht das Autograph, welches doch Kloſe 
noch benutzte. Wie Ichrreich müßte cine Edition fein, welche beibe 
nebeneinander gäbe, etwa mit Auslaffung ver überfegten Documente, 
falls Drud und Papier gefpart werden müffen. Eſchenloer ift mehr- 
mals und noch neuerdings als ver befte deutſche Ehronift des 15. Jahr⸗ 
hunderts bezeichnet worden. Er erzählt nicht von SCometen und Feuers⸗ 
brünften, von Hagelfchäden und gehenkten Verbrechern. Ein Nürı- 
berger von Geburt und Magijter ver freien Künfte, hegte er wenig 
das locale Intereſſe. Er fchrieb vielmehr im politifchen Sinn, zu welchem 
fein Amt, die diplomatifchen Sendungen, zu denen man ihn benntte, 
und fein freier Kopf ihn ungewöhnlich befähigten. Im Kampfe der Hier- 
archie gegen den Feßerifchen König von Böhmen war Breslau, wel⸗ 
ches tem letzteren nie gehuldigt, tie Mauer ber Wechtgläubigfeit. 
Eifrige Prediger erhitten das Volt unaufhörlich gegen bie irrgläubige 
und jlawifche Herrfchaft, fehürten gegen viefelbe bei Papft und Für- 
jten. Selbjt ver Rath widerftand diefen Demagogen, bie ihren An- 
hang in ven Schenken und auf den Gaſſen hatten, nur mit Mühe. 
Sie brachten bie Stadt wiederholt in die dringendſte Gefahr und 
zeigten fich in derſelben feig und vathlos. Mitten in biefer bewegten 





Georg von Böhmen, ber Huflitenfänig. 406 


Zeit wahrte fich der Stabtfchreiber den verftäntigen Sinn. Er hafte 
ben Böhmen und den Steger wie nur Einer. Als diefer den Bres⸗ 
lauern durch Boten kundthun ließ, daß er jedermann bei feinem Glau- 
ben laffen welle, fand Efchenloer eine böfe Kegerei darin, daß es 
mehr als einen Glauben geben folle. Daß aber das Volk ven Bo— 
ten Spott und Hohn erwies, das, meint er, hätte doch nicht noth« 
getan. Immer wieder tabelte er das Wühlen ver Pfaffen und bie 
Aufwiegelung des Volkes gegen ven Rath; denn er fand, baß dem 
blinden Fanatismus lange nicht vie Wehrkraft der Stadt entſprach, 
es fei daher befjer, mit Ketzern Friede zu machen, als von ihnen vers 
berbt zu werden. Seine Anficht, die er einft beim Armbruftfchießen 
vor guten Freunden verfecht, brachte ihn in Mißgunft, ja in Lebens- 
gefahr *). Sie gibt feinem Buch eine Fräftige politifche Haltung, vie 
verbunden mit ber großartigeren Natur des Stoffes, ihn weit über 
fonftige Stabtchroniften, ja über alle andern deutſchen Gejchichtfchrei« 
ber feines Jahrhunderts emporhebt. Hoffen wir, daß Herrn Bas 
lady’& Forſchungen auch für die fchleiifche Gefchichte diefes Zeitraumes 
uud für den waderen Eſchenloer insbeſondere fruchtbringend werben. 

Eine andere Duelle von reihem Gehalt haben wir erſt durch 
Herren P. kennen gelernt. &s find die Görliger Annalen des Raths⸗ 
berrn und Bürgermeifters Bartholomäus Scultetus (T 1614), 
bon deren Huandfchrift Herr B. ven dritten, vie Jahre 1450 — 1470 
umfaffenden Band durch tie Güte des Görliger Stadtrathes Herrn 
Guftan Köhler zur Benugung erhielt. Es ift eine Urkunvens und 
Brieffammlung, von Scultetus nur mit bürftigen Randbemerkungen 
verfeben , für ben betreffenven Zeitraum aber unfchägbar, weil ber 
ſonſt verfchollene Nachlaß des damaligen Stadtfchreibers von Görlitz, 
des Mag. Johann Frauenburg, darin aufgenommen worden. Weber 
bie anderen Bände des Scultetns hat unferes Wiffens noch Niemand 
auch nur Bericht erftattet ’). — Aus dem lateinifchen Ejchenloer hat 


?) Geſchichten der Stadt Breslau Bd. I ©. 51, 52, 344 u. fonft. Einen 
Abriß von Eſchenloer's Leben findet man in Kloſe's Breslau in ben 
Beriptt. rer. Silesiac. ed. Stenzel Bd. III. S. 338 — 343. 

3) Die Gelegenheit bazıı wäre in ben Borreben zu den von ber oberlaufiti- 
ſchen Geſellſchaft der Wiſſ. fortgefeten SBcriptt. rer. Lusat. wohl ge 
geben geweſen. 





406 Georg Bolgt, 


Herr P. nur fehr wenige, aus Scultetus aber reichliche und höchft 
ſchätzbare Mittheilungen gemacht, | 

Mithin ift das Material, aus welchem er das Zeitalter Köuig 
Georgs dargeftelit hat, im Ganzen nicht ein zufammenbängenves und 
hroniftifches, fontern mehr eine Reihe von Urkunden, Protekollen 
Briefen und Berichten. So fehr dadurch die Peftigfeit der That⸗ 
fachen gewonnen, klagt der Forfcher doch mit Fug über den Mangel 
eines Gefchichtfchreibere, ver König Georg nahe geftanten und uns in 
feine Abfichten eingeführt hätte, Weber Bieles .bören wir nur feine 
Gegner, Papft Pius II., den Cardinal Jacopo Ammannati-Piccolomint, 
Efchenloer, Diugos, Benfini. Auf böhmiſcher Seite ift weder am 
Hofe neh in ven Städten ein Gefchichtfchreiber zu finden, ver fich 
über die allerbärftigfte Manier der Annaliften erhöbe. Es ift das 
fein Zufall: die Künſte und Wiffenfchaften verftummten überhaupt in 
einem Lande, im welchem allein ver gehäſſige Glaubensftreit vie Ge⸗ 
müther erfüllte, welches als ein Tegerifches von den großen geiftigen 
Strömungen abgefchloffen war und befjen Regent eine geheimnißvolle 
Cabinetspolitif trieb. Ein Mann wie Prolop von Rabftein, der ges 
bildete Freund und Gorrefponvent Pins’ II., war wohl befähigt, vie 
werthoollften Memoiren zu fchreiben. Aber e& lag auf dem böhmi⸗ 
jhen Hofe wie auf dem Lande ein Drud, ein Gefühl ber Unficher- 
beit, die nur an die nächften Intereſſen, nicht aber an folche Unter 
nehmungen für die Nachwelt denken ließen. 

Am meiften ift zu bebauern, daß über den Zuftand des Landes, 
über bie Organifation und bie Verwaltung ber buffitifchen Kirche mar 
jo wenige und oft fo ſtark gefärbte Nachrichten vorliegen. Raum im 
irgend einem beutfchen Zerritorium dürfte das Staatsarchiv jener Zeit 
fo ſchonungslos vernichtet, fo ſpurlos verſchwunden fein, wie das des 
utraquiftifchen Böhmenkönigs. Erhalten hat fich nur eine Brief- und 
Actenfammlung, die zum anzeleigebrauch angelegt worden. Außer 
vem hat Herr P. ein Stüd von hohem Yntereffe, ven Dialogus tes 
Johann von Rabftein ven 1469, leider nur in beutfcher und gefürzter 
Veberjegung, feiner Darftellung angehängt; lieber hätten wir das voll 
ftändige lateinifche Original unter den „Beiträgen“ geſehen. Wäh—⸗ 
vend fo bem Verfaſſer gleichfam nur Tropfen ftatt der Quellen zu 
Gebote ftanden, gewann er doch in den meiften Abfchnitten durch forg- 





Georg von Böhmen, ber Huffitenkänig. 407 


fame Benukung bes Materials und funtige Combination eine lebens⸗ 
volle Darftellung. Was der Literatur, dem Sectenwefen, der Seriegs- 
tunft und fonft der Sittengefchichte angehört, hat man am Schluffe 
der erjten Abtbeilung bes vierten Bandes zu fuchen. 

Die größte und inhaltreichite Periode Böhmens liegt nun Hinter 
feinem Hiftoriographen. Dennoch erwarten wir mit Spannung ben 
nöchiten Band: er wird einen mehr als treißigjährigen lebhaften Ver. 
faffungsftreit in Böhmen zu ſchildern haben, ver dann freilich in einen 
Sieg des düftern Feudalismus, in eine Knechtung des Bauernvolkes 
auslief — ein Abfchnitt der böhmifchen Gefchichte, ver bis jegt im 
bunfelften Schatten der Unkenntuiß liegt. In der Gefchichte Böh— 
mens, jo will es Herrn B. fcheinen, überwiege das tragifche Element 
vor dem epifchen; das Schidjal habe den Böhmen die Rolle nicht fo 
jeher bed Sieger als vielmehr des Märtyrers angewicfen. 


Bon Anfang an hielt der Verfaſſer eine gewifje polemifche Stel- 


lung für unvermeivlih. Daß er bei feinem Werke, fo fagte er in 
ver Einleitung zum erjten Bande, auf dem Standpunkte eines Böh⸗ 
men ftebe, könne ibm nur dann verargt werben, wenn es ihn unge 
tet gegen ihre Gegner mache. Er jeßte aljo ſchon damals natür- 
liche Gegner voraus und verfah ſich einer Colliſion mit ven Erfor- 
ſchern der beutfchen Gefchichte. Bekanntlich ift er auch von biefer 
Seite her nicht ohne Anfechtung geblieben, abgefehen ſelbſt von ver 
fingften Fehde um die älteften ‘Denkmäler der böhmifchen Literatur. 
a derſelben bat er jih mit bitterer Schärfe über die Miß— 
gunft des beutfchen Stammes beflagt, welcher auf den flawifchen als 
einen nieberen berabfehe und auch im mwiljenfchaftlichen Kreiſe bie 
Großthaten ber böhmifchen Gefchichte auf Selbittäufchung oder Trug 
zarückzuführen bemüht fei. (Hiſtor. Zeitſchrift Bd. II. ©. 89, 90.) 
So fehr wir überzeugt find, daß jener Streit, von jeder nationalen 
Rückicht Losgelöft, lediglih auf dent Wege ver Kritik eine Löfung fin« 
ben foll und wird, freuen wir und bob, Herrn P. bier auf einem 
Gebiete zu finden, auf den wir ihn von jeder nationalen Animofität, 
vou jeder Ungerechtigkeit gegen Wiverfacher des böhmifchen Volkes 
freifprechen dürfen. Er felbjt bat jchwerlich einen Grund zu ber Ans 


S 


IX. 
Georg von Böhmen, der Hnffitenfönig. 


Bon 
Georg Beigt- 





Franz Palady, Belhichte von Böhmen. Größtentheils nad Urkunden 
und Handſchriften. Band IV. Tas Zeitalter Georgs von Podébrad. Abth 1. 
Die Zeit von 1439 bis K. Ladislaw's Tod 1457. 514 S. Abth. II. 8. 
Georg's Regierung 1457 — 1471. 704 ©. Brag, Tempely, 1857. 1860. 8. 


Fontes rerum Austriscarum. Deſterreichiſche Geſchichtoquellen. 
Herausg. von ber hifter. Commiffion ber kaiſ. Alab. der Wiſſenſch. in Wien. 
Worth. 11. Diplomataria et Acta. Band XX Urkunbliche Beiträge zur Gefchichte 
Böhmens und feiner Nadbarlinder im Zeitalter Georg's von Bodiebrad (1450 
— 1471). Geſammelt und herausgegeben von Sram Palacky. Wien, 1860. 
XVI, 665 8. 8. 


Zeugenverbör über ben Tod König Ladislaw's von Ungarn und Böh— 
men im Jahre 1457. ine kritiihe Zufammenflellung und Würdigung ber 
darüber vorhandenen Quellenangaben von Kranz Balady. (Aus den Ab 
banblungen der E böhm. Geſellſchaft der Wiſſenſch. V. Kolge, I Bd.) Prag, 
Calve, 1856. 718. 4. 





400 Georg Boigt, 


des deutſchen Kaiſerſtaates, die uns der Augenblid im bebenflichen 
Auseinanderweichen zeigt, einft annehinen mögen, bergleichen Verbre⸗ 
hen gegen die Wilfenfchaft würde fich felbit ein Regiment von lauter 
Feudalberren und Erzbifchöfen kaum mehr erlauben. Kein Wunber, 
wenn eble Gefühle unter folchen Drude zuweilen krankhaft über 
reist werben, wenn bie gemißhandelte Gefchichte eines Volles ftatt 
des reinen Spiegel® zumeilen Irrlichter und Truggeftalten zeigt. 

Seit dem Jahre 1836, in welchem ver erite Band ven Palacky's 
Geſchichte von Böhmen erfchien, bis zu diefen Tagen, in welchen wir 
die 2. Abtheilung des 4. Bandes erhalten, ift der Aufban des Nas 
tionalwerfes bis zum Tode des eingebornen Könige Georg am 22. 
März 1471 geviehen. Wahrlich ijt es nicht Hoch genug anzufchlagen, 
wenn die Arbeitsfraft und Fülle eines ganzen WMenfchenlebens einem 
folchen Werke gewidmet wird; will es doch fcheinen, als fei der jün- 
geren Generation der Muth, nach fo fernen und umfaffenden Zielen 
zu ftreben, im geringem Grade eigen, als fterbe jene Affibuität im⸗ 
mer mehr aus, die treu und feit ein Jahrzehent nach dem andern 
einer und berfelben großen Aufgabe fich Hingibt und in dem Gedan⸗ 
fen der Jugend noch die Freude des höheren Alters zu finden wünfcht. 

Herr B. hat wohl einmal gellagt, er habe fich in unzähligen 
Fragen ver böhinifchen Gefchichte erjt felbjt die Bahn brechen, Hand⸗ 
langer und Baumeifter in einer Perfon machen müſſen. Doch ift 
e8 eben das, was feinem Werke am Meiften zu Gute gelommen: nur 
wer das Material felbft erhebt, kennt e8 auch ganz, nur ihm fpre- 
hen die Zeugen unmittelbar; er weiß, was ihn nügt, und er lernt 
fuchen, während er findet. Dann aber bedarf es, um eines oft fo 
zeritreuten und bunten oder auch Targen Stoffes Meijter zu werten, 
eines Reichthums von fprachlichen, genealegifchen, localen und än- 
lihen Vorkenntniſſen, ven gleichfalls nur ein langer Umgang mit ven 
originalen Duellen erwerben kann. Diefe Sicherheit in der Behand⸗ 
lung des Materials, dieſe Vertrantheit mit den Zuſtänden und Wertes 
proceffen ſeines Vaterlandes glauben wir mit jevem Bande wachfen 
zu ſehen. Fügen wir noch hinzu, taß ver Verf. die bei Werfen ver 
Art, welche auf einer Fülle von Stoff ruhen, übliche Weitfchweifig- 
feit mit glüclichem Tacte zu vermeiden weiß, daß er mit Etrenge 
fein Ziel fefthielt, eine Gefchichte des Königreiches zu ſchreiben, bei 





102 Georg Boigt, 


gefchichte jener Seiten bilden wird. Möchten fich auch tie »Faifer- 
fihen Bücher», wir meinen vie auf die äußere Politif bezügfichen 
Actenftücde ber einzelnen weltlichen Furſteuhauſer, ter Biethũmer und 
der Reichsſtädte herumreihen! 

Dazu gibt num der ftattlihe Band der Fonter, ben Herr P. 
uns bereitet, einen willfemmenen Beitrag, der fich den Editionen ans 
dem brandenburg⸗ansbachiſchen „Kaiſerlichen Buche», das leiver fchen 
in dreifacher Zerfplitterung und Doch nicht vollftäntig vor und liegt, 
zur Seite ftellt. Was ver fleigige Forſcher in nicht weniger ale 36 
Jahren zur böhmifchen Sefchichte von 1450—1471 zufammengebradht, 
erfcheint hier veröffentlicht, zum größeren Theil in vollſtändiger Form. 
Etwaige Mängel hat er felbft im Vorbericht faft fchärfer hervorge⸗ 
hoben, als ber Kritiker es thun würde. Die Documente und Briefe 
wurden zunächſt zum Zwecke der Verarbeitung, nicht zu dem ter Edi⸗ 
tion geſammelt; ſie mußten dann in der Form gegeben werden, in 
welcher ter Sammler fie chen beſaß. Er begnügte ſich öfters mit 
Auszügen, bald weil ten Reiſenden wohl die Zeit drängte, bald weil 
der Bezug zur böhmiſchen Geſchichte ein entfernterer war. Solche 
Auszüge ven fundiger Hand lajjen wir uns gern gefallen; cin Ber- 
fehen bemerkten wir nur bei Nro. 300: im Vertrage zmifchen Dem 
Kaifer und Herzog Sigmund von Defterreih trat vielmehr ter Her: 
zog dem Naifer fein Drittheil von Üefterreih ab. Auch auf Das 
Schwanken ver Orthographie, wegen deſſen ver Herausgeber fich ent- 
ſchuldigt, legen wir feinen gar zu hohen Werth. Das einzelne Stücke 
bereits an entlegenen Orten gedruckt waren, wollen wir ebenſo wenig 
betonen; nur Nro. 294 könnten wir entbehren, va Herr P. felbft be 
reits das Stück aus derſelben Handſchrift in den Eikungsberichten 
ber phil.- hifter. Klaſſe der faif. Akad. ter Wiſſ. Bo. IN. €. Un 
mitgetbeilt hatte, umd da es ſchon damals nicht unebirt war. Daß 
er manches noch einmal gab, was Thomas Pesina inı Mars Mora- 
vieus mit frappanter Willkür verunftaltet, können wir ihm nur danken. 
Ueber Die Gorrectheit ber Texte ift im Allgemeinen das Urtheil fchmer. 
Soweit aber tie blefe Yectüre einen Schluß gejtattet, fcheinen Pic 
reichen Mittheilungen aus den Bibliotheken Prag's, aus Scultetus 
u. ſ. w. den Stempel der völligen Zuverläffigkeit zu tragen. Von 
denjenigen Ztüden, bie aus ferneren Archiven — wie 8. felber ent: 


® u ı 
Io ze 1: 





Georg von Böhmen, ber Huifitenfönig. 401 


welcher tie territorialen Befonverbeiten zurüditchen müjjen, daß er in 
edler Form erzählt und zugleich für den minder kundigen Lefer bie 
großen Zufammenhänge und Gefichtspunfte andeutet, erwägen wir 
entlich, wie gewaltig die Stellung Böhmens in den bisher behanbel« 
ten Perioden auf die Gejchichte des deutſchen Neiches, ſowie der rö⸗ 
mifchen Hierarchie einwirkte — daun verjtehen wir wohl, wie hier 
ein Werk entjtehen Fonnte, das in böhmijcher Sprache gefchrieben als 
ein nationaler Scha betrachtet, in deutfcher Sprache als eine vor⸗ 
zügliche Bereicherung ber deutjchen Geſchichtswiſſenſchaft anerfannt ijt. 

Bevor wir aber auf ven Inhalt eingehen, wünſchten wir ben 
Lefer mit ter Natur des Materials befannt zu machen, welches ben 
beiten neueften Bänden dieſer Gejchichte von Böhmen zu Grunde 
liegt. Der neue, zum großen Theil noch nicht veröffentlichte Stoff 
wuchs Herrn P. in großartiger Fülle zu, feitvem er überhaupt in 
die Huffitifchen Zeiten trat. Er hat die Auffafjung derſelben nicht 
nur berichtigt und umgebilvet, fondern völlig new geſchaffen. Es ift 
meistens unmöglich, ihm in vie Quellen zu folgen. Schon Alles, was 
im Archiv cesky und im Casopis tesk. Museum in ven Drud ge 
gegeben wurde, ferner Editionen wie die huſſitiſchen Gefchichtjchreiber 
amd die Starı letopisowe (die böhmifchen Annaliſten des 15. Jahr⸗ 
banverts) bleiben außerhalb Böhmens ten Meiften unverftändlich. 
Außerdem aber hat der Verfaffer aus den Ardiven uud Bibliotheten 
mal Böhmens, aber auch Schlefiens und Mäprens, aus München, 
Bien, Berlin, Dresden und Leipzig, Baris, Nom und Venedig eine 
Maffe von Documenten und Actenſtücken zuſammengebracht. Sm 
Befige eines folchen Neichthums, den erft ein jahrelanger Fleiß er- 
werben mußte, hat Hr. P. gewiß ein Recht, über die Vernachläffigung 
ver allgemeinen beutjchen Gefchichte des 15. Jahrhunderts zu Hagen, 
bie er zumal in ver Zeit zwifchen 1460 und 1470 dunkel fand, ver» 
muthlich aber in den felgenden fünf Decennien noch dunkler finden wird. 
Bor ihm Hatten Ranke und Tropfen zunächft wenigftens die großen 
Umriffe gezeichnet und das Intereſſe für tiefe Zeiträume geweckt, 
und dann fol hier auch des unabläßigen Fleißes, ven der leider ba= 
Bingegangene Joſ. Chmel den Zeiten Friedrich's und Marimilian’s 
gewidmet, in Ehren gedacht werben. Nun ſteht zu erwarten, daß bie 


Edition der Reichstagsacten eine großartige Grundlage für die Reiche- 
Hikerifge Zeitſchrift V. Band. W 





402 Georg Boigt, 


gefchichte jener Zeiten bilden wird. Möchten fi) auch tie rkaifer- 
Tihen Bücher», wir meinen vie anf die äußere Politik bezügfichen 
Actenſtücke ver einzelnen weltlichen Särftenhäufer, ter Biethümer und 
der Reichsſtädte herumreihen! 

Dazu gibt num ver ftattliche Band ber Fontes, ben Herr P. 
uns bereitet, einen willkommenen Beitrag, der fih den Editionen aus 
dem brandenburg-ansbachifchen „Kaiſerlichen Buche», das leider ſchon 
in dreifacher Zerfplitterung und doch nicht vollftändig vor uns liegt, 
zur Seite ftellt. Was ver fleifige Forfcher in nicht weniger als 36 
Jahren zur böhmischen Gefchichte von 14501471 zufammengebracht, 
erfcheint hier veröffentlicht, zum größeren Theil in vollftändiger Form. 
Etwaige Mängel hat er felbft im Vorbericht faft fchärfer hervorge⸗ 
hoben, als ber Sritifer e8 thun würde. Die Documente und Briefe 
wurden zunächit zum Zwecke ter Verarbeitung, nicht zu dem ber Edi⸗ 
tion gefammelt; fie mußten dann in der Form gegeben werben, in 
welcher ter Sammler fie eben befaß. Er begnügte fich öfters mit 
Auszügen, bald weil ven Reiſenden wohl die Zeit drängte, bald weil 
ter Bezug zur böhmifchen Gejchichte ein entfernterer war. Solche 
Auszüge ven fundiger Hand laffen wir und gern gefallen; ein Ver 
fehen bemerften wir nur bei Nro. 309: im Vertrage zwifchen bem 
Kaifer und Herzog Sigmund von Defterreich trat vielmehr der Her 
zog ben Kaiſer fein Drittheil von Defterreih ab. Auch auf pas 
Schwanken der Orthographie, wegen veffen ver Herausgeber fich ent- 
Ichuldigt, legen wir feinen gar zu hohen Werth. Daß einzelne Stüde 
bereits an entlegenen Orten gebrudt waren, wollen wir ebenfo wenig 
betonen; nur Nro. 294 könnten wir entbehren, va Herr P. felbft bes 
reits das Stüd aus berjelben Handfhrift in ten Situngsberichten 
ber phil.= biftor. Klaſſe ver Faif. Afad. der Will. Bo. IX. S. 305 
mitgetheilt hatte, und da es ſchon damals nicht unebirt war. Daß 
er manches noch einmal gab, was Thomas Pesina in Mars Mors- 
vicus mit frappanter Willkür verunftaltet, können wir ihm nur danken. 
Ueber bie Gorrectheit der Texte ift im Allgemeinen das Urtheil fchwer. 
Soweit aber die bloße Lectüre einen Schluß gejtattet, fcheinen bie 
reihen Mittheilungen aus ben Bibliotheken Prag’s, aus Scultetus 
u. f. w. den Stempel ber völligen Zuverläffigkeit zu tragen. Won 
benjenigen Stüden, bie aus fernexen Archiven — wie P. felber ent⸗ 





Georg von Böhmen, ber Huffitenlönig. 403 


ſchuldigend fagt, vor mehr ald 30 Yahren — geichöpft wurden, gibt 
und nur eine Reihe von 6 Nummern ans dem Berliner 8. Haus⸗ 
Archive zu Bedenken Anlaß, die ziemlich gleichzeitig auch in Riedel's 
Cod. dipl. Brandenb. Hauptth. III. Bd. I. aus genau tenfelben 
Arhivalien gedruckt wurden. Die Zahl der verfchieden gelejenen 
Werte ift doch nicht unerheblich, indeß türfte eine Hälfte der Sünden 
auf den Berliner Drud fallen. So las Riedel in Nro. 194: vestram 
Illustralitationem (welcher Pleonasmus in ver Loſung ver Abbreviatur!) 
supplicamur, Palady in feiner Nro. 46: vestram illustralitatem de- 
precamur. Nach ex parte jchlt bei R. predicti, welches B. bat. 
Ar. 205 bezeichnet R. al8 einen Bericht an den Kurfürſten (von Bran- 
denburg) nad) dem Original des K. Hausarchivs, P. feine Nro. 156 
«is einen Bericht an ven Markgrafen Albrecht von Brandenburg nad 
der Mbichrift in deuſelben Archiv. Doch Hatten Beide daſſelbe Stüd 
vor ſich, wenn auch R. in Zeile 10 Hinter gelabin tie Worte vnd 
sweren, und dafür P. cbenpajelbft Hinter kroenen bie Worte vnd 
salben ausgelaffen hat. Die Worte bei R. das der schiir schire 
dar auff wirt slaghen jind unverjtändlich, P. las ftatt schiir wohl 
richtig schue. Das Datum des Berichtes aber hat R. richtig (17. Mai), 
P. auch in der Gefchichte von Böhmen S. 41 irrig (9. Mai) gelöſt. — 
Uebrigens finden fich in bem Cod. diplomat. etwa ein Dugend Num- 
mern, welche Herrn P.'s Sammlung vervoliftändigen , ohne inbeß bie 
Hauptpunkte feiner Darſtellung mobificiren zu können. 

Es ift unglaublih,, wie wichtige Hauptwerke über bie deutfche 
Gefchichte jener Zeit noch ver Erition harren und fomit der Mög⸗ 
lihleit eines völligen Unterganges preisgegeben find, felbft ſolche, bie 
verhältnißmäßig Leicht zu erheben waren und Landſchaften angehören, 
in denen durch die hiiterifchen QWereine jedes Jahr Publicationen von 
angleich geringerem Werthe geförtert werten. Wir nennen hier vor 
‚Mlem die Breslauer Gejchichte des Peter Efchenlver. Ihr Un 
glück war, daß eine mangelhafte Abjchrift des deutſchen Textes in un— 
geeignete Hände ficl und wirklich etirt wurde‘), Man gibt fich in 
biefem Falle gar zu leicht zufrieren. Für die Forſchung ift ohne 


3) 8. Eſchenloer, Gedichten ber Stadt Breslan. Herausg. v. Kuniſch. 
2 Bde. Bretlau, 1827. 
W 


404 Georg Boigt, 


Zweifel das Tateinijche Wert, welches Efchenloer zuerft verfaßte, bie 
Historia Vratislaviensis, wichtiger als bie fpätere deutſche Bearbei⸗ 
tung. In jener fammelte ver Stabtfchreiber die Documente, die ihm 
reichlicher al8 Anderen in die Hand fielen, ja zum guten {heile von 
ihm felber abgefaßt wurden. Daß er fie indeß auch hier nicht ohne 
verbindente Erzählung ließ, geht aus einzelnen Anführungen in Klo⸗ 
ſe's Documentirter Gefchichte und VBefchreibung von Breslau hervor. 
Die Gefchichte der Zeit von der Geburt bis zur Krönung bes Ko⸗ 
nigs Ladislaw fell aus des Aeneas Sylvius Gefchichte von Böhmen 
entnommen fein. Als unmittelbarer Zeuge erzählt Eſchenloer die Ber 
gebnijje von 1455, in welchem Jahre er ala Staptfchreiber von Bres⸗ 
lau eintrat, bis 1472. In ber deutjchen Bearbeitung find die De 
eumente und Briefe theils unbeholfen überfegt, theil® auch ganz weg⸗ 
gelaffen ; dafür ift die Erzählung umftändlicher, eigenthümlicher, fer- 
ner bis 1479 fortgefett. Die Tateinifche Originalfandfchrift befindet 
fih auf ver Rhediger'ſchen Bibliothek zu St. Elifabeth: auch hörten 
wir, daß vor einiger Zeit ein befferer Cover der beutfchen Bearbei- 
tung aufgefunden fei, vielleicht das Autograph, welches doch Klofe 
noch benutte, Wie lehrreich müßte cine Epition fein, welche beibe 
nebeneinander gäbe, etwa mit Auslaffung ver überfegten Documente, 
false Drud und Papier gefpart werden müfjen. Cjchenloer ift mehr⸗ 
mals und noch neuerdings als ver befte deutfche Chroniſt des 15. Jahr⸗ 
hunderts bezeichnet worten. Er erzählt nicht von Kometen und Feuers⸗ 
brünften, von Hagelſchäden und gehenften Verbrechern. Ein Nürn- 
berger von Geburt und Magijter ver freien Künfte, begte er wenig 
das Iocale Intereſſe. Er fchrieb vielmehr im politifchen Siun, zu welchem 
fein Amt, die diplomatischen Sendungen, zu denen man ihn benuste, 
und fein freier Kopf ihn ungewöhnlich befähigten. Im Kampfe ver Hier: 
archie gegen ben fekerifchen König von Böhmen war Breslau, wel- 
ches ten legteren nie gehuldigt, die Mauer ver Wechtgläubigfeit. 
Eifrige Prediger erhigten tas Volt unaufhörlich gegen die irrgläubige 
und ſlawiſche Herrfchaft, fehürten gegen biefelbe bei Papft und Für- 
jten. Selbſt ver Rath widerftand diefen Demagogen, bie ihren Ans 
bang in ten Schenken und auf den Gaffen hatten, nur mit Mühe. 
Cie braten die Stadt wiederholt in die dringendſte Gefahr und 
zeigten fich im derſelben feig und rathlos. Mitten in biefer bewegten 





Georg von Böhmen, ber Huffitenkönig. 405 


Zeit wahrte fich ber Stabtfchreiber den verjtändigen Sinn. Er hafte 
ven Böhmen und den Steger wie nur Einer. Als diefer ben Bres- 
lanern durch Boten kundthun ließ, daß er jedermann bei feinem Glau— 
ben laſſen wolle, fand Efchenloer eine böfe Ketzerei darin, daß cs 
mehr als einen Glauben geben folle. Daß aber das Volk ten Bo- 
sen Spott und Hohn erwies, das, meint er, hätte doch nicht noth— 
gethan. Immer wieder tabelte er das Wühlen ver Pfaffen und bie 
Aufwiegelung des Volkes gegen den Rath; denn er fand, daß dem 
binden Fanatismus fange nicht tie Wehrkraft ver Stadt entſprach, 
es fei daher beijer, mit Ketzern Friede zu machen, als von ihnen ver- 
verbt zu. werten. Seine Anficht, die er einft beim Armbruſtſchießen 
ver guten Freunden verfocht, brachte ihn in Mißgunſt, ja in Lebene- 
gefahr ’). Sie gibt jeinem Buch eine Fräftige politifche Haltung, bie 
verbunden mit der großartigeren Natur des Stoffes, ihn weit über 
fenftige Stabtchroniften, ja über alle andern deutjchen Geſchichtſchrei— 
ber feines Jahrhunderts emporhebt. Hoffen wir, daß Herrn Pas 
lacys Forſchungen auch für vie fehleiifche Gejchichte dieſes Zeitraumes 
med für den waderen Eſchenloer insbejondere fruchtbringend werben. 
Eine andere Duelle von reichem Gehalt haben wir erjt durch 
Serru P. kennen gelernt. Es find vie Görliger Annalen des Raths⸗ 
bern und Bürgermeifters Bartholomäus Scultetus (T 1614), 
son deren Handſchrift Herr P. den dritten, tie Jahre 1450 — 1470 
mmfaflenren Band turch tie Güte tes Görliger Stadtrathes Herrn 
Sultan Köhler zur Benugung erhich. Es ijt eine Urkunden- und 
Srieffammlung, von Scultetus nur mit dürjtigen Randbemerkungen 
werfeben,, für ven betreffenden Zeitraum aber unſchätzbar, weil ter 
feuft verfchollene Nachlaß des damaligen Stadtſchreibers von Görlitz, 
vs Mag. Johann Frauenburg, darin aufgenommen worben. Weber 
Ne anderen Bände des Scultetus hat unjeres Wiſſens noch Niemand 
auch nur Bericht erftattet ), — Aus dem lateinifchen Ejchenloer hat 


) Geſchichten der Stadt Breslau Bd. 1 €. 51, 52, 344 u. ſonſt. Ginen 
Abriß von Eſchenloer's Leben findet man in Kloſe's Breslau in ben 
Seriptt. rer. Silesiac. cd. Stenzel Bd. III. S. 338 — 319. 

Die Gelegenheit dazu wäre in ben Berreben zu den von ber oberlaufißi- 
(hen Geſellſchaft der Wiſſ. fortgefehten Scriptt. rer. Lusat. wohl ge 


geben geweien. 


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Georg von Böhmen, der Huffitenkönig. 407 


tame Benutzung bed Materinld und kundige Combination eine lebens» 
volle Darftellung. Was der Literatur, dem Sectenweſen, der Kriegs: 
tunft und fonft ber Sittengefchichte angehört, hat man am Schluife 
ver eriten Abtheilung bes vierten Bandes zu fuchen. 

Die größte und inhaltreichite Periode Böhmens liegt nun hinter 
feinem Hiftoriegraphen. Dennoch erwarten wir mit Epannung den 
nächiten Band: er wird einen mehr als breigigjährigen lebhaften Ver 
raffungeftreit in Böhmen zu fchildern haben, ver vamı freilich in einen 
Sieg des büftern Feudalismus, in cine Knechtung des Baueruvolkes 
anslief — ein Abfchnitt ver böhmischen Gefchichte, ter bis jett im 
tunfelften Schatten der Unkenntuiß liegt. In der Gefchichte Böh⸗ 
mens, fo will e8 Herrn P. fcheinen, überwiege das tragifche Clement 
ver tem epifchen; das Schidjal habe ven Böhmen die Rolle nicht fo 
jchr dee Sieger als vielmehr des Märtyrers angewicfen. 


Bon Anfang an hielt ver Verfaffer eine gewiſſe polemifche Stel- 
tung für unvermeidlich. Daß er bei feinem Werke, jo fügte er in 
ver Ginleitung zum erften Bande, auf dem Standpunkte eines Böh⸗ 
men ftebe, klönne ihm nur banı verargt werben, wenn es ihn unges 
recht gegen ihre Gegner mache. Er ſetzte aljo ſchon damals natür- 
lihe Gegner voraus und verjah fich einer Gollifion mit den Erfer- 
ſchern ter beutfchen Gefchichte. Belanntlih ijt er auch von dieſer 
Seite ber nicht ohne Anfechtung geblieben, abgefehen felbjt won ber 
füngften Fehde um bie älteften Denkmäler der böhmifchen Yiteratur. 
Ya derſelben hat er ſich mit bitterer Schärfe über vie Miß— 
gunſft des beutfchen Stammes beklagt, welcher auf den ſlawiſchen als 
einen nieberen berabjehe und auch im wiſſenſchaftlichen Kreiſe vie 
Sroßthaten der böhmifchen Gefchichte auf Selbſttäuſchung oder Trug 
zrüdzuführen bemüht fei. (Hiſtor. Zeitſchrift Bd. II. S. 89, WW.) 
Co fehr wir überzeugt find, daß jener Streit, von jerer nationalen 
Rückſicht losgelöſt, Teviglih auf dem Wege ver Kritik eine Löſung fin« 
ven foll und wird, freuen wir uns doch, Herrn P. bier auf einem 
Gebiete zu finden, anf den wir ihm von jeder nationalen Animofität, 
von jeder Ungerechtigkeit gegen Widerſacher des böhmischen Volkes 
freifprechen bürfen. Er felbjt hat fchwerlicy einen Grund zu der Ans 


S 


408 Georg Boigt, 


nahme, als fei die Huffitifche Periode von ber neueren beutfchen Ge⸗ 
ſchichtſchreibung mit ftillem Widerwillen betrachtet over abfichtlich ver- 
nachläjfigt worden, e8 müßte denn im Sinne römischer Rechtgläubig- 
feit gefchehen fein. Erſt neuerdings hat Droyſen über den eingebo- 
renen buffitifchen König Georg Urtheile gefällt, bei benen wahrlid) 
eber von Vorliebe al8 von Mißgunſt die Rebe fein kann. Wir glau⸗ 
ben allerdings, daß auf diefe Periode ſowohl in Droyfen’6 wie in Pa⸗ 
lacky's Darftellung ein zu Helles Licht gefallen ift, nur daß in bes 
Letzteren Gemälde des Umfanges und ver Ausführlichleit wegen, bie 
Färbung fich gleichjan von felber berichtigt. Es iſt wohl natürlich, 
daß, wer die Gefchichte eines Laudes oder das Leben eines bebeuten- 
den Mannes bejchreibt, diefelben wirklich im Bortergrund des Welt⸗ 
intereffes fieht, weil fein perſoͤnliches Intereſſe den Umkreis der Ans» 
ſchauung biltet. Die Neigung, die dazu verleitet, ift eine faft inftin- 
ctive, und man pflegt ihr eben fo wenig wie etwa der Mutterliche einen 
-Borwurf daraus zu machen, daß fie mit den Augen bes Gefühle fiebt. 
Aber nütlich bleibt e8 denn doch, wenn derſelbe Gegenſtand auch von 
einer anderen Seite her beleuchtet wird. Und fo gebenfen wir bier 
abweichende Meinungen vorzugsweife über zwei Hauptpuntte zu äußern, 
einmal über vie Bedentung des Utraquismus für die geiftige Ent- 
widelung ver Culturvölker, und dann über bie beutfche, überhaupt bie 
außerböhmifche Politit König George. 

Droyſen fieht in deſſen Negierung „vie neue Staatsidee.“ Aus 
zwei Tactoren jcheint er dieſe Anficht zu conftrniren. „Die ftraffe 
Ordnung im Innern, die volle monarhifche Gewalt, die er als 
Subernator vorbereitet, warb num vollendet; e& begann eine einfichtig 
forgende und förbernde Verwaltung ihre Segnungen zu verbreiten.“ 
Und tann: „Zum erftenmale gab es ein Königthum, das ben rein po= 
litiſchen Charakter des Staates begriff, zum erjtenmale Toleranz.“ 
In diefem Sinne wird der König der beveutentfte unter ven „Refor⸗ 
matoren dor ber Reformation‘ genannt. Ganz ähnlich urtheilt Herr 
Palacky, nur läßt er fih ter Natur feines Buches nach ausführlicher 
auf bie Begrüntung feines Urtheils ein. Auch ihm ift König Georg 
ber Herold und Kämpe der Neuzeit, einmal als Huffit, dann als Herr- 


her und Kurfürft, er ftarb als „Märtyrer der Idee bed modernen 
Staates.” — — 





Georg von Böhmen, ber Huffitenkänig. 409 


Der Huſſitismus ift die große nationale That des böhmifchen 
Stammes, der Höhepunft feiner Geſchichte. Es gibt wohl Heine 
Sepereien, Ausfchreitungen ver religiöſen Phantafie, die faft zufällig 
Bier oder bort auftauchen. Wie Wellen find fie entftanden und ver⸗ 
sangen. Sie entbehren gleichjam ber gefchichtlichen Nothwendigkeit, 
weil fie außerhalb des Zufammenhanges ber fördernden geijtigen Strö- 
mungen ftehen. Eben dieſer Zufanımenhang ift es nun, durch welchen 
die huſſitiſche Bewegung ihre Bedeutung erhält. Sie ift ein Welter- 
eigniß, infofern fie ven in Frankreich, England und Deutfchland be« 
reiteten Zündſtoff in ſich aufnahm, und babei verdankte fie ihren hef— 
tigen Puleſchlag tech vem naticnalen Körper, deſſen fpecififches Eigen« 
thum fie wurte. Prag, feit geraumer Zeit vie Mefivenz des römis 
ſchen Königthums, und feine Hochſchule, vie Lieblingsſchöpfung Karl's IV., 
bildeten ten Mittelpunkt, in welchem die Strahlen kühneren Denkens 
und ſtärkerer religiöſer Empfindung ſich vereinigten. Zuerſt kam von 
Parie her jenes Reformverlangen, welches an ber römiſchen Kirchens 
verfaffung und Disciplin rüttelte, und wie es von der Sorbonne aus— 
sing, fo überall die Univerſitäten am ſtärkſten ergriff. Wiklefitifche 
Lehren famen von Orford berüber und erwedten ten Zweifel an der 
‚ Untrüglichkeit des römifhen Dogma; man biöputirte num auch im 
Prager Karolinum über tie Lehre ven ver Zransfubftantiatien oder über 
bie Frage, ob nicht das Sacrament, durch die Hand eines mit Tod» 
fünde behafteten Priefters verabreicht, jeine heiligende Kraft einbüße. 
Das Anftreifen walbenfifcher Sätze ijt mehr zu füblen als zu beweiſen. 
Dentſche Myſtik trat Hinzu, wie fie fich fenft in ven Gottesfreunten 
mp ten Brüdern vom gemeinfanen Leben kundgab. Sie verlangte 
Reinigung ter Eitten und Vereinfachung der Glaubensgrundlagen; 
hatt einer unverftindlichen Dogmatik, wie jolche ſcholaſtiſch aufgebaut 
werden, empfahl fie einfältiges Streben nach ten Tugenden, bie Chris 
fn6 durch fein Beiſpiel gelehrt; gegen die Bibel ftellte fie die heiligen 
Doctoren ver Kirche in zweite Reihe; ftatt ber werkheiligen Verehrung 
von Biltern und Reliquien prebigte fie ein ftill erglübendes Aufgehen 
im das wunterbare und nur dem verſenkten Gemüthe fich effenbarenve 
Geheimuiß der göttlichen Yiebe. Nur bei einem Volke von ſtarker Ere 
regbarfeit und Lebenskraft vermochten fo mannichfache Elemente wirt 
ſam einzubringen und ſich dann zu einer eigenthünmlichen Oppoſition 


410 Georg Boigt, 


gegen das römifche Kirchenthum zu geftalten. Nicht geringen Antbeil 
an verfelben hat in der That die Blüthe des Landes, die ſich an Die 
Rorliche Earl’ IV. und des nicht mit vollem Rechte verrufenen 
Wenzel knüpft: aus ihr cutfprang jene heitere, genießende Lebensluſt, 
jener auf die äußere Welt gerichtete Sinn, der zu allen Zeiten ber 
Urfeind der bierarchiich-möndhifchen Kirche iſt. So find es denn folge- 
richtig der Stand ter Herren und Ritter auf ber einen, und tie ftolze 
Hochſchule auf der anderen Seite, die mit Eifer ſich der neuen Rich 
tungen annahınen. Mathias von Janow, der Sohn eines böhmischen 
Nitters, ift der Denker und Schriftfteller, Johann Hus, aus dem 
niederen Volle geboren, ver Held und Märtyrer diefer jugenblichiteu 
und erfreulichiten Phafe der Glaubensabweichung. Noch ift die Frei- 
heit ver Forſchung nicht durch abfchließende Dogmen gehemmt. Dar 
rum lag in ver Bewegung damals auch noch vie Möglichkeit, 
gleich der gallicanifchen, deren Tendenz eine größere Unabhängigkeit 
ber Nationallirchen von Rem war, weit über die Grenzen ihres Heis 
mathlandes hinaus eine großartige Propaganda zu machen. 

Es ift befannt, daß während Hus im Gefängnilfe zu Coſtnitz ſaß, 
ber Magifter Jakob von Mies vie Lehre von der Laiencommunion 
unter beiden Geſtalten aufgriff, und dieſen Ritus jofort auch in den 
Brager Kirchen zu üben begann. Bereits Mathias von Janow hatte 
den Yaien deu Kelch gereicht, aber auf Befehl feiner kirchlichen Obe⸗ 
ven davon wieter abgelafjen. Hus billfkte im Kerter bieje Praxis ber 
älteren Kirche. Ihm aber wie Janow war fie nur eine ver Confe- 
quenzen, bie nebſt vielen wichtigeren aus dem großen Principe ber 
Schriftgemäßheit floß. Während dieſe handgreifliche Kegerei d’e An- 
hänger ver Parijer Lehren, welche das Concil beherrfchten , erbitterte, 
padte fie die Maffe bes böhmifchen Volkes. Man Hatte nun ein 
fihtbares Eynibol des Widerſtandes, eine Parteifahne, ein Stichwort, 
das die populären Xeidenichaften in Bewegung ſetzte. Diefe Bewe⸗ 
gung wurde ſeitdem eine durchaus bemofratifche und entwidelte die 
furchtbare Straft, die jeben neuen Impulſe ver Maſſen eigenift. Daß 
fie auch Nationalfache wurde, war durch die Kämpfe, die zwifchen 
Böhmen und Deutfchen in der Prager Univerfität geführt werben, 
bereit8 angebahnt. Ein jechzehnjähriger Bürgerkrieg zerrüttete ven 
Wohlſtand des Landes, löſte alle kirchlichen und bürgerlichen Bunpe, 





Georg von Böhmen, der Huffitenkönig. 411 


Richt nur das Taboritenthum, ſondern eine Fluth von neuernden 
Meinungen, eine völlige Anarchie der Geiſter verhinderte jeden Ver 
fuch, aus dem Chaos eine neue Landeskirche mit over ohne Rom zu 
gewinnen. Die Cpelleute, vie fich der Bewegung zuerft günjtig ges 
zeigt, meinten in ter Hochfchule einen Halt zu finden. Vergebens 
jorderte diefe noch 1417, Niemand folle einen neuen Lehrfat öffentlich 
verfünten, ohne vorher die Veftätigung ihrer Magiſter nachgefucht zu 
baben. Erſt allmählich und in ter Noth res Wiverftandes errang 
Brag eine Art Hegemonie in Böhmen wieber, in Prag aber herrſchten 
bie huffitifchen Priejter, ohne unter fich einig zu werben. Jedoch nad) 
Außen Hin errang biefer Fanatismus glänzende Eiege: vie Kreuzheere 
zerftoben bei Mics und Tauß in erbärmlicher Flucht. Selbft der ver= 
Schtliche Kegernamen, mit dem man die Sieger nun branbmarfte, 
machte fie nur um fo ftolzer auf ihre nationale Eonterheit, um jo 
woßiger auf ihren Kelch. 

Aber weder ter ftürmifche Glaubensmuth, noch eine Nation in 
Waffen, noch tie anarchifche Auflöfung einer Geſellſchaft, vie fich zu— 
zer in georbneten Staats» und Rechtsformen wohlgefühlt, find Dinge, 
nie auf bie Länge Beftand haben können. Die erſte Reaction ging 
zem Adel des Landes aus, deſſen Beſitz Die demokratiſche Fluth eben⸗ 
fe bimwegzufpülen drohte, wie fie zu Gunſten ber Herren über bie 
firchlichen Güter hergefallen war. Auch brach jich der huſſitiſche Sie- 
setlauf 1433 ver dem fatholijchen und deutſchen Pilfen: 30000 Dann, 
aus alten huſſitiſchen Parteien vereinigt, vernichten vie Stadt troß 
sehnmonatlicher Belagerung weder zu ftürmen noch ihr bie Lebens— 
mittel abzufchneiten. Schon half dabei ver Adel nicht nicht. Der 
Geranfe, daß es in Böhmen nur Slawen und Verehrer des Laieu⸗ 
telhes geben dürfe, mußte jelbjt von ten Schwärmern aufgegeben 
werden. Auch wurden huſſitiſche Rotten in Schleſien und Bayern ges 
ſchlagen, ver Auf ihrer Unüberwindlichkeit war dahin. Mit dem Bes 
Virfniffe der Ordnung regte fich unter folchen Umſtänden der Wunfch, 
auch mit den Nachbarnälfern und mit ber Ntirche wieder in ein Ver⸗ 
hältniß zu treten. Damals fand fich der Mann, an deſſen Charafter 
md Namen fich das Streben nach Kirchlicher Ordnung und Einheit 
durch einen Zeitraum von etwa 44 Fahren geheftet bat. Es war Jo— 
kann Rolycana, Magiſter und Prediger in ber Prager Hauptkirche 


412 Georg Boigt, 


am Zein, der Schn armer Eltern, zu jener Zeit nur wenig über bas 
breißigfte Jahr hinaus. Seine Gelehrſamkeit war nicht ausgezeichnet, fein 
Wandel aber tadellos. Obwohl ein eifriger Prebiger, lebte er doch 
feutfelig und ohne Heiligenjchein mit dem Volke. Unerjchütterlic war 
er in feinem Glauben an ven Keldy, über ven er für alles buffitifche 
Bolf gleihfam vie Wache Hielt. Was ihn zur Bedeutung emporbob, 
war ferner fein Zalent zu organifiren, zu verwalten und die minder 
Feſten zu beberrfchen. Ein unbeugfamer Demagog auf feiner Kanzel, 
war er bie zuverläffigfte Stütze jeder Regierung, die feinen gemäßig- 
ten Utraquismus als herrſchende Religion anerkannte, zugleich aber 
ber bitterfte Feind taboritifcher wie anticalixtiniſcher Beſtrebungen. 
Ohne Rechtstitel führte er feit etwa 1427 in Prag die Oberleitung 
des kirchlichen Weſens, erjt 1435 wurbe er auf einem Landtage, alſo 
freilich von keiner Fanonifchen Autorität, zum Erzbifchof gewählt, auch 
von Saijer Sigmund bejtätigt, obwohl viefem eine ſolche Beftätigung 
fo wenig zuflam wie dem Landtage vie Wahl, Die päpftlihe Con» 
firmation erlangte er nie, und nie hat ihn ber Ehrgeiz fo weit ger 
führt, daß er fih um dieſen Preis eine Nachgiebigfeit in Glaubens 
fachen hätte abloden laſſen. Dennoch hatte er lebhaften Sinu für 
regelmäßige und tauernde Zuftinde Mit Eifer ergriff er die ver- 
föhnliche Hand, vie das Basler Eoncil den Huffiten bot, aber mit 
Energie und Geift vertheidigte er vor dem Goncil die Nothwendigkeit 
ver Communion unter beiden Geftalten. ALS biefer Ritus entlich zu- 
geftanpen wurde, war er auf böhmiſcher Seite die Seele der Vereini- 
gung, welche in ben fogenannten Sompactaten gefchloffen wurbe. 
Eine febr unvolltonmene Zransaction, diefe Compactaten! Das 
Basler Eoneil machte in ihnen ein Zugeſtändniß, bei welchen es das 
Einheittariom und zugleich das Dogma von der Unfehlbarleit ver rö« 
mifchen Kirche preisgab. Sein Motiv lag nicht in der Sache felbft, 
jontern in feinem Kampfe gegen Papſt Eugen. Um viefem gegen- 
über die Hoheit und das Verdienſt des Conciliums zu manifeftiren, 
ſpann man in Bafel die Verhantlungen an, bie zur Wiedereinbrin« 
gung der Böhmen und ver Völker der griechiichen Kirche in ven Schooß 
ber römischen führen follten. Die Griehen zog dann Papit Eugen 
an jich: er brachte zu Florenz eine Union zu Stande, tie zwar auch 
in ver Geburteftunde bereits den Todeskeim in fich trug, bei ber er 





Georg von Böhmen, der Huſſitenkönig. 413 


aber jeinem Brimate und dem Dogma Noms nicht einen Puuft ver 
gab. Das Concil betrieb die Böhmennnion mit einem Eifer, der die 
bierarchifche Tradition verläugnete. Ehrlich aber ging man von bei« 
ven Seiten nicht zu Werke. Das Document , welches den Laienkelch 
sugeftand, wurte reichlich mit Bedingungen, Clanſeln und Hinterthü— 
zen verfehen, und die Böhmen nahınen es wie cine einfache Beſtäti— 
gung ihrer Keterei mit allen ihren abweichenden Tchren, Formen und 
Kiten bin, ohne fich um den näheren Inhalt der Artikel zu kümmern. 
Am 5. Juli 1436 wurden auf dem Landtage zu Iglau in Gegenwart 
Eigmunds die Compactaten veröffentlicht, aber gleih am nächſten 
Tage entftand während ver Austheilung des Sacramentes nener Streit 
wijchen Rolycana und den Basler Yegaten und man ſchied im Uns 
frieven. Auch formell waren noch lange nicht alle Streitpunfte aus⸗ 
sezlichen, zumal über vie Verabreihung des Altarsſacramentes an 
Kinter wurte man nie einig. Es lag aber im Intereſſe beiver Theile, 
tie Compactaten mit Ojtentation für etwas auszugeben, was ſie doch 
wicht waren. Das Concil that, als habe c8 vie Böhmen wicbereins 
gebracht, tie Böhmen thaten, als ſei ihre Stegerei nun ſanctionirt. 


Der kirchenrechtliche Juhalt und tie Gültigkeit dieſes Vertrages 
find gerwichtige Fragen, durch teren Löſung das unbefangene Berfränds 
niß einer langen Periode ver bühmijchen Geſchichte, mindeſtens des 
Zeitalters Georgs von Podéebrad, weſentlich betingt wird. Unter 
ſolchen Umftänten können wir es ſchon nicht billigen, daß Herr P. 
ten Inhalt der Compactaten (Br. III. Abth. III. S. 217) nur 
ebenhin und unvollſtändig, ja nach einer reinhuſſitiſchen Darlegung, 
nicht nach ber von ihm ſelbſt lateiniſch und böhmiſch edirten Origi— 
nalurkunde angibt. Ferner ſpricht er ven einer „Natification ber 
Cempactaten von Eciten des Papſtes“ wie von einer unbejtrittenen 
Thatſache. Direct menigjtens bat fie niemals jtattgefunden. Wenn 
Bugen IV., wie ©. 272 erzählt wire, feine Billigung der Unions— 
terjuche ausfprach und den Böhmen zur Verhandlung über tie Yaiens 
cemmunion auch au feinem ferrarefijchen Concil eine gütige Aufe 
nahme verhieß, jo folgt daraus doc gerade, Daß er jene Frage im: 
mer noch als eine offene anſah, gewiß aber nicht, daß er die Kom: 
pactaten als rechtögiltig betrachtete, geſchweige denn vatifichrte, was 


414 Gesez DVeige. 


tech nur tur eine teierliche Bulle hätte geichehen käunen ’), Es 
wer Rarime ved rürttlihen Heſes, rie Unterhautimugen immer wie- 
ter zu fıch kommen zu lañen, ja telbit am;mipinnen,, um den Wunjſch 
ver Pereinigung rege ;u erhalten une durch zãhes Hinziehen ren tretzi⸗ 
zen Ketern ihren Reh dech nech ze eniwinzen Solche lUinterkanb- 
Immgen tms es, tie Lern $. ;u ter Ammaheme führten, Nicolaus V. 
ne Galisins III jeien beite nahe raten geweſen, die Cempactates 
offen ;u betätigen. Ju Bind II. fiebt er tann ihren principiellen 
Gegner, ven Mann ter „tectrinären Ansichlieglichleit- , tem man al⸗ 
fenialis ebene wie Köniz Geerg ald Opfer jeiner licherzengung be 
trachten könnte. 
Leirer it Herrn F. Hier eine Onelle unkelamnt geblieben, vie in 
wielfscher Deziebung ven Werth, tein Urtheil vielleicht weſentlich mo⸗ 
dificirt hätte. Es ift eine Rere orer vielmehr eine Denkſchrift, vie 
zer Ficcelemini etwa im Auguft 1455 dem Parite Galirtus ver⸗ 
trug *). Er ſtattete gleichjam Bericht ab über tie Runtiatur, vie 
ihm vor trei Jahren auch für Böhmen übertragen werten. Gr ſprach 
fermeli im Auftrage ves Kaiſers und Königs Ladislaw, uber koch 
gleihjam auf cigenen Kerf und ans eigener Erfahrung. Zunächſt 
bewies er mit ter größten Offenheit, wie turch alfe bie Mittel, veren 
fih tie Curie bisher gegen tie Böhmen bedient, nichts ausgerichtet 
werten. Leichter könne man ten Pauf eines Stromes rückwärts wen- 
ten als fie vom Laienkelb abbringen. Unerträglicher noch fei ihre 
zweite Forderung, tie Beſtätigung tes Erzketzers Rokyeana. — Nun 
hatte ver Ficcelemini nech unlängjt mit Georg von Perebrat, bem 
Gubernater, verbantelt, unter welchen Bedingungen er wohl die Reunion 
feines Velkes mit ter römischen Kirche für möglich halte. Dieſer 
hatte tie Beſtätigung der Gompactaten für durchaus nothwendig er- 
Härt, in Betreff des Prager Clecten aber endlich geäußert: "Nun 
*, Die Fictien mag indeß alt fein, obwohl ih fie nur einmal, in ber Rebe 
König Georg's auf dem Laurentiusfandtage 1463 im Berichte ber Bres- 
fauer an den Papſt bei Eſchenloer I. ©. 196 flude. Aber Georg 
ſelbſt erbat wiederbolt vom päpſtlichen Stuhle die VBeitdtigung. 

) Oratio habita coram Calixto III. de compactatis Rohemorum in 
Pii 11. P. M. Orationes ed. Mansi T. IT p. 352. 





Georg von Böhmen, ber Huffitenlänig. 415 


fo fell8 auch Rokycana nicht fein, ver uns bie römijche Kirche frind- 
lich machts! Daran fnüpfte Piccolomini, freilich mit vieler Vorficht, 
tie Trage, ob e8 nicht vielleicht tas Klüyfte fei, ben Böhmen ihren 
Zaienfelch zuzugeben, das Zugeftäubniß aber an die Beringung zu 
faüpfen, daß biejenigen geftraft werten müßten, tie ben Kelch für 
nethwendig zur Seligfeit erflärten, und daß alle fonjtigen Ketzereien 
im Reiche getilgt würden. Man könnte fpäter bie gefchickte Clauſel 
der Gompactaten benugen, welche nur venjenigen ven Kelch geitattet, 
„Lie ihn im Gebrauche hätten“ — eine Generation, von welcher nach 
50 Jahren keiner mehr leben wird. Auch fei der Laienkelch tem or- 
thedexen Glauben und der apoftelifchen Tradition eigentlid) nicht zuwider, 
nur müffe er mit Erlaubniß ver Kirche gencjjen werben. "Da das Concil, 
bevor es durch päpftliche Autorität aufgelöft wurte, ven Böhmen ven 
Kelch geftattete, fo fellte ich meinen (opinamur magis quam cre- 
dimus), man könnte ihn auch jetzt zugeben“. —. Die Curie aber gab 
dieſem Antrag keine Folge, ja ihre fpäteren Echritte feheinen zu Les 
werfen, daß fie ſich eher mit Rofycana alg mit den Gompactaten, 
der mit einem Reber als mit ter Stekerei befreundet hätte. Und 
nicht andere dachte Pius als Papft felber: er verwarf bie Compa⸗ 
chsten feierlich, er verlangte unerbittlich ven König Georg das gefähr: 
Bde Stüd, daß er als Landesherr mit Hülfe ter katholifchen Partei 
vie utragniftifche unterdrücken ſolle. Die Anficht, daß Böhmens Be⸗ 
wülerung dem ausgefprochenen Willen des Herrichers folgen müffe 
mb werde, obwohl auch Cardinal Carvajal ſie theilte und jie über- 
beupt in Rom die berrichende war — fie war dennoch ein entfchie- 
mer Irrthum. 

Wir dürfen nie vergefjen, wie und durch welche Mittel Georg 
a die Spitze bes Staates gelangte; denn nur allmählich und erſt 
sah längerer Ausübung kann eine Macht ver Vehikel Meijter werben, 
denen fie ihren Urſprung verdankt. Die kirchliche und bie jtautliche 
Anarchie waren in Bähmen zufammen entftanten und nahmen einen 
wechans gleichmäßigen Verlauf. Die populäre Unbändigkeit und Zer— 
Iplitterung führte in beiven mit gleicher Nothwendigkeit zur Dictatur. 
Dort rettete fich der Abel, invem er volksbeliebte Mäuner aus feinem 
GStante an die Spite einer Partei ftellte, bier ver Priefterftand, itt« 
m er ſich dem Regimente bes Previgers am Zein fügte. Es ift ein 


416 Georg Beigt, 


natürliches Geſetz foldher Bewegungen, daß fie nach und nach diejeni⸗ 
gen wie von felbft emportragen, die zum Leiten und Regieren vie 
Züchtigften find. 

Die Kunſtadt von Podebrad waren cin altmährijches Gefchlecht, 
das in Böhmen nicht gerabe zu den angefehenften gehörte. Aber bie 
nächften Ahnen des jungen Georg waren Huffiten, ſeitdem es über- 
haupt Huffiten gab. Er felbit wuchs im Kampfe ver Parteien 
empor. Als ein Yüngling von 14 uhren nahm er an ber 
Schlacht bei Lipan Xheil (30. Mai 1434), in welcher die Haupt- 
macht der Zaboriten und Waifen, bie beiven Brofope unb mehr ale 
13,000 ihrer Krieger bingemeßelt wurven. Diefe Nieberiwerfung ber 
huffitifchen ‘Demokratie war feine frühefte politiide Erinnerung. Die 
Bannerherren erheben wieder muthiger das Haupt, durch Kirchengut 
bereichert, im Bunde zufammenbaltend gegen die Reſte des Taberiten- 
thums, unter ſich aber getrennt Durch die Confeſſion und durch ehr⸗ 
geizige8 Emporitreben der Bebeutendften. Die Wahl Rolycana's zum 
Erzbischof von Prag und ber Abfchluß ver Compactaten bezeichnen 
biefe Reaction auf dem FKirchlichen Gebiete. ' Am weiteften nach den 
alten Zuftänden zurück ftrebten natürlich die katholiſchen Herren, bie 
Neubaus und NRofenberg. Es gab nah Sigmunds Tod bereits eine 
Mehrheit von Herren, die einer öfterreichifhen Wahl hold waren, 
aber heftiger noch waren im Ritter- und Bürgerſtande die Antipa⸗ 
thien gegen vie deutfche Nation und ven Fatholifchen Glauben. Die 
Regierungszeit, die man dem babsburgifchen Albrecht zuzufchreiben 
pflegt, war vielmehr eine factifche Anarchie, die nach feinem Tode 
faum fchlimmer werben konnte. Verwaltung, Abgaben, Gerichte hör- 
ten wieder auf, Fehde und Gewalt traten an die Stelle. Aber viele 
Periode zeigt nichts mehr vom demokratiſchen Charakter, es find le 
biglich baroniale Bünde und Intereſſen, die einander bekämpfen. Ch 
wohl zugleich auch in der Kirche die Spaltungen fich mehren, fo bes 
feitigt fih tabei doch Nofycana, der Mann der Sompactaten, mit 
feinem Anhang. An diefen Eirchlichen Kern fchloß ſich Alles an, was 
ben Frieden und Die Ordnung wünfchte, ohne den Kelch Lauffen zu 
wollen, eine immer wacfente Partei. Mit Rokycana verbündet, übte 
feit 1440 Herr Hynce Ptacel von Pirkjtein die meifte Gewalt im 
Lande. Ihm felgte als Haupt des utraquiftischen Herrenbundes Geerz 








418 .- Georg Voigt, 


wieder zur Geltung und bie Hanbelsverbindungen mit ben Nachbar- 
ändern öffneten fich aufs Neue. Dem Wohlitand wurden mindeftene 
die Wehe bereitet, auf denen er im Laufe friedlicher Jahre erblühen 
mochte. Und alles das hatte das zerrüttete Neich dem Gubernator 
zu danken. 

Dem allgemeinen Friedenszuge folgten felbft die Eirchlichen Dinge. 
Der Utraquismus durfte fich als geficherten Sieger anſehen, feit- 
dem er in Prag die Alleinherrfchaft erlangt und da ver Regierer des 
Landes felbft ihn befannte, Man wünfchte und meinte, mit ven Com⸗ 
pactaten wieder im Glauben und in der Gemeinfchaft ver Tatholifchen 
Kirche zu ſtehen, man zeigte ſich empfindlich gegen die ſchmachvolle 
Fortvauer des Ketzernamens. Der alte Fanatismus war im Erlö— 
ihen, zur Krönung Ladislaw's im Oftober 1453 konnte felbjt das 
verbannte Domcapitel nach Prag zurücdkehren und hier bleiben. Nicht 
ben Compactaten gebührt folches Verdienſt, fondern dem, der im Nas 
men bes Friedens die Macht handhabte. ‘Diefe Zeit ſchilderte Aeneas 
Sylvius 1455 vor dem Papfte mit den Worten: „Durch das Be⸗ 
jtreben des Gubernators wurde ganz Böhmen gleihjam ein Bolt, 
Jedem wurde fein Ritus gelajfen und eine Strafe gegen den verfügt, 
ber den andern Theil wegen Stegerei bejchulpigen würde. So liegen 
nun der Wolf mit dem Schafe, der Panther mit dem ungen bes 
Löwen ruhig beieinandern °). Freilich war das nur ein factifcher Zus 
ftand von kurzer Dauer. 

Der junge König Ladislaw ftarb zu Prag eines jähen Todes, 
ben Herr P. zum Gegenſtand einer eigenen Unterfuchung gemacht um« 
ter dem oben angezeigten Titel. Hier findet man die Zeugnijje für 
und gegen Giftmord in einer Fülle gefammelt, die nur ein fo belefe- 
ner Horicher zufammenbringen konnte. Wir wüßten nur wenige bins 
zuzufügen und feines von fchlagenver Bedeutung. Indeß conftatirt 
ber Bericht des fächfifchen Geſandten Heinrich Yeubing vom 12. De⸗ 
cember 1457, den P. in den Urf. Beiträgen Nr. 120 felber mittheilt, 
daß fchon damals, alfo wenige Wochen nach dem Tode des Könige, 
auch außerhalb Wien’s von einem unnatürlichen Tode die Rede ging; 
denn in Wien ſelbſt wurde ein Bericht wohl fchwerlich geſchrie⸗ 


®), Worte aus ber oben citirten Denkrede. 





Georg von Böhmen, ber Huffitenfönig. 419 


ben, welcher erzählt, daß Matthias Hunyadi zu Wiennen ges 
fangen gelegen. ferner ift Herrn P. die Antwort von Seiten des 
Könige Kafimir von Bolen an Zisfra vom Jahre 1458 entgangen, 
in welcher ebenfalls von Gift und zwar auf ein weitwerbreitetes Ger 
rũcht hin, geiprochen wird ’). Schlagenp können wir bie Gründe nicht 
nennen, aus welchen Herr P. zu beweifen fucht, Ladislaw fei nicht 
au Gift, ſondern am Bubonentyphus gejtorben; noch weniger fehlas 
gend find die Auslajjungen feines ärztlichen Freundes, Diefe Kranke 
beit war gleichſam bie officiöfe Verfion, vie allereings viel Wahr⸗ 
fheinliches und außerdem noch einige andere Zeugniſſe für fich hat. 
Da fie aber in letzter Stelle eben auf Georg zurüdführt, fo wird, 
wer biefen für den Giftmörder hält, fein Zeugniß natürlich zurüds 
weifen. Auch enthält es einen Nebenumſtand, der uns nicht fehr glaube 
wärbig erjcheinen will, daß nämlich ver fterbente König dem Guber- 
nator fein Reich mit einer gewiſſen Gefühlsinnigfeit an's Herz gelegt 
haben ſollte. Sieht viefe abſichtlich verbreitete Nachricht nicht jtarf 
nach einer erften Vorbereitung der künftigen Herrichait aus? Du Pos 
debrad fehr wenig Deutſch, Ladislaw aber gar fein Böhmifch fprach, 
vermögen wir und überdies einen Discurs mit dem Sterbenven, uud 
gar in ber wohlgejegten Form, wie ihn Aeneas Sylvius gibt, nicht 
leicht vorzuftellen. Vor Allem aber iſt ein fchönes, faſt zärtliches 
Berbältnig, wie Herr P. es zwifchen vem jungen Yabislaw und dem 
Gubernator annehmen möchte, im höchſten Grave unwahrſcheinlich. 
Des Habsburgifche Kind war Georg von Anfang an unbequem, wenn 
wir aus feiner Bruft nicht jeden Funken des Ehrgeizes wegläugnen 
wollen. Eo war immer ver Schüpling ter katholiſchen Barone ge⸗ 
wien. Sie mußten wohl, warum fie ihre Truppen im Bunde mit 
ven öfterreichifchen Rebellen ins Feld ſchickten, um ven jungen König 


7) Bei Diugoss Histor. Polon T. II. Lips. 1712. Lib. XII. p. 225. 
Es ſchmerze den König, heißt es bier, quod illum (Ladislaum) fama 
communi referente, quae universam christianitatem complet, audimus 
veneno extinctum, de quo non aliis magis quam barunibus Bolıe- 
mise, quibus ipse sc in tutum, propriis etiam Australibus praeter- 
missis, permiserst, negligentius vitam suam providentibus, succen- 
semus,. 


27* 


420 Georg Beigt, 


ter Gewalt feines kaiſerlichen Bormundes zu entreißen; und Georg 
wußte auch, warum er zur Befreiung Ladislaws feine Hand regte. 
Har P. meint zwar, diefe habe tem Gubernator nicht unangenehm 
fallen können, ja er habe ſich durch tie Hoffnung auf einen gefrönten 
König im Gewinne gefühlt, weil „ken Fremden“ dadurch tie Gele 
genheit genommen worden, aus ber Uneinigfeit ber Böhmen Nuten 
zu ziehen. War aber Ladislaw felbft nicht ihm wie bem böhmifchen 
Volke ein „Fremder?“ Die Schwierigkeiten, die dem jungen Zürften 
in ven Weg gelegt wurben, gingen doch ſchwerlich von jemand an⸗ 
ders aus als von Georg. Seit vielen Fahren hatten ihn bie Böh- 
men als ihren König von Friedrich geforbert; jest mußte er erit 
wieder gewählt werden. Und nur unter ſchweren Bedingungen wolite 
man ihm die Krone bieten: er fellte fein Erbrecht auf dieſelbe vers 
läugnen und eine Wahlcapitulation annehmen, die ihm Ehre und Recht 
kränkte. Er mußte ven Gubernator auf weitere feche Sabre beftä- 
tigen. Daß tiefe Bebingungen von Georg herrührten, fagt uns noch 
zum Weberfluffe Johann von Rabjtein ; ob der Grund „in dem Geifte 
des Podebrad'ſchen Bundes’ Tag, ift fchwer zu beweifen, jebenfalle 
hielt Georg bei feiner eigenen Wahl folche Bedingungen nicht für noth« 
wendig. Die gejpannte Stimmung zwifchen tem Könige und Georg 
blickt felbft in ver Erzählung Palacky's (Bd. IV. Abth. I. S. 412 
bis 424) deutlich genug hindurch. Sie wird noch düfterer gefchilvert 
in dem Bericht eines apoftolifchen Nuntius von 1462, der die Tra- 
bition des ungarifchen Hofes wiedergibt‘). Darnach erklärte Podebrad, 
als er zwei Meilen von Wien lagerte, er welle die Stadt deßhalb 
nicht betreten, bamit ver König es nicht mit ihm mache wie mit den 
Söhnen Hunyadi's, von denen er befanntlich den einen binrichten, den 
anderen gefangen davon führen ließ. Auch joll er gedroht haben, wenn 
Ladislaw nicht nach Böhmen komme, wolle diefes Reich einen anderen 
König wählen. Endlich wird hier das fehr begreiflihe Motiv des 
jungen Königs, daß er die berrfcherifchen Gubernatoren loszuwerden 
juchte , offen ausgefprochen. 
®) Relatio nuntii apostolici (wohl bes Erzbifchofes Hieronymus von Kreta) 
sc. bei Engel Geſch. des Ungariſchen Reihes. Th. II. Halle, 1798, 
©. 11, 12. Die von Engel geſetzte Zeitangabe iſt ganz unfinnig. 





4223 Georg Beoigt, 


ftaatsrechtliche Fiction, man wußte nicht einmal genau, ob nur ber 
Herren- und Brälatenftand oder ob auch die Ritter und Städte mit- 
zuwirfen berufen waren. Daß indeß auch die Kronländer zugezogen 
werden follten, war burch die Urkunde Karl’8 IV. geboten worten, 
und 1441 finden wir in der That mährifche, fchlefifche und Laufigifche 
Herren und Boten in Prag, chne daß ihr Recht bezweifelt wurde. 
Die Mitwirkung der Kronlanve, in denen vie Fatholifchen und 
beutfchen Elemente überwogen und bie fächfifche Thronfolge fich bes 
reits Sympathien erwerben, war tem Gubernator natürlich uner« 
wünfct. Im Beſitze ter Macht nahm er fich Zeit, feinem Plan all 
mählich verzuarbeiten. Gleich am Tage nach tem Tode Ladislaw's er» 
öffnete er den höchften Beamten und Richtern des Landes, daß fein 
Verweſeramt noeh bis zu den nächſten Pfingiten zu währen babe. 
Nicht je beeilte er fich, ven Termin für ven Wahltag anzufeßen, viel- 
mehr bebantelte er die große Action wie eines der laufenden Ge⸗ 
fcbäfte, deſſen Erledigung ten nächſten Lanttag im Wär; 1458 ab 
warten mochte. An einem ſolchen aber hatten vie Stände ter Kron- 
lande nichts zu juchen. Natürlich blieb die Zwifchenzeit nicht ungenugt. 
Venn Herr P. meint, vie königliche Krone fei tem verbienten Patrio- 
ten wie von jelbit gleichfam ale Erſatz für eine Bürgerfrone zuge⸗ 
füllen wenn er annimmt, Ladislaw babe ihm auf tem Sterbebette 
die fürftige Regierung „gleichſam legtwillig vermacht,“ fo find das 
Dad fchr alerbiame und unfichere Tebilel, auf tie ein Politiker wie 
Georg ſchwerlich weit gebaut hat. „Gewiß ift auch — fährt Herr P. 
ſort — daß Georg keineswegs verſchämt und blöde that, Daß er nicht 
werte, Bi das Glück idn aufjuchte, jontern tab er ihm nicht min⸗ 
der sanieren ald verſichtig entgegenjchritt, wuhricheinlich mit dem 
Wwattiern. daß die ederſte Gewalt ven jeher überall genommen und 
vide sieht werde.“ Er wird auch Diejenigen Gemütber mit in 
kim Nabeanı sowuen Nenn, tie an tem Begriff einer überlom- 
meter Okwelr seltenen. Wir meiden Mitteln er nun gearbeitet, 
ker won detzt zerärtih Sehnen erfirfihen. Dluger, ter Gegner ver 
Tyan, vr nm ganzen Wodlect eine „Conſpiratien der Huſ⸗ 
nen vedt der dederredet. die angeiebeniten Herren jeien durch reid« 
in AI NER, Ne ferien auch eingeichüchtert werten ’). Jo⸗ 


" lim Pre Li KU p DI, MR 





Georg von Böhmen, der Huffitenkönig. 423 


hann von Rofenberg, der Hauptmann von Schlefien, foll 17,000 Du⸗ 
caten erhalten haben; vie thätigften für Georg waren außer ihn ber 
Dberftburggraf Zdenef von Sternberg und Herr Zbynel von Hafen- 
kurg. Alle drei waren Satholifen und wechjelten hier ihre politifche 
Farbe, fie zu gewinnen war dem Thronbewerber in mehr als einer 
Hinfiht wichtig; fo wollen wir denn mit Herrn P. ihre Beftechung 
„meter behaupten nody verneinen. Auch daß die böhmifchen Herren, 
die fatholifchen wie die huffitifchen, in dieſer Bezichung in üblen Rufe 
fanden, find wir geneigt, aus dem nationalen Hafje gegen fie zu er: 
Nären. Ein anderer Umstand aber, über den wir gern von einem 
ſo kundigen Gelehrten wie Herrn P. eine belehrenve Zufammenftellung 
läfen, mag bier bebeutend in's Gemicht gefullen fein. Wir meinen 
das Kirchengut, das während der Huflitenjtürme von ven Herren ſä— 
enlarijirt worden. Wohl fellte nach der Krönung Ladislaw's eine Re: 
wfion diefer Beſitzſtände ftattfinden, wir hören aber nicht, daß irgend 
etwas Darin wirklich gefchehen. Vielleicht war es nur ein drohender 
Wink, den der mächtige Gubernator damals für gut hielt. Aeneas 
Sylvius fagte noch 1455 in Zone ber Begütigung '°), e8 feien Loch 
aus 10 bis 20 böje Menfchen, vie fich im Befige folcher Kirchengüter 
befänren. Je kleiner die Zahl, vefto voller müſſen die Wenigen zus 
gegriffen haben. Herr Zdenék Koſtka, nachmals König Georg's ins 
sigfter Bertrauter, bejaß die Güter des chemaligen Bisthums Leito- 
mpichl, der gutfatholifche Ulrich von Roſenberg hatte zwei Klöſter 
au fich gebracht. Das böfe Gewiſſen foldyer Bejiger war ohne Zweifel 
em mächtiger Yactor in ihrem politifchen Betragen. Sehr tenkbar, 
daß Georg manchem von ihnen für gute Dienjte das Verfprechen ge- 
geben, ihren Befigtitel in Ordnung zu bringen. Andere mochten aus 
demſelben Grunde an die huffitifche Cache ebenfo innig gefefjelt fein, 
wie fpäter die Inhaber von Bankbillet® an das Haus Oranien in 
England, ober vie Befiger von Afjignaten an die franzöfifche Revo— 
Istion. 

Auf der anderen Seite hing die Maffe des Volles an dem nie 
verläugneten Utraquismus des Gubernators und an feiner flawifchen 


0) In ber oben angeführten Denkrede p. 377, 378. 


424 Georg Boigt, 


Abkunft. In diefem Sinne war Rokycana fein thätigfter Agent: 
ohne Aufhören eiferte er von ber Kanzel herab, wie man feines Herr- 
fcherE aus frembem Stamme bebürfe und die beutfche Uebermacht 
endlich bei Seite werfen müſſe. Nach folher Vorbereitung erbielt 
auch das Prager Volk eine große Stimme bei der Wahl. 

Der Landtag begann den 28. Februar 1458 auf dem Altftädter 
Rathhauſe Prag’s. Die Anfprüce und Bewerbungen follten in aller 
Rechtsform geprüft werben. Als die Stände aber bie franzöfifchen 
Erbietungen geneigt zu hören fchienen, fchrie die aufgeregte Volksmaſſe 
draußen, man folfe Herrn Girſik oder fonft einen Böhmen, aber kei⸗ 
nen Deutschen, überhaupt feinen Fremden zum Könige wählen, Diefe 
„unwiderſtehliche Macht ver öffentlichen Meinung‘ äußerte fich fo 
bandgreiflih, daß die Boten von Bauen und Görlig, die einzigen 
nicht böhmifchen, bie auf dem Landtage waren, Prag fefort zu ver⸗ 
laffen für gut fanden‘). Dennoch hörte man am folgenden Tage, 
am 1. März, die Gefandten des Herzogs Wilhelm von Sachſen ru⸗ 
big an. Am 2. März aber wogten bie bichten VBolfsmaffen auf allen 
Straßen und Plägen und forderten mit ©ejchrei einen eingeborenen 
König. Unter folder Einfhüchterung erfolgte im Rathhauſe Die Wahl. 
Zpenef von Sternberg ſprach von des Vaterlandes Noth und Recht, 
hielt bei den Ständen „ganz leife” die Umfrage und rief dann, plötz⸗ 
lih vor dem Gubernator niederfnieend, mit DBegeifterung: es lebe 
Georg, unfer gnäbigfter König und Herr! Andere Herren folgten 
feinem Beifpiel, fchnell lag ber ganze Landtag auf den Knieen und 
gelobte die Treue. Draußen eriholl ein ftürmifcher Jubel: hoch lebe 
Georg, ber König Böhmen’s! Unter dem Geläute der Glocken zeg 
man in ben Zein, wo dem Könige gehulvigt wurde und Rokycang dem 
Himmel und den Ständen für die glüdliche Wahl dankte. Herr P.« 
brüdt fi über den Act wohl zu gelind aus. „Eine Art moralifchen 
Zwanges — fagt er — wenn man e8 fo nennen will, waltete dabei 
allerdings ob: es war die Preffion des allgemeinen Volkswillens.“ 
Das Gerücht freilih, als feien wiberfprechende Katholifen getöbtet 
worden, weift felbjt Efchenloer als unwahr zurück. Zu eigentlichen 


N) Urt. Beiträge Nro. 137. 





426 Georg Boigt, 


„Es fteht feft — fohrieb damals Aeneas Sylvius, als er feine Ge⸗ 
fchichte Kaiſer Friedrich's ſchloß — daß die Reiche mit Waffengewalt, 
nicht auf gefeglichem Wege erworben werben.“ 

Dennoch muß man zugeben, daß Georg’s Anerkennung ungewöhn- 
lich günftige Conjuncturen zu Hülfe famen Indem vie drei Reiche, 
die Ladislaw innegehabt, auseinanterfielen , zerfplitterten fich auch bie 
Erbanfprüche und einer lähmte den andern. Matthiad nahm vom un- 
garifchen Throne Beſitz, ohne daß der Kaifer fein Necht aufgab. Da 
biefer audy mit feinem Bruder Albrecht und feinem Vetter Sigmund 
um das djterreichifche Erbe haderte, gab er das Ketzerland preis und 
meinte in beffen Ufurpator einen Bundesgenoſſen zu gewinnen, ber 
für ihn die Waffen ergriffe. Schneller no fam dem Emporlönm«- 
ling ver greife Papſt Galirtus entgegen: er wellte von ber Vergif- 
tung Ladislaw's nichts hören und foll für Georg, ſchon bevor dieſer 
gewählt wurde, bereit8 bie geweihte Roſe und ein geweihtes Schwert 
beftimmt haben”). Als dann ver Procurator Georg’8 ihm alles Er⸗ 
benfliche verfprach, fah er im Geifte ſchon Böhmen zur Kirche zu- 
rüdgeführt und ven König gegen vie Türken im Felde, da nannte ex 
ihn nun geliebten Sohn und König. Unter ten beutfchen Fürften 
ftand es um Georg's Aufnahme in ihren Kreis noch mißlich, ald ver 
Streit zwifchen ber brandenburgifchen und ver bayerifchen Partei im 
Reiche losbrach. Nun aber bemühten fi) beide Parteien um ihm. 
Bald titulirten ihn alle deutſchen Fürften als: „lieben Schwäher.“ 
Der alte Diether von Mainz fchalt fie darüber und verficherte, er 
halte Girſik nicht für einen Chriften und werde ihm nicht fchreiben 
— nad) furzer Zeit fchloß er fogar eine Erbeinung mit ihm. Enplich 
ſchloß Georg auch mit Sachjen einen Vertrag und die Verabredung 
einer Doppelehe ab, obwohl Herzog Wilhelm vorher an Kaifer, Bapft 
und Kurfürften appellirt und ven erwählten König einen „Uffgerud« 
ten‘ gefcholten. 





'?) Der Brief des Joh. Lichtenfelfer v. 3 April 1458, zuletzt von Balady 
Urk. Beiträge Nro. 151 mitgetheilt, if noch an Georg als Gubernator 
gerichtet. Dennoch fpricht er fchon von ben Gnaden, bie ber Papſt ihm 
post obedientiam regalem zu erweifen gebenfe. So ficher rechnete man 
in Rom auf feine Wahl. 


Georg von Böhmen, der Huffitenkönig. 427 


Schon damals ftand Georg auf dem Gipfel feines Anfehens und 
feiner Macht. Der große Hintergrund, auf welchem feine Perſon zus 
gleich gefürchtet und Vertrauen einflößend erfchien, war die Zeit feines 
Guberniums. Jetzt aber war feine Aufgabe unermeßlich viel ſchwie— 
tiger. Was dem Gubernator al& ein ſchönes Verdienſt zugefchrieben 
wurde, erichien für ven Gefrönten eine Pflicht. Und gar von dem 
Emportömmling verlangen vie Wenjchen ganz Befonderes, frappante 
2eiftungen, durch welche er ven natürlichen und überlegenen Herrſcher 
kefundet, die den Neid derer überwinden, mit welchen er zuvor eines 
Etandes geweſen. Weberfehen wir nun wie weit es Georg gelungen, 
Die Parteien feines Landes zu beberrfchen, das Firchliche Yeben in 
eme Bahn zu leiten und endlich feinem Neiche gegen das Ausland 
hin eine Machtftellung zu gewinnen. In allen tiefen Richtungen ge« 
benfen wir zu zeigen, wie es ihm nicht am tüchtigem Streben , wohl 
aber an ver Erfenntniß der richtigen Wege oder an ihrer energi« 
ſchen Berfolgung gefehlt Hat. 

Leider find die Quellen äußerft farg, vie fein Regiment in Böh- 
men beleuchten, unfüglich Vieles hat ver Fanatismus jener Zeiten 
vernichtet, in welchen vie Jeſuiten das Land gutfatholiich machten 
md tabei feinen beften Lebensfeim vergiiteten. ‘Doch läßt fich ein 
algemeines Urtheil aus ven Prämiſſen und Refultaten wohl gewinnen. 
König Georg fuhr ungefähr auf vemfelben Wege fort, ven er fich als 
Pantesveriwefer gebahnt. Nach feiner Krönung beftätigte er alle 
Reiche» und Hofbeamten ohne Ausnahme. Die anarchifchen Fa— 
ctienen, tie Reſte des alten Taboritentbums, trat er vollends nieder. 
Aber in feinem Streben, fich die vielverlangenden Barone des Landes 
nicht zu entfremden und doch auch die populäre Grundlage feiner Ge— 
walt zu conjerviren, lag ein unheilbarer Zwieſpalt. Nicht nur zeigte 
isn fein richtiger Blick, daß fein feitefter Anhang im Stande der 
Riobpfen, des niederen und ärmeren Avels, und im Bürgerthume 
war, auch feine Neigung ging dahin, auf diefen Baſen das Wohl des 
Landes zu begrünten. Handel und Wantel lagen ihm nahe am Her« 
en. Dem Vlünzumvefen, das aus Dejterreich herüberfam, hat er 
nach Kräften gefteuert, die Schinderlinge aus dem Lande getrieben und 
die guten böhmiſchen Groſchen bergejtellt. Einen neuen Rathe, dem 
er in wirthfchaftlichen Dingen große Gewandtheit zutraute, legte er 


428 Georg Boigt, 


bie Fragen vor, wie es möglich fei, in Böhmen eine fefte Münze 
von wunveränderlichem Gehalt und Werth einzuführen, ven Bergbau 
in Aufnahme zu bringen, die königlichen Amteien pafjend einzurichten, 
die Summe des Imports und Erports im Handel Böhmens zu er- 
gründen und biefen überhaupt wierer in Blüthe zu bringen — Fra⸗ 
gen, die auch als bloße Fragen für einen Fürften jener Zeit das eh⸗ 
renbite Zeugniß ablegen. Wie weit vie Cultur bes Landes wirklich 
gebieben, ift fchwer zu fagen; wohl allzu früh wurbe ihr die nothwen⸗ 
digſte Gruntlage, der Friede, wieter entzogen. Dennoch Ichnte ven 
Koönig die Anhänglichkeit jener Claſſen. Die Barone Dagegen ertru⸗ 
gen es nicht, daß einer aus ihrem Stande ihr Herrfcher war unb 
daß er wirklich herrſchte. Seit 1462 traten einzelne, auch in Böhe 
men, bem König entgegen. Den Dedtmantel für ihre oligarchifchen 
Beitrebungen fuchten fie noch nicht im Glauben, weil die Maffe bes 
Tolles und auch ihrer eigenen Unterthanen utraquiftiid war. Sie 
geberteten ſich vielmehr al8 Patrioten, fanden die alten Rechte und 
Privilegien verlegt, ihren Rath in den Yandetangelegenheiten vernach- 
läſſigt, Die Fünigliche Gewalt übergreifend und herriſch. Später ver 
ſchwor fich diefer „„Herrenbund“ offen mit ven Römlingen und mit 
der deutſchen Yerölferung zum Berverben des Könige. Dezeichnend 
it aber, daß ſich dieſe Herren geraume Jahre nicht zur Erhebung 
eincd neuen Hauptes entfchließen konnten. Lange fah der König ihrem 
Treiben mit unbegreiflicher Nachficht zu, die wir nicht mit Herrn P. 
einer „natürlichen Gutmüthigkeit“ zufchreiben möchten. Gin reines 
und volles Ergebniß bütte er nur erreichen fünnen, wenn er ſich auf 
den Ritterſtand und bie Städte geftügt, an tie Spige einer allge 
meinen Erbebung gegen die großen Feudalherren geftelt und vie 
Sternberg und Rofenberg mit Raffengewalt zu Boden gefchlagen 
hätte. Aber er wur älter, fein Körperbau fchwerfällig geworben, er 
zeigte ſich berenflih und unentichleffen, wo e8 der burchgreifenten 
Energie, der rajıhen That beturfte; überall hoffte er durch Fluges 
Abwarten oder durch diplomatische Feinheiten feine Erfolge zu erringen. 
So konnte er ſich auch nicht zum Auftreten gegen ven Stand, dem 
er ſelder angehört, entſchließen. Im Gegentheil bat er ter baro- 
nialen Autenemie, dem Schwinten ver Zemane und Lantjajfen, tem 
Auflommen der Leibeigenjchuft eher Vorſchub geleiftet als gewehrt. 





430 Georg Boigt, 


wefen fein. In der Regel folgte ver König mit feiner Gemahlin 
und feinen Kindern der Proceffion Rofycana’s, bei welcher außer ber 
Monftranz viele Kelche, gefüllt mit dem Blute Chriſti, einhergetragen 
wurden. Doc ging er auch bisweilen, beſonders an größeren Feſt⸗ 
tagen zu den Domberren nah S. Veit hinauf. Profop von Rab» 
jtein erklärte einmal offen an der römifchen Curie, fein König müſſe 
es mit beiven Parteien halten, tamit nicht die eine von ibm abfiele. 

Es war Georg's bringender Wunfch und feine fchwerfte Auf 
gabe, Böhmen wieder in die Reihe der gleichfam regulären Mächte 
einzuführen, und ben böfen Fleck des Ketzerthums von feiner Krone 
und feinem Lande zu tilgen. Zwar fchien es, daß vie Fürften unb 
Bolitifer wenig Werth darauf legten, aber bie römiſche Kirche hatte 
noch die Stimmung ver Völfer für fih. In Sachſen 5. B. erwed» 
ten die mit dem Ketzerhauſe verabreteten Ehen ein bitteres Murten. 
So lange Böhmen nicht wieder in dem großen Verbande ver latel- 
nifchen Kirche war, hatte es ſtets eine bebenkliche Ausnahmeſtellung. 
Das Bindemittel nun fah ver König in ven Compactaten und in ber 
Fiction, daß er auf Grund verfelben ein rechtgläubiger und in ber 
Kirche ſtehender Katholik ſei. Unter, jenen ragen, die er feinem 
neuen Rathe Marini vorlegte, war gleich die erfte, wie man wohl 
die Böhmen, vie einmal auf ihren Sompactaten beftänden, ohne Auf» 
bebung verjelben mit ver römischen Kirche ausföhnen könne. Nach 
feiner Wahl betrieb er mit Eifer, daß katholiſche Bifchöfe ihn Frönten, 
und leiftete dafür einen Eid, der völlig rechtgläubig war, nur daß er 
bes Laienfelhe® nnd der Compactaten nicht ausdrücklich gedachte. 
Sofort fhidte er auch Boten an den Bapft und bat um ihre Beitä- 
tigung. Den huffitiichen Unterthanen ſchwor er, die Compactaten 
zu balten, er naunte fie einmal öffentlich vie heiligen Compactaten, 
zunächft freilicd mit ber Erläuterung, daß fie vom heiligen Concil 
ausgegangen feien. Mit ihnen meinte er die Union zu vollziehen. 
Das war ein halber Mittelweg, eine fchwächliche Auskunft, mit 
welcher der König nach beiden Seiten hin zu täufchen fuchte und 
endlich doch nur fich felber täufchte. 

Während der ganzen Regierungszeit Georg's blieb Rokycana ver 
Dictator der huffitifchen Kirche, ver Mann mit ten mächtigen Yungen 
und der eijernen Beftigleit. Wir fahen, wie feine firhliche und Ges 





Georg von Böhmen, ber Huffitenkönig. 431 


gs politifche Bahn Tange Zeit in einer gewilfen Parallele Tiefen. 
Daun aber erreichte Georg eine anerkannte Stellung, Rokycana's 
Macht dagegen beruhte bis zu feinem Zode auf der Demagogie. Er 
nannte fich den Exrmwählten von Prag, ohne dem Yandtage das Ernen⸗ 
unugörecht eines Erzbifchofes zu vinbiciven. Er war von feinem Papfte 
beftätigt und hielt tiefe Beftätigung boch für nothwendig. Er glaubte 
ſich ſelbſt nicht berechtigt, utraquiftifchen Geijtlichen die Weihe zu er- 
teilen, erließ jedoch für den ganzen utraquijtifchen Klerus Vorſchrif⸗ 
en, wie ein beftätigter Erzbifchof. Leider liegt die Organifation ber 
huifitiichen Kirche fehr im Dunkel. Auch Herr Droyſen bebauert, 
bob ihm die Materialien gefehlt, um vie Wandelungen des Kirchen⸗ 
echte, die König Georg vorgenommen, genauer zu entwideln; das 
Benige, was er davon fenne, fei überaus merkwürdig. Es ijt zu 
bedauern, baß er auch dieſes Wenige nicht mittheilt. Selbſt Herren 
valachy ift es nicht gelungen, das Dunkel zu erhellen. Wir erfahren 
durch ihn nur die Eriftenz eines utraquiftifchen Confijteriums in Prag, 
weiches indeß allem Anſchein nach wenig hervortrat. Von katholiſcher 
Seite wird überall Rokycana als Haupt und Herrjcher bargejtellt, nur 
bet, im Bunde mit ihm, und im Intereſſe ver Politik, auch die für 
mögliche Gewalt bisweilen in bie kirchlichen Dinge eingrifl. So war 
webl vie böhmifche Kirche eine Mifchung von Dictatur und Anarchie. 
Sie zeigt eine gewilfe Solidarität und eine bejtimmte Färbung, wo 
ner herrſchende Geift des Zeinprebigers jich geltend machte, Sie follte 
£atbolifch fein mit einigen Modalitäten, unter denen "die Wahrheit 
des Keſches⸗ obenanitand. Das war ein Sa, auf welchem Roky—⸗ 
cana feftftand und mit ihm bie Utraquijten feines Anhangs; feine Un» 
erfchütterlichleit im Kelche machte ihn zur volksthümlichen Geſtalt, 
fücherte ihm das unbedingte Vertrauen; man fah ihn nicht wie ben 
König verhandeln und erperimentiren. Sonſt liegt uns nur einer 
feiner Erlaſſe an den utraquijtifchen Klerus ver: er betrifft tie Würde 
uud Heilighaltung des Leichnams Chriſti, die Aufbewahrung des 
Ghrisma, des heiligen Deles und Taufwaſſers, das Halten der Fa— 
ften und Feſttage. Bis auf wenige Punkte, welche cben ven Act ver 
Cemmunion betreffen, unterjcheidet ev ſich nicht von ähnlichen Ver- 
sronungen, bie durch gutlatheliiche Prälaten oder Synoden erlajjen 


432 Georg Boigt, 


worben '*). Neben dieſer Art von Herrfchaft erhielt ſich unaufhör- 
liche Sectenbildung und Irrlehrerei. Es ſcheint außerhalb Prag’s 
an geeigneten Prieftern gefehlt zu haben; fo hören wir, baß Men 
ſchen aller Gattung, die irgendwo die Weihe erfchlichen, bei den huſ⸗ 
fitifchen Gemeinden ein Unterfommen fanden und daß jeder zwanzigfte 
Pfaffe ver Böhmen ein verlaufener Pole war '°). 

Das Verhältniß zwifchen König Georg und Rolycana war fein 
perfönliches. Wir erzählten fchon, wie der Gubernator fich bereit» 
willig zeigte, den Oberpriefter fallen zu laffen, wenn er dafür bie 
Verföhnung mit Rom erlangen könne. ‘Dem König wurde ter ftarre 
und herriſche Magifter bisweilen unbequem. Als dieſer ſich einft 
über einen Geiftlichen des katholiſchen Ritus beklagte, gerade zu der 
Zeit, da Georg die unzweibeutigiten Erklärungen für den Kelch und 
die Compactaten gegeben, fuhr er ven Priefter in Unmuth an: »Du 
willft immer, daß Alle dir gehorchen, du felbft aber magft unter kei⸗ 
nem ftehen!« '*) Von Fatholifcher Seite wurbe vielfach behauptet, der 
König laſſe fi) von Rokycana völlig beherrfchen. Das will Herr P. 
nicht wahr haben: Georg, meint er, fei nicht fo unmündigen Geiftes 
gewefen. Es ijt auch entfchieven unwahr, infofern von einer ein⸗ 
flußreihen Beratung, von einem geiftigen Webergewichte die Rede 
fein foll. Aber ebenfo unläugbar ift, daß Georg von Rokycana, ine 
fofern diefer das Prager Bolt und die utraquiftifche Partei überhaupt 
hinter fich hatte, als König viel abhängiger war, denn als Guber⸗ 
nator, Dieſe Partei hatte bei feiner Wahl ein gewichtiges Wort 
mitgefprochen, fie war ber Kern feines Anhanges. So feft aber ſtand 
Georg doch nicht in ihr, wie ber unbengſame Briefter. König, Kö 
nigin und Herren, fagt der alte Annalift, Hätten Rolycana gefürchtet; 
denn dieſer habe Gott gefürchtet. So Lange Georg ten Gedanken 
verfolgte, fich und fein Volk ver römifchen Kirche wieder anzufchließen, 

+) Der Erlaß vom I. 1462 bei Balady Urf. Beiträge Nro. 275. 
**) Riedel Cod. dipl Brand. Hauptth. II. Ed 1. p. 456. Aehnliches fagt 

Aeneas Sylvius in ber mehrfach angeführten Denkrede. 

. 30) Nach dem Bericht eines Fatholifhen Prieſters (aus dem Iateinifchen Efchen- 

Ioer) bei Kloje a. a. DO. ©. 163. Pius folgt in feinen Commentarien 

p. 241 eben biefem Berichte. 





5 ® 
> 


Georg von Böhmen, der Huffitenkönig. 433 


war in der Partei und ihrem Führer der Argwohn rege, der Laien⸗ 
leſch könne der Preis der Ausföhnung fein, der König könne aus po⸗ 
litiſchen Rüdfichten von ihm abfallen. Sam ein Legat oder Nuntius 
ins Land oder gingen böhmifche Gefandte nach Rom, oder witterte 
man fonft im Könige Fatholifche Neigungen, fogleich äußerte fich das 
Mißtrauen in einer gefährlichen Aufregung, und Georg mußte es 
burch irgend eine bemonftrative Erklärung befchwichtigen. Als ver 
Bapft ven bisherigen Dechanten des Prager Domkapitels, Wenzel 
von Krumau, zum Adminiftrator des Erzftiftes beftellte, Tieß Georg 
ihn zu, Rolycana aber begann gegen ihn einen heftigen Streit um 
bie Jurisdiction. Herr Zdenèk von Sternberg, unterftügt von ans 
bern katholiſchen Herren, mahnte damals, im März 1459, ven König 
an feinen Krönungseiv. Weil aber ein Vollshaufe, vom Zeinpreviger 
augeftiftet, fich zu Georg drängte und ihn anflehte, er möge ihre Re⸗ 
ligion nicht vom Antichrift unter bie Füße treten laffen, fagte er wie 
beleidigt zu Sternberg: »Ich geitehe zu, daß es fich fo verhält, wie 
du fagft, aber geftehe auch du meine Verfprechungen gegen bie ans 
dere Partei zu, fie find dir wohl bekannt, und wilfe, daß ich auch fie 
vollftändig und unverlegt halten will” '’). Als ver König im Auguft des⸗ 
felben Jahres von Brünn zurüdkehrte, wo er dem Kaifer den Lehns⸗ 
eid geleiftet und darin die Ausrottung ber Ketzer gelobt, foll er ven 
Huffiten auf ihre Frage, ob er fie damit gemeint, verfichert haben: 
„Rein, nicht euch, meine Brüder, die ihr auf dem Wege der Wahr- 
beit ſeid, ſondern diejenigen will ich in Böhmen ausrotten, welche 
uns Seker und Schismatiler nennen« '*), 

Der beftigfte Sturm entftand im Frühling 1461, als in Böh⸗ 
men ruchbar geworben, Georg ftrebe nach der Krone eines römischen 
Könige. In der That hatte er für dieſen Fall dem Erzbifchof von 
Mainz im Vertrage zugefichert, er werde fich im Empfange der Sa⸗ 
framente und in andern Stüden ver Gewohnheit ver römifchen Kirche 
anfchließen und vie Glaubensirrungen Böhmens rin ein einig chrift- 


1) Dubravius Histor. Bohem. Basil. 1575. Lib. XXX. p. 284. 
36) Bericht Kiczings an ben Papf a. a DO. 
Dißerifge Beitigrift. V. Band 28 


434 Georg Boigt, 


lih Wefen bringen“). Wie viel auch davon in Prag verlauten 
mochte, als im März unter den Magiftern der Univerfität und unter 
bem gemeinen Volle eine graufame Verfolgung taboritiſcher und brüs 
bergemeinvlicher Keber auf Befehl des Königs eröffnet wurde, ald am 
Gründonnerftage gar der Bifchof von Breslau auf dem Prager 
Schloffe gegen ven Kelch preeigte, brach bie gefährlichite Gährung 
los. Man eiferte und Hagte, was es denn genügt habe, einen Böh⸗ 
men auf den Thron zu erheben, wenn er felbjt fich beeile, ein Deut» 
fcher zu werben. In den Verfolgungen fah man ein Streben, fich 
dem Papfte wohlgefällig zu machen. Der Bifchof von Breslau mußte 
flieden und bei dem Könige Schuß fuchen. Rokycana foll gegen dies 
fen in ver Predigt offen geeifert haben. Man fieht, wie wenig Ge⸗ 
org bei folchen Bewegungen Herr der Lage war: er ließ fein Pros 
ject, das an fich hoffnungslos geworten, nun vollends fullen und am 
15. Mai ftellte er dem Yandtage einen Revers aus, durch welchen 
er die Rechte und Freiheiten des Landes und befonvere die Compa- 
etaten, das heißt den Kelch, aufrecht zu erhalten fich verpflichtete. 
Aus demfelben Gefichtspunfte muß man auch vie fcharfen und 


faft theatralifchen Erklärungen betrachten, die der König auf dem ver“ _ 


hängnißvollen Laurentiuslandtage zu Prag und in ben nachfolgenden 


Briefterverfammlungen abgab. Seine Gefanbtfchaft nach Rom wer . 


mißglüdt: der Papft hatte die Compactaten, ftatt fie zu beftätigen, 
feierlich verdammt. Das aufgeregte Volk, welches das Botenſenden 
und Briefwechjeln, überhaupt ven Verkehr mit Nom immer bearg⸗ 
wöhnt, mußte eine glänzende Genugthuung erhalten. Es war nic 
Aufregung und Zorn, wenn ber König nun feierlic und wiederholt 
betheuerte, daß er bei dem Kelche und ven Compactaten leben unb 
jterben wolle; er fonnte nicht wohl anders, „weil die Sache, die Zeit 
und bie öffentlihe Vorbringung jener ‘Dinge e8 fo erforverten ?)⸗. 
Seitdem verſchloß ber kelchneriſche Starrfinn dem Könige jebe 
Möglichkeit, fid auf weitere Verhandlungen mit der Curie einzulaffen. 


19 Der Vertrag vom 3. Dec. 1460 bei Höfler Kaif. Buch S. 59 ff., das 
Datum nach der Correctur Palacky's. 

ꝛo) Seine eigenen entſchuldigenden Worte im Briefe an ben Papſt vom 3. 
März 1463 bei Cochlaeus Hist. Hussit. Lib. XII. 





N 


Georg von Böhmen, ber Huffitenkönig. 435 


Prepigte nur einmal wieber der Bifchof von Breslau auf dem Wen- 
xleberge, fo fchrie alsbald Rokheana im Tein dreimal Zeter: wenn 
man ihm jet nicht unterftüße, fo werde er verlaffen fein und ber huf- 
Mifche Glaube ganz gefchwächt werben‘). Damals auch ließ er auf 
feiner Kirche das gewaltige fteinerne Standbild aufrichten: ein ge⸗ 
könter Dann von riefiger Geftalt hielt in der einen Hand einen 
weithin fichtbaren vergolbeten Kelch, in ber ankeren ein gezogenes 
Echwert. Am Kelche las man bie Worte: Veritas vincit’’). Dem 
Rönige follte eingefchärft werben, daß er zur Vertheidigung des Stel- 
es berufen und unter dieſem Zeichen ver Sieg zu hoffen fet. 

Wie wäre da der Gedanke Georg's, daß in feinem Reiche Ka⸗ 
iSelilen und Utraquiften einträchtig bei einanter wohnen könnten, aus» 
füfebar geweſen! Am wenigjten ſollte man hier das erhabene Wort 
Telerauz anwenden und eine geniale Anticipation unferer Duldungs⸗ 
begeiffe in Georg's Regierungsfyfteme finden wollen. Die Heinen Sec- 
en, die in allen Farben und Geſtalten auftauchten, Zaboriten, Wille 
Men, Brüber, Picarden, was in Böhmen ziemlich daſſelbe fagte wie 
Reper, bis zu ten Chiliaften und Adamiten herauf — fie alle wur« 
den von der rechtgläubigen utraqniftifchen Kirche und deren Papſt 
Beöpcana ale verdammte Schisinatifer betrachtet. Bon der Toleranz 
@eorg’6 gegen ſolche Diffiventen zeugten Zortur, Scheiterhaufen, Aus» 
mtiung und vie Sterler im Schleffe Podebrad. Und doch lag auf 
igrez Geite eine volle Wahrheit: fie predigten faft alle bie muthige 
Lesiifung von der römifchen Autorität, die doch factifch auch bei ven 
Mszaquiften Rokycana's vollzogen war, nur daß man hier nicht bie 
Srlichkeit und Kühnheit hatte, fie auszufprechen. Daß Duldung und 
gjeiches Recht der Katholiken in Georg's Wunfche Tag, ift nicht zu 
begmeifeln. Aber fie lagen nicht in feiner Macht, am wenigjten in 
Prag Rolycana gegenüber. Der König fette 1460 den Orben ber 
Minoriten von der Obfervanz in dem verlaffenen Etifte bei S. Am⸗ 
bros ein; Rolycanı wußte vie Mönche wieder auszutreiben. Die 
Yähtergefänge und Spottgemälde gegen ven Bapft und bie Fatholifche 


ei) Bericht eines fächfifchen Boten vom Juni 1464 bei Palady Urt. Bei⸗ 
träge Niro. 317. 
m Eſchen loer I. 6. 238. 259. 
98 * 


436 Georg Boigt, 


Kirche, wo fie in Prag und andern Ketzerſtädten auflamen, vermochte 
Georg nicht zu unterbrüden ), Die ewigen Händel zwifchen ben 
katholiſchen Prieftern auf ver Burg und ben rofycanifchen in ver 
Stadt Tonnte er nicht fehlichten. Am deutlichſten aber fprechen zwei 
Statute, die von Rokycana ausgingen und unter Föniglicher Autorität 
in Prag und ben antern huffitifchen Städten publicirt wurten. Dars 
nach follte Hier niemand zum Bürgerrecht, in die Zechen oder Zünfte 
oder zu Handwerferarbeiten zugelaffen werden, niemand Erbichaften 
antreten over ein Eigenthum juriftifch erwerben dürfen, niemand auf 
ein Begräbnig am geweihten Drte oder kirchliche Trauung Anfpruch 
haben — er ſchwöre denn, in ver Communion unter beiden Geftalten 
zu fein und zu bleiben. In der That wurden durch dieſe Maßregel 
viele Menſchen zum Stelche oder aus dem Lande gedrängt **). Und 
bas-gefchah im Jahre 1459, alfo zu der Zeit, in welcher das Ver⸗ 
hältniß Böhmens zur römischen Kirche noch das relativ Beſte war. 
Herr P. ſpricht davon nur beiläufig und ziemlich obenhin: "Daß bie 
utraquiftifchen Föniglihen Städte den Katholiken ebenfo wie vie father 
lifchen den Utraquiften wehrten, fich bei ihnen anzufieveln und Bär 
gerrechte zu genießen, war freilich unebel, geſchah aber auch ohne Res 
kycana's Willen und Befehl, da unverbächtige Zeugniffe über feine 
ungewöhnliche Toleranz in Religionsangelegenbeiten vorhanden find« *5). 
Zunächſt vermiffen wir den Beweis dafür, daß in den katholifchen 
Städten Ähnliche Edicte beftanden, und des Beweiſes bedarf es bier, 
da es an fich fraglich erjcheint, ob FKatholifche Städte vergleichen ger 
gen die berrfchende Mucht wagten. Werner wird in deu äfteften 
Berichten, bei Efchenloer und in dem Schreiben der Breslauer, aus⸗ 
brüdlich gefagt, daß biefe Ebdicte gerade von Rolycana ausgegangen 
feien, und daß Georg ihre Publication geduldet habe; Eſchenloer's 


— 


23) Eſchenloer I, S. 177. 259. 

20) Bon biefen Edicten fprehen Efhenloer I. &. 169, ber Bericht Kic- 
zing's an ben Papft und ein Schreiben ber Breslauer an das Garbinaf- 
collegium, beide bei Klofe aa D ©. 45. 142, die Antwort bes 
Biſchofs von Zorcelo bei Palady Url. Beiträge Nro. 315 und ber 
Biſchof Rudolf von Lavant ebend. Nro. 383. 

5) Gef. von Böhmen Bd. IV. Abth. II. ©. 668. 








488 Geeocrg Beolgt, 


reiner und ihren Ritus für allein förderlich halten müſſen, und fo 
dachten auch die heiligen Böhmen, bie allein rechtfertiglich die Ge⸗ 
fege des Evangelit hielten«, wie fich einmal &fchenloer ironisch ans⸗ 
brüdt. Die Beitätigung ber Compactaten von Seiten des Papftes 
hätte die Einheit durchaus nicht hergeftellt, au den Utraquiften noch 
lange keine vömifchen Ehriften gemacht. 

Herr P. nimmt für den Utraquismus eine hohe Stellung unter 
denjenigen Momenten in Anfpruch, welche vie geiftige Entwidlung ber 
europäifchen Menfchheit varftellen. Wir fprachen oben von einer er» 
ften Phafe des Huffitismus, und dieſer geftehen wir eime felche Ber 
beutung mit vollem Herzen zu. Mathias von Janow und Johann 
Hus find Heldennamen in der Gefchichte der Befreiung der @eifter. 
Der Utraquismus aber, wie er in ber Compactatenpartei und zur 
Zeit des Königs Georg zur Erjcheinung kommt, ift nur eine Verkns⸗ 
&herung ber gewaltigen Bewegung, tie von jenen Männern audging, 
eine fectirerifche Erjtarrung ohne Lebenskraft und Friſche. Herr P. 
meint, der böhmiſche Hof habe für freiere chriftliche Ideen wie keiner 
gewirkt und gelitten — „denn es galt abermals und nicht für YBäh- 
men allein, der Entſcheidung der Frage, ob die Ideen bes Mittels 
alters oder der Neuzeit zur Weltherrfchaft berufen und berechtigt wa⸗ 
ren“. Die neue Zeit in ver Gefchichte Europa's beginne man fälfch 
lid — nach der Anſicht des böhmifchen Hiftoriographen — erft mit 
dem 16. Jahrhunderte. Die Idee, welche die Reformation veram 
laßt, fei ſchon ein Jahrhundert früher, um bie Zeit des Coftniger 
Concils, in das Völferleben eingetreten, wenn auch faft lebiglich auf 
eine Nation befchränft geblieben. Da der Sieg jener Idee im 16. 
Jahrhundert auch nur ein theilweifer gewefen, va er ſich faum über 
die Hälfte der Chriftenheit erſtreckt, fe fei alfo ver Unterfchieb beider 
Epochen nur einer dem Grabe, nicht dem Wefen nach. 

Dan kann diefen Vergleich nimmer gelten laffen, mag man nun 
bei einer gefchichtlichen Erſcheinung ihre wirkende Kraft, ihren Erfolg 
oder mag man ihren Gehalt, ihren inneren Reichthum als Maßſtab 
anlegen. Der Utraquismus ift im beften Fall eine eingeftorbene Res 
formation. Vom Beginne Parteifache einer aufgeregten Nationalität, 
ftieß er ſchon dadurch die allgemeine Etimmung, zunächit in Deutfch 
land, von fi ab; aber auch bei ven flawifchen Brüdern fand er keine 





440 Georg Beist, 


und fcharfe® geläutertes Denten. Boran ftanben bie Magiſter ber 
Brager Hochſchule. Im Zeitalter Georg's ift von dieſer kaum mehr 
die Rede. Sie Magte dem König Ladislaw nach feiner Krönung, wie 
fie an Aeckern und Zinfen beruntergelommen fei. Tiefer aber war 
fie als Führerin ver Geifter und in ben Leiftungen ihrer Lehrer ge- 
funten. Einigkeit herrfchte in ihr allervings: ſeitdem man bie beut- 
ſchen Magifter und Studenten ausgetrieben, beftand fie ganz ans 
Böhmen und aus Utragqniften, bie zu Rokycana's Fahne gefchweren. 
Und in derſelben Weife blieben ven Kekern die Schulen bes Auslan⸗ 
bes verſchloſſen. Iſolirt und vereinfeitigt mußte wohl das geiftige 
Streben eined begabten Bollkes erftarren und fich deſto ftör« 
rifher auf feine kelchneriſche Beſonderheit zurüdziehen. Ueber 
den Abendmahlskelch verftand ver einfältigfte Priefter zu bisputiren 
und jeber gebilvete Laie kannte die Bibelftellen, auf welchen vie huſ⸗ 
ſitiſche Anſchauung berubte, aber viel mehr wußte auch ber gelehrte 
Mogifter nicht. Zur ftillen Lucubration war feine Neigung, felbft 
ber Eifer ber Streitfchriften erlojh nad) und nad. Niemand fanb 
fih gedrängt, das für die Nachwelt aufzuzeichnen, was er um fi 
geſchehen ſah. Wer hätte jet daran gebacht, Weltweisheit zierlich 
in Sprüche zu faflen ober fich über das öffentliche Xeben in feinen 
Allegorien zu äußern! Man begnügte ſich mit den utraquiftifchen Kir⸗ 
henliedern, mit Spott= und Schmähgefängen. Kein Rachllang mehr 
von der alten böhmischen Malerfchule; man erfreute fich höchſtens ber 
polemifchen Earricatur und jubelte etwa über einen Baum, von wel- 
chem fchöne nadte rauen wie reife Früchte herabfielen, während 
unter dem Baume Bäpfte, Cardinäle, Bifchöfe, Mönche und Pfaffen 
ihre Mäntel und Kapuzen auffpannten, um bie Frauen bamit zu fan- 
gen *”). Selbft Handwerk und Induſtrie faßten nichts mehr in's Auge, 
als was gerade zum Bedarf bes Lebens nothwendig war. Her P. 
fpriht davon mit der unbefangenften Einfiht. „Das Kelchnerweien, 
fagt er, wäre bei feiner geiftigen Armuth, nach dem Tode Rolkycana 6 
und Georg’8 wahrſcheinlich theils in ven Katholicismus, theild in bie 
neue Brüdergemeinbe aufgegangen. — hätte e8 nicht durch ven Kampf 
wieder an Bewußtſein gewonnen. Er bemerkt höchft treffend, wie 


— — — — — 


”) Eſchen loer I. &. 259. 





442 Georg Beigt., 


brechen. Trotzdem gab es auch fefte fittliche Bande: fo vie alten 
Erbverbrüterungen, tie Stammesgenofjenfchaft, bie Verwandtſchaften 
und Berfchwägernngen. Solche Rüdjichten bilden allein vie feften 
Pole in vem ewigen Wechjel von Cinungen und Verbindungen, von 
ntriguen und Schten. Daher blieben troß ver unausgefegten Bes 
mwegung und tre& jahrelangen Kriegen doch vie territorialen Berhält- 
niffe Deutfchlants im Großen und Ganzen dieſelben. Man machte 
nicht Revolutionen und jtürzte nicht Dynaſtien, man begnügte ſich zu⸗ 
legt mit einem Städtchen cher einigen Aemtern und Zöllen und meinte 
dann ſchon Großes erreicht zu haben. 

Gemeinhin überſchätzt man die Wirkſamkeit der damaligen Feh⸗ 
den und unterjhägt man bie der Diplomatie. Letztere wurde, feit- 
dem die geiftlichen Raͤthe mehr und mehr verfchwanden, durch eine 
eigene Sorte von Menfchen geführt, durch Hofjuriften, politifche Sach 
walter, gemeinhin Räthe genannt. Sie waren weder geborene Un⸗ 
tertdanen noch bleibende Beamte; gewöhnlich verpflichtete man fie 
durch Eid und Solo auf ein over ein paar Jahre, oder man Mies 
tbete auch ihr Talent zu einem beſtimmten Gutachten, zu einer Streit- 
Schrift, einer Gefandtfchaft. Nicht felten dienten fie mehreren Höfen 
oder Gorporationen zugleich, wenn tiefe nicht feindlich gegeneinander 
waren. Wer fie in feinen ausfchiieglichen Dienft nabın, mußte fie 
durch höhere Beſoldung entfchäpigen. Cinzelne blieben auch wohl, 
zumal in älteren jahren, bei einem Heren und einem Hofe, etwa im 
Canzleramte. Die Meiften aber gingen nach dem Verdienſt hier⸗ und 
dorthin, wo man fie brauchen wollte. In folder Laufbahn bildeten 
fih wohl abgefeimte Ränkeſchmiede, die an allen Höfen und in allen 
Schlichen tes öffentlichen Rechts zu Haufe waren, Männer wie Hein- 
rich Leubing, Johann von Lyſura, Jobſt von Einfievel, Laurentius 
Blumenau, Menfchen, von denen Carbinal Carvajal einft fagte, ihnen 
fei gegeben, ver Erde und den Bäumen zu fchaden. Politifche Cha⸗ 
raftere erwuchfen aus folchem Leben ohne Treue und Vaterland nicht 
leicht; wir wüßten allein Gregor Heimburg zu nennen, dem bie Ener- 
gie feines Hafjes gegen Papft und Kaifer eine feite politifche Richtung 
gab. Man fieht wohl, wie unzuverläffig im Ganzen die Hände waren, 
in denen das politifche Gefchäft lag; toppeltes Spiel und Beftechlich 
feit kamen nicht felten vor. Der Fürft, ver fich ganz einem folchen 





Georg von Böhmen, ber Huffitenfönig. 443 


Sachwalter anvertraute, war gefährlich bevient. Nicht zum geringften 
Grabe verdankte Markgraf Albrecht von Brandenburg feine Erfolge 
dem Umftande, daß er fein eigener Anwalt und Gefchäftsführer zu 
fein wußte. 

Herr P. Hält es bei König Georg für eine „Kigenheitu, daß er 
fih in allen Dingen fremden Rathes zu erholen pflegte. So übten 
anch in böhmifchen Sachen, die er ohne Zweifel gründlich durchſchaute, 
Zenék Koftfa und die Königin Johanna bedeutenden Einfluß. Die 
Art aber, wie ihn in der außerböhmischen Politik feine fremden Räthe 
mit den wunberlichiten Projecten in bie Irre führten, können wir 
bech nur der eigenen Unficherheit und Natblofigkeit des Königs zu« 
fchreiben; bier beherrſchte fein Zreiben ein erperimentivender Ehrgeiz 
ehne feftes und Mares Ziel. Georg trat in die politifche Situation 
des Reiches unter den glüdlichiten Aufpicien. Papft und Naifer was 
ren ihm geneigt, er hatte an Matthias von Ungarn, feinem künftigen 
Schwiegerfohn, einen natürlichen Bündner. Die deutſchen Fürften 
von ter wittel8bachiichen wie von ver brandenburgifchen Partei dräng— 
ten fich zum Bunde mit ihm, und fein politifches Bintemittel hat ſich 
ihm in den Zagen ber Gefahr fo kräftig bewährt wie die Chebünbe 
mit Sachen und Brandenburg. Für einen Emporkömmling war es 
bie wefentlichfte Aufgabe, dauernde Verhältniſſe zu ftiften und fich Ver⸗ 
trauen zu erwerben. Indem er aber Freund und Feind unaufhör- 
Gh wechſelte, bald nad) kleinen Vortheilen jagte, bald weitreichende 
Entwürfe anfpann, verlor er vie Bertrauensjtellung, mit der er feine 
königliche Laufbahn jo glüdlich eröffnet. Cin Wort des Markgrafen 
Albrecht, der lange eine vorfchreitente Politik verfucht und dann boch 
fein beftes Heil in einer conjervativen, jtill für die Zukunft forgenven 
fand, bat auf Georg von Böhmen volle Anwendung: „Wer wider 
ben Strubel wallen will und jevermann punftiren, kommt ihm fchwer 
an. Wer aber einfältiglich hanvelt, getreulih und ohne Eigennuß, 
der wandelt wohl ficher« °*). 

Der Schein des Großartigen darf beſonders bei felchen Proje- 
chen nicht täufchen, teren Erfelg vorzugsweiſe von ver Diplomatie ere 
wartet wird. Ein Ehrgeiz, der fich nach tiefer und jener Seite vers 


”) Droyfen Seh. der preuß Politik Th. II. Abth. J. S 311. 


444 Georg Beigt, 


leiten läßt, ift an fich weder großartig noch Mug. Am wenigften aber 
barf man feine geträumten Ziele mit ven wirklich erreichten verwech⸗ 
fein. Das, fürchten wir, ift Herrn P. widerfohren, wenn er meint, 
Böhmen habe unter König Georg "die große Weltbühne als eine eu⸗ 
ropäifche Macht betreten", ja ein „Uebergewicht im pelitifchen Syſtem 
von Mitteleuropas behauptet. Nur wenn man bie Welt ausfchließ- 
fich von Prag her anficht, kann man zu der Meinung verleitet wer- 
ben, als hätten «bie politifchen Angelegenheiten Mitteleuropa’8 mehr 
oder weniger alle ihrer Entfcheivung von Prag aus entgegengefehen«. 
So foll z. 3. der böhmifche Hof gewichtig auf bie türkifche Frage 
gewirkt haben. Das wäre body nur ein negatives Wirken, indem 
Georg gerade fo viel, das heißt nichts, gegen die Türken that, wie 
bie andern Fürften des Reiches, indem er vergeblich burch Unterftü- 
gung der Yisfra’fchen Söldnerbande dem König von Ungarn ein wes 
nig beläftigte, vergeblich gegen die päpftlich-venetianifch-ungarifche Liga 
intriguirte. 

Eine wahrhafte Machtftellung nahm Georg lediglich unter ven 
deutfchen Fürften ein, und zwar etwa ein Jahr lang bie überwiegenbe. 
Neutral in dem Ningen zwifchen ver Faiferlich-brandenburgifchen und 
der wittelsbachifchen Partei, fchien er der natürliche Vermittler ober 
der willfommene Bundesgenoſſe für jede Seite zu fein. Im Ganzen 
trante man dem Bacificator Böhmens auch ven reblichen Willen zu, 
den Frieden des Neiches zu erhalten. ebenfalls aber muß man bier 
wie bei allen den fogenannten „Richtungen“ im Auge behalten, daß 
bie Parteien dabei durchaus nicht gemeint waren, ſich in das Belie- 
ben des Mittlers zu geben, daß fie nur billige Schlichtung des Zwi⸗ 
jte8 erwarteten und den „Sprüden” nur dann fich fügten, wenn fie 
e8 nach Lage und Vortheil für gut bielten, ähnlich wie im cioilen 
Schiedsgericht. Allerdings war Georg’! Stellung darum impofanter, 
weil hinter dem Bertrauensamte eine bebeutende Macht Stand, bie 
man zum Beiltande gewinnen, aber auch dem Gegner zufallen fehen 
fonnte. Die Fürften indeß merkten bald, daß er fich in die Mittler- 
rolle nur eindrängte, um bie Parteiung in ver Hand zu behalten und 
heimlich zu ſchüren. Hätte er fein Anfehen vor dem Kriege in dem 
Sinne gebraucht wie im Auguft 1463, fo hätte ihm das fFriebene 
verdient ohne Zweifel eine große moralifche Macht bereitet. Er ver 





446 Georg Bolgt, 


war Jiskra mit den räuberifchen Sölpnerbanden, größtentbeil® Böh⸗ 
men, bie feinem Herrn mehr gehorchten als ihrem Hauptmann und 
während ver legten zehn Fahre etwa 36 Schlöffer auf ungarischen 
Bodeneingenommen hatten. Ein böhmifcher Patriot wardiefer Jiskra nicht, 
er erbot fi) auch dem Könige von Polen, ihm Ungarn unterwerfen 
zu helfen, er diente jedem, ver ihn gut bezahlte. Drohten an ber 
einen Grenze vie Türken, fo mußte Matthias an der andern einen 
Theil feines Heeres zur Abwehr dieſer Söldnerbanden verwenden . 
Und dann, um die Anerkennung und Belehnung zu erlangen, überdieß 
für viel Geld, verpflichtete fi) Georg auch dem Kaifer, ihm mit be 
waffneter Hand zur Herrſchaft in Ungarn zu verhelfen. Nach folchen 
Borgängen, die bis zu einem Abfagebriefe gegen „Matthias, der fich 
König zu Hungarn nennt” gebiehen, war jedes moralifche Band zwi⸗ 
ſchen beiden für ewig zerriffen, und man kann Mathias Leinen ſonder⸗ 
lihen Vorwurf daraus machen, wenn er fpäter in cbenfo rüdfichte- 
lofem Ehrgeiz mit den böhmijchen Baronen und dem Papfte conjpi- 
rirte. Als jene Entwürfe fehlfchlugen, als Matthias die rebellifchen 
Magnaten zu fich zurückkehren fah, die Sölpnerbanven aber mit Heeres« 
macht zum Gehorfan brachte, da freilich ſchlug Georg ebenjo ſchnell 
wieder um und verſöhnte fich mit ihm °") und begann nun mit ihm ver- 
bünbet feine Wühlereien gegen Kaifer Friedrich. Man begreift wohl, 
daß in folchen Alliancen kein Vertrauen und feine Dauer war. 
Keined der großen Projecte Georg's ift über das Stadium ber 
biplomatifchen Vorbereitung hinausgebiehen; wie weit e8 noch von ba 
bis zum Ziele war, dürfte er felbft jich nicht verhehlt haben. Da 


29 Relatio nuntii Apostoliei etc. a. a. D. ©. 13, 14. 

30) Hiebei wünſchten wir zu berichtigen, was Balady Bd. IV. Abth. II. 
©. 99 von dem geheimnißvollen Aufenthalte bes Cardinal Carvajal in 
Böhmen erwähnt. Derjelbe beruht ausschließlich auf einer falfchen Lesart 
im Briefe bes Papftes an Carvajal vom 6. Juli 1459: im Drude bei 
Mailath ſteht da allerdings: ex Bohemia, in bem bei Kaprinai 
Hung. diplom. P. II p. 335 unb feitbem aud bet Theiner Monum. 
Hungar illustr. T. II Nr. 503 dagegen: ex Wienna. Die beiden er- 
fien Abdrüde find mittelbar, bie letztern unmittelbar aus ben vaticani- 
ſchen Negeflen eutuommen. 


Georg von Böhmen, ber Huffitenkönig. 447 


das letzte Stadium allemal das ver Waffen hätte fein müfjen, werfen 
wir bier einen Blick auf die Friegerifche Macht des Königs, zumal 
ba uns fcheint, daß gewiffe Momente hiebei fowehl von Droyſen 
wie von Palady durchaus überfchägt worten find. Erſterer meinte, 
dem König babe im nationalen und hujfitiichen Eifer eine Gewalt 
zur Berfügung geſtanden, die er ficher beherrſchte, an beren Furcht⸗ 
barkeit aber die umliegenven Lande fich mit Schreden erinnerten. So 
fhwer auch folche moralische Kräfte zu meſſen find, fo türfen wir 
doch in dieſem Falle das berette Zeugniß des Erfolges nicht ver- 
ſchmähen. Kam doch Georg in die Lage, zur Bertheitigung feines 
Zhrones und des Steldyes alle Kräfte aufbieten zu müljen, deren er 
Herr war. Da zeigte ſich allertings einige Regung bes nationalen 
Bewußtjeins, ohne indeß dem Kampfe einen begeifternden Impuls zu 
geben. Vom hufjitifchen Fanatismus aber finvet ſich kaum noch eine 
Spur. Seitdem das taboritifche Feuer im Blut erftict worden, feits 
dem Xabor felbft 1452 unkriegerifch und erbärmlich zu Grunde ge« 
gangen war, hätte Niemand bie religiöje Wuth wicter weden können. 
Auch hören wir nicht, daß Prag trotz Rokycana im Kriege einen [oe 
derlichen Eifer bewieſen. Der Siege Zizta’s und Prokop's mochte man 
ach mit Grauen gedenken, ihre Wieverholung aber hat Niemand mehr 
gefürditet. Als Böhmen dur Matthias, durch den Tatholifchen Bund 
umb durch beutfches Kreuzgeſindel bedroht wurde, ricf Georg die Sei« 
zen nicht im Namen des Stelches, jonvern in tem des geführveten Va⸗ 
terlandes auf. Und ta galt es doch die Vertheirigung des heimifchen 
Herdes und Glaubens. Für feine ehrgeizigen Pläne hätte er in dem 
rubebepürftigen Lande ſchwerlich eine Unterjtügung gefunden, nur Diip« 
trauen und Unwillen erregten Gerüchte wie die von feinem Streben 
nach ber deutſchen Krone. 

Herr P. dagegen betont eine andere Eeite, Die friegerifchen Neis 
gungen und die Kriegöfunft ber Böhmen. Erjtere führen auf bie 
Zeit des Taboritenthums und der Anarchie zurüd: ſolche Perioden ers 
zeugen eine Maſſe von loegebundenen, arbeitsfcheuen Menſchen, und 
im allen Claſſen finven fich abenteuerliche Köpfe. Als Frieden und 
Drbnung zurüdkehrten, als man begann, die taboritifchen Horden und 
bie raubluftigen „Brüder“ in Böhmen felber tortzufchlagen, entlub fich 
biefer Ueberfchuß des Unternehmungsgeijtes nach andern Ländern hin. 


448 Georg Voigt, 


Böhmtfche Rotten, geführt von Edelleuten, bie nicht felten ven beften 
Familien angehörten, begaben ſich in Dienft und Sold bei fremden 
Herren. Wir finden fie in den nachbarlichen veutfchen Landen, im 
Ungarn, an der Weichjel. Schloß fich gleich der „Auswurf von vie⸗ 
lerlei Völkern‘ ihnen an, fe bildeten doch geraume Zeit noch bie Böh- 
men ven Kern. Man fette daher das Ketzerthum dieſer Banden vor⸗ 
aus und ließ fich päpftliche ‘Dispenfe geben, wenn man fich ihrer bes 
biente. Doc ift e8 bei den meiften führern fchwer zu fagen, ob fie 
unter einer oder unter beiven Geftalten communicirten, unb in ven 
Banden felbft war ohne Zweifel mehr von Sold und Beute die Rebe 
als von Kirche und Kelch. Zebrafen, das heißt Bettler, Lumpen 
nannte man dieſes Gefinvel, welches fich oft der wilveften Zuchtloſig⸗ 
feit bingab. Herr P. meint, ihre Gefchichte betürfe noch fehr ver 
Beleuchtung und es fruchte nicht, gegen diefe Sölpner „ale Räuber, 
Lotterbuben und vergleichen zu beclamiren.” Eo gern wir jene wei» 
teren Forſchungen abwarten wollen, können wir doch nicht zugeben, 
was Herr P. als Refultat feiner bisherigen Grmittelungen über vie 
Zebrafen aufjtellt. Er meint nämlich, ein Friegsluftiger Fürſt in Böß- 
men bätte „ven alten Landesgeſetzen gemäß‘ feinen Unterthanen vers 
bieten können, in fremde Kriegsdienſte zu treten, er hätte die Brüder⸗ 
rotten auch unter feine Fahnen ziehen und mit ihnen als Croberer 
auftreten können; deſto ruhmvoller erfcheint ihm George Friedens 
liebe, ‚trog feinem anerkannten Feldherrntalente.“ Daß jenes alte 
Landesgefeß von den Sölpnern an ver Weichfel oder an ber Donan, 
bie ohne Zweifel nach Geift und Zufammenfegung bereits fehr „Lo®e 
mopolitifch” geworben, refpectirt worden wäre, möchten wir doch bes 
zweifeln. Auch zum Kriege gedrängt, hat fich Georg ihrer nicht ber 
dient, obwohl er fie vermuthlicy hätte haben können, wollte er fie 
nämlich bezahlen; doch dünkt uns die Nachricht viel wahrfcheinlicher, 
baß er bie unruhigen Köpfe gern in’s Ausland gehen fah. Sein Feld- 
berrntalent bat fich übrigens nie in einer größeren Triegerifchen Si- 
tuation erprobt; fein Krieg gegen Matthias und die rebellifchen Ba 
rone unterfcheidet ſich nicht wefentlih von anderen Fehdezügen jener 
Zeit und zeigt weder den überlegenen Feldherrn noch impofante kriege⸗ 
rifche Hilfsmittel. Was ihn rettete, war mehr bie Feſtigkeit feiner Stäpte 
und Schlöffer, die Treue feiner Anhänger, als glänzende Waffenthaten. 





Georg von Böhmen, ber Huffitenfönig. 449 


Ferner ift uns unverftänblich, was Herr B. an verſchiedenen Or- 
ten über vie „böhmiſche Kriegskunſt“ beibringt. Er leitet fie von den 
Retten Zizfo’8 her und findet in den Zehrafen ven Uebergang von der 
Kriegskunft Des Mittelalters zu ber nenzeitlichen, als deren Vater eben 
Zizta bezeichnet wirt. Der tiecipfinarifche Organismus einer felchen 
Eilenerbante ift doch eben nichts Merkwürdiges, wir finden ihn un: 
tleich ansgebilveter und früher bei ven Lracceschifchen und fforzeschis 
ben Rotten in Italien, die fich überdieß durch ein ſtarkes militärt- 
ſches Corpégefühl auszeichneten. Und noch weniger können wir in 
den Tabors und Wagenburgen, mögen dieſe auch immerhin auf die 
Kefalen übergegangen fein, ein ſpecifiſches Merkmal ter merernen 
Kriegafunft erfennen; Aehnliches macht fich von jelbjt bei einer Rotte, 
bie all ihr Hab und Gut, allenfalls Meib und sind, mit jich führt. 
Auch Hier wiſſen wir nicht antere, als daß cine erneuerte Kriegskunſt 
ven der Ausbildung des Gefchüg- und Befeſtigungsweſens in Italien 
fih herſchreibt. Im Uebrigen finvet fich nichts, was bie Kampfweiſe 
ver Böhmen von der gewöhnlichen unterfchieden hätte. Muth und 
Saffengeſchick waren es, vie fie in ver That auszeichneten, wie ge— 
meinhin ven Soltaten ven Profefjion, wie feit ben burguntijchen 
Kriegen die Schweizer und fpäter die deutſchen Pantsfnechte. 

Aber, wie jchon berührt, der Gebrauch ter Waffen war Georg's 
Reigung überhaupt nicht und nur ungern verfuchte er dag Glück ver 
Zreffen. Er vertraute mehr und chne Frage zu ſehr auf bie Künſte der 
Diplomatie, aufdie Praftifen, um inter damaligen Sprache zu reden. Am 
meiften Auffehen hat fein Blau erregt, ven Titel und vie Gewalt eines 
zömifchen Königs an fih zu bringen. Zum Verſtändniß und zur 
Wärdigung dieſes Planes müſſen wir ein wenig ausholen. 

Um bie eine Seite eines folchen Projectes in's Werk zu feken, 
um ten babsbnrgifchen Friedrich ILL. im Weiche zu degradiren und 
im feinen Erblanden zu bevrängen, gehörte in dev That jehr wenig. 
Seittem das FTaiferliche Amt fih auf eine Hausmacht ftügte, war 
dieſe nie fo erbärntich geweſen. In Oeſterreich und Steier lernt 
mm Friedrich am gründlichſten kennen. Es gab ſchwerlich ein Ter— 
ritorium im ganzen Umfange des Reiches, welches ſo ſchlecht regiert 
und mit fo widerlicher Gleichgültigkeit zu Grunde gerichtet wurde. 
Die nächſte Urſache war ber ewige Zwiſt unter ben haboburgiſchen 

Piferifge Zeisfärift V. Banr. 29 


450 Georg Boigt , 


Brüdern und Vettern, dem einzigen Haufe in ‘Deutfchland, in welchen 
jeves Gefühl des Connexes verloren gegangen war. Die buroniale 
Anarchie blieb bier die unbejtrittene Siegerin. Sein jümmerlicherer 
Kampf als der des Kaiſers mit den Eizinger, Stein unb Buchheim, 
mit den Fronauer, Baumlirchner und Grafened, mit biefem und jenem 
Sölpnerführer over Räuberhauptmann. Yu ſolchen Fehden und im 
den Streitigkeiten der Barone untereinander wurbe das offene Land 
gräßlich verwüftet: man focht mit Soldbanden, meiftens Böhmen, bie 
dann, unbezahlt oder unter dem Vorwande des rückſtändigen Solbes, 
im Lande blieben und wie Räuber und Mordbrenner wüfteten. Bon 
ihnen over auch unmittelbar von den Näuberbaronen wurden bie uns 
glüdlichen Bewohner der Dörfer überfallen, gebranpfchagt, bie Saaten 
vernichtet, die Ernten abgeführt, das Vieh tavongetrieben. Es gab 
Dörfer, in denen feine Ente und fein Huhn mehr zu ſehen war, 
nicht8 als Die im eigentlichften Sinne entblößten und ausgehungerten 
Geftalten, und felbjt unter diefen morbeten die Herren oft mit temfe 
lifher Luft. Bei dem Landesherrn war nicht nur feine Hilfe, er 
felbjt ftenerte auf anderen frieplicheren Wegen zum Elend bei. Sein 
Werk waren die neuen Zölle, die Abgaben auf Wein, Salz und Ge⸗ 
treive, Die Zugrunterichtung bes legten Reſtes von Handwerk und 
Handel, Er fah feine Lande nur als ein Gonglemerat von fiecali- 
fen Objecten an, die er mit ſchmutzigen Räthen wie Ulrich) Rieberer 
und mit feinen Neuftäbter Kammerjuden ausfog. Letteren foll er 
Geld zum Wucher geliehen haben, das heißt er felber trieb ven Wucher 
mittelbar. Lehen und Privilegien wurden gegen entfprechende Zaren 
verliehen, alſo verfchachert. Am meiften war feine ſchlechte Münze 
verſchrieen, weil fie nicht nur fein eigenes Land ruinirte, fonbern 
auch über die. Grenzen hinaus ververblich wirkte. Gläubiger befrie 
digte er dadurch, daß er ihnen das Münzrecht verlieh, und dann ſchlug 
er mit ihnen um vie Wette jene verrufenen „Schinderlinge,” aus bes 
nen bas rothe Kupfer glänzte und die man anderwärts an den Gal⸗ 
gen nagelte. Ich weiß nicht, woher Herr P.?') die Notiz bat, daß 
Erzherzog Wbreht, Herzog Ludwig von Bayern und vie Prälaten 
von Salzburg und Paſſau darin verangegangen. Cbenborffer ’*) 





’) 8b. IV. Abth. II. S. 139. 
’*, Chron. Austriae ap. Pez Seriptt, II. p. 901, 902. 





Georg von Böhmen, der Huffitenkänig. 451 


nennt Diefe Fürſten nebeneinander, jedoch den Kaiſer und feinen Bru⸗ 
ber soran, und ein Salzburger Chroniſt fagt austrüdlich, ver Kaifer 
habe das Beifpiel gegeben und bie anderen Fürften feien ihm gefolgt, 
um nicht Schaden zu haben, und weil fie das kaiſerliche Geld nicht 
zurkdiweifen fonuten?’). Mag fein, daß nachher einer die Schuld auf 
bem andern fhob. Das Unweſen begann 1457 und war, uuterſtützt 
rec Krieg und Mißwachs, im Jahre 1460 zu jelcher Höhe geviehen, 
vo die Preife in Defterreich. auf das Eieben- bis Zehnfache ftiegen 
zu ba alles Geſchäft ſtockte. Damals Haben ſich Menfchen in ven 
wBäldern von Baumrinden und Aebnlichen genährt, Andere bie Ihren 
Haufe eingefchlofjen, um nicht Zeuge ihres Todes zu fein. 
ie Friedrich in ähnlicher Weife das Reich verwaltete, ſoweit es 
im feiner Macht lag — das gedenken wir nicht weiter auszuführen, 
Sein Intereſſe Haftete lediglich an den Nukungen und Gefällen, an 
ven Canzleitaren, Kammergeldern, Judenſteuern und dergleichen. Das 
Metio des Ehrgefühls war ihn völlig fremt. Auch ven Mangel an 
Axterität ſchaͤmte er fich fo wenig zu zeigen, daß er jelten das Gebiet 
von Reichsvaſallen ohne einen Geleitsbrief zu betreten wagte. 

Wohl wurde viefes Verkommen des Reiches in allen feinen 
Standen bitter empfunden. Slagen, Rufe nach Reform, Reformpläne 
tauchen auf und miſchen fi) mit verwandten Beſtrebungen auf Firch- 
Uchem ‚Gebiet. Sie werden ein ſtehendes Thema auf ben Reiche» 
tagen, wahrlich aus einem tiefen Berürfniß der Nation entjprungen, 
aber nichts beito weniger verfallen fie ter eigenfüchtigen Agitation, 
nem fchlaue Prälaten und Juriſten fich ihrer als gewinnbriugender 
Schreckmittel berienen. Nach einander warfen jih der Mainzer und 
ver Trierer Erzbiſchof zu patriotifchen Führern im Kampfe gegen ven 
kiligen. Stuhl und ben ihm verbünteten Kaiſer anf, um jih kann 
re gefährliche Oppofition durch Gele, Guaden und Privilegien wies 
ver abfaufen zu laſſen. Juriſtiſche Räthe wie ver fchlaue Lyſura 
mifchten und verwirrten das fchändliche Spiel: nicht mit Unrecht 
warf Cardinal Piccolemini biefen Menfchen einmal vor, fic ftifteten 
zur deßhalb folche Umtriebe an, um babei unentbehrlich zu fein und 





#2; Chron. Saltzburg. ap. Duellius Miscell, Lib. II. p. 141. 
29* 


452 Georg Boigt, 


im Trüben zu fifchen. Die Demüthigungen, bie Friedrich erfuhr, 
al8 er von feiner römiſchen Krönung heimkehrte, bie fteigende Ber» 
achtung feines ſchlaffen, unkriegeriſchen Weſens, ter Haß, ven feine 
Verbindung mit der römifchen Hierarchie erregte, ließen den Gedanken 
immer näber treten, daß man fich eines folchen Reichshauptes entle⸗ 
digen müſſe und mit Leichtigfeit könne. Aber wer follte an feine 
Stelle treten? Dem Mächtigen ftand die Beſorgniß, dem minder 
Mächtigen die Geringfchägung entgegen. Auch war keiner ver Be⸗ 
werber fo lüftern nach der bloßen Würde, daß er fein Erbland umb 
beffen Erträgniffe darum gewagt hätte. Wit dem Reiche gebachten 
fie das Reich zu bezahlen. Immer hatte man Klagen gehört, daß 
deſſen ſchmale Einkünfte nicht binzeichten, um bafür mit ftarler Hand 
ven Landfrieden zu fchirmen, Weichögerichte zu beftellen, und nun 
follten diefe Nußungen gar im Voraus verfchleudert werben, um bie 
Kurftimmen zu bezahlen. 

Der erite Bewerber um ben beutfchen Thren, von bem wir 
bunfle Nachricht hören, war Herzog Philipp von Burgund, als er im 
Frühjahre 1454 zum Regensburger Reichötage fam und den Bera⸗ 
thungen gegen vie Türken beiwohnte. Als der Erfinder des Pro 
jectes wird Doctor Martin Mayr genannt’). Ohne Zweifel hängt 
bamit zufammen, daß Lyſura damals in einer Separatverfanmlung, 
bie im Quartier des Herzogs Ludwig von Bayern ftattfand, von 
dem erfchütterten und zerriffenen Deutjchland veclamirte, weldyes drin⸗ 
gend ber Reform und einer imponirenden Saifermacht bevürfe, und 
baß er unter dieſem Dedjchilte das Feuer gegen ven fäumigen Fried⸗ 
rich fchürte, der fich nicht bei dem Reichstage eingefunden. Allerdings 
fiel der burgundifche Plan, aber nur um fchon im Herbſte beifelben 
Jahres einem neuen Pla zu machen. Jetzt war Erzherzog Albrecht 
von Oejterreich ver Bewerber, ein Yürft von wüſtem Chrgeiz, ver 
feinen kaiſerlichen Bruder nur an Stolz, Verſchwendung und Gewalt⸗ 
thätigleit übertraf und von dem wahrlich eine Reform bes Reiches 
fi) nicht erwarten ließ. Der Gölner Erzbiihof und der Pfalzgraf 


2) Balady Bd. IV. Abth. II. S. 135 nah den in Note III näher be- 
ſprochenen Erlbach ſchen Acten im k. Reichtarchiv zu Münden, 





Georg von Böhmen, der Huſſitenkönig. 453 


hatten ihm ihre Stimmen bereits verfchrieben; aus feiner Verfchrei- 
Guug gegen letteren fehen wir, wie er mit Neichseinfünften zu bes 
zahlen meinte. Mit tem zähen Jacob von Trier ſcheint er noch nicht 
zum Ubſchluſſe gelommen zu fein, veifen Stimme follte ohne Zweifel 
einen gewaltigen Breis koften. Der Kurfürft von Brandenburg fcheint 
dem Project, ſchon aus Dppofition gegen den Wittel8bacher, entge⸗ 
gengearbeitet zu haben: er verfprach feine Stimme nur unter ber 
Beringung, daß auch ber Kaifer felbft feine Einwilligung zu der Sache 
geben müſſe; inbeß für den Ball, daß fie trottem gelänge, Tieß 
er füch „ale Erzlämmerer des b. römifchen Reiches“ ven fogenanuten 
geſdenen Pfennig von allen Juden in beutfchen Landen oder ftatt 
veſſen 20,000 Bulven verfchreiben ). Obwohl alfo Albrecht auf dem 
Bapier bereits brei Kurftimmen hatte, wenn auch die eine nur unter 
wer faft amnullivenden Bebingung, fo fiel der Plan doch völlig zufam- 
men. Als fein Urheber wird in den Erlbach'ſchen Acten wieder Mar⸗ 
in Diayr bezeichnet. Die Oppofition gegen den Kaifer, verbunden 
mit antirömifchen Beſtrebungen, arbeitete indeß fort, ja fie erreichte 
im Jahre 1456 ihren gefährlichiten Höhepunkt. Von ven Fürften, 
vie ſich um Andrei zu Nürnberg verfammelten, erzählt ber fpeierifche 
Ehrenift: „Dan meinte, fie wollten einen vömifchen König machen; 
denn der Kaifer ber war ein unnützer SKaifer, er verftand nicht Krieg 
wub Mißhelligkeit in den Landen nieberzulegen. — — Der Pfalz- 
gref Herzog Friedrich von Heidelberg der meint ein römiſcher König 
m werben n. f. w.“6). Bis noch fehlen für dieſe Kandidatur die 
netunplichen Belege; finden fie fich einft, jo zweifeln wir nicht, Mar⸗ 
im Mayr wird aus ihnen bervorfchauen °”). 


as Die Doeumente findet man in Chmel’s Regeften zum 10. und 12.No- 
wernber 1454, Albrechte Berfchreibung gegen den Pfälzer vom 19. Nov. 
bei Kremer Url. z. Geſch. Friedrich'e vo d. Pfalz n. 31. Die branden- 
burgiſche Stipulation vom 6. Ian. 1455 bat erſt Riedel Cod. dipl. 
Brand. Hauptthl. 111. Bd. I. n. 200 mitgetheilt. Es ift nur ein Ber- 
fehen, wenn Balady ©. 135 das Project in's Jahr 1456 fett. 

3) Gpeierifhe Chronik in Mon e's Duellenfommlung der Lab. Lanbesgefch, 
®. 1. ©. 410 — 412. 

22) Daß er im Dez. 1459 bereits in pfalzgräflihen Tienften geflanten, ſcheint 


454 Georg Boigt, 


In diefem Menfchen, ben wir für länger als ein Jahr auch ie 
König Georg's Dienften finden, fieht Herr P. „einen ber vorzügliche 
ften teutfchen Batrieten feiner Zeits. Die Archive werben über ihn 
noch eine Fülle von Aufklärung geben; ver Patriotismus Mahr's wird 
aber Ichon durch das vorhantene Material genügend beleuchtet. Er 
fieht in ven Rufe, als babe er 1457, als mainzifcher Kanzler, kũhn 
der römijchen Curie das Regiſter ihrer Sünden gegen bie beutjdhe 
Kirche vorgerüdt. Man lefe aber feine und des Piccolomini berge- 
börige Ariefe mit prüfendem Blid, und man wirb finden, daß Mapr 
ber Gurie nur vie deutfchen Klagen und die drohende Oppofition, bie 
er vermutblich felber angezettelt, kundthat, ja verrieth, daß er fie 
recht grell und gefährlich ausmalte, um in fich den rettenden Helfer 
erbliden zu laffen, daß er im Namen feines mainzifhen Herrn nein 
gewiſſes Cinverjtänpniß« anbot, daß beite die Curie nur fchreden 
wollten, um fich von ihr um guten Preis erfaufen zu laffen. Im 
Dienfte Georg’ und in der Agitation gegen den Kaifer hat er bamm 
am mailänbijchen Hof eine Rede gehalten, in ber er die Zerriſſenheit 
und Ohnmacht ver teutfchen Nation, die in ihr herrfchende Rechte 
und Friedloſigkeit in rheterifcher, in übertreibenver Weiſe ſchildert ?*) 
Diefe Klagen findet Herr P. "wahrhaft rührend“. Es find eben bie 
Worte eines agitirenden Gefantten, der ven Zuftand des Reiches um 
ter Friedrich nach Kräften anfchwärzen mußte, um für eine Berän⸗ 
derung zu Öunften feines Herrn zu werben. Gin beutfcher Patriot 
ijt wahrlich nicht, wer zum Wälſchen geht und ihm das Elend des 
Reiches vorftellt, dem jener nicht einmal ben Lehnseid gefchworen. 
Sonft wäre auch ter Piccolemini ein deutfcher Patriot, weil er in 
der Oberienzerflärung vor Papft Calixtus Nehnliches redete, cder 
Yyfura auf dem erwähnten Tage zu Regensburg. Ein Anderes ift 
es, wenn Gregor Heimburg vergleichen vor einem beutfchen Kaifer- 
gerichte den deutſchen Fürften in's Ohr donnerte. Oder ift Mayr 
etwa darum ein beutjcher Patriot, weil er nach Umftänden auch bem 


aus Palady Urk. Beitr. n. 204 hervorzugeben. Indem er Rath bes 
Herzogs Ludwig von Bayern wirb, behäft er fih bie Fortbaner früherer 
Tienfiverträge vor. 

3) Die Rebe ebend. S. 205. 





Georg von Böhmen, ber Huffitenlönig. 455 


Böhmen, ber der beutfchen Sprache nicht mächtig und in feinen Au⸗ 
gen ein Seer war’), die beutfche Krone zuzufpielen vie Fäufliche 
Das bot, wie einft tem Burgunder ? 

Aber gewiß war Mayr ein Menfch von feltenem Geſchick für die 
Bammlige Diplomatie: er beſaß in hohem Grabe tie Kunſt ver Ueber: 
zerung und eine imponirende Gewanttheit; Umtriebe und feine Ränke 
weren ſein Lebenselement. Keiner war an den Höfen bekannt wie 
ee — den Alwiffer nannte ihn einmal Heimburg — die Fürften 
fürdpteten fich vor feinen Intriguen und doch konnte man einen folchen 
Menſchen nicht entbehren. Ich erinnere mich in fpäteren Acten gelejen 
za haben, daß felbft Kaiſer Friedrich, als man dem gefährlichen Ju⸗ 
zißen einmal zu Leibe ging, von feiner Beitrafung nichts wiſſen wollte, 
weit er ſelbſt ihn noch einmal brauchen zu können meinte. 

Den König von Böhmen nahm Mahr bis zur Verblendung für 
Wh ein. Das ganze Projekt deſſelben, das römiſche Königthum zu 
erwerben, ijt fichtlich durch Mayr angeregt und ruhte auf Mayr, fo 
lange es beftand. Auf dem Tage zu Pilfen im October 1459 wurde 
die Sache in ver gewöhnlichen Weife vorbereitet, indem man, in Ver⸗ 
Kinbung mit ber’ bayerifchen Partei, über die ſchlechte Münze, über 
Sie unficheren Straßen und vergleichen klagte und beichloß, auf Res 
formen zu denken, ben Kaiſer an feine Pflichten zu mahnen. Es iſt 
za vermnthen, daß Mayr fchen dieſem Tage als pfülziicher Rath, beis 
wohnte. Daß er zu Eger, um Martini biefes Jahres, dabei war, 
wifien wir beftimmt; hier entwidelte er tem Könige feine Getanfen. 
Er wußte feinen Ehrgeiz aufzuregen und den Erfolg als ficher dars 

srftelten, als richte Deutfchland auf ven Böhmen die Augen und er- 
warte von ihm die Reform des Reiches, als bebürfe es nur einiger 
Bipfomatifcher Operationen, um ihm tie römische Krone une mit ver 
Ehre und dem Ruhme zugleich viel Nuten und Bortheil zuzubringen. 
Die Neden Mayr’s, des in jeder Lage gemanpten, verfuchen uns frei: 
lich noch nicht, in dem Ehrgeize Georg's letiglich den v„edlen Eifer 
für Recht und Frieden in umfajjenveren Kreifen zu ſehen, eine Mo— 
tisirung, die man mit ziemlich vemfelben Recht auch dem Burgunder, 
dem Erzherzog und dem Pfälzer unterlegen fünnte. Im Gegentheil 


In, Bergi. ebenb. Nro. 458. 


456 Georg Beigt; 


fcheint e8, daß Georg's Eifer von gewiſſen Heinlichen Rüdfichten nicht 
frei, daß er ebenfo wenig gemeint war, die Einkünfte feines böhmi⸗ 
Schen Landes für das Reich zu verwenden, wie Friedrich bie des fteie- 
rifchen. Wir find in der Lage, in des Königs Dentweife mit ben 
Augen Mayr's einzubliden, der fie ohne Zweifel kannte. Georg terug 
ihm auf, ein Verzeichniß der Einkünfte des Reiches zu entwerfen. Er 
hatte alfo wegen ver aufzuwendenden Kojten feine Bedenken. Mahr 
aber wußte für Alles Rath. Der Herzog von Mailand, ver. fchem 
wiederholt und zulegt noch im November 1457 über feine Inveſtitur 
mit dem Kaiſer verhandelt, follte für Böhmen gewonnen werben umb 
biefein für die Legitimation feiner ufurpirten Fürſtenwürde eine an⸗ 
fehnlihe Summe zahlen. Die Specnlation auf das mailäudifche Geld 
war fein neuer Gedanke, wir finden fie bereits in einer gegen den 
Kaifer gerichteten Verbündung von Mainz und Pfalz von 1457, bie 
höchſt wahrfcheinlid auch ſchon ein Wert Mayr’s gewefen '). Er 
bewog nun Georg, ihn nach Mailand zu fohiden. Was er hier am 
Ber der Geldfrage verhanbelte, war nur Schein und Vorwand '). 
Der Herzog bot für die Juveſtitur nach längerem Preſſen 70,000 Du» 
caten. Sehr bezeichnend ijt ber Rath, den Mayr dem König ertheilte, 
er möge auch für ven Fall, daß er die Reichsadminiſtration nicht er⸗ 
langen könne, bei dem Kaiſer dieſe Fnveftiturfache betreiben belfen, 
denn man könne Geld beransfchlagen. Uebrigens fand der fchlaue 
Berhänpler in Herzog Sforza wahrlich feinen Zölpel, ver für unge 
wiſſe Ausfichten fein gutes Geld hergegeben hätte. 

Daffelbe Intereſſe waltete auch in ben Rathſchlägen vor, vie 
Mayr feinem Herrn für den bevorftehenden Nürnberger Reichstag 
ſchrieb. Da follte über ven Zehnten, ven ver Papit dem beutfchen 

0) Bei Kremer Urkunden N. 51. Wer unfere Anſchauung von ter be 
maligen Bürftenpolitit für zu ſchwarz halten möchte, den bitten wir, bie 
jes Stüd einzufehen und zu prüfen. 

») Das fagt er in feinem Berichte an ben König bei Balady Url. Bei- 
träge N. 211 ganz offen: Et haec omnia in hunc finem dumtaxat 
feci, ut si vestra regalis majestas vel regno Ungariae vel Romano 
imperio praeficcretur, quod per supradicta capitula pecuniam et uti- 
litatom a duce reportaro atque acquirere possetis, 





Georg von Böhmen, ber Huffitenkönig. 457 


Klerus, unb über ben Dreißigften der Ginkünfte, den er den Laien 
aufznlegen getachte, verhandelt werten, Alles zum Zwecke des Tür⸗ 
kenfrieges. Wahr verfprach, ven Garbinallegaten, vie Faiferlichen 
Käthe und Untere fo zu bearbeiten, daß man dem Könige nicht nur 
alles Geld zufallen laſſe, das in feinen Landen, ſondern auch einen 
heil von vem, welches in den übrigen Xerritorien des Reiches aufs 
gebracht werde. Ferner müfje der König zum Feldhauptmann des 
ganzen Reichöheeres ernannt werben und auch dafür vom Xeiche eine 
tũchtige Geldſumme zichen °°). Endlich müſſe er fich zum Confer- 
wator des Reichsfriedens ernennen lajjen, dadurch werte er bie Ad⸗ 
meiniftration und die Majorität der Kurftimmen gewinnen, daraus 
werte er Ruhm, Ehre und Bortbeil erlangen. Ueber tiefe Dinge 
erbot fi Mayr, mit ven Fürſten vinsgeheim und verfichtig« (clan- 
eulum et per indirectum) zu verhandeln, er erbot ſich ferner zu einer 
kateinifchen und beutjchen Standrede, die er im Namen des Königs 
auf dem Reichstage bulten, worin er über den Mangel an Frieden 
und Recht im Reiche Hagen und ben König als veren Herfteller 
empfehlen wolle. Laſſen wir auch nicht unbeachtet, wie er ven König, um 
ich felbft als Geſandten zu empfehlen, bebveutet, man bürfe dann zu 
vem Neichötage, um Kojten zu eriparen, nur noch einen böhmischen 
Baron und ven Biſchof von Breslan fehiefen. — Hält man mit bies 
fen woblberechneten Eingebungen Mayr's tie Klage Heimburg's zu— 
ſammen, ber König fei „je älter, je kärger“ geworben, fo ijt wohl 
ter Schluß berechtigt, Georg fei ebenſo wenig von jenem „edlen Eifer« 
wie Mayr von mpatriotifcher Sehnſucht- beherrjcht gewefen. 

Bei ver Bewerbung un die Kurjtimmen und um die Adhäſion 
ber größeren Fürſten zeigte fich dic politifche Lage ungemein günjtig. 
Bar bie wittelsbachiſche Partei dem böhmifchen Plane an fich ges 
meigt, jo wagten bie Brandenburger wenigftens nicht, fich ihm offen 
entgegenzufegen. Die Verträge felbft aber, tie Mayr abſchloß, be— 
weifen zur Genüge, taß bie Herſtellung von Recht und Frieden nur 
ein gleißenter Berwand, ber Kauf um Geld und Wortheile aber ver 
Kern ter Sache war. Der erjte und engfte Bündner war Herzog 





, Et cum hoc magnam pecuniam de publico pro capitaneatu repor- 


tabitis. 


4583 Georg Beigt, 


Ludwig von Bahern, burch ihn follten der Pfalzgraf und bie beiden 
geiftlichen Kurfürſten von Mainz und Coln gewonnen werden. Dafür follte 
er, gelang der Plan, des Reiches Oberbofineifter mit 8000 ungari⸗ 
fhen Gulven jährlichen Soldes werben, ferner in Abwefenbeit des rö⸗ 
mijchen Könige mit dem Pfalzgrafen als Statthalter eintreten uub 
endlih Donauwörth behalten oder eine Einlöfung ter Stabt von 
40,000 Gulden empfangen. Der Pfalzgraf ‚war wegen ter ſtur⸗ 
ftimme teurer: außer einer jährlichen Beſoldung von 8000 Gulven 
unter einem anderen Neichstitel, fellte er ein Drittheil von einem 
zu Frankfurt aufzulegenden Waarenzoll erhalten, eine gewiffe Anwart⸗ 
Schaft auf den Rheinzoll zu St. Goar '’) ein Zwölftheil der Gebüh⸗ 
ren von ber mailändifchen Inveſtitur und für feinen Bruder Rupert 
ein fettes Bistum. Der Mainzer Erzbifchof bedingte ſich als Erzcanzler 
bes Reiches jährlich 2700 Gulden, dann bie Hälfte der Canzleinugungen 
wenn er ben Gefchäften felber vorftand, ven zehnten Pfennig ber 
FJudenſteuer, 1000 rheinifche Gulden jährlichen Rathgeldes, 8000 für 
feinen Willebrief in ver mailändifchen Lehnsfache. 

Someit waren bie Verhandlungen im ‘December 1460 gebiehen. 
Nah der Darjtellung bei Herrn P., ver tiefe Verträge nur obenbin 
beipricht, follte man das Gelingen des Planes für ſehr wahrfchein- 
ih halten; das größte Hinderniß, meint er, lag wohl „eben nur in 
Georg's fchon zu hoch geftiegener Unwiterftehlichfeit und Unentbehr- 
licpkeitu. Hatte ver König doch anfer feiner eigenen ſchon zwei Kur» 
ftimmen. Hatte er fie wirklich? Mainz und Pfalz ftellten eine in- 
haltjchwere Bedingung, die Herr P. völlig unbeachtet gelaffen, vie 
aber ven Werth ihrer Verheißungen böchft zweifelyaft machte: fie 
wollten zu nicht® verpflichtet fein, wenn nicht auch die Kurfürften von 
Sachſen und Brandenburg in tie Wahl Georg’s willigten. Hier num 
ftießen Georg und fein Mayr auf einen Gegner, ver fie au feiner 
Belitit beide überholte, e8 war Markgraf Albrecht von Brandenburg 
vmit fein fubtilen funden — bie nieman kunt burchgrunden«, wie 
Michel Beheim ihn in feiner Reimchronik jhildert. 

Der biplomatifche Ringfampf zwifchen viefen Parteien but das 
höchjte Intereſſe. Albrecht's Aufgabe war, ben böhmifchen Plan zu 


— — — — 


22) Im ber Urkunde fleht ber alte Name „Gewer“, Höfler las „Bellir“. 





Georg von Böhmen, ber Huffitenlönig. 459 


kämen, wo möglich ohne ven König fo fehr zu reizen, daß er ihn 
mebft anderen Gegnern auf dem Halſe gehabt hätte. Und er ver- 
Raub es, aus ber Abwehr fogar in vie Offenfive überzugehen. An—⸗ 
fangs hielt er ben König bin, indem er allerlei Schwierigfeiten be- 
wentlich hervorhob, doch verſprach er, fich bei feinem Schwiegervater 
won Sachen und bei feinem Bruder von Brandenburg zu verwen⸗ 
Den, vwerlobte auch feine Tochter Urfula mit des Könige Sohn. Bald 
Darasıf, nach feinem Ansbach zurüdgefehrt, ließ er Georg eine wun- 
berfiche und wohl nicht ohne Abficht dunkel gehaltene Nachricht zu« 
Sosummen: nach einem Gerücht gebe ver Pfalzgraf mit dem Plane um, 
sömifcher König zu werben, und wolle man es ihm nicht günnen, fo 
melle man einen nehmen, den man muß haben, c8 jei jebermann lieb 
«er leid"). Beabfüchtigte er Argwohn und Uneinigkeit unter bie 
Bünpner zu bringen oder wollte er ven Bli nes Königs nur von 
Säpen ablenken, vie er felbft unterbeß fpann? Man wird feine über- 
aus künftlichen Gewebe jchwerlich jemals ganz entwirren können. Ges 
wig aber arbeitete er tamals unter der Maske ter Freuntfchaft dem 
bößmifchen Broject rüftig entgegen. Ebenſo lavirte auf dem Tage 
zu Eger im Februar 1461 ter branvenburgijche Kurfürft: bald war 
er ver Meinung, man türfe bem Kaiſer nicht fo zu nahe treten, daß 
man ihm einen Mitregierer und Lenker beſtelle, bald verlangte er, 
ver Mainzer und ter Pfälzer müßten zuver in ven Surverein auf« 
genommen und die Sache auf einem ordentlichen Neichstage betrichen 
werben. Heimburg prophezeite ſchon damals, es werte nichts weiter 
beransfommen, als ein fchwerer und blutiger Krieg zwiſchen Böhmen 
uud Brandenburg. Dennoch hoffte Georg immer noch, auf bie Bran- 
benburger durch fein Echiebsrichteramt einen Drud zu ben, während 
fie nicht verfehlten, ihm eine gewiſſe Dereitwilligkeit und Hoffnung 
zu zeigen. Diefed Spiel wurde auf dem Nürnberger Nurfürftentag 
im März 1461 fortgeſetzt. Hier aber traten bereits bie erften Ans 
zichen einer neuen Sonjunctur hervor. Wir beſitzen das Document 
einer Bereinigung von drei Kurfürjten, vie für Reich und Kirche for- 


) Schreiben bes Markgrafen an König Georg vom 21. Dec. 1460 6. Pa⸗ 
lady Ur. Beiträge N. 232. 


460 Georg Boigt, 


gen und gegen jeden Angriff, komme er auch von Papft oder Kaiſer, 
zufammenjtehen wollen. Es befrembet nicht, in ſolchem Bündniß den 
Mainzer und den Pfälzer zu finden; wie aber follen wir es deuten, 
baß der britte — ver Kurfürjt von Brandenburg war‘)? Wohl bat 
Markgraf Albrecht ven Kaiſer, er möge es feinem Bruder Friedrich 
nicht übel denten, wenn diefer auch ein wenig den Patrioten mache, 
um nicht aus dem Vertrauen und ver Genofjenfchaft ver anderen 
Kurfürften ausgefchloffen zu werben. Wohl bethenerte er ihm, er 
wolle lieber Leib und Gut in Gefahr fegen und noch mehr verlieren, 
als er bereits verloren, Alles lieber, als gegen ihn, feinen Herrn, 
handeln. Wenn nun bie brei verbündeten Kurfürften ein drohendes 
Schreiben an ven Kaiſer richteten, ihn, der fett 15 Jahren nicht im 
Reiche gewefen, zu einem Tage nach Frankfurt luden, wenn fie droh⸗ 
ten, im all er nicht fomme, wollten fie trotzdem thun, was ber Chri⸗ 
ftenheit und bem Reiche nothwendig ſei ) — fo follte und mußte 
Friedrich glauben, nur zwei Kurfürften feien an biefer Oppofitien 
ernfthaft, ver Brandenburger aber nur zum Scheine betbeiligt ). 
Dennoch gingen die Abfichten des unergrünblichen Markgrafen tiefer. 
Was galt ihm am fich der elende Kaiſer, was bie päpſtlich⸗kaiſerliche 
Bartei mit ihrem confervativen Schimmer, wenn fie nicht als Hebel 
zur Machterhebung des hohenzollerifhen Haufes dienten? War nım 
einmal ver fteierifche Friedrich überall im Wege und feine Entfer⸗ 
nung unvermeidlich), warum follte vie erledigte Krone nicht ebeufo gut 
den Branvenburgern wie dem Böhmen zufallen? Noch find ter direc⸗ 
ten Beweife tafür, daß ein ſolches Project wirflich beftand, nicht viele, 
Wir finden biefe Sache aber mit kahlen Worten ausgefprochen und 
in einer Verbindung, die jeven Verdacht ansfchlieft. Ale Georg ven 


+5) Das Bündnik vom Eonntage Reminiscere 1461 5. Kremer Urkunden 
N. 74. 

) Diefes Borladungefcreiben vom 1. März 1461 b. Wencker Appar. et 
Instruct. Archiv. p. 379. 

7) Darum fchrieb er auch dem Bapfle am 7. April 1461 (Archiv f. Kunde 
öfterr. Gefhichtsquellen Bd. XI. ©. 158): Copiam (littere) a duobus 
electoribus, tercio quoque — — nobis misse etc. 


Georg von Böhmen, ber Huffitenfönig. 461 


Berfuch, die brandenburgifche Stimme für fich zu gewinnen, bereits 
völlig aufgegeben, rieth ihm fein Mayr, gegen ten Kurfürften von 
Brantenburg den Herrn von Sternberg aufzuhegen; ter fellte ihn 
unter dem Vorwande ber ftreitigen Cottbufier Zehen, verbunten mit 
dem Skönige von Polen, mit Herzog Victorin und einigen fchlefijchen 
Zürften befehten, während Andere den Markgrafen Albrecht bevrän« 
gen, damit Friedrich von Brandenburg gehindert werde, „bei ben 
Kurfürften von des Reiches wegen für fich ſelbſt zu arbeiten, auch 
ven von ten Kurfürften geſetzten Tag nicht Dbefuchen könne. Werner 
gibt dieſer Rathſchlag Mittel an, um zu verhüten, taß auf dieſem 
beuorftebenden Tage nicht® gegen den Künig und für einen Anderen 
gehandelt werde. Man fieht, wie ver Plan als ein dem Böhmen⸗ 
tönige wohlbelannter zwar oberflächlich, aber deutlich genug berührt 
wird *). Auch erklärt fih nun eine Reihe von Aeußerungen und 
Thatfachen, die in ven Darftellungen bei Droyſen und Palacky räth- 
ſelhaft bleiben mußten. Run verjiehen wir, warum Georg plötzlich 
im April 1461 von einer fchiepsrichterlichen Vermittelung zwischen 
Ludwig von Bahern und bem brandenburgijchen Markgrafen nichts 
mehr willen wollte, warum ver Kurfürſt von Brandenburg, wie den 
Schritten gegen ben Kaifer, fo auch der Appellation des Mainzers 
au ein allgemeines Concil beitrat. Bor Allem wird nun auch klar, 


%%) Außer den von Höfler ebirten Acten enthält bas Orig. bes erfien Bandes 
bes Laif. Buches, welches das k. Reichsarchiv zu München bewahrt, noch 
einige Yortfegungen von hoher Wichtigkeit, nämlich „Die unterrichtung 
des handele ber bey uuferm heiligen vatter dem babſt von unjers gue- 
digiſten bern deß fonigs zu Beheim wegen ift furzunemen“ — ohne Zwei— 
fel ein Rathſchlag Nayr's, ferner ähnliche Rathſchiäge, wie gegen ben 
Kaifer und Markgraf Albrecht zu verfahren fein würde. Jene „Unter: 
rihtung“ fanb Herr B. im k. f. Archiv zu Wien, bat aber (Ur. Bei- 
träge N. 239) nur ein paar anf frühere Zeit bezügliche Stellen ausge- 
hoben und ben Hauptinhalt aud in feinen Geſchichtswerke vollſtändig 
ignorirt. Im welchem Berhältni Übrigens jener Yand bes kaiſ. Buches 
in Mänchen zn bem Bamberger Eremplar,, und zu beiben bie von Hrn. 
BP. benutte Erlbach' jche Sammlung fieht, wirb bei ber Serausgabe ber 
Reihstagsacten zu unterfuchen fein. - 


462 Georg Boigt, 


warum Georg den Kaifer aus der änßerften Bebrängniß rettete, als 
er von den Wienern und feinem Bruder Albrecht auf der Vurg bes 
lagert und befcheffen wurde. Kam auch ber brantenburgifche Plan 
fo wenig zur Ausführung wie der böhmifche und feine anderen Vor⸗ 
gänger, fo erreichte ver Markgraf doch, daß er bie Ränke Mayr’s 
völlig aus dem Felde ſchlug, Georg in die Defenfive drängte und bie 
Berbündung der wittelsbachiſchen Intereſſen mit den böhmifchen 
Ehrgeiz, ihm bie gefährlichite, glüdlich untergrub. So bielt ſich Kai« 
fer Friedrich bis an fein Ende durd ein Syſtem von Eiferfucht und 
Gegengewichten, das im Reiche nicht ausjtarb. Fürjten wie Matthias 
von Ungarn, Karl von Burgund und verınuthlich noch andere, beren. 
Beitrebungen bis jeßt das Dunkel der Archive deckt, haben feitbem 
nach feiner Krone getrachtet, Friedrich aber bat fie alle überlebt umb. 
fein Haus hat vie meiften beerbt. 

Georg ließ ſich durch den verfchlagenen Mayr zu „Praoftifen« 
verführen, für die er den Rathgeber ohne Zweifel gut bezahlen mußte, 
obne den mindeiten Vortheil zu erlangen. Er bat baturch feine Stel⸗ 
lung im Weiche bedeutend erjchüttert und fich beſonders das bleibende 
Mißtrauen des apoftolifchen Stuhles zugezogen. Dennoch blich er 
ben chimärifchen Plänen, die feine Räthe, wohl mehr in der Ausficht 
auf die Agitation als in ter Hoffnung auf ven Erfolg, ihm vorlege 
ten, immer noch zugänglich, ein deutlicher Beweis, wie wenig er felbit 
biefe ferneren Verhältniſſe beherrjchte. Nur in kurzen Zügen wollen 
wir den Inhalt viefer weiteren Plane tarlegen, teren elender Aus⸗ 
gang doch nicht nur dem Zufall, fendern auch ter ſchwindelhaften 
Eingebung zugefchrieben werten darf. 

Zunächft Liegt uns eine Snftruction vor, beſtimmt für einen an 
den Papft zu ſendenden Boten des Königs, offenbar noch ven Mahr 
abgefaßt. Zwar können wir nicht behaupten, daß ter Bote wirklich 
abgefertigt werten, aber ein müßiges Spiel der politifchen Phantafie 
ijt der Rathſchlag doch auch nicht, ver König hatte den Surijten chne 
Zweifel Tazu anfgefervert, nachdem er den Plan im Allgemeinen ges 
billigt. Diefer aber war fein geringerer, als das römifche Königthum, 
da man die Mehrheit ver Kurfürften nicht erlangen fonnte, jetzt trotz 
Kurfürſten und Kaiſer, bloß durch päpftliche Einfegung und Waffen- 
gewalt zu erwerben. Mit dem-Bapfte fell gerade fo verhandelt wer⸗ 





Georg von Böhmen, ber Huffitenfänig. 463 


den, wie zuvor mit Mainz und Pfalz. Man fell ihm vorftellen, wie 
wegen bes Kampfes gegen den Halbmond das Reich durch einen mäch—⸗ 
tigen Wegierer in Trieben und Einigkeit gejegt werben müſſe, wie dies 
fer Regierer, ver Vöhmenlönig, dem Papſte helfen werte, feine Pro⸗ 
ceffe und Baunſprũche durchzuführen, das allgemeine Concil und eine 
dentſche Bragmatif aber abzuwehren, wie er ihm überhaupt ein treuer 
Bündner zu fein gebenfe. Dann foll man dem Papjt ein „Verſtänd⸗ 
zig» anbieten. Dafür, daß er dem Könige durch cine Bulle die Voll- 
macht gibt, das Reich gleich einem folchen römifchen Kaiſer zu res 
gieren, der durch die Kurfürften erwählt und durch ben Papſt gekrönt 
werten, daB er die Fürſten und Unterthanen bes Reiches von ihrer 
Pflicht gegen Kuifer Friedrich entbindet, dafür will ber König alsbald 
nach feiner Erhebung Tas Kreuz gegen bie Zürfen nehmen, auch ven 
Zehnten in Teutichland zu geben, „und dem Papfte davon merklich 
Gut, deſſen man fich vereinigen werte, zukommen lafjen», etwa unter 
veufelben Vebingungen, über bie jich ver Papſt mit Kaiſer Friedrich 
geeinigt. Geht ver Papft aber auf folche Vorfchläge nicht ein, fo joll 
ihen gedroht werten, der König werbe in ben Kurverein treten, ver 
mainzifchen Appellation anhangen, für Concil und Pragmatif arbeiten, 
„werurch dem Papfte, ven Cardinälen und Beamten feines Hofes 
großer Aupen- entzogen» und durch Verbindung mit ben Stönigen von 
Frankreich, Sicilien, Polen und Ungarn, jowie mit dem Herzog von 
Bargund, „unüberwinblicher Abfall« vom Stuhle zu Nom gefchehen 
würde. — Die weiteren NRatbfchläge betreffen faft nur tie Vorwände, 
neter denen man die Gegner mit Wafjengewalt überfallen uud zwin« 
gen könne. Dem Kaiſer fell die Einwilligung abgebrängt werben, in« 
vem fein Bruder Ulbrecht, der König von Ungaru und ber Böhme 
ihm gleichzeitig überziehen. Der Kurfürjt von Brandenburg fell durch 
ven Herrn von Sternberg befchäftigt, Markgraf Albrecht „wegen ber 
Untreue, die er dem König in des Reiches Sachen gethan hat“, durch 
em Aufgebot feiner wittelsbachifchen Gegner geftrajt und wehrlos ges 
macht werben. 

Mag man dieſen Plan als praftiich orer unpraftifch, als erhü« 
ben over abgejchmadt beurtheilen, hervorheben wollen wir nur vie ab— 
jelute Principlofigkeit, mit ver man alle möglichen Factoren ter Po— 
it in Bewegung zu jegen gewillt iſt. Der IUtraquijtenfönig ſoll 


464 Georg Boigt, 


durch ven Bapit zum Haupte des Reiches ernannt werben. Cr foll 
gegen bie Türken ziehen und doch wird die Sache des Glaubens wie 
eine reine Geldſache behantelt. Er foll, je nachdem ber Papft fich 
zeigt, entweber für vie Allgewalt des römifchen Stuhles oder für eine 
freie veutfche Nationallirche arbeiten. Er foll die eine Partei des Reiches 
befriegen und dabei der anbern nebjt allen Kurfürften vor ven Kopf fchla- 
gen. Diefer Berfchlag war vermuthlih Mayr's legte Arbeit als böhmi« 
fer Rath, er trat num Tebiglich in ven Dienft des Herzogs Ludwig 
von Bahern, moer fpäter gegen Georg agitirte und erklärte, er wolle mit 
der Kegerei nichts zu thun haben und habe dem König einft treulich 
gerathen, was auf deſſen Rückkehr zur katholiſchen Kirche abzielte **). 

War Dlayr ein abgefeimter Räufefpinner, ohne Gewiflen und 
ohne Herz für den Herrn, dem er diente, jo war fein Nachfolger im 
der großen Politit des Könige, der fogenannte Ritter Anton Marini 
ven Grenoble, ficher nichts mehr als ein Abenteurer. Man weiß 
nicht, wie er an den böhmifchen Hof gekommen, fowie man nicht weiß, 
wo er fpäter geblieben ijt. Der zungenfertige Sranzofe, der übrigens 
audy die böhmiſche Sprache leicht und Bis zur vollen Fertigkeit in 
Rede und Schrift erlernte, nahm ven König durch vie breifte Si⸗ 
herheit für fih ein, mit der er auf alle Fragen der Verwaltung nnd 
der Politik zu antworten wußte. Fußten Mayr's Plane auf ter wir« 
revollen beutjchen Reichs- und Fürſtenpolitik, fo war Marini gleich 
alten folchen Wbenteurern Kosinopolit und fein Geſichtskreis reichte 
über balb Enropa. Als böhmifcher Gefandter in Rom 1461 mu 
thete er dent Papft aus eigenem Antrieb zu, König Georg zum Ober 
befeblshaber gegen vie Türken zu beftellen und ihm von vorn⸗ 
berein ven Zitel eined Kaifers von Konftantinopel zuzufichern ; ber 
Sieg über die Ungläubigen werde dann ein Leichtes fein. Pius nennt 
ihn geradezu einen Schwäger. Aus dem Kopfe Marini's entfprang 
die große Idee, die Angelegenheiten Europa's vor einem Fürjtenrathe 
unter dem Vorſitze des Königs von Frankreich entjcheiden, die Autori⸗ 
tät des Papftes und bes Kaiſers verſchwinden zu laffen und auch ven 
Türkenkrieg, als deſſen Protector bisher ver Papft gegolten, als euro- 
päifche Sache in die Hand zu nehmen. Herr P. fcheint „dieſe Eman« 





) Mayr's Brief von 24. Juni 1468 bei Balady Url, Beiträge R. 458. 








466 | Georg Beigt, 


Seinen Eifer für den heiligen Krieg erflärte er mit bem üblichen 
Feuer, welches im Grunde zu nichts verpflichtete. Da indeß Marini 
zum Abſchluß des großen Bünbniffes feine Vollmacht hatte, wünjchte 
er ihm zu weiteren Unterhandlungen Gläd und hatte nichts dagegen, 
wenn bieje gewilfermaaßen auch in feinem Namen geführt wurden. 
Daß er zum Betriebe einer fo bochwichtigen Sache nicht einmal einen 
eigenen Gefantten ſchickte, zeigt wohl feine Lauigfeit. Jetzt Tehrte der 
Geſandte der drei Könige nach Venebig zurüd, wo man indeß bie 
Hohlheit dieſer Liga gegen bie Türken vollkommen zu würbigen wußte. 
Die Signoria beftand darauf, daß ver Papft und ber König von 
Ungarn in den Bund gezogen werben müßten; fie glaubte nicht ge⸗ 
rade abmeifen zu dürfen, was Marini „mit vielen fchönen Worten” 
im Namen der Herrfcher von Böhmen, Polen und Frankreich verfprach, 
fie trug aber auch Fein Bedenken, ben Papft von ver Agitation zu 
unterrichten. Vom kosmopolitiſchen Project fcheint hier nicht einmal 
die Rebe gemwefen zu fein, in richtiger Erwägung, wie unempfänglich 
bie venetianifche Politik für vergleichen Zräumereien war’) Trotz 
ber inpirecten Abweiſung in Venedig finden wir Marini im März 1464 
am ungarifchen Hofe. Auch hier wurden der Bund gegen die Tür 
fen, ja fogar das Fürftenparlament als fchöne und wünfchenswerthe 
Dinge bezeichnet, aber man müſſe fich deßhalb mit den beiden Häup⸗ 
tern der Chriſtenheit, mit Papſt und Kaifer, in’8 Einvernehmen feben; 
geichehe das, fo habe König Matthias nichts bagegen, wenn Marini 
auch in feinem Namen die Verhandlung am franzöfiichen Hofe fort- 
führe. Von der Veranftaltung eines allgemeinen Concils, alfo über- 
haupt von den Schritten gegen den Papft, wollte er durchaus nichts 
wiffen; Concil und Kirchenreform, hieß es in der Antwort, gehörten 
zum Berufe des römifchen Biſchofs. Wie wenig Beifall Marini hier 
gefunden, geht daraus hervor, daß einige ungarifche Bifchöfe ihn mit 
dem Bann bebrobten. Nun zog er mit einer großen böhmifchen Ges 
ſandtſchaft wieder nah Frankreich, er felbft nannte fich zugleich 
Geſandten von Polen und Ungarn. Aber unter ven geiftlichen Räthen 
Ludwigs XI. ftieß die Kegergefandtfchaft auf ſchroffen Widerwillen 


— — — — 


s) Am Bezeichnendſten if bier das Stück bei Balady Urt Belt. n. 295 D. 


Georg von Böhmen, ber Huſſitenlonig. 467 


uub wohl nicht ohne Grund fanden fie an den Vollmachten Marini’s 
aßlerlei auszuſetzen. Nur ein Freundſchaftsvertrag in fehr allgemeiner 
Form Fam zwifchen ven Königen von Frankreich und Böhmen zu 
Stanbe, die Berhanblungen über die große weltbürgerliche Idee wur⸗ 
Den amf das Unbeſtimmte vertagt und von der Türkenliga fcheint faum 
eim Wort mehr gefallen zu fein. Der geniale Geſandte jo vieler Für- 
fie blieb in Frankreich und verfchwindet fpurlos aus der gefchicht« 
Ucen Kunde. 

Diefe Projecte und Agitationen erjchütterten bedenklich bie Stel« 
kung Seorg’8 gegen alle vie Mächte, mit denen er in Berührung trat. 
Der Bapft, ver Kaifer und Matthias von Ungarn, alle von ihm ge= 
täufcht und durch Heillufe Ränke gefährvet, arbeiteten feitrem aus 
verfchievenen Motiven auf feinen Sturz hin. Erſt nach diefer Reihe 
geicheiterter Berfuche trat Georg, jett nothgebrungen, in feine natür« 
Ge Stellung zurüd. Seit dem Juni 1466 war Gregor Heimburg 
nach Prag gelommen, um vem Könige bei ver Verfechtung feiner 
Sache Beizuftchen, mehr ein Genoſſe und Helfer denn ein Diener, 
wie P. treffend fagt, und wahrlich ein anderer Mann als Mayr und 
Barini *'). Er war alt geworben im Kampfe gegen Nom und feit 
Jahren unter dem Bann. Er vertraute auf vie Gewalt des wahren 
Bertes und der männlichen Oppofition, nicht auf glatte Ausflüchte 
web feine Nänle. Ihn trieb, wie er in feiner Apologie Georg’s jagt, 
„vie Liebe zum Vaterlande, das ſtärkſte Band außer vem mit Gott‘; 
aber ihn trieb auch ein ehrlicher und energifcher Haß gegen Alles, 
wes er für wälſche Lift und römifchen Trug hielt. Die Zeit war 
au fich vorbei, in welcher Georg den Papſt durch Verfprechungen und 


w Zur Gorrectur ber Angaben bei Balady Bd. IV. Abth. II. S. 62 
möchte ich bemerken, daß Heimburg nicht aus Würzburg, fondern aus 
Schweinfurt ſtammt, wie fih aus einer feiner Reben in einer Münchener 
Handſchrift beweifen läßt, daß feine Familie fchwerlich eine adelige war, 
wie er ſelbſt fih in den im Nürnberger Archiv bemahrten Beſtallungs⸗ 
briefen und fonft immer nur ſchlechthin Gregor Heimburg nennt, und 
enblich, daß fein Dienft bei Herzog Sigmund von Tirol zum legten Mate 
im einem Document vom 17. Mai 1463 nachzuweiſen ift, welches man 
im 7. Baube von Lichnowéky's Negeflen notirt findet. 

i 30 * 





468 Georg Boigt, 


Hoffnungen hingehalten, im der er fi von ten päpftlihen Mahnungen 
„allezeit behendiglich zu fpielen” gewußt. Er durfte jeßt nicht mehr 
ſchwanken zwifchen Rom und Rokycana. Er juchte und fand bie beite, 
bie einzige Stüße feiner Macht ba, wo fie wirklich rubte, in ver Zur 
neigung feiner utraquiftifchen Böhmen, und auch ein heil der fa« 
tholifchen vergalt die Schonung ihres Glaubens und ben Schug ihrer 
Snterefjen durch anhängliche Treue. So hielt fi Georg in offenem, 
freilich nicht immer glüdlichem Kampfe feinen Feinden zum Trotz. Ge⸗ 
lang e8 ihm auch nicht, Krone und Weich auf feine Nachfommen zu 
vererben, fo bat er doch fein Voll und feinen Glauben vor ben 
Gräueln einer Fatholifchen Reaction bewahrt. Der litragnismus 
nahm feinen naturgemäßen Verlauf: eigener Fortbildung unfähig und 
abgefchloffen ven den kämpfenden Bewegungen des Zeitaltert, vers 
ſchwand er wie eine ſchwache Welle im Strome der beutfihen Refor⸗ 
mation. 

Diejen lebten langen Kampf des utragniltifchen Königs, der in 
der That ein ergreifendes Intereſſe gewährt, hat Herr P. in allen 
feinen Phafen mit Sorgfalt verfolgt und mit Sicherheit bargeftellt. 
Slaubten wir im Vorigen einzelnen feiner Anſchauungen entgegen- 
treten zu müffen, fo wünfchten wir hier am Schluffe noch einmal zu 
betonen, daß der Verfaſſer feinem alten Verſprechen treu geblieben, 
zwar auf dem Standpunkt eines Böhmen zu ftehen, aber nicht unge 
recht gegen bie Gegner der Böhmen zu fein. Der VBerfuchung, ven 
nationalen König zu verberrlichen,, hat er nicht immer widerftanden. 
Wohl mag der ſchmerzvolle Hinblid auf bie Folgezeiten nach Georg's 
Tode, wohl mag der Drud der Gegenwart, unter welchem der Ber 
fafjer fchrieb, umwillfürlich feine Feder beherricht haben. Dennoch 
lebt ver gerechte Sinn in ihm, ben wir im Großen und Ganzen ein 
Erbtheil der deutfchen Wiffenfchaft nennen dürfen. Gerade wenn fein 
großes Werk nicht nur an ſich belehrt und erfreut, wenn es auch zu 
weiterem Denken und Forſchen anregt, tritt feine Vortrejflichleit deſto 
heller zu Tage. Nicht nur für die böhmijche Gejchichte iſt es vie 
claffifhe Bearbeitung und wird vermuthlich noch für lange Zeit das 
Buch der Bücher bleiben; auch die deutſche Gefchichte des 14. und 
15. Jahrhunderts hat noch feinen Bearbeiter gefunden, zu bem man 
ſich ſo freudig und erfolgreich wendete wie zu ben betreffenden Ab 


| 


Georg von Böhmen, der Huffitenfönig. 469 


Schnitten in Herrn Palacky's Bude. Wünfchen wir, daß tie Aufre- 
gung der neueften Zuge den Geſchichtſchreiber Böhmens werer ganz 
in vie politijche Thätigkeit abforkire, noch ihm das offene Auge trübe, 
das er in der Erkenntniß großer hiſtoriſcher Vorgänge geübt. Die 
Pericte des Utraquismus Ichrte ihn, wie ver Geift einer Nation er- 
lahmt und einfchrumpft, wenn er in dem engen und monotonen Kreis 
ver Alltäglichleit gebannt wird, wie er fich dagegen verjüngt und 
fräftigt durch Berührung, Bewältigung und Durcheringung verfchies 
tenartiger fremder Elemente, tie feinen Horizent erweitern und ihm 
immer nenen Gedankenvorrath zuführen, eine unimterbrechene edle 
Thätigfeit in ihm nähren und unterhalten (Bb. IV. Abth. I. S.427). 
Die Cultur Böhmens welkt tahin ohne ven ventfchen Hauch; durch 
deiien Berührung ift fie gefchichtlich herangemachfen, und Niemand 
wird tie Nothiwendigfeit Liefer Verbindung weniger verfennen als 
Löhmens Hifterlograph. 


Iorban, Mar, Dr. philos., Das Königthum Georg's von Pobrbrab. 
Ein Beitrag zur Geſchichte ber Entwidelung des Staates gegenüber der kathol. 
Kirke, zumeift nad) bieher unbelannten und in Auswahl mitgetheilten Urkunden 
dergeſtellt. Leipzig, DBreitlopf und Härtel, 1861. XXIV, 5358. 8. 


Leider erit nad) der Abſendung feines durch Palacky's Arbeiten 
veranlaßten Auffages kam Ref. obiges Buch zu Geficht, welches 
genau benfelben Zeitranm umfaßt wie der neuejte Band von Palacky's 
bögmischer Geſchichte. Zwei Bücher ven bedentendem Umfange, vie 
faft gleichzeitig erfcheinenn, venjelben Gegenſtand behanteln, ferdern 
von feLbft zu einem Vergleich heraus, Dei ber Arbeit war Jordau 
im baren Vortheil : er benugte bereits ben Band ter Fontes rerum 
Austriacarum, in welchem P. ven größten Theil des Materials nice 
vergelegt hatte, und auch deſſen darſtellendes Wert in böhmiſcher 
Sprache, welches betentend früher erichien als tie deutſche Bearbei— 
tung. Gleich hier ift zu betenen, daß Jordan, in dem wir nad) ger 
wiffen orthographifchen Eigenthümlichkeiten — cr fchreibt z. B. er 
xber ftatt Gezeter, zu Baren treiben ftatt Paaren — einen geberenen 
Sachſen zu erfennen glauben, ſich der böhmiſchen Sprache, doch wohl 


470 Georg Boigt, 


erft durch mühfames Stubium, vollftändig bemächtigt hat und foweit 
genügend ausgerüftet war, um auch bie früheren böhmifchen Editionen 
Palacky's zu benügen. Obwohl er nun in der That neben Palady 
eine „völlige Unabhängigkeit” in feiner Darftellung gewahrt Hat, mei⸗ 
nen wir doch nicht, daß diefelbe, hätte fie umgefehrt P. bereit vor⸗ 
gelegen, biefen zu irgend wefentlichen Abänderungen bewogen hätte. 
Denn daß Jordan „zumeift nach bisher unbelannten Urkunden‘ gear« 
beitet, ift eine völlig haltloſe Zitel-Behauptung, fofern man unter un« 
bekannten Quellen nach üblicher Weife ungebrudte verſteht. 

Mit einer Auswahl feiner neuen, aus Archiven und Bibliothefen 
zu Breslau, Dresven, Leipzig und Jena gefchöpften Materialien bat 
J. die etwa eilf Drudbogen umfaffenden „Beilagen“ gefüllt. Die 
Auswahl hätte ftrenger fein follen. Was aus Efchenloer mitgetheilt 
wird, konnte dahingeſtellt bleiben, va, wie wir mit Freuden erfahren, 
Herr Dr. Friedrich Pfeiffer in Breslau eine neue Edition bereite 
in Angriff genommen, bei welcher hoffentlich auch das Hiftorifche In⸗ 
terefje neben dem ſprachlichen gewahrt werben und ber Tateinifche 
Efchenloer zu feinem Recht kommen wird. Unter der Rubrik Ro⸗ 
fenpfütifches« begegnen wir zunächft dem bekannten Türken⸗Faſtnachts⸗ 
fpiel und auf derſelben Seite der erftaunlichen Bemerkung bes Her⸗ 
ausgebers, die hier mitgetheilten Sachen feien „noch in keiner Samm⸗ 
(ung ter Gedichte Roſenblüt's abgeprudt«. Welche Sammlungen %. 
wohl eingefehen hat?“ In des einzig nennenswerthen, ver Keller’ichen 
(die doch nach S. 414 auch J. nicht ganz unbelannt war) findet ſich 
das beſagte Faſtnachtsſpiel nach verſchiedenen Handſchriften edirt, und 
nach der Dresdener, die J. abſchrieb, hatte es bereits Gottſched 
herausgegeben, gerade in dieſer Form iſt es als das bekannteſte Stück 
Roſenplüt's in allerlei Muſterleſen übergegangen. Das Sendſchrei⸗ 
ben des Dechanten Hilarius an Rokycana konnte als bloßer Ab⸗ 
druck gleichfalls wegbleiben, zumal da ſein Inhalt nicht ſonderlich be⸗ 
deutend iſt. Die Dialoge des Johann von Rabſtein, die Palackh 
bereits im deutſchen Auszuge mitgetheilt, müſſen wir willkommen bei« 
ßen, ſo viel auch der Text zu wünſchen übrig läßt. Wie faſt alle 
dieſe Editionen iſt er reichlich mit Fragezeichen durchſäet, bei welchen 
wir nur oftmals wiſſen möchten, ob dem Herausgeber bie Leſung bes 
Wortes oder der Sinn fraglich geblieben. Auch Hätte ſich in man 


Georg von Böhmen, ber Huffitenlönig. 471 


den Willen für ven Text bei größerer Sorgfalt etwas thun laſſen, 
wie 3. B. S.386 3.27 ftatt des unfinnigen pecci offenbar peccati, 
©. 336 3. 23 ftatt poenam — poenitentiam zu lefen ift und dgl. 
Debrigen® gehört eine bedeutende Zahl ver mitgetheilten Stücke we« 
ber ber Zeit noch dem Stoffe nach eng zum Dbjecte des Buches. — 
So wenig hoch aljo das bisher Unbekannte⸗- angejchlagen werben 
taun, fo ift auch das bisher Gedruckte keineswegs umfänglich benugt. 
Ferner wänfchten wir die franzöfifche Art zu citiren von ber beutjchen 
Geſchichtſchreibung fern zu fjehen: was heißt es 3. B., wenn viel« 
bäntige Werte furzweg mit den Namen Katona, Engel, Teleky u. f. w. 
citirt werben, wobei der Verfafjer übrigens nicht confeyuent gewefen 
ft „Commines Histoire de Bourgogne edt. Godefroy“ 
(5. 298) follen wir vermuthlich fo verftehen, daß neben Com⸗ 
minee’ Memoiren das befannte Werk von Barante benukt ift, wie 
©. 351, wo außerdem als Verfaffer ver Gefchichte Friedrichs von ber 
Balz ftatt Kremer ein Herr Eromer bezeichnet wird, bei bem 
man eher verjucht wäre an ven polnijchen Hiftoriographen zu denken. 

Der Berfalfer hat das Buch feinem Lehrer Droyfen gewids 
met, dem es „in jedem Sinne zugehöre.“ In der That find bie 
fritenden Ideen, Gedanken und Anſchauungen frappant tiefelben, vie 
Droyfen ausgeſprochen, und auch in Faſſung und Ausdruck erfennt man 
fofort ven abhängigen Nachahmer. Nun wird freilich bei dieſem Dianches, 
was wir als eines Meifters Eigenthümlichkeit gern gelten laffen, nothe 
wendig zur Dianier, und Irrwege find faft unvermeitlid. Da Ref. 
gegen Drohſen's Ideen über vie Bebeutung Georg's und feines Stau» 
tes feine Bevenlen bereit8 geäußert, die er auch nach ver Leſung vie 
ſes Buches und auf die Gefahr bin, für Eurzfichtig erklärt zu wer« 
den, nicht widerrufen kann, fo bleibt hier nur vie Methode zu erör- 
ern, in welder %., was Droyfen in furzen Zügen und mehr bei« 
läufig aufgeftellt, des Breiteren zu begründen fucht. 

Ueber die relative Aermlichkeit ver Quellen, bie oft eine durch⸗ 
bringende Veberficht ver Sache unmöglich macht, Hilft Herrn 9. feine 
üppige Phantafie hinweg, vie zumal in den politifchen Abfichten, Auf⸗ 
gaben und Situationen, in den „Programmen“ und „Bolitemen“ mit 
ſeinftem Ohre das Gras wachſen hört. Vielleicht ijt es biefe Kunft, 
rermittels welcher er nach dem Vorworte, wo er fich über „vie Natur 


472 Georg Bolgt N 


des hiftorifchen Erfennens und über die Methode ber Geſchichtſchrei⸗ 
bung“ ausläßt, in ben „mimetifchen Werth” einer überlieferten hiſto⸗ 
riſchen Kunde einzubringen fucht, worunter man fich fehr viel oder 
auch fehr wenig vorftellen mag. ‘Die Darftellung felbit aber zeigt faft 
auf jeder Seite, wie die Ideen, vie das Reſultat der Forfchung fein 
follten , fchon im Voraus gegeben und feit waren. Aus dem vorlies 
genden Material wurbe nur berausgenonmmen, was an bie Tenbenz 
anzuflingen fchien oder pifante Kraft« und Schlagftellen varbot; Ans 
deres wird gebogen und verrenft, bis es paßt, und ver Reſt bleibt 
liegen. Ohne es zu ahnen, betritt J. jenen Weg der Unwahrheit 
und Sophiftif, ven wir der ultramontanen Hiftoriographie am Schärfe 
ften vorzuwerfen pflegen, fo fehr er das Papſtthum und die römifche 
Kirche mit radicalem Haß und oft unbiftorifhem Spotte verfolgt. 
Ob aber folhe Methode nach viefer oder jener Seite hin, mit mehr 
Geiſt oder mehr Bornirtheit geübt wird, macht feinen wefentlichen 
Unterſchied. 

Wir leſen eine Heine Reihe von Beiſpielen verſchiedener Art aus, 
bie jene Methode bezeichnen. S. 64 behauptet J. in Bezug auf bie 
Beſchuldigung des Papftes, daß ben Katholiken im huſſitiſchen Böh- 
men das (geweihte) Begräbniß verweigert werbe: es jei gewiß, baß 
dergleichen Frevel nicht nur auf Gegenfeitigfeit beruhten, fonbern andy, 
baß fie auf das Härtefte beftraft wurden. Cine fo kräftige Behaup⸗ 
tung aber bleibt ohne allen Beweis, obwohl die Verweigerung bes 
Begräbnifjes von Seiten ver nur gebulbeten Statholiten an fich höchſt un⸗ 
wahrfcheinlich und ihnen auch nirgend vorgeworfen worden ift. Daß bie 
Huffiten die Sommunion auch an Kinder und Wahnfinnige reichten, wie 
man ihnen ſchon auf dem Basler Concil fo oft vorwarf, berubte ein- 
fach auf dem Glauben an bie fubftantielle Heildwirkung des Sacramentes, 
mit welchem auch die Berwerfung der Beichte übereinftimmt. Da inveß 
biefe rohe Anfchauung Herrn Jordan nicht als ‚Factor in der Ges 
ſchichte des fittlichen und geiftigen Befreiungskampfes der Menſchheit“ 
brauchbar erfchien, ja eher für das Gegentheil fpricht, umhüllt er bie 
Sade ©. 71 mit den gefuchteften Sophiemen ; nach ihm follte man 
3 B. glauben, viefer Sacramentsmißbrauch fei erft feit den Com⸗ 
pactaten eingerifjen! — Der Unterfchieb zwifchen beweibten und bes 
weibt gewefenen Prieftern ift immer noch ein fehr großer. Welcher 





Georg von Böhmen, ber Huffitenlönig. 473 


Borwurf gegen bie Buffitifchen Priefter bei ver Disputation erhoben 
werben, ift Referent nicht im Stande nachzufchlagen. Eſchenloer aber 
ſpricht jetenfalls von „Weiber habenpen,“ die wie auch Handwerker 
sub ungeweihte Laien, unter ven Huffitiichen Prieftern gewefen feien 
uud von denen ein heil vielleicht noch die Mefje leſe. Mochte der» 
gleichen vorgelommen fein ober nicht, Rokycana betrachtete es offen- 
bar als Unfug, denn er beftand auf Unterfuchung ver Sache. Ohne 
Princip gibt e& auch nichts Neformatorifchee. J. aber findet einen 
thatfächlihen Uebergang zur principiellen Priefterehe barin, „daß 
man feinen Anftand nahm, Männer zu Prieftern zu weihen, welche 
verheiratbet gewejen waren, wie ja auch weder bie gelehrte Vorberei⸗ 
tung noch bie ftrenge Standeseigenthümlichkeit im kanoniſch-katholiſchen 
Einne als unerläßlich galt” (S. 118). Daß viele hufjitifche Priefter 
ihre Weihe irgendwo erfchlichen hatten und daß man fie in Böhmen 
beunoch aufnahm, lag in dem abnormen Nothitand ber utraquiftifchen 
Sirde; ©. 119, 120 fpielt J. um die Sache herum, ſpricht ven 
„nenen Brieftern,” unter denen wir uns nichts zu denken verindgen, 
zub meint enblich mit einem Humor, ber vielleicht auch bier den res 
fermatorifchen Zug beweifen fol, es ſei ven Böhmen nur darauf ans 
gelommen, daß „vie Papiere in Ordnung“ waren. Humoriſtiſch klingt 
es auch, wenn cr ©. 128 in ver Beraubung der Kirchengüter, vie 
wärend ber Kriege und der Anarchie geſchah, eine „Durchführung 
ver Armuth“ der Priefter und ſomit eine „Gewähr ter Tugend“ fieht. 
Nachdem er S. 120 erzählt, wie Rokycana bei ter Dieputation fich 
auf Albertus Magnus und Thomas ven Aquino berufen, nachdem er 
©. 126 noch zugeftanven, daß dieſer Vlagijter fich auch fonft wohl 
auf die fcholaftifche Waffe eingelajjen, freilich „niemals im Sinne feis 
ser katholiſchen Gegner,” erfcheint Rofycana S. 127 dennoch al8 Pros 
get von ber „Srunblegung ver Bibel als einzigen Glaubenscanons“ 
wit „unnachfichtiger Sonfequenz.” — S. 75 — 77 entipricht bie ärm⸗ 
liche Kunte von einzelnen Thatfachen nicht entfernt ben Folgerungen 
De daraus für Georges „Staatspolitik“, für „Säculariſation“ und für 
bie „Idee des modernen Staates’ gezogen werten. Was das Prager 
Confiftorium bedeutete, ift auch J. unklar geblieben; daß es aber „urs 
ſprünglich ohne Zweifel aus Alte und Nengläubigen zuſammenge⸗ 
fegt war“, ift wieder eine ber Hier nicht feltenen Behauptungen, bei 


474 Georg Boigt, 


denen nur bie Kühnheit den Beweis erjeßt. Auch ein deutſches Par⸗ 
lament mit einer NReichsfteuer und einem kaiferlichen Generaliffimus 
ift in Jordan's Phantafie durch M. Mayr entworfen gewefen. Leider 
nur ift das angeregte Perlament keineswegs ein tagendes „Fürſten⸗ 
collegium,” ſondern lediglich ein Reichsgerichtshof, für ben man ben 
Namen von den franzöfiihen Parlamenten entnahm; ver Zehnte nnd 
Dreißigfte, von dem bie Rede ift, follte nicht „zur Durchführung des 
neuen Reichsregimentes“ vienen, fondern war eine vom Papfte zu 
Mantua proponirte Auflage behufs des Türkenkrieges, und ber Ges 
neraliffimus wird gleichfalls zum Feldhauptmann des Reichsheeres 
gegen die Zürlen an Kaiſers Statt. — Schließlich darf nicht über- 
gangen werben, wie Jordan über das angreifende Verfahren Georg's 
gegen Matthias von Ungarn hinausfommt. Das Document, in welchem 
Georg mit tem Kaiſer pactirte, ihm für 31,000 Ducaten mit einem 
Heere zur Erwerbung des Königreichs Ungarn zu helfen, ift J. „nicht 
entgangen, er fennt e8 (S. 249) in einem Drud von 1793, „aber 
ich Tenne es nur aus dieſer Erwähnung, und zu biefer Faſſung — 
dafern fie autbentifch ift — Tann ver König“ u. f. w. Aber warum 
kennt J. es nicht aug Palacky's „Url. Beiträgen,” vie er doch ſoviel 
benugt hat? Da hätte er e8 nach dem Datum in Nro. 193 notirt 
finden können und zwar aus dem Driginal des S. Wenzel» Archivs, 
was feine Fritifchen Bedenken vielleicht beruhigt hätte; da hätte er in 
Nr. 228, 229 Iernen können, wie biefelbe feindliche Politik mit ane 
beren Kräften fortgefeßt wurde. Warım kannte er es nicht aus Pa⸗ 
lacky's Gefchichte von Böhmen (Bd. IV. Abth. II. S. 103), wo noch 
einer bedrohlichen Fortfegung diefer Verhandlungen erwähnt wird? Die 
Stelle dürfte in der böhmifchen Bearbeitung Palackh's fchwerlich feh⸗ 
len. Aber „viefen angeblichen Unternehmungen widerfpricht Georg’6 
Grundſatz, daß das nationale Königthum das erfte Erforverniß zu ge 
beihliher Entwidelung des Staates bilde.“ Daber Tann J. nicht 
glauben, daß fie ernfthaft gemeint waren. Ebenſo in den Agitationen 
George mit Jiskra und einem Theil der ungarifchen Magnaten; bier 
kann %. zwar nit umhin, ©. 248 den „Schein ber Verrätherei“ zu 
feben, aber die böhmifche Politik „ging im Grunde nur aus ber ehr- 
lichen Abſicht hervor, allen politifchen Kräften gerecht zu werben, die ſich 
regten“ — eine ftaatsrechtliche Maxime, die allerdings ſehr modern ift. 


Georg von Böhmen, der Huffitenkönig. 475 


Doch genug folcher Beifpiele. Sie lafjen wohl ahnen, daß es 
dem Verfaſſer auf Feine Verfehen auch nicht fehr ankommen 
wird. Wir bemerften bei ver Lectüre folgende: S. 2 ift von einer 
Sedisvacanz von 1457 die Rebe, obwohl Calixtus III. während aller 
ter erwähnten Agitationen noch bis zum Auguſt 1458 lebte; ©. 14: 
Pius ift nicht ter Etifter des Ritterordens Societas Jesu; ©. 35: 
wie foll Franziscus von Toledo ter Suffragan bed Erzbifchofs von 
Kreta fein? ©. 56: vie Audienz der böhmischen Gefandten vor bein 
Bapfte fand nicht am 14., fontern am 20. März ftatt; die S. 140 
citirte Bulle ift nicht vom 8. Octbr., fonvern vom 24. Spthr. 1462 
(nah Raynaldus Annal. ad h. a. n. 24); ©. 158: ver Bifchof 
von Torcello hieß Deninico de’ Domenichi, aber nicht Franciecus; 
©. 182 wird tie Bolitif ver venetianifchen „Krämer“ fehr mit Unrecht 
und Unfenntniß gegeißelt; denn feit Jahren führten fie allein ven 
Kampf in Morea und in Archipel, auch erfchien ihre Flotte nebft vem 
Dogen, noch bever Pius ftarb, in Ancona; S. 236: gibt e8 einen uns 
garifchen Biſchof von Weißbrünn, ber doch wehl der von Wesprim 
fein fol. 

Müffen wir nun im Allgemeinen fagen, daß der hohe Werth des 
Balady’jchen Buches bei ſolchem Vergleiche nur um jo leuchtenver 
bervertritt, jo ijt doch auch nicht zu verfennen, daß der Jordan'ſche 
„Erſtling wiſſenſchaftl cher Thätigkeit“ einen Verfajjer von ungewöhn⸗ 
licher Begabung zeigt, die che Zweifel, wenn fie den „mimetifchen 
Werth” abgeftreift haben und den veblichen Gewinn fuchen wird, zu 
ihönen Hoffnungen berechtigt. 


X, 
Ueberſicht der hiftorifchen Literatur bed Jahres 1860. 


| (Bortfeung.) 
6. Deutſche Provinzialgeſchichte. 


1. Schwaben und Oberrhein. 


Archiv für die Geſchichte des Biethums Augsburg. Herausgeb. 
v. U. Steichele 3. Bd. 3. Heft. Augéburg, 1860 8. 

Enthält: Fr. Wilhelmi Wittwer Catalogus Abbatum monasterii £8. Udal- 
rici et Afrae Augustensis, herausgegeben von Steichele. 


2. Greiff, Beiträge zur Befhichte der deutſchen Schulen 
Augsbnrgs. Aus urkundligen Quellen zufammengeftellt. Augeburg, 1858. 
vm, 157 S. 8. 


24fter Jahresberiht bes hiſtor. Kreisvereins im Regie 
rungsbezirfe von Schwaben und Neuburg für die Jahre 1858 und 
1859. — Mit einer Abhandlung über bie älteſten Glasgemälde bes 
Domes in Augsburg und Abbildung berjelben in Farbendruck. Auge- 
burg, 1860. 8. 


Mittheilungen des Bereins für Kunf und Alterthum in 
Ulm und Oberfhwaben, unter dem Protectorate Er. königl. Hoheit bes 





Dentiche Provinzialgefhichtee Schwaben. 47T 


Kronprinzen Karl von Württemberg. 13. Beröffentlihung. 12. Bericht. Der 
größeren Hefte 8. Folge. Mit 5 Eteindructafeln und Holzſchnitten. Ulm, 
1860, in Comm. ber Stettin'ſchen Buchhandlung. — 

Inhalt: Das alemanniſche Todtenfeld bei llm. Bon Brof. Dr. Hafler. — 
Zwei Roſenbergiſche Fehden. Bon Prof Dr. Beefenmeyer. — Auszug 
ans ben Protolollen ber Bereinsfigungen. 4. 


Haßler, €. D., Dr. Brof., Das alemannifhe Tobtenfelb bei 
Ulm. Beichrieben und erläutert. Mit 5 Steindrudtafeln und Holzſchnitten. 
Um, Druck der Wagner’ihen Buchdruckerei, 1860. 40 ©. 4. 


Derſelbe, Die Beziehungen Guſtav Adolph'e zu ber Reichéſtadt 
Use Urlundl. Darlegung. Ulm, Stettin'ſche Buchhandlung, 1860. 16 ©. 4. 


BürttembergifheIahrbücder, für vaterländ Geſchichte, Geb⸗ 
grapbie, Statifil und Topographie. Hrsg. v db. k. ſtatiſt⸗topograph. 
Bureau. Sahrg. 1858. 2 Hfte. (VI un. 487 ©. mit 2 Tab. in qu Bol.) 
Eintigart, Aue, 1860. gr. 8. 

Eathält im 1. Heft eine allgemeine Lanbeschronil v. 1858. ©&.1-47. — 
u 2. Heft: Geſchichte des Münzweſens in Württemberg in Verbindung 
mit dem fhwäbilhen und NReihemünzweien von Pfaff. ©. 44 — 216. — 
Aänzfund auf dem Einfiebel von Stälin u. A. — 


Siebenter Bericht über ben Alterthumsverein im Zaber 
gau 1860—1800. Bond Klunzinger, Dr.philos., Stuttgart, 1860. 8. 

Sin in Gugelingen aufgefundener römifcher Altar. — Architectur, Sculp- 
mr und Malerei im Zabergau und jetigen Oberamt Birdenheim. — Ge- 
fellichaftsangelegenhbeiten. 


Schiller, Froͤr. v., Geſchichte v. Württemberg, 5. zum 3. 1740. 
(Zum erſten Male im Drud hereg. u. aus ber „Württembergifchen Vollsbib⸗ 
Kethel“‘ abgebr. 3. 100jährigen Geburtstagsfeier bes Verf) 1—5. Lg (1. ®b. 
mit 2 Holzſchntaf.). Stuttgart, Schaber, 1859. 260 &. gr. 16. 


Th. Keim, Dr. Prof., Ambrofius Blarer, ber fhwäbiiche Reformator. 
Rah den Duellen überfihtlih bargeftellt. Stuttgart, Chr. Belfer, 1860. 
V, 155 G. 8. 


Th. Preſſel, Archidiaconus, Ambroſiue Blaurer’s, bes ſchwäbi⸗ 
hen Reformators Leben und Schriften. Mit dem Bildniſſe Blaurer's. 
Eintigart, Liefhing, 1861. VII, 611 ©. 8. 


478 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur vom 1860. 


Beide Arbeiten, denen handſchriftliche Materialien zu Grunde lie 
gen, ergänzen ſich in willkommener Weiſe. Hr. Keim macht nicht 
ben Anſpruch, eine erſchöpfende Monographie über das reiche Leben 
und Wirken des fchwäbifchen Reformators zu geben; aber wenn wir 
feine Schrift mit der wenige Wochen fpäter erfchienenen des Herm Prefiel 
vergleichen, fo finden wir nicht allein, daß in“ dem kürzern Febensabriß 
nichts Wefentliches übergangen ift, ſondern daß auch berfelbe neben dem 
breiter angelegten Werke Preſſel's noch feinen eigenthämlichen Werth bes 
hält. Die Hauptbebeirtung des leßteren Buches, das mehr einer Materia- 
lienſammlung als einem darftellenven Werke gleicht. liegt in den reichlich mit- 
getheilten Duellenauszägen und namentlich in den zahlreichen, zum erften 
Mal abgenrudten Briefen Blaurer's oder Blarer's. Im Anhange fin- 
ben fich außerdem noch einige Briefe Melanchthon’s und Calvin's, die 
durch Blaurer zu Stande gelommene Zuchtordnung der Stadt Conſtanz 
von 1531, womit das Reformationswert der Stadt abſchloß, ferner ber 
Stiftimgsbrief einer von den Städten Conftanz, Lindau, Biberach und 
Isni errichteten evangelifhen Schule zur Erziehung von Prebigern, und 
envlich einige Gefänge und Lieder Blaurer's. — Aufgefallen tft une, 
daß beide Schriftfteller in der Darftellung eines wichtigen Momentes im 
bes Reformators Leben, nämlich feines Eintritt in das Kofler, bes 
trächtlich von einander abweichen. Keim läßt den jungen Blaurer (©. 7) 
erft am Schluß des Jahres 1614, „wohl von Tübingen aus,” nad) bem 
Benedictinerklofter Algirsbach auf dem Schwarzwalve kommen, wo er ſich 
von der Stille des Mönchslebens fo angezogen fühlte, daß er trotz man⸗ 
her Abmahnungen im folgenden Jahre in das Klofter eintrat. Nach 
Prefiel aber wäre letteres ſchon um das Jahr 1510 geſchehen, und 
Bruder Ambroſius hernach von feinem Orden in Anerlennung feiner 
hervorragenden Zalente auf die Univerfität Tübingen gejandt worden. 
Da für den frühern Eintritt in das Klofter keine Beweiſe beigebradt 
werden, jo müffen wir bier Keim's Darftellung ven Vorzug zu geben. 
Nah dem Tübinger Magiſterbuch magiftrirte Blaurer 1513 einfad als 
„Ambrofius Blarer Canstadiensis“, jol wohl heißen ‚.Constadiensis“. 


Lindenſchmit, Ludw., Die vaterländiſchen Alterthümer 
ber Fürſtl. Hohenzoller'ſchen Sammlungen zu Sigmarin—⸗ 
gen, beſchrieben und erläutert. Mit 43 lith. Tafeln und 108 im ben Tert 
gebrudten Holzſchnitten Mainz, v. Zabern, 1860. VIII und 228 ©, gr. 4 





Dentihe Provincialgeſchichte. Oberrhein. 479 


Schönhuth, Dietmar F. 5, Die Burgen, Klöfer, Kirchen 
nnd Kapellen Württembergs unb der Preußifh-Hohenzol. 
lera’fhen Landestheile mit ihren Geſchichten, Sagen und Mährden. 
Unter Mitwirkung vaterlänbifher Schriftfiellee bargeftellt. 1. und 2. Bd, 
je 10 Hefte. Gtuttgart, Fiſchhaber, 1859 und 1860. 488, 476 ©. 8. 


Keller, ©, Der Hohenftaufen und feine Fernſicht, hiſtor. 
uud topographiſch bearbeitet Mit einem lithogr. Panorama ꝛ⁊c. Göppingen 
Otuttgart, Lindemann, 1860. IV, 160 S. 12. 


Weiskopf, Anton, Pfr, Geſchichte des Klofters Beuren 
au ber Donau, nebft einer Beichreibung der Klofterliche. Mit 1 lith. Ab- 
Klbung des Hnabenbildes. Sigmaringen, Taggen. 91 ©. 16. 


Martini, Ed. Ehrn., Pfar. Geſch. des Klofters u. ber Pfarrei 
Er Seorgen anf dem Schwarzwald mit Rüdfiht anf bie Umgegend. 
Em hiſtoxiſcher Verſuch. Wit 3 Lithograph. Abbildungen. St. Georgen, 1859. 
‚Stuttgart, Detinger.) VI und 310 ©. 8. 


9. Marmor, Seihichtlihe Topographie der Stabt EConftanz 
uub ihrer nächften Umgebung mit befonberer Beridfihtigung ber Gitten- und 
Enirmegefchichte derfeiben. In 3 Lieferungen. 1. Liefg. Conftanz, 1860, Selbſt⸗ 
verlag bes Berfoflers. 128 ©. 8. 


Der Herr Berfaffer, praltifcher Arzt in Conftanz, ift als ein eif- 
tiger Förderer der Geichichte jeiner Vaterſtadt bekannt. Es verdient alle An» 
elemnung, daß er troß feines entgegenftehenven Berufes jich fleifig im 
Archiv umgefehen hat, und wir werben für das, mas er uns bietet, dank⸗ 
ber fein, ohne den ftrengften Maßſtab anzulegen. Die gegenwärtige 
Bablication freilich nimmt vorzugsweije nur ein locales Intereſſe in An⸗ 
ru; aber doch findet man ſchon in dem vorliegenden Hefte auch 
Retizen von allgemeinerem Werth, fo 3. B. die handſchriftlichen Meittheis 
Immgen über die Behandlung der Juden im 14. und 15. Jahrhundert. 
(8. 107 ff.) 


Gtaiger, Fr. X. C., Die Infel Reihenau im Unterfee, (Bo- 
denſee bei Conſtanz) mit ihrer ehemaligen berühmten Reichsabtei. Urkundlich 
beſchrieben. Mit 1 (lith.) Abbildg. der Infel und ihrer Umgebung (in fol.) 
Sindeu, Stettiner in Comm., 1860. VI u. 178€ 8. 


Zeitſchrift f. d. Geſch. des Oberrheine. Hersgb. v. db. Landes» 


480 Ueberficht der Hiftoriichen Literatur von 1860. 


archiv zu Carlsruhe durch den Director beflelden, 3. F. M. Mone Bd. XI, 
Set 3 und 4. Bd. XII, Heft 1 und 2. Karlerube, Braun, 1860. ©. 257 
bie 514; ©. 1 bie 256. 8. 

Mone's vortreffliche Zeitſchrift verdient auch in diejem Jahre allſei⸗ 
tige Beachtung ; denn fie ift wie immer reih an mannigfaltigen urkund⸗ 
lihem Material und wendet ſich vielfach über das provinzielle Interefle 
hinaus, wenig beachteten Fragen ver Bollswirthichaft, des Verkehrsweſent 
und des focialen Lebens zu, fo in den Artikeln über die Flözer ei am 
Oberrhein vom 14. bi8 zum 18. Yahrh. in Band fi. S. 257 — 280; 
über ven Geldkurs vom 12, bis 17. Jahrh. S. 385 — 408; über 
die Armen- und Krankenpflege vom 13. bi8 16. Jahrh. in Bd. 12 
©. 5-53 und 142—194; Maß und Gewidt ©. 64— 68; Ber 
tehbrswefen vom 15. bi8 17. Jahrhunderts S. 129 — 141 nnd die 
Gehalte ftäntiicher und gutsherrliche Benmten und Diener 
vom 14. bis 17. Jahrh. S. 255— 256. — Außerdem tbeilt der He 
rausgeber eine Reihe von Kaiſerurkunden mit vom 8. bis 14. Jahrh. 
(XI, ©.280—298, 428-438; XII, ©. 198— 211); ferner Raffani- 
he Urkunden von 1174—1487, XI, 298—317 ; Urkunden über das 
Dberelfaß vom 12. bis 16. Jahrh. S. 317—341. — Enplid gibt 
Mone XI S. 408 — 428 Beiträge zur Geſchichte vr Schweiz uud 
Xu, ©. 53 — 64 zur Geſchichte ver Franche-Comté unter Marimi- 
lian und Maria von Burgund. Hübnergeridte S. 194—1%. — 
Dambader fegt die Urkunden’ zur Geſchichte der Grafen von Freiburg 
fort, und theilt außerdem eine Urkundenleſe zur Gejchichte fräntifcher Klä« 
fter (Komburg, Lichtenftern und Murrhard), und Urkunden über Loffenau 
mit. — Bader gibt Urkunden und Regeſten aus dem Archive ver 
ehemaligen Grafſchaft Hauenftein. — 


Badenia ober das Babifhe Land und Volk. ine Zeitichrift zur 
Berbreitung ber hiftor.-topgraphifch - ſtatiſtiſchen Kenntniß des Großherzogthums. 
Herausgegeben von Dr. Joſ. Bader, Archivrath, 1. Band. Heidelberg, 
Emmerling, 1859. 4 Hefte. VI, 629 ©. Mit 5 Kupfern. 

Wir notiren aus dem mannidfaltigen Inhalt: Eine altbabifche YFürftenge- 
ſtalt (Chriſtof F 1527) nah Bild und Schrift. — Die beutiche Reichegren- 
feftung Philippsburg. — Fickler, ber heilige Jüngling zu Niclaehauſen. — 
Reih, aus ben Zeiten bes ZOjährigen Kriege. — Die Zerflörung von 
Heidelberg im orleans'fhen Krieg. — Asbrand, das Kriegejahr 1790 am 
Oberrhein. — 





Dentiibe- Provinzialgeſchichte. Dberzhein. 481 


Brogramm des LE EL Gymnaſiums zu Belblirh für bas 
Gäuijahr 1859. Einſiedeln, Benzinger, 1859. 40 ©. 4. 

Brogramm des Ef. i. Symnafiums zu Feldkirch für bas 
Gäuljahr 1860. Freiburg i. Br., Herber, 1860. 252 ©. 8. 

Diefe beiden Schriften tragen feinen anderen Titel, als den anges 
gebemen, . enthalten aber ein’ jehr ſchätzenswerthes Material zur Gejchichte 
ver öftlichen Bodenſeegegenden. Die erftere gibt ohne einen beftinunteren Zu⸗ 
jemumenhang Urkunden des 15. Jahrhunderts, worunter jeue die wichtig: 
Rem find, welde fi) auf den Streit Herzog Friedrich's mit König Sig 
mund beziehen und namentlich die in Folge der Conſtanzer Ereiguijje 
ven Sigmund vorgenommene Berpfändung der Grafihaft Feldkirch an 
vie Grafen von Toggenburg näher beleuchten. Auch die Deittheilungen, 
weldye wir vurch eine Reihe von Urkunden über die eigenthümlichen Ver— 
hältniffe der Lanbleute im Bregenzer Wald erhalten, verbienen hervorge⸗ 
hoben zu werben. — Leider lajlen ſich Bedenken gegen die Treue des 
Abdrucks nicht zurüdweiien, 3. B. bei ven Urk. Wr. 13 u. 31. — tt. 
Rr. 27 (vom 8. Dez. 1455) ericheint nicht blos im Texte jondern auch 
m Regreß 8. Sigmund ftatt K. Friedrich — Mehr Vertrauen in jeine 
Enrrectheit erwedt der Text in den Urkunden der zweiten Schrift, obs 
wehl dieſe von vielen Druckfehlern entitellt iſt. 

Nachdem eine Ueberficht ver Geichichte ver Ritter von Ems — ein 
zit ten bier neu gewonnenen Rejultaten beveicherter Auszug aus den 
in den Sitzungsberichten der Akademie ver Willenichaften zu Wien neuer 
Yings witgetheilten Abriß der Geſchichte der Edlen von Ems von J. 
Bergmann — vorangegangen tft, erhalten wir eine Urkundenſammlung 
zu Geſchichte dieſes Geſchlechts, welche fich ver größeren Arbeit I. Berg» 
mann's über venjelben Gegenftand ergänzend zur Eeite jtellt. Kaiſer⸗ 
sıtunven finden fih barın jet Sigmund, außerdem Manches, was Die 
lenachbarten Reichsſtände, fürftliche und ſtädtiſche, geijtliche und welt 
übe, betrifft. Bon bejenverem Intereſſe jind tie unter den Urkunden 
mitgetheilten Briefe, von denen mehrere jid) auf den befunnten Feldhaupt⸗ 
mann Marx Sittih von Ems beziehen, für deſſen Stellung in jeiner 
Heimat und zu ben öfterreihiichen Kegenten manches werthvolle Docu- 
mewt beigebracht wird. — Die lleberjicht des mitgetheilten Materials 
wird bei beiden Schriften durch kurze Regeſten, vie in chronolegijcher 
Beige beſonders zujammengeftellt ſind, angenchm erleichtert. Th. K. 

Gißecifäge Zeitfärift V. Dany. al 


482 uUeberſicht ber hiſtoriſchen Literatur ven 1860. 


Fröhner, Dr. Wilh., Die großperzgogl. Samminug vater 
ländiſcher Alterthämer zu Karleruhe. 1. Heft. Die monumentalen 
Alterthümer. (XII und 66 S. mit 1 Zabelle in qu. gr. 4.) Karleruße, 
Groos in Comm., 1860. 8. 


A. Coste, Notice historique et topographique sur la 
ville de Vieux-Brisach, avec le plan de la ville de 1692. Mulhouse 
Risler, 1860. 404 8. mit 3 Kpfrn. 8. 


Ildephone v. Arr, P. Geſchichte berHerrfhaft Ebringen im 
Jahre 1792, aus alten Urkunden gezogen, dem Drucke übergeben v. Pfr. Sof. 
8003. (VII und 188 &.) Freiburg im Br., Wangler, 1860. 8. 


Schreiber, Dr. Heinr., Der Schloßberg bei Freiburg Hifer. 
Gemälde. Mit 1 (Tith.) Belagerungsplane der Stabt Freiburg vom Jahre 1744 
und einer (fith.) perfpectiv. Anficht bes damaligen untern Schlofſes (in gu. 4.) 
Neue unveränderte Ausgabe. Freiburg i. Br., Waugler, 1860. VII, 42 €. 8. 


_ — —, Geſchichte der Stadt und Univerſität Frei 
burg im Breisgau VII. u. IX. Lg. Geſchichte ber Univerſitaͤt Freiberg. 
A. u. d. T.: Geſchichte der Albert-Lubwigs-Univerfität zu Freiburg im Brei 
gan. I. Thl. Bon ber Kirchenreformation bis zur Aufhebung ber Sefnitem. 
II. Thl. Bon ber Aufhebung ber Sefuiten bis zu Ende bes achtzehnten Iche⸗ 
hunderte. Breiburg, Verlag von Fr. Zav. WBangler, 1859 u. 60. VIII, 492. 
Vo, 226 mit XVI ©. Regifter. 8. 

Das Wert Schreiber’, welches jett vollendet vorliegt (bi® zum Ende 
des 18 Jahrh.), muß als eine vortreffliche Leiftung betradytet werben. 
Es ift ganz auf Driginalacten aufgebaut, reih an culturhiftorifchen und 
literärgeſchichtlichen Material und dabei von einem ächt Liberalen unpar- 
teiiichen Geifte durchweht. Wir betonen das Letere, weil ſich dem Ber- 
faffer namentlich in der Darftellung des Verhältniſſes der Univerfität per 
Öfterreichifchen Regierung, fowie zu dem Orben ver Jeſuiten und zu kirch⸗ 
lichen Autoritäten überhaupt wiederholt Gelegenheit zu Bezügen auf menere 
Borgänge bieten Tonnte. Herr Schreiber hat aber nie den Weg ruhi⸗ 
ger actenmäßiger Darftellung verlaffen. 

Im Jahre 1596 machten Erzberzog Ferdinand und das Orbinariat 
zu Conftanz den erften Verſuch, die Jeſuiten an die Hochſchule zu brin⸗ 
gen. Diefe leiftete energifchen Widerſtand und wies u. a. daranf bin, 
wie die Gejellihaft Jeſu ſich nicht zur Erzieherin eigne, da die von ihe 
gebildeten Jünglinge ganz befonder® zum Hochmuth, Ungehorſam 





Dentſche Provineialgeſchichte. Mittelrhein. 483 


und zur Bosheit geneigt ſeien; von ber Art und Weiſe aber, wie bie 
Säter ver Geſellſchaft collegialiſche Verhältniſſe behandelten, habe 
man fich bereits zu Ingolſtadt überzeugt, wo mit ihrem Eintritt der 
Friede und Cinigkeit unter den Profefjoren geftört worten jet. (S. 309 
ves I. Theile.) Erft im 9. 1618 wußte Erzherzog Marimilian ten Wi- 
derſtand zu brechen; aber kaum waren vie Sejuiten in vie theologifche 
uud philofophifche Facultät eingedrungen, als fie (S. 410 ff.) mit immer 
neuen Anfprücen und Beſchwerden auftraten, um alle Rechte der Uni⸗ 
verfität an ſich zu bringen. Selbſt die Noth des 30jährigen Kriegs, der 
fe für ihren Theil gefchidt zu entgehen wußten, ſcheuten fie fich nicht, 
za eigenem Bortheil auszubeuten. Wie jie aber die Wiſſenſchaften betrieben, 
ergibt fi aus den uns faum begreiflichen ragen, melde fie bei Erthei⸗ 
Iang der Magiſterwürde vorzulegen pflegten (S. 421 ff.). 

Intereffant ift es weiterhin zu ſehen, wie ſich vie Jeſuiten unter 
Raria Therefia mit allen Mitteln der Einführung eine® befjern Lehr⸗ 
Hans zu wiberjegen wußten (3. Thl. ©. 9), bis envlich mit der Aufhe⸗ 
bung des Ordens (S. 45) die Univerjität ihre Freiheit wieder bekam. 
Raſch bob ſich vor allem tie theologijche Facultät, als plöplich unter dem 
Rädichlage, ver nad ten Joſephiniſchen Reformen eintrat, Ges 
falle drohte, daß an tie Stelle ter Jeſuiten die Benedictiner treten möch⸗ 
ten. Die erfolgreiche Verwahrung, welche tie Hochſchule in rühmlicher 
Einigkeit einlegte (S. 63 ff.), ift ein Actenftüd, das noch heute alle Bes 
achteng verdient. Bemerkenswerth ift endlich auch die hochſinnige Hal« 
tung, welche bie Univerfität in ben franzöſſſchen Revolutionskriegen be⸗ 
wies; ihrer Einkünfte zum großen Theil beraubt, bot fie 1793 zuletzt 
wen Kirchenſchatz als freiwillige Gabe zum Kriege tar. Den Sehens 
Karl ehrte fie durch Die Ernennung zum rector perpetuus. 


Blläger, 3.9. 5, Geſchichte ber Stabt Pforzheim. In4-D 
lieferungen. 1. n. 2. Lig. Pforzheim, Slammer, 1861. 1V, 192 ©. 8. 


2. Mittelrhein. 


Lehmann, 3. ©. Pfr, Urkundliche Gedichte der Burgen und 
Bergſchlöſſer in den ehemal. Bauen, Graffhaften und Herr- 
fGaften ber bayerifhen Pfalz Gin Beitrag zur gründl. Baterlandskunde. 
5. &ie. (2. Bd. Des Epeyergaues 2. Th. S 353-444 und 3. Bb. ©. 1 
N 64). Raiferslautern, Menth, 1860. gr. 8. 31 


484: Weberficht ber hiſtoriſchen Literater von 1860. 


Näöder, 8. W., Schulinſpeetor, Beiträge zur Orts unb Kirchen- 
gefhidhte ber Gtabt Caub. Zum 300jährigen Gedächtniß ber evangel. 
Kirchengeflaltung in ber Rheinpfalz und Caub a. 1560. Hanau, König, 
1860. 41 ©. 8, 


Archiv für heſſiſche Geſchichte und Altertiumslunde. Heraus 
gegeben aus ben Schriften des Hiftorifhen Vereines für das Großherzogthum 
Heffen von Dr. Ludwig Baur, Archivdirector. 9. Bd. 2. Heft. Darın 
flabt, 1860. ©. 193 — 384. 8. 

Die neun vormaligen Schottenfichen in Mainz u. in Oberheffen, im Zu⸗ 
fammenhang mit ben Edottenmiffionen in Deutſchland. Bom Pfarrer Huber 
zu Darmſtadt (S. 193 — 348). — Ueber die Terminey des Kirchſpiels Win- 
gershaufen vom Geometer Burk zu Butzbach. S. 349 — 384. 


Sceriba, Dr. Heine. Ed., Pfr, Generalregiſter zu den Re 
geſten ber bis jetzt gedruckten Urkunden zur Landet⸗ und Ortegeſchichte bes 
Großherzogthume Heſſen. Darmſtadt, Jonghaue, 1860. III und 106 &. 4. 


Baur, L. Dr., Archivdirector, Heſſiſche Urkunden vom Jahre 
1016 — 1399. Aus dem Großherzogl. Heſſ. Haus- und Staatearchiv 
zum erſten Male herausgegeben. J. Band 953 S. Darmſtadt, auf Koſten und 
im Verlag des hiſtoriſchen Vereines, 1860. 8. 

Diejer erfte Band der fehr verbienftlihen Sammlung, wovon im vo⸗ 
rigen Jahre die Schlußlieferung S. 683 — 953 erfchien, enthält 1378 
bis dahin ungebrudte Diplome von Kaifern, Fürſten, freien Herrn, Rit⸗ 
tern, Klöftern und Privatleuten, die für die Gejchichte der Heflifchen Rande 
und für die Rechtögefchichte überhaupt von höchſtem Wertbe find. Cs 
ift Schade, daß ter Herausgeber eine nicht unbeträchtliche Zahl von 
ganz wichtigen Urkunden in Noten nur auszugsweiſe und auch nicht in 
chronologiſcher Ordnung mittheilt, wofür wir einen ftichhaltigen Grund 
nicht zu erfennen vermögen. Bei einer zufälligen Bergleihung haben wir 
leider wahrnehmen müſſen, daß das Orteregifter in hohem Grabe un⸗ 
vollftändig und ungenau ift und auf diefe Art mehr Schaven als Nupen 
bringen Tann. Es ſcheinen darin alle nichtheſſiſchen Orte, welche in ben 
Urkunden vorfommen, ausgelaffen zu fein. Da aber doch die Sammlung 
ohne Zweifel auch der Geſchichte frankjurtifcher, kurheſſiſcher, bayriſcher, 
badiſcher und naffauifcher Orte dienen ſoll und natürlicher Weife dienen 


Deutſche Provinzialgeſchichte. Mittelrhein. 485 


muß, jo können wir ein folhes Verfahren dem ein abfichtlicher Particu- 
larismus gewiß nicht zu Grunde Tiegt, in keiner Weife billigen. F.Th. 


Inscriptiones latinae provinciarum Hassiae trans 
rhenarum collegit Carolus Klein. Mogontiaci. Sumptibus Henr. 
Prickarts, 1858. VI, 22 ©. 4. 


Zeitfhrift bes Bereins zur Erforfhung der rheinifhen 
Geſchichte nud Alterthümer in Mainz. II, 1 u. 2. Mainz 1859, 

Chronik der niedrigen Waflerflände des Rheins, v. J. 70 n. Chr. Geb. 
bie 1858 nebſt Nachrichten über bie i. d. I. 1857-58 im Rheinbette von ber 
Schweiz bis nah Holland zu Tage gelommenen Alterthämer und Merkwürbig- 
keiten, insbefonbere über die damals fihhtbaren Steinpfeilerrefte der ehemaligen 
ſeſten Brüde bei Mainz und bie unfern biefer Stadt im Rheinſtrom gemachten 
Gutbedungen, mitgetheilt von Dr. med. Wittmann. — Antiquarifche Reifes 
bemerlungen von &. F. — Nömiſche Infchriften aus Mainz nnd der Umge⸗ 
gend, zufamwengefiellt von Brof. Dr. 3. Beder in Frankfurt. — Ber 
miſchtes. — 


Karl Arnd, Landbaumfir., ber Pfahlgraben, nad den neueften For⸗ 
ſchungen und Entbedungen. Nebft Beiträgen zur Erforſchg. ber übrigen röm., 
wie auch der germ. Baudenkmale in der unteren Maingegend. Mit 1 Karte. 
3. verm. Ausg. Frankf. a. M., Brönner, 1861. XII, 716 8. 


Derſelbe, Geſchichte des Hochſtifts Fulda, von feiner Gründung 
bis zur Gegenwart. 6 Hfte. 1. Heft. Fulda, Maier, 1860. 48 © 8. 


Bittheilnngen an bie Mitglieder des Bereins für Ge- 
ſjhichte und Altertpnmetunbe in Frankfurt a. M. I. 8b. IV. Hft. 
Sranffurt, 1860. ©. 245—332, 8. 

Derin: Ueber 2 nnebirte römiſche Inichriften aus Bingerbräd von Prof. 
De. Beder. — Actenſtücke über ben Ueberfall von Frankfurt durch bie Yran- 
ssien am 2. Jannar 1759, von Dr. W. Strider. — Zur Geſchichte ber län. 
Begtei und Domprobflei-Bogtei in Sranffurt, von Dr. 2. 9. Euler. — Tie 
Dinghöfe und das Weiothum bes Fronhofs zu Frankfurt, von bemfelben*). — 


*) Diefe drei Meinen Beiträge von Dr. H. Euler find unter bem Titel: 
Bon Bogteien und Dinghöfen (38 ©. 8.) beſonders abgebrudt 
werben. Das Gchriftchen erörtert von neuem bie noch immer flxeitige 
Frage ber die ehemaligen Bögte zu Frankfurt, und gibt ©. 15 — 25 


As lIchrerfube ber Ycherikhen Yiiruatuz ver 1858. 


Der Rah wer 53 m Fraser, ven ®. EC Priegt — Beabfifeigee Eritung 
emer Unmerftät zu Zrauffurt im 14 Suichuntest, wem bemisihen — Des 
iltede Sunennayier befindet ih im Kraufierore Embturdie, wem bemielben — 
Yeucflüde aus tem erfien und brüten Bafe des Jenſtenate, wen Dr. Sram 
Rei. — Pieinere Mittheilungen. 


Reujahrsblatt, den Mitglichern tes Bereins file Geſchichee uub N 
terthumetunde zu Yrauffurt a. M. bergefradt m I 13650: Der Erant- 
ferter Ehronin Achilles Anuguf v. Lereuer, ven Dr. Eruarb Hey 
dem, d. ; Mitglied des Borflandes des Vereins für Geſchichee uud Ylter- 
thumetunde im Frauffurt Mit dem Bilbniffe Lersuere Frust a. M. 
1860. 


Hımel, Joh. Gg., Etadibibliothelar, Helienpemburgiige Heim- 
Ehreosil, Homburg (FZranffurt «. M., Goar), 1860. VI, 226 8 Mit 
8 Zei. 

Unnelen des Bereins für NRaffanifhe Ultertäamelunde and 
Deſchichteforſchung. V, 3. Wiesbaden, 1860. Darim: 

Die Limburger Chrenil des Johannes. Nah J. Sr. Fauf's Fasti 
Limpurgenses herausgegeben von Dr. Karl Roffel, Secrelär bes hiſter. Ber- 
eins für Roffau. Wieebaben, 1860. XII. 119 ©. 8. 

Es ift ein entſchiedenes Berrienft, das ſich der hifter. Berein für 
Raffau dur eine neue Ausgabe ter befannten Limburger Chrenik erwor- 
ben hat, obwohl bereits mehrere ältere Ausgaben veramsgegangen find. 
Die ältefte, die I. Fr. Fauſt von Ajchaffenburg im 9. 1617 veranftaltet 
bat, ift ſchon feit langer Zeit eine bibliographiſche Seltenheit gewerben, 
umd daſſelbe gilt von den Druden ver Jahre 1720 und 1747, ja foger 
die in unjerm Jahrhunderte veranftaltete Ausgabe C. D. Bogels (vom 9. 
1826, wiederholt im J. 1828) ift höchſtens noch antiquarifch zu erreichen. 
Außerdem haben, wie ter neueſte Derausgeber mit Recht hervorhebt, vie 
Drude von 1720 an fih ven dem urfprünglichen Texte allzumeit entfernt 
und den primitiven Charakter der Chronik in einem Grade verwifcht, daß 


einen freilich micht ganz genauen Auszug aus ben Nedtsafterthämern von 
Zöpfl mit dem Zugeſtändniß (S. 23), baß Zöpfl's Theorie beim Fraul⸗ 
furter Fronhoſe nicht zutreffe.e S. 26 — 38 folgt ein Abend bes um 
1490 abgefaßten Weistyums über den Bronhof, in welchem 5.17 Zeile2 
flatt chedingen thedingen d. i. teidingen zu lefen fein wird. 





— sertubt See Sitertichen Literatur von 1860. 


meirmizemr 2 Tun ters auf Beachtung Anipruch machen künnen. 
I: ar werzre m Tee Sorsmf ven andern unterjcheitet unt worin 
m mem Frumm Jun ne Die reihen Mittheilungen zur Ges 
zer dr Tmeezer Isar se Mocen und ihres Wechſels, ter Art 
si = : ’v Fmimumi 2 anderer Memente, die in Das Gebiet der 
“os m Dre mehr Scrdiouft cimichlagen, über tie Geißel- 
I. 0m Summit ser zdamt zum über auffonmmenbe bejontere 

on de os )nrpeeer wopıe das im ſolcher Fülle nirgends 


is 2m Sera Ir Soremf miangt, fo iſt ed Lie rein an- 
eu TE. ma ind upernmes, immer aber anmuthig amd 


lat una hau me ihr Selareitung ber Perjönlichkeit 
Ma. os. 7 A ausmer Snswers pen Trier, ninmıt Die 
Sredag SE WÄNZD Dam ut SIE. _g— 


y “22 Neäisızir tes k2:: argeſchichte ber Stadt 
Sim. sin Raten Saelesez DEN 24 S. 8. 


Sy... Sr ır  Imemczh. Urfastenbudh zur Geſchichte ber jett 
Seo smart Rizengeseizie Sekionz ad Trier bildenden wittelrheinifchen 
one are Rain. Sea XV är Zeiten Bis zum 3. 1169. Kchleny, 


„Us A ... m. “ 
> ho. Jurkeramzmung, melde Hontheim's und Günther's 


ad Ahr a Nutze Theis ũberflüſſig macht, untfaßt in 659 
on. sd sach rm Nachtrag von 5 ferneren einen Zeitraum 
se Seren Zoch es eben möglich, aus ten Originalien ge 
2. 2 zeötsahar Verutzung Des bie jetzt zugänglichen Materials, 
wa Uriange Bekanntes und Unbekanntes, Echtes wie 
2. ren ces bei jeder einzelnen Nummer die Quelle ſelbſt 
> Ro dem Ferſcher völlig anheimgeſtellt, über ihren 
mie Wenn aber Der Herauogeber ſich beſtrebt, mit 
ae zarte Art von Berichtigung, Erläuterung und Aue— 
u. Nu arizränglicden Text auf's ſorgfältigſte wiederzugeben, 
ze gem. DIV S. 442 ff.) das Feſthalten an bloßen 
wog DENE die Erſchwerung eines „richtigen Verſtändniſſes“ 
m Keunutzer“ bereite mit Recht getatelt. Von ibm ift 
zu agtuh beurtheilt. Wir beſchränken uns anf einige 


u. m 
u a Zubalt. 





Deutſche Provinzialgeſchichte. Mittelrhein, 488 


Bor Allem wichtig, obwohl verhältnigmäßig nicht gerade zahlreich, 
erfcheint natürlih das jet zum erftenmale veröffentlichte Ta find es 
namentlich die Abteien Prüm und S. Dlarimin, lange die hervorragend» 
Ren im Trierer Sprengel, über vie wir neue Aufklärung erlangen. Die 
gelvenen Bücher viejer beiden konnten vorzugsweile benutt werben, 
obgleich fie — das eine im Driginal, das andere nur in (os 
pieen erhalten — vornehnlih oft Anlaß zu Zweifeln an der ur 
fprünglihen Echtheit geben. Außer eigentlichen Urkunden, Schenkungen 
oder Beltätigungen, kommen jedoch auch einzelne ausführliche Güterver⸗ 
zeichniffe in Betracht, welche uns in jevem alle von Anfehen und Aus» 
dehnung der Stiftungen ein dankenswerthes Bild gewähren: fo beſonders 
Prüm's Berzeihnig, angeblih von 893, dann 1222 commentirt, N. 135, 
und ein anderes der näntichen Abtei von 1003, Nachtrag N. 3. Haupt- 
fählih aus ver Tarolingijhen Zeit werden uns mehrere wichtige bisher 
ungerrudte Diplome mitgetheilt. Karl's des Großen Urkunde für Erz 
Kichof Weomord von Trier, Nr. 27, benutzte Waig in der Handſchrift 
bereitö in Bo. 3 der deutſchen Verfaſſungsgeſchichte S. 302. Für ©. 
Maximin folgen, ebenfalls Karl zugefchrieben, Nr. 46, von Ludwig beu 
Frommen Nr. 47, dann wieder Nr. 54. So überall find die genann⸗ 
ten Stiftungen in ven Diplomen ver nachfolgenden Könige, wie in denen 
ver einheimiſchen Großen, beſonders aud der Aebte, hier zumeift berüd- 
ſichtigt. Doch auch über allgemeine Verhältniſſe erhalten wir einigen 
Aufſchluß. Hervorzuheben jind die höchſt interefjanten Beitimmungen des 
Zrierifchen Provincial⸗Conciles v. I. 888, Nr. 127. Trier ſelbſt in 
feinen mannichfaltigen Beziehungen wird erläutert. Wir nennen unter Ans 
derem — was 3. B. die Stellung dieſes Erzſtiftes zur niederlothringi⸗ 
ſchen S. Servatind » Abtei von Maſtricht betrifft — tie Urkunde Kg. 
Buentebolv’8 von 898, Nr. 144, die zwar ſchon Calmet, aber nur ſehr 
mmpollftändig gibt. Auch die Karl's tes Einfältigen von 919 wird bes 
richtigt, |. Nr. 160. Beide, bier zum erſtenmal zugleih mit Nr. 145 
uud 161 vellitändig abgedrudt, tragen weientlih auch dazu bei, das ei- 
genthümliche Verhältniß dieſer Könige zu ben eriten lothringiichen Herzo⸗ 
gen Reginar und Gijelbert, vie Yaienäbte in Maftriht waren, etwas 
anfzuhellen. Nur hätte ſich Beyer hüten jellen, in feinen am Ente hin- 
zugefügten, ganz in ter Weile Lacomblet's mit anerlennenswerthem Fleiße 
verfertigten Regiftern ven Oiſelbert (j. N. 169 dux rectorque 3. Traject. 


490 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur won 1860. 


ecci.) als Bifchof von Maftricht aufzuführen, S. 725. Irrthümer und 
Berftöße, wie ſchon Waig deren rügte, kommen in biefer Art leider dfe 
ters vor. 

Für die folgenden Zeiten, für bie Übrigens im Ganzen das Näm⸗ 
liche gilt, find hauptſächlich noch einige wichtige päpftliche Schreiben (fo 
Nr. 286, 369, 460, 498—500) und manche erzbiſchöfliche Urkunden zu 
beachten. —ch, 


Dentwärdiger und nüßlider rheintfher Antiguarius, 
welcher bie wichtigftien und angenehmften geographiſchen, hiftorifchen unb poli- 
tiihen Mertwürbigfeiten bes ganzen Rheinſtroms von feinem Unsfluße in bas 
Meer bis zu feinem Urfprunge darſtellt, von einem Nachforſcher im hiſtoriſchen 
Dingen. Mittelrhein. 11. Abthl. 9. Bd. 5 Lieferungen. IT. Abthl. 7. Bb. 
2.— 5. fg. und 8. Bb 1.—3. Lig. — 1, 9 auch unter dem Titel: Des 
Rheinufer von Coblenz bis zur Nahe, Hiftorifh umb topographiſch dargeſtellt 
burh Ehr. v. Stramberg. — Coblenz, R. F. Hergt, 1860. 8. 

Herr von Stramberg wird nicht müde, Jahr aus Yahr ein für feinen 
„Antiquarius” Material aus allen Eden und Enven zufammenzulefen ; es 
gibt kein Stüd der Weltgefchichte, das, nahe oder fern, wichtig ober um- 
wichtig, ficher wäre, nicht von dem „Nachforſcher“ mit dem Rheinſtrom 
in Verbindung gebracht zu werden. Wenn er z. B. in einer Inſchrift 
(U, 9, ©. 2) den Namen eines fpanijchen Commandanten im 30 jähri- 
gen Kriege Frangipani findet, fo foricht er raſch der Geſchichte dieſes 
Geſchlechtes nach, deſſen Ahnherrn er in den römischen Aniciern eutdect, 
und er erzählt uns bei dieſer Gelegenheit auch die Lebensgefchichte des Phi⸗ 
loſophen Boethius, der ein Anicier war, ©. 13— 31. Sogar die bes 
rüchtigte Theodora wird zur Anicierin gemacht. — Der Lamberger 
Hof ©. 83 führt feinen Namen von einem vormaligen Vefiker, einem 
Grafen von Lamberg, daher die Geſchichte dieſes urſprünglich öſterreichi⸗ 
ſchen Geſchlechts mit ſeinen Feldherrn, Staatsmännern und geiſtlichen 
Fürſten S. 83 — 127. — Ein ähnliches fruchtbares Thema find die 
Herrn von Bolanden, von Fallkenſtein u. Hohenfels — Im I. 1834 
bat ein Dbrift v. Barfus die Yurg Neichenftein gelauft (S. 212), das iſt 
Beranlaffung genug, um die Geſchichte dieſes Geſchlechts, deſſen berühm⸗ 
teſtes Glied ter churfürſtlich preußiſche Feldmarſchall Hans Albrecht vom 
Barfus in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts war, einzuflechten. Die 
Burg Rheinſtein (S. 256) führt zu der Geſchichte eines feiner ehemaligen 


Dentſche Provinzialgefägichte. Mittelrhein. 491 


Beſitzer, des Mainzer Erzbiihofs Mathias von Buche aus dem 14. Jah» 
hundert. Das dankbarſte Thema aber ift der Rupertsberg S. 394 
bis 711. Daß zunächſt die Legende des heiligen Rupert nicht übergangen 
werben durfte, verfteht fich von felbit; es ift nur bemerkenswerth, daß 
Hear von Stramberg, der ſich fonft nur um veraltete Literatur kümmert, 
Gier in ver feltenen Lage tft, eine Schrift des Jahres 1858 (vom 
Hofrath A. I. Weidenbach) benüten zu können, wobei er natürlich fei- 
nem Öewähremann „buchſtäblich folgen” d. h. ihn ausjchreiben muß. 
Die Süter des heiligen Rupert fielen feinen nächften Anverwanbten aus 
dem falifchen Geſchlecht zu (S. 415); in jenen erfennt der Antiguarius 
bie Ahnherrn ver Capetinger. So kommen wir denn mitten in die fran« 
zöfiiche Seichichte und hören von allen möglichen Roberts. Weil aber 
von Ludwigs VI. dritten Sohne dieſes Namens zufällig der Geſchicht⸗ 
ſchreiber des h. Ludwig, Joinville, erzählt, fo ſteht nichts im Wege, 
auch von biefem ausführlich zu handeln, natürlich nicht von dem Ges 
fhichtfchreiber allein, fonvern von bem ganzen Geichleht ver Soinville 
(S. 448—504). — Das Klojter Hupertsberg wurde endlich un 30jäh- 
jährigen Kriege auf Befehl des ſchwediſchen Generals Ramſay zerftört, 
baber auf 40 ©. die Geichichte dieſes und feines Haufe und auf weis 
teren 100 Seiten das Leben und die Thaten des Gegners von Ramjuy, 
des Feldmarſchalls Wilhelm von Lamboy. Es iſt natürlih, daß ſich der 
Antiquarius am liebften mit alten und neuen Adelsgeſchlechtern befchäftigt, 
weil nad feiner Anficht noch im 16. und 17. Jahrhundert „kaum als 
ein menſchliches Weſen galt, der nicht vornehm geboren" (S. 419)! — 
Da der Raum uns nicht geftattet, wem »Nachforſcher“ weiter zu folgen, 
fo möge das Mitgetheilte genügen, eine Methode zu charafterifiren, die in 
der Mitte des 19. Iahrhunderts erfreulicher Weife vereinzelt bafteht. 
K. 


Görz, Adam, Regeften ber Erzbifhöäfe zu Trier von Hetti, 
bis Johann IL 817 — 1503. Trier, 1861. XIV, 382. 4. 


Dies: hochſt verbienitlihe Wert gibt uns ganz in ber Art ver Böh- 
merſchen Kaiferregeften eine Weberficht über die Gefchichte ter Erzbiſchöfe 
von Trier, wie wir jie von denen von Mainz und Köln noch immer 
ſchmerzlich vermiſſen. Der Berfafier hat fich nicht mit der Ordnung und 
Berarbeitung des gebrudten Materials allein begnügt, ſondern eine Menge 


492 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatırr von 1860. 


ungedrndter Actenftäde, für das 14. und 15. Jahrhundert namentlich, 
an das Licht gezogen. Auch vie Reichsgeſchichte des 15. Jahrhunderts 
‚erhält dadurch mehrere ſchätzbare Bereiherumgen 3. B. für bie Hufliten- 
friege, bie Theilnahme Jakob's von Sirk am den beutichen Angelegen- 
heiten der 40ger und 50ger Jahre. Weniger erheblih find in dieſer 
‚Beziehung die Negeften der langen Regierung Johann's I., welde faſt 
nur Provinzielles enthalten, wie denn überhaupt bie eigentliche Correfpon- 
benz der Erzbiichöfe fehlt und nur Urkunden gegeben werben, vermuthlich 
weil jene von den Familien zurüdgefordert wurben. Indeß hätte ber 
Berfaffer doch wohl gethan, einige allgemeine Bemerkungen für fpätere 
Benutzer über die ardhivaliihen Schäte, aus denen er geſchöpft, voraus- 
zuſchicken. Auch möchten an dem fonft gründlich gearbeiteten Werk auß- 
zufeten fein die zu vielen Ergänzungen, welche bei manchen Erzbiſchöfen 
des 12. und 13. Jahrhunderts faft den Umfang des Tertes ſelbſt er⸗ 
reihen und wohl hätten vermieden werben können, ba ber größte Theil 
aus erft zu fpät benütten gebrudten Werken, wie Eberhard Windeck, 
Remling, Geſchichte ver Biſchöfe von Speier xc., entnommen ift, ferner 
die nicht wenigen finnentitellenven Drudfehler, weldhe zwar meift ver 
zeichnet find, aber doch den blog Nachſchlagenden leicht irre führen. 
H. P. 


Marr, 3, Prof., Geſchichte des Erzfifte Trier b. i ber 
Stabt Trier und bes Trierer Landes, als Churfürftentfum und ale Erzdideeſe, 
von den älteften Zeiten bis zum Jahre 1816. 3. Bd. 2. Abthl. Euthaltend 
bie Geſchichte der Abteien, Klöfer und Stifte. 1. Bb.: Die Abteien bes Be 
nebictiner- und Cifterzienferorbene. Trier, Linz, 1860. X, 593 ©. 8. 
Die Anficht, welche wir bei Beurtheilung ber beiden erften Bände 
dieſes Wertes (Bd. I, S. 498 dieſer Zeitfchrift) ausgeſprochen haben, 
finden wir durch dieſen neuen ver Geſchichte der VBenebictiner- und Ci⸗ 
fterzienferabteien des Erzſtiftes gewidmeten Band beftätigt. Einen me 
ſentlichen Fortſchritt ter geſchichtlichen Forſchung bezeichnet auch Tas hier 
Segebene nirgends. Die nur theilmeije Kenntniß oder oberflädhliche Be⸗ 
untung der einfchlägigen Yiteratur genügt dem immerhin beveutenven 
Stoffe gegenüber keineswegs; wie in den beiten erften Bänden wirt das 
Material mehr breit getreten, als bereichert over geläutert. Man ver⸗ 
gleihe 3. B. die Erzählung von den Händeln zwifchen Erzbifchof Al⸗ 





Deutfche Brovinziaigefgichte. Mittelrhein. 498. 


bers mb St. Marimin ©. 106 ff. mit dem, was Fr. vorm Walde,’ 
de Alberone archiep. p. 32 sqq. (welhe Schrift der Verfaſſer nicht zu 
keımen fcheint) über dieſen Gegenftand zufammengeftellt hat, ober ben Ab- 
mitt über Regino mit dem, was Bähr und Wattenbach gegeben haben. 
Große Bedenken muß die Art der Beuützung von Trithem's Schriften 
erregen, bie der Berfaffer mit geringem Vorbehalte ausfchreibt. Wenn 
er hiebei gegen Watt als Hauptargument für die Richtigkeit von Tri⸗ 
them's Titerarifchen Angaben geltend macht, daß diefer nach feiner eigenen 
Aeußerung nur foldhe Schriften verzeichnet habe, die er felbft gefeben, fo 
bleibt Dagegen zu erinnern, daß es ſich eben darum handelt, wie weit 
jener Berfihermg Glauben zu ſchenken jei, und daß in jebem Falle 
Mißverſtaͤndniße der Namen (vie falfchen Zeitangaben gefteht der Ver⸗ 
faffer ſelbſt zu) dadurch nicht ausgefchlofien find. Ganz haltlos ift, was 
gegen Waitz' Urtheil über das Alter ter vita Agritüi und die Anfänge 
ber Gesta Trevir. S. 198, 199 gejagt wird, während man gelten laſſen 
faın, was ©. 195 ff. über die Anlage von Siegebert’8 Buch de scrip- 
toribus ecclesise beigebracht ift. — Bei ter Flüchtigkeit, die fih an ver 
ganzen Arbeit nicht verkennen läßt, fehlt e8 wieder nicht an unrichtigen 
Ungaben; fo kann (S. 58) der dux Heinricus in den Urkunden K. Hein- 
rich II. von 1023 nicht der luremburgifche Herzog ven Bahern fein, wie 
der Berfuffer aus Gieſebrecht's Geſchichte der deutſchen Kaiferzeit, II, 587 
(2. Aufl.) hätte entnehmen können; ©. 69 Anmerkung 1 fol Otto von 
2. Heinrich I. „mehrere Jahre vor feiner förmlichen Erwählung im 
Yahre 936“ zum Mitregenten angenommen worten fein, ©. 72 Hein« 
rich 1. im Jahre 940 die Kirche zu Wienenhofen an St. Marimin über 
tragen haben; vie an verjelßen Stelle angegebene Urkunde Heinrich IM, 
M vom Jahre 1044, nit von 1054. Auch bat Hock längſt nachge⸗ 
wiefen, daß Gerbert nicht von Dtto I. (wie e8 S. 394 beißt), fondern 
von Otto 11. vie Abtei Bobbio erhalten hat. — Mit gewohnter Breite 
verfolgt der Verfaffer vie Gefchide der von ihn behantelten Klöfter bis 
in’6 17. und 18. Jahrhundert, wo faft nur die Schilverung ber franzö⸗ 
ſiſchen Gewaltthaten und Ränke von allgemeinem Intereſſe ift. Berbält- 
aigmäßig am Beten türfte die Gefchichte der Abtei Prüm behantelt fein. 
Th. K. 


Mittheilungen aus bem Gebiet ber kirchlichen Archäologie 


494 Ueberſicht ber hiſtoriſches Literatur von 1860. 


und Geſchichte der Diöcefe Trier von dem bifterifg-archäolegifdden Ver⸗ 
eine. Heft 2. Xrier, 1860. 

Darin u. a.: Zur Geſchichte ber fogenannten römifhen Bäder in Trier, 
von Dr. Ladner. — Archäologiſche, äſthetiſche und liturgiſche Studien vom 
Baron F. de Roifiu, aus dem Brangöfiihen überfegt von Dr. Labuer. — 
Einige noch nicht ebirte Imfchriften aus Pfalzel bei Trier und aus Trier ſelbſt, 
von demfelben. — Suventarium über die Koftbarleiten und Reliquien bes Dom⸗ 
ſchatzes. 


Jahreeber icht der Geſellſchaft für nügzliche Forſchnugen zu 
Trier vom Jahre 1858, herausgegeben vom zeitigen Sekretär Schnee⸗ 
mann. Mit 2 meteorologifhen Tabellen Trier, 1859. 8. 

Unter ben Auffägen und Berichten : Kloftermänzen im Sprengel ber Trier’ 
ſchen Erzdidzeſe, von Schneemann. — Die Minzflätten ber Trier'ſchen 
Fürrbifhöfe, von demſelben. — Die Entersburg bei Bertrich, von Paſtor 
DR in Demerath. — Die Grabmäler in der Kirche von Et. Wendel, von 
demfelben. — Geſchichte der ehemaligen Herrſchaft und des Hochgerichtes zum 
Wolmerath (Bortiegung) von demſelben. — Dritter Nachtrag zu Bohls 
„Trieriſche Münzen“ von Dr. Ladner u... — 


Dominieus, Al., Zur Geſchichte bes Trierifhen Erzbiſchofe 
Balduin von Lükelburg. Coblenzer Gumnafialprogramm. Coblenz, 
Bunt und Steinhaus, 1859. 32 ©. A. 

Der Berfafler, der im einem früheren Progranım (1853) die Zus 
ſtände des Erzbisthums Trier unter Balduin’ beiden Vorgängern Boe—⸗ 
mund von Warnesberg und Diether von Naflau dargeftellt bat, theilt 
bier einen kleinen Wbjchnitt von einer umfangreichen Arbeit über Bal⸗ 
duin mit. Er charakterifirt mit richtigem Verſtändniß die Dauptquellen, 
gibt eine fehr fleißige und ausführliche Beſchreibung des „Belduineum“ 
diefer reichen von dem großen Erzbifchof ſelbſt angelegten, mit prachtoollen 
Gemälden geihmiüdten Urkundenſammlung im Coblenzer Archiv, gebt hier- 
auf zur Erörterung „ver Wahl, der Verwandtſchafts⸗ und Bildungsver- 
bältniffe Balduin's“ über, und ſchließt diefe Proben mit einem lleberblid 
auf „die Thätigkeit und den Charakter des Erzbifchofs im Allgemeinen”. — 
Man wird mit Freude eine Monographie begrüßen vürfen, wie fie ber 
Berfafler veripriht. Bei der hoben Bereutung ter Provinzialgefchichten 
im 14. Yahrhundert wird die Reichsgeſchichte nach mehr als einer Seite 
einer feften Baſis entbehren, fo lange genügende Bearbeitungen ber er⸗ 





Deutide Provinzialgeſchichte. NRieberrhein. 495 


ſteren fehlen. Was die Kritik des Herrn Verfaſſers betrifft, möchten 
wir unfer Bedenken gegen das vetaillirte Ausmalen des Ganges einer 
Schlacht nach poetiihen Quellen, wie es der Berfafler bei Schilverung 
ver Schlacht von Woringen (1289) nah Yan van Heelu thut, nicht 
unterbräden. F. W. 


Mittheilungen bes Hiforifh-antiquarifhen Bereins für bie 
Stäpte Saarbräüäden u. St. Johaun u. beren Umgebung. Ubthl 111, 
1859: Ueber bie römifchen Rieberlaffungen und bie Römerfiraßen in ben Eaar- 
gegenben von Dr. Schröter. 


3. Niederrhein. 


Annalen bes Hiftorifhen Bereins für ben Niederrhein, 
insbefonbdere bie alte Erzdidcele Köln. Herausgegeben von dem 
wißenichaftlihen Ausihuß bes Bereins. 7. u. 8. Heft, Köln, 1860. 8. 

T. Set: Wegeler, das Schütenbudh ber Et. Sehafiansbruberiheaft im 
der Stadt Andernach. — Biersdberg, über bie älteRen rheiniſchen Pfalz- 
geafen mit Bezug anf ben Ort und bie Abtei Brauweiler. — Berriſch, 
Vachrichten über bie Pfarrei Berk bei Croneuberg in der Eifel. — Nab⸗ 
befeld, 8 Urkunden über bie Gründuug und Dotation ber Kirchen zu Deus 
eüggen, Lobiih und GBriethaufen in Cleve. — Mooren, zur Geſchichte ber 
tel Ruchtkeden. — Nicolai, über bie Zeit bes zu Wachen gegen felix 
von Urgel gehaltenen Concils. — Bärſch, Peregrinus Berti. — A., 
Die Ganptveränberungen bes nntern Rheinbettes , namentlich zwifchen Köln und 
Zanten. — Ederk, Tagebuch bes Kölnifchen Ratheheren und Gewaltrichtere 
Jean von Braderfelder. — Krebs, Beter Ulner v Gladbach — Braun, 
zur VGeſchichte Schleidens. Derfelbe, das abelige Präuleinfift zu Heinsberg. — 
Ennen, ber Maler Meier Wilhelm. — Literatur. Allerlei. — 

8. Set: Wegeler, Diarinm bes Trier'ſchen Secretäre Peter Maier 
von Regensburg über feine Ein- und Ausgaben, gehaltenen Scheffeneſſen ꝛc. 
«is Scheffen und Scheffenmeiſter zu Loblenz , beginnend im Sabre 1508. Im 
Uuszuge mitgetheilt. — Bergrath, Beftimmungen bes Etabtrechtes von 
Cleve über Gilden, Maß und Gewicht, Fleiſchküren, Wagegeld, Grütte und 
Stadtacciſen. — Bärih, Nachrichten über die Abteien Malmeby unb 
Site. — Braun, Tobtenleuchter. Derſelbe, zur Geſchichte der Abtei 
Greinfeld an ber Eifel. — Tintinnabula an Baldahinen. — Renmont, 
Landgraf Ludwig 1. v. Heflen babet i. 3 1431 in Aachen u. Burtideid. — 
DHooyer, UAblaßbrieſe f. d. Carmeliterkloſter in Cöoin. — dert, Necrolo- 


B 


498: Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


gium Gladbacense II et necorologium Sigebergense. — Literatur. Nilerlei 
6. Bericht bes hiftorifhen Vereins für den Niederrhein. — 


Duellen zur Geſchichte der Stadt Köln. 1. Bd. Herausgegeb. 
von Dr. Leonard Ennen, Arhivar ber Stadt Köln und Dr. Gottfried 
Eckertz, Oberlehrer 2. Mit 4 Tafeln. — Köln, 1860, Verlag der. Du⸗ 
Mont-Schauberg'ihen Buchhandlung. XXIX, 640 ©. 8. 

Der vorliegende 1. Band einer Quellenſammlung zur Geſchichte der 
Stadt Köln, auf deren hohen Werth auch für die allgemein deutſchen 
Geſchichtsſtudien nicht hingewieſen zu werden braucht, zerfällt in 2 Ab⸗ 
theilungen. Die erfte (bi8 S. 444) umfaßt eine Reihe umfangreicher 
Documente über die inneren Berbältniffe ver Stadt, vor Allem aus⸗ 
führliche Beitimmungen über die Berfafjung. ‘Der chronologifchen Ord⸗ 
nung ift bier eine Eintheilung nah Materien vorgezogen werden. Oben⸗ 
an ftehen vie - fogenannten Eidbücher aus ven Jahren 1921 — 1395 
(S. 1-76) ; darauf folgen Rathöverzeichnifle ebenfalls aus dem 14. Ihrh. 
(bis S. 84); Rathsverordnungen aus verfelben Zeit (bis ©. 138); 
nene Documente über die vielbeſprochene Richerzeche (bis S. 147); 
Birgerverzeihnifle (bis S. 177); Gerichte und Schreine (S. 178 bis 
302), prozefiualifhe und andere rechtliche Beſtimmungen, darunter and) 
das Minifterialreht; die Münzerhausgenoſſen (bis S. 316); vie 
Mühlenerben (&. 328); Zünfte und Bruverfchaften (S. 329 bis 
421); endlich die innern Känıpfe im 14. Jahrhundert, eine intereſſaute 
faft gleichzeitige Chronit (bis 444). — 

Während die in ber erften Abtheilung aufgeführten Documente bis 
auf einige wenige zum erften Male zum Abdruck gekonmen find, enthäft 
die 2. Abtheilung in chronologifcher Yolge 118 Actenſtücke aus ver Zeit 
von 844—1200, weldhe zum großen Theile ſchon von Lacomblet, einige 
aud von Andern, veröffentlicht worden waren. Es find meift kaiſerliche 
und bifhöflihe Urkunden, darunter aud die in Form eines Weisthums 
eingefleivete Verfaflungsurfunde von 1169, teren Echtheit neuertings jo 
nachdrücklich in Zweifel gezogen worden iſt ((. unfere Zeitjchrift oben 
©. 251). Es ift dies einer der wenigen Fälle, wo die Herausgeber einer 
Urkunde kritijche Bemerkungen, wenn aud nur über die äußere Form 
berjelben, beigefügt haben; ſonſt begnügen fie fich faft überall mit dem bloßen 
Aborud der Materialien, jür beren Verſtändniß und beguemere Benutzung 





Dentfche Provinzialgeſchichte. Niederrhein. 497 


-(abgefehen von einem auffallend kurzen Regiſter) in Einleitungen oder 
Anmerkungen nichts gefchehen if. Ten Grund (p. XXXIX.), daß 
durch Erläuterungen ter an fich ſchon ftarfe Band zu umfangreich ge 
worden wäre, können wir doch unmöglich gelten laffen. Oder follen wir 
ans der Bemerkung, daß ein Commentar, „ver gar tief in bie Geſchichte 
ver Stadt Köln eingreifen möchte,” jett um jo meniger gegeben werden 
teunte, „weil die Thatjachen, tie er zu umfaſſen und an die er ji an⸗ 
ziiehnen bat, noch nicht vollftändig aufgeführt find“ — vielleicht bie 
Hoffnung ſchöpfen, daß ein felcher Commentar jpäter geliefert werde? 
Ob der Abprud, bei dein vie Crthographie beibehalten wurte, über» 
all diplomatiſch genau ift, vermögen wir nicht zu enticheiten, können 
aber bie Bemerkung nicht untervrüden, daß ein fo umfangreiches Druck⸗ 
fehlerverzeihnig, wie e8 fi hier am ES chluße fintet, einem Urkundenbuch 
wicht zum Bierde gereicht. Im Uebrigen ift tie ſchöne äußere Ausftat- 
img des Wertes feines reichen Inhalte würdig. Welche Fülle an Ma⸗ 
terialien aber vie folgenten Bände in Ausſicht ftellen, läßt fich fchen 
aus der gebrängten Ueberfiht (S. XXI bis XXXIII) ter Schätze des 
lölnifchen Archivs, worauf hier aufmerkjan gemacht fein möge, entnehmen. 
Hoffen wir, daß der rühmliche Eifer, womit man dieſe Schäte zu heben 
fecht, nie der Gründlichkeit Eintrag thun möge. K, 


Schneider, Dr., Jakob, Gymnaſialoberlehrer Neue Beiträge zur 
alten Geſchichte und Geographie ber Rheinlande. 1. Folge. 
Düffelborf, Schaub, 1860. VII, 1208. 8. 

Die Rheinlandſchaft von Nymwegen bis Xanten unter ber Herrſchaft ber 
Aömer. Nah den Quellenſchriftſtellern und eigenen Localforſchungen bargeftellt. 
Mit 1 fithogr. Karte in Farbendruck (in qu. gr. Fel.), enthaltend die alten Waſ⸗ 
ferläufe und Dimme, die Römerftraßen, Lager ꝛc. — 


Kennen, Hermann, Dr., Die Stadt und Herrlidleit Ere 
feld, Hiflorifch-topographifch dargeſtellt. 1. u. 2. Heft. Krefeld, Klein, 1859. 
V x 106 ©. und 30 ©. als Anhang. 8. 


Geſchichte der Familie Schenk von Nydeggen, insbeſondere bes 
Rriegeobriften Martin Schenk von Nydeggen. Nach ardivaliihen und andern 
authent. Quellen bearb. Köln und Neuß (Schwann), 1860. XL, 323 S. 8. 


4. Weftphalen. 


Geiberg, Joh. Suibert, Landes- und Rechtégeſchichte bes 
Dißosikie Beitiaeift. V. Baur 32 


498° Ueberſicht ber Hiforifchen Literatur von 1860. 


Herzogtums Weſtphalen. Erſter Band, britte Mbtheilung. Gefchichte 
des Landes und feiner Zuftände. I Theil (die Anfänge ber weitphälifchen Ge⸗ 
ſchichte bis zum Auegange der Karolinger 1—912). Arnsberg, U. 2. Ritter, 
1860. XX, 358 ©. 8. 

Der um die Gejchichte feiner Heimat jehr verbiente Forſcher legt 
bier den erften Theil feiner lange vorbereiteten weſtphäliſchen Gefchichte 
vor. Sie bildet die dritte Abtheilung des erjten Bandes, indem die frü- 
ber erjchienene „viplomatijche Familiengeſchichte der alten weitphäliichen 
Grafen“ fowie die „der weſtphäliſchen Dynaſten und Herrn“ als 
bie beiden erften Abtheilungen des 1. Bos. der weſtphäliſchen Lan 
des- und Nechtögejchichte gelten. Das Wert iſt ſichtbar mit vie 
lem Fleiß und großer DBelefenheit ausgeführt. Aber ed will ums 
fcheinen, al8 ob der Herr Verf. feine Grenzen hätte enger ziehen und ſich 
mehr auf Weftphalen bejchränten ſollen, ftatt dag fein Buch an man- 
hen Orten wie eine deutſche Verfaſſungsgeſchichte ausfieht; fo dürfte 
es 3. B. nicht angemeffen jein, zum Zweck ver Schilderung der älteften 
Rechtszuſtände Weſtphalens alle veutichen VBolksrechte, wie fie Namen ha⸗ 
ben, heranzuziehen, oder die focialen Verhältniffe der fpätern Zeit aus 
Karls des Großen capitulare de villis zu folgen. Es ift nicht anders 
möglih, als daß auf diefe Weife das Buch Manches enthält, was Nie 
mand darin fuchen wird, und was man anderer Orten auch befier findet. 
Denn es kommt hinzu, daß ver hochkejahrte Herr Berfaffer mit dem 
rafhen Aufihwung der deutſchen rechtögefhichtfihen Forſchung nicht 
überall Schritt halten konnte. Zwar find ihm bie neuern Arbeiten auf 
biefem Gebiete nicht gerade unbefannt geblieben, aber das Wert bleibt 
doch in manchen Punkten hinter der gegemwärtigen Forſchung zuräd. 
So ift 3. 2. bei ten Erörterungen über die lex Saxonum Merkel's 
Arbeit, vie ©. 291 freilid einmal angeführt wird, unbenutt geblieben, 
eben jo bei ver Darftellung ter ſtändiſchen Verhältniſſe die umentbehrliche 
Abhandlung Stobbe's. S. 295 wird die ganze Literatur der Formeln, 
auch die neuefte von 1858, aufgeführt, aber Dümmler's Formelbuch des 
Biſchofs Salomo von Conftanz (1857) Übergangen. — Landau ift für 
Hrn. Seibert eine zu große Autorität. 

Im Uebrigen enthält das Buch nicht allein vielerlei Material, fontern 
erjheint auch in angenehmer Form. Die Darftellung ift im Ganzen 
überſichtlich, Frijh und Tebendig, namentlich in den Partien, welche die 


Dentiche Brovinzialgefhichte. Wefphalen. 499 


gejellihaftlihen Zuſtände, Hauswirthſchaft, Aderbau u. |. w. mit einer 
gewiſſen Borliebe behandeln. Hoffen wir, taß es dem Harn Ber. 
vergönnt fein möge, mit rüftiger Kraft jein Werk durch jene Zeiten fort⸗ 
zuführen, vie ihm ein jehr reiches heimiſches Material, das erit durch 
jeinen Fleiß der Forſchung zugänglich geworden ift, darbieten werten. 
Noch möge ein jehr finmentitellenrer Trudjehler, ver den Herrn 
Berf. jelbft erſt nach ver Ausgabe des Buches aufgefallen ift, berichtigt 
werden. Es heißt nämlich S. 297: „Die übrigen Redtsjammlungen 
Juſtinian's wurden fajt gar nicht gebraucht, bejonters weil alles kirch— 
liche in ven faijerlihen Gontitutienen jeines Goter aus dieſem in ten 
ven der Geiftlichkeit ſtark gebrauchten Theodoſiſchen Codex übergegangen 
ft“. Es fell heißen: „daß meift alles kirchliche — des Coder in 
diejen aus dem Theodoſiſchen u. |. w. K. 


Duellen der weſtphäliſchen Geſchichte. Herauegegeben von Jo— 
hann Euibert Seibertz, Kreisgerichtsrath ꝛc. 2. Vd. 2. und 3. Heft. ©. 
161 —480. Arneberg, 9. Grote, 1860. 8. 


Fortfegung der Cronica comitum et principum de Clivis et Marca, 
Gelrise, Julise et Montium, necnon archiepiscoporum Coloniensium, us- 
que ad annum 1392 bi ©. 253. — Geſchichte der großen Soefler Fehde 
von Bartholcmäus von ter Late 1444 — 1447 Eis S. 407. — Güterver⸗ 
zeichniß des Kickers Telinghauſen (1280, bis S. 414. — Nachtrag zu Le- 
roldi a Northoff Cronica pontificum Culoniensinm bid €. 420. — Eine 
hanfeatiiche Geſandtſchaft ven Bremen nah Epanien, auf ibrer Reife durch 
Veſtphalen, 1606, ven S. 421-427. — Güterverzeihniß ter Kirche zu An- 
zödte, 1301 ©. 428-432. — Kurze Beſchreibung ber churfurſilich branten- 
Surgüchen feindliden Belagerung der Etadt Werl im Jahre 1673. S. 433— 


444. — Wirici Hiltrop catalogus abbatissarum regalis cccleriae Assindensis. 
1614— 1644 bis Z. 4650. — Urlundennachleſe (1074 — 1277, — 


Leidenrotb, Dr, Tas Yeben tes Piſchefſfe Meinwerk von 
Bederborn bis zum Nömerzug bes Könige Heinrich's MH. im Jahre 1014. 
(Gpmnafialprogramm aus Kamm. 1-60.) 8. 

Der Verfjaſſer tiefer Heinen Schrift will ſewehl „das weltgeſchicht⸗ 
liche Bild res Lange verkannten“ Könige Heinrich II. als vie Lebenége⸗ 
ſchichte des Biſchofs Veinwerk von Paderborn darſtellen. Tabei ſchließt 
er ſich in der Auffaſſung ſeines Steffes ter Anſicht Gieſcbrecht's am, 

32* 


500 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ohne, foweit wir fehen, irgend etwas von Erheblichkeit hinzuzufügen. 
Ebenſo wenig trägt die Schrift etwas zur Kenntniß der Paberborner 
Bisthumsgeſchichte bei. W. i. 


Fahne v. Roland, A., Friedensrichte, Die Herren und Frel- 
herren von Hövel, nebſt Genealogie der Familien, aus denen ſie ihre 
Frauen genommen. In 3 Bd. 1. Bd. 2 Abthlgn.: Geſchichte der verſchie⸗ 
denen Herren v. Hövel, u. von 100 rheinischen, weftphäfifchen, nieberländifchen 
und andern hervorragenden Geſchlechtern. Kol. VIII und 320 & mit 16 Stamm⸗ 
tafeln in Imperialfol., eingebrudten Holzſchnitten und 8 Gteintafeln. Köln, 
Heberle, 1860. 


Derſelbe, Die Dynaften, Freiherrn und Grafen von Be 
holz, nebft Genealogie derjenigen Yamilien, aus benen fie ihre rauen ges 
nommen. Mit urlundlihen Belegen. 2. Bd. Urkundenbuch Mit Antogra⸗ 
phien, Siegeln, Notariats- und Papierzeihen iu Holzſchnitten und 1 Tithogr. 
Taf. Köln, Heberle, 1860. 323 S. Bol. 


Sobbe, Eng. v., Die Erfürmung ber Stabt Galzlotten am 
22. Dez. 1833 durch die Schweden u Heffen. Eine Slizze ans bem 
-BOjähr. Kriege. Aus der Zeitichr. für vaterländ. Geſchichte und Alterthums⸗ 
"hunde abgebr. Salzkotten, v. Sobbe, 1856. 20 ©. 8. 


Cure, L., Bollsüberlieferungen aus dem Fürſtenthume 
Waldeck. Märchen, Sagen, Vollsreime, Räthſel, Sprichwörter, Aberglauben, 
Sitten und Gebräuche, nebſt einem Idiotikon. Arolſen, A. Speyer, 1860. 
XIV, 518 S. 8, 


O. Preuß und A. Falkmann, Lippiſche Regeſten. Aus gebrad- 
ten und ungedruckten Quellen bearbeitet. Erſtes Heſt. Bom J. 783 bis zum 
J. 1300. Mit 18 Siegelabdrücken. Lemgo und Detmold, WMeyer’iche Hof⸗ 
buchhandlung, 1860. X, 292 ©. 8. 

Es iſt anerkennenswerth, wenn Männer, deren eigentliche Berufs⸗ 
thätigkeit außerhalb unſerer Wiſſenſchaft liegt, ſich um die Sammlung 
und Verarbeitung hiſtoriſchen Stoffes verdient zu machen wiſſen, es iſt 
doppelt anerkennenswerth, wenn ihnen dies an einem Orte gelingt, wo 
wie in manchen kleinen Reſidenzen mit den gelehrten Hilfsmitteln auch 
die Anregung zu wiſſenſchaftlichen Arbeiten zu fehlen pflegt. Dem vor- 
Tiegenven Werte aber fieht man es nicht an, daß es anf ungünftigem 
Boden erwachſen ift; es ift mit joviel Sachkenntniß, Geſchmack und 


“ 


Dentſche Provinzialgeſchichte. Weſtphalen. 501 


Sorgfalt ausgeführt, daß es Mitgliedern einer gelehrten Körperſchaft Ehre 
machen köonnte. 

Die obigen Regeſten dürfen mit Recht als die erſte ſichere Grund⸗ 
lage einer wiſſenſchaftlichen Geſchichte des Landes betrachtet werden. Zwar 
fließen die heimiſchen Quellen bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts 
änferft ſpärlich, und die Forſcher find größtentheils auf die Geſchichts⸗ 
quellen ver benachbarten Gebiete angewiejen. Um fo vervienftlicher aber 
M die Sammlung und Sichtung dieſes zerftreuten Material. Die Her- 
ansgeber haben die Urkundenauszüge dur Duellenftellen zu ergänzen ge⸗ 
ſucht und fo gegen 500 Regeſten aufgeführt. Die Chroniken, namentlich 
bie entfernteren, vürften vielleicht nicht vollftändig ausgebeutet fein; von 
Urfunden aber werben jehr wenige übergangen fein. Mir ift nur aufs 
gefallen, daR Fahne's Dortmunder Urkundenbuch unbenutzt geblieben, 
wie dieſes bei Reg. Nr. 278 u. 342 gefchehen if. Die Urkunden Nr. 
28, 40 u. 41 bei Yahne, wo ebenfalls Lippſtadt auftritt, follten in den 
fippifchen Regeften nicht fehlen. — Die oft umfangreichen Erläuterungen, 
welche vie Herausgeber beifügen, find forgfältig und zweckmäßig. Auch 
die fleißige Zujammenftellung ver Literatur der lippiſchen Gejchichte ift 
ſchr dankenswerth, wenn auch die Bemerkungen über allgemeinere mittel 
alterliche Quellenwerte nicht überall mehr zutreffend ſind. — Der Fort: 
fegung des Werkes dürfen wir mit um fo größerem Intereſſe entgegen: 
fehen, als die archivaliſchen Quellen des 14. bis 16. Jahrhunderts eine 
reichlichere Ausbeute verfprechen. Hoffen wir, daß bis dahin auch das 
verwahrlofte Archiv von Lemgo, weldg einft nicht die unbeveutendfte 
Stadt des hanſeatiſchen Bundes war, möge benugt werten fünmen. 
Bir würden es nicht gerechtfertigt finden, wenn tie Herausgeber ter lip> 
piſchen Regeften nicht alles aufböten, um ſich diefe gewiß fehr wichtige 
Quelle zu öffnen. K. 


Erinnerungen aus bem Leben ber Fürſtin Pauline zur 
Lippe-Detmolb. Uns ben nachgelaffenen Papieren eines ehemaligen Lippi- 
hen Staatsdieners. Gotha, F. U. Perthes, 1860. II, 61 ©. 8. 


Wir konnten die Erinnerungen an tie Yürftin Pauline nicht lefen, 
obme es auf das Lebhaftefte zu bebauern, daß eine Frau, welche an Ho⸗ 
beit des Geiftes und Evelmuth der Geſinnung eine Perle ihres Geſchlech⸗ 
tes war, während fie an Regierungsweisheit und Berufstreue als Muſter 





5082 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1880. 


unter den Fürſten leuchtete, bis heute keinen Biographen gefunden bat. 
Daß es in Detmold niht an Kräften für eine ſolche Arbeit fehlt, zeigen 
ichon die oben befprodyenen Regeften, und wenn man weiß, welch' innige 
Berehrung noch heute, 40 Jahre nad ihrem Tode, Pauline unter dem 
Bolt genießt ſo darf man auch nicht annehmen, daß Denjenigen, die am 
beſten wiſſen, was die Fürſtin war und gethan, die rechte Geſinnung zu 
einem ſolchen Werke fehlen könnte. 

Die werthvollen Blätter der Erinnerung, welche uns vorliegen, wer⸗ 
den von dem Verf. ſelbſt nur als ein beſcheidener Beitrag zu dem Leben 
Paulinens betrachte. Es finden ſich darin u. a. eine Reihe von Brie⸗ 
fen der Fürſtin, meift an ihre Freundin, die Frau ihres Kanzlers König, 
gerichtet. Wir erlauben uns nur zwei für die Art der Fürftin charafteris 
ſtiſche Stellen herzufegen: „Das Herz verblutet nicht, jo lange man uns 
aufbörlich thätig ift, und es ift viel, unbejchreiblich viel, was der Menſch 
vermag, wenn er feine Zeit vertändelt, verjpielt, verjeufzt und fich nicht 
verzärtelt“. Ein andermal fagt fie (im 3. 1811): „Ich lefe mit hohem 
Genuß Werke vorzügliher Schriftiteller; aber ich erlaube es mir nur, 
wenn mein Tagewerk vollendet ift, und Liegt hier Matthiſon's neuefte 
Liederſammlung, Göthe's eben erjchienenes Wert — dort ein Berg Cri⸗ 
minalacten, jo greift meine Hand mechaniſch nad) den letztern“ (S. 23). 
Die ©. 28—34 mitgetheilte Auswahl von Bemerkungen Baulinens, vie 
fie mit eigener Hand in die Criminalacten einzutragen pflegte, legen ein 
glänzendes Zeugniß ab von ber Schärfe ihres BVerftandes, von ihrem 
Gerechtigkeitsſinn und ihrer Humanität zugleich. K, 


Mittheilungen db. Hifl. Vereines zu Oenabrück. 6. Br. Os⸗ 
nabrüd, im Eelbftverlag bes Bereins. 1860. 8. 

Die Siegelbarkeit der Ritter und Echöffen in Osnabrück im 13. Jahrh., 
von Eduarb Freiheren von Schele. — Zur Gefhichte ber Bürgerfchaft von 
Dsnabrüd, von Bürgermeifter Dr. Stüve. a. Die Häupter ber Bürger⸗ 
haft. — Feierlicher Einritt Ernft Auguft I. in das Fürſtenthum Osnabrüd 
am 28. und 23. Scptember 1662. Mitgetheilt von E Freiherrn v. Schele. — 
Der Handel von Osnabrüd, vom Bürgermeifter Dr. Stüve. — Ter ältefle 
Graf und die älteſte Gräfin von Telfenburg, vom Auditor Möhlmann zu 
Aurid. — Zur Topographie einiger Theile der alten Didcefe Osnabrüd aus 
bem 9. und 12. Jahrhundert, vom Konrector Dr. Meyer. — Cine Osn«- 
brüdifhe Geſchichte aus dem fiebenjährigen Kriege. Mitgetheilt v. Dr. Stü ve. — 


Dentſche Provinzialgeſchichte. Nieberfachien. 503 


Hiſßtoriſches Quodlibet. Vom Paſtor Gol oſchmidt. — Blankena vom Ge- 
richtedirector Hoffbauer zu Herford. — Die Feſte im Kirchſpiel Buer von 
Dr. Seit. Kirdipielsbeihreibungen aus ben Papieren des Bereins. — Jagd⸗ 
weotofoll ven 1652, mitgetheilt ven Bürgermeifler Dr. Stine. — Die 
Grenzen ber bifhöflichen Jagd im ld Jahrhundert v. Conrector Dr. Meyer. — 
Das Examen exemtorum, mitgetheilt von Dr. Stüve. — Miscellen von 
demfelben. — 


5. Riererfachfen. 


Zeitfährift des Hifterifhen Bereins für Nieberfadfen. 
Iahrgang 1858. Hannover, Hahn'ſche Hofbuchhandlung. 1859 und 1860. 
6. 412. 8. 

Im erften Doppelhefte treffen wir zunächft einen Aufjag von 
Herrn von Alten über „bie Edelherren von Ridlingen” an. Die wenigen 
Nachrichten, welche wir von dieſem bereits vor 1181 ausgeſtorbenen Ge: 
ſchlechte haben, find jorgfältig zuſammengeſtellt une durch eine ausführ- 
lihere Beſprechung von Urkunden der Wittwe des legten Edelherren er: 
läntert werten. — Die folgente Abhandlung des Herrn Mooyer ın 
Minden: „Beiträge zur Genealogie und Gejchichte der erlojchenen Gra⸗ 
fen von Sternberg‘ iſt beſonders duch tie Mittheilung von 32, bisher 
noch ungedrudten Urkunden wichtig. Einige Bemerkungen des Verfaſſers 
und des Ardivars Falkmann im Detmold dienen weſentlich zur 
Erlãuterung jener Urkunden und zur Berichtigung eines andern Aufſatzes 
ven Mocyer über denjelben Gegenſtand in den 9. Bande in der Zeit- 
ichrift für Gejchichte Weſtphalens. — Hierauf find, als Nachtrag zun Calen- 
berger Urkundenbuche, 16 bisher noch ungedruckte Borfinghänfer Urkunten 
nach den Originalen mitgetheilt. — Alsdann folgen 4 ſehr interejlante 
Urkunden, welche von Herrn von Hammerftein bier zuerjt veröffentlicht 
find. Sie betreffen eine etwa von 1362 -— 1369 zwiſchen ben Herzögen 
von Medienburg und Yüneburg geführte Fehde und geben uns ein an» 
ſchauliches Bild von ter Art der damaligen Kriegsführung. — Auch 
ver folgente Aufjag vom Archivſecretär Grotefenp „Beiträge zur Ges 
fchichte ver hannover'ſchen Klöſter der ehemaligen Mainzer Diözeſe“ ver- 
dient beſonders durch tie bier zum erften Male witgetheilten Urkunden 
unfere Aufmerkſamkeit. Wir erjehen u. a. aus demſelben, daß einige Ans 
gaben Letzner's über vie Genealogie ter Grafen von Pleße nicht jo un- 


504 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur ven 1860. 


bedingt zu verwerfen find, wie man bisher bei der bekannten Yabeliucht 
befielden annahm. — Bon den übrigen Abhandlungen viejes Heftes 
mag nur nod die nad Documenten des Töniglihen Archives zu Han⸗ 
nover über „pas Herzogthum Lüneburg in ven Jahren 1626 und 1627” 
von Dr. Klopp, genannt werben. 

Das zweite Doppelbheft dieſes Yahrganges wird zum größten 
Theile durch eine hiftorifch-topographifche Beichreibung des Amtes Rauen- 
ftein, vom verftorbenen Dr. Rudorff ausgefüllt. Wenn wir auch von 
unferm heutigen Standpunkte aus, namentlih an dem rechtshiſtoriſchen 
Theile diefer Abhandlung, welche im Jahre 1846 von dem hiftorifchen 
Bereine für Niederfachfen mit einem Preife gefrönt wurbe, mandherlei 
auszufegen haben, fo können wir doch dem großen Fleiße und dem um 
Allgemeinen gelungenen Berfuche, die Topographie einer Gegend mit ih⸗ 
rer Geſchichte zu verbinden unfere Anerkennung nicht verfagen. — Im 
dem folgenden Aufjate „über vie älteſten das Klofter Marienrode bes 
treffenden Nachrichten” fucht Here von Alten, durch einen etwas ſehr ge- 
fünftelten, wenn aud fcharffinnigen Beweis, nachzuweifen, daß jenes 
Klofter am 16. Januar 1196 geftiftet und am 16. September 1200 
eingeweiht fei. — Bon ven übrigen kleinern Mittheilungen dieſes Heftes 
verdient beſonders ber, ven einem Zeitgenoflen verfaßte „wahrbafte und 
eigentliche Bericht von der Schlaht vor Sievershauſen“ (S. 407—412) 
eine Erwähnung. U. 


Zeitfhrift des Hiforifhen Bereines für Niederſachſen. 
Jahrgang 1859. Hannover, 1860. 8. 


Die erfte Abhandlung dieſes Jahrganges „über eine Notiz des 
Chronicon pieturatum des Botho, die Stadt Hannover betreffend, mit bes 
fonderer Beziehung auf die Grafen von Schwalenberg“, wäre, wenigſtens 
ben: größten Theile nach, beſſer ungefchrieben geblieben. Der Berfafler 
berfelben, Herr von Alten, bält nämlich jene Notiz, obgleih er jelbft 
nachmweift, daß fie im Allgemeinen unrichtig ſei, und insbeſondere bie 
chronologiſche Einordnung derſelben, für fo wichtig, daß er ihr eine64 Sei⸗ 
ten lange Beiprehung widmet, fchlieglih aber zu dem Refultate kommt, 
Botho müſſe an jener Stelle zuerft die Grafen von Baumrode (Wunftorf) mit 
denen von Schwalenberg verwechſelt haben. Biel näher liegt es in ber 
That, tie Angabe des Chroniften für ebenjo unfinnig zu halten, als es 


Deutiche Provinzialgeſchichte. Nieberfachfen. 505 


bie gleich darauf folgende über die Kriege ver Dänenkönige ohne Zweifel 
RM. Wenn Herr von Alten als Quelle für leßtere Helm. I, 84 annimmt 
(& 8), fo ift e8 wahrlich unbegreiflih, wie er S. 2 „von einer mehr 
und mehr anerkannten Sorgfalt“ des Botho im Verwenden „älterer Nach⸗ 
richten“ fprechen konnte. Dahingegen find vie beiläufig gegebenen Unter⸗ 
fechungen über die Geichichte und Genealogie der Grafen von Schwa⸗ 
lenberg mit Scharffinn und Oründlichkeit ausgeführt worden. — Ge⸗ 
Kägt auf 6 mitgetheilte Urkunden hat hierauf ver Archivfecretär Grote 
fend einen wejentlihen Nachtrag zu einem Aufſatze Mooyer's in ven 
Mittbeilungen für Geſchichte und Alterthumskunde der Oftjeeprovinzen 
9, 1 ff., über den Biſchof Dietrih von Wirland, geliefert. — Herr 
Dr. Klopp bat fodann einen „Auszug aus einem Briefe eines höhern 
Officiers der däniſchen Garnifon in Wolfenbüttel v. 26. September 1626”, 
fowie Herr Dr. Conze „Hausſprüche aus Celle, Reime und Stadtfagen“ 
mitgetheilt. Hieran fliegt ſich eine mehr ftatiftiiche, als hiſtoriſche Ab- 
handlung des Herrn Ringflib „vie Zunahme der Bevölkerung ver Stadt 
Hannover.” — Es folgt ein Aufjag des Archivjecretär Grotefend „über 
die Entwidelung ver Stadt Hannover bis zum Jahre 1369.” Derfelbe 
ſollte urjprünglich nur als Vortrag bei Gelegenheit ter 25jährigen Stif- 
tungsfeier des hifterijchen Vereines für Niederjachten benupt werben, und 
ans dieſem Grunde darf man feine eingehenve Schilderung von der 
Entwidelung der Stadt erwarten. ‘Da wir jedoch feine Geſchichte Han⸗ 
nover8 haben, jo wird uns jenes, im gebrängter Kürze und in großen 
Zügen entworfene Bild auch in willenjchaftlicher Hinficht willlommen 
fein müſſen. — Der Kürze wegen mögen bier, mit Uebergehung ver an⸗ 
dern nur nody drei Mittheilungen biejes Heftes erwähnt werten, nämlich: 
Ueber den aus Hannover gebürtigen Tejeler Biſchof Ludolf Grove, (dom 
Amtsrichter Fiedeler), ſodann: Zwei Actenftüde über tie Einführung ver 
Sefniten in Stade und Goslar im Jahre 1630, mitgetheilt von Dr. Klopp, 
and endlich ein Heiner Aufſatz des Herren von Hammerftein „zur Crläus 
terung ver Theilungsurktunven ver Söhne Heinrich des Löwen.“ U. 

Beiträge zur Gefhihte des Braunfhmweig - Lüneburgifhen 
HSanfes und Hofes. Bon E. E. Malortie, königl. hannov. Oberhofmar- 
Kalle. Erſtes Heft 151 ©. Zweites Heft 188 S. Hannover 1860, Hahn'ſche 
Hofbuchhandlung. 8. 

Wir erhalten in ven beiden vorliegenden Heften, denen noch mehrere 


Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. - 


: Abhandlungen der hiſtoriſchen Entwidelung der Hofverhältuiffe an ſich 
gen follen, vor Allem eine Reihe von Schilderungen ans ber braun⸗ 
weigslüneburgijchen Hofgeichicdhte, namentlich von Hoffeften des 18. Jahr⸗ 
inderts. Der Verf. hat viejelben „zum größten Theile aus bisher nicht 
ir die Oeffentlichkeit benugten Quellen entlehnt.“ Außer einer bis im 
‚a8 Heinfte Detail gehenden Beichreibung tes Geremoniell®, die, obwohl 
ihr eine Abjpiegelung der Zeit und daher ein hiftorijcher Werth nicht ab⸗ 
zujprechen ift, durch ihre ftete Wiederkehr oft ermübet, wird uns gelegent- 
lich auch mancher Beitrag geboten, ver für weitere Kreije Intereile haben 
wird. Hiervon heben wir bejonders hervor, was Heft 1, ©. 45 über ven 
Tod der Kurfürftin Sophie, 1, 129 über den Herrenhäufer Vertrag vom 
Jahre 1725, ferner 2, 61 über vie Königin Karoline Mathilde von Dä⸗ 
nemark und 2, 142 über die Göhrde und das Treffen, welches dvaſelbft 
im Jahre 1813 ftattfand, geiagt ift. In den Anlagen zum zweiten Heft 
ift ©. 182 ein plattveutjches Gebicht aus dem Anfange des 18. Jahr⸗ 
hunderts abgebrudt, das einige Beachtung verdienen möchte. U. 


Neigebauer, 3. F., Eleonore d'Olbreuſe, die Stammutter ber 
Königshäufer von England, Hannover und Preußen. Ermittlungen zur Ge⸗ 
fchichte ihrer Heirath mit dem Herzoge von Braunfchmeig-Celle unb ber bama- 
figen Zeit mit befonberer Beziehung auf Ebenbürtigfeitsheirathen. Braunſchweig, 
Eduard Yeibrod 1859. IV, 220 © 8, 

Herzog Georg Wilhelm von Braunfchweig-?iinekurg » Celle, verhei: 
rathete ſich 1665 mit Eleonore d'Olbreuſe, der Tochter eines Schloß⸗ 
herrn in Poiten, die er am oraniſchen Hofe zu Breda fennen lernte. 
Ihre Tochter Eophie Dorothea wurde vie Gemahlin des fpätern engli- 
hen Könige George, des Sohnes ven Herzog Ernft Auguft von 
Braunſchweig. — 


Zur Geſchichte des Königreicht Hannover von 1832—1860 
von Dr. Tppermann. 1. Bd. 1832— 1848. Leipzig, Otto Wigand, 
1860. 8 XVI und 395 ©. 

Ueber das, was mir von dieſem Buche erwarten Dürfen, äußert 
fi) ver Verfaſſer jehr zutreffend in dem Vorworte, indem er fagt, „er 
biete mur einen rohen Bau, von theilweije unbehauenen Baufteinen, höchſt 
ungleihmäfig ausgeführt.“ In ver That ift ver im reicher Menge ges 
gebene Stoff höchſt ungleihmäßig verarbeitet, denn während wir einige, 


Deutihe Provinzialgefchichte. Niederfachten. 507 


allerdings wenige Partieen bed Buches, fo befonvers die Über vie Protes 
Ratio ber Göttinger Sieben und die darauf folgende Aufregung in ber 
Mujenitant (S. 137 ff) ſowohl der Form, als dem Inhalte nach als 
ſehr gelungen bezeichnen müſſen, finden wir an vielen anderen Stellen 
faft nur in loſer, hronologifher Aufeinanverfolge, eine große Anhäufung 
von Nachrichten über vie verfchiedenartigften Sachen und Angelegenheiten, 
faft ohne jede lleberarbeitung (f. beſonders SS. 2411, 269, 273), fo daß das 
ganze Bud) vielfach ven Eindruck macht, als ſei e8 überhaupt auf eine 
nur flüchtig überarbeitete, aber chronologiſch geordnete Materialienfammlung 
abgejehen. Hiezu würde dann auch jehr wohl paſſen, daß mehrere 
Angelegenheiten gar nicht befprochen werten, ſondern anftatt deſſen ein» 
fa auf eine gebrudte Abhandlung, ſei es im hannover’ihen Portfolio, 
oder anderswo vermwiejen wird. Aber jelbft der loſe Zufammenhang des 
Baches ift nicht felten noch dadurch unterbrochen worden, daß, um Raum 
zu erjparen, noch während des Drudes weſentlich gefürzt mwurte Im 
dieſer Beziehung iſt es beſonders zu beffagen, daß auf ©. 213 eine 
ansführlichere Geichichte der Wahlen zu den Kammern von 1838—1840, 
De im Manufcripte völlig ausgearbeitet war, weggelaſſen ift, denn auch 
bie daſelbſt als Anhang zur Anlage XXI verfprodhenen Notizen find auf 
S. 283 nicht anzutreffen. Freilich mochte die Rückſicht auf ven Druck 
ven Berfaffer wohl zu manchen Abkürzungen bewegen, vie ihm ſelbſt 
leid waren; denn ohnehin mögen fich jeinem Werke, bei ven Regierungs⸗ 
principien, welche jet in Hannover befolgt werden, wohl mancdherlei 
Schwierigkeiten entgegengeftellt haben. 

Doch genug Aber vie Schattenjeiten dieſes Buches, das man doch 
im Allgemeinen nicht ohne Intereffe leien, aus dem man aber beſonders 
fehr viele Kenntniffe über die neuere hannoveriſche Geſchichte ſchöpfen kann. 
Kein anderes Buch liefert uns eine ſolche Fülle von gut geertnetem und 
gefichtetem Materiale, als gerade tiefes. Namentlich vertienen die Des 
richte über die ftäntiichen Verhandlungen, welche meiftene nach den Acten⸗ 
ſtücken der Stänteverlanmlung, tie einzufehen ter Verfafler früher als 
Deputirter Gelegenheit hatte, zujanmengeftellt find, wiele Beachtung; denn 
erft aus diefen Berichten erhalten wir, weil bisher nur die amtlichen Bes 
fanntmahımgen vorlagen, über viejelben eine jichere Kunde. Ueberhaupt 
hat Herr Dr. Oppermann manches biäher unbekannte Material benutzen 
nnd dadurch nicht wenig zur fefteren Begründung der neueren deutſchen Ges 


508 . Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ſchichte beitragen Können. Auch in viefer Beziehung muß das, was über 
bie Proteftation der Göttinger Sieben gejagt wird, hervorgehoben wer⸗ 
den. Ferner ift es dem Verfaſſer gelungen, ſich in ben Beſitz wichtiger, 
bisher unbelannter Actenftüde zu fegen, wodurch das wenig ehrenhafte 
und zweideutige Verhalten des Dr. Lang, dem von allen leitenden Per⸗ 
fönlichfeiten der verſchiedenen politifhen Parteien auh am meiften Auf⸗ 
merfjamfeit gewidmet ift, entjchleiert vor unfere Augen gelegt wird 
(j. SS. 22, 192, 374). Anerfennenswertb ift es endlich auch, daß 
der Berfaffer bei feiner Darftelung im Allgemeinen eine große Objecti« 
vität bewahrt. — Bon den als „Beilagen“ angehängten 20 Acten⸗ 
ſtücken machen wir beſonders auf den, an biefem Orte jebenfalls fehr 
bequemen Abbrud des Staatögrundgefeßes von 1833 aufmerkſam. U. 


Urtundenbub des hiſtoriſchen Bereins für Niederſachſen. 
Heft V.: Urkundenbuch der Stadt Hannover bis zum Jahre 1369. Han- 
nover, Hahn'ſche Hofbuchhanblung 1860. VII u. 531 ©. 8. j 

Wahrhaft erfreulich ift es eine Urkundenſammlung zu erhalten, welche 
fo wie die vorliegende ihren Zwed erfüllt. Die Herausgeber, Dr. Grote 
fend und Amterichter Fiedeler, bieten uns in berjelben nicht allein eime 
große Vollſtändigleit des urkundlichen Materiales für bie ältefte Gefchichte 
der Stadt Hannover, fondern haben dieſes auch in einer fo ſehr zwed- 
mäßigen Weife edirt, indem z. DB. die großen Anfangsbudjftaben, fowie 
bie Interpunkttongzeichen nad unferer heutigen, nicht nach dem Gebrauche 
der Ausftellungszeit der Urkunden, geſetzt wurden, daß dadurch die Be 
nützung biejes, für das nörbliche Deutichland jehr wichtigen Urkundenbu⸗ 
ches ungemein erleichtert ift. Auch in den den Urkunden beigefügten Roten 
fcheint und gerade das richtige Maß innegehalten zu fein. Große Sorg⸗ 
falt ift auf die Anfertigung des Perfonen- und Ortsregifters, fowie auf 
den beigegebenen „Plan von Hannover un Jahre 1369“, der unter Mit- 
wirfung des Hofbaumeiſters Vogel ausgearbeitet ift, verwandt morben; 
dahingegen könnte das Sachregiſter, wenn ein ſolches überhaupt gegeben 
werden ſollte, wohl vollſtändiger ſein. Bei der Bearbeitung wurde natür⸗ 
lich vor allen Dingen das Archiv der Stadt Hannover ſelbſt, welches 
anch reiche Ausbeute gab, benutzt, daneben aber auch das königliche und 
mehrere kleinere Archive Nicht ſehr berückſichtigt wurde das „Hannöveri⸗ 
ſche Stadtrecht“, welches im vaterländiſchen Archive des hiſtoriſchen Ver⸗ 





Dentſche Provinzialgeſchichte. Rieberfachfen. 609 


eins für Niederſachſen, Jahrgang 1844, ©. 177558, abgebrudt ift, 
indem bie darin enthaltenen Urkunden nad beſſeren Abjchriften oder ven 
Driginalen mitgetheilt wurben, und das urkundliche Material, was wir 
ſonſt daſelbſt noch antreffen, fich nicht zur Publication in dieſem Urkun⸗ 
denbuche eignete. Hoffentlich erhalten wir bald ven den Herausgebern des 
letzteren eine neue Ausgabe des intereflanten Copialbuches, das für das 
bannover'fche Stadtrecht angelegt wurde, denn bie oben angeführte Ausgabe 
läßt recht viel zu wünſchen übrig, — Der Zeitpunkt mit dem bie vor⸗ 
fiegenve erfte Abtbeilung des Urkundenbuches ver Stadt Hannover fchließt, 
ergab ſich aus dem Umſtande, daß im Jahre 1369 das altlüneburgijche 
Regentenhaus ausjtarb, ein Ereigniß, das in feinen Folgen für vie wei 
tere Entwidelung der Stadt von großer Bedeutung war. U, 


Grotefend, ©. 8%, Dr, Ardivfecretir, Die Entwidelung der 
Stadt Hannover bis zum Jahre 1369. Hannover, 1860. 16 5. 8. 
Kit 1 Rpfe. 


Schnell, Dr. 5, Das Muſeum für Kunf und Wiſſenſchaft in 
Hannover. Nah authentiihen Quellen. Hannover, Klindworth's Berlag, 
1860. 66 ©. Fol. 


Zur Erinnerung an G. ©. F. Hoppenftedt, kdnigl. hannoverſchen 
Geh. Kabinetsrath, und fein Verhältniß zur Univerfität Göttingen. 
Ein Beitrag zur Geſchichte des hannoverſchen Landes und des beutfchen Uni⸗ 
verfitätsweiene. Göttingen, Dieterih’ihe Buchhandlung, 1858. IV, 518. 8. 

Es ſei uns geftattet, noch nachträglich auf ein Schriftchen aufmerk⸗ 
ſam zu machen, das in den beiden früheren Jahresüberjichten mit Unrecht 
Übergangen worden ift; denn wer wie Hoppenftebt, deſſen Andenken dieſe 
Blätter gewidmet find, von andern Berbienften um fein engeres Vater⸗ 
land abgejehen, die Angelegenheiten einer unjerer erjten Hochichulen in 
fegwieriger Zeit 21 Jahre hindurch mit fo viel Liebe und Umficht lei⸗ 
tete und dabei überall als ein Dann von beveutenver Begabung und 
@elfter Geſinnung erjcheint, verdient wohl in weiteren Kreiſen gekannt zu 
fein. Die anziehente Lebensſkizze ift von einem Mitglieve ver Univer- 
ftät (dem Bernehmen nah R. Wagener), das Jahre lang mit Hoppen⸗ 
Rebt in regſtem Verkehr geftanten, mit einer Pietät gejchrieben, die ben 
Untor wie den Derewigten gleihmäßig ehrt. Ueber ven äußerlich wich- 
tigſten Vorgang an der Göttinger Univerfitit während der Amtsdauer 


619 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur vom 1860. 
Hoppenſtedt's, die Abſetzung der 7 Profefloren, erhalten wir feine neuen 
Aufſchlüſſe. Der Berf. erwähnt blos, daß Hoppenſtedt fih auf alle 


Weile, aber vergebend bemüht habe, jenes für ihn fo betrübende eig 
niß zu verbüten. K. 


Sappe, Heine. Phil., Befhreibung ber Münzen von Goslar. 
Mit I Kpfrtaf. Dresden. Berlin, Mittler u. Sohn, 1860. XII, 1378. 8. 


Archiv für Geſchichte und Berfaffung bes Fürſtenthumse Lü- 
neburg. Unter Mitwirkung ©. Erc. des Hrn. Landihafts »- Dir. v. Hoden⸗ 
berg herag. von Syndicus E. 2. v. Lenthe. 8. Bd. Celle, Kapanır - Kar- 
Iowa, 1860. Xu, 694 ©. 8. 


Grundzüge der Geſchichte des Landes unb der Landwirth⸗ 
[haft des Herzogthums Braunfhweig. Bou Dr. J. L. U. Wedekind. 
Braunſchweig, 1858. 8. 


Sad, C. W., Negifrater, Geſchichte der Schulen zu Braun 
ſchweig von ihrer Entfiefung an und die Verhältniffe ber Etabt in verfdie- 
denen Jahrhunderten. In 2 Abtheilungen. — 1. Abtheilung X. u. d. T. 
Geſchichte der Schulen zu Braunſchweig von ihrer Entfiehung an bie zur Re- 
formation und die PVerhältniffe der Stadt im Jahre 1414. Braunfchweig. 
Schwetihle und Eohn, 1861. XI, 1746. 8. 


Der Aufftand der Stadt Braunfhweig am 6. u 7. Eeptem 
ber 1830 und der bevorfiebeube Anfall bes Herzogthums 
Braunfhweig an Hannover, Ürgänzungscapitel. Leipzig, Otto Wi⸗ 
gand, 1860. 16 ©. 8. | 


Heifter, Karl v., Nachrichten über GBottfried Chrifloph 
Beireis, Brof. zu Helmftebt von 1729 — 1809. Mit lith. Illuſtrat. im 
Tondrud. V und 376 ©. mit 2 ESteintgfeln. Berlin, Nicolai’6 Berlag. 8. 


Rofe, Ludwig W., Lehrer, Bremiſche Geſchichte für das Bolt. 
4 Hefte VI und 376 S. Balett und Comp. Bremen, 1860. 8. 


Merzdorf, 3 8. 8. Th, Dr, Bibliothefar, Oldenburg's Münzen 
und Medaillen auf Grund der Münzfammlung Er Tl. Hoheit des Groß- 
berzoge von Oldenburg hiftorifch-Fritifch befchrieben. Oldenburg, G. Stalling. VI, 
140 @. 8. 


Sanburgifhe Chroniken. Für ben Berein für hamburgiſche Ge- 
Ichichte herausg. von Dr. J. M. Lappenberg. 2. Heft. Hamburg, 1860: 8. 





Deniſche Provinzialgeſchichte. Niederfachfen. sit 


Hamburg - Holfleinifhe Reimchronik vom Jahre 1119 — 1231. Kurze 
Yamıburgiiche Reimchronik vom Jahre 801 bis zum Tode Graf Adolph's IV. 
von Holkein. — Hamburgifhe Jahrbücher vom Jahre 1457 fir bie Jahre 
1888 bis 1413. — Ein kort Uttod der Wendeſchen Chronicon. — Ham 
bergiſche Jahrbüucher von 1531 bis 1554. — Des Bürgermeifters M. 
Heder's Hamburger Chronik von 1534 bis 1553. — Des Bürgermeiftere 
9. Langed Bericht Aber ben Aufftanb zu Hamburg vom Jahre 1488. — 


Röpe, Georg Reinhard, Dr., Lehrer, Johann Meldior Goeze. 
Eine Rettung. Mit lithogt. Porträten und Bacfim. XVI und 280 S. Ham- 
burg, Nolte und Köhler. 8. 


Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogthümer Shie® 
wig Holſtein und Lauenburg, herausgegeben von der &. 9. L. Geſell⸗ 
ſchaft für vaterländiſche Geſchichte, redigirt von Th. Lehmann u. Dr. Han 
beimann. 2. Bb. 3. Het. 3. Bd. 1. und 2. Heft. Kiel, ablademiſche 
Buchhandlung, 1859 und 1860. S 317 —459 und S. 1— 344. 8. 

HM, 3: Kier, Anfichten über den Entwidiungegang ber innern Berfaffung 
bes Herzogthums Schleswig mit beſonderer Berüdfichtigung des Amtes Ha» 
bereieben. 1. S. 317 — 360. — Milde, die Kirchen der Herzogthümer Hol⸗ 
fein und Lauenburg in kunſtgeſchichtlicher Hinficht unterfuht II. Propſtei Ee⸗ 
geberg. ©. 369 — 377. — Kleine Mittheilungen. 

" II, Inn 2: Brindmann, Wiebe Peters, ein berächtigter Randesfeinb 
feines Baterlandes Tithmarfhen S. 1—15. — Ravit, die Auslegung bes 
Amtes Segeberg im Jahre 1665. ©. 16 — 36. — Brindmann, Bruch 
eines eidesftattlihen Gelöbniſſes der Befferung, vom Nathe zu Heiligenhafen im 
Sabre 1591 mit dem Tode beſtraft. S. 57 bis 41. — KRolfter, bie 
Abſter Dithmarſchens. S. 42 — 47 — Reicthe, die Erbauung eines Hoch⸗ 
gerichts zu Pölitz 1875. ©. 78 bis 2. — Nitzjſch, die Geſchichte der Dit- 
marfiihen Geſchlechterverfaſſung. S. 83 bie 150 — Die Berbinbung ber 
deuifchen Herzegthümer und das Eiderdänenthum. S. 151 bis 161. — Weber 
einige alte Spiele und ihre urſprüngliche Vedeutung S. 162 bis 176. — 
Friedlieb, Entgegnung auf die Bemerkungen bes Paſtor Dörk- Hanfen. 
©. 177 bie 203. — Peterſen, die Pierbefüpfe auf ten YBauernhäufern, 
beſonders in Norddeutſchland. S. 208 bis 273. — Kleine Mittheilungen. — 


Baterlänbifhes Archiv für das Herzogthum Lauenburg 
Unter Mitwirkung landeskundiger Männer berausg. tom Aubiteur und Ge⸗ 
richtehalter Sachau. 2. Bb. 3 Hefte Ratzeburg, Linfen, 1859 u. 1860. 
446 8. 


612 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Darin: Moraht, bie Infdgriften auf den Abendmahlskelchen ber Kirche zu 
Pölten. S. 47. — Unterthänige Beantwortung ber von löniglicher Kammer 
in dem Schreiben an die hiefige königliche Regierung vom 7. März 1777 vor⸗ 
gelegte Frage, bie Beichaffenheit der Bauergüter im Amte Ratzeburg betreffend. 
S. 48 bis 90. — Lauenburgifhe Briefe. S. 67 — 77 — Lange, bat 
Landzollweien im Herzogthum Lauenburg. ©. 78 — 9. — Brindmans, 
Beraubung bamburgifher Kaufleute auf Lübel- Hamburger Gebiet durch eimen 
Lauenburger Landſaſſen. 16. Jahrhundert S. I6 — 102. — 9. Wernſtedt, 
die Brocekftatiftil des Amtes Steinhorft. S. 103 — 106. — Meyer, Grtract 
aus den Procefacten, betreffend bie Lebhnseigeufhaft ber Bauervogtshöfe im 
Amte Lauenburg und bie bamit verbundene Grblichleit bes Bauern⸗ 
vogteibienftes, aus den 3. 1737 — 47. ©. 109 — 70. — Adler, einige 
Gutachten früherer Amtsabvocaten über Meyerrechteverhäftnifie &. 171 — 9. 
— Brintmaun, Großvogt und Amtmann Eggert von Bibow zu Lauen⸗ 
burg, vor dem faif. Kammergerichte im Streit mit Herzog Franz dem Jüu- 
gern wegen Freilaſſung ans der Berftridung. &. 200 — 217. — v. Lang.» 
rehr, der Tauenburgifhe Grund und Boden, ein Theil bes norbbeutichen Tiefe 
landes. ©. 218 — 381. — Berdemeyer, Geihichte bes Gutes Turew. 
©. 385 - 424. 


Maad, Dr. v., in Kiel, Das urgeſchichtliche [hleswig-holkei- 
nifhe Land. Gin Beitrag zur biftoriihen Geographie (Abdrud ans der 
BZeitichrift für allgemeine Erdkunde). Mit einer Karte. Berlin, 1860. 59 ©. 8. 


Chronik der Univerfität zu Kiel. Kiel, alab. Vuchhandl, 1859. 
1166 4. 


Zeitſchrift bes Vereins für Lübeckiſche Geſchichte m. Alter⸗ 
thumsekunde. Het 3. ©. 265 — 416. Lulbeck, 1860. 8. 


Die flaatebürgerlihe Etellung ber Hanbmwerkfercorporationen im Luberh, 
vom Staatsarhivar Wehrmann. — Aus den Aufzeichnungen bes Tühedi- 
(hen Bürgermeift Heine. Brokes (Fortfetzung) v. Oberappellrath Dr. Bauli — 
Caſpar Holfte, Prebiger an St. Betri, vom Oberlehrr Eartori — 
Die ehemalige Sängerfapelle in ber Marienkirche, von Etaatsardivar Wehr- 
mannn. — Die Bäder zu Lübeck in den Hungerjahren 1545 — 1547, mit- 
geteilt von Oberappellrath Dr. Bauli. — Miscellen (ältere Etrafertenntniffe 
"aus dem nicht mehr vorhandenen lıber judicii, mitgetheilt von demſelben. — 
Ein Recept aus dem 13. Jahrhundert, mitgetheilt von Etaatsardivar Wehr- 
mann. — Zwei Reifepälle aus bem 15. Jahrhundert von bemfelben.) — 


Deutfhe Provinzialgeſchichte. Niederfachfen. - 513 


Heibuifcher Gteinbau bei Blaufenfee, von Paſtor C. Klug. — Gefcichte 
bes Bereins während der Jahre 1855 — 1859. — 


Frensdorff, F. Dr. jur. PBrivatbocent. Die Stadt- und Geridte 
Berfaffungkübed’s im12.u. 13. Jahrhundert. Lübeck 1861. &.207 8. 

Dadurch dag Herzog Heinrih von Sachſen ſich vom Grafen Adolf 
von Schauenburg vie Stapt Lübeck abtreten ließ (5. 9), trat dieſe aus 
dem Srafichaftsrerbande heraus; die Bürger bejuchten von num an ihre 
beionveren, auf dem Marktplatz abgehaltenen brei ungebotenen Dinge (S. 
24), in welchen ein vom Herzog, jpäter, jeit 1181, vom König ernannter 
Bogt den Borjig führte, der auch jenjt vorgeſetzter Beamter der Stadt 
war (S. 20 u. 21). Im ungebetnen Ding mußte erjcheinen „omnis qui 
possessor est proprii caumalis‘‘, d. 5. wer eignen Hauch, eignes Feuer, 
eignen Haushalt hat, nicht blos „Hausbeſitzer“, wie S. 85 angegeben ift. 
(Richtiger legt e8 der Verf. auch jelbft S. 83 u. 199 aus.) Der Verf. geht 
(5.22) von ver für feine ganze Darftellung felgereihen Vorausſetzung aus, 
daß es zu Pübel eine Ccheitung in höhere und niedere Gerichtöbarfeit 
nicht gegeben habe, indem ter Bauermeiſter nad Erhebung zur Stadt 
verihwunten fei (S. 20). Im Gerichte eines und deſſelben Vogts ſei 
aljo über hohe und geringe Sachen geurtheilt werten. Unſerer Anficht 
nach wäre größeres Gewicht auf vie Frage zu legen gewelen, wer befugt 
war Urtbeil zu ſprechen. Daß ver Bogt für ji allein dieß nicht konnte, 
ergibt fid) aus ben allgemeinen beutjchen Proceßgrundſätzen, und wird auch 
vom Berf. S. 175 eingeräumt, obwehl er einmal ©. 82 meint, ter Vogt 
babe Strafen an Peib und Peben zu „verbängen” gehabt. Ter Vogt 
mußte aljo vie Urtheile von Andern finden laſſen. Tem Berf. ericheint 
es nın S. 174 wahrſcheinlich, daß es zu Lübeck ſtändige Urtheilfinver, 
Schöffen, nie gegeben habe, jentern daß ter Vogt irgend einen der am 
Seriht (zufällig oder entboten?) anweſenden Bürger babe auffordern 
können, ein Urtheil zu finden. Allein hierbei find wichtige und wejentliche 
Fragen offen gelajlen. Wenn von einem Einzelnen ein Urtheil gefunden, 
d. h. in Borjchlag gebracht ift, und die Öegenpartei dieſem widerjpricht 
und ein anderes fintet, jo muß doch über dieſe Vorſchläge abgeurtheilt 
werden; es muß Jemand da jein, dem die Folge, Die BVulbort zukommt, 
da das Urtheilſchelten und Ziehen an den Rath erſt nachher eintreten 
Inn. Gerade hierin zeigt ſich, daß wenn es wirklich keine ſtändigen Ur⸗ 

Sißeriſqhe Zeitſchrift V. Band. 33 


514 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


theiler gegeben haben follte, ein Unterſchied zwifchen höheren und nieveren 
Gerichten gewejen fein muß, und zu erfteren gewiß Gegenwart der gans 
zen Volksverſammlung gehörte. Die S. 83 angezogene Stelle ver Sta- 
tuten fpricht nicht dagegen, da fie fih bei Beziehung des „‚tantum‘‘“ auf 
das Vorausgehende, dahin verftehen läßt, daß Über die drei genannten 
Sachen nirgends anders, als im Echtending geurtheilt werden dürfe, fo 
daß ein mehreres nicht ausgefchleffen iſt. Dies ift um fo mehr anzuneh- 
men, wenn, wie der Berf. ©. 82 und 93 angibt, der Rath über Blut 
nicht zu richten hatte, feine Befugnig vielmehr auch fpäterhin noch in ber 
Hauptſache nur dahin ging, die Uebertreter der von ihm ausgehenten 
polizeilichen Satzungen mit Geldſtrafen zu belegen (S. 42, 126, 167 u. 
168). Uns will e8 jo fcheinen, als wenn das „richte“, welches der Vogt 
mit 2 Rathmannen abhielt (S. 88 u. 173), eben nur ein Niedergericht 
gewejen fei, mit dem Recht über Schuld und Schaden zu fpredyen, und 
daß daher auch nur im dieſen geringen Sachen eine Appellation an ven 
Kath (S. 176) zuläßig war. Damit flimmt, dag nad einer Notiz Bei 
Maurer, Geſch. d. deutſch. Gerichtsverfahrens ©. 351, noch im 9. 1537 
zu Lübel in Criminalſachen ver ganze Umftand, aljo die Volksverſamm⸗ 
lung, urtheilte, deren Berufung bei jeder geringen Klagſache dagegen nicht 
üblih und nöthig geweſen fein wird. Es zeigt ſich hieran, daß bie von dem 
Berfafier beobachtete Beſchränkung feiner Unterfuchungen auf bie Zeit vor 
dem 14. Jahrh. mande Nachtheile mit fi führt, indem vie fpäteren 
Zuftänte die ältere Verfaſſung Kar werden erfennen laſſen. Bei ver 
Wichtigkeit, welche bie Verfaſſungsgeſchichte Lübecks hat, fteht zu wün« 
ihen, daß der Verfaſſer feine Forſchungen bald weiter führe; vie ſchon 
an dieſer Erjtlingsarbeit in allen übrigen Beziehungen bethätigte mufter» 
hafte Sorgfalt und Umſicht läßt auf durchaus gediegene Ergebniſſe 
hoffen. F. Th. 


Dittmer, ©. W., Genealogifhe und biographiſche Nach— 
richten über Lübeckiſche Familien aus älterer Zeit. Lubeck, 1859. 
IV, 1126© 8. 


Derfelbe, Der Lübeckiſche Bifhof Burchard von Serten und 
feine Zeit, vom Jahre 1276 bis 1317. Ein Beitrag zur lübeckiſchen Staats⸗ 
und Kirchengeſchichte. Lübeck, 1860. VIN, 42 6 8. 


Derfelbe, Die Lübeckiſchen Familien Greverabe und Warne- 


Deniſche Provinzialgeſchichte. Niederſachſen. 515 


Bäte im 16. Jahrhunderte. Gin Beitrag zur Culturgefchichte biefer Zeit. 
bed, 1859. 24 ©. 8. 


Dettmer, C. Dr., PBrofeffor, Guſtav Evers. Eine Lebensffizze. Lübed, 
1859 , v. Robten. 20 8. 8. 


Carl Georg Eurtius, Syndicus der freien und Hanfefabt 
Läbed. Darſtellung feines Lebeus und Wirkens von Dr. W. Pleſſing. Lübed 
1860, Berlag von Friedr. Asichenfeldt. 78 ©. 8. 

Darftellungen, wie fie die hier genannte Schrift enthält, dürften am 
wenigften in dieſer Ueberficht ver neuern hiftorijchen Literatur übergangen 
werden. Veranlaßt zunächſt durch mehr perjünliche Beziehungen, durch 
Anhänglichleit und Pietät von Angehörigen oder Freunden, haben fie body 
gigleih eine unzweifelhafte Wichtigkeit für die Zeitgeſchichte. In allen 
Theilen Deutſchlands, aber vorzugsweife allerdings in den freien Städten, 
ft e8 Männern von einfacher bürgerlicher Herkunft und Stellung oftmals 
vergönut, einen bedeutenden Einfluß auf die öffentlichen Verhältniſſe, bald 
der engeren Heimath, bald des deutſchen Baterlandes überhaupt auszu« 
üben; fie find zu bejonderer Bedeutung gelangt in jenen Jahren ver Um⸗ 
geftaltung Deutſchlands, auf die fih fortwährend unjere Aufmerkſamkeit 
mit erhöhter Theilnahme hinwenvet, während deren Zeitgenoffen und Theil⸗ 
nehmer immer mehr aus unjerer Mitte icheiden; fie ericheinen nun als 
Borbilder in Geſinnung und That, denen ein jüngeres Geſchlecht nachzu⸗ 
trachten bat. Zu dieſen Männern gehört auch ver 1857 in dem hoben 
Alter von 87 Jahren verftorbene Lübecker Syndicus Curtius, deſſen Ans 
denken dieje Schritt von einem nahen Verwandten gewidmet ift, während 
die nächſten Angehörigen, die drei lebenven Söhne, freilich wohl Einzelnes 
beigefteuert,, doch felbft das Leben des Baters zu fchreiben, aus beſchei⸗ 
dener Zurücdhaltung nit auf fich genommen haben. In mancher Ber 
ziehung hat man dies vielleicht zu bedauern. Es wäre wohl zu erwarten 
geweſen, daß fie ausjlihrlicher, eingehenter die Aufgabe behanvelt hätten, 
als es bier gejchehen iſt, wo manche Seite des inhaltreihen Lebens doch 
fürzer berührt und namentlich von einer wichtigen Quelle für folde Bio» 
grapbien, ven Briefen des Verftorbenen, wenig Gebrauch gemacht it. Es 
wird wohl auf umfangreiche Correſpondenzen mit anderen Lübecker Staats⸗ 
männern und mit dem bekannten ausgezeichneten Bremer VBürgermeifter 
Smidt aus den Jahren 1813 ff., „welche über den Gang ter bamaligen 

33* 


516 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur bon 1860. 


Verhandlungen intereffante Aufjhlüfle geben,” Bezug genommen (5. 48 
vgl. S. 50), allein leider feine nähere Mittheilung darans gemacht, nur 
einzelnes nıehr Allgemeine aus Briefen angeführt. Ueberhaupt ift das 
öffentliche Leben von Curtius nur kürzer gejchildert, mehr das pri⸗ 
vate und geiftige. Derjelbe hat von feinen Jenaer Univerfitätsjah- 
ren her einen regen Antheil an allen literarijchen Angelegenheiten Deutſch⸗ 
lands genommen, hat ſelbſt der Mufe ver Poeſie mandye Stunde gewinmet, 
daneben ver Kunft vielfaches Intereffe gezeigt, doch liegt feine Bedeutung 
wefentlih auf anderen ©ebieten. Seine Sorge für Schul» und Unter 
richtsweſen, für kirchliche Intereſſen, für Beſſerung ver Yuftiz, überhaupt 
für alle gemeinnütigen Angelegenheiten, fichern ihm ein dauerndes Anden» 
fen in ver Baterftabt; weiteren Kreiſen aber wird das Bild bes ein- 
fachen, feften, gefinnungsvollen, patriotiihen Mannes ein erfreuliche und 
werthes fein, wie biefe Schrift bei aller Kürze e8 anjchaulich zeichnet, fo 
daß e8 auch denen lieb wird, die ben Berftorbenen, wie e8 bei mir ber 
Ball, nicht perſönlich gefannt haben. G. W. 


Jahrbücher und Jahresbericht des Bereins für Medlen- 
burgifhe Gefhihte und Alterthumskunde, heransgegeben von 
CH. ©. F. Lifh und W. ©. Beyer, Selretären bes Bereine. XXV. Jahr 
gang 1860. 8. 

A. Jahrbücher für Geſchichte. — Geſchichtliche Nachrichten aus dem Kfofter 
Wienhauſen über das medienburgifhe Fürſtenhaus, I— VI, von Dr. Liſch — 
Das Klofter Wienhaufen von demſelben — Eliſabeth von Wenden, Tochter 
Borwin's I, von demſelben. — Nechtild von Lüneburg, Gemahlin Heinrich's I, 
von Celle, von demſelben. — Margaretha von Lüneburg, Gemahlin Hein» 
rich's II. von Mecklenburg⸗ Etargard, von bemfelben. — Jutta von Hope, 
Gemahlin Zohann’s IV. von Medienburg- Schwerin, von bemielben. — Helena 
von Rügen, Gemahlin Johann's III. von Medienburg, von demſelben. — 
Ueber das Begräbnig Nikolaus des Kindes von Roftod, von bemielben. — 
Ueber die Nahlommen bes Fürſten Pribielam von Reichenberg, von bem- 
felben. — Ueber das mecklenburgiſche Wappen und befondere über ben flar- 
gard. Arm, von demſelben — Die Befigungen ber Grafen von Schwerin am 
linlen Elbufer und ber Urfprung der Grafen, vom Staatsminifter a. D. Frhr. 
von Hammerftein zu Berdben. — Die Bewidmung bes Kloſters Reinbek, 
von Dr. Lifh. — Urkundenſammlung von bemfelben. — 

B. Jahrbücher für Alterthumskunde. — I Zur Alterchumstunde im 
engeren Sinn. 1. VBordriftlihe Zeit. a. Zeit ber Hünengräber. b. Zeit ber 


Dentſche Provinzialgeſchichte. Niederſachſen. 517 


kegelgräber. Ueber die ehernen Wagenbecken ber Broncezeit, von Dr. Lifch 
(Machtrãge). — Ueber das Kegelgrab von Petersberg, von Paſtor Maſch zu 
Demern. — c. Zeit ber Wendengräber. Ueber den Wendenkirchhof zu Wo- 
nit, von Dr. Liſch. — II. Zur Ortokunde. — I. Zur Baukunde: 
Ueber die Burg und bas Land Grotebant, von Dr. Liſch. — Ueber die Kirche 
zu Frauenmark, von demfelben. — Ueber bie Kirhe zu Luborf, von dem⸗ 
felben. — IV. Zur Wappenfunde. Ueber die Wappen bes Geſchlechtes von 
Kuuth,, von demſelben. — V. Zur Gefchlechtertunde. Leber das Gefchlecht 
von Koppelow, von bemjelben. — VI. Zur Minzlunde — 


Wigger, Dr, Medienburgifhe Annalen bis zum $. 1066 
Eine chronologiſch georbnete Duellenfammlung mit Anmerkungen und Abhand- 
Imgen. Schwerin, 1860. 148 6. 4 

Eine verdienftlihe Ouellenfammlung, die Auszüge aus Geſchicht⸗ 
jhreibern und Urkunden enthält, und fid) nicht allein über Mecklenburg, 
fondern über das Gebiet ver Wenten an der Oſtſee überhaupt verkreitet. 
In der Quellenkritik verzichtet der Verfaſſer darauf, eigenthümliche Nach⸗ 
richten zu geben, und bezieht ſich auf die Einleitungen in den Mon. Germ. 
kistor. und auf L. Gieſebrecht's Wendiſche Geſchichten. Andere Aus- 
führungen bieten, trotz einer nicht ſehr ſcharfen Kritik, manches Neue 
and Intereſſante in Auffaſſung und Forſchung dar. 


Schrödern, M. Dietrihd, Kurze Befhreibung der Stadt 
unb Herrihaft Wismar. 2. Aufl. 8 Lig. ©. 545 — 619. Wismar, 
Gunbladh, 1860. 8. 


Liſch, G. C. F., Archivr, Urkundliche Geſchichte des Ge 
ſchlechtes von Oerzen. 2. Thl.: Vom Jahre 1400 bis zu ben Jahren 
1600 und 1700. Mit 2 Steindrucktafeln. 3 Tab. in Imperialfolio. Schwe⸗ 
rin, Stiller in Comm. 1860. XV, 814 © 8. 


Sanfen, ©. 8, Der Sylter - Friefe. Gecſchichtliche Notizen, 
chrouologiſch geordnet und benütst zu Schilderungen ber Eitten, Rechte, Kimpfe 
und Leiden, Niederlagen und Erhebungen bes Sylter Boll in dem 17. und 
18. Jahrhundert. Kiel, Homan, 1860. 236 ©. 8. 


6. Brandenburg. Pommern, Preußen. 


Märtiihe Forſchungen, herausgegeben von bem Vereine für Ge- 
ſchichte der Marl Brandenburg. Bd. Vi. Yahrg. 1858. Berlin. 8. 
Das Ciſterzienſer Monchslloſter Himmelpforte von Kirchner. — Ter 


518 Ueberfiht der biftorifhen Literatur von 1800. 


Ausgang des asfanifhen Haufe in der Marl, von F Boigt. — Beiträge 
zur Glockenkunde ber Mittelmart, von Leop. Frhr. vo. Ledebur. — Ginige 
Bemerkungen über bie Wiebervereinigung ber Neumarl mit ber Marl Bram 
benburg, von %. Voigt. — Die Hiftorifhe Windmühle bei Eantfouci, Bruch⸗ 
ſtück von einem Hiftorifhen Werke über Sansfouci von 2. Schneider. — 
Ueber den Krankheitszuſtand bes Kurfürſten Sriebrih II. und feine Riederle 
gung der furf Würde, von A. F. Riedel. 


* 


Zwölfter Jahresbericht des altmärkiſchen Bereins fr va⸗ 
terländifhe Geſchichte und Induſtrie; Abtheilung für Geſchichte. 
Herausgeg. von Th Fr. Zehlin, Vereinsielretär. Salzwedel, 1859. 

Darin: Altmärkifhe Sagen und Gewohnheiten, von Danneil uud Krä- 
ger. — Altmärkiſche Stodeninfhriften, von Bartid. — Die Wülſten ber 
Altmark (Bortjegung) von Danneil. — Siegeltafeln mit Erläuterungen von 
Wiggert. 


Riedel's Codex diplomaticus Brandenburgensis Samm⸗ 
fung der Urkunten, Chronifen und fonftigen Gefchichtsquellen für bie Gefchichte 
der Mark Brandenburg und ihrer Regenten. Fortgeſetzt auf Beranlaflung des 
Bereines für Gefchichte ber Mark Brandenburg. Des erften Hanpttheiles oder 
der Urkundenfammlung für die Orts- und fpezielle Landesgeſchichte 19. Band, 
504 S. Des britten Haupttbeiles ober ber Sammlung für allgemeine Landes 
und kurfürftlide Haus. Angelegenheiten. 2. Br. Berlin, &. Reimer, 1860. 
514 ©. 4. 

Der 19. Bd. der erften Abtheilung nimmt dadurch ein großes In- 
tereffe in Bezug auf die Spectalgejchichte für fi in Anſpruch, daß ver- 
felbe eine Fortjegung der Documente enthält, welche die Neumark betreffen. 
Die arhivaliihen Nachrichten für dieſen Theil der Markt waren bisher 
jo außerordentlich ſpärlich zu öffentlicher Kenntniß gelangt, daß ein gewiſſes 
unbeimliche® Dunfel über dieſe Provinz verbreitet war, das nun durch 
dieſe Mittheilungen wenigftens theilweije erhellt wird. In den fünf Ab⸗ 
theilungen: 8. Küftrin, Bärwalde, Zellin und Quartſchen, 9. Zehen, 
Mohrin uud Schönflichs, 10. Drogen, Reppen und Zielenzig, 11. Kö- 
nigsberg, 12. Marienwalde find nicht weniger als 712 Urkunden zujam- 
mengetragen, die mit verhältnigmäßig wenigen Ausnahmen hier zum er: 
ftenmale abgebrudt find. Namentlih hat das reichhaltige Königsberger 
St adtarchiv zahlreiche Driginale dargeboten, wie auch das 1553 ange⸗ 
fertigte Marienwalder Copialbuch den Verf. in den Stand ſetzte, einen 


Deutihe Browinzialgefchichte. Preußen. 519 


danlesswertben Nachtrag zu ben im 18. Bande gelieferten Documenten 
zu geben (nicht weniger ale 85 an der Zahl). Bon allgemeineren Iu« 
tereſſe find beſonders die Schenkungen, weldhe der Biſchof von Pebus und 
die Herzoge von Bommern und Polen ven Tempelberren machten, Güter, 
welche nad Aufhebung dieſes Ordens auf die Johanniter übergingen. 
Richt minder wichtig find auch die Urkunden, welche ſich auf die Lieber» 
tragung der Neumark an den Kurfürften Friedrich 11. beziehen. 

Der erite Band der vritten Abtheilung des Riedel'ſchen Cover ums 
faßte die Zeit bi8 zu dem Tode Kurfürft Friedrich's II. Der vorliegende 
zweite Band enthält zunächſt eine Nachleſe dazu, aus 48 Documenten 
beſtehend. Dann folgen 205 Documente, der Zeit des Kurfürften Al⸗ 
breit, und 91, der Zeit des Kurfürften Johann Cicero angehörend; den 
Schluß machen zwei reichhaltige Lehnsregiiter aus ven Jahren 1499 
—1536. Haft jämmtlihe Urkunden find den Copialbuche des kurmär⸗ 
kiſchen Lehnsarchives und ven f. Hausardive entnommen und bier zum 
erfienmale veröffentlicht. Sie bringen des Neuen nicht wenig; zunächſt 
einen reihen Beitrag zur ulturgeichichte jener Zeit, von dem das Cin- 
zelne hier nicht erwähnt werden kann. — Für die Perfönlichkeit Albrecht's 
ift ein Schreiben deilelben an feinen Sohn Johann, damals Statthalter 
in ver Markt, worin er deſſen Fehler hart rügt, bemerfenswerth (224); 
pie Sorge für feine Wittme (244), ſowie mande humoriftiiche Stellen 
in feinen Briefen (132) zeugen für fein inniges Familienleben. — 

In Bezug auf das innere Staatsleben ift die wichtige Dispositio 
Achillea vom Jahre 1473 jowie bie kaiſerliche Beftätigung verfelben 
(Nr. 73, 96) hervorzuheben, die dem grauen Klofter in Berlin zur Auf⸗ 
Bewahrung übergeben wurde (79), und die die marfgräflichen Bejigungen 
vor Zerjplitterung bewahrt hat. Bon der Einführung neuer Zollabgaben 
und der Bierziefe jprechen mehrere lirkfunden (72, 74, 75, 87, 265). 
Neue Beitimmungen über den Schwanenerden geben Nr. 247, 248, 272, 
340; von ber Beiekung des Reichskammergerichts handeln Nr. 294, 
295, 296 2c. Ebenjo find ausführliche Berichte über den Tod und bie 
Beftattung des Kurfürften Albrecht mitgetheilt (Nr. 251, 253, 254). — 
Die äußern ftaatlihen Beziehungen der Mark drehten ſich in dieſem Zeit 
raum um die Bonmeriche und Crofjeniche Frage. Pommerns Streben 
ing dahin, fich der Lehnsherrſchaft Brandenburg's zu entlebigen, und dies 
Streben, trotz mancher Niederlagen mit der größten Beharrlichkeit feitgehal- 


520 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ten, brachte den erwünſchten Erfolg. Kurfürft Johann begnägte ſich mit 
dent, von den pommer’jchen Ständen verbürgten Verſprechen, daß nad 
dem Auöfterben des pommer’schen Herzoghanjes das Land an Branten- 
burg fallen folte. Eine ganze Reihe von Urkunden betreffen dieſe An- 
gelegenheit, die natürlich erft in Yolge von langen Verhandlungen zum 
Abſchluß kam. — Droyfen hat bereit8 nachgewieſen, daß nicht, wie ge 
wöhnlich erzählt wird, Kurfürft Albrecht feine Tochter Barbara dem 
Könige Wladislam von Böhmen zur Gemahlin antrug, um ihr das Erbe 
ihres erften Gemahls, des Herzogs Heinrih XI. von Glogau zu fichern, 
fonvdern daß der König um ihre Hand warb. In Nr. 159 finden wir 
ben Hergang diefer Werbung von Albrecht felber erzählt. Ungeachtet ver 
feterlihen Verkündigung biejer Verlobung, und ungeachtet fih Barbara 
feitvem als Königin von Böhme betrachtete, erfolgte doch das Beilager 
nicht, und Hans v. Sagan ſowie König Mathias von Ungarn vertrieben 
fe aus ihrem Erbe, jo daß fie fih mit Croſſen zc. begnügen mußte. 
Riedel theilt über diefe Angelegenheiten etwa 40 Urkunden niit, von denen 
die unter Nr. 331 und 342 bejonderd die Aufmerkjamteit auf fich ziehen, 
da fie einen Blick in die Verhandlungen thun laſſen, welche zu Ende des 
15. Jahrhunderts in Rom ſelber mit dem Papfte geführt wurden, und 
welche auch Droyſen unbelaunt gewejen zu fein fcheinen. F. V. 


AltertHämer undb Kunftdentmale des Erlaudten Hanfes 
Hohenzollern. Hersg. von Rudolf Frhrn. v. Stilffried. Bd. II, Heft 1 
(des ganzen Werkes Heft 7). Berlin, Verlag von Ernft und Kern, 1861. 

Enthält Schriftliche Mittheilungen fiber Eitel Friedrich IT., Grafen von So- 
benzollern, und Magbalena von Brandenburg, über ein Bildniß des Hochmei⸗ 
ſters Albrecht, Diarkgrafen von Brandenburg, und über bie Herzogin Urfula 
von Münfterberg, Tochter bes Markgrafen Albrecht Achilles; dazu verfchiebene 
Abbildungen, mworunter auch das Grabmal Könige Ruprecht und feiner Gemah⸗ 
fin Eliſabeth. 


Fidicin, E., Stabt-Arhivar, Die Territorien ber Marl Bran- 
benburg oder Geſchichte der einzelnen Kreife, Städte, Rittergüter, Etiftungen 
und Dörfer in berfelben, als Kortfegung d. Landbuchs Kaifer Karls IV. 3. Bb. 
Berlin, Suttentag, 1860. 4. 

Inhalt: Der Kreis Weft-Havelland. — Der Kreis Ofl-Havelland. — Der 
Kreis Zauche. Mit 2 (hromolith.) Karten in Fol. u. gr. Bol. XL, 228 ©. 


Balter, A., Paſtor, Genealogifhe Geſchichte bes GSeſchlechte 


Deniſche Provinzialgeſchichte. Preußen. b21 


d. Jeetze. Ans urkmidlichen Onellen bearbeitet. Magbeburg, E. Banſch jun., 
1860. VIII, 138 ©. 8 

Ein ſchätzenswerther Beitrag zur Familiengeſchichte altmärkiicher Ge 
ſchlechter. Nach einer kurzen hiftorifchen Ueberfiht ver Güter, welche ver 
Familie zugehörten, find die nachweisbaren Mitgliever verjelben fett 
dem Jahre 1279 aufgeführt: Am meiften unter ihnen tritt Joachim 
Chriſtoph hervor, der wegen feiner ausgezeichneten Verdienſte in ver 
Schlacht bei Keſſelsdorf zum preufiichen Generalfeldmarſchall ernannt 
wurde und in hohem Alter 1752 ftarb. F. V. 


Lehmann, R., Paſtor, Kurfürfin Elifaberh die Belennerin 
und ihre beiden Söhne, oder wie die Reformation in ber Marl Bran- 
denburg zur Geltung gekommen if. Cine Geſchichte aus unferm lieben K3- 
zigehaufe (Abdr. aus Traugott's Kalender ) Neu-Ruppin. Berlin, W. Echultze, 
1860. 276. 8. 


j Baſſewitz, , Die Kurmark Brandenburg im Aufammenbange 
mit den Scidfalen bes Gefammtftaats Preußen während ber Jahre 1809 und 
1810. Herantgegekeu von Karl von Reinhard. Leipzig, 5. A. Brochaus. 
1860, XL, 7596 8 

Die erfte Abtheilung des vorliegenten Werkes, die im Jahre 1847 
erihien, ftellte vie Kurmark Brantenburg unmittelbar vor dem Aus⸗ 
bruche des Krieges von 1806 tar. Die zweite Abtheilung (in zwei 
Bänten 1851 und 1852) ſchilderte ihre Verhältniſſe während jenes uns 
heilvollen Krieges und ter Zeit unmittelbar nad) demſelben bie zu Ende 
des Jahres 1808. Tie gegenwärtige dritte Abtheilung führt dieſe Arbeit 
bis zum Schluffe des Jahres 1810 weiter, geht aber bei einzelnen Me» 
menten noch über tiefe Zeit hinaus. Zur Grundlage ſeines Werfes be 
nutste der Verfaſſer öffentlihe Blätter und Schriften jener Zeit, und 
(bon damals an der Spitze der Verwaltung in ter Mark konnte er aus 
feinen eigenen Erfahrungen fowie aus ten vorhandenen Acten eine reiche 
Ausbente hinzufügen, wie es wohl kaum irgend einem antern möglich ge 
weien wäre. Grinnert zwar oft die Darjtellungsweije an vie Abfaflung 
amtlicher Berichte, und ift fie auch nicht frei ven Breite und Wiederho⸗ 
fung — was aud ter Abriß feines Lebens, ter dieſem Bande voranges 
ſchidt ift, zugiebt —, je Tiefert doch die Arbeit ein ſchätzenswerthes Ma⸗ 
terial für die Geſchichte des preußiſchen Staates in jenem merkwürdigen 
Beitraum feiner Erniedrigung und Regeneration. 


b22 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Sn 10 Abſchnitte hat der Berfafler feine Arbeit zerlegt. Die ſta⸗ 
tiftiichen Angaben in dem erjten find ſchon anderwärts mitgetheilt, und 
die hiſtoriſche Ueberficht der europäiſchen Staaten in dem zweiten bringt 
nichts Neues; nur da, mo er die Rückkehr des Königs nad feiner Haupt- 
ftadt zu Ende des Jahres 1809 erzählt (S. 79 ff.), die neue Einrich- 
tung des Hofitantes, die Krankheit, den Tod und die Beijegung ber Kö⸗ 
nigin Luiſe im Jahre 1810 ruft der Berfafler die alten frendigen wie 
wehmüthigen Erinnerungen an jene bewegten Zeiten durch feine einfache 
und fpecielle Darftellung wieder wach. Der 7. Abjchnitt (Polizei), der 
9. (Zuftiz) und ver 10. (Gewerbe und Handel) berüdfichtigen ins» 
bejondere die Rurmarl, fie haben aber vielfady auch ein allgemeineres In⸗ 
tereffe 3. B die Anorbnung der Continentaljperre (S. 648), die Unter 
nehmungen des Majors von Schill und des Herzogs von Braunfchweig- 
Dels im Jahre 1809 (461 ff.) ꝛc. AS ver eigentlihe Kern der Ar 
beit find aber die 5 Abjchnitte zu betrachten, welche von der Organifas 
tion der Behörden und des Heeres fowie von ber finanziellen age nicht 
nur ber Provinz Brandenburg, fondern aud des preußifchen Staates 
überhaupt handeln; fie liefern wem Gejchichtichreiber dieſer Zeit ein un- 
entbehrliches und reiches Material. 

Am ausführliften find vie finanziellen Verhältniſſe behan⸗ 
belt ; e8 find ihnen der 4. 5. und 6. Abſchnitt gewidmet. Und aller 
dings hatten fie gerade in jener Zeit eine fo auferorventlihe Wichtig. 
feit, daß der gänzliche Zerfall des Staates unvermeidlich zu fein jchien, 
als ihrer Ordnung fi riefenhafte Schwierigkeiten entgegenftelltn. Es 
ſollte nicht nur eine Kriegsftener von 120 Millionen Franken an Na— 
poleon gezahlt werben — 70 Millionen ſogleich, 50 Millionen binnen 
Jahresfriſt —, fondern es waren außerdem 10000 Franzojen in den 
rei Oderfeſtungen Glogau, Küften und Stettin zu unterhalten und die 
Durchmärſche fremder Truppen auf ſechs Heerftraßen zu tragen; außer: 
dem brüdte die alte Schuld von 25 Millionen Thalern, und das hart er- 
Ihöpfte Land ſchien ohne ftaatlihe Beihülſe nicht wieder aufathmen zu 
können. Es gebridht hier an Raum, den Mittheilungen zu folgen, wie 
man fi aus diejen Verlegenheiten retten wollte. Durch Aufhebung ver 
älteren Geſetze, namentlid) des von 1713 über die Unveräußerlichleit ver 
Domänen gewann man zwar die Mittel, 70 Millionen ter Kriegsftener 
in Domänen » Pfandbriefen zu decken (S. 364), zur Abtragung ver üb⸗ 


Deutfhe Provinzialgeſchichte. Preußen. 528 


rigen 50 Millionen wollte jedoch weder die Prämienanleihe (S. 351), 
sch die Silber xc. Steuer (©. 354), noch vie in Holland eröffnete 
Anleihe (S. 381), noch endlich Die freiwillige Zwangsanleihe (S. 396) 
ausreichen. Während zu Ente Noveanber 1809 vie Schuld gänzlich ges 
tilgt fein follte, veftirten in Mai 1810, mit Einfluß der aufgelaufenen 
Zinfen, nod etwa 14 Millionen (S. 401). Napoleon drohte mit Eres 
cution und zog bereitS Truppen zu dieſem Zwecke zufanımen, jo daß ver 
damalige Yinanzminifter v. Altenftein dem Könige als einzige Nettung 
anempfahl, einen Theil von Schlefien abzutreten. Da endlid wurde am 
4. Juni 1810 der Minifter v. Harvenberg zum Staatskanzler ernannt; 
mit dem Beginn feiner Verwaltung kam neue Ordnung und neues Peben 
in bieje troftlofen Zuftänte. Wie da die endliche Abwidlung diejer ſchwie⸗ 
rigen Verhältniſſe erfolgte, auf durchaus andere Weile als gewöhnlich 
dargeſtellt wird, muß man in dem Buche felber nadhlefen. F. V. 

Boigt, F., Brof., Geſchichte bes brandenburgiſch⸗preußiſchen 
Staates. Berlin, Ferdinand Dümmler's Verlagebuchhandlung. 1860. X, 
663 S. 8. 

Der Verfaſſer hat die Aufgabe, welche er ſich geſtellt, nämlich „die 
bedeutenden Ergebniſſe, welche das Quellenſtudium ver vaterländiſchen Ge— 
ſchichte in neuerer Zeit zu Tage gefördert hat, zuſammenzuſtellen und ſo 
die äußere und innere Entwicklung des Staates in einfacher Sprache 
vorzuführen,“ durchaus gelöſt. Man erhält eine klare, anſchauliche Ueber: 
ſicht über die Geſchichte des Landes bis auf unſere Zeiten, nicht bloß der 
Kegenien, da ver Verfaſſer mit Recht eine bloß biographiſche Verherrli⸗ 
chung der Fürſten, wie ſie in den neuerdings erſchienenen preußiſchen Ge⸗ 
ſchichten, z. B. ver von L. Hahn, für vie letztvergangene Zeit namentlich 
unangenehm hervortritt, vermieden hat und fi bemüht in periodiſchen 
Rückblicken die Qulturentwidelung tes Yandes darzulegen. Daß der Ber- 
fafler ſich nicht bloß begnügt hat, andere Werke zu verarbeiten, zeigt 
wie auch ſchon anderweitig anerkannt iſt, die beſonders gelungene Ges 
fhichte ter Zeit von 1640 — 1770. Die Ueberſichten der Geſchichte 
fpäter binzugefommener Pantestheile liegen fi, namentlic für vie zulegt 
binzugelonmenen, wohl etwas abkürzen; ter Verfaſſer darf doch voraus 
fegen, daß feine Leſer in ber deutſchen Gejchichte nicht jo unbewantert find, 
daß fie bie älteften Schidjale ter Rheinlande nicht fennten. — Cinzelne 
Beine Irrthümer find Lit. Centralbl. 1861 Nro. 10 ſchon bemerkt. Wir 


524 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


fügen hinzu, daß gegen bie indogermanifche Abftammung ver Slawen wohl 
fein Zweifel mehr ift (S. 13), und daß das Eoftniger Eoncil Gregor XII, 
nicht abgejeßt hat (S. 125). H. P. 


Fir, W., Seminarlehrer, Die Territorialgefhihte bes bran- 
denburgifh-preußifhen Staates, im Anfhluß an zehn biftorifche 
Karten überfichtlih bargeftellt. Berlin, 1860. Simon Schropp'ſche Landkarten⸗ 
handlung. IV, 146 ©. 8. 

Zwar nur ein Auszug des größeren Werkes von demfelben Ber: 
faffer, das unter dem Titel: „Ueberfichten zur äußeren Gejchichte Yes 
preußifchen Staates“ 1858 erſchien, jedoch von felbftftändiger Haltung 
und durch forgfältige Benugung des vorhandenen Materials ganz geeignet, 
ein Hares Bild von dem Wachsthum dieſes Staates zu geben. F. V. 


Staff, ©., Oberlehrer a. D., Brandenburgiſch-preußiſche Ge 
ſchichte. in Handbuch für höhere Lehranflalten und zum Eelbftunterricht. 
XII und 273 S. mit 3 Tab in gr. qu. und qu. gr. 4. Weblar, 1860. 8. 


Hahn, Lud., Dr., geb. Reg.- u. Schulrath, Geſchichte bes preußi— 
fhen Baterlandes. Mit Tab. u. 2 Stammtaf. in gr. 8. u. Imp. - Fol 
5. verm. Aufl. XVI, und 630 ©. Berlin, Herk. 1860. 8. 


Derjelbe, Leitfaden der vaterländifhen Geſchichte für Schule 
und Haus. Mit Tabellen und 1 Zeittafel. 7. Aufl. Berlin, Befler , 1860. 
VI, 1906 8 


Dietfh, Rub., Abriß der brandenb.⸗preuß. Gefchichte. Mit 
Karten. Beigabe zu des Berf. Grundriß ber allgemeinen Geſchichte. 2. durch⸗ 
gefehene und verbeflerte Auflage. Leipzig, Teubner, 1860. VII, 125 ©. 8. 


Kurt, Frör., Recor, Tabellen ber preuß. Geſchichte. Weber- 
fiht d. Geſch. d. preuß. Staates in funchroniftifcher Zufammenftellung m. Bei⸗ 
gabe 1 geuealogiſchen u. heraldiſchen Tafel für Schulen u. den Eelbftunterricht. 
Leipzig, J. D. Weigel, 1860. %ol. 


Förfter, Ferd., Dr., Preußens Helden im Krieg u. Frieden. 
140—154. %fg. 4. Abt. Neuere u. neueſte preuß. Geſch. 106—120. Pig- 
3. Bd 5.361 — 960. Berlin, Hempel, 1860. 4. (Erfcheint auch unter 
dem Titel: Bon GElba nah Et. Helena.) 


Derfelde, Breußens Helden im Krieg unb Frieden. Cine Ge⸗ 
fhichte Preußens feit dem großen Kurfürften bis auf unfere Zage. 2. Bb. 
4. Aufl. Berlin, Hempel, 1860. XI, 548 © 4 (A. ud. T.: Fried⸗ 





Deutſche Provinzialgeſchichte. Preußen. 525 


rich der Große. Geſchildert als Menſch, Regent und Feldherr. Eine wahr⸗ 
heitegetrene Geſchichte feines Lebens uub feiner Thaten. Mit 130 in den 
Tert gebrudten Abbildungen.) 


Arnim, Bertraute Geſchichte bes preußiſchen Hofes und 
Staates. 4 Bände. Berlin, Abeläborf, 1860. 8. A. u. d. T.: Ber 
teante Gefchichte der europäifchen Höfe und Staaten feit Beendigung bes 30jäh⸗ 
rigen Krieges. Neues Licht aus geheimen Ardiven. 1. Abtheilung. — 


Droyfen, 3. G., Das Stralendorffiſche Gutachten. Aus 
dem VIll. Bande der Abhandlungen der ET. ſächſiſchen Gejellihaft ber Wiſſen⸗ 
iheften p. 359 — 448. Leipzig, Hirzel. 1860. 8. 

Borliegende Abhandlung, eine der Erläuterungen zu des Verfaſſers 
Geſchichte der preußijchen Politik, hat den Zwed, die Aechtheit jenes Stra» 
lendorffiſchen Gutachtens, welches bei Gelegenheit des Jülich'ſchen Erb⸗ 
folgeftreites von 1609 jo offen und nadt die Vernichtung Brandenburgs 
als des Hortes der Ketzer für das Ziel der habsburgiſchen Politik ers 
Märte, und die Autorfchaft des Faiferl. Vicekanzlers Lippold v. Stralen- 
borff gegen vie vielfad, erhobenen Zweifel zu vertheidigen. Durch tie 
Unterjuchung mehrerer Abjchriften des Discurjes, bie ter Verfaſſer mit 
gutem Grund dem 17. Jahrhundert zumeift, und durch Hervorhebung 
mehrerer fachlicher Berhältuiffe, vie jo wie fie erwähnt werten, nur ein 
gleichzeitiger Publicift erwähnen konnte, widerlegt der Verfaſſer eudgültig 
die Behauptung Küfters, daß Chr. Thomaſius mit ver Abfaffung des 
Discurfes feine Zeitgenoffen babe miyftificiren wollen. Weiter firirt er 
die Zeit feiner Entjtehung auf Juni 1609 und weift alle Bedenken ge= 
gen die Autorſchaft des in einigen Abjchriften genannten Stralendorff 
— ein Levin von Ulm, ver ſonſt genannt wird, eriftirte damals gar 
niht — zurüd. In einem 2. Theile werben die 3 Ausgaben des Dis⸗ 
curſes von 1718, 1727 u. 1759 beiprochen, von denen ver Verfaſſer es 
hochſt wahrfcheinlich macht, daß fie von preußiichen Publiciſten ausgingen, 
um durch das Gutachten felbjt und die höchſt irenijch - wigigen Vorreden 
m jener Zeit, ald die Jülich'ſche Erbfolgefrage wiederum einen Hebel 
der. öfterreichifchen Politit gegen Preußen abgab, vie jeſuitiſch⸗habsburgi⸗ 
fen Iutriguen an ven Pranger zu ftellen und Preußen vor ihnen zu 
warnen. — Kin nach ten beten Abjchriften revidirter Abdruck tes Gut⸗ 
achtens bildet ven Schluß des Ganzen. H. P. 


526 Ueberfidgt der Hifterifchen Literatur von 1860. 


Sammter, A.,Dr., Die Schlacht bei Liegnitz, am 15. Aug. 1760. 
Zur 100 jährigen Erinnerung verfaßt. Liegniz, Kuhlmey, 1860. 18 S. 8. 


Bürger, 8 Chr. A., Arhibiacon, Borgänge in und um Tor 
gau während des Tjährigen Krieges, namentlih die Schlacht bei Säptis am 
3. November 1760. Bei Belegenheit der 100jährigen Grinnerungetage eines 
für Prengen ruhmreich gemorbenen Krieges gefchrieben. Torgau, Wienbrod, 
1860, IV, 120 6 8. 


Hahn, Werner, Friedrich Wilhelm I. und Luife, König 
uud Königin von Preußen. 217 Erzählungen aus ihrer Zeit unb ihrem 
Leben. 2. Auflage. Mit 17 Abbildungen in Holzichnitten. XII und 326 ©. 
Berlin, Deder. 8. 


Scholz, I. C., Loniſe, Königin von Prenßen. Gin Lebenebifb 
zur 5Ojährigen XTobesfeier für Schule und Famiſie Erfurt, Körner, 1860. 
4716. 16. 


Königin Louife Ein Preußenbuh. 4. Aufl. Langenfalza, Kling. 
bammer, 1860. XlI, 226 ©. 16. 


Bade, Th., Luife, Königin von Breußen. Kin Lebeuebilb. Ber⸗ 
En, 9. Müller, 1860. IV, 122 © 16. 


Köpke, Rudolf, Die Gründung ber k. Friedrich⸗Wilhelme— 
Univerfität zu Berlin. Berlin, Ferd. Dümmler'ſche Verlagsbuchhandlung, 
1860. VI, 30068. 4. 


Geſchichte des kgl. preußifhen 6.Hufarenregimentes, (ehedem 
2 ſchleſiſchen), zufammengeftellt von Ernft Graf zur Lippe-Weißenfeld. 
Zum Bellen der Regiments-Epezialftiftung bes Nationalbanls. Berlin, Berlag 
ber E. geh. Che rhofbuchbruderei von R. Deder. 1860. 8. 

Ein äußerlich ſehr elegant ausgeftatteter Auszug der Tagebücher 
und Dienftliften dieſes Regimentes jet feiner Errihtung im Febr. 1809 
bis 1860; der gänzlihe Mangel an innerem Werthe dieſer Arbeit wird 
durch die Beigabe interefjant und pifant fein ſollender, huſaresken“ Fähnd⸗ 
rihöftreihe und Garniſonswitze nur noch fühlbarer. L. H. 


v. Horn, Hauptmann, Geſchichte bes f. preußiſchen Leib⸗In— 
fanterie-Regimentes. Im Auftrage bes Regiments verfaßt unb berausg. 
Berlin, Wagner, 1860. XX, 586 S. 8. 





Deutiche Brovinzialgefchichte. Preußen. 527 


Kichter, Dr. 2%, Geſchichte des Mepicinalmwefens der kgl. 
preunßiſchen Armee bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zur Armee» und 
Kulturgefhichte Preußens. Erlangen, Enke, 1860. 415 ©. 8. 

Es enthält dieſes Buch eine zujammenhängende geſchichtliche Dar⸗ 
ſtellung des preußiihen Militärmedicinalmejens von den Zeiten des gros 
ben Kurfürften an bis zur Gegenwart und beruht auf der umfaſſendſten 
Kenntniß des gedruckten Materinles, auf archivaliſchen Mittheilungen und, 
für die nenere Zeit, auch auf perſönlicher Wiſſenſchaft des um das Mi⸗ 
Ktärmedicinalwejen hochverdienten Verfaſſers. 

Der ſtets im Auge gehaltene Zuſammenhang mit der Entwicklungs⸗ 
geſchichte der preußiſchen Armee verleiht ihm ein Intereſſe anch für uns 
fere Wiſſenſchaft. W. A. 


5. Stephan, k. preuß. Poſtrath, Geſchichte ber preußiſchen Po 
von ihrem Urſprunge bis auf die Gegenwart. Berlin, M. Decker, 1859. XVI, 
816 ©. 8. 


31ſter Jahresberiht der Geſellſchaft für Pommer'ſche Se 
ſchichte und Alterthumekunde, über bie beiden Jahre vom 1. April 1857 
bis 1. April 1859. 

Geſell ſchaftsangelegenheiten. — Anfertigung ber Zeichnung und des Auf- 
riffes der Kirchenruinen zu Hilda bei Greifsmall. — Das alte nieberbentjche 
Gedicht über die 10 Gebote, ehemals an einer Wand der Kapelle zu Pudagla 
auf ber Infel Uſedom. — Das nieberdeutfche Gedicht über die 10 Gebote 
wm den Etargarber Hanbicriften. — Die Greifewalder Orbnung für die 
Dateler, 1443. — Die Denkichrift des Michel Vith, Altermannes bes Ge⸗ 
wendhaufes zu Stralfund, 1602 — 1630. — 


Baltifhe Studien. XVII 2. Stettin. 8. 


Bertheibigungsihrift der Stadt Stralfund, im Mai bes Jahres 1529 
beim 8 f. Reihslammergericht in Speier eingereicht, wider die vom Stral⸗ 
fanber Oberkirchherrn Hippolytus Steinwer erhobene Anklage in Betreff der von 
der Etadt verübten Verfolgung des katholiſchen Clerus. Aus ben Reichskam⸗ 
mergerichtöalten mitgetheilt von I G. 8. Kojegarten — Die Bernebmung 
der gegen bie Etabt geftellten und 1527 zu Greifswald abgebörten Zeugen, 
im Auezug mitgerheilt von demſelben. — Uebergabe bes Amtes Eldena an 
Die Univerfität Greifäwald, 28. März 1634, unter dem Rectorat bes Dr. Ja- 
bob Gerſchow. — Bernerlungen zum Leben bes Dr. Zatob Gerſchow, von 
Br. Latendorf zu Neuſtrelitz — Das friebländifhe Kriegevoll zu Greife⸗ 


528 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


wald in ben Jahren 1627— 1631. Nah den Acten bes Greiftwalder Gtabt- 
archives von 3. ©. 8. Kofegarten. (Bierte Fortfegung, enthält db. 3. 1630: 
Guſtav Adolph's Landung in Bommern, 25. und 26. Juni 1630.) — 


Zober, Ernſt Heinrid, Dr., Prof., Gymnaflaloberlehrer und Gtabt- 
bibliothekar, Zur Geſchichte bes Etralfundber Gymnafiums 4. Beis 
trag. Die Zeit von 1680 bis 1755. Mit dem lithographirten Bildniffe Rec⸗ 
tor P. Vehrs. Stralſund, Hingſt, 1858. IV, 114 © 4. 


Daffelbe, 5. Beitrag. Die Zeit von 1755 bis 1804. Mit dem lithogr. 
Bildniffe Rector Büttner's, ebendaſ. 1859. IV, 758. 4. 


Daſſelbe, 6. Beitrag. Die Zeit von 1804 bie 1860. Mit bem fithogr. 
Bildniſſen der Direetoren Kirchner und Nizze. Stralfund, Hingf, 1860. VIM 
926€. 4. 


Zeitfrift für die Gefhihte nnd Altertbumslunde Erm- 
kfandse. Im Namen bes Hiftoriihen Vereins für Ermland herausgegeben vom 
Domcapitular Dr. Eichhorn. 3. Heft, Mainz, Verlag von Franz Kirdyheim, 
1860. 409 — 668 ©. 8. 

Das Berhältni des Biſchofs Lucas von Watzelrode zum beutichen Or⸗ 
ben. Bon Brof. A. Thiel Artilel 11. Unter dem Hodmeifter Herzog 
Friedrih von Eadien. ©. 409 — 459. — GEeſchichte der ermländifchen Bi⸗ 
ſchofswahlen, mit möglichfter Berückſichtigung ber ihnen zu Grunde gelegenen: 
Rechtsverhältniffe, zugleich eine chronologiſche Grundlage für die Geſchichte der 
Biihöfe Ermlands. Bon Domcapitular Dr. Eihhorn, Fortſetzung, 17. Jahrh. 
©. 460 — 600. — Zur preufiihen Brafteatentunte. Bon Dr. Benber, 
©. 601 — 627. — Hünengräber bei Lautern, von Gerichteaffeffor Breyer. 
©. 628 — 632. — Ueber den altpreußijch - Kittauifhen Bernfieinnamen Gen- 
tarae oder Gintaras. Nebſt einem Nachtrage über das Kleftron und über den 
Eridanos. Bon Brof. Dr. Bedmaun, S. 633 — 618. — 


Walter, 3, Joſeph v. Hohenzollern und Stanislaus v. 
Hatten, zwei Biſchöfe Ermiande. 144 ©. mit 4 Holzſchnitttafeln u. eingebr. 
Holzſchnitten. Mohrungen, NRautenberg. 8. 


Danzig's Theilnahme an bem Kriege ber Hanfe gegen 
Chriftian II. von Dänemark. Ein Beitrag zur banfeatijch-fcandbinaviihen 
Geſchichte des 16. Jahrhunderts. Nacd Urkunden des Danziger Rathearchivee. 
1. Abſchnitt. Von R. Bonszoermeny. Danzig, 1860. 48 © 4. 


Der neuen preußifden PBrovinzialblätter dritte Folge. Her⸗ 


Deutfche Provinzialgeſchiche. Preußen. ' 599 
ansgeg. von X. v. Haſenkamp. Bd. V und VI. Königsberg, in Commif- 
fon bei Th. Thiele's Buchhandlung, 1860. 8. » 


Da uns dieſer Jahrgang der Zeitihrift, die an werthvollen Bei- 
trägen auch zur allgemeinen deutſchen Gefchichte reich zu jein pflegt, nur 
bruchſtũckweiſe vorliegt, jo müſſen wir uns vorläufig begnügen, vie Titel 
der einzelnen Abhandlungen, joweit fie uns bekannt geworten find, hierher 
zu ſetzen. 

Br. V.: Zur Kenntniß ter Volksbewegung und Sterblichkeitsver⸗ 
bältnijfe in ver Provinz Preußen, vom Regierungs- und Mevicinalrathe 
Dr. Bald. — Zur Berfafjungsgeichichte ver deutſchen Univerjitäten. 
Habilitationsrede vom Prof. Dr. Theodor Muther. — Eine bisher 
unbefannte Lebensbejchreibung des heiligen Adalbert. Ab- 
drud und kritiſche Einleitung, von W. Gieſebrecht. — Die Belagerung 
der Stadt Danzig im J. 1577, von 8. Hoburg. — Kantiana. 
Beiträge zu Immanuel Kant's Leben und Schriften, herausgegeben von 
Dr. Rudolf Reicke. — Die Herenprocefje ber beiden Städte Braunsberg, 
nach ven Griminalacten des Braunsberger Archivs bearbeitet von Dr. 
3.4 Lilienthal, Director des Progymnaſiums zu Röſſel (Fortſetzung). 
— Der alte Dinter, Feſtrede von R. Fatſchek. — Politiſche und 
tirchliche Reden aus dem Anfange des 16. Yahrhunterts, Vortrag von 
Brof. Dr. Th. Muther. — Guſtav Adolf und die preußiiche Regie⸗ 
sung im J. 1626. Nach den auf dem Geh. Archiv zu Künigsberg vors 
haudenen urtundlihen Materialien, von Dr. Carl Lohmeyer. — Inter 
von Mittheilungen find hervorzuheben: „Einige Beiträge über altpreußijche 
Perſonen⸗ und geographiihe LTocalnamen, von I. Boigt, und zwei 
Inedita, zur Erinnerung an Bhilipp Melanthon mitgetheilt von Prof. 
Dr. Muther. 

In Bd. VI.: Oftpreußen unter dem Doppelaar. Hiſtoriſche 
Skizze der ruſſiſchen Invafion in den Tagen des Tjührigen Krieges, von 
&. v. Haſenkamp. — Erimmerungen an Lobeck, Bortrag von Prof. 
Dr. Lehro. — Kriegsordnung von Herzog Albrecht von Preußen. Mit- 


getheilt von 8. Hoburg. 

Stein, Dr. 9, Rabb., Die Geſchichte der Juben zu Danzig. 
Seit ihrem Nuftreten in biefer Etabt bis auf bie neneftle Zeit. Zum erſten⸗ 
male ans handſchriftl. Quellen zufammengeftelt.e Danzig, Devrient, 1860. 
64 G. 8. 

Pipexiſche Zeitſqrift JV. Band. 34 


680 Ueberſicht ber Hiftorifchen Piteratur von 1860. 


7. Oberfadfen, Zhüringen, Heflen. 


Flathe, Theodor, Dr., Eymnaſialoberlehrer, Die Borzeit bes 
fähfifchen Volkes in Schilberungen aus den Quelleuſchriftſtellern. Leipzig. 
B. Tauchnitz, 1860. XI, 2088 8. 


Lubojatly, Franz, Das goldene Bud vom Baterlande oder 
Sachſen font und jest, nebſt Entfiehung und Schickſalen feiner Städte und 
DOrtfchaften. Ein Buch für Lefer aller Stände des ſächfiſchen Volles. 16— 32. 
Lieferung (Schluß). Löbau, Walde, 1860. ©. 241 -- 510. 4. 


Deutrih, Joh. Confant., Lehrer, Bilder ans ber Geſchichte 
Sachſens oder bie wicdtigften und merkwürbigften Momente und Greigniffe 
aus der Geſchichte Sachſens. Zur Unterhaltung unb Belehrung für Jung und 
At erzählt. 9. bis 12. Liefg. (Schluß). Oſchatz, Oldecop's Erben, 1860. 
©. 247 — 884. 8. 


Geſchichte der fähfifhen Armee in Wort und Bild. Bon 
Dr. Hauthal. 2. Aufl. 6. bis 10. Liefg. (Schluß). Leipzig, Bach, 1860. 
©. 93 — 172. 8. 


Montbe, I. v., kgl. fähflfher Hauptmann, Die churſächſiſchen 
Truppen im Feldzuge 1806, mit befonberer Bezugnahme auf bas von 
Höpfner’ihe Werl: „Der Krieg von 1806 u. 1807." Nach offiziellen Quellen 
bearbeitet. 2 Bände. Dresden, Kunte, 1860. 8. 

Diejes Werk erfüllt und fol, wie e8 den Anfchein hat, feinen an- 
dern Zweck erfüllen, als die Irrthümer zu berichtigen, welche fi über 
bie Theilnahme der hurjädhjiichen Truppen am Feldzuge von 1806 in 
das große Höpfnerifhe Werk eingefchlichen haben. Blatt für Blatt ver- 
folgt Herr von Montbe die Geſchichte des preußifchen Generals mit ge- 
wiffenhaftefter Genauigkeit, und wo er eine irrige oder unridtige Angabe 
in derjelben aufjpürt, ift er mit offiziellen Actenftüden und amtlihen Do⸗ 
cumenten zur Hand, fie zu widerlegen. Es muß rühmend anerfamt 
werden, daß diefe Widerlegungen in der Negel vollkommen gelingen, je 
den Schein gehäfligen Beſſerwiſſens vermeiden, und vor Allem fich nur 
auf mögliche Irrthümer, me aber auf abfichtliche Entftellungen, oder 
Färbungen von Höpfner’s Seite beziehen. Man fieht, daß al’ Das: 
jenige, was Montbe aus den ſächſiſchen Archiven 2c. Neues bringt, dem 
General Höpfner nicht befannt oder minveftend nicht zugänglich war; 
aber man behält auch die Ueberzeugung, daß wenn Höpfner al’ Diefes 





Deutſche Hrovingialgeſchichte. Oberſachſen. 531 


gewußt hätte, er die Irrthümer in ſein Werk nicht aufgenommen haben 
würde. Beſtätigt auf dieſe Weiſe die Schrift des Herrn v. Montbé ven 
ehrenvollen Ruf der Unpartheilichfeit und Leidenſchaſtsloſigkeit, welchen ſich 
Höpfner als Hiftorifer erworben, fo gibt fie auf der andern Seite rühm⸗ 
lich Zeugniß, daß ſich aud ver Herr Berfajler ver gleichen Tugenden 
mit gleichem Eifer befleißigt, wie ſchon aus der wahrheitögetreuen und eben 
nicht ſehr fchmeichelhaften Schilverung der fächfiihen Truppen bei Be- 
ginn des Feldzuges im 1. Kapitel des erften Bandes hervorgehen kann. 
Im Ganzen darf das Werk als ein fehr werthvoller Beitrag zur Ges 
ſchichte des unglüdlihen Yahres 1806 betradytet werben. L. H. 


Beder, Carl, Paſtor, Das edle ſachſ. Fürſtenkleeblatt ober bie 


Hauptzüge aus dem Leben rer 3 Kurfürften Briebrid, Johann uw. Joh. Friedr. 
Berlin, Schlawitz. 1860. 111, 444 ©. 8. 


Stier, G., Corpusculum inscriptionum Vitebergensium. 
Die lateiniſcheu Inihriften Wittenbergs , darunter Luthers 95 Sätze. Latein. 
m. deutſch mit einem Anhang deuiſcher Infhriften. Wittenberg, Herrofe, AV, 
168 ©. 8. 


Die Schloßkirche zu Wittenberg. Weberfiht ihrer Geſchichte bis 
auf bie Gegenwart. Zur Sicularerinnerung an bie beiden Jahre 1560 und 
1760 zufammengeflellt und im Aujtrage des Vereines für Heimathkunde des 
Kurtreifes herauegegeben vom zeitigen Echriftführer beffelben, ©. Gtier. 
Wittenberg, 1860. 8. 


Acta reotorum universitatis studii Lipsiensis inde ab a. 
1524 usque ad a. 15,9. Edidit E. Zarncke. Pars I. et II. Leipzig, 
1860. Zaudnig, X ‚526 &. Kol. 


Lindau, M. B., Geſchichte der Haupt und Refibeuzfadt 
Dresden vou der früheften bis auf die gegenwärtige Zeit 2. Bd. 4. bie 
6. Heft. Dresden, Kunte, 1860. 241 — 480 ©. 8, 


Lorenz, M. Chrn. Glob, Die Stabt Brimma im Königreid 
Sachſen, hiſtoriſch beicrieben. 8. und 9. Heft. Leipzig, Dyk, 1860. 
©. 449 — 5676. 8. 


Witßleben, C. D. v, Regierungsrath, Geſchichte der Leipziger 
Zeltung. Zur Erinnerung an das 200jährige Beſtehen der Zeitung. Leip⸗ 
zig, Teubner in Comm., 1860. VI u. 218 ©. 8. 

340 


632 Ueherſicht ber Hiftorifchen Literatur von 1860. 


-  Bidenwirth, sen, 5. F., Chronik ber kgl. ſächſ. Stabt Len- 
genfeld im Boigtlande, mit geſchichtl. Nachrichten über bie Nachbarorte: 
Mylau, Treuen, Plohn, Röthenbach, Grün u. Waldkirchen. Reichenbach, 1859. 
Leipzig, Kößling. VII und 278 ©. 8, 


Kämmel, Heinrih Jul., Dr., Prof., Dir, Erinnerungen an 
Gottfried Hoffmaun, Rector in Lauban, 1695 bis 1708 und in Zitten 
1708 bis 1712. Kin päbagogifches Lebensbild. 16 ©. Zittau, Yörfter. 8. 


Neues Laufigifhes Magazin: im Auftrage ber oberlaufikifchen Ge- 
ſellſchaft der Wiffenfchaften, herausgegeben von Guſtav Köhler. Bd. 36. 
Jahrgang 1859. 

1. Heft : Hiſtor. Nachr. von db. Huſſitenkriege in ber Oberlaufig feit dem 

9. 1430, v. M. Jak. Gottl. Klo. — Die Url. d. Qubener Rathsarchivsé, na 
ben Abichriften des Dr. Neumann. — Inhaltsüberſicht des Domſtiftsarchivs 
zu Budiſſin. 
2. Heft: Briefwechſel Zittauer Natheherrn mit Häuptern ber reformirten 
Kiche zu Zürich im Jahre 1541, mitgeth. v. Pfar. Theod. Hergang. — 
Geſch. d. geiſtl. Abminiftratur d. Bisths. Meißens i. d Oberlaufit ; nad ben 
Urkunden bes Stiftsarchivs zu Bubiffin, von Dr. Theodor Neumann. 

8. Heft: Ueber die Einführung hedenartiger Einfriedungen ber Aecker in 
der Oberlaufig, von v. Möllendborf. — Bartholomäus Ziegenbalg — 
Literatur bes oberlaufitifchen Adels, von Dr. C. U. Peſcheck. 

4 Heft: Gefellihaftsangelegenheiten. — 


Variscia, Mittheilungen aus dem Archive des Boigtländiihen alter- 
thumsforfchenden Bereines, herausg. v. Fr. Alberti, Pfr. zu Hohenleuben, 
Secretär d. Ber. 5. Lig. Im Selbfiverl. des Ber. Greiz, 1860. Ju Eom- 
miffion bei Otto Heming. 160 ©. 8. 

2. unb 3. Fortſetzung ber Bruchftüde aus ber Chronik Gera’s von Herrn 
R. Fürbringer, Hofr. u. Oberbürgcrmeifter in Gera. — Fortgef. Beiträge 
zuc Reuß⸗Geraiſchen Sitten-, ultur- u. Religionsgefd. v. demſelben — Die 
Sueven oder bie Flußvölker bes alten Germaniens v. Herren Pfr. Fr. Bold. 
mar Reſch in Zihirma. — Die Bergvöiler bes alten Germaniens, von 
bemjelben. — Die 2. Eorbifche Grenzmark, v. Hofbibliothelar %. Hahn zu 
Sera. — Brudftüde zu einer Schilderung des kirchlich⸗religiöſen Zuftandes un⸗ 
ſerer Gegenden um und vor der Zeit ber Kirchenverbeflerung, v. Hrn. Bfarrer 
Kaphahn. — Jahresberichte v. 1855—1859,. — Urkunden mitgetheilt v. 
Dr. Herzog. — Mittheilungen aus dem Ardive von Dr. Shmidt. 1. Be 


Deutſche Provinzialgeſchichte. Oberſachſen. B38 


grubnißkoſten ꝛc — 2. Gemeindeordnung yon Heinrich J. Grafen Reuß. — 
Miscellen aus ben Archivrepertorien von demſelben. — Auszüge ans dem Ge⸗ 
meinebrief des Dorfes Endſchütz. — Die Bezahlung von 50 Pferden. — 
Urkunden, mitgetheilt und beglaubigt von bem Freiherrn v. Reitzenſtein 
in Münden. — 

Neue Mittheilungen aus dem Gebiet hiflorifch- antiquari— 
fher Korfhnngen Im Namen des thäringifh-fähfifhen Ber- 
eines für Erforfhung des vaterl. Alterthume und Erhaltung feiner Dentmale, 
herausgegeben von dem interimiftifhen Secr. deſſelben Dr. E 2. Dümmler. 
9. 8b. 2. Heft. XI, 106 S. Halle u. Norbhaufen, Förſtemann's Verlag. 8. 

Winter, bie Sprachgrenze zwiſchen Platt- und Mitteldeutih im Süden 
son Jüterbog. — Opel, die Etädte Naumburg und Zeiz während bes 
SOjährigen Kriege, aus Zader: Naumburgifhe und Zeiziſche Stiftschronic. — 
Dpel, aller NReutraliften Spiegel, fliegendes Blatt. — Böhlau, Rechtsge⸗ 
Ihichtliches aus Reinele Bos. — 


Mittheilungen ber Geſchicht⸗ und Altertyumsforfhenden 
Geſellſchaft des Oſterlandes. IV. 3b. 4. Heft. V. 8b. 1— 3. Heft. 
Altenburg, 1858 — 1860. 8. 

IV. Bd. 4. Heft: v. Braun, Skizzen aus dem biplomatifchen Leben n. 
Wirten des Eadjjen- Altenburgifhen Gefanbten am weftphäliihen Friedens⸗ 
congreffe, Wolfgang Conrad v Thumeshirn, 1645 — 1649. — Cohn, 
bie Begauer Annalen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Bergl. Hiftorifche 
Zeitfhr. Bd. 1 ©. 248. — Wagener, ber Freihof in ber Neufladt zu Al⸗ 
tenburg , jet ber Pohlhof genannt. — 

V. 8. 1— 8. Heft: Wagner, bie Eiurichtungen und Mafnahmen für 
die Geiunbheit der Einwohner der Etabt Altenburg während bes Mittelaltere. — 
v. Gabelentz, über die Entftehung der Zamiliennamen, mit befonderer Rüdficht 
auf Thüringen. — Wagner, bie Urkunden zur Geſchichte bes Collegiatftifts 
Et. Georg auf dem Edhloffe in Altenburg (Fortſetz.). — v. Gabeleng, 
über eine Urkunde Dietrich’ von Leisnig. — Wagner, bie Brunnen unb 
Bafferleitungen der Etadt Altenburg. — Hafe, über eine Urkunde des Bi⸗ 
ſchofs Berthold Il. von Naumburg, bie Ginfünfte der St. Peterslirhe in Zeiz 
betreffend , im Jahre 1196. — Gröbe, bie Ausgrabung zweier Hügelgräber 
Bei Hartroda. — Hafe, zur Gefchichte der Et. Bartholomäusliche zu Al⸗ 
tenburg. — Die Gründung des gemeinen Kaftens zu Altenburg. — Frau⸗ 
Rabt, 8 Urkunden zur Geichichte der Burggrafen von Altenburg und ber 


Stadt Penig. — 


534 ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Zeitfhrift bes Vereins für thüringiſche Geſchichte und Al⸗ 
tertbumsfunde. Bierten Bandes erſtes und zweites Heft. Jena, 1860. 
265 S. 8. 

Dieſe beiden Hefte bergen einen höchſt mannigfaltigen Inhalt, der 
hier nicht Stück für Stück namhaft gemacht oder gar beſprochen werden 
kann, auch dem Werthe und der Bedeutung nach ſehr ungleichartig iſt. 
Eines und das andere aber mag hervorgehoben werben. So die Ab—⸗ 
handlung von Möller über das Klofter zum hl. Kreuz in Gotha, vie 
um fo willlommener ift, als fie eine ähnliche Behandlung auch ver übri⸗ 
gen Klöfter ged. Stadt in Ausficht ftellt. — Ferner der Aufjak Dr. ©. 
Grünhagen's über „ven Landyrafen ohne Land“, einen Enkel des 
vielberufenen- Yandgrafen Albrecht Degener, ver in Schlefien geboren war 
"und dort verſchwindet, nachdem ſchon fein Vater Heinrich, Albrecht's Erſt⸗ 
geborner, fi früh nad ebendemjelben Lande gewendet, dort eine Tochter 
des Herzogs Heinrich II. von Breslau geheirathet und fein Ende gefun- 
den hatte, ohne je wieder nah Thüringen zurüdzulommen. Wir hätten 
baber lebhaft gewünſcht, ver Hr. Verf. hätte fi auch mit Landgraf 
Heinrich eingehender bejhäftigt, wenn er einmal die Notizen Über deſſen 
Sohn jammelte und unterfuhte — Weiter von Intereſſe ift Dr. 2. 8. 
Hefje’s Mittheilung über die „Schevel’ihe Chronik von Thüringen“, freilich 
nur wegen ber Anregung, die dadurch gegeben wird, da ohne eine genauere 
Unterfuhung und Feſtſtellung ihres Werthes eine Anficht über dieſelbe 
nicht gefaßt werden karın. — Bon dem übrigen Inhalte nennen wir nod 
bie Mittheilung Micelfen’s „zur Beurkundung des Yudenfturms zu 
Erfurt im J. 1349", die Beiträge W. Stein's über die „erlofchenen 
Adelsgeſchlechter des Eijenacher Landes“, und endlih vie Funkhänel's 
„zur Geſchichte alter Adelsgeſchlechter in Thüringen“. — 8 — 


Rechtödenkmale aus Thüringen. Dritte Lieferung. Namens bes 
Bereins für thüringifhe Geſchichte und Alterthumskunde heransgegeben von A. 
2. 3. Michelſen. Iena, Friedrich Frommann, 1859. 

Die alten Rechtsdenkmale von Aubolftadt: 1. Etatuten vom I. 1404. — 
2 Zujäge in den Statuten von 1488. — 3. Zufäte zu ben Etatuten von 
1488 aus der Mitte bes 16. Jahrh. — Stabtprivilegien von Blankenburg von 
1456 u. 1470. — Urkundliche Nachrichten über Verhandlungen weſtphäliſcher 
Fehmgerichte mit der Reichsſtadt Norbhaufen im 15. Jahrh. — Wuszüge aus 
einem weimar'jhen Stadtbuche bes 14. Jahrh. — Statuten ber Stadt Könige 


Deutihe Provinzialgefchichte. Thüringen. 536 


fee, beRätigt 1559. — Hegung bes peinlichen Halsgerichts bei Königefee i. 3. 
1547. 


Günther, Dr. J., Thüringifhe Bilder Cine Sammlung von 
Schilderungen ber wichtigſten Ereigniffe aus ber thüring. Geſchichte. 3. (Titel) 
Auflage. Eifenberg, Schöne, 1847. 1V, 198 © 8. 


Die Landgraffhaft Thüringen unter ben Königen Abolf, 
Albrecht und Heinrih VII ine mkundliche Mittheilung zum Gebädt- 
niſſe bes 60jährigen Doctorjubiläums Kriebrih Chriſtoph Dahlmann's, ver- 
Sffentliht von A. 2. D. Mihelfen. Jena, 1860. 4. 

Der um die thüringiiche Geſchichte bereits jo vielfach verdiente Verf. 
behandelt in vorliegender Gratulationsfchrift einen Zeitraum der thürin- 
giſchen Geſchichte, ver zu den wichtigften, aber auch verworreniten und 
ſchwierigſten verjelben gehört. Es iſt hiebei begreiflicher Weife nicht dar⸗ 
auf abgefehen, den ganzen Inhalt viejes Zeitraumes offen zu legen — 
das würde ein ganzes Buch erfordern —, fontern einzelne Momente wer: 
den berausgeheben und namentlich die Anjprücde, die die genannten brei 
Könige auf die Landgrafichaft erhoben haben, einer bündigen, auf Ur⸗ 
kmden geſtützten ‘Darftellung unterzogen. Und wir fpredhen es gerne 
- aus, nicht ohne offenbaren Gewinn für die beffere und klare Erfenntniß 
ber beiprochenen, fo verwidelten Vorgänge ift vie Unterfuhung des Verf. 
geblieben, deſſen Stärke gerade in der Bewältigung derartiger Probleme 
fiegt. Bet diejer Gelegenheit erinnern wir uns aber au, daß der Hr. 
Berf. fi vor Jahren mit dem Gedanken ver Herausgabe eincd Codex 
diplomaticus Thuringiae getragen und bereits eine Probe eines ſolchen ver⸗ 
öffentlicht hat, und erlauben wir uns, vemjelben jenen feinen Vorſatz in 
das Gedächtniß zurüdzurufen. Deun ohne eine ſolche Urkundenfammlung 
wird es nicht fo leicht zu einer thüringiihen Geichichte kommen, und 
doch gehört eine foldhe, in ver rechten Art abgefaßt, zu den bringenbiten 
Bepürfnifien innerhalb des weitern Kreiſes ver deutſchen Geſchichte über- 
haupt. Es fcheint aber, daß man in den maßgebenden höheren Kreiſen 
Thüringens für ſolche Bedürfniſſe gegenwärtig unempfindlicher als je iſt. 
Der objective Grund dieſer Gleichgiltigkeit liegt freilich nahe genug umd 
barf daher wehl auch in Worte gefaßt werten; er liegt vorzugsweile in 
ber Zerriffenheit, in ber Getheiltheit ‘ver ehemaligen Landgrafſchaft. —g— 


Jamilienbuch bes dynaſtiſchen Gefhlehts von Eicſtedt im 


6536 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Thüringen, Bommern, den Marten und Schleſien. Bearbeitet für die Familie 
von Earl Auguft Ludwig Frhrn. v. Eidftedt, k. preuß. Oberſt a D. 
Ratibor, 1860. VII, 872 ©. 8. (Mit Siegeltafeln u. fonftigen Abbilbuns 
gen.) Als DManufcript getrudt. 


Renovanz, 2., Chronik der Fürſtl. Shwarzbnrg. Refibenz- 
ſtadt Rudolſtadt oder nad) ben beften Quellen bearbeitete Erzählung alles 
befien, was fih auf bie Entſtehung und Entwidelung der Stabt Rubolftabt, 
ihre Regenten zc. ven ben Afteften Zeiten bis auf die neuefte Zeit bezieht. 2 
Heft. Rudolſtadt u. Erfurt, 5. W. Otto, 1860. S. 97—192. 8. 


Leopold Fürſt v. Anhalt-Deifau, Selbſtbiographie, von 1676 bie 
1703. Hreg. v. Hauptm. a. D. Ferd. Eiebigk. Deffau, Aue's Berl., 1860. 
836€ 8. 


Leopold, Fürf vo. Anbalt-Defjan, Eine Erinnerungsfchr. an bes 
großen Fürften Leben u. Wirken Deffau, Baumgarten u.&o., 1860. 28 ©. 8. 


Unbreae, Dr. Aug , geh. Reg⸗R., Chronik der Aerzte bes Reg- 
Bezirts Magdeburg m. Ausihluß ber Halberfläbter, Quedlinburger und 
Wernigeroder Lanbestheile. Aus amtl. Anlaß zufammengetragen. Magbeburg, 
E. Bänid, 1860. 263. S. 8. 


Leffer, Froͤr. Chen, hiſtoriſche Nachrichten von ber ehemals 
faiferliden und des heil. röm. Reiche freien Stadt Norbhaufen,, gedr. bafelbfl 
im 3. 1740, umgearb. u. fortgefeßt v. Brof. Dr. Ernft Günther Zörfe- 
mann. Nah bem Tobe des Berf. hreg. vom Wagiftrate zu Norbhaufen, m. 
1 Chromolith. Norbhaufen, Förſtemann's Verl, 1860. 435 S. 4. 


Tettau, W. $ 9. v., Ueber das ſtaatsrechtliche Berhältniß 
von Erfurt zu dem Erzfift Mainz. Ein Vortrag gehalten in ber öf⸗ 
fentlihen Sitzung ber Mlabemie gemeinnütiger Wiffenfchaft zu Erfurt den 15. 
Dctb. 1859 (Abbrud aus ben Jahrbüchern ber k. Akademie gemeinnütziger 
Wiſſenſchaft). Erfurt, Wällaret, 1860. 140 ©. 8. 


Zeitfhrift bes Vereins für heſſiſche Geſchichte nnd Landes 
kunde. Bd. VII. Heft 2, 3, 4. Kaſſel, im Commiffionsverlag von 3. 9. 
Bohne, 18060. S. 109—408. 8. 


Die heſſenlaſſelſche Kriegemadt unter dem Landgrafen Karl bis zum Frie- 
ben von Rysmid 1697 ©. 109 — 215. — Eubfidienverträge zwifchen Beffen, 
ben Vereinigten Niederlanden und England ans ben Jahren 1694 — 1708. 





Deutfhe Provinzialgeſchichte. Franken. - 637 


Ritgetheilt vom Bibliotkelar Dr. Berubardi. ©. 216— 246. — Die zwei 
ätteften ſchriftlichen Grundlagen der landſtäudiſchen Berfaffung in dem Fürften- 
sgum Hefien uub den anbangenden Graifchaften. Mitgetheilt vom Oberpoſt⸗ 
meifer von Nebelthau. S. 247-269. — Bon ben alten Heerwagen unb 
Heerwagengelbern. Vom Oberappellationsgerichterath Dr. Büff. S. 270—90s 
— Die Schladht bei Kalefeld. Vom Archivar Dr. Landau. ©. 291 — 96. 
— Üctenftüde über bie große Bewegung im beutfhen Abel in ben Jahren 
1576. Mitgetheilt von Landau. S. 297-327. — Die Bevölkerung Kur- 
befiens und deren Bewegung. Mitgetheilt von ber kurfürſtlichen ftatiftifchen 
Eommiffion. S. 328 — 376. — Beiträge zur heſſiſchen Ortsgefchichte, von 
Landau. ©. 377-408. 


Elard Mülhaufe, Die Urreligion des deutſchen Bolles 
in heſſiſchen Sitten, Sagen, Revensarten, Sprüchwörtern nnd Namen. Caſſel, 
Theodor Fiſcher, 1860. 353 &. 8. | 

Ein Reihthum von mythiihen Sagen, Sitten, Sprücden und Ges 
bräudhen, an denen ver fleigige und finnige Verfaſſer zu zeigen ſucht, 
wie volftändig fich der jo umfangreihe germaniſche Goͤtterglaube in dem 
Heinen heſſiſchen Bezirk erhielt. 


Dommerid, Dr., Urkundliche Geſchichte der allmälihen Ber- 
größerung ber Sraffhaft Hanau von ber Mitte bes 13. Jahrh. bis 
zum Ausfterben bes gräflihen Haufes im 3. 1736. ine hifter. Unterfudhung 
mit befonderer Berüdfichtigung ber 4 großen Erbſchaften der Hanauer Grafen. 
Mit einer gemealogiihen Tafel. Hanau, König, 1860. IV, 164 S. 8. 


8. Franken. 


Archiv des biforifhen Bereins von Unterfranten und 
Aſchaffenburg. 15. Band. 2. und 3. Heft. Würzburg, 1861. 8. 

Diejes Doppelheft bringt manches Danfenswerthe. So die Fort⸗ 
feßung und Vollendung einer im erften Hefte tiefes Bandes begonnenen 
Geſchichte des Etiftes St. Burkard zu Würzburg von M. Wieland. 
Es handelt fih hier um tie Zeit von der Ummantelung des alten Be⸗ 
nebictinerflofters in ein Ritterftift bis zur Säcularifatien, (14641802). 
Die Darftelung ift im MWejentlichen gleich ter Behandlung des erften 
Theiles und verbient ber Verfaffer durch die aufgebetene Sorgfalt unfere 
anfrichtige Anerkennung. Auch find noch einige Nachträge zum erften 
Theile angefügt. — Der zweite Auffag von Fried. Emmert hat 


538 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


„Adalbert und das Bisthum Würzburg zu feiner Zeit (1045 — 1090)” 
zum Gegenftand und fteht an wiljenfchaftlichem Werthe über allen anderen 
diejes Heftes. B. Apalbert nimmt nicht nur in ver Geſchichte feines 
Stiftes, fondern auch in der Reichsgeſchichte jener Zeit bekanntlich einen 
einflußreihen Plat ein, und nach beiden Seiten hin bat fi der Ver⸗ 
fafler nicht ohne Erfolg beftrebt, dem merkwürdigen Manne gerecht zu 
werben. &8 ift allerdings Feine vollkommene mängelfreie Arbeit, mit der 
wir e8 zu thun haben, es ließe ſich die Yorfhung noch um manches er- 
gänzen, wenn bier dazu der Plab wäre, und die Jugendlichleit des Ber: 
faflers fühlt fi leiht duch: aber ten Dilettautismus, der in Zeits 
jchriften dieſer Art fonft ſich breit madt, bat er offenbar überwunden 
und ben Weg der Wiffenichaftlichleit, ver befonnenen, ehrlichen, ſich be 
ftimmten objectiven Grundſätzen ıimterwerfenden Forſchung betreten. — 
Das dritte Stüd liefert Beiträge zu einer in den letzten Jahren vielfach 
und nicht ohne Heftigkeit behandelten Yrage, nemlich zur Entſtehungszeit 
ber „Haßſurter Rittercapelle.” Schon in dem 1. Hefte dieſes Bandes 
hatte fi) der Berfafler, Herr N. Reininger, ausführlicher gegen bie 
bekannten Aufftellungen des Herrn von Heibeloff gewendet und fie fieg- 
reich zurückgewieſen, durch mehrere Actenftüde, die ihm inzwijchen be» 
kannt wurden und hier mitgetheilt werten, ift ver Verfaſſer nun im 
Stante, jeine ſchon damals geäußerte Anfiht über die Erbauung ver 
Kapelle, und namentlich des Chores und die Bedeutung der Wappenbilver 
peffelben näher zu begrünten. Das Hauptgewicht fällt auf eine Bulle 
Pius I. vom Jahre 1464: indeß können wir nicht umhin, zu be 
merken, daß jo ganz und gar wir aud) bereit find, den Grundgedanken 
ter Beweisführung tes Verfaſſers zu unterichreiben — dieſe Beweis—⸗ 
führung immerhin eine kanm fchon abgefchloffene it und einzelne Fragen 
und Zweifel doch wohl nody übrig bleiben. Endlich will uns bedünken, 
daß, wenn man fih mit Fug und Recht einmal auf den Standpunkt 
ver Kritik ftellt, die unter I und IT ntitgetheilten Actenftäde nicht fo ohne 
weiteres in Bauſch und Bogen und tem vollen Inhalte nad) bingenom- 
men werben türfen. — Ein auderer jchägbarer Beitrag zur Franconia 
sacra ijt die Erörterung Wilhegr Reins über das Nonnenklofter Zelle 
unter Fiſchberg (Würzburger Diöceje), Noch Uffermann (in feinem 
Episcopatus Wirceb. p. 460) hat ſo gut als nichts über daffelbe mit- 
teilen können; um fo mehr find wir Deren Rein für die Miübe ver- 


Deutſche Provinzialgeſchichte. Franken. 539 


pflichtet, womit er aus einer Reihe von Archiven unſere Kenntniß 
über die Geſchichte dieſes Kloſters immerhin um ein Bedeutendes bereichert 
bat. Die Stiftung ift mit von Biſchof Dtto I. ven Bamberg ausge- 
gangen; leider ift aud Herr Rein für das 12. Jahrhundert bei jeinen 
Nachforſchungen allzumenig vom Glück begünftigt gewejen, und es jcheint 
nit, daß aus fränkiſchen Archiven ein Erjag für das Vermißte zu er- 
warten fteht. — Bon tem übrigen Inhalt des Heftes heben wir ven 
Aufjag von Dr. Kittel hervor, der zur Probe einer größeren Reihe 
das Weisthum eined „Hubengericht8” von Dberau bei Ajchaffenburg vor- 
legt. — Bon den hiftoriichen Notizen über den Landgerichtöbezirt Elt⸗ 
mann dürfte die Mittheilung Über das „Dachabdecken in Rottfeld“ in 
fittengejchichtliher Beziehung von allgemeinem Intereſſe jein. 
—, — 

Ahtundzwanzigfier Jahresbericht des hiſtoriſchen Bereine 
in Mittelfranten. Ansbah, Brügel, 1860. XXI. 131 © 8. 

Borliegendes Heft enthält folgende vier Beiträge zur Gejchichte Mit- 
telfrantens : 1) Kurze Beichreibung ter Stadt Nürnberg aus vem legten 
Drittel des 17. Jahrhunderts. 2) Der Raugau und jeine Grafen. Ein 
Berſuch von Hrn. Dekan Bauer in Künzelsau. 3) Negeften des Berg⸗ 
hen Nittergeichlehtes von Hrn. Dr. Sronmüller. 4) Bejchreibung 
von Triesdorf (Domaine im Landgericht Herrievden) von Prof. A. M. 
Fuchs. — Die „Beichreibung ter Statt Nürnberg” war immerhin der 
Beröffentlihung werth, wenn jie auch nur untergeordneter Bedeutung iſt. 
— Der Aufſatz des Hrn. Bauer iſt ein ſorgfältiger und zum Theil 
ſcharfſinniger „Verſuch“, und namentlich dankenswerth iſt die damit ver⸗ 
bundene Skizze einer Geſchichte der Grafen von Bergtheim, um die ſich, 
wie um viele wichtigen und wirklich ſchwierigen Momente ver Geſchichte 
Oſtfrankens bis jettt Niemand gelümmert hat. Inte dieſe und ähnliche 
ragen können, — fo weit eine Beantwortung hier überhaupt möglich 
iſt — eine ſolche nur durch umfaffende Benugung alles getrudten und unge: 
drndten Materials finden. Auch in Bezug auf das bereit und längſt 
geprudte ift Hrn. Dauer manches entgangen, wie 3. B. was fich bei 
Schemwert in ven Vindemiis literar. Bd. 2 Collectio t. V. 11. im Necrolog 
des Michelsklofters zu Bamberg zur Genealogie gen. Grafen gehüriges 
findet. — Die Regeſten des Berg’jchen Nittergeichlechtes bilden eine Er⸗ 
gänzung zu der Schrift des Hrn. Verf. Über die „Geſchichte von Alten⸗ 


540 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1860. 


berg und der alten Befte bei Zirndorf“; fie find fleißig gearbeitet, und 
behandeln and bie Herren von Grundlech (Grindelach), die feit dem Au⸗ 
fange des 12. Jahrhunderts fo vielfady in den fränkiſchen Urkunden auf- 
treten. — Die biftoriihe Bejchreibung von Triesdorf endlich fchilvert 
mit Vorliebe und Sachkenntniß die Schickſale diefer markgräflich⸗ansbachi⸗ 
{hen Befitung, die in die Geſchichte des gen. Hauſes felbft enge ver 
flohten ijt, und wobei e8 an intereflanten Bezügen nicht fehlen konnte. 
— g — 


22 n. 23. Bericht über das Wirken und den Stand bes hi- 
ſtoriſchen Bereins zu Bamberg i. d. J. 18°%, u. 18°. Bamberg, 
Reindl, 1859, 1860. XXXU u. 136 ©.; XXVINI u. 144 ©. 8. 

Gewiß mit Recht fieht der Bamberger biftorifche Verein feine Haupts 
aufgabe darin, noch ungebrudtes Quellenmaterial in feiner urjprünglichen 
Geſtalt zu veröffentlihen, und wir möchten wünjchen, daß jein Beiſpiel 
von anderen hiftoriichen Vereinen nachgeahmt würde. Den Hauptinhalt 
ber beiben vorliegenden Publifationen bildet das Kopialbud des Kloſters 
Langheim, welches Herr Pfarrer Schweiger, der ſchon früher manche ver 
bienftliche Arbeit lieferte, in volllommen befrievigender Weile (vorderhand 
bis 3. 3. 1350) herausgegeben hat. Die Urkunden ter Eifterzienferabtei, 
einer Gründung des h. Otto, geben vielfachen Aufichluß über die Be: 
figverhältniffe der Gegend, und find auch für die Geſchichte ver benach⸗ 
barten Dynaftengejchlechter, wie ver Herzoge von Meran, der Grafen 
von Orlamünde von Henneberg u. a., von Belang. In der Einlei- 
tung hat der Herausgeber die Reihenfolge ver Aebte herzuftellen verjucht 
und dabei Uſſermann's Angaben vielfach berichtigt. Auch die Zuverläflig- 
feit ver Daten in dem von ihm im fiebenten Bericht des Vereins mit 
ben übrigen Kalentaren des Bisthums herausgegebenen Kalenvare von 
Langheim hat er einer Fritifhen Prüfung unterzogen. Nähere Auskunft 
hätten wir indeß über die ©. 35 des 23. Ber. erwähnten zwei Kopials 
bücher des Klofters im Banıberger Ardiv erwartet. Den beiden Berich⸗ 
ten find am Ende unter tem Titel: „Miscellen aus ver Bamberger Ges 
ſchichte“ Abdrücke oder Auszüge vermijchter Urkunden keigegeben, worun- 
ter einige von bejenterer Wichtigkeit, fo vor Allem ver merfwürtige Brief 
des Zaboritenführerse Prokop (des Großen), den er kei feinem Cinfalle 
in Franken am 2. Yebruar 1430 an die Stadt Bamberg richtete (N. 9 





Deutſche Provinzialgeſchichte. Franken. 541 


d. 22. Ber.) — Die unter N. 4 des 22. Ber. (in der Ueberſchriſt 
iſt fälſchlich Bonifaz VIII. ſtatt Bonifaz IX. genannt) mitgetheilten Ans 
gaben über die Refignation des Biſchofs Lambrecht (im I. 1398) klären 
diefen bisher dunklen Puuft auf und erledigen die Beweisführung Uſſer⸗ 
mann's (ep. Bamb. 192). Die Urkunde des Burggrafen Friedrich I, 
von Nürnberg d. d, 22. Yebruar 1296 (mitgetheilt im 22. Ber. N. 1) 
fehlte in ven Mon. Zoll. und ergänzt die dort vorfindlihen Urkunden 
N. 320 u. 409 (T. 11). — Der Abdruck ſcheint im Kopialbuch, wie in ven 
Miscellen genau und die Regeſten find ausführlich. Wir hätten nur 
gewünſcht, daß das wörtlich Angeführte im Drud gefennzeihnet und 
daß Abkürzungen, wie Wlinngus ftatt Wülflingus, restauram ftatt restau- 
rationem (23. B. ©. 49) aufgelöst worden wären. Auch fehlt bei Bas 
rianten hie und da ter Nachweis, woher fie genommen, un wäre im 
23. Ber. ©. 135 eine Bemerkung darüber am Plate geweien, ob das 
Schreiben wirklich abgegangen, da doch das Original im Bamberger Stadt⸗ 
archive verblieben. Im 22. Ber. ©. 73 ift der Ausftellungsort Rotens 
burg nicht Rotenberg. Uffermann und die Hist. dipl. Nor. 172 baten die 
richtige Leſeart. Schließlich verdient die ſchöne Ausftattung ver Publi⸗ 
fationen anerkannt zu werben. Th. K. 


Archiv für Gefhihte und Alterthumskunde von Oberfran> 
fen. VII. Bd. 1. Heft. Mit einer Steinzeihnung Vayreuth, 1860. 
128 ©. 8. 

Das Beſte, was diefe Publication tarbietet, ift die „Kurze Ger 
fehichte der ſechs Aemter von Pfarrer Statelmann“ (S. 19 — 50), eine 
verbienftlihe Zujammenftellung der auf dieſen Gegenftand bezüglichen 
meift urkundlichen Daten, freilich nicht immer von den nöthigen Citaten 
begleitet. Was dagegen Pfarrer Hirſch über die erfte allgemeine Kirchen⸗ 
pifitation im Fürſtenthum Culmbach, bejonters in Wunjietel (S. 6—18) 
beibringt, findet fi) der Hauptjache nach beffer in Wunderlich's Schrift: 
Etwas zur kirchlichen Berfaflung der Statt Wunfierel 2c. (Erlangen 
1784) mitgetheilt. Die geſchichtlichen Mittheilungen über das Schloß 
Wildenfels und das Geſchlecht der Wildenftein zum Wildenfels von Cra⸗ 
mer (S. 76— 93) enthalten eine fleigige aber ziemlich kritiffoje Anein⸗ 
anberreibung bereits befannter und fehr häufig ſchlecht beglaukigter Nach» 
sichten. Unter N. 5 theilt Fehr. 8. v. Reigenftein 3 Urkunden aus 


542 Veberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1860. 


den Originalen mit, von denen indeß zwei bereits im vorigen Jahre im 
befferem Auszuge als dem hier berichtigten. ver Reg. boic. in dem vom 
Bamberger biftorifchen Verein herausgegebenen Kopialbuch des Kloſters 
Langheim befannt wurden, die dritte für die Geſchichte der Stadt Hof 
von Interefle iſt. Ziemlih unbebeutend und fehr unklar abgefaßt find 
die Beiträge zur Geſchichte des Ortes Kaulsvorff (an der Saale) von 
Kiejewetter (S. 51—69). Und wenn am Schluffe das Verzeichniß ver 
in der Reg. boic. enthaltenen auf das ehem. Fürſtenthum Bayreuth be- 
züglichen Urkundenauszüge fortgejetgt wird, fo können wir uns ven bem 
Werthe diefer durch viele Bublicationen hindurchgehenden Arbeit in feiner 
Weiſe überzeugen. Th. K. 


Monumenta Zollerana, Urfundenbuh zur Geſchichte bes Hanfes 
Hohenzollern. Hreg. von Rud. Frhrn. v. Stillfried und Dr Traug. 
Märder 6. Bd. Urkunden der fränkiſchen Linie, 1398 — 1411. 
Berlin, Ernft und Korn, 1860. 642 S. mit eingebr. Holzſchn. 4. 


Peez, Baireutd und Kulmbah unter Markgraf Friedbrid. 
Baireuth, Giefel, 1859. 8. 


Burkhardt, Dr. & A. H, Arhivar, Correcturen und Zufäge 
zu Quellenfhriften für Hobenzollerifhe Geſchichte. 1. Das fai- 
ferlihde Buh des Markgrafen Albrecht Achilles, beransgeg. von 
Dr. Conftantin Höfler. Jena, Otto Deiftung, 1861. VI, 31 6. 8. 


Geſchichte ber evangelifhen Kirhe im ehemaligen Fürften- 
tbum Bayreuth, von Dr. Lorenz Kraußold, Konfiftorialrat5 und Haupt⸗ 
prebiger in Bayreuth. Erlangen, Andreas Deicyert, 1860. VIII, 338 &. 8, 

Das Buch, welches als Feſtgabe zum 5Ojährigen Yubiläum des 
Uebergangd des Fürſtenthums Bayreuth an die Krone Bayern erjchien, 
behandelt vie Geſchichte der evang. Kirche in ten früher martgräflichen 
Landen von dem Beginne der Reformation bis zum Jahre 1818, als bie 
Kirche mit der Verfaſſung Bayerns auch eine neue Organiſation mit ei« 
nem OÖberconfiftorium in Münden u. f. w. erhielt. Beſondere Rüdjickt 
ift auf die jeinaligen inneren Verfafjungszuftinde der Kirche genommen. 
Die Arbeit ift mit viel Fleiß und Geſchick gemacht; ver Verf. benüste 
ein reichhaltiges Material — darunter auch Bamberger Ardivalin — 





Deutſche Provinzialgefchichte. Franken. 543 


und, was bejondere Anerkennung verdient, in feiner Darftellung läßt er 
fi nie von konfejjioneller Leidenſchaft fertreigen. K. M. 


Döderlein, Ludwig, Brof., Dr., Zur Feier ber 5Ojährigen 
Einverleibung des Kürftenth. Bayrenth in das Königr. Bayern 
Feſtrede im Auftrag bes kgl. academifhen Senats, gehalten am 2. Yuli 1860. 
Erlangen, Bläfing. 1860. 19 ©. Bol. 


Rürnbergs VBebeutung für bie politifhe und culturge 
ſchichtliche Entwicklung Deutfhlande im 14. und 15. Jahrh. Vorir. 
auf Beranlafjung bes Berliner Hülfsvereines bes germanifhen Muſeums in 


Nürnberg, am 15. Februar 1860 gehalten von Dito Gabler. Berlin, Lud. 
Raub, 1860. 356 8. 


Lochner, ©. WB. 8. Lebensläufe berühmter und verdienter 
KRüruberger. Nürnberg, 3 2. Schrag, 1861. IV, 66 © 8. 

Ein Büchlein, das feinen Anſpruch auf wiſſenſchaftlichen Werth 
machen kann, wenn auch der Berfaffer am Ende der einzelnen Biogras 
pbien eine kurze Zujammenftellung der Schriften gibt, denen er jeine No⸗ 
ten entnahm. Neben ven Lebensläufen von Männern, denen Nürnberg 
feine Bedeutung im 16. und 17. Jahrhundert verdantte, find aud die 
Bervienfte einiger Bürger, auf die das heutige Nürnberg mit Berehrung 
und Dank zu bliden Grund hat, gejchilvert. Als Beilage erſcheint — 
nach Herrn Lochner's Sitte over befier Unfitte, ohne Angabe ver Duelle — 
ein Brief der Gnadenberger Nonne Juliana Tucherin an den befannten 
Dr. Chriſtoph Scheurl vom Jahre 1531. F. W. 


Soden, F. %, Frhr. v., fürfl. Schwarzb. Major a. D., Kriegs- und 
Sittengeſchichte der Reichsſtadt Nürnberg v. Eude d. 16. Jahrh. 
bie zur Schlacht bei Breitenfeld 1631. I. Thl. 1590 — 1619, XXI, 
572 8. 11. Thl. 1620 — 1628. XII, 457 ©. Erlangen, Bläfing. 1860, 
1861. 8. 

Nah der Angabe des Herrn Verfaſſers ift tie Hauptquelle feiner 
Darftellung vie handſchriftliche Chronik des Hans Start von Stedenhof, 
welche von den eriten Anfängen der Stadt Nürnberg Eis zum 9. 1628 
reiht. Es wäre ohne Zweifel ein brauchbarer Beitrag zur Geſchichte 
bes 17. Jahrhunderts gewejen, wenn der Berfaffer ung kurze Auszüge 
aus diefer Aufzeichnung vorgelegt hätte; wir wiſſen nun freilich nicht, da 
wir das Driginal nicht kennen, wie weit er daffelbe gelürzt bat, aber 


544 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur don 1860. 


nach Analogie früherer Soden'ſcher Arbeiten dürfen wir wohl präfus 
miren, daß er in den 150 Bogen Excerpten, die er (j. Borreve zum 
J. Theil) aus den 7 Foliobänden des Originald gemacht hat, alles nie 
verlegte, was er nur immer für die „Eulturgejchichte” der Zeit wichtig 
fand. Und darin pflegen Dilettanten fich nicht leicht concis zu faffen. 
Wenigftens tritt in dem Werke ein ſolches Chaos aller denkbaren Gegen- 
ftände auf: Neichstage und Geſandtſchaften, Kriegszüge und Unterhand⸗ 
lungen, Feftlichfeiten und religiöfe Wirren, „Exrceffe und Hinrichtungen,“ 
Schmaufereien und Leichenbegängnifie, — daß es nicht leicht iſt, ſich 
durch dafjelbe eine Bahn zu ſuchen. Neben der Stark'ſchen Chronik find 
noch verfchiedene Aufzeichnungen im Nünberger Ardiv, in der dortigen 
Staptbibliothet und der v. Scheurl’ihen Sammlung benutt, freilich ohne 
jede Angabe über veren Charakter und ohne alle gebräuchlichen Citate. 
Die wenigen gebrudten Werke, die der Berfaffer zn feiner Bearbeitung 
beizog, find am Eingange jedes Theiles genannt. Einige Parthien des 
Buches find „nad Müllner's Annalen“ bearbeitet, denen die Ehre aus- 
geichrieben zu werden, fo unenplich oft begegnet ift, daß man froh fein 
müßte, wenn fie lieber einmal vollftändig gebrudt worben wären, wozu 
gewiffermaßen Tochner ſchon einmal einen Anlauf genommen bat. Der einzige 
Werth, den dieſes Buch für die Wiffenichaft haben könnte — das be 
beutende Material, das e8, wenn aud) in chaotiſchem Zuſtande, immer: 
hin enthält, ift vollftändig annullirt durch den Mangel eines Regifters, 
das allein eine Benutzung möglid gemacht hätte Man muß endlich 
noch beklagen, daß ter Zert durch eine Unmenge von Drudfehlern zu- 
weilen bis zur Unverſtändlichkeit entftellt ift, — ein ſchlimmes Präjubiz 
für die große Menge von Zahlen, welche er enthält. —* — 


Eye, A. v., Dr., Leben und Wirken Albrecht Dürers. 
Nörblingen , Bed. 1860. VI, 5256 8. 

Dieſes Bud, das Kunfthiitorifer und Kunftfreunde mit warmen 
Beifalle begrüßt haben, darf auch der Geſchichtsforſcher dankbar will 
fommen heißen. Die Innigfeit des Gefühle, mit der ſich ver Berfaffer 
in die Zeit und in bie localen Berhältniffe eingelebt hat, denen fein Held 
angehört, entſpricht dem Fleiße, mit dem er Alles zujanmentrug, was 
über Dürer gefammelt und gedruckt werten. Bon den Männern, bie 
neben tem großen Künftler aufgetreten find, fcheint uns nur Willibald 


Deutſche Provinziaigefchichte. Fraulen. 645 


Pirkheimer, fein berühmter und auch um ihn hochverdienter Freund, 
ungerecht behandelt zu fein. Das Zartgefühl des Verfaſſers hat in dem 
Scherzreven, mit denen biejer den in Venedig weilenden Maler nedt, 
doch wohl mit Unrecht übermüthige Herablajfung und in tem ehrerbietigen 
Zone, in dem Dürer bem Nürnberger Rathöheren fchreibt, ber ganz im 
Geiſte der Zeit begründet war, ficherlich nicht mit mehr Berechtigung 
eine für ven Künftler kränlende demüthige Stellung jenem gegenüber er- 
fennen wollen. — Was die Borfhung betrifft, die den Werke zu 
Grunde liegt, fo beklagen wir, daß der Verfaſſer die reihen Materialien, 
die Heller zur Geſchichte Dürer's gejammelt hat, nicht benutzte. Wir 
gefteben, nicht zu begreifen, warum fie ihm nicht zugänglich waren 
(f. Vorrede ©. IV), da fie auf der für Jedermanns Beſuch offen fte- 
henden kgl. Bibliothek zu Bamberg aufbewahrt fin. Auch das Nürn- 
berger Archiv hätte, um fo mehr, wenn ver bortige Archivar dem Ver⸗ 
faffer mit großer Zuvorkommenheit entgegentam, eingehender benutzt wer⸗ 
den müſſen. Daß man die Urkunden, vie man anzufehen wünjcht, näher 
bezeichnen muß, ift ein Umftand, dem man auf jedem Archive der Welt 
begegnet, ver aber von ver Pflicht, fih um das Erreichbare zu bemühen, 
wicht entbindet. — Trotz dieſer Mängel bezeichnet das Eye'ſche Bud 
einen fo bedeutenden Fortſchritt in der Dürer» Literatur, dag man mit 
geipannter Erwartung den weiteren Bänden entgegenjehen darf, in benen 
der Berfafler „vie geichichtlihen und ftatiftiichen Grundlagen in ftrengerer 
wiffenichaftliher Yorm zu geben” veripridt. — F. W. 


Baader, 3., Beiträge zur Kunſtgeſchichte Nürnbergs. Nörb- 
fingen, Bed. 1860. VI, 112 ©. 8. 


Sronmäller, ©. T. Chr., Dr., Geſch. Altenberge un. db. alten 
Bere bei Hürth, fowie ber zwiſchen Guſtav Adolph und Wallenftein im 
Hiährigen Kriege bei der alten Veſte vorgefallenen Schlacht Nah ben ur⸗ 
fuublichen Quellen bearbeitet. Nürnberg, 3. 2. Schmid's Verlag. 1860. V, 
Be. 8. 


Baader, 3., Ballenfein als Student an der Univerfität 
Kidorf. Ein Beitrag zu feiner Imgendgeihicdte. Nürnberg, Bauer und 
Rafpe. 1860. 326. 8. 


Schneider, Eugen, Dr, Geſch. d. I. Landwirthſchaſte⸗, Ge⸗ 
Oieriſqhe Zeitfarift J. Bam, 35 


546 Ueberfiht ber hiſtoriſchen iteratur won 1860. 


werb- u. Sanbelsihule zu Bamberg. Ein PBrogr. z. Beier d. 25j6hr. 
Beftehens derſelben. Bamberg, 1859. 8. 


Zeitfhrift bes Hift. Ber. für das würtembergiſche Franken. 
V. Bd. I Heft. Mit einer Tith. Beilage in 4. Künzelsau und Mergentheim. 
1860. IV. 1726. 8, ' 


Bauer, ritterliche Geſchlechter im Gebiete der Jagſt. Buheubad, Die 
fetten Herrn von Schüpf. — Bes, bas Aufblühen ber Stadt Erailsheim 
unter der Herrſchaft ber Herren von Hohenlohe im 14. Jahrh. — Baner, 
Bernbronn ; das Klofter Gerlacheheim; bie Herren v. Zobel u. v. Geyer; bie 
Herren von NRofenberg. — Urkunden und Ueberlieferungen. Alterthümer ımb 
Denkmäler. Statiſtiſches und Topographiiches. 


Dillenius, 5. L. J., Dr., vieljähr. Del. u. Stabipferrer in Weine 
berg ꝛe, Weinsberg, vormals freie Reichs⸗, jetzt würtemb. Oberamtsflabt. 
Chronit berfelben. 1. Burg, gen. Weibertrene. II. Freiherruſchaft und IM. 
Stadt. Etuttgart, Wilhelm Nitzſchke. 1860. VI. 294 6 8. 


Geſchichte ber Buhbruderlunk im chemaligen Herzog 
thume Franken und in benachbarten fränfifhen Stästen. Bon Thomas 
Welzenbach, Scriftfeger. — Würzburg, Drud von Friedr. Ernſt Tpein, 
1858. 1456 8. 


Bayern. 


Bavaria. Landes- und Bollslunde bes Königreihs Bayern, bearbeitet 
von einem Kreife bayerifcher Gelehrten. In 4 Bon. 1. Bd. Ober- u. Rie 
berbayern. 1. Abthl. Mit Kupfern und Holzſchnitten. München, literariſch⸗ 
artiftifche Anftalt, 1860. III, 672 © 8. 


QDuißmaun, Anton, Dr, Die heidniſche Religion der Bai- 
waren. Erſter faltiiher Beweis für bie Abſtammung biefes Volles. Leipzig 
und Heibelberg. Winter’fche Verlagshanblung.. 1860. XX und 8lb ©. 8. 

Der Herr Berfaffer hat den Verſuch gemacht, die Mythologie des 
bayriihen Stammes, fomweit fie aus den alten Denfmalen und aus noch 
berrihenden Sagen, Märdyen, Sitten und Gebräuden zu ermitteln ift, 
darzuftellen und ven zerftreuten Stoff, wie er in ven Sammlımgen von 
Panzer, Schönwerth, Alpenburg und anveren, fowie in Wolf's Zeitſchr. 
für deutihe Mythologie und Sittenfunve vorlag, in ein georbnetes Ganze 
zu bringen. In diefem Sammelfleiße, ver mit ver größten Gewiflen- 


Deutſche Provinzialgeſchichte. Bayern. | 547 


haftigkeit zu Merle gegangen ift, liegt nun auch das Hauptver⸗ 
dienft des Buches; durch alle übrigen Zuthaten bat Herr Du. feiner 
mühjamen Arbeit leider mehr gefchadet als genutzt. Abgefehen von den 
Schluffolgerungen rechnen wir dahin vorzugéweiſe das Beſtreben, alles 
and mm im Gntfernteften an einen Mythus Anklingende berbeizuziehen 
und nad) dem einmal angejchlagenen Akkord ver norbiihen Mythologie 
zu flimmen. Da ver Berfaffer in den Orts⸗ und Perfonennamen einen 
Banptbeweis für die Verbreitung eines Mythus findet, gibt er und Zu⸗ 
famımnenftellungen, vie mit den „Regeln ver biftorifchen Grammatik“ als 
lerdings nit im Einklange ftehen. Einige Beijpiele mögen genügen: 
Botinge und Odinburg (Oedenburg) werden zu Wuotan (21), die mit 
Dur, Durren compenirten Namen zu Donar (53), die nit Haiderich und 
Haderih (98), Wel und Wal zujammengejegten zum nord. Hödr und 
Bali geftellt, ja die Mutter des Ietteren (Hinter) will der Verfaſſer im 
Ortsnamen Rintpach wiederfinden (II)! Aehnlich ergeht es dem Feuergotte Poli, 
dem tie mit Loh, Loch gebilteten Ramen zugewiejen werben (101), was 
allerdings noch nicht jo arg ift, al8 ven Namen Hugo zum nord. Degir 
zu ftellen (101). Auch dem von Bothe in jeiner mKronecke der Sassen“ 
erdichteten Gotte Krodo (mie Delius ſchon 1826 nadywies) werben bier 
alle mit Hrod, Hruod, Rot componirten Namen zugetheilt. Wie weit 
Hear Du. mit derartigen Beweiſen geht, ſieht man auf p. 58, wo er vie 
bayriſchen Ortsnamen Ober⸗ und Unterflinsbah mit dem Donarcultus 
mfammenbringt, weil Wolfram von Eidyenbah in einem feiner Lieder von 
einem vlins von donresträlen ſpricht! 

Auch andere Etymologien wären beffer unterblieben, namentlich der 
im Bormworte über den Namen ber Bayern gebrachte Auslauf, deffen Wi⸗ 
derlegung Herr Du. in ten von ihm citirten Werfen und Grimm's Ge— 
fhichte der deutſchen Sprache jelbit ohne Mühe finden wirt. Von ans 
dern erwähnen wir nur daß das bayer. Mika 122) (Mitwoch) nad) Schönes 
werth's Vorgang zum gothiſchen mikils (groß) geftellt wirt, während doch 
Schmeller's Wörterbuch feinen Zweifel läßt, daß e8 ein verberbtes Mit- 
tihen if. Das bayrifch » öfterreichiihe Wort Gankerl (Teufel) iſt iten- 
tiſch mit Kanker (Spinne), aber nad dem Verfaſſer „Stimmt es auffal« 
end und überraſchend'“ zu den Beinamen Odhins: Gangrädhr und 
Bängleri (35). Die Bedeutung der nerd. Sif als Göttin des befruch⸗ 
tenben Negens ift uns wie auf ©. 133 zu lejen, noch in dem Ausdrucke 

35* 


548 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur won 1860. 


fifeen, fifeln für das leichte, feine Regnen erhalten. Bor 40 Jahren 
bat J. Grimm im Gefeße der Lautverfchiebung einen Prüfftein für Ety⸗ 
mologien entvedt — wie lange wird's noch dauern, bis die Wortdeuter 
ſich dieſem Geſetze fügen? — 

Schließlich können wir nur wiederholen, daß Herrn Qu.'s Buch als 
Darſtellung der heidniſchen Religion der Bayern und als fleißige Samm⸗ 
lung aller darauf bezüglichen Ueberlieferungen eine ſehr verdienſtvolle Ar⸗ 
beit iſt, und daß wir mit Vergnügen dem zweiten Theile ſeiner For⸗ 
ſchungen, der die bayeriſchen Rechtsalterthümer darſtellen ſoll, entgegen⸗ 
ſehen. m. 

Schubert, Gotth. Heinr. v., Dr., geheim. R., Die Geld. von 
Bayern für Schulen. Neue vermehrte Ausgabe. Münden, Finſterlin, 
1860. XII, 166 ©. 8. 


Kid, Joh. Mid., Pfr, Bayer Geſch. f. Shulen und Fami— 
fie, zur Erwedung ber Liebe zum Könige und Vaterlande. Nebft einer 
Geographie Bayerns. 6. durchgeſehene und verbefferte Auflage. Augsburg, 
Kolmann. 1860. IV, 686. 8. 


Geſchichte der Bayern unb ihrer Fürfen. 1. Abth. (bie zum 
Jahre Y11 n. Chr.) 2. Auflage. Paſſau, Elſäſſer und Walbbauer. 1860. 
316 8. 

Koch⸗Sternſeld, I. €, Ritter von, Das norbweflide 
Bayern in der erfien Hälfte bes 9. Jahrhunderts: zunähft bie 
Mark Tannara, zwiſchen bem Lech, ter Par, Ilm und Glan, fpäter bie 
zweite Heimath ber Erlauchten zu Scheyern und Wittelebach ; in ihrem ethno⸗ 
graphifhen, dynaſtiſchen, kirchlichen und vwollswirthichaftlihen Beſtand. Aus 
gleichzeitigen Duclen. (Aus ben Abhandlungen ber bayer. Alademie d. W.) 
Münden, Franz, 1859. 43 ©. 4. 


Holland, Dr. H, Kaifer Lubwig ber Bayer und fein Gtift yn 
Ettal. Münden, A. Robfold, 1860. 51 ©. 8. 

Ein Berfuh, nachzuweiſen, dag K. Ludwig mit dem Baue des Et⸗ 
taler Klofters und deſſen außergewöhnlicher Verfaffung nichts geringeres 
bezwedte, „als inmitten einer furchtbar erregten und ſchwer zerrifienen 
Zeit einen Öraltempel zu erbauen und fo ven fchönften Plan, ven je 
eines großen Dichters Geift erfonnen, nad Möglichkeit zu realifiren“, 
Hiſtoriſch neues finden wir nicht, im Gegeutheil einen Abdruck der Stife 





Dentſche Proninzialgefchihte. Bayerır. 549 


tungsurhinde aus Mon. Boic. VII. 235, ohne daß der Verf. zu ahnen fcheint, 
daß der Ausftellingsort durchaus nicht in Ludwigs Itinerar paßt, was 
wohl eine kurze Erörterung verdient hätte. — Was die Erflärung des 
Namens Ettal betrifft, mit ver er fih auf S. 7 beſchäftigt, fo fcheint 
ihm die einfachſte und einzige gleichzeitige entgangen zu fein. Johannes 
Bictorienfis erzählt (fälſchlich z. I. 1330) die Gründung des Klofters 
„quod Etal, id est Vallis Legis dicitur.“ (Böhmer Fontes I, 410). 
F.W. 


Schreiber, Dr. Fr. Ant. W., Geſchichte des bayerifhen Her- 
3098 Wilhelm I. des Krommen, nad) Quellen und Urkunben bargefieflt. 
Ein Beitrag zur vaterländiſchen Geſchiche. Münden, 1860. IX, 330 ©. 8. 


Einundzwanzigſter Jahresbericht des Hiforifhen Bereins 
von nub für Oberbayern. Für das Jahr 1858. Erſtattet in der Ple⸗ 
narverſammlung am 1. Juli 1859 durch ben erfien Vereinsvorſtand Briedr. 
Deltor Grafen Hundt. Münden, 1859. 1486 8. 


Zweiundzwanzigfier Jahresbericht bes hiſtoriſchen Ber- 
eins von und für Oberbayern für bas Jahr 1859. München, 1860. 
104 ©. 8. 


Beide Zahresberichte enthalten bie üblihen Mitglieberverzeichniffe, VBerzeich⸗ 
niffe bes Zuwachies der Eammlungen bes Vereines, andere Bereinsangelegen- 
beiten und Yurze Necrologe verftorbener Mitglieder, barunter im 21. Jahres, 
bericht auch ein kurzer Lebensabriß Joſ. Chmels von Föringer. 


Oberbayerifhes Archiv für vaterländiſche Geſchichte, her⸗ 
ausgegeben von dem hiſtoriſchen Vereine von und für Oberbayern. 21. Bd. 
3. Heft. Münden, 1859. ©. 73 - 166. 

Heinrich Biſchof zu Kiew und die Wallfahrt St. Leonhard, Berichte Aich⸗ 
ach, von Erneft Geiß, Veneficiaten bei St. Peter und Kaplan im k. Militär- 
Teanfenbanfe zu Münden. &. 73—96. — Das Balfionsipiel zu Oberammer- 
gau. ine gefichtlihe Abhandlung von Dr. 3. B. Prechtl, k. Pfarrer. S 
97 — 125. — Nachträgliche Beilagen zur topographifhen Geſchichte ber Gtabt 
Trannflein. Bon Joh. Joſ. Wagner, Schufbeneficiaten. S. 126-147. — 
Beitrag zur Geſchichte der werphäfifgen Gerichte in Bayern, von Joſeph Hei- 
ferer, vormaligen Gtabtfchreiber von Wafferburg. ©. 148 — 158. — Die 
Grottenhalle und das Grottenhöfchen in der alten k. Reſidenz in Münden. Bon 
Brot. Joſ. v. Hefner. ©. 158 — 166. 


650 Ueberficht ber hiſtoriſchen Piterater von 1860. 


Daffelbe. 19. Bd. 8, Heft. Münden, 1860. XVI, &. 429— 844. 
8 Mit 2 Srundplänen. 

Enthält die topographiihe Geſchichte ber Stadt Waflerburg am Jun. Bon 
Joſeph Heiferer, ehemaligem Stabtihreiber daſelbſt. Mit einem Auhang: 
1) Die Reihenfolge der Pfleg-Gerichts- und andern Tanbesherrlihen Beamten, 
dann ber Stabtpfarrer und VBeneficiaten zu Waflerburg, und 2) Heiferer’s 
ausführlihere Beihreibung ber Kirchen Wafferburge. 


Verhandlungen bes hiſtoriſchen Vereins für Niederbayern. 
Bd. VI, Heft 4. Landshut, Thomann, 1860. ©. 282—863. 8. 

Achter Zahresbericht des Bereins fir 1859. — Das Johannis kirchlein zu 
Kelheim oder das Monument Herzogs Ludwig I. von Bayern und bas Falfum 
Betreffs der Ermordung biefes edlen Fürften, von Herrn Lehrer StoIll*. — 
Die Slasgemälde zu Innkofen, Landgerichts Landshut, von Dr. Anton Wi⸗ 
ſend. — Harpredt, ber letzte Harslircher von Zangberger, herz. nieberbayeriicher 
Kammermeifter und Rath, von H. Jakob Groß — Hiftorifhe Notizen über 
bie Burgruinen Erlach nächſt dem Markte Velden und 2. das im ehemaligen 
alten Erdinger Gaue, nun zum k. Landgerichte Landéhut gehörige Harlinger 
Amt, von H. Zöpf. 


Berhandlungen des hiſt. Ber. v. Oberpfalz u. Regensburg, 
19. Bd. d. gefammt. Berhanbign. u. 11. Bb. d. neuen Folge. — A. n. d. T.: 
Die Städte der Oberpfalz, auf Qeranlaffung Er. Maj. d. Königs von 


*) Das, was Hr. Stoll ein Falſum nennt, ift nur eine unrichtige Angabe 
bes Schauplates der That; fie geihah nad ten mit Oſtentation vorge⸗ 
tragenen Locafunterfuchungen bes Verf. an ber Stelle, wo fih am alten 
Markt bie Johannis⸗ oder Spitalkirche erhebt. In Beziehung auf bie 
Urheberſchaft des Mordes hält Herr Stoll unbebingt an ber von Prieb- 
rich's II. Gegnern früh verbreiteten Anfiht, wonad ber Herzog auf An- 
fiften des Kaifers ermordet wurbe, feft, obwohl er in bem obengenaun- 
ten durch Otto ben Erlauchten zum Anbenten bes Baters erbauten Kir» 
lein eine Juſchriſt entdeckte, welche mit beutlihen Worten einen Narren 
als Mörder bezeichnet. Diefe Infchrift kann freilich ſchon aus fprachlicgen 
Gründen nicht, wie ber Berf. meint, ans ber Mitte des 13. Zahrhun- 
derts ſtammen; es liegt auch ſachlich viel näher, fie in bie Zeit ber 
Reftauration ber Kirche (1602) zu verlegen; aber die Angabe fcheint ums 
gleihwohl nicht bebeutungslos, und hat jebenfalls mehr innere Wahrſchein⸗ 
teit als die beliebte Anklage gegen Kaifer Friedrich IL K. 


Dentſche Provinzialgeſchichte. Vahern. 661 


Bayern Maxim. IL, hiſt. topogr. beſchrieb. u. herausgeg. Mit 8 Gtabtplänen. 
Regensburg, 1860. XVI, 398 © 8. 


L Geſch. u Topographie d. Stadt Neumarkt in ber Oberpfalz, 
v. Om. Dr. 3. B. Schrauth, Arzt u. Butsbef. S. 1—1238. — I. Rem 
burg vor'm Wald v. Hrn. Dr. 3. M. Söltl, geb. Hausardivar n. Uni 
verftätsprof. S. 129 — 234. — I. Hiftor.-topifhe (sic!) Beſchr. 
ber Stabt Weiden i. d. Oberpf., v. Hrn. Dr. ®. Brenner Shäf 
fer, praftifcher Arzt in Weiden. S. 235 —290. — VBereinsangelegenheiten. 
Nekrologe. — Antiquarifhes. — 


Geſchichte m Topogr. d. Stadt Neumarkt in ber Oberpfalz, 
von Dr. 3. B. Schrauth, Arzt u. Gutsbef. i. Woffenbah. (Beſond. Abbruck 
ans dem 19. Bde. ber Berhandign. des hiſt. Ber. f. Oberpfalz u. Regensburg). 
Regensburg, 1859. 128 ©. 8. 


Eellectaneenblatt für bie Geſchichte Bayern’s, insbefon- 
dere für die Gefhihte ber Stadt Neuburg ad. D. nnd berem 
Umgebung, bearb. v. Mitgliedern b. hiſt. Filialvereines zu Reuburg. 
25. Zahrg., 1859. Neuburg a. d. D., Berlag von Nuguft Prechter, 1860. 
VIII, 154 S 8. Mit einem Anhang von 82 ©. 8. 


Darin uub auch in einer Geparatausgabe erfchienen: 


Neuburg n. feine Kürften. Ein hiſt. Verſuch als Beitrag zur Geſchichte 
bes Fürftenthums Pfalz, Neuburg v. F. A. Förch, Stadtpfarrrer und Delan 
and gl. bayrifchem geiftl. Rathe. Neuburg, 1860. 8. 


Den Anhang des Heftes bildet der Jahresbericht des hiſtoriſchen 
Filialvereines zu Neuburg a. d. D. für das Jahr 1859 mit einem 
freilich ummwichtigen Bericht Über Ercurfionen zum Zweck antiquarifcher Un⸗ 
terfuchungen. 


Reitelbrod, Geſchichte des Herzogthume Nenburg oder ber 
jungen Pfalz. 1. Abthl. Gymm.Programm. Aſchaffenburg, 1859. 3068. 4. 


Suttner, Joſeph Georg, Brofeflor ber Liturgil, Geſchichte bes 
Silgdflihen Geminars in Eichſtädt. Rah den Duellen bearbeitet. 
PYrogramm des biſchofl. Lveenms. Eichſtädt, 1859. 150 ©. 4. 


2: Qunbt, ©, Ueber ben liber traditionum ans dem Klofter 


562 Ueberficht ber hiftoriſchen Literatur won 1860. 


Beihenſtephan in den Situngsberihten ber k. bayeriſchen Wlabeınie ber 
Wiffenihaften zu Münden 1860. Münden, bei Franz. S. 889—46. 


u Permaneder, Mich., Annales almae literarum universa- 
lis Ingolstadii olim conditae inde autem primo huius saeculi initio 
Landishutum posteaque Landishuto Monachium translocatae. München, 
‘Weiss, 1860. 676 p. 8. 


10. Die öſterreichiſchen Stammlaude. 


Archiv für Kunde öferreihifher Geſchichtsquellen. Heraus⸗ 
gegeben von der zur Pflege vaterlänbifher Geſchichte anfgefteflten Commiſſion 
der Taiferlichen Akademie ber Wiſſenſchaften. Wien, Gerold'e Sohn, 1860. 
Bb. XXII-XXV. 8. 


Der 23. Bd. des Archivs enthält: 1) Der bulgariſche Mönch Chrabru 
(IX.—X. Jahrh.). Ein Zeuge der Verbreitung Glagoliſchen Schriftweſens un- 
der ben Elaven bei deren Belehrung buch bie Heiligen Eyril und Method. 
Bon Iguaz Joh. Hanus. — 2) Carlo Carafla Vescovo d’Arversa. Relatione 
dello stato dellimperio e della Germania 1628, herausgeg. von Joſ. Gode⸗ 
hard Müller. Vergl. oben Zeitfchrift Bb. V, ©. 264 fi. 

Der 24. Bb.: 1) Urkunden zur Gefchichte des Anrechtes bes Haufes Habe⸗ 
burg auf Ungarn. Bon Friedrich Firnhaber. Zehn wichtige Actenfüde aus 
ben Jahren 1526 u. 1527, bie aus dem britifhen Mufeum gewonnen, früher 
nur von Chmel gelegentlich benutzt worben find (Habsburg. Excurſe I. Situngs⸗ 
berichte 1851). — 2) Beiträge zur Genealogie ber Dynaften von Taunberg. 
Don Kerbinand Wemsberger. — 3. Beiträge zu einer Chronik der archäo⸗ 
logiſchen Funde in der öfterreihifhen Monarchie (1856— 58), Bon Dr. Fror. 
Kenner. IR auch in einem befondern Abprud bei Gerold’ Eohn in Com⸗ 
miffion erfchienen. — 4) Documenta Historiae Forojuliensis saecnli XIII ab 
anno 1200 ad 1299. Summatis regesta a P. Josepho Bianchi Utinensi 
(Bortfegung). 

Bd. 25: 1) Nieberöfterreichifhe Bannfriebungen und zünftiihe Satzungen. 
Geſammelt und mitgetheilt von 3. Zahn. — 2) Die Grafen von Heunburg. 
Bon Dr. Karlmann Tangl. II. Abtheilung von 1249 — 1322. — 3) Tes 
kaiſerlichen Oberſten Mohr von Wald Hochverratheproceh. Ein Beitrag zur 
Waldſteins ⸗Cataſtrophe. Nah DOriginalien von Dr. B. Dubil, ©. unfere 
Zeitichrift ober S. 271. 


Sitzungsberichte ber kaiſerl. Alademie ber Wiſſenſchaften. 





Deutiige Provinzialgeſchichte. Die öftere. Stammlande. 553 


Phitoſophiſch-hiſtoriſche Claſſe. Bb. XXXII, Heft 8 bis Ob. XXXV. 
Bien, bei Carl Gerold's Sohn in Commiſſion, 1860. 8. 

Das Heft bes 82. Bandes enthält außer mehreren uns fern liegenden Ar- 
Weiten Pfizmaiers die VBeneto-byzantiniihen Analelten von Hopf (f. unfere Zeit 
Schrift oben ©. 182) und Stumpf’s belannte Abhandlung zur Kritik beuticher 
Städte Privilegien — Bd. 33: Valentini, delle biblioteche della Spagna 
©. 4—178. — Shwammel, über bie angeblidie Mongolenniebertage bei 
DOlmäs. 24./25 Juni 1241. ©. 179—218. (If auch befonders ausgegeben 
worden.) — Tomaſcheck, über bie ältere Rechtsentwicklung ber Etabt und des 
Biethums Trient. ©. 341—- 372. — Beifalil, Stubien zur Geſchichte ber 
alıbögmiihen Literatur. S. 218— 232 (f. unten Böhmen). — Lorenz, Otto⸗ 
far 11. von Böhmen und das Erzbiethum Ealzburg. S. 472—524 (au be- 
ſonders herausgegeben) u. b. T.: \ 


Dttolar Lorenz, DOttolar Il. von Böhmen und das Erzbie— 
spam Salzburg 1246 - 1260. Großentheils nad ungebrudten Onellen. Wien, 
1860. 8. 

Der Hr. Berfaffer bat uns fchon früher mit einer Abhandlung: 
„Die Erwerbung Oefterreih8 durch Ottokar von Böhmen“ durch lichtvolle 
Behandlung der durchaus verwworrenen Nachrichten über das öfterreichiiche 
Interregnum zu großem Danke verpflichtet. Das Gleiche gilt von ber 
vorliegenden Arbeit, welche jene Abhandlung gewiffermaßen ergänzt. 

Hr. D. Lorenz hat dieſes Dial die Verhältniffe des Erzbisſsthums 
Salzburg zum Vorwurfe genommen und daran einerfeit8 ten großen Kampf 
zwifchen der päpftlichen nud faijerlichen Partei gejchilvert, von denen cr» 
flere darauf ausgeht, die erlerigten Fürftenthümer im Süroften des Kei- 
des, voraus Salzburg, mit zuverläßigen Parteigängern zu bejegen, bie 
andere aber die Kirchengüter in merkwürdig revolutionärer Weije zu fücu- 
lariſiren fi abmüht; andererſeits aber zeigt ver Verf, Daß die eigenthüm⸗ 
liche Stellung Salzburgs die Erwerbung Oefterreih8 und jpäter Steiermarts 
durch den böhmiſchen Fürſten Ottofar im Wejentlichen bedingt hat. 

Bir können auf den Inhalt nicht des DVreiteren eingehen, bemerfen 
aber, daß dieſe Schrift reih ift am intereſſanten SDetailforichungen und 
wirklich neuen Geſichtspunkten, welche fih aus dem vom Hru. Berf. ge 
fammelten ungedrudten Wateriale ergeben haben. B. 

Br. 84 enthält S. 17—56 folgende Abhandlung: 

Alfons Huber, Dr. Brivatbocent an ber k. k. Univerfität zn Iunsbrud, 


654 Meberfit ber Hiftorifchen Ziteraiur von 1860. 


Ueber bie Entſtehungézeit der öferreidifhen Freiheitebriefe. 
Bien 1860. 8. 

Abhandlungen, welche eine feit langer Zeit vielfach ventilirte Streit- 
frage zum enplihen Abſchluß bringen, nehmen mit Recht ein erhöhtes In⸗ 
terefie in Anſpruch. Daß die vorliegende Schrift zu diefen abſchließenden 
Ürbeiten zu zählen fei, darf unbedenklich behauptet werben; es gilt von 
ihr, was beifpielöweife wenn aud in höherem Maße von ber Ficker'ſchen 
Arbeit: „Ueber die Entftehungszeit des Sachſenſpiegels u. ſ. w.“, weldy 
lestere den Streit über die Priorität des Sachfenjpiegel® vor dem Schwa- 
benfpiegel für alle Zeit gründlich zur Ruhe gebracht hat. Die große Aehnlich⸗ 
feit der Beweisführung, welche der Schüler feinem Lehrer abgelaufcht zu 
haben fcheint, erinnert unwillkürlich daran, bei der kurzen Beiprechung ver 
Huber’fhen Abhandlung auf die des Hrn. Prof. Ficker binzubliden. Wie 
dieſer das Jahr 1283 als Ausgangspunft nahm, um zu beweifen, daß 
ver Sachſenſpiegel vorher ſchon entftanden ſei und fo in abfteigender Linie 
auf das Yahr 1235 herablam, als vor weldem der Sachſenſpiegel ent- 
ftanden fein mußte, und ſodann umgefehrt von 1198 ausging, um zu be 
weifen, daß berfelbe nach 1224 verfertigt fein müffe, in ähnlicher Weile, 
hat e8 Hr. Dr. Huber durch eine höchſt gelungene, zwingende Berveisfüh- 
rung verftanden, bie Zmeifel, welche bezüglich der Entftehungszeit ver un- 
echten öfterreichifchen Yreiheitsbriefe insbejondere nad den Abhandlungen 
Chmels etwa noch beftanven, zu zerftreuen, vie erhobenen Einwände zu 
wiberlegen und die Böhmer-Wattenbachifche Aufftellung, daß ber ganze 
Cyclus der unechten Freiheitsbriefe nicht dem 13. Jahrhunderte, wie Chmel 
darzuthun ſuchte, fondern der Zeit Herzogs Rudolf IV. um das 9. 1359 
angehöre, mehr zu befeftigen, ja bis zur Evidenz zu erheben. 

Ausgehend von tem uns völlig neuen Refultate feiner Forſchung, 
daß das Yand ober Enns vor 1254 nicht zu Oeſterreich gehört habe, 
zieht der Hr. Verf. mit Recht den Schluß, e8 habe vor 1254 das Majus 
und mas damit zuſammenhänge auch nicht eriftirt, weil darin die Marchia 
supra Anasum als zu Oeſterreich gehörig aufgeführt werte. In tiefer Art 
fließt der Verf. von beſtimmten hifteriichen Thatſachen auf die Unmög- 
lichkeit der Exiſtenz ver unechten Privilegien vor dem I. 1355, weift fobann 
nach, wie die Öoltene Bulle von 1356 dem Verfertiger derfelben vorgelegen 
haben müffe, und fintet in ver Geſchichte Rudolfs IV, pofitive Anhaltspunkte 
‚genug, um die Zeit ber Fälſchung in den Winter 1358 auf 1359 zu ſetzen. 


Dentſche Provinzialgeſchichte. Die dfterr. Stammlande. 558 


Zum Schluſſe werden noch einige entgegenftehende Bedenken befeitigt 
und wollen wir es dem Hrn. Berf. zum Lobe anrechnen, daß er in feiner 
Kritik eine Mäßigung beobachtet hat, welche den oft vagen und allzu un« 
kritiſchen Schlußfolgerungen bes jeligen Chmel gegenüber nır aus ehren» 
dem Pietätsgefühle zu erflären iſt. Der Werth der Arbeit liegt aber nicht 
bloß in der oben bezeichneten eigenthümlichen Methode ver Bemweisführung, 
wodurch fie vor allen Vorgängerinnen ſich vortheilhaft erhebt, ſondern aud) 
in ber Beibringung fehr gewichtiger, neuer Deweisgründe, was wir hier⸗ 
mit gegenüber einer jehr oberflächlich abjprechenten Kritik in der Wiener- 
Zeitung vom 21. Auguft 1860 ganz entſchieden hervorheben zu müſſen 
glauben. B. 

Ferner: Tomaſchel, über zwei ältere Rechtegutachten ber Wiener Uni- 
verfität. S. 58-94. — 4. Müller, Pharifier und Sabucäer. S. 95 — 164. 
— Firnhaber, Actenftäde zur Aufhellung ber ungarischen Gefchichte bes 17. 
unb 18. Zahrh. &. 165-241. — v. Karajan, Bericht über die Thätigfeit 
der Hiftorifhen Commiſſion ıc. 1858, 1859. S. 361— 370. 

Bd. 35: Aſchbach, Über die römiſchen Militärftationen im Ufer-Roricum, 
zwiſchen Lauriacum und Binbobona, nebft einer Unterfuhung über bie Lage ber 
norifhen Etadt Faviana. S. 3-32. — A. Müller, vier ſidoniſche Münzen 
aus der römifchen Kaiferzeit. ©. 33-50. — Maaffen, über eine Lex Ro- 
mana canonice compta. @in Beitrag zur Geſchichte ber Beziehungen beider 
Rechte im Mittelalter. S. 73-108. — Siegel, die beiben Denkmäler bes 
öfterreichifchen Landrechts und ihre Entſtehung. S. 109-131. — Bergmann, 
über das uralte Gejchlecht der v. Embe zu Hohenembs. S. 149 — 151. — Wein- 
hold, Der Minnefänger von Etaded und fein Geſchlecht. S. 152—186. — 
Bocher, das oberſte Spielgrafenamt im Erzherzogthume Defterreich unter und ob 
der Enns. 6200-202. — Schupfer, degli ordini sociali e del possesso 
fondiario appo & Longobardi. ©. 209 — 305. 


Fontes rerum austriacarum. Oeſterreichiſche Gefchichtsguellen. Her⸗ 
ausgegeben von ber hiftor. Commiffion ber k. Alabemie ber Wiffenfchaften in 
Bien. 2. Abth.: Diplomataria et acta. 20 Br. Wien, Gerold's Eohn, 1860. 8. 

Zuhalt: Urkundliche Beiträge zur Geſchichte Böhmens und feiner Nachbar- 
länder im Zeitalter Georgs von Pobiebrad 1450—1471. Gefammelt n. hereg. 
von Frz. Palady. XVI u. 665 ©. (Bergl. oben ©. 898). 


Jahrbuch für vaterTändbifhe Geſchichte. 1. Zahrg. Wien, Gerofb's 
Sohn, 1861. V, 408 ©. 8. 
Enthalt: Wolf, Joſeph U. und Friedrich II. in Neuſtadt 1770. &.1—22. 


556 neberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


— Büpinger, Nachrichten zur Sfterreichifhen Geſchichte in altruſſiſchen Jahr⸗ 
buchern überfeßt und erlärt. S.28—46. — v. Karajau, 3. Haybn in Lon⸗ 
bon 1791—1792. S. 47—166. — Dümmler, fünf Gedichte bes Sebulius 
Ecortus an den Markgrafen Eberhard von Friaul, zum erfien Male herandge- 
geben. S. 167—88. — Fiedler, zur Geſchichte Wallenſteins. S 189— 206. 
— Böhmer, Schreiben des Könige Johann von Böhmen an feinen Machtbo- 
ten am päpftfihen Hofe, Nov. 1345. &.207—14. — Wattenbad, aus ber 
Chronik der Auguftiner zu Glatz. S:215—42. — Aſchbach, bie britannifchen 
Aurifiartruppen in ben römifhen Donaufändern. S. 253—72. — Bfeiffer, 
das Donauthal von Ladislaus Suntheim. ©. 273— 97. — Müller, ein grie 
chiſches Schreiben des Sultan Suleiman an Anbreas Gritti über die Belagerung 
Wiens im 3. 1529. S. 299—317. — Feil, Berfuhe zur Grünbung einer 
Alademie der Wiffenjchaften unter Maria Thereſia. S. 319—407. 


Glüdfelig, Dr. Legis, Studien Aber den Urfprung bes öflerrei- 
Hilden Kaiferhaujes. Nebft 3 Hiftor.-genealog. Taf. (in gr. 4. u. qu. Fol.) 
Prag, Kober u. Markgraf, 1860. XXI, 147 ©. 8. 


Storis biografica dei regnanti di casa d’Austria, dall’ ori- 
gine fino ai giorni nostri. Coi rispettivi ritratti. Triest, Coen, 1858. 151 &. 8. 


Blusthal, F. S., Leopold Graf von Berhtold, ber Menfchen- 
freund. Mit Eopien vou Driginalbriefen bes Kaifers Ferdinand IL, Erzherzogs 
Leopold Wilhelm u. der Kaiferin Maria Therefia. Brünn, Nitſch, 1859. VI, 
95 ©. 8. 


Shmidt-Weißenfels, Ed, Fürſt Metternich, Geſchichte feines Le- 
bens u. feiner Zeit. 8. u. 9. (Schluß-) Lfg. 2 Bo. m. Porter. in Stahl n. lith. 
Tach. Prag, Kober u. Markgraf, 1860. VII, ©. 161—328. 8. 


Campagnes du FeldmarechalRadetzky dans le nord de l’Italie 
en 1848 - 1849 par un ancien officier superieur des gardes imperiales rus- 
ses. (Princo Alexandre Trobetzkoy). Nouvelle edition. Leipzig, Brock- 
haus, 1860. XI, 272 S. 8, 


Carl Shwabe von Waifenfreund, Minifterial-Eoncipifi, Berfud 
einer Geſchichte des öfterreihifhen Staats-Credits und Schul⸗ 
benwefens. Erſtes Heft. (Einleitung: Gefchichtlihe Rückblicke. — Defterreichs 
Lage und Zuftände, feine Staats-, Eredits- und Münz-Berhältniffe beim Beginne 
bes 18. Jahrhunderts.) Wien, Carl Gerold's Eohn, 1860. 60 S. 8. 


Nikolaj Dyakowski, Dyarugk wiedenkiej Okayi roku 





Dentfäge Probinzialgeſchichte. Die IRerr. Stammlande. 657 


1688. Krakow 1861. (Tagebud) über bie Belagerung von Wien im J 1683). 
986. 16. 

Helfert, of. Aer. Freihr. v., Die öfterreihifhe Bolkeſchule. 
Gefchichte, Syſtem, Statifiil. 1. Bb : Die Gründung ber öſterreichiſchen Volks⸗ 
faule durch Maria Thereſia. Prag, F. Tiempsty, 1860. XXI, 679 ©. 8. 

Der Berfafler diejes wichtigen Werkes hat es in einer hohen amtli⸗ 
hen Stellung unternommen, die vielleicht nur ihm in dieſem Umfange zu⸗ 
gänglichen Quellen für eine willenjchaftliche Arbeit zu verwenden, welche 
einen entſchiedenen Fortſchritt in ber Geſchichte des neueren Schulweſens 
begründet, zugleid aber auch neue werthuolle Materialien zur Geſchichte 
der Regierung der Kaiſerin Maria Thereſia enthält. 

Der hier vorliegende umfangreiche erſte Band behandelt die Geſchichte 
ber Gründung ver Volksſchule durch die Kaiſerin. ine lehrreiche Ein- 
leitung ſchildert die Schul- und Bildungszuſtände der Mitte des 18. Jahr⸗ 
hunderts, weiſt nach, was in früherer Zeit für das Schulweſen in ten 
einzelnen Provinzen gejchehen war, und verfolgt Die neue Organiſation ber 
Boltsihule von ihren erften Anfängen. Für dieſe Darftellung konnte ber 
gelehrte Verf. überall neues, unbelanntes archivaliſches Material benügen, 
mit beflen Hilfe er ein lebendiges Detailbild im Fichte und Gepräge jener 
Zeit entwirft. Wir lernen nicht allein vie verſchiedenen Methoren und 
Schulpläne Tennen, ſondern aud die Träger und Beförderer des großen 
Wertes treten hervor; wir können nah allen Richtungen den Gang ver 
einzelnen Organijationen verfolgen und den Antheil der einzelnen Perſön⸗ 
lichleiten würdigen. 

Mit beſonderer Vorliebe ift die Wirkſamkeit bes Grafen Ich. Ant. 
Bergen, des Staatsminifterd ver inländiſchen Geſchäfte, die fegensvolle 
Thätigkeit Kindermann's von Schulſtein und Felbiger geſchildert; am an⸗ 
zichendſten bleibt es zu verfolgen und aus den Originalien zu erkennen, 
wie die Kaiſerin ſelbſt nicht allein die Oberleitung des Schulweſens in 
ihrer Hand behielt, ſondern unmittelbaren Antheil an einzelnen wichtigen 
Einrichtungen hatte. Die Schulfrage war ihr eine Herzensſache geworden 
und in den Borbergrund ihrer Regierungsaufgabe ganz im Sinne ihrer Zeit 
getreten. Böllig klar ijt dargethan, daß ſich die Bolksjchule in Oeſterreich nicht 
aus älteren Einrichtungen entwidelt bat, in ihrer neuen Geſtalt ijt fie eine 
völlig neue Schöpfung, fie hört auf ein kirchliches Inſtitut zu jein und wird 
in den Kreis ver Regierungsangelegenbeiten als „politicum'* gezogen, 


668 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Erft durch diefe neue Organifation wird dem Lehrerſtande eine Stel- 
lung im Staate gefidert und fein Bemwußtfein gehoben. Obgleich man 
mit unendlichen Hinderniſſen zu kämpfen hatte, bleibt e6 fehr überrafchenn, 
welche fegen&volle Früchte dieſe planmäßige Thätigleit und das Zuſam⸗ 
menwirken für die Sache begeifterter Perjönlichleiten in verhältnißmäßig 
kurzer Zeit getragen bat. Doch ſchon der Tod der Kaiferin bringt 
einen Stiliftand und eine Aenverung in ver Verfolgung des biöherigen 
Syſtems. 

Ueberaus ſorgfältig gearbeitete Ueberſichten und Regiſter find eine 
nennenswerthe Zierde des Buches, dem wir die verdiente Anerkennung auch 
über die Kreiſe der Fachmänner hinaus wünſchen. ER, 


Bergmann, Joh, Zwei Denkmale in der Pfarrlirde zu Ba 
ben. I. Kür Paul Rubigall den Jüngeren (f 1576) und II. für Hieron. 
Salius von Hirſchperg (f 1555) nebft einer Mebaille auf ben Kanzler Hof. 
Zoppl vom Hauß und feine Gemahlin Euphroſyne von Hirfchperg vom 3. 1575. 
Mit 2 Kupfertf. Aus den Situngsberichten b. k. Alab. der Wiſſ. Wien, Be- 
rold's Sohn, 1859. 80 ©. 8. 


Mittdeilungen bes hHiftorifhen Bereins für Steiermark. 
Herausgeg. von deſſen Ausfchuffe 9. Heft. Gratz, 1859. IV, 304 ©. 4. 


Darin: Weinhold, Steiriſche Bruhftüde altdeutſcher Sprachdenlmale. — 
Fuchs, Abt Gottfried von Abmont. — Knabl, epigraphifhe Excurſe. — 
Derfelbe, neuefter Fund römiſcher Infchriften in Cill. — Ilwof, bie Ein 
fälle ber Osmanen in die Steiermarl. — Schmitt von Travera, Spital am 
Semmering. — Tangl, Ergänzungen zur „Reihe der Biſchöfe von Lavant“. 
— Gsöth, Urkunden⸗Regeſten für bie Geſchichte von Steiermarl 1457 —79. 


Hermann, Heine, Handbuch ber Gefhihte bes Herzog» 
thums Kärnten in Vereinigung nit den öfterreich. Fürſtenthümern (Hanb- 
buch der Geſchichte des Herzogthums Kärnten 11. Abthl.). 3. Bd. Geſchichte 
Kärntense vom J. 1780 — 1857 (1859) ober der neueften Zeit. 3 Heft: 
Culturgeſchichte Kirntens vom J. 1790 — 1857 (1859) oder ter uenefen Zeit. 
Klagenfurt, Leon. 447 ©. 8. 


Archiv für vaterlänbifhe Geſchichte und Topographie 
Herausgegeben v. db. Hiftor. Vereine fir Kärnten. Redigirt von Frhr. v. An- 
ferspofen. 4. u. 5. Jahrg. Mit 2 Steintaf. in gr. 8. u. qu. Fol. Kla⸗ 
genfurt, 1858. 60. IV, 355 © 8. 





Dentfe Probinzialgefipichte. Die äferr. Stammlande. 669 


Mmittheilungen bes Hiftorifhen Bereins für ſtrain. Hregeg. 
von Ang. Dimitz. Jahrg. 1860. 

Enthält u. a.: Abt Georg von Rein und das Mofter Lantfiraß, 1577 
—1605, burch Peter v. Rabie. — Die Einfälle der Osmanen in bie Gteier- 
wart 1. Bon Dr. Franz Ilwof. — Ein neu aufgefundenes Banufeript, Sup» 
plemente zu bes Fchru. v. Balvafor „Zopographie vom Krain*. Bon Dr. €. 9. 
Coſta. — Die Stiftungenrkunde bes ehemaligen Cifterzienferfliftee Maria- 
kemun bei Landftraß den 7. Mai 1249, von B.v.Radic. — Fortſetzung ber 
Auszüge aus P. Biandi’6 Documenta historiae Forojuliensis saeculi XIII. 
ab anno 1200 ad 1299. — Dertlihes in Laibach vom Juli 1815 bis Ende 
1818. — Rüdblid auf die ehemals beftandenen Klöſter ber Klarifjerinnen im 
Kran, indbefondere auf jenes in Laibah. — Kurze Geſchichte der Herrichaft 
Adelsberg. — Stiftungsbrief des Klofters St. Klara zu Lad — Urkunden⸗ 
Negeften und andere Daten zur Geſchichte dieſes Klofters. — Annalen ber lan⸗ 
desfürfiliden Stadt Qurkfeld. — Beiträge zur Geſchichte der bisherigen Lane 
desverfaffung des Herzogtums Krain. Von Dr. Coſta. — Regeften, den beut- 
fen Ritterorden in Laibach betreffend. 


Kurze Geſchichte des Salzburger Domes v. ©. A. P. Salz⸗ 
burg, Slouner, 1859. 26 ©. 16. 


Geſchichte bes f. f. Sauptihießftanbes zu Salzburg und bes 
Sääpgenweiens im Herzogtyum Salzburg vom Mittelalter bis auf unfere Tage. 
Bon Anton Ritter von Schallbammer, k. k. Hauptmann, Ehrenmitglied bes 
Ferdinandenms x. Galzburg, Verlag ber Mayriſchen Buchhandlung, 1859. 
V, 1246 8. 


Beiträge zur Geſchichte Tirols. Herausgeg. vom Ferdinandenm 
ale hiſtor. Abtheil. der Zeitichrift beffelben: 3. Folge. 9. Heft. Imusbrud, 
Bagner, 1860. 144 © 8, 

Dieje Publication enthält: Beiträge zur Geſchichte Tirol's in ber 
Zeit Biſchof Egnos von Briren (1240— 1250) und Trient (1250—1273) 
son Joſ. Durig. Der Verf. verjelben, mit der einjchlägigen allgemei- 
sen und fpezialgeichichtlichen Literatur wohl vertraut, hat das vorhandene 
Uuellenmaterial durch archivaliſche Mittheilungen wejentlich bereichert und 
auf dieſem Grunde eine für die Geſchichte des Landes ſehr wichtige Zeit⸗ 
periode zum erſtenmale kritiſch durchforſcht und mit Ausführlichkeit und 
Borurtheilsloſigkeit geſchildert. Das allmälige Anwachſen und die Aus⸗ 


560 WUeberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


breitung der Herrichaft ver Tiroler Grafen im 13. Jahrhundert und ber 
Kampf dagegen, welchen Egno von Eppan für die bedrohten Rechte ſei⸗ 
ner Bisthümer unternommen, und in welchem er jchlieglih fo gut wie 
völlig unterlag, find Vorgänge, die für die Entwidlungsgeichichte ber 
Territorien nicht minder wie für die mehrfach eingreifende Politik ver 
legten Staufen von weientlihem Intereſſe find. Diele Bedentung des 
Gegenſtandes tritt aus der vorliegenven Schrift deutlich hervor, und hätten 
wir nur gewünſcht, daß eine durchfichtigere und Marere Bertbeilung des 
Stoffes das Bild mehr abgerundet hätte, wobei auch die jet oft ftörenben 
Wiederholungen weggefallen wären. Wenn der Berfuffer S. 27 vie 
ſchon von Hormayr ausgejprochene Anfiht wieverholt, daß die Biſchöfe 
von Briren wohl ſchon vor dem 13. Jahrh. mit der herzoglichen Gewalt 
befleivet gewejen feien, fo vermögen wir dem nicht beizupflichten. Ein 
ſolches Verhältniß würde dem Staatsrechte mindeſtens des 10. und 11. 
Jahrhunderts völlig zuwiberlaufen, und fo lange nicht etwa nachgewieſen 
wäre, daß die beutfchen Bisthümer in der Regel außerhalb des Herzogthums 
geſtanden, müßte eine foldhe Annahme zum minveften auf pofitive Zeng⸗ 
niffe gegründet werben, was im dem gegebenen Falle nicht möglich if, wie 
ber Verf. felbft zugefteht. Vielmehr unterfcheivet fi, um nur Eines zu ers 
wähnen, die Immunitätsbeftätigung von 1111 (Böhmer N. 2005, Hor- 
mayr Beitr. 3. Geſch. Tir. I, 62) in nichts von Privilegien ähnlicher Art. 

In den Bemerkungen über den tiroliihen Bunvesbrief angeblich vom 
Yahre 1323 ©. 119—136 hat P. Yuft. Ladurner überzeugend nachge⸗ 
wiefen, daß dieſes fonderbar genug von früheren tiroliichen Hiftorilern in’s 
3. 1323 verſetzte Schriftſtück in's 3. 1423 gehört. — Bon demſelben 
Berf. finden fih am Schluffe nody zwei kürzere Erörterimgen. Th. K. 

Das Programm des !. E. Staatsgyumnafiums zu Innsbrnd 
vom 93. 1859 enthält Gefhichte des Gymnaſiums feit dem Gintritte ber 
bayerifchen Landeshoheit bis in bie neuefle Zeit von Direltor Siebinger. 
(Fortf. u. Schluß) 27 ©. 4. 

Scherer, P. A., Geographie und Gedichte von Tirol, em 
Lejebuch für die vaterl. Jugend. 2. verb Aufl. Mit 1 (fith. m. color.) Karte 
von Tirol (in 4). Iunebrud, Wagner, 1860. 216 ©. 8. 

Alois Moriggl, Frühmeſſer, ber Feldzug db. 3. 1805 und feine 
Folgen für Defterreih überhaupt und für Tirol insbefondere 
1. Bd. Innebrud, Wagener, 1860. 184 ©. 8. 


Deutjſche Provinzialgeſchichte. Böhmen zu; 561 


il. Böhmen. Maͤhren. Schleſien. 
Palacky, Franz, Geſchichte von Böhmen. ©. oben ©. 398. 


Müller, J. Geſchichte von Böhmen von Einwanderung ber Bojer 
bie anf unſere Tage. Für Schule u. Hans. Prag, Lehmann, 1861. VI, 
244 S. 12. 


Altertpämer u. Dentwürdigkeiten Böhmens. Mit Zeichgn. v. 
Hof. Hellich und Wild. Kaudler. Beichrieben von Ferd. B. Mikowee. 
1. 8b. 8.— 12. 2%fg. und 2. ®b. 1. u. 2. %g. Prag, Kober u. Markgraf, 
1860. 4. 


Gindely, Ant, Dr., Böhmen und Mähren im Zeitafter ber 
Reformation. 1X. u db. T.: Geſchichte der böhmischen Brüder. 2. Ausg. 
(Zitelauflage). In 10 Liefgen. 1. Liefg. Prag, Bellmann, 1861. VIII, 
128 ©. 8. 


Studien zur Geſchichte ber altböhmifhen Literatur von Jur 
lins Zeifalil. III. Herr Smil Flaſchka von Pardubic. IV. Brud- 
Rüde der Aufelmolegenbe. Wien, K. Gerold, 1860. 16 ©. 

Herr Julius Feifalit hat auch im Laufe diefes Jahres uns mit ber 
Fortſetzung feiner Studien (}. Band 3 dieſer Zeitichrift S. 501) über 
bie altböhmijche Literatur befchenft. In Nr. I trachtet er die Frage zu 
beantworten, welche von den, gewöhnlich dem Hrn. Smil zugejchriebenen 
Gerichten rühren wirklich von ihm her, und bei welchen wird er fäljchlich 
als Berfaffer genannt? Nach einer wijlenjchaftlich-kritiichen Unterfuchung 
entſcheidet er die Frage dahin, daß nur das Lehrgedicht „ver Thierrath“, 
von Hrn. Smil verfaßt wurde. — Nr. IV ift eine kritiiche Beurtheilung 
der von Hanfa bejorgten Herausgabe dieſer Legente mit Hilfe der Bruch⸗ 
ftüde einer von Horky 1819 entdedten älteren Handſchrift. Feifalik be⸗ 
zeichnet den Beginn des 14. Jahrhunderts als den Zeitpunkt, in welchem 
jene Legende verfaßt worden fein möchte. 


Ueber die Königinhofer Handſchrift von 3. Feifalik. Wien, 
Gerold 1860. 128 S. 8. 
: ... Durch manche andere dringende Arbeiten verhindert konnte Feifalik 
dieſe lang erwartete Abhandlung erſt jegt erſcheinen laſſen. ‚ 
Hiſtoriſche Zeitſchrift V. Band. 36 


662 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


Feifalik fucht die Thefe zu beweiſen, „daß bie Gebichte der Koͤni⸗ 
ginhofer Handſchrift untergefehoben und erft in unjerem Jahrhundert ent- 
fanden ſeien“. 

Nach einigen perjönlichen Bemerkungen und Verwahrungen gegen 
„incruſtirten Slavenhaß“ geht ver Verfaſſer auf die Unterfuchung ber 
Frage Über, ob die Gedichte der Handſchrift volkothümlich, ob dieſe Ge⸗ 
dichte Volkslieder fein? Mit ver Beantwortung berjelben, fagt der Berf., 
ftebt oder fällt die Handſchrift felbft. Hr. Feifalik ftellt nun die Behauptung 
auf, daß den Gerichten ver Königinhofer Handſchrift alle jene Eigenthüm⸗ 
lichkeiten fehlen, welche man von einem Volksliede verlangen darf, daß fie 
fomit keine Bollsliever fein können. Wenngleich der Verf. einen großen 
Aufwand von Scharfjinn und Gelehrſamleit in dieſem wie in den anderen 
Buntten feiner Bewersführung entwidelt, fo ift mit dieſer Beweisführung 
allein, nach unjerer Anficht jelbft für den Fall, daß ihm biefelbe geglädt 
wäre, noch nicht erwielen, daß die Handſchrift unächt ift. 

In de I Abtheilung hat fih Hr. Feifalik zur Aufgabe geftellt 
nachzuweifen, daß bie Gedichte ver Hanbfchrift, welche heidniſchen Urſprungs 
fein follen, „trotz aller Affectation altheidniſcher Geſinnung“, doch nicht 
von einem Heiden herrühren, fondern nur in fpäterer Zeit entfpringen 
konnten. ® 

Hr. Feifalit fpricht überhaupt (III) dem Verfaſſer der Gedichte bie 
Kenntnig der Sitten umd Gewohnheiten des 13. Jahrhunderts ab. Im 
dem Gedichte „Ludise und Lubor‘“ zeigt fi) die ganze „bettelhafte Ar⸗ 
muth‘ des Verfaſſers der Handſchrift an poetifcher Kraft und an leben- 
diger Kunde von dem Treiben des Mittelalters. — Der IV. Abfchnitt 
ift dem Nachweiſe gewidmet, daß die Königinhofer Handſchrift in den Ent⸗ 
widlungsgang der poetijchen Literatur nicht pafle, da jene Gedichte weder 
Alliteration noh Reim enthielten. 

Aber auch die in einigen Gedichten vorkommenden Beziehungen auf 
hiftorifche Facta (V), auf den Einfall der Sachſen und die Tatarenfchlacht, 
können nad Anficht Feifalik's für die Echtheit nichts bemeifen, weil jene Er⸗ 
eigniffe ſich entweder gar nicht, oder nicht in ver gejchilverten Art und 
Zeit nachweiſen laffen. 

Hr. Beifalit kommt zum Schluffe, daß in der Handſchrift — bie 
Sprache und Sprachformen abgerechnet — nichts altes und nichts alt» 





Deutſche Provinzialgefhihte. Böhmen zc. -- 663 


bößmifches ‚und am allerwenigften nichts vollsthümlich altes vorhanden ift. 
ber Berjaffer hält die Königinhofer Handſchriſt für eine Fälſchung aus 
neueiter Zeit. Am Schlufe ver Brochüre entwidelt er feine Anfichten 
über die jogenannte „Örünberger Handſchrift“, welche er auch jür un⸗ 
recht hält. 

Feifalik legt in diefer Brochüre gründliche Kenutnifle der böhmiſchen 
Literatur und philologiſches Willen an ven Tag; die Form feiner Polemik 
iſt ſarkaſtiſch und vornehm, und fo ift auch bei ihm die Folge nicht aus» 
geblieben ; die Eechijche Agitation bat fih aus allen Tönen gegen ihn er» 
boben. Auch gegen ihn wurden Spottgedichte gejchmiedet, die nad Art 
des befannten „‚Schuselka näm pise‘‘ auf dem Repertoire cehiicher Bän⸗ 
lelfänger fteben. 

Wie dadurch die wiflenichaftliche Seite der Frage gefördert wird, 
vermögen wir freilich nicht abzufehen. 


Zivot svatd Katering Legenda, Die „flavifche Legende ber heili- 
gen Katharina“ herausgegeben- von Dr J. Pecirka, unb für ben Drud rebigirt 
von C. 3. Erben. — Prag, 1860. XXIV., 221 ©. 8. 


Dr. Pedirka entvedte die Hanpfchrift dieſer Legende in der k. Bi⸗ 
bliothel zu Stodholm. Erben ift ver Anficht, daß viejelbe gegen ben 
Schluß des 13. Jahrhunderts von einem Priefter verfaßt worden fei, aljo 
um jene Zeit, im weldher die Alerandrid, vie Legende von Judas 
und Pilatus, der 12 Apoftel, des bi. Alerius u. a. getichtet wurden. 
Die Stodholmer Handſchrift ſtammt aus ver Rojenberg'ichen Bibliothet 
md ift eine Copie aus dem 14. Jahrhundert. Erben hat fomohl duch 
die Herftellung eines correften Textes wie tur Beigabe eines Bocabu- 
lariums ſich ein großes Verdienſt um vie St. Katharinen Pegenve erworben. 
Peeirka fagt, daß diefer Pegende in der böhmiſchen Piteratur ter Rang 
glei nach der Königinhofer Handſchrift eingeräumt werden müſſe. 


Bäjeslovny Kalendar slovansky cilipozustatky Pohans- 
kosv&ätecnych obraduv slovankskych usporadal J. J. Hanus. 
Prag, Kober u. Markgraf, 1860. 


I. J. Hanus, ber geiftreihe Kenner des ſlaviſchen Alterthums, hat 

fhon durch feine „Sprichwörter-Fiteratur“ (böhmiſch), durch die, Abhand⸗ 

lungen zur ſlaviſchen Steuerfrage“ (deutich), Aber die „alterthümliche Sitte 
368 


564 Ueberfläht der hiſtoriſchen Literatur von 1860. 

der Angebinve bei ven Deutſchen, Slaven und Fittauen” (deutſch), „über 
die Schriftzeichen, in welchen ber bl. Cyrill ſchrieb“ (böhmifh), „Über ven 
bulgarifhen Mönch Chrabru“ (deut), einen wohl begründeten Ruf als 
Altertdumsforfcher in der höheren Bedeutung des Wortes erlangt. Er un⸗ 
ternahm es in dem vorliegenden „mythologiſchen Kalender der Slaven“ 
in jedem Kirchenfeſte, profanen Gebrauche, Kinverfpiele der Gegenwart 
u. |. w. den Zuſammenhang mit ven alten heidniſchen Feierlichkeiten und 
Ceremonien aufzujuchen. Er begnügt ſich nicht mit finnreihen Excurſen 
in der mythologiſchen Welt der Slaven, er zieht vielmehr Bergleiche mit 
jener der Germanen, Romanen und des Altertbums überhaupt; daß er 
dabei auf die älteften Culturvölker des Dftens Rückſicht nimmt, iſt felbft- 
verſtändlich. Dieſer Kalender ift das Ergebniß langer und tiefer Studien, 
welche die flaviiche Culturgeſchichte wahrhaft bereichert haben. Es find 
Beiträge zur Entvedung jener geheimnißvollen Quellen der Gejichichte der 
menſchlichen Gefittung, welche den Forſcher endlich zu einem gemeinjchaft- 
fichen Urfprung der Culturidee führen werden. — Danfenswerthe Beiga- 
ben find die Berzeichniffe flawiicher, deutſcher und folcher fpecifiichen 
Ausprüde in anderen Sprachen, welde im Kalender vorfommen; bann 
die vergleichenve Weberficht ver altrömiſchen, der Kicchlichen, ſlaviſchen und 
ventichen Feiertage, zum befferen Verſtändniſſe der altſlaviſchen Ceremonien. 


Feftlalendber ans Böhmen. Ein Beitrag zur Kenntniß bes Vollkelebens 
und Vollsglaubens in Böhmen. Bon D. Freihr. v. Reinsberg⸗Düringe⸗ 
feld. I. Lieferung. Wien u. Prag, Kober u. Marfgraf, 1861. 


Der Berfafler unternahm e8, die Feſte und Gebräuche Böhmens zu 
fammeln und nad) ven Tagen unſeres Kalenders zu ordnen. Die Arbeit 
gibt ein Bild der reichen Phantafie und des Gemüthslebens des böhmijchen 
Volkes. Die Heiligen, die in Böhmen verehrt werden, die kirchlichen Feſte, 
die Gnadenorte, die Gelöbniffe und hiftoriichen Feſte, die volksthümlichen 
Gebräuche und Ceremonien, Volkslieder, Sprichwörter und Wetterregeln 
finden bier ihren Pla und ihre geiftvolle Deutung. Manches greift in 
‚das Gebiet des bajeslovny kalendär des Hanus; doch hat Hr. v. Di 
ringsfelo nur Böhmen und die poetifche Seite des Stoffe. vor Augen. 


Hovnik naucny. Redaktor Dr. Frant. Rieger. V Praze, Kober 
'& Markgraf, 1860. 8. 


Sechzehn Hefte (von A- C) dieſes wifjenfchaftlichen Lexicons fin 





‚ Dentiche Provinzialgeſchichte. Böhmen ꝛc. 565 


bereits erfchienen. Treffliche Aufjäge hiſtoriſchen Inhalts haben Palady 
und Tomel dazu geliefert. Insbeſondere ift Palacky's Biographie „Ctibor 
von Cimburg“ ſehr bemerkenswerth. 


Casopis Musea k. cesheho. Prag, 1861. 

Unter dem reihen Inhalt dieſer Zeitjchrift ift Hattala’8 Abhandlung 
zu Gunſten der Echtheit ver Grünberger Handſchrift hervorzuheben. (Auch 
gegen Feifalik's Brochüre über die Königinhofer Handſchriſt wird Prof. 
Hattala fiherem Bernehmen nad auftreten und die Echtheit diefer Hand⸗ 
ſchrift vom philologifchen Standtpunkt aus zu erweijen fuchen), dann bie 
Beiträge zur Biographie böhmifcher Schriftfteller. Ueber flaviihe Fami⸗ 
liennamen von Hulakowsky. Ueberficht der ſüdſlaviſchen Literatur. 


Moravan. Kalend&r na rok obycejiny 1861. V Brne, 239 &. Her 
ausgegeben auf Koften ber Härebität von Cyrill und Methob. | 

Bringt einige recht gute, populär gehaltene Hiftorifche Aufſätze, welche 
fi zunächſt auf die HL Slavenapoſtel Eyrill und Method, dann auf den 
hl. Clement und deren Wirken beziehen. Die Häredität, über deren Wirk⸗ 
ſamkeit im 3. Bde. dieſer Zeitichr. Näheres angegeben wurde, ftellt ſich 
zur beionderen Aufgabe das nationale Gefühl der unteren Vollsklaſſen durch 
das religiöje zu erweden. Es wäre Thorheit nicht zugeben zu wollen, daß 
die Häredität auf dem beften Wege ift, ihre Zwecke zu erreichen, daß fie mes 
fentlich beitrug, die Bildung des jlavifchen Volkes und fein nationales 
Bewußtſein zu heben. 


Rozprävy z oborn: Historie, Filologie a Literatury. Roc- 
nik I. Vydaratele: Josef a Hermenegild Jirecek. Ve Vidni, 1860. 
96 G. 8. 

Die gelehrten Brüder Jiredek beabſichtigen durch dieſe Abhandlungen 
„aus dem Gebiete ver Geſchichte, Philologie und Literatur“ ein wiſſen⸗ 
ſchaftliches Organ zu ſchaffen, welches vie Selbftfenntniß des cechoflavi- 
fhen Stammes fördern fol. Die einzelnen Auffäge, darunter jene über 
„vie Bibel von Kralig (der mähriſchen Brüder) und ihre Ueberſetzer“, über 
„bie türkiſchen Denkwürdigkeiten des Michael Konftantinovic“, über „die 
Gerichtsverfaffung tes 15. und 16. Jahrhunderts in Schlefien”, dann 
„über vie Wirkungen der Hauchlaute in der böhmiſchen Sprache”, berech⸗ 
figen zu ber Erwartung, daß bie flavifche Piteratur durch dieſe „Abhand- 
lungen“ wirklich bereichert werben wird. Diefer Unternehmung reiht fich 


566 ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


der vom Fürften Rudolf von Then und Taris eben jetzt herausgegebene 
„Prävnik“, eine juriftiiche Zeitfchrift, dann der „Pozor an, welcher, wie 
der „Hlas“ in Mähren, die kirchlichen Sntereffen in ber Tageslitertatur 
vertritt. ine namhafte Anzahl großer und Feiner politifcher Journale, 
welche feit Kurzem neu erjchienen find, befunden das kräftige Puljiren bes 
nationalen Lebens in Böhmen und Mähren. 


Situngsberichte der k. böhmiſchen Befellfhaften der®ßiffen- 
fhaften in Prag. Jahrg. 1860. San. — uni. 115 S. 8. Prag. Gerabel. — Phi 
Iolog. Section: 9. Jänner 1860: Hattala Verhältniß ber Königinhofer Handſchrift 
zur flavifhen Vollspoeſie 23. Jänner: Prof. Höfler Aber bie Belagerung von 
Magdeburg durch Tilly. 6. Feb.: Brof. Nowotny über bas Futurum im Ela» 
vifhen. 20 Feb.: Prof. Wocel über das in ber Prager k. Univerfitätsbibliothet 
befindliche Paſſional der Aebtiffin Kunigunde. 5. März: Hanka über einen böh- 
miſchen Wanbfalenber für das J 1517 von Baclar Zatedy. P. Erwin Bey 
rauch über die Hanbfchriften des Menzel Kozman , eines böhmiichen Geſchicht⸗ 
fhreibers des XVII. Jahrh. 19. März: Hr. Tomel über die Topographie ber 
Klleinfeite zur Zeit Karl IV. 23. April: Hr. Wocel über bie ſſlaviſchen Runen 
zeichen auf den Ipolen von Rhetra. 21. Mat: Hr. Prof. Höfler über das am 
gebliche Echreiben Rupprechts von ber Pfa an König Wenzel. 11. Ium: 
Hr. Hanka über die ältefte bisher befannte böhmiſche Ueberſetzung ber apokryphen 
Evangelien Nicodemi und ber Briefe bes Pontius Pilatus über bie letzten Le 
benstage Jeſu Chriftt. 


Mährens allgemeine Geſchichte. Im Auftrage bes mährifchen 
Landesausſchuſſes dargeftellt von Dr. B. Dubil. I. Band. Ben ben älteften 
Zeiten bis zum Jahre 906. Brünn, Georg Gaſtl, 1860. XIX. 402. 8. 

ALS die mähr. Stände vor nahezu 30 Jahren ven Archivar Boczel 
aufforbderten, eine Geſchichte Mährens zu fchreiben, lehnte jener dieſen 
ehrenvollen Auftrag ab, „weil noch zu wenig hiſtoriſches Material vors 
handen jei; es müßten zuwörberft al’ die Schäge, welche in ben öffent- 
lihen und Privatarchiven Mährens verborgen find, gehoben werben; fonft 
fönnte bie geftellte Aufgabe nicht gelöst werben“. — Es ift in der ge 
Iehrten Welt bekannt, was feither in dieſer Richtung in Mähren geſche— 
hen. Aber aud die großartigen Forſchungen in Deutſchland, die Quel⸗ 
lenwerke und die kritiſchen Stutien mußten natürlich ähnliche Arbeiten in 
Mähren und Böhmen mächtig fürdern und die Möglichkeit, eine Pandes- 
geſchichte Mährens zu fchreiben, anbahnen helfen. 





568 ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 18600 


triot blidte mit Andacht und Weihe auf jene heifige Stätte, illa loca, ubi 
coepit Christienites! ° 

Diefe Stimmung fand Dr. Dudik vor, als er es in feiner Gefchichte 
Mährens unternahm, die fromme Tradition über Welehrad, daß nämlich 
diefes mährifche Welehrad ver wirkliche Sig Method's fei, anzuzweifeln. 
Mit akademiſcher Ruhe behandelte er dieſe für die Ezechoflaven brennende 
Frage. Es war ein Fehler, dag Dudik dieſer Tradition einen Stoß 
verfetste, ohne fie völlig ummerfen zu können. Ein katholiſcher Priefter, 
ber mit dürren Worten jene weihevollen Ueberlieferungen , jene Lieblinge» 
gedanken des Volles angriff, erfchien wie ein Verräther des Baterlandes 
and wie ein Ungläubiger zugleih. Dean erklärte viefen Benebictinermönd 
gleichſam für wogelfrei. 

Es verging faft kein Tag, an welhen in einem ber in Böhmen 
und Mähren in böhmijcher Sprache erfcheinenven Tagesblätter ver Name 
des Berf. nicht mit Abfchen genannt und Dubif als entarteter Sohn des. Bater- 
lands, als Berräther dem üffentlichen Haſſe preisgegeben worden wäre. 
Spottgevichte und fatirifche Schriften auf Dudik wurden colportirt, umd 
man begann erftere fogar in Wirthshäufern abzuſingen. Dudik wäre 
bald die nationale Vogelſcheuche geworden, wenn nicht Dinge von höhe. 
rem Intereſſe, die Conftituirungsfrrge des Reiches, jener Hete für den 
Angenblid ein Ende gemacht hätten. Es muß zwar zugegeben werben, 
daß wenn ein anderer Mann als Dr. Dudik vie gleichen Angriffe anf 
bie Welehrader Tradition gemacht hätte, wie 3. B. lange vor ihm Abbe 
Dobrowsky, ein fo ftarfer Sturm fid) nicht erhoben hätte, allein es darf 
auch nicht verfannt werben, daß in der Hetze gegen Dudik eine nicht ge- 
ringe Manifeftation gegen das Deutjchthum lag Nur die Slaven in 
Mähren, welche allerdings die überwiegende Mehrzahl bilden, nahmen an 
jener Verfolgung activen Antheil, vie Deutjchen verbieten fich neutral. 
Dubif wurde ad) als Theilnehmer jener mythiſchen Verſchwörung ange 
jehen, welche nacheinander alle die clafjiichen Denkmäler altböhmifcher Pis 
teratur als falsa, die Großthaten ver Czechoſlaven als fables convenues 
barzuftellen beabſichtigt. Wie Feifalit und Büdinger die Königinhofer 
Handſchrift, Schwammel tie Mongolenſchlacht und Held Jaroslav, fo 
habe Dudik, jagt man, vie ftoßefte Erinnerung Mährens in ten Staub 
gezogen, Welehrad als Ammenmährchen und König Spatopluf als einen 
harakterlojen alten Herrn gejchilvert; dies alles, um die Raceninferiorität 


Dewiſche Provinzialgeſchichte. Vöhnen zc. :. 509: 


ver Slaven zu bemonftriren. Es bedarf wohl hier nicht der Bemerkung, 
daß die erwähnten Gelehrten nicht im Einverftändniffe und nicht nach 
vereinbarten Programmen handelten; allein die Gleichartigkeit und Gleich» 
zeitigkeit der kritiſchen Arbeiten Feifalik's, Büdinger's, Schwammel’3 und 
Lorenz’8 mit der „Geſchichte Mährens“ haben jenen fonderbaren Verdacht 
erregt und den Haß gejhärft, zumal, Büdinger ausgenommen, dieſe Herren 
aus Mähren ftammen und als. „odrodilci“,. „Entartete” betrachtet wer⸗ 
ben. Es iſt jelbitverftänplih, daß nationale Sympathien over Antipa- 
thien in wiflenjchaftlihe Arbeiten nit bineingetragen werben dürfen; 
une die Krikik, nur dieſe allein und das, was durch ihre feinen Siebe 
paifirt, kann Anſpruch auf Beitand haben. Doch müflen wir e8 geitehen, 
baß eine gewille „Luft am Zweifel” durch die kritiſch-hiſtoriſche Schule, 
deren aufßerorbentlihe und großartige Bervienfte nicht in Abreve geftellt 
werben können, hervorgerufen wurde, daß Mancher mit vorgefaßten Mei⸗ 
mungen an’ Werk geht, mit dem Entſchluſſe, einen Vorgänger auf Uns 
richtigkeit zu ertappen. Es iſt eine gewiſſe Freude, ver erfte zu jein, ber 
durch Icharflinnige Combinationen langeingebürgerte Anfichten und Bors 
urtheile zertrümmert hat. 

Dr. Dudik hat nicht allein in ſeinem Feldzuge gegen vie Welehraver 
Tradition den Gegnern Blößen gegeben, er hat vielmehr in manchen an- 
dern Partien der „Geſchichte“, einem gewillen Triebe nah Originalität 
folgend, Lesarten von Urkunden und Behauptungen aufgeftellt, die jeine 
keitiichen Talente nicht emipfahlen. Dr. Dudik jagt: Safarit und Palady 
in der Urkunde dat. 27. November 1228 (Ced. dipl. Mor. II. 193) in- 
terpunftiren: Velegrad civitas primo modo burgus, idy aber interpunttire: 
Welegrad civitas, primo Modoburgus und halte diejen ganzen Paſſus für 
Folge einer hiſtoriſchen Verwechslung ver ehemaligen Hauptftadt des pan⸗ 
noniſchen Mähren's Mofaburg, welches vielleicht, wie Dobrowely ver- 
mutbet, bei ven Slaven Welegrad hieß, mit unjerm mährifchen „Weleh⸗ 
rad”. Dudik ftellt ji bier mit zwei anerkannten Autoritäten in ge 
wagten Gegenſatz, ohne jeine Pejeart näher zu motiviren. Mit der In⸗ 
terpretation ter Urkunde Cod. dipl Mor. I. 71 geſchah ein kleines Uns» 
gläd, der daſelbſt vorkommende Ausdruck: „Scoti (eine Münzſorte) wurde 
mit „Schotte“ überjegt, und zwar mit der näheren Bezeihnung „Schot⸗ 
tiſcher Kaufmanıı“. 

. Durch dieje und ähnliche Mängel, welde vielleicht hätten vermieden 


570 Ueberſicht der hiſteriſchen Literatur vom 1860. 


werben können, verloren die Lucubrationen über Welehrad bedentend 
an Gewicht und die Yeinde nannten Dr. Dubil nicht allein einen abträu- 
nigen Sohn des Baterlandes, fondern aud einen unkritiſchen Forſcher. 
Selbſt auch über jene Partien des Werkes, bie eine beflere Beurtbeilung 
verbienten, wurde baun das Berbammungsurtbeil ausgeiprochen. 

Auffallend ift das Verhalten verjenigen, welde fi) nicht zu ben Nas 
tionalen zählen. Dr. Dudik fand bei jenen feine Unterflügung, und mit 
Ausnahme einer Anzeige des Werkes in ver Wiener Zeitung bat bis heute 
kein nambaftes ventiches Blatt fi mit einer eingehenden Beſprechung 
deſſelben befchäftigt. Dudik ftubirte genau bie Quellen, er ift mit bem 
Ergebniffen der neueren und neueften Forſchungen ſehr vertraut geworben; 
boch wid) er infofern davon ab, als er nicht den Weg betrat, ben ber 
eine oder der andere Forſcher durch unmittelbare Studien bahnte, ſondern 
er verfuchte e8 auf einem britten Weg zu wandeln, der nicht der richtige 
fein konnte, weil nicht alle Forſchungen Dudik's felbftftännig waren. In 
dieſer Sucht, originell fein zu wollen, wird wohl der Grundfehler in ber 
Anlage ımd in der Ausführung des Werkes liegen. Es bürfte eben die⸗ 
fer Fehler auch von Andern erkannt worden fein. Um aber das CEruci⸗ 
fige gegen Dudik nicht zu vermehren, zogen fie e8 vor, zu ſchweigen. 

Der erfte Band umfaßt in 3 Büchern die Geſqhichte Mahrens von 
den älteſten Zeiten bis 906. 

Das erſte Buch behandelt die Herrſchaft der Germanen, das zweite 
die der Slaven in Mähren, das dritte und ausgedehnteſte die Chriſtiani⸗ 
firung Mährens. Im legten Capitel dieſes Buches behandelt der Berf. 
bie Kulturzuftänne Mährens im 9. Jahrhundert. 

Unter ven Schriften, welche ver Werke Dudik's entgegentraten, ift zu 
erwähnen: die Brochure Brandl's: Welehrap, Wiverlegung der gegen 
daffelbe von Dr. Dudik im I. Bande feiner mährifchen Gefchichte erho⸗ 
benen Zweifel vom Standpunkte hiftorijher Kritik. Brünn, 1860. Druck 
und Verlag von Buſchak und Irrgang. 28 ©. 8. 

Brandl, deſſen Talente wir volle Anerkennung zollen müſſen, wirft 
fih in dieſer Brochure zum Vertreter ver nationalen Sache auf, er macht 
fih zum Ritter ver Welehrader Tradition. Er vertheidigt nicht ohne 
Geſchick ſowohl vom hifterijch » kritiichen, wie vom firdhlich » nationalen 
Standpunkt die Annahme, daß das Welehrad bei Ungariſch-Hradiſch das 
Welehrad des hi. Method war. Bald darauf erfhien: „Antwort auf 





Deniſche Provinzialgeſchichte. Bölenen m. STE 


Brandl's Welehrad“. Widerlegung ber von ihm wider den erſten 
Band der allgemeinen Gefchichte Mährens vorgebrachten fogenannten kri⸗ 
tifchen Bemerkungen ven Dr. B. Dudik. (Brünn, 1860. ©. Gaftl), 
worauf Brandl abermals ein Heftchen erfcheinen ließ unter dem Titel: 
Entgegnung auf Dr. Dudik's „Antwort auf Brandl’ Wes 
lehrad“. Brünn, 1860, Buſchak und Irrgang. 

Dr. Dudik trachtet in der Entgegnung den jchlimmen Einbrud, ben 
der mißlungene Angriff auf die kirchliche Tradition hervorrief, dadurch 
zu paralyfiren, daß er die Tendenz feiner Methopgejchichte in gewiſſen 
Formeln präcijirt, welche das Wirken der hl. Staven » Apofteln verherr⸗ 
lihen, und auf Mähren concentriven. Im geographijchen Theile der Frage 
bleibt er ſich jedoch treu; an Welehrad (bei Hradiſch) ald Method's Sig 
glaubt er einmal nicht. 

Brandl, unterſtützt von der äffentlihen Meinung, greift gerade bieje 
letgte Frage mit Vorliebe auf und trachtet vie Beweije zufammenzutragen. 
Sein Stanppunft war ein leihtr. Er erfcheint als Vorkämpfer einer 
nationalen Lieblingsidee, und die Meinen Nachläffigkeiten, deren ſich ber 
Berfaffer der Geſchichte Mährens ſchuldig gemacht, erleichterten ihm we⸗ 
ſentlich bieſen Feldzug. 

Ein zweiter Band ver „Geſchichte Mährens“ iſt, wie wir hören, 
beudfertig. Warum zögert Dr. Dudik mit der Veröffentlichung veijelben ? 


Darftellungder altkändifhen Berfaffung besMartgraftbnme 
Mähren Bon H. R. v. Chlumezky, Lanbesardivspireftor. Brünn, Bnuſchak 
w. Irrgang 1861. IL © 8. 


Eine kurze Geichichte des Verfalls der altſtändiſchen Berfaffung in 
Mähren. Diefe Schrift erfchien nach dem kaiſerl. Diplom vom 20, Ocs 
tober 1860 und hatte den Zwed bei ten ragen ber Eonftituirung Oeſt⸗ 
reichs auf die Mängel jener altſtändiſchen Verfaflung binzumweifen. Die 
ſtaatsrechtlich hiſtoriſche Abhandlung gründet fich Lediglich auf Originals 


quellen. — — 


Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae. Urkunden- 
Sammlung zur Geschichte Mährens, im Auftrage d. mähr. Landes - Aus- 
schusses hreg von P. Ritter v. Chlumecky und red. v. Jos. Chytil. 
VII. Bd. (1331—1349) 2. Abth. Brünn, Nitsch in Comm., 1860. 4. 

Da noch ein Supplement als dritte Abtheilung des vorfiegenden 


572 Ueberfigt ber ‚Hiftorifchen Literatur von 1860. 


Bandes in Ausſicht fteht, fo it über den Inhalt deſſelben erft nach dem 
Erfcheinen jenes Supplementes zu referiven. Das aber darf fchon hier 
bemerkt werben, daß dieſe mufterhafte Urkundenſammlung gerade in bem 
vorliegenden Theile durch ihr reichhaltiges bisher zum großen Theil ums 
bekauntes Material für die Gejchichte Karl's IV. von größter Wichtige 
keit ift. K. 


Blusfal, 5 ©, Leopold Graf von Berchtold, ber Menfhen- 
freund Brünn, Robrer 1859. 

Die Biographie eines durch hervorragende wifjenfchaftliche Bildung 
ausgezeichneten mähriſchen Edelmannes (+ 1809), der durch Gründung 
von Spitälern auf eigene Rechnung, Einführung nüßlicher ſanitätspolizei⸗ 
licher und humanitärer Anftalten, perfönliche aufopfernde Verwendung bei 
der Pflege von Kranken, Unterftägung von Armen den Ruf eines wahren 
Menjchenfreundes, eines öfterreichiihen Howard's erlangte. 


Zivot sv. Frautiska Borgie sepsal Jakob Proch4zka. Näkla- 
dem dedictoi sv. Cyrilla a Methodia pro rok 1860 V. Brne 1860. 706° 

Eine populäre Biographie des Hrn. Franz Borgia, herausgegeben 
auf Koften der Häretität des Heil. Cyrill und Method. 


Kirhlihe Topographie von Mähren, meif nad Urkunden unb 
Handſchriften durch P. G Wolny 11. Abth. Brünner Didcefe III. Bb. Bräun 
1860. 508 &. (Diefer Band bes trefflihen Nachſchlagebuch's enthält bie Be⸗ 
fhreibung ber drei Ardipresbyteriate: Iglau, Jarmeri und Wiſchan.) 


Notizenbatt der hiſtoriſch-ſtatiſtiſchen Section ber k.k. mähr.- 
ſchleſiſch. Gejellihaft zur Beförderung bes Aderbaues, der Natur⸗ u. Landeskunde. 
1860. 12 Hefte. Redigirt von Chriſtian d'Elvert. 

Bruder Berthold von Regensburg in Böhmen und Mähren. — 
Baudenkmale in Trebitih. — Der veutiche KRitterorden in Mähren und 
Schlefin. — Die Gründung der Olmüger Wenzelsfirde. — Aberglaube 
in Mähren. — Seclowitzer Berghüttenrechte. — Die Laienpfründen in 
Mähren. — Hochzeitsgebräuche. Ein Schuldrama. — Verordnung 
gegen die Freigeiſterei. — Die vom Ferdinand II. beſtätigten Privilegien 
Mährens. — Der Judenrabbi Schach. — Das Schülerfeſt am St. Yla- 
ſius- und Gregoriustage. 


Schriften ber hiſtoriſch-ſtatiſtiſchen Section derk.k. maͤhr.⸗ſchleſ. 





Deutſche Provinzialgeſchichte. Böhmen ꝛc. 673 


Geſellſchaft zur Beförderung bes Aderbanes, ber Natur- und Landeslunde. Re 
digirt von d'Elvert. Brünn 1860. VI, 597. U. u.d. T: Beiträge zur 
Geſchichte der !. Etädte Mährens, insbefondere berlandbeshaupt- 
ſtadt Bränn von Chrifian b’Elvert. 

Eine wahre Fundgrube hiſtoriſchen Materials zur mähriichen Stävie- 
geihichte. Die Vermögensfragen der Stadt Brünn, der bekannte „Spiels 
berg” und jeine fchauerlichen Memoiren, Rechteventmäler und Statiftik, 
Zunftordnungen, Amtsgejhäftsbehandlungen, Reihenfolgen ftäptifcher Wür⸗ 
denträger, Stadt⸗ ud Rathsverfaſſung, Mauth- und Zollbücer aus alter 
und neuer Zeit find in dieſem Buche mit ftaunenswerthen Yleige zuſam⸗ 
mengetragen. Seit 1850 find 13 ftarfe Bände der Sectionsjchriften er- 
fchienen, zumeiit von tem rührigen und emfigen d'Elvert verfaßt und edirt. 
Ehre dieſer Arbeitskraft und Arbeitsfreubigfeit! 


Zur Gemeindbefrage der !. Landeshauptſtadt Brünn. Bon 
Chrifian d'Elvert. — Brünn 1860. Rudolf Rohrer VI., 80 8. 8. : 

Eine kurze Gejchichte der Berfaffung ver Stadt Brünn in neuerer 
Zeit. Iſt als Beitrag zur Lbfung gewiljer obſchwebenden Vermögens⸗ 
verwaltungsfrage zu betrachten. Dieſe Darftellung iſt zumeift nad) 
Driginalquellen bearbeitet. | 

Zur Geſchichte der Stadt Datfhik in Mähren Bon Ichaum 
Dundald, Bfarrer in Malefhau. — Brünn, 1859. NR NRohrer. 386. 8- 

Ein Separataborud aus dem XI. Bande der Schriften ver hiſtor. 
ftat. Section. Der Berf. hat fi begnügt, chronikartige Aufzeichnungen 
und Urkunden einfach chronologifh aneinander zu reihen und im Urtert 
wiederzugeben. — * — 


Codex diplomaticus Silesiae. Herausgegeben vom Vereine für 
Geschichte und Alterthum Schlesiens. Dritter Band: Rechnungsbücher der 
Stadt Breslau. %. u. db. %.: Henricus Pauper, Rechnungen der Stadt 
Breslau von 1299 —1358, nebst zwei Rationarien von 1386 u. 1387, dem 
Liber Imperatoris vom Jahre 1377 und den ältesten breslauer Statuten. 
Namens des Vereins f. G. u. A. 8. herausg. von Dr. Colmar Grünha- 
gen, Privatdocent der Gesch u. College am kgl. Friedrichs-Gymnasium. 
Breslau, Jos. Max & Comp. 1860. XVIl, 172 8. 4. 

Während die erften zwei Bände bes fchlefiichen Urkundenbuches vie 
kirchlichen und ländlichen Berhältniffe erläutern, ift viejer dritte der ſtädti⸗ 
fen Entwidlung gewinme. Er ftellt und das mittelalterliche Breslau 


574 Ueberſicht der hiſtoriſchen Fiteraiut von 1860. 


in feiner Ölanzperiove des 14. Jahrhunderts vor Augen. „Als die zweite 
Sauptflabt des mächtigen Reiches, welches die Klugheit ver Luxemburger 
im Often Deutſchlands fi aufgerichtet hatte, in allen feinen Intereflen 
durch weile und wohlwollende Regenten wie Karl IV. gepflegt und bed 
auch wieder felbftbewußt die ſtädtiſche Freiheit wor fremden Einfluffe forg« 
fältig bewahrend, hat Breslau in jener Zeit glüdlihe Tage erlebt und 
Großes hervorgebracht.” Die Rechnungsbücher ver Stadt gewähren außer 
einem allgemeinen Bilde des bürgerlichen Lebens tiefe Einblide in ven 
ſtädtiſchen Organismus und find reih an intereffanten Notizen, welche 
bald einzelne Punkte der Sulturgefchichte, bald vie auswärtigen Beziehun⸗ 
gen Breslau’s beleuchten. Die in diefem Bande mitgetheilten Stüde find 
folgende: 

1) Henricus pauper. Unter dieſem ſchwer zu erflärenden Namen 
wird ein Rechnungsbud der Stadt von 1299—1358. verftanten, das 
nad) Verluft des Driginald auf Grund mehrerer Abſchriften hier heraus⸗ 
gegeben iſt. Es enthält nur Auszüge aus den eigentlichen Rechnungsbü⸗ 
dern, gleihfam ſummariſche Jahresberichte über die gejammte ſtädtiſche 
Finanzverwaltung. Ein geſchichtskundiger Gloſſator (des 18. Jahrh.?) 
hat einige erläuternde Randbemerkungen dazu gegeben, die mitabgedruckt 
ſind. Doch bei weitem mehr hat der Herausgeber gethan, der mit rüh⸗ 
menswerthem Eifer den Text durch ſehr zahlreiche und ausführliche An⸗ 
merkungen erſt recht nutzbar gemacht hat. Manches mußte indeß uner⸗ 
klärt bleiben, was bei der Schwierigleit der Gegenſtände und ver theil⸗ 
weiſen Verderbtheit des Teries nicht zu verwundern ift. An zwei Stellen 
möchte ich eine Berichtigung vorſchlagen. ©. 5 erſcheint zum 9. 1300 
zweimal ein „dux de Ruja“. Der Herausg. hat nun auf ©. 161 bie 
gloffatoriihe Erflärung, es fei ein dux de Russia gemeint, angenommen. 
Da aber Rujan die alte Form für Rügen ift, fo dürfte bier eher an einen 
Herzog von Rügen zu benfen fein. Nach der Vertreibung des Wladis—⸗ 
laus Lokietek (1300) war König Wenzel auch König von Polen geworden 
und gerieth als folher mit dem rügifchen Fürften Wizlav in Kampf (vergl. 
Balady 11.1, 381, Barthold 3, 73). Vieleiht kam diefer auf dem Wege 
zu einer Unterhandlung über Breslau. — ©. 47 möchte zu lejen jein: qui 
habebant (vinum) in vase‘‘ da vas ſtets (S.64 u. 96) in Verbindung mit 
vinum vorlommt. — Weitere Einzelheiten hervorzuheben verbietet ver 
‚Raum, body will ich wenigſtens einer intereflanten Notiz aus dem I. 1314 





676 ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur vor 1860. 


feine Aufgabe geweien, ihn möglichft berzuftellen und wenn man nicht 
gutheißen wollte, die Verbeſſerungen in ven Text aufzunehmen, fo konnten 
fie do in ven Anmerkungen Plat finden. Auch mit der Beibehaltung 
der oft ganz finnlofen Interpunction kann ich mid) nit einverftanden 
erflären. Ich füge einige BVerbefferungen bei. (S. 150) I. 3. 2 lies: 
',„hominibus (malis) ei“ 3. 3: „teneatis. Spolia fieri‘. 3.: „conque- 
'rimnr exploratores‘‘, 3, 9: „sive“ (tive ift Doch wohl nur Drudfebler). 
3. 10: „Resic“ wie Klofe mit Recht verbefiert hat. 3. 12: „domos 
suas““. (S. 151) 11, 3. 3.: „Cui mittitur‘‘, 3. 4: geboth, dabit . . .“ 
3. 5: „alii communes" 3. 6. Die Worte: „et omnes Vorkeufer‘ :ges 
hören auf 3. 5 vor „sive in piscibus”, die ganze verftünmelte Rede ıft 
aus 1. 3.8 zu verbefiern. Ebenſo ift nach Vergleihung mit I. 3. 1 
Mar, daß 11 3. 5 vor „es ponet“ die Worte: „qui in valvis non jacel” 
ſtanden. — Ein breifaches Negifter erleichtert vie Benntzung dieſes 
Bandes, A. C. 


Lebensgefhidhte ber heil Hebwig, Herzogin u. Lande«⸗ 
patroninv Schlefien. 1174 — 1243. Feſtag den 15. Oftober. Nah 
ben beiten älteften u. neueften Duellenjchriften zum erftienmale ausführlich nebft 
kurzen Lebensumriffen ber übrigen Glaubenshelden der Didcefe Breslau chro⸗ 
nologifh bearb. v. Augufin Knoblich, Kapellan SS. Corpus Christi in 
‚Breslau. Mit 2 Bildern ber Heiligen. Breslau, Schletter'iche Buchhanbiung 
18. Elutih), 1860. XXX, 272 ©. 8. 

Die Herzogin Herwig von Sclefien, die Gemahlin Heinrich des 
Bärtigen und gewöhnlich vie hl. Hedwig genannt, war — das ift ein- 
flimmig angenommen — eine trefflihe Fürftin, welche fih nın Schlefien 
jehr verdient gemacht hat. Ste war auferdem bis zur Schwärmerei fromm 
und die Bethätigung diejer Frömmigkeit, jo fehr fie in ihrem Uebermaaß 
der menschlichen Natur zumiderläuft, erflärt ſich doch aus der geiftigen 
Strömung jener Zeit, die man deßhalb ald Grundlage fefthalten muß, 
um das auf ihr fich erhebende Bild Hedwigs richtig zu erfaffen. Sollte 
man nun ihre Lebensbefchreibung herftellen, jo ließe ſich eine zweifache 
Art davon denken. Entweder man gäbe in jchlichter, ungelünftelter Weiſe 
den Inhalt der Legende mit Auswahl wieder und erzielte auf dieſe Art 
‘ein Buch, das zwar feinen geihichtlichen Werth haben, aber doch zu er- 
baulichen Zweden für kirchengläubige Gemüther anwendbar fein würde. 
Oder man ginge daran, eine wirklich geſchichtliche Darftellung von bem 


* — 6 er —— — —— ** 


Deuiſche Provinzialgeſchichte. Schleſien. 577 


Leben der fchlejifchen Herzogin zu entwerfen. Daun würde e8 fi ba» 
rum baubeln, aus der überwuchernden Sagenfülle ven eigentlichen bifto- 
riihen Kern berauszujchälen. Es würe dieß bei der Dürftigleit der üb⸗ 
rigen Quellen in Einzelnen jchwierig, doch nanıentlih durch die Ver⸗ 
gleichung mit andern Heiligenjagen bis zu einem gewillen Grade zu er⸗ 
reihen und immerhin ein vertienjtliher Berjuh. In dem vorliegenden 
Buche ijt feiner ver beiden hier angeveuteten Wege betreten. Wirft man 
freilich einen flüchtigen Blick auf die Kapitelüberjchriften und lieſt da 
z. B. (©. 32): „Fünftes Cap. — Wie an ber hi. Fürftin Hebwig 
ftolger Schwejter Agnes die ganze Chriftenheit Aergerniß nahm und wie 
ihretwegen Papſt Innocenz III. Frankreich nit dem Interdict belegte” jo 
könnte man glauben, ein Vollksbuch ver fi zu haben; aber wenn man 
näher zuſieht und bald rhetorijch = jchymwülftige Declamationen, bald kokett⸗ 
novelliftiiche Schilderungen findet, jo läßt man dieje Vermuthung gleich 
fallen. Der Berf. wellte vielmehr das Leben jeiner Heldin „nad ven 
beiten älteften und neueften (!) Quellenſchriften“ chrenologijch bearbeiten, 
Alſo hätten wir dod ein wilfenjchaftliches Werk zu beſprechen? Weit ge⸗ 
fehlt. Das Borbild des Verfaſſers war ter „ritterlihe Graf Monta⸗ 
lembert“ in jeinem Leben ver bl. Eliſabeth. „Zu glauben, was die Bors 
elteen glaubten, macht uns keine Schande” (S. 59). In dieſem Sate 
ift ver wiſſenſchaftliche Standpunkt des Verfaſſers gut ausgerrüdt und 
man wird ihm bereitwillig ein hübſches Maaß ven dem „Berge ver 
jegenven Glauben”, ven er (S. 13) an feiner Helvin preijt, zuerfennen. 
Er nimmt eben Alles, was die vita Hedwigis berichtet, als völlig ver- 
bürgt an und erklärt es in ſüßlich himmelnder Sprade für preiswürbig, 
ſelbſt — man wird es kaum für möglich halten — einen jo efelerre- 
genden Ing wie den, daß vie Heilige das Geſicht ihrer Intel mit dem 
ſchmutzigen Waſſer, in welchem tie Nomen zuvor ein Fußbad genommen, 
gewafchen hätte (S. 112). Neues wird man in tiefem wmeitjchweifigen 
Buche nicht finven, wenn man etwa Folgendes ausninimt: (S. 13) den 
naiven Gedanken, wie jdhwierig das Leſen in Hedwig's Tagen geweien 
jei, da „das Geicriebene jenes Jahrhunderts jekt kaum noch vie Ges 
lehrten zu entzifferu vermögen”, oder (S. 164) ten geiltreihen Einfall, 
daß, weil die Mongolen jedem getödteten Chriften ein Chr abgejchnitten 
hätten, jeitvem ungezogene Kinder in Schlejin mit Ohrenabſchneiden bes 
beoht werben; feruer ben vergeblidyen Verſuch, unjere rer durch neue 
Hiorifge Seitfärift. V. Band 


578 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von: 1860. 


Ausdrücke wie (S. 112) „ſich verdemüthigen“ und (S. 221) „heilig. 
mäßig“ zu bereichern, endlich (S 46) die pathetifhe Behauptung, daß 
vie Klöfter, deren Aufhebung „vor der öffentlichen Meinung (2?) und bem 
Richterſtuhl der Gejchichte (!) noch heut nicht“ begründet ericheine (©. 240), 
dereinft am Tage des Gerichts von ihren Stiftern würden zurüdgefor- 
dert wernen. — Bon einem fatholiichen Geiſt lichen, ver nicht einmal 
bie Lebenszeit der Päpfte orventlich weiß, fo daß er (©. 26) meint, 
1182 hätte Clemens Il. regiert, wird man natürlich weber gründliche 
Kenntniſſe noch eigene Forſchung erwarten. Es Tann daher kaum be- 
fremden, wenn er das alte Mährchen von ver Bisthumscathedrale zu 
Schmograu wieder hervorholt (S. 21) oder von einem Kaiſer Philipp 
redet (©. 48) und auf Grund einer unächten leubufer Urkunde ven Her- 
zog Boleslaus mit Heinrih VI. in Italien kämpfen läßt (S. 28). Er 
benugte zwar Stenzel's jchlefiihe Geſchichte, aber anftatt ſich mit dem 
Ergebniffe eines fo bewährten, wenn auch „irrgläubigen” Forſchers über 
die Mongolenfhlaht (S. 48): „Mehr nicht ale das ift uns auf glaub» 
würbige Weife von dieſem merfwürbigen Ereigniſſe überliefert worden“ 
zu begnügen, tijcht er und ven Bericht des Diugosz wieder auf. — 
Bedauern muß man, daß die fehr hübfchen Abbildungen einem fo kläg⸗ 
lichen Machwerke beigegeben find. A. C. 


Stillfried, Rud. Frhr. v. Grafv. Alcantara, Beiträge zur Ge- 
ſchichte des ſchleſiſchen Adels. 1. Heft. Berlin, Deder, 1860. 4. 

Inhalt: Stammtafel und Beiträge zur älteren Geſchichte der Grafen Schaff⸗ 
gotſch. Mit 2 Abbildungen und 2 Ahnentafeln. 


Schnurpfeil, Heinr., Dr., Bürgermeifter, Geſchichte und Befcrei- 
bung ber Stadt Ober-Glogau in Oberfhlefien. Mit der Genea⸗ 
logie ber Grafen von Oppersborf. Mit 1 Tab. in gr. Fol. Ober - Slogan, 
Handel in Comm., 1860. XVI u. 210 © 8. 


Siebenundbreißigfter Jahresbericht ber [hlefifhen Geſell⸗ 
haft für vaterländiſche Kultur. Enthält: Arbeiten und Veränderun⸗ 
gen ber Gefellichaft im 3. 1859. Breslau, 1860. 


Zeitfgrift des Vereins für Geſchichte nnd Altertbum Schle⸗ 
fiens. Namens bes Vereins herausg. von Dr. Richard Röpell. Dritter 
Band erſtes Heft. Breslan, 1860. 

Sharakteriftit der ſchleſiſchen, befonbers Breslauer Arcitelturen. Mitge⸗ 





Deutfhe PBrovinzialgefhichte. Schleſien. 579 


tbeilt von Dr. Wilpelm Weingärtner. — Die Chronik der Auguſtiner Chor⸗ 
herren zu Glatz. Vom Ardivar Dr. Wattenbach. — Spitäler für Aus⸗ 
fätige in Schlefien. Bon demſ. — Zur Geſchichte von Breslau im 3. 1741. 
Bon Dr. Eruarb Eauer. — Paul Winters Eelbftbiographie. Mitgetheilt 
von Prof Dr. Auguſt Kahlert. — Schickſale ber im Kreiſe Pleß belegenen 
tönigl. Dominen-Amtsbörfer, Imielin, Chelm und Kosztow, vom Reyierungs- 
rath Schück in Oppeln. — Ueber bie Einwohnerzahl Breslau's gegen Ende 
des 16. Jahrhunderts. Bom Regierungsratd Dr. Bergius in Breslau. — 
Einleitung zur Geſchichte der evangeliſchen Kirche in Brieg, vom Kreitgerichte- 
rath Müller daſelbſt. — Miscellen, vom Ardivar Dr. Wattenbad: 
Schleſiſche Ritter in der Schladt bei Muhlborf. — Das Repertorium Heliae. — 
Das Slavenfloftler in Dels. — Das Geyer'ſche Tagebud vom Jahre 1811. — 
David Nentwig. Nachträgfihes über Ausfägige und etwas über Paul Winkler. 
— Feuerordnung vom I. 1340 zu Liegnitz. Mitgetheilt von Dr. Sammter. 


7. NMachträge. 


Amedde Thierry, recits de l’'histoire romaine au Ve 
sidcle. Derniers temps de l’empire d’occident. Paris, Didier et O'*., 
1860. XXI, 516 p. 8. 

Der Berfafjer geht von dem Widerwillen aus, weldyen die von ibm - 
behandelte Zeit erwede, von der gänzlichen Unkenntniß, welche über die⸗ 
felbe herrſche: jenen hofft er zu überwinden, bieje ift er durch Entredung 
einer von ihm bis dahin ungeahnten Literatur in allem Wejentlichen zu 
bejeitigen im Stande. Yolgt ein ausführlicher Beweis, daß „‚bas-empire“ 
eine willfürliche irreführende Bezeihnung ſei u. f. w. Wir find nun bes 
gierig zu erfahren, wo Hr. T. das Weientlihe und Unterjcheitende bes 
fünften Jahrhunderts findet: „ver letzte Kampf“, antwortet er (S. XVi) 
„zwiſchen ver unfterblihen Macht ter Ideen und ver brutalen Gewalt, 
die an allen Punkten ver Welt entfejjelt ıft und über Rem triumphirt, 
bietet ein großartiges und ſchmerzliches Schaujpiel: das ift die Geſchichte 
des fünften Jahrhunderts“. In den Germanen jieht der Berf. natürlich 
als ein Anhänger der Schule, welche in dem Untergange der Karolinger 
eine Niederlage des deutſchen Elementes feiert, nichts als Barbaren, vol 
von jenen „eitlen Anmaßungen, welche jie in den Wäldern Germaniens 

37* 


580 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur won 1860. 


unter ihren Zelten von Thierhäuten nähren konnten” (S. 4). Man 
kennt leiht, daß bei einer folhen Auffaſſung ein Verſtändniß der neuen 
politiihen und Kultur = Elemente unmöglich ift, welde mit ver Böl⸗ 
ferwanberung in die Geſchichte eintreten; bie ganze Anfchauung findet mit 
der Berichiebung des Schwerpunftes feine Ordnung mehr und es ift ganz 
begreiflih, daß Hr. T. nur „Erzählungen“ und feine Geſchichte liefern 
konnte. 

Aber ſtellen wir uns einmal auf den Standpunkt des Bfs. und be- 
urtheilen von benifelben aus fein Werl. Es behandelt vaffelbe in zwälf 
Kapiteln die Geſchichte Italiens won 467 — 493, Noricum’8 und ber 
Gothen etwa in demfelben Zeitraume. Nun ijt zwar Kapitel VIII 3. B. 
überjchrieben „le roi Odoacre patrice d’Italie‘ S. 272—327; etwa bie 
Hälfte des Kapiteld wird aber mit einer an ſich ganz lesbaren Darftel- 
fung der Eutychianiſchen Streitigfeiten angefüllt; dergleichen mag um des 
allgemeinen Titels willen hingehen, ven das Buch führt. Im Ganzen 
wird ſich fonft ver Anordnung des Stoffes das Lob der Geſchicklichkeit 
nicht abſprechen laſſen: es ift die ganze Arbeit fo jehr auf Unterhaltung 
und fo ausjchließlih auf dieſe berechnet, daß ver Verf. auf vie Auss 
wahl des Materiales feine hauptſächlichſte Anftrengung richten mußte. 


. Denn was die eigentliche Form betrifft, jo glaubt Ref. kaum, daß die⸗ 


jelbe mit ihren zahlreichen vulgären Ausprüden und Wendungen ven fran« 
zöftichen Stiliften ftrengerer Schule genügen wirb. 

Sieht man aber auf den Inhalt, fo darf man keinen der An- 
fprüche machen, welche vie heutige hiſtoriſche Wiffenfchaft erhebt. Bon 
einer Quellenkritik ift nicht im Entjernteften die Rede: es genügt zu be 
merten, daß die jämmtlihen Neben in Ennodius vita Epiphanii für baare 
Münze genommen und mit großer Salbung wiederholt werden. Davon, 
daß in die vita Severini zahlreihe Interpolationen gekommen find, hat 
Hear T. eine Ahnung. Jornandes ift ihm ein Schriftfteller, gegen 
deſſen Autorität in feinem Punkte ein Zweifel auflommt; aus welchen 
Quellen derfelbe feine Nachrichten geichöpft hat, gebt Herrn T. nichts an. 
Die byzantiniſchen Autoren find durchaus in jenen lateiniſchen berüdh- 
tigten alten Ueberjegungen citirt, vie oft gerate Das Gegentheil von dem 
fagen, was das Original meint. 

Nun wird man fragen, ob denn Herr T. für eine Zeit, mit welder 
die deutſche Geſchichtsforſchung ſich in den letzten Sahrzehnten fo vielfach 


. 


Rachträge. 681 


beihäftigt hat, fo gar feine Rüdficht auf dieſelbe nimmt. Herr T. cie 
tirt für die Oothengeihichte einmal (S. 274) Sartorius' Verſuch, ver 
1811 erihien; was feitvern auf dieſem ©ebiete geleiftet ift, von Manſo 
bis auf Köpfe und Schirren, das ift natürlich gleichgiltig. Don Gen» 
ſerich's Regierung wird allerhand erzählt (S. 78 fgde); Papencorbt’s 
Unterfuchungen bleiben dabei unberüdjichtigt. „Niébuhr hist. rom. t. I.“ 
wirb als ein Werk citirt (S. 269), in welchem man über das Jahr ber 
Erbauung Roms und die Ältefte Jahresberehnung Aufſchluß fuchen mag. 
Aehnlich wird Sapigny citirt und im deutſcher Gelehrſamkeit parabirt 
noch einmal (S. 508) Mafmann’® deutſche Heldenſage. 

Dan kann ſich denken, wie die zahlreichen Fehler find vie hei 
folher Art der Arbeit entftehen. Wenn von Laureacum gefagt wird 
(S. 335), e8 ſei gebaut gemwejen „dans le delta que forment & leur 
confluent le Danube et le Lorch“ jo ift das freilich komiſch genug, aber 
doch nur neben anveren ein geographiſcher Schniger, wie er in franzö⸗ 
fiihen Büchern öfters begegnet. Sievering (d. i. Sigeberti villa) bei 
Wien wird wieder zum Aufenthaltsorte des Severinus und dazu aus 
eigener Machtvollkommenheit des Verfaſſers zu einem im Mittelalter be 
fiebten Wallfahrtsorte (S. 141). Ricimer ift (S. 8) ein „‚descendant 
d’Arioviste‘“, weil aus einem fuevifchen Königsgeichlechte (vgl. Zeuß, bie 
Deutſchen 456); Odovaker und Theodorich jchließen wierer in Ra⸗ 
venna einen Vertrag (S. 495), um Italien brüderlich zu theilen (vgl. 
Köpke, Königthun bei den Gothen, 144) u. dgl. m. 

Bor 100 Yahren hätte Herr T. mit feinem Buche vielleicht Ehre 
einlegen Können; daß e8 die Jahreszahl 1860 auf dem Titel trägt und 
auf fo gutem Mafchinenpapier getrudt ift, jet den Leſer in Erftaunen. 

M. B. 


Gieſebrecht, Wilhelm, Gefhihte ber deutſchen Kaifer- 
zeit. 2. veränderte Auflage. 2 Bde. Braunfchweig, 1860. XXXVI, 871 
und XX, 671 ©. 8. 

Es ift eine erfreuliche Erſcheinung, daß ein Werk von dem Umfange 
und dem willenfchaftlihen Werthe des vorliegenven eine ſolche Verbrei⸗ 
tung und folden Beifall gefunden hat, daß bereits nad) wenigen Jahren 
Das Bedürfniß nad) einer zweiten Auflage ſich geltend machte Weſent⸗ 
lich wird freilich Hiezu in dem vorliegenden Falle die patriotiiche Wärme, 


582 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860. 


bie ſich durch das ganze Wert hinburchzieht, beigetragen haben. Man 
mag die Richtigkeit der Auffaflung des Kaiſerthums von Seiten des Ber- 
faſſers bezweifeln, fie mag durch bie ftete Beichäftigung mit jener Zeit 
des Glanzes und des Ruhmes zu fehr beeinflußt fein, man mag daher 
die politiiche Bedeutung, des Buches verſchieden beurtheilen: das Ver⸗ 
dienft, in ben verichiebenften Kreifen ben vaterlänbiihen Siun erregt 
und erfrifcht zu haben, wird man Herrn Gieſebrecht nicht abſprechen 
lönnen. 

Auch in wiſſenſchaftlicher Beziehung hat dieſe zweite Auflage er- 
höhten Wert. Sie entipridt, auch ganz abgefehen von ven zahl 
reichen ftyliftiichen Verbeflerungen, von der gewiljenhaften Benutzung aller 
neuern Erſcheinungen auf dem Gebiete ver Literatur, auch von ver befr 
fern Anordnung des Stoffes 3. B. in den Weberfichten ver Quellen und 
Hilfsmittel, in erhöhtem Grade ven Anforderungen, welche wir mit Recht 
an ein verartiges Werk, dem heutigen Stande ver Wiſſenſchaft zufolge 
ftellen müſſen. Im Allgemeinen ift hierauf fchon bei ber Beſprechung 
des erften Bandes in dieſer Zeitichrift 111, 206 hingewieſen worden, 
und beichränfen wir uns jomit theil8 auf einige genauere Angaben, theils 
auf einige Ausführungen über den zweiten Band. Kin beſonderes Ver⸗ 
bienft bat fi der Berfafler durch Benutzung verjchievener Quellen, vie 
bisher faft unbelannt waren, erworben. Bor Allem find bier einige banı- 
bergiſche Handfchriften zu nennen, die entweder noch an ihrem früheren 
Aufbewahrungsorte oder in Münden eingejehen werden fonnten und bie 
für die Auffoffung der kirchlichen Richtung Heinrich's II. von weient- 
licher Bedeutung find. Nicht mit Unrecht wird der Berfafler in dem 
Borworte geſagt haben, es dürfte ihm „von der gefammten Trabi- 
tion diejer Zeiten, jo weit fie fih an Bamberg knüpft, kaum Weſent⸗ 
liches entgangen fein.” Einer dieſer Handfchriften wurde aud bie an- 
fprechende Kunftbeilage, welche dieſem zweiten Bande zur Zierde gereicht 
und bie vier dem thronenven Kaiſer huldigende Nationen varftellt, ent- 
nommen. Die Bejchreibung ntehrerer anderer ähnlicher Bilder finden wir 
I, 589. Noch daukenswerther ericheint und ver vollftänrige Abdruck 
des Stüdes ver Königäberger Weltchronif, von deren Dafein wir ju 
überhaupt erft durch den Berfafler unterrichtet wurden (Nachträge zum 
3. Bd. ter 1. Auflage), welches die Regierungen Heinrih’8 I1., Kon⸗ 
rad's 1. und Heinrich's II. umfaßt (II, 668 — 671). Auf die einge 


Radhträge. 663 


hende Abhandlung über das Verhältniß dieſer Quelle zu ven Annales Pa- 
lidenses und dem fog. Repgower Zeitbuche jowie der Ueberſetzung beffel- 
ben (f. I, 789— 792) ift bereits in der hiſtor. Zeitichr. an andern Or⸗ 
ten hingewieſen worden. Ferner benützte Herr Gieſebrecht die befte, in 
Wien aufbewahrte Handſchrift des Codex epistolaris Udalrici, dem er 
unter andern vie Abjchrift der wichtigen, viel angeführten Urkunde für 
die Minifterialen von Weißenburg im Nordgau entnahm. Der Abdruck 
derſelben II, 667 macht ven fehlerhaften Text bei Edarb, und daraus 
bei Fallenſtein entbehrlih. Durch Herrn Jaffé erlangte der Berfaffer 
aus einer Caſſeler Hanpfchrift eine Copie des Briefes vom Erzbiſchof 
Drun an Heinrih I. (Winter 1008) deren Abbrud II, 646 wir um fo 
dankbarer anerfennen müffen, da wir daraus erft recht erfehen, wie man- 
gelhaft die auf andern Abjchriften beruhenden Abprüde dieſes hochwich⸗ 
tigen Documentes_ find. 

Aber nicht nur durch dieſe und andere neue Quellen, fondern auch 
durch eine nochmalige ftarfe Durcharbeitung des vorhandenen Materials 
ift die Darftellung theils erweitert, theils fefter begrünvet. Zahllos find 
in diefer Beziehung die größern und Heinern Aenberungen in Text umb 
Anmerkungen, fo daß das Zitelblatt des Buches mit Hecht das Präbicat 
„veränderte” Auflage trägt. Die Beichaffenheit des neuen Dlaterials 
brachte es jedoch ſchon mit fih, daß vie Erweiterungen vornämlid im 
dem zweiten Bande, ber deßhalb auch um 50 Seiten flärler als in ber 
erften Auflage ift, vorgenommen wurden. Für venfelben unterzog ſich 
auch der Berfafler noch beſonders einer jorgfältigen abermaligen Prüfung ber 
Quellen, wie er ſowohl felbit in dem Borworte angibt, als e8 auch auf 
jeder Seite zu ertennen ifl. Daß bier troßdem manche Heine Ungenanig- 
feit ftehen geblieben, daß and in diefer zweiten Auflage die Verfaſſungs⸗ 
geihichte, wie dem Verfaſſer mehrfach vorgeworfen, nicht genug beräd- 
fihtigt und noch weniger mit Schärfe dargelegt ift, können wir ihm laum 
zum Borwurfe maden, denn ber entiprechende Zeitraum unferer vater 
ländifchen Geſchichte ift noch zu wenig durch Monographien erläutert 
worden, als daß wir von einem allgemeinen, umfafienberen Werle darüber 
eine nad allen Seiten hin befrievigenve Crörterung verlangen dürften. 
Etwas mehr Genauigkeit hätten wir freilih in ven Angaben ver Quel⸗ 
len · gewäniht. So find z. B. 11, 14 die Ansfichten des jungen (Eh 
senfried anf den Thron noch etwas ausführlicher ale in ber erſten Auf⸗ 


584 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1860. 


lage beſprochen, während ©. 574 das Citat dafür, eine Interpolation 
zu ber Fundatio Brunwilacensis monasterii, wahrjcheinlid aus dem 13. Jahr⸗ 
bunbert, vergeblich gejucht wird, obgleich e8 in ber früheren Auflage hier 
zu finden war. ©. 597 vermiſſen wir ven Beleg für bie Verbannung 
des fpäteren Kaiſers Konrad I., obwohl bereitd Büdinger, öfter Geſch. 
1, 452 Note 3 diejes für die erfte Auflage bemerkte Die von letzterem 
bier angezogenen Worte des Aribo, bei Wipo Cap. 3, auf die Herr Gie 
ſebrecht feine Ausführung vielleicht ftüßte, Fünnen auch mit der dunkeln 
Macricht in der Vita Meinw. cap. 7 in Verbindung gebracht, und dür⸗ 
fen dann hier nicht verwendet werden. Auch einzelne Tleine Unrichtige 
Yeiten hätten bei ver Beherrichung des Materials, wie fie dem Verfaſſer 
zu Gebote ftand, leicht vermieden werben können. So wird z. B. S. 20 
eine Theilnahme Heinrich's II. am Morde des Grafen Ekkehard ange- 
beutet, obwohl dieſes doch weder aus ben Worten Thietmar's V, 5 zu 
entnehmen ift (denn dieſe beziehen ſich ohne Zweifel auf Heinrich von 
Katlenburg, ven ber Berfaffer allervings hier gar nicht nennt), noch zu 
dem in bem Buche felbit gegebenen Bilde von dieſem Könige paßt. Mehr» 
fach fcheint uns auch der Wortlaut ver betreffenden Quelle nicht genügend 
bei der Wiedergabe ihres Berichtes berüdjichtiget zu fein. So vermuthet 
man 3. 2. ©. 283, wo von dem Beltreben Konrad's II. die Krone 
erblih an fein Haus zu bringen geſprochen wird, ſchwerlich die Nach⸗ 
riht bei Wipo cap. 11 und 23 „consilio et petitione principum regni“ 
babe der König feinen Sohn erwählen und jpäter „principibus regni 
cum tota multitudine populi id probantibus“ ihn krönen lafjen. Hier jowohl 
wie an andern Stellen möchte die Individualität des Herrſchers, gegen» 
über einer naturgemäßen, jelbftftändigen Entwidelung zu jehr hervorgeho⸗ 
ben fein. Ueber vie Auffalfung und Deutung gar vieler Berichte läßt 
fih natürlich mit dem Verfaſſer ftreiten. Wir vermögen ihm z. B. 
nicht zuguftimmen, wenn er S. 374 von den Berbienften Heinrich's III. 
um bie Einführung der treugaDei in Burgund jpricht, denn die ©. 623, 
wörtlich wie in der erften Auflage dafür angeführten Verje des Tetras 
fogus von Wipo (208 ff.) find durchaus nicht fo „unzweideutig“ wie 
der Verfaſſer annimmt. Biel eher und einfacher als auf jenes Inſti⸗ 
tut laſſen fie fih ganz allgentein deuten, etwa fo wie die Stelle in ver 
Vita cap. 1, wo von ber fchlieklidhen Beruhigung und Erwerbung Yır- 
gunds buch bie beutichen Könige bie Rede ift und wo es von jenem, 


Rachträge. 685 
nachdem von den Sriegen feiner Vorgänger geſprochen ift, heißt: Ad ex- 


tremum rex Heinricus tertius, pius, pacificos, linea justitiae, bello et pace 
eandem Burgundiam temperavit cum magnificentia, ubi quae — tam 
pacis quam belli consiliis, conciliis et conventibns — peregit, alias com- 
memorabo. Offenbar ift hier pax nur dem bellum gegenüber geftellt. 
Noch weniger freilih vermögen wir in den dert angeführten Worten, wos 
durch Jocundus in ber translatio S. Servatii cap. 44 (vgl. 45 und 51) 
ven Gönner feines Heiligen feiert: divinae religionis, divinae pacis au- 
ctor et amator eine Bezeichnung Heinrich's IM. als auctor ter trenga 
Dei zu finden, denn es Tiegt bier wiel näher, vie bezüglichen Worte des 
maftrichter Geiftfichen, von dem Wattenbach S. 302 jagt, fein Werk fet 
faum zu den Geſchichtsquellen zu rechnen, auf tie von ihm gegebenen 
Nachrichten Über die Mainzer Synode vom Jahre 1049 zu beziehen, wo 
„quidquid in divinis et humanis institutis antecessorum negligentia dilap- 
sum esse videreiur et deletum“‘ (f. XI, 90) von Heinrich wieder herge⸗ 
ftellt fein fol. Auch Die diefen vielfach wegen feiner Zuneigung zn den 
Geiftlichen gezollte Anerkennung kann zur Erklärung jenes Ausprudes 
dienen. Somit ſcheint denn Kluckhohn, Geſchichte des Gottesfriedens 
©. 58 ff., gegen den hier Herr Gieſebrecht feine Ausführungen richtet, 
durch dieſe allertings nicht widerlegt zu fein. 

Doch genug von terartigen Ausſtellungen an ben ſonſt jo vortreff- 
Iihen Werke. Wenn ji tie Zahl verjelben auch leicht noch vermehren 
liege, jo ift fie im Berhältwig zu dem Umfange tes Buches und zu den 
CSchwierigfeiten, vie feiner Ausarbeitung eutgegenftanden, doch nur eine 
geringe. Freilich werten auch tie kurzen Ausführungen zeigen, daß man 
nicht überall und unbedingt den vom Verf. gewonnenen Rejultaten zus 
ftimmen darf. Gerate bei den willenjchaftliben Zinn des letzteren 
wird Diejes aber von ihm amı allerwenigften verlangt werten. — Im 
Borworte des 2. Bandes ftellt ver Verf. ein baldiges Erjcheinen des drit⸗ 
ten in Ausſicht. Möge dieje in Erfüllung gehen und möge dann aud 
biejer nene Band ebenjo jegensreich wie tie beiten früheren für tie Er⸗ 
gründung und Verbreitung der Kunde von ter Entwicklung unfers Vater⸗ 
landes wirken. U. 


Liber de rebus memorabilibus sive chronicon Hen- 
rici de Hervordia. Edidit et de scriptoris vita et chronici fatis aueto- 


586 neberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860. 


ritateque dissertationem praemisit Augustus Potihast Huxariensis-Westpha- 
lus. Opus a societate literarum regia Gottingensi praemio Wedekindeo 
ornatum atque editum. Gottingae, 1859. XXXVII, 327 p. 4. 

Die Chronik des Heinrih v. Herford hat die längfte Zeit zu ben- 
jenigen Werten umferer deutſchen Geſchichtſchreibung gehört, deren Exi⸗ 
ſtenz zwar belannt war, von ber eine Anzahl Forjcher auch Einſicht ge 
nommen hatte, über deren Werth aber die Anſichten ziemlich verfchieven 
lauteten und von welcher uns feine genügenve und erſchöpfende Beſchrei⸗ 
bung geliefert werden war. Es muß daher als ein entichievenes Ver⸗ 
dienft der k. Geſellſchaft der Wiffenjchaften zu Göttingen anerkannt wer- 
den, daß fie eine Bearbeitung und Publication dieſes Wertes veranlaft 
bat, bie, wie das unter ben gegebenen Umſtänden nicht anders fein Tann, 
die wejentlichen und billigen Anforderungen au die Ausgabe gerade eines 
ſolchen Geſchichtſchreibers vollftändig erfüllt. 

Die Einleitung beihäftigt fih mit dem Leben und ben Schriften 
des Autors, am ansführlichiten mit der Chronik felbft und allen ven 
Momenten, die bier in Trage zu Tommen pflegen. Die Bearbeitung und 
Wiedergabe des Tertes it den Grundſätzen angepaßt, bie durch bie M. 
G. H. mit fo viel Erfolg zur Herrichaft gelangt find. Die forgfältige 
Analyfe der einzelnen Beftanptheile und die Beſtimmung ihrer Herkunft 
war in dem vorliegenden Falle die Hauptjache und feine Kleine Arbeit, 
ift aber über alle Schwierigleiten hinaus bewältigt worden. 

Der Berf. der Chronit, Heinrih, ftammte aus Herford in Weft- 
phalen, wie ver Herausgeber glaubwürdig nachgewiefen hat, und nicht 
aus Erfurt, wie Trithemius angibt, deſſen Autorität übrigens Hr. Pott- 
baft fonft (3. 3. p. VIE.) viel zu body anſchlägt. Heinrich wird wohl 
Anfangs des 14. Jahrhunderts oder in dem legten Jahrzehent des vor- 
bergebenven geboren fein, ta er im 9. 1370 geftorben ift. Als Jüng⸗ 
ling trat er zu Minden in den Dominifanerorden und bat vafelbft, ein 
paar Jahre eines Aufenthaltes in Soeft und etwa eine und bie andere 
in Sachen feines Ordens unternommene Reije (p. VI.) abgerechnet, fein 
Leben zugebraht und beichloffen. Daß ein Mann von feiner Bildung 
und Gelehrjamteit innerhalb feines Ordens verſchiedene Aemter befleidet, 
daß er der Schule zu Minden vorgeftanten habe (p. VI.), ift fehr wahr⸗ 
fheinlih, wenn auch beftimmte Nahrichten darüber nicht vorhanden find. 
Bar doch Heinrich überhaupt ein fruchtbarer Schriftitellee (vgl. 8.2 ver 


Nachträge. | BET. 


Einleitung), und mehrere feiner Schriften dürften in ver That pädago⸗ 
gifchen Ursprungs fen. An Anerkennung jchon bei Lebzeiten hat es ihm 
unter biefen Umſtänden nicht gefehlt; eine befondere Auszeihnung ift ihm 
aber einige Iahre nad) feinem Tode durch K. Karl IV. geworben, ber 
bei feinem Aufenthalte zu Minden im J. 1377 tem Leichnam bes Ges 
ſchichtſchreibers eine Örabesitätte zu Füßen des Hauptaltared ver Domi⸗ 
nikanerkirche bereiten ließ, während verjelbe urjprünglih außerhalb ber 
Kirche beerdigt worden war. 

Und nun noch einige Bemerkungen über die Chronik ſelbſt. Sie 
ift eine Univerſalchronik, wie fie fett dem 11. Jahrhunderte aufgelommen 
waren, und reicht bis zum 9. 1355. Die Erzählung bewegt fih m 
ver beliebten Eintheilung in 6 Weltalter, deren lettes mit Chriftus bes 
ginnt. Die Compofition des Werkes iſt einfach und verftändig, ohne 
höhere Anſprüche zu maden over zu erfüllen, nicht ohne Gebrechen aller- 
bings, auf die bereitS der Herausgeber aufmertjam gemacht bat. Dem 
Stoffe nad ift fie überwiegend Compilation, daher beim Drucke die er⸗ 
fteren fünf Weltalter, d. h. die Gefchichte der vorchriſtlichen Zeit, gänz⸗ 
ih unterbrüdt wurden und aud beim fechiten der vollſtändige Text erſt 
mit bem 3. 687 beginnt. 

Indeſſen liegt gerade in dem compilatoriſchen Charakter der eigen« 
thümlihe Wert) ver Chronik, weil ihr Verf. mit nicht gewöhnlicher 
Sorgfalt ein mafjenhaftes Material ausgebeutet und jo manche Nachricht 
gerettet hat, die außerdem für und verloren wäre. Wir verweilen im 
biefer Beziehung auf 8. 4 der Einleitung und auf das Werk ſelbſt. Daß 
der Verf. feine altjächfiiche Heimath in der Darftellung etwas bevorzugt, 
ift zu natürlich, als daß das befonders bemerkt zu werben brauchte. Was 
ben Reichthum des verarbeiteten Stoffes anlangt, fürchten wir nicht zu 
weit zu gehen, wenn wir Heinrich's Chronik allen ähnlichen Werken feiner 
Zeit und des vorausgegangenen halben Yahrhunterts den Vorzug geben, 
und ganz gewiß dürfte dieſelbe nicht zulett genannt werben, wenn es fidh 
um Audeinanderfegung ver Verdienſte ver Dominilaner um die (veutiche) 
Geſchichtſchreibung handelte. Dagegen in Beziehung auf die Zeitgejchichte 
ift dem Werte kein bejonderes Lob zu ſpenden, mie das ſchon ber Bears 
beiter felbft zugeftanden bat. Ueber tie Geſchichte K. Ludwig des Bayern 
erfahren wir nur weniges von wirklicher Bedeutung, über Karl IV. fo 
ziemlich nichts. Was fonft über die Vorgänge des 14. Yahrhunderis 


588 Ueberfiht der hiſtoriſchen Siteratur von 1860. 


mitgetheilt wird, ift zum Theil ver verlorenen brandenburgiichen Chronik 
entnommen, zum Theil anderswo befier zu finden, ober befteht in fabel- 
haften Hiftörchen, wie fie in ven Klöftern wohl gerne gehört wurben, 
zu beren Berbreitung gerade die Mönche viel beigetragen haben, aus 
denen man aber venn doch nur wenig lernt. Eigenthümlich im Munde 
eines Meönches nimmt fi) namentlich die Erzählung S. 252—253 aus, 
die, wenn fie Glanben verdiente, einen häßlichen Beitrag zur Sittenges 
ſchichte des franzöfiichen Hofes unter K. Philipp dem Schönen Tiefern 
würde. Was endlich die principielle Haltung Heinrih’s im Streite K. 
Ludwig d. DB. mit ven Päpften anlangt, fo läßt er der Perfönlichleit des 
Kaifers zwar ©erechtigleit wieverfahren (p. 271), verſchließt auch fonft 
die Augen gegen die Gebrechen innerhalb ver Kirche nicht, aber die Po⸗ 
litik Ludwig's findet auch vor ihm Teine Gnade und kein Necht, und das 
kann uns bei dem Dominilanermönde in keiner Weije überrafchen. 


— 8 — 


Zu Carlo Caraffa's relatione dello stato dell’ imperio 
sben S. 264. 

Mit Recht bat Herr O. %. im erften Hefte des 3. Bandes biefer 
Zeitichrift auf die zwedmäßige Müller'ſche Publication der auch neben 
Caraffa's gedrucktem Werke de Germania sacra restaurata ſehr beachtens⸗ 
wertben jogenannten Caraffa'ſchen Relationen hingewieſen. Und mit vol 
lem Rechte rügt er, daß Hurter als Anhang zn feinen Buche über bie 
Friedensbeſtrebungen des Kaiſers Ferdinand ein Stüd dieſer Rela⸗ 
tionen in deutſcher Ueberſetzung gegeben hat, ohne zu bemerken, 
was Ranke früher in der Geſchichte der Päpſte darüber mittheilte, 
als ob das Vorhandenſein dieſer Relation ganz unbelannt geweſen wäre. 
Nur iſt nicht ganz klar, was ſich der Ref. denkt, wenn er dies Stück 
als Caraffa's Relation ans ver Vaticaniſchen Bibliothek bezeichnet, wäh⸗ 
rend es nichts anderes zu ſein ſcheint, als der von Ranke dem Caraffa 
abgeſprochene, mit einigen Veränderungen in die von Müller herausge⸗ 
gebene Relatione aufgenommene Beriht. Denn daß ihn Hurter dem Ca⸗ 
raffa zufchreibt, ft fein Beweis. Die von Hurter benutzte Wiener Ab> 
fhrift konnte leicht mit Caraffa's Namen bezeichnet werden, ba biefer 
Bericht in das ihm zugefchriebene handichriftliche Werk aufgenommen war. 
Wenn nım Herr DO. L. weiterhin fehr heiter geftimmt worben ift, daß 


Rodtcäge. 589 


auch ich bei Erwähnung bes Caraffa’ichen Berichtes in meiner Polemik 
gegen Hurter Ranle's Päpſte nachzuſchlagen verſäumt und getroft „von 
den Zeuge gejprochen hätte, was Hurter dem gebilveten Publikum vor⸗ 
lege”, fo kann ih Herrn DO. L., jo leid mir's thut, in biejer heiteren 
Stimmung nicht lajfen. Ich muß erwähnen, daß mir nur daran lag, 
Hurter's Geſchichtſchreibung durch Analyſe feiner Gejchichte der kaiſer⸗ 
lichen Friedensbeſtrebungen zu charakteriſiren. Der Auhang, die Caraffa'ſche 
Relation, ward von mir in einer Note in ein paar Zeilen erwähnt, wo 
keine Veranlaſſung war, das Schweigen Hurter's über die mir wohl be⸗ 
kaunten kritiſchen Bemerkungen Ranke's zu rügen. Nöthig war num, 
darauf hinzuweiſen, „daß es mehr als naiv ſei, ſolches Zeug“ — es 
war auf eine Stelle insbeſondere hingewieſen — „zur Glorification 
des Kaiſers“ — Died war gejperrt getrudt — „dem gebilveten Pub» 
likum vorzulegen“. DBeigefügt war: „Zur unbefungenen Charalteriſtik 
des Kaiſers und der Pfaffen jener Zeit ift es ganz interejlant“. Die 
geiperrt geprudten Worte und den Zujat bat freilih ver Ref. wegzu- 
taffen für gut befunden und fo mir eine Richtbeachtung der von Ranke 
ale höchſt bedeutend anerkannten Relationen angebichtet, deren ich mid 
nicht ſchuldig gemacht habe, K. G. Helbig. 


Zur allgemeinen Weltgeſchichte. 


Bellecombe, Histoire universelle. 2e partie: Histoire go- 
nerale, politique, religieuse et militaire. Tome 5. Domination grecque. — 


Alexandre lo grand et ses successeurs. — Les Ptolömdes d’Egypte et les 
Beleucides de Syrio. — Annibal et les guerres puniques. — Rome 
jusqu’ & la mort de Scipion l’Africiin. — Tome 6. Fin des Lagides 
d’Egypte et des Séleucides de Syrie — Conquöte de la Grece et de la 
Macddoine. — Destruction de Carthage. — Scipion I’Emilien et Nu- 
mance. — Tiberius et Calus Gracchus. — Guerre de Jugurtha.. — M= 
rius et Sylla. — Ciceron et Catilina.. — Triumvirat de Cesar, Cras- 
sus et Pompee. — Dictature de Cösar. — Brutus et Cassius. — An- 
tunius, Lepide et Oetave. — Auguste — Fin de la röpublique romaine 


Paris, Furne et Ce., 1860. 594 und 612 ©. 8. 


Chantrel, J., Nouveau cours d’histoire universelle, 
T. 3. Histoire da moyen Age. Ire partie Depuis l’dtablissement de 


590 Nechtrage. 


Te6glise, Jusqu' à la mort de Charlomagne. Paris, Putois-Cretid, 1860. 
VIII u. 35 © 12. 

Costanzo, Salvador, Historia universal, desde los tiempos 
mas remotos hasta nuestros dias. Tomo IV. Madrid, 1860. VIII u. 444 
uub 276 ©. 4. 

Kindblad, K.E,og G. H. Mellin, Allmän werldshistoria 
for frantimmer og ungdom. Utarbetad efter de bästa källor. Attonde 
bäfıet. Stockholm, Huldberg 1859. S. 401 — 448 und 64 © 8. 


Möller, J., Cours complet d’histoire universelle. 6 vols. 
Tournai, 1859. 12. 


Alte Geſchichte. 


Zimmermann, Carl, Dr., Babylon, Hifloriich-topographiiche Mit- 
theilungen. Schulprogramm. Baſel, 1859. 46 ©. 8. 


Donborff, 9, Die Jonier auf Eubda. Ein Beitrag zur Ge 
ſchichte der griechiihen Stämme. Programm bes Joach. Gymn. Berlin, 1860. 
606 4. 


Banfe, Oberl., De Polycrate, Samiorum tyranno. Gymna⸗ 
falprogramm. Warendorf, 1859. 24 ©. 4. 


Donaldson, John. Will, Varronianus: a critical and 
historical introduction to the ethnography of ancient 
Italy. 8. edit. London, Parker, 1860. 540 S. 8. 


Bode, 9., Dr., Bemerlungen über die älteſte Geſchichte 
Roms. Gymm. - Vrogr. Neu: Ruppin, 1859. 23 © 4. 


Swanberg, Gustav, Hannibals täg fr&n Karthagena till 
Turin dfwer Alperna. Akademisk athandling. Upsala, 1860. 
686 8. 


Bernouflli, 3.9, Dr, Leber den Charakter bes Kaifers 
Tiverins. Gymnaflalprogr. Bafel, 1859. 29 © 8. 


Korzilius, Ph., Der Ufurpator Marimus, feine Gmpörung 
und feine Kriedensunterhandlungen mit den Kaifern Balentinian II. und Theo⸗ 
Vofins dem Großen. Gymnaflalprogramm. Zrier, 1859. 24 ©. 4. 





Rachträge. 591 
Teutige Ceſchiqhte. 


Kutzen, Th., Dr., Brof., Gedenktage beutfher Geſchichte. 
3 Hefte. Breslau, Hirt. 3 Bde. 8. 

Inhalt: 1. Der Tag von Kolin. 2. Ausg. Mit einem lithogr. Plane 
der Schlacht. XVl, 800 6. — 2. Der Tag von Leuthen. 8. Ausg. Mit 
einem Schlachtplane. IV, 278 6 — 3. Der Tag von Liegnig. Mit 
einem Plane. VIII, 143 ©. mit 2 Zabelln. — 


Roth, Karl, Dr., Kleine Beiträge zur beutfden Sprad-, 


Gefhihts- und Ortsforfhung. 13. u. 14. Heft. Münden, Finfterlin 
1860. ©. 97— 200. 8. 


Ebeling, Dr, Die ſtaatlichen Gewalten im Frankenreiche 
nnter den Merowingern. Gymnafialprogramm. Greiffenberg, 1859. 
26. 4. 


Püning, Oberl., De Widukindo historico. Gymn. - Progr. 
Recklinghausen, 1859. 22 p. 4. 


Hupertz, Dr, Adelbertus archiepiscopus Maguntinus, 
quae in certamine illo de investiendis episcopis exorto gesserit. Gymn.- 
Progr. Coesfeld, 1859. 16 p. 4. 


Scholz, Joh., Vita St. Norberti, institutoris ordinis Prae- 
monstratensium, postes archiepiscopi Magdeburgensis. P. I. Diss. inaug. 
Breslau, 1859. 44 p. 8, 


Rau, Chriſtophorne Lehmann, und feine Chronica ber freien 
Reicheſtadt Speier. Gymn.-Progr. Speier, 1859. 31 S. 4, 


Better, Dr, Brof, Ereigniſſe im Markgrafenthume Rie- 
berianjig während des BOjährigen Krieges, Eymn -Progr. Ludan, 1859. 
326 4. 


WBäürdinger, 3., 8. Bayer. Oberlientenaut, Johann Tzerflas Graf 
von Tilly, bayeriiher Heerführer n. |. w. Im bayer. Militär -Wlmanacd 
für 1859. Bierter Jahrg. Münden, Sleiſchmaun, 1859. ©. 76--275. 8. 


Das Leben I. H. v. Weſfenberg'te, chemaligen Bisthumeverweier 
in Conſtanz. Rah fchriftlihen und münbligen WRittheilungen beransgeg. von 
einem freunde umb Berehrer bes Verſtorbenen. Breiburg im Br., Wagner, 
1860. 1606 8. 


5692 Veberficht der hiftorifhen Literatur von 1860. 


Aus deutſchen Zeitſchriften und Jahrbüchern. 
(Vergl. oben ©. 284 ff.) 


Hiftorifhes Taſchenbuch. Herausgegeb. von Friebrih v. Raumer. 
Bierte Folge 1. Jahrgang. Leipzig, Brodhaus, 1860. 418 6 8. 

Inhalt: Die Mönderepublit des Berges Athos. Von Karl Nathanael 
Biffon. S. 1— 88. — Der Brabanter Hof und eine Brüffeler Revolution 
im 15. Jahrh. Bon Franz Löher. S. 89 — 158. — Giovanni Roſini. Bon 
Alfred v. Reumont. S. 159—218. — Ein Schuß im Walde 1603*) Bon 
Karl v. Weber. ©. 219-276. — Der evangelifhe Sagentreis. Ein Beis 
trag zur Geſchichte der religiöſen Dichtung und Kunft des Mittelalters. Bon 
Eduard Kolloff. S. 277 — 370. — Ernft Chriſtoph Auguft von der 
GSahla”*). 


Zeitfohrift für die gefammie Staatswiffenihaft. 16. Jahr 


*) Da dieſe feltfame Bezeihnung faum auf einen Hiftorifchen Inhalt ſchließen 
täßt, fo fei hier bemerkt, daß die von dem Berf. nach zahlreihen Acten- 
bänden bes Drespner Archivs geſchickt bearbeitete Erzählung einen angeb- 
lichen Mordanfall auf den Kurfürſten Chriſtian II. von Sachſen betrifit, 
welcher vermeinte Mordverſuch nach grauenvollen Eriminalunterfuchungen 
ausländifchen Anftiftern (Anhalt) zur Laft gelegt wurbe und zu Jahre 
langer Feindſchaft zwiſchen deutſchen Fürſten und beinahe zum Kriege 
führte. 

*) Sahla, ein exaltirter junger Edelmann aus Sachſen, begab ſich zweimal 
(1811 und 1815) nach Paris, um Napoleon zu ermorden; während des 
Wiener Congreßes beabſichtigte er ſogar ein Attentat auf den König von 
Preußen. Er ſtarb in Paris als ein Opfer feines Wahnes (1815). 
Die fragmentarifchen Nachrichten, welche zulett Berk in bem Leben Stein’s 
und Ludw. von Neiche in feinen Memoiren über ihn gegeben, werben 
bier von einem ungenanten Schriftfteller aus authentiſchen Mittheilungen, 
zum Theil vertrauficher Art, in baufensweriber Weife vervollftäubigt. 
Nur verftehen wir nicht, welches der furchtbare Geheimbund fein foll 
(S. 381, 406), in den fon der unglückliche Knabe verftridt wurde ; 
baß der Berfaffer nicht ven Tugendbbund meinen kann, bemerkt er zum Ueber» 
flug ausbrüdiih. Ta Sahla auch nah Wien nur auf eine Ladung des 
bern des Geheimbundes gegangen fein fol, um das Berfahren gegen 
nfeinen geliebten König” zu rächen, fo könnte jener Orden bob nur ein 


ſpecifiſch fächfifcher geweſen fein. 





Rachträge. 6983 


gang. Tübingen, 1860. 1. m. 2. Heft. Auf bie werthoolle Abhandlung von 
Heyb über bie italienischen Sandelseolonien in Paläſtina, Syrien und Klein- 
armenien zur Zeit ter Kreuzzüge im 1. Heft iR fon an einem anbern Orte 
(Zeitfchrift Bd. IV S. 528) aufmerliam gemacht worden. Wir notiren außer 
dem v. Karnap, Zur Geſchichte der Münzwiſſenſchaft und der Werthzeichen. 


Im Pädagogiſchen Archiv, herausg. von W. Langbein, 2. Yahr- 
gang (Stettin, 1860) Heft 4 S. 312 — 322 verzeichnet Hr. Dr. Haade eine 
Reihe von Unrichtigkeiten ſowohl in Zeiß' Lehrbuch der allgemeinen Geſchichte 
vom Stanbpuntte der Kultur, Weimar 1858, als auch befonders in der fonf 
empfehlenswerthen popnlären „Deutichen Geſchichte für das deutiche Voll” von 
Quf. Mayer (Leipzig, 1858), auf bie wir die Beſitzer aufmerljam machen 
möchten. 


Protefuntifhe Monatsblätter für innere Zeitgeſchichte. Herans- 
gegeben von Dr. Heinrich Gelzer. Gotha, Perthes, 1860. Bd. 15 u. 16. 8. 

Wir notiren aus dem 15. Bde: 1) Zung-Etilling’8 Jugendgeſchichte. Zur 
religiöfen Geſchichte Deutfchlande im vorigen Jahrhundert. Bon Dr. May 
Göbel in Coblenz. ©. 47, 109 fi. — 2) Ein Reformationeverfud Pe- 
ter’s des Großen. Brudftüd aus feinem geiſtlichen Reglement. S. 191 ff. 
Merlwürdige Yragmente aus einem im Jahre 1721 im Petersburg gebrudten 
Buche, das nad einer ©. 191 ausgeiprechenen Bermuthung ſelbſt in Rußland 
vielleiht nur noch in einem einzigen Gremplare vorhanden iſt — 3) Staat 
und Kirche im Reformationszeitalter. Ein Bruchſtück aus Leo Judä'e Leben 
von ©. Beftalozzi. S. 268 fi. Der Verf. bearbeitete bie Biographie Leo 
Yudä’s, der von 1521 -1542 Pijarrer in Zürih war, für das befanute Sam⸗ 
melwert: „Die Väter und Begründer der reformirten Kichhe“. Die barane 
entneınmenen gegenwärtigen Mittheilungen behandeln das Verhältniß zwiſchen 
dem Staate und ber evangeliſchen Kirche. — 4) Die deutſchen Concordate bes 
19. Jahrhunderts, von Dr. E. Herrmann, Prof in Göttingen. 1. Artikel, 
Der geichichtlihe Boden (8. 301 ff) Leider find weitere Artikel über biefen 
Geſtand aus der Feder des bedeutenden Kirchenrechtslehrere in dem vorliegen- 
den Jahrgange nicht erſchienen. — S 828, 395 ff : Erinnerungen an Zin⸗ 
zenborf. Zur Säcularfeier feines Todestages, I Mai 1760. 

16. Bd.: Die Bedeutung bes Sokrates in der Bilbungsgeichichte der 
Menfchheit, von Dr Friebr. Ueberweg. 5 39 fi. — Karl Immanuel Nitzſch 
und bie evangeliihe Kirche ber preuß Rheinprovinz S 102. in zweiter m. 
dritter Artilel: „Umriffe zur Gefchichte der rheinifhen Kirche von 1815 — 48° 
finden ih ©. 262 -- 341 ff. — Die Bebingungen glüdlicher und großer Zei⸗ 

Diſtoriſche Zeitfärift V. Baud. 38 





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